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German Pages [278] Year 2015
Schriften des Archivs der Universität Wien Fortsetzung der Schriftenreihe des Universitätsarchivs, Universität Wien
Band 21
Herausgegeben von Kurt Mühlberger, Thomas Maisel und Johannes Seidl
Christine Ottner / Gerhard Holzer / Petra Svatek (Hg.)
Wissenschaftliche Forschung in Österreich 1800 – 1900 Spezialisierung, Organisation, Praxis
Mit zahlreichen Abbildungen
V& R unipress
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MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-8471-0326-4 ISBN 978-3-8470-0326-7 (E-Book) Veröffentlichungen der Vienna University Press erscheinen im Verlag V& R unipress GmbH. Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Rektorats der Universität Wien. Ó 2015, V& R unipress in Göttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Titelbild: Das »Alte Universitätsviertel« im ersten Wiener Bezirk, Stätte wissenschaftlicher Lehre und Forschung in Österreich seit dem 17. Jahrhundert. Ausschnitt aus: Joseph Daniel von HUBER, Scenographie oder Geometisch-Perspect. Abbildung der Kays. Königl. Haupt und Residenz Stadt Wienn in Oesterreich. Wien 1777, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Sammlung Woldan. Druck und Bindung: CPI buchbuecher.de GmbH, Birkach Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
Inhalt
Vorwort und Danksagung
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Christine Ottner Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Marianne Klemun Historismus/Historismen – Geschichtliches und Naturkundliches: Identität – Episteme – Praktiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Methodik und Forschungsorganisation: Formen und Möglichkeiten der Spezialisierung Petra Svatek »Natur und Geschichte«. Die Wissenschaftsdisziplin »Geographie« und ihre Methoden an den Universitäten Wien, Graz und Innsbruck bis 1900 .
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Elisabeth Hilscher Denkmalschutz und Denkmalpflege – ein musikwissenschaftliches Anliegen des 19. Jahrhunderts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Michaela Zavadil Dilettant oder Pionier? Überlegungen zum Archäologen Heinrich Schliemann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Methodik und Forschungsorganisation: Wissenschaftliche Großprojekte Hubert D. Szemethy Die österreichischen Samothrake- und Trysa-Expeditionen im Lichte des friedlichen Wettstreits der Nationen – Politische Hintergründe, Methoden und Öffentlichkeitsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117
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Inhalt
Gerhard Holzer Ferdinand von Hochstetter und die Organisationsformen der Geologie in der Habsburgermonarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149
III. Publikationspraxis: Fachzeitschriften im Vergleich Christine Ottner Die Entwicklung von Fachzeitschriften in der historischen Quellenforschung des 19. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Sibylle Wentker Orientalistik in Wiener Zeitschriften
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
Barbara Boisits Die Vierteljahrsschrift für Musikwissenschaft (1885 – 1894). Der Versuch einer jungen Disziplin, wissenschaftliche Dignität zu erlangen . . . . . . 215 Karl R. Krierer Die Archaeologisch-Epigraphischen Mittheilungen aus Oesterreich (1877 – 1897) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 Richard Kurdiovsky Wissenschaft in Anwendung. Kunst- und Architekturgeschichte in Christian Ludwig Försters Allgemeiner Bauzeitung . . . . . . . . . . . . 259
Vorwort und Danksagung
Der Band geht auf eine Tagung zurück, die am 11. und 12. April 2013 im Archiv der Universität Wien stattfand und die Wissenschafter_innen unterschiedlicher Fachrichtungen zusammenführte. Die Tagung wurde von Christine Ottner unter dem Titel »Wissenschaftspraxis in Österreich im 19. Jahrhundert: Interdisziplinäre Annäherungen« konzipiert und gemeinsam mit Gerhard Holzer durchgeführt. Die Konzeption entstand im Zusammenhang mit einem Forschungsprojekt, das sich den Programmen, den Produktionsformen und der Organisation historischer Forschung an der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts widmete.1 Dem Rektorat der Universität Wien, vor allem der Vizerektorin für Forschung und Nachwuchsförderung, Univ.-Prof. Dr. Susanne WeigelinSchwiedrzik, und der Direktorin der Universitätsbibliothek, Mag. Maria Seissl, ist sehr herzlich für die nach externer Begutachtung erfolgte Finanzierung des Bandes zu danken. Den Herausgebern der Schriften des Archivs der Universität Wien, Doz. Dr. Kurt Mühlberger, Mag. Thomas Maisel und Doz. Dr. Johannes Seidl danken wir für die Aufnahme des Bandes in ihre Reihe. Johannes Seidl sei außerdem ganz herzlich für einige Anmerkungen und Korrekturen gedankt. Für die Überlassung der Tagungsräumlichkeiten bedanken wir uns sehr herzlich bei Mag. Thomas Maisel als Leiter des Universitätsarchivs, ebenso bei Univ.-Prof. Dr. Thomas Winkelbauer, Direktor des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, und bei Prof. Dr. Helmuth Grössing für die Mobilisierung finanzieller Unterstützungen für die Tagung. Auch Dr. Barbara Haberl, Leiterin der Abteilung Stipendien und Preise der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, ist für ihr freundliches Entgegenkommen zu danken. Ebenso danken wir allen Tagungsteilnehmer_innen für ihre spannenden Präsentationen und Diskus1 Das Projekt endete im Mai 2014 und wurde als APART-Stipendium der Österreichischen Akademie der Wissenschaften gefördert.
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Vorwort und Danksagung
sionsbeiträge und dürfen zuletzt die Hoffnung auf weitere Zusammenkünfte dieser Art aussprechen. Christine Ottner, Gerhard Holzer, Petra Svatek Wien, Februar 2015
Christine Ottner
Einleitung
Der vorliegende Sammelband unternimmt den Versuch, die Ausdifferenzierung einiger Wissenschaftsdisziplinen in Österreich im Rahmen ihrer Spezialisierungsformen, Organisationsmöglichkeiten und Forschungspraktiken zu beschreiben und damit vergleichend zur Diskussion zu stellen. Die Konzentration auf das 19. Jahrhundert ist damit zu begründen, dass in diesem Zeitraum die institutionelle Struktur des modernen europäischen Forschungsbetriebes grundgelegt und ein Ensemble von zunehmend normierten Ausbildungs- und Forschungspraktiken sowie lokalen, nationalen und internationalen professionellen Netzwerken konstituiert wurde.1 In einem komplexen Spezialisierungsprozess wurden damit einzelne wissenschaftliche Disziplinen in Forschung und Lehre institutionalisiert. Obschon den erstarkenden Universitäten hierbei mit »Verspätung« auch in Österreich eine wesentliche Funktion zukam,2 erscheint es wichtig, diesen Prozess nicht ausschließlich mit Blick auf die Universitäten als zentrale wissenschaftliche Produktionsstätten zu analysieren; denn auch außeruniversitär lassen sich vielerorts Formen der Institutionalisierung beobachten, die eigenes Untersuchungspotential bieten oder gerade durch ihr Verhältnis zur universitären Forschung zu Vergleichen anregen.3 Im Fokus des vorliegenden Bandes stehen exemplarisch die Forschungsbereiche Geographie, Geologie, Musikforschung, Alte Geschichte und Archäologie, Orientalistik, Kunstgeschichte/Architektur und die Geschichtswissenschaft. Einige dieser Disziplinen nehmen (historische) Prozesse in den Blick, einige bewegen sich an der Grenze zwischen Geistes- und Naturwissenschaften. Der deutliche Schwerpunkt auf dem Bereich der Geistes- und Kulturwissenschaften ergibt sich nicht zuletzt daraus, dass sich die Wissenschaftsgeschichte als international organisiertes Fach lange Zeit vornehmlich den Naturwissenschaften widmete. Trotz des weiteren Bedeutungsfeldes des deutschen 1 Ash 1999, S. 105 – 129. 2 Höflechner 1999, S. 93 – 114. 3 Vom Brocke 1999, S. 191 – 215.
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Wissenschaftsbegriffes gegenüber dem englischen science konnten selbst deutsche Geschichtswissenschafter_innen dem langen Schatten, den die modernen Naturwissenschaften über alle Begriffe der Wissenschaftlichkeit warfen, kaum entkommen.4 Erst um die Jahrtausendwende erwachte im Bereich wissenschaftsgeschichtlicher Studien ein deutliches Interesse an der Ausformung und Genese der Geistes- und Kulturwissenschaften. Dabei wurden auch die vermeintlichen Grenzen zu den »Naturwissenschaften« aus historischer Perspektive thematisiert und vor allem die Nachwirkungen des aufklärerischen Wissenschaftsbegriffes ins Zentrum der Betrachtungen gerückt.5 Hierbei offenbarte sich auch die starke Wechselwirkung zwischen den beiden Bereichen: Denn einerseits wurden die »angestammten Methoden der Historiker«, namentlich das Sammeln, Überprüfen und Ordnen von »Tatsachen«, letztlich zu denen der modernen Naturwissenschaften.6 Andererseits wurden die Aufgabenfelder der Historiker_innen des 19. Jahrhunderts von dem permanenten Versuch geprägt, in der Anwendung »exakter Methoden« dem Anspruch der übermächtigen Naturwissenschaften zu genügen.7 Die Beschäftigung mit der Entwicklung der Geistes- und Kulturwissenschaften bietet darüber hinaus zugleich eine mögliche Antwort auf die generelle Frage nach der Zukunft dieses Wissenschaftsbereiches, der sich seit geraumer Zeit bekanntlich häufig in Frage gestellt sieht.8 Demgemäß hat gerade die Entstehung und Ausformung der Geisteswissenschaften, der »Humanities«, in den letzten Jahren international durchaus Beachtung erfahren.9 In Österreich unternahm um die Jahrtausendwende erstmals der Grazer Soziologe Karl Acham den eindrucksvollen Versuch, eine umfassende, fachübergreifende Bestandsaufnahme der österreichischen Humanwissenschaften herauszugeben, die ebenso ein weites Feld an geistes- und kulturwissenschaftlichen Fächern und Disziplinen einschließen: In den Jahren zwischen 1999 und 2003 entstanden durch die Mitwirkung zahlreicher Fachwissenschafter_innen in Summe sechs Bände, die den Zeitraum von etwa 1800 bis in die 1970er Jahre umfassen. Im Zentrum der einzelnen Analysen stehen ideenund theoriegeschichtliche Befunde, die durch (wissenschafts-)historische und wissenschaftssoziologische Aspekten ergänzt werden.10 Den historischen Fächern und der Erforschung außereuropäischer Kulturen ist in dieser Reihe sogar ein eigener Band gewidmet.11 4 5 6 7 8 9 10 11
Daston 2002, S. 12. Reill 1994, S. 48 – 61. Daston 2002, S. 14. Oexle 1998, S. 113. Hagner / Rheinberger 1994, S. 22. Bod / Maat / Westensteijn 2010 – 2014. Acham 1999 – 2006. Acham 2002 (als Bd. 4 unter dem Titel: Geschichte und fremde Kulturen).
Einleitung
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In diesen Kontext ist auch die vorliegende Publikation einzuordnen, die freilich nur einen Ausschnitt an Disziplinen und Aspekten bietet. Gleichwohl eröffnen die hier gebotenen Beiträge durch den Fokus auf einzelne Positionen und Interpretationsansätze in Verbindung mit der eigentlichen Forschungspraxis neue Möglichkeiten für eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Thematik. Dafür erweisen sich jedenfalls die materialen Aneignungsstrategien wissenschaftlicher Forschung als maßgeblich. In ihrer Keynote befasst sich daher Marianne Klemun mit den Identifikationsmöglichkeiten und den praktischen und epistemischen Fragen des großen Themas »Historismus«, das unerlässliches Potential für die Untersuchung nach historischen und »naturkundlichen« Wissenschaftskulturen bietet. Mit scharfem Blick auf die Parallelen zwischen geistes- und naturwissenschaftlichen Produktionsweisen liefert Klemun mögliche Ansätze für die Durchdringung von Begriffen wie »Fundstätte«, »Archiv« oder »Erschließen«, die beim Studium zeitgenössischer historischer, botanischer und geologischer Texte besonders hervor stechen. Dabei zeigt sie die konstellative Verbindung von Wissensfeldern, Praktiken und deren Protagonisten auf: So wies, hier als Beispiel, die Metapher des »Grabens« auf verborgene, noch zu hebende »Schätze«, unabhängig davon, ob es sich dabei um historische Archivrecherchen oder archäologische oder geologische Grabungen handelte. Der Sammelband gliedert sich schließlich in zwei große Themenkomplexe: Der erste widmet sich in zwei Unterabteilungen den methodischen und organisatorischen Spezialisierungsmöglichkeiten. Der zweite greift mit dem Thema der Publikationspraxis das konkrete Thema fachwissenschaftlicher Zeitschriften auf, deren Etablierung häufig mit der Ausformung einer neuen Disziplin einherging. Als wesentliche Schrittmacher akademischer Professionalisierung erfahren Zeitschriften außerhalb von Österreich zunehmend wissenschaftliche Beachtung.12 Die Spezialisierungsformen in den Bereichen Geographie, Musikwissenschaft und Archäologie stehen im Zentrum der ersten Abteilung des ersten Themenkomplexes. Zunächst behandelt Petra Svatek die Wissenschaftsdisziplin Geographie und ihre Methoden an den Universitäten Wien, Graz und Innsbruck bis 1900 unter besonderer Berücksichtigung der Physiogeographie sowie der historischen Geographie und Kartographie. Sie zeigt nicht nur die Heterogenität der zeitgenössischen Forschungen und damit verbundenen methodischen Ansätze auf, sondern auch, in welchem Ausmaß diese von den Interessen und Initiativen einzelner Personen abhängig waren und welche Arten des Raumbegriffes dabei zur Geltung kamen. Das Vermessen, Beobachten, 12 Siehe etwa folgenden Sammelband: Stöckel / Linser / Rüve 2009; Møller Jørgensen 2012, S. 70 – 88.
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Kartieren, Sammeln und das Auswerten von Quellen aus Antike, Mittelalter und Frühneuzeit stellten dabei die gängigsten Forschungspraktiken dar. Daran anschließend widmet sich Elisabeth Hilscher der Frage, inwiefern es sich beim Thema Denkmalschutz und Denkmalpflege um ein musikwissenschaftliches Anliegen des 19. Jahrhunderts handelte. Dies erörtert sie anhand der 1893 von Guido Adler gegründeten »Gesellschaft zur Herausgabe von Denkmälern der Tonkunst in Österreich«. Der Beitrag zeigt, wie die Pflege der »Alten Musik«, die Monumenta-Idee und die Anfänge der Denkmalschutzbewegung zu wesentlichen Faktoren für den Institutionalisierungsschub und die Spezialisierung der Musikwissenschaft wurden. Der starke Drang nach dem Bewahren musikalischer Quellen als Kulturgut gipfelte schließlich in einem Projekt über die Denkmäler der Tonkunst in Österreich. Mit kritischem Blick hinterfragt danach Michaela Zavadil die Bedeutung des Archäologen Heinrich Schliemann für die Ausbildung des Faches Archäologie. Im Mittelpunkt ihrer Überlegungen stehen Schliemanns Ausgrabungen über einen längeren Zeitraum hinweg – auch im Vergleich zu anderen österreichischen Unternehmungen – und seine dabei angewandte Methodik im Spannungsfeld zwischen Kontinuität und Wandel: Während er in seinen frühen Jahren durchaus Dilettant gewesen zu sein schien, dürfte er im Lauf der Jahre immer mehr zum Pionier avanciert sein. Obschon viele seiner Zeitgenossen ihn äußerst ambivalent wahrnahmen, wurde etwa sein übergreifender, breiter, ja gleichsam »interdisziplinärer« Ansatz im Fachbereich Archäologie auch für andere Unternehmungen richtungsweisend. Die zweite Abteilung dieses ersten Themenkomplexes enthält zwei Beiträge, die nach der Organisation groß angelegter und umfangreicher Projekte am Beispiel der Archäologie und der Geologie fragen. Zunächst analysiert Hubert D. Szemethy die politischen Hintergründe, die Methoden und die Öffentlichkeitsarbeit der österreichischen Samothrake- und Trysa-Expeditionen. Er fragt danach, weshalb und inwieweit diese Expeditionen Vorbilder und Maßstab für folgende Ausgrabungsprojekte und Forschungsreisen werden konnten: Die neuen Methoden der Samothrake-Expedition erwiesen sich für weitere Grabungen als maßgeblich, denn auch auf die Trysa-Expeditionen folgten weitere Unternehmungen in Kleinasien. Szemethy erörtert außerdem den Aspekt der Finanzierung, die sowohl aus staatlichen als auch aus privaten Mitteln erfolgte. In enger Verbindung damit stand auch die im Vorfeld und nach den Expeditionen intensiv betriebene Öffentlichkeitsarbeit. Hier spielten auch handfeste politische Gründe eine Rolle, denn während der Ausgrabungen gaben die Teilnehmer_innen keinerlei Berichte ab, da man mit den osmanischen Behörden keine Schwierigkeiten bekommen wollte. Im Zentrum der von Gerhard Holzer vorgelegten Untersuchung steht die Geologie im 19. Jahrhundert, die ebenfalls groß angelegte Unternehmungen vorweisen konnte. Mit diesen eng verbunden war auch die Person des Ferdinand von Hochstetter. Nach einem kurzen
Einleitung
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Überblick über die geologischen Forschungen vor 1849 analysiert Holzer daher Hochstetters Tätigkeiten, die sich vor allem im Rahmen der 1849 gegründeten k. k. Geologischen Reichsanstalt und ihrer geologischen Landesaufnahme sowie der Weltumsegelung der Fregatte Novara (1857 – 1859) entfalteten. Holzer erörtert die anvisierten Ziele und die tatsächliche praktische Durchführung dieser beiden fachlich und politisch motivierten Großprojekte der Habsburgermonarchie vor dem Hintergrund der Entwicklung der Geologie als wissenschaftliches Fach. Mit Blick auf die organisatorische Struktur kommt er dabei zum Schluss, dass Österreich mit seinen beiden geologischen Vorhaben im Vergleich zu anderen Nationen nicht Schritt halten konnte. Den zweiten Themenkomplex eröffnet Christine Ottner mit einer Untersuchung der Entwicklung von historischen Fachzeitschriften, die sich dem enormen Aufschwung quellenbezogener Forschung und archivischer Arbeitspraxis im 19. Jahrhundert verpflichtet sahen. Im Kontext der auch andernorts in Europa national(politisch) und fachlich bedingten Gründung von Zeitschriften stehen hier drei ausgewählte Beispiele, die im Zeitraum zwischen 1838 und 1880 initiiert wurden. Sie verdeutlichen den Prozess fachlicher Spezialisierung und zeigen, wie aus der Ambition, die Quellenforschung in der Habsburgermonarchie zunächst anzuregen und zu fördern, zunehmend Standardisierungstendenzen wurden. Damit wurde nicht nur ein immer engerer fachlicher Bereich abgegrenzt, sondern auch der Prozess weiterer (geschichts-)wissenschaftlicher Differenzierung durch die Etablierung von Teilfächern vorangetrieben. Die deutschsprachige Orientalistik in Wiener Zeitschriften aus der Zeit vor und um die Jahrhundertmitte steht im Zentrum des Beitrages von Sibylle Wentker, die sich mit den Fundgruben des Orients, der Österreichischen Monatsschrift für den Orient und der Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes beschäftigt. Die Untersuchung fragt nach den Inhalten, den Privatinitiativen, den politischen Zielsetzungen und den dahinterstehenden Institutionen. Dabei verdeutlicht der Beitrag ebenfalls den Prozess fachlicher Dynamik, da die wissenschaftliche Orientalistik im Laufe der Jahre zunehmend an den Universitäten praktiziert wurde und wissenschaftliche Initiativen von außerhalb immer mehr als trivial abgetan wurden. Barbara Boisits setzt sich danach mit der im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts noch sehr jungen Wissenschaftsdisziplin der Musikwissenschaft auseinander. Nach einem kursorischen Überblick über die Geschichte der musikwissenschaftlichen Zeitschriften analysiert sie vor allem die 1884 gegründete Vierteljahrsschrift für Musikwissenschaft mit Bezug auf ihre Herausgeber, ihren Inhalt sowie ihre internen und externen Probleme. Auch hier zeigen sich wiederum deutliche Züge der Verfachlichung, hatte man sich doch von den feuilletonistisch empfundenen Schreiben der Tagespresse abgrenzen und ein Publikationsorgan schaffen wollen, in dem eine wissenschaftliche Aufarbeitung
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der Musik durchgeführt werden konnte. Gleichwohl führten Absatzschwierigkeiten und Streitigkeiten zwischen den Herausgebern Friedrich Chrysander, Philipp Spitta und Guido Adler schließlich dazu, dass die Zeitschrift bereits 1894 wieder eingestellt werden musste. Karl R. Krierer widmet sich der Frage nach dem Entstehungskontext und dem Werdegang der Archaeologisch-Epigraphischen Mittheilungen aus Oesterreich. Die »deutschen Gründerväter« der Archäologie in Österreich, vor allem Alexander Conze, Otto Hirschfeld, Otto Benndorf und Eugen Bormann, trugen erheblich zum Erfolg der Zeitschrift bei. Gleichwohl kamen die Beiträger in der Folge keineswegs nur aus Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reich, sondern auch aus vielen anderen europäischen Staaten, wodurch sich die Zeitschrift auch international profilieren konnte. Krierers inhaltliche Analyse der einzelnen Ausgaben liefert das Ergebnis, dass das Hauptgewicht der Beiträge eher auf dem Gebiet der Epigraphik als der Archäologie lag. Den Grund hierfür sieht Krierer in der engen personellen und inhaltlichen Verbindung zwischen der Zeitschrift und dem Projekt der lateinischen Inschriften (Corpus Inscriptionum Latinarum), das von Theodor Mommsen begründet wurde. Der Frage nach dem Versuch, wissenschaftliche Ansprüche auch auf den Bereich der Architektur anzuwenden, geht abschließend Richard Kurdiovsky nach. Als Beispiel dient ihm die Allgemeine Bauzeitung, die eines der bedeutendsten Publikationsorgane dieses Genres in der Habsburgermonarchie darstellte und auch auf internationaler Ebene äußerst renommiert war. Die Zeitschrift verdeutlicht folglich eine Schnittstelle zwischen kunsthistorisch-wissenschaftlichem Anspruch und dem Bestreben, angewandte Architektur zu repräsentieren. Im Zentrum des Beitrages stehen drei aussagekräftige Beispiele, die sich über den gesamten Erscheinungszeitraum von 1836 bis 1918 verteilen und anhand derer Kurdiovsky die wissenschaftlichen Aspekte der Bauzeitung und ihren Aktualitätsanspruch aufzeigt: der kunstwissenschaftlich bestimmte Polychromiestreit des 19. Jahrhunderts, die Ankündigungen kunsthistorischer Handbücher und die Frage, inwieweit Vertreter der (Wiener) Kunstgeschichte unter den Autoren der Zeitschrift vertreten waren. Obschon Architekturzeitschriften kein eigentlich wissenschaftliches Medium darstellen, lassen sich auch hier zunächst Tendenzen zur Abgrenzung von der populären Publikationskultur und in weiterer Folge einige Ansätze zur Verwissenschaftlichung festmachen. Die hier versammelten Beiträge erlauben einige Einblicke in die vielschichtige Dynamik wissenschaftlicher Spezialisierung in Österreich. Einige reflektieren auf ihre Ausgangsbedingungen, einige erproben bisher wenig beachtete Sichtweisen und Ansätze: Methodische Zugänge und Arbeitspraktiken offenbaren sich etwa in den Zugriffsformen auf das Material, mit dem im jeweiligen Forschungsbereich zu hantieren und zu arbeiten ist. Die Herausgabe von Monumenten und Denkmälern wurde hier ebenso thematisiert wie die Material-
Einleitung
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erfassung bei kartographischen oder geologischen Landesaufnahmen. Auch die Bedeutung individueller Ansprüche und Vorgehensweisen bestimmter Protagonisten für die Ausbildung einzelner Fächer wurde mehrfach zur Sprache gebracht. Des Weiteren standen die Fertigkeiten und die Organisation konkreter, öffentlichkeitswirksamer Unternehmungen zur Debatte, denen durchaus auch eine politische Funktion zukam. Mit dem Thema der Zeitschriftenpublikationen wurde zudem ein konkretes Medium aufgegriffen, das (inner-)fachliche Entwicklungen und wesentliche Strategien der Selbstdefinition wieder spiegelte und den Spezialisierungsprozess außerdem häufig durch aktive Redaktionspolitik entscheidend prägte. Die gebotenen Teilbereiche zeigen, dass Inhalt und Bedeutung des »wissenschaftlichen Forschens« unter Hinzuziehung qualitativ variierender Mittel immer mit verhandelt wurden: Dabei wird »Forschung« weder exakt fixierbar noch lassen sich stringente oder durchgängige Kriterien für das fachspezifische Forschen festmachen. Gleichwohl ergibt sich eine für viele Wissensfelder erkennbare, oft ähnliche Gruppierung an Ressourcen,13 welche darauf hindeutet, dass die Grenzen stets neu generiert wurden. Daher machen gerade auch die zahlreichen Abgrenzungstendenzen einen vergleichenden Blick auf unterschiedliche Forschungsbereiche unerlässlich. In diesem Sinn erschließen die Beiträge möglicherweise neue Horizonte auch für die Weiterentwicklung traditioneller Fragen nach der Spezialisierung, Organisation und Praxis wissenschaftlicher Forschung. Somit kann der Band einen Schritt im Hinblick auf die Ausdehnung auch auf weitere wissenschaftliche Fächer darstellen, dem weitere Schritte folgen mögen.
Bibliographie Acham, Karl (Hg.): Geschichte der österreichischen Humanwissenschaften, 6 Bde. Wien 1999 – 2006. Ash, Mitchell: Die Wissenschaften in der Geschichte der Moderne (Antrittsvorlesung, Wien 2. April 1998), in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 10/1 (1999), S. 105 – 129. Ash, Mitchell: Wissenschaft und Politik als Ressourcen füreinander, in: Vom Bruch, Rüdiger / Kaderas, Brigitte (Hg.): Wissenschaften und Wissenschaftspolitik. Bestandsaufnahmen zu Formationen, Brüchen und Kontinuitäten im Deutschland des 20. Jahrhunderts. Stuttgart 2002, S. 32 – 51. Bod, Rens / Maat, Jaap / Westensteijn, Thijs (Hg.): The Making of the Humanities, 3 Bde. Amsterdam 2010/2012/2014. 13 Zu diesem Begriff in Anlehnung an den französischen Soziologen Pierre Bourdieu siehe vor allem die Überlegungen von Ash 2002, S. 32 – 51.
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Daston, Lorraine: Geschichtswissenschaft und Wissenschaftsgeschichte, in: Jordan, Stefan / Hagner, Michael / Rheinberger, Hans-Jörg: Die Zukunft der Geisteswissenschaften und die Wissenschaftsgeschichte, in: Kütler, Wolfgang / Rüsen, Jörn / Schulin, Ernst (Hg.): Geschichtsdiskurs 2: Anfänge modernen historischen Denkens. Frankfurt am Main 1994, S. 17 – 23. Höflechner, Walter: Österreich: eine verspätete Wissenschaftsnation?, in: Acham, Karl (Hg.): Geschichte der österreichischen Humanwissenschaften 1. Historischer Kontext, wissenschaftssoziologische Befunde und methodologische Voraussetzungen. Wien 1999, S. 93 – 114. Küttler, Wolfgang (Hg.): Wissenschaftsgeschichte und Geschichtswissenschaft. Aspekte einer problematischen Beziehung. Wolfgang Küttler zum 65. Geburtstag. Waltrop 2002, S. 11 – 16, hier 12. Møller Jørgensen, Claus: Scholarly Communication with a Political Impetus: National Historical Journals, in: Porciani, Ilaria / Tollebeek, Jo (Hg.): Setting the Standards. Institutions, Networks and Communities of National Historiography (Writing the Nation 2). Basingstoke 2012, S. 70 – 88. Oexle, Otto Gerhard: Naturwissenschaft und Geschichtswissenschaft. Momente einer Problemgeschichte, in: Oexle, Otto Gerhard (Hg.): Naturwissenschaft, Geisteswissenschaft, Kulturwissenschaft: Einheit – Gegensatz – Komplementarität? (Göttinger Beiträge zur Geschichtswissenschaft 6). Göttingen 1998, S. 99 – 151. Reill, Peter Hanns: Die Historisierung von Natur und Mensch. Der Zusammenhang von Naturwissenschaften und historischem Denken im Entstehungsprozess der modernen Naturwissenschaften, in: Kütler, Wolfgang / Rüsen, Jörn / Schulin, Ernst (Hg.): Geschichtsdiskurs 2: Anfänge modernen historischen Denkens. Frankfurt am Main 1994, S. 48 – 61. Stöckel, Sigrid / Linser, Wiebke / Rüve, Gerlind (Hg.): Das Medium Wissenschaftszeitschrift seit dem 19. Jahrhundert: Verwissenschaftlichung der Gesellschaft – Vergesellschaftung von Wissenschaft. (Wissenschaft, Politik und Gesellschaft 5). Stuttgart 2009. Vom Brocke, Bernhard: Wege aus der Krise: Universitätsseminar, Akademiekommission oder Forschungsinstitut. Formen der Institutionalisierung in den Geistes- und Naturwissenschaften 1810 – 1900 – 1995, in: König, Christoph / Lämmert, Eberhard (Hg.): Konkurrenten in der Fakultät. Kultur, Wissen und Universität um 1900. Frankfurt a. M. 1999, S. 191 – 215.
Marianne Klemun
Historismus/Historismen – Geschichtliches und Naturkundliches: Identität – Episteme – Praktiken
Einleitung Historismus: Schillernd und vieldeutig wie sich das Phänomen zeigt, mag es ein Dach über die in diesem Band versammelten unterschiedlichen Beiträge bilden.1 Historismus wird mit Aufklärung, politischer Revolution, Industrialisierung und Durchsetzung der Naturwissenschaft samt all ihren Konsequenzen allgemein in eine Reihe gestellt. Man sieht ihn als eine der großen »Grundkräfte«2 der Geschichte und seit Karl Mannheim (1924) als »das Fundament, von dem aus wir die gesellschaftlich-kulturelle Wirklichkeit betrachten«, welche das »tägliche Leben durchdringt.«3 Der österreichische Naturwissenschaftler Ludwig Boltzmann identifizierte das 19. Jahrhundert nicht – wie man es vielleicht bei einem Physiker vermuten würde – mit Errungenschaften wie Dampfmaschine, Telegraphie oder Eisenbahn und mit der ihr verbundenen neuen Zeiterfahrung, der Beschleunigung, sondern als »Jahrhundert der mechanischen Naturauffassung, als das Jahrhundert Darwins.«4 Die ungewöhnliche Junktimierung von Mechanisierung und Naturforschung5 deutet auf die Tendenz, dass Darwins Evolutionstheorie von dieser Seite nicht als umfassende Historisierung der Natur verstanden wurde, sondern umgekehrt diese hinsichtlich einer Mechanisierung der Geschichte, zumindest jedenfalls der Naturgeschichte, eine Erwartung eröffnete.6 In der
1 Dieser Text entstand als Keynote Speech der von Christine Ottner organisierten Tagung: »Wissenschaftspraxis in Österreich im 19. Jahrhundert: Interdisziplinäre Annäherungen« (Für die Drucklegung des Bandes wurde der ursprünglichen Tagungstitel etwas modifiziert, Anm. C.O.). 2 Oexle 1996, S. 9. 3 Mannheim 1964, S. 246. 4 Boltzmann 1905, S. 28. 5 Die Verbindung von Mechanisierung des Denkens und des politisch-sozialen Lebens im Hinblick auf Entwicklung stellte bereits Herder her. Siehe dazu: Reill 1996, S. 53. 6 Vgl. dazu: Rheinberger 2006, S. 22. Für Materialisten verlieh der Darwinismus dem bisher
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Marianne Klemun
breiteren deutschen Öffentlichkeit jedoch wurde das Evolutionsdenken durchaus im Rahmen eines präsenten Historismus akzeptiert.7 Der Historismus der Biologie wurde auch von Vertretern dieses Faches der Zeit nach 1900 nicht auf jenen der Geschichtswissenschaft zurückgeführt, sondern von ihnen methodisch getrennt gesehen; Biologen definierten diesen nicht mehr historisch, sondern mechanisch-analytisch. So hatte beispielsweise der Begründer der Chromosomentheorie Theodor Boveri (1862 – 1915)8 in seiner Festrede an der Universität Würzburg, die er unter dem bezeichnenden Titel »Die Organismen als historische Wesen« (1906)9 hielt, Arten als »Durchgangspunkt in einer veränderlichen Formenreihe«10 bestimmt, also mathematisch, und die historische Erklärung eben dezidiert als »kausal«11 definiert, denn »Stufe für Stufe wird der Organismus auf Einfaches zurückgeführt.«12 Die semantische Polyvalenz des Historismusbegriffes, begonnen bei der erstmaligen Erwähnung durch Novalis 1798/99, die spätere Manifestation als Konzept, die Konjunkturen und Rezeptionen des Begriffes sowie dessen Reformulierungen und Rückläufe auf ihn zurück, sind vielschichtig: Historismus lässt sich folglich weder ideengeschichtlich noch epistemisch noch zeitlich als monolithischer Block begreifen. Vom engen Fachbezug auf die Geschichtswissenschaft (Droysen)13 über die deutsche Sonderwegsvorstellung des Historismus (Meinecke 1936),14 über einen heute eher nicht mehr gängigen Epochenbegriff bis zu dessen beschworenen Krisen schillerte dessen Suggestivkraft.15 Schon gar nicht kann er als ein homogenes Unterfangen, das von festen Wissenschaftsprinzipien geprägt ist, konstruiert werden: Er ist nicht charakterisiert durch eine einheitliche Methodik und dennoch werde ich für unterschiedliche Felder des Wissens idente Episteme und Praktiken identifizieren. Während meiner Beschäftigung mit Arbeitstechniken und Epistemen der Naturgeschichte und ihren Transformationen innerhalb einer vielfältig vorgenommenen Historisierung der Natur im 19. Jahrhundert drängte sich mir besonders am Beispiel der Tätigkeit einiger in Wien wirkender Protagonisten die Frage auf, ob deren Arbeitstechniken und Episteme nicht doch – im Unterschied
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auf die physikalische Welt reduzierten mechanisch-atomistischen Weltbild ein neues »Standbein« im organischen Bereich. Vgl. dazu Dove 1871, S. 1 – 6; zitiert nach Heinßen 2003, bes. S. 71 f. Theodor Boveri war Professor an der Universität Würzburg mit einem Lehrstuhl für Zoologie, war Zellforscher und gilt as Begründer der Chromosomentheorie der Vererbung. Vgl. Boveri 1906. Ebd., S. 13. Ebd., S. 14. Ebd., S. 15. Vgl. dazu Droysen in den verschiedenen Ausgaben seiner Historik (siehe Bibliographie). Meinecke 1936; er führt den Historismus auf Leibniz und Goethe zurück. Auf die Auflistung der umfangreichen Literatur verzichte ich in diesem Zusammenhang.
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zu den schon besprochenen Fällen der Orientierung auf Kontexte der Mechanisierung – genuin geschichtswissenschaftlich bzw. geisteswissenschaftlich verankert sind. Das Entwicklungsdispositiv, die explizit genetische Betrachtungsweise und der exzessive Quellenbezug als Quellenkritik, die Nutzung bestimmter in den Geisteswissenschaften eingeführter Formate traten mir auf Schritt und Tritt entgegen. Lässt sich dies auf die dynamische Ausformung der Geschichtswissenschaft im Zeichen des Historismus zurückführen? Sind dies Auswirkungen im Sinne einer »universale[n] Historisierung, all dessen was ist«16 gleichsam wie für viele andere Nachbarwissenschaften? Jedenfalls folgt mein Interesse der schon von Wolf Lepenies getätigten Beobachtung, »daß verschiedene Disziplinen in einem überschaubaren Zeitraum sich mehr ähneln können als die unterschiedlichen Ausformungen ein- und derselben Disziplin über längere Zeitstrecken hinweg.«17 Diese Gemeinsamkeiten sind vom Regelsystem und den durch den Historismus geprägten ihm typischen Reflexionsgrad evoziert, so meine These. Umgekehrt wissen wir, dass dem historisch-geschichtswissenschaftlichen Denken im Zeichen des Historismus im engeren Sinne bald auch massiv die Auffassung einer empirischen Beobachtungswissenschaft entgegengestellt wurde. Oexle erscheint dies sogar als »konstitutiv für die Geschichte der Wissenschaften in der Moderne.«18 In ihm wurzelt jene Dynamik, die sich als Interaktion zwischen den sich ausformenden unterschiedlichen Disziplinen bestimmen lässt. Oder präziser formuliert: Wir müssen statt von Interaktion von Identität ausgehen, welche sich erst später diversifizierte. Meine Aussage möchte die von Charles Percy Snow angeregte Debatte über die zwei Kulturen von Geisteswissenschaft und Naturwissenschaft nicht aufgreifen,19 da sie auf die Mitte des 19. Jahrhunderts bezogen prinzipiell als ahistorisch abzulehnen ist. Nur so viel: Der Siegeszug der Naturwissenschaften im 19. Jahrhundert zeigte sich nicht nur in der selbstbewussten Darbietung ihrer Forschungsergebnisse und der Methodik, wie etwa dem exzessiven Einsatz von Instrumenten im Sinne der Ermöglichung »mechanischer Objektivität«20 bei gleichzeitiger Ausschaltung eines intervenierenden Subjekts. Er generierte sich vielmehr in dem lautstark formulierten Führungsanspruch bezüglich allgemeiner weltanschaulicher Fragen. Der nicht minder große Erfolg der Geschichtswissenschaften lag aber ebenfalls in der Stilisierung dessen, was wir bis heute mit dem Wirken von Leopold von Ranke verbinden und verengend auf ihn zurückführen. Es beruhte auf nachahmender, quellengesättigter Darstellung historischer Realität und metaphysisch begründeter Ideenkenntnis. Die in 16 17 18 19 20
Oexle 1998, S. 15. Lepenies 1978, S. 30 f. Oexle 1998, S. 105. Die Debatte ging von Snow aus: Siehe Snow 1959, dazu: Kreuzer 1987. Daston / Galison 2007.
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weiterer Folge durch Droysen21 bestimmte Abkehr vom Abbildungspostulat geschehener Geschichte hin zur Geschichte als gedanklichem Entwurf überzeugte durch den Bezug auf das Historisch-Gegenständliche22 und nicht zuletzt auch durch die allseits zur Schau gestellte historische Materialität in den neu entstandenen und prosperierenden Kultur- und Kunstmuseen. Dass die programmatischen Aussagen der Naturwissenschaftler bezüglich ihrer spezifischen Methoden (empirische Beobachtungswissenschaft mit dem Ziel einer Gesetzesformulierung) seit den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts nicht für alle Naturwissenschaften geltende Episteme und Arbeitswirklichkeit widerspiegelten, sondern nur für einzelne Sparten (wie Physik und Physiologie), war eher Programm für die Zukunft als Norm. Um mit Ludwik Fleck zu sprechen: »Man verwechselt die Naturwissenschaften, wie sie sind, mit den Naturwissenschaften, wie sie sein sollen oder eigentlich, wie man sie haben wollte.«23 Das Nämliche könnte man auch für die sogenannten »Geisteswissenschaften« einwenden, die ihrerseits auf solche Herausforderungen nicht nur reagierten, sondern sich gleichsam eigene Vorstellungen am Horizont ihrer Ideale formulierten. Neben den lauten und heute so oft zitierten Stimmen, die sich als Naturwissenschaftler auf die Herstellung harter Tatsachen und Gesetze beriefen, wie der Berliner Anatom Rudolf Virchow (1821 – 1902) oder der Physiologe und Physiker Hermann von Helmholtz (1821 – 1894), gab es nämlich auch jene, man müsste fast sagen vergessene, welche die Einheit der Wissenschaft als ideal konstatierten, wie beispielsweise der Philosoph Leopold George, der in einer Festrede an der Universität Greifswald 186224 das harmonische Ineinandergreifen der Disziplinen als Realität und unumstößliches Prinzip darstellte. Unterschiedliche Methoden bezeichnete er als jedem Fach angepasst genuin. Methodenvielfalt ging ihm zufolge einher mit Fächervielfalt, ohne dass die eine als bessere der anderen übergeordnet wurde, wobei sich die Geschichtswissenschaft eben der Philologie als Hilfswissenschaft bediene.25 21 Die historische Erkenntnis ist nicht eins mit geschehener Geschichte, sondern Ergebnis empirischer Verfahren, die sich auf historisches Material berufen. Verstehen basiert auf der Einsicht, dass Geschichte immer selbst bereits geschichtlich mediatisiert ist. Vgl. dazu: Droysen 1977, S. 44 ff. 22 Diltheys Unsicherheit, durch Leben und Anarchie der Werte bedingt, führte dazu, das Leben selbst zum Fundament der Erkenntnis zu machen, das jeglicher Erkenntnis vorausliege. 23 Fleck 1929, S. 427. 24 George 1862. 25 »Mit dem Menschen beginnt das Gebiet der Geschichte, das Reich der freien Handlungen und der daraus hervorgehenden Thatsachen und Ereignisse […] Sie schildert das Auftauchen und den Untergang der Völker und Reiche, das Wachsen und Verschwinden der Cultur, das bahnbrechende und epochemachende Wirken grosser Charaktere und die zerstörerische Gewalt der Leidenschaft und Selbstsucht […] Ihr Material aber liegt in dem Staube und Schutt der Vergangenheit begraben, in zerstreuten und zerstückelten Denkmälern, in zum Theil unentzifferten oder schwer zu lesenden Inschriften, in vielfach corrumpirten, dem
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Das Verhältnis zwischen Kultur und Natur hatte sich jedenfalls bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts eben nicht im Hegemonieanspruch einer Methode über die andere artikuliert, sondern allenfalls zwischen unterschiedlichen Phänomenen und ihren Kontaktzonen artikuliert. Natur galt in der metaphysischen Ordnung lange als beständig, unveränderbar ewig und unumstößlich und Kultur als flexibel, lokal, variabel und formbar.26 Grenzziehungen und Verschiebungen zwischen beiden bestimmten das Erkenntnisinteresse, das Fragen der Moral, Ästhetik und Gesellschaft implizierte. Diese Episteme standen auf einem völlig anderen Blatt als der Methodenstreit, der sich in der Folge gleichsam auch immer als Historismus-Kritik artikulierte, wie er um 1850 in Ansätzen angesprochen und 1880 erneut bekräftigt und nach 192027 virulent aufgegriffen wurde; dies geschah in völlig differenten Wissenskontexten, die aber immer bezugnehmend auf einen wie auch immer verstandenen Historismus28 oder als dessen Krise eingeschätzt wurden. Es ist klar, dass wir heute von vielen unterschiedlichen Kulturen des Wissens sprechen, die wir bereits in der Frühen Neuzeit und besonders im Feld der Ausdifferenzierung der Forschungslandschaft im 19. Jahrhundert vorfinden. Aber was meinen wir mit Kulturen des Wissens? Lorraine Daston hat diese Debatte genützt, um die Beziehung der Wissenschaftsgeschichte zu den Kulturwissenschaften ihrerseits auf eine breite Basis zu stellen.29 Dabei unterscheidet sie Wissenschaft »als Kultur« und Wissenschaft »in der Kultur«. Wissenschaft als Kultur würde bedeuten, dass die Wissenschaften über ganz eigene Werte innerhalb ihres Bereiches verfügen, wie z. B. Objektivität. Indem Lorraine Daston aber gemeinsam mit Peter Galison auch Objektivität selbst historisiert und in drei Schritte der Entwicklung zerlegt, nämlich »Wahrheit«, »mechanische Objektivität« und »strukturelle Objektivität«, entbindet sie die Naturwissenschaft ihres lange gehegten und verteidigten essentiellen Charakteristikums. Wissenschaft in der Kultur bedeutet, dass die Werte mit der Gesellschaft geteilt, als in sie eingebettet gesehen werden. Diese Konzepte widersprechen sich nur dann nicht, wenn sie beide der historischen Epistemologie unterworfen wer-
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Untergang mit Mühe entrissenen Büchern und Manuscripten. Da ruft sie die philologische Wissenschaft zu ihrer Hülfe, welche das zerstreute zusammensucht und sichtet, die verborgenen Schätze hebt, durch scharfe Verstandes-Combination das fern liegende zusammenfasst, das mangelnde ergänzt, das verderbte verbessert, das unverständliche erklärt und so das Alterthum vor dem erstauntem Auge in verjüngter Gestalt wieder entstehen lässt.« George 1862, S.18. Siehe dazu: Daston 1998, S. 11 – 39, bes. hier S. 38. Siehe dazu bes. Troeltsch 1922, S. 572 – 590. Der Historiker Ernst Troeltsch konstatierte in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg eine »ungeheure Sehnsucht nach Zusammenfassung des historischen Lebens zu einheitlichen Kräften und Zielen«. Vgl. Troeltsch 1922, S. 4 f. Daston 1998, S. 11 – 39.
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den,30 was mit Ludwik Fleck und Gaston Bachelard nach 1920 erstmals Form annahm. Den Historismus für die in diesem Band versammelten wissenschaftshistorischen Beiträge als Dach zu verstehen, dafür gibt es einen besonderen Grund: Bei all ihrer Diversität war die Wissenschaftsgeschichte, die zwar erst nach dem Zweiten Weltkrieg als eigenständige Disziplin professionalisiert wurde, ebenfalls schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts von den dominierenden historistischen Beschreibungsmodellen evoziert worden. Diese basierten auf der Vorannahme einer fortschreitenden Entdeckungsgeschichte. Das von der Historischen Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften getragene Unternehmen unter dem Titel »Geschichte der Wissenschaften in Deutschland« der Historisierung einzelner Disziplinen dauerte von 1864 bis 1913 und brachte 24 stattliche Bände hervor. Es war eines der Großprojekte, wie sie allseits in Angriff genommen wurden. Es beruhte auf der Arbeitsteilung durch selbstverantwortliche Autoren, die ihre Monographie in einer gemeinsamen Reihe unterbrachten. Für den deutschsprachigen Raum waren es aber bezüglich der unterschiedlichen Fächer wie Staatsrecht, Erdkunde, Philologie und viele andere nicht Historiker, sondern Vertreter des jeweiligen Faches, die sich der Darstellung widmeten. So beschrieb beispielsweise der Pflanzenphysiologe Julius Sachs (1832 – 1897) die Geschichte der Botanik31 – wiewohl sich diese schon längst in viele Teilbereiche aufgefächert hatte – als »große« Entwicklung unter einem Strang. Diese Narration hatte die Funktion, Geschichte als »fachdidaktisches Hilfsunternehmen zu einer Disziplin«32 auszurichten. Von Seiten der Naturwissenschaftler schien nun die Historie jedes Faches als besonders guter Einstieg in deren Welt: »Gleichwohl, ob es um einen Organismus, ein Staatswesen, eine Sprache oder eine wissenschaftliche Lehre sich handle, die Entwicklungsgeschichte erschließt am besten Bedeutung und Zusammenhang der Dinge. […] Man lehrt zugleich die Wissenschaft und ihre Geschichte.«33
Und es schien ihnen gleichsam legitim, die Geschichte des eigenen Faches als bevorzugt gegenüber anderen Bereichen zu positionieren: »Pferd und Eisen nennt Hegel die absoluten Organe, wodurch eine gegründete Macht herbeizuführen ist. Wir sagen, Naturwissenschaft ist das absolute Organ der Kultur,
30 Werner Heisenbergs berühmte Formulierung (1927) von der »Bahn« eines Teilchens, »die erst dadurch (entsteht), daß wir sie beobachten« ist hier zu erwähnen. 31 Siehe dazu: Sachs 1875. 32 Rheinberger 2006, S. 21. 33 Du Bois-Reymond 1912, S. 431 ff.
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und die Geschichte der Naturwissenschaft ist die eigentliche Geschichte der Menschheit […] An die Stelle des Wunders setzt Naturwissenschaft das Gesetz.«34
Es ging offensichtlich darum, mittels der Historisierung der Fächer die Rolle der Naturwissenschaft im Prozess der Zivilisation zu belegen, was einer Okkupation der Geschichtswissenschaft durch naturwissenschaftliche Interessen gleichkam. Die Disziplinierung der Disziplinen erfolgte somit via Entwicklungsgeschichte. Erst allmählich allerdings wandten sich WissenschaftshistorikerInnen – ob als Opfer oder Nutznießer des Historismus, bleibt dahingestellt – davon ab. Das erfolgte durch Ludwik Fleck35 und Gaston Bachelards Forderung, die Historizität des wissenschaftlichen Wissens selbst in den Blick zu nehmen, nämlich durch Kontextualisierung. Nach Bachelard stellt jede zeitgenössisch-wissenschaftliche Tätigkeit ihr Wissen und besonders ihre Gegenstände erst technisch her.36 Diesem Ansatz werde ich gleich in meinem zweiten, eher empirisch ausgerichteten Teil, der sich auf die Praxis und ihre Manifestationen bezieht, folgen. Zunächst möchte ich noch darauf verweisen, dass Kategorisierungsversuche des Historismus bestehen, wiewohl nahezu alle HistorismuskennerInnen betonen, dass er sich jeder Vereinheitlichung entziehe. Jene von Herbert Schnädelbach37 und Gunter Scholtz38 vorgelegten seien hier kurz vorgestellt. Schnädelbach unterscheidet Historismus als »praktische(n) geisteswissenschaftliche(n) Positivismus in der historischen Forschung« (1), Historismus als philosophische Position, die einen »durchgängigen historischen Relativismus im Bereich der Erkenntnis und Moral« vertritt (2), und Historismus als eine unpolemisch dem Naturalismus gegenüberstehende »Denkform« im Sinne einer »umfassenden 34 Ebd., S. 597. 35 Fleck 1935. 36 Bachelard 1949, S. 103. Zitiert nach Rheinberger 2006, S. 9. »Sie existieren nicht in der Natur, sie müssen hergestellt werden«. Die Forschungsgegenstände haben demnach spezifische, unterschiedlich lange Geschichten, werden auf unterschiedliche Weisen, auf unterschiedlichen Ebenen in verschiedene Wissenslandschaften implementiert und entfalten unterschiedlich starke Manifestationen. 37 Schnädelbach 1974, bes. S. 19 ff. und S. 20 – 23. Schnädelbach legt eine Fortschrittsgeschichte der Geschichtsphilosophie vor, indem er neben den am Beispiel Rankes, Burckhardts und Nietzsches analysierten Transformationen spekulativer Elemente in der Historiographie die Kritik der historischen Vernunft, wie sie von Droysen vorgeschlagen wurde, als legitime Nachfolgerin der Hegelschen Geschichtsphilosophie ausgewiesen hat. 38 Scholtz beschreibt die Geschichte vom »emphatischen Historismus zum problematischen Historizismus« und stellt ihnen eine historische Geschichtskultur zur Seite. Standen im Rationalismus der Aufklärung demnach notwendig »Vernunftwahrheiten« kontingenten Geschichtswahrheiten gegenüber, erkennt sich der deutsche Idealismus selbst als geschichtlich geworden, so tritt »einer vernunftlosen Geschichte ein kritischer Verstand gegenüber, der zwar empirisches Wissen sichert, aber keine Normativität zu gewinnen vermag.« Scholtz 1973, S. 38 f.
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Weltinterpretation« (3). Scholz erweiterte diesen Katalog mit der »Geschichtsmetaphysik« (4) und durch den »verklärenden Rückblick in die Vergangenheit und das Festhalten an Altem, Romantizismen und Traditionalismus (5)«. Ich werde mich in den weiteren Ausführungen auf drei Ebenen beziehen. Darüber hinaus werde ich eine Relationsanalyse vornehmen. Diese wird bezüglich der Praktiken Übereinstimmungen zwischen ganz unterschiedlichen Fächern innerhalb einer sich neu formierenden Wissenschaftslandschaft bestimmen. Mit der Relationsanalyse verknüpfe ich ein weiteres Konzept, das ich dem Wissenschaftshistoriker Paul Rabinow39 verdanke, jenes der »Assemblage« (Gefüge). In der Geschichte der Wissenschaft kommt es immer wieder zu Konjunkturen oder Knotenpunkten, an denen sich etwas artikuliert: »Von Zeit zu Zeit entfalten sich allerdings neue Formen, die etwas Besonderes an sich haben; etwas, das bereits vorhandene Akteure, Dinge und Institutionen in einen neuen Existenzmodus hebt, sie in ein neues Gefüge einspannt; ein Gefüge, das die Dinge […] in einer anderen Weise geschehen läßt.«40 Nicht Vertextung der Kultur, Dokument oder Monument, sondern Text materialisiert sich quasi in den lebensweltlichen Praktiken, in Dingen und Forschungsformaten. Bestimmte Metaphern bzw. Figuren, Codierungen und Praktiken erstarken innerhalb einer Assemblage, die einen neuen Existenzmodus des Forschens sowohl in der Naturkunde als auch der Geschichte bedeutet.
»Fundstätte« und »Aufschluss« und Erschließen: das Archiv als Gelände – das Gelände als Archiv Bei der Lektüre historischer, botanischer und geologischer Texte der Zeit stechen drei Begriffe ins Auge, die eine gewisse Suggestivkraft für ihre Sprecher haben: »Fundstätte«, »Archiv« und »Erschließen«. Sie sind Teil eines Gefüges, in dem sich sowohl Praktiken als auch Wissensfelder und Protagonisten konstellativ verbinden. Ob Geschichte oder Geologie, die Metapher des Grabens verwies auf verborgene, noch zu hebende Schätze. Dieses gemeinsame Gefüge ist aber eingebettet in ein anderes, ihm übergeordnetes, das ich Schnädelbach zufolge in diesem Zusammenhang »als praktisch geisteswissenschaftlichen Positivismus« identifiziere, der sich historischer wie auch naturkundlicher Forschung unterordnet. Das Archiv ist hier als Institution gedacht, die bewahrt, verschließt, aber
39 Rabinow 2004, S. 63. 40 Ebd., S. 115.
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auch stets ausschließt: Als epistemische Figur ist sie mit der Regelung von Wissen41 beschäftigt; dazu einige Zitate, die meine Behauptung belegen: »Comme, dans l’histoire civile, on consulte les titres, on recherche le m¦dailles, on d¦chiffre les inscriptions antiques, pour d¦terminer les ¦poques des r¦volutions humaines et constater les dates des ¦vÀnements moraux; de mÞme, dans l’histoire naturelle, il faut fouiller les archives du monde, tirer des entrailles de la terre les vieux monuments, recueillir leurs d¦bris, et rassembler en un corps des preuves tous le indices des changements physiques qui peuvent nous faire remonter aux diff¦rents ges de la nature.«42
Was George-Louis Leclerc de Buffon 1778 formulierte, wurde zu einem »Leitfossil« oder einer Id¦e fixe im Sprechen über die »Archive« in der Natur. Das der Praxis der Stratigraphie zugrundliegende Schichtkonzept war aus der Archäologie in die Geologie transferiert worden und die Metapher von den »Archiven« der Erde blieb bis in die 60er Jahre des 19. Jahrhunderts lebendig. Der Wiener Astronom Johann Littrow hielt in seiner Rezension eines geologischen Werkes fest: »Ganz eben so soll auch der Geolog die Archive der Erde durchsuchen, aus den Eingeweiden derselben die Monumente der Vorzeit graben, die Ueberreste derselben sammeln und ergänzen, und überhaupt allen den Anzeichen von Veränderung nachspüren, die umso zur Kenntnis jener längst vergangenen Ereignisse und zu den verschiedenen Ereignissen und zu den verschiedenen Epochen derselben führen können.«43
Das Archivdispositiv wurde von den Erdwissenschaftlern sozusagen naturalisiert. Die Zweiheit als Lokalität und Kausalität zeitigte ihre Konsequenz:44 Die 41 Vgl. dazu Ebeling / Günzel 2009. Einleitung. 42 Übersetzung: »So wie man in der Humangeschichte Buch-Titel konsultiert, nach Dokumenten sucht und alte Inschriften entziffert, um die Zeitalter menschlicher Revolutionen zu bestimmen und die Daten menschlicher oder sozialer Ereignisse festzulegen, so ist es auch in der Naturgeschichte notwendig, in den Archiven der Welt zu graben, alte Monumente dem Erdinneren zu entreißen, ihre Bruchstücke zusammenzusetzen und die Indizien physikal (ischer) Veränderungen in einem Arsenal an Beweisen.« Buffon 1778, S. 1; zitiert nach: Nutz 2009, S. 59. 43 Littrow 1841, S. 7. 44 Aber es operierte auch der Philosoph George mit denselben Begriffen, die er bezüglich der prosperierenden Altertumswissenschaft aufrief: »Ihr Material aber liegt in dem Staube und Schutt der Vergangenheit begraben, in zerstreuten und zerstückelten Denkmälern, in zum Theil unentzifferten oder schwer zu lesenden Inschriften, in vielfach corrumpirten, dem Untergang mit Mühe entrissenen Büchern und Manuscripten. Da ruft sie die philologische Wissenschaft zu ihrer Hilfe, welche das zerstreute zusammensucht und sichtet, die verborgenen Schätze hebt, durch scharfe Verstandes-Combination das fern liegende zusammenfasst, das mangelnde ergänzt, das verderbte verbessert, das unverständliche erklärt und so das Alterthum vor dem erstauntem Auge in verjüngter Gestalt wieder entstehen lässt.« George 1862, S. 18.
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Fundstätte wurde zum eigentlichen Arbeitsort, der quasi wie ein Acker bestellt wurde. Sie wurde aber gleichzeitig auch zu einem symbolischen Ort, denn die Hoffnung auf die Ausbeute bedingte die Tätigkeit des Erschließens, aber auch des machtvollen gewalttätigen Entreißens.45 Sehen wir uns ein anderes Zitat an, dessen Provenienz auf den ersten Blick nicht eindeutig einem Fachgebiet zuzuordnen ist: »Hier wäre ein Mann erforderlich, der mit leidlichen Kenntnissen, sattsamen Empfehlungen und guter Gesundheit ausgerüstet, Deutschland nach allen Seiten durchzöge und die Reste einer halb untergegangenen und so nahe liegenden Welt aufsuchte. Wir jagen unbekannten Gräsern bis in die Wüsten Libyens nach; solle das Leben unserer Altvordern nicht denselben eigenen Eifer in unserm eigenen Land werth sein.«46
Das Zitat stammt von Leopold von Ranke (1795 – 1885). Er bezieht sich auf die von 1761 bis 1767 dauernde Expedition des Arabienforschers Carsten Niebuhr (1733 – 1815), die den Zweck verfolgt hatte, die Bibel zu naturalisieren. Es ging um die botanische Bestimmung von Pflanzen, die in der Bibel erwähnt wurden. Diese Expedition stellte als Kooperation zwischen Naturgeschichte und Philologie ein Modell für spätere Unternehmungen dieser Art dar. In unbekannte Zonen der Archive einzudringen, das bedurfte der Qualitäten eines idealen »Entdeckungsreisenden«. Die Invasion der deutschen Historiker in italienische Archive, besonders in jene des Laterans bzw. Vatikans, deren Zugänge noch streng gehütet und erst ab 1879 langsam geöffnet wurden, schien nicht einer Pilgerfahrt gleich, sondern einer Expedition, die ins Herz dunkler noch nicht systematisch erschlossener Bestände führte. Als ein konkretes Beispiel möchte ich Theodor von Sickel (1826 – 1908) anführen, der als »der Begründer der modernen Urkundenforschung und der Wiener historischen Schule«47 zu gelten hat. Liest man in seinen Erinnerungen und Briefen, so widmen sich diese ganz besonders der Darstellung seiner Leidenschaft, der Arbeit in den Archiven. Hier sehe ich eine »Assemblage«, die einen bereits bestehenden Gelehrtentyp, nämlich den Historiker, nun in einem neuen Licht erscheinen lässt. Das Archiv war das Aktionsfeld schlechthin, in dem gearbeitet wurde; es wurde abgeschrieben, kopiert, geordnet und es wurden Regesten gesucht und erstellt. Es war kein Zufall, dass der Historiker Droysen die Quellenarbeit als »Bergmannskunst«48 bezeichnete. In seinen »Römischen Erinnerungen« schreibt Sickel: »Schon im Herbst 1875 hatte ich einen Mitarbeiter nach Deutschland entsendet, um für die in Aussicht genommene Periode Vorarbeiten vorzunehmen und einen zweiten zu 45 46 47 48
Siehe dazu auch: Ebeling / Günzel 2009. Ranke 1824, S. 181. Sickel 1947, S.1. Droysen 1937, S. 332.
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gleichem Zweck nach Oberitalien und Toscana. Rom und die südlich gelegenen Fundstätten hatte ich mir vorbehalten.«49
Der Zugang zu diesen »Fundstätten« war noch nicht gegeben, er musste erst erkämpft und ausgehandelt werden.50 War dies erreicht, dann mussten erst Wege gefunden werden, das Material im Überblick zu sichten.51 Somit erwies sich die Institution Archiv nicht als sekundärer Aufbewahrungsort, als sicherer Speicher, der geschichtliche Realität repräsentierte, sondern es zeigt sich (um hier Derrida aufzugreifen) ihr Mangel, welcher die Potenzialität der Vollständigkeit verwehrte.52 Das Eindringen erfolgte meist in Arbeitsteilung.53 Was war das Ergebnis dieser Aktivitäten im Sinne des schon erwähnten Konzepts Bachelards, der technischen Herstellung eines Forschungsgegenstandes54 im Hinblick auf die Urkundenlehre? Es waren in dieser Phase die »Indices« über die Bestände, die zwar nur indirekt mit den tatsächlichen inhaltlichen im Archiv gewährleisteten »Ausbeuten«55 zu tun hatten, aber die Brücke des professionellen Blicks in das Innere des Archivs eröffneten, einen Möglichkeitsraum erschlossen. So erinnert sich Sickel: »Als ich zwei Jahre später wieder im päpstlichen Archiv arbeitete, habe ich die meiste Zeit auf das Studium der Repertorien verwandt; ich machte mir genaue Aufzeichnungen über deren Einrichtungen und Schema und kopierte auch die ihnen etwa vorausgeschickten Vorreden. Dabei war ich auch so glücklich, ein Verzeichnis aller im Archiv üblichen Signaturen zu finden, von dem ich nicht verhehle, Abschrift zu nehmen.«56
Was später als Aufgabe ausschließlich in die Hände der Archivare übergehen sollte, war zu diesem Zeitpunkt noch Arbeitsfeld der Historiker. Es war die Arbeit an den Repertorien und den Indizes, die dem Historiker die Fundstelle nicht real topologisch, sondern abstrakt topologisch näherbrachte. 49 Sickel 1947, S. 31 f. 50 »Und Waitz als Vorsitzender übernahm es, bei der Kurie mit Hilfe der Vertreter des Deutschen Reichs und Österreich-Ungarns einzuschreiten für uns alle um Genehmigung zur Arbeit in der Vatikanischen Bibliothek und für mich um Genehmigung zur Arbeit im päpstlichen Geheimarchiv. Ich hielt mich zunächst nicht in Rom auf, sondern erledigte mein Pensum in Neapel, Salerno, Benevent und Monte Casino [ … ], während ich brannte, in das Archiv Einlaß zu finden […]«. Sickel 1947, S. 33. 51 Da für das Thema, das wir damals verfolgten, vornehmlich das einstige Engelsburg-Archiv auszubeuten war, hatte Kaltenbrunner […] an der Hand der zum Theil schon bekannten Indices den Bestand des Archivs möglichst festzustellen […] An seine diesbezüglichen Ausführungen knüpfte ich an«. Sickel 1947, S. 49. 52 Derrida 1997. 53 »So traten wir 9 – 10 Mann stark auf und arbeiteten uns gegenseitig in die Hände.« Sickel 1947, S. 79. 54 Bachelard 1949. 55 »Jede Arbeitsstunde im Vatikan beutete ich aus.« Sickel 1947, (im Jahr 1881) S. 48. 56 Ebd., S. 99.
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»Mit welchem Erfolg ich alle diese mir gebotenen Gelegenheiten ausgebeutet habe, zeigte sich ein Jahr nach dem Eintritte von Pater Denifle (Archivar) in das Archiv. So eifrig dieser sich auch einzuarbeiten gesucht hatte, so konnte er sich in einem Einzelfalle nicht mit mir messen.«57 »Damals nahm ich nun ernstlicher als zuvor die Orientierung der anderen Sammlungen vor. […] In diesem und im folgenden Jahre habe ich mir nach und nach den Zutritt verschafft zu den Archiven der Dataria, des Consistoriums, der Ceremoniale, des Index, der Propaganda, der Ruota. Es gab da mehr oder minder Schwierigkeiten […] Die Benutzung des Consistorialarchivs war […] schwierig. Dabei hatte ich es mindestens mit zwei Geistlichen und einem Diener zu tun.«58
In Anlehnung an Galison bezeichne ich die von Sickel ausufernd memorierten Konfliktlagen zwischen den unterschiedlichen Instanzen der Verwaltung der Archive (beginnend beim Papst selbst, dem Kardinalpräfekten, den Bibliothekaren, den Vertrauensmännern des Papstes, einzelnen Geistlichen und ihren Dienern) und den mit ihm arbeitenden Stipendiaten, die er »Gehilfen« nannte, als »trading zones«.59 Vorauszusetzen ist, dass unterschiedliche soziale Gruppen differenziert werden können, die gleichsam eigenständige Subkulturen der Wissenschaftspraxis bilden. Wenngleich die einzelnen Gruppen deutliche Unterschiede aufweisen, etwa über divergierende Wahrnehmungsmuster und Erwartungen verfügen, abweichende Routinen ausbilden und sich mit separaten Aufgaben konfrontiert sehen, so sind damit wechselseitige Beziehungen und Einflüsse nicht ausgeschlossen. In der Einrichtung von Handelszonen (trading zones) betreiben die Subkulturen einen kommunikativen Austausch mithilfe drastisch vereinfachter Kontaktsprachen (Pidgins). Bezüglich der Arbeit in dem ab 1879 nur Sickel und ab 1881 nach und nach auch anderen geöffneten Archiv des Vatikans und Laterans hatte sich in der Zeit davor eine solche »trading zone« zwischen den zuständigen Patres, Bibliothekaren und dem Begründer der Paläographie in Wien und seinem Schülerkreis ausgebildet. Die Sprache waren die Urkundenindizes, wobei die Urkunden für die Patres eine andere Funktion hatten als für Sickel. Dennoch mussten sich beide Parteien darüber verständigen. Diese Kommunikation schien manchmal gestört. Manchmal waren die Indizes nicht auffindbar, wurden nicht zur Verfügung gestellt, der Zugang wurde verwehrt, sie wurden neu erstellt, heimlich kopiert, also sich ihrer bemächtigt, und dann doch wieder im gemeinsamen Alltag, sofern nötig, von den Nutzern gegenüber den Verwaltern ins Treffen geführt. Gemeinsame Exkursionen zu »Fundstätten« (Archiven) stellten nicht nur für Historiker, sondern auch für die Geologen das wissenschaftliche Lebenselixier dar. So manches neu etablierte Leitfossil, mit dem man in der Folge eine Schicht 57 Ebd., S. 100. 58 Ebd., S. 123. 59 Galison 1997.
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eindeutig identifizieren konnte, wurde an einem bestimmten Punkt im Gelände erschlossen, an einem Ort, den man auch bezeichnenderweise »Aufschluss« nannte. Dieses wurde unverzüglich von prominenten Geologen aus dem Ausland konsultiert, ja visitiert: Solche autoptischen Überprüfungen hatten aber keineswegs nur die Funktion der gegenseitigen Wahrnehmung von Befunden, sondern dienten der Bestätigung, hatten demnach epistemische Funktion, waren Teil der sozialen Herstellung von Tatsachen, denn durch sie wurden die stratigraphischen Untergliederungen erst konstituiert. Die gemeinsame Sprache in diesem Fall war die Stratigraphie, an der ganz unterschiedliche Parteien teilhaben konnten: Sammler, Museumskustoden, Ortskundige, Experten und Interessierte. Hier ein Beispiel: In den 1850er Jahren stellte sich infolge der Aufgliederung des Alpenkalks in Trias, Lias und Jura und deren Untergliederungen, was zum Teil in den Ostalpen passierte, die Notwendigkeit der Parallelisierung der beiden unterschiedlichen Stratigraphieraster60 zwischen den Ost- und Westalpen. Es war kein Zufall, dass der zweite Geologe der Reichsanstalt Franz Hauer (1822 – 1899) nicht zuletzt deshalb und auch aus Anlass der bevorstehenden nächsten Schweizerischen Naturforscherversammlung 1854 in die Schweiz zu reisen plante. Briefe bereiteten diese wichtige Unternehmung vor. Eduard Suess (1831 – 1914), zu diesem Zeitpunkt noch Kustos am kaiserlichen Museum und in Kooperation mit Hauer stehend,61 begründete den geplanten Besuch in der Schweiz gegenüber dem wichtigsten Mann in Bern, Escher von der Linth (1807 – 1914), als wollte er nun dessen Befunde selbst überprüfen und revidieren: »Weil ich glaube, dass Debatten über Beobachtetes wohl recht selten einen Erfolg bieten können, bin ich gesonnen, im Laufe des Sommers selbst die Gegend Bludenz, Feldkirch, ferner Susa plana, u.s.w. zu besuchen. Haben Sie mir da keine Details, keine praktischen Rathschläge oder dergleichen zu geben?«62
Und Escher stieg bereitwillig auf den Kontakt ein und schickte Anweisungen, Hinweise auf wichtige Aufschlüsse im Gelände. Die Route der Anreise wurde mit seiner Hilfe fachmännisch vorgeplant. Die Anwesenheit der zwei Wiener Geologen in St. Gallen, über die es genaue Protokolle und Aufzeichnungen gibt, die veröffentlicht wurden,63 zeitigte große Erfolge, wie wir es in Suess’ Autobiografie nachlesen können. »Im Sommer 1854 war ich mit F. v. Hauer nach St. Gallen zum Besuche der Schweizer Naturforscher-Versammlung gereist. Das war der erste Versuch, die geologischen Ar60 Hauer 1853, S. 781., bes. 781. 61 Dazu mehr : Klemun 2009. Zu Suess auch Oldroyd 1996. 62 Eidgenössisch Technische Hochschule Zürich, Nachlass Eschers, Handschriftlicher Brief, Suess an Escher, Wien 12. 2. 1854. 63 [Anonymus] Protokoll 1854, S. 37 – 44.
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beiten in den österreichischen Alpen mit den weiter vorgeschrittenen des Westens in Verbindung zu bringen, und die Berührung war eine so höchst erfreuliche, daß zwei der hervorragendsten Geologen der Schweiz, der Ratsherr von Basel Peter Merian und Arnold Escher von der Linth sich anbothen, mich bei der Rückkehr zu Fuß bis über Innsbruck zu begleiten. Das war für mich eine äußerst genußreiche Wanderung.«64
Franz Hauers Vorschlag einer Neugliederung der Trias-, Lias- und Juragebilde in den nordöstlichen Alpen war kurz vor der Reise bekannt gemacht worden.65 Diese Publikation beruhte ebenfalls auf einer gemeinsamen Tour Hauers mit Suess, und Hauer revidierte seine erstmals 1850 vorgeschlagene Gliederung, indem er nun die Dachsteinkalke und die Schichten mit der Alpenkohle der Lias zuordnete. Bereits in seinem zweiten Brief an Escher bekräftigte Suess die gemeinsam mit Hauer vertretene Position: »Wir haben miteinander im vergangenen Jahre eine Anzahl zweifelhafter Punkte besucht, und ich muß gestehen, daß wir durch keine andere, als die hier vertheidigte Schichtenfolge den Thatsachen Rechnung zu tragen im Stande wären.«66
Die Korrespondenz reichte nicht, die persönliche Begutachtung der Fundstätte war obligat. Sie bereitete allerdings die gemeinsame Begehung inhaltlich vor, Begehungen, die anhand der Aufschlüsse vor Ort die Erkenntnisse beglaubigten. Hier wären auch, um erneut zu den Historikern zu wechseln, Sickels Archivreisen zu erwähnen, denn sie waren legendär : Im Herbst 1850 war er in Paris, im Mai 1852 ging es nach Österreich und Süddeutschland, im November 1852 wieder nach Paris, 1853 war er in Burgund, der Schweiz und in Italien (Mailand), 1854 in Oberitalien (im Auftrag des französischen Unterrichtsministers), 1855 in Wien. Hier machte er auch Bekanntschaft mit Ottokar Lorenz, der ihn zu Vorträgen einlud. Es erfolgte 1856 die Ernennung zum außerordentlichen Professor für historische Quellenkunde und Paläographie; es war der Einstieg in die Karriere am Institut für Österreichische Geschichtsforschung in Wien.
Dokumentation – Edition In den Jahren 1879 – 1893 edierte Sickel gemeinsam mit den von ihm ausgebildeten Mitarbeitern insgesamt 1300 Urkunden. Die Editionstechnik war meines Erachtens aber nicht nur den historisch arbeitenden Wissenschaftlern vorbehalten. Franz Ungers Veröffentlichung »Chloris protogaea« (1841 – 1847)67 64 Suess 1916, S. 103. 65 Hauer 1850, S. 17 – 60, Ebd., S. 274; Hauer 1853, S. 715 – 783. 66 Eidgenössisch Technische Hochschule Zürich, Nachlass Eschers, Suess an Escher, Wien 2. 3. 1854. 67 Unger 1847.
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möchte ich als Edition bezeichnen. Sie enthielt Beschreibungen und Abbildungen fossiler Pflanzen mit der fast unermesslichen Zahl von 1648 Spezies. Editionen dieser Art waren nicht neu, sie gewährleisteten mit Beschreibung und Abbild die Nachvollziehbarkeit, aber nun zählten die Angaben über die Fundstätten als unverzichtbar. Der später, ab 1849, als Professor der Botanik nach Wien berufene Unger hatte als Kustos für Botanik am Landesmuseum Joanneum in Graz innerhalb von 12 Jahren eine einzigartige paläobotanische Sammlung zusammengetragen, die mit ihren wertvollen Typen heute noch sensationell ist. In den Jahren 1995 – 1998 wurde sie neu katalogisiert und einer aktuellen Bearbeitung unterzogen.68 Interessanterweise ist diese heute noch nach Fundstätten ausgewiesen. Der viel weniger als Gustav Droysen bekannte Historiker Ernst Bernheim hatte in seinem Lehrbuch der Historischen Methode (1900) die Quelle als Material der Geschichtswissenschaft definiert, aber den Unterschied zur Naturwissenschaft insofern bestimmt, dass sie nur Mittel zur Erkenntnis, nicht Gegenstand sei.69 In diesem Fall irrte sich Bernheim, denn auch für die Botaniker, Erdwissenschaftler und Paläontologen bildeten solche Quellen wie die Edition der Fossilien ein Mittel, um eine zeitlich definierte Taxonomie zu erstellen. Die umfangreiche Überlieferungsgeschichte der Urkunden und deren Entstehungsgeschichte, das waren die epistemischen Zugriffe, für die Sickel berühmt geworden war.70 So berichtet er in Zusammenhang mit dem Tatbestand, dass er eine Handschrift nicht wiederfand, die er bereits in Hand gehabt hatte: »Da ergab sich für mich die Gelegenheit, in solche Bände selbst Einsicht zu nehmen und ich nutzte sie sofort aus, die Indices zum Gegenstand eingehender Studien zu machen und mir auch alles zu notieren, was ich dabei über Entstehung und Einrichtung fand«71.
68 Vgl. Groß 1999. 69 Bernheim 1908, S. 252. 70 Santifaller führt an: »Als wesentliche Momente dieser diplomatischen Methode kann man folgende angeben: erschöpfende Heranziehung der Gesamtüberlieferung und damit in Verbindung umfassende Überlieferungsgeschichte, Schriftuntersuchung aufgrund des Vergleichs der Originale einer zusammengehörigen Urkundengrupe, Stiluntersuchung aufgrund des Vergleiches der Gesamtüberlieferung der betreffenden Gruppe, also auch Heranziehung der nichtoriginalen Stücke […] Vergleichung des Urkundeninhaltes, […] zusammenfassende Entstehungsgeschichte der Urkunde« (Santifaller 1947, S. 4). 71 Sickel 1947, S. 47.
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Ausweitung der genetischen Betrachtungsweise Wohl kaum ein anderes allseits verbreitetes »little tool of knowledge«72 kann uns das Hauptprinzip eines verbreiteten historistischen Ansatzes, nämlich das forschende Verstehen, besser nahebringen als das Notizbuch. Wer mit Nachlässen von Forschern des 18. und 19. Jahrhunderts gearbeitet hat, wird mir zustimmen, dass sich beide Säkula nicht nur durch eine enorme Materialdichte auszeichnen, sondern auch in ihnen eine Fülle der Dokumentenformen73 vorzufinden ist. In den Nachlässen des 19. Jahrhunderts stellen diesbezüglich die Notizbücher keine Neuheit, aber eine Besonderheit dar. Ich kenne Nachlässe mit 77 noch erhaltenen Notizbüchern im Falle des Erdwissenschaftlers Johann Karl Becke, 25 des Botanikers Gustav Adolf Zwanziger, unzählige des Geologen Franz Hauer. Von dem Begründer des Archäologischen Instituts in Wien, Otto Benndorf, sind 37 Bände allein mit solchen am Institut für Alte Geschichte der Universität Wien74 aufbewahrt, von dessen Vorgänger auf dem Lehrstuhl, dem ersten Ordinarius für Klassische Archäologie an der Universität Wien, Alexander Conze, existieren 84 Reisetage- und Notizbücher im Archiv des Deutschen Archäologischen Instituts in Berlin.75 Auf der Grundlage der Lektüre von Escher von der Linths Notizbüchern verfasste der Geologe Heim seine Geologie der Schweiz.76 Diese Materialfülle und noch mehr die Tatsache, dass die Protagonisten nicht nur Briefe, sondern auch Entwürfe und Notizbücher aufhoben, und dies in geordneter Weise, wurde in der Biographieforschung als Indiz gewertet, dass diese Gelehrten »ein Leben in Erwartung eines Biographen«77 führten. Das mag wohl sein. Neben der Sorge um den Nachruhm bei der Familie und wissenschaftlichen Community hatte diese akribische Aufhebepraxis (Vorlass) aber auch den Zweck, das gelebte Leben in seiner idealen Form zu entwerfen, zu memorieren und dieses auch immer wieder zu reformulieren.78 Worauf es mir in diesem Zusammenhang vor allem ankommt: Mit Hilfe des Notizbuches wurde die eigene Erkenntnisgewinnung als Genese der Erkenntnis, als Entwicklung begriffen. Und das Notizbuch ermöglichte es, das forschende Erkennen in seiner Genese zu begleiten. Notizbücher treten variantenreich auf, ihre diversen Formen reichen von 72 Becker / Clark 2001. 73 Einen ganz anderen Aspekt behandelt Marie-NoÚlle Bourguet, die den mobilen Aspekt während der Reisen diskutiert. Siehe dazu Bourguet 2010, S. 377 – 400. 74 Ich danke Dr. Hubert Szemethy für den Hinweis auf diese Quelle und die Möglichkeit, diese Notizbücher durchzusehen zu können, die am »Institut für Alte Geschichte und Altertumskunde, Papyrologie und Epigraphik« der Universität Wien verwahrt werden. 75 Diesen Hinweis lieferte dankenswerterweise Doz. Karl R. Krierer [Anm. Red.]. 76 Heim 1921, S. 4 f. 77 Hier besonders: Söderqvist 2003, S. 287 – 348, bes. S. 297. 78 Vgl. dazu auch mehr : Klemun 2013.
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Auflistungen der Ausgaben zu Arbeitsbüchern mit Exzerpten, täglichen Notaten, Reisedokumentationen, Zeichnungen bis hin zu ersten Entwürfen von Arbeiten. In ihnen erfolgt das Entwerfen und Verwerfen. Gemeinsam ist diesen variantenreichen »Büchern« die Funktion als die stetige Begleitung mittels der Evidenz der Einträge. Und noch etwas ist zu betonen: Während die Aufschreibeform auf einzelnen Blättern eine nachträgliche Neuordnung und Umordnung erlaubt, wie sie beispielsweise besonders von Philologen betrieben wurde,79 folgt der Eintrag in einem gebundenen Buch entlang der Zeitleiste als Teil eines Kontinuums. Im Nachhinein belegt das teleologisch die Entwicklung von Erkenntnis. Dokumentiert werden nicht nur die Belege, sondern die zeitlichen Ereignisse als Setzung. Die Verwaltung des Selbst gewinnt so einen kompakten Körper. Zum Führen eines Notizbuches wird in allen Anleitungen zur Forschung eindringlich geraten. In David Kaltbrunners Anleitung bezüglich der Beobachtung für Forschungsreisende finden sich diese Empfehlungen:80 »Man beobachte den Thatbestand ebenso aufmerksam als gewissenhaft und notire die Wahrnehmungen unverzüglich in ein Heft, nach dem Eindruck, den man davon empfing und solange dieser noch frisch ist. Später, bei ruhigerer Ueberlegung, wird man schon erkennen und ausscheiden, was in diesen ersten Eindrücken und Notizen Uebertriebenes enthalten sein mag. Ist das Objekt der Beobachtung ein komplizirtes, so zerlege man es in Gedanken, man studire es in seinen verschiedenen Theilen, in allen seinen Formen, und achte dabei stets auf seine Beziehungen zum Ganzen; dann füge man wieder zusammen, was man vorher auf dem Wege der Abstraktion zerlegte und schaffe sich so ein Gesammtbild.«81
Zerstückeln und Zusammenführen, das waren die kognitiven Möglichkeiten, die das Notizbuch als »little tool of knowledge«82 gewährte.
Verklärender Rückblick in die Vergangenheit und das Festhalten an Altem und seinen Romantizismen Zwei Vertreter der universitären Botanik, Franz Unger (1800 – 1870) und Anton Kerner von Marilaun (1831 – 1898), die beide am Höhepunkt ihrer Karriere als Professoren an der Universität Wien wirkten, machten das historische Denken 79 Ein solches Beispiel stellt der Ägyptologe Hermann Junker dar, der in seiner »Selbstdarstellung« seine Verzettelungsmanie von Inschriften dazu nutzte, ein Wörterbuch der »Ägyptischen Spätzeit« zu erstellen. Vgl. dazu: Junker 1963, S. 17. 80 Kaltbrunner 1882. Im Vorwort erwähnt der Autor, dass das Werk eine Übersetzung des französischen Werkes »Manuel du Voyageur« ist und ergänzt wurde. 81 Kaltbrunner 1882; S. 165 – 167. 82 Becker / Clark 2001.
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zu einem festen Bestandteil ihrer botanisch-naturkundlichen Forschungskonzepte. Beide waren mit ihren evolutionären Ansätzen international führend. Unger hat vor Darwin einen eigenen Weg des Evolutionsgedankens eingeschlagen,83 Kerner die Bastardisierung als Grundlage für die Variabilität und Bildung neuer Arten experimentell analysiert. Umso mehr erstaunt es, dass Kerner in seiner Arbeit über die »Flora Bauerngärten«84 sich als Historiker betätigte: Er stützte sich nicht auf Empirie, sondern dezidiert auf historische Quellen. Er ging nicht in die Gärten und listete die Arten auf, sondern konsultierte die »Capitularia« Karls des Großen, Columella und die Werke der Botaniker in der Antike und Renaissance, die zu diesem Zeitpunkt den Beinamen »Väter der Botanik« erhalten hatten. Er setzt Quellenkritik ein. Kerner erläutert akribisch Abschreibefehler und bedient sich der lateinischen Glossarien, die er ausführlich zitiert. Philologisch vergleichend erklärt er die gültigen Namen der Gartenpflanzen. Die Bauerngärten sieht Kerner als »von dem Einflusse der Mode durch Jahrhunderte hindurch bis in die Gegenwart derselben«85 unberührt gebliebene Orte der Kultur. Hier sehe ich einen gewissen Traditionalismus und im Sinne eines Methodenpluralismus die Übernahme von historischem Handwerk, das sich höchster Akzeptanz erfreute. Der Berliner Mediziner Rudolf Virchow, der den Positivismus vielfach in Reden verteidigte, konstatierte einmal: »Alle Kenntnis der Thatsachen ist eine historische, nicht bloß, weil die Thatsachen durch Beobachtung gefunden sind, die vor der Zeit […] gemacht wurden, sondern vielmehr, insofern man nur das genau weiß, was man historisch weiß. Die nackten Thatsachen sind zweifelhafte Waffen; es ist nothwendig, daß man weiß, wie sie erhärtet sind, um ihre Stärke zu erkennen.«86
Der Positivismus bediente sich der historischen Herleitung, weil diese im Rahmen der Beglaubigung von Ergebnissen nützlich war. So steht dieses Erkenntnisinteresse als Suche nach dem archaisch Unveränderten in der Natur neben einer experimentell erforschten botanischen Welt der großen Veränderungen, der Entwicklung. Beide Methoden existierten harmonisch nebeneinander.
83 84 85 86
Gliboff 1998, S. 179 – 209; Gliboff 2007, S. 259 – 294; Gliboff 2008. Kerner 1855, S. 787 – 813. Ebd., S. 787. Zitiert bei: Klemun 1999, S. 50 – 82, hier 56.
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Herkunftsanalysen und Fragen nach den Ursprüngen in der Botanik Die Frage nach der »eigentlichen« Herkunft der Kulturpflanzen, ihren Stammformen, wurde eigentlich relativ spät gestellt und beantwortet,87 bedenkt man, dass die Botanik zur Leitwissenschaft des 18. Jahrhunderts avanciert war. Sie wurde erstmals überhaupt von zwei sehr prominenten Protagonisten aufgeworfen, von Alphonse Louis Pierre De Candolle (1806 – 1883)88 und Nikolaj Ivanovich Vavilov (1887 – 1943). Auf De Candolle – und freilich mithilfe eines völlig anderen methodischen Instrumentariums und anderer Episteme – baute Nicolaj Ivanovich Vavilovs Konzept der »Genzentrentheorie« (1926)89 auf. Vorangegangen waren unzählige von ihm initiierte Expeditionen eigens zum Zweck der gezielten Sammlung von Wildformen der Kulturpflanzen. Fast zeitgleich mit Candolle beschäftigte sich auch der Wiener Biologe Franz Unger (1800 – 1870) ansatzweise mit der Thematik, die er unter dem Titel »Botanische Streifzüge auf dem Gebiete der Culturgeschichte«90 im Jahr 1857 veröffentlichte. Ihn interessierten der »Ursprung« oder die »Heimat« der bedeutendsten Nutzpflanzen und die Frage, wie Verbreitungswege der Zuchtformen zu denken wären. Unger kannte natürlich Candolles erste Fassung der bereits oben genannten 1855 erschienenen Publikation, in der sich Candolle ohne viel Aufhebens der Methode der Historiker bediente: »Da die meisten der angebauten Pflanzen zu einer sehr alten Epoche [zählen] und oft in einer wenig bekannten Weise der Cultur unterworfen wurden, muss man schon verschiedene Mittel anwenden, um sich über ihren Ursprung Gewissheit zu verschaffen. Das erheischt für jede Art eine ähnliche Forschung, wie die Geschichtsschreiber und Archäologen solche anstellen, eine Forschung gar verschiedenartig, bei welcher man sich bald dieses, bald jenes Verfahrens bedient, um diese schließlich zusammenzufassen und ihrem bezüglichen Werthe nach abzuschätzen. Der Naturforscher befindet sich hier nicht mehr in seinem gewöhnlichen Bereich von Beobachtungen und Beschreibungen. Er muß sich auf Zeugenbeweise stützen, von welchen in den Laboratorien nie die Rede ist, und wenn botanische Thatsachen hinzugezogen werden, han-
87 So fand der österreichische Botaniker Theodor Kotschy (1813 – 1866) im Hermon (Palästina) 1855 eine unbekannte, schwer zu bestimmende Grasart. Der Herbarbeleg wurde im Wiener Hofmuseum als wilde Gerste aufbewahrt und erst 1889 von Koernicke als Wildemmer (Triticum dicoccum), also als Stammform des Weizens, bestimmt. Erst der Afrikaforscher Schweinfurth konnte den von Kotschy angegebenen Standort 1906 verifizieren. Vgl: Bertsch 1947, S. 16. 88 Nachdem er diese zunächst nur als Kapitel Origine G¦ographique des EspÀces cultiv¦es in seine Studie Geographie botanique raissonn¦e (Genf 1855) eingefügt hatte, erweiterte er es mehr als zwanzig Jahre später zur eigenständigen Studie Origine des plantes cultiv¦es (1884). 89 Vavilov 1926. 90 Unger 1857.
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delt es sich nicht um Anatomie, der man sich vorzugsweise heutzutage widmet, sondern um Unterscheidung der Arten und ihre geographische Verbreitung.«91
Diese Fragestellung war eine, die zwischen der Naturkunde und den Wissenschaften vom Menschen vermittelte. Nach Alexander von Humboldt bildete die Pflanzengeographie das wesentliche Bindeglied. Diese Vorstellung verdankte Humboldt Immanuel Kants »physischer Geographie«, die ein Wissen von der Welt nicht mehr als Apparat einer klassifikatorischen Pragmatik, die Phänomene voneinander separierte, sondern in ihrer Koexistenz in der Welt bestimmt hatte. Sie rekurrierte auf innere Zusammenhänge der Natur. Die physische Geographie gab eine Idee »des Ganzen in Begriffen des Regionalen«92 ab. Es funktionierte entlang einer aufsteigenden Linie, bei der Bodenbeschaffenheit beginnend, über die Hydrographie, den Pflanzenbestand, die Tiere voranschreitend, um zum Menschen zu gelangen. Dieses Schema wurde nicht als äußeres Dispositionsmuster der Narration verwendet, sondern für einen inneren Sachzusammenhang sinnfällig. Die holistische Betrachtung kristallisierte sich im Faktor Nahrung und ähnlich wie Humboldt bedachte auch Unger den Einfluss der Nahrung auf den Charakter der »Völker«. Auf den Domestikationseffekt angesprochen, skizzierte dies Unger als Veredelung, als unendlich verlaufenden Weg der Zivilisationsgeschichte, die er mit der Kultivierung der Pflanzen beginnen lässt. Nach Stocking93 besteht ein entscheidender Wandel im Denkschema der Anthropologie um 1850, indem sie vom Problem der Einheit zu jenem der Herkunft der menschlichen Zivilisationen wechselte. Ausgelöst wurde der Wechsel durch Darwins »On the Origin of Species« (1859). Dass Unger zum Programm der Herkunft der menschlichen Zivilisation tendierte, anstatt zu jenem der Einheit, könnte man, um Stockings Deutung zu folgen, mit Ungers Evolutionsdenken in Zusammenhang bringen. Unger ging es in diesem Beitrag um die veredelnde Wirkung der Natur auf die als Vervollkommnung gedachte Entwicklung des Menschen und nicht wie später bei Vavilov um zukünftige Potentiale für die Veränderung der Nahrungspflanzen. Als naturwissenschaftliche Methode fungierte der Eintrag von Befunden aus Reiseliteratur in eine Karte. Unger resümierte in seiner Studie: »Es geht ferner hervor, daß die Vertheilung der Nahrungspflanzen keineswegs gleichförmig war, sondern daß im Gegentheile gewisse Theile der Erde damit besonders reichlich ausgestaltet waren, während sie anderen sehr sparsam zukamen und in vielen Erdtheilen ganz fehlten. Es musste dadurch die Vertheilung des Menschengeschlechts über die Erde nothwendig influenziert werden und dort eine grössere An91 Candolle 1884, S. 9. 92 Nicolson 1987, S. 170. 93 Stocking 1982, S. 146.
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sammlung der Menschen zur Folge haben, wo unter übrigens gleichen Umständen eine grössere Menge von Nahrungsgewächsen denselben zu Gebote stand. Suchen wir noch weiter in die Sache einzugehen, indem wir sämmtliche Arten von Nahrungspflanzen in einer Weltkarte auf ihren ursprünglichen Wohnsitzen oder den idealen Mittelpunkten derselben auftragen und die Hauptverschiedenheiten mit bestimmten Zeichen angeben, so erhalten wir dadurch einen sehr anschaulichen Überblick über die primitiven Verhältnisse, aus welchen sich mehrere Folgerungen ableiten lassen.«94
Unger verwendete für die vorzeitliche Konzentration der Nahrungspflanzen die Metapher der »Länderstrasse, welche, indem sie den irrenden Menschen auf eine sichere Bahn leitete, es ihm allein möglich machte, seine grosse Aufgaben hernieden – seine Veredelung – zu vollführen. Und in der Tat ist es eben diese und keine andere Linie, auf deren äusserster Spitze die Culturgeschichte der Völker der alten Welt ihren Anknüpfungspunkt fand, und bei der sie siegreich nach und nach bis ins Herz Europas vordrang.«95 Als Trägerin der Zivilisation fungierte für Zeitgenossen des frühen Eisenbahnzeitalters schlichtweg die Straße oder die Bahn.96 Die Straße als Metapher stand für Bewegung, Austausch, Verkehr, Innovation und Freiheit. Die neuen Verkehrsbedingungen verursachten jene ungehinderte Bewegung im Raum, die nicht nur der Ökonomie wegen hochgehalten wurde, sondern weil sie geänderte Sozialformen, Wahrnehmungen und Kognitionen verursacht habe. So stellte der Wiener Kaffeehausdichter Eduard Bauernfeld fest: »Und nicht nur Ballen und Säcke, sondern Menschen und Ideen werden mit Dampfkraft beflügelt.«97 Straße bedeutete Kommunikation. Für den Biologen Unger kommunizierte der Mensch wie die Pflanze in den Vorzeiten mit den Faktoren seiner Umwelt; für den am Freiheitspostulat interessierten Intellektuellen Unger erwies sich Kommunikation als Tätigkeit eines denkenden, aktiven Bürgers. Ein Zeitgenosse hatte diese Konnotation auf den Punkt gebracht: »Wenn leichte Kommunikationen fehlen, bleiben die Menschen getrennt und isoliert, ihr Geist erkaltet, ihre Lebendigkeit schläft ein, sie fühlen keinen Wetteifer, sie erproben nicht den Ansporn von Bedürfnissen von Wünschen; daher gibt es kaum oder wenig moralische Entwicklung, wenig Energie, wenig Tätigkeit. Eben darum hat der Republikaner oder jeder Bürger eines freien Staates ein leidenschaftliches Herz, rege, unternehmungslustig, wie jemand, der in der Menge lebt und sich bewegt.«98
94 95 96 97 98
Unger 1857, S. 251. Unger 1857, S. 253. Vgl. Saurer 1989, bes. S. 27 – 50. Glossy 1895, S. 98. Zitiert nach Saurer 1989, S. 43.
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Straße, Zivilisation und Kommunikation sind damit Anzeichen einer freien bürgerlichen Gesellschaft. Natur, Raum und Zeit wurden nun als Größen erfasst, die vom Menschen in der Gegenwart wie in der Vergangenheit gestaltet wurden. Um hier ein ganz kurzes Resum¦e zu formulieren: Spezifische Metaphern, Methoden, Episteme und Praktiken, bereichert durch die Dynamik der Ansätze des Historismus, hielten sich nicht an die erst in dieser Zeit langsam errichteten Grenzen der Disziplinen. Es ist, denke ich, lohnend, diese bei der historischen Analyse einfach zu ignorieren und in unterschiedlichen Gärten zu jäten.
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I. Methodik und Forschungsorganisation: Formen und Möglichkeiten der Spezialisierung
Petra Svatek
»Natur und Geschichte«. Die Wissenschaftsdisziplin »Geographie« und ihre Methoden an den Universitäten Wien, Graz und Innsbruck bis 1900
Einführung Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts begannen sich Wissenschaftler verschiedener Disziplinen an den Universitäten Wien, Graz und Innsbruck mit dem geographischen »Raum« auseinanderzusetzen. Darunter befanden sich zum Beispiel Mediziner, Archäologen, Geologen und Botaniker. Diese untersuchten unter anderem die räumliche Verbreitung von Krankheiten, Gesteinen und Pflanzen, die Wirkung des Klimas auf den menschlichen Körper und die geographische Lage antiker Stätten.1 Die vielfältigsten raumwissenschaftlichen Forschungen führten allerdings Geographen durch. Die Fachdisziplin »Geographie« erlebte an den österreichischen Universitäten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen großen Aufschwung. Obwohl bereits im Mittelalter und in der frühen Neuzeit die Geographie unter den Lehrgegenständen aufschien (Bsp. Conrad Celtis, Johannes Cuspinian) und geographische Forschungen durchgeführt wurden, konnten sich eigene Lehrstühle erst nach der Universitätsreform von Graf Leo Thun-Hohenstein (1811 – 1888) etablieren.2 Erster Professor für Geographie wurde der Physiogeograph und damalige Kustos des Naturhistorischen Landesmuseums in Klagenfurt Friedrich Simony (1813 – 1896), der den neu gegründeten Lehrstuhl 1851 an der Universität Wien übernahm.3 Im Laufe der Jahre standen Simony auch einige Mitarbeiter hilfreich zur Seite. Unter diesen befanden sich zum Beispiel der Handelsgeograph Vincenz Ferrer Klun (1823 – 1875) und der Forschungsreisende Phillip Paulitschke (1854 – 1899). Nach Simonys Emeritierung wurde an der Universität Wien im Jahre 1855 ein eigenständiges Geographisches Institut 1 Zu Geographie und Medizin im 19. Jahrhundert siehe unter anderem: Svatek 2012, S. 292 – 294. 2 Zur Geschichte der Geographie an der Universität Wien vom Mittelalter bis ins frühe 19. Jahrhundert siehe: Penck 1891, S. 1 – 16; Bernleithner 1955, S. 132 – 145. 3 Die beiden aktuellsten Biographien zu Simony stammen von: Kainrath 2013, S. 305 – 316; Mandl 2013.
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gegründet, im Zuge dessen die beiden Lehrkanzeln für »physikalische Geographie« und für »historische Geographie« eingerichtet wurden. Diesen beiden Lehrkanzeln standen der deutsche Physiogeograph Albrecht Penck (1858 – 1945) und der Grazer Geographiehistoriker Wilhelm Tomaschek (1841 – 1901) vor.4 An der Universität Innsbruck wurde im Jahre 1885 die erste Lehrkanzel für Geographie ins Leben gerufen, die mit dem Historiker Franz von Wieser (1848 – 1923) besetzt wurde. Wieser erhielt bereits nach seiner Habilitation im Jahre 1874 die Gelegenheit, als Privatdozent geographische Lehrveranstaltungen abzuhalten. 1879 erfolgte seine Ernennung zum außerordentlichen und schließlich 1885 zum ordentlichen Professor der Geographie. Ihm standen einige Gehilfen zur Seite, wie zum Beispiel sein Dissertant Pater Josef Fischer.5 An der Universität Graz wurde mit Robert Roesler (1836 – 1874) im Jahre 1871 die erste Professur für Geographie eingerichtet. Von 1874 bis 1885 war sie mit Wilhelm Tomaschek (1841 – 1901) und anschließend mit Eduard Richter (1847 – 1905) besetzt.6 Betrachtet man die Forschungen von Österreichs Geographen, so kann festgestellt werden, dass sie sowohl in der Physio- als auch in der Kulturgeographie stark von den Interessen und Initiativen einzelner Personen abhängig und zudem auch sehr heterogen waren. In Folge dessen war auch der geographische »Raumbegriff« innerhalb der »Geographie« sehr vielfältig. So sind zum Beispiel historische (Franz von Wieser, Wilhelm Tomaschek, Eduard Richter, Friedrich Simony), aber auch ethnologische (Philipp Paulitschke), wirtschaftlich-statistische (Vinzenz Ferrer Klun) und physiogeographische Zugangsweisen (Friedrich Simony, Eduard Richter, Albrecht Penck) erkennbar, die jeweils wiederum unterschiedliche Ansätze vereinen. Aufgrund dieser Vielfältigkeit ergaben sich auch Unterschiede beim Datengewinn und in der Auswertung der Daten. Es wurden nicht nur Kartierungen von physiogeographischen und kulturgeographischen Gegebenheiten, sondern auch Vermessungen im Gelände und Studien in Archiven durchgeführt, linguistische Forschungen betrieben und Sammlungen angelegt. In diesem Artikel werden die verschiedenen methodischen Ansätze österreichischer Geographen an den Universitäten Wien, Graz und Innsbruck von den 1840er bis in die 1890er Jahre unter besonderer Berücksichtigung der Gletscher- und Seenforschungen sowie der historisch orientierten Forschungen untersucht. Nach welchen Methoden erfolgten die Erhebung und die Auswertung der Daten? Gab es während der Forschungen eine Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern desselben Faches oder anderen Disziplinen bzw. anderen In4 Lichtenberger 2001, S. 88, 95 – 96. 5 Kretschmer 2004, S. 201. 6 Morawetz / Paschinger 1987, S. 5 – 7.
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stitutionen? Wie erfolgte die organisatorische Durchführung von größeren geographischen Unternehmen, wie zum Beispiel dem Atlas der österreichischen Alpenseen und dem Historischen Atlas der österreichischen Alpenländer? Welches Endprodukt ergab die Datenauswertung und welchen wissenschaftlichen Wert besaßen die ostalpinen Forschungen im Vergleich mit jenen der Westalpen?
Physiogeographie Physiogeographische Forschungen wurden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an den Geographischen Lehrkanzeln der Universitäten Graz und Wien durchgeführt. Die drei maßgeblichen Personen waren Friedrich Simony, Eduard Richter und Albrecht Penck. Sie wandten sich vor allem den österreichischen Seen, der Vergletscherung der Ostalpen, dem Eiszeitalter und im geringen Umfang auch der Geologie, der Botanik und der Klimaforschung zu. Eine Gemeinsamkeit ihrer Forschungen ergab sich in den Geländebegehungen und in den dabei durchgeführten Kartierungen. Unterschiede bestanden allerdings sowohl in der Datenaufnahme als auch in der Datenverarbeitung. Dadurch können unterschiedliche im folgenden thematisierte raumwissenschaftliche Ansätze mit verschiedenen methodischen Herangehensweisen erkannt werden, die aber auch ineinander übergehen können.
Mathematischer und vermessungstechnischer Raumbegriff Bei den Gletscher- und Seenforschungen wurde eine Methodik angewandt, bei der es sich zum großen Teil um eine genaue Vermessung und Berechnung naturräumlicher Gegebenheiten und damit auch um einen an der Mathematik und der Geodäsie angelehnten »Raumbegriff« handelte. Der Erdraum wurde sozusagen »metrisiert«. Bei den Gletscherforschungen setzte man sich zum Ziel, die Größe diverser Gletscher zu einem bestimmten Zeitpunkt zu ermitteln und durch einen Vergleich mit Daten früherer und späterer Jahre ihr Vorrücken beziehungsweise ihr Zurückweichen zu bestimmen. Damit floss auch der Faktor »Zeit« und die Frage nach den Kontinuitäten und Wandlungen von Naturerscheinungen innerhalb einer bestimmten Zeitperiode mit ein. Diese Forschungen wurden von Simony und Richter durchgeführt, die allerdings für sich alleine gearbeitet wurden und keine Zusammenarbeit mit anderen Fachkollegen gesucht hatten. Während Simony über 50 Jahre lang die Vergletscherung des Dachsteins erforschte und sein Augenmerk dabei vor allem auf den Hallstätter Gletscher legte, wandte sich Richter den Gletschern der
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Hohen Tauern zu. Die meisten Daten eruierten diese beiden Geographen im Rahmen von Geländebegehungen. Dabei spielte das Vermessen der Gletscher eine wichtige Rolle. Doch können zwischen den beiden Geographen sowohl in der Datenaufnahme und auch in der anschließenden Datenverarbeitung Unterschiede gefunden werden. Richter berichtete von seinen Vermessungsarbeiten des Karlinger- und Obersulzbachgletschers (Glockner- bzw. Venedigergruppe) folgendermaßen: »Meine Ausrüstung war im Allgemeinen derjenigen der Mappeure des k. k. Militärgeographischen Instituts nachgebildet und bestand sonach aus einem leichten Messtisch mit Diopterlineal, Bussole und Libelle und einem Theodoliten, welcher Höhenwinkel von 5 zu 5 Minuten abzulesen gestattete.«7
Er führte richtige Triangulierungen durch und bediente sich somit der Methodik der Geodäten. Zudem kamen noch diverse Berechnungen (Verlust des Volumens von Gletschereis im Laufe der Jahre, Querschnittsberechnungen), Kartierungen im Gelände (zum Beispiel der Vegetation) und Studien bereits bestehender topographischer Karten (Zweite Franziszeische Landesaufnahme usw.) hinzu.
Abb. 1: Eduard Richter : »Das Ende des Obersulzbach-Gletschers 1880, 1882 bis 1885 und 1887« (1888; Fachbereichsbibliothek Geographie und Regionalforschung der Universität Wien 683/1888).
7 Richter 1883, S. 41.
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Als wichtigstes Resultat seiner Forschungen sah Richter seine Karten an (Bsp. Abb. 1), die nun endlich die Möglichkeit lieferten, »auch künftighin die Gletscherstände mit den gegenwärtigen zu vergleichen.«8 Seine Karte aus dem Jahre 18839 (Maßstab 1:5.000) gibt rund um den Obersulzbachgletscher das Gelände mittels Isohypsen, vom Gletscher geschliffene und nicht geschliffene Felsen, Moränenwälle, den Gletscher in hellblau und das vom Gletscher seit langer Zeit nicht mehr berührte Terrain in grün wieder. Zudem beinhaltet sie auch Angaben zur Vegetation, indem Richter auf das sporadische Vorkommen von Zwergkiefern hinwies. Da auch ältere Moränenwälle sowie die vom Gletscher abgeschliffenen Felsen wiedergegeben wurden, können aus der Karte auch Informationen über den absoluten Gletscherhöchststand und die Stände vergangener Jahrzehnte herausgelesen werden. In den nächsten Jahren aktualisierte Richter die Karte mit den Gletscherständen der Jahre 1885 und 1887 (Abb. 1), wodurch nicht nur eine erste großmaßstäbige Karte eines österreichischen Gletschers publiziert, sondern auch der Rückgang des Gletschers dokumentiert werden konnte. Zusätzlich zu den Karten veröffentlichte Richter auch Profile, welche Querschnitte durch die Zunge des Obersulzbachgletschers im Jahre 1880 und dem errechneten postglazialen Maximalstand zeigen.10 Ein Panorama komplettiert Richters kartographische Darstellung des Gletschers, doch soll auf diese Art der kartenverwandten Ausdrucksform im folgenden Unterkapitel über die wissenschaftliche Landschaftsmalerei näher Bezug genommen werden. Ab dem Jahre 1883 widmete sich Richter auch den Gletschern der Ötztaler Alpen, wobei eine leichte Veränderung seiner Methodik festgestellt werden kann. Während er beim Karlinger- und Obersulzbachgletscher eigene Triangulierungen durchführte, ohne sich in größerem Ausmaß auf bereits vorhandenen Daten zu stützen, wandte er sich bei den Gletschern der Ötztaler Alpen von dieser Methodik ab. Seine »Erfahrungen am Karlinger- und Obersulzbachgletscher« hatten ihn nämlich »gelehrt, dass selbst unter den günstigsten Umständen für eine kartographische Aufnahme eines Gletscherendes in der Weise, wie ich sie 1880 vorgenommen hatte, eine Woche nicht ausreiche, geschweige bei Störungen durch das Wetter. Da ich mir aber bei möglichst vielen der grossen Gletscher des Oetzthaler Gebietes eine Anschauung darüber verschaffen wollte, wie sie sich bezüglich ihres Rückganges verhalten, so wollte ich mich begnügen, überhaupt nur Masse über die Ausdehnung ihres Rückganges zu gewinnen, und auf die Vornahme eigener Aufnahmen mit Abmessung einer Basis u. s. w. verzichten.«11 Richter verzichtete auf eine eigene Triangulierung 8 9 10 11
Richter 1883, S. 40. Richter 1883, Tafel 1. Richter 1883, Tafel 3. Richter 1885, S. 54.
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und ermittelte den Volumsverlust der Gletscher auf Grundlage der »Originalaufnahmen der Militärmappirung (1:25.000), … welche aus dem Jahre 1870 stammen«12 in Kombination mit »Abmessen mit einer Leine«.13 Aus diesem Grund entstanden über die Gletscher der Ötztaler Alpen keine Karten und Profile, die genaue Gletscherstände wiedergaben, sondern lediglich eine Panoramazeichnung über den Vernagtgletscher. Auch Friedrich Simonys Gletscherforschungen können in die Bereiche Mathematik und Vermessungstechnik verortet werden. Doch ist bei ihm ein etwas anderer methodischer Ansatz erkennbar als bei Richter. Simony führte keine umfangreichen Triangulierungen durch, sondern entwickelte für seine Vermessungen einen eigenen Zirkelapparat, mit dem Horizontal- und Vertikaldistanzen ermittelt sowie Winkelmessungen und andere trigonometrische Aufgaben durchgeführt werden konnten. Ein Barometer half Simony bei der Bestimmung der relativen Höhenunterschiede. Diese Methodik stellte er unter anderem 1858 bei Versammlungen der k. k. Geographischen Gesellschaft in Wien vor. Markierungen im Gelände halfen Simony bei der Messung der Gletscherbewegung. Im Oktober 1846 meißelte er zum Beispiel in die Felsen, die ca. 7,6 Meter vom Rand des Gletschers entfernt lagen, Kreuze ein. Nach einer Kontrolle im August 1848 konnte er schließlich den Vorstoß des Gletschers ermitteln, da die Kreuze nun unter dem Eis begraben waren.14 Wegen der etwas mangelhaften Triangulierungen war Simony nicht in der Lage, so exakte Daten wie Richter zu ermitteln. Daher verzichtete er auf die Herstellung von Karten. Simony verarbeitete stattdessen seine Forschungsergebnisse in unzähligen kartenverwandten Darstellungen (Panoramen, Skizzen; siehe dazu auch das Kapitel über die wissenschaftliche Landschaftsmalerei), welche die von ihm gemessenen und kartierten Daten zur Grundlage hatten. Auch sie gaben die zeitliche Veränderung der Gletscher im Laufe der Jahre wieder. Als Beispiel soll hier Simonys Panorama »Das Carlseisfeld im September 1884«15 genannt werden (Abb. 2). Es zeigt nicht nur eine Momentaufnahme des Jahres 1884, sondern durch strichlierte Linien auch die räumliche Ausdehnung des unteren Bereiches des Hallstätter Gletschers zur Mitte der 1850er Jahre. Dadurch wird der Volumsverlust im Zungenbeckenbereich gut sichtbar, den Simony auch berechnete. 12 Richter 1885, S. 55. 13 Richter 1885, S. 55. 14 Kretschmer 1996, S. 47; Grims 1996, S. 55. Siehe dazu zudem den anonymer Bericht zur Versammlung am 4. Mai 1858 in den Mittheilungen der kaiserlich-königlichen Geographischen Gesellschaft 1858 auf den Seiten 101 und 102! 15 Als »Karlseisfeld« wird der untere Bereich des Hallstätter Gletschers im Dachsteingebirge bezeichnet. Die erste Karte des Karlseisfeldes (1:12.500) wurde erst von k. k. Oberst Maximilian Groller von Mildensee (1838 – 1920) während der 1890er Jahre hergestellt. (Vgl. Groller von Mildensee 1897).
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Abb. 2: Friedrich Simony : Das Carlseisfeld im September 1884 und seine räumliche Ausdehnung in den Jahren 1855 – 56 (1885; Fachbereichsbibliothek Geographie und Regionalforschung der Universität Wien 704/28).16
Während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erforschten die Geographen Penck, Richter, Simony und Johann Müllner (1869 – 1952) die Tiefenverhältnisse der österreichischen Alpenseen, die bis zu dieser Zeit noch völlig unbekannt waren. Die Initiative dazu ging eindeutig von Simony aus, der bereits während der 1830er Jahre erste Untersuchungen von Seen des Salzkammergutes durchführte sowie Profile und Tiefenkarten angefertigt hatte. Um 1846 entstand zudem eine »Projection des Hallstätter Seebeckens«. Dies ist eine Art Panorama des Sees ohne Wasser, wodurch die Tiefenverhältnisse besonders gut zum Ausdruck gebracht worden sind. Heute werden solche Darstellungen mit Hilfe von Echolotmessungen und Satellitenbildern als Computeranimation hergestellt. Simony schaffte mit dieser »Projection« ein einigermaßen genaues Abbild des Seebeckens bereits Mitte des 19. Jahrhundert, allerdings mit viel höherem Aufwand.17 Die Seentiefe ermittelte Simony mit einem Lotapparat, der mit einem Tiefenthermometer kombiniert war. Lotungen führte er alle paar Meter durch, wobei er die genauen Lotungspunkte durch Abzählen der Ruderschläge ermittelte.18 Simony nahm 1850 zu seiner Methodik folgendermaßen Stellung: »Zu diesem Zweck construierte« ich »eine zerlegbare, cylindrisch geformte, 3 12 Fuss lange Winde, deren Durchmesser so gross gemacht wurde, dass jede Umwindung der zwei Linien dicken Messschnur genau 4 Fuss Länge hatte. Dadurch konnte die jedesmalige gemessene Tiefe nach der Zahl der Windungen genau bestimmt werden, ohne 16 Simony 1885, Tafel II. 17 Kainrath 2013, S. 311 – 312. 18 Kretschmer 1996, S. 46 – 47. Der Lotapparat ist abgedruckt in: Penck 1898, S. 39.
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dass irgend welche Marken an der Schnur selbst nöthig waren … Zur möglichsten Verminderung der Reibung bei dem Ablassen und Aufziehen lief die Schnur von dem Messapparat über eine doppelte, mit der Winde gleich lange Rolle, welche gabelförmig auf der Schiffswand aufgesteckt war. Um die schwere Arbeit des Aufwindens zu vertheilen, waren an beiden Axenenden der Winde Kurbeln mit drehbarem Griff angebracht. Als Sonde wurde bei Seen von weniger als 40 Klafter Tiefe ein Eisengewicht von 10 Pfund, bei den Seen über 40 Klafter ein Eisengewicht von 20 Pfund gebraucht. … In jedem der grösseren Seen fanden 300 – 500, in den kleineren Seen 50 – 200 Sondierungen statt. … Der Abstand von einem Messungspunct zum anderen wurde durch die Zahl der Ruderschläge hinlänglich genau bestimmt. Die Distanz je zweier Puncte betrug in der Nähe der Ufer 10, 20, höchstens 30 Klafter nach der Mitte, wo sich bereits die Ebnung des Bodens wahrnehmen liess, wurde sie auf 50 bis 100 Klafter vergrössert. Die gemessenen Querlinien lagen in den kleineren Seen 100 höchstens 200 Klafter, in den grösseren 200 höchstens 500 Klafter voneinander entfernt.«19
Die Veröffentlichung erfolgte schließlich im Atlas der österreichischen Alpenseen, der von Albrecht Penck und Eduard Richter 1895/96 im Verlag Ed. Hölzel herausgegeben wurde. Eine finanzielle Unterstützung erhielten die Geographen vom k. k. Ministerium für Cultus und Unterricht.20 Die erste Lieferung mit 18 Karten und 100 Profilen entstand nach Lotungen von Simony. Die zweite Lieferung beinhaltete vor allem Karten und Profile nach den Untersuchungen Richters. Die Karten des Atlas geben sowohl die Geometrie des Seebeckens als auch der Landoberfläche in Form von Isohypsen wieder. Zusätzlich integrierten die Geographen einige Koten, welche in den Seen die Tiefen und auf den Bergen die Höhen in Meter ausweisen. Um die Reliefverhältnisse besser veranschaulichen zu können, wurden die unterschiedlichen Tiefen- bzw. Höhenverhältnisse in verschiedenen Blau- und Brauntönen wiedergegeben.21 Im Gegensatz zu den Gletscherforschungen stellt der Atlas der österreichischen Alpenseen eine der wenigen Gemeinschaftsarbeiten österreichischer Physiogeographen des 19. Jahrhunderts dar. Bei diesem Projekt haben sich bewusst Geographen der Universität Wien und Graz zusammengeschlossen, die Methodik und Vorgehensweise zusammen geplant und die Ergebnisse zusammen ausgewertet. Bei den Tiefenmessungen übernahmen die Geographen die Arbeitsweise von Simony, der seine Methode bereits vor 1850 ausreichend getestet hatte. Lediglich eine Gemeinschaftsarbeit im Gelände fand nicht statt, da die Geographen die Seen untereinander aufteilten. Simony war für die Lotungen der Salzkammergutseen verantwortlich und erarbeitete zusammen mit Johann Müllner die Karten. Richter führte Lotungen in Kärntner und Südtiroler Seen durch. Penck verfasste zusammen mit Richter die Kartenbegleittexte. 19 Simony 1850, S. 545 – 547. 20 Penck / Richter 1895; Penck / Richter 1896. 21 Kretschmer 1996, S. 48.
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Die ersten in Österreich durchgeführten Tiefenmessungen wurden aber nicht nur für die Geographie bedeutend, sondern lösten auch in anderen Wissenschaftsdisziplinen neue Forschungen aus. So lieferten sie zum Beispiel wichtige Anregungen für die Archäologie. Simony stieß während seiner Vermessungen nämlich auf Reste von Pfahlbauten.22 Forschungen zum vorgeschichtlichen »Pfahlbau« waren zu dieser Zeit in Mitteleuropa ein relativ neues, aber auch beliebtes Thema. In der Schweiz erkannte man bereits während der 1830er Jahre Reste frühgeschichtliche Pfahlbauten in Seen.23 In Österreich begann man ab 1864 nach Pfahlbauten zu suchen, nachdem der Präsident der k. k. Akademie der Wissenschaften, Andreas von Baumgartner (1793 – 1865), Anregungen für diese Unternehmungen gegeben hatte. Die Grabungen an den Salzkammergutseen setzten 1870 ein und wurden vor allem von Graf Gundakar von Wurmbrand geleitet.24 Vergleicht man den wissenschaftlichen Wert der Tiefen- und Gletschervermessungen über die Institutionen- und Staatsgrenzen hinweg, so waren die österreichischen Geographen zwar nicht die ersten, lagen mit ihren Forschungen allerdings an vorderster Front. In der Schweiz begannen die Tiefenmessungen von Seen bereits vor Simony, als im Jahre 1819 der englische Geologe Henry Thomas de la BÀche (1796 – 1855) die Tiefe des Genfer Sees in 100 Punkten vermaß und eine Karte herstellte. Um 1840 eruierten die beiden Schweizer Naturforscher Arnold Guyot (1808 – 1884) und Louis-FranÅois de PourtalÀs (1823 – 1880) die Tiefen des Neuenburger- und Murtensees und trugen sie in eine topographische Karte 1:96.000 ein. Doch war die Zahl der gemessenen Punkte bei diesen Unternehmungen im Verhältnis zu der Größe der Seen noch recht spärlich, wodurch Simony mit seinen Messungen im Hallstätter See während der 1830er und 1840er Jahre ein realistischeres Bild der realen Tiefenverhältnisse liefern konnte. In der Schweiz erfolgte schließlich ab den frühen 1850er Jahren im Zuge der topographischen Aufnahme des Kantons Zürich eine systematische Erforschung der Tiefen des Zürichsees. Unter der Leitung des Professors für Topographie und Geodäsie der ETH Johannes Wild (1814 – 1894) und des späteren Professors der Ingenieurwissenschaften der ETH Heinrich Karl Pestalozzi (1825 – 1891) begann man ab 1853 mit der Tiefenmessung an 1210 Punkten des Sees und stellte eine Karte her. Auch in der Schweiz benutzte man einen eigens konstruierten Lotungsapparat, der Ähnlichkeiten mit jenem von Simony aufwies. Wer diesen allerdings zuerst konstruiert hatte, konnte im Rahmen dieser Studie nicht festgestellt werden. Während in der zweiten Hälfte des 19. Jahr22 Grims 1996, S. 65. 23 Siehe u. a. Trachsel 2004; Klemun 1995, S. 216 – 218. 24 Zur Geschichte der Erforschung der Pfahlbauten in Österreich siehe: Klemun 1995, S. 218 – 225.
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hunderts die österreichischen Seen ausschließlich Wissenschaftler der Universitäten Wien und Graz vermaßen, führten im Gegensatz dazu die Schweizer Vermessungsarbeiten die Mitarbeiter des staatlichen Eidgenössischen Topographischen Bureaus (gegründet 1838) durch.25 Auch bei der Kartierung von Alpengletschern verhielt es sich ähnlich. Die Anfänge liegen auch hier in den Westalpen, wobei die ersten Anregungen von einem Briten kamen. Der Naturwissenschaftler und Professor an der Universität Edinburgh James David Forbes (1809 – 1868) publizierte zu Beginn der 1840er Jahre die »Karte des Eismeeres von Chamouni und anliegender Bereiche« im Maßstab 1:25.000. In den folgenden Jahren entstanden vor allem im Auftrag des Schweizer Eiszeitforschers Louis Agassiz (1807 – 1873), der ab 1847 die Professur für Zoologie und Geologie an der Harvard University innehatte, einige Gletscherkarten, die unter anderem von Johannes Wild und von dem Geologen Pierre Jean Edouardo Desort hergestellt wurden. In der zweiten Hälfte der 1840er Jahre entstand von den deutschen Naturforschern Hermann und Adolph Schlagintweit die erste bedeutende Karte eines ostalpinen Gletschers (Karte der Pasterze, 1850 im Maßstab 1:14.400 veröffentlicht). Die beiden Brüder zogen ähnlich wie Richter als Grundlage die franziszeische Landesaufnahme heran und ergänzten sie durch eigene Triangulationen und barometrische Höhenbestimmungen. Während der 1850er Jahre wandte sich der österreichische Offizier und Militärgeograph Carl Sonklar von Innstädten (1816 – 1885) der Vergletscherung der Ötztaler Alpen zu und publizierte 1860 seinen Atlas »Die Oetzthaler Gebirgsgruppe mit besonderer Rücksicht auf Orographie und Gletscherkunde«.26 Richter war also sowohl österreichweit als auch international nicht der erste, der Gletscherkarten produzierte. Doch war er der erste, der die Anregungen des Schweizer Geologen Alphonse Favre (1815 – 1890) im Jahre 1879 aufgriff, möglichst viele Gletscher der Ost- und Westalpen großmaßstäbig aufzunehmen.27 Nach Brunner handelte es sich bei Richters Karte um »die erste exakte Gletscherkarte«28 im Maßstab 1:5.000.
Wissenschaftliche Landschaftsmalerei Bei den physiogeographischen Forschungen kann neben einem mathematischen und vermessungstechnischen Raumbegriff auch eine an der Kunst orientierte Raumvorstellung gefunden werden. Hierbei wurde die Landschaft ästhetisiert. Vor allem Simony, in geringem Ausmaß aber auch Eduard Richter, bedienten 25 26 27 28
Zur Geschichte der Tiefenmessung Schweizer Seen siehe: Pestalozzi 1894, S. 59 – 60. Brunner 2005, S. 21; Brunner 2004, S. 10 – 12. Brunner 2005, S. 21. Brunner 2004, S. 13.
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sich dieser Methodik. Physiogeographische Formen einer Landschaft (Gletscher, Karsterscheinungen usw.) wurden präzise gezeichnet und einige Jahre später ebenfalls zu Vergleichszwecken, zum Beispiel über Zu- und Abnahme der Gletscher, herangezogen. Zudem verwendete Simony diese Naturgemälde bei seinen Vorträgen und seinen Lehrveranstaltungen als ein wichtiges Anschauungsmittel.29 Simony erkannte, dass »nicht alle geographischen Verhältnisse durch die Karte versinnlicht werden«, sondern diese nur »ein schematisches, ein generelles Bild«30 liefern kann. Daher war er der erste österreichische Geograph, der sich nach alternativen Darstellungsformen umsah und sich schließlich der Panoramazeichnung zuwandte. Denn »es muß, kurz gesagt, eine nach allen wissenschaftlich wichtigen Einzelheiten präcis durchgeführte, dabei von allem nebensächlichen, insbesondere von allen das Detail schmälernde Beleuchtungseffecten frei gehaltene Landschaftsdarstellung in den Kreis der Veranschaulichungsmittel eintreten, eine Darstellungsweise, welche nur die rein geographischen oder topographischen Verhältnisse vor Auge bringt.«31 Simony grenzte sich zwar von der Landschaftskunst ab, da diese im ästhetischen Sinne lediglich das Schöne der Natur darstellte und unschöne Formen wegretuschierte,32 doch übte die Malerei auf ihn (und auch auf viele andere Wissenschaftler) eindeutig ihren Einfluss aus. Zudem verwies Simony auf Botaniker und Zoologen, welche die Anatomie von Pflanzen und Tieren genauso exakt abbildeten wie er alle Details einer Landschaft.33 Simony betrachtete im Gegensatz zu den Künstlern Ästhetik und Naturwissenschaft eindeutig als Symbiose. Als Grundlage dienten ihm Vermessungen mit dem Zirkelapparat, barometrische Höhenmessungen und genaue Beobachtungen in der Natur, die er in 29 Die Bedeutung von Anschauungsmitteln formulierte Simony wie folgt: »Wie beim Selbststudium der Erdkunde graphische Darstellungen zur unmittelbaren Veranschaulichung unerlässlich sind, ebenso sind sie es auch für den öffentlichen Vortrag. Die Aufmerksamkeit des Auditoriums findet in der graphischen Darstellung zahlreiche bleibende Anhaltspunkte, an welche sie die Worte des Vortragenden knüpft…« (Zitat aus: Penck 1898, S. 13 – 14). 30 Simony 1868, S. 252. 31 Simony 1868, S. 256. 32 Simony 1868, S. 254 – 255. Die bereits seit der Antike vorherrschende negative Einschätzung von unkultivierter und wilder Natur erfuhr in den Wissenschaften seit dem 18. Jahrhundert einen Wandel hin zu einer positiven Einstellung. Siehe dazu u. a. Klemun 2012, S. 67 – 70. 33 Simony 1852, S. 201; Simony 1868, S. 254. Die exakte Darstellung von Tieren und Pflanzen war in den Naturwissenschaften damals bereits weit verbreitet. Bilder wurden während Entdeckungsreisen angefertigt oder hatten die Pflanzen- und Tierwelt Europas zum Thema. Sie wurden zum großen Teil von professionellen Künstlern hergestellt (Bsp. Thomas Endler während der österreichischen Brasilienexpedition ab 1817, vgl. Wagner 2003), aber auch Wissenschaftler stellten sich immer mehr in den Dienst der Sache (z. B. der österreichische Botaniker Franz Unger, u. a. in Zusammenarbeit mit dem Künstler Joseph Kuwasseg, vgl. Rudwick 1992).
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Skizzen festgehalten hatte. Diese Kombination aus Vermessen und Beobachten grenzte Simony weiter von den Landschaftsmalern ab, die in der Regel in der Natur lediglich Beobachtungen durchführten. Wilhelm Haidinger berichtete bereits 1846 in der Wiener Zeitung, dass Simony »einen Atlas von mehr als zweyhundert der mannigfaltigsten Darstellungen der Gebirgsform in den höheren und niedrigern Niveaus, vorzüglich aus der Umgebung des Dachsteinstocks, deren Bekanntmachung für künftige Forscher sehr wünschenswerth wäre […]«34 zusammengestellt hätte und würdigte die Art der Darstellungsform.35 Doch wurden Simonys Panoramen erst 1848 bekannt, als er sein berühmt gewordenes Schafbergpanorama als Zinkstich veröffentlichte. Dieses entstand während eines 47-tägigen Aufenthaltes auf dem Schafberg 1847 und gibt den Rundblick vom Berg inklusive allen morphologischen Formen wieder. 1858 erschien zusätzlich ein chromolithographischer Druck. Auch während der 1850er und 1860er Jahre fertigte Simony unzählige Panoramen an, wie zum Beispiel jene über das nordkrainische Becken, das Dachsteinmassiv, das Tote Gebirge, die Ötztaler Alpen usw.36
Abb. 3: Friedrich Simony : »Nordöstliche Ansicht der Westhälfte des Dachsteingebirges vom Sarstein« (Fachbereichsbibliothek Geographie und Regionalforschung der Universität Wien Teilnachlass Simony 1446).
34 Haidinger 1846, S. 3. 35 »Es ist die Anwendung der Kunst auf die Darstellung der Erscheinung der Natur. Portraitähnlichkeit wurde beabsichtigt und mit günstigem Erfolg erreicht, um naturwissenschaftlichen Forschungen als Beleg zu dienen.« (Haidinger 1846, S. 4). 36 Kretschmer 1996, S. 51 – 55; z. B. Simony 1850; Simony 1858; Simony 1863; Simony 1881; usw.
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Abb. 4: Friedrich Simony : »Gletscher-Phänomene« (1873; Universitätsbibliothek Wien V-28738).37
Abbildung 3 zeigt die unkolorierte Version des Panoramas »Nordöstliche Ansicht der Westhälfte des Dachsteingebirges«, das vom Sarstein am Hallstätter See 1863 und 1864 aufgenommen und 1881 als Farbdruck herausgegeben wurde.38 Eduard Richter fertigte lediglich zwei Panoramen über den Obersulzbach- und den Vernagtgletscher an.39 Simony stellte nicht nur Panoramen her, sondern kreierte auch so genannte »geographische Charakterbilder«. Diese Bilder geben Ideallandschaften der Ostalpen und des Alpenvorlandes wieder und sollten »einen Beitrag zu den Veranschaulichungsmitteln für eine geographische Charakteristika der Alpen«40 liefern. Als berühmtestes Charakterbild gilt heute Simonys Blatt »GletscherPhänomene« (Abb. 4), das in einer Ideallandschaft alle morphologischen Formen eines Gletschers (Moränen usw.) zeigt und auf den Weltausstellungen in London 1862 und in Wien 1873 ausgezeichnet wurde. Simony hat mit seinen Panoramen nicht nur neue Impulse für die thematische Kartographie gesetzt, sondern auch Dichter inspiriert. Als Beispiel sei hier Adalbert Stifter (1805 – 1868) genannt, der das Wissenschaftsverständnis seines langjährigen Freundes Simony zum Beispiel in der Figur des Heinrich Drendorf 37 38 39 40
Simony 1873, Anhang. Simony 1881. Richter 1883, Tafel 2; Richter 1885, Anhang. Zitat aus: Kretschmer 1996, S. 59.
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im Roman »Nachtsommer« (1857) wiedergab.41 Die Geographen der Universitäten Wien und Graz waren nicht die einzigen, die während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an Österreichs Universitäten Bilder von Landschaften zeichneten. So wurde diese Methode zum Beispiel auch in der Geologie, in der Botanik und in der Archäologie praktiziert (z. B. Trysa-Expedition, 1880 bis 1884). International gesehen war Simony nicht der erste, der Panoramen von alpinen Landschaften angefertigt hatte. Wie bei den Gletscherkarten lagen auch hier die Anfänge in den Westalpen. Einer der ersten, der in seinem Buch »Die Eisgebirge des Schweitzerlandes« (1760) reale Gletscher und Ideallandschaften darstellte, war der Schweizer Naturforscher Gottlieb Sigmund Gruner (1717 – 1778). Sie waren als Beilage zur wissenschaftlichen Interpretation der Gletscher gedacht.42 Horace B¦n¦dict de Saussure (1740 – 1799) bildete in seinem Werk, das auch unter dem deutschsprachigen Titel »Reisen durch die Alpen« erschienen ist, einige Profile und Panoramen ab.43 Während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren es vor allem die beiden Schweizer Louis Agassiz und Jean de Charpentier (1786 – 1855), welche ihren Büchern Panoramen beigaben.44 In Österreich gab es vor Simony keine Wissenschaftler einer Universität, die Alpenpanoramen hergestellt hätten. Doch gab es einige Künstler, die bereits reale Landschaften abbildeten. Als ein Beispiel von vielen soll hier Thomas Ender (1793 – 1875) genannt werden, der 1832 das Ölgemälde »Der Großglockner mit der Pasterze« anfertigte. Im Gegensatz zu den Schweizer Wissenschaftlern erschienen Simonys Panoramen etwas naturgetreuer.
»Naturraum« im Wandel der Zeit Der zeitliche Wandel diverser Naturerscheinungen war unter den österreichischen Physiogeographen ein beliebtes Forschungsthema. Sowohl Richter als auch Simony beschäftigten sich bei ihren auf Mathematik und Vermessungstechnik ausgerichteten Gletscherstudien mit der flächenmäßigen Veränderung diverser Gletscher im Laufe einiger Jahrzehnte. Untersucht wurde vor allem der Gletscherrückgang von den 1850ern bis in die 1890er Jahre. Die Ergebnisse erzielten die Geographen dabei durch Kartierungen und Vermessungen im Gelände. Doch einige wenige Studien setzten sich auch mit einem größeren Zeitraum auseinander. Albrecht Penck versuchte die Gletscher- und Moränen41 42 43 44
Klemun 1992, S. 381; Braungart 2004, S. 110 – 116; Häusler 2009, S. 133 – 134. Klemun 2012, S. 71 – 72. Saussure 1788, Bl. IV und V (Panoramen über das Mt. Blanc Massiv). Bsp. Agassiz 1840; Charpentier 1841.
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stände des Eiszeitalters in den Alpen und den Alpenvorländern zu eruieren und konnte damit einen wesentlichen Beitrag zu Anzahl und Länge der Glazial- und Interglazialzeiten beitragen. Seine Kenntnisse gewann er vor allem durch Kartierungen.45 Penck baute dabei unter anderem auf die Forschungen von Louis Agassiz und Jean de Charpentier auf, die sich bereits während der 1830er Jahren mit der einstigen Ausdehnung der westalpinen Gletscher und ihrer Formung der Landschaft auseinandergesetzt hatten.46 Doch auch ein ganz anderer Ansatz ist im Rahmen der Forschungen zu Natur und Zeit herangezogen worden. Vor allem Richter versuchte durch die kritische Analyse von Archivbeständen und alten Büchern das Vor- und Zurückweichen der Gletscher vergangener Jahrhunderte zu eruieren. Er sammelte systematisch alte Nachrichten über die Gletscher der Alpen47 und stellte unter anderem eine Übersicht über die Gletscherbewegungen vom 16. bis ins 18. Jahrhundert zusammen. Eine eingehendere Analyse unterzog Richter dem ersten bekannten Vorrücken des Vernagtgletscher. Dafür wertete er eine Urkunde aus, »welche mehrere Bewohner von Längenfeld im Oetzthal im Jahre 1683 unterzeichnet haben«48 und analysierte Korrespondenzen des Hauses Fugger, die in der Österreichischen Nationalbibliothek verwahrt werden.49 Da vom 16. bis ins 18. Jahrhundert noch keine wissenschaftlichen Studien über die ostalpinen Gletscher durchgeführt wurden, war Richter ohne Zweifel auf den Bericht von Laien angewiesen. Das Einbeziehen solcher Laienbeobachtungen praktizierten auch andere Wissenschaftler. So spielten zum Beispiel Berichte von Menschen bei der Erdbebenforschung eine wesentliche Rolle.50
Kartieren und Sammeln Ein weiterer raumwissenschaftlicher Ansatz bestand in der Physiogeographie aus Kartieren und Sammeln. Beim Kartieren wurden lediglich bedingt Vermessungen durchgeführt. Als Arbeitsgrundlage dienten vor allem topographische Karten, in denen die Beobachtungen im Gelände eingetragen wurden. Eine eingehende Analyse der kartierten Elemente wurde nicht immer durchgeführt. Zudem sammelten die Physiogeographen auch Gesteine, Mineralien und Fossilien, die anschließend an wissenschaftliche Einrichtungen verkauft und nur zum Teil von den Geographen wissenschaftlich bearbeitet wurden. 45 46 47 48 49 50
Siehe dazu: Penck / Brückner 1909. Bsp. Agassiz 1840; Agassiz 1847; Charpentier 1841. Richter 1891, S. 7 – 14. Richter 1877, S. 164 – 165. Richter 1877, S. 165 – 168. Siehe dazu zum Beispiel: Coen 2013, S. 9 – 12 (für Österreich im Speziellen: S. 141 – 162).
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Als Beispiel ist auch hier wieder Friedrich Simony zu nennen, der ab den 1840er Jahren Pflanzen und Gesteine kartierte und sammelte. Über viele Jahre hinweg beobachtete Simony die Pflanzenwelt der Alpen. Dabei studierte er in Anlehnung an Alexander von Humboldt (1769 – 1859) unter anderem ihren Wandel mit der Höhe.51 Als Resultat dieser Beobachtungen entstand unter anderem das Profil »Darstellung der allgemeinsten Verhaeltnisse der Vegetation in den Kalkalpen Salzburgs, im Thonschiefergebirge, des oberen Salzachthales, im Oetzthaler Stock, in der Ortlergruppe und in dem Porphyrgebirge bei Botzen«, das sich als Manuskript in der Fachbereichsbibliothek für Geographie und Regionalforschung erhalten hat. Während dieser Begehungen sammelte Simony auch Pflanzen. Das Geographische Institut der Universität Wien verwahrt zum Beispiel 150 Herbarblätter, die vor allem aus dem Jahr 1880 stammen.52 Auch das Naturhistorische Museum besitzt einige von Simonys Herbarblättern.53 Simony verzichtete allerdings auf eine wissenschaftlich fundierte Beschreibung und Analyse seiner gesammelten Pflanzen. Mit geologischen Kartierungen beschäftigte sich Simony vor allem im Rahmen seiner Tätigkeit an der Geologischen Reichsanstalt, für die er während der frühen 1850er Jahre geologische Aufnahmen im Bereich des Salzkammergutes durchführte. Ein paar Jahre früher führte er nach geologischen Beobachtungen am Dachsteinplateau den Begriff »Dachsteinkalk« in die wissenschaftliche Literatur ein.54 Dabei sammelte er auch viele Gesteine und Fossilien, die unter anderem Fürst Metternich für sein Museum in Schloss Königswart kaufte und auch dem Montanistischen Museum in Wien überlassen wurden. Der Wiener Geologe und Paläontologe Franz von Hauer (1822 – 1899) bearbeitete die Gesteinssammlung Metternichs schließlich wissenschaftlich.55 Das Sammeln und Kartieren von Gesteinen wurde allerdings nicht nur von Physiogeographen, sondern auch von einem österreichischen Kulturgeographen betrieben. Philipp Paulitschke (1854 – 1899), der sein bevorzugtes Forschungsfeld vor allem auf dem Gebiet der Ethnologie besaß, kartierte während einer Reise nach Ostafrika die geologischen Verhältnisse zwischen Z¦jla und Ba Worba und veröffentlichte darüber 1887 eine Karte. Die von ihm gesammelten Gesteine wurden schließlich von Max Schuster, Privatdozent für Mineralogie und Petrographie an Universität Wien, näher untersucht.56 51 Alexander von Humboldt erforschte die Vegetationsstufen verschiedener Berge, wie zum Beispiel vom Vulkan Teide und von manchen Andengipfeln und fertigte Profile an, die er unter anderem im Physikalischen Atlas von Heinrich Berghaus veröffentlichte. 52 Kainrath 2013, S. 313. 53 Siehe dazu Riedl-Dorn 1996. 54 Grims 1996, S. 58. 55 Kadletz-Schöffel / Kadletz 2000, S. 51; Pausch 1997, S. 95 – 96; Grims 1996, S. 57. 56 Paulitschke 1887, S. 218.
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Historische Geographie und Kartographie Die meisten Geographen setzten sich während des 19. Jahrhunderts mit historischen Themen auseinander. Die Kartographiegeschichte und die historische Geographie erlebten vor allem unter Franz von Wieser, Wilhelm Tomaschek und Eduard Richter einen großen Aufschwung. Methodisch werteten sie Archivbestände sowie Primärliteratur und Karten / Globen aus der Antike, dem Mittelalter und der frühen Neuzeit aus. Die Forschungen Wilhelm Tomascheks bewegten sich sowohl in seiner Grazer als auch in seiner Wiener Zeit gemäß seiner altphilologischen Ausbildung fast ausschließlich mit historischen Themen des Altertums und des Mittelalters verbunden mit einer geographischen und ethnographischen Zugangsweise. Er interessierte sich für die historische Topographie südosteuropäischer und asiatischer Landschaften, für antike und mittelalterliche Handelswege und für die Ethnologie diverser Völker Europas und Asiens. Seine Forschungspraxis bestand vor allem in der Auswertung von alten Karten und Texten. So stellte zum Beispiel die »Tabula Peutingeriana«, eine Straßenkarte des Römischen Reiches aus dem 4. Jhdt. n. Chr., eine wichtige Quelle für seine beiden Studien »Miscellen aus der alten Geographie« (1867) und »Zur historischen Topographie von Persien« (1883 – 85) dar. Die »Tabula Peutingeriana« untersuchte er dabei hinsichtlich ihrer Straßenzüge und Linguistik. Damit wandte er sich als erster Universitätsprofessor für Geographie der Universität Wien alten Karten als Quellengattung zu. Sein Verdienst war es, das Studium von Karten in die historische Geographie eingeführt zu haben.57 Trotz seiner historischen Ausrichtung war er aber sehr wohl in der Lage, auch selbst Karten anzufertigen. Tomaschek rekonstruierte zum Beispiel eine frühneuzeitliche Karte Indiens nach jenen Angaben, die im Buch Moht« (1554) des Türken Sd Al veröffentlicht wurden.58 Franz von Wieser war wohl jener Kulturgeograph, der sich am meisten mit der Geschichte der Kartographie und der Entdeckungsreisen auseinandergesetzt hatte. Sein methodischer Ansatz bestand vor allem in der Auswertung von Karten, Globen und Berichten zur Entdeckungsgeschichte aus dem späten Mittelalter und der frühen Neuzeit, die er unter anderem im Hinblick auf ihre Vorlagen untersuchte. Dafür forschte Wieser unter anderem in Archiven und suchte in Antiquariaten und Bibliotheken nach bis dahin unbekannten Globen und Karten.
57 Kretschmer 2004, S. 197. 58 Tomaschek 1897, S. 329 – 419.
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Abb. 5: Schöners Erdglobus aus dem Jahre 1523 (Fachbereichsbibliothek Geschichtswissenschaften der Universität Wien Z 1/117).59
Diese Arbeitsmethodik ist zum Beispiel bei seinen Forschungen zu den Globen des deutschen Humanisten Johannes Schöner (1477 – 1547) gut nachvollziehbar. In Wiesers Publikationen zu Schöner60 findet man nicht nur einen Überblick über die Entdeckungsgeschichte der ersten beiden Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts und eine Beschreibung von Schöners Globen, sondern auch eine umfangreiche Analyse der Quellen, die Schöner für seine Forschungen zur Verfügung standen. Wieser fand zum Beispiel nach intensivem Studium alter Bücher, Handschriften und Karten heraus, dass Schöners Globus aus dem Jahre 1520 unter anderem auf der Grundlage von Forschungen der Gelehrten Martin Behaim (1459 – 1507), Martin Waldseemüller (um 1470 – 1518/21), Gregor Reisch (ca. 1470 – 1525) und Jobst Ruchamer basierten.61 Zudem suchte er nach bisher unbekannten Globen Schöners, die er unter anderem in Frankfurt am Main, in Weimar und in München ausfindig machte,62 und betrachtete diese ebenfalls quellenkritisch. So entdeckte er 1884 mit Hilfe des Münchener Antiquars Ludwig Rosenthal eine Globenkarte Schöners (Abb. 5) und erbrachte in den Sitzungsberichten der philosophisch-historischen Klasse der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften 1889 den wissenschaftlichen Nachweis, dass diese undatierte und unsignierte Karte tatsächlich von Schöner stammte. Er datierte den Globus aufgrund der Wiedergabe der Kontinente und der eingezeichneten Route Magellans auf das Jahr 1523,63 schilderte die Übereinstimmungen mit 59 60 61 62 63
Schöner 1889, Anhang. Schöner 1881; Schöner 1889. Siehe dazu auch Svatek 2014, S. 115 – 119. Schöner 1881, S. 9 – 19. Schöner 1881, S. 21 – 22; Schöner 1889, S. 1. Schöner 1889, S. 6 (»Die Karte ist nicht vor Ende 1522 gemacht, da der Schiffscurs der ersten Weltumseglung eingetragen ist. Sie kann aber auch nicht viel später entstanden sein.
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anderen Schöner-Globen und mit Schöners Flugschrift »De nuper repertis insulis« (1523).64 Zudem verglich Wieser die geographischen Positionen der verzeichneten Städte, Inseln und sonstigen Eintragungen mit den Angaben anderer geographischer Schriften aus dem frühen 16. Jahrhundert und erkannte dadurch unter anderem den »Bericht des Maximilianus Transilvanus in der That mit dem Globus in unleugbarem Zusammenhang.«65 Betrachtet man die historisch-geographischen Forschungen von Tomaschek und Wieser, so ist gut ersichtlich, dass diese beiden Geographen weitgehend alleine gearbeitet und nur selten eine Arbeitsgemeinschaft mit anderen Fachkollegen gebildet hatten. Eine Gemeinschaftsarbeit im größeren Ausmaß stellte hingegen der Historischen Atlas der österreichischen Alpenländer dar. Während es beim Atlas der österreichischen Alpenseen lediglich zu einer Zusammenarbeit zwischen Geographen der Universitäten Wien und Graz gekommen war, kann der Historische Atlas der österreichischen Alpenländer als einziges an einer Akademie initiiertes, in Gemeinschaftsarbeit entstandenes kartographisches Vorhaben angesehen werden, bei dem vor allem Historiker und Geographen mitarbeiteten. Die Geschichte des Atlas geht eigentlich schon auf den November 1847 zurück, als Joseph Chmel in der ersten konstituierenden Sitzung der historischen Klasse der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften die Herausgabe eines geschichtlichen Atlas anregte: »Eines der vorzüglichsten Hülfsmittel für das Verständnis der Geschichte sind ohne Zweifel gute Karten, und ich bin so frei, Sie, meine verehrtesten Herren, auf die dringende Nothwendigkeit aufmerksam zu machen, dem auffallenden Mangel dieses unentbehrlichen Hülfsmittels möglich abzuhelfen. – Nicht Karten für die Gegenwart, dafür wird gesorgt; ich meine solche für die Vergangenheit, einen historischen Atlas, insbesondere für das Mittelalter. […] Für die Vergangenheit ist ein historischer Atlas, der die allmälige Colonisirung, die Besitzveränderungen, die verschiedenen Arten des Besitzes, die Grenzen der Gerichtsbarkeiten nachweist, besonders erwünschlich. Eine der schwierigsten, mühsamsten und zeitfordernsten Arbeiten; besonders für die früheren Jahrhunderte (bis zum fünfzehnten), wozu das genaueste Studium aller Documente, Urbare u. s. w. nöthig ist.«66
In der Sitzung vom 16. Jänner 1850 bekräftigte Chmel seine Ausführungen vom November und gab einen Überblick über die bisher durchgeführten Arbeiten. So hätte die Akademie auf seinen Vorschlag hin bereits damit begonnen, in KoDies wird wahrscheinlich gemacht schon durch die Thatsache, dass keinerlei jüngere Entdeckungen eingezeichnet sind.«). 64 Schöner 1889, S. 11 (Bsp.: »Das der Südspitze von Amerika gegenüberliegende Australland hat genau dieselbe Gestalt wie auf dem Globus von 1520 […]«.) 65 Schöner 1889, S. 7. 66 Chmel 1848, S. 62. Siehe dazu auch: Richter 1896a, S. 62.
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operation mit dem MGI Terrainkarten eines Teiles des österreichischen Kaiserreiches herzustellen.67 Diese sollten als Grundlage für die Geschichtskarten herangezogen werden. Als weitere Arbeitsvorhaben fügte er hinzu, dass je sechs Karten über fünf Zweiträume angefertigt werden sollten.68 Chmels Bemühungen blieben allerdings erfolglos. Die Arbeiten zum Historischen Atlas der österreichischen Alpenländer wurden von der Akademie nicht weiter verfolgt. Richter mutmaßte 1896 folgendermaßen: »Anregungen auch der mächtigsten Corporation bleiben fruchtlos, wenn sich nicht Einzelne bereit finden, Arbeitslast und Verantwortung auf sich zu nehmen. Dies unterblieb aber. Einmal wohl aus einer gewissen Scheu der Historiker oder Rechtshistoriker vor der kartographischen Seite des Unternehmens … Der zweite Grund, weshalb der Atlas so lange liegen blieb, war der Mangel an einigen nothwendigen Vorarbeiten. Ohne Urkundenbücher und vor allem ohne die Weisthümer-Ausgabe liess er sich tatsächlich kaum in Angriff nehmen.«69
Während der 1890er Jahre wurde das Forschungsvorhaben durch Anregungen Eduard Richters schließlich wieder aufgegriffen. Als Vorbild nannte Richter den Geschichtlichen Atlas der Rheinprovinz, den der deutsche Althistoriker und Kartograph Wilhelm Fabricius (1861 – 1920) im Auftrag der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde ab 1894 bearbeitete.70 Nach Richter sollte der österreichische »Atlas direkt aus den Quellen abgeleitet sein und selbst gewissermassen ein Quellenwerk vorstellen: eine Form, in der gewisse Seiten der Quellenüberlieferung anschaulich gemacht und zusammengetragen sind.«71 1895 schrieb er seine Gedanken dazu erstmals in seinem Artikel »Über einen historischen Atlas der österreichischen Alpenländer«72 nieder. Bereits wenige Zeit später beschloss die kaiserliche Akademie der Wissenschaften auf Antrag der Historiker Engelbert Mühlbacher und Alfons Huber die Herausgabe eines geschichtlichen Atlas. Richter ernannte man zum Leiter des Projektes, da er sich in den letzten Jahren nicht nur mit dem Historischen Atlas der österreichischen Alpenländer, sondern auch mit der historischen Geographie von Salzburg und der historischen Kartographie für das deutsche Mittelalter auseinandergesetzt hatte. Damit brachte er die für das Projekt nötige Erfahrung mit. 67 Chmel 1850, S. 62. 68 Chmel 1850, S. 63. Die fünf festgelegten Zeiträume waren die Zeit Karls des Großen, der ersten Babenberger, der Erhebung zum Herzogtum, des Endes der Babenberger und Ottokars II. 69 Richter 1896a, S. 64. 70 Richter 1896a, S. 71. Siehe dazu auch: Fehn 2012, S. 247 – 267. 71 Richter 1896a, S. 65. 72 Diese Gedanken wurden im Korrespondenzblatt des Gesamtvereins der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine Band XLIV (1896) und in den Mitteilungen der k. k. Geographischen Gesellschaft in Wien Band 39 abgedruckt.
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Die Planung umfasste 38 Kartenblätter mit Karten im Maßstab 1:200.000, auf denen die Landgerichtsgrenzen verschiedener Zeitepochen bis zur Karolingerzeit eingetragen werden sollten. Damit wollten die Bearbeiter ein Bild von rechtlichen und politischen Zuständen durch viele Jahrhunderte hinweg erhalten.73 Dieses Vorhaben wurde wenige Zeit später ausgebaut, da neben den weltlichen auch die kirchlichen administrativen Einheiten kartographisch festgehalten werden sollten. An den Arbeiten waren unter anderem der Geograph Alfred Grund (1875 – 1914), die Historiker August Jaksch von Wartenhorst (1859 – 1932), Anton Mell (1865 – 1940), Hans Pirchegger (1875 – 1973), Hans Voltelini (1862 – 1938) und Josef Zösmair (1845 – 1928), der Mathematiker Otto Stolz (1842 – 1905), der Politiker, Jurist und Historiker Julius Strnadt (1833 – 1917) und der Kärntner Historiker und Heimatforscher Martin Wutte (1876 – 1948) beteiligt. Zwischen 1906 und den 1950er Jahren wurden schließlich insgesamt 47 Blätter Landgerichtskarten im Maßstab 1:200.000 und sieben Blätter an Kirchenkarten im Maßstab 1:500.000 publiziert. Als Grundkarte verwendete man die Relief- und Gewässerkarte der österreichischen Generalkarte Mitteleuropas 1:200.000, in der vor allem die Namen, Grenzen, Amtssitze der Landgerichte usw. vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert eingetragen wurden.74 Von der Arbeitsmethodik und der Quelleninterpretation besaß Richter eine genaue Vorstellung: Der Atlas sollte nämlich »von der Neuzeit aufwärts oder rückwärts gearbeitet werden. Denn wenn man versucht, irgend eine Frage, die den historischen Atlas berührt, einzeln herauszugreifen und alleine aus den zeitgenössischen Quellen zu bearbeiten, so wird man schwerlich jemals zu einem befriedigenden Ergebnis gelangen.«75
Zur damaligen Zeit gab es bereits einzelne Versuche von Wissenschaftlern, die karolingischen Gaue nach Lage, Umfang und Siedlungen kartographisch festzuhalten. Doch waren diese Versuche nicht besonders erfolgreich, da ausschließlich Quellen aus der Karolingerzeit interpretiert wurden. Richter fand sozusagen in dem Nachweis der Stabilität der Gerichtssprengel und in der rückläufigen Methode die Lösung des Problems. Zuerst sollten Quellen aus der Neuzeit analysiert werden; anschließend wollte man Jahrhundert für Jahrhundert bis ins Mittelalter zurückgehen.76
73 74 75 76
Marek 1906, S. 186 – 193. Beimrohr 2010, S. 1. Richter 1896b, S. 531. Marek 1906, S. 188.
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Abschließende Bemerkungen Die »Geographie« war an Österreichs Universitäten während des 19. Jahrhunderts vor allem historisch und naturwissenschaftlich geprägt. Manche Geographen waren richtige Universalgelehrte, die sich sowohl der Geschichtswissenschaft als auch der physischen Geographie zuwandten. Einer von diesen war Eduard Richter, der bedeutende Forschungsergebnisse sowohl auf dem Gebiet der alpinen Glaziologie als auch im Bereich der historischen Geographie und Kartographie erzielte. Die Forschungen und damit auch die methodischen Ansätze waren stark von den Interessen und Initiativen einzelner Personen abhängig und zudem auch sehr heterogen. Vermessen, Beobachten, Kartieren, Sammeln und das Auswerten von Quellen aus der Antike, dem Mittelalter und der frühen Neuzeit waren die gängigsten Forschungspraktiken. Dabei haben die Geographen zum großen Teil für sich alleine gearbeitet. Eine Zusammenarbeit mit anderen Geographen und Wissenschaftlern anderer Disziplinen kam allerdings beim Atlas der österreichischen Alpenseen und beim Historischen Atlas der österreichischen Alpenländer zustande. Einige Themen, die bereits in Deutschland in die Geographie Eingang gefunden haben, wurden in Österreich während des 19. Jahrhunderts nicht erforscht. Als zwei Beispiele sollen hier die politische Geographie und die Anthropogeographie genannt werden, die vom deutschen Geographen Friedrich Ratzel (1844 – 1904) begründet wurden.77 Allerdings bedeutete das nicht, dass die österreichischen Geographen nicht politisch waren bzw. nicht in politischen Grenzen dachten. Denn wie ist es sonst zu verstehen, dass man sich bei der Erforschung der österreichischen Seen zwar mit jenen des heutigen Österreich und Südtirol auseinandergesetzt hatte, aber die Seen der ungarischen Reichshälfte völlig unberücksichtigt blieben? Die Verbindung zum Adel und zur Politik war vor allem für Simony vor 1848 sehr bedeutend. Die Auswahl seines bevorzugten Forschungsgebietes, der Dachsteinregion, wurde vielleicht nicht zufällig gewählt, da die Kaiserresidenz Bad Ischl nicht weit war und er regelmäßig dort zu Gast sein konnte. Dadurch konnte er sich ein Netzwerk aufbauen, das aus Adeligen und mit ihnen befreundeten Künstlern (Bsp. Adalbert Stifter) und Wissenschaftlern bestand. Sie wurden schließlich zu Simonys Protektoren, die einige seiner Projekte auch finanziell unterstützten. Mit dem 20. Jahrhundert und einer neuen Generation an Wissenschaftlern traten vor allem in der Kulturgeographie Veränderungen ein. Dieser Wandel betraf sowohl die Themen als auch die Methoden. Obwohl Tomascheks Nachfolger Eugen Oberhummer (1859 – 1944) sein Hauptaugenmerk abermals auf die historische Geographie und die Geschichte der Kartographie legte sowie Quellen 77 Vgl. Schultz 2002, S. 343 – 377; Ratzel 1882 – 1891; Ratzel 1897.
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aus der Antike bis in die Neuzeit ausarbeitete, sind bei ihm auch andere Ansätze feststellbar. Vor allem rund um die Ereignisse der Balkankriege 1812/1813 und des Ersten Weltkrieges wandte sich Oberhummer auch der politischen Geographie zu. Robert Sieger, Nachfolger von Richter in Graz, deckte ein umfangreiches Forschungsfeld ab, das von der Anthropogeographie bis hin zur Länderkunde und politischen Geographie reichte. Eine Kontinuität zu seinem Vorgänger ist beim Historischen Atlas der österreichischen Alpenländer zu sehen, deren Leitung Sieger übernahm. Neue Ansätze verfolgten am Geographischen Institut der Universität Wien ab den 1910er Jahren Erwin Hanslik (1880 – 1940) und Hugo Hassinger (1877 – 1952). Sie wandten sich zeitgenössischen Themen, wie zum Beispiel der Stadt- und Landesplanung, der modernen Kulturforschung und der politischen Geographie zu. Als Hassinger 1931 Ordinarius für Kulturgeographie wurde, war von den historischen Ansätzen des 19. Jahrhunderts kaum mehr etwas vorhanden. Zusammen mit seinen Assistenten und Dozenten (Egon Lendl, Walter Strzygowski usw.) erforschte Hassinger den deutschen Volks- und Kulturboden in Südosteuropa und betrieb Stadt- und Landesplanung. Dabei wurden vor allem Erhebungen vor Ort durchgeführt, Fragebögen versandt und statistische Daten ausgearbeitet. Ein besonderes Kennzeichnen war die Zusammenarbeit zwischen mehreren unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen, Institutionen und diversen ab 1931 gegründeten Forschungsgemeinschaften (Südostdeutsche Forschungsgemeinschaft 1931, Arbeitsgemeinschaft für Raumforschung der Universität Wien 1938, usw.). Zudem intensivierte sich vor allem ab der NS-Zeit die Verbindung zur Politik. Mit den geographischen Forschungen wurde ohne Zweifel ein Beitrag zur »Lebensraumund Expansionspolitik« der Nationalsozialisten geleistet.78 In der Physiogeographie änderten sich die Methodiken hingegen kaum. Kartierungen und Vermessungen im Gelände waren auch während der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts allgegenwärtig. Allerdings wurden keine Panoramen mehr hergestellt, da diese bereits seit den 1880er Jahren immer mehr von der Fotografie ersetzt wurden. Zudem waren nicht mehr nur die österreichischen Alpen und Alpenvorländer Forschungsräume, sondern aufgrund der besonderen Interessensgebiete der beiden Innsbrucker Ordinarien Johann Sölch (1883 – 1951) und Hans Kinzl (1898 – 1979) auch die Britischen Inseln und die Anden.
78 Siehe dazu Svatek 2010a, S. 111 – 139; Svatek 2010b, S. 290 – 311.
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Elisabeth Hilscher
Denkmalschutz und Denkmalpflege – ein musikwissenschaftliches Anliegen des 19. Jahrhunderts?
1893 gründete Guido Adler, damals noch Extraordinarius für Musikwissenschaft der deutschen Universität Prag, die Gesellschaft zur Herausgabe von Denkmälern der Tonkunst in Österreich (künftig abgekürzt: DTÖ). Als Vereinszweck wurde in den Statuten verankert: »Er verfolgt als Zweck die Veröffentlichung von Werken solcher Tonkünstler der Vergangenheit, welche entweder in Oesterreich geboren sind oder daselbst gelebt und gewirkt haben, ferner – ohne Rücksicht auf die Person der Autoren – von älteren musikalischen Werken, deren Erhaltung heimischen Sammlungen zu verdanken ist oder die für die vaterländische Musikgeschichte von Bedeutung sind.«1 Mit dieser Gründung gelang Adler und dem um ihn herum wirkenden Personennetzwerk die nachhaltige Realisierung und Institutionalisierung einer Idee, die in die Anfänge des 19. Jahrhunderts zurückreicht, nun aber unter dem Aufwind, den die historischen Wissenschaften in der 2. Hälfte verspürten, vor allem im »Kielwasser« des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Fahrt aufnehmen konnte.
Editionskonzepte Grundsätzlich existierten in der Phase der Verwissenschaftlichung der Musikgeschichtsschreibung in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts zwei gegenläufige Konzepte, wenn es um »Bewertung« und die Zugänglichmachung von Musik ging. a. Das Konzept der Gesamtausgabe: Dieses setzt einen allgemein bekannten und anerkannten Kanon an Werten und Wertigkeiten voraus, in dem den Komponisten ein feststehender Rang zugeteilt wird. Nur Komponisten ersten Ranges, deren Gesamtwerk als beispielgebend für Zeitgenossen wie Nachwelt 1 Statuten der DTÖ von 1893 bis 1938 (genehmigt durch die Niederösterreichische Statthalterei, Wien, den 30. Oktober 1893), Wien, Denkmäler der Tonkunst in Österreich, Altes Verwaltungsarchiv [= DTÖ-AVA] II/9. Wiedergegeben in: Hilscher 1995, S. 221.
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eingestuft wurde, galten demnach als würdig, mit einer eigenen Gesamtausgabe bedacht zu werden. Wurden Komponisten aber in diese Kategorie gereiht, sollte auch jedes noch so kleine Werk, jede Skizze – ohne weitere kritische Qualitätsprüfung – in diese Gesamtausgabe aufgenommen werden. b. Gegenläufig dazu präsentiert sich das Denkmäler-Konzept, da dieses sich an der Qualität einzelner Werke orientiert und von der grundsätzlichen qualitativen Gleichwertigkeit der Komponisten ausgeht. In einer DenkmälerEdition sollten demnach Werke vereint werden, die – plakativ ausgedrückt – »Geschichte geschrieben haben«, also gleichsam »Meilensteine« der Musikgeschichte dargestellt haben. c. Auch die meisten Corpus-Projekte richten sich nach dem Konzept einer Denkmäler-Ausgabe: In diesem Sinne werden als »Corpus« die wichtigsten Schriften oder Werke zu einem Themenkomplex oder einer Periode/einem Stil zusammengefasst (beispielsweise werden im Corpus Scriptorum de Musica, einer Unternehmung, die ebenfalls an das Ende des 19. Jahrhunderts zurückreicht, aber erst ab den 1950er Jahren vom American Institut of Musicology zusammen mit anderen Musik-Corpora herausgegeben wird, wichtige musiktheoretische Schriften vom 11. bis zum 16. Jahrhundert in wissenschaftlich-kritischen Editionen publiziert). Dass im Deutschen Reich (auch gefördert durch die großen Verlagshäuser, in erster Linie Breitkopf & Härtel in Leipzig) eher das Gesamtausgaben-Konzept verfolgt und in Österreich2 das Denkmäler-Konzept hingegen bevorzugt wurde, hat historisch-ideengeschichtliche Gründe, die sich bis heute in unterschiedlichen Forschungsansätzen in Deutschland und Österreich verfolgen lassen.3 2 Mit Österreich ist die österreichisch-ungarische Monarchie gemeint, v. a. deren cisleithanischer Teil. 3 Nicht nur haben die meisten der großen Gesamtausgaben-Projekte ihren Sitz an deutschen Universitäten oder Forschungsinstitutionen, sondern sie werden auch von der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz koordiniert. Die derzeit laufenden Projekte zeigen nach wie vor eine starke Verankerung im Kanon des 19. Jahrhunderts: Johannes Brahms, Christoph Willibald Gluck, Georg Friedrich Händel, Joseph Haydn, Felix Mendelssohn-Bartholdy, Max Reger, Arnold Schönberg, Franz Schubert, Robert Schumann, Richard Wagner (Schriften), Carl Maria von Weber ; abgeschlossen wurden bereits die Gesamtausgaben der Werke von Johann Sebastian Bach, Wolfgang Amadeus Mozart, Georg Philipp Telemann und Richard Wagner (musikalische Werke). Auch das noch laufende Projekt Corpus monodicum (einstimmige Musik des Mittelalters) und die abgeschlossene Wissenschaftliche Edition des deutschen Kirchenliedes sind als Corpus-Edition und somit entgegen dem internationalen Usus dem Gesamtausgaben-Gedanken verpflichtet, gilt es darin doch ein Gesamtrepertoire möglichst vollständig und geschlossen zu edieren. Die einzige gesamt-deutsche DenkmälerEditionsreihe, das Erbe deutscher Musik, 1933 unter entsprechenden politischen Vorzeichen gegründet, fristete nach seiner Wiederbelebung 1953 bis zu seinem Ende 2007 ein mehr in Österreich als in Deutschland beachtetes Schicksal (vgl. dazu die Homepage der Akademie in Mainz, http://www.adwmainz.de [Zugriff: 18. 3. 2013] bzw. den Jahresbericht 2012, 2013).
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Der Gründung der DTÖ war ein langer Entwicklungsprozess vorangegangen, der nicht nur Musik und Musikgeschichte betraf, sondern sich einbetten lässt in allgemeinere Denklinien und Denkmodelle der sich in dieser Zeit entwickelnden historischen Wissenschaften. Als eine der Hauptrichtungen ist sicherlich der Historismus zu nennen, doch muss gerade für Österreich und bezogen auf Musik dieser Begriff mit Vorbehalten verwendet werden, da durch den »musikalischen Historismus« keine Wiederentdeckung verschollener Musik, eine Renaissance, eingeleitet wurde – »Alte Musik« wurde seit jeher gepflegt (siehe weiter unten), doch setzte ab ca. 1800 ein evolutionistisches Bewerten und Klassifizieren ein, parallel dazu eine Lust am »Ausgraben von Schätzen der Vergangenheit« (oft wurde bewusst Vokabular der Archäologie verwendet!), die physisch wie gedanklich in Schubladen und Fächer eingereiht und katalogisiert wurde.4 Guido Adler, selbst mehr Wissenschaftsmanager als Wissenschaftler, bündelte ab den 1880er Jahren die in seinem Umfeld diskutierten Ideen und entwickelte sie mit der ihm innewohnenden Beharrlichkeit zum einem verwirklichbaren Konzept weiter.
Die Pflege der Alten Musik Die Pflege der Musik vergangener Epochen kann in Österreich und v. a. in Wien auf eine lange, fast ungebrochene Tradition zurückblicken. Gerade im Bereich der Kirchenmusik galt lange Zeit der Usus, dass das Repertoire erst dann ausgetauscht wurde, wenn es dafür besseres, d. h. zweckmäßigeres neues gegeben habe; erst um 1770 kam es zu einem grundlegenden Wechsel des Materials und ab circa 1880 zu einer Standardisierung und Kanonisierung, an der an führender Stelle die sogenannten Cäcilianer und deren Verlagsproduktion beteiligt waren. Parallel zu dem großen Repertoiretausch um 1770 entstanden erste Zirkel von Musikliebhabern, die sich der Pflege Alter Musik widmeten: beispielsweise bei Gottfried van Swieten (bzw. der Gesellschaft der Associierten Cavaliers), Hofrat Franz Georg von Kees und Baron Peter von Braun.5 Bereits in der nächsten Generation – Raphael Georg Kiesewetter, Franz Sales Kandler, Aloys Fuchs, Joseph Sonnleithner6 – trat eine erste »Verwissenschaftlichung« der Beschäftigung mit Alter Musik ein: Sie sollte nicht nur musiziert werden, sondern erstmals sollte auch ihre Geschichte erforscht und in Editionen einem breiteren Publikum zugänglich 4 Vgl. dazu die Keynote von Marianne Klemun im vorliegenden Band. 5 Vgl. dazu Morrow 1989, v. a. S. 1 – 33 (Private Concerts). 6 Zur Rolle der höheren Beamten im Wiener Musikleben des frühen 19. Jahrhunderts vgl. Fritz-Hilscher 2011, S. 288 – 291.
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gemacht werden. Ziel dieser nächsten Generation an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert war es, nicht nur Musik vergangener Epochen in Hauskonzerten zu Gehör zu bringen (mit eigener tatkräftiger Unterstützung), sondern auch systematisch Quellen zu sammeln, prä-wissenschaftliche Apparate anzulegen und die Musikgeschichte nach den Kriterien der jungen Geschichtswissenschaft zu erforschen;7 dass dabei gerade der Hofkriegsrat, die Dienstbehörde von Kiesewetter, Kandler und Fuchs, gleichsam zum »Musentempel« wurde, mag auf den ersten Blick verwundern, kann jedoch mit Ausbildung und Sozialisation der Beamtenschaft dieser Zeit begründet werden.8 Von Kiesewetter stammt eine erste Geschichte der europäisch-abendländischen Musik (Leipzig 1834),9 die den Zeitraum vom »Ursprung des christlichen Kirchengesanges« bis zu »Beethoven und Rossini. 1800 bis 1832« umfasst und mit zahlreichen Musikbeispielen zur Alten Musik illustriert wurde. Mit deren Bezeichnung als »Monumente« verweist Kiesewetter auf ihren beispielgebenden Denkmalcharakter, den er diesen Werken beimisst.10 Mit Kiesewetter befreundet und – wenngleich seine musikgeschichtlichen Forschungen nie zur Druckreife gediehen – wohl ein mindestens ebenso bedeutender Vertreter des musikalischen Historismus wie ersterer, war Simon Molitor, von 1798 bis 1831 Beamter im Kriegskommissariat. Seine umfangreichen Stoffsammlungen, die auch Kiesewetter für seine Arbeiten benutzte, widmen sich v. a. der Musik am Wiener Kaiserhof sowie biographischen Skizzen von Musikern und befinden sich heute in der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek.11
7 Dezidiert wird dies von Kiesewetter im Vorwort zu seinem Catalog der Sammlung alter Musik (Wien 1847) S. VI, geschrieben: Sinn seiner umfangreichen Sammlung sei, »eine Geschichte der Musik, von der Entstehung der harmonischen oder kontrapunktischen Kunst bis auf die neuere Zeit, in Denkmälern herzustellen.« 8 Dazu Fritz-Hilscher 2011, S. 289 f. Über das Beamtentum im 19. Jahrhundert allgemein vgl. Heindl 1991. 9 Geschichte der europaeisch-abendlaendischen oder unsrer heutigen Musik. Darstellung ihres Ursprunges, ihres Wachstums und ihrer stufenweisen Entwicklung; von dem ersten Jahrhundert des Christentums bis auf unsre Zeit von R. G. Kiesewetter. Leipzig: Breitkopf & Härtel 1834. Bereits 1846 erschien im selben Verlag eine zweite Auflage (diese wurde als Vorlage für die Faksimile-Ausgabe, Darmstadt 2011, der ein ausführliches Vorwort von Herfried Kier vorangestellt ist, verwendet). Zu Kiesewetter vgl. auch Kier 1968. 10 Die Musikbeispiele weisen auf Kiesewetters Hauptinteresse, die Musik der »Niederländer«, der franko-flämischen Schule hin (Adam de la Halle, Guillaume de Machault, Francesco Landini, Guillaume Dufay, Egidius Binchois, Vincent Faugues, Johannes Okeghem). 1828 hatte Kiesewetter bei einem Wettbewerb des Königlich-Niederländischen Instituts für Wissenschaften und Schöne Künste über die Bedeutung der Niederländer für die Musik des 14. bis 16. Jahrhunderts mitgemacht und mit seiner Schrift die Goldmedaille gewonnen; gemeinsam mit der mit Silber prämierten Schrift des französischen Musikgelehrten FranÅois-Joseph F¦tis wurden die Arbeit in Niederländisch gedruckt: Verhandelingen over de vraag: welke verdiensten hebben zich de Nederlanders vooral in de 14e, 15e en 16e eeuw in het vak der toonkunst verworven. Door R. G. Kiesewetter en F. J. Fetis. Amsterdam: Muller 1829 (120 Seiten). 11 Zu Kiesewetter und seinem Kreis sowie deren Pflege der Alten Musik vgl. Krones 2009, S. 9 – 32.
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Zum Begriff des »Monumentum« – vom Steindenkmal zum Denkmal des Geistes Wie die Terminologie, die Kiesewetter für seine Notenbeispiele in der Geschichte der europäisch-abendländischen Musik verwendet, zeigt, war der Begriff des Monuments nicht allein auf physische, durch Bildhauerei oder Architektur geschaffene Erinnerungsmale beschränkt. Und schon Johann Heinrich Zedler versteht unter »Monument, Monumentum, Monumenta, oder auch Monimentum und Monimenta, Denck- und Ehren-Mähler«, die im weitesten Sinne der Memoria eines Verstorbenen dienen, »überhaupt alle dergleichen Dinge und aufgeführte Gebäude, wodurch man eines Verstorbenen Ruhm und Namen, wie auch dessen merckwürdigste Verdienste und Thaten auch bey den spätesten Nachkommen in beständig gutem Andencken zu erhalten sucht. Dergleich sind z[um] E[xemplum] prächtige Gräber, Aufschriften, Statuen, Bildnisse, Tempel, Triumph-Bögen, und andere Arten von Gebäuden, ingleichen Lob- und HeldenGedichte, allerhand gesammelte Historische Nachrichten, Jahr- und Tage-Bücher, und andere briefliche Urkunden, wie auch allerhand Arten von Büchern und Schrifften, und mit einem Worte, alles dasjenige, was einem zu Ehren und immerwährendem andencken gethan, geschrieben und gebaut wird, wovon unter besondern Artickeln.«12 Bei Zedler steht die Memoria des einzelnen im Vordergrund – bei den Monumenta- bzw. Denkmalbestrebungen des 19. Jahrhunderts wird diese durch das Erinnern eines Kollektives ersetzt; zum Erinnerungsmal für eine Person, das sich auch in der Edition von Werk-Gesamtausgaben widerspiegelt, tritt das Kollektiv, das die Marksteine, die »Monumenta« seiner Kultur, seiner Geschichte sammelt, zusammenstellt und so für weitere Generationen bewahrt und zugänglich erhält. Kriegerische Ereignisse gepaart mit einem entstehenden historischen wie nationalen Bewusstsein haben den Boden bereitet für das mit Beginn des 19. Jahrhunderts einsetzende und ab der Jahrhundertmitte geradezu explosionsartige Hervorsprießen großer Editionsunternehmungen – Monumenta, Corpora wie Werkgesamtausgaben. Das Sichern von Dingen, die man für die eigene Identität für wichtig und erhaltenswert hielt, stand dabei im Vordergrund. Das pädagogische Element der »Volksbildung«, der Erschließung des bislang nur Spezialisten zugänglichen Materials für eine »breite Masse« an Interessierten folgte erst später. Fast zeitgleich begannen zwei Denkmäler/Monumenta-Editionen ihre Arbeit, von denen die eine den Napoleonischen Kriegen geopfert werden musste, die andere bis heute floriert: Um circa 1799 entwickelte der ehemalige Privatsekretär
12 Zedler 1739, Sp. 1430 f. Weitere Definitionen bei Hilscher 1995, S. 16 – 20.
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Josephs II. und spätere Hoftheatersekretär Joseph Sonnleithner den Plan einer Denkmäler-Edition, die jedoch weniger der Sicherung bedrohten, »vaterländischen« Kulturgutes dienen, als eine »Musikgeschichte in Beispielen« bieten sollte, wie bereits der Titel illustriert: Geschichte der Musik in Denkmälern, von der ältesten bis auf die neueste Zeit. Mit den Bildnissen und Biographien der berühmten Tonsetzer, unter der Leitung der Herren Georg Albrechtsberger, Joseph Haydn und Anton Salieri.13 Diese Denkmäler-Ausgabe war nicht als unendliche Reihe konzipiert, sondern als 50 Bände umfassendes Corpus. Obwohl sich die Ausgabe mit den Namen der damals wohl prominentesten und arriviertesten Tonsetzer Wiens schmückte – mit Albrechtsberger, dem hochangesehenen Kompositionslehrer, dem international berühmten »Doktor der Tonkunst« Haydn14 und Hofkapellmeister Salieri – versicherte sich Sonnleithner der Zustimmung eines prominenten Vertreters der deutschen Musikgeschichtsschreibung und -forschung, Johann Nikolaus Forkel, ein Indiz für die »Verwissenschaftlichung« der Musikgeschichte. Über den Stich des ersten Bandes mit Musik des 15. bzw. 16. Jahrhunderts (je einer Messe von Obrecht und Ockeghem in Partitur wie Chorbuchnotation) kam das Unternehmen jedoch nicht hinaus; die fertigen Platten mussten 1805 im Zuge der französischen Besetzung Wiens zu Gewehrkugeln umgeschmolzen werden, doch sind einige Probeabzüge erhalten geblieben wie auch das handschriftliche Vorwort von Forkel.15 Selbst nach dem glücklichen Ende der Napoleonischen Kriege wurde dieses Unternehmen nicht wieder aufgenommen; Joseph Sonnleithners Engagement galt nun vorrangig der 1812 gegründeten Gesellschaft der Musikfreunde des österreichischen Kaiserstaates. Erst Arnold Schering setzte mehr als 100 Jahre später dieses Konzept um und veröffentlichte 1931 bei Breitkopf & Härtel in Leipzig eine Geschichte der Musik in Beispielen. 350 Tonsätze aus 9 Jahrhunderten. Den beiden Aspekten des Bewahrens von Wissen und Kulturgut auf der einen und der Schaffung eines »Monumentum« der eigenen Geschichte und Kultur auf der anderen Seite verpflichtet sind die nach dem Ende des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation und der Schaffung des Deutschen Bundes gegründeten 13 Vgl. dazu Boisits 2009, S. 110. 14 Boisits führt in Anmerkung 12 die Aussage Haydns an, dass das Projekt »Beutelschneiderey« sei; m. E. steht dahinter weniger eine inhaltliche Kritik als unterschiedliche Honorarvorstellungen von Sonnleithner und dem sehr geschäftstüchtigen Joseph Haydn (Boisits 2009, S. 128, Anm. 12). 15 Die Idee einer »Musikgeschichte in Beispielen« führt Forkel in seinem handschriftlichen Vorwort näher aus: »So vortheilhaft eine Sammlung der Denkmahle der musicalischen Kunst für das Studium der Kunst ist, ebenso unentbehrlich ist sie auch für die Geschichte derselben. Nur durch sie […] wird es möglich, gleichsam mit einem Blicke die stufenweise Entwicklung und die mannigfaltigen Veränderungen der Kunst zu übersehen, in wenigen Stunden Jahrhunderte zu durchleben, Zeiten mit Zeiten, Völker mit Völkern und Künstler mit Künstlern zu vergleichen.« Zitiert bei Boisits 2009, S. 111.
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Monumenta Germaniae Historica (kurz MGH). Deren Ursprünge gehen auf die 1819 von Karl vom Stein16 gegründete Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde zurück,17 und es ist kein Zufall, dass man sich gerade in dem Augenblick der alten Reichsgeschichte annahm, als deren Kontinuität gebrochen, das Reich Geschichte geworden und somit die »Memoria« bedroht war. Anders als in den erwähnten musikhistorischen Projekten war die Gesellschaft jedoch weniger darum bemüht, eine deutsche Reichsgeschichte des Mittelalters zu verfassen, als die Quellen zu dieser Geschichte aufzuspüren, zu transkribieren und nach dem damaligen höchsten wissenschaftlichen Standard zu edieren (wohl mit der letzten Konsequenz, Fragen nach dem woher der »Deutschen« auf der Suche nach der eigenen Identität beantworten zu können18). Umfang und Ende der Unternehmung wurden bewusst offen gelassen; was »Monumentum«würdig sei, entschied ein Gelehrtengremium.
Monumenta im Dienst der Denkmalpflege Obwohl Bestrebungen zu Denkmalschutz und damit verbunden zu Denkmalpflege in Österreich bis in die theresianische Zeit zurückreichen,19 erhielten diese nach den Erfahrungen der napoleonischen Zeit und aufgrund der rücksichtslosen »Erneuerungswut«, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht nur das Gesicht vieler Städte gravierend veränderte, sondern auch bewegliche Kunstschätze, die zu beliebten Wertanlagen des Großbürgertums avancierten, bedrohten, hohe Aktualität. Bereits 1823 sandte Eduard Melly einen ersten Entwurf einer »Denkmal16 Zur Karl vom Stein und seiner historisch-staatswissenschaftlichen Ausbildung an der Universität Göttingen vgl. Fenske 2012, S. 12 – 16. 17 Dazu http://www.mgh.de [Zugriff: 20. 3. 2013]. In den Satzungen (ibidem) wird als Vereinszweck ganz allgemein angeführt: »Sie [die Vereinigung] hat die Aufgabe, durch kritische Quellen-Ausgaben und -Studien der wissenschaftlichen Erforschung der mittelalterlichen Geschichte Deutschlands und Europas zu dienen.« Zu Steins Rolle bei der Gründung in sehr knapper Form bei Fenske 2012, S. 96 f. Demnach lag bei Stein das Interesse an der Quellenedition in einer Materialsammlung zur deutschen Geschichte begründet, die Edition an sich als eigenständiges Werk sah wohl eher sein Mitstreiter Georg Heinrich Pertz. Bezogen auf den Denkmäler-Gedanken vgl. dazu Hilscher 1995, S. 37, bzw. umfassend Bresslau 1921. 18 Diese Unzufriedenheit mit der neuen Situation der deutschen Staaten nach dem Wiener Kongress drückt Karl vom Stein sowohl in einer Denkschrift für das russische Kabinett (»Von einer so fehlerhaften Verfassung [gemeint ist der Deutsche Bund] läßt sich nur ein sehr schwacher Einfluß auf das öffentliche Glück Deutschlands erwarten«) wie in einem Brief an seine Schwester Marianne vom 15. Dezember 1815 aus (er erwarte sich »nur wenig Gutes von der ganzen Sache«, im Gegenteil trüge die deutsche Bundesakte den »Keim des Todes« in sich); beide Dokumente zitiert bei Fenske 2012, S. 89 bzw. 91. 19 Zur Geschichte des Denkmalschutzes in Österreich vgl. Frodl 1988.
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schutzbehörde« an Johann von und zu Liechtenstein, um ihn dazu zu bewegen, die Patronanz über einen solchen Verein zu übernehmen; der Fürst lehnte mit der Begründung ab, dass die Zeit dazu noch nicht reif sei, wenngleich er die Notwendigkeit einer solchen Unternehmung in seinem Antwortschreiben an Melly bestätigte: »Nicht minder lebhaft als in Ihnen, lebt auch in mir der Wunsch, ein Mal den Verein sich bilden zu sehen, dessen Streben dahin geht, uns die Sitten und das Wirken unserer Vorfahren in unserm Vaterlande kennen zu lernen, der die Überreste aus diesen Zeiten erkläret und verstehen lehret, sie vor Entführung schützet und vor Zerstörung bewahrt.«20 Und obwohl die Napoleonischen Kriege und der damit verbundene gezielte Kulturgütertransfer nicht einmal zehn Jahre vorüber waren, hielt der Fürst die Zeit noch nicht reif dafür. Melly ließ sich von der Absage des Fürsten nicht entmutigen, nützte den frischen Wind, der 1848 mit Ludwig Freiherr von Bruck und Josef Alexander Freiherr von Helfert in die Ministerien für Handel bzw. Cultus und Unterricht kam und reichte 1849 erneut seinen Plan zu einer Denkmalschutzbehörde bei Innenminister Alexander Freiherr von Bach ein. Diesmal mit durchschlagendem Erfolg, denn bereits mit 21. Dezember 1850 lag eine kaiserliche Resolution vor, in der Kaiser Franz Joseph mit nur geringen Änderungen dem Entwurf Ueber die Nothwendigkeit einer umfassenden Fürsorge zur Erhaltung der Baudenkmale im Oesterreichischen Kaiserstaate und der Errichtung einer Central-Commission zustimmte. Der ursprünglich im Handelsministerium, ab 1859 (unter Minister Leo Graf Thun) im Ministerium für Cultus und Unterricht angesiedelten Central-Commission wurde mit allerhöchster Entschließung vom 18. Juli 1873 ihr Wirkungsbereich in einem entscheidenden Aspekt, den sogenannten »beweglichen Denkmalen«, erweitert und entsprechend ihren neuen Aufgaben zur K.k. Zentralkommission für Erforschung und Erhaltung der Kunst- und historischen Denkmale umbenannt; zu den Baudenkmalen waren also auch Archivalien und Archive als schützenswerte Objekte hinzugekommen.21 In der Musikgeschichtsschreibung war nach dem Abtreten der Generation um Raphael Georg Kiesewetter22 eine Interessensverschiebung von der quellenorientierten Geschichte hin zur Ästhetik erfolgt. Eduard Hanslick, der sich 1856 mit Vom Musikalisch-Schönen an der Universität Wien für das Fach »Geschichte und Ästhetik der Tonkunst« habilitierte, wandte sich erst in späteren Jahren wieder der Geschichte der Musik zu, blieb aber dem musikalischen Historismus (dem beispielsweise sein Freund Johannes Brahms mit großem Engagement nachging) fremd, obwohl diese Richtung in den deutschen Staaten 20 Fürst Johann von und zu Liechtenstein an Eduard Melly, 12. November 1823, zitiert bei Frodl 1988, S. 188. 21 Genauer dazu bei Hilscher 1995, S. 28 – 31. 22 Kiesewetter verstarb 1850, Aloys Fuchs 1853, Kandler bereit 1831 und Molitor 1848 (alle Daten nach oeml-online: http://www.musiklexikon.ac.at [Zugriff 22. 3. 2013]).
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bzw. im Deutschen Reich die primär vorherrschende war. Unter der Dominanz Hanslicks verschwindet eine Persönlichkeit fast gänzlich, die jedoch methodisch für die Entwicklung der modernen Musikwissenschaft von weit größerer Bedeutung war als Hanslick: August Wilhelm Ambros, seit 1872 Lehrer von Erzherzog Rudolph und am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde, an dem er u. a. an den Jungen Guido Adler seine Idee von einer Geschichte der Musik weitergab. Ähnlich wie Hanslick pendelt auch Ambros zwischen Ästhetik und Musikgeschichte, die er jedoch kulturgeschichtlich umfassend erklärt.23
Denkmäler der Tonkunst Sein großes Talent sowohl zur Bündelung von Ideen wie zur Schaffung von tragfähigen Netzwerken nützte der junge Privatdozent Guido Adler24 bereits seit seiner Studentenzeit, um das massive Interesse an der eigenen (Musik-)Geschichte, der Bewahrung von Quellen als Kulturgut von allgemeinem Interesse, die große Nachfrage des Marktes nach »guter« Musik und das gerade eben wieder aufkeimende Interesse an Alter Musik zu amalgamisieren. In einer regen Vortragstätigkeit vor diversen Kulturvereinen und der tatkräftigen Beratung des Ambrosium-Vereines wie von August Weirich an St. Michael25 bei der Zusammenstellung ihrer Musikprogramme konnte Adler ein entstehendes Konzept zu »musikalischen Denkmälern« entwickeln. Die Entwicklung der diversen Konzepte für »musikalische Denkmäler« fällt in die Zeit, in der Adler an der deutschen Universität in Prag lehrte. Doch muss angemerkt werden, dass Adler den Kontakt zu Wien sehr intensiv aufrecht hielt. Einen ersten Entwurf zu »Denkmälern der Tonkunst« reichte Adler gemeinsam mit Hanslick im April 1888 beim Ministerium für Cultus und Unterricht ein. Er beginnt programmatisch: »Es ist nunmehr eine Ehrenpflicht deutscher Künstler und Gelehrter, die unvergänglichen Werke der Vorzeit zu erhalten, ihre Zugänglichkeit zu ermöglichen, sondern auch eine mit den modernen Hilfsmitteln wirklicher Forscherarbeit ausgestattete Schule heranzuziehen, die sich an diesen Werken bildet, die Verbreitung und constante wissenschaftliche Bearbeitung 23 Seine dreibändige Geschichte der Musik erschien 1862 – 1868. 24 Guido Adler (1855 – 1941) hatte bereits 1878 seine juristischen Studien mit der Promotion abgeschlossen, 1880 erfolgte eine zweite Promotion in Musikwissenschaft und 1882 die Habilitation in diesem Fach. 1885 – 1898 war Adler als ao. Professor an der deutschen Universität in Prag tätig und folgte 1898 Hanslick als Ordinarius an der Universität Wien nach. Die Entwicklung der diversen Denkmal-Konzepte fällt also in die Prager Zeit (zur Biographie vgl. den Artikel in oeml-online, http://www.musiklexikon.ac.at [Zugriff: 21. 3. 2013]). 25 Siehe Fritz-Hilscher 2011, S. 314.
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ermöglicht […].«26 Nicht Künstler und Dilettanten im besten Sinn sollten sich weiter der Erhaltung der Kunst-Denkmäler widmen, wie noch in den Generationen davor, sondern die beiden (in ihrem Primärberufen Juristen seienden) Musikforscher aus »zweiter Hand« forderten ein (musik)wissenschaftliches Monopol auf die Arbeit mit diesen wichtigen Quellen. Adler und Hanslick begründeten ihre Eingabe wie folgend weiter und skizzierten die geplante Unternehmung: »So alt und ehrwürdig auch die Wissenschaft der Tonkunst ist – läßt sich doch das allereinfachste Kunstwerk ohne Einsicht in die Mittel und Bedingungen musikalischen Könnens nicht erdenken – so ist sie doch noch im Anschluß an andere Wissensgebiete sich ihrer neueren Aufgaben und Ziele bewußt worden. Zur Erreichung [?] derselben bedarf sie aber auch einer Institution, deren Umrisse hiermit in knappen Zügen gekennzeichnet sein mögen. Die Herausgabe von Monumenta historiae musices ist ein dringendes Bedürfnis. Dieselben umfassen erstens eigentliche Denkmäler, Kunstwerke, zweitens Documente, Quellenschriften theoretisch-historischen Inhaltes. Es seien vorerst die Kunstdenkmäler ins Auge [gefasst]. Allenthalben wurden Versuche gemacht, dieselben zugänglich zu machen. Ein Theil dieser Versuche blieb trotz ernsterer [?] Absicht stecken, weil Eine menschliche Kraft zur Ausführung nicht ausreicht, ein anderer Theil, der flüchtig und oberflächlich vorging, konnte sich nicht das Vertrauen der Interessenten erwerben, wenn überhaupt eine Scheinexistenz gefristet werden konnte. Die Gesamtausgaben von Werken einzelner Tonheroen ebneten die Wege, die nunmehr weiter zu verfolgen sind. [Es werden in der Folge die aktuellen deutschen Gesamtausgaben als Vorbilder aufgezählt]. Es ist nunmehr nicht nur eine Ehrenpflicht deutscher Künstler und Gelehrter, die unvergänglichen Werke der Vorzeit zu erhalten, ihre Zugänglichkeit zu ermöglichen, sondern auch eine mit den modernen Hilfsmitteln wirklicher Forscherarbeit ausgestattete Schule heranzuziehen, die sich an diesen Werken bildet, die Verbreitung und constante wissenschaftliche Bearbeitung ermöglicht. Es läge am nächsten die Tonkunst in den Ländern deutscher Zunge besonders zu berücksichtigen. Es wird sich vor Allem die Aufmerksamkeit auf Tonsetzer richten, die in Deutschland oder Oesterreich geboren sind und gewirkt haben, Kunstwerke, die noch unbekannt, der Gefahr des Verlustes ausgesetzt, schwer zugänglich oder nur in Einem oder wenigen Exemplaren vorhanden[,] sollen bevorzugt werden. [Es folgt eine alphabetisch gereihte Aufzählung möglicher aufzunehmender Komponisten, Anm. Verf.]. Monumenten von Bedeutung muß die Aufnahme gesichert sein. Neben deutschen Kunstdenkmälern soll die Publikation fremdländischer Werke auch gestattet sein. Und hier besonders Werke von Künstlern, welche entweder in Ländern deutscher Zunge gewirkt haben oder für den künstlerischen Fortschritt im Allge26 DTÖ-AVA, I/2b: Guido Adler – Eduard Hanslick, Eingabe an das Ministerium für Cultus und Unterricht (April 1888). Ergänzend sei erwähnt, dass Adler als junger Dozent privat bei Engelbert Mühlbacher Unterricht in historischen Hilfswissenschaften nahm (Hilscher 1995, S. 39 f.).
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meinen von epochaler Bedeutung gewesen sind oder auf einzelne deutsche Künstler bestimmend gewirkt haben. Die beiläufige Zeitgrenze für solche Werke auswärtiger Kunstschulen wäre die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts, da von dieser Zeit an der deutschen Tonkunst die Hegemonie gesichert ist und die fremdländischen Einflüße nur sekundärer Art sind [hier wird auf die sogenannte Wiener Klassik angespielt, die für Adler und seine Zeitgenossen als unbestrittener Höhepunkt musikalischer Entwicklung galt, Anm. Verf.]. […] Ueber die Art der Publication sollen bei der Gründung der Monumenta die näheren Bestimmungen getroffen werden. Sie müssen naturgemäß streng wissenschaftlichen Forderungen entsprechen, auf Grund alles zugänglichen Quellenmateriales (Handschriften und Druckausgaben) zusammengestellt, mit einem kritischen Commentar, der sich vorwiegend mit den Vorlagen beschäftigt, versehen sein. Zu erörtern wären die Fragen, ob bei der Schlußredaction der Kunstdenkmäler nicht auch Künstler mit herangezogen werden sollten27 und ob nicht bei einzelnen Werken auch eine unter der Aufsicht resp. Mitberathung eines oder mehrerer Herausgeber zu veranstaltenden Nebenausgabe für die Zwecke oeffentlicher oder privater Aufführung ediert werden könnte, eine Nebenausgabe mit der Bedeutung authentischer Interpretation, welche um die Monumenta einen Schutzwall vor schädigender Plünderung und Verunstaltung ziehen soll. […] Die Organisation des Unternehmens selbst hängt von der Betheiligung der betreffenden Kreise ab. Es wäre höchst wünschenswerth, daß die hohe Kaiserlich koeniglichen Regierungen von Oesterreich und Deutschland eine Vereinbarung träfen, der zu folge die Herausgabe der Monumenta historiae musices gemeinschaftlich unternommen würde. […].«28
Der Hinweis auf eine Historische Aufführungspraxis geht wohl auf Adler, der bereits auf einige Erfahrung auf diesem Gebiet zurückblicken konnte, zurück. Hanslick und Adler blieben schuldig, wer die zu edierenden Werke auswählen sollte und nach welchen Kriterien dies zu erfolgen hätte; die wenigen angesprochenen Parameter sind sehr allgemein und beliebig gehalten. Noch weitere fünf ereignisreiche Jahre dauerte es bis zur Institutionalisierung eines Denkmäler-Projektes im Fach Musikwissenschaft. Nach Jahresfrist antwortete das Ministerium auf die Eingabe Adlers und Hanslicks mit einer höflich27 Die (alte) Haydn-Gesamtausgabe hatte mit Johannes Brahms hier sehr gute Erfahrungen gemacht. Auch die DTÖ haben dieses Konzept verfolgt, hatten jedoch mit der Wahl ihrer Künstler in die Leitende Kommission weniger Glück: Johannes Brahms verstarb nach weniger als vier Jahren, Gustav Mahler konnte sich mit dem Konzept nicht identifizieren, Richard Strauss stand den DTÖ zwar positiv gegenüber, war jedoch aufgrund von Arbeitsüberlastung kaum präsent; auch die Mitgliedschaft von Joseph Marx war eine eher nominelle. Ein letzter Versuch mit Paul Angerer scheiterte an unterschiedlichen Vorstellungen von Historischer Aufführungspraxis und wissenschaftlich-kritischer Edition. 28 Rekonstruktion der Eingabe von Hanslick und Adler an das Ministerium für Cultus und Unterricht (April 1888) aus DTÖ-AVA I/2a und 2b (das Original befindet sich nicht mehr in den Akten des Ministeriums im Staatsarchiv, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Unterricht M 85: Monumenta historiae musices); der Gesamttext dieser rekonstruierten Fassung findet sich bei Hilscher 1995, S. 41 – 44.
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abwartenden Antwort: »[…] beehre ich mich Eurer Hochwohlgeboren mitzutheilen, daß ich geneigt bin, diesem Unternehmen die thunlichste Förderung angedeihen zu lassen, sobald für dasselbe eine Grundlage geschaffen sein wird, welche für die Verwirklichung und den dauernden Erfolg des Werkes hinreichend Gewähr zu bieten geeignet ist […].«29Zu diesem Zeitpunkt war Adler offenbar davon überzeugt, diese große Aufgabe nur gemeinsam mit den bereits mit großen Editionen erfahrenen deutschen Kollegen Philipp Spitta (Bach-Gesamtausgabe) und Friedrich Chrysander (Händel-Gesamtausgabe) sowie dem Verlagshaus Breitkopf & Härtel in Leipzig, das eine Quasi-Monopolstellung betreffend Gesamtausgaben in dieser Zeit innehatte, schaffen zu können. In mehrfacher Hinsicht kam nun Adler zu Gute, dass er die »Musikhistorische Abteilung« der großen Internationalen Musik- und Theaterausstellung in Wien 1892 betreuen sollte: Einerseits sammelte er Erfahrungen im Umgang mit Sammlungen und Sammlungsinhabern, andererseits konnte er für die cisleithanische Reichshälfte, finanziell unterstützt durch das Ministerium, ein umfangreiches Katalogisierungsprojekt durchführen, das zu einem wichtigen »Steinbruch« für die DTÖ werden sollte. Wie aus den Unterlagen im Archiv der DTÖ hervorgeht, orientierte sich Adler bei der Sammlung des Materials an jenen Methoden, mit denen die Central-Commission ihre Denkmäler-Verzeichnisse erstellte: »Um den Apparat [gemeint sind die Verzeichnisse der Bibliotheks- und Archivbestände] möglichst einfach und mit möglichst geringen Kosten herzustellen, möchten die ehrfurchtsvoll Unterzeichneten an die Vorstände sämtlicher inländischen Bibliotheken, deren Verzeichnis anbei liegt [leider nicht erhalten], ein Circular richten, in welchem das Ersuchen gestellt wird, einen bibliographischen Bericht über den Bestand der Musikalien und musikalischen Schriften (Manuskripte, Incunabeln, Druckwerke) einzusenden. […]« Auch für dieses Unternehmen wurde – abgesehen vom aktuellen Anlass – die Sicherung des kulturellen Erbes in der Argumentationslinie hervorgestrichen: »Es muss leider gesagt werden, das viele Bibliotheken in einem äusserst verwahrlosten Zustande sind, dass manche Anstalten gar nicht wissen, was sie haben, und dass nur wenige Bibliotheken Kataloge besitzen und von den darin genannten Werken viele verschleppt sind. Durch eine bibliographische Aufnahme würde mancher Schatz gehoben, manches Stück vor gäntzlicher Vernichtung bewahrt werden. Auch würde man auf diejenigen Männer aufmerksam, die das Verständnis für derlei Arbeiten haben und für das Unternehmen [gemeint ist die geplante Monumenta-Reihe] in der Folge gewonnen werden könnten.«30 Ministerium und 29 DTÖ-AVA I/4: Ministerium für Cultus und Unterricht an Adler (Wien, 15. März 1889). 30 DTÖ-AVA I/5: Memorandum über die Gründung von »Monumenta historiae musices« überreicht von Hofrat o.ö. Professor Dr. Eduard Hanslick in Wien, a.ö. Professor Dr. Guido Adler in Prag, Oktober 1889.
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Central-Commission unterstützten das Projekt nachhaltig, doch zeigte sich die Realisierung insofern schwierig, als sich nur die cisleithanische Reichshälfte kooperativ zeigte, und die Rückmeldungen der 1800 versandten Circulare manchmal sehr an Qualität zu wünschen übrig ließen.31 Nachdem sich schon die transleithanische Reichshälfte nicht am Projekt der bibliographischen Aufnahmen in den Bibliotheken und Archiven beteiligt hatte, folgte in der zweiten Jahreshälfte 1890 ein weiterer Tiefschlag: Wie der Verlag Breitkopf & Härtel Guido Adler in einem mit »vertraulich« gekennzeichneten Brief vom 4. November 1890 mitteilte, war der Plan einer deutsch-österreichischen Monumenta-Edition an der preußisch-bayerischen Feindschaft gescheitert, die auch in Sachen Musikdenkmäler getrennte Wege gehen wollten,32 aber auch im österreichischen Ministerium war man über die »kleindeutsche« Lösung offenbar nicht unglücklich, sondern schritt nun zügig an die Realisierung eines österreichischen Musik-Denkmäler-Unternehmens. So entstand parallel zu den Arbeiten für die Musik- und Theaterausstellung 1892 und dem Bibliographische Unternehmen der Plan zu einem österreichischen Alleingang in Sachen Denkmälern, wobei als »Probebände« zwei Bände mit den Werken der sogenannten Kaiserkomponisten (Ferdinand III., Leopold I. und Joseph I.) herausgebracht werden sollten. Ob dieser geniale Schachzug, der das Ministerium stark unter Zugzwang setzte – denn eine Ablehnung dieses patriotischen Unternehmens war schier unmöglich – alleine von Adler entwickelt worden war oder gemeinsam mit seinen zahlreichen Bekannten innerhalb der österreichischen Beamtenschaft,33 lässt sich nicht mehr feststellen. Plakativ formuliert Adler (diesmal alleine, ohne Eduard Hanslick): »Unter den Künsten, welche in Oesterreich von jeher die ausgiebigste Pflege fanden, ragt die Tonkunst in einer 31 Vgl. dazu den Bericht von Guido Adler und Eduard Hanslick an das Ministerium für Cultus und Unterricht (Dezember 1890): »[…] Die Aufnahmen werden in zweifacher Weise vorgenommen: Werke je einer Sammlung, die von minderem historischen Interesse sind. werden auf Bögen alfabetischer [sic] Reihenfolge der Componisten und Autoren verzeichnet, dagegen wird für wichtigere, besonders ältere Werke je ein Quartblatt (aus Büttenpapier) verwendet. Ein General-Katalog soll dann den Verweis [?] enthalten; ferner wird zur Vorbereitung der Denkmäler ein Verzeichnis aller Künstler angelegt, die entweder in Österreich geboren sind oder hier gewirkt haben oder Werke an Persönlichkeiten in Österreich, besonders den Herrschern, gewidmet haben oder endlich [?], deren Werke besonderen Einfluß genommen haben auf die Kunstentwicklung in Österreich. […]« Gesamter Text der Eingabe bei Hilscher 1995, S. 241 – 243 bzw. dazu ibidem, S. 50 – 52. 32 DTÖ-AVA I/8: Breitkopf & Härtel an Guido Adler (Leipzig, 4. November 1890). Die Monumenta wurden in drei Reihen aufgesplittert: Denkmäler deutscher Tonkunst (Preußen), Denkmäler der Tonkunst in Bayern und Denkmäler der Tonkunst in Österreich. 33 U.a. ging Adler in Haus von Sektionschef Alois von Hermann aus und ein (Vgl. dazu Hermann [in Vorbereitung]). Auch mit Wilhelm von Weckbecker verband Adler eine enge Freundschaft, doch scheint diese erst in den folgenden Jahren zum Tragen gekommen zu sein.
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Weise hervor, wie sie in wenig andren Staaten erreicht wurde. Die glänzenden kunsthistorischen Epochen unter den Kaisern Maximilian I., Rudolf 2. Ferdinand 3. Leopold I Josef I Josef 2 u. der Kaiserin Maria Theresia bis herauf auf unsere Tage werden von keinem andren Land übertroffen, stellen sich ja Einzelne der genannten Kaiser selbst in die Reihe der schaffenden Tonsetzer, Andre wetteifern in der liebevollen Ausübung der Tonkunst.« Die Erwähnung, dass Preußen eine Edition der Werke Friedrichs des Großen plane, machte die Eingabe endgültig unablehnbar.34 Das Ministerium reagierte prompt (mit einem Schreiben vom 28. November 1890) und in der von Adler erhofften Weise: Man stehe dem Unternehmen sehr positiv gegenüber und wünsche die Arbeit von einer »Gesellschaft von Fachgelehrten rein privaten Charakters« durchgeführt. Interessant ist der letzte Absatz des Schreibens: Adler wird ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, »daß es sich unter allen Umständen empfehlen würde, die Herausgabe der zu Eingang Ihres Berichtes erwähnten Werke von Herrschern aus dem Habsburgischen Hause als ein rein österreichisches Unternehmen für sich, und unabhängig von den Monumenta historiae musices in Aussicht zu nehmen und die typographische Edierung dieser Musikwerke einer einheimischen Firma zu übertragen.«35 Natürlich war allen Beteiligten klar, dass diese Bände als Voredition für eine nun rein österreichische Monumenta-Reihe dienen sollten; ebenso war es ein Test für den alteingesessenen Verlag Artaria in Wien, der sich zwar schon einige Zeit aus der Notenproduktion zurückgezogen hatte, für dieses »vaterländische Projekt« (und basierend auf der langen Freundschaft, die Carl August Artaria und Adler verband), ob er einer solchen Aufgabe gewachsen war. 1892 und 1893 erschienen die beiden Bände der Kaiserwerke und wurden dem Kaiser in einer Prachtausgabe durch den Minister überreicht.36 1892 war der erste Band der Denkmäler Deutscher Tonkunst bei Breitkopf & Härtel in Leipzig erschienen,37 mit 3. Oktober 1893 konstituierte sich die Gesellschaft zur Herausgabe der Denkmäler der Tonkunst in Österreich, bereits 1894 erschien der erste Band der DTÖ, der – in mehrfacher Hinsicht programmatisch – Kirchenmusik von Johann Joseph Fux, Hofkapellmeister von Kaiser Karl VI., Schule bildender Musiktheoretiker und einer der Hauptprotagonisten des musikalischen Barock in Österreich, enthielt. 34 DTÖ-AVA I/11: Guido Adler an das Ministerium für Cultus und Unterricht, Minister v. Gautsch (Entwurf, November 1890) S. 1. 35 DTÖ-AVA I/10: Ministerium für Cultus und Unterricht an Guido Adler, Wien, 28. November 1890. 36 Adler 1918, S. 15. 37 Der Verlag sandte den Band an Adler mit einem Begleitschreiben, in dem man weiterhin von einer deutsch-österreichischen Gemeinschaftsedition ausging; in seltener Einigkeit verwahrten sich Hanslick und Adler gegenüber der deutschen Vereinnahmung, zumal sie gegenüber dem Ministerium, das die rein österreichische Lösung bereits als beschlossen angesehen hatte, nun Erklärungsbedarf hatten. Vgl. dazu Hilscher 1995, S. 53 f.
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Guido Adler leitete die DTÖ bis 1938 und zog sich, um die Unternehmung zu retten, mit März 1938 sofort zurück. Das offene Konzept der DTÖ konnte seit der Gründung bis heute beibehalten werden; die Entscheidung darüber, was in das Editionsprogramm aufgenommen wird, entschied auf Vorschlag des Leiters der Publikationen nach fachlichen Kriterien und Diskussion die sogenannte Leitende Kommission, die sich aus Fachleuten mehrere Disziplinen (in erster Linie Geschichte, Musikwissenschaft, Romanistik, Germanistik) zusammensetzte. Wie sehr Fragen des Denkmalschutzes aber in die Geschichte der DTÖ hineinspielen können, zeigt das Beispiel der sogenannten Trienter Codices, der größten Repertoiresammlung für Musik im Umkreis des Kaiserhofes für den Zeitraum 1420 bis 1480. 1885 wurde die sechs Codices von Franz Xaver Haberl in Trient entdeckt, 1891 vom Ministerium für Cultus und Unterricht angekauft und Guido Adler zur wissenschaftlichen Bearbeitung und Edition anvertraut (Auswahl-Editionen erschienen in den DTÖ-Bänden 14/15, 22, 38, 53, 61 und 76 bzw. 120).38 1918 werden die Trienter Codices Gegenstand der Friedensverhandlungen und müssen als italienisches Kulturgut ungeachtet des Ankaufes an Italien zurückgegeben werden (doch darf Adler die Edition, unter Einarbeitung des 1920 gefundenen siebenten Bandes bis 1933 abschließen).39 Resümierend lässt sich sagen, dass auch in der Kunstgeschichte der Begriff des Denkmales in der Zeit um 1900 Gegenstand wissenschaftlicher Abhandlungen wurde. Dennoch muss festgehalten werden, dass die maßgeblichen Schriften nach der Institutionalisierung der Denkmäler-Idee in der Musikwissenschaft publiziert wurden: Alois Riegls Werk Der moderne Denkmalkultus, sein Wesen und seine Entstehung erschien 1903, dessen »popularisierte« Version, Max Dvoraks Katechismus der Denkmalpflege 1916. Zwischen Adler und den Vertretern der Wiener Schule der Kunstgeschichte bestand in den späten 1880er und 1890er Jahren (nach meinem Wissensstand) keine direkte Verbindung. Noch nicht untersucht ist jedoch die Rolle von Joseph Mantuani, der in seiner Wiener Zeit sowohl als Bibliothekar als auch Musikwissenschaftler (Jacobus Gallus) und Kunsthistoriker (man denke an seiner Arbeit über das Riesentor des Stephansdomes und sein Engagement für den Denkmalschutz) tätig war und zum Umkreis von Adler zählte.
38 Auch aufgrund dieses Auftrages musste ein entsprechendes Gremium geschaffen werden, sodass die Realisierung der DTÖ damit einen deutlichen Schritt weiterkam. 39 Zur Edition der Trienter Codices vgl. Hilscher 1995, S. 98 – 100, bzw. Fritz-Hilscher 2012, S. 73 – 84.
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Bibliographie Adler, Guido: Vorgeschichte der »Denkmäler«, in: Studien zur Musikwissenschaft 5 (1918) S. 9 – 21. Bresslau, Harry : Geschichte der Monumenta Germaniae historica im Auftrage der Zentraldirektion. Hannover 1921. Boisits, Barbara: Musik als Denkmal. Zur Geschichte der Editionen alter Musik in Österreich im 19. Jahrhundert, in: Boisits, Barbara Boisits / Harer, Ingeborg (Hg.): Alte Musik in Österreich. Forschung und Praxis seit 1800. Symposion, Graz, 22.–24. März 2007. Bericht (Neue Beiträge zur Aufführungspraxis 7). Wien 2009 S.109 – 134. Dvorˇák, Max: Schriften zur Denkmalpflege. Gesammelt und kommentiert von Sandro Scarrocchia (Studien zu Denkmalschutz und Denkmalpflege 22). Wien / Köln / Weimar 2012. Fenske, Hans: Freiherr vom Stein. Reformer und Moralist. Darmstadt 2012. Fritz-Hilscher, Elisabeth: Das 19. Jahrhundert, in: Fritz-Hilscher, Elisabeth Th. / Kretschmer, Helmut (Hg.), Wien. Musikgeschichte: Von der Prähistorie bis zur Gegenwart. Münster / Berlin 2011, S. 271 – 357. Fritz-Hilscher, Elisabeth: Rudolf von Ficker und die Gesellschaft zur Herausgabe von Denkmälern der Tonkunst in Österreich, in: Christensen, Lukas Christensen / Drexel, Kurt / Fink, Monika (Hg.), Rudolf von Ficker (1886 – 1954). Tagungsband zum Symposion anlässlich seines 125. Geburtstages und des 85-jährigen Bestehens des Innsbrucker Institutes für Musikwissenschaft. Innsbruck 2012, S. 69 – 101. Frodl, Walter: Idee und Verwirklichung. Das Werden der staatlichen Denkmalpflege in Österreich (Studien zu Denkmalschutz und Denkmalpflege 13). Wien / Köln / Graz 1988. Heindl, Waltraud: Gehorsame Rebellen. Bürokratie und Beamte in Österreich. 1780 bis 1848 (Studien zu Politik und Verwaltung 36). Wien / Köln / Graz 1991. Hermann, Erich Hermann: Die Hermanns. Eine k. und k. Familiengeschichte. Wien / Köln / Weimar [in Vorbereitung]. Hilscher, Elisabeth Th.: Denkmalpflege und Musikwissenschaft. Einhundert Jahre Gesellschaft zur Herausgabe der Denkmäler der Tonkunst in Österreich (1893 – 1993) (Wiener Veröffentlichungen zur Musikwissenschaft 33). Tutzing 1995. Jahresbericht 2012 der Musikwissenschaftlichen Editionen, hg. von der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften, vertreten durch die Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz. Mainz 2013. Kier, Herfried: Raphael Georg Kiesewetter (1773 – 1850). Wegbereiter des musikalischen Historismus (Studien zur Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts 13). Regensburg 1968. Krones, Hartmut: Kiesewetter und die Folgen. Zur Frühzeit der historischen Aufführungspraxis in Wien, in: Boisits, Barbara / Harer, Ingeborg (Hg.), Alte Musik in Österreich. Forschung und Praxis seit 1800. Symposion, Graz, 22.–24. März 2007. Bericht (Neue Beiträge zur Aufführungspraxis 7). Wien 2009 S. 9 – 32. Morrow, Mary Sue: Concert Life in Haydn’s Vienna. Aspects of a Developing Musical and Social Institution (Sociology of Music 7). New York 1989. Zedler, Johann Heinrich: Grosses vollständiges Universallexicon aller Wissenschafften und Künste, Band 21. Leipzig-Halle 1739.
Michaela Zavadil
Dilettant oder Pionier? Überlegungen zum Archäologen Heinrich Schliemann
Heinrich Schliemann (1822 – 1890) ist auch 125 Jahre nach seinem Tod noch vielen Menschen ein Begriff. Die einen verbinden mit ihm die abenteuerliche Geschichte der Auffindung des sog. Schatzes des Priamos in Troia, während er von anderen Personen notorischen Lügens bezichtigt wird. Diese Seiten seines Lebens bleiben im Rahmen des vorliegenden Artikels allerdings unberücksichtigt. Er geht vielmehr der Frage nach, ob Heinrich Schliemann für die Ausbildung des Faches »Archäologie« von Bedeutung war. Zeitgenössische Gelehrte sahen ihn durchaus kritisch; es sei hier die bekannte Aussage des Archäologen Adolf Furtwängler (1853 – 1907) zitiert, dass Schliemann »[…] ein halb verrückter und confuser Mensch [sei], der von der eigentlichen Bedeutung seiner Ausgrabungen keine Ahnung [habe] […].« Allerdings fügte Furtwängler in diesem Brief, den er im Sommer 1881 an seine Mutter geschrieben hatte, hinzu: »Aber genützt hat er unsrer Wissenschaft […] doch enorm.«1 Auch Adolf Michaelis (1835 – 1910) urteilte: »Seiner ganzen Anlage wie seiner Vorbildung nach stand Schliemann jeder wissenschaftlichen Betrachtungs- und Behandlungsweise völlig fremd gegenüber. Er hatte weder für die Geschichte Sinn, noch für die Kunst, wie seine Gleichgültigkeit gegen den praxitelischen Hermes zeigen kann; Urzeit, Kuriositäten, vage Vorstellungen erschöpften sein Interesse. Er war eben ein Dilettant im vollen Sinne des Wortes, sowohl in dem guten eines für seine Liebhaberei begeisterten, wie in dem anderen eines methodelos und ohne gründliche Kenntnis seine Ziele verfolgenden Mannes. Er war Dilettant auch im Ausgraben, ohne eine Ahnung daß es eine Methode und feste Technik dafür gebe; er war Dilettant in architektonischen wie in archäologischen Dingen.«2 Schliemann hatte aber auch gewichtige Fürsprecher. Allen voran ist der Arzt und Anthropologe Rudolf Virchow (1821 – 1902) zu nennen. Diese ambivalente Wahrnehmung Schliemanns zieht sich bis in die Gegenwart: Er wird entweder
1 Greifenhagen 1965, S. 77. 2 Michaelis 1906, S. 184.
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als »Pionier der kontextuellen Archäologie«3 gefeiert oder als Schatzgräber und Fälscher verteufelt. Untersucht man den Anteil, den Schliemann – vielleicht? – an der Entwicklung der Archäologie hat, gilt es zwei Punkte zu berücksichtigen: 1. Hat Schliemann in den 23 Jahren, in denen er von 1868 bis 1890 archäologisch tätig war, die Art und Weise verändert, wie er eine Grabung durchführte? 2. Eine möglichst objektive Einschätzung von Schliemanns Arbeitsweise setzt den Vergleich mit gleichzeitigen Grabungsunternehmungen voraus.4 Beide Punkte können hier nur angerissen werden. Seine erste Ausgrabung führte Heinrich Schliemann – unterstützt von einem, dann von vier Arbeitern – am 13. und 14. Juli 18685 auf Ithaka auf dem Gipfel des AÚtos durch. Geplant war die Freilegung des Palastes des Odysseus, den man schon seit langem an dieser Stelle vermutete.6 Zu seiner Enttäuschung fand Schliemann keinen Hinweis auf einen Palast; er beschrieb seine Entdeckungen als drei Zisternen und Reste eines Gebäudes oder Turmes aus nachhomerischer Zeit. Ferner dürfte Schliemann auch einige Brandbestattungen ausgegraben haben.7 Bedauernd stellte er in seinem Tagebuch fest, dass sie zu ungeduldig gearbeitet hätten, wodurch viele komplett erhaltene Tongefäße zu Bruch gegangen seien.8 Schliemann versuchte eine Datierung der Gräber, indem er die in ihnen gefundene Keramik mit Vasen aus Cumae verglich, die er in Neapel im Museum gesehen hatte.9 Es existiert kein Plan dieser Grabungen. Die Funde dürfte Schliemann wenigstens zum Teil mitgenommen haben. Tongefäße aus Ithaka schenkte er 1885 den Königlichen Museen in Berlin.10 Publiziert wurden die Funde nie. 3 Zintzen 1998, S. 298. 4 Siehe dazu auch Pavel 2011, S. 256 – 259. 5 Datumsangabe (basierend auf Schliemanns Tagebuch) nach Traill 1995, S. 44 f., 310; siehe auch Lehrer / Turner 1989, S. 231 – 235. Für eine englische Übersetzung der Ithaka betreffenden, griechisch abgefassten Einträge im Tagebuch siehe Turner 2007, S. 378 – 386; Photos des Tagebuches finden sich auf der Homepage der American School of Classical Studies at Athens: http://www.ascsa.edu.gr/index.php/archives/schliemann-diary-a-12 [13. 12. 2013]. Ein anderes Datum (10./11. Juli) gab Schliemann in der Publikation seiner Forschungen an: Schliemann 1869, S. 28 – 36; siehe auch Mühlenbruch 2010, S. 25, 78. 6 Siehe etwa Gell 1807, Plan nach S. 48, 58 – 68. Siehe ferner auch Steinhart / Wirbelauer 2002, S. 54 – 60, 74, 80, 112, 164, 167, 169, 176. 7 Turner 2007, S. 353 f., 382 – 385. Schliemann 1869, S. 28 – 36. Zweifel bezüglich der Gräber äußerte Traill 1995, S. 46. 8 Turner 2007, S. 383. Schliemann 1868, S. 110 (http://www.ascsa.edu.gr/datab/archives/ Schliemann/A12/A12_0114_110.jpg [13. 12. 2013]). 9 Schliemann 1869, S. 31. 10 Saherwala / Goldmann / Mahr 1993, S. 115 f. (HS 85·11·08 und HS 85·12·10), 196 (AB 86·08·27). – Schliemann führte 1878 noch einmal Ausgrabungen auf Ithaka durch; in seiner Korrespondenz mit Richard Schöne (1840 – 1922) und Adolf Bastian (1826 – 1905) fehlen Angaben, von welcher seiner Kampagnen die dem Museum überlassene Keramik stammte;
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Auch seine ersten beiden kurzen Grabungen in Troia in den Jahren 1870/71 verliefen ähnlich.11 Schliemann war alleine für die Überwachung der bis zu 83 Arbeiter zuständig und kümmerte sich alleine um die Registrierung der Funde. Seine Einträge im Grabungstagebuch fasste er zu Berichten v. a. für die Augsburger Allgemeine Zeitung und die Athener 9vgleq·r t_m Sufgtµseym zusammen.12 Er grub an zwei Stellen: oben, auf dem Plateau und auf der Böschung des Tells, und im unteren Bereich des Abhanges.13 Zu seiner Verwunderung stieß er am Plateau direkt unter hellenistisch/römischen Straten auf Schichten, die kein Metall enthielten.14 Erst ab ca. 7 m Tiefe traf er unerwartet Funde aus Bronze und/oder Kupfer an. Am Ende der Arbeiten von 1871 grub Schliemann im Suchschnitt am Plateau in etwa 10 m Tiefe »kolossale Ruinen« aus,15 die er mit dem Troia Homers in Verbindung brachte. Auch nahm die Qualität der Funde in diesen tieferen Schichten deutlich zu. Dies entsprach Schliemanns damaliger Annahme, dass die Stadt des Priamos auf dem gewachsenen Boden zu finden sei.16 Gestützt auf die Ergebnisse seiner ersten beiden Kampagnen plante Schliemann, im Jahr 1872 einen großen Teil des Tells abtragen zu lassen. Als sich dies aus verschiedenen Gründen als nicht machbar herausstellte, beschränkte er sich auf die Anlage eines sehr breiten und tiefen Suchschnittes. Dieser erstreckte sich in Nord-Süd-Richtung über den Tell und ist Archäologen als Schliemanngraben ein Begriff. Die Geschwindigkeit, mit der er diese »Schlucht« anlegen ließ (mit Abhüben, die bis zu 0,5 m stark waren), verhinderte oft, wie er selbst bedauernd vermerkte, ein genaues Einmessen der Funde.17 In diesem Jahr stellte er mit den Eisenbahnarbeitern Theodoros Makris und Spyros Dimitriou sowie dem Knappen Georgios Photidas erstmals drei Vorarbeiter an, die ihm bei der Beaufsichtigung der etwa 120 Arbeiter halfen. Während des ersten Arbeitsmonates im April war – ebenfalls zum ersten Mal – mit Adolphe Laurent ein Ingenieur auf der Grabung, der einen Plan von Tell und Grabungsflächen anfertigte. 1872 änderten sich auch Schliemanns Tagebucheintragungen: hatte er sich vorher auf verbale Beschreibungen beschränkt, so ergänzte er sie ab diesem Jahr
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allerdings hat er gemäß seinem Bericht über die Arbeiten von 1878 bei den späteren Grabungen nur Scherben und keine Ganzgefäße gefunden (Schliemann 1881, S. 54 – 60). Für die folgenden Ausführungen siehe Schliemann 1874a; Traill 1995, S. 78 – 80, 87 – 92; Easton 2002, S. 13 – 21, 27 – 72. Easton 2002, S. 15 mit Anm. 13. Überarbeitete Fassungen der Artikel von 1871 finden sich in Schliemann 1874a, S. 1 – 178. Für Pläne siehe Schliemann 1874b, Taf. 116, und Easton 2002, Abb. 13 f. Grund dafür war, dass die Hügelkuppe von späteren Siedlern eingeebnet worden war und auf dem Plateau des Tells unter dem hellenistisch/römischen Troia unmittelbar frühbronzezeitliche Straten folgen: siehe dazu etwa Korfmann 2001, S. 348 Abb. 366 (nach Dörpfeld 1902, S. 32). Schliemann 1874a, S. 44. Schliemann 1869, S. 166. Schliemann 1874a, S. 4 f. Brief Schliemanns an Êmile Burnouf, 3./15. April 1872 (Meyer 1953, Nr. 178).
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durch Skizzen von Funden, bei denen er – vielleicht einem brieflichen Rat von Êmile Burnouf (1821 – 1907), dem Direktor der Êcole franÅaise d’AthÀnes folgend – auch die Fundtiefe angab.18 Nichtsdestotrotz sind Befunde und Funde auch für damalige Verhältnisse nicht gut dokumentiert. Auch beschäftigte Schliemann zu viele Arbeiter, deren Vorgehen er nicht überwachen konnte. Nach dem Ende dieser Grabungssaison Anfang August reiste Schliemann im September 1872 noch einmal nach Troia, um von dem Landvermesser G. Sisilas einen neuen Plan des Tells anfertigen zu lassen. Auch wurden von Emil Siebrecht, einem an den Dardanellen wohnhaften Photographen, zwölf Aufnahmen der Grabung und ihrer Umgebung gemacht.19 Dies waren nicht die ersten Photos, die Schliemann im Rahmen seiner Forschungen in Auftrag gab. Schon nach dem Ende der Kampagne des Jahres 1871 hatte Schliemann von ausgewählten Gegenständen Photographien anfertigen lassen, die er an Ernst Curtius (1814 – 1896) schickte.20 Im Winter 1872/73 beauftragte er dann den Photographen Panagos Th. Zaphyropoulos, Funde aus Troia sowie deren Zeichnungen aufzunehmen. Während der Kampagne von 1873 nahm Schliemann zusätzlich zu Vorarbeitern auch noch den Künstler Polychronis Lembesis (1848 – 1930) mit, der wichtige Fundstücke zeichnete. Seine Mitarbeit steigerte die Qualität der Illustrationen im Grabungstagebuch erheblich.21 Abgesehen davon hat Lembesis auch Skizzen von Landschaft und Grabung angefertigt sowie Funde für jene Tafeln gezeichnet, die im Atlas trojanischer Alterthümer publiziert wurden.22 Erst am Ende der Saison engagierte Schliemann wieder Adolphe Laurent, der neue Pläne erstellte. Zeichnungen, Pläne und Funde ließ Schliemann nach dem Ende der Grabung wieder von Zaphyropoulos photographieren. 217 Albuminabzüge teils sehr zweifelhafter Qualität finden sich ebenfalls in seiner ersten Monographie über die Grabungen in Troia, dem in Kommission bei Brockhaus im Jahr 1874 erschienenen Atlas trojanischer Alterthümer.23 18 Brief Êmile Burnoufs an Schliemann, 8. Mai 1872 (Meyer 1953, Nr. 179). Siehe dazu auch Traill 1995, S. 93 f., und Easton 2002, S. 13 Anm. 2 (nach Conze 1874, S. 402, vermerkte Schliemann die Tiefe, in der Funde gemacht wurden, mit Tinte auf den einzelnen Gegenständen). Allerdings finden sich – in Widerspruch zu Traill und Easton, die anführten, dass Schliemann erst ab dem 15. Mai 1872 Tiefen im Tagebuch eingetragen habe – sporadische Niveauangaben bereits bei Zeichnungen ab dem 5./17. April 1872 (Schliemann 1870/72, S. 296); freilich können diese auch nach Burnoufs Brief im Tagebuch nachgetragen worden sein. 19 Schliemann 1874a, S. 179. Brief Schliemanns an Ernst Curtius, 22. September 1872 (Meyer 1953, Nr. 190). 20 Briefe Schliemanns an Ernst Curtius, 3. und 7. Februar 1872 (Meyer 1953, Nr. 172 f.). 21 Für einen Vergleich von Schliemanns und Lembesis’ Zeichnungen siehe Easton 2002, Abb. 9 f. 22 Schliemann 1874a, S. 319. Easton 2002, S. 16. 23 Schliemann 1874b. Zu den Photographien im Atlas trojanischer Alterthümer s. Döhl 1981,
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Während der Grabungen von 1870 bis 1874 wurden keine Detailzeichnungen einzelner Befunde angefertigt. Trotzdem und trotz seines hastigen Vorgehens verstand Schliemann an ihrem Ende die Grundzüge der Siedlungsabfolge in Troia,24 auch wenn er ihre absolute Datierung damals noch vollkommen falsch einschätzte. Eine feinere Stratigraphie erarbeitete er während und nach der Grabung von 1879 gemeinsam mit Êmile Burnouf und dem Arzt, Anthropologen und Prähistoriker Rudolf Virchow.25 Die Forscher widmeten sich während ihres Aufenthaltes in Troia aber auch Fragen der Geologie und Geodäsie; ferner untersuchte man Flora und Fauna. Aber schon am Beginn seiner archäologischen Tätigkeit 1872/73 suchte Schliemann die Mitarbeit von Wissenschaftlern anderer Fächer. Als Beispiel soll der Chemiker und Professor der Athener Universität Xaver Landerer (1809 – 1885) genannt werden, der nicht nur den Silbergehalt von Objekten aus dem »Schatz des Priamos« bestimmte, sondern auch die Zusammensetzung von Ton und Bemalung der gefundenen Keramik untersuchte.26 Diese interdisziplinäre Arbeitsweise weitete Schliemann bei seinen anderen Grabungen noch deutlich aus: der Londoner Metallurge John Percy (1817 – 1889) analysierte Gold-, Silber- und Bronzefunde aus Mykene, der Philologe Archibald Sayce (1864 – 1933) kommentierte troianische Schriftzeugnisse, die Numismatiker Friedrich Imhoof-Blumer (1838 – 1920) und Achilles Postolakkas (1821 – 1897) beschäftigten sich mit troianischen Münzen, Rudolf Virchow untersuchte menschliche Knochen, und der Danziger Bernsteinspezialist Otto Helm (1826 – 1902) untersuchte aus dem fossilen Harz hergestellte Perlen aus Mykene und identifizierte sie als Importe aus dem Baltikum.27 Wichtig ist, dass Schliemann relativ früh die große Bedeutung bewusst wurde, die Keramik für die relative Chronologie und die Datierung hat:28 Im Herbst
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S. 116; Korfmann 1990, S. X; Adam 1990, S. 38 – 41, 116 – 121, 218 f. (Margit Zara Krpata danke ich für den Hinweis auf diesen Artikel). Eckenbrecher 1874, S. 253. Korfmann 1990, S. XXII–XXIV. In diesem Zusammenhang wäre eine Untersuchung der im Zweistromland verwendeten Grabungsmethoden von Interesse, die aber den Rahmen des vorliegenden Aufsatzes sprengen würde. Zu Grabungen zwischen 1840 und 1860 in Assyrien siehe Larsen 1996. Für die damalige Phaseneinteilung Troias und für von Burnouf gezeichnete Profile des Schliemanngrabens siehe Schliemann 1881, S. XXI, Pläne III und IV. Schliemann 1874a, S. XX, XLIX–L, 301 f. Abgesehen von Landerer untersuchten auch der Lyoner Chemiker Damour sowie der Chemiker und Prüfer der Londoner Münzstätte William Chandler Roberts-Austen (1843 – 1902) Metallfunde aus Troia (Schliemann 1874a, S. 323 f.; Schliemann 1881, S. 284 f., 292, 380, 456 f., 522 – 524, 533, 553, 555 f., 650, 673). Schliemann 1878, S. 416 – 430. Schliemann 1881, S. 78, 713 – 720, 766 – 781. Schliemann 1884, S. 244 – 250. Schliemann 1886, S. 54 f. Virchow 1882. Schliemann 1886, S. 425 – 432. – Zu Schliemanns Fundmünzen sowie zu seiner Münzsammlung siehe auch Korres 1974 und Schönert-Geiß 1992. Siehe dazu auch Bloedow 1992.
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1873 formulierte er :29 »[…] überall wo jemals menschliche Ansiedlungen gewesen sind giebt es Massen von Topfscherben die unvergänglicher sind als Stadt u Festungsmauern. Die Fragmente […] geben uns somit zwei termini für das Alter der sie umschließenden Mauern, denn sie können unmöglich älter sein als die ältesten und unmöglich neuer sein als die neuesten Topfscherben der Baustellen.« Später finden wir in einem Brief an Adolf Furtwängler :30 »[…] denn ich halte dafür, daß, in ihrer Art, die vergleichende Keramik ebenso wichtig ist als die comparative Philologie.« 1890, in seinem letzten Lebensjahr, stellte Schliemann in einem Brief an König Georg I. von Griechenland (1845 – 1913) fest, dass er in Troia auch sog. Bügelkannen gefunden habe, die aus Griechenland importiert sein müssten, womit er recht hatte.31 Er konnte diese Bügelkannen auch absolut-chronologisch einordnen, da man sie auch in Ägypten in Gräbern aus der Zeit Ramses’ II. angetroffen hatte, und bezeichnete sie als »[…] ›Leitmuschel‹ für die Chronologie der oberen Trümmerschichten in Troia […]«. Während für Schliemanns frühe Grabungen in Troia nur wenige Berichte von Zeitgenossen vorliegen, ist sein Vorgehen bei den Arbeiten im Mykene32 im Jahr 1876 durch Panagiotis Stamatakis (1830?–1885) dokumentiert,33 der im Auftrag der Griechischen Archäologischen Gesellschaft und des Kultusministeriums die Grabung beaufsichtigte. Er stellte Schliemann kein gutes Zeugnis aus. Gegen den Willen von Stamatakis, der nur an einer Stelle forschen wollte, wurde bald an mehreren Plätzen gleichzeitig mit bis zu 130 Arbeitern34 gegraben, die Schliemann nach ausgehobenen Kubikmetern bezahlte. Mauern, die nicht prähistorisch waren, hat man nicht dokumentiert und zerstört, ebenso ließ Schliemann nicht-prähistorische Keramik wegwerfen35 (dasselbe unterstellte aber Schliemann Stamatakis in Bezug auf die prähistorische Keramik36). Wichtige Befunde 29 30 31 32
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Brief Schliemanns an die Kölnische Zeitung, 13. September 1873 (Meyer 1953, Nr. 218). Brief Schliemanns an Adolf Furtwängler, 10. April 1887 (Meyer 1958, Nr. 249). Brief Schliemanns an Georg I. von Griechenland, 16. Mai 1890 (Meyer 1958, Nr. 337). Für die Publikation von Schliemanns Grabungstagebuch siehe Calder / Traill 1986, S. 142 – 228; für seine Abschlusspublikation siehe Schliemann 1878. Zusammenfassend zu Schliemanns Arbeiten in Mykene: Demakopoulou 1990; Traill 1995, S. 144 – 164; Calder / Traill 1986, S. 125 – 141. Für die Geschichte der Grabungen in Mykene von 1870 bis 1878 im Allgemeinen siehe Vasilikou 2011, zu Schliemanns Arbeiten von 1876 S. 76 – 139. Petrakos 1990. Petrakos 2011, S. 15 f. Papazoglou-Manioudaki 2009. PapazoglouManioudaki 2010. Dickinson / Papazoglou-Manioudaki 2012. Traill 2012. Für Transkriptionen der Berichte Stamatakis’ siehe Vasilikou 2011, S. 191 – 205. Eine anschauliche Darstellung der Grabung in Mykene gibt Arthur Milchhöfer (1852 – 1903): »In diesem magischen Kreis, dem Plattenring zu Mykene, konzentriert sich unter ermunterndem Zuruf Schliemanns und seiner Aufseher die ameisenartige, emsige Tätigkeit der Grabenden. Gegen die militärisch geschulten Reihen der Arbeiter zu Olympia, die ich bald darauf zu beobachten Gelegenheit hatte, empfing man hier den Eindruck eines Freischärlerkorps. Aber der Erfolg war erstaunlich.« (Kyrieleis 1978, S. 80). Traill 1995, S. 146. Ludwig 1932, S. 207 f. Schliemann 1884, 282 f. Im Gegensatz dazu steht ein Bericht Stamatakis’ an die Ephorie
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wie etwa die Grabstelen im sog. Gräberrund A wollte Stamatakis möglichst lange in situ bewahren, um ihre Beziehung zur Umgebung zu klären. Schliemann war dafür, sie sofort zu entfernen, um schnell in die Tiefe vordringen zu können. Wie zuvor in Troia engagierte er erst gegen Ende der Grabung einen Ingenieur, den Leutnant Vasilios Drosinos aus Nauplion. Dieser hatte die Aufgabe, Pläne und Schnitte zu zeichnen.37 Während der Grabung selbst ließ Schliemann nur wenige Zeichnungen von Funden und keine Skizzen von Befunden anfertigen. Zwei Gründe können vielleicht dafür genannt werden: Schliemann war v. a. auf der Suche nach den Gräbern Agamemnons und seiner Gefährten. Solange diese nicht gefunden wurden, war die Grabung für ihn nur mäßig interessant (was auch von Stamatakis dokumentiert wurde, der vermerkte, dass Schliemann in der Anfangsphase der Arbeiten nur morgens und abends auf die Grabung kam). Als man im November endlich auf Gräber stieß, die Schliemann z. T. selbst freilegte, war der Zeitdruck aufgrund der ständig sich verschlechternden Witterung so groß, dass ihm dazu vielleicht die Zeit fehlte. Von Stamatakis allerdings, der bei der Ausgrabung auch mit Hand anlegte, sind Skizzen der Gräber erhalten; sie sind neben drei Abbildungen in der Abschlusspublikation38 die einzige bildliche Quelle, die die Befunde aus dem Schachtgräberrund dokumentiert. Während der Grabung ließ Schliemann von Konstantinos Athanasiou Überblicksphotographien anfertigen. Nach dem Ende der Kampagne dürfte von Panagiotis Chrysaitis nochmals die Grabung photographiert worden sein,39 und die Brüder Aristoteles († um 1916) und Konstantinos Rhomadis († knapp vor 1900) fertigten die Aufnahmen der Funde an.40 Bedingt durch die schlechten Erfahrungen, die Schliemann mit der Publikation von Photographien gemacht hatte, ließ er nach ihnen Holzschnitte herstellen, die dann gedruckt wurden. Eine wesentliche Veränderung auf Schliemanns Grabungen vollzog sich in Troia im Jahr 1882, als er auf Anregung des Generaldirektors der Königlichen Museen in Berlin Richard Schöne (1840 – 1922) erstmals während der gesamten Kampagne zwei Architekten beschäftigte: den Mödlinger Josef Höfler (1860 –
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vom 15./27. August 1876, in dem er vermerkte, alle Keramikfragmente aufzuheben (Traill 1995, S. 146; Vasilikou 2011, S. 195; Traill 2012, S. 81). Calder / Traill 1986, S. 183 f. Schliemann 1878, S. 347 Nr. 460, Pläne F und G. Zu Stamatakis siehe Anm. 33. Im Auftrag Schliemanns fertigte Dimitrios V. Tountopoulos unter Mithilfe von Drosinos nach dem Ende der Arbeiten auch noch eine von Schliemann als »Ichnographie« titulierte Zeichnung des Gräberrundes an, die in Schliemann 1878, Taf. VI (zwischen S. 142 und S. 143), siehe dazu auch S. 399, publiziert wurde (Vasilikou 2011, S. 90 f. Anm. 204, 115, 118). Adam 1990, S. 41; Vasilikou 2011, S. 116 – 118, 156 – 158. Siehe auch Schliemann 1878, S. 415. Die Photographien sind in Schliemanns drei sog. Mykenealben erhalten: Hood 1960; Döhl 1981, S. 117 – 120; Hood 1990; Hood 2012. Siehe ferner auch Reichel 1908.
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1927) und den aus Barmen stammenden Wilhelm Dörpfeld (1853 – 1940).41 Höfler hatte gerade sein Studium abgeschlossen.42 Der etwas ältere Dörpfeld hingegen war langjähriger Mitarbeiter und technischer Leiter der Ausgrabungen in Olympia gewesen und hatte dort Erfahrung mit Flächen- und Schichtengrabung gesammelt. Diese wandte er nun in Troia an.43 Auch kamen mit Dörpfeld zwei der Vorarbeiter, die seit der ersten Kampagne an den Grabungen in Olympia teilgenommen hatten, nach Troia: Georgios Paraskevopoulos und Gregorios Vasilopoulos.44 Entscheidungen über den Ablauf der Arbeiten dürfte Schliemann zunehmend gemeinsam mit seinen Architekten gefällt haben. Leider sind von dieser Grabung weder Schliemanns Kopierbücher noch seine Tagebücher erhalten. Umso interessanter ist dadurch die noch ausstehende Auswertung des troianischen Tagebuchs Josef Höflers, das erst 2012 aufgetaucht ist. Fast alle nachfolgenden Grabungen führte Schliemann nun gemeinsam mit Wilhelm Dörpfeld durch (oder ließ sie von Dörpfeld alleine leiten), wobei die Entscheidung, wie an einem bestimmten Platz gegraben wurde, in den letzten Lebensjahren Schliemanns immer mehr bei Dörpfeld lag. Nach diesem kurzen Überblick über Schliemanns größte Grabungen, die er durchführte, bevor Dörpfeld sein Mitarbeiter wurde, soll nun das Augenmerk auf einige gleichzeitige Grabungsunternehmen in der Ägäis gelenkt werden. Den Anfang machen österreichische Forschungen: 1873 – also gleichzeitig mit Schliemanns erster langer Grabung in Troia45 – führte der Archäologe Alexander Conze (1831 – 1914) gemeinsam mit den Architekten Alois Hauser (1841 – 1896) und George Niemann (1841 – 1912) Ausgrabungen auf Samothrake durch. Bei der zweiten Kampagne von 1875 nahm an Stelle Niemanns, der verhindert war, mit Otto Benndorf (1838 – 1907) ein zweiter Archäologe an den Arbeiten teil.46 Unterstützt wurden sie u. a. vom Geologen Rudolf Hoernes (1850 – 1912) und dem Hof-Photographen Wilhelm Burger (1844 – 1920), der 1875 auch selbst 41 Schliemann 1884, S. 6. 42 Zu Höfler siehe Zavadil 2011. 43 Zu Dörpfeld siehe Goessler 1951; Herrmann 1999; Goebel / Giannopoulou 2010; Beiträge in Papadatou-Giannopoulou 2008; zur Korrespondenz zwischen Dörpfeld und Schliemann siehe Kennell 2010. – Schliemann scheint die Grabung von 1882 von Beginn an – also schon etwa zwei Wochen vor dem Eintreffen Dörpfelds Mitte März 1882 – als Schichtengrabung durchgeführt zu haben; vgl. dazu u. a. seinen Brief an Rudolf Virchow vom 6. März 1882 (Meyer 1958, Nr. 114 = Herrmann / Maaß / Andree / Hallof 1990, Nr. 275). 44 Weil 1897, S. 116. Schliemann 1884, S. 6. 45 Conze, Niemann, Hauser und Hoernes besuchten im Zuge ihrer Reise nach Samothrake von 26. bis 28. April Schliemann in Troia (Schliemann 1873, S. 207; Conze / Hauser / Niemann 1875, S. 5 f.). 46 Die folgenden Ausführungen beruhen, wenn nicht anders angegeben, auf Conze / Hauser / Niemann 1875, und Conze / Hauser / Benndorf 1880. Für eine Zusammenfassung der Grabungen auf Samothrake siehe Schauer 1998, S. 4 – 6.
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photographierte. 1873 hatten Conze und seine Mitarbeiter die Bilder angefertigt, nachdem sie in Wien von Burger in die Kunst der Photographie eingewiesen worden waren. Damit ist diese Unternehmung jedenfalls im Mittelmeerraum unter den ersten, bei denen man während der gesamten Grabungskampagne Photographien anfertigte und diese auch in hervorragender Qualität zu publizieren verstand. Rudolf Hoernes widmete sich nicht ausschließlich dem Aufbau der Insel, sondern steuerte auch eine Untersuchung des verbauten Steinmaterials bei, wobei er sich nicht auf antike Ruinen beschränkte, sondern auch mittelalterliche und rezente Gebäude analysierte.47 Conzes Ziel war es nicht nur, Antiken nach Österreich zu bringen, sondern er plante durch die genaue Vermessung des Fundplatzes sowie durch das Studium von Architekturgliedern und Bautechnik die Rekonstruktion von Gebäuden bzw. des erforschten Bezirkes.48 Aus diesem Grund wurden in der Grabungspublikation nicht nur Rekonstruktionen, sondern auch Bauglieder detailliert abgebildet. Bei der ersten Kampagne beschränkte man die Grabungsarbeiten, denen Hauser und Niemann vorstanden, auf zwei Bauten. Beim zweiten Aufenthalt wurde an mehr Stellen gearbeitet; u. a. gelang Alois Hauser die Identifikation der Basis der Nike von Samothrake.49 Die Grabungen dienten der Freilegung und dadurch dem besseren Verständnis der Gebäudereste; Beobachtungen zur Stratigraphie wurden, wie ich vermute, nicht gemacht. Kleinfunde und Keramik hat man gesammelt und wenigstens z. T. auch aufgehoben; publiziert wurde davon nur wenig.50 Eineinhalb Wochen nach dem Ende von Conzes zweiter Kampagne am 22. September 1875 begann am 4. Oktober desselben Jahres in der Peloponnes die schon lange geplante Erforschung Olympias durch das Deutsche Reich unter der wissenschaftlichen Leitung des Archäologen Ernst Curtius und des Architekten Friedrich Adler (1827 – 1908).51 Bereits 1853 in Planung gewesen, hatte sich der tatsächliche Grabungsbeginn lange verzögert. Aber schon 1853 hatte man sich – geleitet von der Beschreibung Olympias durch Pausanias (auf dessen Angaben sich auch Schliemann bei der Erforschung Mykenes stützte) – Gedanken über die Durchführung der Arbeiten gemacht:52 »[…] Vom Tempel aus wird man dann mit Sondierungsgräben nach allen bedeutenden Punkten radienartig vorgehen; so z. B. nach dem Kronion hin, um die Substruktionen der 47 48 49 50
Hoernes, in: Conze / Hauser / Niemann 1875, S. 35 f. Siehe auch Hoernes 1874. Gschwantler 1978, S. 32. Conze / Hauser / Benndorf 1880, S. 8, 12, 52 – 55. Conze / Hauser / Niemann 1875, S. 8 f., 11, 13, 15, 70 f., 85, Taf. 67. Conze / Hauser / Benndorf 1880, S. 16, 42, 45, Taf. 48. 51 Zusammenfassend zu den Forschungen in Olympia: Weil 1897; Fellmann 1972a; Fellmann 1972b; Mallwitz 1977, S. 1 – 14. Für weiterführende Informationen siehe die Beiträge in Kyrieleis 2002. 52 Weil 1897, S. 107.
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alten Schatzhäuser aufzudecken; nach dem großen Altare und dem Heraion, deren Ruinen unschwer zu finden sein werden, ebenso nach der Mauer und dem Thore des Gymnasion u. s. f. […].« Nach diesem Plan wurde bei den Grabungen, die bis 1881 dauerten und ab 1878/79 unter der technischen Leitung Wilhelm Dörpfelds standen, auch vorgegangen. Diese Grabung, deren Finanzierung aber auch hervorragend war, ist aus mehreren Gründen als eine der besten ihrer Zeit anzusehen: Obwohl die Ausrichtung des Unternehmens ganz klar auf die Erforschung des klassischen Olympia zielte, nahm man Rücksicht auf jüngere Befunde; so dokumentierte man etwa die zur allgemeinen Überraschung entdeckte byzantinische Siedlung.53 Die Schichtenabfolge wurde beobachtet und sowohl in den Grabungstagebüchern beschrieben als auch in Zeichnungen festgehalten; daneben fertigte man auch genaue Skizzen einzelner Befunde an.54 Besonders wichtige Funde wie die Giebelfiguren des Zeustempels hat man kartiert,55 von Grabung und Funden wurden Photos angefertigt. Wilhelm Dörpfeld ist als einer der Photographen zu nennen, der während der Grabungen Bilder aufnahm.56 Abgesehen davon wurden – wie auch bei Schliemann in Mykene – gegen Ende der Kampagnen die Gebrüder Rhomadis engagiert.57 Nach dem Abschluss der Ausgrabungen war noch der Photograph Kämpf gemeinsam mit einem Gehilfen tätig.58 Während der letzten Kampagne im Winter 1880/81 nahm mit Hugo Bücking (1851 – 1932) auch ein Geologe an der Grabung teil. Seine Untersuchungen ergaben, dass nicht der Alpheios, sondern der Kladeos die Verschüttung Olympias verursacht hatte.59 In der mehrbändigen Abschlusspublikation ist ein Band den Kleinfunden und der Keramik gewidmet; ihre Bearbeitung erfolgte durch Adolf Furtwängler, der durch den Berliner Chemiker August Wilhelm von Hofmann (1818 – 1892) auch chemische Analysen einzelner Metallfunde durchführen ließ.60 Auch wenn noch zahlreiche Grabungsunternehmungen zur Illustration des Ablaufs archäologischer Feldarbeit in Griechenland und der Türkei in der 53 Weil 1897, passim. Dörpfeld 1897. 54 Siehe etwa Treu 1897, S. 182, für die Fundorte der Bruchstücke der Nike des Paionios, oder auch Furtwängler 1890, S. 1. Zur Dokumentation der Grabung siehe auch Mallwitz 1977, S. 11, 13, Taf. 4 f.; Herrmann 2002, besonders S. 112 – 114 mit Abb. 5 f., 116; Koenigs 2002, S. 134 – 138 mit Abb. 2 – 4; Borbein 2002, S. 167 f. 55 Treu 1897, S. 102 – 113, 299 (sog. Fundkarte). 56 Dörpfeld 1892, S. 10. Für Photos, die Dörpfeld nach dem Ende der Grabungen im Jahr 1887 in Olympia anfertigte, siehe Kennell 2010, S. 283. 57 Treu 1897, 122. Mallwitz 1977, S. 11 f., Taf. 3:2. Siehe auch die von den Brüdern Rhomadis signierten Photos in den Vorberichten: Curtius / Adler / Hirschfeld / Treu / Dörpfeld 1876 – 1881. 58 Adler 1897, S. VIII. 59 Weil 1897, S. 151. 60 Furtwängler 1880. Furtwängler 1890, für die Erwähnung der Analysen siehe S. 29, 45. Zu Furtwängler in Olympia siehe Marchand 2002, und Borbein 2002, S. 168 f.
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zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts genannt werden könnten – es sei hier beispielsweise an die Arbeiten John Turtle Woods (1821 – 1890) in Ephesos oder Carl Humanns (1839 – 1896) in Pergamon erinnert61 – soll nun nachfolgend auf Forschungen eingegangen werden, die in Österreich durchgeführt wurden. Im Hochtal von Hallstatt stießen Arbeiter im November 1846 beim Öffnen einer Schottergrube »[…] auf ein Skelet mit einigen bronzenen Schmuckbeigaben […]«.62 Von dem Fund wurde der auch dafür zuständige Bergmeister Johann Georg Ramsauer (1795 – 1874) verständigt;63 unter seiner Aufsicht wurden sechs weitere Skelette gefunden. Bei Nachgrabungen im darauffolgenden Jahr entdeckte man weitere Körpergräber und Brandbestattungen. Einen mit maßstabsgetreuen Zeichnungen versehenen Bericht sandte Ramsauer am 2. Juni 1847 an das k. k. Salinenoberamts-Präsidium in Gmunden, von dem das obderennsische Landespräsidium verständigt wurde, welches seinerseits das Museum Franzisko-Karolinum in Linz über die Funde in Kenntnis setzte. Das Museum schickte den Kustos Georg Weishäupl (1789 – 1864) nach Hallstatt. Er sollte Ramsauer bei den Grabungen unterstützen und Zeichnungen der Funde anfertigen.64 Weishäupl war wahrscheinlich mit Ratschlägen des AugustinerChorherren Joseph Gaisberger (1792 – 1871) versehen, dem Doyen der oberösterreichischen Altertumsforschung.65 Weishäupl war mit Ramsauers Vorgehen (u. a. Bergung der Funde getrennt nach Gräbern) und seinen Vorhaben für die Zukunft (Aufnahme eines Planes) sehr einverstanden. Er empfahl Ramsauer, ein Grabungsprotokoll anzulegen. Dieser Vorschlag wurde vom Verwaltungsausschuss des Museums noch genauer formuliert: Ramsauer sollte in dem Journal Tag, Ort und Fundstücke, nach Nummern geordnet, eintragen. Ferner sollte es genaue Beschreibungen der Skelette und der Lage der Funde enthalten. Ramsauer hielt sich penibel an diese Ratschläge. Abgesehen von seinen Beschreibungen, die auch Beobachtungen zur Stratigraphie enthalten haben dürften,66 ließ er Gräber und zahlreiche Funde zeichnen.67 Auch gut erhaltene 61 Ephesos: Wood 1877; Wohlers-Scharf 1995, S. 51 – 62, 185 – 188; Challis 2008, S. 114 – 139. Zu Pergamon siehe (mit weiterführender Literatur): Kästner 2012; Auinger 2012. 62 Simony 1851, S. 5. 63 Für den Lebenslauf Ramsauers siehe Pertlwieser 1995a. – Zu älteren Meldungen von Antikenfunden aus Hallstatt und seiner Umgebung bzw. dem Bergwerk sowie zu den Entdeckungen von Ramsauers Vorgänger Karl Pollhammer siehe Nebehay 1995, S. 65 f. (ähnlich bereits Simony 1851, S. 4 f.). 64 Gaisberger 1848, S. IV f. Pertlwieser 1995a, S. 15. 65 Nebehay 1995, S. 67. Für die Rolle Joseph Gaisbergers für die Altertumswissenschaften in Oberösterreich siehe Niegl 1980, S. 95 – 98; für seine Biographie siehe Winkler 1972. 66 Siehe dazu die Beschreibungen bei Simony 1851, S. 5 f. 67 Ramsauers Grabungstagebuch gilt als verschollen. Erhalten sind Abschriften bzw. Teilabschriften, die er an bedeutende Personen und Museen geschickt hatte: siehe dazu bereits Hoernes 1921, S. 2 f.; ferner Nebehay 1980, S. 31 – 36; Pertlwieser 1995a, S. 22 f.; Nebehay 1995, S. 70, 72.
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Tongefäße bildete er ab. Von den nahezu 1500 Gefäßen aber, die zwar oft komplett erhalten, aber durch den Erddruck zerbrochen waren, wurden keine Zeichnungen angefertigt und nur wenige geborgen.68 Auch den korrodierten Eisenfunden hat man nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Die erste Publikation von Ramsauers Grabungen erschienen bereits 1848 und hatte Joseph Gaisberger zum Autor,69 die Zeichnungen stammen von Georg Weishäupl.70 Gaisberger beschrieb die Funde nach Gattungen getrennt und stellte das Gräberfeld in einen historischen Rahmen. Von 1846 bis zu seiner Pensionierung 1863 öffnete Ramsauer knapp 1000 Gräber.71 In seiner Nachfolge ist im 19. Jahrhundert v. a. der Salinenbeamte und spätere Kustos des Hallstätter Museums Isidor Engl72 (1832 – 1918) zu nennen, der auch für viele der unter Ramsauer angefertigten Zeichnungen verantwortlich war. In der Genauigkeit der Funddokumentation waren Ramsauer und Engl vielen ihrer archäologisch tätigen Zeitgenossen weit voraus.73 In diesem Zusammenhang spielt sicher ihr Beruf eine Rolle: sie hatten eine gute Ausbildung in Vermessung und Planzeichnung genossen und waren gewohnt, ihre Arbeit zu dokumentieren.74 Im Rahmen eines in Wien veranstalteten Workshops darf ein kurzer Blick auf Forschungen, die in Carnuntum, das vom Wiener Historiographen Thomas Ebendorfer (1388 – 1464) als »[…] quasi altera Troya […]«75 bezeichnet wurde, nicht fehlen:76 Eduard von Sacken (1825 – 1883) beschrieb 1852,77 wie dortige 68 Pertlwieser 1995a, S. 16. Pertlwieser 1995b, S. 85. (Nach Hoernes 1921, S. 2, ging die Keramik vielleicht erst bei der Übernahme durch das Antikenkabinett verloren.) 69 Gaisberger 1848. 70 Simony 1851, S. 5. 71 Abgesehen von den Forschungen im Gräberfeld ließ Ramsauer auch die ersten archäologischen Untersuchungen im Bergwerk durchführen (Barth 1995). 72 Für den Lebenslauf Engls siehe Wirobal 1995; siehe ferner auch Nebehay 1995, S.72 f. 73 Nach Pertlwieser 1995b, S. 85, soll die Funddokumentation bis 1850 deutlich besser gewesen sein als danach: 1851 verkaufte Ramsauer seine Funde an das Münz- und Antikenkabinett in Wien, wo man weniger Verständnis für die Befunde hatte und Ramsauer beschied, sich auf »[…] das Wesentliche und das erkennbar Wertvolle […]« (Zitat F. E. Barth nach Pertlwieser 1995b, S. 85) zu beschränken (siehe dazu auch Niegl 1980, S. 95, und Nebehay 1995, S. 71). 1888 kamen die Funde an die anthropologisch-ethnographische Abteilung des Naturhistorischen Museums (Nebehay 1980, S. 31). 74 Ähnlich auch bei auch Nebehay 1980, S. 30, und Nebehay 1995, S. 70. Siehe dazu auch Ramsauers Beschreibung seiner Ausbildung in Hattinger 1995, S. 43, bzw. die Dokumentation seiner Arbeiten für die Salinen in Hattinger 1995, passim. 75 Zitat nach Jobst 1983, S. 15. 76 Zusammenstellungen der Forschungsarbeit ab etwa 1850 finden sich z. B. bei Bortlik 1911; Vorbeck / Beckel 1973, S. 58 – 67, 88 – 90, 111 f.; Stiglitz 1984, S. 112 – 122; Schauer 1998, S. 10; Kandler 1998, S. 140. Zur Erforschung des römischen Österreich ab dem Mittelalter siehe Niegl 1980, zu Carnuntum in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts S. 196 – 201. 77 von Sacken 1852, S. 28.
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Grabungen häufig abliefen: »Recht deutlich sieht man im Frühjahre, wenn die Saaten noch jung sind, wo Mauern unter der Oberfläche des Bodens laufen, denn sie wachsen da spärlicher und langsamer, daher auch die Bauern, um sich den Boden zu verbessern, fleissig das Mauerwerk herausnehmen, wobei sie noch den Vortheil haben, die guten Bruchsteine und vortrefflichen Ziegel zu neueren Bauten verwenden oder verkaufen zu können, und Münzen oder andere Monumente zu finden. So werden hier Nachgrabungen gemacht!« Abgesehen davon ließen Interessierte Grabungen veranstalten, deren Qualität jener Schliemanns auf Ithaka glich, die anfangs erwähnt wurde.78 Auf Anregung des Althistorikers und Epigraphikers Otto Hirschfeld (1843 – 1922) hat man ab 1877 Grabungen vorwiegend im Bereich des Legionslagers durchgeführt.79 Finanziert wurden die Arbeiten bis 1883 von der k. k. CentralCommission zur Erforschung und Erhaltung der Kunst- und historischen Denkmale, ab 1885 durch den Verein Carnuntum und ab 1897 gemeinsam durch den Verein und die neugegründete Limeskommission der Akademie der Wissenschaften. Die technische Leitung hatte bis 1890 der Architekt Alois Hauser80 inne. Seine Nachfolger im 19. Jahrhundert waren der Architekt Josef Dell (1859 – 1945), der Postoffizial Carl Tragau und Oberst Maximilian Groller von Mildensee (1838 – 1920). Unter den Mitarbeitern sind u. a. Eugen Bormann (1842 – 1917), Otto Hirschfeld, Robert von Schneider (1854 – 1909) und Franz Studniczka (1860 – 1929) zu nennen. Interessiert haben Hauser und seine Kollegen v. a. die architektonischen Überreste sowie Statuen- und Inschriftenfunde; Keramik und Kleinfunde wurden summarisch behandelt.81 1885/86 wurden im Südwesten des Lagers 96 zu einem großen Teil beraubte Gräber gefunden, deren genaue Lage allerdings nicht bekannt ist.82 Die Befunde der einzelnen Gräber sind bis auf ein Grab unbekannt; es wurden nur die Grabsteine publiziert. 1888 bildete mit dem Beginn der Ausgrabung des Lageramphitheaters83 einen der Höhepunkte der Forschungen. Nachdem Hauser zuerst einen Suchschnitt entlang der kurzen 78 Vgl. dazu die Beschreibung von Grabungen, die im Jahr 1848 stattgefunden hatten, bei von Sacken 1852, S. 31 f. 79 Hirschfeld 1877, S. 130 – 132. Domaszewski / Hauser / Schneider 1886, S. 12 f. 80 Wenigstens in den ersten beiden Jahren lag die tatsächliche Grabungsleitung in der Hand des Bautechnikers Moriz König aus Bad Deutsch-Altenburg (Hirschfeld 1877, S. 132; Hirschfeld 1878, S. 177 Anm. 1). In den Achtzigerjahren ist der Bautechniker Rudolf Thrul (1865 – 1927) als Grabungsleiter vor Ort belegt (Hauser 1887/88; Hauser 1889). 81 Vgl. dazu etwa Domaszewski / Hauser / Schneider 1886, S. 37: »An allen drei Grabungsstellen wurden über 400 lose liegende Fundstücke, wie Inschriftsteine, Inschriftfragmente, Sculpturreste, Münzen, Waffen, Terrasigillatascherben, Thon- und Glasgefässe, eine goldene Spange, Würfel und Brettspielsteine u. s. w. gesammelt und in das Museum des Vereines ›Carnuntum‹ in Deutsch-Altenburg gebracht.« 82 Domaszewski / Hauser / Schneider 1886, S. 36 f. Hauser / von Domaszewski / von Schneider 1887, S. 5 f. Ertel 1999, S. 16. 83 Hauser / Schmidel / Bormann 1888, S. 151 – 161, Taf. VIII.
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Achse des Gebäudes anlegte, ließ er in Folge die Mauern freilegen, um die Größe des Theaters festzustellen. In zwei folgenden Grabungssaisonen grub man das Innere der Anlage aus.84 An Funden aus dem Theater wurden die Münzen von Edmund Schmidel85 (1841 – 1909) und Theodor Rohde (1836 – 1912) sowie die Inschriften von Eugen Bormann publiziert.86 Dass man Keramik und Kleinfunden wohl nur wenig Aufmerksamkeit schenkte, wird durch die Veröffentlichung eines Teils der Funde klar vor Augen geführt, die man in den Jahren 1988 bis 1994 aus einem Abschnitt von Hausers Grabungsschutt geborgen hat: Dimitrios Boulasikis und sein Team identifizierten u. a. 436 Objekte aus Glas, 6068 Keramikbruchstücke und 150 Fibeln bzw. deren Fragmente.87 Erst in den neunziger Jahren ist eine Modernisierung in der Arbeitsweise merkbar, als etwa in der Publikation Josef Dells über seine Forschungen u. a. am Heidentor und im Heiligtum des Iupiter Dolichenus nicht mehr nur Pläne, sondern auch Bauglieder abgebildet wurden.88 Ferner finden sich in Dells Artikel auch Photographien nicht nur des Heidentores, sondern auch der Ausgrabung im Dolichenum. Ab diesem Jahrzehnt wurde dem Anschein nach auch mehr Augenmerk auf die Keramikfunde gelegt; als Beispiel seien die publizierten Funde aus einem der Mithrasheiligümer Carnuntums genannt.89 Nun hat man auch, wie im Fall einer Mädchenbestattung, die südlich des Lageramphitheaters gefunden wurde, Befunde einzelner (herausragender) Gräber dokumentiert und unter Hinzuziehung von Naturwissenschaftlern Untersuchungen zu Holz- und Metallfunden durchgeführt bzw. eine Alters- und Geschlechtsbestimmung der Bestatteten gemacht.90 Nach dieser tour de force durch verschiedene Grabungsunternehmen des 19. Jahrhunderts sei abschließend die Frage wiederholt, die den Titel des Artikels bildet: War Schliemann Dilettant oder Pionier? – Ich denke, er war beides, wuchs im Lauf der Jahre in die Rolle des Wissenschaftlers hinein und ließ den Dilet84 Hauser 1891. 85 Zu Edmund Schmidel siehe Wieser 2000. 86 Hauser / Schmidel / Bormann 1888, S. 162 – 170. Schmidel 1889. Rohde 1893 (bei der von Rhode 1893, S. 236, erwähnten Bekanntmachung einer der Münzen durch Edmund Schmidel handelt es sich um ein nicht näher bekanntes, 1891 produziertes fliegendes Blatt: vgl. dazu Kubitschek 1899, S. 218 Nr. 2e. Hubert Emmerig verdanke ich den Hinweis auf diese Publikation). Nach Stiglitz 1984, S. 117, hat man bei der Ausgrabung des Amphitheaters auch die gefundenen Tierknochen aufbewahrt und untersucht. 87 Boulasikis / Lohner-Urban / Rauchenwald / Stökl 2009/11, S. 106, 109, 113. Boulasikis / Eitler / Seidel / Stökl 2012, S. 84, 139 f. 88 Dell 1893. Zu Dells Forschungen im Dolichenum s. auch Kandler 2011. Auch Dell war – abgesehen von den Monaten August und September – nicht ununterbrochen vor Ort tätig, sondern verließ sich auf die Hilfe des Archäologen Josef Nowalski de Lilia (1857 – 1928), der die bereits im Mai begonnenen Grabungen ständig beaufsichtigte (Dell 1892/94, S. 10). 89 Bormann 1895, S. 193 – 195, Taf. C. 90 Nowalski de Lilia 1895. Zu der Bestattung siehe auch Ertel 1999, S. 16.
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tanten hinter sich. Als Pionier ist er mit Sicherheit zu sehen; allerdings trifft diese Bezeichnung auf sehr viele seiner Zeitgenossen ebenso zu, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die archäologische Feldforschung – gleichgültig ob in der Ägäis oder in Mitteleuropa – als wissenschaftliche Disziplin formten. Manches, als dessen »Erfinder« er gerne bezeichnet wird, haben vor ihm schon andere zumindest gedacht: so planten etwa Adler und Curtius 1853 in ihrem Konzept zur Erforschung Olympias schon die Anlage von Suchschnitten; Schliemanns großer Graben durch Troia wurde erst 19 Jahre danach ausgehoben. Auch die Photographie zur Dokumentation von Grabung und Funden hat er im Herbst 1872 nicht als erster angewendet.91 Abgesehen von Richard Lepsius (1810 – 1884), der während der von ihm geleiteten Expedition nach Ägypten und Äthiopien (1842 – 1845) schon Kalotypien anfertigen ließ,92 sei hier Victor Place (1818 – 1875) erwähnt. In seinem Auftrag dokumentierte Gabriel Tranchand in den Jahren 1852/53 die Grabungen in Khorsabad mittels Kalotypie bzw. Kollodium-Nassplatte;93 in der Publikation wurden die Bilder als Heliogravüren bzw. Stiche (?) oder Holzschnitte (?) wiedergegeben.94 Auch Charles Newton (1816 – 1894) ließ nur wenige Jahre später seine Grabungen am Mausoleum von Halikarnass von den Corporals of Royal Engeneers Benjamin Spackman und J. McCartney in Photographien festhalten, die als Lithographien publiziert wurden.95 Schliemann verwendete in seinem 1874 erschienenen Atlas trojanischer Alterthümer Albuminabzüge, also Originalphotographien, die auf die Tafeln aufgeklebt wurden, während Conze ein Jahr danach in der Publikation seiner Forschungen auf Samothrake von den unter Zuhilfenahme von Kollodium-Trockenplatten bzw. -Nassplatten gemachten Photos Lichtdrucktafeln herstellen ließ. Am ersten Bericht über die Ausgrabungen in Olympia, erschienen 1876, ist die Entwicklung der Verwendung von Photographien in archäologischen Publikationen deutlich erkennbar : die erste Auflage wurde noch mit eingeklebten Originalphotographien ausgestattet, während man bei der knapp danach erschienenen zweiten Auflage auf das (billigere) Lichtdruckverfahren zurückgriff.96 91 Für Überlegungen zur Anwendung von Photographie in der Archäologie des 19. Jahrhunderts siehe Feyler 1987; Zintzen 1998, S. 195 – 201; Krumme 2008. 92 Feyler 1987, S. 1030 Anm. 63, 1031. 93 Feyler 1987, S. 1022 f., 1029 – 1032, 1035, 1037 – 1041. Siehe auch Larsen 1996, S. 306 – 309, 315 (mit weiterführender Literatur); Gastaldi 2003. 94 So etwa Place 1867, III mit Taf. 31bis, V mit Taf. 45 f., 49 rechts; siehe auch Feyler 1987, S. 1044. 95 Newton / Pullan 1862b, S. VI. Newton / Pullan 1862a. Challis 2008, S. 60, 71. Im Rahmen einer Ausstellung im Palazzo Caffarelli in Rom machte Newton die Photographien der Öffentlichkeit zugänglich (Michaelis 1906, S. 100). 96 Schubert 1998, S. 18.
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Zweifellos von Bedeutung ist Schliemann für die Genese der prähistorischen Archäologie des Mittelmeerraums. Was er bei seinen Ausgrabungen in Troia, Mykene, Tiryns und an anderen Orten fand, war damals mehr oder weniger namenlose Vorzeit;97 dass ihm dies auch bewusst war, belegt etwa folgende Stelle in einem Brief an Alexander Conze:98 »[…] ich hatte in den Tiefen Iliums eine neue Welt vor mir u mußte Alles aus mir selbst lernen.« Im Gegensatz zu den mit ihm in Griechenland und der Türkei gleichzeitig tätigen Archäologen schenkte er Baudenkmälern und Kunstwerken nur wenig Aufmerksamkeit (vielleicht aber auch nur deshalb, weil er sie auf seinen Grabungen selten fand?); dagegen waren ihm Kleinfunde und besonders die Keramik wichtig. Damit verfolgte er, wie Stefanie Samida treffend formulierte, »[…] einen gänzlich anderen methodischen Ansatz als die damals rein objektbezogene sowie philologisch-kunsthistorisch geprägte Klassische Archäologie«.99 Es wäre lohnend, der Frage weiter nachzugehen, inwieweit dieser Ansatz auch auf den Kontakt mit Gelehrten, die sich der archäologischen Erforschung Mitteleuropas widmeten, zurückzuführen ist (in diesem Zusammenhang sind etwa Rudolf Virchow oder Ludwig Lindenschmit [1809 – 1893] zu nennen100), da auch der Klassische Archäologe Alexander Conze in seiner Antrittsvorlesung in Wien forderte:101 »Nicht nur der Tempel, sondern schon der einfach behauene Stein, der aufgeschüttete Grabhügel […] auch jedes einfache Geräth […], Alles gehört herein.« In diesem Zusammenhang ist auffällig, dass man in der Veröffentlichung der Forschungen in Samothrake der Keramik und den Kleinfunden so wenig Beachtung geschenkt hat. Schliemanns oben erwähnter methodischer Ansatz drückt sich auch in seiner Zusammenarbeit mit Fachleuten aus, die Forschungsgebiete abdeckten, in denen er nicht Bescheid wusste; diese interdisziplinäre Arbeitsweise, die jetzt selbstverständlich ist (oder sein sollte), stellte in diesem Ausmaß im 19. Jahrhundert zweifellos ein Novum dar.
Bibliographie Adam, Hans Christian: Heinrich Schliemann und die Photographie, in: Das Land der Griechen mit der Seele suchen. Photographien des 19. und 20. Jahrhunderts. Agfa FotoHistorama. Ausstellung im Römisch-Germanischen Museum, Köln, 5. Oktober bis 2. Dezember 1990. Köln 1990, S. 38 – 41, 116 – 121, 218 f. Adler, Friedrich: Vorwort, in: Curtius, Ernst / Adler, Friedrich (Hg.): Olympia. Die 97 98 99 100 101
Die Formulierung verdanke ich Korfmann 1990, S. XIII. Brief Schliemanns an Alexander Conze, 17. Jänner 1874 (Meyer 1953, Nr. 226). Samida 2012, S. 108. Meyer 1969, S. 408 f. Kyrieleis 1978, S. 86 f. Conze 1869, S. 6.
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Ergebnisse der von dem Deutschen Reich veranstalteten Ausgrabung. Textband 1: Topographie und Geschichte. Berlin 1897, S. VII–IX, verfügbar unter : http://digi.ub.uniheidelberg.de/diglit/curtius1897 [13. 12. 2013]. Auinger, Johanna: »Wo aber stand der Zeus-Altar, den zu suchen ich gekommen war?« – Die archivalische Dokumentation einer Ausgrabung, in: Grüßinger, Ralf / Kästner, Volker / Scholl, Andreas (Hg.): Pergamon. Panorama der antiken Metropole. Berlin 2 2012, S. 45 – 49. Barth, Fritz E.: Johann Georg Ramsauer und die archäologischen Untersuchungen im Kernverwässerungswerk des Salzbergwerkes Hallstatt, in: Dimt, Heidelinde (Red.): Der Spurensucher. Zum 200. Geburtstag von Johann Georg Ramsauer (Katalog des OÖ. Landesmuseums N. F. 93). Linz 1995, S. 76 – 84. Bloedow, Edmund F.: Schliemann’s attitude to pottery, in: Hermann, Joachim (Hg.): Heinrich Schliemann. Grundlagen und Ergebnisse moderner Archäologie 100 Jahre nach Schliemanns Tod. Berlin 1992, S. 211 – 221. Borbein, Adolf H.: Olympia als Experimentierfeld archäologischer Methoden, in: Kyrieleis, Helmut (Hg.): Olympia 1875 – 2000. 125 Jahre deutsche Ausgrabungen. Internationales Symposium, Berlin 9.–11. November 2000. Mainz 2002, S. 163 – 176. Bormann, Eugen: Funde von Carnuntum. I. Das dritte Mithraeum, in: Archaeologischepigraphische Mittheilungen aus Oesterreich-Ungarn 18 (1895), S. 169 – 201, verfügbar unter : http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/archepigrmoeu1895 [13. 12. 2013]. Bortlik, Josef (Zusammenstellung): Carnuntum 1885 – 1910. Wien 1911. Boulasikis, Dimitrios / Lohner-Urban, Ute / Rauchenwald, Alexandra / Stökl, Susanne: Die Altfunde aus dem Militäramphitheater von Carnuntum, Teil 1: Glas, Terra Sigillata und reduzierend gebrannte Waren, in: Carnuntum Jahrbuch (2009/11), S. 103 – 128. Boulasikis, Dimitrios / Eitler, Josef / Seidel, Yvonne / Stökl, Susanne: Die Altfunde aus dem Militäramphitheater von Carnuntum, Teil 2: Fibeln, Metallfunde, spätlatÀnezeitliche und mittelalterliche Keramik, in: Carnuntum Jahrbuch (2012), S. 83 – 152. Calder, William M. III / Traill, David A. (Hg.): Myth, scandal, and history. The Heinrich Schliemann controversy and a first edition of the Mycenaean diary. Detroit 1986. Challis, Debbie: From the Harpy Tomb to the wonders of Ephesus. British archaeologists in the Ottoman Empire, 1840 – 1880. London 2008. Conze, Alexander : Ueber die Bedeutung der classischen Archæologie. Eine Antrittsvorlesung gehalten an der Universität zu Wien am 15. April 1869. Wien 1869. Conze, Alexander : Trojanische Ausgrabungen, in: Preußische Jahrbücher 34/4 (1874), S. 389 – 403. Conze, Alexander / Hauser, Alois / Niemann, George: Archaeologische Untersuchungen auf Samothrake. Wien 1875, verfügbar unter : http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/ conze1875bd1 [13. 12. 2013]. Conze, Alexander / Hauser, Alois / Benndorf, Otto: Neue archaeologische Untersuchungen auf Samothrake. Wien 1880, verfügbar unter : http://digi.ub.uni-heidelberg. de/diglit/conze1880 [13. 12. 2013]. Curtius, Ernst / Adler, Friedrich / Hirschfeld, Gustav (Hg.): Die Ausgrabungen zu Olympia. II. Übersicht der Arbeiten und Funde vom Winter und Frühjahr 1876 – 1877. Berlin 1877, verfügbar unter : http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/curtius1877bd2 [13. 12. 2013].
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II. Methodik und Forschungsorganisation: Wissenschaftliche Großprojekte
Hubert D. Szemethy
Die österreichischen Samothrake- und Trysa-Expeditionen im Lichte des friedlichen Wettstreits der Nationen – Politische Hintergründe, Methoden und Öffentlichkeitsarbeit*
Die österreichischen archäologischen Expeditionen nach Lykien und Karien zu Beginn der 1880er Jahre unter der Leitung des Archäologen Otto Benndorf gipfelten in der Wiederentdeckung und Erwerbung der Skulpturen des Heroons von Trysa im gebirgigen Lykien, weshalb sie oft verkürzt als »Trysa-Expeditionen« oder auch »Lykien-Expeditionen« bezeichnet werden.1 Interessanterweise haben es diese Forschungsunternehmungen bis heute nicht in das Bewusstsein all jener geschafft, die sich mit der Geschichte der Klassischen Archäologie beschäftigen. So folgt etwa in Stephen L. Dysons Publikation »In Pursuit of Ancient Pasts« unmittelbar auf Alexander Conzes Samothrake-Unternehmungen der Jahre 1873 und 1875 das Engagement Benndorfs in Ephesos ab 1895.2 Die dazwischen liegenden 20 Jahre finden bei Dyson keine Beachtung.3 Ob bzw. inwieweit dieses »Vergessen« der Trysa-Expeditionen mit der Tatsache zusammenhängt, dass die nach Wien verbrachten Skulpturen dieses Bauwerkes bis auf den heutigen Tag nie in würdiger Weise ausgestellt wurden und damit nie wirklich Gelegenheit hatten, in das Bewusstsein der Öffentlichkeit zu dringen, sei dahingestellt. Mein Beitrag versucht aufzuzeigen, inwieweit die Ausgrabungen Conzes in Samothrake und die Benndorf ’schen Expeditionen nach Karien und Lykien von 1881 bis 1884 »Vorbilder« und »Maßstab« für folgende Ausgrabungsprojekte und Forschungsreisen darstellten und in einen internationalen friedlichen Wettstreit eingebunden – respektive von diesem bedingt – waren.
* Der Verf. dankt Karl R. Krierer für die kritische Durchsicht des Manuskripts. 1 Vgl. dazu Szemethy 2005. 2 Einen Überblick über die Grabungsgeschichte geben Wiplinger / Wlach 1995; WohlersScharf 1995. 3 Dyson 2006, S. 112 – 114. Zu dieser frühen Phase der österreichischen Archäologie s. Szemethy 2011, S. 341 – 350 (mit. Lit.).
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Samothrake-Expeditionen 1873 und 1875 Alexander Conze4 wurde 1868 aus Halle nach Wien berufen, trat seinen Lehrstuhl aber erst zu Ostern 1869 an. Er leistete hier Enormes an Aufbauarbeiten, baute die Bibliothek und einen Archäologischen Apparat auf und begründete die Archäologische Sammlung. Regelmäßig hielt er öffentliche Vorträge, um »das allgemeinere Interesse für archäologische Fragen zu wecken.«5 Populärwissenschaftliche Vermittlungstätigkeit war ihm zweifelsohne ein eminentes Anliegen. Er nutzte diese Vorträge, um im dritten Jahr in Wien sein bisheriges Arbeitsgebiet und -spektrum zu erweitern. Zu Beginn des Jahres 1872 – am 4. Jänner – hielt er einen darauf ausgerichteten Vortrag im Rahmen der von Rudolf von Eitelberger6 organisierten »Donnerstagsvorträge« im k. k. Österreichischen Museum für Kunst und Industrie.7 Unter dem Titel »Museen für Plastik« veröffentlichte er ihn in drei Teilen als Feuilleton in der seit 1871 in Wien erscheinenden Deutschen Zeitung und fragte, »weßhalb denn, im Gegensatze zu London, für Wien, für die Hauptstadt des Staates, dessen Flagge und dessen Vertretung doch auch überall in den griechisch-türkischen Gewässern ist, so wenig größerer Kunsterwerb von daher abgefallen ist.« Und er schließt den Absatz mit den Worten: »Man kennt ja doch so manchen schönen Platz und manchen altvergrabenen Schatz und müßte nur ein bischen revidiren.«8 Nur wenig später verfasste er einen Aufsatz über »Zwei griechische Inseln«, Syra und Samothrake, der am 21. Jänner und 11. Februar 1872 in der Österreichischen Wochenschrift für Wissenschaft und Kunst, einer Beilage zur Wie-
4 Alexander Conze (10. 12. 1831 – 19. 7. 1914), Archäologe, s. Karo 1914; Borbein 1988a; Szemethy 2012b. 5 Michaelis 1906, S. 97. 6 Rudolf von Eitelberger (14. 4. 1817 – 18. 4. 1885), Kunsthistoriker und seit 1852 Professor der Kunstgeschichte und Kunstarchäologie, Gründer und Direktor des k. k. Österreichischen Museums für Kunst und Industrie, vgl. Direktor Rudolf von Eitelberger †, in: Mittheilungen des k. k. Österreichischen Museums für Kunst und Industrie (Monatsschrift für Kunst und Kunstgewerbe) 20 (1885), S. 385 – 397; Falke 1885; Schlosser 1934, S. 155 – 159; ÖBL 1 (1957), S. 239 f.; Borodajkewycz 1962; Kultermann 1996, S. 150 f.; Noever 2000; Lachnit 2005. – Zur Gründung des Museums für Kunst und Industrie s. Eitelberger 1879; Pokorny-Nagel 2000. 7 Zur Rolle der für das Publikum unentgeltlichen Vorlesungen in diesem Museum, die »den wesentlichsten Bestandteil des Bildungsprogramms des Museums (bildeten), das von Eitelberger zugleich als »Anschauungsunterricht für Kunst«, als Instrument der »Volks- und Geschmacksbildung« sowie als Bestandteil der Unabhängigkeitsbestrebungen der österreichischen Industrie begriffen wurde«, vgl. Stalla 2010, S. 18 – 34 (Zitat S. 20); Fabiankowitsch 2000, bes. S. 184 – 192. 8 Conze 1872a (6. Februar 1872), S. 3. Vgl. auch die Zusammenfassung über diesen Vortrag in den Mittheilungen des k. k. Österreichischen Museums für Kunst und Industrie (Monatsschrift für Kunst und Kunstgewerbe) 4 (1873), S. 51 f.
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ner Zeitung, gedruckt erschien.9 Das Thema war gewiss nicht zufällig gewählt. An sich war es ein »alter« Vortrag, den er schon einmal in Halle gehalten hatte.10 Er adaptierte ihn für Wien mit der Absicht, Ausgrabungen auf Samothrake ins Leben zu rufen.11 Conze kannte diesen Teil des Mittelmeeres sehr gut, hatte er doch 1856/57 nach Abschluss seines Studiums in Berlin eine Reise zu den Inseln des thrakischen Meeres und nach Lesbos unternommen.12 In seinem Beitrag strich Conze heraus, dass beide Inseln in der Interessensphäre der österreichischen Politik und des österreichischen Handels lägen. Während das belebte Syra über Triest Österreich nahe verbunden sei, an einem Kreuzungspunkt der Schifffahrt liege und sich zahlreiche (wirtschaftliche) Interessen an diese Insel knüpften, könnte Österreich auf dem ruhigen Samothrake andere Interessen »verfolgen und fördern, nicht commercielle freilich, aber wissenschaftliche.«13 Conze beendete den Aufsatz mit dem Ausdruck der Hoffnung, dass der Bann bald gelöst sei, »der die Denkmälerwelt der so merkwürdigen, wie wenig bekannten Insel verschlossen hält. Das Machtwort hiefür kann täglich gesprochen werden.«14 Und das Machtwort wurde gesprochen. Denn der Minister Carl Ritter von Stremayr15 wünschte unmittelbar darauf von Conze einen detaillierten Plan zur Ausführung von Grabungen.16 Bald danach hatte Conze diesen gemeinsam mit Alois Hauser17 ausgearbeiteten Entwurf dem Minister übergeben:
9 Conze 1872b. 10 Vgl. die Nachschrift auf den Brief von Alexander Conze aus Wien an Adolf Michaelis vom 25. Jänner 1872 (DAI Berlin, Archiv, Nachlass Michaelis): »Wundere Dich nicht über Syra u[nd] Samothrake, wenns kommt. Syra hast Du einmal im M[anu]scr[ipt] gesehen, es war ein Hallischer Vortrag.« 11 Ebenda: »Jetzt geht die Absicht auf vielleicht Ausgrabungen auf Samothrake – wer weiß, bestimmte Aussicht freilich gar nicht.« 12 Conze / Hauser / Niemann 1875, S. 3. Zu Conzes frühen Reisen vgl. Conze 1860; Conze 1865; Steuben 2004. 13 Conze 1872b, S. 97. 14 Conze 1872b, S. 211. 15 Carl Ritter von Stremayr (30. 10. 1823 – 22. 6. 1904), Jurist und Politiker, 1870/71 und 1871 bis 1880 Minister für Cultus und Unterricht, s. Lemayer 1906; Köck 1950; ÖBL 13 (2010) S. 398 f. (G. Wesener). 16 s. dazu den Brief von Alexander Conze aus Wien an Adolf Michaelis vom 15. Februar 1872 (DAI Berlin, Archiv, Nachlass Michaelis): »Mir schwindelt der Kopf etwas seit zwei Tagen, da ich – aber erwähne es gar nicht, namentlich nicht nach Außen hin – auf Wunsch des Ministers einen detaillirten Plan einer Expedition nach Samothrake zu entwerfen habe. Der Aufsatz, der den Anstoß gab, geht Dir zu, sobald ich Abdrücke erhalte.« 17 Alois Hauser (16. 11. 1841 – 6.10.1896), Architekt und Professor an der Kunstgewerbeschule des k. k. Österreichischen Museums für Kunst und Industrie, später auch Grabungsleiter in Carnuntum, s. Morgen-Presse, Nr. 276, 7. Oktober 1896, S. 5; ÖBL 2 (1958) S. 217; Bammer 1977, S. 85 – 101. 120 – 122 (Schriftenverzeichnis).
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»Ich habe den Plan mäßig gehalten, Aufnahme genauen Plans, Nachgrabung hie und da und besonders zu einem gewissen Abschlusse zu führende Untersuchung des einen der beiden Tempel mit Wegräumen der Blöcke, die seine Fundamente verdecken, als Aufgabe gestellt. Außer mir müßte ein Architekt mit einem Gehülfen u[nd] ein Zeichner oder Photograph mitgehen, 4 Personen also. Dazu müßte ein Kriegsschiff kommandirt werden. Kosten vorläufig 5 – 6000 Gulden veranschlagt. Alles hat der Minister […] vorläufig ganz plausibel und was namentlich das Geld anlangt, ganz ausführbar gefunden.«
Conze hatte sich mit der Übermittlung dieser Unterlagen beeilt, »denn mit geneigten Ministern kann man in Oest[erreich] nicht auf Jahre rechnen: gestern noch auf stolzen Rossen usw.«18 Er wollte noch im Mai dieses Jahres aufbrechen und circa sechs Wochen unterwegs sein. Obwohl sich Conze der vollen Unterstützung Eitelbergers im Ministerium sicher sein konnte, plagten ihn tiefe Zweifel, ob sein Vorhaben die Genehmigung zur Umsetzung erhalten würde: »Es ist ein ganz ungefangener Fisch, wenn allerdings auch seitens des Ministers nur vom Wie und Wann noch als etwas Fraglichen die Rede ist.«19 Der Wunsch Conzes, noch 1872 nach Samothrake reisen zu können, erfüllte sich nicht. Denn die definitive, allerhöchste Genehmigung ließ monatelang auf sich warten und erfolgte erst am 17. Jänner 1873. Der Erfolg der im Auftrag des k. k. Ministeriums für Cultus und Unterricht ausgeführten ersten Expedition brachte es mit sich, dass schon 1875 eine zweite nach Samothrake entsandt wurde. Beide waren von der Marine-Sektion des Reichs-Kriegsministeriums durch die Bereitstellung von Kriegsschiffen unterstützt, Stab und Mannschaften beider Schiffe machten sich in mehrfacher Hinsicht um die Erforschung Samothrakes verdient.20 Die Unternehmungen waren mit ansehnlichen staatlichen Mitteln finanziert – einschließlich der Subvention für die 1875 und 1880 erschienenen zwei Bände der Publikation betrugen die Kosten 25.000 Gulden.21 So einfach und spartanisch anmutend die näheren Umstände des Arbeitens, der Schlafstellen und der Küche auf Samothrake gewesen sein mögen,22 methodisch war Conze seiner Zeit voraus. Die Ausgrabungen auf Samothrake 18 Die beiden letzten Zitate aus einem Brief von Alexander Conze aus Wien an Adolf Michaelis vom 23. Februar 1872 (DAI Berlin, Archiv, Nachlass Michaelis). – Der Verweis auf die stolzen Rosse ist im übrigen einem Gedicht Wilhelm Hauffs entnommen – »Reiters Morgenlied«, 1824 – und sehr aufschlussreich. Denn die Fortsetzung des Reims (»Gestern noch auf stolzen Rossen, / Heute durch die Brust geschossen, / Morgen in das kühle Grab!«) offenbart überaus deutlich die Skepsis, die Conze damals gegenüber der politischen Situation in Österreich hegte. 19 Brief von Alexander Conze aus Wien an Adolf Michaelis vom 23. Februar 1872 (DAI Berlin, Archiv, Nachlass Michaelis). 20 Conze 1874, S. 65. 21 Szemethy 2005, S. 350 (Dok. 2). 22 Conze / Hauser / Niemann 1875, S. 6.
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werden daher heute mit Recht als Wendepunkt in der archäologischen Feldforschung angesehen, und mit guten Gründen behandelte sie Adolf Michaelis23 in seinen Archäologischen Entdeckungen unter dem Titel Neue Art von Ausgrabungsplänen. Alexander Conze.24 Es waren die neuen Methoden der Expeditionen, die vorbildhaft für weitere Grabungen wurden. Es ging Conze nicht vorrangig, wie damals üblich, um die Erwerbung von kostbaren Ausstellungsstücken für ein Museum, um das Entdecken schöner Fundstücke, sondern um das Konzept einer »großen Archäologie«, wie er es später bezeichnen sollte, »um die hohe Aufgabe, ganze Städte und Landschaften als große, geschichtlich lebende Wesen in ihren Resten aufzudecken und zu verstehen, aus ihren Architekturschöpfungen die dominierenden Grundzüge einstiger Gestaltung wiederzugewinnen, aus Bild- und Schrift- und allem Kleinwerke, bis zur unscheinbar wertvollen Thonscherbe herab, die feineren Züge dem großen Bilde hinzuzufügen, mit vereinten Kräften der Forscher.«25
Obwohl die durch Vermittlung des österreichisch-ungarischen Botschafters in Konstantinopel, Graf Emanuel Ludolf,26 von der ottomanischen Regierung erwirkte Grabungserlaubnis auch das Recht auf Teilung der Funde beinhaltete,27 lagen Conzes Motive nicht im Auffinden wertvoller Artefakte. Conze hatte sich zum Ziel gesetzt, »[…] durch genaue Vermessungen und Zeichnungen der Architekturteile und Fundamente sowie genaue Beobachtung der Bautechnik einen zusammenhängenden Bezirk eines antiken Heiligtums zu rekonstruieren und in seiner Gesamtheit zu überblicken.«28
23 Adolf Michaelis (22. 6. 1835 – 13. 8. 1910), Archäologe, Freund und Mitarbeiter von Conze am Grabreliefcorpus, vgl. Döhl 1988a; Simon 2006; Szemethy 2012c. 24 Michaelis 1906, S. 97; vgl. auch Karo 1914, S. VI Anm. 1: »Es ist wenig bekannt und verdient daher besonders betont zu werden, dass diese Ausgrabungen die ersten waren, die unseren modernen Anforderungen wissenschaftlicher Erforschung genügen.« – Die ersten Ausgrabungen in Olympia begannen offiziell am 4. Oktober 1875 (Moustaka 2012, S. 173), d. h. nach Abschluss der zweiten Samothrake-Expedition. Zu den Grabungen in Olympia s. Marchand 1996, S. 77 – 91; Kyrieleis 2002. 25 Conze 1902. Zu dieser Konzeption einer umfassenden Kulturgeschichte, die verschiedene Spezialdisziplinen in sich vereinigte, was Arbeitsteilung innerhalb eines Kollektivs bedeutete, s. Borbein 1988b, S. 289 f.; Marchand 1996, S. 96 – 98. 26 Emanuel Graf Ludolf (3. 10. 1823 – 17. 5. 1898), Diplomat und Sammler, s. ÖBL 5 (1971) S. 345; Szemethy 2011, S. 368 f. Anm. 40. 41. 27 Ehrhardt 1985, S. 94 f. 28 Ebd., S. 95. – Auch in Olympia wird dieser Gedanke dann Fuß fassen, Curtius 1880, S. 113: »Die Hauptsache aber sind nicht diese Einzelheiten, sondern das Ganze, die wiedergewonnene Anschauung des gesamten Raumes von Olympia«. Vgl. auch den Vortrag von Eugen Petersen am 23. März 1882 im k. k. Österreichischen Museum für Kunst und Industrie, in welchem er herausstrich, dass die Motive derartiger Entdeckungsreisen einem Wandel un-
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Dem Credo seiner Wiener Antrittsvorlesung Über die Bedeutung der classischen Archäologie folgend – »Alles gehört herein«29 – bezog er auch das Hinterland ein, dokumentierte alle Funde unabhängig von ihrem künstlerischen oder musealen Wert und setzte auch die technische Neuheit der Fotografie als Mittel exakter sachlicher Dokumentation ein.30 Überdies sollten die Architekten nicht – wie bisher und auch noch einige Zeit üblich – ganze Gebäude und nur charakteristische Einzelheiten bildlich wiederherstellen, sondern »außerdem die einzelnen wichtigen Blöcke mit ihren technischen Besonderheiten genau« abbilden: »Erst durch dies vorsichtige und gewissenhafte Verfahren ist die Möglichkeit gegeben, die Wiederherstellungen nachzuprüfen und nach der technischen wie nach der formalen Seite die Besonderheiten verschiedener Zeiten und Bauschulen kennen zu lernen.«31
Für dieses innovative Arbeitsvorhaben Conzes bedurfte es eines engen Zusammenwirkens von Spezialisten, das für die Zukunft beispielgebend wurde und sich auch bei den deutschen Großgrabungen in Olympia und Pergamon32 bewährte. Daher gehörten 1873 neben Conze als Archäologen auch die Architekten Alois Hauser und George Niemann33 zum Team. Als Geologe kam Rudolf Hoernes34 hinzu, um auf der Insel und an deren Bauten geologische Untersuchungen
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terlegen waren: »zuerst gemeine Habgier, dann die Freude an den Werken selbst, zuletzt mehr und mehr durchgedrungen der oberste Gesichtspunkt, bei welchem nicht Geschmack und Belieben wählerisch vorgeht, sondern Alles nach Gebühr Beachtung findet, die wissenschaftliche Erkenntniss.« Die jüngsten österreichischen Expeditionen in Samothrake und die der deutschen Kollegen in Olympia hätten ihre Aufgabe darin gesehen, »(n)icht mehr blos einzelne Bauten und Denkmäler, sondern ganze Bezirke aufzudecken und forschend zu reconstruiren«. Aufgabe der archäologischen Wissenschaft sei die Gewinnung eines Gesamtbildes, um »die Geschichte der Menschheit aufzuhellen, insbesondere die Erkenntniss und das Verständniss ihrer Kunst und durch diese Erkenntniss auch Freude und Genuss an den Werken der Kunst.« Zitiert nach Petersen 1882, S. 93. Conze 1869, S. 6. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Marchand 1996, S. 96 – 98. Lindner 1999, S. 10. – Den Stellenwert, den Conze der Fotografie für die wissenschaftliche Dokumentation beimaß, erkennt man auch später in der Materialsammlung für das von Conze im Auftrag der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften zu Wien herausgegebene Corpus »Die attischen Grabreliefs«. Generell zur Rolle der Fotografie in der klassischen Archäologie des 19. Jahrhunderts s. Feyler 1987; Zintzen 1998, S. 195 – 201; Lindner 1999; Brinkmann 2001; Alexandridis / Heilmeyer 2004; Klamm 2007; Straub 2008. – In Olympia reisten Fotografen anfangs erst am Ende der Grabungssaison an, was ab dem dritten Grabungsjahr zu ändern versucht wurde, s. Klamm 2012. Michaelis 1906, S. 101. Vgl. Michaelis 1906, S. 140 – 147; Marchand 1996, S. 92 – 103; Kästner 2008; Kästner 2012. George Niemann (12. 7. 1841 – 19. 2. 1912), Architekt und Bauforscher, seit 1873 Professor für Perspektive und Stillehre an der Wiener Akademie der bildenden Künste, vgl. Borchhardt 1988; Szemethy 2010. Rudolf Hoernes (7. 10. 1850 – 20. 8. 1912), Geologe und Paläontologe, 1873 – 1876 Praktikant
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anzustellen.35 Über einen eigenen Fotografen verfügte das Team bei der ersten Expedition nicht, aber der expeditionserprobte Fotograf Wilhelm Burger36 unterwies die Teilnehmer in der Technik der Fotografie, bereitete die Trockenplatten vor und bearbeitete die Negative nach der Kampagne. An der zweiten Reise nahmen wieder Conze und Hauser teil, neu dabei waren Otto Benndorf,37 Burger und zwei Schüler der Akademie der bildenden Künste, Wilhelm Klingenberg38 und Alois Löher.39 Es war somit nicht nur ein interdisziplinäres, sondern auch ein international besetztes Grabungsteam: »Wir sind also wieder drei Ausländer über zwei Inländern.«40 Nicht nur das Unternehmen an sich, auch die Publikationen der Ausgrabungen auf Samothrake41 gelten bis auf den heutigen Tag als vorbildlich und waren »auch im Hinblick auf Ziele und Methode so etwas wie ein Muster für Olympia«42. Über den mustergültigen ersten Band urteilte Benndorf in einem Brief an Reinhard Kekule:43 »Conzes Publication geht in Druck, ein reiflich erwogenes gewissenhaft ausgeführtes Werk, das mich auch für unsern Minister und für die Regierung aufrichtig freut. Es wird in Deutschland Aufsehen machen, namentlich weil es zeigt wie man eine Ausgrabung zu leiten und zu behandeln hat.«44
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an der Geologischen Reichsanstalt, danach Professor an der Universität Graz, s. ÖBL 2 (1959) S. 369 f.; NDB 9 (1972) S. 359 (Helmut W. Flügel). Vgl. Hoernes 1874; Conze / Hauser / Niemann 1875, S. 35 f. Wilhelm Burger (15. 3. 1844 – 7.3.1920), Fotograf, s. Rosenberg 1984. Otto Benndorf (13. 9. 1838 – 2.1.1907), Archäologe, s. ÖBL 1 (1954) S. 70; Kenner 1988; Szemethy 2012a. – Conze wünschte Benndorfs Teilnahme in Samothrake umso mehr, als er ihm in Briefen aus Wien ganz offen mitteilte, dass er ihn als seinen Nachfolger für Samothrake, ja überhaupt für Wien wollte, vgl. Brief Alexander Conzes aus Wien an Otto Benndorf vom 8. Mai 1875 (ÖNB, HAD, Autogr. 637/39 – 45 Han); Brief Alexander Conzes aus Wien an Otto Benndorf vom 15. Mai 1875 (ÖNB, HAD, Autogr. 637/39 – 48 Han). Zur zweiten Expedition s. Conze / Hauser / Benndorf 1880. Wilhelm Klingenberg (21. 6. 1850 – 30. 4. 1910), Architekt und Baumeister, s.: http://www. architektenlexikon.at/de/752.htm [16. 12. 2012]. Alois Löher (1850 – 1904), Bildhauer, s. Krierer 2013, S. 909 mit Anm. 47. Brief Otto Benndorfs aus Tschanakkalesi (heute C ¸ annakkale) bei den Dardanellen an seine Frau Sophie vom 21. August 1875 (Archiv Benndorf). Conze / Hauser / Niemann 1875; Conze / Hauser / Benndorf 1880. Borbein 2002, S. 166. Reinhard Kekul¦ von Stradonitz (6. 3. 1839 – 23. 3. 1911), Archäologe und enger Freund von Benndorf, s. Schiering 1988; Kreikenbom 2012. Brief Otto Benndorfs aus Prag an Reinhard Kekul¦ von Stradonitz vom 21. Jänner 1875 (ÖNB, HAD, Autogr. 667/7 – 13 Han). Vgl. dazu auch Reisch 1915, S. 444 mit dem Hinweis, dass in den Publikationen »dank der Mitarbeit der von Conze beigezogenen Architekten und Photographen durch die reiche Beigabe landschaftlicher Aufnahmen, architektonischer Detailzeichnungen und Photographien zum erstenmal ein dem Boden durch Beobachtung und Grabung abgewonnener Tatbestand in erschöpfender Anschaulichkeit wiedergegeben (ist), die eine allseitige wissenschaftliche Nachprüfung ermöglicht.«
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Mehr als ein Jahr danach besprach Benndorf diesen ersten Publikationsband umfangreich in der Beilage der Augsburger Allgemeinen Zeitung und bezog dabei auch die Unternehmung des Jahres 1875 mit ein.45 Dass Conze mit Benndorf derartige Aktivitäten bezüglich der Berichterstattung über Samothrake absprach, wobei Conze von der guten Verbindung Benndorfs zur Augsburger Allgemeinen Zeitung wusste, lässt sich das erste Mal für den April 1873 nachweisen.46 Mit der Besprechung der Publikation musste Benndorf warten, weil diese erst nach dem Ende der zweiten Kampagne des Jahres 1875 ausgegeben werden sollte: »Das Wichtige ist, was ich Ihnen freilich kaum zu sagen brauche, daß die Bedeutung solcher Unternehmungen wie die Samothrakische im Zusammenhange der Kulturbestrebung den Leuten etwas handgreiflich klar gemacht, wie wir sagen: ins Maul geschmiert werde.«47
Besonderes Anliegen war es Conze, dass Benndorf die Regierung lobe und »die Samothrakische Untersuchung in Bezug auf die geringeren Mittel, kürzere Zeit in das richtige Verhältniß zu der Olympiaausgrabung« setze, »[…] namentlich aber zu sagen, daß, als in Oesterreich solche Pläne begonnen wurden, Deutschland schon durch die ausgesprochene Absicht die Hand auf Olympia hatte, was zu respektiren war. Oder so dergleichen. Nur dem Grade der Wahrheit der Verhältnisse gemäß wenn auch nicht zu ausdrücklich, doch so en passant entgegenzutreten, daß da in Olympia doch so viel Brillanteres geschieht. Ich meine es selbstverständlicher Weise nicht in einer der deutschen Unternehmung abgünstigen Weise, nicht sie herabzusetzen, was ja unsinnig u[nd] unmöglich etc etc etc wäre, sondern nur uns d. h. immer48 die zu encouragirende Regierung vor ungerechter Verkleinerung durch das, was in Olympia so Schönes Epochemachendes geschieht, zu schützen.«49
Wie früher Conze Benndorf um Unterstützung bei der Darstellung der Samothrake-Unternehmungen in der Öffentlichkeit gebeten hatte, so tat es Benndorf einige Jahre später bei Vorliegen des zweiten Bandes der Grabungspublikation gegenüber seinem Freund Kekul¦: 45 Benndorf 1876. Vgl. auch die schon Anfang November 1875 in einer Wiener Tageszeitung abgedruckte Besprechung von Gurlitt 1875 (dazu auch u. S. 127 – 129). 46 Brief Alexander Conzes aus Wien an Otto Benndorf vom 17. April 1873 (ÖNB, HAD, Autogr. 637/39 – 3 Han): »Besprechung unserer Unternehmung in einem Blatte wie die Augsburger könnte nur dann im Interesse der Sache sein, wenn das Hauptgewicht der Besprechung auf den sehr bescheidenen Maßstab gelegt würde, in dem für dieses Mal die Sache gehalten ist, wobei die Hoffnung durchblicken könnte späterer Fortführung in kommenden Jahren.« 47 Brief Alexander Conzes aus Seewalchen an Otto Benndorf vom 19. Juli 1875 (ÖNB, HAD, Autogr. 637/39 – 60 Han). 48 Unterstreichung im Original dreifach. 49 Brief Alexander Conzes aus Wien an Otto Benndorf vom 12. Jänner 1876 (ÖNB, HAD, Autogr. 637/40 – 1 Han).
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»Es wäre mir sehr wichtig, wenn für unsere Regierung etwas Anerkennendes und Verständiges aus Deutschl[and] etwa in der A[ugsburger] a[llgemeinen] Z[eitung], dem hier meist gelesenen d[eutschen] Blatt, über die Publication gesagt würde. Deswegen auch wichtig, weil an eine Fortsetzung solcher Exped[itionen] gedacht werden muß und an maßgebl[icher] Stelle auch gedacht wird, wenn nur einigermaßen günstigere Zeiten kommen.«50
Kekul¦ schlug diese Bitte nicht ab und besprach den Band: »Wer sollte sich nicht freuen daß in die Thätigkeit der Aufsuchung neuer Schätze der classischen Kunst im Gebiete der eigentlich griechischen Welt, die so lange England und Frankreich überlassen blieb, nun endlich auch Deutschland und Oesterreich eintreten in den friedlichen Wettkampf der Nationen, der allen zugleich den edelsten Gewinn bringt ! […] Man hat fast den Eindruck als ob mit den beiden Expeditionen nach Samothrake der gewaltige österreichische Staat seine Kräfte wie spielend zunächst an Kleinem habe prüfen wollen, um zu sehen was er in dieser Richtung künftig an Größerem leisten könne«51.
Nach Conzes Wechsel nach Berlin folgte ihm Benndorf als Lehrstuhlinhaber in Wien nach und ging den von seinem Vorgänger eingeschlagenen Weg konsequent weiter. Sein Geschick im Umgang mit den staatlichen Behörden, sein selbstbewusstes, impulsives Auftreten, sein Organisationstalent, seine Zielstrebigkeit und Überzeugungskraft und nicht zuletzt seine an der Universität, in Museen, in den Ministerien und in den einflussreichen Kreisen des Wiener Bürgertums aufgebauten Netzwerke halfen ihm beim Überwinden so mancher Hürde.
Pläne für archäologische Unternehmungen in Kleinasien Unmittelbar nach der gemeinsamen Fertigstellung der zweiten SamothrakePublikation im Frühjahr 1880 begann Benndorf, die Weichen für neuerliche archäologische Expeditionen nach Kleinasien zu stellen. Im März 1880 legte er dem Minister für Cultus und Unterricht Carl Edler von Stremayr einen Antrag vor, in dem er die Erfolge der Samothrake-Expeditionen zum Anlass nahm, für weitere österreichische Forschungen im Orient zu plädieren. Er betonte, dass andere Großstaaten die Förderung von Kulturaufgaben als eine dauernde Verpflichtung ansehen, »auch um der repräsentativen Bedeutung willen, welche damit verknüpft ist«. Österreich dürfe dabei den internationalen Anschluss nicht versäumen. Benndorf verwies auf die beträchtlichen Bemühungen der 50 Brief Otto Benndorfs aus Wien an Reinhard Kekul¦ vom 21. Oktober 1879 (ÖNB, HAD, Autogr. 667/9 – 27 Han). 51 Kekulé 1880, S. 1937.
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königlich italienischen und der kaiserlich russischen Regierung, »um die ungemein ergiebigen Antikenfundstätten ihrer eigenen Länder mit aller Gründlichkeit fortlaufend erforschen zu lassen«, und hob die großen Unternehmungen von England und Frankreich in Griechenland52 und im Orient hervor. Insbesondere stellte Benndorf die jüngsten archäologischen Tätigkeiten Deutschlands in Olympia und Pergamon in den Mittelpunkt seiner Argumentation53 und vermerkte mit spitzer Feder, dass diese erst nach den samothrakischen Unternehmungen Österreichs begonnen hätten und man überdies noch auf die ersten Veröffentlichungen warten müsse: »Seit kurzem hat sich nach dem Vorgange von Österreich auch Deutschland, und wie zur Entschädigung für frühere Versäumnisse, sofort mit einem überraschend hohen Einsatze an diesen Aufgaben beteiligt. Noch harrt eine fünfjährige reiche Ausbeute von Olympia auf den Absch[l]uß ihrer ersten provisorischen Veröffentlichung, und schon sind an einem anderen Orte, in Pergamon, an der Westküste von Kleinasien, neue großartige Ausgrabungen im Gange gewesen, welche dem königlichen Museum in Berlin ein hervorragendes Monument der griechischen Kunst, die Sculpturen eines tempelartigen Altarbaues, der zu den Wunderwerken der alten Welt zä[h]lte, zugeführt haben.«54
Der Entdecker dieser Schätze, Carl Humann,55 solle dem »Vernehmen nach […] eine eigene feste Stellung im Orient erhalten, welche ihn befähigen soll sich darbietende Gelegenheiten zu Antikenankäufen regelmäßig auszunutzen und weitere Unternehmungen in Kleinasien vorzubereiten.«
Die von Benndorf gezogene Schlussfolgerung ist einleuchtend und überzeugend: »Wie also hier keine Anstrengung gescheut wird, um auf dem eingeschlagenen lohnenden Wege vorwärts zu schreiten, so wird man allerwärts auch von Österreich 52 Einen zusammenfassenden Überblick gibt Wittenburg 2011. 53 Dagegen fanden die österreichischen archäologischen Aktivitäten auf Samothrake bei der Vorgeschichte der Olympia- und Pergamongrabungen keinen nennenswerten Niederschlag, vgl. dazu zuletzt vom Bruch 2002; Kalpaxis 2002; Klinkhammer 2002; Kästner 2012. Mir ist lediglich jene Passage von Curtius in seiner ausführlichen Denkschrift für den Reichstag im Jahr 1874 bekannt, in welcher er auf die Konkurrenzsituation mit Wien hinwies: »Die österreichische Regierung hat vor zwei Jahren Schiffe nach Samothrake geschickt und dort eine wichtige Ausgrabung begonnen. Gewiss kann das neugegründete Reich Deutscher Nation keine würdigere Friedensaufgabe in Angriff nehmen, als eine wissenschaftliche Expedition nach Griechenland, und da findet sich keine lohnendere Aufgabe, als eine methodische Aufdeckung der Altis von Olympia.« Zitiert nach Boetticher 1886, S. 69. 54 Dieses und die folgenden Zitate aus dem Entwurf von Otto Benndorf vom 21. März 1880 über die Möglichkeiten der Fortsetzung der archäologischen Aktivitäten im Orient nach Abschluss der zweiten Samothrake-Publikation, s. Szemethy 2005, S. 350 – 353 (Dok. 2). 55 Carl Humann (4. 1. 1839 – 12. 4. 1896), Ingenieur und Ausgräber, s. Pinkwart 1988; Kästner 2008; Radt 2012.
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erwarten, daß es seine erfolgreich begonnenen archäologischen Erforschungen des Orientes periodisch weiter führe, um so mehr als es durch den Vorteil größerer Nähe, durch mannigfaltige Verkehrsbeziehungen und durch die Stellung seiner Marine im Mittelmeere, leichter dazu befähigt und angelegentlich darauf hingewiesen ist.«
Ein besonderer Anlass für weitere archäologische Unternehmungen im Ausland liege im Umstand begründet, »daß die antike Plastik in dem reichen Kunstbesitze von Wien höchst spärlich vertreten ist. […] Vereinzelte wertvolle Stücke abgerechnet, hat der Antikenbestand des jetzigen untern Belvedere das ziemlich bunte Aussehen einer mäßigen zufällig gebildeten Provinzialsammlung – ein Charakter, welcher in den Prachträumen der neuen kais[erlichen] Museen nur um so augenfälliger zu Tage treten und dann wo[h]l einmal öffentliche Verwunderung erregen wird.«
Benndorf betonte, dass »[…] die Erwerbung von Antiken nicht das alleinige und nicht einmal das erste Ziel sein (kann) bei einer in wissenschaftlicher Absicht unternommenen Erforschung eines antiken Platzes«.
Die wissenschaftliche Erforschung »eines antiken Platzes« hatte damit auch bei Benndorf oberste Priorität. Am aussichtsreichsten schienen ihm zwei Vorhaben im Osmanischen Reich zu sein: eine nähere Untersuchung des Hekatetempels in Lagina in Karien und die Erforschung eines bereits 1841 von Julius August Schönborn56 entdeckten, danach aber wieder in Vergessenheit geratenen Grabbezirks in Lykien, der mit ansehnlichen Relieffriesen, unter anderem mit der Darstellung der Schlacht um Troja, geschmückt sei, die »jedem Museum zu einer wahren Zierde gereichen würden«. Dieser Grabbau musste freilich erst wiedergefunden werden. Benndorfs Argumentation war nicht neu. Er orientierte sich an Formulierungen, die man schon anlässlich äußerst positiver Besprechungen von Conzes erstem Samothrake-Band lesen konnte – Conze verstand es perfekt, Meinungsbildung äußerst geschickt und auf hohem Niveau zu betreiben, im Inland wie im Ausland. Da war etwa zu lesen, Österreich dürfe doch, wo man nun so verheißungsvoll auf Samothrake begonnen hätte, jetzt nicht nachlassen. Das sah auch Wilhelm Gurlitt57 so, der Conze bei seinen Vorhaben in Wien tatkräftig unterstützte. Denn Gurlitt, der sich 1875 bei Conze habilitiert hatte, merkte in einem Feuilleton in der Wiener Abendpost an, in welchem er die Rolle Englands und Frankreichs für »die Erforschung antiker Kunstüberreste hauptsächlich in 56 Julius August Schönborn (8. 11. 1801 – 1.9.1857), Lehrer am Königlichen Friedrich-Wilhelms-Gymnasium in Posen, s. Benndorf / Niemann 1889, S. 3 – 18; Szemethy 2005, S. 25 – 34. 57 Wilhelm Gurlitt (7. 3. 1844 – 13. 2. 1905), Archäologe. Zu Gurlitt und seiner Beziehung zu Conze und Benndorf s. Krierer 2013; Szemethy 2013.
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Vorder-Asien« herausstrich und sie dem soeben begonnenen großen deutschen Vorhaben »zur Aufdeckung des heiligen Hains in Olympia« gegenüberstellte, dass die österreichische Expedition nach Samothrake nun »gleichberechtigt und würdig« neben diese Unternehmungen trete. Und mit Bezug auf weitere archäologische Unternehmungen im Ausland führte er aus (Abb. 1): »Nur dem Unachtsamen kann es erscheinen, als ob eine solche Unternehmung dem Staate Oesterreich fern läge. Die Mission Oesterreichs im Orient ist keine Phrase, sie ist recht eigentlich ein Lebensberuf dieses Staates. […] Oesterreich (ist) eine Vermittlerrolle zugetheilt zwischen Orient und Occident, durch welche die im Morgenlande vorhandenen Culturelemente dem Abendlande zugeführt werden. Die Wiener Weltausstellung entnahm hauptsächlich dieser Thatsache ihre Berechtigung und zugleich ihren glänzendsten Schmuck. […] so hoffen wir, daß Oesterreich im Interesse der Archäologie auf dem entschlossen betretenen Wege fortgehen wird.«58
Der weitere Verlauf der Ereignisse zeigt uns, dass Benndorfs geschickte Argumentation – das Ausspielen der »internationalen Karte« mit dem Hinweis, man müsse am friedlichen Wettstreit mit Deutschland, England, Frankreich und anderen Nationen teilnehmen, und die Aussicht auf den Erwerb von Antiken, gepaart mit einer abenteuerlichen Suche nach einem verschollenen, über und über mit Reliefs geschmückten Monumentalbau – zum Erfolg führte. Die zuständigen Ministerien, denen vermutlich der wissenschaftliche Ertrag weniger vor den Augen gestanden haben mag als glanzvolle Skulpturen » la Elgin Marbles«, aufgestellt in prachtvoll gestalteten Sälen des seit 1871 in Bau befindlichen Kunsthistorischen Museums, gewährten Benndorf ihre volle Unterstützung. Auch ein Wechsel an der Spitze des Ministeriums – Sigmund Freiherr Conrad von Eybesfeld59 löste 1880 Minister Stremayr ab – brachte nur geringfügige Verzögerungen. Die Aussicht auf archäologische Erfolge, die in zunehmendem Maße – wie es Christiane Zintzen formulierte – »als machtvolle Manifestationen im Spannungsfeld institutioneller und nationaler Konkurrenz«60 dienten, war zu verlockend.
58 Gurlitt 1875 (5. November), S. 4. 59 Sigmund Freiherr Conrad von Eybesfeld (11. 8. 1821 – 9.7.1898), Jurist und Politiker, s. ÖBL 1 (1957) S. 153. 60 Zintzen 1998, S. 139.
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Abb. 1: Beginn der Besprechung des ersten Bandes der Samothrake-Publikation von 1875 durch Wilhelm Gurlitt, Wiener Abendpost. Beilage zur Wiener Zeitung, Nr. 254 vom 5. November 1875, S. 4.
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Der friedliche Wettstreit der Nationen Der Wettbewerb der Staaten und Nationen, unter anderem ausgetragen auf Weltausstellungen, die immer größer, eindrucksvoller, sensationeller als die vorherigen sein wollten, war »Gradmesser des Entwicklungsstandes miteinander konkurrierender Industriemächte«61 – allerdings nicht nur in ökonomischem Sinn, sondern auch im kulturellen und wissenschaftlichen Bereich. Museen mit Schätzen fremder Kulturen auszustatten, war Teil der nationalen, kulturellen Selbstdarstellung. Wie Ernst Curtius62 in seiner Rede anlässlich des Leibniztages 1880 sagte, ist damals ein Land nach dem anderen voll von nationalem Enthusiasmus »in die gemeinsame Arbeit wie in eine Arena eingetreten«63. Dieser Wettstreit der Nationen, zuweilen auch als »Wettstreit der Spaten« bezeichnet, verlief über weite Strecken friedlich, aber dennoch zeigt sich darin eine intensive (wissenschaftliche) Rivalität, hauptsächlich unter Engländern, Franzosen und Deutschen. Das für diese Phase archäologischer Entdeckungen charakteristische Vokabular ist Parameter dafür, wie erbittert und verbissen das gleichzeitig als agonal und kriegerisch verstandene Kräftemessen zwischen allen Teilnehmern, Österreich inbegriffen, betrieben wurde: Wettstreit, Konkurrenz, Gerangel, Vorsprung haben, Rückstand aufholen, Vormachtstellung, Besetzung, Krieg(spfad), Plünderung, Beute(züge) – um nur die Wesentlichsten anzuführen. Wenn auch in Österreich keine große »nationale archäologische Politik« betrieben wurde und es an einem »höchsten« Förderer fehlte, wie es etwa Wilhelm II. in Deutschland war,64 so wollte, ja konnte sich Österreich dieser Konkurrenz nicht entziehen. Begünstigt durch eine deutlich verbesserte wirtschaftliche Lage waren vor allem seit den Weltausstellungen in London 1862, Paris 1867 und Wien 1873 Bestrebungen offensichtlich, international mit anderen Nationen gleichzuziehen, in Belangen der Wissenschaft genauso wie der Museen. Exemplarisch sei hier auf das Wirken Rudolf von Eitelbergers, einen der aktivsten Förderer der Unternehmungen Benndorfs, verwiesen. Denn die auf Eitelbergers Initiative zurückgehende Gründung des Österreichischen Muse61 Kaufhold 1996, S. 285. Um nur zwei aussagekräftige Beispiele anzuführen: Die Weltausstellung in Paris 1855 wurde unter die Parole »Revanche pour Londres« gestellt (Kretschmer 1999, S. 62), und Kaiser Franz Joseph I. hatte in seiner Thronrede am 24. April 1873 die Wiener Weltausstellung dezidiert zu einem »friedlichen Wettstreit aller Culturvölker der Erde« erklärt, Kolmer 1903, S. 272. 62 Ernst Curtius (2. 9. 1814 – 11. 7. 1896), Archäologe, Philologe und Althistoriker, s. Lullies 1988; Baltrusch 2012. 63 Curtius 1882, S. 232. 64 Marchand 1996, S. 150. 244 f. 271 f.; Löhlein 2008; Petersen 2008; Enderlein 2008.
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ums für Kunst und Industrie war von eben diesen Gedanken getragen, nämlich im Kunstgewerbe mit anderen Nationen, vor allem England und Frankreich, konkurrenzfähig zu werden.65
Trysa-Expeditionen von 1881 bis 1884 Benndorfs Vorhaben einer ersten Expedition nach Karien und Lykien wurde schließlich von höchster Stelle genehmigt. Sie wurde 1881 mit bescheidenen staatlichen Mitteln ausgestattet und vom Außen- und Kriegsministerium unterstützt. Zum Team gehörten Otto Benndorf als Grabungsleiter, Eugen Petersen66 als dessen Stellvertreter, George Niemann als Architekt, Wilhelm Burger als Fotograf und Felix von Luschan, der hauptsächlich als Arzt mitreisen sollte.67 Die Expedition wurde, wie an anderer Stelle ausführlich dargestellt,68 ein voller Erfolg, vor allem weil die Wiederentdeckung des gut erhaltenen lykischen Grabbaus mit den bildreichen Friesreliefs relativ schnell gelang.69 Durch Fotografien vom Tag nach der Entdeckung wurde der Zustand des sog. Heroons bestens dokumentiert (Abb. 2). Die Reise durch Lykien und Karien ging zwar weiter und brachte viele neue wissenschaftliche Erkenntnisse. Doch die großartigen Skulpturenfunde überlagerten alles, und der Wunsch, diese Friese für Wien zu erwerben, überwog alles. Es war insbesondere diesen Fotografien, aber auch Benndorfs hervorragenden Kontakten zu verdanken, dass sich Wiener Kunstliebhaber aus dem Hochadel und dem reichen Bürgertum – also private Förderer – in Form einer im Dezember 1881 konstituierten »Gesellschaft für archäologische Erforschung Kleinasiens« dazu entschlossen, eine zweite Unternehmung zu fördern.70 Ausgestattet mit einem Ferman, der dem Gesetz entsprechend ein Drittel der Funde zusicherte, machte man sich 1882 an die Arbeit. Nicht nur der Grabbezirk selbst, die ganze Siedlung und das Umland wurden erforscht. Ausgrabungen wurden durchgeführt, die Relieffriese des Heroons zeichnerisch und fotografisch genau 65 Eitelberger 1878; Zintzen 1998, S. 162 – 170; Pirsig-Marshall 2000. 66 Eugen Petersen (16. 8. 1836 – 14. 12. 1919) war damals Professor für Archäologie in Prag, vgl. Blanck 1988; Blanck 2012. 67 Felix von Luschan (11. 8. 1854 – 7.2.1924), Arzt, Anthropologe, Ethnologe, s. Ruggendorfer / Szemethy 2009. 68 Zu diesen Expeditionen im Detail s. Szemethy 2005. 69 Zum Heroon zuletzt Landskron 2009. 70 Zu den Mitgliedern der archäologischen Gesellschaft s. Szemethy 2005, S. 91 f. Dass es Benndorf stets bestens verstand, das Großkapital und dessen Vertreter »für seine archäologischen Absichten zu interessieren«, betonte schon Bammer 1977, S. 82 im Zusammenhang mit Benndorfs Ausgrabungsplänen für Ephesos.
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Abb. 2: Trysa, Heroon, Südmauer außen, östliche Hälfte mit Tor. Foto von Wilhelm Burger vom 18. April 1881, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Kleinasiatische Kommission, Nr. 1881 – 026 (Inv. A-Nr. 541).
dokumentiert, abgenommen, für einen leichteren Transport auf eine Dicke von ca. 25 cm abgestückt und an die Küste gebracht. Hier fanden Fundteilungen statt, wobei der Wortlaut eines Telegramms aus Konstantinopel ausschlaggebend für das Ergebnis werden sollte: Zusammengehörendes solle bei der Teilung nicht getrennt werden! Die Friesreliefs gelangten daher zur Gänze nach Wien. 1883/84 wurden noch das monumentale Tor des Grabbezirks und der Sarkophag des Dereimis und Aischylos nach Wien transportiert, während der sog. Delphinsarkophag in Absprache mit den osmanischen Behörden nach Konstantinopel gebracht wurde. Was diese Expeditionen von allen anderen mir bekannten archäologischen Unternehmungen dieser Zeit unterscheidet, war das umfassende Sammeln während der Reise. Diese Sammeltätigkeit war im wissenschaftlichen Programm nicht vorgesehen gewesen. Für sie ist vielmehr der Arzt Felix von Luschan verantwortlich, der seinen vielfältigen Interessen und Neigungen nachging: er sammelte – und zwar Alles! So trug er eine umfangreiche Sammlung der lykischen Flora zusammen, die er später der Universität Wien vermachte, und legte zahlreiche Tiere in Alkohol ein, die sich heute im Naturhistorischen Museum in Wien befinden. Luschan
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ging darüber hinaus anthropologischen Studien nach, sammelte Skelette, vor allem Schädel, die er später an das American Museum of National History, New York, abgab. Er versuchte sich auch in geologischen Beobachtungen, hatte dabei allerdings nur mäßigen Erfolg. Er sammelte immens viel ethnographisches Material, das heute u. a. zum Inventar des Wiener Weltmuseums zählt. Etliche Objekte behielt er in seiner privaten Sammlung in seiner Villa in Millstatt, von wo sie später in das Stift Millstatt bzw. ins Kunsthistorische Museum gelangten.71 Luschan, der 1881 von Wilhelm Burger die Technik der Fotografie erlernt hatte, zeichnete 1882 auch für die fotografische Dokumentation verantwortlich. Fotografien von Personen stehen dabei in Zusammenhang mit seinen ethnographischen Untersuchungen an Bevölkerungsgruppen Kleinasiens, mit denen er sich im Jänner 1882 an der Wiener medizinischen Fakultät habilitierte. Er hatte darüber im August 1881 auch einen Vortrag bei der Versammlung Österreichischer Anthropologen in Salzburg gehalten,72 in dem er zwar prachtvolle Fotografien der Reise zeigte, aber in Absprache mit Benndorf die neuen archäologischen Entdeckungen mit keinem Wort erwähnte.73 Luschan beschränkte sich darin auf geographische, historische und ethnographische Details, sprach über Sitten, Lebensgewohnheiten und Wohnverhältnisse der verschiedenen ethnischen Gruppen des lykischen und karischen Landes. Archäologische Denkmäler, etwa Gräber, behandelte er in ganz allgemeiner, typologischer Hinsicht. Trysa nannte er nicht, den Namen Benndorfs nur im Zusammenhang mit einer unverfänglichen numismatischen Fragestellung.
71 Vgl. dazu Szemethy 2009. 72 Näheres zu dieser Veranstaltung im Protokoll der Jahresversammlung der Anthropologischen Gesellschaft am 14. Februar 1882, in: Mittheilungen der Anthropologischen Gesellschaft in Wien 11 (1882), S. 207 f. sowie bei Much 1882. 73 Dieser Vortrag wurde unter dem unverfänglichen Titel »Aus Carien und Lykien« in zwei Feuilleton-Artikeln der Deutschen Zeitung veröffentlicht; Luschan 1881. Vortragstext wiedergegeben bei Much 1882, S. 43 – 49. – Auch anlässlich eines Vortrages vor der Anthropologischen Gesellschaft in Wien sah sich Luschan »summa vi et necessitate« gezwungen, von den archäologischen Entdeckungen des Jahres 1881 zu schweigen, vgl. den Brief Felix von Luschans aus Wien an Otto Benndorf vom 5. November 1881 (Archiv Benndorf): »Selbstverständlich werde ich mich hüten, Gölbaktsche oder Lagina auch nur annähernd zu erwähnen.«
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Zur Praxis der Öffentlichkeitsarbeit – »Geheime« Expeditionen Dieses Feuilleton Luschans führt uns zu den Praktiken der Öffentlichkeitsarbeit,74 die rund um die Trysa-Expeditionen angewendet wurden und die sich eminent von jenen Heinrich Schliemanns,75 einem Meister der Inszenierung und Selbststilisierung,76 unterschieden. Derartige Selbstdarstellung lag Benndorf fern. Er verwies dagegen stets auf die Leistungen seines gesamten Teams und betonte die mannigfaltige Förderung, insbesondere von Seiten der Mitglieder der archäologischen Gesellschaft. Mag Benndorf auch – wie beinahe jedem Archäologen bis auf den heutigen Tag – das Image des Abenteurers angehaftet haben, als »Schatzgräber« vom Format eines Heinrich Schliemann wurde er in der Öffentlichkeit nicht gesehen. Auch mit den deutschen Unternehmungen in Olympia haben die österreichischen Expeditionen nach Lykien und Karien in Bezug auf die Wissenschaftspopularisierung wenig gemein. Lebten jene von und mit der regelmäßigen Berichterstattung,77 so sollte über die Trysa-Expeditionen keineswegs kontinuierlich berichtet werden und besonders anfangs so wenig wie möglich an die Öffentlichkeit gelangen.78 Der Grund dafür lag in den komplett unterschiedlichen Voraussetzungen. Olympia war »zur nationalen Angelegenheit«79 geworden, war ein staatliches Unternehmen auf der Grundlage eines klar formulierten Vertrages, der den Deutschen die freie Verfügbarkeit über die wissenschaftlichen Ergebnisse, das Recht an Dubletten und die Herstellung von Kopien (d. h. Gipsabgüssen) zusicherte. Dagegen waren die Trysa-Expeditionen zum wesentlichen Teil von privaten Finanziers getragen und vom Wunsch geleitet, den Antikenbestand in Wien zu vergrößern. Allerdings wusste man zu Beginn noch gar nicht, was man finden bzw. wiederentdecken würde und ob es wert wäre, nach Wien gebracht zu werden. Das geltende Antikengesetz des osmanischen Reiches gewährte zwar für die Unternehmung des Jahres 1882 einen gesicherten Drittelanteil an den Funden, aber man konnte – so lehrte das Beispiel Pergamon – mit mehr rechnen, wie Benndorf 74 Generell dazu, wenngleich mit einem Schwergewicht auf Naturwissenschaften, Schwarz 1999; Daum 2002. 75 Heinrich Schliemann (6. 1. 1822 – 26. 12. 1890), Geschäftsmann und Pionier der Archäologie, s. Döhl 1988b; Kennell 2012; Samida 2012. 76 Vgl. dazu Samida 2009; Samida 2010; Samida 2011a; Samida 2011b, S. 287 – 291; Samida 2012, S. 80 – 103. 77 Sösemann 2002; Samida 2011b, S. 291 – 294. 78 Vgl. dazu schon kurz Szemethy 2003. 79 Honold 2004, 43. Ähnlich Sösemann 2002, S. 71. Vgl. dazu etwa auch die Berichte in der Gartenlaube, einer seit 1853 wöchentlich erscheinenden illustrierten Zeitschrift: Lindner 1999/2000, bes. S. 178 f.; zur Rolle der Gartenlaube bei der Popularisierung des Nationalgedankens s. Belgum 1998.
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Abb. 3: Ausschnitt aus dem Brief von Alexander Conze aus Berlin an Otto Benndorf vom 14. Dezember 1878, ÖNB, HAD, Autogr. 637/42 – 48 Han.
aus einem Brief von Conze aus dem Dezember 1878 wusste. In diesem schrieb Conze, er hätte Benndorf bisher aus Gründen der Geheimhaltung absichtlich nicht darüber berichtet (Abb. 3): »Ja Pergamon: ich habe Ihnen absichtlich nicht geschrieben davon, weil ich ein Mal nicht sollte u[nd] durfte, und schließlich muß ich nun aber doch gegen den Einen oder Andern, wo Schweigen allzuunnatürlich wäre, unter Bedingung der Geheimhaltung aber, mit der Sprache heraus. Die Geheimhaltung hat uns gewaltig bei der Sache genützt und ist die Bedingung weiteren Gelingens, soweit es sich nämlich um das Er-
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werben der Funde handelt. Jetzt gehören uns 2/3, wobei ja natürlich die Theilung so oder so geschehen kann u[nd] bisher nicht zu Gunsten der Turchia geschehen ist: aber das ist doch immer ein heikler u[nd] ekler Punkt. Wir handeln jetzt also um das letzte Drittel aller Funde in Bausch u[nd] Bogen. Jedes Wort zu viel in der Öffentlichkeit kann uns da gewaltig den Handel verderben.«80
Diese Erfahrungen Conzes stehen demnach hinter der Devise Benndorfs, über die Expeditionen Stillschweigen in der Öffentlichkeit walten zu lassen. Man wollte damit Nachteile bei den Verhandlungen mit den türkischen Behörden um einen Ferman verhindern und hat das Vorhaben sicherheitshalber auch vor den Fachkollegen verheimlicht. Dem Unternehmen wurde diese selbst auferlegte Zurückhaltung nicht einfach gemacht. Denn noch während sich das Expeditionsteam 1881 auf der Anreise nach Lykien befand, hatte ein verheerendes Erdbeben am 3. April die Insel Chios heimgesucht, schwere Verwüstungen angerichtet und tausende Tote und Verwundete zurückgelassen.81 Die österreichische Expedition machte sich durch den Transport von dringend notwendigen Lebensmitteln, Decken, Medikamenten, Verbandszeug und Hilfsmannschaften verdient. Felix von Luschan und der Schiffsarzt Wenzel Swoboda versorgten zudem im Osten der Insel zahlreiche Verletzte. Die mediale Berichterstattung über diese Katastrophe war enorm, und es dürfte vermutlich nicht leicht gewesen sein, Berichte über die Beteiligung der österreichischen Expedition an den humanitären Hilfsmaßnahmen hintanzuhalten.82 Auch die Wiederentdeckung des Heroons am Ostersonntag, den 17. April des Jahres 1881, sollte keineswegs publik werden. Denn noch war kein einziger Stein für Wien gewonnen. Eine weitere Expedition war zwar ins Auge gefasst worden, aber noch gänzlich unsicher. Der Unmut Benndorfs über Aktivitäten Rudolf von Eitelbergers, von denen er im Mai 1881 durch nachgesandte Zeitungsausschnitte erfahren hatte, war ihm daher alles andere als angenehm. Seinem Ärger machte er in einem Brief an seine Frau Sophie Luft (Abb. 4): »Eitelbergers Zeitungsschreiberei ist mir gar nicht angenehm, und wehe, wenn acquirirt werden soll und er über diesen Bau sich in der Wiener Zeitung ausläßt. Es geht
80 Brief von Alexander Conze aus Berlin an Otto Benndorf vom 14. Dezember 1878 (ÖNB, HAD, Autogr. 637/42 – 48 Han). – Das ist vermutlich der Grund, weswegen anfangs »weder Humann noch Conze eine systematische Pressekampagne (initiierten)«, Samida 2011b, S. 294. Die Medienberichterstattung über Pergamon blieb aber auch in der Folge weit hinter jener über Schliemann und Olympia zurück, Samida 2011b, S. 295 mit Anm. 39. 81 Szemethy 2005, S. 49 – 51. 82 Die Beteiligung österreichischer Schiffe an den Hilfsmaßnahmen wird z. B. in der Neuen Freien Presse (Morgenblatt), Nr. 5975, 16. April 1881, S. 6 angesprochen.
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das gegen alle Verabredung. Er meint es sicher sehr gut, und es mag weniger schaden als ich mir einbilde, dieses ewige Schellengeläute bei jeder Bewegung.«83
Auch nach der Rückkehr der Expeditionsmitglieder nach Wien sollten besonders gegenüber der Presse, die sich in jenen Jahren »wie ein elektrisches Schlagwerk […] bei jedem neuen Funde (rührte)«,84 so wenige Informationen wie möglich über diese erste Expedition nach Lykien und Karien bekanntgegeben werden.
Abb. 4: Ausschnitt aus dem Brief Otto Benndorfs aus Kınık/Xanthos an seine Frau Sophie vom 25. Mai 1881, Archiv Benndorf.
Erste Zeitungsmeldungen über die zweite Expedition gehen in die Vorbereitungsphase auf diese Reise zurück, als der Irade, der Erlass des Sultans, bereits erschienen war und man in Wien auf das Eintreffen des offiziellen Fermans mit den Detailbestimmungen wartete. Auslöser für diese frühen Zeitungsnachrichten war ein in der Allgemeinen Kunst-Chronik am Samstag, den 25. Februar 1882 erschienener Bericht,85 der mit dem Satz eingeleitet wurde: »Oesterreich steht im Begriffe, den allzu weiten Vorsprung einzuholen, welchen Deutschland, Frankreich und England in der Entdeckung und wissenschaftlichen wie künstlerischen Verwerthung der Schätze des Alterthums gewonnen hatten.«
Voll Überschwang schrieb der Autor nach einem Hinweis auf die vorjährige Expedition durch Lykien und Karien:
83 Brief Otto Benndorfs aus Kınık/Xanthos an seine Frau Sophie vom 25. Mai 1881 (Archiv Benndorf). 84 Benndorf 1885, 247. – Dieser Vortrag Benndorfs vermittelt interessante Aufschlüsse darüber, welche »praktischen Wirkungen« man sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts von der Antike »in Hinsicht auf Kunst, wissenschaftliches Leben und öffentliche Bildung« erwartete, Benndorf 1885, S. 229. 85 Lauser 1882.
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»Und heute können wir mit patriotischer Genugthuung ankündigen, dass die Gewinnung eines der grossartigsten Objecte, welche hierbei entdeckt und untersucht wurden, für unsere Staatssammlungen in sicherer Aussicht steht.«86
Dem Redakteur Wilhelm Lauser war aus Kreisen der für die Finanzierung der zweiten Unternehmung und zum Zwecke archäologischer Erwerbungen neugegründeten privaten Gesellschaft zur archäologischen Erforschung Kleinasiens ohne Wissen Benndorfs dessen detailreiches Promemoria, d. h. ein Auszug aus seinem Bericht über die archäologische Expedition des Jahres 1881 nach Lykien und Karien vom 28. August 1881,87 zugespielt worden. Daran kann insofern kein Zweifel bestehen, als ganze Passagen des Artikels von Lauser mit diesem Schriftstück aus der Feder Benndorfs wörtlich übereinstimmen. Noch am selben Tag berichteten verschiedene Tageszeitungen in ihren Abend-Ausgaben mit Berufung auf die interessanten Mitteilungen in der Allgemeinen Kunst-Chronik ausführlich über die bevorstehende Expedition nach Lykien und stellten ebenfalls den Besitz des Kunstwerkes als »gesichert« dar.88 Darüber war Otto Benndorf aus Sorge um den Erfolg der bevorstehenden Unternehmung verständlicherweise keineswegs erfreut: »Telegraphirt ein Mitglied der türkischen Gesandtschaft den Inhalt dieser Artikel nach Constantinopel, so hat die Gesellschaft im günstigen Falle diese Kundgebung durch eine um einige Tausend gesteigerte Entschädigung zu zahlen.«
Um weiteren, den österreichischen Bestrebungen eventuell Schaden bringenden Meldungen zuvorzukommen, sandte Benndorf daher umgehend eine »berichtigende Notiz an die N[eue] freie Presse und an die alte Presse […], welche die ungünstigen Seiten der noch keineswegs gesicherten Erwerbung betont.« Ferner wurde »ein vertrauliches Schreiben an die Redactionen der hiesigen Tagesblätter aufgesetzt, welches gestern [d. i. der 26. Februar 1882] expedirt worden ist, um Vertagung jeder Mittheilung über die Expedition ersucht und späterhin eigene Berichte in Aussicht stellt.«89 86 Lauser 1882, S. 92. 87 Szemethy 2005, S. 380 – 382 (Dok. 19). 88 Vgl. Wiener Allgemeine Zeitung (Mittagsblatt) Nr. 717, 25. Februar 1882, S. 3; Die Presse (Erstes Abendblatt) Nr. 56, 25. Februar 1882, S. 1; Deutsche Zeitung (Abend-Ausgabe) Nr. 3646, 25. Februar 1882, S. 2; Fremdenblatt (Abendblatt) Nr. 56, 25. Februar 1882, S. 2. Die Neue Freie Presse berichtete erst einen Tag später in ihrem Morgenblatt Nr. 6287 vom Sonntag, 26. Februar 1882, S. 6 unter der Überschrift »Erwerbung eines antiken Kunstdenkmales« von der Gründung dieser neuen Gesellschaft und ihren Zielen. 89 Die letzten Zitate aus einem Brief Otto Benndorfs aus Wien an den Vizepräsidenten der genannten Gesellschaft, Nicolaus Dumba, vom 27. Februar 1882, s. Szemethy 2005, S. 393 (Dok. 31). – Vgl. dazu auch den Brief Otto Benndorfs aus Wien an Reinhard Kekul¦ vom 6. März 1882 (ÖNB, HAD, Autogr. 667/11 – 5 Han): »Ich habe die Hände voll zu thun, und viel Unerquickliches durchzumachen. Ein vorzeitiger und ohnedies wenig sachgemässer
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Die Berichtigung Benndorfs druckte Die Presse in ihrer Ausgabe Nr. 58 am 27. Februar 1882, S. 1 ab: »Herr Professor Otto Benndorf ersucht uns, mit Bezugnahme auf die in unserem gestrigen Abendblatte veröffentlichte Notiz zu constatiren, daß das fragliche Unternehmen derzeit noch in Vorbereitung begriffen ist und sein Gelingen abzuwarten steht. Es handelt sich dabei um zusammenhängende Serien leider mannichfach beschädigter griechischer Kalksteinreliefs, welche kunsthistorischen und antiquarischen, also vorwiegend wissenschaftlichen Werth besitzen, in ästhetischer und künstlerischer Hinsicht dagegen keineswegs hochgehende Erwartungen rechtfertigen können.«
Nicht genug, dass Benndorfs Geheimhaltungsabsichten missachtet wurden, hatten diese ersten Berichte über die in Aussicht gestellte Akquisition der Reliefs des Grabmals eine grundsätzliche Diskussion um die kleinasiatische Unternehmung und den Wert der Pflege der schönen Künste in Österreich in Gang gesetzt. In einem das gesamte Vorhaben äußerst kritisch darstellenden, mit »Ikonoklasten« überschriebenen Beitrag in der Wiener Allgemeinen Zeitung vom 2. März 1882 hinterfragte der Autor Alfred von Wurzbach90 mit sarkastischem Unterton die Notwendigkeit der »exotischen« Gesellschaft und die von ihr betriebene Öffentlichkeitsarbeit: »Wir haben vor wenigen Tagen von den Plänen einiger vaterländischer Kunstfreunde Kenntniß genommen, die unter der Aegide des Ministeriums des Aeußern bestrebt sind, die Niederlagen wettzumachen, welche uns Oesterreichern durch die erfolgreichen Bemühungen der reich dotirten Museen von London, Paris und Berlin unaufhörlich bereitet werden. […] eine Gesellschaft ist in solchen Fällen für uns unumgänglich nöthig. Es müssen Präsidenten und Vice=Präsidenten, Mitglieder und Ehrenmitglieder ernannt werden können, sonst würde dem ganzen Unternehmen der eigentliche Zweck fehlen. Wir wünschen ihr die glänzendsten Erfolge, obwohl wir nicht umhin können, zu bemerken, daß derlei Erwerbungen erst dann an die große Glocke gehängt werden sollen, wenn sie wohlverpackt im heimatlichen Hafen gelandet sind.«91
In der Folge nutzten einige Mitglieder der archäologischen Gesellschaft ihre guten Kontakte zu unterschiedlichsten wissenschaftlichen Publikationsorganen92 und zu den Printmedien und veranlassten anlässlich der Abreise BennTrompetenstoß in den Zeitungen, ehe wir den Ferman haben, der uns nur zugesichert ist, gab Anlass zu Sorgen und viel Verdrießlichkeiten.« 90 Alfred von Wurzbach Ritter von Tannenberg (22. 7. 1846 – 18. 5. 1915), Kunsthistoriker, Kunstkritiker und Schriftsteller, Sohn des bekannten Lexikographen Constantin von Wurzbach, bis 1887 Kunstreferent der Wiener Allgemeinen Zeitung, s. Fellner / Corradini 2006, S. 465. 91 Wurzbach 1882. 92 Vgl. z. B. die regelmäßigen Berichte in den Mittheilungen des k. k. Österreichischen Museums für Kunst und Industrie (Monatsschrift für Kunst und Kunstgewerbe), vgl. Jg. 17, Nr. 200, 1. Mai 1882, S. 118 f.; Nr. 206, 1. November 1882, S. 263 f.; Jg. 18, Nr. 212, 1. Mai 1883, S. 409; Nr. 219, 1. Dezember 1883, S. 573 f.; Jg. 19, Nr. 226, 1. Juli 1884, S. 164.
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dorfs aus Triest am 15. April 1882 kurze Artikel in diversen Zeitungen.93 Über diese war Benndorf auch während seiner Reise in Kenntnis gesetzt, erhielt er doch im Lager auf der Höhe von Trysa – mit einiger Verspätung durch den langen Postweg – regelmäßig Zeitungen zugestellt: »In den Z[ei]t[un]gen werden Sie finden was Bucher94 u[nd] ich über unsere Expedition publicirt haben. Sie sind wohl damit einverstanden, daß ich Haymerles95 so warm gedachte u[nd] den Lloyd accentuirte. Auch den Appel an die Zukunft, zwei Mal, in der Mitte u[nd] am Ende des Schriftstückes, setzte ich bei. Die Neue Presse ignorirte die Zuschrift gänzlich, die alte kürzte sie. Ich habe das Schriftstück auch an die Augsburger Allgemeine gesandt.«96
Aber wie schon bei der ersten Expedition, so war auch die mediale Berichterstattung über den weiteren Verlauf der zweiten auf ausdrücklichen Wunsch Benndorfs sehr zurückhaltend.97 Erst als er durch geschickte Verhandlungen und diplomatische Unterstützung aus Wien und Konstantinopel erreicht hatte, dass ihm nicht nur das durch den Ferman vorgesehene eine Drittel der Funde, sondern alle Relieffriese des Heroons zum Transport nach Wien übergeben wurden, galten keine »taktischen« Rücksichten mehr. Das Ergebnis hatte Benndorf mit seiner Haltung gegenüber der Öffentlichkeit recht gegeben. Später schrieb ein Journalist: »Das Geheimniß ist die Hälfte des Erfolges – Benndorf verdankt ihm in der That so viel. Bei der Konkurrenzjagd nach Alterthümern, an der nun auch die Amerikaner mit der ihnen eigenen Energie theilnehmen, und bei dem notorischen Mißtrauen der Türkei, 93 Triester Tagblatt, 16. April 1882; Wiener Abendpost (Beilage zur Wiener Zeitung) Nr. 88, 18. April 1882, S. 3; Die Presse, Nr. 107, 19. April 1882, S. 10 f. – Vgl. den Brief Alexander Freiherrn von Warsbergs aus Wien an Otto Benndorf, ohne Datum, jedenfalls aber vor dem 15. April 1882 (ÖNB, HAD, Autogr. 663/42 – 17 Han): »Hofrath von Eitelberger sprach mir gestern die Ansicht aus, es erschien ihm nunmehr dringend gebothen, daß sich die Wiener Z[ei]t[un]g über das Unternehmen äußere u[nd] zwar am Tage Ihrer Abreise oder unmittelbar danach. Er meint, Sie oder Herr Bucher möchten die Notiz verfassen, es sollen darin alle Theilnehmer der Expedition, ebenso wie das hiesige DirektionsComite genannt, die umfassenden Zwecke der Expedition im allgemeinen bezeichnet werden, was möglich sei, ohne die beiden Objekte geradezu mit Namen hervorzuheben. Eitelberger steht sehr fest zu dieser Ansicht.« 94 Bruno Bucher (24. 4. 1826 – 9.6.1899), Kunsthistoriker, Bibliothekar am k. k. Österreichischen Museum für Kunst und Industrie und Redakteur der Mittheilungen dieser Einrichtung, s. ÖBL 1 (1957) S. 123. 95 Heinrich Karl von Haymerle (7. 12. 1828 – 10. 10. 1881), Minister des Äußeren, der das Zustandekommen der ersten Lykien-Expedition wesentlich förderte, s. ÖBL 2 (1959) S. 227; NDB 8 (1969) S. 154 (R. Lorenz). 96 Brief Alexander Freiherrn von Warsbergs an Otto Benndorf aus Wien vom 21. April 1882 (ÖNB, HAD, Autogr. 663/41 – 7 Han). 97 Mir ist lediglich ein Beitrag in der Neuen Freien Presse, Nr. 6391 vom 13. Juni 1882, S. 5 bekannt, der im wesentlichen auf erste Berichte von Benndorf und Robert von Schneider zurückzugehen scheint, Szemethy 2005, S. 418 – 422 (Dok. 48. 49).
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welcher noch heute die goldenen Gefäße Schliemann’s schmerzlich in den Augen brennen, wäre ein Lärmschlagen über den ersten Fund gewißlich sehr verderblich geworden. So versicherte sich Benndorf zuerst einer staatlichen Kommission, welche bestätigen sollte, was er erforscht und gesagt, was sie denn auch in aller Stille that, versicherte sich des türkischen Fermans zum Wegführen der Funde, und führte sie weg, auch in aller Stille.«98
Das »Feuer« medialer Berichterstattung Erst nach diesem positiven Abschluss wurden in der Öffentlichkeitsarbeit alle Register gezogen. Im Rahmen einer Presseführung im Souterrain des heutigen Kunsthistorischen Museums zeigte man Journalisten eine Auswahl der originalen, bereits ausgepackten Friesplatten – Szenen aus der Odyssee und der Jagd des Meleager sowie die Landungsschlacht, Stadtbelagerung und Amazonomachie. Man wollte ihnen dabei den hohen künstlerischen Wert der Reliefs verdeutlichen.99 Danach folgte am Donnerstag, 30. November 1882, um 7 Uhr Abend im Vortragssaal des Österreichischen Museums für Kunst und Industrie ein Vortrag Benndorfs mit dem Titel »Über die österreichische archäologische Expedition nach Lykien«.100 Dieser war als Höhepunkt der öffentlich-medialen Inszenierung geplant und in etlichen Tageszeitungen angekündigt worden.101 Der Vortrag wurde in zahlreichen in- und ausländischen Medien ausführlich besprochen, wobei stets betont wurde, dass private Förderer hinter der Unternehmung standen.
Folgende Forschungsunternehmungen Privates Mäzenatentum blieb auch fortan der Motor der österreichischen archäologischen Unternehmungen in Kleinasien. Das gilt für die Expeditionen des Grafen Karl Lanckoron´ski nach Pamphylien und Pisidien102 in den Jahren 1882 98 Schembera 1882, S. 1. 99 Allgemeine Kunst-Chronik. Illustrierte Zeitschrift für Kunst, Kunstgewerbe, Musik und Literatur 6 (1882), Nr. 47, S. 639 f. (25. November 1882): »Die Güte des geistigen Leiters […], Herrn Professor Benndorf, hat uns gestattet, die bereits den Kisten entnommenen archäologischen Schätze im k. k. Museum zu besichtigen« (Zitat S. 639). 100 Zur Rolle von Vorträgen in der Wissenschaftsvermittlung und -popularisierung im 19. Jahrhundert s. Zintzen 1998, S. 152 – 162; Ruchatz 2009. s. auch o. Anm. 7. 101 Etwa Wiener Zeitung Nr. 274, 29. November 1882, S. 2; Neue Freie Presse (Morgenblatt) Nr. 6560, 29. November 1882, S. 5; Wiener Allgemeine Zeitung (Mittagsblatt) Nr. 992, 30. November 1882, S. 2; Kalendarium des Local-Anzeigers der Presse, Beilage zu Nr. 331, 30. November 1882, S. 1. 102 Lanckoron´ski 1890/1892.
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bis 1885 ebenso wie für die Bereisungen des kleinasiatischen Raumes ab 1890, die durch eine großzügige Stiftung von Fürst Johann II. von und zu Liechtenstein möglich wurden und die Begründung der »Commission für archäologische Erforschungen Klein-Asiens« an der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften sowie die Herausgabe der »Tituli Asiae Minoris« nach sich zogen.103 Und auch die bis auf den heutigen Tag in Ephesos durchgeführten Grabungskampagnen verdanken ihre Entstehung zu einem wesentlichen Teil einem privaten Mäzen, Karl Mautner Ritter von Markhof.104
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Abkürzungen für Archivalien Archiv Benndorf Privatarchiv der Urenkel Otto Benndorfs, Graz DAI Berlin Deutsches Archäologisches Institut Berlin ÖNB, HAD, Autogr. Österreichische Nationalbibliothek, Sammlung von Handschriften und alten Drucken, Autographe
Gerhard Holzer
Ferdinand von Hochstetter und die Organisationsformen der Geologie in der Habsburgermonarchie
Für die Geschichte der Mineralogie und Geologie in den habsburgischen Ländern stellt der Vormärz einen wesentlichen Schritt zur Institutionalisierung und Etablierung der Geowissenschaften im Allgemeinen und für die Herausbildung der Geologie als eigenes Fach im Besonderen dar. Mit der Gründung der k. k. Geologischen Reichsanstalt (künftig abgekürzt GRA) 1849 erreichte diese Entwicklung einen Höhepunkt. Mitten hinein in diesen Aufschwung der geologischen Forschung, der durch den gesteigerten Rohstoffbedarf der beginnenden Industrialisierung – insbesondere durch den Umstieg der eisenverarbeitenden Industrie auf Steinkohle – begünstigt wurde,1 verschlug es im Herbst 1852 einen jungen württembergischen Geologen nach Wien. Der 1829 in Esslingen nahe Stuttgart geborene Ferdinand Hochstetter sollte im Laufe seiner Karriere viele der bedeutenden Organisationen der Habsburgermonarchie, in denen im Verlauf des 19. Jahrhunderts geologische Forschungen betrieben wurden, durchlaufen. Somit bildet sein Werdegang als Geologe einerseits einen guten »Kristallisationspunkt«, um die Strukturen dieses Faches in der Habsburgermonarchie kennen zu lernen. Andererseits hatte er durch seine wissenschaftlichen, familiären und gesellschaftlichen Kontakte – immerhin wurde er 1872, obwohl Sohn eines evangelischen Pastors und bekennender Darwinist, zum Erzieher des Kronprinzen Rudolph in den naturwissenschaftlichen Fächern ernannt – durchaus die Möglichkeiten, Strukturen zu verändern oder auch neue zu initiieren.2
1 Zu den Anforderungen und Voraussetzungen der neuen Industrien in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den Ländern der Habsburgermonarchie vgl. Chaloupek / Lehner / Matis / Sandgruber 2003, S. 234 – 236. 2 Zur allgemeinen Biographie Hochstetters vgl. Holzer 1984; Heger 1884 (dieser Nachruf enthält auch eine weitgehend vollständige Publikationsliste).
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Die Geologischen Forschungsstätten vor 1849 Ein kurzer Rückblick auf die Zeit vor der Gründung der Reichsanstalt zeigt, dass die Habsburgermonarchie ebenso wie das restliche Kontinentaleuropa während des 18. und auch noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts immer noch stark auf das Montan-, Berg- und Hüttenwesen fokussiert war. Dementsprechend waren es auch die auf Montanwissenschaften spezialisierten staatlichen Lehrinstitute, die sich in diesem Zeitraum in der Praxis zu den ersten Zentren geologischer Forschung entwickelten: 1) Berg(bau)schulen sollten Grubenbeamten ein breites technisches Basiswissen vermitteln, um die vielfältigen Aufgaben unter Tage fachgerecht durchführen zu können. Als meist private Fachschulen für das gehobene Führungspersonal war eine wissenschaftliche Ausbildung hier zwar nicht vorrangig, die Ausbildung bot aber doch die Grundlage, dass sich Abgänger im späteren Verlauf ihrer Karriere auch in den Bereich der geologischen Forschung vorwagten. Als Beispiel für diese Art Einrichtung wäre etwa die Bergbauschule St. Joachimsthal in Böhmen zu nennen. 2) Bergakademien wurden als montanwissenschaftliche Bildungseinrichtungen geschafften, an der künftige Berg- und Hüttenleute eine höhere Bildung in den wichtigsten neuzeitlichen Ausbildungsrichtungen (Geologie, Mineralogie, Ingenieurgeologie, Verfahrenstechniken und Markscheidewesen) erhalten sollten. Aufbauend auf die 1735 im slowakischen Schemnitz – heute Bansk Sˇtiavnica – gegründete Bergschule wurde hier 1762 bis 1770 schrittweise die älteste Bergakademie eingerichtet. Fast gleichzeitig wurde 1765 in Freiberg in Sachsen die bekannteste derartige Anstalt ins Leben gerufen, die auch heute noch als Technische Universität Bergakademie Freiberg Bestand hat.3 3) Das k. k. Polytechnisches Institut in Wien wurde 1815 von Kaiser Franz I. mit dem Ziel gegründet, Ingenieure für das Militär sowie Bergbau- und Bauingenieure heranzubilden. In der Ausbildung waren die naturwissenschaftlichen Fächer Zoologie und Mineralogie nur sehr rudimentär vertreten. Erst 1843 rückte mit Franz Leydolt (1810 – 1859), der nach seinen Studien bei Friedrich Mohs starkes Interesse in Richtung Mineralogie, insbesondere der Kristallographie entwickelt hatte, ein Teilgebiet der Geologie in den Vordergrund der gelehrten Fächer.4 4) Das Institut für Mineralogie und Kristallographie ging auf eine bescheidene Mineraliensammlung der Universität Wien aus den Tagen des 3 Zur Entwicklung der Bergschulen und Bergakademien im 18. Jahrhundert siehe Fettweis 2004, S. 234 – 238. 4 siehe Kieslinger 1965. S. 244 f. und Hantschk 1988, S. 99 – 147.
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Vormärz zurück. 1849 wurde Franz Xaver Zippe (1791 – 1863) zum ersten Ordinarius für Minerologie an die philosophischen Fakultät der Universität Wien berufen, womit er eine zentrale Stellung für die neuen erdwissenschaftlichen Fächer Geologie und Paläontologie einnahm. Ihm wurde auch die Leitung der Lehrsammlung mit der Bezeichnung Mineralogisches Museum – um 1900 in Mineralogisches Institut an der philosophischen Fakultät der Universität Wien geändert – übertragen.5 An dieser Stelle bietet sich ein guter Anknüpfungspunkt zum Beginn der wissenschaftlichen Laufbahn Hochstetters. Denn an einem vergleichbaren Institut der Eberhard Karls Universität in Tübingen hatte Hochstetter 1847 begonnen, bei Friedrich August von Quenstedt (1809 – 1889) zu studieren. Dieser hatte 1837 den neu geschaffenen Lehrstuhl für Mineralogie und Geognosis übernommen und sich bei seinen Forschungen vor allem auf Fossilien sowie deren Nutzung in der Stratigraphie spezialisiert. Er stand auf Grund seiner Alpenstudien auch in regem Austausch zu vielen österreichischen Fachkollegen.6 Nach Abschluss seines Studiums gelangte Hochstetter im Herbst 1852 nach Wien, wo er dank der Kontakte seines älteren Bruders Carl rasch in die gehobenen gesellschaftlichen Kreise und dank seiner Empfehlungsschreiben auch in die wissenschaftliche Fachwelt Wiens Eintritt fand.7 1847 war nach langem Hin und Her zwischen Politik und verschiedenen bildungsbürgerlichen Interessengruppen endlich die Kaiserliche Akademie der Wissenschaften (künftig abgekürzt kAW) gegründet worden,8 in deren mathematisch-naturwissenschaftlicher Klasse überproportional viele Erdwissenschaftler vertreten waren. Hochstetter nahm als Gast an den Sitzungen der Klasse teil und fand damit Anschluss an die Wiener Geologenszene. Der frischgebackene »Akademiker« durfte sogar auf Einladung von Anton von Schrötter und Andreas von Ettinghausen an der kAW nicht nur über seine Dissertation über die Kristallographie des Kalkspats vor den Mitgliedern der Klasse referieren, sondern er konnte diese auch im Rahmen der Denkschriften »kostengünstig« veröffentlichen.9
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vgl. Seidl / Perlik / Svojtka 2009, S. 161 – 209. Wolf / Hölder, S. 19 – 28, 117. Zu Hochstetters Ankunft in Wien vgl. Nolden 2012, S. 128 f. Nähere Ausführungen zur Gründungsgeschichte der kAW im Vormärz siehe Meister 1947. S. 19 – 35. 9 vgl. Protokoll der Sitzung der mathematisch-naturwissenschaftlichen Classe am 18. November 1852, AÖAW, B 146: »Vorträge. Hr. D.tor Ferd. Hochstetter spricht über das «Kalkspathsystem, seine Deduktion und Projection, und Vergleichung derselben mit der Entwicklung des Tesseral-Systems in rhomboedrischer Stellung», und ersucht um Aufnahme der betreffenden Abhandlung in die Denkschriften.« Letzteres wurde ihm genehmigt, und so
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Im Umfeld dieses Faches Geologie hatte das Revolutionsjahr 1848 wichtige politisch-administrative Veränderungen mit sich gebracht. Bereits 1826 war Friedrich Mohs (1773 – 1839), der zuvor am Grazer Joanneum und an der Bergakademie Freiberg in Sachsen tätig gewesen war, als ordentlicher Professor für Mineralogie an die Universität Wien berufen worden. Hier kümmerte er sich besonders um den zweiten Ansatzpunkt der geologischen Forschung in der Habsburgermonarchie vor 1849, die Mineraliensammlungen. Nach der von ihm 1827 initiierten Neuordnung des Hof-Mineralien-Kabinetts, das er erstmals auch für den öffentlichen Unterricht nutzen durfte, schuf er 1835 mit der Zentralen Mineraliensammlung oder dem Montanistischen Museum in der Hofkammer für das Münz- und Bergwesen eine wichtige staatliche Stelle für die Koordinierung der Forschung. Den österreichischen Geologen selbst fehlten aber immer noch gemeinsame Publikationsorgane, die ihnen eine Plattform für die Vernetzung bei der Bewertung ihrer Forschungsergebnisse bzw. für die Erstellung von einheitlichen Standards bei ihrer eigenen, meist regional sehr unterschiedlichen Forschungsgrundlagen geben konnten.10 Nachdem Mohs 1839 gestorben war, übernahm 1840 sein Schüler Wilhelm von Haidinger (1785 – 1871) die Direktion des Montanistischen Museums. Er konnte zunächst im Bereich der Publikationsplattformen durch die Berichte über die Mittheilungen von Freunden der Naturwissenschaften in Wien (1847 – 1851) eine gewisse Erleichterung erzielen.11
Die k. k. Geologische Reichsanstalt Bei allen erzielten Fortschritten blieben die Länder der Habsburgermonarchie aber immer noch hinter den in der Geologie führenden Nationen wie etwa Großbritannien zurück, wo bereits 1835 von Henry Thomas de la BÀche (1796 – 1855) als Ordnance Geological Survey der weltweit älteste geologische Dienst gegründet worden war. Hatten dort schon davor »Gentlemen-Geologen« der Geological Society of London auch aus persönlichen wirtschaftlichen Motiven – immerhin gehörten ihnen meist die lukrativen Kohleminen – den wissenschaftlichen Fortschritt vorangetrieben,12 so oblag diese Aufgabe in Kontinentaleuropa vor allem staatlichen Institutionen.13 Dazu reichte es nicht nur, in einzelnen Landes-
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erschien 1854 seine Dissertation als erste seiner langen Reihe von gedruckten Publikationen im 6. Band Denkschriften der Klasse (Hochstetter 1854). Zur Geschichte des Montanistischen Museums unter Mohs siehe: Cernajsek 1999, S. 46 ff. Zur Rolle Haidingers in Bezug auf die Versammlung der Freunde der Naturwissenschaften vgl. Hauer 1871, S. 34 f. Vgl. dazu u. a. Oldroyd 2007, S. 161 f. und Seibold 1996, S. 18 f. Wie sich die Verhältnisse Mitte des 19. Jahrhunderts in der Habsburgermonarchie von denen
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teilen geologisch zu forschen, sondern die Untersuchungen mussten von zentralen Stellen aus planmäßig und systematisch auf größere Landesteile und letztlich auf den Gesamtstaat hin ausgerichtet und durchgeführt werden. Auch die geologische Wissenschaft nutzte die administrative Umorganisationen im Gefolge des Revolutionsjahres 1848: Das Montanistische Museum war dem neuen Ministerium für Landescultur und Bergwesen unter Ferdinand von Thinnfeld (1793 – 1868), dem Schwager Wilhelm Haidingers, unterstellt worden.14 Nach den Intentionen dieser beiden Persönlichkeiten sollte es nun zu einem neuen Reichsinstitut für Geognosie und Geologie umgebaut werden und sich gemäß dem Motto des jungen Kaisers Franz Joseph mit Viribus Unitis der flächendeckenden geologischen Landesaufnahme der Österreichischen Monarchie widmen.15 Binnen zweier Monate arbeitete Haidinger die Organisationsstruktur für die neu zu gründende Institution aus, die Thinnfeld im Oktober 1849 dem Kaiser vorlegte: Dabei berücksichtigte Haidinger nicht nur die eigentliche Organisation in Hinblick auf Personal und Kosten, sondern er initiierte mit seinen Forderungen auch die gesetzliche Grundlage für deren Publikationsorgane – das Jahrbuch bzw. die Abhandlungen der GRA. Vergleicht man die personelle Ausstattung dieses Entwurfes mit dem realen Personalstand von 1854, so fällt auf, dass speziell die projektierte Gruppe der »zeitlich angestellten Geologen ohne fixe Anstellung« fast vollständig einer fünfköpfigen Gruppe fest angestellter Geologen gewichen war.16 Auch Hochstetter war es gelungen, im Februar 1853 eine Stellung als Hilfsgeologe bei dem angelaufenen wissenschaftlichen Großunternehmen, das die geologische Landesaufnahme der Habsburgermonarchie zum Ziel hatte, zu bekommen.17 Dabei mögen ihm seine gesellschaftlichen und akademischen Kontakte sicherlich zu Gute gekommen sein, aber der Hauptgrund für seine Anstellung war wohl seine hervorragende Ausbildung – sein Lehrer Quenstedt hatte ihn dank des Forschungsschwerpunktes auf Fossilien und ihrer Nutzung in der Stratigraphie mit der wichtigsten Grundlage für die Erstellung geologischer Karten vertraut gemacht. Diese Fähigkeiten konnte Hochstetter in den Jahren seiner Tätigkeit für die
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in Großbritannien unterschieden, zeigt sich sehr anschaulich in den Briefen des späteren Direktors der GRA Franz von Hauer (1822 – 1899), die dieser von einer Reise nach Westeuropa im Revolutionsjahr 1848 an seine Familie in Wien schickte, vgl. Petrascheck / Hamann 1985, hier insbes. S. 59 – 63. Zum Einfluss der verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Persönlichkeiten auf die Gründung der GRA vgl. Boden 2012, S. 11 – 24. Zur Gründung der GRA siehe Cernajsek 1996. S. 9 f. Vgl. dazu Jahrbuch der k. k. Geologischen Reichsanstalt 1(1850), S. 3 f. bzw. ebd. 5 (1854), S. III f. Vgl. Bestätigung der Verwendung als Hilfsgeologe, Archiv der GBA, Prot. 765/1853.
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Abb. 1: Hochstetter in der Dreieckmark im Böhmerwald, aus: Pfligersdorffer: Ferdinand von Hochstetter – Böhmerwaldzeichnungen, S. 80.
GRA im Böhmerwald ausgiebig praktizieren und weiterentwickeln, da er wie die anderen in der Landesaufnahme tätigen Geologen die meiste Zeit auf sich gestellt im oft unwegsamen Gelände des Böhmerwaldes unterwegs war (vgl. Abb. 1). Doch damit nicht genug, forderte Direktor Haidinger von seinen Geologen eine umfassende naturhistorische und historische Bildung, um nicht nur geologische sondern auch »[…] Messungen, dann der Wissenschaft und Landeskunde überhaupt angehörigen, namentlich physikalischer, geographischer naturhistorischer, selbst archäologischer und ethnographischer Daten, […]«.18
zu erfassen. Diese Art »universelle« Sichtweise sollte Hochstetter im Laufe seiner weiteren Karriere mehr als gelegen kommen. Offenbar erledigte er seine Arbeit auch so hervorragend, dass er nach dem überraschenden Tod seines Vorgesetzten Johann Baptist Czˇjzˇek (1806 – 1855) dessen Aufgaben zuerst interimistisch erledigte und danach zum Chefgeologen seiner Sektion befördert wurde.19 Parallel zu den geforderten Berichten über seinen Bearbeitungsraum, die er für sich privat durch eine Reihe von topographischen und ethnographischen 18 Czˇjzˇek 1850, S. 371 f. 19 Hochstetter hatte neben seinem zugewiesenen Aufnahmegebiet auch einen Teil von Czˇjzˇeks Aufnahmebereich sowie dessen Übersichts- und Revisionsaufgaben übernommen. Vgl. Jahrbuch der Geologischen Reichsanstalt 6 (1855), S. 858 f.
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Abb. 2: Ferdinand Hochstetter, Lithographie von Adolf Dauthage, 1857.
Skizzen ergänzte,20 publizierte Hochstetter auch eine Reihe von Aufsätzen und Monographien, womit er sich im Herbst 1856 als Privatdozent an der Universität Wien habilitieren konnte. Doch bleiben wir zunächst weiter bei der GRA: Im Gefolge des verlorenen Krieges gegen Sardinien und Frankreich 1859 kam es auch in der österreichischen Innen- und Wissenschaftspolitik zu einer schwerwiegende Krise: Nach dem Rücktritt ihres Förderers Innenminister Alexander von Bach (1813 – 1893) sollte die GRA aus Einsparungsgründen unter die Verwaltung der kAW gestellt werden. Erst als sich herausstellte, dass das »Einsparungspotential« wesentlich geringer war als erwartet, wurde 1861 ihre eigenständige Stellung wieder bestätigt.21 So konnte mit der Sommersaison 1862 die 1. Phase der geologischen Landesaufnahme beendet werden und fand 1867 mit der Herausgabe der Geologischen Übersichtskarte der Österreichischen [Österreichisch-ungarischen] Monarchie
20 Das Original dieses privaten Skizzenbuches befindet sich im Besitz der Erben Hochstetters in Basel (siehe Pfligersdorfer 1986, S. 29) und wurde 1986 vom dem Salzburger Altphilologen Georg Pfligersdorffer (1916 – 2005) ediert. 21 Kadletz 1999, S. 89 f.
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nach den Aufnahmen der k. k. geologischen Reichsanstalt in 12 Blatt im Maßstab 1:576.000 durch den neuen Direktor der GRA, Franz von Hauer, ihren Abschluss.22 Während sich die GRA nun der Detailaufnahme der Länder der Donaumonarchie zuwandte, war für den Protagonisten Hochstetter das zweite wissenschaftliche Großunternehmen der Habsburgermonarchie, an dem die Geologie zu einem beträchtlichen Teil beteiligt war, in den Vordergrund gerückt.
Die Weltumsegelung der Fregatte Novara 1857 – 1859 Schon seit 1850 hatten die neu strukturierte Kriegsmarine und das Handelsministerium Pläne für überseeische Übungsfahrten geschmiedet, die jedoch erst unter dem Marinekommando von Erzherzog Ferdinand Max umgesetzt wurden. Die Ziele dieser Fahrt lagen selbstverständlich nicht nur, wie offiziell bekundet, darin, dem Personal der Marine das Training in der Hochseeschifffahrt zu ermöglichen. Vielmehr standen massive politische – sei es nur einfach auf den Weltmeeren »Flagge zu zeigen« oder um mögliche koloniale Interessen umzusetzen – sowie wirtschaftliche Gründe hinter dieser Reise. Bei letzteren ging es insbesondere darum, für die rasch anwachsende österreichische Dampfschiffflotte, die in absehbarer Zeit den Suezkanal nützen würde können, weltweit Stationen anzulegen, an denen sie Kohle bunkern konnte.23 Ein Vorhaben also, das insbesondere den Einsatz eines Geologen erfordern würde. So wurde Ende Oktober 1856 die kAWoffiziell eingeladen, zwei Naturforscher zu stellen, die die für das darauffolgende Jahr geplante Weltumsegelung durch die Fregatte Novara begleiten sollten.24 Innerhalb weniger Tage trat die Auswahlkommission zusammen, um die Kriterien für die potentiellen Kandidaten auszuarbeiten. Bezeichnenderweise sollten es insbesondere Kandidaten aus den Fächern Geologie / Physik und Naturgeschichte sein, die sich bereits als »[…] verlässliche und geübte Sammler erprobt haben.«25 Hochstetter selbst hatte wohl schon während seines Aufenthaltes in Triest im Sommer 1856 – und nicht erst, wie er in seiner Bewerbung behauptet, in der Sitzung vom 20. Oktober bei der Verlesung des Schreibens Schaubs – von der geplanten Reise erfahren. Er konnte 22 Zu Durchführung, Umfeld und Hintergründen der geologischen Landesaufnahme vgl. u. a. Klemun 2012, S. 83 – 101 sowie Klemun 2011a. S. 34 – 36. 23 Zum Zusammenhang zwischen dem Bau des Suezkanals und der Fahrt der Novara siehe Weiss / Schilddorfer 2010, S. 76 – 80. 24 Siehe: Schreiben des Astronomen der k. k. Marine Dr. F. Schaub an die kAW vom 25. Oktober 1856, AÖAW, Akten der Novara-Expedition, 939/1856. 25 Vgl. »Protokoll der Commissionsitzung zur Berathung über die Beigestellung von 2 Naturforschern bei der Reise von I.rer Majestät Fregatte Novara am 3. November.« AÖAW, Akten der Novaraexpedition, ad 972/1856.
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sich dank seiner fachlichen Voraussetzungen sowie seiner Fürsprecher innerhalb der kAW – allen voran sein »Chef« Wilhelm Haidinger – ziemlich sicher sein, dass seine Mitte November abgeschickte, sehr selbstbewusst formulierte Bewerbung als Geologe und Physiker der Expedition angenommen werden würde: »Durch eine vierjährige Praxis bei den Aufnahmen der k. k. geologischen Reichsanstalt bin ich in geologischen und mineralogischen Beobachtungen und Allem, was damit zusammenhängt, in fortwährender Uebung und darf in dieser Beziehung auf die Resultate dieser Untersuchungen hinweisen, wie sie im Jahrbuch der k. k. geologischen Reichsanstalt, in den Schriften der kais. Akademie und in kleineren selbstständigen Aufsätzen und Broschüren niedergelegt sind. Bei diesen geologischen Arbeiten war immer zugleich eine Hauptaufgabe das Sammeln. Ich erlaube mir, hiebei noch besonders zu erwähnen, daß ich mich auf meinen geologischen Reisen nie ausschließlich auf das Sammeln mineralogischer und geologischer Vorkommnisse beschränkt habe, sondern von Jugend auf von meinem Vater dazu angehalten immer zugleich Pflanzen und Insekten sammelte. Ich erwähne dies, weil ich hoffe, auch auf der bevorstehenden Reise jede Gelegenheit zu benützen zu können zum Sammeln von Pflanzen und Insekten und, ohne Botaniker oder Zoologe vom Fach zu sein, wenigstens dem Zoologen wenigstens mitzuhelfen, den Botaniker im Sammeln aber vielleicht einigermaßen ersetzen zu können. Diese geologischen Reisen – ich will auch das erwähnen – haben den weiteren Vorteil für mich gehabt, daß mein von Natur ganz gesunder und kräftiger Körper auch an physische Anstrengungen gewöhnt ist, welche größere Reisen nothwendig mit sich bringen.«26
Im Gegensatz zum Bewerber um die zweite Stelle als Teilnehmer für die »Naturgeschichtlichen Fächer«, dem Zoologen und Botaniker Georg Frauenfeld (1807 – 1873), wurde er einstimmig von den 19 anwesenden Mitgliedern der mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse gewählt.27 Da sich die Akademiemitglieder, wie bereits angedeutet, hauptsächlich möglichst umfangreiche Sammlungen für ihre eigenen Forschungsgebiete erhofften, wurden in einem eigenen Band genaue »Anweisungen für die Naturforscher« verfasst, die teilweise schon peinliche und bis ins Detail gehende Instruktionen, wie zu sammeln sei, enthielten: »Beim Aufsammeln der [fossilen Pflanzen-]Reste ist es zweckmäßig, nebst den zum Spalten der Gesteine nothwendigen Hämmern (es erweist sich vortheilhaft mehrere Hämmer von verschiedener Grösse zu gebrauchen), eine Kneipzange, …, theils behufs des Raum und Zeit ersparenden Formatisirens der Stücke an Ort und Stelle, theils um 26 Auszug aus dem Bewerbungsschreiben Hochstetters, AÖAW, Akten der Novara-Expedition, 2.1097 / 1856. Zur Dokumentation der Unsicherheit des jungen Wissenschaftlers wurden auch die Streichungen, die Hochstetter in diesem offiziellen Ansuchen vorgenommen hatte, beibehalten. 27 Vgl. »Protokoll der Sitzung der mathematisch-naturwissenschaftlichen Classe am 4. December 1856.« AÖAW, Allgemeine Akten, 13.266.
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kleinere Stücke oder zartere dünnere Schiefer schnell und sicherer zu spalten, als dies mit Gebrauch des Hammers geschehen kann.«28
Da die kAW damals selbst über keine eigene Instrumentensammlung verfügte, wurden die notwendigen Geräte im In- und Ausland angeschafft. Zum Teil wurden diese Apparaturen direkt vor Ort von den Naturforschern übernommen – wie etwa verschiedene Instrumente, die die Royal Navy für Magnetmessungen zu Verfügung stellte –, da diese ja auch in deren Gebrauch erst unterwiesen werden mussten. Der zweite Hauptgrund für diese Vorbereitungsreisen lag in der wissenschaftlichen Beratung, die man sich aus den Treffen mit Vertretern der deutschen, englischen und französischen Naturwissenschaften und Reisenden wie etwa Alexander von Humboldt29 oder Charles Darwin30 erhoffte.31 Während der Reise selbst galt Hochstetters besonderes Interesse den verschiedenen Formen und Phänomenen des aktiven Vulkanismus, worüber er regelmäßig nach Europa berichtete.32 Seine eigentliche geologische Feldarbeit beschränkte sich hingegen auf einige wenige Anlaufpunkte, an denen entweder Interessen von Seiten der österreichischen Wirtschaft und Politik bestanden – wie etwa auf der Insel St. Paul und auf den Nicobaren – oder aber diplomatisches Entgegenkommen gegenüber den Kolonialbehörden – wie in Australien und Neuseeland – geologischen Untersuchungen breiteren Raum gab. Im Fall Neuseelands führte der Besuch der Novara zu einer lang andauernden wissenschaftlichen Zusammenarbeit: Hochstetter durfte sich in Auckland ausschiffen und konnte bei seinem zehnmonatigen Aufenthalt u. a. mit seinem Begleiter Julius Haast (1822 – 1887)33 große Teile des unerforschten Inneren der Nordinsel bereisen.34 Die Ergebnisse seiner Arbeiten, wobei er ähnlich wie bei der Landesaufnahme weitgehend auf eigene Feldstudien angewiesen war35 (vgl. 28 Bemerkungen 1857. S. 43. 29 Humboldt verfasste sogar ein handschriftliches Begleitschreiben an den Leiter der Expedition Bernhard von Wüllerstorf-Urbair sowie Physikalische und geognostische Erinnerungen, in denen er seine Ratschläge für allfällige Forschungen und Messungen gab. Ein FaksimileAbdruck davon findet sich in Scherzer 1 1861, Beilage I und II. 30 Aus einem Brief Hochstetters an Darwin vom 26. 3. 1868 geht hervor, dass sich die beiden offenbar bereits im Februar 1857 in London getroffen hatten. Vgl. Burkhardt 2008, S. 324. 31 Zu den Vorbereitungen zur Weltumsegelung siehe: Holzer 1984, S. 12 – 17 und Nolden 2012, S. 132 f. 32 Vgl.: Ferdinand von Hochstetters Arbeiten über : Madeira, St. Paul, Java und die Philippinen u. a. Hochstetter 1859, S. 121 – 143. 33 Haast blieb nach Hochstetters Abreise in Neuseeland, unternahm weiter Forschungsreisen auf der Südinsel, wurde 1867 Direktor des neugegründeten Canterbury Museum in Christchurch und stand bis zu Hochstetters Tod 1884 mit ihm in ständigem Briefkontakt. Vgl. Haast 1948 und Nolden 2007. 34 Zu seinem Aufenthalt in Neuseeland vgl.: Hochstetter 1863; Holzer 1984 sowie Johnston / Nolden 2011. 35 Holzer 2010, S. 202 – 210.
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Abb. 3: Hochstetter bei der Geländeaufnahme, nach einer kolorierten Bleistiftzeichnung von Julius Haast (Alexander Turnbull Library, MS-0921 – 059).
Abb. 3), brachten ihm einerseits den Ruf eines »Vaters der neuseeländischen Geologie«36 ein. Andererseits sorgte seine systematische Aufarbeitung der Ergebnisse seiner Feldforschungen in Europa für einen steilen Anstieg seiner weiteren Karriere. Die wissenschaftliche Aufarbeitung der Ergebnisse und Materialien, die von der Weltreise mitgebracht worden waren, stellte für sich schon ein eigenes Großprojekt dar. Die Realisierung, die durch eine eigene Kommission der kAW, die bis 1889 Bestand hatte, organisiert werden sollte, war aber auf Grund der bereits oben angesprochenen politisch-wirtschaftlichen Krisen der Monarchie 1859/60 bzw. 1866 nicht immer finanziell gesichert. Auch Hochstetter, der die drei Bände des von ihm weitgehend selbst verfassten bzw. redigierten »Geologischen Theils« bis 1866 fertig gestellt hatte, beklagt sich in Briefen an seinen in Neuseeland gebliebenen Reisegefährten Julius Haast immer wieder über die Verzögerungen beim Erscheinen der Bände: »Die Angelegenheit wegen der wissensch. Novarapublikationen kommt jetzt abermals bei der Regierung zur Verhandlung, u. es ist möglich, daß die Regierung bei der
36 Dieser »Ehrentitel« stammt von dem neuseeländische Ornithologen und Paläontologen Charles Alexander Fleming (1916 – 1987), der sich besonders um die Neuauflage und Übersetzung der Werke Hochstetters zur neuseeländischen Geologie engagiert hatte (vgl. dazu Fleming 1959, S. 13). Er ist aber auch heute noch – wie der Titel der 150 Jahr Ausstellung der Auckland City Libraries »Ferdinand von Hochstetter – Father of New Zealand Geology«, die vom 1. September–23. November 2008 besucht werden konnte, zeigt – im Bewusstsein der Neuseeländer verankert (vgl. Nolden 2008).
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gräßlichen Finanznoth fernerhin nicht die nöthigen Summen aufwenden will, so daß daran Alles ins Stocken käme«.37
Hinzu kam noch, dass sich die Kosten für die Edition und die Honorare von den ursprünglich projektierten 88.000 Gulden auf über 125.000 Gulden erhöhten.38
Neue Strukturen und Ansätze der geologischen Forschung in der Monarchie Im Verlauf des Jahres 1860 wurde im Zuge der Universitätsreformen, die durch den Minister für Cultus und Unterricht Graf Leo Thun-Hohenstein (1811 – 1888) initiiert worden waren,39 der Unterricht in den naturwissenschaftlichen Fächern am Polytechnikum vollkommen neu geordnet: Zoologie und Botanik wurden von der Mineralogie getrennt. Hochstetter, der knapp zwei Monate davor von seinem Aufenthalt in Neuseeland zurückgekehrt war, wurde zum Ordinarius der neuen Lehrkanzel für Mineralogie und Geologie ernannt. Er vertrat erstmals eine wissenschaftliche Geologie, die ausgesprochen technische, aber auch experimentelle Aspekte, wie den Bau von Vulkanmodellen, umfasste. 1874 zum Rektor der 1872 zur k. k. Technischen Hochschule umbenannten Institution gewählt, referierte Hochstetter in seiner Antrittsrede über »Geologie und Eisenbahnbau«,40 wobei er auch erstmals den Begriff »Ingenieurgeologie« prägte. Diese Arbeitsrichtung der technischen Geologie betonte die Unentbehrlichkeit von geologischen Vor- und Mitarbeiten, bei der Planung und Ausführung bautechnischer Großprojekte. Er selbst war in diesem Zusammenhang schon 1869 bei der Planung von Eisenbahntrassen zwischen Belgrad und Istanbul in den damals noch weitgehend türkischen Balkangebieten tätig gewesen, und bei seiner Reise nach Russland 1872 hatte das Hauptaugenmerk auf dem Eisenbahnbau gelegen.41 Auch in dem für einen Kontinentaleuropäer auf den ersten Blick unerwarteten Gebiet der Erdbebenforschung, nämlich der maritimen Auswirkungen von Beben, konnte Hochstetter große Erfolge erzielen: Dank seiner intensiven Kontakte zum Antipoden konnte er durch die ihm von Julius Haast zugesandten Daten42 1868/69 in mehreren Aufsätzen »Ueber das Erdbeben in Peru am 37 38 39 40 41
Aus einem Brief Hochstetter an Julius von Haast vom 12. 7. 1862, aus: Nolden 2007, S. 198. Basch-Ritter (2008), S. 227 f. Zu der angesprochenen Bildungsreform Thun-Hohensteins siehe Lentze 1962. Vgl. Hochstetter 1874. Zu Hochstetters Tätigkeiten zur Ingenierusgeologie siehe Kieslinger 1965, S. 245 – 248 und Holzer 1984, S. 77 – 79. 42 Vgl. dazu den Brief Hochstetters an Julius von Haast vom 30. 10. 1868: »Die Nachrichten aus Neu-Seeland über die furchtbaren Erdbebenwellen waren mir höchst
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Abb. 4: Hochstetters Karte der Ausbreitung der Erdbebenflut von 1868 Aus: Petermanns Mittheilungen 15 (1869), Taf. 12.
13. August 1868 und die dadurch veranlassten Fluthwellen im Pacifischen Ozean« berichten. Darin lieferte er die früheste bekannte wissenschaftliche Beschreibung eines Tsunami mit einer exakten Ursachenanalyse (vgl. Abb. 3).43
interessant, ihr hattet damals freilich noch keine Ahnung, das dieselben mit dem Erdbeben in Peru am 13 August zusammenhängen, nach meiner Rechnung haben sich die Wellen mit einer Geschwindigkt von 440 Seemeilen per Stunde oder 713 Seemeilen per Minute von der Küste von Peru bis nach Neu-Seeland fortgepflanzt. Ihr werdet ohne Zweifel in euren Zeitungen weitere Nachrichten über die Verheerungen haben, welche diese Erdbebenwellen auf anderen Südseeinseln u. an der Küste von Australien angerichtet haben, u. ich wäre Dir sehr verbunden, wenn Du mir Alles, was darauf Bezug hat, ausschneiden u. schicken würdest, da mich die Sache ganz speziell interessirt, u. ich eben in eine größere Arbeit über die heurigen Erdbeben gegangen bin.« Zitiert nach Nolden 2007, S. 302. 43 Vgl. Hochstetter 1868. Dieser ersten bereits im Herbst 1868 veröffentlichten Mitteilung folgten 1869 weitere Darstellungen in den Sitzungsberichten der kAW 59, S. 109 – 132 und 60, S. 818 – 823 sowie eine mit einer Karte versehener Arbeit in Petermanns Mitteilungen (Hochstetter 1869, S. 222 – 226, Karte vgl. Abb. 3). Anlässlich der Flutkatastrophe in Thailand und Sumatra 2004 verwies auch die Geologische Bundesanstalt auf Hochstetters Forschungen zu diesem Thema: vgl. Schönlaub 2004.
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Internationale Zusammenarbeit Schon vor der Mitte des 19. Jahrhunderts strebten die Geologen internationale Zusammenarbeit an. So hatte auch der deutsch-österreichische Geologe und Mediziner Ami Bou¦ (1794 – 1881)44 1830 gehofft, dass »sich eine grosse freie Europäische Geologische Gesellschaft« bilde45. Hochstetter war an einem solchen Projekt nur peripher beteiligt. 1875 hatten führende Geowissenschaftler bei einem Treffen der American Association for the Advancement of Science in Buffalo angeregt, dass sich die Geologische Gesellschaft Frankreichs anlässlich der Pariser Weltausstellung für eine internationale Konvention der Geologen einsetzen würde.46 So erhielt 1878 auch die kAW eine Einladung zu diesem 1. internationalen geologischen Kongress,47 womit auch Hochstetter – damals bereits wirkliches Mitglied der kAWund als Mitorganisator des österreichischen Beitrags zur Weltausstellung bereits in Paris – als einer der Vertreter der Habsburgermonarchie teilnehmen konnte.48 Das Hauptziel, eine Vereinheitlichung der geologischen Klassifikationen und Nomenklatur zu erarbeiten, wurde erst auf dem 2. Internationalen Geologenkongress in Bologna 1881 in Angriff genommen. Adäquat zu der Erstellung nationaler geologischer Karten wurde auch hier die Herausgabe einer Internationalen Geologischen Karte von Europa initiiert.49
Interdisziplinäre Ansätze Immer wieder wurden Geologen, insbesondere Paläontologen mit Fragestellungen und Forschungen aus anderen Fächern, wie etwa Zoologie oder Botanik konfrontiert. Auch Hochstetter war wie viele seiner Kollegen in seinen letzten Jahren nicht nur im Bereich der Erdwissenschaften tätig. Als Ergebnis eines von der Praxis her durchaus nachzuvollziehenden interdisziplinären Ansatzes – paläontologische Untersuchungen im Gelände brachten oft auch Überreste urgeschichtlicher Menschen zu Tage – war er maßgeblich an der Gründung der Anthropologischen Gesellschaft (1870) sowie der Prähistorischen Kommission 44 Zur seiner Person siehe Seidl/Ende 2013. 45 Brief Ami Bou¦s an Franz von Rosthorn, 18. 3. 1830, KLA, Sammlung Rosthorn, Fasz. 1, fol. 3; zitiert nach: Klemun 2011b, S. 262. 46 International Union of Geological Sciences 2013. 47 Dazu heißt es im Protokoll der Sitzung der mathematisch-naturwissenschaftlichen Classe am 17. Jänner 1878 lakonisch: »Das Comit¦ des ›CongrÀs g¦ologique inernational‹ ladet zur Theilnahme an dem zu Paris im August 1878 stattfindenden internationalen geologischen Congresse ein. Wird zur Kenntnis genommen.« AÖAW, B 896. III. 48 International Geological Congress 1880, S.41. 49 Vgl. Vai 2004, S. 13 – 20 sowie International Geological Congress 1882.
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(1878)50 – seit 1865 gehörte er der kAW als korrespondierendes und seit 1870 als wirkliches Mitglied an – beteiligt. Die so geförderten Projekte, wie etwa die Untersuchungen über Pfahlbauten an Seen in Kärnten und Krain, erbrachten beachtliche wissenschaftliche Ergebnisse, aber auch eine große Zahl von Fundstücken für die von ihm projektierte prähistorische Sammlung des in Gründung befindlichen k. k. Naturhistorischen Museums, als dessen Intendant er seit 1876 tätig war. Von der Mitarbeit an all diesen zahlreichen Projekten überlastet und von zunehmender Kränklichkeit behindert, hatte Hochstetter im Studienjahr 1880/ 81 seine Lehrtätigkeit an der Technischen Hochschule beendet und verstarb drei Jahre darauf im Juli 1884. Über 150 wissenschaftliche Arbeiten, unzählige Vorträge in wissenschaftlichen Gesellschaften, zahlreiche Reisen und die Teilnahme an großen, z. T. internationalen Tagungen hatten ihn weit über die Grenzen seiner eigentlichen Wissenschaft und der Habsburgermonarchie bekannt gemacht.
Zusammenfassung Abschließend muss festgestellt werden, dass trotz aller Aktivitäten einzelner Persönlichkeiten der geologischen Forschung die Organisationsstrukturen in der Habsburgermonarchie zeitlich den Vorreiternationen hinterherhinkten. Auch die Novara-Expedition, als Beispiel für ein wissenschaftliches Großprojekt, stellte bei allem Prestigewert für Österreich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein zweifelhaftes Konzept für systematische, wissenschaftliche Daten- und Materialsammlung dar : Einerseits war die Zeit der großen geographischen Entdeckungen und kartographischen Aufnahmen durch Seeexpeditionen im Stile eines James Cook spätestens seit den Fahrten Jules Dumont d’Urvilles 1826 – 1840 vorbei. Andererseits fanden die Naturforscher, eingeengt durch den vorwiegend militärisch-diplomatisch/wirtschaftlichen Charakter der Fahrt sowie die meist sehr knapp bemessene Aufenthaltsdauer an den Anlegepunkten, kaum Möglichkeiten, bei sich bietenden Gelegenheiten vollständige, systematische Sammlungen anzulegen oder gar eigene Forschungen durchführen. Oft auf eine Rolle als überqualifizierte »Zuträger« von Sammlungsgegen-
50 Auf Antrag Hochstetters wurde am 4. April 1878 eine »[…] Commission zur Förderung prähistorischer Forschungen und Ausgrabungen auf österreichischem Gebiete […] eingesetzt, […] der die Herren Hofräthe Hauer, Langer, Prof. Suess, Prof. Schmarda und Hofrath Hochstetter […] angehörten.« siehe Protokoll der Sitzung der mathematisch-naturwissenschaftlichen Classe am 4. April 1878. B.903. X., AÖAW.
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ständen reduziert, verließen sowohl Hochstetter als auch der Ethnologe Carl Scherzer (1821 – 1903) die Expedition vorzeitig.51 Abschließend sei auch betont, dass an der wissenschaftlichen Biographie Hochstetters – so vielschichtig er in seiner Persönlichkeit auch gewesen sein mag – selbstverständlich nur einige wenige Strukturen einer komplexen Wissenschaft streiflichtartig aufzeigt werden konnten.
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III. Publikationspraxis: Fachzeitschriften im Vergleich
Christine Ottner
Die Entwicklung von Fachzeitschriften in der historischen Quellenforschung des 19. Jahrhunderts
Einleitung In seinen Schriften über die Hauptrichtungen und Aufgaben der Geschichtswissenschaft setzte sich der österreichische Historiker Ottokar Lorenz um 1890 auch mit der Frage nach Form und Inhalt der historisch-kritischen Methode der Quellenforschung auseinander.1 In diesem Zusammenhang mokierte sich Lorenz über die Dominanz der »Methodiker der neuesten historischen Wissenschaften«, die sich ausschließlich und fortwährend mit den »Quellen und ihrem Zusammenhange« auseinandersetzten und der eigentlichen Geschichtsschreibung (zu) wenig Interesse und Respekt entgegen brachten.2 Die Bemerkungen lassen sich durchaus als Anspielung auf den akademischen Lehr- und Forschungsbetrieb am Institut für Österreichische Geschichtsforschung sehen, das seit seiner Gründung im Jahr 1854 an der Universität Wien angesiedelt ist. Hier hatte man sich seit etwa 1870 unter der Führung des preußischen Diplomatikers Theodor Sickel zunehmend auf die historischen Hilfswissenschaften, vor allem auf die Bearbeitung und Analyse urkundlicher Quellentexte, spezialisiert.3 Lorenz’ bisweilen sehr ironische Ausführungen über die Art der »Quellenanalyse«4 verdeutlichen aber darüber hinaus allgemein die zentrale Funktion der materialbasierten, quellenorientierten Arbeit in der historischen Forschung des 19. Jahrhunderts. Für die Entwicklung geschichtswissenschaftlicher Produktionsformen kam freilich den Archiven – hier im klas1 Lorenz 1891, S. 287 – 289. 2 Ebd., S. 291 – 294; siehe auch Saxer 2006, S. 21. 3 Lorenz stand Sickels Einfluss oftmals kritisch gegenüber ; hierzu auch Lhotsky 1954, S. 114 f.; zu den Hilfswissenschaften siehe auch unten S. 186. 4 So spöttelte Lorenz 1891, S. 287, wohl mit Bezug auf die Herausforderungen der Editionstechnik, wenn etwa verschiedene Überlieferungen vorhanden waren, aus denen gedruckte Quellentexte schöpften: »Kam man dagegen auf die Quellenanalyse oder gar die Glaubwürdigkeit der Schriftsteller zu sprechen, so ging die Sache gleich flott von der Hand: Wenn a,b,c = x sind und d aus a und e aus b schöpft, so kommt f aus x, und kann auch aus y kommen, wenn x und y aus z schöpfen«.
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sisch institutionellen Sinn – zunehmend große Bedeutung zu.5 Die steigende Bedeutung archivalischer »Quellen« schlug sich in der universitären Arbeitsund Ausbildungspraxis der Historiker deutlich nieder, wie eine jüngst erschienene Studie eindrucksvoll zeigt.6 Die metaphorischen Bedeutungsinhalte des Ausdruckes »Quelle« blieben hier lebendig und implizierten etwa Unmittelbarkeit, Ursprünglichkeit und Lauterkeit. Der Begriff der Quelle wurde allerdings im 19. Jahrhundert zu einem dominanten Terminus gegenüber anderen geschichtswissenschaftlichen Materialbezeichnungen.7 In enger Verbindung mit der Frage nach der Forschungspraxis ist auch die Etablierung historischer Fachzeitschriften zu sehen, welche die nach bestimmten Kriterien erfolgte Verarbeitung und Publikation historischer Quellen zunehmend in den Mittelpunkt rückten. Fachzeitschriften sämtlicher Wissenschaftsdisziplinen bildeten generell wesentliche Kommunikationsinstrumente im Prozess akademischer Spezialisierung.8 Der deutsche Droysen-Spezialist und Historismus-Kenner Horst Walter Blanke umriss die wesentliche Funktion einer historischen Fachzeitschrift: Diese sei ein Organ, das sich durch seine Anlage in den »unmittelbaren Dienst der Geschichte« stelle und dem Historiker die Möglichkeit gebe, »Abhandlungen unterschiedlichen Umfanges und Quellen darzubieten« sowie an wissenschaftlichen Debatten teilzunehmen. Hierin, so Blanke, würden vorzugsweise Themen behandelt, die »kein ganzes Buch rechtfertigen«. Den Überblick über die zeitgenössische historische Literatur biete ein gesonderter Rezensionsteil.9 Bereits für das 18. Jahrhundert konnten bibliographisch in Summe etwa 650 deutschsprachige Zeitschriften mit geschichtlicher Thematik nachgewiesen werden. Parallel dazu gab es freilich aufgrund der fließenden Übergänge weitere Periodika, in denen Geschichte ein Themengebiet unter anderen bildete. Das Spektrum umfasste neben den Rezensionszeitschriften vor allem genealogische, numismatische, statistische, landes- und regionalgeschichtliche Periodika und Reisebeschreibungen. Eine weitere Gruppe war ausschließlich der Edition von Urkunden, Chroniken, Annalen und ähnlichem Material gewidmet.10 In der österreichischen Gelehrtenwelt ist im Rahmen der konfessionellen Spannungsfelder ein starkes Interesse an der historisch-editorischen Produktion aus dem Umkreis des Wiener Hofes feststellbar.11 Obschon sich bereits hier der Huistra / Paul / Tollebeek 2013, S. 3 – 7; siehe auch die Ausführungen unten S. 178. Saxer 2014. Ausführlicher hierzu ebd., S. 15 – 17. Osborn 1984, S. 318 f. Blanke beruft sich dabei auf die Ausführungen des Schweizer Historikers Ren¦ Salath¦; siehe Blanke 1998, S. 237 f. 10 Ebd., S. 244 f. 11 Peper 2013, S. 8 – 26. 5 6 7 8 9
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Prozess zunehmender Verwissenschaftlichung abzeichnete, manifestierten sich in den vielfältigen »gelehrten Journalen« des 18. Jahrhunderts vor allem ein erzieherischer Anspruch und die Absicht der Verbreitung und Diskussion bestimmter Ideen innerhalb eines gebildeten Kreises.12 Demgegenüber veränderte sich das Genre der Fachzeitschrift etwa um die Mitte des 19. Jahrhunderts: Zeitschriften richteten sich zunehmend weniger an das gebildete Publikum, sondern an einen immer spezielleren, damit freilich auch engeren Fachkreis. Sie entstanden, wenn etwa neue Forschungsansätze verfolgt oder umgrenzte Wissenschaftsfelder abgesteckt wurden. Im Betrachtungszeitraum bildeten sie damit Kristallisationspunkte neuer (Teil-)Disziplinen und infrastrukturelle Rahmenbedingungen für die Institutionalisierung des gesamten Wissenschaftsbetriebes und für die permanente Etablierung von Teildisziplinen.13 Die Statistiken wissenschaftlicher Gesellschaften und Zeitschriften für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts bestätigen den Eindruck einer rapiden Expansion und fachlichen Ausdifferenzierung.14 Als Folge und Voraussetzung moderner Wissenschaft zeigen Zeitschriften aber nicht nur die Dynamik innerfachlicher Entwicklungen, sondern üben hierauf durch aktive Redaktionspolitik auch entscheidenden Einfluss aus.15 In einem international sichtbaren Prozess kam es seit der Mitte des 19. Jahrhunderts zur Etablierung zahlreicher Fachzeitschriften mit historischem Zuschnitt. Trotz unterschiedlicher Voraussetzungen standen sie durchwegs in national-politischem und zunehmend institutionellem Kontext.16 Zu diesem Thema liegen einige neuere Untersuchungen vor, die den politischen Impetus dieser Publikationen hervorheben.17 Hier fällt auf, dass die Frage nach der historischen Zeitschriftenlandschaft in Österreich (noch) nicht behandelt wird. Dies erstaunt umso mehr, als sich Inhalt und Bedeutung einer »österreichischen« Geschichtsforschung im umfassenden Ländergeflecht der Habsburgermonarchie gerade für die wissenschaftliche Verarbeitung politischer Herausforderungen als durchaus relevant erwies.18 Vor diesem Hintergrund versucht der vorliegende Beitrag den Prozess der geschichtswissenschaftlichen Spezialisierung in Österreich im Zeitraum zwischen 1840 und 1900 anhand von drei konkreten Beispielen zu erläutern: Das 12 13 14 15 16
Habel 2007; siehe auch Schneider 2005, S. 279 – 291. Stöckel 2009, S. 13. Daston 1999, S. 73. Middell 1999, S. 9. Ebd., S. 9: Er spricht auch davon, dass Zeitschriften sehr genau der Definition von sozialen Institutionen entsprechen, wie sie in den Sozialwissenschaften herausgearbeitet worden sind. 17 Møller Jørgensen 2012, S. 70 – 88. 18 Hierzu etwa Vocelka 2008, S. 37 – 50.
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erste Beispiel bildet die um 1840 erscheinende kurzlebige Zeitschrift Der österreichische Geschichtsforscher, die auf eine private Initiative zurückging. Beim zweiten Beispiel, dem Archiv für Kunde österreichischer Geschichts-Quellen, wurden die Ambitionen der quellenkonzentrierten Geschichtsforschung seit 1848 auf institutioneller Ebene von der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien fortgeführt. Das dritte Beispiel, die Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung, entstand im universitären Kontext und verfolgte als gemeinschaftliches Projekt bereits auch fachlich-repräsentative Ansprüche. Die Auswahl dieser Fallbeispiele bietet sich an, da alle drei Zeitschriften trotz unterschiedlicher Voraussetzungen zwei gemeinsame Charakteristika tragen: Erstens zeigen sie die eingangs erwähnte deutliche Fokussierung auf die quellenbasierte, archivorientierte Geschichtsforschung. Dabei ist freilich die lange Tradition zu berücksichtigen, in der die Entwicklung von spezifischen, philologisch-orientierten Methoden für das Sammeln, Aufbereiten und Edieren historischer Quellen in Österreich stand: Nach den Vorbildern der Bollandisten und Mauriner wurden in Klöstern wie Melk, Göttweig und St. Florian bereits im 18. und frühen 19. Jahrhundert umfangreiche Editionsprojekte initiiert, die hilfswissenschaftliche Forschungen betrieben und sich etwa der Herausgabe von mittelalterlichen Scriptores und Chroniken oder der am Haus Habsburg orientierten Urkundenforschung widmeten.19 Zweitens kommt in den ausgewählten Beispielen auch die politische Dimension zum Tragen,20 nämlich als Frage nach Bedeutung und Inhalt einer »österreichischen« Geschichtsforschung innerhalb des Vielvölkerstaates. Diese Frage verband sich eng mit der vorbildwirkenden deutschen Historiographie und Geschichtsforschung.21 Zugleich werden jedoch auch Versuche ersichtlich, der Geschichte des »Gesamtstaates« zu entsprechen, und zwar nicht als Geschichte der einzelnen Länder, sondern auch auf Basis einer gemeinsamen Identität.22
19 Zur Sache allgemein Fiska 2009, S. 78 – 91; zu den Melker Bestrebungen siehe Wallnig 2003, S. 153 – 175; zu St. Florian siehe Mühlbacher 1905; Rehberger 1971, S. 210 – 250. 20 Die äußerst politische Funktion der Quelleneditionen innerhalb der Geschichtsnarrative verdeutlichte jüngst auch Surman 2014, S. 198 – 222: Die Auswahl der Quellengattungen und der Bezugszeitraum spielten dabei eine ebenso wesentliche Rolle wie der (politische) Raum, den die Editionen abdecken sollten. 21 Brechenmacher 1996, S. 36ff; siehe auch Glettler 1996, S. 55 – 72. 22 Ottner 2014, S. 115 – 133.
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Ein Repertorium für die Geschichtsforscher im österreichischen Kaiserstaat Das erste Fallbeispiel, die Zeitschrift Der Österreichische Geschichtsforscher, erschien in den Jahren 1838 und 1841/42 in nur zwei Bänden zu je drei Heften23 (siehe Abb. 1). Die Initiative rührte von dem ambitionierten Geistlichen Joseph Chmel her, der seit 1834 als Zweiter Archivar im Geheimen Hausarchiv24 in Wien tätig war. Er hatte bereits während seiner Zeit als Stiftsbibliothekar des Klosters St. Florian ein leidenschaftliches Interesse für historisches Quellenmaterial entwickelt und sich dabei auf die spätmittelalterliche österreichisch-habsburgische Geschichte konzentriert.25 Die von ihm begründete Zeitschrift deklarierte Chmel, der sich selbst stets als »Autodidact« auf historischem Gebiet sah,26 als »Repertorium«.27 Als Herausgeber beabsichtigte er, »den in den Provinzen des österreichischen Kaiserstaates hier und da zerstreut lebenden Forschern die in der Hauptstadt aufgespeicherten Vorräthe von Geschichtsquellen vollständig oder im Auszuge […] für künftige Quellenwerke mitzutheilen. Er glaubt, daß die Quellen der Hauptstadt mit denen der Provinzen gemeinschaftlich erst das erwünschte Resultat einer vollständigen und wahrhaften Geschichte möglich machen werden.«28
Trotz der Zielabsichten des Herausgebers konnte die Zeitschrift nur schwerlich als Findbuch dienen. Struktur und Inhalt waren keineswegs einheitlich und die weder zeitlich noch thematisch limitierten Beiträge dürften auch dem zeitgenössischen Benutzer die Orientierung nicht leicht gemacht haben. Die einzelnen Hefte der beiden umfangreichen Bände enthielten Urkunden zur Vorbereitung eines österreichischen Codex Diplomaticus ebenso wie Einzelmaterialien beispielsweise zur österreichischen Finanzgeschichte, Numismatik, Sphragistik und Heraldik, zur Topographie einzelner österreichischer Länder und Städte, zur Geschichte der Wiener Universität und der Habsburger im ausgehenden Mittelalter oder einfach – nicht näher umgrenzte – »Auszüge aus interessanten Handschriften« der Hofbibliothek etwa zur Geschichte des 16. Jahrhunderts.29
23 Chmel 1838/1841 – 1842. 24 Der heute gebräuchliche Name Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien setzte sich seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts langsam durch; zur Bezeichnung allgemein Bittner 1936, 1. Abschnitt, §1, 22* u. 2. Abschnitt, §2, 63* – 65*; zu Joseph Chmels Tätigkeit im Archiv auch Blaas 1963, S. 420 – 440. 25 Mühlbacher 1905, S. 255 – 365; siehe Ottner 2005, S. 259 – 293. 26 Archiv des Stiftes St. Florian, Briefnachlass Joseph Chmel, Chmel an Böhmer, 10. Juni 1834. 27 Chmel 1838, S. III. 28 Ebd., S. IV. 29 Letztgenanntes Beispiel in: Chmel 1838, Heft 1, Beitrag V.
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Abb. 1: Titelblätter des 1. und 2. Bandes der Zeitschrift Der österreichische Geschichtsforscher, 1838 u. 1841.
Gegenüber seinem Freund und Kollegen, dem Frankfurter Stadtbibliothekar Johann Friedrich Böhmer, äußerte Chmel bereits in der Planungsphase Bedenken über die Kriterien, nach denen die Materialien zu arrangieren waren, die ihm diverse Geschichtsforscher beinahe täglich in großer Anzahl zusandten.30 Als eifriger Beiträger erwies sich auch der Herausgeber Chmel selbst. Die von ihm vorgenommene Zusammenstellung des Periodikums lässt sich jedenfalls auch auf die weitgehend noch ungeordneten Archive zurückführen: Denn letztlich gelangte im Geschichtsforscher nicht nur das Material aus den Wiener Archiven und Bibliotheken, sondern auch aus einigen kleineren städtischen, geistlichen oder kommunalen Archiven zur Publikation. Dies bedeutete freilich, dass die interessierenden Akten vor Ort aus dem oftmals »verwirrten Zustande der Documente« erst einmal »heraus[zu]klauben« waren.31 Auch einer der großen späteren Diplomatiker, der eingangs erwähnte Historiker Theodor Sickel, hatte mit ähnlichen Problemen zu kämpfen: In seinen wissenschaftlichen Anfängen fertigte er um 1850 für Chmel einige Abschriften von Dokumenten aus 30 Archiv des Stiftes St. Florian, Briefnachlass Joseph Chmel, Chmel an Böhmer, 14. Oktober 1831. 31 Chmel 1838, S. 2.
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Mailänder Archiven an. Dabei konnte er nicht umhin, festzustellen, dass er Chmel gegenüber erst dann verlässliche Mitteilungen machen könne, wenn »ich in das Chaos meiner Arbeiten, das dem Chaos der hiesigen Archive entspricht, einige Ordnung gebracht habe.«32 Die Übersichtlichkeit des Geschichtsforschers wurde zusätzlich dadurch erschwert, dass es sich Chmel als Herausgeber »zum Grundsatz« gemacht hatte, die Einsendungen der Mitarbeiter »unverändert«, ohne redaktionelle Eingriffe, wieder zu geben.33 In der überwiegenden Anzahl der Beiträge finden sich keinerlei Hinweise auf die konkreten Überlieferungsorte des gebotenen Materials.34 Die Form des präsentierten Quellenstoffes reichte von exzerpierten Manuskripten über Regestentexte bis hin zu Urkunden im Volltext. Im Wesentlichen kam die Zeitschrift einer Materialsammlung mit antiquarischen Zügen gleich, obschon sich darin auch einzelne kleinere Abhandlungen finden lassen.35 Jedes Heft war außerdem mit einem Anhang versehen: Dieses Notizenblatt enthielt in der für Chmel typischen Weise durchaus »recht chaotische Mitteilungen, Besprechungen und Quelleneditiönchen«.36 Gleichwohl offerierte der Herausgeber hier auch bibliographische Informationen und Erläuterungen zu historischen Projekten verschiedener Forscher in den Ländern der Monarchie.37 Trotz der unbestritten diffusen Anlage auch dieser Teile lassen sich bereits Grundzüge der Literaturberichte und Rezensionsteile erkennen, die ein wesentliches Strukturmerkmal späterer Fachzeitschriften bildeten.38 Zudem ermöglicht das Notizenblatt einen guten Einblick in Chmels recht umfassendes Netzwerk an Korrespondenten: Diese waren vor allem Berufskollegen wie Bibliothekare und Archivare, aber ebenso Beamte in den Registraturen oder Lehrer an Höheren Schulen, die auf historischem Gebiet tätig waren. In seiner Zeitschrift Geschichtsforscher präsentierte sich der Herausgeber Chmel quasi als Zentralpunkt der Geschichtsforschung in »Österreich«, dessen Historie er Zeit seines Lebens mit der des Gesamtstaates gleichsetzte.39 In der Praxis blieb die Zeitschrift jedoch weitgehend auf die habsburgischen Erbländer Österreich ob und unter der Enns beschränkt. Die »ernste und kritische Behandlung« der vaterländischen Geschichte sollte nach Chmels Ansicht auf der 32 Archiv des Stiftes St. Florian, Briefnachlass Joseph Chmel, Theodor Sickel an Chmel, 1. November 1854. 33 Chmel 1838, S. 566. 34 Siehe etwa Anton Emmert, Monumenta Tirolensia, in: Chmel 1838, S. 566 – 585. 35 Theodor Georg von Karajan, Ueber Banteidinge, in: Chmel 1841 – 1842, S. 113 – 132; zum Begriff des Antiquarianismus im 19. Jahrhundert, siehe Nippel 2007, S. 207 – 228. 36 Häusler 1992, S. 378. 37 Chmel 1838, S. 166 f., S. 397 – 399; siehe »Notizenblatt« ebd, nach S. 201: I – XXVII, hier v. a. XXVI – XXVII. 38 Stieg 1986, S. 58 – 65. 39 Ottner 2014, S. 115 – 133.
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»urkundliche[n] Geschichtsforschung« basieren. Diese stand freilich dem Wunsch der Öffentlichkeit nach »Sagen und Legenden, […] Balladen und Romanzen« diametral entgegen.40 Die Herausforderung bestand, so Chmel, darin, das »gemischte« Publikum mit einzubeziehen: Die Zeitschrift sollte einerseits »das historische Wissen popularisiren«, andererseits aber auch die »Gelehrten« durch detaillierte Erörterungen und Belege zufrieden stellen.41 Diese »gefährliche Klippe« vermochte der Geschichtsforscher nicht zu umschiffen, und so musste die Herausgabe nach dem zweiten Band eingestellt werden. Es war schwierig, einen Verleger zu finden, der Absatz war dürftig und das öffentliche Interesse an einer derartigen Zeitschrift erwies sich vorerst als gering.42 Gleichwohl antizipiert die Anlage des Geschichtsforschers nicht nur den enormen Bedeutungszuwachs historischer Quellenarbeit, sondern auch die konstitutive Bedeutung, die der Archivarbeit in steigendem Maße zukam, welche sich zunehmend zu einem wesentlichen Faktor der geschichtswissenschaftlichen Arbeitspraxis im 19. Jahrhundert entwickelte.43
Ein gedrucktes Archiv für historische Quellen In diesem Zusammenhang leitet der Geschichtsforscher gleichsam als »Trendsetter« direkt zum zweiten Beispiel über. Bei dieser Zeitschrift handelte es sich nicht mehr um ein privates Unternehmen, sondern um eine Initiative der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien, die 1847, kurz vor Ausbruch der Revolution, gegründet wurde. Als eines ihrer ersten Mitglieder beeinflusste der erwähnte »Historiker-Archivar«44 Joseph Chmel in entscheidendem Maße die Gestaltung und Orientierung der neuen Akademiepublikationen, deren Erscheinen mit dem Jahr 1848 einsetzte. Entsprechend ihrem Titel Archiv für Kunde österreichischer Geschichts-Quellen (künftig abgekürzt AÖG) lässt sich die Zeitschrift als »gedrucktes Archiv« verstehen, um – ähnlich dem Geschichtsforscher – historisches Material allen Forschern in der Monarchie zugänglich zu machen (siehe Abb. 2). Der Titel der Zeitschrift ist durchaus im Zusammenhang mit dem »Archivdispositiv«45 zu sehen und deutet die enge Verbindung zwischen dem Archiv als Fundstätte und Arbeitsort an. Möglicherweise kann die Zeitschrift auch als »virtuelles« Archiv gesehen werden, das der Öffentlichkeit die an verschiedenen Orten aufgefundenen Materialien in 40 41 42 43 44 45
Chmel 1841 – 1842, S. III. Chmel 1838, S. 586 – 588. Mühlbacher 1905, S. 294 – 296. Siehe etwa Huistra 2012, S. 357 – 375; Huistra / Paul / Tollebeek 2013. Dieser zutreffende Ausdruck findet sich bei Auer 2000, S. 56. Siehe hierzu auch den einleitenden Beitrag von Marianne Klemun in diesem Band.
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entsprechender Um- und Neugruppierung präsentierte. Ebenso offenbarte sich die Funktion des Archivs, nicht nur zu »bewahren«, sondern auch »auszuschließen« und damit Wissen zu regeln:46 Einerseits waren nicht nur Materialien, auf die der Zugriff vor Ort nicht möglich war, von der Publikation ausgeschlossen, sondern auch solche Archivalien, die inhaltlich oder in ihrer Aufbereitung nicht den erwünschten Standards entsprachen, wie in der Folge noch zu zeigen ist. Noch deutlicher als beim Geschichtsforscher rückte hier der gemeinschaftliche Anspruch in den Vordergrund, der durchaus auch den politischen Umständen geschuldet war : So rief die Zeitschrift alle Forscher in den Ländern der Monarchie dazu auf, ihrerseits aktiv an diesem organisierten Quellensammlungsprogramm teilzunehmen. Parallel zur Zeitschrift AÖG sollten nämlich auch die »österreichischen Geschichtsquellen« in größeren Editionsreihen herausgegeben werden, und zwar als Fontes für die historisch-territorialen Ländergruppen Österreich, Böhmen, Ungarn, Polen und Italien.47 In der Folge wurde das Motto viribus unitis, der Wahlspruch Kaiser Franz Josephs, damit quasi auf die Organisation der Quellenforschung übertragen.48 In diesem Zusammenhang ist auf die doppelte Bedeutung des Österreich-Begriffes hinzuweisen: Einerseits sollten Quellen der Gesamtmonarchie als Fontes Rerum Austriacarum publiziert werden, auf der anderen Seite waren diese aber nur einer von fünf Teilen und repräsentierten quasi die oft als »deutsche Erbländer« bezeichnete Ländergruppe.49 Vorbild für das gesamte Programm war das deutsche Editionsunternehmen der Monumenta Germaniae Historica, das seit 1820 von einer ähnlich lautenden Zeitschrift, dem Archiv der Gesellschaft für ältere Deutsche Geschichtskunde, begleitet wurde.50 Auch andere Zeitschriften, die etwa um dieselbe Zeit entstanden, spielten schon in ihrem Titel auf ihre Funktion 46 47 48 49
Ebd., S. 24 f. Ottner 2008, S. 184 f. Pischinger 2001, S. 108. Im Zusammenhang mit dem neoabsolutistischen Konzept des Josef Alexander von Helfert siehe Stourzh 1991, S. 8. Die Fontes Rerum Bohemicarum, Polonicarum, Hungaricarum und Italicarum blieben übrigens unausgeführt. Sämtliche Materialien auch zu Italien oder Böhmen wurden in den Fontes Rerum Austricarum publiziert. Obschon sich keine Anhaltspunkte für dahin gehende akademieinterne Diskussionen finden lassen, könnte dies zwei Gründe gehabt haben: Einerseits wurden überhaupt wenige solcher Materialien zur Publikation eingesendet, sodass sich die Eröffnung der weiteren Unterreihen vermutlich nicht gelohnt hätte. Anderseits bestand wohl daran in Zeiten des Neoabsolutismus auch kein (politisches) Interesse. Denn Helferts Auffassung der »österreichischen« Nationalgeschichte als Geschichte »des österreichischen Gesamtstaates und Gesammtvolkes« ließ weder Raum für die Bedeutung ethnisch-sprachlicher noch historisch-territorialer Ländergruppen; Helfert 1853, S. 2. 50 Archiv der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (AÖAW), Protokolle der historisch-philologischen [!] Klasse, 1847 November 24.
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als archivische Quellenspeicher an: In Italien legte beispielsweise das Periodikum Archivio Storico Italiano seit 1841 einen Grundstein für die zunehmende Verfachlichung der Geschichtsforschung und sah sich ebenso als Instrument des Patriotismus.51
Abb. 2: Titelblatt des 1. Heftes der Zeitschrift Archiv für Kunde österreichischer GeschichtsQuellen, 1848 (ab 1865 unter dem Titel Archiv für österreichische Geschichte).
Die österreichische Zeitschrift AÖG war als Sammelorgan für kleine Editionen, Regesten und Quellenverzeichnisse, aber auch für historische Abhandlungen konzipiert.52 Die Einleitung des ersten Heftes aus dem Jahr 1848 wies politisch unmissverständlich auf die wesentliche Intention hin, damit eine groß angelegte Gesamtstaatsgeschichte vorzubereiten: »Mehr als je ist die Schwierigkeit, eine Geschichte des österreichischen Kaiserstaates zu schreiben, in diesen Tagen offenbar geworden, wo sich die Nationalitäten, wie die Provinzen, so geltend machen; sieht man jetzt endlich ein, dass die Aufgabe eines 51 Porciani 1989. 52 Zu den dahin gehenden akademieinternen Vorberatungen Pischinger 2001, S. 75.
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Geschichtsschreibers des österreichischen Kaiserstaates es ist, alle darin enthaltenen Elemente gründlich zu kennen und unparteiisch zu würdigen?«53
Inhaltlich zeigte sich die Zeitschrift offen für historisch-geographische, archäologische und linguistische Forschungen.54 Im Gegensatz zum Geschichtsforscher, jedoch ganz analog zum deutschen Vorbild enthielt das AÖG allerdings keinen eigenen Teil für bibliographische Informationen über Neuerscheinungen auf dem Gebiet der Geschichtsforschung. Ebenso waren keine Rezensionen vorgesehen. Dies lag vermutlich unter anderem darin begründet, die gegenseitige Besprechung von Publikationen innerhalb des engeren akademischen Gelehrtenkreises im Rahmen der Akademie zu verhindern. Außerdem gestaltete sich die Redaktionsarbeit für die Zeitschriftenbeiträge als sehr arbeitsintensiv, sodass womöglich kaum Kapazitäten für die Organisation eines eigenen Besprechungsteils blieben.55 In Anspielung auf die Akademie als Herausgeberin wurde mit dem AÖG »ein wissenschaftliches Organ« eröffnet. Ähnlich wie beim vorigen Beispiel Geschichtsforscher sahen sich aber parallel dazu sämtliche »Freunde der vaterländischen Geschichte« zur Teilnahme aufgefordert.56 In Österreich steht das AÖG am Übergang von einer Zeitschrift für eine gebildete Öffentlichkeit zu einem Publikationsorgan für ein akademisches Fachpublikum. Im Vergleich zum Geschichtsforscher kam nämlich noch eine weitere Neuerung hinzu: Die Akademie etablierte für ihre historischen Publikationen eine eigene Historische Kommission mit einer Redaktion und eigenen Gutachtern, welche die einlangenden Artikel und Editionen vor der Publikation und Drucklegung einer Prüfung zu unterziehen hatten.57 Der überwiegende Teil der Personen, die diese Redaktions- und Begutachtungsarbeit leisteten, war in Form einer Mitgliedschaft in der Historischen Kommission eng an die Akademie gebunden. Zunächst fanden sich darunter – oft leitende – Archivare oder Bibliothekare der kaiserlichen Sammlungen.58 Abgesehen von den geistlichen Einrichtungen wurden vor dem Jahr 1848 besonders hier, also etwa im Geheimen Hausarchiv oder im Münz- und Antikenkabinetts, quellenfundierte Studien betrieben, da die Mitarbeiter über den keineswegs selbstverständlichen materialen Zugang verfügten.59 53 [Chmel] 1848, S. IV. 54 Ebd., S. V. 55 Ein Hinweis auf diese beiden Argumente findet sich in: AÖAW, Historische Kommission, Karton 1, Alte Akten (1851 – 1869), Nr. 37 (ohne Aktenzahl), Theodor Karajan, Stellungnahme, sine dato (Juni 1852). 56 [Chmel] 1848, S. IV. 57 Ottner 2014a, S. 252. 58 Siehe die Auflistung bei Pischinger 2001, S. 261. 59 Lhotsky 1962; Lhotsky 1959, S. 379 – 448.
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Die Begutachtungsarbeit für das AÖG wurde zwar verteilt, die Haupttätigkeit lag jedoch bei einem eigenen »Berichterstatter« oder »Referenten« der Kommission, der die Kommissionsmitglieder auch in den Sitzungen über den Publikationsstand informierte.60 In einigen Fällen erwies sich der Publikationsprozess als sehr aufwändiger Prozess, in dessen Rahmen zahlreiche Informationen zwischen den Autoren und Editoren einerseits und den Gutachtern und Redakteuren andererseits ausgetauscht wurden. Durch die große Anzahl der Einsendungen ergab sich daher nach wenigen Jahren bereits ein beträchtlicher Rückstau.61 Deutlich offenbaren sich auch die unterschiedlichen persönlichen Ansprüche der Gutachter : Einige von ihnen, darunter der Hofbibliothekar Ernst von Birk, legten besonderen Wert darauf, dass nur »neues«, bisher ungedrucktes Material publiziert wurde.62 Mitunter verglichen die Gutachter sogar eingesandte Urkundentexte, die auf kopialen Überlieferungen basierten, direkt mit den in Wiener Archiven vorhandenen Originalen, bevor die Publikationszusage erteilt wurde.63 In den Jahren zwischen 1852 und 1868 war der germanistisch und historisch tätige Vorstand der Hofbibliothek, Theodor von Karajan, als Kommissionsreferent und Gutachter tätig. Er zeigte sich wiederum häufig unzufrieden mit der stilistischen Kompetenz der Beiträger, die eine historische Abhandlung vorgelegt hatten.64 Auch dachte er keineswegs an eine Kooperation mit sämtlichen Geschichtsfreunden: Er lehnte Einsendungen ab, in denen beispielsweise urkundliche Texte in einer zu »wissenschaftlichem Gebrauch völlig ungenügenden Weise bearbeitet« worden waren, denn dies war seiner Ansicht nach bestenfalls für »Laien« geeignet.65 Freilich waren besonders in der Anfangszeit des AÖG nur wenige Beiträger vorhanden, die hauptberuflich historisch tätig waren oder gar über eine historische oder der Geschichtsforschung
60 Siehe hierfür zahlreiche Belege in: AÖAW, Historische Kommission, Karton 2, Protokolle der Sitzungen von November 1851 bis März 1870; ebd. Sitzungs-Protocoll der historischen Kommission April 1870 bis Dezember 1901. 61 AÖAW, Historische Kommission, Karton 1, Alte Akten 1851 – 1869, Nr. 33, ohne Aktenzahl, Theodor von Karajan, Schreiben (Konzept), 1852 Juni 21. 62 Ganz deutlich wird dies in folgendem Gutachten: AÖAW, Historische Kommission, Karton 1, Alte Akten 1851 – 1869, Nr. 204, Aktenzahl 1079 ex 1866, Ernst von Birk, Gutachten, 1867 Januar 26. 63 AÖAW, Historische Kommission, Karton 2, Protokolle der Sitzungen von (November) 1851 bis (März) 1870, fol. 13v, Sitzung 13. 4. 1852; siehe auch ebd. Karton 1, Alte Akten 1851 – 1869, Nr. 30, ohne Aktenzahl, Theodor von Karajan, Gutachten, 1852 April 13. 64 Ebd., Karton 1, Alte Akten 1851 – 1869, Nr. 93, Aktenzahl 352 ex 1855, Theodor von Karajan, Gutachten, 1855 Oktober 31; ebd., Nr. 3, Theodor von Karajan, Gutachten, 1851 November (sine die). 65 Ebd., Karton 1, Nr. 7, Aktenzahl 1038 ex 1850, Theodor von Karajan, Gutachten, 1851 November 9.
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verwandte Ausbildung verfügten: In den Jahren bis 1858 wiesen im Durschnitt etwa 12 % aller Autoren eines dieser beiden Merkmale auf.66 Ein weiterer Gutachter, Alfred von Arneth, der seit 1868 als Direktor des Geheimen Hausarchivs und ab 1876 als Referent der Historischen Kommission fungierte, vertrat die Auffassung, dass vermehrt Beiträge zur neueren Geschichte, vor allem zum 18. Jahrhundert, aufzunehmen seien. Hierfür sprach er sich sogar für den Druck einer Abhandlung aus, deren methodische Defizite er zwar durchaus registrierte, sie allerdings hinter seine Präferenzen für diese Epoche stellte, die im AÖG bisher zu wenig vertreten war.67 Bei der Quellenauswahl legten die Gutachter durchaus Wert darauf, dass das gebotene Material vor allem für die politische Geschichte relevant war. Doch auch hier sind Ausnahmen anzutreffen, besonders, wenn es darum ging, sich dem gesamtstaatlichen Anspruch anzunähern: Material, das in den Augen der Gutachter politisch bedeutungslos war, wurde beispielsweise akzeptiert, wenn damit etwa die »südlichen Teile des Kaiserstaates« abgedeckt wurden.68 Gleichwohl konnte die Zeitschrift insgesamt trotz einzelner Versuche die gesamtstaatlich-patriotische Aufgabe, die ihr im Rahmen der offiziellen Aufgaben der Akademie zukam, nicht erfüllen. Im Zusammenhang mit lateinischen Texten, die für den Abdruck im Archiv ins Deutsche übersetzt werden sollten, sprach Theodor von Karajan schon in den 1850er Jahren ausdrücklich von einer »deutschen« Zeitschrift.69 Damit korreliert auch der Befund, dass der weitaus größte Teil der Beiträger für das AÖG den deutschsprachigen Teilen der Monarchie zuzuzählen ist.70 Mit Blick auf die eingangs skizzierte Bedeutung der Quellenarbeit stellt sich für das AÖG außerdem die Frage nach dem Verhältnis zwischen historischen Abhandlungen und reinen Quellendarbietungen: In den ersten eineinhalb Jahrzenten der Zeitschrift sind etwa 46 % historische Abhandlungen zu finden.71 Aufgrund des permanent steigenden Anteils an Abhandlungen wurde die Zeitschrift 1865 schließlich von Archiv für Kunde österreichischer Geschichts-Quellen in Archiv für österreichische Geschichte umbenannt.72 In den Jahren zwischen
66 Errechnet auf Basis der Tabellen bei Pischinger 2001, S. 266. 67 AÖAW, Historische Kommission, Karton 1, Alte Akten 1851 – 1869, Nr. 194, ohne Aktenzahl, Alfred von Arneth, Gutachten, 1866 April 23. 68 Ebd., Karton 1, Alte Akten 1851 – 1869, Nr. 218, ohne Aktenzahl, Joseph Fiedler, Gutachten, 1868 November 2. 69 Ebd., Karton 1, Alte Akten 1851 – 1869, Nr. 79, ohne Aktenzahl, Theodor von Karajan, Schreiben (Konzept), 1854 Juli 24. 70 Pischinger 2001, S. 168, hat die Nationalität der Autoren bis 1877 untersucht und festgestellt, dass 81 % »deutschsprachig« waren. 71 Errechnet auf Basis der Tabellen bei Pischinger 2001, S. 268. 72 AÖAW, Historische Komission, Karton 2, Protokolle der Sitzungen 1851 – 1870, 1864 De-
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1895 und 1900 stieg der Prozentsatz an Geschichtsdarstellungen auf etwa 67 %. Eine eindeutige Klassifikation ist hier allerdings schwierig, da viele Abhandlungen sehr umfangreiche editorische Anhänge aufwiesen und umgekehrt viele Editionen mit eigenen Abhandlungen eingeleitet wurden. Diese »Mischformen« blieben bis 1900 ein ebenso bezeichnendes Charakteristikum der Zeitschrift wie die quellenkonzentrierte Basis sämtlicher historischer Darstellungen.73 Dennoch werden auch hier einige Veränderungen deutlich: Vor allem seit den 1890er Jahren wurden nicht mehr nur die benutzten Archivalien ausgewiesen, sondern es finden sich zunehmend differenzierte Anmerkungsapparate mit Hinweisen auf die rezipierte Sekundärliteratur.74 In diesem Zusammenhang wirkte sich auch die zunehmende personelle Verflechtung zwischen der Akademie und der Universität aus. Auf historischem Gebiet ergab sie sich vor allem mit der Universität in Wien. Demgemäß sind seit etwa 1870 mehr und mehr Historiker aus dem universitären Bereich sowohl unter den Beiträgern als auch unter den Gutachtern des AÖG zu finden. Das Heft aus dem Jahr 1877 weist bereits zwei Drittel an Autoren aus, die ein Geschichtsstudium absolviert hatten und beruflich historisch arbeiteten.75 Zu den Gutachtern zählte beispielsweise Joseph Aschbach, der am Philologisch-Historischen Seminar wirkte, und als Mitglied der Historischen Kommission einige Gutachten für das Archiv verfasste.76 Enge Kontakte bestanden ebenso zum einleitend erwähnten Institut für österreichische Geschichtsforschung: Neben Aschbach zählten Ottokar Lorenz und Theodor Sickel zu den ersten Kommissionsmitgliedern und Gutachtern, die ein historisches Fachstudium aufwiesen.77 Auf Sickels Betreiben wurde im Jahr 1875 schließlich der Begutachtungsprozess für das AÖG abgekürzt: Sickel hatte nämlich beantragt, dass über Einsendungen, die »gleich von vorneherein« für eine Aufnahme »nicht geeignet« erschienen, nur mehr mündlich berichtet wurde – offensichtlich ohne weitere schriftliche Stellungnahme.78 Parallel dazu war nun auch in den Gutachten für die
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zember 14, fol. 41r ; AÖAW, Allgemeine Akten, Aktenzahl 74 ex 1865, Theodor von Karajan, Bericht und Antrag, präs. 1865 Jänner 18. Hierzu ausführlicher Ottner 2014a, S. 261 mit Anm. 113. Hier nur als Beispiel: Alfons Dopsch, »Die Kärnten-Krainer-Frage und die Territorialpolitik der ersten Habsburger in Oesterreich«, in: Archiv für Österreichische Geschichte 87 (1899), S. 1 – 111. Nach den Tabellen bei Pischinger 2001, S. 266. Siehe etwa AÖAW, Historische Kommission, Karton 1, Konvolut »Alte Akten 1870 bis 1884«, Aktenzahl 119 ex 1872, 1872 März 20,Gutachten Aschbachs; ebd. Aktenzahl 259 ex 1873, 1873 April 2; zu Aschbachs wissenschaftlichem Werk und seiner Lehrtätigkeit: [Siegel] 1882, bes. S. 166. Sickel wurde im Jahr 1871, Lorenz 1877 Mitglied der Historischen Kommission; siehe Pischinger 2001, S. 261 f. AÖAW, Historische Kommission, Karton 2, Sitzungsprotokolle April 1870–Dezember 1901, Sitzung von 1875 November 24.
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Akademiepublikationen von den »Anforderungen der modernen Wissenschaft« die Rede,79 die sich vor allem textkritischen Überlegungen verpflichtet sahen und den unbedingten Rückgriff auf »das Original« in den Mittelpunkt rückten.80
Repräsentation und Standardisierung Die dritte und letzte der hier besprochenen Fachzeitschriften verfolgte neben methodischen Ansprüchen auch Repräsentationszwecke: Im Jahr 1880 begann das eingangs erwähnte Institut für Österreichische Geschichtsforschung mit der Herausgabe seiner eigenen Mittheilungen des Instituts für Oesterreichische Geschichtsforschung (künftig abgekürzt MIÖG). Für die Ausbildung künftiger Historiker und Archivare spielte das Institut zunehmend eine ebenso bedeutende Rolle wie für die methodologische Standardisierung der historischen Disziplin.81 Sieht man von den Publikationen historischer Landesvereine ab,82 sind die MIÖG (siehe Abb. 3) das erste wissenschaftliche historische Organ in Österreich, das bis heute besteht und nach wie vor große Bedeutung für den fachlichen Austausch hat. Verglichen mit den vorangehenden Beispielen kam bei den MIÖG aber nicht nur ein fachlich-kooperatives, sondern ein richtiggehend solidargemeinschaftliches Bedürfnis zum Tragen. Dieser Anspruch auf Solidarität sollte alle diejenigen verbinden, die am Institut als Professoren oder Dozenten lehrten oder gelehrt hatten, und die hier als Studierende eine vollständige oder teilweise Ausbildung erfuhren oder erfahren hatten. Einer der Initiatoren war freilich der bereits erwähnte Historiker Theodor Sickel, der diesen Aspekt eigens hervorhob: »In diesem Verkehr [am Institut, Anm. CO] bildete und befestigte sich die Kameradschaft zwischen den Angehörigen aller bisherigen Jahrgänge, so dass, da jetzt seit der Stiftung 25 Jahre verflossen sind, die ehemaligen Mitglieder zu einer freien Genossenschaft zusammengetreten sind und als solche mit dieser Zeitschrift auch vor die Oeffentlichkeit zu treten wünschen. Sie soll und wird einen weiteren Kitt zwischen uns bilden, soll aber zugleich Organ sein für alle die Disciplinen, welche auf dem Institute bisher betrieben wurden.«83 79 Ebd., Karton 1, Konvolut Historische Kommission, Alte Akten 1870 bis 1884, 1871 Nr. 33, Joseph Fiedler, 1871 Jänner 17. 80 Ebd., sine numero, Ernst von Birk, Gutachten, 1871 Januar 30. Zum essentiellen Arbeiten »am Original«, wie es vor allem in Wien unter Theodor Sickel propagiert wurde, siehe Saxer 2006, bes. S. 34; siehe auch Härtel 2002, S. 135. 81 Generell hierzu Saxer 2014. 82 Einen Überblick bietet Dopsch 2002, S. 67 – 94. 83 Sickel 1880, S. 17.
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Abb. 3: Titelblatt des 1. Bandes der Zeitschrift Mittheilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung, 1880.
Mit den »Disciplinen« waren vorwiegend »historische Hilfswissenschaften« gemeint, worunter hier etwa Quellenkunde, Diplomatik, Paläographie, Chronologie, Sphragistik und Heraldik subsumiert wurden.84 Die Begriffsprägung der »Hilfswissenschaften« geht auf den bekannten Göttinger Aufklärungshistoriker Johann Christoph Gatterer zurück. Im Vergleich zu den deutschen Ländern waren die Hilfswissenschaften an den österreichischen Universitäten von vorneherein weniger an die juristischen Fächer als vielmehr an die Geschichte, d. h. Universal- und österreichische Staatengeschichte, gebunden. Im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts hatten sie hier noch ein weitaus umfassenderes Fächerkonglomerat – etwa auch unter Einbeziehung der Geographie und Semiotik – gebildet als die später vor allem mediävistisch ausgerichteten Hilfswissenschaften. Weitreichende Anstöße zu einer neuen Kanonisierung der 84 Institut für Österreichische Geschichtsforschung (IÖG), Bestand: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung (MIÖG), Karton MIÖG–Akten, Mappe 1: Buchhandlungen etc., Fasz. 1, Verlagsanzeige der Wagner’schen Universitätsbuchhandlung in Innsbruck, sine dato.
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Hilfswissenschaften im Fächerverband der seit 1848/49 reformierten philosophischen Fakultäten lieferte letztlich erst die Gründung des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung: Hier erfolgte die methodisch-technische Ausbildung in den Hilfswissenschaften in enger Kopplung an die mittelalterliche Geschichte.85 Unter Sickel, der dem Institut seit 1869 vorstand, setzte ein tiefgreifender Spezialisierungsprozess ein. Im Zentrum stand etwa die für die Diplomatik verfochtene kritische Methode, mit deren Hilfe detaillierten Fragen nach der Entstehung und dem komplexen inneren Zusammenhang urkundlicher Texte nachgegangen wurde.86 Mit den oben zitierten Worten verdeutlichte Theodor Sickel daher die Gründungsintentionen der MIÖG: Die Zeitschrift war nicht nur eng mit seinem Namen verbunden, sondern an den Erfolg des Unternehmens knüpften sich auch der Ruf und die »Ehre« des Instituts, mit dem sich besonders die jüngeren Studierenden identifizierten.87 Unter den Proponenten der neuen Zeitschrift befanden sich neben dem Institutsdirektor Sickel auch der Kunsthistoriker Moriz [sic] Thausing88 und der Historiker Heinrich von Zeißberg,89 Vorstand des Historischen Seminars an der Wiener Universität. Nach eingehenden Verhandlungen mit mehreren Verlagen legte man gemeinsam die wesentlichen Grundzüge des offiziellen Programms fest:90 Die Zeitschrift sollte »universellen Charakter« tragen und sich nicht nur auf den »speciell österreichischen Stoff« beschränken. Vielmehr waren Abhandlungen vorgesehen, die sich gemäß der »Richtung« des Instituts der mittelalterlichen und neuzeitlichen Geschichtsforschung verpflichtet sahen. Nur das klassische Altertum schloss man von vornherein aus. Inhaltlich war an Beiträge zur Rechtsgeschichte, Kunstgeschichte, Kulturgeschichte, christlichen Archäologie und natürlich vor allem zu den historischen Hilfswissenschaften gedacht. Obschon die Initiatoren mit der hauptsächlichen Mitwirkung aller Institutsmitglieder rechneten, betonte der Verlag ausdrücklich, dass man sich
85 Ausführlicher dazu Saxer 2014, S. 88 – 94. 86 Härtel 2002. 87 »Wir jüngeren […] hängen mit ganzer Seele am Institut […]«, bekannte Engelbert Mühlbacher anlässlich der Gründung der MIÖG; IÖG, Bestand MIÖG, Karton MIÖG-Akten, Mappe 1: Buchhandlungen etc., Fasz.1, Engelbert Mühlbacher, Promemoria, 1879 Oktober 22, 15 paginae, hier pag. 4 (Abschrift; unpaginiertes Org. ebd., Mappe 2, Fasz. 2: Redaktionsakten, Konvolut: Berichte der Redaktion). 88 Thausing spielte in der Ausdifferenzierung der (Wiener) Kunstgeschichte als Fachdisziplin eine nicht unerhebliche Rolle; diese behandelt Rosenauer 1983, S. 135 – 139. 89 Karabacek 1900, S. 359 – 362. 90 IÖG, Bestand MIÖG, Karton MIÖG-Akten, Mappe 1: Buchhandlungen etc., Fasz.1, Karl Foltz, Zirkular, 1879 Juni (sine die). Im März und Juni 1878 hatten sich ehemalige Institutsabsolventen versammelt, um über die Herausgabe der Zeitschrift zu beraten; siehe auch Lhotsky 1954, S. 153 – 155.
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nicht auf diesen Kreis beschränken wolle.91 Daher bemühte man sich zunehmend auch um die Mitarbeit weiterer Fachkollegen. Von Beginn an stand fest, dass es sich bei den Beiträgen ausschließlich um »streng wissenschaftliche Abhandlungen und zuverlässige Mittheilungen« handeln werde.92 Nicht zuletzt deshalb dürfte – etwa im Vergleich zum AÖG – kein eigener Begutachtungsprozess zur Qualitätsüberprüfung der Beiträge angesetzt worden sein. Demgegenüber bestimmten die Herausgeber der MIÖG ein jüngeres Institutsmitglied, welches mit den Autoren korrespondierte und die umfangreiche Redaktionsarbeit erledigte. Hierfür war zunächst Engelbert Mühlbacher zuständig, für den diese Arbeiten neben seiner eigentlichen wissenschaftlichen Editionsarbeit zunehmend eine große Last bedeuteten.93 Um den Gründungszeitpunkt der MIÖG wurden ebenso in anderen Ländern Europas, etwa in Italien, Frankreich und England und zudem in den USA, Fachzeitschriften mit historischem Fokus initiiert. In Deutschland waren ebenfalls zahlreiche Zeitschriften mit historischer Orientierung auf dem Markt.94 Hier hatte die bereits seit 1859 erscheinende Historische Zeitschrift den Übergang von einer Zeitschrift für ein bildungsbürgerliches Publikum zu einem Publikationsorgan für eine akademische Fachöffentlichkeit bezeichnet. Besonders ab den 1870er Jahren drängte sie deutlich aus dem Zwischenraum von allgemeinverständlichen und spezifisch fachwissenschaftlichen Darstellungsformen hinaus in den Raum spezialisierter Wissenschaft.95 Der deutsche Zeitschriftenmarkt bedeutete für Österreich eine starke Konkurrenz, die auch im Entstehungszusammenhang der MIÖG eine Rolle spielte. Mehrfach kam dabei das Bedürfnis nach einer entsprechenden historischen Zeitschrift auch für Süddeutschland und Österreich zur Sprache: Mit der »Suprematie« der Norddeutschen wurde dabei ebenso argumentiert wie mit der Tatsache, dass für Historiker im Inland »höchstens« die Schriften der Akademie der Wissenschaften als Forum zur Verfügung stünden. Diese wurden jedoch für die immer wichtigere rasche Publikation als ungeeignet empfunden.96 Es ist 91 IÖG, Bestand MIÖG, Karton MIÖG-Akten, Mappe 1: Buchhandlungen etc., Fasz. 1, Verlagsanzeige der Wagner’schen Universitätsbuchhandlung in Innsbruck, sine dato. 92 IÖG, Bestand MIÖG, Karton MIÖG-Akten, Mappe 2: MIÖG-Akten (sic), Fasz. 2, Konvolut: Berichte der Redaktion, Engelbert Mühlbacher, Subventionsgesuch an das Ministerium für Cultus und Unterricht, 1880 Jänner 30 (Konzept). 93 IÖG, Bestand MIÖG, Karton MIÖG-Akten, Mappe 2: MIÖG-Akten (sic), Fasz.1: Mittheilungen Mühlbacher, Engelbert Mühlbacher an Theodor Sickel, 1880 Juni 13; siehe auch Fasz. 2, Konvolut: Berichte der Redaktion, Engelbert Mühlbacher, Engelbert Mühlbacher an die Institutsdirektion, 1888 Februar 2. 94 Hierzu mit einer detaillierten Auflistung: Friedrich 1999, S. 95. 95 Nissen 2009, S. 27. 96 IÖG, Bestand MIÖG, Karton MIÖG-Akten, Mappe 1: Buchhandlungen etc., Fasz.1, Engelbert Mühlbacher, Promemoria, 1879 Oktober 22, 15 paginae (Abschrift; unpaginiertes Org. ebd., Mappe 2, Fasz. 2: Redaktionsakten, Konvolut: Berichte der Redaktion).
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durchaus bemerkenswert, dass der Begutachtungsprozess für die historischen Schriften der Akademie der Wissenschaften in dieser Argumentation nicht (mehr) als erwünschte Qualitätssicherung galt, sondern durch die langwierige Veröffentlichungsprozedur sogar eher negativ besetzt war. Hiermit verdeutlicht sich auch letztlich das immer noch aktuelle Spannungsfeld aus raschem Publikationsprozess und gleichzeitig hoher Qualität der Beiträge. Nach wenigen Jahren konnten die MIÖG auf eine Reihe ständiger Mitarbeiter verweisen, die einerseits aus dem Umfeld des Instituts kamen und in enger personeller und funktioneller Beziehung dazu standen. Hierzu zählten, nur als Beispiele, die an der Universität Innsbruck tätigen Historiker Julius Ficker und dessen Schüler Alfons Huber sowie Arnold Busson oder Sickels Schüler Ferdinand Kaltenbrunner.97 Andererseits betonte die Redaktion besonders gegenüber dem Ministerium für Cultus und Unterricht, das die wesentlichen finanziellen Mittel für die MIÖG bereitstellte, dass regelmäßig auch namhafte Gelehrte aus dem Ausland, beispielsweise von den Universitäten Berlin, München, Jena, Heidelberg, Göttingen, Luzern und Strassbourg vertreten waren.98 Des Weiteren lohnt ein Blick auf die Struktur der Zeitschrift: Als wichtiges Detail fällt der sogenannte Literaturbericht auf, der Neuerscheinungen auf historischem Gebiet in Form von Buchrezensionen und Literaturreferaten analysierte. Während im AÖG aus verschiedenen Gründen auf einen Rezensionsteil verzichtet worden war,99 legten die Herausgeber und Redakteure der MIÖG großen Wert auf den »Literaturbericht«. Diesem kam eine wesentliche Funktion für die Standardisierung der historischen Forschung zu: Die Exklusionsversuche für historische Arbeiten, die nicht akzeptiert wurden, standen den Versuchen der Etablierung einer professionellen Zunft im universitären Umfeld gegenüber. So wurden etwa Urkundeneditionen mit den am Institut vertretenen diplomatischen Richtlinien verglichen und dabei explizit Sickels Methoden bei der Aufnahme äußerer Urkundenmerkmale, wie etwa der Dorsualvermerke, ins Feld geführt.100 Mitunter verglichen die Rezensenten, ähnlich wie zuvor die Gutachter des AÖG, das gebotene Quellenmaterial sogar direkt mit den Originalvorlagen der Archive und listeten sämtliche Verschreibungen detailliert
97 Zu Ficker jetzt vor allem: Urmann 2014; zu Alfons Huber siehe Fellner 2002; zu seinem Schüler Busson außerdem Huber 1893 ; zu Kaltenbrunner : ÖBL 3, 1965, S. 203 bzw. http://www.biographien.ac.at/oebl/oebl_K/Kaltenbrunner_Ferdinand_1851_1902.xml [02. 10. 2014]. 98 IÖG, Bestand MIÖG, Karton MIÖG-Akten, Mappe 2: MIÖG-Akten (sic), Fasz. 2, Konvolut: Berichte der Redaktion, Engelbert Mühlbacher, Subventionsgesuch an das Ministerium für Cultus und Unterricht, 1882 Juni (sine die), Konzept. 99 Siehe oben S. 181. 100 Emil von Ottenthal, [Sammelrezension zu vier Urkundenbüchern], in: MIÖG 3 (1882) S. 641 – 648, hier bes. S. 646.
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auf.101 Obschon sich die Rezensionsarbeit nicht unbedingt großer Beliebtheit erfreute, dürften die Rezensenten der MIÖG die Möglichkeit kritischer Besprechungen durchaus geschätzt haben, die ihnen die Zeitschrift im Vergleich zu anderen Organen offerierte.102 Es gab aber noch einen weiteren Grund, gerade diesen Teilen der Zeitschrift besondere Aufmerksamkeit angedeihen zu lassen: Als »Specialität« im Vergleich zu anderen Konkurrenzorganen sollten die MIÖG regelmäßig über die historische Forschung in den nicht-deutschen Teilen Österreich-Ungarns berichten. Demgemäß besprachen eigene Rezensenten ausführlich die Monumenta Historiae Hungarica oder die Quellenpublikationen der Wissenschaftsakademien in Krakau und Zagreb.103 Die Rezensenten thematisierten hier fallweise auch die Problematik der Nationalsprachen: Vor allem die ungarischen Arbeiten wurden heftig dafür kritisiert, wenn Einleitung und Anmerkungsapparate in ungarischer anstelle der lateinischen Sprache abgefasst waren.104 Auf diese Weise verbanden sich im Rezensionsteil politisch-gesamtstaatliche und fachliche Aspekte. Die Struktur und die Anlage der MIÖG erlaubten ferner eine relative rasche Reaktion auf den wissenschaftlichen Spezialisierungsprozess, auf neue Trends und historische Teilfächer, die sich gegen Jahrhundertende auszubilden begannen. Ein Beispiel hierfür bietet die Ausdifferenzierung der Wirtschaftsgeschichte.105 Einige Artikel und Besprechungen zeigen deutliche Versuche, österreichische Arbeiten auf diesem Gebiet anzuregen, um etwa die bereits bestehenden Editionen der Weistümer und Urbare auszuwerten.106 Durch die Aufnahme von Artikeln verschiedener Länge, von Buchrezensionen und Literaturreferaten wurde das sich auffächernde Wissen permanent in den fachlichen Austausch integriert. Ein interessantes Beispiel für die Funktion der MIÖG, das Institut zu repräsentieren, liefert auch die photographische Reproduktion mit der Methode, für paläographische Studien Faksimileausga101 Frantisˇek Maresˇ, [Rezension zu] Die böhmischen Landtagsverhandlungen und Landtagsbeschlüsse vom Jahre 1526 an bis auf die Neuzeit, hg. vom Böhmischen Landesarchiv (Prag 1877), in: MIÖG 1 (1880) S. 329 – 332. 102 Ein Rezensent bekannte gegenüber dem Redakteur Oswald Redlich, dass etwa bei den Berliner Mittheilungen (aus der historischen Literatur) wirklich kritische Rezensionen ausgeschlossen seien. IÖG, Briefe an Oswald Redlich, Karton 1 (1893 – 1897), Woldemar Lippert an Redlich, 1895 Februar 17. 103 Siehe etwa MIÖG 1 (1880) S. 153 – 160; S. 473 – 484; MIÖG 3 (1882) S. 329 – 336; S. 665 – 663, MIÖG 7 (1886) S. 345 – 341; S. MIÖG 9 (1888), S. 682 – 687. 104 Samuel Steinherz, [Rezension zu] Diplomatarium relationum rei publicae Ragusanae cum regno Hungariae (Budapest 1887), in: MIÖG 10 (1889), S. 634 – 637. 105 Zur Situation in Wien siehe Kolárˇ 2006, S. 109 – 116. 106 Siehe etwa Emil von Ottenthal, [Rezension zu] Armin Tille, Die bäuerliche Wirtschaftsverfassung des Vintschgaues, vornehmlich in der zweiten Hälfte des Mittelalters (Innsbruck 1895), in: MIÖG 18 (1897) S. 165 – 168.
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ben anzufertigen, wie sie in den Lehrkursen des Instituts üblich geworden war.107 Die MIÖG reflektieren, wie diese Methode bald auch von verwandten Disziplinen wie der Musik- oder Kunstgeschichte übernommen wurde. So finden sich entsprechende Hinweise auf ähnliche Unternehmungen nicht nur in der Monarchie oder in Deutschland, sondern auch etwa in Frankreich und England.108 Trotz ihrer eigentlichen Konzentration auf die österreichische und deutsche Forschung versuchte die Zeitschrift damit um die Jahrhundertwende, sich zunehmend auch einen internationaleren Anstrich zu verleihen.
Resümee In der Ausdifferenzierung der Geschichtswissenschaft als akademisches Fach im 19. Jahrhundert nahmen Fachzeitschriften eine bedeutende Rolle ein. Für die österreichische Forschungslandschaft ist der Fokus auf die Darbietung und Verarbeitung von historischen Quellen und die damit verbundene archivische Praxis bezeichnend. Die drei ausgewählten Beispiele zeigten, wie aus der Ambition, die archivkonzentrierte Forschung in der Habsburgermonarchie zunächst anzuregen und zu fördern, zunehmend Standardisierungs- und Abgrenzungstendenzen wurden: Auf die private Initiative der vormärzlichen Zeitschrift Der österreichische Geschichtsforscher folgte um die Jahrhundertmitte das institutionell verankerte Archiv für Österreichische Geschichte. Hier offenbarte sich bereits ein deutlicher Schub der Verfachlichung: Mit einem eigenen Begutachtungsverfahren für die einlangenden Beiträge überwachte die Akademie der Wissenschaften als Herausgeberin die Qualität, um eine Standardisierung zu ermöglichen. Dennoch erlaubte die gleichbleibende Struktur der Zeitschrift nur eine bedingte Reaktion auf den wissenschaftlichen Spezialisierungsprozess. Demgegenüber waren die seit 1880 publizierten Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung (MIÖG) nicht nur institutionell verankert, sondern auch ein universitäres Kooperationsprojekt mit solidargemeinschaftlichem Anspruch. Letztlich war es eben gerade die von Ottokar Lorenz jedenfalls zu Recht kritisierte Einseitigkeit des Institutsbetriebes, die der Zeitschrift von 107 Saxer 2014, S. 271 – 322. 108 Siehe bspw. Guido Adler, [Rezension zu] Pal¦ographie musicale: les principaux manuscrits de chant gr¦gorien, ambrosien, mozarabe, gallican publi¦s en fac-simil¦s phototypiques, vol. 1, ed. Benediktinerpatres in Solesmes (Solesmes 1889), in: MIÖG 11 (1890) S. 327 – 328; Guido Adler, [Rezension zu] Pal¦ographie musicale: les principaux manuscrits de chant gr¦gorien, ambrosien, mozarabe, gallican publi¦s en fac-simil¦s phototypiques, vol. 1, ed. Benediktinerpatres in Solesmes (Solesmes 1889), in: MIÖG 11 (1890) S. 327 – 328.
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vorneherein eine konkrete methodische Ausrichtung gab: International konnte sie damit durchaus reüssieren und wurde mitunter sogar mit der französischen BibliothÀque de l’Êcole des chartes verglichen.109 Die fachliche Bewertung und Beurteilung geschichtswissenschaftlicher Produkte verschob sich dabei gleichsam in einen eigens organisierten Literaturbericht und war somit für die Fachöffentlichkeit einsehbar. Besonders dieser Teil der Zeitschrift ermöglichte zudem eine rasche Reaktion auf die weitere geschichtswissenschaftliche Spezialisierung. In diesem Sinn wurde gezeigt, dass Fachzeitschriften die Dynamik und Auffächerung historischen Wissens nicht nur reflektieren, sondern diesen Prozess durch aktive Standardisierung und konkrete Formen der Integration und Exklusion entscheidend mit bestimmten.
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Orientalistik in Wiener Zeitschriften
Einführung Die Beschäftigung mit wissenschaftlichen Zeitschriften hat sich als lehrreich für die Untersuchung von Forschungspraktiken in der Vergangenheit erwiesen. Schließlich führen Zeitschriften Interessengruppen und Netzwerke zusammen, deren Vergleich inhaltliche und strukturelle Aufschlüsse über die Genese von Wissenschaftsdisziplinen erhoffen läßt. Da angenommen werden kann, dass die wissenschaftlichen Kontributionen zu ihrem Zeitpunkt als exzellent angesehen wurden, kann man Rückschlüsse auf thematische und strukturelle Trends in der Wissenschaft ziehen. Die Zeitschrift dient somit als eine Quelle nicht nur ihren Inhalt betreffend, sondern was man gemeinhin als state of the art bezeichnet. Vorliegender Beitrag versucht anhand dreier Beispiele, die Geschichte orientalistischer Zeitschriften im langen 19. Jahrhundert in Österreich darzustellen. Hierbei soll versucht werden, den jeweilig gültigen Begrifflichkeiten von Wissenschaft und Wissenschaftlichkeit Rechnung zu tragen. Bereits die Frage, was Orientalistik eigentlich ist, kann nicht so ohne weiteres beantwortet werden. Die Vorstellung von Orientalistik als einem Studienfach, das Sprachen, Geschichte, Religion und Literatur einer bestimmten Region untersucht, die wir wiederum mit wechselnden Grenzen als den »Orient« bezeichnen können, ist historisch gewachsen und keinesfalls selbstverständlich. Wenn Jürgen Osterhammel für den Begriff des Wissenschaftlers, wie wir ihn heute verstehen, richtigerweise festgestellt hat, dass er ein Produkt des 19. Jahrhunderts ist,1 müssen wir festhalten, dass es orientalistische Forschungen natürlich bereits vor dem 19. Jahrhundert gegeben hat und dass sie auch außerhalb der Universitäten in großem Umfang durchgeführt wurden. In meinen Augen ist es der Übersicht über das Thema hinderlich, wenn man von der eigenen Wissenschaftsbegrifflichkeit geleitet lediglich an den Universitäten Beschäftigte berücksichtigt. So kann es kommen, dass Sabine Mangold 2011 in ihrem ansonsten exzellenten 1 Osterhammel 2009, S. 1107.
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Aufsatz über Joseph von Hammer-Purgstall behaupten kann, er sei niemals ein professioneller Orientalist gewesen, weil er nie einen Lehrstuhl innehatte bzw. nie an einer Universität beschäftigt gewesen sei.2 Nicht nur seiner beeindruckenden Publikationsfülle wegen ist das meines Erachtens eigenartig, sondern vor allem auch wegen der starken Resonanz seines Werkes bereits zu seinen Lebzeiten.3 Die Retrospektive auf Hammer-Purgstalls Werk erlaubt eine ganz andere Kritik als seinen Zeitgenossen, zugleich ist die Anwendung heutiger Kriterien von Wissenschaftlichkeit als Beurteilungsinstrument ein wenig ungerecht. Auch wenn die Frage selbstverständlich legitim ist, ab wann ein Orientalist ein Orientalist ist, sollte diese Frage nicht vordringlich mit der Zugehörigkeit an die Universität beantwortet werden. Dies gilt in besonderem Maß für die Zeit, in der die Universitäten das Professionalisierungsmonopol in wissenschaftlichen Belangen noch nicht an sich gerissen hatten, also im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts und in Wahrheit darüber hinaus. Orientalistik hat eine andere wissenschaftshistorische Genese als die historischen Wissenschaften. Zunächst fristete sie als philologische Hilfsdisziplin zur Theologie den Dienst als ancilla theologiae, bevor sie als philologische Grundwissenschaft eine selbständige Position in der Wissenschaftslandschaft erhielt. Das 19. Jahrhundert stellt das Entfaltungsjahrhundert der Orientalistik dar, in diesem Jahrhundert findet aber auch gleichzeitig die Zersplitterung in die zahllosen Disziplinen statt, die heute nur noch etwas hilflos unter dem Sammelbegriff Orientalistik zusammenzufassen sind. Es wäre naiv anzunehmen, dass Geistesströmungen wie Romantik und Historismus die Orientalistik nicht geprägt hätten. Das Verhältnis von Orientalistik und Historismus ist noch völlig unzulänglich geklärt. Wie Marianne Klemun es in ihrem Beitrag für den vorliegenden Band für naturkundliche Wissenschaften beschrieben hat, wäre Ähnliches für das Fach Orientalistik wünschenswert. Die Erforschung der Geschichte der deutschsprachigen Orientalistik – ein Terminus, der zwar sperrig, aber nicht so irreführend wie deutsche Orientalistik ist – also orientalistischer Wissensproduktion in deutscher Sprache, erfreut sich in den letzten 20 Jahren wachsender Beliebtheit. Das hat in einem wesentlichen Teil mit der Ausnahme des deutschsprachigen Raumes aus dem das Fach so nachhaltig geprägten Vorwurfes des »Orientalismus« des palästinensisch-amerikanischen Literaturwissenschaftlers Edward Said zu tun.4 Said hatte in seinem berühmten Buch »Orientalism« dem Fach unterstellt, seinen Diskurs über den Orient in den Dienst des Imperialismus gestellt zu haben. Hauptsächlich meinte 2 Mangold 2011, S. 205. 3 Die vollständigste Zusammenstellung der Publikationen Hammers sowie eine Teiledition der Korrespondenz an ihn bietet Höflechner 2011. 4 Said 1993.
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er damit die Länder England und Frankreich und ließ Deutschland vollkommen aus, mit der Begründung, es habe bis zum Ende des 19. Jahrhunderts keine kolonialen Bestrebungen gehabt.5 Wenn Zachary Lockman in seiner Zusammenfassung dieser Kritik durch Said behauptet, dass der Einfluss dieses Buches gar nicht überschätzt werden kann, muss man ihm zustimmen.6 In der postkolonialen Theorie spielten das Buch und sein Vorwurf eine gewichtige Rolle, die Wissenschaftslandschaft in den USA ist in Befürworter und Gegner gespalten, und gerade in Indien hat die Auseinandersetzung mit Saids Thesen die Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit sehr stark beeinflusst. In Deutschland lösten Saids Vorwürfe zum Teil große Empörung aus,7 anderseits begann man sich auch mehr und mehr mit der Geschichte des Faches zu beschäftigen. Hatte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum in den Darstellungen von Fück, Paret und Babinger die Aufzählung der Protagonisten des Faches und ihrer wissenschaftlichen Leistungen im Vordergrund gestanden und mit ihrer strikt chronologischen Darstellung eine so nie existente Kontinuität suggeriert,8 so bemühten sich die neueren Darstellungen, das jeweilige Umfeld mit zu berücksichtigen. Vor allem konzentrierten sich die Darstellungen der deutschsprachigen Orientalistik auf die Universitäten. Die außeruniversitäre Forschung zur Orientalistik wurde dabei stets nur am Rande gestreift, wenn überhaupt, so ganz dem Mechanismus der Professionalisierung, die etwa Sabine Mangold in ihrer Dissertation beschrieben hat, Rechnung tragend.9 Bedeutsam ist das wachsende internationale Interesse an der deutschsprachigen Orientalistik, die Bücher von Suzanne Marchand und Ursula Wokoeck erschlossen endlich auch einem englischen Leserkreis dieses Fach.10 Die Periodisierung der Geschichte der Orientalistik folgt in den gängigen Darstellungen im Großen und Ganzen der Professionalisierung der Wissenschaften an den Universitäten unter gleichzeitiger Ausklammerung aller außeruniversitären Unternehmungen auf diesem Gebiet. Suzanne Marchand hat, vielleicht in etwas effektheischerischer Weise, über den Zeitraum von 1820 bis 1870 als der Phase der lonely orientalists gesprochen.11 Sie meinte damit die Zeitspanne, in der die Orientalistik von der Klassischen Philologie getrennt wurde und hinter dieser als Spezialistenwissenschaft zurückblieb. Sie büßte ihre Bedeutung im Vergleich zum Beginn des Jahrhunderts empfindlich ein, bevor sie an den Universitäten wiederum einen festen Platz als Nischenfach zuge5 6 7 8 9 10 11
Vgl. eine schöne Sammlung befürwortender und ablehnender Texte in Macfie 2000. Lockman 2010, S. 184. Besonders augenfällig in der Rezension von Fähndrich 1988. Fück 1955; Paret 1955; Babinger 1919. Mangold 2004. Wokoeck 2009; Marchand 2009. Marchand 2009, S. 102 – 156.
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wiesen bekam. Die Klassifizierung als lonely orientalists funktioniert allerdings eingeschränkt nur dann, wenn man sich auf den Universitätsbetrieb allein konzentriert, und wenn man zudem außer Acht lässt, dass Wissenschaften außerhalb und innerhalb der Universität in kommunikativen Netzwerken operieren, also alles andere als das Charakteristikum der Einsamkeit verkörpern, wie wir auch auf dem Gebiet der orientalistischen Zeitschriften sehen werden. In der Periode des 19. Jahrhunderts kann man anhand dreier Beispiele aus den eben skizzierten Gründen durchaus erwartbare Ergebnisse herausholen, nämlich dass auch Zeitschriftenunternehmungen dem institutionalisierten Professionalisierungsprozess angepasst wurden.
Fundgruben des Orients Das erste Beispiel besteht aus den sogenannten Fundgruben des Orients. Im Allgemeinen gilt diese Zeitschrift als die erste »wissenschaftliche« Zeitschrift mit orientalistischer Themensetzung.12 Das ist nur eingeschränkt zutreffend: Hartmut Bobzin etwa beschreibt etliche frühere Beispiele im deutschsprachigen Raum und im englischen Raum die für die Fundgruben des Orients vielleicht recht einflussreiche Zeitschrift Asiatick Researches, die 1784 im heutigen Kolkata von William Jones gegründet worden war.13 Angesichts der Tatsache, dass die Definition von Wissenschaftlichkeit in ihrem Zeitkontext zu sehen ist und aus unserer Warte allein schlecht zu beurteilen ist, soll die Frage, ob es sich um die erste orientalistische Fachzeitschrift handelt, hintangestellt werden. Viel bedeutsamer ist meines Erachtens, dass die Fundgruben des Orients eine der letzten orientalistischen Unternehmungen darstellten, die versuchte, sich dem Thema in aller Breite anzunehmen. Die Fundgruben des Orients sind gänzlich das Werk des bekannten österreichischen Orientalisten und Staatsbediensteten Joseph von Hammer-Purgstall (1774 – 1856).14 Joseph von Hammer war an der Orientalischen Akademie zum Dolmetscher ausgebildet worden und hatte neben den drei orientalischen Sprachen Arabisch, Persisch und Türkisch Kenntnisse vermittelt bekommen, die ihm primär für den Staatsdienst nutzen sollten und weniger für wissenschaftliche Tätigkeit. Hammer verfolgte während seiner Ausbildung und danach schon ausgeprägt »literarische« Interessen. Dies sollte man nicht ausschließlich im heutigen Wortsinn verstehen, das Wort enthielt damals die für uns heute 12 Galter 2008. 13 Bobzin 1992, S. 166. 14 Hammer-Purgstall erst ab 1835, als er Namen und Titel der kinderlos verstorbenen Graf und Gräfin Purgstall erbte.
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nicht mehr gut nachvollziehbare Verbindung aus Wissenschaft und Literatur. Der junge Hammer durfte auf die Vermittlung Wielands bereits in sehr jungen Jahren in dessen Zeitschrift Deutscher Merkur publizieren. Von 1798 an produzierte Hammer in dieser Zeitschrift immerhin 22 Beiträge. Auch wenn Hammers Kollegen in der Orientalischen Akademie ebenfalls wissenschaftlich publizierten, war das Interesse Hammers an allem Literarischen und Historischen des Orients überdurchschnittlich hoch anzusehen. Hammer verbrachte in seinem langen Leben lediglich sieben Jahre außerhalb Österreichs. Er fand zwei Male im Ausland Verwendung, zunächst als Dolmetschgehilfe und später als Dolmetsch, an der Internuntiatur in Konstantinopel. Sowohl dort als auch in Kairo, wo er zwischen seinen Aufenthalten in Konstantinopel ein Jahr verbrachte, besuchte er intensiv Bibliotheken und erwarb auf den Bücherbasaren von Konstantinopel und Kairo zahlreiche Handschriften.15 Diese zusammengetragenen Arbeitsmaterialien Hammers kaufte die kaiserliche Hofbibliothek später in zwei Tranchen. Damit verdoppelten sich ihre gesamten Bestände an orientalischen Handschriften.16 Als Hammer 1807 von seinem letzten beruflichen Auslandsaufenthalt nach Wien zurückkehrte, stürzte er sich in das gesellschaftliche Leben der Hauptstadt, besuchte diverse literarische Salons und wurde in diesen herumgereicht, schließlich hatte sich Hammer schon einigen publizistischen Ruhm errungen. Auf einer dieser gesellschaftlichen Veranstaltungen, bei einer Opernvorführung bei Fürst Lobkowitz, ließ sich Wenzel Graf Rzewuski Hammer als großer Liebhaber des Orients vorstellen.17 Sie befreundeten sich rasch miteinander, teilten sie doch ein gemeinsames Interesse, und Rzewuski erklärte sich sehr bald nach ihrem ersten Treffen einverstanden, eine orientalistische Zeitschrift zu finanzieren, da er über beträchtliche Mittel verfügte. Rzewuski (1765 – 1831) war in Wien erzogen worden, in österreichische Kriegsdienste getreten und den orientalischen Wissenschaften zugetan. Die Zeit von 1807 – 1814 verbrachte er in Wien, wo er Hammers Zeitschriftenidee finanziell unterstützte.18 Rzewuskis Name war sodann auch der einzige Name, der auf dem Titelblatt der Zeitschrift – allerdings hier auch lediglich auf der arabischen Titelseite – aufschien. Die Zeitschrift hatte insgesamt drei Titel, deutsch Fundgruben des Orients, französisch Mines de l’Orient und arabisch Mahzan al˘ kunu¯z al-masˇriqı¯ya wa-ma dan ar-rumu¯z al-agˇnabı¯ya, eigentlich: Tresor der ¯ 15 Da der Buchdruck im Orient erst sehr spät einsetzt, wurde wissenschaftliche Produktion bis ins späte 19. Jahrhundert hinein über Handschriften vertrieben. 16 Die Bestände HO und NF der Österreichischen Nationalbibliothek gehen hauptsächlich auf die Handschriftenverkäufe Hammers zurück, HO auf die 1832 gekauften 200 Handschriften zur Osmanischen Geschichte und NF auf die 1842 gekauften 412 Handschriften verschiedensten Inhalts. Vgl. Flügel 1867, XII – XIII. 17 Galter 2008, S. 87 f. 18 Zu Rzewuski vgl. Wurzbach 1856 – 1891, Bd. 27, S. 353 – 355.
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orientalischen Schätze und Mine der fremden Symbole. Der arabische Titel reimt sich und ist der Art arabischer Buchtitel nachempfunden. Bei der Zeitschrift handelte es sich um ein rein privates Unternehmen, das zwar sehr ambitioniert war, allerdings vollkommen von Rzewuskis Finanzierung abhing. Als Rzewuski, der offenbar mit Geld nicht umgehen konnte, 1814 zur Ordnung seiner heimischen Güter nach Polen zurückkehrte, wurde die Finanzierung der Zeitschrift immer schwieriger. Mehrfach schreibt Hammer in seinen Erinnerungen über Korrespondenzen mit Rzewuski, dessen schöne Anlagen und Interesse er anerkannte und lobte, allerdings immer wieder um die Fortsetzung der Zeitschrift bangen musste.19 Rzewuski reiste ausführlich im Orient, auch um seiner unglücklichen Ehe zu entfliehen, und wurde zunehmend wunderlicher, wie Hammer festhielt.20 1818 kam die Zeitschrift mit dem 6. Band zum Erliegen. Sämtliche Versuche, die Zeitschrift weiterzuführen, scheiterten an der starken Verschuldung Rzewuskis. Hammer bemühte sich, alternative Finanzierungsquellen zu finden und schreckte selbst davor nicht zurück, Metternich zu bitten, die Zeitschrift als das Aushängeschild österreichischer Gelehrsamkeit aus der Staatskasse zu fördern, was dieser jedoch ablehnte.21 Auch wenn Hammer hauptsächlich mit den Belangen der Zeitschrift befasst war, versuchte er, seine Kontakte zumindest nominell mit einzubeziehen. So feierte man am 6. Januar 1809, am Tage der drei Heiligen Könige aus dem Morgenland, die Gründung der Zeitschrift in einem Gasthaus. Zwölf namhafte Orientalisten sollten der Eigendefinition nach teilgenommen haben,22 von denen nur die wenigsten als Kontribuenten der Zeitschrift weiter in Erscheinung traten. Das oft zitierte Motto der Zeitschrift: »Sag, Gottes ist der Orient und Gottes ist der Occident; er leitet, wen er will, den wahren Pfad«, ist spätestens seit der Verwendung durch Goethe in seinem West-östlichen Divan deutsches Kulturgut. Selbstverständlich bezog auch Goethe diese Zeitschrift, die in den Jahren 1809 – 1818 in 24 Heften erschien, die sechs Foliobände bildeten. Goethe war bekanntlich durch Hammers Hafis-Übersetzung ins Deutsche zur Arbeit am Westöstlichen Divan inspiriert worden.23 Im Verhältnis zu den anderen Kontribuenten schrieb Hammer die größte Zahl der Beiträge der Zeitschrift. Im Vorwort zum ersten Heft wurde das Ziel der 19 20 21 22
Höflechner 2011, Bd. 1, S. 104. Ebd., S. 135. Ebd., S. 138. »RZEWUSKI, HP, ARYDA, CHABERT, von CHASTELLER, Jean ARGYROPULO, Karl von DOBLHOFF, Karl von HARRACH, Hofdolmetsch DEMETRI, HÖCK sowie »noch einige Freunde seines [RZEWUSKIs] Hauses« wie der Prince de LIGNE, der Abb¦ TREBERU, der Hauptmann HÜBNER »und andere, auf die ich mich nicht mehr erinnere«.« Zit. nach Höflechner 2011, Bd. 1, S. 55. 23 Vgl. dazu Mina 2007.
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Unternehmung genau umrissen; »Diese Zeitschrift soll Alles umfassen, was nur immer aus dem Morgenlande kömmt, oder auf dasselbe Bezug hat. Orientalische Uebersetzungen, Abhandlungen, Bemerkungen, Nachrichten, Auszüge, Notizen, Beschreibungen, Zeichnungen, und Aufsätze aller Art in den gangbarsten Sprachen Europas.«24 Internationalität, Austausch und Vermittlung der aufregenden Neuentdeckungen der Zeit sollten in der Zeitschrift an eine möglichst breite Öffentlichkeit gebracht werden. Neben der Vorrede und der Schlussrede verfasste Hammer weitere 14 Beiträge für den ersten Band, davon einige längere, alles in allem allein im Umfang eine beachtliche publizistische Leistung.25 Er schrieb einen Beitrag »Über die Sternenbilder der Araber, und ihre eigenen Namen für einzelne Sterne«, der von einem literarischen Beitrag gefolgt wurde, »Sur le language des fleurs«. Hammer nutzte die Gelegenheit, seine älteren Stücke unterzubringen, wie z. B. »Gedicht des türkischen Gesandten Ebu Bekr Ratib Efendi, bey seinem Besuche der k. k. Akademie der orientalischen Sprachen, derselben zum Andenken hinterlassen im Jahre 1792«. Kleinere Mitteilungen von Inschriften wechselten sich ab mit längeren Arbeiten wie die »Auszüge aus der Sunna oder mündlichen Ueberlieferung Mohammeds«, in dem es um ein islamwissenschaftliches Thema ging. Von zeithistorischer Bedeutung war der Beitrag Hammers, der die arabischen Lobverse an Kaiser Napoleon anlässlich seiner Hochzeit mit der Erzherzogin Marie Louise von Michel Sabbagh26 ins Deutsche übersetzt hatte. Der richtige Eindruck entsteht, dass in den Fundgruben eine Mischung verschiedenster Beiträge veröffentlicht wurde, die heutigen Kriterien von Wissenschaftlichkeit nicht mehr standhalten würden. Abgesehen davon, dass diese Mischung von Wissenschaftlichkeit und Literatur bzw. bruchstückhafter Mitteilungen verschiedensten Inhalts zu Beginn des 19. Jahrhundert vielleicht als unterhaltend angesehen wurde, ließ Hammer es aus persönlichen Gründen der Gefälligkeit zu, dass auch Beiträge Aufnahme fanden, von denen er zumindest im Nachhinein nicht restlos überzeugt war. Dies betraf etwa die Beiträge von Helmina von Ch¦zy, die sich mit vier Beiträgen aus dem Persischen an den Fundgruben beteiligte.27 Helmina war die Frau des französischen Orientalisten Antoine de Ch¦zy, der ebenfalls einen Beitrag veröffentlichte. Hammer, dem ein Naheverhältnis mit Helmina unterstellt wird,28 schrieb in seinen Erinnerungen, dass Helmina kaum ihren Namen auf Persisch schreiben konnte.29 Aus ihrem be24 25 26 27 28 29
FdO, B. 1, S. II. Vgl. für eine Inhaltsangabe der gesamten Zeitschrift Höflechner, Bd. 3, pp. 2106 – 2130. (1784 – 1816) Übersetzer Napoleons, aus palästinensischer Familie. Wilhelmine von Chézy (1783 – 1856), Schriftstellerin. Vgl. NDB 3 (1957), S. 202 f. Ebd. Höflechner 2011, Bd. 1, S. 60 f. Er zitiert aus den Erinnerungen Hammers: »Zwischen CHEZY und mir war von seiner Gemahlin nie die Rede, wir sprachen eben nur vom Persi-
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geisterten Zusagebrief auf die Einladung hin, in den Fundgruben des Orients zu veröffentlichen, lässt sich das allerdings nicht ersehen.30 Buntheit war Programm, neben den erwähnten Übersetzungen wurden die neuesten Erkenntnisse des deutschen Reisenden Ulrich von Seetzen zu den altsüdarabischen Inschriften publiziert.31 Seetzen veröffentlichte seine letzten Beiträge in den Fundgruben des Orients, bevor er 1811 auf einer Forschungsreise erschlagen wurde. Hannes Galter hat die Bedeutung der Fundgruben des Orients für die in ihren Kinderschuhen stehende Vorderasiatische Archäologie betont.32 Neben den Entzifferungsversuchen der Keilschrift, von denen Grotefend einige Beiträge in den Fundgruben des Orients veröffentlichte,33 wurde dies durch den Kontakt Hammers mit Claudius James Rich (1786 – 1821) ermöglicht, der seine ersten Ergebnisse einer Topographie von Babylon in den Fundgruben, oder Mines, wie er sie in seiner Korrespondenz mit Hammer stets nannte, veröffentlichte.34 Seine Korrespondenz mit Hammer zeigt aber auch eine wesentliche Schwäche der Redaktion der Fundgruben auf.35 Obwohl in der Schlussrede zum ersten Band die redaktionellen Arbeitsbereiche für die Druckvorbereitung auf mehrere Personen verteilt beschrieben worden war, scheint die Masse der Arbeit bei Hammer gelegen zu haben, der zahllose Druck- und Satzfehler in der Zeitschrift nicht verhindern konnte. Rich fand seinen großen Beitrag so verstümmelt, dass er ihn einige Jahre später erneut veröffentlichte.36 An seiner Verbundenheit Hammer gegenüber änderte diese frustrierende Erfahrung jedoch nichts. Andere nahmen dergleichen Fehler nicht so auf die leichte Schulter. Legendär ist der publizistische Schlagabtausch Hammers mit Heinrich Friedrich von Diez,37 der sich genau an der zum Teil sorglosen bzw. verändernden Editionspraxis Hammers entzündete. Erbost über die editorischen Eingriffe Hammers in zwei Beiträgen38 zum ersten Band der Fundgruben, schrieb er auf immerhin 600
30 31 32 33 34 35 36 37 38
schen, dessen Alphabet und Anfangsgründe die Frau von ihrem Manne erlernt und woraus sie nach desselben Übersetzung sogar Einiges zu den »Fundgruben des Orients’ beisteuerte, im Grunde aber nicht viel mehr wusste, als in ihren Briefen die Anrede ›Judisch‹ und die Unterschrift ›Helmine‹ mit arabischen Buchstaben zu schreiben.« StLA, Schlossarchiv Hainfeld, Kt. 49, Mappe Rzewusky. Ulrich Jasper Seetzen (1767 – 1811), Reisender und Orientalist. Vgl. NDB 24 (Berlin 2010), S. 155 f. Galter 2008, S. 93 – 98. Unter anderen Grotefend 1814. Alexander 1928. In den FdO veröffentlichte er Memoir on the Ruins of Babylon, Bd. 3 (1813), S. 129 – 162. StLA, Schlossarchiv Hainfeld, Korrespondenzen an Hammer-Purgstall, Faszikel R. Rich 1818. Heinrich Friedrich von Diez (1751 – 1817), NDB 3 (Berlin 1957), S. 712 f. Diez 1809 und Diez 1809a.
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Seiten Entgegnungen zu Hammers Rezensionen zu seinen Werken.39 Diese mit brutaler Härte geführten wissenschaftlichen Dispute erscheinen uns heute befremdlich und kleinlich zugleich, stellen jedoch eine hervorragende Quelle für den jeweiligen state of the art dar und verdienen eine eingehende Betrachtung. Die Zeitschrift war, abgesehen von Rzewuskis Finanzierung, allein das Produkt Hammers Netzwerkaktivitäten. Es bestand eine Reihe von Gruppen, auf die Hammer bei seinen Einladungen, sich an der Zeitschrift zu beteiligen, zurückgriff. Eine davon setzte sich aus seinen Kollegen und Lehrern aus der Orientalischen Akademie zusammen, eine bestand aus seinen Freunden, wiederum eine andere aus internationalen Wissenschaftler-Kontakten, die Hammer womöglich auf diesem Wege direkt angesprochen hatte. Hier finden sich neben den bereits Erwähnten bedeutende Namen wie Silvestre de Sacy,40 Christian Friedrich von Schnurrer,41 Johann Gottfried Eichhorn,42 Heinrich Julius Klaproth,43 Georg Friedrich Grotefend44 und Johann Gottfried Ludwig Kosegarten.45 In ihrer Zeit erfuhren die Fundgruben des Orients große Beachtung. Sowohl in der Allgemeinen Literatur-Zeitung vom 9. Juli 1810 als auch in der Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung vom 2. Oktober 1810 wurden die beiden ersten Hefte des ersten Bandes ausführlich, ernsthaft und sehr wohlwollend besprochen. Wir dürfen annehmen, dass das Ansehen der Zeitschrift sicherlich die gesamte erste Hälfte des 19. Jahrhunderts recht hoch war. In der Publikation Österreichs Ehrenspiegel, die biographische Abrisse berühmter Zeitgenossen bot, stand 1836 zu der Biographie von Hammer : »Hammer gründete auch mit Unterstützung des Grafen Wenzel Rzewusky das treffliche Journal: Die Fundgruben des Orients, welches als eine der wichtigsten Vereinigungspuncte für die Orientalisten des gesammten Europa angesehen werden kann.«46
Österreichische Monatsschrift für den Orient Jürgen Osterhammel hat in seiner Beschreibung des 19. Jahrhunderts anhand von Tageszeitungen einen Klassifizierungskodex entworfen, der in Teilen auch für wissenschaftliche Journale anwendbar ist. So schlägt er gewisse Kriterien 39 Diez 1815. Hammer reagierte 1816 mit einer nicht minder harsch vorgetragenen Kritik an Diez. Hammer 1816. 40 Fück 1955, S. 140 – 157. 41 Theologe und Orientalist (1742 – 1822), ADB 32 (Leipzig 1891), S. 196 – 198. 42 Orientalist und Historiker (1752 – 1827), NDB 4 (Berlin 1959), S. 377 f. 43 Orientalist, Sinologe, Forschungsreisender (1783 – 1835), NDB 11 (Berlin 1977), S. 706 f. 44 Sprachwissenschaftler und Altertumsforscher (1775 – 1853), NDB 7 (Berlin 1966), S. 164 f. 45 Orientalist und Sprachforscher (1792 – 1860), ADB 16 (Leipzig 1882), S. 742 – 745. 46 Hösel 1836, o.S.
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vor, die ein periodisches Druckwerk von dem reinen Pamphlet unterscheiden. Sie bestehen in der regelmäßigen Erscheinungsweise, dem Vorhandensein einer »Redaktion« sowie der Einteilung in Ressorts und Rubriken.47 Weitere Kriterien, wie die der stärkeren Einbeziehung tagesaktueller Ereignisse, gelten tatsächlich eher für die Professionalisierung von Tageszeitungen, die drei Kategorien Erscheinungsregelmäßigkeit, Redaktion und sich wiederholende Rubriken zeugen jedoch auch bei wissenschaftlichen Zeitschriften von einem verstärkten Professionalisierungsprozess. Waren alle drei Kategorien bei den Fundgruben des Orients von Joseph von Hammer noch unerfüllt, wurden sie dies bei der zweiten zu besprechenden Zeitschrift schon viel mehr. Es handelt sich um die ab 1875 monatlich erscheinende Österreichische Monatsschrift für den Orient. Die Zeitschrift wurde in der Folge der Weltausstellung in Wien 1873 gegründet, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann. Im Anschluss an diese Großveranstaltung wurde das Orientalische Museum gegründet, das – in gewisser Konkurrenz zum Museum für Kunst und Industrie am heutigen Stubenring – zunächst am Rennweg untergebracht war.48 Eine – wenn nicht gar die wesentliche Aufgabe der Weltausstellung – hatte neben der Präsentation von Waren und Kunstgegenständen vor allem in der Knüpfung von Wirtschaftsbeziehungen bestanden.49 Dasselbe galt selbstverständlich auch für ihre Nachfolgeorganisationen. Edmund Zichy, der als Förderer von Kunst und Kultur auch bei der Organisation der Weltausstellung eine bedeutende Rolle gespielt hatte,50 hielt am 10. November 1975 einen Vortrag im Orientalischen Museum, in dem er den Sinn eines solchen Museums hauptsächlich in seinem ökonomischen Zusammenhang darstellte: »In den massgebenden Kreisen kam man nach und nach zur Erkenntniss, dass unsere handelspolitische Zukunft nicht so sehr im Westen zu suchen ist, wo sie auf eine mächtige, festgewurzelte Concurrenz stösst, die mit viel billigerem Capitale arbeitet und einen im Grossen und Ganzen gebildeten Arbeiterstand besitzt, sondern dass sich unserem commerciellen Verkehre weit weniger ungünstige Conjuncturen in dem uns im Vergleiche mit anderen europäischen Staaten so nahe gelegenem Oriente, ja selbst in den uns durch den Canal von Suez viel näher gerückten Ländern Ostasiens darbieten.«51
Folgerichtig zitierte Zichy aus den Statuten der Gesellschaft des Orientalischen Museums, dass es das erklärte Ziel sei, die Handelsbeziehungen ÖsterreichUngarns mit dem Orient zu vertiefen, indem es Sammlungen bereithalte, die die 47 48 49 50 51
Osterhammel 2009, S. 63 f. Wieninger o. J. Zur Weltausstellung allgemein vgl.: Pemsel 1989. Oberstallmeister, Kunstmäzen (1811 – 1894), Index ADB. Zichy 1875, S. 1.
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Aufgabe hätten, »die Production und gewerblich Entwickelung des Orientes und der ostasiatischen Länder zu illustriren und dem Besucher diejenigen Fabricate europäischen Ursprungs vorzuführen, welche als Export-Artikel im Verkehr mit diesen Ländern erscheinen.«52 Das Museum verstand sich also als eine Informationsplattform, in deren Räumlichkeiten nicht nur die Produkte von und nach dem Orient zu bestaunen waren, sondern im Lesesaal des Museums 30 Journale und Wochenschriften bereitlagen, um Informationen über den Orient zu vermitteln. Damit dienten die Räume des Museums der direkten Nachfolge des circle orientale der Weltausstellung. Der circle orientale war ein großzügig angelegter Begegnungs- und Informationsraum gewesen, in dem sich interessierte Wirtschaftstreibende über Produkte informieren bzw. sich mit den Ausstellern bekannt machen konnten.53 Das Bestreben, selbst Informationen aktiv zu verbreiten, wurde in dem sechsten Punkt der Statuten mit der Herausgabe einer eigenen Zeitschrift befriedigt. Handelspolitische Zeitschriften waren durchaus verbreitet. Auch die Handels- und Gewerbekammer für Oberbayern gab seit 1871 eine eigene Zeitschrift heraus, in der Informationen für den erfolgreichen Handel bereitgestellt wurden, um nur ein Beispiel zu nennen.54 Der Leiter der Orientalischen Abteilung der Weltausstellung, Joseph von Schwegel,55 bildete während der Weltausstellung das »Comit¦ für den Orient und Ostasien«, das von verschiedenen Personen beschickt wurde, die Interesse am handelspolitischen Austausch mit dem Orient hatten. Nach dem Ende der Weltausstellung übertrug das Comit¦ die Fortführung seiner Anstrengungen dem Orientalischen Museum, als dessen Organ nun die Zeitschrift ins Leben gerufen wurde. Von der ganzen Anlage her unterschied sich diese Zeitschrift von den Fundgruben des Orients: War erstere ein Unternehmen, das rein um die Person Hammer-Purgstall und des von ihm geknüpften Netzwerkes aufgebaut war, so wurde die Österreichische Monatsschrift für den Orient rund um das Ereignis der Weltausstellung von einer damit im Zusammenhang stehenden Institution begründet. Das Erscheinungsbild der Zeitschrift war wesentlich professioneller, als es die Fundgruben des Orients gewesen waren. Von der ersten Nummer an erschien die Zeitschrift einmal im Monat jeweils am 15. Sie gliederte sich in die eigentlichen Beiträge und Miszellen, die von Literaturberichten, einer Chronik sowie einer »Commerciellen Revue« gefolgt wurden. Redigiert wurde die Zeitschrift von Arthur von Scala, dem Direktor des 52 Ebd. 53 Griesmayr 1968, S. 16. 54 Bayerische Handelszeitung. Organ für die Interessen des Handels, des Verkehrs und der Industrie, herausgegeben von der Handels- und Gewerbekammer für Oberbayern. München ab 1871. 55 (1836 – 1914), Diplomat und Politiker, ÖBL, Bd. 12 (Lfg. 55, 2001), S. 37 f.
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Orientalischen Museums in Wien.56 Scala hatte bereits an der österreichischen Ostasienexpedition 1869/70 teilgenommen, die ganz maßgeblich zur Schärfung des österreichischen Bewusstseins für den Handel mit dem Orient beigetragen hatte. Johannes Wieninger geht sogar so weit, diese Expedition als Initialzündung für das Interesse Österreichs an der Weltausstellung zu sehen. Vor allem hinsichtlich Persiens muss man dieses Interesse allerdings schon früher annehmen. Scala war später auch Sekretär des Orientalischen Komitees für die Weltausstellung, dessen Fortführung das Programm des Museums und der Zeitschrift war. Begleitet wurde die Zeitschrift von einem Mitarbeiterteam, das zu dem Netzwerk der orientalischen Beteiligung an der Wiener Weltausstellung gehörte. Dazu gehörte von Anfang an auch der Organisator der Orientalischen Abteilung der Weltausstellung, Joseph von Schwegel. Aus den 15 Personen, die in der ersten Ausgabe der Zeitschrift als Mitarbeiter aufscheinen, lassen sich mehrere Netzwerkgruppen bilden: Die der Orientalischen Akademie, die bei den Fundgruben des Orients noch so prominent gewesen war, war zwar noch vorhanden, aber nicht mehr so dominant. Einer der Absolventen der Orientalischen Akademie, die in der Zeitschrift mitwirkten, war Alfred von Kremer.57 Kremer hatte als Zögling der Orientalischen Akademie noch die wohlwollende Unterstützung Hammer-Purgstalls genossen und war im diplomatischen Dienst tätig, zuletzt im Generalkonsulat in Beirut, bevor er ab 1872 Staatsrat wurde. Er gilt mit seinen zahlreichen Publikationen auf diesem Gebiet als Begründer der islamischen Kulturgeschichte, der seine Arbeiten sowohl auf einer breiten Quellenkenntnis als auch auf praktischer Anschauung beruhend schrieb. Die Orientalische Akademie war in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts nicht mehr die einzige Institution, die sich dem Austausch mit dem Orient widmete. Etliche außereuropäische Unternehmungen waren hinzugekommen, z. B. die der Novara-Expedition und die bereits erwähnte Ostasien Expedition 1869/70. In die Kategorie der Forschungsreisenden fällt auch Jakob Eduard Polak,58 dem man an der Geschichte der österreichisch-iranischen Beziehungen eine große Rolle zubilligt. Polak war Mediziner und folgte dem Ruf des Schah von Iran, Nasireddin Kadschar, mit einer Gruppe österreichischer Offiziere und einem Montanisten, die für einige Jahre Berater der persischen Regierung und als Lehrer am neugegründeten Polycollege europäischen Musters in Teheran zu fungierten. Diese Unternehmung wird immer als die erste (von 2) österreichische Militärmission in den Iran bezeichnet. Polak schrieb hochinteressante
56 (1845 – 1909), ÖBL, Bd. 10 (Lfg. 46, 1990), S. 9 f. 57 (1828 – 1889), ÖBL, Bd. 4 (Lfg. 18, 1968), S. 253 f. 58 (1818 – 1891), Arzt, vgl. ÖBL unter Pollak (sic), Bd. 8 (Lfg. 37, 1980), S. 170.
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Beiträge zum zeitgenössischen Iran59 und gehörte auch zu den maßgeblichen Befürwortern der Teilnahme Persiens an der Weltausstellung in Wien und dem damit verbundenen ersten Besuch Schah Nasireddins in Europa.60 Die Beiträge selbst zeichneten sich durch eine maximale Praxisnähe aus, behandelten unterschiedlichste Dinge, wie die Tabakproduktion im Osmanischen Reich, die Reform des Münzwesens in Iran, die Eisenbahn als neuartiges globales Verkehrsmittel und ähnliches. Das Ziel lag in einem Informationsvorstoß in die Richtung einer ganz klar definierten Zielgruppe: Die Leser sollten sich wirtschaftlich im Orient engagieren, dies wurde auch durch Ausloben von Preisen attraktiver gemacht. Allerdings war deshalb der wissenschaftliche Anspruch keinesfalls geringer. Dies wird besonders deutlich bei den Rezensionen, die am Ende jeder Nummer standen. Hier wurden wissenschaftliche Werke besprochen, darunter vor allem aktuelle kulturwissenschaftliche Untersuchungen. In selbstverständlicher Weise wurde der kulturwissenschaftlich-historisierende Ansatz, den man heute wieder attraktiver findet, mit anwendungsorientierten Untersuchungen verbunden, was der Zeitschrift einen für unsere Begriffe modernen Anstrich gab. Ab dem Jahrgang 1885 wurde die Zeitschrift allein von Arthur von Scala herausgegeben. Neu war außerdem, dass der Rezensionsteil der Zeitschrift, jetzt als literarisch-kritische Beilage bezeichnet, von einem »wissenschaftlichen Beirat« redigiert wurde. Dieser Beirat bestand aus fünf Professoren für orientalistische Fächer an der Universität Wien, die sich im folgenden Jahr zum Orientalischen Institut zusammenschließen sollten und für unser drittes Zweitschriftenbeispiel eine entscheidende Rolle spielen sollten.
Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes Es folgt einer gewissen Ironie, dass über das jüngste Beispiel einer orientalistischen Zeitschrift am wenigsten Quellen verfügbar sind. Über die Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes (künftig abgekürzt WZKM) existieren keinerlei Verwaltungsquellen, was mit einer großangelegten Skartierung von Verwaltungsmaterial am Institut für Orientalistik an der Universität Wien zusammenhängen mag. Fest steht, dass die Etablierung dieser Zeitschrift an das Institut für Orientalistik geknüpft war.61 Die Zeitschrift wird bis heute im Selbstverlag des Instituts für Orientalistik fortgeführt. Schon der genaue 59 Am bekanntesten: Polak 1865. 60 Polak 1872. 61 Die einzige zusammenhängende Information über die Zeitschrift ist zwei Publikationen zu entnehmen: Bleibtreu 1980 sowie Selz et al. 2010.
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Gründungsvorgang des Instituts für Orientalistik ist schwierig zu ermitteln. Der normale Behördenweg einer solchen Anstrengung lief über einen Antrag der Professoren an das Professorenkollegium der Fakultät, die das wiederum an das Rektorat der Universität weiterleitete, damit es schlussendlich an des Ministerium für Cultus und Unterricht weitergeleitet wurde, das seine Antwort auf dem gleichen Instanzenweg wieder an die antragstellenden Professoren zurückbrachte. Dekanatsakten und Rektoratsakten im Archiv der Universität Wien legen beredtes Zeugnis darüber ab, über welche Kleinigkeiten komplizierte Aktenvermerke angelegt wurden. Umso überraschender ist es, dass bei einem für die Universität nicht unbedeutenden Ereignis wie das der Gründung des Instituts für Orientalistik keine Akten vorliegen. Es ist unwahrscheinlich, dass das Aktenmaterial verloren gegangen ist, da sich in den Protokollbücher, die über die Sitzungen des Professorenkollegiums lückenlose Auskunft geben, keine Hinweise auf die Gründung des Instituts für Orientalistik finden. Dasselbe trifft auf die Rektoratsprotokolle in Bezug auf die Sitzungen des Akademischen Senats zu. Die Zeichen, ein Institut zu gründen, standen in den Achtziger Jahren des 19. Jahrhundert recht gut. Die Gründung von Instituten oder Seminaren hatte in Österreich zu einem späteren Zeitpunkt stattgefunden als in Deutschland, diese Entwicklung wurde erst durch die Thun-Hohensteinschen Universitätsreformen ermöglicht.62 Nach dem Einzug der Universität in das neue Gebäude am Ring wurden in rascher Folge Institute der philosophischen Fakultät gegründet. Bei der Gründung des Orientalischen Institutes scheint es sich aber mehr um einen Zufall gehandelt zu haben. Der einzige Beleg dafür, dass man sich in der Universität auf die Etablierung eines Instituts für Orientalistik geeinigt hatte, ist einem Dankesschreiben der fünf Professoren zu entnehmen, die mit der Lehre orientalischer Sprachen beauftragt waren: »Hohes Ministerium! Die ergebenst Unterzeichneten erlauben sich für die geneigte Bewilligung der Summe, welche für die Ausstattung der ihnen für ihre Zwecke angewiesenen Räume des früheren mathematischen Seminars erforderlich war, ihren pflichtschuldigsten Dank auszusprechen. Zugleich wagen sie die gehorsamste Bitte zu stellen, ein Hohes Ministerium wolle geruhen zu verordnen, das die ihnen zugewiesenen Zimmer im Universitätsgebäude für die Zukunft den Namen »Orientalisches Institut« zu erhalten und mit einer entsprechenden Ueberschrift versehen werden. Einem Hohen Ministerium, Wien, Febr. 22. 1886 Gehorsamste, G. Bühler, Dr. H. Müller, L. Reinisch, J. Karabacek, F. Müller.«63
Den offiziellen Behördengang scheint nichts gegangen zu sein. In den kommenden Jahrzehnten spalteten sich vom Orientalischen Institut andere selb62 Höflechner 1988. 63 UAW, Phil.Dek. 1885/86 – 412.
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ständige Institute ab. 1922 wurde das Institut für Indogermanistik/Sprachwissenschaft gegründet, 1923 das Institut für Ägyptologie und Afrikanistik (1978 entstand aus diesem das eigenständige Institut für Afrikanistik). Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es 1955 zur Gründung des Instituts für Indologie, 1965 des Instituts für Japanologie und 1966 des Instituts für Sinologie.64 Dieselben Herren, die 1886 die Bezeichnung »Orientalisches Institut« für die ihnen überlassenen Räumlichkeiten erwirkt hatten, standen 1887 im ersten Band der WZKM als Herausgeber der Zeitschrift, ein Beispiel dafür, wie sehr eine wissenschaftliche Zeitschrift als Mittel für oder Folge von Institutionalisierung anzusehen ist.65 Den Titel hatten sie sich – so vermute ich es zumindest – von einer Zeitschrift abgeschaut, die ab 1831 in Göttingen erschien, nämlich die Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes, die unter anderem von Ludwig Kosegarten und Friedrich Rückert herausgegeben worden war. Der erste Band der WZKM enthält mehrere Beiträge aus der Indologie, manches aus der Arabistik. Neben Darlegungen aus der Armenistik und Hebraistik finden sich auch Arbeiten zur altpersischen Keilschrift und zu der damals noch ganz jungen Wissenschaft der Assyriologie, die sich mit der Zeitschrift für Keilschriftforschung 1884 und der noch heute bestehenden Zeitschrift für Assyriologie 1885 kurz zuvor eigene Organe geschaffen hatte,66 schreibt Gebhard Selz in seinem sehr kurzen historischen Abriss anlässlich des 100. Bandes der Zeitschrift. Entsprechend dieser Aufsplitterung verloren die Inhalte an universaler Breite, die zu Gründungszeiten in den Fächern Indologie, Islamische Geschichte und Historische Hilfswissenschaften sowie Ägyptologie und Semitistik bestanden hatten. Abgesehen von der Fächerverteilung fällt ins Auge, dass die Kontribuenten vom ersten Band an rein aus dem universitären Umfeld kamen. Der erste Band wurde ausschließlich von Wiener Universitätspersonal bestritten. Ab dem zweiten Band wurde der Kreis der Kontribuenten erweitert, blieb aber strikt universitär. Der Inhalt der Beiträge war von der ersten Ausgabe an rein philologisch bzw. althistorisch in Bezug auf das antike Persien. Sonst hatte Geschichte, der neueren Zeit etwa, keinen Platz. Jürgen Osterhammel hat gezeigt, dass die steigende Europa-Asien Dichotomie des 18. Jahrhunderts zu einer vollkommenen Entwertung Asiens als Kulturträger im 19. Jahrhundert geführt
64 Bleibtreu 1980, S. III – IV. 65 Georg Bühler (1837 – 1898), Indologie, vgl. ÖBL, Bd. 1 (Lfg. 2, 1954), S. 125; David Heinrich von Müller (1846 – 1912), Orientalist, vgl. ÖBL, Bd. 6 (Lfg. 30, 1975), S. 410 f.; Leo Reinisch (1832 – 1919), Ägyptologe und Afrikanist, vgl. ÖBL, Bd. 9 (Lfg. 41, 1984), S. 50 f.; Joseph von Karabacˇek (1845 – 1918), Orientalist, vgl. ÖBL, Bd. 3 (Lfg. 13, 1963), S. 228 f.; Friedrich Müller (1834 – 1898), Linguist und Ethnograph, vgl. ÖBL, Bd. 6 (Lfg. 30, 1975), S. 414 f. 66 Selz et. al. 2010, S. 13.
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hat.67 So ist es aus meiner Sicht schon erklärlich, dass die Forschung an den Universitäten an diesem mind-mapping geschult die historische Forschung an dieser entwerteten Region als unwichtig klassifizieren konnte.
Zusammenfassung Wenn wir unsere drei Beispiele nochmals Revue passieren lassen, so bilden sie ein schönes Dreieck aus Privatinitiative, politischer Zielsetzung und Institution. Die Fundgruben des Orients waren aus privatem Interesse heraus entstanden und wurden von einem rein privat zusammengehaltenen Netzwerk bearbeitet. Die Österreichische Monatsschrift für den Orient hatte ein politisches Ziel, das hauptsächlich durch die Weltausstellung in Wien 1873 motiviert war. Die WZKM entstand zum Schluss in dem institutionellen Zusammenhang, in dem man seit dem späten 19. Jahrhundert Wissenschaftlichkeit verortet. Wie zu Beginn angedeutet, lässt sich an diesem Beispiel die Entwicklung ablesen, dass Wissenschaft zunehmend an die Universität ausgelagert wurde und anderswo verortete wissenschaftliche Initiativen im Gegenzug nicht ernst genommen und als trivial abgetan wurden. Andererseits wurde der breiten Öffentlichkeit Wissenschaft auch nicht zugetraut. Immer mehr drifteten Zeitschriften auseinander, was ihr Publikum betraf. Dasselbe, was Sabine Mangold in Bezug auf die Deutsche Morgenländische Gesellschaft schreibt, dass diese mit fortschreitendem Bestehen die sogenannten »Laien« ausschloss,68 geschah auf der Ebene von Publikationen. Spezialpublikationen wie wissenschaftliche Zeitschriften sollten gar nicht mehr eine interessierte, nicht professionelle Öffentlichkeit erreichen. Aufmachung und Vertrieb legen Zeugnis davon ab. Dies könnte man natürlich für eine akademische Hochnäsigkeit der Vergangenheit halten und als solche behandeln, wenn es nicht einen großen Einfluss auf die Rezeption gehabt und unsere Sicht auf die Wissenschaftsgeschichte wesentlich beeinflusst hätte.
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67 Osterhammel 1998, S. 214. 68 Mangold 2004, S. 193 f.
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achtzehnten Jahrhunderts, in: Fischer, Wolfdietrich (Hg.): Grundriß der Arabischen Philologie, Bd. 3, Supplement. Wiesbaden 1992, S. 155 – 187. Diez, Heinrich Friedrich von: Ermahnungen an Islambol, oder Strafgedicht des türkischen Dichters über die Ausartung der Osmanen, in: Fundgruben des Orients 1 (1809), S. 249 – 274. Diez, Heinrich Friedrich von: Unfug und Betrug in der morgenländischen Litteratur nebst vielen hundert Proben von der groben Unwissenheit des H. v. Hammer zu Wien in Sprachen und Wissenschaften. Halle / Berlin 1815. Diez, Heinrich Friedrich von: Was ist der Mensch? aus dem Türkisch-Arabischen des Kjemal Pascha Sade, in: Fundgruben des Orients 1 (1809), S. 397 – 399. Fähndrich, Hartmut: Orientalismus und Orientalismus. Überlegungen zu Edward Said, Michel Foucault und westlichen »Islamstudien«, in: Die Welt des Islams 28 (1988), S. 178 – 186. Flügel, Gustav : Die arabischen, persischen, türkischen Handschriften der k. u. k. Hofbibliothek zu Wien, Bd. 3. Wien 1867. Fück, Johann: Die arabischen Studien in Europa bis an den Anfang des 20. Jahrhunderts. Leipzig 1955. Galter, Hannes D.: Fundgruben des Orients. Die Anfänge der Orientforschung in Österreich, In: Galter, Hannes D. (Hg.): Joseph von Hammer-Purgstall. Grenzgänger zwischen Orient und Okzident. Graz 2008, S. 13 – 28. Griesmayr, Franz Seraph: Das österreichische Handelsmuseum in Wien 1874 – 1918. Diss, Univ. Wien 1968. Grotefend, Georg Friedrich: Entzifferung eines hieratischen Alphabets, von Herrn Professor Grotefend in einem Briefe desselben an Herrn von Hammer. In: Fundgruben des Orients 4 (1814), S. 240 – 245. Hammer, Joseph von: Fug und Wahrheit in der Morgenländischen Literatur, nebst einigen wenigen Proben von der feinen Gelehrsamkeit des Herrn von Diez. Wien 1816. Höflechner, Walter : Die Baumeister des künftigen Glücks: Fragment einer Geschichte des Hochschulwesens in Österreich vom Ausgang des 19. Jahrhunderts bis in das Jahr 1938. Graz 1988. Höflechner, Walter / Wagner, Alexandra (Hg.): Joseph von Hammer-Purgstall. Erinnerungen und Briefe, unter Heranziehung der Arbeiten von Herbert König, Gerit KoitzArko, Alexandra Manes, Gustav Mittelbach, Thomas Wallnig u. a., 3 Bde. Graz 2011. Siehe auch: http://gams.uni-graz.at/context:hp [18. 11. 2014]. Hösel, Blasius et al.: Österreichs Ehrenspiegel, Bd. 1. Wien 1836. Lockman, Zachary : Contending Visions of the Middle East. Cambridge 2010. Macfie, Alexander Lyon (Hg.): Orientalism. A Reader. Washington, New York 2000. Mangold, Sabine: Entre diplomatie et ¦rudition: Josef von Hammer-Purgstall et son r¦seau en Europe et dans l’Empire ottoman, in: Basch, Sophie et al. (Hg.): L’Orientalisme, les orientalistes et l’empire ottoman de la fin du XVIIIe siÀcle la fin du XXe siÀcle. Paris 2011, S. 205 – 218. Mangold, Sabine: Eine »weltbürgerliche Wissenschaft« – die deutsche Orientalistik im 19. Jahrhundert. Stuttgart 2004. Marchand, Suzanne: German Orientalism in the Age of Empire. Religion, Race, and Scholarship. Cambridge 2009.
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Die Vierteljahrsschrift für Musikwissenschaft (1885 – 1894). Der Versuch einer jungen Disziplin, wissenschaftliche Dignität zu erlangen
Im Unterschied zu einigen benachbarten Disziplinen (Geschichtswissenschaft, Kunstgeschichte, Germanistik) brauchte die Musikwissenschaft im 19. Jahrhundert länger, um als akademisches Fach anerkannt zu werden. Die Jahreszahlen musikwissenschaftlicher Habilitationen, Lehrstuhl- und Institutsgründungen, aber auch die Gründungsdaten von Fachzeitschriften beweisen, dass die »verspätete Disziplin«1 nur zögerlich Aufnahme in den Kanon universitärer Fächer fand. Diese Entwicklung steht nicht nur quer zur Rolle, die die Musiklehre – vermittelt über die Spätantike – im Mittelalter als ars musica im Rahmen der septem artes liberales spielte,2 sie steht vor allem auch quer zur außerordentlichen Bedeutung, die der Musik im gesellschaftlichen Leben des 19. Jahrhunderts zukam. Zwar führten der unerschöpfliche Musikbedarf für das private wie öffentliche Musikleben sowie der Umstand, dass sich im bürgerlichen Konzertwesen im Unterschied zur höfischen Situation Produzent und Konsument zunehmend anonym gegenüberstanden, auch zu einem gesteigerten Bedürfnis nach Informationen über Musik, der von Musikzeitungen und Musikzeitschriften, von Almanachen und Journalen gedeckt wurde. Mit ihrem Hauptzweck, bei einem Publikum aus interessierten Liebhabern aufklärend und geschmacksbildend zu wirken, es nebenbei auch mit Informationen über das Musikleben sowie mit geeigneten Notenbeilagen zum Eigengebrauch zu versorgen – sofern sie nicht überhaupt nur aus Musikalien3 bestanden –, richteten diese sich aber höchstens nebenher auch an die schmale Schicht eigentlicher Fachvertreter. Diesen Musikzeitschriften gehen zeitlich Berichte über Musik in allgemeinen Zeitungen und Zeitschriften voran. Als Beispiel sei hier der ab 1672 erscheinende Mercure galant zu nennen, der u. a. auch Nachrichten über das Musik1 Vgl. den Titel Musikwissenschaft – eine verspätete Disziplin (Gerhard 2000). 2 Siehe Sachs 1994. 3 Wie im Falle der Neuen musikalischen Zeitschrift, aufs Jahr 1791, des ersten Musikperiodikums, das den Titel »Zeitschrift« trägt und in zwei Heften ausschließlich Klaviermusik bringt. Siehe Fellinger 1998, Sp. 2253.
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leben am Hofe Ludwigs XIV. brachte.4 Als erste musikalische Fachzeitschrift, ja überhaupt als erste in Sachen Kunst, gilt Johann Matthesons (1681 – 1764) Critica musica, die ab 1722 erschien. Sie vertrat den Typ der Gelehrtenzeitschriften – konkretes Vorbild waren die Leipziger Acta eruditorum (1682 – 1782), zu deren Mitarbeitern auch Gottfried Wilhelm Leibniz (1646 – 1716) zählte. Dagegen gehörte Matthesons zweite Zeitschrift mit dem Titel Der Musicalische Patriot (1728) zum Typ der moralischen Wochenschriften mit deutlich erzieherischen Absichten. Nach diesem Muster betonten die folgenden Musikzeitschriften entweder mehr die gelehrte (so Lorenz Mizlers Neu eröffnete musikalische Bibliothek, 1736 – 1754, und Friedrich Wilhelm Marpurgs Historisch-kritische Beyträge zur Aufnahme der Musik, 1754/55 – 1760) oder mehr die moralische Seite (so Johann Adolf Scheibes Critischer Musicus, 1738 – 1740, und Marpurgs Kritische Briefe über die Tonkunst, 1759 – 1763), oder sie beriefen sich auf beide (etwa Jakob Adlungs Anleitung zu der musicalischen Gelehrtheit, 1758). Johann Adam Hillers Wöchentliche Nachrichten und Anmerkungen die Musik betreffend (1766/67 – 1769/70) sprechen dezidiert den Musikliebhaber an. Kritisch gegenüber dem kompositorischen Schaffen der Gegenwart, die als Verfallszeit empfunden wird, zeigen sich Johann Nikolaus Forkel (Musikalisch-kritische Bibliothek, 1778/79, sowie Musikalische Almanache, 1782 – 1784 und 1789) und Johann Friedrich Reichardt (Musikalisches Kunstmagazin, 1782 und 1791). Als erste österreichische Musikzeitschrift gilt Johann Friedrich Daubes Wochenschrift Der musikalische Dilettante (1770, 1771 und 1773), der allerdings die periodische Erscheinungsform eines Kompositions- und Generalbasslehrbuches darstellt.5 Größte Bedeutung für die weitere Entwicklung besaß die 1798 gegründete Allgemeine musikalische Zeitung, die vor allem unter ihrem ersten Redakteur Friedrich Rochlitz (1768 – 1842) internationales Ansehen genoss. Ihre Hauptaufgabe bestand nach wie vor in der ästhetischen Erziehung des Publikums, wie auch der Verlag Breitkopf & Härtel in der letzten Nummer vom Dezember 1848 betonte: »Die allgemeine musikalische Zeitung ist gegründet zur Zeit der reichsten und edelsten Productivität der Musik; Mozart war kaum gestorben, Haydn noch in voller Künstlerthätigkeit, Beethoven im Beginne seiner Laufbahn. Die Erzeugnisse einer solchen Zeit unter den Kennern und Liebhabern der Musik zu verbreiten, für ihr Verständniss und ihre Würdigung aufklärend zu wirken, das Publicum für sie und an ihnen zu bilden, das war die Aufgabe der musikalischen Zeitung.«6
4 Zur Geschichte der Musikzeitschriften siehe ebd. 5 Zur Entwicklung der österreichischen Musikzeitschriften siehe Harrandt / Flotzinger 2004. 6 Breitkopf & Härtel 1848, Sp. 859.
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Stand im Falle der Allgemeinen musikalischen Zeitung also die Förderung des Verständnisses für die Musik der drei Wiener Klassiker im Zentrum, so war die von Robert Schumann (1810 – 1856) 1834 gegründete und bis heute bestehende Neue Zeitschrift für Musik das »führende Organ der romantischen Musikauffassung«.7 Im Jahre 1863 wurde die Allgemeine musikalische Zeitung als Neue Folge wieder begründet.8 Unter Friedrich Chrysander (1826 – 1901), der 1868 die Leitung der Zeitung übernahm, verlagerte sich ihr Schwerpunkt von der zeitgenössischen Musik zu musikhistorischen Forschungsinteressen, denen zuvor schon Chrysanders Jahrbücher für musikalische Wissenschaft (2 Bde. 1863 und 1867), aber auch Robert Eitners Monatshefte für Musik-Geschichte (1869 – 1905) gewidmet waren. Nach dem endgültigen Aus für die Allgemeine musikalische Zeitung im Jahre 1882 kam es zu einer deutlicheren Trennung musikalischer Periodika in allgemeine Musikzeitschriften einerseits und musikwissenschaftliche Fachzeitschriften andererseits. Diesen erst einsetzenden Trend zur Spezialisierung setzte die Vierteljahrsschrift für Musikwissenschaft energisch fort. Die Initiative für ihre Gründung im Jahre 18849 ging von Guido Adler (1855 – 1941) aus, dem damals erst 28-jährigen Privatdozenten für Geschichte und Ästhetik der Tonkunst an der Wiener Universität. Zur Durchführung seines Plans wandte er sich an zwei renommierte Fachvertreter : an den bereits genannten Händel-Forscher Chrysander sowie an den Bach-Spezialisten Philipp Spitta (1841 – 1894). Beide hatten bereits unabhängig voneinander und von Adler ähnliche Pläne zu einer Zeitschriftengründung gehegt.10 Es blieb aber dem »jugendlichen Dränger und Idealisten«11 vorbehalten, einen solchen Plan in die Tat umzusetzen. Dabei hatte der noch nicht lange promovierte (1880) und habilitierte (1882) Jungforscher im Jahr zuvor noch geplant, zwecks eigener Weiterbildung Lehrveranstaltungen bei Spitta und Heinrich Bellermann (1832 – 1903) in Berlin zu besuchen.12 Adlers immense organisatorische Begabung, gepaart mit einer gehörigen Portion an Hartnäckigkeit und Durchhaltevermögen, sollte sich in der Folge noch bei so groß angelegten Unternehmungen wie der Internationalen Musik- und Theateraus7 Fellinger 1998, Sp. 2260. 8 Von 1866 bis 1868 erschien sie nach einem Verlagswechsel unter dem Titel Leipziger Allgemeine Musikalische Zeitung, danach wieder unter ihrem ursprünglichen Titel. Zur Geschichte dieser Zeitung siehe Hass 2009 und Klügle 1995. 9 Am 7. April 1884 wurde der Vertrag mit dem Verlag Breitkopf & Härtel abgeschlossen. Siehe Adler 1935, S. 29. 10 Siehe dazu Schilling 1994, S. 129 f. und Schardig 1986, S. 209 f. 11 So Adlers retrospektive Selbstsicht in seiner Autobiographie. Adler 1935, S. 29. Über die Entstehungsgeschichte der Vierteljahrsschrift für Musikwissenschaft siehe ebd., S. 28 – 33. 12 Das Vorhaben wurde von Adlers Lehrer Eduard Hanslick vereitelt, der sich von ihm in der Lehre vertreten lassen wollte. Siehe Adlers Brief an Alexius von Meinong vom 18. November 1883, in: Eder 1995, S. 76.
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stellung 1892, den Denkmälern der Tonkunst in Österreich ab 1894, dem HaydnKongress 1909 und dem Beethoven-Kongress 1927 bewähren, wobei ihm stets auch seine juridische Ausbildung zu Gute kam. Der von Adler als ersprießlich erhoffte »Bund eines Nord- [Chrysander], Mittel- [Spitta] und Süddeutschen [Adler]«13 zeigte allerdings schnell Risse. Schon die Frage der Herausgeberschaft konnte nur mühsam gelöst werden. Spitta und Chrysander wollten Adler als alleinigen Herausgeber installieren.14 Dieser – wohl um die bekannteren Namen offiziell zu verankern – strebte eine geteilte Herausgabe unter Nennung der Namen in alphabetischer Reihenfolge an, d. h. unter Erstnennung seines eigenen, um die »Parität« der drei anzuzeigen. Spitta präferierte dagegen eine Angabe nach »Anciennität«, also in der Reihenfolge Chrysander, Spitta und Adler. Gereizt schrieb Adler an seinen Freund Alexius von Meinong (1853 – 1920): »Spitta ist renitent, intrigiert […] und stellt sich auf den Standpunkt der Anciennität, während ich, um gegenüber der wissenschaftlichen Welt unsere Parität in Angelegenheiten der Zeitschrift zu manifestieren und meine selbständige Stellung als Redakteur zu behaupten, für alphabetische Nennung bin. Chrysander hat dieselbe vorgeschlagen, das paßt aber nicht Spitta – oder er sucht einen Vorwand, um mich zu schikanieren.«15
Letztendlich einigte man sich auf folgende Lösung: »herausgegeben von Friedrich Chrysander und Philipp Spitta, redigiert von Guido Adler«.16 Kompetenzgerangel vor allem zwischen Adler und Spitta führten dazu, dass Spitta bereits im zweiten Jahr als »geschäftsführender Herausgeber« die Redaktion übernahm. Nach Spittas Tod 1894 übte Chrysander für die letzten beiden Hefte diese Funktion aus.17 Am Titelblatt firmierten ab dem zweiten Jahrgang alle drei als Herausgeber (in der von Spitta bevorzugten Anordnung: Chrysander, Spitta, Adler).18 13 Adler 1935, S. 29. 14 Briefkonzept Adlers an Spitta vom 22. September 1884, in: Breuer 2011, S. 24. Briefe von und an Adler sowie Materialien zur Vierteljahrsschrift für Musikwissenschaft befinden sich im Adler-Nachlass der University of Georgia (Athens), Hargrett Special Collections Library, Guido Adler Papers. Sofern Briefe oder Briefstellen bereits in der Sekundärliteratur zitiert werden, ist diese zusätzlich angegeben. 15 Brief Adlers an Meinong vom 17. Oktober 1884, in: Eder 1995, S. 93 f. Siehe auch Briefkonzept Adlers an Spitta vom 22. September 1884, in: Schilling 1994, S. 142, Anm. 441. 16 Eine solche Lösung hatte Meinong Adler vorgeschlagen. Siehe Brief Meinongs an Adler vom 18. Oktober 1884 in: Eder 1995, S. 95. Siehe auch Schilling 1994, S. 130 und Schardig 1986, S. 211. 17 Siehe Chrysander 1894 sowie Schardig 1986, S. 213. 18 Der Reprint der Vierteljahrsschrift für Musikwissenschaft (Hildesheim und Wiesbaden 1966) verwendet fälschlicherweise für alle Jahrgänge die Herausgeberformulierung des ersten Jahrgangs. Unrichtig sind auch die Angaben bei Schardig 1986, S. 211, Anm. 20.
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Diese Spannungen setzten sich bei der inhaltlichen Ausrichtung des Blattes fort. Bereits das kurze, von allen drei unterzeichnete Vorwort zum ersten Jahrgang stellte einen nur mühsam erreichten Kompromiss dar : »Die Vierteljahrsschrift für Musikwissenschaft will einen Versuch wieder aufnehmen, welcher zuerst mit den ›Jahrbüchern für musikalische Wissenschaft‹ gemacht, alsdann in der ›Allgemeinen musikalischen Zeitung‹ fortgesetzt worden ist, soweit letztere als Wochenschrift es gestattete. Die Unterzeichneten täuschen sich nicht über die Schwierigkeiten des Unternehmens, hoffen jedoch, […] ein lebenskräftiges Organ zu schaffen, dessen einziger Zweck sein soll, der Wissenschaft zu dienen. Neben den eigentlich musikalischen Gebieten wird die Vierteljahrsschrift auch die Hülfswissenschaften […] berücksichtigen und den verschiedenen Richtungen Raum gewähren, sofern die Vertreter derselben ihren Auseinandersetzungen eine sachliche Form geben. […] Zur Mitwirkung sei jeder eingeladen, dem die Förderung der Musikwissenschaft am Herzen liegt.«19
Adler hätte es lieber gesehen, wenn sich – bei aller auch von ihm vertretenen Selbstzweckhaftigkeit der Musikwissenschaft – die Zeitschrift der Musikpraxis geöffnet hätte, mit dem Ziel, durch musikwissenschaftliche Erkenntnisse auf das gegenwärtige Kunstschaffen »läuternd« zu wirken,20 was Spitta, der – wie Chrysander21 – eine scharfe Trennung zwischen Kunst und Kunstwissenschaft bzw. zwischen Künstler und Kunstwissenschaftler forderte, kategorisch ablehnte: »In dem vorliegenden Entwurf [zum Vorwort] stört es mich, dass Sie als Zweck der Vierteljahrsschrift neben der Förderung der Kunstwissenschaft auch die Förderung der Kunst bezeichnen. Ich meine, die Kunstwissenschaft wird niemals selbstständig werden, wenn sie sich stets der Kunst an die Fahne stellt und nicht den Muth findet, Selbstzweck sein zu wollen, wie alle anderen Wissenschaften, wie ich denn auch gestehe, dass es mir als Gelehrter völlig gleichgültig ist, ob der praktische Künstler aus meinen Arbeiten für sich Vortheil zieht oder nicht.«22
Aus demselben Grunde lehnte Spitta auch Rezensionen über neu erschienene, aktuelle Kompositionen ab.23 Adler stellte sich die Zeitschrift außerdem als lebendiges Publikationsorgan vor, das zum Zweck der Wahrheitsfindung unterschiedlichen Richtungen ein Forum bieten sollte. Auch hier bremste Spitta den Enthusiasmus des Jüngeren und Unerfahreneren: 19 Chrysander / Spitta / Adler 1885, S. 3 – 4. 20 Dieses Thema lag Adler sehr am Herzen. Siehe Adler 1885, S. 15 und 18 f., Adler 1898 sowie Adler 1935, S. 40 f. Siehe dazu Eder 2005. 21 Siehe Chrysander 1875/76. 22 Brief Spittas an Adler vom 21. Oktober 1884, in: Breuer 2011, S. 27. Siehe dazu auch Spitta 1883 und Huck 2010, insbes. S. 49 – 51. 23 Brief Spittas an Adler vom 27. April 1884, in: Schilling 1994, S. 143.
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»Was aber das Auskämpfen unterschiedlicher Meinungen betrifft, so denken Sie zu optimistisch über die meisten Gelehrten, wenn Sie glauben, es werde sich einer der Kämpfenden für besiegt erklären. Eine solche Erklärung und damit Endigung des Kampfes kann immer nur von der Leitung des Blattes ausgehen […].«24
Im Unterschied zu Chrysander und Spitta wollte Adler Beiträge nicht nur in deutscher, sondern auch in englischer, französischer und italienischer Sprache aufnehmen,25 konnte sich damit aber genauso wenig durchsetzen wie mit seiner Vorstellung, Adelsprädikate bei der Nennung von Autoren wegzulassen.26 Nach Adlers Plan sollten auch immer die drei Herausgeber alle Texte lesen,27 was aber verschiedentlich nicht funktionierte und Adler entsprechend aufbrachte, vor allem weil er Spitta im Verdacht hatte, ihm auf diesem Wege Beiträge vorzuenthalten, denen er nicht zugestimmt hätte.28 Größte Uneinigkeit herrschte nämlich vor allem zwischen diesen beiden in Bezug auf die Qualität der eingelangten Beiträge. Dies zeugt einerseits von unterschiedlichen Auffassungen von Musikwissenschaft, andererseits aber auch von einem Machtkampf zwischen dem jungen, ambitionierten Adler und dem arrivierten Spitta, der bereit war, die Arbeit, nicht jedoch die Entscheidung an Adler zu delegieren, um diesen – zumindest in der Anfangsphase – kontrollieren zu können: »Aber ich […] denke, daß es mir später meistens genügen wird, durch Sie zu erfahren, weß Inhalts und von welcher wissenschaftlichen Haltung die aufzunehmenden Arbeiten sein werden, um sie darauf hin auch mit meinem Namen zu vertreten«.29 Noch vor dem Erscheinen des ersten Heftes klagte Adler : »Hätte ich alle die Schwierigkeiten und Unannehmlichkeiten geahnt – ich wäre nie Redakteur geworden.«30 Chrysander verhielt sich Adler gegenüber wohl konzilianter, sodass dieser ihr 24 Brief Spittas an Adler vom 21. Oktober 1884, in: Breuer 2011, S. 28. 25 Siehe Adler 1935, S. 28 sowie Chrysanders Brief an Adler vom 11. Juni 1884, in: Schardig 1986, S. 210. Auch ein weiteres Projekt Adlers, das er ab 1888 verfolgte und die Edition musikalischer »Denkmäler« betraf, plante er zunächst international (als Monumenta historiae musicae), in einem zweiten Schritt als deutsch-österreichisches Gemeinschaftsprojekt (das in dieser Phase eine der Vierteljahrsschrift vergleichbare Konstellation aufwies); letztlich mündete es im nationalen Wettbewerb in die Denkmäler der Tonkunst in Österreich, denen von deutscher Seite die Denkmäler deutscher Tonkunst sowie die Denkmäler der Tonkunst in Bayern gegenüberstanden. Siehe dazu Adler 1935, S. 47 ff.; Hilscher 1995, S. 38 ff.; Boisits 2009, insbes. S. 114 – 117. 26 Brief Spittas an Adler vom 15. Mai 1885, in: Schilling 1994, S. 143. Meinong verwahrte sich ausdrücklich gegen eine solche Regelung. Siehe Brief an Adler vom 8. Oktober 1884, in: Eder 1995, S. 93. Ausgerechnet sein Name erschien dann aber ohne »von« (Meinong 1885 und 1891). 27 Siehe Adler 1935, S. 29. 28 Siehe dazu – mit Bezug auf das Jahr 1892 – Schilling 1994, S. 150. 29 Brief Spittas an Adler vom 20. März 1885, in: Schilling 1994, S. 144 f. 30 Brief Adlers an Meinong vom 17. Oktober 1884, in: Eder 1995, S. 94.
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Verhältnis als besser empfand,31 doch zeigt der Briefwechsel mit Spitta, dass auch Chrysander den forschen Ton Adlers und dessen Geltungsbedürfnis keineswegs schätzte.32 Das schlechte Verhältnis sollte Adler noch Jahre später zu spüren bekommen, als Chrysander bei der Nachbesetzung der Lehrkanzel von Eduard Hanslick (1825 – 1904) an der Universität Wien Adlers Rivalen Eusebius Mandyczewski (1857 – 1929) durch ein Gutachten unterstützte.33 Hier konnte sich Adler letztlich aber durchsetzen: 1898 wurde er Ordinarius und ging zügig daran, ein bald weltweit anerkanntes musikwissenschaftliches Institut aufzubauen. Andauernde Differenzen bei Herausgeberfragen führten schließlich dazu, dass Spitta und Chrysander, wie erwähnt, Adler nach dem ersten Jahrgang die Redaktion entzogen, da dieser versucht habe, »sich als Redacteur jene maßgebende Stellung zu gewinnen, welche wir ausdrücklich als eine unstatthafte Ihnen gegenüber bezeichnet hatten. Es war fast kein Brief, der nicht davon Zeugniß gab, und es gefiel Ihnen, in Ihren Briefen zuweilen einen Ton anzuschlagen, den wir nur mit Befremden vernehmen konnten.«34 Der erste Jahrgang wurde mit einem Beitrag Adlers eröffnet, der unter dem Titel Umfang, Methode und Ziel der Musikwissenschaft der jungen Universitätsdisziplin einen programmatischen Entwurf vorlegte, der das Fach zur Gänze unter einem logisch-zwingenden Gesichtspunkt zu erfassen versuchte.35 Das Ergebnis war die berühmte Zweiteilung der Musikwissenschaft in einen historischen und einen systematischen Zweig.36 Letztere umfasste in Adlers System auch die von ihm als »Musikologie« bezeichnete Vergleichende Musikwissenschaft (Ethnomusikologie). Nach naturwissenschaftlichem Vorbild bestimmte Adler als vornehmste Aufgabe der Musikwissenschaft die Erforschung von »Kunstgesetzen«.37 Ein solcher Schritt erst garantiere die Wissenschaftlichkeit und Objektivität von Musikforschung, die Adler streng vom ästhetisierenden oder psychologisierenden Schreiben bloßer Musikfreunde und »dilettierender« Musikforscher unterschied. 31 Siehe Adler 1935, S. 31. 32 Siehe etwa dessen Brief an Spitta vom 22. August 1885, in: Schilling 1994, S. 145. 33 Dabei spielte auch die doppelte Herausgabe der Componimenti Musicali per il Cembalo von Gottlieb Muffat (1690 – 1770) eine Rolle. Adler veröffentlichte sie im Rahmen seiner Reihe Denkmäler der Tonkunst in Österreich (Adler 1896), und zwar im selben Jahr, in dem auch Chrysander sie als Supplementband seiner Händel-Gesamtausgabe herausbrachte (Chrysander 1896). Siehe dazu Antonicek 1986, S. 178 – 180 und Eder 1995, S. 20 f. 34 Brief Spittas und Chrysanders an Adler vom 4. Dezember 1885, in: Schilling 1994, S. 146 f. Zu Adlers verbitterter Reaktion siehe ebd., S. 147. 35 Adler 1885. 36 An ihr war Adlers Freund Meinong nicht unbeteiligt. Bei ihm hatte Adler im Sommer 1884 methodologischen Nachhilfeunterricht genommen. Siehe dazu Eder 1995, S. 37 – 41. 37 Siehe dazu Boisits 2013, insbes. S. 38 – 46.
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Spitta zollte Adlers Entwurf Anerkennung, wenn ihm auch zur Eröffnung der Zeitschrift der Beitrag von Chrysander38 als ältestem lieber gewesen wäre: »Ihre Abhandlung im ersten Heft habe ich mit Interesse gelesen. Sie giebt ein vollständiges wohldurchdachtes Programm der von der Musikwissenschaft zu lösenden Aufgaben, und giebt ein Solches meines Wissens zum ersten Male. Vielleicht würde sie auf manchen noch eindringlicher wirken, wenn sie noch etwas gefälliger gegliedert wäre. Aber sie ist sehr gut geeignet, unseren Anspruch, dass die Musikwissenschaft eine selbstständige, den anderen ebenbürtige Wissenschaft ist, als begründet erscheinen zu lassen.«39
Abb. 1: Zuordnung der Beiträge in der Vierteljahrsschrift gemäß Adlers Zweiteilung.
Auf breiter Quellenbasis beruhende Erkenntnisse, die induktiv zu gesetzartigen Aussagen führen sollten, waren also Adlers Ziel,40 das er in den kommenden Jahrzehnten in seinen stilanalytischen Schriften weiterentwickeln sollte. Wesentliche Hilfe versprach er sich dabei von den naturwissenschaftlichen »Hilfsdisziplinen« (wie Akustik und Tonpsychologie), denen er in der Vierteljahrsschrift auch einen entsprechenden Platz einräumte. Dieser große Komplex naturwissenschaftlicher Hilfswissenschaften erlaubte auch die Beiziehung prominenter Vertreter anderer Disziplinen. So finden sich unter den 88 Hauptbeiträgern bzw. Rezensenten klingende Namen wie Ernst Mach (1838 – 1916), Meinong, Max Planck (1858 – 1947) und Carl Stumpf (1848 – 38 Siehe Brief Spittas an Adler vom 25. Oktober 1884, in: Breuer 2011, S. 26. Gemeint ist Chrysanders Abhandlung über altindische Opfermusik, der letztlich an zweiter Stelle publiziert wurde (Chrysander 1885). 39 Brief Spittas an Adler vom 20. März 1885, in: Breuer 2011, S. 29. 40 Dieses war nicht nach jedermanns Geschmack. Heinrich von Herzogenberg beklagte sich in einem Brief an Spitta vom 5. März 1885 über Adlers »etwas beängstigenden Aufsatz«, woraufhin Spitta bekannte, dieser sei nur Adlers »Vordringlichkeit« geschuldet. Siehe Schilling 1994, S. 141 f.
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1936). Gern hätten die Herausgeber auch die Mitwirkung des Physiologen William Thierry Preyer (1841 – 1897) und des Psychologen Wilhelm Wundt (1832 – 1920) gesehen, die aber absagten.41 Die Beteiligung von Nicht-Musikwissenschaftlern hatte neben sachlichen Gründen auch den wissenschaftspädagogischen Zweck, die Verfahren bereits etablierter Disziplinen vorbildhaft vorzuführen. Dies konnte allerdings auch zu weit gehen, wie das Beispiel von Meinongs ausführlicher Besprechung von Stumpfs Tonpsychologie zeigt.42 Adler bat seinen Freund, dessen »Kritik ein Muster für all unsere Kritiken« sein soll, »insbesondere solche Stellen, wo die Terminologie den Lesern, selbst den philosophisch gebildeten Lesern, die nicht unserer Richtung angehören, nicht geläufig ist, zu kürzen.«43 Diesen Hinweis hatte er von Stumpf selbst erhalten, dem Meinong seine Kritik vor der Drucklegung geschickt hatte und der Adler gegenüber bemerkte: »Weitaus die meisten, ja alle Leser werden Kopfstehen, wenn ihnen gleich solch intensiv philosophische und in dieser Kürze selbst Philosophen von anderer Richtung als der unsrigen nicht leicht verständliche Erörterungen begegnen.«44 Meinong verweigerte aber jegliche Änderung und nahm Adler geschickt bei dessen wissenschaftlicher Ehre: »Aber die Zeitschrift will ja Wissenschaft bieten, nicht belletristische oder bloß popularisierende Zwecke verfolgen; und Musikwissenschaft ohne nötige Psychologie, das geht eben nicht.«45 Die Besprechung erschien ungekürzt, und Meinong hob gleich zu Beginn ihre Bedeutung für die Ausrichtung der neuen Zeitschrift hervor: »Es darf wohl als gute Vorbedeutung gelten, wenn eine Zeitschrift, die sich die Aufgabe gestellt hat, der Gesammtheit der musikwissenschaftlichen Interessen dienstbar zu sein, das ihr obliegende Geschäft kritischer Berichterstattung durch die Anzeige eines Buches inauguriren kann, das in besonderer Weise Anspruch darauf zu haben scheint, in den Mittelpunkt jenes großen Interessenkreises zu treten und dies sowohl dem Gegenstande nach, dessen wissenschaftliche Durcharbeitung es sich zum Ziele setzt, als der Art und Weise nach, in welcher der Verfasser diesem Ziele zustrebt.«46
Jahrzehnte später bemerkte Adler in seiner Autobiographie nicht ganz korrekt, er habe mit »Meinong diese Absicht vereinbart, um die junge Generation der Musikhistoriker dazu heranzuziehen.«47 Meinong hatte die vorgeschlagenen Kürzungen wohl als Zumutung empfunden. Jedenfalls lehnte er das Angebot, 41 Siehe Adler 1935, S. 30 sowie die Briefe Wundts vom 20. April 1884 und Preyers vom 21. April 1984 an Adler. 42 Meinong 1885. 43 Brief Adlers an Meinong vom 17. Oktober 1884, in: Eder 1995, S. 93. Siehe auch Adler 1935, S. 31. 44 Undatierter Brief Stumpfs an Adler [Oktober 1884], in: Eder 1995, S. 40. 45 Brief Meinongs an Adler vom 18. Oktober 1884, in: Eder 1995, S. 95. 46 Meinong 1885, S. 127. 47 Adler 1935, S. 31.
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den Aufsatz Das Wesen der musikalischen Harmonie und Disharmonie von Theodor Lipps (1851 – 1914) zu besprechen, mit dem Hinweis ab, dass dieser »doch nicht wohl von jemand anderem als Stumpf besprochen werden sollte, – am allerwenigsten aber von mir, der im ersten Hefte eine etwas aufdringlich lange Rezension beigestellt hat, und die Leser der Vierteljahrsschrift noch ausreichend durch seine Wiederkehr ängstigen wird, wenn die weiteren Bände des Stumpfschen Buches ans Licht kommen.«48 Der Aufsatz von Lipps wurde letztlich vom Prager Philosophen Otakar Hostinsky´ (1847 – 1910) rezensiert.49 Meinong besprach tatsächlich sechs Jahre später noch den zweiten Band der Tonpsychologie von Stumpf – und zwar genauso ausführlich wie den ersten50 –, leistete aber sonst keinen weiteren Beitrag zur Zeitschrift. Wie schwer Adler sich selbst mit der Beurteilung von Werken tat, die in das Gebiet der Akustik und Tonpsychologie fallen, geht aus seiner Bemerkung hervor, er habe sich für die Besprechung51 von Alexander John Ellis’ (1814 – 1890) Buch On the History of Musical Pitch über ein Jahr vorbereitet.52 Stumpfs Rezension über ein weiteres Buch von Ellis (On the Musical Scales of Various Nations)53 sowie drei seiner Abhandlungen54 für die Vierteljahrsschrift stehen am Beginn der Etablierung der sogenannten Vergleichenden Musikwissenschaft im deutschsprachigen Raum. Weitere ethnomusikologische (in Adlers Diktion »musikologische«) Arbeiten zu außereuropäischer Musik lieferten Chrysander, Jan Peter Nicolaus Land (1834 – 1897) und Victor Schmidt-Ehrenhausen (1863 – 1931). Über die bronzezeitlichen, altnordischen Luren schrieb August (Angul) Hammerich55 (1848 – 1931), zu europäischer, vor allem deutscher und österreichischer Volksmusik erschienen in erster Linie Rezensionen. Vergleichsweise bescheiden fällt der Bereich der Musiktheorie aus. Neben Arbeiten über den Rhythmus von Hugo Riemann56 (1849 – 1919) und Mathis Lussy57 (1828 – 1910) sowie zur Tonalität von Heinrich von Herzogenberg58 (1843 – 1900) gibt es noch eine Handvoll Rezensionen. Umso auffälliger für eine rein wissenschaftliche Zeitschrift ist dagegen die Zahl an Besprechungen von musikpädagogischer Literatur auf diesem Gebiet. Über Neuerscheinungen in der Harmonie-, Kontrapunkt-, Kompositions-, Rhythmus-, Gesangs- und all48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58
Brief Meinongs an Adler vom 4. August 1885, in: Eder 1995, S. 105. Hostinsky´ 1886. Meinong 1891. Adler 1888. Adler 1935, S. 31. Stumpf 1886b. Stumpf 1886a, 1887 und 1892. Hammerich 1894. Riemann 1886. Lussy 1885. Herzogenberg 1890.
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gemeinen Musiklehre berichteten in erster Linie Ernst von Stockhausen (1838 – 1905) und Herzogenberg. Nur wenige Beiträge beschäftigen sich ausdrücklich mit Musikästhetik. Das mag zum einen damit zusammenhängen, dass sie sowohl in ihrer formal- als auch in ihrer ausdrucksästhetischen Variante viel Kritik auf sich geladen hatte und ihre wissenschaftliche Behandlung regelmäßig bezweifelt wurde; andererseits wurden aber musikästhetische Fragestellungen in vielen anderen Beiträgen berührt.
Abb. 2: Aufteilung der systematischen Beiträge gemäß Adlers Entwurf.
Bedenkt man die Rolle der Kirchenmusik in der Musikgeschichte, so überrascht nicht, dass viele musikhistorische Beiträge sie zum Thema haben. Bemerkenswert ist allerdings der hohe Stellenwert, der der Erforschung des gregorianischen Chorals eingeräumt wurde. Dies geht auf Adler zurück, der die vom Benediktinerkloster Solesmes ausgehenden Bemühungen um eine Choralrestauration mit großem Anteil verfolgte. Während seiner Zeit an der Prager Universität hatte er Kontakt zu Pater Ambrosius Kienle (1852 – 1905) von der Erzabtei Beuron, der für die Vermittlung der französischen Choralforschung (vor allem von Dom Joseph Pothier, 1835 – 1923) in den deutschsprachigen Raum eine große Rolle spielte und damals im Prager Emauskloster weilte, dem Exilort der mit Solesmes eng verbundenen Beuroner Mönche. Adler machte Kienle zum »Hauptreferenten für Choralwissenschaft«,59 der in der Folge nach Spitta die zweitmeisten Rezensionen für die Vierteljahrsschrift schrieb. Als weitere Autoren für einen thematischen Komplex, gebildet aus Forschungen zu Choral, mittelalterlicher Musiktheorie und Notation, konnten Oskar Fleischer (1856 – 1933), Oswald Koller (1852 – 1910), P. Utto Kornmüller (1824 – 1907), Hans Müller (1854 – 1897), Heinrich Reimann (1859 – 1906), Peter Wagner 59 Adler 1935, S. 26.
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(1865 – 1931) und Johannes Wolf (1869 – 1947) gewonnen werden. Außerdem publizierten auch Adler und Spitta zu diesem Bereich. Aus dem großen Gebiet der historischen Musikwissenschaft seit dem 15. Jahrhundert sind zunächst Adlers Herausgeberkollegen Spitta und Chrysander zu nennen. Adler selbst ist hier nur mit zwei Beiträgen vertreten,60 wie er überhaupt der zurückhaltendste unter den dreien in Bezug auf eigene Beiträge war, während Spitta als einziger Autor in allen zehn Jahrgängen publizierte (siehe Anhang). In diesem Bereich waren außerdem Wilhelm Bäumker (1842 – 1905), Johannes Bolte (1858 – 1937), Hermann Deiters (1833 – 1907), Franz Xaver Haberl (1840 – 1910), Herzogenberg, Eduard Jacobs (1833 – 1919), Reinhard Kade (1859 – 1936), Koller, Hermann Kretzschmar (1848 – 1927), Rochus von Liliencron (1820 – 1912), Paul Graf von Waldersee (1831 – 1906) und Rudolf Westphal (1826 – 1892) tätig. Ihre Mitwirkung verweigerten hingegen Bellermann – wegen Dissens mit Spitta – und dessen Schüler Gustav Jacobsthal (1845 – 1912) sowie, mit einer Ausnahme,61 Riemann.62
Abb. 3: Aufteilung der musikhistorischen Beiträge nach chronologischen Gesichtspunkten.
Gezielt setzte Spitta seine eigenen Schüler ein. Hielt er Ende 1882 die Gründung einer musikwissenschaftlichen Zeitschrift noch für verfrüht, da man abwarten müsse, bis »die ganze Gelehrten-Generation, die sich hier um mich zu bilden anfängt, zu selbständigem Eingreifen erstarkt sein wird«,63 so wurde in der Folge eine ganze Reihe von (zumindest zeitweisen) Spitta-Schülern in die Vierteljahrsschrift eingebunden, darunter Fleischer, Max Friedlaender (1852 – 1934), Hermann Gehrmann (1861 – 1916), Carl Krebs (1857 – 1937), Müller, Wilhelm Niessen (1867 – 1918), Carl Paesler (1863 – 1942), Rudolf Schwartz 60 Adler 1888 und 1892. 61 Riemann 1886. Es handelt sich dabei um eine ausführliche Entgegnung auf die Besprechung einer seiner Schriften (Stockhausen 1886). 62 Adler 1935, S. 30. Zu Riemanns geplanter Mitarbeit siehe Schilling 1994, S. 134f. und 145. 63 Brief Spittas an Herzogenberg vom 24. Dezember 1882, in: Schilling 1994, S. 129.
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(1859 – 1935), Max Seiffert (1868 – 1848), Emil Vogel (1859 – 1908), Wagner und Wolf. Einige von ihnen konnten auf diesem Wege ihre Dissertation veröffentlichen,64 Seiffert und Schwartz wurden auch für Registerarbeiten herangezogen.65 An dieser Bevorzugung eigener Schüler wurde verschiedentlich auch Kritik geübt, nicht zuletzt von Adler : »Ich kann nicht umhin, H Prof Spitta den Vorwurf machen zu müssen, daß er bei der Auswahl u Aufforderung der Mitarbeiter so enge Grenzen gezogen haben wollte, die eben jetzt immer mehr die Beschränkung um nicht zu sagen die Beschränktheit der Vjschrft zur Folge haben. H Dr Chrysander u ich waren der Ansicht, die Ztschrft nicht zum Hausorgan für uns u unsere Adepten zu machen.«66
Auch Heinrich Reimann bemängelte rückblickend die zunehmende Zahl von Erstveröffentlichungen aus Spittas Schülerkreis.67 Unstimmigkeiten vor allem zwischen Adler und Spitta gab es regelmäßig in Bezug auf die Qualität der eingegangenen Beiträge. Für den Jahrgang 1886 befürwortete Spitta etwa eine Besprechung von Alfred Schöne (1836 – 1918), der u. a. über eine Ausgabe von Briefen Carl Maria von Webers (1786 – 1826) an seine Frau berichtet.68 Aus nicht nachvollziehbaren Gründen – seine Briefe haben sich in diesem Fall nicht erhalten – hielt Adler die gelungene Rezension für eine »unzulängliche Leistung«, dürfte aber Manches missverstanden haben.69 Offensichtlich hatte er sich an ihr besonders abgearbeitet, da er selbst gerade einen Vortrag über Weber im Prager Künstler- und Schriftstellerverein Concordia vorbereitete.70 Zu Recht hob Spitta, im Übrigen wie Schöne ausgebildeter klassischer Philologe, dessen Leistung hervor : »Über den Inhalt und die Form der Briefe, den aus ihnen hervorleuchtenden Charakter der Autoren, über ihre wissenschaftliche Verwendung u. die bei der Herausgabe angewendete philologische Technik – über alles das wird eingehend und mit vollkommener Sachkunde gesprochen.«71 In dieser Auseinandersetzung zwischen den beiden 64 Vogel 1887, Paesler 1889, Seiffert 1891, Gehrmann 1891 und Niessen 1891. 65 Für die ersten vier Jahrgänge erstellte der Jurist und Adler-Freund August M. Nüchtern (1861 – 1929) das Register, bis zum 9. Jahrgang Seiffert, den zehnten indizierte Schwartz, der 1895 auch ein Generalregister aller zehn Jahrgänge zusammenstellte. Eine Bibliographie wurde jährlich vom Bibliothekar der Berliner Universitätsbibliothek Ferdinand Ascherson (1832 – 1904) verfasst. 66 Konzept eines Briefes von Adler an Chrysander und Spitta vom 26. September 1887, in: Schilling 1994, S. 153. 67 Reimann 1900, S. 57. 68 Schöne 1886. 69 »Wo steckt denn nur das, was Sie veranlasst von dieser Arbeit als einer völlig unzulänglichen Leistung zu sprechen?« Brief Spittas an Adler vom 29. Dezember 1886, in: Breuer 2011, S. 32. 70 Adler 1886. Der Hinweis auf diesen Vortrag befindet sich bei Reilly 1975, S. 4. 71 Brief Spittas an Adler vom 29. Dezember 1886, in: Breuer 2011, S. 31.
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Barbara Boisits
Herausgebern kam noch verschärfend hinzu, dass der Tonfall Adlers einmal mehr alle kollegiale Rücksichtnahme vermissen ließ, sodass Spitta nach mehreren Briefen in dieser Causa schließlich scharf reagierte: »Überhaupt kann ich nicht umhin, Ihnen zu bemerken, daß dieses das letzte Mal ist, daß ich auf einen Brief Ihres vorliegenden reagire. Ich werde inskünftige jedes von Ihnen kommende Schreiben unbeantwortet lassen, in dem Sie sich nicht dazu bequemen, denjenigen Ton anzuschlagen, den ich von Ihnen verlangen kann.«72
Nicht einverstanden war Adler auch mit der in der Vierteljahrsschrift abgedruckten Dissertation des Spitta-Schülers Vogel73 über Claudio Monteverdi (1567 – 1643), die Chrysander zu den besten der bisher veröffentlichen Arbeiten zählte.74 Umgekehrt gelang es Adler nicht, einen Aufsatz von Heinrich Rietsch (1860 – 1927) durchzusetzen, der von 1882 bis 1884 bei Adler an der Universität Wien Vorlesungen besucht hatte75 und im Jahre 1900 dessen Nachfolger als außerordentlicher Professor in Prag werden sollte.76 Dissens herrschte außerdem bezüglich zweier Beiträge von Gustav Engel (1823 – 1895), einem auch als Musikkritiker tätigen Gesangslehrer an der Berliner Hochschule für Musik, wo Spitta eine Dozentur für Musikgeschichte innehatte. Engel griff in seinem Beitrag Der Begriff der Form in der Kunst und in der Tonkunst insbesondere,77 ausgehend von der Ästhetik Georg Wilhelm Friedrich Hegels (1770 – 1831), die formalästhetischen Konsequenzen bei Johann Friedrich Herbart (1776 – 1841) und Robert Zimmermann (1824 – 1898) an, die den formalen Schönheitsbegriff vollkommen von der inhaltlichen Seite der Kunst abkoppelten. Zimmermann, seit 1861 Professor für Philosophie an der Universität Wien, hatte erst im Jahrgang davor in diesem Sinne eine zustimmende Kritik zur siebenten Auflage von Hanslicks Schrift Vom MusikalischSchönen geschrieben.78 Adler konstatierte bei Engel eine ungerechtfertigte und übertriebene Polemik gegenüber Zimmermann, die Spitta beim besten Willen nicht nachvollziehen konnte79 und aus Engels Text auch nicht hervorgeht. Adler zeigt hier eine Empfindlichkeit, die im direkten Gegensatz zu dem von ihm
72 Brief Spittas an Adler vom 4. Dezember 1886, in: Schilling 1994, S. 148. 73 Vogel 1887. 74 Dies wird aus dem Briefwechsel zwischen Spitta und Chrysander ersichtlich. Siehe dazu Schilling 1994, S. 145. 75 Antonicek 1975, S. 478. 76 Siehe Schilling 1994, S. 145 f. 77 Engel 1886. 78 Zimmermann 1885. 79 Siehe Spittas Briefe an Adler vom 10. September 1885, vom 21. September 1885, vom 10. Oktober 1885 und vom 26. Oktober 1885, ferner Adlers Brief an Chrysander und Spitta vom 8. Dezember 1885. Siehe dazu auch Schilling 1994, S. 135.
Die Vierteljahrsschrift für Musikwissenschaft (1885 – 1894)
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gewünschten und auch im Vorwort zum ersten Band formulierten Grundsatz der Zeitschrift steht, »verschiedensten Richtungen Raum zu geben«. Für eine weitere Verstimmung sorgte Engels Beitrag Eine mathematischharmonische Analyse des Don Giovanni von Mozart, eine aus zahlreichen Berechnungen bestehende Studie, die nachweist, dass fast alle Nummern im Don Giovanni auch bei konsequenter Anwendung der reinen Stimmung (an Stelle der üblichen temperierten) auf der exakt gleichen Tonhöhe enden, auf der sie auch begonnen haben (beispielsweise ein c am Ende also dieselbe Frequenz hat wie ein c am Anfang), auch wenn im Verlauf des Stücks ein und derselbe Ton auf Grund zahlreicher Modulationen unterschiedliche Tonhöhen aufweist; für Engel selbst ein weiterer, in diesem Fall akustischer Beweis für »die ewige Schönheit Mozartischer Musik«.80 Dieser Beitrag wurde von Spitta befürwortet, von Adler dagegen abgelehnt. Wie immer setzte sich Spitta auch in diesem Fall durch, und der Beitrag wurde angenommen. Das wurmte Adler umso mehr, als er sich von Johannes Brahms (1833 – 1897), der großen Anteil an der Entwicklung der Musikforschung nahm, die höhnische Frage gefallen lassen musste, ob das Wissenschaft sei.81 Die Kritik einer so geachteten Künstlerpersönlichkeit wie Brahms ließ aber auch Spitta nicht kalt. Im Unterschied zu der oben zitierten Mitteilung an Adler, dass es ihm als Gelehrten gleichgültig sei, ob ein Komponist von seinen Arbeiten profitieren könne, weil die Selbstzweckhaftigkeit der Wissenschaft unbedingten Vorrang habe, zeigte er sich Brahms gegenüber deutlich verbindlicher. Als dieser ihm bekennt; »Die Vierteljahrsschrift – verzeihen Sie den harten Ausdruck – muthe ich mir nicht immer zu«,82 antwortet Spitta: »Wir arbeiten nicht für das Publicum der musikalischen Zeitungen; aber auf die anderthalb Dutzend Musikgelehrten, die es in Europa giebt, möchten wir uns auch nicht beschränkt haben. Wenn nun ein Mann wie Sie die Lektüre als eine Anstrengung bezeichnet, so verfehlen wir zum Theil unser Ziel. Manches kann freilich für den praktischen Künstler nur sehr bedingtes Interesse haben; manches bleibt ihm viel80 Engel 1887, S. 560. Einen ähnlichen Schluss aus Engels Arbeit zieht auch Alfred Einstein (Einstein 1947, S. 223). Zwei weitere Arbeiten Engels auf dem Gebiet der Akustik und Tonpsychologie wurden von Stumpf in der Vierteljahrsschrift besprochen (Stumpf 1888 und 1893). 81 Adler 1935, S. 32. 82 Wohl noch eingedenk der Arbeit von Engel. Brief von Brahms an Spitta vom 2. Dezember 1888, in: Krebs 1974, S. 84. Spitta hatte Brahms zuvor auf einen Bach-Artikel aus seiner Feder hingewiesen (Spitta 1888). Siehe Brief Spittas an Brahms vom 30. November 1888, in: ebd., S. 83. Siehe auch Schilling 1994, S. 131. Tatsächlich zollte Brahms der Zeitschrift durchaus Aufmerksamkeit, vor allem jenen Artikeln gegenüber, die seinem historischen Interesse an der Musik des 16. und 17. Jahrhunderts entgegenkamen, aber auch solchen, die sich mit reiner Stimmung beschäftigten. Einen Überblick der ihn interessierenden Artikel sowie deren Einschätzung siehe bei Noteley 2007, S. 109 und 125 ff.
230
Barbara Boisits
leicht ganz fremd. Aber es sollte doch immer noch ein gutes Stück bleiben, was allgemeiner anzöge. Ist das nicht der Fall, so ist die Existenz einer solchen Zeitschrift überhaupt fragwürdig.«83
Der enge Kreis der »Musikgelehrten« füllte jedenfalls nicht die Kassen des Verlags Breitkopf & Härtel. Die Finanzierung war von Anfang an schwierig, Redaktions- und Herausgebertätigkeit blieben unbezahlt. Spitta konnte zwar einen Gründungsbeitrag von 1.450 Mark aufbringen und Adler das österreichische Ministerium für Kultus und Unterricht zu einer jährlichen Subvention von 200 Gulden bewegen.84 Doch das reichte nicht aus, um Absatzprobleme auszugleichen. Auch die Suche nach privaten Geldgebern blieb erfolglos. Bereits 1889 schrieb Adler an Meinong, der in Graz eine Professur für Philosophie innehatte: »Die Verleger der Zeitschrift beklagen sich über defeit [d¦faite = Absatz]; die Existenz ist gefährdet. Es ist unglaublich, daß sich ein so ernstes Unternehmen nicht halten kann, Wir müssen an außerordentliche Subventionen, vielleicht auch von Privaten denken. Gibt es in Graz für die Kunstwissenschaften begeisterte Leute?«85
Nach dem Tod Spittas im April 1894 setzte Chrysander noch die Arbeit für die verbleibenden Hefte dieses Jahrgangs fort. Bereits zu Beginn des Jahres hatte der Verlag aus Mangel an Subskribenten den Vertrag gekündigt,86 und die Zeitschrift wurde mit Ende 1894 eingestellt. Trotz der vielfachen internen wie externen Probleme, verursacht nicht zuletzt durch eine disziplinäre Orientierungssuche bei gleichzeitiger Emanzipation vom mächtigen Musikleben, gilt die Vierteljahrsschrift für Musikwissenschaft bis heute wohl zu Recht als wichtiger Meilenstein für die Herausbildung eines rein musikwissenschaftlichen Zeitschriftenwesens, ja für die aufstrebende junge Disziplin überhaupt. Ihre Nachfolge sollten dann so renommierte internationale Unternehmungen wie die Sammelbände und Zeitschrift der Internationalen Musikgesellschaft87 (1899/1900 – 1913/14) bzw. in Deutschland die Zeitschrift für Musikwissenschaft (1918/19 – 1935) und das Archiv für Musikwissenschaft (1918 – 1926) antreten.
83 Brief vom 3. Dezember 1888, in: Krebs 1974, S. 86. Siehe auch Schilling 1994, S. 131 f. 84 Adler 1935, S. 31. Zu Spittas Klagen über die mühsame Aufbringung der nötigen Gelder siehe seine Briefe an Herzogenberg und Joseph Joachim bei Schilling 1994, S. 130 f. 85 Brief vom 6. Mai 1889, in: Eder 1995, S. 131. 86 Adler 1935, S. 32. 87 An ihrer Herausgabe waren maßgeblich die Spitta-Schüler Fleischer, Seiffert und Wolf beteiligt.
231
Die Vierteljahrsschrift für Musikwissenschaft (1885 – 1894)
Anhang: Liste der Autoren nach Anzahl ihrer Beiträge88 G Autor 36 Spitta, Philipp (1841 – 1894)
A 7
17 Chrysander, Friedrich (1826 – 1901)
K N Jg. 23 6 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10 11 4 2 1, 3, 4, 5, 7, 8, 9, 10
14 Kienle, Ambrosius (1852 – 1905) 11 Krebs, Carl (1857 – 1937)
1 3
13 1, 2, 5, 7 5 3 8, 9, 10
11 Kretzschmar, Heinrich (1848 – 1927) 11 Stumpf, Carl (1848 – 1936)
2 4
9 7
10 Liliencron, Rochus von (1820 – 1912) 10 Vogel, Emil (1859 – 1908)
4 3
4 7
2 2, 3, 6, 7, 9, 10 3, 4, 5, 6, 7
8 8
Adler, Guido (1855 – 1941) Fleischer, Oskar (1856 – 1933)
3 1
5 7
1, 2, 4, 5, 8 2, 3, 4, 6, 7
7 6
Herzogenberg, Heinrich von (1843 – 1900) Friedlaender, Max (1852 – 1934)
2 5
5
6 6
Jacobs, Eduard (1833 – 1919) Seiffert, Max (1868 – 1948)
6 2
1
4 4
Bäumker, Wilhelm (1842 – 1905) Deiters, Hermann (1833 – 1907)
2 1
1 3
4, 5 4, 9
4 4
Koller, Oswald (1852 – 1910) Land, Jan Pieter Nicolaus (1834 – 1897)
2 2
2 2
4, 6, 7, 8 2, 5, 6, 9
4 4
Müller, Hans (1854 – 1897) Schwartz, Rudolf (1859 – 1935)
2 3
2
3 3
Bolte, Johannes (1858 – 1937) Kade, Reinhard (1859 – 1936)
3 2
3 3
Reimann, Heinrich (1859 – 1906) Schöne, Alfred (1836 – 1918)
2
3 2
Stockhausen, Ernst von (1838 – 1905) Eickhoff, Paul (1850 – 1931)
2 2
Engel, Gustav (1823 – 1895) Haberl, Franz Xaver (1840 – 1910)
2 2
Hörmann, Ludwig von (1837 – 1924) Kade, Otto (1819 – 1900)
2 2
Kornmüller, Utto (1824 – 1907) Lussy, Mathis (1828 – 1910)
2
Meinong, Alexius (1853 – 1920)
1, 3, 5, 7, 8, 9, 10 1, 2, 4, 5, 7, 8, 9
6, 7, 10 1 3, 5, 8, 9, 10 5, 6, 7, 8, 9, 10 3 5, 6, 7
1, 3, 6 1 2, 9, 10 7, 8 1 5, 6, 7
1 3
5 2, 5
3 2
1, 2 7, 8
2 2
2, 3 1, 3
1
2 2
1 1
2 1
1, 6 1
2
1, 7
88 G = Gesamtzahl der Beiträge, A = Aufsätze, Abhandlungen, K = Kritiken, N = Notizen, kleine Mitteilungen, Jg. = Jahrgang.
232
Barbara Boisits
(Fortsetzung) G Autor 2 Planck, Max (1858 – 1947) 2 Schatz, Albert (1839 – 1910)
A 1 1
K 1 1
2 2
Spiro, Friedrich (1863 – 1940) Stollbrock, Ludwig (1865–?)
2 2
Succo, Reinhold (1837 – 1897) Tanaka, Sho¯hei (1862 – 1945)
1
3 1 6, 8
2 2
Wagner, Peter (1865 – 1931) Waldersee, Paul Graf von (1831 – 1906)
2 2
7, 8 1, 2
2 2
Wallaschek, Richard (1860 – 1918) Widmann, Benedikt (1820 – 1910)
2 2
7, 8 5, 7
2 1
Wolf, Johannes (1869 – 1947) Beier, Franz (1857 – 1914)
2
1 1
Benndorf, Kurt (1871 – 1945) Bischoff, Ferdinand (1826 – 1915)
1
10 1 10
1 1
Bleisteiner, Georg (?–?) Brambach, Wilhelm (1841 – 1932)
1
10 1 3
1 1
Elling, Catharinus (1858 – 1942) Ellinger, Georg (1859 – 1931)
1 1
9 1
1 1
Fischer, Leopold Hermann (?–?) Fischer, Paul (1834 – 1894)
1 1
2 5
1 1
Gehrmann, Hermann (1861 – 1916) Glück, August (1852 – 1916)
1 1
7 8
1
Hammerich, August (eig. Hamerik, Angul) (1848 – 1931) Held, Karl (?–?) Hostinsky´, Otokar (1847 – 1910)
1
10
1
10
Levinsohn, Albert (?–?)
1
1 1 1
1 2
N Jg. 8, 9 4, 5 1 4 8
2
1
1
9 2
2 9
1 1
Lipsius, Marie (1837 – 1927) Mach, Ernst (1838 – 1916)
1 1
Muncker, Franz (1855 – 1926) Münzer, Georg (1866 – 1908)
1
6 6
1 1
Niessen, Wilhelm (1867 – 1918) Paesler, Carl (1863 – 1942)
1 1
7 5
1 1
Radecke, Ernst (1866 – 1920) Riemann, Hugo (1849 – 1919)
1 1
7 2
1 1
Röntgen, Engelbert (1829 – 1897) Roth, Ferdinand Wilhelm Emil (1853 – 1924)
1
9 1 3
1
Scherer, Carl (1861 – 1936)
1
9
1 1
1 7 3
233
Die Vierteljahrsschrift für Musikwissenschaft (1885 – 1894)
(Fortsetzung) G Autor 1 Schmidt-Ernsthausen, Victor (1863 – 1931) 1 Scholz, Bernhard (1835 – 1916)
A 1
K 1
N Jg. 6 5
1
1 8 10
1 1
Schubring, Gustav (1843 – 1911) Schulz, Franz (?–?)
1 1
Seyfert, Bernhard (1865–vor 1950) Sittard, Josef (1846 – 1903)
1 1
Spitta, Friedrich (1852 – 1924) Stecker, Carl (1861 – 1918)
1 1
Thürlings, Adolf (1844 – 1915) Voigt, Friedrich Albert (?–?)
1 1
8 6
1 1
Voigt, Woldemar (1850 – 1919) Walter, Anton Friedrich (?–?)
1 1
2 6
1 1
Wasielewski, Wilhelm Joseph von (1822 – 1896) Wehrmann, Martin (1861 – 1937)
1 1
1 10
1 1
Welti, Heinrich (1859 – 1937) Westphal, Rudolf (1826 – 1892)
1 1
7 7
1 1
Zelle, Friedrich (1845 – 1927) Zimmermann, Robert (1824 – 1898)
1 1
10 1 1 1
1
1 6
1 6 1
Bibliographie Adler, Guido: Umfang, Methode und Ziel der Musikwissenschaft, in: Vierteljahrsschrift für Musikwissenschaft 1 (1885), S. 5 – 20. Adler, Guido: Carl Maria von Weber (Festrede zur Saecularfeier der Geburt Webers, gehalten am 18. Dezember 1886 im Verein deutscher Künstler und Schriftsteller »Concordia«, 16 Bll. University of Georgia (Athens), Hargrett Special Collections Library, Guido Adler Papers, Box 1. Adler, Guido: On the history of musical pitch, in: Vierteljahrsschrift für Musikwissenschaft 4 (1888), S. 122 – 146. Adler, Guido: Ein Satz eines unbekannten Klavierkonzertes von Beethoven, in: Vierteljahrsschrift für Musikwissenschaft 4 (1888), S. 451 – 470. Adler, Guido: Die Kaiser Ferdinand III., Leopold I., Joseph I. und Karl VI. als Tonsetzer und Förderer der Musik, in: Vierteljahrsschrift für Musikwissenschaft 8 (1892), S. 252 – 274. Adler, Guido (Hg.): Gottlieb Muffat. Componimenti Musicali per il Cembalo (Denkmäler der Tonkunst in Österreich III/3 = 7). Wien 1896. Adler, Guido: Musik und Musikwissenschaft. Akademische Antrittsrede, gehalten am
234
Barbara Boisits
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Die Vierteljahrsschrift für Musikwissenschaft (1885 – 1894)
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Barbara Boisits
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Die Vierteljahrsschrift für Musikwissenschaft (1885 – 1894)
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Karl R. Krierer
Die Archaeologisch-Epigraphischen Mittheilungen aus Oesterreich (1877 – 1897)1
Als Alexander Conze2 zu Ostern des Jahres 1869 in Wien angekommen war,3 um in der Hauptstadt der Monarchie den ersten Lehrstuhl für das Fach der Klassischen Archäologie in Österreich zu besetzen, gab es nicht nur viele der uns heute so vertrauten Ringstraßengebäude noch nicht, es gab auch noch kein Institut für das Fach, keine Bibliothek, keine eigene archäologische Abguss-Sammlung – keine eigene Fachzeitschrift. Conze hatte in der damals noch im Bereich der »Alten Universität« befindlichen philosophischen Fakultät anfangs nicht einmal einen eigenen Raum für sich und die noch so junge Klassische Archäologie. Man muss sich dieser Zustände bewusst sein, will man sich mit den Anfängen des Faches in Wien und in Österreich beschäftigen. Die Archaeologisch-Epigraphischen Mittheilungen aus Oesterreich4 (AEM) (Abb. 1), die Thema dieser Untersuchung sind, sind auch nicht unmittelbar mit 1 Dieser Beitrag entstand im Rahmen des vom Verfasser geleiteten Forschungsprojektes »Alexander Conze in Wien (1869 – 1877)« des österreichischen Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF), Projektnummer P 24419-G21, Laufzeit Februar 2012 bis Jänner 2015; http://conzeprojekt.univie.ac.at. – In zitierten Briefpassagen vorkommende Abkürzungen erscheinen hier der besseren Lesbarkeit wegen ausgeschrieben. – Zu Dank verpflichtet bin ich Ina Friedmann und Hubert D. Szemethy. 2 Alexander Conze (1831 – 1914), o. Prof. für Klassische Archäologie an der Universität Wien 1869 bis 1877, danach bis 1887 Direktor der Skulpturensammlung der königlichen Museen in Berlin, 1887 bis 1905 Generalsekretär des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI); Conze, Alexander, in: DNP Suppl. 6, Sp. 246 – 248 (Hubert Szemethy). 3 Die Ankunft erfolgte am Ostermontag den 29. März 1869, Brief von Alexander Conze aus Wien an Heinrich Brunn in München, 30. März 1869; Bayerische Staatsbibliothek München, Brunniana 3. Conze, Alexander, Brief Nummer 10. 4 Erscheinungsverlauf: 1, 1877 – 20, 1897. – Herausgeber : Alexander Conze – Otto Hirschfeld: Jg. 1, Heft 1, 1877; Otto Benndorf – Alexander Conze – Otto Hirschfeld: Jg. 1, Heft 2, 1877; Otto Benndorf – Otto Hirschfeld: Jg. 2, 1878 bis Jg. 8, 1884; Otto Benndorf – Eugen Bormann: Jg. 9, 1885 bis Jg. 20, 1897. – Druck und Verlag: Jg. 1, 1877 bis 12, 1888 Carl Gerold’s Sohn, Wien; 1889 ist kein Band erschienen; Jg. 13, 1890 bis 16, 1893 F. Tempsky, Prag – Wien / G. Freytag, Leipzig, Buchhändler der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien, Druck Gebrüder Stiepel in Reichenberg; ab Jg. 17, 1894 bis 20, 1897 Alfred Hölder, k. u. k. Hof- und Universitäts-Buchhändler Wien, Druck Rudolf M. Rohrer, Brünn.
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Abb. 1 Die »Archaeologisch-Epigraphischen Mittheilungen aus Oesterreich«, Foto Verf.
Conzes Amtsantritt entstanden, sondern es sollten Jahre bis zu ihrem Erscheinen vergehen, welches an die Gründung des Universitätsinstituts 1876 gekoppelt ist, das »Archaeologisch-Epigraphisches Seminar« hieß. Im internationalen Raum hatten schon länger archäologische Fachzeitschriften existiert, und es ist anzunehmen, Conze habe sich daran orientiert, waren ihm doch – um nur drei hervorzuheben – die von Eduard Gerhard5 seit 1843 in Berlin herausgegebene Archäologische Zeitung und die seit 1829 vom Deutschen Archäologischen Institut in Rom herausgebrachten Annali dell’Instituto di Corrispondenza Archeologica und das Bullettino dell’Instituto di Corrispondenza Archeologica schon sehr lange – auch als deren Autor6 – bekannt. 5 Friedrich Wilhelm Eduard Gerhard (1795 – 1867), Klassischer Archäologe, Mitbegründer des Instituto di Corrispondenza Archeologica in Rom, in Berlin Museumsdirektor und Universitätsprofessor ; Gerhard, Eduard, in: ADB 8 (1878), S. 760 – 766 (Karl Ludwig Urlichs); Gerhard, Friedrich Wilhelm Eduard, in: NDB 6 (1964), S. 276 f. (Friedrich Matz); Veit Stürmer, Eduard Gerhard – Begründer der institutionellen Archäologie in Berlin, in: Annette M. Baertschi – Colin G. King (Hg.), Die modernen Väter der Antike. Die Entwicklung der Altertumswissenschaften an Akademie und Universität im Berlin des 19. Jahrhunderts (2009), S. 145 – 164; Gerhard, Eduard, in: DNP Suppl. 6, Sp. 452 – 455 (Detlef Rößler). 6 Für alle drei Zeitschriften hatte Conze ab dem Jahr 1858, damals noch nicht habilitiert, Beiträge verfasst.
Die Archaeologisch-Epigraphischen Mittheilungen aus Oesterreich
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Zwar gab es in Österreich seit 1856 die Mittheilungen der kaiserl. königl. Central-Commission zur Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale sowie das Jahrbuch der kaiserl. königl. Central-Commission zur Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale, in denen auch archäologische Beiträge erschienen sind, aber Conze strebte ein eigenes Blatt an, nicht zuletzt auch, weil er sich mit der CentralCommission, einer Vorgängerin des heutigen Bundesdenkmalamtes, verkörpert durch deren Präsidenten Joseph Alexander von Helfert,7 überworfen hatte und aus ihr ausgetreten war.8 Conze in einem Brief an seinen späteren Nachfolger auf dem Wiener Lehrstuhl und damals Professor in Prag, Otto Benndorf,9 30. April 1876: »Sagen Sie also bitte Hirschfeld10 [dieser war damals auch noch in Prag, Anm. Verf.], daß ich […] ganz einverstanden bin mit den ›archaeologisch-epigraphischen Mittheilungen aus Oesterreich‹ so rasch wie möglich loszuschießen. […] Trotz meines Austritts bleibt uns doch, sobald wir an das Publiciren kommen, die Centralkommission ein fataler Nachbar. Es ist ja gar kein Zweifel, daß die Dinge, die wir geben werden, zum Theil ganz direkt in die Mittheilungen der Kommission gehören würden, wenn Alles gesund wäre.«
7 Joseph Alexander von Helfert (1820 – 1910), 1863 – 1910 Präsident der k. k. Central-Commission; Helfert, Joseph Alexander Freiherr, in: Wurzbach 8 (1862) S. 254 – 257; Helfert, Joseph Freiherr von, in: NDB 8 (1969), S. 469 (Erika Weinzierl). 8 Conze kommt darauf in einem Brief an Theodor Mommsen vom 1. März 1876 zu sprechen: »Aus der Centralkommission bin ich dagegen ausgetreten, indem ich einen in der That Haupttheil meiner Gründe zum ostensiblen Alleingrunde machte: nämlich Helfert als Praesident. Ich weiß nicht, ob Sie von dieser Blume des menschlichen Geschlechts Notiz genommen haben. Ich hätte in der That nur als sehr starke Aufopferung für die Sache das Zusammenbleiben mit einem solchen Individuum ertragen.« SBB-PK, HA, Nachlass Theodor Mommsen, K 17 Mappe 2 Bl. 28 – 29. Das Verhältnis Conzes zur Centralkommission war nicht immer so schlecht gewesen. In einem Brief Conzes an Benndorf vom 15. Oktober 1873 ist die Rede von den Mittheilungen der Centralcommission, wobei Conze meinte, seine »römischen Bildwerke« wären dort besser aufgehoben gewesen als an der Akademie der Wissenschaften: »Jetzt, wo die Neuzusammensetzung der Centralkommission bevorsteht und damit für deren ›Mittheilungen‹ ein besserer Charakter zu erreichen sein dürfte, ist es mir eigentlich ärgerlich, mit den römischen Bildwerken in die Akademieschriften gegangen zu sein. Sie hätten ja so recht in die Mittheilungen der Centralkommission gehört. Nur hatte ich zu dieser damals gar keine Beziehung, wollte und mochte mich nicht zu drängen.« ÖNB, HAD, Autogr. 637/39 – 6 Han. Dass ihn die Centralkommission bis zum Ende seiner Wiener Zeit beschäftigt hat, zeigt Conzes Abschiedsbrief an Rudolf Eitelberger aus Berlin vom 3. Oktober 1877, in welchem er – »mit Ausnahme Hausers von seiner Seite her« – von »Dilettanten« spricht; Wien, Wienbibliothek im Rathaus, I.N. 20.539. 9 Otto Benndorf (1838 – 1907), Klassischer Archäologe; Benndorf, Otto, in: DNP Suppl. 6, Sp. 73 f. (Hubert Szemethy). Der Brief ÖNB, HAD, Autogr. 637/40 – 14 Han. 10 Otto Hirschfeld (1843 – 1922), 1876 bis 1885 Ordinarius für Alte Geschichte, Altertumskunde und Epigraphik in Wien, Nachfolger Theodor Mommsens auf dessen Berliner Lehrstuhl für Alte Geschichte; Hirschfeld, Otto, in: ÖBL 2 (1959), S. 332 f.; Hirschfeld, Otto, in: DNP Suppl. 6, Sp. 578 f. (Stefan Rebenich).
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Conze betrachtete die Centralkommision also durchaus als unliebsame Konkurrenz, hatte eine denkbar schlechte Meinung von ihr und wollte die archäologische und epigraphische Forschung keinesfalls mit ihr in Verbindung bringen. Im selben Brief weiter (und am linken Rand von Conze mit drei Strichen hervorgehoben): »Es sollte wohl die Kommission für Erhaltung sein und die Erforschung, die nicht bureaukratisch zu leisten ist, sollte ganz abgetrennt bleiben. Hier wird Schritt für Schritt sehr zu überlegen sein, was man thut […]«.
Conze optiert also im Grunde für die Ausgliederung der Forschung aus der Centralkommission und ihre Übernahme durch die Universität: »Was in der Centralkommission hätte betrieben werden sollen, wird freier von der Universität aus zu betreiben sein«, so Conzes Überzeugung, wie er sie in dem Brief an Theodor Mommsen11 vom 1. März 187612 zum Ausdruck bringt. Schon am 25. Juni 1875 hatte Conze Mommsen gegenüber bedauert, »Inschriften aus Dalmatien, von Glavinicˇ13 gesandt, mußten, als in den Bereich der Centralkommission fallend, in deren Mittheilungen (1. Heft der neuen Folge bald fertig) schlecht und recht gegeben werden.«14 Allerdings ist dies nur die halbe Wahrheit, denn Glavinicˇ hat auch später, als die AEM – von denen hier 1875 noch keine Rede ist – schon längst existierten, nie in diesen, sondern immer in den Mitteilungen der Centralkommission publiziert, wie ein Blick in die Autoren-Verzeichnisse15 der beiden Zeitschriften zeigt, und er war nicht der einzige.16 11 Theodor Mommsen (1817 – 1903), einer der bedeutendsten Altertumswissenschaftler, Begründer des Corpus Inscriptionum Latinarum (CIL), Nobelpreisträger für Literatur 1902; Mommsen, Theodor, in: DNP Suppl. 6, Sp. 836 – 842 (Stefan Rebenich). 12 Wie Anm. 8. 13 Michael Glavinicˇ (1833 – 1898), Archäologe, kurzzeitig Schüler Conzes, leitete ab 1873 das Museum von Split. 14 Brief Conzes an Mommsen, 25. Juni 1875; SBB-PK, HA, Nachlass Theodor Mommsen, K 17 Mappe 2 Bl. 22 – 23. Angesprochen ist der Beitrag »Inschriftsteine des Museums zu Salona. Mitgetheilt von Professor Dr. Glavinic« in den »Mittheilungen der k. k. Central-Commission zur Erforschung und Erhaltung der kunst- und historischen Denkmale«, 1. Jahrgang der Neuen Folge 1875, Kleinere Mittheilungen, S. I – VIII. 15 S. Frankfurter, Register zu den Archaeologisch-Epigraphischen Mittheilungen aus Oesterreich-Ungarn, Jahrgang I – XX (Wien: Alfred Hölder, 1902) S. 2; Josef Kramny, Autorenverzeichnis der Mittheilungen der kaiserl. königl. Central-Commission zur Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale 1856 – 1906, S. 10. 16 So hat zum Beispiel Franz Bulic´ nur einmal in den AEM, insgesamt aber 14 Mal in den Mittheilungen der Central-Commission publiziert. Selbst Wilhelm Gurlitt, als Schüler Conzes diesem und dem Wiener Institut sehr verbunden, hat Inschriften mehrmals der Central-Commission zur Publikation gegeben, und nicht den AEM. Rudolf Eitelberger, dem Conze sich sehr verpflichtet fühlte, hat nie in den AEM publiziert, aber sehr viel in den Mittheilungen der Central-Commission. Alois Hauser hat lediglich einige Berichte über seine Ausgrabungen in Carnuntum den AEM anvertraut, während in den Mittheilungen der Central-Commission vierzig Artikel von ihm – auch zu Carnuntum – erschienen sind. Sa-
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Die Anfänge der »Archaeologisch-Epigraphischen Mittheilungen« und ihr Werdegang sind – von offiziellen Eingaben der Herausgeber17 abgesehen – sehr gut, fallweise bis in Einzelheiten in zahlreichen Briefen, vielen von Alexander Conze, Otto Hirschfeld und Otto Benndorf, aber auch anderen dokumentiert. Erstmals zu fassen sind sie in einem vom 13. März 1876 datierenden Brief Conzes an Benndorf,18 der zugleich an Hirschfeld gerichtet ist – beide waren damals Professoren in Prag. Conze schrieb diesen Brief nach einem am selben Tag erfolgten Gespräch mit Gustav Adolph Heider,19 damals Sektionschef im Unterrichtsministerium, den er offensichtlich von seinem Plan einer eigenen Zeitschrift unterrichtet hatte. Conze zu Benndorf und Hirschfeld: »Ich habe den Gedanken an im Druck zu publizierende ›Mittheilungen aus dem archaeologisch-epigraphischen Seminar der kk. Universität Wien‹ hingeworfen, der Gnade fand, und glaube in der That, daß wir auf so Etwas kommen dürften. Alles das kann noch besprochen werden, da ich hoffentlich Sie Beide am Tage vor Ostern sehe.«
Die Koppelung der Zeitschrift an das Universitätsinstitut – die Institutszeitschrift sollte erst nach der Institutsgründung erscheinen – lässt sich gut mit einem Passus aus einem Brief Conzes vom 29. April 187620 an seinen Freund Adolf Michaelis21 verdeutlichen:
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muel Jenny, k. k. Konservator und Korrespondent der Central-Commission, hat neben vielem anderen über die archäologische Erforschung Brigantiums alles in den Mittheilungen der Central-Commission, aber nichts in den AEM veröffentlicht. Dass Korrespondenten bzw. Mitglieder der Central-Commission sich mehr deren Mittheilungen zugehörig fühlten, versteht sich. So hat Friedrich von Kenner in den Mittheilungen der Central-Commission eine große Anzahl von Texten erscheinen lassen, in den AEM hingegen nur zwei; und auch Eduard Freiherr von Sacken hat sehr viel zu den Mittheilungen der Central-Commission beigetragen, zu den AEM lediglich einen einzigen Artikel. Die Liste der Beispiele ließe sich fortsetzen. Hier sind zum Beispiel die Jahresberichte Conzes und Hirschfelds an den Minister für Cultus und Unterricht Karl Ritter von Stremayr anzuführen, in denen auch die AEM angesprochen werden: ÖStA, AVA, MinCU 4, Phil. Fasz. 691 [Archäologisch-Epigraphisches Seminar], 12527 aus 1877, Berichte vom 20. und 23. Juli 1877. ÖNB, HAD, Autogr. 637/40 – 11 Han. – Hingegen Conze an Benndorf, 26. Jänner 1876: »Daß sich [sic] die große Aufgabe der Aufnahme des gesammten archaeologischen Materials in Oesterreich unter uns dreien [Hirschfeld inbegriffen, Anm. Verf.] feststeht, ist gut für die Zukunft. Die von mir begonnenen röm. Bildwerke usw mögen also als Vorläufer gelten« ÖNB, HAD, Autogr. 637/40 – 4 Han. Von einer geplanten Zeitschrift ist nicht die Rede. Gustav Adolph Heider (1819 – 1897), Mitbegründer der k. k. Central-Commission; Heider, Gustav Adolph, in: Wurzbach 8 (1862), S. 208 f.; Heider Gustav Frh. von, in: ÖBL 2 (1959), S. 241. DAI Berlin, Archiv, NL Michaelis. Adolf Michaelis (1835 – 1910), Archäologe und damals erster Inhaber eines Lehrstuhls für Klassische Archäologie an der Universität Straßburg; DNP Suppl. 6, Sp. 823 f. (Hubert Szemethy). Michaelis und Conze waren 1859/60 die ersten Reisestipendiaten des Deutschen Archäologischen Instituts, das damals »Instituto di Corrispondenza Archeologica« hieß. –
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»Hier ist unser Statut des archaeologisch-epigraphischen Seminars so gut wie fest genehmigt, wird wohl noch diesen Sommer zum Druck kommen. Du weißt wie viel Werth ich darauf als auf die endgültige dauernde Fixirung des von mir hier Angestrebten lege.«
Im April 1876 war das Statut noch in Ausarbeitung,22 am 17. Mai 1876 ging es zur weiteren Veranlassung an die Fakultät,23 die Vorlage an das k. k. Unterrichtsministerium erfolgte am 14. Juni 1876.24 Die Errichtung des »archäologischepigraphischen Seminars« wurde in den Statuten mit dem 1. Oktober 1876 festgeschrieben. Am 23. Oktober 1876 übermittelt Conze dem Dekanat der philosophischen Fakultät einen Antrag von ihm und Hirschfeld »an das hohe Ministerium betreffend die Unterstützung einer von uns beabsichtigten Zeitschrift« und ersucht um baldige Einreichung (Abb. 2)25. Für erste Inhalte der neuen Zeitschrift war schon gesorgt, denn Conze im oben zitierten Brief vom 29. April 1876 an Michaelis weiter : »Der Schüler Majonica meldet aus Aquileja und Istrien höchst reichliche Ausbeute, Gurlitts Katalog der Sammlung Millosich ist fertig. Wahrscheinlich kommt schon zum Herbst das erste Heft: ›Archaeologisch-epigraphische Mittheilungen aus Oesterreich‹; das soll das Organ für Publikation seitens unsres Instituts (das übrigens wie gesagt Seminar heißen wird) werden.«
Conze hat von Anfang an in seinen Kreisen die AEM bekannt gemacht und für sie geworben, auch bei Rudolf Eitelberger,26 worauf sich wohl die Passage in einem Brief Conzes an Eitelberger vom 1. Mai 187627 bezieht, in der Conze dem »verehrten Herrn Hofrath« einen Besuchstermin vorschlägt, »nicht allein um Sie wieder ein Mal zu sehen, sondern auch um über eine Angelegenheit der archaeologisch-epigraphischen Studien an der Universität und in Oesterreich
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Hans von Steuben (Hrsg.), Adolf Michaelis. Archäologische Reisen in Griechenland 1860 und 1886 (2004). Die Vorgänge lassen sich anhand mehrerer Dokumente im Österreichischen Staatsarchiv nachvollziehen: ÖStA, AVA, MinCU 4, Phil. Fasz. 691 [Archäologisch-Epigraphisches Seminar], 7060 aus 1876. Darin ist sowohl die Entwurfsfassung vom 20. April 1876 mit den Änderungen als auch das schließlich eingereichte Statut vorhanden. Publiziert wurde dieses am Schluss des Heftes 1 von Jahrgang 1 der AEM 1877 auf S. 79 f. UAW, Phil. Dek., Akt 558 ex 1876/77. UAW, Phil. Dek., Akt 601 ex 1875/76. UAW, Phil. Dek., Akt 67 ex 1876/77. Die Erledigung durch das Dekanat erfolgte bereits am nächsten Tag. Rudolf Eitelberger (1817 – 1885), 1864 erster o. Prof. für Kunstgeschichte an der Universität Wien, bedeutender Organisator, Autor und Herausgeber ; Eitelberger-Edelberg Rudolf von, in: ÖBL 1 (1957) 239 f. In seinem großen Werk »Die Kunstbewegung in Oesterreich seit der Pariser Weltausstellung im Jahre 1867«, das 1878 in Wien erschienen ist, referiert von Eitelberger (S. 38) zu den AEM. Wien, Wienbibliothek im Rathaus, I.N. 20.536.
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Abb. 2 Antrag von Alexander Conze und Otto Hirschfeld an das Unterrichtsministerium vom 23. Oktober 1876, Digitalisat UAW.
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überhaupt mit Ihnen zu sprechen.« Und in einem Brief vom 23. Juni 187628 kann er Eitelberger bereits mitteilen: »Die archaeologisch-epigraphischen Mittheilungen aus Oesterreich im Anschlusse (so wollen wir sagen) an die Zeitschrift für oesterreichische Gymnasien29 erscheinen ziemlich gesichert. Die Anschaffung der nöthigen ganz neuen Typen zum Druck der lateinischen Inschriften hat Gerold übernommen. Vor Jahresschluß muß das erste Heft erscheinen.«
Conze ist also sehr optimistisch, was das Erscheinen betrifft, und Druck und Verlag stehen mit Carl Gerold’s Sohn auch schon fest. Die Mitteilungen in der Zeitschrift »sollen in erster Linie auf eigener Anschauung beruhende Originalberichte sein«, so die Herausgeber. Das könnten auch »Reiseberichte von Studirenden« sein, die in der Regel von der Redaktion überarbeitet werden müssten. Weiter wolle man »die in der Provinzialliteratur verstreuten Nachrichten« zusammenfassen, die sonst nur an schwer zugänglichen, weil entlegenen Stellen oder in fremdsprachigen Schriften erschienen, die zudem gering verbreitet wären. Wien sei für ein solches Unterfangen – wohl als Zentrum der Monarchie – am besten geeignet. Zugleich wird bedauert, dass selbst in Wien »eine genügende Centralisation dieser Localpublicationen im Buchhandel« nicht zu erreichen sei. Die Redaktion erbittet daher »um Einsendung auch der geringsten, sei es selbst nur in einem Zeitungsblatte niedergelegten Mittheilung […] an das Archaeologisch-epigraphische Seminar der k. k. Universität Wien«30. Auf die Autoren, für die im Übrigen ein Honorar vorgesehen war, konnte ohne weiteres auch einmal Druck ausgeübt werden: »Hirschfeld wird Ihnen gesagt haben, daß wir jetzt vorwärts müssen mit dem Drucke des ersten Heftes«, so Conze zu Wilhelm Gurlitt31 am 10. Oktober 1876,32 dessen Beitrag im April nämlich noch nicht fertig gewesen war – entgegen der Michaelis gegenüber im vorhin zitierten Brief vom 29. April gemachten Angabe. Wenige Tage später, vom 13. Oktober 1876, datiert ein Brief Conzes an 28 Wien, Wienbibliothek im Rathaus, I.N. 20.538. 29 Die »Zeitschrift für die österreichischen Gymnasien« war eine 1850 erfolgte ministerielle Gründung. Mit ihrer frühen Erscheinungsform ist besonders der Name des Philologen und Schulreformers Hermann Bonitz verbunden. In ihr hat zum Beispiel Alexander Conze während seiner Wiener Jahre archäologische Neuerscheinungen besprochen bzw. rezensiert und sogar seine Antrittsvorlesung an der Universität Wien publiziert (20. Jahrgang, 1869, S. 335 – 347). 30 Die wörtlichen Zitate sind dem Vorwort zu AEM 1, 1877 entnommen. 31 Wilhelm Gurlitt (1844 – 1905) war Schüler Conzes und nach seiner Habilitation in Wien 1875 ab 1877 zunächst als a. o. Prof. erster Lehrstuhlinhaber für Klassische Archäologie an der Universität Graz, ab 1890 o. Prof.; Gurlitt Wilhelm, in: ÖBL 2 (1959), S. 109. 32 Correspondenz-Karte, UAG, NL Gurlitt.
Die Archaeologisch-Epigraphischen Mittheilungen aus Oesterreich
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Mommsen,33 der deutlich werden lässt, wie Mommsen und das Corpus Inscriptionum Latinarum (CIL)34 bei dieser, an sich österreichischen, aber von der Regie her von Deutschen betriebenen Sache Berücksichtigung finden sollten. Otto Hirschfeld war inzwischen von Prag in Wien eingetroffen und Conze hatte tags zuvor mit ihm zum ersten Male Carnuntum »recogniscirt«, wie er sich ausdrückt. »Ich habe auch nicht gesäumt mit Hirschfeld über das Verhältnis des Corpus [also des CIL, Anm. Verf.] zu den von uns unternommenen archaeologisch-epigraphischen Mittheilungen aus Oesterreich zu reden und ihm Ihre An- und Absichten nach den mir mündlich in Berlin gethanen Äußerungen mitzutheilen. Zunächst steht danach aufs Neue fest, daß Hirschfeld, so lange er hier die Sache in der Hand haben wird, und natürlich ganz im Einklange mit mir und dem zunächst in Betracht kommenden Kollegen Benndorf, zwar die hiesigen lokalen Rücksichten nicht ganz außer Augen lassen darf, daß er aber der großen beherrschenden Zwecke des Corpus stets eingedenk sein wird. Wie ich Ihnen schon sagte, denkt er zunächst auch nicht an ein Abdrucken alles hier zum Vorschein Kommenden, sondern nur an ein Herausheben des Wichtigeren. Daß schließlich Alles, Gedrucktes und Ungedrucktes, sammt Ausführung von nöthigen und möglichen Revisionen dem Corpus zur Verfügung steht, versteht sich.«
Es stand also völlig außer Frage, dass Mommsens Corpusprojekt in allem der Vorrang einzuräumen war, was die epigraphische Seite der Zeitschrift betraf. Mommsen selbst hat von 1877 bis 1894 mehrfach mit Zusendungen von Mitteilungen und Artikeln zur Zeitschrift beigetragen und damit ihre Reputation gestärkt. Im letzten Jahrgang 1897 hat man ihm einen »Huldigungsgruß« zugeeignet (Abb. 3),35 zum 30. November 1897 – Mommsens achtzigstem Geburtstag. Der Gruß kam »vom Wiener Arbeitsplatze« – auch das ein deutliches Zeichen der selbstverständlichen Zugehörigkeit der »Redaktion« zu Mommsens Corpusprojekt. In den Briefen der Zeit vor Erscheinen des ersten Heftes von Jahrgang 1, 1877 – der Beginn des Druckes hatte sich bis in den Januar 1877 hinausgezogen,36 herausgekommen ist es im März – wird viel von den Mühen der Herausgeber, zugleich der Redakteure, berichtet. »Jeden Nachmittag Redaktionssitzung. An dem Meisten müssen wir das Beste selbst machen«, so Conze an Benndorf, 28. Januar 1877.37 Oder Hirschfeld an Benndorf in Prag, Dienstag 30. Jänner 33 Alexander Conze aus Wien an Theodor Mommsen in Berlin, 13. Oktober 1876; SBB-PK, HA, Nachlass Theodor Mommsen, K 17 Mappe 2 Bl. 32. 34 Das 1853 gegründete und mit dem ersten Band 1863 von Theodor Mommsen begonnene Publikationswerk zu den lateinischen Inschriften des alten Rom. 35 AEM 20, 1897, (unnumeriert) S. V. 36 Conze an Benndorf, 29. Dezember 1876: »Der Druck des 1. Heftes der ›arch-epigr Mitth aus Oesterreich‹ beginnt in den ersten Januartagen«, ÖNB, HAD, Autogr. 637/40 – 30 Han. 37 ÖNB, HAD, Autogr. 637/41 – 3 Han.
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Abb. 3 »Huldigungsgruß« an Theodor Mommsen, AEM 20, 1897, Widmung.
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Die Archaeologisch-Epigraphischen Mittheilungen aus Oesterreich
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1877:38 »Conze habe ich seit Sonntag nicht gesehen, morgen kommt er zu mir ; wir haben viel mit Redactionsgeschäften zu tun. Auch Du wirst diese Freude bald kennenlernen.« Das ist eine Anspielung auf Benndorfs Nachfolge von Conze im Wiener Ordinariat, dessen Weggang nach Berlin zu diesem Zeitpunkt schon feststand, weshalb Benndorf dann auch schon ab Heft 2 des ersten Jahrgangs 1877 der »Mittheilungen« in die Herausgeberschaft eingetreten ist. Benndorf hat allerdings bereits an dem ersten Heft mit Korrekturen mitgearbeitet, wie die Korrespondenz zeigt.39 Auch das »Preßbureau« der k. k. Polizeidirektion Wien interessierte sich auf seine Weise für die geplante Zeitschrift, wie uns ein Schreiben der beiden Herausgeber Conze und Hirschfeld vom 18. Februar 1877 als Antwort auf eine polizeiliche Nachfrage zeigt.40 Es geht dabei um drei Punkte, nämlich die Häufigkeit des Erscheinens der Zeitschrift – »vorläufig zwei Mal im Jahre, aber nicht zu ganz bestimmt vorher anzugebenden Terminen«; weiter um die genaue Benennung der Redakteure, Conze und Hirschfeld, die bereits bei der Eingabe an das Amt angegeben worden seien; und schließlich um die Staatsbürgerschaft der Redakteure – »daß dieselben in ihrer Eigenschaft als oesterreichische, in Wien ansässige Staatsbürger, speziell als kk. o. ö. Universitätsprofessoren in jeder Hinsicht den in § 12 gestellten Bedingungen zu entsprechen glauben.« Geradezu missmutig denkt Conze an die »Heiden-, Höllen- oder wie man sonst will -Arbeit«, wie er sich gegenüber Michaelis am 4. März 1877 brieflich ausdrückt,41 welche die Mitarbeiter (»außer Justi natürlich!«, »Ich schätze sie übrigens wenig«, so Conze ebenda) den Herausgebern bzw. der Redaktion gemacht hätten. Conze weiter : »Das ist das Schlimme bei so einem Unternehmen in Oesterreich, daß man gar keinen alten Stamm hat, lauter Neulinge oder, was schlimmer, alte E[sel], die mit aller möglichen Rücksicht genießbar gemacht werden müssen. Die Publikation wird mehr als sonst üblich und unsichtbar eine großentheils von den Redakteuren gemachte Arbeit sein. Ich habe den 1. Bogen mit dem letzten imprimatur hinterlassen; Hirschfeld ist so freundlich allein für den Rest zu stehen, was Drucklegung anlangt.«
Am 18. März 1877 aber kann Conze seinem Freund Michaelis nach Straßburg, wenngleich mit gedämpfter Freude, schreiben:42 38 ÖNB, HAD, Autogr. 645/25 – 1 Han. 39 z. B. ein Brief Conzes an Benndorf, 11. Februar 1877, mit dem Ersuchen, »die Vorrede zu unserer Zeitschrift« »sachlich und stilistisch« zu korrigieren. »Der Druck des Heftes ist schon weit«, ÖNB, HAD, Autogr. 637/41 – 4 Han. 40 Archiv IfAGAPE, Institutsakten 1876 – 1880; wörtlich zitiert ist aus den Antworten der »Redakteure« Conze und Hirschfeld, die beide das Schreiben unterzeichnet haben. 41 Conze aus Udine an Michaelis in Straßburg; DAI Berlin, Archiv, NL Michaelis. 42 Conze aus San Remo an Michaelis in Straßburg; DAI Berlin, Archiv, NL Michaelis.
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»Das 1. Heft der ›Mittheilungen aus Oesterreich‹43 ist in meinen Händen. Ländlich schändlich! einige Druckversehen grade in meinem Aufsatze, dessen Druck ich nicht mehr mitmachte. An Deinem Urtheile liegt mir natürlich sehr.«
So sehr, dass die Herausgeber Michaelis baten, eine Anzeige des ersten Bandes der AEM in der Jenaer Literaturzeitung zu verfassen. Conze an Michaelis am 19. Mai 1877:44 »Es ist besonders für das Ministerium hier, das bei seinem sonstigen Horror vor den Deutschen auf deutsche Stimmen über das, was hier geschieht, recht horcht.«
Und Conze etwa einen Monat später :45 »Daß Du uns anzeigen willst, ist sehr gut von Dir ; denk nur, Du schreibst ein bischen auch für das Ministerium hier : Die Ehrenpflicht hier in diesen Dingen zu thun [sic] und dann laß wo möglich Etwas von Wien als ›Centrum‹ oder mindestens ›Mittelpunkt‹ solcher Erforschung der umliegenden Lande vorkommen. Das ist eine Lieblingsvorstellung. Natürlich von uns persönlich möglichst Nichts, statt dessen Wien, die Universität etc.«,
so Conzes Vorgaben. Michaelis hat die gewünschte Besprechung im Sinne Conzes auf sehr elegante Art verfasst, sodass sie zu dessen und Hirschfelds vollster Zufriedenheit in der Nummer 28 der Jenaer Literaturzeitung des Jahres 1877 erscheinen konnte.46 Zahlreich sind Stellen in Briefen, wo es um das Anregen von Beiträgen geht, oder wo deren Werdegang dokumentiert ist. Zu unserem Glück kommunizieren die Herausgeber auch untereinander vielfach schriftlich, und so verfügen wir über mancherlei Details zu Artikeln sowie Autoren und kennen manche Fälle, die uns sonst verborgen wären, und wir hören gewissermaßen die Redaktion im Originalton, so zum Beispiel Hirschfeld an Benndorf, 30. Mai 1877:47
43 Es geht um das erste Heft von Jahrgang 1 (1877), das bis Seite 80 reicht. Die Seiten 81 bis 172 bilden Heft 2 von Jahrgang 1 (Fußzeile auf Seite 81 »Archäologisch-epigraphische Mitth. II«, wobei II das Heft 2 meint). – Im noch vorhandenen »Inventarium des archaeologischen Lehrapparats der k. k. Universität Wien am 24. März 1870 und Akzessionen seitdem« (Archiv IfAGAPE) ist der Eingang des ersten Heftes mit der Nummer 759 für den 30. März 1877 vermerkt; Heft 2 des ersten Jahrganges kam nach Ausweis des Inventariums (fol. 31) am 13. Juni 1878 in zwei Exemplaren unter Nummer 1038 und 1038a in den Lehrapparat – alle Hefte als »Geschenk der Redaction«. 44 Conze aus Wien an Michaelis in Straßburg; DAI Berlin, Archiv, NL Michaelis. 45 Conze an Michaelis, 16. Juni 1877; DAI Berlin, Archiv, NL Michaelis. 46 S. 444 f.; http://zs.thulb.uni-jena.de/receive/jportal_jparticle_00236776 (aufgerufen 13. 12. 2013). – Es gab großes Lob der beiden Herausgeber für Michaelis, wie zwei Briefe vom 8. und 18. Juli 1877 an ihn zeigen: DAI Berlin, Archiv, NL Michaelis. 47 ÖNB, HAD, Autogr. 645/25 – 10 Han (Zitat nach Abschrift). Die im Folgenden von Hirschfeld angesprochenen Beiträge kamen in Heft 2 des Jahrganges 1 (1877) zum Abdruck.
Die Archaeologisch-Epigraphischen Mittheilungen aus Oesterreich
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»Michaelis hat einen Aufsatz in Aussicht gestellt;48 ich freue mich immer, wenn auch Auswärtige daran teilnehmen. Auch Mommsen hat mir unaufgefordert eine kleine Notiz gesandt;49 von Schoell50 in Strassburg kommt ebenfalls etwas für das zweite Heft.51 Wir müssen suchen, der Zeitschrift einen besseren Namen zu machen, als ihn die Mitteilungen der k. k. Centralcommission haben. Aber die Verhältnisse hier sind recht schwierig52 ; wir werden darüber noch oft zu sprechen haben.«
Oder erneut Hirschfeld aus Wien an Benndorf in Prag, 23. September 1877:53 »Möchtest Du nur bald von Prag loskommen; Du wirst hier viel mit Besuchen etc. zu tun haben und ich möchte gern wegen des zweiten Heftes baldmöglichst mit Dir sprechen. Conze ist abgereist, ohne mir eine Notiz zu lassen, ob noch archäologisches Manuscript vorhanden ist; hat er Dir etwas davon gesagt? In der Druckerei weiß man auch nichts. Im November muss das Heft heraus; wegen der Auszüge aus den Zeitschriften müssen wir gemeinschaftlich die Anordnungen treffen. Das epigraphische Material bereite ich jetzt vor. Also komme so bald Du kannst.«
Man arbeitete beflissen an der Profilbildung, man wollte »international« operieren. Dies ist in beträchtlichem Maße durchaus gelungen, denn unter den 127 Autoren, die für die zwanzig Jahrgänge der AEM insgesamt 403 Beiträge auf 4523 Seiten lieferten, sind neben Angehörigen der multiethnischen k. k. Monarchie auch solche aus benachbarten Staaten wie Italien oder Belgien und nicht zuletzt aus dem Deutschen Reich vertreten. Von dort stammten schließlich alle Herausgeber der Archaeologisch-Epigraphischen Mittheilungen aus Oesterreich bzw. »aus Oesterreich-Ungarn«, wie sie seit dem 8. Jahrgang 1884 hießen: Alexander Conze, Otto Hirschfeld, Otto Benndorf und Eugen Bormann54. Und sie, die deutschen Gründerväter unserer Fächer hierzulande, so darf man sagen, sind auch diejenigen, die am meisten zum Bestand der AEM beigetragen haben; neben ganz wenigen anderen, Nicht-Deutschen, die auch viel beisteuerten – wie Alfred von Domaszewski,55 Theodor Gomperz,56 Wilhelm Kubitschek,57 Anton 48 Ad. Michaelis, Die Priaposara des Euporus aus Aquileja, AEM 1, 1877, S. 81 – 95. 49 Th. Mommsen, Mittheilungen aus Handschriften, AEM 1, 1877, S. 126. 50 Rudolf Schöll (1844 – 1893), Philologe, damals Professor in Straßburg und somit Kollege von Adolf Michaelis; Schöll, Rudolf, in: ADB 54 (1908), S. 140 – 148 (Bruno Keil). 51 R. Schoell, [ohne Titel, »Handschriftliche Mittheilung«], AEM 1, 1877, S. 126 – 130. 52 Die Verhältnisse in Wien und Österreich nämlich. Das ist wohl als Anspielung darauf zu sehen, was Hirschfeld im ersten Absatz desselben Briefes Benndorf mitteilt: »Schon allein durch den Umstand, daß man hier ist, hat man schon einen Grad Feinde gegen sich, die man gar nicht kennt.« 53 ÖNB, HAD, Autogr. 645/25 – 15 Han (Zitat nach Abschrift). 54 Eugen Bormann (1842 – 1917), Althistoriker und Epigraphiker, 1881 o. Prof. für Alte Geschichte und Klassische Philologie in Marburg/Lahn, 1885 als Nachfolger von Otto Hirschfeld Professor für Alte Geschichte und Epigraphik in Wien; Bormann, Eugen, in: NDB 2 (1955), S. 465 (Artur Betz). – Vgl. Anm. 4. 55 Alfred von Domaszewski (1856 – 1927), Philologe und Althistoriker ; Domaszewski, Alfred von, in: DNP Suppl. 6, Sp. 316 f. (Martina Pesditschek).
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von Premerstein,58 Robert (von) Schneider,59 Franz Studniczka,60 Emil Szanto,61 Grigore George Tocilescu.62 Es gab also eine nicht sehr große Anzahl von Autoren, die vergleichsweise viel beigetragen haben, auch solche, die über die Jahre immer wieder etwas an die »Mittheilungen« lieferten, es gab aber viele, die nur einmal in den Inhaltsverzeichnissen bzw. im Autoren-Register unserer Zeitschrift erscheinen, nämlich 56 – fast die Hälfte aller Autoren, darunter prominente Namen wie Carl Justi,63 Adolf Michaelis, Franz Cumont,64 Carl Freiherr von Hauser ;65 und sogar Verstorbene, denn als kleines Kuriosum kann ein etwa halbseitiger Beitrag am Schluss von Heft 1 des ersten Jahrganges angeführt werden mit dem Titel »Zu Corpus Inscriptionum Graecarum II, p. 111b«66. Es geht um eine »an Herrn Hofrath Grimm« adressirte eigenhändige Notiz Böckh’s« vom 4. Dezember 1847 56 Theodor Gomperz (1832 – 1912), 1873 – 1900 Ordinarius der Klassischen Philologie in Wien; Gomperz, Theodor, in: DNP Suppl. 6, Sp. 481 – 483 (Hans-Ulrich Berner – Manfred Landfester). 57 Wilhelm Kubitschek (1858 – 1936), Klassischer Philologe, Althistoriker, Epigraphiker, Numismatiker, Archäologe, Schüler Benndorfs und Hirschfelds in Wien, 1896 a. o. Prof. für römische Altertumskunde in Graz, ab 1897 in Wien, 1916 Ordinarius; ab 1897 Kustos und später Direktor des Münzkabinetts in Wien; Kubitschek, Wilhelm, in: DNP Suppl. 6, Sp. 674 f. (Martina Pesditschek). 58 Anton von Premerstein (1869 – 1935), Altertumswissenschaftler, bes. Epigraphiker, Schüler Eugen Bormanns; Premerstein, Anton von, in: DNP Suppl. 6, Sp. 1018 f. (Volker Losemann). 59 Robert (von) Schneider (1854 – 1909), Klassischer Archäologe, ein Schüler Conzes und Benndorfs, Stipendiat des AES der Jahre 1877 – 1878, später unter anderem Direktor der Antikensammlung des Kunsthistorischen Museums in Wien, Universitätsprofessor und nach Otto Benndorfs Tod 1907 dessen Nachfolger als Direktor des Österreichischen Archäologischen Instituts; Rudolf Noll, Robert von Schneider 1854 – 1909, in: Reinhard Lullies – Wolfgang Schiering (Hg.), Archäologenbildnisse. Porträts und Kurzbiographien von Klassischen Archäologen deutscher Sprache (1988), S. 114 f. 60 Franz Studniczka (1860 – 1929), Klassischer Archäologe, studierte bei Benndorf, nach Assistenz und Habilitation in Wien Professuren ab 1889 in Freiburg und ab 1896 in Leipzig; Studniczka, Franz, in: DNP Suppl. 6, Sp. 1202 – 1204 (Hans-Ulrich Cain). 61 Emil Szanto (1857 – 1904), Klassischer Archäologe und Epigraphiker, Rechtshistoriker ; Szanto (Szntû), Emil, in: ÖBL 14 (2012), S. 114 (Martina Pesditschek). 62 Grigore George Tocilescu (1850 – 1909), Historiker, Archäologe und Epigraphiker, studierte in Prag und Wien, 1881 Professur für Alte Geschichte und Epigraphik in Bukarest. 63 Carl Justi (1832 – 1912), Kunsthistoriker und Philosoph, ab 1872 Professur für Kunstgeschichte in Bonn; Justi, Karl, in: NDB 10 (1974), S. 705 f. (Wolfgang Freiherr von Löhneysen). 64 Franz Cumont (1868 – 1947), Klassischer Archäologe, Philologe, Religionshistoriker und Epigraphiker ; Cumont, Franz, in: DNP Suppl. 6, Sp. 260 – 262 (Danny Praet). 65 Carl Freiherr von Hauser (1821 – 1905), Denkmalpfleger, Jurist, 1880 – 1899 Sekretär des Kärntner Geschichtsvereins. 66 Im Inhaltsverzeichnis von AEM I (1877) nur »Zu Corpus Inscriptionum Graecarum II« und ohne Nennung eines Verfassers. Als solcher erscheint indes der klangvolle Name August Böckhs im Register-Band mit der Verschreibung von 111b zu 1116 und mit I 67 statt I 78 falscher Seitenangabe: Salomon Frankfurter, Register zu den Archaeologisch-Epigraphischen Mittheilungen aus Oesterreich-Ungarn, Jahrgang I – XX (1902), S. 1.
Die Archaeologisch-Epigraphischen Mittheilungen aus Oesterreich
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– zwanzig Jahre vor Böckhs67 Tod und dreißig Jahre vor dem ersten Heft der AEM –, die sich im betreffenden Band des CIG in der Bibliothek des ArchaeologischEpigraphischen Seminars befand. Das Erfreuliche: der Zettel mit der Notiz und Unterschrift Böckhs (Abb. 4) ist nach wie vor an Ort und Stelle im genannten Inschriften-Band.68
Abb. 4 handschriftliche Notiz von August Böckh vom 4. Dezember 1847.
Dass in den AEM keine einzige Autorin aufscheint, darf nicht wundern, waren doch die Altertumswissenschaften jener Zeit und noch weit darüber hinaus »Männersache«. Es dauerte bis 1921, dass die erste Frau an der Wiener Universität in Klassischer Archäologie promovierte, nämlich Gisela Weyde,69 heute weitgehend vergessen. 67 August Böckh (1785 – 1867), Philologe und Altertumsforscher, Initiator des Corpus Inscriptionum Graecarum (CIG); Boeckh, August, in: ADB 2 (1875), S. 770 – 783 (Karl Bernhard Stark); Boeckh, August, in: NDB 2 (1955), S. 366 f. (Walther Vetter); Boeckh, August, in: DNP Suppl. 6, Sp. 119 – 122 (Mathias Hernes). 68 Fachbibliothek des Instituts für Alte Geschichte und Altertumskunde, Papyrologie und Epigraphik der Universität Wien. Nach Ausweis des von Alexander Conze mit 24. März 1870 begonnenen »Inventariums« – heute im nämlichen Institut aufbewahrt – ist das CIG erst am 26. Mai 1874 inventarisiert worden. Es könnte demnach einen Vorbesitzer gehabt haben, vielleicht jenen »Hofrath Grimm«. Dass sich hinter dem Adressaten Jacob Grimm verbergen könnte, ist zwar möglich, aber nicht erwiesen. 69 Gisela Leweke-Weyde (1894 – 1984), Kunsthistorikerin und Archäologin, Malerin, Grafikerin und Restauratorin. http://digital.slub-dresden.de/fileadmin/data/332568849/332568849_tif/ jpegs/332568849.pdf (aufgerufen 13. 12. 2013).
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Es lag natürlich nahe, dass man seitens der Herausgeber immer auch in den eigenen Kreisen, oder sagen wir Netzwerken, um Autoren bemüht war, und natürlich waren die Angehörigen des Seminars, Studierende bzw. Stipendiaten dazu angehalten, für die AEM tätig zu werden.70 Was indes einigermaßen erstaunt ist die Tatsache, dass der Gründer selbst, Alexander Conze, nur im ersten Band und dann nur noch einmal im zweiten mit – zudem ziemlich kurzen – Texten aufscheint, später aber nie wieder, übrigens auch nicht in den ab 1898 in Nachfolge der AEM erschienenen Jahresheften des Österreichischen Archäologischen Instituts. Jahrgang 1
Archäologie 12
Epigraphik 11
Philologie 1
2 3
14 11
4 10
1
4 5
12 7
9 9
1
1 1
6 7
7 6
7 12
1 a
1
8 9
6 5
25 6
1
1
3
10 11
7 5
14 10
1
1 1
1 2
12 13
8 9
12 16
2 2
1 4
1 1
14 15
6 10
16 18
2 1
4 3
1 2
16 17
7 5
13 19
1 2
1 2
1 1
18 19
7 5
5 15
1
2 4
2
20
6 155
8 239
3 18
4 29
21
Historie 2
Topographie 1 1 2 1 1 1
Abb. 5 Fachbereiche der Beiträge in den AEM, Tabelle H. Zahradnik.
70 Im Jahresbericht Conzes an das Unterrichtsministerium vom 23. Juli 1877 ist ausdrücklich die Rede davon, »Daß eine Anzahl von Arbeiten, welche aus den Übungen der vorigen Jahre hervorgewachsen sind, in diesem Studienjahre in dem neugegründeten Organe des Seminars, den ›archaeologisch-epigraphischen Mittheilungen aus Oesterreich‹, zum Drucke gelangten«; ÖStA, AVA, MinCU 4, Phil. Fasz. 691 [Archäologisch-Epigraphisches Seminar], 12527 aus 1877.
Die Archaeologisch-Epigraphischen Mittheilungen aus Oesterreich
255
Überraschen mag das Ergebnis einer statistischen Auswertung der Artikel in den AEM nach Fachzuordnungen. Es zeigt sich (Abb. 5) nämlich ein deutlicher Überhang zugunsten epigraphischer Beiträge gegenüber archäologischen, wobei die weiteren Disziplinen, die Philologie und Geschichte sowie Topographie insgesamt betrachtet nicht sehr viel Gewicht haben und zum Teil überhaupt nur aus einigen Mehrfachzuordnungen bei der fachlichen Ausrichtung resultieren. Drei numismatische Artikel habe ich stillschweigend der Archäologie zugeordnet.71 Bei der Archäologie habe ich nicht zwischen der Feldarchäologie, also der Ausgrabungsarchäologie, und der betrachtenden Kunstarchäologie differenziert, sondern beide zusammengefasst. Dass die Epigraphik in der Zeitschrift gegenüber der Archäologie derart dominierte, hängt in der Hauptsache wohl mit der engen Verbindung ihrer Redaktion mit dem Corpusprojekt zusammen, für das Material zu liefern man in Wien sich stets bemüht hat, wovon schon die Rede war. Und damit wiederum haben die Studienreisen zu tun, auf welche Studierende und Stipendiaten geschickt wurden, damit sie in den Städten und Dörfern nach Antiken, insbesondere Inschriften suchen sollten. Die Früchte solcher Exkursionen fanden in die AEM Eingang, wie ein Bericht von Heinrich Maionica72 und Robert Schneider bereits im zweiten Heft des ersten Jahrgangs73 – beide waren damals Stipendiaten des Archaeologisch-Epigraphischen Seminars. Einleitend schreiben sie: »Auf folgenden Blättern berichten wir über die Ergebnisse einer Reise im westlichen Ungarn, welche wir in der ersten Hälfte des Monates August 1877 im Auftrage des archäologisch-epigraphischen Seminars unternommen haben. Dieser Bericht ist von uns beiden gemeinsam, bis auf die specieller epigraphischen Partieen, welche von dem Erstunterzeichneten [nämlich Maionica, Anm. Verf.] herrühren.«
Hören wir Robert Schneider in einem Brief an Wilhelm Gurlitt in Graz, 25. Oktober 1877,74 in dem es um die nämliche Erkundungsreise geht:
71 An sich sollten in den AEM die Numismatik wie ebenso »die sogenannten praehistorischen Alterthümer« weitgehend unberücksichtigt bleiben. Für Erstere gab es seit 1869 die Wiener numismatische Zeitschrift, für Letztere die Mitteilungen der Wiener anthropologischen Gesellschaft (ab 1871) und natürlich die bereits eingangs genannten Publikationen der Central-Commission; AEM 1, 1877, Vorwort S. III. 72 Heinrich (auch Enrico) Maionica (1853 – 1916), studierte in Wien bei Alexander Conze und Otto Benndorf, erster Bibliothekar des Archaeologisch-Epigraphischen Seminars der Jahre 1876 – 1877 sowie Stipendiat von 1877 – 1879, Gründer und ab 1882 Leiter des Museums von Aquileja, k. k. Conservator der Central-Commission. 73 E. Maionica und R. Schneider, Bericht über eine Reise im westlichen Ungarn, AEM 1, 1877, S. 145 – 171, mit »Schluss« fortgesetzt in AEM 2, 1878, S. 9 – 17. 74 UAG, NL Gurlitt. Die Kenntnis dieses Briefes verdanke ich Hubert Szemethy.
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Karl R. Krierer
»Sie sind, Herr Professor, so freundlich, sich für unsere pannonische Fahrt zu interessiren. Wir arbeiten gegenwärtig an dem Bericht für die ›Mittheilungen‹. Neue Funde an Inschriften brachten wir genug mit und die Bildwerke dieser Gegend sind ja vollends unbekannt.«
Nicht nur mit diesen Reiseberichten, auch mit Fundberichten aus den verschiedenen Regionen, mit Berichten über ferner wegführende archäologische Expeditionen, mit Ausgrabungsberichten, mit Zusendungen archäologischer und epigraphischer Natur, Materialvorlagen, mit zahlreichen Studien, tiefgründigen Analysen, mit Illustrationen im Text wie auf Tafeln und manchem mehr hat diese Zeitschrift gewiss dem entsprochen, was Alexander Conze und Otto Hirschfeld sich in ihrem Vorwort zum ersten Heft im Februar 1877 mit ihr vorgenommen hatten. Vom redaktionellen Kontakt zur Leserschaft bzw. zu Abonnenten existieren noch schriftliche Zeugnisse, so etwa einzelne Briefe. »Schließlich bitte ich, dem Joanneum=Cabinete jederzeit die ›Arch=ep. Mittheilungen‹ direkt zugehen zu lassen gegen Abrechnung in Buchhandlung K. Wolfarth in Grätz.«75 Auch Körperschaften wie Vereine gehörten zum Bezieherkreis der AEM, so der »Verein von Alterthumsfreunden im Rheinlande zu Bonn«76 und der »Verein für Landeskunde von Niederösterreich«77. Auch Zuschriften an die Redaktion mit Beitragsangeboten für die AEM sind erhalten geblieben wie jene des Leonhard Böhm aus Ungarisch Weißkirchen vom 17. Februar 1880,78 der eine »Beschreibung der am linken Donauufer, von Pancsova bis Orsova befindlichen Alterthümer« verfasst hatte, die von der Redaktion angenommen und in einer von Wilhelm Kubitschek bearbeiteten Fassung abgedruckt wurde.79 Dass die Zeitschrift sich nicht allein an ein Fachpublikum richten wollte, sondern zum Beispiel auch an Schüler in den Gymnasien, zeigt eine Stelle in einem Brief Conzes an Benndorf vom 18. Juni 1878:80 »Vom Linzer Ledarelief weiß ich weiter Nichts; publicirt ist es glaube ich nicht. Seine Publikation in den Mittheilungen würde diese, wie Hirschfeld schon ein Mal fürchtete, für Gymnasien wenig empfehlen. Das Ding ist doch auch wirklich gräßlich.« 75 Dr. Fritz Pichler, Münzen- & Antiken Cabinet Joanneum, an das AES, 13. Juni 1879; Archiv IfAGAPE, Correspondenz 1876 – 1885. 76 Schreiben vom 22. März 1880; Archiv IfAGAPE, Correspondenz 1876 – 1885. 77 Sekretariat Dr. Ant. Mayer, Brief vom 28. Juli 1880; Archiv IfAGAPE, Correspondenz 1876 – 1885. 78 Archiv IfAGAPE, Correspondenz 1876 – 1885. 79 Leonhard Böhm, Alterthümer längs der Donau von Pancsova bis Orsova, AEM 4, 1880, S. 174 – 184. Der Hinweis darauf, dass es sich um einen Auszug handle, wird am Anfang des Artikels in Anmerkung * gegeben. 80 ÖNB, HAD, Autogr. 637/42 – 30 Han.
Die Archaeologisch-Epigraphischen Mittheilungen aus Oesterreich
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Das Relief wurde – trotz Conzes Bedenken – in Band 2 der AEM von Heinrich Maionica mit Taf. IX publiziert.81 Als Salomon Frankfurter82 im Jahr 1902 ein Gesamtregister zu allen zwanzig Jahrgängen der »Archaeologisch-Epigraphischen Mittheilungen« fertiggestellt und beim k. u. k. Hof- und Universitäts-Buchhändler Alfred Hölder, Wien I, Rothenturmstraße 13 herausbrachte, hatte diese Zeitschrift schon fünf Jahre nicht mehr bestanden. Sie war eingestellt worden, um etwas anderem, einem vielleicht mehr zeitgemäßen, im internationalen Vergleich konkurrenzfähigeren Format Platz zu machen: den Jahresheften des Österreichischen Archäologischen Instituts (ÖJh),83 1898 von Otto Benndorf gegründet. Am 20. Dezember 1897 schreibt Benndorf an Wilhelm Gurlitt in Graz:84 »Mit dem in diesen Tagen fertigen 20. Bande gehen unsere Mittheilungen ein, Frankfurter arbeitet einen Generalindex dazu. Statt dessen sollen nun gut ausgestattete ›Jahreshefte des österreichischen archäologischen Institutes‹ in Quart, 2 im Jahre, der Bogen mit 16 Gulden Honorar und 50 Gratisseparata, erscheinen bei Hoelder, gedruckt von Rohrer in Brünn. Ein Beiblatt soll Berichte über Grabungen und von den Provincialsammlungen den wichtigsten Zuwachs, das Hauptblatt Abhandlungen, vor Allem mehr Archaeologisches, bringen.«
Vielleicht also hat auch die stete Dominanz der Epigraphik in den AEM Benndorfs Entscheidung etwas mitmotiviert, auf jeden Fall aber bestand mit der Aufnahme der permanenten Ausgrabungen in Ephesos im Jahr 1895 der Bedarf nach einem großzügigeren Publikationsformat als die diesbezüglich eher bescheidenen AEM es waren. In einem Brief Hirschfelds an Benndorf aus Berlin Charlottenburg vom 17. April 189885 treten die AEM nochmals in Erscheinung: »[…] umsomehr, als Dir diese Zeilen zugleich meinen Dank und meinen Glückwunsch zu dem ersten stattlichen und inhaltreichen Heft des Oesterreichischen Archäologischen Instituts aussprechen sollen, das ich Deiner Güte verdanke. Dass die archaeologisch-epigraphischen Mittheilungen damit verschwinden, ist mir ein etwas wehmütiger Gedanken und ich habe auch in Paris von verschiedenen Seiten einen Ausdruck des Bedauerns darüber gehört. Aber 2 Zeitschriften wären allerdings wohl zuviel gewesen und hoffentlich finden auch die einheimischen epigraphischen Interessen in der neuen Zeitschrift eine gastliche Heimstätte.«
Die Phase des Übergangs von den AEM zu den ÖJh ließe sich mithilfe von Korrespondenz ganz gut schildern, denn es waren offenbar nicht alle mit der 81 Enrico Maionica, Ledarelief aus Enns, AEM 2, 1878, S. 164 – 165 Taf. IX. 82 Salomon Frankfurter (1856 – 1941), Philologe und Epigraphiker, studierte am AES, war Bibliothekar an der Universität Wien, 1919 – 1923 Direktor der Universitätsbibliothek. 83 Erscheinungsverlauf 1, 1898 bis dato, aktuell ist ÖJh 82, 2013 (2014). 84 UAG, NL Gurlitt. 85 ÖNB, HAD, Autogr. 645/29 – 12 Han (Zitat nach Abschrift).
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Karl R. Krierer
Abschaffung der AEM und der Neuerung glücklich, und Benndorf musste sich deswegen rechtfertigen. Es war ja in der Tat ein radikaler Schritt, eine gut eingeführte Institutszeitschrift aufzugeben und an ihre Stelle eine von dem neugeschaffenen Forschungsinstitut herausgegebene zu setzen. Deren Geschichte aufzuarbeiten und ihre Inhalte zu analysieren, bleibt einer anderen Untersuchung überlassen.
Abkürzungen ADB AEM AES Archiv IfAGAPE DAI Berlin, Archiv, NL Michaelis DNP Suppl. 6
NDB ÖBL ÖNB, HAD, Autogr.
ÖStA, AVA, MinCU SBB-PK, HA UAG, NL Gurlitt UAW, Phil. Dek. Wurzbach
Allgemeine Deutsche Biographie Archaeologisch-Epigraphische Mittheilungen aus Oesterreich Archaeologisch-Epigraphisches Seminar Archiv des Instituts für Alte Geschichte und Altertumskunde, Papyrologie und Epigraphik der Universität Wien Archiv des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) Berlin, Nachlass Adolf Michaelis, Kasten 1, Conze, 1876 – 1877 Peter Kuhlmann – Helmuth Schneider (Hrsg.), Geschichte der Altertumswissenschaften. Biographisches Werklexikon, Der Neue Pauly, Supplemente 6 (2012) Neue Deutsche Biographie Österreichisches Biographisches Lexikon 1815 – 1950 Österreichische Nationalbibliothek, Sammlung von Handschriften und alten Drucken, Autographe Österreichisches Staatsarchiv, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Ministerium für Cultus und Unterricht Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, Handschriftenabteilung Archiv der Universität Graz, Nachlass Wilhelm Gurlitt Archiv der Universität Wien, Akten des Dekanats der philosophischen Fakultät Constant von Wurzbach-Tannenberg, Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Richard Kurdiovsky
Wissenschaft in Anwendung. Kunst- und Architekturgeschichte in Christian Ludwig Försters Allgemeiner Bauzeitung
Architekturzeitschriften sind keine Orte des kunsthistorischen Wissenschaftsdiskurses – von technologischen Themen, die hier explizit ausgeklammert werden, abgesehen. Sehr wohl aber sind Architekturzeitschriften Orte der Information (von Architekten, Bauherren, Baubeamten etc.) und Orte der Präsentation von Wissen, das anhand wissenschaftlicher Kriterien erworben wurde (z. B. Materialsammlungen) und das einer Fach-Öffentlichkeit zur Verfügung stehen kann (z. B. Denkmalpflegern oder Restauratoren). Und sie sind Orte der Repräsentation: von Wissenschaftlern, Forschenden, indem deren Erkenntnisse und Produkte, wie beispielsweise neu erschienene Prachtpublikationen und Werbeankündigungen veröffentlicht werden, mit denen sich auch ökonomisches Interesse verbindet. Dementsprechend umfasst das Publikum, das von Architekturzeitschriften angesprochen werden kann oder soll, alle an Architektur beteiligten Personen: vorrangig Architekten, aber auch Baumeister und Handwerker bzw. am Bau beteiligte Techniker sowie Baubeamte und Vertreter von Baubehörden als administrative Organe. Neben den eigentlich Ausführenden gehören auch Auftraggeber, Bauherren und Nutzer ebenso wie Kritiker, Rezensenten, Theoretiker und schließlich bis heute auch Wissenschaftler zum Zielpublikum. Obschon Architekturzeitschriften kein eigentlich wissenschaftliches Medium darstellen, verknüpfen doch schon am Beginn dieses Mediums gewisse Bande das Fach der Architektur mit dem der Wissenschaft: Bereits in der ersten deutschsprachigen Architekturzeitschrift Allgemeines Magazin für die bürgerliche Baukunst, die Johann Gottfried Huth, Physik- und Mathematikprofessor in Frankfurt an der Oder, ab 1789 herausgab, wurde methodisch auf Wissenschaft Bezug genommen. Denn der Grund, warum dieses Magazin herausgeben werde, sei unter anderem, um »[…] die Methode des genaueren Prüfens, des Ergründens, des Selbstdenkens, Selbstbeobachtens, Selbstbeurtheilens, Selbsterfindens mehr in Gang zu bringen […]«.1 Es geht also um grundlegende Qualitäten 1 Johann Gottfried Huth, Einleitung, in: Allgemeines Magazin für die bürgerliche Baukunst 1
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wissenschaftlicher Arbeit, die auch in architektonischen Bereichen angewendet werden sollen. Darüber hinaus verbindet sich im Rückblick betrachtet das Allgemeine Magazin auch wegen seines Inhalts mit der Entwicklung des Wissenschaftsfaches Kunstgeschichte, wurde doch hier ein früher Nachdruck von Goethes Aufsatz Über deutsche Baukunst gebracht, der die Rezeption gotischer Architektur initiierte.2 Aber auch im fortgeschrittenen 19. Jahrhundert, dem Zeitalter des (architekturgeschichtlichen) »Historismus«, mussten architekturhistorische Forschungen schöpferisch tätige Architekten zwangsläufig interessieren. Materialpräsentationen und Denkmalsammlungen boten jenen Fundus an historischen Architekturformen und vorbildlichen Gestaltungsprinzipien, die mehr oder weniger unmittelbar in der eigenen künstlerischen Arbeit umgesetzt werden konnten. Dabei wurden diese »Quellen«-Sammlungen in Form von Bauaufnahmen oft im Rahmen des Architekturunterrichtes an künstlerischen Akademien angelegt wie beispielsweise in der Klasse des Neugotikers Friedrich Schmidt in Form der Wiener Bauhütte. An der kunstwissenschaftlich relevanten Materialsammlung beteiligt waren Architekten und damit Künstler bis weit ins 19. Jahrhundert hinein, wie anhand des Beispiels Polychromiestreit im Folgenden auch gezeigt wird. Als einem Beispiel unter vielen liegt der Fokus im Folgenden auf der Allgemeinen Bauzeitung, die ab 1836 vom Architekten Christian Ludwig Förster in Wien herausgegeben wurde. Sie gehörte zu den wichtigsten Publikationsorganen der Habsburgermonarchie und von drucktechnischer Seite auch international zu den Spitzenprodukten ihres Genres. Gerade diese Zeitschrift lässt sich heutzutage leicht erforschen, weil sie über den digitalen Lesesaal der Österreichischen Nationalbibliothek zugänglich und ihr Inhaltsverzeichnis mit Volltextsuche erschlossen ist.3 Aufgrund der enormen Materialfülle dieses Periodikums (es erschien mit 83 Jahrgängen immerhin bis 1918) musste eine thematische Auswahl, die in gewisser Weise beliebig ist, getroffen werden. Ich habe drei Zeitschnitte gesetzt: einen zum Erscheinungsbeginn der Allgemeinen Bauzeitung in den 1830er Jahren, einen zweiten um die Jahrhundertmitte und einen dritten gegen Ende des Jahrhunderts. Sie sind mit drei thematischen Fragestellungen verknüpft (Polychromiestreit, Handbuch als kunsthistorische Publikationsform und kunsthistorische Autorenschaft), die für das Architekturgeschehen der jeweiligen Zeit und für die Entwicklung der Wissenschaftsdisziplin Kunstgeschichte von Bedeutung sind und das Spektrum der in diesem Band versammelten Fragestellungen um einen rezeptionsgeschichtlichen Aspekt ergänzt. (1789), zitiert nach: Fuhlrott 1975, S. 25. 2 Froschauer 2011, S. 283. 3 http://anno.onb.ac.at/ [28. 01. 2014].
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In den einleitenden Worten, mit denen Förster 1836 den Eintritt seiner Allgemeinen Bauzeitung in die europäische Architekturkultur begleitete, erwähnte er, daß die neu eingeführte Zeitschrift »zum Zweck der Unterhaltung [auch] manches Geschichtliche über Baukunst und Bauwerke, sowie über Architekten« enthalten werde4 – also Kunsthistorisches nur fürs Vergnügen? Der Blick auf ein anderes Kunst-Medium, die Zeitschrift für bildende Kunst (ab 1866 von Carl Lützow, Dozenten und Bibliothekar der Akademie der bildenden Künste in Wien, herausgegeben),5 zeigt, dass die Gründe, warum kunstwissenschaftliches Wissen einem größeren Publikum vorgestellt werden soll, vielfältiger und tiefer gehend sein können. So wolle man das »allgemeine Verlangen nach ästhetischer Bildung und kunstwissenschaftlicher Erkenntniss [sic] in Form und Inhalt« befriedigen und durch »die Resultate der gelehrten Forschung für einen tiefern [sic] Einblick in die kulturhistorische Bedeutung der Kunstthätigkeit zu verwerthen suchen.«6 Denn bei reiner »Unterhaltung« bleibt es auch in der Allgemeinen Bauzeitung nicht. Unter dem etwas irreleitenden Titel Italienische Eindrücke7 beschreibt ein anonymer Autor der Allgemeinen Bauzeitung zunächst den landschaftlichen, kulturellen und künstlerischen Reiz Italiens in überschwänglichen Worten, um auf den schöpferisch tätigen Architekten seiner Gegenwart zu kommen und dessen Dilemma angesichts solcher überwältigender Kunstproduktion. Die seit 1828 in Heinrich Hübschs Schrift In welchem Style sollen wir bauen?8 kanonisch gewordene Frage dient dann als Überleitung zu jenem Thema, das auch für unseren Zusammenhang relevant ist: Wie kann sich ein Architekt bilden, um diese Gretchenfrage der 19. Jahrhundert-Architektur zu lösen? Indem er über »richtiges Gefühl« verfüge, das durch »reifliche Ueberlegung geläutert« werde.9 In vier Schritten soll sich der Architekt seinem Ziel nähern: zuerst in der »Betrachtung irgend eines Monumentes, oder vielmehr einer Reihe von Monumenten«, die einer einheitlichen Kunstepoche entstammen, anschließend in der Herstellung eines emotionalen Bezugs zu diesen Werken, danach in der »Reflexion nach gründlichem und redlichem Studium« und abschließend kann am eigenen Entwurf gearbeitet werden. Es wird also in einer dem Wissenschaftsbetrieb durchaus vergleichbaren Weise von einem Architekten gefordert, Daten wie für ein Editionswerk zu sammeln, auf dieser 4 Plan der Bauzeitung und Aufforderung an Männer vom Fache, dieselbe durch Mittheilungen zu bereichern, in: ABZ 1 (1836), S. 1 – 3, hier S. 1. 5 Die Zeitschrift für bildende Kunst ging 1932 gemeinsam mit dem Repertorium für Kunstwissenschaft in der Zeitschrift für Kunstgeschichte auf – also von einem »populären« hin zu einem wissenschaftlichen Blatt (Locher 2008, Kat.-Nr. 398, S. 575). 6 Ankündigung der Zeitschrift für bildende Kunst, in: ABZ 31 (1866), Literaturbericht, S. 43. 7 Italienische Eindrücke, in: ABZ 1 (1836), S. 171 – 173. 8 Hübsch 1828. 9 Auch für das Folgende wie Anm. 7.
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Basis Reflexionsfähigkeit und (kunst)historisches Wissen einzusetzen, um ein gutes Ergebnis seiner eigenen künstlerischen Produktion zu gewährleisten (z. B. in der richtigen Stilwahl und der richtigen Stilbehandlung, bei Restaurierungen etc.). Die epistemischen Ergebnisse der Wissenschaft wären dann dem künstlerischen Produkt gleichzusetzen – mit der großen Einschränkung, dass der emotionale Bezug zum Gegenstand des (wissenschaftlichen oder künstlerischen) Interesses von gegensätzlicher Bedeutung ist. Dass diese Position auch auf Gegenwehr stoßen kann, wird am Beispiel der kunsthistorischen Handbücher vorgestellt werden.
Formen der Wissenspräsentation Die umfangreichste Form, wie kunsthistorisches Wissen vermittelt werden kann, ist zweifellos der monographische oder der eine Zusammenfassung bietende Aufsatz. Aber, soweit mein summarischer Überblick zumindest zu den gewählten Themen schließen lässt, diese Form ist für die Allgemeine Bauzeitung nicht die am häufigsten gewählte. Bedenken muss man hier, dass sich hinter dem Titel eines Aufsatzes oft thematische Abhandlungen zu ganz anderen Inhalten verbergen (z. B. entpuppt sich Eduard Metzers Ueber die Einwirkung natürlicher und struktiver Gesetze auf Formgestaltung des Bauwerks10 als veritable Abhandlung über das Athener Theseion und den Parthenon). Nur über die Inhaltsverzeichnisse der Allgemeinen Bauzeitung lassen sich also keine exakten Aussagen zur Frequenz der benutzten Veröffentlichungsformate machen. Daher muss ich auf den ausschnitthaften und schlaglichtartigen Charakter meines Beitrags hinweisen, der keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann und will, sondern sich als Schritt versteht, um die Aufmerksamkeit auf ein Printmedium mit dichtestem Informationsgehalt zu lenken. Sehr viel kunstwissenschaftliches Wissen wird über Buchbesprechungen und vor allem Buchankündigungen vermittelt. Gerade letztere sind in vielen Fällen weitgehend den »Verlagsvorschauen« entnommen und daher weniger eine objektive Präsentation eines mitteilenswerten Inhalts, als vielmehr eine subjektive Präsentation, die auf den Verkauf der betreffenden Publikationen abzielt. In den seltensten Fällen sind diese Ankündigungen oder Besprechungen, egal ob ein paar Zeilen kurz oder mehrere Druckseiten lang, personalisiert und mit Autorennamen versehen. Eine dritte wesentliche Form der Präsentation von kunsthistorischem Wissen ist schließlich eine nicht-textliche, nämlich die Abbildung. Gerade im Zeitalter rapider drucktechnischer Innovationen nahmen Abbildungen einen immer 10 ABZ 2 (1837), S. 169 – 172, S. 177 – 180, S. 185 – 190, S. 193 – 199, S. 201 – 215 & Taf. 127 – 131.
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höheren Stellenwert ein. Sie unterstützten die Nachvollziehbarkeit kunsthistorischer Argumentationen ganz wesentlich. Dabei stellen sie ihrerseits wegen ihrer syntaktischen und linguistischen Qualitäten (Dana Arnold)11 einen lesbaren Text dar, um z. B. die wahrheitsgetreue Wiedergabe eines Kunstwerkes zu vermitteln.
Beispiel Nr. 1: Der Polychromiestreit des 19. Jahrhunderts Der Polychromiestreit12 fand zu einer Zeit statt, als die Grenzen zwischen wissenschaftlicher und kunsttheoretischer Literatur noch fließend waren. Johann Joachim Winckelmanns Geschichte der Kunst des Alterthums, 1764 in Dresden bei Walther erschienen, prägte die »klassische«, normative Vorstellung von antiker Architektur und ihrer Farblosigkeit, obwohl bereits James Stuart und Nicholas Revett in ihren Antiquities of Athens, die ab 1762 in mehreren Bänden erschienen waren, erste Hinweise auf Polychromie-Reste an antiken Bauten gegeben hatten – was aber laut Befürwortern der Polychromie-Theorie wie Gottfried Semper bezeichnenderweise meist unbemerkt geblieben sei.13 Den wichtigsten Anstoß zu einer Änderung der Sichtweisen bildete Antoine-Chrysostome QuatremÀre de Quincys Veröffentlichung Le Jupiter olympien, ou L’art de la sculpture antique consider¦e sous un nouveau point de vue, Paris 1815. Als Sekretär sowohl der Acad¦mie als auch der Ecole des Beaux-Arts betonte QuatremÀre de Quincy die große Vorbildhaftigkeit antiker Architektur, aber auch die Bedeutung der Farbe in der griechischen Skulptur, wo Elfenbein und Gold als Materialien Verwendung fanden. Und so fällt am Frontispiz des Buches unser Blick nur deshalb auf den Jupiter olympien, weil ein Vorhang zur Seite gezogen ist und der ist: rot! Neben Reisen nach Griechenland und Bauforschungen zur Farbfassung antiker Kunst vor Ort, die unter anderem 1812 die Erwerbung der aeginatischen Aphaiatempel-Skulpturen für München durch Johann Martin von Wagner mit sich brachten, bestimmte vor allem ein Name den Verlauf des Polychromiestreites: Jacques-Ignace Hittorff. Die Forschungsergebnisse seiner Sizilienreisen von 1820 und 1823 präsentierte Hittorff in seinem Vortrag M¦moire sur l’Architecture Polychrome chez les Grecs an der Pariser Acad¦mie des Inscriptions im Jahr 1830. Im darauffolgenden Jahr stellte er seine Farbrekonstruktion des »Empedokles-Tempels«, des Tempels B in Selinunt, im Pariser Salon aus. Erst 1851 aber veröffentlichte er seine Überlegungen unter dem Titel Restitution du Temple d’Empedocle Selinunte ou l’Architecture po11 Arnold 2008. 12 Nach wie vor grundlegend: van Zanten 1977. 13 Semper 1834, S. 17.
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lychrome chez les Grecs. Dabei dokumentierte sich nicht nur Hittorffs archäologisches Interesse, sondern auch sein Interesse an der Anwendbarkeit für die Architektur seiner Gegenwart. Um ein Schlaglicht auf die Situation in Wien zu werfen, sei auf Pietro Nobiles Theseus-Tempel im Volksgarten von 1819 – 1823 verwiesen, der in porzellanhaftem Weiß und damit noch ganz in Winckelmannschem Sinn erstrahlte! Kurz nach Hittorffs Ausstellung im Salon erschien das Werk eines weiteren bauforschenden Architekten, der von 1830 bis 1833 Italien und Griechenland bereist hatte: Gottfried Sempers Vorläufige Bemerkungen über bemalte Architektur und Plastik bei den Alten. Und im Folgejahr 1835 veröffentlichte Franz Theodor Kugler seinen Beitrag zur Polychromie-Frage: Über die Polychromie der griechischen Architektur und Skulptur und ihre Grenzen. Die Reichweite seiner Schrift war ausgesprochen groß, erschien sie doch schon im ersten Jahrgang der Transactions of the Institute of British Architects of London als Teilübersetzung. Die britische Architektenschaft, allen voran Thomas Leverton Donaldson und Charles Robert Cockerell, der sich seinerseits 1812 bauforschend in Agrigent aufgehalten hatte, waren an der wissenschaftlichen Erörterung dieses Themas höchst interessiert. Dies manifestierte sich, indem Kuglers wissenschaftlicher Text einschließlich der Literaturverweise in den Fußnoten übernommen wurde, wo er z. B. auf antike Schriftsteller als Quelle hinwies. Bei aller Wissenschaftlichkeit bleibt ein erstaunlicher Umgang bei der Verifizierung feststellbar, der ganz auf die Bestätigung durch Reisende abzielt: »[…] has not been confirmed by the evidence of other travellers.«14 Hierin bildet sich die für die Kunstwissenschaft beschränkte Zugänglichkeit der fraglichen Objekte ab, die Schwierigkeit ihrer Visualisierung und Abbildung und damit verbunden die schwierige Überprüfbarkeit von Aussagen über diese Objekte. Gerade für unseren Zusammenhang ist die Feststellung wichtig, dass zwar Architekten eine unmittelbare Anschauung besaßen, Kunsthistoriker wie Kugler aber nicht; seine Reisen beispielsweise führten nach Deutschland, Italien, Belgien und Frankreich, nicht aber nach Griechenland. Gerade die Anschaulichkeit aber ist von eminenter Bedeutung für die Denkbarkeit und Vorstellbarkeit: »Vor dem Hintergrund der bis dato nur in der monochromen Sphäre der Kupferstiche bildlich vergegenwärtigten Akropolisbauten wird bei Sempers Blatt [farbige Rekonstruktion der Akropolis in Athen, 1833] auf Anhieb klar, dass der intensiven Chromatik von Rot und Blau ein Gegenbild zur etablierten Sicht der Antike eingeschrieben ist. Das Blatt lehrte im Sinne einer Zäsur, Athens klassische Bauten und Küstenlandschaften mit neuen Augen zu sehen.«15 Die Allgemeine Bauzeitung nimmt gegenüber der Polychromie eine durchaus 14 Kugler 1835/1836, S. 90. 15 Pisani 2003, S. 109.
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positive Haltung ein, allen voran gegenüber der Polychromie zeitgenössischer Architektur. Schon im ersten Jahrgang von 1836 wird von der Anwendung der Polychromie an Häuserfassaden in Berlin berichtet, wo Gesimsverzierungen, Ranken- und Figurenornamente wie an Hittorffs Pariser Kirche St-Vincent-dePaul von 1830 – 1846 schabloniert wurden. Diese Gestaltung würde zwar von einem »strengen Kritiker« nicht gebilligt, aber »wenn er [der farbige Schmuck] nicht zu bunt und harmonisch in der Farbenwirkung« sei, dann mache er gerade wegen der Monotonie der modernen Straßenfassaden aufgrund ihrer identischen Gebäudehöhen und Form »einen sehr wohltuenden Eindruck«.16 Knapp darauf wurde ein konkreter Bau vorgestellt, den ein anderer Sizilienreisender entworfen hatte17 und an dem erst zwei Jahre zuvor (1834) erste Überlegungen zu seiner polychromen Fassung angestellt worden waren: Leo von Klenzes Monopteros im Englischen Garten (1822 – 1836, Ausführung ab 1832).18 Im begleitenden Text liegt der Fokus aber ganz auf der Maltechnik, theoretische oder wissenschaftlich-historische Überlegungen bleiben ausgeschlossen. Zwar werden Architekten-Forschungen erwähnt, aber es kommt zu keiner inhaltlichen oder argumentativen Bezugnahme, nur zu ästhetischen Argumentationen und technischen Erläuterungen. Jedoch erschien im selben Jahrgang ein längerer Aufsatz über polychrome antike Architektur von Herrmann Herrmann (k. b. Hof-Baukondukteur) unter dem Titel Bemerkungen über die antiken Dekorazions-Malereien an den Tempeln zu Athen.19 Der Autor stellte fest, dass antike Tempel Athens nur an hervorgehobenen Stellen mit »Dekorazionsmalereien« und nicht ganzflächig gefasst gewesen und dass die übrigen Teile materialsichtig geblieben seien – womit auch die Forderung der zeitgenössischen Architektur nach Materialgerechtigkeit befriedigt werden konnte. Beigefügt sind zwar Profilzeichnungen mit genauer Beschreibung der Dekorationsmalereien und ihrer Farben, allerdings ohne Vermaßung. So weist der Artikel eher den Charakter eines Reiseberichts als einer wissenschaftlichen Forschungsdokumentation auf. 1839 wurde die Polychromiedebatte mit dem Artikel Ueber Polychromie bei den alten Griechen fortgesetzt,20 der die schon besprochenen Veröffentlichungen des Institute of British Architects und eines »berühmte[n] französische[n] Architekt[en]«, wohl Hittorff, erwähnt und festhält: »Kurz die Gebäude aus dem Zeitalter des Perikles waren gemalt.«21 Außerdem nutzte der Autor die Gelegenheit, um einen jüngst 16 [Emil] Flaminius, Nachricht, in: ABZ 1 (1836), S. 224. 17 Zu Klenzes ambivalenter Bedeutung im Bezug auf bauarchäologische Untersuchungen vgl. Bankel 2000. 18 ABZ 1 (1836), S. 408 – 409. 19 ABZ 1 (1836), S. 81 – 86. 20 ABZ 4 (1839), S. 391 – 393. 21 Ebd., S. 392.
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gemachten archäologischen Fund, an dem Farbreste entdeckt worden waren, vorzustellen: die Aristion-Grabstele des Aristokles – allerdings ohne sie abzubilden. Erst rund ein Jahrzehnt später wurde 1852 erneut in der Allgemeinen Bauzeitung an die Polychromie-Debatte angeschlossen – nebenbei sei erwähnt, dass der Herausgeber der Allgemeinen Bauzeitung, Christian Ludwig Förster, kurz zuvor, nämlich 1846, den jungen Theophil Hansen aus (nota bene!) Athen nach Wien geholt hatte und dass Hansen später am Reichstag Versuche mit polychromen Fassungen am historistischen Monumentalbau unternehmen sollte.22 Mittlerweile aber war Hittorffs Restitution du Temple d’Empedocle etc., mit der die antike Polychromie allgemein akzeptiert wurde,23 erschienen (Paris 1851). Diese Veröffentlichung erhielt im Literaturblatt der Allgemeinen Bauzeitung eine kurze Ankündigung, in der Hittorffs Reisen der frühen 1820er Jahre, seine Farbrekonstruktionen und deren Ausstellung im Salon erwähnt wurden,24 und zudem eine ausführliche Rezension von E. Cartier,25 der bereits 1845 seinen Aufsatz De la peinture encaustique des anciens in der Revue Arch¦ologique publiziert hatte.26 In Bezug auf die Technik der Enkaustik stellt Cartiers Rezension eine richtiggehend wissenschaftliche Rezension (und stellenweise Entgegnung bzw. Berichtigung) dar. Hittorf böte »eine reiche Fundgrube von Thatsachen«27 und sowohl »wissenschaftliche« als auch »künstlerische« und »authentische[n] Beweise[n]«28. Für gegenwärtige Wissenschaftspraktiken bemerkenswert ist Cartiers Forderung nach transdisziplinärer Beteiligung bei der Erforschung der Polychromie: »Das System der polychromen Architektur bei den Alten ist ein der Wissenschaft gewonnenes Faktum; die Maler haben unendlich viel dazu beigetragen die Vorurtheile zu vernichten, welche vormals bestanden.«29 Dabei verweist er beispielsweise auf die gefärbten Hintergründe von Ingres Gemälden. Wenn Cartier dann darauf kommt, dass die Polychromie aber gerade von Künstlerseite abgelehnt worden sei, berührt er einen weiteren Punkt der Wissenschaftsgeschichte des Faches Kunstgeschichte: »Die Hauptursache besteht nach unsrer [sic] Meinung darin, daß die Künstler keine Gelehrten und diese keine Künstler sind, und es würde daher nöthig sein diese beiden Eigenschaften bis zu einem gewissen Grade zu verbinden, um über einen
22 23 24 25 26 27 28 29
Franz 2013. Niemeyer 1987, S. 54. ABZ 17 (1852), Literaturblatt, S. 241. ABZ 17 (1852), Literaturblatt, S. 243 – 250. Revue Arch¦ologique 2 (1845). Wie Anm. 25, S. 243. Ebd., S. 245 – 246. Ebd., S. 244.
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solchen Gegenstand urtheilen zu können.«30 Die Auseinandersetzung zwischen Kunstkenner und Kunstwissenschaftler, die hier bereits durchklingt, sollte mit dem berühmten Holbein-Streit von 1871 in die strenge Scheidung zwischen der unsentimentalen, unemotionalen, auf Stilkritik fußenden Wissenschaft und dem ästhetisch argumentierenden Kunsturteil vor allem von Seite der Künstlerschaft münden.31 Erstaunlicherweise wurde Gottfried Sempers Polychromie-Studie von 1834 erst jetzt, rund 18 Jahre nach ihrem Erscheinen, in der Allgemeinen Bauzeitung angekündigt.32 Der Kommentar freilich bleibt sehr kurz gefasst und summarisch. Im Schlepptau wurde ein weiteres Werk über die Polychromie der antiken Skulptur von Karl Otfried Müller angeführt, das scheinbar in dessen Todesjahr 1840 in Athen veröffentlicht worden war – offenbar erregte Hittorffs Publikation von 1851 ein großes Interesse zumindest seitens der Redaktion der Allgemeinen Bauzeitung. Als Fazit lässt sich festhalten, dass die Allgemeine Bauzeitung weder kunstwissenschaftlich noch architekturtheoretisch ein zentraler Diskursort beim Thema der Polychromie war, dass sich aber dieser kunstwissenschaftliche Diskurs und in Ansätzen auch seine Entwicklung in der Allgemeinen Bauzeitung abbildete. Im Vergleich zu den anderen thematisch relevanten Publikationen (QuatremÀre de Quincy, Hittorff etc.) erschien die Allgemeine Bauzeitung sehr spät, vielleicht zu spät, sodass richtungsweisende Aufsätze nicht gebracht wurden: wenn dann wurde Polychromie v. a. im Zusammenhang mit neusten Publikationen thematisiert, und auch nicht im Hauptteil, sondern lediglich im Literaturblatt.
Beispiel Nr. 2: Kunsthistorische Handbücher Kunstwissenschaftler agieren in doppelter Ausrichtung: fachintern und für ein großes Publikum. »Die meisten Kunsthistoriker des 19. Jhs., auch jene, die sich in der Entfernung von romantischer Schwärmerei dezidiert um historisch-kritische Methode bemühten, verstanden sich im Prinzip als Fachleute der Kunst mit der Kompetenz, Laien ebenso wie Künstler über ästhetische Belange zu belehren.«33 Kommentare in der Allgemeinen Bauzeitung schlugen in genau diese Kerbe, und so heißt es in der Ausgabe von 1838: »[…] daß die Wissen-
30 31 32 33
Ebd. Locher 22010, S. 45 – 55. ABZ 17 (1852), Literaturblatt, S. 242. Locher 2008, S. 558.
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schaften in unserer Zeit höher stehen als die Künste und gewiß fortwährend steigen und letztere leiten und beherrschen werden.«34 Die im Folgenden genannten Werke wurden nur im Literaturblatt der Allgemeinen Bauzeitung bzw. im Literatur- und Anzeigeblatt für das Baufach gebracht. Es erfolgte keine ausführliche inhaltliche Auseinandersetzung geschweige denn Rezension dieser Werke. Vielmehr handelt es sich um Ankündigungen, die oft den Vorwörtern der betreffenden Publikationen entnommen sein dürften oder zumindest den Ankündigungsschreiben der Verlage – das müssen wir bei der Interpretation dieser Texte berücksichtigen. Überblicksartige Handbücher bieten im wissenschaftlichen Streben nach Systematisierung einen Einblick in die Entwicklung der Kunstepochen. Gerade um die Mitte des 19. Jahrhunderts kam es zu einer quantitativ starken Produktion von Handbüchern zur Geschichte der bildenden Künste, allen voran Franz Theodor Kuglers Handbuch der Kunstgeschichte von 184235 oder Carl Schnaases Geschichte der bildenden Künste ab 1843,36 die hohe Auflagenzahlen erreichten. Als Paradebeispiel für das große Interesse durch breiteste Leserkreise seien die Publikationen von Wilhelm Lübke erwähnt. Mit der Etablierung der Kunstgeschichte als historisch-kritischer Disziplin und dem einhergehenden, nach streng wissenschaftlichen Kriterien überprüfbaren Argumentationsweisen im Lauf der 1870er und 1880er Jahre kamen die Verfasser dieser Handbücher jedoch in Rechtfertigungszwänge: Da neben dem Fachpublikum auch ein breiter Lesekreis in der Verfassung war, diese kunsthistorischen Handbücher zu konsumieren, kam wohl der Verdacht auf, diese Bücher seien populär und in Konsequenz dazu wohl unwissenschaftlich, weil nicht streng fachdisziplinär. Sie seien Unterhaltungsliteratur und entsprächen nicht der aktuellen Forderung nach streng wissenschaftlicher Literatur, unter der man vor allem Aufsätze, Quelleneditionen und Künstlermonographien verstand.37 Auf interessante Weise damit verknüpft ist die große Bedeutung, die der zunehmenden Zahl an Illustrationen dieser Handbücher beigemessen wurde: »[…] damals kannte man in Deutschland noch keine wissenschaftlichen Werke mit illustriertem Text«, so Lübke in seinen Lebenserinnerungen.38 In der Allgemeinen Deutschen Biographie schrieb Carl Lemcke dazu: »Anschauung der bildenden Künste durch die Abbildung der besprochenen Denkmäler! Wie war es in der bilderlosen Zeit schwer gewesen, ein Buch wie z. B. Kugler’s Kunstge-
34 35 36 37 38
ABZ 3 (1838), Literaturblatt, S. 221. Locher 2008, Kat.-Nr. 380 (S. 565–566). Ebd., Kat.-Nr. 381 (S. 566). Meier 1985, S. 161 – 162. Vgl. Fernandez 2008, S. 79. Lübke 1891, S. 323 – 324.
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schichte zu studieren!«39 Mit dieser direkten Anschaulichkeit war aber offenbar gedanklich die Gefahr der Populärwissenschaftlichkeit verbunden. So erwähnte Anton Springer in seiner Autobiographie »die Gefahr der Verflachung, und die noch schlimmere Gefahr, die Lockung, durch populäre Handbücher den Beifall der Halbgebildeten zu gewinnen«40. Nach Karl Otfried Müllers Handbuch der Archäologie der Kunst von 1830 und Franz Theodor Kuglers Handbuch der Geschichte der Malerei von Constantin dem Grossen bis auf die neuere Zeit von 1837, die als erste kunsthistorische Handbücher mit kritisch-wissenschaftlichem Charakter41 grundlegende Bedeutung sowohl für das Fach, als auch für sein Studium beanspruchten, erschien 1842 Kuglers Handbuch der Kunstgeschichte. Darin wollte er »eine nach dem aktuellen Wissensstand geographisch und chronologisch komplette Weltgeschichte der Kunst anhand der wichtigsten Monumente«42 vorlegen und gleichzeitig Ordnung in das schwer überschaubare Ganze bringen bzw. »das Einzelne in seiner Bedeutung zum Ganzen« würdigen.43 Von Friedrich Theodor Vischer wurde dem Autor immerhin attestiert, »im besten Sinn der guten Popularität […] treffliche Handbücher« verfasst zu haben.44 Wenige Jahre später erschien, ab 1845 von August Voit herausgegeben, ein begleitender Bildatlas, der den Mangel an Anschauung beheben sollte, den die Ortsgebundenheit der Kunstwerke automatisch mit sich brachte: die Denkmäler der Kunst zur Übersicht ihres Entwicklungs-Ganges von den ersten künstlerischen Versuchen bis zu den Standpunkten der Gegenwart. Bezeichnenderweise galt 1845 dieser Publikation die erste Ankündigung kunsthistorischer Handbücher in der Allgemeinen Bauzeitung.45 Hingewiesen wurde dabei auf Kuglers erklärtes Ziel, das er schon in seinem Handbuch der Kunstgeschichte angesprochen hatte, nämlich mit einem Bildteil eine »unmittelbare Anschauung des künstlerischen Entwicklungsganges« geben zu wollen. Denn generell stellte man fest, »daß überhaupt jedes Buch über Kunst, besonders über die Architektur, durch erklärende Zeichnungen an Brauchbarkeit gewinnt«46. Gleich darauf wurde der Leserkreis angesprochen: »Erst mit einem Atlas kann die Kunstgeschichte ihren siegreichen Einzug namentlich in die Schulen und Hörsäle halten […]«, daher werde 39 Lemcke, Carl, »Lübke, Wilhelm«, in: Allgemeine Deutsche Biographie (1906), S. [Onlinefassung]; URL: http://www.deutsche-biographie.de/pnd117291013.html?anchor=adb. 40 Springer 1892, S. 222 (zit. nach Locher 2010, S. 283 – 284, Anm. 142). Vgl. auch die ähnlich gelagerte Kritik Hermann Grimms und August Schmarsows (Niehr / Krause 2005, S. 66). 41 Locher 2010, S. 243. 42 Ebd., S. 248. 43 Kugler 1842, S. 853 (zit. nach Locher 2010, S. 264). 44 Vischer 1855, S. III. 45 Ankündigung von Denkmäler der Kunst, in: ABZ 10 (1845), Literaturblatt, S. 250 – 251 und 276 – 277. 46 Ebd., S. 251.
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sich dieser Bilderatlas bei der »Nützlichkeit beim Studium der Geschichte der Baukunst bewähren«.47 Vielleicht auch im Hinblick auf den Kundenkreis der Allgemeinen Bauzeitung wird das wissenschaftliche Publikum nicht angesprochen. Erst im zweiten Teil der Ankündigung kommt dann die Rede auf das Handbuch der Kunstgeschichte von Kugler, also auf den eigentlichen Textteil zu den Denkmälern der Kunst.48 Ab 1851 wurde die Herausgabe der Denkmäler der Kunst von Ernst Guhl und Joseph Caspar fortgesetzt. Auch dieses Werk wurde ohne Verzögerung in der Allgemeinen Bauzeitung angekündigt:49 Ein »systematisches Studium der Geschichte der Baukunst«, das es erlaube, »in den […] eigenthümlichen Geist« dieser Architektur einzudringen, finde »unter den Architekten erst seit etwa 20 Jahren statt«. Bisher seien lediglich »Lage, Namen, Dimensionen, allgemeine Verhältnisse und Architekten der bedeutendsten alten Kunstwerke des Bauwesens«, also ausschließlich technische Fakten gelernt worden, wie sie für die Sammlung von Daten in Editionen kennzeichnend sind. Den wahren künstlerischen Wert zu erkennen, also in einer übergeordneten Deutung Kenntnis und Wissen aus diesen Daten zu ziehen, veredle aber erst den Geschmack des lernenden Architekten und gebe seiner Erfindungskraft Anregung.50 Erschwert worden sei dieses Studium durch die schlechte Zugänglichkeit von wissenschaftlich fundierter Information »in zerstreuten sehr werthvollen Schriften, die aber meist nur dem Gelehrten bekannt waren«.51 In der Allgemeinen Bauzeitung wurde erst die dritte, überarbeitete Auflage von Kuglers Handbuch der Kunstgeschichte ausführlicher vorgestellt,52 ohne dass aber inhaltlich andere, als die bisherigen Akzente der Besprechung gesetzt wurden. »Das Werk reiht überall die Ergebnisse der Baugeschichte einem größeren Ganzen, dem umfassendern [sic] Zusammenhange desselben ein.« Darüber hinaus wurden zum einen die (bereits bekannte) schlechte Zugänglichkeit zu Fachliteratur erwähnt (weil die »Resultate [der Kunstforschungen] aber in einer großen Anzahl von Werken, Zeitschriften u. s. w. zerstreut liegen, die nicht Jedermann zugänglich sind, […]«), weiters die Bedeutung des Buches »als Leitfaden beim Studium der Kunstgeschichte« angeführt und schließlich die Bedeutung der Abbildungen (»die Auswahl der vortrefflich aufgefaßten und ausgeführten Illustrazionen«) betont. 1856, 1858 und 1859 erschienen die ersten drei Bände von Franz Theodor Kuglers Geschichte der Baukunst (insgesamt 5 Bände) bei Ebner & Seubert in 47 48 49 50 51 52
Ebd. Ebd., S. 277. ABZ 16 (1851), Literaturblatt, S. 179 – 180. Ebd., S. 180. Ebd., S. 179. ABZ 20 (1855), Literaturblatt, S. 87.
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Stuttgart. Schon 1855 wurde dieses Handbuch in der Allgemeinen Bauzeitung angekündigt.53 Dabei wurde mehrmals ausdrücklich auf die Wissenschaftlichkeit dieses Buches hingewiesen. Sei es der Hinweis auf Erkenntnisse aus der Entwicklungsgeschichte der Kunst, nämlich auf »den Ursprung und die Entwicklung der baukünstlerischen Formen«54, also auf ein Resultat stilorientierter kunstwissenschaftlicher Forschung. Sei es der methodische Hinweis auf die verwendeten Quellen als Grundlage von Kuglers Erkenntnissen, unter denen zum einen historische Schriftquellen (»geschriebene historische Ueberlieferung«) gemeint waren und zum anderen die Bauwerke selber als dingliche Quellen (»[…] was von den baulichen Monumenten selbst erhalten ist.«). Eigens wurde auf die säuberliche Nennung der »Quellenschriften« in Form von Fußnoten und der Bezugsquellen der Illustrationen verwiesen, womit, ohne es direkt anzusprechen, die Gelegenheit gegeben wurde, die »bildlichen Original-Aufnahmen der betreffenden Monumente« quellenkritisch prüfen zu können. Die erwähnten Publikationen (Handbuch der Kunstgeschichte, Geschichte der Baukunst und Denkmäler der Kunst) wurden auch noch 1856 in der Allgemeinen Bauzeitung angekündigt.55 Dabei fällt auf, dass das Illustrationsmedium Denkmäler der Kunst dreimal im Lauf dieses Jahrgangs erwähnt wurde – das Anschauungsmaterial verdiente also die meiste Werbung. Wilhelm Lübkes Geschichte der Architektur von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart von 1855 füllte die »Marktnische« der populären Architekturgeschichten – dass Handbücher ein einträgliches Geschäft darstellten, lässt sich an deren zahlreichen Auflagen ablesen –, weil es handlicher und knapper, kompakter ausfiel als Kuglers Handbücher. Diesem Handbuch zur Architekturgeschichte verdankte Lübke seine Professur an der Bauakademie in Berlin (1857) und seine Berufung nach Zürich ans Eidgenössische Polytechnikum in der Nachfolge von Jacob Burckhardt (1861).56 Auch hier lag ein starker Fokus auf der Illustration des Textes. Erwähnung in der Allgemeinen Bauzeitung fand dieses Werk erst 1857 und 1858.57 Explizit handle es sich um »eine populäre Darstellung der Baugeschichte«, die »zur allgemeinen Belehrung des Publikums« diene. Und die zahlreichen Abbildungen erhöhten primo loco nicht den Informationsgehalt, sondern das »Interesse«; immerhin wurde formuliert, dass durch diese Abbildungen »der Text anschaulicher gemacht und erläutert wird«. Die Abbildungen erhielten eingehendes Lob, denn sie seien »wahre Meisterwerke von präciser Darstellung und Reinheit des Stiches und Druckes, so wie in malerischer Haltung der perspektivischen Ansichten.« 53 54 55 56 57
Ebd., S. 87 – 88. Ebd., S. 87. ABZ 21 (1856), Literaturblatt, S. 1 – 2, 102 und 159 – 160. Locher 2008, S. 278. ABZ 22 (1857), Literaturblatt, S. 88 und ABZ 23 (1858), Literaturblatt, S. 190.
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In der 1858 veröffentlichten Ankündigung wurde auch das potentielle Lesepublikum näher spezifiziert: Als »gründlicher Leitfaden für die Geschichte des Kirchenbaues im Mittelalter« sei Lübkes Handbuch »für die Anfänger dieses Kunstzweiges geschrieben« – gemeint waren damit wohl im aktuellen Kirchenbau tätige Architekten. Doch gerade dass der Kunstgeschichte bei der Architektenausbildung zu große Bedeutung beigemessen werde, wurde zur selben Zeit als Kritik laut.58 Der Architekt und Maler Anton H. Hallermann, der selber in Italien Bauaufnahmen antiker Architektur gemacht hatte, kritisierte die »fürchterliche Taktik des nimmer aufhörenden Vergleichens der Vergangenheit und der Gegenwart« und ein »systematisches Abrichten zum Nachäffen«59. Wenn nur Archäologie und Kunstgeschichte unterrichtet werde und nicht Landbaukunst (Wege, Brücken, Ställe etc.), dann können nach Hermann Grimm, Kunstgeschichteprofessor in Berlin und Vorgänger Heinrich Wölfflins, nur »ebenso schlechte Kunst- wie Dürftigkeitsbauten« herauskommen.60 Der Abgeordnete und Förderer des Kölner Dombaues August Reichensperger schrieb: »Wir sehen ein Uebergewicht der Doktrin über die Erfahrung, ein Uebergewicht der Intelligenz über das schaffende Vermögen.«61 Radikal fiel der Lösungsansatz von M. Rosenthal aus, der meinte: »Sollte es nun aber nicht vorzuziehen sein, den richtigen Baustyl auf praktischem Wege zu suchen? Gewiß würde das an sich das Beste sein, wenn es nur möglich wäre, die Kenntniß der vorhandenen Baustyle aus unserm [sic] Gedächtniß zu verwischen und von vorne anzufangen.«62 Realistischer klingt dagegen eine Feststellung aus der Zeitschrift für das Bauwesen von 1852: »[…] wir leben nun einmal in den Tagen der Wissenschaft, der Kritik, der historischen Forschung. Wir können gegen die Erkenntniß der Vergangenheit die Augen nicht versperren und uns naiv anstellen … Heutzutage müssen wir einmal durch die Erkenntniß der vorhergegangenen Entwicklung hindurch, ehe wir vollkommen unsre [sic] Stellung begreifen, und den richtigen künstlerischen Ausdruck für dieselbe gewinnen können.«63 Tatsächlich – als würde sie auf den angedeuteten wissenschaftlichen und architekturinternen Diskurs reagieren – wurde 1867 zum letzten Mal ein Buch von Lübke in der Allgemeinen Bauzeitung angekündigt, nämlich Jakob Burckhardts und Wilhelm Lübkes Geschichte der neueren Baukunst, die als Teilband von Franz Theodor Kuglers Geschichte der Baukunst erschien.64 Dabei finden wir 58 59 60 61 62 63 64
Döhmer 1976, S. 70 – 71. Hallermann 1842; vgl. dessen Rezension, in: Kunstblatt 24 (1843), S. 118. Grimm 1859; vgl. dessen Rezension, in: Die Dioskuren 4 (1859), S. 89. Deutsches Kunstblatt 3 (1852), S. 126. Zeitschrift für praktische Baukunst 4 (1844), S. 24 (zit. nach Döhmer 1976, S. 72). Zeitschrift für das Bauwesen 2 (1852), S. 234 (zit. nach Döhmer 1976, S. 72 – 73). ABZ 32 (1867), Literaturblatt, S. 45 – 46.
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die bereits hinlänglich bekannten Erwähnungen der »zahlreichen, richtigen und schönen Abbildungen« und des Zweckes eines solchen Handbuches: »Will man aber zur vollen Reife des Verständnisses eines Styls gelangen, so muss man vor Allem seine Geschichte gründlich studieren.« Zusammenfassend gesagt stellte 1) die Wissenschaftlichkeit der Texte bzw. eigentlich der ihnen zugrunde liegenden Informationen ein zentrales Anliegen der Autoren dar, 2) ging es um die populäre Aufbereitung wissenschaftlichen Wissens ganz allgemein, aber auch für das (Fach-)Studium (wodurch eine bemerkenswerte Gleichsetzung von Fachdisziplin und interessierter Öffentlichkeit entsteht) und 3) um die Bedeutung von Abbildungen zur Hebung der Anschaulichkeit und der Nachvollziehbarkeit, die letztlich auch für die Kunstwissenschaft ein zentrales Anliegen darstellte, worin sich aber auch ein Unterscheidungsmerkmal zur populären Publikationskultur manifestierte.
Beispiel Nr. 3: Kunstwissenschaftler als Autoren der Allgemeinen Bauzeitung oder über den wandelbaren (Wissenschafts-)Wert von Texten zu architekturgeschichtlichen Themen Sucht man nach den großen Namen der Wiener Kunstgeschichte in der Allgemeinen Bauzeitung, so wird man gleich im Jahr 1860 fündig und mit respektablen Personen belohnt wie mit Rudolf Eitelberger, dem ersten Inhaber eines Lehrstuhls für Kunstgeschichte an der Wiener Universität (ab 1863 Ordinarius).65 Aber Eitelberger taucht nicht als Verfasser kunstwissenschaftlicher Analysen auf, sondern (in einer vergleichenden Buchbesprechung) als Mitautor ganz zeitspezifischer architekturtheoretischer Erörterungen zur Idealvorstellung des bürgerlichen Wohnhausbaues, die er gemeinsam mit dem Architekten Heinrich Ferstel verfasst hatte.66 Eitelberger also nicht als Wissenschaftler, sondern als Kommentator zur zeitgenössischen Kunst, wie er ja auch beispielsweise über den aktuellen Wettbewerb zu den Ringstraßenentwürfen publizierte,67 und: nur in einer Ankündigung, also in einer Marginalie. Andere große Namen der Wiener Kunstgeschichte wie Moritz Thausing, Franz Wickhoff oder Alois Riegl finden sich in der Allgemeinen Bauzeitung – zumindest bei einer Überprüfung anhand der Inhaltsverzeichnisse der einzelnen Jahrgänge – nicht. Aber sehr wohl ein anderer Kunsthistoriker, den wir schon im Zusammenhang mit der dezidiert populär ausgerichteten Ankündi65 Aurenhammer 2002. 66 Vergleichende Besprechung von Eitelbergers und Ferstels »Das bürgerliche Wohnhaus« und von Fellners »Wie soll Wien bauen«, in: ABZ 25 (1860), Literaturblatt, S. 288 – 293. 67 Eitelberger 1859.
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gung der Zeitschrift für bildende Kunst kennengelernt haben: Carl Lützow, Bibliothekar und Dozent für Kunstgeschichte immerhin und vielleicht auch gerade an der Akademie der bildenden Künste. Es ist zwar kein vordergründig wissenschaftlicher Artikel, den er 1871 in der Allgemeinen Bauzeitung veröffentlichte, aber architekturhistorisch ist er von großem Interesse, weil er exemplarisch den Umgang von Architekten des 19. Jahrhunderts mit historischen Bauten veranschaulicht: Lützows Artikel berichtet von einer 1869 veranstalteten Venedig-Exkursion des Akademieprofessors Theophil Hansen, bei der die Studenten zeichnerische Bauaufnahmen der Miracoli-Kirche anfertigten. Diese wurden dann in Drucktafeln umgesetzt und als Illustrationen des Artikels in der Allgemeinen Bauzeitung abgedruckt – im Sinn einer verlässlichen Materialpräsentation. Von der Seite der kunsthistorischen Renaissance-Forschung zur Miracoli-Kirche ist dieser Artikel kaum von Bedeutung. Aber er erschien in ein und demselben Jahrgang der Allgemeinen Bauzeitung, in dem auch das 1868 entworfene und 1871 weitgehend vollendete Palais Epstein vorgestellt wurde, eines der zentralen Werke Hansens an der Wiener Ringstraße. In den Interieurs des Palais Epstein integrierte Hansen zahlreiche Formzitate (Spielzimmerplafond, Tanzsaalpilaster),68 die u. a. nach dem venezianischen Vorbild der Miracoli gestaltet waren. Wie getreu diese Zitate waren, konnte von der Leserschaft in einem einzigen Jahrgang der Allgemeinen Bauzeitung überprüft werden.69 Von Architektenseite angestellte Forschungen waren also unmittelbar – und bildlich nachvollziehbar – in ein Bauwerk der Gegenwart eingeflossen. Einige Jahrzehnte später taucht ein weiterer illustrer Name der Wiener Kunstgeschichte als Autor in der Allgemeinen Bauzeitung auf: 1912 veröffentlichte Dagobert Frey einen Aufsatz über den Dom von Rab (Arbe),70 der ganz nach wissenschaftlichen Maßstäben (mit den obligaten Verweisen auf Quellen oder den Forschungsstand über die Setzung von Fußnoten) in Form einer veritablen Baumonographie verfasst ist. Schriftquellen werden dabei ebenso umfassend präsentiert wie bauarchäologische Feststellungen (inkl. Rekonstruktionen ursprünglicher Bauzustände) und stilistische Einordnungen und Ableitungen (z. B. durch Vergleiche) sowohl der Architektur als auch der Ausstattung und Bauplastik, einschließlich der Dokumentation des Bestandes mit Plänen, Umzeichnungen und Photographien. Warum Freys Artikel in dieser Form in der Allgemeinen Bauzeitung erschien, ob eventuell Restaurierungskampagnen bevorstanden, die die Architektenschaft der Monarchie für dieses historische Monument sensibilisieren sollten, bleibt 68 Reissberger 1980. 69 ABZ 36 (1871), S. 25 – 32 und 121 – 127 sowie Tafeln 1 – 12 (S. Maria dei Miracoli) und S. 422 – 423 sowie Tafeln 71 – 76 (Palais Epstein). 70 Frey 1912.
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für künftige Forschungen zu hinterfragen. Bemerkenswert ist jedenfalls, dass in einer – nach dem bisher Gezeigten – nicht-kunsthistorischen Zeitschrift eine nach kunstwissenschaftlichen Kriterien verfasste Abhandlung über ein historisches Monument gebracht wurde. Es ist wohl nicht mehr allein die von Förster im ersten Jahrgang erwähnte »Unterhaltung«, weshalb historische Architektur der Leserschaft der Allgemeinen Bauzeitung vorgestellt wurde. Zumindest sollte das Interesse der Architektenschaft an historischen Bauten auf wissenschaftlich solidem Fundament ruhen, und dieses konnte als verlässlich gelten wegen der Autorenschaft (Kunsthistoriker) und auch wegen der Form der Informationsvermittlung (wissenschaftlicher Apparat mit z. B. Fußnoten). Eine bemerkenswerte Umkehrung in der Einschätzung der Artikel der Allgemeinen Bauzeitung durch die Wissenschaftsdisziplin Kunstgeschichte manifestiert sich schließlich in meinem letzten Beispiel: 1903 erschien in der Allgemeinen Bauzeitung ein Artikel über die Baugeschichte der Böhmischen Hofkanzlei in Wien.71 Verfasser war Eduard Irmisch, Ingenieur im k. k. Ministerium des Innern und in dieser Funktion beim Bau der Neuen Burg beteiligt, der nicht als Wissenschaftler arbeitete, sondern ein offensichtlich historisch sehr interessierter Baufachmann war. Im Gegensatz zu Freys Text über den Dom von Rab folgt Irmischs Text formal nicht den Gepflogenheiten kunstwissenschaftlicher Arbeiten. So fehlen exakte Verweise auf Quellen, wie sie üblicherweise in Fußnoten untergebracht sind, auch wenn Irmisch zahlreiche schriftliche und planliche Quellen zur detaillierten Bau- und Nutzungsgeschichte in seiner Abhandlung anführt. Tatsächlich wurde Irmischs Beitrag in der kunsthistorischen Literatur zur Böhmischen Hofkanzlei auch nicht erwähnt. Es handelt sich ja auch nicht um einen »klassischen« Wissenschaftstext. Und so findet sich weder bei Grimschitz72 noch bei Sedlmayer,73 noch bei Leithe-Jasper74 ein Hinweis auf den betreffenden Aufsatz. Es bleibt der nachfolgenden Generation eines Hellmut Lorenz vorbehalten, Irmischs Artikel in die Bibliographie zur Baugeschichte der Böhmischen Hofkanzlei aufzunehmen.75 Aus einem Aufsatz für architekturhistorisch Interessierte ist ein »Quellen«-Text geworden, dessen Informationsgehalt für berücksichtigenswert gehalten und dem wissenschaftliche Relevanz zugewiesen wird.
71 72 73 74 75
Irmisch 1903. Grimschitz 1944. Sedlmayer 1956 bzw. 21976. Leithe-Jasper 1967. Lorenz 2007, Anm. 1.
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Abkürzungen ABZ Allgemeine Bauzeitung ÖZKD Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege
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