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German Pages 266 [268] Year 2012
IMF International Management and Finance
Herausgegeben von Prof. Dr. Dr. h.c. Klaus Spremann Bisher erschienene Titel: Behr, Fickert, Gantenbein, Spremann: Accounting, Controlling und Finanzen Bernet: Finanzintermediation und Finanzkontrakte Scott: Wall Street-Wörterbuch Spremann: Finance Spremann: Portfoliomanagement Spremann: Private Banking
Spremann: Wirtschaft und Finanzen Spremann, Ernst: Unternehmensbewertung Spremann, Gantenbein: Zinsen, Anleihen, Kredite Spremann, Pfeil, Weckbach: Lexikon Value-Management Spremann, Scheurle: Finanzanalyse Yamashiro: Japanische Managementlehre
Wirtschaft und Finanzen Einführung in die BWL und VWL von
Prof. Dr. Dr. h.c. Klaus Spremann 6., grundlegend überarbeitete Auflage
Oldenbourg Verlag München
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2013 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Telefon: (089) 45051-0 www.oldenbourg-verlag.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Lektorat: Anne Lennartz Herstellung: Constanze Müller Titelbild: thinkstockphotos.com Einbandgestaltung: hauser lacour Gesamtherstellung: freiburger graphische betriebe GmbH & Co. KG, Freiburg Dieses Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. ISBN 978-3-486-57965-9 eISBN 978-3-486-72027-3
Vorwort Danke, dass Sie sich für dieses Buch entschieden haben. Es ist in dem Sinn „teuer“, als das Lesen Zeit kostet. Jedes Kapitel verlangt etwa eine Stunde. Das Buch kann durchaus an einem Wochenende durchgearbeitet werden. Wer die Fragen beantwortet und bei dem einen oder anderen Begriff im Internet nachsieht, braucht sicherlich mehr Zeit. Doch das Buch kann auch nur teilweise angesehen werden. So wurde mir gesagt, das Kapitel 14 sei als erste Lektüre zu empfehlen, und in der Tat habe ich auf der Basis dieses Kapitels einen Kurs mit Studienreise angeboten. Andere Kenner des Manuskriptes meinen, man könne auch nur die ersten beiden Kapitel lesen, oder die ersten fünf Kapitel, oder eben alle fünfzehn Kapitel. Das Buch führt in die Wirtschaftswissenschaften ein, behandelt also BWL und VWL. Die 15 Kapitel bilden drei Teile. Teil I: Die Kapitel 1 bis 5 stellen die Grundlage des Wirtschaftens dar (Güter, Märkte, Denkströmungen, öffentliche Güter, Kapital und Vermögen, Produktion). Teil II: Die Kapitel 6 bis 10 behandeln die Unternehmung (Unternehmertum, Finanzierung, Jahresergebnis, Führung, Risikomanagement). Teil III: Die Kapitel 11 bis 15 sind der Wirtschaftspolitik gewidmet (Geld und Banken, Geldpolitik, Staat, Fiskalpolitik, wirtschaftliche Entwicklung, Krisen). Darf ich mich kurz vorstellen? Nach Studium, Promotion, Habilitation und einer Lehrstuhlvertretung (München, Karlsruhe) hatte ich in Ulm für 13 Jahre einen Lehrstuhl für Wirtschaftswissenschaften inne, in Hongkong einen für International Finance und in St. Gallen war ich bis 2012 Ordinarius für Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Finanzwesen. Gastprofessuren haben mich nach Vancouver, Taipei, Innsbruck geführt und des Weiteren habe ich in Frankfurt (Oder), in Wien, Graz, Schanghai und über Jahre hinweg in Singapur gelehrt. Daneben habe ich verschiedene praktische Projekte bearbeitet, so für Beratungsfirmen, für Banken und für staatliche Stellen. In all diesen Jahren haben mich Partner und Menschen begleitet und unterstützt: privat meine Frau Attilia; an den Hochschulen Assistierende, Schülerinnen und Schüler – von ihnen, aber auch in der Gemeinschaft der Forschenden, habe ich sehr viel lernen können. Ihnen allen sei gedankt. Mein Dank geht auch an das Lektorat und die Herstellung im Verlag. Nun wünsche ich Ihnen als Leserin oder Leser nicht nur, dass Sie mit diesem Buch Ihr Wissen bereichern. Das Wissen soll Grundlage für ein vertieftes Verständnis wirtschaftlicher Zusammenhänge werden und Ihnen eine ausgewogene Beurteilung dessen ermöglichen, das Sie in der Wirtschaft täglich sehen. Klaus Spremann, November 2012
Inhaltsverzeichnis Vorwort
V
I
Wirtschaften
1
1
Güter und Märkte
3
1.1
Güter ......................................................................................................................
3
1.2
Nutzen....................................................................................................................
5
1.3
Geld und Markt ......................................................................................................
7
1.4
Das erwerbswirtschaftliche Prinzip........................................................................
9
1.5
Sind Preise abgestützt?........................................................................................... 12
1.6
Wert ....................................................................................................................... 14
1.7
Fragen zur Lernkontrolle ....................................................................................... 16
1.8
Lernpunkte und Ergänzung .................................................................................... 16
2
Denkströmungen
2.1
Scholastik............................................................................................................... 19
2.2
Merkantilismus ...................................................................................................... 20
2.3
Klassische Nationalökonomie................................................................................ 23
2.4
Komparative Kostenvorteile .................................................................................. 24
2.5
Neoklassik.............................................................................................................. 26
2.6
Nachhaltigkeit ........................................................................................................ 28
2.7
Wissenschaft .......................................................................................................... 29
2.8
Fragen zur Lernkontrolle ....................................................................................... 31
2.9
Lernpunkte und Ergänzung .................................................................................... 31
3
Öffentliche Güter
3.1
Paretoeffiziente Allokationen................................................................................. 35
3.2
Private versus öffentliche Güter............................................................................. 36
3.3
Wer zahlt für öffentliche Güter? ............................................................................ 38
3.4
Klubgut und Allmendegut...................................................................................... 39
3.5
Externalitäten ......................................................................................................... 41
19
35
VIII
Inhaltsverzeichnis
3.6
Akzeptanz und Kritik ............................................................................................. 43
3.7
Imitationen.............................................................................................................. 45
3.8
Infrastruktur............................................................................................................ 46
3.9
Fragen zur Lernkontrolle ........................................................................................ 49
3.10
Lernpunkte und Ergänzung .................................................................................... 50
4
Kapital und Vermögen
4.1
Bildung von Vermögen .......................................................................................... 53
4.2
Nachteile geringer Liquidität.................................................................................. 55
4.3
Finanzkontrakte ...................................................................................................... 57
4.4
Primärmarkt – Sekundärmarkt................................................................................ 59
4.5
Substitute ................................................................................................................ 61
4.6
Welche Seite der Wirtschaft dominiert?................................................................. 62
4.7
Fragen zur Lernkontrolle ........................................................................................ 63
4.8
Lernpunkte und Ergänzung .................................................................................... 64
5
Produktion
5.1
Produktion als Transformation ............................................................................... 67
5.2
Rentable Produktionen ........................................................................................... 69
5.3
Arbeitsverträge ....................................................................................................... 70
5.4
Corporate Governance............................................................................................ 72
5.5
Vorstand-Aufsichtsrat oder Board? ........................................................................ 75
5.6
Die Gesamtproduktion eines Landes ...................................................................... 76
5.7
Leistungsbilanz....................................................................................................... 78
5.8
Fragen zur Lernkontrolle ........................................................................................ 79
5.9
Lernpunkte und Ergänzung .................................................................................... 80
II
Unternehmertum
83
6
Unternehmertum
85
6.1
Investition zur Chancensicherung .......................................................................... 85
6.2
Rentabler Kombinationsprozess ............................................................................. 87
6.3
Eigentümer, Partner, Stakeholder ........................................................................... 89
6.4
Hierarchische Struktur............................................................................................ 90
6.5
Charakterisierungen des Unternehmers .................................................................. 91
6.6
Phasengerechtes Unternehmertum ......................................................................... 93
53
67
Inhaltsverzeichnis
IX
6.7
Fragen zur Lernkontrolle ....................................................................................... 96
6.8
Lernpunkte und Ergänzung .................................................................................... 97
7
Kapital
7.1
Zum Kapitalbedarf der Unternehmung .................................................................. 99
7.2
Eigen- und Fremdkapital........................................................................................ 101
7.3
Vorgehen bei Finanzierungen ................................................................................ 103
7.4
Capital-Budgeting .................................................................................................. 105
7.5
Kapitalstruktur-Theorien........................................................................................ 106
7.6
Bilanz ..................................................................................................................... 109
7.7
Solvenz – Insolvenz ............................................................................................... 110
7.8
Bilanzpolitik........................................................................................................... 111
7.9
Fragen zur Lernkontrolle ....................................................................................... 113
7.10
Lernpunkte und Ergänzung .................................................................................... 113
8
Jahreswirtschaftsergebnis
8.1
Aufwand und Ertrag............................................................................................... 115
8.2
Jahreserfolg ............................................................................................................ 117
8.3
Cashflow ................................................................................................................ 118
8.4
Finanzkraft ............................................................................................................. 120
8.5
EBIT....................................................................................................................... 122
8.6
EBITDA................................................................................................................. 123
8.7
Fragen zur Lernkontrolle ....................................................................................... 125
8.8
Lernpunkte und Ergänzung .................................................................................... 125
9
Finanzielle Führung
9.1
Führungssystem ..................................................................................................... 127
9.2
Finanzkennzahlen .................................................................................................. 128
9.3
Kalkulation............................................................................................................. 129
9.4
Kosten und Kostentreiber....................................................................................... 132
9.5
Marktgerechter Kapitalertrag ................................................................................. 133
9.6
Unternehmensbewertung ....................................................................................... 136
9.7
Economic Value Added ......................................................................................... 138
9.8
Fragen zur Lernkontrolle ....................................................................................... 139
9.9
Lernpunkte und Ergänzung .................................................................................... 139
99
115
127
X
Inhaltsverzeichnis
10
Risikomanagement
141
10.1
Preisrisiko............................................................................................................... 141
10.2
Terminmarkt........................................................................................................... 143
10.3
Backwardation und Contango ................................................................................ 145
10.4
Replikation ............................................................................................................. 147
10.5
Terminkurs ............................................................................................................. 149
10.6
Hedging .................................................................................................................. 151
10.7
Sollte eine Unternehmung hedgen? ........................................................................ 152
10.8
Fragen zur Lernkontrolle ........................................................................................ 155
10.9
Lernpunkte und Ergänzung .................................................................................... 156
III
Wirtschaftspolitik
159
11
Geld und Bankensystem
161
11.1
Geldwesen .............................................................................................................. 161
11.2
Banknoten............................................................................................................... 164
11.3
Vertrauen gerechtfertigt?........................................................................................ 164
11.4
Zeichengeld ............................................................................................................ 166
11.5
Abheben oder Überweisen ..................................................................................... 167
11.6
Geschäftsbanken..................................................................................................... 168
11.7
Zentralbank............................................................................................................. 170
11.8
Geld drucken .......................................................................................................... 172
11.9
Fragen zur Lernkontrolle ........................................................................................ 173
11.10
Lernpunkte und Ergänzung .................................................................................... 174
12
Geldpolitik
12.1
Geldpolitik.............................................................................................................. 177
12.2
Investitionsfalle und Liquiditätsfalle ...................................................................... 179
12.3
Japanische Verhältnisse und Greenspan-Put .......................................................... 181
12.4
Schocks und Stagflation ......................................................................................... 182
12.5
Fragen zur Lernkontrolle ........................................................................................ 184
12.6
Lernpunkte und Ergänzung .................................................................................... 184
13
Staat und Wirtschaftspolitik
13.1
Der Staat ................................................................................................................. 187
13.2
Steuern.................................................................................................................... 189
177
187
Inhaltsverzeichnis
XI
13.3
Ziele und Instrumente ............................................................................................ 192
13.4
Angebots- oder Nachfrageorientierung? ................................................................ 194
13.5
Konjunkturzyklen .................................................................................................. 195
13.6
Fiskalpolitik ........................................................................................................... 197
13.7
Struktur- und Industriepolitik................................................................................. 201
13.8
Fragen zur Lernkontrolle ....................................................................................... 202
13.9
Lernpunkte und Ergänzung .................................................................................... 202
14
Wirtschaftliche Entwicklung
14.1
Treibkraft der wirtschaftlichen Dynamik............................................................... 205
14.2
Frühe Phasen wirtschaftlicher Entwicklung........................................................... 207
14.3
Reifere Phasen wirtschaftlicher Entwicklung ........................................................ 209
14.4
Erste Stufe der Zusammenarbeit ............................................................................ 211
14.5
Zweite Stufe: Export, Import, Direktinvestitionen................................................. 213
14.6
Dritte Stufe: Kulturaustausch................................................................................. 216
14.7
Vierte Stufe: Integration......................................................................................... 217
14.8
Fragen zur Lernkontrolle ....................................................................................... 219
14.9
Lernpunkte und Ergänzung .................................................................................... 219
15
Krisen
15.1
Funktioniert die Wirtschaft gut? ............................................................................ 221
15.2
Wo Fragezeichen angebracht sind ......................................................................... 223
15.3
Selbstverstärkung und späte Gegenkraft ................................................................ 224
15.4
Drei frühe historische Krisen ................................................................................. 226
15.5
Zwei Weltwirtschaftskrisen ................................................................................... 228
15.6
Boom und Bust ...................................................................................................... 231
15.7
Minsky-Kollaps...................................................................................................... 233
15.8
Fragen zur Lernkontrolle ....................................................................................... 235
15.9
Lernpunkte und Ergänzung .................................................................................... 236
205
221
Literatur
239
Personenverzeichnis
247
Sachverzeichnis
249
I
Wirtschaften
1
Güter und Märkte
Wirtschaften heißt, über die Ressourcenallokation zu entscheiden, also über die Produktion und Distribution von Gütern. Wirtschaften verlangt, dass die Menschen dabei kooperieren und für die Zusammenarbeit Regelungen treffen und Institutionen errichten. In diesem ersten Kapitel unserer Einführung in die Wirtschaft besprechen wir Güter, Märkte, die Arbeitsteilung und das erwerbswirtschaftliche Prinzip. Die Themen: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
1.1
Güter Nutzen Geld und Markt Das erwerbswirtschaftliche Prinzip Sind Preise abgestützt? Der (ökonomische) Wert Fragen zur Lernkontrolle Lernpunkte und Ergänzung
Güter
Der Begriff Ökonomie leitet sich aus dem Griechischem oikos, „das Haus“ und nomos, „das Gesetz“ ab, bedeutet also so viel wie Grundlagen und Prinzipien des Haushaltens. Inzwischen ist Ökonomie als Bezeichnung für Wirtschaftswissenschaft zwar etwas veraltet, doch wir verwenden das Wort dennoch aufgrund seiner Kürze und um abzuwechseln. Da die Ökonomie in verschiedenen Ausrichtungen und Lehren entwickelt wurde – die Betriebswirtschaftslehre (BWL) befasst sich mit Unternehmen, die Volkswirtschaftslehre (VWL) mit der Gesamtwirtschaft eines Landes oder der ganzen Welt – ist zudem der Plural Wirtschaftswissenschaften üblich. Ziele und Methoden der Wirtschaftswissenschaften greifen ineinander. Auch die inhaltlichen Schwerpunkte wie etwa BWL und VWL überlappen sich. Der Versuch, Ziele, Methoden, Inhalte durch scharf formulierte Definitionen abzugrenzen, führt nicht immer weiter. Ähnliches gilt für die Verzahnung mit benachbarten Wissenschaften. So ist die Wirtschaftsinformatik als inzwischen fast eigenständiges Gebiet entstanden, ebenso das Wirtschaftsrecht, die Wirtschaftsethik und die Wirtschaftsgeschichte. Psychologie und Soziologie gehen Forschungen nach, bei denen der wirtschaftliche Bezug deutlich ist, so etwa zum Menschen im Arbeitsleben. Die Ökonometrie befasst sich mit der statistischen Auswertung von Daten. Die Spieltheorie untersucht Strategien bei Kooperation und bei Konfrontation. Seit einigen Jahrzehnten finden die Bezüge zwischen Ökonomie und Ökologie breite Beachtung.
4
I Wirtschaften
Die Wirtschaftswissenschaften untersuchen den Umgang mit Ressourcen. Das sind Mittel oder Quellen (von lateinisch resurgere „hervorquellen“), mit deren Einsatz ein Vorgang ablaufen kann. Mit dem Einsatz von Ressourcen kann entweder direkt Nutzen erzeugt werden, indem die Ressourcen gebraucht oder verbraucht werden. Oder die Ressourcen werden erst noch weiter verändert oder transformiert, bevor die Ergebnisse Nutzen für Menschen erzeugen. In diesen Fällen dienen die Ressourcen als Inputs für eine sich anschließende Produktion. Auch die Distribution, die Verteilung, stellt eine Form der Produktion dar. Ressourcen und Güter sind fast synonyme Begriffe. Doch wer von Ressourcen spricht, denkt eher an Inputs für Produktionsprozesse, während Güter eher die Outputs von Produktion sind. Dienstleistungen sind auch Güter, weshalb wir sie nicht immer eigens erwähnen. Beispiele von Ressourcen sind Rohstoffe, Energie, Arbeitszeit, Wissen. Beispiele für Produktion zeigt jeder Besuch einer Fabrik und die Distribution veranschaulicht jede Handelskette, jeder Supermarkt und jede Transportfirma. Der Nutzen zeigt sich in Zufriedenheit der Menschen über ihre materielle Situation. Der Nutzen drückt sich in der Bereitschaft aus, sich für Güter wie für Dienstleistungen zu engagieren, eigene Arbeit einzusetzen, um sie zu erhalten. Der Nutzen zeigt sich auch im Verzicht auf anderes, um Güter zu erhalten. Auf die Produktion folgt die Distribution: Güter müssen verteilt werden. Die Personen können sie dann verbrauchen, also konsumieren, oder, sofern sich die Güter dafür eignen, aufbewahren. Viele Ressourcen und Güter eignen sich zudem als Input für eine weitere Produktion. Letztlich, auch wenn vielleicht erst nach einigen Transformationen, dienen die Güter der Befriedigung von Bedürfnissen der Menschen. Bedürfnisbefriedigung bedeutet, dass die Güter Nutzen stiften. Immer wieder werden Güter nach gewissen Merkmalen sortiert und gruppiert. Nach dem direkten Verwendungszweck werden Konsumgüter von solchen Gütern unterschieden, die bei nachfolgenden produktiven Transformationen als Inputs dienen. Nach der Haltbarkeit hat man einerseits Güter, die nur im Augenblick ihrer Bereitstellung oder nur in einer Zeitperiode dienen, so wie eine Dienstleistung. Andererseits können Güter geeignet sein, in mehreren Perioden Nutzbarkeit zu bieten, so wie ein Gebäude oder ein Kunstwerk. Einige Güter sind nur in einer spezifischen Umgebung oder nur für einen ganz speziellen Einsatz nützlich. Beispiele für derart spezifische Güter sind spezielle Werkzeuge sowie das Wissen, wie das Werkzeug genau eingesetzt wird. Andere Güter haben universelle Nützlichkeit, so wie ein Messer oder das Wissen über das Kleine Einmaleins. Gewisse Paare von Gütern sind zueinander komplementär und zusammen deutlich nützlicher als allein. Eines der zahlreichen Beispiele ist das Mobiltelefon und der passende Akku. Wieder andere Güter können sich gegenseitig ersetzen oder substituieren, so wie Kartoffeln und Nudeln als Nahrungsmittel oder verschiedene Stücke chinesischer Musik. Viele Güter erzeugen besonderen Nutzen, wenn gewisse Informationen über sie glaubhaft sind. Das ist so bei Markenartikeln, weshalb viele Hersteller bemüht sind, eine gute Marke aufzubauen. Einige Güter stiften nur dann Nutzen, wenn sie nicht sehr verbreitet sind und Einmaligkeit ausstrahlen: Bei Kleidung ist oft abträglich, wenn eine andere Person genau dasselbe trägt. Die allgemein große Bedeutung von Gütern für unser Leben und die Vielfalt von Gütern machen verständlich, dass es diverse weitere Kriterien gibt, nach denen Einteilungen vorgenommen werden. Wir wollen im Weiteren zwei Eigenschaften aufgreifen und näher betrachten. (1) Einige Ressourcen werden als nicht-erneuerbar angesehen. Das bedeutet, dass bei der augenblicklichen Verbrauchsgeschwindigkeit und aufgrund unseres heutigen Wissens in der überschaubaren Zeit von einer oder auch von einigen Generationen absehbar ist, dass der Vorrat in unse-
1 Güter und Märkte
5
rer Welt erschöpft sein wird. Die Beispiele sind weithin bekannt: Erdöl, seltene Erden, edle Hölzer. Viele Menschen teilen die Ansicht, dass der Verbrauch nicht-erneuerbarer Ressourcen nach Prinzipien vorgenommen werden sollte, die sich von der sonst in der Wirtschaft üblichen Vorgehensweise unterscheiden. Empfohlen wird das Prinzip der Nachhaltigkeit – angelsächsisch Sustainability (nach lateinisch sustinere, „behalten“). Nachhaltigkeit verlangt einen sparsamen, haushälterischen Umgang mit den nicht-erneuerbaren Ressourcen. (2) Als zweite Eigenschaft behandeln wir externe Effekte. Externe Effekte liegen vor, wenn der Konsum oder Einsatz eines Gutes auf den Nutzen anderer Menschen ausstrahlt, sei es in positiver oder negativer Weise. Wir werden externe Effekte im Kapitel 3 besprechen und dann auch private und öffentliche Güter definieren und unterscheiden.
1.2
Nutzen
Der Nutzenbegriff hat in den Wirtschaftswissenschaften zwei Bedeutungen. Erstens wird Nutzen als Fähigkeit eines Gutes gesehen, Bedürfnisse von Menschen zu befriedigen. Der Nutzen entsteht dann aus der Nutzung oder aus dem Verbrauch des Gutes. Der Psychologe ABRAHAM MASLOW (1908–1970) hat anhand der Beobachtung ausgewählter Persönlichkeiten eine Pyramide der Bedürfnisse in das Zentrum seiner Lehre gestellt. Ihrer inneren Natur folgend versuchen Menschen, zunächst grundlegende Bedürfnisse zu befriedigen. Erst wenn diese einigermaßen erfüllt sind, wenden sich die Menschen weiteren Wünschen zu. Die Maslowsche Bedürfnishierarchie sieht auf der untersten Stufe (1) physiologische Bedürfnisse (Nahrung, Schutz). Sie werden als Erstes angegangen. Nur wenn sie zu einem guten Teil befriedigt sind, beginnt der Mensch, Ressourcen für seine (2) Sicherheitsbedürfnisse zu widmen (Versorgung). Ist auch das zu einem guten Teil gelungen, dann beginnt die Erfüllung von (3) sozialen Bedürfnissen (Freunde finden, Partnerschaften bilden, Familienzusammenhalt stärken). Erst danach werden (4) Individualbedürfnisse (Ansehen, Prestige, Anerkennung) befriedigt. Ganz zum Schluss wendet sich der Mensch seiner (5) Selbstverwirklichung (Talententfaltung, Selbstverbesserung, Individualität) zu. MASLOW meinte, nur wenige Menschen würden bis zu dieser letzten Stufe gelangen. Die Bedürfnispyramide von MASLOW orientiert sich dieser Auswahl entsprechend deutlich an westeuropäischen und nordamerikanischen Werten. Statusdenken und Individualismus stehen auf den höchsten Stufen. In asiatischen Ländern sind die Menschen eher bereit, soziale Pflichten zu erfüllen, bevor sie mit der Befriedigung persönlicher Wünsche beginnen. Selbst für die unterste Stufe (physiologische Bedürfnisse) ist zu sehen, dass Menschen Handlungen aus politischer oder religiöser Überzeugung als grundlegender selbst im Vergleich zur Stillung von Hunger und Durst einstufen.
Eine zweite Bedeutung des Nutzenbegriffs: Menschen stehen oft vor Entscheidungen und müssen – in einem einfachen Denkmodell – genau eine von mehreren Alternativen wählen oder genau eine von mehreren Aktionen ergreifen. In vielen Situationen entscheiden sie sich so, dass jenes Ergebnis entsteht, das sie „am liebsten“ haben. Die Personen folgen also einer Vorliebe, einem Geschmack. Sie entwickeln eine Präferenz, nach der sie Wahlhandlungen treffen. Das Wort Nutzen und der Ausdruck Nutzenmaximierung beschreiben in dieser zwei-
6
I Wirtschaften
ten Bedeutung, dass die Personen aufgrund ihrer Präferenz entscheiden. Nutzen ist ein Synonym zu Präferenz. In den Wirtschaftswissenschaften werden den Menschen keine Vorschriften gemacht, wie sie ihre Präferenzen bilden sollen. Wie über den Geschmack kann über die Präferenz nicht gestritten werden. Allerdings wird in großen Teilen der Wissenschaft unterstellt, die Wirtschaftssubjekte würden Rationalität beabsichtigen. Hinter der Annahme intendierter Rationalität steht diese Idee: Wer Entscheidungen von Tragweite trifft, wird sich bemühen, die getroffenen Aktionen Dritten gegenüber erklären zu können. Das setzt voraus, dass logisch und mit Vernunft vorgegangen wurde, das Best Practices, Erfahrungen, und wissenschaftliche Erkenntnisse befolgt wurden. Mit anderen Worten: Wer Entscheidungen von Tragweite trifft, wird sich um Rationalität bemühen. Sie macht für Dritte nachvollziehbar, wie die Entscheidung getroffen wurde. Weil die Welt begrenzt ist, sind Ressourcen, Güter und Dienstleistungen knapp. Wir leben nicht im Schlaraffenland. Deshalb sollten der Ressourceneinsatz sowie die Produktion und Distribution – kurz: die Allokation von Ressourcen – überlegt und zweckmäßig gestaltet werden. Verschwendung ist zu vermeiden ebenso wie Fehlallokationen. Hierzu Untersuchungen zu führen und Gestaltungsempfehlungen für die Wirtschaft zu geben, ist Aufgabe der Wissenschaft. Aus der angenommenen Rationalität ergeben sich gewisse Mindesteigenschaften, die Präferenzen haben sollten. Beispielsweise ist die Transversalität eine dieser Eigenschaften. Sie besagt: Wenn eine Person entweder X oder Y oder Z zu wählen hat, und wenn sie die Alternative X der Entscheidung Y vorzieht, und wenn sie außerdem Y besser findet als Z, dann sollte sie im Vergleich von X und Z eben X präferieren (nicht aber Z). Natürlich gibt es im Alltag viel Unvernunft. Einige Ökonomen versuchen, das tatsächliche Entscheidungsverhalten der Menschen zu beschreiben. Die deskriptive Wissenschaft, ebenso wie behavioristische Ansätze in den Wirtschaftswissenschaften wollen keine Wirtschaft modellieren, die von der Prämisse intendiert rationalen Verhaltens ausgeht. Deskriptive und behavioristische Ansätze erheben die Vernunft nicht zu einer Norm, die tunlichst angestrebt und eingehalten werden sollte. Stattdessen werden die Menschen so genommen, wie sie sind. Es wird versucht, erst zu Beschreibungen, und anschließend auch zu soziologischen und psychologischen Erklärungen zu gelangen. Die Erklärungen liefern ein Verständnis, das auch Prognosen gestattet, und zwar Prognosen über die Welt des Alltags – und nicht Prognosen über Vorgänge in einer modellierten Welt. Das angesprochene wirtschaftliche Geschehen – Ressourcenallokation: Produktion, Distribution, Konsum von Gütern und Diensten – bildet die Realwirtschaft (im Unterschied zur Finanzwirtschaft, auf die wir gleich zu sprechen kommen).
1 Güter und Märkte
1.3
7
Geld und Markt
Die Ressourcenallokation erleichtern zwei Grundpfeiler des Wirtschaftslebens. Den einen bilden Eigentumsrechte. Viele Dinge, Rechte, Gedanken und Ideen haben Eigentümer. Die jeweiligen Eigentümer können weitgehend, wenngleich nicht grenzenlos, über die ihnen gehörenden Güter verfügen. So dürfen Eigentümer entscheiden, wie die ihnen gehörenden Güter verwendet werden. Vielfach werden ihre Präferenzen durch Eigennutz geprägt sein, doch die Menschen sind auch immer wieder altruistisch. 2. Der zweite Grundpfeiler für die Ressourcenallokation liegt darin begründet, dass viele Güter interpersonell übertragbar (fungibel) sind. Sie eignen sich für eine Weitergabe, vor allem für den Tausch gegen andere Ressourcen, Güter und Dienstleistungen. In den letzten Jahrzehnten wurden enorme Fortschritte gemacht, die es beispielsweise gestatten, Nahrungsmittel über Kontinente hinweg zu transportieren. Wenn die fungiblen Ressourcen haltbar sind, eignen sie sich zudem für eine Vermietung. 1.
Das ist uns allen geläufig. Wir haben es nur erwähnt, um darauf hinzuweisen, dass durch Tausch (oder Vermietung) Arbeitsteilung möglich wird. Die Arbeitsteilung zerfällt die insgesamt anstehenden Aufgaben der Produktion in einzelne Teile und Abschnitte. Erstens bewirkt die Arbeitsteilung eine Auffächerung von dann nebeneinander stehenden Produktionen, wie etwa zwischen Fischern, Bauern und Jägern. Zweitens zerlegt die Arbeitsteilung Sequenzen in einzelne, aufeinander folgende Produktionsschritte. So haben sich Berufe wie etwa Bauer, Müller und Bäcker herausbilden können. Drittens bewirkt die Arbeitsteilung auch in der Hierarchie eine Unterscheidung von Tätigkeiten, die auf den einzelnen Stufen auszuführen sind. Einige Personen konzentrieren sich auf die Tätigkeiten an der Spitze der Hierarchie. Sie koordinieren, erteilen Anweisungen, überwachen. Andere Personen konzentrieren sich auf Tätigkeiten, die auf den mittleren oder unteren Stufen der Hierarchie anfallen. Diese Personen führen beispielsweise eine fachspezifische Tätigkeit unter der Anweisung einer vorgesetzten Instanz aus. Arbeitsteilung ist vorteilhaft, weil sie es erlaubt, jene Spezialisierungsvorteile zu erhalten, die eine Konzentration auf einen engen Tätigkeitsbereich mit sich bringt. Niemand kann alles gleich gut, und wenn Tausch möglich ist, muss auch niemand alles tun. Bei der handwerklichen Berufstätigkeit und gleichermaßen an Arbeitsplätzen in der Industrie sind uns die Spezialisierungsvorteile geläufig. Aber auch bei Produktionsvorgängen, die weitgehend von Maschinen und Robotern ausgeführt werden, sind Spezialisierungsvorteile möglich. Zahlreiche Produktionen sind daher von vornherein so angelegt, dass sie auf spezielle Ressourcen und auf spezielle Transformationen zugeschnitten sind. Jungen Menschen wird empfohlen, dass sie – nach einer Zeit, in der sie sich auf Internship Programmen und im Ausland umsehen – ihre Spezialität finden und sich dann darauf konzentrieren. Sobald Tausch oder eine Vermietung oder Anmietung möglich ist, dürfte sich jede Person auf das konzentrieren, was sie am besten kann. In der Folge produziert die Person mehr, als sie selbst benötigt, und sie tauscht den nicht für den Eigenverbrauch gedachten Teil des Produktionsergebnisses gegen die von ihr erwünschten Konsumgüter – die von ihr nicht mehr selbst produziert werden.
8
I Wirtschaften
ADAM SMITH (1723–1790), schottischer Moralphilosoph und Begründer der klassischen Nationalökonomie, hat in seinem Buch „Wohlstand der Nationen – Eine Untersuchung seiner Natur und seiner Ursachen“ 1776 die Arbeitsteilung und die durch sie möglichen Spezialisierungsvorteile beschrieben. SMITH hat weiter analysiert, wie Märkte den anschließenden Tausch erlauben. Ein Tausch mit Übergabe des Eigentums könnte – ebenso wie eine Vermietung – durchaus in Naturalien ablaufen. Oft wird der Naturaltausch noch so auf dem Land praktiziert. Doch alles wird erheblich erleichtert, wenn die Partner Geld als ein Zwischenmedium einführen und beim Bezahlen verwenden. Geld muss dazu verbreitet und akzeptiert sein. Weitere Eigenschaften des Geldes werden wir noch (in Kapitel 11) besprechen. Mit Geld lassen sich Tauschrelationen, die bei Transaktionen zwischen verschiedenen Personen vereinbart werden, einfach vergleichen. Das Geld bietet eine Recheneinheit. Während beim Naturaltausch die Tauschpartner die Relationen und Tauschverhältnisse zwischen allen denkbaren Güterpaaren kennen mussten – um nicht wie Hans im Glück zu enden – kommt es in einer Geldwirtschaft nur auf das Tauschverhältnis zum Geld an, auf den Preis. Der Partner, der das Gut erwirbt und den Kauf mit Geld bezahlt, ist der Nachfrager. Der Partner, der das Gut hergibt und für den Verkauf Geld nimmt, ist der Anbieter. Die Preise der handelsüblichen Güter werden schnell bekannt. Vergleiche zwischen verschiedenen Tauschgeschäften werden dadurch viel leichter. Die Preise der Güter werden sich angleichen. Am Ende sind alle Handelspartner gezwungen, in die übereinstimmenden Preise einzuwilligen. Die leichte Vergleichsmöglichkeit über alle Transaktionen und die Einheitlichkeit der Preise lassen einen Markt entstehen. Der Markt erlaubt, in der Wirtschaft eine neue Güterverteilung (Allokation) herbeizuführen, die auf Freiwilligkeit aller Personen beruht. Daher verbessert der Markt die Allokation, ohne irgendjemanden zu benachteiligen. Einige Personen können ihren Nutzen erhöhen, während für niemanden der Nutzen geringer ist. Zudem geschieht dies ohne Aufwand – die Kosten für die Marktnutzung sind minimal. Dies sind zwei weitere Vorteile des Markttauschs: Nutzengewinn für einige, wobei niemand Nutzennachteile hat, Leichtigkeit und minimale Kosten für den Markt als Organisation zur Bewerkstelligung von Änderungen der Allokation. Dort wo einmal ein Markt entstanden ist, übt er eine enorme Anziehungskraft auf Nachfrager und Anbieter aus. Jede und jeder versteht sofort, dass die Übernahme des Marktpreises die Verhandlungen stark abkürzt und den Abschluss eines Kaufvertrags erleichtert. Niemand willigt mehr in Transaktionen ein, die „am Markt vorbei“ laufen sollten. Denn dann bestünde die Gefahr, dass eine der Seiten schlechter fährt als auf dem Markt. Und die Seite, die bei einem am Markt vorbeigehenden Tauschgeschäft gewinnt, wird bald als eine Person angesehen, die andere übervorteilen will. Auch die potenziellen Gewinner handeln lieber über den Markt. Diese Anziehungskraft hat wiederum zur Folge, dass ein Anbieter versuchen muss, sich an die Marktbedingungen anzupassen. Andernfalls hat der Anbieter keine Chance, Produkte verkaufen zu können. Gleiches gilt für Nachfrager. Entweder die Nachfrager schaffen es, die Marktbedingungen zu akzeptieren, oder sie haben keine Möglichkeit, das Gut für sich zu besorgen. Der Anpassungsdruck des Marktes diszipliniert. Disziplin ist natürlich gelegentlich anstrengend, doch sie zwingt zu Verbesserungen, die dann zum Vorteil für alle gerei-
1 Güter und Märkte Tabelle 1-1:
9
Vier wirtschaftliche Vorteile, die durch Märkte bewirkt werden.
Spezialisierungsvorteile
Die Personen können sich die Arbeit teilen und sich auf jene Teilaktivitäten konzentrieren, bei denen sie jeweils ihre Spezialisierungsvorteile haben.
Verbesserung der Allokation
Einige haben einen Nutzenzuwachs, niemand hat einen Nutzennachteil.
Quasi kostenlose Organisation
Die Verträge können vergleichsweise leicht geschlossen werden, weil der Marktpreis vorliegt und akzeptiert wird; Kosten entstehen allenfalls für die Suche im Markt und für die Ausführung von Lieferung und Gegenlieferung.
Disziplinierung der Markteilnehmenden
Niemand hat die Möglichkeit, am Markt vorbei zu für sich günstigeren Konditionen zu tauschen; die Erfüllung des Marktüblichen verlangt eine gewisse Anstrengung.
chen. Produzenten verbessern die Qualität und die Produktionsprozesse, Nachfrager erhöhen ihre Zahlungsmoral. Die Disziplinierung ist daher ein (weiterer) Vorteil der Marktwirtschaft (Tabelle 1-1). Selbstverständlich zeigen die Preise, wie viel Geld man etwa den Verkauf eines Produktionsergebnisses erlösen kann und wie viel Geld für ein Bündel aus Konsumgütern bezahlt werden muss. Somit lenken die Marktpreise das Angebot und die Nachfrage, den Konsum und auch die Produktion. Das Wirtschaftsgeschehen wird durch die Preise gleichsam durch eine unsichtbare Hand gelenkt – im Unterschied zu einer sichtbaren Hand, wie sie eine übergeordnete Instanz wie der Staat ausüben könnte.
1.4
Das erwerbswirtschaftliche Prinzip
Bislang haben wir das Geld als Tauschmedium (oder Zahlungsmittel) betrachtet. Sobald Geld allgemein Vertrauen genießt, dass es auch morgen noch akzeptiert wird, und dass sich die Preise nicht unberechenbar und dramatisch verändern werden, wird Geld für die Wertaufbewahrung verwendet. Die Haushalte beginnen damit, beim Verkauf ihrer Spezialitäten erhaltenes Geld nicht gleich vollständig aufzugeben. Sie „legen es auf die Seite“. Wenn es Märkte gibt und wenn Geld nicht nur für die Bezahlung akzeptiert ist, sondern auch die Wertaufbewahrung erlaubt, dann tritt ein neuer Zustand in das Wirtschaftsleben ein: Die Menschen beginnen damit, mehr zu produzieren, um mehr Geld auf die Seite legen zu können – sei es für den Notfall, sei es für größere Anschaffungen oder Geschenke. Vorsorge und Sicherheit sind in der Maslowschen Bedürfnispyramide als Grundbedürfnisse genannt. Vielleicht verleihen die Menschen auch ihr Geld an Dritte, machen Schenkungen oder sie möchten den Nachfahren das Leben erleichtern. Die Menschen folgen dem erwerbswirtschaftlichen Prinzip: Wirtschaftliche Entscheidungen werden so getroffen, dass über die Befriedigung des unmittelbaren Eigenbedarfs hinaus weitergehende Erlöse angestrebt werden.
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I Wirtschaften
Die Möglichkeit, Geld auf die Seite legen zu können, ist für viele Menschen Ansporn. Geld bietet Sicherheit, Anerkennung und hier und da auch Macht.
Der Ansporn führt zu einer Steigerung wirtschaftlicher Aktivität, und das erhöhte Angebot produzierter Güter geht mit reduzierten Preisen im Markt einher. So werden die Güter für andere Menschen erschwinglicher. Das erwerbswirtschaftliche Prinzip führt daher zu einer quantitativen Ausweitung bei der Produktion und Distribution von Gütern. Das erwerbswirtschaftliche Prinzip motiviert aber nicht allein dazu, quantitativ mehr einzusetzen oder länger zu arbeiten. Es motiviert ebenso zu qualitativen Verbesserungen und zur Schaffung von Neuem, das in Märkten als wertvoll angenommen wird und höhere Erlöse einbringt.
Das erwerbswirtschaftliche Prinzip ist damit der Motor von Wirtschaftswachstum in Quantität und Qualität. Insgesamt wird der materiell begründete Wohlstand durch das erwerbswirtschaftliche Prinzip gesteigert und zwar letztlich für alle Menschen. ARISTOTELES (384–322 v. Chr.), der wohl einflussreichste Philosoph der Antike, hat zwei Arten des Wirtschaftens unterschieden: das haushälterische und das erwerbswirtschaftliche Prinzip. Beim ersten Prinzip bemüht sich der Haushalt um eine optimale Allokation vorhandener Ressourcen. Ziel ist, ohne fremde Hilfe durchzukommen, weshalb sparsam vorgegangen werden muss (Nachhaltigkeit). Beim zweiten Prinzip werden Arbeit, Produktion und Eigenkonsum so ausgerichtet, dass weitergehende Erlöse erzielt werden, die nicht unmittelbar konsumiert werden. Ziel ist, die Markterlöse zu maximieren. Besonders groß ist die Motivation zu mehr Engagement und Innovation natürlich bei jenen Menschen, die erkennen, dass sie beim erwerbswirtschaftlichen recht erfolgreich sind. In der Folge haben die bereits Erfolgreichen immer noch mehr Erfolg. Ein Sprichwort sagt: Wo viel Geld ist (Indikator für Erfolg beim erwerbswirtschaftlichen Prinzip), kommt noch mehr Geld hinzu (weil Erfolg zu mehr Engagement motiviert). Leider werden jene Menschen entmutigt, die beim erwerbswirtschaftlichen Prinzip nur unterdurchschnittliche Ergebnisse erreichen. Sicherlich sind die Menschen hinsichtlich des erwerbswirtschaftlichen Prinzips unterschiedlich begabt. Durch die Rückwirkung verlieren die weniger Begabten Vertrauen und Zuversicht. Ihr ohnehin geringer Erfolg wird noch geringer. Mit dem erwerbswirtschaftlichen Prinzip – viele sagen auch: „Kapitalismus“ – haben die Menschen eine „Spielregel“ für das Wirtschaften eingerichtet (oder sie folgen einer Spielregel, die einige als „natürlich“ gegeben ansehen, und nicht als frei gewählt). 1. 2.
Die Regel erhöht den materiellen Wohlstand aller Menschen. Allerdings ist der relative Nutzenzuwachs höchst unterschiedlich (sofern er überhaupt gemessen und verglichen werden kann): Einige Personen gewinnen durch das erwerbswirtschaftliche Prinzip sehr viel, andere gewinnen nur wenig.
Nach den bisherigen Überlegungen ist eine ungleiche Verteilung der Einkommen und Vermögen eine gleichsam unvermeidbare Begleiterscheinung, wenn hohes quantitatives und qualitatives Wirtschaftswachstum gewünscht wird. Wenn die Gesellschaft eine Spielregel für die Wirtschaftsordnung einführt, kommt der Gesellschaft die Aufgabe zu, die mit der Regel erzielbaren Ergebnisse zu beurteilen und allenfalls über Korrekturen zu befinden. Selbstverständlich wird angestrebt, die Gesellschaft nicht zu spalten. Doch bis zu welcher Ungleichheit von Einkommen und Vermögen bleiben Einverständnis und Mitwirkung großer Gruppen der Bevölkerung aufrecht erhalten?
1 Güter und Märkte
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In der verteilungspolitischen Auseinandersetzung wird um einen Kompromiss gerungen.
Die eine Seite gibt vor, ungleiche Verteilungen von Einkommen und Vermögen seien wenig sozial, ungerecht, und für die Demokratie abträglich. Diese Seite gibt auch vor, dass höhere Löhne und höherer Renten zu mehr Konsum führen und dadurch die Wirtschaft gefördert werde. Diese Argumente führen oft zu einer grundsätzlichen Kritik am erwerbswirtschaftlichen Prinzip, an der freien Marktwirtschaft, am Wachstumsziel der Wirtschaft und an der dominanten Rolle des Geldes im Leben. Die andere Seite argumentiert, dass durch zusätzliche Belastungen und Beschränkungen die Wirtschaft letztlich weniger wachse, die heimische Produktion im Wettbewerb mit dem Ausland verlieren würde. Ein weiteres Argument dieser Seite ist, dass durch größere wirtschaftliche Freiheit höhere Wirtschaftsleistung entsteht, die sich auf Dauer in mehr Wohlstand für alle ausdrücken sollte.
Dieses Thema ist natürlich Gegenstand politischer Auseinandersetzung. Es gibt keine generelle Antwort, die überall identisch wäre. Im Zeitverlauf wurden unterschiedliche Antworten gegeben. Die praktische Vorgehensweise der Politik ist die: Wer beim erwerbswirtschaftlichen Prinzip zu den großen Gewinnern gehört, der muss sich an einer gewissen Kompensation jener beteiligen, die mit dem erwerbswirtschaftlichen Prinzip vergleichsweise wenig gewinnen (auch wenn sie nichts verlieren). Das kann durch unterschiedliche Steuertarife geschehen. Die wirtschaftlich Erfolgreichen müssen aufgrund der Steuerprogression von ihrem Einkommen und Vermögen mehr abgeben als andere. Letztlich geht es um die Frage, wie die Eigentumsrechte und denkbare Korrekturen der Eigentumsverhältnisse (etwa durch Steuern) in der Wirtschaft festgelegt werden sollen. Hier hat die Menschheit natürlich Wahlmöglichkeiten. Im Tierreich sind die „Eigentumsrechte“ durch den Erfolg des Stärkeren geprägt. Doch bei der Menschheit, so die Lehre von einem Jahrtausend moralischer Entwicklung, sollten Eigentumsrechte in Verfassung und im Gesellschaftsvertrag so festgelegt werden, dass ethische Normen befolgt werden. In Staatsverfassungen werden daher Ziele angesprochen, die nicht allein den materiellen Erfolg in den Mittelpunkt der wirtschaftlichen Freiheit rücken. Hier und da finden sich in den Verfassungen Gesetze, die das Wirtschaftsgeschehen sozial verträglicher gestalten sollen. Ebenso verlangen viele Verfassungen, die Natürlichkeit des menschlichen Lebens und die Familien zu schützen. Der Begriff der Ethik kam in der Scholastik auf, etwa ab dem Hochmittelalter. Einer der Hauptvertreter der Scholastik war THOMAS VON AQUIN (1225–1274). Die Scholastik entwickelte eine logische Argumentation, die stets dem Schema von These – Antithese – Synthese folgte. Durch die Notwendigkeit, zu jeder These zunächst einmal eine Antithese zu entwickeln, wurde eine Heterogenität beim Denken angeregt, welche die Wurzeln für eine kritische und letztlich kreative Gedanken- und Meinungsvielfalt legte, auf die wir heute noch stolz sein können. Die Heterogenität beim Denken stellte stets den Nährboden für Kreativität.
12
I Wirtschaften
1.5
Sind Preise abgestützt?
Wie ausgeführt, werden aufgrund der Anziehungskraft des Marktes bald die Transaktionen aller Personen dort abgewickelt. Der Markt bietet die Sicherheit, dass die Marktpreise das Ergebnis sehr vieler Käufe und Verkäufe sind, dass also die Preise breit abgestützt sind. Die Breite der Abstützung der Preisbildung ist indessen nicht allein dadurch gegeben, dass der Markt mit seiner Anziehungskraft eine große Anzahl von Transaktionen auf sich zieht.
Ein zweiter Umstand, der für eine breite Abstützung von Preisen sorgt, ist die Heterogenität von Angebot und Nachfrage: Wenn es zahlreiche, voneinander unabhängige Marktteilnehmer gibt, die persönlichen Umständen und eigenen Einschätzungen folgen, dann werden die Marktpreise relativ stabil bleiben und sich nur wenig verschieben, wenn sich einzelne Marktteilnehmer einmal anders verhalten, etwa weil es neue Informationen gibt. Bei Heterogenität von Angebot und Nachfrage reagieren die Preise wenig sensitiv auf neue Informationen. Wenn das Gut nahe Substitute hat, dann wird die Preisbildung des Gutes auch durch die Preise der Substitute abgestützt. Man sagt, die Preise seien verankert, eben festgemacht in den Preisen der Substitute. Denn die Marktteilnehmer nehmen ins Kalkül, welchen Preis die Substitute haben und möglicherweise weichen sie aus. Ein Markt für ein Gut, der durch die Substitute viele Ausweichmöglichkeiten bietet, wird auch als dick bezeichnet.
Ein dicker Markt ist beispielsweise der für Autos der Mittelklasse. Wer nachrechnet entdeckt, dass selbst die Attribute und Ausstattungspakete einen fest verankerten Preis haben. Der Markt für Wagen der Luxusklasse ist schon etwas dünner, weil ein Luxusauto (in den Augen der entsprechenden Käuferschicht) weniger Substitute hat. Die Preisbildung für Gold hängt zwar teils von der Nachfrage nach Schmuck ab, weshalb die Goldpreise etwas vom Verhalten der Schmuckkäufer bestimmt sind, doch ansonsten ist der Markt für Gold nicht verankert. Die Preisbildung ist breit abgestützt, wenn (1) es zahlreiche Markteilnehmende gibt, wenn (2) sie heterogene Präferenzen haben (und nicht alle identisch denken), und wenn (3) der Markt dick ist und die Preisbildung somit auch im Markt von Substituten verankert ist. In einem Markt mit breit abgestützter Preisbildung versucht niemand, die Preisbildung zu beeinflussen. Die Preise werden akzeptiert, und die Entscheidung der Teilnehmenden betrifft lediglich die Quantität, die sie zu dem vorliegenden Preis anbieten oder nachfragen wollen. Das ist in einem dünnen Markt anders. Ein Markt ist dünn, wenn es nur wenige Transaktionen gibt, wenn sich vielleicht die Teilnehmenden alle an denselben Informationen ausrichten, und die Preisbildung kaum mit der in Märkten für andere Güter verbunden ist. In dünnen Märkten können leichter Preisveränderungen eintreten. In einem dünnen Markt können einzelne Marktteilnehmende auch versuchen, die Preisbildung taktisch zu beeinflussen. Zu solchen Taktiken gehört, dass Anbieter die Einmaligkeit ihres Angebots herausstellen und vorgeben, dass der von ihnen geforderte Preis nicht mit Preisen anderer Güter verglichen werden dürfe. Nachfrager würden ebenso zu Taktiken greifen, um die Anbieter zu Preiszugeständnissen zu bewegen. Sie würden beispielsweise vorge-
1 Güter und Märkte
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ben, es sich anders überlegt zu haben und hoffen, Anbieter würden darauf den geforderten Preis reduzieren. Ein dünner Markt kann auch die Folge von Homogenität bei Angebot und Nachfrage sein. Wenn die Marktteilnehmer alle zu ähnlichen Einschätzungen und Kalkulationen gelangen, dann werden die Marktpreise – auch wenn sie auf das Angebot und die Nachfrage zahlreicher Marktteilnehmer zurückgehen – ausgesprochen sensitiv auf neue Informationen reagieren. Durchaus kommt dann vor, dass Informationen manipuliert werden. So haben die Gebrüder HUNT ab 1973 durch Käufe von Silber – sie kauften insgesamt physisch 5000 Tonnen des Metalls sowie 2000 Tonnen über Termingeschäfte – den Preis nach oben getrieben. Spekulanten sahen die Preisbewegung, vermuteten neue Information, und sind auf den fahrenden Zug aufgesprungen. Überraschend für alle hatte 1980 die Aufsichtsbehörde COMEX neue Termingeschäfte verboten, und der Preis für Silber viel daraufhin. Die Gebrüder HUNT mussten verkaufen, um ihre Kredite zu bedienen. Bald waren sie bankrott. Tausende von Spekulanten, die gefolgt waren, verkauften ebenso. Der Silberpreis viel weiter und es setzte über 25 Jahre ein Bärenmarkt ein. Ob ein Markt eher dick oder eher dünn ist, hängt von der Verwendungsmöglichkeit des gehandelten Gutes ab.
Der Markt für Konsumgüter zeigt große Heterogenität, weil die Geschmäcker verschieden sind. Die Kochgewohnheiten sind über Jahrzehnte hinweg stabil. Nahrungsmittel und andere Konsumgüter haben zahlreiche Substitute. Die Preise sind breit abgestützt und reagieren selbst bei neuen Informationen kaum – es sei denn, es käme zu Nachrichten über mögliche Gesundheitsschädigungen. Der deutsch-amerikanische Ökonom RUDIGER DORNBUSCH (1942–2002) meinte denn auch, die Preise für solche Güter seien wie festgeklebt oder sticky. Im Unterschied dazu reagieren Finanzmärkte – wir werden in Kapitel 4 auf sie zu sprechen kommen – reagieren recht homogen. Denn die Teilnehmende sind Investoren und Finanziers, die alle ähnlich kalkulieren und sich mehr oder weniger an der Rendite orientieren. Neue Informationen haben in den Finanzmärkten deshalb sofortige und deutliche Preisausschläge zur Folge.
Die Marktliquidität ist wichtig und wird dennoch häufig übersehen. Wenn weder Käufer noch Verkäufer lange auf transaktionsbereite Gegenseiten warten müssen, und wenn sich auch durch eine größere Transaktion der Marktpreis kaum ändert, so wird der Markt als liquide bezeichnet. Die Liquidität und die zuvor besprochenen Markteigenschaften hängen nur teilweise zusammen. Durchaus kann ein Markt breit abgestützte Preise haben und doch muss bei Transaktionswünschen noch lange gesucht und auf eine Gegenseite gewartet werden. Zum Beispiel sind die Preise im Immobilienmarkt durchaus breit abgestützt, und dennoch verlangt ein Transaktionswunsch Suche und Geduld. Der Markt für Gold ist vergleichsweise dünn, denn es gibt wenig Substitute. Der Goldpreis ist letztlich auch nur schwach in den beiden Verwendungsmöglichkeiten Schmuck und Schalterkontakte verankert. Kleinere Informationen, etwa über eine vermutete Inflation, bewirken oft, dass viele zur Wertaufbewahrung „in Gold flüchten“. Dennoch ist der Markt für Gold höchst liquide und das Handelsvolumen hoch. Die Liquidität eines Marktes kann durch einen Round Trip gemessen werden: Eine bestimmte Quantität des Gutes wird schnellstmöglich gekauft und sogleich wird ein Verkaufswunsch geäußert: Wie viel Zeit wird benötigt und wie viel Geld hat man dabei verloren?
14
I Wirtschaften
In Krisen kann Liquidität gleichsam über Nacht zusammenbrechen. Denn bei Transaktionen besteht immer eine kritische Zeit bis zur Abwicklung, Abrechnung und zur Bezahlung. Wenn in dieser kritischen Zeit die eine Seite in Konkurs gehen könnte, wird sie sofort als Handelspartei gemieden. Das ist insbesondere dann möglich, wenn Kreditwürdigkeit verlangt ist oder die Qualität des Gutes Vertrauen zwischen den Handelsparteien verlangt. Fehlt Vertrauen, bricht die Liquidität des Marktes zusammen. Zwar könnten durchaus noch Preise genannt werden, doch niemand ist zu einer Transaktion bereit.
1.6
Wert
Selbstverständlich ist Liquidität erwünscht. Besitzt ein Markt hohe Liquidität und die zuvor genannten Merkmale, dann funktioniert er in idealer oder perfekter Weise. Ein Markt ist ideal funktionierend oder perfekt, wenn er (1) allen offen steht, (2) keine Transaktionskosten das Marktgeschehen einengen, (3) wenn die Marktpreise allgemein bekannt sind, ebenso wie die Qualitäten der gehandelten Güter, (4) wenn die Teilnehmenden die bestehenden Marktpreise akzeptieren (und nicht mit der Möglichkeit kalkulieren, sie verändern zu können) und wenn (5) der Markt dick und (6) liquide ist. Zugegebenermaßen funktionieren einige konkrete, marktähnliche Tauschveranstaltungen unseres Alltages nicht immer so wie der eben gezeichnete perfekte Markt. In einem Monopol etwa kann der Monopolist den Preis bestimmen. Ist ein Markt aber perfekt, also offen, mit breit abgestützten Preisen, und versucht niemand, Marktmacht auszuüben, dann wird der Markt als fair angesehen. Entsprechend wird von fairen Preisen gesprochen. Der perfekte Markt erzeugt faire Preise. Anzuschließen ist, dass bei den im Alltag anzutreffenden Märkten oftmals eine der Parteien Handelsmacht hat oder mit Taktik oder mit Strategie anstrebt. So wird bei den Farmern in Drittländern oftmals argumentiert, die Einkäufer aus den reichen Industrieländern könnten sie dazu zwingen, in einen geringen Preis einzuwilligen. Dann wird von „fairen Preisen“ nur gesprochen, wenn der Abnahmepreis eine gewisse Mindesthöhe hat, die einem ethischen Imperativ folgt. Wird ein Güterbündel betrachtet, und werden die Quantitäten der darin enthaltenen Güter mit ihren jeweiligen, fairen Preisen multipliziert und die Summe gebildet, so entsteht der Wert des Güterbündels. Der Wert ist der Geldbetrag, der durch einen Verkauf erzielt werden könnte (wenn es perfekte Märkte gäbe). Dies ist gleichzeitig der Geldbetrag, den ein Käufer (in perfekt funktionierenden Märkten) zahlen müsste. Die Märkte in unserer Welt funktionieren nicht immer so ideal. Die tatsächlich zustande kommenden Preise sind dann anders, als wenn der betreffende Markt ideal oder wenigstens etwas besser funktionieren würde.
1 Güter und Märkte
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Um dann doch eine Bewertung vornehmen zu können, muss der Markt als ideal funktionierend angenommen werden. Das Geschehen in einem perfekt funktionierenden Markt wird in einer Überlegung, in einer Modellbetrachtung nachgebildet. Der perfekte Markt wird simuliert. Das Modell oder die Simulation liefert die für die Bewertung benötigten fairen Preise. Bewertungen liefern daher nicht notwendigerweise den Preis, der gerade in einem konkreten Marktumfeld erzielt werden könnte. Der Wert muss noch adjustiert werden, um daraus eine Preisidee für ein konkretes Marktumfeld abzuleiten. Immer wieder ist dies bei Immobilien zu bedenken. Beispielsweise kann eine Konjunkturschwäche dazu führen, dass der Immobilienmarkt nicht „so wie sonst“ funktioniert und „untypische“ Käufe und Verkäufe zu verzeichnen sind. Um trotz der Abweichung von der Normalität eine Immobilie zu bewerten, werden im Bewertungsmodell Bedingungen unterstellt, die als „typisch“ und „langfristig realistisch“ angesehen werden. Deshalb ist durchaus denkbar, dass gewisse Objekte, Güter, Ressourcen sogar für lange Zeit unter oder über ihrem Wert gehandelt werden. Der Managementguru PETER F. DRUCKER (1909–2005) hat die moderne Wissensgesellschaft gezeichnet und drei Argumente entwickelt:
Know-how ist die wertvollste Ressource der Menschheit. Der „faire“ Wert von Wissen ist noch nicht überall erkannt, denn Wissen ist nicht immer fungibel und Märkte für Wissen sind nur punktuell vorhanden. Wir sind wir derzeit noch in keinem Gleichgewicht, was das Wissen betrifft. Dies, so DRUCKER, sei an starken Veränderungen zu sehen: Viele Menschen verlassen traditionelle Unternehmen und möchten ihr Wissen anders verwerten.
Die drei Argumente von DRUCKER lassen sich durchaus nachvollziehen. Allerdings gibt es hier und da Käufe und Verkäufe ganzer Unternehmen, wobei aufgrund des Wissens der Unternehmung, wozu auch der Markenname zählt, teils sehr hohe Preise bezahlt werden. Das bedeutet, dass hier und da sehr viel für Wissen bezahlt wird. Das dritte Argument von DRUCKER weist auf Veränderungen, die zu einer allgemein höheren Einschätzung der wirtschaftlichen Bedeutung von Wissen führen dürften. In den letzten Jahren war durchaus eine Intensivierung der Diskussion um Intellectual Property Rights zu beobachten. Die Auseinandersetzungen zwischen der amerikanischen Unternehmung Apple Inc. und der koreanischen Samsung Group zeigt, dass Wissen immer mehr als wertvollste Ressource der Menschheit erkannt wird. Der Wertbegriff hat verschiedene Bedeutung. Der Marktwert wurde als Tauschwert definiert. Weil die Markteilnehmer nach ihren Präferenzen entscheiden, wie viel sie anbieten oder nachfragen, reflektiert der Marktwert zugleich den Nutzen der am Marktgeschehen Teilnehmenden. In der Arbeitswertlehre wird der „Wert“ durch die Arbeit bestimmt, die durchschnittlich für die Produktion eines Gutes eingesetzt wird, entweder direkt, oder indirekt über das Erfordernis, andere Produktionsfaktoren auch durch Arbeit zu schaffen.
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I Wirtschaften
1.7
Fragen zur Lernkontrolle
1.
In diesem Kapitel sind neben dem Philosophen der Antike, ARISTOTELES, sowie dem Scholastiker THOMAS VON AQUIN, drei Wissenschaftler genannt worden: A. MASLOW, A. SMITH und R. DORNBUSCH. In welchem Zusammenhang und wofür wurden die fünf Denker und Autoren genannt?
2.
Der Nutzen hat eine zweifache Bedeutung. Geben Sie kurze Definitionen!
3.
Wie unterscheiden sich das haushälterische und das erwerbswirtschaftliche Prinzip?
4.
a) Was ist ein dicker Markt? b) Wann ist ein Markt liquide? c) Welche Eigenschaften sollte ein Markt haben, um als ideal funktionierend oder als perfekt zu gelten?
5.
Inwiefern sind bei neuen Informationen die Preise an den Märkten für Konsumgüter wie festgeklebt (sticky), während die Preise an den Finanzmärkten oftmals stark reagieren?
6.
a) Wie ist der ökonomische Wert eines Gutes oder eines Güterbündels definiert? b) Darf gesagt werden, der Wert sei gleich dem Preis, den ein Objekt in einem Markt hat?
Zu den Antworten: Hinweis zu Frage 2: Nutzen ist erstens die Fähigkeit eines Gutes, Bedürfnisse von Menschen zu befriedigen. Zweitens dient der erreichbare Nutzen als Kriterium bei der Entscheidung, drückt mithin die Präferenz aus. Bei Frage 4 c) wurden diese Eigenschaften genannt: Der Markt ist perfekt, wenn er offen ist, wenn keine weiteren Transaktionskosten oder Regulierungen das Marktgeschehen einengen, wenn die Marktpreise allgemein bekannt sind, die Teilnehmenden nicht damit rechnen, die bestehenden Marktpreise verändern zu können, und wenn der Markt dick und liquide ist.
1.8
Lernpunkte und Ergänzung
Nutzen zu haben heißt, dass Bedürfnisse befriedigt werden, etwa solche, die A. MASLOW in seiner Hierarchie nennt. Der Nutzen ist höchst individuell und die Wirtschaftswissenschaften versuchen nicht, Normen oder Kriterien aufzustellen, nach denen gewisse Güter für alle Menschen stärker oder weniger stark nützlich sein sollten. Der Begriff der Präferenz wird auch in einer anderen Bedeutung gesehen, nämlich im Entscheidungsverhalten.
Das erwerbswirtschaftliche Prinzip kann eingerichtet werden, sofern es Märkte gibt. Die Menschen können über die Arbeitsteilung Spezialisierungsvorteile realisieren und beginnen, nicht nur für den augenblicklichen Eigenbedarf zu produzieren. Sie wollen einen Teil der Erlöse „auf die Seite legen“ um so für Notsituationen vorbereitet zu sein und um andere Ziele der Vorsorge für sich und andere angehen zu können.
Ein Markt bietet als ökonomische Organisationsform vier Vorteile: Spezialisierungsvorteile, Verbesserung der Allokation, quasi kostenlose Organisation, Disziplinierung der Markteilnehmenden.
Der Markt ist ideal, wenn er (1) offen ist, wenn (2) keine weiteren Transaktionskosten oder Regulierungen das Marktgeschehen einengen, wenn (3) die Marktpreise allgemein bekannt sind, (4) die Teilnehmenden die bestehenden Marktpreise akzeptieren (nicht damit kalkulieren, sie verändern zu können) und (5) wenn der Markt dick und liquide ist.
1 Güter und Märkte
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Der Wert eines Gutes oder eines Güterbündels ist gleich dem Preis, den es in einem perfekten Markt hätte. Wenn es keinen solchermaßen ideal funktionierenden Markt für das zu bewertende Objekt gibt, muss ein solcher Markt in einer Modellbetrachtung nachgebildet und die Preisbildung simuliert werden. Daher gehen Werte von „normalen“ und „typischen“ Gegebenheiten aus, die möglicherweise nicht im Augenblick und in den konkreten Umständen eines (nicht ideal funktionierenden) Marktumfeldes vorliegen.
Ergänzung: Dieses Kapitel 1 soll mit einer Bemerkung zur Sparsamkeit beendet werden. Sie hat beim Prinzip der Nachhaltigkeit einen ganz anderen Stellenwert als beim erwerbswirtschaftlichen Prinzip. Das erwerbswirtschaftliche Prinzip führt dazu, Aktivitäten und Prozesse, die eine gute Wertschöpfung bieten, zu skalieren: Der Bäcker baut die Backstuben aus, errichtet neue Standorte, wählt aufwändigere Verpackungen, beginnt mit Lichtreklame und Werbung, bemüht sich um die Etablierung eines Markennamens, und so fort. Das Ziel ist, die Markterlöse zu steigern. Offensichtlich hilft dabei, zu glitzern, zu leuchten, und elegant aufzutreten. Eine Beobachterin meinte einmal verwundert, wie die Wirtschaft überhaupt so gut laufen könne, wo doch niemand spare. In der Tat scheint dies auf den ersten Blick widersprüchlich zu sein. Das erwerbswirtschaftliche Prinzip regt an, Produktion und alles, was Erlöse fördert, zu verstärken. Somit wird auch der Marktauftritt auffälliger, reicher, eleganter, wenig sparsamer. Bei der Nachhaltigkeit wird einem anderen Paradigma gefolgt: Gehe haushälterisch mit dem um, das zur Verfügung steht. Durch Sparsamkeit und Einteilung muss das Ziel erreicht werden. Denn die benötigte Ressource kann nicht auf Märkten gekauft werden.
2
Denkströmungen
Das Wirtschaften ist so alt wie die Menschheit, denn Güter waren immer knapp und man musste sie besorgen, herstellen und ihre Verteilung bewerkstelligen. Doch die Menschen sind die wirtschaftlichen Ziele – letztlich der Nutzen und die Vorsorge im Hinblick auf die Zukunft – früher zum Teil anders angegangen. Generell hat die Konfrontation eher abgenommen, und wirtschaftliche Kooperation wurde entfaltet. Statt das Wirtschaften als ein Nullsummen-Spiel zu begreifen, werden heute überall Win-Win-Situationen gesehen. Die Themen: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.
2.1
Scholastik Hatte der Merkantilismus eine gute Seite? Klassische Nationalökonomie Komparative Vorteile Neoklassik Nachhaltiges Wirtschaften Ziele der Wirtschaftswissenschaft Fragen zur Lernkontrolle Lernpunkte und Ergänzung über den New Deal
Scholastik
ARISTOTELES hatte verschiedene wissenschaftliche Disziplinen begründet oder weiterentwickelt. Unter anderem hat er mit seinem Buch „Oikonomika“ eine Lehre des Haushaltens dargestellt. Das Thema ist die Rolle der häuslichen Gemeinschaft sowie der Gemeinschaft der Menschen im Staat. Für den Haushalt betrachtete er auch die Hierarchie – es gab damals Sklaven. Im Staat waren die Bürger hingegen alle gleichgestellt. ARISTOTELES hat somit auch die politische und wirtschaftliche Partnerschaft betrachtet. Weiter erläutert er Wege zur Mittelbeschaffung in Privathaushalt und in Staat sowie im Königreich. Schließlich unterscheidet er das haushälterische vom erwerbswirtschaftlichen Prinzip (wie im ersten Kapitel erwähnt). Stets nennt ARISTOTELES Vorbilder aus der Praxis (Best Practices) und gibt Beispiele für gutes und sittliches Handeln. Überhaupt ist ARISTOTELES induktiv vorgegangen. Er stellt Beispiele dar, verallgemeinert sie, und formuliert dazu eine Lehre. Die Lehre sollte insofern allgemein richtig und gültig sein, als die Beispiele Überzeugungskraft entfalten. Ab dem Hochmittelalter begann die Scholastik (11. bis 13. Jahrhundert). Lateinischsprachige Gelehrte, meist Mönche in Klöstern, griffen die Lehre des ARISTOTELES sowie die der anderen griechischen Philosophen auf, übersetzten sie, und bearbeiteten die Quellen neu. Ein
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I Wirtschaften
Scholastiker wurde bereits erwähnt: Der katholische Kirchenlehrer THOMAS VON AQUIN ist einer der einflussreichsten Philosophen und Theologen. Unter den weiteren Vertretern der Scholastik ist der Dominikanermönch und Philosoph ALBERTUS MAGNUS (1193/1206– 1280). Er hat das Werk des ARISTOTELES aus lateinischen Übersetzungen und arabischen Kommentaren herausgelöst und im Spiegel der Kirchenlehre systematisiert. Neben den christlichen gibt es auch arabische und jüdische Scholastiker. Die Scholastik war eine breite Strömung und wird in Abschnitte unterteilt. In der Scholastik wurde nicht induktiv (wie es ARISTOTELES tat), sondern deduktiv vorgegangen: Mit Logik wurden aus Annahmen, die zu Beginn getroffen werden, Schlussfolgerungen abgeleitet. Die Scholastiker haben dazu den Diskurs und die Dialektik gepflegt. Sie argumentierten nach dem Schema von These, Antithese und Synthese. Die Inhalte des Diskurses waren zwar eher abstrakt, aber immer durch Gegenständliches illustriert. Die Scholastiker haben somit das Denken in „einerseits“ und „andererseits“ eingeführt. Ihrer Argumentationsweise ist zu verdanken, dass eine Behauptung oder Aussage nicht fraglos bejaht werden muss, sondern hinterfragt werden darf. Dass zu einer These zunächst einmal eine Antithese aufgestellt und im Diskurs vorgebracht wird, schärft den kritischen Verstand und stärkt die kreative Bereitschaft, „über den Tellerrand hinaus zu sehen“. Die Scholastiker haben das Wissen bereichert, neue Sichtweisen eingeführt und durch kritischen Diskurs das Wissen geschärft. Durch ihr Bestreben, logisch zu deduzieren, haben sie das Denken in Zusammenhängen gepflegt. Wir erinnern uns, dass der Begriff der Ethik in der Scholastik aufkam. Der deduktive, von Annahmen (Prämissen) ausgehende wissenschaftliche Ansatz findet sich heute in den Wirtschaftswissenschaften, in denen das Arbeiten mit Modellen im Vordergrund steht.
2.2
Merkantilismus
Etwa ab 1600 setzte der Merkantilismus (vom französischen mercantile: „kaufmännisch“) ein und wurde schnell zur vorherrschenden wirtschaftlichen Lehre. Der Merkantilismus löste die Zunftwirtschaft und Stadtwirtschaft ab und lenkte den Blick auf die Volkswirtschaft des ganzen Staates. Das Hauptziel des Merkantilismus bestand darin, den Reichtum des Landes zu mehren und die Macht des Staates zu sichern. Wie kam es dazu? In Schlachten 1302 und 1322 haben gut organisierte Fußtruppen die Ritter geschlagen und es begann ein Niedergang des Systems der Ritter und des mittelalterlichen Lehnswesens. Beamtenstaaten wurden geschaffen, Söldnerheere kamen auf, doch mit ihnen sind die Landesherren in Finanzprobleme geraten. Die Lösung sollten Kaufleute bringen, insbesondere im Außenhandel der Länder. Gelehrte entwickelten praktische Empfehlungen für die Gestaltung der Wirtschaft in einem Staat, und die Fürsten und Landesherren griffen sie auf. Als Begründer des Merkantilismus – deshalb auch als Colbertismus genannt – gilt JEAN-BAPTISTE COLBERT (1619–1683), französischer Finanzminister unter dem Sonnenkönig LUDWIG XIV. Doch der Merkantilismus wurde zur vorherrschenden Denkweise ebenso in anderen europäischen Ländern, etwa in England bereits unter ELISABETH I. (1533–1603) und später in Preußen unter FRIEDRICH II. (1712–1786) oder in Österreich unter JOSEPH II. (1741–1790).
2 Denkströmungen
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Im 17. und 18. Jahrhundert strebte jeder der absolutistischen Staaten in Europa eine Vormachtstellung gegenüber den anderen Staaten an. Man sah die Wirtschaft als ein Nullsummen-Spiel an: Um etwas zu erhalten, so die damalige Vorstellung, muss es anderen Staaten weggenommen werden. Gold und Silber waren als Zahlungsmittel für Beamte und Söldnerarmeen benötigt. Nur wenige Monarchen verfügten über ausreichende Gold- und Silberminen im eigenen Land oder in Kolonien. Sie begannen damit, die Wirtschaft im Staat so zu lenken, dass Exporte gefördert und Importe verhindert wurden. Dadurch sollten mehr Edelmetalle als Zahlungsmittel hereinkommen als abfließen. Unter Strafandrohung wurde verboten, Edelmetalle ins Ausland zu bringen. Die heimischen Zinssätze sollten eher hoch sein, damit die Handels- und Kaufleute ihre Gelder nur bei Banken im Inland anlegten, sodass die Monarchen darauf Zugriff nehmen konnten. Um die Exporterlöse zu fördern, wurde allgemein die Produktion von Erzeugnissen gefördert, und zwar auf nationaler Ebene. So wurden Verkehrswege geschaffen, Mautgebühren abgeschafft. Des weiteren wurden Manufakturen errichtet und Arbeitskräfte angeworben. Jedes merkantilistische Land hat deshalb die Zuwanderung nicht nur erlaubt, sondern gefördert, indem Religionsfreiheit gewährt wurde und die Menschen allgemein mehr Freiheiten erhielten. Dabei hat der Staat eine Politik niedriger Löhne praktiziert. Eine der Quellen für Erlöse aus dem Verkauf von Produkten an das Ausland war also der gering entlohnte Arbeitseinsatz. Entsprechend hat der merkantilistische Monarch versucht, nur solche Produkte zu exportieren, die eine hohe Verarbeitung oder Veredelung aufwiesen. Der Export von Rohstoffen wurde hingegen unterbunden. Um die Nachfrage nach den Exportartikeln anzuregen, wurden Handelsmessen eingerichtet und die Erzeugnisse dort der Welt vorgeführt. Seehäfen wurden für die Verschiffung errichtet. Handelskompanien und staatliche Vertretungen wurden in Amerika und in Asien errichtet. Um die Arbeitsteilung und Spezialisierung im Inland zu fördern, wurden Binnenzölle zwischen Landesteilen völlig abgeschafft. Um die Importe zu mindern, wurden die Zölle auf Importwaren behalten oder sogar erhöht. Der Import von verarbeiteten oder veredelten Erzeugnissen wurde behindert, wenngleich der Import von Rohstoffen noch möglich sein sollte. Die Nachfrage nach ausländischen Erzeugnissen wurde gesenkt, in dem im Inland über die ausländischen Erzeugnisse wenig oder nur nachteilig berichtet wurde. Überhaupt gehört zum Merkantilismus, dass gegenüber der einheimischen Bevölkerung das Fremde politisch wie wirtschaftlich als Bedrohung der eigenen Existenz dargestellt wurde. Das hat die heimischen Produzenten vor unliebsamer Konkurrenz geschützt. Sie und auch die Beamten, die alles steuerten, waren durch den Merkantilismus begünstigt. Demgegenüber fanden die Menschen im Land zwar Arbeit, doch aufgrund der geringen Löhne kamen sie kaum über die Armutsschwelle hinaus.
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I Wirtschaften
Erst später wurde die Funktionsweise der Wirtschaft mit der von ADAM SMITH begründeten klassischen Nationalökonomie neu gesehen und der Merkantilismus einer Kritik unterzogen. Heute werden die merkantilistischen Handlungsempfehlungen von den meisten Wirtschaftswissenschaftlern zwar abgelehnt, doch sie prägen immer noch das Denken vieler Politiker, Manager und der Menschen in einem Land. Der Merkantilismus hatte indes einige gute Seiten. Der Monarch hat mit den Überschüssen im Außenhandel nicht nur Militärausgaben getätigt und Kriege bezahlt, sondern verschiedene Produktionsstätten, vor allem staatliche Manufakturen, errichtet. Überaus zahlreiche Arbeitsplätze wurden geschaffen. Die wirtschaftliche Abschottung der Städte wurde zugunsten der Öffnung im Inneren des Landes beendet. Länder, die mit ihrer merkantilistischen Politik Erfolg hatten, konnten ihre Wirtschaft und Infrastruktur deutlich weiterentwickeln. Bauten, Manufakturen, Seehäfen und Auslandsvertretungen sind heute nach 250 Jahren noch in Funktion, und die Suche nach neuen Produkten, die sich betont für weltweiten Export eignen, ist immer noch intakt. Auch heute sprechen sich einige Politiker dafür aus, ihr Land solle versuchen, die Exporte zu steigern. Dabei sollten die Importe nicht zunehmen, was aufgrund heimischer Erzeugnisse möglich sein sollte. Gelegentlich wird dann noch beklagt, man müsse die Lohnentwicklung im Auge behalten, damit heimische Produktion nicht in das Ausland abwandere. Die Vollbeschäftigung ist den heutigen Politikern auch deshalb wichtig, weil bei hoher Arbeitslosigkeit die Demokratie gefährdet ist und zusätzliche Sozialprogramme geschaffen werden müssten. Der Merkantilismus ist folglich heute noch eine eingängige wirtschaftliche Lehre, die viele Alltagsmenschen überzeugt. Allerdings bleibt unbeantwortet, ob oder wie ein stabiler Zustand zwischen den Staaten erreicht werden soll, wenn alle Länder zugleich versuchen, arbeitsintensive Erzeugnisse aber keine Rohstoffe zu exportieren und wenn alle Länder Rohstoffe importieren möchten und arbeitsintensive ausländische Erzeugnisse durch Zölle abwehren. Zudem haben sich die Länder beim Aufbau der heimischen Industrie alle auf dieselben Erzeugnisse gestürzt, eben auf diejenigen Güter, die für einen Export gut in Frage kamen und eine arbeitsintensive Herstellung verlangten. So haben alle europäischen Länder Porzellanmanufakturen errichtet, alle produzierten Seidenstickereien und bauten in langen Arbeitsstunden Luxusuhren. Diese arbeitsintensiven Erzeugnisse kamen aufgrund der geringen Einkommen der Arbeiter in keiner Weise für den heimischen Absatz in Frage. In der Tat hat der Merkantilismus zu Spannungen zwischen den europäischen Staaten geführt. Mehrere Kriege sind klar durch merkantilistische Maßnahmen entstanden, so der französisch-niederländische Krieg 1672–1679 sowie die vier englisch-niederländischen Seekriege in den Jahren 1652–1784. Heute zeigen sich merkantilistische Gedanken in Währungskriegen, in denen jeder Staat oder Wirtschaftsraum den Außenwert der eigenen Währung künstlich gering hält. Ist die heimische Währung abgewertet und tief genug, dann nehmen einige Zeit später die Exporte zu und gleichzeitig werden Importe teuer und nehmen ab. Im internationalen Vergleich sind die Löhne in dem Land, das abwertet, nach Umrechnung gering.
2 Denkströmungen
2.3
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Klassische Nationalökonomie
Die von ADAM SMITH geschaffene klassische Nationalökonomie durchbricht die Schwächen der Betrachtung, wie sie der Merkantilismus vermittelt. Statt der an alle gerichteten Empfehlung, sie sollten durchaus alle dasselbe produzieren und sich dann eventuell bekriegen, wird eine Gesamtbetrachtung angestellt. Im Zentrum der klassischen Nationalökonomie stehen die Spezialisierung in der Produktion und der anschließende Tausch in einem Markt. Spezialisierte Produktion und freier Handel bilden die Grundpfeiler des Wohlstands der Nationen. Das Wirtschaften wird aufgrund der Spezialisierungsvorteile zu einer Win-Win-Situation. Da Zölle und andere Schutzmaßnahmen die Spezialisierung bei der Produktion und den Tausch behindern, reduzieren sie den Wohlstand. Auch sollten die Märkte offen sein. Niemand sollte durch Schutzmaßnahmen ausgeschlossen werden. Selbstverständlich könnte jedes Land autark bleiben wollen und alle Güter selbst produzieren, die im Land gewünscht und nachgefragt werden. Doch es ist günstiger, wenn sich die Länder auf jene Güter spezialisieren und konzentrieren, die sie jeweils „besonders gut“ produzieren können. Diese Güter werden dann sowohl für den Eigenbedarf hergestellt als auch im Export angeboten. Jene Güter, die bei der Spezialisierung nicht gewählt werden, versucht das Land zu importieren. Mit den Exporterlösen aus den eigenen Spezialitäten können die Importe bezahlt werden. Das prinzipielle Vorgehen ist unbestritten. Die Frage ist, wie gemessen werden kann, was ein Land „besonders gut“ produzieren kann. SMITH hat unterstellt, dass die Spezialisierungen der Länder nach absoluten Kostenvorteilen am besten seien. Die absoluten Kosten als Leitidee für die Spezialisierung sind auch heute noch intuitiv akzeptiert. Jedes Land drückt die Produktionskosten in der eigenen Währung aus, und nach Umrechnungen der Währungen können die Produktionskosten für Autos, Elektronik, Nahrungsmittel und so fort international verglichen werden. Dann ist es ein Leichtes für alle Güter festzustellen, welches Land sie mit den geringsten Kosten herstellen kann. Die Länder sind einsichtig und spezialisieren sich auf jene Güter, bei denen sie die geringsten Produktionskosten im internationalen Vergleich haben. Die Vorgehensweise aufgrund absoluter Kostenvorteile kann dazu führen, dass einige Länder nichts exportieren und alle Güter importieren würden, während andere Länder alle Güter produzieren und im Export anbieten würden. Vor allem hängt dies vom Lohnniveau ab. Länder mit hohem Lohnniveau würden am besten nichts mehr produzieren und Länder mit niedrigem Lohnniveau würden alle in der Welt benötigten Güter herstellen. Eine solche Situation wäre nicht stabil – die Lohnniveaus und vielleicht auch die Währungsparitäten würden sich ändern – und es entspricht auch nicht der Wirklichkeit. Mehr oder weniger alle Länder haben bei gewissen Gütern absolute Kostenvorteile. Der Punkt ist, dass die intuitive Empfehlung, die Spezialisierung an absoluten Kosten auszurichten, fehl leitet. In einer Modellbetrachtung kann gezeigt werden, dass die Orientierung an absoluten Kostenvorteilen im Allgemeinen auf ein Ergebnis führt, dass für alle beteiligten Länder verbessert werden könnte. Diese Erkenntnis ist DAVID RICARDO (1772–1823) zu verdanken. Hinter seinen Überlegungen steht ein Denkgrundsatz, der auch bei anderen Entscheidungen und anderen Kooperationen Bedeutung hat. Deshalb soll der Denkgrundsatz näher betrachtet werden.
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I Wirtschaften
Mit jeder Entscheidung für die Spezialisierung auf eine Branche oder eine Art von Gütern, die dann auch für den Export produziert werden, muss eine alternative Produktionsmöglichkeit aufgegeben werden. Denn die Produktionskapazitäten und die insgesamt zur Verfügung stehenden Ressourcen sind beschränkt. Wenn sich ein Land beispielsweise entscheidet, Baustoffe zu produzieren, dann muss es etwa die Herstellung von Konsumgütern reduzieren und diese dann importieren. Wenn das Land also plant, die Produktion von Baustoffen auszuweiten und Baustoffe zu exportieren, dann kommt es nicht allein darauf an, „wie gut“ es Baustoffe herstellen kann. Bei der Wahl der Spezialisierung muss ebenso berücksichtigt werden, „wie gut“ das Land Konsumgüter produzieren könnte – sofern nicht alle Ressourcen für die Herstellung von Baustoffen gewidmet würden. Es kommt demnach nicht einzig auf Kostenvorteile beim Gut an, auf dass sich das Land dann spezialisiert. Ebenso kommt es auf Kostenvorteile an, die das Land bei der Opportunität hätte, die aufgegeben wird. Der dargelegte Denkgrundsatz verlangt also, Opportunitätskosten zu berücksichtigen. Opportunitätskosten bewerten die Vorteile, auf die jemand verzichtet, um einen anderen (vorteilhaften) Plan zu verfolgen. Wie vorteilhaft ist eine Entscheidung? Wenn die Alternative „entweder X oder Y“ lautet, dann wird deutlich, dass eine Entscheidung für X mit einem Verzicht auf Y verbunden ist, genau wie eine Entscheidung für Y mit einem Verzicht auf X einhergeht. Der Denkgrundsatz der Opportunitätskosten verlangt, bei der Entscheidung nicht nur die Vorteile zu beachten, die mit einer Festlegung verbunden sind, sondern auch jene Vorteile zu beachten, auf die dann verzichtet werden muss.
2.4
Komparative Kostenvorteile
Aus dem Denkgrundsatz der Opportunitätskosten ergibt sich eine Modifikation der Wahl der Spezialisierung eines Landes. DAVID RICARDO hat das auch heute noch für die Theorie des Außenhandels grundlegende Modell 1817 geschaffen. Nach RICARDO sollen sich die durch Handel verbundenen Länder aufgrund relativer oder komparativer Kostenvorteile spezialisieren. Zur Erklärung des Konzeptes relativer Kostenvorteile greifen wir zwei Güter heraus, Baustoffe und Konsumgüter. Die Quantitäten werden in gewissen Mengeneinheiten ausgedrückt. Wir betrachten nun zwei Länder, das vorderasiatische Armenien und das in Afrika liegende Benin. Weil die Produktionskapazitäten und die Arbeitskraft in beiden Ländern beschränkt sind, würde die Ausweitung der Produktion eines der Güter bedeuten, dass der Output beim anderen Gut zurückgehen muss. Die Stärke des Rückgangs kann in jedem Land anders sein. Denn sie wird von der lokal vorhandenen Produktionstechnologie, vom Wissen und von anderen ortsgebundenen Faktoren bestimmt. Wir beginnen mit der Entscheidung von Armenien. Das Land ermittelt, um wie viele Mengeneinheiten die Produktion von Konsumgütern zurück ginge, wenn eine Mengeneinheit
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mehr an Baustoffen produziert (und dann exportiert) würde. Die Kosten für eine zusätzliche Mengeneinheit von Baustoffen also weder durch einen Geldbetrag ausgedrückt, noch durch einen für die Produktion benötigten Input wie etwa die Tage von Arbeit. Die Kosten für eine zusätzliche Mengeneinheit von Baustoffen werden stattdessen durch die Mengeneinheiten an Konsumgütern ausgedrückt, auf die in Armenien verzichtet werden muss. Gleichsam prüft Armenien die interne Tauschrelation „eine Mengeneinheit Baustoffe“ gegen wie viele „Einheiten Konsumgüter“. In die interne Relation geht sowohl ein, „wie gut“ Armenien Baustoffe produzieren kann, als auch „wie gut“ das Land Konsumgüter produzieren kann. Die Relation sei mit KA bezeichnet. Ebenso ermittelt Benin, um wie viele Mengeneinheiten die Produktion von Konsumgütern zurück ginge, wenn in Benin eine Mengeneinheit an Baumaterial mehr produziert werden soll. Wieder werden die Kosten für eine zusätzliche Mengeneinheit von Baustoffen weder durch einen Geldbetrag ausgedrückt, noch durch einen für die Produktion benötigten Input wie etwa die Tage von Arbeit. Die Kosten für eine zusätzliche Mengeneinheit von Baustoffen werden stattdessen durch die Mengeneinheiten an Konsumgütern ausgedrückt, auf die im Land Benin verzichtet werden muss. Gleichsam prüft auch dieses Land die interne Tauschrelation „eine Mengeneinheit Baustoffe“ gegen wie viele „Einheiten Konsumgüter“. In die Relation geht sowohl ein, „wie gut“ Benin Baustoffe produzieren kann, als auch „wie gut“ Benin Konsumgüter produzieren kann. Diese Relation sei mit KB bezeichnet. Mit anderen Worten: KA sind die armenischen Produktionskosten für Baustoffe, ausgedrückt in Konsumgütern. KB sind die Produktionskosten für Baustoffe in Benin, wieder ausgedrückt in Konsumgütern. Wenn KA < KB ist, dann hat Armenien einen relativen Kostenvorteil bei der Produktion von Baustoffen. Armenien sollte sich dann auf die Produktion und den Export von Baustoffen spezialisieren. Wenn umgekehrt KA > KB gilt, dann hat Benin einen relativen Kostenvorteil bei der Produktion von Baustoffen und sollte sich darauf konzentrieren, während Armenien sich auf Konsumgüter spezialisiert und diese dann im Export anbietet. Die Betrachtung kann auf mehr als zwei Güter und mehr als zwei Länder verallgemeinert werden. Die größten Vorteile für alle Länder werden möglich, wenn sich jedes Land aufgrund relativer Kostenvorteile spezialisiert, nicht anhand von absoluten Kostenvorteilen. Drei Beispiele: (1) Im internationalen Vergleich hat die Schweiz komparative Kostenvorteile bei der Herstellung des Fleisches von Schafen – was wohl mit den Wiesen und der Berglandschaft zu erklären ist. Trotz des allgemein hohen Lohnniveaus ist die Schweiz ein wesentliches Exportland bei diesem Produkt. (2) Im Vergleich zwischen den USA und Kanada ist die relative Arbeitsproduktivität der Arbeiter in der Industrie (für haltbare Konsumgüter etwa) in den USA höher als die der kanadischen Kollegen, und zwar aufgrund des höheren Kapitaleinsatzes in den USA. In der Folge werden die meisten, industriell gefertigten Konsumgüter von den USA nach Kanada exportiert. (3) Aufgrund des technischen Wissens ist die Produktivität beim Automobilbau in Deutschland (in Relation zur Produktion anderer Güter) sehr hoch. Damit wird verständlich, warum der Automobilbau in Deutschland für den Export enorme Bedeutung erlangt hat. Die Erkenntnis der Bedeutung relativer Kostenvorteile führt zur Frage, ob sie auch umgesetzt wird. Die Produktionen werden in jedem Land von Unternehmen besorgt. Sie gehen
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I Wirtschaften
nach dem erwerbswirtschaftlichen Prinzip vor. Unternehmer achten auf ihre Rentabilität, das heißt, auf absolute Kostenvorteile. Unternehmer interessieren sich wenig für relative Kostenvorteile, die ihr Wirtschaftssektor im Vergleich zu anderen Produktionen und anderen Ländern hat (sofern sie nicht gerade über eine Standortänderung nachdenken). Jeder Unternehmer wird seine Produktion beenden, wenn es für ihn keine absoluten Kostenvorteile gibt – selbst wenn die Volkswirte dem Land für den Wirtschaftssektor relative Kostenvorteile bescheinigen.
2.5
Neoklassik
Die Neoklassik hat auf den Erkenntnissen der klassischen Nationalökonomie aufgebaut und den offenen Markt (ohne Zölle) in das Zentrum gerückt. Die Marktpreise sind Informationen, anhand derer die Produzenten und Konsumenten entscheiden. Die Marktteilnehmer entscheiden frei, wie viel von welchen Gütern sie anbieten oder nachfragen, und sie dürfen hierbei (in einem liberalen Staat) ihrem Eigennutz und dem erwerbswirtschaftlichen Prinzip folgen. Die Neoklassik unterstellt, dass sich die Wirtschaftssubjekte zwar egoistisch verhalten und sie tun dies in rationaler Weise. Damit trifft die Neoklassik Annahmen, die gelegentlich abstrakt wirken. Denn nicht alle Wirtschaftssubjekte sehen immer nur den Eigennutz und nicht alle wirtschaftlichen Entscheidungen von Belang folgen der Rationalität. Aber auch in anderen Wissenschaften beginnt die Theoriebildung mit gewissen Idealisierungen. Die Marktpreise zeigen den einzelnen Wirtschaftssubjekten, welche produktiven Tätigkeiten sie jeweils optimalerweise ergreifen sollten. Jedes Wirtschaftssubjekt findet seine Spezialität bei jenen Verrichtungen, bei denen es einen Kostenvorteil angesichts der im Markt geltenden Preise hat. Die Wirtschaftssubjekte – einzelne Personen, Unternehmen oder Staaten – besorgen sich auf den entsprechenden Märkten die benötigten Produktionsfaktoren (keine Einschränkungen beim Kauf von Rohstoffen). Anschließend verkaufen sie die Outputs in dem entsprechenden Produktmarkt. Mit dem Erlös erwerben sie auf dem Markt die gewünschten Konsumgüter. Auf diese Weise kommen die Personen und die Staaten zu Nutzen und Wohlstand. Durch die Spezialisierungsvorteile ist das über Märkte erreichte Gesamtergebnis größer, als wenn jeder für sich bliebe. Mehr noch: Für jedes Wirtschaftssubjekt ist Kooperation über den Markt besser als die Abgrenzung – der perfekte Markt ist für jeden vorteilhaft. Irgendwann kommt der von allen gemeinsam genutzte Markt in einen Zustand des Gleichgewichts und der Ausgeglichenheit. Tauschwünsche sind erfüllt und es bleiben keine Spannungen zwischen den Handelspartnern. Die Kooperation ist stabil. Die Neoklassik hat eine wirtschaftliche Argumentation gepflegt und zur Geltung gebracht, die auf Modellbetrachtungen, Prämissen und Idealisierungen beruht. So wird die Untersuchung beispielsweise auf private Güter eingeschränkt und öffentliche (siehe Kapitel 3) ausgeklammert. Mit den Modellen wurde bestimmt, welche Veränderungen sich durch eine Variation der Eingangsentscheidungen ergeben. So wurde untersucht, welche Änderungen in der Outputquantität zu verzeichnen sind, wenn die bei der Produktion eingesetzte Quantität eines der Inputs ein wenig, marginal, verändert wird. Die Marginalanalyse wurde um 1870 von WILLIAM STANLEY JEVONS (1835–1882) in England, CARL MENGER (1840–1921) in Österreich und von LÉON WALRAS (1834–1910) in der Schweiz entwickelt.
2 Denkströmungen
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Die Marginalanalyse wurde durch die mathematische Infinitesimalrechnung möglich. Mit Hilfe von mathematischen Ableitungen können die Bedingungen für Optima und für Gleichgewichte in den Märkten hergeleitet werden. Insbesondere werden Produzenten solange immer mehr Arbeitskräfte einstellen, bis der Lohn gleich der Grenzproduktivität ist. Sie ist veranschaulichbar durch den Wert der Erhöhung des Outputs, der mit dem Mehreinsatz einer Einheit von Arbeit entsteht. Löhne in Höhe der Grenzproduktivität übersteigen die im Merkantilismus gesetzten Niedriglöhne. In der Neoklassik werden daher die höheren Löhne als Norm angesehen. Die Empfehlungen der Neoklassik lauten also, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sollten den Individuen wirtschaftliche Freiheit geben und die Märkte sollten nicht behindert werden. Dann werde sich irgendwann ein Gleichgewicht einstellen, und jedes Wirtschaftssubjekt zieht einen Nutzengewinn aus dem „gemeinsamen Markt“. Nach der praktischen Umsetzung führten die höheren Löhne im Gleichgewicht tatsächlich zu höherem materiellen Wohlstand der Arbeiter – besonders im Vergleich zur Niedriglohnpolitik im Merkantilismus. Allerdings wirken sich durch Zufälligkeiten oder politische Ereignisse ausgelöste Preisänderungen in freien Märkten sofort auf Lohn und Beschäftigung aus, weil jeder Unternehmer Anpassungen vornimmt. Deshalb kann eine der Neoklassik folgende liberale Wirtschaftsordnung überraschend zu Krisen und zu Elend führen. In der Argumentation einiger Wissenschaftler – zu ihnen gehört HYMAN P. MINSKY (1919–1996) – führt der Kapitalismus – Wirtschaftsordnung mit gänzlich freien Märkten für Verbrauchsgüter, für Arbeit, für Produktionsmittel, für Finanzkontrakte – nicht immer zum wirtschaftlichen Gleichgewicht. Stattdessen würden im Kapitalismus ab und zu dramatische Preisänderungen eintreten, die von der Gesellschaft nicht verkraftet werden können und eine Finanz- oder Wirtschaftskrise auslösen. Eine große Verschiebung der Marktpreise (Löhne) hat der Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft im 19. Jahrhundert bewirkt. In der Folge kam es zu Elend bei der Arbeiterschaft, die bis in das 20. Jahrhundert hinein andauerte und die soziale Frage aufbrachte. Um sie zu lösen, wurden Sozialgesetze geschaffen. In Deutschland wurde die Soziale Marktwirtschaft – der Begriff stammt von ALFRED MÜLLER-ARMACK (1901–1978) – zu einem gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Leitbild, bei dem wirtschaftliche Freiheit mit sozialem Fortschritt verbunden wird. In England etwa ab 1756 und in Deutschland ab 1840 verlangte die zunehmende Bevölkerung, die Ausbringung der Landwirtschaft durch den Einsatz von Dünger und Maschinen zu intensivieren. Dabei steig auch die Arbeitsproduktivität. Landarbeiter wurden arbeitslos und wanderten in die Städte ab und suchten Beschäftigung in der aufkommenden Industrie. Die aufblühende Industrie hat mit Massenfertigung das traditionelle Handwerk verdrängt, wodurch weitere Arbeitslosigkeit entstand. Extrem niedrige Löhne, miserable Arbeitsbedingungen und Kinderarbeit waren die Folge.
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2.6
I Wirtschaften
Nachhaltigkeit
Wir überspringen verschiedene Denkströmungen, die später an die Seite der Neoklassik getreten sind. Darunter fallen auch volkswirtschaftliche Lehren wie (1) die von JOHN MAYNARD KEYNES (1883–1946), (2) die Lehre der Postkeynesianer und (3) die Lehre des auf MILTON FRIEDMAN (1912–2006) zurückgehenden Monetarismus. Als eine der Denkströmungen unserer Zeit wollen wir nochmals die Nachhaltigkeit aufgreifen. Wir erinnern an die von ARISTOTELES getroffene Unterscheidung zwischen Haushalten und Wirtschaften nach dem erwerbswirtschaftlichen Prinzip. Haushalten heißt, dass der Hausherr die Ressourcen der Hausgemeinschaft so einsetzt, dass ein als gegeben betrachtetes Ziel der Hauswirtschaft weitgehend selbstständig erreicht werden kann. Die Stichworte sind Sparsamkeit, Vorsorge, Gleichmäßigkeit des Verbrauchs und Einteilung der Ressourcen. Besteht das Ziel darin, die Zeiten zu überdauern, dann müssen die Ressourcen mit Sparsamkeit und Vorsorge eingesetzt werden. Wer beim Autofahren mit dem Benzin haushälterisch umgeht, wird zudem Gleichmäßigkeit walten lassen. Denn eine gleichmäßige Fahrweise mit optimaler Geschwindigkeit verbraucht weniger Ressourcen als ein Abwechseln zwischen schneller und langsamer Fahrweise. Wer auf eine Expedition geht, sollte nach dem haushälterischen Prinzip den Rucksack packen, um sich mit den benötigten Nahrungsmitteln auszustatten. Mit Einteilung des Vorrats kann das Ziel der Expedition erreicht werden. Das haushälterische Prinzip verlangt Vorsorge und Nachhaltigkeit, Sparsamkeit und Gleichmäßigkeit beim Verbrauch, Einteilung der Ressourcen im Hinblick auf das Ziel. Im Unterschied dazu bedeutet Wirtschaften, das erwerbswirtschaftliche Ziel in den Vordergrund zu rücken. Auch beim Wirtschaften verfolgt das Wirtschaftssubjekt (Person, Unternehmung, Staat) ein gewisses Ziel: die Maximierung der am Markt erzielbaren Erlöse. Um es zu erreichen, werden die Möglichkeiten genutzt, die Geld und Märkte bieten. So wird als Zwischenzielsetzung zunächst versucht, zu Geld zu kommen. Dazu werden Produktionen und mit den Möglichkeiten von Markttransaktionen Aktivitäten ergriffen, die rentabel sind. Erst anschließend wird versucht, die Erlöse für die Erfüllung des eigentlichen Ziels einzusetzen. Das Wirtschaften beruht auf der Erkenntnis, dass auf diesem Weg letztlich für alle eine daran Teilnehmenden eine höhere Nutzenbefriedigung möglich wird – sofern es eben Märkte gibt. Das Wirtschaften verlangt Produktionen mit Rentabilität und optimale Transaktionen an den Märkten. Die Vorteilhaftigkeit des Wirtschaftens gegenüber dem Haushalten ist gegeben, sofern es Märkte gibt und wenn es außerdem um Güter geht, die marktfähig sind. Doch nicht für alle Güter gibt es (gut funktionierende) Märkte und nicht alles, was uns an unsere eigentlichen Ziele führt, verlangt ein marktfähiges Gut. In solchen Situationen müssen wir, erzwungen durch das Fehlen von Märkten, auf das haushälterische Prinzip zurückgreifen und Nachhaltigkeit walten lassen. Abstrakte, wenig greifbare Güter sind oftmals nicht marktfähig und verlangen deshalb Nachhaltigkeit bei ihrem Aufbau, ihrer Pflege und ihrer Nutzung.
2 Denkströmungen
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Beispielsweise lehren uns die Naturwissenschaften, dass fossile Energie einmal nicht mehr auf Märkten erhältlich sein wird und die Menschheit deshalb tunlichst mit den Vorräten nachhaltig umgehen sollte. Ähnlich können sehr große Risiken, die etwa zur Verseuchung einer Region führen könnten, auch mit viel Geld nicht einfach bewältigt werden. Kein Markt bietet eine Versicherung gegen solche Schäden. Folglich muss dem haushälterischen Prinzip gefolgt und die Gefahren müssen von vornherein vermieden werden, etwa indem das Exposure nicht eingegangen wird. Ein wichtiges Beispiel für die Notwendigkeit nachhaltigen Wirtschaftens ist das Wissen. Zu einem guten Teil kann Wissen weder auf Märkten verkauft noch zugekauft werden. Lernen muss jeder selbst, und beim Erwerb und der Pflege von Wissen ist das nicht anders. Wissen muss daher wie eine nicht-marktfähige Ressource nach den Grundsätzen der Nachhaltigkeit behalten werden. Seine Pflege darf nicht einfach einmal unterbleiben, nur weil gerade kein Geld zur Verfügung steht – in der Hoffnung, das Unterlassen der Pflege des Wissens wieder ausgleichen zu können. Auch muss das Wissen immer aktualisiert und vermehrt werden, denn das kann nicht durch Zukauf auf einem Markt geschehen. Deswegen ist Wissen eine der Ressourcen unserer Welt, die Nachhaltigkeit erfordern. Die bei Wissen als Ressource verlangte Nachhaltigkeit verlangt erstens, beständig daran zu arbeiten. Es ist zudem bekannt, dass Stätten der Wissensproduktion – Schulen, Laboratorien, Technoparks – erst nach Jahrzehnten Rentabilität erreichen. Zweitens verlangt die Nachhaltigkeit beim Wissen, dass beständig Aktivitäten gesucht und ergriffen werden, mit denen das Wissen gepflegt und auch genutzt wird. Beispielsweise wird sich eine Unternehmung bei der Entscheidung, ob ein Betriebsteil aus Rentabilitätsüberlegungen verkauft werden sollte, fragen, welche Wirkungen die Entscheidung auf die weitere Pflege und Nutzung ihres Wissens hat. Insgesamt verlangt das Wissen nachhaltiges Vorgehen und ein wenig die Lebenseinstellung des Gelehrten, der alle anderen Aktivitäten so ausrichtet, dass sein Wissen gepflegt und genutzt wird.
2.7
Wissenschaft
Die besprochenen Lehren kommen zu ganz unterschiedlichen Empfehlungen.
Bei ARISTOTELES steht der nach Sitte und mit Best Practices handelnde Hausherr im Mittelpunkt. Er geht nach haushälterischen Grundsätzen vor, folgt indes auch dem erwerbswirtschaftlichen Prinzip und nutzt die Hierarchie. Bei den Merkantilisten ergreift der Staat die wirtschaftliche Lenkung im Inneren (geringe Löhne, Aufbau der Produktion, Ausbau der Infrastruktur) und versucht im wirtschaftlichen Umgang mit anderen Staaten kraftvoll für sich Vorteile durchzusetzen, auch wenn sie für die anderen nachteilig sind (Zölle auf Importerzeugnisse, Verbot der Ausfuhr von Rohstoffen, Verhinderung der Geldanlage im Ausland). Die klassische Nationalökonomie und die ihr folgende Neoklassik rücken hingegen die Arbeitsteilung – am Ende spezialisiert sich jeder auf andere Produktionen – und das Geschehen in einem offenen Markt in den Mittelpunkt. Jedes Wirtschaftssubjekt folgt eigenen Interessen. Ein Gleichgewicht entsteht, und jedes Wirtschaftssubjekt hat Nutzenvorteile. Die Voraussetzung ist, dass es für alle Ressourcen Märkte gibt.
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I Wirtschaften
Genau das ist bei Wissen als Ressource weniger der Fall. Daher sollten die Unternehmen (sich wie Gelehrte verhalten und) über ihre sonstigen Aktivitäten so entscheiden, dass das unternehmerische Wissen gepflegt und genutzt wird.
Doch wer hat recht? Wir brauchen Sicherheit in der Antwort. Sie kann vielleicht eine wissenschaftliche Untersuchung bieten. Wir wünschen faktenbasierte, methodisch hergeleitete, gut begründete Empfehlungen. Eine wissenschaftliche Untersuchung des Wirtschaftslebens ist verlangt. Die Wissenschaft verfolgt ein deskriptives und ein normatives Ziel. Bei der Deskription soll ein Bild davon entstehen, wie das Wirtschaften als Ergebnis des tatsächlichen Verhaltens der Menschen vor sich geht. So zeigt die Behavioral Finance auf, welche psychologisch bedingten Entscheidungsmuster Geldanleger folgen. Jede Deskription, Erhebung und Aufbereitung von Fakten, soll ein korrektes Bild ergeben. Die wissenschaftliche Methode bietet die beste Gewähr, dass die Deskription zu einer korrekten Darstellung des Ist-Zustandes führt. Beim normativen Ziel soll eine Gestaltungsempfehlung gegeben werden. Letztlich geht es um die Beratung, wie die Menschen besser wirtschaften könnten. Ein Sollzustand ist zu finden und es muss gezeigt werden, wie er erreicht werden kann. Einen Sollzustand kann man sich angesichts der Ressourcenknappheit nicht einfach wie eine Wunschvorstellung vorgeben. Verlangt ist, Wünsche und Wertvorstellungen mit den verfügbaren Ressourcen in Einklang zu bringen. Dabei müssen die Zusammenhänge zwischen Ursache und Wirkung, zwischen Input und Output, bekannt sein. Im Grunde müssen die wirtschaftlichen Ergebnisse, die sich bei gewissen Konstellationen einstellen dürften, mithilfe der Zusammenhänge prognostiziert werden. Daher werden normativ arbeitende Wirtschaftswissenschaftler ihr Schwergewicht auf die Untersuchung von Zusammenhängen legen. Die wissenschaftliche Vorgehensweise bietet die beste Gewähr, Erklärung und Verständnis zu vertiefen und bestmögliche Gestaltungsempfehlungen abzuleiten. Selbstverständlich stützen sich das deskriptive und das normative Ziel gegenseitig. So schafft die deskriptive Wissenschaft mit ihrer Erhebung und Aufbereitung der Fakten die Voraussetzung für ein besseres Verständnis von Zusammenhängen. Beide Ziele sind wichtig, um ein faktenbasiertes Verständnis (deskriptiv) von Wirkungszusammenhängen als Grundlage für die Lösung der (normativen) Gestaltungsaufgabe zu erhalten. Die Ziele sprechen für ein wissenschaftliches Vorgehen. Es ist durch Forschung geleitet, also durch die methodische Suche nach neuen Erkenntnissen und deren Publikationen als Ausgang einer kritischen Beurteilung im Kreis anderer Experten. Ähnlich wie bei den Zielen, gelangen in den Wirtschaftswissenschaften mehrere Methoden zum Einsatz. Das Hauptgewicht liegt auf einer empirischen, auf einer theoretischen sowie einer experimentellen Methodik. Sie ergänzen sich bei der Gewinnung und Sicherung von Erkenntnissen.
Forscher, die eher empirisch vorgehen, untersuchen beispielsweise Zeitreihen und gelangen dann zur Aufstellung von Hypothesen über Wirkungszusammenhänge, die anschließend mit statistischen oder ökonometrischen Methoden getestet werden. Andere Forscher arbeiten eher modelltheoretisch. Das heißt, sie bilden das betreffende Wirtschaftsgeschehen in einem Modell ab. Meist dient die Mathematik als Sprache für die Beschreibung der Modelle. Wie jedes Modell geht es von Anfangsbedingungen und
2 Denkströmungen
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von Annahmen (Prämissen) aus. Auch wenn es sich dabei meist um als „bestätigt“ angesehene Sachverhalte handelt, und auch wenn etwa mathematische Gleichungen anhand der empirischen Forschung kalibriert (zahlenmäßig genauer eingeengt) sind, kann das Resultat, welches durch Einsetzen von Inputs in die Modellgleichungen entsteht, fehlleiten. Ein Modell ist zunächst nur eine Denkmöglichkeit, noch kein Beweis. Die Wissenschaftstheorie hat die Verlässlichkeit solcher Arbeiten mit Modellen kritisch untersucht. Eine dritte Gruppe von Forschern stellt Experimente in den Mittelpunkt. So ist etwa die Lage und Anordnung der Verkaufsinseln in Supermärkten das Ergebnis von Experimenten. Bekannt sind Experimente in Form von Aufteilungsspielen. Untersucht wird, ob Menschen bereits einwilligen, wenn ihnen ein für sie persönlich materiell vorteilhafter Vorschlag gemacht wird, oder ob sie erst dann einwilligen, wenn die vorgeschlagene Aufteilung als „fair“ gegenüber anderen angesehen werden darf.
2.8
Fragen zur Lernkontrolle
1.
Richtig oder falsch? a) Aristoteles zeigt Beispiele für gutes Wirtschaften und verallgemeinert sie zu einer Lehre (Induktion). b) Beim Diskurs gehen die Scholastiker logisch vor, und die gegenständlichen Beispiele dienen lediglich der Illustration.
2.
Richtig oder falsch? a) Im Merkantilismus stehen die Kaufleute im Mittelpunkt, weshalb die Hauptempfehlung lautet, die Märkte zu öffnen und einen liberalen Handel zu erlauben. b) Die klassische Nationalökonomie beginnt mit der Hauptempfehlung, die Wirtschaftssubjekte mögen sich spezialisieren, und zwar auf das, was sie relativ am besten können. Anschließend wird auf Märkten gehandelt. c) die Neoklassik geht von einem gut funktionierenden Markt aus. Jedes Wirtschaftssubjekt nimmt die Preise als gegeben und stellt die eigene Produktion und den eigenen Konsum so darauf ab, dass letztlich der Eigennutz maximiert wird.
3.
Erklären Sie den Unterschied zwischen absoluten und relativen Kostenvorteilen.
4.
a) Worin unterscheiden sich „Haushalten“ und „Wirtschaften“? b) Was ist mit der Aussage gemeint, Unternehmen sollten ein wenig wie Gelehrte werden?
5.
a) Was ist gemeint, wenn in den Wirtschaftswissenschaften teils eine deskriptives und teils ein normatives Ziel angestrebt wird? b) Was ist mit einer empirischen, einer modelltheoretischen und einer experimentellen Arbeitsweise gemeint?
Zur Lösung: Bei Fragen 1 und 2 sind alle Aussagen richtig außer die in 2 a) gegebene Antwort.
2.9
Lernpunkte und Ergänzung
In der ökonomischen Lehre des Aristoteles werden das erwerbswirtschaftliche und das haushälterische Prinzip unterschieden. Die Scholastik hat diese Lehre aufgegriffen und durch eine besondere Form des Diskurses, die dem Schema von These, Antithese und Synthese folgt, bereichert.
Der Merkantilismus begreift das Wirtschaften als Nullsummen-Spiel: Man kann nur gewinnen, wenn anderen etwas weggenommen wird. Die klassische Nationalökonomie,
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mit ADAM SMITH als ihrem Hauptvertreter, stellt die diversen Vorteile der Marktwirtschaft in den Mittelpunkt, darunter die Vorteile der Arbeitsteilung und der dadurch ermöglichten Spezialisierung. Sie bewirken, dass durch (internatonale) wirtschaftliche Kooperation über Märkte zusätzliche Vorteile für alle möglich werden: Das Wirtschaften erlaubt eine Win-Win-Situation.
Wenn durch eine Entscheidung für eine Aktion eine andere Aktion ausgeschlossen wird, bietet sich der Denkgrundsatz der Opportunitätskosten. Opportunitätskosten bewerten nicht nur die Vorteile, die mit einem Plan verbunden sind, sondern auch die Vorteile, auf die jemand dafür verzichten muss.
Die Neoklassik stellt eine Vertiefung der klassischen Nationalökonomie dar. In ihrem Zentrum steht die Marginalanalyse zur Beschreibung des optimalen Verhaltens der Konsumenten und der Produzenten. Hauptvertreter sind: WILLIAM S. JEVONS, CARL MENGER und LÉON WALRAS.
Die Nachhaltigkeit stellt letztlich das haushälterische Prinzip in den Mittelpunkt, das bereits von ARISTOTELES untersucht wurde. Wissen weist alle Merkmale auf, die nachhaltiges Vorgehen verlangen.
Die Wirtschaftswissenschaften gehen teils deskriptiv vor, teils normativ – womit sie Empfehlungen ab, die verbessern sollen. Zum Teil gehen die Wirtschaftswissenschaften experimentell vor.
Auch dieses Kapitel schließt mit einer Ergänzung. Wir wagen einen Blick auf die Frage, ob der Staat in die Wirtschaft eingreifen sollte. In den ersten Jahren nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurde noch eine Grundsatzdiskussion geführt, ob Eigentumsrechte und damit verbunden wirtschaftliche Freiheit (per Verfassung) eingerichtet werden sollten oder nicht. Damals zog sich ein tiefer Graben durch die Parteienlandschaft. Heute ist die Frage klar entschieden: Eine Wirtschaft, die auf Eigentum und Freiheit beruht, ist leistungsfähiger. Und eine Wirtschaftsordnung soll „funktionieren“ und nicht mit irgendeiner Farbe oder Ideologie gestaltet werden. DENG XIAOPING (1904–1997) brachte ein bekanntes Gleichnis, um seine chinesischen Parteigenossen vom Vorteil des Kapitalismus zu überzeugen: „Es spielt keine Rolle, ob die Katze schwarz oder weiß ist; solange sie Mäuse fängt, ist sie eine gute Katze“. Abgesehen von der gesamtwirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der auf wirtschaftlicher Freiheit des Einzelnen beruhenden Wirtschaftsordnung sehen die meisten Menschen wirtschaftliche Freiheit als die wünschenswertere Variante an. Dies als mittlerweile nirgendwo bestrittene Grundlage akzeptiert, öffnen sich in unserer modernen Welt verschiedene Anschlussfragen. Eine lautet, ob und wenn ja wie stark der Staat in das aktuelle Wirtschaftsgeschehen eingreifen sollte. KEYNES und FRIEDMAN wurden bereits erwähnt. KEYNES meinte, der Staat solle in Wirtschaftsflauten aktiv werden und die fehlende Nachfrage der Privaten durch Regierungsprogramme ersetzen. FRIEDMAN empfahl, der Staat solle zwar eine Rahmenordnung vorgeben. Doch sie müsse berechenbar sein. Deshalb soll der Staat nicht immer wieder und nach seinen augenblicklichen Vorstellungen hier und da lenkend oder gegenlenkend eingreifen. In der Mehrzahl haben die Wirtschaftswissenschaftler um die Jahrtausendwende sich eher gewünscht, dass der Staat eine gute Wirtschaftsordnung als Rahmen vorgibt und sich ansonsten mit Interventionen zurückhält. Doch durch die Finanz- und Wirtschaftskrise 2007–2012 wurde wieder hier und da der Ruf nach einer aktiven Wirtschaftspolitik des Staates laut. Insbesondere haben viele dem Staat die Rolle eines Retters in Notsituationen zugewiesen.
2 Denkströmungen
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Diese Ergänzung kann keine Abhandlung bieten. Doch eine Erinnerung an den New Deal sei erlaubt. Mit New Deal wurde eine Reihe von Wirtschafts- und Sozialreformen bezeichnet, die unter Präsident FRANKLIN D. ROOSEVELT (1882–1945) durchgesetzt wurden, der damit auf die Weltwirtschaftskrise 1929 reagierte. Der New Deal hatte verschiedene Ziele: (1) Beendigung von aktueller Not, (2) Ankurbelung der Wirtschaft, (3) Einleitung von Reformen. Damals waren alle, nicht nur Amerikaner, sehr optimistisch hinsichtlich der Wirtschaftslenkung seitens des Staates. Wie notwendig und wie erfolgreich der New Deal als massive Interventionspolitik des Staates war, ist heute umstritten. Die Fakten: Nicht alle Amerikaner hatten unter dem New Deal einen gesicherten Lebensunterhalt. Das Ziel der Vollbeschäftigung wurde erst mit Beginn des Zweiten Weltkrieges erreicht. Immerhin blieb die Demokratie in den USA erhalten. Letztlich wurde durch den New Deal die Marktwirtschaft gerettet, weil durch die starke Regulierung des Bankensystems das Finanzsystem der USA stabiler wurde. Im Fazit stützt das Beispiel des New Deal die These, dass der Staat mit seiner „sichtbaren Hand“ die Wirtschaft nicht besser lenken kann, als „die unsichtbare Hand“ der Marktkoordination es vermag. Der Staat sollte sich demnach zurückhalten, anstatt mit Interventionen und Programmen, mit Steuerungen und Gegensteuerungen immer wieder in das Wirtschaftsgeschehen einzugreifen. Der Staat lenkt die Wirtschaft nicht besser, aber er kann und sollte verlässliche und berechenbare Rahmenbedingungen und Spielregeln setzen. Das verlangt auch Reformen und eine beständige Arbeit zur Verbesserung der Struktur. Aber immer wieder Regierungsprogramme hier und da helfen wenig. Allerdings kommt es hin und wieder zu Krisen und Ausnahmesituationen, in denen durch ein Eingreifen des Staates möglicherweise Schlimmeres abgewendet werden kann. Der Staat also als letzter Retter? Diese Schlussfolgerung kann aber nicht aus dem einen Beispiel des New Deal abgeleitet werden. Weitere Situationen und Studien sowie die Bildung von Theorien sind verlangt, um die wirtschaftliche Rolle des Staates in Krisen besser beurteilen zu können.
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Öffentliche Güter
Anders als bei privaten Gütern kann bei öffentlichen Güterarten die ansonsten freie Marktwirtschaft auf ineffiziente Allokationen führen. Dieses Kapitel behandelt Externalitäten, öffentliche Güter, und es führt bis zur Infrastruktur, welche die Möglichkeiten einer Privatperson sprengt. Die Themen: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.
3.1
Paretoeffizienz Private und öffentliche Güter Wer zahlt? Klub- und Allmendegut Externalitäten und Coase-Theorem Akzeptanz und Kritik Imitationen Infrastruktur Fragen zur Lernkontrolle Lernpunkte und Ergänzung zu öffentlichen Gütern
Paretoeffiziente Allokationen
Im ersten Kapitel sind wir auf das erwerbswirtschaftliche Prinzip eingegangen und haben verschiedentlich betont, dass die betrachteten Güter sich im Privateigentum befinden. Nicht ausgesprochen, doch mit dem Verweis auf Spezialisierungsvorteile war die Vorstellung verbunden, dass die auf Privateigentum und individuelle wirtschaftliche Entscheidungsfreiheit basierende Wirtschaftsordnung zu einer „optimalen“ Ressourcenallokation führen würde. Welche Allokation als „optimal“ angesehen werden darf, hat VILFREDO PARETO (1848–1923) präzisiert. Eine Allokation – die Gesamtheit aller Produktionsentscheidungen, Distributionen von Gütern und deren Verwendungen – heißt effizient, wenn keine andere Allokation mehr möglich ist, bei der wenigstens eine Person hinsichtlich ihres Nutzens gewinnt, doch niemand schlechtergestellt wird. Die Paretoeffizienz ist eine Mindestanforderung an Allokationen. Eine Wirtschaftsordnung wäre mangelhaft, wenn sie nicht einmal auf Paretoeffizienz führt. In der Mikroökonomie wurde ein Theorem bewiesen, das besagt: Die auf individuelle wirtschaftliche Entscheidungen und Markttausch beruhende Wirtschaft führt auf eine paretoeffiziente Allokation der Güter. Das ist ein starkes Argument zugunsten der uneingeschränkten Marktwirtschaft. Das Theorem hat allerdings eine Prämisse. Es wird verlangt, dass alle Güter „privat“ sind und es keine „öffentlichen“ Güter gibt – wir wenden uns gleich den Definitionen
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I Wirtschaften
zu. Nun gibt es viele öffentliche Güter, sodass der erwähnte Satz der Mikroökonomie unsere Welt nur unzureichend abdeckt. PAUL SAMUELSON (1915–2009, erster Träger des Nobelpreises für Wirtschaftswissenschaften) hat gezeigt, dass die Privatwirtschaft bei öffentlichen Gütern nicht auf eine paretoeffiziente Allokation, sondern zu einer Unterversorgung führt. PAUL SAMUELSON hat bewiesen: Es kommt zu einer Unterversorgung an öffentlichen Gütern, wenn die Allokation allein aus den freien Entscheidungen und Markttransaktionen Privater zustande kommt. Angesichts der Bedeutung öffentlicher Güter muss daher unser bisheriges Bild vom Wirtschaften – Private haben Eigentumsrechte an den Ressourcen, treffen Entscheidungen anhand des erwerbswirtschaftlichen Prinzips und anschließend kommt es zum Gütertausch in Märkten – ergänzt werden. Weitere Mechanismen für die Allokation von Gütern werden benötigt, um wenigstens Paretoeffizienz zu erreichen. Wir wollen indes nicht zum Staat rufen und ihm die Gesamtaufgabe zuweisen, alles perfekt zu richten. Die Erfahrung belegt, dass Regierungen und Bürokratien beim Lösen wirtschaftlicher Aufgaben nur mäßige Leistungskraft haben. Daher sind für die Bewältigung der Allokationsaufgabe Zwischenlösungen verlangt, die gewisse Modifikationen bei den Eigentumsrechten vorsehen und Wege zwischen einer Privatwirtschaft und einer staatlichen Bewirtschaftung einschlagen. Hierzu besprechen wir die Regulierung und das Klubgut. Inhaltlich befassen wir uns mit Gütern, die den Rahmen einer isolierten Nutzenerzeugung für eine Person verlassen. Der Grund liegt in Externalitäten, in Effekten, bei denen andere Personen ebenso betroffen sind, sei es im Positiven oder im Negativen. Unsere Darstellung beginnt mit dem Unterschied zwischen einem privaten und einem öffentlichen Gut und führt uns bis zur Infrastruktur, die im Allgemeinen auch die Möglichkeiten einer Privatperson übersteigt und die Einbindung mehrerer Gruppen verlangt.
3.2
Private versus öffentliche Güter
Güter lassen sich nach verschiedenen Merkmalen klassifizieren. In diesem Kapitel soll eine Gruppierung betrachtet werden, bei der private von öffentlichen Gütern unterschieden werden. Von einem privaten Gut wird gesprochen, wenn seine Nutzung durch eine Person A (etwa durch Konsum oder Einsatz bei nachfolgender Produktion) die Nutzung durch andere Personen ausschließt. Dadurch kommt eine gewisse Rivalität auf. Denn wenn A das Gut nutzt oder verbraucht, kann es B nicht ebenso nutzen. Private Güter führen auf Rivalität und zeitigen Ausschließbarkeit. Vielfach – Ausnahmen werden noch besprochen – ist der Nutzen der anderen Menschen, deren Bedürfniserfüllung und deren Entscheidungsmöglichkeiten, nicht oder unwesentlich verändert, wenn eine Person A das private Gut konsumiert (oder vermietet oder bei einer weiteren Produktion einsetzt). Kurz: Wenn A das Gut verwendet oder verbraucht, dann stört
3 Öffentliche Güter
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dies B nicht weiter. Auch wird bei Person B keine nennenswerte Zusatzfreude ausgelöst, wenn A das Gut nutzt. Wohl die meisten Verbrauchsgüter (wie Nahrungsmittel) ebenso wie zahlreiche haltbare Güter (wie etwa Immobilien) haben die beiden Eigenschaften des privaten Gutes: Ausschließbarkeit, Rivalität. In unserer Welt wird durch Eigentumsrechte festgelegt, wer die Nutzungsrechte haben soll. Das private Gut gehört dann der Person. Sie darf weitgehend (wenngleich nicht uneingeschränkt) darüber entscheiden, ob, wann und wie sie das private Gut einsetzen, nutzen, oder verbrauchen will. Wie gesagt, sind andere Personen davon weitgehend unberührt. Ein öffentliches Gut hat hingegen die Eigenschaft, dass es ohne Nachteil für den einzelnen Nutzer gleichzeitig von anderen Personen genutzt werden kann. Die Beispiele sind augenfällig: Wer die Fassade seines Hauses renoviert, kann sich selbst daran freuen und zugleich haben auch andere an der Verschönerung des Wohnviertels einen Nutzengewinn. Bei öffentlichen Gütern besteht keine Rivalität beim Konsum. Eine Radiosendung, der Schutz des Landes durch Verteidigungsbereitschaft, ein Deich gegen die Flut sind solche öffentliche Güter. Auf Werke der Weltliteratur haben alle ohne Einschränkungen elektronischen Zugriff, und der persönliche Nutzen hängt nicht davon ab, wie viele andere Personen dasselbe Werk lesen. Allgemeinwissen ist ein öffentliches Gut. Viele Ideen werden schnell überall bekannt, und jeder kann sie aufgreifen, weiterentwickeln und umsetzen. Selbstverständlich können Intellectual Property Rights verlangen, dass die Vermarktung einer Idee voraussetzt, dass die Weiterentwicklung der Idee wesentliche persönliche Zusatzentwicklungen zeigt. Ist das öffentliche Gut einmal da, dient es allen, und es gibt eigentlich keinen Grund, die Nutzung einschränken zu wollen. Denn der oder die Schöpfer des öffentlichen Gutes haben keine Reduktion ihres eigenen Nutzens, wenn das öffentliche Gut ebenso von anderen Personen genutzt wird. In diesem Sinn sind öffentliche Güter höchst wünschenswert: Eine Person oder Personengruppe sorgt für das Gut (vielleicht sogar aus Eigennutz), und da es sich um ein öffentliches Gut handelt, können andere ebenso Nutzen daraus ziehen. Vielfach könnten andere Personen auch gar nicht von einer Nutzung ausgeschlossen werden. Wie sollte auch verhindert werden, dass sich die gesundheitliche Empfehlung eines Forschungslabors herumspricht? Wie sollte verhindert werden, dass jemand irgendwo unterwegs die TV-Nachrichten sieht? Wie sollte verhindert werden, dass sich jemand an Kunstwerken freut, die einen Park im Stadtviertel bereichern? Gelegentlich können nicht einmal bei einem ansonst privaten Gut Dritte ausgeschlossen werden: Der wohlhabende Eigentümer einer Villa mit Swimmingpool kann kaum verhindern, dass im Sommer die Kinder der Nachbarschaft kommen, um in das kühle Nass zu springen – auch wenn Rivalität bleibt. Von daher ist üblich, öffentliche Güter durch zwei Merkmale zu charakterisieren. Ein Gut ist öffentlich, wenn es Nichtrivalität und Nichtausschließbarkeit zeigt. Öffentliche Güter sind Güter, die sowohl Nichtrivalität des Konsums als auch Nichtausschließbarkeit zeigen: Personen, die das öffentliche Gut nutzen möchten, können nicht – oder allenfalls mit Zusatzaufwand und mit weiteren Einrichtungen – von der Nutzung ausgeschlossen werden.
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I Wirtschaften
3.3
Wer zahlt für öffentliche Güter?
Die Unterscheidung zwischen privatem und öffentlichem Gut ist aus dem folgenden Grund wichtig. Er wird durch diese Frage deutlich: Wer ist motiviert, für die Schaffung des Gutes zu sorgen? Die meisten Menschen sind motiviert, für private Güter, von den deren Nutzung sie persönlich viel erwarten, auch zu bezahlen. Es besteht, wie gesagt wird, Anreizverträglichkeit: Wer das Gut nutzen möchte, der muss auch für das Gut bezahlen. Wenn eine Person das Gut nutzt, dann kann sie ihren persönlichen Nutzen einschätzen und damit entscheiden, ob sie die Höhe der Anschaffungskosten für das Gut richtig findet. Bei öffentlichen Gütern warten die Menschen, die das öffentliche Gut gern nutzen möchten, durchaus erst einmal ab und hoffen, dass sich andere für die Schaffung und den Unterhalt einsetzen und dafür selbst aufkommen. Ist das öffentliche Gut einmal vorhanden, können die zuwartenden Menschen sich einfach „anhängen“ – ohne Benachteiligung jener, die sich für die Schaffung des öffentlichen Gutes persönlich engagiert haben. Jeder hofft also auf einen Free Ride. Da stellt sich die Frage, wer sich überhaupt für die Schaffung öffentlicher Güter einsetzt sich und privat anstrengt, wo es sich offensichtlich anbietet zu warten, bis ein Free Ride möglich ist? Der Free Ride bedeutet, dass es in der Regel keinen Zusammenhang zwischen dem erwarteten Nutzen und der Zahlungsbereitschaft für das öffentliche Gut gibt. Öffentliche Güter zeigen geringe Anreizverträglichkeit. Wenn niemand Zahlungsbereitschaft zeigt, dann heißt das noch nicht, dass niemand zahlungsbereit wäre. Durchaus könnte es sein, dass aus übergeordneter Sicht das öffentliche Gut geschaffen werden sollte. Die ökonomische Frage bei privaten Gütern lautet: Wer möchte die Güter oder die Eigentumsrechte erhalten und wem ist der persönliche Nutzen so viel wert, dass sie oder er dafür bezahlt? Die Frage bei öffentlichen Gütern lautet: Wie viel von dem öffentlichen Gut sollte aus einer übergeordneten Sicht geschaffen werden? Wie kann erreicht werden, dass sich möglichst alle Nutzer an den Kosten beteiligen oder wenigstens ihre Zahlungsbereitschaft ehrlich offenbaren? Von anderen Personen einen Beitrag zu Kosten oder ein sonstiges Engagement zu erhalten, ist natürlich nicht immer so einfach.
Besteht die Vorstellung, dass alle potenziellen Nutzer zahlen sollten, könnte stattdessen der Staat das öffentliche Gut über Steuereinnahmen ermöglichen. Besteht die Überzeugung, dass nur tatsächliche Nutzer belastet werden sollten, dann kann dies nur gelingen, wenn die Nutzung erfasst wird. Das ist vielfach möglich, verlangt aber technische Zusatzgeräte.
Solche Zusatzgeräte gehören mittlerweile zum Alltag. Die Nutzung von Kommunikationskanälen wird erfasst (selbst wenn noch hinreichend Übertragungskapazität frei ist). Gleiches wird die Benutzung von Verkehrswegen durch elektronische Geräte erfasst, die in Fahrzeugen installiert sind. Bei Verkehrswegen sind ebenso Plaketten üblich, mit deren Kauf der Kostenbeitrag dokumentiert wird. Jedenfalls verlangt die direkte Beteiligung der Nutzer an der Kostendeckung für ein öffentliches Gut den einen oder anderen Weg, um die individuelle Nutzung zu erfassen oder die Bezahlung des Kostenbeitrags überprüfen zu können. Wer sich
3 Öffentliche Güter
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nicht beteiligen möchte, muss ausgeschlossen werden können. Allerdings ist der Ausschluss nicht immer einfach. Eine Antwort wird heute vielfach praktiziert. Die Nichtausschließbarkeit des öffentlichen Gutes wird reduziert, das heißt, es wird eine gewisse Ausschließbarkeit hergestellt. Dazu wird das Gut so in einen „Klub“ eingebracht, dass nur noch Klubmitglieder Zugang zu dem öffentlichen Gut haben. Das Gut ist noch öffentlich (im Sinne keiner Rivalität), jedoch nur innerhalb des Klubs. Über die Klubmitgliedschaft wird die Schaffung und Bereithaltung des Gutes bezahlt. Ein Beispiel wurde genannt: Verkehrswege dürfen in verschiedenen Ländern nur durch jene benutzt werden, die eine Plakette gekauft haben (und damit ihre Klubmitgliedschaft beweisen). Das Beispiel zeigt, dass die Merkmale eines Gutes verändert werden können, indem der rechtliche oder technische Verwendungszusammenhang geändert wird. Indem ein öffentliches Gut in ein „Klubgut“ verwandelt wird, nimmt es einen Aspekt privater Güter an, nämlich die Ausschließbarkeit.
3.4
Klubgut und Allmendegut
Private Güter zeigen Rivalität und Ausschließbarkeit. Öffentliche Güter weisen Nichtrivalität und Nichtausschließbarkeit auf. Tabelle 3-1:
Zwei Merkmale – Rivalität und Ausschließbarkeit – können bei Gütern erfüllt sein oder nicht. Entsprechen sind vier Typen von Gütern zu unterschieden. Rivalität
Nichtrivalität
Ausschließbarkeit
Privates Gut
Klubgut
Nichtausschließbarkeit
Allmendegut
Öffentliches Gut
Die beiden Merkmalsdimensionen Rivalität – Nichtrivalität sowie Ausschließbarkeit – Nichtausschließbarkeit sind voneinander unabhängig. Daher gibt es auch Güter, die Nichtrivalität wie ein öffentliches Gut haben und die Ausschließbarkeit privater Güter aufweisen. Das sind sogenannte Klubgüter. Außerdem gibt es Güter, die Rivalität wie bei einem privaten Gut mit der Nichtausschließbarkeit öffentlicher Güter kombinieren. Ein solches Gut heißt Allmendegut. Die Bezeichnung Klubgut trifft die Merkmale eines Gutes, das keine oder kaum Rivalität erzeugt und für das dennoch Personen ausgeschlossen werden können, indem sie nicht in den Klub gelassen werden. Natürlich gibt es auch andere Barrieren, mit denen die Nichtausschließbarkeit öffentlicher Güter etwas reduziert werden kann. Bereits bei der Konstruktion und Schaffung eines ansonsten öffentlichen Gutes (Nichtrivalität) kann darauf geachtet werden, dass gewisse Elemente eine gewisse Ausschließbarkeit erlauben. Beispielsweise werden im Straßenverkehr – eigentlich Nichtausschließbarkeit – Rechte für die Nutzung verkauft, und die Bezahlung durch eine Plakette ausgedrückt. Die Plakette zeigt die Mitgliedschaft im Klub der zugelassenen Nutzer.
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Zum Klubgut führen zwei Wege:
Private Güter werden zum Klubgut durch „Veröffentlichung“ in einem Klub. Öffentliche Güter werden durch Zusatzkonstruktionen „privatisiert“, sodass nur noch Personen sie nutzen können, die gewisse Voraussetzungen erfüllen.
Klubs sind interessante Einrichtungen, um private wie öffentliche Güter anzubieten. Private Güter können durch Klubs günstig bereitgehalten werden, und für öffentliche Güter können (über die Mitgliedschaft) Kostenbeiträge erhoben werden. Nicht grundlos gibt es so viele Mitgliedskarten. Um private Güter in einen Klub einzubringen, eignet sich etwa die Lounge. Der Eigentümer oder Betreiber der Lounge legt aktuelle Zeitungen aus und bietet Getränke an. Klubmitglieder nutzen diese eigentlich privaten Güter bei ausgesprochen geringer Rivalität. Durch die Art des Anbietens können demnach ursprünglich private Güter in der neuen Umgebung (Klub) von der Öffentlichkeit (der Besucher) so genutzt werden wie ein öffentliches Gut. Für die Eingrenzung der Nutzer eines öffentlichen Gutes auf Klubmitglieder eignen sich Plaketten und andere Mitgliedsausweise. Gelegentliche Stichproben müssen durchführbar werden, sodass Nutzer davor zurückschrecken, das öffentliche Gut zu nutzen, ohne zuvor eine Mitgliedskarte gelöst zu haben. Das setzt wiederum einen entsprechenden rechtlichen Rahmen voraus. Ein sogenanntes unreines öffentliches Gut oder Allmendegut (englisch common-pool resource) lässt Rivalität aufkommen, doch ist vom Grundsatz her niemand ausgeschlossen. In Südtirol haben die Landwirte schon vor Jahrhunderten das Wasser in den Bergen gefasst und über die eigens gebauten Waale kanalisiert und zu den Feldern im Tal geleitet. So können die Höfe bewässert werden. Beim Bau des Kanalsystems vor einhundert Jahren waren alle Bauern eingebunden, und jedes Mitglied der Dorfgemeinschaft durfte und darf auch heute noch Wasser beziehen. Doch es besteht Rivalität. Das Kanalsystem leitet nicht so viel Wasser in das Tal, dass es gleichzeitig allen Bauernhöfen zugeleitet werden könnte. Die Gemeinschaft muss eine Regelung treffen, um die Rivalität zu mildern. Dazu handelt die Dorfgemeinschaft (als Eigentümerin der Waale) einen Zuteilungsschlüssel aus. Die Bauernhöfe beziehen das Wasser der Reihe nach. Das Kanalsystem hat Weichen, deren zeitliche Umschaltung in der Gemeinschaft besprochen. Der Wasserwächter achtet darauf, dass niemand die Weichen nachts heimlich umstellt. Die Allmende ist jener Teil des Vermögens (Gewässer, Land, Wald) einer großen Gemeinschaft, den vom Grundsatz her alle benutzen dürfen. Doch bei starker Nutzung entsteht Rivalität. Die Rivalität bei Allmendegütern zeigt sich heute in der Befischung der Weltmeere sowie in der Umweltverschmutzung: Irgendwo gibt es Grenzen. Die Fragen lauten, wo die Grenzen festgelegt werden sollten, und wie erreicht werden kann, dass sich alle an Vereinbarungen halten. Ebenso können ursprünglich private Güter in einen neuen Verwendungszusammenhang gestellt werden, durch den sie zum Allmendegut werden. Der Verwendungszusammenhang muss die allgemeine Zugänglichkeit ermöglichen, also die Ausschließbarkeit des privaten Gutes abbauen. Hierzu muss das private Gut so positioniert oder ausgelegt werden, dass der Zugang geöffnet wird. Viele wohlhabende Personen öffnen ihren Wohnsitz oder ihre Kunstsammlung für Besichtigungen und Besuche. Andere verleihen private Güter. Im Autoleasing
3 Öffentliche Güter
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wird ein an sich privates Gut, das Auto, allen Interessierten zugänglich gemacht. Durch ein Reservations- und Buchungssystem wird die Rivalität gemildert. Auch zum Allmendegut führt ein zweiter Weg, der von einem öffentlichen Gut ausgeht. Einige an sich öffentliche Güter werden auf eine Art und Weise bereitgestellt, bei der Rivalität aufkommt. Beispielsweise kann ein öffentlich angebotener Dienst so mager ausfallen, dass sich Schlangen von Personen bilden, die den Dienst wünschen. In einigen Ländern spart der Staat so auffällig beim Service public – im Rathaus, am Postschalter, bei der medizinischen Versorgung – dass regelmäßig mit Wartezeiten zu rechen ist. Wieder muss ein Anmelde-, Reservations- und Buchungssystem die Nutzung regeln, auch wenn vom Grundsatz her niemand ausgeschlossen sein sollte. Das ist heute auch im Schul- und Bildungswesen der Fall, wo in einigen Ländern Anmeldefristen üblich sind, weil die Anzahl von Plätzen in den sehr guten Schulen beschränkt ist. In einer solchen Situation verlangen viele Bürgerinnen und Bürger, dass der Staat von dem öffentlichen Gut „mehr“ schaffen lässt, weil die Rivalität und der schlechte Bedienungsstandard den Nutzen stark reduzieren – im Vergleich zu einem wirklichen öffentlichen Gut. Wenn der Staat die Bürger zur Kasse bitten möchte, um Beiträge für die Nutzung öffentlicher Güter zu erheben, dann transferiert er das öffentliche Gut in ein Klubgut. Wenn der Staat für Schaffung und Unterhalt eines öffentlichen Gutes die Kosten reduzieren möchte, dann transferiert er das öffentliche Gut in ein Allmendegut.
3.5
Externalitäten
Zwischen dem privaten (volle Ausschließbarkeit, starke Rivalität), dem öffentlichen Gut (keinerlei Ausschließbarkeit, keinerlei Rivalität), dem Klubgut (Ausschließbarkeit, aber keine Rivalität) und dem Allmendegut (Rivalität, aber keine Ausschließbarkeit) bestehen Zwischenformen, die hinsichtlich der beiden Merkmalsdimensionen graduelle Unterschiede zeigen. Diese Zwischenformen werden mit dem Begriff der Externalität erfasst. Externalitäten können sowohl bei privaten als auch bei öffentlichen Gütern eintreten. Wir beginnen mit privaten Gütern. Ein vorrangig als privat anzusehendes Gut, das von einer Person genutzt wird, kann durchaus positiv ausstrahlen und den Nutzen anderer Personen erhöhen (die es gleichwohl nicht in ihrem Eigentum haben und auch nicht verbrauchen können). Solche Güter haben positive Externalitäten. Beispiele: Wenn jemand im Restaurant gepflegt speist, bekommt auch der Tischnachbar Appetit. Wenn sich eine Person für einen Anlass elegant kleidet, folgt sie vielleicht zunächst dem Eigennutz. Doch die Eleganz strahlt aus und trägt dazu bei, die Festlichkeit des Ereignisses und damit auch den Nutzen anderer Besucher zu heben. Einige (an sich private) Güter haben einen ausgesprochenen Zeigeeffekt, so etwa Markenartikel. Ihre gezeigte Nutzung erzeugt positive Externalitäten bei anderen. Jemand fährt eine bestimmte Automarke und freut sich jedesmal, wenn eine Person in der Umgebung dasselbe Automodell fährt.
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Demgegenüber haben andere private Güter negative Externalitäten: Ihre Nutzung durch eine Person reduziert den Nutzen anderer Personen. Das ist beispielsweise so, wenn jemand beim Güterkonsum Unappetitlichkeit oder Lärm erzeugt. Bei positiven Externalitäten wünschen sich die Begünstigten, dass der primäre Nutzer des Gutes durchaus mehr oder öfters davon verbraucht. Doch wie können sie ihn dazu motivieren? Bei negativen Externalitäten wünschen sich die Betroffenen, der primäre Nutzer würde seine Nutzung einschränken – oder die Art und Weise der Nutzung so modifizieren, dass keine negativen Externalitäten mehr auftreten. Auf den ersten Blick scheint es, als ob die entsprechenden Auseinandersetzungen nur kompliziert beigelegt werden könnten und daher der Staat eingreifen müsste. Das ist indessen nicht der Fall, wie das Coase-Theorem besagt. Der Brite RONALD COASE (geboren 1910, Nobelpreis 1991) leitete in seinem Aufsatz „The Problem of Social Cost“ 1960 ein überraschendes Ergebnis her: Die durch Externalitäten betroffenen Personen können selbst zu einer für alle besseren Lösung gelangen. Dazu müssen nur die Rechte klar definiert werden. Herr A möchte gern in seiner Wohnung laute Musik hören. Doch Nachbar B fühlt sich gestört. Jeder Richter kennt diese Fälle, weil es nicht einfach ist, zu vermitteln. COASE betont, dies liege daran, dass die Rechte unklar festgelegt sind. Wenn klare Rechte definiert sind, etwa dass laute Musik gespielt werden darf, dann bietet der Nachbar B von sich aus an, den A zu kompensieren, wenn er auf sein Recht ganz oder teilweise verzichtet, laute Musik zu spielen. Wenn das Recht so definiert ist, dass A keinen Lärm machen darf, dann wird der A von sich aus dem B eine Kompensation bieten, um dennoch manchmal noch Musik spielen zu dürfen. In beiden Fällen werden sich A und B schnell einigen, weil es möglich ist, dass sie sich dadurch beide besser stellen. Wichtig also ist, die Eigentumsrechte klar festzulegen.
Die Schwierigkeiten bei Externalitäten können gelöst werden, wenn die betroffenen Personen untereinander über die Allokation der Ressourcen beziehungsweise ihre Nutzung verhandeln (und hierzu Ergebnisse ohne Transaktionskosten erreicht und realisiert werden können). Verhandlungen setzen eine klare Regelung der Eigentumsrechte voraus. Wie die Rechte oder Entscheidungsrechte festgesetzt werden, hat selbstverständlich einen deutlichen Einfluss darauf, welche Seite dann zahlt, um die andere zu kompensieren. Auch könnte bei natürlichen Personen das schließlich erreichte Verhandlungsergebnis durchaus davon abhängen, wie die Eigentumsrechte festgelegt sind. Wenn sich B von A gestört fühlt, aber rein rechtlich gesehen nicht dagegen vorgehen kann, ist der B vielleicht viel bescheidener, wenn er dem A eine Kompensation anbieten müsste, auf dass dieser die Störung etwas reduziert. Und wenn A stört, dies aber eigentlich nicht dürfte, verlangt B vielleicht viel mehr, selbst um eine kleine Störung noch hinzunehmen. Der Grund für diese Abhängigkeit: Bei natürlichen Personen ist die Präferenz von der Anfangsausstattung abhängig. Das ist indes nicht der Fall, wenn die Präferenz durch eine Kostenfunktion beschrieben wird, wie das bei einer Unternehmung der Fall ist. Dann verschiebt eine Veränderung der Anfangsausstattung die Kostenkurve lediglich in ihrer Höhe, verändert
3 Öffentliche Güter
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aber nicht die Form. Deshalb ist das Verhandlungsergebnis, zu dem die Parteien gelangen, in diesem Fall sogar unabhängig davon, wie die Eigentumsrechte festgelegt werden. Der schließlich zwischen den Parteien vereinbarte Umfang der Nutzung und der Externalitäten ist bei Unternehmen unabhängig davon, wie die Eigentumsrechte definiert sind und wer wen kompensiert. Diese wichtige Erkenntnis stammt ebenso von COASE. Beispielsweise kann Firma A wünschen, am Wochenende zu arbeiten und so mit Lärm und Werksverkehr die Ruhe zu stören. Insbesondere betroffen ist das benachbarte Unternehmen B, das am Wochenende Besuchsprogramme für Kunden organisiert. Wieder müsste nur klar geregelt sein, ob am Wochenende Betrieb (mit allen abträglichen Nebenwirkungen) erlaubt ist oder nicht. Soweit die (erste) Aussage im Coase-Theorem. Mit Eigentumsrechten würden A und B in direkte Gespräche treten und eine Verhandlungslösung finden. Da A und B Firmen sind, sind ihre Nutzenfunktionen durch jeweilige Kosten und Erlöse gegeben. Kosten- und Erlösfunktionen ändern sich aber nicht, wenn sich am Vermögen der Firma etwas etwa ändert oder eben an den Verfügungsrechten, die der Firma zugewiesen sind. Daher ist die zwischen den Firmen A und B ausgehandelte Lösung – wie viel B am Wochenende arbeiten darf und welche Störung B für die Besucher akzeptiert – unabhängig davon, wie die Rechte definiert sind: Egal ob A auch am Sonntag stören darf und von B eine Kompensation erhält, um weniger zu stören, oder ob A am Sonntag nicht arbeiten darf und der Firma B Geld gibt, um wenigstens etwas arbeiten zu dürfen – wie viel am Wochenende dann bei A gearbeitet wird, ist von den Rechten unabhängig. Das ist die zweite Aussage im Coase-Theorem.
3.6
Akzeptanz und Kritik
Bei öffentlichen Gütern können ebenso Externalitäten auftreten. Wie ist das gemeint? Aufgrund der Nichtausschließbarkeit ist es weiteren Personen möglich, ein öffentliches Gut zu nutzen. Durch diese Nutzung sind Rückwirkungen auf den Nutzen jener Person (oder Personengruppe) denkbar, die sich ursprünglich für die Schaffung des öffentlichen Gutes engagiert hat. Diese Rückwirkung kann positiv sein (so als würden die weiteren Nutzer „Danke“ sagen) und sie kann auch negativ sein (so als würden sich die weiteren Nutzer noch bei den Schöpfern des öffentlichen Gutes beklagen). Statt Dank und Klage verwenden wir die Begriffe Akzeptanz und Kritik. Ein Beispiel für positive Externalitäten (Akzeptanz) bei einem öffentlichen Gut: Eine Referentin könnte ihr Wissen (öffentliches Gut) in einem Vortrag darbieten. Die Hörer gelangen so zu dem Nutzenvorteil, den ihnen das Wissen als öffentliches Gut verschafft. Oft lässt die Hörerschaft es nicht dabei bewenden, bei Ende des Vortrags einfach zu applaudieren – das ist in unserem Beispiel nicht gemeint. Mit der Nutzung des Wissens durch mehrere Personen (Sprecher, Hörerschaft) ist in aller Regel eine Kommunikation verbunden, etwa durch Fragen, Rückmeldungen oder auch Vorschläge, die aus dem Auditorium kommen. Diese Rückmeldungen erhöhen den Nutzen für alle, auch für die Sprecherin, die sich das Wissen ursprünglich angeeignet und sich vorbereitet hat.
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I Wirtschaften
Ähnliche positive Externalitäten treten auf, wenn eine Unternehmung A sich einen Standard, eine Schnittstelle, eine Norm überlegt und andere Unternehmungen dazu einlädt, an den weiteren Vorbereitungen der Norm mitzuwirken. Dabei wird die Norm verbessert. So hat die ursprüngliche Unternehmung A einen Zusatznutzen. Gelegentlich ist das anfängliche öffentliche Gut in Relation zu den einsetzenden positiven Externalitäten gleichsam vernachlässigbar wenig, weil die positiven Externalitäten in vielen Aspekten überwiegen und wirklich Neues schaffen. Das ist der Fall bei einer Idee, die aufgegriffen, angenommen und weiter entwickelt wird. Davon hat auch die Person etwas, von der die Idee ursprünglich stammt. Sie wird beispielsweise laufend zitiert und kann ihre dermaßen durch andere perfektionierte Idee wiederum selbst verwenden. Eine Person, die solche Anstöße vermittelt, ist der Inkubator. Der Inkubator hilft Jungunternehmern bei der Gründung durch Anregungen. Je mehr Jungunternehmer dem Rat folgen, desto förderlicher, etwa durch Steigerung der Reputation und des Wissens des Inkubators, ist es für den Ratgeber selbst. Ähnlich wirken Gründer von Schulen oder politischen Bewegungen. Sie schaffen eine Idee als öffentliches Gut, das von Anhängern aufgegriffen, ausgebaut, vertieft und verbreitet wird. Die Akzeptanz (im Kreise der Schüler oder Anhänger) strahlt zurück und hebt die Position des Lehrers oder des Politikers. Die Akzeptanz als Merkmal des Kreises von Schülern oder Anhängern macht das öffentliche Gut zu einem Klubgut. Innerhalb des Kreises (Schule, Partei) besteht keine Rivalität und das Gut ist frei verfügbar. Doch Außenstehende können ausgeschlossen werden. Sie werden häufig ausgeschlossen, wenn sie die Ideen der Schule oder der Partei nicht akzeptieren.
Die positiven Externalitäten beim Wissen liegen in der positiven Wirkung von Akzeptanz begründet. Wir verwenden Akzeptanz als generelle Bezeichnung für positive Rückwirkung bei öffentlichen Gütern. Ohne Zweifel wird die Wirtschaft gefördert, wenn bei öffentlichen Gütern eine positive Rückwirkung einsetzt und sich die von allen Nutzern erreichte Befriedigung steigert. Offensichtlich kann die positive Rückwirkung noch gefördert werden, indem Gemeinschaften gebildet werden, die das Nutzen öffentlicher Güter und das gemeinsame Leben und Erleben stärken. In der gegenseitigen Kommunikation verhelfen sie durch Akzeptanz zu positiven Rückwirkungen. Selbstverständlich können öffentliche Güter, genau wie private Güter, negative Externalitäten haben, die in abträglicher Weise auf den oder die ursprünglichen Schöpfer zurückwirken und ihn benachteiligen. Das ist bei abträglicher Kritik der Fall. Vielfach kommen negative Rückwirkungen auch bei Imitation auf. Beispiele für solche negative Externalitäten bestehen in destruktiver Kritik. Jemand hat eine Idee, und wenn sie stark kritisiert wird, dann kann die Kritik denjenigen benachteiligen, der die Idee geschaffen und als öffentliches Gut zur Verfügung gestellt hat. In einem übermäßig kritischen Umfeld wird jeder, der eigentlich eine Idee schaffen und äußern könnte, aufgrund solcher abträglichen Rückwirkungen entmutigt. Ähnliche negative Rückwirkungen finden sich bei Erfindungen in Technik oder Design. Werden die Erfindungen bekannt, können sich Konkurrenten anhängen und sie leicht nachahmen. Das hat im Allgemeinen negative Folgen
3 Öffentliche Güter
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für den Schöpfer. Nicht nur nehmen sich die Nachahmer einen Free Ride, sondern sie reduzieren durch die Nutzung des öffentlichen Gutes, eben durch Nachahmung der Erfindung, den Nutzen, der dem Schöpfer bleibt.
3.7
Imitationen
Um Imitation zu reduzieren oder zu verhindern, werden um öffentliche Güter oftmals „Mauern errichtet“. Dazu gibt es verschiedene Wege.
Der Schöpfer hält geheim, dass er ein öffentliches Gut geschaffen hat, und die wenigen, die es mit ihm zusammen nutzen, schweigen. Die Nichtausschließbarkeit des öffentlichen Gutes wird über Patente oder die Stärkung von Intellectual Property Rights verringert. Der Schöpfer des öffentlichen Gutes beginnt einen Prozess fortwährender Innovation und bringt immer wieder neue Auflagen und Versionen heraus. Weil das Aufgreifen der Innovation Zeit benötigt, können Konkurrenten nur Kopien der alten Versionen anbieten. Die negative Rückwirkung auf den Schöpfer ist gering, weil dieser in seiner Produktentwicklung bereits viel weiter ist.
Kann der Schöpfer die Imitation weder durch Geheimhaltung noch durch Patente verhindern, so sinkt seine Bereitschaft, sich überhaupt für die Schaffung des Gutes zu sorgen. Im Beispiel der Erfindung würde die Wirtschaft insgesamt weniger innovativ. Weniger Innovationen sind gesamtwirtschaftlich nachteilig. Allerdings haben Nachahmungen auch eine vorteilhafte Seite. Denn Nachahmer bringen oft weitere Verbesserungen an. Deshalb könnten die Innovationen auf gesamtwirtschaftlicher Ebene durch eine Abschwächung der Intellectual Property Rights sogar gesteigert werden. Zwar ist der Einzelne durch die nach der Schaffung von Neuem einsetzende Imitation etwas weniger stark motiviert, sich persönlich für Erfindungen zu engagieren. Doch werden Neuerungen geschaffen und bekannt (vielleicht gibt es Unterstützung von dritter Seite), dann werden sie durch Akzeptanz, also in einem Prozess des positiven Aufgreifens verbessert. Davon hat auch der ursprüngliche Schöpfer des innovativen Produktes einen Vorteil. Weder sollte Kritik noch sollten Nachahmungen ganz unterbunden werden, nur weil sie negative Rückwirkungen auf den Schöpfer der Idee oder der Neuerung haben. Gesamtwirtschaftlich wünschenswert ist eine Balance zwischen Akzeptanz und Kritik, bei der Einzelne zwar immer noch motiviert sind, sich für Neues zu engagieren, dennoch aber der einsetzende Prozess der Verbesserungen nicht blockiert wird. Die gesamtwirtschaftlich erwünschte Balance zwischen Akzeptanz und Verbesserung einerseits und zwischen Imitation und Kritik andererseits kann vielfach gesteuert werden. Die Steuerung erfolgt über die Entscheidung, die Neuerung entweder als proprietäre Lösung oder als offener Standard anzubieten. Bei einer proprietären Lösung wird deutlich auf Einhaltung von Intellectual Property Rights bestanden, und es werden hierzu möglichst alle Aspekte der Neuerung patentiert. Bei einem offenen Standard werden auch die inneren Konstruktionsmerkmale der Neuerung bekannt gegeben, sodass alle zur Nachahmung und zur Verbesserung eingeladen werden.
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Jeder kennt Beispiele: Windows und Microsoft Office sind proprietäre Software. Linux und LibreOffice orientieren sich am offenen Standard. Das Betriebssystem im iPhone ist proprietär, Android ist als offener Standard konzipiert. Als Nestlé Kaffeekapseln unter dem Namen Nespresso in den Markt brachte, war das Angebot proprietär. Später wurden von Konkurrenten ähnliche Kapselsysteme angeboten, und sie sind überwiegend im offenen Standard gehalten. Mit einer proprietären Lösung können eventuelle negative Externalitäten (Imitation, Kritik) abgewehrt werden. Mit einem offenen Standard werden positive Externalitäten (Akzeptanz, Verbesserung) angeregt und zugelassen. Proprietäre Lösungen sind vorzuziehen, falls die von anderen Nutzern und Nachahmern ausgehenden negativen Rückwirkungen (Imitation, Kritik) die positiven Effekte der Akzeptanz überwiegen. Offene Standards bieten sich an, sofern die von Nachahmern ausgehenden positiven Rückwirkungen (Akzeptanz, Verbesserung) die negativen Rückwirkungen von Imitation oder Kritik überwiegen. Kurz: proprietäre Lösungen bei Dominanz der Imitation, offene Standards bei dominanten Akzeptanz-Effekten. Bei einem öffentlichen Gut bewirkt die Imitation durch Konkurrenten oftmals gleichzeitig positive und negative Rückwirkungen auf den Schöpfer des Gutes. Wer eine Erfindung macht, muss daher überlegen: Soll sie als proprietäre Lösung gestaltet werden (niemand sonst darf es ohne ausdrückliche Lizenz übernehmen) oder als offener Standard (alle dürfen nachahmen, nutzen und verbessern)? Wie Beispiele vermuten lassen, versucht der originäre Innovator, sich durch proprietäre Standards vor Imitation zu schützen. Kommt eine Innovation erstmals zum Verkauf, dominieren offensichtlich die Probleme der Imitation. Gelingt es schließlich doch noch Wettbewerbern mit Imitationen in den Markt zu treten, dann können sie anscheinend nur dann einen ausreichenden Marktanteil erreichen, etwa um die eigenen Kosten zu decken, wenn sie die positiven Rückwirkungen stärken und dazu ihren Standard, den Standard bei der Imitation, offen halten. Beispiel: Ein pharmazeutischer Konzern plant, für eine Innovation zunächst eine proprietäre Lösung anzustreben. Doch nach einiger Zeit soll eine Öffnung stattfinden, und zwar nicht nur, um Generika zuzulassen, sondern auch um die Entwicklung einer gewissen Variantenvielfalt in Gang zu bringen. Diesen Weg unterstützt das Patentrecht. In Deutschland gilt der Patentschutz 20 Jahre, danach sind Imitationen erlaubt. Der Gebrauchsmusterschutz läuft maximal 10 Jahre.
3.8
Infrastruktur
Bisher haben wir private und öffentliche Güter unterschieden, sowie gewisse Zwischenformen, die durch Externalitäten entstanden sind. Private Güter konnten positive und negative Externalitäten aufweisen. Ein öffentliches Gut wird, wenn bei starker Nutzung Rivalität aufkommt, zu einem Allmendegut. Ein öffentliches Gut wird, wenn die Nichtausschließbarkeit durch Zusatzkonstruktionen reduziert wird, zu einem Klubgut. Im Prinzip konnten für alle diese Güter Eigentumsrechte vorgesehen werden. RONALD COASE empfiehlt klar definierte Rechte oder Eigentumsrechte als Ausgangspunkt für private Verhandlungen zwischen den von Externalitäten betroffenen Parteien. Mit Eigentumsrechten
3 Öffentliche Güter
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gibt es einen verantwortlichen Entscheidungsträger, eine Person oder Personengruppe, die für die Schaffung des Gutes sorgt und als Eigentümerin über den Einsatz sowie die Verwendung entscheidet. Doch es gibt einige Güter, bei denen nicht einer einzigen Person oder Personengruppe ewig währende Entscheidungsrechte zugewiesen werden können oder sollen. Das ist der Fall bei Infrastruktur. Infrastruktur sind grundlegende, komplexe, meist zu Systemen zusammengesetzte Güter. Sie haben in der Regel eine sehr lange Nutzungsdauer, sodass während dieser langen Zeit mit Neueinschätzungen und neuen Beurteilungen zu rechnen ist. Ihre Umsetzung sollte durch Eigentumsrechte, die gleichsam auf ewig den Eigentümern alle Rechte zuweisen, nicht behindert werden. Beispielsweise könnte allgemein eine Renovation, Änderung oder sogar vorzeitige Außerbetriebsetzung gewünscht werden, aber ein Eigentümer könnte sich gegen den allgemeinen Wunsch stellen und vielleicht sogar zeitgemäße Veränderungen verhindern. Zudem sind an Infrastruktur regelmäßig mehrere Parteien beteiligt, so (1) die Investoren, (2) die Betreiber, (3) die Nutzer und (4) die sonst von der Infrastruktur Betroffenen. Diese vier Parteien haben höchst unterschiedliche Interessen und sollten bei der Infrastruktur zu einer ausgeglichenen Balance finden. Das gelingt nicht, wenn einem von ihnen die Eigentumsrechte zugesprochen werden: Wären die Investoren die Eigentümer, würden sie auf höchste Rendite achten. Wären die Betreiber die Eigentümer, würden sie auf laufende Verbesserungen drängen und wie Monopolisten hohe Nutzungspreise durchsetzen. Die Nutzer als Eigentümer würden vermutlich wenig Aufwand eingehen, um Risiken zu bewältigen, die von der Infrastruktur ausgehen könnten. Sie würden auch wenig renovieren. Und die Betroffenen als Eigentümer würden vermutlich schon die Errichtung der Infrastruktur behindern. Die Beispiele sind bekannt: Energieversorgung, Flughäfen, Gesundheitswesen. Tabelle 3-2:
Bei der Infrastruktur muss eine Regulierung gefunden werden, die Private noch motiviert, sich als Investoren oder Betreiber zu beteiligen, und die dennoch dem Staat tief gehende Entscheidungen belässt, wobei Rücksicht auf Nutzer und Betroffene genommen wird. Wer sorgt für die Wer entscheidet über Beschaffung des Gutes? die Verwendung?
Wer kann das Gut nutzen und wer ist betroffen?
Eigentümer
Eigentümer
Eigentümer
Öffentliches Gut Eigentümer
Eigentümer
Eigentümer und alle anderen
Staat legt Regulierung fest.
Allgemeinheit
Privates Gut
Infrastruktur
Private Investoren und private Betreiber
Von daher wäre die Schaffung der Infrastruktur und ihr Betrieb eine staatliche Aufgabe. Der Staat investiert, betreibt die Infrastruktur, regelt die Bedingungen der Nutzung, verlangt kompetitive Preise und kompensiert Betroffene. Ein demokratischer Staat wird sich dabei am Wohl der Gesamtbevölkerung orientieren, das sich im politischen Prozess der Meinungsbildung bildet. Bei neuen Anforderungen oder Entwicklungen würde sie der Staat – nach dem Willen der Mehrheit über den politischen Prozess – in entsprechende Veränderungen bei der Infrastruktur umsetzen.
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I Wirtschaften
Infrastruktur, lateinisch für Unterbau, bezeichnet sehr langlebige Grundeinrichtungen, die dem Leben und dem Wirtschaften in einem Gebiet dienen sollen. (1) Die grundlegende Natur der Infrastruktur bedeutet, dass mehrere Anspruchsgruppen auf positive wie negative Weise betroffen sind – Vereinbarungen sind nicht einfach auszuhandeln. (2) Die Langlebigkeit bedeutet, dass sich die Ansprüche der beteiligten Gruppen aufgrund neuer Einschätzungen und der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung ändern können – für immer gesprochene Eigentumsrechte sind für Infrastruktur wenig geeignet, dem Staat die für die Zukunft offen zuhaltende Veränderungsmöglichkeit zu sichern. Soweit die Idee. Doch leider ist der Staat aufgrund der dominanten bürokratischen Vorgehensweise weder ein guter Investor noch ein guter Betreiber von Infrastruktur. Der Staat wird daher Private in die eben genannten, an sich staatlichen Aufgaben einbinden. Das kann in unterschiedlicher Intensität und Tiefe der Verzahnung geschehen. Eine nur leichte Einbindung der Privaten bestünde darin, dass für die Errichtung verschiedener Anlagen private Anbieter, etwa Bauunternehmer, Aufträge erhalten und später der Betrieb, immer nur für einige Jahre, an ein privates Unternehmen vergeben wird. Der Staat bringt das Geld für die Investition auf, legt die Nutzungspreise fest, koordiniert und kompensiert Betroffene. Hier ist der Staat ein Generalunternehmer und bleibt letztlich der Eigentümer der Infrastruktur. Das hat natürlich zur Folge, dass die Privaten sich zwar um die Erteilung von Staatsaufträgen bemühen, diese dann aber schnell ausführen und sich dann wieder verabschieden. Mit der Abnahme des Auftrags liegt die Verantwortung wieder allein beim Staat. Um erhebliche Mitwirkung zu finden, muss der Staat den Investoren und Betreibern mehr Rechte an der Infrastruktur überlassen. Allerdings möchte er eben nicht so weit gehen und alle Rechte – etwa in Form von Eigentum – abgeben. Eine tiefere Einbindung der Privaten besteht darin, weitgehende und klar definierte Rechte an die eingebundenen Parteien zu vergeben. Die Parteien können sich auch selbst koordinieren, doch alle müssen gewisse Regulierungen einhalten. Die Regulierungen können beispielsweise Grundsätze festlegen, nach denen Risiken behandelt werden, Preise festzusetzen sind und so fort. Der Staat gibt bei dieser Variante die Koordination weitgehend ab, doch er behält ausgewählte, auch wenn zum Teil bedeutende Rechte. Der Staat kann sich etwa das Recht ausbedingen, die Infrastruktur vor ihrer geplanten Nutzungsdauer zu schließen. Die Rechte werden bei dieser Variante geteilt:
Einige Rechte (weit mehr als eine Auftragserteilung) erhalten die Investoren und die Betreiber. Einige Rechte behält der Staat. Die Regulierung wird so balanciert, dass (1) Investoren und Betreiber motiviert sind, sich einbinden zu lassen (obwohl sie nicht die vollen Eigentumsrechte erhalten), andererseits (2) der Staat gewisse Grundrechte behält und (3) die Interessen der Nutzer sowie der Betroffenen Berücksichtigung finden.
Gute Regulierung ist komplex und höchst anspruchsvoll. Sie muss so ausfallen, dass immer noch Anreizverträglichkeit besteht und Private zu einem Engagement bereit sind. Private Investoren sollen das Geld geben und Risiken übernehmen. Die Regulierung darf aber nicht so ausfallen, dass der Staat zu Lasten aller Anspruchsgruppen „zu viel aus der Hand gibt“ und am Ende sich die gesamte Infrastruktur in Privateigentum befindet. Welch hohe Ansprüche die Regulierung stellt, ist an den politischen Diskussionen um Regulierung im Bereich
3 Öffentliche Güter
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des Geldwesens und der Banken zu sehen, im Bereich der Energieversorgung, im Bildungswesen im Gesundheitswesen und im Verkehrswesen. Stets geht es bei der Regulierung um die Grundentscheidung, dass der Staat zwar einerseits Private zu einem Engagement bei der Infrastruktur motivieren möchte, andererseits wichtige Entscheidungsrechte behält. Noch dazu möchte der Staat bei Neueinschätzungen die Nutzungsdauern der Infrastruktur verkürzen können, ohne für diese Optionen Zugeständnisse zu machen. Damit ist die Regulierung eine Zwischenform bei der Aufteilung von Eigentumsrechten zwischen dem Staat und Privaten.
3.9
Fragen zur Lernkontrolle
1.
a) Welche Eigenschaft muss eine Allokation aufweisen, um als paretoeffizient zu gelten? b) Welche Erkenntnis hat PAUL SAMUELSON hinsichtlich der Versorgung mit öffentlichen Gütern bewiesen?
2.
a) Definieren Sie, was darunter verstanden wird: privates Gut, öffentliches Gut, Klubgut, Allmendegut! b) Welche dieser Güter weisen die Eigenschaften der Rivalität, welche der Ausschließbarkeit auf?
3.
a) Was ist ein Free Ride? b) Inwiefern eignet sich eine Überführung eines öffentlichen Gutes in ein Klubgut dazu, Beteiligungen an den Kosten zu erheben? c) Welche Überlegungen stehen hinter dieser Aussage: Wo der Staat kassieren möchte, schafft er ein Klubgut; wo der Staat sparen möchte, schafft er ein Allmendegut?
4.
Richtig oder falsch: a) Bei negativen Externalitäten ist eine übergeordnete Instanz zu schaffen, die versucht, die Betroffenen zu einer vernünftigen Verhaltensweise zu bewegen. b) Das Coase-Theorem empfiehlt, bei Externalitäten klare Eigentumsrechte festzulegen. c) durch diese Eigentumsrechte wird festgelegt, welche Seite letztlich Kompensationen entrichtet. d) Das Coase-Theorem besagt außerdem, dass der schließlich vereinbarte Nutzungsumfang stark davon abhängt, wie die Rechte festgelegt worden sind.
5.
Erläutern Sie Akzeptanz und Kritik als Externalitäten bei öffentlichen Gütern!
6.
Ebenso wie bei Innovationen können generell bei Wissen sowohl Imitation als auch Akzeptanz auftreten. Handelt es sich um kommerziell verwertbares Wissen, wird die Partie, die es erstmalig schafft, sich überlegen, ob sie proprietär (Geheimhaltung) oder offen damit umgehen soll. Erläutern Sie durch Beispiele, wie typischerweise bei Wissen über Anwendungen und wie bei Grundlagenwissen vorgegangen wird.
7.
Der Aufbau eines Markennamens verhilft einer Unternehmung zu für sie günstigeren Absatzkonditionen. Wie kann ein Unternehmen versuchen, dass ihr Markenname nicht imitiert wird? Hinweis: Siehe dpma im Web.
8.
a) Warum kann der Staat bei Gütern, die den Charakter von Infrastruktur haben, nicht einfach Entscheidungsrechte zulassen und vergeben? b) Warum behält der Staat nicht am besten alle Infrastrukturvorhaben in seiner eigenen Hand? c) Welche Grundeigenschaften muss eine Regulierung erfüllen?
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I Wirtschaften
3.10
Lernpunkte und Ergänzung
Eine Allokation von Gütern – Zuweisung zu Wirtschaftssubjekten (Personen) und Verwendungszwecken – wird als effizient oder paretoeffizient bezeichnet, wenn keine andere Allokation möglich ist, bei der a) niemand einen geringen Nutzen hätte, b) eine Person oder einige Personen sogar einen höheren Nutzen hätten. Die Paretoeffizienz ist eine Mindesteigenschaft; Wirtschaftsordnungen, die nicht einmal auf paretoeffiziente Allokationen führen, müssten revidiert werden.
PAUL SAMUELSON hat bewiesen, dass es in einer auf Privateigentum und wirtschaftlichen Entscheidungsfreiheit der Personen beruhenden Marktwirtschaft zu einer Unterversorgung von öffentlichen Gütern kommt. Dieses Ergebnis verwundert nicht, wo die Privaten versuchen werden, zu einem Free Ride zu kommen, und ihre Zahlungsbereitschaft bei öffentlichen Gütern zurückhalten.
Wenn die Aufgabe, für öffentliche Güter zu sorgen, dem Staat übertragen wird, dann könnten die Regierungen zwei Wege versuchen: a) Auf dem einen Weg transformieren sie das öffentliche Gut in ein Klubgut, um die Nutzer zu Kostenbeiträgen zu zwingen. b) Auf dem anderen Weg magern sie das öffentliche Gut ab, bis es zu einem Allmendegut wird. Auf diese Weise reduziert der Staat die Kosten für die Schaffung und den Unterhalt des öffentlichen Gutes.
Bei privaten Gütern können Externalitäten eintreten. Bei positiven Externalitäten möchten die Mitgenießer den Eigentümer zu höherem Verbrauch bewegen, bei negativen Externalitäten möchten die Betroffenen, dass der Eigentümer die Nutzung einschränkt. Hier würde man an eine übergeordnete Instanz denken, die für einen Ausgleich der Interessen zu sorgen hätte. Doch RONALD COASE hat gezeigt, dass es genügt, die Rechte klar festzulegen. Die Beteiligten finden dann untereinander zu einer Einigung über die Nutzung und eine allfällige Kompensationszahlung.
Bei einer Erfindung oder Neuentwicklung bewirkt die Imitation durch Konkurrenten oftmals gleichzeitig positive und negative Rückwirkungen auf den Schöpfer des Gutes. Die positiven Wirkungen sind die der Akzeptanz. Die negativen Wirkungen sind durch die Aufteilung des Absatzmarktes herbeigeführt. Erfinder überlegen, ob sie eine proprietäre Lösung anstreben (Patente, Lizenzvergabe) oder einen offener Standard (alle dürfen nachahmen, nutzen und verbessern).
Infrastruktur verlangt, vier Parteien zu sehen: Investoren, Betreiber, Nutzer, Betroffene. Ein Ausgleich ist angesichts der höchst unterschiedlichen Interessenlage schwierig zu erreichen. Der Staat möchte weder eine der vier Parteien die Eigentumsrechte überlassen, noch seine Rechte vollständig abgeben. Er versucht eine Aufteilung der Rechte. Sie wird als Regulierung bezeichnet. Die Regulierung soll die Investoren und Betreiber motivieren, die Nutzer und die Betroffenen angemessen berücksichtigen.
Ergänzung: Öffentliche Güter können für die Menschen von höchst unterschiedlichem Nutzen sein, genau wie private Güter. Wenn der Staat öffentliche Güter bereitstellt, begünstigt er oftmals eine gewisse Gruppe innerhalb der Einwohner, auch wenn andere nicht ausgeschlossen sind. Beispielsweise gibt es öffentliche Güter, die überwiegend für Jugendliche interessant sind und es gibt öffentliche Güter, die eher ältere Menschen ansprechen. Menschen mittleren Lebensalters beispielsweise schätzen Straßen als öffentliches Gut, um mit dem
3 Öffentliche Güter
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privaten Auto voranzukommen. Ältere Menschen haben vielfach eine Präferenz für den öffentlichen Schienenverkehr. Ein junger Mensch könnte sich die Frage stellen, aufgrund welcher öffentlichen Güter er oder sie London so faszinierend findet. Wie lautet Ihre Antwort? Eine ältere Person findet vielleicht Wien aufgrund dort angebotener öffentlicher Güter faszinierend. An was würden Sie hierbei denken? Mercer LLC, ein Beratungsunternehmen auf dem Gebiet des Personalmanagements, erstellt regelmäßig Studien zur Lebensqualität in den Metropolen der Welt und publiziert eine Rangliste. Die Lebensbedingungen – viele sind durch öffentliche Güter geschaffen – werden anhand von 39 Faktoren erhoben. Diese Faktoren berücksichtigen diese Kategorien: politische und soziale Umgebung, ökonomische Bedingungen, soziokulturelle Bedingungen, Gesundheit und Gesundheitswesen, Schulen und Ausbildung, öffentliche Services und Verkehr, Unterhaltung (Restaurants, Theater, Kinos, Sport- und Freizeitbetriebe), Konsumgüter (Verfügbarkeit des täglichen Bedarfs), Unterkunft (Wohnungen), Umwelt und Klima.
4
Kapital und Vermögen
Viele Personen können Geld anlegen und investieren. Sollen sie reale Vermögensobjekte oder Finanzanlagen vorziehen? Vorteilhaft bei Finanzanlagen ist die hohe Liquidität und die stark ausgeprägte Informationseffizienz der Finanzmärkte. So hat sich neben der Realwirtschaft die Finanzwirtschaft entwickelt. Beide sind (lose) miteinander verbunden. Doch welche der beiden „Seiten“ der Wirtschaft hat den größeren Einfluss? Spiegelt die Finanzwirtschaft lediglich, was in der Realwirtschaft geschieht? Oder steuert die Finanzwirtschaft die Realwirtschaft? Die Themen:
Bildung von Vermögen Nachteile geringer Liquidität Finanzkontrakte Primärmarkt – Sekundärmarkt Substitute Welche Seite dominiert? Fragen zur Lernkontrolle Lernpunkte und Ergänzung zur Unterscheidung von Unsicherheit nach FRANK H. KNIGHT
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
4.1
Bildung von Vermögen
Der natürliche Lebenszyklus und das Vorsorgemotiv führen dazu, dass die Menschen sparen müssen. Viele Menschen haben in jungen Jahren viele Ausgaben, wenn sie eine Familie gegründet haben. Doch wenn die Kinder außer Haus sind und die Konsumausgaben der Familie zurückgehen, können sie auch sparen. Bereits bei der Erläuterung des erwerbswirtschaftlichen Prinzips sprachen wir davon, dass die Menschen „sich etwas auf die Seite legen“ und nicht ihr gesamtes Einkommen oder die Erlöse aus einer Arbeit konsumieren. Banken, Versicherungen und andere Finanzdienstleister unterstützen den modernen Menschen bei Anlage der Gelder, indem sie Rat bieten und Instrumente für die Geldanlage bieten. Viele Ratgeber empfehlen ein dreistufiges Vorgehen. Die Stufen sehen die Bildung einer Reserve vor, die Geldanlage und die Investition: 1.
Zu Beginn des Sparens sollte zunächst eine Reserve für unerwartete Lebensereignisse gebildet werden. Die Beispiele sind uns geläufig: Plötzlich muss ein neues Auto gekauft werden, Krankheit, ein Familienmitglied benötigt dringend Geld, Arbeitslosigkeit. Die Reserven müssen „liquide“ gehalten werden, also in Form von Geld, Guthaben oder Spareinlagen. Auch Geldmarktfonds kommen für die Reserve in Frage.
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Sodann kann Geld angelegt werden, um ein Ziel zu erreichen, das sich Mensch oder Familie setzt, und das in der überschaubaren Frist von einigen Jahren erreicht werden soll. So wird Geld für eine Weltreise angelegt, für den Kauf einer Eigentumswohnung, für die Ausbildung der Kinder und so fort. Hierfür eignen sich Formen der Geldanlage, die in ihrer Frist und hinsichtlich des Anlagehorizontes, auch hinsichtlich der Risiken, dem Zeitpunkt und der Art der geplanten Verwendung entsprechen. Beispielsweise zählt hierzu das Bausparen, das Ansparen im Rahmen einer Lebensversicherung oder ein Anlagefonds, bei dem geringes Risiko besteht. 3. Des Weiteren soll der Aufbau eines Vermögens – alles selbstverständlich in den Dimensionen, die für die Person realistisch sind – begonnen oder vorangetrieben werden. Das entsprechende Geld wird investiert, und zwar auf unbestimmte Zeit. Die eingegangenen Risiken sollen in jenem Rahmen bleiben, den die Risikotoleranz der Person sowie ihre wirtschaftliche und finanzielle Situation erlauben. Die Finanzdienstleistungsunternehmen bieten sodann Wege und Instrumente für diese drei Ziele der Reservehaltung, der Anlage für einen bestimmten Zweck sowie der Investition für den weiteren Vermögensaufbau. 2.
Besonders für die als Drittes genannten Investitionen und den weiteren Vermögensaufbau eignen sich reale Vermögensobjekte. Dazu gehören Edelmetalle, Möbel, Kunstwerke, Land, Gebäude, Schiffe, ein Stück Wald. Weiter kann der Investor Produktionsmittel (Betriebsgelände, Einrichtungen, Werkzeuge) erwerben und eine Fertigung oder einen Handwerksbetrieb begründen oder sich daran beteiligen. Immer wieder ist im Freundeskreis zu erfahren, dass sich jemand eine Farm oder Plantage gekauft hat und ein neues Leben erhofft. Vor 150 Jahren waren die europäischen Länder bettelarm und zahlreiche Europäer mussten auswandern. Sie haben in Südamerika und in Asien sich selbst eine neue Existenz aufgebaut. Alle die genannten Vermögensobjekte werden auch heute geschätzt, insbesondere Immobilien. Wie beim erwerbswirtschaftlichen Prinzip erläutert, muss sich das Ziel, „etwas auf die Seite zu legen“ nicht auf den Kauf einer Immobilie für die eigene Benützung beschränken. Wer mehr Vermögen bilden kann, wird durchaus weitere Immobilien kaufen und vermieten. Das Vermögensobjekt generiert dann laufende Einkommen. Land, auch Brachland, wird oftmals „liegen gelassen“ in der Erwartung, dass eine Wertsteigerung eintritt. Das kann mitunter lange auf sich warten lassen. Ein Stück Wald oder Brachland gewinnt vielleicht erst in einer der nachfolgenden Generationen an Wert. Die Vermögensobjekte sind demnach in mehrerer Hinsicht verschieden: Einige Objekte bieten persönlichen Nutzen (wie Möbel und Kunstwerke), andere bieten laufende Einkommen (wie Vermietung von Immobilien, Verpachtung von Land) oder sie bieten Chancen auf Wertsteigerungen (wie Brachland). Einige Objekte bieten weitergehende Opportunitäten, wie etwa produktives Vermögen. Einige Objekte ließen sich, falls der Investor dies wünscht, jederzeit und leicht verkaufen. Der entsprechende Vermögensmarkt ist liquide. Dazu gehören aber nur Edelmetalle und, mit Einschränkungen, Standard-Einkommenswohnungen. Bei den anderen Objekten muss entweder eine Auktion abgewartet werden, wie bei Kunstwerken. Oder das Marktumfeld zeigt eine geringe Liquidität (wie bei Luxusimmobilien) und ein Verkauf kann sich über Jahre hinziehen. Leider ist der Vermögensmarkt bei den meisten Objekten wenig liquide. Hier eine Liste von vier Merkmalen, die der Investor beachten dürfte:
Welche Transaktionskosten entstehen für den Kauf (Suchkosten, Anwaltsgebühren, Steuern) und für einen späteren eventuell vorgenommenen Verkauf? Wie liquide ist der
4 Kapital und Vermögen
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entsprechende Vermögensmarkt und welche Wartezeiten sind bei einem Transaktionswunsch als Regel anzusehen? Welche Kosten sind mit dem Halten des Vermögensobjekts verbunden (Versicherung, Steuern, Rennovationskosten, Abschreibungen für natürliche Wertverringerung, Kosten für einen Verwalter)? Wie hoch ist die erwartete Rendite, ausgedrückt durch das in einem Jahr generierte Einkommen plus Wertsteigerungen pro Jahr abzüglich jährlich Unterhaltskosten, alles geteilt durch den Wert zu Jahresbeginn? Wie hoch sind die Risiken, welche typischen Schwankungen zeigt die Rendite? Wie unterschiedlich kann sich die Verkaufsmöglichkeit entwickeln und wovon hängt sie ab? Wie sind Gefahren (Zugriff Dritter, Änderung der Gesetzgebung) einzuschätzen? Welche zusätzlichen Chancen und Opportunitäten ergeben sich mit dem Eigentum des Objektes?
4.2
Nachteile geringer Liquidität
Die genannten Objekte werden, wenn wir von Edelmetallen einmal absehen, alle in einem Vermögensmarkt gehandelt, der mehr oder weniger stark die Illiquidität eines nicht so perfekten Marktumfeldes zeigt. Die Preisbildung an dem entsprechenden Vermögensmarkt ist über die Zeit hinweg vergleichsweise stetig – auch wenn der Preis wenig aussagt, weil bei einem konkreten Transaktionswunsch auf eine Gegenseite eventuell gewartet werden muss und eine Seite zu Preiszugeständnissen bereit sein muss. Insbesondere drücken sich aktuelle wirtschaftliche und politische Informationen in den Märkten für reale Vermögensobjekte nicht sofort in der Preisbildung aus, weil diese laufenden Informationen aufgrund der geringen Liquidität und der hohen Transaktionskosten kaum Transaktionen auslösen. Daher fehlen im Markt für reale Vermögensobjekte die von der Finanzwelt her bekannte täglich zitterige Kursbewegung und die Hektik. Viele Investoren sind damit nicht unzufrieden, weil es so aussieht, als hätten sie – unabhängig von einer Börse mit hektischen Preisänderungen – eine Investition mit stabiler Wertentwicklung gefunden. Da die Bewegungen der hier und da durch Transaktionen bekannt werdenden Preise langsam sind, und Besonderheiten immer gedankliche Korrekturen erlauben, erscheint das reale Vermögensobjekt als „sicherer“ und erlaubt dem Investor eine ruhigere Hand. Doch Ruhe ist oft trügerisch. Wir ahnen, dass wegen geringer Liquidität der aktuelle Informationsstand nicht immer adäquat in Preisen enthalten ist. Die Märkte für reale Vermögensobjekte wie Immobilien sind, wie gesagt wird, informationsineffizient: Sie setzen die aktuelle Information weder besonders schnell noch richtig in Preise um. Zudem sind die Transaktionen stark von der Konjunktur und anderen volkswirtschaftlichen Größen wie dem Zinsniveau abhängig. Folglich kommt es zu ausgeprägt zyklischen Erscheinungen. Bekannt ist die Immobilienuhr, die Preise aktueller Transaktionen von Immobilien sowie Mietniveaus in diversen Städten mit der langfristigen Wertentwicklung vergleicht. Die
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I Wirtschaften
Immobilienuhr bestätigt langsame und vorhersehbare Auf- und Abwärtsbewegungen dieser Unterschiede zwischen Wert und Preis. Einige Investoren empfinden auch dies als einen Vorteil, weil sie mit Sachverstand an den richtigen Orten durchaus „günstige“ Objekte finden können. Personen ohne großen Sachverstand sollten sich in einem informationsineffizienten Markt daher stets beraten lassen. Nicht ohne Grund sind bei Immobilientransaktionen Makler eingeschaltet, die eine Bewertung vornehmen und den Unterschied zwischen aktuellem Preis und Wert thematisieren. Das alles – Preise reflektieren nur wenig die aktuellen Informationen, Sachverständige wissen mehr als andere am Kauf oder Verkauf Interessierte – zeigt indes Nachteile auf, die im Markt für reale Vermögensobjekte anzutreffen sind. Diese Nachteile liegen nicht allein in Transaktionskosten, in der möglicherweise langen Wartezeit und in der Unsicherheit über hinzunehmende Preisabschläge. Die Nachteile bestehen ebenso in der Tatsache, dass Informierte immer lauern und auf der Suche nach günstigen Objekten sind, um mit weniger Informierten einen Transfer zu vereinbaren. Niemand kann von sich sagen, ob er oder sie zu den eher besser Informierten oder eher zu den schlechter Informierten gehört. Deshalb muss jede Seite erst ein Wertgutachten einholen, bevor sie in eine Transaktion einwilligt. Das sind die großen Nachteile der Illiquidität. Ein weiterer Punkt kommt hinzu. Aufgrund der in einem Marktumfeld geringer Liquidität möglichen Unterschiede zwischen dem aktuell für den Vermögenserwerb zu zahlendem Preis und dem Wert können sich selbst über längere Zeiten Preise halten, die den Wert übersteigen – oft als „Überbewertung“ bezeichnet. Der Investor entdeckt dann im Laufe der Zeit, dass die anfangs erwartete Rendite überschätzt war und das Geld in totem Kapital angelegt wurde. Dennoch wird das Objekt nicht (zu deutlich geringerem Preis als ursprünglich erhofft) verkauft, weil damit der Buchverlust realisiert und die Fehlinvestition eingestanden würde. Als Beispiel sollen Ferienimmobilien genannt werden. Gemessen an der tatsächlichen Nutzung, den laufenden Unterhaltskosten und dem wirklichen Verkaufserlös sind sie teuer im Vergleich zu Alternativen (wie Hotel oder Anmietung). Der Weg von einer realen Investition zur Liebhaberei ist kurz. Für den einzelnen Investor ist die Fehlinvestition bedauerlich, doch für die Volkswirtschaft als Ganzes ein Problem: Zuviel Geld, das wirtschaftlich produktiver eingesetzt werden könnte, liegt als totes Kapital herum. Zwar hat eine Gemeinde oder ein Land durchaus Vorteile, wenn Ferienobjekte gebaut werden, denn das Geld aus Grundstücksverkäufen und der Bauausführung belebt die lokale Wirtschaft. Doch später zeigt sich, dass Geld in nicht produktive Anlagen geflossen ist. Aufgrund der geringen Liquidität kann sich der Preis so weit über den aufgrund langfristiger Verhältnisse ermittelten Wert anheben, dass von einer Preisblase gesprochen wird. Da Informationen weder schnell noch richtig umgesetzt werden, können sich Preisblasen durchaus über längere Zeit halten und sogar weiter verstärken. Preisblasen sind schwer zu erkennen, weil eine jede Situation ihre Argumente findet, die sie stützen. Das geht so lange, bis auf einmal die sich angesammelten (aber nicht laufend umgesetzten) Informationen geballt in massiven Preiskorrekturen äußern und die Preisblase platzt. Bei Immobilien können dann eine große Anzahl von Investoren sich plötzlich verarmt fühlen, und den Konsum reduzieren. In der Folge kann es zu Entlassungen kommen und das Land in eine Rezession rutschen.
4 Kapital und Vermögen
4.3
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Finanzkontrakte
Letztlich dient der Aufbau von Vermögen einer Transformation der zeitlichen Verfügbarkeit von Geldbeträgen. Der Investor bezahlt „heute“ (Zeitpunkt des Erwerbs) für ein Vermögensobjekt und erhält „später“ (Zeitpunkt des Verkaufs als Ganzes oder in Teilen) einen Geldbetrag (anderer Höhe). Mit dieser Betrachtung ist natürlich eine große Reduktion auf eine einzige Dimension verbunden. Wir rücken die Dimension von Zahlungen zu verschiedenen Zeitpunkten in das Zentrum. So wird die persönliche Freude ausgeklammert, die mit dem Aufbau einer wertvollen Sammlung verbunden ist und die Zufriedenheit, die ein eigenes Geschäft oder ein landwirtschaftlicher Betrieb geben kann. Auch die Interaktion mit anderen Personen, die im Geschäft oder in einer Unternehmung tätig sind, etwa durch ihre Anleitung, wird ausgeklammert. Von diesen Dimensionen soll abstrahiert werden. Dann bleibt, dass durch Vermögensobjekte für den Investor die Verfügbarkeit von Geldbeträgen zeitlich verschoben wird. Der Investor tätigt heute eine Auszahlung und erhält dafür später eine Einzahlung. In der Zwischenzeit ist das Vermögensobjekt, eine Sache, gleichsam der Partner des Investors, der Einkommen (wie Miete, Pacht) generiert und die Sicherheit bietet, dass die spätere Einzahlung zugunsten des Investors zustande kommt. Schon immer haben sich auch andere Wirtschaftssubjekte, als Person, angeboten, diese Funktionen des Vermögensobjekts zu übernehmen. Die Person als Partner des Investors leistet die von ihm gewünschte Transformation der terminlichen Verfügbarkeit von Zahlungen. Diese Personen gehen mit dem Investor einen Vertrag ein, einen Finanzkontrakt. Sie erhalten vom Investor heute den Geldbetrag und verpflichten sich zu späterer Rückzahlung. Auf der Basis von Eigentum oder anderen rechtlichen Möglichkeiten werden in der Wirtschaft verschiedene Verträge geschlossen, so etwa Kaufverträge und Arbeitsverträge. Viele dieser Verträge beziehen sich auf einen, gleichsam den heutigen Zeitpunkt. Etwa: Person A verkauft heute eine Ressource an B und erhält im Wesentlichen zum selben Zeitpunkt einen Geldbetrag in Höhe des Preises. Oder Person A willigt heute ein für B zu arbeiten und erhält als Geldbetrag den Lohn, und zwar wiederum praktisch zum selben Zeitpunkt. Eine weitere Kategorie von Verträgen sieht Zahlungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten vor. Sie werden als Finanzgeschäfte oder als Finanzkontrakte bezeichnet. Die Grundform aller Finanzkontrakte ist der Kredit: Person A überlässt der Person B heute einen Geldbetrag in Höhe x, und B verspricht dafür, zu einem Zeitpunkt später – sagen wir in t Jahren – den Geldbetrag y an A zu zahlen. Während der Laufzeit des Vertrags hat A Ansprüche an B, und B ist eine Verpflichtung gegenüber A eingegangen. Die Person A investiert, die Person B finanziert. Jemand wird zum Finanzinvestor, der mit einer heutigen Geldzahlung Rechte von einer anderen Person erhält und gegen sie Ansprüche erheben kann, zukünftige Zahlungen von dieser Person zu erhalten. Die Finanzkontrakte und die durch sie begründeten Ansprüche bilden das Vermögen oder Finanzvermögen für den Investor. Anders ausgedrückt: Der Finanzinvestor kauft Ansprüche auf Zahlungen in der Zukunft (und bezahlt heute dafür).
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I Wirtschaften
Der Abschluss des Finanzkontraktes ist für die eine Vertragsseite eine Investition. Für die andere Vertragsseite ist sie eine Finanzierung. Wer finanziert, erhält heute Geld, räumt dem Finanzinvestor dafür Rechte und Ansprüche auf in der Zukunft an ihn zu leistende Geldzahlungen ein, und geht die entsprechenden Verpflichtungen ein. Anders ausgedrückt: Finanzieren heißt, Rechte (auf zukünftige Zahlungen) zu verkaufen (und dafür heute den Preis als Geldbetrag zu erhalten). In einem einfachen Fall wird die später fällige Zahlung des B an den Investor A bedingungslos fällig, das heißt ohne Rücksicht auf zwischenzeitliche Ereignisse und Entwicklungen. Dann wird der Finanzkontrakt als Kredit bezeichnet. A ist der Gläubiger, B der Schuldner. Später fällige Zahlungen können durchaus bedingt vereinbart sein.
Beispielsweise könnte der Käufer des in Zukunft fälligen Geldbetrags wünschen, dass sie genau dann gezahlt wird, wenn bis t ein bestimmtes Naturereignis eingetreten ist. Der Finanzkontrakt wäre eine Versicherung und wieder könnte nach dem heute zu entrichtendem Preis für den Kauf einer solchen bedingten Zahlung gefragt werden. Viele Finanzkontrakte machen die Zahlungshöhe ebenso wie die Zahlungszeitpunkte vom wirtschaftlichen Erfolg eines Geschäfts abhängig. Dann würde der Finanzkontrakt eine Beteiligung darstellen.
Versuchen wir noch, das Kapital begrifflich zu fassen: Das Wort geht auf caput oder Kopf zurück und bezeichnet das Vermögen im Sinne der Kopfzahl eines Viehbestandes. Kapital ist deshalb als Vermögen anzusehen. Da Vermögen im Verlauf der Zeit Einkommen generiert (und so „wieder zu Geld wird“), darf Kapital als „Geld in der Zeit“ apostrophiert werden.
Wer investiert, also Geld anlegt, wird als Kapitalanleger oder auch als Kapitalgeber bezeichnet. Wer finanziert, also Geld aufnimmt, wird auch als Kapitalnehmer bezeichnet.
Das Kapital bezieht sich auf zwei Aspekte, die ein Finanzkontrakt aufweist. Wer per Finanzkontrakt Kapital anlegt, schafft sich Vermögen. Wer per Finanzkontrakt finanziert, nimmt Kapital auf (und kauft mit dem Geld vielleicht Produktionsmittel und andere Vermögensgegenstände). Heute wird der Begriff des Kapitals in Wirtschaftswissenschaften, Soziologie und in der Umgangssprache unterschiedlich verwendet. In der VWL steht das Kapital für die Summe der Werte aller Produktionsmittel, also der Werte von Maschinen, Gebäuden, Verkehrswegen und anderer Gegenstände, die in den Unternehmungen finanziert werden mussten – vielfach werden dabei der Wert des Bodens und der Wert des Wissens ausgeklammert. Das volkswirtschaftliche Kapital ist mithin Vermögen. In der BWL steht das Kapital für den Wert der Ansprüche, die eine Unternehmung gegenüber Finanzinvestoren eingeräumt hat. Das Kapital in der VWL bezieht sich auf das Vermögen, das produktiv eingesetzt wird oder eingesetzt werden könnte, mithin ein Aktivum darstellt – denn man muss schon einiges an Aktivität einbringen, um das Vermögen zu nutzen. Das Kapital in der BWL erfasst eingegangene Verpflichtung und bestehende Ansprüche und wird in der Bilanz als Passivum gezeigt – früher einmal ist da etwas geschehen und die Unternehmung ist heute noch davon betroffen.
4 Kapital und Vermögen
4.4
59
Primärmarkt – Sekundärmarkt
Durchaus eignet sich bei Finanzkontrakten wiederum der Markt für den Vertragsabschluss. Wir betrachten den Kredit. Der Anleger (Gläubiger) A kauft einen Geldbetrag y, der in t Jahren fällig wird. A kontaktiert über die Informationsplattform des Marktes mehrere Anbieter eines solchen Geldbetrags (Schuldner) und erfährt: Sie alle verlangen x als heute zu zahlenden Kaufpreis. Der Finanzmarkt ist eine Informationsplattform, auf der sich – solange wir von Krediten sprechen – Gläubiger und Schuldner austauschen. Natürlich ist viel einfacher, wenn über die Geldbeträge und über die Laufzeit des Kredites gesprochen wird, als wenn eine konkrete Immobilie eine Ortsbesichtigung verlangt. Von daher dürfte der Finanzmarkt viel liquider sein als ein Markt für reale Vermögensobjekte. Er hat dann auch nicht die Nachteile dieser Märkte, die wir im Abschnitt 4.2 besprochen haben. Von daher ist zu begrüßen, wenn sich in den modernen Volkswirtschaften Finanzmärkte herausgebildet haben und wenn für deren Funktionieren gesorgt wird. Zugegebenermaßen ist bei Krediten auch die Bonität des Schuldners ein Thema. Doch wenn es sich um eine bekannte Unternehmung handelt oder um eine Körperschaft, eine Gemeinde oder den Staat, ist die Bonität aufgrund eines von dritter Seite ausgeführten Rating bekannt. Deshalb entsteht durch die Bonität eine leichte Komplikation im Markt für Kredite, die jedoch durch allgemein praktizierte Adjustierungen berücksichtigt werden kann. Die grundsätzlich hohe Liquidität des Marktes für Kredite wird dadurch nicht wesentlich reduziert. Ausnahme ist eine Finanzkrise, in der Zweifel an der Zuverlässigkeit beim Rating aufkommen. In einem gut funktionierenden Markt ist das für 2 oder 3 Einheiten eines Gutes zu zahlende Entgelt doppelt oder dreimal so hoch wie für eine Einheit. Der Preis ist von der Menge unabhängig. Im Kreditmarkt ist das ebenso. Daher wird weniger über Geldbeträge wie y und x gesprochen, als über deren Relation. Der heute zu zahlende Preis x für die in der Zukunft fällige Zahlung y wird durch einen Zinssatz ausgedrückt. Formeln (4-1) und (4-2) zeigen den Zusammenhang. Bei einer in t Jahren fälligen Zahlung in Höhe y, deren heutiger Preis x ist, wird der Zinssatz i (nach dem englischen „interest“) durch diese Beziehungen definiert
x=
1 ⋅y (1 + i )t
(4-1)
und, wenn der Marktpreis x der in t Jahren fälligen Zahlung in Höhe y feststeht, folgen
1+ i = t y x
und
i = t y / x −1 .
(4-2)
Ein Zahlenbeispiel: Eine Nullkuponanleihe (Zerobond) kostet heute €€255 und bietet in 28 Jahren eine Rückzahlung im Nominalbetrag von €€1000. Welcher durchschnittliche Zinssatz für die restliche Laufzeit kann damit realisiert werden? Wer Mühen mit der t-ten Wurzel hat, kann in (4-2) beide Seiten logarithmieren. Auf die gewählte Basis kommt es bei den Umformungen nicht an. Wir wählen den Logarithmus Naturalis und erhalten log(1 + i) = (log y − log x)/t, hier also ln(1 + i) = (6,908 − 5,541)/28 = 1,367/28 = 0,0488 und 1 + i = exp(0,0488) = 1,05, also i = 5 %. Zunächst sind Finanzkontrakte Verträge, die bilateral zwischen zwei Parteien abgeschlossen werden. Geschieht dies in einem Markt, wodurch vielleicht sogar faire Konditionen für beide Seiten zustande kommen, so wird er als Primärmarkt bezeichnet.
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I Wirtschaften
Aufgrund der Zeitunterschiede zwischen Abschluss und Fälligkeit der Zahlung kommt es natürlich immer wieder vor, dass der Investor „sein Geld“ vorzeitig haben möchte. Wer finanziert, ist aber selten zu einer Vertragsänderung bereit. Dem Investor bleibt daher nur die Möglichkeit, die Ansprüche zu verkaufen. Voraussetzung dafür ist, dass der Kontrakt eine Übertragung an andere Investoren erlaubt. Die Abtretbarkeit von Forderungen (Zession) wird erleichtert, wenn der Kontrakt in die Form eines Wertpapiers gekleidet wurde, das auf den Inhaber lautet. Dann kann der ursprüngliche Geldanleger seine Ansprüche in einem Markt verkaufen. Der neue Investor und Inhaber der Ansprüche kann dann bis zur Fälligkeit warten, oder das Wertpapier weiter verkaufen. Der Markt, in dem die Ansprüche von Finanzkontrakten anderen Investoren verkauft werden, heißt Sekundärmarkt. Im Primärmarkt kommen zwei Vertragsseiten zusammen, bei denen die eine investiert und die andere finanziert – Finanzkontrakte werden erstmalig geschlossen. Im Sekundärmarkt kommen hingegen zwei Investoren zusammen, die in einem Kaufvertrag Ansprüche weitergeben. Primär- und Sekundärmärkte gibt es ebenso in anderen Lebensbereichen. So werden Tickets für Veranstaltungen zunächst einmal in einem marktähnlichen Vorgang ausgegeben. Einige der Inhaber der Eintrittskarten sowie Interessierte, die beim Ausgabevorgang nicht zum Zuge kamen, treffen sich anschließend auf einem Sekundärmarkt, wo die Tickets ihren Besitzer wechseln. Die Konditionen im Sekundärmarkt ändern sich im Spiegelbild neuer Informationen, sofern die Zuschauer die Informationen ähnlich interpretieren (Homogenität). So kann ein Endspiel im Fußball durch den Spielverlauf eine andere Bedeutung gewinnen, was sich in deutlichen Preisänderungen im Sekundärmarkt niederschlägt. Finanzkontrakte (wie Kredit, Versicherung und Beteiligung) und Finanzmärkte (Primärmarkt, Sekundärmarkt) sind zweifellos vorteilhaft und erhöhen die Wohlfahrt der Menschen. Weil Finanzkontrakte Geldzahlungen betreffen, sind die Finanzmärkte in aller Regel viel liquider als Märkte für reale Vermögensobjekte. Der liquide Handel in Finanzmärkten kann unterstützt werden, in dem die Ansprüche der Finanzinvestoren in die Form von Wertpapieren gebracht werden und eine Börse eingerichtet wird. Die Finanzmärkte zeigen neben der Liquidität einen hohen Grad an Informationseffizienz. Neue Informationen von Relevanz werden schnell und adäquat in Kursänderungen bei den Wertpapieren umgesetzt. So ist nicht verwunderlich, dass in vielen Ländern eine Finanzindustrie aufgeblüht ist. Neben der Realwirtschaft bildet sich eine Finanzwirtschaft aus, in deren Mittelpunkt die Gestaltung, die Ausgabe und der Handel von Finanzkontrakten steht, die Investition und die Finanzierung. Banken, Versicherungen, Finanzdienstleister, Börsenorganisationen und im Umfeld Analysten finden Aufträge und Arbeitsplätze in der Finanzindustrie. Offensichtlich entstehen in der Finanzwirtschaft und bei ihrem Ausbau gewisse Vorteile für die Akteure. Der amerikanische Satiriker AMBROSE G. BIERCE (1842–1914) definierte Finance – wie sprechen Sie liebe Leserin oder lieber Leser das Wort aus? – als „The art or science of managing revenues and resources for the best advantage of the manager.“ BIERCE setzt fort: „The pronunciation of this word with the i long and the accent on the first syllable is one of America’s most precious discoveries and possessions“.
4 Kapital und Vermögen
4.5
61
Substitute
Die weiteren Überlegungen basieren auf der Beobachtung, dass es gewisse Substitutionsmöglichkeiten zwischen Real- und Finanzwirtschaft gibt. Finanzkontrakte über (unbedingte oder bedingte) Zahlungen in der Zukunft haben gewisse Substitutionsmöglichkeiten in der Realwirtschaft (und umgekehrt): Beispiele: (1) Wenn jemand in der Zukunft höhere Rentenzahlungen wünscht, um die Miete der Wohnung während des Ruhestands bezahlen zu können, so hat die Person zwei Möglichkeiten: Geld könnte auf dem Finanzmarkt in Wertpapiere angelegt werden. Oder die Person könnte sich stattdessen (in der Realwirtschaft) die Wohnung kaufen. (2) Wer sich finanziell an einem Geschäft beteiligen möchte, das sich auf Transporte spezialisiert, der könnte stattdessen selbst einen Lastwagen kaufen und in das Transportgewerbe einsteigen. (3) Die Substitution ist auch in anderer Richtung möglich. Wer für seine wirtschaftliche Aktivität große Mengen an Kupfer lagert, der könnte das Lager reduzieren und stattdessen Finanzkontrakte (Terminkontrakte, Futures) abschließen, bei denen die Zahlungen an den zukünftigen Kupferpreis gekoppelt sind. Realwirtschaftliche Ressourcen und reale Vermögensobjekte sind Substitute für finanzielle Ansprüche und umgekehrt. Angebot und Nachfrage auf den Finanzmärkten hängen daher von der Preisbildung in der Realwirtschaft ab. Deshalb darf gesagt werden, die Finanzwirtschaft spiegele die Realwirtschaft. Umgekehrt hängen Angebot und Nachfrage in der Realwirtschaft – und damit die Preisbildung dort – von den Preisen in der Finanzwirtschaft ab. Deshalb üben die Akteure an den Finanzmärkten einen Einfluss auf die Realwirtschaft aus. Die Finanzwirtschaft steuert die Realwirtschaft.
Um die in beiden Richtungen wirkende Wechselbeziehung zwischen Real- und Finanzwirtschaft anzusprechen, wird gesagt, die Wirtschaft habe „zwei Seiten“. Doch dieses Bild trügt, falls dabei an eine Münze gedacht wird. Dort sind die beiden Seiten fest verbunden. Wie die Beispiele der Wechselwirkungen zwischen Real- und Finanzwirtschaft erkennen lassen, ist die Beziehung nicht starr, sondern eher lose, und es gibt auch zeitliche Verzögerungen, bis sich Preisentwicklungen der einen „Seite“ auf die andere „Seite“ der Wirtschaft übertragen. So müssen finanzielle Beteiligungen im Finanzmarkt schon sehr teuer werden, bevor jemand, statt einen Finanzkontrakt zu kaufen, selbst das entsprechende Gewerbe beginnt. Und auch wenn er das schließlich tut, verlangt der Beginn in der Realwirtschaft einige Zeit, bevor der Aufbau des Gewerbes in der Realwirtschaft (kleine) Preiseffekte zeitigt. Ein Hotelier etwa, der mit seinen Erlösen aus dem Gastgewerbe das Hotel immer erneuert und ausbaut, und der gern mit seinen Gästen umgeht, muss schon ein sehr hohes Angebot für den Verkauf des Hotels erhalten, bevor er zusagt und den Verkaufserlös in Wertpapieren anlegt. Real- und Finanzwirtschaft sind demnach nur locker verbunden und es gibt zeitliche Verzögerung bei der Wirkung der einen „Seite“ der Wirtschaft auf die andere.
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I Wirtschaften
Bei allem ist die Preisbildung und Preisentwicklung in der Realwirtschaft eher langsam, wie festgeklebt. Einen Grund haben wir bereits gefunden: Angebot und Nachfrage nach Konsumgütern sind wie die Geschmäcker heterogen, weshalb neue Informationen die Preise nur wenig bewegen. Ähnliches gilt für reale Vermögensobjekte. Demgegenüber stehen abrupte Änderungen der Preise von Finanzkontrakten an den Finanzmärkten, insbesondere der Kurse von Wertpapieren an den Börsen. Finanzinvestoren kalkulieren an den Finanzmärkten alle ähnlich; Angebot und Nachfrage sind homogen. Neue Informationen führen daher bei allen Teilnehmern im Finanzmarkt gleichzeitig und gleichgerichtet zu einer Neuentscheidung über Angebot und Nachfrage. Zur nur losen Verbindung bei höchst unterschiedlichen Geschwindigkeiten der Preisanpassung wird immer eine Metapher erzählt, die auf JOSEPH SCHUMPETER (1883–1950) zurückgeht. Ein Herr (Realwirtschaft) geht mit seinem Hund (Finanzwirtschaft) spazieren. Der Herr wandert behäbig, langsamen Schrittes, und lässt sich nicht beeinflussen von dem, was rechts und links des Weges zu sehen ist oder geschieht. Der Hund springt vor, bleibt zurück und schnüffelt auch links und rechts des Weges. Die Analogie abschließend kommt die Frage auf, ob letztlich der Herr den Hund führt oder der Hund bestimmt, wohin der Herr geht.
4.6
Welche Seite der Wirtschaft dominiert?
Sollte die Realwirtschaft oder die Finanzwirtschaft dominieren? Wir versuchen eine Antwort. Eine Kette von Argumenten zeigt, dass die Real- und Finanzwirtschaft durchaus unterschiedlich schnell wachsen, sodass dann in einem Land irgendwann entweder die Finanzoder eben die Realwirtschaft größer und stärker ausgebildet ist. Dem Grundsatz folgend, nach Spezialisierungsvorteilen zu streben, werden sich einige Personen auf eine Tätigkeit in der Finanzwirtschaft konzentrieren, während sich andere auf der Realwirtschaft zuwenden. Jene, die sich für die Finanzwirtschaft entscheiden, um dort dem erwerbswirtschaftlichen Prinzip nachgehen, werden dort Arbeitsteilungen und Spezialisierungen antreffen: Banker, Markthändler, Emittent, Analyst, Broker, Investor sind spezialisierte Berufe in der Finanzwirtschaft. Das erwerbswirtschaftliche Prinzip führt somit nicht nur zu einer Spezialisierung auf entweder realwirtschaftliche oder finanzwirtschaftliche Aktivitäten. Genau wie innerhalb der Realwirtschaft spezialisieren sich innerhalb der Finanzwirtschaft Berufe und Institutionen. Das erwerbswirtschaftliche Prinzip führt dann auch in der Finanzwirtschaft zu Wachstum, sei es quantitativ durch Emissionen und mehr Handel mit Wertpapieren oder qualitativ durch Finanzinnovationen. Das in der Finanzwirtschaft erreichte quantitative und qualitative Wachstum kann sich durchaus vom quantitativen und qualitativen Wachstum in der Realwirtschaft unterscheiden. Wenn in einem Land die Realwirtschaft zahlreichen Beschränkungen unterworfen wird, etwa durch Regulierungen der Arbeit, andererseits die Finanzwirtschaft frei das erwerbswirt-
4 Kapital und Vermögen
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schaftliche Prinzip ausleben darf, dann dürfte der Finanzsektor schneller wachsen als die Realwirtschaft. Umgekehrt ist es, wenn durch zahlreiche Einschränkungen, vielleicht beginnend mit einem Zinsverbot, die Finanzwirtschaft eingeschränkt und die Realwirtschaft allgemein angespornt wird – etwa durch hohes Ansehen der Facharbeiter und Ingenieure in der Gesellschaft. Dann sollte in jenen Ländern die Realwirtschaft schneller wachsen als der Finanzsektor. In den USA ist in den letzten Jahrzehnten die Finanzwirtschaft augenfällig deutlicher gewachsen ist die Realwirtschaft. In Deutschland und in China hat sich die Realwirtschaft eher kräftiger als die Finanzwirtschaft entfaltet. Selbstverständlich wirkt auch international Arbeitsteilung. Länder mit Stärke in ihrer Realwirtschaft bieten global hoch entwickelte Produkte (Autos, Luxusgüter, Feriendomizile) an. Andere Länder haben es zu Stärke in der Finanzwirtschaft gebracht und bieten global Wertpapiere und Finanzdienstleistungen an, darunter auch Vermögensverwaltung. So versteht sich von selbst, dass Länder mit dominierender Realwirtschaft diese stärken wollen und über Regulierungen der Finanzwirtschaft sprechen. Länder mit dominanter Finanzwirtschaft finden hingegen, man möge der Finanzwirtschaft „freien Lauf“ lassen, weil sie „effiziente“ Signale dafür erzeuge und aussende, was in der Realwirtschaft geschehen sollte. Abschließend eine Anmerkung zur Ethik: Die kritischen Überlegungen zum erwerbswirtschaftlichen Prinzip gelten in der Finanzwirtschaft ebenso wie in der Realwirtschaft. Die in der Finanzwirtschaft Erfolgreichen, weil sie dafür begabt sind, fühlen sich motivierter und haben deshalb um so mehr Erfolg. Die Erfolglosen hingegen werden mutlos. Auf einmal gibt es auch in der Finanzwirtschaft Stärkere und Schwächere. Eventuell rückt dadurch die Wirklichkeit der Finanzmärkte vom Idealbild des fairen Tauschs etwas ab. In der Konsequenz wird hier und da gefordert, die Finanzwirtschaft sollte stärker ethische Grundsätze befolgen. Unsere Überlegungen unterstreichen dies. Ebenso sollte die globale Arbeitsteilung ethische Grundsätze befolgen.
4.7
Fragen zur Lernkontrolle
a) Wie ist die Liquidität eines Marktes definiert, wie kann sie gemessen werden? b) Warum und bei welchen Objekten von Realvermögen hat der Vermögensmarkt nur geringe Liquidität? c) Nehmen Sie eine Rangordnung der Liquidität für verschiedene Arten realer Vermögensobjekte vor! 2. a) Wie wurde die Informationseffizienz definiert? d) Aus welchen Gründen sind die Märkte für reale Vermögensobjekte eher informationsineffizient? 3. a) Kommentieren Sie die Relationen zwischen Preis und Wert in den verschiedenen Vermögensmärkten. b) Wie können sich Preisblasen bilden? c) Was wird unter totem Kapital verstanden? c) Richtig oder falsch? Ohne gut ausgebaute Finanzmärkte besteht die Gefahr, dass zu viel Kapital nicht produktiv eingesetzt, sondern in Fehlinvestitionen vernichtet wird. 4. Richtig oder falsch? a) In der VWL steht das Kapital für die Summe der Werte aller Produktionsmittel. Das volkswirtschaftliche Kapital ist mithin Vermögen. b) In der BWL steht das Kapital für den Wert der Ansprüche, die eine Unternehmung gegenüber 1.
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I Wirtschaften
Finanzinvestoren irgendwann einmal eingeräumt hat. Das betriebswirtschaftliche Kapital ist daher eher eine Verpflichtung. 5. a) Warum sollten die Preisbildungen in der Realwirtschaft und in der Finanzwirtschaft zusammenhängen? b) Inwiefern darf gesagt werden, die Finanzwirtschaft spiegele die Realwirtschaft. c) Inwiefern steuert die Finanzwirtschaft die Realwirtschaft? 6. a) Jemand kann für €€600 einen Finanzkontrakt eingehen, bei dem er einen Anspruch erwirbt, in acht Jahren €€1.000 zu erhalten. Wie hoch ist der (auf ein Jahr bezogene) Zinssatz? b) Am Lehrpfad in Bergün in Graubünden erläutern Tafeln, welche Preise und Löhne es vor einem Jahrhundert in der Schweiz gab. Die Preise für Güter haben sich etwa alle 30 Jahre verdoppelt. Wie hoch ist die entsprechende Rate der Geldentwertung (Inflation)? c) Jemand kann zum Zinssatz i = 5 % Geld für beliebige Dauer anlegen. Die Person möchte für so lange anlegen, dass sich der Einsatz verdoppelt, das heißt, um 100 % zunimmt. Wegen des Zinseszinseffektes dauert es weniger als zwanzig Jahre, doch wie viele Jahre dauert es genau? Hier noch die Lösung von Aufgabe 6: a)
Aus der Formel i = t y / x −1 folgt i = 8 1000/600 −1 = 6,6% .
b) Aus dem Ansatz (1 + h) 30 = 2 folgt h = 2,3 % für die durchschnittliche Inflationsrate. c)
Aus dem Ansatz (1 + 0,05) t = 2 ergibt sich durch Logarithmieren t ⋅ ln1,05 = ln2 oder aufgelöst t = ln 2/ln 1,05 = 14,2067. Es dauert also 14 Jahre und 75 Tage. Die Rechnung ist unabhängig davon, zu welcher Basis der Logarithmus genommen wird.
4.8
Lernpunkte und Ergänzung
Reale Vermögensobjekte zeigen in der Regel hohe Individualität, weshalb Transaktionskosten, zu denen auch die Kosten für die Suche gehören, vergleichsweise hoch sind. Daher sind die Märkte für reale Vermögensobjekte in der Regel wenig liquide und folglich auch eher informationsineffizient. Abweichungen von Wert und Preis sind die Regel, und es können sich Preisblasen bilden. Demgegenüber geht es in Finanzmärkten allein um Geld, wenngleich um Geld, das zu verschiedenen Zeitpunkten und möglicherweise verschiedenen Umweltzuständen fällig ist. Finanzkontrakte sind daher in aller Regel homogener und Finanzmärkte können so gestaltet werden, dass sie höhere Liquidität und bessere Informationseffizienz aufweisen. Das geschieht beispielsweise dadurch, dass Finanzkontrakte in die Form eines Wertpapiers gebracht und Börsen für den Handel der Wertpapiere eingerichtet werden. Durch verschiedene Substitutionsmöglichkeiten hängen Realwirtschaft und Finanzwirtschaft zusammen, doch bestehen insbesondere kurzfristig bei der Preisbildung Unterschiede. SCHUMPETER hat mit dem Spaziergang von Herr und Hund ein schönes Gleichnis geschaffen. Angebot und Nachfrage auf den Finanzmärkten hängen aufgrund der Substitutionsmöglichkeiten von der Preisbildung in der Realwirtschaft ab. Deshalb darf gesagt werden, die Finanzwirtschaft spiegele die Realwirtschaft. Umgekehrt hängen Angebot und Nachfrage in der Realwirtschaft – und damit die Preisbildung dort – von den Preisen in der
4 Kapital und Vermögen
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Finanzwirtschaft ab. Deshalb üben die Akteure an den Finanzmärkten Einfluss auf die Realwirtschaft aus. Die Finanzwirtschaft steuert die Realwirtschaft. Die Personen spezialisieren sich nicht nur innerhalb der Realwirtschaft, etwa auf verschiedene Berufe und Verrichtungen. Die Personen wählen auch, ob sie sich bei ihren wirtschaftlichen Tätigkeiten und bei ihren Berufen eher auf die Realwirtschaft oder auf die Finanzwirtschaft spezialisieren wollen. Selbstverständlich gibt es auch innerhalb der Finanzwirtschaft Arbeitsteilung und dadurch Spezialisierungsvorteile. Unsere Ergänzung betrifft die Klassifikation der Unsicherheiten nach KNIGHT. Wer an Finanzmärkte denkt, dem kommt sofort die Unsicherheit der Kurse in den Sinn, während die Realwirtschaft „sicherer“ und „stabiler“ wirkt. Wir haben das bei den realen Vermögensobjekten diskutiert. Preise in der Realwirtschaft sind aufgrund der Heterogenität der Präferenzen und wegen der geringeren Liquidität wie festgeklebt. Kurse an den Börsen reagieren rapide auf neue Informationen, weil die Finanzinvestoren und die Finanziers Homogenität in ihren Kalkülen zeigen. Einer der Ersten, der die Unsicherheit in Klassen eingeteilt hat, ist FRANK H. KNIGHT (1885– 1972) mit seinem Buch Risk, Uncertainty and Profit (1921). Abgesehen von Ausführungen zum Unternehmer und seiner Aufgaben hat KNIGHT zwei Arten von Unsicherheit betont: Von Risiko wird gesprochen, wenn klar ist, welche Ergebnisse eintreten können und wenn man die Wahrscheinlichkeiten, beispielsweise aufgrund der Vergangenheit, schätzen kann. Beim Risiko wird die Unsicherheit kalkulierbar. Von Ungewissheit wird gesprochen, wenn es wenig Sinn macht, hinter der Unsicherheit ein Zufallsereignis sehen zu wollen. Die Unsicherheit ist unkalkulierbar. Insgesamt können fünf Arten von Unsicherheit unterschieden werden:
Risiko: Der Entscheidende sieht sich in der Lage, den möglichen Ergebnissen Wahrscheinlichkeiten zuzuordnen, so als ob ein Zufallsexperiment das Ergebnis festlegt.
Ungewissheit: Es lassen sich keine Wahrscheinlichkeiten für die Ergebnisse angeben.
Spiel: Die Konsequenzen hängen von den Handlungen eines oder mehrerer anderer Menschen ab, die sich als Gegner oder auch Kooperationspartner verhalten könnten.
Informationsasymmetrie: Die Realisation steht eigentlich schon fest und ist anderen vielleicht auch bekannt, nur der Entscheidungsträger kennt sie noch nicht und sie erscheint ihm von daher unsicher.
Geringfügigkeit: Zwar ist die Situation unsicher, doch ist ihre Wirkung im Vergleich zu anderen und berechenbaren Einflussfaktoren gering.
Die Finance als Wissenschaft hat in ihrem bisherigen Paradigma versucht, Unsicherheiten möglichst als Risiko zu verstehen, eben um Wahrscheinlichkeitsrechnung, Statistik und Ökonometrie einsetzen zu können. Doch dazu sind hier und da Prämissen verlangt, deren Gültigkeit letztlich nicht bewiesen ist. Zunehmend wird in der Finance ein Paradigmawechsel verlangt, der mehr Unsicherheiten an den Finanzmärkten als Ungewissheit begreift. Doch dann ist vieles nicht mehr kalkulierbar. Die akademischen Schulen sind folglich bei diesem Paradigmawechsel sehr langsam.
5
Produktion
Die Produktion setzt Inputs ein und „kombiniert und transformiert“ die Faktoren. Nach einiger Zeit sind Outputs als Produktionsergebnis entstanden. Die Arbeit spielt als Produktionsfaktor eine wichtige Rolle. Dies gesagt, kommen Fragen auf: Wer organisiert die Produktion? Wer entscheidet und überwacht, wie ist die Corporate Governance gestaltet. Die Themen: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.
Produktion und vier Arten von Inputs Rentable Produktionen Arbeitsverträge Corporate Governance Vorstand-Aufsichtsrat oder Board? Gesamtproduktion Leistungsbilanz Fragen zur Lernkontrolle Lernpunkte und Ergänzung zum Human Development Index
5.1
Produktion als Transformation
Die Produktion (von lateinisch producere für „hervor führen“) ist ein Prozess der „Kombination von Inputs“ mit anschließender „Transformation“, bei dem Güter als „Output“ entstehen. Die Inputs oder Produktionsfaktoren können in vier Arten eingeteilt werden: 1. Ressourcen, die bei der Produktion verbraucht werden (wie Material und Energie), 2. Arbeit, die durch zeitliche Bindung der Menschen und durch Mühe und Einsatz zustande kommt, darunter auch die Leitung, die Arbeitskräfte anweist, 3. konkrete Produktionsmittel, die eingesetzt werden, also zeitlich gebunden sind, und die sich nur wenig verbrauchen, wie Räume und Maschinen, 4. Wissen, das über „intelligente“ Arbeit ebenso wie über „intelligente“ Produktionsmittel einwirkt, dabei aber, anders als die Produktionsmittel, weder zeitlich gebunden ist noch sich verbraucht (Urteilsvermögen, Rezepturen, Erfahrung, Muster, Arbeitsorganisation, Markenname). Wissen ist als Katalysator zu sehen. Die Produktion von Gütern und Dienstleistungen ist eine in der Zeit ablaufende Transformation mit vier Arten von Inputs: (1) Verbrauchsgütern, (2) Arbeitszeit, (3) Einrichtungen oder Produktionsmitteln, die ebenso zeitlich gebunden sind, sich vielleicht etwas abnutzen aber nicht ganz verbraucht werden, (4) Wissen als ein Katalysator. Die Arbeitszeit bezieht sich in der Regel auf mehrere Menschen, die (in unterschiedlichem Maße) über Erfah-
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I Wirtschaften
rung und Wissen verfügen, und die einem „Chef“ unterstellt sind und am Arbeitsplatz dessen Autorität annehmen. Wie üblich haben wir die Leitung der Produktion nicht als eigenen Produktionsfaktor erwähnt. Die Leitung sollte teils unter „Arbeit“, teils unter „Wissen“ berücksichtigt sein. Sicherlich folgen nicht alle Untersuchungen der vorgestellten Einteilung in vier Produktionsfaktoren. Oft wird das Wissen nicht als eigenständiger Faktor behandelt, weil es teils in Erfahrung und im Können der Arbeitskräfte gebunden ist. Es wird dann einfach unterstellt, die Arbeitskräfte würden nicht nur Zeit einsetzen, sondern ihr Wissen, ihr Engagement und andere Qualitäten. Zum Teil manifestiert sich Wissen in „intelligenten“ Produktionsmitteln, die den menschlichen Nutzer führen. Als Beispiel sei an ein Fließband oder eine Maschine gedacht. Die Kombination und der Transformationsprozess, ebenso wie die vier genannten Produktionsfaktoren (Verbrauchsgüter, Arbeit, Produktionsmittel, Katalysatoren) zeigen sich bereits bei der Zubereitung einer Speise. Für eine Suppe werden die Ingredienzien vorbereitet, sie werden in einen Topf gegeben, der auf den Herd gestellt wird. Die Köchin rührt, riecht und beobachtet, und nach einiger Zeit ist die Speise fertig. Die Ingredienzien und die Energie des Herds sind Verbrauchsgüter. Der Chef oder die Chefin sowie die Küchenhelfer arbeiten. Topf, Herd und Küchenraum sind Produktionsmittel. Das Wissen drückt sich in der Arbeit aus, in den Küchengeräten, im räumlichen Aufbau der Küche und im guten Namen des Restaurants. Verbrauchsgüter sind typische private Güter. Auch bei der Arbeit gilt die Rivalität eines privaten Gutes: Die Arbeitskräfte sind zeitlich gebunden und können während der Arbeitszeit kaum noch etwas anderes tun. Ähnlich zeigt der Einsatz der Produktionsmittel Rivalität, denn sie sind zeitlich gebunden. Das Wissen trägt eher die Merkmale eines öffentlichen Gutes. Die Produktion wirft daher interessante Fragen hinsichtlich der Eigentumsrechte auf. Bei den Verbrauchsgütern wird überall auf der Welt privates Eigentum für richtig angesehen. 2. Bei der Arbeit ist es fast immer zweckmäßig, wenn sie unter eine Leitung gestellt wird, und diese Leitung des Arbeitseinsatzes und der Arbeitskräfte übernimmt zweckmäßig der Eigentümer der Verbrauchsgüter. Diese Instanz (Eigentümer der Verbrauchsgüter, Leitung des Arbeitseinsatzes) ist der Produzent. Der Produzent muss also darüber entscheiden können, was die Arbeitskräfte konkret tun sollen. Dazu werden Arbeitsverträge abgeschlossen. 1.
Bei einem Arbeitsvertrag unterwirft sich die eine Seite (Arbeitnehmer) loyal der Autorität der anderen, ist engagiert und treu, und sie erhält dafür einen Lohn. Die andere Seite (Arbeitgeber) verspricht den Lohn zu zahlen und übernimmt eine weitere Fürsorgepflicht. Hinter der Kurzbezeichnung Lohn stehen heute Kompensationspakete (von lateinisch compensare für „ausgleichen“, und „entschädigen“), also Bündel von Geldzahlungen, Motivationen, Altersversorgungen und Abgangsentschädigungen. 3.
Aufgrund der Rivalität könnten auch die Produktionsmittel wie private Güter behandelt und Eigentumsrechte eingerichtet werden. Dann sollten sich die Produktionsmittel entweder im Eigentum des Produzenten befinden oder der Produzent mietet die Produktionsmittel für die Dauer der Produktion von ihren jeweiligen Eigentümern.
5 Produktion
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Das Wissen ist eigentlich ein öffentliches Gut – zahlreiche Fernsehsendungen erklären die „Geheimnisse der guten Küche“. Bei negativer Rückwirkung auf die eigene Situation versuchen die Produzenten natürlich, andere von der Nutzung des Wissens auszuschließen. Die Wege dazu wurden zuvor genannt: Know-how wird zum Produktionsgeheimnis, Patente, ein fortwährender Prozess des Lernens und der Erzeugung neuen Wissens, das für die Produktion relevant ist. In aller Regel kann die Produktion privatwirtschaftlich organisiert werden: Personen dürfen als Produzent auftreten: Sie dürfen Inputs kaufen, die als Verbrauchsfaktoren eingesetzt werden. Sie dürfen Arbeitsverträge abschließen und Anweisungen erteilen. Produzenten dürfen des weiteren Eigentum oder Mietrechte an Produktionsmitteln erwerben. Schließlich dürfen sie das Wissen nutzen und vielleicht privat bleibendes Wissen dem noch hinzufügen.
4.
Der rechtliche Rahmen für eine auf Eigentum basierende Produktion, bei der dann auch das erwerbswirtschaftliche Prinzip im Vordergrund steht, wird als Unternehmung bezeichnet. Die im Zentrum stehende Person oder Personengruppe, bisher als Produzent bezeichnet, wird nun der Unternehmer genannt. Diese Person oder Personengruppe hält Eigentumsrechte (an der Unternehmung) und wirkt als Instanz für alle unternehmerischen Entscheidungen. Der Unternehmer wird in aller Regel nach dem erwerbswirtschaftlichen Prinzip vorgehen.
5.2
Rentable Produktionen
Die Produktion kombiniert Ressourcen, Inputs oder Produktionsfaktoren, und es entstehen dann in einem Kombinations- und Transformationsprozess Outputs. Die Produktion schafft also (neue) Güter oder verändert Güter in ihren Eigenschaften. Das lohnt sich im Hinblick auf das erwerbswirtschaftliche Prinzip nur, wenn die Preise der Inputs (multipliziert mit den verlangten Quantitäten), also die Produktionskosten, geringer sind als die im Markt durch den Absatz der Produkte erzielbaren Geldbeträge, also die Erlöse. Wie argumentiert, kann die Produktion im Regelfall durch Eigentumsrechte organisiert werden. Der Produzent wird zum Unternehmer. Der Unternehmer wird darauf achten, dass die Erlöse die Produktionskosten übertreffen. Ist das nicht der Fall, dann würde der Unternehmer versuchen, die Allokation der Faktoren zu modifizieren (etwa weniger Arbeitskräfte einsetzen), oder er würde die Produktion erst gar nicht beginnen, oder irgendwann aufgeben. Unternehmerisch denkende Menschen ergreifen alle Chancen, rentable Produktionen zu finden, zu beginnen, und hinsichtlich der Rentabilität immer wieder zu verbessern: Die Erlöse sollen die Produktionskosten nicht nur übertreffen. Die Differenz zwischen Erlösen und Produktionskosten soll möglichst hoch werden. Unrentable Produktionen werden nicht begonnen oder irgendwann eingestellt – es sei denn, durch Zahlungen etwa seitens des Staates oder durch Auflagen würden an sich unrentable Produktionen aufrecht erhalten. Bei der Rentabilität dürfen zwei Punkte nicht verschwiegen werden. Erstens: Bei einigen Unternehmen werden Inputs eingesetzt, die nicht direkt bezahlt oder als Produktionskosten erfasst werden. Dazu gehören „freie“ Güter, wie es früher Luft und Wasser waren. Sie wurden in einer Weise verbraucht, die heute als Umweltbelastung bezeichnet
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I Wirtschaften
wird. Viele Kommunen und Staaten erheben kompensierende Gebühren für Umweltbelastungen, um Unternehmen zu einem sparsamen Verbrauch dieser Güter zu motivieren. Doch nicht überall auf der Welt werden Umweltbelastungen erfasst und mit Gebühren belastet. Zudem können die Gebühren von den „korrekten Kosten“ abweichen – die niemand so genau kennt, weil diese Güter nicht in einem gut funktionierenden Markt gehandelt und dort einen fairen Preis finden würden. Nichtregierungsorganisationen verlangen von Unternehmen eine auf „vollen“ Kosten erstellte Kalkulation. Umweltbelastung entsteht natürlich nicht nur bei der Produktion, sondern oft erst beim Konsum der Produkte. So ist die CO2-Belastung bei der Raffinerie (Produktion) vergleichsweise gering zur CO2-Belastung durch Heizungen und Motoren (Konsum). Ähnliche Probleme wirft die Entsorgung von Müll und von nicht mehr gewünschten Konsumgütern auf. Zweiter Punkt: Hier und da heißt es, die in der Kalkulation erscheinenden Preise für Inputs und Outputs seien „nicht korrekt“, weshalb die Rentabilitätsrechnung die Unternehmung „falsch“ lenke – anders, als wenn die Lenkung von fairen Preisen ausginge. Kritiker, die diesen Standpunkt einnehmen, gehen an der Grundannahme der Schulwissenschaft vorbei, der Markt würde stets zu „richtigen“ Preisen führen. Immerhin könnte im Wirtschaftsalltag die Situation vorliegen, dass an den Märkten für Inputs und Outputs Menschen handeln, die sich nicht in unabhängiger Weise alle um Rationalität bemühen würden. Vielfach handeln Menschen bei Angebot und Nachfrage nur kurzsichtig, oder sie agieren aus der Panik einer Wirtschaftskrise heraus, oder sie folgen einer Stimmung, die sie später vielleicht sogar bereuen. Die Frage, ob Märkte stets zu „richtigen“ Preisen führen, ist also ausgesprochen berechtigt und sollte stärker beachtet werden, wenn über die Rentabilität von Produktionen gesprochen wird. Jedenfalls werden die Produktionen, die nach vollen Kosten und bei korrekter Bemessung der Kosten rentabel sind, auch in der Gesellschaft als wünschenswert angesehen. Sie erhöhen den Wohlstand. Wie gesagt können indes gewisse Unterschiede zwischen den Interessen der Unternehmen und der Gesellschaft bestehen. Es gibt Unternehmen und Produktionen, die nach dem erwerbswirtschaftlichen Prinzip nur deshalb vorteilhaft sind, weil nicht alle Faktoren und Faktorkosten erfasst werden. Weiter gibt es Produktionen, die nach dem erwerbswirtschaftlichen Prinzip nur deshalb vorteilhaft sind, weil die Märkte für Inputs und Outputs nicht ideal funktionieren und die Preise sich von jenen unterschieden, die sich in einem perfekten Markt einstellen würden – wenn es ihn nur gäbe. In diesen Situationen kann eine gemeinschaftlich bessere Ressourcenallokation erreicht werden, indem entweder (1) die entsprechenden Unternehmen einer Regulierung unterworfen werden (sofern die Regulierung dann nur „richtig“ funktioniert) oder (2) die Funktionsweise der Märkte für Inputs und Outputs verbessert wird.
5.3
Arbeitsverträge
Wir betrachten Arbeitsverträge näher. Selbstverständlich gibt es Produktionen, die ein einzelner Mensch allein bewerkstelligen kann. Doch in wohl den meisten Fällen ist tatsächlich eine Gruppe oder ein Team von Mitarbeitenden zweckmäßig. Die Teammitglieder können sich dann auf spezialisierte Funktionen konzentrieren und insgesamt erreicht die Produktion eine sinnvolle Mindestgröße. Das Team folgt bei der Arbeit einer internen Aufteilung der
5 Produktion
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auszuübenden Funktionen, die über eine längere Zeit hinweg unverändert sein kann. Die Arbeit wird organisiert. Sicher werden die Arbeitenden untereinander „kollegial“ und „partnerschaftlich“ umgehen. Auch wird jeder und jede Arbeitende eine gewisse Selbstständigkeit und einen gewissen Freiraum am Arbeitsplatz behalten. Doch in aller Regel zeigt die Organisation eine gewisse Hierarchie. Bei einer Hierarchie (griechisch Rangordnung) gibt es eine vorgesetzte Person oder Instanz, die eine untergebene Person oder mehreren untergebenen Personen Anweisungen erteilt und die Auftragsausführung kontrolliert. Hierarchien finden sich überall, wo größere Aufgaben in Kooperation mehrerer Menschen ausgeführt werden müssen. Die Hierarchien sind dann durch Religion, Tradition, oder durch das politische System begründet. Bei der ökonomischen Produktion von Gütern gibt die vorgesetzte Person oder Instanz Anweisungen im Rahmen eines Arbeitsvertrags. In einer Unternehmung stellt also der Unternehmer oder Eigentümer letztlich diese Instanz. Sie fungiert als oberste Ebene und Spitze der Hierarchie. Die zahlreichen Varianten vereinfachend, darf gesagt werden, der Unternehmer sei Chefin oder Chef und erteile den Mitarbeitenden im Rahmen der Arbeitsverträge Anweisungen. Selbstverständlich können sich Produktionen in der Hand des Staates befinden. Wir könnten von Staatsunternehmen sprechen, doch passender ist die Bezeichnung Staatsbetrieb. Denn die Unternehmung weist verschiedene Merkmale auf, die in Staatsbetrieben deutlich schwächer ausgebildet sind. Zwar befinden sich staatliche Produktionen im Eigentum des Staates, doch dieser Eigentümer hat das erwerbswirtschaftliche Prinzip meist weit zurückgedrängt. Das Gleiche gilt für das unternehmerische Streben, Chancen zu ergreifen und durch Modifikationen bei der Produktion die Rentabilität zu optimieren. Der Staat handelt eher durch Regeln und Gesetze, als durch Führung. Wenn der Staat als Produzent aktiv wird oder Produktion in Auftrag gibt, ist die Hierarchie im Sinne des Auges eines Chefs, der alles sieht, beobachtet und Anweisungen erteilt, nur schwach ausgeprägt. Demgegenüber sind Vorschriften und Bürokratie dominant. Ein Staatsbetrieb ist daher im Innern anders organisiert als eine Unternehmung.
Bei der Arbeitsbeziehung zwischen den Arbeitnehmern und der Unternehmung spielt eine Rolle, wie stark Autorität ausgeübt wird, wie stark also Anweisung, Führung und Kontrolle angelegt sind und wirken. Einige Arbeitsverhältnisse ähneln einer Delegation, in der nur die Arbeitsergebnisse festgestellt werden und ansonsten ein von Vertrauen geprägter Umgang gepflegt wird. Andere Arbeitsverhältnisse sind von kraftvoller Autorität geprägt. Sie zeigt sich in Anweisung, fortwährender Führung und intensiver Kontrolle der Mitarbeitenden. Wie immer kommt es bei der Beurteilung der Hierarchie – Autorität plus Kontrolle oder Delegation? – auf die Umstände der Produktion an. Sie legen fest, was möglich und ökonomisch zweckmäßig ist. Hier stehen zwei Eigenschaften im Mittelpunkt, die Produktionsmittel (Maschinen, Einrichtungen) und das bei der Produktion eingesetzte Wissen haben. Die eine Eigenschaft ist die Spezifizität, die andere das Vorhandensein von Safeguards. Spezifizität bedeutet, dass die Produktionsmittel und das Wissen nur speziell eingesetzt werden können. Eine universelle Verwendbarkeit scheidet aus. Daher bestimmen die Ressourcen bereits, wie sie genau eingesetzt werden müssen. Folglich kann bei Spezifizität die Aufsicht und Kontrolle zurückgenommen werden, weil bereits die Ressourcen eine starke Führung der Arbeitskräfte übernehmen. Selbstverständlich gibt es auch Ressourcen (Produk-
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I Wirtschaften
tionsmittel und Wissen), die für alles Denkbare gut gebraucht werden können. Sie sind noch formbar, in höchstem Maße plastisch, wie gesagt wird. Bei plastischen Ressourcen sind genaue Anweisungen und Kontrollen angebracht, damit diese Ressourcen wirklich nur so verwendet werden, wie der Unternehmer es wünscht. Die andere Eigenschaft, die Ressourcen (Produktionsmittel und Wissen) aufweisen können oder auch nicht, ist das Vorhandensein von Safeguards. Safeguards sind Schutzeigenschaften, hier Schutzeigenschaften des Unternehmers. Der Unternehmer kann bei Safeguards Bedingungen in den Arbeitsvertrag aufnehmen, die den Mitarbeitenden zu einem gewissen Verhalten verpflichten. Selbstverständlich ist das nur möglich, wenn die Bedingungen überprüft und ihr Einhalten oder Nichteinhalten festgestellt werden können. Safeguards verlangen auch, dass die Bedingungen direkt und nachvollziehbar mit dem Engagement und dem Verhalten der Arbeitskräfte zusammenhängen. Mit solchen Safeguards können dann im Vertrag Arbeitsergebnisse vereinbart werden. Dann werden die Mitarbeitenden durch die Bedingungen des Arbeitsvertrags und durch die Überprüfbarkeit der Einhaltung dieser Bedingungen bereits geführt, weshalb die direkte Aufsicht und Kontrolle zurückgenommen werden kann. Spezifizität von Ressourcen (Produktionsmittel und Wissen), die bei der Produktion eingesetzt werden, bedeutet, dass die Ressourcen aufgrund ihrer Art die Arbeitskräfte bereits führen. Bei hoher Spezifizität der Produktionsmittel und des Wissens werden die Arbeitskräfte bereits von diesen Ressourcen geführt. Der Unternehmer muss nicht so viel erklären, anleiten, anweisen und überwachen. Safeguards liegen vor, wenn Arbeitseinsatz und Arbeitsergebnisse so gemessen werden können, dass sie in den Arbeitsvertrag aufgenommen werden können. Wenn die Produktionsoutputs (Ergebnisse) gut gemessen werden können und klar ist, dass sie nicht auf externe Zufälle zurückgehen, deren Einfluss nicht so genau beobachtet werden kann, dann kann das somit gut zu messende und in seinen Gründen verfolgbare Arbeitsergebnis als Basis für den Lohn vereinbart werden. Die Anweisung und direkte Überwachung der Arbeiter kann daher auch bei Safeguards reduziert werden. Spezifizität substituiert zum Teil eine Führung durch Vorgesetzte. Safeguards erlauben eine stärkere Delegation und ebenso eine Reduktion von Anweisungen und Kontrollen. Denn bei Spezifizität übernimmt die Ressource einen Teil der Führungsaufgabe. Bei Safeguards nehmen Arbeitsvertrag und Eigenkontrolle einen Teil der Führungsaufgabe ab. Die eben nachgezeichneten Überlegungen gehen auf die Institutionenlehre von OLIVER E. WILLIAMSON (geboren 1932, Nobelpreis 2009) zurück, der die Unternehmung als eine Institution zwischen Markt und Hierarchie charakterisiert hat (The Theory of the Firm as Governance Structure: From Choice to Contract. Journal of Economic Perspectives 2003, 171–195).
5.4
Corporate Governance
Vielfach stellen der oder die Eigentümer einer Unternehmung Geschäftsführer an. Die Eigentümer erwarten, dass der oder die Geschäftsführer ihre unternehmerischen Ziele übernehmen, präzisieren und umsetzen. Vielleicht sollen der oder die Geschäftsführer sogar einen besonders aktiven Teil übernehmen und den Eigentümern Vorschläge für die Strategie der Unternehmung unterbreiten. Eventuell werden die Geschäftsführer unternehmerisch auftre-
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ten, und die Eigentümer können dann weitgehend im Hintergrund bleiben. Insbesondere soll die Geschäftsführung die weiter unten in der Hierarchie stehenden Mitarbeitenden einsetzen und kontrollieren. Der oder die Geschäftsführer haben auf ganz natürliche Weise einen gewissen Freiraum, wenn sie ihre Handlungen festlegen und ausführen. Selbstverständlich werden die Geschäftsführer den Freiraum zur Verfolgung von eigenen Zielen verwenden, die nicht unbedingt so genau den Zielen der Eigentümer entsprechen. Immer wieder wird Geschäftsführern nachgesagt, sie wollten eher den Umsatz als die Rentabilität steigern. Auch zeigen Untersuchungen, dass Geschäftsführer dazu neigen, eher durch Zukauf (Akquisition) anderer Unternehmungen wachsen zu wollen, als auf organische Weise. Akquisitionen sind aber mit großen Risiken verbunden, weil die anschließende Anpassung und Integration nicht immer gut bewältigt wird. Daher sind Akquisitionen nicht immer so rentabel, wie das von der Geschäftsführung vielfach dargestellt wird. Von daher ist wichtig, wie die Eigentümer der Unternehmung die Geschäftsführung anweisen, motivieren und überwachen. Die Beziehung zwischen den Eigentümern und den angestellten Geschäftsführern wird als Corporate Governance bezeichnet. Die Corporate Governance kann verschieden gestaltet sein. Allerdings können die Eigentümer die Corporate Governance nicht ganz frei gestalten, denn sie wird auch vom Unternehmensrecht und von der Tradition eines Landes bestimmt. Eventuell haben auch die Arbeitnehmer einen Einfluss auf die Geschäftsführung. Eine solche Mitbestimmung gibt es beispielsweise in Deutschland. Tabelle 5-1:
Drei Formen der Corporate Governance unterscheiden sich hinsichtlich der Rolle der Eigentümer, dem Freiraum der Geschäftsführer, der Zielsetzung und der Frage, ob die Einrichtung verkauft oder aufgelöst werden kann. Rolle der Eigentümer
Wessen Ziele leiten die Geschäftsführung?
Einrichtung verkaufen oder liquidieren?
Stiftung
Nach Gründung der Stiftung ziehen sich die Stifter für immer zurück.
Ursprünglich formulierter Zweck
Nicht vorgesehen
Vorstand und Aufsichtsrat
Periodische Beurteilung der Ergebnisse, Kontrolle der Geschäftsführung
Shareholder und Stakeholder
Fortführung, Optimierung in kleinen Schritten
Board
Laufende Einflussnahme auf die Geschäftsführung
Vor allem Shareholder
Ja, aus Renditegründen
In einigen Fällen von Corporate Governance haben die Geschäftsführer einen sehr großen Freiraum und die Eigentümer können ihn kaum einengen. In anderen Fällen handelt die Geschäftsführung wie der verlängerte Arm des Eigentümers. Wir besprechen die Stiftung und zwei weitere Fälle, die sich durch die Form des Gremiums der Direktoren unterschieden. In kontinentaleuropäischen Ländern ist oft eine Zweiteilung anzutreffen: Geschäftsführer treffen sich allein in Vorstandssitzungen, um Beschlüsse zu fassen. Zusätzlich treffen sich die Geschäftsführer mit den Eigentümern in nicht so häufigen Aufsichtsratssitzungen. In den
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I Wirtschaften
USA sind bei allen Beschlüssen der Geschäftsführer – die als „Chief Officer“ bezeichnet werden – regelmäßig Eigentümer oder ihre Vertreter anwesend. Dort ist der Freiraum der Geschäftsführung geringer. Beginnen wir mit der Stiftung als eine erste Form der Corporate Governance. Wir sehen sie wie eine Unternehmung, in denen die Geschäftsführung der Aufgabe der Einrichtung verpflichtet ist, und in der es keine Einflussnahme der Stifter (mehr) gibt. Eine Stiftung ist eine rechtliche und wirtschaftliche Einrichtung, die einen vom Stifter festgelegten Zweck verfolgt. Bei dem juristischen Akt der Begründung und Einrichtung einer Stiftung überlässt der Stifter Geld oder Vermögen, mit dem der Zweck erfüllt werden soll. Zwar gibt es Stiftungen, die ausgewählten Destinären nützen sollen, etwa durch Auszahlungen der Ergebnisse angelegter Gelder. In vielen Fällen möchte der Stifter, dass ein gemeinnütziger Zweck verfolgt wird. Nach dem Gründungsvorgang zieht sich der Gründer ganz zurück, und eine bestellte Person (Vorstand) verwaltet die Stiftung auftragsgemäß. Der Stifter hat seine Eigentumsrechte vollständig abgetreten und kann weder entscheiden noch kontrollieren. Der Stifter kann dem Vorstand keine Anweisungen erteilen. Gleichwohl wird der Vorstand die Rentabilität kontrollieren und durchaus wirtschaftliche Prinzipien verfolgen, ähnlich wie ein Unternehmer. Nur gibt es keinen Eigentümer mehr, der weiterhin Einfluss und Entscheidungsrechte hätte. Das Ziel ist als Erfüllung des Stiftungszweckes festgeschrieben. Von daher ist der Vorstand für die Stiftung da und nicht für den Stifter. Weil sich der Stifter zurückgezogen hat, liegen alle Entscheidungen beim Vorstand. Der hat eine große Selbstständigkeit und auch einen nicht unerheblichen Freiraum. Einige Produktionen sind als Stiftung organisiert, beispielsweise im Bildungsbereich, im Gesundheitswesen und in der Kunst. Universitäten haben Endowment-Funds. Jemand sagte: Die Stiftung ist wie eine Unternehmung, bei der sich der Eigentümer davon gemacht hat und nur den Zweck als inhaltliches Ziel hinterlassen hat. Kleine Gemeinden haben oft größere Projekte wie etwa ein Schwimmbad zu finanzieren und möchten dazu Pfandbriefe ausgeben. Doch im Primärmarkt finden einzelne Gemeinden keine Aufmerksamkeit und die einzelnen Emissionen haben wenig Chancen im Kapitalmarkt, weil sie nur geringe Liquidität haben. Überall konnten daher Hypothekenbanken errichtet werden, die Finanzierungswünsche bündeln und größere Pfandbriefemissionen vornehmen. In Deutschland wurden die Hypothekenbanken von den Bundesländern errichtet, und keiner der Staaten hat je seine Eigentumsrechte vergessen. Vor etwa hundert Jahren haben im Salzburger Land einige der kleinen Gemeinden sich gefunden und haben gemeinsam eine solche Hypothekenbank gegründet. Die Bank war sehr erfolgreich und hat daraufhin den Gründern das Gründungskapital „zurück bezahlt“. Die kleinen Gemeinden haben das Geld gern akzeptiert und sich nicht mehr als Eigentümer der Hypothekenbank betrachtet. Die Hypothekenbank war damit eine Einrichtung, die weder dem Land noch den Gemeinden noch irgendjemandem gehörte. Die Bank hatte gleichsam alle einmal ausgegebenen Aktien zurückgekauft. Die Hypothekenbank verfolgte weiter ihre Zielsetzung, vergleichbar mit einer Stiftung. Der Vorstand hat das Kooptationsprinzip eingeführt: Ein ausscheidender Vorstand hat einen Nachfolger gewählt und ihm die Geschäfte übergeben. Das alles hat sehr gut funktioniert – bis jemand entdeckte, dass die Rechtsform es nicht gestattet, alle Eigentümer auszubezahlen. Doch eigentlich war das ein rein formaler Punkt, denn die wie eine Stiftung geführte Bank war anerkannt und funktionierte recht gut. Selbstverständlich hat sie an ihre Gründer (als frühere Eigentümer) nichts ausgeschüttet. Gewinne wurden vollständig einbehalten und für sinnvolle Investitionen ausgegeben.
5 Produktion
5.5
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Vorstand-Aufsichtsrat oder Board?
Auch ohne Mitbestimmung kann sein, dass die Geschäftsführung weitgehend unabhängig von den Eigentümern (oftmals Aktionäre oder Shareholder) handeln kann und die Interessen verschiedener weiterer Anspruchsgruppen (Stakeholder) berücksichtigen darf und dies auch tut. Die Eigentümer haben dann die mit dem Eigentum verbundenen Entscheidungsrechte weitgehend an die Geschäftsführung delegiert und beschränken sich oft auf ein Gutheißen der Ergebnisse am Jahresende. In einigen Ländern können die Eigentümer nicht einmal die Geschäftsführer abberufen. Scheidet ein Vorstandsmitglied aus, befinden die anderen Vorstände über die Nachfolge (Kooptation), nicht aber die Eigentümer. Bei einer solchen Corporate Governance wird die Geschäftsführung stärker berücksichtigen, a) was die Kunden und die Mitarbeiter wünschen, und sie wird b) die Unternehmung so führen, dass sie als Teil der Gesellschaft bei allen Fragen mit gutem Beispiel vorangeht. Insbesondere aber wird die Geschäftsführung c) den Unternehmenszweck als Daueraufgabe interpretieren und sie wird daher eine Schließung oder Liquidation der Unternehmung nicht betrachten, selbst wenn dies nach dem erwerbswirtschaftlichen Prinzip günstiger wäre als eine Fortführung. Diese Corporate Governance findet sich aufgrund von Unternehmensrecht und Tradition in Japan und anderen asiatischen Ländern sowie in Kontinentaleuropa. Neben den Wünschen der Eigentümer werden die verschiedenen weiteren Anspruchsgruppen berücksichtigt. Die Geschäftsführung führt einen von den Eigentümern erteilten Delegationsauftrag aus. Entsprechend finden sich an der Spitze zwei Gremien: einerseits ein Vorstand, wobei sich die Mitglieder der Geschäftsführung (Vorstände) oft treffen und gegenseitig beraten können, ohne dass der oder die Eigentümer dabei sind; zweitens ein Aufsichtsrat, besetzt mit den Eigentümern oder mit Vertretern der Eigentümer, der nicht so oft tagt wie der Vorstand, eher Ergebnisse kontrolliert und abnimmt, und der sich nicht in die Geschäftsführung einmischt. In den USA herrscht eher eine Corporate Governance vor, bei der die Eigentümer der Unternehmung nur wenig an ihre Geschäftsführung delegieren und stattdessen deutlicher Anweisungen an sie erteilen. Um das zu erreichen, nehmen die (Vertreter der) Eigentümer regelmäßig an allen Treffen der Geschäftsführer teil. Es gibt also nur ein Gremium. Im Board sind die Geschäftsführer Internal Directors, die Eigentümer oder ihre Vertreter sind External Directors. Beide haben nur gemeinsame Sitzungen für die Entscheidungen. Dadurch haben die Geschäftsführer (Internal Directors) einen geringeren Spielraum, etwa um die Wünsche anderer Stakeholder zu berücksichtigen. Außerdem kann bei den Beratungen im Board durchaus die Frage thematisiert werden, ob die Unternehmung aus Rentabilitätsgründen nicht besser beendet anstatt fortgeführt werden soll. Daher werden Unternehmensverkäufe bei diesem Typ von Corporate Governance viel öfters diskutiert und praktiziert. Verständlich, dass in einem solchen Klima die internen Direktoren eine hohe Kompensation verlangen. Die Geschäftsführung und letztlich die Unternehmung wird bei dieser Corporate Governance zu einem „verlängerten Arm“ der Eigentümer.
76
I Wirtschaften
In einem gewissen Sinn führt die in Kontinentaleuropa und in Asien übliche Corporate Governance die Unternehmung auf einen Platz zwischen einer Stiftung und einer Unternehmung mit US-amerikanischer Corporate Governance.
5.6
Die Gesamtproduktion eines Landes
Die wirtschaftliche Produktionsleistung eines Landes in einem Jahr, ausgedrückt als Marktwert aller produzierten Outputs, wird als Bruttoinlandsprodukt (BIP) bezeichnet und oft durch Y symbolisiert. Die angelsächsische Bezeichnung ist Gross Domestic Product (GDP). Zwischenprodukte, die ein Unternehmen an ein anderes liefert und die dort im selben Jahr als Faktor verbraucht werden, Vorleistungen also, erscheinen nicht im BIP. Güter, die nicht direkt das Produktionssystem der Wirtschaft verlassen, sondern gelagert worden sind, werden als Änderung der Vorrate berücksichtigt, erhöhen aber nicht das BIP des Jahres. Das BIP folgt einem Inlandskonzept: Der Produktionsort ist relevant, nicht die Staatsbürgerschaft. Produkte, die unter Arbeitseinsatz von Ausländern (innerhalb der Landesgrenzen) entstanden sind, werden im BIP berücksichtigt. Arbeitsergebnisse von Staatsbürgern, die im betreffenden Jahr im Ausland gearbeitet haben, bleiben im BIP unberücksichtigt. Nach dieser Definition soll das BIP von zwei Seiten betrachtet werden. Die Erste ist die Entstehungsseite. Dazu stelle man sich die Produktionsfaktoren vor, die insgesamt eingesetzt worden sind. Wir konzentrieren uns auf zwei der Produktionsfaktoren, auf die gesamte Arbeit L (ausgedrückt als ein Geldbetrag) sowie das gesamte Kapital K (ausgedrückt durch den Wert des produktiv eingesetzten volkswirtschaftlichen Vermögens). Eine Funktion f beschreibe die Produktion, formal ausgedrückt durch Y = f ( L, K ) .
(5-1)
Die mit f bezeichnete Produktionsfunktion wird näher bestimmt, indem zunächst ein bestimmter Produktionstyp unterstellt wird, etwa die Form einer Cobb-Douglas-Produktionsfunktion: Y = a ⋅ Lb ⋅ K c
oder
logY = log a + b ⋅ log L + c ⋅ log K
(5-2)
C. W. COBB und P. H. DOUGLAS haben mit ihrem Aufsatz A Theory of Production (1928) durch statistische Tests gezeigt, dass der Funktionstyp die gesamtwirtschaftliche Realität gut beschreiben kann und die drei Parameter a, b, c geschätzt. Zuvor hatte der Schwede KNUT WICKSELL (1851–1926) denselben Funktionstyp vorgeschlagen, der heute Cobb-DouglasProduktionsfunktion genannt wird. Man erkennt, dass Arbeit und Kapital substituierbar sind, wie in der Realität. Dabei zeigt die Summe b + c, wie sich der Output verändert, wenn beide Inputs im selben Maßstab oder Skalar verändert werden. Werden beispielsweise sowohl die Arbeit als auch das Kapital verdoppelt, dann folgt bei diesem Funktionstyp f (2 ⋅ L,2 ⋅ K ) = 2b+c ⋅ f ( L, K ) . Die Summe der Hochzahlen legt daher fest, ob die Produktion Skalenerträge aufweist. Zunehmende Skalenerträge begünstigen die Entstehung weniger großer Unternehmungen und natürlicher Monopole, abnehmende Skalenerträge führen zu eher zahlreichen kleinen Unternehmungen in dem betreffenden Wirtschaftssektor. Bei einem Technologiesprung können sich auch die Skalenerträge und damit die Konfiguration der Industrie ändern.
5 Produktion
77
Im Fall b + c < 1 ergeben sich abnehmende Skalenerträge. Zwar erhöht sich der Output, doch in der Relation um ein geringeres Vielfaches, als das mit dem die Faktoren erhöht werden. Falls b + c > 1 beschreibt die Produktionsfunktion zunehmende Skalenerträge: Der Output erhöht sich um ein Vielfaches, das den Skalar übertrifft, mit dem die Inputs erhöht werden. Soweit zur Entstehungsseite des BIP. Zunehmende Skalenerträge begünstigen die Entstehung weniger großer Unternehmungen und natürlicher Monopole, abnehmende Skalenerträge führen zu eher zahlreichen kleinen Unternehmungen. Bei einem Technologiesprung können sich auch die Skalenerträge und damit die Konfiguration der Industrie ändern.
Die Entstehungsseite erinnert uns daran, dass im Land gewisse Produktionsmittel vorhanden sein müssen und selbstverständlich Arbeit zu leisten ist, damit das BIP entstehen kann. Die zweite Seite ist die Verwendungsseite. Das BIP ist ein Angebot an Gütern, Dienstleistungen, Wissen, und dieses Angebot wird von verschiedenen Gruppen nachgefragt. Das sind einerseits natürliche Personen, die Konsumgüter nachfragen. Mit C seien ihre Ausgaben für Konsumgüter bezeichnet. Dann fragen die Unternehmen Investitionsgüter nach und I sei der Betrag, den sie in einem Jahr dafür ausgeben. Schließlich ist auch der Staat ein Nachfrager und G bezeichne den vom Staat für die Güter und Dienstleistungen ausgegebenen Geldbetrag. Wenn das Land keinen Güterverkehr mit dem Ausland hat, dann gilt: Y = C + I +G
(5-3)
Diese Gleichung beschreibt die Verwendungsseite. Links steht das BIP, rechts wie es verwendet wird. Links steht das Angebot, rechts die Nachfrage. Die Gleichung (5-3) besagt mithin Angebot = Nachfrage und stellt folglich ein Gleichgewicht dar. In einer offenen Volkswirtschaft kommt es zu Importen M und Exporten X. Die Gleichung (5-3) verfeinert sich dadurch zu
Y123 +M =C +4 I+ G +3 X . 14 244
Güterangebot
(5-4)
Güternachfrage
Links steht die Summe aus dem Ergebnis inländischer Produktion und den Importen, ausgedrückt als Geldbetrag. Rechts stehen die Ausgaben der Konsumenten (Konsumgüter), der Unternehmen (Investitionsgüter), des Staates sowie der Personen und Einrichtungen im Ausland (Exportgüter). Früher wurde das Bruttosozialprodukt BSP herangezogen, um die Wirtschaftsleistung auszudrücken. Um das BSP zu berechnen, werden vom BIP die Erwerbs- und Vermögenseinkommen abgezogen, die an das Ausland geflossen sind, und es werden diejenigen Einkommen hinzugefügt, die von Inländern aus dem Ausland bezogen worden sind (Inländerprinzip). Damit stellt das BSP eine Größe dar, die eher Einkommen und Verwendungsmöglichkeit zugunsten von Inländern ausdrückt, während das BIP eher die Produktion und Entstehung der Wirtschaftsleistung in einem Land darstellt.
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I Wirtschaften
5.7
Leistungsbilanz
Wir betrachten nochmals das Gleichgewicht (5-4). Selbstverständlich werden sich die einzelnen Produzenten auf die Nachfragestruktur einstellen, die im Land besteht. Und ebenso werden die Nachfrager sehen, ob sie das Gewünschte aus heimischer Produktion oder als Importgut beziehen sollten. Abgesehen davon werden sich alle Nachfrager darum kümmern müssen, dass sie die abgenommenen Güter auch bezahlen können. Insbesondere der Staat muss sich fragen, ob er die Güter mit Steuereinnahmen bezahlen kann oder Schulden macht – doch das erscheint in einer anderen gesamtwirtschaftlichen Rechnung. Immer wieder wird thematisiert, ob ein Land im Außenhandel Überschüsse erwirtschaftet oder nicht. Die Zahlungsbilanz (Balance of Payments) eines Landes zeigt alle monetären Transaktionen zwischen diesem Land und dem Rest der Welt – kurz dem Ausland – für eine Periode. Oft ist das ein Quartal oder ein Jahr. Die Zahlungsbilanz ist dazu in verschiedene Rechnungen unterteilt. Die beiden am häufigsten betrachteten Unterrechnungen sind (1) die Leistungsbilanz – in der Schweiz als Ertragsbilanz bezeichnet, im Angelsächsischen als Current Account – sowie (2) die Kapitalbilanz – oder englisch Capital Account. Doch es gibt noch weitere Unterrechnungen der Zahlungsbilanz, wie beispielsweise eine Devisenbilanz. Die Leistungsbilanz zeigt das Nettoeinkommen des Landes (vor allem aus Export), die Kapitalbilanz zeigt die Nettoveränderung beim Finanzvermögen des Landes. Ein Überschuss (Surplus) in der Kapitalbilanz zeigt, dass Geld vom Ausland hereingekommen ist. Doch dabei erheben die Personen, Unternehmen und Einrichtungen des Auslands auch mehr Ansprüche auf die Vermögenspositionen des Landes. Ein Defizit in der Kapitalbilanz zeigt, dass Geld ans Ausland abgeflossen ist, womit mehr Ansprüche auf Vermögenspositionen im Ausland einhergehen. Die Leistungsbilanz zeigt drei Arten von Bewegungen:
Erstens weist sie die Exporte abzüglich Importe auf, wobei Warenverkehr (Handelsbilanz) und Dienstleistungen (Dienstleistungsbilanz) unterschieden werden. Im Export starke Länder sind immer wieder stolz auf ihren Handelsbilanzüberschuss, auf den (positiven) Unterschied zwischen exportierten Waren und importierten Waren. Zweitens zeigt die Leistungsbilanz im Verkehr mit dem Ausland Arbeits- und Kapitaleinkommen (Bilanz der Erwerbs- und Vermögenseinkommen). In der Bilanz der Erwerbs- und Vermögenseinkommen werden Einkommen aus unselbständiger Arbeit erfasst, die von Inländern an Ausländer oder von Ausländern an Inländer gezahlt werden (etwa für Grenzgänger und Saisonarbeiter). Außerdem werden dort Vermögenseinkommen erfasst, und das sind alle Kapitalerträge, die Inländer an Ausländer zahlen oder von Ausländern erhalten (vor allem Zinsen und Dividenden). Drittens weist die Leistungsbilanz laufende Übertragungen (Transferbilanz) aus.
Die Kapitalbilanz zeigt die während der Periode eingetretenen Änderungen von Forderungen sowie von Verbindlichkeiten gegenüber dem Ausland.
5 Produktion
79
Hier kann einerseits ein sogenannter Kapitalexport stattfinden, wodurch die Forderungen gegenüber dem Ausland zunehmen oder die Verbindlichkeiten gegenüber dem Ausland abnehmen. Andererseits kann ein Kapitalimport stattfinden, wobei die Forderungen gegenüber dem Ausland sich verringern oder die Verbindlichkeiten gegenüber dem Ausland zunehmen. Beispiele: (1) Wenn ein Land viele Waren exportiert, dann könnten ausländische Importeure sich einen Lieferantenkredit ausbedingen. Dann nimmt der Saldo der Handelsbilanz zu und zeigt einen Handelsüberschuss. Aber die Kapitalbilanz zeigt, dass Kapital abgeflossen ist – die Forderungen gegenüber dem Ausland haben zugenommen. Das Land hat Kapital exportiert, die Kapitalbilanz kommt in ein Defizit. Das Land hat den Gegenwert der Exporte nicht für Konsum verwendet, sondern gespart und im Ausland angelegt. (2) Importiert ein Land hingegen immer, dann entsteht bald ein Handelsbilanzdefizit und so auch ein Defizit der Leistungsbilanz. Vielleicht zahlt das Land für die Importe nicht sofort, sondern nimmt im Ausland einen Kredit auf. Dann findet ein Kapitalimport statt: Die Verbindlichkeiten gegenüber dem Ausland nehmen zu. Das Land hat durch den Import viel mehr Güter zur Verfügung, für den Konsum, für den Staatsverbrauch und für Investitionen. Doch diese zusätzlichen Güter wurden auf Kredit gekauft.
5.8
Fragen zur Lernkontrolle
1.
Betrachten Sie die Tätigkeit eines Entrepreneurs, der einen Prototyp für ein neuartiges medizinisches Gerät für die Diagnose im Hausgebrauch gestaltet und dazu ein Team von Entwicklern um sich schart und Anregungen gibt. Welche Produktionsfaktoren – Verbrauchsgüter, Arbeit, Produktionsmittel, Katalysatoren – würde man in der Entwicklungswerkstatt wohl antreffen?
2.
Bei einer Produktion werden gelegentlich nicht alle Faktoren als Inputs erfasst und durch Kosten berücksichtigt, und immer wieder sind die Kosten nicht aufgrund fairer Preise ermittelt. a) Führen Sie dies näher aus und geben Sie Beispiele! b) Wie könnte die dadurch einsetzende Fehllenkung abgestellt werden?
3.
a) Erläutern Sie den Begriff der Spezifizität! b) Was sind Safeguards? c) Sollte eine vorgesetzte Instanz stärker führen im Sinn von Anweisen und Kontrollieren oder sollte sie mehr delegieren? Wovon hängt das ab? d) Welche Voraussetzungen hinsichtlich Spezifizität und Safeguards sind verlangt, damit die Unternehmung mehr mit einem Blick vom Absatzmarkt her geführt wird?
4.
Erläutern Sie die Corporate Governance einer Stiftung, einer Unternehmung mit zwei Führungsgremien (Vorstand, Aufsichtsrat) sowie einer Unternehmung mit einem Führungsgremium (Board)!
5.
Richtig oder falsch? a) der Vorstand einer Stiftung muss sich immer wieder mit dem Stifter treffen, um dessen Anweisungen entgegen zu nehmen. b) In Kontinentaleuropa und in vielen asiatischen Ländern entscheiden die Vorstände über die Geschäftsführung auf Sitzungen, an denen regelmäßig Vertreter der Eigentümer teilnehmen. c) In den USA treffen sich die Manager als interne Direktoren in einem Board, um die Geschäftsführung untereinander zu besprechen, während die Vertreter der Eigentümer sich als externe Direktoren getrennt davon in einem Aufsichtsrat treffen, der die Ergebnisse beurteilt und den Rechenschaftsbericht entgegen nimmt.
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I Wirtschaften
6.
a) Welche funktionale Gestalt hat die Cobb-Douglas-Produktionsfunktion? b) Bei welchen Produktionsprozessen vermuten Sie zunehmende, bei welchen abnehmende Skalenerträge? Geben Sie Beispiele!
7.
Vergleichen Sie BIP und BSP. Welche der beiden Größen stellt eher die Produktion und Entstehung der Wirtschaftsleistung in einem Land dar, welche drückt eher Einkommen und Verwendungsmöglichkeiten zugunsten von Inländern aus?
5.9
Lernpunkte und Ergänzung
Produktion ist ein Transformationsprozess, wobei vier Arten von Inputs zu unterscheiden sind: Verbrauchsgüter, Arbeit, Produktionsmittel, Katalysatoren.
Für Unternehmen sind Hierarchien typisch: Die Mitarbeitenden unterwerfen sich per Vertrag dem Unternehmer als oberster Instanz. Das Arbeitsverhältnis kann stärker dem einer Delegation von Aufgabenbereichen gleichen oder dem von Anweisung und Überwachung.
Spezifizität von Ressourcen (wie Produktionsmittel und Wissen), die bei der Produktion verwendet werden, bedeutet, dass sie Arbeitskräfte führen. Safeguards liegen vor, wenn Arbeitseinsatz und Arbeitsergebnisse so gemessen werden können, dass sie in den Arbeitsvertrag aufgenommen werden können. Spezifizität erlaubt eine Reduktion der Führung durch Vorgesetzte, Safeguards erlauben stärkere Delegation.
Die Beziehung zwischen den Eigentümern und den angestellten Geschäftsführern wird als Corporate Governance bezeichnet. Drei Typen von Governance wurden betrachtet: die Stiftung, die Unternehmung mit Vorstand und Aufsichtsrat als zwei Gremien und die Unternehmung mit einem einzigen Board, bei der an Sitzungen der Geschäftsführer regelmäßig die Eigentümer oder ihre Vertreter teilnehmen.
Zunehmende Skalenerträge begünstigen die Entstehung weniger großer Unternehmungen und natürlicher Monopole, abnehmende Skalenerträge führen zu eher zahlreichen kleinen Unternehmungen. Bei einem Technologiesprung können sich auch die Skalenerträge und damit die Konfiguration der Industrie ändern.
Die Leistungsbilanz zeigt das Nettoeinkommen des Landes (vor allem aus Export). Die Kapitalbilanz zeigt die Nettoveränderung beim Finanzvermögen des Landes. Ein Überschuss (Surplus) in der Kapitalbilanz zeigt, dass Geld vom Ausland hereingekommen ist. Damit erheben die Personen, Unternehmen und Einrichtungen des Auslands mehr Ansprüche auf die Vermögenspositionen des Landes. Ein Defizit in der Kapitalbilanz zeigt, dass Geld ans Ausland abgeflossen ist, womit mehr Ansprüche auf Vermögenspositionen im Ausland einhergehen. Das Land muss sehen, ob und wie die neuen Forderungen einbringlich sind.
Als Ergänzung ein Nachtrag zur volkswirtschaftlichen Produktion und zum Bruttoinlandsprodukt BIP. Das BIP drückt die Produktionsleistung eines Landes (in einem Jahr) aus, nicht aber das Niveau des erreichten Wohlstandes. Beispielsweise wird die Befriedigung, die von früher geschaffenen öffentlichen Vermögenswerten ausgeht (etwa von Kunstwerken) ebenso wenig erfasst wie das Wissen. Ebenso wenig können aus dem BIP die Lebensqualität, Gerechtigkeit oder der Umfang politischer Freiheit abgelesen werden. Erwähnt sollte auch sein, dass bei der Berechnung des BIP gewisse Produktionen nicht erfasst werden, darunter unbe-
5 Produktion
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zahlte Tätigkeiten (Hausarbeit, Heimwerken, Ehrenämter) oder die Schattenwirtschaft des Landes. Allerdings wurden im Quervergleich Korrelationen gefunden. Sie zeigen, dass in Staaten mit einem höheren BIP der Tendenz nach von den Menschen das Leben als besser, leichter und angenehmer empfunden wird. Deswegen werden immer wieder bei Ländervergleichen auch die Bruttoinlandsprodukte genannt. Hierzu wird das BIP pro Kopf der Bevölkerung ausgedrückt (GDP per capita). Abgesehen von Staaten mit besonderer Wirtschaftsstruktur (Liechtenstein, Luxemburg, Katar) ist das BIP per capita am höchsten in Singapur, Norwegen, Schweiz, USA, Österreich, Deutschland und in Japan. In Deutschland lag 2011 das BIP pro Kopf bei 40.000 Dollar. Wieder muss festgehalten werden, dass diese Kennzahl nur ein unzureichendes Indiz für den Wohlstand ist. Deswegen entwickeln internationale Organisationen und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) Indizes, um die allgemeine Lebenszufriedenheit in den Ländern besser zu messen. Diese Indizes werden aus mehreren Einzelindikatoren zusammengesetzt. Neben wirtschaftlichen Aspekten werden die Ausbildung, die Gesundheit, die Zufriedenheit am Arbeitsplatz, das Leben in Familie und Gesellschaft sowie Aspekte des politischen Lebens erfasst. Der Human Development Index (HDI) der Vereinten Nationen ist ein solcher Wohlstandsindikator für Länder. Der HDI wird seit 1990 im jährlich erscheinenden Human Development Report veröffentlicht. Der HDI berücksichtigt neben (1) finanziellen Größen wie dem BIP die (2) Lebenserwartung und den (3) Bildungsgrad der Menschen. Der Faktor Lebenserwartung gilt als Indikator für Gesundheitsfürsorge, Ernährung und Hygiene. Das Bildungsniveau steht unter anderem für die Teilhabe am öffentlichen und politischen Leben.
II
Unternehmertum
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Unternehmertum
Unternehmertum, als wirtschaftswissenschaftliche Teildisziplin, befasst sich mit der Gründung neuer Organisationen durch Persönlichkeiten. Unternehmer sehen Chancen und sind bereit, sie durch Investitionen zu ergreifen und die Risiken auf sich zu nehmen. Unternehmer überzeugen Mitarbeitende, Kapitalgeber, und bauen einen Kundenkreis auf. Im Kern der Kommunikation stehen Idee, Modell und Plan ihres Vorhabens. Die Themen: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
6.1
Idee, Modell, Plan Realwirtschaftliche Leverage Eigentümer, Partner, Stakeholder Hierarchische Struktur SCHUMPETER und KIRZNER Phasengerechtes Unternehmertum Fragen zur Lernkontrolle Lernpunkte und Ergänzung
Investition zur Chancensicherung
Viele Menschen denken irgendwann daran, eine eigene Unternehmung zu gründen. Jemand hat viel gelernt, bei der bisherigen Arbeit Erfahrung gesammelt und möchte sich selbstständig machen. Findige, aktive Personen sehen Chancen und wollen sie wahrnehmen. Und dann gibt es Menschen, die ihr Geld nicht in Wertpapiere anlegen, sondern eine direkte Investition in ein eigenes Geschäft vorziehen, die aktiv sein wollen und sich ihrer Herausforderung stellen. Solche Impulse motivieren, doch sind sie nicht ausreichend, denn oft sind sie partiell. Entweder betrachten sie nur, was der angehende Unternehmer selbst machen könnte, ohne zu fragen, ob es von Kunden auch gewünscht würde. Oder man hat ein abgerundetes Konzept von Produktion und Absatz, übersieht aber, wie Partner gewonnen werden können. Gelegentlich wird auch zu wenig vorausgedacht, wie sich die Unternehmung weiterentwickeln soll und was in einigen Jahren erreicht sein sollte. Immer wieder bleibt unbeachtet, ob das Vorhaben gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen würde.
Angehende Unternehmerinnen oder Unternehmer müssen ein Gespür für Chancen haben und sie müssen die Mittel und die Risikobereitschaft haben, Chancen durch entsprechende Investitionen für sich zu reservieren. Dort wo die eigenen finanziellen Mittel nicht genügen, muss der Unternehmer andere Kapitalgeber gewinnen können. Dazu muss der Unternehmer sein
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II Unternehmertum
Vorhaben hinreichend detailliert kommunizieren. Außerdem wird der Unternehmer für die fachlichen Aufgaben Partner oder Mitarbeitende finden, mit ihnen Verträge abschließen und sie dann im Rahmen der Verträge auch führen. Vor Gründung eines Unternehmens sind daher Überlegungen und Planungen verlangt, die alle Aspekte unternehmerischen Handelns einschließen. Was übersehen wird, kann plötzlich Probleme aufwerfen. Der Unternehmer legt sich eine Strategie zurecht. Die Strategie (von Altgriechisch strategós „Kommandant“) nennt die Aktionen und inhaltlichen Schritte auf dem Weg zu einem eher längerfristigen Ziel unter Berücksichtigung der verfügbaren Ressourcen und der möglichen Einflüsse durch die Umwelt und durch Aktionen anderer Parteien. Dafür müssen als Erstes diese Punkte beantwortet werden: 1. 2.
3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.
Zweck: Welche Produktionsprozesse, Produkte oder Dienstleistungen sollen im Zentrum der unternehmerischen Aktivität stehen? Nutzen: Warum oder für welche Gruppe von Kunden sind die Produkte oder Dienstleistungen nützlich? Welche Kundenprobleme lösen sie? Wie können Key-Clients identifiziert werden? Wie könnte man sich auf Key-Clients konzentrieren? Aufbau: Wie kann die Produktion organisiert werden und für welche Faktoren (Produktionsmittel, Geschäftsführung, Arbeit) muss gesorgt werden? Erlöse: Woher kommt das nötige Geld? Wie werden Erlöse erzielt, wie hoch dürfte die Wertschöpfung sein? Wie können Sponsoren, wie Kapitalgeber gefunden werden? Konkurrenten: Welches sind die am nächsten benachbarten Produkte im Wettbewerb und wie unabhängig vom „Marktstandard“ kann man sich selbst platzieren? Stakeholder: Welche weiteren Partner müssen gesucht und gewonnen werden? Welche Sub-Unternehmer werden benötigt? Wissen: Welches unternehmensspezifische Wissen (etwa: Markenname) wird benötigt? Wie kann es erhalten und geschützt werden? Wie wird es weiterentwickelt und genutzt? Risiken: Mit welchen Risiken ist zu rechnen? Ist mit Gegenaktionen von dritter Seite zu rechnen? Sind alle Ungewissheiten im rechtlichen Bereich geklärt? Dynamik: Wie kann das Geschäft beginnen? Wie kann der Absatzmarkt erschlossen und die Produkte eingeführt werden? Wie soll es dann im Verlauf der Jahre weitergehen? Wo will der Unternehmer in fünf Jahren stehen?
Die Antworten sollen sich wie in einem Puzzle zu einem harmonischen Bild oder Szenario zusammenfügen. Das Szenario wird dann schriftlich dargestellt, damit es kommuniziert werden kann. Hier haben sich drei Stufen der Ausführlichkeit bewährt:
Geschäftsidee – eine kurze Darlegung des Zwecks und des Nutzens (in drei Zeilen). Geschäftsmodell – ausgefeilte verbale Darstellung von Zweck, Nutzen, Aufbau und Erlösen sowie der Stakeholder (auf einer Seite). Geschäftsplan – Ausbau des Geschäftsmodells durch Unterlegung mit Planzahlen. Der Plan nennt für die nächsten fünf Jahre: Absatzziel, Preise, Input-Output-Relation, Erlöse. Der Plan bringt a) Tabellen, b) er legt dar, aus welchen Fakten und welchen Schätzungen die Zahlen folgen, c) liefert eine Begründung der unterstellten Dynamik, d) verweist auf die Wahrscheinlichkeiten und die erwarteten Höhen von Schäden bei Risiken.
Die genannten drei Darstellungen von Idee, Modell, Plan wurden vor einer Unternehmensgründung schon immer ausgearbeitet. Wer einen Bankkredit wollte, durfte nicht bei der Geschäftsidee stehen bleiben, sondern hatte einen Geschäftsplan vorzulegen. Heute wird von den drei Darstellungen Idee, Modell, Plan das Geschäftsmodell hervorgehoben, weil diverse neuartige Geschäftsmodelle aufgekommen sind. Beim traditionellen Geschäftsmodell bezah-
6 Unternehmertum
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len stets die Abnehmer der Produkte alles. Innovative Geschäftsmodelle binden Sponsoren ein, die sich an den Kosten beteiligen, sodass der Absatzpreis geringer sein oder das Produkt sogar gratis abgegeben werden kann. Einige der innovativen Geschäftsmodelle gehen neue Wege für die Aufteilung der Risiken. Dazu muss das Geschäftsmodell so konzipiert sein, dass die Partner und Sponsoren selbst einen Vorteil erkennen können. Der kann beispielsweise in einem größeren Bekanntheitsgrad bestehen, in einem Gewinn neuer Kunden, oder in erhöhter Reputation. Die als neu angesehenen Geschäftsmodelle wurden ursprünglich für das Internet entwickelt: Das Internet erlaubt schnelle Sprünge zwischen den verschiedenen Anbietern. Wer seine eigenen Probleme nicht genau erfüllt sieht, sucht im Web weiter. Zudem wird im Internet erwartet, dass die gebotenen Produkte – Information, Musik oder auch ein Film – gratis abgegeben werden. Die Bereitschaft für einen Download zu zahlen, ist gering. So haben die Anbieter von Informationen, Software, Musik und Filmen ihr Produkt mit Werbung verbunden, und die Kosten der Produktion werden über die Einnahmen aus der Werbung gedeckt. Bei einem anderen, ebenso als neu angesehenem Geschäftsmodell werden die Kosten durch Sponsoren gedeckt, die sich beispielsweise dafür engagieren, dass Kunden die Erzeugnisse aus ökologischer Produktion wählen. Dennoch gab es solche Varianten des traditionellen Geschäftsmodells bereits früher. Immer schon wurden Produkte zu Trägern nicht nur eigener, sondern auch fremder Werbung gemacht. Auch für Dritte als Sponsoren gibt es zahlreiche, teils zeitlich weit zurückgehende Beispiele: Seit je her subventionieren die Staaten gewünschte Produktionen – was heute als Verzerrung des Wettbewerbs kritisiert wird. Auch wurden stets Geschäftsmodelle praktiziert, bei denen besondere Partnerschaften im Mittelpunkt stehen.
6.2
Rentabler Kombinationsprozess
Am Anfang steht immer eine Investition, mit der eine Unternehmerin oder ein Unternehmer „den Platz“ besetzt und die Geschäftsidee für sich sichert. Mit dieser anfänglichen Investition ist zweifellos ein großes Risiko verbunden, und die Bereitschaft, Risiken einzugehen, ist sicherlich eine der großen Qualitäten von Unternehmerpersönlichkeiten. Wenn der Platz dann besetzt ist, und schlecht streitig gemacht werden kann, weil es im Spiel vorteilhaft ist, denn ersten Zug zu tun, stellen die Unternehmerpersönlichkeiten ihr Vorhaben dar, gewinnen weitere Partner und Mitarbeitende. Dann werden mit dem Unternehmen mehrere Ressourcen zusammen geführt. Die Produktion wurde im Kapitel 5 bereits als ein Transformationsprozess beschrieben, bei dem vier Arten von Ressourcen kombiniert werden: (1) Vorräte, (2) Arbeit, (3) Produktionsmittel, (4) Wissen. Unternehmen sind rentabel, wenn die Werte der Inputs geringer als die Erlöse sind, die durch den Verkauf der Produkte oder als Zahlungen seitens verbundener Stakeholder zustande kommen. Wie kann es in einer Welt mit gut funktionierenden Märkten überhaupt möglich sein, dass die Inputs weniger kosten als die Outputs direkt (Absatzerlöse) oder indirekt (über Sponsoren) einbringen? Das ist die Frage, warum sich Unternehmen „lohnen“ und weshalb deshalb Unternehmen „existieren“. Hierzu sind verschiedene Antworten gegeben worden. Eine erste Antwort geht auf RONALD COASE und seinen Aufsatz The Nature of the Firm 1937 zurück: Das Zusammenführen der Faktoren durch einen Unternehmer macht Sinn, weil in der Realität die Märkte nicht so ideal sind. Der Marktzugang kann teuer sein und der Abschluss von Kaufverträgen oder Mietver-
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II Unternehmertum
trägen verlangt Zeit, Aufmerksamkeit, Finanzierungen, Überwachungen. Diese Kosten der Marktnutzung werden unter dem Sammelbegriff der Transaktionskosten angesprochen. Der Unternehmer muss daher zunächst einmal Geld auch dafür aufbringen, sich den Marktzugang zu verschaffen. Das ist zwar nachteilig (im Vergleich zu einem idealen Markt). Doch wenn statt des Unternehmers jedes Wirtschaftssubjekt, das den Output für sich wünscht, die Transformation selbst organisieren würde, dann hätte jede dieser Personen die Transaktionskosten in ähnlicher Höhe zu tragen und im Ergebnis wäre es gesamtwirtschaftlich noch schlechter. Da kommen besser alle Interessenten zusammen und produzieren gemeinsam, sodass die Transaktionskosten nur einmal entstehen. Hier springt der Unternehmer ein und organisiert die gemeinschaftlich gewünschte Produktion. Im Allgemeinen ist der Unternehmer so schnell, dass er die Produktion in der Form einer Unternehmung beginnt, noch bevor am Output interessierte Personen zusammenfinden und über eine gemeinschaftliche Produktion sprechen. Die Unternehmung dient nach COASE als Form der Kooperation dazu, Wissen und Kenntnisse zu beschaffen, mit denen die Märkte genutzt werden, Verträge abgeschlossen und überwacht werden können. Dieselbe Wirkung hat technisches oder organisatorisches Wissen, das für die Produktion benötigt wird. Ein Teil des Wissens ist öffentlich und frei zugänglich, doch ein anderer Teil ist unternehmensspezifisch und muss eigens erzeugt werden. Wird bei der Faktorkombination und der Transformation Wissen verlangt, das nicht allgemein frei verfügbar ist, dann müsste ohne die Aktivität des Unternehmers jeder Einzelne, der an einer Einheit des Outputs Interesse hat, sich das Wissen selbst besorgen. Wieder ist es besser, das Wissen gemeinschaftlich zu beschaffen und einzusetzen. In diesem Sinn dient die Unternehmung dazu, das für Beschaffung, Produktion und Absatz benötigte Wissen zu erwerben und einzusetzen. Beschaffung, Produktion und Absatz verlangen einen gewissen Größenmaßstab, eine gewisse Skalierung. Das Wissen wirkt wie ein Hebel, mit dem der Output und somit die Erlöse leicht um einen Faktor oder Skalar l angehoben werden können. Dies verlangt zwar eine entsprechende Vervielfachung der Faktorkosten, doch eben nur für einen Teil der Faktoren (Verbrauch, Arbeit, Betriebsmittel), während die Kosten für das Wissen vom Skalar eher unabhängig sind und somit eine fixe Größe darstellen. Die Hebelwirkung ist eine realwirtschaftliche Leverage – es gibt auch eine finanzwirtschaftliche Leverage. Ein Grundprinzip bei der Bildung eines Unternehmens besteht darin, realwirtschaftliche Leverage auszuschöpfen, die durch das unternehmensspezifische Wissen möglich wird. Bei der Entwicklung des Geschäftsmodells und erst recht bei der Geschäftsplanung muss die angehende Unternehmerpersönlichkeit die realwirtschaftliche Leverage betrachten. Bei der Ausgestaltung des Geschäftsmodells und bei der Planung der Unternehmung werden jene Faktoren und Transformationen besonders beachtet, bei denen unternehmensspezifische Ressourcen mit Wissenscharakter möglichst gut eingesetzt und wirkungsvoll zur Geltung kommen. In diesem Sinn wird das Unternehmen um das Wissen herumgebaut.
6 Unternehmertum
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Die Gesamtkosten für die Inputs geteilt durch die Quantität der erzeugten Outputs nehmen ab, wenn die Outputquantität zunimmt. In der Tat können die fixen Kosten für die Marktöffnung und die Schaffung unternehmensspezifischen Wissens auf immer mehr Outputeinheiten verteilt werden. Es treten Skaleneffekte auf. Solche Skaleneffekte werden beispielsweise durch einen Markennamen oder durch Reputation begründet, eben durch alle Maßnahmen, die der Markterschließung oder dem Aufbau von Wissen dienen.
6.3
Eigentümer, Partner, Stakeholder
Wenn der Unternehmer die Geschäftsidee und das Geschäftsmodell entwickelt hat, und wenn er geklärt hat, wie hoch Kosten für den Marktzugang, den Abschluss von Verträgen und für die Bereitstellung von Wissen sind, dann kann die optimale Größe thematisiert werden. Das geschieht stets in einem Stufen- oder Entwicklungsplan, denn am Anfang dürfte in der Regel klein begonnen werden. Mit der Größe wird der Plan so präzise, dass der Geschäftsplan aufgestellt werden kann, mit dem der Unternehmensgründer Interessenten und Partner ansprechen kann, um sie zu gewinnen. Die Personen, die schließlich Mitwirkung zusagen, dürften in unterschiedlicher Distanz zur Unternehmung stehen:
Im innersten Kreis stehen Personen, die mit der Unternehmung in sehr engem Vertragsverhältnis stehen sollen, weil sie über notwendige Ressourcen verfügen: Finanzinvestoren, Führungskräfte und eventuell Personen, die über das benötigte Wissen verfügen. In einem weiter gezogenen Kreis stehen Personen, von denen eine Kooperation erhofft wird, wobei eventuell noch Ersatz für sie gefunden werden kann. Dazu gehören Banken, Kunden mit Einfluss auf die Marktdurchdringung, Sponsoren, Mitarbeitende. Im größten und äußeren Kreis stehen weitere Personen und Gruppen, von denen Wohlwollen erhofft wird, dazugehören Vertreter der Politik und Medien.
Dann wird gegründet. Das verlangt viele, möglichst gleichzeitig ablaufende Vorgänge. Am wichtigsten scheinen der rechtliche Vorgang und der Eintrag der Unternehmung zu sein. Bei der Gründung muss feststehen, wer die (ersten) Kapitalgeber sind und sie müssen Einlagen tätigen, die zum anfänglichen Geschäftsvermögen des Unternehmens werden. Alle Staaten bieten verschiedene Rechtsformen, wobei sich zwei Grundtypen von Rechtsformen in allen Ländern finden: die Personengesellschaft und die Kapitalgesellschaft. Eigentümer einer Personengesellschaft sind einige wenige Personen (kurz: der Unternehmer). Der Unternehmer hat bei einer Personengesellschaft praktisch alle Entscheidungen in der Hand. Da erscheint es richtig, dass er als Eigentümer für die im Namen des Unternehmens geschlossenen Verträge mit dem persönlichen Vermögen haftet. Kann das Unternehmen berechtigte Forderungen nicht erfüllen, dann muss der Unternehmer dafür aufkommen.
Die unbeschränkte Haftung erhöht im Allgemeinen die Bonität und auch die Reputation des Unternehmens. Das Ansehen und Vermögen der Eigentümer überträgt sich in Vertrauen, dass Lieferanten, Mitarbeitende und Kunden dem Unternehmen entgegenbringen (was den Abschluss von Verträgen erleichtert und Transaktionskosten senkt). Die unbeschränkte Haftung kann indes auch die Lebensgrundlage der Eigentümer vernichten. Denn durch Produkthaftung, durch Verletzung von Patentrechten oder durch Unglück können Forderungen ungeahnter Höhe auf das Unternehmen zukommen, die dann von den haftenden Eigentümern erfüllt werden sollten. Die unbeschränkte Haftung kann die Eigentümer ruinieren.
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II Unternehmertum
Eine Personengesellschaft entsteht, wenn sich mindestens zwei natürliche oder juristische Personen für ein gemeinsames wirtschaftliches Ziel unter Beachtung juristisch zusammenschließen. Eine Personengesellschaft besitzt keine eigene Rechtspersönlichkeit. Die konkreten Rechtsformen sind aufgrund rechtlicher Besonderheiten der Länder leicht verschieden, doch finden sich überall Personengesellschaften, in denen zwar einige aber nicht alle Gesellschafter voll haften (Kommanditgesellschaften) und überall finden sich Rechtsformen für Partnerschaften. Ein wichtiges Merkmal einer Kapitalgesellschaft ist, dass für Verpflichtungen nur mit dem Vermögen des Unternehmens gehaftet wird. Übersteigen die an die Unternehmung gestellten Forderungen das vorhandene Vermögen, dann bleiben sie zum Teil unerfüllt. Die Eigentümer der Kapitalgesellschaft sind nicht gezwungen, für Verpflichtungen des Unternehmens einzustehen. Im Gegenzug folgt eine Kapitalgesellschaft nicht einfach (spontanen) Willensentscheidungen der Eigentümer. Vielmehr werden die Entscheidungen einer Kapitalgesellschaft an Organe übertragen, etwa einem Vorstand, einem Aufsichtsrat oder einer Eigentümerversammlung, und auch die Wirtschaftsprüfung ist deutlich eingebunden. Gleichsam erkaufen sich die Eigentümer die Haftungsbeschränkung durch eine Verringerung der ihnen verbleibenden Rechte. Die Haftungsbeschränkung wird dazu verwendet, innerhalb einer größeren Unternehmung „Mauern gegen Risiken“ zu errichten. Um zu verhindern, dass ein Unternehmensteil aufgrund sehr großer Verluste, etwa aufgrund von Schadenersatzforderungen, die anderen Unternehmensteile ruiniert, werden für die Teile rechtlich eigene Kapitalgesellschaften gegründet. Die ursprüngliche Unternehmung reduziert sich zu einer Holding oder Dachgesellschaft, welche die Beteiligungen und Eigentumsrechte an den Tochterunternehmen hält. Die Kapitalgesellschaft besitzt eine eigene Rechtspersönlichkeit, sie ist eine juristische Person. Durch das Gesellschaftsrecht wird festgelegt, welche Entscheidungen durch welche Organe der Kapitalgesellschaft getroffen werden. Die bekanntesten Kapitalgesellschaften sind die Aktiengesellschaft und die Gesellschaft mit beschränkter Haftung.
6.4
Hierarchische Struktur
Parallel zum rechtlichen Vorgang der Gründung müssen zahlreiche andere Aktivitäten ergriffen werden: Der Name muss im Internet verankert werden, das Geschäftsmodell sollte gegen schnelle Nachahmer geschützten werden, Büroräume sind anzumieten, ein Bankkonto ist einzurichten, Anmeldungen bei Behörden und Handelskammern sind vorzunehmen und die ersten Mitarbeitenden müssen eingestellt werden. Der Unternehmer kann dies nicht alles allein tun, er benötigt Unterstützung. Doch die letzte Entscheidung bleibt bei ihm. OLIVER E. WILLIAMSON hat die Unternehmung – unabhängig davon, ob sie die Rechtsform einer Personen- oder einer Kapitalgesellschaft hat – als eine hierarchische Struktur charakterisiert im Unterschied zum Markt, wo alle Parteien auf gleicher Ebene stehen.
Alle Entscheidungen über Investitionen und Finanzierungen sowie verzahnt damit die Entscheidungen über andere Ressourcen werden in der Unternehmung von einer Führung getroffen, die an der Spitze der Hierarchie zentralisiert ist. Arbeitende unterstellen sich mit dem Arbeitsvertrag ihren Anweisungen. Durch die Rechtsform ist bestimmt, welche Gremien für die Unternehmung handeln und welche Instanzen kontrollieren.
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Die Organisation beschreibt, welche der im Prinzip an der Spitze der Hierarchie zu treffenden Entscheidungen von hierarchisch untergeordneten Stellen vorbereitet oder im Auftrag getroffen werden. Die Organisation legt zudem fest, welche Kontrolle die Spitze der Hierarchie bei der Delegation walten lässt.
Die Verträge laufen in der Hierarchiespitze sternförmig zusammen. Das Unternehmen wird zum Kern oder Nexus von Verträgen. Auch die Finanzierungen der Unternehmung kommen in diesem Nexus zusammen. Die Ansprüche von Lieferanten, von Arbeitnehmern und von Kapitalgebern richten sich demnach an die Firma. Auf diese Weise wird die Unternehmung zu einem Pool, in dem mehrere Investitionen, mehrere Finanzierungen und zahlreiche andere Ressourcen zusammenkommen. Alle Forderungen werden gemeinsam aus Zahlungsmittelbeständen, Umsatzerlösen und anderen Rückflüssen bedient. Die Spitze der Hierarchie haben wir kurz als Unternehmer angesprochen: Je nach Rechtsform oder Corporate Governance können die ihm zukommenden Aufgaben an der Hierarchiespitze von einem Eigentümer oder von einer angestellten Geschäftsführung ausgeführt werden. Jedenfalls werden alle Verträge und Entscheidungen von der als Unternehmer bezeichneten, jeweiligen Person oder Personengruppe geschlossen. Die Verträge werden vom Unternehmer im Namen und für das Unternehmen firmiert – woraus sich die Bezeichnung der Firma ableitet. Wenn die Unternehmerpersönlichkeit an der Spitze der Hierarchie steht, dann muss sie oder er auch bereit sein, Mitarbeitende zu führen. Die Unternehmerpersönlichkeit muss dazu auch hin und wieder Kraft und Entscheidungswille zeigen. „Das Auge des Chefs lässt alles erstrahlen“ sagt (sinngemäß) ein italienisches Sprichwort. Die Hierarchie unterscheidet sich wesentlich von der Bürokratie. Bei einer Bürokratie stehen Regeln und Vorschriften im Mittelpunkt. Bei einer Hierarchie – das Altgriechische hierarchia ist zusammengesetzt aus hierós für „heilig“ und arché, „Anfang, Führung, Herrschaft“ – stehen im Mittelpunkt Wille und Anweisungen der Person oder Personengruppe an der Spitze. Drei grundlegende Aufsätze: 1. ARMEN A. ALCHIAN und HARALD DEMSETZ: Production, Information Costs, and Economic Organization. American Economic Review 62 (1972), 777– 795. 2. MICHAEL C. JENSEN und W. H. MECKLING: Theory of the Firm: Managerial Behavior, Agency Costs and Ownership Structure. Journal of Financial Economics (1976) 3, 305– 360. 3. MASAHIKO AOKI, BO GUSTAFSSON und OLIVER WILLIAMSON: The Firm as a Nexus of Treaties. Sage Publications, London 1990.
6.5
Charakterisierungen des Unternehmers
Einige Ökonomen haben sich mit dem Unternehmertum auseinandergesetzt. Bei JOSEPH A. SCHUMPETER steht die Kraft im Vordergrund, grundlegende Innovationen zu verwirklichen. FRANK H. KNIGHT betont die Bereitschaft, Risiken einzugehen. ISRAEL M. KIRZNER (geboren 1930) betont, dass Unternehmer findig sind und immer wieder Chancen erkennen, also starke kognitive Fähigkeiten haben müssen: Aufmerksamkeit und Findigkeit.
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II Unternehmertum
Drei Hauptqualitäten des Unternehmers: 1. Chancen erkennen, 2. Risiken eingehen. 3. Verwirklichen. Unternehmer erkennen nicht nur Chancen, sie sichern sich diese Chancen durch Investitionen und verwirklichen dann ihre Vision, durch Überzeugung und Führung anderer. Jedenfalls stehen im Zentrum des Unternehmertums nicht einzig die Unternehmensgründung und die effiziente Nutzung von Ressourcen, gleichsam eine Managementaufgabe der Koordination. Unternehmertum ist stets verbunden mit starker Kreativität, mit der Erkennung von Chancen sowie der Konstruktion neuer Geschäftsmodelle. Als Drittes ist Unternehmertum verbunden mit kraftvoller Aktion und Überzeugungskraft. Wir knüpfen an die drei Ökonomen SCHUMPETER, KNIGHT und KIRZNER an, die sich mit der Rolle des Unternehmers in der Wirtschaft befasst haben. SCHUMPETER hat in seiner Analyse des Kapitalismus überaus kraftvolle und grundlegende Neuerungen betrachtet, die auf mehrere Wirtschaftssektoren ausstrahlen und das ökonomische Gleichgewicht verschieben. Der Unternehmer ist für ihn eine Person, die grundlegende Inventionen und Innovationen mit Breitenwirkung umzusetzen vermag. Das geschieht nicht in einer Garage. Der Unternehmer ist bei SCHUMPETER ein technologisch revolutionärer Industrieller. Der Unternehmer beginnt mit einer neuartigen Kombination von materiellen und immateriellen Produktionsfaktoren. Da er nur selten auf alte Strukturen zugreifen kann, treten die neuen Kombinationen neben das Bisherige. Im Verlauf einer Generation verdrängt das Neue das Alte. Die alten Wirtschaftsstrukturen sind dann überflüssig und obsolet. In der Wirkung sind die in der Wirtschaft vorhandenen Strukturen ganz von der neuartigen Produktion und von neuen Formen des Absatzes verdrängt. Dieser Prozess der schöpferischen Zerstörung durch große Innovationen bewirkt industrielle Dynamik und langfristiges Wirtschaftswachstum. Nach SCHUMPETER hat der Unternehmer die Vision, Kraft und Durchsetzungsvermögen großer Industrieller. Solche Unternehmerpersönlichkeiten hat es nicht nur in der Gründerzeit (etwa 1850–1914) gegeben. W. H. GATES III und P. ALLEN hatten mit der Gründung von Microsoft und ihren Hauptprodukten (MS-DOS und Windows) eine industrielle Revolution gefördert. Zum Teil sind Innovatoren nicht beständig in aller Munde und nicht jede industrielle Veränderung wird von großen Organisationen getragen. So ist das etwa bei der Raumfahrt und der Gentechnologie der Fall.
KNIGHT hebt beim Unternehmer die Bereitschaft hervor, Risiken einzugehen. Wer sich als Unternehmer selbstständig macht und eine Unternehmung gründet, der setzt seine Karriere am bisherigen Arbeitsplatz und auch die mit unselbstständiger Tätigkeit verbundene finanzielle Absicherung aufs Spiel. Zeit und Geld werden investiert. Der Unternehmer ist eine Person mit Risikotragfähigkeit, die bereit ist, Kapital einzusetzen. Der Unternehmer ist ein Investor. SCHUMPETER und KIRZNER im Vergleich: Während der Unternehmer nach SCHUMPETER das wirtschaftliche Gleichgewicht verschiebt, bewirkt der Unternehmer nach KIRZNER Verbesserungen und Weiterentwicklungen im Rahmen bestehender Marktgleichgewichte. Nach SCHUMPETER wirkt Innovation disruptiv, das Bestehende störend und zerstörend. Nach KIRZNER ist Innovation ein beständiger Prozess der Verbesserung in kleinen Schritten.
6 Unternehmertum
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Innovationen nach SCHUMPETER (Entwicklung neuer Märkte) setzen ein Industrieunternehmen mit Forschungsabteilung voraus. Für Innovationen nach KIRZNER (Ausnutzen vorhandener Marktnischen) genügen eine kleine Firma und ein kreatives Team. Innovationen nach SCHUMPETER verlangen einen großen Einsatz von Ressourcen und bergen entsprechende Risiken. Innovationen nach KIRZNER erfordern nur geringe Mittel und sind dementsprechend weniger riskant. Positionierung ist eine oft irreversible Festlegung. Sie verlangt vom Unternehmer eine Vision, Weitsichtigkeit und Überzeugungskraft. KIRZNER betont den Unternehmer als Person, die aufmerksam ist und immer wieder Chancen entdeckt. Vielleicht verfügt der Unternehmer nicht einmal über eigene Ressourcen – abgesehen von seiner kognitiven Fähigkeit und ausgesprochenen Findigkeit. Der Unternehmer sieht beispielsweise brachliegendes Land und kann dies in eine Geschäftsidee übertragen. Oder er sieht, dass Kleidungsstücke gut mit einem Muster verschönert werden könnten. Der Unternehmer kann antizipieren, wie sich die Nachfrage und Moden ändern werden. Die Innovation führt zu Verbesserungen an der bestehenden Situation, nicht jedoch zu revolutionär Neuem. Auf Grundlage dieser Arbeiten bietet es sich an, drei Arten von Chancen zu unterscheiden.
Chancen und Möglichkeiten, die eine Unternehmerpersönlichkeit aufgrund ihrer kognitiven Fähigkeiten findet und erkennt. Es ist vorhanden und möglich, wird nur nicht allgemein gesehen. Ein Beispiel ist eine Verwendungsidee für brachliegendes Land. Die Ressourcen können mit relativ wenig finanziellen Mitteln gesichert werden, weil die anderen Wirtschaftssubjekte die Verbesserungsmöglichkeit nicht erkennen und sie sich deshalb nicht im allgemeinen Marktpreis ausdrückt. Bei solchen Chancen und Opportunitäten steht weniger das Glück des Unternehmers im Vordergrund als die Findigkeit. Zudem ist das Ergreifen der Chance vielleicht nicht einmal besonders riskant. Chancen, die vom Unternehmer ergriffen werden, und die dann eine kraftvolle Breitenwirkung entfalten. Es handelt sich hierbei also um ganz große Gelegenheiten. Es ist wohl zu vermuten, dass sie vom Unternehmer zumindest am Anfang nicht in ihrer vollen Tragweite erkannt werden. Vermutlich paart sich hier die unternehmerische kognitive Fähigkeit auch mit dem Glück, dass auf einmal ein Verdrängungsprozess mit großer Breitenwirkung einsetzt. Diese Chancen verlangen aber zweifellos ein kraftvolles Engagement des Unternehmers. Chancen, deren Eingehen weder besondere kognitive Fähigkeiten noch besonders kraftvolles Engagement verlangt, sondern das Eingehen von Risiken, für deren Tragen im Finanzmarkt eine Prämie erwartet werden darf. Dazu gehören Aktienengagements von Finanzinvestoren. Hierbei sind die Renditechancen sind umso höher, je mehr von dem Risiko übernommen wird, dass von der Allgemeinheit als abträglich angesehen wird. Sowohl die Chancen als auch die Risiken sind publik. Sie zu sehen, verlangt kein besonderes Talent. Eigentlich ist nicht gemeint, der Unternehmer sei ein Finanzinvestor.
6.6
Phasengerechtes Unternehmertum
Der Unternehmer sollte (als Mensch oder als Gruppe mehrerer Menschen) infolgedessen einige Charaktereigenschaften aufweisen – wie allgemein Personen, die an der Spitze einer Hierarchie stehen und wirtschaftliche Verantwortung tragen. Dabei sollte die Unternehmerpersönlichkeit gerade zu Beginn des Vorhabens starke kognitive Fähigkeiten haben, während
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II Unternehmertum
später ausgeprägte Managementfähigkeiten verlangt sein dürften. Die Anforderungen an Personen, die an der Spitze einer Unternehmenshierarchie stehen, ändern sich. Denn die Unternehmung wandelt sich im Lauf der Zeit und andere Aufgaben rücken in den Vordergrund. Unternehmen entwickeln neue Produkte und Märkte, sie wachsen, fokussieren sich auf Rentabilität, und irgendwann müssen die Organisation und Abläufe reorganisiert und Finanzierungen müssen restrukturiert werden. In einer neuen Situation sind andere Qualifikationen und Charaktere für die Hierarchiespitze verlangt.
Ertrag
Wachstum
Entrepreneurship
Position
Strategisches Denken
Finanzwirtschaftliches Denken Abbildung 6-1:
Veranschaulichung der vier Phasen im Unternehmertum (K. SPREMANN und B. SCHWENKER: Unternehmerisches Denken zwischen Strategie und Finanzen, Springer 2008).
Da Situationen wie die bereits erwähnten Phasen (Entwicklung, Wachstum, Rentabilität, Restrukturierung) bei vielen Unternehmen in ähnlicher Reihenfolge durchlaufen werden, dürfen sie als typische Phasen angesehen werden. Wir folgen einer Einteilung in vier Phasen, die zur Illustration mit Jahreszeiten assoziiert werden (Abbildung 6-1). Wir beginnen mit dem Winter, weil noch vor dem Aufblühen der Boden ausgewählt und die Saat ausgebracht werden muss. Das geschieht im Winter. 1. Winter: Positionsbestimmung. Ein neues Unternehmen wird nicht nur rechtlich vorberei-
tet, sondern vor allem inhaltlich mit Überlegungen, Arbeiten, Gesprächen und Planungen, die sich dann in Idee, Modell und Planung niederschlagen. In dieser Phase bestimmt der Unternehmer die Position der Aktivitäten im mehrdimensionalen Raum der Merkmale von Ressourcen, Transformationen und der Verträge. Diese Festlegung geht weit über die Wahl des geografischen Standorts für den Betrieb hinaus, denn sie betrifft die Platzierung aller unternehmerischer Aktivitäten unter Einbezug der Platzierung der Produkte hinsichtlich der Kundenwahrnehmung. Die Positionierung ist eine oft irreversible Festlegung. Sie verlangt vom Unternehmer eine Vision, eine besondere Weitsichtigkeit und Überzeugungskraft. Die Position bestimmt dann die Möglichkeiten oder das Potenzial. Gleichsam wird in dieser Phase festgelegt, wo die Saat ausgebracht wird und welcher Boden das Potenzial für weitere Aktivitäten bieten soll. Der Unternehmer ist in der ersten Phase ein Visionär mit Durchsetzungskraft.
6 Unternehmertum
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2. Frühjahr: Entrepreneurship. Wenn die Position bestimmt ist, kann eine zweite Phase
einsetzen. Die Möglichkeiten, welche durch die Position geschaffen sind, müssen zu Produkten konkretisiert werden. Der Unternehmer beginnt damit, ein Team um sich zu scharen. Gemeinsam wird an dem Produkt gearbeitet, es konstruiert und gestaltet. Ein Prototyp wird entwickelt. Alles muss funktionieren sowie ästhetische, wirtschaftliche und rechtliche Anforderungen erfüllen. Die technischen und organisatorischen Merkmale der Produktion werden vorbereitet. Hierzu sind Entwicklungsarbeiten und Aufbauarbeiten an Produkt und Produktionsprozess verlangt. Gleichsam wird ein Prototyp gebaut, der zeigt, dass das Ganze technisch möglich ist. Selbstverständlich werden in die Entwicklungen einige spätere Kunden einbezogen, damit nicht eine ulkige Erfindung herauskommt, sondern ein Produkt, das im Markt Zuspruch finden wird. In dieser zweiten Phase ist der Unternehmer kreativ und ingeniös, inspiriert sein Team und ist dennoch immer wieder zu Auswahlentscheidungen (Selektionen) fähig. Gleichwohl behält der Unternehmer das wirtschaftliche Ziel im Auge und ist dafür fähig, äußere Partner in sein Projekt einzubinden. Der Unternehmer ist in dieser Phase Entrepreneur. 3. Sommer: Wachstum. Sind die Entwicklungen geschafft und ist der Prototyp gebaut, dann können die Marktentwicklung, die Produktion und der Absatz aufgenommen und in immer größerer Skala betrieben werden. Auf der Skalierung, auf dem „Hochfahren“ der Produktion und der „Ausweitung“ des Absatzes liegt der Schwerpunkt in der dritten Phase des Unternehmertums.
Wachstum setzt viel „Kraft und Energie“ voraus. In der dritten Phase müssen erhebliche Ressourcen für verschiedene Aufgaben eingesetzt werden. Koordination und Optimierung stehen im Mittelpunkt. Außerdem muss der Unternehmer in dieser Phase die Risiken sehen und bewältigen. Gerade weil so viele Ressourcen für Wachstum eingesetzt werden müssen, können sich Rückschläge verheerend auswirken. Solche Rückschläge treten immer wieder auf und es heißt dann, das Management habe sich übernommen. Der Unternehmer muss in dieser Phase integrieren und er muss auf Effizienz ebenso wie auf Risiken achten können. Verlangt ist ein Manager, der aufgrund von Kalkulationen und Planungsrechnungen die Ressourcen koordiniert. Wachstum wird nicht nur geplant, sondern verwirklicht. Der Unternehmer ist in der dritten Phase ein Manager und ein Macher. Dabei muss er ein zuverlässiger Partner für Zulieferanten, Banken und Kunden sein, damit sie die Ressourcen überlassen. 4. Herbst: Ertrag. Beim Wachstum und der Marktentwicklung steht oft die Dynamik der
Absatzmenge im Vordergrund und verdrängt das ertragswirtschaftliche Ziel. Viele denken, dass das Wachstum ohne Zutun finanzielle Früchte reifen lassen wird. Doch irgendwann ist der Markt gesättigt und verdeutlicht, dass der Rentabilität eigens Aufmerksamkeit geschenkt werden muss. Das Produktsortiment wird bereinigt, die Konstruktion und Fertigung der Produkte vereinfacht, die Absatzwege werden direkter gestaltet. Teile der Produktion werden auf andere Produzenten verlagert. Entscheidungen über Make or Buy oder über ein Outsourc-
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II Unternehmertum
ing werden getroffen, Kalkulationen der Profitabilität auf Kundengruppen und sogar auf einzelne Kunden verfeinert. Eventuell wird überlegt, das Geschäft oder den Unternehmensteil einmal zu verkaufen. Dann werden alle Maßnahmen ergriffen, die den Wert dieses Unternehmensteils erhöhen. Dazu wird versucht, stabile und gut prognostizierbare Cashflows zu erzielen – alle anderen Aktivitäten werden abgebaut. Unter Umständen greifen die Maßnahmen so tief, dass an eine Restrukturierung des Geschäftes oder sogar an eine Liquidation gedacht wird. In dieser Phase muss der Unternehmer die Unternehmung aus dem Fahrwasser des Gewohnten holen und dazu – ich bitte um Entschuldigung – etwas rücksichtsloser vorgehen. Um alle Mitarbeitende für das Ziel von Rentabilität und von Wertsteigerung zu verpflichten, werden auch Programme aufgelegt. Sie sollen unter anderem das Denken in finanziellen Werten stärken, zu einer deutlichen Selektion von Schlüsselkunden führen und – oft ist auch dies nötig – den Blick darauf lenken, wie es die Wettbewerber machen. Der Unternehmer ist in dieser Phase ein kühler Rechner, der zu harten Entscheidungen fähig ist. Im Vorstand oder im Board ist er Vorgesetzter von anderen Vorständen und Direktoren – ein CEO – als ein Erster unter Gleichen (primus inter pares). In den beiden anfänglichen Phasen Positionsbestimmung und Entrepreneurship können noch nicht so viele Entscheidungen durch eine Kalkulation unterstützt werden, und die Entscheidungen des Unternehmers folgen einer strategischen Denkweise. In der dritten Phase des Wachstums kann die Koordination des Ressourceneinsatzes durch Rechnungen unterstützt werden: Kalkulationen und auch das Operations Research entfalten Kraft. Erst recht rückt das finanzwirtschaftliche Denken in der vierten Phase in den Vordergrund, und wie wir ausführten, nicht nur durch Wertrechnungen, sondern auch durch den Rotstift.
6.7
Fragen zur Lernkontrolle
1.
a) Wenn Sie neben Ihrem Studium ein eigenes Unternehmen gründen würden, was würden Sie sich dann vorstellen? b) Drücken Sie dies durch eine Geschäftsidee (3 Zeilen) schriftlich aus! c) Beantworten Sie die eingangs gestellten punktuellen Fragen zu Zweck, Nutzen, Aufbau, Erlöse, Konkurrenten, Stakeholder, Wissen, Risiken, Dynamik! d) Entwickeln Sie ein Geschäftsmodell und schreiben es auf einer Seite als Text nieder.
2.
a) Erläutern Sie Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Hierarchie und Bürokratie! b) Was ist gemeint, wenn die Unternehmung als „Nexus von Verträgen“ bezeichnet wird? c) Inwiefern ist die Unternehmung ein „Pool“?
3.
a) Welche Rechtsform, Personen- oder Kapitalgesellschaft, würden Sie für eine Partnerschaft wählen, die eine Fachkollegenschaft zusammenführen soll? b) Ist eine Kommanditgesellschaft möglich, die nur einen haftenden Gesellschafter hat?
4.
a) Was meinte SCHUMPETER mit dem Prozess der „schöpferischen Zerstörung“? b) Um welche Innovationen geht es bei KIRZNER? c) Welche Qualität des Unternehmers hat KNIGHT hervorgehoben?
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5.
a) Welche vier Phasen (Jahreszeiten), in denen Unternehmen oder Teile von Unternehmen sich befinden können, wurden genannt? b) Beantworten Sie nun für jede der Phasen die Frage, welche Qualitäten die Person an der Hierarchiespitze in der Phase haben sollte.
6.
Stellen Sie sich einen Entrepreneur vor, der einen Prototyp für ein neuartiges medizinisches Gerät für die Diagnose im Hausgebrauch gestaltet und dazu ein Team von Entwicklern um sich schart und Anregungen gibt. a) Geben Sie eine Charakterisierung des spezifischen Wissens! b) Welche Produktionsfaktoren – Verbrauchsgüter, Arbeit, Produktionsmittel, Katalysatoren – sind in der Entwicklungswerkstatt wohl anzutreffen? c) Von welcher Phase (Jahreszeit) wird hier gesprochen?
6.8
Lernpunkte und Ergänzung
Die Geschäftsidee legt Zweck und Nutzen in drei Zeilen dar. Das Geschäftsmodell bietet eine ausgefeilte verbale Darstellung von Zweck, Nutzen, Aufbau und Erlösen sowie der Stakeholder. Der Geschäftsplan baut das Geschäftsmodell aus und unterlegt es mit Planzahlen. Der Geschäftsplan nennt für die nächsten fünf Jahre: Absatzziel, Preise, InputOutput-Relation, Erlöse.
Die zentrale Ressource einer jeden Unternehmung ist ihr spezifisches Wissen. Um diese Ressource zu pflegen und zu nutzen, wird die Unternehmung „um das Wissen herumgebaut“: Bei der Planung werden jene Faktoren und Transformationen besonders beachtet, bei denen unternehmensspezifische Ressourcen mit Wissenscharakter gut eingesetzt und wirkungsvoll zur Geltung kommen.
In allen Rechtssystemen werden Personen- und Kapitalgesellschaften unterschieden.
Im Zentrum des Unternehmertums stehen nicht allein die Unternehmensgründung und die effiziente Nutzung von Ressourcen (eine Managementaufgabe der Koordination). Unternehmertum ist als Zweites stets verbunden mit starker Kreativität, mit der Erkennung von Chancen sowie der Konstruktion neuer Geschäftsmodelle. Als Drittes verlangt Unternehmertum kraftvolle Aktion und Überzeugungskraft.
SCHUMPETER und KIRZNER im Vergleich: Während der Unternehmer nach SCHUMPETER das wirtschaftliche Gleichgewicht verschiebt, bewirkt der Unternehmer nach KIRZNER Weiterentwicklungen im Rahmen bestehender Marktgleichgewichte. Nach SCHUMPETER wirkt Innovation disruptiv und zerstört Bestehendes. Nach KIRZNER ist Innovation ein beständiger Prozess der Verbesserung in kleinen Schritten.
Die vier Phasen oder Jahreszeiten der Unternehmung entfalten sich mit diesen dominanten Aufgaben: 1. Winter: Positionsbestimmung (Unternehmer ist Visionär). 2. Frühjahr: Entrepreneurship (Unternehmer zeigt Findigkeit). 3. Sommer: Wachstum (Unternehmer als Manager). 4. Herbst: Ertrag (Unternehmer kraftvoller Rechner).
Zur Ergänzung kommen wir auf die Corporate Governance zurück. Kapitalgesellschaften stellen vielfach Manager für die Geschäftsführung ein. Die Corporate Governance legt fest, ob den Managern im Sinn einer Delegation ein gewisser Freiraum gegeben wird und sie vor allem aufgrund der erzielten Wirtschaftsergebnisse beurteilt werden, oder ob die Manager im Sinn einer Auftragserteilung eng durch Vertreter der Aktionäre angewiesen und kontrolliert werden.
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Angesichts der in Europa üblichen Corporate Governance, und weil sich viele Privatunternehmen in Familieneigentum befinden, meinte einmal ein Wirtschaftsprüfer nicht ohne Ironie: „Die Personengesellschaft ist für die Familie da, die Kapitalgesellschaft für das Management“. In diesem Bonmot steckt die Wahrheit, dass bei sehr loser Corporate Governance die Manager durchaus eigene Ziele angehen können. Gelegentlich achten die Manager dann nicht sehr auf die Rentabilität des Kapitals und sind gegenüber Kundschaft und Arbeitnehmern großzügiger. Oft wird unterstellt, sie würden unrentable Investitionen tätigen, anstatt Erlöse als Gewinne auszuschütten. Empirische Studien bestätigen den Hang von Managern, durch den Kauf von anderen Unternehmungen (Akquisitionen) ein Imperium zu errichten. Etwa um 1980 setzte eine Bewegung ein, die Unternehmung solle stärker so geführt werden, dass Werte zugunsten der Shareholder geschaffen werden (Shareholder-Value-Ansatz). Nach diesem Ansatz müssen die Eigentumsrechte der Aktionäre kraftvoller umgesetzt werden. Das Management soll auf Rentabilität zu achten. Bieten sich keine überlegenen Investitionsmöglichkeiten, sollen die Ergebnisse der Unternehmung ausgeschüttet werden (und die Aktionäre können dann das Geld ihrerseits in den Finanzmärkten anlegen). Kann die Unternehmung besser liquidiert oder verkauft als fortgeführt werden, soll sie zugunsten der Aktionäre beendet oder verkauft werden. Selbstverständlich gab es bald Gegenströmungen. Insbesondere wurde vorgebracht, die Unternehmung schließe nicht nur explizite, sondern auch implizite Verträge ab. Beispielsweise werden Mitarbeitern für besonderen Einsatz Karriereversprechungen gegeben. Doch bei einem Unternehmensverkauf werden viele der impliziten Zusagen wertlos. Deshalb, so die Kritiker am Shareholder-Value-Ansatz, seien Unternehmensverkäufe im Hinblick auf ein faires Verhältnis der beteiligten Anspruchsgruppen problematisch. Entsprechend besteht in Asien eine starke soziale Pflicht des Eigentümers und in Kontinentaleuropa wird von einem StakeholderAnsatz gesprochen. Über diesen Ansatz wird indes auch in den USA gesprochen. Der frühere Chief Executive Officer (CEO) von General Electric, JACK WELCH, hat immer sein Bestreben ausgedrückt, die Wünsche dreier Gruppen in Harmonie bringen: 1. Kunden, 2. Mitarbeitende und 3. Kapitalgeber. Damit hat er ein Bekenntnis zum Stakeholder-Ansatz bekundet. Doch wir wissen natürlich nicht, wie in gemeinsamen Sitzungen von Management und Kapitalvertreter tatsächlich gesprochen und entschieden wird.
7
Kapital
Der Begriff des Kapitals reflektiert beide Seiten eines Finanzkontrakts: einerseits die Investition (eingesetztes Kapital = Vermögen) andererseits die Finanzierung (aufgenommenes Kapital = Verpflichtung). Selbstverständlich verlangt die Verwendung von Kapital (für Investitionen und für Finanzierungen) eine periodische Berichterstattung. Wir besprechen die Bilanz als Gegenüberstellung von Vermögen (Aktiva) einerseits und der eingeräumten Ansprüche (Passiva) andererseits. Die Themen: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.
7.1
Kapitalbedarf Eigen- und Fremdkapitel Vorgehensweise bei der Finanzierung Capital-Budgeting Kapitalstruktur Die Bilanz Solvent oder insolvent? Bilanzpolitik Fragen zur Lernkontrolle Lernpunkte und Ergänzung
Zum Kapitalbedarf der Unternehmung
Wenn der Geschäftsplan steht, die Unternehmung rechtlich gegründet ist und die Partner (erste Kunden, Mitarbeitende, Kapitalgeber) vertraglich gebunden sind, kann alles beginnen. Gleich am Anfang müssen Zahlungen für die benötigten Verbrauchsgüter, für die Produktionsmittel sowie für den Wissenserwerb (Patente) oder den Wissensaufbau (Forschung und Entwicklung) geleistet werden. Wir sprachen davon, dass der Unternehmer gleich zu Beginn sich mit Investitionen die Geschäftsidee sichert und den Platz besetzt. Erst später kann mit Absatzerlösen gerechnet werden. Gelegentlich sind die Geldbeträge sehr hoch, und immer wieder sind auch die Zeitdifferenzen lang. Zudem bestehen Risiken und Ungewissheiten, was die späteren Rückflüsse betrifft, die von der Unternehmung erwartet werden. Drei Beispiele: 1. Bei Pharmazeutika liegen der Schwerpunkt der Auszahlungen für Forschung und Entwicklung und der Schwerpunkt der Einzahlungen aus dem Verkauf neuer Medikamente rund zwanzig Jahren auseinander, und für die präklinische Entwicklung eines neuen Medikaments werden mit Kosten um 1 Milliarde Euro gerechnet. 2. Der Science-Fiction Regisseur JAMES CAMERON hat mit den ersten Arbeiten zu seinem Film Avatar 1996 begonnen, das Drehbuch war 2006 fertig. Nach aufwändigen Vorbereitungen kam
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der Film 2009 in die Kinos. Der Blockbuster hat im ersten Jahr 2,7 Milliarden Dollar eingespielt, hinzu kamen Erlöse aus dem Verkauf von rund 7 Millionen DVDs allein im Jahr 2010. 3. Die Entwicklung des Airbus 380 hat 14 Milliarden Euro gekostet und 32 Jahre gedauert, der Listenpreis einer Maschine beträgt 375 Millionen Dollar.
Selbst wenn Produktionsmittel (Räume, Informatik, Maschinen) gemietet werden, und benötigte Kenntnisse vorhanden sind, besteht eine zeitliche Inkongruenz von Ein- und Auszahlungen: Die Auszahlungen für Faktoren gehen den Erlösen und Einzahlungen aus dem Absatz der Produkte und Dienstleistungen voraus. Das unternehmerische Vorgehen kommt einer Investition gleich: Auszahlungen liegen zeitlich vor Rückflüssen. Die Investition muss finanziert werden. Entweder schafft dies der Gründer und Unternehmer allein, oder er bindet weitere Kapitalgeber ein.
Der Zeitunterschied bedeutet, dass jede Unternehmung Kapitalgeber haben muss. Sicher verlangen die Kapitalgeber spätere Rückflüsse und werden ihre Rechte wahrnehmen, um sie zu erhalten. Dabei kann im Verlauf der Zeit eine Situation eintreten, in der die Kapitalgeber aus Sicht des Unternehmers bereits „mehr als genug“ erhalten haben. Vielleicht teilen die Kapitalgeber diese Einschätzung sogar und verzichten darauf, Forderungen zu stellen und zeigen sich zufrieden, wenn sie noch Geld erhalten. Dann wird die Unternehmung de facto immer mehr zu einer Stiftung. Der Gründungsvorgang ist abgeschlossen und die Stiftung verfolgt gewisse Ziele, ohne dass die Stifter dem weitere Wünsche hinzufügen. Doch im Regelfall verzichten die Kapitalgeber nicht auf ihre Ansprüche. Zunächst einmal verlangen sie Berichte. Besonders bei größerem Zeitunterschied zwischen Auszahlungen und Einzahlungen sind periodische Zwischenberichte verlangt, mit denen sich das Unternehmen an die Kapitalgeber wendet. Die Berichte werden auch anderen Anspruchsgruppen vorgelegt. Die Risiken der unternehmerischen Aktivitäten bedeuten, dass einige der Kapitalgeber damit einverstanden sein müssen, dass die Rückflüsse aus ihrer Finanzinvestition vom unternehmerischen Erfolg abhängen. Der unternehmerische Erfolg hat mehrere Einflussfaktoren. Erstens wirken Zufälligkeiten und Ungewissheiten ein, die schicksalhaft sind und vom Unternehmen nicht gesteuert werden können. Der Erfolg hängt zweitens von den Entscheidungen der Unternehmung ab sowie den getroffenen Maßnahmen und den Aktivitäten. Die Kapitalgeber, die Risiko und Unsicherheit tragen, werden sich aus dem zweitgenannten Grund nicht mit bloßen Informationsrechten zufriedengeben. Sie werden sich gewisse Entscheidungsrechte ausbedingen.
Um die bestehenden Ansprüche und Forderungen der Kapitalgeber erfüllen zu können, wird die Unternehmung sie bei ihren Maßnahmen berücksichtigen und dazu in ihr Kalkül einbeziehen. Ressourcen, die der Unternehmung zur Verfügung gestellt werden oder die sie verbraucht, werden bei der unternehmerischen Entscheidungsrechnung durch Kosten berücksichtigt. Entsprechend wird das benötigte Kapital in den Entscheidungen durch Kapitalkosten berücksichtigt. Die Kapitalkosten ergeben sich aus jener Rendite oder jenem Zins, den die Kapitalgeber als marktüblich oder als vertraglich zugesichert erwarten. Rendite und Kapitalkosten sind daher zwei Seiten derselben Medaille: Die Kapitalgeber erwarten eine gewisse Rendite und die
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Unternehmung berücksichtigt diese Erwartung bei ihren Entscheidungen durch Einbezug von Kapitalkosten in die Kalkulationen.
7.2
Eigen- und Fremdkapital
Über Jahrhunderte haben sich zwei Arten von Finanzkontrakten herausgebildet, mit denen eine Unternehmung die zeitliche Inkongruenz von Aus- und Einzahlungen ausgleichen und die Risiken weitergeben kann: Eigen- und Fremdkapital. Eigenkapital (Equity): Finanzkontrakte, bei denen sich der Kapitalgeber beteiligt und bereit ist, Risiko und Ungewissheit des Unternehmens mitzutragen. Das hat drei Konsequenzen:
Eigenkapital muss auf Dauer und nicht nur befristet der Unternehmung zur Verfügung stehen. Sonst könnte es die Risiken nicht auffangen. Niemand könnte sich darauf verlassen, dass es wirklich noch da ist, wenn einmal ein Risikopuffer oder eine Reserve nötig werden sollte. Eigenkapitalgeber dürfen daher nicht auf Rückflüsse hoffen, bei denen das Eigenkapital reduziert wird. Rückzahlungen und Eigenkapitalherabsetzungen sind nur unter besonderen Umständen möglich. Eigenkapitalgeber erwarten für das Tragen der Risiken eine besondere Kompensation. Sie erwarten, weil die Rückflüsse (in Form von Ausschüttungen oder Dividenden) eher gering sein müssen, damit die Risikotragfähigkeit der Unternehmung nicht geschmälert wird, dass ihre Beteiligung im Wert steigt. Beides zusammen, Ausschüttungen und Wertsteigerungen, ergibt (in Relation zum Kapitaleinsatz) die Rendite. Die Eigenkapitalgeber erwarten eine Rendite, die den Zinssatz übertrifft. Denn sie verlangen eine Prämie für das Tragen der Risiken. Wer vom Geschäftsrisiko betroffen ist, möchte die Entscheidungen der Unternehmung gestalten und kontrollieren. Eigenkapitalgeber haben daher gewisse, gelegentlich auch weitgehende Entscheidungsrechte.
Fremdkapital (Debt): Solche Finanzkontrakte haben die Form des Kredits. Hierbei werden die Rückflüsse an den Gläubiger unabhängig vom Geschäftsgang vertraglich festgeschrieben. Bei einem Kredit gehören zum Kapitaldienst, zu dem sich die Unternehmung als Schuldner verpflichtet, (1) die periodische Leistung der vereinbarten Zinszahlungen, (2) die wiederholte interime Information des Gläubigers und (3) schließlich die Rückzahlung des Kreditbetrags bei Fälligkeit. Auch geschuldete Bezahlungen von Lieferungen sind Fremdkapital, wie überhaupt alle nicht sofort erfüllten Forderungen aus den Geschäften des Unternehmens. Zu den Fremdkapitalgebern einer Unternehmung gehören nicht nur Banken und andere Gläubiger, die eigens einen Kredit gegeben haben, sondern auch die Parteien, die Forderungen erhoben haben und dabei eine spätere Zahlung akzeptieren, so etwa Lieferanten.
Finanzkontrakte, die Fremdkapital darstellen, können in aller Regel sehr leicht abgeschlossen werden – im Unterschied zur Suche und Gewinnung neuer Eigenkapitalgeber. Das liegt an zwei Gründen:
Faire Konditionen (Zinssätze) können aus den Preisen am Kapitalmarkt leicht abgelesen werden und müssen allenfalls noch etwas korrigiert werden, um der Bonität der Unternehmung als Schuldner gerecht zu werden. Zudem verzichtet der Gläubiger bewusst darauf, bei der Geschäftsführung mitwirken zu dürfen. Der Informationsbedarf des Gläubigers ist folglich vergleichsweise gering.
102 Tabelle 7-1:
II Unternehmertum Merkmalsausprägungen von Eigen- und von Fremdkapital. Fremdkapital (Debt)
Eigenkapital (Equity)
Laufzeit
Am Ende der vereinbarten Laufzeit ist der Nennbetrag zur Rückzahlung fällig.
Vom Grundsatz her hat Eigenkapital eine unbeschränkte Laufzeit, doch es kann unter Umständen herabgesetzt werden.
Einkommen des Kapitalgebers
Zinszahlungen (beim Kreditvertrag) oder Kuponzahlungen (bei einer Anleihe) sowie die Rückzahlung bei Laufzeitende
Entnahmen und Dividenden, Erlös aus Verkauf der Beteiligung
Rechte
Der Gläubiger besteht darauf, periodisch vom Schuldner informiert zu werden.
Der Eigenkapitalgeber hat umfangreiche Rechte, in die Geschäftsführung des Kapitalnehmers (Unternehmung) einzugreifen.
Risiken
Falls eine Zahlungsunfähigkeit beim Schuldner eintritt, kann ein jeder Gläubiger einen Konkurs beantragen.
Wenn es einer Unternehmung wirtschaftlich schlecht geht und sie keine Dividenden mehr zahlt, müssen die Eigenkapitalgeber gemeinschaftlich dafür sorgen, dass die Geschäfte besser geführt werden.
Besteuerung beim Kapitalgeber
Zinseinkünfte und Kuponzahlungen, nicht aber die Rückzahlung des Kreditbetrags, unterliegen der Besteuerung beim Gläubiger.
Entnahmen und Dividenden müssen vom Eigenkapitalgeber versteuert werden, bei Verkauf einer Beteiligung müssen vielfach auch die erzielten Wertsteigerungen versteuert werden.
Besteuerung beim Kapitalnehmer (Unternehmung)
Ergebnisse, die als Zinszahlung an Fremdkapitalgeber gehen, müssen von der Unternehmung nicht versteuert werden.
Wirtschaftliche Ergebnisse, die als Gewinn dargestellt werden, unterliegen bei der Unternehmung einer „Corporate Tax“.
Auch von Seite der Unternehmung bietet das Fremdkapital Vorzüge. Unternehmen werden besteuert, und vor allem müssen sie ihren Jahreserfolg versteuern – wir kommen gleich auf die Definition – ähnlich wie natürliche Personen eine Einkommensteuer entrichten. Zinszahlungen verringern den Jahreserfolg und reduzieren mithin die Steuer, die ein Unternehmen zahlen muss – ungeachtet der Frage, ob die Zinseinkünfte beim Gläubiger dessen steuerbares Einkommen erhöhen. Im Unterschied dazu werden Entnahmen oder an die Eigenkapitalgeber ausgeschüttete Dividenden nicht als Verringerung des Jahreserfolgs betrachtet, sondern als eine Verwendung des Jahreserfolgs. Daher reduzieren die für die Verwendung von Eigenkapital geleisteten Zahlungen wie Dividenden nicht die Steuer, die das Unternehmen zu zahlen hat. Beispiel: Eine neue Investition steht an und der Manager überlegt, ob sie durch Fremdkapital (Aufnahme eines weiteren Kredits) finanziert werden sollte, oder durch Eigenkapitalerhöhung (Ansprache alter oder neuer Eigenkapitalgeber, damit sie eine Einlage tätigen oder im Rahmen einer Kapitalerhöhung neu ausgegebene Aktien kaufen). Steuerliche Gründe sprechen zugunsten der Fremdfinanzierung. Die Bezeichnung Eigen- und Fremdkapital hat damit zu tun, dass ein Beteiligter Rechte hat, die denen eines Eigentümers einer Sache nahe kommen: Eigentümer dürfen über die Verwendung entscheiden, sie sind davon betroffen und müssen eventuell für Schäden haften. Ein Fremdkapitalgeber steht den Geschäften distanzierter gegenüber. Weder trifft ein
7 Kapital
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Fremdkapitalgeber unternehmerische Entscheidungen noch ist er davon betroffen. In diesem Sinn bleibt der Gläubiger „draußen wie ein Fremder“, was die Bezeichnung Fremdkapital erklärt. Ungeachtet dessen kann eine Bank als Fremdkapitalgeber einer Unternehmung informatorisch viel näher stehen als ein Aktionär. Deshalb ist gelegentlich der Aktionär der „Fremde“ oder der „Außenstehende“. Das ist besonders bei Kleinaktionären der Fall, weshalb zahlreiche Gesetze zum Schutz von Kleinaktionären geschaffen wurden. Doch die Beteiligung (Eigenkapital) und der Kredit (Fremdkapital) sind nur zwei Vertragstypen. Die Rechte können im Finanzkontrakt ebenso gut anders vereinbart werden. Beispielsweise kann sich der Financier wünschen, ein Wahlrecht zu erhalten, mit dem er einen Kredit (eigentlich Fremdkapital) in eine Beteiligung wandeln kann (Convertibles). Des Weiteren gibt es Beteiligungen (eigentlich Eigenkapital), die bei schlechtem Geschäftsgang Rückzahlungen an den Financier vorsehen, die den Zinszahlungen eines Kredits nahe kommen (Vorzugsaktie). Um zu betonen, dass ein Finanzkontrakt Aspekte von Eigen- und Fremdkapital kombiniert, wird er als Mezzanine (wörtlich: Zwischengeschoss) oder als Hybridkapital angesprochen. Hybridkapital ist oftmals das Ergebnis einer Umfinanzierung, also einer Änderung bestehender Finanzkontrakte, wie sie im Sanierungsfall vorgenommen werden.
Bei der Außenfinanzierung werden neue Finanzkontrakte abgeschlossen. Bei der Innenfinanzierung besorgt sich die Unternehmung Zahlungsmittel, indem sie Eigenkapitalgeber (im Rahmen bestehender Finanzkontrakte) davon überzeugt, mit geringeren Ausschüttungen zufrieden zu sein. Im Gegenzug stellt sie höheres Wertwachstum in Aussicht. Bei einer Umfinanzierung werden bestehende Finanzkontrakte zur Sanierung geändert, zum Beispiel durch Forderungsverzicht oder eine Umwandlung von Fremd- in Eigenkapital.
7.3
Vorgehen bei Finanzierungen
Der Vorgang des Finanzierens läuft in mehreren Schritten ab: Die Suche und Ansprache von Finanziers. Der Abschluss von Finanzierungsverträgen. Entgegennehmen der Zahlungsmittel sowie deren investive Verwendung. Der Ausweis der gegenüber den Finanziers eingegangenen Verpflichtungen und die Darstellung der investiven Verwendung der Zahlungsmittel in einer Bilanz. 5. Die Bedienung der Finanziers und die Erfüllung ihrer Ansprüche im Zeitverlauf. 1. 2. 3. 4.
Schritt 1: Wie kann man Finanziers finden? Wir betrachten die Suche nach Eigenkapitalgebern. Hierzu bieten sich drei Wege an: In jedem Fall muss der Unternehmer sich einen entsprechenden Bekanntenkreis aufbauen oder Makler bemühen, die passende Kapitalgeber vermitteln. Ohne Zweifel kann eine Mitgliedschaft in einer Handelskammer nützlich sein. Personen mit einschlägiger fachlicher Expertise, etwa Business Angels, begegnet man auf Messen und Tagungen. Außerdem kontaktieren Unternehmer Einrichtungen, die sich auf Finanzierungen spezialisiert haben. Das sind Gruppen, die Geschäftsbeteiligungen eingehen und halten, wie Kapitalanlagegesellschaften und Private-Equity-Firmen. Obwohl es letztlich „um Geld geht“, kommt es bei diesen Kontakten darauf an, dass sich die Partner gut verstehen und einander vertrauen können.
104
II Unternehmertum
Für die Notwendigkeit einer auch persönlich und nicht nur geschäftlich tragbaren Beziehung gibt es drei Gründe. Erstens werden Aushandeln und Abwickeln des Finanzkontrakts leichter, wenn eine Vertrauensbasis besteht oder geschaffen werden kann. Vertrauen senkt Transaktionskosten. Zweitens: Da es immer wieder Überraschungen in der Wirtschaftsentwicklung geben kann, auch negative Entwicklungen, kann nicht alles besprochen und geregelt werden. Vieles muss unausgesprochen bleiben. Wegen der impliziten Bestandteile des Finanzkontrakts ist die Wahl der Vertragspartner wichtig. Sonst kann Hold-Up entstehen: Die eine Seite verhält sich plötzlich in einer Weise, die zwar nicht den Abmachungen direkt widerspricht, dennoch von der anderen Seite als „unfair“ angesehen wird. Drittens kommt bei Eigenkapital hinzu, dass die Finanziers ihre Entscheidungsrechte ausüben werden. Dazu sollten die Beteiligten zwar unterschiedliche Kenntnisse und Fähigkeiten einbringen, doch sie sollten auch ein Grundverständnis entwickeln. Das unterstreicht wieder die Bedeutung einer auch persönlich tragbaren Beziehung. Etwas anders ist das bei Fremdkapital. Im Regelfall ziehen Kapitalgeber und die finanzierende Unternehmung es vor, über eine Bank als Intermediär in eine indirekte Verbindung zu treten. Eine Unternehmung kann mithin leichter zu Fremdkapital kommen, wenn sie gleich eine Bank kontaktiert. In diesem Zusammenhang wird immer wieder besprochen, ob ein Unternehmen eine Hausbankbeziehung aufbauen soll. Doch zu dieser Frage gibt es keine generelle Antwort. Banken bestehen bei Krediten auf Konditionen, die stark auf die Ausfallwahrscheinlichkeit bezogen sind. Die Konditionen berücksichtigen, was im Fall eines Defaults einbringlich ist. Hier ist die Unternehmung gut beraten, wenn sie auf ihr Rating achtet. Allerdings verlangt das nicht unbedingt, stets das allerbeste Rating anstreben zu wollen, weil dies zu viele Ressourcen der Unternehmung binden kann. Verlangt ist, das Rating nach wirtschaftlichen Überlegungen zu steuern. Deshalb muss eine Unternehmung bei Investitionen beachten, wie sie ihr Rating beeinflussen.
Wichtig ist, gleich an die Investitionen und Finanzierungen zu denken, die später noch dazu kommen könnten. Zukünftige Finanzierungsvorhaben müssen bei aktuellen Vertragsaushandlungen offen gelegt werden. Denn nicht allein die Beziehung zwischen Unternehmen und ihren Kapitalgebern verlangt Vertrauen. Ebenso sollte zwischen den Kapitalgebern untereinander Vertrauen bestehen können. Immerhin tritt eine gewisse Rivalität bei der Erfüllung ihrer Ansprüche auf. Das ist besonders im Krisenfall einer Zahlungsunfähigkeit der Unternehmung der Fall. Dann wird allgemein erwartet, dass sich die Finanziers untereinander einigen, neues Kapital einlegen, und gemeinsam einen Fortführungsplan tragen. Schritt 2: Dann kommt es zur Aushandlung der Konditionen des Finanzkontrakts. Beide Seiten müssen sich überlegen, ob sie sich eher an einen Standardvertrag halten oder auf die Wünsche beider Seiten maßgeschneidert eingehen wollen. Die Praxis der Juristen, der Finanzleute und der Steuerberater bieten eingehende Vorschläge und Fallbeispiele. Schritt 3: Das Entgegennehmen der Zahlungsmittel und deren investive Verwendung müssen durch juristische Konstruktionen abgesichert sein, ähnlich wie das bei einem Hauskauf der Fall ist. Oft werden hierzu Treuhandkonti eingerichtet. Die Unternehmung muss das Geld erhalten und der Finanzier muss im gleichen Augenblick die explizit ausbedungenen
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Ansprüche juristisch gesichert sehen. Immer wieder kommt es vor, dass mit einem Wechsel der Unternehmensführung implizite Ansprüche vergessen werden. Ebenso kommt vor, dass die Unternehmung aufgenommene Mittel riskanter verwendet, als bei der Anwerbung von Finanziers gesagt wurde. Schritt 4: Fremd- und Eigenkapitalgeber möchten sich mit der Unternehmung über die Geschäftsentwicklung informieren.
Fremdkapitalgeber interessiert, ob die Unternehmung sichere und reversible Investitionen getätigt hat. Als solche werden der Kauf greifbarer (tangibler) Vermögensgegenstände wie Grundstücke, Gebäude und universell verwendbarer maschineller Einrichtungen angesehen. Fremdkapitalgeber haben daher ein Interesse an einer Übersicht, die greifbare Vermögensgegenstände zu einem vorsichtig bemessenen Zeitwert ausweist und den eingegangenen Verpflichtungen gegenüber allen Fremdkapitalgebern gegenüberstellt. Schritt 5: Bei der Erfüllung der Ansprüche der Finanziers spielt nicht nur der Vertrag ganz explizit und seine Durchsetzbarkeit eine Rolle. Die als Finanzkapital bezeichnete Beziehung hat verschiedene implizite Aspekte. Ein wichtiger, oftmals nicht explizit festgelegter Punkt ist die weitere Planung des unternehmerischen Geschehens.
Wichtig für Kapitalgeber ist die Frage, ob die Unternehmung demnächst oder im Verlauf der Zeit noch weiteres Kapital aufnehmen möchte. Denn dann kommen meist andere Kapitalgeber hinzu. Weiter ist wichtig, ob die Unternehmung eventuell als Ganzes verkauft oder ob das unternehmerische Geschehen anders ausgerichtet werden könnte. Denn in allen solchen Fällen ändern sich Bedingungen, die für Kapitalgeber nicht unwesentlich sind, und die dennoch in aller Regel nicht explizit in den Finanzierungsvertrag aufgenommen werden können.
7.4
Capital-Budgeting
Ist die Unternehmung gegründet und hat ihre Aktivitäten aufgenommen, dann sollen eventuell weitere investive Vorhaben und Projekte verwirklicht werden. Ersatzinvestitionen für die Produktionsmittel können anstehen. Ebenso können der technische Fortschritt oder rechtliche Anforderungen weitere Investitionen nahe legen. Wenn dann nicht hinreichend eigene Zahlungsmittel vorhanden sind, dann kann die Unternehmung diese Investitionen nur tätigen, falls externe Finanziers gefunden werden können. Vor der Suche und Ansprache potenzieller Finanziers sind in der Unternehmung zwei Vorentscheidungen zu treffen:
Capital-Budgeting: Rechtfertigen die Ideen und die Investitionsvorhaben wirklich neue Finanzierungen? Sollte nicht besser auf die Projekte ganz oder teilweise verzichtet werden, wodurch sich der Finanzierungsbedarf reduziert? Das Capital-Budgeting ist eine Simultanbetrachtung möglicher Investitionen und möglicher Finanzierungen mit anschließender Auswahl und Planung derjenigen Investitionen und Finanzierungen, die verwirklicht werden sollen. Kapitalstruktur: Ist für die Finanzierung der in den Investitionsplan aufgenommenen Projekte – der „angenommenen“ Investitionsprojekte – Eigen- oder eher Fremdkapital gesucht? Die Zusammensetzung des gesamten Kapitals der Unternehmung aus Eigenund Fremdkapital ist die Kapitalstruktur der Unternehmung.
106
II Unternehmertum
Zum Capital-Budgeting: Hier ist nachteilig, wenn der Kreis der zu tätigenden Investitionen und damit der erforderlichen Finanzierungen zu weit gezogen wird. Denn jede zusätzliche Finanzierung, die eine Unternehmung eingeht, verlangt eine weitere Einräumung von Ansprüchen und Abgabe von Rechten. Das verändert die de facto oder de jure Rechte der bisherigen Finanziers. Bei einer Erweiterung der Finanzierung mit Eigenkapital werden die bisherigen Eigenkapitalgeber ihre gewohnten Rechte als verwässert ansehen. Bei einer Fremdfinanzierung sehen die Eigenkapitalgeber, dass durch die Zinszahlungen und die Rückzahlung des Kredits eine finanzielle Belastung kommen wird. Auch die bisherigen Fremdkapitalgeber möchten ungern ihre Gläubigerrechte in einem größeren Kreis von Gläubigern teilen müssen. Aufgrund der Verwässerung (Eigenkapital) und der Teilung von Rechten (Fremdkapital) sehen die vorhandenen Finanziers neue Investitionen und neue Finanzierungen nur dann als vorteilhaft an, wenn sie wirklich besonders günstig sind. Dabei denken Eigenkapitalgeber eher an die Rentabilität, Fremdkapitalgeber eher an die Sicherheit und Einbringlichkeit. Wird der Kreis der Investitionen und Finanzierungen hingegen zu eng gezogen, so wird auf vielleicht vorteilhafte Maßnahmen verzichtet. Die Entscheidung und Planung, wie weit der Kreis von möglichen Investitionen und neuen Finanzierungen „optimalerweise“ gezogen werden sollte – wobei das dabei zu verfolgende Ziel gleich mit untersucht wird, ist das Capital-Budgeting. Wenn feststeht, welche der möglichen Investitionen realisiert werden sollen und welche Finanzmittel dazu erforderlich sind, steht eine zweite Entscheidung an: Soll eher Eigen- oder Fremdkapital aufgenommen werden? Das ist die Frage nach der optimalen Kapitalstruktur. Grundlegende Arbeiten zur Kapitalstruktur wurden von FRANCO MODIGLIANI (1918–2003, Nobelpreis 1985) und MERTON H. MILLER (1923–2000, Nobelpreis 1990) publiziert. Sie nehmen einen ideal funktionierenden Kapitalmarkt an und finden 1958 ohne Betrachtung von Unternehmenssteuern, dass die Kapitalstruktur keine Rolle spielt und für den Unternehmenswert irrelevant ist. Im Jahr 1963 haben sie ihre Überlegungen auf den Fall erweitert, dass der Jahreserfolg der Unternehmung mit einer proportionalen Steuer belastet wird, wobei Zinszahlungen in Abzug gebracht werden dürfen. Wir haben bereits die steuerliche Behandlung von Fremdkapital angesprochen und festgehalten, dass dadurch Fremdkapital vorteilhafterweise eingesetzt werden sollte. Dies insbesondere dann, wenn das Zinsniveau hoch und dadurch auch die Einsparung der proportionalen Steuer hoch ist. Liegt das Zinsniveau hingegen sehr tief, ist die steuerliche Begünstigung des Fremdkapitals nicht der wichtigste Aspekt bei der Kapitalstruktur.
7.5
Kapitalstruktur-Theorien
Würde der steuerliche Vorteil des Fremdkapitals immer weiter leiten und zu immer neuen Fremdfinanzierungen führen, dann würde irgendwann das Eigenkapital in Relation zu den Unsicherheiten und Risiken, mit denen das Gesamtkapital investiert ist, zu gering. Die Verschuldungskapazität wäre voll ausgeschöpft. Die Fremdkapitalgeber würden dann mit einer höheren Ausfallwahrscheinlichkeit der Kredite rechnen und als Kompensation eine substanzielle Ausfallprämie in die Kreditkonditionen aufnehmen. Die Kredite würden für das Unternehmen sehr teuer.
7 Kapital
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Die Verschuldung führt auf einen Tradeoff: Einerseits entstehen durch höhere Fremdfinanzierung Steuervorteile, andererseits Nachteile durch die zunehmende Wahrscheinlichkeit von Kreditausfällen. Die Tradeoff-Theorie besagt, dass es daher eine „optimale“ Relation zwischen Fremd- und Eigenfinanzierung gibt, eine optimale Kapitalstruktur. Daneben wurden in der Corporate Finance weitere Ansätze zur Kapitalstruktur entwickelt. Bekannt ist die Hackordnung (Pecking-Order-Theorie). Danach gibt es eine Rangfolge, in der Finanzierungsmöglichkeiten ergriffen werden.
Zunächst versuchen die Manager, Investitionen mit Erlösen zu finanzieren, welche die Unternehmung erwirtschaftet und vereinnahmt hat und die weder für die Bezahlung von Produktionsfaktoren noch für Ausschüttungen an Eigenkapitalgeber abgeflossen sind. Die Verwendung dieser Zahlungsmittel für investive Zwecke wird als Innenfinanzierung bezeichnet. Anschließend wird mit Fremdfinanzierung begonnen. Die Möglichkeiten der Fremdfinanzierung werden sämtlich ausgeschöpft, bis eben die Kredite zu teuer werden oder die Banken aus anderen Gründen eine Erhöhung der Verschuldung der Unternehmung ablehnen. Erst dann geht das Management auf die Eigenkapitalgeber zu und ersucht um eine Kapitalerhöhung.
Zur Begründung der Pecking-Order-Theorie wurde angeführt, Eigenkapitalerhöhungen seien für das Management oder für das Unternehmen deshalb „teuer“, weil die Eigenkapitalgeber bei einer Kapitalerhöhung große Unsicherheiten vermuten, die sie wenig einschätzen können. In der Tat sollen Kapitalerhöhungen vielfach Akquisitionen finanzieren, und Akquisitionen ebenso wie andere Investitionen können gut oder schlecht ausgehen. Angesichts der Unsicherheit verlangen Eigenkapitalgeber ein ausgesprochen „günstiges“ Angebot, etwa in Form eines geringen Ausgabekurses neuer Aktien. Gleichwohl erwarten auch die neuen Aktionäre Dividenden und Steigerungen des Werts der Unternehmung in gewohnter Höhe. Bildlich gesprochen erhält das Management bei einer Erhöhung des Eigenkapitals wenig Geld und muss dennoch viel bieten. Das erklärt, weshalb in der Pecking-Order-Theorie die Eigenfinanzierung auf den dritten Platz rückt. Neben der Tradeoff-Theorie und der Pecking-Order-Theorie wurden weitere Ansätze entwickelt. Ein Ansatz stellt die Wirkungen von Eigen- und von Fremdkapital auf die Corporate Governance in den Vordergrund. So nehmen Banken vor der Fremdkapitalvergabe Prüfungen vor. Hat das Unternehmen Bankkredite aufgenommen, dann vertrauen die Eigenkapitalgeber oft darauf, dass auch von Seite der Fremdkapitalgeber laufend gewisse Kontrollen von Geschäft und Führung vorgenommen werden, und sie selbst davon einen Vorteil haben. Abgesehen von diesen Erklärungsmöglichkeiten wurden umfangreiche empirische Untersuchungen zur Kapitalstruktur erstellt. Dabei ist zu sehen, dass sich die Kapitalstruktur im Lauf der Zeit ändert. Wird etwa ein zusätzlicher Kredit aufgenommen, dann nimmt der Anteil der Eigenfinanzierung ab. Steigt der unternehmerische Erfolg, sei es durch gute Geschäftsführung oder durch Glück, dann geht dies zugunsten des Eigenkapitals und der Anteil des Werts des Eigenkapitals nimmt zu. Anderer-
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II Unternehmertum
seits kann ein überraschender Schaden auf das Unternehmen zukommen, und das Eigenkapital wird reduziert, während das Fremdkapital (weitgehend) den Wert behält. Die empirisch zu klärende Frage lautet, wie das Management auf Änderungen der Kapitalstruktur reagiert. Die empirischen Untersuchungen zeigen, dass die meisten Unternehmen eine gewisse Kapitalstruktur (Mischungsverhältnis zwischen Eigen- und Fremdkapital) als Soll anstreben und bei der Wahl von neuen Finanzierungen versuchen, näher an die gewählte SollKapitalstruktur zu gelangen. Die Soll-Kapitalstruktur hängt von der Branche ab sowie davon, ob das Unternehmen in den USA in Europa, in Asien oder in einem Land der Dritten Welt beheimatet ist. Dieser empirische Befund spricht eher für die Tradeoff-Theorie als für die Pecking-Order-Theorie. Wir gehen noch darauf ein, dass die Kapitalstruktur auch vom Kulturraum insofern abhängt, als der Charakter von Fremdkapital unterschiedlich gezeichnet wird. In unserem Kulturraum wird zum Fremdkapital allgemein diese Ansicht geteilt:
Zwar will der Gläubiger im Normalfall nicht die Geschäfte des Schuldners beeinflussen und er darf das auch nicht. Doch für den Fall, dass bei dem unternehmerischen Schuldner eine ausgesprochene Krisensituation mit Kreditgefährdung eintritt, möchte der Gläubiger erweiterte Rechte haben. Sie sollen dazu dienen, die Einbringlichkeit seiner Forderung in der Krise zu stärken und auch durchzusetzen. Krisen können a) durch externe abträgliche Zufälle und b) durch schlechte Geschäftsführung eintreten. Ist eine Krise eingetreten, die den Kredit gefährdet, möchte der Gläubiger die Weiterführung des Unternehmens eigentlich beenden dürfen, um zu verhindern, dass die abträglichen zufälligen Einflüsse oder eine ungeeignete Geschäftsführung weiterhin einwirken können. Unter gewissen Umständen kann der Gläubiger daher einen Konkurs beantragen. Dadurch wird eventuell eine Liquidation der Unternehmung eingeleitet.
Für unseren Kulturkreis versteht sich von selbst, dass man seine Schulden zurückzahlen muss, und in unseren Rechtssystemen wird es als richtig angesehen, dass Gläubiger geschützt werden müssen und notfalls Forderungen eintreiben dürfen. Allerdings wissen wir, dass damit viel Leid verbunden ist und Nachteile für Unschuldige entstehen. Deshalb sind in unserem Kulturkreis rechtliche Möglichkeiten geschaffen worden, die es vor einem Konkurs dem Unternehmen gestatten, weitere Wege für eine Fortführung zu versuchen – selbst wenn die Gläubiger eine sofortige Liquidation vorziehen. Bekannt ist Chapter 11 im Insolvenzrecht der USA. Danach darf die Unternehmung in der Insolvenz noch eine Zeit lang fortgeführt werden, auch gegen den Wunsch der Gläubiger, um dies zu versuchen:
Reorganisation: Kostensenkung, Verkauf von Unternehmensteilen. Restrukturierung: Verhandlung mit Fremdkapitalgebern über Veränderung von Krediten, eventuell mit teilweisem Forderungsverzicht (Haircut), Verhandlungen mit Eigenkapitalgebern über eine Neueinzahlung von Eigenkapital.
Damit werden Gläubiger im Krisenfall zu partnerschaftlichem Verhalten und zu Zugeständnissen gezwungen. Das Fremdkapital nimmt in diesem Fall den Charakter von Eigenkapital an. In Europa gibt es inzwischen Ansätze zu ähnlichen Bestimmungen. In der Schweiz beispielsweise wurde im Rahmen des Schuldbetreibungs- und Konkursrechtes (SchKG) ein Nachlassverfahren eingerichtet, um die rechtliche und wirtschaftliche Existenz einer Unter-
7 Kapital
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nehmung vorläufig zu sichern. Auch dabei wird die Unternehmung vor allzu schnellem Zugriff seitens der Gläubiger geschützt. In anderen Kulturkreisen werden gleichfalls Verträge abgelehnt, die einer Seite eine unbedingt zu erfüllende Forderung einräumen. So stehen im Islam und allgemein in Asien partnerschaftliche Finanzkontrakte – wir würden sagen: Eigenkapital – im Vordergrund.
7.6
Bilanz
Der Zeitunterschied zwischen den Auszahlungen für die Produktionsmittel und den Einzahlungen aus Absatz sowie die Risiken und Ungewissheiten verlangen, dass die Unternehmung zwischenzeitlich allen ihren Kapitalgebern berichten muss.
Die Fremdkapitalgeber interessieren sich für die augenblickliche Zahlungsfähigkeit und die weitere Kreditwürdigkeit. Hierzu interessieren sie sich erstens für die Fähigkeit des Managements, bei Krisen mit den Banken und mit den anderen Kapitalgebern gemeinsam eine Lösung zu finden. Zweitens hängt die Kreditwürdigkeit davon ab, wie hoch die Verpflichtungen der Unternehmung in Relation zu ihrem Vermögen sind. Die Eigenkapitalgeber interessieren sich für den in Zukunft erwarteten Geschäftsgang und die Risiken sowie über die Fähigkeit des Managements, Chancen zu ergreifen und umzusetzen. Insbesondere wollen sie Informationen, um Erwartungen bilden zu können, wie hoch a) die Ausschüttungen und b) die Wertsteigerungen in den kommenden Jahren sein dürften. Als Basis für solche Prognosen wünschen auch die Eigenkapitalgeber eine Darstellung des derzeitigen Vermögens der Unternehmung sowie der bestehenden Verpflichtungen als Resultat der bisherigen Entwicklung.
Die Bilanz ist eine auf einen Stichtag bezogene Darstellung des Werts der Vermögenspositionen (Aktiva) einerseits und des Werts von Verpflichtungen (Fremdkapital) plus des Werts des Eigenkapitals (Passiva) andererseits. Die Bilanz resultiert aus den Geschäftsvorgängen der Vergangenheit. Allerdings erlaubt das Vorhandene (Maschinen und Anlagen, Kassenbestand, Finanzanlagen einerseits, Verpflichtungen andererseits) eine gewisse Prognose, wie es mit der Unternehmung in Zukunft weitergehen dürfte. Gleichwohl werden weder Planungen noch Erwartungen und erst recht keine Hoffnungen des Managements in die Bilanz einbezogen. Die Bilanz erinnert daran, wo seinerzeit das Geld hergekommen ist (Passiva) und wo es hingeflossen ist und in welchen Vermögenspositionen (Aktiva) es gebunden ist. Die einzelnen Positionen werden mit Ansätzen bewertet, die eher zur vorsichtigen Seite neigen: Vermögenszugänge werden erst dann bilanziert, wenn sie verzeichnet worden sind, Erhöhungen der Forderungen werden bereits dann bilanziert, wenn sie begründet erkennbar sind. Die Wertansätze in der Bilanz können sich von jenen Werten oder Marktpreisen unterscheiden, die für die Posten der Aktiva und Passiva im jeweiligen Markt gelten würden. Die Wertansätze in der Bilanz werden zur Unterscheidung von den Marktwerten als Buchwerte bezeichnet. Bei der Bilanzierung wird Best Practices sowie geltenden Rechnungslegungsvorschriften gefolgt. Die Rechnungslegungsvorschriften sagen, welche Vermögenspositionen und welche Verpflichtungen in der Bilanz angeführt werden müssen, welche angeführt werden dürfen (Wahlrecht), und vor allem wie die Wertansätze (Buchwerte) ermittelt werden sollen.
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II Unternehmertum
Hinsichtlich der Werte gilt: Die Eigenkapitalgeber haben als Eigner der Unternehmung Anspruch auf das Vermögen, sofern sie zuvor alle Verpflichtungen erfüllen. Das bedeutet, dass sich die Höhe des bilanziellen Eigenkapitals ergibt, indem vom Buchwert des Vermögens das Fremdkapital (Buchwert der Verpflichtungen, Schulden) abgezogen wird. Kurz: Eigenkapital = Vermögen − Fremdkapital
(7-1)
Aufgrund der Definition (7-1) gilt zu allen Zeitpunkten die Bilanzgleichung:
Vermögen = Fremdkapital + Eigenkapital 14243 144444244444 3 Aktiva
(7-2)
Passiva
Der links und rechts stehende Geldbetrag heißt Bilanzsumme.
7.7
Solvenz – Insolvenz
Die Bilanzsumme ist vom Marktwert der Unternehmung zu unterscheiden, der oft in Übersichten für Finanzinvestoren publiziert wird. Der Marktwert der Unternehmung ist (bei einer Aktiengesellschaft) das Produkt aus dem Kurs und der Anzahl ausgegebener Aktien. Man darf aber nicht den Schluss ziehen, dass bei einer teils fremdfinanzierten Unternehmung die Bilanzsumme größer ist als der Marktwert der Unternehmung als Wert aller Ansprüche von Eigenkapitalgebern. Denn oft ist der Marktwert des Eigenkapitals größer als das bilanzierte Eigenkapital. Das liegt vor allem an einer gewissen Vorsicht, mit der Vermögenspositionen bilanziert werden – wir werden darauf zurückkommen. Das Wort Summe in dem Ausdruck Bilanzsumme verweist auf den Sachverhalt, dass sich die drei in (7-1) genannten Größen – Vermögen, Fremdkapital, Eigenkapital – jeweils aus den Werten mehrerer Positionen addieren. Nach allen Rechnungslegungsvorschriften wird in der Bilanz eine Einzelbewertung vorgenommen, das heißt, größere unternehmerische Einheiten, etwa Montagehallen oder Abteilungen, werden nicht pauschal bewertet. Nur in Ausnahmen eine Sammelbewertung einer Gruppe von Positionen zugelassen.
Beim Vermögen ist die Unterteilung in Einzelpositionen klar: Hierzu gehören die Gegenstände des Anlagevermögens (Einrichtungen, Maschinen und Wertpapiere – sofern Letztere nach Geschäftsplan auf Dauer gehalten werden sollen), weiter das Umlaufvermögen (Zahlungsmittelbestand, Vorräte, auf kürzere Dauer gehaltene Wertpapiere). Beim Fremdkapital stehen a) die bilanziellen Werte der laufenden Kredite sowie b) Forderungen, die bald zu begleichen sind, wie etwa die am Stichtag noch unbezahlten Forderungen (Lieferanten, Sozialversicherungsträger); c) außerdem Rückstellungen (Forderungen, die der Art nach feststehen, wobei Höhe und Zeitpunkt der Fälligkeit zum Bilanzstichtag noch nicht bekannt sind). Selbst Eigenkapital wird unterteilt. Ein Teil des Eigenkapitals wird als Rücklagen oder Reserven ausgewiesen, weshalb auch von offenen Reserven gesprochen wird. Reserven werden per Gesetz oder aufgrund der Satzung des Unternehmens im Laufe der Jahre dadurch gebildet, dass ein Teil der im Geschäftsjahr eingetretenen Werterhöhung beim Eigenkapital als Erhöhung der Reserve ausgewiesen wird. Das Unternehmen legt gleichsam einen Teil des Gewinns „auf die Seite“. So wird die Begehrlichkeit der Eigentümer, sich die Wertschöpfung ausschütten zu lassen, begrenzt und die Kraft des Unternehmens erhöht, Risiken zu tragen.
7 Kapital
111
Mit Rückstellungen zeigt die Unternehmung, dass sie Vorsorge für Forderungen trifft, die bereits erhoben sind und demnächst einmal betragsmäßig präzisiert sein werden und dann zu erfüllen sind. Mit Rücklagen zeigt die Unternehmung, dass sie Vorsorge für Gefahren trifft, die in ihrer Sicht eine mögliche Bedrohung darstellen. Rückstellungen gehören zum Fremdkapital, Rücklagen sind Teil des Eigenkapitals. Ist das bilanzielle Eigenkapital einer Unternehmung positiv, wird sie als solvent bezeichnet. Ist das bilanzielle Eigenkapital negativ, wird sie als überschuldet oder als insolvent bezeichnet. Solange eine Unternehmung solvent ist, kann sie vergleichsweise einfach weitere Kredite aufnehmen. Deshalb ist eine solvente Unternehmung im Regelfall auch zahlungsfähig (liquide). Eine insolvente Unternehmung kann einen neuen Kredit („frisches Geld“) nur erhoffen, wenn sie Auflagen befolgt – Änderung des Geschäftsplans, Modifikation der Umsetzung, Neubesetzung des Managements – und wenn sie die Kapitalgeber dazu bringt, Änderungen hinzunehmen – etwa einem Moratorium zuzustimmen (Stillhalteabkommen, Zahlungsaufschubsabkommen) oder einen Haircut (Verzicht auf einen Teil der Forderungen) zu akzeptieren. Immer wieder sind Unternehmen überraschend insolvent geworden. Banken und Versicherungsgesellschaften (ebenso wie viele Industrieunternehmen) halten einen Teil ihres Vermögens als Wertpapiere. Wenn a) ein Kursrutsch eintritt und b) die Kursverluste in der Bilanz berücksichtigt werden, dann könnte dadurch das bilanzielle Eigenkapital aufgezehrt und die Unternehmung insolvent geworden sein. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sind dann oft bemüht, durch gewisse Bilanzierungsmöglichkeiten, durch direkte Hilfen, oder durch Neukonstruktionen – eine Auffanggesellschaft übernimmt die im Kurs gefallenen Wertpapiere – der Bank oder Versicherung es zu erlauben, das Eigenkapital als positiv zu bilanzieren. Selbstverständlich werden im Nachgang Vorschriften erlassen, nach denen Banken oder Versicherungen mehr Eigenkapital haben müssen.
7.8
Bilanzpolitik
Die Rücklagen oder offenen Reserven werden in der Bilanz (als Teil des Eigenkapitals) gezeigt, doch bei den sogenannten stillen Reserven ist das nicht der Fall. Stille Reserven entstehen durch eine Unterbewertung bei den Aktiven oder eine Überbewertung beim Fremdkapital. Durch die Erhöhung der stillen Reserven wird der Jahreserfolg in der Bilanz als geringer ausgewiesen. Um stille Reserven zu bilden, bieten sich mehrere Wege an. Beispielsweise könnten Vermögensgegenstände schneller abgeschrieben werden als sachgerecht ist. Sie sind am Ende der Abschreibungsdauer noch funktionsfähig und dienen der Unternehmung, doch ihr Bilanzwert ist auf einen Erinnerungswert reduziert. Die Unternehmung erhöht in guten Geschäftsjahren oftmals die stillen Reserven, um die Steuerbelastung zu reduzieren. Doch sie tut das nur, wenn die Eigentümer von den stillen Reserven Kenntnis haben und nicht denken, das Geschäftsjahr habe nur mit mäßigem Erfolg geendet.
112
II Unternehmertum
Ähnlich könnten in einem Geschäftsjahr bei den Bewertungen von Vermögenspositionen zu hoch gegriffen werden. Beispielsweise könnten zu lange Abschreibungsdauern verwendet werden oder der Wertansatz für Lagerbestände und Vorräte wird zu hoch gewählt. Dann werden stille Lasten gelegt. Das sind insofern Lasten, als die Falschbewertung eines Tages korrigiert werden muss und dann den Jahreserfolg reduziert. Sind Vermögenspositionen durch stille Lasten eher überbewertet, dann ist das bilanzielle Eigenkapital tendenziell zu hoch ausgewiesen. Ab und zu könnten angestellte Manager versucht sein, den Gewinn der Unternehmung als etwas höher auszuweisen und dazu stille Lasten zu legen. Wenn das Management später einmal ausscheidet, etwa aus Altersgründen, heißt es dann, der oder die Nachfolger müssten erst den „Keller aufräumen“, was heißt, dass sie Sonderabschreibungen vornehmen, um die stillen Lasten zu beseitigen. Rechnungslegungsvorschriften legen nicht nur generell fest, was bilanziert werden muss oder darf und welche Wertansätze zu wählen sind. Alle Rechnungslegungsvorschriften versuchen die Bewertungsspielräume einerseits einzuengen, damit die Klarheit erhöht wird. Andererseits soll den Unternehmen auch geholfen werden, denn sie leisten einen Beitrag zur Gesamtwirtschaft. Dazu werden Freiheiten bei der Bilanzierung geschaffen. Indes bestehen zwischen den verschiedenen Rechnungslegungsvorschriften Unterschiede hinsichtlich der Frage, welches die inhaltliche Aussage einer Bilanz letztlich sein soll:
Die deutsche Rechnungslegung nach HGB (Handelsgesetzbuch) ist darauf ausgerichtet, Gläubiger zu schützen. Sie verlangt eine vorsichtige Einschätzung des bilanziellen Eigenkapitals. In Deutschland hat die nach HGB erstellte Bilanz zudem eine enge Beziehung zur Steuerbilanz, die für die Bemessung der Unternehmenssteuern relevant ist. In den USA soll die Rechnungslegung eher eine Entscheidungsgrundlage für Investoren vermitteln. Sie soll zu einer wahren und fairen Ermittlung des Eigenkapitals verhelfen. In den USA sind zudem die Bilanzierung (für Entscheidungen der Investoren) und die Ermittlung der Grundlagen für die Steuerbemessung völlig unabhängig voneinander.
Immer wieder werden Wahlrechte bei der Bilanzierung thematisiert. Wahlrechte bestehen aus verschiedenen Gründen. a) So gelten etwa für die Bewertung von Positionen aus dem Umlaufvermögen leicht andere Grundsätze als beim Anlagevermögen. Das Unternehmen hat indes einen gewissen Gestaltungsraum bei der Entscheidung, wie sie Vermögensobjekte einteilt. b) Bei Intangibles (abstraktem Vermögen) ist für die Bilanzierung von Einfluss, ob es sich um Forschungsergebnisse oder Entwicklungsergebnisse handelt. Hier besteht ein gewisser Freiraum der Interpretation. c) Ähnlich kann die Unternehmung bei den Rückstellungen (Fremdkapital) eine sehr vorsichtige oder eine vorsichtige Einschätzung vornehmen. d) Gleiches gilt für Abschreibungen. e) Schließlich bestehen Wahlrechte, um Besonderheiten des Wirtschaftssektors berücksichtigen zu können. Die wichtigsten Rechnungslegungsvorschriften sind (1) die International Financial Reporting Standards (IFRS, früher IAS) für die internationale Rechnungslegung speziell für Konzernabschlüsse in Europa sowie (2) die US-amerikanischen Generally Accepted Accounting Principles (US-GAPP) für die Rechnungslegung in den USA. Außerdem seien die Deutschen Rechnungslegungsstandards (DRS) für die Anwendung der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung sowie die Rechnungslegung nach dem Handelsgesetzbuch HGB genannt.
7 Kapital
7.9
113
Fragen zur Lernkontrolle
1.
Was wird unter Kapitalkosten verstanden?
2.
Gehen Sie auf wichtige Unterschiede zwischen Eigen- und Fremdkapital ein und ordnen Sie ihre Antwort nach diesen Stichpunkten: Einkommen des Kapitalgebers, Rechte, Risiken, Besteuerung beim Kapitalgeber, Besteuerung beim Kapitalnehmer (Unternehmung).
3.
Mezzanine (Hybridkapital) kann beispielsweise in einer Krisensituation geschaffen werden: Fremdkapital wird in Eigenkapital gewandelt. a) Denken Sie, die Fremdkapitalgeber würden derartigen vertraglichen Änderungen zustimmen? b) Besteht das Ziel des Gläubigerschutzes darin, die Gläubiger zu schützen oder soll die Unternehmung vor den Gläubigern geschützt werden? c) Was ist in der Finance ein Haircut?
4.
Erläutern Sie die aufeinanderfolgenden Schritte bei einer Finanzierung!
5.
Wann wird von einer Verwässerung, wann von einer Teilung der Rechte gesprochen?
6.
a) Was wird unter dem Capital-Budgeting verstanden? b) Welche Argumente bestimmen die Kapitalstruktur? c) Wie wäre nach der Tradeoff-Theorie eine „optimale“ Kapitalstruktur bestimmt? d) Was besagt die Hackordnung der Finanzierung?
7.
a) Erklären Sie einer fachfremden Person mit wenigen Sätzen, was eine Bilanz zeigt. b) Wozu dienen und was sind Reserven, was Rückstellungen? c) Wie entstehen stille Reserven oder stille Lasten?
8.
Welche grundlegende Perspektive wird mit einer Bilanz nach deutscher Rechnungslegungsvorschrift angestrebt, welche bei US-amerikanischer Rechnungslegung?
7.10
Lernpunkte und Ergänzung
Der Kapitalbedarf einer Unternehmung ergibt sich aus dem Sachverhalt, dass die Unternehmung Investitionen tätigt, für die Auszahlungen sofort verlangt sind und Rückflüsse zeitlich später folgen – und mit Risiken behaftet sind.
Mit Kapitalkosten werden die Verwendung von Kapital, die Erwartungen und Ansprüche sowie die vertraglichen Forderungen der Kapitalgeber in den Entscheidungsrechnungen der Unternehmung berücksichtigt.
Eigen- und Fremdkapital haben verschiedene Merkmale. Eigenkapital ist in jedem Fall und schon wegen der unternehmerischen Risiken erforderlich. Vieles spricht dafür, Fremdkapital bei einer Unternehmensfinanzierung nicht grundsätzlich auszuschließen. Eines der Hauptargumente zugunsten des Fremdkapitals ist die steuerliche Behandlung von Wirtschaftsergebnissen, die als Zinsen an Fremdkapitalgeber ausbezahlt werden – im Unterschied zu Wirtschaftsergebnissen, die den Eigenkapitalgebern zugerechnet werden. Dieser steuerliche Vorteil ist indes gering, wenn das Zinsniveau gering ist.
Die Bilanz ist eine auf einen Stichtag bezogene Darstellung des Werts der Vermögenspositionen (Aktiva) einerseits und des Werts von Verpflichtungen (Fremdkapital) plus des Werts des Eigenkapitals (Passiva) andererseits. Die Bilanz resultiert aus den Geschäftsvorgängen der Vergangenheit. Ist der bilanzielle Wert des Eigenkapitals positiv, dann wird die Unternehmung als solvent bezeichnet. Ist er negativ, dann wird sie als
114
II Unternehmertum
insolvent bezeichnet. Durchaus kann eine solvente Unternehmung eine „leere Kasse“ haben und ebenso könnte eine insolvente Unternehmung noch über Geld und Sichtguthaben bei Banken verfügen.
Die in Chapter 11 des Insolvenzrechts der USA beschriebenen Bestimmungen sollen es einer Unternehmung ermöglichen, bei einer Insolvenz eine Fortführung zu versuchen – auch gegen den Wunsch der Gläubiger. Ziel ist dann eine Reorganisation (Kostensenkung, Verkauf von Unternehmensteilen) und eine Restrukturierung (Verhandlung mit Fremdkapitalgebern über Veränderung von Krediten, eventuell mit teilweisem Forderungsverzicht, Neueinzahlung von Eigenkapital) zu erreichen.
Zur Ergänzung: Abschreibungen des Goodwills bei einer Akquisition: Der Goodwill oder Firmenwert ist der Unterschied zwischen dem bezahlten Kaufpreis und dem Buchwert des Eigenkapitals der übernommenen Firma. Der Goodwill kann ökonomisch berechtigt sein oder, was öfters vorkommt, eine Überzahlung darstellen, die das Management der kaufenden Unternehmung geleistet hat. Für das Bilanzbild und den Jahreserfolg des Käufers ist relevant, ob und wie der Goodwill abgeschrieben wird. In Deutschland besteht die Pflicht, Goodwill in längstens 15 Jahren abgeschrieben zu haben. In den USA darf der Goodwill als Vermögensposition weiter bestehen bleiben – wobei in einer jährlichen Prüfung (Imparement Test) von der Wirtschaftsprüfung entschieden wird, ob Sonderabschreibungen nötig erscheinen oder nicht. Beispiel: Ein Manager könnte versucht sein, für die Dauer seiner Amtszeit eine stetige Verbesserung der Geschäftsentwicklung auszuweisen. Dazu wird der Manager nach Neueinstellung und nach einer Einarbeitungszeit von 100 Tagen entdecken, dass es „im Keller viele Leichen“ gibt, das heißt, stille Lasten: Die Vorräte sind überbewertet, die Rückstellungen nicht ausreichend bemessen, einige Produktionsmittel zu hoch bewertet. Die fälligen Korrekturen verlangen Sonderabschreibungen sowie die Erhöhung der Rückstellungen. Dadurch wird das bilanzierte Vermögen geringer, die Verpflichtungen höher, das bilanzielle Eigenkapital also geringer. Eventuell führt die Neueinschätzung bei der Bilanz zu starken Kursrückgängen bei Aktien. Durch den Schock wird ein guter Ausgangspunkt für die Bilanzen (und die Kursentwicklung) in den kommenden Jahren geschaffen. Der Manager wird in den folgenden Jahren die Bilanz „pflegen“. Ein Instrument dazu sind Akquisitionen und der Verzicht auf Abschreibungen auf den Goodwill, was nach US-GAAP erlaubt ist (sofern der Imparement Test bestanden wird). Möglicherweise werden dadurch stille Lasten von Neuem aufgebaut.
8
Jahreswirtschaftsergebnis
Wie wird das Wirtschaftsergebnis einer Periode – meistens ein Geschäftsjahr – am besten gemessen? In Frage kommen Größen wie Gewinn, Cashflow, EBIT und EBITDA. Wie sind sie definiert und wie hängen sie zusammen? Die Antworten verlangen einen Einblick in die externe Rechnungslegung. Die Themen: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
8.1
Aufwand und Ertrag Jahreserfolg Cashflow Finanzkraft EBIT EBITDA Fragen zur Lernkontrolle Lernpunkte und Ergänzung
Aufwand und Ertrag
Selbstverständlich gibt es zahllose Vorgänge in einer Unternehmung, die weder ihr Vermögen noch ihre Schulden (Wert des Fremdkapitals) betreffen und die auch keine Änderung beim Eigenkapital darstellen. Doch die Unternehmung verfolgt das erwerbswirtschaftliche Prinzip und wird daher Maßnahmen, Verrichtungen und Vorgänge ergreifen und abwickeln, die gerade das Vermögen oder die Schulden betreffen. Wir gehen einigen Beispielen solcher Vorgänge nach und stellen uns dazu vor, gleich nach dem Vorgang wäre eine neue Bilanz zu erstellen. Ab und zu nehmen wir die für eine Einführung verlangten Vereinfachungen vor. Am einfachsten ist der Blick auf eine Lohnzahlung. Die Zahlungsmittelbestände (Kasse oder Bankguthaben) werden verringert. Durch den neuen, geringeren Wert des Vermögens wird das Eigenkapital geringer (sofern beim Fremdkapital keine Veränderungen eintreten). Reduktionen des bilanziellen Werts des Eigenkapitals – Ausschüttungen oder eine Kapitalherabsetzung bleiben ausgeklammert – werden als Aufwand bezeichnet. Ebenso entsteht Aufwand, wenn sich die Schulden erhöhen. Beispielsweise trifft eine Rechnung ein, etwa von einem Sozialversicherungsträger, und so entsteht eine neue Forderung. Auch wenn sie erst später beglichen wird, ist durch die Forderung das Eigenkapital geringer geworden.
116
II Unternehmertum
Noch zwei weitere Beispiele für Aufwand: Durch einen überraschenden Schaden kann der Wert eines Aktivums betroffen sein. Dann wird (in aller Regel) der neue Wertansatz berücksichtigt, indem der alte Wert reduziert oder abgeschrieben wird. Abschreibungen, Wertkorrekturen bei Vermögenspositionen, stellen Aufwand dar. Ganz ähnlich können neue Verpflichtungen entstehen, durch deren Berücksichtigung in der Bilanz der Wert des Fremdkapitals steigt und (bei unveränderten Aktiven) der Bilanzwert des Eigenkapitals zurückgeht. Auch das Entstehen solcher Verpflichtungen ist Aufwand. Viele Maßnahmen, Verrichtungen, Vorgänge bewirken indessen eine Erhöhung des Vermögens oder eine Reduktion der Schulden. Insgesamt steigt das bilanzielle Eigenkapital. Dem Vorgang wird das Attribut des Ertrags beigemessen. Erhöhungen des Eigenkapitals – Einlagen seitens der Eigenkapitalgeber bleiben ausgeklammert – werden als Ertrag bezeichnet. Beispielsweise wird ein Produkt verkauft. Dann wird zwar der Lagerbestand im Wert etwas verringert, doch der Verkaufspreis dürfte höher sein, und insgesamt nimmt das Vermögen zu. Der Verkaufserlös erhöht den Bestand an Zahlungsmitteln, wenn der Kunde bezahlt, doch auch wenn der Kunde erst später zahlt, ist eine Forderung zugunsten der Unternehmung entstanden, sobald sie eine Rechnung ausgestellt hat. Auch die von der Unternehmung (mit Grund) erhobenen Forderungen erhöhen das Vermögen. Eine von einem Lieferanten an das Unternehmen gestellte Rechnung und Forderung zu bezahlen, erhöht den Debitorenbestand (Teil der Schulden des Unternehmens). Eine von dem Unternehmen an einen Abnehmer und Kunden gestellte Rechnung erhöht den Kreditorenbestand der Unternehmung. Da die Forderungen in beiden Richtungen kurzfristig erfüllt werden müssen, ist der Unterschied Kreditoren (soll die Firma bekommen) – Debitoren (muss sie zahlen) wichtig für die Liquiditätsplanung. Wenn die Unternehmung die Debitorenbestände gering hält, weil sie immer schnell zahlt, macht sie sich Freunde. Wenn die Unternehmung hohe Kreditorenbestände akzeptiert, um von Kunden Aufträge zu erhalten, hat sie aber irgendwann einmal nur Kunden, die finanzielle Probleme haben. Selbstverständlich sind Vorgänge denkbar, bei denen sowohl das Vermögen als auch die Schulden sich um denselben Betrag (in den relevanten bilanziellen Wertansätzen) entweder erhöhen oder reduzieren. Solche Vorgänge werden als erfolgsneutral bezeichnet. Ein Beispiel ist die Aufnahme oder die Rückzahlung eines Bankkredits: Bei der Kreditaufnahme erhöht sich mit der Einzahlung des Kreditbetrags seitens der Bank der Zahlungsmittelbestand des Unternehmens. Das Vermögen wird größer. Gleichzeitig erhöht die später fällige Forderung aus dem Kreditgeschäft die Schulden um denselben Betrag. Insgesamt bleibt das Eigenkapital unverändert. Die Bilanzsumme erhöht sich. Man sagt, die Bilanz wird verlängert. Wird später der Kreditbetrag zurückbezahlt, dann fließen Zahlungsmittel ab und das Vermögen wird geringer. Gleichzeitig mit der Tilgung (planmäßige oder außerplanmäßige Rückzahlung von Schulden) wird der Wert des Fremdkapitals des Unternehmens reduziert. Die Bilanzsumme wird geringer, die Bilanz verkürzt. Auch dieser Vorgang ist erfolgsneutral. Zwischendurch sind Zinszahlungen fällig. Sie stellen für das Unternehmen Aufwand dar.
8 Jahreswirtschaftsergebnis
8.2
117
Jahreserfolg
Wird von Kapitalerhöhungen gegen Einlage oder von Ausschüttungen abgesehen, dann errechnet sich aus dem Eigenkapital EK0 einer Anfangsbilanz zu Beginn eines Geschäftsjahres das Eigenkapital EK1 der zum Ende des Geschäftsjahres aufgestellten Schlussbilanz, indem das anfängliche Eigenkapital um alle Erträge erhöht und um alle Aufwendungen verringert wird, die während des Geschäftsjahres zu verzeichnen – und zu verbuchen – sind. Wir können das wie folgt ausdrücken: EK1 = EK 0 + ∑ Ertragi − ∑ Aufwand j i
(8-1)
j
Der Unterschied zwischen der Summe aller Erträge in einem Geschäftsjahr und der Summe aller Aufwendungen heißt Jahreserfolg. Wenn der Jahreserfolg positiv ist, wird er als Jahresüberschuss angesprochen; ist er negativ als Jahresfehlbetrag: Jahresüberschuss/Jahresfehlbetrag = ∑ Ertrag i − ∑ Aufwand j i
(8-2)
j
Um vom Jahreserfolg auf den Bilanzgewinn oder den Bilanzverlust zu kommen, müssen noch die Rücklagen oder offenen Reserven (Eigenkapital) beachtet werden. Sie werden – eine Festlegung, die Eigenkapitalgeber treffen – bei der Erstellung der Bilanz erhöht (Einweisung in die Rücklagen) und sie können auch reduziert werden:
Jahresüberschuss/Jahresfehlbetrag + /− Gewinn /Verlustvortrag aus Vorjahr + /− Einweisung in Rücklagen = Bilanzgewinn/Bilanzverlust
(8-3)
Der Bilanzgewinn bildet die Basis für die weitere Entscheidung der Eigentümer. Sie legen fest, welcher Teil des Bilanzgewinns ausgeschüttet werden soll, und welcher Teil von der Unternehmung einbehalten wird. Der einbehaltene Teil wird noch so ausgewiesen, dass ein meist kleiner Teil davon als Gewinn auf das nächste Geschäftsjahr vorgetragen wird. Noch ein Blick auf die bilanziellen Wirkungen einer Kapitalerhöhung. Bei einer Kapitalerhöhung gegen Einlage zahlen die angesprochenen Eigenkapitalgeber insgesamt einen Geldbetrag ein. Das bewirkt eine Erhöhung des Zahlungsmittelbestands. Der einbezahlte Geldbetrag wird rechnerisch in zwei Teile zerlegt. Ein Teil wird in der Bilanz als Erhöhung des Eigenkapitals gezeigt, der restliche Teil als Erhöhung der Rücklagen. Der Vorgang wird nicht als Ertrag betrachtet, doch ist die Bilanzsumme größer. Umgekehrt wirken Kapitalherabsetzungen. Für Kapitalherabsetzungen wurden besondere Vorschriften geschaffen, um die Gläubiger zu schützen. Für die Darstellung der Erträge und Aufwendungen eines Geschäftsjahres sowie den Ausweis des Jahreserfolgs (Bilanzgewinn beziehungsweise Bilanzverlust) haben alle Unternehmungen eine eigenständige Rechnung, die Gewinn- und Verlustrechnung (GuV). Die GuV wird seit Jahrhunderten auf Grundlage der Buchhaltung erstellt, in der alle relevanten Geschäftsvorgänge einzeln erfasst werden – vergleichbar mit den Summenbildungen in (8-1) und (8-2). Die Buchhaltung ist für alle Kaufleute Pflicht (in Deutschland nach § 238 HGB). Sie beruht auf einem als doppelte Buchführung oder doppelte Buchhaltung be-
118
II Unternehmertum
kannten System. Es wurde insgesamt und in geschlossener Form erstmals von dem Mathematiker und Franziskaner LUCA PACIOLI) (1445–1514/17) dargestellt. Zunehmend stellen auch Kommunen ihre Jahresrechnung von der Kameralistik auf die doppelte Buchhaltung um. In der Kameralistik werden nur Einzahlungen und Auszahlungen verbucht. Das Ziel ist letztlich die Kontrolle der Kasse. Mehr kann die Kameralistik nicht erreichen. Bei Umstellung auf die „Doppik“ müssen die Kommunen neu auch Abschreibungen betrachten. So kontrollieren sie das kommunale Vermögen und den Zustand beispielsweise der Wasserwerke und der Werkhöfe. Außerdem kontrollieren die Kommunen mit der Doppik über die Passivierung ihre Verpflichtungen und damit die demnächst fälligen Auszahlungen. Da dann Gewinne und nicht so sehr Zahlungsüberschüsse betrachtet werden, kommt es bei der Doppik im Dezember auch nicht zu fiebriger Aktivität, unverbrauchtes Geld noch schnell auszugeben. Allerdings sind Versuche, die Doppik für Gemeinden, Länder oder Staaten einzuführen, immer wieder gescheitert. Einige Gebietskörperschaften streben nur an, die Kameralistik um einige Rechnungselemente zu ergänzen, um die Kosten der an die Einwohner abgegebenen Dienste errechnen zu können.
8.3
Cashflow
Einige Menschen möchten wie Dagobert Duck – der von 1947 vom Comicautor CARL BARKS (1901–2000) erfundene Onkel von Donald Duck – in ihrem Geld baden. Sie können wenig damit anfangen, wenn der Erfolg der Mühen eines Jahres zwar durch den Bilanzgewinn ausgedrückt wird, aber der Bilanzgewinn nicht Hand in Hand mit einer Erhöhung des Zahlungsmittelbestandes (Kasse und Bankguthaben) einhergeht. Die gewünschte Kopplung von Bilanzgewinn und Erhöhung des Zahlungsmittelbestands ist zwar bei einigen Vorgängen gegeben, doch eben nicht bei allen.
Viele Umsatzerlöse werden von gleichzeitigen Einzahlungen begleitet, doch ab und zu erhöhen sich nur die Forderungen gegenüber Kunden (Kreditoren). Eine Verringerung bei den Rückstellungen erhöht den Bilanzgewinn, bewirkt aber keine Erhöhung des Bestands an Zahlungsmitteln. Andererseits können Bankguthaben und Kasse in einem Jahr deutlicher zugenommen haben, als der Bilanzgewinn vermuten lässt. Das geschieht vor allem durch Abschreibungen. Abschreibungen sind Aufwand und reduzieren den Jahreserfolg, doch zu Auszahlungen kommt es erst, wenn der Vermögensgegenstand ersetzt wird. Ähnlich wirken Erhöhungen der Rückstellungen. Buchgrößen wie Erträge und Aufwendungen sind zwar oft von Einzahlungen oder Auszahlungen der Unternehmung begleitet. Doch es gibt gleichermaßen Erträge und Aufwendungen, bei denen entsprechenden Zahlungen erst später eintreten. Von daher wünschen sich die Kapitalgeber und andere Personen neben Bilanz und GuV weitere Rechnungen, die stärker auf Geldbeträge ausgerichtet sind. Im Zentrum dieser Rechnungen steht der Cashflow. Der Cashflow (Geldfluss, Kassenzufluss) ist der mit Geschäftstätigkeit erzielte Nettozufluss liquider Mittel (Zahlungsmittelbestand) während einer Periode.
8 Jahreswirtschaftsergebnis Tabelle 8-1:
119
Die direkte Herleitung des Cashflows einer Periode.
Jahresumsatz – Löhne – Vorleistungen = Brutto-Cashflow (Wirtschaftsleistung) – Zinszahlungen – Steuern = Cashflow
Um den Cashflow zu definieren, wählen wir den Weg, ihn aus den Umsatzerlösen der Periode herzuleiten. Das ist der direkte Weg zur Ermittlung des Cashflows. So können auch Cashflows für eine zukünftige Periode geschätzt werden, denn die Umsatzerlöse der kommenden Periode(n) können in vielen Fällen recht gut prognostiziert werden. Kapitalgeber erkennen, dass Rückflüsse aus den realwirtschaftlichen Investitionen über den Absatz hereinkommen. Produktionskapazitäten, Mitarbeitende, gute Ideen und gute Organisation nützen aus Sicht der Kapitalgeber wenig, wenn sie sich nicht in Umsatzerlösen niederschlagen. Zur Vereinfachung soll der Umsatz noch im selben Jahr von entsprechenden Einzahlungen begleitet sein. Den Einzahlungen aus dem Absatz stehen Auszahlungen gegenüber: 1. Löhne. 2. Vorleistungen (Auszahlungen für die Beschaffung von Produktionsfaktoren: Material, Energie, Miete, Lizenzgebühren). Deshalb werden vom Jahresumsatz die Lohnsumme und die Vorleistungen abgezogen. Es folgt der sogenannte Brutto-Cashflow oder die Wirtschaftsleistung. Da die Umsätze, die Löhne und die Vorleistungen Zahlungen sind, ist die Wirtschaftsleistung ein Geldbetrag. Er wird in der Periode erzeugt. Auf den Brutto-Cashflow erheben Eigenkapitalgeber, Fremdkapitalgeber und der Fiskus Ansprüche. Der Staat verlangt Steuern und die Fremdkapitalgeber Zinszahlungen. Damit sind diese beiden Gruppen korrekt bedient. Der restliche Teil ist der Cashflow. Der Cashflow beschreibt die in der Periode als Geldbetrag zugeflossene Wirtschaftsleistung, die den Eigenkapitalgebern zukommt. Der Cashflow ist die (bare) Wirtschaftsleistung einer vergangenen oder zukünftigen Periode abzüglich der Teile, die Fremdkapitalgeber und Fiskus beanspruchen. Im Vergleich zum Jahresüberschuss oder einem Bilanzgewinn kann der Cashflow recht groß sein. Das liegt vor allem daran, dass die in der Periode vorgenommenen Abschreibungen als (unbarer) Aufwand zwar den Gewinn verringern, dennoch aber die Abschreibungen über die Umsatzerlöse in die Kasse fließen – sofern die Unternehmung die Absatzpreise so hoch setzt, dass auch der Wertverzehr bei den Anlagen und Einrichtungen gedeckt ist. Eine Erhöhung der Rückstellungen wirkt ähnlich. Wenn Eigenkapitalgeber eine Unternehmung als eine zu ihren Gunsten laufende „Gelderzeugungsmaschine“ ansehen, dann ist das Periode für Periode für sie „erzeugte Geld“ mit den Cashflows gleichzusetzen.
120
II Unternehmertum
Aufgrund dessen wird oft der Cashflow vereinfacht als Gewinn plus Abschreibungen plus Nettoeinweisung in die Rückstellungen ermittelt. Noch einfacher: Cashflow = Gewinn plus Abschreibungen. In der amerikanischen Literatur wird vielfach der Brutto-Cashflow abzüglich Steuern als „Cashflow“ bezeichnet. Der Cashflow nach amerikanischer Definition ist dann ein Geldbetrag, der allen Kapitalgebern – Fremd- und Eigenkapitalgebern zusammengenommen – zukommt. Die hier als Cashflow bezeichnete Größe wird im amerikanischen Schrifttum als Flow to Equity angesprochen.
8.4
Finanzkraft
Nun ist es nicht so, dass das Management der Unternehmung den Cashflow bekannt gibt und die Eigenkapitalgeber fragt, wie er verwendet werden sollte. Zu leicht könnten Eigenkapitalgeber für eine möglichst volle Ausschüttung stimmen. Es würde dann kein Teil der Wirtschaftsleistung in der Unternehmung bleiben, etwa um später Ersatz für alternde Produktionskapazität bezahlen zu können. Die Unternehmung würde gleichsam ausbluten, was alle als abträglich ansehen würden, die eine Fortführung wünschen. Deshalb begrenzen gesetzliche Vorschriften die Ausschüttung oder Entnahme des gesamten Cashflows. Wenn nicht der gesamte Cashflow ausgeschüttet wird, entsteht die Frage, wer über die Verwendung entscheiden sollte. Die Verwendungsmöglichkeiten gehen tief in die Geschäftsführung hinein, weshalb das Management bei der Verwendung des Cashflows mitreden möchte. Die meisten Manager denken, sie sollten die Verwendung des Cashflows vorschlagen und die Eigenkapitalgeber sollten den Verwendungsvorschlag hinnehmen. Dies geschah in der Praxis oft genau so. Allerdings wurden dann teils Investitionen getätigt, die wenig rentabel waren. Heute werden hier und da Eigenkapitalgeber aktiv und wollen das Management zu einer anderen Verwendung des Cashflows zwingen. Hedge-Funds entwickeln konträre Vorstellungen über die Verwendung des Cashflows als das Management. Ein Hedge-Fund kann drohen, das Management auswechseln, wenn es nicht den Cashflow wie gewünscht einsetzt. Das kann konkret bedeuten, dass ein Hedge-Fund verlangt, die als Zahlungsmittel erwirtschafteten Gegenwerte der Abschreibungen nicht „einfach“ dazu zu verwenden, die bestehenden Maschinen, Anlagen und Einrichtungen zu erneuern. Staat dessen könnte ein Hedge-Fund einen Strategiewechsel einleiten, um mit dem Cashflow eine völlig neue Produktion aufzubauen. Über den Cashflow wird das Management allein disponieren wollen, doch letztlich können die Eigenkapitalgeber die geplante Verwendung beeinflussen und kontrollieren. In diesem Sinn kommt der Cashflow in den Verfügungsbereich der Eigenkapitalgeber. Wie wird der Cashflow verwendet? Ein Teil des Cashflows wird an die Eigenkapitalgeber ausgeschüttet beziehungsweise als Dividende gezahlt. Zwar entscheidet die Versammlung der Eigenkapitalgeber über diesen Teil, doch wird vielerorts eine Politik der konstanten und gleichmäßig mit der Unternehmung wachsenden Ausschüttungen gepflegt. Außerdem werden oftmals Boni ausbezahlt. Der verbleibende restliche Teil des Cashflows – oft ist dies der
8 Jahreswirtschaftsergebnis
121
größte Teil – kann vom Management und von den Eigenkapitalgebern wie auch immer verwendet werden. Hier sind einige Möglichkeiten für die Verwendung des nach Ausschüttungen und Boni verbleibenden Cashflows: 1. Die Unternehmung kann Ersatzinvestitionen oder Erweiterungsinvestitionen im Rahmen der bisherigen Strategie realisieren. 2. Sie kann auf Ersatzinvestitionen verzichten und stattdessen Investitionen tätigen, welche die Unternehmung, ihre Standorte, die Strategie oder den Produktbereich verändern. 3. Die Unternehmung kann eine Barreserve bilden oder ihren Bestand an liquiden Mitteln erhöhen, etwa durch Kauf von Wertpapieren. Hierbei wird die Entscheidung über eine Realinvestition verschoben. 4. Die Unternehmung kann Schulden zurückzahlen. 5. Selbstverständlich kann die Unternehmung Maßnahmen bezahlen, die ihrer gesellschaftlichen Verantwortung entsprechen und sie kann dies zeigen. Schließlich kann dieser restliche Teil des Cashflows ebenso für Konsum innerhalb der Unternehmung ausgegeben werden. Wenn von den letzten beiden Verwendungsarten abgesehen wird, lassen sich die Verwendungen des nach Ausschüttungen und Boni bleibenden Cashflows als Investitionen ansehen, die durch den nichtausgeschütteten Cashflow bezahlt werden: Investitionen zur Fortführung der bisherigen Strategie, Investitionen für den Beginn einer neuen Strategie, Investitionen in Finanzanlagen (und damit in den Aufbau eines Potenzials späterer Verwendung etwa für Akquisitionen). Diese drei Investitionen werden nicht über neue Aufnahme von Fremdkapital oder eine Kapitalerhöhung durch Einlagen finanziert, sondern gleichsam „von innen heraus“. Diese Art der Finanzierung heißt Innenfinanzierung: Innenfinanzierung = Cashflow − Ausschüttung − Boni
(8-4)
Anstelle von Innenfinanzierung wird auch von der Finanzkraft der Unternehmung gesprochen. Die Finanzkraft wird allgemein – auch von Fremdkapitalgebern – als Zeichen erfolgreichen Wirtschaftens angesehen. Immer mehr interessieren sich auch Banken für die Finanzkraft, schon weil sie auch für die Rückzahlungen von Schulden verwendet werden könnten. Die Verwendung der Innenfinanzierung oder Finanzkraft – grundsätzlich zwar im Verfügungsbereich der Eigenkapitalgeber – wird de facto vom Management festgelegt. Ein Fazit:
Der Brutto-Cashflow kommt als (bare) Wirtschaftsleistung der Periode oder des Jahres den Eigenkapitalgebern, den Fremdkapitalgebern und dem Fiskus zu. Der Cashflow misst den in der Periode von der Unternehmung erzeugten Geldbetrag, der in den Verfügungsbereich der Eigenkapitalgeber kommt. Ein Teil wird entnommen, ein Teil als Boni ausbezahlt. Der restliche Teil drückt die Finanzkraft aus und das Potenzial an Innenfinanzierung. Über die Verwendung der Innenfinanzierung oder Finanzkraft wird de facto vom Management allein entschieden, es sei denn, besonders aktive Eigenkapitalgeber setzen eine andere Verwendung durch. Die Finanzkraft kann traditionell dazu verwendet werden, den Zahn der Zeit bei bestehenden Einrichtungen durch Ersatz aufzuhalten und eventuell die Kapazität zu erweitern.
122
II Unternehmertum
Die Finanzkraft kann stattdessen auch dazu verwendet werden, eine ganz neue Richtung aufzubauen. Jedenfalls zeigt die Finanzkraft das Potenzial für den Werterhalt und die Wertsteigerung zugunsten der Eigenkapitalgeber.
8.5
EBIT
Üblich ist, bei der Betrachtung der Wirtschaftsleistung den Kreis der Begünstigten weiter zuziehen und zumindest die Fremdkapitalgeber mit einzubeziehen (so wie es die Amerikaner bei ihrer Definition des Cashflows tun). Man würde so die Wirtschaftsleistung zugunsten aller Kapitalgeber betrachten. Da die Steuern nicht nur von der Wirtschaftsleistung abhängen, die in der Summe den Eigen- und Fremdkapitalgebern gemeinsam zukommt, sondern auch von der Kapitalstruktur (also der Aufteilung dieses Ergebnisses innerhalb der Gruppe aller Kapitalgeber), wird der Kreis der Begünstigten im Allgemeinen gleich so weit geöffnet, dass auch der Fiskus mit einbezogen wird (Abbildung 8-1).
Kunden Zulieferanten
Staat Fremdkapitalgeber
Löhne
Unternehmung
Eigenkapitalgeber Steuern
Brutto-Cashflow
Umsatzerlöse
Vorleistungen
Mitarbeitende
EBIT
Zinsen
Gewinn Cashflow Abschreibungen
Abbildung 8-1:
Dividende Innenfinanzierung
Wo kommt das Geld her und wo fließt es hin? Wie aus den Umsatzerlösen der Cashflow beziehungsweise der EBIT entsteht, welche Zusammenhänge es zwischen diesen und dem Gewinn gibt.
Die für Eigenkapitalgeber, Fremdkapitalgeber und den Fiskus relevante Beschreibung des Wirtschaftsergebnisses ist die Summe aus Bilanzgewinn, Zinszahlungen und Steuern. Sie wird als Gewinn (Earnings) vor Zinszahlungen und Steuern bezeichnet, üblicherweise als Earnings Before Interest and Taxes angesprochen und mit EBIT abgekürzt. Der EBIT entspricht demnach dem Gewinn, nur ist der Kreis der Berechtigten weiter gezogen und schließt neben den Eigenkapitalgebern auch die Fremdkapitalgeber und den Fiskus ein.
8 Jahreswirtschaftsergebnis
123
Die Formel lautet: EBIT = Bilanzgewinn + Zinsen + Steuern
(8-5)
Erinnert man sich an den – vereinfachten – Zusammenhang zwischen Cashflow und Gewinn (Gewinn = Cashflow + Abschreibungen) und daran, wie der Cashflow aus dem Brutto-Cashflow entsteht, so erweist sich der EBIT als gleich dem Brutto-Cashflow abzüglich Abschreibungen: EBIT = (Cashflow − Abschreibungen) + Zinsen + Steuern = = (Cashflow + Zinsen + Steuern) − Abschreibungen = = Brutto-Cashflow − Abschreibungen
(8-6)
Der EBIT ist als echte Wirtschaftsleistung bereits um den in dem Jahr eingetretenen und durch die Abschreibungen gemessenen Wertverlust korrigiert. Der EBIT ist daher ein Mehrwert zugunsten aller Kapitalgeber und des Staates. Der EBIT wird daher als Betriebsgewinn bezeichnet.
8.6
EBITDA
Werden die Abschreibungen zum EBIT addiert, so entsteht wieder der Brutto-Cashflow. Der Brutto-Cashflow ist damit der EBIT „vor Abschreibungen“. Im Englischen werden die Abschreibungen auf das Sachvermögen als Depreciation und die auf das immaterielle Vermögen als Amortization bezeichnet. Somit ist diese Größe gleich den Earnings Before Interest, Taxes, Depreciation and Amortization, den EBITDA: EBITDA = EBIT + Abschreibungen = Brutto-Cashflow
(8-7)
Berichte und Planungen, die auf den EBIT oder den EBITDA abstützen, sind näher am Betriebsgeschehen und der Erzeugung der wirtschaftlichen Leistung als Gewinn und Cashflow. Immerhin sind mit EBIT und EBITDA Ländervergleiche (unterschiedliche Besteuerung) möglich. Die beiden Größen Gewinn und Cashflow erfassen hingegen die Art der Verteilung, weil sie zeigen, was den Eigenkapitalgebern zugutekommt. Deshalb werden in Planungen und Analysen der EBIT und der EBITDA sogar noch öfters als der Gewinn und der Cashflow verwendet. Es ist eine Best-Practice bei der Unternehmensanalyse, den Kreis der Berechtigten so zu erweitern, dass er Eigenkapitalgeber, Fremdkapitalgeber und den Fiskus umfasst. Das drückt sich in der Sprechweise aus: Der EBIT wird als Betriebsgewinn bezeichnet. Dieser Betriebsgewinn ist jedoch nicht der „Gewinn aus betrieblicher Tätigkeit“. Der Betriebsgewinn ist gleich dem Gewinn der Unternehmung plus Steuern und Zinszahlungen. Die Zusammenhänge sind im Diagramm (Abbildung 8-2) veranschaulicht. Wir versuchen ein Fazit: Wenn die Eigenkapitalgeber sich dafür interessieren, wie viel entnommen oder ausgeschüttet werden kann, ohne den Fremdkapitalgebern dadurch zu schaden in dem Sinn, dass das Eigenkapital als Haftungsgrundlage verringert wird, dann achten sie auf den Gewinn.
124
II Unternehmertum
Cashflow
minus Zinsen, minus Steuern
Gewinn
minus Abschreibungen
minus Zinsen, minus Steuern
minus Abschreibungen
Brutto-Cashflow = EBITDA
EBIT
Abbildung 8-2:
Der Zusammenhang zwischen EBITDA (Brutto-Cashflow) und Cashflow entspricht dem zwischen EBIT und Gewinn.
Wenn das Management (oder aktive Eigenkapitalgeber) die Finanzkraft bemessen wollen, um zu sehen, welche Ersatzinvestitionen, Erweiterungsinvestitionen und völlige Neuinvestitionen ganz ohne neue Finanzkontrakte finanziert werden können, dann achten sie auf den Cashflow. Wer Berichte und Planungen wünscht, die näher am Betriebsgeschehen und der Erzeugung der gesamten Wirtschaftsleistung stehen (als dass sie die Verwendung der Ergebnisse im Auge haben), der wird die Berichte und Planungen auf den EBIT oder den EBITDA abstützen. Zur Messung des Wirtschaftsergebnisses eines Jahres müssen zwei Fragen beantwortet werden. Erste Frage: Ist nach dem Ergebnis gefragt, das zugunsten der Eigenkapitalgeber erwirtschaftet wurde? Oder ist das Ergebnis gesucht, das zugunsten Eigen- und Fremdkapitalgeber sowie zugunsten des Fiskus erzielt wurde? Zweite Frage: Ist nach dem Ergebnis gefragt, so wie es sich im Rechnungswesen zeigt? Oder ist ein Ergebnis im Sinne der Änderung des Bestands an Zahlungsmitteln gesucht? Entsprechend bieten sich vier Größen, die nochmals in der Tabelle 8-2 gezeigt sind: Tabelle 8-2:
Vier Größen, die das Wirtschaftsergebnis ausdrücken. Zugunsten allein der Eigenkapitalgeber?
Zugunsten der Eigen- und Fremdkapitalgeber sowie zugunsten des Fiskus?
… ökonomisches Ergebnis im Sinn von Bilanz und GuV
Bilanzgewinn
EBIT
… Ergebnis als erzeugter Geldbetrag
Cashflow
Brutto-Cashflow / EBITDA
Wirtschaftsergebnis …
8 Jahreswirtschaftsergebnis
8.7 1.
2.
3.
4. 5.
6.
7.
Fragen zur Lernkontrolle
In diesem Kapitel ist LUCA PACIOLI genannt worden, der die doppelte Buchhaltung zwar nicht erfunden, aber ihr Gesamtsystem erstmals dargestellt hat. a) Orientieren Sie sich, wenn Sie nicht über die doppelte Buchhaltung bereits alles wissen. b) Versuchen Sie, einer fachfremden Person in dem Gebiet in drei Minuten das Wichtigste der doppelten Buchhaltung zu erklären. Oft verwechselt werden Debitoren und Kreditoren. a) Geben Sie eine Definition. b) Ein Unternehmer möchte seinen Kunden „entgegen kommen“ und lässt dazu die Erhöhung der Kreditorenbestände zu. Welche Wirkung hat dies auf den Gewinn und welche auf den Cashflow? Im Automobilbau sind immer hohe Abschreibungen vorzunehmen, weil Formen und Werkzeuge nach kurzer Zeit obsolet werden. Die Cashflows liegen in der Automobilindustrie daher deutlich über den Bilanzgewinnen. Wer entscheidet, ob die Cashflows für Ersatzinvestitionen, völlige Neuinvestitionen oder für Finanzinvestitionen verwendet werden? Verändern sich, und wenn ja wie, Bilanzgewinn oder Cashflow, wenn die Unternehmung in dem Jahr stille Reserven bildet? Was geschieht, wenn sie stille Lasten bildet? Jemand behauptet: Der Gewinn wird aufgrund der Vorsicht beim Jahresabschluss eher gering ausgewiesen, weshalb der Cashflow ein genaueres Bild über das Wirtschaftsergebnis zeichnet. Erläutern Sie diese Aussage und geben Sie einen Kommentar. Ein Unternehmer wird nach dem Jahreswirtschaftsergebnis gefragt, und zwar a) von Aktionären, b) von allen Kapitalgebern. Welche der vier Größen EBITDA, EBIT, Cashflow, Gewinn würden Sie für die Kommunikation vorschlagen? c) Nun soll intern eine völlige Neuausrichtung überlegt werden und es wird geprüft, ob die Finanzkraft dazu ausreicht. Wie wird die Finanzkraft gemessen? Inwiefern darf gesagt werden, EBIT und EBITDA seien näher an der Erzeugung, Gewinn und Cashflow näher an der Verteilung des Jahreswirtschaftsergebnisses?
8.8
125
Lernpunkte und Ergänzung
Mit den Attributen Aufwand und Ertrag werden Geschäftsvorfälle versehen, bei den sich das bilanzielle Eigenkapital in seiner Höhe verändert. Der Jahresüberschuss (beziehungsweise Jahresfehlbetrag) ist die Summe aller Erträge abzüglich der Summe aller Aufwendungen während des Geschäftsjahres. Einige, bilanzrelevante Geschäftsvorfälle sind erfolgsneutral. Sie gehen entweder mit einer Bilanzverlängerung oder einer Bilanzverkürzung einher, je nachdem, ob sich das Fremdkapital erhöht oder verringert. Debitoren sind Teil der Schulden des Unternehmens, Kreditoren Teil der Forderungen, welche die Unternehmung Dritten gegenüber erhebt. Da Forderungen in beiden Richtungen kurzfristig erfüllt werden müssen, ist der Unterschied der Kreditoren (soll die Firma bekommen) und der Debitoren (muss sie noch bezahlen) wichtig für die Liquiditätsplanung.
126
II Unternehmertum
Der Cashflow (Geldfluss, Kassenzufluss) ist der mit Geschäftstätigkeit erzielte Nettozufluss liquider Mittel (Zahlungsmittelbestand) während einer Periode. Der Cashflow beschreibt die in der Periode als Geldbetrag zugeflossene Wirtschaftsleistung, die den Eigenkapitalgebern zukommt. Der Cashflow ist die (bare) Wirtschaftsleistung einer vergangenen oder zukünftigen Periode abzüglich der Teile, die Fremdkapitalgeber und Fiskus beanspruchen. In der amerikanischen Literatur wird vielfach der Brutto-Cashflow abzüglich Steuern als „Cashflow“ bezeichnet. Der Cashflow nach amerikanischer Definition ist dann ein Geldbetrag, der allen Kapitalgebern – Fremd- und Eigenkapitalgebern zusammengenommen – zukommt. Die hier als Cashflow bezeichnete Größe wird im amerikanischen Schrifttum als Flow to Equity angesprochen. Der (nach Ausschüttungen an die Eigenkapitalgeber und der Auszahlung von Boni) in der Unternehmung verbleibende Teil des Cashflows misst die Finanzkraft der Unternehmung. Sie dient (1) für Investitionen zur Fortführung der bisherigen Strategie, (2) Investitionen für den Beginn einer neuen Strategie, (3) Investitionen in Finanzanlagen (und damit in den Aufbau eines Potenzials späterer Verwendung etwa für Akquisitionen). Die für Eigenkapitalgeber, Fremdkapitalgeber und Fiskus relevante Beschreibung des Wirtschaftsergebnisses ist die Summe aus Bilanzgewinn, Zinszahlungen und Steuern. Sie wird als Gewinn (Earnings) vor Zinszahlungen und Steuern bezeichnet, üblicherweise als Earnings Before Interest and Taxes angesprochen und mit EBIT abgekürzt. Berichte und Planungen, die auf den EBIT oder den EBITDA abstützen, sind näher am Betriebsgeschehen und der Erzeugung der wirtschaftlichen Leistung als Gewinn und Cashflow. Immerhin sind mit EBIT und EBITDA Ländervergleiche (unterschiedliche Besteuerung) möglich. Die beiden Größen Gewinn und Cashflow erfassen hingegen die Art der Verteilung, weil sie zeigen, was den Eigenkapitalgebern zugutekommt. Deshalb werden in Planungen und Analysen der EBIT und der EBITDA sogar noch öfters als der Gewinn und der Cashflow verwendet. Als Ergänzung eine Bemerkung zur Praxis der Berichterstattung: Beim EBIT ebenso wie beim EBITDA werden in der Praxis die Earnings auf den durch ordentliche Betriebstätigkeit entstehenden Gewinn eingeschränkt – eine Freiheit, die man sich mit dem englischen Ausdruck Earnings nimmt, und die beim Gewinn wegen seiner präzisen Definition im Rechnungswesen nicht besteht. Das Finanzergebnis und außerordentliche Betriebsereignisse bleiben in diesen Earnings unberücksichtigt. Insbesondere werden Finanzierungsaufwendungen und Abschreibungen, die nicht der ordentlichen Betriebstätigkeit entsprechen, aus dem EBIT wie dem EBITDA heraus gerechnet. Das Earnings in den beiden Kenngrößen EBIT und EBITDA wird dadurch so bereinigt, dass gewisse Verluste verschleiert werden. Ein positiver EBIT und ein hoher EBITDA besagen angesichts dieser Praxis: Wenn alles wie geplant abgelaufen wäre (und keine abträglichen Sondereinflüsse eingetreten wären), dann hätten wir diesen Gewinn. Aufgrund finanzieller oder außerordentlicher Vorgänge kann die Unternehmung aber Verluste haben. Bei Unternehmen, die in ihrer Berichterstattung nie den wirklichen Gewinn nennen, sondern bevorzugt auf den EBIT und den EBITDA abstellen, sollte daher gefragt werden, wie das ausgeklammerte Finanzergebnis wirklich aussieht und welche außerordentlichen Ereignisse deutlicher hätten erwähnt werden sollten.
9
Finanzielle Führung
Eine Unternehmung finanziell zu führen verlangt, das erwerbswirtschaftliche Gesamtziel auf die mittleren und unteren Ebenen der Hierarchie herunter zu brechen. Dabei werden ein System von Finanzkennzahlen etabliert, eine Kalkulation sowie diverse Betriebskennziffern begründet. Sie zeigen auf jeder Ebene der Unternehmenshierarchie, welches Ziel dort im Vordergrund steht. Die Themen: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.
9.1
Führungssystem Finanzkennzahlen Kalkulation Kosten für Anlagen Kapitalkosten Unternehmensbewertung Economic Value Added Fragen zur Lernkontrolle Lernpunkte und Ergänzung
Führungssystem
Wenn Produktion und Absatz einer Unternehmung organisiert sind und die Unternehmung wächst, stehen immer wieder Entscheidungen an. Der Unternehmer möchte alle Aktivitäten im Hinblick auf die erwerbswirtschaftliche Zielsetzung optimieren. Das erwerbswirtschaftliche Ziel darf nicht auf eine Maximierung von Gewinn oder Rendite eingeengt werden. Es schließt die Sicherung der jederzeitigen Liquidität der Unternehmung ein und umfasst ein Management der Risiken. Bei der Rendite wird zudem gefragt, unter Hinnahme welcher Risiken sie erreicht wurde. Die erwerbswirtschaftliche Zielsetzung fächert sich dadurch in ein Rentabilitäts- oder Performanceziel (Eigenkapitalrendite, Umsatzrendite, Rendite von Investitionen) auf, in ein Liquiditätsziel (Mindesthöhe für Cashflow, Liquiditätsreserven, Finanzanlagen) sowie in ein Sicherheitsziel (hinreichend hohes Eigenkapital, Deckung der Anlagen durch langfristiges Kapital, Versicherungen). An diesen Zielen arbeitet nicht allein die oberste Instanz der Hierarchie. Auch können die Ziele nicht in detailliert durch konkrete Anweisungen für alle Mitarbeitende ausgedrückt werden. Vielmehr müssen die genannten drei Ziele auf den mittleren und unteren Ebenen der Unternehmenshierarchie so mitgeteilt werden, dass die dort tätigen Manager und Mitarbeitende in ihren Bereichen und mit ihren Entscheidungen und Aktivitäten letztlich auf das Gesamtziel – Rentabilität, Liquidität, Sicherheit – hinwirken. Dazu werden verschiedene Steuerungssysteme etabliert, die in ihrem Zusammenwirken als finanzielles Führungssys-
128
II Unternehmertum
tem bezeichnet werden. Das finanzielle Führungssystem soll demnach überall in der Unternehmenshierarchie ebenenspezifisch die drei genannten Gesamtziele übersetzen. Wir wenden uns in diesem Kapitel dem finanziellen Führungssystem zu. Die finanzielle Steuerung wird für drei Ebenen der Hierarchie näher betrachtet: 1. Ein System von Finanzkennzahlen soll die lenkende Wirkung auf den obersten Ebenen der Unternehmenshierarchie entfalten, also bei den Bereichsleitungen. 2. Die Kalkulation soll auf den mittleren Ebenen greifen, wo Kunden Angebote unterbreitet werden, und andere, rechnerisch zu bewältigende Entscheidungsaufgaben anstehen. 3. Betriebskennziffern dienen dazu, das Erreichen und die Einhaltung von Best-Practices im operativen Bereich (untere Ebenen der Hierarchie) zu fördern. Mit einem finanziellen Führungssystem werden keine Anweisungen erteilt, sondern die obersten Unternehmensziele werden in finanzielle Unterziele übersetzt, die sich für die mittleren und unteren Hierarchieebenen eigenen. Ist das finanzielle Führungssystem zumindest auf den oberen und mittleren Hierarchiestufen etabliert, kann es noch weiter nach unten gebrochen werden. Dafür sind dann allerdings Kalkulationen von Objekten weniger geeignet. Immerhin können gewisse Betriebskennziffern gefunden werden, deren Einhaltung von Untergebenen erwartet werden. Als Beispiele solcher Kennzahlen nennen wir Stillstandszeiten einer Maschine, Wartezeitabweichungen, Kapazitätsauslastung und dergleichen mehr. Diese Kennzahlen ergänzen das finanzielle Führungssystem und setzen Best-Practices am Arbeitsplatz um.
Finanzielle Führung in einer Unternehmung bedeutet, dass Finanzkennzahlen, Kalkulationen, Wertbeitragsrechnungen und Betriebskennzahlen auf den ihnen entsprechenden Ebenen der Unternehmenshierarchie eingesetzt werden, sodass Anweisungen weitgehend durch Delegation ersetzt werden können.
9.2
Finanzkennzahlen
Bei den Kennzahlen und bei Kalkulationen haben sich im Benchmarking – Vergleich zwischen mehreren Unternehmen derselben Branche – oftmals Werte ergeben, die dann angestrebt werden oder übertroffen werden sollen. Bei der Kalkulation geht es darum, direkt den Ergebnis- oder Wertbeitrag einzelner Maßnahmen zu berechnen. Alle drei Steuerungssysteme erlauben es, das Unternehmensgeschehen zu führen. Die drei Systeme sollen nun näher betrachtet werden. Zu den Finanzkennzahlen gehört die Kapitalstruktur, etwa gemessen durch die Fremdkapitalquote, das heißt, durch die Relation zwischen dem bilanziellen Fremdkapital und dem bilanziellen Gesamtkapital (Bilanzsumme): Fremdkapitalquote =
Fremdkapital (Bilanz) Gesamtkapital (Bilanzsumme)
(9-1)
Der empirische Befund ist, dass Unternehmen eine Soll-Kapitalstruktur anstreben. Als zwei weitere Finanzkennzahlen werden oft der Return on Equity (ROE) und der Return on Assets (ROA) betrachtet:
9 Finanzielle Führung
ROE =
129
Gewinn Buchwert des Eigenkapitals (9-2)
Gewinn ROA = Buchwert des Gesamtkapitals Wird die Kennzahl auf einen abgrenzbaren Unternehmensbereich oder auf eine Investition bezogen, für den der Bereichsgewinn sowie die Investitionen in buchhalterischer Weise abgegrenzt werden können, so entsteht der Return On Investment (ROI). Von den Kennzahlen ROE, ROA, ROI wurde besonders der Return on Equity populär. Erstmals 1919 bei Du Pont wurde der ROE eingeführt und in das Produkt dreier Kennzahlen zerlegt (wobei die Bilanzgleichung Vermögen = Gesamtkapital verwendet wird): ROE =
Gewinn Gewinn Umsatz Gesamtkapital = ⋅ ⋅ Eigenkapital Umsatz Vermögen Eigenkapital
(9-3)
Die Zerlegung zeigt: Der ROE fasst die Anstrengung dreier Abteilungen zusammen: Die Absatzabteilung sollte versuchen, die Umsatzrentabilität zu erhöhen, das heißt, bezogen auf den Umsatz möglichst viel zu verdienen. Die Produktionsabteilung sollte versuchen, die Durchlaufzeiten so zu verringern, dass, bezogen auf das Vermögen oder auf das Sachkapital – die Maschinen und die Produktionskapazität – der Umsatz möglichst hoch wird. Die Finanzabteilung sollte, bezogen auf die (als beschränkt angesehenen) Eigenmittel, durch Fremdfinanzierung soviel Kapital wie nur möglich zusammenbringen. Damit war die erste Lehre von Werttreibern entstanden: Das und jenes müssen verändert werden, damit der ROE möglichst groß wird. Die Idee, ein finanzielles Ziel durch eine Kennzahl auszudrücken, die sich aus weiteren Kennzahlen errechnet, wurde weiter ausgebaut. Heute sind in der Praxis sogar Pyramiden von Kennzahlen üblich. Allerdings setzen die meisten solcher Kennzahlenpyramiden den Wert mit dem Buchwert des Kapitals oder des Eigenkapitals gleich. In jüngster Zeit wird hingegen verstärkt gefragt, ob der Buchwert tatsächlich jene Bezugsgröße ist, die der Rendite-Kennzahl Gewinn geteilt durch Bezugsgröße die gewünschte Aussagekraft verleiht. Aktionäre beziehen zunehmend den Gewinn nicht auf den Buchwert des Eigenkapitals, sondern auf den Marktwert der Aktien. Denn der Marktwert ist der Betrag, den sie selbst gerade investiert haben, um die Aktie zu kaufen, oder den sie investiert halten. Das Aufkommen der Kapitalmärkte hat die Bedeutung des ROE und überhaupt der Finanzkennzahlen, die sich einzig auf die Bilanz beziehen, relativiert. Zur Ergänzung dieser Finanzkennzahlen werden heute Größen betrachtet, die eine Verbindung zu Marktwerten herstellen. Insbesondere werden der Unternehmenswert und die Performance (Kapitel 8) in den Vordergrund gerückt.
9.3
Kalkulation
Als zweiter Teil eines finanziellen Führungssystems wurde die Kalkulation und als Drittes wurden Betriebskennziffern genannt. Die Unternehmung wird die Personen auf den mittleren Ebenen in eine Richtung lenken, welche die erwerbswirtschaftliche Zielsetzung – aufgefächert in Wirtschaftsergebnis, Liquidität, Sicherheit – optimiert. Hierzu werden Veränderun-
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II Unternehmertum
gen des Faktoreinsatzes in der Produktion eingeleitet, Modifikationen der Produktionsprozesse ergriffen und Maßnahmen am Absatz getroffen. Stets gibt es Alternativen, und die möglichen Maßnahmen werden durch Kosten und Erlöse bewertet. In die Optimierung einbezogen werden ebenso Kundengruppen, die besonders angesprochen und gewonnen werden sollen, des Weiteren die Zusammensetzung des Sortiments aus Produkten und selbstverständlich, die Wahl der Technologie, der Einsatz von Produktionsmitteln und schließlich die Entscheidung über Investitionen. Typische Fragen lauten: a) Welche Kundengruppen oder welche Kunden tragen besonders stark zum Wirtschaftsergebnis bei? b) Welche Produkte sind besonders profitabel und welche sollten nach Möglichkeit aus dem Sortiment gestrichen werden? c) Welche Investitionsvorhaben sind rentabel, welche unrentabel? Einige Unternehmen sind so groß, dass sie in Geschäftsbereiche, Sparten oder Divisionen untergliedert sind. Dann möchte die an der Spitze des Unternehmens stehende Entscheidungsinstanz wissen, wie das Unternehmensportfolio am besten gestaltet sein sollte (wenn das erwerbswirtschaftliche Prinzip das Kriterium darstellt). Dazu wird gefragt, welches die Beiträge der Geschäftsbereiche zum (finanziellen) Wirtschaftsergebnis gewesen sind oder in Zukunft wohl sein werden. Außerdem wird gefragt, wie liquide das Unternehmensportfolio ist und schließlich, welche Risiken diversifiziert werden und welche Risiken das Unternehmensportfolio noch aufweist und anders abgesichert werden können. Um diese Fragen zu beantworten, wurden Rechenverfahren entwickelt, die ursprünglich aus dem industriellen Bereich stammen, inzwischen indes auch für Dienstleister und Verwaltungen angepasst worden sind. Die Stichworte sind: Kosten, Kalkulationen, Wertbeitragsrechnung. Mit diesen Rechnungen wird der Beitrag eines Objektes zum Wirtschaftsergebnis ermittelt; das Objekt wird kalkuliert. Das Objekt kann eine Kundengruppe sein, ein Produkt, eine Investition, eine Produktionseinrichtung, ein Geschäftsbereich – eben jede physische oder gedankliche Einheit, deren Beitrag zum Wirtschaftsergebnis errechnet werden muss um auf Entscheidungen wie Ausbau oder Reduktion, Make-or-Buy zu treffen. Kalkulationen sind nicht nur wichtig, um dem Unternehmer, also die oberste Instanz der Hierarchie, bei den Optimierungsentscheidungen zu unterstützen. Das Kalkulationsschema, also die Vorgehensweise nach der Antworten auf die genannten Fragen rechnerisch gefunden werden, könnten in der Hierarchie auch den in den mittleren Ebenen handelnden Personen zur Verfügung gestellt werden, also etwa Absatzleitern, Produktionsleitern, Bereichsleitern. Diese Direktoren könnten die Kalkulationsschemata wiederum an ihre jeweiligen Untergebenen weiter geben, also an die Leiter der einzelnen Abteilungen. Der zentrale Begriff der Kalkulation sind die Kosten. Kosten bewerten den Einsatz und Verbrauch von Ressourcen für das zu kalkulierende Objekt. Ist das Objekt ein Produkt, so wird beispielsweise dies gefragt: Welchen Wert haben die Produktionsfaktoren, die eingesetzt werden, um es als Output zu gewinnen. Das sind dann die Produktionskosten. Die Kosten werden bei der Kalkulation den Leistungen gegenübergestellt. Die Leistungen bewerten die weitere Verwendungsmöglichkeit des Objekts, beispielsweise durch Verkauf oder durch interne Lieferung an einen anderen Unternehmensbereich. Da Kosten und Leistungen mit der Kalkulation Entscheidungen erlauben sollen, werden sie um untypische oder außerplanmäßige konkrete Ereignisse oder Besonderheiten bereinigt. Es werden also Normalisierungen vorgenommen. Beispielsweise wird der Meister in einer Garage ein Auto repariert bei der Aufstellung der Kosten nicht berücksichtigen, dass er aus
9 Finanzielle Führung
131
Versehen etwas falsch gemacht hat und dadurch viel Zeit verloren ging. Entsprechend werden Ist-Kosten von Normal-Kosten und von Soll-Kosten unterschieden. Es wird deutlich, dass jede Unternehmung Freiheit in der Ausgestaltung ihrer Kalkulationen hat. Die Kalkulationen müssen aber nicht von Grund auf neu erfunden werden, denn ein Unternehmen kann Best-Practices oder Vorschlägen der Berufs- und Industrieverbände übernehmen. Doch auch nach Berücksichtigung von Best-Practices bleiben noch Freiräume. Die Kostenund Leistungsrechnung kann so gestaltet sein, dass der Wert der bei der Produktion eingesetzten Güter und Dienstleistungen sowie die Verwertung von Outputs im Vordergrund stehen. Diese Ausgestaltung drängt sich auf, wenn die Kalkulationsobjekte die verschiedenen Produkte sind, diese verkauft werden, und wenn die Entscheidung im Vordergrund steht, ob sie im Sortiment angeboten werden sollen oder besser nicht. Die Kalkulationen können auch so gestaltet sein, dass marktgerechte Kapitalerträge ermittelt werden, die Gegenstände des Vermögens einbringen sollten. Diese Ausgestaltung drängt sich auf, wenn Vermögensobjekte vermietet werden. Die Kostenrechnung kann auch so gestaltet werden, dass die Zahlungswirkungen im Vordergrund stehen (pagatorischer Kostenbegriff) oder die Entscheidungen, wenn Kapazitätsgrenzen wirken. Bei entscheidungsorientierten Kosten werden auch Opportunitätskosten als Kosten betrachtet, obwohl mit ihnen kein Wertverzehr verbunden ist. Beispielsweise sollen eine Möglichkeit A und eine Möglichkeit B ergriffen werden können. Der Wertbeitrag (Differenz von Leistungen und Kosten) von A sei €€8, der von B sei €€7. Also würde man gern beide Möglichkeiten realisieren. Wenn nun aber eine Kapazitätsgrenze wirkt und man deshalb nur entweder A oder B realisieren kann, dann würde man A wählen, denn A liefert einen höheren Wertbeitrag als B. Allerdings ist die Wahl von A im Vergleich zu B nicht besonders herausragend. Denn wenn B anstelle von A gewählt würde, entstünde bereits ein Wertbeitrag von €€7. Auf diesen Wertbeitrag muss wegen der Kapazitätsgrenze verzichtet werden, um A realisieren zu können. Durch die verdrängte Opportunität B entstehen Opportunitätskosten von €€7. Mithin ist der zusätzliche Wertbeitrag, den A gegenüber der zweitbesten Alternative B hat, die verdrängt wird, nur €€8 − €€7 = €€1. Ein guter Teil der Informationen, die von den Kapitalgebern sowie von den Entscheidungsträgern in der Unternehmung gewünscht werden, wird durch das Rechnungswesen (Accounting) erstellt. Das Rechnungswesen bildet das unternehmerische Geschehen im Hinblick auf das erwerbswirtschaftliche Ziel ab. Das heißt, als Geldbetrag ausdrückbare Größen wie Erlöse, Zahlungen, Kosten, stehen im Vordergrund ebenso wie Vermögen und Verpflichtungen. Einige Rechnungen, darunter die Bilanz und die GuV dienen der Berichterstattung (externes Rechnungswesen), andere unterstützen Entscheidungen im Inneren durch Kalkulationen (internes Rechnungswesen). Bei der Berichterstattung müssen, damit Externe die Rechnungen nicht im Unklaren lassen, die Grundsätze klar sein, nach denen die Rechnung erstellt wird. Das Unternehmen folgt dem Gesetz und einem Standard der Rechnungslegung. Bei der Kalkulation (intern) ist die Unternehmung vom Gesetz her frei, wie sie ihre internen Rentabilitätsüberlegungen gestaltet, doch gibt es Best Practices, und in einer zunehmend von Transparenz geprägten Wirtschaft kann niemand an diesen Best Practices für die Kalkulation vorbei gehen.
132
II Unternehmertum
9.4
Kosten und Kostentreiber
Bei Entscheidungen über den Skalar (Maßstab) einer Aktivität, so etwa bei der Festlegung der Outputquantität, tritt diese Frage auf: Wie hängen die Gesamtkosten G(x) für die Ausbringung der Menge x von eben dieser Menge ab? Vielfach ist der Kostenverlauf linear: G( x) = a + b ⋅ x
(9-4)
Hierbei stellen a Fixkosten dar – sie sind unabhängig vom Skalar x. Der Betrag b ⋅ x sind die variablen Kosten – so genannt, weil sie mit dem Skalar variieren – und b ist der variable Kostensatz. Bei der Produktion entstehen die Fixkosten a für die bereitgehaltenen Anlagen, während der variable Kostensatz b durch den Wert derjenigen Materialien, Energie und Arbeitszeit bestimmt ist, die für eine Outputeinheit verbraucht werden. Bei dieser Betrachtung sind dann
S ( x) =
K ( x) a + b ⋅ x a = = +b x x x
(9-5)
die vollen Stückkosten. Sie ergeben sich, indem zum variablen Kostensatz ein Teil a / x addiert wird, bei dem die Fixkosten auf eine Einheit umgelegt werden. Die vollen Stückkosten werden meist mit dem Verkaufspreis P verglichen. Eine oft getroffene Aussage lautet, die Produktion im Volumen x sei nur vorteilhaft, wenn die vollen Stückkosten unter dem Preis blieben, wenn also S ( x) < P gelte. Doch immer wieder wurde das Umlegen der Fixkosten a auf die Quantität x als „künstliche Proportionalisierung“ kritisiert. Auch wurde gesagt, man könne, besonders bei temporär geringer Nachfrage, durchaus Preisreduktionen bis auf b akzeptieren. Mit anderen Worten, Zuschläge – wie die Addition der umgelegten Fixkosten a / x zu den variablen Stückkosten b – könnten an einer richtigen Entscheidung vorbei führen. Jeder kennt das: Man ist auf Reisen und möchte schnell und ohne großen Umtrieb zu verursachen und ohne Beratung in Anspruch zu nehmen, unterwegs in einem Laden einen Fotoapparat kaufen – oder eben nicht. Doch der Verkäufer ist nicht zu Preiszugeständnissen bereit, weil er in seiner Kalkulation auf den Einkaufspreis diverse Zuschläge erhebt, die Kosten für Einrichtungen spiegeln, die jetzt gar nicht in Anspruch genommen werden. In der Tat kann es sich anbieten, die Preise als von Ereignissen abhängig anzusehen, und ganz einfache Kalkulationen kommen dann schnell an ihre Grenzen. Indessen sind Kostenrechner findig und beginnen die Ermittlung des Wertbeitrags bei den Leistungen. Ausgangspunkt ist der beim Absatz der Einheit Nr. i erlöste Geldbetrag Pi. Davon werden die variablen Stückkosten abgezogen. Die Differenz ist der Deckungsbeitrag Di, also Di = Pi − b. Die Deckungsbeiträge dienen dazu, die Fixkosten zu decken. Die Produktion ist vorteilhaft, wenn alle Deckungsbeiträge zusammen die Fixkosten übersteigen:
a < ∑ Di
(9-6)
i
In der heutigen Praxis erscheinen zwei andere Phänomene wichtiger. In vielen Bereichen sind die variablen Kosten generell im Vergleich zu den fixen Kosten gering, insbesondere wenn bei den variablen Kosten an das Material gedacht wird. Hinsichtlich der Arbeit kann beobachtet werden, dass die Mitarbeitenden die für eine Verrichtung benötigte Zeit von sich
9 Finanzielle Führung
133
aus ausdehnen, wenn die Anzahl der Verrichtungen gering ist. Jeder ist an seinem Arbeitsplatz immer voll ausgelastet. Deshalb bleiben Fixkosten für die Einrichtungen und letztlich Fixkosten für die Arbeit als dominante Größen. Um dennoch die Kosten kontrollieren zu können, werden Prozesse als zu kalkulierendes Objekt eingeführt und es entsteht eine Prozesskostenrechnung oder Vorgangskalkulation. Die Grundidee der Prozesskostenrechnung besteht darin, durch die Leistungserstellung bedingte Sequenzen von Verarbeitungsschritten als einen Prozess zu begreifen und für den Prozess zu fragen, a) wie hoch die Gesamtkosten aller zusammengefassten Schritte sind und b) welche Treiber diese Prozesskosten verändern – oft ist das eben nicht die Anzahl oder die Quantität. Beispielsweise hat die Untersuchung des Gesamtvorgangs der Kreditprüfung in einer Bank ergeben, dass die Bearbeitungszeiten und die anderen Kosten nicht vom Kreditbetrag abhängen, sondern davon, ob der Kreditantrag als „einfach“ oder als „kompliziert“ anzusehen ist. Bei der Bildung der Prozesse wird versucht, dass die identifizierten Prozesse zu klaren Leistungen führen. Selbstverständlich kann es sich anbieten, die Prozesskostenrechnung mehrstufig anzulegen, wobei Hauptprozesse und Hilfsprozesse unterschieden werden. Jeder Hilfsprozess erzeugt eine Teilleistung, die in einen Hauptprozess eingeht. Die Prozesskostenrechnung wurde erstmals 1975 bei Siemens eingeführt, nachdem 1899 bereits EUGEN SCHMALENBACH (1873–1955) erste Gedanken in dieser Richtung publiziert hat. Im Jahr 1985 gingen JEFFREY G. MILLER und TOM E. VOLLMAN in dem Aufsatz „The Hidden Factory“ darauf ein, wenige Jahre später haben ROBIN COOPER und ROBERT S. KAPLAN eine ausführliche Darstellung der Prozesskostenrechnung – im Angelsächsischen als Activity Based Costing (ABC) bezeichnet – publiziert.
9.5
Marktgerechter Kapitalertrag
Die meisten Kalkulationsaufgaben entstehen rund um die Produktion. Stets müssen die Kosten der Inputs ermittelt werden. Die Kosten für den Verbrauch von Material und Energie sollten keine Schwierigkeiten bereiten, denn die in der Buchhaltung erfassten Größen bieten eine gute Grundlage für die Kostenermittlung. Es wird dann lediglich eine Normalisierung vorgenommen. Ähnliches gilt für die Arbeit als Input. Schwieriger dürfte es sein, Kosten für den Einsatz der Produktionsmittel und für das (als Katalysator benötigte) Wissen zu quantifizieren. Wir wenden uns den Kosten für die Nutzung von Produktionsmitteln zu, also den Kosten für die Nutzung von Maschinen, Einrichtungen und Anlagen. Die Produktionsmittel sind Gegenstände des Vermögens, die durch Investitionen geschaffen worden sind. Größen wie der seinerzeitige Investitionsbetrag und die planmäßige Nutzungsdauer stehen somit fest.
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II Unternehmertum
Die Kosten, diese Vermögensgegenstände für eine gewisse Zeitdauer – etwa ein Jahr – zu nutzen, werden sich daher als Summe aus den Kosten der Finanzierung – für die Kürze wählen wir die Bezeichnung Finanzkosten – und den Abschreibungen errechnen. Eventuell sind noch Kosten für den betrieblichen Einsatz des Vermögensobjekts wie etwa Kosten für Energie und Wartung zu addieren: Kosten für Vermögensobjekt = Finanzkosten + Abschreibungen + Betriebskosten (9-7)
Das ist intuitiv einsichtig. Durch die Abschreibungen wird der Tatsache Rechnung getragen, dass der Vermögensgegenstand am Ende seiner planmäßigen Nutzungsdauer entweder keinen oder nur einen geringen Restwert besitzt. Gelegentlich kann der Fall eintreten, dass konkrete Vermögensobjekte (wie etwa unbebautes Land) im Verlauf der Jahre eher wertvoller werden. Dann werden anstelle der Abschreibungen Zuschreibungen getätigt und die Kosten für die Nutzung des Vermögensobjekts werden entsprechend geringer. Die Kosten für das Vermögensobjekt (9-7) zu kennen ist nicht allein für die Produktion in der Unternehmung wichtig. Ab und zu werden Produktionsmittel anderen vermietet, und bei der Festlegung der Miete bieten die Kosten (9-7) dem Vermieter eine Orientierung. In gewissen Wirtschaftssektoren – Telekommunikation, Elektrizitätswirtschaft – verlangt der Gesetzgeber die Bereitschaft zur Vermietung von Anlagen und Teilen des Netzes an andere Unternehmen. Die Höhe der Miete ist per Verordnung so festgeschrieben ist, dass sie dem Vermieter einen „marktgerechten Kapitalertrag für die eingesetzten Investitionen“ bietet. Der marktgerechte Kapitalertrag soll die Finanzkosten in einer marktgerechten Höhe darstellen. Wir betrachten nun die Finanzkosten oder den marktgerechten Kapitalertrag näher. Das Vermögensobjekt wird durch Eigen- und durch Fremdkapital finanziert. Um die Finanzierungskosten zu charakterisieren, müssen wir den Ertrag finden, den Eigen- und Fremdkapitalgeber üblicherweise für die Überlassung von Kapital in der Zeit erwarten – das sei ein Jahr. Für das Fremdkapital ist das der Zins und diese Größe wird mit der Buchhaltung erfasst. Doch für das Eigenkapital wird eine Größe, die von Eigenkapitalgebern für die Überlassung von Eigenkapital und das damit verbundene Tragen von Geschäftsrisiken erwartet wird, nicht im Rechnungswesen erfasst. Hier hilft die Finanzmarkttheorie weiter, bei der typische, also marktübliche Renditen für Eigenkapital beobachtet und durch Modelle beschrieben werden. Ein zwar einfaches, doch weithin als gute und einsichtige Beschreibung angesehenes Modell ist das Capital Asset Pricing Model (CAPM). Das CAPM stellt die marktgerechte Eigenkapitalrendite als Summe des Zinssatzes und einer Risikoprämie dar. Die Risikoprämie ergibt sich aus den sogenannten Marktrisiken, die aufgrund des betrachteten Geschäftes noch in einem Portfolio verbleiben, auch wenn gut diversifiziert wird. Im vorliegenden Fall bezeichne REK die erwartete Eigenkapitalrendite (erwartet, da sie aufgrund der Geschäftsrisiken höher oder tiefer ausfallen dürfte) und mit EK sei der Bilanzwert des Eigenkapitals bezeichnet. Die Eigenkapitalrendite hängt von der Kapitalstruktur ab und REK sei die Eigenkapitalrendite bei der tatsächlichen Kapitalstruktur. Für ein Jahr erwarten die Eigenkapitalgeber ein ihnen zukommendes Wirtschaftsergebnis in Höhe EK ⋅ REK . Nun unterliegen die den Eigenkapitalgebern zukommenden Ergebnisse einer Besteuerung in der Unternehmung. Die Steuerquote sei s. Also muss das Ergebnis in Höhe EK ⋅ REK (1− s ) zu erwarten sein, damit die Eigenkapitalgeber nach
9 Finanzielle Führung
135
Steuern EK ⋅ REK erwarten können. Folglich verlangt die Finanzierung mit Eigenkapital ein Wirtschaftsergebnis in Höhe EK ⋅ REK (1− s ) . Beim Fremdkapital bezeichne FK die Schulden (aus der Bilanz) und RFK den Zinssatz. Der den Fremdkapitalgebern zukommende Teil des Wirtschaftsergebnisses werde nicht besteuert: Finanzkosten =
EK ⋅ REK + FK ⋅ REK (1− s )
(9-8)
Die in (9-8) angegebenen Finanzierungskosten sind die in (9-7) benötigte Größe und sie berücksichtigen die für das Eigenkapital angenommene Besteuerung, sind also eine Vorsteuergröße. Üblich ist, die Kosten der Finanzierung oder eben den Kapitalertrag als eine Wertschöpfung nach Steuern zu betrachten, also die Größe Finanzkosten ⋅ (1− s ) – so als ob der Steuersatz auf die gesamte Wirtschaftsleistung in Höhe der Finanzierungskosten anzuwenden wäre: Finanzkosten ⋅ (1− s ) = EK ⋅ REK + FK ⋅ REK ⋅ (1− s ) ⎧ EK ⎫ FK ⎪ ⎪ =⎨ ⋅ REK + ⋅ REK ⋅ (1− s )⎬ ⋅ GK = WACC ⋅ GK ⎪ GK GK ⎪1444442444443⎪ ⎪ ⎩ ⎭
(9-9)
WACC
In diesen Umformungen bezeichnet GK das Gesamtkapital, GK = EK + FK und WACC ist der gewichtete durchschnittliche Kapitalkostensatz, Weighted Average Cost of Capital. Üblich ist eine Definition, die auf JAMES A. MILES. und JOHN R. EZZELL (1980) zurückgeht: WACC =
EK FK ⋅ REK + ⋅ REK ⋅ (1− s ) GK GK
(9-10)
Jetzt müssen wir nur noch das Gesamtkapital GK bestimmen, oft als eingesetzte Investitionen bezeichnet. Man würde sofort an die Ersatzkosten für das Vermögensobjekt denken und sich den Kaufpreis oder die Herstellungskosten für eine neue Einheit vorstellen. Doch bei Produktionsmitteln spielt über die Nutzungsdauer hinweg das Alter selten einen Einfluss auf die Qualität der Leistungsabgabe Ältere Objekte sind ebenso gut wie jüngere. Bei älteren Objekten ist der Kapitaleinsatz selbstverständlich geringer, weil bereits mehrfach die Beträge vereinnahmt worden sind, die den Abschreibungen entsprechen. Im Durchschnitt über eine gesamte Nutzungsdauer ist folglich nur soviel Kapital gebunden, wie dem Mittel zwischen den Kosten für den Ersatz (Replacement) durch eine neue Einheit P und einem eventuellen Restwert (Salvage) S entspricht. Somit sind die Finanzkosten beziehungsweise der marktgerechte Kapitalertrag gegeben durch: Finanzkosten ⋅ (1− s ) =
P+S ⋅WACC 2
(9-11)
Beispiel: Jemand kauft sich immer einen neuen Mittelklassewagen (stets für etwa €€40.000.–) und verkauft ihn bereits nach vier Jahren für die Hälfte. Die WACC sind für diese Person
136
II Unternehmertum
6 %. Die Person hat ihr (nach Steuern verbleibendes) verfügbares Einkommen von €€3.000.– monatlich im Blick und möchte wissen, wie viel die Finanzierung der Autos im Monat kosten. Werden die WACC von 6 % auf einen Monat umgerechnet, ergeben sich 0,5 % und so folgt für die Finanzierungskosten 0,005 ⋅ (40.000 + 20.000)/2 = 150 Euro. Das wirkt gering in Relation zu den Abschreibungsbeträgen, die pro Monat (40.000 − 20.000)/48 = 417 Euro betragen. Die Bedeutung von Finanzkosten in Relation zu Abschreibungen ändert sich, wenn das Vermögensobjekt ausgesprochen langlebig ist, wie bei Schiffen oder bei Tiefbauten, bei Brücken und Energieleitungen. Bei solchen Objekten sind die Finanzkosten höher als die Abschreibungen. Die Hängebrücke beim MacRitchie Reservoir in Singapur hat 3 Millionen S$ gekostet, und in vielleicht 100 Jahren muss sie ersetzt werden. Die Abschreibungen pro Jahr liegen daher in der Größenordnung von 30 Tausend Dollar. Wird hier mit einem WACC von 5 % gerechnet, dann betragen die Finanzkosten 150 Tausend Dollar pro Jahr. Bei langlebigen Anlagen sind daher die Finanzkosten typischerweise höher als Abschreibungen und eventuell Betriebskosten.
9.6
Unternehmensbewertung
Ein Kapitalkostensatz wie etwa der WACC wird zur Diskontierung zukünftig fälliger Zahlungen verwendet. Wer beispielsweise in einem Jahr einen Geldbetrag in Höhe Z1 als Einzahlung erwartet und ansonsten Geld auf ein Jahr zum Zinssatz oder zur Rendite in Höhe der WACC anlegen kann, der würde Z 0 = Z1 /(1 + WACC ) als Barwert oder Gegenwartswert der zukünftigen Zahlung ansehen; die zukünftige Zahlung wird diskontiert. Viele Personen, die Ansprüche an eine Unternehmung haben, sehen in der Unternehmung hauptsächlich eine Maschine, die Geld für sie erzeugt. Dieses rein finanzielle Bild von der Unternehmung ist besonders dann häufig anzutreffen, wenn die Anspruchsberechtigten vom unternehmerischen Geschehen etwas entfernter sind. Diese Personen identifizieren den Wert der Unternehmung mit der Summe der Barwerte aller zukünftigen Zahlungen, auf die sie Ansprüche haben. Und sie sind, wenn die Finanzmärkte gut funktionieren, durchaus bereit, ihre Ansprüche an die Unternehmung für diese Wertgröße zu verkaufen. Denn der Finanzmarkt bietet ihnen zahllose andere Möglichkeiten, den Verkaufserlös anzulegen. Ebenso wären Finanzinvestoren, die Ansprüche für den Unternehmenswert zu kaufen. Wichtig sind zwei Punkte:
Erstens bestimmt die Zukunft den Wert eines Objekts. Der finanzielle Unternehmenswert ist durch die Summe der diskontierten zukünftigen Zahlungen bestimmt, die sie für Anspruchsberechtigte in Zukunft noch generieren wird. Risiken und die Ungewissheit der Zukunft werden mit einem entsprechend höheren Diskontsatz berücksichtigt. Zweitens kann der Unternehmenswert (Marktwert) höher sein als diejenige Wertgröße, die in der Bilanz erscheint (Buchwert). Das hat mehrere Gründe. Einer ist, dass besonders intangible Vermögensobjekte nicht bilanziert werden. Ein anderer ist, dass der Käufer einer Unternehmung ein sinnvolles Ganzes erhält, das bereits funktioniert, und nicht einfach eine Menge einzelner Dinge, die in der Bilanz erfasst sind.
9 Finanzielle Führung
137
Üblich ist, die Unternehmensbewertung entweder für die Eigenkapitalgeber allein vorzunehmen, oder für die Gruppe aller Finanziers, Eigen- und Fremdkapitalgeber zusammengefasst. Die entsprechenden Unternehmenswerte sind der Equity-Wert W (Equity) und der Entity-Wert W (Entity). Der Unterschied zwischen beiden Werten, W (Entity) − W (Equity), ist der Wert des Fremdkapitals. Die Unternehmensbewertung wird durch zwei Punkte diffizil. Der erste Punkt liegt darin, dass die von Eigenkapitalgebern erwartete Rendite REK von der Kapitalstruktur abhängt. Denn der Einsatz von Fremdkapital bewirkt eine finanzielle Hebelwirkung, mit der die Eigenkapitalrendite angehoben wird (Leverage).
Die gehobene Eigenkapitalrendite kompensiert für das Leveragerisiko: Dasselbe unternehmerische Risiko wird bei mehr Einsatz von Fremdkapital von immer weniger Eigenkapital getragen, sodass pro Euro Eigenkapitaleinsatz das Risiko zunimmt. Der zweite Punkt ist der Steuervorteil, der damit einhergeht, wenn anstelle von Eigenkapital mehr Fremdkapital eingesetzt wird. Alle zukünftigen Steuervorteile auf den Gegenwartszeitpunkt bezogen werden als Tax-Shield bezeichnet.
Für die Berücksichtigung dieser beiden Punkte bei den Wertrechnungen bieten sich Varianten an. Sie machen verständlich, dass für die versteuerte Unternehmung, die neben Eigenauch Fremdkapital einsetzt, verschiedene Formeln entwickelt worden sind, die indes alle dasselbe ausdrücken: Der Wert der Unternehmung ist gleich der Summe der Barwerte der in zukünftigen Jahren zugunsten der Berechtigten erzeugten Zahlungsüberschüsse, die an sie ausbezahlt werden oder in ihren Verfügungsbereich gelangen. Von den verschiedenen Formeln bringen wir die von MILES und EZZELL: ∞
W ( Entity ) = ∑ t =1
EBITt ⋅ (1− s ) (1 + WACC )t
(9-12)
Diese Formel wird oft verwendet, weil die Größe EBIT gut für die kommenden Jahre geplant werden kann. Wird vom Entity-Wert W (Entity) der Marktwert der Verpflichtungen abgezogen, folgt der Wert des Eigenkapitals, W (Equity). Der Unternehmenswert findet große Beachtung, vor allem weil Eigentümer an unternehmerischen Entscheidungen interessiert sind, die eine Wertsteigerung bewirken. Mit Bewertungsformeln wie (9-12) wurde ein reichhaltiges Instrumentarium geschaffen. Es erlaubt, Geschäftsvorhaben, Restrukturierungen und Änderungsinvestitionen zu beurteilen. Der Wert spielt aber nicht allein als Fortführungswert eine Rolle, wenn die Unternehmung als Ganzes verkauft werden könnte oder verkauft werden soll. Auch zwischenzeitlich orientiert der Wert über das Erreichte. Bei dieser Orientierung helfen diverse weitere Kennzahlen, die den Marktwert und Buchgrößen miteinander verknüpfen. Eine solche Kennzahl ist die Marktwert zu Buchwert Relation M / B , der Quotient aus Equity-Wert und bilanziellem Eigenkapital:
M /B =
W ( Equity ) EK Bilanz
(9-13)
138
9.7
II Unternehmertum
Economic Value Added
Eine Größe, die oft beachtet wird, ist die Performance. Hierbei wird das tatsächlich in einem Jahr geschaffene Wirtschaftsergebnis (zugunsten der Kapitalgeber) dem Ergebnis gegenübergestellt, das aufgrund alternativer Verwendungsmöglichkeiten des Kapitals zu erwarten gewesen wäre. Das erwartete Ergebnis wird verstanden als Produkt aus dem eingesetzten Vermögen und der Rendite R, die zu Beginn des Jahres „im Markt“ erwartet wurde. Die Gegenüberstellung kann durch einen Quotienten oder die Differenz beider Größen erfolgen. Üblicher ist die Differenz: Performance = Tatsächliches Ergebnis − Erwartetes Ergebnis 144424443
(9-14)
Vermögen ⋅R
Die Betrachtung der Performance geht auf ALFRED MARSHALL (1842–1924) zurück. Seine Arbeiten haben zu verschiedenen Konkretisierungen geführt. So kann die Performance für die Eigenkapitalgeber oder auch für alle Kapitalgeber (als eine Gruppe aufgefasst) definiert werden. Stehen die Eigenkapitalgeber, dann ist das tatsächliche Ergebnis der Gewinn, und die Performance wird deshalb auch als Residualgewinn oder als Abnormal Earnings bezeichnet. Eine andere Variante der Performance wurde 1991 von den Unternehmensberatern JOEL M. STERN und G. BENNETT STEWART III vorgeschlagen und zu einem Beratungspaket ausgebaut. Sie betrachten die Performance zugunsten von Eigen- und Fremdkapitalgebern zusammen und bezeichnen sie als Economic Value Added, abgekürzt EVA. Die grundlegende Definition lautet:
EVA = Gewinn + Zinszahlung − B( Entity ) ⋅ WACC 1444 424444 3 144 42444 3 Tatsächliches Ergebnis
(9-15)
Erwartetes Ergebnis
Zu EVA hinzu kommen noch gewisse Konversionen. Die Summe aus Gewinn und Zinszahlungen stellt das tatsächliche für alle Kapitalgeber erzielte Ergebnis dar. Zu erwarten, so die Beratungsfirma, wäre indes nur das Produkt aus dem Buchwert B (Entity) und der durch WACC präzisierten Rendite. Des Weiteren engen STERN und STEWART das Vermögen auf das betriebsnotwendige Vermögen ein, und auch der Gewinn wird von außerordentlichen Einflüssen bereinigt. Das betriebsnotwendige Vermögen wird als Net Operating Assets (NOA) verstanden. Diese Größe ist nahe am Bilanzwert bemessen und wird eventuell als Ersatzwert verstanden. Für das Betriebsergebnis abzüglich Steuern, also für den Betriebsgewinn plus Zinsen, steht die Abkürzung NOPAT, ausführlich Net Operating Profit After Taxes. Damit entsteht die Formel:
EVA =
NOPAT 1 424 3
Tatsächliches Ergebnis
− 14 NOA WACC 4⋅244 3
(9-16)
Erwartetes Ergebnis
Wieder werden zu EVA noch gewisse Konversionen hinzugerechnet, vor allem um branchenspezifische Besonderheiten zu berücksichtigen. Die Formel (9-16) bildet den Kern des Beratungsprodukts EVA® der Firma Stern Stewart & Co. Zu diesem Beratungsprodukt gehören außerdem das Consulting über sachgerechte Konversionen und die Beratung zum Aufbau einer Bonusbank. Es wird vorgeschlagen, Jahr für Jahr etwa 1/3 des jeweiligen EVA in eine Bonusbank einzuweisen, beziehungsweise bei ne-
9 Finanzielle Führung
139
gativen EVA den Kontostand der Bonusbank entsprechend zu reduzieren. Ein gewisser Prozentsatz des Guthabens der Bonusbank, zum Beispiel 20 %, wird jedes Jahr an das Management als Bonus ausbezahlt. Durch die Bonusbank werden die jährlich ausgeschütteten Boni geglättet. Die Boni sind somit von rein zufälligen Einflüssen eines Jahres bereinigt. Gelegentlich wird beklagt, EVA vermittle keine echte, ökonomische Performance, weil das Kapital (beziehungsweise das Vermögen) NOA eine Buchgröße darstellt, und nicht zu Marktwerten angesetzt wird, die im Allgemeinen höher wären. Immerhin würde ein neuer Aktionär nicht von einer Outperformance sprechen, wenn er nicht einmal auf seinen Aktienkurs die marktübliche Rendite erhielte, sondern lediglich auf den (geringeren) Buchwert. Das zu erwartende Ergebnis ist folglich in (9-15) und (9-16) eher zu gering bemessen, weshalb die Unternehmung leichter ein positives EVA erreichen kann. Doch die Beratungsfirma betont den Vorteil der höheren Motivation des Managements. Die Performancemessung und auch an sie geknüpfte Boni sollen die Kontinuität der Unternehmensentwicklung fördern, was sich zum Vorteil der Kapitalgeber auswirken sollte.
9.8
Fragen zur Lernkontrolle
1.
Argumentieren Sie, dass das erwerbswirtschaftliche Prinzip in ein Rentabilitätsziel (etwa: Eigenkapitalrendite, Umsatzrendite, Rendite von Investitionen), in ein Liquiditätsziel (Mindesthöhe für Cashflow, Liquiditätsreserven, Finanzanlagen) und in ein Sicherheitsziel mündet.
2.
a) Wie ist der ROE definiert? b) Wie kann der ROE als Produkt dreier Kennzahlen dargestellt werden, die Leistungen dreier „Abteilungen“ der Unternehmung für Absatz, Produktion, Finanzen erfassen? Inwiefern kann diese Darstellung des ROE als eine frühe Lehre von Werttreibern aufgefasst werden?
3.
Wie würden Sie den marktgerechten Kapitalertrag für eine Investition definieren?
4.
a) Wie ist die Relation von Marktwert zu Buchwert definiert? b) Denken Sie, die Relation sei gleich 1 oder größer als 1? Welche Gründe können dafür sprechen, dass der Marktwert einer Unternehmung über dem bilanziellen Eigenkapital liegt?
5.
Richtig oder falsch? a) Wer die Unternehmung verkaufen möchte, verfolgt ständig ihren Wert. Wer sie fortführen möchte, achtet auf die Performance und versucht, diese weiter zu entwickeln. b) A. MARSHALL hat vorgeschlagen, die Performance in einem Jahr als Differenz zwischen dem tatsächlichen Jahresergebnis und dem erwarteten Jahresergebnis zu begreifen. c) STERN und STEWART haben dieses Konzept konkretisiert und die (von ihnen mit EVA bezeichnete) Performance als Unterschied zwischen NOPA und NOA·WACC zu ermitteln. d) Mit einem Teil des EVA soll eine Bonusbank gespeist werden, aus der jährliche Zahlungen an das Management geleistet werden.
9.9
Lernpunkte und Ergänzung
Das erwerbswirtschaftliche Prinzip mündet in ein Rentabilitätsziel (Eigenkapitalrendite, Umsatzrendite, Rendite von Investitionen), in ein Liquiditätsziel (Mindesthöhe für Cashflow, Liquiditätsreserven, Finanzanlagen) und in ein Sicherheitsziel.
140
II Unternehmertum
Ein finanzielles Führungssystem soll auf den verschiedenen Ebenen der Hierarchie zeigen, wie das Gesamtziel besser erreicht werden kann. Ein System von Finanzkennzahlen soll die lenkende Wirkung auf den obersten Ebenen der Unternehmenshierarchie entfalten, also bei den Bereichsleitungen. Die Kalkulation soll auf den mittleren Ebenen greifen, wo Kunden Angebote unterbreitet werden, und andere, rechnerisch zu bewältigende Entscheidungsaufgaben anstehen. Betriebskennziffern dienen dazu, das Erreichen und die Einhaltung Best-Practices im operativen Bereich (untere Ebenen der Hierarchie) zu fördern.
Die Grundidee der Prozesskostenrechnung besteht darin, durch die Leistungserstellung bedingte Sequenzen von Verarbeitungsschritten als einen Prozess zu begreifen und für den Prozess zu fragen, wie hoch die Gesamtkosten aller zusammengefassten Schritte sind und welche Treiber diese Prozesskosten verändern (oft ist das eben nicht die Anzahl oder die Quantität).
Die gewichteten, durchschnittlichen Kapitalkosten WACC setzen sich aus den Eigenkapitalkosten sowie den Fremdkapitalkosten und berücksichtigen die unterschiedliche steuerliche Behandlung von Eigen- und Fremdkapitalkosten.
Der Wert der Unternehmung ist gleich der Summe der Barwerte der in zukünftigen Jahren zugunsten der Berechtigten erzeugten Zahlungsüberschüsse, die an sie ausbezahlt werden oder in ihren Verfügungsbereich gelangen.
Wie von A. MARSHALL vorgeschlagen, wird unter der Performance einer Unternehmung die Differenz zwischen ihrem tatsächlichem und dem erwarteten Jahresergebnis verstanden. Der Economic Value Added oder EVA wurde von J. M. STERN und G. B. STEWART III als Konkretisierung der Performance wie folgt so definiert: EVA = NOPAT minus NOA mal WACC: Der Net Operating Profit after Taxes beschreibt das tatsächliche Ergebnis. Das Produkt aus den Net Operating Assets NOA und den durchschnittlichen Kapitalkosten WACC legt das erwartete Ergebnis fest.
Zur Ergänzung gehen wir auf drei Grenzen des finanziellen Führungssystems ein: Erstens lassen sich sehr große, weitreichende und irreversible Entscheidungen, wie etwa die Neupositionierung einer Unternehmung, nicht aufgrund einer Kalkulation treffen. Vielmehr ist dazu ein Visionär verlangt, der eine sehr langfristige Strategie konzipiert. Zweitens lassen sich auch Tätigkeiten großer Kreativität, wie sie vom Entrepreneur erwartet werden, Tätigkeiten also, die in einem höchst dynamischen Umfeld ablaufen, nicht kalkulieren. Auch der Entrepreneur wird seine Fähigkeiten eher mit Blick auf seinen Weg und seine Ziele, gleichsam strategisch, einsetzen. Als Drittes kommt hinzu: Unternehmensspezifisches Wissen wird wie ein öffentliches Gut von mehreren Kalkulationsobjekten der Unternehmung gemeinsam erzeugt, gepflegt und genutzt. Eine Zurechnung ist kaum möglich und würde Kalkulationen mit zu vielen Annahmen belasten. Diese drei Bemerkungen zu Grenzen des finanziellen Führungssystems unterstreichen die im letzten Kapitel getroffene Aussage, dass in den ersten beiden Phasen (Jahreszeiten) Positionierung und Entrepreneurship das strategische Management im Vordergrund steht, während erst in den beiden folgen Phasen Wachstum und Ertrag die finanzielle Führung ihre volle Kraft entfaltet.
10
Risikomanagement
Für die Bewältigung von Risiken baut die Unternehmung ein eigenes Managementsystem auf. Auch wenn Risiken hinsichtlich möglicher Schadenshöhe und Eintrittswahrscheinlichkeit verschiedenartig sind, konzentrieren wir uns hier auf Preisänderungsrisiken. Das Management von Preisrisiken dient als repräsentatives Beispiel für das Risikomanagement der Unternehmung. Die Preise für Rohstoffe oder Währungen ändern sich auf unsichere Weise im Zeitverlauf. Preisrisiken können über Terminkontrakte weitergegeben werden. Die Unternehmung (beziehungsweise ihr Eigentümer) kann sie auch selbst tragen. Dieses Kapitel beruht auf dem Buch des Autors über Finanzierung (Finance, 4. Aufl. 2010, Oldenbourg Verlag). Die Themen: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.
Preisrisiko Terminmarkt Backwardation und Contango Replikation Terminkurs Hedging Sollte eine Unternehmung hedgen? Fragen zur Lernkontrolle Lernpunkte und Ergänzung
10.1
Preisrisiko
Wir betrachten den Markt für Kakao. Für diesen Nahrungsmittelrohstoff stellt sich ein lebendiger Markt ein. Dies besonders während und kurz nach der Ernte, die zwischen Oktober und Mai stattfindet. Weil die Übergabe der Ware (des Kakaos) und die Bezahlung zum selben Zeitpunkt wie die Vertragsschließung erfolgen, also „on the spot“, wird dieser Markt als Spot-Markt oder Kassamarkt bezeichnet. Der dortige Preis ist der Kassapreis. Obwohl die Handelsplätze auf Kontinente verteilt sind, stellt sich an ihnen ein übereinstimmender Preis ein, der somit das globale Angebot und die globale Nachfrage ausdrückt. Denn Kakao ist gut transportierbar und bei größeren Preisdifferenzen wird Angebot und Nachfrage umgelenkt. Dennoch gibt es gewisse lokale Unterschiede. Denn wenn der Kakao-Preis in Sumatra steigt, so weiß niemand, der davon beispielsweise in Afrika erfährt, ob weltweit die Nachfrage zunimmt oder ob es nur eine vorübergehende lokale Produktionsstörung gab. Trotz dieser Unterschiede sprechen wir beim Kassamarkt in der Einzahl. Selbstverständlich ändert sich der Preis am Kassamarkt im Zeitverlauf. (1) Er zeigt gewisse, durch den Erntezyklus bestimmte Regelmäßigkeiten. (2) Des weiteren gibt es Trends aufgrund der bekannten, weltweiten Entwicklung von Angebot und Nachfrage über die kom-
142
II Unternehmertum
menden Jahrzehnte hinweg. (3) Schließlich zeigt der Kassapreis zufällige, nicht prognostizierbare Bewegungen nach unten wie nach oben. Zum Teil gehen sie auf politische Unruhen zurück. Gerade durch sie ist der Preis wenig prognostizierbar. Weder die Plantagen noch die Abnehmer von Kakao kennen die zukünftige Preisentwicklung. Sie alle sind einem Preisrisiko ausgesetzt. Als Folge dieses Preisrisikos können sie schlechter planen. Das ist ein Nachteil für alle. Einzelne Paare von Anbietern und Nachfragern sind deshalb dazu übergegangen, bilaterale Vereinbarungen zu treffen. So ist vorstellbar, dass die Plantage A in Westsumatra mit dem Schokoladenhersteller B in Deutschland ein Abkommen trifft. Danach wird in einem halben Jahr, nach Ernte und Verarbeitung, die Menge von 100 Tonnen Kakao von A zu B geliefert, wobei dann ein bestimmter Preis, der mit F bezeichnet sei, von B an A zu zahlen ist. Der Preis F wird bereits bei Vertragsabschluss vereinbart. Der Transfer der Ware und die Bezahlung erfolgen später zum vereinbarten Fälligkeitstermin T. Dieses bilaterale Abkommen ist ein Termingeschäft.
Bei einem Kassageschäft wird das Objekt (Metall, Rohstoff, Wertpapier, Fremdwährung) des Kaufs und Verkaufs innerhalb jener Frist übertragen, in der das Clearing und Settlement – Zusammenfassung der aufgrund von Bestellungen zustande gekommenen Forderungen und Verpflichtungen sowie die Zahlung der fälligen Positionen – organisatorisch und technisch abgewickelt werden kann. Bei einem Termingeschäft vereinbaren die beiden Vertragsseiten die Lieferung und die Entgegennahme des Objekts zu einem Zeitpunkt, der weiter in der Zukunft liegt. Vom Grundsatz her können zwei Parteien ein Termingeschäft abschließen, das erst nach Jahren fällig wird. Indessen ist die übliche Laufzeit kürzer. Bei den meisten Termingeschäften liegen zwischen Vertragsabschluss und Fälligkeit drei Monate bis ein Jahr. Der Preis für den späteren Transfer des Objekts, der Terminkurs, wird bei Abschluss des Terminvertrags vereinbart. Er ist später von jener Vertragspartei zu zahlen, die sich zur Entgegennahme des Objekts verpflichtet. Die andere Partei muss das Objekt liefern und erhält den Terminkurs bezahlt.
Die Person, die ein Termingeschäft abschließt und dabei die spätere Entgegennahme und Bezahlung des Objekts verspricht, geht long und nimmt eine Long-Position ein. Die Partei, die per Termingeschäft die Lieferung des Objekts bei Fälligkeit zusagt, geht short und übernimmt somit eine Short-Position. Ein Termingeschäft bietet beiden Vertragsseiten Vorteile. Beide haben ihre Preisunsicherheit beseitigt. Die Kakaoplantage A kennt den Lieferpreis und kann besser planen. Sie hat ihre Ernte „auf dem Halm“ verkauft. Der Schokoladenproduzent B kennt seinen Bezugspreis für Kakao, den Terminkurs, und kann gleichfalls besser planen. Beide Partner sehen die Möglichkeit zu Termingeschäften als Verbesserung gegenüber einer Situation, in der es lediglich den Kassamarkt gibt. Auch wenn beide Vertragsseiten die Vorteile eines Termingeschäfts erkennen, gibt es später bei Fälligkeit immer eine Seite, die in folgendem Sinn das Nachsehen hat. Denn zur Fälligkeit des Termingeschäfts dürfte der Kassapreis wohl vom seinerzeit vereinbarten Terminkurs verschieden sein. Die eine oder andere Partei würde daher vom Termingeschäft zurücktreten wollen. Doch das ist vertraglich ausgeschlossen. Zur Sicherheit ist bei Termingeschäften
10 Risikomanagement
143
üblich, dass die Partei mit der geringeren Bonität und Reputation der anderen einen Geldbetrag als Garantie hinterlegt. So muss eine Unternehmung meist eine Garantiezahlung leisten, wenn sie mit einer Bank ein Termingeschäft etwa über eine Währung abschließt. Die Objekte für ein Termingeschäft sind Waren, Nahrungsmittel, Metalle, Rohstoffe, Energie, Wertpapiere oder Fremdwährungen. Sie heißen Basiswert oder Underlying. Als Basiswert eignet sich weiter ein Portfolio aus Wertpapieren, ein Basket.
10.2
Terminmarkt
Ein Termingeschäft ist ein bilateraler Vertrag. Beide Vertragsparteien sehen die beiderseitigen Vorteile, solche Geschäfte frühzeitig zu vereinbaren. Gibt es dennoch Verbesserungsmöglichkeiten? Hier sind zwei Anhaltspunkte: (1) Sowohl der Verkäufer A als auch der Käufer B dürften in ihren bilateralen Verhandlungen Mühe haben, sich auf einen Terminkurs zu einigen. Denn bei den bilateralen Gesprächen fließen nur die den beiden Partnern zur Verfügung stehenden Informationen ein. Informationen, die Dritte haben, bleiben unberücksichtigt. Eventuell kommt es noch auf die Handelsmacht an, was für die Einigung abträglich wäre. (2) A oder B könnten während der Laufzeit des Termingeschäfts mit neuen Umständen konfrontiert werden, weshalb sie oder einer von ihnen vielleicht aus dem laufenden Termingeschäft aussteigen wollten. Das ist nur möglich, wenn sich die Gegenseite mit einer vorzeitigen Vertragsbeendigung einverstanden erklärt. Eine solche Situation löst wiederum komplizierte Verhandlungen aus. Beide Punkte werden gelöst, indem ein Markt für Termingeschäfte ins Leben gerufen wird. Die Termingeschäfte werden so gestaltet, dass jede Seite ihre Rechte und Pflichten einem beliebigen Dritten übertragen kann. So soll A, der eine Lieferpflicht zum Preis F gegenüber B eingegangen ist, diese Position einer anderen Plantage C übertragen dürfen, ohne dass die Zustimmung von B verlangt wäre. Gleichermaßen soll der Abnehmer B seine Pflicht, die vereinbarte Menge entgegen zu nehmen und den Terminkurs zu bezahlen, einer Partei D übertragen dürfen, ohne dass die liefernde Plantage – egal ob es immer noch A oder inzwischen schon C ist – dazu gefragt werden muss. Solchermaßen fungible Verträge werden als Terminkontrakte bezeichnet. Der Markt für Terminkontrakte wird als Terminmarkt bezeichnet. Letztlich wäre es auch an einem Terminmarkt denkbar, dass die Abschlüsse jeweils zwischen zwei beliebigen Teilnehmern getätigt werden. Dadurch bleibt allerdings eine Problematik bestehen: Jene Seite, die aufgrund der zwischenzeitlichen Preisentwicklung am Kassamarkt aus dem Terminkontrakt inzwischen benachteiligt ist, könnte versucht sein, sich davonzustehlen, indem sie das Geschäft einer dubiosen Partei andient. Um dies zu vermeiden, werden Terminbörsen so organisiert, dass jeder Marktteilnehmer nur noch mit der Börsenorganisation als Gegenpartei Abschlüsse tätigen kann (nicht aber mehr mit anderen Marktteilnehmern).
Ein jeder Marktteilnehmer muss die Börse als Gegenpartei anrufen, wenn er eine Position aufbauen oder wenn er eine gehaltene Position auflösen will. Die Börse wird bei Neuabschlüssen und bei Preisänderungen Garantiezahlungen verlangen. Aufgrund des Überblicks über alle Transaktionen kann die Börse die Preise für Terminkontrakte so setzen, dass sich in der Summe alle Geschäfte, seien sie long oder short, für sie ausgleichen.
144
II Unternehmertum
Zudem beschränkt sich die Börse auf wenige, stark standardisierte Terminkontrakte. Durch die Order, Long-Positionen oder Short-Positionen zu öffnen oder zu schließen, kann die Börse zu jedem Handelstag zwischen Beginn und Fälligkeit der Kontrakte laufend aktuelle Konditionen stellen, die das gesamte Angebot und die gesamte Nachfrage ausdrücken und daher eine ausgesprochen breite Informationsbasis aufweisen.
Um diese Konstruktion einer Terminbörse zu betonen, werden die Kontrakte als Futures bezeichnet (Einzahl: Future). Große, so organisierte Terminbörsen sind die CME Group mit Hauptsitz in Chicago, die deutsch-schweizerische Eurex Exchange mit Sitz in Frankfurt, die NYSE Euronext mit Sitz in London und als Terminbörse für Rohöl und Rohstoffe die ICE in Atlanta. An Terminmärkten können auch Parteien teilnehmen, die den Basiswert weder herstellen noch industriell benötigen. Diese Marktteilnehmer steigen in die dort gehandelten, laufenden Kontrakte oder Futures ein, wenn sie eigene Informationen über die zukünftige Preisentwicklung haben, auf die sie setzen wollen. Gelegentlich werden diese Personen als Spekulanten bezeichnet. Später, kurz vor Fälligkeit, schließen die Spekulanten ihre Position, um nicht das physische Underlying liefern oder entgegen nehmen zu müssen. So wird die Informationsbasis, aufgrund derer sich Terminkurse bilden, sehr breit. Terminkurse drücken nicht nur die Erwartungen der Hersteller und Verarbeiter der physischen Basiswerte aus. Sie spiegeln die Erwartungen jener Personen, die eigenständig Informationen beschaffen und bereit sind, einen Einsatz für die Überlegenheit dieser Informationen zu leisten. Sie alle engagieren sich in unsichere Zahlungen. Terminmärkte sind daher, auch wenn es sich beim Underlying um einen Rohstoff handelt, Finanzmärkte. Durch die Teilnahme von Personen, die das Underlying weder zu liefern noch entgegenzunehmen in der Lage sind, wird der Terminmarkt groß und der Handel in Kontrakten sehr liquide. Der Terminmarkt kann deutlich liquider als der (meistens geografisch verstreute) Kassamarkt sein. Das bringt Vorteile: Unvollkommenheiten der lokal verstreuten Kassamärkte, an denen zudem oft mit leicht unterschiedlichen Qualitäten des Underlyings gehandelt wird, werden durch den einheitlichen Terminmarkt beseitigt. Durch die Breite des Handels am Terminmarkt gibt es Schutz vor Manipulationen des Marktgeschehens, dem einzelne Kassamärkte ausgesetzt sind. Manipulationen hat es vor der Entstehung großer Terminmärkte immer wieder gegeben, vor allem für Metalle und andere Rohstoffe. Terminkontrakte und Terminbörsen eignen sich auch für Basiswerte, für die es noch gar keinen Kassamarkt gibt. Das ist der Fall, wenn das Underlying eine für später erwartete Ernte ist. Terminbörsen üben eine wichtige Vorläuferfunktion aus: Sie erzeugen bereits vor dem späteren Kassamarkt Preisinformationen. An ihnen können sich die Marktteilnehmer vor Eröffnung des Kassamarkts orientieren. Dadurch wird das Marktgeschehen insgesamt voller und liquider. Weil es bereits einen Handel im Vorfeld gibt, sind auch die später am Kassamarkt entstehenden Preisinformationen zuverlässiger. Terminkontrakte und die Einrichtung von Terminbörsen sind Ausdruck des Reife- und Entwicklungsgrads einer Wirtschaft.
10 Risikomanagement
10.3
145
Backwardation und Contango
Bei Fälligkeit ist der Kurs eines Kontrakts – abgesehen von Kosten der Modalitäten für das Settlement – gleich dem Preis am Kassamarkt. Deshalb werden bereits einige Zeit vorher sich der Kurs für einen Kontrakt am Terminmarkt und der Preis am Kassamarkt annähern. Welcher der Preise übt dabei die Leitfunktion aus? Neue Informationen gelangen über die Terminmärkte in das Finanzsystem, denn sie sind liquider, dicker, offener. Folglich orientieren sich die Preise an den Kassamärkten mehr und mehr an den Kursen für Terminkontrakte. Die Preise an den Kassamärkten konvergieren gegen die Kurse derjenigen Terminkontrakte, die alsbald fällig werden. Im Fälligkeitszeitpunkt stimmen der Kurs des dann auszuführenden Kontrakts und der Kassapreis des Basisobjekts praktisch überein. Zuvor, wenn noch einige Zeit bis zur Fälligkeit ist, bestehen hingegen einige Unterschiede darin, den Basiswert physisch zu besitzen oder per Termin über einen Kontrakt gekauft zu haben. Die Unterschiede betreffen drei Aspekte: 1. Das am Kassamarkt erhältliche Objekt kann sich in seiner Qualität und örtlichen Verfügbarkeit von dem (standardisierten) Underlying des Terminkontrakts unterscheiden. Diese Unterschiede werden als Basis bezeichnet. Die Basis kann sich im Zeitverlauf ändern. Wenn dies wenig prognostizierbar ist, dann ist die Basis unsicher. 2. Wer das Underlying nicht sofort benötigt und es am Kassamarkt kauft, statt per Terminkontrakt die spätere Lieferung zu vereinbaren, hat zwei Kostenfaktoren zu berücksichtigen. (1) Der volle Kaufpreis muss am Kassamarkt bereits sofort bezahlt werden, weshalb, bezogen auf den Bedarfszeitpunkt, Finanzierungskosten entstehen. (2) Wer das Underlying physisch lagert, hat Lagerhaltungskosten, darunter Kosten für die Reduktion des Werts physischer Objekte durch Alterung, Mode und technischen Fortschritt. 3. Wer den Basiswert lagert, hat Vorteile und Chancen, weil er sofort lieferbereit wäre, falls unerwartet Nachfrage auftreten sollte. Wer Metalle lagert und daher lieferbereit ist, der kann höhere Preise erzielen, falls plötzlich Spitzenbedarf einsetzt. Wer Metalle hingegen nur per Terminkontrakt später erhält, der kommt in solchen Situationen zu spät. Der Vorteil, der mit der sofortigen Verfügbarkeit des Underlyings bei physischer Lagerung verbunden ist, heißt Convenience-Yield. Auch die Convenience-Yield ist unsicher. Bei Nahrungsmitteln und dem Erntezyklus unterworfenen Basiswerten spielen der erste und der zweite Punkt hinein. Beide begründen Unterschiede zwischen dem Kassakurs des Basisobjekts und dem Kurs eines Terminkontrakts. Rohstoffe und Metalle werden für die industrielle Produktion benötigt. Deshalb wird die Preisbildung von überraschenden konjunkturellen Entwicklungen bestimmt. Bei Rohstoffen und Metallen wird daher der dritte Punkt bedeutend. In einem plötzlichen Konjunkturaufschwung gewinnen physische Lager an Wert. Der Kassapreis steigt über den Terminkurs an und der Terminkurs fällt unter den Kassapreis (Abbildung 10-1). Danach bewegt sich der Terminkurs bis zur Fälligkeit nach oben und beide Größen konvergieren. Diese Konstellation zwischen Kassapreis und Terminkurs heißt Backwardation. Allgemein wird eine Konstellation als Backwardation bezeichnet, wenn Kontrakte kürzerer Fälligkeit am Terminmarkt einen höheren Kurs haben als länger laufende Kontrakte mit späterer Fälligkeit. Bei überraschender Verlangsamung des Wirtschaftswachstums (Konjunktureinbruch) schwindet die Convenience-Yield. Es bleiben die Kosten für Finanzierung und Lagerhaltung. In einer eher rezessiven Situation fallen die Kassapreise unter die Terminkurse (Abbildung 10-2). Da-
146
II Unternehmertum
Preis (Kassamarkt) und Kurs (Terminmarkt) Preis
Terminkurs
Zeit
Parallele Entwicklung von Kurs und Preis
Überraschung: Konjunkturaufschwung
Phase: Backwardation
Abbildung 10-1: Backwardation: In einer Zeit ohne konjunkturelle Überraschungen (links) laufen der Preis am Kassamarkt und der Kurs am Terminmarkt unter Schwankungen parallel. Tritt eine positive konjunkturelle Überraschung ein (Mitte), dann zieht der Kassapreis an, während der Terminkurs zurückfallen kann. Anschließend (rechts) kommen mit nähernder Fälligkeit der Terminkurs und der Kassapreis immer näher.
Preis (Kassamarkt) und Kurs (Terminmarkt)
Terminkurs
Preis
Parallele Entwicklung von Kurs und Preis
Überraschung: Rezession
Phase: Contango
Abbildung 10-2: Contango: In einer Zeit ohne konjunkturelle Überraschungen (links) laufen der Kassapreis und der Terminkurs parallel. Tritt eine negative konjunkturelle Nachricht ein oder droht überraschend eine Rezession (Mitte), dann fällt der Kassapreis, während der Terminkurs nur langsam zurückgeht und möglicherweise sogar etwas steigt – immerhin könnte bis Fälligkeit die Rezession schon wieder vorbei sein. Anschließend (rechts) bewegen sich Terminkurs und Kassapreis mit nähernder Fälligkeit aufeinander zu.
10 Risikomanagement
147
nach konvergieren Preis und Kurs, wobei der Terminkurs über dem Kassapreis bleibt. Die Konstellation heißt Contango. Allgemein wird eine Konstellation als Contango bezeichnet, wenn an den Terminmärkten die Kontrakte mit späterer Fälligkeit höhere Kurse haben als jene mit baldiger Fälligkeit.
10.4
Replikation
Als Underlying für Terminkontrakte und Futures kommen neben Rohstoffen Wertpapiere sowie Baskets und Indizes (Portfolios aus Wertpapieren) in Frage. Selbst wenn der Kassamarkt für Wertpapiere bereits gut funktioniert, können sich immer noch Terminmärkte bilden und haben ihre Berechtigung. Denn auch Personen, die nicht Geld investieren und dazu am Kassamarkt eine Aktie oder eine Anleihe kaufen wollen, können über Terminkontrakte ihre Informationen einbringen. Diese Akteure verbessern mit ihrem Engagement auf dem Terminmarkt die Informationsbasis für die Einschätzung der weiteren Entwicklung. Außerdem verhelfen sie zu einer verbesserten Allokation der Preisrisiken. Bei Wertpapieren wie Aktien und Anleihen oder bei Portfolios aus solchen Wertpapieren sind sowohl die Lagerhaltungskosten als auch die Convenience-Yield im Zeitverlauf vergleichsweise stabil. Auch die Basis kann gering gehalten werden. Deshalb ist der Unterschied zwischen dem Kurs eines Terminkontrakts und dem Preis des Wertpapiers am Kassamarkt letztlich nur durch zwei Faktoren bestimmt: (1) Finanzierungskosten. (2) Kuponzahlungen und Dividenden, die zwar dem Halter des Wertpapiers zugutekommen, nicht aber dem Investor, der das Wertpapier auf Termin gekauft hat. In erster Annäherung gleichen sich diese beiden Einflussfaktoren aus, sodass der Terminkurs und der Kurs eines Wertpapiers im Kassamarkt fast übereinstimmen. Phänomene wie Backwardation und Contango, die bei Metallen und Rohstoffen eine große Rolle spielen, weil die Convenience-Yield unsicher ist, spielen bei Wertpapieren keine Rolle. Allgemein gilt: Wenn die Lagerung des Underlyings möglich ist und weder Basis, noch Lagerhaltungskosten oder die Convenience-Yield Unsicherheiten bergen, dann kann das, was ein Termingeschäft leistet, durch einen finanzierten Kauf und Lagerung des Underlyings nachgebildet, repliziert werden. Der Terminkurs steht daher in einer klaren Beziehung zum Kassapreis (sowie zu den Finanzierungskosten, den Lagerkosten und der Convenience-Yield). Diese Aussage wird durch eine Überlegung begründet, die generell in der Welt der Finanzen wichtig ist. Es ist die Überlegung der Nachbildung oder Replikation: Angenommen, eine Unternehmung habe als Referenzwährung den Euro. Sie möchte heute zum Zeitpunkt t = 0 einen bestimmten Betrag einer Fremdwährung (zum Beispiel USD) per Terminkontrakt kaufen, jedoch erst ein Jahr später zu t = 1 erhalten und dann bezahlen. Der Preis F – er drückt aus, wie viele Euro für $1 bei Lieferung der Dollar zu t = 1 gezahlt werden müssen – wird also heute zu t = 0 vereinbart. Die Unternehmung könnte ein Termingeschäft abschließen.
148
II Unternehmertum
Indessen kann die Unternehmung die Wirkung des Termingeschäfts auch anders herbeiführen:
Sie könnte die Dollar bereits heute zum Spotpreis S kaufen und bis t = 1 auf ein Dollarkonto legen (direkte Notation: Derzeit kostet oder bringt ein Dollar S Euro). Bei diesem Weg müsste die Unternehmung den Kaufpreis S in Euro zwar sofort bezahlen, doch sie kann einen Kredit aufnehmen. Die Finanzierung des Kaufpreises verlangt kalkulatorisch die Aufnahme und Verzinsung eines Euro-Kredits. Auf der anderen Seite kann die Unternehmung die auf dem Kassamarkt gekauften Dollar in ein Dollarkonto anlegen und erhält Zinsen.
Der Kauf des Underlying auf dem Kassamarkt, die Finanzierung des Kaufpreises, und die Lagerung des Underlyings bilden den Kauf auf Termin nach. Sie replizieren den Terminkontrakt. J. M. KEYNES hat die Replikation am Beispiel der Zinsparität verdeutlicht. In diesem Beispiel möchte eine Unternehmung, die aus ihren Geschäften eine Dollareinnahme erwartet, sich dadurch absichern, dass sie per Termingeschäft mit ihrer Hausbank hinsichtlich des Dollars short geht. Wir zeichnen die Überlegungen nach. Ziel ist zu erkennen, dass auch die Bank, die bei dem Termingeschäft long geht, sich ihrerseits absichern kann. Angenommen, eine Unternehmung mit Referenzwährung Euro möchte $1.000 in einem Jahr liefern, vielleicht weil sie Dollar aus Umsatztätigkeit erwartet. Ihre Gegenpartei, eine Bank, die sich zur späteren Entgegennahme der Dollar verpflichtet, könnte sich ihrerseits so absichern:
Die Bank nimmt heute einen Dollarkredit auf, bei dem in einem Jahr $1.000 zur Zahlung von Zinsen und Tilgung dienen – gerade diejenigen $1.000, die sie aus dem Termingeschäft von der Unternehmung erhalten sollte. Der Kreditbetrag beträgt 1.000/(1 + rUSD ) Dollar, wobei rUSD jener Zinssatz ist, zu dem die Bank den Dollarkredit erhält. Nun wechselt die Bank den Kreditbetrag von 1.000/(1 + rUSD ) Dollar in Euro auf dem Kassamarkt. Dort sei die Währungsparität S (in direkter Notation). Die Bank erhält demnach S ⋅1.000/(1 + rUSD ) Euro. Diesen heutigen Euro-Betrag legt die Bank auf ein Jahr als Euro-Festgeld an. Dafür erhalte sie den Zins rEUR. In einem Jahr hat sie demnach S ⋅ (1 + rEUR ) ⋅1.000/(1 + rUSD ) Euro. Diesen Betrag kann die Bank (nach Abzug einer Kommission), der Unternehmung bereits heute als Gegenwert für die später zu liefernden Dollar zusagen.
Ein Zahlenbeispiel: Clara hält US-Bonds. Sie erhält Kuponzahlungen und später den Nominalbetrag zurück, doch sie hat mit ihrem Portfolio ein Zinsrisiko und außerdem ein Währungsrisiko – denn sie denkt und rechnet in Euro. Andererseits beträgt die Restlaufzeit der Bonds ohnehin nur noch ein Jahr. Das Zinsrisiko ist daher nicht mehr besonders hoch. Durch Abwarten der Tilgung könnten die ansonsten fälligen Transaktionskosten vermieden werden. Clara entschließt sich, den Dollarkurs für sich auf heutigem Niveau einzufrieren. Sie verkauft ihrer Bank $100.000 per Termin. Auch wenn der Dollar stark steigen könnte, muss sie keine Garantiezahlung leisten. Die heutige Währungsparität beträgt S = 0,77 Euro für einen Dollar. Der Einjahreszinssatz für Euro beträgt 2 %, der für Dollar ist 3 %. Sie errechnet als Terminkurs:
S ⋅ (1 + rEUR )/(1 + rUSD ) = 0,77 ⋅1,02/1,03 = 0,7625 Euro.
10 Risikomanagement
149
Die Hausbank erklärt, der Terminkurs für den Ankauf von USD durch sie in einem Jahr sei 0,7580 Das ist etwas geringer als der kalkulierte Terminkurs von 0,7625, weil die Bank selbst Kosten hat und einen Gewinnbeitrag erzielen will. Andere Kunden, die Dollar auf Termin von der Bank kaufen wollen, erhalten hingegen 0,7670 als Terminkurs gestellt. Dann entdeckt die Bank vielleicht, dass sie sich mit der aus einem Kundengeschäft entstandenen Position selbst einem Währungsrisiko ausgesetzt hat. Die Bank, die per Termingeschäft verspricht, Währungen oder Wertpapiere zu einem späteren Zeitpunkt zu liefern (oder entgegenzunehmen), kann darauf aber verzichten, das von ihr eingegangene Preisrisiko sofort abzusichern. Die Bank entscheidet vielleicht, ihre Positionen später selbst abzusichern. Sie kauft dann (per Termin oder am Kassamarkt) die Währungen oder Wertpapiere, die zu liefern sie vereinbart hat. Spätestens zum Zeitpunkt der Fälligkeit wird sie Deckungskäufe vornehmen. Dieselbe Replikation, die zur Argumentation der Höhe des marktgerechten Terminkurses diente, kann nun zur Konstruktion eines Hedge dienen. Im vorliegenden Fall wird die Bank beispielsweise selbst den entsprechenden Dollarbetrag auf dem Kassamarkt kaufen und in einem Dollarkonto verzinslich halten, bis sie die Dollar dem Kunden liefern muss.
10.5
Terminkurs
Im Kapitalmarkt gibt es regelmäßig diverse Möglichkeiten, die sich in gewissen Kombinationen gegenseitig substituieren. Der Kapitalmarkt ist zusammenhängend und dick. Folglich müssen die verschiedenen Möglichkeiten, die dasselbe bewirken und sich nachbilden oder replizieren, dieselben Kosten oder Preise haben. Sonst würden die teureren Möglichkeiten nicht mehr benutzt und würden verschwinden. Wenn viele Wege nach Rom führen, müssen sie (im perfekten Markt) alle gleichwertig sein. Deshalb gibt es bei Währungstermingeschäften eine Beziehung zwischen dem Kurs am Terminmarkt F einerseits sowie den drei Größen andererseits: (1) Währungsparität am Kassamarkt S. (2) Zinssatz Euro (Kosten der Finanzierung). (3) Zinssatz Dollar (Vorteil aus dem Halten des Basisobjekts). Eine jede Person wird vor einem Engagement per Terminkontrakt die dargestellte Replikation des Termingeschäfts in Erwägung ziehen. Im Beispiel muss gelten:
F = S⋅
1 + rEUR 1 + rUSD
(10-1)
Analog werden Terminkurse gefunden, wenn es nicht um die Lieferung und Entgegennahme eines Betrags in einer Fremdwährung geht, sondern um die Lieferung und Entgegennahme eines anderen, lagerbaren Underlyings. Wenn eine Person in einem Jahr eine bestimmte Aktie oder ein Wertpapier haben möchte, dann könnte sie anstatt eines Terminkontrakts das Wertpapier sofort kaufen und den Kauf mit einem Kredit finanzieren. Auch dann ist der Terminkurs durch den heutigen Kurs des Wertpapiers bestimmt. Er erhöht sich leicht, weil die Zinsen für den Kredit zu berücksichtigen sind, und zwar im Zähler der Bewertungsformel (10-1). Der Terminkurs erhöht sich weiter, weil Depotkosten für die Aufbewahrung des Wertpapiers hinzukommen. Der Terminkurs verringert sich, wenn der Halter während der Laufzeit eine Dividende oder Kuponzahlung beziehen kann.
150
II Unternehmertum
Diese Überlegungen lassen sich für ein allgemeines Termingeschäft übertragen, bei dem das Underlying ein lagerbares Objekt ist: Der Terminkurs muss zu jedem Zeitpunkt genau so hoch sein wie die Kosten für einen vorfinanzierten Kauf des Underlyings auf dem Kassamarkt mit anschließender Lagerung bis zur Fälligkeit T. Denn ansonsten würden sofort Ausweichgeschäfte einsetzen. Zur Notation: Die auf ein Jahr bezogene Verzinsung wird als Faktor 1 + r geschrieben. Weiter seien c die auf den gelagerten Wert bezogenen Lagerkosten für ein Jahr und y bezeichne die Convenience-Yield. Sie drückt den geldwerten Vorteil sofortiger Lieferung in Relation zum Wert des gelagerten Basisobjekts aus. Mit diesen Bezeichnungen lautet die (10-1) entsprechende Formel bei einem Termingeschäft mit Laufzeit eines Jahres:
F0,1 = S0 ⋅
(1 + r ) ⋅ (1 + c) 1+ y
(10-2)
Dieser Zusammenhang kann auf unterjährige Zeiträume der Länge T ausgedehnt werden sowie auf Zeiträume, die länger als ein Jahr dauern. Hier das Ergebnis:
F0,1 = S0 ⋅
exp(T ⋅ ln(1 + r ))⋅ exp(T ⋅ ln(1 + c)) (1 + r )T ⋅ (1 + c)T = S0 ⋅ T (1 + y ) exp(T ⋅ ln(1 + y ))
(10-3)
Im Zähler stehen Größen, die für die Nachbildung des Terminkontrakts durch den finanzierten Kauf auf dem Kassamarkt und die Lagerung entstehen, im Nenner die Vorteile der Lagerhaltung.
S0 ist der Kassapreis zum Zeitpunkt t = 0. Finanzierungskosten: r ist der Zinssatz. Lagerkosten: c sind die wie eine Rendite ausgedrückten Kosten für die Aufbewahrung des Basisobjekts. Convenience-Yield: Die Rate y drückt den Vorteil der Lieferbereitschaft aus.
Für den Terminkurs F0,T ist unerheblich, welche Erwartungen die Person oder die Gegenseite über den Preis ST des Basisobjekts haben, der zum Zeitpunkt der Fälligkeit des Termingeschäfts T gelten dürfte (und aus Sicht des heutigen Zeitpunkts t = 0 unsicher ist). Wenn die Marktteilnehmer mehrheitlich ein Ansteigen des Preisniveaus für das Underlying erwarten, dann kommt es sofort zu Preissteigerungen im Kassamarkt und zu Kurssteigerungen im Terminmarkt – die Beziehung (10-2) bleibt intakt. Wenn ein Kursverfall erwartet wird, kommt es zu einem Preisrutsch im Kassamarkt und zu einer Korrektur der Terminkurse – wieder bleibt (10-2) intakt. Selbstverständlich können sich neue Informationen auf die Zinssätze auswirken. Dadurch kann sich der Bruch in (10-2) ändern. Der Terminkurs hängt nicht direkt von der Volatilität des Basisobjekts ab, also von der Größe der Preisschwankungen im Kassamarkt. Wenn sich die Volatilität ändert, der Preis des Basisobjekts und die anderen Größen in der Formel unverändert bleiben, dann ändert sich der Terminkurs nicht. Übrigens lassen sich die Formeln (10-1) bis (10-3) so lesen, als ob der Terminkurs sich aus dem Preis am Kassamarkt ableite. Doch die Formeln zeigen nur, dass Preis und Kurs zusammenhängen. Wir hatten schon bemerkt, dass eher der Terminkurs die leitende Kraft entfaltet und der Preis am Kassamarkt folgt.
10 Risikomanagement
10.6
151
Hedging
Ein Aktienanleger halte am 1. Januar für €€100 Aktien in genau jener Zusammensetzung, die dem Index entspricht. Der Index sei ein Total-Return-Index. Das heißt, der Index bildet die Kursentwicklung ab und berücksichtigt Dividenden. Auf diesen Index können Terminkontrakte abgeschlossen werden mit Fälligkeiten zum Ende der nächsten Quartale. Angenommen, der Investor teilt nicht die Erwartungen der Marktteilnehmer in ihrer Gesamtheit und befürchtet persönlich, dass bis Jahresende die Kurse einbrechen. Er möchte den derzeitigen Wert seines Portfolios bis Jahresende sichern. Dazu bieten sich zwei Möglichkeiten an: Verkauf der Aktien am Kassamarkt und Anlage des Verkaufserlöses bis Jahresende auf dem Geldmarkt zum Zinssatz. Versprechen der Lieferung des Aktienportfolios per 31.12. mit einem Terminkontrakt. In diesem Fall kann er über das Jahr hinweg noch die Dividenden beziehen und erhält am Jahresende den vereinbarten Terminkurs. Absicherungsgeschäfte werden häufig getätigt. An Finanzmärkten stellen sich die Kurse so ein, dass beide der eben dargestellten Varianten dasselbe Ergebnis zeitigen. Wir vernachlässigen Transaktionskosten und nehmen an, der Zinssatz sei r0 = 5 %. Dann bringt die erste Variante (Verkauf der Aktien am Kassamarkt und sichere Anlage des Erlöses) per Jahresende einen Wert von 105 Geldeinheiten. Für die Aktien sei eine Dividendenrendite von 3 % unterstellt. So ist F = 100 ⋅ (1 + 5%)/(1 + 3%) = 102 der Terminkurs. Bei der zweiten Variante (Verkauf der Aktien per Termin) erhält der Investor zunächst 3 Geldeinheiten aus den Dividenden und am Jahresende den vereinbarten Terminkurs von 102 Geldeinheiten, zusammen ebenso 105 Geldeinheiten.
Ak
tie
n
Ergebnis
105 100
Terminverkauf
Indexstand am 31.12. 100
Abbildung 10-3: Das Payoff-Diagramm für die Aktienposition ist durch die 45-Grad-Gerade dargestellt: Der Wert des Aktienportfolios ist gleich dem finalen Indexstand. Das Payoff-Diagramm eines Verkaufs der Aktien per Termin (oder das eines Verkaufs der Aktien und sicherer Anlage des Erlöses) ist flach, unabhängig vom Indexstand per Jahresende.
152
II Unternehmertum
Die Ergebnisse der Absicherung sind für die beiden, äquivalenten Wege in einem PayoffDiagramm dargestellt. Es zeigt das Gesamtergebnis per Fälligkeit des Kontraktes in Abhängigkeit des dann vorliegenden Kursniveaus für das Underlying (Abbildung 10-3). Der Payoff der Absicherung ist flach: Das Gesamtergebnis ist unabhängig vom Indexstand am Jahresende. Es hat das Niveau von 105 Geldeinheiten. Ebenso ist der Payoff gezeigt, falls der Investor trotz seiner Befürchtungen einfach die Aktien behält. Sollte der Indexstand auf über 105 steigen, wäre selbstverständlich das nicht abgesicherte Aktienportfolio besser. Die gezeigte Absicherung wird auch als Einfrieren oder als Hedge des Portfoliowerts bezeichnet. Der Investor ist gegen Kursverluste geschützt und verzichtet zugleich an Kursavancen teilzunehmen. Unter einem Hedge wird daher der temporäre Einsatz von Terminkontrakten zur Absicherung eines Preisrisikos verstanden. Der Abschluss eines Terminkontrakts ist mit deutlich geringeren Transaktionskosten verbunden, weshalb sich bei einem Einfrieren die Variante des Terminkontrakts gegenüber einem Verkauf der Aktien am Kassamarkt empfiehlt, besonders wenn der Investor nach Ablauf des Jahres wieder ein Engagement in Aktien eingehen möchte.
10.7
Sollte eine Unternehmung hedgen?
Bislang wurde gezeigt:
Einzelne Risikoarten wie etwa ein Währungsexposure können im Portfolio einer Person oder einer Unternehmung unwirksam gemacht werden, indem dem Portfolio durch Terminkontrakte eine entsprechende Gegenposition hinzugefügt wird. Je nachdem, wie viele Terminkontrakte zum Portfolio hinzukommen, gleicht sich das ursprüngliche, durch die Geschäfte der Person oder Unternehmung begründete Exposure entweder ganz aus, verringert sich, wird sogar in ihr Gegenteil verwandelt oder sogar noch verstärkt.
Aufgrund dieser Ergebnisse liegt dieser Schluss nahe: „Es bedarf wohl keiner Begründung, dass die Unternehmung Risiken hedgen sollte. Die Frage ist lediglich, welches der optimale Umfang ist.“ Doch die Intuition, dass offene Positionen stets gehedgt werden sollten, ist zu hinterfragen. Ob eine Unternehmung ein bestimmtes Exposure, zum Beispiel ein Währungsrisiko, absichern sollte oder nicht, verlangt eine nähere Beschreibung ihrer Situation. Hier sind drei Situationen zu unterscheiden. Die erste Situation oder Annahme unterstellt, die Entscheidung über das Hedging betreffe allein die Stabilität der finanziellen Ergebnisse und habe ansonsten keine Wirkungen auf das wirtschaftliche Umfeld der Unternehmung. Außerdem soll das Hedging zu Marktkonditionen erfolgen, weshalb es nicht darauf ankommt, ob die Unternehmung selbst stabilisiert oder ob die an den Finanzergebnissen berechtigten Eigenkapitalgeber hedgen. Es wird schon so sein, dass die Eigenkapitalgeber vielleicht ein stabilisiertes Ergebnis wünschen, sodass am Ende gehedgt wird. Doch es spielt keine Rolle, ob dies nun die Unternehmung tut oder die Eigenkapitalgeber.
10 Risikomanagement
153
Risikofaktoren $, Zins, Marktrisiko
Geschäftsplan legt Exposure fest
Portfolio Hedgeentscheidung
HedgingInstrumente: Forwards, Futures,...
(Wert, Cashflow, Bilanzbild)
Geschäftsplan und Hedgingentscheidung
Realisation exogener Faktoren
Realisation eines konkreten Ergebnisses
ex post Ausgleich
Partner, Bonität, Versicherung
Nutzen oder Bewertungsfunktion Abbildung 10-4: Der Vorgang des Hedging: Ausgehend von den Geschäften einer Unternehmung ergibt sich ein gewisses Exposure gegenüber diversen Risikofaktoren wie einer Fremdwährung, dem Zinssatz oder dem Risiko eines Aktienindexes. Sodann wird überlegt, welche Terminkontrakte oder Futures sich als Instrumente für ein Hedge eignen. Die dann zu treffende Entscheidung legt fest, wie viele Forwards oder Futures eingegangen werden sollen. So ergibt sich ein Portfolio, das neben den Risiken aus den Geschäften die Risiken aus der Position von Terminkontrakten oder Futures umfasst. Sodann tritt die Realisation der unsicheren Größen ein. Es kann dann noch einen Ausgleich geben, weil Partner und Versicherungen helfen oder weil das Eigenkapital das Tragen von Verlusten erlaubt. Der Saldo muss dann durch eine Nutzenfunktion bewertet werden.
154
II Unternehmertum
Selbstverständlich muss hierzu kommuniziert werden, doch das ist in einem transparenten Markt mit perfekter Informiertheit aller Parteien kein besonderer Punkt. So hat im perfekten Markt Hedging keine Wirkung auf den Unternehmenswert. Diese Erkenntnis ist eines der Irrelevanztheoreme von MODIGLIANI und MILLER (MM-Modell). In der Praxis gibt es natürlich gewisse Transaktionskosten und die Unternehmung hat andere Konditionen beim Hedging als viele Eigenkapitalgeber. Dann sollte jene Partei hedgen, welche die kostengünstigsten Möglichkeiten dazu hat. Selbst wenn also Hedging nicht auf die wirtschaftliche Tätigkeit wirkt, wird in der Praxis gefragt, wer zu welchen Kosten absichern kann. Eine zweite Situation liegt vor, wenn die durch Hedging bewirkte finanzielle Stabilisierung (des Ergebnisses, des Portfolios oder der Zahlungsüberschüsse) für die Unternehmung positive Wirkung auf ihr wirtschaftliches Umfeld hat. In diesem Fall sollte selbstverständlich die Unternehmung hedgen. Sie erreicht mit Hedging eine gewisse Wertsteigerung. Die Unternehmung sollte deshalb auch dann hedgen, wenn dies mit gewissen Transaktionskosten verbunden ist. Solche positive Wirkungen finanzieller Stabilität wurden von JEREMY C. STEIN, KENNETH FROOT und DAVID SCHARFSTEIN (1993, 1994) untersucht, weshalb vom SFSModell gesprochen wird. Die Autoren nennen einige Gründe, aus denen die Stabilisierung der Ergebnisse (Gewinn, Cashflow) das wirtschaftliche Umfeld der Unternehmung günstig beeinflusst:
Zunächst wird sich die Kreditwürdigkeit der Unternehmung erhöhen, denn Fremdkapitalgeber schätzen stabilisierte Cashflows. Das Rating verbessert sich. Eine stabilisierte finanzielle Situation erlaubt es, Opportunitäten zu ergreifen, wenn sie sich der Unternehmung bieten. Sie könnte beispielsweise attraktive Investitionen tätigen, auch wenn gerade das Betriebsergebnis aufgrund der Preise für Inputs und Outputs schwach ist, weil es durch ein positives Finanzergebnis (Hedging) ausgeglichen wird. Außerdem wird die Kommunikation zu Aufsichtsgremien und zu Aktionären klarer, wenn die Ergebnisse und Cashflows stabilisiert sind.
Eine dritte Situation – das strategische Hedging – liegt vor, wenn sich durch Hedging die strategische Konfiguration und Position der Unternehmung im Wettbewerb mit der Konkurrenz verändert. Wir hatten erwähnt, dass sich durch Preisrisiken der Wettbewerb im Produktmarkt verschieben kann. Wenn es Konkurrenten gibt, die nicht hedgen, dann könnten sie möglicherweise die Ressource vorteilhafter am Kassamarkt kaufen oder verkaufen und dadurch Nachfrage auf sich ziehen. Das strategische Hedging zielt auf die Convenience-Yield ab. Auch in dieser dritten Situation beeinflusst Hedging den Unternehmenswert. Ob positiv oder negativ hängt indessen davon ab, ob die Unternehmung im Vergleich mit den Wettbewerbern eine geschickte Positionierung hinsichtlich der Convenience-Yield erreicht oder letztlich dabei verliert. Hedging wirft diverse Fragen auf: (1) Können die Unternehmung und ihre Eigenkapitalgeber zu denselben Konditionen hedgen? Gibt es Transaktionskosten? (2) Gibt es positive Wirkungen aufgrund der durch Hedging erzielten Stabilität? (3) Hat Hedging direkte Wirkungen auf die Position der Unternehmung in den Faktor- und Produktmärkten im Vergleich zu ihren Konkurrenten? Antworten: erste Situation: MODIGLIANI und MILLER (MM) gehen von einem perfekten Markt aus und sehen von Wirkungen ab, die Hedging auf das wirtschaftliche Umfeld haben
10 Risikomanagement Tabelle 10-1:
155
MM-Welt, SFS-Modell und strategisches Hedging im Vergleich.
Modellannahme
Aussage
Praktische Konsequenz
Da die berechtigten Eigenkapitalgeber zu denselben Marktkonditionen hedgen können, spielt es keine Rolle, ob die Unternehmung absichert oder ob dies die Eigenkapitalgeber tun.
Das Management muss transparent machen, welche Positionen die Unternehmung absichert und welche nicht, damit die Eigenkapitalgeber ihre persönlichen Dispositionen treffen können.
Hedging stabilisiert das finanzielle Ergebnis, was die wirtschaftlichen Umstände der Unternehmung zum Positiven verändert.
Das Management sollte in jedem Fall hedgen, selbst wenn es gewisse Transaktionskosten geben sollte.
Die Frage, ob Preisrisiken abgesichert werden oder nicht, beeinflusst die Position und die Aktionsmöglichkeiten der Unternehmung im Produkt- und im Faktormarkt.
Das Management sollte sich an Best-Practices orientieren, um in den Produkt- und Faktormärkten nicht durch die Konkurrenz überrascht zu werden.
MM-Modell: Hedging erfolgt zu Konditionen, die im Markt für alle übereinstimmen, und es hat keine Wirkungen auf die sonstigen wirtschaftlichen Möglichkeiten der Unternehmung. SFS-Modell: Hedging stabilisiert die finanzielle Position und begünstigt dadurch die wirtschaftlichen Umstände der Unternehmung. Strategisches Hedging: Finanzielles Hedging hat Wirkungen auf die Position der Unternehmung gegenüber Konkurrenten in den Produktund Faktormärkten.
könnte. Hedging beeinflusst die ursprünglich getätigten oder neu zu tätigende Geschäfte in keiner Weise. STEIN, FROOT, SCHARFSTEIN (SFS) zeichnen eine zweite Situation: Die durch Hedging erreichte Stabilisierung begünstigt das Umfeld der Unternehmung. Drittens kann Hedging direkte realwirtschaftliche Wirkungen haben, weil es die Position gegenüber Konkurrenten im Produkt- oder Faktormarkt verändert. Hedging bewirkt in der ersten Situation (MM) keine Änderung, insbesondere keine Erhöhung des Werts der Unternehmung. In der zweiten Situation (SMS) kann Hedging durchaus den Wert der Unternehmung erhöhen. In der dritten Situation (strategisches Hedging) kann keine generelle Antwort gegeben werden, ob Hedging vorteilhaft oder abträglich ist. Hier spielen die Strategien der Konkurrenten hinein.
10.8
Fragen zur Lernkontrolle
1. a) Welche Vorteile entstehen, wenn für Terminkontrakte ein Markt eingerichtet wird? b) Welches sind die wichtigsten Unterschiede zwischen Terminkontrakten und Futures? c) Ist es korrekt, die Futures-Börse als einen Makler zu sehen, der Angebot und Nachfrage zusammenbringt, selbst aber keine Positionen übernimmt? 2. a) Was wird unter der Convenience-Yield verstanden? b) Wenn die Convenience-Yield ansteigt, dürfte dann der Kurs eines Terminkontrakts eher steigen oder fallen? 3. Eine Unternehmung erwartet Erlöse in USD und möchte die Dollar per Termin verkaufen. Erläutern Sie, wie Sie stattdessen das geplante Termingeschäft replizieren könnte.
156
II Unternehmertum
4. a) Was wird unter Backwardation verstanden, was unter Contango? b) Warum treten diese Phänomene nicht auf, wenn das Underlying eine Währung oder ein Wertpapier ist? 5. JEREMY C. STEIN, KENNETH FROOT und DAVID SCHARFSTEIN (1993, 1994) untersuchen, weshalb vom SFS-Modell gesprochen wird. 6. STEIN, FROOT und SCHARFSTEIN nennen einige Gründe, aus denen eine durch Hedging bewirkte Stabilisierung der Ergebnisse (Gewinn, Cashflow) das wirtschaftliche Umfeld der Unternehmung günstig beeinflusst. Nennen Sie drei dieser Gründe. 7. Sollte eine Unternehmung überhaupt hedgen oder nicht besser die Preisrisiken der offenen Positionen tragen? Geben Sie Ihre Antwort jeweils bezogen auf die mit MM, SMS und strategisches Hedging bezeichneten Situationen.
10.9
Lernpunkte und Ergänzung
Der Terminkurs hängt für einen lagerbaren Basiswert direkt mit dem Kassapreis zusammen, vergleiche Formeln (10-1) bis (10-3). Erwartungen über die Preisänderungen bewegen sowohl den Terminkurs als auch den Kassapreis. Allerdings ist gerade bei Rohstoffen die Convenience-Yield eine unsichere Einflussgröße, die in dem Zusammenhang (im Nenner) erscheint.
Die Nachbildung oder Replikation zeigt verschiedene Wege, ein vorhandenes Preisrisiko abzusichern. Einerseits ist es gelegentlich möglich, die risikobehaftete Position zu verkaufen. Andererseits kann auf dem Terminmarkt ein Kontrakt gekauft und dem Portfolio hinzugefügt werden, der das betreffende Risiko neutralisiert.
Kommt überraschend ein Konjunkturaufschwung, ist es (wegen der Convenience-Yield) gut, wenn die Unternehmung physische Ware auf Lager hält. Backwardation tritt ein. Eine Konstellation heißt Backwardation, wenn der Terminkurs unter dem Kassapreis liegt und Kontrakte kürzerer Fälligkeit am Terminmarkt einen höheren Kurs haben als länger laufende Kontrakte mit späterer Fälligkeit.
Kommt überraschend ein Konjunkturabschwung, dann geht die Convenience-Yield zurück und es ist gut, wenn die Unternehmung kein großes Lager hält, sondern sich benötigte Rohstoffe per Terminkontrakt gesichert hat. Contango tritt ein. Eine Konstellation wird als Contango bezeichnet, wenn der Terminkurs über dem Kassapreis liegt und wenn Kontrakte mit späterer Fälligkeit höhere Kurse haben als jene mit baldiger Fälligkeit.
MM (nach MODIGLIANI und MILLER) bezeichnet eine Situation, in der Terminkontrakte keinen Einfluss auf die reale Geschäftstätigkeit haben. SFS (nach STEIN, FROOT und SCHARFSTEIN) bezeichnet eine Situation, in der das Hedging die realwirtschaftliche Tätigkeit begünstigt. Mit strategischem Hedging wird eine Situation bezeichnet, in der Hedging die Position und Strategie der Unternehmung im Wettbewerb verändert. In der mit MM bezeichneten Situation ist Hedging für eine Unternehmung irrelevant, in der mit SFS bezeichneten Situation erhöht (richtig vorgenommenes) Hedging den Unternehmenswert. In der strategischen Situation ist Hedging relevant, doch es ist unklar, welches Hedging und welcher Umfang die Positionierung gegenüber der Konkurrenz begünstigt.
10 Risikomanagement
157
Zur Ergänzung wird eine Definition des Risikobegriffs gewagt. Risiko findet sich in praktisch allen Lebenssituationen und stellt ein vielschichtiges Phänomen dar. Risiko und Risikomanagement können so verstanden werden: Risiko ist die Möglichkeit zufälliger Veränderungen, die eine vorliegende, realistische Planung der operativen Geschäftstätigkeit durchkreuzen und (1) aufwändige Sonderaktivitäten, Planänderungen und Notmaßnahmen auslösen können und (2) die Erwartung von Opportunitäten vernichten können. Risikomanagement umfasst Vorkehrungen und ihre organisatorische Umsetzung zur Identifikation jener zufälligen Einflussfaktoren und ihrer Wirkungen sowie die Selektion und das Ergreifen von Maßnahmen zur Vermeidung beziehungsweise zur Kompensation allfälliger Planänderungen.
Immer wieder wird nach generellen Ansätzen gefragt, mit denen Risiken bewältigt werden können. In diesem Kapitel haben wir einen Ansatz kennengelernt: Ein gegensätzlich gerichtetes Risiko wird dem eigenen Portfolio hinzugefügt, wodurch sich das betreffende Risiko oder Teilrisiko ausgleicht (vergleiche Abbildung 10-4). Das gegensätzlich gerichtete Risiko wird für diverse Risikoarten – darunter Währungsrisiko, Zinsrisiko, Preisrisiko – in Terminkontrakten geboten. Hat die Unternehmung eine Long-Position in ihrem Portfolio, die abgesichert werden soll, dann wird per Terminkontrakt oder Future eine Short-Position hinzugefügt. Wer in seiner ursprünglichen Position bereits eine Verpflichtung hat, der kann sie durch Hinzufügen einer Long-Position per Terminkontrakt oder Future absichern. Zur ersten Art der finanziellen Bewältigung von Risiken sind auch Versicherungskontrakte zu zählen. In beiden Fällen – Terminmarkt, Versicherungen – werden Risiken im Kollektiv alloziiert. Eventuell wird im Rahmen der kollektiven Risikoallokation auch eine gewisse Diversifikation ermöglicht. Eine zweite Art der Risikobewältigung besteht darin, die betreffenden Risiken erst gar nicht einzugehen. Das wäre dumm, wenn es als Aufforderung verstanden würde, jede Geschäftstätigkeit einzustellen. Hier ist etwas anderes gemeint. In der Wirklichkeit ist es anders als im perfekten Markt, wo jeder alle Informationen hat. In der Wirklichkeit müssen unsichere Entwicklungen beobachtet werden. Die Fähigkeit und die Kosten der Beobachtung unsicherer Entwicklungen unterscheiden sich aber von Person zu Person. Im Sinne einer Arbeitsteilung durch Spezialisierung ist maßgebend, wer komparative Vorteile im Hinblick auf die Risikobeobachtung hat. Die zweite Empfehlung lautet also nicht, „übernehme überhaupt kein Exposure“, sondern: „Übernehme kein Exposure in Risiken, bei deren Beobachtung Du keinen komparativen Vorteil hast.“ Man soll also keine Risiken eingehen, die man weder versteht, noch kalkulieren oder beobachten kann. Allenfalls dürfen Risiken eingegangen werden, bei deren Kalkulation, Beobachtung und Beurteilung man einen komparativen Vorteil hat. Eine dritte Art der Risikobewältigung besteht im Durchhalten. Das jedoch kann nur, wer nicht Gefahr läuft, dabei an eine Grenze zu geraten, die teure Sondermaßnahmen auslöst. Die Fähigkeit zum Tragen von Risiken ist daher an Eigenkapital als „Puffer“ und „Risikoträger“ gebunden.
III
Wirtschaftspolitik
11
Geld und Bankensystem
Vom Geld zu Banken und zur Zentralbank: In diesem elften Kapitel unserer Einführung in die Wirtschaft behandeln wir das Geldwesen eines Landes. Die Themen: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.
Geldwesen Banknoten Ist das Vertrauen gerechtfertigt? Geld in Form von Zeichen Abheben oder Überweisen Geschäftsbanken Zentralbank Geld drucken Fragen zur Lernkontrolle Lernpunkte und Ergänzung zum Staatsbankrott
11.1
Geldwesen
Der Begriff Geld leitet sich aus dem indogermanischen Wort für Gold und aus der althochdeutschen Bezeichnung für gelten, vergelten, vergüten ab. In der modernen Welt ist Geld ein abstraktes Mittel oder Medium, mit dem, unterstützt durch ein System, Zahlungen getätigt werden können. Das Geld und das System zusammen bilden das Geldwesen des Landes oder des Währungsgebietes. Als Zahlungsmittel erleichtert Geld das Marktgeschehen, die Arbeitsteilung und die Verfolgung des erwerbswirtschaftlichen Prinzips. Finanzmärkte sind ohne Geld nicht vorstellbar. Geld soll neben seiner (1) Funktion als Zahlungsmittel drei weitere Funktionen leisten: (2) Geld soll seinen „Wert“ behalten und daher die Wertaufbewahrung über die Zeit hinweg ermöglichen. Damit ist der Erhalt der Kaufkraft gemeint. (3) Außerdem soll das Geld eine allgemein benutzte Recheneinheit für Wertgrößen bieten sowie (4) einen über die Zeit stabilen Standard für Geschäfte, die Zahlungen zu verschiedenen Zeiten vorsehen – hiermit sind Finanzkontrakte angesprochen. Der britische Schriftsteller NORMAN ANGELL (1874– 1967, Friedensnobelpreis 1933) reimte: Money is a matter of functioning four, a medium, a measure, a standard, a store. Die Definition unterstreicht, dass Geld in einem System verwendet wird. Das System ist rechtlicher, wirtschaftlicher und technischer Natur. Zu ihm gehören Institutionen, die neues
162
III Wirtschaftspolitik
Geld ausgeben (schöpfen), voran die Zentralbank. Sie wird durch Geschäftsbanken unterstützt, die sich an Unternehmen und die Privatkundschaft wenden und für ihre Kundschaft Konten führt, die Sichtguthaben zeigen. Weiter umfasst das System die technische Infrastruktur im Zahlungsverkehr, das Clearing und Settlement (Auf- und Abrechnen von Forderungen sowie die Zahlungen zum Forderungsausgleich) sowie Karten. Heute sind drei Kartentypen üblich, die Cash-Karte (pay before), die Debit-Karte (pay now) und die Kreditkarte (pay later). Schließlich gehören Gesetze, Gewohnheiten und Traditionen zum System und damit zum Geldwesen. Geld hat eine lange Geschichte. Am Anfang dienten seltene oder als wertvoll angesehene Waren (Schmuck, Edelmetalle, Edelsteine, Tücher, Felle, Salz) für Zahlungen, für das Entrichten von Steuern, für die Aussteuer, für Geschenke. Das Warengeld wurde etwa um 600 v. Chr. durch Münzen aus Bronze oder Kupfer und mit hohen Anteilen von Silber und Gold abgelöst. In China um 1160 (Kaiser KAO TSUNG) und in Europa um 1700 kamen das Papiergeld und dann Buchgeld auf, also Geld in Form von Kontoständen (Sichtguthaben). Heute hat Geld überwiegend die Form elektronisch gespeicherter Zeichen. Mit den Formen des Geldes haben sich auch die entsprechenden Systeme gewandelt. Drei Entwicklungsphasen für das Geldwesen – Geld und System – sollen unterschieden werden. Früher hatte Geld die Form von Gold- und Silbermünzen. Gold- und Silber hatten und haben an sich nicht viele direkte Verwendungen, und selbst Schmuck (heute 20 % der Verwendung neu gewonnenen Goldes) hilft nur indirekt bei der Befriedigung elementarer Lebensbedürfnisse. Doch Gold und Silber waren seit je her für den Kauf von Waren und das Bezahlen von Dienstleistungen geschätzt. Vor allem daraus erklärt sich die allgemeine Akzeptanz der Münzen. Goldmünzen wurden gern akzeptiert, weil jeder darauf vertrauen konnte, dass sie auch weiterhin akzeptiert sein würden. Die Seltenheit, der Glanz und die Freiheit von Korrosion haben die allgemeine Wertschätzung der Edelmetalle unterstützt. Gedeckt waren Goldund Silbermünzen erstens durch die Erwartung, sie überall einsetzen zu können, und durch die Erwartung, dass sie ihre Kaufkraft nicht verlieren würden. Anders ausgedrückt: Die Münzen wurden vor allem aus zwei Gründen akzeptiert: (1) Sie wurden akzeptiert, weil jeder erwarten konnte, dass sie auch weiterhin akzeptiert würden. (2) Es gab Wochenmärkte, überall boten sich Arbeitskräfte an, hier und da wurde Land angeboten, sodass für Münzen tatsächlich Waren, Vermögensobjekte und Dienste erhältlich waren. Als Beispiel erwähnen wir den Solidus als Münze mit weitverbreiteter, lange währender Akzeptanz: KONSTANTIN DER GROßE (römischer Kaiser zwischen 306 bis 337) schuf im Jahr 310 den Solidus, eine Münze aus 4,55 g Gold – ihr heutiger Goldwert wäre bei €€200. Der Solidus wurde über 1000 Jahre in ganz Europa verwendet und wird als „Dollar des Mittelalters“ bezeichnet. Das zu Geld in Form von Münzen passende System war einfach. Die Gold- und Silbermünzen wurden von einer Stadt oder von einem Patriarchen geprägt, der Gold- und Silberminen kontrollierte und Hoheitsrechte besaß. Durch Ausgabe von Geld konnte diese Autorität die
11 Geld und Bankensystem
163
Infrastruktur des Landes aufbauen, Bauern und Söldner für sich gewinnen, Prachtbauten errichten. Durch die Entlohnung kam das Geld in Umlauf und förderte die Wirtschaft. Dieser damalige Effekt darf nicht unterschätzt werden, doch ob er sich heute noch so einfach wiederholen lässt, ist umstritten. JOHN KENNETH GALBRAITH (1908–2006) meinte noch, bei Konjunktureinbrüchen und mangelnder Nachfrage solle die Regierung Geldscheine vom Hubschrauber aus abwerfen. Die Finder würden die Geldscheine aufgreifen und ausgeben, und davon ginge eine letztlich für alle Menschen nützliche Belebung der Wirtschaft aus. Dieser keynesianischen Idee hat indes der Monetarist MILTON FRIEDMAN (1912–2006) widersprochen. Der von GALBRAITH gezeichnete belebende Effekt setzt voraus, dass Konsumwunsch allgemein vorhanden ist, dass aber niemand Geld hat und deshalb das Wirtschaftsgeschehen blockiert ist. Außerdem führt die lockere Verteilung von Geld zu Inflation. Die Maßnahme führt wohl aber nicht zu einer Steigerung von Produktion und Konsum, wenn die Menschen gesättigt sind und zusätzliches oder leicht zu erhaltenes Geld in Vermögensobjekte anlegen und auf diese Weise eine Preisblase nähren.
Solange es keine Banken gab, musste Geldvermögen vollständig als Vorrat von Münzen gehalten werden. Wie Funde belegen, wurden Münzen vergraben, um das Geldvermögen zu schützen. Durch Völkerwanderungen und Handel wurden verschiedenste Münzen gleichzeitig verwendet. Tausch wurde von Geldwechslern anhand der Edelmetallgewichte vorgenommen. Von daher war der Goldgehalt wichtig. Er bestimmte den „Außenwert“ einer Münze. Sollten dennoch schlechte Münzen aufgetaucht sein, so hat natürlich jeder versucht, sie wie den Schwarzen Peter sofort weiterzugeben. Die guten Münzen sind in der eigenen Kasse geblieben. Das Gresham-Kopernikanische Gesetz aus dem 16. Jahrhundert besagt, dass schlechtes Geld das gute aus dem Umlauf verdrängt. Wenn die Autorität den Goldgehalt der Münzen verringert hat, wurde folglich sogleich die in Umlauf befindliche Geldmenge auf die des leichten Geldes verringert. Denn das schwere Geld wurde sofort dem Umlauf entzogen und gehortet. Da „leichtes“ Geld nur unzureichend akzeptiert wurde, brachen Handel und Produktion zusammen. Irgendwann musste eine Währungsreform durch Ausgabe neuer Münzarten seitens einer glaubwürdigen Instanz stattfinden. Zum System (als Teil des Geldwesens) gehört Vertrauen in die Instanz, die das Geld ausgibt. Weiter gehörten zum System all das aus Spielfilmen Bekannte: Schatztruhen, geschützte Transporte, Bücher für Aufzeichnungen. Die Landesfürsten hatten bald das Recht an sich gezogen, Münzen auszugeben. Im Römischen Reich waren es Senat und Kaiser. So wurde die Münzvielfalt eingeengt. Die Münzen waren infolgedessen leichter identifizierbar. Das vereinfachte den Zahlungsvorgang und verschaffte diesen Münzen bessere Akzeptanz.
164
11.2
III Wirtschaftspolitik
Banknoten
Die zweite Entwicklungsphase des Geldes ist mit dem Aufkommen der Banken (1600–1700) verbunden. Die Geldwechsler – nach ihrem Tisch (banco) bald als Banquiere angesprochen – hatten Expertise zur Prüfung der Münzen und sie genossen Vertrauen. Die Geldwechsler boten an, Münzen sicher zu verwahren und stellten Quittungen über den Goldoder Silbergehalt aus. Sie waren jederzeit gegen Vorlage und Rücknahme der Quittungen bereit, Münzen herauszugeben – Münzen zwar mit demselben Gold- oder Silbergehalt, doch physisch andere Münzen. Für wohlhabendere Personen war die Einlagemöglichkeit willkommen, denn sie erübrigte das Vergraben oder Verstecken von Geldvermögen. Da die Einlagen also für eine gewisse Zeitdauer getätigt wurden, konnten die Banquiere die Münzen in der Zwischenzeit anders verwenden. Insbesondere konnten sie die deponierten Münzen als Kredit ausleihen. Die Kreditnehmer waren Fürsten und andere hochangesehene Personen. Sie konnten mit den Krediten Investitionen finanzieren. Die erwarteten Rückflüsse sollten helfen, den Kredit zurückzuzahlen. So mancher Krieg wurde als Investition gesehen, denn die erhoffte Kriegsbeute sollte die Ausgaben übersteigen. Sodann konnten die Banquiere einen Kreditzins vereinbaren. Ein Teil der Einnahmen der Bank konnte jenen Kunden als Anlagezins gegeben werden, die Goldmünzen verwahrt hielten. Umso attraktiver war es für die Anleger, Goldmünzen bei einer Bank zu deponieren. Bald darauf haben die Banquiere die Quittungen übertragbar gestaltet. Die Quittungen oder Notizen oder Noten der Banquiere konnten daher gut als Zahlungsmittel verwendet werden, ohne dass sie zuvor in Münzen zurück getauscht werden mussten. Das erleichterte den Zahlungsverkehr nochmals, denn die Banknoten sagten klar, was der Inhaber an Goldoder Silbergewicht bekommen könnte – sofern er dies für nötig hielte. Noch dazu erweiterten die Banquiere die Einlösbarkeit ihrer Banknoten, in dem sie sich zu korrespondierenden Banken zusammenschlossen und auf diese Weise ein größeres geografisches Gebiet abdeckten. Kaufleute aus dem Norden Europas haben Messen in Südfrankreich oder Italien besucht und dort entweder direkt mit den mitgebrachten Banknoten bezahlt oder sich vor Ort damit Münzen besorgt. Durch Prüfung der Person, die eine Quittung vorlegte, wurde Raub unmöglich. Kleider machen Leute. Die korrespondierenden Banken hatten untereinander nur dann und wann den Saldo der eingelösten Banknoten zu begleichen.
11.3
Vertrauen gerechtfertigt?
Das alles konnte nur funktionieren, wenn die angehenden Banquiere höchstes Vertrauen bei den Anlegern aufbauen konnten. Wer Goldbarren oder Goldmünzen deponierte, musste sicher sein, dass der Banquier wohl in der Lage sein würde, später die Quittungen zurückzunehmen und das Edelmetall herauszugeben. Die Anleger wussten natürlich vom Grundsatz her von der Kreditvergabe. Sie wussten auch, dass nicht alle ausgegebenen Banknoten zum
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selben Zeitpunkt zurückgegeben werden konnten. Doch für einen solchen Bankensturm bestand kein Anlass. Die von einer Bank ausgegebenen Noten waren nun teils durch deponiertes Gold gedeckt, teils durch die Kredite. Doch die Kredite sollten der Bank in überschaubarer Zeit zurückgegeben werden. Einerseits erhielten jene, die Edelmetalle und Münzen bei Banken einlegten, einen Anlagezins. Andererseits bestand immer eine wenn auch in normalen Zeiten nur geringe Gefahr, dass die Bank nicht in der Lage sein könnte, die ausgegebenen Quittungen (Banknoten) zurückzunehmen. Wichtig war, dass der Banquier wohl darauf achtete, dass die Kreditnehmer Investitionen tätigten und Kredite nicht für Konsum verbrauchten. Staatshäupter sollten notfalls die Kredite auch aus Steuereinnahmen bezahlen können. Andere Kreditnehmer mussten Bürgschaften beibringen. Banknoten konnten in einer blühenden Wirtschaft für alle Formen von Zahlungen und Ausgaben verwendet werden. Das Vertrauen in die Banquiere und die aufblühende Wirtschaft vermittelten die Überzeugung, das Geld in Form von Banknoten sei gedeckt. Beim Aufbau von Vertrauen half den Banquieren der Staat, und zwar aus zwei Motiven: Erstens konnte der Staat das eigene Geld sicher verwahren lassen. Zweitens gehörten die Fürsten und der Staat zu den Kreditnehmern. Selbstverständlich hat der Staat aus beiden Motiven das Ansehen der Banquiere hochgehalten. Später hat der Staat die Banken des Landes sogar geschützt. Für den Schutz sprechen dann auch andere Gründe, so etwa der Erhalt von Effizienz und Stabilität des Geldwesens. Landesherren und Kleriker haben ihr Geldvermögen bei einer Bank deponiert und das Wissen um diese Tatsache hat das Vertrauen in die Bank gestärkt. So verwahrte die Bank von ULRICH FUGGER in Augsburg, gegründet 1426, das Geldvermögen des Adelshauses Habsburg. Die Bank erhielt 1508 auch das Recht, Münzen im Auftrag der Päpste zu prägen. Verbindungen zwischen Banken und Trägern von Gesellschaft, Politik und Kirche trugen zu allen Zeiten dazu bei, das Vertrauen in die Banken zu stärken.
Bei hohem Vertrauen in die Bank kam es nicht sofort zu Rückzügen. Die Bank konnte sogar mehr Banknoten schreiben, als sie Einlagen hatte, ähnlich wie ein Veranstalter mehr Tickets ausgeben kann, als Plätze vorhanden sind. Die Bank hat Geld geschöpft und als Kredite herausgelegt. Für das Vertrauen auch weiterhin war wichtig, dass die Kreditnehmer die geliehenen Banknoten für Investitionen verwendeten oder sonstige Einnahmen hatten. Durch die Trennung des Wertobjekts (Gold) und des Zeichens (Banknote) wurde es möglich, Geld (auch ohne zusätzliche Einlagen von Gold) zu schöpfen und als Kredite zu vergeben. Der für Kredite verlangte Zins gestattete es der Bank, die Zinseinnahmen teils an jene Kunden zu geben, die bei ihr Gold oder Goldmünzen einlegten. Mit der Trennung von Goldeinlage und Geldausgabe (Banknote) wurde die Bank zum Intermediär zwischen Anlegern und Kreditnehmern. Die Trennung des Wertobjekts (Gold) und des Zeichens (Banknote), um mehr Zeichen ausgeben zu können, ist keine Entdeckung der Banken der Neuzeit. Im siebten Jahrhundert vor Christus hat König MIDAS (Kleinasien) versucht, die Menge ausgegebenen Geldes zu erhöhen, indem er den Goldgehalt pro Münze reduzierte. Damit verschwand das schwere Geld sofort aus dem Umlauf – wie viel später das Gresham-Kopernikanische Ge-
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III Wirtschaftspolitik
setz besagen würde. Die Menge des nur widerwillig akzeptierten leichten Geldes war unzureichend, um die Wirtschaft am Leben zu halten. Märkte und Produktion brachen zusammen.
Weil die in einer Bank deponierten Goldmünzen nicht sofort wieder abgezogen worden sind, konnten die Banken Kredite geben. Die Kreditschöpfung führte zu keinem Problem, weil nicht alle Inhaber von Banknoten gleichzeitig kamen (Bankensturm), um sich Gold und Silber gegen Rückgabe der Banknoten aushändigen zu lassen. Vier Eigenschaften haben dies ermöglicht: Der Banquier achtet bei jeder Kreditvergabe auf höchste Bonität des Schuldners (und besteht eventuell auf Bürgschaften). 2. Das gesamte Kreditvolumen muss maßvoll im Verhältnis zu den Einlagen bleiben. 3. Von Vorteil ist, wenn der Banquier selbst reich oder die Bank hohes Eigenkapital hatte, sodass die Rücknahme der ausgestellten Banknoten durch Eigenmittel garantiert ist. 4. Allgemein hohes Ansehen der Banken. 1.
In der heutigen Welt verlangen die ersten drei Eigenschaften eine Regulierung der Banken.
11.4
Zeichengeld
Dritte Entwicklungsphase: Um ein gut funktionierendes Geldwesen zu haben, richtet ein moderner Staat ein legales Zahlungsmittel sowie das dafür passende Zahlungssystem ein, begleitet von entsprechenden Institutionen. Im Englischen wird von Fiat Money gesprochen, wobei der lateinische Ausdruck fiat bedeutet „so soll es geschehen“. Fiat Money ist Geld, dessen Akzeptanz bei Zahlungen darauf beruht, dass es zum gesetzlichen Zahlungsmittel erhoben ist. Das Zahlungsmittel eines Staates und das Zahlungssystem bildet die Währung des Staates, englisch Currency. Eine Währung (vom Mittelhochdeutschen für Gewährleistung) umfasst neben der vom Staat anerkannten Geldart alle technischen Einrichtungen für den Zahlungsverkehr, Institutionen sowie die Ordnung des gesamten Geldwesens eines Staates. Der Währungsraum ist der legale Geltungsbereich einer Währung. Die wichtigste Institution für eine Fiat-Money-Währung ist die Zentralbank. Sie allein darf Geld (Zentralbankgeld) ausgeben. Zentralbankgeld existiert in zwei Formen.
Zentralbankgeld hat die Form von Geldscheinen, die sich in Umlauf befinden. Zentralbankgeld existiert in der Form von Buchgeld, als Guthaben, das die Geschäftsbanken auf Konti haben, die sie bei der Zentralbank unterhalten.
Guthaben, die Unternehmen oder Privatpersonen auf ihren Konti bei den Geschäftsbanken haben, zählen hingegen nicht zum Zentralbankgeld. Es ist auch nicht üblich, Kassenbestände von Geschäftsbanken zur Geldmenge zu rechnen. Eine Geschäftsbank kann jederzeit über die Guthaben verfügen, die sie bei der Zentralbank unterhält. Erstens kann die Geschäftsbank sich Banknoten (der Zentralbank) liefern lassen. Zweitens kann sie Forderungen einer anderen Geschäftsbank begleichen, von der sie sich
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etwa einen kurz laufenden Kredit hatte geben lassen. Dann überträgt die zahlende Bank den entsprechenden Teil ihres Guthabens bei der Zentralbank auf das Konto, das die Empfängerbank bei der Zentralbank unterhält. Allerdings können die Geschäftsbanken nicht ihr gesamtes Guthaben bei der Zentralbank verwenden, weil ein Teil als Mindestreserve gehalten werden muss. Die Definitionen der Geldmenge, die von den Zentralbanken der wichtigsten Währungen verwendet werden, unterscheiden sich leicht. Die Europäische Zentralbank EZB definiert zwei grundlegende Geldmengen so:
M0 = Euro-Banknoten (und Münzen), die sich im Umlauf außerhalb des Bankensystems, also bei Nicht-Banken befinden, darunter solche, die außerhalb des Währungsgebietes verwendet werden, plus den Guthaben der Geschäftsbanken bei der Zentralbank. M1 = M0 + Guthaben (Sichteinlagen), die Nicht-Banken wie Unternehmen und natürliche Personen auf ihren Konti bei den Geschäftsbanken haben.
Privatpersonen (einschließlich der Unternehmungen) haben keine Konten bei der Zentralbank, doch sie können selbstverständlich bei den Geschäftsbanken Konti eröffnen. Die Guthaben der Kundschaft bei den Geschäftsbanken stellen Buchgeld dar. Es handelt sich dabei um Zeichen, die eine Forderung des Kunden gegenüber der Geschäftsbank ausdrücken, nicht aber um Zentralbankgeld. Die Sichteinlagen (Guthaben bei Geschäftsbank) können beispielsweise auf Überweisungen von Lohn zurückgehen, die der Kunde vielleicht erhalten hat. Sie können aber auch auf einen Kreditvertrag zurückgehen. Die Bank hat den Kreditbetrag auf dem Kundenkonto gutgeschrieben.
11.5
Abheben oder Überweisen
Eine Privatperson mit Guthaben bei einer Geschäftsbank kann die Sichteinlagen auf zwei Arten verwenden.
Abheben: Erstens kann sie gegenüber der Geschäftsbank verlangen, dass diese im entsprechenden Betrag Zentralbankgeld aushändigt. Die Geschäftsbank wird dies tun, indem sie aus dem Banktresor (oder an einem Geldautomaten) dem Kunden Geldscheine gibt und das Guthaben auf dem Kundenkonto reduziert. Sollte die Geschäftsbank keine Geldscheine haben, dann wird sie einen Teil ihres Guthabens bei der Zentralbank abheben und sich in Form von Geldscheinen (durch einen Geldtransporter) bringen lassen. Überweisen: Zweitens kann die Person eine Überweisung tätigen. Wenn das Zielkonto bei derselben Geschäftsbank besteht, dann ist die Überweisung ganz einfach. Wenn das Zielkonto bei einer anderen Geschäftsbank eingerichtet ist, dann benachrichtigt die Bank des Kunden die Zielbank und parallel dazu tätigt sie mit ihrem Guthaben, dass sie bei der Zentralbank unterhält, einen Übertrag auf das Konto der Zielbank bei der Zentralbank.
Gesetze, die Wahl integerer Gouverneure und die Kooperation zwischen den verschiedenen Zentralbanken stellen sichern, dass eine Zentralbank die ihr zugedachten Aufgaben erfüllt.
168
III Wirtschaftspolitik
Immer wieder wird gefragt, wodurch Zentralbankgeld gedeckt sei. Die Antwort ist im Grunde ähnlich wie bei Goldmünzen.
Gold als Zahlungsmittel war gedeckt durch (1) die Erwartung, dass auch in Zukunft Gold akzeptiert werden würde und (2) durch die Tatsache, dass eine blühende Wirtschaft es erlaubt, Konsumgüter, Vermögensobjekte, Dienstleistungen zu beziehen. Ganz ähnlich ist das bei Fiat Money. Es ist gedeckt (1) durch die Erwartung, dass es unverändert auch in Zukunft gesetzliches Zahlungsmittel sein wird und (2) durch den Sachverhalt, dass jede und jeder mit Geld viel Nützliches anfangen kann, sofern die Wirtschaft blüht und das Angebot bereithält. In diesem Fall kann sie oder er Güter kaufen, Grundstücke, Immobilien erwerben und so fort.
Wer möchte, kann mit Fiat Money auch Schmuck, Diamanten oder Goldbarren kaufen. Wer möchte, kann Devisen (ausländische Währungen) beziehen. Natürlich hat alles seinen Preis, und die Preise ändern sich. Bei Fiat Money garantiert die Zentralbank keinen Preis, weder den Preis von Diamanten noch den von Goldbarren. Doch die Zentralbank ist bemüht, dass das Geld seine Kaufkraft über die Zeit hinweg behält. Dieses Ziel wird besonders im Hinblick auf Konsumgüter verstanden. Verlangt also ist, dass bei Konsumgütern das Preisniveau sich nicht stark verändert. Das Geldwesen soll der Wirtschaft dienen. Dazu sollte der Zahlungsverkehr erleichtert werden, und auch die Wertaufbewahrung sollte durch das Geld gut möglich sein. Das Zentralbankgeld (Fiat Money) ist daher gedeckt – wenn der Gebrauch dieses Wortes gewünscht ist – durch (1) die Verlässlichkeit der Instanzen und Gesetze und (2) die gut funktionierende Wirtschaft. Beides wird durch gesetzliche Regelungen und eine kluge Politik der Zentralbank unterstützt. Jedenfalls wäre Geld nutzlos ohne laufende Produktion, ohne Güterangebot, ohne Finanzmärkte – egal ob das Geld zu einem festgeschriebenen Preis in Gold getauscht werden kann oder nicht. Die drei Entwicklungsphasen – Goldmünzen, Quittungen, Zentralbankgeld – vergleichend treten diese Punkte hervor: Die Leichtigkeit des Zahlungsverkehrs hat immens zugenommen. Deutlich verbessert sind die Möglichkeiten, Geldvermögen sicher zu verwahren. Sodann ist Kreditschöpfung möglich, wodurch die in Umlauf befindliche Geldmenge an die real- und finanzwirtschaftliche Situation angepasst werden kann. Schließlich – auch dies ist ein Vorteil von Zeichengeld – ist das Vertrauen in das Geld und die Akzeptanz des Geldwesens durch das Rechtssystem gesichert. Das Geldwesen hat die gesetzlichen Möglichkeiten, das Wirtschaften zu stabilisieren und zu fördern.
11.6
Geschäftsbanken
Eine moderne Geschäftsbank erfüllt mehrere Funktionen. Drei stehen im Vordergrund: erstens: Eine Geschäftsbank nimmt Einlagen (Zentralbankgeld) von Kunden entgegen, verwahrt sie, und führt Buch über die Konti. Die Sichteinlagen zeigen, dass der Kunde die Herausgabe von Zentralbankgeld fordern kann. Zweitens: Banken führen für Kunden bargeldlose Zahlungen aus. Hierzu nehmen Geschäftsbanken an einem Zahlungssystem teil, das von der Zentralbank organisiert und überwacht
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wird (wie Target, Target2, Sepa, oder Swift). Wird ein Kundenauftrag erteilt, dann sendet die Geschäftsbank eine Nachricht und parallel dazu tätigt sie (sofern die Empfängerbank eine andere ist) einen Transfer zwischen den Konten, die von Geschäftsbanken bei der Zentralbank unterhalten werden. Drittens: Geschäftsbank bietet Kredite: Nach Prüfung eines Kreditwunsches mit positivem Ergebnis erhöht sie den Kontostand des Kreditkunden. Nicht zuletzt deswegen werden die Banken in Deutschland als Kreditinstitute bezeichnet. In dieser Funktion müssen Banken reguliert werden, weil Kredite ausfallen können und möglicherweise die Forderungen der Sparer uneinbringlich werden. Die Regulierung versucht zu erreichen, dass die Bank hohes Eigenkapital in Relation zu den Risiken und den Beträgen der vergebenen Kredite hat, sodass sie selbst bei Kreditausfällen ihre Solvenz behält – sofern die Kreditausfälle der Höhe nach nicht äußerst unwahrscheinlich sind. Die Regulierungen verlangen vielfältige Berichte. Außerdem stellen die drei genannten Funktionen – Entgegennahme von Einlagen, Zahlungsverkehr, Kreditvergabe – hohe Anforderungen an die Informatik, wodurch größere Institute einen gewissen Vorteil haben. Die meisten Banken betreiben weitere Arten von Bankgeschäften und bieten weitere Dienstleistungen an. Vermögensverwaltung: Eines ist die Geldanlage für die private Kundschaft (Private Banking) sowie die Verwaltung institutioneller Vermögen für Versicherungsgesellschaften und Pensionskassen (Asset Management). Die Bank bietet Rat für die Geldanlage und verschafft den Kunden Zugang zu den Finanzmärkten. Der Rat betrifft (1) die Situation des Anlegers und (2) die individuelle Fähigkeit und Bereitschaft, Risiken zu tragen. (3) Sodann wird über die Situation an den Finanzmärkten informiert. Hierzu bezieht oder betreibt die Bank Research. Außerdem vermittelt die Bank die sichere Verwahrung der Wertpapiere (Custody). Private Banking und Asset Management gelten allgemein als interessant für Banken, weil sie kaum mit Risiken verbunden sind. Daher sind auch die Eigenkapitalanforderungen in der heutigen Regulierung gering. Außerdem gelten die Arbeitsplätze in der Vermögensverwaltung als interessant. Einige der großen Banken sind im Investment Banking tätig: Sie verhelfen Kunden zu Transaktionen an den Primärmärkten. Zwei Kunden stehen im Vordergrund: (1) Große Schuldner wie Länder, Gebietskörperschaften, internationale Institutionen und (2) große Unternehmen müssen immer wieder neue Kredite aufnehmen, sei es zusätzlich oder um auslaufende Kredite abzulösen. Vielfach sind die Beträge zu groß für eine einzelne Bank, die als Kreditgeber fungieren könnte. Die Schuldner müssen daher über den Finanzmarkt zahlreiche Geldanleger gewinnen. Dazu ist Begleitung erforderlich, die von Investmentbanken angeboten wird. Die mit der Emission beauftragte Investmentbank bietet eventuell eine Garantie, Wertpapiere selbst zu übernehmen, wenn nicht ausreichend viele Käufer (Investoren) im Primärmarkt zusagen. Die Garantie hat einen hohen Wert. Das Unterschreiben der Garantie seitens der Investmentbank heißt Underwriting. Außerdem begleiten Investmentbanken Unternehmen, die für die Ersteinführung ihrer Aktien an der Börse die Investorenöffentlichkeit ansprechen. Schließlich betreiben alle Banken ein Eigengeschäft, was im Wesentlichen heißt, dass sie selbst Positionen an den Finanzmärkten eingehen, sei es im Bereich Devisen oder bei Wertpapieren. Da Banken im Aktivgeschäft (Kreditvergabe, Geldanlage) wie im Passivgeschäft (Verkauf von Positionen) tätig sind, wirken Banken mit ihren Eigengeschäften auf manche Beobachter wie riesige Hedge-Funds, die Long- und Short-Positionen verbinden. Aufgrund der Informationen über die Finanzmärkte, welche die Investment-
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III Wirtschaftspolitik
bank Abteilung ohnehin für ihre Arbeit und ihre Kundschaft beschafft, wird das Eigengeschäft der Banken vielfach von den Investmentbankern gestaltet. Doch einige Kommentatoren denken, die Investmentbanker sollten besser nicht mit dem Geld der Bank (und ihrer Kunden) spekulieren. Die zuletzt genannten Geschäftsarten – Kreditgeschäft, Vermögensverwaltung, Investment Banking/Eigengeschäft – ergänzen und begünstigen sich. Beispielsweise könnte die Investmentbank Informationen über Unternehmen, die sie an die Börse begleiten, gleich an die Kreditabteilung weitergeben. Oder die Investmentbank kann die im Rahmen von Underwriting übernommenen Wertpapiere gleich der Kundschaft im Privat Banking andienen. Im Jahr 1932 hatten die amerikanischen Senatoren CARTER GLASS und HENRY B. STEAGALL den Eindruck, dass die nah an den Finanzmärkten operierenden und eher spekulativ vorgehenden Abteilungen für Investment Banking sich allzu leicht mit Krediten aus dem eigenen Haus versorgen. Doch die Kredite sollten nicht für spekulative Eigengeschäfte verwendet werden dürfen. Dieser Einschätzung folgend wurden ein Trennbankensystem und die Idee von „Chinese Walls“ zwischen den Sparten einer Bank etabliert. Der Glass-Steagall-Act findet sich in gewisser Weise durch den Gramm-Leach-Bliley-Act 1999 aufgehoben. Seit Jahren sind in den USA wieder Universalbanken erlaubt. Finanzinstitute dürfen heute unter einem rechtlichen Dach alle Bank- und Versicherungsgeschäfte betreiben.
11.7
Zentralbank
Vorläufer der modernen Zentralbank ist die Bank des Staates oder des Landes. Zu deren Aufgaben gehörte, die Zahlungen des öffentlichen Haushaltes zu tätigen. Überschüssige Mittel sollten angelegt werden. Bei Unterdeckungen waren Kredite aufzunehmen. Meistens mussten dazu Wertpapiere (Staatsanleihen) ausgegeben werden. Die Zahlungen des öffentlichen Haushaltes bestanden aus den Steuereinnahmen, der Besoldung der Beamtenschaft, Auszahlungen für den Aufbau der Infrastruktur des Landes und Sozialleistungen. In Ländern mit Kapitalverkehrskontrollen übernahm die Staatsbank sämtliche Zahlungen mit dem Ausland, also die Einnahme von Devisen für die Exportunternehmen sowie die Bezahlung von Importen. Eventuell mussten Importe erst genehmigt werden. In all diesen Funktionen folgte die Staatsbank den Anweisungen der Regierung. Einige der heutigen Zentralbanken übernehmen zwar immer noch die Aufgabe, die mit dem öffentlichen Haushalt verbundenen Zahlungsvorgänge zu tätigen, öffentliche Gelder anzulegen und Kredite für den Staat zu besorgen. Doch es sind zwei neue Aufgaben hinzugekommen. Die erste Zusatzaufgabe besteht darin, dass die Zentralbank Konti aller Geschäftsbanken führt. Das erklärt wohl auch die Bezeichnung, denn die Zentralbank ist dadurch in das Zentrum der Geschäftsbanken gerückt, deren jede bei ihr ein Konto unterhält. Die früheren Korrespondenznetze der Geschäftsbanken sind sternförmig organisiert und im Zentrum des Sterns steht die Zentralbank.
11 Geld und Bankensystem
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Da die Konten angesprochen werden, sobald eine Bank A im Auftrag eines ihrer Kunden einer Bank B Geld überweist, damit die Bank B anschließend eine entsprechende Gutschrift auf dem Empfängerkonto verbucht, steht die Zentralbank auch im Zentrum des Zahlungssystems der Währung. Sie wird den gesetzlichen Auftrag haben und Sorge dafür tragen, dass dieses Zahlungssystem sichere und hinreichend schnelle Transfers bewerkstelligt. Die zweite Zusatzaufgabe ist die bekannteste: Der Zentralbank ist per Gesetz das ausschließliche Recht (Monopol) zugesprochen, Zentralbankgeld zu schaffen. Die Ausgabe erfolgt heute durch Gutschrift auf einem oder mehreren Konti der Geschäftsbanken, also rein elektronisch (gleichsam durch den Klick mit einer Maus). Die Geschäftsbanken können dann über das neue Guthaben genauso verfügen wie über das bisherige, also für Zahlungen an andere Banken oder um Banknoten abzuheben. Und nur wenn der Vorrat der Zentralbank nicht ausreichen sollte, wird sie den Druck neuer Geldscheine in Auftrag geben. Das Notenbankmonopol führt zu der Frage, mit welchen Vorbedingungen Geschäftsbanken solche Gutschriften erhalten können. Vom Grundsatz her funktioniert dies wie seinerzeit die Ausgabe von Quittungen durch Banken für in Verwahrung genommene Goldmünzen. Wir nennen drei Möglichkeiten:
Die Geschäftsbank reicht bei der Zentralbank Wertpapiere ein und erhält für die Dauer der Verwahrung einen Betrag gut geschrieben (Verpfändung), wobei sie einen Zins zahlen muss. Die Geschäftsbank kann bald fällige und verbriefte Forderungen der Zentralbank zum Aufkauf andienen, die einen Abschlag vom nominalen Wert vornimmt (Diskontierung). Die Leitzinsen werden autonom von der Zentralbank festgesetzt, ebenso wie Bedingungen und Beschränkungen der Verpfändung und Diskontierung. Gleichermaßen kann die Geschäftsbank der Zentralbank Devisen oder Edelmetalle verkaufen. Eine Zentralbank hat auch das Recht, die Guthaben der Geschäftsbanken zu erhöhen, ohne dass diese Wertpapiere hinterlegen oder zur Diskontierung einreichen.
Eine solvente Bank könnte in die Situation geraten, dass sie nicht oder nicht in ausreichendem Umfang Werte bei der Zentralbank verpfänden kann. Vielleicht hat sie auch keine Wertpapiere, die sich für eine Diskontierung eignen. Beispielsweise könnte aufgrund von Gerüchten eine nicht überschuldete Geschäftsbank mit einem Bankensturm konfrontiert werden. Dann gibt die Zentralbank einen Kredit und die Geschäftsbank hebt den Kreditbetrag als Banknoten ab, die der verängstigten Kundschaft ausgehändigt werden. Die Zentralbank hat auch das Recht, einer überschuldeten (insolventen) Bank zu helfen. Sie würde dies wohl tun, um eine Bedrohung der Stabilität des Geldwesens abzuwehren. Sie wirkt als Lender-of-Last-Resort. Bevor die Zentralbank die Rolle als Lender-of-Last-Resort übernimmt, wird sie versuchen, dass andere Parteien der insolventen Bank helfen. (1) Die Zentralbank könnte den Staat ansprechen, der einer insolventen Bank einen Sonderkredit geben könnte. (2) Die Zentralbank und der Staat könnten helfen, neue Eigenkapitalgeber zu finden, die ein Aktienpaket übernehmen. (3) Anleger, die von der Bank ausgegebene Bankanleihen halten, sind vielleicht zu einem teilweisen Forderungsverzicht (Haircut) bereit. Zu diesen Investoren werden Versicherungsgesellschaften und Pensionsfonds gehören. (4) Nur höchst selten dürften Sparer und kleinere Bankkunden zu einer Reduktion ihrer Einlagen bereit sein.
172
11.8
III Wirtschaftspolitik
Geld drucken
Oft wird gesagt, die Regierung lasse von der Zentralbank Geld drucken (und sich ihr aushändigen). Dabei wird auf diese Vorgehensweise angespielt: Die Regierung benötigt Geld, weil der Haushalt nicht ausgeglichen ist, weil ein Krieg ansteht oder weil eine Katastrophe eingetreten ist und schnell verschiedenste Ressourcen zur Rettung beschafft und bezahlt werden müssen. Die Regierung möchte deshalb am Finanzmarkt Kapital aufnehmen, doch vielleicht dauert das zu lange oder es liegt eine Situation vor, in der kein Investor neue Staatsanleihen kauft und keine Investmentbank zu einem Underwriting bereit ist. Dann möchte die Regierung die Zentralbank dazu zwingen, die neuen Staatsanleihen zu kaufen. Die Zentralbank würde neues Geld ausgeben und die Staatsanleihen als Aktiva in ihre Bilanz nehmen. Aufgrund leidvoller Erfahrungen mit dem „Geld drucken“ wurden fast überall Gesetze geschaffen, die eine solche Vorgehensweise einschränken. Jedoch hat eine Zentralbank einen sehr weiten Entscheidungsspielraum. Möglicherweise wird eine Zwischeninstitution gegründet, die einen Staat mit Geldnot unterstützt. Die Zentralbank kauft dann Anleihen, welche die Zwischeninstitution zur eigenen Finanzierung ausgibt. Im Zusammenhang mit dem „Geld drucken“ ist wichtig, ob und wenn ja wie stark abhängig eine Zentralbank von der Regierung ist. Einige Notenbanken sind der Regierung regelrecht unterstellt, andere sind weitgehend unabhängig. Der Grad der Abhängigkeit drückt sich hauptsächlich darin aus, wie umfangreich die Kredite sind, mit denen die Zentralbank letztlich zur Finanzierung der Staatsausgaben beiträgt, und ob diese Kredite offen ausgewiesen werden (oder indirekt über Zwischeninstitutionen gegeben worden sind). Empirische Untersuchungen zeigen, dass in Ländern mit unabhängigen Zentralbanken geringere Kaufkraftverluste über die Zeit hinweg hinzunehmen sind. Das Geld der Länder mit unabhängigen Notenbanken erfüllt besser die Funktion der Wertaufbewahrung. Die höhere Geldwertstabilität unterstützt wiederum die Arbeitsteilung und erlaubt den Unternehmungen, zu kalkulieren, wodurch ebenso das Wirtschaften gefördert wird. Maßnahmen wie die Festsetzung des Leitzinses, die Leichtigkeit der Geldversorgung, die Funktion Lender-of-Last-Resort, und das Ausmaß der Unterstützung des Staates bei defizitärem Haushalt verlangen eine klare Governance der Zentralbank. Die Governance ergibt sich aus drei Merkmalen: (1) dem gesetzlichen Mandat, (2) den Persönlichkeiten, die als Gouverneure ernannt werden; (3) der Beziehung zwischen Zentralbank und Regierung. Bei allen Zentralbanken sieht das Mandat vor, die Währung zu sichern und die Leichtigkeit des Zahlungsverkehrs zu fördern. Über diese Ziele wird kaum noch gesprochen, weil sie so klar sind. Bei den weiteren Zielsetzungen gibt es Unterschiede zwischen den Ländern beziehungsweise Währungsgebieten. Bei der der EZB (Europäische Zentralbank), der BoE (Bank of England) und der BoJ (Bank of Japan) liegt die höchste Priorität beim Erhalt der Geldwertstabilität. Das heißt, die Kaufkraft des Geldes (für Konsumgüter, nicht für Wertpapiere) soll sich nicht zu stark und vor allem nicht unvorhergesehen verändern: Inflation soll eingedämmt werden. Die EZB hat noch ein nachrangiges weiteres Ziel: Sie soll die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Gemeinschaft unterstützen (soweit dies ohne Beeinträchtigung der Preisstabilität möglich ist).
11 Geld und Bankensystem
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Die US-Notenbank Fed (Federal Reserve System) hat drei Ziele gleicher Priorität: Erhalt der Preisstabilität, Höchstgrad an Beschäftigung und moderate Langfristzinsen. In den USA steht also das Ziel der Vollbeschäftigung auf demselben Rang wie die Eindämmung von Inflation.
Diese für Notenbanken genannten Ziele empfehlen Maßnahmen, die teils in verschiedene Richtung weisen (Zielkonflikt). Das Ziel der Vollbeschäftigung wird von einigen Ökonomen als kaum vereinbar mit dem der Geldwertstabilität gesehen. Der englische Statistiker ALBAN W. H. PHILLIPS hatte 1958 über ein empirisches Phänomen berichtet, nach dem Vollbeschäftigung den Arbeitern mehr Macht bei Lohnverhandlungen biete, weshalb in der Folge von Vollbeschäftigung zuerst die Löhne und dann auch das Preisniveau steigen würden. Die Beobachtung wurde als Phillips-Kurve auch theoretisch untersucht. Doch ist heute klar, dass man mit etwas mehr an Inflation nicht höhere Beschäftigung erkaufen kann. So kann in gewissen Situationen durch Zulassung von Inflation Vollbeschäftigung nicht erreicht werden. Eine solche Situation ist die Stagflation: Die Wirtschaft stagniert, es gibt Arbeitslosigkeit. Gleichzeitig besteht und hält sich Inflation. Überhaupt kann die Zentralbank mit ihren Maßnahmen nicht alles erreichen. In einigen Ländern sind Strukturreformen verlangt, beispielsweise flexiblere Arbeitsmärkte, doch sie werden vielleicht mit Rücksicht auf Wahlergebnisse verschoben. Oder die Wirtschaftsstruktur eines Landes hat sich noch nicht ausreichend in Richtung auf komparative Spezialisierungsvorteile bewegt, und alle hoffen, die Zentralbank werde das Geld drucken, um leidende Wirtschaftssektoren noch eine Zeit lang zu erhalten. Die Nachteile in der internationalen Wettbewerbsfähigkeit können nicht einfach durch eine lockere Versorgung mit Geld wettgemacht werden. Gleichwohl verlangen die Bürgerinnen und Bürger heute überall einen hohen Lebensstandard. Einige Regierungen haben dazu über ihr Budget hinaus Staatsschulden aufgenommen. Doch die Staatsverschuldung ist eine Maßnahme der Fiskalpolitik und sie gehört nicht zum Instrumentarium der Geldpolitik, die in der Entscheidung der Zentralbank steht.
11.9
Fragen zur Lernkontrolle
1.
a) Bitte erklären Sie, was ANGELL mit „Money is a matter of functioning four, a medium, a measure, a standard, a store“ meinte? b) Was besagt das Gresham-Kopernikanische Gesetz? c) Inwiefern verringert sich die Geldmenge, wenn „leichtes Geld“ in Umlauf kommt?
2.
In diesem Kapitel wurden genannt: der Kaiser KAO TSUNG, KONSTANTIN DER GROßE, die Senatoren C. GLASS und H. B. STEAGALL, der Ökonom J. K. GALBRAITH und der Statistiker A. W. H. PHILLIPS. In welchen Zusammenhängen wurden diese Persönlichkeiten erwähnt?
3.
Wodurch ist Geld „gedeckt“? Versuchen Sie Ihre Antwort für die drei verschiedenen Formen von Geld: (1) Goldmünzen, (2) Quittungen der ersten Banquiere, (3) Zeichengeld als legales Zahlungsmittel (Fiat Money) im modernen Währungssystem.
4.
a) Welche sechs Funktionen führt eine Geschäftsbank aus? b) Was wird mit Underwriting bezeichnet? c) Was wollte der Glass-Steagall-Act von 1932 verhindern?
174
III Wirtschaftspolitik
11.10
Lernpunkte und Ergänzung
Das Geldwesen umfasst Geld und ein System, innerhalb dessen es vier Funktionen erfüllt oder erfüllen sollte: Es dient als Zahlungsmittel, dient der Wertaufbewahrung, bietet eine Recheneinheit und einen Standard (über die Zeit hinweg).
Drei historische Phasen für das Geldwesen wurden betrachtet: (1) Geld in Form von Edelmetallmünzen. (2) Geld in Form von Banknoten, die Banquiere als Quittungen für Einlagen von Gold oder Goldmünzen ausgaben. (3) Fiat Money.
Nur mit geringen Akzentuierungen ist das Geld in allen drei Phasen durch zwei Gegebenheiten „gedeckt“. Erstens durch die allgemeine Erwartung, dass es auch in Zukunft noch als Zahlungsmittel akzeptiert sein würde (entweder, weil Gold auch weiterhin als wertvoll angesehen wird, oder weil Gesetze zeitliche Dauer versprechen). Zweitens, weil eine blühende Wirtschaft ein großes Angebot an Waren, Dienstleistungen, Vermögensobjekten und Wertpapieren bereithält, die mit Geld erworben werden können.
Das so genannte „Drucken von Geld“ bedeutet, dass die Regierung neue Staatsanleihen ausgibt. Weil sich dafür nur wenige private Investoren finden, drängt die Regierung die Notenbank, die Staatsanleihen zu kaufen – entweder direkt oder indirekt.
Empirische Untersuchungen zeigen, dass in Ländern mit unabhängigen Zentralbanken geringere Kaufkraftverluste über die Zeit hinweg hinzunehmen sind. Das Geld der Länder mit unabhängigen Notenbanken erfüllt besser die Funktion der Wertaufbewahrung.
Zur Ergänzung: Kommt es vor, dass ein Staat seine Schulden nicht zurückzahlen kann? Diese Frage kann nur so beantwortet werden: Unerwartet oft kommt es zu einem Staatsbankrott, das heißt, zu einer faktischen Einstellung fälliger Zahlungen oder einer förmlichen Erklärung der Regierung, dass Forderungen nicht mehr oder nur noch zum Teil erfüllbar sein werden. Internationale Hilfen setzen voraus, dass die Regierung eine förmliche Erklärung abgibt. Verständlicherweise versuchen Regierungen, möglichst lange ohne ein solches Eingeständnis vor der Welt, der Geschichtsschreibung und dem eigenen Volk auszukommen. Oft sind Kriege jene Handlungen, mit denen ein Staat seine finanziellen Möglichkeiten übersteigt. Es spielt dabei nicht einmal eine Rolle, ob ein Krieg gewonnen oder verloren wurde. Kriege sind immer teuer. Gelegentlich übertrifft auch der Konsum im Land die produktiven Verhältnisse, und zwar nicht in einigen wenigen Jahren, sondern über lange Zeit. Die Staatsschulden nehmen zu, und irgendwann wird den Gläubigern bewusst, dass der Staat keine Anstrengungen unternimmt, den Prozess immer weiterer Verschuldung zu verlangsamen, um ihn wenigstens in Einklang mit der Wachstumsrate des Landes zu halten. Bei einem drohenden Staatsbankrott sind die Regierungen immer findig. Sie erwecken Hoffnungen und verschieben die von ihnen verlangten Erklärungen. Sie beginnen mit Zwangsanleihen, versprechen Sparsamkeit und zeigen Reformwillen. Alles zögert sich hinaus. Irgendwann drängt der Staat seine Gläubiger zu einem freiwilligen Forderungsverzicht, um so die offizielle Erklärung des Bankrotts zu umgehen. Dabei finden die Regierungen immer wieder Partner, die ihnen zur Seite stehen. Ausländische Banken wollen keinen Haircut hinnehmen und argumentieren, die anderen Staaten sollten erst einmal helfen. Möglicherweise bringen sie auch das Argument, bei einem Forderungsverzicht müssten als Nächstes die Banken gerettet werden, und auch das komme die anderen Staaten teuer, weshalb sie besser dem Schuldnerland direkt helfen sollten. Die Geschichte ist voller Beispiele von Staatsbankrotten
11 Geld und Bankensystem
175
und versuchter Rettungsmaßnahmen. Einige und auch sonst interessante Fakten zum Geldwesen finden sich im Spiegel Geschichte, Heft 4/2009.
12
Geldpolitik
In diesem zwölften Kapitel behandeln wir die Geldpolitik. Die Themen: 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Geldpolitik Investitionsfalle und Liquiditätsfalle Japanische Verhältnisse und Greenspan-Put Schocks und Stagflation Fragen zur Lernkontrolle Lernpunkte und Ergänzung zum Trilemma der Geldpolitik
12.1
Geldpolitik
Unter Geldpolitik werden alle Maßnahmen einer Zentralbank zur Versorgung der Wirtschaft mit Geld verstanden. Geldpolitik umfasst die Festlegung der Leichtigkeit, mit der Geschäftsbanken Zentralbankgeld erhalten können. Dazu gehören die Festlegung der Bedingungen (bei Verpfändungen sowie Diskontierung) sowie die der Konditionen (Leitzinsen). Die Bedingungen und die Konditionen strahlen dann auf die Geschäftspolitik der Banken aus und übersetzen sich in der Regel weiter auf die Leichtigkeit (Bedingungen und Konditionen), mit denen Bankkunden – Privatpersonen und Unternehmen – Kredite bei den Geschäftsbanken erhalten können. Auf diese Weise beeinflusst die Geldpolitik mittelbar auch die allgemeine Stimmung und sie hat eine Wirkung auf die Konsumneigung der Menschen und die Investitionstätigkeit der Unternehmen. Mit zeitlicher Verzögerung folgen dann in aller Regel Wirkungen auf die Produktion, die Schaffung von Arbeitsplätzen, die Löhne und das Preisniveau.
Ist die Zentralbank zu restriktiv bei der Geldversorgung der Wirtschaft (anspruchsvolle Bedingungen, hohe Leitzinsen) und tritt somit eine Verknappung der Geldmenge ein, dann droht eine Abkühlung der Wirtschaftstätigkeit durch geringere Nachfrage und geringere Investitionen. Die Folgen sind (1) eine Abschwächung der Konjunktur („weiche Landung“), (2) eine Rezession („harte Landung“), und in extremen Fällen sogar (3) eine Depression (Vermögensobjekte werden überall liquidiert in Erwartung eines weiteren Preiszerfalls und es kommt zu erheblicher Vernichtung von Werten in der Wirtschaft).
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III Wirtschaftspolitik
Ist die Geldversorgung zu locker und tritt somit eine Ausweitung der Geldmenge ein, dann droht eine Überhitzung der Wirtschaft durch Zunahme der Nachfrage. Die Folgen bestehen in einer generellen Zunahme des Preisniveaus (Inflation), eventuell eine schwer kontrollierbare Phase beschleunigter Verringerung der Kaufkraft des Geldes, gepaart mit dem Schwund des Vertrauens in die Währung.
Wer am geldpolitischen Steuer sitzt, würde vielleicht einfach einmal beginnen und dann lenken und gegenlenken. Leider gibt es Schwierigkeiten bei der geldpolitischen Steuerung: Erstens dauert es einige Zeit, bis die Geldpolitik die genannten Wirkungen hat. Daher scheidet eine Steuerung aus, die sich am augenblicklichen Bild orientiert. Denn das augenblickliche Bild lässt nicht die noch kommenden Effekte der geldpolitischen Maßnahmen der, sagen wir, letzten zwei Jahre erkennen. Zudem ist der aktuelle Zustand der Wirtschaft nicht exakt bekannt. Es sind nur Zahlen bekannt, die sich auf vergangene Monate oder Quartale beziehen, und deren Ermittlung noch dazu einige Zeit in Anspruch genommen hat. Zwar werden auf der Basis dieser „alten“ Zahlen gewisse Prognosen geäußert, doch sie sind meist nicht eindeutig. Zweitens nehmen sowohl eine Depression als auch eine Inflation, sind sie einmal eingetreten, Momentum und Dauerhaftigkeit an. Das heißt, es wäre dann bereits zu spät für ein „leichtes“ Gegensteuern. Momentum und Dauerhaftigkeit wirken wie Teufelskreise, die zerstörerisch auf das Geldwesen und das Wirtschaftsgeschehen wirken. In einer Depression wird der Preiszerfall bei Vermögenswerten immer dramatischer. Die Menschen können weder ihre Schulden bezahlen noch Konsumausgaben tätigen. Auch bei Inflation wirkt eine Selbstverstärkung, wenn ein Kaufkraftschwund einmal eingetreten ist: Inflation hält sich hartnäckig und kann sogar in eine Hyperinflation abgleiten. Wer am geldpolitischen Ruder sitzt, sieht also die augenblickliche Position des Schiffes nicht, sondern kennt nur die bereits länger zurückliegende Fahrtroute. Zudem ist die Fahrtroute nicht gerade, weil immer wieder Strömungen einsetzen, etwa durch den Verlauf der Konjunktur und andere Einflüsse. Das Bild des Schiffes trifft noch einen weiteren Aspekt: Zwischen dem Einschlagen einer geldpolitischen Maßnahme und ihrem Wirken gibt es eine lange Verzögerung. Nach einer Lockerung der Geldversorgung dauert es vielleicht zwei Jahre oder länger, bis sich Inflation zeigt. Es ist, als ob der Gouverneur der Zentralbank bei Nebel ein Schiff durch Riffe steuert, das zudem nur langsam auf Ruderbewegungen reagiert. Noch dazu gibt es Strömungen (Konjunktur), deren augenblicklicher Einfluss nicht präzisiert werden kann.
Angesichts der Gegebenheiten – Pfad der Stabilität ist eng, aktuelle Position nicht exakt bekannt, Steuerung wirkt nur mit Verzögerung – verbietet sich eigentlich die Idee, mit Geldpolitik laufend zu steuern und dann wieder gegenzusteuern. Der von M ILTON FRIEDMAN begründete Monetarismus ist eine Denkströmung, bei der eine erkennbare Regel befolgt wird, nach der die Geldmenge gesteuert wird. Die Änderung der Geldmenge wird mit dem langfristigen Entwicklungspfad der Wirtschaft in Einklang gebracht.
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Eine Rate der Geldentwertung von 2 % gilt als stabilster Mittelweg zwischen den Gefahren einer Deflationsspirale oder einer Inflationsspirale. Beträgt das reale Wirtschaftswachstum 3 % und die Inflation 2 %, dann ist eine 5 %-Ausweitung der Geldmenge verlangt. Ein stärkeres Wachstum der Geldmenge wäre zu expansiv. Eine geringere Ausweitung der Geldmenge zu restriktiv. Selbstverständlich ist die Politik der Zentralbank auch von der Tradition des Landes geprägt. Deutsche Geldpolitiker sehen die hohe Inflation und Hyperinflation (1914–1923) und wünschen vorrangig, die Gefahren einer Inflation zu vermeiden. Deutsche Notenbanker neigen eher zu einer wenig lockeren Geldpolitik. Die letzte große Inflation in den USA (1861–1865) liegt sehr lange zurück. US-Amerikaner sehen eher die abträglichen Wirkungen der Deflation, die sich während der Weltwirtschaftskrise 1929 verheerend auswirkte. So darf gesagt werden, dass in den USA die Angst vor einer Deflation das Denken der Gouverneure beeinflusst. Die amerikanischen Notenbanker tendieren daher eher zu einer lockeren Geldpolitik. Bei der Geldmengensteuerung haben sich (neben M0 und M1) weitere Konzepte für die Messung der Geldmenge bewährt:
M2 = M1 + Sparguthaben bei Geschäftsbanken mit vereinbarter Laufzeit von bis zu zwei Jahren und Einlagen mit gesetzlicher Kündigungsfrist von bis zu drei Monaten. M3 = M2 + Anteile an Geldmarktfonds, Repoverbindlichkeiten, Geldmarktpapieren und Bankschuldverschreibungen mit einer Laufzeit bis zu zwei Jahren.
Die Geldmenge M1 hat sich als guter Konjunkturindikator erwiesen, die Geldmenge M3 wird als guter Inflationsindikator verstanden. Zahlen: Im Januar 2012 war die monetäre Basis M0 für Euro rund 1750 Milliarden EUR, was 5240 Euro pro Kopf sind (und M0 für die USA lag bei 2700 Milliarden USD). M1 ist fast 3-mal so groß wie M0. M2 ist ungefähr 5-mal so groß wie M0 und M3 ist fast 6-mal so groß wie M0. Nach dem eben Gesagten wird von der EZB eher auf die Geldmenge M3 geachtet, von der US-Notenbank eher auf M1.
12.2
Investitionsfalle und Liquiditätsfalle
Wir kommen auf die Aussage zurück:
Restriktive Geldpolitik Ö Abschwächung, Konjunkturrückgang oder sogar Depression. Lockere Geldpolitik Ö Expansion der Wirtschaft und irgendwann Inflation.
Allerdings funktioniert diese intuitive Transformation der Geldpolitik auf die Realwirtschaft nicht zwingend. So gibt es Situationen, in denen eine restriktivere Geldpolitik nicht notwendig zu einem Rückgang realwirtschaftlicher Tätigkeit führt. Vielleicht war das bis dahin vorhandene viele Geld in die Vermögensmärkte geflossen, nicht aber in den Konsum. Dann bremst eine re-
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III Wirtschaftspolitik
striktivere Geldpolitik zwar den weiteren Anstieg der Preise für Vermögensobjekte und Wertpapiere, hat aber auf Produktion und Konsum allenfalls an zweiter Stelle Wirkung. Ebenso gibt es Situationen, in denen eine Lockerung der Geldpolitik vielleicht die generelle Stimmung anhebt, obschon eine expansive Wirkung auf Produktion und Konsum nicht eintritt und deshalb Preisstabilität durchaus weiter bestehen kann. Diese Situation kann vorliegen, wenn die Nachfrage aufgrund von Demografie oder aufgrund von Trends generell zurückgeht oder preisgünstige Produkte aus Ländern mit geringerem Lohnniveau in die heimischen Märkte drängen (Chinaeffekt). Dann kann auch bei lockerer Geldpolitik die Inflation durchaus lange auf sich warten lassen. Wiederum ist nicht so einfach festzustellen, ob eine Situation vorliegt oder eben doch nicht, in der die klassische Übertragung der Geldpolitik auf die Realwirtschaft ausbleibt oder sich hinauszögert. Jedenfalls tritt die klassische und intuitive geldpolitische Wirkung nicht in allen Situationen und nicht immer sofort ein. Die eben beschriebenen Sondersituationen – Geld ging bis dahin in Vermögensmärkte, Chinaeffekt – könnten, wenn sie vorliegen, auf die kurze und mittlere Frist beschränkt sein. Diese Unklarheiten über die Transformationsweise machen die Geldpolitik noch schwerer, als sie ohnehin ist. Dabei spielt nicht nur das Geschehen an den Vermögensmärkten eine Rolle, sondern auch die Erwartungen über die weitere Entwicklung der Realwirtschaft. Die Erwartungen können aus verschiedenen Gründen negativ sein. Beispielsweise kann sein, dass in dem Land dringende Strukturreformen politisch nicht in Angriff genommen werden. Dann sinken die wirtschaftlichen Erwartungen bei den Personen mit Weitblick. Oder es können sich tiefgreifende technologische Veränderungen abzeichnen, durch die alte Technologie obsolet wird. Die Produktionskapazitäten sind dann nicht mehr ausgelastet. Arbeitslosigkeit kommt auf und drückt auf die Stimmung. Hier müsste erst in den Unternehmungen ein Wandel zu innovativer Technologie vollzogen werden. Das ist nicht einfach und bei schlechter Ertragslage oft nicht möglich. In Situationen negativer Erwartungen kann auch eine lockere Geldpolitik keinen Stimmungsumschwung bewirken. Von einer Investitionsfalle wird gesprochen, wenn Unternehmer die Zukunft als wenig rentabel einschätzen. Vielleicht sind die Produktionskapazitäten nicht ausgelastet. Dann wäre es sinnlos, in neue Produktionsmittel (derselben Art) zu investieren, nur weil die Unternehmungen zu günstigen Konditionen Kredite erhalten könnten. In einer Investitionsfalle kaufen die Investoren mit dem leicht erhältlichen Geld allenfalls Vermögensobjekte wie Immobilien. Deren Preise steigen dann durch die Liquidität getrieben, ohne dass die Preissteigerungen fundamental erklärbar wären. In Zeiten einer Investitionsfalle sind daher Preisblasen an den Vermögensmärkten möglich. Platzt dann irgendwann eine Preisblase, fühlen sich die Investoren ärmer. Ihre Neigung, Geld für Konsum auszugeben, bildet sich weiter zurück. Falls eine Investitionsfalle vorliegt, muss daher eine lockere Geldpolitik sofort zurückgenommen werden. Von einer Liquiditätsfalle wird gesprochen, wenn die Wirtschaftssubjekte so starke negative Erwartungen haben, dass sie einen Rückgang der Preise für Vermögensobjekte erwarten. Dann wird deshalb nicht investiert, weil die Investitionen nur an Wert verlieren würden. Im Rahmen lockerer Geldpolitik zusätzlich geschaffenes Geld dient den Wirtschaftssubjekten dazu, eine Spekulationskasse zu bilden: Wenn es irgendwann dann zu dem erwarteten Rückgang der Preise für Vermögensobjekte kommt, möchten
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sie handlungsfähig sein und günstige Kaufgelegenheiten wahrnehmen. Oftmals erzeugt ein Rückgang der Preise für Vermögensobjekte dann allerdings Angst. Personen mit einer Spekulationskasse kaufen dann doch nichts, anders als sie sich vorgenommen hatten. Deshalb kann eine lockere Geldpolitik einen Preiszerfall in den Vermögensmärkten nicht wirklich auffangen. Bei der Darstellung einer Investitions- und Liquiditätsfalle sind wir der Sichtweise von JOHN MAYNARD KEYNES (1883–1946) gefolgt. KEYNES ging davon aus, dass selbst niedrige Zinsen die Unternehmer nicht zu Investitionen bewegen, sofern die von ihnen erwartete Rentabilität nicht höher ist. Als Erklärungen für geringe Renditeerwartungen nannten wir das Ausbleiben von Reformen im Staat sowie den hohen Aufwand, neue Technologien im Unternehmen einzuführen. Zusätzlich geschaffenes Geld verschwindet dann irgendwo sinnlos, beispielsweise in irgendwelchen Objekten, die für die Geldanlage plötzlich in Mode kommen, oder in einer Spekulationskasse. Im Unterschied zu KEYNES meinen andere Ökonomen, jedes Angebot, auch das Angebot von Geld, fände irgendwie seine Verwendung. So lautet das ursprünglich auf JEAN-BAPTISTE SAY (1767–1832) zurückgehende Gesetz. Im Zitat von KEYNES lautet das Say’sche Gesetz: Jedes Angebot schafft sich seine Nachfrage selbst.
12.3
Japanische Verhältnisse und Greenspan-Put
Eine besondere Situation stellen die japanischen Verhältnisse dar. Sie sind als langandauernde Depression zu verstehen, ausgelöst durch das Platzen einer Preisblase an einem Vermögensmarkt. Japanische Verhältnisse können folglich nach einer Liquiditätsfalle auftreten. In Japan war die Preisblase am Aktienmarkt 1987 geplatzt. Der grandiose Aufstieg ab 1948 (Nikkeistand um 40) wurde beendet. Die Aktienkurse haben auch eine Generation später (Nikkeistand 2012 um 9000, 1989 war er fast 39000 Punkte) nicht ihr altes Höchstniveau erreicht. Viele Japaner haben Vertrauen in die Wirtschaft verloren. Das Wachstum hat sich in den letzten 25 Jahren eher abgeschwächt. Die Produzentenpreise und in der Folge die Löhne kamen unter Druck. Japan rutschte in eine Deflation. Die Situation wurde durch eine Aufwertung des Yen noch verschlimmert. Die japanische Notenbank hat wohl zu spät und zu zögerlich eine lockere Geldpolitik eingeschlagen. Außerdem wollte der Staat alte Strukturen nicht beenden, sondern hat großzügig den Schwachen geholfen. Japans Schulden sind immer weiter angestiegen. In den letzten Jahrzehnten sind die USA auf eine Geldpolitik eingeschwenkt, mit der offensichtlich Finanzinvestoren beruhigt werden sollen. Am 19.10.1987 hat ein Börsencrash überall die Aktienkurse getroffen. In den USA ist der DJIA an einem Tag um 22,6 % gefallen. ALAN GREENSPAN, damals neuer Gouverneur des Fed, das er 1987–2006 leitete, hat sofort eine Politik lockeren Geldes begonnen. Später wurde gesagt, dass durch diese Politik entstehende Krisen zu Lasten der Allgemeinheit gehen würden. GREENSPAN verschaffe den Investoren daher gratis eine Absicherung, wie durch eine Put-Option bewirkt: Kursgewinne an den Börsen bleiben privat, Kursverluste hätte die Allgemeinheit zu tragen. Diese Geldpolitik heißt Greenspan-Put.
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III Wirtschaftspolitik
GREENSPAN selbst bezeichnete sie als Great Moderation (auf Deutsch: Goldlöckchen Wirtschaft, nach dem Märchen Goldlöckchen und die drei Bären, das als Fabel besagt, „was gerade im Moment richtig ist“). Später wurde diese Politik von Notenbankchef BEN BERNANKE unter der Programmbezeichnung Quantitative Easing fortgeführt.
12.4
Schocks und Stagflation
Eine weitere geldpolitische Herausforderung ist die Stagflation. Sie verbindet Stagnation der Realwirtschaft – Wachstum bleibt aus und es besteht Arbeitslosigkeit – mit Inflation. Ursache der Stagflation ist eine Störung bei der Belieferung mit Produktionsfaktoren, etwa mit Energie oder mit Rohstoffen. Der Preis des Faktors steigt und die Verfügbarkeit sinkt. Die Unternehmen geben die erhöhten Produktionskosten weiter. Die Preise für Güter steigen. Doch gleichzeitig verharrt die Produktion auf reduziertem Niveau, weil die Versorgung mit Faktoren unklar bleibt. Arbeitslosigkeit entsteht.
Eine lockere Geldpolitik würde die Inflation weiter antreiben, nicht jedoch zu Steigerungen bei Produktion und Beschäftigung führen. Es wäre falsch zu denken, eine Lockerung der Geldpolitik sollte zwar etwas mehr an Inflation, dafür aber Vollbeschäftigung bringen. Wird die Geldpolitik hingegen restriktiv, dann wird zwar die Geldentwertung verlangsamt, aber Produktion und Beschäftigung sinken bis zu einem Neubeginn der Industrie.
In Europa und in den USA setzte Stagflation nach dem Ölpreisschock 1973 ein: Innerhalb kürzester Zeit hatten sich die Benzinpreise verdoppelt. Gleichzeitig wurde die Energieversorgung generell hinterfragt. Die Inflation wollte nicht aufhören. Schließlich haben in den späten 80er Jahren Länder wie die USA (unter Präsident RONALD REAGAN und Notenbankgouverneur PAUL VOLCKER) sowie Großbritannien (MARGARET THATCHER) zu einer monetaristischen Geldpolitik gegriffen. Sie wurde stark restriktiv ausgelegt, um die Inflation wirklich zu brechen. Bei gleichzeitiger Sparpolitik des Staates (Austerität, von lateinisch austeritas, „Strenge“, Bezeichnung für eine strenge Sparpolitik des Staates) wurde die Inflation schließlich beendet und der Wirtschaft eine Neuorientierung ermöglicht. Als Fazit muss gesagt werden, dass eine lockere Geldpolitik immer wieder verführerisch ist. Im Regelfall wirkt sie expansiv in Richtung einer Steigerung von Konsum, Produktion und Beschäftigung. Dies zumindest kurzfristig, wenn die Erwartungen positiv sind und wenn kein Engpass bei Faktoren besteht. Alle glauben, dass es vor dem Einsetzen von Inflation immer noch Zeit für Abwehrmaßnahmen gibt. Von allen Ökonomen zugegeben ist, dass sich bei einer lockeren Geldpolitik die expansive Wirkung mittel- und langfristig verliert. Sie hat keine langfristige Wirkung auf Produktion und Beschäftigung, außer eben die Anhebung des Preis- und Lohnniveaus. Allerdings gibt es einige Situationen – Investitionsfalle, Liquiditätsfalle, Stagflation –, in denen expansive Geldpolitik entweder keine oder sogar abträgliche Wirkungen zeigt. Stärkerer Reformwille und mehr Innovationskraft könnten Abhilfe schaffen, nicht aber die Geldpolitik.
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Schocks spielen ebenso eine Rolle bei der Frage nach der optimalen Größe von Währungsgebieten. Bei der Frage, wie groß der Währungsraum sein sollte, spielen selbstverständlich politische Überlegungen eine wichtige Rolle. Ohne eigene Währung kann ein Land nicht kurzfristig die Mittel bereitstellen, um Krieg gegen ein anderes Land zu führen. Daher heißt eine gemeinsame Währung, für immer den Gedanken aufzugeben, Konflikte kriegerisch auszutragen. Allerdings muss man sich dann gegenseitig auch bei anderen Katastrophen helfen, die nur einen Teil des Währungsgebietes treffen. Wir formulieren die Frage enger: Wie groß sollte ein Währungsgebiet aus wirtschaftlichen Überlegungen sein? Die Antworten gehen vor allem auf drei Wissenschaftler zurück. RONALD MCKINNON begründet 1963, dass der Vorteil eines Währungsverbundes oder einer Währungsunion zwischen zwei Ländern umso höher ist, je intensiver sie durch Handel verbunden sind. Das ist ein wirtschaftlicher Grund, aus dem die Europäer immer wieder Systeme fester Wechselkurse etablieren wollten. Mehr noch: Haben verschiedene Länder eine gemeinsame Währung, dann können sich leichter Arbeitsteilung herausbilden und Spezialisierungsvorteile eröffnen. Der empirische Befund bestätigt die Intuition bei dieser Frage. Auch ROBERT A. MUNDELL (geboren 1932, Nobelpreis 1999) sieht in der Volatilität der Währungsparitäten weltweit ein großes Hindernis für die Wohlfahrt der Welt. Von daher scheint eine einzige Währung für die ganze Welt das Richtige zu sein. In der Tat bestanden zumindest feste Wechselkurse nach dem Abkommen von Bretton Woods 1944 (System fester Wechselkurse mit dem goldhinterlegten US-Dollar als Leitwährung) bis US-Präsident NIXON 1973 die Vereinbarung aufgebrochen hat. Aufgrund der unterschiedlich schnell wachsenden Volkswirtschaften der verschiedenen Länder mit divergierenden Produktivitätsfortschritten hatte das Währungssystem stärkere Anpassungen der Paritäten verlangt. Zudem konnte der 1944 vorgesehene Goldstandard für den US-Dollar nicht aufrecht erhalten werden, vor allem weil der Vietnamkrieg (1965–1973) so viel Geld verlangt hatte, dass es nicht mehr durch das vorhandene Gold gedeckt sein konnte. Doch auch wenn alle Länder homogenes Wachstum und gleiche Produktivitätsfortschritte hätten, könnte die Welt nicht mit einer einzigen Währung auskommen. Der Grund liegt, so MUNDELL, in der Starrheit gegenüber Schocks. In einem weltweit geltenden System fester Wechselkurse können keine Schocks abgefedert werden, welche die (angenommene) wirtschaftliche Homogenität aufbrechen könnten. Wir hatten als Beispiel solcher Schocks eine überraschende Knappheit von Produktionsfaktoren gesehen, und durchaus können die Länder davon unterschiedlich betroffen sein. Wenn sie dann flexible und nicht feste Währungsparitäten haben, können die Schocks nicht so leicht auf Länder übergreifen, die nur schwächer betroffen sind. Deshalb sprechen (1) unterschiedliche Entwicklungen sowie (2) die Möglichkeit von Störungen oder Schocks für flexible Wechselkurse. Größere Währungsgebiete sind zwar möglich, sie verlangen dann aber, dass innere Starrheit aufgegeben wird. PAUL DE GRAUWE (geboren 1946) argumentiert, dass große Währungsgebiete einerseits Mobilität der Produktionsfaktoren (Arbeitskräfte) voraussetzen. Andererseits wird mehr Elastizität bei den Budgets der eingebundenen Länder verlangt.
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III Wirtschaftspolitik
12.5
Fragen zur Lernkontrolle
1.
In diesem Kapitel sind einige Persönlichkeiten genannt worden. Erläutern sie den jeweiligen Zusammenhang. a) für diese Wissenschaftler: M. FRIEDMAN, J. M. KEYNES, J. B. SAY, R. A. MUNDELL, P. DE GRAUWE. b) für diese Gouverneure der US-Notenbank: P. VOLCKER, A. GREENSPAN, B. BERNANKE.
2.
Welche geldpolitische Vorgehensweise empfehlen die Monetaristen?
3.
Sowohl Inflation als auch Deflation sind von Übel. Sind sie einmal eingetreten, können sie nur unter Hinnahme sehr großer volkswirtschaftlicher Nachteile wieder ausgemerzt werden. a) Denken Sie, die US-Amerikaner und die Europäer schätzen die Gefahren von Inflation beziehungsweise Deflation gleich ein? b) Welche der beiden Geldmengen M1 und M3 hat sich als Konjunkturindikator, welche als Inflationsindikator erwiesen?
4.
Erläutern Sie diese Begriffe: a) Chinaeffekt, b) Investitionsfalle, c) Liquiditätsfalle, d) Spekulationskasse, e) japanische Verhältnisse, f) Stagflation, g) Greenspan-Put.
5.
Kriege haben immer wieder zu Unterbrechungen oder Spitzenpreisen bei Rohstoffen geführt. Den Ölpreisschocks um 1972 gingen voran die Suez-Krise, der Putsch im Iran und der Jom-Kippur-Krieg. a) Inwiefern kann ein Krieg Stagflation auslösen? b) Wäre es nicht das Beste, bei Stagflation eine lockere Geldpolitik zu beginnen, damit die unausgelasteten Produktionskapazitäten wieder in der sich belebenden Wirtschaft Verwendung finden?
6.
Warum wurde 1973 das Abkommen von Bretton Woods aufgegeben?
7.
Nennen Sie die Argumente von MUNDELL zur optimalen Größe von Währungsgebieten.
12.6
Lernpunkte und Ergänzung
Geldpolitik umfasst die Festlegung der Leichtigkeit, mit der Geschäftsbanken Zentralbankgeld erhalten können. Dazu gehören Bedingungen (bei Verpfändungen sowie Diskontierung) sowie die Festlegung der Konditionen (Leitzinsen). Die Bedingungen und die Konditionen strahlen dann auf die Geschäftspolitik der Banken aus und übersetzen sich in der Regel weiter auf die Leichtigkeit, mit denen Bankkunden – Privatpersonen und Unternehmen – Kredite bei den Geschäftsbanken erhalten können.
Angesichts der Gegebenheiten – Pfad der Stabilität ist eng, aktuelle Position nicht exakt bekannt, Steuerung wirkt nur mit Verzögerung – verbietet sich die Idee, mit Geldpolitik laufend zu steuern und dann wieder gegenzusteuern. Der von MILTON FRIEDMAN begründete Monetarismus ist eine Denkströmung, bei der eine Regel befolgt wird, nach der die Geldmenge gesteuert wird. Die Änderung der Geldmenge mit dem langfristigen Entwicklungspfad (nominales Wachstum) der Wirtschaft in Einklang gebracht.
Eine lockere Geldpolitik ist verführerisch. Im Regelfall wirkt sie expansiv auf Konsum, Produktion und Beschäftigung. Dies zumindest kurzfristig, wenn die Erwartungen positiv sind und wenn kein Engpass bei Faktoren besteht. Alle denken, dass es vor dem Einsetzen von Inflation immer noch Zeit für eine Rücknahme der lockeren Geldpolitik geben sollte. Eine lockere Geldpolitik verliert die expansive Wirkung langfristig. Sie hat keine langfristige Wirkung auf Produktion und Beschäftigung. Zudem gibt es Situatio-
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nen – Investitionsfalle, Liquiditätsfalle, Stagflation –, in denen eine lockere Geldpolitik entweder keine oder sogar abträgliche Wirkungen zeigt. Unsere Ergänzung ist dem Trilemma der Geldpolitik gewidmet. Es wurde schon deutlich, dass ein Land nicht zu einem oder mehreren Ländern mit festen Währungsparitäten verbunden sein kann und dabei alle anderen Freiheiten behalten kann. JOHN MARCUS FLEMING (1911– 1976) und R. A. MUNDELL haben diese Freiheiten mit einer autonomen Geldpolitik und freien Kapitalbewegungen identifiziert. Freie Kapitalbewegungen sind unerlässlich, wenn ausländische Investitionen angezogen werden sollen, die wiederum die heimische Produktivität fördern. Ein Land hätte demnach drei wünschenswerte Zielsetzungen: (1) Wechselkursstabilität oder feste Währungsparitäten oder Teilnahme an einer Einheitswährung, (2) Autonomie in der Geldpolitik, (3) freie Kapitalbewegung. Die unabhängig von FLEMING und MUNDELL begründete Feststellung wird als FlemingMundell-Trilemma bezeichnet: Ein Land kann nur zwei dieser drei Ziele verwirklichen. Alle drei Ziele zu erreichen, ist unmöglich. Welche zwei der drei Ziele gewählt werden, ist von Land zu Land verschieden:
Die Entscheidung für freie Kapitalbewegungen und für geldpolitische Autonomie verlangt flexible Wechselkurse wie USA – EU.
Die Entscheidung für fixe Wechselkurse und Autonomie in der Geldpolitik verlangt Beschränkungen des Kapitalverkehrs, wie das Beispiel Chinas zeigt. Der Renminbi CNY ist de facto an den US-Dollar gekoppelt und die Volksrepublik ist in ihrer Geldpolitik unabhängig. Aber ist gibt Kapitalverkehrskontrollen.
Die Entscheidung für fixe Wechselkurse oder eine Einheitswährung bei freiem Kapitalverkehr führt zu Verzicht auf geldpolitische Autonomie. Das ist zum Beispiel für Hongkong der Fall. Der HKD ist an den USD gekoppelt und der Kapitalverkehr ist frei.
Diese Wahl fixer Währungsparität bei freiem Kapitalverkehr besteht auch zwischen den Mitgliedsländern der Eurozone. Für sie besteht auf Länderebene keine eigene Geldpolitik mehr. Daher gibt es immer ein paar Mitgliedsländer, für die die gemeinschaftlich festgelegte Geldpolitik zu restriktiv ist, und es gibt stets ein paar Länder, für die sie zu locker ist. Wechselt das ab, kann es ausgeglichen werden. Sind es auf Dauer immer dieselben Länder, denen die gemeinsam definierte Geldpolitik zu restriktiv (oder zu locker) ist, entsteht irgendwann ein krisenhafter Zustand. Das Fleming-Mundell-Trilemma wurde von dem Harvard-Professor DANI RODRIK (geboren 1957) noch etwas anders interpretiert. RODRIK identifiziert das Ziel fester Währungsparitäten oder einer Einheitswährung mit (1) der ökonomischen Globalisierung. Die beiden Wünsche nach Freiheit und Selbstständigkeit identifiziert er als (2) Autonomie in der Geldpolitik sowie als (3) Demokratie. In einem demokratischen Land sind Sparprogramme schwer durchzusetzen und die Wähler nehmen keine Reduktionen bei Pensionen hin. Wieder kann ein Land nur zwei der drei Ziele verwirklichen und muss sich entscheiden. Wenn ein Land große Selbstständigkeit und Demokratie wünscht, muss es auf eine Integration in die globale Wirtschaft und die damit verbundenen Spezialisierungsvorteile verzichten.
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Staat und Wirtschaftspolitik
Dieses Kapitel führt in die Wirtschafts- und Fiskalpolitik ein. Quellenhinweis: Der Abschnitt über die Konjunktur ist an das Buch von SPREMANN und PATRICK SCHEURLE über Finanzanalyse (1. Auflage 2010, Oldenbourg Verlag) angelehnt. Die Themen: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.
Der Staat Steuern Ziele und Instrumente Angebots- oder Nachfrageorientierung? Konjunkturzyklen Fiskalpolitik Struktur- und Industriepolitik Fragen zur Lernkontrolle Lernpunkte und Ergänzung zum Misery-Index
13.1
Der Staat
Die Sozial- und Staatswissenschaften sowie das Völkerrecht sehen den Staat aus verschiedener Sicht, woraus sich eine Mehrdeutigkeit des Begriffs ergibt. Weitgehende Übereinstimmung besteht darin, den Staat als eine politische Ordnung zu sehen, als eine Gebietskörperschaft, als mächtigen Organisationszusammenhang der in einem Gebiet ansässigen Bevölkerung. Der deutsche Staatsrechtler GEORG JELLENIK (1851–1911) betonte in seinem Buch Allgemeine Staatslehre 1900 drei Elemente des modernen Staates: das Staatsgebiet, das Staatsvolk, die Staatsgewalt. In den Wirtschaftswissenschaften wird das dritte Element hervorgehoben: Der Staat ist ein Wirtschaftssubjekt mit hoheitlichen Machtbefugnissen. Sie werden von Regierung und Verwaltung ausgeübt. Die hoheitlichen Machtbefugnisse manifestieren sich in militärischer und polizeilicher Gewalt sowie in der Pflicht der ansässigen Personen und Haushalte, Steuern zu entrichten. Die ökonomische Interpretation des Staates als Wirtschaftssubjekt mit hoheitlichen Machtbefugnissen betont die wirtschaftliche Interaktion mit dem Staatsvolk. Der Staat nimmt und gibt. (1) Der Staat hebt Steuern. Steuern sind erzwungene Finanzabgaben, die keinen Anspruch auf eine Gegenleistung begründen – auch wenn sie in der Gemeinschaft dazu dienen, die staatlichen Leistungen in ihrer Gesamtheit zu finanzieren. (2) Im Gegenzug schafft der Staat eine grundlegende Ordnung, sichert das Gebiet, baut öffentliche Einrichtungen und betreibt sie. Kurz: Der Staat bietet diverse Güter und Dienstleistungen an, und zwar überwiegend
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III Wirtschaftspolitik
solche mit Öffentlichkeitscharakter, bei denen Nichtausschließbarkeit und Nichtrivalität deutlich ausgeprägt sind (siehe Kapitel 2). Die Macht des Staates kann in Staatstheorien moralisch begründet werden. Früher legitimierte der Sieg in einem Wettkampf dazu, die Führung des Volkes zu übernehmen. Die Herrscherin, der Herrscher sollten Ritterlichkeit und Tugend beweisen. Oft wird die Herrschaft jenen übertragen, die das Volk durch brillante Rhetorik auf ihre Seite bringen. Weiter kommt in Frage, wer in Parteiarbeit oder Staatsdienst bereits Verdienste erworben haben (Meritokratie). Reichtum (Plutokratie) deutet auf unternehmerische Führungsqualität. Diktatoren legitimieren die Machtergreifung mit Notsituationen – alle Staaten kennen einen Ausnahmezustand, in dem die Regierung zusätzliche Befugnisse hat. PLATON (400–350 v. Chr.) lehrte in einem ersten Ansatz der Staatstheorie, dass nur Weisheit, Qualifikation und Kompetenz zur Herrschaft legitimieren würden. Dabei durften nach PLATON die dermaßen als beste Auszuwählende durchaus ihren freien Willen, ad hoc und diskretionär, durchsetzen. Später modifizierte PLATON diese Staatsauffassung und stellte Gesetze und Regeln an die Spitze der Hierarchie. In diesem zweiten Ansatz von PLATON legitimiert nur die Konformität mit der Verfassung zu staatlicher Macht. Später haben EMANUEL KANT (1724–1804) und KARL R. POPPER (1902–1994) den ersten Ansatz verworfen, den Staat durch die am besten Qualifiziertesten führen zu wollen. Denn nach KANT und POPPER gibt es kein Verfahren, sie zu identifizieren. Folglich kommen immer wieder Politiker an die Macht, die enttäuschen. Als einiger Ausweg bleibt, die Gesetze und die Einrichtungen des Staates so zu gestalten, dass Herrschende daran gehindert werden, größeren Schaden anzurichten. Verfassung und Gesetze sollen die Politiker führen und ihren diskretionären Handlungsspielraum einengen. Die staatliche Macht wird durch die Verfassung und die grundlegenden Gesetze legitimiert, für deren Einhaltung und Verwirklichung sie nötig ist. Allerdings sind Gesetze starr und nicht alles kann in einer sich verändernden Welt rechtzeitig in Gesetzen festgeschrieben werden. Verfassungen und Grundgesetze sind daher recht allgemein formuliert und lassen der Regierung und der Verwaltung und Bürokratie immer noch einen diskretionären Freiraum, die Bestimmungen so oder so auszulegen und umzusetzen. Daher sind von den Herrschenden und den Beamten zusätzlich gewisse Verhaltensorientierungen verlangt. Hierzu hat die Kulturgeschichte einige Prinzipien hervorgebracht. Sie stellen gewisse Forderungen an die Herrschenden und die Beamtenschaft:
Natürlichkeit, Übereinstimmung mit den natürlichen Verhältnissen. Der Taoismus – Gründer war LAOTSE (6. Jahrhundert v. Chr.) – kämpfte gegen zu strenge Regierungsverordnungen und verlangte vom Staat, auf Eingriffe in den natürlichen Lauf zu verzichten. Menschlichkeit: KONFUZIUS (551–479 v. Chr.) verlangte von Beamten Tugend, konkretisiert durch die Forderungen der (1) Menschlichkeit, der (2) Treue gegen sich selbst (um auch anderen Menschen gegenüber verlässlich sein zu können), der (3) Selbstlosigkeit, der (4) Schicklichkeit und er setzte (5) Weisheit und Aufrichtigkeit der Beamten voraus. Subsidiarität (von lateinisch subsidium „Hilfe, Reserve“). Dieses politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Prinzip setzt auf eine Entfaltung individueller Fähigkeiten, auf Selbstbestimmung und Eigenverantwortung. Handlungen und Problemlösungen soll-
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ten möglichst weitgehend selbstbestimmt sein und eigenverantwortlich vorgenommen werden. Zunächst sollten demnach die Einzelnen, die kleinsten Gruppen oder die untersten Ebenen einer Organisation aktiv werden. Nur und erst dann, wenn sie an ihre Grenzen stoßen, sollen stufenweise größere Gruppen, Kollektive oder höhere Ebenen der Organisation angerufen werden, unterstützen oder die Handlungen ganz übernehmen. Dem Grad der Einbindung übergeordneter Stellen entsprechend werden bei der Subsidiarität die Selbstbestimmung und Eigenverantwortung der unteren Ebenen zurückgenommen. Der demokratische Staat ist durch eine besondere Kontrolle der Ausübung hoheitlicher Machtbefugnisse gekennzeichnet. An der Spitze der Pyramide stehen in einer dreigliedrigen Gewaltenteilung die Exekutive (Regierung), Legislative (Parlament) und Judikative (die Richtern anvertraute rechtsprechende Gewalt). In der unteren Ebene der Pyramide stehen die Bürgerinnen und Bürger (als Staatsvolk im Sinne von JELLENIK). Dazwischen, in der mittleren Ebene der Pyramide, werden verschiedene Intermediäre aktiv, so die Parteien, Verbände und Medien. Bürgerinnen und Bürger entscheiden periodisch in Wahlen über die Zusammensetzung des Parlaments (Legislative) und sie können die rechtsprechenden Organe (Judikative) anrufen, um ihre Belange und strittige Fragen klären zu lassen. Alle demokratischen Staaten haben Elemente der direkten Demokratie (Entscheidung über Sachfragen durch die Bürgerinnen und Bürger) und solche der repräsentativen Demokratie (Wahl von Abgeordneten, die dann ihrerseits entscheiden). In der Schweiz ist die direkte Demokratie besonders stark ausgeprägt. In Deutschland wurde 1998 für alle 16 Bundesländer die direkte Demokratie in Form der Volksgesetzgebung auf Länderebene eingeführt. In den meisten Ländern gibt es in Sonderfällen zu einem Sachthema einen Volksentscheid (Referendum). Der Grad, in dem Demokratie gewährleistet und gelebt wird, zeigt sich in den Ausprägungen diverser Merkmale, die vom Economist Intelligence Unit zu einem Demokratieindex aggregiert werden. Auf der Liste stehen Norwegen, Island, Dänemark, Schweden, Neuseeland auf den obersten fünf Plätzen, die Schweiz folgt auf Platz 7, Österreich und Deutschland auf den Plätzen 13 und 14. Die USA haben den Rang 19, Frankreich 29, Italien 31, Polen 45.
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Steuern
Hoheitliche Macht großer wirtschaftlicher Bedeutung manifestiert sich in Steuern. Nach ADAM SMITH soll die Besteuerung vier Merkmale zeigen: 1. Gerechtigkeit, 2. Ergiebigkeit, 3. Unmerklichkeit und 4. Praktikabilität. Um gerecht und praktikabel vorzugehen, befolgen die Staaten gewisse Grundsätze. Zunächst wird präzisiert, welche Einkommen oder wirtschaftliche Aktivitäten besteuert werden sollen und können: Fast überall gilt das Wohnsitzlandprinzip: Eine Person ist in dem Land steuerpflichtig, in dem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihren Lebensmittelpunkt hat. Dafür gibt es gewisse Kriterien. Einige Staaten zählen die Tage des Aufenthalts, andere fragen, wo die Familie lebt und wo die steuerpflichtige Person enge Beziehungen zu anderen Menschen unterhält. In den USA gilt das Welteinkommensprinzip: Unabhängig vom Wohnsitz werden alle US-Bürgerinnen und Bürger mit ihrem Welteinkommen in den USA besteuert. Bei gewissen Steuerarten, so bei Kapitaleinkünften oder auch bei Renten, kommt oft das Quellenlandprinzip zur Anwendung: Eine Person ist dort steuerpflichtig, wo das Einkommen erzielt wird – ungeachtet des Lebensmittelpunktes. Das Quellenlandprinzip wird für Kapitaleinkünfte verwendet oder für Gewinne bei Direktinvestitionen. Bei Doppelbesteuerungsab-
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III Wirtschaftspolitik
kommen wird ein Territorialitätsprinzip vereinbart: Der Steuerpflichtige wird jeweils mit dem Einkommen veranlagt, das er auf dem Territorium des betreffenden Staates erwirtschaftet hat. Zur Gerechtigkeit, dem ersten von SMITH geforderten Merkmal, gehört, dass die Leistungsfähigkeit besteuert wird und zweitens einem Grundsatz gleicher Belastung der Bürger gefolgt wird. Als Indikator der Leistungsfähigkeit gelten das Einkommen, der Konsum und das Vermögen der Person oder des Haushaltes. Der Grundsatz gleicher Belastung verlangt, dass Personen oder Haushalte mit höherer Leistungsfähigkeit eine höhere Steuer zahlen müssen. Denn andernfalls wären sie weniger belastet. Mehr noch: Aus dem Grundsatz der gleichen Belastung ergibt sich im allgemeinen Verständnis die Steuerprogression (Prozentsatz der Steuer steigt mit dem Einkommen) sowie die Gewährung von Freibeträgen. Die Steuerprogression verlangt eine direkte Erfassung der Situation des Steuerpflichtigen. Das geschieht vor allem bei der Einkommensteuer. Entsprechend wird von einer direkten Steuer gesprochen. Bei einer indirekten Steuer sind der Steuerschuldner und jene Partei, welche die Steuer an den Staat abführt, nicht personenidentisch. Eine indirekte Steuer ist die Umsatzsteuer (beziehungsweise Mehrwertsteuer). Eigentlich soll damit der Konsum der Endverbraucher besteuert werden. Doch die Umsatzsteuer wird faktisch von den Herstellern an den Fiskus abgeführt. So bleibt sie den Verbrauchern verborgen, denn sie ist im Preis eingerechnet. Das kommt der von SMITH geforderten Unmerklichkeit entgegen. Bei indirekten Steuern ist eine Steuerprogression ausgeschlossen. Um bei der indirekten Steuer die Belastung des Haushaltes zu berücksichtigen, kann eine Tarifspaltung vorgesehen werden. In einigen Ländern ist der Umsatzsteuersatz für Lebensmittel geringer und für Luxusgüter höher als für die meisten anderen Güter und Dienste. In Singapur und weiteren asiatischen Ländern kostet beispielsweise ein Auto rund doppelt so viel wie sonst auf der Welt, weil eine hohe (indirekte) Steuer verlangt wird. Welchen Anteil direkte und indirekte Steuern haben sollten, ist umstritten. In Deutschland haben die Lohnsteuer und die Umsatzsteuer je etwa 1/3 Anteil an den gesamten Steuern. Sollte also die Mehrwertsteuer oder eher der Tarif der Einkommensteuer geändert werden? Einkommensschwache Familien mit vielen Kindern (hoher Warenverbrauch) würden wohl für eine geringere Mehrwertsteuer und dafür eine höhere Einkommensteuer votieren. Doch der Aufwand für die Erhebung der indirekten Steuer ist wesentlich geringer als bei direkten Steuern (Praktikabilität nach SMITH). Zudem ist bei den indirekten Steuern eine höhere Steuerehrlichkeit zu vermuten. Allerdings kann die Umsatzsteuer vielleicht nicht vollständig die direkte Besteuerung ersetzen. Wenn der Tarif der Umsatzsteuer sehr hoch ist, verliert das Land an Attraktivität für Reisende. Gewisse Branchen wie das Hotelgewerbe sind stärker belastetet als andere Branchen. Kleinere Länder mit viel Tourismus haben meistens geringe indirekte Steuern und können sich deshalb als Einkaufsparadies positionieren. Selbstverständlich werden nicht nur das Einkommen der natürlichen Personen und der Güterverbrauch besteuert. Zu den direkten Steuern gehören weiters der Solidaritätszuschlag und die Körperschaftsteuer, die Vermögensteuer und die Erbschaftsteuer. Zu den indirekten Steuern gehören jene, die der Staat auf den Kauf von Kraftstoffen (Benzin, Diesel) oder
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Genussmittel (Alkohol, Tabak) erhebt. In Deutschland gibt es zudem eine Gewerbesteuer, eine direkte Steuer. Der Staat verlangt neben Steuern auch Beiträge und Gebühren, und zwar für die Inanspruchnahme gewisser Dienste und Güter. Beiträge sind für die Nutzungsmöglichkeit gewisser Einrichtungen zu zahlen, also für die Möglichkeit, ein Klubgut zu nutzen. Gebühren fallen für die tatsächliche Inanspruchnahme (eines privaten Gutes oder einer privaten Dienstleistung) an. Bei der Festsetzung der Höhe von Beiträgen und Gebühren wird nach dem Äquivalenzprinzip vorgegangen. Das heißt bei Beiträgen: Alle Klubmitglieder müssen zusammen die Kosten des Klubs aufbringen. Wie stark ein einzelnes Klubmitglied das Klubgut nutzt, ist für die Höhe des verlangten Beitrags unerheblich. Bei Gebühren verlangt das Äquivalenzprinzip, dass die Person bei jeder tatsächlichen Inanspruchnahme die entsprechenden Kosten dem Staat bezahlt. Die Zahlung erhobener Steuern begründet zwar keinen Anspruch auf eine direkte, individuelle Gegenleistung. Und werden sie zur Verfügung gestellt, so ist für die Steuerpflicht unerheblich, ob die besteuerte Person die öffentlichen Einrichtungen und die öffentlichen Güter nutzt oder nicht. Doch das ist in der modernen Welt eine abstrakt anmutende Definition. Denn viele Menschen erwarten vom Staat Gegenleistungen. Immer mehr Bürgerinnen und Bürger fordern, dass ein anderes Staatsverständnis stärker zu Leben kommt. Sie lehnen die hoheitliche Machtausübung ab und sehen sich und die staatlichen Instanzen auf derselben Ebene. Sie finden sich und den Staat partnerschaftlich verbunden, implizit geregelt durch einen Sozialvertrag oder Gesellschaftsvertrag. Diese Bürgerinnen und Bürger gehen davon aus, dass der Staat im Rahmen dieses impliziten Vertrags Steuern erhebt und dafür Ansprüche auf Gegenleistungen einräumt. Der Staat wird von der Bürgerschaft als eine Agentur gesehen. Die Agentur nimmt im Auftrag der Bürgerinnen und Bürger Einzahlungen von Steuern entgegen, genau wie die Assekuranz Beiträge der Versicherten entgegen nimmt und verwaltet. Bei Bedarf des Individuums leistet die Staatsagentur Zahlungen an die Einzelnen, etwa als Sozialhilfe, Arbeitslosengeld, Altersrente oder als Beihilfe im Krankheitsfall. Die Staatsagentur hilft darüber hinaus den einkommensschwachen Gruppen und unterstützt bei Katastrophen und kollektiven Notfällen. Auch in den USA gehen die Bürgerinnen und Bürger vom Bestehen eines solchen Sozialvertrags aus, auch wenn er nicht so weit geht wie das europäische Verlangen nach einem Wohlfahrtsstaat. Doch wird in den USA unterstellt, dass der Staat mit Medicare Älteren und Behinderten hilft sowie mit Medicaid Personen mit geringem Einkommen. Die Ablehnung der Staatsauffassung von JELLENIK (Staatsgebiet, Staatsvolk, Staatsgewalt) zeigt sich in dem Begehren von Bürgerrechten. Beispielsweise wird verlangt, vom Staat geführte Akten einsehen zu können. Übergriffe des Staates und Kontrollen der privaten Lebensführung sollen unterbleiben. Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union nennt Bürgerrechte. Sie umfassen neben dem Wahlrecht auf kommunaler Ebene den Anspruch auf eine gute Verwaltung, das Recht auf Zugang zu Dokumentationen, die Einrichtung von Bürgerbeauftragten, ein Petitionsrecht, Freizügigkeit sowie Anspruch auf diplomatischen Schutz.
192
III Wirtschaftspolitik
13.3
Ziele und Instrumente
Was die Regierung im Einzelnen leistet, wird an den Ressorts der Ministerien erkennbar. Augenfällig sind diese Bereiche: (1) Außenpolitik, (2) Arbeit, Soziales und Familie. (3) Innenpolitik, Justiz und innere Sicherheit, (4) Verkehr, Bau, Stadtentwicklung, (5) Bildung und Forschung. Auf eine Aufgabe gebracht: Der Staat sorgt für die Integrität des Landes, gibt einen ordnungspolitischen Rahmen, und verteidigt ihn gegen innere und äußere Kräfte der Zerstörung. Der ordnungspolitische Rahmen soll erlauben, dass alle im Staatsgebiet wohnenden Menschen in Würde und Freiheit leben können, wobei zur Würde die Gerechtigkeit und die Einhaltung der Menschen- und der Bürgerrechte gehören. Als ein Beispiel sei die Schweizerische Bundesverfassung wiedergegeben: „1. Der Staat schützt die Freiheit und die Rechte des Volkes und wahrt die Unabhängigkeit und Sicherheit des Landes. 2. Der Staat fördert die Wohlfahrt, die nachhaltige Entwicklung, den inneren Zusammenhalt und die kulturelle Vielfalt des Landes. 3. Der Staat sorgt für eine möglichst grosse Chancengleichheit unter den Bürgerinnen und Bürgern. 4. Der Staat setzt sich ein für die dauerhafte Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen und für eine friedliche und gerechte internationale Ordnung.“ In Singapur schreibt Artikel 6 fest, dass die Regierung nie ein Teilgebiet abtreten wird, und geht auf die Verteidigungsbereitschaft ein. Weitere Artikel nennen die konstruktive Mitarbeit in internationalen Schemen, die Freiheit der Person, die Gleichbehandlung aller Personen vor dem Gesetz. Sodann werden die Freiheiten des Individuums sich zu bewegen, zu sprechen, zu versammeln und die Religionsfreiheit festgeschrieben. In den folgenden Artikeln wird der Public Service geregelt, darunter Erziehung und Bildung, sowie das Pensionssystem. Später folgen Details zur Staatsbürgerschaft. In der singapurischen Verfassung ist auch die Vorgehensweise bei der Budgetierung und der Entscheidung über die Mittelverwendung genau geregelt. Nicht alle diese Ziele lassen sich durch wirtschaftliche Aktivitäten erreichen. Doch wenn die Wohlfahrt genannt wird, die nachhaltige Entwicklung des Landes, die Sicherheit des Landes, Erziehung, die Sozialversorgung und die Altersversorgung, dann stehen wirtschaftliche Aufgaben im Vordergrund. Wo, wie in der Verfassung der Schweiz, Nachhaltigkeit ausgedrückt wird, ist zudem eine gewisse Stabilität verlangt. Freiheiten wie die der Bewegung und der Versammlung verlangen, dass Infrastruktur bereitgestellt wird. Chancengleichheit verlangt eine gleiche Zugriffsmöglichkeit auf öffentliche Güter, etwa auf das Bildungsangebot, weshalb der Staat im Kern für Schulen und Hochschulen sorgen muss. Um das Wesentliche zu betonen, sollen die eben genannten Aufgaben auf drei Gruppen verdichtet werden:
Ordnung: Gesetz, Justiz, Landesverteidigung, Schutz nach innen, Freiheiten der Personen, wirtschaftliche Freiheiten, Bürgerrechte;
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öffentliche Güter und Entwicklung des Landes: Dienste der Verwaltung für die Bürgerschaft und für Unternehmungen, Verkehrswege, Bauten, Erziehung und Bildung, Grundlagenforschung; internationale Kooperation, Ansiedlung internationaler Einrichtungen.
Diese Aufgaben sind mit dem Attribut der Politik versehen. So sind die drei genannten Aufgabengruppen als Ordnungspolitik, Wirtschaftspolitik und Außenpolitik anzusprechen. Politik bezeichnet Institutionen, Inhalte, Vorgehensweisen und Praktiken, welche die Einrichtung und die Steuerung von Staat und Gesellschaft im Ganzen betreffen. Politik umfasst die Lehre vom Staatszweck, den besten Maßnahmen zu ihrer Verwirklichung sowie von Wegen ihrer Umsetzung.
Zur Wirtschaftspolitik gehören folglich: Einrichtungen, Inhalte, Vorgehensweisen und Maßnahmen, die das Güterangebot betreffen (Schaffung und Unterhalt von Infrastruktur oder eines Service Public), darunter Dienste (Bildungsangebot, Altersversorgung). 2. Auf die Anpassung der Wirtschaftsstruktur gerichtete Maßnahmen. Diese Maßnahmen sollen den Unternehmungen und den Ausbildungsstätten helfen, jene Struktur zu erreichen, bei der das Land komparative Kostenvorteile erzielen kann (Strukturpolitik). 3. Maßnahmen zur Förderung des Wachstums der Wirtschaft, insbesondere durch Entwicklung der Infrastruktur und des Wissens (Grundlagenforschung, Industrieansiedlung). 4. Um Nachhaltigkeit und Stabilität zu festigen, gehören zur Wirtschaftspolitik Maßnahmen, die geeignet sind, temporäre Schwächen in der Wirtschaft auszugleichen, damit eine Rezession oder Krise ohne große gesamtwirtschaftliche Nachteile überwunden wird. Entsprechende Maßnahmen werden als Fiskalpolitik bezeichnet. Die Fiskalpolitik ist eine diskretionäre Wirtschaftspolitik mit der Intention, antizyklisch zu wirken. 1.
Konjunkturelle Schwankungen
Überbeschäftigung
Aufschwung
Boom
Ungenutzte Kapazitäten
Abschwung
Langfristiger Pfad des Wachstums
Früher Aufschwung Aufschwung
Abbildung 13-1: Der Konjunkturzyklus (stilisierte Darstellung) überlagert den Aufwärtstrend des Bruttoinlandsproduktes entsprechend der langfristigen Rate des Wachstums. Die vier Phasen sind Aufschwung, Boom (Überhitzung), Abkühlung/Abschwung sowie die Phase der Rezession mit dem Konjunkturtief.
194
III Wirtschaftspolitik
Die Wirtschaftspolitik zielt (1) auf das Angebot öffentlicher Güter und Dienste ab, (2) auf die Anpassung der Wirtschaftsstruktur, (3) auf das Wachstum sowie (4) auf den Ausgleich temporärer Schwächen in Rezessionen und Krisen. Verständlich, dass sich die Ansichten teilen, mit welcher Breite und Intensität der Staat in diesen vier Bereichen der Wirtschaftspolitik tätig sein soll. Umfangreichere wirtschaftspolitische Einrichtungen und Maßnahmen verlangen mehr Mittel, die der Staat über höhere Steuern und eine Ausweitung der Staatsschulden beschaffen müsste. Das Gesamtbudget ist immer wieder ein zentraler Punkt wirtschaftspolitischer Auseinandersetzung.
13.4
Angebots- oder Nachfrageorientierung?
Von einer Angebotsorientierung der Wirtschaftspolitik wird gesprochen, wenn sie einen guten Teil der genannten Aktivitäten (öffentliche Güter, Wirtschaftsstruktur, Wachstum) den privaten Unternehmen zuweist und ihnen dafür entsprechende unternehmerische Freiheiten über einen entsprechend weiten ordnungspolitischen Rahmen gibt. Hinsichtlich der im vierten Punkt genannten Fiskalpolitik im Sinne staatlicher Aktivitäten bei wirtschaftlicher Schwäche, bei Rückgang von Produktion und Konsum, denkt die angebotsorientierte Wirtschaftspolitik, dass sie auf mittlere und lange Sicht unwirksam sind. Angebotsorientierte Wirtschaftspolitiker sehen die Verantwortung bei der Ordnungspolitik, die einen klaren Rahmen vorgeben soll. Der Rahmen soll dann stabil und für alle berechenbar aufrechterhalten bleiben. Treiber der Wohlfahrt ist in ihrer Sicht die wirtschaftliche Freiheit innerhalb des ordnungspolitisch für Unternehmen definierten Freiraums.
Bei einer Nachfrageorientierung der Wirtschaftspolitik werden die Konsumausgaben der Bevölkerung als Treiber der Wohlfahrt gesehen. Von daher sollte der Staat umfangreiche öffentliche Güter und Dienste anbieten und dazu zahlreiche Stellen für Staatsbedienstete schaffen. Dadurch kommt es zu Vollbeschäftigung mit sicheren Arbeitsplätzen und die Menschen können und werden konsumieren. Die nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik favorisiert weiter eine starke Struktur- und Industriepolitik, und dem Staat kommt die Aufgabe zu, für Wachstum zu sorgen. Sollten die wirtschaftlichen Tätigkeiten temporär zurückgehen, dann sollte der Staat Aufträge erteilen und mit autonomer Nachfrage die Wirtschaft „ankurbeln“. Da sich die Lage im Hoch- und Tiefbau besonders stark auf andere Sektoren überträgt, vergibt der Staat am besten Bauaufträge. Bei ausgeschöpftem Budget muss sich der Staat weiter verschulden, seine Defizite also ausweiten, um die Ausgaben zu tätigen (Deficit Spending). Zur nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik gehört daher eine gut ausgebildete Fiskalpolitik. Zu deren üblichen Instrumenten gehören:
Die Erhöhung der Staatsausgaben für öffentliche Großprojekte (Straßenbau), wenn die volkswirtschaftliche Produktion und der Konsum temporär schwach sind. Die Förderung der privaten Nachfrage nach Konsumgütern durch Steuersenkungen und durch Investitionszuschüsse für Privathaushalte (Autokauf),
13 Staat und Wirtschaftspolitik
195
Begleitend wird die Regierung bei einer nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik bei der Zentralbank versuchen, dass diese die beiden fiskalischen Bemühungen mit einer geldpolitischen Maßnahme unterstützt. Zinssenkungen sollen private Investitionen in konkrete Vermögensobjekte anregen, etwa den Kauf von Wohneigentum. Die gegenteiligen Maßnahmen werden von der nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik bei zu rascher Expansion der wirtschaftlichen Aktivität empfohlen. Doch die Erfahrung lehrt, dass die Regierungen im Wirtschaftsaufschwung zu zögerlich sind. Sie haben bei der Gewährung von Vergünstigungen im Abschwung auch nicht verdeutlicht, dass diese nur temporär sein werden. Die angebotsorientierte Wirtschaftspolitik lehnt derartige fiskalpolitische Maßnahmen ab. Es wird argumentiert, die privaten Haushalte würden bei ihren Konsumentscheidungen das langfristig erzielbare Einkommen betrachten (Permamente-Einkommens-Hypothese). Als permanentes Einkommen wird das durchschnittliche Einkommen je Periode bezeichnet, das eine Person oder ein privater Haushalt bei Berücksichtigung eines längeren Zeithorizonts erwartet. Des Weiteren geht die angebotsorientierte Wirtschaftspolitik davon aus, dass die Menschen durchschauen, dass eine Erhöhung der Staatsschulden letztlich Steuererhöhungen verlangt. Staatsschulden müssen verzinst und irgendwann in ihrer Zunahme begrenzt werden. Von daher haben aus Sicht der angebotsorientierten Wirtschaftspolitik die fiskalpolitischen Maßnahmen keine Wirkung, außer der, dass irgendwann aufgrund von Verschuldung und wegen der begleitenden geldpolitischen Lockerung das Preisniveau ansteigt (Inflation). Die nachfrageorientierte Geldpolitik folgt der Ansicht von Keynes, dass die privaten Haushalte mit ihrem Konsum stark auf das Einkommen reagieren, welches sie gerade im Augenblick erzielen, und dass eine Erhöhung der Staatsschulden nicht als Notwenigkeit späterer Steuererhöhungen wahrgenommen wird. Kurzfristig leiste daher die Fiskalpolitik die in Phasen wirtschaftlicher Schwäche erwünschte Stabilisierung von Produktion und Konsum. Und auf lange Sicht, so meinte KEYNES, seien wir alle tot. Auf diese Positionen sind wir bereits eingegangen, als wir die Empfehlungen der Monetaristen (Stabilität der Rahmenbedingungen für wirtschaftliche Freiheit) von jenen der Keynesianer (Staat vergibt Aufträge in Konjunkturflauten) unterschieden. Geldmenge oder Gütermarkt? Jede Seite hat ihre Sicht, wie sich Maßnahmen (geld- und fiskalpolitischer Natur) in Ergebnisse (Produktion und Gütermarkt) übertragen. Doch wie diese Transmission funktioniert, wird unterschiedlich modelliert. Monetaristen sehen in der Regulierung der Geldmenge die wichtigste Stellgröße zur Beeinflussung der volkswirtschaftlichen Produktion und des Konsum. Ihr Leitwort lautet „Money matters“. Keynesianer sehen in Eingriffen im Gütermarkt (über autonome Staatsnachfrage oder über Anregung der privaten Nachfrage) die wichtigste Beeinflussung der Wirtschaft.
13.5
Konjunkturzyklen
Konjunktur bezeichnet die aus der Verbindung verschiedener Aspekte (lateinisch coniunctura „Verbindung“) sich ergebende wirtschaftliche Lage hinsichtlich des Auslastungsgrads der Produktionskapazität eines Wirtschaftsraumes. Ökonomische Größen wie Produktions-
196
III Wirtschaftspolitik
auslastung, Beschäftigungsgrad, Zinssatz, Preisniveau unterliegen mehr oder weniger zyklischen Schwankungen, und die konjunkturelle Lage bezieht sich auf die Phase in diesen Zyklen. Meist werden vier Phasen unterschieden: Aufschwung, Boom, Abschwung, Rezession. Zur Identifikation der Phase wird das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) herangezogen. Die Dauer des gesamten Zyklus veränderte sich kaum über die letzten hundert Jahre. In den USA dauert der typische Konjunkturzyklus 4 bis 5 Jahre. In Europa sind Konjunkturzyklen eher etwas länger. In Deutschland endete der fünfte Konjunkturzyklus nach Kriegsende mit einer Rezession im Jahr 2001, der sechste mit einer Rezession im Jahr 2009. Das BIP ging (bereinigt um Effekte der Geldentwertung, also real) im Jahr 2009 um fünf Prozent zurück – der größte Rückgang seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Konjunkturzyklen haben heute längere Expansionsphasen und kürzere Kontraktionen. Bis 1933 dauerten die beiden Phasen beinahe gleich lange. Nach 1933 war eine Verschiebung zu beobachten. Die Expansionsabschnitte wurden länger und die Abschnitte der Kontraktion kürzer. Trotz der Unterschiede bei der nationalen Geld- und Wirtschaftspolitik sind die Konjunkturzyklen in der Welt seit jeher ziemlich synchron (abgesehen von 1938 bis 1970, bedingt durch Kriegsereignisse und die Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit). Nichtzyklische Konsumgüter Grundstoffe, Investitionsgüter, Value Stocks Pharma, Versorger Technologie
Finanzdienstleister Small Caps, Transport
Tief
Früher Aufschwung
Aufschwung
Boom
Abschwung
Tief
Abbildung 13-2: Phasenverschiebung zwischen Konjunktur und Kursniveaus der Aktien von Gesellschaften verschiedener Branchen.
In Deutschland erarbeitet der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung jährlich einmal eine Konjunkturprognose und berichtet jeweils im November der Bundesregierung und der Öffentlichkeit. Auch wenn die Konjunkturphase anhand des BIP identifiziert wird, gibt es verschiedene vor- und nachlaufende Indikatoren: Einige volkswirtschaftliche Größen erreichen ihr relatives Maximum im Zyklus, bevor die gesamtwirtschaftliche Leistung (BIP) ihr relatives Maximum erreicht. Andere Größen erreichen erst nach dem relativen Maximum von Produktion und Konsum ihren eigenen Maximalwert. Leading Indicators: Vor dem Konjunkturaufschwung reagieren Größen, die frühe Investitionen beschreiben. Dazu gehören die Anzahl der Gründung neuer Firmen, der Auf-
13 Staat und Wirtschaftspolitik
197
tragseingang für Maschinen und Ausrüstung, die Ausgabe von neuen Anleihen und die Kapitalerhöhung durch Ausgabe neuer Aktien. Früh im Aufschwung reagieren auch die Kurse Unternehmensanleihen und (kurz danach) die von Aktien. Voranlaufend sind auch die Indikatoren der Konsumentenstimmung. Des Weiteren sind Unternehmensgewinne vorlaufende Indikatoren. Während einer Kontraktion sind Unternehmen dazu gezwungen, ihre Kostenstruktur anzupassen. Es werden Entlassungen ausgesprochen und überall wird gespart. Sind dann die Kosten verringert, können Unternehmen wieder Gewinne erwirtschaften, auch wenn sich die gesamtwirtschaftliche Lage noch nicht aufgehellt hat. Coinciding Indicators: Synchron mit dem Konjunkturzyklus: Beschäftigung und Volkseinkommen, industrielle Produktion, Produktion von Konsumgütern. Lagging Indicators: Die Realisation von Investitionen durch Verkäufe folgt nach einem konjunkturellen Hoch, weshalb diese Größe als nachlaufender Indikator eingestuft wird. In die Kategorie der nachlaufenden Indikatoren fallen Lagerbestände (nicht aber die Veränderung der Lagerbestände), Zinsen sowie von den Arbeitskosten abhängige Indikatoren. Wenn sie in ihrem relativen Maximum sind, ist die Hochkonjunktur bereits vorbei. Gute und schlechte Zeiten lösen sich ab. In der Genesis (1. Buch Mose, Kapitel 41, 1–8) erfahren wir von dem Pharao, dem im Traum sieben fette und sieben magere Kühe und Ähren erschienen waren. Joseph interpretiert den Traum und sieht, dass auf sieben Jahre voller Fülle sieben Jahre der Hungersnot folgen würden. Der Pharao entscheidet, Vorsorge treffen zu lassen, Joseph wird belohnt und erhält seine Freiheit. Das Auf und Ab der Wirtschaft ist wiederkehrendes Grundmuster geblieben, wenngleich die Zykluslänge heute nicht 14 Jahre, sondern nur 7 oder noch weniger Jahre beträgt. Außerdem kommt es (etwa seit 1933) nicht mehr zur biblischen Symmetrie zwischen Auf und Ab – die Abwärtsbewegungen sind heute abrupter und kürzer als die Aufwärtsbewegungen. Der französische Arzt und Statistiker JOSEPH CLÉMENT JUGLAR (1819–1905) hatte die modernen Zyklen entdeckt und in ihrer Dauer gemessen.
13.6
Fiskalpolitik
Die Fiskalpolitik wird oft zusammen mit der Geldpolitik angesprochen. Beide zusammen sollen die Wirtschaft angesichts von Konjunkturzyklen stabilisieren. Während die Zentralbank bei ihrer Geldpolitik die Bedingungen für die Geldversorgung und den Leitzins verändert, sollte der Staat mit der Fiskalpolitik flankierend zur Seite stehen und dazu die staatlichen Ausgaben verändern. Denn selbstverständlich kann der Staat Stellen (für Bedienstete) schaffen oder abbauen, und er kann die Zeitpunkte geplanter Projekte vorziehen oder um ein paar Jahre hinausschieben. Und er kann neue Projekte, etwa Bauten, in Auftrag geben oder darauf verzichten. Parallel, so die Befürworter der aktiven Fiskalpolitik, kann der Staat die Steuersätze verändern und so die Einkommen (und damit die Konsumausgaben) der Bevölkerung steuern. Keynesianer sind überzeugt, dass sich die momentane Liquidität sofort in den Konsumausgaben zeigt. Dabei muss die unterschiedliche Zielsetzung von Zentralbank und von Staat gesehen werden, sowie die Möglichkeiten und Wirkungen, mit Geld- und Fiskalpolitik das Gewünschte herbeiführen zu können. Monetaristen sehen eine Einflussmöglichkeit der Wirt-
198
III Wirtschaftspolitik
schaft eher bei der Steuerung der Geldmenge sehen, Keynesianer eher bei einer Intervention in den Gütermärkten. Die Zentralbank hat den Auftrag, die Geldwertstabilität zu sichern, was konkret heißt, keine höhere Inflation als vielleicht 2 % hinzunehmen. Besonders in den USA, so hatten wir bereits festgestellt, muss die Zentralbank mit Geldpolitik auch versuchen, Vollbeschäftigung zu erreichen. Inflationserwartungen
Maßnahmen der Zentralbank Rohstoffpreise Produktion
Lager
Konsum zyklischer (dauerhafter) Güter
Erweiterungsinvestitionen Ersatzinvestitionen
Konsumentenstimmung
Katastrophen usw.
Beschäftigungslage
Aktienmarktniveau Gewinne der Unternehmen
Lohnsumme
Dividenden
Abbildung 13-3: Zusammenhänge mit Zeitverzögerungen erzeugen Schwingungen der gesamten Wirtschaftsleistung.
Außerdem wird besonders in den USA versucht, einen Rückgang des Preisniveaus (Deflation) zu vermeiden, wozu sich eine lockere Geldpolitik eignet. Um agil zu bleiben, wird die Zentralbank von einem kleinen Gremium von Gouverneuren gesteuert. Dennoch dürfen die Schwierigkeiten einer aktiven Geldpolitik nicht übersehen werden. Wir sind auf die zeitliche Verzögerung eingegangen sowie auf besondere Situationen, in denen zum Beispiel eine aktive Lockerung der Geldversorgung nicht zur Expansion beiträgt. Von daher hatten wir den Standpunkt der Monetaristen betont, die Ausweitung der Geldmenge an die angestrebte langfristige Wachstumsrate der Wirtschaft zu koppeln. Der Gouverneur der Zentralbank sollte das Ruder eher mechanisch führen. Ähnlich wie bei der Geldpolitik gilt, dass die Fiskalpolitik zwar intuitiv versprechend ist, doch ihre Umsetzung bleibt eine schwierige Aufgabe. Wieder treten die Wirkungen von Staatsausgaben nur zeitlich verzögert ein, die Verschuldung dürfte wachsen. Die auf KEYNES zurückgehende Transmission von staatlicher Wirtschaftstätigkeit auf die gesamtwirtschaftliche Produktion und Konsum ist zwar im Modell klar beschrieben, doch in der Welt der Wirt-
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199
schaft gibt es zahlreiche Besonderheiten, die nicht im Modell erfasst sind. Zudem wird der Staat auf den Märkten plötzlich Konkurrent der privaten Wirtschaftstätigkeit und verdrängt private Nachfrage – und bei der Erhöhung staatlicher Betriebstätigkeit – privates Angebot (Crowding-Out-Effekt). Aus diesen Gründen wurde die Idee der (antizyklisch intendierten) Fiskalpolitik vor etwa 30 Jahren nicht mehr allgemein und nicht mehr uneingeschränkt für eine Umsetzung empfohlen. Angesichts der Krisensituation 2007–2012 hat sie wieder Anhänger gefunden.
Jedenfalls ist zu fragen, wo Fiskalpolitik ansetzen sollte, für den Fall, dass sie (trotz der geäußerten Bedenken) ergriffen werden sollte. Die Antwort verlangt eine Klärung, wie die zyklischen Konjunkturschwankungen entstehen. Volkswirtschaftliche Größen, wie Produktion, Beschäftigung, Zinssatz und Preise sind verbunden und haben dabei zeitliche Verzögerungen. Dadurch entstehen zyklische Schwankungen der gesamtwirtschaftlichen Aktivität.
In großen (und daher wie „geschlossenen“ wirkenden) Volkswirtschaften werden die Konjunkturzyklen durch Schwankungen bei den Ausgaben für dauerhafte Konsumgüter und Investitionsgüter verursacht. Über Importe übertragen sich diese Schwankungen (zum Beispiel wenn die Nachfrage im Inland zurückgeht) auf andere Länder. Für kleinere und (in aller Regel „offene“) Volkswirtschaften sind die Exporte ein dominanter Treiber der Konjunktur. Die Ausprägung von Zyklen in kleinen Ländern verstärkt sich, wenn die landeseigenen, internen Zyklen mit jenen der großen Handelspartner zusammenfallen. Dabei kommen die Verbindungen zwischen den Ländern nicht allein durch Export und Import von Gütern zustande. Denn inzwischen haben die internationalen Kapitalflüsse stark zugenommen. Die Integration der nationalen Kapitalmärkte verstärkt die Synchronisation der Konjunkturzyklen der verschiedenen Länder.
Wenn Fiskalpolitik betrieben werden soll, dann ist in einer großen („geschlossenen“) Volkswirtschaft der beste Ansatzpunkt der Markt für haltbare Konsumgüter, für privat genutzte Immobilien, und für Investitionen der Unternehmungen. In einer kleinen (daher „offenen“) Volkswirtschaft bietet es sich an, die Exportbranchen zu fördern. Der Beschäftigungsgrad sowie die Fertigstellung (Output) von Investitionsgütern und von haltbaren Konsumgütern unterliegen enormen Schwankungen. Die Schwankungen bei nicht dauerhaften Gütern sind geringer. Noch kleineren Schwankungen sind (nicht lagerbare) Dienstleistungen unterworfen, die über kürzere und mildere Rezessionen hinweg sogar einem stabilen Wachstumspfad folgen. Die Bestelleingänge – in Branchen, in denen auf Bestellung produziert wird – unterliegen beachtlichen Schwankungen. Die Fluktuation der Bestelleingänge ist höher als jene der Fertigung. Dies bewirkt eine stark prozyklische Veränderung der durchschnittlichen Lieferzeit. Zwischen Bestelleingang und dem Zeitpunkt des Verkaufs liegt der Zeitabschnitt der Produktion. Die Produktion schwankt in vielen Sektoren stärker als die Verkäufe, was sich aus einem prozyklischen Lageraufbau von Materialien und Halbfabrikaten erklärt. Die in Abbildung 13-4 gezeigten Änderungsraten illustrieren die überaus starken Schwankungen der Industrieproduktion im Vergleich zu jenen des Sozialprodukts.
200
III Wirtschaftspolitik
15 %
GDP Industrial Production
10 % 5% 0% −5 % −10 % −15 % −20 % 1987-II 1989-II 1991-II 1993-II 1995-II 1997-II 1999-II 2001-II 2003-II 2005-II 2007-II 2009-II
Abbildung 13-4: US-BIP und Industrieproduktion im Vergleich, gezeigt für jedes Quartal der letzten 24 Jahre anhand der prozentualen Veränderungen gegenüber dem Vorquartal.
Bei den Verkäufen wurde festgestellt, dass jene der Hersteller stärker schwanken als die im Großhandel. Die Verkäufe des Großhandels schwanken wiederum stärker als die im Einzelhandel. Die (aggregierten) Gewinne von Unternehmen schwanken ebenfalls beträchtlich. Einkommen aus unternehmerischer Tätigkeit unterliegen daher weitaus höheren konjunkturellen Abhängigkeiten und Schwankungen als alle anderen Arten von Einkommen in der Volkswirtschaft wie etwa Löhne und Mieteinnahmen. Die kurzfristigen Zinsen sind eher prozyklisch. Sie steigen im Aufschwung, sinken im Abschwung und sind in der Rezession im Tiefpunkt – ein Ergebnis aktiver Geldpolitik. Über einen Konjunkturzyklus hinweg zeigt das Zinsniveau große Abweichungen vom mittleren Zinssatz. Die langfristigen Zinssätze schwanken bereits weniger stark. Daraus folgt, dass kurz vor konjunkturellen Höhepunkten die kurzfristigen Zinsen etwas höher liegen als die langfristigen (inverse Zinsstruktur). Vor gesamtwirtschaftlichen Tiefs sind die kurzfristigen Zinsen dagegen tiefer als die langfristigen Zinssätze (normale Zinsstruktur). Noch etwas anders verhalten sich die Renditen für Anleihen, da sie zu einem guten Teil durch Zinsänderungen getrieben werden. Steigt das Zinsniveau, gehen die Renditen zurück. Fällt das Zinsniveau, kommt es zu Kurssteigerungen und zu hohen Renditen bei den Anleihen. Im Fazit darf gesagt werden: Wenn die Auftragseingänge bei den industriellen Herstellern zurückgehen und dort die Lagerbestände steigen, dann wäre – sofern Fiskalpolitik betrieben werden soll – der richtige Zeitpunkt für ein antizyklisches Eingreifen in die Märkte.
13 Staat und Wirtschaftspolitik
13.7
201
Struktur- und Industriepolitik
In der Klassik und Neoklassik wurden die Vorteile beschrieben, die eine internationale Arbeitsteilung für alle Länder mit sich bringt (Win-Win-Situation). Voraussetzung ist die nationale Spezialisierung auf Branchen und Industrien, die einen komparativen Vorteil haben. Diese Spezialisierungen sind in Gang, doch es handelt sich um langsame Prozesse. Sie werden zudem durch gewisse Einflussfaktoren verschoben, etwa durch die technologische Entwicklung, durch Innovation und die Umsetzung von Forschung. Noch nicht erreicht ist ein globales Gleichgewicht, in dem alle Nationen genau die Güter anbieten, in denen sie komparative Vorteile haben, und genau jene Güter nachfragen, in denen sie keine relativen Kostenvorteile haben. Es hat auch wenig Sinn, wenn ein Land schnellstens die eigene Wirtschaftsstruktur so ändert, dass sie in Kürze dem späteren Gleichgewichtszustand entspricht, wenn die anderen Nationen langsamer sind. Denn die besagten Spezialisierungsvorteile werden nur dann erzielt, wenn sich alle gleichgewichtskonform verhalten. Der Weg der Veränderung ist daher nicht nur an sich langsam zu gehen. Verlangt wäre, dass alle Nationen in etwa mit derselben Geschwindigkeit sich auf jene Wirtschaftsstruktur zu bewegen, die ihren komparativen Vorteilen entspricht. Auf dem Weg zum Gleichgewicht erscheint eine gewisse Koordination und gemeinsame Planung förderlich. Hierbei wird natürlich die aktive Unterstützung seitens der jeweiligen Regierungen eingefordert. Die Regierung eines Landes soll angesichts der wirtschaftlichen Struktur, die aufgrund des angestrebten Gleichgewichts und der komparativen Vorteile zu schaffen ist, drei Arten von Hilfen bieten:
Die im kommenden, internationalen Marktgleichgewicht gefragten Branchen und Industrien sollen Unterstützung bei ihrem weiteren Aufbau und ihrer Stärkung erhalten. Industrien, über die das Land noch nicht verfügt, bei denen es sich aber komparative Vorteile erwartet, müssen von Grund auf neu begonnen und eingerichtet werden. Arbeitnehmer in den überholten Industrien sollten besondere finanzielle Unterstützung erhalten, damit der Abbau sozial verträglich ablaufen kann.
Kurz: Der Staat soll (1) Industrien mit komparativen Vorteilen weiter aufbauen, (2) versprechende Industrien gründen, (3) alte Industrien für eine Zeit am Leben erhalten. Ein Teil der Wirtschaftspolitik ist die Struktur- oder Industriepolitik. Sie hat das Ziel, den durch die internationale Arbeitsteilung verlangten Strukturwandel zu begünstigen und in jenen Bereichen durch Hilfen die soziale Verträglichkeit zu erhalten, die aufgrund der internationalen Arbeitsteilung durch Importe verdrängt werden. Die Industriepolitik Europas wurde 1992 in Artikel 157 in den Vertrag von Maastricht mit diesen Worten umrissen: „Die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die notwendigen Voraussetzungen für die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie gewährleistet sind.“ Im Jahr 2003 wurde die EU-Kommission aufgefordert, gezielter auf die Bedürfnisse einzelner Industriezweige einzugehen, um deren Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Ein Jahr später haben Deutschland, Frankreich und Großbritannien eine „proaktive europäische Industriepolitik“ gefordert. Allerdings werden mit derselben Vehemenz Subven-
202
III Wirtschaftspolitik
tionen kritisiert. Subventionen (lateinisch subvenire „zu Hilfe kommen“) sind Zahlungen des Staates an Unternehmen ohne entsprechende Gegenleistung. Sie werden als Handelshemmnis betrachtet. Allerdings ließe sich der Kritik an Subventionen entgegenhalten, dass sie dazu dienen sollen, das Marktgleichgewicht erst zu erreichen. Auch Länder wie Griechenland und Portugal haben komparative Vorteile in gewissen Bereichen, und eine deutlichere staatliche Förderung hätte vielleicht helfen können, die jeweiligen Industrien aufleben zu lassen – nicht nur zum Vorteil des jeweils eigenen Landes, sondern vor allem zum Vorteil der anderen Länder, die mit Griechenland und Portugal Handel treiben.
13.8
Fragen zur Lernkontrolle
1.
a) Welche drei Elemente des modernen Staates nennt der Staatsrechtler JELLENIK 1900 in seinem Buch? b) Was verlangte LAOTSE mit Natürlichkeit, KONFUZIUS mit Menschlichkeit? c) Was wird unter Subsidiarität verstanden?
2.
a) Was wird damit gemeint, die Macht des Staates sei durch die Verfassung und Gesetze legitimiert? b) Nennen Sie einige Punkte, die in den Konstitutionen der Schweiz und in der von Singapur festgehalten sind!
3.
a) Was ist der implizite Sozialvertrag? b) Welche Bürgerrechte nennt die Charta der EU?
4.
Bitte erläutern Sie: a) Wohnsitzlandprinzip, Welteinkommensprinzip, Quellenlandprinzip, Territorialitätsprinzip! b) Mit welchen Indizien wird der Wohnsitz identifiziert?
5.
a) Was wird unter angebotsorientierter, was unter nachfrageorientierter Wirtschaftspolitik verstanden? b) Wie interpretieren Sie die Aussage eines Wirtschaftspolitikers, der Mechanismus der Transmission sei unklar? c) Sollte die Politik primär die Geldmenge steuern oder eher den Gütermarkt beeinflussen?
6.
Was besagt der Crowding-Out-Effekt?
7.
Welche fiskalpolitischen Maßnahmen würden Sie wählen, um konjunkturelle Schwankungen zu stabilisieren? Geben Sie Ihre Antwort a) für eine große geschlossene und b) für eine kleine und offene Volkswirtschaft!
8.
a) Was sollen Struktur- und Industriepolitik bewirken? b) Welche drei Arten von Förderungen werden vielfach erwartet?
13.9
Lernpunkte und Ergänzung
Während JELLENIK neben dem Staatsgebiet und dem Staatsvolk die Staatsgewalt betont, sehen Bürgerrechtler im Staat eher eine Agentur, die auf gleicher Ebene wie die Bürgerinnen und Bürger steht und ihnen, vergleichbar mit einer großen Versicherungsgesellschaft, bei Bedarf (Arbeitslosigkeit, Krankheit, Alter) individuelle Unterstützungen als Gegenleistung für Steuerbeiträge bietet.
Konjunkturzyklen dauern insgesamt zwischen 5 und 7 Jahren. Die Expansionsphasen sind länger, die Kontraktionen kürzer. Trotz der Unterschiede bei der nationalen Geld- und Wirtschaftspolitik sind die Konjunkturzyklen in der Welt seit jeher ziemlich synchron (abgesehen von 1938 bis 1970).
13 Staat und Wirtschaftspolitik
203
Vorlaufende Konjunkturindikatoren: (1) Gründung neuer Firmen, (2) Auftragseingang für Maschinen und Ausrüstung, (3) Ausgabe von neuen Anleihen und die Kapitalerhöhung durch Ausgabe von Aktien. (4) Kurse von Unternehmensanleihen und, etwas später, von Aktien. (5) Indikatoren der Konsumentenstimmung. (6) Unternehmensgewinne.
In großen und geschlossenen Volkswirtschaften werden Konjunkturzyklen durch Schwankungen bei den Ausgaben für haltbare Güter verursacht (und über die Importe übertragen sich diese Schwankungen dann auch auf die exportierenden, anderen Länder). Für kleinere und offene Volkswirtschaften sind die Exporte Treiber der Konjunktur.
Zur Ergänzung: Der Misery-Index ist die Summe aus Inflationsrate und Arbeitslosigkeit (beide als Prozentzahl). Der Indikator geht auf den Amerikaner ARTHUR MELVIN OKUN (1928–1980) zurück und drückt die sozialen Kosten der beiden Phänomene Inflation und Arbeitslosigkeit aus – es gibt auch eine Musikband mit diesem Namen. Die Ökonomen ROBERT BARRO und STEVE HANKE haben noch gewisse Modifikationen vorgeschlagen. Eine empirische Studie 2001 zeigt, dass die Bevölkerung in ihrem Glücksgefühl und ihrem Nutzen 1 % mehr Arbeitslosigkeit mit 1,7 % mehr Inflation substituiert. Das würde nahe legen, den Index in einer dritten Variante als Summe von Inflationsrate und der mit 1,7 multiplizierten prozentualen Arbeitslosigkeit zu definieren. Schließlich wurde als vierte Variante von Moody’s vorgeschlagen, zur Arbeitslosigkeit (anstelle der Inflation) das prozentuale Haushaltsdefizit zu addieren. Im Internet wird der Misery-Index für die USA (miseryindex.us/indexbyyear.aspx) im Längsschnitt ab 1948 publiziert sowie im Quervergleich über Nationen. In den USA wird der Index auch eigens für die Amtszeiten der Präsidenten ausgewiesen, und selbstverständlich werden Änderungen des Misery-Index im Wahlkampf angeführt. Die breite Beachtung und die Konzentration auf den Misery-Index unterstreichen, dass die Menschen Inflation und Arbeitslosigkeit als die beiden größten Hindernisse auf dem Weg zu höherer materieller Wohlfahrt ansehen.
14
Wirtschaftliche Entwicklung
Alle Länder entwickeln sich wirtschaftlich weiter. Staaten, die bereits einen hohen Entwicklungsstand erreicht haben, vertiefen ihre Arbeitsteilung weiter und gründen gemeinsam internationale Einrichtungen. Bei der wirtschaftlichen Weiterentwicklung eines Landes werden fünf Phasen durchlaufen. Bei der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zweier Länder unterscheiden wir vier Stufen. Die Themen: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.
Der Unternehmer als Treibkraft der Dynamik Drei frühe Phasen der wirtschaftlichen Entwicklung eines Landes Zwei reifere Phasen der wirtschaftlichen Entwicklung eines Landes Erste Stufe der wirtschaftlichen Kooperationen zweier Länder Zweite Stufe: Export, Import, Direktinvestitionen Dritte Stufe: Kulturaustausch als Basis für die weitere Zusammenarbeit zweier Länder Vierte Stufe: Wirtschaftliche Integration Fragen zur Lernkontrolle Lernpunkte und Ergänzung zu internationalen Einrichtungen
14.1
Treibkraft der wirtschaftlichen Dynamik
Wer sich mit den Wirtschaftswissenschaften befasst, beginnt mit einer Betrachtung der Produktion in Unternehmen, der Güterallokation über Märkte, der Funktionsweise von Banken und betrachtet die Geldpolitik der Zentralbank und die Fiskalpolitik des Staates. Die Argumentation ist meist die der Neoklassik: Ein Gleichgewicht ist erreicht und die Frage lautet, in welcher Beziehung Preise, Zinsen, Größen wie Grenznutzen und Raten der Substitution untereinander stehen. Die Unternehmen, die Märkte, der Staat sind bereits eingerichtet. Die Haushalte bieten Arbeit, beziehen Einkommen und geben es vor allem für Konsum aus. Der Staat bietet öffentliche Dienste, leistet Sozialhilfe, und versucht an den „Dauerbaustellen“ Gesundheitswesen und Altersversorgung zu verbessern – doch immer wieder verhindern Wahlen eine grundlegende Sanierung mit Neubeginn. So strömen Arbeit und Dienste in die eine Richtung, Geld in die andere – wie es FRANÇOIS QUESNAY (1694–1774) mit seinem Tableau économique, dem Wirtschaftskreislauf, beschrieb. Überall herrscht Gleichgewicht, die Allokation ist paretoeffizient und wird von vielen als „optimal“ angesehen. All das „in jahraus jahrein wesentlich gleicher Bahn“, kommentierte SCHUMPETER 1911 in seinem Buch Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung (S. 93). Das so angegangene Studienobjekt der Wirtschaft geht dabei leicht über diese Tatsache hinweg: Die Unternehmer müssen erst aktiv werden, die Märkte müssen erst ins Leben gerufen
206
III Wirtschaftspolitik
werden, Arbeitsplätze müssen erst geschaffen werden und jene, die zur Arbeit bereit sind, müssen erst ausgebildet werden. Der Staat ist im Aufbau und beginnt vielleicht mit anderem, etwa mit dem Militär, bevor er für stabile wirtschaftliche Einrichtungen sorgt. Banken müssen gegründet werden und erst dann zeigt sich die Notwendigkeit ihrer Regulierung. Das Wirtschaften ist kein Kreislauf in bereits gebahnter Bahn. Wirtschaften heißt, einen Prozess der Entwicklung zu gehen. SCHUMPETER schuf mit seinem Buch 1911 einen Klassiker der Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung. Er stellte die Dynamik des kapitalistischen Wirtschaftssystems in den Vordergrund. Die Dynamik entsteht aufgrund von Innovation, kraftvoll angetrieben durch den Unternehmer. SCHUMPETER sah die Innovation in der Produktion eines neuen Gutes oder einer neuen Qualität, in der Einführung einer neuen Produktionstechnologie, der Erschließung eines neuen Absatzmarktes und der Öffnung neuer Bezugsquellen für Rohstoffe oder Halbfabrikate sowie in der Neuorganisation der Marktposition der Unternehmung. Der Unternehmer (siehe Kapitel 6) ist nicht nur findig hinsichtlich der Ideen und der innovativen Konzepte, sondern vermag die neuen Ansätze und Technologien durchzusetzen und kann die Märkte wirklich verändern. Weil jedes Innovative den Bereich des bereits Geregelten und Reglementierten durchbricht, kann der Unternehmer nur wenig auf Wissenschaft und Best Practices vertrauen. Bei seinen Entscheidungen folgt er seiner schöpferischen Intuition. Er wird nicht nur Anhänger finden. Es wird Zweifler und Personen geben, die Widerstand leisten, weil sie die sich anbahnende Zerstörung des Bestehenden ahnen. Der Unternehmer muss dies überwinden können. Er muss Überzeugungskraft und Ausdauer haben. Jedenfalls ist der Unternehmer keine Persönlichkeit, die sich im Status als Eigentümer gleichsam sonnt und einer gesicherten Rendite entgegen blickt, und die mit Hilfe von Kalkülen die Produktion hier und da verbessert. SCHUMPETER meinte in seinem Buch 1911, die Unternehmerfunktion sei „das eigentliche Grundphänomen der wirtschaftlichen Entwicklung“ (S. 110). Heute sehen wir, dass die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes nicht einzig Unternehmern zugeschrieben werden kann. Politiker und Führungspersönlichkeiten wirken überall im Wirtschaftsleben. Selbst wenn sie nicht primär innovativ sind, können sie die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes vorantreiben. Neben Unternehmern und Politikern spielt die Kultur ihre Rolle, ebenso wie die Medien und überhaupt das Denken aller gesellschaftlichen Gruppen. Druck zu Verbesserungen (hinsichtlich Armutsbeseitigung, Umweltschonung, Steigerung des Bildungsniveaus, Altersversorgung) ist immer wieder von Nichtregierungsorganisationen ausgegangen. Demnach bringen verschiedenste Gruppen heute ein Land weiter – und nicht jede Weiterentwicklung stellt eine Innovation dar. Trotz der Bedeutung des Klassikers von SCHUMPETER muss daher die wirtschaftliche Entwicklung anders gezeichnet werden. Wir stellen Phasen dar, die Länder typischerweise in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung durchlaufen. Die Beschreibungen folgen aus der Abstraktion von Schritten, die in Schwellenländern zu beobachten sind, sowie der Geschehnisse in den entwickelten Ländern. Gleichwohl ist unser Ziel keinesfalls die Wirtschaftsgeschichte. Vielmehr sollen typische Phasen wirtschaftlicher Entwicklung charakterisiert werden. Wir identifizieren fünf solcher Phasen. Sie sollen eine Vorschau auf Kommendes erlauben und gestatten, Szenarien zu beurteilen.
14 Wirtschaftliche Entwicklung
14.2
207
Frühe Phasen wirtschaftlicher Entwicklung
Phase 1: Handwerker und kleine Produzenten: In der ersten Phase dominieren die Urberufe. Viele Menschen sind Bauern und Fischer. Händler ziehen durch das Land, überall bestehen Handwerksbetriebe. Ab und zu verlässt jemand das Land, um wo anders temporär oder als Auswanderer eine Arbeitsmöglichkeit zu finden. Zwar zeigen sich überall in der beruflichen Spezialisierung die Vorteile der Arbeitsteilung und des anschließenden Tausches auf Märkten. Das formale (oder informelle und faktische) staatliche Gebilde ist aber mit den wirtschaftlichen Tätigkeiten der Menschen wenig verzahnt. Der Staat verhält sich wie ein eigenes Wirtschaftssubjekt, das gewisse Privilegien hält und im Gegenzug das Gebiet verteidigt und Geld ausgibt. Der Staat agiert als Wirtschaftssubjekt mit Macht.
Der Staat greift nur in besonderen Fällen auf die Menschen zu, damit sie gewisse Rollen etwa beim Militärdienst oder in der Verwaltung übernehmen. Die oberste Instanz gibt bei alle dem Geld aus, für sich selbst sowie für die Besoldung von Soldaten und Beamten. Sie versucht, Steuern einzutreiben, was aber nicht immer gelingt. Denn die Einkommen sind allgemein gering und die wenigen reichen Personen sind bereits selbst im Staatswesen tätig. Die allgemeine Vorstellung besteht, dass Wohlstand sich aus Eigentum und aus Rechten (Ländereien, Bergbau) ableitet, vielleicht auch aufgrund hoheitlicher Positionen im Staatsapparat, nicht aber aus Wissen, Unternehmertum, findiger Produktion und noch weniger aus Fleiß. Diese allgemeine Sichtweise wird dadurch unterstrichen, dass es bei den allgemein kleinen Einkommen selbst begabten Handwerkern und Produzenten nicht möglich ist, viel zu verdienen. Das erwerbswirtschaftliche Denken, also die Vorgehensweise mehr zu produzieren und zu verkaufen als für den eigenen Lebensunterhalt benötigt wird, damit ein Vermögen aufgebaut werden kann, greift nicht. Denn das allgemeine Einkommen ist gering, der heimische Markt gibt nichts her. Nur wenige Personen werden über Produktion und Absatzerlöse etwas vermögend. Das Land ist wirtschaftlich unterentwickelt. Phase 2: Industrialisierung: Wenn in der ersten Phase technischer Fortschritt in Bodenbewirtschaftung, Fischerei und Handwerk aufkommt, bleiben Arbeitskräfte ohne Beschäftigung. Sie drängen darauf, Arbeit zu finden. Möglicherweise entstehen Unruhen. Sie bereiten den Übergang zu einer folgenden zweiten Phase. Der Staat muss reagieren und wird wirtschaftlich aktiv. Er beginnt damit, die Fertigung von Erzeugnissen in Betrieben zu organisieren. So werden neue, industrielle Arbeitsplätze geschaffen, wenngleich bei geringen Löhnen. Zum Teil überlässt der Staat diese betrieblichen Tätigkeiten Unternehmern. Die zweite Phase ist also die der Industrialisierung. Italien beispielsweise hat diese Phase mit Ende des Zweiten Weltkriegs im Süden begonnen. Im Norden hatte schon vorher Industrie bestanden. Der Süden Italiens, bis 1945 ein reines Agrarland, war um 1970 ein Industrieland. China hat sich ebenso in 25 Jahren von einem armen Agrarland in ein Industrieland gewandelt und Hunderttausende von Arbeitsplätzen geschaffen, beginnend mit der Öffnungspolitik (ab 1986) unter dem marktorientierten Pragmatiker DENG XIAOPING.
Die Erzeugnisse der Industrie werden exportiert. Obwohl ihre Qualität in dieser zweiten Phase noch vergleichsweise gering ist – überwiegend sind es Imitationen, die von den Menschen in den weiter entwickelten Ländern belächelt werden – können sie aufgrund geringer
208
III Wirtschaftspolitik
Preise verkauft werden. Viele Erzeugnisse gibt es in zwei Varianten: Eine Produktqualität ist für den Absatz im Inland vorgesehen, die andere für den Export. Parallel dazu werden Hotels gebaut. Der einsetzende Tourismus bringt Devisen. Die ausländischen Zahlungsmittel nimmt zunächst der Staat ein, der die wirtschaftliche Lenkung in der Außenwirtschaft weiterhin behält. Der Staat kann mit den in Fremdwährungen erzielten Erlösen weitere Produktionsmittel beschaffen und parallel dazu mit dem Aufbau von Schulen, Krankenhäusern und Infrastruktur öffentliche Güter bereitstellen. Insgesamt finden die Menschen Arbeit in der Fertigung von Exporterzeugnissen und im Tourismus. Sie erhalten Lohn und können zunehmend öffentliche Güter im Heimatland nützen. Außerdem spricht der Staat den Arbeitskräften Anerkennung aus. Orden für verdienstvollen Arbeitseinsatz und die Teilhabe an nationalen Sportfesten werden zu Bestandteilen der Kompensation. Die Medien loben den Einsatz der Arbeiterschaft. Die Arbeit wird positiv besetzt. Phase 3: Qualitätssteigerung: Irgendwann öffnet sich das Land für ausländische Arbeitskräfte. Zuerst strömen gering qualifizierte ausländische Arbeiter herein. In Hoch- und Tiefbau helfen sie bei der Ausweitung der nationalen Infrastruktur. Oder sie arbeiten als Haushaltshilfe. Während einzelne Personen als Gastarbeiter begrüßt sind, bleiben ausländische Dienstleistungsfirmen, die sich um Aufträge bemühen, unerwünscht. Doch ausländische Produktionsunternehmen errichten Niederlassungen und Produktionsstätten auf Dauer. Sie bringen hochqualifizierte Facharbeiter, Ingenieure und Führungskräfte (Expatriates) in das Land.
Durch die Öffnung gegenüber ausländischen Unternehmen kommt eine ungeahnte Breite von Anregungen in das Land. Teils wird das Neue und Andere als ungewohnt oder sogar als inakzeptabel erlebt, doch die Qualität des heimischen Angebots gewinnt zunehmend. Erstens bringen die Expatriates Wissen mit. Zweitens, da sie ihre gewohnten Konsumgüter nicht missen wollen, zeigt sich das im Ausland vorhandene Warenangebot bald der heimischen Bevölkerung. Die Qualitätssteigerung nährt die Qualitätssteigerung. So beginnt eine Phase dauerhafter Qualitätssteigerung. Das Land mutiert dazu von einem Imitator billiger Qualität zu einem Anbieter hochwertiger Produkte und Dienstleistungen. Das Land verbessert Maschinen und Anlagen, beginnt mit eigener Konstruktion und auf einmal werden Hotels mit fünf Sternen gebaut. Damit Reisende kommen, wird das Gesundheitssystem auf höchstes Niveau gebracht. Die Kommunikationssysteme werden vorbildlich. Golfplätze und Kunstaufführungen tun ihr Übriges. Parallel dazu wird das Rechtssystem ausgebaut und Banken öffnen sich für ausländische Geldanlagen. Die Treiber der Entwicklung: Der schumpetersche Unternehmer hat in allen diesen Phasen große Bedeutung, besonders beim Übergang von der imitierenden Industrie (Phase 2) auf die Phase 3 der Qualitätssteigerung. Es ist schon ein tiefgreifender Wandel verlangt und durchzusetzen, wenn ein Land von der Imitation und dem Vertrieb billiger Produkte – Exporte, die nur in gewisse Länder gehen können – zu einem Produzenten höchster und fortschrittlicher Qualität mutiert.
14 Wirtschaftliche Entwicklung
209
Beispielsweise Südkorea hat das in den letzten 25 Jahren geschafft. Anfangs wurden Industrien für Automobilbau sowie für Elektronik und Optik begonnen. Doch sie standen im Schatten der japanischen und auch der deutschen Industrien. Inzwischen bedienen Kia, Hyundai, Samsung und LG die globalen Konsummärkte mit anerkannt hoher Qualität.
14.3
Reifere Phasen wirtschaftlicher Entwicklung
Phase 4: Produktivitätssteigerung: Die Einheimischen entdecken, dass Wohlstand zwar da zu sein scheint, sie selbst aber aufgrund immer noch geringer Löhne nur wenig teilhaben. Zudem gab es bei allen Gütern im Inland Preissteigerungen, besonders bei Immobilien in guten Lagen. Zersiedlung und Belastungen im Straßenverkehr werden augenfällig. Gleiches gilt für die Umweltbelastung. Die Bevölkerung sieht nicht mehr jede wirtschaftliche Weiterentwicklung als für sie vorteilhaft an. Das Lohnniveau muss steigen.
Das ist nur über eine Erhöhung der Produktivität (Relation von Outputs zu Inputs bei der Produktion) möglich. Zwar wird der Output weder quantitativ noch qualitativ gesteigert, doch es werden weniger Inputs benötigt. Das heißt: geringere Umweltbelastung, kürzere Arbeitszeiten und trotzdem gleicher Monatslohn – oder: höherer Monatslohn bei unveränderter Arbeitszeit. Aufgrund der Produktivitätssteigerung, teils herbeigeführt durch neue Organisationsformen und flachere Hierarchien, werden nicht mehr so viele Ausländer im Land benötigt. Weniger Expatriates sind im Straßenbild zu sehen, die freien Facharbeiterstellen werden von Einheimischen übernommen. Mit der Produktivitätssteigerung gehen Entwicklungen einher, die den Einheimischen willkommen sind. Selbstverständlich gelingt die Erhöhung der Produktivität nur, sofern gewisse Bedingungen geschaffen werden. Eine ist die höhere Ausbildung der Bevölkerung, eine andere der Einsatz neuester Betriebsmittel. Vielleicht kann der Staat die Ausbildung und die modernen Maschinen immer noch mit den Exporterlösen und den Devisen aus dem Tourismus bezahlen, doch eventuell nimmt er Schulden bei ausländischen Gläubigern auf. Die Staatsschulden entstehen oder nehmen zu. Eventuell kann der Staat sich auch bei der eigenen Bevölkerung verschulden, weil sie jetzt ein höheres Einkommen bezieht. Daher bestehen nicht die gesamten Schulden gegenüber ausländischen Finanzinvestoren. Tabelle 14-1: Fünf Phasen wirtschaftlicher Entwicklung eines Landes. Handwerksbetriebe
Das allgemein geringe Einkommen behindert das erwerbswirtschaftliche Prinzip, Rohstoffe und Rechte werden als Quellen von Wohlstand erlebt.
Industrialisierung
Die erste aufkommende Industrie beginnt mit der Imitation bei geringem Lohnniveau für die Arbeitskräfte.
Qualitätssteigerung
Höhere Löhne verlangen Produkte in höherer Qualität, viele davon sind Dienstleistungen, die Wirtschaftsstruktur verschiebt sich.
Produktivitätssteigerung
Produktivitätssteigerungen verlangen eine Neugewichtung von höherwertigen Dienstleistungen, die Wirtschaftsstruktur verschiebt sich.
Verteilungsproblematik
Öffentliche Güter werden in Klubgüter verwandelt.
210
III Wirtschaftspolitik
Die Produktivitätssteigerungen verschieben die komparativen Positionen (relative Kostenvorteile) des Landes. Die Politik fördert, dass der Prozess der Verschiebung zu höherwertigen Produktionen weiterhin in Gang bleibt. In der modernen Welt verlangt dies, dass sich das Land stärker in Richtung eines globalen Anbieters von Dienstleistungen verändert. Einige Dienstleistungen setzen nicht voraus, dass die ausländischen Abnehmer das Land besuchen: Niemand muss, um einen amerikanischen Blockbuster anzusehen, zuvor nach Kalifornien gereist sein. Niemand muss für einen Download in Indien programmierter Software zuvor in Bangalore gewesen sein. Doch wer seinen Gesundheitscheck in Singapur vornehmen lassen will, muss dort hingehen. Ebenso verlangt eine Erholung auf Madagaskar eine Reise zum Indischen Ozean. Wenn das Land sich für Dienstleistungen entscheidet, die gelegentliche Besuche notwendig machen, sollte natürlich alles andere da sein oder geschaffen werden, was Besuche für ein internationales Publikum angenehm werden lässt: Klima, Kultur, Hotellerie, Infrastruktur, Rechtssicherheit und nicht zuletzt Freundlichkeit der Gastgeber. Tourismus kann für sich eine Einkommensquelle darstellen, doch er kann gut mit anderen Dienstleistungen (Banking, Gesundheit) kombiniert werden. Phase 5: Bewältigung der Verteilungsaufgabe: Mittlerweile ist ein wirtschaftlich recht moderner Staat entstanden. Kaum vorstellbar, dass die wirtschaftliche Entwicklung nicht von entsprechender Entfaltung der politischen Instanzen, des Rechtssystems und des gesellschaftlichen Lebens begleitet wäre. Oder umgekehrt: Veränderungen bei den politischen Instanzen und beim Denken der Menschen begünstigen freiere, engagiertere und erfolgreichere wirtschaftliche Entwicklung. Der Staat bindet sich zunehmend in das wirtschaftliche und politische System der Welt ein: Mitgliedschaften zu internationalen Einrichtungen werden gesucht. Regional hilft eine aktive Wirtschaftspolitik, größere Gebiete mit gemeinschaftlichen Interessen zu formieren. Der Staat baut Partnerschaften aus und beteiligt sich vermehrt an internationalen Hilfsmaßnahmen. Gleichzeitig wird das qualitativ bessere Leben im Inland für den Staat immer teurer. Nicht nur sind Infrastruktur, Schulen, Sicherheit teuer. Zunehmend sollen staatliche Gelder in die Forschung fließen sowie in Projekte, die sich erst sehr langfristig auszahlen. Zwar ist das Einkommen der Bevölkerung immer weiter gestiegen, doch bleibt die Bereitschaft zu Steuererhöhungen gering. Dies auch angesichts des zunehmend besser gewordenen Angebots an öffentlichen Gütern. Vielleicht ist die Verschuldungskapazität des Staates bereits erschöpft. Dann beginnt der Staat damit, die Nichtauschließbarkeit der öffentlichen Güter zu reduzieren. Klubgüter werden geschaffen (Kapitel 3). So können für die Nutzung Gebühren erhoben werden. Die Nutzer müssen in dieser Phase für die Inanspruchnahme von Telekommunikation bezahlen. Schulgeld und Studiengebühren werden eingeführt. Weiter kassiert der Staat für die Benutzung von Straßen. Allmählich verringern sich die früher hohen Wachstumsraten der Wirtschaft. Ohne Wachstum der Volkswirtschaft kommt eine Diskussion über die Verteilung auf und wird fortan drängender geführt. Ein typischer Zankapfel: Sozialhilfe im Inland, Altersvorsorge und Gesundheitssystem. Von der Bevölkerung weniger direkt gespürt sind der Finanzausgleich zwischen einzelnen Landesteilen sowie der Transfer zu Nachbarstaaten im Rahmen einer größeren Gemeinschaft. Sie bleiben unmerklich.
14 Wirtschaftliche Entwicklung
211
Der Übergang von der vierten zur fünften Phase ist weniger das Aktivitätsfeld des schumpeterschen Unternehmers, sondern eher Ergebnis einer verteilungspolitischen Auseinandersetzung. Die eine Seite möchte weiterhin die Globalisierung vorantreiben und erklärt die verteilungspolitische Diskussion als wachstumshemmend. Die andere Seite möchte die Ungleichheit der Einkommen und Vermögen verringern und gibt vor, höhere Einkommen für die breite Allgemeinheit würden sich in Konsum ausdrücken, der dann eine wachstumsfördernde Wirkung hätte. Die Herausforderung besteht darin, die Verteilungsaufgabe so zu lösen, dass der kooperative Konsens in der Gesellschaft erhalten bleibt. Verschiedentlich wurde die Entwicklung von Ländern in Stufen dargestellt. So von GUSTAV SCHMOLLER (1838–1917), der Nationalökonomie und Geschichte verband. Weitere Stufenlehren wurden von dem Soziologen WERNER SOMBART (1963–1941) und dem Ökonomen ARTHUR A. K. SPIETHOFF (1873–1957) geschaffen. Der große Sozialökonom MAX C. E. WEBER (1864–1920) griff darauf in seiner Schrift über den Geist des Kapitalismus (1904, 1920) zurück. Später haben der Mitbegründer der Sozialen Marktwirtschaft ALFRED MÜLLER-ARMACK (1901–1978) sowie der amerikanische Wirtschaftshistoriker WALT W. ROSTOW (1916–2003) die Idee der Wirtschaftsstufenidee wieder belebt. ROSTOW hat aufgrund der Entwicklung Englands diese Stufen gefunden: (1) traditionelle Gesellschaft, (2) Gesellschaft im Übergang, (3) wirtschaftlicher Aufstieg, (4) Entwicklung in Reife, (5) Zeitalter des Massenkonsums. VON
14.4
Erste Stufe der Zusammenarbeit
Soweit wurde die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes weitgehend ohne Bezug auf andere Länder betrachtet. Viele der angesprochenen Entwicklungen verlangen indessen wirtschaftliche Zusammenarbeit mit einem oder mehreren anderen Ländern, besonders mit Nachbarländern. Umgekehrt können fehlende gutnachbarliche Beziehungen die eigene Entwicklung eines Landes hemmen oder blockieren. Von daher ist für die wirtschaftliche Entwicklung wichtig, die Beziehung zu Nachbarländern anzusprechen. Die Weise, in der internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit gesehen wird, hatte sich vor Jahrhunderten grundlegend gewandelt (vergleiche Kapitel 2). In der Zeit des Merkantilismus wurde das Wirtschaften als Nullsummen-Spiel begriffen. Ein Wohlstandsgewinn, so wurde gedacht, würde verlangen, die wirtschaftliche Entfaltung von Nachbarn zu behindern oder sich Güter als Kriegsbeute zu holen. Der Begründer der klassischen Nationalökonomie, ADAM SMITH, hat das Wirtschaften als Win-Win-Situation beschrieben. Durch Arbeitsteilung und internationalen Tausch von Waren, Export und Import (den die Merkantilisten hemmten), würden alle teilnehmenden Länder Wohlstandsgewinne haben. Heute ist überall die damals revolutionäre Sicht von SMITH akzeptiert. Nur verlangt die Arbeitsteilung und Spezialisierung im Inneren eines jeden Landes Anpassungen, und die werden hier und da anfangs als schmerzhafte Eintrittsbarriere in die globale Wirtschaft erlebt. So folgen auch wir der Sicht von SMITH und betrachten insgesamt vier Stufen der Kooperation, die in angegebener Reihenfolge durchlaufen werden und eine immer intensivere Zusammenarbeit zwischen Ländern ausdrücken, beginnend mit einer einzelne Punkte betonenden Regelung bis hin zur tiefen ökonomischen Verzahnung der zusammenkommenden Länder.
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III Wirtschaftspolitik
Eine erste Stufe der Zusammenarbeit von Nationen setzt mit einem Friedensvertrag ein. Sie verlangt einen Mittler. Im Anschluss werden Regelungen für die Nutzung gemeinsamer Ressourcen (Allmendegüter) möglich. Am Anfang unserer Betrachtung von Stufen immer intensiverer wirtschaftlicher Kooperation stehen also zwei Länder, die sich in einem Krieg oder einem kriegsähnlichen Zustand befanden – vielleicht weil sie dachten, eigener Vorteil müsse mit einem Nachteil für den Gegner erkämpft werden. Der Krieg sei nun zu Ende, und die beiden Länder möchten einen Friedensvertrag schließen. Nicht alle Friedensverträge werden gleich bei Kriegsende geschlossen. Der Zweite Weltkrieg endete 1945 mit einer bedingungslosen Kapitulation von Deutschland und Japan. Im pazifischen Raum wurde Frieden erst durch Vertrag von San Francisco 1951 geregelt. Immer wieder wird ein Krieg dadurch beendet, dass sich eine Seite zurückzieht und nicht weiter kämpft. Der Koreakrieg (1950–1953), in dem 3,5 Millionen Menschen getötet wurden, endete zwar 1953 mit einem Waffenstillstandsabkommen (bei dem der 38. Breitengrad als Grenze zwischen dem kommunistischen Norden und dem westlich orientierten Süden bestätigt wurde), doch es gibt bis heute keinen Friedensvertrag und Nordkorea sieht sich weiterhin im Kriegszustand. (1) Bei offenen Streitpunkten wird in aller Regel eine dritte Seite gebeten, zu vermitteln. Als Mittler eignen sich Persönlichkeiten von Weltrang. Der Einbezug einer (neutralen, sprich für beide Seiten akzeptierten) dritten Seite für Vertragsverhandlungen bietet sich immer dann an, wenn eine Seite erkennbar große Verhandlungsmacht besitzt und die andere Seite deshalb nicht in Verhandlungen eintreten möchte. Die Blockierung der Aufnahme von Verhandlungen kann dann durch eine neutrale Seite durchbrochen werden. Ein Mittler in strittigen Angelegenheiten zwischen zwei Parteien A und B ging früher stets so vor: Zunächst hat er Partei A befragt, ohne dass Partei B dabei war, welches das absolute Minimum wäre, in dem die Forderungen von A zu erfüllen wären, damit A einer Einigung zustimme. Sodann hat der Mittler B gefragt, ohne dass nun A dabei sein durfte, in welchem Minimum ihre Forderungen erfüllt werden müssten, ohne dass B sich einer Einigung widersetzt. In der Regel hat der Mittler dann einen mehr oder minder großen Einigungsbereich gesehen und daraus eine mittlere Festlegung getroffen und diese als seinen Lösungsvorschlag publik gemacht. Das Verfahren sah vor, dass die Parteien nun den Lösungsvorschlag des Mittlers entweder annehmen würden oder nicht. Da sich beide verbessern würden, haben beide unter Klagen angenommen. Später begann bei internationalen Verhandlungen eine Zeit, in der nach Veröffentlichung des Lösungsvorschlags durch den Vermittler die eine Seite auf Nachverhandlungen bestand. Damit die Vermittlung nicht erfolglos wird, haben Mittler dann oft die andere Seite gedrängt, noch etwas nachzugeben. Das aber hat Verhandlungen in die Länge gezogen, und stets kamen neue Mittler und gingen nach einiger Zeit des Tauziehens wieder. Heute streben die Parteien vielfach einen Boykott der Vermittlung an, auch wenn sie offiziell eine Vermittlung begrüßen. Sie beginnen damit, dem Mittler nicht ihre wahren Minima zu nennen. Der Einigungsbereich ist dann leer, weil die minimale Forderung jeder Seite zu hoch ist. Der Mittler muss Gesprächsrunde um Gesprächsrunde mit den einzelnen Parteien vereinbaren, um wenigstens eine denkbare Lösung im Einigungsbereich zu erreichen.
14 Wirtschaftliche Entwicklung
213
(2) Mit dem Friedensvertrag wird beschlossen, dass a) Kampfhandlungen aufhören, und b) wie die Grenzen verlaufen. Dann wird eine c) Vorgehensweise vereinbart, um eventuell noch aufkommende Dispute zu klären. d) Alte zwischenstaatliche Verträge werden formal wieder in Kraft gesetzt. e) Der Status von Kriegsgefangenen wird geklärt. Schließlich werden drei Fragen von direkter wirtschaftlicher Bedeutung geklärt: f) Zugang zu Ressourcen (etwa Wasser im Grenzgebiet, Rohstoffvorkommen). g) Behandlung von Schulden und Altlasten. h) Reparationszahlungen (Kriegsentschädigungen und Wiedergutmachungsleistungen). (3) Allmendegüter: Ein paar Jahre später treten die Länder in eine Zusammenarbeit bei gemeinsam zugänglichen Allmendegütern ein. Vielfach handelt es sich um Wasser. Die Staaten finden Regeln, die eine gemeinsame Nutzung erlauben. Regeln werden auch über gemeinsame Anstrengungen zum Schutz (Unfälle, Naturkatastrophen) getroffen. Beispiele: a) China und Kasakhstan, eigentlich kaum weiter wirtschaftlich verbunden, haben 2001 vereinbart, ihren gemeinsamen Grenzfluss Haba gemeinsam zu nutzen. Aufgrund des Erfolgs kooperieren China und Kasakhstan heute auch bei anderen Ressourcen (Pipeline, Nuklearenergie). b) Die an die Straße von Malakka grenzenden Staaten haben gemeinsame Patrouillen vereinbart und sichern dadurch ein Wassergebiet von 900 km Länge, in dem bis 2004 noch die Hälfte weltweiter Piraterie stattfand.
14.5
Zweite Stufe: Export, Import, Direktinvestitionen
Ist bei der zwischennationalen Regulierung der geografisch gemeinsamen Allmendegüter einmal Vertrauen geschaffen, kann eine zweite Stufe der zwischennationalen Zusammenarbeit begonnen werden. In ihr geht es um Export/Import, Handelsabkommen, Steuern. Weiter um den Schutz ausländischer Direktinvestitionen, die Regelung der Rückführung von Kapitalerträgen und der Repatriierung des Kapitals. Schließlich folgen auf dieser zweiten Stufe die Währungskonvertibilität und die Freiheit in Kapitaltransfers. Der merkantilistische Staat war bestrebt, Importe einzuschränken. Dafür eignen sich Zölle, Importverbote und technische Bedingungen, die Importartikel erfüllen müssen. Beispiele: Über Jahre hinweg war es praktisch unmöglich, privat ein Auto in den Niederlanden zu kaufen und in Deutschland anzumelden, weil zum Beispiel die Verbindung von Rücklicht und Getriebe anders war als in Deutschland vom TÜV verlangt wurde. Küchengeräte in der Schweiz sind 55 cm breit, die in der EU 60 cm. Schließlich kennt jeder die Importbeschränkungen, die de facto durch verschiedene Elektrostecker bedingt werden. Gelegentlich werden Importquoten gesetzt. So hatten die USA den Import japanischer Autos zwischen 1981 und 1985 auf 1,85 Millionen beschränkt. Auch Exporte werden dann und wann eingeschränkt, wieder durch Abgaben, Embargos oder durch generelle Ausfuhrverbote (etwa von Kunst nationaler Bedeutung oder von Waffen). (1) Mit Export und Import zu beginnen verlangt daher, die genannten Beschränkungen abzubauen. Typischerweise geschieht das in mehreren kleinen Schritten. Denn keine Seite möchte Importe erlauben, ohne dass die andere Seite nicht auch Importe zulässt. Keine Seite möchte einen großen Schritt als Erstes zusagen. Die Vorgehensweise Schritt für Schritt oder besser „Wie Du mir, so ich Dir“ (Tit for Tat) ermöglicht einen jederzeitigen Abbruch der Sequenz, falls die andere Seite nicht mitzieht. Ein regelmäßiger Problempunkt sind Agrarprodukte, weil jedes Land die heimische Landwirtschaft schützen möchte. Im Agrarsektor werden die
214
III Wirtschaftspolitik
bei Freihandel zu erwartenden Strukturveränderungen als besonders schmerzhaft eingeschätzt, und zwar für die Landwirte wie für die Allgemeinheit. (2) Ein Handelsabkommen ist eine meist bilaterale Vereinbarung zwischen Staaten, mit der geregelt wird, wie Handel untereinander in Details aussehen kann. Dazu gehören a) Export und Import von Gütern, b) der Zugang auf Verkehrswegen (Brücken, Straßen, Häfen, Flughäfen), c) die wirtschaftliche und technische Zusammenarbeit, d) Lieferung von Rohstoffen, e) Schutz von ausländischen Unternehmen. Die Vereinbarungen regeln beispielsweise Formalitäten, die bei Ausfuhr und Einfuhr verlangt sein sollen, wie bei Patenten vorgegangen wird, und wie der Zahlungsverkehr abzuwickeln ist. Handelsabkommen werden zwischen den beiden Regierungen getroffen und schaffen dann Rahmenbedingungen für Kooperationen auf der Ebene einzelner Unternehmungen. Handelsabkommen können rein bilateraler Natur sein, oder sie können mehrere Staaten einbinden und Freihandelszonen schaffen. Ein Beispiel aus Fernost ist die ASEAN-Freihandelszone (AFTA), die 600 Millionen Menschen umfasst und damit größer als die EU ist. Auch die Länder um Indien haben eine Freihandelszone geschaffen. Mit dem Agreement über die South Asian Free Trade Area (SAFTA) wurde 2004 eine Freihandelszone zwischen Bangladesch, Bhutan, Indien, Malediven, Nepal, Pakistan und Sri Lanka (zusammen 1,6 Milliarde Menschen) ins Leben gerufen. (3) Ein Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) ist ein völkerrechtlicher Vertrag zwischen zwei Staaten, in dem für jeden der beiden Staaten geregelt wird, in welchem Umfang die im jeweiligen Hoheitsgebiet von Personen mit Steuersitz im anderen Staat erzielten Einkünfte besteuert werden dürfen. Ein DBA soll vermeiden, dass natürliche und juristische Personen, die in beiden Staaten Einkünfte erzielen, für gewisse Aktivitäten möglicherweise doppelt besteuert werden. Beispielsweise wird jemand mit Wohnsitz in Deutschland, der in einem Großprojekt auf Montage für einige Monate nach Brasilien geht, ungern dort auch noch Steuern zahlen wollen. Doch der brasilianische Fiskus wertet, dass der Ausländer die brasilianische öffentliche Infrastruktur nutzen kann und eben in Brasilien wirtschaftlich tätig wird. Dies ungeachtet der Frage, ob das Gehalt in Deutschland oder in Brasilien ausbezahlt wird. Ein wichtiger Punkt bei Doppelbesteuerungsabkommen sind Kapitaleinkünfte. In einem DBA wird daher unter anderem auch geregelt, ob auf Zinsen und Dividenden Quellensteuern erhoben werden. Mit einem DBA werden auch die Transparenz bei Kapitaleinkünften aus dem Ausland geregelt sowie Amtshilfen bei vermuteten Steuerstraftaten. (4) Nach Handelsabkommen und Doppelbesteuerungsabkommen regeln die Länder, wie sie bei Direktinvestitionen (Foreign Direct Investment, FDI) vorgehen. In aller Regel schätzen die Länder ausländische Unternehmer, die im Inland Betriebe beginnen, lokale Arbeitskräfte anstellen, und mit ihrem Wissen – Ingenieure, Facharbeiter und Absatzfachleute begleiten den Unternehmer – die heimische Industrie fördern. Selbst Kuba, das reine Finanzoder Portfolioinvestoren ablehnt, schätzt und umwirbt Direktinvestoren. Bei einer Direktinvestition sind also Kapital, Wissen und Technologie gekoppelt, und es bleibt ein starker Kontrollwunsch seitens des Investors. In einigen Ländern sind ausländische Direktinvestoren willkommen, doch sie haben nur beschränkte Kontrollrechte, weil rechtlich ein Joint Venture vorgeschrieben wird.
14 Wirtschaftliche Entwicklung
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Selbstverständlich möchten die Direktinvestoren ihr Kapital und das transferierte Wissen schützen. Oftmals in China geschehen: In unmittelbarer räumlicher Nachbarschaft wird ein einheimisches Unternehmen aufgebaut, das die Fertigung ganz ähnlicher Produkte beginnt. Sodann ist für einen Direktinvestor wichtig, den ausländischen Betrieb gegebenenfalls verkaufen oder hinterlassen zu können. Schließlich sollten Gewinne aus dem Land herausgebracht werden dürfen. Oft wird zwar die Gewinnerzielung erlaubt, doch die Gewinne müssen im Land investiert werden. Gleichfalls wünscht der Direktinvestor, dass bei einem Verkauf des Betriebs das erhaltene Kapital repatriiert werden darf. Der Brite JOHN HARRY DUNNING (1927–2009) hat Direktinvestitionen erforscht und 1980 ein OLI-Modell konzipiert, benannt nach Vorteilen, die von diesen drei Aspekten ausgehen können: Ownership, Location und Internalization. (1) Die erstgenannten Vorteile der Ownership sind unternehmensspezifische und standortunabhängig, gegeben durch das Wissen und die Technologie des Unternehmers, der die Direktinvestition plant. (2) Für die Location spezifische Vorteile liegen vor, wenn Produktionsfaktoren (Rohstoffe, Arbeitskräfte) im Land der Direktinvestition günstig zu erhalten sind. (3) Auf Internalization bezogene Vorteile sind gegeben, wenn der Unternehmer besser Produktion und Absatz selbst mit einem FDI vornimmt, als etwa nur eine Lizenz zu vergeben. Direktinvestitionen setzen alle drei Vorteile (Ownership, Location, Internalization) voraus, wobei die erwarteten Erlöse die Kosten übersteigen müssen, und zwar einschließlich der Kapitalkosten (hohes Risiko) und der typischerweise sehr hohen Transaktionskosten. (6) Schließlich sind die Länder bestrebt, zur Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Zusammenarbeit die Währungskonvertibilität und internationalen Zahlungsverkehr einzurichten. In einigen Staaten bestehen auch heute noch Kapitalverkehrsbeschränkungen oder Kapitalverkehrskontrollen. Innerhalb der EU wurde der freie Kapitalverkehr als eine Grundfreiheit zur Sicherung des grenzüberschreitenden freien Verkehrs von Sachvermögen und Geldkapital innerhalb der Gemeinschaft 1990 Wirklichkeit. Die EU hat den Zahlungsverkehr sowie den Kapitalverkehr auch für Staaten geöffnet, die nicht Mitglieder der EU sind. Dadurch soll Vertrauen von Investoren aus Drittstaaten gewonnen werden. Inzwischen ist der freie Geld- und Kapitalverkehr eine wesentliche Voraussetzung für die Funktion der Einheitswährung in der Eurozone. Heute werden hier und da Kapitalverkehrsbeschränkungen neu diskutiert. Nach dem Fleming-Mundell-Trilemma (Kapitel 12) kann ein Land nicht zugleich alle drei wünschenswerten Ziele erreichen, nämlich feste Währungsparitäten (günstig für die Arbeitsteilung), Autonomie bei der Geldpolitik, sowie freie Kapitalbewegung. Nach dem Trilemma kann ein Land nur zwei dieser drei Ziele verwirklichen. Wenn ein Land sich in der Produktion spezialisiert und dazu feste oder annähernd stabile Wechselkurse wünscht, wenn es weiter bei der Geldpolitik unabhängig sein möchte, um die Geldversorgung an das eigene Wachstum anzugleichen, dann muss es nach dem Trilemma auf freie Kapitalbewegung verzichten. Daher sehen heute einige Länder den Weg Chinas (faktische Kopplung des Renminbi an den Dollar, eigenes und unabhängiges Setzen der Leitzinsen, Einschränkung des Kapitalverkehrs) als Denkbeispiel an. Auf diesem Weg kann durch Kapitalverkehrsbeschränkungen die Autonomie der Geldpolitik bei stabilen Wechselkursen behalten werden.
216
III Wirtschaftspolitik
14.6
Dritte Stufe: Kulturaustausch
Weitergehende wirtschaftliche Kooperationen setzen eine tiefere, gegenseitige Verständigung der Bevölkerung in den (beiden) Ländern voraus. Hierfür eignen sich schrittweise einzuführende Bündel von Maßnahmen:
Reiseverkehr, Berichterstattung über die „andere Kultur“, Teilnahme an Sportveranstaltungen, Austauschprogramme, Kunstaufführungen. Dass der höchst politische, wirtschaftspolitische Hintergrund nicht übersehen werden sollte, zeigen immer wieder Absagen der politischen Ebene, an solchen Veranstaltungen teilzunehmen. Offizielle Stellungnahmen zu historischen Ereignissen, zu religiösen Besonderheiten und Verständnis, auch bei politisch unterschiedlichen Positionen. Bekundung von Aussöhnung und Freundschaft. Immer wieder wird eine wirtschaftliche Weiterentwicklung dadurch gehemmt, dass in den Schulbüchern eines Landes historische Ereignisse in einer Art dargestellt werden, welche die andere Seite verletzt. Anbieten und Annehmen von Hilfe, Unterstützung des anderen Landes in dessen Begehren gegenüber Dritten. Abkommen über gegenseitige Hilfe werden möglich. Gemeint ist nicht nur eine militärische Unterstützung im Fall, dass eines der Länder angegriffen werden sollte. Heutzutage werden oft Vereinbarungen gefordert, dass Land A dem Land B bei der Bekämpfung von Steuerflucht hilft.
Ein großartiges Beispiel, die Völkerverständigung voranzutreiben, ist die von CHARLES DE GAULLE (1890–1970) und KONRAD ADENAUER (1876–1976) nach Ende des Zweiten Weltkriegs begonnene und im Élysée-Vertrag 1963 festgehaltene deutsch-französische Freundschaft. Das Verhältnis zwischen Deutschen und Franzosen war seit 1640 belastet, einige Historiker sprachen von einer Erbfeindschaft. Der Sieg Deutschlands im Krieg von 1870/71 und die Ausrufung der Gründung des Deutschen Reichs im Schloss Versailles haben die Feindschaft ebenso bestärkt wie der Versailler Vertrag 1919. Umso größer ist die historische Leistung zu Ende des Zweiten Weltkriegs zu werten, Frankreich und Deutschland auszusöhnen und auf Dauer angelegte Freundschaft einzuleiten. An deutschen Schulen wurde Französisch als Fremdsprache eingeführt, an französischen Schulen wurde Unterricht in Deutsch aufgenommen. Heute ist die deutsch-französische Freundschaft tief im politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben verankert und eine Selbstverständlichkeit. GEERT H. HOFSTEDE (geboren 1928) ist emeritierter Professor für Organisationsanthropologie und Internationales Management an der Universität Maastricht. Er analysierte die Zusammenhänge zwischen nationalen Kulturen und Unternehmenskulturen. HOFSTEDE zeigt, dass nationale und regionale Kulturgruppen wesentlichen Einfluss auf das Verhalten von Unternehmen, insbesondere auf deren Organisation und Führung ausüben. Er identifizierte fünf Kulturdimensionen: (1) Machtdistanz, (2) Individualismus und Kollektivismus, (3) Maskulinität versus Femininität, (4) Unsicherheitsvermeidung, (5) lang- oder kurzfristige Ausrichtung. Die Dimensionen sind in den Kulturgebieten unterschiedlich ausgeprägt und müssen daher bei Formen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Ländern (Export/Import, gemeinsame Projekte, multinationale Unternehmen) beachtet werden. Die daraus sich eventuell ergebenden Probleme müssen bewältigt werden.
14 Wirtschaftliche Entwicklung
217
Beispielsweise entdeckte HOFSTEDE, dass Kulturen, die besonders stark Unsicherheit vermeiden wollen (vergleiche die vierte Kulturdimension), viele Gesetze, Richtlinien, Sicherheitsmaßnahmen haben. Die Mitglieder dieser Kulturen sind selbst bei kleineren Verstößen nervöser. Kulturen, die Unsicherheit eher akzeptieren, wirken tolerant. Sie haben weniger Regeln und neigen zu Relativismus. Sie denken eher, dass die Wahrheit von Aussagen und die Gültigkeit von Festlegungen stets bedingt ist, also von anderem abhängt. Diese Bedingungen sind auch wieder bedingt, und so verliert sich alles irgendwo im Vagen. Die fünfte Kulturdimension, also die lang- oder kurzfristige Ausrichtung, entspricht dem zeitlichen Planungshorizont einer Gesellschaft. Beispielsweise betonen chinesische Manager die langfristige Orientierung – Einfluss ihres konfuzianischen Erbes. Mitgliedern einer Kultur oder Organisation, die langfristig ausgerichtet sind, zeigen Sparsamkeit und Beharrlichkeit. Die Werte von Mitgliedern einer kurzfristig ausgerichteten Organisation sind Flexibilität und Egoismus.
14.7
Vierte Stufe: Integration
Auf der Basis geschaffener Verständigung kann eine tiefere wirtschaftliche Integration begonnen werden. Hierzu gehören:
Harmonisierung von Gesetzen. Wirtschaftsunion und Programme zur Stabilisierung der Währungen bis hin zur Schaffung einer Einheitswährung. Finanzausgleich, gemeinsame Regierung.
Nicht in Harmonie gebrachte Gesetze behindern die Vertiefung wirtschaftlicher Kooperation. Deshalb stehen zu Beginn dieser vierten Stufe der Entwicklung wirtschaftlicher Zusammenarbeit Bemühungen, die nationalen Gesetze in Harmonie zu bringen. Das verlangt nicht notwendig, dass die Gesetze vereinheitlicht werden. Beispielsweise wurden die Sozialgesetze unter Einschluss der Regeln für Renten und Pensionen in den europäischen Kernländern harmonisiert, und doch bestehen fundamentale nationale Unterschiede. Gelegentlich sehen die Staaten Unterschiede sogar als Quelle begrüßenswerter Kraft an, die den Standortwettbewerb fördert. Beispielsweise wünschen Länder mit hohen Steuern, dass Nachbarstaaten ihre Steuersysteme einander angleichen, um einen Steuerwettbewerb zu vermeiden, während Länder mit eher geringeren Steuern die disziplinierende Wirkung des Steuerwettbewerbs hervorheben. Die Schuldenkrise in Europa zeigt, dass eine Einheitswährung eine gewisse Homogenität der Wirtschaftsstrukturen voraussetzt oder – in der Theorie optimaler Währungsgebiete nach MUNDELL und GRAUWE (Kapitel 12) – enorme Elastizität und Flexibilität im Innern des Währungsgebiets. Um sie zu bewältigen, müsste in Europa ein gigantischer Finanzausgleich etabliert werden, so wie er innerhalb Deutschland zwischen den Bundesländern eingerichtet wurde. Ein Finanzausgleich bietet immer Anlässe zur Auseinandersetzung um die Frage, ob die Transfers alle Unterschiede in den Einkommen der Landesteile ganz ausgleichen sollten. Die Antwort muss ein klares Nein sein. Auch in den USA lebt es sich im mittleren Westen anders als in New York, und in der Schweiz sind die Gehälter der Beamten von Kanton zu Kanton unterschiedlich. Die Frage lautet, welche Heterogenität bestehen bleiben kann, ohne dass die soziale Stabilität der Gemeinschaft gefährdet wird. Sie ist gefährdet durch jene, die hohe
218 Tabelle 14-2:
III Wirtschaftspolitik Vier Stufen der Zusammenarbeit zwischen zwei Ländern, gezeichnet von Friede und Partnerschaft über Kooperation und Freundschaft bis hin zur Integration.
Erste Stufe: Frieden und Allmende
Die erste Stufe der Zusammenarbeit von Nationen setzt mit einem Friedensvertrag ein. Sie verlangt einen Mittler. Im Anschluss werden Regelungen für die Nutzung gemeinsamer Ressourcen (Allmendegüter) möglich.
Zweite Stufe: Export/Import und FDI
Eine zweite Stufe der zwischennationalen Zusammenarbeit entwickelt Export/Import, trifft Handelsabkommen, regelt Steuern. Weiter geht es um Schutz ausländischer Direktinvestitionen, die Regelung der Rückführung von Kapitalerträgen und der Repatriierung des Kapitals. Schließlich folgen Währungskonvertibilität und Freiheit in Kapitaltransfers.
Dritte Stufe: Kulturelle Verständigung
Weitergehende wirtschaftliche Kooperationen setzen eine tiefere, gegenseitige Verständigung der Bevölkerung in (beiden) Ländern voraus. Hierfür eignen sich schrittweise einzuführende Bündel von Maßnahmen: Reiseverkehr, Berichterstattung über die „andere Kultur“, offizielle Stellungnahmen zu historischen Ereignissen, zu religiösen Besonderheiten und Verständnis, auch bei politisch unterschiedlichen Positionen. Bekundung von Aussöhnung und Freundschaft. Anbieten und Annehmen von Hilfe, Unterstützung des anderen Landes in dessen Begehren gegenüber Dritten.
Vierte Stufe: Harmonisierung und Integration
Auf der Basis geschaffener Verständigung kann eine tiefere wirtschaftliche Integration begonnen werden. Hierzu gehören: die Harmonisierung von Gesetzen, Wirtschaftsunion und Programme zur Stabilisierung der Währungen bis hin zur Schaffung einer Einheitswährung, Finanzausgleich, gemeinsame Regierung.
Transfers erwarten wie durch jene, die Transfers leisten müssen. Wie in Familien wird hierüber oft verdeckt gesprochen, nicht explizit und schon gar nicht klar. Die kooperierenden Länder können sich schließlich durch Schaffung einer gemeinsamen Regierung unwiderruflich integrieren. Auf diesem Weg gibt es Zwischenstufen. Beispielsweise können vor einer Vereinigung Erfahrungen mit gemeinsamen Ausschüssen gesammelt werden, die gewisse und eigens bestimmte Sachfragen für die beteiligten Staaten verbindlich lösen. Dann könnte ein gemeinsames Parlament gegründet werden, dem aber zunächst nur eingeschränkte Befugnisse übertragen werden. Die Anthropologie lehrt, dass fundamentale Veränderungen von Organisationen sehr viel Zeit erfordern. Daher ist eine Gemeinschaft gut beraten, langsam vorzugehen. Und immer wieder gibt es auch Situationen, in denen sich Länder aufspalten. So geschehen etwa im früheren Jugoslawien (1918–2003) und der Tschechoslowakei, die 1918–1992 bestand. Gelegentlich wird gefragt, ob ein Mitgliedsland der EU austreten könnte. Die Verträge der EU sehen eine Bindung auf unbegrenzte Zeit vor und treffen keine Regelung für einen Austrittswunsch. Eine einseitige Erklärung eines Mitgliedslandes wäre ebenso nicht ausreichend wie ein Beschluss der anderen Länder. Abgesehen davon sind die Regelungen der EU in allen Mitgliedstaaten auf die innerstaatliche Rechtsordnung übertragen, weshalb eine Entscheidung über einen Austrittswunsch nicht in der Disposition der Regierung steht.
14 Wirtschaftliche Entwicklung
14.8
219
Fragen zur Lernkontrolle
1.
a) Warum rufen zwei Parteien bei einem Streitpunkt einen Schlichter oder einen Mittelsmann an? b) Welchem Verfahren wird gefolgt, wenn sich beide auf einen Mittler geeinigt haben? c) Was sollte geschehen, wenn eine Seite auf Nachverhandlungen besteht?
2.
a) Was wird unter einem Handelsabkommen verstanden? Welche Punkte werden dabei geklärt und vereinbart? b) Was ist ein Doppelbesteuerungsabkommen (DBA)? c) Geht es beim DBA um Einkünfte aus Arbeit oder aus Kapitalanlagen?
3.
Auf DUNNING geht ein Ansatz zu Direktinvestitionen zurück, das OLI-Modell, benannt aufgrund der drei Bestimmungsfaktoren Ownership, Location und Internalization. Erläutern Sie bitte dieses OLI-Modell!
4.
HOFSTEDE analysierte Zusammenhänge zwischen Kulturen der Nationen und denen von Unternehmen und hat dazu fünf Kulturdimensionen unterschieden. a) Welches sind die Kulturdimensionen? b) Wählen Sie zwei aus und geben Sie nähere Erklärungen. c) Kann gesagt werden, dass eine Kultur, in der Unsicherheit gemieden wird, viele Gesetze, Richtlinien und Sicherheitsmaßnahmen hat? Oder ist es eher umgekehrt?
5.
a) Verlangt die Harmonisierung von Gesetzen die Vereinheitlichung von Gesetzen? b) Sind unterschiedliche Besteuerungen eher Ausdruck mangelhafter Absprachen zwischen den Staaten oder Ausdruck von Wettbewerb?
14.9
Lernpunkte und Ergänzung
SCHUMPETER schuf mit seinem Buch über Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung 1911 einen Klassiker. Er behandelt die Dynamik des kapitalistischen Wirtschaftssystems und stellt als treibende Kraft den innovativen Unternehmer dar.
Für die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes wurden fünf Phasen identifiziert: (1) Phase der Dominanz von Handwerk, (2) Aufkommen der Industrialisierung mit dem Schwerpunkt der Imitation, (3) Phase der Qualitätssteigerung, (4) Phase der Produktivitätssteigerung, (5) Phase der Lösung der Verteilungsproblematik.
Für die Entwicklung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zweier (oder mehrerer) Länder wurden vier Stufen identifiziert: (1) Frieden und Regelung der Allmende, (2) Export/Import und FDI, (3) kulturelle Verständigung, (4) Harmonisierung und Integration.
Der Organisationsanthropologe GEERT H. HOFSTEDE analysierte die Zusammenhänge zwischen nationalen Kulturen und Unternehmenskulturen. HOFSTEDE identifizierte fünf Kulturdimensionen: (1) Machtdistanz, (2) Individualismus und Kollektivismus, (3) Maskulinität versus Femininität, (4) Unsicherheitsvermeidung, (5) lang- oder kurzfristige Ausrichtung der Kultur. Die Dimensionen sind in den Ländern unterschiedlich ausgeprägt und müssen bei der wirtschaftlichen Zusammenarbeit beachtet werden.
Die Länder dieser Welt hatten schon immer gesehen, wie vorteilhaft für alle supranationale Einrichtungen sein können. Unsere Ergänzung erwähnt sechs übernationale Institutionen. (1) Das Völkerrecht ist eine überstaatliche Rechtsordnung, die Beziehungen zwischen den Staaten auf Grundlage von Gleichrangigkeit regelt. Der Westfälische Friede 1648 gilt als einer der Ursprünge des neuzeitlichen Völkerrechts.
220
III Wirtschaftspolitik
(2) Charta der Vereinten Nationen ist der Gründungsvertrag und damit die Verfassung der Vereinten Nationen (UN). Sie wurde 1945 durch 51 Staaten in San Francisco unterzeichnet. Die Charta bindet als völkerrechtlicher Vertrag die Mitgliedsstaaten. Änderungen der Charta würden eine Zweidrittelmehrheit der Mitglieder der Generalversammlung erfordern, darunter die Zustimmung aller fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates. (3) Eine der ältesten Einrichtungen ist die Genfer Konvention. Staaten können die Abkommen und Protokolle akzeptieren, die im Fall eines Krieges oder bewaffneten Konflikts Personen schützen, die nicht an den Kampfhandlungen teilnehmen. Die erste Genfer Konvention wurde 1864 von zwölf Staaten beschlossen. In den Jahren 1929, 1949, 1977, 2005 wurden Ergänzungen (Zusatzprotokolle) vorgenommen. Heute haben 194 Länder die Genfer Konvention von 1949 unterzeichnet, 166 Länder haben die Zusatzprotokolle von 1977 akzeptiert. (4) Die älteste internationale Finanzorganisation der Welt ist die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), englisch Bank for International Settlements (BIS). Sie wurde 1930 mit Sitz in Basel errichtet und unterhält Repräsentationsbüros in Hongkong und in Mexico City. Die BIZ wird von 60 Mitgliedern getragen. Sie versteht sich als Partner der Zentralbanken der Länder und bietet sich ihnen als Treuhänder und als Gegenpartei für Finanzgeschäfte an. Die BIZ war an geld- und finanzwirtschaftlich wichtigen Entscheidungen wie die Einrichtung des Bretton-Woods-Systems beteiligt, und sie spielte eine wichtige Rolle in der Frühphase der Gestaltung der Europäischen Währungsunion. Da viele der ursprünglich der BIS zugedachten Tätigkeiten vom IMF übernommen worden sind, konzentriert sich die BIS heute darauf, die wissenschaftliche Kommunikation über Banken und Bankenregulierung zu fördern. (5) Der Internationale Währungsfonds (IWF), englisch International Monetary Fund (IMF), wurde 1944 zusammen mit der Weltbank als Schwesterorganisation auf der Konferenz Bretton Woods vorgesehen und besteht seit Gründung 1945 als Organisation der Vereinten Nationen mit Sitz in Washington. Der IMF wirkt als Lender-of-Last-Resort für die Zentralbanken der Mitgliedsstaaten, er ist die Zentralbank der Zentralbanken. Als weitere Aufgaben will der IWF die internationale Zusammenarbeit in der Währungspolitik fördern, den Welthandel erleichtern und Wechselkurse stabilisieren. (6) Die Weltbank ist eine international tätige Bank, die zusammen mit anderen Banken eine Gruppe bildet, die unter dem Namen „Weltbank“ auftreten. Die Bankengruppe hilft durch Finanzierungen, Länder nach Kriegen und Katastrophen wieder aufzubauen und die Infrastruktur von ärmeren Ländern zu entwickeln. Sie hatte 2008 rund Beratung sowie technische Hilfe zu fördern und so zur Umsetzung der internationalen Entwicklungsziele beizutragen (vor allem den Anteil der Armen an der Weltbevölkerung bis zum Jahr 2015 um die Hälfte reduzieren zu helfen). Sie dienen auch als Katalysator für die Unterstützung durch Dritte. Die Weltbank bietet neben Finanzierungen von Projekten Beratung sowie technische Hilfe. Die Bindung der Darlehen an Auflagen hat ihr gelegentlich Kritik eingebracht. Immerhin kam es bei Projekten wie Staudämmen zu großen Veränderungen des Ökosystems und zu Zwang bei der Umsiedlung von Menschen. Eine noch stärkere Kritik sieht die Weltbank als eine westlich orientierte Organisation, die in den Entwicklungsländern dazu beiträgt, natürliche Ressourcen auszubeuten.
15
Krisen
Alle Wirtschaftskrisen zeigen ein ähnliches Muster. Die Themen: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.
Funktioniert die Wirtschaft gut? Wo Fragezeichen angebracht sind Selbstverstärkung und späte Gegenkraft Drei frühe Wirtschaftskrisen Armut und Nachhaltigkeit Boom und Bust Minsky-Kollaps Fragen zur Lernkontrolle Lernpunkte und Ergänzung zu Staatsanleihen und Aktien bei einem Desaster
15.1
Funktioniert die Wirtschaft gut?
Wirtschaften heißt, a) bei der Produktion und Allokation von Gütern und Ressourcen zu kooperieren, b) entsprechende Einrichtungen zu schaffen (wie Geld, Märkte, Unternehmen und den Staat) und c) je nach Art der Ressource einmal mit Nachhaltigkeit, ein andermal nach dem erwerbswirtschaftlichen Prinzip vorzugehen. d) In gewissen Bereichen gibt die Ordnungspolitik einen stabilen Rahmen und Freiraum für Unternehmen und Haushalte, e) in anderen Bereichen oder Situationen greift der Staat mit Wirtschaftspolitik lenkend in das Marktgeschehen ein. f) Dann und wann müssen Auflagen geschaffen werden, so generell durch Ethik und in speziellen Bereichen wie dem Banking durch Aufsicht. g) Hier und da kann die Frage „Privateigentum oder Staat?“ nicht mit einer Schwarzweißzeichnung beantwortet werden: Infrastruktur etwa legt eine Verbindung unternehmerischer und staatlicher Kraft nahe, und die Regulierung versucht angesichts der Verzahnung, Klarheit über Freiräume, Pflichten und Rechte zu schaffen. Die wohl wichtigste Erkenntnis ist die, dass Wirtschaften kein Nullsummen-Spiel ist. Wäre das der Fall, käme wirtschaftlicher Erfolg nur zustande, indem anderen Entsprechendes (als Kriegsbeute) weggenommen wird. Wir haben verstanden, wie revolutionär die Ideen von ADAM SMITH gewesen sind, das Wirtschaften als Win-Win-Situation zu zeichnen. Wird nun gefragt, ob das so alles gut funktioniert und wir zufrieden sein sollten, darf erst einmal mit einem Ja geantwortet werden. Drei wirtschaftliche Umwälzungen sollen Zeugnis ablegen.
222
1.
2.
3.
III Wirtschaftspolitik
Flüchtlingsstrom nach Hongkong. Nach Gründung der Volksrepublik China 1949 setzte ein großer Flüchtlingsstrom ein. In den Jahren 1949 und 1950 – die Kommunisten errichteten erst 1951 Grenzkontrollen – kamen so viele Flüchtlinge nach Hongkong, wie die Kronkolonie Einwohner hatte: jeden Monat über 100 Tausend Menschen. Dabei war Hongkong seit Ende der japanischen Besetzung 1945 völlig verarmt. Es gab nicht einmal Schutz: Ein Feuer hat noch 1953 Wohnungen für 50 Tausend Menschen vernichtet. Doch das freie Wirtschaften begann seine Kraft. Das Zollfreigebiet (Hafen) und Handel, die aufkommende Fertigung (Imitation elektrischer Konsumartikel) und der chinesische Geschäftssinn ließen in Hongkong ein ungeahntes Wirtschaftswunder entstehen, das allen Menschen Arbeit und Auskommen gab. Die Wirtschaft wächst heute noch weiter. Das Bruttoinlandsprodukt BIP hat sich auch in den letzten zehn Jahren – trotz der Krise in Amerika und in Europa – wieder einmal verdoppelt. Die Wirtschaftsstruktur Hongkongs hat sich laufend angepasst, heute sind nur noch 15 % der Arbeitsplätze im industriellen Bereich, alle anderen in Handel und Dienstleistung. Wandel der Wirtschaftsordnung in Ländern des Warschauer Paktes. Bis 1989 trennte der Eiserne Vorhang die marktwirtschaftlich und demokratisch orientierten Staaten des Westens (unter Führung der USA) von den planwirtschaftlich gelenkten, von kommunistischen Diktaturen regierten Staaten Osteuropas (unter Führung der damaligen UdSSR) als den beiden Seiten des Kalten Krieges. Ein Teilstück war die Berliner Mauer. Sie bestand vom 13. August 1961 bis zum 9. November 1989. Seit der Öffnung haben sich die Staaten östlich des Eisernen Vorhangs grundlegend gewandelt. Sie sind heute kapitalistisch geprägte Demokratien. Natürlich waren die Veränderungen nicht einfach, und sie haben vielerorts auch Leid mit sich gebracht. Wirtschaftlich gesehen waren bis 1990 hinreichend viele Arbeitsplätze geschaffen, doch sie mussten praktisch alle durch neue und andere Arbeitsplätze ersetzt werden: Eine gigantische Aufgabe des Strukturwandels, die von den Menschen im Rahmen der auf Freiheit und Privateigentum basierenden neuen Ordnung bewerkstelligt wurde. Ein Beispiel: Ungarn hatte (nach Daten der Weltbank) diese Entwicklung seines BIP (gerundete Zahlen in Milliarden USD): 38 (1992), 45 (1996), 46 (2000), 101 (2004), 154 (2008). Das BIP Ungarns hat sich nach dem Fall des Eisernen Vorhanges innert weniger Jahre mehr als verdreifacht. Arbeitsplätze in China. Das Aufblühen der Wirtschaft der Volksrepublik China hat die eben genannten Entwicklungen noch übertroffen, insofern als in zwanzig Jahren seit der Einführung wirtschaftlicher Freiheiten durch DENG XIAOPING 1989 Hunderttausende neuer Arbeitsplätze geschaffen worden sind. Die Chinesen waren um 1989 am Verhungern. Die Kommunisten Chinas haben ihre Wirtschaft nicht aus einer plötzlichen Liebe zum Kapitalismus liberalisiert, sondern in der Not. Das BIP der VR China ist von 356 Milliarden Dollar (1990) auf 7298 Milliarden Dollar (2011) gestiegen, hat sich also in 21 Jahren auf das Zwanzigfache erhöht.
Mit diesen drei Beispielen wird die Kraft deutlich, die das in diesem Buch gezeichnete Wirtschaftssystem entfalten kann. Von daher darf heute Zuversicht geschöpft werden, dass mit dieser Wirtschaftsordnung auch ein weiteres drängendes Problem unserer Zeit gelöst wird: Immer mehr wachsen die an sich schon großen Städte im Heat Belt. Seit Jahren wirkt weltweit ein Trend zur Stadt. Die Stadtbevölkerung nimmt zu und die Infrastruktur muss dies verkraften. Die fünf Stichworte sind: Wohnen, Verkehr, Versorgung (Wasser, Telekommunikation, Bildung), Sicherheit, Ökologie. Besonders deutlich ist der Trend zur Stadt am Äquator, im Heat Belt des Globus: von Kairo über Abu Dhabi und Karachi weiter bis Ja-
15 Krisen
223
karta, von dort über Manila, Mexiko City, Caracas, Dakar und Abidjan bis Muqdisho. Allein Surabaya – nur Indonesienreisenden und Kennern der Dreigroschenoper (Libretto: BERTOLT BRECHT, Musik: KURT J. WEILL) bekannt – hat mit Einzugsgebieten 6 Millionen Einwohner. Leben und Infrastruktur der Städte im Heat Belt stellen enorme Herausforderungen. Doch dem freiheitlichen Wirtschaftssystem darf aufgrund der guten Erfahrung zugetraut werden, dass es von der ökonomischen Seite her die immensen sozialen und technischen Herausforderungen zu bewältigen hilft.
15.2
Wo Fragezeichen angebracht sind
Allerdings sind auch Fragezeichen anzubringen, und zwar hinsichtlich der Theorie einerseits sowie einer nur unterdurchschnittlichen praktischen Leistung in gewissen Bereichen andererseits.
Hinsichtlich der Theorie fällt auf, erstens, dass der VWL keine überzeugende Synthese zwischen der monetaristischen und der keynesianischen Sicht gelungen ist. Ebenso wie in Europa, rechnen sich führende amerikanische Ökonomen entweder dem einen oder dem anderen Lager zu. Um zwei anerkannte Professoren namentlich zu erwähnen: ROBERT J. BARRO (geboren 1944) argumentiert angebotsorientiert wie ein Monetarist, PAUL KRUGMAN (geboren 1953, Nobelpreis 2008) nachfrageorientiert wie ein Keynesianer. Da sind die Wirtschaftspolitiker verloren. JEAN-CLAUDE TRICHET, Präsident der EZB von 2003–2011, hat auf der Konferenz der EZB am 18. November 2010 gesagt: „As a policy maker during the crisis, I found the available models of limited help. In fact, I would go further: in the face of the crisis, we felt abandoned by conventional tools.“ Ein zweites, gravierendes Defizit von Theorie und wirtschaftswissenschaftlicher Forschung ist das Schneckentempo, mit dem die Beziehung zwischen Real- und Finanzwirtschaft geklärt wird. Als Argument für den Zusammenhang haben wir die gegenseitigen Substitutionsmöglichkeiten erwähnt – eine Unternehmung beispielsweise kann durch Akquisition wachsen (Kauf der Aktien einer anderen Gesellschaft) oder durch Neugründungen der Geschäftserweiterungen auf der grünen Wiese. Doch die Beziehung ist lose, wie die Allegorie (Herr und Hund) von SCHUMPETER zeigt. Seitdem sind nur wenige neue Erkenntnisse hinzugekommen, abgesehen vom Equity-Premium-Puzzle oder Studien zur Korrelation zwischen den Renditen gewisser Long-Short-Portfolios und der Konjunktur. Insgesamt ist die Beziehung zwischen Real- und Finanzwirtschaft trotz ihrer großen Bedeutung wenig erforscht.
Was die praktische Leistung des kapitalistischen Wirtschaftssystems betrifft, so möchte der Autor dieses Buches zwei Phänomene nennen, die nur unterdurchschnittlich gelöst worden sind. Eines ist die Armut, das andere sind Krisen. Die Maslowsche Bedürfnispyramide (Kapitel 1) zeigte auf ihrer untersten Stufe die elementarsten Grundbedürfnisse. Armut ist der Mangel an lebenswichtigen Gütern wie Nahrung, Obdach und Kleidung. Nach Angaben der Weltbank haben 21 % der Weltbevölkerung weniger als einen Dollar und 50 % weniger als zwei Dollar in lokaler Kaufkraft pro Tag zur Verfügung und sind damit extrem arm. Über 850 Millionen Menschen hungern, jeden Tag sterben 30 Tausend an Unterernährung (Daten 2001).
224
III Wirtschaftspolitik
Der frühere Präsident der Weltbank ROBERT S. MCNAMARA (1916–2009) hat die absolute Armut so definiert: „Armut auf absolutem Niveau ist Leben am äußersten Rand der Existenz. Die absolut Armen sind Menschen, die unter schlimmen Entbehrungen und in einem Zustand von Verwahrlosung und Entwürdigung ums Überleben kämpfen, der unsere durch intellektuelle Phantasie und privilegierte Verhältnisse geprägte Vorstellungskraft übersteigt.“ Hier besteht indes Hoffnung, weil inzwischen umfangreiche Forschungen und eine Reihe verschiedener Erkenntnisse sowie Theorien zur Armut vorliegen.
Eine Theorie ist die Lehre der Modernisierung in Stufen von WALT W. ROSTOW (1916–2003): In Gesellschaften, die am Anfang ihrer Entwicklung stehen, liegen diese Ursachen für Armut und Unterentwicklung vor: Niemand ist zu Investitionen bereit, überall besteht Korruption und die Misswirtschaft ist eklatant. Die Überwindung der Armut verlangt, dass ein Prozess der technischen, organisatorischen und kulturellen Modernisierung in Gang gesetzt wird. Inzwischen werden überzeugende Konzepte zur Entwicklung armer Länder umgesetzt, darunter das BoP-Konzept (Bottom of the Pyramid) von C. K. PRAHALAD (1941–2010) und STUART L. HART, die mit Büchern und mit dem gemeinsamen Artikel The Fortune at the Bottom of the Pyramid (2002) grundlegend neue Geschäftsmodelle für Unternehmungen entwickelt haben. Selbstverständlich werden verschiedene politische Strategien umgesetzt, um a) den armen Ländern und b) armen Bevölkerungsgruppen in reichen Ländern zu helfen. Stiftungen setzen das Wissen über die Faktoren der Armut um, wenngleich nach Maßgabe ihrer jeweiligen Möglichkeiten. Die Mitglieder der UN haben Millenniums-Entwicklungsziele verabschiedet.
Zwar ist der Beitrag des Kapitalismus zur Beendigung von Armut bisher nur unterdurchschnittlich, doch sind versprechende Entwicklungen in Gang. Das zweite Phänomen, das wir oft ausklammern und bei dem der Kapitalismus offensichtlich nur eine unterdurchschnittliche Leistung bietet, sind Krisen. Die Wirtschaftsgeschichte zeigt, dass es immer wieder zu Krisen gekommen ist. Doch wenn sie dann einmal überwunden waren, haben wir sie schnell aus unserem Blickfeld verdrängt und uns geweigert, aus ihnen zu lernen. Der Rest dieses Kapitels 15 unserer Einführung in die Wirtschaft ist den Krisen gewidmet.
15.3
Selbstverstärkung und späte Gegenkraft
Wir alle hegen die Wunschvorstellung, dass die geschaffenen ökonomischen Einrichtungen im Wirtschaftsleben funktionieren, dass sie die ihnen zugedachten Aufgaben effizient und wirksam erfüllen und zur Stabilität der Wirtschaft beitragen. Ökonomische Schlüsselgrößen, wie etwa die Löhne, die Preise für Güter und für Rohstoffe, die Währungsparitäten und die Zinssätze sollen in unserer Wunschvorstellung konstant bleiben – doch wir wollen selbstverständlich die Freiheit behalten, nach Belieben auf Märkten mit Käufen oder Verkäufen aufzutreten. Weiter wünschen wir uns, dass sich die ökonomischen Verhältnisse langsam und vorhersehbar entwickeln, sodass für uns alle stets genügend Zeit bleibt, um uns auf die neuen Umstände einzustellen. Angesichts dieser Wunschvorstellungen ist zu bedauern, dass es immer wieder abrupte Veränderungen gibt, die überraschend eintreten und die ökonomischen Bedingungen verschieben, gelegentlich sogar dramatisch ändern.
15 Krisen
225
Freies Handeln auf der Ebene des Einzelnen (etwa durch Angebot und Nachfrage) hat zur Folge, dass aggregierte Größen (wie der Marktpreis) schwanken. Um einen Ausdruck der Physik zu entlehnen: Die Preise können so schwingen, wie das ein Pendel veranschaulicht. Die Preise „pendeln“ umso mehr, je weniger sie verankert sind und mit dem Geschehen in anderen Märkten verbunden sind. Der Preis für Gold dürfte stärkere „Schwingungen“ aufweisen als der Zins für Fünfjährige Staatsanleihen, der fest in der Dicke der Finanzmärkte verankert ist. Preisblasen bilden sich typischerweise in den dünnen Märkten für Güter, die kaum Substitute haben, beispielsweise weil sie einer New Economy zugerechnet werden. Hier und da rufen die „pendelnden Preisbewegungen“ sich selbst verstärkende Kräfte hervor: Spekulanten schließen sich dem Preistrend prozyklisch an und „springen auf den fahrenden Zug auf“. Werden die Schwingungen zu stark in Relation zur konstruktiven Festigkeit des Systems, dann kommt es zum Bruch, zum Crash, zur Krise. So muss ein Unternehmen plötzlich eingestehen, dass es in eine finanzielle Notlage geraten ist. Anscheinend hat sie niemand kommen sehen, auch wenn vielleicht die Ursachen (etwa eine Veränderung der Nachfrage und Absatzrückgang) nicht wirklich plötzlich eingetreten sind. Märkte für Konsumgüter sind immer wieder von Einbrüchen betroffen. Meldungen über Krankheitserreger oder Vergiftungen bei Nahrungsmitteln haben ein abruptes und oftmals weltweites Umlenken der Nachfrage zur Folge, selbst wenn das Ereignis lokal begrenzt ist. Ein jüngstes Beispiel ist das Auftreten der EHEC Bakterien in Deutschland 2011 und die Verdachtsäußerungen, durch welche Nahrungsmittel und aus welchen Ländern EHEC gekommen sein dürfte. Dramatischer war der Zusammenbruch des Fleischmarktes durch die als Rinderwahn bezeichnete Seuche BSE, bei der im Jahr 2001 und in Deutschland 125 Rinder starben. Für längere Zeit kauften viele Konsumenten in Europa überhaupt kein Rindfleisch mehr. Ähnliche Einflüsse hat die Berichterstattung über Defekte bei Autos (Rückrufaktionen) und anderen haltbaren Gütern. Später kommt es dann in den betroffenen Märkten meist zu einer Normalisierung. Die krisenhafte Reaktion der Beteiligten erscheint im Nachhinein deshalb öfters als übertrieben. Einige Krisen entstehen, weil die erforderlichen Maßnahmen, die durch ungünstige Entwicklungen angezeigt sind, zu spät ergriffen werden. Beispielsweise wurden beim Bau des ersten Eisenbahntunnels durch das Gotthardmassiv 1871–1881 Bakterien einer Tropenkrankheit in den Tunnel eingeschleppt. Sie haben sich im feuchtwarmen Klima des Tunnels leicht vermehren und ausbreiten können, blieben aber lange Zeit unentdeckt. Als bei Arbeitern Krankheitsfälle mit Fieber auftraten, dachte niemand, dass es sich in jener kalten Berggegend um eine Tropenkrankheit handeln könnte. Das wurde erst viel später nach der Untersuchung von Todesfällen deutlich. Seit Bestehen von Märkten für Immobilien, für Wertpapiere, Rohstoffe und andere Positionen von Vermögen oder Kapital, kam es gleichermaßen immer wieder zu krisenhaften Veränderungen. Entweder sind plötzlich die Preise zusammengebrochen (Crash), oder die leichte Handelbarkeit (Liquidität) geht verloren, weil auf einmal niemand mehr zu einer Transaktion bereit ist. Als Folge oder als Auslöser kann das Vertrauen der Wirtschaftsteilnehmer schwinden.
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III Wirtschaftspolitik
Drei Gründe für das Auftreten eines Bruchs sind:
Die Größe G, in der sich der Crash ausdrückt, ist nicht fest verankert und hat eine gewisse Freiheit zu schwingen. Das System, in dem plötzlich ein Bruch auftritt, ist von seiner Konstruktion her zu schwach oder im Verlauf der Zeit durch Abnutzung schwach geworden und hält die Schwingungen nicht mehr aus. Kräfte, die G in Richtung eines Bruchs bewegen, haben sich selbst verstärkende Rückkopplungen. Gegenkräfte setzen erst mit zeitlicher Verzögerung und zu spät ein. Die Lage ist intransparent, die Beobachtung getrübt. Dadurch kommt es zu Fehleinschätzungen. Viele Akteure sind angesichts geringer Informiertheit versucht, das Verhalten anderer zu beobachten (die aber die Lage ebenso wenig beurteilen können).
Nun könnte man sagen, ein Crash bei einem Marktpreis sei vorübergehend und alsbald werde sich alles beruhigen. Denn die Regierung könnte die Vertrauensbildung unterstützen und die Zentralbank könnte schnell den Wirtschaftsteilnehmern mit Geld zur Seite stehen. Deshalb können Krisen zwar kommen, aus welchen Gründen auch immer, doch sie werden früher oder später wieder ausgemerzt sein. So würden die Investoren ebenso wie die Institutionen im Laufe der Zeit Erfahrungen mit Einbrüchen sammeln und solche Ereignisse alsbald mit Zuversicht ertragen, so wie eine Schlechtwetterfront. Leider beeinträchtigt ein Zusammenbruch in den Finanzmärkten die Realwirtschaft: Der Konsum bricht ein, weil die Menschen sich ärmer sehen und Unsicherheit erkennen. Investitionen werden verschoben. Arbeitsplätze gehen verloren. Krisen haben massive volkswirtschaftliche Kosten.
15.4
Drei frühe historische Krisen
Wir betrachten zunächst drei frühe Krisen, die noch lokal begrenzt waren. (1) Tulpenmanie 1637: Tulpen wurden um 1580 in Europa eingeführt. Der Botaniker CACLUSIUS brachte sie damals von der Türkei nach Holland. Ende des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts wurden Tulpen und Hyazinthen zu Liebhaberobjekten der oberen Schichten. Die Zwiebeln wurden alsbald auf einem Sekundärmarkt gehandelt. Das Preisniveau stieg über Jahre an. Bald traten Spekulanten an den Sekundärmärkten auf, nur um auf weitere Preissteigerungen zu setzen. Im Jahr 1637 konnte eine Zwiebel bei Versteigerungen bis zu 10.000 Gulden kosten (auf heute umgerechnet etwa 100.000 Euro). Zunehmend wurde man sich der enormen Höhe der Preise bewusst, und einige Händler begannen, nicht mehr mitzubieten. Darauf fielen die Preise und die Tulpenmanie endete auf einen Schlag. Vom Preiszusammenbruch waren indes nur die letzten Spekulanten betroffen. Die Allgemeinbevölkerung und die Wirtschaft insgesamt erlitt keinen Schaden durch das Platzen der Preisblase. Die Tulpenmanie bleibt zwar in aller Erinnerung aufgrund unseres bildlichen Gedächtnisses, doch sie löste keine Wirtschaftskrise aus.
ROLUS
(2) Mississippi Bubble 1719: Nach verschiedenen, von LUDWIG XIV. (1638–1715) geführten Kriegen lag Frankreichs Wirtschaft danieder. Der Sonnenkönig LUDWIG XIV. vertrat eine expansive und kriegerische Außenpolitik. Frankreich gewann unter seiner Regentschaft eine dominierende Stellung in Europa. Doch jede Investition verlangt anfangs Geld. Hohe
15 Krisen
227
Staatsschulden machten einen Neuanfang unmöglich. Zudem konnte nicht einmal der Handel weitergehen, weil alle Edelmetallmünzen verschwunden waren. Wie andere Ökonomen seiner Zeit sah der schottische Nationalökonom und Bankier JOHN LAW (1671–1729) klar voraus, dass die Wirtschaft Frankreichs weiter zum Erliegen kommen und Deflation eintreten würde, sofern das Land nicht ausreichend mit Geld versorgt wird. Zudem hatte John Law in Amsterdam gesehen und gelernt, dass Geld nicht notwendig eine Deckung durch Edelmetall aufweisen müsse: Eine Wirtschaftsbelebung kann ebenso durch „ungedecktes“ Papiergeld zustande kommen. LAW flüchtete vor einem Duell 1694 von Schottland auf das Festland Europas und studierte in Amsterdam das Finanzsystem, wo Banknoten in Umlauf waren. Er bewarb sich und wurde Controller Frankreichs, indem er Kompetenz für Reformen zeigte: Er wollte die Wirtschaft Frankreichs durch Papiergeld und leichte Kreditvergabe stimulieren. Zur Reduktion der Staatsschulden bot LAW den Gläubigern eine Umschuldung an: Sie sollten für ihre Forderungen Aktien von Gesellschaften erhalten, deren Wert durch Handel und Wirtschaft in Louisiana gegeben sein sollte. Zwar konnten die fundamentalen Werte dieser Unternehmungen von Frankreich aus nicht beurteilt werden. Aber die Gläubiger akzeptierten den Tausch ihrer Forderungen in Aktien, weil anfänglich gute Nachrichten aus den Kolonien kamen. Zudem trat beim Angebot der Aktien gelegentlich Verknappung auf. Deren Kurse stiegen, gefördert durch die leichte Kreditvergabe in der von Law gestalteten Geldpolitik. Der ökonomische Wert der Aktivitäten in Übersee wurde im Verlauf der Zeit immer mehr überschätzt. Die Mississippi Bubble baute sich auf. Im Höhepunkt wurde für eine Aktie im Nominalwert von 500 ein Kurs von 10.000 Libre bezahlt, bei Termingeschäften sogar von 15.000 Libre. Plötzlich wurden Zweifel laut und im November 1719 kam es zu einem Platzen der Preisblase bei den Aktien. Die Folgen für die gesamte Wirtschaft Frankreichs waren desaströs. Ein Nachtrag: Einige der Spekulanten, die rechtzeitig ausstiegen, retteten ihre Gewinne und brachten sie nach England. Dort investierten sie – offensichtlich konnten die ausländischen Finanzinvestoren nichts anderes finden – in Aktien der South Sea Company und begünstigten so eine zweite Preisblase, die 1720 platzte. (3) Die Krise in den USA 1837: Von 1829–1837 war ANDREW JACKSON (1767–1845) der siebente Präsident der Vereinigten Staaten. Er galt als Indianerhasser. In seine Amtszeit fällt der Indian Removal Act. Die US-Regierung hatte Land, das den Indianern abgenommen und von ihnen geräumt werden musste, an weiße Siedler verkauft (wodurch die USA sogar schuldenfrei wurden).
Parallel dazu nahmen die Bundesstaaten Kredite auf, indem sie Anleihen ausgaben. Mit den Krediten sollten Verkehrswege gebaut und Infrastruktur errichtet werden. Um die Siedler mit Geld zu versorgen, damit sie (vom Bund) Grundstücke kaufen konnten, gründeten die Bundesstaaten Banken. Die Staaten planten, die aufgenommenen Kredite über Grundsteuern zu bedienen, die von den Siedlern entrichtet werden sollten. Angehende Farmer und Spekulanten erwarben vom Bund Landflächen und nahmen dazu bei diesen Banken Kredit auf – das Geld floss in die Kasse des Bundes. Die Banken gaben die Kredite (in Form von Papiergeld) und sicherten sie über Hypothekarschulden.
228
III Wirtschaftspolitik
Präsident JACKSON misstraute aber dem Papiergeld, das ihm die Banken der Bundesstaaten als Kaufpreis der Grundstücke aushändigten. Zwar war dieses Papiergeld durch Hypotheken gedeckt, nicht aber wie von JACKSON erwünscht durch Edelmetalle. Er regelte in einem an die Banken gerichteten Rundschreiben, dass weitere Verkäufe von ehemaligem Indianerland an Siedler nur zulässig wären, wenn die Siedler oder ihre Banken mit Gold und Silber, aber eben nicht mehr mit Papiergeld bezahlen könnten. Außerdem hat J ACKSON eine Geldzuweisung zurückgezogen, welche die USA der Second Bank in Aussicht gestellt haben. Die Preise für Land fielen daraufhin, und die Farmer konnten ihren Verpflichtungen aus den Hypothekarschulden nicht mehr nachkommen. Jeder sah, dass die Einlagen bei den Banken in den Bundesstaaten nicht mehr gedeckt waren. Es entstand eine allgemeine Panik und jeder wollte seine Spareinlagen zurückhaben. Mehrere Hundert US-Banken gingen bankrott. Die Wirtschaft der USA brach 1837 zusammen. Sieben Jahre herrschte Massenarbeitslosigkeit mit entsprechenden sozialen Folgen. Die Krise 1837 wurde durch das Platzen einer Preisblase ausgelöst. Die Größe war das Preisniveau des den Indianern abgenommenen Landes. Gewachsen ist die Preisblase durch a) positive Erwartungen (Land würde wertvoller aufgrund des Aufbaus von Infrastruktur, Landbesitzer könnten Grundsteuern bezahlen) und b) eine lockere Geldpolitik. Die Preisblase ist geplatzt, als die Geldpolitik auf einmal restriktiv wurde, weil JACKSON entschied, dass fortan nur noch mit Gold und Silber bezahlt werden konnte.
15.5
Zwei Weltwirtschaftskrisen
Zwei Weltwirtschaftskrisen haben 1929 und 2007 eingesetzt. (4) Die Weltwirtschaftskrise 1929–1932, englisch: Great Depression. Mit dem Kurssturz am 24. Oktober 1929 (Schwarzer Donnerstag) begann der schwerste wirtschaftliche Einbruch in allen Industrienationen. Ein Drittel aller Banken in den USA ging bankrott, Massenarbeitslosigkeit setzte ein und bestand für ein Jahrzehnt. Niemand hatte Geld für Konsum, niemand wollte oder konnte Vermögensobjekte bezahlen. Die Deflation ließ die Wirtschaft in den USA in sich zusammenbrechen. HERBERT C. HOOVER, Präsident von 1929–1933, ergriff nur zögerlich Maßnahmen und konnte die Abwärtsspirale nicht aufhalten. Die Wirtschaftskrise weitete sich global aus. FRANKLIN ROOSEVELT, ab 1933 Präsident, initiierte den New Deal zur Linderung. Das Ende der Great Depression kam erst um 1933 in Sicht, als die US-Notenbank zu einer Lockerung der Geldpolitik griff und den Dollar (in Relation zu Gold) um 40 % abwertete.
Die Gleichzeitigkeit der Krise in allen Industrieländern erklärt sich aus der Verzahnung durch Handel sowie aus der damals schon vorhandenen Globalität der Finanzströme. Gemeint sind nicht allein die Geldströme von Finanzanlegern. Beispielsweise hat die USNotenbank in der Krise von Deutschland die Rückzahlung gegebener Kredite mit Gold verlangt. Dadurch hat sich die Krise auf Deutschland übertragen, weil dort die Geldversorgung litt (auch wenn die Reichsmark wie der US-Dollar nur zu 40 % durch Gold gedeckt sein musste).
15 Krisen
229
Zuvor, in den Goldenen Zwanziger Jahren, kam es überall zu einem starken Wirtschaftsaufschwung.
Er war getrieben von der Neuigkeit von Konsumgütern wie Auto, Kühlschrank und Radio. Die Werte von Industrieanlagen für diese Konsumgüter stiegen an. Gleichzeitig stieg die Produktivität in diesen Industrien durch neue Managementformen. FREDERICK W. TAYLOR (1856–1915) begründete durch Arbeitszeitstudien die Prozesssteuerung von Arbeitsabläufen. Auch in der Landwirtschaft ist die Produktivität gestiegen (Traktoren, Dünger). Durch eine lockere Geldpolitik wurde der Kauf der Konsumgüter auf Kredit gefördert. Die Kredite für Konsumzwecke sind in den USA von 100 Millionen Dollar 1919 in den zehn Jahren bis 1929 auf 7 Milliarden Dollar angestiegen – eine jährliche Steigerungsrate von über 50 %. Parallel zum Konsum hat die lockere Geldpolitik in Unternehmungen die Finanzierung von Investitionen erleichtert. Die Unternehmen weiteten ihre Produktionskapazitäten aus.
Doch irgendwann zeigte sich Überkapazität, und gleichzeitig wurde die Geldversorgung restriktiver, weil die restriktive Geldpolitik und die verlangte Golddeckung die Geldschöpfung einengten, und weil die Regierung von HOOVER, vor einer völlig neuen Situation gestellt, zu langsam reagierte. Unternehmen gerieten in Konkurs, doch niemand wollte oder konnte ihr Vermögen (Maschinen, Grundstücke) übernehmen und weiterführen. Auch die Preise für andere Vermögenspositionen fielen. Arbeitslosigkeit und soziale Not folgten. Im Herbst 1932 gab es in Deutschland 23 Millionen Menschen, die von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe lebten, das BIP war um über 40 % gefallen. Der Außenhandel kam zum Erliegen. Die deflationäre und nach unten führende Spirale wurde erst Jahre später beendet. Die Aufgabe des Goldstandards (Großbritannien 1931, USA 1933, Frankreich 1936) erlaubte es, die Wirtschaft wieder ausreichend mit Geld zu versorgen. Die Größe im „System“, die in der Weltwirtschaftskrise über Jahre hinweg gewachsen ist, war nicht so sehr ein Preis (wie 1637 für Tulpen, 1719 für Aktien der Gesellschaft in Übersee, 1837 für Land) als vielmehr die Produktionskapazität für Konsumgüter (Auto, Kühlschrank, Radio, Nahrungsmittel). Es gab Überkapazitäten, weil das Neue an Auto, Kühlschrank und Radio faszinierte und weil Produktionskapazitäten für diese Konsumgüter den Unternehmungen ein Eldorado versprachen. Wenn von einer Preisblase gesprochen werden soll, so hatte sie sich im Wert von Produktionskapazität ereignet. Zu Anfang der Goldenen Zwanziger war die Geldpolitik locker, und zwar aus mehreren Gründen. Einer der Gründe: Die Kapazitäten der alten Staatsindustrien für Schiffe und Waffen aus der Zeit des Ersten Weltkriegs wurden obsolet. Mit einer lockeren Geldpolitik konnte a) das Schicksal dieser obsoleten Industrien sozial verträglich gestaltet und b) der industrielle Strukturwandel begünstigt werden. Die lockere Geldpolitik konnte aber nicht weiter durchgehalten werden, weil irgendwann die gesetzliche Golddeckung der Zentralbank es verunmöglichte, das nötige Geld zu schöpfen. Geld war zusehends rationiert. Die Banken konnten keine Kredite mehr geben.
230
III Wirtschaftspolitik
(5) Die Finanz- und Wirtschaftskrise 2007–2010. Zwischen 1995 und 2000 stiegen die Kurse der Aktien von Internet Firmen an Nasdaq (größte elektronische Börse in den USA) und an den anderen Börsen für junge Technologieunternehmen. Die Vorstellung war, es handle sich um Unternehmen einer New Economy, für die es kein Substitut gäbe. Drei Aktivitäten wurden immer leichter, weil die Zinsen sanken: a) Die Tätigkeit der meist kleinen Firmen (die kaum Erträge hatten), b) kreditfinanzierte Aktienengagements, c) hohe Preisangebote bei Übernahmen. Im Jahr 1999 drehte jedoch der Zinstrend, und die Zinsen stiegen um 200 Basispunkte an. Dadurch schienen Engagements in Internetfirmen nicht mehr so rentabel. Am 10. März 2000 kam es zu einem Kurssturz, bei dem einzelne Titel bis zu 90 % ihres Börsenwerts verloren. Die Dot-Com-Bubble war geplatzt.
Um Schaden für die Wirtschaft abzuwenden, antwortete das Fed mit einer lockeren Geldpolitik. Die Zinsen wurden nach 2000 über die nächsten Jahre immer mehr gesenkt und blieben tief. Durch die großzügige Geldversorgung wurde die Wirtschaft belebt, und überdies wurden Investitionen in andere Vermögenspositionen immer interessanter. Die Investoren wandten sich im Vermögensmarkt realen Objekten zu, vor allem Immobilien. Am US-Immobilienmarkt setzte ein Aufschwung ein. Er trug zur Popularität der Politik bei: Niemand sollte ausgeschlossen sein, daran zu partizipieren. Beim Kauf der Immobilien haben die kreditgebenden Banken immer weniger die Zahlungsfähigkeit der Käufer geprüft. Auch Kredite zweitklassiger Qualität, Kredite im sogenannten Subprime Segment, wurden gegeben. Bei diesem leichtfertigen Verhalten der kreditgebenden Finanzfirmen mag eine Rolle gespielt haben, dass sie die Hypotheken zu „Paketen schnüren“ (Securitization) und international weiterverkaufen konnten. Die Käufer und Verkäufer der securitizierten Pakete von Hypothekarforderungen mittelmäßiger Bonität waren Investmentbanken. Sie haben mehrere dieser Pakete in einer weiteren Stufe der Verbriefung zu noch größeren Paketen zusammengesetzt, bezeichnet als Collateralized Debt Obligations (CDO). Sodann wurden mehrere CDOs wiederum in neue Wertpapiere verpackt und den Anlegern angedient. Durch die mehrstufige Verbriefung war für die Geldanleger und Käufer eines CDO kaum mehr herauszufinden, welche Forderungen letztlich übernommen werden. Die Käufer haben sich mehr und mehr auf den guten Namen der Investmentbank verlassen, welche die CDOs erzeugt und vertrieben hat. Ratingagenturen – wie die von JOHN MOODY (1868–1958) und von HENRY V. POOR (1888–1970) gegründeten Marktführer Moody’s Corporation sowie Standard and Poor’s Corporation – gaben zu optimistische Urteile für das Ausfallrisiko. In der Folge stellte sich für CDOs ein liquidier Handel ein. Finanzinvestoren, besonders aus Europa und Asien, kauften die in Wertpapierform gebrachten Pakete von Paketen von Paketen von Kreditforderungen. So wurde ein ursprünglich rein US-amerikanisches Risiko internationalisiert. Im Jahr 2007 konnten einige private Immobilienkäufer, deren Berufseinkommen durch Arbeitslosigkeit verloren ging, die Hypotheken nicht mehr bedienen. Es kam zu Verlusten und auch zu Insolvenzen bei kleineren Firmen der Finanzbranche. Darauf brach das Vertrauen zwischen den größeren Banken. Nicht nur der Handel mit CDOs brach in sich zu-
15 Krisen
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sammen, auch der Geldhandel zwischen den Banken hörte plötzlich auf. Es entstand eine Finanzkrise. Als deren Höhepunkt galt der Zusammenbruch der US-Großbank Lehman Brothers im September 2008 – die finanzpolitischen Instanzen haben später bereut, dass sie die Bank nicht gerettet haben. Die Finanzkrise 2007–2008 hatte mehrere Ursachen:
die Politik leichter Geldvergabe als eine Folge des Platzens der Dot-Com-Bubble; die Ausweitung der Kreditvergabe an Schuldner geringer Bonität im Licht der Möglichkeit, die Kredite „schön verpackt“ weitergeben zu können, noch dazu mit einem Gütesiegel der Rating-Agenturen; den Missbrauch der guten Namen von Emittenten (Investmentbanken); die Vertrauenskrise im Interbankenmarkt, nachdem einzelne Fälle diesen Sachverhalt zutage brachten.
Die Krise der Finanzwirtschaft führte sodann in der Realwirtschaft zu Nachfrageausfällen, zu Produktionssenkungen und zu Unternehmenszusammenbrüchen. Unternehmen, wie der Autohersteller General Motors, mussten Mitarbeitende entlassen und Konkurs anmelden. Die hohe Staatsverschuldung vieler Staaten stieg krisenbedingt weiter an. Denn die Länder wollten ihren Banken helfen ihre Wirtschaft durch Deficit Spending zu beleben. Einige Länder der Eurozone konnten ihre Zahlungsfähigkeit nur durch internationale Hilfskredite aufrechterhalten. Andere griffen zu unkonventionellen Methoden: Island ließ seine drei großen Banken in den Bankrott gleiten – das Nachsehen hatten einem Volksentscheid entsprechend Bankkunden, die sich durch hohe Sparzinsen blenden ließen. Das Land (kein Mitglied der EU) kürzte keine wichtigen Staatsausgaben und gründete für das Kerngeschäft neue Banken. In anderen Ländern Europas ging die Subprime Crisis nahtlos in die Eurokrise über, die heute noch nicht ganz beseitigt ist.
15.6
Boom und Bust
Die besprochenen Krisen sind sämtlich nach dem gleichen Schema von „Boom and Bust“ abgelaufen.
Es beginnt mit Preisavancen bei Vermögenspositionen, deren wahrer innerer Wert schwer einzuschätzen ist, weil a) die Position Elemente des Neuartigen in sich trägt und b) weil – auch aus diesem Grund – ein gewisser Informationsmangel besteht. Die Vermögensposition wird auf einen sehr weiten Horizont als versprechend angesehen und scheinbar hat sie kein Substitut. Der Preis ist daher nicht verankert. Unterstützt werden die Preisavancen durch eine Politik des leichten Geldes, durch vergleichsweise geringe Zinssätze und Leichtigkeit bei der Kreditvergabe. Irgendwann kommt es zu einem Umdenken bei einzelnen Investoren, wodurch der bis dahin aufwärtsgerichtete Preistrend gebrochen wird. Dieses Umdenken entsteht a) durch das Erreichen eines enormen Preisniveaus, b) durch inzwischen anziehende Zinsen oder c) durch die Einschätzung, dass die Vermögensposition doch Substitute besitzt und ihr Preis daher von anderen Preisen abhängt und in diesem Licht hoch erscheint. Ist der Preistrend gebrochen, kann leicht Panik entstehen, weil viele Finanzinvestoren Schulden gemacht haben. Der einsetzende Preisverfall bewirkt, dass sie ihre Kredite nicht mehr bedienen können und Banken in die Insolvenz geraten. Eine Finanz- und Bankenkrise kann sich dann zu einer Wirtschaftskrise ausweiten.
232
III Wirtschaftspolitik
Welches waren die Vermögenspositionen, deren Wert laufend höher eingeschätzt wurde? (1) Bei der erstgenannten Krise, der Tulpenmanie, war das Neuartige und Besondere, dass die Zwiebeln aus Asien eingeführt wurden und daher etwas Exotisches an sich hatten. Zudem lag die Nützlichkeit weit in der Zukunft, denn die Zwiebeln sollten über viele Jahre hinweg immer wieder Blüten entfalten. Die damals als hoch eingeschätzte Nützlichkeit von Blumenzwiebeln hat sich im Nachhinein vielleicht sogar bestätigt: Heute stammen 85 % der weltweit produzierten Tulpen aus Holland. Von 120 Millionen Blumenzwiebeln gelangen 50 Millionen in den Verkauf, der Rest dient dem Wiederanbau. (2) Ebenso bei der Mississippi Bubble boten die Vermögenspositionen, deren Preise stiegen, Neuartiges. Es handelte sich um Aktien von Unternehmungen in Übersee. (3) In der Krise 1837 war das Neuartige der Landbesitz in den ehemaligen Indianergebieten. Das Land versprach eine verheißungsvolle Zukunft und war als Vermögensposition neuartig, weil die Siedler bis dahin keine Erfahrung in der wirtschaftlichen Nutzung dieser Gebiete hatten und die Nutzung von anderen Investitionen (Infrastruktur) abhing, die sich erst über die Zeit deutlicher abzeichneten. (4) Bei der Weltwirtschaftskrise waren die Vermögenspositionen, die zunehmend als wertvoller angesehen wurden, die Produktionseinrichtungen von Autos, Radios, Kühlschränken und den anderen Konsumgütern, die damals neu waren und vermehrt von der Allgemeinheit nachgefragt wurden. Die hohen Erwartungen zukünftiger Nützlichkeit brachen in sich zusammen, als Überkapazitäten bekannt wurden. (5) In der Finanz- und Wirtschaftskrise wurden US-Immobilien aufgrund des Platzens der Dot-Com-Bubble in ihrer Werthaltigkeit und in ihrer Wertentwicklung überschätzt. Auch die Zahlungsfähigkeit der Käufer dieser Immobilien wurde überschätzt. Letztlich handelte es sich um die Vermögensposition US-Wirtschaft und ihr zukünftiges Wachstum, die im Klima geringer Zinsen als zunehmend wertvoller angesehen wurde – bis die problemlose Funktionsweise von US-Wirtschaft, Konsum und Wachstum kritisch hinterfragt wurde. Wir prüfen diese Analyse (out of sample) anhand einer Krise nach, die wir noch nicht besprochen und daher auch nicht dazu verwendet haben, die Überlegungen zu formulieren. Dazu wählen wir die Asienkrise, die wir mit (6) nummerieren. Die eben gegebene Darstellung des Ablaufs einer Krise wird durch die Asienkrise voll bestätigt. (6) Asienkrise: Um 1997–1998 kam es in Asien zu einer Finanz-, Wirtschafts- und Währungskrise. Sie nahm ihren Ausgang in Thailand und griff auf mehrere asiatische Staaten über, wobei neben Thailand Indonesien und Südkorea stark betroffen waren, die Philippinen und Singapur etwas, China und Taiwan hingegen kaum.
Noch um 1990 wurde den damals als Tigerstaaten bezeichneten vier Ländern Südkorea, Taiwan, Hongkong, Singapur zugetraut, den Sprung vom Entwicklungsland zur Industrienation in nur wenigen Jahrzehnten zu schaffen. Investitionen in Industrieanlagen und allgemein in Immobilien, Aktien und Währungen der südostasiatischen Länder waren ganz anders (keine Substitute) und versprachen eine großartige Zukunft. Finanzinvestoren aus den USA, Japan und Europa tätigten Direktinvestitionen und sie kauften Aktien. Hinzu kamen zahlreiche Investoren aus Asien selbst, die ihre Engagements vielfach durch Kredite finanzierten. Oft wurden diese Kredite in Dollar genommen und nicht in lokaler Währung, weil die lokalen Banken nicht überall effizient waren.
15 Krisen
233
Ab dem Frühjahr 1997 überdachten internationale Investoren weitere Engagements, wodurch die Währungsparitäten zwischen den lokalen Währungen und dem Dollar unter Druck gerieten. Der thailändische Baht verliert 20 % an Wert gegenüber dem Dollar. Die Investoren konnten daraufhin die aufgenommenen Dollarkredite nicht mehr bedienen und mussten Vermögenspositionen verkaufen. Ein Preiszerfall begann. Nach Jahren des Wachstums sahen sich die asiatischen Länder 1997 mit Kurseinbrüchen, Einbrüchen ihrer Währungen und einem Rutsch in Rezession mit drohender Depressionsspirale konfrontiert. Die Asienkrise hat indes nur wenig ausgestrahlt, weil damals die Importe der asiatischen Länder aus den USA, Europa und Japan gering gewesen sind. In Wikipedia ist zu lesen: „In Folge der Liberalisierung der Finanzsektoren asiatischer Staaten entstand in den neunziger Jahren ein Kreditboom in Asien. Das Wachstum des Kreditvolumens lag in dieser Zeit im Durchschnitt bei 8 bis 10 Prozent über den Wachstumsraten des BIP. Es entstanden nicht nur industrielle Überkapazitäten wie in Südkorea, sondern ein immer größerer Teil der Kredite wurde zum Kauf von Aktien und Immobilien eingesetzt. Die Folge war ein Anstieg der Aktienmärkte und ein starkes Ansteigen der Immobilienpreise um das bis zu Vierfache. Mit den steigenden Immobilien- und Aktienpreisen glaubten die Banken gute Sicherheiten zu haben, was zu weiteren Kreditvergaben führte. Dieses Kapital floss wiederum in Aktien und Immobilien. Durch die daraus resultierenden Preissteigerungen entstand in einigen Bereichen eine spekulative Blase. Dieser „Teufelskreis“ aus Kreditvergabe und gestiegenem Wert der Sicherheiten hatte eine stark einseitige Ausrichtung der Kreditvergabe zur Folge. Ende 1997 lag der Anteil der durch Immobilien besicherten Kredite in Thailand, Indonesien und Malaysia zwischen 25 und 40 Prozent. Dies machte die Banken gegenüber Preisrückgängen am Aktien- und Immobilienmarkt verwundbar.“
15.7
Minsky-Kollaps
Der amerikanische Wirtschaftshistoriker CHARLES KINDLEBERGER (1910–2003) hat in seinen Büchern 46 bedeutende Preisblasen an den Kapitalmärkten untersucht. KINDLEBERGER führt aus, dass ein anfänglicher Kursanstieg neue Käufer anlockt, die noch ein direktes Interesse an der Position haben. Irgendwann kommen Spekulanten dazu, die nur auf weitere Kursanstiege setzen und die sich teils erheblich verschulden. Alle haben Erklärungen parat, die ihre Engagements ökonomisch vernünftig erscheinen lassen. Dazu gehört der Hinweis, die Positionen seien neuartig oder die Wirtschaft befinde sich in einem neuen Zustand (New Economy), weshalb traditionelle Bewertungsansätze versagen. Der Preisaufschwung ist demnach nicht irrational, sondern folgt allgemein anerkannten Überlegungen. Das Verhalten der Investoren ist erklärbar, nachvollziehbar, rational. Wird allgemein eine Vermögensposition als wichtig für die Zukunft angesehen, und sind die Zinsen niedrig, dann ist es für jedes Individuum rational, ein Engagement einzugehen. Dann wird bekannt, dass sich alle Finanzinvestoren engagieren. Dies wird anfänglich als Bestätigung dafür gesehen, dass die positive Einschätzung der Zukunft allgemein geteilt wird. So entsteht eine vermeintliche Sicherheit, dass es auch weiterhin zu Kursavancen kommen wird.
234
III Wirtschaftspolitik
Viele Investoren fühlen sich ermutigt, weitere Schulden aufzunehmen und ihre Engagements zu erhöhen. Auch dies ist erklärbar und rational. Zweifellos entsteht so immer mehr eine gesamthaft gefährliche Situation. Denn die Banken nehmen mit den Krediten zunehmend ein Klumpenrisiko auf sich. Denn im Laufe der Zeit werden die Kredite immer mehr simultan gefährdet. Es sollte einsichtig sein, dass es zu einem gleichzeitigen Zahlungsausfall bei zahlreichen Kreditnehmern kommen kann. Eigentlich sollten die Banken dies im Verlauf der Preissteigerungen als erstes erkennen: Die Ausfallgefahren der Kredite der zahlreichen Kunden verdichten sich immer mehr zu einem Klumpenrisiko. Weniger die Einzelnen, vielmehr die Banken haben diese Information über das zunehmende kollektive Risiko. Der Risikofaktor ist die Möglichkeit, dass sich die allgemeinen Erwartungen und Bedingungen ändern, also a) die bislang unangefochten positive Einschätzung, b) die allgemeine Erwartung weiterer Preisavancen, c) die für die weite Zukunft vermutete Rentabilität, und d) die geringen Zinssätze für ein kreditfinanziertes Engagement. Die abträgliche Realisation dieser Risikofaktoren ist eine theoretische Möglichkeit. Doch zunächst gibt es keine Anzeichen, dass es so kommen sollte. Schließlich wollen die Kreditinstitute mit ihrer ureigenen Funktion auch verdienen. Banken werden bei schönem Wetter nicht im Voraus auf einen möglichen Sturm warnen, der theoretisch gesehen kommen könnte. Sie sind eben, wie viele andere Wirtschaftsteilnehmer, prozyklisch. Vielleicht werden die Banken bei der weiteren Kreditvergabe auch deshalb nicht strenger, weil Banken in früheren Krisen immer gerettet worden sind. Denn eine Bankenrettung ist volkswirtschaftlich günstiger als der gesamtwirtschaftliche Schaden, den der Konkurs einer Bank auslösen kann. Die Zentralbanken und der Staat retten in Not geratene Banken, weil dies in der Krise noch der bessere Weg ist. So unterliegen Banker der Gefahr des moralischen Wagnisses (Moral Hazard): Wer abgesichert ist und in seinem Verhalten kaum kontrolliert werden kann, dürfte leichtfertiger Risiken eingehen (als wenn alle Konsequenzen selbst zu tragen wären). Es wäre daher Aufgabe der oberen Instanzen (Zentralbank, Bankenaufsicht, Regierung), die Banken so zu regulieren, dass sie die Prozyklizität ihrer Kreditvergabe reduzieren. Ziel der Aufsicht oder Regulierung wäre, dass die Banken bei Sonnenschein nicht noch weitere Kredite vergeben und dass sie dennoch bei Regen durch weitere Kreditvergabe helfen und ihre Kunden (Private, Unternehmen) stützen. Diese Regulierungsaufgabe ist nicht einfach zu lösen. Eine generelle Einengung der Kreditvergaben der Banken führt dazu, dass sie auch bei Regen eingeschränkt sind, Kredite zu geben. Die Banken würden dann Hilfe versagen, wenn sie in der Wirtschaft gebraucht wird. Diese Beobachtung ist eine Kritik an der allgemein verlangten höheren Eigenkapitalunterlegung. Die Regulierung sollte stattdessen eine antizyklische Kreditvergabe begünstigen. Doch es ist unklar, wie dies geschehen könnte. Der Amerikaner HYMAN P. MINSKY (1919–1996) hat der auf Märkten und Finanzmärkten basierenden Wirtschaftsordnung eine inhärente Neigung zur Instabilität zugesprochen.
15 Krisen
235
Seine Lehre steht im Gegensatz zu dem Glauben, der Markt führe stets wieder zu einem Gleichgewicht. MINSKY meint, das freie Marktgeschehen mündet immer wieder in einer Übertreibung. Krisen sind daher im Kapitalismus unvermeidbar. Um seine These zu begründen, beginnt MINSKY mit einer Wechselwirkung zwischen Realund Finanzwirtschaft: Realwirtschaftliches Wachstum und zunehmende Prosperität schaffen Vertrauen und geben Zuversicht. Die Personen, Investoren und Unternehmen sind deshalb zunehmend bereit, Kredite aufzunehmen. Bald gehen die Wirtschaftssubjekte sogar spekulative Positionen ein, das heißt, sie setzen darauf, dass sich die positive realwirtschaftliche Entwicklung und das Wachstum fortsetzen. Für den Einzelnen ist es richtig und rational, in wirtschaftlich guten Zeiten mehr Risiken auf sich zu nehmen. Da aber alle Personen so denken, entsteht in wirtschaftlich guten Zeiten ein gleichgerichtetes Verhalten im Kollektiv. Alle beginnen mit einer gleichgerichteten Spekulation, dass sich Aufwärtsentwicklung und Wachstum fortsetzen werden. Die Erfolge wiegen in Sicherheit. Irgendwann kommen einzelne Zweifel am kollektiven Optimismus auf. Einzelne „Aussteiger“ lassen andere Personen erkennen, dass ihre Positionen nur erfolgreich sind, sofern und solange alle anderen dabei bleiben. Schnell kann Panik entstehen und der Aufschwung kehrt sich in einen Crash. So folgt nach einem Aufschwung irgendwann ein plötzlicher Verfall (Minsky-Kollaps).
15.8
Fragen zur Lernkontrolle
1.
Drei historische Umwälzungen wurden in diesem Kapitel als Beispiele für die Leistungsfähigkeit der kapitalistischen Wirtschaftsordnung angeführt: a) Der Flüchtlingsstrom nach Hongkong, b) der Strukturwandel in den Staaten des Warschauer Paktes und c) die Schaffung von mehreren hunderttausend Arbeitsplätzen in China. Stellen Sie die Umstände und die wichtigsten Ereignisse in einem Kurzvortrag (3 × 2 Minuten) dar.
2.
a) Bitte erläutern Sie, was in der Tulpenmanie 1637, in der Mississippi Bubble 1719 und in der Krise in den USA 1837 geschehen war! b) Welches war jeweils die Größe, für die sich eine Preisblase gebildet hatte? c) Welches war jeweils der Grund für das Platzen der Blase?
3.
a) Welche Entwicklungen haben das Entstehen der Weltwirtschaftskrise begünstigt? b) Wodurch wurde sie ausgelöst? c) Warum blieb sie nicht auf die USA beschränkt?
4.
Gehen Sie auf die Dot-Com-Bubble, die Subprime-Crisis und die Eurokrise ein und zeigen Sie die Verbindungen der drei Krisenherde auf!
5.
In diesem Kapitel sind Forscher genannt worden, so im zweiten Abschnitt MCNAMARA, ROSTOW, PRAHALAD, und HART. a) Welche Beiträge zum Verständnis von Armut gehen auf sie zurück? b) Im Abschnitt 7 wurden KINDLEBERGER und HYMAN genannt. Welche Beiträge zu Wirtschaftskrisen haben sie geleistet?
6.
Definieren Sie, was unter Moral Hazard verstanden wird!
236
III Wirtschaftspolitik
15.9
Lernpunkte und Ergänzung
Freies Handeln der Wirtschaftssubjekte (Angebot und Nachfrage) hat die natürliche Folge, dass aggregierte Größen (Marktpreis) schwanken, dies umso mehr, je weniger sie verankert sind. Hier und da rufen Pendelbewegungen sich selbst verstärkende Kräfte hervor: Spekulanten kommen, und schießen sich dem Preistrend prozyklisch an. Werden die Schwingungen und Ausschläge zu stark in Relation zur konstruktiven Festigkeit des Systems, dann kommt es zum Bruch, zum Crash, zur Krise.
KINDLEBERGER hat 46 bedeutende Preisblasen an den Kapitalmärkten untersucht: a) Ein anfänglicher Kursanstieg lockt zunächst weitere Käufer an, die noch ein direktes Interesse an der Position haben. b) Irgendwann kommen Spekulanten dazu, die nur auf weitere Kursanstiege setzen und sich teils erheblich verschulden. c) Alle haben Erklärungen parat, die ihre Engagements vernünftig erscheinen lassen: Die Positionen sollen neuartig sein oder die Wirtschaft soll sich in einem neuen Zustand (New Economy) befinden. Das Verhalten der Investoren ist erklärbar und nachvollziehbar.
Ablauf des Minsky-Kollapses: MINSKY erklärt die gute Stimmung durch einen realwirtschaftlichen Aufschwung. Gesamtwirtschaftliches Wachstum und zunehmende Prosperität in der Realwirtschaft schaffen Vertrauen und Zuversicht und stärken die Bereitschaft, Kredite aufzunehmen. Für den Einzelnen ist es durchaus richtig, in wirtschaftlich guten Zeiten mehr Risiken zu übernehmen. Da aber alle Personen so denken, entsteht in guten Wirtschaftszeiten ein gleichgerichtetes Verhalten im Kollektiv. In der Folge wird man sich der Kollektivität bewusst.
Irgendwann kommt es bei einer Preisblase oder bei einem Minsky-Kollaps zum Umdenken bei einzelnen Investoren, wodurch der bis dahin aufwärtsgerichtete Preistrend und die allgemein positiven Erwartungen gebrochen werden. Umdenken entsteht (1) durch Erreichen eines enormen Preisniveaus, (2) durch anziehende Zinsen, (3) durch die neue Sicht, dass die Position doch Substitute besitzt und ihr Preis daher verankert ist.
Unsere Ergänzung trägt zur Frage bei, ob angesichts einer Krise Staatsanleihen oder Aktien die bessere Wertaufbewahrung bieten. Als Desaster bezeichnet ROBERT BARRO Einbrüche wie sie durch die zwei Weltkriege gegeben sind, durch den spanischen Bürgerkrieg sowie die Great Depression 1929. Hier traten Einbrüche von 15 % beim BIP und mehr ein. Insgesamt identifiziert Barro in 100 Jahren 60 solche Desaster. a) Innerhalb der OECD-Länder brach das BIP von Deutschland, Österreich und Frankreich im letzten Jahrhundert dreimal zu mehr als 15 % ein. b) Die USA und England hatten zwei solche Rückschläge. c) Japan, Norwegen und viele andere OECD-Länder mussten jeweils einen Rückgang des BIP von mehr als 15 % verkraften. d) Die Schweiz hatte als einziges OECD-Land überhaupt keinen so starken Einbruch des BIP. Die 60 Desaster verteilen sich auf 35 Länder. Die Wahrscheinlichkeit, dass die wirtschaftliche Leistung eines Landes um 15 % oder mehr einbricht, beträgt rund 60/(100 ⋅ 35) = 1,7% , eine substanzielle Wahrscheinlichkeit. Tabelle 15-1 zeigt für ausgewählte Länder die Entwicklung von BIP, Aktienrenditen und Anleiherenditen während der Desaster. Die für die Änderung beim BIP genannten Prozentzahlen zeigen den Rückgang insgesamt, die (inflationsbereinigten) Renditen von Aktien und Anleihen sind auf das Jahr bezogen. Wird zwischen einem kriegsbezogenen und einem rein ökonomischen Desaster unterschieden, so zeigt sich dies: In Kriegszeiten sind sowohl Aktien als auch Anleihen negativ betroffen. In einem Desaster ohne Krieg bieten Staatsanlei-
15 Krisen Tabelle 15-1:
237 GDP, Aktienrenditen und Anleiherenditen im Desaster. Quelle: Barro (2006).
Desaster
Land
GDP in %
Aktien % p.a.
Anleihen % p.a.
World War I
France, 1916−1918 (1914−1918)
−31
−5.7
−9.3
Germany, 1913−1919 (1914−1918)
−29
−26.4
−15.6
Sweden, 1913−1918 (1914−1918)
−18
−15.9
−13.1
France, 1929−1932 (1929−1931)
−16
−20.5
1.4
Germany, 1928−1932 (1928−1931)
−18
−14.8
9.3
USA, 1929−1933 (1929−1932)
−31
−16.5
9.3
Great Depression
Spanish Civil War
Portugal, 1934−1936 (1934−1936)
−15
13.4
3.8
World War II
France, 1939−1944 (1943−1945)
−49
−29.3
−22.1
Italy, 1940−1945 (1943−1945)
−45
−33.9
−52.6
Japan, 1943−1945 (1939−1945)
−52
−2.3
−8.7
hen eine bessere Wertaufbewahrung im Vergleich zu Aktien. Finanzinvestoren sehen, dass sie bei einer wirtschaftlichen Krise (ohne Krieg) festverzinsliche Wertpapiere leichter als Aktien verkaufen können, weshalb sich Aktien weniger gut eignen, den Konsum in Krisenzeiten zu finanzieren.
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248 Q Quesnay, François 205 R Ricardo, David 24 Rodrik, Dani 185 Roosevelt, Franklin D. 33, 228 Rostow, Walt W. 211, 224 S Samuelson, Paul 36 Say, Jean-Baptiste 181 Scharfstein, David 154 Schmalenbach, Eugen 133 Schmoller, Gustav von 211 Schumpeter, Joseph A. 62, 91, 92, 205, 206 Smith, Adam 8, 23 Sombart, Werner 211 Spiethoff, Arthur A. K. 211
Personenverzeichnis Steagall, Henry B. 170 Stein, Jeremy C. 154 Stern, Joel M. 138 Stewart III, G. Bennett 138 T Taylor, Frederick W. 229 Thomas von Aquin 11 Trichet, Jean-Claude 223 V Volcker, Paul 182 Vollman, Tom E. 133 W Walras, Léon 26 Weber, Max C. E. 211 Weill, Kurt J. 223 Williamson, Oliver E. 72, 90
Sachverzeichnis A A Theory of Production 76 Abkommen von Bretton Woods 183 Abschreibungen 116, 134 Abschwächung der Konjunktur 177 absolute Armut 224 absolute Kostenvorteile 23 Aktiva 58, 109 Akzeptanz 43, 44 Allmende 40 Allmendegut 39, 40, 213 Anbieter 8 Angebotsorientierung der Wirtschaftspolitik 194 Anreizverträglichkeit 38 Anweisung 71 Anzahl der Gründung neuer Firmen 196 Äquivalenzprinzip (Beiträge und Gebühren) 191 Arbeitsplätze in China 222 Arbeitsteilung 7 Arbeitsvertrag 68 Armut 223 ASEAN-Freihandelszone (AFTA) 214 Asienkrise 232 Asset Management 169 Auftragseingang 197 Aufwand 115 Ausgabe von neuen Anleihen 197 Ausschließbarkeit 39 Außenfinanzierung 103 Außenpolitik 193 Austerität 182 Autonomie 1855 B Backwardation 145 Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) 220 Bankenaufsicht 234 Bankensturm 165 Basis 145 Basiswert 143 Bauaufträge 194 Bedingungen 177 Beiträge 191 Benchmarking 128 Berliner Mauer 222 Beteiligung 58
Betriebsgewinn 123 Betriebskennziffern 128 Betriebswirtschaftslehre (BWL) 3 Bewältigung der Verteilungsaufgabe 210 Beziehung zwischen Real- und Finanzwirtschaft 223 Bilanz 109 Bilanz der Erwerbs- und Vermögenseinkommen 78 Bilanz verkürzt 116 Bilanz verlängert 116 Bilanzgewinn 117 Bilanzgleichung 110 Bilanzsumme 110 BIP pro Kopf der Bevölkerung 81 Board 75 BoE 172 BoJ 172 Bonität 59 BoP-Konzept 224 Bottom of the Pyramid 224 Brutto-Cashflow 119 Bruttoinlandsprodukt (BIP) 76 Buchgeld 162, 167 Bürgerrechte 191 Bürgschaften 165 Business Angels 103 C Capital-Budgeting 105, 106 Cashflow 118, 119, 124, 126 Cash-Karte 162 Chapter 11 108 Charta der Vereinten Nationen 220 Chief Officer 74 Chinaeffekt 180 Clearing und Settlement 162 Coase-Theorem 42 Cobb-Douglas-Produktionsfunktion 76 Coinciding Indicators 197 Colbertismus 20 Collateralized Debt Obligations (CDO) 230 Contango 147 Convenience-Yield 145 Corporate Governance 73 Crowding-Out-Effekt 199 Custody 169
250 D dauerhafte Konsumgüter und Investitionsgüter 199 Debit-Karte 162 Debitoren 116, 125 Deckungsbeitrag 132 Deckungskäufe 149 deduktiv 20 Deficit Spending 194 Deflation 179, 228 Delegation 71 Demokratie 189 Demokratieindex 189 Depression 177 Desaster 236 deskriptives Ziel 30 Deutschen Rechnungslegungsstandards (DRS) 112 dicker Markt 12 Dienstleistungen 4 Dienstleistungsbilanz 78 direkte Demokratie 189 direkte Herleitung Cashflow 119 direkte Notation 148 direkte Steuer 190 Direktinvestitionen 214 Diskontierung 171 Doppelbesteuerungsabkommen 214 doppelte Buchführung 117 Dot-Com-Bubble war geplatzt 230 dünner Markt 12 E Earnings Before Interest and Taxes (EBIT) 122, 126 Earnings Before Interest, Taxes, Depreciation and Amortization (EBITDA) 123 EBIT und EBITDA 126 Economic Value Added (EVA) 138 effizient 35 EHEC Bakterien 225 Eigengeschäft 169 Eigenkapital (Equity) 101, 102 Eigentumsrechte 7, 32, 37, 42 Einfrieren 152 eingesetzte Investitionen 135 Einzelbewertung 110 Élysée-Vertrag 1963 216 empirische Methodik 30 empirische Untersuchungen zur Kapitalstruktur 107 Entrepreneurship 95 Entwicklung in Reife 211 Equity-Premium-Puzzle 223 Erfahrungen mit Einbrüchen 226
Sachverzeichnis erfolgsneutral 116 Ergiebigkeit (Steuern) 189 Erhöhung der Produktivität 209 Erlöse 69 Ersatzinvestitionen 121 Ertrag 95, 116 Erwartungen 150 Erweiterungsinvestitionen 121 erwerbswirtschaftliche Zielsetzung 127 erwerbswirtschaftliches Prinzip 9, 10, 16, 19 Ethik 11 Eurex Exchange 144 Eurokrise 231 EVA = NOPAT minus NOA mal WACC 140 Exekutive 189 Expatriates 208 Experimente 31 experimentelle Methodik 30 External Directors 75 Externalität 41 externe Effekte 5 EZB 172 F faire Preise 14 Fed 173 Fehlinvestition 56 Fiat Money 166, 168 Fiat-Money-Währung 166 Finanz- und Wirtschaftskrise 2007–2010 230 Finanzausgleich 217 Finanzgeschäft 57 finanzielles Führungssystem 128 finanzieren 57 Finanzinvestor 57 Finanzkapital 105 Finanzkennzahlen 128 Finanzkontrakt 57 Finanzkosten 134 Finanzkraft 121, 126 Finanzwirtschaft 6, 60, 61 Firma 91 Fiskalpolitik 173, 193, 199 Fixkosten 132 Fleming-Mundell-Trilemma 185 Flow to Equity 120, 126 Flüchtlingsstrom nach Hongkong 222 Free Ride 38 freie Kapitalbewegung 185 Fremdkapital (Debt) 101, 102 Fremdkapitalquote 128 Friedensvertrag 213 fungibel 7 Futures 144
Sachverzeichnis G Gebühren 191 Geist des Kapitalismus 211 Geld 8, 161 Geldmenge 195 Geldpolitik 173, 177 Geldwechsler 164 Geldwertstabilität 172 Geldwesen 161 Generally Accepted Accounting Principles (USGAPP) 112 Genfer Konvention 220 Gerechtigkeit (Steuern) 189 Geschäftsidee 86 Geschäftsmodell 86 Geschäftsplan 86 Gesellschaft im Übergang 211 Gesellschaftsvertrag 191 Gestaltungsempfehlung 30 Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) 117 Glass-Steagall-Act 170 Gläubiger 58 Goldene Zwanziger Jahre 229 „Goldlöckchen Wirtschaft“ 182 Goodwill 114 Gramm-Leach-Bliley-Act 170 Great Depression 228 Great Moderation 182 Greenspan-Put 181 Gresham-Kopernikanisches Gesetz 163 Gross Domestic Product (GDP) 76 Grundsatz gleicher Belastung 190 Güter 4 Gütermarkt 195 H Haircut 111 Handelsabkommen 214 Handelsbilanz 78 Handwerker und kleine Produzenten 207 Harmonisierung 217 Hausbankbeziehung 104 haushälterisches Prinzip 10, 19 Heat Belt 222 Hedge 152 Hedge-Funds 169 Hedging 153 „Herr und Hund“ 62 Hierarchie 71 hierarchische Struktur 90 Hold-Up 104 Homogenität bei Angebot und Nachfrage 13 Human Development Index (HDI) 81 Hybridkapital 103 Hyperinflation 179
251 I ICE 144 idealer (perfekter) Markt 14 Imitation 44, 207 Immobilienuhr 55 Imparement Test 114 implizite Bestandteile des Finanzkontrakts 104 Import 21 Indian Removal Act 227 indirekte Steuer 190 Individualismus und Kollektivismus 216 induktiv 19 Industrialisierung 207 Inflation 172, 179 Inflationsindikator 179 Informationsasymmetrie 65 informationsineffizient 55 Infrastruktur 47 Inkongruenz von Ein- und Auszahlungen 100 Innenfinanzierung 103, 121 Inputs 4, 69 insolvent 111 Internal Directors 75 Internalization 215 International Financial Reporting Standards (IFRS) 112 Internationaler Währungsfonds (IWF) 220 investieren 57 Investitionsfalle 180 Investment Banking 169 J Jahreserfolg 117 Jahresfehlbetrag 117 Jahresüberschuss 117 japanische Verhältnisse 181 Judikative 189 K kalkulieren 130 Kalter Krieg 222 Kapital 58 Kapitalanleger 58 Kapitalbilanz 78 Kapitalerhöhung durch Ausgabe neuer Aktien 197 Kapitalexport 79 Kapitalgeber 58 Kapitalgesellschaft 89, 98 Kapitalimport 79 Kapitalkosten 100 Kapitalnehmer 58 Kapitalstruktur 105, 106, 107 Kassageschäft 142 Kassamarkt 141 Kassapreis 141
252 Key-Clients 86 Keynesianer 195 klassische Nationalökonomie 23 Klubgut 39, 210 Klumpenrisiko 234 Know-how wertvollste Ressource 15 komparative Kostenvorteile 24 Konjunktur 195 Konjunkturindikator 179 Konkurs 108 Konsumentenstimmung 197 Konversionen 138 Kooptation 75 korrespondierende Banken 164 Kosten 130 Kosten der Finanzierung 134 Kreditinstitute 169 Kreditkarte 162 Kreditoren 116, 125 Krise in den USA 1837 227 Kritik 43, 44 kurzfristige Zinsen 200 L Lagerhaltungskosten 145 Lagging Indicators 197 lang- oder kurzfristige Ausrichtung 216 Leading Indicators 196 Legislative 189 Lehman Brothers 231 Leistungen 130 Leistungsbilanz 78 Leitzinsen 171, 177 Lender-of-Last-Resort 171 Liquiditätsfalle 180 Liquiditätsziel 127 Location 215 lockere Geldpolitik 179 Long-Position 142 Long-Short-Portfolios 223 M Machtdistanz 216 Marginalanalyse 27 Markt 8 Markt diszipliniert 8 marktgerechter Kapitalertrag 131, 134 Marktliquidität 13 Marktmacht 14 Marktpreise lenken 9 Marktwert zu Buchwert Relation 137 Maskulinität versus Femininität 216 Maslowsche Bedürfnishierarchie 5 Menschlichkeit 188 Merkantilismus 20
Sachverzeichnis Mezzanine 103 Mindestreserve 167 Minsky-Kollaps 235 Misery-Index 203 Mississippi Bubble 1719 226, 232 Mitbestimmung 73 Mittler 212 MM-Modell 154 MM-Welt, SFS-Modell und strategisches Hedging 155 Modernisierung in Stufen 224 Monetarismus 28, 178 Monetaristen 195 Moody’s Corporation 230 Moral Hazard 234 Moratorium 111 N Nachbildung 147 Nachfrageorientierung der Wirtschaftspolitik 194 Nachfrager 8 Nachhaltigkeit 5, 28 Nachlassverfahren 108 Natürlichkeit 188 negative Externalität 42 Neigung zur Instabilität 234 Neoklassik 26 Net Operating Assets (NOA) 138 Net Operating Profit After Taxes (NOPAT) 138 New Deal 33, 228 New Economy 225, 230, 233 Nexus von Verträgen 91 Nichtausschließbarkeit 37 nicht-erneuerbare Ressourcen 4 Nichtrivalität des Konsums 37 normatives Ziel 30 Noten 164 Nullsummen-Spiel 21, 211 Nutzen 4, 16 NYSE Euronext 144 O offener Standard 46 öffentliche Güter 36, 37 Ökonomie 3 OLI-Modell 215 Opportunitätskosten 24, 32, 131 optimale Währungsgebiete 183 Ordnungspolitik 193 ordnungspolitischer Rahmen 192 Organisation 71 Outputs 4, 69 Ownership 215
Sachverzeichnis P Papiergeld 162 paretoeffizient 36 Paretoeffizienz 35 Passiva 58, 109 Payoff-Diagramm 152 Pecking-Order-Theorie 107 Performance 138 Performanceziel 127 Permamente-Einkommens-Hypothese 195 Personengesellschaft 89, 98 Phillips-Kurve 173 Politik 193 Politik leichter Geldvergabe 231 Politik niedriger Löhne 21 Pool 91 Positionsbestimmung 94 positive Externalität 41 Präferenz 5 Praktikabilität (Steuern) 189 Prämisse intendiert rationalen Verhaltens 6 Praxis der Berichterstattung 126 Preis 8 Preisblase 56, 180 Preise breit abgestützt 12 Preise festgeklebt (sticky) 13 Preise verankert 12 Preisrisiko 142 Primärmarkt 59 Private Banking 169 private Güter 36 Private-Equity 103 Produktion 4 Produktionskosten 69 Produktivitätssteigerung 209 proprietäre Lösung 46 Prototyp 95 Prozess der schöpferischen Zerstörung 92 Prozesskostenrechnung 133 Prozyklizität 234 Q Qualitätssteigerung 208 Quantitative Easing 182 Quellenlandprinzip 189 Quittungen 164 R Rating 59 Rating-Agenturen 231 Rationalität 6 reale Vermögensobjekte 54 Realwirtschaft 6, 61 realwirtschaftliche Leverage 88 Recheneinheit 161 Rechnungslegungsvorschriften 109, 112
253 Regulierung 48 Regulierung des Bankensystems 33 relative Kostenvorteile 24 rentabel 28 Rentabilitätsziel 127 rentable Produktion 69 Reorganisation 108 Replikation 147 replizieren 147 repräsentative Demokratie 189 Reserven 53, 110 Ressourcen 4 restriktive Geldpolitik 179 Restrukturierung 108 Return on Assets (ROA) 128 Return on Equity (ROE) 128 Return On Investment (ROI) 129 Rezession 177 Rinderwahn 225 Risiko 65, 157 Risikofaktor 234 Risikomanagement 157 Risk, Uncertainty and Profit 65 Rivalität 39 Round Trip 13 Rücklagen 110 Rückstellungen 110 S Safeguards 71 Say’sches Gesetz 181 Schattenwirtschaft 81 Schocks 183 Scholastik 19 Schuldbetreibungs- und Konkursrechtes (SchKG) 108 Schulden nicht zurückzahlen 174 Schuldner 58 securitizierte Pakete von Hypothekarforderungen mittelmäßiger Bonität 230 Sekundärmarkt 60 SFS-Modell 154 Shareholder-Value-Ansatz 98 Short-Position 142 Sicherheitsziel 127 sichtbare Hand 9 „sieben fette und sieben magere Kühe“ 197 Silber 13 Skaleneffekte 89 Skalenerträge 77 Skalierung 88 Solidus 162 Soll-Kapitalstruktur 108 solvent 111 South Sea Company 227
254 soziale Kosten von Inflation und Arbeitslosigkeit 203 Sozialvertrag 191 Sparsamkeit 17, 28 Spekulanten 144 Spekulationskasse 180 Spezialisierungsvorteile 7, 9 Spezifizität 71 Spiel 65 Spot-Markt 141 Staatsbankrott 174 Staatsgebiet 187 Staatsgewalt 187 Staatstheorien 188 Staatsvolk 187 Städte im Heat Belt 222 Stagflation 173, 182 Stakeholder-Ansatz 98 Standard 161 Standard and Poor’s Corporation 230 Steuerprogression 11, 190 Stiftung 74 stille Last 112 stille Reserve 111 strategisches Hedging 154 Struktur- oder Industriepolitik 201 Strukturpolitik 193 Strukturwandel 222 Stückkosten 132 Subprime Crisis 231 Subprime Segment 230 Subsidiarität 188 Substitute 12, 61 Subventionen 202 Sustainability 5 Synchronisation der Konjunkturzyklen 199 Synthese zwischen der monetaristischen und der keynesianischen Sicht 223 System 161 T Tableau économique 205 Taoismus 188 Tauschmedium (Zahlungsmittel) 9 Tax-Shield 137 Teilung von Rechten 106 Terminbörsen 143 Termingeschäft 142 Terminkurs 142, 149, 150 Terminmarkt 143 Territorialitätsprinzip 190 Teufelskreis 233 The Fortune at the Bottom of the Pyramid 224 The Hidden Factory 133 The Nature of the Firm 87 The Problem of Social Cost 42
Sachverzeichnis The Theory of the Firm as Governance Structure 72 Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung 205 Tigerstaaten 232 totes Kapital 56 Tradeoff-Theorie 107 traditionelle Gesellschaft 211 Transaktionskosten 88 Transformation 67 Transformation der zeitlichen Verfügbarkeit von Geldbeträgen 57 Transmission 195 Treiber der Entwicklung 208 Trennbankensystem 170 Trilemma der Geldpolitik 185 Tropenkrankheit 225 Tulpenmanie 1637 226, 232 U Überkapazitäten 229 Umfinanzierung 103 Umweltbelastung 69 unbezahlte Tätigkeiten 81 Underlying 143 Underwriting 169 ungleiche Verteilung der Einkommen und Vermögen 10 Unmerklichkeit (Steuern) 189 Unsicherheit 65 Unsicherheitsvermeidung 216 unsichtbare Hand 9 Unternehmensgewinne 197 Unternehmensportfolio 130 Unternehmer 91 Unterversorgung an öffentlichen Gütern 36 US-Wirtschaft und ihr zukünftiges Wachstum 232 V variable Kosten 132 Verfügungsbereich der Eigenkapitalgeber 120 Verpfändung 171 Verpflichtungen 58 Versailler Vertrag 1919 216 Verschuldungskapazität 106 Versicherung 58 Verteilung 210 Vertrauen 164 Verwässerung 106 Volatilität 150 Völkerrecht 219 Volkswirtschaftslehre (VWL) 3 Vorgangskalkulation 133 Vorläuferfunktion 144 Vorsorge 28
Sachverzeichnis W WACC 140 Wachstum 95 Wachstumsfördung 211 Wachstumshemmnis 211 Währung 166 Währungskonvertibilität und internationaler Zahlungsverkehr 215 Währungsraum 166 Wandel der Wirtschaftsordnung in Ländern des Warschauer Paktes 222 Warengeld 162 Wechselkursstabilität 185 Weighted Average Cost of Capital 135 Weltbank 220 Welteinkommensprinzip 189 Weltwirtschaftskrise 1929–1932 179, 228, 232 Wert 14 Wert der Unternehmung 136 Wert eines Gutes 17 Wertaufbewahrung 9, 161 Wertsteigerung 54
255 Werttreiber 129 Win-Win-Situation 23, 211 Wirtschaften 28 wirtschaftlicher Aufstieg 211 Wirtschaftsleistung 119 Wirtschaftspolitik 193 Wirtschaftsunion 217 Wirtschaftswissenschaften 3 Wirtschaftswunder 222 Wissen 29, 88 Wohlstand der Nationen 8 Wohnsitzlandprinzip 189 Z Zahlungsbilanz 78 Zahlungssystem 168 Zeigeeffekt 41 Zeitalter des Massenkonsums 211 Zentralbank 166 Zinsparität 148 Zinssatz 59 Zuschreibungen 134