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German Pages 318 Year 2014
Barbara Keddi Wie wir dieselben bleiben
Pädagogik
Barbara Keddi (Dr. habil.) forscht am Deutschen Jugendinstitut in München und lehrt an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Familien- und Genderwissenschaften sowie Interdisziplinäre Entwicklungs- und Biografieforschung.
Barbara Keddi
Wie wir dieselben bleiben Doing continuity als biopsychosoziale Praxis
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Inhalt
Einleitung | 9
KONZEPTIONELLE ÜBERLEGUNGEN ZUM DOING CONTINUITY 1.
Koordinaten und Arbeitsbegriffe: Personale Kontinuität, Herstellungspraxis, Multiperspektivität | 23 Aspekte von Kontinuität | 24 Kontinuität und Wandel | 24 Zum Begriff Kontinuität. Beispiele | 30 Personale Kontinuität | 33
1.1 1.1.1 1.1.2 1.1.3 1.2 Aspekte von „doing“: Vom Was und Warum zum Wie | 36 1.2.1 Konstruktivistische Konzepte: Herstellung als „doing“ | 37 1.2.2 Agency als Handlungsbefähigung | 40 1.2.3 Praxis, Praktiken und Alltag | 47 1.3 Multiperspektivität: Wissenschaftstheoretische Anmerkungen | 55 1.3.1 Von der Multi- über die Inter- zur Transdisziplinarität | 56 1.3.2 Multiperspektivische Mehrebenenansätze | 59 1.3.3 Multiperspektivität zwischen Transdisziplinarität und Postdisziplinarität | 63 1.4 Fazit: Koordinaten der Herstellungspraxis personaler Kontinuität | 64
EMPIRISCHE S PURENSUCHE 2.
Doing continuity als biografische Praxis | 69
2.1 2.2 2.3
Kontinuität durch Erfahrungen, Erinnern und Perspektivität | 72 Sinn, Deutung und Bedeutung als biografischer EigenSinn | 74 Biografische Agency | 77
2.4 2.5 2.6 2.7 2.8
Lebensthemen als biografische Kontinuität bei jungen Frauen. Ein empirisches Schlaglicht | 80 Biografische Individualität | 82 Die Konstruktion biografischer Kontinuität als Verarbeitung von Diskontinuität | 84 Biografie und soziokultureller Kontext | 89 „Doing biography“ – die biografische Herstellungspraxis personaler Kontinuität | 92
3.
Doing continuity als neuronale Praxis | 95
3.1
Exkurs: Der Blick ins Gehirn. Empirische Zugänge der kognitiven Neurowissenschaften | 98 Das konstruierende Gehirn: Wie Informationen verarbeitet werden | 103 Information – Erfahrung – Bedeutung | 104 Konstruktion und Kontinuität | 107 Individualität und Subjektivität | 110 Die Bedeutung von Emotionen | 112 Das biografische Gehirn: Gedächtnis als Voraussetzung für zeitliche und personale Kontinuität | 114 Das sich entwickelnde Gehirn: Neurogenese | 118 Neuroplastizität: Das Gehirn – ein flexibler und hoch variabler Prozess modularer neuronaler Netze | 120 Neurogenese im Lebenslauf | 124 Das Soziale Gehirn: Die Bedeutung von Umwelt und Beziehungen | 129 Gedächtnisentwicklung vom Sozialen zum Individuellen | 131 Das Gehirn – ein Beziehungsorgan | 135 Verkörperte Erfahrungen | 140 „Doing memory“ – die neuronale Herstellungspraxis personaler Kontinuität | 141
3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.3 3.4 3.4.1 3.4.2 3.5 3.5.1 3.5.2 3.6 3.7
4.
Doing continuity als psychische Praxis | 143
4.1 Perspektiven auf Persönlichkeit | 146 4.2 Persönlichkeit als Struktur | 147 4.2.1 „Big Five“ als Beispiel für traitbezogene Konzepte | 147
4.2.2 Stabilität, Entwicklung oder Veränderung der Persönlichkeitsstruktur im Lebenslauf? | 149 4.2.3 Differenzielle Entwicklungen von Persönlichkeit | 155 4.3 Persönlichkeit als Prozess | 159 4.3.1 Lebensverläufe und individuelle Persönlichkeitsentwicklung | 160 4.3.2 Konstruktion und Entwicklung des Selbst | 163 4.3.3 Die relative Bedeutung von Lebensstationen und -ereignissen | 165 4.3.4 Persönlichkeit als lebenslanger Prozess | 168 4.4 Persönlichkeit und Umwelt | 170 4.5 „Doing personality“ – die psychische Herstellungspraxis personaler Kontinuität | 174 5.
Doing continuity als soziale Praxis | 177
5.1 5.1.1 5.1.2 5.1.3 5.1.4 5.2 5.2.1
Zeit und Kultur: Die Situierung von Identität | 180 Vormoderne Identitäts- und Subjektformen | 182 Identität(en) in der Reflexiven Moderne | 184 Personale Kontinuität in der Reflexiven Moderne | 192 Identitätskonstruktionen in nichtwestlichen Kultur(en) | 198 Identität und soziale Struktur | 201 Bildungsidentitäten und soziale Ungleichheit – ein Beispiel | 206 Differenz am Beispiel von Gender | 208 Identität und Interaktion | 211 Identitätsarbeit – Praxis und Praktiken | 214 Alltagspraxis und Routinen | 218 Subjektbezogene Praktiken personaler Identität(en) | 219 Postmoderne Praktiken der Identitätsherstellung | 222 Diskursive Praktiken | 224 Gebündelte Praktiken | 225 Praktiken der Identitätsentwicklung | 227 Praktiken gemeinsamer Identitätsarbeit – community of practise | 230 „Doing identity“ – die soziale Herstellungspraxis personaler Kontinuität | 237
5.2.2 5.3 5.4 5.4.1 5.4.2 5.4.3 5.4.4 5.4.5 5.4.6 5.4.7 5.5
DOING CONTINUITY ALS BIOPSYCHOSOZIALE PRAXIS 6.
Multiperspektivische Dimensionen des doing continuity | 241
6.1 6.1.1 6.1.2 6.1.3 6.1.4 6.1.5 6.2 6.2.1 6.2.2
Disziplinäre Herstellungspraxen und Schnittmengen | 243 Wie der „homo biograficus“ Kontinuität herstellt | 243 Wie der „homo neurologicus“ Kontinuität herstellt | 244 Wie der „homo psychologicus“ Kontinuität herstellt | 246 Wie der „homo socius“ Kontinuität herstellt | 247 Multiperspektivische Schnittmengen und Querthemen | 249 Doing continuity – ein multiperspektivisches Konzept | 252 Kontinuität als universelle Notwendigkeit | 254 Doing continuity als integrative biopsychosoziale Praxis | 255 Die Doppellogik personaler Kontinuität: Routinen und Offenheit | 257 Praktiken der Kontinuitätsherstellung | 258 Doing continuity – eigensinniges Handeln | 260 Die Situierung von doing continuity | 261 Methodologische Überlegungen zur Forschungspraxis | 261 Lernen und doing continuity als biopsychosoziale Herstellungs- und Entwicklungspraxis | 264 Kompetenzen und personale Kontinuität | 266 Doing continuity als Lern- und Bildungsprozess | 268
6.2.3 6.2.4 6.2.5 6.2.6 6.3 6.4 6.4.1 6.4.2
Literatur | 271
Einleitung
„Wir bestehen alle nur aus buntscheckigen Fetzen, die so locker und lose aneinander hängen, dass jeder von ihnen jeden Augenblick flattert, wie er will; daher gibt es ebenso viele Unterschiede zwischen uns und uns selbst wie zwischen uns und den anderen.“ MICHEL DE MONTAIGNE 1588 „Es muss immer eine Diskrepanz bleiben zwischen den Begriffen und der Realität, da die ersteren statisch und diskontinuierlich sind, während die letztere dynamisch und fließend ist.“ WILLIAM JAMES 1911 „Jeder von uns ist mehrere, ist viele, ist ein Übermaß an Selbsten. Deshalb ist, wer die Umgebung verachtet, nicht derselbe, der sich an ihr erfreut oder unter ihr leidet. In der weitläufigen Kolonie unseres Seins gibt es Leute von mancherlei Art, die auf unterschiedliche Weise denken und fühlen.“ FERNANDO PASSOA 2006 „Wenn es so ist, dass wir nur einen kleinen Teil von dem leben können, was in uns ist – was geschieht dann mit dem Rest?“ PASCAL MERCIER 2004
Kontinuität hat keine Konjunktur. Dynamiken, Veränderungen, Diskontinuitäten und Brüche scheinen die einzigen Konstanten in unserem Leben. Sie prägen angesichts sich ständig wandelnder und immer weniger überschaubarer Lebensbedingungen und -herausforderungen unsere Erfahrungen, unseren Alltag, unsere Lebensführung, unsere Biografien, unsere Deutungen, unser Selbstverständnis und unsere „life stories“: „Nur wer sich ändert, bleibt sich treu“ (Biermann 1991). In Gegenwartsanalysen werden Veränderung, Beschleunigung, Diskontinuität, Entgrenzung, Fluidisierung und Flexibilisierung in bunten Metaphern beschworen und mit „metatheoretischem Pessimismus“ (Giddens 1988) und „implizitem Katastrophismus“
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(Wolf et al. 2009) festgezurrt. Brüche und Zerfall gehören zur geteilten argumentativen Basis unseres modernen Lebens. Diskontinuität wird damit konstitutiv für die Metaerzählungen der Gegenwart, „in denen so etwas wie lebenstaugliche Kohärenz gestiftet wird“ (Keupp et al. 2002: 59). Dabei wird von der Gesellschaftsform auf individuelle Befindlichkeiten, Haltungen, Einstellungen und Handlungen geschlossen. Es wird nämlich angenommen, dass sich Gesellschaftsform und Identitätsformen der Gesellschaftsmitglieder entsprechen (vgl. Schimank 2002). Die Diskontinuität auf der gesellschaftlichen Ebene führe, so wird gefolgert, zur „Dynamisierung des Selbst“ (vgl. Beck/Beck-Gernsheim 2002; Giddens 1992). In Folge werden die Grundlagen unserer Welt „Tag für Tag in Frage gestellt, und ihre permanente Rekonstruktion beruht auf einer verschwimmenden Fluidität der individuellen Identifizierung, die von der unvorhersehbaren Bewegung der Bilder und Emotionen beeinflusst wird“ (Kaufmann 2004: 308). Identität ist folglich immer unabgeschlossen und nie ganz, ein Prozessgeschehen beständiger alltäglicher Arbeit (Keupp et al. 2002). So beschreibt Baumann (1997) den postmodernen Mensch als Vagabunden und Touristen, der Festlegungen und Gebundenheiten vermeidet. Dieser „bewegte“ Mensch agiere als „Sinnbastler“ (Keupp et al. 2002), zerrissen und zerstückelt, mit „einer Collage aus Fragmenten“ (Sennett 1998) und einem „Netz aus multiplen Selbsten“ (Rorty 1993), so sich sein Selbst nicht bereits gänzlich aufgelöst habe (vgl. Keupp/Hohl 2006). Entsprechend sind lebenslanges Lernen und Veränderungsbereitschaft zum Dreh- und Angelpunkt des modernen Menschenbildes geworden, das sich auf den „permanent unfertigen Menschen“ (Baltes 2001) bezieht. Dennoch bleiben wir im täglichen Leben und im Lebensverlauf dieselben, in unserer eigenen Empfindung und auch in der Empfindung anderer, unabhängig von individuellen, kulturellen oder sozialen Dynamiken und Umbrüchen, trotz der Vielheit und Widersprüchlichkeit unserer Erfahrungen und auch wenn wir uns in unterschiedlichen Situationen höchst unterschiedlich verhalten (müssen). Trotz der in hohem Maß wahrgenommenen Bedeutung von Veränderungen und Diskontinuitäten spielt Kontinuität in unserem Leben eine zentrale Rolle. Personale Verortungen und Kontinuitäten werden auch und gerade in ungewissen Zeiten bedeutsam und zwar auf ganz unterschiedlichen Ebenen. Personale Kontinuität setzt nicht voraus, dass in unserem Leben alles gleich bleibt und wir uns nicht verändern
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(Straub 2000). „Kritische Lebensereignisse mögen einer Person neue Handlungsmöglichkeiten eröffnen oder bisherige verschütten. Sie machen jedoch aus niemandem einen ‚zweiten Menschen‘“. (Köhler 2000: 5f) Zudem sind Veränderungen immer eingebunden in einen zeitlichen Verlauf, ein biografisches Davor und Danach, an dem im Denken, Deuten, Handeln und Fühlen angeknüpft wird. Im Ringen um prozessbezogene, nichtessentialistische und konstruktivistische Konzepte des Subjekts und seiner Identität werden solche Aspekte der „Konstitution und Stabilisierung“ derzeit jedoch vernachlässigt (Wohlrab-Sahr 2006: 76; vgl. auch Giddens 1988; Latour 2007; Reckwitz 2008a; Wolf et al. 2009). Dies ist erstaunlich, denn die „Suche nach einem zusammenhängenden Muster von Antworten auf die Frage, wer man denn nun sei“ ist weiterhin im Alltag und im Lebensverlauf relevant (Kaufmann 2004). Übrigens bezieht sich auch empirische Forschung, sei sie quantitativ oder qualitativ, auf eine eindeutig identifizierbare, insofern „kontinuierliche“ Person, die als dieselbe Person agiert und sich, wenn sie sich denn ändert, als diese Person ändert. Die Gewissheit der eigenen Kontinuität, der „situationsübergreifenden Selbigkeit“ (Kraus 1996; vgl. auch Shanan 1985; Straub 2000), der „Seinsgewissheit“ (Giddens 1988) oder „sameness“ (Hume 1739/1740) ist notwendig, um handlungsfähig zu bleiben. Menschen müssen an sich selbst als beständige, autonome Wesenheiten glauben können (Kaufmann 2004). Dies fällt ihnen jedoch nicht einfach zu. Sie müssen personale Kontinuität in Auseinandersetzung mit der materiellen und sozialen Welt aktiv (vgl. Giddens 1988) herstellen. Das Ergebnis dieser aktiven Leistung bezeichnen Keupp et al. (2002) mit der Metapher des „Patchwork“, aus Einzelteilen in einer nachvollziehbaren und für den jeweiligen Menschen typischen Logik mit Nadel und Faden zusammengefügt. Diese Metapher wird oft missverstanden und als Zersplitterung rezipiert – ein Beispiel dafür, wie durch kulturelle Diskurse empirische Ergebnisse einseitig interpretiert werden. Doing continuity als multiperspektivische Praxis Während das Ergebnis der Herstellung von personaler Kontinuität vielfach untersucht und beschrieben wurde, ist der Herstellungsprozess selbst selten im Blickpunkt. Hier setze ich mit meinen Überlegungen an: Wie bleiben Menschen, Kinder, Jugendliche, Frauen und Männer dieselben trotz der Erfahrung von Übergängen, Fragmentierungen, großen und kleinen, alltäg-
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lichen und biografischen Brüchen, trotz physischer, psychischer, biografischer und sozialer Veränderungen und trotz der Vielheit und Widersprüchlichkeit von Situationen und Deutungsmöglichkeiten? Mit welchen eher nicht bewussten, sondern vorbewussten und unbewussten Praktiken stellen sie das Gefühl von Kontinuität immer wieder von neuem her? Mit dem Fokus auf dem Wie knüpfe ich an subjektorientierte, konstruktivistische und praxeologische Konzepte an. Antworten auf diese Fragen finden sich in ganz unterschiedlichen Disziplinen und Forschungstraditionen, je nach Perspektive implizit oder explizit konzeptualisiert und mit unterschiedlichen theoretischen und empirischen Annäherungen und Interpretationen akzentuiert, auch innerhalb der Disziplinen. Die Befunde zeigen, dass Kontinuität notwendig ist, um im einer dynamischen Welt als biografisches Subjekt, als biologischer Organismus, als Persönlichkeit und als soziale Person Lebenssicherheit herstellen zu können, handlungsfähig zu bleiben und für andere berechenbar zu sein. Strittig ist weniger, ob personale Kontinuität notwendig ist. Strittig ist vielmehr, wie unser Leben mit Kontinuität versehen wird und sich versieht. Wenn entwicklungspsychologische, psychobiologische und neurowissenschaftliche Befunde die spätestens nach der Pubertät abgeschlossene und im weiteren Lebenslauf relativ stabile Prägung zentraler Persönlichkeits- und Handlungsmerkmale betonen (vgl. Caspi 2000; Roth 2005), Studien aus der Lebenslauf- und Biografieforschung, den Sozial- und Erziehungswissenschaften, der Kindheits- und Resilienzforschung, aber auch den Neurowissenschaften und der Entwicklungspsychologie auf lebenslange Plastizität und Veränderbarkeit (vgl. Baltes 2008), die Auflösung des Subjekts (Keupp/Hohl 2006), die Bedeutung von Praktiken und Diskursen (vgl. Giddens 1988; Reckwitz 2008b), die Individualität von Entwicklung (vgl. Weinert et al. 1999) und Erfahrungen (vgl. Wohlrab-Sahr 2006; Roth 2005), die Biografizität (vgl. Alheit 1992; Schütz 1932; Schütze 1984), die Heterogenität von Entwicklungswegen (vgl. Asendorpf/van Aken 2003; Roberts/DelVecchio 2000; Vaillant 2000) und deren Nichtprognostizierbarkeit (vgl. Vaillant 2000; Wustmann 2004) verweisen, wird deutlich, dass „personale Kontinuität“, ohne dass dieser Begriff immer explizit verwendet wird, je nach Perspektive Unterschiedliches bedeutet und entsprechend auch die Herstellung von Kontinuität theoretisch und methodologisch höchst unterschiedlich rekonstruiert und erklärt wird. Dies zeigt sich auch
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in der Vielfalt von Begrifflichkeiten wie Subjekt, Organismus, biografische Identität, Entität, Persönlichkeit oder soziale Identität. Deutlich kristallisieren sich bei allen Unterschieden zwei übergreifende Befunde heraus: Erstens unterliegen Persönlichkeit, Gehirn- und genetische Struktur ebenso wie biografische und soziale Identität einem ständigen Herstellungsprozess. Dieser ist durch ein dynamisches, über die Zeit variierendes Zusammenspiel und gleichzeitiges Ineinandergreifen biologischer, körperlicher, psychischer, biografischer und sozialer Faktoren gekennzeichnet. Zweitens werden unidirektionale, unilineare und unidimensionale Zusammenhänge diesem Prozess nicht gerecht. Es ist davon auszugehen, dass von Geburt an ein hochkomplexes Geflecht aus Natur, Kultur, Fremd- und Selbstartikulation besteht (vgl. Behnken/Zinnecker 2001), deren Anteile am Herstellungsprozess sich nicht in Quantitäten messen lassen, auch wenn dies immer wieder versucht wird. Dies macht das Ganze nicht nur empirisch, sondern auch konzeptuell schwer greifbar und sperrig, zumal wir vor allem kausal, linear und additiv verstehen und erklären. Annäherungen Bei den Vorüberlegungen zu dieser Arbeit spielten zunächst, dem Zeitgeist entsprechend, Brüche im spätmodernen Leben eine zentrale Rolle. Der Fokus der Arbeit verschob sich jedoch mehr und mehr. Die oft und besonders aktuell unterschätzte Bedeutung von Kontinuität wurde zum zentralen Thema. Kontinuität wird meist mit Stabilität, Stillstand oder Unveränderbarkeit gleichgesetzt. Ebenso wird strukturellen und psychischen Variablen häufig eine „vermeintlich zeitlose Qualität“ (Elder/Caspi 1990: 54) zugeschrieben. Kontinuität beinhaltet jedoch auch prozessuale und dynamische Aspekte des Verknüpfens von Brüchen und Dynamiken, denn ohne Veränderung und Wandel wäre Kontinuität gar nicht notwendig. Desintegrative Entwicklungen, Unsicherheiten und Ungewissheiten sind deshalb kein Widerspruch zu Kontinuität, sondern aufeinander bezogene Prozesse, die teils parallel stattfinden, teils aufeinander bezogen sind und sich ergänzen. Sie prägen die Art und Weise, in der personale Kontinuität herzustellen ist. An diese Überlegungen anknüpfend frage ich nach der individuellen prozessualen und kontinuitätsstiftenden Herstellungsleistung, dem „doing continuity“: Wie stellen Menschen Kontinuität im Alltag und im Lebens-
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verlauf im Zusammenspiel und Ineinandergreifen biologischer, körperlicher, psychischer, biografischer und sozialer Faktoren her? Die unterschiedlichen Ebenen, auf denen personale Kontinuität hergestellt wird, werden unterschiedlichen Disziplinen zugeschrieben und arbeitsteilig untersucht – eine Arbeitsteilung, die meines Erachtens kontraproduktiv ist in Zeiten der Öffnung der Disziplinen und angesichts der Tatsache, dass unterschiedliche Disziplinen sich häufig auf die gleichen Phänomene beziehen. Überzeugt von der Notwendigkeit multiperspektivischen Vorgehens greife ich deshalb empirische Ergebnisse aus unterschiedlichen Disziplinen auf und lote aus, welchen Beitrag sie leisten können. Exemplarisch werden zunächst Herstellungspraxis und Herstellungspraktiken personaler Kontinuität aus unterschiedlichen Perspektiven getrennt rekonstruiert und abschließend ihre disziplinären Schnittmengen zu praxeologischen Koordinaten zusammengeführt. Ziel ist es, die Komplexität und Dynamik, das Ineinandergreifen, Widersprüchliche, Ambivalente und Nicht-Prognostizierbare im „doing continuity“ multiperspektivisch zu konturieren. Die Arbeit ist theoretisch-konzeptuell und gleichzeitig empirisch ausgerichtet. Die Schlussfolgerungen erfolgen auf einer breiten empirischen Basis. So wird es möglich, gehaltvolle und empirisch belastbare Aussagen über die Herstellungspraxis personaler Kontinuität abzuleiten. Berücksichtigt werden Ergebnisse aus der Biografie-, Lebenslauf- und Transitionsforschung, der Gehirn- und Kognitionsforschung, der Entwicklungs- und differenziellen Psychologie, den Erziehungs- und Sozialwissenschaften, der Wissenssoziologie, der Kindheitsforschung und der Ethnologie: Wie wird Kontinuität jeweils konzeptualisiert und sichtbar gemacht? Welche Praktiken sind auf welchen Erklärungsebenen zentral? Sind diese Praktiken gegenseitig anschlussfähig? Lassen sie sich in Anlehnung an transdisziplinäre Überlegungen zusammenführen? Welche konzeptuellen Ergänzungen ergeben sich aus den Einzelperspektiven? Und welche Folgerungen ergeben sich für ein multiperspektivisch orientiertes, praxeologisches Konzept? Das Vorgehen der Arbeit ist durch Herantasten und Aufarbeiten unterschiedlicher disziplinärer Konzepte und vor allem durch „Neugier und Offenheit“ (vgl. Katz 2002) gekennzeichnet. „Herumliegendes“ (Lévy-Strauss 1980) und disziplinärer Inselforschung Verborgenes wird eingesammelt und zusammengesetzt, durchdacht und aufgearbeitet. Diese ethnografische Vorgehensweise des „wilden Denkens“ (ebd.) eröffnet die Chance einer
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breiteren Wahrnehmung, stellt scheinbar Gesichertes in Frage und ermöglicht Entdeckungen. Statt ein „zivilisiertes“, gezähmtes und geglättetes Konzept zu präsentieren, werden unterschiedliche, nicht immer passgenaue und auch widersprüchliche Perspektiven ernst genommen und als gegenseitige Bereicherung, Ergänzung, Bestätigung und Infragestellung anerkannt – der Versuch einer ko-konstruktivistischen, transdisziplinären und multiperspektivischen und eben nicht linear additiven und deterministischen Annäherung an Praxis und Praktiken der Herstellung von Kontinuität. In Folge wird bewusst auf essentialistische Konzepte von personaler Kontinuität verzichtet sowie kulturpessimistischen Interpretationen sozialen Wandels eine klare Absage erteilt. Ziel ist nicht der Entwurf einer Theorie mit fertigen Lösungen, die Abgeschlossenheit impliziert, satt und zufrieden macht und die Neugier auf Weiterentwicklung lähmt. Ziel ist vielmehr ein empirisch gesättigtes, handlungsbezogenes Forschungsprogramm als Anregung auf dem Weg zu einer multiperspektivischen, im Sinne Joas (2005: 88) „postdisziplinären“ Theorie und insofern im Foucaulschen Sinn auch ganz explizit ein „Werkzeugkasten“ für weitere Erkundungen. Damit wird die poststrukturalistische Theoriefigur der expliziten Zurückweisung immanenter Geschlossenheit als Ankerpunkt untereinander nicht-systematisierter und reversibler Beziehungen bewusst aufgegriffen (vgl. Stäheli 2000). Logik und Aufbau Wissenschaftliche Publikationen haben üblicherweise einen Anfang, ein Zwischenstück, in dem die Lösung entwickelt wird, und ein Ende (vgl. Pöppel 2006). Sie folgen einer logischen Struktur aus Fragestellung, Forschungsstand, Ergebnissen und Bilanz. Die Reihenfolge der einzelnen Teile und Kapitel dokumentiert die am Ende des Forschungsprozesses synthetisierte Logik und Richtung der Überlegungen. Sie spiegelt jedoch nicht den Verlauf des eigenen Such- und Erkenntnisprozesses, der in Schleifen und Sackgassen meist sehr viel weniger stringent verläuft, als es sich als Ergebnis darstellt. Auch die Anordnung von Kapiteln ist analytisch und linear geglättet und trägt zu dem Eindruck bei, dass die einzelnen Teile klar voneinander zu trennen sind. Denken und auch Forschen funktionieren jedoch nicht in dieser linearen Form. Pöppel (2006) verweist zu Recht darauf, dass der Zwang zur darstellenden Linearität wissenschaftliche Offenheit erschwert oder sogar ver-
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hindert. Forschungsergebnisse entstünden häufig gleichzeitig an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten. Kapitel täuschten eine geradlinige Struktur und Ordnung vor und zwar nicht nur den interessierten LeserInnen, sondern auch den AutorInnen, die versuchen, ihre Erkenntnisse für andere nachvollziehbar zu machen. Die vielfachen Zirkelbewegungen, die „Unordnung“ im Denken, die aufgegebenen oder wieder aufgegriffenen Parallelfragestellungen und Ergebnisse, Eingebundenheiten in Zeitlichkeiten und Erfahrungen werden ausgeblendet: „Bücher sind wie Solitäre. Sie präsentieren sich gern der Öffentlichkeit und verschweigen dabei die Zusammenhänge, aus denen sie entstanden sind. Dabei sind sie doch in lange Gedankengänge eingebunden [...] Ausgenommen wenn er sein Tagebuch (Loureau 1988) veröffentlicht, schätzt es der Forscher, der gern verkennt, dass er ein Handwerker ist, überhaupt nicht, wenn man die Unordnung in seiner Werkstatt sieht; für ihn zählt allein das Resultat, sein schönes Werk. Er lässt also Hobel und Späne verschwinden.“ (Kaufmann 2004: 7)
Auch diese Publikation ist nicht linear entstanden, sondern in einem hermeneutischen Zirkel. Einzelne Befunde führten immer wieder dazu, mich nochmals auf die Suche zu machen, nachzuforschen und nachzulesen, zu verwerfen, wiederaufzugreifen, bereits eingeordnete Ergebnisse in Frage zu stellen, zu relativieren und neue Fragen zu stellen. Deshalb sei ausdrücklich ermuntert, mit den Kapiteln zu beginnen, die sie interessieren, und sich meinen Überlegungen, Ausführungen und Folgerungen auf ihre eigene Art zu nähern. Im ersten Teil Konzeptionelle Überlegungen werden die Koordinaten, denen die disziplinäre Spurensuche folgt, skizziert: Dabei geht es zum einen um das Verhältnis von Stabilität, Kontinuität, Wandel und Diskontinuität sowie personale Kontinuität und ihre Situierung in Zeit und Prozessen. Eine zweite Koordinate bezieht sich auf Konzepte des „doing“, also der Herstellungspraxis personaler Kontinuität. Damit wird an Traditionen der subjektorientierten, hermeneutischen und rekonstruktiven Soziologie angeknüpft, erweitert um agencybasierte, sozialkonstruktivistische und praxeologische Konzepte. Zum dritten werden interdisziplinäre Konzepte durch trans- und postdisziplinäre sowie emergenztheoretische Überlegungen zu einem multiperspektivischen Konzept erweitert.
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In zweiten Teil Empirische Spurensuche werden Praxen und Praktiken der Herstellung von personaler Kontinuität aus unterschiedlichen, theoretisch und empirisch verankerten Perspektiven identifiziert, meist in disziplinären Grenzen. Davon ausgehend, dass die Herstellung von Kontinuität ein ganzheitlicher, komplexer und vielfach verschränkter, gleichzeitig biografischer, biologischer, psychischer und sozialer Prozess ist, der sich der Möglichkeit eines einzigen Zugangs und damit eines einzigen Erklärungsansatzes entzieht, werden exemplarisch Ergebnisse und Konzepte aus den diese Perspektiven explizit oder implizit aufgreifenden Disziplinen berücksichtigt. Die Auswahl der Disziplinen steht beispielhaft für unterschiedliche Traditionen, Konzeptualisierungen und Herangehensweisen. Beispielsweise wird bei der Einbeziehung biologischer Perspektiven auf die Ergebnisse der Neurowissenschaften zurückgegriffen. Es hätte sich auch angeboten, aktuelle Forschungen zur Epigenetik heranzuziehen, die das Verhältnis von Natur und Kultur als offenen Prozess definieren. Doch auch Zufälle haben einen nicht zu unterschätzenden Anteil an Erkenntnispfaden. Kapitel 2 Doing continuity als biografische Praxis konturiert Praktiken der Kontinuitätsherstellung in der Tradition der Biografieforschung. Im Zentrum steht der biografische Prozess der Herstellung von personaler Kontinuität. Kontinuität wird subjektiv, reflexiv, unbewusst, vorbewusst und bewusst, selbstreferentiell und lebenslang konstruiert: Subjekte stellen Kontinuität durch die deutende Verknüpfung ihrer biografischen Erfahrungen im Lebenslauf und im Alltag immer wieder von neuem her. Dies bedeutet nicht, dass biografische Kontinuität immer, in jeder Situation und im Lebenslauf gelingt. Vielmehr kann sie im Sinn von Goffman (1975) „beschädigt“ werden, zusammenbrechen oder scheitern, wenn es nicht gelingt, sie herzustellen. Während eines Fellowship am Hanse Wissenschaftskolleg ergab sich die Gelegenheit zu einem systematischen Blick über den Tellerrand sozialwissenschaftlicher Subjekttheorien zur aktuellen Gehirnforschung. Die in der Tradition der verstehenden Soziologie und Biografieforschung formulierte Annahme des „doing continuity“, dass nämlich Subjekte Kontinuität durch die deutende Bewertung ihrer biografischen Erfahrungen immer wieder neu herstellen (müssen), war unerwartet deutlich kompatibel mit empirischen Ergebnissen der Neurowissenschaften. Diese verabschieden sich zunehmend von der Vorstellung einer fixen, einmal erworbenen Gehirnarchitektur oder unveränderlicher Genome. Gehirn und auch Erbgut sind, so
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zeigen ihre Forschungsergebnisse, mit hohen Freiheitsgraden in ständigem Umbau begriffen. Auch auf neuronaler Ebene ist deshalb Kontinuität immer wieder von neuem herzustellen. Erfahrungen kommt dabei eine herausragende Bedeutung zu (Kandel 2006). In Kapitel 3 Doing continuity als neuronale Praxis werden aktuelle Ergebnisse der Neuro- und Kognitionswissenschaften zu den biologischen Aspekten der Herstellung personaler Kontinuität aufgegriffen. Im Zentrum stehen konstruktivistische Prozesse der Erfahrungsverarbeitung und des autobiografischen Gedächtnisses. Unverständlich, dass in der verstehenden Soziologie bis auf wenige Ausnahmen (beispielsweise Alheit 1992; Giddens 1988; Kreissl/Steiner 2008; Schimank 2002; Wohlrab-Sahr 2006) keine Verbindungen zu den biologischen Wissenschaften hergestellt werden; diese scheinen eher bedrohlich und suspekt, als dass eine Annäherung stattfindet (Schroer 2001: 225). Auf diese gegenseitigen Empfindlichkeiten und Abgrenzungen werde ich nicht eingehen. Sie führen als Sackgasse im transdisziplinären und multiperspektivischen Diskurs nicht weiter. Die Erkundungen in den Biowissenschaften ermutigten mich, die „Spurensuche“ auf die Persönlichkeits- und Entwicklungspsychologie auszudehnen, vor allem auf Untersuchungen und Studien zu Stabilität, Instabilität, Differenzialität und Prozesshaftigkeit von Persönlichkeit. Psychologische Ansätze und Studien haben seit jeher personale Kontinuität zum Thema, werden jedoch in den Sozialwissenschaften selten aufgegriffen. Kapitel 4 Doing continuity als psychische Praxis bezieht Ergebnisse aus der traitund prozessorientierten Persönlichkeits- und Entwicklungspsychologie in die Überlegungen ein. Es geht also um die Frage, wie durch Persönlichkeit(seigenschaften) Kontinuität hergestellt wird. Individuelle Praxen und Praktiken sind immer auch sozial. Kaufmann (2004) verweist darauf, dass Identität insofern ein „Reflex der Struktur“ ist. Während psychologische Ansätze sich vor allem auf den einzelnen Menschen und seine psychische Entwicklung im sozialen Kontext konzentrieren, thematisieren sozial- und kulturwissenschaftliche, identitäts- und subjektbezogene Ansätze die soziale Rahmung der Herstellung von Kontinuität. In Kapitel 5 Doing continuity als soziale Praxis wird die Herstellung von Kontinuität als sozio-kulturelle und interaktive Praxis untersucht. Dies wird zum einen veranschaulicht an sozialen Differenzierungs- und Individualisierungsprozessen. Zum anderen werden Forschungsergebnisse zur Herstellung von Identität in sozialen Situationen, in historischen Kontexten
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und in Interaktionen herangezogen sowie die vielfältigen Praktiken der Identitätsarbeit dargestellt. Im dritten und abschließenden Teil Doing continuity als biopsychosoziale Praxis werden die rekonstruierten empirischen Befunde zur Herstellung von Kontinuität aus den unterschiedlichen Disziplinen und Perspektiven im Hinblick auf gemeinsame Schnittmengen untersucht und mit dem Ziel einer Annäherung an eine multiperspektivische Perspektive in Anlehnung an transdisziplinäres Vorgehen gebündelt (Kapitel 6 Multiperspektivische Koordinaten): Die Herstellung von Kontinuität, so das zentrale Ergebnis, ist biopsychosoziale Praxis, quer zu den Disziplinen und mit vielfältigen Praktiken realisiert. Überlegungen zur Logik transdisziplinären Vorgehens und zur potentiellen Anschlussfähigkeit von Disziplinen werden aufgegriffen und das multiperspektivische Konzept erläutert. Besonders zu betonen ist, dass die Praxen des „doing continuity“ nicht auf Einzelebenen, die spezifischen Perspektiven entsprechen, verankert sind, sondern dass jede Praxis biopsychosozial ist. Das Bedürfnis nach Kontinuität hat eine „biologische“ Seite, ist jedoch mehr als biologische Notwendigkeit. Es hat eine „biografische“ Seite, ist jedoch mehr als biografische Notwendigkeit. Es hat eine „psychische“ Seite, ist jedoch mehr als psychische Notwendigkeit. Es hat eine „soziale“ Seite, ist jedoch mehr als soziale Notwendigkeit. Das Bedürfnis nach Kontinuität ist gleichzeitig biografisch, psychisch, individuell, kulturell und sozial. Wie Kontinuität von jeder einzelnen Person hergestellt wird und was dies für sie bedeutet, hängt zusammen mit individuellen Erfahrungen und subjektiven Deutungen, Entwicklungsprozessen, angeborenen, erworbenen und zugeschriebenen Eigenschaften und Strategien, Situationen und sozialen Kontexten, Interaktionen und soziokulturell geprägten Orientierungen – „doing continuity“ ist biopsychosoziale Praxis. Organische und psychosoziale Prozesse sind entsprechend unterschiedliche Aspekte ein und desselben Vorgangs. Kontinuitätskonstruktion findet gleichzeitig auf ganz unterschiedlichen, nicht unbedingt vergleichbaren oder „eins zu eins“ überführbaren Ebenen statt. Kontinuität ist beispielsweise durch neuronale Prozesse determiniert, aber nicht reduktiv erklärbar. Emergenztheoretischen Überlegungen folgend (Heintz 2004) ist gleichzeitig aber auch die Autonomie einzelner Erklärungsebenen anzuerkennen (Schumacher 2006).
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Diese Ergebnisse erfordern ein Umdenken, auch im Hinblick auf Konzepte von Interdisziplinarität und das Verhältnis zwischen den Disziplinen. Aus den Ergebnissen der Arbeit ergeben sich auch „neue“ Anforderungen an Erziehungswissenschaften und ihre Praxisfelder, die derzeit verstärkt diagnostisch und problembezogen vorgehen. So sind beispielsweise die herausgearbeiteten komplexen und widersprüchlichen Herstellungsprozesse von Kontinuität und die Gleichzeitigkeit sozialer, biografischer, psychischer und biologischer Strukturen auf Entwicklungs- und Lernprozesse zu beziehen.
Konzeptionelle Überlegungen zum doing continuity
1. Koordinaten und Arbeitsbegriffe: Personale Kontinuität, Herstellungspraxis, Multiperspektivität
„Alles, was sich bewegt, jetzt und später, hier und dort, hält inne. Der Vogel stoppt seinen Flug, hier, um sein Nest zu bauen, dort, um sich auszuruhen. Ein Mann stoppt seinen Schritt, wenn er will. So hat auch Gott innegehalten: Die Sonne, leuchtend und schön ist ein Ort, an dem er stehen geblieben ist. Er ist bei Mond, Sternen und Geistern gewesen. Die Bäume, die Tiere, sie sind, wo er angehalten hat.“ KOSMOLOGIE DER SIOUX (zitiert nach Giddens 1988) „Meiner Ansicht nach sollten Theorien weder ehrfürchtig verehrt werden und dafür erfolgreicher angewandt werden [...] Ich halte es für einen wahren Glücksfall (der nicht im Geringsten von den Regeln der Wissenschaft abweicht), wenn sich Begriffe so als lebendige Instrumente voller Überraschungen erweisen.“ JEAN-CLAUDE KAUFMANN 2004
Zentral für eine multidisziplinäre Vorgehensweise ist die präzise Verortung von Begriffen und Koordinaten. Möglichst wenig durch monodisziplinäre Konzepte vorbelegt sollen sie in den unterschiedlichen Disziplinen zur Anwendung kommen oder kommen können. Eine besondere Herausforderung sind scheinbar gleiche Begriffe, die disziplinär Unterschiedliches bedeuten. Während NeurowissenschaftlerInnen beispielsweise unter Umwelt alles außerhalb des Genoms, inklusive der Bestandteile der gleichen Zelle verstehen, definieren SozialwissenschaftlerInnen Umwelt als soziale Beziehungen, Lebenswelten und Strukturen. Eine Herausforderung sind ferner auch Begriffe, die in ihrer alltäglichen und wissenschaftlichen Verwendung verschwommen sind, wie „Zuckerwatte“, um eine Metapher
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von Kaufmann (2004) zu verwenden, die er auf den Begriff der Identität bezog. Die für die Spurensuche in unterschiedlichen Disziplinen leitenden Koordinaten und Arbeitsbegriffe sind ein Versuch, ohne magische „Zuckerwatte“ präzise zu formulieren und konzeptualisieren. Sie mögen technisch klingen und verglichen mit vielen postmodernen Begriffsschöpfungen wenig Pathos besitzen. Sie sind jedoch gerade deshalb geeignet, als roter Faden in multiperspektivischen Erkundungen zu dienen. Die sozialwissenschaftliche und subjektbezogene Heimat dieser Begrifflichkeiten, die in diesem Kapitel skizziert wird, soll aber nicht verschwiegen werden. Ihre „Wurzeln“ sind nicht zu leugnen und auch meine Wurzeln. Insofern sind sie auch in die Koordinaten und Arbeitsbegriffe inkorporiert.
1.1 ASPEKTE
VON
K ONTINUITÄT
„Die lex continui will sagen: zwey auf einander folgende Zustände haben jederzeit etwas gemeinschaftliches, nemlich ihre Grentze.“ IMMANUEL KANT 1789 „Neue Ideen sind meistens die Kinder alter Gedanken.“ HENRI BERGSON 1922 „If a changing thing really changes, there can‘t literally be one and the same thing before and after the change. However, if a changing thing literally remains one and the same thing (i.e. retains its identity) throughout the change, then it cannot really have changed.“ ANDRE GALLOIS 2005
1.1.1 Kontinuität und Wandel Das Verhältnis von Wandel und Kontinuität scheint eindeutig: Gegenwartsanalysen und darauf bezogene Forschung (beispielsweise Beck 1986; Bonß 2004; Reckwitz 2006; Szydlik 2007) betonen den Wandel der Gesellschaft, in der wir leben, durch das Ausrufen immer neuer Zeitalter (Post-, Spät-, erste, zweite, Informations- und Netzwerkgesellschaft, beschleunigte und gehetzte, Risiko-, Erlebnis-, Multioptions- oder entfesselte Gesellschaft). Diese stehen für den Übergang in eine „neue“ Gesellschaft, sind jedoch häufig überzeichnet (Schöneck 2006). Gemeinsam ist den
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Analysen, dass vom Zustand der Gesellschaft auf den Zustand der Mitglieder, die in den Gesellschaften leben, geschlossen wird. Die Metaperspektive auf Veränderung verleitet dazu, empirische Daten und Phänomene in einem „schillernden und unübersichtlichen Gemisch aus Kontinuität und Wandel sozialer Strukturen“ (Nassehi/Nollmann 2004) zu interpretieren und von Transformationsprozessen, die für bestimmte Gruppen kennzeichnend sind, auf allgemeine gesellschaftliche Tendenzen „hochzurechnen“ (Rathmayr et al. 2009: 8). Phänomene, die auf Kontinuität verweisen, werden im Zuge dieser „großspurigen Prophetien“ (ebd.) übersehen oder in ihrer Bedeutung gering eingeschätzt (vgl. Mayer 2001). Wandel und seine Folgen sind vor allem für soziologische Arbeiten ein zentraler und typischer Beweggrund. Wandel führe zu neuen Anforderungen an die Subjekte und zum Wandel der Subjektformen, die für diese Gesellschaft typisch sind. So wurden beispielsweise der „vernünftige Mensch“ (Foucault 1987), der „flexible“ und „nomadische“ Mensch (Sennett 1998) oder das „erschöpfte Selbst“ (Ehrenberg 2004) herausgearbeitet. Diese aktuellen, tendenziell kulturpessimistischen Diagnosen stehen in der Tradition früherer soziologischer Befunde: Riesman (1956) etikettierte die „Einsame Masse“, Elias (1976) den ichorientierten „homo clausus“ und Marcuse (1967) den „Eindimensionalen Menschen“. Latour (2007: 63) verweist aus sozialwissenschaftlicher Sicht darauf, dass Wandel in der Regel als zu erklärende Ausnahme angesehen werde, während es eher unüblich sei, Stabilität, Trägheit, Dauer oder Ähnliches zu erklären. Auch der Historiker Patterson (2004: 72f) stellt fest, dass Aspekte von Kontinuität sowohl in den Sozial- als auch in den historischen Wissenschaften kaum Beachtung finden, sei es weil diese die Kontinuität in den sozialen Praktiken einer Gesellschaft als gegeben und als empirischtheoretisch uninteressant betrachten, sei es weil in Zeiten des Sozialkonstruktivismus sowohl HistorikerInnen als auch SoziologInnen ihren Fokus auf Phänomene wie Transformation, Veränderung und Bewegungen legen. „Change is the great temptress; continuity appears to be the bore to be avoided.“ (Coleman 1977: 91, zitiert nach Patterson 2004: 75) Bis in die 1960er Jahre hinein konnten Menschen der westlichen Hemisphäre biografische und soziale Anforderungen in der Regel durch ihre Familie und Verwandtschaft oder durch traditionelle Arbeitsverhältnisse bewältigen. Zunehmend würden sie aus den Sicherheiten gesellschaftlicher Kontinuität und Berechenbarkeit heraus- und freigesetzt, so die gängige
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Argumentation, die Beck (1986) in seiner Individualisierungsthese prominent platzierte. Flexibilisierung und Entgrenzung im Arbeiten und Leben wurden zu Strukturgebern der Lebensführung (vgl. Jurczyk et al. 2009). Betont werden vor allem zwei Gesichtspunkte: zum einen betreffe die Quantität dieser Entwicklung immer mehr Menschen, zum anderen stelle sie eine permanente Überforderung des Individuums dar, für die es nicht gerüstet sei. Es wird zwar auch auf die Chancen oder das Ambivalente von Individualisierungsprozessen hingewiesen (Schroer 2001), hervorgehoben werden jedoch vor allem die Bedrohungen, Verwerfungen und Irritationen für das Individuum. Schöneck (2006) zeigt in ihrer empirischen Studie zum Zeiterleben, Zeitdenken und Zeithandeln Erwerbstätiger, dass die aktuelle Debatte der Beschleunigung und dem Erleben innerer Getriebenheit zu relativieren ist. Die Problematik vom generellen, die heutige Zeit kennzeichnenden Zeitstress enthüllt sie als soziologischen Mythos: Während die theoriegeleitete Auseinandersetzung mit der Zeitthematik davon ausgehen lasse, dass Erwerbstätige in einer Welt leben, die ihnen in zeitlicher Hinsicht zu viel abverlangt, so dass Probleme im Umgang mit der Zeit nahezu zwangsläufig auftreten müssten, und auch quantitative Studien ein hohes Maß an zeitlicher Belastung der Befragten zum Vorschein bringen, zeigen ihre empirischen Befunde aus qualitativen Interviews, dass die Befragten sich als sehr viel weniger gehetzt erleben, als Zeitprognosen erwarten lassen. Sie findet im Alltags-, Familien- und Arbeitsleben vier Zeittypen mit deutlich unterschiedlichen Graden von Zeitproblematik vor: Der „robuste Zeitpragmatiker“ und der „zufriedene Zeitstrategielose“ gehen gelassener mit Zeit um als der „egozentrische Zeitsensible“ und der „reflektierende Zeitgestresste“, die in ihrem Alltag vor allem Beschleunigung empfinden. Zeit ist also längst nicht für alle ein Problem. Schöneck folgert, dass Zeitknappheit ein immaterielles Statussymbol sei und „keine Zeit zu haben“ signalisiere, wichtig und bedeutend zu sein. Schimank (2002: 66) argumentiert in eine ähnliche Richtung. Er hält die Annahme einer permanenten postmodernen Sinnkrise für ein Artefakt einer falsch angelegten Theorie. Soziologische Klassiker hätten bereits beim Übergang von der Agrargesellschaft zur städtisch-industriellen Gesellschaft Gefährdungen durch Entfremdung und Anomie prognostiziert: es werde immer schwieriger, eine subjektiv wie sozial Bestätigung findende individuelle Ich-Identität zu konstruieren. Über diese Verlustformel sei
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die soziologische Betrachtung letztlich nicht hinaus, obwohl die Stichworte sich „mittlerweile einem zum Klischee erstarrten nostalgischen Antimodernis des Feuilletons“ anpassen (ebd.: 65f). Oelkers (2006) schließt sich aus pädagogischer Sicht dieser Analyse an. Die „Normalität von Modernisierungsprozessen“ (ebd.: 253) werde häufig und „leidenschaftlich“ übersehen. In ihrem Gefolge würden Gefahren-, Notstands- und Katastrophen-Metaphern als strukturelles Drama übermächtig. Dies schlage sich beispielsweise in der diskursiven Neigung der deutschen Pädagogik nieder, Erziehung und Bildung „von Bedrohungen her“ zu verstehen (ebd.: 258). Bezogen auf die Auswirkungen gesellschaftlichen Wandels auf die gesellschaftlichen Akteure sei jedoch weder von einem „Ausgeliefertsein“ der Subjekte auszugehen noch sei dieser Zusammenhang so eindeutig (vgl. auch Giddens 1988). Wandlungsprozesse zu relativieren bedeute nicht, dass Individuen und Subjekte nicht durch Dynamik und Diskontinuität verunsichert seien. Worauf aber hinzuweisen sei, sei die Tatsache, dass der beschleunigte soziale Wandel und seine negativen Folgen einseitig überbetont werden. Dass sich alles wandelt, ist aber so pauschal und eindeutig nicht belegbar (vgl. beispielsweise Brückner/Mayer 2005; Helfferich 2006). Es gab in der westlichen Welt beispielsweise noch nie so viele lang andauernde Ehen und Paarbeziehungen wie heute (Hill/Kopp 2006) und noch nie haben so viele Groß- und sogar Urgroßeltern ihre Enkel und Urenkel aufwachsen sehen. Doch im Blickpunkt stehen vor allem gestiegene Scheidungsziffern und zerbrechende Familien sowie gebrochene Lebensläufe und Biografien. Im Bereich der Erwerbstätigkeit verweisen Brückner und Mayer (2005; auch Mayer 2001) sogar darauf, dass aufgrund von Kohortenvergleichen entgegen vieler Zeitanalysen für den Großteil der arbeitenden Bevölkerung in Deutschland von stabilen Erwerbsverläufen auszugehen sei. Es geht mir jedoch nicht um die Frage, ob Wandel, Diskontinuitäten oder Kontinuitäten im historischen Verlauf überwiegen. Weder diskontinuierliche Veränderung noch Kontinuität sind „totale“ Phänomene. Im Neuen lebt immer das Alte fort. Deutschmann (2003: 479) ist insofern zuzustimmen, wenn er auf die Notwendigkeit verweist, „Kontinuitäten in den Brüchen und Brüche in den Kontinuitäten aufzuzeigen“. Kontinuität ist die andere Seite der Medaille und erhält umso mehr Bedeutung, je dynamischer und unüberschaubarer sich soziale Rahmungen verändern. Kontinu-
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ität und Wandel sind also weniger alternative als aufeinander bezogene Prozesse, die zudem auf unterschiedlichen Ebenen und häufig auch parallel und gleichzeitig stattfinden können. In der Debatte um die gesellschaftlichen Faktoren, die zu einer Destandardisierung und Aufweichung der harten Linien und Grenzen des Erwachsenenlebens geführt haben (vgl. Helfferich 2006), stehen sich diese Bewegungen meist unversöhnlich gegenüber: Zum einen wird eine weitgehende Auflösung von Strukturen und Bedeutungen beobachtet, auf der anderen Seite werden weitgehend stabile Verhältnisse konstatiert. Mayer (2000) bezeichnet deshalb Trend- und Wendetheorien als zu global. Sie trügen zu wenig zum Verständnis von Unterschieden beispielsweise zwischen Kohorten bei und blieben bestenfalls Oberflächenbeschreibungen, ohne Dynamik und Kausalität zu klären. Giddens (1984, 1988) kritisiert in gleicher Weise, dass in soziologischen Analysen häufig die Unidirektionalität sozialen Wandels vorausgesetzt werde, beruhend auf einem einzelnen Set von Mechanismen. Er bezeichnet dies als sozialwissenschaftlichen Evolutionismus. Giddens greift in seiner Theorie der Strukturierung Überlegungen von Bergson zu einer Philosophie der Zeit auf, um „von der in der Weltanschauung moderner westlicher Kulturen zum Ausdruck kommenden ‚linearen‘ bzw. ‚einheitlichen‘ Sicht der Zeit wegzukommen. Bergson begriff durée als ein Zusammenschließen von Kontinuierlichem und Diskontinuierlichem, als eine Ordnung von Differenzen, die die ‚Realität‘ eigentlich konstituiert“ (Giddens 1988: 256). Braudel (1977), auf den der Begriff der durée zurückgeht, unterschied drei Typen von Zeiten, eine geohistorische Zeit der Naturerscheinungen („histoire quasi immobile“), die Geschichte der Täler und Gebirge, der Inseln und Küsten, des Klimas, der Land- und Seewege. Die darüber liegende Zeitschicht, mit dem Begriff der „longue durée“ verbunden, ist die Zeit der in langsamen Rhythmen verlaufenden Geschichte, der größeren sozialen, kulturellen, ökonomischen und politischen Strukturen, die einen Zeitraum von ein, zwei Jahrhunderten umfassen können. Ganz an der Oberfläche befindet sich als dritter Zeittyp die Geschichte der Ereignisse, die „histoire événementielle“. Geschichte und damit Wandel lässt sich nach Braudel nicht verstehen, wenn nur diese letzte Ebene betrachtet wird, vielmehr sind menschliche Ereignisse seinem Verständnis nach wie bloße Wellen auf der Oberfläche des Stroms der Geschichte, ohne deren tieferen Grund zu berühren.
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Ob und welche Wandlungs- oder Kontinuitätsprozesse vorliegen, ist abhängig vom historischen Zeitpunkt und Standort des Vergleichs, von vorhandenen und vergleichbaren Daten und von der Übersetzung aktueller in historische Phänomene. In der Debatte um die Normalität von Familie werden beispielsweise als Ausgangspunkt der Entwicklung familialer Lebensformen häufig die äußerst untypischen 1950er und 1960er Jahre gewählt, die kurze Phase der Prosperität, des „Golden Age of Marriage“ (Nave-Herz 1998: 294) mit ihrem Familien- und Babyboom, die in Deutschland und anderen westlichen Ländern historische Ausnahmejahre darstellen. In dieser Zeit befinden sich die Wurzeln der Konstruktion von „Normalität“, an der viele Entwicklungen gemessen wurden. Ein anderes Beispiel für die Historizität von Wandel und Kontinuität zeigt sich in Studien zum Ende des ersten Weltkriegs, in denen die beschleunigten Wandlungsprozesse durch Migration und sozioökonomische Entwicklungen untersucht wurden. Wenn Lippmann (1914: 152, zitiert nach Elder/Caspi 1990: 23) zum Ende des Ersten Weltkriegs schreibt: „There isn‘t a human relation, whether of parent or child, husband or wife, worker and employer, that doesn‘t move in a strange situation“ und in der MiddletownStudie von 1937 (ebd.) von „one of the eras of greatest rapidity of change in the history of human institutions“ ausgegangen wird, wird deutlich, dass Zeitdiagnosen sich immer an der aktuellen Situation orientieren. Zudem ist zu berücksichtigen, dass Wandel immer auch gesellschaftlich definiert (Rosa 2005: 362) und vom Zeitgeist geprägt ist. Im Westeuropa des 15. Jahrhunderts wurde Leben als Rad, Brücke oder Treppe dargestellt, stets verbunden mit dem Tod, der jederzeit auftreten konnte, während in asiatischen Kulturen die Metapher des Kreises oder der Spirale im Vordergrund stand. Erst im 19. Jahrhundert entstand in Europa die Vorstellung der Lebensreise und eines vorhersehbaren und steuerbaren Lebenslaufs (vgl. Becker 1997), eine Metapher, die heute wiederum in Frage gestellt wird. Wissenschaftliche Konstruktionen spiegeln das zeittypische Selbstverständnis ebenfalls (vgl. Grundmann/Beer 2003). Jede Gesellschaft (er)schafft eigene Lebens(lauf)modelle und sozial angemessene Identitätsformen (vgl. Hall/du Gay 1996; Hermann/Röttger-Rössler 2003; Kühnen/Hannover 2003), verbunden mit Restriktionen, Anpassungs- und Unterwerfungsdimensionen (vgl. Keupp et al. 2002). Ehrenreich (2007) geht davon aus, dass Persönlichkeit als „Erfindung“ der Neuzeit erst notwendig wurde, als sozialer Wandel individuell bewältigt werden musste.
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1.1.2 Zum Begriff Kontinuität. Beispiele An dieser Stelle ist ein Blick auf Bedeutung und Verwendung des Begriffs Kontinuität zu werfen. Lexikalisch bezeichnet Kontinuität (lat. continuitas „gleichbedeutend“, continere „zusammen“ und „halten“) den lückenlosen, fortlaufenden Verlauf und Zusammenhang von Einheiten, Größen, Vorgängen und Mengen, eine Stetigkeit, einen fließenden, durch keine Grenze unterbrochenen Verlauf (vgl. Bell 2005). Abläufe und Prozesse gelten als kontinuierlich, wenn sie stetig verlaufen und sich dabei gleichmäßig in eine Richtung verändern können. Abrupte, sprunghafte Veränderungen, also Diskontinuitäten, sind dagegen bei kontinuierlichen Phänomenen nicht zu erwarten. Als Metakategorie hat Kontinuität im zwischenmenschlichen Bereich, in der Sozialpolitik und der Gesellschaft große Bedeutung, was die Kalkulierbarkeit, die Berechenbarkeit sowie die Kategorien Verlässlichkeit und Vertrauen betrifft. Das Gegenteil von Kontinuität ist jedenfalls Diskontinuität, nicht Wandel oder Dynamik. Sie ist auch nicht mit Stabilität gleichzusetzen. Der Begriff der Kontinuität wird in ganz unterschiedlichen Bereichen verwendet: Im Völkerrecht bezeichnet Kontinuität das Fortbestehen der rechtlichen Identität eines Staates. Änderungen der Verfassung und des Gebietsstandes (z.B. durch Revolution, Krieg) durchbrechen seine Kontinuität nicht, sofern nicht ein Zerfall in Nachfolgestaaten (Dismembration) eintritt oder durch eine Neugründung der vollständige Wandel der politischen und gesellschaftlichen Lebensgrundlagen einer Nation vorliegt. Für Deutschland wird seit der Gründung des Norddeutschen Bundes (1867) von einer Kontinuität ausgegangen (Meyers Lexikon online 2008). In der Philosophie hat der Begriff der Kontinuität eine lange Tradition. Ohne im Detail auf die Geschichte einzugehen, sei in Erinnerung gerufen, dass in der griechischen Antike die Eleaten Kontinuität als fundamentalstes theoretisches Konzept für die Einheitlichkeit des Seins voraussetzten. Auch Aristoteles und Leibniz vertraten das Kontinuitätsprinzip, wonach die Natur nirgends Sprünge macht („natura non saltum facit“), ein Prinzip, dem die Quantenphysik später die Sprunghaftigkeit des Naturgeschehens entgegenstellte. Leibniz (1704) formulierte im Gesetz der Kontinuität (lex continui), dass Reize, die eine Fortsetzung vorangehender Reize zu sein
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scheinen, als zusammengehörig angesehen werden. Während Kant Raum und Zeit als kontinuierliche Größen ansah, die alle Erscheinungen, auch die Diskontinuität, einschlössen, betonte Hegel (1979), dass beide nur in ihrer Einheit wahr sind. Hume wies wiederum darauf hin, dass kein Gegenstand unverändert und ununterbrochen derselbe bleibe, während sich doch die Zeit ändere (1979: 328). Deshalb sei, das folgert Hegel ganz konstruktivistisch, die Vorstellung von der Selbigkeit (sameness) lediglich eine Erdichtung: „So erdichten wir die dauernde Existenz [der Gegenstände] unserer Sinneswahrnehmung, um die Unterbrechungen zu beseitigen.“ (Ebd.: 329) Dessen seien wir uns aber nicht bewusst, da wir eine Neigung hätten, eine „Vorstellungsverwechslung zu begehen; wir begehen sie, obgleich wir kein unveränderliches und ununterbrochenes Etwas aufzufinden vermögen, das unseren Begriff der Identität rechtfertigte, und obgleich es uns darum nicht gelingt, uns mit uns selbst in befriedigender Weise abzufinden“ (ebd.: 330). Hier zeigen sich bereits Konzeptionen von Kontinuität, wie sie auch in aktuellen Diskursen aufscheinen: unverwechselbare personale Kontinuitätskonstruktionen. In den historischen Wissenschaften wird Kontinuität aus Jahrhunderte umspannenden Entwicklungen herausgearbeitet und in ihrer Bedeutung zu gewichtet. Im Konzept der historischen Kontinuität (vgl. Gerschenkron 1962; Patterson 2004; Smith 2008) wird Kontinuität im Unterschied zur philosophischen Kontinuität á la Leibniz, die von der grundsätzlichen Kontinuität historischer Entwicklungen ausgeht, als Kontinuität in der Entwicklungsrichtung entworfen. Sie kann sich auf Objekte, Strukturen oder Ereignisse beziehen und entsprechend unterschiedlich manifestieren. „At all times and in all cases continuity must be regarded as a set of tools forged by the historian rather than as something inherently and invariantly contained in the historical matter. To say continuity means to formulate a question or a set of questions and to address it to the material. [...] It is the historian who by abstracting from differences and by concentrating on similarities establishes the continuity of events across decades or centuries filled with events that lack all pertinency to the continuity model. It is the historian who decides how far back the causal chain should be pursued and by his fiat creates its ‚beginning‘ as he creates endogenous and exogenous events. And it is the historian‘s own model in terms of which changes in the rate of historical change are defined.“ „[...] once created their use is constrained by the requirement of consistency and the rules of historical evidence;
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and they will be known by their fruits, that is to say, their usefullness in organizing empirical data in such a fashion as to obtain meaningful, and interesting, though not necessarily positive and final, results.“ (Gerschenkron 1962: 208)
Gerschenkron (ebd.) unterscheidet Kontinuität als Sicherheit der Entwicklung in eine bestimmte Richtung, beispielsweise in der Entwicklung zur Demokratie hin, von der Periodizität von Ereignissen, das heißt der Wiederkehr von Phänomenen im Zeitablauf. Periodizität bedeutet nicht, dass Geschichte zwangsläufig nach bestimmten Mustern abläuft und sich antizipieren lässt, sei also nicht deterministisch und unterscheide sich dadurch vom Konzept der Sicherheit der Entwicklung. Periodizität bedeute, dass bestimmte Muster in der Geschichte in jeweils unterschiedlichen Zusammenhängen wiederkehren. Es lassen sich keinerlei Aussagen über die Intervalle, die zwischen dem periodischen Auftreten liegen, machen. Als dritten Typus nennt er Kontinuität, die sich als lange Kausalkette manifestiert und in der Geschichtswissenschaft am geläufigsten ist: Historische Ereignisse werden in der Analyse kausal miteinander zu verknüpft und so die Entwicklung zu einem Ereignis erklärt. Auch Patterson (2004) unterscheidet verschiedene Typen von Kontinuität: • •
• •
qualitative oder kulturelle Kontinuität, die sich auf soziokulturelle Objekte und Praktiken beziehe; strukturelle Kontinuität in Beziehungen zwischen Objekten oder Ereignissen, beispielsweise die Beharrungskraft von Strukturen wie Gender oder Rasse; ereignisbezogene Kontinuität, die sich darauf beziehe, dass Ereignisse zu Handelnden werden und als solche Kontinuitäten erzeugen; erinnerungsbezogene Kontinuität, die sich in Konstruktionen kollektiver, häufig erfundener Erinnerungen manifestiere.
Patterson betont ebenfalls, dass Kontinuität nicht bedeute, dass es keinen Wandel gibt. So könnten sich beispielsweise Eigenschaften verändern, dennoch blieben Kontinuitäten bestehen. Er verweist auf den Geschichtssoziologen Berkhofer, der der Meinung war, dass „the analysis of change in the fullest sense must [...] involve a study of continuity“ (Berkhofer 1969: 238f, zit. nach Patterson 2004).
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Der Begriff der Kontinuität hat übrigens auch in der Filmbranche einen festen Platz und zwar für den stimmigen Übergang zwischen zwei Einstellungen. Durch den so genannten Anschluss bzw. die Continuity wird sichergestellt, dass die Details von einer Einstellung zur nächsten passen und sich keine Anschlussfehler von einer Einstellung zur nächsten ergeben. Dies können Änderungen der Stellung oder Körperhaltung der Schauspieler, Änderungen in der Kleidung oder Ausstattung sowie Sprünge in der angezeigten Uhrzeit sein. Ein typisches Continuity-Problem ist z.B. der Schaum auf Biergläsern: Die Schaumkrone zerfällt mit der Zeit und kann – selbst bei höchster Aufmerksamkeit – nicht beliebig rekonstruiert werden (vgl. Bunia 2007). Bei Filmproduktionen hat eine Person deshalb nur die Aufgabe, diese Fehler beim Drehen der späteren Anschlussszene zu vermeiden und Requisiten u.a. passend zur vorangegangenen Szene zu arrangieren. Sie stellt Kontinuität her. Kontinuität ist, so lässt sich zusammenfassen, nicht gleichzusetzen mit Beständigkeit, Stabilität, Statik, Uni-Linearität und Unveränderbarkeit, sondern beinhaltet Entwicklung, Prozesshaftigkeit und Wandel im zeitlichen und aufeinander bezogenen Nacheinander. Insofern ist Braudel (1977), Giddens (1988) und Patterson (2004) zuzustimmen, dass Kontinuität kein Gegensatz zu Veränderung ist. Beide Phänomene ko-konstruieren Handeln und Strukturen. Sie erhalten ihr Gewicht u.a. durch die Bewertung der Analysierenden. Interessanter sind jedenfalls die angedeuteten unterschiedlichen Typen von Kontinuität. Die Berücksichtigung der historischen Situation und Eingebundenheit in Zeit, in der Handeln stattfindet, erhält im Rahmen dieser Arbeit ihren Stellenwert unter anderem dadurch, dass Subjekte nicht imaginär, voraussetzungslos und ahistorisch, also diskontinuierlich handeln, sondern in empirischen und historischen Bezügen verankert sind. In Anlehnung an Kant ist immer zu fragen, „wer wir in diesem präzisen Moment der Geschichte sind“ (Waldschmidt 1996: 47). 1.1.3 Personale Kontinuität Hier geht es nun zwar nicht um Kontinuität im historischen oder gesellschaftlichen Sinn, sondern um die Kontinuität von Personen. Dennoch lässt sich am historischen, kulturellen und makrostrukturellen Verständnis von Kontinuität anknüpfen. Besonders die Tatsache, dass Kontinuität auch Prozesse und Wandel beinhaltet und nicht nur Stabilität und Unveränder-
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barkeit bedeutet, ist hervorzuheben. Aber auch die Tatsache, dass es unterschiedliche Formen und Typen von Kontinuität als zeitliche Verknüpfung gibt, die von sicherer Kontinuität über periodische Kontinuität bis zur kausalen Kontinuität reichen, ist hervorzuheben. Hinzu kommen Aspekte von Kontinuität, die sich weniger auf zeitliche Dimensionen als auf Kontinuität zwischen Bereichen und Welten, die parallel existieren, stattfinden. Die Nähe des gewählten Arbeitsbegriffs der „personalen Kontinuität“ zu Konzepten wie Ich, Persönlichkeit, Selbst, Selbigkeit und Selbstheit, Subjektivität oder Identität liegt auf der Hand, ist jedoch als konkrete Abgrenzung eine Sisyphos-Arbeit, die in dieser Arbeit explizit nicht geleistet wird, auch wenn auf Forschungsergebnisse zu diesen Konzepten zurückgegriffen wird. Denn diese Begriffe sind so „überdeterminiert, hochkomplex und philosophisch aufgeladen“, wie es Brücher (2007: 13) anschaulich für den Begriff der Subjektivität feststellt, dass sie sich selbst in der Krise befinden. Wenn beispielsweise nicht mehr von der Identität, sondern, wenn überhaupt, von Identitäten die Rede ist (Clausen 2007), wird dies ebenfalls sehr deutlich. Es wird deshalb im Folgenden von personaler Kontinuität und ihrer Herstellung über die Zeit und in unterschiedlichen Lebenswelten gesprochen. Der Begriff der personalen Kontinuität drückt die Situierung von Menschen in Zeitlichkeit und Prozessen aus. Er knüpft in aller Offenheit an die subjekt- und individuumsbezogene Tradition von Biografieforschung, Hermeneutik, Sozialpsychologie und (Rekonstruktiver) Soziologie an. Spuren finden sich auch in der Differenziellen Psychologie und den Neurowissenschaften (Kandel 2007). „Identitätstheoretiker“ verwenden den Begriff der Kontinuität übrigens auch ganz bewusst. Erikson (1979) definierte Identität als „innere Gleichheit und Kontinuität in der Zeit“. Der Aufbau einer Ich-Identität sei die Fähigkeit, „sein Selbst als etwas zu erleben, das Kontinuität besitzt, das ‚das Gleiche‘ bleibt“ (ebd.: 36). Auch wenn Eriksons Identitätskonzept die entwickelte und dann festgefügte Struktur von Identität überbetont, kommt er mit der Vorstellung von als Kontinuität begriffener Identität den Ausgangsüberlegungen meiner Arbeit nahe. Straub (2000: 279ff) setzt in seinen Überlegungen zu postmodernen Identitätsformen auf die Vorstellung von Ganzheit unter Einschluss von Kontinuität und Kohärenz. Veränderungen könnten durchaus als Bestandteil eines sinnhaft strukturierten Lebenszusammenhangs begriffen werden, auch wenn sie durch kontingente und als widersprüchlich erlebte Erfah-
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rungen erlebt werden. Und Giddens (1988: 54) geht davon aus, dass Handeln „sich nicht aus einzelnen diskreten, klar voneinander geschiedenen ‚Handlungen‘“ zusammensetzt: „Handlungen als solche werden nur durch ein diskursives Moment der Aufmerksamkeit auf die durée durchlebter Erfahrung konstituiert.“ (Ebd.) Menschliches Handeln vollziehe sich ebenso wie menschliches Erkennen als kontinuierlicher Strom. Handeln und Seinsgewissheit seien nicht abzutrennen von der Kohärenz des handelnden Subjekts (Giddens 1988: 336). Während sich Lebensentwürfe und -situationen dynamisch, gebrochen und widersprüchlich verändern, weisen, wie entwicklungsbezogene Studien (vgl. Baltes 2001; Bauer 1997; Brandtstädter 2001; Vaillant 2002) und auch eigene biografiebezogene Forschungsarbeiten (vgl. Keddi 2003) zeigen, individuelle Bedeutungs- und Sinnhorizonte als Bindeglied zwischen Strukturen und Lebensentwürfen im Lebensverlauf eine erstaunlich hohe Kontinuität auf. Somit ist entgegen aller Beschwörungen von Diskontinuitäten und Brüchen in unserem Leben von relativ stabilen Identitätskernen und Deutungen auszugehen, die sich weniger und anders wandeln als poststrukturalistisch angenommen. Individualisierung erfordert zum Beispiel den Rückgriff auf individuelle Sinnkonstruktionen und ist nur möglich, wenn eine subjektive biografische Verankerung und Basisbildung erfolgt ist. Diesen Befunden nach einem „roten Faden“ im Leben von Subjekten geht beispielsweise die Biografieforschung nach. Damit ist jedoch nicht gesagt, dass der biografische EigenSinn im Lebensverlauf immer stabil ist; vielmehr scheint er gleichzeitig offen und formbar zu sein und muss immer wieder neu hergestellt und „erkämpft“ werden (Kraus 1996). Damit rückt der Herstellungsprozess von Kontinuität in den Blickpunkt. Es stellt sich die Frage, wie Menschen Kontinuität herstellen. Hier lässt sich anknüpfen an entwicklungs-, aber auch sozialpsychologische Überlegungen (vgl. Becker 1997; Kraus 1996), die auf die Bewältigung von Brüchen im Leben durch „creating continuity“ mit Hilfe von Erzählungen und Metaphern verweisen, vor allem aber an die vielfältigen Ergebnisse sozialkonstruktivistischer und praxeologischer Ansätze und Forschungen.
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1.2 ASPEKTE VON „ DOING “: V OM W AS UND W ARUM ZUM W IE Der Fokus auf dem Wie eröffnet eine handlungsbezogene Perspektive mit Tun als konkreter Praxis. Der Begriff des „doing“ hat seine Heimat in (sozial)konstruktivistischen, agency-basierten und praxeologischen Konzepten und verbindet Aspekte von Zeitlichkeit, Personalität und Handeln. Der Fokus beruht auf der diesen Konzepten folgenden Überlegung, dass Handeln mehr ist als die bewusste Ausführung geistig Geplanten und Regulierten, dessen Ziel vorab fest zu stehen scheint (Joas 2005). Die Systeme, in denen Individuen sich bewegen, sind zudem so zahlreich, dass die daraus resultierenden Sinnsysteme, die sich ergänzen, widersprechen oder nichts miteinander zu tun haben, unterschiedliche Wertigkeiten haben im gesellschaftlichen und im individuellen Horizont. Es erscheint deshalb notwendig, die tatsächlichen Handlungen zu untersuchen „als ein Feld verkörperter, öffentlicher, beobachtbarer, raumzeitlich sich vollziehender, materiell situierter, symbolisch codierter Praktiken“ (Rathmayr et al. 2009: 24). Damit erhalten Praktiken und Routinen, vor- und unbewusstes, situatives und reversibles Handeln und Verhalten einen wichtigen Stellenwert, ohne bewusstem, intendiertem oder reflexivem Handeln seine Bedeutung abzusprechen. Dieser Fokus ist auch aus methodologischen Erwägungen sinnvoll. Die vorherrschende Befragungsforschung erzeugt beispielsweise häufig ein geschöntes und einseitiges Bild der sich überlagernden, vielen Zielen zugleich dienenden Prozesse und Interaktionen, weil die Antworten der Befragten den geistigen Strukturierungsprozess der Interagierenden widerspiegeln, aber nicht den Konstitutionsprozess, an den beispielsweise Beobachtungen von Handeln und Handlungspraxis heranführen (vgl. für Kinder: Krappmann/Oswald 1995). Personale Kontinuität wird diesen Überlegungen folgend als permanente prozessuale und personale Herstellungspraxis verstanden. Der Schwerpunkt meiner Überlegungen liegt damit auf dem Wie, dem Herstellungsprozess, der Praxis und den Praktiken der Herstellung. Ich greife mit meinem auf das Wie gerichteten Erkenntnisinteresse drei eng miteinander verknüpfte Ansätze auf: konstruktivistische, agencybasierte und Praxistheorien. Diese betonen mit unterschiedlichen Akzentuierungen Aspekte von Konstruktion und „Viel-Ebigkeit“ sowie ein nichtimperialistisches Verhältnis von Individuum und Struktur (vgl. Kapitel 1.3). Das
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Spektrum dieser Ansätze ist breit gefächert. Es beinhaltet strukturalistische, (sozial-)konstruktivistische, kognitivistische, wissenssoziologische, diskurstheoretische und dekonstruktivistische Ansätze sowie Varianten innerhalb der einzelnen Schulen, die sich bezogen auf die Fragestellung der Arbeit verknüpfen und integrieren lassen. Im Folgenden werden diese konstruktivistischen, agencybasierten und praxeologischen Ansätze skizziert, wohl wissend, dass sie sich von ihrem Ursprung her zunächst auf soziale Zusammenhänge beziehen und deshalb im Weiteren an die Mehrebigkeit und die Vielfalt der Herstellungsprozesse personaler Kontinuität anzupassen sind. Ihre ausführliche Darstellung ist notwendig, um die Denk- und Suchrichtung der Arbeit als Annäherung an die Herstellungspraxis von Kontinuität zu verstehen. 1.2.1 Konstruktivistische Konzepte: Herstellung als „doing“ „Die Wirklichkeit, von der wir sprechen können, ist nie die Wirklichkeit an sich, sondern […] eine von uns gestaltete Wirklichkeit. Wenn […] eingewandt wird, dass es schließlich doch eine objektive, von uns und unserem Denken völlig unabhängige Welt gebe, […] so muss diesem […] entgegengehalten werden, dass schon das Wort ‚es gibt‘ aus der menschlichen Sprache stammt und daher nicht gut etwas bedeuten kann, das gar nicht auf unser Erkenntnisvermögen bezogen wäre. Für uns gibt es eben nur die Welt, in der das Wort ‚es gibt‘ einen Sinn hat.“ WERNER HEISENBERG 2000
Der Begriff des Konstruktivismus hat sich in den letzten zwanzig Jahren als Bezeichnung für Theorieansätze etabliert, die ein breit gefächertes Spektrum abdecken von moderaten bis zu radikalen und kontroversen Positionen (Finn 2008), von sozialkonstruktivistischen, wissenssoziologischen, diskurstheoretischen und dekonstruktivistischen Ansätzen. In konstruktivistischen Ansätzen zur Entwicklung des Selbst bestätigt sich die Annahme der philosophischen Theorie des Selbstmodells (SMT) (vgl. Metzinger 2003), der zufolge unser Selbstgefühl lediglich die beste Hypothese ist, die wir als System über unseren eigenen Zustand haben und als Wirklichkeit interpretieren. Auch in der modernen Gehirnforschung (vgl. Roth 2005) werden konstruktivistische Konzepte aufgegriffen und die Bedeutung von Eigenaktivität und Erfahrung betont. Während „radikale“ Konstruktivisten die Ansicht vertreten, dass Phänomene, die üblicherweise als selbstständig, natürlich und an sich existierend betrachtet werden,
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durch Denken, Sprache und Praxis der Menschen „konstruiert“ werden, verweisen moderate konstruktivistische Ansätze lediglich auf den Mangel an Notwendigkeit. In Konzepten wie „doing gender“ (Gildemeister 2004; Wetterer 2008) und in Referenz darauf „undoing gender“ (Butler 1991; Hirschauer 1994), „doing family“ (Schier/Jurczyk 2007) oder „doing race/ethnicity“ (Hall 1994) werden soziale und kulturelle Phänomene nicht als Produkt von psychokognitiven Strukturen, Systemgebilden, Diskursen oder Bedeutungsgeweben/Texten begriffen, sondern als Handlungsprozesse (Sutter 2004) und interaktives Tun. Wir konstruieren unsere Lebenswelt nicht nur mental, sondern wir gestalten sie auch durch unser „Dasein“, durch unser Handeln und Nicht-Handeln sowie durch unsere Versäumnisse. In dieser Perspektive geht es nicht nur um individuelle Praktiken, sondern um die Identifikation von Mustern und Strukturen, von Routinen und Spielräumen, von Praxisformen in ihrer gesellschaftlichen und kulturellen Differenziertheit. Konstruktionen werden als sozial und historisch bedingt konzeptualisiert. Dies gilt nicht nur für Geschlecht, Rasse oder Nation, sondern beispielsweise auch für Lebensphasen wie Kindheit und Jugend, worauf die neue Kindheitsforschung hinweist (Prout 2005), oder für Lernprozesse (vgl. Dewey 1995). Der Begriff der Kontingenz spielt dabei eine wichtige Rolle. Damit ist gemeint, dass Phänomene weder logisch noch notwendig sind. Diesem subjektnahen und interpretierenden Zugang zur sozialen Realität liegt die Annahme zugrunde, dass soziale und kulturelle Phänomene nicht ‚objektiv‘ gegeben sind – auch wenn sie Handelnden mit ihrem Handlungswissen so erscheinen – sondern stets hergestellt werden (vgl. Hörning/Reuter 2004). Soeffner (2004: 172) betont, dass die „Reproduktion sozialer Ordnung in der Vis-à-vis-Situation [...] sich als jeweils pragmatische Neuinszenierung eines Handlungs- und damit Wirklichkeitsausschnittes“ vollzieht. Sie sei kein „Auffüllen vorgegebener Handlungs- und Deutungsrahmen mit fixierten Typen“ und basiere entsprechend auch nicht auf einer „Verhaltensgrammatik, einer Syntax tradierter Rahmen“ oder einem „Lexikon von Handlungs-, Bedeutungs- und Deutungstypen“ (ebd.), sondern werde immer wieder von neuem durch konkrete Handlungen hergestellt und an Veränderungen der Umwelt angepasst. Konstruktionen sind in der Regel nicht bewusste und nicht zielgerichtete Prozesse. Soeffner bringt mit dem Begriff der Inszenierung zum Ausdruck, dass es sich dabei weder um
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spielerische Zufälligkeit noch um exakt instrumentalisierte Planung handelt, sondern um das „routinierte Zusammenspiel von zielgerichteter Interaktion einerseits und implizitem, durch Sozialisation und Erfahrung erworbenen Wissen um Bedeutungstypen und kommunikative Darstellungsformen andererseits“ (ebd.: 173). Dies verlange einen hervorragend eingeübten Umgang mit Inszenierungen. Beispiel „doing gender“ Prominentes Beispiel ist der Ansatz des „doing gender“ (West/Zimmermann 1987). Geschlecht muss getan werden, man es hat nicht einfach, auch wenn es eine alltägliche Selbstverständlichkeit ist: Geschlecht wird als Ergebnis historischer Prozesse und einer fortlaufenden sozialen Praxis verstanden, die immer wieder neu zur Reproduktion der Alltagstheorien der Zweigeschlechtlichkeit beiträgt. „Wären es die biologischen Merkmale, die klar und eindeutig das Verhalten von Menschen als Mädchen/ Frauen oder Jungen/Männer bestimmten, so bedürfte es der vielfältigen Praktiken nicht, die zur Herstellung von Erkennbarkeit dienen.“ (FaulstichWieland 2008: 243) Damit wird auch das biologische Geschlecht als konstruiert verstanden, als „Effekt sozialer Praxis“ (Hirschauer 1989: 101). Noch provokanter als das Monopol der Heterosexualität in Frage zu stellen, ist es, Geschlecht als kulturelles Konstrukt ohne naturale Grundlage verstehen. Die Wahrnehmung von „natürlichen“ Geschlechtsmerkmalen ist nämlich auch immer Konstruktion, ein Habitus (Bourdieu 2005: 29), der in den Körper eingeschrieben ist. Die zentrale Forschungsfrage ist nicht diejenige nach Geschlechterdifferenzen, sondern nach der Rekonstruktion von Prozessen der Geschlechterunterscheidung, dem „doing gender“ (West/ Zimmermann 1987). Das Herstellen von Geschlecht ist als Tun in der sozialen Situation verankert. Das Konzept des „doing gender“ geht insbesondere auf West und Zimmerman (ebd.) zurück, die von der Ethnomethodologie beeinflusst das „Tun“ und „Machen“ von Geschlecht betonen. Es widerspricht dem Alltagsverständnis (und zumeist auch dem wissenschaftlichen Verständnis), wonach Geschlechtszugehörigkeit und Zweigeschlechtlichkeit von Menschen natürliche Vorgaben sozialen Handelns und sozialer Differenzierung sind (Wetterer 2008: 126). In der Alltagslogik ist Geschlecht nicht das Produkt dieser Beziehung zwischen Handeln und Wissen, sondern ein natürliches oder in der Erziehung erworbenes Personenmerkmal, das sich im Denken, Fühlen und Handeln einer ge-
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schlechtsspezifischen Identität niederschlägt. Gender-KonstruktivistIn-nen betonen dagegen die aktive Her- und Darstellung von Geschlecht im Alltag. Demnach hat man sein „Geschlecht“ nicht einfach und „muss“ sich daher immer geschlechtstypisch verhalten, sondern orientiert sich vor allem am Wissen darüber, wie man sich als „Mann“ oder „Frau“ zu verhalten hat. Es ist eine aktive Leistung und Hervorbringung eines Verhaltens, das Akteure und ihre Beobachter als „männliches“ oder „weibliches“ Verhalten deuten können. Geschlecht wird als soziale Konstruktion und als Merkmal sozialer Situationen anstatt als Merkmal von Personen verstanden. Um die soziale Konstruktion von Geschlecht analytisch zu erfassen, unterscheiden West und Zimmerman (1987: 131ff) zwischen der Geburtsklassifikation (Sex), der sozialen Zuordnung und Zuschreibung des Geschlechts (Sex-Category) sowie der intersubjektiven Validierung der Geschlechtskategorie in Interaktionsprozessen (Gender). Besondere Bedeutung kommt der „intersubjektiven Validierung“ in alltäglichen Prozessen zu, in denen Geschlecht sozial dargestellt und eine Vergewisserung des Geschlechts anderer Personen hergestellt wird (z.B. in den rituellen Inszenierungen von Männlichkeit und Weiblichkeit). Geschlecht (Gender) ist stetiges „Tun“ des der Geschlechtskategorie (Sex-Category) adäquaten Verhaltens: „virtually any activity can be assessed as to its womanly or manly nature […], to ‚do‘ gender […] is to engage in behavior at the risk of gender assessment“ (ebd.: 136). Abgesichert werden die Prozesse des „doing gender“ durch eine Vielzahl institutioneller Arrangements, die von Handlungserwartungen (Vorstellungen über typisches Mann-/Frau-Sein) bis zu konkreten Interaktionsskripten (Alltagsrituale wie z.B. die Regeln der Höflichkeit) reichen und die soziale Kategorie „Geschlecht“ im Alltag präsent halten (vgl. Gildemeister 2004; Gildemeister/Wetterer 1992). Es gibt ein Hintergrundwissen zur Geschlechterdifferenz und zu bedeutenden Unterschieden, die stets aktualisiert und reproduziert werden durch das Handeln. 1.2.2 Agency als Handlungsbefähigung Das Konzept der „agency“ (vgl. Giddens 1988) erfasst menschliches Handeln in der pragmatisch-funktionalen Tradition der amerikanischen Ethnomethodologie jenseits der Kategorien von Behaviorismus und psychometrischer Intelligenzforschung. Es versteht Individuen als aktive Subjekte
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mit Handlungsbefähigung, die mit individuellem Gestaltungsvermögen und -handeln ausgestattet sind und strukturellen Ermöglichungen und Beschränkungen unterliegen. Agency und Sozialstruktur Das Konzept der „agency“ steht im Kontext einer sozialwissenschaftlichen Grundsatzdiskussion, die mit den Stichworten Sozialstruktur und Individuum, „structure and agency“ umschrieben werden kann. „Agency“ verbleibt dabei nicht auf der Ebene individualistischer Kompetenzen, sondern betont deren Einbettung in Beziehungen und sozialstrukturelle Ressourcen. Im konkreten Handeln verbinden sich Individuelles und Struktur in handlungsvorbereitenden und handlungsreflektierenden Interpretationen und führen zu neuen strukturellen Objektivationen. Strukturen ermöglichen „agency“ nicht nur („enabling“), sondern können sie ebenso massiv einschränken („constraining“) und zur Ausbildung von restriktiven, resignativen oder autoritären Handlungsorientierungen führen. Bei Gecas (2003) finden sich Hinweise auf Ungleichverteilungen von „agency“ entlang der Parameter von Klasse, Schicht, Generations- und Kohortenzugehörigkeit. Mit der Betonung der doppelten Bezogenheit von „agency“ werden kritische Einwände berücksichtigt, die durch die Betonung von Handlungsfähigkeiten eine Vernachlässigung gesellschaftlicher Strukturen befürchten, worauf beispielsweise Lüders/Mack (2001) bezogen auf die Handlungsbefähigung bei Jugendlichen verweisen. Die selbst zugeschriebene Handlungsmächtigkeit kann sonst Gefahr laufen, den (neo-)liberalen Subjektivierungsdiskurs, der Flexibilität und Wahlfreiheit suggeriert, aber letztlich den Einzelnen zunehmend stärker in die Pflicht nimmt, zu bedienen. Wesentliche Impulse zur Argumentationsfigur der „agency“ gehen auf die Strukturierungstheorie von Giddens (1984/1988) zurück. Er versuchte, typische Dualismen der Soziologie, vor allem diejenigen zwischen Struktur und Subjekt, zwischen Voluntarismus und Determinismus und zwischen statischen und dynamischen Analysen, zu überwinden und die Paradigmen von makrosoziologischem Strukturfunktionalismus und mikrosoziologisch interpretativen Theorien zu verbinden. So hätten Funktionalismus und makrosoziologische Systemtheorie die institutionellen Eigenschaften der sozialen Welt als den Individuen als Begrenzung und Zwang entgegentretende, eigenlogische Momente hervorgehoben sowie die unbeabsichtigten Konsequenzen des Handelns. Defizite zeigten diese Ansätze
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bei der Modellierung von Handlungen und Handlungsfähigkeit, insbesondere auch ihrer körperlich-materiellen Substrate. Hier erwiesen interpretative Soziologien ihre Stärke. Das Individuum werde in diesen Zugängen und dazu korrespondierenden Beschreibungen zum kompetenten Akteur, der sich in seiner sozialen Welt zurechtfindet, absichtsvoll zu handeln weiß und nachträglich sehr profunde Gründe (accounts) für abgelaufene Handlungssequenzen anbieten kann. Institutionelle und strukturelle Aspekte blieben allerdings in diesen Ansätzen eher außen vor. Giddens verknüpfte beide Ansätze in seinem Konstrukt „Dualität der Struktur“. Der enge Zusammenhang von Produktion und Reproduktion sozialer Strukturen durch Handlungen wird von ihm als rekursiver Charakter des sozialen Lebens bezeichnet. Strukturen werden nicht als mechanische oder äußerliche Gegebenheiten aufgefasst, Strukturen haben in Raum und Zeit keine Existenz außer in den Momenten der Konstituierung. In diesen Momenten werden Praktiken konstituiert. Wenn diese durch Regeln und Ressourcen eine Tiefenstruktur aufweisen und sich über eine längere Zeit oder weite Bereiche erhalten, kommt es zur Bildung von Institutionen. „Gemäß dem Begriff der Dualität von Struktur sind die Strukturmomente sozialer Systeme sowohl Medium wie Ergebnis der Praktiken, die sie rekursiv organisieren. Struktur ist den Individuen nicht äußerlich: in der Form von Erinnerungsspuren und als in sozialen Praktiken verwirklicht, ist sie in gewissem Sinne ihren Aktivitäten eher inwendig als ein – im Sinne Durkheims – außerhalb dieser Aktivitäten existierendes Phänomen. Struktur darf nicht mit Zwang gleichgesetzt werden: sie schränkt Handeln nicht nur ein, sondern ermöglicht es auch.“ (Giddens 1988: 78)
Gesellschaftliche Strukturen können nach Giddens in drei unterschiedlichen Verhältnissen zu „agency“ stehen: ermöglichend (Enabling), beschränkend (Constraining) und ambivalent (ebd.). Dies hat Konsequenzen für den jeweiligen Handlungstyp sowie die individuelle und soziale Zuschreibung der Handlung. Gleichzeitig existieren soziale Systeme „einzig in der und durch die Kontinuität sozialer Praktiken, die in der Zeit dahinschwinden“ (ebd.: 137). Nach Giddens bedeutet dies, immer in der Lage zu sein, „anders zu handeln“, in die Welt eingreifen zu können oder dies zu unterlassen. Auch unter sozialem Zwang könne gehandelt werden. Keine Wahl haben bedeute nicht, dass nur Reagieren vorliegt. Handeln bedeute,
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dass Individuen als Akteure in jeder Phase einer Verhaltenssequenz anders hätten handeln können. Wenn das Individuum nicht eingegriffen hätte, wäre, das was geschehen ist, nicht geschehen, so Giddens Argumentation. Das Individuum sei Urheber, auch wenn die Dinge nicht beabsichtigt waren. Auch wenn das Bewusstsein durch soziale Prozesse überformt sei, habe es durchaus EigenSinn. Fuchs (2003) nennt dies individuelle Signatur. Agency, Selbst und Zeitlichkeit Eine enge Affinität weisen diese auf der Ebene einer allgemeinen Sozialtheorie angesiedelten Vorstellungen der sozialstrukturellen Wurzeln und aggregierten Konsequenzen der individuellen Handlungsbefähigung zu neueren sozialisationstheoretischen sowie entwicklungs- und sozialpsychologischen Konzeptualisierungen auf. Eine Reihe von Untersuchungen zeigt, dass die Ausbildung pragmatischer Handlungsfähigkeiten sehr stark auf Erfahrungen der eigenen Handlungsmächtigkeit, also der Selbstzuschreibung von Handlungswirksamkeit aufsetzt. Grundmann (2006: 186) geht davon aus, dass Handlungsstrategien und die Einschätzung ihrer Wirksamkeit davon abhängen, ob sich Individuen als Mitgestalter oder als bloße Teilnehmer von Interaktionen wahrnehmen und ob ihnen von wichtigen Bezugspersonen Handlungsmächtigkeit zugeschrieben wird. „Untersuchungen haben nicht nachweisen können, dass das Individuum seine Gesellschaft einfach reproduziert; stets repräsentiert die entstehende Persönlichkeit in ihren Handlungspotenzialen eine der sinnvollen Varianten, sich mit den Bedingungen des Lebens an einem Ort der Gesellschaft perspektivisch-interpretativ auseinander zu setzen. Ein wichtiges Thema der Forschung sollte sein, die nach Lebenslage, Qualität der sozialen Beziehungen und erreichtem Stand von Kompetenz differierenden Faktorengeflechte zu bestimmen, die auf Intensität und Richtung dieser aktiven Auseinandersetzung Einfluss nehmen. Es ist anzunehmen, dass sich auch die Gewichte dieser Faktoren je nach Lebensphase verschieben und dass Potenziale der Person, die unter dem Druck bestimmter Verhältnisse entstanden, in der Folge selber wiederum zu Faktoren werden können, die nun ihrerseits sowohl die weitere Entwicklung der Person als auch die sozialen Verhältnisse mitbestimmen.“ (Krappmann 2006: 396)
Die Sichtweise vom Kern der „agency“, dem Selbst als aktiver Struktur wird in zahlreichen sozialpsychologischen Theorien deutlich. Prägnant hat
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dies Bandura (2006) in seiner Theorie der Selbstwirksamkeit aufgegriffen, die Menschen als wirksam, selbstreflektierend, selbstregulierend und kreativ charakterisiert. Brandstädter (2006: 42) führt sozialpsychologische, entwicklungspsychologische und zeitdiagnostische Ansätze zusammen: „Furthermore, modern societies have placed increasing emphasis on the efficient use and allocation of temporal, physical, and psychological resources, thus forcing people to take an active, self-monitoring, and optimizing attitude toward their own behavior and development.“ Zur „agency“ gehöre nicht nur eine auf die aktuelle Situationskonstellation bezogene, die individuellen Ressourcen einsetzende Handlungsausrichtung, sondern auch eine perspektivische Regulation der einzelnen Komponenten der Handlungsfähigkeiten über die Lebensphasen hinweg. Solche Überlegungen haben Hitlin und Elder (2007) weitergeführt, indem sie eine entlang unterschiedlicher temporaler Perspektiven gestaffelte Ausprägungen der „agency“ entwerfen – von der unmittelbar situationsorientierten bis hin zur lebenslaufbezogenen Handlungsbefähigung. Allzu oft gebe man sich, gerade in der Soziologie, mit einer simplizistischen Fassung der Person zufrieden. „It seems often as if the sociologists use ‚agency‘as a placeholder for some vague sense of human freedom or individual volition within a broader model.“ (Ebd.: 171) Auf der Basis ihrer Kritik an der rein immanenten soziologischen Diskussion um „agency“, welche die wesentlichen sozialpsychologischen Einsichten ausblende, entwerfen sie ein zeitbezogenes Modell von „agency“ und führen Überlegungen von Mead (1938) und Flaherty (1999) als Brücke zwischen soziologischer und mikrosoziologisch-sozialpsychologischer Agency zusammen. In Ergänzung der Meadschen Überlegungen zum Selbst greifen Hitlin und Elder die Überlegungen von Flaherty (1999) zur „Zeitarbeit“ auf: „Individuals do not simply passively experience time. In Flaherty‘s notion, individuals exert agency (following Giddens‘ notions of ‚could have acted otherwise‘) by shaping their experience of time; for example, self-consciously attempting or enact societally valued time activities (being prompt) or resisting the temporal experience of situations (passing time when bored in a college lecture). Agency, in this form, occurs at the level of the actor‘s control over his or her self-experience, skills we learn at around three or four years of age.“ (Hitlin/Elder 2007: 174)
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Agentische Handlungen implizieren jeweils differentielle Orientierungen gegenüber Gegenwart und Zukunft. Individuen verändern ihre Zeithorizonte gemäß ihrer Handlungsprobleme situativ und im Lebenslauf: „We view agentic action as those actions whose ostensibel origin begins within the actor, in the sense that, as Giddens (1984) maintains, the actor might have done otherwise. This covers behavior ranging from automatic (throwing a ball) to carefully considered (solving a math problem) to long term (enrolling in a particular university). All of these sorts of behaviors implicate individual action, effort and intention. Incorporating the self, however, allows for the understanding of what these actions share beyond being self-initiated, and provides the opportunity to anchor discussions of agency within empirical research traditions.“ (Hitlin/Elder 2007: 175)
Hitlin und Elder unterscheiden verschiedene Handlungsmodi im Zusammenspiel von Selbst, Zeitlichkeit und sozialer Situation: •
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Die „Existentielle Agency“ in der Tradition von Mead ist als grundlegende Kapazität für selbst-initiierte Handlungsbefähigung Teil der conditio humana. Sie wird sozial kanalisiert und ist geprägt durch Muster der Selbstzuschreibung: Man entwickelt eine Selbstwirksamkeitsorientierung im Sinne persönlicher Selbstermächtigung, und zwar in unterschiedlichen Handlungsdomänen in variabler Ausprägung. Umgesetzt wird die existenzielle Agency in der „Pragmatischen Agency“ (in der Tradition von Dewey, Joas, Heise), vor allem in sozialen Situationen und mit sozial bedeutsamen Konsequenzen. „This emergent, creative aspect of the person has formed the basis for much symbolic interactionist and pragmatic thought, and anchors pragmatic agency. Circumstances sometimes require heightened attentional concentration on one‘s immediate surroundings in certain situations. We focus our attention not strongly on the present moment within problematic situations.“ (Ebd.: 178) Hier ergeben sich Anschlüsse an neuere soziologische Arbeiten zur Emotionalität (vgl. Röttger-Rössler/ Markowitsch 2005; Wahl 2000). Eine weitere Form von agency, die „Identitätsagency“ nach Stryker und Burke ist charakterisiert durch Verpflichtungen (commitments), die in einzelne Rollen (von der Eltern- bis zur Berufsrolle) investiert
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werden: „Identity agency represents the habitual pattering of social behavior. Following established ways of acting, role enactment, or identity performance, involves agentic action.“ (Hitlin/Elder 2007: 181) Menschen agieren nicht nur kreativ in Bezug auf temporale individuelle bzw. idiosynkratrische Nahziele (pragmatische Agency), noch handeln sie ausschließlich aufgrund von sozial gerahmten Situationszielen (identity agency), sondern sie handeln auch bezogen auf den weiteren temporalen Horizont des Lebenslaufs: „We term attempts to exert influence to shape one‘s life trajectory ‚life course agency‘. This extended temporal horizon complicates the nature of agency, as our reflexive capacities extend to incorporate distal goals and our beliefs about our ability to reach such goals gets folded into such agentic action.“ (Ebd.: 182) Diese „Lebenslauf-Agency“ zerfällt in die tatsächliche Ausführung von Handlungen mit Auswirkungen auf den Lebenslauf und – wie bei der self-efficacy – in die Überzeugung, selbst Einfluss nehmen zu können auf den weiteren Lebensverlauf. „This belief influences perseverance across difficult life course situations much like self-efficacy influences individual self-perceptions of capacity for solving pragmatic agency problems: self-perceptions of agentic capacity have social consequences.“ (Ebd.: 182) Personen mit mehr eigener „agency“ bezüglich wichtiger Weichenstellungen in ihrem Leben lassen sich auch durch kleinere Hindernisse oder Rückschläge nicht beirren, ihre längerfristigen Handlungsziele zu verfolgen. Wiederum ist die Bereichsspezifität von „agency“ zu berücksichtigen. Konzeptuell relevant für diese Form der Agency sind die „Turning points“, die Wendepunkte im Lebenslauf. Handlungsbefähigung beruht in dieser Form nicht zuletzt auf der retrospektiven Analyse vorhergehender Übergänge.
Beispiel „Kinder als (Ko-)Produzenten“ Ein Beispiel für die Umsetzung des „agency“-Konzepts ist die neue Kindheits- und Peer Culture Forschung (vgl. Fuhs 2000; Fried et al. 2003; Lichtenberg et al. 2003; Prout 2005). Sie betont die aktive Beteiligung und eigenständige Praxis von Kindern im Sozialisations-, Entwicklungs- und Bildungsprozess (vgl. Betz et al. 2007; Herzberg 2001; Leu/Krappmann 1999). Im Unterschied zu einer stärker endogen-psychologischen Ent-
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wicklungslogik, die sich auf sich entwickelnde Merkmale und Eigenschaften konzentriert und individuelles Handlungsvermögen in den Blick nimmt, werden Kinder als Produzenten bzw. mindestens Koproduzenten ihrer eigenen Entwicklung gesehen (vgl. Betz et al. 2007; Mayer 2004), die ihre Wirklichkeit in der Auseinandersetzung mit einer strukturierten Umwelt konstruieren und sich in ihrem Verhalten an einem Repertoire kulturell definierter Kategorien dieser Umwelten orientieren. Betont wird der Status von Kindern als „kompetenten und zugleich sozialen Akteuren“ (Betz et al. 2007) verbunden mit der Forschungsfrage, wie sich Kinder verhalten und in konkreten Situationen handeln. Unter „agency“ wird im Folgenden im Anschluss an die Strukturationstheorie von Giddens (1984), die Überlegungen von Emirbayr und Mische (1998) und deren Weiterentwicklung bei Grundmann (2006; Grundmann et al. 2006) sowie sozial- und entwicklungspsychologische Ansätze (vgl. Hitlin/Elder 2007; Lerner et al. 2005) eine Handlungsbefähigung verstanden, die im Schnittpunkt von äußerlichen Handlungsbedingungen und inneren Persönlichkeitsmerkmalen entsteht, zeitlich-biografisch strukturiert ist und gleichzeitig in sozialen Interaktionen raum-zeitlich situiert ist. Sie existiert durch die und in der Kontinuität, die durch Praktiken hergestellt wird. 1.2.3 Praxis, Praktiken und Alltag Praxistheorien sind ein Zweig der Kultur- und Sozialwissenschaften (Cultural Studies), der sich in den letzten Jahren rasant entwickelt hat. Dazu gehören neben Arbeiten wie Bourdieus Kultursoziologie (1987a, 1987b) und Giddens (1988) Konzept der Strukturierung, Arbeiten aus Ethnomethodologie (vgl. Garfinkel 1984 bis Boltanski/Thevenot 1991), Pragmatismus (vgl. Peirce, James, Dewey, Mead), Alltäglicher Lebensführung (vgl. Kudera/Voß 2000), Performativitäts- und Ritualforschung (vgl. Wulf/Zirfas 2004), Kulturanthropologie (vgl. Greverus 1978) und Wissenssoziologie (vgl. Berger/Luckmann 1980; Husserl 1962; Keller 2001; Soeffner 2004), einer an den späten Wittgenstein anschließenden Sozialwissenschaft (vgl. Schatzki 1996) und Arbeiten, die an Foucaults Arbeiten zu den Techniken des Regierens und des Selbst anknüpfen (vgl. Foucault 2000) sowie neue Medien- und Artefakttheorien (vgl. Schatzki et al. 2001).
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Praxistheoretische Ansätze fokussieren soziale Praktiken, die durch praktisches Wissen und Können bestimmt sind: Handeln wird als Praxis aufgefasst (Reckwitz 2003: 283ff), an der unterschiedliche Akteure beteiligt sind, die sich in ihrem Verhalten aneinander orientieren. Praxeologische Ansätze sehen im sozialen Geschehen weder ein Produkt autonom handelnder Akteure noch einen subjektlosen und emergenten Prozess. Vielmehr definieren sie soziale Strukturen als von Akteuren durch ihre Praktiken produziert und umgekehrt die Praktiken durch diese Strukturen konstituiert. Diese als „practical turn“ (vgl. Hörning/Reuter 2004; Schatzky et al. 2001; Reckwitz 2003) bezeichnete empirische wie theoretische Neufassung von Sozialität und Kultur (Hörning/Reuter 2004: 10) ist ein Versuch, den Dualismus von Subjekt und Gesellschaft zu überwinden (vgl. Bourdieu 1987a; Giddens 1988). Sie übersetzt Konstruktivismus in Alltagshandeln. Berger und Luckmann brachten dies schon 1971 auf den Punkt, als sie die „gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit“ in der Alltagswelt der handelnden Subjekte betonen. Die Alltagswelt bezeichneten sie als die relevante Wirklichkeit für das Handeln von Menschen. In der sogenannten „Neuen Ethnografie“ (Greverus 1978: 102ff) geht es in ähnlicher Weise darum, Prozesse und Handeln im Alltagsleben der Subjekte zu konturieren. Praxistheorien lösen sich von der Vorstellung einer Sinnproduktion im „Inneren“ des Mentalen als Bewusstseinsinhalte und Meinungen oder im „Außen“ der Diskurse und Texte und stellen den Vollzug als Praxis in das Zentrum ihres Interesses. Viele Praxistheorien greifen die Wittgenstein‘s Idee auf, dass durch den Gebrauch von Sprache, Gegenständen und Regeln etwas entsteht, das sich einer rationalen Logik entzieht. Gemeinsam ist ihnen ferner die Kritik an der theoretischen Rationalisierung und Intellektualisierung des Sozialen und des Handelns. Bourdieu (1987a) geht in seiner Theorie der Praxis davon aus, dass Ausgangspunkt und Gegenstand der Soziologie die sozialen Praxen sind, die einer empirischen Untersuchung zugänglich sind. Soziale Praxen, d.h. Prozesse in Form von Interaktionen und Handlungen, werden untersucht hinsichtlich der vorfindbaren Differenzierungskategorien und ihrer Wechselwirkungen. Ausgehend vom Handeln und Sprechen von Personen stehen dabei die Identitäten, die diese herstellen sowie die Strukturen und Normen, auf die sie sich beziehen, im Fokus. Mit anderen Worten: es geht um die Perspektive der AkteurInnen. Methodisch bedeutet dies, bei Praxen anzufangen und dann zu relationie-
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ren auf die Kategorien, auf die sich die AkteurInnen beziehen, auf die Normen, Leitbilder und Deutungsmuster, die (unbewusst) wirksam sind, sowie die strukturellen Zusammenhänge, in die ihr Handeln eingebettet ist. Handeln wird in den Praxistheorien als Bindeglied zwischen Strukturen und Subjekten verortet. Es interessiert weniger als Medium, sondern im Hinblick auf seine strukturierenden soziokulturellen Praktiken und das ihnen innewohnende, zur Anwendung gebrachte implizite Wissen, das eine besondere Art von Wissen ist, das so genannte praktische Wissen. Das Soziale fasst Bourdieu (ebd.) multiperspektivisch als verkörperte, öffentliche, beobachtbare, raumzeitlich sich vollziehende, materiell situierte und symbolisch codierte Praktiken. Praktiken und Routinen Schatzki et al. (2001) sehen in Praktiken die kleinsten Einheiten des Sozialen und fassen sie als routinisierten „nexus of doings and sayings“, zusammengehalten durch implizites praktisches Wissen. Dieses in sozialen Praktiken mobilisierte und zu rekonstruierende Wissen lässt sich konkretisieren • als interpretatives Verstehen, d.h. einer routinemäßigen Zuschreibung von Bedeutungen zu Gegenständen, Personen, abstrakten Entitäten oder dem „eigenen Selbst“ • als methodisches Wissen, d.h. scriptförmige Prozeduren, wie man eine Reihe von Handlungen „kompetent“ hervorbringt • als motivational-emotionales Wissen, d.h. ein impliziter Sinn dafür, „was man eigentlich will“, „worum es einem geht“ und was „undenkbar“ wäre (Reckwitz 2003: 292) Bourdieu (1987a) geht davon aus, dass die menschlichen Verhaltensweisen nur dadurch erklärt werden können, dass Akteure über gemeinsame kognitive Schemata, über sinnhafte Unterscheidungssysteme verfügen, die er Habitus nennt. Bourdieu begreift Habitusformen „als Erzeugungs- und Ordnungsgrundlagen für Praktiken und Vorstellungen, die objektiv an ihr Ziel angepasst sein können, ohne jedoch bewusstes Anstreben von Zwecken und ausdrückliche Beherrschung der zu deren Erreichung erforderlichen Operationen vorauszusetzen, die objektiv ‚geregelt‘ oder ‚regelmäßig‘ sind, ohne irgendwie das Ergebnis der Einhaltung von Regeln zu sein, und genau deswegen
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kollektiv aufeinander abgestimmt sind, ohne aus dem ordnenden Handeln eines Dirigenten hervorgegangen zu sein“ (Bourdieu 1987a: 107).
In den meisten Praxistheorien wird der Vollzug von Praktiken als regelmäßig und routinisiert angesehen (vgl. Alkemeyer 2008). Habitus als eine Praktikform stellt beispielsweise einen Vorrat an zur Gewohnheit gewordenen Sinnmustern dar, die Akteure in verschiedenen Situationen verwenden. Dabei können sie durchaus auf der Basis des Habitus verschiedene individuelle Sinnzuschreibungen in jeder Situation vornehmen. Mit dem Begriff „praktischer Sinn“ meinte Bourdieu vor allem die Sinnmuster, die eine relative Berechenbarkeit der zu erwartenden Handlungen erzeugen, vom „Ausarbeiten“ des Sinns in jeder konkreten Situation entlasten und die Handlungen ermöglichen. Durch den Habitus werden den Handelnden immer wieder die gleichen Unterscheidungsmuster zur Verfügung gestellt. Bourdieu betonte die Stabilität der Habitusmuster. Ein Habitus sei so konzipiert, dass er sich immer wieder selbst verstärke. Nach Reckwitz (2003) werden Subjektkulturen in den Alltagspraktiken der Arbeit, persönlicher Beziehungen und Technologien des Selbst, in der persönlichen Lebensführung, hervorgebracht, „trainiert“ und stabilisiert. Es unterscheidet zwischen intersubjektiven Praktiken, welche eine interaktive Struktur besitzen, und interobjektiven Praktiken eines menschlichen Subjekts im Umgang mit Objekten statt mit anderen Subjekten oder eines Akteurs, der in Form von Technologien des Selbst in erster Linie auf sich selbst bezogen agiert. Die geläufige Identifizierung von Sozialität mit Intersubjektivität führe gerade dazu, dass die primär interobjektiven Praktiken und die Technologien des Selbst, damit aber weite Gebiete sozialer Praxis, marginalisiert werden. Im Konzept der „Alltäglichen Lebensführung“ (Kudera/Voss 2000) steht ebenfalls zentral im Fokus, wie Alltagsaktivitäten bewältigt werden. Das Konzept der „Konglomerationen“ (Wolf et al. 2009) fokussiert die Gemengelage unterschiedlicher, teils homogener, teils heterogener, teils widersprüchlicher Erfahrungen zu einer temporären und alltagstauglichen stabilen Form, die „nicht mehr aus dem Granit traditionaler Rollenbilder gefügt sind, aber sich auch nicht im Geröll moderner Beliebigkeit verlieren“ (Rathmayr et al. 2009: 10). Routinisiertes Handeln steht gleichzeitig aber im Widerspruch zu denjenigen performativen Ideen, die die ständige Zerstörung der Routinen und die Regelverletzung betonen, zu den Ideen also, denen die Praxistheorien
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eigentlich entspringen (vgl. ebd.). Praktiken stellen eine Anwendung, einen Gebrauch von Artefakten und Regeln in immer wieder neuen Kontexten dar, in denen es keine reine Wiederholung geben kann. De Certeau (1988) hebt in „Die Kunst des Handelns“, einer soziologischen Theorie des Alltagslebens und des Verbraucherverhaltens, hervor, dass es schwierig ist, von der „Logik der Praxis“ zu sprechen, weil diese Logik das irrationale Element des Neuen nicht ausschließen kann. Er fragt deshalb, ob man überhaupt von der Logik von Praktiken sprechen könne: Praktiken brächten nach und nach bisherige Logiken durcheinander, sie seien mehr als eine vernünftige Anwendung bestimmter Mittel zum Erreichen vorgegebener Zwecke – der Moment des Vollzugs, des Gebrauchs schaffe unerwartete Sinnverschiebungen. Hier wird einmal mehr deutlich, dass Kontinuität aufgrund von Routiniertheit nicht bedeutet, dass alles beim Alten bleibt. Nach de Certeau (ebd.) unterscheidet sich der Alltag wesentlich von anderen Bereichen des Lebens, weil er fast gänzlich unbewusst und dabei vollkommen repetitiv abläuft. Zu einer zentralen Denkfigur wird das „aktive Konsumieren“ (ebd.). Der Konsument sei nicht nur passiver Abnehmer von Produkten, sondern selbst auch Produzent durch die Auswahl der Produkte. Das Geschehen in den Praktiken könne auch deswegen nicht beabsichtigt sein, weil es sozialer Natur sei. Im aufeinander orientierten Gebrauch der Gegenstände gewännen Menschen gemeinsame Handlungskriterien und Bewertungsmaßstäbe sowie den Zugang zu der Welt der Anderen. Dieser Ansatz unterscheidet sich vom Intersubjektivitätskonzept von Schütz, nach dem der Zugang zu fremden Bewusstsein nur auf dem Weg der Unterstellungen („Typisierungen“) möglich ist. Gemäß den Praxistheorien ist das „Teilen“ der Bedeutungen und der Werte nicht aufgrund mentaler Leistungen der Akteure möglich, sondern aufgrund ihrer sozialen Einübung und gemeinsamen Erfahrung in der Ausübung der Praktiken. So entstehe der „Gemein-Sinn“ des Handelns und Sprechens. De Certeau (ebd.) weist explizit darauf hin, dass jeder Gebrauch die Signifikationsprozesse mit einschließt: Sinnverschiebungen finden nicht in einem leeren, sondern in einem sozialen Raum, wo sie ihre Geltung (Bedeutung) erlangen oder verschwinden. Sinn und Bedeutungen entstehen also nicht bloß, weil Menschen miteinander kommunizieren und einer „linguistic community“ angehören, sondern weil sie – und das ist entscheidend – auch miteinander handeln und eine „community of practice“ bilden.
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Im Prozess des gemeinsamen Handelns werden Bedeutungen zugeschrieben und Sinn produziert, die Welt wird sinnhaft produziert. Diese konstitutive Macht der Praktiken wird als Grund gesehen, warum soziale Praktiken ontologisch grundlegender sind als individuelle Handlungen oder Normen. Vor diesem Hintergrund müsse das Soziale anders definiert werden: nicht wie üblich als Intersubjektivität oder Normenbefolgung oder Kommunikation, sondern als Kollektivität von Verhaltensweisen. Das praktische Tun, in dem Sinn produziert wird, ist ein „Zusammen-Tun“. Das von den Praxistheoretikern formulierte alternative Verständnis des Sozialen nimmt relationistische Gedanken auf. Praxistheorien stellen deshalb das wechselseitige Orientieren der Akteure im gemeinsamen Tun in das Zentrum ihrer Argumentation. Die elementaren kollektiven Routinen können nur ausgehend vom gegenseitigen Orientieren verstanden werden, bei dem die Akteure ihr gewohntes Handeln doch ständig modifizieren, weil sie mit anderen agieren und auch auf fremdes Handeln reagieren. Praxis und Strukturen Gegen den methodologischen Individualismus von Handlungstheorien weisen die genannten Autoren auf den überindividuellen Charakter von Praktiken hin. Handlungen (actions) gehen den sozialen Praktiken nicht voraus, sondern konstituieren sich in ihnen: Akteure produzieren über ihre Praktiken Strukturen, die umgekehrt ihre Praktiken konstituieren (Alkemeyer 2008). Die Dualismen von Handeln und Strukturen, Subjektivismus und Objektivismus, werden paradigmatisch z.B. in den Ansätzen von Giddens (1988), Bourdieu (1987a) oder Elias (1976) überwunden. Individuum und Gesellschaft sind in dieser Sicht die zwei Seiten einer Medaille. Für eine praxeologische Perspektive ist Elias Figurationssoziologie interessant, weil er die von Menschen gebildeten sozialen Figurationen als dynamische Körper-Ordnungen begreift. Der Körper ist in seiner Theorie nicht nur „das Produkt einer sozialen Konstruktion“, sondern auch Konstituens und Medium von Vergesellschaftung und Individuierung (Boschert 2001: 125). Soziales Handeln hat auch nach Mead seinen Ursprung nicht in den inneren Operationen des menschlichen Geistes, vielmehr entwickeln sich geistige Prozesse in den körperlichen Praktiken. Was in mentalistischen Handlungstheorien als Ursache des Handelns erscheint – Motive, Bewusstsein, Sinn –, entwickelt sich in Meads Konzeption erst während des Handelns (vgl. Meuser 2001). Die sozialen Akteure sind in dieser Sicht nor-
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malerweise in der Lage, schlafwandlerisch mit anderen Gesellschaftsmitgliedern in Beziehung zu treten: Bevor sie über Identitätsbewusstsein und die Fähigkeit zur (Selbst-)Reflexion verfügen, könne bereits ihr Körper „sehr intelligent tätig sein“ (Mead 1968: 178). Damit thematisiert auch Mead ein „tacit knowledge“ (Polanyi 1985), das als ein lokales und temporäres, implizites Wissen nur im Handlungsvollzug existiert: „Wir wissen mehr, als wir zu sagen wissen“. Bourdieu (1987a) hält Meads Modell des Schlagabtausches der sozialen Praxis für angemessener als das „typisch hermeneutische Paradigma des Austausches von Worten“. Aber er konzipiert die Bedingungen der Möglichkeit situationsadäquater praktischer Vollzüge anders als Mead: Während sie dieser in die angeborenen physiologischen Gegebenheiten des menschlichen Organismus verlegt, betont er Sozialität und Gewordenheit. An die Stelle des Meadschen Zentralnervensystems rückt, wie Schmidt (2006: 302f.) pointiert herausgearbeitet hat, der Habitus. Mit diesem Begriff bezeichnet Bourdieu (1987a: 98) die in sozialisatorischen Praktiken einverleibten, veränderlichen „Systeme dauerhafter und übertragbarer Dispositionen, (die) als strukturierte Strukturen [...] wie geschaffen sind, als strukturierende Strukturen zu fungieren, d.h. als Erzeugungsgrundlagen für Praktiken“. Das praxistheoretische Interesse richtet sich also weniger auf die Absichten der Akteure als auf die Fragen, was die Praktiken in Gang hält und wie sie gemacht werden. Entsprechend geht die praxeologische Beschreibung von beobachtbaren Äußerlichkeiten der Vollzüge aus, nicht jedoch von Intentionen, Motiven oder subjektiven Sinnsetzungen (vgl. auch Hirschauer 2004). Sinn ist in dieser Perspektive nichts, was ein Subjekt seinem Tun zuschreibt, sondern Sinn entsteht zwischen den Akteuren: Eine Aktion ist dann sinnhaft, wenn sich eine andere an sie anschließt, sie also praktisch (an-)erkannt und beantwortet wird. Praxis und Körperlichkeit Während soziale Akteure häufig als körperlose Geisteswesen entworfen werden, betonen praxeologische Ansätze die unauflösliche Verbindung von geistigen und körperlichen Vorgängen. Diese tiefensoziologische Dimension (vgl. Wahl 2000) berücksichtigt neben der sinn- und sprachvermittelten Ebene des Handelns vorbewusste, körpersprachliche und emotionale Zusammenhänge. Auch geistige Fähigkeiten werden nur durch prakti-
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sche Anwendung ausgebildet. Der Körper ist Träger eines impliziten Erfahrungswissens, das die praktischen Vollzüge permanent reguliert und neu justiert. Soziales Geschehen lässt sich nur mit einer Hinwendung zu den praktischen Vollzügen körperlich tätiger Akteure beschreiben und erklären (vgl. Schatzki 1996). Damit ist die Abgrenzung zu all jenen Theorien markiert, die soziales Geschehen lediglich als Ausführung zuvor gefasster oder vorhandener Entwürfe, Pläne, Ideen, Routinen, Regeln, Strukturen, also als Repräsentationen von Handlungen begreifen und der Tätigkeit im Vollzug keine soziale Relevanz beimessen. Praktiken können beispielsweise nicht auf die Modelle der Sprache und des Textes reduziert werden. Akteure gehen im Hier und Jetzt der Praxis weitgehend stumme Verbindungen von Körper zu Körper ein. Reckwitz (2003: 298) geht davon aus, dass Praxistheorien einen „quasi-ethnologischen Blick auf die Mikrologik des Sozialen“ anleiten. Ethnografie und dichte Beschreibungen stellen für die Rekonstruktion von Praktiken nicht zufällig eine bevorzugte Forschungsmethode dar. Neben den post-wittgensteinschen Ansätzen entwickelten sich die so genannten posthumanistischen Arbeiten, die Praktiken als materiell vermittelte Sozialitäten verstehen. Sie lösen sich von der traditionellen Sicht der humanistischen Geisteswissenschaften, dass nur Menschen einen Sinn kreieren können und betonen die Rolle der materiellen Objekte in diesen Prozessen. Latour (2007) versteht in der Akteur-Netzwerk-Theorie Gesellschaft als instabile Verbindung überraschender Akteure, die auch nichtmenschlich sein können. Außerdem kritisieren diese Ansätze die Betonung der Routinen und der Regelhaftigkeit, die für die Praxistheorien bisher typisch waren. Sie sind mit der herrschenden Darstellung von Praktiken als erlernten und routinisierten Verhaltensweisen, die man dann in konkreten Situationen anwendet, nicht einverstanden. Knorr Cetina (1997/2001) weist etwa darauf hin, dass Praktiken auch einen kreativen und konstruktiven Charakter haben können. Insgesamt ergeben sich aus diesen Ansätzen zahlreiche Anknüpfungspunkte für einen praxeologisch ausgerichteten Blick auf die Herstellung personaler Kontinuität, auf die Praxis des „doing continuity“.
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1.3 M ULTIPERSPEKTIVITÄT : W ISSENSCHAFTSTHEORETISCHE ANMERKUNGEN „Jede neue Situation in der Forschung erfordert immer wieder einen geistigen Akt, der das Neue zusammenfügt; hinzu treten muss der Mut des geistigen Menschen, der gewillt ist, etwa wie Columbus, neues Land zu entdecken.“ WERNER HEISENBERG 1936 „Es gibt nur eine Methode, die Brille, die man aufhat, deutlich zu sehen: Man nimmt sie ab.“ STEPHEN ST. TOULMIN 1981 „Die Praktiker einer Disziplin fühlen sich offensichtlich nicht sicher, wenn sie nicht auf eine scharfe begriffliche Abgrenzung zwischen ihren Angelegenheiten und denen anderer hinweisen können.“ ANTHONY GIDDENS 1988 „Foucault bedient sich bei seinen Untersuchungen eines radikal individualistischen Programms, das sich von keinerlei ‚Schubladendenken‘, Kontinuitätserwartungen und Identitätsschablonen gefangen nehmen lassen möchte. Niemand hat radikaler als er mit den gängigen Erwartungen hinsichtlich eines in sich kohärenten Werks mit einer kontinuierlich sich entfalteten Fragestellung gebrochen.“ MARKUS SCHROER 2001
Bei der Spurensuche nach Praxis und Praktiken des „doing continuity“ auf unterschiedlichen Ebenen, die in der Regel von unterschiedlichen Disziplinen untersucht werden, sind nicht nur Konzeptualisierungen und Begrifflichkeiten von personaler Kontinuität, „agency“ und „doing“, sondern auch das Verhältnis von Konzepten und empirischen Ergebnissen aus unterschiedlichen Disziplinen und Perspektiven zu klären. Einzeldisziplinäre Perspektiven konstruieren ihren Gegenstandsbereich in spezifischer Weise. Sie rücken je unterschiedliche Aspekte in den Vordergrund und haben ihre Stärken in deren detaillierter, aber eben auch eingeschränkter Analyse. Sie bleiben deshalb in ihrer Aussagekraft notwendigerweise beschränkt. Es stellt sich deshalb die Frage, ob unterschiedliche disziplinäre Ebenen überhaupt aufeinander zu beziehen sind oder Inter-, Trans- und Multidisziplinarität zu einem wissenschaftlichen „deus ex machina“ hochstilisiert werden, weil wir uns im Umgang mit Komplexität nicht anders helfen können.
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1.3.1 Von der Multi- über die Inter- zur Transdisziplinarität Seit den 1960er Jahren ist Interdisziplinarität zum Inbegriff und Leitbild wissenschaftlicher Innovation geworden (vgl. Joas/Kippenberg 2005). Vor allem durch Befunde der Neurowissenschaften hat in den letzten Jahren die Diskussion um interdisziplinäre Forschung eine weitere Akzentuierung erfahren. Man verspricht sich von interdisziplinärer Forschung vor allem die Aufhebung erkenntnishemmender Phänomene des modernen Wissenschaftsbetriebs und die Überwindung der zunehmenden Fragmentierung der Disziplinen, denn die historische Ausdifferenzierung des Systems Wissenschaft und seiner Organisationsformen in Disziplinen, Subdisziplinen und Fächer hat im 20. Jahrhundert für eine zunehmende Spezialisierung der einzelnen Wissenschaftsdisziplinen gesorgt. Der Begriff der Interdisziplinarität (wie auch die verwandten Kennzeichnungen der Trans- und Multidisziplinarität) greift auf die für die Universitätsgeschichte seit dem 19. Jahrhundert prägende Idee einer Gliederung der Wissenschaften nach Disziplinen zurück. Disziplinen sind zum Teil durch die Berufsprofile der Absolventen und die entsprechenden Ausbildungsprogramme geformt (z.B. Mediziner, Juristen, Informatiker), zum Teil durch die Integrationskraft der theoretischen Grundlagen und Methoden eines Gebietes (Physik, Soziologie). Beides trägt traditionell zur professionellen Identität des Wissenschaftlers und Akademikers und der institutionellen Integrität seines Faches bei. Jedoch werden die damit verbundenen Tendenzen zur Abgrenzung den gegenwärtigen Problemen von Wissenschaft und Gesellschaft nicht mehr gerecht. Heilbron (2005) beschreibt in seiner historischen Analyse, wie die arbeitsteilig in Disziplinen organisierten Experten- und Sachverständigenstrukturen zu Grundpfeilern der akademischen Welt mit weitgehend kohärenten Begrifflichkeiten, Fragestellungen, Bezugsrahmen und Methoden wurden: „Disziplinen strukturieren die tägliche Arbeit von MainstreamPraktikern, sie bilden die Grundlage der spezialisierten Arbeit in den Subdisziplinen und geben dem interdisziplinären Austausch seine Gestalt.“ (Ebd.: 23) Die ursprünglich aus der Antike übernommen und lange Zeit Gültigkeit besitzende Bedeutung von Disziplinarität betonte vor allem den Aspekt der Wissensvermittlung, das Lehren und Lernen eines festen Wissenskorpus. Forschung hatte in diesem Begriff zunächst keinen Platz: „Disziplin ist ein von einem Lehrer anerkannter Lehrplan, der vorsieht,
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dass Schüler dem Beispiel, welches der Lehrer mit seiner Lehre gibt, folgt.“ (Chauvin 1692, zitiert nach Heilbron 2005: 28) Heute schließt der Begriff der Disziplin neben der Lehre auch die Produktion neuen Wissens sowie die professionelle Organisation von Lehre und Wissensproduktion ein und ist an ein spezifisches Profil einer spezifischen Wissensgemeinschaft gebunden. Problematisch an der Disziplinstruktur ist nun, dass die Disziplingrenzen sich zu unüberwindbaren Erkenntnisgrenzen entwickelt haben (vgl. Feichtinger et al. 2004). Sie werden nicht mehr als historisch gewordene erkannt. Disziplinäre Wissensgemeinschaften beginnen zunehmend die Notwendigkeit von Kooperationen zu sehen. Vor allem auf die zu erforschenden Probleme moderner Gesellschaften, die durchwegs sehr komplexer Art sind, bietet die bisherige disziplinär organisierte Forschung keine erfolgversprechenden Lösungen mehr (vgl. Mittelstrass 1987). Probleme moderner Industriegesellschaften definieren sich nämlich nicht als Probleme für disziplinäre Spezialisten. Auch die Herstellung von Kontinuität folgt nicht unbedingt und geordnet disziplinären Logiken. Stichweh (2008) geht davon aus, dass es weder sinnvoll ist noch der Praxis von Wissenschaft entspricht, wenn die Gräben zwischen den Disziplinen, beispielsweise den Natur- und Geisteswissenschaften, sich als unüberbrückbar erweisen, auch wenn dies die beteiligten Wissenschaften gerade in Zeiten von Ressourcenkonkurrenz so empfinden. Von Interdisziplinarität ist in der Regel die Rede, wenn eine wissenschaftliche Vorgehensweise mehr als eine Disziplin aufgreift. Sie kann jedoch Unterschiedliches bedeuten und wird auch unterschiedlich sowie inkohärent verstanden. Je nach Integrationsgrad lassen sich Varianten mehrdisziplinären Vorgehens unterscheiden, allerdings sind auch diese nicht trennscharf, sondern befinden sich auf einem Kontinuum. Multidisziplinäre Forschung bezieht sich auf ein gemeinsames Thema, quer zu den einzelnen Disziplinen. Das Thema wird von den Einzeldisziplinen auf ihre je spezifische Art getrennt bearbeitet und nach Abschluss des Forschungsprozesses additiv zusammengefügt. Ganz überwiegend wird der Begriff der Interdisziplinarität mit einem solchen Nebeneinander und Addieren der disziplinären und subdisziplinären Befunde gefüllt. Interdisziplinäre Forschung geht darüber hinaus. Es existiert eine gemeinsame Problemdefinition zwischen den Disziplinen, ein permanenter konzeptioneller, theoretischer und methodischer sowie organisatorischer
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Austausch mit dem Ziel integrativer Ergebnisse. Hierbei ist zu beachten, dass das Ziel interdisziplinärer Forschung nicht die Aufhebung der Disziplinarität ist, sondern die Korrektur der durch Spezialisierung entstandenen Wissenslücken moderner Wissenschaft. Interdisziplinarität setzt so verstanden die Existenz von Disziplinen voraus (vgl. Mittelstrass 1987). Welzer und Markowitsch (2006: 15) betonen deshalb vor allem die reflexiven Effekte von Interdisziplinarität und werten beispielsweise die sich zwischen Neurowissenschaften und Sozialwissenschaften eröffnenden „Konvergenzzonen“ als methodologische und theoretische Entwicklungschancen. Gleichzeitig plädieren sie für eine „pragmatische“ Interdisziplinarität: hinsichtlich spezialisierter Grundlagenforschung oder direkter Anwendbarkeit seien Einzelwissenschaften effizienter. Interdisziplinarität dürfe nicht dazu führen, dass Einzeldisziplinen verwässern und ihre Identität aufzugeben. Ein Beispiel hierfür findet sich in einer zusammenfassenden Bilanz zu den „new social studies of childhood“ von Alan Prout: „Interdisciplinarity does not imply non-disciplinarity but rather traffic between two or more disciplines. Childhood studies could, for the moment, constitute themselves as a meeting place of the disciplines, a process that might encourage the patience, open-mindedness and the capacity to step out of disciplinary comfort zones that the longer-term aim of interdisciplinarity requires.“ (Prout 2005: 146)
In der Verschränkung soziologischer, pädagogischer und psychologischer Perspektiven wird so ein interdisziplinär offenes Konzept der Soziologie der Kindheit begründet. Einen Schritt weiter geht Mittelstrass (1987). Er vertritt die Ansicht, dass interdisziplinäre Forschung – wenn sie sich nicht nur in einer Ansammlung von WissenschaftlerInnen verschiedener Disziplinen niederschlagen will – Transdisziplinarität bedeute, also auf bestehenden Disziplinen aufbaue, diese jedoch mit verändere (vgl. Brand et al. 2004). „Sie [die Transdisziplinarität] lässt die Dinge nicht einfach, wie sie sind, sondern stellt, und sei es auch nur in bestimmten Problemlösungszusammenhängen, die ursprüngliche Einheit der Wissenschaft – hier als Einheit der wissenschaftlichen Rationalität, nicht der wissenschaftlichen Systeme verstanden – wieder her.“ Da Interdisziplinarität vielfach nicht mit diesem Grundverständnis betrieben werde, plädiert Mittelstrass für eine
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Einstellungsänderung, durch die vor allem Querdenken sowie neue Fragestellungen erreicht werden könnten. Transdisziplinarität ist bei ihm mit dem Anspruch verbunden, dass Forschung sich aus fachlichen Grenzen löst. Der Forschungsgegenstand wird von WissenschaftlerInnen unterschiedlicher Disziplinen und gesellschaftlichen Akteuren gemeinsam definiert. Diese werden auch aktiv in den Forschungsprozess einbezogen. Gibbons et al. (1994, zitiert nach Heilbron 2005: 45) verweisen ebenfalls auf diese gegenüber den etablierten disziplinären Praxen „neue Art der Wissensproduktion, eine, die auf Problemlösung abzielt. Ihr theoretisch-methodologischer Kern kann fest etablierten disziplinären Kernen durchaus zuwider laufen, denn er ist häufig lokal bedingt und bestimmt, mit dem Effekt, dass jeder derartige Kern in Abhängigkeit vom Kontext seiner Anwendung hoch anfällig ist für weitere lokale Mutationen.“
Im Gegensatz zu Disziplinarität und Interdisziplinarität stehen hier kontext- und zweckbezogene Wissenskonfigurationen im Fokus, die sich kognitiver Einheit entziehen. Dies sei auch der Grund, weshalb der Begriff der Transdisziplinarität sinnvoller erscheine. Er „zeichnet sich aus durch Flexibilität, multiple Quellen und ein dauerndes Wechselspiel zwischen Grundlagenforschung und angewandter Forschung, Theorie und Praxis, Lokalem und Allgemeinen“ (ebd.). Interdisziplinarität als Aufgehen der verschiedenen, auch widersprüchlichen Blickwinkel in einer theoretischen Annäherung wird damit zur Fiktion. 1.3.2 Multiperspektivische Mehrebenenansätze Überlegungen zur emergenten Beziehung von Disziplinen und vor allem Erklärungs- sowie Gegenstandsebenen verweisen ebenfalls darauf, dass Interdisziplinarität häufig zu „naiv“ gedacht wird. So werde selten berücksichtigt und anerkannt, dass von der Verschiedenartigkeit und Autonomie unterschiedlicher Erklärungsebenen auszugehen ist (vgl. Kim 1993; Schumacher 2006). Und auch der Asymmetrie von Erklärungsebenen werde selten Rechnung getragen. Es geht dabei vor allem um die Frage, unter welchen Bedingungen welche Ansätze sinnvoll sind. Denn natürlich lassen sich beispielsweise Prozesse auf der Ebene von Erfahrungen und deren subjektiver Verarbeitung nicht vollständig auf neuronale Prozesse reduzie-
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ren. Ein Beispiel hierfür ist nach Schumacher (ebd.) die prinzipielle Unterbestimmtheit der Neurowissenschaften im Hinblick auf biografische Kontinuität. Biografiewissenschaftliche Ergebnisse seien nicht vollständig reduzierbar auf die körperliche Ebene, umgekehrt seien aber auch körperlich-biologische Zusammenhänge nicht zu vernachlässigen. Der Begriff der Emergenz erlebt derzeit nicht nur in der Philosophie des Geistes und in den Kognitionswissenschaften eine Renaissance; in verschiedenen Theorien der Selbstorganisation fungiert er geradezu als Modebegriff. Emergenz bedeutet die Entstehung neuer Qualitäten oder Eigenschaften, die nicht aus den Eigenschaften der darunter liegenden Ebenen ableitbar, erklärbar oder voraussagbar sind. Am Beispiel von Lernen und Bewusstsein lässt sich der Begriff präzisieren. Lernen ist danach „ein spontan-kreatives Zusammenwirken (Emergenz) von bereits vorhandenen kognitiven Netzwerkstrukturen“ (Arnold 1996: 33). Durch emergente Leistungen wird ein Fachwissen zu einem Lerninhalt, erhält äußeres Wissen subjektiven Sinn, findet eine Selbstorganisation des Lernens statt. Auch Bewusstsein ist danach eine emergente Eigenschaft des Gehirns, durch neuronale Prozesse determiniert, aber nicht reduktiv erklärbar, das heißt, es gibt eine Erklärungslücke: auch wenn neurobiologische Prozesse der Angst identifiziert werden, ist das, wie sich Angst anfühlt, nicht erfasst (Bieri, zitiert nach Heintz 2004: 10, „Die Elimination der subjektiven Perspektive scheint die Phänomene selbst zu eliminieren“). Emergenz verweist auf die Dynamik epistemologischer „Netzwerke“. Verständnis, Sinn, Bedeutung können nicht von außen vermittelt werden, sondern entstehen emergent innerhalb kognitiver Netzwerke. Durch neue Verknüpfungen, aber auch durch Handlungen und Impulse kommt es zu „Aha-Erlebnissen“, zu plötzlichen Einsichten. Ein Text, der bisher inhaltsleer erschien, wird durch eine veränderte Perspektive interessant, bedeutungsvoll. Umgangssprachlich formuliert: „Uns geht ein Licht auf“, es fällt uns „wie Schuppen von den Augen“. „Folgt man der neueren Kognitionstheorie, so erfolgt die, Entstehung der Bedeutung im Gehirn ,emergent‘“ (Arnold 1996: 33). Im Hinblick auf das Verhältnis von biologischen und kulturell-soziologischen Erklärungen ergibt sich aus diesen Überlegungen, dass sich mit Hilfe biologischer Erklärungen die anatomische und neurophysiologische Grundlagen erfassen lassen, die – im Status der Bedingung der Möglichkeit – die Entstehung der symbolisch vermittelten Lebenswelt ermöglicht (vgl. Kreissl/Steiner 2008).
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Auch im Forschungsansatz der theoretischen Triangulation geht es darum, wissenschaftliche Einzelebenen aufeinander zu beziehen. Er bezog sich ursprünglich auf die Untersuchung sozialer Phänomene auf der Basis unterschiedlicher Theorien mittlerer Reichweite und sich daraus ergebender Hypothesen (vgl. Denzin 1979). Theorien-Triangulation (vgl. Flick 2004) ermöglicht die „systematische Erweiterung von Erkenntnismöglichkeiten“ (Flick 1995: 251). Für ein Untersuchungsfeld sollen auf der Grundlage unterschiedlicher Theorien unterschiedliche Erklärungsansätze gefunden werden. Sodann sollen die sich aus den verschiedenen Theorien ergebenden Hypothesen geprüft, die falsifizierten Theorien verworfen und – falls mehrere Theorien für den untersuchten Bereich relevant zu sein scheinen – ein theoretisches Netzwerk entwickelt werden. „Sociologist should also think in terms of a theoretical synthesis. It may well be that each proposition contains a kernel of truth. A final propositional network migth combine features from hypotheses that were initially contradictory [...]. If so, the final theory should reflect the discriminatory power of each perspective.“ (Ebd.: 307)
Das Verfahren der Theorietriangulation stellt Denzin sowohl einem naiven Empirismus gegenüber, der die Tatsachen für sich sprechen lässt, wie auch einem traditionellen hypothetisch-deduktiven Ansatz, der von einer grundsätzlichen Erklärbarkeit zu erforschender Phänomene durch bereits existierende Theorien ausgehen muss, denn nur so sind Hypothesen exakt formulierbar. Denzin wehrt sich in diesem Kontext explizit gegen den Vorwurf des Theorieeklektizismus und empfiehlt ein solches Vorgehen vor allem für Forscher, die keiner bestimmten Theorietradition angehören, oder für Felder, zu denen eine Vielzahl konkurrierender Theorien bestehen (vgl. Prein et al. 1993). Der Anspruch an Interdisziplinarität löst sich hier bewusst von hierarchischen und kausal-additiven Modellen und wird zur emergenten transdisziplinären Folie (Stephan 2000). Konzepte der Transaktion (Schneewind 2005), der Dualität von Struktur und Handeln (Giddens 1988), der Ko-Konstruktion (Baltes et al. 2006; Markowitsch/Welzer 2006) oder der Ko-Evolution (Luhmann 1984; Jablonka/Lamb 2005) sowie Überlegungen zu einer integrativen Entwicklungsforschung (Diriwächter/Valsiner 2005) oder zur Theorie der Strukturierung (Giddens 1988) verweisen ebenfalls auf die Ergiebigkeit von An-
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sätzen, die über den jeweiligen „Deutungs-Tellerrand“ blicken und andere Perspektiven „auf gleicher Augenhöhe“ (Eibl 2009) einbeziehen. Multiperspektivisch zu denken und zu erheben sowie die „multiplen Realisierungen“ (Heintz 2004) und Schnittmengen aus unterschiedlichen Perspektiven, die in der Regel für unterschiedliche Disziplinen stehen, einzubeziehen und zu reflektieren, lernen wir in der Regel nicht. Dabei ist es der Komplexität von Leben angemessener, unterschiedliche Perspektiven Weise zu berücksichtigen als in Alternativen zu denken und zu forschen. „Dasselbe Phänomen kann auf unterschiedlichen Beschreibungsebenen erfasst werden.“ (Ebd.: 27) Neuere Versuche finden sich in nichtlinearen Ansätzen. Giddens beispielsweise setzt mit seiner interdisziplinären Sozialwissenschaft (vgl. Joas 1988) imperialistischen Konzepten, die entweder das gesellschaftliche Objekt (die Gesellschaft) oder das Subjekt (den bewusst handelnden Menschen) als beherrschend sehen, die „Dualität von Struktur“ entgegen, d.h. den doppelten Charakter von Strukturen als Ermöglichung und Restriktion des Handelns, als Medium und Resultat der Praxis. Strukturmomente existieren nicht außerhalb des Handelns, sondern sind fortwährend in dessen Produktion und Reproduktion einbezogen. Einen weiteren Aspekt betonen Vertreter der Akteur-Netzwerk-Theorien (ANT). Sie bestreiten die übliche soziologische Annahme, dass es eine „soziale Erklärung“ (Latour 2007: 10) von Phänomenen gebe und es Sinn mache, von sozialen Faktoren zu sprechen. Vielmehr gehen sie davon aus, dass es keine soziale Dimension irgendeiner Art gebe, dass soziale Faktoren nicht einfach zu anderen Kontexten hinzuaddiert werden können, und Gesellschaft auch nicht der Kontext oder Rahmen sein, in dem sich alles abspiele (ebd.: 15). Sie sehen sozial nicht als Eigenschaft, sondern als Verknüpfungstyp zwischen Dingen, die nicht unbedingt „sozial“ sind. Daraus lässt sich schließen, dass eine so verstandene Soziologie sich auf alles beziehen kann und dass nicht von vornherein klar ist, welche Phänomene dem Sozialen und welche anderen Bereichen zuzuordnen sind. Stichweh (2008) verweist darauf, dass eine große Zahl wissenschaftlicher Kulturen durch vielfältige Überlappungen und Nachbarschaften gekennzeichnet ist. In Anknüpfung an Campbells „Fischschuppenmodell der Allwissenheit“ geht er nicht von einem privilegierten Denksystem aus, sondern von Mustern lokaler Integration des Wissens und lokaler Verknüpfung mit kognitiven Nachbarn. Der eigentliche Ort von Wissen sei
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heute das System all dieser Verknüpfungen. Am Beispiel der Informationsverarbeitung zeigt Stichweh, dass das Verständnis von Information in der naturwissenschaftlichen Informationstheorie ein ähnliches ist wie das von Sinn in der phänomenologischen Tradition von Sozialwissenschaften und Philosophie. 1.3.3 Multiperspektivität zwischen Transdisziplinarität und Postdisziplinarität Die vorgestellten kritischen und sehr bedenkenswerten Überlegungen und Beispiele zur Logik und Anschlussfähigkeit unterschiedlicher Disziplinen und Ebenen aufgreifend, wobei die Unterschiede sehr fließend sind und vor allem analytisch greifbar werden, wird im Folgenden ein offenes, nichthierarchisches Verhältnis der verschiedenen Erklärungsebenen zu Grunde gelegt mit dem Ziel, sich von disziplinären Festlegungen zu lösen. Mit dem Begriff der Multiperspektivität, der bewusst nicht auf Disziplinen rekurriert und insofern Joas (2005: 88) Überlegungen zu einem „postdisziplinären“ Wissenschaftsverständnis folgt, wird versucht, dies einzulösen. Er verweist auf die Notwendigkeit, zu erklärende Phänomene aus unterschiedlichen Perspektiven mit unterschiedlichen Erklärungsansätzen und ebenen aufzugreifen, diese ernst zu nehmen und aufeinander zu beziehen. Damit ist aber nicht zwangsläufig Entdisziplinierung verbunden. Diese Erklärungsebenen können, müssen aber nicht mit disziplinären Perspektiven zusammenfallen. Transdisziplinäres (vgl. Mittelstrass 1987; Stichweh 2008) und emergenztheoretisches (vgl. Heintz 2004) Vorgehen scheint besonders geeignet, die Fallen naiver oder additiver Interdisziplinarität zu vermeiden. Insofern ist im Folgenden auch nicht das Verhältnis sozialer, biografischer, psychischer und biologischer Faktoren Forschungsgegenstand. Ihr Zusammenwirken wird als System lokaler Integration des Wissens und lokaler Verknüpfung von kognitiven Nachbarn vorausgesetzt (vgl. Campbells Fischschuppenmodell). Gleichzeitig bleibt aber auch die Autonomie einzelner Erklärungsebenen erhalten (vgl. Schumacher 2006).
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1.4 F AZIT : K OORDINATEN DER H ERSTELLUNGSPRAXIS PERSONALER K ONTINUITÄT Was folgt nun aus den skizzierten Aspekten zur personalen Kontinuität, zur Praxis des „doing continuity“ und zur multiperspektivischen Annäherung für die hier interessierende Fragestellung der Herstellung von personaler Kontinuität? Wenn im Folgenden der Begriff der personalen Kontinuität verwandt wird, sind strukturelle und prozessuale Aspekte gleichermaßen einbezogen: •
Der Begriff der personalen Kontinuität hat einen strukturellen Aspekt, der sich darauf bezieht, dass Menschen sich als authentische Wesen empfinden und in der Regel ein Grundgefühl haben, dieselben zu sein, Kontinuität zu haben und zu sein. Dieses ist Ausdruck der vielfältigen und komplexen Seinsgewissheit einer Person und ihres Selbstbewusstseins. Die Kontinuität, die ein Mensch sich zuschreibt, ist immer nur von ihm selbst wahrgenommen, insofern nicht „real“, auch wenn er davon ausgeht, dass sie real ist. Dieser Aspekt von EigenSinn, Individualität, Subjektivität und Sinnhaftigkeit von Handeln wird in Anknüpfung an die subjekt- und individuumsbezogene Tradition von Biografieforschung, Hermeneutik, Sozialpsychologie und (Rekonstruktiver) Soziologie aufgegriffen, mit Anknüpfungspunkten in der Differenziellen Psychologie und den Neurowissenschaften (Kandel 2007). Kaufmann (2004) sieht ein Individuum als „kontinuierliche Verbindung“ von zwei Prozessen an: „einerseits ein sich überaus häufig wandelnder, widersprüchlicher Bestand an individuell inkorporiertem und auf besondere Weise angelegtem sozialen Gedächtnis, andererseits ein System subjektiver Geschlossenheit, das Sinn verleiht, indem es die Illusion einer augenscheinlichen Ganzheit schafft.“ (Ebd.) Personale Kontinuität ist kein Zustand an sich. Sie wird deshalb von Neuro- und Kognitionswissenschaftlern gerne als Illusion bezeichnet. Da der Begriff der Illusion eher negativ besetzt ist, ist es angemessener, von Konstruktion zu sprechen. Psychologen nennen diese Konstruktion Persönlichkeit, Sozialpsychologen und Soziologen
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sprechen von Identität, Seinsgewissheit und Selbstkonzept, Biografieforscher von biografischer Identität und Kognitivisten von „phänomenalem Selbstmodell“ (Metzinger 2003), Entität und vorsprachlichem Ichgefühl. Ferner beinhaltet der Begriff der personalen Kontinuität einen individuumsbezogenen Aspekt, der einschließt, dass „Selbigkeit“ immer nur auf eine bestimmte und einzigartige Person bezogen sein kann, also personal ist. Subjekttheorien sprechen von Subjektivität. Der Begriff der personalen Kontinuität beinhaltet auch, dass Personen sich über die Zeit, im Lebensverlauf und auch in unterschiedlichen Situationen und Lebenswelten, als dieselben empfinden. Kontinuität ist ein Prozess, kein Zustand und beinhaltet auch Aspekte von Wandel. Der Gegenpart ist Diskontinuität. Kontinuität als Prozess hat einen zeitlichen und einen lebensweltlichen Aspekt. Wir knüpfen in jedem Moment an Zurückliegendem und an Künftigem an. Personale Kontinuität ist dynamisch, sowohl mikrozeitlich als biografisch. Dieser Aspekt wird in der Biografie- und Lebenslaufforschung sowie der Entwicklungsforschung ebenfalls aufgegriffen. Murray forderte bereits 1938, den gesamten Verlauf der individuellen Entwicklung einzubeziehen und nicht nur einzelne Episoden oder Zusammenhänge: „But taken as a whole, personology is a patchwork quilt of incompatible designs.“ Auch Giddens (1988) verweist auf die Prozesshaftigkeit menschlichen Handelns.
Konstruktivistische und praxeologische Konzepte und Argumentationen aufgreifend ist davon auszugehen, dass Menschen sich selbst und ihr Leben im Rahmen von bioprogrammatischer Ausstattung, sozialer Umwelt, Erfahrungen und Gelegenheitsstrukturen aktiv gestalten und mit entsprechenden Praktiken ko-konstruieren: Was wir sind, hängt damit zusammen, was wir tun – was wir tun, hängt damit zusammen, was wir sind – beides hängt wiederum damit zusammen, wo, wann und mit wem wir leben, ist also situiert und kontextualisiert. In Analogie zu diesen Ansätzen wird die Herstellung personaler Kontinuität als Prozess des doing continuity entschlüsselt, als immer wieder von neuem herzustellende Praxis. Mit der Fokussierung auf das Tun werden Praktiken zentral. Diese sind keine reinen Wiederholungen, sondern mindestens minimal anders über die Zeit und in jeder Situation.
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Die dargestellten Konzepte beziehen sich in der Regel auf soziale Praktiken. Auf diese soll der Begriff der Praktiken nicht beschränkt bleiben. Vielmehr soll er multiperspektivisch um biografische, biologische und psychische Praktiken erweitert werden. Mit anderen Worten: Es geht um die Praxis und die Praktiken der Herstellung personaler Kontinuität. Auf Konzepte wie Subjektivität, Identität, Persönlichkeit, Ich oder Selbst wird dabei Bezug genommen, doch wird davon ausgegangen, dass sie zu sehr einengen und zu wenig Raum lassen für multiperspektivische Herangehensweisen. Da in konstruktivistischen und praxeologischen Ansätzen und mit den Begriffen Handlungspraxis und Praktiken Prozessaspekte und Aspekte von Zeitlichkeit in der Regel wenig berücksichtigt werden, werden mit dem Begriff der Kontinuität Aspekte von Zeit und Selbigkeit über die Zeit explizit eingeschlossen. Doing continuity ist dann die Praxis, personale Kontinuität über die Zeit und in unterschiedlichen Lebenswelten herzustellen. Hier werden auch Anregungen aus dem Konzept der durée (vgl. Braudel 1977; Giddens 1988) aufgegriffen, das Kontinuität als Strom auffasst und nicht als aneinandergereihte Episoden. Im Begriff des doing continuity fließen damit Aspekte von Zeitlichkeit, Handeln und quer dazu von Multiperspektivität zusammen: •
•
der Aspekt der Situierung in der Zeit, in Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft sowie der Prozessualität von Herstellung einschließlich Wandel und Veränderung, der Aspekt der Konstruktion in Referenz auf (sozial)konstruktivistische, agency-basierte und praxeologische Konzepte, die aktuell in soziologischen, biografietheoretischen, erziehungswissenschaftlichen, neuropsychologischen und kognitivistischen Herangehensweisen konkretisiert werden.
Diese ersten Annäherungen und Überlegungen beinhalten keinesfalls schon die Gesamtheit aller grundlegenden konzeptuellen und vor allem empirischen Entdeckungen, Bezüge, Verknüpfungen und Relativierungen, die im Folgenden ausgefaltet werden. Sie verdeutlichen aber die Perspektive und Suchrichtung der Arbeit entlang der drei Koordinaten: personale Kontinuität, doing continuity und Multiperspektivität.
Empirische Spurensuche
2. Doing continuity als biografische Praxis
„Zeiten sind ‚drei‘: eine Gegenwart von Vergangenem, eine Gegenwart von Gegenwärtigem, eine Gegenwart von Künftigem.“ AUGUSTINUS (11. BUCH, 20. KAPITEL; AUSGABE LACHMANN 1988) „Es hat also der Mensch seine innere und äußere Umwelt selbst zu ordnen. Dafür zur Verfügung stehen ihm äußere Erfahrungen und inneres Rückerinnern.“ GOTTFRIED BENN 1949 „Im Leben gilt alles nur ‚bis so weit‘, noch ist Möglichkeit, noch ein Leben in die Zukunft, aus der neue Wirklichkeit, neue Tat auch das Zurückliegende neu und anders deuten kann.“ KARL JASPERS 1913 „Jeder Mensch erfindet sich früher oder später eine Geschichte, die er für sein Leben hält.“ MAX FRISCH 1964 „Das sehe ich heute anders als mit 18 oder 25 oder auch noch mit 35. Aber es ist dennoch derselbe Kopf geblieben, der das denkt […] Für mich würde ich sagen: vielleicht ist der Begriff ‚ein anderer Mensch‘ falsch, ich würde es nennen: derselbe Mensch in anderen Phasen seines Lebens.“ JOSCHKA FISCHER 2008
Die Biografieforschung (vgl. Alheit 1992; Behrens/Rabe-Kleberg 2000; Bertraux/Bertraux-Wiame 1985; Brandstädter 2001; Dausien 2001; FuchsHeinritz 2005; Geulen 2000; Kohli 1976; Schütz 1932; Schütze 1984) stellt implizit und explizit die Frage nach dem Verhältnis von personaler Kontinuität und Diskontinuität im Lebensverlauf. Sie bezieht die Tatsache ein, dass Menschen Erfahrungen machen und durch sie eine Vergangenheit haben und fragen nach der „individuell-biografischen Dimension in Konstruktionsprozessen“ (Dausien 2001), nach den Strukturen von Biografien sowie nach der subjektiven Verarbeitung von Lebensläufen. Diese biogra-
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fischen Zusammenhänge sind der Schlüssel, um zu verstehen, warum Menschen so handeln, wie sie handeln. Auch in der Lebenslaufforschung geht es um den individuellen Lebenslauf, allerdings bezieht sie sich auf die strukturelle Seite von Biografien. Lebensverlaufstudien untersuchen den Lebensverlauf als Abfolge von Aktivitäten und Ereignissen in verschiedenen Lebensbereichen und institutionalisierten Handlungsfeldern, auch im historischen und kulturellen Vergleich, und thematisieren vor allem den sozialen Wandel. Biografieforschung nimmt im Vergleich dazu stärker die ganze Person und ihre Deutungen in den Blick und setzt sie in Bezug zu ihren Erfahrungen. Der Fokus liegt auf der subjektiven Verarbeitung von Lebensläufen: Warum und unter welchen Bedingungen verändern sich manche Subjekte und andere nicht? Warum werden gleiche Erfahrungen nicht gleich erlebt und erinnert? Um diese Unterschiede zu verstehen und zu erklären, untersucht die Biografieforschung die je individuellen Lebensgeschichten und deren subjektive Verarbeitung und Interpretation in ihrer sozialen Einbettung. Empirisch wird die Prozesshaftigkeit individuellen Lebens und Erlebens zugänglich, indem entweder retrospektiv oder in Längsschnittstudien biografische Narrationen und Thematisierungen sowie biografisches Handeln erhoben, also nicht nur punktuelle Konstellationen erfasst werden. Handlungs- und Lebensorientierungen repräsentieren die empirisch rekonstruierbaren Leitideen der Gestaltung der eigenen Biografie. Diese biografischen Sinnstrukturen sind relevant für die Lebensführung und bieten einen Rahmen, um unterschiedliche Handlungslogiken und biografisches Planen, Umsetzen und Handeln, aber auch „angebahnte“ und dann „untergegangene Lebensentwürfe“ (Becker-Schmidt 1993) und Brüche zu verstehen. Wird der biografisch-subjektive Bedeutungskontext einbezogen, wird nachvollziehbar, warum Menschen mit ähnlicher Herkunft und Milieu unterschiedliche Biografien aufweisen. In zahlreichen empirischen Studien konnte herausgearbeitet werden, dass und wie Handeln in biografische Horizonte und individuelle Sinnstrukturen eingebettet ist und wie personale Kontinuität durch die situativdeutende Verarbeitung biografischer Erfahrungen (Dausien 2001) immer wieder von neuem als „bindende ‚Realität‘“ (Wohlrab-Sahr 2006: 94) für weiteres Handeln und Erleben hergestellt wird. Bereits in den 1920-er Jahren wurden biografische Materialien und persönliche Lebensberichte als soziologische Daten genutzt. Thomas und
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Znaniecki (1958) gelten als Pioniere der Biografieforschung. Aber die biografische Methode wurde zeitgleich auch in Psychologie und Pädagogik verankert: Bühler (1925, 1932) untersuchte und analysierte in ihrer Arbeit „Der menschliche Lebenslauf als psychologisches Problem“ Jugendtagebücher mit dem entwicklungspsychologischen Anspruch, die gesamte Humanontogenese in den Blick zu nehmen. Diese Perspektive wurde in Folge vor allem in der US-amerikanischen Forschung mit entwicklungspsychologischen Lebensverlaufsstudien (vgl. Vaillant 2000; siehe auch Kapitel 4) aufgegriffen. Die Etablierung der quantitativen Sozialforschung hemmte in den nächsten Jahrzehnten die Weiterentwicklung der Biografieforschung. In den 1970-er Jahren erlebte sie eine Renaissance. Sie hat sich seitdem von einer Methode zu einer etablierten Forschungsrichtung entwickelt. Methodisch stehen narrative, retrospektive und überwiegend qualitative Verfahren im Vordergrund, die sich auf Lebensbeschreibungen und Lebensepisoden als mündliche oder verschriftete Präsentationen des eigenen Lebens oder eigener Lebensepisoden beziehen. Zunehmend wird auch multimethodisch und interdisziplinär vorgegangen: Dausien und Kelle (2005) versuchen Biografieforschung und Ethnografie zusammenzuführen, Welzer und Markowitsch (2006) kooperieren in der Biografieforschung und Neuropsychologie, Breidenstein und Kelle (1998) in der Biografieund Genderforschung und Hoerning (2000) versucht, Biografie- und Sozialisationsforschung zu verbinden, um nur einige Beispiele zu nennen. Auch in der pädagogischen Forschung haben biografische Ansätze ihren festen Platz (vgl. Behnken/Zinnecker 2001; Scholz 2002). Im Folgenden werden Befunde aus der Biografieforschung zur Herstellung personaler Kontinuität vorgestellt. Eingegangen wird • • • • •
auf die Funktion von Erfahrungen, biografischer Kontinuität und Perspektivität auf die biografische Agency auf die biografische Individualität auf die biografische Verarbeitung von Diskontinuitäten und auf das Verhältnis von Biografie und soziokulturellen Kontexten
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2.1 K ONTINUITÄT DURCH E RFAHRUNGEN , E RINNERN UND P ERSPEKTIVITÄT Biografien sind durch die subjektive Verarbeitung des Lebenslaufs gekennzeichnet, „ein Prozess, bei dem ständig auf Lebenserfahrungen zurückgegriffen wird und in dem fortwährend neue Erfahrungen gemacht, modifiziert und generiert werden“ (Hoerning 2000: VII). Erfahrungen der Vergangenheit stellen die Weichen für die Gegenwart und die Zukunft und werden zum verständnisbildenden Rahmen für die Lebenswelt einer Person. Sie prägen eine Biografie ebenso wie soziale und nationale Herkunft, Bildung, Geschlecht und Hautfarbe und lagern sich als „biografisches Wissen“ (Heinz 2000: 169) und Kapital für aktuelle und künftige biografische Konstruktionen ab. Biografien sind gleichzeitig ein nie abgeschlossener, lebenslanger Prozess der subjektiven Verarbeitung und Bedeutungszuweisung mit fortlaufender Anpassung kontinuitätssichernder Selbstdeutungen: Personen empfinden sich als identisch in der Zeit, verarbeiten die Erfahrung von Transitionen, Diskontinuitäten, Krisen und Brüchen und erhalten die Perspektive von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aufrecht. Das „individuelle Leben (hat; Ergänzung der Autorin) eine eigene und eigengestaltete Struktur [...], die sich in einem fortlaufenden Prozess während des ganzen Lebens verändert“ (Fuchs-Heinritz 1998: 18), dabei nicht die Vergangenheit verliert, sie jedoch interpretiert und modifiziert. Menschen verorten sich in einem Vorher-Nachher. Erinnern als Rückgriff auf Vergangenes fungiert dabei als Orientierung in der Gegenwart und ist immer eine Auswahl und Neuformung (vgl. Welzer 2001). Neue Erfahrungen machen Entwicklung und Veränderung notwendig, um das bisher Bewährte zu bewahren und wo notwendig zu korrigieren, zu revidieren, zu verlernen oder zu verwerfen (Kohli 1976). Frühere Erfahrungen bleiben präsent und „bilden den Horizont, auf dem neue Erfahrungen interpretiert und neue Ziele antizipiert werden“ (ebd.: 320). Auf den unterschiedlichen und unterschiedlich bedeutsamen Erfahrungen in der materiellen, sozialen und kulturellen Umwelt baut sich die biografische Persönlichkeit als „interne Repräsentanz der Welt“ (Geulen 2000: 189) auf. Biografisch aufgeschichtetes Wissen ist keine bloße Addition, Abbildung oder Rekonstruktion, sondern immer Konstruktion. Dies hat zur Folge, dass biografische Konstruktionen sich verändern. Die Vergangenheit
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ist „geschmeidig, biegsam und dauernd im Fluss für unser Bewusstsein, je nachdem wie die Erinnerung sie umdeutet und neu auslegt, was sich ereignet hat“ (Berger 1977: 67, zitiert nach Hoerning 2000: 6). Biografische Selbstthematisierung findet immer in der Gegenwart und aus dem Blickwinkel der Gegenwart statt, d.h. es gibt nicht die eine Biografie, sondern nur unterschiedliche und sich verändernde Fokussierungen, die trotzdem, jede für sich, „wahr“ sind. Jeder Mensch entwirft im Laufe der Jahre die eigene Biografie unterschiedlich. Dies spricht aus der Sicht der Biografieforschung weniger für ein stabiles „Kernselbst“ als für einen „roten Faden“ im Lebensverlauf. Heinz (2000) hat für diese biografische Kontinuität den Begriff der „moving baseline“ geprägt: Mit situativen Kontextveränderungen wandeln sich die Selbstkonzepte der Individuen und die Konstruktionen für Gegenwart und Zukunft, dennoch bleiben sie auch dieselben und behalten als Schlüsselthemen einen dauerhaftem Charakter (Keddi 2004). Lange und Klinkhammer (2006) weisen übrigens darauf hin, dass sich nicht nur individuelle, sondern auch gruppenbezogene Erinnerungen verändern. Familienerinnerungen, die Struktur des Familiengedächtnisses und die familiale Verortung richten sich an den „Bedürfnissen“ der Gegenwart aus. Eine Sonderform biografischer Erinnerungen sind regelmäßig wiederkehrende Situationen, die erlebt, erzählt oder angesprochen werden, die Repisoden, „representations of repeated episodes“ (Neisser 1981) – eine Art biografischer Praktiken. Biografische Kontinuität strukturiert individuelle Erfahrungen und stellt Relevanz im eigenen Leben her. Dies schlägt sich als Herstellen biografischer Konsistenz über die Zeit nieder. Frühere Erfahrungen lassen sich nicht ausradieren, sondern bleiben präsent und bilden den Horizont, auf dem neue Erfahrungen interpretiert und neue Ziele antizipiert werden. Dabei geht es vor allem darum, in die Zukunft zu denken und sich zu ihr zu verhalten (vgl. Kraus 1996).
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2.2 S INN , D EUTUNG UND B EDEUTUNG BIOGRAFISCHER E IGEN S INN
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„Die Menschen haben zweierlei Eigentum: ihre Lebenszeit, ihren Eigensinn.“ ALEXANDER KLUGE 2000
Aneignung von Welt durch Erfahrungen ist immer Deutung und Konstruktion. Der aktuellen Biografieforschung folgend (Hoerning 2000; Schimank 2002) ist Handeln in „biografische Horizonte“, also die biografischen Erfahrungen der Subjekte eingebunden. „Wichtig ist nun der Befund, dass unser Grundgefühl, relativ selbstständig über unsere Biografie verfügen zu können, offenbar nicht notwendig mit der Tatsache in Konflikt gerät, dass der größere Teil unserer biografischen Aktivitäten entweder weitgehend festgelegt ist oder von verschiedenen Prozessoren erst angestoßen wird. Es erscheint deshalb plausibel, dass jenes ‚Gefühl‘ in Wahrheit gar kein intentionales Handlungsschema, kein bewusster und gewollter biografischer Plan ist, sondern eine Art versteckter ‚Sinn‘ hinter den abwechselnden Prozessstrukturen unseres Lebensablaufs: die zweifellos virulente, aber strategisch nicht unbedingt verfügbare Intuition, dass es sich bei aller Widersprüchlichkeit doch um ‚unser‘ Leben handelt“ (Alheit 1992: 30), auch wenn wir so komplex und flexibel sind, dass wir uns sogar selbst immer wieder einmal überraschen können. Fuchs (2003) bezeichnet diesen versteckten Sinn als individuelle Signatur. Entsprechend ist Handeln nicht nur in „biografische Horizonte“, sondern auch in Sinnstrukturen eingebunden. Während häufig der Blick auf Lebensentwürfe, Entscheidungs- und Planungsprozesse gerichtet wird, also auf die absichtsvolle und bewusste Gestaltung von Biografien, geht die Biografieforschung davon aus, dass Subjekte meist nicht intentional, bewusst und gewollt im Sinn von Planen und Entscheiden handeln, sondern vor dem Hintergrund biografischer Horizonte, individueller Prozesse und Perspektivität, die den subjektiven Handlungsrahmen definieren. Zudem sind Erfahrungen häufig mit Emotionen verbunden. Dies wird in vielen soziologischen Ansätzen und Entscheidungstheorien nicht berücksichtigt, die Menschen als rational handelnd verstehen, und findet erst punktuell Eingang in soziologische Theoriebildung. Subjektive Sinnhorizonte und biografische „EigenSinne“ können die oft unverständlich und irrational erscheinenden Handlungen von Menschen deshalb meist besser aufschlüs-
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seln als ausschließlich an biologisch-genetischen Ursachen oder Strukturen wie Geschlecht, Herkunft, Milieu, Region, sozialer Rahmen, Bildung oder Lebensform orientierte Ansätze, Rational-Choice-Konzepte, „einfache“ Individualisierungstheorien oder Ansätze, die typische Abfolgen, Stufen und Übergänge in den Blick nehmen. Ohne von Sinn Gebrauch zu machen, kann keine gesellschaftliche Operation anlaufen (vgl. Luhmann 1998). Sinn ist jedoch ein Medium, ein Produkt von Operationen, die Sinn benutzen, keine Weltqualität. „Es gibt demnach keine von der Realität des faktischen Erlebens und Kommunizierens abgehobene Idealität.“ (Ebd.: 44) Die Forschungsergebnisse der Biografieforschung machen deutlich, wie tief Sinn in die Wirklichkeit von Menschen, in ihr Handeln, ihre Erfahrungen und ihre Beziehungen zu anderen eingelagert ist. Es gibt immer einen kleinen oder großen ausgeblendeten Rest, wenn man beginnt zu verallgemeinern (vgl. Scholz 2002). Gleiche Handlungen können je nach Kontext und individuellem Hintergrund Unterschiedliches bedeuten. Eine Familie gründen, den Lebenspartner verlassen, sich verlieben, kündigen oder einen scheinbar stimmigen Lebenspfad verlassen, kann nicht nur je nach situativem, sozialem, Geschlechter- und kulturellem Kontext völlig Unterschiedliches bedeuten. Individuelles Handeln wird oft erst verständlich und nachvollziehbar, wenn der biografisch-subjektive Bedeutungskontext einbezogen wird. Weder schichtspezifische Charakteristika der Familie noch dramatische Umstände oder gezielte pädagogische Maßnahmen scheinen nämlich gleich erfahren zu werden. Sie gehören somit nur oberflächlich zur „geteilten“ Umwelt, die Entwicklungsprozesse, Verhalten und Handeln dem klassischen Credo zufolge determiniert. Sehr viel bedeutsamer scheinen nichtgeteilte Umwelteinflüsse, „die individuelle Umwelt“ oder die individuellen Erfahrungen, die sich jeder Mensch selbst schafft. Hier zeigen sich Anschlüsse zur quantitativen Genetik. Den Menschen, die abstrakte Biografie oder ein „allgemeines Subjekt“ gibt es folglich nicht. Auch LifeEvents wirken bei jedem Einzelnen unterschiedlich, sind von unterschiedlicher Relevanz: manche werden kaum berührt, manche leiden, andere profitieren (vgl. bezogen auf Scheidungen Walper 2005). Wichtig ist die Bedeutung, die den Ereignissen verliehen wird (vgl. Welzer 2001), nicht das Lebensereignis als solches. Es geht nicht darum, dass sich Menschen Ereignis um Ereignis mit der Welt auseinandersetzen, nicht um Faktizität, sondern um „meaning making“, das nicht primär die eigene Geschichte
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verstehbar macht, sondern sie für die Zukunft offenhält (Keupp et al. 2002: 210): „Selbsttäuschungen über die eigene Vergangenheit werden als ‚positive Illusionen‘ zur Grundlage psychischen Wohlbefindens“ (ebd.). Präferenzen begleiten biografische Entscheidungen, aber verursachen sie nicht (vgl. Heinz 2000). Individuelle Lebensentwürfe, Ziele und Projekte sind nämlich einem ständigen Wandel unterworfen. Sie ändern sich nicht nur entwicklungsbedingt, sondern auch in Transitionen oder in Krisenzeiten, orientieren sich an Ressourcen und Gelegenheitsstrukturen sowie am sozialen Umfeld, signifikanten Anderen oder Gatekeepern, und werden entsprechend angepasst, revidiert oder verworfen. Veränderungen und Wandlungen können entsprechend gravierend sein. Veränderungskompetenz ist eine überlebensnotwendige Leistung, damit sich Menschen anpassen und damit überleben können – eine Eigenschaft, die aktuell in besonderer Weise notwendig scheint. Dies wird oft als Beleg dafür genommen, dass sich alles verändert und keine Kontinuitäten existieren. Doch während sich Lebensentwürfe häufig verändern, weisen individuelle Bedeutungs- und Sinnhorizonte im Lebensverlauf (vgl. die dargestellten Lebensthemen junger Frauen) eine erstaunlich hohe Stabilität und geringe Verletzlichkeit auf, wie längsschnittliche Studien (vgl. Baltes 2001; Bauer 1997; Brandtstädter 2001; Keddi 2006b; Vaillant 2002) zeigen. Identitäten oder Selbste frei kombinieren zu können und fast nach Belieben zu wechseln, scheint für die postmoderne Lebensgestaltung typisch zu sein. Schimank (2002: 107) hat am Beispiel Bob Dylans gezeigt, dass dessen Leben zwar auf den ersten Blick ziellos verlief, jedoch nicht ungerichtet war. Der rote Faden in seinem Leben sei gewesen, dass er sich immer weg vom je Vorgegebenen entwickelt habe, möglicherweise eine postmoderne Form von biografischer Kontinuität. Vor allem den retrospektiv gewonnenen biografischen Erzählungen und Ergebnissen der Biografieforschung wird oft unterstellt, dass sie verzerrt und „realitätsfern“ wären („false memory“) und nur eine „biografische Illusion“ abgebildet würde (vgl. Bourdieu 1990; Welzer 2006). Doch interessiert gerade die subjektive Konstruktion von Realität mit allen Verzerrungen und Umdeutungen, Vermeidungen und Bewältigungen, denn auf dieser Basis leben Menschen ihr Leben, bewältigen es oder scheitern. Zwischen Innen- und Außenwelt entstünden dann biografische Konstruktionen, die immer die „persönliche Logik“ spiegeln. „Lebensgeschichten verfügen über ein Potenzial [...] ‚Biografizität‘: Fähigkeit, Anstöße von außen
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auf eigensinnige Art zur Selbstentfaltung zu nutzen, [...] also zu lernen“ (Alheit/Dausien 2000: 277). Die Strukturierung und Artikulation von biografischen Erfahrungen als Möglichkeit, das eigene Leben als Kontinuum zu verstehen, spiegelt auch kulturelle Konzepte und die soziale Konstituierung der Deutung individueller Lebenserfahrungen (vgl. Kraus 1996). Je nach biografischer Situation und vor dem Hintergrund biografischer Erfahrungen wird das eigene Handeln umgedeutet, geglättet, geschönt und angepasst. So erbringen auch Fragen nach den Begründungen konkreten Handelns, Wertens und Deutens sowie von Einstellungen nicht unbedingt die erhofften Antworten. Aus rationalisierenden und punktuellen, zur stimmigen Darstellung gedrängten Antworten lässt sich nicht direkt auf Sinn und Bedeutung von Tun schließen. Solche Antworten können meist nicht Aufschluss darüber geben, warum die Biografien von Personen in dieser und nicht in jener Richtung verlaufen (sind). Vielmehr gilt es, biografischen EigenSinn als Handlungskontext in doppelter Weise zu berücksichtigen: als Sinn, den die handelnde Person für sich konstruiert und benötigt, um handeln zu können, und als Sinn, der analytisch aufzuspüren ist, auch in dem Bewusstsein, dass wissenschaftliche Texte, wie auch literarische Texte, nur Optionen darauf sind, wie etwas gewesen sein und wie es sich entwickeln könnte, wie es verstanden und wie es gedeutet werden könnte (ebd.).
2.3 B IOGRAFISCHE AGENCY Das Konzept des „biografischen Akteurs“ verbindet die individuelle Lebensgeschichte und Lebensperspektive mit wahrgenommenen Optionen und Kontexten (Geulen 2000). Durch „aktive Strukturierung“ (Burkart 1994, mit Bezug auf Piaget, Mead, Giddens und Hurrelmann/Ulich) gestaltet das Subjekt: Es „modifiziert die strukturellen Vorgaben, die Struktur setzt sich sozusagen erst durch die Aktivitäten des Subjekts durch“ (ebd.: 91). Struktur und Individualität gehen eine Synthese ein, denn aus der Binnensicht des Subjekts „haben wir ja als Biografieträger durchaus das Gefühl, ‚Organisatoren‘ unseres Lebens zu sein“ (Alheit 1992: 24). Zwischen Struktur und Subjekt entstehen Lebenskonstruktionen, die natürlich auch versteckte Referenzen an die strukturellen Bedingungen darstellen. Die Biografieforschung versucht, die Konzeption der inneren
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Struktur von AkteurInnen und der Modi und Folgen ihres handelnden Umgangs mit äußeren Strukturen zu entschlüsseln (Kohli 1991: 303). Institutionalisierte Ablaufmuster prägen die persönliche Biografie; der Rahmen, in dem sich unsere je individuelle Biografie entfalten kann, ist nicht beliebig weit (vgl. Alheit 1992). Biografien sind kulturell und sozial vorstrukturiert; individuell werden sie durch subjektive Sinnhorizonte strukturiert. Diese sind wiederum immer auch sozial strukturiert (vgl. Burkart 1994: 92) durch institutionalisierte Lebenslauf- und Karrieremuster, biografische und soziale Erfahrungen (bewusste und unbewusste), soziale Rahmenbedingungen wie Geschlechts-, Generations- und Milieuzugehörigkeit, kulturell strukturierte Vorstellungen), „nicht nur im Sinne von Optionseinschränkungen, sondern auch im Sinne der Unmöglichkeit, Optionen abstrakt zu vergleichen“ (ebd.: 92). In diesem Zusammenhang wird auch der Begriff der „biografischen Kompetenz“ verwendet (vgl. Beck 1986; Schütze 1984; Giddens 1988; Soeffner 2004). Die Einheit des Selbst ist keine Konkretion, sondern biografische Konstruktion, „die das Selbstgefühl braucht, um als einheitliches Zentrum der Erfahrung wirken zu können“ (Clausen 2007: 133). Das Individuum (re-) interpretiert die Vergangenheit und füllt die Zukunft in der Gegenwart konkretisierend aus; so konstituiert und konstruiert es wesentlich seine Perspektiven (vgl. Hoerning 2000). Für biografische Prozesse und biografisches Handeln ist die Möglichkeit, Zukunft flexibel zu entwerfen sowie Perspektiven und Alternativen zu entwickeln, von großer Bedeutung (vgl. Alheit et al. 1992). Das, was als Möglichkeit oder Unmöglichkeit der Zukunft wirkt, hat entscheidende Bedeutung für die Ausgestaltung von biografischen Prozessen. Alle Menschen verbindet das „erstaunliche und in aller Regel kontrafaktische Grundgefühl, dass wir Akteure und Planer unserer Biografie sind und eine gewisse Kontinuität unseres ‚Selbst-Seins‘ immer wieder herstellen können“ (Alheit/Dausien 2000: 274). Biografische Erzählungen präsentieren eine Vielzahl von Erfahrungen und Geschichten, sie teilen Perspektiven und Interpretationen mit und bündeln schließlich eine Gesamtgestalt, die mehr intuitiv als bewusst und rational zu erfassen ist, auf einer sehr tiefen Bewusstseinsebene biografischen Wissens, die am Konstruieren von Lebensgeschichte beteiligt ist (vgl. Brunder 1998; Straub 2000). Biografische Identität aufgrund biografischer Erfahrungen strukturiert individuelle Erfahrungen und stellt Relevanz und persönlichen Sinn im eigenen Leben her. Schütz (1932) sieht in der biografi-
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schen Artikulation und Strukturierung von Erfahrungen eine Möglichkeit, das eigene Leben zu ordnen, als Einheit zu verstehen und einen roten Faden durch Erfahrungen zu legen. Schimank (1988: 58, zitiert nach Alheit/Dausien 2000: 257f.) hält mit Bezug auf systemtheoretische Ansätze eine Biografie sogar für „im radikalen Sinn des Wortes autonom. Alle Einflüsse aus der gesellschaftlichen Umwelt, ob gezielt oder absichtslos, werden gemäß den internen Strukturen des personalen Systems verarbeitet, gleichsam von Withinputs abgefangen und eskortiert und können allein so überhaupt biografische Bedeutung erlangen.“ Der ethnografische Blick zeigt, dass, auch wenn lebensgeschichtliches Erzählen eine kulturelle Universalie ist (vgl. Röttger-Rössler 2003), die direkte, autobiografische Selbstdarstellung nicht zum Repertoire jeder Kultur gehört. Sie entspricht als ich-zentrierte Selbstvergewisserung vor allem dem aktuellen westlichen Biografie-Paradigma. Lebensgeschichtliches Erzählen hat viele Formen und umfasst keineswegs nur den langen, selbstreflexiven, chronologisch geordneten und bewusst geäußerten Lebensbericht (ebd.). Auch kurze, episodische Erinnerungen, Skizzen und Erzählungen Dritter können lebensgeschichtliches Gewordensein verkörpern und sind ebenfalls biografische Konstruktionen. Auf den Philipinnen gibt es beispielsweise weder die Idee einer Person noch einer Chronologie. Die Menschen dort leben, denken und erzählen immer eingebettet in familiäre Entscheidungsprozesse, in Relation zu anderen (Lauser 2003: 65). „Es kann mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass lebensgeschichtliches Erzählen eine Universalie darstellt, wobei allerdings die Formen, in denen sich diese vollzieht, von Kultur zu Kultur differieren [...] Die direkte, autobiografische Selbstdarstellung“ (ebd.: 39) gehört im Kontext südostasiatischer und ozeanischer Kulturen nicht zum kulturellen Repertoire, auch nicht im Alltag. „Es gilt als unangemessen sich selbst ins Zentrum einer Geschichte zu stellen und selbst zu erklären, stattdessen wird die Darstellung des eigenen Lebens den Mitmenschen überlassen, den Familienangehörigen, Freunden, Bekannten und Nachbarn, also all denjenigen, in Relation zu denen sich der eigene Weg geformt und entfaltet hat.“ (Ebd.: 40) Diese Ergebnisse aus einem ethnologischen Blickwinkel sind auch ein Hinweis darauf, wie eng Individualität und Sozialität miteinander verflochten sind und bestätigen Konzepte von „agency“. Biografisches Handeln entwickelt sich in einem Prozess. Das heißt, es gibt keinen Masterplan, sondern Biografien sind ein lebenslanger Prozess
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persönlicher Entwicklung. Darauf verweisen auch Ergebnisse der Lebenslauf- und Entwicklungsforschung. Entwicklung ist nicht mit der Phase der Kindheit und Jugend beendet, sondern findet ein Leben lang, in allen Altersphasen statt (vgl. Baltes/Mayer 1999; Geulen 2000; Habermas/Bluck 2000; Hoerning 2000). Das Konzept des lebenslangen Lernens geht davon aus, dass Sozialisationserfahrungen der Kindheit und Jugend ein biografischer Ausgangspunkt sind, der im Lauf des Lebens (beispielsweise bei der Bewältigung von Lebensereignissen) immer wieder zu ergänzen, umzuschreiben und neu zu bewerten ist (vgl. Heinz 2000). Auch aus der Perspektive der Biografieforschung bestätigt sich der Eindruck, dass nicht von einem „Master Plan“ auszugehen ist (vgl. Keddi 2003). In Abgrenzung von Ansätzen universeller Entwicklungsstufen wie denjenigen von Piaget oder Erikson, Altersnormen und Entwicklungsaufgaben legt die soziologische Biografieforschung das Augenmerk auf die Wechselwirkung von gesellschaftlichen Bedingungen und subjektiven Modellen der Verarbeitung und Entwicklung. Biografische Konstruktionen integrieren auch das Konzept der Lebenswelt im phänomenologischen Verständnis (vgl. Husserl 1962; Soeffner 2004): „Erleben, und nicht ein ‚objektiver‘ Sachverhalt, ist maßgeblich für unsere Situationsdefinition“ (Hitzler 1999: 232). Auch aus diesem Blickwinkel sind Bedeutungen relevant, es gibt keine „harten Fakts“. Menschen eignen sich objektivierte Bedeutungen deutend an, und wirken dann wieder an der Konstruktion der objektiven Wirklichkeit mit. In letzter Konsequenz bilden sich Gesellschaften innerhalb der Gesellschaft heraus. Deshalb müssten Soziologen ethnologisch vorgehen, weil für jedes Kollektiv andere Arten von Wissen und andere Hierarchien von Wissensarten bestehen. Die Entdeckung der kleinen sozialen Lebenswelten in der programmatischen Tradition von Alfred Schütz hat keineswegs nur wissens- und kultursoziologische Bedeutung, sondern auch Bedeutung für biografiebezogene Forschung.
2.4 L EBENSTHEMEN ALS BIOGRAFISCHE K ONTINUITÄT BEI JUNGEN F RAUEN . EIN EMPIRISCHES S CHLAGLICHT Menschen handeln vor dem Hintergrund biografischer Horizonte und aufgeschichteter Erfahrungen. Wie Paarbeziehungen gelebt werden, hängt mit
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den Lebenskonstruktionen der Partner zusammen (vgl. Keddi 2004). Dieser Befund beruht auf einer qualitativen Längsschnittstudie zu jungen Frauen und ihren Partnern, die über sieben Jahre mehrfach qualitativ interviewt wurden (vgl. Keddi 2003). Biografischer Sinn konnte empirisch konkretisiert werden. Als Schlüssel diente das aus den Ergebnissen entwickelte Konzept der Lebensthemen, das Zusammenhänge zwischen biografischen Kategorien und Handeln aufdeckt und in Anlehnung an die Methode der „Grounded Theory“ (Strauss 1991) herausgearbeitet wurde. Es differenziert zwischen einzelnen kleinen und großen Projekten, die nebenund nacheinander bestehen, situativ und flexibel sind und oft unabgeschlossen bleiben, und den Lebensthemen, die als biografische Konstruktionen strukturierend und handlungsleitend wirken und zwischen gesellschaftlich-kollektiven, dyadischen und individuellen Projekten vermitteln. Das jeweilige Lebensthema sagt etwas über Stabilität oder Veränderung in der persönlichen Bedeutung von Beruf, Partnerschaft, Familie und Selbstentwicklung aus, aber auch über themenbezogene Schwierigkeiten und Herausforderungen im alltäglichen Leben. Das Ergebnis unterstreicht – zumindest für die untersuchte Lebensphase des jungen Erwachsenenalters – die Bedeutung der biografischen Verankerung. Es konnten unterschiedliche Muster von biografischen Sinnkonstruktionen, Handlungs- und Lebensorientierungen, sogenannte „Leitideen“ zur Gestaltung der eigenen Biografie empirisch rekonstruiert werden. Diese „Lebensthemen“ dominierten Selbstentwurf, Planen und Handeln der befragten jungen Frauen und blieben über den Untersuchungszeitraum von sieben Jahren unverändert, auch wenn sich ihre individuelle Situation verändert hatte, etwa durch eine neue Partnerschaft, Familiengründung oder Arbeitslosigkeit. Die Lebensthemen behielten ihre Relevanz, entlang ihrer Inhalte entwickelten sich die individuellen Projekte wie Kinder, Karriere oder Liebe. Sie wurden auch nicht wie die individuellen Projekte einer Korrektur unterzogen, wenn subjektive Vorstellungen und objektive Bedingungen nicht übereinstimmten, führten dann aber zu tiefgreifenden Krisen im Leben der Frauen. Im Alltag konnten innerhalb verschiedener biografischer Abschnitte zwar durchaus unterschiedliche Aspekte im Vordergrund stehen, Probleme in verschiedenen Bereichen unterschiedlich gelöst und neue Prioritäten gesetzt werden, ohne im Widerspruch zum Lebensthema zu stehen. Eine Frau mit dem Lebensthema Beruf lebte trotzdem in einer Beziehung und bekam bewusst Kinder. Aber ihre Berufsorientierung
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prägte immer die Art der Arrangements und aktuellen Deutungen. Der Optionshorizont, den die Frauen für sich wahrnahmen, variierte entlang der Lebensthemen. Sie strukturierten die Lebensgestaltung und bestätigten eine der Grundannahmen der Biografieforschung, dass Lebensentscheidungen als Lebenskonstruktionen in individuelle Sinnstrukturen eingebunden sind; diese waren auch bei den jungen Frauen nicht immer intentional, bewusst und gewollt im Sinn von Plänen, sondern veranschaulichen den „versteckten Sinn“ hinter den Strukturen des Lebenslaufs (vgl. Alheit 1992). Ein weiteres Ergebnis ist, dass sich das Deuten und Handeln der jungen Frauen nicht in einfachen strukturellen Formeln wie Geschlecht, Herkunft, Region oder Bildung interpretieren lässt. Diese verlieren zwar nicht ihre Bedeutung, sind jedoch je nach Lebensthema unterschiedlich relevant. Konstruktionsmerkmale wie Beziehungsorientierung, die typisch für Frauen scheinen, finden sich auch in den Biografien von Männern (vgl. Dausien 2001; Keddi 2003). Biografie nimmt Geschlecht immer als strukturelle Grundkodierung auf, dennoch ist es nur ein Aspekt der subjektiven Lebensgestaltung. Es verliert damit ebenso wenig wie Bildung, Milieu und Region seine Verbindlichkeit, doch die Zusammenhänge sind komplizierter und nur im Zusammenhang mit der individuellen Situation und Biografie nachvollziehbar.
2.5 B IOGRAFISCHE I NDIVIDUALITÄT Biografische Herangehensweisen betonen die Einzigartigkeit von Menschen, gehen sie doch darauf ein, was im Leben von Menschen besonders ist. „Häufig finden wir Ähnlichkeiten in den Strukturen der Lebensläufe: Menschen sind gleich alt, haben ähnliche Schul- und Berufsausbildungen, haben Familien gegründet – aber der eine ist mit seinem Leben zufrieden und der andere nicht“ (Hoerning 2000: VIII). Menschen reagieren auf Situationen und Bedingungen unterschiedlich. Sie sind nicht nur irgendwelchen Schicksalsschlägen oder gesellschaftlichen Strukturen ausgeliefert. Lewis (1961) zeigte in der Studie „The Children of Sanchez“ zur Autobiografie einer mexikanischen Familie, dass diese trotz gleicher Bedingungen und gleicher familiärer Erfahrungen nicht gleich erlebten und erinnerten. Das „individuelle Leben (hat; Ergänzung der Autorin) eine eigene und ei-
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gengestaltete Struktur [...], die sich in einem fortlaufenden Prozess während des ganzen Lebens verändert“ (Fuchs-Heinritz 1998: 18), dabei nicht die Vergangenheit verliert, sie jedoch interpretiert und modifiziert. Um diese individuellen Unterschiede zu verstehen und zu erklären, untersucht die Biografieforschung die je individuellen Lebensgeschichten und deren subjektive Verarbeitung und Interpretation in ihrer sozialen Einbettung. Beim Vergleich unterschiedlicher Biografien zeigt sich, dass Menschen auf Situationen, Erfahrungen und Bedingungen unterschiedlich reagieren. Im Fokus stehen die biografischen Erfahrungen der Vergangenheit, die die Weichen für die Gegenwart und die Zukunft bereits gestellt haben, und weniger in strukturellen Faktoren oder auch in rationalen Erwägungen. Im biografischen Prozess entwickelt sich subjektives Handeln. Auf den sequenziellen, individuell und interindividuell unterschiedlichen und unterschiedlich bedeutsamen Erfahrungen in der materiellen, sozialen und kulturellen Umwelt (vgl. das Modell der Erlebnisschichtung von Mannheim 1928/29) baut sich die biografische Persönlichkeit als „interne Repräsentanz der Welt“ (Geulen 2000: 189) in ihrer Einmaligkeit und Individualität auf (vgl. Grundmann 2006). Die Ergebnisse der Biografieforschung verweisen wie jede personorientierte Forschung auf große interindividuelle Variationen in der Konstruktion von Kontinuität. Statusübergänge, Verluste oder Krisen werden subjektiv höchst unterschiedlich erfahren und gedeutet. In diesem biografischen Prozess entwickelt sich auch subjektives Handeln. Diese Zusammenhänge zeigen sich sogar in Ergebnissen aus der quantitativen Genetik (vgl. Renninger 1999): Individuelle Entwicklung und individuelles Handeln hängen in hohem Maße damit zusammen, wie jeder einzelne Mensch die Welt subjektiv wahrnimmt. Familiale und andere Umwelten sind längst nicht immer sogenannte „geteilte“ Welten, sondern „individuelle“ Welten. Individualität entsteht vor allem dort, wo es Menschen gelingt, sich als Subjekt zu verwurzeln und zu verorten. Dazu tragen ihre biografisch erworbenen und konstruierten Sinnhorizonte bei. Es zeigt sich nämlich, „dass soziale Systeme den Handelnden einen entscheidenden Schritt bei der Sicherung sozialen Miteinanders [...] nicht abnehmen können, nämlich eine Reaktion, durch die sie zu erkennen geben, wie sie, als herausgeforderte Subjekte, den Stand der Verhältnisse verstehen und vorantreiben wollen.“ (Leu/Krappmann 1999: 16) Das Subjekt hat keine „natürliche Ausstattung“, sondern ist „eine Instanz, Struktur oder [...] Ensemble von
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Kompetenzen, das in [...] sozialen Interaktionen [...] erst entsteht und sich dennoch in kritische Distanz zu den Prozessen und Institutionen zu setzen vermag, in denen dieses Subjekt sich gebildet hat.“ (Ebd.: 11) Die Relation von Kontinuitäten und Diskontinuitäten ist aber selbst, wenn alles „glatt läuft“, ständig neu auszuhandeln.
2.6 D IE K ONSTRUKTION BIOGRAFISCHER K ONTINUITÄT ALS V ERARBEITUNG VON D ISKONTINUITÄT Biografische Konstruktionen haben Gestaltungsgrenzen, können „beschädigt“ oder unterbrochen werden, zusammenbrechen und scheitern. Vor allem bei gravierenden Ereignissen, positiven wie negativen, besonders häufig bei Verlusten, Krisen oder schweren Krankheiten reichen bisherige Erfahrungen, bewährte Konstruktionen und Verhaltensroutinen oft nicht aus, um die neue Situation zu bewältigen (vgl. Schütz 1932). Wenn biografische Sicherheiten verloren gehen, beispielsweise nach einem Schlaganfall, bei Arbeitslosigkeit oder Demenz, verschwimmen Vergangenheit und Zukunft. Kontinuität kann dann nicht mehr hergestellt werden. Dies wird als biografischer Bruch und Diskontinuität erfahren. Brüche können Katalysatoren für notwendige Veränderungen werden (vgl. Becker 1997). „Gerade in Krisen- und Konfliktsituationen [...] treten oft grundsätzlichere Ziele und Sinndimensionen der eigenen Lebensführung wieder ins Bewusstsein“ (Brandtstädter 2001: 91). Dann werden Neubzw. Umorientierungen sowie bewusste Bilanzierungen des bisherigen Lebens notwendig, um die Fakten des Lebens neu zu ordnen und zu verorten, also die Biografie neu zu verankern. Diese Konstruktionsprozesse sind nicht nur formale Prozeduren der Neu- oder Umbenennung, sondern häufig schmerzhaft, denn dahinter stehen Abschiede von Vertrautem und die Bewältigung des Abschieds (vgl. Hoerning 2000). In Übergangsphasen ist Zeit für neue Deutungen, Weltbilder und Möglichkeiten werden neu festgelegt; dies kann Veränderung im „Kernland des Selbst“ (vgl. Brandstädter 2001) bedeuten. Durch Verstehen oder eine reflexive Uminterpretation des bisherigen Lebens und der früheren Sozialisation kann dann auch der oft unbewusste „Entschluss“ reifen, dem Leben eine neue Rich-
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tung zu geben (vgl. Geulen 2000), die individuell als Anschluss an das bisherige Leben zu erleben sein muss – als personale Kontinuität. In solchen Phasen sind Menschen für Hilfe aber auch Schädigung sehr offen. Besonders die lange Dauer von Transitionen kann zu krisenhaften Verläufen führen (Welzer 1990: 208). Hier ist auf den Unterschied von faktischen Bewegungen im Leben von Menschen zu verweisen, abgefragt in Lebensereignisanalysen, den „Prozessstrukturen“ (Schütze 1984), und den subjektiven Bedeutungen und Interpretationen, mit denen sie bewältigt werden. Letztere folgen oft einer langsameren Geschwindigkeit und oft auch einem anderen Rhythmus als die Prozesse selbst. Biografische Brüche können sich im Lebenslauf zu jeder Zeit ereignen, beim Eintritt in den Kindergarten oder die Schule, durch Tod des Partners, der Eltern oder Geschwistern, Krankheit oder Arbeitslosigkeit, aber auch durch Ereignisse, die von außen gesehen belanglos erscheinen. Individuell ist es höchst unterschiedlich, was für einzelne Personen ein kritisches Lebensereignis darstellt, ob es Chance oder Problem bedeutet (vgl. für alte Menschen Opitz 1998), welche Ereignisse als Diskontinuität empfunden und zu Brüchen führen. Übergangszustände werden beispielsweise nicht als Bruch erfahren, wenn andere Lebensbereiche wichtiger sind und die Transition kompensieren. Welzer (1990) und Becker (1997) sehen Transitionen, Krisen und Brüche als sehr viel typischer für unser Leben an als Ruhe- oder Balancezustände. Wenn Brüche und Veränderungen also zum Leben gehören, fragt sich, ob Patchworkidentitäten wirklich so neu sind, wie behauptet wird. Das Umschreiben oder Neuschreiben der eigenen Geschichte, die dann wieder Sinn macht und Sicherheit geben kann, ist eine der wichtigsten Aufgaben bei der Bewältigung von Krisen und unabhängig davon, ob diese strukturelle oder individuelle Wurzeln haben. Unterstützt werden kann dieser Bewältigungsprozess durch therapeutische Begleitung. Die Richtung ist letztlich nicht prognostizierbar, auch wenn Wissenschaft das immer wieder versucht. Unterschiede in Alter, Kohortenerfahrungen, Ethnizität, Geschlecht, Schicht und Gesundheitszustand führen zu unterschiedlichen Antworten auf „disruptions“, dennoch gibt es auch Ähnlichkeiten darin, wie Bemühungen, Kontinuität trotz Diskontinuität zu schaffen, von Menschen beschrieben werden. Becker (1997) schließt daraus, dass in biografischen Erzählungen auch der gemeinsame kulturelle Rahmen und gemeinsame Kern-Konstrukte enthalten sind. Auch wenn beispielsweise Frauen
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und Männer aus der oberen Mittelschicht eher wissenschaftliche Metaphern wählten, drücken sich auch diejenigen mit niedrigem sozioökonomischen Status ähnliche Bilder aus. Becker (ebd.) bezieht sich auf reiches empirisches Material aus verschiedenen qualitativen Längsschnittstudien. Sie führte in diesen Studien Interviews zum Thema Zerstörung von Kontinuitätserfahrungen und Umgang mit Brüchen durch: • • •
• •
„Infertility Study“ (Gender and the Disruption of the Life Course Structure): Interviews mit 134 Paaren und 9 Frauen über drei Jahre „Midlife Study“ (Midlife Disruption and Change): ein bis zwei Tiefeninterviews mit 20 Frauen und Männern zwischen 35 und 65 Jahren „Stroke Study“ (Sociocultural Mechanisms of Rehabilitation in Old Age, Chronicity and Life Reorganization after a Stroke): Interviews mit 214 Personen über 45 bzw. 50 Jahren (dreimal in einem Jahr) „Late Life Transitions Study“ (From Independance to Dependance among the Oldest Ones): Mehrfachinterviews mit 45 Personen „Ethnic Minorities Study“ (Cultural Responses to Illness in the Minority Aged): je drei Interviews mit 240 Frauen und Männern über 50 in 6-Monats-Intervallen
Die Ergebnisse zeigen sehr eindrücklich, dass biografische Thematisierung zur biografischen Konsistenz – also Herstellung von individuellem Sinn und Begründung von Handlungen, Planungen und Formulieren von Ansprüchen – beitragen kann. Erzählungen über Brüche sind, wie nicht nur Becker (ebd.) eindrücklich zeigen kann, ein heilender und gleichzeitig kultureller Prozess, beispielsweise wenn die Bewältigung von Krankheiten kulturell als Willenssache gesehen wird: Menschen sollen Verantwortung für ihre Gesundheit übernehmen, sind also verantwortlich für die Kontrolle über die Krankheit. Diese Verantwortlichkeit kann zur Bürde werden. Die meisten Befragten psychologisierten und internalisierten ihren inneren Kampf mit dem Bruch als persönliche Verantwortung: das Selbst muss kontinuierlich sein, nicht die Gesellschaft! Der einzelne Mensch ist verantwortlich, Kontinuität herzustellen. Auch wenn die Familie oft der Ort der Brüche war, wurde ihr eine untergeordnete Rolle zugeschrieben. Und auch wenn die Brüche soziale und kulturelle Ursachen hatten, stand immer die individuelle Verantwortung im Zentrum.
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Alle Befragten kämpften damit, nach einem unerwarteten Bruch (gesellschaftlich oder individuell) Lebenssinn, Verbindungen zu früher und Kontinuität (wieder) zu finden. Das „Creating Continuity“ (ebd.) bestand vor allem darin, die Brüche so zu interpretieren, dass sie als Teil der Vergangenheit verstanden werden konnten. Becker zeigt, dass die Befragten Brüche mit Metaphern zu erklären und zu verstehen versuchten. Sie traten durch ihre Körper und ihre Erzählungen über die Körper in Dialog mit Kultur und deren Konstrukte, immer eingebunden in das „cultural ethos of North American society“. Die als Brüche empfundenen Lebensereignisse konfligierten zunächst immer mit Annahmen über die Welt. Deshalb sind ihres Erachtens auch kulturelle Vorstellungen vom kontinuierlichen Leben so bedeutsam für die Bewältigung von Brüchen. Becker nimmt an, dass jede Kultur ihren eigenen erwarteten „kulturellen Lebenslauf“ hat. Er fungiert als kollektives Symbol, als kollektiv geteiltes Bild: z.B. die „journey of life“. Im 15. Jahrhundert wurde das Leben allegorisch als Rad, Brücke oder Treppe dargestellt, jeweils verbunden mit dem Tanz des Todes, der jederzeit auftreten konnte. Mit diesen Bildern wurde die grundsätzliche Unsicherheit des Lebens ausgedrückt. Im neunzehnten Jahrhundert veränderte sich diese Deutung und der individualisierte Lebenslauf wurde zum Kode für die Deutung von Erfahrungen; die Vorstellung vom vorhersehbaren und kontinuierlichen Lebenslauf ist also ein relativ neues Phänomen und verlangt andere Deutungen von Brüchen. Vor allem für westliche Kulturen, die den Lebenslauf als linear und hierarchisch ansehen und Entwicklung und Fortschritt mit gewinnen und verlieren verbinden, ist das Bild des Berges typisch. Asiatische Modelle gehen von einem kreis- oder spiralförmigen Prozess aus. Brüche können leichter integriert werden in ein solches Model, glaubt Becker. Chaos wird in der westlichen Tradition negativ bewertet als Folge der Vorherrschaft einer binären Logik: „If order is good, chaos must be bad because it is viewed as the opposite of order.“ (Ebd.: 6) Ein Paradigmenwechsel deutet sich jedoch an, nicht zuletzt aufgrund der Chaostheorie: Unvorhersagbarkeit und Nichtlinearität werden als Quellen für neue Informationen gesehen. Dennoch bleibt das alte Paradigma noch prägend für die Alltagsauffassung von Lebensläufen, „people continue to draw on traditional cultural understanding of order and chaos in interpreting the disruptions in their lives“ (ebd.:7). Dies wird sich Becker zufolge ändern, da neue wissenschaftliche Modelle immer auch Einzug in das Alltagsverständnis und die Alltagsdis-
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kurse halten. Anzeichen zeigten sich bei einigen Befragten, die zwischen alten und neuen Modellen unterschieden. Auch die Befragten befassten sich mit den kulturellen Normen, die ihnen Schwierigkeiten machen. Sie wurden zu „Anthropologen“, wenn sie sich fragten, was sinnvoll ist, und versuchten, kulturelle Normen zu relativieren. Ihre Erzählungen ermöglichten es ihnen, Brüche und ihre Verarbeitung zu verstehen. Sie stellten wieder Kontinuität her. Alle Erzählungen hatten das gleiche Schema: Einem Bruch folgen Bemühungen, das Leben wieder zu normalisieren. Metaphern dienten als Unterstützung in den Bruchsituationen, als Brücke zwischen dem alten und neuen Leben, als „intrinsic synthesis of interpretation and creation, in which previous interpretations yield to new, more complete ones“ (ebd.: 60). Sie wurden zu Unterstützungspraktiken. Die Art des Bruchs diktierte die kulturellen Bilder, die herangezogen wurden und mit denen sich die Menschen dann auseinandersetzten: •
•
Bei Unfruchtbarkeit waren das beispielsweise häufig Vorstellungen von Chaos und schwarzem Loch; oft erfolgt auch eine Auseinandersetzung mit Geschlechtsrollen, was ist eine richtige Frau/richtiger Mann; Schwangerschaft steht für einen gesunden, nährenden und natürlichen Körper. Beim Verlassenwerden als Kind erfolgte oft eine Auseinandersetzung mit der Vorstellung, dass Blut wichtiger als Liebe sei.
Immer wurde in diesem Prozess zunächst die Ungeordnetheit der Welt thematisiert. Sie wurde als chaotisch erlebt und es bestand der Wunsch, dass es möglich sein würde, sie wieder zu ordnen ist. Brüche und Übergange werden zunächst im Zustand des „limbo“ (=Rumpelkammer) erlebt. Mit dem bewusst erlebten Interpretationsrahmen des Chaos konnten Brüche verstanden und sinnhaft erlebt werden. Eine Ordnung des Lebens wieder herzustellen, war jedoch nicht in jedem Fall erfolgreich. Dies stellte hohe Anforderungen an die Menschen und hing auch mit ihrem Selbstkonzept zusammen. Becker geht davon aus, dass sich im Körper die Sedimente unserer Vergangenheit befinden und fragte in den Interviews auch nach der körperlichen Erfahrung von Brüchen. Die Erzählungen waren immer auch Erzählungen von Unterschieden, zu anderen und zur Norm. Sie beinhalteten
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immer den Konflikt, sich als normal zu empfinden und anders zu sein. Teils ging es auch um Widerstand gegen diese Normen und die sie stützenden kulturellen Diskurse (z.B. zu Familie, Frau und Mann sein, Selbst, Alter). Von Noam (1988) wurde in Ergänzung das Konzept der „Einkapselungen“ als gelebte Lebensgeschichte entwickelt: Frühe Formen der Selbstund Weltkonstruktion bestehen als Einkapselungen neben späteren. Und Klapp (1978) stellt einen Entwicklungszyklus vor, der ebenfalls lohnend erscheint, das prozessuale Verhältnis von biografischem EigenSinn und Selbstentwurf zu erhellen. Zunächst liegt ein Entwurf vor, der sinnstiftend für das Individuum ist („good closing“). Dieser kann in „bad closing“, in ein Eingezwängtsein in diesen Entwurf, übergehen, dann im „good opening“ mit einer reflexiven Befreiung beantwortet werden, um im „bad opening“ zu einer Erosion von Lebenssinn durch zügellose Reflexion zu führen. Hierauf kann dann ein neuer Entwurf folgen („good closing“) und die Abfolge beginnt von Neuem. Dieser Zyklus ist kein Automatismus, sondern kann an jedem Punkt stocken, sich verknoten oder ganz abbrechen. Im Fokus steht bei den letztgenannten Modellen der biografische Prozess als Konstruktion von Identität und sozialisatorischen Werden. Biografie wird in einer Entwicklungsperspektive verortet. Auch Biografieforschung (Hoerning 2000) geht in der Regel, dem Konzept des lebenslangen Lernens folgend, davon aus, Sozialisationserfahrungen immer wieder umzuschreiben sind, sodass sich hier Berührungspunkte ergeben.
2.7 B IOGRAFIE
UND SOZIOKULTURELLER
K ONTEXT
Die Ergebnisse der Studien von Becker (1997) und zahlreicher anderer biografischer Studien verweisen nachdrücklich auf die soziale Dimension von Biografien. In der Biografieforschung wird davon ausgegangen, dass in biografischen Prozessen auch gelebte Gesellschaftsgeschichte zum Ausdruck kommt. Durch Geschichtenerzählen in Öffentlichkeit, im Fernsehen oder in Publikationen können sich übrigens auch kollektive Diskurse verändern, kann sozialer Wandel stattfinden. Neue kulturelle Themen und Metaphern entstehen. Zu beachten sind hierbei dann die Vielfalt, Heterogenität und Überschneidungen kultureller alter und neuer Diskurse. Die Biografieforschung fasst soziale Realität entsprechend als „unaufhörlichen
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Prozess des Abstimmens, Anpassens, Verhandelns und Entscheidens auf. [...] Wenn auch diese Entscheidungen nicht unbedingt bewusst getroffen werden müssen, sondern sich auch wie selbstverständlich als Ausfluss fragmentierter Routinen ergeben können“ (Behrens/Rabe-Kleberg 2000: 103). Dabei geht es nicht nur um soziale Strukturen, sondern auch um Zusammenhänge mit sozialen Interaktionen. Trotz dieser Einschränkungen verliert das Individuum selten das Gefühl eigener Planungsautonomie, weil es das Wissen darüber biografisch verarbeitet: Zum einen werden Entscheidungen über Handlungs- und Planungsalternativen von externen Prozessoren, Gewohnheiten oder Traditionen übernommen, sodass es in der Lage ist, in besonders wichtigen Situationen bewusste Entscheidungen zu treffen. Zum anderen sinken biografische Wissensbestände, die kontinuierlich benötigt werden, zu „latenten oder präskriptiven Wissensformen ab und verschmelzen mit den Hintergrundstrukturen seiner Erfahrungen“ (ebd.: 27f). In diesem Zusammenhang ist die beschriebene „aktive Gestaltung“ von Biografie (Geulen 2000; Giddens 1988) hervorzuheben: Bedingungen wirken nicht unidirektional auf Persönlichkeiten und ihre Entwicklung aus, sondern in Interaktion mit dem Individuum. Strukturen sind nicht linear und kausal von Bedeutung für biografisches Handeln; vielmehr wirken sie in unterschiedlichen Biografien und in unterschiedlichen Lebensphasen auch unterschiedlich (vgl. Keddi 2003; Schimank 2002). Biografisches Handeln muss zwar den sozialen Erwartungen und „Passungsnormen“ entsprechen, z.B. im Trauerprozess (vgl. Welzer 1990). Dausien (2001) kann jedoch zeigen, dass beispielsweise Konstruktionsmerkmale, die typisch für Frauenbiografien sind, sich auch in Männerbiografien rekonstruieren lassen. Biografien seien zwar geschlechtsgebunden, aber nicht geschlechtsspezifisch. Jede Interaktion nehme Geschlecht zwar als Grundkodierung auf, auch wenn wir glauben, von Geschlecht zu abstrahieren, dennoch ist Geschlecht nur „ein Aspekt der Identität, die unsere Persönlichkeit strukturiert, allerdings ein wichtiger“ (Cockburn/Ormrod 1997: 24): „Das ‚Ich‘ ist niemals nur ein Mann oder eine Frau; immer ist es eine besondere Frau oder ein besonderer Mann.“ Subjekte zeigen insofern selbst initiierte, das heißt „nicht aus den aktuellen situativen Bedingungen zureichend erklärbare Aktivitäten“ (Geulen 2000: 188; vgl. Leu/Krappmann 1999). Sie haben ein Bewusstsein, das die Welt intern repräsentiert und antizipativ sowie reflexiv ist. Die „eigene“
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Welt oder Lebenswelt bezieht sich, eingedenk der Kontinuität der Welt und den eigenen Wirkchancen in ihr (vgl. Schütz 1932), in ihren Handlungen nicht auf eine „voraussetzungslose empirische Welt“ (Behrens/RabeKleberg 2000: 103), sondern auf den beim Handeln gemeinten Ausschnitt der Welt, die Situation. Je nach Kontext und individuellem Hintergrund können gleiche Handlungen deshalb Unterschiedliches bedeuten (vgl. Brandstädter 2001). Die wie Alheit (1992: 30) sie nennt, „Hintergrundidee“ von uns selbst haben wir nicht trotz, sondern wegen der strukturellen Begrenzungen unserer sozialen und ethnischen Herkunft, unseres Geschlechts und der Zeit. Wenn Bourdieu (1990) darauf hinweist, dass Biografie sich als Platzierung und Deplatzierung im sozialen Raum definiert, die nur adäquat zu analysieren sei, wenn auch die Rahmungen des Möglichkeitsraums, in dem sich Individuen bewegen, erfasst werden, meint er genau dieses. In diesem Zusammenhang ist auch auf die Arbeiten von Elder und seinem Forschungsteam hinzuweisen, die in empirischen Lebensverlaufsstudien zeigen konnten, wie bedeutsam die Kohorte, in der wir aufwachsen, die kompensatorischen Einflüsse sozialer Sicherungssysteme, die Folgen ökonomischer Deprivation, aber auch soziale Netzwerke und Persönlichkeitsfaktoren sind (Elder 1974, 1984). Die kulturelle Bedeutung von Biografie verdankt sich „wahrscheinlich nicht der strukturellen Normalisierung des Lebenslaufs [...], sondern [...] Kontingenzerfahrungen durch Ereignisse und Handlungen, die nach Einordnung, ‚Verarbeitung‘, nach Normalität rufen“ (Fuchs 2003). Biografische Selbstthematisierung ist dann die Fähigkeit, in der Biografie eine Konsistenz herzustellen und aufrechtzuerhalten. Denn auch wenn Menschen sich immer wieder neu charakterisieren und konstruieren, bleiben sie ein und dieselben. Die moderne Formel von der „Patchworkidentität“ (Keupp et al. 2002) wird in diesem Zusammenhang häufig missverstanden. Auch ein Quilt wird von Fäden zusammengehalten. Eine konsistente Biografie wird aber auch von Gatekeeping-Instanzen verlangt und ist vor ihnen zu rechtfertigen (vgl. Behrens/Rabe-Kleberg 2000). Gleichzeitig erfordern unterschiedliche Gatekeeping-Instanzen (Schule, Betriebe, Arbeitsamt usw.) unterschiedliche, oft sogar widersprüchliche Lebensverlaufsdarstellungen. „Biografische Identität“ gilt in der Regel als Charakteristikum individualisierter und modernisierter Gesellschaften. In traditionellen Gesellschaften war es, so die übliche Annahme, nicht unbedingt notwendig, ja
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sogar dysfunktional, sich einer eigenen und damit einzigartigen Biografie bewusst zu sein und sie gleichzeitig selbst zu schaffen. Ein Blick auf die Kontinuitätspraxis des Andenvolkes der Aymara (vgl. Nunez/Sweetser 2006) zeigt, dass sogar die Reihenfolge, in der Zeit gedacht wird, kulturell überformt ist. Die Aymara verknüpfen Vergangenheit und Zukunft anders, als wir im Westen es gewohnt sind. Sie sehen Zukunft als etwas, das hinter einem liegt angesehen, da sie nicht zu sehen ist, während die Vergangenheit vor einem liege, da man diese kenne – eine ungewöhnliche Metaphorik von Zeit (ebd.: 401), die auch Einfluss darauf haben dürfte, wie Biografie gedeutet und in Zeitabläufe eingeordnet wird.
2.8 „D OING BIOGRAPHY “ – DIE BIOGRAFISCHE H ERSTELLUNGSPRAXIS PERSONALER K ONTINUITÄT Befunde der Biografie- und Lebenslaufforschung zeigen, dass Erfahrungen, die Menschen im Lauf Ihres Lebens machen und die sie deutend verarbeiten, entscheidend für personale Kontinuität und ihre Herstellung sind. Ausgehend von der Grundannahme, dass Biografien zwar biologisch und sozial vorstrukturiert sind, jedoch individuell konstruiert werden, also subjektiven, biografisch geprägten „EigenSinn“ aufweisen, wird „doing biography“ zum deutenden und dadurch Kontinuität herstellenden Prozess in der Zeit. Biografien können dem biografischen EigenSinn entsprechend ganz unterschiedlich verlaufen. Doing continuity ist aus dieser biografisch orientierten Perspektive „doing biography“. Dieser Prozess findet immer wieder neu statt, häufig unbewusst, bei biografischen Brüchen, in Krisenoder neuen Situationen gezwungenermaßen bewusster. Bei deren Bewältigung benötigt personale Kontinuität ein oft reflexiv und bewusst hergestelltes, neues oder verändertes Fundament der biografischen Vergewisserung (Becker 1997). Der Fokus liegt auf der biografischen Herstellungsleistung mit durch Erfahrungen und Kontext geprägten Praktiken wie Erzählen, Erinnern, Zukunft entwerfen, sich der Zukunft vergewissern, Deuten oder Selbstthematisierung. Diese Praktiken sind individuell und sozial, teils auch universell. Lebensgeschichtliches Erzählen ist beispielsweise nicht nur typisch für die westliche reflexive Moderne.
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Die deutende Bewertung und Verarbeitung von Erfahrungen spielt dabei eine herausragende Rolle. Biografisches Handeln von Menschen, also Handeln, das biografisch relevant ist, kann nur verstanden und erklärt werden, wenn subjektive Sinnzusammenhänge einbezogen werden. Es lässt sich nicht in einfache und kausale Formeln wie Geschlecht, Herkunft, Region, sozialer Rahmen, Bildung oder Situation pressen. Weder schichtspezifische Charakteristika beispielsweise der Familie noch dramatische Umstände oder gezielte pädagogische Maßnahmen werden gleich erfahren. Vor allem biologische und körperliche Zusammenhänge, praxeologische Aspekte sowie Interaktionen und Wechselbeziehungen zwischen Biografien unterschiedlicher Personen, die in Beziehungen oder Gruppen aufeinander treffen, werden bisher kaum thematisiert, fruchtbare Verbindungen bestehen zunehmend zur Sozialisations- und Entwicklungsforschung.
3. Doing continuity als neuronale Praxis
„Man muss erst beginnen, sein Gedächtnis zu verlieren, und sei‘s nur stückweise, um sich darüber klarzuwerden, dass das Gedächtnis unser ganzes Leben ist…. Unser Gedächtnis ist unser Zusammenhalt, unser Grund, unser Handeln, unser Gefühl. Ohne Gedächtnis sind wir nichts [...] Leben ohne Gedächtnis ist überhaupt kein Leben. Unser Gedächtnis ist unser innerer Zusammenhalt, unser Verstand, unser Gefühl, ja, selbst unser Tun. Ohne Gedächtnis sind wir nichts.“ LUIS BUÑUEL 1983 „In dieser meiner Auffassung dient das Gehirn also vor allem dem ständigen Hervorbringen von Welten im Prozess der viablen Geschichte von Lebewesen; das Gehirn ist ein Organ, das Welten festlegt, keine Welt spiegelt.“ FRANCISCO J. VARELA 1990 „Die Plätze, die jagenden Autos, die Bäume, das staubige Grün sie finden ihren Ausdruck durch mich: die Welt ist eine Dichtung meiner Sinne und erlischt, wenn ich sterbe.“ EEVA-LIISA MANNER 1996
Die Neurowissenschaften verabschieden sich in den letzten Jahren immer mehr von der Vorstellung einer fixen, einmal erworbenen Gehirnarchitektur. Grundlage ist die Einsicht, dass alle Leistungen des Gehirns auf Leistungen von Neuronen-Netzwerken beruhen. Neurobiologische und bildgebende Messverfahren haben zu einem explosionsartigen Wissenszuwachs über Struktur, Funktion und Verarbeitungsprozesse des Gehirns geführt. Untersucht werden zunehmend komplexere kognitive Prozesse. Was der Mensch geistig und emotional ist, wie er wahrnimmt, lernt, fühlt, denkt, erinnert, bewusst und unbewusst plant und handelt, all dies sei repräsentiert durch Hirnstrukturen und Hirnfunktionen (vgl. Roth 2005). Oder wie
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es Le Doux (2002) auf den Nenner bringt: Wir sind unsere Synapsen. Mentale Phänomene wie Wahrnehmung, Gedächtnis, Urteilsfähigkeit, Problemlösefähigkeit, Sprache oder Bewusstsein werden als „neuronale Phänomene“ (Newen/Vogeley 2000) oder „neuronale Korrelate“ (Koch 2005) beschrieben. Fast täglich relativieren Forschungsergebnisse die Vorstellungen vom Gehirn, beispielsweise von seinem Festgelegt sein ab spätestens der Jugend oder seiner einmal und damit für immer festgelegten Architektur. Gehirnstrukturen und neuronale Verbindungen sind mit hohen Freiheitsgraden in ständigem und lebenslangem Umbau begriffen. Es zeigt sich deutlich, dass Kontinuität auch biologisch-neural hergestellt wird und hergestellt werden muss. Erfahrungen kommt dabei eine herausragende Bedeutung zu (vgl. Kandel 2006). Damit dringt die Gehirnforschung in Kernbereiche der Sozial- und Geisteswissenschaften sowie der Psychologie vor. Auch wenn ihre Schlussfolgerungen teils verkürzt und einseitig sind, beispielsweise neuronale Prozesse häufig mit kognitiven gleichgesetzt werden, obwohl es sich nur um Korrelationen handelt (vgl. Bayram et al. 2006), Phänomene des menschlichen geistig-seelischen Leben „naturalisiert“ werden oder auf neuronale Prozesse reduziert werden (Frank 2007: 29), fordern neurowissenschaftliche Forschungsergebnisse heraus, sich mit ihnen auseinander zu setzen: Menschliches Handeln ist biologisch und physiologisch eingebettet – ein Zusammenhang, auf den die aktuelle Gehirnforschung sehr deutlich hinweist (vgl. Broks 2006; Edelman 2003, 2004; Edelmann/Tononi 2002; Fuchs et al. 2007; Kandel 2006; Kandel et al. 2000; Koch 2005; Le Doux 2002; Das Manifest 2004; Markowitsch/Welzer 2005; Metzinger 2003; Roth 2001, 2003, 2005, 2006, 2008; Sacks 2008; Solms/Turnbull 2004; Spitzer 2004; Zeki 1999a,b). Philosophie (vgl. Bieri 2003; Fuchs et al. 2007; Stern et al. 2005; Sturma 2006), Erziehungswissenschaften (vgl. Becker 2006; BMBF 2005a; Caspary 2006), (Sozial)psychologie (vgl. Baltes et al. 2006; Welzer/Markowitsch 2006) und Psychoanalyse (vgl. Ansermet/Magistretti 2005; Kandel 2006) greifen zunehmend neuro- und kognitionswissenschaftliche Forschungsergebnisse auf, nicht immer freiwillig und oft reaktiv, erobern doch die Neurowissenschaften ihr angestammtes Terrain und konkurrieren damit nicht nur um Forschungsgelder, sondern auch um Erklärungshoheit. Kombinationen mit dem Präfix „neuro“, die sich in Ökonomie, Linguistik, Psychoanalyse und Psychologie in populären Schriften
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ausbreiten, gelten als Nachweis innovativer Forschung. Die Erziehungswissenschaften stützen beispielsweise bei prinzipiell hoher „Importbereitschaft“ mit neurowissenschaftlichen Aussagen vor allem ihre eigenen Annahmen und Ergebnisse (vgl. Becker 2006). So werden die neurowissenschaftlichen Ergebnisse zum Lernen je nach pädagogischem Konzept als Bestätigung der Bedeutung frühkindlicher Lernprozesse oder der Bedeutung lebenslangen Lernens interpretiert. Insgesamt zeigen sich bisher jedoch nur geringe Schnittmengen. Pädagogische Interpretationen der neurowissenschaftlichen Experimente sind zudem schwierig (vgl. Becker 2006; Blakemore/Frith 2006; BMBF 2005a). Im Unterschied zu den genannten Disziplinen beginnen die Sozialwissenschaften gerade erst, sich mit den Neurowissenschaften auseinander zu setzen (vgl. Bayram et al. 2006). In den USA boomen zwar die Social Neurosciences, jedoch überwiegend im sozialpsychologischen Bereich (vgl. auch Grundmann/Beer 2003). In der Genderforschung werden allerdings seit längerem interdisziplinär und differenziert die biosozialen Zusammenhänge von Gehirn, Gender und Sex diskutiert (vgl. Schmitz 2002). Alles in allem überwiegen jedoch abgrenzende Reaktionen. Analysen zu Zusammenhängen mit dem Organismus und zu biologischen Grundlagen werden in der Tradition des Dualismus als wenig relevant für soziale Zusammenhänge gesehen (vgl. Kreissl/Steiner 2008). Ein häufiger Vorwurf ist, dass die Gehirnforschung die Reichweite und alleinige Erklärungskraft ihrer Befunde überschätze und zudem oft reduktionistisch interpretiere. Zudem sei nicht geklärt, inwieweit die Messungen tatsächlich die angenommenen Prozesse repräsentieren. Diese sicherlich berechtigten Kritikpunkte verhindern, dass neurobiologische und biologische Forschungsergebnisse zur Kenntnis genommen werden, die möglicherweise Annahmen der Soziologie als konstruktivistische Handlungstheorie bestätigen, ergänzen, differenzieren oder auch in Frage stellen können. Im Folgenden werden Befunde der Gehirnforschung explizit darauf hin untersucht, welche Erkenntnisse sie zur Herstellung von personaler Kontinuität beitragen können. Nach einem Exkurs über die Untersuchungsmethoden in den modernen Neurowissenschaften Ergebnisse skizziert • zu neuronalen Konstruktionsprozessen • zur Rolle von Erfahrungen • zu neuronalen Herstellungsprozessen kurz- und langfristiger Kontinuität
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• • • •
zum Beitrag des autobiografischen Gedächtnisses zum neuralen Lernen zur Rolle von Umwelt und sozialen Beziehungen und zu den Praktiken neuronaler Herstellung von Kontinuität
Neuronale Prozesse werden nur insoweit dargestellt, als sie zum Verständnis notwendig sind. Ausdrücklich wird die Pseudodebatte um die Willensfreiheit ausgeklammert (vgl. Bieri 2003; Libet 2005; Roth 2005; Searle 2006; Wahl 2007).
3.1 E XKURS : D ER B LICK INS G EHIRN . E MPIRISCHE Z UGÄNGE DER KOGNITIVEN N EUROWISSENSCHAFTEN Neuroforschung mittels bildgebender Verfahren hat Hochkonjunktur. Hirnaufnahmen versetzen die Wissenschaft seit einigen Jahren in die Lage, die neuronale Grundlage von kognitiven und emotionalen Leistungen an gesunden Versuchspersonen auf nicht invasive Weise zu untersuchen. So kann gezeigt werden, dass ein Zusammenhang besteht zwischen der Intensität geistiger Prozesse und der Neuronenaktivität, dem Sauerstoff- und Zuckerverbrauch und dem zerebralen Blutfluss und dass beispielsweise psychische Erkrankungen mit deutlichen Veränderungen der neuroelektrischen und neurochemischen Aktivität bestimmter Gehirnzentren einhergehen (vgl. Kandel 2006; Kandel et al. 2000). Verbunden damit ist die Annahme der Identität oder Parallelität von mentalen und neuronalen Phänomenen. Nach gegenwärtiger Auffassung der Neurobiologie unterliegen geistig-psychische Zustände physikalisch-physiologischen Bedingungen (vgl. Roth 2006). Dualistischen Konzepten wird damit eine Absage erteilt. Roth (ebd.) weist in diesem Zusammenhang allerdings auch darauf hin, dass Nervenzellen nicht denken, fühlen, hoffen und wollen – dies könne nur der Gesamtorganismus. Insofern sei ein ontologischer Reduktionismus zu vermeiden, während ein funktionaler oder methodischer Reduktionismus durchaus sinnvoll sein könne. Neuroforschung trägt inzwischen viel zur Glaubwürdigkeit wissenschaftlicher Studien bei (vgl. Grüter 2008): Gehirnbilder überzeugen weit mehr als Zahlen und Tabellen – und zwar nicht nur Laien oder Studenten,
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sondern selbst Fachleute. Und sogar die bloße Erwähnung von „NeuroFakten“ oder Verknüpfung mit dem Präfix „Neuro“ verleiht einer wissenschaftlichen Arbeit mehr Durchschlagkraft (ebd.). Dass dies offenbar mit der verführerischen Überzeugungskraft von Bildern aus dem Computertomografen zusammenhängt, legt eine Studie von McCabe und Castel (2008) nahe. In deren Experimenten überzeugten bunte Bilder die Versuchspersonen weit mehr als nüchterne Diagramme und Zahlen. Sie ließen sich selbst dann von den Hirnaufnahmen beeindrucken, wenn sich die geschilderten Ergebnisse argumentativ als widersprüchlich erwiesen. Auch Hüsing et al. (2006) untersuchten die Möglichkeiten und Risiken bildgebender Verfahren und halten den Aussagewert von Hirnaufnahmen für überschätzt. Burri (2008) arbeitet aus einer wissenssoziologischen Perspektive die visuelle Rationalität als Strukturlogik der Bildpraxis heraus. Die Besonderheit medizinischer (und generell wissenschaftlicher wie auch weiterer) Bilder, die sie von anderen materiellen Artefakten unterscheide, sei ihre Visualität. Diese sei keine ontologische Eigenschaft, sondern Bilder würden in und durch die Praxis erzeugt. Die Praktiken der Herstellung von Visualität greifen dabei auf historisch herausgebildete Sehtraditionen, soziale Sinnstrukturen und kulturelle Deutungsmuster zurück. Doch trotz ihrer Grenzen bleibt die fMRT derzeit das beste Werkzeug, um Einsichten in die Arbeitsweise des Gehirns zu erlangen (Logothetis 2008). Umso wichtiger ist es, die Verfahren und Aussagemöglichkeiten zu kennen und deren Einschränkungen einschätzen zu können. Erhebungsmethoden Funktionale bildgebende Verfahren machen neurophysiologische Vorgänge der menschlichen Informationsverarbeitung sichtbar und ermöglichen, dem Gehirn „in vitro beim Denken zuzusehen“ (vgl. BMBF 2005a: 35). Während etablierte Verfahren (Tests, Versuche, Analysen bei Beschädigung des Gehirns und damit verbundene kognitive Beeinträchtigungen) nur indirekte Schlussfolgerungen auf die Bedeutung der betroffenen Gehirnregionen ermöglichen, können mit den neuen Verfahren die Gehirnaktivitäten von Menschen, die spezifische experimentelle Aufgaben erfüllen, beobachtet werden (vgl. Sidtis et al. 2003). „Mit elektrophysiologischen und bildgebenden Methoden lässt sich nachweisen, dass in bestimmten Regionen des Gehirns die Aktivität von Neuronenverbänden sich stark erhöht, wenn sich eine Versuchsperson auf etwas Bestimmtes konzentriert
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und damit ein erhöhtes Aufmerksamkeitsbewusstsein zeigt.“ (Roth 2002: 15) Feinste Gefäße liefern den zum Energiestoffwechsel benötigten Sauerstoff gezielt dahin, wo die Nervenzellen gerade besonders aktiv sind. Daraus wird geschlossen, dass einer bestimmten bewussten Leistung genau ein Hirnprozess entspricht, je nach Leistung bei einzelnen Nervenzellen, kleinen Neuronenverbänden oder der gemeinsamen Tätigkeit vieler Zentren (ebd.). Erhöhte geistige Aktivität, immer gebunden an die Erregung der Großhirnrinde, ziehe, so die Annahme, erhöhte neuronale Aktivität nach sich, kortikale Nervennetze werden kurzfristig verdrahtet. Dadurch erhöht sich mit einer kurzen Verzögerung der lokale Blutfluss, um mehr Sauerstoff und Zucker herbeizuschaffen. Genutzt werden nun die unterschiedlichen magnetischen Eigenschaften von sauerstoffreichem und -armem Hämoglobin: Werden bestimmte Hirnregionen aktiv, erhöht sich mit einigen Sekunden Verzögerung auch der Sauerstoffverbrauch, wodurch sich dort vermehrt oxygeniertes Hämoglobin konzentriert. Rückschlüsse auf den Ort einer Aktivität werden dann in Wahrscheinlichkeiten berechnet. Diesen Zusammenhang nutzen bildgebende Verfahren („brainscans“). Magnetresonanztomografie (MRT) und Funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT) messen ohne Strahlenbelastung den Energiebedarf des Gehirns mit einer guten räumlichen Auflösung bis in den Millimeterbereich und ermöglichen einen Einblick in die oberste Organisationsebene des Gehirns. MRT ist besonders für Studien mit Kindern geeignet, da sie sehr genaue anatomische Bilder ohne Ionenstrahlung liefert. Auch auf der untersten neuronalen Organisationsebene hat die Entwicklung neuartiger Methoden zu einem Erkenntnissprung geführt. Inzwischen ist sehr viel mehr bekannt über die Ausstattung der Nervenzellmembran mit Rezeptoren und Ionenkanälen sowie über deren Arbeitsweise, die Funktion von Neurotransmittern, Neuropeptiden und Neurohormonen, den Ablauf intrazellulärer Signalprozesse oder die Entstehung und Fortleitung neuronaler Erregung. Selbst was in einem einzelnen Neuron passiert, kann mit hoher räumlicher und zeitlicher Auflösung analysiert sowie in Computermodellen simuliert werden. Dies ist von großer Bedeutung für das Verständnis der Arbeitsweise von Sinnesorganen und Nervensystemen sowie für die gezielte Behandlung neurologischer und psychischer Erkrankungen.
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Einschränkungen Der so genannte Bold-Effekt (Blood Oxygenation Level Dependent) ist umstritten. Vom Ausmaß der Durchblutung auf komplexe Leistungen zu schließen, erscheint vielen zu einfach (vgl. Hüsing et al. 2006). Außerdem kann fMRT – sie hinkt der größeren zeitlichen Auflösung des Elektroenzephalogramms deutlich hinterher – nur sehr langsame physiologische Prozesse erfassen, die von vier Sekunden bis mehrere Minuten reichen. Somit vermag sie nicht die schnellen psychischen Prozesse abzubilden, die mit Denken oder Wahrnehmen verbunden sind. Eine weitere Schwierigkeit liegt in der Hyperaktivität des Denkapparats, der nie wirklich zur Ruhe kommt. Die Frage, welche Neurone sich gerade „regen“, weil sie momentan an der Verarbeitung eines Reizes mitarbeiten und welche nicht, ist nicht einfach zu beantworten (vgl. Logothetis 2008). Nicht jeder Anstieg in der Blutversorgung ist Folge einer echten Aktivität. In neuronalen Netzwerken laufen viele erregende und hemmende Entladungen der Zellen ab, die im Tomografen sichtbar werden, aber gar nicht an der Verarbeitung des Reizes beteiligt sind. Es scheint ein eigenes neuronales System zu geben, das nur auf Grund von Aufmerksamkeit die grauen Zellen auf die erwartete Ankunft von Signalen vorbereitet – selbst dann, wenn diese ausbleiben (vgl. Sirotin/Das 2009). Damit relativiert sich der Zusammenhang zwischen gesteigerter Blutzufuhr und gesteigerter Aktivität. Um zu erfassen, welche Aktivität für eine Aufgabe typisch ist, wird ein exakt definierter Vergleich benötigt: Die Hirnaktivität wird während einer bestimmten Aufgabe von derjenigen während einer anderen subtrahiert. Dies engt die möglichen Ergebnisse ein, denn es geht stets nur um die „Mehr-Aktivität“ verglichen mit anderen Hirnzuständen, nie um absolute Werte. Auch wenn Aktivitätsniveaus gemessen werden, ist nicht automatisch klar, was sie bedeuten: So kann ein hohes Aktivitätsniveau bedeuten, dass der Vorgang erfolgreich ist, weil die Intensität höher ist, oder dass er ineffektiv mit zu vielen „Suchschleifen“ ausgeführt wird (Reinvang et al. 2003). Möchte ein Forscher wissen, welche Areale im Spiel sind, während eine Person beispielsweise einen Ball wahrnimmt, muss er die permanente Hintergrundaktivität heraus rechnen. Er vergleicht dann zwei Zustände – beispielsweise den relativen Ruhezustand und den aktiven Zustand des Gehirns – und gewinnt daraus mit Hilfe statistischer Testverfahren die „Mehr-Aktivität“, die vermeintlich mit der betreffenden mentalen Leistung
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einhergeht. Selbst wenn er bei der einzelnen Person den Zustand während einer Aufgabe mit dem Ruhewert verrechnet, sind die Ergebnisse nicht zeitstabil (vgl. Hüsing et al. 2006). Denn das Gehirn verarbeitet eine Aufgabe, die es schon kennt, anders als eine unbekannte. Darüber hinaus zeigen sich weitere Einschränkungen: Das fMRI-Signal kann funktionsspezifische und modulierende Prozesse, wie die Signalübertragung in der Hierarchie der Gehirnareale, d.h. von unten nach oben und von oben nach unten, nicht einfach unterscheiden. Auch Erregung und Hemmung bestimmter Gehirnareale können nicht eindeutig unterschieden werden. Die Stärke des fMRI-Signals lässt sich nicht so quantifizieren, dass sie exakt Unterschiede zwischen Gehirnregionen oder zwischen Aufgaben innerhalb derselben Region widerspiegelt. Es gibt Regionen in der Großhirnrinde, in denen reiz- oder aufgabenbezogene Verarbeitungskapazitäten nur spärlich vorhanden sind, was sich unter anderem in der Aktivierung einer nur sehr kleinen Anzahl von Nervenzellen zeigt. Dagegen können Prozesse, die nicht unmittelbar an der spezifischen Informationsverarbeitung beteiligt sind, aber den Zustand des Gehirns beeinflussen, wie zum Beispiel Motivation, Aufmerksamkeit, Lernvorgänge und Gedächtnisprozesse, die Durchblutungsregulation des Gehirns dominieren und es unmöglich machen, die Leistung bzw. den Beitrag zu ermitteln, die ein Hirnareal bei der Bewältigung einer bestimmten Aufgabe erbringt. Die Beeinflussung der Zellaktivität durch modulierende Botenstoffe beeinflusst wahrscheinlich auch die räumliche und zeitliche Auflösung des fMRI-Signals. Es kann also herausgearbeitet werden, welche Hirnregionen mehr arbeiten, aber nicht, was dort geschieht. Generell erfordert die Erforschung normaler Hirnfunktionen und deren krankhafter Veränderungen einen multimodalen Ansatz (vgl. Logothetis 2008). Zeitlich gesehen hinken diese Verfahren den Vorgängen im Gehirn mindestens um Sekunden hinterher. Die klassische Elektroenzephalografie (EEG) misst zwar die elektrische Aktivität von Nervenzellverbänden in Echtzeit, gibt aber wiederum nicht genau Aufschluss über den Ort des Geschehens. Etwas besser – etwa im Zentimeterbereich – liegt die räumliche Auflösung bei der neueren Magnetenzephalografie (MEG), mit der sich die Änderung von Magnetfeldern um elektrisch aktive Neuronenverbände millisekundengenau sichtbar machen lässt. Insbesondere durch die Kombination dieser Technologien wird versucht, das Zusammenspiel verschiedener Hirnareale darzustellen, das kognitive Funktionen wie Sprachverste-
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hen, Bilder erkennen, Tonwahrnehmung, Musikverarbeitung, Handlungsplanung, Gedächtnisprozesse sowie das Erleben von Emotionen ermöglicht. Nach Logothetis (2008) vom Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik reichen jedoch computergestützte Methoden und nichtinvasives Neuroimaging immer noch nicht aus, um die Funktionsweise des Gehirns zu verstehen. Tierexperimente und Untersuchungen an den Gehirnen und Nervenzellen von Tieren werden weiterhin eine große Rolle spielen, vor allem bei Untersuchungen auf unterster Ebene der Gehirnprozesse. Bilanz Trotz dieser Einschränkungen bieten moderne Visualisierungstechniken der Wissenschaft erfolgversprechende Möglichkeiten, deren Einschränkungen allerdings offen zu legen sind. Vieles, was wir über die Funktionsweise unseres Denkapparates wissen, ist zwar bereits aus neuropsychologischen Experimenten und Läsionsstudien bekannt. Psychologen konnten sich bisher jedoch lediglich das äußerlich sichtbare Verhalten ihrer Versuchspersonen anschauen. Bei Läsionsstudien wiederum schlossen Wissenschaftler nur aus Verletzungen des Gehirns auf die normale Funktion des betroffenen Hirnareals. Da der Forschung auch nur eine begrenzte Zahl an Patienten mit speziellen Hirnverletzungen zur Verfügung stand, wurde schnell eine mentale Leistung einer Hirnregion zugeschrieben. So galt lange Zeit der Hippocampus allein als Erinnerungsspeicher. Erst bildgebende Verfahren bei gesunden Personen zeigten, dass auch der präfrontale Kortex hierzu seinen Beitrag leistet.
3.2 D AS KONSTRUIERENDE G EHIRN : W IE I NFORMATIONEN VERARBEITET WERDEN „The brain has a task, which is to obtain knowledge about the world...“ (Zeki 1999b: 11). Die Neurowissenschaften gehen von einem Gehirn aus, das sich auf der Suche nach Orientierung in einer dynamischen Welt bewegt und sich die Welt in einem neuronalen Informationsverarbeitungsprozess immer wieder von Neuem erschließen muss. Um neue Informationen verarbeiten zu können, gehen Nervenzellen neue Verbindungen miteinander ein. Steht eine Information an, für die es noch keinen Verarbei-
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tungsweg gibt, wachsen von der entsprechenden Nervenzelle feine Fortsätze auf die Nachbarzellen zu. Bildet sich am Ende eines Fortsatzes eine spezielle Kontaktstelle, eine Synapse, ist der Austausch von Informationen zwischen Zellen möglich – die neue Information wird gelernt. Löst sich der Kontakt wieder auf, wird das Gelernte vergessen (ebd.). Die Beobachtung, dass Lernen und Gedächtnis mit solchen Strukturveränderungen im Gehirn einhergehen, ist neu, und vieles Fragen sind noch ungeklärt. Was passiert zum Beispiel, wenn das Gehirn etwas lernt, es wieder vergisst und später noch einmal lernen muss? Die Erfahrung zeigt, dass die einmal beherrschte Technik des Radfahrens sehr schnell auch dann wieder ausgeführt werden kann, wenn sie lange nicht geübt wurde. Auch bei anderen Dingen fällt ein „Wiederlernen“ leichter als ein „Neulernen“. Dieser feine Unterschied scheint seinen Ursprung ebenfalls in der Struktur der Nervenzellen haben. Hofer et al. (2008) zeigen, dass es deutliche Unterschiede im Auswachsen von Zellkontakten gibt – je nachdem, ob eine Information neu oder erneut gelernt wird. So zeigen Nervenzellen, die für die Verarbeitung von visuellen Informationen zuständig sind, ein deutlich erhöhtes Auswachsen neuer Zellkontakte, wenn sie zeitweise keine Information mehr von „ihrem“ Auge bekommen. Nach fünf Tagen haben sich die Nervenzellen soweit neu verbunden, dass sie auf Informationen aus dem anderen Auge reagieren können – das Gehirn hat gelernt, sich mit nur einem Auge zurechtzufinden. Kommen wieder Informationen vom zwischenzeitlich inaktiven Auge, nehmen die Nervenzellen ihre ursprüngliche Arbeit schnell wieder auf und reagieren kaum mehr auf Signale aus dem anderen Auge. Völlig unerwartet bleibt aber dennoch ein Großteil der neu entstandenen Fortsätze bestehen (ebd.). Dies deutet darauf hin, dass häufig nur die Synapsen und somit die Informationsübertragungen inaktiviert werden. Da eine einmal gemachte Erfahrung später vielleicht noch einmal gebraucht wird, behält das Gehirn ein paar Fortsätze „auf Vorrat“. Dies erleichtert ein späteres Wiedererkennen – eine wichtige Erkenntnis zum Verständnis dieser grundlegenden Vorgänge. 3.2.1 Information – Erfahrung – Bedeutung Die Unterscheidung von Information und Erfahrung spielt eine zentrale Rolle, um die Funktionsweise des Gehirns zu verstehen. Das Gehirn nimmt Informationen aus der Umwelt nicht passiv auf, indem es sie eins
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zu eins speichert und bei Bedarf wiedergibt (vgl. Changeux 2004; Edelman/Tononi 2002; Kandel 2006). Vielmehr sortiert, kategorisiert und bewertet es die einkommenden Informationen unterschiedlichster Art. „Über den Vergleich und die Kombination von sensorischen Elementarereignissen“ muss das Gehirn „Bedeutungen erzeugen und diese Bedeutungen anhand interner Kriterien überprüfen“ (Roth 1995: 19). Essentielle, sich nicht verändernde Aspekte werden aus den Informationen der Umwelt gefiltert und extrahiert, Inputs wie Bilder oder Geräusche werden „interpretiert“ (vgl. Fries 2004; Zeki 1999b). Reine Information gibt es jedenfalls nie. Sogar „natürlich erscheinende“ Wahrnehmungen entstehen erst durch Verarbeitung (vgl. Fries 2004; Roth 2003; Zeki 1999a, b): Wir sehen nicht mit den Augen oder hören nicht mit den Ohren, sondern mit dem Gehirn (vgl. Koch 2005). „Even the most elementary kind of vision, such as that of a tree, or a square, or a straight line, is an active process“ (Zeki 1999a: 6). Alle Sinneseindrücke, Formen und Farben, Klänge und Geräusche, Gerüche und Geschmacksempfindungen, sind eine Interpretation von Abermillionen Reizen, die von Sinneszellen aufgenommen werden und in elektrische Impulse umgewandelt werden (vgl. Roth 2005). Diese Signale werden in den entsprechenden Hirnarealen verarbeitet. Das Gehirn verankert die Wahrnehmungen als Verschaltensmuster bzw. neuronale Netzwerke in den assoziierten Bereichen des Großhirns (vgl. Hüther 2006). Kontakte zwischen den Nervenzellen werden kontinuierlich auf- und wieder abgebaut, indem lokale Kalzium-Signale die Passung von Zelle und Kontaktstelle für einen langfristigen Kontakt überprüfen. Erst nach der positiven Überprüfung werden auch tatsächlich Synapsen ausgebaut. Der enorme Energiebedarf bei der Synapsenknüpfung wird dadurch minimiert. Gedächtnisspuren entstehen dann durch die Bewertung von Verbindungen (Synapsen) zwischen Nervenzellen (vgl. Siegel 2006). Sie lassen sich am zutreffendsten mit dem Begriff der Erfahrung umschreiben. Erfahrung führt dazu, dass Neuronen feuern und Teil des Einspeicherns einer Erinnerung werden (ebd.). Erfahrungen verändern das Gehirn, seine Synapsen und Architektur fortwährend. Komplexe, genetisch determinierte neuronale Pfade werden durch Erfahrungen unterbrochen und wieder hergestellt (vgl. Kandel 2006). Edelman (2004) prägt für diese Prozesse die Begriffe „neuraler Darwinismus“ und „empirische Selektion“ und auch Changeux (2004) geht von einem darwinistischen Wettbewerb zwischen neuronalen Netzen
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aus. Vor allem in komplexen Umwelten ist die Bedeutung von Erfahrungen groß. Aus neuen Informationen werden durch Bezug zu früheren Erfahrungen ständig Sinnverbindungen hergestellt, die in Zeit und Raum verteilt sind (vgl. Zeki 1999b). Erfahrungen sind also immer das Ergebnis von Bewertungen der eingehenden Informationen. Nach Edelman (2004) formt jede Erfahrung ein geschlossenes Ganzes sensorischer Stimuli, Effekte von Bewegung, inneren Bildern, Gefühlen, Erinnerungen, Körpergefühlen und Rändern, Nähten und Höfen von Beziehungen. Wissenserwerb ist ein verteilter Prozess, an dem unterschiedliche kortikale Bereiche beteiligt sind, die sich auf Raum und Zeit beziehen (vgl. Zeki 1999b). Wissen als Resultat bildet dann eine Einheit. Die Leistungen des Gehirns sind modular organisiert und nicht genetisch programmiert, sondern das Ergebnis „interner selbstorganisierender Prozesse oder der Interaktion des Organismus mit der Umwelt“ (Roth 1995: 179). Es gibt entsprechend keine „höchsten Gehirnzentren“ (ebd.: 191). Die beschriebenen Prozesse gelten für einfache wie auch komplexe Wahrnehmungsinhalte. Während einfache Wahrnehmungen und Routinehandlungen überwiegend präkognitiv ablaufen und wie im Schlaf funktionieren, weil schon fertige Nervennetze vorliegen, sind komplexe kognitive Leistungen immer mit der Aktivität von Nervenzellen aus den assoziativen Cortexarealen, den Integrationszentren der Wahrnehmung, die aber auch im Verbund mit subcortikalen Zentren arbeiten verbunden und damit potentiell von Bewusstsein begleitet. Vor allem bei neuen und bedeutsamen Anforderungen ist das Bewusstsein beteiligt: Bestimmte Inhalte, Aspekte der Außenwelt oder Erinnerungen werden dann kurzzeitig in den Fokus der bewussten Aufmerksamkeit gebracht, beispielsweise beim Lösen von Aufgaben oder um Unbekanntes zu verarbeiten. Bewusstsein ist wesentlich mit dem Zustand der Neuverknüpfung von Nervennetzen verbunden (ebd.: 213). Der dabei erhöhte Stoffwechsel- und Hirndurchblutungsaufwand wird in bildgebenden Verfahren gemessen, beispielsweise, wenn Versuchspersonen die Bedeutung von Worten erstmals erfassen. Dann zeigt sich eine hohe Durchblutungsrate, die bei Vertrautheit wieder zurückgeht. NeurowissenschaftlerInnen sind sich deshalb einig, dass Bewusstsein an ein funktionierendes Nervensystem gebunden ist. Sie betrachten Neuronen als „Atome von Wahrnehmen, Erinnern, Denken und Handeln, und die synaptischen Verbindungen entscheiden formend und lenkend darüber, wie individuelle Nervenzellen vorübergehend zu den größeren Koalitionen
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verknüpft werden, die Wahrnehmung erzeugen“ (Koch 2005: 24). Aktuelle Forschungsarbeiten (vgl. Lohmann/Bonhoeffer 2008) zeigen, wie komplex diese Prozesse sind. Welzer und Markowitsch (2006) gehen davon aus, dass die Informationsverarbeitung im menschlichen Gehirn zu 95% unbewusst ist. Routinisierung sei notwendig, damit Menschen in herausfordernden und neuen Situationen handeln können. Hier setzen häufig Missverständnisse ein, weil gefolgert wird, dass unbewusste, neurale Prozesse unser Denken, Fühlen und Handeln bestimmen, als ob das Gehirn sich unabhängig von Erfahrungen und Situationen verhalte. Dieser neurobiologisch-reduktionistische Kurzschluss führt jedoch nicht weiter. Dagegen scheint es erfolgversprechend, das untrennbare Zusammenspiel von Bewusstsein, von einfachen Wahrnehmungen bis zu Zuständen des Wissens und Glaubens, mit Vorgängen im Gehirn zu untersuchen. Die Neurobiologie geht davon aus, dass unser Handeln von einem Motiv-Determinismus bestimmt wird; entscheidend sind die Motive, die angeboren sein können, frühkindlich oder später erworben oder aus der aktuellen Bedürfnislage resultieren (Roth 2008: 9). Sie können als rationale Erwägungen, unbewusst oder als Gefühle auftreten. 3.2.2 Konstruktion und Kontinuität Gehirne müssen es schaffen, dass der Organismus in einer komplexen Umwelt überlebt, die in der Regel nicht genau berechnet werden kann (vgl. Roth 1995). Daraus ergibt sich die oben beschriebene zentrale Rolle von Erfahrungen. Diese sind als individuelles Wissen lebensnotwendig. Da dies Wissen immer bruchstückhaft ist, versucht das Gehirn zu kompensieren, indem es ein stimmiges Bild der Welt erzeugt. Dies gilt sowohl für einfache als auch für komplexe Wahrnehmungsinhalte (ebd.: 112). Das Gehirn versucht, Regelmäßigkeiten, die in der Welt vorhanden sind, abzubilden, indem es nicht die einzelnen Fälle abgespeichert, sondern das Allgemeine dahinter. Es konstruiert es, bereits im embryonalen Zustand und lebenslang, Realität und funktioniert insofern als „Sinnsuch- und Sinnkonstruktionsmaschine“. Diese neuronale Konstruktion ist weder willkürlich noch ausschließlich dem bewussten subjektiven Willen unterworfen. Sie verläuft nach angeborenen, früh erworbenen oder später erfahrenen Kriterien und ist hauptsächlich unbewusst (ebd.). Dass Gehirne keine exakt
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datenverarbeitenden Systeme sind, zeigt schon ein Blick auf grundlegende Prozesse des Nervensystems. Neuronen geben Signale nicht elektrisch wie ein Telegraf oder durch Übersprungprozesse weiter, wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch angenommen wurde, sondern durch chemische Vorgänge (vgl. Changeux 2004). Die Enden der meisten Neuronen sind nicht fest verdrahtet, vielmehr besteht zwischen der Endplatte des Neurons, das Signale weitergibt, und dem Signalrezeptor der Nachbarzelle eine Lücke. Elektrische Impulse lösen ein chemisches Signal aus, das wiederum in einen elektrischen Impuls umgewandelt wird. Chemische Neurotransmitter sind für die Überbrückung des synaptischen Spalts und für die Kommunikation mit dem Nachbarneuron zuständig. Damit konnte erklärt werden, warum Gehirne langsamer arbeiten als es physikalisch möglich wäre. Wahrnehmung hängt zwar mit Umweltereignissen zusammen, die die verschiedenen Sinnesorgane erregen, ist jedoch nicht abbildend, sondern konstruktiv (Roth 2005). Hier zeigen sich deutliche Anschlussstellen an konstruktivistische und agencybezogene Konzepte der Kultur- und Sozialwissenschaften. Das Gehirn konstruiert die Wirklichkeit, nachdem es sie in ihre Bestandteile zerlegt: „Beim Scannen einer visuellen Szene etwa zerlegt das Gehirn die Form von Gegenständen getrennt von deren Bewegung und beides wiederum getrennt von der Farbe der Gegenstände, bevor dann das vollständige Bild nach den eigenen Regeln des Gehirns wieder zusammengesetzt wird. Die Überzeugung, dass unsere Wahrnehmungen genau und unmittelbar sind, ist also eine Illusion.“ (Kandel 2006: 308) Neuronale Prozesse sind durch eine Tendenz zur Integration, zum uniformen Bild, zur kreativen Konstruktion und zum Auffüllen von Lücken gekennzeichnet. Entsprechend sperrt sich das Gehirn gegen fragmentierte oder aufgesplitterte Abbilder, füllt Lücken aus („fill in“ nach Koch 2005), versucht aus unvollständigen Informationen Konstanz und Kontinuität herzustellen (ebd.; Sacks 2008) und als System Sinn aus den erhaltenen Informationen zu schaffen. Ohne diese Leistung würden eingehende Informationen in viele Bruchstücke zersplittern, entsprechend den zahlreichen und vielfältigen Momenten unseres Lebens. Einzelne Bewegungssequenzen werden vom Gehirn erst zu einem Ganzen zusammengesetzt (vgl. Koch 2005). Jede Szene geht so fließend in die nächste über. Wir sehen einen Film, den unser Gehirn aus statischen Einzelbildern und Schnappschüssen erst zusammensetzt. Kontinuität entsteht aus dem linearen Verschmelzen von Augenblick zu Augenblick.
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Visuelle Vorgänge sind in diesem Zusammenhang am besten erforscht. Sehen ist wie jede Wahrnehmung keine bloße Abbildung oder Rekonstruktion, sondern immer Konstruktion (vgl. Fries 2004; Roth 2003; Zeki 1999a, b). Dies zeigen zahlreiche Experimente zur Bilderkennung und konstanz (vgl. Zeki 1999b). Auch wenn wir glauben, dass Farben Eigenschaften von Objekten sind, ist Farbe nur die Interpretation von Reflektion – eine Einschätzung, die beispielsweise für Sammlergesellschaften wichtig war, um den Reifegrad einer Frucht zu beurteilen (ebd.). Das Gehirn formt aus äußeren Eindrücken und, da diese meist nicht ausreichen, aus Erinnerungen ein Modell der Außenwelt. Menschen glauben, in jedem Moment die komplette äußere Szenerie zu sehen, doch in Wirklichkeit ist es ein abgespeichertes Modell, das erst durch Aufmerksamkeit aktualisiert wird. Und dann ins Bewusstsein kommt. Da Aufmerksamkeit selektiv ist, bleibt vieles in der Umgebung ausgeblendet. Es gibt zahlreiche, oft verblüffende Experimente, die verdeutlichen, wie das im Einzelnen vor sich geht. Ein berühmt gewordenes Experiment ist das „Gorillaexperiment“ von Simons et al. (1999): Versuchspersonen wird eine Videoaufnahme von einem Basketballspiel gezeigt mit der Aufgabe, das Spielgeschehen detailliert zu beobachten. Anschließend werden sie gefragt, ob ihnen irgendetwas Ungewöhnliches aufgefallen sei. Die meisten verneinten. Dabei „übersehen“ sie, dass ein Mensch mit einem Gorillakostüm quer durch das Spielfeld lief. Durch die Fokussierung auf einen Aspekt der Wirklichkeit können Teile der Restwirklichkeit ausgeblendet werden. Dennoch besteht das subjektive Gefühl, das Geschehen vollständig wahrgenommen zu haben. Fokussierte Objekte erzeugen stärkere Signale und werden dadurch bewusst (Koch 2005). Sie dienen als verlässliche Konstrukte im Umgang mit der Umwelt. Unsere Vorstellung von dem, was wir sehen, wirkt offenbar sogar auf das zurück, was basale Sehnerven an höhere Gehirnregionen weiterleiten. Nienborg und Cumming (2009) zeigen in Versuchen mit Affen, dass höhere kognitive Prozesse auf den Sehsinn einwirken können. Menschen beschreiben, so die Folgerung, das, was sie sehen, bemerken und erfahren, nicht exakt, sondern versuchen zu verstehen und beurteilen (vgl. Zeki 1999b). Sie erkunden die Umgebung auf der Basis von Erwartungshaltungen. Gehirnaktivitäten sind entsprechend selektiv. Die Bedeutung dessen, was Menschen wahrnehmen, bestimmt dabei die Struktur der Welt für sie (vgl. Roth 1995; Spitzer 2004), eine Tatsache, die auch Büh-
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nenmagier nutzen. Das Gehirn generiert als System aus Informationen Bedeutung, dies ist keine Entwicklung im Sinn von Konditionierung. Bei neuen Situationen greift es auch auf Vorhandenes zurück. Erst durch Deuten kann das Individuum handeln. Damit ist Deuten und Handeln aus der Sicht der Neurobiologie kontext- und erfahrungsabhängig – wiederum eine Parallele zu biografischen und konstruktivistischen Ansätzen. Erleben erscheint den Beteiligten immer ganzheitlich, kontinuierlich und ist gleichzeitig in hohem Maß ausdifferenziert, ein Vorgang, „der an Körper und Gehirn eines Individuums und seine Geschichte gebunden ist“ (Edelman 2004: 71). Das Bemühen um Kontinuität in einer dynamischen Welt gilt in gleicher Weise für das selbstverständliche Gefühl, wir selbst zu sein. Es wird in neuronalen Prozessen so schnell und zuverlässig hergestellt, dass wir es in der Regel nicht als Konstruktion erkennen. Das Ich erscheint aus dieser Perspektive als „Bündel verschiedener Einzelleistungen, die koordiniert zusammenwirken müssen“ (Fuchs et al. 2007: 5). Nur wenn Individuen Informationen „interpretieren“, sind sie handlungsfähig. So bildet das Gehirn permanent Hypothesen über die Welt und klärt ebenso permanent ab, ob diese Hypothesen zutreffen (vgl. Frith 2007). Es entwirft Konzepte über die Welt und prüft und hinterfragt diese im Prozess der Wahrnehmung. „Der Grundgedanke besteht darin, dass kognitive Fähigkeiten untrennbar mit einer Lebensgeschichte verflochten sind, wie ein Weg, der als solcher nicht existiert, sondern durch den Prozess des Gehens erst entsteht. Daraus folgt, dass meine Auffassung der Kognition nicht darin besteht, dass diese mit Hilfe von Repräsentationen Probleme löst, sondern dass sie vielmehr in kreativer Weise eine Welt hervorbringt, für die die einzige geforderte Bedingung die ist, dass sie erfolgreiche Handlungen ermöglicht: Sie gewährleistet die Fortsetzung der Existenz des betroffenen Systems mit seiner spezifischen Identität.“ (Varela 1990: 110) 3.2.3 Individualität und Subjektivität Jedes Gehirn ist einzigartig mit individuellen Vernetzungen und Landkarten – teils schon vorgeburtlich (vgl. Roth 1995). Gehirne unterscheiden sich nicht nur in der Architektur, sondern auch im Aktivitätslevel und in der Art, wie sie aktiv werden (vgl. Reinvang et al. 2003). In bildverarbeitenden Studien zum Umgang mit Aufgaben zeigen sich beispielsweise gro-
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ße Unterschiede im Aktivitätslevel und auch in den neuronalen Bereichen, die aktiviert werden (ebd.). Dass die Gehirne von zwei Menschen nie die gleichen Strukturen aufweisen, ist aber vor allem auf ihre unterschiedlichen Erfahrungen zurückzuführen (vgl. Kandel 2006; Das Manifest 2004). Wie sich Gehirnzellen vernetzen, hängt mit der individuellen Umwelt, in der sich das Gehirn entwickelt, zusammen (vgl. Solms/Turnbull 2004). Es gibt entsprechend ebenso viele individuelle Wirklichkeiten, wie es Gehirne gibt. Was einem Gehirn wichtig erscheint, muss für ein anderes nicht unbedingt relevant sein. Und was ein Gehirn zu einem bestimmten Zeitpunkt für wichtig erachtet, muss zu einem anderen Zeitpunkt nicht unbedingt von Bedeutung sein. Diese personale Variabilität gilt als Brutplatz für die evolutionäre Entwicklung des Gehirns und seinen Erfolg: „The study of Man has shown us that the general somatic variation between people of different cultures and races is trivial compared to the much greater variation in brains, even within an apparently racially and culturally homogeneous population. This is independent from the basic similarity between one brain and another.“ (Zeki 1999b: 2063) Rösler (2004: 32) gibt ein anschauliches Beispiel: „Natürlich ist die funktionale Struktur des Gehirns nicht bei jedem Menschen gleich. Sie hängt ab von den genetischen Anlagen sowie der individuellen Lerngeschichte – und sie ändert sich ständig: Das Gehirn lernt permanent! Angenommen, der relevante psychische Zeittakt dauert eine zehntel Sekunde. Bereits nach einer Minute hat das Gehirn 600 Zustandsveränderungen durch laufen und dabei auch seine Mikrostruktur verändert. Allein um den Übergang von t zu t + 1 exakt vorhersagen zu können, müsste ein Wissenschaftler nicht nur das menschliche Gehirn im Prinzip verstehen, sondern auch alle am Übergang beteiligten Strukturen dieses individuellen Gehirns binnen einer zehntel Sekunde bis ins allerkleinste Detail erfassen!“
Im Gehirn werden eingehende Informationen verarbeitet und gespeichert. Sie bilden als sogenannte mentale Repräsentationen eine subjektive Vorstellung von der Umwelt und der eigenen Persönlichkeit. Diese Qualität ist von einem äußeren Beobachter nie vollständig zu erfassen. Bei jeder Bedeutungszuweisung für neue Informationen greift das Gehirn auf vorhandene Gedächtnisinhalte zurück, wobei es die Informationen in sehr indivi-
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dueller Art verarbeitet (vgl. Roth 1995). Dabei spielen Erfahrungen als Wissen um bewährte Strategien eine wichtige Rolle. Erleben ist immer an Körper und Gehirn eines Individuums und seine Geschichte gebunden (Edelman 2004). Zudem lässt sich im Gehirn zeigen, dass Menschen auf die gleichen Reize bzw. Handlungen unterschiedlich reagieren (ebd.). Neuronale Prozesse generieren subjektive Inhalte von Sinneseindrücken, sogenannte Qualia, also die Art, wie wir beispielsweise eine Farbe oder einen Geschmack wahrnehmen. Wahrnehmungen sind zwar abhängig von hirnpysiologischen Voraussetzungen. Gehirnprozesse und subjektives Erleben sind aber nicht dasselbe. Empirisches Beobachten setzt subjektives Wahrnehmen voraus. Erleben ist weniger ein „objektiver“ physiologischer Vorgang als das „Selbst“, das Bilder und Gedanken zusammenhält und flüchtige Momente interpretiert (vgl. Sacks 2008). Bedeutungen sind entsprechend immer selektiv und betreffen immer die individuelle Situation. Subjektivität ist also die ursprüngliche Weise, auf welche Wirklichkeit existiert. Auf ihr baut persönliche Erfahrung und objektives Wissen auf (vgl. Hoppe 2008). Die Schlussfolgerung, dass kein Kind dem Anderen gleichen kann, zieht auch Singer (2001). Sie gilt seiner Meinung nach sogar für eineiige Zwillinge, weil im Laufe der Entwicklung eine riesige Zahl von Verzweigungen durchlaufen werden müssen und Entscheidungen darüber, welche Gabelung gewählt wird, oft von kleinen, mitunter zufälligen Fluktuationen der Umgebungsbedingungen abhängen. Ferner gebe es gewaltige, interindividuelle Unterschiede in der Entwicklungsgeschwindigkeit, selbst zwischen Zwillingen. Hier wirken genetische und epigenetische Faktoren zusammen. 3.2.4 Die Bedeutung von Emotionen „Man sieht nur mit dem Herzen gut.“ ANTOINE DE SAINT EXUPÉRY (2000)
Neben den traditionell bei den Neurowissenschaften im Vordergrund stehenden kognitiven Dimensionen und Entwicklungen wird zunehmend auch emotionalen Faktoren eine wichtige Rolle zugesprochen (vgl. Wahl 2000). Emotionen fördern die Bildung neuronaler Verschaltungen und wirken als Quelle von Innovationskraft.
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Emotionen galten lange als nebensächliche, „animalische“ oder Störfaktoren (vgl. Newen/Vogeley 2000; Wahl 2000). Ende des 19. Jahrhunderts wurden sie noch als subjektives Erleben physiologischer Vorgänge gesehen. Zunehmend wird aber deutlich, dass Emotionen ganz verschiedene Aspekte vereinen: körperliche Erregung, Bewertung, Ausdruck und subjektives Erleben (vgl. Zinck/Newen 2008). Damasio (1994) geht in seiner Theorie der somatischen Marker davon aus, dass die Erfahrungen eines Individuums immer auch emotional markiert werden. Entscheiden, langfristiges Planen und konsequentes Verfolgen von Plänen stehe und falle mit dem emotionalen Bewertungssystem. Auch andere kognitive Prozesse wie Erinnern und Lernen seien mit Gefühlen verbunden. Komplexe Emotionen stecken den Handlungsrahmen der Subjekte ab (vgl. ebd.) und nehmen dabei Hirnressourcen in Beschlag. Die Mobilisierung eines emotionalen Zustandes führt nicht nur dazu, dass viele kognitive Ressourcen des Gehirns sich auf ihn konzentrieren, sondern legt auch andere Emotionssysteme lahm (vgl. ebd.). Gleichzeitig fördern emotionale Zustände die Entwicklung und Vereinheitlichung des Selbst, indem sie parallele plastische Vorgänge im gesamten Gehirn aufeinander abstimmen. Die Definitionen von Emotionen sind je nach Disziplin unterschiedlich (vgl. Wassmann 2002). Allen gemeinsam ist der Befund, dass Emotionen psycho-physische, vorsprachliche Phänomene und evolutionäre Signalsysteme sind, die Mitmenschen über Gemütsverfassung und Handlungsabsichten informieren. Sie sind gleichzeitig genetisch und kulturell, universell und individuell und keine angeborenen fixen Reaktionsschemata. Psychologen nehmen an, dass Menschen ein gemeinsames Grundsystem an Emotionen haben. Diese Basisemotionen können interkulturell vermittelt und verstanden werden, weil sie sprachlich unabhängig sind. Sie kommen aber kaum in reiner Form vor, sondern sind immer durchwachsen mit anderen Emotionen. Wie stark sie in der jeweiligen Kultur ausgedrückt werden, kann sehr unterschiedlich sein. Daher kann es ohne die sprachlich vermittelten Inhalte leicht zu Missverständnissen kommen. Was für eine Persönlichkeit jemand ist und wie er sich fühlt, beeinflusst auch die Art sich auszudrücken erheblich. Entspannt klingt eine Stimme zum Beispiel ganz anders als bei Anspannung und Stress. Das hat mit dem gesamten Körpertonus zu tun, der sich automatisch auf die Stimme überträgt: Stimme hängt ganz stark an Stimmung.
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Es gibt viele Untersuchungen, bei denen über die Stimme spezifische Einschätzungen erfragt werden. Zum Beispiel konnten Hörer mit einer ziemlich hohen Trefferquote nur auf Grund einer präsentierten Stimme feststellen, ob der jeweilige Sprecher krank war. Man baut sich also immer auch ein Bild von der Person aus dem Klang ihrer Stimme. Dabei wird wahrscheinlich auf Erfahrungswerte zurückgegriffen, also mit Menschen verglichen, die so ähnlich klingen. Aber man kann nicht sagen, dieser Stimmklang steht dafür und jener Stimmklang für etwas anderes (ebd.).
3.3 D AS
BIOGRAFISCHE G EHIRN : G EDÄCHTNIS ALS V ORAUSSETZUNG FÜR ZEITLICHE UND PERSONALE K ONTINUITÄT
Das Gedächtnis hat die Funktion, unser Leben auf unterschiedlichen Ebenen mit Kontinuität zu versehen (vgl. Kandel 2006). Es liefert ein zusammenhängendes Bild der Welt und entschädigt dafür, dass Wissen immer bruchstückhaft ist. Nicht nur die aktuell wahrgenommene Wirklichkeit ist eine Neukonstruktion des Gehirns, sondern auch jedes Erinnern. Gedächtnisinhalte haben keinen Ort, sondern eine Erinnerung aktiviert neuronale Netzwerke und setzt ein Ereignis zu einer Kette von Ereignissen in Beziehung. Das Gedächtnis stellt für einen selbst sicher, dass es trotz der verstreichenden Zeit sowie der psychischen und physischen Veränderungen im Lebenslauf immer mit ein und demselben Ich zu tun hat. „Ohne Lernen und Gedächtnis würden wir nicht wissen, ob der Mensch, der wir heute sind, mit dem, was wir gestern waren, oder mit dem, der wir morgen sein werden, überhaupt zusammenpasst.“ (Le Doux 2002: 232) Gedächtnis basiert auf Veränderungen der Verbindungen zwischen Neuronen. Im allgemeinsten Sinn ist es jede Veränderung, die auf eine Erfahrung folgt (vgl. Koch 2005). Es lässt sich definieren als „Art und Weise, in der Ereignisse das Gehirn und seine zukünftigen Aktivitäten beeinflussen können“ (Siegel 2006: 22). Bewertung und Gedächtnis hängen eng zusammen. Ohne Gedächtnis ist keine Bewertung möglich und umgekehrt ist Gedächtnis nicht ohne Bewertung möglich. Das Gedächtnis bildet ein komplexes Geflecht von unterschiedlichen ineinandergreifenden Systemen. Alle eingehenden Informationen werden zunächst im Kurzzeitge-
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dächtnis, das alle Zeiträume von wenigen Sekunden bis zu wenigen Minuten umfasst, aufbewahrt und danach entweder vergessen oder ins Langzeitgedächtnis überführt. Kognitive und sinnbezogene Erfahrungen werden zu Wissensbündeln „zusammengeschnürt“ und als assoziative Netzwerke oder Landkarten im Langzeitgedächtnis abgelegt, bei passender Gelegenheit abgerufen und mit der Zeit angepasst, verändert oder neu geknüpft. Aufbau und Funktion des Langzeitgedächtnisse lassen sich in Anlehnung an Markowitsch und Welzer (2005: 80ff) unterteilen in • • • •
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prozedurales Gedächtnis mit weitgehend unbewussten und automatisierten motorischen Vorgängen (Fahrradfahren, Schwimmen ...) Priming-Form des Gedächtnisses zur Bahnung und höheren Wiedererkennungswahrscheinlichkeit für unbewusste Reize perzeptuelles Gedächtnis zum bewussten Erkennen aufgrund von Familiarität- oder Bekanntheitsgesichtspunkten semantisches oder Faktengedächtnis, das auf dem Lernen von kontextfreien Fakten (mathematische Formeln) basiert und gleichzeitig mit dem Spracherwerb verläuft episodisch-autobiografisches Gedächtnis, das für aktives und bewusstes Erinnern von Episoden, die emotional gefärbt und kontextbezogen sind, zuständig ist und Persönliches und Selbsterlebtes speichert.
Das episodisch-autobiografische Gedächtnis ist nach Markowitsch und Welzer im Herstellungsprozess von Kontinuität von zentraler Bedeutung. Es spielt für die Vorstellung, die wir von uns selbst, unseren Wünschen, unseren besonderen Merkmalen und unserer Lebensgeschichte haben, eine überaus wichtige Rolle. Die Verbindung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ist dabei gleichzeitig Grundlage und Voraussetzung für die Entwicklung von Identität und das Gefühl, eine einheitliche und kontinuierliche Persönlichkeit zu sein: je spezifischer und leichter zugänglich Erinnerungen sind, umso spezifischer sind z.B. Beschreibungen der eigenen Persönlichkeit. Ereignisse aus der Lebensgeschichte werden zum Gegenstand von Erinnerung, die „persönliche Existenz wird in einem Raum-ZeitKontinuum verankert“ (ebd.: 11) verankert. Erinnerungen müssen andererseits immer einen Ich-Bezug beinhalten, einen emotionalen Inhalt mit einem positiv oder negativ bewerteten Gefühl haben und auonoetisch sein (Bewusstsein, dass man sich erinnert). Dadurch wird auch die Möglichkeit
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geschaffen, Zukünftiges zu planen und zu gestalten. Die Fähigkeit, Szenen zu erinnern und erinnerte Gegenwart herzustellen, brachte evolutionär gesehen Überlebensvorteile. „Bewusstsein führt zu einer enormen Erweiterung des Unterscheidungsvermögens und trägt zu einer verbesserten Umweltanpassung bei.“ (Roth 1995: 66) Gedächtnisinhalte haben keinen Ort, sondern eine Erinnerung aktiviert neuronale Netzwerke und kann ein einzelnes Ereignis zu einer Kette von Ereignissen in Beziehung setzen – Voraussetzung für die Fähigkeit, Ereignisse als selbst erlebt zu verstehen. Gehirn und Gedächtnis sind weniger Struktur als ein flexibler und hoch variabler Prozess nichthierarchischer neuronaler Netze. Bei diesen komplexen Prozessen gibt es keine „höchsten Gehirnzentren“ (ebd.: 191), sondern es bestehen Konvergenzen zwischen der Information mit den Inhalten des Gedächtnisses und des Verhaltensbewertungssystems. Verschiedene Zellen können dieselben Funktionen ausüben und ein und dieselbe Zelle kann zu verschiedenen Zeitpunkten in verschiedenen Neuronengruppen verschiedenen Funktionen dienen. Auch deshalb braucht es kein übergeordnetes Interpretationssystem (vgl. Edelman/Tononi 2002). Es ist damit einleuchtend, dass es keine stabile Repräsentation der Vergangenheit gibt. Erinnern ist nie identisch, sondern nur ähnlich, da das Gehirn immer neu kategorisiert, auch wenn wir glauben, die Erinnerung gebe das Vergangene kontinuierlich und exakt wieder. Erinnerungen verändern sich ständig und damit auch die Umwelt und die Personen. Gedächtnis bildet Wirklichkeit nicht objektiv ab. So ist zu vermuten, dass das relevante Gedächtnismaterial ausgewählt wird aus einem großen Berg verfügbarer Episoden. Das Gedächtnis erfindet sich in diesem Prozess immer wieder neu: „Jedes Mal, wenn wir uns an etwas erinnern, verändert sich diese Erinnerung ein wenig. Das Gehirn fixiert Informationen niemals so exakt wie das geschriebene Wort. Erinnerungen entstehen stets aus einer Mischung von Bildern, Gefühlen, Wörtern, Fakten und Fiktionen – wir stellen sie ‚wieder her‘, im wahrsten Sinn des Wortes.“ (Gehirn & Geist 2008: 66) Gleichzeitig ist jeder Gedächtnisvorgang dynamisch und kontextsensitiv, und zwar nicht nur kognitiv, sondern auch emotional (vgl. Wahl 2000; Lippitz in Behnken/Zinnecker 2001; Katz 1999). Dass Gedächtnissysteme an der Konstruktion von Selbstkonzepten beteiligt sind, wird angesichts der Folgen neurologischer Ausfälle wie Demenz, Amnesie oder Aphasie besonders deutlich.
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„Der Amnesiepatient kann über Ereignisse der unmittelbaren Gegenwart nachdenken [...] er kann auch über Inhalte seines semantischen Gedächtnisses, seines Allgemeinwissens, nachdenken [...] Doch zur erfolgreichen täglichen Anpassung gehört nicht nur Faktenwissen, sondern auch die Fähigkeit, es in der richtigen Situation abzurufen und zu anderen Situationen in Beziehung zu setzen, mit anderen Worten, die Fähigkeit, sich zu erinnern.“ (Sacks 2008: 224)
Neurologen, der bekannteste ist Oliver Sacks („Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte“, „Der einarmige Pianist“), berichten über PatientInnen mit neurologischen Ausfällen des episodischen Gedächtnisses und wie sich diese Ausfälle auswirken. Die Patienten versuchen trotz aller Schwierigkeiten für sich Kontinuität herzustellen und Gedächtnislücken beispielsweise durch Konfabulationen zu kompensieren. Sie nutzen dazu die gleichen neuronalen Verarbeitungsformen wie gesunde Menschen – allerdings in extremer Weise. Sacks (ebd.: 211ff) beschreibt einen Patienten, dessen autobiografisches Gedächtnis vollkommen durch einen Schlaganfall zerstört war, dessen semantisches Gedächtnis aber noch erhalten war: „Mit raschen Gedankensprüngen gelang es Clive, eine Art von Kontinuität herzustellen, dafür zu sorgen, dass der Faden des Bewusstseins und der Aufmerksamkeit nicht abriss – wenn auch auf stets gefährdete Weise, denn die Gedanken wurden insgesamt nur durch oberflächliche Assoziationen zusammengehalten [...] .“ (Ebd.: 225)
Und ein weiterer Fall: „Mr. Thompson, ein anderer völlig amnestischer Patient [...] überspielte die Abgründe seines Gedächtnisses mit raschen, mühelosen Konfabulationen [...] Ohne zu zögern, erkannte – oder vielmehr verkannte – er mich im Laufe weniger Minuten als einen seiner Freunde, einen Kunden seines Delikatessgeschäfts, einen Schlachter, einen anderen Arzt – als ein Dutzend verschiedener Personen. Bei diesen Konfabulationen handelte es sich nicht um bewusste Märchen. Sie waren vielmehr eine Strategie, ein verzweifelter Versuch, unbewusst und fast automatisch für eine Art Kontinuität zu sorgen, eine narrative Kontinuität, da ihm doch die Erinnerung – und damit die Erfahrung – von Augenblick zu Augenblick geraubt wurde.“ (Ebd.: 213f)
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Das Gehirn geht damit auch auf einer „höheren Ebene“ konstruktiv vor, um ein kohärentes Bild zu erzeugen. Die Welt wird in einem neuronalen Verarbeitungsprozess geschaffen. Schon Babys sind aktiv, sie verstehen und determinieren sich selbst. Welt entsteht im materiellen Sinn im Kopf, eine Beschädigung des Gehirns beschädigt diese Welt. Die Wirklichkeit ist nicht ein Konstrukt meines Ich, sondern das Ich ist selbst ein Konstrukt (vgl. Roth 1995). Die Gehirnforschung bestätigt damit die philosophische Theorie des Selbstmodells (SMT) von Metzinger (2003), der zufolge unser Selbstgefühl lediglich eine Möglichkeit ist – die beste Hypothese, die wir als System über unseren eigenen Zustand haben und als Wirklichkeit interpretieren. Gleichzeitig beruhen Bewusstsein und Identität auf neuronalen Vorgängen, sind fließend und dynamisch. Entsprechend gibt es auch kein zentrales Ich, sondern Vorgänge selbst bilden Bewusstsein. Der immer wieder herzustellenden Kontinuität und Einheit von Erfahrung und Wissen wird von NeurowissenschaftlerInnen oft das Merkmal der Illusion oder Fiktion zugeschrieben. Diese Schlussfolgerung ist richtig, wenn Konstruktion als Illusion bezeichnet wird, doch dann wäre alles, was das Gehirn produziert, eine Illusion. Es scheint angemessener, von Konstruktionen zu sprechen, die subjektiv Sinn machen. Fuchs (2007) weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es zu verkürzt wäre, diese Prozesse nur im Gehirn zu verorten bzw. das Gehirn zu subjektivieren (vgl. Spitzer 2004). Vielmehr fungiere das Gehirn als Vermittlungsorgan für biologische und umweltbezogene Kreisprozesse, in denen der Mensch steht. Seiner Meinung nach ist es immer der ganze Mensch, der fühlt, denkt und handelt.
3.4 D AS SICH ENTWICKELNDE G EHIRN : N EUROGENESE „Mit der Geburt sind wir zum Lernen fähig, aber wir wissen nichts und kennen nichts. Die Seele ist in unvollkommene und halbgebildete Organe eingebettet. Sie empfindet nicht einmal ihr eigenes Dasein. Die Bewegungen und Schreie des Neugeborenen sind rein mechanisch, ohne Bewusstsein und Willen [...]. Die Erziehung des Menschen beginnt mit der Geburt. Ehe er hört, lernt er schon. Die Erfahrung eilt der Belehrung voraus.“ JEAN-JACQUES ROUSSEAU 1978
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Die Entwicklung von Gehirn und Gedächtnis, besonders des autobiografischen Gedächtnisses und des Gefühls der Selbigkeit, ist, soviel dürfte deutlich geworden sein, kein autonom ablaufender biologischer Prozess. Sie ist auch nicht bei der Geburt abgeschlossen, sondern setzt sich als Ergebnis interner selbstorganisierender und eigendynamischer Prozesse (vgl. Stern 2004) und in „Interaktion des Organismus mit der Umwelt“ (Roth 1995) fort – im Wechselspiel von genetischen Faktoren und Umwelteinflüssen (vgl. Baltes et al. 2006; Edelmann 2004; Le Doux 2002; Singer 2002). Eine genaue Unterscheidung von Angeborenem und Erworbenem ist aufgrund der Verflochtenheit der beteiligten Faktoren kaum möglich. Die Reifung des Gehirns erscheint biologisch determiniert, weil sie eine in der menschlichen Evolution entstandene, hoch entwickelte Konvergenz von Genetik und Umwelt in sich trägt, die sich zumindest teilweise in der heutigen Ontogenese wiederholt (Baltes/Lindenberger 2004). Stern (2004: 10) schlägt deshalb vor, zwischen genetisch programmierten Kompetenzen (z.B. Laufen oder Sprechen) und kulturabhängigen Fähigkeiten (z.B. Abstrahieren aufgrund von Denkmodellen) zu unterscheiden. Fest steht, dass das Gehirn sich nur durch Aktivitäten entwickeln kann, indem es Informationen als Erfahrungen verarbeitet. Diese Plastizität ist die angeborene Fähigkeit, Informationen mittels Synapsen zu erfassen und zu speichern sowie Erfahrungen zu enkodieren (vgl. Le Doux 2002). „Selbst wenn es bald möglich sein sollte, ein [...] Kind zu klonen, wird der Doppelgänger, weil er ja seine eigenen Erfahrungen macht, anders handeln, denken und fühlen.“ (Ebd.: 14) Das Gehirn ist weder in seiner Feinstruktur oder Verschaltung noch in seinen Aktivierungsmustern festgelegt: angeregte Verbindungen bilden sich aus und festigen sich, nicht benötigte werden eingeschmolzen und gehen verloren. Struktur und Funktion verändern sich in aktiver Auseinandersetzung mit der Umwelt – die Voraussetzung zu lernen. Wofür es keine Anlage gibt, das kann durch Umwelteinflüsse allerdings auch nicht entwickelt werden. Entwicklung ist insofern immer begrenzt. Ein Großteil der Ergebnisse aus Tierstudien wurde auf das menschliche Gehirn und seine Genese übertragen, direkte Beobachtungen des sich entwickelnden menschlichen Gehirns sind dagegen noch selten (vgl. Blakemore/Frith 2006) und erst durch bildverarbeitende Techniken möglich. Dennoch spielen diese Ergebnisse in der Bildungspolitik bereits eine nicht zu unterschätzende Rolle.
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3.4.1 Neuroplastizität: Das Gehirn – ein flexibler und hoch variabler Prozess modularer neuronaler Netze Die Fähigkeit des Gehirns, sich und seine Architektur fortwährend durch Erfahrungen zu verändern, wird als Plastizität bezeichnet und ist in den letzten Jahren zu einem zentralen Forschungsgegenstand der Neurowissenschaften geworden. „Die neuroplastische Revolution zeigt, wie sich unser Gehirn durch Liebe, Sex, Trauer, Beziehungen, Sucht, Kultur, Technologie und Psychotherapie (um nur einige zu nennen) verändert.“ (Doidge 2008: 11) Auch in Psychotherapien können, wenn sie erfolgreich verlaufen, neue Netzwerke im Gehirn angelegt werden und alte, belastende umgangen werden. Deshalb braucht Therapie auch so lange, weil Traumatisierungen nicht vollständig vergessen werden, sondern nur abgeschwächt werden: das Alte ruhen lassen und das Neue beginnen (vgl. Kandel 2006). Unter neuronaler Plastizität wird die Eigenschaft von Synapsen, Nervenzellen oder auch ganzen Hirnarealen verstanden, sich in Abhängigkeit von der Verwendung in ihren Eigenschaften zu verändern. Sie beruht nicht nur auf der Neuverdrahtung von Synapsen, sondern auch auf der Bildung von frischen Nervenzellen (vgl. Imayoshi et al. 2008). Entsprechend sind neuronale Netze nicht fest verdrahtet, sondern während der Ontogenese und im Erwachsenenalter oder nach Gehirnschädigungen sehr plastisch, wie sich zunehmend und im Gegensatz zu Vorstellungen von festgelegten Gehirnstrukturen zeigt. Die strukturellen Veränderungen erfahren in verschiedenen Entwicklungsphasen unterschiedliche Schwerpunkte und betreffen die Veränderung in der Anzahl der Nervenzellen, die Bildung von Synapsen, das Wachstum der Dendriten und Axone, die Dichte der synaptischen Verschaltung, die Dicke der Myelin-Schicht und die Interaktion mit dem Stützgewebe. Die Plastizitätsforschung veranschaulicht, wie dynamisch das Gehirn auf die jeweiligen Erfahrungen reagiert. Genetische Prozesse bestimmen die Verbindungen zwischen den Neuronen, nicht jedoch die Stärke der Verbindungen (ebd.). Das Gehirn ist flexibel und hoch variabel: strukturell unterschiedliche Bestandteile eines Systems sind in der Lage, dieselbe Funktion zu erfüllen oder denselben Output zu erzeugen. Verschiedene Zellen können dieselben Funktionen ausüben und ein und dieselbe Zelle kann zu verschiedenen Zeitpunkten in verschiedenen Neuronengruppen
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verschiedenen Funktionen dienen ohne übergeordnete Schaltzentrale. Plastizität ist von Bedeutung, damit Menschen flexibel agieren können. Für bestimmte Aufgaben können zudem zusätzliche Hirnregionen rekrutiert werden bzw. weist das Gehirn unterschiedliche Architekturen auf (Das Manifest 2004: 33). Klavierspieler, Fußballspieler oder Taxifahrer haben beispielsweise ganz spezifische Gehirnarchitekturen. Und Blinde, die mit den Händen lesen, benutzen einen Teil der normalerweise für das Sehen zuständigen Hirnrindenareale, um taktile Muster zu dechiffrieren (vgl. Doidge 2008). Die funktionalen Anpassungsprozesse führen nutzungsabhängig dazu, dass das ausgereifte Gehirn die jeweilige Biografie einer Person spiegelt, weil die spezifischen Repräsentationen genau der Häufigkeit der Nutzung und Beanspruchung entsprechen. Deshalb ist ein Musikergehirn in seiner Feinstruktur anders organisiert als das Gehirn eines Sportlers, weil es andere Tätigkeiten beansprucht und trainiert als jenes (vgl. Gruhn 2005). Studien zeigen, dass in den Gehirnen von depressiven oder dementen Menschen die Plastizität geringer ist (ebd.). Gleichzeitig scheint eine komplexe Umwelt zu einer größeren Leistungsfähigkeit des Gehirns zu führen. „Die Kehrseite ist, dass Plastizität mit Verletzlichkeit einhergeht. Die ‚Reifung‘ des Gehirns erscheint biologisch determiniert, weil sie eine in der menschlichen Evolution entstandene, hochentwickelte Konvergenz von Genetik und Umwelt in sich trägt, die sich zumindest teilweise in der heutigen Ontogenese wiederholt.“ (Baltes/Lindenberger 2004)
Die Neurogenese ist nicht nur ein erfahrungsabhängiger, sondern auch ein lebenslanger Prozess (vgl. Kempermann 2006; Nelson 2006) und nach einigen Jahren keineswegs abgeschlossen, auch wenn Kindheitserfahrungen besonders bedeutsam sind. Das Gehirn erweist sich im Gegenteil in seiner Struktur und seinen Verbindungen als überaus veränderbar. Es ist über Kindheit und Jugend hinaus offen für neue Eindrücke und Erfahrungen. Auch im erwachsenen Gehirn bilden sich fortwährend neue Verschaltungen. Nervenverbindungen werden lebenslang aufgebaut (Synaptogenese), umgebaut und abgebaut (Pruning) (vgl. Kempermann 2006). „In a brain region centrally involved in the cognitive processes underlying many essentially human traits, new neurons are being born throughout life in an activity-dependent manner.“ (Ebd.: 104)
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Im Lebensverlauf stehen zunächst entwicklungsgesteuerte Prozesse im Vordergrund: Initial angelegte, streng genetisch determinierte Muster synaptischer Verbindungen (angeborene Verhaltensmuster) werden entsprechend der Art ihrer Nutzung weiterentwickelt, aufgegeben, überformt oder umgebaut. Zum Zeitpunkt der Geburt sind zunächst nur neuronale Basisfunktionen ausgebildet, die für die Aufrechterhaltung von Lebensprozessen benötigt werden (vgl. Singer 2001). Zunehmend überwiegen im Lebensverlauf Lernvorgänge, wobei die Grenzen fließend sind. Die Nervenzellen sind zwar im Wesentlichen angelegt, aber vor allem in der Großhirnrinde nicht miteinander verbunden. Viele Verbindungen entstehen erst nach der Geburt, ein erheblicher Anteil wird wieder vernichtet. So vollzieht sich ein stetiger Umbau. Nur ein Drittel der einmal angelegten Nervenverbindungen bleibt erhalten. Welche dies sind, hängt von der Aktivität ab, die sie vermitteln. Das bedeutet, dass die Ausbildung der funktionellen Architektur der Großhirnrinde in erheblichem Umfang von Sinnessignalen und damit von Erfahrung beeinflusst wird. Eissele (2003) beschreibt diesen Vorgang so anschaulich, dass auf ihre Beschreibung an dieser Stelle zurückgegriffen wird: „Die Gehirne Neugeborener verfügen bereits über 100 Milliarden Nervenzellen, genug für das ganze restliche Leben. Doch verbunden sind da erst wenige. Sofort nach der Geburt beginnt eine rasante Verdrahtung, die genetisch gesteuert ist. Zahlreiche Verbindungen werden geknüpft, damit der kleine Mensch alle Chancen dieser Welt hat. Schon nach einem Jahr hat sich die Dicke der Großhirnrinde verdreifacht, so viele ‚Drähte‘ zwischen den einzelnen Zellen sind gezogen worden. Parallel dazu werden die Gehirnregionen verknüpft. Das dauert bis zur Pubertät, unterdessen wird immer wieder Überflüssiges abgebaut. Wie eine Marmorskulptur durch Wegnehmen überflüssigen Materials entsteht, so entwickelt sich auch das Gehirn.“
In der Plastizitätsforschung werden zwei Arten von Plastizität unterschieden (vgl. Greenough/Black 1992): Die erfahrungserwartende Plastizität, ein evolutionär sehr alter Mechanismus, bildet die Grundlage für die Annahme kritischer bzw. sensibler Phasen in der Gehirnentwicklung vor allem in der Kleinkindphase. Sie geht auf eine „anfängliche, intern gesteuerte Überproduktion an Synapsen und auf die anschließende Reduzierung auf sehr aktive, durch Erfahrungen stabilisierte Verbindungen zurück“ (BMBF 2005a: 66). Dabei verringert
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sich die Anzahl der Synapsen, wenn sie nicht benutzt werden. Die sensiblen Phasen der Gehirnentwicklung sind zeitlich gestaffelt. Das Gehirn benötigt in den verschiedenen Entwicklungsphasen unterschiedliche Informationen aus der Umwelt, um seine Ausbildung optimieren zu können. Sinnessignale können nur dann strukturierend auf die Entwicklung einwirken, wenn sie Folge aktiver Interaktion mit der Umwelt sind. In der Gehirn- und Gedächtnisentwicklung wurden verschiedene kritische und sensible Entwicklungsphasen identifiziert (vgl. Andersen 2003; Thomas/ Johnson 2008). Beispielsweise wurde gezeigt, dass Kleinkinder noch in der Lage sind, jeden lautlichen Unterschied in den Tausenden menschlicher Sprachen wahrzunehmen (Doidge 2008: 287ff). Wenn sich das kritische Zeitfenster zur Entwicklung des Hörzentrums geschlossen hat, verlieren einsprachig erzogene Kinder die Fähigkeit viele dieser Laute zu erkennen. Dies wird damit erklärt, dass nicht benutzte Gehirnzellen absterben und das Gehirn Klänge vor dem Hintergrund der erlernten Muttersprache filtert. „Ein japanisches Kleinkind hört den Unterschied zwischen r und l genauso gut wie ein englisches oder deutsches Kind. Doch im Alter von einem Jahr verliert es diese Fähigkeit [...], hat es Schwierigkeiten, diese beiden Laute zu unterscheiden und klar auszusprechen.“ (Ebd.: 288) Wenn die visuellen oder akustischen Signale nicht verfügbar sind, die während der entsprechenden sensiblen Entwicklungsphasen benötigt werden, führt dies zu Strukturänderungen, die im Mikroskop sichtbar sind. Die Nervenzellen schrumpfen, ihre Fortsätze, mit denen sie Signale von anderen Zellen aufnehmen, die sogenannten Dendriten, bilden weniger Verzweigungen aus, und die Zahl der Kontakte zwischen den Nervenzellen, der Synapsen, nimmt dramatisch ab. Auch die Fläche der insgesamt für eine bestimmte Funktion zur Verfügung gestellten Bereiche der Großhirnrinde kann schrumpfen, wenn diese Funktion nicht trainiert oder nicht gebraucht wird. Bei früh Erblindeten kann es vorkommen, dass Hirnrindenareale zur Verarbeitung visueller Signale die Auswertung taktiler oder akustischer Signale übernehmen. Thomas und Johnson (2008) zeigen aufgrund neuerer neuropsychologischer Studien, dass die Vorstellung von kritischen sensiblen Phasen zu einfach ist. Vielmehr scheinen sich beide Plastizitätsformen vielfach zu überlagern. Sie weisen darauf hin, dass entwicklungsbedingte Deprivationen hochgradig reversibel und Entwicklungsfenster nie vollständig geschlossen sind.
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Die erfahrungsabhängige Plastizität durch Stimulation führt zur Speicherung von Informationen, die sich interindividuell unterscheiden und für das individuelle Überleben wichtig sind. Sie ermöglicht es dem Tier, Repräsentationen von Merkmalen ihrer Umgebung zu bilden. Der zu Grunde liegende Mechanismus besteht nicht in der Eliminierung überflüssiger Synapsen, sondern vielmehr in der Bildung neuer synaptischer Verbindungen und deren Reorganisation (vgl. BMBF 2005a). Die Funktionen von Hirnrindenarealen sind also in Grenzen verschiebbar. 3.4.2 Neurogenese im Lebenslauf Das Gehirn reorganisiert sich im Lebenslauf mehrfach bzw. vielfach tiefgreifend (vgl. Blakemore/Frith 2006): im ersten Lebensjahr, in der späteren Kindheit und während der Pubertät (vgl. Giedd 2008; Hüther 2003). In den ersten dreizehn Lebensjahren gibt es eine Vielzahl von Wachstumsschüben, in denen sehr viel mehr neuronale Verbindungen entstehen, als benutzt werden (Solms/Turnbill 2004: 234). Nur diejenigen, die genügend aktiviert werden, überleben, die anderen werden aus der reifenden Struktur gelöscht („Pruning“). Aber auch im erwachsenen Gehirn bilden sich fortwährend neue Verschaltungen (vgl. Kempermann 2006). Für bestimmte Aufgaben können zusätzliche Hirnregionen rekrutiert werden. Entwicklungsphase Kleinkind Wie oben ausgeführt ist die Gehirnentwicklung von Kleinkindern durch Eigendynamik und Interaktion mit der Umwelt gekennzeichnet. Sofern körperliche und emotionale Grundbedürfnisse befriedigt sind und die Sinnesfunktionen intakt sind, nehmen im ersten Lebensjahr die Verschaltungen zwischen den Nervenzellen in später nicht mehr erreichtem Ausmaß zu und zwar unabhängig von der Umgebung (vgl. Stern 2004). Ab dem dritten Lebensjahr setzt ein rapider Abbau ein, der bis zur Pubertät fortgeführt wird. Zunahme und Abbau der Synapsendichte sind nach Stern nicht mit erhöhter oder verminderter Lernfähigkeit gleichzusetzen, sondern universelle Entwicklungsschritte, die auf Störungen empfindlich reagieren, aber in diesem Alter keine komplexen oder anspruchsvollen Lernumgebungen benötigen. Die Interaktion des werdenden Gehirns mit der Umwelt beginnt bereits im embryonalen Stadium (vgl. Changeux 2004); der Fötus erkennt beispielsweise Stimmen und Sprache. Bereits ab dem zweiten
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Schwangerschaftsmonat kann der Embryo erste Sinneswahrnehmungen wie Fühlen und Schmecken verarbeiten. Im vierten Monat der Schwangerschaft kann das Ungeborene hören und gewöhnt sich an Stimme und Sprachrhythmus der Mutter. Selbst Musikstücke, die einst im Mutterleib wahrgenommen wurden, kann das Kind nach seiner Geburt wiedererkennen. Wie elektrophysiologische Untersuchungen zeigen, erfassen bereits Neugeborene den Rhythmus verschiedener menschlicher Idiome. Umweltinteraktionen gewinnen nochmals wesentlich an Bedeutung, sobald Sinnesreize wahrgenommen werden können. Changeux (ebd.) geht aufgrund seiner Forschungen davon aus, dass spontane elektrische Aktivitäten schon im Mutterleib vielgestaltige Netzwerke aus Nervenzellen geschaffen werden. Diese würden durch Umweltreize ausgewählt und verstärkt, bis sie Reize repräsentieren. Das bedeutet, dass die Umwelt sich nicht unmittelbar in das Gehirn einträgt, sondern auf dem Weg über die Sinne bestimmte Netzwerke nutzt und ihre Verknüpfungen verstärkt. Das autobiografische Gedächtnis als Voraussetzung für die Herstellung der Kontinuität einer Person muss sich bei Kindern erst entwickeln: Kinder unter drei Jahren verfügen zwar schon über ein ausdifferenziertes episodisches Gedächtnis, doch erst im Alter von drei bis vier Jahren entwickeln sie das autobiografische Gedächtnis. Sie bringen dann in ihre Erinnerungen die Perspektive des Selbst-Erlebthabens ein. Ab einem Alter von sechs Jahren ist diese Fähigkeit relativ stabil; dann ist auch narratives Selbstverstehen erreicht, also ein Selbst mit erzählbarer Geschichte, festgemacht an Sprache (vgl. das interdisziplinäre Entwicklungsmodell des autobiografischen Gedächtnisses nach Markowitsch/Welzer 2005). Zu unterscheiden ist zwischen prozeduralem impliziten Gedächtnis, das dem Bewusstsein nicht zugänglich ist (z.B. Urvertrauen als frühes Affektmuster, automatisierte Fähigkeiten), dem expliziten deklarativen Gedächtnis, das semantisches Weltwissen und Faktenkenntnisse enthält sowie episodisches Erinnerungen an persönliche Erlebnisse, und zum dritten dem generisch-episodischen Gedächtnis, das ein einzelnes Ereignis zu einer Kette von Ereignissen in Beziehung setzt. Letzteres sei Voraussetzung für die Fähigkeit, Ereignisse als selbst erlebt zu repräsentieren, und erst ab dem vierten Lebensjahr möglich. Kinder entdecken sich erst spät als eigenständiges Ich. Erst ab dem zweiten oder dritten Lebensjahr suchen sie nicht hinter dem Spiegel, sondern erkennen sich in ihm und beginnen sich als autonome Agenten zu erfahren. Die Entwicklung dieser Fähigkeiten korreliert direkt
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mit der späten Ausreifung präfrontaler Hirnstrukturen. Erst wenn diese funktionstüchtig werden, gelingt es den Kindern, Handlungen aufzuschieben und vorher darüber nachzudenken, ob es besser ist, jetzt oder später zu agieren. Eigene Erzählungen werden bedeutsam, um dem Erlebten Sinn zu verleihen und dies auch anderen mitzuteilen (vgl. Köhler 2000). Erst das autobiografische Gedächtnis basiert auf einem Selbstkonzept. Deshalb können sich Menschen erst ab dieser Zeit an ihre Kindheit erinnern. Dass Kleinkinder sich angeblich nicht autobiografisch erinnern können, könnte aber auch darauf zurückzuführen sein, dass sie sich noch nicht artikulieren können, weshalb Entwicklungspsychologen wie Piaget Prozesse des Nachahmens untersucht haben. Neuere Studien relativieren auch das stufenförmige Entwicklungsmodell von Erinnerung und damit die sogenannte frühkindliche Amnesie, aufgrund derer Erwachsene sich in der Regel erst an biografische Ereignisse ab dem fünften Lebensjahr erinnern können. Bauer (2006) zeigt beispielsweise mit elektrophysikalischen (sog. ERP‘s: event-related potentials) und Verhaltensmessungen, dass sich Kinder schon vom Ende des ersten Lebensjahres an und bis zum Ende des zweiten Lebensjahres stabil an Vergangenes erinnern können, auch bezogen auf Autobiografisches. Dies ist nach ihren Forschungen bei neun Monate alten Kindern noch nicht der Fall. Im Gegensatz zu einem qualitativen Sprung geht sie von einer Entwicklungskontinuität des Gedächtnisses aus und davon, dass frühere Gehirnstrukturen durch später angelegte komplexere, zahlreichere und qualitativ höherwertige überlagert würden, welche besser zugänglich wären für den Zugriff und deshalb im Prozess der Reifung – überwiegend in den frühen Schuljahren – nicht überlebten, woraus üblicherweise „Kindheitsamnesie“ abgeleitet würde. Entwicklungsphase Pubertät Noch vor einem Jahrzehnt wurde angenommen, dass die Veränderungen des Gehirns im Mutterleib und im Verlauf der ersten fünf bis sechs Lebensjahre stattfinden würden, wobei die ersten drei Lebensjahre als entscheidend gewertet wurden. Diese Aussagen wurden aus frühen Zelluntersuchungen an Tieren abgeleitet (vgl. Blakemore/Frith 2006) und haben lange den Blick dafür verstellt, dass sich die Hirnentwicklung bis zum Abschluss der Pubertät und darüber hinaus hinzieht und dass es durchaus auch spätere Entwicklungsphasen gibt (ebd.; Giedd 2008; Solms/Turnbill 2004). Die Entwicklungsschübe im adoleszenten Gehirn verdanken sich
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der langsamen Ausreifung des sogenannten Präfrontalhirns, das erst spät in der Evolution hinzutrat. Auf seinen Funktionen beruhen komplexe kognitive Leistungen wie die Fähigkeit, die eigene Existenz in der Zeit zu begreifen, Handlungen aufzuschieben und von vorausgehenden Überlegungen abhängig zu machen, ein Konzept vom eigenen Ich zu entwickeln und sich in soziale Wertgefüge einzuordnen. Giedd (2008) konnte zeigen, dass es bei Jugendlichen kurz vor der Pubertät zu einem erneuten Wachstum der grauen Gehirnsubstanz in den vorderen Gehirnlappen, zuständig für die Steuerung von Gefühlen, Planen und Organisieren von Verhalten, kommt, gefolgt von einem erheblichen Verlust eben dieser Zellen im Alter von fünfzehn bis fünfundzwanzig Jahren. Er führt die umwälzenden biologischen Reifungsprozesse während der Pubertät nicht nur auf die Hormonausschüttung und die damit einhergehenden Veränderungen der inneren und äußerer Geschlechtsmerkmale zurück, sondern auch auf die nichtlineare Reorganisation des Gehirns mit vermehrter Synapsenbildung und dem Abbau nicht benötigter Verbindungen (ebd.), ähnlich der Gehirnentwicklung beim Kleinkind (vgl. Blakemore/Frith 2006). In mehrjährigen Untersuchungen konnte auch die Gehirnentwicklung bei Kindern und Jugendlichen dokumentiert werden (vgl. Thompson et al. 2000). Dabei wurden mittels bildgebender Verfahren erhebliche anatomische Veränderungen des Gehirns bei Jugendlichen beobachtet. Die Aussagen stützen sich auf Aufnahmen des Gehirns bei Kindern und Jugendlichen zwischen drei und fünfzehn Jahren in Intervallen von zwei Wochen bis zu vier Jahren. Die Folgen der Neugestaltung im Jugendalter seien Launenhaftigkeit, Aggression, Konzentrationsschwäche, Unberechenbarkeit, Depression und vermindertes situatives Urteilsvermögen. Inzwischen zeigt sich, dass solche kausalen Erklärungen, die den neuronalen Umbau des Gehirns für die schwierige Lebensphase Pubertät verantwortlich machen, zu relativieren sind. Erstens geht der Umbau des Gehirns bis weit ins Erwachsenenalter, wenn auch verminderter, und zweitens ist zu bezweifeln, ob bildgewordene Strukturen und Aktivitäten im Gehirn zwangsläufig Verhalten erklären (Epstein 2007). Epstein verweist darauf, dass sich im Gehirn Erfahrungen spiegeln, aber eben nicht mehr. Die Adoleszenz sei ein fast ausschließlich auf westliche Industriegesellschaften beschränktes Phänomen, während sich in Forschungen über Jugendliche in vorindustriellen Gesellschaften zeige, dass die Jugendzeit eine eher ruhige Phase des
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Übergangs zum Erwachsenensein darstelle, d.h. jugendlicher Aufruhr ist kein universelles Entwicklungsmuster. Hier stelle sich die Frage, ob sich dieser kulturelle Unterschied dann nicht auch in den Gehirnstrukturen und -aktivitäten zeige: Folgt man dieser Argumentation, ergeben sich komplexere Zusammenhänge. Adulte Neurogenese Während lange Zeit die Hirnentwicklung spätestens nach der Jugend als abgeschlossen und neuronale Netzwerke als endgültig angelegt galten, steht mittlerweile fest, dass sich auch im erwachsenen Gehirn nach den sensiblen Phasen Kindheit und Jugend noch neue Nervenzellen bilden und zwar bis zum sechzigsten Lebensjahr und noch länger. Neurale Plastizität mit großer Offenheit für Lernen und Restrukturierung steht im Gegensatz zur alten Vorstellung von konstanten oder entwickelten Gehirnstrukturen. Es wird immer deutlicher, dass das reife Gehirn keinesfalls auf Verfall programmiert ist (vgl. Kempermann 2006). Auch das erwachsene Gehirn ist nichts „Fertiges“ – eine interessante Parallele zur lebenslangen Entwicklung in der Entwicklungspsychologie, sondern ändert sich, je nachdem wie es benutzt wird oder auch, was es kompensieren muss. Bisher wurden vor allem Entwicklungsprozesse bis zum Erwachsenenalter untersucht, während für das Erwachsenenalter erst allmählich Studien durchgeführt werden. Entsprechend liegen hier weniger Erkenntnisse vor, doch inzwischen ist die lebenslange Wachstums- und Anpassungsfähigkeit des Gehirns belegt. So konnte sogar gezeigt werden, dass Hirnwachstum auch bei älteren Menschen stattfindet. Es genügen bereits wenige neue Zellen, um die Netzwerkarchitektur des Gehirns grundlegend zu verändern – sofern sie sich am richtigen Ort bilden (Kempermann 2006), vor allem im Hippocampus, der eine zentrale Rolle bei Lern- und Gedächtnisvorgängen spielt. Aufgrund dieser und weiterer Befunde scheinen auch bisherige Befunde zu eindeutig sensiblen Phasen und Entwicklungsstufen zu relativieren zu sein.
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3.5 D AS S OZIALE G EHIRN : D IE B EDEUTUNG VON U MWELT UND B EZIEHUNGEN „Um Lebendes zu erforschen, muss man sich am Leben beteiligen.“ VIKTOR VON WEIZSÄCKER 1997
Die Entwicklung des autobiografischen Gedächtnisses und des Gefühls, man selbst zu sein, ist kein autonom ablaufender biologisch oder ausschließlich individueller Vorgang, sondern ist eingebettet in eine soziale Umwelt und findet in Wechselbeziehungen mit Personen und Gruppen statt. Auch wenn Menschen das Gefühl haben, aus sich heraus zu handeln, sind sie immer mit der physikalischen und sozialen Umwelt verwoben (vgl. Frith 2007). Die Gehirnforschung beginnt dies zunehmend zu berücksichtigen (vgl. Damasio 1994). Entsprechend werden nicht mehr nur interne neuronale Prozesse untersucht, sondern der Zusammenhang mit der sozialen Umgebung, in der Menschen aufwachsen und leben. In den Neurowissenschaften wird traditionell und sehr umfassend unter Umwelt alles außerhalb des Gehirns bezeichnet (vgl. Solms/Turnbell 2004): das kann die Insulinvermittlung der Bauchspeicheldrüse sein, das können aber auch soziale Beziehungen, kulturelle Umwelt und neuronale Entwicklungsprozesse im Zusammenspiel mit der Umwelt sein. Zu den gesicherten Erkenntnissen der aktuellen Neurobiologie sowie Epigenetik gehört, dass soziale Umgebung, Interaktionen und Erfahrungen biologische Auswirkungen auf die Aktivität der Gene und die neuronale Architektur des Gehirns haben. Sie aktivieren, stärken oder schaffen Hirnstrukturen neu und modulieren große Teile kognitiver Prozesse und der entsprechenden Gehirnaktivitäten unmittelbar (vgl. Pauen 2007; Siegel 2006). Der Austausch zwischen sozialem Verhalten und Genen verläuft beispielsweise in zwei Richtungen. Nicht nur die Gene beeinflussen das Verhalten, sondern auch soziales Verhalten verändert die Genexpression im Gehirn, was sich letztlich wiederum im Verhalten niederschlägt. Erfahrung kehrt ständig auf die Ebene der DNA zurück (Robinson et al. 2008). Kultur ist ebenso nicht nur ein Produkt unseres Gehirns, sondern das Gehirn ist ebenfalls ein Produkt der Kultur (Doidge 2008: 277). „To understand in a satisfactory manner the brain that fabricates human mind and human behaviour, it is necessary to take into account its social and cultural
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context. And that makes the endeavour truly daunting.“ (Damasio 1994: 260) Dies gilt in besonderem Maß für das Gedächtnis (vgl. Markowitsch/Welzer 2005). Es synchronisiert sich mit der sozialen Umwelt. Vor allem interdisziplinäre Forschungsverbünde (z.B. Baltes et al. 2006; Markowitsch/Welzer 2005; Röttger-Rössler/Markowitsch 2005) versuchen, den kulturellen Kontext und soziale Beziehungen einzubeziehen. Baltes et al. (2005) charakterisieren den Zusammenhang von Gehirn und Umwelt als „biokulturellen Ko-Konstruktivismus“. Jeder anhaltende Umwelteinfluss des Gehirns verändere es neurophysiologisch; gleichzeitig macht, wer viel Musik hört, auch bessere Musik. Sie formulieren die bewusst provokante These vom „Gehirn als abhängiger Variable“. Das Gehirn selbst sei im Lebensverlauf des Einzelnen eine gemeinsame Konstruktion von biologischer Prädisposition und kultureller Wirklichkeit. Mit anderen Worten: Große Teile kognitiver Prozesse und der entsprechenden Gehirnaktivitäten werden durch die soziale Umgebung, soziale Interaktionen und soziale Erfahrungen moduliert. Stern (2004) weist darauf hin, dass Lernen durch die spezifischen Merkmale des Gehirns ermöglicht wird, dass es aber durch die Umgebung gesteuert werde. Insofern müssten immer die Anforderungen und Rahmenbedingungen der Umwelt berücksichtigt werden. In diesem Zusammenhang sei auch allein aus neurophysiologischen Zusammenhängen nicht zu erklären, warum Lernvorgänge gelingen oder eben nicht. Sie unterscheidet entsprechend zwischen genetisch programmierten Kompetenzen wie Laufen und kulturabhängigen Fähigkeiten wie Abstrahieren aufgrund von Denkmodellen, wobei zu bezweifeln ist, ob beides so klar zu trennen sind. Jeder Mensch ist ein autopoietisches System mit individuellen, einmaligen Wirklichkeitskonstrukten. Diese individuellen Weltsichten sind eingebettet in soziale Deutungsmuster und diese wieder in kulturelle Traditionen. „Menschliches Erkennen als wirksames Handeln gehört also zum biologischen Bereich, aber es wird immer in einer kulturellen Tradition gelebt. [...] Der ganze Satz von Regelmäßigkeiten, die zur Koppelung einer sozialen Gruppe gehören, stellt ihre biologische und kulturelle Tradition dar. Tradition ist nicht nur eine Weise zu sehen und zu handeln, sondern auch eine Weise zu verbergen.“ (Maturana/Varela 1987: 261)
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Im Gegensatz zu der Auffassung, wonach die Verstandesentwicklung einem genetisch weitgehend fixierten Drehbuch folgt, glauben beispielsweise Heyes und Huber (2000), dass soziale Einflüsse der Umwelt die Verstandesleistung wesentlich mitgestalten – dass Klugheit also nicht zuletzt vom sozialen und intellektuellen Reichtum der Umgebung abhängt. Die jeweilige Umwelt sowie die intellektuelle Aktivität eines Individuums in dieser könnten entscheidenden Einfluss auf die Prägung des Verstandes haben. Heyes und Huber stellen aufgrund spezieller Leistungstests die gängige Meinung infrage, wonach Fähigkeiten wie das Analysieren komplexer Aufgaben angeboren sind und kaum trainiert werden können – die mehrwöchigen Tests hätten Gegenteiliges gezeigt. Dabei hätten die Probanden nicht bloß aufgrund intensiver Übung an kognitiver Kompetenz zugelegt, sondern die generelle Begabung zur Problemlösung sei sukzessive gereift (ebd.). Die angeblich starre Macht der Genetik wurde in Befunden der so genannten Epigenetik relativiert, wonach das Lebensumfeld und individuelle Erfahrungen sogar Wirkung auf das Erbgut selbst haben könnten. Erlebnisse in der Kindheit würden das Gehirn „markieren“ und in späteren Jahren bestimmte Verhaltensweisen begünstigen. An Ratten war bereits zuvor Ähnliches festgestellt worden: Stress hatte bei Rattenbabys augenscheinlich ebenfalls die Funktion von Genen beeinträchtigt. Damit Erbfaktoren wirksam werden, müssen sie im Zellkern abgelesen werden. Die Zelle hat Mechanismen, die Aktivität der Gene je nach Bedarf herauf- oder herunterzufahren oder sie auch ganz stillzulegen, beispielsweise die Anlagerung von Methylgruppen an den DNA-Strang, die damit die Informationsfreigabe blockieren (vgl. McGowan et al. 2009). Mit diesem Verfahren konnte nachgewiesen werden, dass sich traumatische Erlebnisse nicht nur in das Erbgut von Ratten, sondern auch von Menschen einbrennen. Gene und Umwelt sind kein Gegensatz, sondern wirken gegenseitig aufeinander ein. 3.5.1 Gedächtnisentwicklung vom Sozialen zum Individuellen Aufgrund der normalerweise bereits während der frühkindlichen Entwicklung stattfindenden und im späteren Leben aktiv vollzogenen Einbettung des Menschen in ein immer komplexer werdendes soziales Beziehungsgefüge, sind die wichtigsten Erfahrungen, die ein Mensch im Lauf
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seines Lebens macht, psychosozialer Natur (Markowitsch/Welzer 2005: 215). Überspitzt ausgedrückt: Das menschliche Gehirn verdankt seine Entwicklung vor allem zwischenmenschlichen Erfahrungen. Menschliche Gehirne sind nur in einem Netzwerk von anderen Gehirnen überlebensund entwicklungsfähig. Menschliches Leben und Lernen ist von der Geburt bis zum Ende an persönliche Beziehungen gebunden. Die Entwicklung von Gedächtnis und Erinnerung, vor allem des autobiografischen Gedächtnisses, ist ebenfalls sozial und kulturell determiniert und wird in sozialen Interaktionen gestaltet. Sie basiert auf einem „höchst subtilen Zusammenspiel biologischer, psychologischer, sozialer und kultureller Prozesse, die interdependent sind.“ (Ebd.: 215) In seiner heutigen Gestalt ist das autobiografische Gedächtnis als ein Produkt der Moderne anzusehen. Autobiografisierung und Individualität waren in traditionalen Gesellschaften weniger bedeutsam als in modernen und postmodernen (vgl. Welzer/Markowitsch 2006). Welzer (2006) hält deshalb neben den neuralen Gedächtnisaufzeichnungen, die zu einer Vorstellung oder Erinnerung gehören und als Engramme bezeichnet werden, die Exogramme für bedeutsam, „die von Menschen, die vor uns da waren, hinterlassenen Spuren der Geschichte, die Geschichten, Gegenstände, Worte, Gesten – sie alle aktivierbare Vorstellungen und Erinnerungen, auf die wir jederzeit zugreifen können und zugreifen“ (ebd.: 116). Exogramme können schriftliche, mündliche, symbolische, gegenständliche, musikalische, habituelle Inhalte sein. Sie überspringen die zeitlichen und räumlichen Grenzen der individiduellen Existenz und Erfahrungen. Welzer weist darauf hin, dass Menschen damit über zwei Repräsentationssysteme verfügen, ein inneres und ein äußeres, während alle anderen Lebewesen nur über ein inneres verfügen. Menschen haben dagegen das interne Erinnern und das ausgelagerte Erinnern in anderen Personen. Dies beinhaltet die Möglichkeit der kulturellen Weitergabe von Erfahrungen (vgl. Tomasello 2002). So wird auch die Passung zwischen der Umwelt und dem Individuum gewährleistet. Das Gedächtnis „stellt für einen selbst wie für die anderen sicher, dass man es trotz der verstreichenden Zeit und der physischen und psychischen Veränderungen über die Lebensspanne hinweg immer mit ein und demselben Ich zu tun hat.“ (Markowitsch/Welzer 2005: 215) Markowitsch und Welzer (ebd.) bezeichnen das autobiografische Gedächtnis als Wandlungskontinuum, das sich so beständig wandelt, dass die
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Passung mit der Umgebung nicht verloren geht. Das autobiografische Ich ist insofern auch eine soziale Institution, die notwendig ist, weil Personen sich als verschieden von anderen erleben. Der Wunsch nach Kontinuität ist also nicht nur individuell. Eine soziale Gruppe kann ohne Kontinuität der Identität ihrer Mitglieder nicht funktionieren. Nur wenn Menschen verlässlich dieselben sind, die sie gestern waren und morgen sein werden, kann Gesellschaft stattfinden (Welzer 2001). Entwicklung wird in diesem Zusammenhang als Prozess gesehen, in dem aus externer Regulierung zunehmend interne Regulierung wird. Der Human- und Naturwissenschaftler Trevarthen (2006) weist darauf hin, dass Kinder schon vor der Geburt Erinnerungen haben, indem sie bestimmte Aspekte der Umwelt wiedererkennen, beispielsweise die Stimme der Mutter und sogar den Rhythmus bestimmter Wortfolgen. Auch wenn es schwierig sei, Kleinkinder, die sich sprachlich noch nicht mitteilen können, auf ihre Erinnerungen zu untersuchen und zudem Erwachsene von dieser Zeit keine oder wenige Erinnerungen haben, gebe es Hinweise darauf, dass ein Kind vom ersten Lebensjahr an kommunikativ ist und „aktiv seine Rolle in einer Welt von Menschen gemachter Bedeutungen“ entdeckt (ebd.). In vorsprachlichen Interaktionen, beispielsweise der Nachahmung mit anderen Personen liege der Anfang des autobiografischen Gedächtnisses. Neugeborene können schon in den ersten Stunden nach der Geburt expressive Gesten nachahmen und andere zur Nachahmung anstiften. Und ab fünf Monaten können Kinder mit Gleichaltrigen kommunizieren. Trevarthen folgert aus seinen entwicklungspsychologischen Studien mit Kleinkindern, dass das autobiografische Gedächtnis sich primär nicht aus einem Prozess der „Autonoisis“, also des Selbstherstellens von Bewusstsein entwickelt, sondern es sich vielmehr um einen Prozess der „Sozionoisis“ handele, also um Entwicklung im Kollektiv. Auch Markowitsch und Welzer (2005: 261) charakterisieren die menschliche Gedächtnisentwicklung als „vom Sozialen zum Individuellen“ verlaufend. Kinder treten nicht als Individuen in die Welt, sondern sind immer schon Teil der sozialen Welt (ebd.: 224). Schon im Alter von neun Monaten entsteht Intersubjektivität, also die Fähigkeit, andere als intentional zu verstehen. Mit drei Jahren entwickelt sich „mind reading“ (Hurley 2005), die Fähigkeit, sich in andere hinein zu versetzen. Dann entstehe auch sukzessive das autobiografische Gedächtnis. Kinder unter drei Jahren verfügen zwar über ein ausdifferenziertes episodisches Gedächtnis,
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doch erst im Alter von drei bis vier Jahren erinnern sie sich, etwas selbst erlebt zu haben, unterstützt übrigens von ihren Müttern, die mit ihnen in Erinnerungsgesprächen die Fähigkeit des Geschichtenerzählens üben (vgl. Nelson 2006). Mit sechs Jahren ist diese Fähigkeit relativ stabil und narratives Selbstverstehen und ein individuelles Selbst mit erzählbarer Geschichte sind ebenfalls entwickelt. Insofern ist auch das autobiografische Ich eine soziale Institution, die notwendig wird, wenn Personen sich als verschieden von anderen erleben. Markowitsch/Welzer (2005) gehen davon aus, dass sich autobiografisches Gedächtnis und soziale Einbindung entsprechen. Genau hier liegt das Verdienst dieser Ansätze, die die individualistische Sicht der Neurowissenschaften verlassen und rekonstruieren, wie das Gedächtnis sich in sozialen Prozessen ausbildet und strukturiert. Nach Tomasello (2002) macht den Menschen vor allem seine Kulturfähigkeit einzigartig, nicht das Denken an sich, sondern seine Fähigkeit zum Lernen durch Imitation zum Verstehen der Welt in intentionalen und kausalen Begriffen. Menschliche Intelligenz sei vor allem Gruppenintelligenz. Schimpansen könnten beispielsweise nicht besonders gut imitieren, Kinder wären die um vieles besseren Imitatoren. Würde jedoch in einem Gedankenexperiment ein Kind auf eine Insel ausgesetzt werden, dann wären seine kognitiven Fähigkeiten wahrscheinlich ähnlich denen der Menschenaffen ausgeprägt: Die einzigartigen menschlichen Fähigkeiten hängen vom Lernen von anderen Menschen ab. Tomasello unterscheidet zwischen einer biologischen und einer kulturellen beziehungsweise sozialen Form der Weitergabe von Wissen und Fertigkeiten. Menschen bedienen sich Tomasello zufolge der kulturellen Weitergabe ihrer Fähigkeiten. „Kulturelles Lernen“ gründe sich dabei in der Fähigkeit des Menschen, andere als seinesgleichen, als intentionale Wesen zu verstehen, die Überzeugungen und Absichten haben, auf der Grundlage von Zwecken handeln, und sich nicht ausschließlich als Spielbälle begreifen. Diese soziale Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen, sei der zentrale Beschleunigungsfaktor der Evolution menschlicher Fähigkeiten und die Grundlage der menschlichen Kultur. Als Beleg für diese Auffassung zieht Tomasello Studien zur Kognition von Säuglingen, zum Verhalten autistischer Kinder und Menschenaffen heran. Im Alter von etwa neun Monaten verändere sich kindliches Verhalten. Es stelle sich mit anderen Menschen in einen Raum geteilter Aufmerksamkeit und beginne, intentionale Akteure von bloßen Gegenständen zu unterscheiden. So lange Menschen von Müttern
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geboren werden und auch einige Zeit danach von Schutz und Pflege anderer Menschen abhängig sind, beginne Menschsein immer schon vergesellschaftet und verlaufe, wenn man die intra-uterine Phase mitrechnet, die ersten fast zwei Jahre lang a-verbal. Die frühen Kopplungen seien unmittelbare körperliche Übertragungen, Imitationen, selbst Reflexe und angeborene Schemata, die sozial genützt werden. Giddens (1988: 432) verweist übrigens ebenfalls darauf, dass Struktur, also die Regeln und Ressourcen, die in rekursiver Weise in die Reproduktion sozialer Systeme einbezogen sind, nur in der Form von Erinnerungsspuren, der organischen Basis der menschlichen Bewusstheit, existieren und im Handeln ausgeführt werden. 3.5.2 Das Gehirn – ein Beziehungsorgan Die Entdeckung der Spiegelneurone stützt die oben aufgeführten Forschungsergebnisse der Kognitionswissenschaften auf neuronaler Basis (vgl. Gallese et al. 2004; Langford 2006; Meltzoff 2005; Rizzolatti et al. 2001). Neurone des prämotorischen Cortex, die bei Primaten beispielsweise für die Koordination und Ausführung zielorientierter Bewegungen zuständig sind, „feuern“ nicht nur, wenn eine Bewegung ausgeführt wird, sondern auch, während eine vergleichbare Handlung betrachtet wird: sie „spiegeln“ eine beobachtete Bewegung im prämotorischen Cortex des Zuschauenden. Die Spiegelneurone gelten als Schlüssel, um auf neuronaler Basis zu erklären, wie Menschen voneinander lernen und sich gegenseitig verstehen. Sie seien grundlegend bedeutsam für soziale Fähigkeiten wie Imitieren und Kommunizieren mittels Sprache und Gesten. Empathie, die Fähigkeit des Menschen und wie neuere Forschungen zeigen auch einiger intelligenter Tiere (de Waal 2006), sich in andere hineinversetzen zu können, wird so auf die Eigenschaft des Gehirns zurückgeführt, Bewegungen und Sprache von Mitmenschen, ihren Schmerz und Emotionen automatisch neuronal widerzuspiegeln. Wie tief die Resonanz fremden Erlebens im eigenen Gehirn reicht, konnte mit bildgebenden Verfahren gezeigt werden: Mitleid bedeutet tatsächlich Mit-Leiden. Bei jeweils einer Person eines Liebespaares wurde die Stoffwechselaktivität verfolgt, wenn ihr selbst oder ihrem Partner kurze Stromstöße verpasst wurden: Das beobachtete Erregungsmuster – die so genannte Schmerzmatrix – war bei selbst erlebten und miterlebten Elektroschocks annähernd deckungsgleich. Bei den reagierenden Arealen handelte es sich vorwiegend um affektiv-assozierte
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Gebiete, die Emotionen hervorbringen. Dieses neuronale Echo sei dann mitverantwortlich für das Entstehen und Festigen sozialer Bindungen (vgl. Frith 2007). Eigener und fremder Ekel scheinen ebenfalls für das Gehirn fast das gleiche zu sein: Es zu beobachten oder selbst zu erleben, aktiviert identische Hirnareale (vgl. Mbemba et al. 2008). Mit Hilfe von funktioneller Magnetresonanztomografie wurde untersucht, welche Gehirnareale beteiligt sind, wenn Personen eine unangenehm bittere Flüssigkeit zu sich nahmen, sich Abscheu erregende Szenarien vorstellten oder sich angeekelte Gesichtsausdrücke anschauten. In allen drei Fällen konnten ähnliche Aktivitäten der Spiegelneurone festgestellt werden. Unterschiede zeigten sich darin, wie diese Hirnregionen jeweils mit anderen Gehirnarealen interagieren. Dies erkläre, warum es sich subjektiv dennoch anders anfühlt, Abscheuliches zu erleben oder zu beobachten. Inzwischen werden zwei Formen von Empathie unterschieden. Während die erste, die vorwiegend in höheren emotionalen Zentren des Gehirns ansässig ist, sozialen Interaktionen nützt, dient die zweite Empathieform dem Selbstschutz. Sie kartiert Umwelterfahrungen von anderen Menschen direkt auf den eigenen Körper. Damit der Fortbestand der Art gesichert wird, könnte das körpereigene Alarmsystem bei gefährdeten sozialen Beziehungen auf die Schmerzverarbeitungen zurückgegriffen haben – damit Menschen rechtzeitig und spürbar gewarnt werden. Während lange davon ausgegangen wurde, dass diese Eigenschaften typisch für den Menschen sind, zeigt sich zunehmend in Studien der Kognitionsforschung und Evolutionsbiologie zu kognitiven Mechanismen bei Mensch und Tier, dass die Unterschiede graduell sind und auch Tiere kognitive Fähigkeiten aufweisen, die bisher nur dem Menschen zugestanden wurden (vgl. Heyes/Huber 2000). Unter Vögeln und Affen werden immer mehr kognitive Kompetenzen entdeckt, die typisch menschlich zu sein schienen; auch Entwicklungsprozesse verlaufen ähnlich wie bei Kindern. Und Schimpansen, Gorillas und Orang-Utans sind diejenigen Primaten, die zu einer gewissen Form von Selbsterkenntnis fähig zu sein scheinen und sich im Spiegel erkennen können (vgl. Suddendorf/Collier-Baker 2009). Das Bild im Spiegel mit dem eigenen Selbst zuverlässig in Verbindung zu bringen, gelingt Kindern normalerweise ab einem Alter von 24 Monaten das Bild im Spiegel. Einfühlungsvermögen mit emotionaler Beteiligung wird auch Tieren inzwischen zugeschrieben (Langford 2006). Im Unter-
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schied zu Menschen und einigen intelligenten Tieren verstehen sie jedoch die Situation des Gegenübers nicht. Diese hoch entwickelte Form der Empathie – Fühlen und Verstehen – erweist sich evolutionsgeschichtlich als fortschrittliche kognitive Leistung (vgl. de Waal 2006). In weiteren Studien konnte gezeigt werden, dass auch „seelische Schmerzen“ wie soziale Zurückweisung oder Liebeskummer Muster im Gehirn hervorrufen, die denen bei körperlichen Schmerzen und Verletzungen ähneln (vgl. Eisenberger et al. 2003). Den Grund für die Parallele zwischen seelischer und körperlicher Schmerzverarbeitung vermuten die Forscher in der Sorge um das Überleben der Art. Gerade für Säugetiere sei der soziale Zusammenhalt wichtig. So verweisen sie auf eine Studie, der zufolge diese Gehirnareale bei Müttern aktiviert werden, wenn ihre Säuglinge schreien. Aber auch Säuglinge verfügen schon von Geburt an über einen gewissen Grad an Einfühlungsvermögen: wenn andere Neugeborene schreien, stimmen sie ein, andere Geräusche lassen sie aber kalt (vgl. Langford 2006). Bei den Spiegelneuronen gilt wie bei allen Neuronen: „Die angeborenen Spiegelsysteme des Säuglings können sich nur dann entfalten und weiterentwickeln, wenn sie durch geeignete soziale Interaktionen stimuliert werden.“ (Bauer 2005) Mit 12 bis 14 Monaten ist ein Kleinkind in der Lage, die Absichten von Handlungen, die es beobachtet, vorauszusehen und zu verstehen (vgl. Falck-Ytter et al. 2006): Zwölf Monate alte Kinder können aus der Bewegung eines Gegenübers dessen Ziel der Aktion ableiten. Wie Erwachsene heften sie ihren Blick bereits im Voraus auf den Punkt, an dem die beobachtete Bewegung enden wird. Voraussetzung ist, dass sie die Bewegung selbst beherrschen, wozu sechs Monate alte Säuglinge noch nicht in der Lage sind. Sechs und zwölf Monate alten Kindern sowie Erwachsenen wurden Filmsequenzen vorgeführt, in denen eine Person drei Spielsachen quer über einen Tisch in einen Korb legt. Die älteren Kinder wie die Erwachsenen richteten ihre Augen auf diesen Korb, bevor die Hand ihn erreichte. Die jüngeren Kinder hingegen, die selbst noch nicht zu dieser gerichteten Bewegung in der Lage sind, folgten höchstens der Hand mit den Augen und fassten das Ziel auf jeden Fall erst nach Ankunft der Spielsachen dort in den Blick. Ein Objekt gezielt an anderer Stelle abzulegen, lernen Kinder im Alter von sieben bis neun Monaten. Als den Einjährigen und den Erwachsenen anschließend dieselbe Verlagerung des Balls, aber ohne handelnde Person am Bildschirm vorgeführt wurde, zeigte sich
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allerdings kein schneller Blickwechsel. So wird vermutet, dass Spiegelneurone für die proaktive Augenbewegung verantwortlich sind. Es ist in der Evolutionstheorie längst akzeptiert, dass den Menschen eine evolutionäre Errungenschaft auszeichnet: die Fähigkeit zur kulturellen Tradierung von sozialen Erfindungen als Grundlage für weitere Modifikationen. Andere Primaten sind im Hinblick auf die kreative Lösung von Problemen, also etwa beim Einsatz von Werkzeugen oder der Etablierung einer hierarchischen Ordnung in der Gruppe, oft ebenso erfindungsreich wie Homo Sapiens. Ein wichtiger Unterschied liegt jedoch in der spezifisch menschlichen Fähigkeit, diese Erfindungen zu tradieren und sie zur Basis der Entwicklung und Ausdifferenzierung von Kulturen zu machen. Die Fähigkeit zur Tradierung wiederum setzt die Fähigkeit des sozialen oder kulturellen Lernens voraus. Darin liegt der entscheidende Unterschied (vgl. Tomasello 2002: 204f). Damit wendet sich die Aufmerksamkeit bei der Betrachtung der neurobiologischen Beschaffenheit des Menschen jenen Aspekten zu, die als Voraussetzungen für symbolisch vermittelte Interaktion vorhanden sein müssen. An Bedeutung verlieren dann jene Fragen, die auf sensomotorische oder genetische Erklärungen für die differenzierte Erklärung menschlichen Verhaltens abstellen (vgl. Kreissl/Steiner 2008). Das Gehirn ist zusammenfassend kein isoliertes Organ, sondern das „Organ eines Lebewesen in seiner Umwelt“ (Fuchs 2008b: 31). Es vermittelt die Beziehungen des Lebewesens zu seiner Umwelt und entwickelt sich in Auseinandersetzung und im Kontakt mit anderen Menschen. Nur als Beziehungsorgan wird es zum Träger von Subjektivität und Handlung (ebd.). So weiterführend und anregend all diese Befunde sind, so skeptisch sind Verallgemeinerungen zu betrachten: Wenn biografische Selbstthematisierung an historische und soziokulturelle Konstellationen gebunden ist, darf gerade das autobiografische Gedächtnis nicht als universell mit typischen Entwicklungsstufen beschrieben werden. Auch biologische, quasi natürliche Zusammenhänge sind Konstruktionen im Geist der Zeit. Die Biologisierung narrativer Kompetenz unterstellt angeborene normative Grammatiken. Dabei ist Sprache als Symbol immer mit sozialen Handlungen, Interaktions- und Kommunikationserfahrungen verbunden (Straub 2000: 155). Markowitsch und Welzer (2005) weisen zwar auf die historisch zunehmende Bedeutung des biografischen Gedächtnisses hin. Gleich-
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zeitig interpretieren sie jedoch Identität und wie sie heute durch das autobiografische Gedächtnis hergestellt wird, universalistisch, sodass eine Vermischung unterschiedlicher Ebenen stattfindet. Gleiches gilt auch für die Stufentheorie sowie die herausgearbeiteten Entwicklungsphasen von Gedächtnis. In empirischen Untersuchungen haben Markowitsch und Welzer (ebd.) versucht, zentrale lebensgeschichtliche Erinnerungen in ihrer Genese, altersspezifischen Verarbeitung und emotionalen Kodierung zu erforschen. Sie kombinierten biografische Interviews mit psychologischen Gedächtnistests und bildgebenden Verfahren bei unterschiedlichen Altersgruppen. Die Altersspezifität des autobiografischen Gedächtnisses wurde jedoch nicht durch „echte“ Entwicklungsdaten im Längsschnitt belegt, denn Markowitsch und Welzer (ebd.) untersuchen, wie generell in den Neurowissenschaften und der Entwicklungspsychologie üblich, ihre Altersstichproben nur im Querschnitt. Gleichzeitig verallgemeinern sie kohortenspezifische Entwicklungsphasen von Gedächtnis und Identitätskonstruktionen des autobiografischen Gedächtnisses. Doch das autobiografische Gedächtnis ist weder universell noch mit typischen Entwicklungsstufen hinreichend erfasst. Eine weitere, methodische Einschränkung: Bisher liegen kaum „echte“ Entwicklungsdaten vor. Davon abgesehen ergeben sich anregende Schnittstellen zu Psychologie, Biografieforschung und Sozialwissenschaften, die bisher kaum berücksichtigen, dass Subjekte Körper haben und sind. Zusammenhänge mit dem Organismus und seinen biologischen Grundlagen, beispielsweise die neuronale Umstrukturierung im Jugendalter, werden jedenfalls selten als relevant für soziale oder psychische Zusammenhänge gesehen. So ist es auch noch weitgehend unerforschtes Terrain, aktuelle Ergebnisse der soziologischen Biografieforschung und der Neurowissenschaften aufeinander zu beziehen. Dabei bietet sich ein solcher Bezug an, untersuchen doch beide Disziplinen die Spuren von Erfahrungen auf der Subjektebene – die Biografieforschung die biografischen und die Neurowissenschaften die synaptischen Spuren. Und beide Disziplinen fragen danach, wie Menschen angesichts der Erfahrung einer sich ständig verändernden und oft widersprüchlichen Welt Kontinuität herstellen. Obwohl die Unterschiede im Methodischen nicht größer sein könnten, denn beide Disziplinen gehen zwar empirisch vor, setzen dabei aber ganz unterschiedlich an, die Neurowissenschaften mit (tier)experimentellen und bildgebenden Verfahren und die Biografieforschung mit hermeneutischem Vorgehen, ver-
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stehen und interpretieren sie menschliches Verhalten und Handeln unerwartet ähnlich: nämlich als individuellen, aktiven, oft unbewussten und nicht ausschließlich kognitiven Konstruktionsprozess, der auf Erfahrung und Bewertung beruht und kontextbezogen erfolgt. Ist der „Homo neurologicus“ also gar nicht so weit entfernt vom „Homo biograficus“?
3.6 V ERKÖRPERTE E RFAHRUNGEN Das dominierende Paradigma der Neurowissenschaften ist, dass Subjekte in den Strukturen und Funktionen des Gehirns verankert sind, dass sie ihre Gehirne sind (z. B. Roth 1995) und dass Bewusstsein eine subjektive Repräsentation der Außenwelt ist, die ebenso wie das Subjekt im Gehirn konstruiert wird. Der Körper habe die Funktion einer „physiologischen Trägermaschine“ des Gehirns, in dem die unkörperliche Innenwelt des Bewusstseins entstehe (ebd.). In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich in den Kognitionswissenschaften eine alternative Sichtweise entwickelt (vgl. Clark 1997; Varela et al. 1991), die betont, dass das Gehirn eingebettet ist in somatisches Hintergrunderleben (vgl. Domasio 1997). Jedes Erleben sei an nahezu alle Subsysteme des Körpers gebunden: Gehirn, autonomes Nervensystem, endokrines und Immunsystem, Herz, Kreislauf, Atmung, Eingeweide sowie Mimik, Gestik und Haltung (vgl. Fuchs 2008b). Diese „Körperlandschaft“ (ebd.: 33) bilde eine Einheit. Wahrnehmen, Denken und Handeln beruhen nicht nur auf neuronalen Prozessen, sondern in gleicher Weise auf den „kontinuierlichen vitalen und affektiven Regulationsprozessen, die den ganzen Organismus einbeziehen“. Jeder bewusste und unbewusste Zustand ist eine komplexe Leistung des gesamten Organismus einschließlich des Gehirns. Die Geschichte eines Lebens ist im Körper ebenso enthalten wie im Gehirn. Gehirne stellen nicht nur ein möglichst kontinuierliches Bild des psychischen Selbst her, sondern auch des materialen Körpers. Diese neuronale Modellbildung ist äußerst fragil, wie unterschiedlichste Experimente zeigen. Sogar etwas scheinbar so Selbstverständliches wie Körperempfinden lässt sich manipulieren. Verständlich wird das nur, wenn die konstruktive Arbeitsweise des Gehirns zur Erklärung herangezogen wird. Die kognitiven Neurowissenschaften gehen davon aus, dass Subjektivität sensomotorisch verkörpert ist (vgl. Fuchs 2007). Das Gehirn fungiert
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nicht als „Speicher kompletter Bewegungs- und Verhaltensprogramme, sondern als eine Vermittlungs- und Kontrollinstanz für die biologischen und sozialen Kreisprozesse, in denen der Mensch steht“ (ebd.), die sich der ständigen Rückmeldung des Organismus im Aktionsfeld anpasst – eine dynamische Interaktion von Gehirn, Körper und Umwelt. Das Subjekt ist nicht im Gehirn, sondern entsteht in dieser Dynamik. Es ist mit Körper und Gehirn verbunden als Repräsentation des Gehirns (vgl. Metzinger 2003) und entsteht aus den inneren und äußeren Eindrücken, die das Gehirn zu einem Modell der Innen- und Außenwelt zusammenfügt. Das bedeutet auch, dass Subjekt und Gehirn nicht gleichzusetzen sind, ein Hauptvorwurf der philosophischen Disziplinen (vgl. Fuchs et al. 2007). Vielmehr ist davon auszugehen, dass Subjektivität im gesamten Organismus und seinen Beziehungen zur natürlichen und sozialen Umwelt verkörpert ist (ebd.: 49).
3.7 „D OING MEMORY “ – DIE NEURONALE H ERSTELLUNGSPRAXIS PERSONALER K ONTINUITÄT Personale Kontinuität wird auch neuronal hergestellt. Das Gehirn funktioniert dabei als „Sinnsuch- und Sinnkonstruktionsmaschine“, indem es – oft un- und vorbewusst – Erfahrungen produziert und sich und die Art und Weise, wie es Erfahrungen macht, ändert. Eine wichtige Rolle spielt dabei das Gedächtnis, insbesondere das autobiografische Gedächtnis. Es ermöglicht Handlungsfähigkeit und die Herstellung von Kontinuität durch Erinnern und personale Positionierung in Zeit und Raum: doing memory. Personale Kontinuität hängt von der räumlichen und zeitlichen Kontinuität ab, die in neuronalen Prozessen hergestellt wird. Auch aus der neurowissenschaftlichen Forschung und übrigens auch der Epigenetik zeigt sich, dass Erfahrungen, Umwelt und Lebensumstände neuronale und genetische Aktivitätsmuster und damit Entwicklung und Biografien im Zusammenspiel steuern (Lipton 2006). Biografieforschung und Neurowissenschaften untersuchen ähnliche Praktiken, nämlich wie Menschen angesichts der Erfahrung einer sich ständig verändernden und oft widersprüchlichen Welt Kontinuität herstellen, wie sie sich erinnern. Obwohl die Unterschiede im Methodischen
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nicht größer sein könnten, die Neurowissenschaften mit (tier)-experimentellen und bildgebenden Verfahren und die Biografieforschung mit subjektorientiertem Vorgehen, verstehen und interpretieren sie menschliches Verhalten und Handeln unerwartet ähnlich: als aktiven, oft unbewussten und nicht ausschließlich kognitiven Konstruktionsprozess, der auf Erfahrung und Bewertung beruht und kontextbezogen erfolgt. Neurobiologische Ansätze sind also mit biografischen durchaus kompatibel (vgl. auch Wohlrab-Sahr 2006). Sie verdeutlichen, dass Erinnerung auch auf mikrobiologischen Ebenen hergestellt wird. Allerdings werden auch die Grenzen der Neurowissenschaften deutlich. Individuen werden mit universellem Geltungsanspruch untersucht, ohne die biografische Situation und den Lebenslauf einzubeziehen. Gehirnforschung verallgemeinert individuelle Ergebnisse, indem sie immer Aussagen zum universellen Gehirn macht. Neuronale Prozesse sind jedoch eingebettet in Kontexte, Interaktionen und in den Körper. Der Gesamtorganismus und nicht das Gehirn realisiert und lebt. Doch neurowissenschaftliche Studien im sozialen Bereich sind methodologisch begrenzt. Es ist im Moment nicht möglich, Gehirne in Interaktion mit anderen Gehirnen zu erforschen. Die Vorgehensweisen sind immer experimentell. Und nicht nur methodisch werden die Grenzen der Neurowissenschaften deutlich, die Gehirne mit einem universellen Geltungsanspruch untersuchen, ohne die biografische Situation und den Lebenslauf, den konkreten sozialen Kontext sowie Interaktionsprozesse einzubeziehen.
4. Doing continuity als psychische Praxis
„Sieh, wie sie dieselben Möglichkeiten anders an sich tragen und verstehen, so als sähe man verschiedene Zeiten durch zwei gleiche Zimmer gehen.“ RAINER MARIA RILKE 1908 „Unsere Persönlichkeit geleitet uns durchs Leben. Wir haben Phasen, in denen wir aufgekratzter und lebhafter sind, und Zeiten, in denen wir uns eher in unser Schneckenhaus zurückziehen. Und doch scheint es tief drinnen in uns einen unveränderlichen Kern der Persönlichkeit zu geben, der von Geburt an anwesend ist und uns bis ins Alter begleitet.“ SAUM-ALDEHOFF 2007
Es scheint das Einfachste der Welt: Wir haben Eigenschaften, die uns einzigartig machen, berechenbar und erkennbar und somit personale Kontinuität herstellen für uns und andere. Persönlichkeit und Persönlichkeitsmerkmale als Einflussgrößen für emotionales und soziales Verhalten, Handeln und Erleben sind seit langem Gegenstand psychologischer, sozialisationstheoretischer und sozialpsychologischer Untersuchungen, um individuelle Differenzen in den Reaktionen von Menschen in gleichen sozialen Situationen messbar und erklärbar zu machen. Gleichzeitig sind sie auch im Alltag eines jedes Menschen von Bedeutung. Menschen werden in der alltäglichen und wissenschaftlichen Praxis Eigenschaften zugeschrieben. Als Persönlichkeit reagieren sie auf „charakteristische Art auf Stimuli der Umwelt“ (Elder/Caspi 1990: 39): „Wie immer wir auch konstruieren, eine die Zeiten überdauernde Idee der Begriffe Persönlichkeit, Charakter oder Wesen ist eine gewisse Ausprägung, ein gewisses Hervortreten mit einer gewissen über- oder andauernden Konstanz.“
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Hinter Persönlichkeitstheorien steht die Beobachtung, dass individuelles Leben oft ein gemeinsames Thema hat (vgl. Block 1981). Sie sind der Versuch, das, was auf personaler Ebene Kontinuität „herstellt“, zu systematisieren. Die Persönlichkeit eines Menschen als „Gesamtheit aller individuellen Besonderheiten eines Menschen, die sein Erleben und Verhalten betreffen (Temperament, Wissen, Fähigkeiten, Einstellungen und Werthaltungen, Selbstbild und Selbstwert, individualtypische Ausprägungen seiner körperlichen Gestalt, Physiologie und Gene, sofern sie erlebens- und verhaltensrelevant sind)“ (Asendorpf 2002: 47), bestimmt, so wird angenommen, seine Art zu handeln, zu denken und zu fühlen (vgl. Schoon 2001). Diese Zusammenhänge werden als erklärende Variable auch in nichtpsychologischen Untersuchungen zunehmend aufgegriffen. Die „Rückkehr“ der Psychologie begann bereits im letzten Drittel des vergangenen Jahrhunderts mit der Lockerung der emotionalen Selbstkontrolle und einer steigenden Akzeptanz expressiver Gefühlsmuster. Die damit verbundene gesellschaftliche Aufwertung des psychischen und Gefühlslebens weitete sich in den letzten zwei Jahrzehnten zu einem regelrechten Boom der Trait-Psychologie (vgl. Asendorpf 2002) aus, welcher inzwischen alle Sphären der Gesellschaft erfasst hat – auch ökonomische und wissenschaftliche Kernbereiche: Erziehung und Sozialisation (z.B. als „Emotionale Intelligenz“), Management und Beruf (z.B. als „soft skills“), Medizin, Neuropsychologie und Psychiatrie. In den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften ist beispielsweise der Trend zu beobachten, „bei der mikroanalytischen Fundierung der menschlichen Handlungstheorie individuellen Präferenzen und Werten eine stärkere Beachtung zu schenken“ (Gerlitz/Schupp 2005: 1; vgl. auch Borghans et al. 2008). Durch die Einbeziehung Merkmals bezogene Persönlichkeitskonzepte sollen unterschiedliche, häufig unerklärbare Reaktionen von Menschen in gleichen sozialen Situationen erklärbar gemacht werden (Haller/Müller 2006). Es wird davon ausgegangen, dass die standardmäßige Erfassung der Persönlichkeit die prädiktive Validität sozialwissenschaftlicher Umfragen deutlich erhöhen kann (ebd.; vgl. Gerlitz/Schupp 2005; Klages/Gensicke 2005; Rammstedt 2007). In der Diskussion um Kompetenzentwicklung und personale Ressourcen sowie Frühindikatoren und Risikofaktoren für Problemverhalten (vgl. Caspi 2000; Schoon 2001) sind persönliche Eigenschaften ebenfalls „wie-
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derentdeckt“ worden. Persönlichkeit gilt in der Schul- und Bildungsforschung neben milieubezogenen Faktoren als Ressource bzw. Risiko für Lern- und Entwicklungsverläufe sowie den persönlichen Erfolg im Bildungsbereich (vgl. Gisdakis 2007; BMFSFJ Zwölfter Kinder- und Jugendbericht 2006). Formelles und informelles Lernen wird mit persönlichkeitsbezogenen, sozio-emotionalen Aspekten und Prozessen verbunden (vgl. Raver 2002; Roth 1995; Stern et al. 2005). Diesen Trend bestätigt auch das die Umfrage von Sinus (Sociovision 2008). Bildung stehe zunehmend für die Schärfung der eigenen, personalen Kompetenz. Die persönliche „Gebildetheit“ als individuelle, authentische, für andere interessante Performance erhöhe soziale Chancen. Und auch in der sozialwissenschaftlichen Kindheitsforschung halten Individuums bezogene und entwicklungspsychologische Fragestellungen verknüpft mit kindheitsbezogenen Akteurskonzepten Einzug. Betz et al. (2007) verweisen auf die zunehmend in den Blick geratende Bedeutung von Persönlichkeit für (kindliche) Entwicklungsverläufe und Bildungsprozesse sowie den kindlichen Alltag in der bisher vor allem „strukturorientiert und soziologisch geprägten“ (ebd.: 24) Sozialberichterstattung über Kinder: Das soziologische Kind werde ergänzt durch das psychologische Kind. Die „Rückkehr“ der Psychologie ist damit auch Ausdruck einer veränderten gesellschaftlichen Akzeptanz von psychischen Phänomenen, birgt aber auch die Gefahr einer zunehmend über persönliche Merkmale hergestellten Vergesellschaftung der Individuen. Die eigene Persönlichkeit wird als zentrale Handlungsressource des (gesunden) neoliberalen Subjekts umdefiniert, die Lebenschancen prägt. Im Folgenden werden zunächst die beiden zentralen Konzeptualisierungen der psychologischen Forschung zu Persönlichkeit sowie die entsprechenden Befunde skizziert, die auch Konsequenzen dafür haben, wie personale Kontinuität erklärt wird: Persönlichkeit wird zum einen als Struktur und zum anderen als Prozess aufgefasst. Ergänzend werden Forschungsergebnisse zum Verhältnis von Persönlichkeit und Umwelt dargestellt.
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4.1 P ERSPEKTIVEN
AUF
P ERSÖNLICHKEIT
Weltweit gibt es mehr als 1000 Persönlichkeits-, Charakter- oder Wesenstypologien und -modelle (vgl. Ruttkowski 1974) mit unterschiedlichsten theoretischen Perspektiven und auf verschiedensten Abstraktionsebenen, „ein Babel von Konzepten und Skalen“ (John/Srivasta 1999), eine „Fülle von Theorien und methodischen Zugangsweisen, denen ihrerseits unterschiedliche wissenschaftstheoretische Positionen und Menschenbildannahmen zu Grunde liegen“ (Schneewind 2005: 39). Weber/Rammsayer (2005) unterscheiden psychoanalytische, humanistische, biologische, lerntheoretische, eigenschaftstheoretische, interaktionistische und konstruktivistische Ansätze, beliebig viele Theorien je nach Ziel und Zweck. Alle Ansätze bieten Modelle dafür, wodurch sich Menschen psychisch voneinander unterscheiden, wie sie Kontinuität herstellen und wie sich diese Unterschiede systematisieren lassen. Viele überschneiden sich. Es lassen sich zwei grundlegende Perspektiven auf Persönlichkeit herausdestillieren (vgl. Schneewind 2005): •
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Zum einen wird Persönlichkeit merkmals- bzw. traitbezogen konzeptualisiert als individuelle Struktur situationsübergreifend stabiler Persönlichkeitszüge und Tendenzen im Denken, Fühlen und Handeln, in denen sich jemand von anderen altersgleichen Personen unterscheidet. Es wird untersucht, wie stabil Persönlichkeitsmerkmale im Lebenslauf bleiben, wie sie sich entwickeln und verändern. Dabei wird davon ausgegangen, dass Entwicklung universell gleichen Gesetzmäßigkeiten folge und sich aus Beobachtungen der Entwicklungsunterschiede zwischen verschiedenen Altersgruppen schließen (vgl. Asendorpf/von Aken 2003; Caspi 2000; Lamb et al. 2002; Roth 2001, 2005; Wahl 2007). Zum anderen wird eine entwicklungs- und lebenslaufbezogene Perspektive aufgegriffen, die Prozesse der Persönlichkeitsentwicklung im Lebenslauf fokussiert (vgl. Thomae 1969). Hier liegt der Fokus auf Persönlichkeitsveränderungen und der entwicklungsbezogenen Einzigartigkeit der jeweiligen Person. Im Vordergrund stehen die reziproken Wechselbeziehungen zwischen personalen, umweltbezogenen (situationsbezogenen) und konativen Einflüssen, „wonach in jedem
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Lebensalter Persönlichkeit und (soziale) Umwelt prinzipiell in Wechselwirkung stehen“ (Asendorpf 2002: 58). Entlang dieser groben Typisierung werden im Folgenden einschlägige empirische Forschungsergebnisse der Persönlichkeits-, differenziellen und Entwicklungspsychologie sowie Lebenslaufforschung skizziert. Des Weiteren wird auf interaktionistische Ansätze und die Bedeutung des sozialen Kontextes sowie konstruktivistische Ansätze in der Psychologie eingegangen.
4.2 P ERSÖNLICHKEIT
ALS
S TRUKTUR
Traitbezogenen Persönlichkeitskonzepten, die Persönlichkeit über individuelle Merkmale operationalisieren, kommt seit Beginn der empirischpsychologischen Persönlichkeitsforschung wie vor allem auch in jüngerer Zeit in der Persönlichkeits- und Entwicklungspsychologie sowie Diagnostik eine herausragende Rolle zu. Meist wird mit Selbsteinschätzungen, teils auch mit Fremdeinschätzungen erfasst, wie jemand typischerweise denkt, fühlt und handelt. Es wird untersucht, wie Kontinuität durch Persönlichkeitseigenschaften organisiert wird: „Die Struktur der individuellen Persönlichkeit ist das zu jedem Entwicklungszeitpunkt eines bestimmten menschlichen Individuums einzigartige und relativ stabile Gesamtsystem an psychologisch relevanten Dispositionen“ (Schneewind 2005: 40). 4.2.1 „Big Five“ als Beispiel für traitbezogene Konzepte Das Fünf-Faktoren-Modell oder Big Five-Modell (vgl. Costa/McCrae 1992) ist derzeit das prominenteste und am häufigsten angewandte Persönlichkeitsmodell und wird von den meisten Persönlichkeitspsychologen als „Arbeitskonsens“ akzeptiert. Aus diesem Grund werden im Folgenden am Beispiel der Big Five die Grundzüge traitorientierter Ansätze verdeutlicht. Das Besondere am Big Five-Modell ist die Tatsache, dass es einem lexikalischen Ansatz folgt. Es konstruiert Persönlichkeit aus der Sprache und nicht wie in vielen Fällen aus theoretischen Vorannahmen (ebd.). Ausgehend davon, dass Menschen immer schon andere Menschen beschrieben haben und Sprache immer differenziertere und nuanciertere
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Worte zur Verfügung stellen musste, wird auf sprachliche Beschreibungen von Menschen als „eine Art kollektive Persönlichkeitstheorie“ (SaumAldehoff 2007), eine implizit in der Sprache verankerte Persönlichkeitstheorie zurückgegriffen. „Diejenigen individuellen Unterschiede, welche am meisten Bedeutung im täglichen Umgang der Menschen miteinander haben, werden schließlich in die Sprache aufgenommen. Je wichtiger ein solcher Unterschied ist, desto mehr Menschen werden ihn bemerken und auch darüber sprechen wollen. Das Ergebnis ist, dass dafür schließlich ein Wort gefunden wird“ (Goldberg 1981, zit. ebd.: 37).
Verhaltensbeobachtungen, Fragebögen und Auswertungen des lexikalischen Inventars verschiedener Sprachen ergaben, dass sich die meisten Persönlichkeitsmerkmale (auch bei Kindern und weltweit in verschiedenen Kulturkreisen) fünf Faktoren oder Basisdimensionen („Big Five“) zuordnen lassen und sich auf Unterschiede im Verhalten und Erleben zurückführen lassen. Diese Dimensionen sind: Extraversion, Offenheit für Erfahrungen, soziale Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit und Neurotizismus. Der bekannteste Persönlichkeitstest auf der Grundlage der „Big Five“ stammt von Costa und McCrae (NEO-Personality-Inventory). Für jede der Basisdimensionen werden skalierte Werte erhoben, die Auskunft geben, wie ausgeprägt sie bei den einzelnen Personen sind. „Extraversion“ ist die Fähigkeit, auf andere zuzugehen, gesellig und ausgelassen zu sein, oder auf der anderen Seite eher ruhig, introvertiert und zurückhaltend zu sein. Auf dieser Skala gibt es als Extreme entweder ganz zurückhaltende oder ganz gesellige Menschen. Die meisten Menschen liegen zwischen den beiden Extremen. Bei der Skala „Offenheit für Erfahrungen“ wird gemessen, ob jemand neugierig und fantasievoll ist oder beim Altbewährten bleibt. Diese Dimension wird von einigen Forschern auch als „Intelligenz“ bezeichnet. Die weiteren „großen“ Persönlichkeitsmerkmale eines Menschen sind „soziale Verträglichkeit“ und „Gewissenhaftigkeit“: Ob jemand zynisch oder hilfsbereit sei, präge die Grundpersönlichkeit eben genauso wie die Tatsache, eher ordnungsliebend oder schusselig zu sein. Die „Neurotizismus“-Skala gibt an, ob jemand reizbar und kränkbar ist oder eher stoisch und gelassen in sich ruht. Die fünf Persönlichkeitsdimensionen sind unabhängig voneinander – der Wert auf einer der Skalen sagt nichts darüber aus, wie eine Person bei
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den anderen Faktoren abschneidet – und sind über die Gesamtbevölkerung hinweg normalverteilt. Sie hätten sich bereits während der Evolution als sinnvoll erwiesen, würden kulturell unabhängig auftreten, angeblich sogar bei Tieren, insbesondere Schimpansen (vgl. John/Srivasta 1999). HoppeGraff et al. (2001) vertreten allerdings die Ansicht, dass immer auch kulturelles und biografisches Hintergrundwissen einzubeziehen sei und diese Faktoren in unterschiedlichen Kulturen unterschiedlich zu bewerten seien. Entscheidend sind nun nicht die einzelnen Ausprägungen, sondern das Profil, das sich aus der Kombination der Ausprägungen bei jedem Menschen ergibt. Die Big Five zeichnen ein umfassendes und einzigartiges Persönlichkeitsprofil aus den fünf Dimensionen, ein komplexes Raster der Persönlichkeit: „Jedes Individuum hat sein eigenes verästeltes Profil, und es ist höchst unwahrscheinlich, dass irgendein anderes jemals existierendes Individuum mit exakt demselben Profil aufwarten kann“ (Saum-Aldehoff 2007: 159). In der Diagnostik geht es allerdings weniger darum, die Einzigartigkeit unserer Mitmenschen herauszustellen, als darum, sie einzuordnen. Entsprechend werden typische Profile zu charakterischen Mustern gebündelt. Die Big Five werden aufgrund ihrer bestechenden Einfachheit und Konkretheit auch in anderen Disziplinen eingesetzt, oft undifferenziert und pauschal als „Faktizität“. Während manche Psychologen soweit gehen zu behaupten, dass die Big Five für die Persönlichkeit das seien, was das Periodensystem für die unbelebte Materie sei, kritisieren andere (vgl. Asendorpf 2004: 151; Laux 2003: 42ff), dass die Big Five nicht theoretisch verankert seien, sondern auf äußerlichen Beobachtungen der menschlichen Eigenarten beruhen, die sich in der Sprache spiegeln und in ein wissenschaftliches Klassifikationssystem übersetzt wurden (Saum-Aldehoff 2007): „Was sich nach alltagspsychologischer Wahrnehmung ähnlich sieht, muss sich nach wissenschaftlichen Kriterien noch lange nicht ähneln.“ (Asendorpf 2004: 151) 4.2.2 Stabilität, Entwicklung oder Veränderung der Persönlichkeitsstruktur im Lebenslauf? Traitorientierte, variablenzentrierte Persönlichkeitskonzepte setzen die situationsübergreifende Stabilität von Persönlichkeitsmerkmalen und Tendenzen im Erleben und Verhalten voraus, mit denen sich jemand von ande-
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ren altersgleichen Personen unterscheidet. Entsprechend fokussieren sie vor allem die Stabilität von Persönlichkeit im Lebenslauf (vgl. von Aken/Asendorpf 1999). Dies bedeutet allerdings nicht, dass keine langfristigen Veränderungen der Persönlichkeit über einen Zeitraum von vielen Monaten oder Jahren möglich wären. Methodisch werden meist Stabilität und Veränderung überdauernder Tendenzen im Erleben und Verhalten mit Bezug auf die Geburtskohorte verglichen (vgl. Asendorpf 2004). Daraus wird auf Stabilität oder Veränderung geschlossen. Nach Asendorpf (2005: 15) lassen sich drei Typen von Stabilität unterscheiden: •
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Normative Stabilität (auch Positionsstabilität, Rangordnungs-Stabilität bzw. Stabilität der Merkmale): Die individuellen Entwicklungstendenzen verändern sich in gleicher Weise bei allen Personen. Dabei bleibt die Rangreihe der Personen und der genaue Abstand zwischen ihnen für jedes Persönlichkeitsmerkmal erhalten: jedes Merkmal ist stabil über die Zeit. Diese durchschnittlichen Veränderungen (mean-level change) sind alterstypisch, stehen für Reifungsprozesse und stellen keine individuellen Besonderheiten der Entwicklung dar. Konstanz oder absolute Stabilität der individuellen Werte: Die individuellen Tendenzen im Erleben und Verhalten bleiben bei allen Personen gleich. In beiden Fällen handelt es sich um durchschnittliche Prozesse, die auf Durchschnittswerten basieren. Instabilität: Ändert sich die Persönlichkeit einiger oder aller Personen zwischen zwei Zeitpunkten in einem Merkmal, ändert sich ihr Merkmalsabstand untereinander: Dies Merkmal ist dann nicht stabil. Es handelt sich um differentielle Veränderungen, die nicht alterstypisch sind und auf individuelle Besonderheiten in der Entwicklung zurückgehen. Durch die meisten Persönlichkeitsstudien ziehen sich mit Modifikationen zwei Konzepte: das Konzept der universellen Reifung und Entwicklung sowie das Konzept differenzieller Entwicklungen. Im Konzept der universellen Reifung und Entwicklung wird davon ausgegangen, dass Persönlichkeiten eher ausreifen als sich in ihrem Kern zu ändern (vgl. von Aken/Asendorpf 1999). Veränderungen würden altersbezogen (vgl. Srivasta et al. 2003), genetisch gesteuert, relativ umweltunabhängig (vgl.
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Costa/McCrae 1992) sowie mit „intrinsischer Reifung“ und Entwicklung erklärt. Costa und McCrae sowie zahlreiche andere Persönlichkeitsforscher gehen davon aus, dass Persönlichkeitsmerkmale wie die Big Five sich im Lebenslauf zunehmend stabilisieren und spätestens ab dem frühen Erwachsenenalter stabil bleiben. Srivasta et al. (2003) führten beispielsweise eine Online-Befragung bei 130.000 Menschen zwischen 21 und 60 Jahren durch und zeigten, dass die „Big Five“-Dimensionen sich lebenslang altersbezogen verändern, was sie als Entwicklung und nicht als Veränderung interpretierten. Bezogen auf einzelne Merkmale wurden in weiteren Studien durchschnittliche Entwicklungen herausgearbeitet: Im Verlauf des Erwachsenenalters nehmen Offenheit und Neurotizismus im Durchschnitt ab, während Gewissenhaftigkeit und Verträglichkeit zunehmen (vgl. Costa/McCrae 1992). Ein weiterer Befund (vgl. Robins et al. 2001): die Offenheit für neue Situationen steigt bei Jugendlichen generell mit zunehmendem Alter. Mädchen verlieren an Selbstsicherheit, letzteres ein Befund, auf den bereits Gilligan (1984) hingewiesen hat und der nicht unbedingt genetisch zu erklären ist. Individuell gibt es in der Jugendzeit weitere Verschiebungen auf den Big Five-Achsen, jedoch nicht in eine einheitliche Richtung. Bei etwas älteren Jugendlichen zeigen sich deutliche allgemeine Veränderungen. Die meisten werden emotional stabiler, verträglicher und gewissenhafter (vgl. Robins et al. 2001). Das heißt, es handelt sich um universelle Entwicklungsverläufe in derselben Richtung. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass diese und viele andere Studien Entwicklung mit Querschnittdaten erklären, nicht mit Längsschnittdaten, was ihre Aussagekraft erheblich einschränkt. Auch wenn aufgrund der Komplexität der Prozesse und der methodischen Herausforderungen, diese adäquat zu erfassen, eindeutige und methodisch valide Befunde noch nicht vorliegen, wird überwiegend von der zunehmenden Stabilität der Persönlichkeitsunterschiede im Lebenslauf ausgegangen wird (vgl. Asendorpf 2002). Mit zunehmendem Alter werde die Persönlichkeit gefestigter, aber auch unflexibler, unzugänglicher und starrsinniger. Asendorpf (ebd.) nennt fünf Mechanismen, auf deren Zusammenspiel diese Persönlichkeitsstabilisierung beruhe: Konstanz des Genoms, Stabilität der Umweltunterschiede, Kristallisierung genetischer und Umweltwirkungen, Selbststabilisierung sowie zunehmende PersönlichkeitUmwelt-Passung. Er verweist darauf, dass die Stabilität von Persönlichkeitsmerkmalen deutlich und sogar exponentiell mit dem Zeitintervall zwi-
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schen den Messungen sinke. Er vermutet, dass dies zu einem nicht geringen Umfang auf Messfehler zurückzuführen sei. Eine niedrige Stabilität der Persönlichkeit könne unterschiedliche, schwer unterscheidbare Ursachen haben: Instabilität der Persönlichkeit, Diskontinuität der Konstrukte, Invalidität der Messungen (ebd.) Beispielsweise sei nicht unerheblich, welche Messverfahren zu den jeweiligen Erhebungszeitpunkten verwandt werden. Die meisten Längsschnittstudien zur Persönlichkeitsentwicklung verwenden für ein und dasselbe Persönlichkeitsmerkmal zu unterschiedlichen Zeitpunkten dieselben Messverfahren. Damit soll das Risiko vermindert werden, dass zu verschiedenen Zeitpunkten unterschiedliche Merkmale gemessen werden. Diese Strategie der homotypen Stabilität (gleichartige Messinstrumente) sei jedoch dann kontraproduktiv sein, wenn die Bedeutung des Gemessenen sich mit dem Alter verändert. Vor allem bei Längsschnittstudien mit großem Altersabstand der untersuchten Personen könne es sinnvoll sein, heterotype Stabilitäten zu untersuchen und das interessierende Merkmal durch unterschiedliche, altersadäquate Messverfahren zu erfassen (ebd.). Asendorpf und van Aken (2003) untersuchten beispielsweise in der Längsschnittstudie LOGIC (vgl. Weinert 1998) mit unterschiedlichen Verfahren die Entwicklung der „Big Five“ bei Kindern. Zum einen schätzten Bezugspersonen die Persönlichkeitsmerkmale der Kinder ein, zum anderen beobachteten sie die Kinder selbst, zum dritten wurde überprüft, ob gleiche Eigenschaften in unterschiedlichem Alter dieselben Zusammenhänge zu konstruktnahen Kriterien hatten. Es zeigte sich, dass die Big Five bei den längsschnittlich untersuchten Kindern zwischen 4 und 12 Jahren stabil waren (vgl. Asendorpf/van Aken 2003). Neurotizismus und Introversion korrelierten beispielsweise über die Zeit mit sozialer Gehemmtheit, Offenheit mit Intelligenz und Schulleistung. In der Dunedin-Studie richtete Caspi (2000) sein Augenmerk ebenfalls nicht auf die homotype Stabilität einzelner Persönlichkeitsvariablen – diese würden sich altersbezogen entwickeln und auch verändern –, sondern auf die Konsistenz im Verhalten, „another way to think about the consequences of continuity [...] and examine the real-world implications of early emerging behavioural differences“ (ebd.: 168). In der Studie wurden mehr als tausend, 1972/73 in Dunedin/Neuseeland geborene Kinder bis zu ihrem 21. Lebensjahr begleitet. Die aufwändigen Erhebungen (die Kin-
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der/Jugendlichen wurden je einen ganzen Tag multidisziplinär untersucht) fanden im Abstand von zwei, später drei Jahren statt. „Longitudinal studies that gather repeated data on persons across the life course are the lifeblood of research on personality development because they can demonstrate the extent of continuity and change in behavioral development, document the consequences for later development of early emerging personality features, and identify the changing expressions of early emerging personality types across age and in diverse developmental settings.“ (Ebd.: 169)
Caspi verglich kindliches Temperament im Alter von 3 Jahren mit Verhaltensproblemen in Familie und Schule und der Persönlichkeit im Alter von 18 Jahren sowie mit Beziehungen, Erwerbsbiografie/Arbeitslosigkeit, psychiatrische Störungen und kriminellem Verhalten im Alter von 21 Jahren. Im Gegensatz zu vielen anderen Studien wurde die Persönlichkeit der kleinen Kinder nicht von ihren Müttern, sondern vom Forschungsteam selbst eingestuft, mit 18 Jahren beschrieben sich die Jugendlichen selbst und mit 21 Jahren wurden sie von einer Person, die sie gut kannte, beschrieben. Caspi arbeitete bei den Dreijährigen fünf Temperamente heraus: welladjusted (40%), undercontrolled (10%), inhibited (8%), confident and reserved (42%). Die drei ersten Typen sind nach seiner Einschätzung mit den Ergebnissen anderer Studien vergleichbar, die letzteren seien durch andere Untersuchungen nicht bestätigt und möglicherweise Untergruppen der erstgenannten Gruppen. „In summary, our longitudinal data suggest that early emerging behavioral differences not only act as a persisting risk factor for later psychiatric problems but also can sometimes confer risk for specific forms of psychopathology.“ (Ebd.: 165) Caspi resümierte deshalb, aus den Persönlichkeitsmerkmalen von Dreijährigen Entwicklungspfade und Risikokarrieren prognostizieren zu können: „The child is the father of the man“, wie er es ausdrückt. Er nimmt an, dass die Persönlichkeitsentwicklung dem Prinzip der kumulativen Stabilisierung folgt. Er weist übrigens ebenfalls auf den Unterschied zwischen absoluter (Vergleich mit eigenem früheren Verhalten) und relativer Entwicklung (im Vergleich zu anderen) hin. Viele Veränderungen seien eigentlich Entwicklungen. So nehme die emotionale Kontrolle im Lauf des Lebens zu – ein Alterseffekt. Seiner Meinung nach ist von Veränderungen im Verhalten bei gleichzeiti-
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ger Stabilität der Persönlichkeit auszugehen. Unterschiedliche Persönlichkeitstypen verhielten sich nämlich nicht in jeder Situation und in jedem Alter gleich. Kontinuität drücke sich dann nicht in der Konstanz von Verhalten über Zeit und Kontext aus, sondern in der Konsistenz, mit der die Personen über die Zeit „characteristically modify their changing contexts as a function of their behavior“ (ebd.: 168) – wiederum ein interessanter Bezug zur Herstellung personaler Kontinuität. Wahl (2001) zeigt, dass die Entwicklungspfade von Kindern und Jugendlichen, die später zu Gewalttätern werden, allerdings nur retrospektiv, in ihrer Kindheit meist von extremen Emotionen wie Wut, Angst oder Trauer beherrscht waren. Risikobereite und aggressive Kinder würden durch die Reaktion von Eltern oder Schule noch risikobereiter und aggressiver, also ko-konstruktiv verstärkt. Auch in der Münchner Längsschnittstudie LOGIC zeigt sich der deutliche Befund, dass Aggressivität im Kindergartenalter ein Risikofaktor für Aggressivität, „Underachievement“ und Kriminalität im Erwachsenenalter sein kann (vgl. Asendorpf 2004). Diese Befunde sind allerdings differenziert zu betrachten, denn nur 29% der auffällig aggressiven Kinder sind als Jugendliche straffällig geworden (ebd.). Zudem fallen auffällige Kinder und Jugendliche möglicherweise stärker auf als unauffällige und geraten dadurch möglicherweise leichter mit dem Gesetz in Konflikt. Traitbezogene Konzepte gehen generell davon aus, dass statistische Zusammenhänge zwischen Persönlichkeitsmerkmalen in frühesten und in späteren Lebensjahren bestehen (Asendorpf/Aken 2003). Kinder entwickeln sich nicht nur gemäß früh diagnostizierter Anlagen oder Temperamenten (vgl. ebd.; Caspi 2000; Lamb et al. 2002; Roth 2001; Wahl 2007), sondern suchen und gestalten geeignete Umwelten (vgl. Caspi 2000; Pinquart/Silbereisen 2002). Es wird von einem Primat der Persönlichkeit gegenüber Beziehungen und Kontexten ausgegangen (vgl. Asendorpf 2002), auch wenn Beziehungen und Kontexte Persönlichkeitsentwicklungen beeinflussen. Risikoverhalten wie Selbstmordversuche und Alkoholismus sei beispielsweise bereits aus den Persönlichkeitsmerkmalen von Dreijährigen prognostizierbar (vgl. Caspi 2000). Diese und ähnliche Befunde werden dahingehend interpretiert, dass Menschen von Geburt an ein relativ beständiges persönliches Naturell aufweisen, Anlagen in Form von Temperamentszügen von Geburt an vorhanden sind und Persönlichkeit auf einem biologischen Fundament aufbaut. Schon bei Säuglingen könnten
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Merkmale beobachtet werden, durch die sie sich voneinander unterschieden: sei es, dass sie regelmäßig oder chaotisch essen und schlafen oder mehr oder minder bewegungsreich sind (vgl. Zentner 1998). Anlagen zur Persönlichkeit werden übrigens auch aus der Sicht der Neurowissenschaften in der frühen Kindheit im limbischen System durch emotionale Erlebnisreize gelegt. Roth (2005) spricht von „emotionaler Konditionierung“. Die Persönlichkeitsvorläufer reifen danach vor der Fähigkeit zu kognitivem Lernen, Bewusstsein und autobiografischem Gedächtnis. 4.2.3 Differenzielle Entwicklungen von Persönlichkeit Persönlichkeitsmerkmale entwickeln, stabilisieren oder verändern sich nicht nur altersbezogen, sondern auch individuell und situationsspezifisch (vgl. Lamiell et al. 1997). Zahlreiche Studien belegen, dass die Vorstellung einer lebenslang stabilen, sich lediglich altersbedingt verändernden Persönlichkeit zu relativieren ist. Differenzielle Entwicklungsverläufe seien sehr viel bedeutsamer. „Growth is more individualistic than was thought, and it is difficult to find general patterns“ (Brim/Kagan 1980 zitiert nach Brandstädter 2001: 334). Vor allem Längsschnittstudien zur Persönlichkeitsentwicklung geben Hinweise darauf, dass die Persönlichkeitsstruktur weder ausschließlich genetisch noch aus frühkindlicher Perspektive erklärbar ist. Differentiellen Entwicklungen kommt eine größere Bedeutung zu, als traitorientierte Persönlichkeitskonzepte vermuten lassen. Ergebnisse der über 20jährigen Längsschnittstudie LOGIK des Max Planck Instituts München zu Entwicklungsprozessen von Kindern zeigen, dass Entwicklung sehr individuell verläuft, sich einige Bereiche der Persönlichkeit ständig verändern, andere nicht und Prognosen kaum möglich sind (vgl. Weinert 1998; Weinert et al. 1999). Interessant sei deshalb immer der Blick auf den Einzelfall. Es scheint also nicht unbedingt ergiebig zu sein, bei der Frage nach der personellen Kontinuität lediglich die Stabilität von Persönlichkeit und Persönlichkeitsmerkmalen zu beachten. Eine Metanalyse von Roberts und DelVecchio (2000) erbrachte, dass Veränderungen der Persönlichkeit auch noch im mittleren Lebensalter oder später auftreten können. Verglichen wurden 152 Längsschnittstudien mit insgesamt mehr als 35.000 Personen und über 3.000 Stabilitätskoeffizienten für verschiedene Altersgruppen und Persönlichkeitsmerkmale. Die Analyse zeigt überzeugend, dass die Persönlichkeit bis ins fünfte Jahrzehnt
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und darüber hinaus nicht nur reift, sondern sich auch verändert: Die Stabilität aller Persönlichkeitsmerkmale sei mit Ausnahme von Intelligenz (vgl. Asendorpf 2004) in der frühen Kindheit ausgesprochen niedrig, erhöhe sich diskontinuierlich bis zum Alter von 50 Jahren und bleibe erst dann auf hohem Niveau stabil. Ein erster Stabilitätszuwachs finde sich beim Übergang zum Kindergartenalter (ab 3 Jahre), ein zweiter beim Verlassen des Elternhauses (ab 18 Jahre) und ein dritter im dem Alter, in dem typischerweise die eigenen Kinder das Elternhaus verlassen haben (ab 50 Jahre). Hohe Stabilität von Persönlichkeitsmerkmalen werde erst im höheren Erwachsenenalter erreicht. Nicht nur im Kindes- und Jugendalter, sondern auch im jüngeren Erwachsenenalter könnten deutliche Veränderungen stattfinden. Roberts und Mroczek (2008) bestätigen diese Befunde in ihrem Forschungsüberblick aktueller Studien ebenfalls sehr eindrücklich. Auch sie kommen zu dem Ergebnis, dass Persönlichkeit sich bei Erwachsenen und sogar bis ins hohe Alter substantiell verändern kann. Sie unterscheiden zwischen durchschnittlichen altersbedingten und möglicherweise auch kohortenspezifischen Persönlichkeitsveränderungen und individuellen Unterschieden im Lebenslauf. Ihrer Analyse zufolge ereignen sich die meisten entwicklungsbezogenen Veränderungen im Alter zwischen 20 und 40 Jahren, ein Ergebnis, das ihrer Meinung nach gegen die verbreitete Annahme spricht, dass vor allem die frühe Kindheit die wichtigste Phase der Persönlichkeitsentwicklung sei. Hier seien weitere Studien, auch kulturübergreifend notwendig. Des Weiteren zeigen sie, dass Veränderungen im Lebenslauf nicht einheitlich verlaufen, sondern sehr stark variieren: manche Individuen zeigen keinerlei Veränderungen, andere verändern sich erheblich. Es zeige sich sehr deutlich, dass lebenslaufbezogene Veränderungen der Big Five sowohl in der Richtung als auch in der Stärke individuell deutlich variieren. Roberts und Mroczek (ebd.) plädieren deshalb dafür, Persönlichkeitsmerkmale nicht als unabhängige, sondern als abhängige Variablen zu betrachten: „Personality traits are developmental constructs, even in adulthood.“ (Ebd.: 34) Auch Asendorpf (2005) relativiert aufgrund seiner Forschungsbefunde die Universalität und Unidirektionalität von Entwicklungsrichtungen. Neyer und Asendorpf (2001) sind der Meinung, dass zumindest ein Teil der auf „natürliche“ Reifungsprozesse zurückgeführten durchschnittlichen Neurotizismusverminderung auch mit einer durchschnittlichen Verände-
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rung der sozialen Umwelt mit zunehmendem Alter zusammenhängen könne. So zeigte sich in ihrer vierjährigen Studie eine Abnahme von Neurotizismus im Verlauf des jungen Erwachsenenalters nur bei denjenigen, die eine stabile Partnerschaft eingegangen waren, bei Dauer-Singles aber nicht; umgekehrt kam es aber bei der Trennung vom Partner nicht zu einer Neurotizismus-Erhöhung. Da die meisten Menschen im Verlauf des jungen Erwachsenenalters eine stabile Partnerschaft eingehen, erscheint die Neurotizismusverminderung als genereller Reifungsprozess. Doch ist diese Interpretation durchschnittlicher Entwicklungsveränderungen als universelle Veränderungen, die für alle Mitglieder einer Geburtskohorte gelten, zu einseitig (Asendorpf 2005: 17): „Im strengen Sinne müssten ja universelle Veränderungen bei allen Menschen derselben Kohorte gleichzeitig und in gleicher Weise ablaufen. Das ist natürlich nie der Fall.“ Asendorpf hält deshalb die Interpretation durchschnittlicher Entwicklungsveränderungen als universelle Veränderungen für problematisch. „Eine Minderheit wird diese Veränderungen möglicherweise nie zeigen (im Beispiel: Sie bleiben ewig Singles), viele werden diese Veränderungen stärker zeigen als andere (z.B. könnte die Neurotizismussenkung von der Qualität der Partnerschaft abhängen), und auch der Zeitpunkt des Beginns der Veränderung kann variieren (z.B. könnte die erste stabile Partnerschaft mit 17 oder erst mit 40 Jahren eingegangen werden). Durchschnittliche Veränderungen sind also bei genauerer Analyse nie universelle Veränderungen, sondern haben immer auch differentiell interessante Aspekte.“ (Ebd.)
In einer Studie mit Kindergartenkindern konnte Asendorpf (2004) ferner zeigen, dass Eigenschaften wie Gehemmtheit zwar stabil sind, jedoch unterschieden werden müsste zwischen Gehemmtheit in unbekannten Situationen und Gehemmtheit in vertrauten Situationen. So sei zwar vorhersagbar, wie gehemmt Kinder im ersten Jahr in der Gruppe sein werden, weiter reichen die Prognosen aber nicht, denn es entwickele sich eine „neue Karriere“, die dann nicht mit dem Temperament, sondern mit der Bewertung in der Gruppe zusammenhänge. Diese Befunde sind nicht vereinbar mit der Auffassung, dass Persönlichkeit vor allem in der frühen Kindheit geformt wird und im Alter von 30 Jahren bereits hoch stabil ist (vgl. Costa/McCrae 1992). Auch Asendorpf (2005) teilt die Meinung, dass Stabilisierungsprozesse offenbar erheblich
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länger dauern. Er weist zudem darauf hin, dass möglicherweise ab dem Rentenalter die Stabilität wieder sinken könne, vor allem bedingt durch unterschiedlich früh und unterschiedlich schnell verlaufende biologische Alterungsprozesse und so die von Roberts und DelVecchio (2000) herausgearbeitete lineare Stabilisierung von Persönlichkeitsmerkmalen ab 50 Jahren in höherem Alter wieder zurück gehe. Ein Teil der angeblichen Stabilisierungsprozesse zwischen früher und später Kindheit könne auch darauf zurückzuführen sein, dass die Reliabilität der Messinstrumente bei Kleinkindern geringer ist als bei älteren Kindern (vgl. Asendorpf 2005). Auch Emotionen, wichtiger Bestandteil unserer Persönlichkeit, sind übrigens nicht eindeutig mit bestimmten körperlichen Reaktionsmustern verbunden. Sie sind erlebte Gefühle, denn am Anfang der Emotionsauslösung steht die individuelle Reizwahrnehmung und Situationsinterpretation (vgl. Stemmler 2001). Zum einen würden verschiedene Personen ganz unterschiedliche emotionale Erfahrungen und wahrgenommene Körperreaktionen mit ein und demselben Emotionswert bezeichnen, zum anderen würden mehrere Personen selbst unter identischen experimentellen Auslösebedingungen verschiedenartige emotionale Reaktionen zeigen können, weil Erfahrung, Erregbarkeit, Vorstellungsfähigkeit und kulturelle Einflüsse die Reaktionen mitbestimmen würden. Die Aussagekraft vieler Ergebnisse zu Persönlichkeitsverläufen ist zudem erheblich dadurch einschränkt, dass nach Schätzungen von Weinert et al. (1999) 90% aller psychologischen Ergebnisse über Entwicklung sich auf Daten beziehen, die Wandel nicht direkt messen. Für viele Persönlichkeitspsychologen sei es selbstverständlich, dass Entwicklung sich aus Beobachtungen der Entwicklungsunterschiede zwischen unterschiedlichen Altersgruppen schließen lasse, sogenannte „cross-sectional designs“. Dies scheint legitim, wenn davon ausgegangen wird, dass Entwicklung universell ist und ihre Gesetze für alle Menschen gelten. Jedoch schließt diese Vorgehensweise andere Interpretationsmöglichkeiten, wie unterschiedliche individuelle Muster und Dynamiken von Entwicklung, von vornherein aus. Diese sind Schwerpunkt prozessorientierter Ansätze, die im nächsten Kapitel skizziert werden.
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Prozess- und personenorientierte Ansätze verstehen Persönlichkeit vor allem als dynamischen Prozess (vgl. Jüttemann 2002; Silbereisen/Pinquart 2008; Thomae 1969) und sich ständig verändernde Konfiguration aus Gedanken, Gefühlen und Handlungen (vgl. White 1981). In Abgrenzung zu Ansätzen, die Struktur und Stabilität von Persönlichkeitsmerkmalen fokussieren, und Persönlichkeit entlang früh diagnostizierbarer Anlagen oder Temperamente sowie anhand von Variablen und Korrelationen analysieren, versuchen prozessorientierte Ansätze, den gesamten Verlauf der individuellen Entwicklung einzubeziehen und nicht nur einzelne statistische Zusammenhänge (vgl. Murray 1938). Im Hinblick auf die „Konstruktion von Kohärenz und Kontinuität“ sowie die „invarianten Regelmäßigkeiten und allgemeingültigen Beziehungen“ hätten sich „traditionelle Ideale entwicklungspsychologischer Forschung“ nicht erfüllt (Weinert et al. 1999: 334). Plaum (2002: 277) geht davon aus, dass die Grunddimensionen von Persönlichkeitstests zwar systematisch, aber doch zu global im Sinn einer „Alltagspsychologie“ seien und in dieser Oberflächlichkeit der komplexen Realität nicht gerecht würden. „The result has been that we have learned a little about the „behavior“ of variables over age, but nothing concerning the behavior of individuals“ (Wohlwill 1973 zitiert nach Weinert et al. 1999: 327). Viele Persönlichkeitsforscher, so der Vorwurf, forschten am „falschen“ Ort nach Persönlichkeit, indem sie symbolische Antworten in Fragebögen erheben und auswerten (vgl. McClelland 1981). McClelland schlägt deshalb vor, „reale“ Situationen zu untersuchen: „The value of focusing on the live individual is that it brings abstract theories hard up against reality.“ (Ebd.: 88) Eine weitere Herausforderung wird darin gesehen, empirische Studien so anzulegen, dass uneindeutige Befunde nicht vorschnell zu eindeutigen erklärt werden: „Identical environmental conditions or events generate quite different patterns of experience for different infants [...]“ „Diverse constellations of organismic and environmental factors may produce similar patterns of concrete experience.“ (Escalona 1968: 64) Jede Wahrnehmung, Emotion, Kognition und Handlung gehöre immer auch zu einer bestimmten Person. Murray (1938) hatte bereits in den 1930-er Jahren in „Explorations in Personality“ darauf hingewiesen, dass von außen inkonsistent und variabel erscheinendes Verhalten individuell durchaus kohärent
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und sinnvoll sein könne: „But taken as a whole, personology is a patchwork quilt of incompatible designs.“ Die Konzentration auf die Stabilität einzelner Variablen und Persönlichkeitsmerkmale könne den Zusammenhang zu Situation und sozialer Umgebung sowie individueller Lebensgeschichte verstellen (vgl. Brandstädter 2001; Jüttemann/Thomae 2002; Runyan 1997). Eine Persönlichkeit vollständig zu erfassen, bedeute, ihre gesamte Lebensgeschichte sowie ihre Eingebundenheit in die natürliche Umgebung zu erfassen. Jüttemann und Thomae (1987) sind der Ansicht, dass durch die Einbeziehung von biografischen Aspekten und der Dimension Zeit psychologische Forschung „lebensnäher“ werden könne. Damit erweitere sich der Entwicklungsbegriff um prozessuale Zusammenhänge und löse sich von reaktiven Modellen von Entwicklung. Dies hatte zwar auch Caspi (2000) in seiner Studie berücksichtigt, indem er Persönlichkeit je nach Alter unterschiedlich konzeptualisierte. Er blieb jedoch dem Denken in Persönlichkeitsvariablen verhaftet. Prozessbezogene Persönlichkeitsansätze stehen damit vor der Herausforderung, die Herstellung von personaler Kontinuität als dynamischen Prozess zu konzeptualisieren. 4.3.1 Lebensverläufe und individuelle Persönlichkeitsentwicklung Methodisch wird die Fragestellung nach der Dynamik von Persönlichkeit vor allem in prospektiven Lebensverlaufs- und Längsschnittstudien, teils auch retrospektiven Studien umgesetzt. Diese sind oft multidisziplinär angelegt und relativieren die Vorstellung durchschnittlicher Kontinuität, Reifung und Veränderung sowie der durchschnittlichen Wirkung von Lebenskonstellationen und -ereignissen (vgl. Asendorpf/von Aken 2003). Die Erhebung von (prospektiven) Längsschnitten gilt als Königsweg der differentiellen Entwicklungspsychologie, um durchschnittliche alterstypische Veränderungen, die für Reifungsprozesse stehen, von differentiellen Veränderungen, die auf individuelle Besonderheiten zurückgehen, unterscheiden zu können (vgl. Elder 1985; Schoon 2001). Sie versuchen darauf einzugehen, wie Personen handeln, in Situationen und Lebensphasen, an transitorischen Wendepunkten und angesichts von biografischen Brüchen, und auch scheitern. Prozesse werden dabei weniger punktuell erhoben und auf einzelne Lebenssituationen, -events, -phasen oder -bereiche bezogen
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(vgl. Keupp et al. 2002), da sich hier oft einseitige Gewichtungen ergeben, sondern auf den gesamten Lebenslauf und Lebenszusammenhang. In den letzten Jahrzehnten nehmen solche Studien deutlich zu – mit der Tendenz, dass sie inhaltlich stark ausdifferenziert sind, beispielsweise nach Lebensphasen (Kinder- und Jugendstudien, Studien zu Transitionen oder LifeEvents im Lebenslauf) und so den Versuch, ganzheitlich zu erheben, wieder aufweichen. Lebensverlaufsstudien wurden in den USA bereits in den 1920-er Jahren durchgeführt. Sie orientierten sich zunächst an Entwicklungsphasen und -aufgaben. Levinson (1981) untersuchte mit Hilfe von halbstrukturierten Interviews in „Seasons of a Man‘s Life“ (ders. 1978) beispielsweise psychosoziale Entwicklungen. Wie für Murray war für ihn die Analyse von Persönlichkeit die Analyse von Lebensverläufen. Er entwickelte als neues sozialpsychologisches Konzept die „Life Structure“, die die Beziehung zwischen Person und Welt ins Zentrum stellt: „person‘s relationships with various aspects of the external world“ (Levinson 1981: 69). Persönlichkeitsfaktoren, Kultur und soziale Institutionen spielten gleichermaßen eine wichtige Rolle. Die Erkenntnis des Zusammenspiels verschiedener Faktoren hat sich bei Murray erst im Laufe seiner Studien entwickelt, wohl weil sein Sample sehr homogen war. Er hatte zunächst die individuellen Beziehungen in der Familie als Haupteinflussfaktor in der Persönlichkeitsentwicklung bewertet, später jedoch die Biografie als Lebensstruktur mit unterschiedlichen Beziehungssets zwischen Person und Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft herausgearbeitet. Die Beziehungen zu den vielen signifikanten Anderen (aktuelle Personen wie Freund, Lover, Eltern, Kinder; Personen aus der Vergangenheit; symbolische oder imaginierte Figuren aus Religion, Mythos, Fantasie; kollektive Einheiten wie Gruppe, Institution, soziale Bewegung; Natur) spielen eine zentrale Rolle in seinem Ansatz. Levinson leitete eine männliche Normalbiografie mit einem NormPhasenablauf und sich überlappenden, altersgebundenen Lebenssequenzen ab, je gekennzeichnet durch einen typischen bio-psychosozialen Charakter (ebd.: 65). Zwischen diesen Sequenzen machte er „cross-era transitions“ mit einer ungefähren Dauer von fünf Jahren aus. Er wies auch auf Transitionen anderer Art, die sich durch kritische Lebensereignisse wie Tod oder Berufswechsel hin. Während sich Levinson (1981) noch an psychosozialen Standardverläufen orientierte, löste sich Block (1981) in „Lives through Time“ davon.
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Mit der Fragestellung „Why do people turn out the way they do?“ untersuchte er die personelle Kontinuität von der Adoleszenz bis in die frühen Vierziger in zwei Studien: je eine Längsschnittstudie startete 1929 und 1932 mit in den 1920-er Jahren geborenen Kindern (146 Männer, 171 Frauen). Block arbeitete unterschiedliche Typen von Persönlichkeitsentwicklung, nicht von Persönlichkeit heraus mit großen interindividuellen Variationen von der Adoleszenz bis in die frühen Vierziger: Einige Personen behielten über 30, 35 Jahre ihre Charakterstrukturen aus der frühen Adoleszenz bei, während andere nicht wieder zu erkennen waren. Block folgerte daraus, dass nicht von einer durchschnittlichen Konsistenz und von für alle Personen gleichen Entwicklungsprozessen und -phasen auszugehen ist. Für manche Lebensumstände und Kontextbedingungen scheint eine geringere Konsistenz zudem die erfolgversprechendere und damit individuell „sinnvollere“ Strategie zu sein. Es sollte entsprechend nicht untersucht werden, ob Menschen konsistent oder nicht konsistent sind, einige sind es und andere nicht, sondern welche konsistent sind und welche nicht, ob Konsistenz für den einzelnen sinnvoll ist oder nicht. Am ertragreichsten sah Block (ebd.) Beobachtungen im subjektiven Verhalten. Individuelle Adaptationsprozesse sind auch Vaillant (2000) zufolge der Schlüssel zum Verständnis von Lebensläufen. Er kommt aufgrund der Ergebnisse der Grant Study, in der 268 Männer über 50 Jahre begleitet wurden, zu dem Ergebnis, dass Verhaltensweisen wie Depression, Neurotizismus oder Persönlichkeitsstörungen, die zu einem Erhebungszeitpunkt als krank oder sogar pathologisch (mental illness) eingestuft werden, abgesehen von Geisteskrankheiten häufig Adaptations- oder Heilungsstrategien seien, individuell durchaus sinnvoll und deshalb im Lebenslauf gesehen nicht pathologisch. Dies sei auch ein Grund, warum Persönlichkeiten dynamisch erschienen und in ihrer Entwicklung nicht vorhersagbar seien; ihre Strategien verändern sich, können von einer Strategie in eine andere übergehen oder gar nicht mehr notwendig sein. So sei denn auch Abschied zu nehmen von Paradigmen der Entwicklung und Sozialisation, die einen normativen Fahrplan von Entwicklung in Richtung auf eine erwachsene und fertige Identität unterstellen (vgl. Keupp et al. 2002).
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4.3.2 Konstruktion und Entwicklung des Selbst Ein weiterer Fokus auf Prozesse der Persönlichkeit(sentwicklung) ergibt sich, wenn subjektorientierte Ansätze einbezogen werden. Diese verstehen Persönlichkeit als „integriertes System von Selbstkonzepten“ (Bergler 1975: 27). Selbigkeit, personale Kontinuität und Differenz seien individuell immer wieder von neuem herzustellen. Diese Ansätze entfernen sich noch mehr als lebenslaufbezogene Modelle vom strukturbetonten Verständnis von Persönlichkeit als relativ stabiler und nur reifender Struktur (vgl. Hitlin/Elder 2007) und versuchen, das Erleben der Kohärenz der Persönlichkeit und der Kontinuität über die Zeit (vgl. Pinquart/Silbereisen 2002) zu erfassen. Identität steht dabei für die Summe der subjektiven kognitiven Vorstellungen vom eigenen Selbst, einschließlich ihrer Bewertungen, dem Selbstkonzept: „Unter dem Selbstkonzept kann demnach die Gesamtheit der auf die eigene Person bezogenen Beurteilungen verstanden werden.“ (Ebd.: 55) Die Einstellungen zur eigenen Person können sich auf ganz verschiedene Einzelaspekte beziehen, angefangen von der eigenen äußeren Erscheinung bis hin zu Charakter- und Verhaltenseigenschaften. Andere Autoren dehnen diese Annahme aus, indem sie das Konzept, das eine Person von sich selbst hat, in Analogie zur wissenschaftlichen Theoriebildung sehen: Identität wäre dann die Theorie, die eine Person über sich selbst entwickelt. Dabei wird davon ausgegangen, dass die Bewertungen (oder Einstellungen oder theoretischen Annahmen) nicht allzu wechselhaft, sondern tendenziell von einer gewissen, nicht bereichsspezifischen, aber in zeitlicher Hinsicht situationsübergreifenden Stabilität gekennzeichnet sind. Eben hierin wird die Persistenz des Selbstkonzepts bzw. der Identität gesehen. Erikson, einer der prominentesten und am meisten kritisierten Identitätstheoretiker, „auf dessen ‚Schultern‘ Identitätsforschung heute steht“ (Keupp et al. 2002: 33), verstand in den 1960-er Jahre unter Identität das „angesammelte Vertrauen darauf, dass der Einheitlichkeit und Kontinuität, die man in den Augen anderer hat, eine Fähigkeit entspricht, eine innere Einheitlichkeit und Kontinuität (also das Ich im Sinne der Psychologie) aufrechtzuerhalten“ (Erikson 1965: 107). Auch wenn dieser Definition in ihrer Allgemeinheit vor allem unter anthropologischen Vorzeichen zuzustimmen ist, wurde vielfach herausgearbeitet, dass Identität im Konzept von Erikson eng mit dem „Projekt der Moderne“ (Keupp et al. 2002) verbunden ist, also situiert ist. Es überträgt die Identi-
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tätsthematik auf ein modernes Ordnungsmodell regelhaft-linearer, sogenannter „epigenetischer“ Entwicklungsverläufe und unterstellt eine gesellschaftliche Kontinuität und Berechenbarkeit, in die sich die subjektive Selbstfindung verlässlich einbinden kann. Die Jugendphase nimmt einen zentralen Stellenwert ein. Gleichzeitig beschränkte Erikson die Dynamik der Identitätsbildung auf die Jugendphase. Dennoch: Sein Werk hat fast eine Brückenfunktion für eine Vielzahl von unterschiedlichen disziplinären Diskursen. Erikson (1965) unterschied zwischen Ich und Selbst; das Ich verstand er als organisierende Zentralinstanz für das Subjekt, das aus den verschiedenen Selbsten ein zusammenhängendes Selbst zusammensetzt. In dem Zusammenhang führt er den Begriff der Identitätsdiffusion ein als eine vorübergehende oder dauernde Unfähigkeit des Ich, eine Identität herzustellen. Der Entwicklungspsychologe Bergler (1975) definiert Persönlichkeit als „integriertes System von Selbstkonzepten“ (ebd.: 27). „Für ein und denselben Menschen können dann in unterschiedlichen Verhaltensbereichen thematisch unterschiedliche Selbstkonzepte (Selbsterwartungen und -beurteilungen) mit unterschiedlichem ‚Gewicht‘ Steuerungsfunktionen übernehmen.“ (Ebd.: 28) Schneewind (2005) versteht das Selbst aus einer sozialisatorischen Sicht als Träger von Gefühlen und Gedanken und damit als Basis jeder Persönlichkeitsentwicklung. Erst dadurch, dass eine Person ihre psychischen Prozesse auf sich selbst beziehe, werde sie zu einem personalen Selbst, zu einer Persönlichkeit. Mit Blasi unterscheidet er vier zentrale Aspekte: Selbstwirksamkeit (agency, Selbst-Reflexivität), Selbstidentität, Einheit im Tun und Verschiedenheit. Sozialisationstheoretisch betrachtet sei die „agentische Natur“ (ebd.: 120) Fundament für die Autogenese, die Selbstgestaltung der Person. Der Konstruktionsprozess, in dem das Individuum sich selbst, seine Umwelt und die Beziehung zueinander bewertet, ist auch für Kelly (1955) der Kern psychischer Existenz. Als Resultat ergebe sich für jeden Menschen ein subjektives Weltbild und Konstruktsystem, das handlungsleitend sei. Diese subjektiven Einschätzungen umfassten Relationierungen zu sich selbst (Autonomie und Selbstwirksamkeit bzw. Selbstwert), zur sozialen Umwelt (Zugehörigkeit und Verantwortung) und zu beruflichen Anforderungen (Leistung und Können). Kegan (1986) und Noam (1988) betonen vor allem die Bedeutung der Ich-Identität. Kegan (1986) greift Leitgedanken Piagets auf und kombiniert das Wechselspiel von Konstruktion und Entwicklung: „Erst durch den Prozess der
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Bedeutungsbildung wird etwas zu Gefühlen, Erfahrungen, Gedanken und Wahrnehmungen“ (ebd.: 31), ein auch in neurobiologischen Ansätzen betonte Zusammenhang. 4.3.3 Die relative Bedeutung von Lebensstationen und -ereignissen „Ich halte es nicht für erforderlich, genau zu wissen, was ich bin. Das Wichtigste im Leben und in der Arbeit ist, etwas zu werden, das man am Anfang nicht war: Wenn Sie ein Buch beginnen und wissen schon am Anfang, was sie am Ende sagen werden, hätten sie dann noch den Mut, es zu schreiben? Was für das Schreiben gilt und für eine Liebesbeziehung, das gilt auch für das Leben überhaupt. Das Spiel ist deshalb lohnend, weil wir nicht wissen, was am Ende dabei herauskommt.“ MICHEL FOUCAULT 1972
Lebensverlaufstudien zeigen nicht nur, dass sich Menschen ganz unterschiedlich verhalten, handeln und fühlen (vgl. die Ansätze der Biografieforschung, Kapitel 2), sondern auch, dass sich Lebensereignisse und konstellationen sehr unterschiedlich auswirken können (Asendorpf/von Aken 2003). Entwicklung ist keine Einbahnstraße und Lebenswege sind nicht schnittmusterartig vorgezeichnet (ebd.). Menschen sind und entwickeln sich von Anfang an unterschiedlich. Auch deshalb wirken sich Lebensereignisse sowie Lebensumstände so verschieden aus (vgl. Asendorpf 2004). Frühe Erfahrungen haben zwar eine Bedeutung, aber Lebenslaufforscher bezweifeln, dass frühe Entwicklungen in jedem Fall spezifische Vulnerabilitäten bewirken. Kindheitserfahrungen wirken sich nicht direkt und automatisch auf das spätere Leben aus, Erfahrungen werden vielmehr ständig transformiert, reformiert und angepasst. Baltes/Mayer (1999) sprechen deshalb von der ko-konstruktiven Dynamik individuellen Lebens. Dem folgend ist personale Kontinuität sehr viel komplexer und mehrdimensionaler und nicht nur festgeschriebene und sich lediglich entwickelnde Persönlichkeit ist. Entwicklungspsychologen (vgl. Noam 1993) gehen inzwischen davon aus, dass es die Lebensereignisse nicht gibt, sondern dass sich die Qualität Lebens verändernder Momente und individuellen Antworten auf sie nach subjektiven und biografischen Deutungen bemisst, mit letztlich unbegrenzter Variabilität. Die Vorstellung von typischen Lebensstationen oder Statuspassagen als normativen Übergängen von einem Lebensabschnitt in
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den nächsten wird zudem der De-Standardisierung von Übergängen und Aufgaben nicht (mehr) gerecht und muss deshalb nach Brandstädter (2001) als überholt angesehen werden. Zudem können Lebensphasen wie auch Transitionen individuell zunehmend unterschiedliche Relevanz besitzen. Eine universelle Phasierung des Lebenslaufs, wie sie in vielen Untersuchungen vorgenommen wird, sei nicht sinnvoll. Es sind nicht die Lebensereignisse, die im Lebenslauf wirksam werden, sondern es ist die Bedeutung, die Subjekte ihnen verleihen, der EigenSinn. In Abgrenzung zu Ansätzen universeller „harter“ Entwicklungsstufen (beispielsweise Piaget oder Erikson), Altersnormen und Entwicklungsaufgaben wird das Augenmerk stärker auf die Bedingungen und Modelle der Verarbeitung und Entwicklung zu richten. Hier seien eher „weiche“ Stufentheorien (z.B. Gilligan 1984) zu berücksichtigen. Montada (1991) weist mit dem Begriff der „explanatorischen Diskontinuität“ auf Veränderungen im prozessualen Bedingungsgefüge im Lebenslauf hin und warnt ebenfalls vor voreiligen Generalisierungen von Aussagen für unterschiedliche Lebensphasen. Beispielsweise erkläre mütterliche Protektion in den ersten drei Lebensjahren das Leistungsverhalten von Söhnen im Jugendalter, während sich zwischen mütterlicher Protektion zwischen dem vierten und zehnten Lebensjahr keine Korrelation ergebe. Und in einer anderen Studie zeige sich, dass im hohen Lebensalter Persönlichkeitsmerkmale wie Ich-Stärke und Impulskontrolle als Ressource wenig bedeutsam seien für die Bewältigung von kritischen Ereignissen wie beispielsweise einem Wohnortwechsel, während Merkmale, die im Allgemeinen als problematisch beurteilt werden, unterstützend wirken: Narzisstische, fordernde, aggressive und schwierige Alte bewältigen dies Ereignis deutlich besser. Vaillant (2000) arbeitete in seiner über fünfzigjährigen Längsschnittstudie heraus, dass Herkunftsfamilie, Kindheit und Schulabschlüsse sowie daraus abgeleitete Zukunftsaussichten nicht automatisch etwas über das spätere Leben, Schulleistungen, Erfolg, Glück oder mentale Gesundheit aussagen: „Many of the most outstanding mature adults in our entire group, many who are well integrated, highly competent and/or creative [...] are recruited from those who were confronted with very difficult situations and whose characteristic responses
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during childhood and adolescence seemed to us to compound their problems.“ (Ebd.: 244)
Umgekehrt schützten unauffällige Entwicklungspfade nicht vor späteren Problemen. Man könne das „Glück der Kindheit verspielen“, aber auch die Prägung durch frühes Leid überwinden. Bildung und soziale Herkunft eröffnen als günstige Ressourcen und Kapitalien zwar Optionen und es gibt zahlreiche Hinweise auf ihre „Vererbung“. Doch sie sind nur ein Faktor in der Entwicklung (vgl. Fend 2006). „Dennoch ist der Lebensweg nicht allein aufgrund der sozialen Herkunft bestimmt und nicht alle Individuen aus weniger privilegierten Familien entwickeln Anpassungsprobleme. In einer Reihe von Studien konnte gezeigt werden, dass eine nicht unerhebliche Zahl von Individuen sich trotz widrigster Umstände zu leistungsfähigen, zuversichtlichen und fürsorglichen Erwachsenen entwickeln [...], während andere aus privilegierten Verhältnissen nicht unbedingt erfolgreich sind.“ (Schoon 2001: 61)
Bedeutsamer als Entbehrungen und Risikokonstellationen scheinen die Qualität von Beziehungen und individuelle Erfahrungen zu sein (vgl. Elder/Caspi 1990; Vaillant 2000; Wustmann 2004). Auch die Ergebnisse der Resilienzforschung verweisen auf die Schwierigkeit, Lebenswege vorherzusagen. So genannte Risikokinder können entgegen allen Prognosen häufig völlig unerwartet günstige Entwicklungen zeigen (vgl. Laucht/Schmidt 2005), weshalb sie in den 1980er Jahren auch als „unverwundbar“ bezeichnet wurden. Sie werden nicht automatisch zum Risiko oder Problem und können Belastungen wie Gewalterfahrungen, Armut, Arbeitslosigkeit der Eltern oder schwere Erkrankungen bewältigen (ebd.). Den Studien zufolge bestehen einerseits heterogene Entwicklungspfade mit einer sehr hohen Variabilität individueller Biografien und andererseits konstitutionell oder erlernte personale oder soziale Ressourcen, mit Belastungen umzugehen. Auch in den Studien zur Resilienz wird deutlich, dass es nicht ausreicht, einzelne Bedingungen zu kennen, sondern dass erst die Prozesse und sozialen Kontexte, die individuell sehr unterschiedlich wirken können, Aufschluss bringen. Damit fordern Resilienzstudien auf, sich von einem „reparaturorientierten Förderverständnis“ zu distanzieren und Ansätze zur Förderung von „individuellen Selbstkorrekturkräften“
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aufzugreifen (Wustmann 2004: 18). Resilienz ist, wie sich zunehmend zeigt, jedoch kein Persönlichkeitsmerkmal, keine angeborene oder stabile Eigenschaft, sondern ein relationales Konstrukt. Sie verändert sich als Fähigkeit ständig und in Abhängigkeit von Person-Umwelt-Interaktionen, Zeit, Lebensbereichen und Situationen. So können sich in der Entwicklung und vor allem in kritischen Perioden, also beispielsweise sozialen Übergängen wie dem Übergang in die Schule, neue Vulnerabilitäten oder auch Ressourcen herausbilden. Inzwischen werden spezielle Resilienzen unterschieden wie „emotional resilience“, „educational resilience“, „social resilience“ oder „behavioral resilience“ (vgl. Wustmann 2004). Kinder können beispielsweise in der Schule leistungsfähig und resilient sein, bezogen auf soziale Kontakte aber nicht. Studien zu den psychobiologischen Ursachen körperlicher Gewalt bestätigen die Bedeutung von ko-konstruktiven Wechselwirkungen. In der Regel verstärken sich Risikofaktoren (erbliche Neigung, Elternhaus, Erfahrungen) gegenseitig, während einzelne Faktoren wie genetische Disposition oder hirnorganische und neurochemische Defizite nicht zwangsläufig zu gewalttätigem Verhalten führen (vgl. Lück et al. 2005). Umgekehrt schützen unauffällige Entwicklungspfade nicht vor späteren Problemen (Vaillant 2000), ein weiterer Hinweis auf die Nichtlinearität von Entwicklungsverläufen. 4.3.4 Persönlichkeit als lebenslanger Prozess Nachdem sich Entwicklungspsychologie, Sozialisationsforschung und Biowissenschaften (vgl. Baltes et al. 2006; Nelson 2006; Jablonka/Lamb 2005), aber auch die Persönlichkeitspsychologie immer mehr von der Vorstellung verabschieden, dass die wesentlichen Entwicklungsprozesse zu Beginn der zweiten Lebensdekade abgeschlossen sind und Persönlichkeitsentwicklung ein Leben lang in allen Altersphasen stattfindet (vgl. Baltes/Mayer 1999; Geulen 2000; Habermas/Bluck 2000; Hoerning 2000), verwundert es nicht, dass sich das interdisziplinäre Forschungsinteresse verstärkt den Verläufen der Entwicklung von Orientierungen, Handlungskompetenzen und Identitätsvorstellungen im Erwachsenenalter zugewandt hat (vgl. Fuhrer/Trautner 2005). Ansätze zum lebenslangen Lernen gehen davon aus, dass Sozialisationserfahrungen der Kindheit und Jugend ein biografischer Ausgangspunkt sind, der im Lauf des Lebens (beispielsweise
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bei der Bewältigung von Lebensereignissen) immer wieder ergänzt, umgeschrieben und neu bewertet wird (Heinz 2000). Thematische Strukturierung erscheint als „eine für das Individuum sinnvolle und bedeutungsvolle innere Verarbeitung von Erfahrungen“ (Mönks 1975: 113). Noam (1993) macht aus einer entwicklungspsychologischen Sicht Bedeutungskomplexe als „core life themes“ mit dauerhaftem Charakter aus. Kontinuität ergibt sich nach seinem Verständnis aus individuellen Deutungen und Bedeutungen, die sich als roter Faden durchs Leben ziehen. Hier bestehen enge konzeptionelle Ähnlichkeiten zu den Annahmen der Biografieforschung (vgl. Kapitel 2). Der Maßstab liegt jeweils bei der Person selbst. Kontinuitäten als Weiterwirken von „Hypotheken“ aus der Kindheit und Jugendzeit dürfen dabei nicht ausgeblendet werden. Doch die vielfältigen und oft nicht vorhersehbaren Pfade durchs Erwachsenenalter und die Bedeutung neuer Handlungsräume und -opportunitäten sowie Einschränkungen sind ebenfalls zu berücksichtigen. Die Fähigkeit zu lernen, sich weiterzuentwickeln und zu verändern, ist auch nicht für bestimmte Altersstufen reserviert, sondern bleibt das ganze Leben lang erhalten. Hintergrund ist ein dynamisch-interaktionistischer Zusammenhang, „wonach in jedem Lebensalter Persönlichkeit und (soziale) Umwelt prinzipiell in Wechselwirkung stehen“ (Asendorpf 2002: 58) – eine Sichtweise, die zunehmend durch die Ergebnisse der Neurowissenschaften bestätigt wird (vgl. Kapitel 3). Thomae hat ein Konzept entworfen, „das den individuellen Lebenslauf als Bezugsrahmen hat, das den individuellen Werdeprozess im Zusammenhang mit der umgebenden Welt sieht, das Erfahrung und Reifen berücksichtigt und das den psychologischen wie ökologischen Raum als eigentliche Verhaltensdeterminanten mit einbezieht“ (Mönks 1975: 113). Frühe Erfahrungen haben dabei eine Bedeutung, aber es wird bezweifelt, dass frühe Erfahrungen immer und unbedingt von höherer Bedeutung für Entwicklungsprozesse sind als spätere Erfahrungen, auch wenn sich die Plastizität im Lebenslauf in Qualität und Quantität verändert. Das zentrale Ergebnis dieser Befunde liegt vor allem darin, dass sich Entwicklung und Veränderung an jedem Punkt im Lebenslauf (vgl. Baltes 2001), beispielsweise aufgrund von Lebensereignissen wie Geburt, Heirat, Scheidung, Tod von Familienmitgliedern, Krankheiten, ereignen können, ein Ansatz, der im Gegensatz steht zu Vorstellungen vom Wachsen und Reifen in Kindheit und Jugend und erreichter Stabilität im Erwachsenen-
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alter. Schaie (1996: 245) folgert aus der Seattle-Längsschnittstudie, dass es keine generellen Trends altersbezogener Veränderungen der intellektuellen Fähigkeiten gebe, und dass deshalb die Veränderung des Intelligenzquotienten keinen Aufschluss geben könne über individuelle Veränderungen intellektueller Fähigkeiten im Lebenslauf. In jüngerer Zeit formiert sich ein Diskursstrang, der die Nichtabgeschlossenheit von Entwicklungen und die derzeit markant ins Auge fallende Entgrenzung des Erwachsenenalters nicht kulturkritisch als Makel oder Dekadenzphänomen ansieht, sondern auf die möglichen positiven Auswirkungen in einer Gesellschaft im Wandel hinweist (vgl. Lange/Keddi 2009). Charlton (2007) postuliert in seinem Modell der „psychologischen Neotenie“, dass eine „kindliche“ Flexibilität von Ansichten, Verhaltensweisen, Persönlichkeitseigenschaften und Kenntnissen genau das ist, was eine postmoderne, entgrenzte Gesellschaft von ihren Individuen fordert. Zwar benötige auch der postmoderne Mensch Stabilität stiftende Elemente (vgl. Rosa 2005), aber der Trend einer „flexiblen Immaturität“ wird wohl zunehmen. Lebenslanges Lernen ist zum Drehund Angelpunkt eines Menschenbildes geworden, das auf den „permanent unfertigen Menschen“ (Baltes 2001) ausgelegt ist.
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UND
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Persönlichkeit entwickelt und verändert sich nicht nur altersbedingt, individuell und im Zusammenhang mit biografischen Erfahrungen und Deutungen, sondern vor allem auch in sozialen Kontexten, Beziehungen und Interaktionen (vgl. Asendorpf 1986; Barker 1968; Brandstädter 2001; Bronfenbrenner 1999; Caspi 2000; Haller/Müller 2006; Jüttemann/Thomae 2002; Runyan 1997; Schneewind 2005). Die Vorstellungen und Konzepte des Zusammenwirkens von Umwelt und Persönlichkeit reichen von der reinen Umweltdetermination, Modellen der Entfaltung, getragen von förderlichen oder hinderlichen Umwelteinflüssen, und der Kodetermination zu transaktionalen Modellen der wechselseitigen dynamischen Interaktion (vgl. Schneewind 2005). Bei letzteren sind Person und Umwelt in einer untrennbaren und unteilbaren Einheit miteinander verbunden. Deshalb werden in der modernen Umweltpsycho-
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logie gleichzeitig Personen, psychische Prozesse, Umwelten und Veränderungen über die Zeit berücksichtigt (vgl. Lichtenberg et al. 2003). Wesentlicher konzeptueller Bestandteil umweltpsychologischer Forschung ist es, Verhalten in der sozialen und räumlichen Umwelt, in der es stattfindet, zu untersuchen. Umweltpsychologen wie Barker und Wright (1955) wiesen schon früh auf die Bedeutung unterschiedlicher Umwelten hin. Sie arbeiteten je spezifische Person-Umwelt-Konstellationen heraus, sogenannte „behavior settings“. Ähnlich wie die an Prozessen der Persönlichkeit interessierten Psychologen versuchten sie, menschliches Verhalten dort zu beobachten, wo es stattfindet, in den alltäglichen Lebenskontexten, in denen und durch die sich Menschen bewegen. In „One boy‘s day. A specimen record of behavior“ (ebd.) beobachteten sie in einem zeit- und personenaufwändigen Verfahren detailliert den Verhaltensstrom („stream of behavior“) einzelner Kinder ganze Tage hindurch, vom morgendlichen Aufstehen bis zum abendlichen Zu-Bett-Gehen: „The characteristics of the behavior of a child often changed dramatically when he moved from one region to another.“ „The behavior of different children within the same region was often more similar than the behavior of any of them in different regions.“ (Barker 1968: 152) Sie gingen aufgrund der Beobachtungen von einem „festen Muster interdependenter Verhaltens- und Milieukonstellationen“ aus, das „kein Charakteristikum der beteiligten Individuen ist, sondern ein außerindividuelles Phänomen, das erhalten bleibt, wenn die Individuen wechseln“ (ebd.: 18f). Verhalten hänge weniger von personenzentrierten Merkmalen ab, als von den Orten, an denen es stattfindet. Bronfenbrenner (1999) unterscheidet vier Kontextsysteme, die bei der Persönlichkeitsentwicklung ineinandergreifen: die alltäglichen Lebenskontexte, die Lebensspannen umfassenden Kontexte, die kulturellen und historischen Kontexte sowie kritische Lebensereignisse. Plaum (2002) verweist in seiner Kritik an indikatorgestützten Persönlichkeitstheorien in eine ähnliche Richtung. Den „dynamischen Interaktionismus“ nach Lewin, der nicht nur von einer Wechselwirkung zwischen Person und Umwelt ausgeht, sondern von Wechselwirkungen der Person- und Umweltgegebenheiten untereinander, sieht er als wichtige Anregung für eine situationsbezogene Persönlichkeitspsychologie. Der statistisch und varianzanalytisch orientierte Interaktionismus sei ungeeignet, um entsprechende Zusammenhänge aufzudecken.
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Dass sich die Anfänge von Persönlichkeitszügen schon im Mutterleib entwickeln und Kinder bereits mit einem spezifischen Setting auf die Welt kommen, das sie beispielsweise sehr unterschiedlich auf ihre Umgebung reagieren lässt, scheint weitgehend akzeptiert (Murphy 1981: 164ff). Wie sich dieses Setting in Auseinandersetzung mit der Umwelt weiter entwickelt und verändert, ist umstritten. Nach Caspi (2000) akkumulieren sich Temperamentsausprägungen als Teil des genetischen Erbes durch Wiederholungen und entwickeln sich in kognitive Strukturen. Dabei ist zwischen unterschiedlichen Person-Umwelt-Bezügen zu unterscheiden: 1. Reaktiv: Verschiedene Individuen erfahren, interpretieren und reagieren auf dieselbe Umgebung unterschiedlich. 2. Evokativ: Individuelle Persönlichkeiten erfahren unterschiedliche Reaktionen von anderen. 3. Proaktiv: Individuen wählen Umwelten selbst aus oder erschaffen sie. Veränderungen gebe es oft auch durch zufällige Ereignisse oder Chancen, die dann die Unterschiede zwischen Individuen erhöhen. Diese Prozesse seien nicht auf frühe Jahre beschränkt, sondern es gebe auch spätere Wendepunkte, beispielsweise auch Veränderungen im kriminellem oder antisozialen Verhalten. Trotz der potentiellen Veränderungsmöglichkeiten überwiegen nach Caspi jedoch die Kontinuitäten. In frühen Jahren seien Gene und Elternhaus entscheidend. Später wählten Menschen Partner, die ihnen ähnlich sind und ihrem Interaktionsstil entsprechen. Und auch die Erfahrung von Unvorhergesehenem sei abhängig von subjektiven Persönlichkeitszügen. Mit wachsendem Alter nehme die Möglichkeit zu, die eigene Umwelt so zu verändern, dass sie zur eigenen Persönlichkeit passt. Ein intelligentes Kind beispielsweise sei zunehmend in der Lage, sich selbst unabhängig von Elternhaus und Schulunterricht eine intelligenzstimulierende Umwelt herzustellen, indem es den Kontakt mit intelligenten Freunden und Verwandten suche, in Bibliotheken stöbere oder im Internet surfe (vgl. Asendorpf 2002). Diese selbst hergestellte Umwelt entspreche dann zunehmend seiner Intelligenz. Ein Beispiel aus dem sozialen Bereich ist nach Asendorpf (ebd.) die Stabilisierung und Verstärkung politischer Einstellungen und Werte durch Wahl gleichgesinnter Freunde und Lebenspartner. Umweltstabilität wird an Persönlichkeitsstabilität gekoppelt, auf diesem Weg könne auch Kontinuität hergestellt werden. Umwelten und Kontexte wirken, auch dies zeigt sich nicht nur im Alltagswissen von Eltern, sondern auch in vielen Studien, nicht auf alle Individuen in gleicher Weise. Individuen setzen sich aktiv mit den Bedingun-
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gen ihrer soziokulturellen Umwelten auseinander und gestalten „die konkrete Ausformung ihrer Persönlichkeit und deren Entwicklung selbst“ (Schneewind 2005: 40). Sie konstruieren sich und ihre Welt differenziell, weil sie die Welt einzigartig wahrnehmen, interpretieren und in Begriffe fassen, wie Kelly (1955) in seiner kognitionsorientierten Persönlichkeitskonstrukttheorie ausführt. Deshalb sei auch jeder Einzelfall für sich zu untersuchen. Schneewind geht davon aus, dass die Struktur und Kohärenz der unterschiedlichen Kontexte den Rahmen biete für „Ermöglichung – aber auch Beschränkungen – einer mit zunehmenden Alter vermehrt reflexiv ablaufenden Persönlichkeitsentwicklung“ (ebd.: 48). Murphy (1981) zufolge werden diesem Aspekt der Komplexität und Unterschiedlichkeit von Kindern im Umgang mit der Umwelt viele Untersuchungen, beispielsweise zum Einfluss des mütterlichen Verhaltens auf die Persönlichkeitsentwicklung, nicht gerecht. Sie weist aufgrund ihrer Untersuchungen mit Säuglingen zwischen 4 und 32 Wochen darauf hin, dass Kinder schon in diesem Alter auch eigene „Entscheidungen“ zu Veränderung oder Kontinuität treffen und Umwelt individuell gebrochen werde. Dies bestätigt sich auch in verhaltensgenetischen Studien (vgl. Asendorpf 2008). Beispielsweise seien die von Geschwistern geteilten Umwelteinflüsse auf sozial-emotionale Persönlichkeitsmerkmale, die Kinder verschiedener Familien unterschiedlich machen, geringer als die individuellen Umwelteinflüsse, die Kinder in derselben Familie unterschiedlich machen – ein Widerspruch zur Annahme, dass die wesentlichen persönlichkeitsprägenden Umweltbedingungen familientypisch seien, z.B. die soziale Schicht der Familie oder ein Erziehungsstil der Eltern und auf alle Kinder in gleicher oder doch zumindest ähnlicher Weise wirken. Der Einfluss, den z.B. eine Mutter auf eines ihrer Kinder ausübt, ist nicht nur von der Persönlichkeit der Mutter, sondern auch von der Persönlichkeit des Kindes abhängig, so dass dieselbe Mutter einen anderen Einfluss auf ein anderes ihrer Kinder ausüben kann. Asendorpf (ebd.) resümiert, dass Persönlichkeitsunterschiede nach entwicklungsgenetischer Auffassung fast immer sowohl auf genetischen Unterschieden als auch auf Umweltunterschieden beruhen und interaktionistischen Prozessen folgen, wobei der relative Anteil dieser beiden Einflussklassen von Merkmal zu Merkmal, Altersgruppe zu Altersgruppe und Population zu Population schwankt. Der einzelne Mensch sei dabei weder Opfer seiner Gene noch seiner Umwelt.
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Person und Umwelt werden also zunehmend als dynamische biopsychosoziale Entwicklung angesehen (vgl. Schneewind 2005). Einerseits fördert, begrenzt oder unterdrückt die Umwelt individuelles Verhalten, andererseits kann das Verhalten des Individuums zu Veränderungen in der Umwelt führen. Der Prozess der Entstehung und Entwicklung der Persönlichkeit wird entsprechend als „in wechselseitiger Abhängigkeit von der gesellschaftlich vermittelten sozialen und materiellen Umwelt“ konzeptualisiert (Hurrelmann 2002: 11). Persönlichkeit und (soziale) Umwelt stehen in jedem Lebensalter prinzipiell in Wechselwirkung (vgl. Asendorpf 2005). Deshalb könne beispielsweise nicht vorhergesagt werden, wie ein zu Hause schüchternes und gehemmtes Kind sich in einer Kindergartengruppe verhalten wird, denn in neuen Situationen entwickeln sich „neue Verhaltensweisen“, die auch mit der Bewertung in der Gruppe zusammenhängen (vgl. Asendorpf 2004). In ihrer Persönlichkeit konsistente Kinder zeigen häufiger kulturell und sozial erwünschte Eigenschaften als inkonsistente Kinder, bei denen der Anteil sozial unerwünschter Eigenschaften höher liegt (vgl. von Aken/Asendorpf 1999: 302f). Was jeweils erwünscht ist, wechselt zudem altersabhängig. Mit zunehmendem Alter haben Kinder zudem die Möglichkeit, die eigene Umwelt so auszuwählen oder zu verändern, dass sie zu ihrer Persönlichkeit passt und diese verstärkt. Studien über „successful psychopaths“ liefern ein weiteres Beispiel für die Situiertheit von Entwicklungsprozessen (vgl. Kreissl/Steinert 2008). So ließ sich für zeigen, dass bestimmte Persönlichkeitsmerkmale nur unter bestimmten sozialen Bedingungen zu Kriminalität führen, unter anderen Kontextbedingungen jedoch höchst erfolgreiche und sozial anerkannte Akteure hervorbringen.
4.5 „D OING PERSONALITY “ – DIE PSYCHISCHE H ERSTELLUNGSPRAXIS PERSONALER K ONTINUITÄT Differentiellen Entwicklungen und Veränderungen im Lebenslauf, sozialen Zusammenhängen, Situationen und Interaktionen sowie der eigensinnigen Konstruktion von Persönlichkeit kommt, so lässt sich aus den vorgestellten Studien folgern, eine höhere Bedeutung zu, als Persönlichkeitskonzepte
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zunächst vermuten lassen. Ist die Vorstellung von der stabilen Kernpersönlichkeit und von personaler Kontinuität überholt? Persönlichkeits- und Entwicklungspsychologie zeichnen ein uneinheitliches und widersprüchliches Bild. Wenn als Maß für personale Kontinuität ein linearer, durchschnittlicher, universeller und vorhersehbarer Lebensweg mit stabilen Persönlichkeitsfaktoren definiert wird, überwiegen im Lebensverlauf Diskontinuitäten. Wird dagegen berücksichtigt, dass Entwicklung und Veränderung aufgrund von Erfahrungen und Situation sowie Zuschreibungen anderer höchst unterschiedlich verlaufen können, ist personale Kontinuität ein komplexer und mehrdimensionaler, subjektiv höchst unterschiedlicher Prozess und eben nicht von Zeugung, Geburt oder Kindheit an festgeschriebene, sich nur weiterentwickelnde Persönlichkeit. Entwicklungen und Veränderungen von Persönlichkeitsmerkmalen als Beobachterkategorien finden im Kontext von Interaktionen mit unterschiedlichen Personen in unterschiedlichen Entwicklungssettings statt und werden individuell gebrochen. Manche Menschen zeigen zudem in ihrem Verhalten, Denken und Fühlen eine sehr hohe Stabilität, andere eine sehr niedrige; beides macht für ihr Leben „Sinn“. Wie Einzelne „ihre“ Persönlichkeit, „ihre“ personale Kontinuität für sich herstellen, macht für Außenstehende nicht immer Sinn (vgl. Biografieforschung). Die Universalität von Entwicklung ist jedenfalls deutlich zu differenzieren. Essentialistische und entwicklungs-, kontext- und prozessbezogene Herangehensweisen an Persönlichkeit werden häufig als sich ausschließende Alternativen angesehen und gegeneinander ausgespielt. Sie nehmen Unterschiedliches in den Blick: zum einen vor allem Veränderung, Übergang, Wandel und zum anderen das Stabile, Invariante und Konsistente von Persönlichkeit. Dabei lassen sich diese Aspekte weder konzeptuell noch empirisch trennen. Auch die Unterscheidung von Entwicklung und Veränderung scheint eher analytisch, im Lebenslauf sind beide Aspekte miteinander verflochten und schwer voneinander zu trennen. Thomae hat wiederholt darauf verwiesen, dass „fast alles, was Form und geronnene Struktur am menschlichen Charakter ist, einmal Geschehen war, und dass vieles, was jetzt Geschehen ist, einmal Form, Haltung, Bereitschaft, Triebkraft werden kann“ (Thomae 1951, zitiert nach Lehr/Weinert 1975: 9). Für Thomae galt deshalb: „Person ist Prozess“ und „Person ist Struktur“. Beide Perspektiven waren für ihn lediglich zwei Seiten einer Medaille.
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Die hier in Anlehnung an Thomae vorgeschlagene dritte Sicht versucht, diese gegensätzlichen Sichtweisen zu verbinden: Persönlichkeit lässt sich als Prozessgeschehen beständigen alltäglichen und biografischen Tuns verstehen, mit teils gleichen, teils sich weiter entwickelnden sowie veränderten oder ganz neuen Praktiken immer wieder hergestellt. Stabil erscheinende Persönlichkeitsmerkmale sind zu Routinen gewordene personale Praktiken mit hohem Beharrungswert. Bezug nehmend auf das Konzept des „doing gender“ bietet sich deshalb der Begriff des „doing personality“ an.
5. Doing continuity als soziale Praxis
„Alles Handeln geschieht in Kontexten, die für jeden gegebenen einzelnen Akteur viele Elemente einschließen, die dieser Akteur weder generieren half noch irgendwie bedeutsam kontrollieren kann.“ ANTHONY GIDDENS 1988 „Was wir sind, hängt davon ab, was wir tun – was wir tun, liegt aber häufig nicht in unserer Macht.“ JUDITH BUTLER 2009
Die Herstellung personaler Kontinuität hat auch eine soziale Seite. Doing continuity vollzieht sich im Rahmen gesellschaftlicher und kultureller Strukturen sowie sozialer Interaktionen und nicht in einem Vakuum. Die biografischen, neuronalen und psychischen Praktiken des doing continuity, darauf weisen die bisher skizzierten empirischen Ergebnisse hin, sind hochgradig durchsetzt von normativen Elementen, kulturellen Mustern, Leitbildern, kollektiven Projekten und Deutungsmustern und verschränkt mit soziokulturellen Kontexten, gesellschaftlichen Strukturen und sozialen Interaktionen. Die soziale Praxis personaler Kontinuitätsherstellung wird vor allem in sozialwissenschaftlichen, sozialpsychologischen und kulturwissenschaftlichen Konzepten aufgegriffen. Im Folgenden wird sie am Beispiel identitätsbezogener Studien und Konzepte konkretisiert. Sehr viel expliziter als die in den letzten Kapiteln vorgestellten Studien und Konzepte fokussieren sie (psycho)soziale und soziokulturelle Zusammenhänge, die soziale Genese von personaler Kontinuität sowie die Wechselbeziehungen zwischen Subjekt, Gruppe und Gesellschaft (vgl. Keupp et al. 2002). Identitäts- oder Subjektformen „unterstützen“ Menschen dabei, ihre
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Erfahrungen und ihr Leben zu interpretieren, jedoch nicht in beliebiger und jederzeit revidierbaren Weise. Der Begriff der Identität wird trotz seiner facettenreichen Unschärfe, Kaufmann (2004) bezeichnet ihn als „Zuckerwatte-Begriff“, und obwohl er schon seit Jahrzehnten als „Inflationsbegriff Nr. 1“ gilt (Brunner 1987 zitiert nach Keupp et al. 2002: 7), bevorzugt verwendet, wenn es um die soziale Verortung und Entstehung personaler Kontinuität geht. Der Fokus variiert dabei zwischen individualisierungs- und modernsierungstheoretischen (vgl. Beck 1986; Elias 1976; Kaufmann 2004; Keupp et al. 2002; Keupp/Hohl 2006; Kraus 1996), strukturalistischen (vgl. Giddens 1988; vergleiche auch Reckwitz 2008a), systemtheoretischen (vgl. Fuchs 2003; Schimank 2002), wissens- und mikrosoziologischen (vgl. Berger/Luckmann 1980; Soeffner 2004; Wulf et al. 2007) sowie interaktionistischen (vgl. Bauer 1997; Mead 1938) Ansätzen. Es gibt weder eine allgemeingültige Definition noch klare Abgrenzungen zu benachbarten Begriffen wie „Ich“, „Selbst“, „Subjekt“ oder „Individuum“. Der Identitätsbegriff kann auf die einzelne Person, die Dyade oder die Netzwerkbeziehungen bezogen sein. Keupp/Hohl (2006) unterscheiden allein dreizehn sozialwissenschaftliche Ansätze postmoderner Subjekt- bzw. Identitätskonzepte, von der Systemtheorie über feministische Ansätze bis zur Psychoanalyse und Sozialpsychologie. Hinzukommt, dass keine Einigkeit darüber herrscht, ob es unter den aktuellen Bedingungen überhaupt noch so etwas wie eine Identität gibt oder geben kann. Kaufmann (2004: 41) macht bei allen Unterschieden als „schwachen Konsens“ zwischen den vielfältigen Identitätsansätzen aus, dass Identität ein subjektives Konstrukt mit „Identitätsaufhängern“ ist, wie er in Anlehnung an Mead formuliert, die es nicht „verleugnen“ könne (ebd.). Reine Subjektivität sei deshalb eine Idealisierung, Subjektivität sei immer auch welthaltig. „Die gesellschaftliche Stellung, die man innehat, und die damit verbundenen Ressourcen (oder das Fehlen der Ressourcen) bestimmen im Wesentlichen, wie die Identität zum Ausdruck kommt. Man ist nicht auf die gleiche Art man selbst, je nachdem ob man Obdachloser oder Generaldirektor ist.“ (Ebd.: 211) Ein weiterer Aspekt ist die soziale Funktion von Identität. Eine Identität ist nicht nur individuell, sondern auch sozial bedeutsam und notwendig: Ohne personale Kontinuität, verlässliche Selbigkeit und Wiedererkennbarkeit der Beteiligten können Beziehungen, Gruppen oder Gesellschaften
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nicht funktionieren. Becker (1997) betont deshalb die soziokulturelle Bedeutung von Kontinuität und Stabilität. Menschen müssen verlässlich dieselben bleiben, damit andere mit ihnen interagieren und auf sie bezogen handeln können (vgl. Sennett 1998; Welzer 2006). Identität ist insofern mehr eine „soziale Zumutung“ (Fuchs 2003: 90) als der „Eigenschaftskomplex eines Individuums“ (ebd.: 106). Gleichzeitig ist Identität aber nicht nur Reflex der Struktur (vgl. aus systemtheoretischer Perspektive Treptow 2009; aus postmoderner Sicht Giddens 1988; Keupp et al. 2002; Kraus 1996; Wohlrab-Sahr 2002; aus wissenssoziologisch-hermeneutischer Sicht Soeffner 2004). Es wird immer wieder darauf hingewiesen, dass, wenn unidirektional von der Wirkung sozialer Beziehungen ausgegangen wird, die Gefahr einer mechanistischen Wirkungsrichtung bestehe. Vor allem Studien, die sich an wissenssoziologischen Konzepten und dem Symbolischen Interaktionismus (vgl. Berger/Luckmann 1980; Mead 1938), aber auch systemtheoretischen Identitätskonzepten (vgl. Fuchs 2003; Schimank 2002) und interaktionistischen Ansätzen (vgl. Mead 1938) orientieren, betonen in diesem Zusammenhang die wichtige Rolle von Bedeutung und Sinn, die den eigenen Handlungen und den Handlungen anderer zugesprochen werden. Identität vermittelt insofern als Scharnier der inneren und äußeren Welt zwischen dem unverwechselbaren Individuellen und dem sozial Akzeptablen, ist also ein wechselseitiger Kompromiss, eine Beziehung und ein Spannungsverhältnis zwischen Eigenem und Anpassung (vgl. Keupp et al. 2002). Im Folgenden werden Befunde aus den Sozial- und Kulturwissenschaften zur Herstellung personaler Kontinuität vorgestellt. Es wird eingegangen • • •
auf die Situierung der Herstellung von Identität in unterschiedlichen Epochen und Kulturen auf Identität und Sozialstruktur auf Praxis und Praktiken von Identitätsarbeit
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5.1 Z EIT
UND K ULTUR : DIE VON I DENTITÄT
S ITUIERUNG
Historische, ethnologische, subkulturelle und nichtwestliche Analysen verweisen auf „die universelle Notwendigkeit zur individuellen Identitätskonstruktion“ (Keupp et al. 2002). Sie ermögliche dem anthropologisch als Mängelwesen bestimmbaren Subjekt Mensch Selbstverortung und individuelle Sinnbestimmung und eröffnet individuellen Bedürfnissen sozial akzeptable Formen der Befriedigung. Gleichzeitig kommt dem Referenzrahmen personeller Identitätskonstruktionen und -prozesse ein hoher Stellenwert zu. Identitätskonzepte verallgemeinern in der Regel (Fuchs 2003: 5), auch wenn sie sich auf spezifische historische, kulturelle und soziale Konstellationen beziehen. Identität ist jedoch immer situiert. Sei es das moderne „autonome männliche Subjekt, das kognitive Kontrolle über seine innere und die äußere Natur ausübt“ (Keupp et al. 2002: 13), das postmoderne Subjekt zwischen Illusion, Substanz und Transzendenz (Kaufmann 2004: 18) oder das für westliche Gesellschaften typische Subjekt mit der zentralen Bedeutung der Autonomie für eine gelungene Identität (vgl. Greverus 1978; Neider 2008), immer handelt es sich um Identitätsformen in spezifischen Konstellationen. Kultur- und sozialwissenschaftliche Ansätze sowie lebens- und alltagsweltbezogene Konzepte (vgl. Soeffner 2004) rekonstruieren den zentralen Stellenwert dieser Situierung, den Referenzrahmen, auf den sich Menschen in ihrem Handeln beziehen. Innerhalb dieses Rahmens geschehen Organisierung, Deutung und Ergänzung von Wahrnehmungen und Erfahrungen sowie die Herstellung von Identität. Bateson und Goffman interpretieren diesen Rahmen als Sinngrenze, aus der sich „differentielle Bedeutungen, Erwartungen, Zurechnungen, Konsequenzen usw. ergeben“ (Willems/Hahn 1999: 12). Jede Gesellschaft, jede Zeit, jede Kultur und jedes Milieu (er)schafft spezifische Lebensmodelle und sozial angemessene Identitätsformen (vgl. Greverus 1978; Hall/du Gay 1996; Hermann/ Röttger-Rössler 2003; Kühnen/Hannover 2003). Moebius und Schroer (2010) sprechen von „Sozialfiguren“, die als „zeitgebundene historische Gestalten“ (ebd.: 8) einen spezifischen Blick auf die Gegenwartsgesellschaft ermöglichen. „Die Identitätsform der Gesellschaftsmitglieder muss in einem Entsprechungsverhältnis zur Gesellschaftsform“ und historischgesellschaftlichen Dynamiken stehen (Schimank 2002: 66), so die zentrale
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Auffassung in Sozial- und Kulturwissenschaften. Nicht nur Situation und Kontext, sondern auch Kultur und historische Zeit beeinflussen die Herstellung von Identität (vgl. Hall/du Gay 1996; Hermann/Röttger-Rössler 2003) sowie die von der Gesellschaft für wünschenswert gehaltenen Endzustände und Lenkungsprinzipien. Dies wird besonders in Analysen zum sozialen Wandel in der Moderne und Postmoderne betont. Riesman (1956: 25) verwies beispielsweise auf den außengelenkten Menschen als typische Identität der westlichen Moderne: „Die in der Phase der ‚beginnenden Bevölkerungsschrumpfung‘ befindliche Gesellschaft [...] formt in ihren typischen Vertretern eine Verhaltenskonformität, die durch die Tendenz, für die Erwartungen und Wünsche anderer empfänglich zu sein, gesichert wird. Diese Menschen werde ich mit ‚außen-geleitet‘ bezeichnen, die Gesellschaft, in der sie leben, beruht auf ‚Außen-Lenkung‘.“ Elias (1976) hat in seiner klassischen Abhandlung zum Zivilisationsprozess einen Zusammenhang zwischen der zunehmenden Arbeitsteilung und Ausdifferenzierung sowie dem Umbau der Sozialstruktur und Veränderungen der personalen Verhaltensdispositionen gefunden. Er identifizierte den „homo clausus“, der in seinem Inneren von der Außenwelt abgeschnitten ist, als typische ich-orientierte Identität westlicher Zivilisationen. Auch Analysen und Studien zu postmodernen Identitätsformen verweisen auf die Zusammenhänge zwischen Sozialstruktur und Identitätsform. Poststrukturalistische Ansätze betonen besonders die Verzeitlichung und Historisierung von Strukturen im Gegensatz zum klassischen Strukturalismus, der „Strukturen entzeitlicht und universalisiert“ (Moebius/Reckwitz 2008: 16f). Kulturelle Strukturen werden als von vornherein temporalisiert gesehen, sie existieren nicht außerhalb ihrer Produktion und performativen Hervorbringung, und enthalten immer schon ein Moment der Neuproduktion. Der poststrukturalistische Blick richtet sich auf die Materialisierung von Kultur und ihre Einschreibung in Körper und Psyche, Artefakte und Objekte, mit denen kulturelle Praktiken verwoben sind. „Kennzeichnend ist hier der Versuch, über das mechanistische Weltbild hinauszugehen, welches sich zu Beginn der Moderne ausbildet und das mit den fundamentalen Prinzipien der Erklärbarkeit und Vorhersagbarkeit, des Determinismus und des Realismus hantiert, und statt dessen den Fokus auf die Instabilität, Nichtdeterminierbarkeit und Unterbestimmtheit organischer (wie auch psychischer und sozialer) Prozesse, daneben auf deren Beobachtungsabhängigkeit zu richten. Generell
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tritt hier das Modell des Organismus an die Stelle des Modells der mechanischen Maschine.“ (Ebd.: 19)
Zu jeder Zeit gibt und gab es eine oder mehrere sozial „angemessene“ Identitätsformen. Weder die kulturellen Codes und Sinnsysteme noch die Praktiken, mit denen solche symbolischen Ordnungen ausgedrückt, realisiert oder (re-)produziert werden, weisen eine überzeitliche Dauer oder universell gültige Merkmale auf. Sie sind vielmehr kontingent. Welche Identitäts- und Subjektformen in vormodernen Gesellschaften, in parallel bestehenden, differenten Kulturen und Subkulturen, in der Reflexiven oder Post-Moderne sowie in nichtwestlichen Gesellschaften bestehen und wie sie in unterschiedlichen Gesellschaften und Kulturen hergestellt werden, wird im Folgenden skizziert. Auf ein Problem sei gleich zu Beginn hingewiesen: In vielen Analysen werden identitätsbezogene Gesellschaftsbilder und -vorstellungen reproduziert und nicht die Praxis. Greverus (1978) betont deshalb die hohe Bedeutung von Studien auf Mikroebene für diese Zusammenhänge, z.B. ethnografisch-kulturwissenschaftliche Studien zur Alltagswelt von bestimmten Berufsgruppen wie Fischern, Bauern, Hirten oder Bergleuten, zu Milieus (beispielsweise die kleinbürgerliche Familie im 18. Jahrhundert, Müller zitiert nach Greverus 1978: 111), Gemeindestudien, Studien bei schriftlosen Kulturen (z.B. Malinowskis Trobriand-Insulaner) oder subkulturelle Studien. Auch in sozialwissenschaftlich-praxeologischen Studien werden zunehmend Untersuchungen auf Mikroebene durchgeführt, beispielsweise zu Routinen und Ritualen im Alltag und bei Übergängen (vgl. Wulf/Zirfas 2004; für den familialen Bereich Audehm 2007; Fiese 2002; Fiese et al. 2002; Paugh 2005). 5.1.1 Vormoderne Identitäts- und Subjektformen Es wird häufig davon ausgegangen, dass es eine Identität im modernen und postmodernen Sinn erst seit der Neuzeit gibt. Die modernen Sozialwissenschaften neigen nämlich dazu, „eine Besonderheit im Charakter der Zeit, in der sie selbst entstanden sind, zu postulieren“ (Wagner 2006: 167). Identität ist jedoch kein „Kind“ der Moderne oder Postmoderne sowie westlicher Gesellschaften, auch wenn viele dies glauben. Im historischen Vergleich wird deutlich, dass das, was bei modernen und postmodernen
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Identitätskonstruktionen als neu im erscheint, so neu nicht ist. Zudem sind epochenspezifische Grenzen häufig willkürlich. Die Vorstellung einer Person, die ein Bewusstsein von sich selbst hat und zum Handeln im Einklang mit diesem Bewusstsein fähig ist, war auch in vormodernen Gesellschaften vorhanden. Lévy-Strauss (1977) konnte belegen, dass auch in traditionalen Gesellschaften Identitäten vorhanden waren. Im Buddhismus findet sich die Vorstellung vom erzählenden Ich. „Nach der Lehre der Anattavada ist das Ich nichts weiter als die Gesamtheit der Gedanken, Gefühle, Wahrnehmungen und Handlungen eines Menschen. Es gibt keinen Kern, kein Ego“ (Broks 2006: 57). Pico della Mirandola konstatierte 1484 Ähnliches (nach Brandstädter 2001: 15f), dass nämlich der Mensch ein „Geschöpf von unbestimmter Gestalt“ sei, das sich selbst als „schöpferischer Bildhauer“ gestalten und „in die Eigenart jeder Kreatur“ ausformen kann. Und auch der Philosoph David Hume vertrat die Auffassung, dass das Ich eine Fiktion ist. Das Charakteristikum der „aktiven Gestaltung“ und des nach Vollendung strebenden Menschen findet sich sowohl bei Aristoteles als im Entwicklungsideal der Renaissance bei Dante, Goethe und Leonard (Brandstädter 2001). Auch in den sogenannten vormodernen Zeiten sind immer wieder neue Ideale der Person entstanden, beispielsweise im Ägypten des Mittleren Königreichs. Und das Bestehen einer bruchlosen, einheitlichen Identität wurde bereits in früheren Zeiten und Kulturen und nicht erst in der Moderne und vor allem Postmoderne angezweifelt. Montaigne (1588) drückte in seinen Essais schon eine „moderne“ Vorstellung von der Zerissenheit des Menschen aus. Personale Inkohärenz war in traditionalen Gesellschaften nicht nicht vorhanden, aber sie könnte anders als heute ein geringeres Problem dargestellt haben, weil es einen umfassenden und stabilen gesellschaftlichen Rahmen für jeden Einzelnen gab (vgl. Kraus 1996), der zur personalen Kontinuität beitrug. Je weniger Kontinuität eine Gesellschaft kennzeichnet, umso aufwendiger, so die Argumentation, wird die individuelle Kontinuitätssicherung. Doch andererseits: Auch früher war menschliche Existenz brüchig (Beck/Bonß 2001: 149), sei es durch Kriege oder Seuchen, wie es sich beispielsweise in der barocken Identität spiegelte, sei es durch hohe Sterberaten und eine wesentlich geringere Lebenserwartung als in heutigen Zeiten.
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5.1.2 Identität(en) in der Reflexiven Moderne „Die Menschen sind zur Individualisierung verdammt!“ JEAN PAUL SARTRE 1993 „Die durchschnittliche Exotik des Alltags äußert sich am deutlichsten in der Provinz. Niederbayrische Marktflecken, Dörfer in der Eifel, Kleinstädte in Holstein bevölkern sich mit Figuren, von denen noch vor dreißig Jahren niemand sich etwas träumen ließ. Also golfspielende Metzger, aus Thailand importierte Ehefrauen, VMänner mit Schrebergärten, türkische Mullahs, Apothekerinnen in Nicaragua-Komitees, mercedesfahrende Landstreicher, Autonome mit Bio-Gärten, waffensammelnde Finanzbeamte, pfauenzüchtende Kleinbauern, militante Lesbierinnen, tamilische Eisverkäufer, Altphilologen im Warentermingeschäft, Söldner auf Heimaturlaub, extremistische Tierschützer, Kokaindealer mit Bräunungsstudios, Dominas mit Kunden aus dem höheren Management, Computer-Freaks, die zwischen kalifornischen Datenbanken und hessischen Naturschutzparks pendeln, Schreiner, die goldene Türen nach Saudi-Arabien liefern, Kunstfälscher, Karl-May-Forscher, Bodyguards, Jazz-Experten, Sterbehelfer und Porno-Produzenten. An die Stelle der Eigenbrötler und der Dorfidioten, der Käuze und der Sonderlinge ist der durchschnittliche Abweichler getreten, der unter Millionen seinesgleichen gar nicht mehr auffällt.“ HANS MAGNUS ENZENSBERGER 1988
Wer heute von Identität spricht, bezieht sich in der Regel auf postmoderne Identitätskonstruktionen, die gegenüber den Identitäts- und Subjektformen der Moderne und Vormoderne abgegrenzt werden. Reckwitz (2006) identifiziert drei historisch dominante Modernitätskulturen, die differente, miteinander konfligierende Subjektordnungen produzierten: Die bürgerliche Moderne des Subjekts des 18. und 19. Jahrhunderts versuchte, die Form des moralisch-souveränen, respektablen Subjekts verbindlich zu machen. Die organisierte Moderne der 1920er bis 1970er Jahre produzierte als Norm(alform) das extrovertierte Angestelltensubjekt. Die Postmoderne von den 1980er Jahren bis zur Gegenwart entwickelte das Modell einer kreativ-konsumtorischen Subjektivität. Bauer (1997: 11) geht ebenfalls von einer Entwicklungsreihe von Subjektkulturen aus, die vom „Charakter“ über die „Persönlichkeit“ zum „Selbst“ verlief und zwar nicht linear, sondern diskontinuierlich entlang einer Differenzmarkierung. Brüche in der Herausbildung von Identitäten und die Kontinuität neuzeitlichen Denkens seien verbunden mit einer neuen Qualität von Identität. Vor allem In-
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dividualisierung und Pluralisierung von Subjektgrenzen seien zur umfassenden Herausforderung geworden (vgl. Treptow 2009). Auch wenn Menschen in allen Arten von Gesellschaften und zu allen Zeiten über Individualität als psychisches Selbststeuerungszentrum verfügten, hätten sich die Schnittmuster diesen Analysen zufolge zum gegenwärtigen Zeitpunkt verändert. Menschen hätten zwar schon immer ihr Leben selbst mit gesteuert. Auch in traditionellen Gesellschaften lebten sie nicht in einer perfekt abgestimmten Welt und überließen ihr Leben nicht einfach äußeren Kräften (vgl. Schimank 2002). In modernen und postmodernen Gesellschaften sei jedoch die biografische Selbststeuerung aufgrund der funktionalen Differenzierung und der Komplexität biografischer Entscheidungssituationen in zugespitzter Weise notwendig. Entnormierung und Entgrenzung – flexible Identitäten Die Postmoderne oder auch „Reflexive Moderne“ (Beck/Bonß 2001) fungiert als zentraler, gleichzeitig aber auch verschwommener Deutungs- und Interpretationsrahmen. Seit den 1990er Jahren lässt sich eine Zunahme von Ansätzen beobachten, die aktuelle Modernisierungsprozesse empirisch und theoretisch zu rekonstruieren versuchen. Betont wird auch in postmodernen Ansätzen der Zusammenhang mit sozialem Wandel und soziokulturellen Entwicklungen, die als prägend für die aktuellen Formen von Identitätskonstruktionen angesehen werden. Die Anforderungen an die Einzelnen hätten sich in den letzten Jahrzehnten massiv und tiefgreifend verändert. Sie hätten sich nicht nur vervielfältigt und ungleichzeitig ausdifferenziert, wie es typisch war für die Moderne, sondern seien unüberschaubar geworden. Vor allem die Integration von Multioptionalität und Flexibilisierung als individueller Konstruktionsleistung in den Rahmen einer dennoch routinisierte Formate und Muster benötigenden persönlichen Lebensführung sowie die erfolgreiche Bewährung auf den verschiedenen Bühnen des postmodernen Kreativsubjekts erforderten die permanente Arbeit an einem nur mehr situativ stabilisierten Patchwork (vgl. Renn/Straub 2002). Damit haben sich auch Grenzen und Brüche vervielfältigt und Subjektgrenzen pluralisiert (vgl. Beck/Bonß 2001). Die Auflösung biografischer Vorgaben und Lebenslauf-Modelle verlange vom Individuum, das eigene Leben projektförmig zu organisieren und so Statuspassagen, Übergänge und Brüche zu bewältigen. Der und die Einzelne müssten ihr Leben und die Herstellung von Identität zudem reflexiv bewältigen, nach Schimank
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(2002) vor allem mit einem reflexiven Subjektivismus: ich zweifle an mir, also bin ich. Identität ist damit nicht Ergebnis, sondern Prozess einer zeitlich, sachlich und sozial generalisierten Problematisierung jeglicher biografisch unvermeidlicher Selbstfestlegung oder mit Nietzsche: „Der Erkennende vermeidet die Selbsterkenntnis und lässt seine Wurzeln in der Erde stecken“ (zitiert nach ebd.: 79). Reflexiv signalisiert gerade nicht ein „increase of mastery and consciousness, but a heightened awareness that mastery is impossible.“ (Latour 2000) Immer steht in diesen Analysen das Individuum, das sich durch Bezüge zu sich selbst definiert und definieren muss, im Vordergrund. Es ist angesichts hoher gesellschaftlicher Komplexitäten, Dynamiken, Ungewissheiten und Diskontinuitäten vom Herrscher, als der es in der Moderne agierte, zum Autor seiner selbst und seiner Biografie geworden. Individualität bedeutet nicht mehr nur, man selbst zu sein und zu werden, sondern vor allem als man selbst zu handeln (vgl. Ehrenberg 2004). Das autonome und emanzipierte Subjekt der Moderne, das zur ganzen Persönlichkeit heranreift, hat damit ausgedient. „Wenn das moderne ‚Problem der Identität‘ darin bestand, eine Identität zu konstruieren und sie fest und stabil zu halten, dann besteht das postmoderne ‚Problem der Identität‘ hauptsächlich darin, die Festlegung zu vermeiden und Optionen offen zu halten. Im Falle der Identität lautete (wie sonst auch) das Schlagwort der Moderne Schöpfung; das Schlagwort der Postmoderne lautet Wiederaufbereitung.“ (Baumann 1997: 133)
Lebenslanges Lernen ist zum Dreh- und Angelpunkt des aktuellen Menschenbildes geworden, das auf den „permanent unfertigen Menschen“ (Baltes 2001) ausgelegt ist. Beck (1986) wies schon früh auf die veränderten Bedingungen in der Reflexiven Moderne hin, die er als Wandlungsprozess zur Risikogesellschaft wertete. Während Menschen in der westlichen Welt bis in die 1960er Jahre hinein biografische und soziale Anforderungen in der Regel mit Familie, Verwandtschaft oder durch Arbeitsverhältnisse handhabbar machen konnten, wurden sie aus diesen Sicherheiten gesellschaftlicher Kontinuität und Berechenbarkeit der sogenannten Moderne im Gefolge von Differenzierung, Individualisierung, Biografisierung und Kontingenzsteigerung zunehmend heraus- und freigesetzt, ohne dass sich damit alle
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Grenzen und Barrieren unterschiedslos auflösten (ebd.). In diesem Zusammenhang spielen Entnormierungs- und Entgrenzungsprozesse, die biografischen Konsequenzen der Auflösung und Aufweichung sozialer Kategorien und Lebensverläufe sowie auf das Nebeneinander und die Überschneidungen von unterschiedlichen kulturellen Orientierungsmustern und Ungewissheiten (vgl. Beck/Bonß 2001) eine wichtige Rolle. Beck spricht aufgrund der Widersprüchlichkeit dieser Entwicklungen von „riskanten Chancen“. Die Bedeutung sozialintegrativer Lebensformen schwinde und es entstehe eine „neue Unmittelbarkeit von Individuum und Gesellschaft“ (ebd.: 119). Was früher nur wenigen und zumeist auch Privilegierten geboten und gleichermaßen zugemutet wurde, nämlich ein Leben zu führen, ohne dass allgemeingültige Muster bestanden, betreffe zunehmend mehr Menschen. Diese Risiken liegen nach Beck quer zu schicht- und klassenspezifischen Mustern von Lebensbedingungen. In Folge käme es zu einer verstärkten Individualisierung von Lebenslagen. An diesem Prozess hätten alle gesellschaftlichen Gruppen teil, nicht nur privilegierte Gruppen und Eliten, wenn auch in unterschiedlicher Weise. Die Losung der Moderne, wonach Fortschritt durch die Erhöhung von Sicherheit stabilisiert wird, wird in der Reflexiven Moderne in Frage gestellt (vgl. Böhme 2006). Individuen sind diesen Prozessen aber nicht nur ausgeliefert. Sie handeln zwischen „Lust“ und „Last“ und auch mit „List“, wie Schroer (2001) in seiner Analyse von Individualisierungstheorien und -prozessen zeigt, und nehmen auch unter komplexen und oft undurchschaubaren Bedingungen eine aktive Rolle ein. Als bedeutsame Strukturgeber im Leben des postmodernen Kreativsubjekts werden unter anderem die Flexibilisierungs-, Entgrenzungs- und Globalisierungsprozesse des Arbeitens und Lebens aufgeführt, die allerdings nicht alle Personen überall auf der Welt gleichermaßen erfasst (vgl. Blossfeld et al. 2007). Beispielhaft seien die von Szydlik (2007) für die Arbeitswelt herausgearbeiteten Flexibilisierungsstränge aufgeführt (vgl. auch Lange/Keddi 2009): •
Flexible Technologien: Die fordistische Massenproduktion beruhte auf Standardisierung. Gegenüber immer schnelleren Produktwechseln und mit größeren Produktpaletten, reagiert die standardisierte fordistische Massenproduktion zu langsam und schwerfällig. Unerlässlich ist die Produktion mit flexiblen Technologien, so dass beispielsweise bei
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einem Produktwechsel die einzelnen Maschinen einschließlich der gesamten Fertigungsstraße rasch neu eingerichtet werden können. Flexible Beziehungen zwischen Kernfirma und Zulieferern: In der fordistischen Fabrik wurde relativ viel unter demselben Dach hergestellt. Diese Produktionsweise benötigte große Lager mit entsprechend hohen Lagerkosten. Flexibilisierung bedeutet vor dieser Folie, dass immer mehr Aufgaben an Zulieferfirmen weitergegeben werden, die oftmals selbst wieder Zulieferfirmen beauftragen (,Outsourcing‘). Dabei handelt es sich nicht um einen fixen Stamm an Zulieferern, sondern es erfolgen immer wieder Neuaushandlungen und Firmenwechsel. Die Zulieferung erfolgt ,just-in-time‘, so dass auch die hohen Lagerkosten minimiert werden. Flexible Arbeit: Die typische Arbeitskraft in der fordistischen Fabrik führt(e) wenige, sehr einfache Handgriffe aus. Die Anforderungen haben sich mittlerweile dramatisch erhöht. In der flexiblen Fabrik müssen auch die Fließbandarbeitskräfte qualifiziert sein. Fehler werden an Ort und Stelle erkannt, angegangen und behoben, und nicht erst am Ende des Produktionsprozesses. Neue Arbeitsformen, die auch im Dienstleistungs- und Verwaltungssektor Eingang gefunden haben, verlagern einen großen Teil der Verantwortung nach unten. Dies erfordert besondere Kenntnisse und Fähigkeiten der beteiligten Arbeitskräfte, um sie entsprechend flexibel einsetzen zu können. Flexibilität existiert aber auch im Hinblick auf die Arbeitszeiten („Atmende Fabrik“, flexible Einsatzpläne im Dienstleistungsbereich), auf die Arbeitsorte und auf die Arbeitseinkommen.
Individualisierte und Teilidentitäten Auch wenn Menschen immer schon als Individuen gehandelt haben, hat die „Verindividualisierung des Lebenslaufs“ dazu geführt, dass in höherem Umfang als früher die individuelle Notwendigkeit und gleichzeitig normative Erwartung besteht, flexible und individualisierte Identitäten zu entwickeln (Habermas/Bluck 2000: 753). Menschen stellen sich selbst weniger als Mitglied einer Gesellschaft oder als Rollenträger dar, sondern als Individuen, die sich von anderen abheben (vgl. Fuchs-Heinritz 1998: 17f). Auch Geschlechtlichkeit und Sexualität gelten mittlerweile als biografisiert, d.h. im Lebensverlauf kann und wird in diesen Bereichen Vielfältiges gelebt und zu Eigen gemacht. Und auch was subjektiv relevante
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Übergänge für den Einzelnen sind, ist nicht prognostizierbar und individuell sehr unterschiedlich. Für die biografische Erfahrungsaufschichtung bedeutet dies, „dass es einen für jede Lebenssituation und für jedes Lebensalter hinreichend sozialisierten Menschen zu irgendeinem Zeitpunkt im Lebenslauf nicht geben kann, es sei denn, es gäbe eine Gesellschaft, in der alles voraussehbar wäre“ (Heinz 2000: 169). Dagegen war es in früheren Gesellschaften nicht unbedingt notwendig, teilweise sogar dysfunktional, sich einer eigenen und einzigartigen Biografie bewusst zu sein und sie gleichzeitig selbst zu schaffen. In Abgrenzung zu älteren Sozialisationstheorien, die von verinnerlichten Normen für Handeln ausgehen, geht es nicht mehr nur um die „Abarbeitung gesellschaftlich normierter Lebensereignisse und die Übernahme alters- und geschlechtsentsprechender Rollenerwartungen zur richtigen Zeit, sondern zunehmend um die biografisch stimmige Abfolge und Kombination auch neuartiger Rollenkonfigurationen“ (ebd.: 167). Die Chancen für die Gestaltung des Lebenslaufs hätten sich erweitert, seien aber ungleich vergeben. So entstünden „Konturen neuer Lebenslaufmuster“ (ebd.). Kohli (1976) geht von einer „De-Institutionalisierung“ des Lebenslaufs aus, die die subjektive Konstruktion der Biografie wichtiger mache gegenüber gesellschaftlich definierten Phasen des Lebenslaufs. Aus der tief greifenden Multioptionalität, Entgrenzung und Hybridisierung von Kultur und Sozialität auf der Ebene des Individuums ergeben sich Lebensläufe, die selbst gestaltet werden müssen und Chancen der Selbstverwirklichung eröffnen, aber auch die Risiken von Diskontinuität und Unsicherheit erhöhen. Kollektiv vorgegebene Muster verlieren an Bedeutung, es entstehen neue Muster und neue Asymmetrien. Gleichzeitig bestehen alte Grenzen und -asymmetrien fort. Denn auch wenn die individuellen Spielräume zur Gestaltung der eigenen Biografie gestiegen sind und eine große Bandbreite aufweisen, handeln und leben Menschen nicht in einem Vakuum, sondern sind in kulturelle und soziale Kontexte eingebunden, die sie als AkteurInnen in Interaktion gestalten, reproduzieren und verändern. Der Prozess der Verindividualisierung vollzieht sich im Rahmen gesellschaftlicher Strukturen. Identität ist zur Kombination und Folge nicht immer abgeschlossener, vielfältiger und oft auch widersprüchlicher Projekte geworden, für deren Arrangement im Vergleich zu früheren Zeiten keine allgemeingültigen Schnittmuster mehr bestehen, an denen Gelingen oder Scheitern festgemacht werden können (vgl. Keddi 2006b). Hier ist ebenso auf die Bedeut-
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samkeit kultureller Muster und kollektiver Projekte für die Überformung der biografischen Konstruktionen der Subjekte hinzuweisen wie auf die Bedeutung von sozialen Rahmenbedingungen, die Chancen und Gelegenheiten eröffnen können. Je nach Kontext wirken diese als Ressourcen oder Barrieren, ermöglichen, erschweren oder verhindern ein bestimmtes Lebensmuster ebenso wie die Umsetzung von Projekten. Die notwendigen Kompetenzen zur Biografiegestaltung verweisen gleichzeitig auf die Strukturierung von biografischen Entwicklungschancen im Lebensverlauf durch gesellschaftliche Ungleichheit (vgl. beispielsweise den Zusammenhang von Armut und Schulkarriere). Entsprechend reicht ein Entwurf nicht mehr aus, um die eigene Zukunft zu planen, und die Vorstellung von Identität als fortschreitender und abschließbarer Kapitalbildung wird zunehmend abgelöst. Lebensentwürfe verändern sich im biografischen Verlauf, lösen sich ab, laufen teils parallel nebeneinander oder sind situativ zersplittert. Typisch sind biografische Projekte, Fragmente und Versatzstücke, „Konvois“ (Kraus 1996) und weniger Lebensschiffe, die auf einem Kurs laufen. In verschiedenen Zusammenhängen und Lebensphasen stoßen Menschen – bewusst oder unbewusst – unterschiedliche, sich teils ergänzende, teils auch ausschließende große und kleine Projekte an wie Liebe, Partnerschaft, Beruf, Karriere, Kinder, Familie, Hausbau, Freizeit oder Selbstentwicklung, realisieren sie oder lassen sie teils auch wieder fallen. Kraus (ebd.: 239) verweist auf die Serie „Lindenstraße“, deren Grundzüge zwar zunächst gesetzt waren, sich jedoch kurzfristig immer wieder veränderten. Festgelegt war nur, dass es in irgendeiner Form um Liebe, Kinder, Krankheit gehen würde, aber nicht wann und wie diese Projekte umgesetzt würden. Auch in der Entdeckung der multiplen Persönlichkeit zeige sich, dass eine geschlossene Identität ein Zustandsartefakt sei (ebd.: 65). Ein weiterer Unterschied gegenüber vormodernen Gesellschaften wird darin gesehen, dass es in der funktional differenzierten Gesellschaft keine Eins-zu-Eins-Zuordnung einer bestimmten Person zu einem bestimmten Teilsystem gibt. Die funktional differenzierte moderne Gesellschaft sei dadurch gekennzeichnet, dass der Mensch in keinem Teilsystem mehr als Ganzer gefragt ist und angesprochen wird. Er müsse als nicht eindeutig nur einem einzigen Teilsystem zugeordneter Akteur die Polykontexturalität der modernen Gesellschaft aushalten. Die Einzelperson kann nicht mehr einem
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Teilsystem angehören, denn sie kann nicht in einem der Funktionssysteme allein leben (Luhmann 1984). Im Anschluss an Dilthey und Luhmann verweisen Willems und Hahn (1999: 10) darauf, dass solche Systemgrenzen immer auch Bedeutungsgrenzen sind. Verstehen hat deshalb fundamentale Relevanz. Dieselbe Handlung kann verschiedenen Kultursystemen angehören. Handlungen haben dann mehrfache Bedeutung je nach Subsystem, sind nicht unbedingt mit sich selbst identisch, sondern durch die Folgen in den unterschiedlichen Systemen je etwas anderes. Personen gehören nicht mehr nur zu einem System; Entfremdung entsteht nicht durch Angehörigkeit einer Gruppe, sondern durch eine Konstellation von Bedeutungen und Erfahrungen, die spezifisch für das Individuum sind. Das Individuum wird bei Simmel zum Kreuzungspunkt von sozialen Kreisen, bei Dilthey von kulturellen Sinnsystemen. Damit wird personale Ganzheit in Frage gestellt, eine Überlegung, die auch postmoderne Ansätze häufig aufgreifen. Gebrochene Identitäten Postmoderne Identitätskonzepte verwerfen häufig die Vorstellung von der prinzipiellen Möglichkeit einer gesicherten Identität und einem Subjekt, das zur ganzen Persönlichkeit heranreifen kann (vgl. Giddens 1988). Stattdessen nehmen sie soziale und kulturelle Zusammenhänge sowie gesellschaftliche Trends in den Blick und thematisieren Ungleichzeitigkeiten, Widersprüche, Brüche und Fragmente, das Nie abgeschlossene von Identität. In einer immer komplexer werdenden Welt sei es nahezu unmöglich, die eigenen Erfahrungen zu einer glatten und konsistenten Identität und Lebensgeschichte zusammenzufügen. Von einem solchen Verständnis von Identität und Identitätsentwicklung wird deshalb in der sogenannten Zweiten, Post-, Spät- oder Reflexiven Moderne immer mehr Abstand genommen. Konsistenz sei nicht nur unerfüllbar, sondern unnötig geworden, denn sie sichere nicht mehr die Identität. Früher bewährte und erprobte Identitätsmuster scheitern zu häufig. Identität als „Akt sozialer Konstruktion“ (Keupp et al. 2002) wird so besonders sichtbar. Menschen stellen sich selbst zunehmend weniger als Mitglied einer Gesellschaft oder als Rollenträger dar, sondern als Individuen, die sich von anderen abheben (vgl. Fuchs-Heinritz 1998: 17f.). Identität wird damit nicht mehr als Entstehung des inneren Kerns eines rational handelnden und wissenden Akteurs thematisiert, der entsprechend der Rational Choice-
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Theorien strategisch Kontinuität herstellt, sondern als fragmentiert, brüchig, unabgeschlossen und nie ganz, als Prozessgeschehen beständiger „alltäglicher Identitätsarbeit“ (Keupp et al. 2002). Wenn Stabilität und Konsistenz nicht nur unerfüllbar, sondern auch unnötig geworden ist, muss eine darauf angelegte Identität scheitern. Identität wird von der „zeitresistenten“ Konstruktion Eriksons zur „situativen Identität“ (Rosa 2005). Sie besteht nach Schimank (2002) allerdings auch dann, wenn äußere Kräfte (Arbeitsmarkt, Partner, Viren, Überschwemmung) das Leben und die Identität in Stücke zu reißen drohen, mit allerdings deutlich gesteigerter Identitätsgefährdung (mehr Selbstbestimmungsambitionen und Entscheidungskomplexität). 5.1.3 Personale Kontinuität in der Reflexiven Moderne Postmoderne Argumentationslinien – Schroer (2001) nennt als Protagonisten Luhmann, Foucault und Beck – beschreiben die Folgen dieser Prozesse unterschiedlich, sei es, dass sie das gefährliche Individuum, das gefährdete Individuum oder das Risikoindividuum in den Vordergrund stellen (ebd.). Sie repräsentieren historisch verankerte Linien der Bewertung und unterscheiden zwischen Positiver, Negativer und Ambivalenter Individualisierung. In allen Linien werden radikale Umbrüche festgestellt. Sie verabschieden sich vom klassischen Subjektbegriff der Moderne. Das autonome und emanzipierte Subjekt hat ausgedient, gleichzeitig ist Individualisierung nicht vom Individuum in Gang gesetzt. Metaphern postmoderner Identitätsformen greifen diese Aspekte von Dynamik, Suche und Nichtfestgelegtsein auf. In Folge haben sich auch die gesellschaftlichen Metaerzählungen, in denen lebenstaugliche Kontinuität für die Einzelnen gestiftet wird (vgl. Keupp et al. 2002), verändert. Angesichts dieser Analysen, die häufig nicht auf empirischen Studien beruhen, fragt sich, ob personale Kontinuität überhaupt noch möglich oder zum Relikt der Vormoderne und Moderne geworden ist. Im postmodernen Diskurs wird dies ganz klar verneint. Zerrissene Entwicklungs- und Veränderungsprozesse des Selbst, Patchworkbiografien und Brüche werden als Reflex auf die veränderten Bedingungen als typisch angesehen. Zeitdiagnostische und postmoderne Identitäts- und Subjekttheorien konstatieren fluide Identitäten, die den unsicheren Zeiten entsprechen, stellen „von Reifungs-, Entwicklungs- und Planungssemantiken auf solche der Kontin-
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genzbewältigung“ um, „entlinearisieren Identitätskonzepte“ und „integrieren Aspekte von Reflexivität und Flexibilität“ (Wohlrab-Sahr 2006: 75). Einheitsbegriffe von Identität, substanzialistische Vorstellungen eines Identitätskerns und „ontologische“ Fundierungen der Person werden kritisch hinterfragt (ebd.) und demontiert. Die Folge ist, dass die Konstituierung und Stabilisierung von Identität aus dem Blick gerät. Biografische Entwicklungsbedingungen wie auch Strukturen von Identität werden dagegen als essentialistisch vernachlässigt. Keupp et al. (2002: 8) verweisen ebenfalls auf die Risiken der „Deutungsschnellschüsse postmoderner Stichwortgeber“, die die „Überwindung jener ‚Sucht nach Identität‘ empfehlen“, „die uns die abendländische Zivilisation als überflüssige Erblast in die Wiege gelegt hat“ (ebd.). Die Sicherung individueller Kontinuität sei nach wie vor relevant und erfordere beständige „alltägliche Identitätsarbeit“, um dennoch personale Kontinuität herzustellen (ebd.). Hier erweisen sich systemtheoretische Zugänge, die Identität als Steuerungszentrum von Personen identifizieren, als hilfreiches analytisches Modell: Personen sind danach selbstreferentielle Systeme, die die gezielten und absichtslosen Inputs (Sozialisation, Wissen, Werte) gemäß ihren internen Strukturen verarbeiten. „Systemtheoretische Analysen haben stets einen entdramatisierenden Charakter“ (Nassehi/Nollmann 2004: 259). Aufgrund seiner Selbstreferentialität sei dem Menschen Individualität gegeben, unabhängig von sozialem Wandel oder gesellschaftlicher Evolution. Auch in der Postmoderne sei vom Streben nach einem Minimum an Kontinuität sichernder Identität auszugehen (vgl. Darmstädter/Mey 1997; Keupp et al. 2002; Wohlrab-Sahr 2006). Und letztlich gehen auch die postmodernen Identitätstheoretiker davon aus, dass postmoderne Menschen nach Identität streben und sie besitzen, denn sie beschreiben die Einzelheiten identitätsbildender und unterstützender Praktiken bis ins Detail. Es agiert in der Regel die ganze Person mit einem handlungsleitenden Identitätsgefühl. Zudem haben auch Menschen, die beispielsweise in flexibilisierten Arbeitsbedingungen leben, nicht unbedingt das Gefühl der Zerissenheit, wie Schöneck (2006) in ihrer empirischen Studie zur Arbeitszeitflexibilisierung zeigt. Das postmoderne Subjekt, das zerrissen durch die Vielfalt und Disparatheit lebensweltlicher Suchbewegungen und in der Folge desintegrativer Prozesse, die biografisch zunehmend dominant werden, nur noch uneinheitlich, geteilt und „patchwork-artig“ agieren kann, lässt sich in dieser Eindeutigkeit übrigens auch empirisch nicht finden.
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Auch Reuter (2008) zufolge ist die „Autonomie einzelner homogener ‚Paket‘-Kulturen“ ein Mythos. Kultur sei vielmehr ein Fluss, der sich aus vielfältig synchron und diachron verknüpften Bedeutungen und Praktiken speist, ein interessanter Bezug zum doing continuity. Bedeutungen, Identitäten und Praktiken wären, so Reuter, nicht nur einer Kultur zuzuschreiben, sondern gingen durch unterschiedliche Kulturen hindurch und bezögen diese aufeinander. Die Welt sei deshalb weniger ein Mosaik mit Steinchen aus einzelnen Kulturen, sondern gleiche eher einer Kulturmelange mit wechselseitiger kultureller Durchdringung globaler und lokaler Sinnbezüge, die in den alltäglichen Praktiken mobilisiert und reproduziert werden. Es gehe weniger um Zerstückelung als um anspruchsvolle Ganzheiten. Autoren und Autorinnen der Cultural und Postcolonial Studies hätten dies beispielsweise in Bezug auf Verräumlichungs- und Vergemeinschaftungsformen afrokaribischer, mexikanischer oder asiatischer MigrantInnen in den USA, auf den Fernseh- und Kleidungskonsum jugendlicher MigrantInnen in Großstädten Großbritanniens und den Glaubens- und Verkörperungspraktiken muslimischer Frauen in unterschiedlichen europäischen Ländern verdeutlicht. Reuter (ebd.) untersuchte die Glaubenspraktiken und Spiritualitätsdiskurse jugendlicher Teilnehmer des Weltjugendtags in Köln 2005. Diese kombinierten nicht nur spaßorientierte mit religiösen Komponenten souverän miteinander, sondern fügten rituelle Praktiken aus unterschiedlichen kulturellen Kontexten – Taize-Meditation und katholische Gebete, GospelGesänge und „buddhistische“ Körpertechniken – zu einer eigenen Form von Spiritualität zusammen. In einer weiteren Studie rekonstruierte sie, wie muslimische Frauen den Islam vor dem Hintergrund ihrer traditionellen Herkunftskultur und der deutschen Gesellschaft rekontextualisieren und in diesem Spannungsfeld neue private Lebensentwürfe und öffentliche Repräsentationsformen als Neomuslima entwickeln. Keupp et al. (2002) entwerfen aufgrund der Ergebnisse ihrer empirischen Längsschnittstudie über junge Erwachsene aus West- und Ostdeutschland ein postmodernes Identitätsmodell, das Subjekten auch in einer fragmentierten und widersprüchlichen Welt eine stimmige Passung von innerer und äußerer Welt „ermöglicht“. Sie zeigen sehr überzeugend, wie die jungen Erwachsenen „die Identitätsbausteine, die in Bezug auf die unterschiedlichen Lebensfelder Arbeit, Liebe, soziale Beziehungen und Kultur gebildet wurden, für sich zu dem Patchwork einer passförmigen
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Identitätskonstruktion verknüpfen, das sie sinnhaft in ihrer Welt verortet und zugleich handlungsfähig macht“ (ebd.: 7). Der Herstellungsprozess von Identität folge einer nachvollziehbaren Logik, sei also nicht beliebig, sondern eine aktive Leistung der Subjekte, risikoreich, aber mit der Option einer selbstbestimmten Konstruktion. Er sei gekennzeichnet durch vier Koordinationsleistungen: relationale Verknüpfung von Zeit und Lebenswelt, Konfliktaushandlung, Ressourcenund Narrationsarbeit (ebd.: 190ff). Eine zentrale Rolle spielten reflexive Prozesse. Gleichzeitig sei Identitätsarbeit alltäglich, finde permanent statt und nicht nur „ab und zu“, wenn das Subjekt bewusst nach Sinn frage (ebd.: 215). Keupp et al. verbinden in ihrem Identitätsmodell die Vielfältigkeit und Zerrissenheit postmoderner Identitäten mit personaler Kontinuitätsherstellung. Sie gehen davon aus, dass Subjekte nicht nur Lebenswelten und zeitliche Horizonte und Erfahrungen verknüpfen, sondern auch Teilidentitäten. Diese seien zum einen durch komplexe Erfahrungsmodi (kognitive, soziale, emotionale, körperorientierte und produktorientierte Standards) geprägt, die ergänzend, aber auch ambivalent und widersprüchlich sein könnten, zum anderen seien sie nicht immer aktiviert. Aber und das ist der spannende neue Gedanke: Die Teilidentitäten stünden nicht nur nebeneinander, wie es postmoderne Theoretiker gern glauben machen. Sie stünden vielmehr in wechselnden Zu- und Unter- bzw. Überordnungen (ebd.: 224). Welche Teilidentitäten wichtiger seien, sei biografisch veränderbar, denn die Subjekte arbeiteten nur selektiv mit den Identitäten. Mit dem Bild der „Dreifelderwirtschaft“ wird das Gefüge der Teilidentitäten anschaulich gemacht: „Während die eine Teilidentität (in ihrer Weiterentwicklung) eher ‚brach liegt‘, bestellt das Subjekt die zweite und erntet bei der dritten die Früchte der Identitätsarbeit.“ (Ebd.: 225) Neue Identitäten kommen hinzu, andere lösen sich auf oder sind nicht aktiv. In Abgrenzung von einem klassischen Identitätsverständnis wird in diesen Studien empirisch begründet eine kohärente Identität mit einer offenen Struktur entworfen, die unterschiedliche Optionen und scheinbar widersprüchliche Fragmente verknüpft. Entscheidend ist die „individuell hergestellte Verknüpfung als für das Subjekt authentische Gestalt“, das Gefühl von Gestaltbarkeit und positiver Selbstbewertung („es passt zu mir“) (ebd.). Die Autoren vertreten die Ansicht, dass die Chancen, dies zu erreichen, in der gegenwärtigen historischen Situation gar nicht so schlecht stünden, wie häufig unterstellt wird. Das Fehlen dieses Gefühls hätte nach
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wie vor schwerwiegende emotionale und gesundheitliche Konsequenzen. Kohärenz, Anerkennung und Authentizität seien wichtige Indizien „gelungener Identität“ und wirkten sich auf die Handlungsfähigkeit der Akteure aus. Reflexive Moderne bedeutet danach, dass im Gegensatz zu früher die alltägliche Handlungsrelevanz von Einzigartigkeit und Selbstbestimmung einer Person wichtiger geworden ist. Persönliche Identität, also Unverwechselbarkeit von Personen, habe es aber auch in früheren Zeiten gegeben. Wohlrab-Sahr (2006) geht in nochmals deutlicherer Abgrenzung von postmodernen Identitätsmodellen davon aus, dass Identität ein Produkt von prinzipiell variablen, letztlich aber nicht hintergehbaren Strukturbildungen im Verlauf einer individuellen Biografie ist. Die je eigene Subjektivität als Bezugsrahmen alles Erlebens und Handelns stelle das kontinuierliche Element dar und löse möglicherweise die in früheren Zeiten kontinuitätsstiftenden Faktoren wie Traditionen, Schichtung und Geschlecht ab (vgl. Keddi 2003). Rosa (2005) beschreibt Identität als subjektiven Sinn, der sich jedoch nach außen nur schwer erschließe: „Jener Sinn wandelt sich in seiner Substanz von Kontext zu Kontext und von Situation zu Situation, aber das in allen Praxiszusammenhängen entscheidungs- und handlungsleitende Identitätsgefühl geht dabei nicht verloren. Denn die Vorstellung einer solchen Identität besagt natürlich nicht, dass alle Identitätsmerkmale von Situation zu Situation verändert werden. Vielmehr steht zu vermuten, dass einige ganz im Gegenteil über eine Vielzahl von Situationen und Kontexten hinweg synchron und diachron erhalten bleiben, sodass situative Identitäten zwar nicht mehr definitorisch bestimmt werden können, wohl aber noch durch ‚Familienähnlichkeiten‘ im Wittgensteinschen Sinne verbunden sind.“ (Ebd.: 373)
Kontinuität in diesem Orientierungs- und Handlungsfähigkeit verleihenden Sinn könne durch narrative Muster, habitualisierte Expression und Platzhalter (Haustiere, geliebte Objekte), möglicherweise auch nur durch ein angeborenes, prädikatloses Kernselbst stabilisiert werden. Mit diesem „Kunstgriff“ kann übrigens auch die Reflexive Moderne den kontingenten Charakter von Identitätskonstruktionen beibehalten, ohne die Widersprüchlichkeit einer solchen Konstruktion für die Konstitution der Person zu leugnen.
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Im Konzept der Konglomerationen (vgl. Wolf et al. 2009) wird ebenfalls untersucht, wie Subjekte durch ihre Alltagspraktiken subjektiver Abund Entsicherung Lebenssicherheit herstellen. In Abgrenzung von undifferenzierten Gesellschaftsprophetien und implizitem Kulturpessimusmus soziologischer Gesellschaftsdiagnostik wird auch hier der Zerfallsmythos postmoderner Subjekte in Zweifel gezogen, „ohne dessen gesellschaftskritische Implikationen aufzugeben“ (Rathmayr et al. 2009: 8). Ausgegangen wird von der „faktisch von den gesellschaftlichen Individuen hergestellten ‚Biose‘, d.h. (Über-)Lebensfähigkeit“ (ebd.: 9). Diese führe zu einer alltagsbedingten Gemengelage heterogener Elemente, den Konglomerationen. Neben prosozialen Verhaltensweisen werden auch antisoziale Tendenzen (Vorurteilsbildung, Feindbilder, Abwertung, Rassismus, Sexismus, Fremden-, Kinder-, Frauen- oder Behindertenfeindlichkeit) als integrale Bestandteile normaler Alltagsidentität verstanden, nicht als abweichendes Verhalten. Menschen sichern sich danach mit sozial konstruktiven und sozial destruktiven Mitteln ab. Die alltagstauglichen Konglomerate sind nicht mehr „aus dem Granit traditionaler Rollenbilder“ gefügt, verlieren sich aber auch nicht „im Geröll moderner Beliebigkeit“ (ebd.: 10). So werden beispielsweise alltägliches Einkaufen und die Tätigkeit des Konsumierens als ebenso kreativ und sinnstiftend herausgearbeitet wie die „unscheinbaren ‚Miniaturen‘ alltäglicher Handlungsverläufe, die sich in insgesamt fremdkontrollierte Abläufe von Routinehandlungen Fragmente tatsächlicher oder vermeintlicher Selbstbestimmung“ (ebd.: 27) einfügen. Dadurch würden Momente subjektiver Schöpfung und erträglicher Erfahrung, aber auch ausbaufähige Spielräume im vorgegebenen Rahmen sowie die partielle Sprengung dieser Grenzen möglich. Eine weitere Herausforderung der postmodernen Kontinuitätsherstellung ist die Projektförmigkeit von Lebensverläufen und Lebensentwürfen. Die Vorstellung eines Lebensentwurfs am Ende der Adoleszenz, die dem Individuum eine tragfähige Vorstellung für sein Leben, für Entscheiden und Handeln vermittelt, trägt nicht mehr. An die Stelle des biografischen Lebensentwurfs oder Lebensplans als „grundlegendem Kontext, in dem das Wissen um die Gesellschaft im Bewusstsein des Individuums organisiert ist“ (Berger et al. 1975: 65), sind „Zusammensetzen und wieder trennen, die alltägliche Erzeugung von Flickwerk“ (Nowotny 1995: 99) getreten. In Abgrenzung zum Begriff des Lebensentwurfs, der die biografische Gültigkeit eines Lebens-, Denk- und Verhaltensmusters betont, eine stabile
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Vorstellung über die eigene Zukunft voraussetzt, die bis zum Ende der Adoleszenz erworben wird, erscheint das Konzept des Projekts angemessener. Die individuelle Lebensführung wird zu einer Serie von Projekten, die zu organisieren sind (vgl. Alheit 1992; Dausien 2001; Hoerning 2000; Keddi 2003). „Diese setzen aber das Individuum als Akteur und Inszenator seiner Biografie, seiner Identität, seiner sozialen Netzwerke, Bindungen, Überzeugungen voraus und ‚erzeugen‘ es zugleich“ (Beck/Beck-Gernsheim 1993: 185f.). Typisch sind biografische Fragmente und Versatzstücke, „Konvois“ (Kraus 1996: 4) und weniger „Lebensschiffe“, die auf einem festen Kurs laufen. Kraus (ebd.) geht zum Beispiel vom Projekt „Partnerschaft“ aus, das als Ziel die Heirat anstreben kann, vor allem aber sich in Beziehung zum Projektziel setzt und die unterschiedlichen sozialen Realisierungen von Heirat verhandelt. Lebensentwürfe können sich verändern, ablösen, parallel nebeneinander laufen oder situativ zersplittert sein. Hier spiegele sich eben das alltägliche „Patchwork“ von Erfahrungen, Situationen und Biografien. 5.1.4 Identitätskonstruktionen in nichtwestlichen Kultur(en) Vor allem in den Kulturwissenschaften, der Ethnologie und der Kulturanthropologie wird darauf verwiesen, dass die meisten Identitätskonzepte ethnozentristisch und westlich geprägt sind. „The western conception of a person as a bounded, unique, more or less integrated motivational and cognitive universe, a dynamic center of awareness, emotion, judgement and action organized into a distincitve wohle and set contrastively both against other such wholes and against ist social and natural background is, however incorrigible it may seem to us, a rather peculiar idea within the context of the world‘s cultures.“ (Geertz 1975: 48, zitiert nach Kühnen/Hannover 2003)
Die je spezifische Kultur sehen sie als Werkzeug der materiellen, geistigen und symbolisch-sozialen Umweltaneignung (Greverus 1978: 60f). Boas, der Begründer einer historisch orientierten Kulturanthropologie in den USA, war deshalb der Meinung, dass „wenn es unser ernsthaftes Anliegen ist, die Vorstellung eines Volkes zu verstehen ... die gesamte Analyse der
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Erfahrung auf ihren, nicht auf unseren, Konzepten basieren“ (Boas 1943: 314) müsse. Auch in nicht westlichen Kulturen vergewissern sich Menschen ihrer selbst, allerdings nicht unbedingt in der aktuell selbstverständlich erscheinenden autobiografischen Form und mit der eigenen Person im Zentrum (Röttger-Rössler 2003). „Die direkte, autobiografische Selbstdarstellung“ (ebd.: 39) gehört im Kontext südostasiatischer und ozeanischer Kulturen nicht zum kulturellen Repertoire, auch nicht im Alltag. Auf den Philippinen gibt es beispielsweise weder die Idee einer Person noch einer Chronologie. Die Menschen dort leben, denken und erzählen sich eingebettet in familiäre Entscheidungsprozesse, in Relation zu anderen (Lauser 2003: 65). „Es gilt als unangemessen sich selbst ins Zentrum einer Geschichte zu stellen und selbst zu erklären, stattdessen wird die Darstellung des eigenen Lebens den Mitmenschen überlassen, den Familienangehörigen, Freunden, Bekannten und Nachbarn, also all denjenigen, in Relation zu denen sich der eigene Weg geformt und entfaltet hat.“ (Ebd.: 40)
Böhme (2008) zeigt am Beispiel der japanischen Sprache, wie sich das Ich auch in Japan in ganz anderer Weise als im Westen konstituiert. Subjektbewusstsein und Ich entstünden im abendländischen Denken durch einen Schnitt zwischen dem Einzelnen und der Umgebung. In der fernöstlichen Sichtweise und Praxis des Ich stehe der Mitmensch sehr viel stärker in Verbindung zum Ich als in der westlichen Kultur, die das von außen Kommende immer als das Andere, Fremde und nicht zu einem selbst Gehörige empfindet: „Im Japanischen [...] gibt es [anders als in Europa] so viele Personalpronomen der ersten Person, dass sie sich – selbst wenn man sich nur auf die relativ gebräuchlichen beschränkt [...] – nicht an den Fingern beider Hände aufzählen lassen.“ (Ebd.: 13) So rede man von sich selbst jeweils anders, wenn man mit einem anderen Menschen zu tun habe (ebd.: 14). Erst durch die Beziehung zu anderen werde eine Person „etwas Bestimmtes“ (ebd.: 15). Mit einem Freund rede man anders von sich, als wenn man einen Fremden treffe, wenn es um einen selbst im Beschäftigungs- oder Verwandtschaftsverhältnis gehe, werde wiederum ein anderes „Ich“ verwandt, als wenn man Ehepartner oder Elternteil sei. Erst in Abhängigkeit von der jeweiligen Beziehung konstituiere sich, „wie sich der
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Einzelne fühlt, was er von sich selber denkt“ (ebd.: 15). Niemals stünde von Anfang an fest, wer man selbst ist. Wer man ist, bestimme sich aus der Beziehung zum anderen. Häufig werden in Japan keine Personalpronomen verwendet. Der Prozess, das Handeln habe eine gewisse Selbstständigkeit gegenüber den Personen. Es verwundere dann nicht, dass das japanische Wort für Mensch „Zwischenmensch“ sei (ebd.: 17). Im abendländischen Ich sei dagegen immer schon die Distanzierung von der Gruppe oder dem Gegenüber enthalten mit Elementen von Selbstständigkeit und Autonomie. Dort entstünde das Ich durch Reflexion. „Nicht: Ich bin ein Ich, sondern: Ich soll Ich sein“ (ebd.: 22). Multinationale sozialpsychologische Studien bestätigen die Bedeutung unterschiedlicher kultureller Imperative für die individuelle Selbstkonstruktionen. Kulturunterschiede in kognitiven, emotionalen und motivationalen Bereichen subjektiver Erfahrung lassen sich darauf zurückführen, dass die Mitglieder dieser Kulturen ihr Selbst unterschiedlich definieren: So konnten Kühnen und Hannover (2003: 215) zeigen, dass Angehörige individualistischer Kulturen ihr Selbst in stärkerem Maß independent, autonom, einzigartig und von anderen unabhängig definieren und weniger stark interdependente Selbstkonzepte aufweisen als Mitglieder kollektivistischer Kulturen (ebd.). Innerhalb individualistischer, meist westlicher Kulturen, sei das Selbst eine getrennte, abgeschlossene Entität. Dagegen werde in kollektivistischen, überwiegend asiatischen Kulturen davon ausgegangen, dass die eigene Person fundamental und untrennbar mit anderen Personen verbunden und ein Teil vielfältiger Beziehungsnetze sei, während internale Attribute von geringerer Bedeutung seien. Sogenannte „Zwanzig-Statement-Tests“, in denen Personen um zwanzig spontane Antworten auf die Frage „Wer bin ich?“ gebeten werden (also nicht nur Item-gestützte Fragen), erbrachten, dass Personen aus individualistischen Kulturen sich stärker durch interne Eigenschaftsbegriffe und abstrakte, generalisierte Konstrukte beschreiben, während Personen aus kollektivistischen Kulturen sich durch ihre Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen und ihre Verbundenheit mit anderen Menschen definieren (ebd.). Interessant ist nun, dass die Angehörigen beider Kulturen dennoch über beide Arten dieses Selbstwissens verfügen. „Sie unterschieden sich lediglich in der relativen Bedeutung, die diesen Selbstaspekten für die eigene Person zugeschrieben wurde.“ (Ebd.) Zudem zeigten sich auch interindividuelle Unterschiede in der Selbstkonstruktion innerhalb der Kultu-
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ren. Kühnen und Hannover (ebd.) sehen durch diese Ergebnisse die Forschung zum Selbst nachhaltig bereichert und einseitige Konzepte, die sich an dem autonomen Selbst orientieren, relativiert. Hier zeigen sich interessante Parallelen zu den Forschungen zum weiblichen Ich und zur weiblichen Identität (vgl. Gilligan 1984). Kühnen und Hannover (2003) konnten in Experimentalstudien ferner die Mechanismen kulturbedingter Unterschiede im Selbstkonzept durch Unterschiede im Selbstwissen und in der Informationsverarbeitung belegen. Sie zeigten, dass Personen in Abhängigkeit davon, „welche Art von Selbstwissen zuletzt (situationale Zugänglichkeit durch einen Kontextfaktor; z.B. durch ein experimentelles Priming) oder aber besonders häufig aktiviert worden ist (chronische Zugänglichkeit bestimmt z.B. durch die Kultur in der Personen aufwachsen), entweder eher independentes oder eher interdependentes Selbstwissen“ (ebd.: 220). Autonomes Selbstwissen sei beispielsweise mental repräsentiert durch die kontextunabhängige Feststellung „ich bin humorvoll“, soziales Selbstwissen beispielsweise durch die kontextabhängige Feststellung „ich bin gerne mit Freunden zusammen“. Kultur beeinflusse aber nicht nur die (Weiter)entwicklung des Selbstkonzepts, sondern auch die Verarbeitung und Bewertung von Erfahrungen sowie Urteilsprozesse und Verhalten.
5.2 I DENTITÄT
UND SOZIALE
S TRUKTUR
Soziale Ungleichheit und Differenz sind nicht nur ein Strukturmerkmal vor- und industrieller, sondern auch moderner und postmoderner Gesellschaften und entsprechender Identitäts- und Subjektkonstruktionen (vgl. Klinger/Knapp 2005; Dahrendorf 1957; Hradil 2006). „Die Selbsterfindung ist nicht frei erfunden. Die Mechanismen der Identitätsschöpfung haben nichts Zufälliges [...]. Sie sind in sozial definierte, sehr präzise Vorgänge eingebettet. Das Ego träumt nicht irgendwie.“ (Kaufmann 2004: 307) Auch Bourdieu (1987a, 1999) geht von der Universalität von Statusund Klassenkämpfen aus, die mit unterschiedlichen Mitteln, den „Kapitalien“ geführt werden. Identität ist insofern immer auch mit Restriktionen, Anpassungs- und Unterwerfungsdimensionen verbunden, worauf vor allem feministische und kritische Sozialwissenschaften sowie die Cultural Studies hingewiesen haben. Bei der Rekonstruktion der alltäglichen Identitätsarbeit müssen diese „Identitätszwänge“, die aus ihnen folgenden Ver-
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biegungen und Beschädigungen ebenso aufgezeigt werden wie die zu gewinnende Handlungsfähigkeit (Keupp et al. 2002). Ihre Konstituierung erfolgt im Rahmen konkreter historischen Dynamiken sozialer und individueller Herrschaftssicherung und -legitimationen (vgl. Foucault 1987). Ein Beispiel ist die Heteronormativität, die die Identitätsherstellung von Frauen und Männern tiefgreifend prägt (vgl. Butler 1991, 2009). Während noch in den 1960er und 1970er Jahren angesichts der ökonomisierten, standardisierten und materiell determinierten Industriegesellschaft davon ausgegangen wurde, dass die Prägung von Denken und Verhalten durch Klassen- bzw. Schichtzugehörigkeit erfolgt, kamen in den achtziger Jahren zunehmend Zweifel auf, ob Berufs- und Schichtzugehörigkeit allein prägend sind (vgl. Hradil 2001). Mit Wohlstand, Bildung und sozialer Sicherheit schienen auch die Freiheiten und die Unterschiede der Lebensgestaltung gewachsen zu sein. „Nicht nur Individualisierungstheoretiker gehen davon aus, dass wir es gegenwärtig weder mit einer ‚ordentlich‘ in Stände, Klassen und Schichten gegliederten noch mit einer zu einem hypostatisierten Mittelstand hin zur nivellierten Gesellschaft mit eingeschmolzenen sozialen Antagonismen zu tun haben“ (Hitzler 1999: 231). Im Zusammenhang mit einem Mehr an Entfaltungsmöglichkeiten haben sich Lebensstile und Milieus kulturell und individuell ausdifferenziert; damit sind soziale Strukturen weniger eindeutig in ihren Wirkungen (vgl. Beck/Bonß 2001; Wieland 2004). Denken und Verhalten werden nicht (mehr) nur als weitgehende Folge der Schichtzugehörigkeit und damit der Berufsstellung, der Einkommensstufe und des Bildungsgrads angesehen. Unterschiede im Denken und Verhalten erscheinen nicht (mehr) vorrangig vertikal gegliedert. Deshalb werden zunehmend soziale Milieus in den Blick genommen, im Kern definiert durch „tief sitzende“ psychische Dispositionen (Hradil 2006). Personen, die dem gleichen Milieu angehören, interpretieren und gestalten ihr Leben auf ähnliche Art und Weise, kaufen gleichartige Konsumgüter, wählen ähnliche Parteien oder erziehen ihre Kinder gleich (ebd.). Organisations-, Stadtviertel- oder Berufsmilieus weisen darüber häufig noch einen inneren Zusammenhang auf, der sich in einem Wir-Gefühl und in verstärkten Binnenkontakten äußert. Hradil (ebd.) verweist auf eine Vielzahl empirischer Arbeiten, die Unterschiede im Ressourcenverbrauch und im ökologischen Bewusstsein, in Vorstellungen über die Kirchen und die Kirchenmitgliedschaft, in der Altenpflege in der Familie, im
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Umgang mit Geld, Informationsverhalten und Zeitschriftenwahl, gewerkschaftlicher Arbeit, Wahlverhalten, Erwachsenen- und Weiterbildung, im Studierendenverhalten, in Bildungschancen sowie Elitenrekrutierung durch das jeweilige soziale Milieu erklären. Gleichzeitig zeigen die Ergebnisse zahlreicher empirischer Studien, dass soziale Milieus nur teilweise unabhängig von Berufs-, Einkommens- und Bildungshierarchien sind und Milieus als Erfahrungsräume von Personen an ihre sozialstrukturelle Position im sozialen Raum gekoppelt sind (ebd.). Die empirisch nachweisbare Erklärungskraft von reinen Milieuuntersuchungen scheint sich entsprechend in Grenzen zu halten. „So ermittelte etwa Gunnar Otte, dass nach Kontrolle anderer relevanter Variablen die Milieuzugehörigkeit fast nichts zur Erklärung konkreter Wahlentscheidungen beiträgt“ (zitiert nach Hradil 2006). Ob nun aber Schicht- oder Milieumodell, es wird davon ausgegangen, dass Denken und Verhalten durch die Sozialstruktur geprägt sind. Der Zusammenhang zwischen Identität, Person, sozialen Strukturen und sozialer Ungleichheit ist aber weder unidirektional noch mechanistisch oder additiv. Sozialstrukturelle vertikale und horizontale Ungleichheiten, in welche Subjekte eingebunden sind, bestehen fort, überschneiden, überlagern, verstärken oder schwächen sich gegenseitig ab. Erleben und nicht nur objektive Sachverhalte, Bedeutungen und nicht nur „hard facts“ spielen für die Situationsdefinition eine Rolle (ebd.). Die Konstruktion personaler Identität erfolgt durch individuelle „Identitätsfilter“ (Kaufmann 2004: 307) oder Lebensführungsmuster (vgl. Kudera/Voß 2000). Bourdieu (2005) sieht entsprechend materielle, also biologische und soziale Bedingungen nicht als per se bestimmend, sondern geht davon aus, dass die Dispositionen für Wahrnehmen, Fühlen, Denken und Handeln, für die habitualisierte Persönlichkeitsstruktur, nicht starr sind, sondern sich unaufhörlich wandeln. Damit wird die Bedeutung sozialer (Ungleichheits)Strukturen nicht bestritten, doch die Zusammenhänge sind komplexer. Versuche, solche Zusammenhänge aufzugreifen und zudem den Gegensatz von Individuum und Sozialem aufzubrechen, finden sich in Überlegungen zur Intersektionalität (vgl. Degele/Winker 2009), die die emergente Überlagerung von Ungleichheiten aufgreifen, in Ansätzen, die Klasse, Schicht und Milieus zu einem „flexiblen Habituskonzept“ zu integrieren versuchen (Bourdieu 2005; Wieland 2004), sowie in Konzepten zur „Inklusion“ (Stichweh
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2005), zur „Lebensführung“ (Kudera/Voß 2000) und zu „Konglomerationen“ (Wolf et al. 2009). Bourdieu (1999) hat die Bedeutung des Sozialen für die soziale Person im Habituskonzept folgendermaßen verankert: „Da der Habitus [...] Produkt einer Geschichte ist, sind die Instrumente der Konstruktion des Sozialen, die er in das praktische Erkennen der Welt und in das Handelns einbringt, sozial konstruiert, das heißt strukturiert durch die Welt, die sie wiederum strukturieren. Folglich ist das praktische Erkennen doppelt informiert durch die Welt, die es informiert: Zwangsläufig ist es durch die objektive Struktur der Konfiguration von Eigenschaften geprägt, die sie ihm darbietet; und es ist durch sie strukturiert vermittels der aus dem Einverleiben ihrer Strukturen hervorgegangenen Schemata, die es bei der Auswahl und der Konstruktion dieser objektiven Eigenschaften benutzt. Was besagt, dass Handlungen weder, mit Weber zu sprechen, ‚rein reaktiv‘ sind noch rein bewusst und berechnend.“ (Ebd.: 190)
Den Habitus versteht er als „System bestimmter Dispositionen“ (ebd.: 192). Der Akteur tue alles in seiner Macht Stehende, um die Aktualisierung seiner Potentialitäten, die seinem Körper in Form von Fähigkeiten und Dispositionen, die durch bestimmte Lebensbedingungen geprägt sind, zu ermöglichen. Verhaltensweisen lassen sich dann nach Bourdieu als Bemühen verstehen, Dispositionen zu verwirklichen und sich „zu Hause“ zu fühlen – eine interessante Umschreibung der Herstellung von Kontinuität. Auch im empirisch entwickelten Konzept der „Alltäglichen Lebensführung“ (Kudera/Voß 2000) wurde rekonstruiert, wie ungleichheitsrelevante Aspekte der sozialen Lebenslage personal aktiv verarbeitet werden. In Anlehnung an Max Webers Kategorie „Lebensführung“ wurde in dieser Forschungskonzeption Lebenspraxis als Zusammenhang alltäglicher Tätigkeiten und System von Gewohnheiten verstanden (vgl. Bourdieu 1987a; Kudera/Voß 2000). Lebensführung sichert die Stabilität und Funktionsfähigkeit alltäglichen Lebens. Sie wird durch kritische Ereignisse gefährdet, muss transformiert werden oder bricht schlimmstenfalls zusammen. Lebensführung könnte somit auch als praxeologische Ausdrucksform von Identität verstanden werden. „Auch wenn das System Lebensführung durch soziale Bedingungen hochgradig geprägt wird, ist es Ergebnis einer aktiven Konstruktionsleistung der Person.“ (Ebd.: 69) Die individuelle Le-
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bensführung koordiniert die Alltagsaktivitäten einer Person als „individuelles Arrangement der sozialen Arrangements einer Person“ (ebd.). Im Gegensatz zu einer Zuordnung von Individuen zu bestimmten Merkmalskombinationen und der entsprechenden Statik sozialer Lagen wird die Entwicklungsdynamik von Lebenslage, Lebensabschnitt und Lebensführung berücksichtigt. Lebensführung sei weder ausschließlich bewusstes und rational gesteuertes Alltagshandeln noch gehe sie in einem normativen Modell, wie man zu leben habe, auf. Sie stehe für die individuelle Konstruktion alltäglicher Lebenspraxis, die sich entwickelt, verfestigt und für Kontinuität sorgt. Gleichzeitig sei Lebensführung nicht monadisch, sondern auch sozial konstituiert (ebd.: 112f). Leben habe so einen Rahmen, der durch Routinen und Rituale gesichert ist. Interessant sind die Ergebnisse der qualitativen Interviews zur Lebensführung von Personen. Deutlich wurde nämlich unter anderem, dass eine einfache Schematisierung nach Schichten, Milieus oder objektiven sozialen Indikatoren nicht möglich ist (Rerrich/Voß 2000: 152f). Diese interferieren (ebd.: 157) und erzeugen kontingente Wirkungen, die nicht linear aus den Bedingungen ableitbar sind. Soziale Faktoren determinieren danach nicht, sondern stellen Randbedingungen für das alltägliche praktische Leben von Menschen dar. Diese müssen sie aktiv aneignen und praktisch verarbeiten. Aus objektiv ähnlichen Lebenslagen konstruieren Personen deutlich verschiedene Muster der Lebensführung. Bedeutsam sei, was Menschen aus sozialstrukturellen Faktoren im Alltag machen und was sie nicht machen können. Aufgrund ihrer Rahmenbedingungen benachteiligt erscheinende Personen müssen weder ein benachteiligtes Leben führen noch dies so empfinden – eine Parallele zu Ergebnissen der Biografie- und Resilienzforschung sowie der differenziellen Entwicklungspsychologie. Generell ist jedenfalls dem Resümee von Klinger und Knapp (2005) zuzustimmen, dass Ansätze mit gesellschaftstheoretischem Anspruch derzeit anhaltende Schwierigkeiten haben, die unterschiedliche und widersprüchliche Verfasstheit der ‚Achsen der Ungleichheit‘ und deren Zusammenhang untereinander angemessen zu berücksichtigen. Dies zeigt sich auch in den folgenden Schlaglichtern, die beispielhaft verdeutlichen, warum kausale sozialstrukturelle Erklärungen, die häufig bevorzugt werden, zu einfach sind.
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5.2.1 Bildungsidentitäten und soziale Ungleichheit – ein Beispiel Soziale Ungleichheit und ihre „Vererbung“ durch Bildungsprozesse sind seit Pisa und Co wieder verstärkt in den Blick geraten. Einigkeit besteht darin, dass soziale Schicht oder Herkunftsmilieu Schulleistungen nicht direkt erklären können. Als bedeutsam werden Merkmale wie Bildungsnähe und kognitiver Anregungsgehalt im Elternhaus, elterliche Standards und Erwartungen, Ehrgeiz der Eltern für den Erfolg ihrer Kinder (Aspirationen), Qualität ihres sprachlichen Vorbilds, leistungsbezogene Erklärungen und Sanktionen sowie ihr Engagement für die Schulleistungen ihres Kindes herausgearbeitet. „Die Wirkvariablen sind in schulleistungsrelevanten Merkmalen des Erziehungsstils oder der familiären Lernumwelt zu sehen[...].“ (Helmke/Schrader 2001: 84) Bildungsungleichheit wird damit an familialen Milieus mit unterschiedlicher Kapitalausstattung sowie an den „versteckten“ Bildungsleistungen und den Mikro- und Ko-Konstruktionsprozessen im Familienalltag festgemacht. Mahlzeiten werden als besonders dichte und bildungsrelevante Episoden des Familienalltags identifiziert (vgl. Paugh 2005; Larson et al. 2006). Die Nachhaltigkeit der familialen Bildungsprozesse für die Bildungsidentität wird durch differenzierte Mikroprozesse an der Schnittstelle von subjektiven Deutungen, familialen Praktiken und Interaktionen erklärt. Untersucht wurden beispielsweise intergenerationale kulturelle und soziale Vererbungsprozesse (vgl. Büchner/Brake 2006), familialer Alltag und familiale Lebensführung (vgl. Hagen-Demsky 2006; Lareau 2003; Xyländer 2006), Sprachfähigkeit und „home literacy“ sowie „elterliches Involvement“ (vgl. Anderson/Minke 2007; Leseman et al. 2007), aber auch die Passung von Familie und Bildungsinstitutionen als biografisch verschränkten Mikrosystemen (vgl. Betz et al. 2007; Lareau 2003; Nelson/ Schutz 2007). Besonders bedeutsam ist die multidimensionale Einbettung indirekten und permanenten Wissenstransfers im familialen Alltag. Lareau (2003) zeigt in ihrer Untersuchung zur Alltagsorganisation von sieben- bis zehnjährigen Kindern, wie sich der soziale Hintergrund der Eltern in der kindlichen Lebensführung niederschlägt und bildungsrelevant wird, ein Muster, das auch in der vorschulischen institutionalisierten Bildung in Kindertagesstätten gefunden wurde. Kinder und Jugendliche scheinen diesen Ergebnissen zufolge ihrem Herkunftsmilieu mehr oder minder „ausgeliefert“
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– sofort stellen sich wieder die vertrauten monokausalen Erklärungsmuster ein. Zunehmend wird aber in den Blick genommen, dass formelles und informelles Lernen auch mit persönlichkeitsbezogenen, sozio-emotionalen Aspekten und Prozessen verbunden ist. In der Schul- und Bildungsforschung gilt Persönlichkeit neben milieubezogenen Faktoren als Ressource und gleichzeitig Risiko für Lern- und Entwicklungsverläufe sowie den persönlichen Erfolg im Bildungsbereich (vgl. Gisdakis 2007; BMFSFJ 2006). „Günstige“ Persönlichkeitsmerkmale wie sozial-kognitive Aufgeschlossenheit und ein positives Selbstbild erweisen sich als förderlich für den Schulerfolg, ein Zusammenhang, der für Kinder aus Armutsverhältnissen wiederum so nicht gilt (vgl. Strehmel 2007). Besonders „unterkontrollierte“ Kinder hätten häufig Schwierigkeiten, sich an Schule anzupassen, was Misserfolge hervorrufe, Frustrationen erzeuge und Gefühle der Isolation und weitere Irritierbarkeit fördern kann (vgl. Asendorpf 2004). Dabei ist von komplexen „Entwicklungsverflechtungen“ auszugehen: Lehrpersonal und Peers wirken nicht nur auf die Entwicklung einzelner ein, sondern werden umgekehrt auch in ihrer eigenen Entwicklung beeinflusst (vgl. Gisdakis 2007). Ein weiterer Aspekt: Es ist nicht nur das Credo der Neueren Kindheitsforschung, sondern auch der modernen Entwicklungspsychologie, dass Kinder an Bildungsprozessen von Geburt an aktiv als Ko-Konstrukteure beteiligt sind (vgl. Asendorpf 2002; Betz et al. 2007; Fuhs 2000; Herzberg 2001; Mayer 2004; Leu/Krappmann 1999; Lichtenberg et al. 2003), weil sie sich je nach ihrem Entwicklungsstand als biopsychosoziale Einheit in reaktiver und proaktiver Weise mit sich selbst und ihrer Umwelt auseinandersetzen und so den Prozess ihrer Entwicklung eigenständig vorantreiben (vgl. Schneewind et al. 2000): Kinder (ko-)konstruieren ihre Wirklichkeit in Auseinandersetzung mit strukturierten Umwelten und orientieren sich dabei an einem Repertoire kulturell definierter Kategorien und Praktiken dieser Umwelten. Entwicklung wird zum Projekt der Selbstgestaltung (vgl. Schneewind 2005). Deshalb werden Bildungsinhalte, die Kindern von ihren Eltern angeboten werden, von ihnen nicht zwangsläufig angenommen, sondern auch sabotiert. Kinder passen sich nicht einfach den von den Eltern vermittelten sozialen Praktiken und Bildungsgütern an, sondern setzen eigene Interessen und Instrumentalisierungen entgegen, ohne dass das gesamte familiale Arrangement gesprengt wird. Sie entwickeln und verän-
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dern sich aber nicht nur in einem Prozess der Autogenese und im Zusammenspiel mit Erfahrungen und deren subjektiver Deutung, sondern auch in wechselseitigem Zusammenspiel mit dem sozialen und kulturellen Kontext (vgl. Asendorpf 2002; Haller/Müller 2006). Der Einfluss des Elternhauses auf Persönlichkeits- und vor allem soziale Entwicklung wird häufig überschätzt. Die Vorstellung der durchschnittlichen Wirkung von Lebenskonstellationen ist jedenfalls durch diese Ergebnisse zurückzuweisen. Es ist davon auszugehen, dass familiale Welten, Kulturen und Alltage individuell unterschiedlich und nicht nur entlang von sozialen Milieus erfahren werden. Dies bedeutet nicht, dass soziale Kontinuitäten als „Hypotheken“ aus der Kindheit und Jugendzeit auszublenden sind (vgl. Lange/Keddi 2009), aber sie sind unterschiedlich relevant. Auch Stecher (2001) konnte in seiner Untersuchung zur Bedeutung des sozialen Kapitals bei Kindern und Jugendlichen zeigen, dass soziales Kapital kein additives Wirkungsmodell ist, sondern in unterschiedlichen Kontexten sowie in unterschiedlichen Entwicklungsbereichen auf unterschiedliche Weise wirkt. Und nicht nur Tippelt (2006) verweist in Anlehnung an Bronfenbrenner darauf, dass sozialökologischen Konzepten der empirischen Bildungsforschung zufolge kein hierarchisch-deterministischer Zusammenhang von Makroebene und Mikroebene besteht. Vielmehr sei von dem interdependenten Charakter der verschiedenen Handlungsebenen auszugehen (Unterrichtsebene, Organisationsebene, bildungspolitische Ebene). Nun sind Bildungsidentitäten nur ein Teil der Identität. Doch auch andere Wirkzusammenhänge werden in ähnlicher Weise kurzgeschlossen. 5.2.2 Differenz am Beispiel von Gender Theorien der Differenz haben im Kontext strukturalistischer Debatten von Deleuze, Derrida, Lacan, Irigaray und Kristeva (vgl. Rendtorff 2004) den Blick darauf gelenkt, dass zumindest in westlichen Gesellschaften in Gegensätzen gedacht wird und Begriffe von ihrem Gegenstand her bestimmt werden. Dies wurde beispielsweise in der Frauen- und Geschlechterforschung aufgegriffen (ebd.). Auch für die Herstellungsprozesse von Geschlechtsidentität sind differenztheoretische Überlegungen bedenkenswert, weil sie darauf verweisen, dass das Subjekt nicht an sich definierbar und nicht abschließbar ist, sondern stets veränderlich ist, da es nicht aus sich
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heraus lebt, sondern immer bezogen auf den Anderen ist. „Deshalb ist der Andere der Ort, an dem sich im Bunde mit jenem, der hört, das Ich, das spricht, konstituiert“. Der „Sprecher konstituiert sich als Intersubjektivität“ (Lang 1993: 101,105, zitiert nach Rendtorff 2004: 106). In der Geschlechterforschung wurde wiederholt darauf hingewiesen und auch empirisch herausgearbeitet (z.B. Gilligan 1984), dass die Merkmale, die als typisch für Identitäten angesehen werden, typisch für männliche Identitäten sind. Frauen bilden, so das Ergebnis von Gilligan‘s Studie zu Mädchen im Übergang vom Kind zur Jugendlichen, weniger ein autonomes Ich, das Ziel im Prozess des Erwachsenwerdens, aus als ein „Ich in einem Beziehungsnetz“. Im Konzept der weiblichen Identität oder weiblichen Moral, das vielfach kritisiert wurde, aber dennoch sehr anregend für weitere Untersuchungen war, arbeitete sie die Stärken des „BeziehungsIchs“ in Abgrenzung zum „autonomen Ich“ heraus. Damit stellte sie beide Identitätskonzepte als sich ausschließend und entgegengesetzt heraus, ein Befund, den die Analysen Dausiens (2001) zu weiblichen Biografien erweitern. Sie konnte zeigen, dass Frauenbiografien durchaus das Streben nach Autonomie beinhalten, auch wenn ihre Lebenskonstruktionen an andere gebunden und nur in der Perspektive auf andere zu verwirklichen seien, dass also beide Konzepte in weiblichen Identitäten vorhanden sind. In Paarvergleichen fand sie dies bestätigt. Konstruktionsmerkmale, die typisch weiblich erschienen, rekonstruierte sie auch in Männerbiografien (ebd.). Nicht alle Männer passen in das Schema der männlichen Normalbiografie. Auch für Männer können durchaus andere Konstruktionen gelten (ebd.; vgl. Keddi 2003). Jede Interaktion nehme Geschlecht zwar als Grundkodierung auf, auch wenn wir glauben, von Geschlecht zu abstrahieren, dennoch ist Geschlecht nur „ein Aspekt der Identität, die unsere Persönlichkeit strukturiert, allerdings ein wichtiger“ (Cockburn/Ormrod 1997: 24): „Das ‚Ich‘ ist niemals nur ein Mann oder eine Frau; immer ist es eine besondere Frau oder ein besonderer Mann.“ Geschlecht sei entsprechend auch niemals eine „einfache Positionierung auf der einen oder anderen Seite der Trennlinie von männlich und weiblich“ (ebd.). Geschlecht ist aus soziologischer Sicht weniger ein Merkmal von Personen als eine Differenzierungskategorie, die in sozialen Situationen zum Tragen kommt und sie strukturiert (vgl. Hagemann-White 1993; Hirschauer 1994; Kelle 1999/2006), allerdings nicht universell und in immer gleicher Weise. Kelle (ebd.) konnte in Beobachtungen von Kinderspielen bei-
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spielsweise zeigen, dass Gender beim Spielen zwar eine Rolle spielt, aber nicht ständig. Identitäten seien zu komplex, als dass Geschlecht alles erklären könne. Kelle (2006) arbeitete heraus, dass Kinderspiele über die Aufteilung der Geschlechter auf zwei Mannschaften (Jungen gegen Mädchen) zwar klar geschlechtlich strukturiert sind, im Gebrauch komplementärer Körperpraktiken wie Angriff und Verteidigung zwischen den Geschlechtern jedoch abgewechselt wird. Ihrer Meinung nach werde deutlich, dass mikrosoziologisch Geschlecht nicht ständig von Bedeutung sei, während in diachron angelegten Herrschafts- und Sozialisationstheorien Geschlecht dauernd relevant ist. Sie geht davon aus, dass diese Theorien mit Blick auf empirische Variationen unterkomplex sind. Geschlecht sei kein binäres Klassifikationskriterium, das Akteure je situativ einfach nur übernehmen und mechanisch herstellen. Beispielsweise spiele auch die individuelle Aufschichtung von Erfahrungen eine Rolle. Kelle (ebd.: 132) prägt dafür den Begriff der „Selbstkomplexität“ von Akteuren. Was nämlich vermittelt werde, sei keine kulturelle objektgleiche Entität, sondern gelebte kulturelle Praxis. „Komplexität und Vielfalt der Kompetenzen und Erfahrungen kultureller Akteure (jeden Alters) werden deutlich, die in linearen und diachronen Modellierungen von Sozialisation notwendig reduziert erscheinen müssen bzw. schlechterdings nicht fassbar sind.“ (Ebd.: 133) Frerichs und Steinrücke (1995) rücken einen weiteren Gesichtspunkt in den Blick. Sie konnten am Beispiel von Frauen aus vier unterschiedlichen sozialen Klassen – Arbeiterin, mittlere Angestellte, Lehrerin, Managerin – zeigen, dass geschlechtstypische Erfahrungen sich je nach Klasse unterscheiden. Dies sei in pauschalen Gleichstellungspolitiken zu berücksichtigen. Die Analyse von Ungleichheits- und Unterdrückungsverhältnissen lässt sich nicht auf die isolierte Berücksichtigung von Kategorien wie Geschlecht, Klasse oder Rasse reduzieren. Ebenso wenig lassen sich Ungleichheit generierende Faktoren im Sinne einer Mehrfachunterdrückungsthese einfach addieren. Sie treten vielmehr in verwobener Weise auf, können sich wechselseitig verstärken oder auch abschwächen. So sind schwarze Frauen in den USA und Großbritannien beispielsweise häufiger in höheren Positionen zu finden als schwarze Männer, befinden sich aber insgesamt am untersten Ende der Verdienstskala. Gleichzeitig gibt es keine durchgängig diskriminierten Gruppen mehr, alle Strukturkategorien treten in Kombination auf und müssen zueinander in Beziehung gesetzt werden.
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„Identity politics tend to locate people‘s belonging in a one-dimensional way according to their ethnicity, race, gender, class etc.“ (Jäckel 1999: 226) Seit den 1990er Jahren wird für die Verwobenheit von race, class und gender das Konzept der „intersectionality“ (oder auch intersectional analysis) verwendet, das die amerikanische Juristin Crenshaw (1989) eingebrachte. Es bedeutet, dass sich Machtwege kreuzen, überlagern und überschneiden. Dabei geht es um die Verwobenheit und das Zusammenwirken verschiedener Differenzkategorien sowie unterschiedlicher Dimensionen sozialer Ungleichheit und Herrschaft. Auch wenn sie vor allem Wechselwirkungen zwischen Ungleichheit generierenden Kategorien wie Geschlecht, Rasse und Klasse im Blick hatte, sind Kategorien wie Sexualität, Nationalität oder Alter und auch Persönlichkeit grundsätzlich integrierbar. Offen ist dagegen noch, auf welcher Ebene und wie die Wechselwirkungen ansetzen.
5.3 I DENTITÄT
UND I NTERAKTION
Obwohl Identität „in unserer Kultur monologisch gedeutet wird“ (Keupp et al. 2002: 201), entsteht sie nicht ausschließlich sozialstrukturell, situativ und bezogen auf Differenzstrukturen, sondern stets auch in Bezug auf andere, in bewussten und unbewussten Prozessen „dialogischer Anerkennung“ (ebd.). Die Arbeit an der eigenen Identität ist ein diskursiver Prozess (vgl. Groeben/Scheele 1977), der sich in Interaktionen mit anderen ausbildet und fortsetzt (vgl. Keupp et al. 2002). Insbesondere die soziologische Perspektive verweist auf die hohe Bedeutung von Erfahrungswelten und Rollen, die in Interaktionen mit anderen Menschen durchlebt werden und die eigene Identität formen. Von Hegel über Mead, Blumer und Strauss, Luhmann bis Beck, Sennett, Keupp und Kaufmann: Identitäten gelten als Konstruktionen, die auf wechselseitige soziale Anerkennung bezogen sind. Die „Knetarbeit“ der Identität (Kaufmann 2004) findet immer unter den Augen des Anderen statt – ein Gesichtspunkt, der häufig vernachlässigt wird. Identität wird interaktiv hergestellt und bildet sich in der Interaktion mit anderen heraus. So wird gespiegelt, welche Person das Gegenüber ist, es werden Eigenschaften und Differenzen zugeschrieben und es wird bewertet. Elias (1976) geht von der „existenziellen Gruppenbezogenheit“ der
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Menschen aus. „Nach wie vor können Menschen nur in sozialen Zusammenhängen leben, und in der modernen Gesellschaft gilt dies nicht weniger als früher – vielleicht mit mehr Alternativen und Wahlmöglichkeiten des Einzelnen, aber auch mit einer immensen Vermehrung der Hinsichten, in denen man abhängig ist.“ (Luhmann 1984: 158f) Der einzelne Mensch ist nie „autonom“ (hier lässt sich die aufgeregte Debatte zum „freien Willen“ einmal mehr ad absurdum führen), sondern kann nur different und im Vergleich zu anderen gedacht werden und entsprechend nur relativ handeln. Es geht letztlich immer um die Frage, „ob der Mensch über den Verlauf seines Lebens hinweg jenseits seiner körperlichen Verfasstheit, der Einheit seines Körpers, auch eine Kontinuität und Kohärenz der Person aufweist, die als solche mit ihrer – sozialen und objekthaften – Umwelt in Beziehung tritt“ (Wagner 2006: 166). Kreissl und Steiner (2008) weisen darauf hin, dass so lange Menschen von Müttern geboren werden und auch einige Zeit danach von Schutz und Pflege anderer Menschen abhängig sind, Menschsein immer vergesellschaftet beginne und verlaufe, wenn man eine intra-uterine Phase mitrechne, die ersten fast zwei Jahre lang a-verbal. Die frühen Koppelungen seien unmittelbar körperliche Übertragungen, Imitationen, selbst Reflexe und angeborene Schemata, die sozial genützt werden. In konstruktivistischen Ansätzen wird weniger vom Subjekt als substantiellem Kern ausgegangen wird, sondern vom Bewusstsein als derjenigen Instanz, die als Inbegriff von Potentialitäten intersubjektiv verankert ist (Knoblauch 2004: 54). Identitätsentwicklung und -herstellung vollziehe sich über kommunikatives Handeln im Austausch mit anderen Menschen und in konkreten Interaktionen. Das „Individuum“ mit seiner Identität sei von Anbeginn und lebenslang ein soziales, in sozialen Beziehungen aufwachsendes, lebendes und handelndes Wesen. Das Selbst sei der Vordergrund, der vor dem Hintergrund der anderen entstehe. Kinder seien beispielsweise mehr als Realität verarbeitende und Kultur aneignende Personen, sie seien von Anfang an Mit-Konstrukteure (Kelle 2006: 122). Für die Entwicklung von kognitiven Strukturen und Bewusstsein, Identität und Selbst ist die Interaktion mit anderen von großer Bedeutung und gleichzeitig Voraussetzung – dies zeigen sozialpsychologische, soziologische und neurowissenschaftliche Untersuchungen gleichermaßen: Schon im Alter von neun Monaten entsteht Intersubjektivität, also die Fähigkeit, andere als zielgerichtet zu verstehen. Die Fähigkeit des „mind reading“
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(Hurley 2005), sich in andere hinein versetzen zu können, entwickelt sich jedoch erst ab einem Alter von drei Jahren. Dann beginnt auch das autobiografische Gedächtnis allmählich zu entstehen (vgl. Kapitel 3). Gedächtnisentwicklung verläuft vom Sozialen zum Individuellen (vgl. Keddi 2007; Markowitsch/Welzer 2005) und nicht umgekehrt. Die Entwicklung des autobiografischen Gedächtnisses (vgl. Markowitsch/Welzer 2005), der Seinsgewissheit (vgl. Giddens 1988) oder des Gefühls von Selbigkeit (vgl. Kraus 1996) findet in realen und gedachten (Wechsel)Beziehungen mit Personen und Gruppen statt. Die Mitglieder einer Gesellschaft oder Gruppe übernehmen dabei eine doppelte Rolle: „Sie sind Akteure und gleichzeitig Interpreten eigener und fremder Handlungen.“ (Soeffner 2004: 161) Eine wichtige Voraussetzung für die Fähigkeit zur Identitätsentwicklung ist die Fähigkeit, andere als intentional handelnde Akteure zu verstehen, in der Psychologie als „Theory of Mind“ bezeichnet (Nelson 2006). Wenn Identität in sozialen Diskursen und Interaktionen entsteht, wird sie also von außen nach innen konstruiert: Die eigene Identität wird abgeleitet von der wahrgenommenen Identität anderer Personen, eine Sichtweise, die nicht nur in den Sozialwissenschaften, sondern auch in den Neuro- und Kognitionswissenschaften vertreten wird (vgl. Prinz 2003). Ihre soziale Konstruktion ist in Attributionsdiskursen organisiert, die Bewusstsein und Identität hervorbringen. Diskurse dieser Art werden in allen Kulturen der Welt gepflegt. Sie reichen von face-to-face Kommunikationen im mikrosozialen Bereich über narrative Diskurse bis hin zu Diskursen von Moral, Recht und Religion. Durch sie werden Individuen das, was sie nur von Natur aus nicht sein können, Personen. In der interaktionistischen Tradition von Mead und Goffman bringen Akteure miteinander in situierten Handlungssituationen und in Akten wechselseitiger Deutung soziale Realität hervor. Im Blickpunkt stehen die gegenwärtigen Bedeutungen von Aktivitäten. Bedeutungen entstehen durch soziale Interaktionen mit „signifikanten Anderen“ und können in neuen Situationen und im Kontakt mit neuen Bezugspersonen verändert werden. Selbst- und Weltinterpretationen werden in „face to face-Situationen“ im „Wechselspiel zeichenhaft repräsentierter Aktion und Reaktion von Selbstdeutung und Fremddeutung, Erwartung und ‚Erwartungserwartung‘, Objektgewissheit und Selbstgewissheit, Sinnkonstitution und Sinntradierung, Bedeutungssicherung und Bedeutungsveränderung, Orientierung und Koorientierung, von Interaktion und Kooperation“ (Soeffner
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2004: 181) vollzogen. Impulse für diese Perspektive sind von den Cultural Studies und Kulturwissenschaften ausgegangen (vgl. Hall/du Gay 1996; Moebius/Reckwitz 2008). Mit dem „cultural turn“ wurde Kultur als bedeutungs- und wissensorientierten Komplex von Sinnsystemen konzeptualisiert, mit denen sich die Handelnden ihre Wirklichkeit bedeutungsvoll erschaffen und die in Form von Wissensordnungen Handeln ermöglichen und einschränken. Dieser Kulturbegriff mit Wurzeln in Cassirers Philosophie der symbolischen Formen, in der Phänomenologie von Husserl, in der Hermeneutik, im Pragmatismus von Peirce, James, Dewey, Thomas und Mead, in der Sprachphilosophie Wittgensteins und im Strukturalismus erweitert die Ausrichtung von Kultur an symbolischen Ordnungen und den Beziehungen zwischen Menschen (Interaktionen) auf die Beziehungen zwischen Menschen, Objekten und Artefakten. Bildern, Medientechnologien, Körpern, technischen Dingen und Räumen kommt hierbei eine zentrale Bedeutung zu (vgl. Moebius 2009). Weil viele Lebensbereiche von Medien durchdrungen sind (früher waren es Bücher und Schauspiele), sind auch virtuelle soziale Prozesse und Gegenstände an der Herstellung von Identität beteiligt, sei es mit fiktiven Gestalten oder weil sie dem Menschen außerhalb der Medien niemals begegnen (vgl. Schramm/Hartmann 2007): Von den klassischen Personae im Hörfunk (z. B. Moderatoren), im Fernsehen oder Kino (z. B. Schauspieler und Filmrollen, Musikstars, Nachrichtensprecher, Sportler etc.) über Figuren aus interaktiven Kontexten (z.B. Computerspielfiguren und Avatare) bis zu Personae aus Printmedien (z.B. Politiker, Helden aus Romanen, Comic-Figuren). Alle sind mögliche Bezugsfiguren im Rahmen von Identitätsentwicklungsprozessen bzw. -verständigungsprozessen im sozialen Kontext.
5.4 I DENTITÄTSARBEIT – P RAXIS
UND
P RAKTIKEN
Aufgrund der Dynamik der sozialen Umwelt mit immer wieder neuen Anforderungen ist jeder Mensch zur ständigen Identitätsarbeit gefordert – situativ, alltäglich, in verschiedenen Lebensbereichen, in Beziehungen und im Lebenslauf. Marcia (1993) spricht aus sozialpsychologischer Richtung von der „erarbeiteten Identität“, deren Profil sich durch die Bewältigung von Lebenskrisen fort entwickle, die sich geradezu zwangsläufig aufgrund
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dynamischer Umwelten ergeben und immer wieder Adaptionsprozesse erforderlich machen. Aus modernisierungstheoretischer Sicht argumentiert Sennett (1998) ähnlich. Er charakterisiert Identitätsarbeit als „Aufrechterhaltung des Ich“ und als „Aktivität auf ständig sich wandelndem Grund, da sich die Bedingungen selbst ändern und man an Erfahrung gewinnt.“ „Treue zu sich selbst aber heißt im Wesentlichen, derselbe zu bleiben, egal, wo man ist oder wie alt man ist.“ (ebd.: 200) Identitätsarbeit betrifft aber auch die Modifizierungen, die eine Person an der Theorie vornimmt und vornehmen muss, die sie über sich selbst besitzt. „Die Konstante des Selbst besteht [dabei] nicht darin, eine Identität aufrechtzuerhalten, sondern eine dialektische Spannung zu ertragen und immer wiederkehrende Krisen zu meistern“ (Keupp et al. 2002: 85). Es gehe auf der einen Seite um die Verarbeitung von Umweltdynamiken und biografischen Umbrüchen, auf der anderen Seite um die personale Anerkennung innerer Widersprüche. Mit der Bedeutung und Notwendigkeit von Identitäts-Arbeit (ebd.) stellt sich die Frage nach den Handlungs- und Verhaltensformen, nach den Praktiken also, mit denen Menschen Identität herstellen. Faulstich-Wieland (2008: 243) verweist am Beispiel von „doing gender“ als Herstellung von Kontinuität der Geschlechtszugehörigkeit auf die Praktiken der Inszenierungen als Mädchen oder Jungen, Frauen oder Männern. Diese seien nur notwendig, weil die biologischen Merkmale nicht eindeutig sind – ein Zusammenhang, der für alle Konstruktionsprozesse von Kontinuität gilt. Wäre Kontinuität „von sich aus“ gegeben, müsste sie nicht mit verschiedensten Praktiken immer wieder von neuem hergestellt werden. Praktiken sind ebenso wie Identitäten nicht universell, sondern existieren nur im historisch-zeitlichen, kontextuellen und biografischen Bezug. So gibt es typische Praktiken für eine bestimmte Zeit, Kultur und Milieu (vgl. Bourdieus Habituskonzept). Praktiken sind aber kein fixes Reservoir an Regeln und Routinen, sondern werden in der Praxis prozessiert, modifiziert, moduliert und erneuert (Kelle 2006: 127). Gleichzeitig sind Praktiken nicht nur sozial, sondern auch körperlich konstituiert, wie Alkemeyer (2008) am Beispiel von Sportpraktiken zeigt. Jedes Handeln verlange ein praktisches Mitwirken des Körpers und die Mobilisierung einer spezifisch praktischen Intelligenz. In Praxistheorien wird dies aufgegriffen. Die soziale Welt der Praktiken erscheint dabei im Spannungsfeld zweier grundsätzlicher Struktur-
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merkmale (vgl. Reckwitz 2003): Routinisiertheit einerseits und Unberechenbarkeit interpretativer Unbestimmtheiten andererseits. „Anders formuliert, bewegt sich die Praxis zwischen einer relativen Geschlossenheit der Wiederholung und einer relativen Offenheit für Misslingen, Neuinterpretation und Konflikthaftigkeit des alltäglichen Vollzugs. Diese beiden Aspekte, die allerdings bei verschiedenen praxeologischen Autoren in unterschiedlicher Weise betont werden, markieren keinen Widerspruch, sondern zwei Seiten der Logik der Praxis. Routinisiertheit und Traditionalität sind nur eine Seite der sozialen Welt, denn immer wieder ergibt sich eine interpretative und methodische Unbestimmtheit, Ungewissheit und Agonalität, die kontextspezifische Umdeutungen und Praktiken erfordert und eine Anwendung erzwingt und ermöglicht, die in ihrer partiellen Innovativität mehr als eine reine Reproduktion darstellt.“ (Ebd.: 294)
Die relative Offenheit der Praxis wird jedoch nicht essentialistisch als Eigenschaft des Subjekts verstanden. Vielmehr sind es nach Reckwitz die Prädikate der sozialen Praktiken selbst, die Logik der Praxis, die diese Offenheit herbeiführen. Reckwitz führt vier Eigenschaften an, die die Unberechenbarkeit von Praktiken und ihre Offenheit für kulturellen Wandel zum Normalfall werden lassen: •
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Kontextualität: Situationsspezifische Anforderungen können meist routinisiert bewältigt werden. Überraschungen des Kontextes können dazu führen, dass die Praktik misslingt oder zu misslingen droht. Unter Einbeziehung alten Wissens müssen dann partiell neue soziale Praktiken entwickelt werden. Zeitlichkeit mit den Momenten Zukunftsungewissheit und Potenzial der Sinnverschiebung: Die immer wieder neue Anwendung einer Praktik ist nur im Grenzfall eine identische Wiederholung. Sie enthält das Potenzial zufälliger, sprunghafter oder schleichender Verschiebungen im Bedeutungsgehalt der Praktik und ihres Wissens. „Diese Zeitlichkeit ist keine bloße Eigenschaft in der ‚objektiven Zeit‘ eines Beobachters, sondern in der subjektiven Zeit von Handelnden, die eine Praktik vollziehen. Die Zeitlichkeit bedeutet vor allem eine ‚Zukunftsungewissheit‘, sie bedeutet ein Nicht-Wissen bezogen darauf, inwiefern ein bestimmtes Handeln im Rahmen der Praktik gelingen wird und die Praktik fortzusetzen ist.“ (Ebd.: 295)
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Lose Verkopplung: Die relative Veränderungsoffenheit der Praxis hängt auch damit zusammen, dass diskrete soziale Praktiken nicht isoliert vorkommen. Diese lose Koppelung von Praktiken in Praxiskomplexen führt zur Konkurrenz unterschiedlicher sozialer Logiken in sozialen Feldern und zu interpretativen Mehrdeutigkeiten. Struktur des Subjekts als lose gekoppeltes Bündel von Wissensformen: Die Struktur des Subjekts lässt dieses als Quelle von Unberechenbarkeit und kultureller Innovation erscheinen. Aus praxistheoretischer Perspektive ist es nicht eine vorausgesetzte Autonomie oder Individualität, welche die Eigensinnigkeit begründet; sie ergibt sich vielmehr aus der praktischen Notwendigkeit, mit verschiedenen Verhaltensroutinen und deren heterogenen Sinnroutinen um zugehen.
Reckwitz schließt sich damit der Sicht des Pragmatismus von Peirce, Dewey und Mead an, die Handeln als tripolar kennzeichnen (vgl. Nohl 2006). Das gewohnheitsmäßige Handeln als „habit“ bestehe, wenn Person und Welt sich in einer Passung befinden. Gerate diese Passung aus den Fugen, könne es entweder, vermittelt über spontane Handlungsanregungen, zu reflektiertem oder zu spontanem Handeln kommen. Spontanes Handeln erfüllt die Person vollständig und bringt nach Dewey (1995: 66) „eine experience in Gang [...], die nicht weiß, wohin sie geht“. Aber auch spontanes Handeln folgt einer „erlernten Praxis“, so meine Annahme. Reines spontanes Handeln existiert nicht. Es gründet immer schon auf Erfahrungen und Praktiken. Ob es um die ständige Wiederholung eingeübter Praktiken geht oder um Handlungen, die intentional und geplant auf Veränderung ausgerichtet sind, es handelt sich bei performativen Prozessen stets um Transformationsprozesse, die prinzipiell nicht vollkommen planbar, kontrollierbar und verfügbar sind. Da sie keine fest ineinander gefügten kausalen Ketten von Bewegungs- und Handlungsabfolgen darstellen, sondern immer wieder Spiel- und Freiräume eröffnen, taucht Ungeplantes, Nicht-Vorhersagbares auf, das den Herstellungsprozess wesentlich mitbestimmt. Intention und Kontingenz, Planung und Emergenz sind dabei untrennbar miteinander verbunden zu sein. Im Folgenden werden unterschiedliche Typen von Praktiken der Identitätsarbeit identifiziert, um eine Vorstellung zu vermitteln, wie vielfältig, dicht und alltäglich diese Praktiken unser Leben durchziehen. So können
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sie auf den Alltag bezogen, subjektbezogen, postmodern oder diskursiv sein, zur Identitätsentwicklung beitragen, gebündelt oder Teil der gemeinsamen Identitätsarbeit mit anderen Personen oder Gruppen sein. Sie überschneiden sich dabei in der Praxis vielfach und sind zudem häufig kontingent. 5.4.1 Alltagspraxis und Routinen Die Herstellung von Identität findet in Interaktionen, realen oder vorgestellten, statt, die mit sozialen Praktiken verknüpft sind und mikrostrukturell im Alltag identifiziert werden können (vgl. Bongaerts 2007; Reckwitz 2003). Routinen spielen dabei als Grundelement sozialen Handelns eine wichtige Rolle und sind den Handelnden als „praktisches Bewusstsein“ verfügbar (Giddens 1988: 336). „Sie beinhalten alles, was gewohnheitsmäßig getan wird oder durch Wiederholung zur Gewohnheit geworden ist. Routinen sind die vorherrschende Form der sozialen Alltagsaktivität [...]. Die meisten alltäglichen Praktiken sind nicht direkt motiviert. Routinisierte Praktiken sind der wichtigste Ausdruck der Dualität der Struktur in Bezug auf die Kontinuität sozialen Lebens. Bei der Ausübung von Routinen erhalten Handelnde ein Gefühl der Seinsgewissheit aufrecht.“ (Ebd.: 336)
Routinisierung sei die „gewohnheitsmäßige, für selbstverständlich hingenommene Natur der großen Masse der Handlungen des Alltagslebens; das Vorherrschen vertrauter Verhaltensstile und -formen, die ein Gefühl der Seinsgewissheit sowohl fördern wie umgekehrt in diesem auch ihren Rückhalt finden“ (ebd.: 431). Sie sei (ebd.) äußerst wichtig, um ein Gefühl des Vertrauens in die Kontinuität der Objektwelt und der Seinsgewissheit aufrecht zu erhalten. Gleichzeitig seien Routinen wichtige Bausteine gesellschaftlichen und individuellen Lebens. Sie gewährleisten reibungsloses Funktionieren. In Situationen, in denen das Gefüge des Alltagslebens frontal angegriffen und systematisch deformiert werden, wird zunächst versucht, früher gewohnte Verhaltensweisen und Routinen aufrecht zu erhalten, wie Giddens am Beispiel Bettelheims zeigt (ebd.: 141). Er bezieht sich auf dessen Beschreibung und Analyse seiner Situation in den Konzentrationslagern von Dachau und Buchenwald. In anderen Untersuchungen zeigt sich, dass
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Menschen unter Zeitdruck häufig „rückfällig“ werden und sich nach altbekannten und vertrauten Mustern verhalten, obwohl sie zuvor explizit entschieden hatten, dass sie von ihren Routinen abweichen möchten (vgl. Betsch 2005: 266f). Ein bekanntes Beispiel ist das Abnehmen durch Diäten und Sport. Soeffner (2004: 25) weist darauf hin, dass auch Deutungsmuster ein Beharrungsvermögen aufweisen. Es ist jedenfalls davon auszugehen, dass ein Großteil sozialen Handelns als eine Form der automatischen reziproken Koordination zwischen den beteiligten Personen verläuft (vgl. Kreissl/Steinert 2008), in Garfinkels Formulierung, „seen, but unnoticed“ (ebd.). Die in der Tradition der Ethnomethodologie entwickelten Verfahren sind hier vielversprechend. Aber auch in der experimentellen Sozialpsychologie ist das Thema der „Automaticity of everyday life“ (Bargh 1997) etabliert. 5.4.2 Subjektbezogene Praktiken personaler Identität(en) Im Zentrum subjektbezogener Praktiken stehen Individualisierungs- und Subjektivierungsmomente. Sie reichen von Emotionen (Kaufmann 2004: 215) über körperbezogene Praktiken bis hin zu Identifikationsetiketten wie Gender. Sie sind bewusst und unbewusst, können reflexiv, geplant und gezielt sein, sind es aber ganz überwiegend nicht. Reckwitz (2006) unterscheidet drei Felder von Aktivitäten, die sich seit dem 18. Jahrhundert als konstitutiv für die Produktion von Subjekten darstellen: • •
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Praktiken der Arbeit, mit denen sich die/der einzelne als Arbeitssubjekt trainiert Praktiken persönlicher und intimer Beziehungen: Familie, Partnerschaft, Sexualität und Geschlechtlichkeit bringen den/die Einzelne in die Form eines Intimitätssubjekts Technologien des Selbst in Anlehnung an Foucault, mit denen das Subjekt jenseits von einzelnen Bereichen ein Verhältnis zu sich selber herstellt. Dies können beispielsweise Tagebücher sein. Dieses praxeologische Subjektkonzept wertet er als Teil eines „kulturwissenschaftlichen Entzauberungsprogramms“ (ebd.: 25), in dessen Rahmen Universalien „als historische Partikularien kleingearbeitet“ (ebd.) wer-
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den und sich zeige, wie scheinbar natürliche Begebenheiten „Korrelate hochspezifischer alltäglicher ‚Technologien‘“ (ebd.) sind. Kaufmann (2004) geht in „Die Erfindung des Ich“ davon aus, dass das Wichtige an der Identität nicht das Beständige, sondern die „Geschlossenheit des Sinns“ (ebd.: 59) sei, manchmal nur so lang wie der Bruchteil einer Sekunde – eine Parallele zu neuronalen Praktiken der Herstellung von räumlicher und zeitlicher Kontinuität. Giddens (1991: 53) unterscheidet zwischen einer einfachen Identität, die sich aus der Laufbahn ergebe, und der Selbst-Identität, die die „reflexive“ Interpretation biografischer Kontinuität sei. Schimank (2002: 10) ist allerdings der Meinung, dass der Reflexive Subjektivismus nur den „Identitätsvirtuosen“ in der modernen Gesellschaft offen steht. Er werde nur von besonders mit ihrem Selbstverständnis ringenden Menschen praktiziert. Identität ist entsprechend selbstreferentiell: „Ich muss meine Lebenserzählung in sich stimmig präsentieren“ (Keupp/Hohl 2006). Die meisten Menschen begnügten sich mit der individuellen Sinnstiftung durch Erhebung und Befriedigung von Ansprüchen, die an die verschiedenen Teilsysteme der Gesellschaft wie Bildung, Einkommen, Konsum, Gesundheit gerichtet werden, ein Anspruchsindividualismus, der die Moderne gefährde (vgl. Schimank 2002). Beichte, Psychound Gruppentherapie sowie Psychiatrie lassen sich nach Willems/Hahn (1999) als Praktiken institutioneller Selbstthematisierung auffassen. Butler (2009) zeigt am Beispiel von Gender, wie vorgegebene Praktiken individuell übernommen werden: Wenn Gender eine Art von Tun ist, eine unablässig vollzogene Tätigkeit, die zum Teil ohne eigenes Wissen und ohne eigenes Wollen abläuft, ist es aus dem Grunde nicht schon automatisch oder mechanisch. Im Gegenteil, Gender wird zur Praxis der Improvisation im Rahmen von Zwang. Gleichzeitig „spiele“ frau oder man die Geschlechtsrolle nicht allein, sondern immer mit oder für einen anderen, selbst wenn dieser andere nur vorgestellt ist. Was als das „eigene“ Gender bezeichnet werde, erscheine manchmal als etwas, für das es einen Urheber gebe oder sogar einen Eigentümer. Die Bedingungen, die das eigene Gender kreieren, lägen jedoch von Anfang an außerhalb des Selbst, wurzelten in einer Sozialität, die keinen einzelnen Urheber kennt und die Idee der Urheberschaft selbst grundlegend in Frage stellt. Identitätsarbeit ist anstrengend und „erschöpfend“ (Ehrenberg 2004). Es ist möglich, sich ihr zu „entziehen“, indem der Identitätsprozess ver-
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weigert wird (vgl. Kaufmann 2004). Kaufmann beschreibt zwei Gegenpole von Identität, ein Pol ist die Negation von Identitätsarbeit, was nicht bedeute, dass Identität negiert wird, sondern dass die zugeschriebene Identität abgelehnt wird, der andere, dem Identitätsprozess zu widerstehen oder aus ihm auszusteigen: Exit (ebd.: 214). Eine weitere Möglichkeit besteht in der Distanzierung. Identität entsteht vor allem dort, wo es Menschen gelingt, sich als Subjekte zu verwurzeln und zu verorten. Es zeigt sich, „dass soziale Systeme den Handelnden einen entscheidenden Schritt bei der Sicherung sozialen Miteinanders [...] nicht abnehmen können, nämlich eine Reaktion, durch die sie zu erkennen geben, wie sie, als herausgeforderte Subjekte, den Stand der Verhältnisse verstehen und vorantreiben wollen.“ (Leu/ Krappmann 1999: 16) Das Subjekt hat keine „natürliche Ausstattung“, sondern ist „eine Instanz, Struktur oder [...] Ensemble von Kompetenzen, das in [...] sozialen Interaktionen [...] erst entsteht und sich dennoch in kritische Distanz zu den Prozessen und Institutionen zu setzen vermag, in denen dieses Subjekt sich gebildet hat“ (Ebd.: 11). Kraus (1996) hat die Bedeutung von Narrationen für Identitätskonstruktionen, besonders für postmoderne, herausgearbeitet. Biografien und Autobiografien, die schon immer eine literarische Aufarbeitung des eigenen Lebens darstellen, überschwemmen den Buchmarkt. Die RezipientInnen vergleichen sich mit den dargestellten Biografien und stiften sich dadurch Sinn. Narrative Identitäten werden von den einzelnen nicht unbedingt vor sich her getragen, sondern immer wieder erzählt, geglättet, fortund umgeschrieben als Gesamtbiografie und in biografischen Versatzstücken Sie bilden sich in der Interaktion mit anderen und sind deshalb nicht nur Einzelleistung, sondern beziehen ihre Kontinuität auch aus dem sozialen Bezugsfeld. Kraus betont (ebd.) bei der Analyse von Interviews mit Jugendlichen, dass die Konstruktion des Selbst in Geschichten geschehe. Biografische Selbstthematisierung ist dann eine Praktik, in der Biografie eine persönliche Kontinuität herzustellen und aufrechtzuerhalten. Was das Subjekt an Projekten formuliere, wie es diese mit sich und anderen verhandele, finde in Narrationen statt. Diese wiederum seien sozial eingebettet. Kraus verweist darauf, dass „wir uns nicht nur in der alltäglichen Interaktion in Geschichten, Erzählungen darstellen, sondern dass wir unser ganzes Leben und unsere Beziehung zur Welt als Narrationen gestalten“ (ebd.: 170).
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Kraus bezeichnet die Art, in der Menschen selbst-relevante Ereignisse auf einer Zeitachse aufeinander beziehen als Selbst-Narration, mit der versucht wird, kohärente Verbindungen zwischen Lebensereignissen herzustellen. Diese lassen sich grob in Stabilitäts-Narration, progressive Narration und regressive Narration einteilen. Alle drei Typen beziehen sich auf die „Grundfrage jeder Identitätsentwicklung [...], nämlich sich zu ändern und doch gleich zu bleiben“ (ebd.: 174). Insgesamt seien die verfügbaren Narrationsformen wie alle Praktiken nicht unendlich, sondern ihre Anzahl sei gesellschaftlich bedingt. 5.4.3 Postmoderne Praktiken der Identitätsherstellung Praktiken postmoderner Identitätsherstellung werden häufig mit Metaphern von Dynamik und Nichtfestgelegtsein, Verkürzung von Perspektiven und Offenhalten von Optionen beschrieben. Es wird davon ausgegangen, dass dies in unsicheren Zeiten sinnvolle Identitätsstrategien sind. Sie werden im Folgenden relativ detailliert skizziert, weil sie den wissenschaftlichen und öffentlichen Diskurs beherrschen und häufig als Beispiele für Fragmentierung herangezogen werden: •
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„Surfer“ (Beck/Bonß 2001) akzeptieren beispielsweise rasche Kontextveränderungen und reagieren auf diese. Kurskorrekturen richten sie an langfristigen Zielen aus. „An sich zweifeln“ als Ausdruck reflexiven Subjektivismus („ich zweifle an mir, also bin ich“) kann ebenfalls eine Praktik sein, persönliche Kontinuitätsbedürfnisse zu erfüllen (Schimank 2002). Die je eigene Subjektivität als Bezugsrahmen alles Erlebens und Handelns stelle das kontinuierliche Element dar und löse die in früheren Zeiten kontinuitätsstiftenden Faktoren wie Traditionen, Schichtung und Geschlecht ab. Eine weitere Praktik kann es sein, nur „Projekte durchzuführen“ (Kraus 2006: 172) und sich so nur relativ kurzfristig festzulegen. Auch die „situative Identität“ (vgl. Kraus 2006; Rosa 2005) bietet größtmögliche Offenheit. Selbste frei kombinieren und wechseln zu können, scheint für die postmoderne Lebensgestaltung typisch zu sein, wie Schimank (2002: 107) am Beispiel der Biografie Bob Dylans zeigt. Aber auch wenn
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Dylans Leben scheinbar ziellos und ohne Stringenz verlief, bedeute dies nicht, dass es ungerichtet war (ebd.). Der rote Faden in seinem Leben sei gewesen, dass er sich immer weg vom je Vorgegebenen entwickelt habe – möglicherweise eine postmoderne Form von Kontinuität. Die Formel von der „Patchworkidentität“ (Keupp et al. 2002) wird in diesem Zusammenhang häufig missverstanden, denn auch ein Quilt wird von Fäden zusammengehalten. Praktiken des „Spielens“ haben neben Baumann (1996) auch Brose et al. in einer Studie zu spätmodernen Formen der Lebensführung herausgearbeitet (zitiert nach Schroer 2001: 369f). Die Biografieorganisation sei den veränderten Bedingungen am besten angepasst. Zeitperspektiven seien durch eine „gegenwärtige Zukunft“ geprägt, offen im Sinn der Möglichkeit zu unterschiedlichen Entwicklungen. „Nomaden“, „Flaneure“, „Vagabunden“, und „Touristen“ (vgl. Gebhardt/Hitzler 2006) sind eine weitere Spielart von Praxisformen, bei denen der Einzelne sich nicht auf etwas Langfristiges einlässt. Schimank (2002) beschreibt „Flipperspielen“ und „Durchwursteln“ als weitere erfolgversprechende Praktik, den Anforderungen der reflexiven Moderne gerecht zu werden. Auch wenn ein Leben scheinbar ziellos verlaufe (ebd.: 107), müsse es nicht ungerichtet sein. Keupp et al. (2002) sprechen vom „boundary management“ als der Fähigkeit mit Grenzproblemen umzugehen. Gemeint ist die Herausforderung an die Menschen, „die für das eigene gute Leben notwendigen Grenzmarkierungen zu setzen. [...] Letztlich komme es darauf an, dass Subjekte lernen müssen, ihre eigenen Grenzen zu finden und zu ziehen, auf der Ebene der Identität, der Werte, der sozialen Beziehungen und der kollektiven Einbettung“ (ebd.: 29). Die Tragweite einer solchen Anforderung an die alltägliche Lebensbewältigung ist zu ermessen, wenn man sie im Kontext von Befunden sieht, wie sie beispielsweise Sennett (1998) oder Baumann (2005) vorgelegt haben. „Drifter“ (Sennett 1998) erleben die fehlende Kontinuität und Stabilität weniger als Option denn als Bedrohung und Verlust. Sie sehen sich nicht in der Lage zu handeln. Diese Erfahrung macht sie eher zu passiven Objekten. „Die Bedingungen der Zeit im neuen Kapitalismus haben einen Konflikt zwischen Charakter und Erfahrung geschaffen. Die Erfahrung einer zusammenhangslosen Zeit bedroht die Fähigkeit der Menschen, ihre Charaktere zu durchhaltbaren Erfahrungen zu
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formen.“ (Ebd.: 37) Während der größten Spanne der Weltgeschichte hätten Menschen akzeptiert, dass sich ihr Leben aufgrund von Kriegen, Hungersnöten oder anderen Katastrophen verändern könnte und sie zum Überleben improvisieren müssten. Die heutige Unsicherheit stehe eher mit den alltäglichen Praktiken eines vitalen Kapitalismus in Verbindung. „Nichts Langfristiges“ desorientiere auf lange Sicht jedes Handeln, löse die Bindung von Vertrauen und Verpflichtung und untergrabe die wichtigsten Elemente der Selbstachtung (ebd.: 38). In psychoanalytisch orientierten Ansätzen wird die Fragilität moderner Kontinuitätskonstruktionen ebenfalls betont. Ehrenberg (2004) wählt die Metapher der Führungslosigkeit. Er analysiert die Depression als „Geländer des führungslosen Menschen“; sie habe in modernen Gesellschaften erheblich zugenommen hätte: „Das ideale Individuum wird nicht mehr an seiner Gefügigkeit gemessen, sondern an seiner Initiative.“ (Ebd.: 9) Depression, eher Krankheit und Dysfunktion denn Unzulänglichkeit, schuldhaftes Fehlverhalten und Gesetzesbruch, sind entsprechende Praktiken. Damit sei das Innere, die Psyche an die Stelle der Seele getreten, Psychotherapie ersetze Religion. Kraus (1996) führt Praktiken der Dissoziation an, die „Multiple Identitäten“ hervorbringen, ein Phänomen, das seit Mitte des 19. Jahrhunderts beschrieben wird. Weil es zu einer Zumutung wird, sich jederzeit „flexibel“, anpassungsfähig, mobil und gegenüber Entstandardisierungen als geschmeidig zu erweisen, reagieren Teile der Bevölkerung mit Symptomen des Überfordertseins, des Rückzugs, der Ablehnung von kultureller Vielfalt, Pluralität und Komplexität: Sie begrenzen die Herausforderungen durch die Postmoderne durch strikte Reduktion auf das Einfache, das Nahe liegende, auf das, was Thiersch als „Pseudokonkretheit des Alltagsbewusstseins“ analysierte (vgl. Grunwald/Thiersch 2008).
5.4.4 Diskursive Praktiken Reckwitz (2008b) versteht „Diskurse“ als spezifische Menge von Praktiken. Sie seien diskursive Praktiken, die sich auf der gleichen ‚flachen‘ Ebene verstreuter Praktiken bewegen und weder einen Oberflächen-Überbau noch einen tiefenstrukturellen Unterbau der Praxis bilden. Diskurse
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(diskursive Praktiken) unterscheiden sich dadurch, dass sie Praktiken der Repräsentation darstellen, das heißt Praktiken, in denen Objekte, Subjekte und Zusammenhänge auf eine bestimmte, regulierte Weise dargestellt werden und in dieser Darstellung als spezifische sinnhafte Entitäten erst produziert werden. Diskurse können aus der hier vorgeschlagenen Perspektive nicht anhand äußerer Kriterien von Nichtdiskursen trennscharf unterschieden werden, vielmehr ist der „Diskurs“ eine spezifische Beobachterkategorie, welche Zeichen verwendende Praktiken unter dem Aspekt ihrer Produktion von Repräsentationen betrachtet. Dies lasse sich anhand von Beispielen erläutern: Sprachliche Kommunikationen unter Anwesenden – etwa eine Diskussion zwischen Wissenschaftlern auf einer Konferenz, ein Gespräch zwischen Partnern in einer Ehe, zwischen Angestellten am Arbeitsplatz (ob im Zusammenhang ihrer Arbeit oder nicht) – seien Zeichen verwendende Praktiken, aber ob sie Diskurse darstellten oder sich in Diskurskomplexe einbetten ließen, hänge davon ab, welche Perspektive auf sie man einnimmt. Die sprachlichen Kommunikationen in der Face-to-face-Konstellation können etwa als Praktiken spezifischen intersubjektiven Austausches rekonstruiert werden, in denen sich beispielsweise bestimmte Regeln des „turn-taking“ ein bestimmter Kommunikationsstil zwischen männlichen und weiblichen Subjekten (auf verbaler und nonverbaler Ebene), zwischen Vorgesetztem und abhängig Beschäftigtem usw. herausarbeiten lassen. Sie können aber auch unter einem anderen Aspekt betrachtet werden: dem, was gesagt wird, wie die Welt auf der Ebene der Propositionen repräsentiert wird und wie diese Repräsentationen strukturiert sind. Als Beispiel führt Reckwitz an, wie sich bürgerliche Ehepartner im 19. Jahrhundert ihre Ehe, ihre Geschlechterpositionen, Fragen der Kindererziehung vorstellen und wie diese Aussagesysteme aufgebaut sind. Diskurse sind nicht aus einem anderen Stoff gemacht als Praktiken. Sie sind selber Zeichen verwendende Praktiken, und zwar solche, in denen die Dinge auf bestimmte Art und Weise repräsentiert werden. 5.4.5 Gebündelte Praktiken Subjektformen werden nach Reckwitz (2003) in Alltagspraktiken hervorgebracht, „trainiert“ und stabilisiert. Dies geschieht jedoch nicht punktuell durch einzelne Praktiken, sondern im Verbund einzelner Praktiken. Praktiken werden je zu einem Lebensmuster, zur Alltäglichen Lebensführung
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(Kudera/Voß 2000) oder zu Konglomerationen (Rathmayr et al. 2009) gebündelt. Das Konzept der Alltäglichen Lebensführung (Kudera/Voß 2000) greift auf einen Zentralbegriff Webers zurück: „In Absetzung von Konzepten, die primär auf die Sinnebene des Alltags abheben (etwa der Alltagsbegriff oder der Lebensweltansatz der Phänomenologie) und auch kontrastierend zu Weberinterpretationen, die Lebensführung vorwiegend in Bezug auf ihre religiös ethische Fundierung thematisieren, wird dabei Lebensführung vor allem als Praxis, als Zusammenhang der alltäglichen Tätigkeiten gesehen“ (Voß 2000: 69). Sie ist (Rerrich/Voß 2000: 160) der Bezugspunkt einer Gesamtstrategie, in der die Einzelstrategien verbunden sind. Lebensführung wird verstanden als „Ort, an dem verschiedene Faktoren Interferenz zusammenwirken“ und als „praktische Methode für die aktive Verarbeitung vorgefundener Bedingungen“ (ebd.). Das System der Lebensführung ist Ergebnis der aktiven Konstruktionsleistung einer Person. Gleichzeitig folgt die Lebensführung, wenn sie einmal arrangiert ist, einer funktionalen und strukturellen Eigenlogik. In den empirischen Arbeiten zur Lebensführung wird die verschiedenartige Kombination von Tätigkeitsberiechen bei unterschiedlichen Personen rekonstruiert. „Alltägliche Lebensführung hat also die Funktion, die vielfältigen, widersprüchlichen und nicht selten konflikthaften Anforderungen des Alltagslebens in mehr oder weniger geregelter Weise auszubalancieren und repräsentiert eine individuell gestaltete Ordnung, die die Form von unterschiedlichen, mehr oder weniger dauerhaften Arrangements annimmt.“ (Ebd.: 82)
Die Kontinuität der individuellen Existenz entsteht aus dem „Zusammenspiel von biografischer Entwicklung und routinisiertem Alltag“ (ebd.). In dem Forschungsprojekt wurden elf Typen herausgearbeitet: neun in der Spanne zwischen „schicksalhaft konstant außengeleitet“ über „mitbestimmt“ bis zu „reflexiv selbstbestimmt“, hinzu kamen als Ausnahmesituationen die Typen „resignative“ und „chaotische“ Lebensführung. Die unterschiedlichen Kombinationen von Tätigkeiten und die Art und Weise, wie sie verknüpft sind, kennzeichnen die subjektive und überwiegend routinisierte Form der Lebensführung. Das Innsbrucker Konzept der Konglomerationen konturiert ebenfalls subjektiv gebündelte Kontinuitätsstrategien. Konglomerationen sind das
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„Gefüge teils homogener, teils heterogener, teils widersprüchlicher Erfahrungen, die durch Ent- und Absicherungspraktiken eine lebenstaugliche Existenz ermöglichen“ (Rathmayr et al. 2009: 9). Identität und Subjektivität werden als alltagsbedingte Gemengelage heterogener Elemente konzipiert und empirisch erhoben. Praktische Lebenssicherheit wird durch das Zusammenfügen vielfältiger Elemente, wie Vorstellungen, Erfahrungen und Praktiken zu temporären und alltäglichen und alltagstauglichen Festigkeiten erworben. 5.4.6 Praktiken der Identitätsentwicklung In der Tradition Durkheims wird Sozialisation als Prozess des „Sozialmachens“ begriffen und beschrieben. Allerdings gab es seit den 1920er Jahren auch Ansätze, vor allem solche, die dem Pragmatismus von Thomas und Mead nahe standen, welche die mit Sozialisation einhergehenden Prozesse der Interaktion thematisierten. Dies verband sich mit der Vorstellung, dass es dabei um die Konstitution von „Bedeutungen“ geht, die dem eigenen Handeln und jenem der Mitmenschen zugeschrieben werden. Daraus entstand im „Symbolischen Interaktionismus“ ein Verständnis von Sozialisation, das die Beziehungsdynamik sowie die Eigenleistung des Individuums – und damit die Prozesse des „Sozialwerdens“ – stärker hervorhebt. In aktuellen Beiträgen zur Sozialisationstheorie steht der Wechselwirkungszusammenhang der Prozesse des „Sozialmachens“ und des „Sozialwerdens“ im Vordergrund, „der Prozess der Entstehung und Entwicklung der Persönlichkeit in wechselseitiger Abhängigkeit von der gesellschaftlich vermittelten sozialen und materiellen Umwelt“ (Hurrelmann 2002: 11). Das Streben nach einer eigenen Identität, einem situationsübergreifenden, unverwechselbaren eigenständigen Selbst, ist dabei ein entscheidender Aspekt, ebenso die Prägung durch die soziale und dingliche Umwelt. Genau wie Sozialisation ein lebenslanger Prozess ist, ist das Bedürfnis nach Identitätsarbeit zwar im Jugendalter am stärksten ausgeprägt (vgl. Krappmann 2006), jedoch auch in anderen Phasen des Lebens, insbesondere in Umbruch- und Umstrukturierungsphasen, salient (vgl. Marcia 1993). Identitätsarbeit, also das Bemühen, das eigene Selbst zu interpretieren und zu formen, vollzieht sich dabei maßgeblich über kommunikatives Handeln, also über den symbolischen Austausch mit anderen Menschen.
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Der familiale Rahmen bildet einen entscheidenden Kontext für elementare Lernprozesse, die die Bedingungen der Voraussetzung für weitere Lernprozesse bieten, Lebensperspektiven eröffnen, aber auch verschließen, Korrekturen, Alternativen und Innovationen vorantreiben sowie Anknüpfungspunkte und Traditionen sichern können. Entscheidend erscheint nicht, was, sondern vor allem, wie gelernt wird. Denn die wichtigen Lernprozesse beziehen sich darauf, wie das Subjekt vorgegebene Konstellationen aufgreift und Handlungen darauf abstimmt, wie es Lernprozesse aus inneren Überlegungen vorantreibt, wie es Lernprozesse spontan eröffnet und wie es rekonstruktiv, in der Rückschau, für die Biografie relevante Lernprozesse ausmacht (Ecarius 2003: 547). Paugh (2005) deckte auf, wie Kinder während der Familienmahlzeiten wichtige Facetten der Erwerbswelt ihrer Eltern spielerisch und nebenbei vermittelt bekommen. Anknüpfend an die Pionierforschungen von Galinsky (1999) und ihrer Vermutung, dass Kinder beiläufig aus den Äußerungen ihrer Eltern über die Arbeitswelt Einsicht in diese ihnen ansonsten fremde Lebenswelt erhalten, befasste sich Paugh (2005) mit dem „Learning about Work“. Der analysierte Datenkorpus besteht aus videografierten Abendmahlzeiten in verschiedenen Haushalten in Los Angeles, in denen beide Eltern erwerbstätig sind. Gestützt auf Verfahren der Narrationsanalyse und des Sprachsozialisationsansatzes rekonstruierte Paugh Facetten der Vermittlung der Erwerbswelt in die Familie. Diese Formate der Thematisierungen der Arbeitswelt reichten von längeren Erzählungen über kurze Berichte bis hin zu kurzen Bemerkungen in anderen thematischen Erzählsträngen. Damit zeigte sie empirisch, dass in der alltäglichen sozialen Interaktion auf explizite wie implizite Weise Kindern kulturelle Werte sowie linguistische und soziale Verhaltensrepertoires angeboten werden. Linguistische Mittel, wie die Zug-um-Zug-Redebeiträge, die Sequenzierung von Interaktionen und der Umgang mit Missverständnissen sind wichtige sozialisatorische Praktiken. Kinder werden so in soziale Beziehungen, Aktivitäten und Problemlösungsstrategien sowie in Praktiken der Emotionen, kulturelle sowie soziale Praktiken eingeführt. Inbegriffen sind Wissensbestände über die Textur der sozialen Welt – Statusbeziehungen, moralische Bewertungen bestimmter Rollen etc. Neben dieser eher beiläufigen Form des Lernens qua Alltagsinteraktion arrangieren Eltern aber auch explizite Lernangebote. Das tun sie beispielsweise, wenn sie die Kinder rügen,
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wenn diese Regeln verletzen, oder wenn sie deren sprachliche Äußerungen korrigieren. Göhlich und Zirfas (2007) analysierten Sozialisation in Bezug zum Generationenbegriff, also nicht nur dem intra-, sondern vor allem dem intergenerationellen Lernen. Auch für diese Form des Lernens bildet einerseits der alltägliche familiale Hintergrund die Ausgangssituation. Andererseits spielen hier auch Einflüsse der Sozialisation durch die Schule, die peer group oder die Medien eine wichtige Rolle. Welt- und Selbstkonzepte sowie Konzepte vom Anderen bilden sich unter generationellen Vorzeichen aus den Interaktionen und Kommunikationen von Eltern, Geschwistern, Verwandten und Freunden heraus. Ecarius (2003) hat aus dem Blickwinkel der Biografieforschung den Versuch unternommen, die Kontinuitäten und Differenzen intergenerationellen Lernens empirisch zu rekonstruieren. Unter den rekonstruierten „Familienthemen“ versteht sie relativ gleichbleibende, im Laufe des Lebens modifizierbare Handlungskonfigurationen, die als alltagsweltliche Orientierungstypen Möglichkeiten der Lebensgestaltung und dementsprechend auch der biografischen Strukturierung eröffnen. „Die neue Generation erlernt im Erziehungs- und Sozialisationsprozess Handlungs- und Verhaltensmuster sowie ein Sanktions- und Belohnungssystem.“ (Ebd.: 539) Sozialisatorische Lernprozesse sind nach Bourdieu (1987a: 98) Praktiken der Identitätsentwicklung, die in sozialisatorischen Praxen einverleibten, veränderlichen „Systeme dauerhafter und übertragbarer Dispositionen, (die) als strukturierte Strukturen [...] wie geschaffen sind, als strukturierende Strukturen zu fungieren, d.h. als Erzeugungsgrundlagen für Praktiken“. Bei der Erforschung von Prozessen der Sozialisation, insbesondere im Kleinkindalter, gehe es auch um die Regulierung körperlicher Aktivitäten, um Themen wie Sauberkeitserziehung, Sexualerziehung und geschlechtsspezifische Körperlichkeit. Sie zeigen, wie körperliche Bestrafungen in Abhängigkeit von der sozialen Position in Familien gehandhabt werden. Aber auch in der Regulation und Verwendung von Essen (Süßigkeiten), Einschränkungen der Bewegungsfreiheit und Formen der Emotionskontrolle sind deutliche körperliche Bezüge enthalten.
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5.4.7 Praktiken gemeinsamer Identitätsarbeit – community of practise Praktiken und Praxen bestehen nicht für sich. Sie treffen auf die Praktiken und Praxen anderer Personen, sei es in intimen und privaten Konstellationen wie Paarbeziehungen (vgl. Keddi 2003, 2004) oder Familien, im Freundeskreis, in Arbeits- oder Lernzusammenhängen oder in größeren Gruppen. Joas (1988) bezeichnet dies als „praktische Intersubjektivität“: Praktiken sind dann sinnvoll, wenn sich eine andere an sie anschließt, die als praktisch erkannt und beantwortet wird. De Certeau (1988) weist darauf hin, dass jeder Gebrauch die Signifikationsprozesse mit einschließt: Sinnverschiebungen finden nicht in einem leeren, sondern in einem sozialen Raum statt, wo sie ihre Geltung (Bedeutung) erlangen oder verschwinden. So entstünden Sinn und Bedeutungen nicht bloß, weil Menschen miteinander kommunizieren (einer linguistic community angehören), sondern – und das sei entscheidend – auch, weil sie miteinander handeln und eine „community of practice“ bilden. Praktiken funktionaler Gruppenzugehörigkeit In Anlehnung an soziologisch-interaktionistische Konzepte wird es durch die in sozialen Interaktionen gewonnene Selbstaufmerksamkeit möglich, so die Argumentation, dass Personen sich selbst aus der Sicht anderer sozialer Gegenüber sehen können, also einen Perspektivwechsel vorzunehmen. Das soziale Gegenüber schafft eine Öffentlichkeit und Beobachtungssituation und begünstigt so Vergegenwärtigung und gegebenenfalls Modifizierung des Selbstkonzepts. Als eine starke Motivationsquelle wird das Streben nach einem positiven Selbstwert gesehen, beispielsweise im Self-Evaluation Maintenance Modell (vgl. Tesser 1980) oder der Theorie der sozialen Identität (vgl. Tajfel 1978). Eine Strategie, die sich dabei als besonders bedeutsam erwies, ist das aktive „Management“ von Gruppenzugehörigkeiten, das im Prinzip auf den Mechanismus der sozialen Identität zurückgreift, sich selbst als Teil einer Gruppe zu definieren (vgl. Tajfel/Turner 1986). Mittels dieses kognitiven Kniffs könne es Individuen gelingen, sich über Gruppenmitgliedschaften, auch wenn diese illusionär sind, aufzuwerten und durch die Abgrenzung zu anderen Fremdgruppen eine „positive Distinktheit“ herzustellen (Tajfel 1978: 83). Instrumentell eingesetzte Gruppenzugehörigkeit kann in die eigene Identität einfließen,
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beispielsweise durch das Sonnen im Ruhm anderer Menschen („Basking in reflected glory“, vgl. Cialdini et al. 1976), das auf die Neigung von Menschen abzielt, ihre Gruppenzugehörigkeit an beobachtete Erfolge sozialer Gegenüber anzupassen. Rituale Rituale spielen als soziale Praktiken in allen Beziehungen und Gruppen eine besondere Rolle. Auf ihre Bedeutung für die Identitätsformation und bestätigung verweisen ethnografische (vgl. Greverus 1978) wie sozialwissenschaftliche Studien (vgl. Soeffner 2004; Wulf/Zirfas 2003/2004) sehr deutlich. Sie erfüllen als normierte und stereotypisierte Handlungsabläufe eine gruppenbindende und -bestätigende Funktion und sichern Gemeinsamkeit symbolisch. Deutlich zeigt sich dies bei subkulturellen Gruppierungen (beispielsweise „Black is beautiful“) und ihren spezifischen Ritualen. In den unterschiedlichen Varianten „ethnischer Identitätsarbeit“ (Greverus 1978: 256) werden Rituale eingesetzt, wenn beispielsweise Migranten auf der Suche nach Identitätsbestätigung alte Traditionen revitalisieren, vom Trachtentragen bis zum Volksliedersingen (ebd.: 229f). Dabei geht es immer auch um die positive Abgrenzung zu anderen Gruppen. Greverus (ebd.: 259) führt aus anthropologisch-kulturwissenschaftlicher Sicht verschiedene Funktionen von Ritualen für die Alltagswelt einer Gruppe auf: • • • • • •
Handeln auf Gegenseitigkeit sozial-ethischer Ausdruck von Gerechtigkeit angstverminderndes und Beziehungen stabilisierendes Orientierungsschema Erfahrung von Integration und Zugehörigkeit Katharsis oder Bewältigung von Widersprüchen Markierung und Anteilnahme bei Übergängen, Statuspassagen oder Transitionen
Der Einzelne ist bei Ritualen jeweils als Beteiligter gefordert, der seine Identität erst im Beteiligtsein und Beteiligtwerden erfährt. Greverus beschreibt die in den Alltag einer Gruppe integrierten Rituale als Phänomene gemeinsamer Identitätsarbeit. Dies werde auch in „Heilritualen bei Stammesgesellschaften deutlich, die ausschließlich der Bestätigung der im eige-
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nen und im Gruppenbewusstsein verlorenen Identität einer Person dienen“ (ebd.: 258). Soeffner (2004) charakterisiert rituelles Handeln, Goffman folgend, dadurch, dass es nahezu alle Bereiche menschlicher Interaktionen „durchziehe, strukturiere und ‚rahme‘“ (ebd.: 201). Dazu gehöre eine große Bandbreite von religiös vorgeprägten über institutionell ausgearbeitete bis hin zu alltäglichen Interaktionen. Vor allem aber sei alltägliches Handeln durch rituelle Praktiken abgesichert. Rituale seien typischerweise eher implizit, da sie weniger in der Sprache als im Handeln ausgedrückt sind. Das Ritual charakterisiert Soeffner als „Verknüpfung von Symbolen und symbolischen Gesten in gleichbleibenden und vorstrukturierten Handlungsketten“ (ebd.: 202). Rituale erfordern aktive Beteiligung, denn sie werden inszeniert (Wulf/Zirfas 2004). Ihre Nachhaltigkeit besteht in ihrem repetetiven, symbolischen und performativen Charakter. Wiederholungen sind unerlässlich, jedoch finden dabei immer auch Aktualisierungen und Modifikationen statt. Rituale können sich auf die Eingliederung in eine Gruppe oder in ein Lebensalter beziehen (Einschulung, Kommunion), aber auch typisch sein für die Art, wie in Gruppen immer wieder Gemeinsamkeit hergestellt und sich ihrer vergewissert wird, beispielsweise durch Aktivitäten, Feiern, Besuche, Geschenke oder gemeinsame Mahlzeiten. „Doing family“ als Herstellung familialer Identität Das Konzept des „doing family“ greift auf subjektorientierte, modernisierungstheoretische und praxeologische Studien zum Alltagsleben von Familien, zu familialen Routinen und Ritualen sowie zu Deutungen aus der Sicht der familialen Akteure, der Mütter, Väter und Kinder zurück (vgl. Boyce et al. 1983; Denham 2003; Fiese 2002; Heitkötter et al. 2009; Jurczyk et al. 2009). Damit wird der Blick über die üblichen familiensoziologischen Fragestellungen nach familialen Lebensformen, Familiengründungsprozessen sowie der Vereinbarkeit und Balance von Familie und Beruf hinaus in die „Black Box Familie“, also den familialen Alltag und seine Herstellung gelenkt. Der Fokus bewegt sich vom institutionellen, Normierungen implizierenden Paradigma zu einem Handlungsparadigma. Familie wird als kommunikatives Netzwerk verstanden, das zentriert ist um verlässliche persönliche Fürsorgebeziehungen. Familie als Lebens- und Lernzusammenhang, so verstanden als haushaltsübergreifendes Netzwerk emotionsbasierter, persönlicher Austauschbeziehungen, muss um so mehr aktiv
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gestaltet werden, je komplexer und dynamischer das Netz ist und je dynamischer und teilweise widersprüchlich sich die familienrelevanten gesellschaftlichen Teilsysteme, Institutionen und Organisationen entwickeln. Da Familie nicht nur auf rationale Zweckerfüllung zielt, sondern auf emotionale und oft körpergebundene Prozesse, deren besondere Qualität und Sinnsetzung gerade darin besteht, nicht kalkuliert zu sein, vollzieht sich das „doing family“ nicht unbedingt immer zielgerichtet und intentional, sondern häufig beiläufig. Dabei sind Prozesse der Herstellung von Familie oft polyvalent, indem zum Beispiel Trösten und Zuhören oder auch Bildungsprozesse während der gemeinsamen Mahlzeiten stattfinden (vgl. Xyländer 2006). Zwei Formen familialer Gestaltungsleistungen, die familiale Akteure im Rahmen der familialen Lebensführung erbringen, sind analytisch zu unterscheiden (vgl. Schier/Jurczyk 2007): •
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Das Vereinbarkeits- bzw. Balancemanagement mit seinen vielfältigen alltäglichen Praktiken und Abstimmungsleistungen der Familienmitglieder, um Familie im Alltag lebbar zu machen. Da in Familien mehrere individuelle Lebensführungen mit unterschiedlichen Strukturen, Bedürfnissen und Interessen verschränkt sind, müssen diese zeitlich und räumlich, sozial und emotional zueinander ausbalanciert werden. Sie werden in permanenter Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu einer – mehr oder weniger – gemeinsamen familialen Lebensführung synthetisiert. Die Konstruktion von Gemeinsamkeit als Prozess, in dem im alltäglichen und im Lebenslauf Familie als gemeinschaftliches Ganzes permanent neu hergestellt wird. Gemeint ist damit, dass „Familie“ in sozialem Handeln, in Interaktionen, im gemeinsamen Tun, im sich Aufeinander beziehen, in der Darstellung nach außen, fortlaufend sozial und sinnhaft neu (re)konstruiert wird – „doing family“: „Many facets of ‚doing family‘ are like this – routine, regular actions and interactions, which are so embedded in daily life, or in regular cycles of activity, that there is no need to establish that they carry a meaning which makes them ‚family activities‘.“ (Finch 2007) „Doing family“ ist durch die Familienkultur, die familialen Lebensstile und Generationsbeziehungen, die Ausgestaltung kindlicher und jugendlicher Le-
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bensräume in der Familie, Familienfeste sowie Familientraditionen der Herkunftsfamilien geprägt. Finch (ebd.) betont ebenfalls den Herstellungscharakter von Familie, der körperliche, mentale und emotionale Energien bindet. Vor allem Emotionalität sei in Zeiten der Differenzierung und Pluralisierung eine wesentliche Motivquelle dafür, Familienleben zu ästhetisieren, zu inszenieren und wenn es sein muss – zu „theatralisieren“ (ebd.), um sich und anderen zu signalisieren: Wir sind eine Familie! „By displaying I mean to emphasize the fundamentally social nature of family practices, where the meaning of one‘s actions has to be both conveyed to and understood by relevant others if those actions are to be effective as constituting ‚family practices‘.“ (Ebd.: 66) „The definition of the concept of display which I have offered is: the process by which individuals, and groups of individuals, convey to each other and to relevant others that certain of their actions do constitute ‚doing family things‘ and thereby confirm that these relationships are ‚family‘ relationships.“ (Ebd.: 73)
Finch setzt das Konzept des displaying von dem der Performativität ab, das nur auf direkte Interaktionen in face-to-face-Situationen anwendbar sei. Display-Geschehen könne auch durch e-mails und Telefonate hergestellt werden. Finch betont, dass es sich um fragile Prozesse handelt, die immer wieder neu herzustellen seien. Displayhandlungen rekurrieren dabei immer auf geteilte und übergreifende Wissens- und Bedeutungszusammenhänge. Es existiert ein weites Spektrum von Praktiken für das Displaying Family. Das Schenken persönlich bedeutsamer Dinge gehört ebenso dazu wie das Aufstellen von Bildern. Besonders bedeutsam sind Narrative, Erzählungen und Familiengeschichten: „Narratives are not, as it is argued, summaries of ‚what people generally do‘, no are they statements of moral rules about‘ what people should do. Rather they are stories through which people attempt to connect their own experiences, and their understanding of those experiences, to a more generalized pattern of social meanings about kindship. Thus stories about inheritance are often oppositional in the sense
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that they are about the negative behaviour of other people (selfish, grasping, uncaring), used to illustrate that this is not how my family behaves.“ (Ebd.: 75)
Finch geht davon aus, dass Familienbeziehungen im Handeln der Familienmitglieder immer wieder bestätigt werden müssen. „Rather it is fundamentally to successfully constituting ‚my family relationship‘ as a meaningful feature of my social world. Rather like the common wisdom that justice must not only be ‚done‘ it must also be ‚seen‘ to be done, so there is a real sense in which relationships do not exist as family relationships unless they can be displayed successfully. They cannot exist solely in my own consciousness. They need to be understood and accepted as such by others, and the way in which I relate to relevant others need to be recognized as ‚family like‘.“ (Ebd.: 79)
Gerade weil Beziehungen durch ihre Qualität erfahren würden, nicht durch bloße Existenz, müssten sie dargestellt und gleichzeitig getan werden. Bartsch (2008) hat in einer explorativen Studie mit einem Methodenmix aus schriftlicher Befragung, qualitativen Interviews und Klasseninterviews den Stellenwert und die Funktion von Familienmahlzeiten im Alltag von Jugendlichen untersucht. Als Ergebnis konstatiert sie einen Funktionswandel des Familienessens. In einer Zeit, in der die Versorgung mit Nahrung auch unterwegs möglich ist, hätten Mahlzeiten nicht mehr automatisch Versorgungs- und Verteilungsfunktion. Psychosoziale Faktoren wie Tischgespräch, Zusammensein oder zu Hause sein hätten ebenso wie individuelle und physiologische Aspekte (gutes Essen, satt werden) einen hohen Stellenwert. Die Mehrzahl der Jugendlichen nehme regelmäßig an Familienmahlzeiten teil, mindestens einmal wöchentlich, in der Regel deutlich häufiger. Die Mahlzeitensituation sei ein Spiegel der Familiensituation und der subjektiven Wertschätzung. Welche Regeln, welche Familientraditionen, welche Rituale gepflegt werden, werde in gemeinsamen Interaktionsprozessen zwischen den Familienmitgliedern ständig ausgehandelt, verfestigt oder verändert. Tatsächlich reden etwa vier Fünftel aller Familien ziemlich bzw. sehr viel bei gemeinsamen Mahlzeiten; über 60% bleiben sitzen, nachdem sie aufgegessen haben – ein Hinweis auf die Bedeutung von Tischgesprächen. Alltägliche Mittagsmahlzeiten sind eher funktional, durch Zeitknappheit und Angespanntheit gekennzeichnet. Am Wochenende herrscht eine entspanntere Atmosphäre. Mehr Zeit für Ge-
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spräche und die anwesenden Väter geben Raum für familiale Begleitkommunikation. Foltyn und Lamprecht (2008) untersuchten in einer Studie „doing family“ in der alltagspraktischen Genese des gemeinsamen Erfahrungsraumes Familie am Beispiel der Geburt eines Kindes. Die Geburt werde in erster Linie zur Differenzerfahrung für die Partner, die mit Anstrengung und Kreativität in eine gemeinsame Erfahrung überführen wird. Das Ergebnis dieses Prozesses gestalte sich ganz unterschiedlich wie auch die Art der Bearbeitung von Differenz paartypisch verlaufe. Unterschiedliche Erzählungen würden von beiden Partnern nicht nebeneinander stehen gelassen, sondern sie bemühten sich um eine gemeinsame Verknüpfung, ein Hinweis auf die Genese des konjunktiven Erfahrungsraumes Familie. Dieser basiere üblicherweise auf gleichen Erfahrungen, die ein unmittelbares Verstehen der Mitglieder einer Gruppe ermöglichen. Die Interpretation von Geburtserzählungen sei keineswegs gegebene Grundlage des gegenseitigen Verstehens. Die Paare machten sich in ihren Erzählungen deshalb auf die Suche nach solch einer auf gemeinsamer Erfahrung gründenden habituellen Übereinstimmung. Zunächst stehe die Bearbeitung von Differenzen im Vordergrund. So zeigten sich geschlechtsspezifische Erfahrungsunterschiede wie auch Differenzen hinsichtlich erlebter familialer Praktiken und Wunschfamilienbilder der Herkunftsfamilie, die es als Grundlage für die Er-Findung einer gemeinsamen familialen Praxis zu verbinden gilt. Der konjunktive Erfahrungsraum Familie könne als ein immer wieder durch die Bearbeitung von Differenzen herzustellendes „doing family“ beschrieben werden. Über die Bearbeitung von Paardifferenzen hinaus habe sich im Weiteren auch die (implizite) Auseinandersetzung mit der eigenen Herkunftsfamilie und dem tradierten Wissen in Hinblick auf die Herstellung einer eigenen familialen Praxis als relevant herausgestellt. So würden tradierte Wissensbestände aktualisiert und gleichzeitig bearbeitet. Im Hinblick auf die Frage, welche Praktiken der Herkunftsfamilien einfach übernommen werden, welche verändert werden und wie beides von den Paaren verknüpft und bewertet wird, spiele zum dritten die Verknüpfung mit Wunschfamilienbildern eine zentrale Rolle. Tradierungsprozesse ergäben sich aus der Konstitution und Transformation von Wunschbildern und deren Relation zum praktischen tradierten Wissen. Unabhängig davon, ob die Paare ihr Familienwunschbild in Anlehnung oder Abgrenzung zu den Modellen ihrer Herkunftsfamilien entwerfen,
D OING
CONTINUITY ALS SOZIALE
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greifen sie Foltyn und Lamprecht folgend in ihrer Alltagspraxis auf tradiertes Wissen zurück. Wunschbilder werden insofern für das Erleben der Paare relevant, als sie zum einen zum Tragen kommen, wenn sie mit tradierten Wissensbeständen verknüpft werden können und sich andererseits die Bewertung der erlebten Praxis an ihnen orientiert. Insgesamt zeigt sich, dass familiale Akteure familiale Kontinuität familiengeschichtlich, durch Routinen und Rituale sowie Familienvorstellungen und Wunschbilder herstellen.
5.5 „D OING IDENTITY “ – DIE SOZIALE H ERSTELLUNGSPRAXIS PERSONALER K ONTINUITÄT Die Herstellung von Identität ist eine subjektiv und sozial notwendige Praxis, die nicht individuell-autonom abläuft, sondern situiert und kontextbezogen ist in Zeit, Kultur und Interaktion. Nicht nur soziale Lebensbedingungen, sondern auch gesellschaftliche und kulturelle Metaerzählungen prägen die Herstellung einer lebenstauglichen Identität. In Abgrenzung von den meisten „postmodernen“ Identitätstheorien, die die Möglichkeit einer konsistenten Identität aktuell verneinen, zeigen empirische sozialwissenschaftliche und sozialpsychologische Studien, dass personale Kontinuität auch unter den aktuellen gesellschaftlichen Bedingungen hergestellt wird und hergestellt werden kann. Die Reflexive Moderne wird in ihren negativen und kulturpessimistisch bewerteten Auswirkungen auf die Identitätskonstruktion von Personen in vielen der vorgestellten Studien einseitig überzeichnet. Zudem mussten Menschen immer mit dynamischen Umgebungen, mit Bedrohungen und mit Brüchen umgehen und sind dafür auch ausgestattet. Die eigene Identität wird durch permanente Arbeit immer wieder von Neuem gestaltet und muss auch gestaltet werden. Dieser Identitätsarbeit haftet in Analysen häufig etwas Schweres an, obwohl in den meisten Fällen vor- und unbewusst, routinisiert oder automatisch gehandelt wird. Die personale und soziale Praxis der Identitätsarbeit ist komplex und beinhaltet vielfältigste Typen von Praktiken: subjektbezogene, diskursive, interaktive, biografische, gebündelte, gemeinsame und, eher selten untersucht, sozialisatorische und entwicklungsbezogene. Personen stellen ihre eigene
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Identität nicht nur in oft eigensinniger Weise täglich und lebenslang, sondern reproduzieren und verändern die strukturellen Momente der sozialen Systeme, in denen sie leben.
Doing continuity als biopsychosoziale Praxis
6. Multiperspektivische Dimensionen des doing continuity
„Auf dem gegenwärtigen Stand der [...] Theorie-Entwicklung ist die Verzahnung der Teilaspekte der Persönlichkeitsentwicklung eines Menschen noch nicht recht klar. Die biologischen, die psychologischen und die soziologischen Aspekte dieser Entwicklung sind Gegenstand verschiedener, getrennt arbeitender Fächer. Die Fachleute stellen sie dementsprechend gewöhnlich als getrennt existierend vor. Die eigentliche Forschungsaufgabe ist dagegen die Erfassung und Erklärung der Verzahnung und Verwobenheit dieser Aspekte im Prozess und deren symbolische Repräsentation in einem theoretischen Modell.“ NORBERT ELIAS 2001 „Ist der Mensch ein primär geistiges oder ein primär körperliches Wesen?“ JOHN R. SEARLE 2006
Anhand von Forschungsergebnissen aus unterschiedlichen disziplinären Perspektiven, Biografieforschung, Neurowissenschaften, Psychologie, Sozial- und Kulturwissenschaften, wurde gezeigt werden, dass personale Kontinuität nicht nur (lebens)notwendig ist, sondern in allen Gesellschaften und auch unter den aktuellen gesellschaftlichen Bedingungen hergestellt wird. Sie spielt trotz der gefühlten hohen Bedeutung von Wandel, Dynamik und Diskontinuitäten in unserem Leben (immer noch) eine entscheidende, aktuell allerdings wenig thematisierte und sowohl im öffentlichen wie wissenschaftlichen Diskurs eher vernachlässigte Rolle. Die (post) moderne Betonung einer brüchigen, diskontinuierlichen und zersplitterten personalen Existenz ist vor allem gesellschaftlichen Diskursen geschuldet. Murray wies bereits 1938 darauf hin, dass personale Kontinuität, als Psychologe sprach er von Persönlichkeit, ein „patchwork quilt of incompatible designs“ ist. Doch es ist mehr als fraglich, ob einzelne personale Designs tatsächlich so inkompatibel sind.
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Personale Kontinuität ist ferner nicht einfach vorhanden, auch wenn es so scheint, sondern findet als individuelle Konstruktionsleistung auf ganz unterschiedlichen Ebenen statt, in der Regel unbewusst, seltener bewusst, teils rational oder reflexiv, teils berechenbar, teils unberechenbar und offen, als Routine, Ritual, zum ersten oder wiederholten Mal, in Mikroprozessen, in Episoden, im Lebenslauf, in sozialen Zusammenhängen, Beziehungen und spezifischen Kontexten sowie mit einem reichen Repertoire biografischer, biologischer, psychischer, situativ-kontextueller und soziokultureller Praktiken. Um die einzeldisziplinären Perspektiven und Forschungsergebnisse nicht gegeneinander auszuspielen und ihre Begrenzungen und „weißen Flecken“ zu überwinden, wurde eine praxeologische Herangehensweise gewählt, die das Wie der Herstellung personaler Kontinuität fokussierte. Somit waren Praktiken der Herstellung im Lebenslauf und im Alltag multiperspektivischer Ausgangspunkt. Durch diese Vorgehensweise werden Ansätze, die nicht der eigenen wissenschaftlichen Tradition entsprechen, nicht von vornherein ausgeklammert. In diesem abschließenden Kapitel soll weitergedacht und das Konzept der biopsychosozialen Praxis des doing continuity sowie das Ineinandergreifen materialer, psychischer und sozialer Praktiken, das Zusammenspiel aus Dynamik, Struktur, Entwicklung und Reifung, Erfahrung und Deutung sowie sozialer Situation konkretisiert werden. Transdisziplinäre und emergenztheoretische Überlegungen aufgreifend erscheint ein Modell sinnvoll, das sich auf die „Konvergenzzonen“ der unterschiedlichen Disziplinen und Perspektiven konzentriert, um einen von Welzer und Markowitsch (2006) verwendeten Begriff aufzugreifen. Entsprechend interessieren vor allem die Schnittmengen und Anregungspotentiale der disziplinären „EinzelWirklichkeiten“. Abschließend werden Überlegungen angestellt für die Zusammenhänge zwischen Praktiken des doing continuity und Entwicklungsprozessen, denn personale Kontinuität muss nicht nur immer wieder von neuem hergestellt werden, sondern das Herstellen muss auch erlernt werden.
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6.1
VON DOING CONTINUITY
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D ISZIPLINÄRE H ERSTELLUNGSPRAXEN UND S CHNITTMENGEN
Die herausgearbeiteten disziplinären und teildisziplinären Perspektiven auf personale Kontinuität fokussieren unterschiedliche Kontinuitäten und Herstellungspraxen von personaler Kontinuität, ausgeführt von disziplinär definierten Akteuren. Sie weisen in vielen Aspekten ganz unerwartete Gemeinsamkeiten auf. 6.1.1 Wie der „homo biograficus“ Kontinuität herstellt Der „homo biograficus“, den die Biografieforschung mit qualitativen, rekonstruktiven, retrospektiven und längsschnittlichen Verfahren des kontrollierten Verstehens erkundet (vgl. Kapitel 2), versucht als biografischer Akteur auf der Basis der Deutung seiner Erfahrungen Kontinuität für sich selbst und damit einen subjektiven Zusammenhang in seiner Biografie herzustellen. Doing continuity ist aus dieser Perspektive „doing biography“. Erfahrungen im Lebensverlauf prägen entscheidend, wie personale Kontinuität hergestellt wird. Bedeutsam ist vor allem die Sicherheit, über die eigene Biografie verfügen zu können und bei aller Widersprüchlichkeit das Gefühl zu haben, dass es das eigene Leben ist und bleibt, das gelebt wird. Ausgehend von der Grundannahme, dass Biografien zwar biologisch und sozial vorstrukturiert sind, jedoch individuell konstruiert werden, also subjektiven, biografisch geprägten EigenSinn aufweisen, ist doing continuity ein interpretativer und selbstreferentieller, auf Erfahrungswissen bezogener Prozess. Biografien entstehen in einem nie abgeschlossenen Prozess der subjektiven Verarbeitung und Bedeutungszuweisung, „bei dem einerseits auf Lebenserfahrungen zurückgegriffen werden kann und in dem andererseits fortwährend Lebenserfahrungen gemacht, modifiziert und generiert werden“ (Hoerning 2000: VII). Biografien können diesem biografischen EigenSinn entsprechend ganz unterschiedlich verlaufen, auch wenn die Optionen strukturell begrenzt sind. Die Herstellung personaler Kontinuität findet immer wieder neu statt, häufig unbewusst, bei biografischen Brüchen, in Krisen- oder neuen Situationen wird die Konstruktionsleistung zu einem (teil)bewussten Vorgang. Dann wird ein neues oder verändertes Fundament der biografischen Selbstvergewisserung benötigt (vgl. Becker 1997). Dies kann reflexiv und
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bewusst, möglicherweise auch rational entwickelt werden oder als unbewusster Prozess verlaufen. Der Fokus liegt auf der biografischen Herstellungsleistung mit durch Erfahrungen und Kontext geprägten Praktiken wie biografischem Erzählen, Erinnern, Planen, Modifizieren, Deuten sowie biografischem Sinn und EigenSinn. Praktiken der narrativen Konstruktion von Kontinuität stehen in vielen Erhebungen im Vordergrund. Doch auch mit nonnarrativen Praktiken kann biografische Kontinuität hergestellt werden. Hier können Befunde aus den Neurowissenschaften aufgegriffen werden, die zeigen, wie einzelne Szenen und Episoden neuronal zu einem biografischen Sinn zusammengesetzt werden. Die biografischen Praktiken sind subjektiv und weisen gleichzeitig universelle (beispielsweise die Funktionsweise von Gedächtnis) und soziale Eigenschaften (historische und soziokulturelle Situiertheit, Kohorteneffekt) auf. In gleicher Weise haben auch Erfahrungen eine Doppelnatur: sie sind höchst individuell und zugleich sozial, gewonnen in und geprägt von spezifischen Umwelten. Biografische Kontinuität ist nicht statisch, sondern eine Art „moving baseline“ (Heinz 2000) mit Dynamik und Veränderung und Brüchen. Vieles deutet darauf hin, dass es einen individuell sehr unterschiedlichen Kontinuitätskern gibt, der unterschiedlichen Mustern von personaler Kontinuität entspricht, die zudem auf unterschiedlichen Ebenen liegen können, also nicht direkt vergleichbar sind. Einen geringen Stellenwert hat in biografischen Konzepten die Dimension der Entwicklung. Hinzu kommt, dass biografische Akteure in der Regel körperlos sind. 6.1.2 Wie der „homo neurologicus“ Kontinuität herstellt Der „homo neurologicus“, wie ihn die aktuelle neurowissenschaftliche Forschung aufgrund elektrophysiologischer und bildgebender Verfahren und Experimente zeichnet (vgl. Kapitel 3), stellt Kontinuität auf mikrobiologischer Ebene überwiegend durch routinisierte, zeitbezogene und subjektive Praktiken wie Erinnern und Deuten her. Erfahrungen spielen dabei eine überragende Rolle. Doing continuity ist aus dieser Perspektive „doing memory“. Die Gehirnforschung belegt, dass neuronale Prozesse durch eine Tendenz zur Integration, zum uniformen Bild, zur kreativen Konstruktion und zum Auffüllen von Lücken gekennzeichnet sind. Das Gehirn sperrt sich mit diesen Praktiken gegen fragmentierte oder aufgesplitterte Abbil-
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der. Es setzt beispielsweise einzelne Bewegungssequenzen zu einem Ganzen, einem Strom von Wahrnehmungen zusammen, um ein kohärentes und einheitliches Bild der Welt zu erzeugen und die Tatsache zu kompensieren, dass Wissen immer nur bruchstückhaft ist. Dies gilt sowohl für einfache wie für komplexe Wahrnehmungen. Selbst bei einfachen Wahrnehmungsprozessen, am besten erforscht sind visuelle Wahrnehmungen, muss Kontinuität in jedem Moment neu hergestellt werden. Die neuronalen Praktiken ähneln den Praktiken, wie sie in biografischen und identitätsbezogenen Studien herausgearbeitet werden. Unter der Annahme der entwicklungsgeschichtlich zunehmenden Unabhängigkeit des Gehirns von der Bestimmung durch die Umwelt in Richtung auf Selbstbestimmung erbringen neurowissenschaftliche (wie übrigens auch epigenetische) Forschungsergebnisse deutliche Anhaltspunkte für die herausragende Bedeutung von Erfahrung und Sinn, für den auch auf neuronaler Ebene konstruktivistischen Umgang mit „Realität“, für Plastizität und Prozessualität sowie für die Differenzialität von menschlichem Leben. Häufig entsteht der Eindruck, gerade auch in populärwissenschaftlichen Publikationen, dass Gehirnprozesse, Gene oder Hormon- und Signalstoffe das Handeln von Menschen steuern. Sie sind jedoch nur Teil eines komplexen Netzwerks, dessen einzelne Faktoren miteinander in Interaktion stehen, und erzeugen nicht, sondern stehen „im Dienst“ gelungener Lebensgestaltung und -bewältigung. Insofern wird der Herstellungsprozess von Kontinuität auch nicht „naturalisiert“, wenn neuronale Zusammenhänge einbezogen werden, eine Befürchtung, wenn nicht sogar Biophobie, die viele Sozial- und GeisteswissenschaftlerInnen haben. Insgesamt bestätigen und ergänzen die aktuellen Ergebnisse der Neurowissenschaften nämlich sowohl die Ergebnisse der Biografieforschung wie auch der Identitäts- und Entwicklungsforschung und erweitern das Verständnis für das „Wie“ biografischer Mikroprozesse sehr viel mehr als sie in Frage zu stellen. Die als revolutionär angekündigten Ergebnisse der Neurowissenschaften führen damit weniger zu einem neuen Menschenbild als dass sie auf die gegenseitige und eben nicht dualistische Verwobenheit unterschiedlicher Perspektiven und Erklärungsebenen verweisen. Es wird zunehmend deutlich, dass das Gehirn ein biografisches und soziales Organ ist, in Umwelten und biografische Zeit sowie einen Körper eingebettet und nicht isoliert zu betrachten. Umwelt und Erfahrungen steuern mit, welche
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Gene verkümmern und welche Nervenbahnen angeregt werden. Große Teile kognitiver Prozesse und der entsprechenden Gehirnaktivitäten werden durch die unmittelbare soziale Umgebung, soziale Interaktionen und biografisch aufgeschichtete Erfahrungen moduliert, Baltes et al. (2005) sprechen von „biokulturellen Ko-Konstruktivismus“. Allerdings sind viele linearen Folgerungen, die gezogen werden, zu einfach. Beispielsweise wenn festgestellt wird, dass die Synapsenbildung im Jugendalter explodiert, und dies als Bestätigung der biologischen Steuerung der Pubertät genommen wird. Das würde, so absolut genommen, bedeuten, dass es sich um einen universellen Reifungsprozess handelt. Es könnte ebenso sein, dass sich in unseren modernen westlichen Gesellschaften die sozialen Anforderungen im Übergang vom Kind zum Erwachsenen verändern und dies die Explosion von Synapsen im jugendlichen Gehirn bewirkt bzw. verstärkt. Hier bietet sich ein Vergleich zu anderen Kulturen an. Doch der soziale Kontext und biografische Hintergrund wird in vielen neurowissenschaftlichen Experimenten nicht berücksichtigt. Sie sind universell angelegt und werden universell interpretiert, ohne den Kontext systematisch einzubeziehen. Die sozialen und biografischen Zusammenhänge sind deshalb auch die Achillessehne der Neurowissenschaften. Auch wenn diese zunehmend davon ausgehen, dass Handeln durch genetische Prädispositionen, Eigenheiten der Hirnentwicklung, frühe psychische Prägungen, weitere psychosoziale Erfahrungen und die Umwelt sowie deren Interaktion bestimmt ist, berücksichtigen und vor allem differenzieren sie zu wenig. Allerdings sind empirische Studien in diesem Bereich auch begrenzt. Es ist im Moment nicht möglich, Gehirne im Alltag oder in Interaktion mit anderen Gehirnen zu erforschen. Und auch über den Verlauf komplexer Herstellungsprozesse kann nichts ausgesagt werden. 6.1.3 Wie der „homo psychologicus“ Kontinuität herstellt Der „homo psychologicus“ der Persönlichkeits-, Differentiellen und Entwicklungspsychologie (vgl. Kapitel 4) stellt personale Kontinuität durch seine Persönlichkeit(smerkmale) her. Doing continuity ist aus dieser Perspektive „doing personality“. Persönlichkeit wird in Persönlichkeitstests, Beobachtungen oder Befragungen erforscht, ihre Veränderung und Entwicklung in Längsschnittstudien oder Kohortenanalysen untersucht. Men-
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schen werden wiedererkannt aufgrund typischer Eigenschaften und positionieren sich ebenfalls selbst durch ihre Eigenschaften, die sie und andere in der Regel als stabil wahrnehmen. Diese sind auch bedeutsam dafür, wie sie sich situativ und lebenslang verhalten und mit der Umwelt interagieren, die wiederum auf sie reagiert. Persönlichkeit lässt sich insofern als routinisiertes Handeln verstehen. Sie ist zum einen Zustand und Struktur stabiler, weil dispositionell verankerter bzw. zur Routine gewordener personaler Praktiken. Auch Gefühle sind dann übrigens als Praktiken zu begreifen. Zum anderen ist Persönlichkeit ein Prozessgeschehen beständigen alltäglichen und biografischen Tuns sowie lebenslangen Lernens und lebenslanger Entwicklung, mit teils stabilen, teils sich weiter entwickelnden sowie veränderten oder ganz neuen Praktiken der Persönlichkeit, je nach Kontext und Erfahrungen. Besonders entwicklungspsychologische Lebenslaufstudien verweisen auf differenziell sehr unterschiedliche Verläufe und Praktiken, mit denen Menschen auf ihre individuelle Art einen roten Faden durch ihr Leben legen. Dieser ist von außen nicht immer nachvollziehbar, macht aber für die einzelne Person Sinn. Hier bietet sich der Begriff des „doing personality“ an, das im Kontext von Interaktionen mit Personen – von den ersten bis zu den aktuellen Bezugspersonen – sowie in unterschiedlichen Entwicklungssettings stattfindet und sozial, individuell und durch Übergänge, Erfahrungen und Ereignisse gebrochen wird. Persönlichkeitsmerkmale werden in dieser Konzeptualisierung von unabhängigen oder abhängigen Variablen zu personalen Routinen und Praktiken. Besonders den differenzierten Prozessen der Verarbeitung und Herstellung von personaler Kontinuität kommt in psychologischen Ansätzen eine große Bedeutung zu, beispielsweise wenn untersucht wird, wie Personen immer wieder auf abgekapselte und längst abgelegt geglaubte Praktiken zurückgreifen. Die differenzierten Beobachtungskategorien psychologischer Forschung bieten zudem ein anspruchsvolles Instrumentarium für die Untersuchung und Beobachtung von Praktiken und können den Blick auf die alltägliche Herstellung von Kontinuität schärfen. 6.1.4 Wie der „homo socius“ Kontinuität herstellt Der „homo socius“ (Berger/Luckmann 1980: 54) stellt als vergesellschaftete Person personale Kontinuität durch alltägliche kulturspezifische und
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situations- und interaktionsbezogene Identitätsarbeit her und ist gleichzeitig auch sozial dazu verpflichtet (vgl. Kapitel 5). Doing continuity ist aus dieser Perspektive „doing identity“. Entsprechende Forschungsergebnisse basieren sowohl auf mikrostrukturellen, rekonstruktiven Verfahren wie qualitativen Interviews, Beobachtungen, Diskursanalysen und Ähnlichem als auch auf Repräsentativerhebungen und Zeitreihen. „Die Kernannahme des soziologischen Menschenbildes ist die Plastizität des Phänotyps, die Lernfähigkeit des Menschen“ (Mayntz 2008: 135), eine Annahme, die sich mit Annahmen der modernen Gehirnforschung und Epigenetik, aber auch mit Ergebnissen der Entwicklungspsychologie und Biografieforschung trifft. Identität wird durch vielfältige und ineinander verwobene Praktiken und komplexe Bündel von Praktiken hergestellt. Handlungssubjekte, hineingestellt in historisch und sozial entwickelte, abgesicherte, zugeschriebene und auch machtvoll durchgesetzte Routinen wie „doing gender“, die verbunden sind mit spezifischen kollektiven Deutungen, finden diese Praktiken einerseits vor und eignen sie sich an bzw. müssen sie sich aneignen. Andererseits deuten und führen sie diese Praktiken immer wieder aus und erfinden sie dabei auch eigenwillig neu. Damit verändern sie oft und unkalkulierbar gesellschaftliche Praxen. Auch wenn in den Sozialwissenschaften zunehmend auf die organischkörperliche Basis der menschlichen Bewusstheit sowie die Inkorporationen sozialer Bedingungen eingegangen wird, ist die soziologische Konstruktion personaler Identitäten in der Regel körperlos. Die anhaltende Sperre des sozialwissenschaftlichen Mainstreams gegenüber körperlich-materialen und biologischen Zusammenhängen ist ein Beispiel dafür. In der verstehenden Soziologie werden bisher kaum Verbindungen zu den Naturwissenschaften gesucht, scheinen diese doch eher suspekt (Schroer 2001: 225). Dies gilt auch für die umgekehrte Richtung. Es wird vor allem in empirischen Studien nur selten berücksichtigt, dass Personen und ihre Biografien biologisch-material eingebettet sind, dass sie Körper haben und sind. Zusammenhänge mit dem Organismus und seinen biologischen Grundlagen werden in der Tradition des Dualismus immer noch als wenig relevant für soziale Zusammenhänge gesehen. Auch die Befunde zur psychischen Struktur von Personen werden meist als essenzialistisch abgelehnt. Zu relativieren sind ferner die sich zahlreich tummelnden Zeitanalysen mit den holzschnittartigen Schablonen für die Einzelnen.
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6.1.5
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Multiperspektivische Schnittmengen und Querthemen
Bei aller Unterschiedlichkeit der Einzel-Perspektiven auf die Herstellung personaler Kontinuität: es gibt deutliche Gemeinsamkeiten, die so zunächst nicht zu erwarten waren, zu wenig vergleichbar schienen die theoretischen und methodologischen Ausgangspunkte. Auch die unterschiedlichen Begrifflichkeiten mit ihren Traditionen und Konzepten erschweren einen schnellen Vergleich. Während auf der Ebene der Theorien und Konzepte größere Unterschiede und auch Abgrenzungen bestehen, zeigen sich auf der Ebene der empirischen Ergebnisse Gemeinsamkeiten und mögliche Ansatzpunkte. Umso unverständlicher ist es, dass so selten Bezüge zwischen einzelnen Perspektiven hergestellt werden. Ein Querthema, das sich bei allen Einzel-Perspektiven findet, ist die Konstruktivität personaler Kontinuität. Sie wird in den Biografie-, Neuround Sozialwissenschaften besonders und explizit betont. Kontinuität wird mit neuronalen, biografischen, psychischen und sozialen Praktiken hergestellt. Während in der Persönlichkeitspsychologie und auch in den Neurowissenschaften die Herstellungsleistung eher als bereits angelegtes, sich entwickelndes und zur Routine gewordenes Verhalten, Fühlen und Denken (Persönlichkeit genannt) mit universellen Anspruch thematisiert wird, betonen Sozial- und Kulturwissenschaften sowie Biografieforschung und Entwicklungspsychologie stärker die täglichen, biografischen, historischen und sozialen Dynamiken der Herstellungsprozesse. Aus diesem Fokus ergibt sich auch, dass der Aspekt von Veränderung und Wandel stärker betont wird. Aber auch hier werden Strukturen und Verfestigungen konzeptualisiert. Durch die Perspektive auf Zustände und Strukturen werden die Akteure, die Kontinuität herstellen, jedoch leicht zu „Objekten“ und die Strukturen zu unabhängigen Variablen. Vor allem in psychologischen Konzepten wird dies häufig betont. Doch auch wenn Menschen immer die gleiche Eigenschaft zu haben scheinen und Persönlichkeit als Zustand und unabhängige Variable nicht nur in psychologischen Ansätzen und Studien Erklärungsmacht erhält, ist Kontinuitätsherstellung, das zeigen auch (entwicklungs)psychologische Studien, ein Prozess. Und auch die Neurowissenschaften arbeiten sehr deutlich, allerdings mit universellem Anspruch heraus, dass in neuronalen Prozessen ständig und immer wieder von neuem Kontinuität hergestellt werden muss. Insofern lässt sich die Herstellung
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von Kontinuität als biologischer Mikroprozess, ein biografischer Prozess, ein Entwicklungsprozess, ein alltäglicher Prozess und ein sozialer Prozess kennzeichnen. Die universellen Konzepte variablenbezogener und neuronaler Kontinuität und die prozess- sowie subjektbezogenen Konzepte sind zusammenzuführen. Als weiteres Querthema zieht sich mit unterschiedlichen Akzentuierungen die Bedeutung von Erfahrungen auf der personalen Ebene durch alle Disziplinen: Wie stellen Menschen angesichts der Erfahrung einer sich ständig verändernden und oft widersprüchlichen Welt, Welt wird jeweils sehr unterschiedlich definiert, Kontinuität her? Dabei spielen Praktiken wie Bedeutung herstellen und Erinnern, die biografische Einbettung in Kontexte und die Situierung in einer soziokulturellen Umwelt und in Interaktionen eine wichtige Rolle. Vor allem in den Neurowissenschaften wird sehr detailliert herausgearbeitet, dass auch einfache Wahrnehmungen immer schon deutende Einordnung sind. Wie Kontinuität im Lebenslauf und in einzelnen Situationen hergestellt wird, ist individuell sehr unterschiedlich. Die Vorstellung von durchschnittlicher Kontinuität ebenso wie durchschnittlicher Reifung und Veränderung sowie der durchschnittlichen Wirkung von Lebenskonstellationen und -ereignissen ist deshalb aus der Sicht aller Disziplinen zu relativieren. So zeigen nicht nur Ergebnisse der Biografieforschung, sondern auch entwicklungspsychologische und soziokulturelle Untersuchungen große interindividuelle Variationen in der Persönlichkeitsentwicklung und Identitätsherstellung. In diesem Zusammenhang sind die individuellen Deutungen und Sinnstrukturen von zentraler Bedeutung. Und auch die Neurowissenschaften zeigen empirisch, dass jedes Gehirn einzigartig ist und Einzigartigkeit sogar ein evolutionärer Vorteil ist. Trotzdem wird in vielen Studien auf universelle Zusammenhänge verwiesen. Vor- und unbewusste Prozesse bei der Herstellung personaler Kontinuität werden in unterschiedlich expliziter Form ebenfalls berücksichtigt. Sowohl modernisierungstheoretische als auch praxisorientierte soziologische Ansätze beziehen sich auf das, was Routine ist und überwiegend automatisch abläuft, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Auch Persönlichkeitsmerkmale sind weniger bewusst, beeinflussen jedoch die Art des Handelns. Die Neurowissenschaften gehen davon aus, dass der Großteil unserer Aktivitäten routinisiert verläuft, sodass wir uns den wenigen Herausforderungen, die volles Bewusstsein erfordern, widmen können. Und
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die Biografieforschung geht ebenfalls davon aus, dass Menschen häufig nicht intentional, bewusst und gewollt im Sinn von Planen und Entscheiden handeln, sondern vor dem Hintergrund versteckter biografischer Horizonte, individueller Prozesse und Perspektivität handeln. Die soziale Situiertheit und Bedeutung von Interaktionen und Umwelt steht ebenfalls in allen Disziplinen außer Frage, allerdings ist das Verständnis von Umwelt sehr unterschiedlich. Vor allem in den Neurowissenschaften wird Umwelt wenig bis überhaupt nicht differenziert. Umwelt ist alles außerhalb des eigenen Körpers oder noch umfassender außerhalb des Gehirns. In Soziologie und Psychologie reichen die Vorstellungen des Zusammenwirkens von Umwelt und Persönlichkeit von der reinen Umweltdetermination, Modellen der Entfaltung, getragen von förderlichen oder hinderlichen Umwelteinflüssen, und der Kodetermination zu Modellen der wechselseitigen dynamischen Interaktion. Bei letzteren sind Person und Umwelt in einer untrennbaren und unteilbaren Einheit miteinander verbunden. Besonders in der Biografieforschung und in subjektorientierten Forschungsrichtungen wird betont, dass Interaktionen und soziale Kontexte nicht universell wirken, sondern individuell gebrochen werden. Die alte Frage, ob Kultur oder Natur, Erworbenes oder Angeborenes, ausschlaggebend ist, scheint nicht zuletzt aufgrund der Forschungsergebnisse der Epigenetik und Neurowissenschaften zunehmend ad acta gelegt werden zu können. In allen Disziplinen wird immer mehr von einem Zusammenspiel von Entwicklung und Reifung, Persönlichkeitsfaktoren, subjektiver Verarbeitung und Deutung sowie soziokultureller Situation und intersubjektiven Praktiken ausgegangen. Entsprechend werden Prozesse der Ko-evolution oder Ko-konstruktion betont, beispielsweise Konzepte der Ko-Konstruktion bei Baltes et al. (2006) sowie Diriwächter und Valsiner (2005), der Epigenese bei Geulen und Veith (2004) oder der KoEvolution bei Jablonka und Lamb (2005), allerdings empirisch bisher nur ansatzweise umgesetzt. Vor allem wenn es um die Auswertung geht, wird sehr schnell wieder auf kausale Modelle und vertraute Interpretationen zurückgegriffen. Diewald (2008) verweist in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung der Anreicherung disziplinärer Konzepte. Beispielsweise könnten genetisch sensitive Designs für die Soziologie von erheblichem Nutzen sein, um ihre Konzepte gegen konkurrierende Erklärungen zu behaupten. Grundlage dieser Behauptung ist die Tatsache, dass alle Messungen an Menschen genetische und soziale Einflüsse konfundieren. Erst über mole-
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kulargenetische Messungen oder genetisch sensitive Erhebungs- bzw. Untersuchungsdesigns könne es gelingen, soziale Einflüsse als solche zu isolieren. Bei solchen Versuchen, zu klären, was sich an den Schnittstellen von Subjekten und der Umwelt abspielt und welche psychogenetischen Faktoren und Dynamiken sowie gesellschaftlichen Bedingungen dabei wirksam sind (Geulen/Veith 2004), werden in der Regel Bedingungsgefüge entworfen. Dabei besteht meines Erachtens aber die Gefahr, dass kausale Konzepte entstehen. Ich möchte deshalb versuchen, einen anderen Weg einzuschlagen, indem ich nicht nach den Bedingungsfaktoren frage, sondern danach, wie Menschen Kontinuität herstellen. Beide Perspektiven können sich ergänzen und gegenseitig anregen.
6.2 D OING
CONTINUITY – EIN MULTIPERSPEKTIVISCHES KONZEPT
Im Folgenden versuche ich die dargestellten Schnittmengen zu einem dynamischen und praxeologischen Modell soziokultureller, individueller und biologischer Praktiken zu destillieren und anhand von Thesen zu verdeutlichen. Es handelt sich dabei nicht um eine geschlossene Theorie mit hierarchischen Ebenen und kausalen Verbindungen, das würde dem Ausgangspunkt meiner Arbeit widersprechen, sondern ist der Versuch, das was ich unter doing continuity verstehe, als multiperspektivisches Handlungsmodell programmatisch zu konkretisieren. Das Herstellen von Kontinuität durch die einzelnen Individuen ist diesem Verständnis folgend weniger kausaler Ursachenbaum und zerlegbar in Einzelkomponenten als eine nicht immer glatte und deckungsgleiche Folie von Knotenpunkten, die das Ergebnis biologischer, sozialer und kultureller Interaktionen und Prozesse sind. Ziel ist, diese gut untersuchten Einzelkomponenten zusammenzuführen und zu synthetisieren. Auf der Basis dieses Modells sollte es möglich werden, gehaltvolle und empirisch belastbare Aussagen über die Herstellungspraxis personaler Kontinuität zu machen. Personale Kontinuität als „situationsübergreifende Selbigkeit“ (vgl. Kraus 1996; Shanan 1985) ist eine komplexe Integrationsleistung des Organismus, des biografischen Akteurs, der Persönlichkeit und des mit Identität ausgestatteten Sozialwesens. Eine einzige Perspektive greift zu kurz –
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es ist von einem gleichzeitigen „sowohl als auch“ auszugehen. Biologische, psychische, biografische und soziale Prozesse hängen in vielfältiger und enger Weise zusammen und verstärken oder schwächen sich zeitgleich ab. Es ist eine Herausforderung, das Gehirn als biologisches Werkzeug und das Individuum mit seinen Versuchen der Konstruktion von Kontinuität in einen gemeinsamen Verständnisrahmen zu stellen (vgl. Broks 2006). Was in klassischen Sozialisationstheorien als Balance zwischen sozialer und personaler Identität beschrieben wird, ist aus einer soziologischen Sicht Reflex auf die Tatsache, dass moderne Akteure gezwungen sind, als Subjekt und Individuum zu handeln und sich in mehrere Selbsts, Identitäten und Persönlichkeiten zu zerlegen, um unterschiedlichen sozialen Umwelten und Anforderungen gerecht werden zu können (vgl. Luhmann 1998). Ergebnisse der Gehirnforschung, die zeigen, dass Erfahren, Bewerten, Entscheiden und Handeln in unseren Köpfen geschehen, oft schon bevor wir uns dessen bewusst sind, sind ebenso einzubeziehen wie Analysen zu sozialen Zusammenhängen und zeitdiagnostischen bzw. historischen Entwicklungen, die einen Rahmen für die aktuellen, auch neuronalen Kontinuitätskonstruktionen und damit verbundene Prozesse bieten. Die Herstellung von personaler Kontinuität ist weder mechanistisch noch ausschließlich rational, linear, kausal und eindimensional, sondern vielfältig und oft widersprüchlich, durch komplexe Verschränkungen, Alternativen und Wahlmöglichkeiten in spezifischen historischen – Individualisierung und „Reflexive Moderne“ – und gesellschaftlichen Situationen gekennzeichnet und begleitet von asynchronen, kontinuierlichen und diskontinuierlichen Übergängen, Brüchen und Krisen, Prozessen des Stagnierens und Öffnens auf unterschiedlichsten Ebenen und in unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen sowie von Sequenzen altersgebundener und kohortenspezifischer Entwicklungen. Ein solches Verständnis greift Beispiele und Überlegungen nichtlinearer und nichtdeterministischer, transdisziplinärer und multiperspektivischer Vorgehensweisen auf. Es verzichtet bewusst auf essentialistische Konzepte von personaler Kontinuität und erteilt kulturpessimistischen Interpretationen sozialen Wandels eine klare Absage. Es thematisiert nicht nur, wie Menschen Kontinuität in unterschiedlichen, auch schwierigen Situationen herstellen „müssen“, sondern nimmt auch die kreativen Anteile von Herstellungsprozessen in den Blick.
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6.2.1 Kontinuität als universelle Notwendigkeit Die Notwendigkeit personaler Kontinuität ist „biologisch programmiert“, in neuronalen Prozessen wird beispielsweise Wahrnehmungskontinuität hergestellt, gleichzeitig ist Kontinuität individuelle, biografische, psychische, kulturelle und soziale Notwendigkeit. Personale Kontinuität bedeutet, immer wieder anknüpfen zu können an Früherem, an Erinnerungen, an einer grundlegenden Seinsgewissheit. Sie ist Voraussetzung, um in dynamischen Umgebungen und Lebenswelten, angesichts von Veränderungen und Brüchen als biografisches Subjekt, als biologischer Organismus, als Persönlichkeit und als soziales Wesen handlungsfähig zu sein, sich handlungsfähig zu fühlen und handlungsfähig zu bleiben sowie für andere berechenbar zu sein. Kontinuität ist insofern grundlegend für menschliches Leben und universell, auch wenn sie individuell, biografisch, kulturell und situativ höchst unterschiedlich hergestellt wird. Personale Kontinuität in sich ist keine voraussetzungsfreie Einheit, sondern geprägt durch historische, soziale und kulturelle sowie individuelle und biografische Differenzen. Entsprechend sind auch die Herstellungsprozesse vielfältig und unterschiedlich. Gleichzeitig ist sie immer auch einheitlich im aktuellen Moment des Herstellungsprozesses. Personale Kontinuität bedeutet nicht, dass das einzelne Leben kontinuierlich ist, im Gegenteil: es weist viele dynamische und diskontinuierliche Elemente auf, und das nicht nur aktuell in der Moderne oder Postmoderne. Kontinuität muss deshalb hergestellt werden. Diskontinuität und Brüchigkeit sind keine ausschließlichen Erscheinungen der Postmoderne. Es gab immer wieder Phasen forcierte Phasen des Wandels und damit verbundene Unsicherheiten. Klimatischer Wandel, soziale Auseinandersetzungen, Kriege, Völkerwanderungen, kulturelle Brüche und erzwungene Verschmelzungen, Umsiedlungen, hohe Sterblichkeit, Seuchen oder ein menschenfeindliches Habitat, um nur einige Beispiele zu nennen, stellten und stellen Menschen vor die Aufgabe, in diesen Umwelten Kontinuität für sich herzustellen. Nicht nur die heutigen Lebenswelten sind dynamisch, sondern auch die Lebenswelten, in denen sich Menschen früher bewegt haben, waren durch Dynamik unterschiedlicher Art gekennzeichnet. Und auch die Anforderungen waren in früheren Zeiten nicht weniger herausfordernd als sie es heute sind, nur anders. Ohne die Herausforderungen in
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postmodernen westlichen Gesellschaften herunterzuspielen und zu universalisieren: Kulturpessimismus scheint auch Kontinuität zu besitzen. Vor diesem Hintergrund ist auch die Gleichsetzung von gesellschaftlicher und personaler Struktur zu einfach gedacht. Mit der Annahme, dass sich Gesellschaftsformen und Identitätsformen der Gesellschaftsmitglieder entsprechen, wird häufig direkt von der Gesellschaftsform auf individuelles Verhalten und Handlungen geschlossen. Diskontinuität auf der gesellschaftlichen Ebene führe, so wird argumentiert, zu personaler Diskontinuität und Hybridität. Die vorliegenden Studien zeigen sehr detailliert auf, dass Menschen angesichts des aktuellen sozialen Wandels einerseits auf bewährte universelle, soziale und individuelle Praktiken der Kontinuitätsherstellung zurückgreifen und sie für sich anpassen, andererseits aber auch neue Praktiken entwickeln, dass sie jedenfalls weiterhin Kontinuität herstellen (können). Eine Frage, die immer wieder gestellt wird, ist die nach der Veränderbarkeit des Menschen. Aus dem Blickwinkel von doing continuity ist diese Frage falsch gestellt. Vielmehr geht es darum, welche Praktiken Menschen in oft ganz unterschiedlicher und nicht prognostizierbarer Weise beibehalten und welche sie verändern und wie sie dadurch individuell und subjektiv dennoch Kontinuität für sich herstellen. 6.2.2 Doing continuity als integrative biopsychosoziale Praxis Praxis und Praktiken des doing continuity zur Herstellung von Seinsgewissheit sind nicht auf Einzelebenen, die spezifischen disziplinären Perspektiven entsprechen, verankert, sondern sind immer und gleichzeitig biopsychosozial. Körperliche, emotionale und kognitive Vorgänge sind Aspekte ein- und derselben Handlung. Die neuronale, die biografische, die soziale oder die psychische Praxis der Herstellung von Kontinuität gibt es nicht. Denn: Soziale Praktiken sind auch neuronal, biografische Praktiken auch sozial, soziale Praktiken sind auch psychisch. Die Koordinaten verlaufen quer durch die Disziplinen. Die weitgehend unbewusste Kontinuitätsherstellung gründet auf fundamentalen biologischen Mechanismen, wie am Beispiel neuronaler Prozesse gezeigt werden konnte. Gleichzeitig bestehen Gefühle des Vertrauens in einen selbst sowie andere, wird die Gegenwart weiter gedacht in Vergangenheit und Zukunft, werden Interakti-
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onspartner und Situationen einbezogen. Antworten aus einer einzigen Perspektive greifen zu kurz – es ist von einem „sowohl als auch“ auszugehen. Daraus folgt auch, dass der Akteur als Person insgesamt handelt und seine Kontinuität in seinem Körper und Organismus, in seiner Biografie und in seinem sozialen Handeln gleichzeitig herstellt. Üblicherweise wird Soziales durch Soziales erklärt (Mayntz 2008), doch die soziale Herstellung von Kontinuität ist auch entwicklungsbedingt, psychisch, neuronal und individuell-biografisch. Sie lässt sich nicht unidirektional oder uniperspektivisch erklären. So ist es auch nicht sinnvoll, eine Ebene zur „Ursache“ der anderen Ebene zu machen. Dem folgend gibt es keine unabhängigen Variablen und keine Hierarchie der Ebenen. Personale Kontinuität ist integrativ, wir sind und handeln nicht einmal psychisch kontinuierlich und dann biografisch. Diese Aufspaltung ist lediglich analytisch. Insofern kann sogar die oft verwendete Metapher des Zusammenspiels für multiperspektivische Zusammenhänge irreführend sein. Denn es handelt sich weniger um ein Zusammenspiel aus Einzelkomponenten als um die Gleichzeitigkeit von Prozessen. Unterschiedliche Faktoren, biologische, psychische, subjektive, soziale entfalten eine Komplexität unseres Handelns, die empirisch schwer zu greifen ist. Dies Ergebnis erfordert ein Umdenken, auch im Hinblick auf die forschungspraktische Umsetzung. Doing continuity als biopsychosoziale Praxis zu konzeptualisieren, lässt sich in Anlehnung an Baecker et al. (2008) als Versuch verstehen, ein Prinzip im Handeln zu identifizieren, um Vielfalt mit Vielfalt zu erklären. Einzelperspektiven auf den Herstellungsprozess bleiben unterkomplex, auch wenn es immer wieder lohnend ist, vertiefend Details aus einzelnen Disziplinen zu untersuchen. Konkret: Es geht um ein Forschungskonzept, das die Gleichzeitigkeit sozialer, biografischer, psychischer und biologischer Faktoren bei der Analyse konkreter Phänomene nicht zum Forschungsgegenstand macht, sondern sie voraussetzt. Dieses nimmt weniger die Ko-Konstruktion und das Zusammenspiel der einzelnen Bereiche in den Blick als die Herstellungspraxen als Gesamtes. An die Stelle von Entitäten wie Persönlichkeit, Identität, Selbst oder Ich treten Akteure und die je spezifischen Muster ihrer Praktiken. Das hier entworfene Modell der gleichzeitigen Biopsychosozialität steht damit in deutlichem Gegensatz zu systemtheoretischen Ansätzen, die
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von der Eigenständigkeit des organischen, psychischen und sozialen Systems ausgehen. 6.2.3 Die Doppellogik personaler Kontinuität: Routinen und Offenheit Ein weiteres zentrales Ergebnis ist, dass Wandel und Konstanz, Dynamik und Struktur, Kontinuität und Diskontinuität im Herstellungsprozess personaler Kontinuität zusammengehören. Personale Kontinuität wird in einem permanenten Prozess hergestellt und entwickelt und verändert sich ebenso wie die Umwelt(en), in denen sie hergestellt wird und sogar die Praktiken, mit denen sie hergestellt wird. Schon auf neuronaler Ebene wird Kontinuität immer wieder in ähnlicher, aber nie in identischer Weise hergestellt. Interessieren wir uns für Stabilität, werden wir versuchen, in diesen Indikatoren dennoch Stabilität zu entdecken, interessieren wir uns für Wandel, werden wir versuchen, Indikatoren für Wandel zu entdecken, ein Phänomen, das sich sogar in der Quantentheorie zeigt, „dass selbst die subatomaren Teilchen die Elektronen sowie die Protonen und Neutronen innerhalb des Kerns keine Festkörper im Sinne der klassischen Physik sind. Die subatomaren Einheiten der Materie sind sehr abstrakte Gebilde mit einer doppelten Natur. Je nachdem, wie wir sie ansehen, erscheinen sie manchmal als Teilchen, manchmal als Wellen. Ein Elektron ist weder ein Teilchen noch eine Welle, aber es kann in einigen Situationen teilchenähnliche Aspekte haben und in anderen wellenähnliche.“ (Capra 1983: 81)
Persönlichkeitspsychologische, psychobiologische und neurowissenschaftliche Befunde betonen stärker die frühe Stabilität von Persönlichkeits- und Handlungsmerkmalen und interpretieren Dynamik im Sinn von Weiterentwicklung, während Ergebnisse der Subjekt-, Identitäts- und Biografieforschung, der Kindheits- und Resilienzforschung und den Erziehungswissenschaften, teils auch den Neurowissenschaften und der Entwicklungspsychologie die lebenslange Plastizität und Veränderbarkeit sowie die Heterogenität und Differenzialität von Entwicklungswegen hervorheben. Zum einen scheint die häufig gemachte Unterscheidung von Entwicklung und Veränderung eher analytisch, im Lebenslauf sind beide
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Aspekte miteinander verflochten und schwer voneinander zu trennen. Zum anderen bietet die Konzentration auf Praxis und Praktiken der Kontinuitätsherstellung einen Ausweg aus diesem scheinbaren Widerspruch, ohne die Perspektiven gegeneinander auszuspielen. Personale Stabilität und Wandel wären dann weniger alternative als aufeinander bezogene Logiken der Herstellung von Kontinuität, die auf ganz unterschiedlichen, nicht immer vergleichbaren Ebenen teils gleichzeitig und parallel stattfindet und deren gemeinsames „Ziel“ die Herstellung personaler Kontinuität ist. Kontinuität bedeutet dabei nicht innere Einheit, Harmonie oder Geschlossenheit, sondern ist ein offener Prozess. Entscheidend ist vor allem, dass die hergestellte Kontinuität für die Person selbst stimmig und anschlussfähig ist sowie von anderen anerkannt wird (vgl. Keupp et al. 2002). Die individuelle Praxis und die entsprechenden Muster der Einzelpraktiken sind zwar offen, aber nicht beliebig austauschbar. In den jeweiligen Situationen, in denen Menschen handeln, agieren sie zudem ganzheitlich. Praktiken sind deshalb auch nicht additiv. Zudem besitzen sie keine klaren Grenzen, vielmehr gehen sie als Strom, als durée ineinander über. Zu relativieren ist in diesem Zusammenhang auch die Vorstellung, dass lebenslanges Lernen und Plastizität dazu führen, dass Menschen immer unfertig sind. Dies könnte dann nämlich implizieren, dass Menschen nie ganz sind. 6.2.4 Praktiken der Kontinuitätsherstellung Personale Kontinuität ist kein einmal erreichter Zustand. Die entsprechenden Praktiken existieren nicht als eigenständige Phänomene oder stabile Werkzeuge, sondern nur in der aktuellen Praxis der Herstellung von Kontinuität. Sie sind selbst nicht unbedingt kontinuierlich. So werden sie manchmal, aber nicht in jeder Situation verwendet, teils immer wieder in der gleichen Weise, teils sehr flexibel (vgl. Kaufmann 2004), nur in bestimmten Lebensbereichen (im Privatleben, Beruf, Öffentlichkeit), in bestimmten Lebensphasen (wie Kindheit, Jugend, Berufseinmündung, Familienphasen), werden angepasst, weiterentwickelt, beibehalten oder verworfen, wieder entdeckt oder wieder sehr viel später wieder aufgegriffen – und all dies überwiegend unbewusst als Routinen. Ferner gibt es unterschiedliche Prozesstypen von Routinen, Kausalketten, in denen sie verknüpft werden oder nur periodisch aufgegriffen werden.
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Das Gesamt der Praktiken bündelt sich zu spezifischen Praxen, Lebensmustern, Lebensführungen und Habitus, die wiederum dynamisch sind, synchron und diachron sowie eigensinnig und differenziell. Praktiken, die von außen gesehen nicht angemessen oder sogar kontraproduktiv erscheinen, können auch Beharrungsvermögen besitzen und individuell Sinn machen, sie können aber auch dem eigenen Leben im Weg stehen. Dann wird personale Kontinuität dysfunktional. Sei es, dass eine Diät nicht durchgehalten wird, obwohl wir aus Gesundheitsgründen abnehmen sollten, sei es, dass es nicht gelingt, sich aus belastenden und verletzenden Beziehungen zu lösen – immer spielt dabei das Bedürfnis nach Kontinuität eine nicht zu unterschätzende Rolle. Was nun das Ganze nochmals schwieriger macht, ist die Tatsache, dass Praktiken nicht nur sozial verankert sind, sondern gleichzeitig biologischneuronal, psychisch und biografisch sind. Die unterschiedlichen Praktiken, die die Disziplinen und Subdisziplinen aufzeigen, sind nicht getrennt zu denken, sondern hängen zusammen. Beispielsweise (ich wähle bewusst ein einfaches Beispiel) handelt es sich wie, die Neurowissenschaften seit langem untersuchen und immer detaillierter aufzeigen, beim Farbsehen um einen überwiegend routinisiertautomatisierten, aber dennoch um einen Konstruktionsprozess (vgl. Pöppel 2006; Zeki 1999a). Farbkonstanz und Kontinuität der Farben müssen in jedem Moment hergestellt werden, denn Farben verändern sich beispielsweise mit dem Lichteinfall. „Nachts sind alle Katzen grau“. Doch ist dieser Prozess nicht lediglich neurobiologisch, weil wir gelernt haben, nachts anders wahrzunehmen und trotzdem wissen, dass der Baum vor uns grüne Blätter hat. Das Bild, das unser Gehirn von der Farbe konstruiert, folgt früheren visuellen und anderen Erfahrungen, vergleicht Eindrücke und ist verbunden mit einem Hof von unterschiedlichsten Wahrnehmungen. Hinzu kommen biografische Verknüpfungen und (Be)deutungen, die wieder belebt werden, beispielsweise eine Situation, die uns dann einfällt, die positiv besetzt ist, eine Erfahrung, andere Menschen, der Kontext und das praktische Wissen, dass diese Farbe, die uns eigentlich gut gefällt, aus der Mode gekommen ist, während andere, die uns nicht so ansprechen, „in“ sind. Für all dies stellt das Gehirn Verarbeitungs- und Verknüpfungsmechanismen zur Verfügung. Erinnern ist die biopsychosoziale Rekapitulation der biografischen Erfahrungen in einem bestimmten historischen Moment. Diese
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Verknüpfungen kristallisieren sich experimentell oder mit bildverarbeitenden Verfahren allein nicht heraus. Für viele Praktiken wird kein bewusstes Handeln benötigt. Sie sind routinisiert und laufen unbewusst ab. Die steht im Gegensatz zur Vorstellung von Kontinuitätsarbeit, der immer etwas Schweres und Belastendes anhaftet. Kontinuitätsarbeit ist überwiegend Routine und dies gilt auch in der Postmoderne. So kann Kontinuitätsarbeit kreativ und manchmal sogar „lustvoll“ sein. Natürlich können auch Routinen belasten. Nur in neuen Situationen, bei Brüchen und in Krisenzeiten, wenn sich also Koordinaten entscheidend verändern, auf die wir uns bisher verlassen konnten, wenn eigenes Verhalten vielleicht nicht mehr angebracht ist, sind wir verunsichert. 6.2.5 Doing continuity – eigensinniges Handeln Die Konstruktion von Kontinuität und Kohärenz ist ein lebenslanger materialer, individueller und sozialer Prozess, in dem die Person sich als identisch in Raum und Zeit empfindet. Es gilt die Erfahrung von Diskontinuitäten, Brüchen, Krisen und Transitionen zu verarbeiten, die zeitliche Perspektive von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aufrechtzuerhalten. Der Zusammenhang von individuellen Zeitperspektiven und gesellschaftshistorischen Konstellationen bedarf der fortlaufenden Anpassung der kontinuitätssichernden Selbstdeutungen. Neuropsychologische Untersuchungen von Störungen dieser Fähigkeit verweisen auf die ihr zugrundeliegenden neurobiologischen und sozialen Mechanismen. Praxen als Bündel von Praktiken personaler Kontinuität etablieren sich im Lebensverlauf, bewähren sich oder eben nicht. Sie sind so unterschiedlich wie die Menschen selbst – ein Befund, der sich auch in sozialwissenschaftlichen Befunden sehr deutlich zeigt. Das bedeutet, dass manche Menschen sogar nach außen sehr kontinuierlich erscheinen. Sie haben ihre festen Angewohnheiten und die für sie angemessene Lebensführung, ihre Woche ist strukturiert, sie fahren z.B. in jedem Urlaub an den gleichen Ort. Andere scheinen sich sehr viel stärker zu verändern, Alltagsroutinen sind bei ihnen nicht so leicht feststellbar, sie praktizieren das, was die „Big Five“ als Offenheit interpretieren. Auch diese Offenheit ist dann jedoch eine komplexe Praktik, die für eine gewisse Zeit, für bestimmte Situationen typisch für das Verhalten eines Menschen sein kann, und kein Merkmal.
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Damit zusammen hängt die teils sehr unterschiedliche Bedeutung, die Praktiken für einzelne Personen haben können. 6.2.6 Die Situierung von doing continuity Menschen stellen personale Kontinuität in verschiedenen Kulturen, Zeiten und Situationen sowie aufgrund ihrer Lebensbedingungen unterschiedlich her, auch in der reflexiven Moderne übrigens überwiegend erfolgreich. Wichtig ist nun, zu berücksichtigen, dass die Umwelt weitgehend aus anderen Personen besteht und diese füreinander Umwelten bilden und sich gegenseitig aufeinander beziehen. Kontinuität muss durch andere bestätigt werden und wird in Interaktion mit anderen entwickelt. Gleichzeitig stellen wir nicht nur unsere eigene Kontinuität her, sondern auch soziale Kontinuität, beispielsweise als Frau oder Mann, Umweltstabilität, indem wir die Umwelt „passend machen“ und in Interaktionen auch die Kontinuität der anderen ko-konstruieren.
6.3 M ETHODOLOGISCHE Ü BERLEGUNGEN F ORSCHUNGSPRAXIS
ZUR
Forschungspraktisch folgt aus den Thesen zur Herstellung personaler Kontinuität ein auf Agency und Praktiken bezogenes, multiperspektivisches Analyse- und Forschungskonzept ergänzt um Aspekte biografischen Handelns und subjektiver Deutungen. Letztere sind in Praxistheorien wenig verankert, aber, wie sich aus allen Perspektiven zeigt, eine notwendige Bereicherung. Welcher Weg ist dafür methodologisch einzuschlagen? Um die Implikationen zu erläutern, sei ein kurzer Blick auf die Grundgedanken des Konzepts doing continuity geworfen. Personale Kontinuität ist konstruierte Kontinuität und insofern „nur“ individuelle Selbstwahrnehmung. Die Konstruktion der Gewissheit der eigenen Kontinuität erfolgt nur zum geringeren Teil bewusst, reflexiv oder geplant. Sie wird vor allem durch spezifische, oft routinisierte Praktiken hergestellt. Vieles spricht dafür, sich vor allem mit diesen Praktiken der AkteurInnen auseinanderzusetzen, sie zu rekonstruieren, dort wo und in dem Moment, in dem Kontinuität hergestellt wird. Damit ist es unumgänglich, das Alltagsleben und die alltäglichen Praktiken im doing continuity zu berücksichtigen. Diese
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haben nicht die Funktion einer Basis, auf der komplexere und nicht routinisierte Handlungen beruhen. Aber ihnen kommt besondere Bedeutung zu, da sie die vorherrschende Form sind, Kontinuität herzustellen und aufrecht zu erhalten. Gleichermaßen sind aber auch die Schwierigkeiten, Kontinuität herzustellen, einzubeziehen, beispielsweise bei biografischen Brüchen, körperlich-physiologischen Schwierigkeiten und Veränderungen des sozialen Kontextes und der sozialen Bezugspersonen ebenso wie auch Situationen interessieren, in denen der Herstellungsprozess aus der Routine heraustritt und neu zu gestalten ist. Zum dritten sind auch die nicht routinisierten Praktiken von Interesse, denn mit diesen bewältigen Menschen Krisen. Eine Praktik kann dann auch Verweigerung sein. Einen wichtigen Stellenwert hat die zeitliche Dimension; die Herstellung von Kontinuität ist biografisch, historisch und mikrozeitlich dimensioniert und ein Prozess. Zu berücksichtigen sind ferner subjektbezogene und differenzielle Dimensionen, also auch die Deutungen und Interpretationen der Subjekte. Schließlich ist der soziokulturelle und soziohistorische Raum zu berücksichtigen, in dem die Personen situiert sind und Kontinuität herstellen. Ziel ist es nun nicht, Hypothesen zu überprüfen oder Korrelationen zwischen vordefinierten Variablen herzustellen. Gemäß dem angestrebten Erkenntnisinteresse wird doing continuity im ethnografischen Sinn als Fremdes aufgefasst, dessen Muster und Funktionieren zu entschlüsseln sind, um Praktiken in ihrer Universalität, Individualität, Biografizität und Sozialität zu rekonstruieren. Zentrales Ziel ist es, vertiefende und dichte Einblicke in die Mechanismen und Prozesse der permanenten Herstellung von Kontinuität zu erhalten und das praktische Wissen der Untersuchungspersonen oder Untersuchungsgruppen aufzuschlüsseln. Hier stellt sich die Herausforderung der empirischen Umsetzung von Multiperspektivität. Nimmt man das vorgeschlagene Konzept der gleichzeitigen biopsychosozialen Herstellung personaler Kontinuität ernst, muss aus unterschiedlichen Perspektiven untersucht werden. Es bestehen verschiedene Möglichkeiten der empirischen multiperspektivischen Rekonstruktion: •
ein disziplinäres Forschungsdesign, das die Biopsychosozialität des doing continuity im Blick behält, auch wenn es an einer Perspektive ansetzt. Hiermit eng verbunden ist multiperspektivische Sensibilität: Das Vorgehen entspricht dem Vorgehen, das Welzer und Marko-
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•
•
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witsch (2006: 15) als „pragmatische Interdisziplinarität“ bezeichnen. Dies können auch Sekundärauswertungen und -analysen sein unter neuen Blickwinkeln. ein disziplinäres Forschungsdesign, das ergänzend von Experten mit unterschiedlichen disziplinären Perspektiven begleitet wird: Projektdesign, Auswertung und Ergebnisse werden dann multiperspektivisch kommentiert. Bei diesem Design geht es um die Relativierung einer Forschungsperspektive. Gleichzeitig eröffnet sich die Möglichkeit des voneinander Lernens. ein multiperspektivisches Design mit übergreifender Fragestellung im Sinn von Transdisziplinarität (vgl. Mittelstrass 1987), das die einzelnen Ebenen nicht als Bedingungsgefüge konstruiert, sondern kontextund zweckbezogene Wissenskonfigurationen aufgreift, die sich kognitiver Einheit entziehen: Merkmale sind Flexibilität, multiple Quellen und ein ständiges Wechselspiel zwischen Grundlagenforschung und angewandter Forschung, Theorie und Praxis, Lokalem und Allgemeinen. Dieses Design stellt hohe Ansforderungen an die Forschenden, vor allem weil es sich nicht um ein additives Modell von Interdisziplinarität handelt, das die einzelnen Teile und Ebenen kausal zusammensetzt. Die ForscherInnen sollten möglichst gemeinsam das Design entwickeln, Praxen und Praktiken untersuchen und analysieren, nicht erst zusammentreffen, wenn die ersten Eindrücke sich zu wissenschaftlichen Konzepten verfestigt haben. Ein Teilprojekt könnte auch die gemeinsame theoretische Konkretisierung des hier vorgeschlagenen Konzepts sein, beispielsweise bezogen auf das Aufwachsen von Kindern, wie es Markowitsch und Welzer (2006) ansatzweise und durchaus mit Erfolg für das autobiografische Gedächtnis versucht haben.
Was die Auswahl geeigneter Methoden betrifft, gibt es auch hier verschiedene Möglichkeiten mit deutlichen Prioritäten. Zu fordern ist zunächst eine Abwendung von faktoriell reduzierten Erklärungsschemata menschlichen Handelns, auch in Disziplinen, die üblicherweise damit arbeiten. Sinnvoll, vor allem zur Relativierung aktueller Entwicklungen, sind explorative sowie vergleichende internationale und interkulturelle Studien, des Weiteren vergleichende historische und subkulturelle Studien. Auch explorative Studien mit empirischer Detailarbeit erscheinen geeignet, um die verschie-
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denen Perspektiven zusammenzufügen. So könnte aus verschiedenen Perspektiven erhoben werden, wie Individuen in Familien den Alltag gestalten, ihre eigene Kontinuität aufrechterhalten und gleichzeitig „doing family“ praktizieren oder wie sie konkret mit individuellen und familialen Brüchen umgehen und was sie jeweils als Bruch empfinden. Einzubeziehen sind dann sowohl biografische als auch soziale Verortungen, aber auch darauf bezogene neurobiologische Untersuchungen. Hier können Multimethodendesigns, Verschränkungen, Kombinationen und Triangulierungen methodische Innovationen ermöglichen und auch im Hinblick auf die Weiterentwicklungen theoretischer Perspektiven bedeutsam werden. Besonders geeignet sind ethnografische Forschungsdesigns zur Erkundung der Herstellungspraxen. Beobachtungen (teilnehmend oder Videografie) spielen dabei eine wichtige Rolle, denn Praktiken finden im Moment statt und sind nachträglich nur mit viel Aufwand zu rekonstruieren. Die besonderen Vorzüge ethnografischer Verfahren liegen darin, dass sie Handlungen auf der Folie des gesamten Kontextes erfassen und in ihrer Entfaltung dokumentieren können. Sie widerspiegeln Konstitutionsprozesse und die sich überlagernden, vielen Zielen zugleich dienenden Interaktionen, Aktionen und Deutungsprozessen (vgl. Krappmann/Oswald 1995). Sie können z.B. explizit durch psychologische und neurowissenschatliche Verfahren ergänzt werden, die einen detaillierten Blick auf Handeln und Muster des Handelns ermöglichen. Der Königsweg läge in prospektiven Längsschnittstudien. Um zu rekonstruieren, wie und mit welchen Mustern Personen Kontinuität über die Zeit herstellen, welche Praktiken sie dauerhaft verwenden, welche zeitweise, welche sie neu entwickeln, welche nur in bestimmten Kontexten und Situationen zum Einsatz kommen und wo sie scheitern, kommen nur Studien über die Zeit in Frage.
6.4 L ERNEN
UND DOING CONTINUITY ALS BIOPSYCHOSOZIALE H ERSTELLUNGS - UND E NTWICKLUNGSPRAXIS
Personale Kontinuität, auch wenn sie in ganz unterschiedlicher und sogar diskontinuierlicher Weise hergestellt wird, ist notwendig, um im Alltag und Lebensverlauf Sicherheit herstellen zu können, handlungsfähig und für
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andere berechenbar zu sein. Dies gilt auch für Kinder und Jugendliche. Sie wachsen in Umwelten auf, die sich ständig verändern, und müssen erst lernen, Kontinuität herzustellen. Doch wie gelingt ihnen das, wenn sie beispielsweise von Geburt an zwischen unterschiedlichen Welten wechseln: wenn ihre Familie multilokal, also an unterschiedlichen Orten lebt; wenn sie unterschiedlich und flexibel betreut werden (Betreuungsmix); wenn sie in unterschiedlichen Kulturen leben; wenn sie sich zwischen Familie, Großeltern, Krippe, Kindergarten, Schule, Peergroup, Hort, Sportverein und anderen Institutionen bewegen; wenn sie mit der Fülle von multimedialen Angeboten umgehen? Welche Form von Unterstützung brauchen Kinder und Heranwachsende, um die Herstellung von Kontinuität auf ihre je individuelle und ihren biopsychosozialen Lebensbedingungen entsprechende Art lernen und entwickeln zu können? In den bisherigen Folgerungen wurden entwicklungsbezogene Perspektiven nicht direkt aufgegriffen. Während Entwicklungsprozesse in psychologischen und neurobiologischen Ansätzen ein zentrales Thema sind, haben sie in den sozial- und biografieorientierten Wissenschaften mit Ausnahme der Sozialisationstheorien wenig Tradition. Der Gesichtspunkt der Entwicklung und Reifung ist dort aber nicht nur unterbelichtet, sondern wird unter Verweis auf Stufentheorien, angeborene Dispositionen und Vorstellungen einer gelungenen und irgendwann einmal abgeschlossenen Entwicklung tendenziell abgelehnt. In praxeologischen Ansätzen geht es zudem vor allem um die situative Praxis, aus der heraus alles zu erklären ist. Andererseits weist schon Giddens (1988: 97) darauf hin, dass es nicht zu bestreiten sei, „dass ein neugeborenes Kind eine angeborene Wahrnehmungsausstattung besitzt. Es besitzt mit anderen Worten nicht nur die Sinnesorgane, sondern auch neurologisch fundierte Schemata, die ihm gestatten, selektiv auf seine Umwelt zu reagieren, selbst wenn diese Selektivität im Vergleich zur später entwickelten relativ grob ausfällt.“ Menschen werden gleichzeitig aber auch in konkrete regionale, soziale und historische Situationen hineingeboren (Faulstich-Wieland 2008: 240), damit erhalten soziokulturelle Perspektiven eine wichtige Funktion. Mit Diriwächter und Valsiner (2005) ist deshalb eine integrierte Entwicklungsforschung zu fordern, die es so noch nicht gibt und die Entwicklung nicht eindimensional erklärt: „Hence, we can consider all biological and social sciences that study development as belonging to one unified science – developmental science.“ (Ebd.: 35)
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Deshalb ist auch das Forschungskonzept doing continuity um entwicklungsbezogene Dimensionen zu ergänzen. Damit wird es anschlussfähig an bildungsbezogene Diskurse, Problemstellungen und Perspektiven, beispielsweise wenn es um die Frage geht, wie Kinder und Jugendliche im Umgang mit biografischer Vielfalt und Unsicherheiten lernen, Kontinuität herzustellen und sich damit Handlungsfähigkeit anzueignen, und wie sie dabei unterstützt werden können. Im Fokus steht der Zusammenhang von kindlicher Agency mit der Herstellung und Entwicklung personaler Kontinuität. 6.4.1
Kompetenzen und personale Kontinuität
Im pädagogischen Diskurs haben im letzten Jahrzehnt durch die konstruktivistisch-pragmatistische Wende (vgl. die Rezeption Deweys von Neubert 2008), subjektorientierte Ansätze sowie die „neue Kindheitsforschung“ (vgl. Prout 2005) Konzepte der Subjekt- und Autogenese, die lange erkenntnis- und handlungsleitend für Pädagogik und Erziehungswissenschaften waren, Aufschwung erhalten. Kinder werden nicht mehr nur als sich Entwickelnde und Lernende, sondern als Subjekte und (Mit)Akteure ihrer Lebenswelten in Schule, Familie und Peers verstanden, die von Geburt an Erkenntnis und Wissen aktiv und in einem sozialen Prozess herstellen. Unter dieser Perspektive interessiert, wie Kinder in Auseinandersetzung mit der Umwelt und deren Dynamiken selbstbildend lernen und Kontinuität schaffen. Gleichzeitig haben vor allem unter dem Eindruck von „Pisa“, „IGLU“ und ähnlichen Studien kompetenzbezogene Konzepte an Einfluss gewonnen. In der Diskussion um milieuspezifische Bildungsunterschiede und den überlegenen Schulerfolg von „Mittelschichtkindern“ verschiebt sich derzeit der von der erziehungswissenschaftlichen Kindheitsforschung angestoßene sozialkonstruktivistische Blick auf Kinderleben. Kinder werden vom eigensinnigen Akteur zum „kompetenten Humankapital“ (BühlerNiederberger/Sünker 2006: 44; vgl. Lange 2008). Bildung wird als „Befähigung zu einer eigenständigen und eigenverantwortlichen Lebensführung in sozialer, politischer und kultureller Eingebundenheit“ (BMFSFJ Zwölfter Kinder- und Jugendbericht 2006: 109) zum instrumentalisierten Ziel des kompetenten Kindes, Jugendlichen und schließlich Erwachsenen. Trends zum Sozialinvestitionsstaat verstärken die Bedeutung von Kindern
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als wichtigem Humankapital. Heranwachsende sind unter Kosten-NutzenGesichtspunkten zu erwerbsfähigen („employable“) und wertvollen Gesellschaftsmitgliedern zu „fördern“. Das Erlernen von Schlüsselkompetenzen, ob formell oder informell, in institutionalisierten oder nichtinstitutionalisierten Bildungswelten, wird zu moderner Kinderarbeit. Flankiert von postmodernen Konzepten der Zerstückelung und Diskontinuität wird Aufwachsen dann schnell als Bedrohung verstanden (vgl. Oelkers 2006: 258). Die OECD sieht angesichts einer sich ständig verändernden, globalisierten und modernisierten Welt ohne Sicherheiten ein elementares Bildungsziel im Umgang mit Vielfalt und sozialem Wandel sieht (vgl. Rychen/Hersh 2003). Auf die Frage, wie Individuen als aktive Subjekte in Übergängen, Krisen und Brüchen personale Kontinuität herstellen und handlungsfähig bleiben können, antwortet sie ebenfalls mit dem Modell der (Schlüssel)Kompetenzaneignung. Kompetenzen sind die modernen Eintrittskarten in die Gesellschaft und in Entwicklungs-, Bildungs- und Sozialisationsprozessen adäquat zu vermitteln und zu erwerben (vgl. Andresen/ Diehm 2006; Bühler-Niederberger/Sünker 2006). Die Betonung von Kompetenzen und ihre Aneignung unterstützenden Prozesse führt dazu, dass Aufwachsen, Lernen und Bildung in viele Einzelaspekte zerlegt werden. Kompetenzmodelle (vgl. Klieme/Hartig 2008; BMFSFJ Zwölfter Kinder- und Jugendbericht 2006; DFG-Schwerpunktprogramm „Kompetenzmodelle zur Erfassung individueller Lernergebnisse und zur Bilanzierung von Bildungsprozessen“) thematisieren die für erfolgreiches Handeln erforderlichen performativen sowie dispositionellen Kompetenzen und deren Qualität. Unterschieden werden beispielsweise sehr differenziert kulturelle, instrumentelle und motorische, soziale und personale Kompetenzbereiche (vgl. BMFSFJ Zwölfter Kinder- und Jugendbericht 2006). Durch diese Aufspaltung geraten quer dazu liegende Prozesse aus dem Blick. Sie werden in der Tendenz analytisch und empirisch vernachlässigt. Die Ergebnisse dieser Arbeit bieten transdisziplinär gewonnene Impulse für Konzepte pädagogischer Begleitung und Anregungspotenzial für eine Sicht auf Entwicklung und Lernen, die Bedrohungsszenarien relativiert. Wenn Kontinuität eine zentrale Voraussetzung für Handeln ist und gleichzeitig im Handeln hergestellt wird, sind auch einzelne Kompetenzen nichts ohne personale Kontinuität. Doing continuity zu unterstützen, wird im Alltag und Prozess des Aufwachsens sowie im gesamten Lebenslauf zu einem
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bedeutsamen, nicht zu unterschätzenden pädagogischen Ziel für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. 6.4.2
Doing continuity als Lern- und Bildungsprozess
Im Gegensatz zur Herstellung von Kontinuität bei Erwachsenen kommt bei Kindern und Jugendlichen hinzu, dass sie vieles zum ersten Mal tun und insofern erst lernen (müssen), biopsychosoziale Kontinuität herzustellen. Sowohl Wahrnehmen als auch komplexere Herstellungspraktiken sind nicht angeboren. Routinen müssen eingeübt, übernommen oder abgelehnt, entwickelt und angewandt werden. Dies hat auch Konsequenzen für die Entwicklung von Kompetenzen als routinisierten Praktiken. Kinder und Heranwachsende müssen immer wieder anknüpfen können an subjektiv Vertrautem, Bedeutsamen sowie Sicherheit Vermittelndem. Die Entwicklung geht dabei vom Sozialen zum Individuellen. Aufgrund der normalerweise bereits während der frühkindlichen Entwicklung stattfindenden und im späteren Leben aktiv vollzogenen Einbettung in ein immer komplexer werdendes soziales Beziehungsgefüge, sind im Entwicklungsverlauf die wichtigsten Erfahrungen, die ein Mensch machen kann, psychosozialer Natur. Kinder lernen vor allem durch Kooperation und Kommunikation mit anderen sowie in informellen Settings. Personale Kontinuität lernen sie u.a. auch durch die auf sie bezogenen Handlungen und Rückmeldungen der Umgebung. Lernen als selbstreferentieller Konstruktionsprozess von personaler Kontinuität und Wirklichkeit ermöglicht individuell und sozial „erfolgreiches“ Handeln. Bezogen auf kindliche Lernprozesse der Herstellung von Kontinuität ist ebenfalls von selbst organisierten Vorgängen auszugehen. Damit sind die älteren Lerntheorien – zum Beispiel Verstärkungslernen, Imitationslernen, Sender-Empfänger-Information – nicht widerlegt, sondern relativiert und ergänzt. Menschen imitieren Vorbilder, aber es liegt an ihnen selbst, mit wem und womit sie sich identifizieren und woran sie anknüpfen, um für sich Kontinuität herzustellen. Menschliches Verhalten wird durch Belohnungen und Zuwendungen „verstärkt“, aber Menschen haben erheblichen Einfluss darauf, welche Verstärkungen für sie bedeutsam sind und welche keine Spuren hinterlassen. Ohne an Vorherigem anknüpfen zu können, ist Lernen nicht möglich.
M ULTIPERSPEKTIVISCHE D IMENSIONEN
VON DOING CONTINUITY
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Hier sind multiperspektivische Konzepte gefragt. Die Perspektive des doing continuity könnte sich als konzeptionell und empirisch fruchtbar erweisen, nicht als Gegenprogramm, sondern komplementär. Dabei sind biologische und Entwicklungsprozesse ebenso zu berücksichtigen wie aktive und individuelle Aneignungsformen von Strategien und Praktiken, die biografischen Veränderungen unterliegen und gleichzeitig sozial geprägt sind sowie in sozialen Interaktionen vermittelt werden und sich verändern. Kinder und Jugendliche stellen personale Kontinuität alltagskulturell in vielfältigen und wechselnden Stilen und Ausdrucksformeln (Böhnisch 2003) und mit hohem Körperbezug (Hengst/Kelle 2003) her. Sie sind mindestens Ko-Produzenten ihrer personalen Kontinuität. Die biopsychosoziale Folie des doing continuity kann konstruktivistische Agencykonzepte der Neuen Kindheitsforschung sowie subjektorientierte Ansätze schärfer konturieren und durch die Einbeziehung von Entwicklungs- und biografischen Aspekten inklusive biologischen Prozessen erweitern.
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Wiltrud Gieseke, Steffi Robak, Ming-Lieh Wu (Hg.) Transkulturelle Perspektiven auf Kulturen des Lernens 2009, 266 Seiten, kart., zahlr. Abb., 25,80 €, ISBN 978-3-8376-1056-7
Britta Hoffarth Performativität als medienpädagogische Perspektive Wiederholung und Verschiebung von Macht und Widerstand 2009, 270 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN 978-3-8376-1095-6
Ulla Klingovsky Schöne Neue Lernkultur Transformationen der Macht in der Weiterbildung. Eine gouvernementalitätstheoretische Analyse 2009, 234 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 25,80 €, ISBN 978-3-8376-1162-5
Dominik Krinninger Freundschaft, Intersubjektivität und Erfahrung Empirische und begriffliche Untersuchungen zu einer sozialen Theorie der Bildung 2009, 278 Seiten, kart., 30,80 €, ISBN 978-3-8376-1287-5
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Claudia Lemke Ethnographie nach der »Krise der Repräsentation« Versuche in Anlehnung an Paul Rabinow und Bruno Latour. Skizzen einer Pädagogischen Anthropologie des Zeitgenössischen April 2011, 300 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1727-6
Felicitas Lowinski Bewegung im Dazwischen Ein körperorientierter Ansatz für kulturpädagogische Projekte mit benachteiligten Jugendlichen 2007, 242 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN 978-3-89942-726-4
Ruprecht Mattig Rock und Pop als Ritual Über das Erwachsenwerden in der Mediengesellschaft 2009, 264 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN 978-3-8376-1094-9
Elisabeth Sattler Die riskierte Souveränität Erziehungswissenschaftliche Studien zur modernen Subjektivität 2009, 176 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-1323-0
Christian Schütte-Bäumner Que(e)r durch die Soziale Arbeit Professionelle Praxis in den AIDS-Hilfen 2007, 304 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-89942-717-2
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