Wie sah Bismarck aus? [Reprint 2018 ed.] 9783111597164, 9783111222189


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Wie Sah Bismarck Aus?
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Wie sah Bismarck aus? [Reprint 2018 ed.]
 9783111597164, 9783111222189

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Tafel 1.

Franz Krüger (1826).

Wie sah Bismarck aus? Von

Fritz Stahl. Mit 31 Tafeln.

Berlin. Druck und Verlag von Georg Reimer. 1905.

Wir nehmen gern Gelegenheit, auch an dieser Stelle unseren herzlichsten Dank auszusprechen: Ihrer Durchlaucht der Frau Fürstin Bismarck für die Erlaubnis, die Porträts des Familienbesitzes ver­ öffentlichen zu dürfen; Frau Lola Lenbach in München für die Autorisation zur Wiedergabe der Werke ihres verstorbenen Gemahls, des Profeffors Dr. Franz von Lenbach; Herrn Professor Dr. Krigar-Menzel für die Autori­ sation zur Wiedergabe der Studie seines verstorbenen Oheims Sr. Exzellenz des Professors Dr. Adolph von Menzel; Herrn Stadtbaurat Gauer in Stendal für die Überlassung einiger Vorlagen aus dem ihm unter­ stellten Bismarck-Archiv. Berlin, März 1905. Georg Reimer.

Fritz Stahl.

C"\tto Bismarck. Die Phantasie des Menschen, dem dieser Name genannt wird, irrt nicht, wie etwa bei dem Namen Goethe, suchend umher. Unwillkür­ lich und sicher, wie das Auge sich auf einen bekannten Punkt einstellt, nimmt sie die Richtung auf ein ver­ trautes Bild. Eine Hünengestalt, hoch und breit. Zwischen mächtigen Schultern ein sehr kleiner Kopf mit schön gewölbtem kahlen Schädel. Eine herrische Steilfalte zwischen den Brauen. Unter den Brauen, die stark sind wie ein Bart, große leuchtende Augen mit herri­ schen Blicken. Herrisch der Mund unter dem grauen Schnurrbart und das feste Kinn. Gebt das alles nur in den gröbsten Umrissen, in ungeschickten Strichen: jeder wird sie erkennen. Bedeutet das viel oder wenig? Viel für die Vielen und wenig für die Wenigen. Diese Gestalt kann sich noch in Hirne prägen, die nur allereinfachsten Vor­ stellungen zugänglich sind, aber sie gibt den forschenden Blicken, die tiefer in das Menschliche bringen wollen.

keine Antwort. Sie mag und muß vielleicht so stehen als Mal des Gedenkens, aber wer dem Manne näher treten will, braucht mehr. Deshalb trotz des feststehenden Bildes die Frage: „Wie sah Bismarck aus?" Ihre Berechtigung, ja Notwendigkeit ist leicht zu erweisen. Die allgemeine Vorstellung Bismarck fließt aus recht schlechten Quellen. Kaum jemand kann kontrol­ lieren, woher die eigene stammt. Wir haben die schönsten Lenbachs, und besser als in ihnen ist kein großer Mann verewigt worden. Aber es sind nicht die besten, die man am häufigsten sieht, und der Unter­ schied zwischen dem Werte der einzelnen ist ungeheuer. Wir haben die herrliche Büste von Reinhold Begas, aber sie ist nicht sehr bekannt. Es gibt ausgezeichnete Photographien, aber die schlechten überwiegen. Da­ gegen: Gipsblisten, Buntdrucke und mindere Klischees, Bierseidel und Zigarrenbänder verbreiten in Millionen von Exemplaren ein mehr oder minder verzerrtes Bild, und diese Masse, der man überall begegnet, übt ihre Wirkung auch noch auf Augen, die über sie wegzusehen glauben. So kann man ohne Übertreibung sagen: das Bild, das „man" von Bismarck hat, ist falsch, ist so sehr auf den einen Ton „Kraft" gestimmt, daß es von der ganzen vornehmen Anmut seiner Gestalt und seine-

Gehabens nichts enthält und dadurch auch diese Seite seines Wesens, die so wichtig für den Mann ist, nicht erkennen und damit vergessen läßt. Deshalb ist es notwendig, an die Stelle des verzerrten Bildes das rechte zu setzen. Das geschieht dadurch, daß man mit strengster Auswahl nur die vorzüglichsten Porträts in sorgfältigen Aufnahmen zusammenstellt. Weiter: die allgemeine Vorstellung Bismarck fließt nur aus seinen Altersbildnissen. Sie trifft also über­ haupt nur zu für den Fürsten Reichskanzler, wie er von den siebziger Jahren des Jahrhunderts, den sechziger seines Lebens an, aussah. Das ist gewiß die Zeit seiner höchsten Macht und Würde (die Würde wuchs eher noch, als ihm die Macht genommen war), aber nicht eigentlich die Zeit seiner Tat, seiner größten Kraftenffaltung. Wer, der überhaupt bildliche Vor­ stellungen sucht, kann die „Gedanken und Erinnerungen" lesen, ohne bei den Schilderungen der Konfliktszeit, oder gar die Reden dieser Zeit des Kampfes mit einer Versammlung geistig hervorragender und temperament­ voller Männer, ohne bei ihren großen Stellen zu fragen: „Wie sah dieser Bismarck aus?" Das Bild des Siegreichen als Bild des Kämpfers gelten zu lassen, ist doch gar zu naiv. Und weiter zurück wieder­ holt sich dieselbe Frage bei dem ersten Eingreifen des

Abgeordneten in die Kämpfe der Revolutionszeit, da er sich ohne Mandat, ohne die Billigung selbst des Königs „den Barrikaden gegenüberstellte". Aus diesen einzelnen Fragen nach der „Gestalt" im Sinne Goethes („Die Gestalt ist der Text zu allem, was sich über einen Menschen empfinden und sagen läßt") erwächst die Frage nach der Geschichte dieser Gestalt. Wie wurde dieser Bismarck, den wir kennen? Was für ein Knabe war er, was für ein Jüngling, was für ein Mann, bevor er dieser Greis ward? Das sind keine Fragen bloßer Neugier. Neugier würde sich auf dieses oder jenes einzelne Bild richten, auf das Kuriose eines solchen noch nicht erkennbaren Bildes eines berühmten Mannes, und wäre mit einem einzelnen Bilde befriedigt. Die Reihe gibt etwas anderes. Sie belebt nicht nur die literarische Überlieferung, sie ergänzt sie auch. Sie zeigt den rein menschlichen Kern eines Mannes, das, was in ihm ist, ganz abge­ sehen von seinem Erleben und von seinen Erfolgen, die, das wußte Bismarck am besten, zum Teil auf Zufällen beruhen können. Sie zeigt vielleicht in frühen Bildnissen wesentliche Züge, die später mindestens nicht mehr nach außen hervortreten. Sie gibt, was man auf keine andere Weise erlangen kann, ein sicheres

Urteil darüber, wie weit etwa der Eindruck des späteren großen Mannes durch die Suggestion seines Namens und seiner Stellung bestimmt worden ist. Sie wird in unserem Falle entscheiden, ob es wirklich berechtigt ist, wenn man heute vielfach dem Meister Lenbach den Vorwurf macht, er habe zu viel Größe in Bismarck und besonders in sein Auge hineingedichtet; ein Vor­ wurf, den, die ihn erheben, nicht auf positives Wissen, sondern nur auf das allerhöchst eigene Gefühl gründen. Und noch etwas vermag diese Reihe zu zeigen. Die Vorstellung Bismarck hat wie die fast aller Großen keine scharfe zeitliche und örtliche Bestimmtheit, hat auch in dieser Hinsicht etwas Allgemeines. Das liegt nicht nur an der Art der Wiedergabe in den Kunstwerken und an dem Mangel an Farbe in den Photographien, sondern ist in dem Wachstum und der Stellung des Mannes begründet. Daß ihn seine gewöhnliche Tracht, die Uniform der Halberstädter Kürassiere, äußerlich in Preußen lokalisierte, hat keine Bedeutung. In eine ganz andere Beziehung zu seiner Heimat setzen ihn die frühen Bildnisse, in denen das besonders Märkische (oder vorsichtiger: Norddeutsche) ganz unverkennbar ist. Mit ihnen in der Erinnerung wird man es dann auch in dem Bilde des Greises noch deutlich entdecken, und damit in der Gestalt einen

wichtigsten Zug seines Wesens ausgedrückt finden: ein ungemein starkes Stammes- und Heimatsgefühl ist das Rückgrat seiner ganzen Persönlichkeit gewesen, hat die Richtung und die Kraft seines Wirkens getragen. Nach solchen Erwägungen wird man zugeben, daß die Frage nicht müßig ist: „Wie sah Bismarck aus?" Eine kritisch gesichtete Reihe seiner Bildnisse, und der Schilderungen, die sie ergänzen, eine Reihe, die allein diese Frage beantworten kann, ist noch niemals gegeben worden. *

über die Gestalt des Knaben Bismarck besitzen wir ein geradezu klassisches Zeugnis. Kein Geringerer als Franz Krüger, der beste Maler Berlins in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, der Menzel jener Zeit, hat den elfjährigen Schüler der Plamannschen Anstalt mit der ganzen freien und treuen Sicherheit, die ihn auszeichnete, gemalt. (Tafel 1, Titelbild.) Es ist der einzige zeitgenössische Bericht. Lehrer und Kameraden, die uns von dem Knaben erzählen, haben erst später gesprochen, als die Größe des Mannes offenbar ge­ worden war, und könnten unter diesem Eindrücke ihre Berichte gefärbt haben. Krüger hat nur das Menschenkind gesehen, das war. Und hat doch seine

helle Freude gehabt an dem prächtigen Burschen, die sich denn auch auf jeden, der das Bild sieht, überträgt. Der echte norddeutsche Jung vom Lande. Wer hier eine Schule besucht hat, kennt ihn in manchem Exemplar. Feste, rote Backen, blaue Augen und sturres blondes Haar, das jedem Kamme trotzt. Ob die Frau Mama ihn auch mit dem tressenbedeckten Sonntags­ anzug schmückt und durch das Buch unter dem Arm den Zögling der gelehrten Schule andeutet; denkt man nur an überstiegene Zäune, erkletterte Bäume, an Be­ suche im Stall und Ritte auf ungesattelten Pferden, und vor allem an endlose Raufereien mit der Jugend des Dorfes. Lächelt er nicht selbst verschmitzt, daß er den artigen Knaben markierm muß? Was für eine frohe und gesunde Unbekümmertheit lacht aus diesem Gesicht! Ein Typus, gewiß. In Fritz Reuters driftigem Paul Groterjahn ist er literarisch verewigt worden. Und doch ist etwas in diesem Bilde, das ganz indivi­ duell ist, das diesen Jungen von anderen unterscheidet: das Auge. Von besonderer Schönheit in dem mandel­ förmigen Schnitte, sitzt es weit vorn und hat dadurch etwas besonders Sttahlendes. Es ist das Bismarck­ auge, das uns in späteren Schilderungen und Bildern begegnet. Man hat da oft an Übertreibung gedacht.

wie bei den Berichten über Goethe. Deshalb ist diesePorträt wichtig, denn Krüger übertrieb sicher nicht. Dieses Bild erzählt so lebhaft, daß es kaum noch überliefert zu sein brauchte, wie Otto Bismarcks Lieb­ lingsplatz auf der Linde im Plamannschen ©arten war, wie er von dort aus den anderen aus seinem Lieblings­ buch, dem trojanischen Kriege, vorlas, und wie ihm, da sie diesen Krieg nicht nur lasen, sondern auch spielten, die Rolle des Telamoniers Aiax zufiel, des wackeren, immer bereiten Haudegens, dem kein Gegner zu stark war. Und durch Krügers Bild wissen wir, daß der Direktor Bonnell, in dessen Gymnasium der Knabe ein Jahr später eintrat, seine Erinnerungen nicht ge­ färbt hat, wenn er erzählte: „Otto von Bismarck saß mit sichtlicher Spannung, mit freundlichem Knaben­ gesicht und hell leuchtenden Augen frisch und munter unter seinen Kameraden, so daß ich bei mir dachte: das ist ja ein nettes Jungchen, den will ich besonders ins Auge fassen." *

* *

Acht Jahre lang muß man im Leben Bismarcks weiter wandern, bevor man wieder Bildnisse antrifft. Aus dem runden „netten Jungchen" ist ein „äußerst schmächtiger, hoch aufgeschossener feiner Studio mit

keimendem Schnurrbart geworden, berühmt durch seine prachtvollen Neufundländer, weichin gefürchtet durch seine Klinge, mit der er schon als Fuchs sämtliche Mit­ glieder eines feindlichen Korps abgefertigt hatte". Von dieses flotten Studio Streichen und ©trafen ist natür­ lich viel erzählt worden, und man weiß, daß er es ziemlich locker und burschikos trieb. Aber füllte so ein Göttinger Studentenleben diesen Jüngling wirklich aus? Vielleicht, daß auch hier die Porträts, mit einzelnen Nachrichten -usammm, mehr aussagen als die lite­ rarischen Quellen. Zwei Bilder, beide aus dem Jahre 1834, dem Ende der Göttinger Studienzeit, sind uns erhalten. Beide nicht Werke guter Meister, eines sogar sicher, das andere möglicherweise von Dilettantenhand ge­ macht. Aber man kann trotzdem aus ihnen manches herauslesen. Das kleine Ölbild (Tafel 2) zeigt offenbare Mängel der Zeichnung: das rechte Auge sitzt falsch, und die Nase ist zu lang und zu gerade. Trotzdem hat man Verttauen zu dem Maler, weil in den Zügen ein so feines und eigenes Leben ist, daß sie im wesentlichen nicht falsch sein können. Man sieht einen vornehmen jungen Herrn voller Haltung in einem kornblumblauen Rocke und weißer

Weste; den Hintergrund bildet eine Landschaf, über der sich ein blauer Sommerhimmel mit hellen Völkchen spannt. Ein schmales, längliches, ein eher zartes Jesicht. Das ährenblonde Haar, immer noch sturr, ist an dm Schläfen nach vorne gekämmt. Die ganze Erscheinung wirkt sehr anziehend. Aber wichtiger ist dies, d»ß man hinter dieser wohlgeformten Stirn Gedanken seht, in den stahlblauen Augen mit den hellblauen Jeflexen Traum, und um den schönen Mund Willen. Dieser Jüngling ist mehr als ein flotter Bursche. Das mag nicht falsch verstanden werden. Es soll nicht bedeuten, daß er schon der große Mam war, oder gar schon seine Taten erwog. Nicht einnal die Richtung des Denkens, Träumens und Wolleis läßt sich aus einem Bildnis herauslesen. Und wire der Name des Dargestellten nicht bekannt, wir könnten etwa an das Jugendbildnis eines Künstlers, auh eines künstlerisch schaffenden Forschers oder Ingenieurs denken. Aber immer nur eines ungewöhnlichen Nannes, der sich aus eigenem Wesen das Ziel für seinen Willen steckt, der seine, seine Tat träumt. Aber es ist eben Bismarck, und man wrd nun suchen, ob die literarische Überlieferung oder die Kennt­ nis des späteren Lebens die Möglichkeit zu näherm Bestimmungen gibt.

Man wird daran denken, daß ihn, so ungebunden er war, der „Mangel an äußerlicher Erziehung und an Formen der guten Gesellschaft", den er bei den Burschenschaften fand, von ihnen forttrieb, daß er bei aller Teilnahme an dem Leben seines Korps Beziehungen zu einem Kreise geistig bedeutender junger Amerikaner unterhielt, die einen weiteren Gesichtskreis hatten als die deutschen Studenten. Man wird fühlen, daß er in dieser Zeit die Schätze an historischen und poetischen Anschauungen (wie kannte er seinen Shakespeare, seinen Goethe!) sammelte, die er später in so verschwenderi­ scher Fülle ausstreute, und die gelegentlich bis zur „Schwärmerei" gehende Liebe für die Natur gewann, die bei diesem Manne der Tat so überraschend hervortritt. Ja, man kann noch einen Schritt weiter gehen. Der Studiosus Bismarck hat mit einem seiner ameri­ kanischen Freunde gewettet, im Jahre 1833, daß Deutschland in zwanzig Jahren geeinigt sein werde. Er hat auf die Frage, was er studiere, geantwortet: .Diplomatie". Wenn man aus diesen Dingen mit aller Vorsicht einen Schluß zieht, weniger kann man nicht schließen, als daß er davon träumte, tätig in die Geschicke seines Volkes einzugreifen. Die Zeichnung seines Freundes Gustav von Kessel (Tafel 3), an und für sich nicht so ausdrucksvoll, trotz-

dem sie das äußere Bild, besonders die charakteristische Haltung des Schmächtigen und Hochaufgeschossenen sehr treu gibt, bestätigt nur die Aussagen des Gemäldes. Der geneigte Kopf und das sinnend gesenkte Auge auf einer, der hier geradezu trotzige Mund auf der anderen Seite geben denselben Gesamteindruck. Aber zugleich wird durch die legere Haltung die Brücke ge­ schlagen von dem seinen Jüngling zu dem burschikosen Studenten, der er doch auch war, und von dem ebenso wie von jenem auch ein gutes Stück in dem Manne blieb. Wenn man die Taten und Meinungen dieses Mannes liest, so stößt man nicht selten auf zarte Sentiments und auf trotziges Losgehen: dann taucht dem, der es kennt, hinter der stolzen und gesetzten Miene des Staatsmannes dieses Jünglingsgesicht auf. Die beiden Bilder liegen auf der Grenze zwischen der Studenten- und der Referendarzeit. Sie müssen und können uns auch noch den Referendarius vor­ führen. Das nächste, wieder eine Zeichnung von Kessels (Tafel 5), führt schon in das Jahr 1838, in dem der Regierungsreferendar aus die Fortsetzung seiner Be­ amtenkarriere verzichten und die Bewirtschaftung der schwer verschuldeten väterlichen Güter übernehmen mußte. Trotzdem er die Beschäftigung bei den Re­ gierungskollegien in Aachen und Potsdam „kleinlich

und langweilig" gefunden hatte, mag es ihm schwer genug geworden sein, seine ehrgeizigen Hoffnungen aufzugeben. Und diese inneren Kämpfe werden ihn gereift und seine Haltung gefestigt haben. Ein Genosse, der mit ihm bei den pommerschen Jägern in Greifswald diente und in Eldena land­ wirtschaftliche Vorlesungen hörte, schreibt: „Herr von Bismarck schien seine Gründe zu haben, eine etwas reservierte Haltung zu bewahren....... Die vom Scheitel bis zur Sohle vornehme Erscheinung war gleichsam von einem unsichtbaren Kreise, einer schwer zu be­ schreibenden geistigen Atmosphäre umgeben, welche alle Elemente, die Herr von Bismarck nicht selbst heranzog oder denen er sich nicht selbst freiwillig hingab, ohne einen erkennbaren Zwang von sich fernhielt und alles, was mit einer niedrigen Denkart oder hohler Selbst­ überschätzung auch nur einen entfernten Grad von Verwandtschaft verriet, mit unverhohlenem Widerwillen und mit Verachtung von sich wies." Die anspruchslose und dilettanttsche Zeichnung würde nicht genügen, uns diese Haltung und diese Atmosphäre empfinden zu lassen, aber sie genügt, um die Schilderung zu illustrieren und mit ihr zusammen eine Vorstellung zu geben. Besonders wenn man sie mit der früheren Zeichnung vergleicht, wenn man sieht, wie Stahl, etemard

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derselbe Mensch Bismarck vier Jahre vorher gesehen hatte. Äußerlich ist die Erscheinung am meisten durch den kräftigen Schnurrbart und die militärische Haartracht verändert. Der eigensinnig nach vorn gewachsene mächtige Schopf ist abgeschnitten, das Haar steht kurz und fest in die Höhe. *

*

Fast ein Jahrzehnt folgt nun, aus dem uns kein Porträt erhalten ist, die Zeit des „wilden Junkers von Kniephof". Der Beiname war gewiß wohl ver­ dient, und es wird keinen, der Menschen kennt, wunder­ nehmen, daß die Kraft dieses Mannes, der das große Ziel genommen war, irgendwie austoben mußte. Aber in solchen Worten liegt eine große Gefahr. Man vergißt leicht, daß nur eine Seite des Lebens durch sie bezeichnet wird. Bismarck hat in diesen Jahren durch Arbeit und Rechnung seinen Besitz in die Höhe gebracht. Und die Briefe, die er an seinen Vater und an seine sehr geliebte Schwester „Malle" von Hause und von vielen Reisen schrieb, zeigen alles andere eher als einen verwilderten und verbauerten Menschen. Sie sind voll feiner Beobachtungen und liebenswürdigen (nur selten etwas bitteren) Humors. Und um vom Körperlichen zu sprechen: noch in dem

letzten Jahre dieses „wüsten Junggesellenlebens" (so nannte er es selbst später) „verhöhnte man ihn wegen seines gesunden Aussehens". Nur wenn man das erwägt, wird man ohne Er­ staunen das Bild aus dem Jahre 1847 sehen und die Schilderung seiner Gestalt am Tage seines ersten öffentlichen Hervortretens, in der Sitzung des Ver­ einigten Landtages vom 15. Mai des Jahres, lesen können. Das Bild ist freilich nur eine Lithographie (Tafel 6), von der wir nicht einmal wissen, ob ihr ein Lichtbild zugrunde lag, und die man als Dokument für das Detail nicht wird gelten lassen. Aber das Ensemble wird stimmen, und sein Eindruck schließt es gut an den eleganten jungen Beamten an, als den wir Bismarck zuletzt dargestellt sahen. Die Schilderung macht es vollends lebendig und gibt ihm Farbe. „In der Sitzung vom ...", schreibt Georg Hesekiel, „erschien der Abgeordnete von Bismarck zum erstenmal auf der Tribüne; eine hohe Gestalt von mächtigem Bau, das dichte Haar kurz geschnitten, das gesund gerötete Antlitz von einem starken blonden Vollbart eingerahmt, die blanken Augen etwas vorstehend, k fleur de töte, wie die Franzosen sagen, so stand er da, blickte einen Augenblick in die Versammlung und sprach dann schlicht.

mitunter stockend, mit einem scharfen, zuweilen schnei­ denden, nicht eben angenehmen Klang der Stimme." In diesen Tagen hat Bismarck seine Stellung für die nächste Zeit bestimmt. Er stand ganz einzeln als „royalistischer Heißsporn", den der König selbst öffent­ lich nicht zu billigen wagte, und der naturgemäß den stärksten Unwillen der liberalen Mehrheit erregen mußte. Die eigene Auffassung, die sichere, geistreiche und schlagfertige Art, in der er sie vertrat, machten ihn für alle zu einer besonderen Erscheinung, und „schärfer Sehende erkannten schon damals seine Bedeutung". Die Kampfstellung als einer gegen alle mußte auf das Wesen des Mannes wirken. Alle Weichheit, die etwa noch in ihm war, verbarg sich, er wurde ganz ernste und rücksichtslose Entschlossenheit. Für den Bismarck des Jahres 1848 und der Folgezeit gibt die Daguerrotypie vom Jahre 1849 (Tafel 7) eine er­ schöpfende Anschauung. Bismarck hat später sich selbst, wie er in dieser Zeit war, als „scheußlichen Junker" bezeichnet und erklärt, er hätte damals Blum und auch Kinkel, „mit dem er auf dem Fuße gegenseitiger Hochachtung stand", erschießen lassen. Die bestrittene Randglosse des Königs zu seinem Namen auf einer Vorschlagsliste für Minister: „Roter Reaktionär, riecht nach Blut"

hätte ihn nicht Übel charakterisiert. Vielleicht gibt es heute noch weniger Menschen als damals, die feinen Standpunkt teilen. Mer auch andere, selbst wer fühlt, daß er wahrscheinlich zu den erbittertsten Gegnern des Abgeordneten der sächsischen Ritterschaft gehört hätte, können sich dem Eindrücke seines Auftretens nicht ent­ ziehen. Es ist eine der schönsten Mannestaten, die die Geschichte kennt, wie hier Einer für seine Über­ zeugung eintrat gegen den König wie gegen das Par­ lament und die Presse. Der Ausdruck dieser Züge erinnert an den Ritter Dürers, der trotz Tod und Teufel ruhig seine Straße zieht, an diesen Ritter, in dem der deutsche Meister sein Ideal des deutschen Mannes aufgestellt hat. Es ist hier nicht der Platz, die Geschichte dieser Zeit zu erzählen. Aber ein paar Episoden aus dm Tagen der Revolution muß man mit diesem Bilde vor Augen lesen, um sie und das Bild recht zu ver­ stehen. Bismarck war so erbittert über die Vorgänge an den Märztagen, daß er seine Bauern bewaffnete und mit seiner Frau auf umliegende Dörfer fuhr, um auch ihre Bewohner aufzufordem, dem Könige nach Berlin zu Hilfe zu ziehen. Er fand sie bereit. „Nur mein nächster Nachbar", erzählt er, „sympathisierte mit der

Berliner Bewegung, warf mir vor, eine Brandfackel in das Land zu schleudern, und erklärte, wenn die Bauern sich wirklich zum Abmarsch anschicken sollten, so werde er auftreten und abwiegeln. Ich erwiderte: .Sie kennen mich als einen ruhigen Mann, aber wenn Sie das tun, so schieße ich Sie nieder.' — ,Das werden Sie nicht', meinte er. — .Ich gebe mein Ehrenwort darauf', versetzte ich, .und Sie wissen, daß ich das halte, also lassen Sie das." Da er nicht zum Könige gelangen konnte, versuchte er, die kommandierenden Generäle dahin zu bringen, ohne Befehl Berlin anzugreifen. „Wie sollen wir das anfangen?' sagte Prittwitz. Ich klimperte auf dem geöffneten Klavier, neben dem ich saß, den Infanteriemarsch zum Angriff. Möllendorf fiel mir in Tränen und von Wundschmerzen steif um den Hals und rief: ,Wenn Sie uns das besorgen könnten!' .Kann ich nicht', erwiderte ich, .aber wenn Sie es ohne Befehl tun, was kann Ihnen dann geschehen?" In den ersten Tagen des Juni lub ihn der König nach Sanssouci ein. Er kam und sprach „in der Stimmung eines Frondeurs, dem es ganz recht sein würde, ungnädig fortgeschickt zu werden". „Nach der Tafel führte der König mich auf die Terrasse und fragte freundlich: ,Wie geht es bei Ihnen?' In der

Gereiztheit, die ich seit den Märztagen in mir trug, antwortete ich: ,Schlecht.' Darauf der König: ,Jch danke, die Stimmung ist gut bei Ihnen'. Darauf ich, unter dem Eindrücke von Anordnungen, deren Inhalt mir nicht mehr erinnerlich ist: ,Die Stimmung war sehr gut, aber seit die Revolution uns von den könig­ lichen Behörden unter königlichem Stempel eingeimpft worden, ist sie schlecht geworden. Das Vertrauen zu dem Beistände des Königs fehlt.' In dem Augen­ blicke trat die Königin hinter einem Gebüsche hervor und sagte: ,Wie können Sie so zu dem Könige sprechen?' — ,Laß mich nur, Elise', versetzte der König, ,ich werde schon mit ihm fertig werden'; und dann zu mir gewandt: ,Was werfen Sie mir denn eigentlich vor?' — ,Die Räumung Berlins.' — ,Die habe ich nicht gewollt', erwiderte der König. Und die Königin, die noch in Gehörweite geblieben war, setzte hinzu: ,Daran ist der König ganz unschuldig, er hatte seit drei Tagen nicht geschlafen.' — ,Ein König muß schlafen können', versetzte ich." Bismarcks Eingreifen in die Politik, das im Grunde auf keinem anderen Mandate beruhte als auf seiner Überzeugung, helfen zu können, blieb ohne wesentlichen Erfolg. Er betrachtete es selbst nicht als Sieg, daß die Wahlen zur zweiten Kammer des ersten preußischen

Landtages (1849) verhältnismäßig günstig für die Rechte ausgefallen waren. Aber er war entschlossen, weiter zu kämpfen, der Sieg sollte kommen. „Seine hohe Begabung, seine streitbare Art und sein sanglanter Witz machten ihn bemerkbar genug." Und es ist wohl kein Zufall, daß ihn die erste Kari­ katur des Kladderadatsch in eiserner Rüstung darstellt, „den Erzschelm in Panzer und Schuppen". Es muß etwas Eisenklirrendes in ihm gewesen sein. Auch aus einer Beschreibung aus jener Zeit geht das hervor. Sie lautet: „Das heilige Feuer hat sich auf einen dritten Begnadigten erstreckt... Es ist der junge Herr mit dem dünnen Haar, dem dichten Bart und dem seltsamen, unschönen Gesicht, Herr von BismarckSchönhausen ........ Mit mittelalterlicher Ritterlich­ keit, die Hand am Schwert und den Fuß im Steig­ bügel, stand er neulich auf dieser Tribüne. . . Dieser Herr von Bismarck sieht aus, als könne er alle Tage einige Demokraten gebraten zum Frühstück vertilgen; aus dieser Stirn mit seltsamen Buckeln und Falten, diesen starren Augen und dieser ganzen Gesichtsbildung könnte ein Maler wohl das Modell eines modernen Kreuz­ fahrers oder eines Helden aus der Vendäe schöpfen." Dabei blieb er immer persönlich zugänglich und höflich. Sehr bezeichnend dafür, wie er mit seinen

Gegnern verkehrte, ist folgende Geschichte. Der Ab­ geordnete d'Ester kam eines Tages „biergefrühstückt" in die Sitzung und wmdete sich an Bismarck: „Herr von Bismarck, Sie sind gegen uns unter allen Leuten Ihrer Partei immer höflich und artig gewesen. Wir wollen Ihnen darum ein Kartell vorschlagen: wenn wir die Oberhand behalten, schonen wir Sie, ist's um­ gekehrt, so tun Sie das mit uns." Bismarck aber lehnte freundlich ab: „Wenn Ihre Partei siegt, d'Esterchen, so ist es nicht der Mühe wert, zu leben; kriegen wir jedoch die Oberhand, so wird gehenkt, aber Höflichkeit bis zur letzten Galgensprofse." Aus der nächsten Zeit, vielleicht dem Jahre des Erfurter Parlamentes, stammt eine Lithographie, die aber auf ein Lichtbild zurückgeht und mehr Verträum verdient als andere, denen eine solche Unterlage fehlt (Tafel 8). Sie ergänzt die Daguerrotypie in mancher Beziehung, besonders treten bestimmende Züge des späteren Kopfes deutlicher hervor: die auch in der Beschreibung erwähnte Buckelung der Stime, die starken Brauen, die Dünne des Haares. *

*

*

Im Jahre 1851 wurde Bismarck zum Gesandten am Bundestag in Frankfurt am Main ernannt. Aus

dem heißspornigen Abgeordneten des preußischen Land­ tages und des deutschen Volkshauses in Erfurt wurde nun wirklich, was er immer hatte werden wollen: ein Diplomat. Bismarck war sicher eine zu starke Natur, um nicht in gewissem Sinne immer derselbe bleiben zu müssen. Die Burschikositäten, durch die er den öster­ reichischen Herren gegenüber seine Stellung wahrte, besonders die berühmte Zigarrengeschichte, stellen den Zusammenhang mit dem unbequemen jungen Beamten uud dem kampfesfrohen Abgeordneten sehr sicher her. Und wie sie zeigen seine witzspriihenden Briefe, daß er auch in dem wichtigen Amte seine Frische nicht verloren hat. Trotzdem konnte die ganz veränderte Lebensstellung, die ihn schon im nächsten Jahre in außerordentlicher Mission an den Wiener Hof führte, nicht ohne Einfluß auf seine Gestalt und sein Auf­ treten bleiben. Das erste Bildnis, das wir von dem Diplomaten Bismarck besitzen, ist ein Ölgemälde von Jakob Becker aus dem Jahre 1855 (Tafel 8). Der Maler, einer der frühesten Schilderer des deutschen Bauernlebens, hat den Ruf eines sicheren Zeichners und kannte, da seine Töchter mit Frau von Bismarck in freundschaft­ lichen Beziehungen standen, sein Modell wohl ziemlich

genau. Und wenn auch seine Kraft nicht groß genug war, um über die etwas oberflächliche Art der land­ läufigen Bildnismalerei hinauszugehen, so darf man seine Arbeit doch in den wesentlichen Zügen als Doku­ ment gelten lassen. Die auffallendste Veränderung ist das Fehlen des Vollbartes, den sich doch der Diplomat nicht wohl gestatten konnte, so ungern er die bequeme Tracht jetzt und später entbehrte. Dadurch wird die ganze Er­ scheinung eleganter; ein Eindruck, den die soigniertere Haltung und Toilette noch verstärken. Wichttger ist, daß das energische Kinn jetzt bestimmend hervortritt. Wie entscheidend es für die Wirkung von Bismarcks Kopf war, sieht man am besten daraus, daß noch in den achtziger Jahren das schon völlig ausgeprägte Gesicht durch den weißen Vollbart seinen Charakter bis zur Unkenntlichkeit verliert, aus dem „eisernen Kanzler" irgend ein alter General wird (vgl. Tafel 9.) Auf den ersten Blick läßt die Bartlosigkeit ihn jünger erscheinen als auf den letzten Bildern, die doch fünf bis sechs Jahre früher entstanden sind. Sieht man aber näher zu, so findet man ihn sehr merklich gealtert. Das jetzt aschblonde, seit der Zeit des Jünglingsporttäts stark nachgedunkelte Haar ist sehr gelichtet. Die Brauen haben zu wachsen begonnen. Unter den Augen akzen-

tuieren sich die späteren Säcke. Alles das fällt um so mehr ins Gewicht, als man ohne weiteres annehmen kann, daß es der Maler eher gemildert als hervorgehoben hat. Das nächste Bild führt uns in die letzte Zeit des Frankfurter Aufenthaltes, das Ende des Jahres 1858 oder die allerersten Wochen des Jahres 1859 (Tafel 10). Es ist eine Photographie, aber eine jener vereinzelt seltenen (auch durch die sogenannte Künstlerphotographie nicht häufiger gewordenen), von denen ein so tiefer Eindruck ausgeht wie von einem starken Kunstwerke. Man kann es nur einem glücklichen Zufalle zuschreiben, wenn ein wichtiger Mensch einmal in einem Augen­ blicke vor das Objektiv eines photographischen Appa­ rates gerät, in dem eine erhöhte Stimmung das Tiefste seines Wesens an die Oberfläche treten läßt, in dem diese „ganze Persönlichkeit" wirklich erscheint, die sonst nur ein Künstler aus der Sammlung einzelner Ein­ drücke in seiner Phantasie gestalten kann. Diese Photo­ graphie ist nicht nur ein wichtiges Bismarckbild, sondern schlechtweg eines der schönsten Menschenbildnisse, die wir besitzen. Wir wollen hier zunächst nur das Äußerliche ab­ lesen. Sie soll uns später dazu dienen, den Konflikts­ minister unserer Vorstellung nahe zu bringen, und dann soll von ihrem geistigen Gehalt die Rede sein.

Bismarck ist schnell alt geworden. Er teilte darin das Schicksal Goethes, um dann ebenso wie dieser in einem langen Alter jugendlich zu bleiben. Niemand wird vor diesem Bilde, auch wenn man die Schärfe gewisser Falten ungünstigem Lichte zuschreibt und also für übertrieben hält, an einen Mann von erst dreiundvierzig Jahren denken. Tief hat sich der erste Ring unter den Augen eingegraben, ein zweiter beginnt sich zu bilden. Auf der Stirne treten diese so merk­ würdigen beiden Falten hervor, die den Bismarckkopf, den wir kennen, als individuellste Zeichen charakteri­ sieren: die eine, die von der Nasenwurzel in flachem Bogen über das linke Auge hinläuft, die andere, auf­ fallendere, die von dem Winkel der rechten Braue her durch die Mitte der Stirn aufstellt. Besonders in dem Obergesicht schimmert der Alterskopf Bismarcks schon deutlich durch. Die Frankfurter Zeit war bei allem Anscheine von Behaglichkeit für Bismarck keine leichte. Die „Pendel­ bewegung" zwischen Berlin und Frankfurt, die in den letzten Jahren bei dem häufigen Wechsel in den Stim­ mungen des Königs ein sehr schnelles Tempo bekommm hatte, war körperlich sehr anstrengend. „Ich habe", erzählt er, „auf den Reisen zwischen Frankfurt und Berlin über Guntershausen in einem Jahre 2000 Meilen

gemacht, damals stets die neue Zigarre an der vorher­ gehenden entzündend..." Aber noch mehr wurden seine Nerven durch den aufregenden Kampf hingenommen, den er für seine neu gewonnenen Überzeugungen zu führen hatte. Hatte er früher die Entente Preußens mit Österreich für notwendig gehalten, so hatte ihn die Tätigkeit am Bundestage schnell belehrt, daß eine Lösung der deutschen Frage auf diesem Wege nicht möglich sei, und daß Preußen, um gegen die Ostmächte stark zu sein, ein Einverständnis mit den Westmächten suchen müsse. Er war Realpolitiker geworden und wurde nun von seinen nächsten Gesinnungsgenossen nicht mehr verstanden, die an gewissen Sentiments festhielten und glaubten, als Konservative nur einen Anschluß Preußens an die konservativen Mächte be­ fürworten zu dürfen. Der König schwankte zwischen entgegengesetzten Einflüssen hin und her und spielte seine verschiedenen Ratgeber gegeneinander aus. Bismarck hat gewiß nicht übertrieben, wenn er diese Zeit einen „achtjährigen ununterbrochenen Ärger" nannte. Eher wird der Ausdruck zu schwach gewählt sein für einen Mann von seinem unbezähmbaren Temperament, der sich im Besitze der Wahrheit wußte, und dem nie­ mand glaubte, dem sich aber auch kein Gegner stellte, sondern der nur die Erfolge feindlicher Wühlarbeit zu

fühlen bekam in den Mienen des Königs und der Höflinge. Die Hoffnung auf ein positives Wirkenkönnen in seinem Sinne fiel immer mehr, so daß er sich schließlich nervös die alte Zeit des „frischen, ehr­ lichen Kampfes" zurückwünschte. „Abwechselung ist die Seele des Lebens, und hoffentlich werde ich mich um zehn Jahre verjüngt fühlen, wenn ich mich wieder in derselben Gefechtsposition befinde wie 48/49." Dieser Prozeß des Alterns ist in den nächsten Jahren schnell fortgeschritten. Das Klima von Petersburg be­ kam ihm nicht, eine schwere Krankheit und Rückfälle warfen ihn nieder, und „seit ihm das Fundament der Gesundheit abhanden gekommen, fühlte er sich geistes­ träge, matt und kleinmüttg", versagten, anders aus­ gedrückt, auch die Nerven, deren Kraft durch fortgesetzte Angriffe geschwächt war. Eine Photographie aus dem Jahre 1860, der Zeit seiner Gesandtschaft in Petersburg (Tafel 11) zeigt nichts mehr von der Breite der früheren Erscheinung. Die sehr hohe Gestalt ist ausgesprochen hager, das Gesicht wirkt zusammengegangen und zeigt in den starken Furchen und Runzeln sehr deutliche Spuren körperlicher Leiden. Das Haar auf dem Schädel ist fast ganz verschwunden.

Diese beiden Bilder müssen dazu dienen, uns den Bismarck vorzustellen, der am 29. September 1862 zum erstenmal als Ministerpräsident vor das Preußische Abgeordnetenhaus trat. „Seine Erscheinung", so schreibt ein Parlamen­ tarier, „wie sie sich an diesem Tage gab, ist mir mit unverlöschlichen Zügen in die Seele geschrieben. Sie hatte damals noch nichts vom General und alles vom Kavalier. Die heute so breitschultrige Figur durfte damals noch schlank genannt werden, und Haltung und Bewegung ließen an eleganter Vornehmheit nichts zu wünschen übrig. Man sah es dem Mann an, daß das Parkett der Höfe sein gewohnter Aufenthalt sei, und daß er dem Vorzug noch nicht entsagt habe, ein vortrefflicher Tänzer zu sein, wenigstens für Quadrillen. Die Verbeugung, welche er gegen das Präsidium machte, verdiente studiert zu werden, so genau war berechnet worden, daß sie an Höflichkeit nicht zu wenig leiste, aber beileibe auch nicht zu viel. Das Auge streifte mit großer Lebendigkeit über die Versammlung hin; was auch die moderne Physiologie gegen die Zauber­ kraft des Auges einwenden mag, die Geschichte hat über dieselbe immer von neuem berichtet." „Er hat einen wunderbaren Augenaufschlag", sagt jemand von ihm.

Bismarcks Briefe vom Bundesrat, diese Schilderung seines Auftretens, seine Handlungen und Reden wäh­ rend der Zeit des Konfliktes, kurz, die ganze Zeit seiner Tat: in dem Kopfe, den uns die Photographie von 1858 zeigt, tritt dieses alles in einer lebendigen Gestalt uns entgegen. Der Unterschied gegenüber dem uns vertrauten Ty­ pus der späteren Zeit ist doch nicht nur der zwischen „Kavalier" und „General". Wenn man schon mit der Bezeichnung General operieren will, so könnte man eher sagen: es ist der Unterschied zwischen dem Offizier, der sich im Kriege als Held bewährt, und dem alten General, der in Ruhe und Ehre den Lohn seiner Heldentaten genießt. Ein Kämpfer. Das ist die Grundstimmung dieser Persönlichkeit. (Da Bismarck selbst mitunter auf sich Vergleiche mit einem Pferd angewandt hat, so dürfte man vielleicht sagen: etwas von einem feurigen Schlacht­ roß ist in ihr.) Auch wer nicht wüßte, wer dieser Mann ist, müßte empfinden, einem Großen gegenüberzustehen. Die hohe, breite, schön gewölbte Stirn und das große Auge leuchten von Geist und überlegener Sicherheit. Die ganze Haltung, der feste Blick, der Mund und be­ sonders das vorgeschobene Kinn (man vergleiche das Stahl, »tümanf.

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trotzige Kinn auf dem Bilde des Studenten!), sprechen eine eherne Entschlossenheit aus. Je mehr man sich in das Bild vertieft, desto mehr Leben gewinnt das Auge. E. v. Redern sagte von Bismarck: „Das Schönste an ihm ist aber das offen geschnittene, etwas hervorstehende, große, glänzende Auge mit seiner stahl­ blauen Farbe." Ein Großer auf dem Gipfel seiner Kraft. Denn mag der Kanzler später machtvoller ausgesehen, mehr Ehrfurcht geboten haben, diese stählerne Härte des Geistes und Willens, diese Zusammenraffung des ganzen Menschen sind in seiner Erscheinung nie mehr zu finden. Und auch der Abgeordnete von einst erscheint neben diesem Bilde nur wie ein stürmischer Draufgänger, als einer, der eher wußte, wogegen als wofür er kämpfte. In die Hände des Abgeordneten denkt man das Ritterschwert, in die Hände des Kanzlers den Pallasch, in die Hände dieses Bismarck das Florett. Man müßte die ganze Geschichte der Konfliktszeit erzählen, um den erschöpfenden Text zu diesem Bilde zu schreiben. Da das nicht angeht, mag ein Teil das Ganze, das erste Auftreten die ganze Stellung kenn­ zeichnen. Bismarck kam trotz der zugespitzten Situation nicht unversöhnlich in die Kammer. In der ersten Sitzung

der Budgetkommission zog er, als alle Gründe für die Armeeorganisation nicht verfingen, einen Olivenzweig aus der Tasche, den ihm eine Dame in Avignon gegeben hatte und sagte: „Diesen Ölzweig habe ich von Avignon mitgebracht, um ihn der Fortschrittspartei als Friedenszeichen zu bieten; ich sehe aber, daß ich damit zu früh komme!" Und als man auch für diese Worte nur ein Lächeln hatte, dann erst reckte sich Bis­ marck empor und sprach jene berühmten Worte: „ . . . Nicht durch Reden und Beschlüsse, wie 1848 und 1849, werden die großen Fragen der Zeit ent­ schieden werden, sondern durch Eisen und Blut!" Dabei zerdrückte seine Rechte krampfhaft ein Zweiglein mit welken Blättern und ließ den Staub zur Erde fallen. Wenige Tage später folgte eine Unterredung mit dem König Wilhelm im Eisenbahncoupö. Er hat sie selbst erzählt: „Als ich um die Erlaubnis bat, die Vorgänge während seiner Abwesenheit darzulegen, unterbrach er mich mit den Worten: ,Jch sehe ganz genau voraus, wie das alles endigen wird. Da vor dem Opernplatz, unter meinen Fenstern, wird man Ihnen den Kopf abschlagen und etwas später mir'. Als er schwieg, antwortete ich mit der kurzen Frage: ,Et aprfes, Sire?’ — ,Ja, apres, dann sind wir

tot!' erwiderte der König". — „Ja", fuhr ich fort, „dann sind wir tot, aber sterben müssen wir früher oder später doch, und können wir anständiger um­ kommen? . . . Der König trat auf seine Seite. Trotzdem fehlte es nicht an Friktionen, die so scharf waren, daß Bis­ marck bis zu der Meinung kam, „sein Herz sei im anderen Lager", und das noch im Jahre 1864. In der Kammer stand er einer liberalen Majorität gegen­ über, die eine große Summe von Intelligenz, über­ zeugungstreue und Redekunst gegen ihn ins Feld zu führen hatte. Sie trieb ihn, wie ein englischer Be­ obachter schreibt, in „eine zornige Ungeduld, einen un­ gestümen Ton der Herausforderung, eine rücksichtslose Überhebung in Sprache und Manieren" hinein. Aus diesen Zeiten ist keine irgend beträchtliche Darstellung erhalten. Aber man kann sich, unterstützt durch eine gerade nicht gelungene Photographie aus dem Jahre 1863 (Tafel 12), leicht vorstellen, wie dieser zähe Kampf die entscheidenden Züge des Kopfes immer schärfer und schärfer hervortreten ließ. In dieser Epoche wurde Bismarcks Kopf populär, freilich in dem Typus des Mannes mit den „drei Haaren", den ihm der Kladderadatsch gab, als das Bildnis eines Ver­ haßten.

Erst das Jahr 1865 bringt uns wieder ein Bild und zwar von keinem Geringerm als Adolph Menzel (Tafel 13). Es ist eine Studie zu der Figur Bismarcks auf dem Bilde der Königskrönung Wilhelms I. In der aquarellierten Gestalt wollte der Maler nur die Farben notieren: die weiße Uniform mit dem blauen Kordon, die matte Fleischfarbe, das Blond der Haare. Er hat deshalb — leider! — die Form soweit ver­ nachlässigt, wie sonst kaum jemals und Bismarck ist in Formen und Haltung nicht er selbst, so wenig, daß man ihn nicht erkennen würde. Und doch steckt in diesem scheinbar ganz verfehlten Kopfe ein fabelhaft lebendiges, ja lebensprühendes Bismarckporträt. Wer es durch ein etwa erbsengroßes Loch in einem Karton ansieht, so daß nur Stirnfalten, Augen, Nase und Bart zu sehen sind, wird einen frappanten Eindruck haben. Und oben in der Ecke hat der Meister, um die Proportionen festzuhalten, mit seiner unvergleich­ lichen Prägnanz das Profil gezogen. Es ist das erste Bildnis in dieser Ansicht, das wir besitzen. Es zeigt, daß dieses Profil damals „fertig" war, schon voll­ ständiger als die Face den späteren Typus hatte, nur noch herber in der Linie erschien. Der Schnurrbart, der in langen Spitzen über den Mund herunterfällt, ist für den Bismarckkopf dieser und der nächsten Zeit bezeichnend.

Natürlich war die Fechterstellung in betn Bilde, das uns den Konfliktsminister versinnlicht hat, nur die seines öffentlichen Auftretens. Wie sehr anders er auch in dieser Periode wirken konnte, ersieht man aus einer Beschreibung, die Herr Vilbort im Juni 1866 in der Zeitung „Le Siede“ gegeben hat. „.. Als ich das Kabinett betrat.., erblickte ich einen Mann von hoher Gestalt und lebhaft bewegtem Gesicht; auf seiner hohen, breiten und glatten Stirn entdeckte ich nicht ohne Erstaunen sehr viel Wohlwollen mit Be­ harrlichkeit gepaart. Herr v. Bismarck ist blond, sein Haar auf dem Scheitel nur spärlich; er trägt einen militärischen Schnurrbart und in seiner Rede ist mehr soldatische Kürze als diplomatische Vorsicht. Dabei ist er aber auch ganz der große Herr und Hofmann, der mit allen Reizen der ausgesuchtesten Höflichkeit gewappnet ist". Man braucht diese ergänzenden Schilderungen des „liebenswürdigen" Bismarck, denn die Porträts geben bis in die späteste Lebenszeit hinein, wie selbstverständ­ lich ist, niemals diese Seite seines Wesens. *

* *

Im Jahre 1867 hat Hermann Krämer ein Porträt des „Kanzlers des Norddeutschen Bundes" radiert (Tafel 13).

Es ist das Jahr, in dem Bismarcks körperliches Befinden vielleicht seinen tiefsten Stand hatte. Das Kriegsjahr 1866 hatte für ihn mehr als doppelt ge­ zählt. Schon vorher durch die Jahre des parlamen­ tarischen Kampfes geschwächt, hatte er den Rest seiner Kräfte durch eine „herkulische Tages- und Nachtarbeit" vollends aufgezehrt. In diesem Zustand traf ihn das erste Attentat. Dann kam der Krieg, dessen Aus­ gang die Entscheidung über sein ganzes Werk brachte, und in den er mit der Empfindung zog: „Wenn es nicht gut geht, lasse ich mich bei der letzten Attacke niederreiten", der Krieg mit seinen körperlichen Strapazen und den furchtbaren Aufregungen, die aus Frik­ tionen mit den militärischen Beratern des Königs und, beim Friedensschluß, mit dem König selbst erwuchsen. Alles das führte zu einem völligen Bankerott des Kör­ pers, den auch die Freude über den Sieg nicht aufhal­ ten konnte. Eine schwere Krankheit warf ihn kurz nach dem Einzug in Berlin nieder. Das Bild, das nach Potographien gemacht worden ist, steht künstlerisch nicht hoch, hat aber sicher doku­ mentarischen Wert. Es zeigt den Übergang von der Erscheinung des Konfliktsministers zu der des Reichs­ kanzlers. Alle diese Spuren körperlichen Leidens und nervöser Erregungen, die sich in das Gesicht des

Mannes eingeprägt hatten, sind nicht wieder gewichen, sie gaben dem Kopfe des Greises die entscheidenden Züge. Eine Beschreibung der Eröffnung des konstituieren­ den Reichstages ergänzt das Bild. „Bismarck stand links im Saal, dem Thron zunächst, in weißer Kürassier­ uniform und mit einem Gesicht so bleich, daß man zweifelhaft sein konnte, was weißer sei, ob das Tuch des Rockes oder das Gesicht des Mannes. Man sah es wohl, der Mann war körperlich schwer leidend, aber die Muskeln waren doch noch stark genug, um die hohe kräftige Gestalt in voller militärischer Straff­ heit aufrecht zu halten". Um diese Zeit beginnt sich Bismarcks Konstitution zu verändern. Seine Gestalt geht in die Breite und verliert die ihr früher so oft nachgerühmte Eleganz. Auch das Gesicht wird stark, besonders das Unter­ gesicht; das Kinn beginnt sich zu verdoppeln. Dadurch wird es noch auffallender, daß die Gespanntheit der Züge, die für den Konfliktsminister die bestimmende Note war, einer gelassenen und sicheren Ruhe weicht. Der geschmeidige Kavalier wandelt sich zu einem mächtigen Recken. Die ersten Bilder, die uns diesen Bismarck zeigen, stammen aus dem Jahre 1870 (Tafel 15 und 16).

Sie sind aufgenommen, bevor er in den Krieg zog und zeigen ihn in seiner Feldausrüstung. Aus den Jahren, in denen sich die Wandlung vollzogen hat, sind uns nur Schilderungen erhalten. Zum Glück sind sie sehr lebendig, und sie verbindm sich um so besser mit den Aufnahmen des „Generals", als Bismarck nach dem Kriege von 1866 die Uniform, an die er sich im Felde gewöhnt hatte, zu seiner bevor­ zugten Kleidung gemacht hat. Professor Bluntschli, der Vertreter Badens auf dem Deutschen Zollparlament (1868), hatte bei der ersten Begegnung den Eindruck eines „Recken aus der Zeit der Nibelungen, riesenhaft, gewaltig, mit den durch­ bohrenden Augen und den waldigen Augenbrauen". Dann aber sah er den anderen Bismarck und schrieb: „So reckenhaft und fast antediluvianisch mir der Mattn erschienen war, als ich ihn zum erstenmal erblickte, so machte er mir nun bei dieser Unterredung einen ganz anderen Eindruck. Er war überaus liebenswürdig und bei seiner staunenswerten Offenheit durchaus be­ haglich. Oft lachte er ganz von Herzen. Seine Stimme offenbarte auch zarte und sogar weiche Empfindungen. Ein paarmal aber leuchteten die Augen wie Blitze." Die Ursachen, die Bismarck schnell hatten altern lassen, hörten trotz des Erfolges nicht auf zu wirken.

Die Arbeitslast wuchs nur und wog für den ruinierten Körper doppelt schwer. Und wenn die Liberalen jetzt begannen, ihn zu feiern, wenn er im Volk eine schnell wachsende Popularität gewann, der der frühere Haß gut vorgearbeitet hatte, so trat nun der Bruch mit seinen konservativen Freunden ein, die ihm die Kon­ zessionen an den Liberalismus nicht verziehen, deren Organe ihn erbittert angriffen, und deren Feindschaft und Angriffe ihn viel tiefer trafen als die der früheren Feinde. Trotzalledem wurde sein körperliches Befinden besser, und der Vierundfünfzigjährige fängt an „jugend­ lich" zu wirken. Dazu trugen gewiß vor allem die langen Aufenthalte in Varzin bei, die er sich nun (freilich nicht ohne allerlei Spitzen darüber zu hören) gönnen durfte. Aber gewiß wirkte auch das sichere Gefühl mit, daß mit dem Siege von 1866 der wichttgste Teil der Arbeit Preußens getan war, und daß sich nun das Schicksal Deutschlands in seinem Sinne erfüllen mußte. Hans Blum sah ihn int Jahre 1869 am Anfang der Arbeitszeit und gibt folgende Schilderung: „Sein Gesicht hat mit der langen Dillegiatur in Varzin wieder Farbe gewonnen, die Augen sind nicht mehr so tief beschattet durch die Wolken der gefurchten Sttrn und zugleich auch die außerordentlich langen Brauen wie

voriges Jahr. Die historischen drei Haare sind freilich längst inS Meer der Zeit gesunken, die ©tim ist fast ganz kahl, und namentlich das Hinterhaupt würde keinem mehr die volle Locke zeigen, an der Braun im konstituierenden Reichstag gemahnte das wandelnde Glück Deutschlands zu fassen. Aber dafür ist sein Haar von jenem germanischen Aschblond, dem niemand die Jahre des Trägers ansehen kann. Und seine Haltung ist stramm und fest bei seinen vierundfünfzig Jahren trotz des Jüngsten in der Versammlung. Er trägt auch an diesem Abend sein bequemstes Kleid, die Uniform, aber wohl schwerlich ganz vorschrifts­ mäßig. Moltke lächelt mit den schmalen feinen Lippen, als er des Grafen militärischer Dekollettierung ansichtig wird. Denn der kurze Waffenrock steht offen, von Degen und Degengurt ist nirgends die Rede, und eine einfache schwarze Tuchweste bekleidet die Brust." Hatten die Ereignisse des Jahres 1866 in gewissem Sinne seine Gestalt verändert, so hatten sie noch einen viel entscheidenderen Einfluß auf seine Haltung geübt. Derselbe englische Beobachter, dm wir oben über den Konfliktsminister gehört haben, sagt über diesm Bis­ marck: „Seine Haltung in der Kammer atmete Ruhe, Versöhnung, Vertrauen." Damit ist auch der schneidende Ton seiner Stimme, von dem frühere Schildern: zu

berichten wußten, verschwunden. Hans Blum sagt: „Mir haben oft Besucher der Tribünen des Reichs­ tages oder Zollparlaments, wenn sie Bismarck sprechen gehört, erklärt, sie seien durch nichts so enttäuscht worden wie durch die Klangfarbe seiner Stimme. Seine Höhe, seine Brauen, seine Stirn, seine Brust­ weite, alles sei viel gewaltiger als sie gedacht, aber diese Stimme habe auch bei der trockensten Darlegung und beim größten Affekt etwas so ungewöhnlich Weiches und Einschmeichelndes. Die Bemerkung ist richtig. Man hört aus den Worten des Grafen, trotz der großen Mäßigung seiner Reden, immer am Klang der Stimme seine augenblicklichen Empfindungen heraus." Faßt man alles das, was durch Wort und Bild überliefert ist, zusammen, so hat man das Bild einer entscheidenden Wandlung. Die fortwährende Gespannt­ heit des Kämpfers hat dem sicheren Machtgefühl des Siegers Platz gemacht. Die Persönlichkeit ist dieselbe, aber ihre Erscheinung und ihre Äußerungen sind aus einen anderen Ton gestimmt, wenn auch gewisse An­ lässe immer wieder den alten durchklingen lassen. Das Lied Bismarck, das in Dur begonnen hat, geht in Moll weiter. Selbst int Kriegslager, selbst dem Feinde gegen­ über, tritt das hervor. So schreibt Jules Favre über

seine erste Unterredung wenige Wochen nach Sedan: „Obgleich in vorgerückten Lebensjahren, erschien mir Graf Bismarck in der ganzen Fülle seiner Kraft. Seine hohe Gestalt, sein mächtiger Schädel, seine aus­ geprägten Gesichtszüge verliehen ihm ein zugleich ge­ bietendes und hartes Aussehen, das indessen durch eine natürliche Einfachheit, beinahe Gutmütigkeit, ge­ mildert wird. Sein Empfang war höflich und ernst, ohne alle Affektation und Steifheit." Mit den Stichworten, die wir aus diesen Beschrei­ bungen gezogen haben, ist auch schon die Entwicklung während der siebziger Jahre bezeichnet. Immer ge­ waltiger und imposanter tritt die Machtfülle Bismarcks in seiner Erscheinung hervor, immer deutlicher akzen­ tuiert sich das Herrschergesicht, immer gebieterischer blickt das Auge. Aber immer tiefer prägen die körper­ lichen Leiden, die nervöse Überreizung durch Arbeiten und Kämpfe in dieses Gesicht ihre Spuren und Furchen. Ein schmerzlicher Zug macht sich bemerkbar, den viele Briefe aus diesem Jahrzehnt erklären, und an dem nach diesen Erklärungen der Kulturkampf, der dem Einiger Deutschlands in Deutschlands Hauptstadt „nicht ohne polizeilichen Schutz" auszugehen erlaubt, und der immer mehr sich zuspitzende Konflikt mit der Kreuz­ zeitungspartei die Schuld tragen. Oder hat er sich

schon damals zum ersten Male gezeigt, als in Versailles sein König, der sich durch Bismarcks Verdienst eben die Kaiserkrone auf das Haupt setzen durfte, ohne Gruß an seinem „treusten Diener" vorüberging, weil zwischen ihnen ein Streit über die Form des neuen Titels herrschte?! Während dieser Wandlung zeigt uns den Fürsten eine vortreffliche Photographie vom Jahre 1877 (Tafel 17), vollzogen ist sie in dem ersten Bilde, das im Jahre 1880 Franz von Lenbach von ihm gemalt hat (Tafel 18). über Lenbachs Bismarckbildnisse gehen die Mei­ nungen weit auseinander: die einen rühmen sie alle ausnahmslos mit höchster Begeisterung, die anderen behaupten, daß der Meister etwas von der Größe der Renaissancemenschen, von den Menschen der Epoche, deren Kunst er liebte, in die Züge des Zeitgenossen hineingetragen habe. Beide Urteile sind falsch, es gibt überhaupt und kann ein richtiges Urteil über eine so große Zahl von Werken nicht geben, die in ganz ver­ schiedenen Zeiten und Stimmungen und unter ganz ver­ schiedenen Bedingungen entstanden sind. Zuerst muß man sagen, daß durchaus nicht ein­ zusehen ist, weshalb der große Zeitgenoffe weniger groß ausgesehen haben soll als die großen Männer

anderer Zeiten. Es war doch nicht weniger Kraft und Temperament in chm. Natürlich, wer den alten General von der Straße für Bismarck nahm und nimmt, wird den Künstler der Übertreibung zechen. Aber er ist ein schlechter Psychologe, der an der Ober­ fläche bleibt. Er würde auch in den „alleruntertänigsten" Briefen an den König nicht den Ton des geborenen Herrn durchblitzen fühlen und in den tiefen Verbeugungen vor dem König nicht die stolze Freiheit des Mannes gefühlt haben. Lenbach aber wollte das Wesen seines Helden porträtieren, das sich in den großen Momenten offen* barte, nicht die Außenseite des Alltags. Seine Bilder sollen Dichtungen sein. Daß die schönsten sich keines­ wegs weit von der Wahrheit entfernen, wird durch Schilderungen von Augenzeugen und durch die guten Photographien bewiesen, gerade für das Auge, dessen Größe und Blick die Kritik besonders bezweifelt hat. Ja, die ersten Bildnisse wurden sogar von den Zeit­ genossen für zu schwach im Ausdruck erklärt. Bei einer parlamentarischen Soirse im Jahre 1885 war die Rede von einem eben fertig gewordenen Bildnisse (Tafel 20). „Es fand, bei aller Anerkennung für die technische Meisterschaft in der Ausführung und die Treue und Durchgeistigung der Auffassung, nicht all­ seitiges Lob insofern, als die historische Persönlichkeit

des Fürsten darin nicht so sehr zum Ausdruck ge­ kommen als vielmehr die des Fürsten Bismarck intra muros, ein Umstand, der dadurch erklärt wurde, daß es dem ausführenden Künstler bis dahin nicht ver­ gönnt gewesen war, dem Reichskanzler in politisch bedeutenden Momenten nahe gewesen zu sein." Dieses Urteil erstreckte sich also auch auf das erste Bildnis (Tafel 18), von dem ein Exemplar in der Nationalgalerie sich befindet und also den Unterrednern bekannt sein mußte. Ist der Vorwurf der Übertreibung im allgemeinen sicherlich falsch, so kann man auf der anderen Seite doch nicht alle Bildnisse von Lenbach als gleichwertig annehmen. Viele sind unter dem unmittelbaren frischen Eindrücke der Persönlichkeit entstanden und sind Meister­ werke, in denen sich Größe der Auffassung und äußere Treue der Schilderung harmonisch verbinden. Bei anderen hat die Phantasie eine größere Rolle gespielt als die Erinnerung; die Form ist dann nicht sicher genug, um den Ausdruck zu tragen, und es entsteht ein Mißverhältnis, das als Übertreibung des Ausdrucks empfunden wird. Einen guten äußeren Anhalt für die Unterscheidung der dokumentarischen von den anderen Bildnissen gibt die Auswahl, die der Fürst und seine Nächsten selbst

getroffen haben. Es sind deshalb hier fast ausschließ­ lich die Bilder gegeben worden, die sich im fürstlich Bismarckischen Familienbesitze befinden. Und diese Reihe bedeutet einen wertvollen künstlerischen und ge­ schichtlichen Schatz des deutschen Volkes. Für uns sind gerade die ersten Bilder, die den Zeitgenossen zu wenig „historisch" waren (sie dachten dabei wohl ein bischen an die Helden der damals beliebten theatralischen Geschichtsbilder), von ganz be­ sonderem Wert. Lenbach, der den Fürsten in jenen Jahren nicht genau genug kannte, um einen Strich aus dem Kopfe zu wagen, hat die Formen mit treuem Ernste der Natur nachgezogen und ebenso sorgsam die Farben gesetzt. Deshalb haben diese Porträts viel mehr das besonders Norddeutsche, ein wenig sogar das preußisch Beamtenhaste, das Bismarck nie verlor, und das sogar einen bestimmenden Zug seiner Erscheinung bildete, das aber der Bager Lenbach vielleicht nicht stark genug empfand, als daß es noch in seinem Er­ innerungsbilds geblieben wäre. In dem Bilde, das im Jahre 1880 gemalt wurde, erscheint der Fürst stark bis zur Schwerfälligkeit. Das Haar ist schon ziemlich ergraut, aber das ursprüngliche Blond schimmert noch deutlich durch. Zum ersten Male sehen wir hier ein Porträt der Hand, die sehr indiStahl, Bismarck.

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viduell war: der Handrücken kurz und sehr breit, die Finger dagegen auffallend lang und sehr spitz und, wie gerade dieses Bild zeigt, merkwürdiger, fast damen­ haft koketter Biegungen fähig; dieselbe Mischung von Kraft und Eleganz, die so bezeichnend für Bismarcks ganzes Wesen war. Im übrigen mögen die Worte eines Zeitgenossen, die freilich schon im Jahre 1877 geschrieben wurden, das Bild ergänzen. „Es war", so beschreibt dieser seinen Eindruck, „der Eindruck des Gewaltigen; die hohe, mächtige Gestalt, der feste Schritt, der starke, aber nicht hart umspannende Druck der Hand, die sichere, willenskräftige Ruhe des Blickes, alles gab der Erscheinung den Ausdruck der Kraft- und Machtfülle. Nichts Gesuchtes, nichts Suchendes lag in dem ernsten Auge, in welchem ich weniger das oft betonte Faszi­ nierende, als ein selbstsicheres Wohlwollen beobachtete, dem es aber, wenn ... die Rede . . . abzuschweifen drohte, unter der rasch sich zusammenziehenden Stirn­ falte wie ein Funkeln von raschem und gebieterischem Mahnen . . . entflog." Schon in den siebziger Jahren ist von der „Ver­ witterung" im Gesicht Bismarcks die Rede. Sie ist nun immer stärker hervorgetreten, besonders in der Partie um Mund und Kinn, und spielt für die Wirkung

des Kopfes eine große Rolle. Eine wie große, das zeigt sein Bild im Barte, den er sich seiner Gesichts­ schmerzen wegen einmal wieder stehen ließ. In diesem Bilde, das aus dem Jahre 1883 stammt (Tafel 19), fehlt alles Charakteristische, der Kopf hat etwas weich Greisenhaftes, das sonst nur bei den Porträts aus der allerletzten Lebenszeit hervortritt. In dieses Jahr fällt der Beginn der körperlichen Wiedergeburt des Reichskanzlers. Der damals junge bayerische Dr. Schweninger verstand es, mit Bismarck bismarckisch zu reden und ihn zu einer ganz anderen Lebensweise zu führen. Die Folge war zunächst eine Abnahme des Gewichtes, die ihm die elegante Leich­ tigkeit der Bewegung zum Teil wiedergab, wie sie ihm früher zu eigen gewesen, und dann die Wiederkehr einer gesunden Gesichtsfarbe, die sich jetzt als ein zarter rosiger Hauch über die Wangen des Greises legte und so merkwürdig, die Farbe jüngster Jugend, zu den weißen Haaren stand. Diese Wandlung bezeugt der Brief eines Parla­ mentariers vom März 1884: . .. Und richtig, da erschien er, ... ., magerer als sonst, aber noch immer ein hünenhafter Mann, mit geradem Nacken und ge­ sundfarbigem Gesicht, von dem Aussehen eines rüstigen Fünfzigers, nicht wie einer, der am nächsten April 4*

seinen siebzigsten Geburtstag feiert............ ich habe ihn noch niemals auch nur annähernd so frisch und gesund aussehend gefunden wie gerade jetzt." Den Siebziger zeigt uns der zweite Lenbach (Tafel 20). Dieser Lenbach ist in mancher Hinsicht das schönste unter den schönen Porträts. Gewiß, es gibt Bismarck nicht in einem Moment der Kraftäußerung. Aber wenn man das als Mangel empfindet, wo ist dann das Bildnis eines großen Meisters, der seinen Mann in solcher Situation zeigte? Alle atmen Ruhe, und nur die Fähigkeit großen Denkens und Handelns leuchtet durch diese Ruhe hindurch. So ist es auch mit diesem Bismarck. Und mehr: auch das Behag­ liche und Anmutige seines Wesens, das im häuslichen Verkehr hervortrat, läßt sich ahnen. Um das Bild zu würdigen, muß man sich freilich erst an das Fremd­ artige gewöhnen, das der Kopf dadurch erhält, daß der Schnurrbart, kurz gestutzt und seitwärts gestrichen, den Mund ganz frei läßt, den er sonst zum Teil be­ deckt. Was hier und an späteren Bildern, die Bis­ marck ebenso intra moros, will sagen, als Privatmann, im Zustande geistiger und seelischer Ruhe zeigen, be­ sonders auffällt, ist die Ähnlichkeit des Blickes mit dem Blicke des Jünglings, dem ernsten, tiefen, eher weichen.

Derselbe Blick trifft uns aus dem Porträt, das Lenbach drei Jahre später gemalt hat, und auf dem er Bismarck als Gutsherrn zeigt, in hochgeknöpftem Rock, mit der altmodischen schwarzen Tuchmütze und mit der großen runden Brille (Tafel 24). Von diesem Patriarchen, der von großen Taten ausruht, zu jenem Jüngling, der sie träumte, führt überhaupt eine gerade Linie zurück. Es zeigt auch, daß Bismarck weder die Insignien noch die Miene der Macht brauchte, um machtvoll zu wirken. Vielleicht wird sich mancher sogar vor der ruhigen Ehrwürdigkeit dieser Er­ scheinung tiefer neigen als vor der gebieterischen Ge­ berde anderer Darstellungen. Viel von der Wirkung dieser Bilder muß man freilich wohl dem Kontraste zuschreiben, den sie zu den anderen und gerade zu zeitlich am nächsten stehenden zeigen. Man kann ja in diesen ganzen Altersbildnissen nicht mehr von einer Entwicklung sprechen. Ihre Ver­ schiedenheit beruht nur auf dem Wechsel der Stimmungen, nicht auf bleibenden Veränderungen, sie sind nicht be­ zeichnend für ein Nacheinander, sondern für ein Neben­ einander der „Gestalten". So steht zwischen den beiden zuletzt besprochenen Lenbachs eine prächtige Photo­ graphie von Pilartz (Tafel 22). Wie jene aus der letzten Frankfurter Zeit ist sie in besonders glücklicher

Stunde aufgenommen und zeigt die ganze kraftvolle Männlichkeit, die man gerade in dem letzten Jahrzehnt seines Lebens wieder an ihm bewunderte. Sie ist be­ sonders wertvoll zur Beurteilung der dokumentarischen Bedeutung der Porträts von Lenbach. Sie zeigt, daß der Meister das Auge durchaus nicht in Größe und Ausdruck übertrieben hat. In nahem Zusammenhang mit ihr scheint die famose Büste von Reinhold Begas zu stehen (Tafel 23). Sie stammt aus dem Jahre 1887 und schließt sich gewiß an die äußere Gestalt dieses Jahres an, zum Beispiel in dem starten Betonen der „Verwitterung", die in diesen Jahren, nach dem Verschwinden der ausgleichenden Fettschicht, besonders an Kinn und Hals immer stärker hervortritt. Aber sie will doch mehr sein und ist mehr geworden: eine zusammengefaßte Darstellung des Tatmenschen, eine Verkörperung der Idee, die in der Bezeichnung Bis­ marcks als des „eisernen Kanzlers" sich ausdrückt. Diese Büste steht sehr hoch unter den Bismarckbild­ nissen, sie ist den besten Lenbachs ebenbürtig. *

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Bismarck war der geborene Herr, „und mit der Kraft noch obenein, buchstäblich zu vollstrecken die Natur, dem Herrschtalent den Herrschplatz zu erobern".

Er hatte seinem Preußen die führende Stellung in Deutschland, seinem Deutschland eine maßgebende Stellung in der Welt erkämpft, er war mit seinen Ländern eine Weltmacht geworden. Dieses Bewußt­ sein trug ihn und gab ihm seine „Gestalt", die Ge­ stalt, in der er, vielleicht in fernsten Zeiten umwittert von mythischem Hauche, weiter leben wird. Aber die Geschichte seiner Gestalt ist noch nicht zu Ende, es folgt noch ein Kapitel; ein Kapitel, das man bald mit schmerzlicher Rührung, bald mit grenzen­ loser Bewunderung liest: Bismarck ohne Macht. Das erste Bildnis, das in dieses Kapitel gehört, stammt freilich der Zeit nach noch aus der Epoche der Macht, es ist im Jahre 1889 von Lenbach gemalt (Tafel 25). Aber es liegt wie eine Ahnung dessen, was kommen soll, in diesm Zügen, und, gerade weil es den anderen noch nicht offenbar war, und der Maler also keine Absicht haben konnte, ist es wichtig als ein Dokument dafür, was Bismarck damals empfand. „Der Kaiser hat mich recht lieb, aber imponieren kann ich ihm doch nicht", sagte er lächelnd, aber gewiß mit schmerzlichem Erstaunen. Dieses Bild gibt die Illustration zu seiner Stimmung. Es liegt etwas Wehes in seinem Blick und spielt um den Mund. Und das wirkt so ungeheuer stark im Kontrast zu

diesem Kopf, dessen mächtige Formen man mit dem Ausdrucke des Herrischen oder des Sicheren kennt. Ein kranker Löwe. Der sich müde und gleichgültig legen, der sich aber auch mit letzter Kraft noch ein­ mal drohend und furchtbar aufrichten kann. Auch aus der Skizze Lenbachs, die den Fürsten in der ausruhenden Stellung zeigt, wie er sie nach Tisch liebte, weit zurückgelegt, die Hand auf der Brust, ist derselbe Zug noch erkennbar (Tafel 26). Die Stimmung Bismarcks in den letzten Jahren seines Lebens hat zwischen den beiden Möglichkeiten, der stillen Resignation und dem drohenden Aufbegehren, geschwankt. Die Bildnisse der Zeit zeigen beides und geben kein Recht, die eine oder die andere Stimmung für bestimmte Jahre als alleinherrschend anzunehmen. Die schöne Aufnahme von Pilarh (Tafel 27) ist noch im Jahre der Entlassung gemacht worden. Sie beweist, daß der Schmerzenszug, der auf dem zuletzt genannten Lenbach nur wie ein momentaner, ein zu­ fällig belauschter Ausdruck erschien, nicht mehr aus dem Gesichte des Altreichskanzlers wich. Auch in dem wenig bewegten Kopfe tritt er hervor, wenn auch ge­ mildert durch die Ruhe der Haltung und durch den Charakter des „particulier de distinction“, die viel­ leicht nicht ohne Absicht betont ist.

(Eine hübsche Ergänzung zn diesem Bilde gibt die Momentaufnahme aus demselben Jahre (Tafel 28), die nicht wie so viele weit verbreitete die Gestalt ka­ rikiert, sondern ihre Mischung von Fürstlichem und Großväterlichen fein zur Geltung bringt.) Die andere Stimmung kann naturgemäß in keiner Photographie aufgezeigt werden. Aber Lenbach, der zu den Vertrauten des Hauses gehörte, mag sie wohl in Augenblicken leidenschaftlicher Aufwallung beobachtet haben. Er hat uns diesen Bismarck gemalt (Tafel 29), in dem die alte Kraft, die früher den Kämpfer und den Sieger durchströmte, wieder zum Durchbruch kommt. In den „Gedanken und Erinnerungen", die in diesen Jahren entstanden sind, kommen diese beiden Bismarcks zu Worte. Wenn man sie liest, taucht bald der fein überlegene Kopf des ersten, bald der wild grollende des zweiten zwischen den Zeilen auf. Diese Veränderungen, die nach dem Verluste der Macht seine Gestalt erfuhr, beziehen sich ihrem ganzen Wesen nach nur auf Einzelheiten. Viele sahen ihn in dieser Zeit, ohne ihn gegen früher überhaupt ver­ ändert zu finden. Die Gesamtheit der Erscheinung und der Haltung wurde nicht berührt, auch nicht durch das wachsende Alter. Nur zwei Jahre fehlten Bis­ marck noch an den achtzig, als Lenbach in einer Skizze

ihn als Reiter malte (Tafel 30). Und noch ist die Silhouette der Hünengestalt auf dem schweren Pferde dieselbe, die im Berliner Tiergarten zwanzig Jahre früher den Wanderer an alte Sagenhelden mahnte, wenn „mit gelben Streifen der Halberstädter" vor­ überritt. Eine Silhouette, einzig, unverwechselbar und unvergeßlich. Ein Künstler brauchte sie nur ehr­ lich nachzuziehen, um ein Bismarckmonument zu schaffen, das mit den schönsten der Welt an Eigenart und Eindruck wetteifern konnte. *

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1895. Das Jahr des achtzigsten Geburtstags. Karl Hahns Photographie, das letzte Porttät im strengeren Sinne, gibt uns den Bismarckkopf, mit dem wir Abschied nehmen müssen (Tafel 31). Unwillkürlich schweift die Erinnerung zurück zu dem freundlichen Knadengesicht mit den leuchtenden Augen und dem lächelnden Munde. Dies ist das Ende zu jenem Anfang, diesen Greis hat das Leben, ein Leben überschwer an Arbeit und Kämpfen, überreich an Er­ folg und Macht, überhart an Schmerzen und Bitter­ keiten aus jenem Kinde gemacht. Ein mächtiges Ringm des Geistes und Willens hat die Formen zu ihrer Größe gesteigert, die Kämpfe und Leiden eines unge-

Minen Temperamentes haben Strich für Strich ihre Spuren hineingefurcht. Wie wenig Glück (außer in seinem Hause, das ihm eine Zuflucht aus der Welt, aber doch nicht seine Welt war) hat dieser Große ge­ noffen! Nichts von der Verklärung, die Goethes letztes Antlitz zeigt. Dieser Kopf schließt Bismarck an die großen Enttäuschten an; er gehört zu den ©reifen» köpfen Leonardos und Rembrandts als der dritte. Köpfe, von benen uns tragische Schauer anwehen.

Anmerkungen. Die Idee, die diesen Büchern zugrunde liegt, ist diese: die Bildnisse sollen die Biographie erzählen; ste können na­ türlich nicht die Erlebnisse, sondern nur die Entwicklung der Gestalt schildern. Diese Bildnisse sind verschiedener Art: ste sprechen allein, und da habe ich versucht, die Sprache ihrer Formen in Worte zu übertragen (bei den Jugendbildnissen und den Porträts von Lenbach), oder sie bedürfen der Ergänzung durch literarische Quellen, und da habe ich solche aus bequem zugänglichen Sammelwerken herangezogen (für die Mannesjahre). Die politischen Ereignisse und Erlebnisse sind nur erwähnt worden, wo ste zum Verständnis der Entwicklung durchaus unentbehrlich schienen.

Verzeichnis der literarischen Quellen. S. 12 Z. 4. Ernst Krigar, Kleine Mitteilungen aus der Jugendzeit des Fürsten Bismarck.