Werkzeuge wirkungsvoller Compliance: Praxiserprobte Maßnahmen für Compliance Officer [2. Aufl.] 9783662617915, 9783662617922

Im Mittelpunkt dieses Buches stehen, anders als bei vielen Standardwerken zur Compliance, nicht die Ziele, sondern die M

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German Pages XIV, 260 [259] Year 2020

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Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XIV
Einleitung (Thomas Schneider)....Pages 1-4
Der Hintergrund der Compliance (Thomas Schneider)....Pages 5-10
Das Unternehmen (Thomas Schneider)....Pages 11-25
Das Fundament der Compliance (Thomas Schneider)....Pages 27-40
Entscheiden (Thomas Schneider)....Pages 41-55
Ziele und Planung (Thomas Schneider)....Pages 57-71
Der Auftritt (Thomas Schneider)....Pages 73-87
Der Chef (Thomas Schneider)....Pages 89-98
Der innere Zirkel (Thomas Schneider)....Pages 99-115
Verbündete (Thomas Schneider)....Pages 117-124
Das operative Management (Thomas Schneider)....Pages 125-134
Die Ansprechpartner (Thomas Schneider)....Pages 135-145
Berufsanfänger (Thomas Schneider)....Pages 147-157
Die Gruppen (Thomas Schneider)....Pages 159-170
Prüfungen (Thomas Schneider)....Pages 171-179
Schulungen (Thomas Schneider)....Pages 181-191
Der Compliance-Verstoß (Thomas Schneider)....Pages 193-200
Nach der Aufdeckung (Thomas Schneider)....Pages 201-209
Konflikte (Thomas Schneider)....Pages 211-227
Prüfer und Berater (Thomas Schneider)....Pages 229-237
Die eigene Karriere (Thomas Schneider)....Pages 239-247
Veränderungen (Thomas Schneider)....Pages 249-257
Nachwort (Thomas Schneider)....Pages 259-260
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Werkzeuge wirkungsvoller Compliance: Praxiserprobte Maßnahmen für Compliance Officer [2. Aufl.]
 9783662617915, 9783662617922

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Thomas Schneider

Werkzeuge wirkungsvoller Compliance Praxiserprobte Maßnahmen für Compliance Officer 2. Auflage

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Werkzeuge wirkungsvoller Compliance

Thomas Schneider

Werkzeuge wirkungsvoller Compliance Praxiserprobte Maßnahmen für Compliance Officer 2. Auflage

Thomas Schneider Essen, Deutschland

ISBN 978-3-662-61791-5    ISBN 978-3-662-61792-2 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-662-61792-2 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer Gabler © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2018, 2020 Ursprünglich erschienen unter: Schneider, T. Wirkungsvolle Compliance – Mit praxiserprobten Maßnahmen zur erfolgreichen Umsetzung Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer Gabler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany

Vorwort zur 2. Auflage

Im Frühjahr 2018 erschien die erste Auflage der „Wirkungsvollen Compliance“. Seit diesem Zeitpunkt sind etwas über zwei Jahre vergangen. Wird statt einem unveränderten Nachdruck eine zweite Auflage verfasst, sollten sich Veränderungen ergeben haben, welche dies rechtfertigen. Da die Mittel einer wirkungsvollen Compliance und die Innensicht des Compliance-­ Officer unverändert den Schwerpunkt darstellen, erscheint es schwierig signifikante Veränderungen festzustellen. Bei allen Entwicklungen sind die Menschen weitgehend die gleichen wie vor zwei Jahren. Veränderungen ergaben sich weniger im menschlichen Verhalten, wohl aber in der Erkenntnis wie Menschen sich verhalten. Dabei beruht der Erkenntnisgewinn nicht auf philosophischen oder ethischen Konzepten, als vielmehr auf praxisorientierten Versuchen, deren Ergebnisse den Autor erstaunten und dem Leser einen Erkenntnisgewinn verschaffen werden. Der technisch/organisatorische Fortschritt, ist mit Schlagwörtern wie „künstlicher Intelligenz“ oder „Agilität“ verbunden. Obwohl sich die Auswirkungen auf die Compliance bisher in einen überschaubaren Rahmen bewegen, wird sich die Compliance diesen Tendenzen stellen, wozu diese, 2. Auflage, ebenfalls Vorschläge entwickelt. Weiterhin darf auch der Autor klüger werden und nicht zuletzt Anregungen und Vorschläge der Leser aufgreifen, um ein, aus seiner Sicht gutes Werk, zu einem besseren zu machen. Essen Herbst 2020

Thomas Schneider

V

Vorwort zur 1. Auflage

10.000 h Training sind notwendig, um das Niveau eines Experten zu erreichen, völlig unabhängig davon, ob es sich um einen Pianisten oder Biathleten, Automechaniker oder Compliance-Officer handelt. Bei einer intensiven Beschäftigung von drei Stunden pro Tag oder 20 h je Woche ist man damit nach ungefähr zehn Jahren ein Experte auf seinem Fachgebiet. Bei einer Veröffentlichung, welche explizit nicht als Einführung in die Compliance gedacht ist, darf vorausgesetzt werden, dass Leser wie Autor Compliance-Experten sind, zumindest den Weg dorthin eingeschlagen haben. Welche Wirkung das Expertentum auf einen Experten hat, lässt sich anhand eines Experimentes mit Londoner Taxifahrern feststellen (Schaeffer 2011, S.  118–119). Diese müssen eine der schwierigsten Fahrprüfungen der Welt bestehen und sich 25.000 Straßen für ihre Prüfung merken, weshalb durchschnittlich 12 Versuche benötigt werden, um die Prüfung zu bestehen. Ein Erfolg erfordert ein Gehirn, welches wie ein Muskel trainiert wird, insbesondere der Hippocampus, die Hirnregion, welche für die räumliche Orientierung notwendig ist, ist bei Londoner Taxifahrern deutlich vergrößert. Hirnscans zeigen, dass sich der Effekt über Jahre noch verstärkt. Forscher des University College London machten mit Londoner Taxifahrern einen Test und ließen sie eine Route in einer ihnen unbekannten Stadt in Irland finden. Wie erwartet lösten die Probanden die Aufgabe besser als eine Vergleichsgruppe ohne Erfahrung im Taxifahren. Der nächste Versuch war komplizierter, den Taxifahrern wurde gesagt, dass in London einige Gebäude eingestürzt seien und durch neue Bauten ersetzt würden. Den Versuchsteilnehmern wurden Videos der neuen Stadt gezeigt. Bei der Orientierung hatten sie große Probleme, mehr noch als in der unbekannten irischen Stadt. Es gelang ihnen kaum die neuen Gebäude in ihr bestehendes London-Bild einzuordnen. Der Grund liegt darin, dass Anfänger ihr Arbeitsgedächtnis aktivieren, welches ein Experte nicht mehr benötigt, da er sich bei der Erfüllung seiner Aufgaben auf seine erworbenen Gedächtnisfähigkeiten und sein Langzeitarbeitsgedächtnis verlassen kann. Dem Experten auf einem Gebiet fällt es damit schwer Neues zu verstehen, welches sich nicht in die bestehende Expertise eingliedern lässt. Vor einer vergleichbaren Situation stehen Compliance-Officer, die erkennen, dass ein einfaches „Weiter so!“ nicht ausreicht um den Ansprüchen Dritter, vor allem aber den VII

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Vorwort zur 1. Auflage

e­ igenen Ansprüchen zu genügen. Diese Situation wird besonders offensichtlich, wenn schwerwiegende Compliance-Verstöße offenbar werden, obwohl die Compliance-­ Organisation nach dem eigenen Verständnis gut aufgestellt ist, Ressourcen und Instrumente dem aktuellen Stand entsprechen, nicht selten auch eine Zertifizierung des Compliance-­Management-Systems (CMS) erfolgt ist. Auch wenn sich die angesprochenen Verstöße glücklicherweise meistens in anderen Unternehmen ereignen, stellt sich die unangenehme Frage, ob derartige Vorfälle im eigenen Unternehmen ausgeschlossen werden können. Nicht zuletzt deshalb sollten neue Wege beschritten und Lösungen gefunden werden, ohne mit dem bisher erreichten zu brechen. Dabei gilt es die Gefahr des Londoner Taxifahrers nicht zu verdrängen und sich plötzlich orientierungslos in der Compliance-­ Landschaft wiederzufinden. Die Veränderung der Perspektive erfolgt hier durch die Berücksichtigung der Erkenntnisse verschiedener geisteswissenschaftlicher Disziplinen, die durch die Heranziehung interessanter, oft überraschender, Versuchsergebnisse einen relevanten Praxisbezug aufweisen. Die Verknüpfung mit dem aktuellen Stand der Compliance gewährleistet, dass die Orientierung nicht verloren geht, weder beim Autor, noch beim Leser. Um im Bild des Taxifahrers zu bleiben, wird sich der Leser, welcher sich auf die Argumente einlässt erst einmal langsamer als gewohnt zurecht finden, länger brauchen um von A nach B zu kommen. Dabei werden bisher nicht genutzte Wege genommen, welche zu unbekannten Punkten führen, Abkürzungen ermöglichen, aber auch zu längeren Fahrten anregen, welche neue Sichtweisen ermöglichen  – wobei sich ein gelegentlich falsches Abbiegen in eine Sackgasse nie vollständig vermeiden lassen wird. Auf diese Fahrt möchte ich mich mit Ihnen auf den folgenden Seiten begeben. Der Leser kann die Arbeit des Lektorats vom ersten Manuskript zum fertigen Buch weder ermessen, noch würdigen, der Autor schon. Nicht zuletzt deshalb gilt mein herzlicher Dank Frau Catarina Gomes de Almeida von Springer Gabler Verlag.

Literatur Beatty J (1998) The world according to Peter Drucker. Broadway, New York Schaefer J (2011) Genie oder Spinner. Dumont, Köln

Essen Frühjahr 2018

Thomas Schneider

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   1 Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������   4 2 Der Hintergrund der Compliance. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   5 Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������   9 3 Das Unternehmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  11 3.1 Bindung, Identifikation, Selbstkontrolle ������������������������������������������������������  11 3.2 Legalität und Legitimität������������������������������������������������������������������������������  15 3.2.1 Legal und legitim������������������������������������������������������������������������������  16 3.2.2 Legal und illegitim����������������������������������������������������������������������������  17 3.2.3 Illegal und legitim ����������������������������������������������������������������������������  18 3.2.4 Illegal und illegitim��������������������������������������������������������������������������  20 3.3 Unternehmensauftritt������������������������������������������������������������������������������������  20 3.4 Unternehmenskultur��������������������������������������������������������������������������������������  20 3.5 Die Unternehmenswahl��������������������������������������������������������������������������������  24 Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������  25 4 Das Fundament der Compliance. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  27 4.1 Theorie und Praxis����������������������������������������������������������������������������������������  27 4.2 Ethik��������������������������������������������������������������������������������������������������������������  28 4.3 Entscheidung im Einzelfall ��������������������������������������������������������������������������  30 4.3.1 Gesinnungs- und Verantwortungsethik ��������������������������������������������  31 4.3.2 Regelutilitarismus ����������������������������������������������������������������������������  31 4.3.3 Umsatz vs. Ethik ������������������������������������������������������������������������������  33 4.4 Ethik verhandeln, Anständigkeit gewährleisten��������������������������������������������  34 4.5 Das Spannungsfeld����������������������������������������������������������������������������������������  36 4.6 Die negative Perspektive der Compliance����������������������������������������������������  38 Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������  40 5 Entscheiden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  41 5.1 Interpretationsansatz ������������������������������������������������������������������������������������  41

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5.2 Komplexe Situationen����������������������������������������������������������������������������������  43 5.3 Anforderungen����������������������������������������������������������������������������������������������  45 5.4 Bauchgefühl, Heuristik oder Algorithmus����������������������������������������������������  47 5.4.1 Spezielle Situation der Compliance��������������������������������������������������  47 5.4.2 Entscheidungsformen������������������������������������������������������������������������  48 5.4.3 Expertenwissen ��������������������������������������������������������������������������������  49 5.4.4 Algorithmen��������������������������������������������������������������������������������������  50 5.4.5 Bauchgefühl��������������������������������������������������������������������������������������  52 5.4.6 Generelle Regel��������������������������������������������������������������������������������  53 5.4.7 Einmaligen Möglichkeiten?��������������������������������������������������������������  53 Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������  55 6 Ziele und Planung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  57 6.1 Ziele��������������������������������������������������������������������������������������������������������������  57 6.2 Zielermittlung ����������������������������������������������������������������������������������������������  59 6.3 Das Abfalleimer-Modell ������������������������������������������������������������������������������  61 6.4 Das Umfeld der Planung������������������������������������������������������������������������������  63 6.5 Planung ��������������������������������������������������������������������������������������������������������  64 6.6 Projektprognose und Projektrechnung����������������������������������������������������������  67 6.6.1 Bessere Instrumente, bessere Ergebnisse?����������������������������������������  67 6.6.2 Planung und Realität ������������������������������������������������������������������������  68 6.6.3 Die Blamage des Nobelpreisträgers��������������������������������������������������  68 6.6.4 Innen- und Außensicht����������������������������������������������������������������������  69 6.6.5 Mehr Informationen, höhere Gewissheit?����������������������������������������  69 Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������  71 7 Der Auftritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  73 7.1 Gründe des Auftritts��������������������������������������������������������������������������������������  73 7.2 Die Selbstverstärkung ����������������������������������������������������������������������������������  75 7.3 Gewohnheiten ����������������������������������������������������������������������������������������������  76 7.4 Der CO als Verkäufer������������������������������������������������������������������������������������  77 7.5 Halo-Effekt���������������������������������������������������������������������������������������������������  78 7.6 Sympathie ����������������������������������������������������������������������������������������������������  80 7.7 Beziehungspflege������������������������������������������������������������������������������������������  82 7.8 Überzeugung ������������������������������������������������������������������������������������������������  83 7.8.1 Überzeugungskraft von Aussagen����������������������������������������������������  83 7.8.2 Das negative Beispiel������������������������������������������������������������������������  84 7.8.3 Widerstehen der „magnetischen“ Mitte��������������������������������������������  85 7.8.4 Implikationen für die Compliance����������������������������������������������������  86 Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������  86 8 Der Chef. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  89 8.1 Grundwissen der Verantwortlichen ��������������������������������������������������������������  89

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8.2 Einstellung und Motive des Vorgesetzten ����������������������������������������������������  90 8.3 Willensstärke������������������������������������������������������������������������������������������������  92 8.3.1 Grundfalsche Entscheidungen����������������������������������������������������������  92 8.3.2 Auf und ab der Willenskraft��������������������������������������������������������������  93 8.3.3 Die einzelne Entscheidung����������������������������������������������������������������  94 8.3.4 Empfehlungen ����������������������������������������������������������������������������������  95 8.4 Unabhängige Compliance����������������������������������������������������������������������������  95 8.4.1 Die notwendigen Ressourcen������������������������������������������������������������  96 8.4.2 Fakten vs. Mutmaßungen������������������������������������������������������������������  96 8.4.3 Über die Bande spielen ��������������������������������������������������������������������  97 8.4.4 Die Schlüsselkompetenz ������������������������������������������������������������������  97 8.4.5 Compliancegegner Chef��������������������������������������������������������������������  98 Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������  98 9 Der innere Zirkel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  99 9.1 Mittendrin statt nur dabei������������������������������������������������������������������������������  99 9.2 Wissen voneinder������������������������������������������������������������������������������������������ 102 9.2.1 Lernt man sich kennen?�������������������������������������������������������������������� 102 9.2.2 Die Haut des Anderen ���������������������������������������������������������������������� 103 9.2.3 Ermittlung der anderen Sichtweise �������������������������������������������������� 104 9.2.4 Ermittlung der Sichtweise���������������������������������������������������������������� 105 9.3 Mitglieder des inneren Zirkels���������������������������������������������������������������������� 105 9.3.1 Relevanz von Gerüchten und Stimmungen�������������������������������������� 106 9.3.2 Informationsaustausch���������������������������������������������������������������������� 107 9.3.3 Andere Perspektiven ������������������������������������������������������������������������ 108 9.3.4 Offizielle Veranstaltungen���������������������������������������������������������������� 109 9.3.5 Inoffizielle Termine�������������������������������������������������������������������������� 110 9.4 Konzentrische Kreise������������������������������������������������������������������������������������ 111 9.5 Geben und Nehmen�������������������������������������������������������������������������������������� 113 9.6 Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft������������������������������������������������ 114 Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 115 10 Verbündete. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 10.1 Mögliche Verbündete���������������������������������������������������������������������������������� 117 10.2 Die einzelnen Verbündeten������������������������������������������������������������������������� 119 10.3 Gründe und Hindernisse der Bündnisbildung�������������������������������������������� 121 10.4 Das emotionale Bankkonto ������������������������������������������������������������������������ 122 Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 124 11 Das operative Management. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 11.1 Das Image des operativen Managements���������������������������������������������������� 125 11.2 Besonderheiten im Umgang������������������������������������������������������������������������ 126 11.3 Kontrollfunktion des operativen Managements������������������������������������������ 127

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11.3.1 Filtern, Erklären, Übersetzen���������������������������������������������������������� 129 11.3.2 Die Schuldfrage������������������������������������������������������������������������������ 130 11.3.3 Reaktionen auf Complianceaktivitäten ������������������������������������������ 130 11.3.4 Angst als Mittel zum Zweck ���������������������������������������������������������� 133 11.4 Ablehnung der Compliance������������������������������������������������������������������������ 133 Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 134 12 Die Ansprechpartner. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 12.1 Eingreifen der Mitarbeiter�������������������������������������������������������������������������� 136 12.2 Entscheidungskriterien�������������������������������������������������������������������������������� 139 12.3 Vorgesetzter vs. Compliance���������������������������������������������������������������������� 140 12.4 Autorität������������������������������������������������������������������������������������������������������ 140 12.5 Machtgefälle ���������������������������������������������������������������������������������������������� 142 12.6 Informelle Möglichkeiten der Informationsgewinnung������������������������������ 144 12.7 Verstehen und Verständnis�������������������������������������������������������������������������� 145 Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 145 13 Berufsanfänger. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 13.1 Zwischen Kumpel und Chef ���������������������������������������������������������������������� 147 13.1.1 Wissen über die Compliance�������������������������������������������������������� 148 13.1.2 Wissensvermittlung���������������������������������������������������������������������� 149 13.1.3 Beeinflussung�������������������������������������������������������������������������������� 150 13.1.4 Spezielle Form der Beeinflussung������������������������������������������������ 151 13.2 Einflussbereiche������������������������������������������������������������������������������������������ 152 13.2.1 Unternehmenseinsteiger���������������������������������������������������������������� 153 13.2.2 Trainees���������������������������������������������������������������������������������������� 154 13.2.3 Beeinflussung der Mehrheit���������������������������������������������������������� 154 13.3 Fürsorge der Compliance���������������������������������������������������������������������������� 155 Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 157 14 Die Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 14.1 Funktionsweise von Gruppen��������������������������������������������������������������������� 159 14.2 Gruppen innerhalb des Unternehmens�������������������������������������������������������� 164 14.3 Die Compliance als Gruppe������������������������������������������������������������������������ 166 Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 169 15 Prüfungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 15.1 Prüfungs- und Kontrollkonzepte ���������������������������������������������������������������� 171 15.1.1 Kontrollen ������������������������������������������������������������������������������������ 173 15.1.2 Prüfungen�������������������������������������������������������������������������������������� 174 15.1.3 Verhältnis zur Internen Revision�������������������������������������������������� 175 15.1.4 Controlling������������������������������������������������������������������������������������ 177 15.1.5 Organisation, strategische Planung ���������������������������������������������� 178 15.1.6 Whistleblower ������������������������������������������������������������������������������ 178

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15.1.7 Eigene Prüfungen der Compliance ���������������������������������������������� 178 Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 179 16 Schulungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 16.1 Das Ziel������������������������������������������������������������������������������������������������������ 181 16.2 Beeinflussung vs. Verfestigung ������������������������������������������������������������������ 183 16.3 Elektronische vs. Präsenzschulung ������������������������������������������������������������ 186 16.3.1 Elektronische Schulungen������������������������������������������������������������ 186 16.3.2 Präsenzschulungen������������������������������������������������������������������������ 187 16.3.3 Der Dozent������������������������������������������������������������������������������������ 188 16.4 Wissen�������������������������������������������������������������������������������������������������������� 189 16.5 Werte ���������������������������������������������������������������������������������������������������������� 189 16.6 Faustregeln�������������������������������������������������������������������������������������������������� 190 Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 191 17 Der Compliance-Verstoß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 17.1 Compliance als Schnellkochtopf���������������������������������������������������������������� 193 17.2 Das falsche Paradigma�������������������������������������������������������������������������������� 194 17.3 Überlegtes und spontanes Verhalten ���������������������������������������������������������� 194 17.4 Geld oder Liebe?���������������������������������������������������������������������������������������� 196 17.5 (Potenzielle) Täter erreichen���������������������������������������������������������������������� 198 17.6 Das Angebot der Compliance �������������������������������������������������������������������� 199 17.7 Zukünftige Verhinderung���������������������������������������������������������������������������� 199 17.8 Die Unbelehrbaren�������������������������������������������������������������������������������������� 200 Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 200 18 Nach der Aufdeckung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 18.1 Verantwortlichkeit und Ziele���������������������������������������������������������������������� 201 18.1.1 Zukünftige Vermeidung���������������������������������������������������������������� 202 18.1.2 Gerechtigkeit�������������������������������������������������������������������������������� 203 18.2 Der unternehmensinterne Gerichtshof�������������������������������������������������������� 204 18.2.1 Strafe �������������������������������������������������������������������������������������������� 205 18.2.2 Vertraulichkeit vs. Unternehmenspranger������������������������������������ 207 18.2.3 Schadensausgleich������������������������������������������������������������������������ 207 18.2.4 Die weitere Tätigkeit�������������������������������������������������������������������� 207 18.2.5 Bild in der Öffentlichkeit�������������������������������������������������������������� 208 18.3 Positiver Abschluss ������������������������������������������������������������������������������������ 208 Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 209 19 Konflikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 19.1 Ehrlichkeit�������������������������������������������������������������������������������������������������� 211 19.1.1 Grad der Ehrlichkeit���������������������������������������������������������������������� 212 19.1.2 Moralische Implikationen ������������������������������������������������������������ 213 19.1.3 Ehrlichkeit und Geld �������������������������������������������������������������������� 213

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Inhaltsverzeichnis

19.1.4 Direkter und indirekter Gelderhalt������������������������������������������������ 214 19.1.5 Kenntnis der Mechanismen���������������������������������������������������������� 215 19.2 Lösungsmöglichkeiten von Konflikten ������������������������������������������������������ 215 19.3 Macht���������������������������������������������������������������������������������������������������������� 219 19.3.1 Machtquellen�������������������������������������������������������������������������������� 220 19.3.2 Motive und Einflussfaktoren der Macht���������������������������������������� 221 19.3.3 Die Wirkung der Macht���������������������������������������������������������������� 222 19.3.4 Die Klärung der Machtfrage �������������������������������������������������������� 223 19.3.5 Macht und Moral�������������������������������������������������������������������������� 226 Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 227 20 Prüfer und Berater. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 20.1 Agilität�������������������������������������������������������������������������������������������������������� 230 20.2 Die Deutungshoheit������������������������������������������������������������������������������������ 231 20.3 Angebot und Nachfrage������������������������������������������������������������������������������ 231 20.4 Prüfungen der Compliance ������������������������������������������������������������������������ 232 20.5 Prüfungsablauf�������������������������������������������������������������������������������������������� 234 20.6 Einkauf von Leistungen������������������������������������������������������������������������������ 236 20.7 Weitere Entwicklung���������������������������������������������������������������������������������� 237 Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 237 21 Die eigene Karriere. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 21.1 Bewertung der eigenen Situation���������������������������������������������������������������� 239 21.2 Zielerreichung �������������������������������������������������������������������������������������������� 242 21.3 Fortune müssen sie haben, die Compliance-Officer ���������������������������������� 243 21.3.1 Aspekte des Glücks���������������������������������������������������������������������� 243 21.3.2 Bedeutung des Glücks������������������������������������������������������������������ 243 21.3.3 Handlungsempfehlungen�������������������������������������������������������������� 244 21.3.4 Glück des CO�������������������������������������������������������������������������������� 245 21.4 Mit Fehlschlägen umgehen ������������������������������������������������������������������������ 246 Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 247 22 Veränderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 22.1 Der GAU ���������������������������������������������������������������������������������������������������� 249 22.2 Chance vs. Risiko���������������������������������������������������������������������������������������� 251 22.3 Verantwortlichkeit�������������������������������������������������������������������������������������� 252 22.4 Aufbereitung des Einzelfalls���������������������������������������������������������������������� 253 22.5 Verhaltensgründe���������������������������������������������������������������������������������������� 255 Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 257 23 Nachwort. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 260

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Einleitung

Der Titel „Wirkungsvolle Compliance“ impliziert einen Vorwurf und ein Versprechen. Der Vorwurf liegt in der Relevanz und Berechtigung dieses Buches, das zur Verbesserung der Compliance-Wirksamkeit beitragen will, begründet. Wäre bereits ein hoher, vielleicht optimaler, Wirkungsgrad erzielt, würde die Lektüre kaum zu weiteren Verbesserungen beitragen. Das alles grundsätzlich besser gemacht werden kann, ist eine ebenso richtige, wie triviale Aussage. Mögliche, individuelle Verbesserungen, das Verändern einzelner Stellgrößen ist in einem dynamischen Unternehmen immer notwendig. Dabei begründen sich Vorwurf und Versprechen nicht in einer bisher wirkungslosen Compliance. Compliance hat in der vergleichsweise kurzen Zeit der Etablierung viel erreicht, einst Selbstverständliches infrage gestellt, neue Sicht-, Denk- und Verhaltensweisen vermittelt, ein anderes Rechtsbewusstsein geschaffen und letztlich Fehlverhalten aufgedeckt und sanktioniert. Wenn auch Analogien zu Naturwissenschaften vorsichtig zu ziehen sind, erläutert ein Bezug zur technischen Größe „Wirkungsgrad“ die Zielrichtung des Buches. Der Wirkungsgrad einer technischen Einrichtung oder Anlage ist eine dimensionslose Größe, die das Verhältnis der Nutzenergie Eab zur zugefügten Energie EZU beschreibt. Bezeichnet wird der Wirkungsgrad mit dem griechischen Buchstaben ŋ (eta):



Nutzenergie = h. zugef ührte Energie

Dabei wird der „Wirkungsgrad“ bewusst weit gefasst und erstreckt sich über alle Aspekte der Compliance. Von der Entwicklung in der Gesellschaft bis zum compliancerelevanten Einzelfall im Unternehmen. Die Zeiten, in denen der Compliance mehr und mehr Ressourcen zur Verfügung gestellt wurden sind vorüber. Vielmehr gilt es nun einen wirkungsvolleren Einsatz der ­vorhandenen

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Schneider, Werkzeuge wirkungsvoller Compliance, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61792-2_1

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Ressourcen zu gewährleisten. Um im Bild zu bleiben: Nicht die zugeführte Energie, sondern die Nutzenergie ist die Zielgröße. Das Wirkungsversprechen erschließt sich aus der Physik, weshalb eine letzte Analogie gezogen wird: Unterschiedliche technische Geräte verfügen über grundsätzlich andere Wirkungsgrade. So liegt der Wirkungsgrad einer Glühbirne bei maximal 5 %, während LED-Leuchten bis zu 25 % der Energie in Licht verwandeln. Bei allen technischen Fortschritten der Glühlampenentwicklung in den letzten 100 Jahren können diese nicht annähernd an den Wirkungsgrad von LED-Leuchten heranreichen. Um im Bild zu bleiben: auch hier gilt es nicht die Glühbirne zu verbessern, sondern LED-Leuchten einzuführen. Entsprechend wählt dieses Buch eine unkonventionelle Herangehensweise, die sich maßgeblich von den gängigen Einführungen in die Compliance unterscheidet. Dabei werden die Anleihen bei Geschichte und Soziologie, Philosophie und Psychologie immer auf ihren praktischen Nutzen im Alltag der Compliance geprüft. Bei der Beurteilung von Verbesserungsvorschlägen und der Umsetzung vorgeschlagener Maßnahmen machen es sich Compliance-Officer oft unnötig schwer. Dieses Verhalten ist in der Ausbildung begründet, welche insbesondere von Juristen eine abwägende, alle relevanten Punkte einbeziehende Urteilsfindung erwartet. Weiterhin lesen sich viele Veröffentlichungen zur Compliance so, als ob Außenstehenden erklärt wird, warum die Compliance im Allgemeinen und der Compliance-Officer im Einzelnen honorige Veranstaltung bzw. Menschen sind. Ja, ein wenig Mehrarbeit fällt an, aber wehgetan, „auf den Schlips getreten“ muss sich keiner fühlen. Wie grundsätzlich unterscheiden sich etwa Veröffentlichungen zum Marketing hiervon. Tricks und Kniffe werden vermittelt, die Zielgruppe der Veröffentlichungen ist klar: Nicht die Kunden, sondern die Verkäufer. Deshalb erfolgt bereits an dieser Stelle die Aufforderung schlicht loszulaufen, kritisch aber wohlwollend die folgenden Vorschläge zu prüfen, auszuprobieren und gegebenenfalls anzupassen  – schließlich wurde dieses Buch von einem Compliance-Officer für Com­ pliance-Officer geschrieben. Der neue Mensch ist eine fehlgeschlagene Utopie des Sozialismus, der „neue Compliance-­Officer“ wäre ein vergleichbar unrealistischer Ansatz. Dennoch wird hier bezüglich der Anpassungs- und Veränderungsfähigkeit von Menschen eine optimistische Herangehensweise zugrunde gelegt. Das englische Sprichwort „You can’t teach an old dog new tricks“ nimmt eine pessimistische Perspektive hinsichtlich der Veränderungsfähigkeit ein. Diese Sichtweise wird hier nicht geteilt. Kein seriöser Compliance-Officer soll zum zweifelhaften Gebrauchtwagenhändler mutieren, allerdings können selbst hier Analogien gefunden und Verhaltensweisen übernommen werden. Der Leser kann und soll sich nicht grundlegend ändern. Nicht alles was bisher getan wurde ist wirkungslos – Compliance ist kein zahnloser Tiger. Allerdings wird eine veränderte Perspektive zu einer veränderten Wahrnehmung, letztlich zu einem veränderten Verhalten beitragen. Diese Perspektive zu entwickeln ist der Anspruch des vorliegenden Buches. Ob die Perspektive nachvollzogen und bejaht wird, ob sich daraus Veränderungen ergeben, welche die Compliance wirkungsvoller machen, darüber entscheidet der Leser.

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Da das vorliegende Buch auf bereits bekannten Veröffentlichungen aufbaut, liegt der Schwerpunkt bei den Mitteln, nicht dem Zweck; dem „Wie“, nicht dem „Was“. Dabei werden einerseits die Verhaltenswissenschaften stärker berücksichtigt, andererseits ein veränderter Stil gewählt, der sich an angelsächsischen Veröffentlichungen orientiert, welche Stringenz und Überzeugungskraft der Argumentation einen höheren Stellenwert als der ausschöpfenden Behandlung aller, möglicherweise relevanten Aspekte eines Betrachtungsobjektes einräumen. Damit soll nicht einer Unwissenschaftlichkeit das Wort geredet werden, als vielmehr eine Bezugnahme auf den Kritischen Rationalismus erfolgen, welcher vom österreichisch-­ britischen Philosophen Karl Popper begründet wurde. Der Kritische Rationalismus bietet keine „ewigen“ Wahrheiten an. Theorien gelten, solange sie nicht widerlegt werden. Damit ist die Suche nach Fehlern wesentliche Grundlage des Erkenntnisfortschritts. Hieran schließt sich die Fehlerbeseitigung und die Verbesserung der bisherigen Erkenntnisse an. Entsprechend wird in diesem Buch kein theoretisch geschlossenes Konzept angeboten, als vielmehr eine Erweiterung der bisherigen Feststellungen, insbesondere um empirisch nachweisbare Verhaltensweisen und deren Umsetzung durch die Compliance. Aus der Sicht des Kritischen Rationalismus ist Wissenschaft ein großes Abenteuer und eine spannende Entdeckungsreise (vgl. Popper 2003, S. 281 ff.). Die Einnahme einer solchen Perspektive befruchtet die Compliance. Im weiteren Buch werden Handlungsmöglichkeiten im beruflichen Alltag, auch Tricks und Kniffe angesprochen. In Bezug auf mögliche Tricks und Kniffe verhalten sich viele Menschen schizophren. Diese selbst einzusetzen erscheint durchaus erlaubt, werden diese dagegen von Dritten genutzt, erfolgt rasch eine negative Wahrnehmung, welche sich auf die ursprüngliche Wortherkunft bezieht. Steht „trick“ im Englischen schlicht für Kunststück, wird das französische „trique“ mit Betrug oder Kniff übersetzt. Die ab Kap.  5 vorgestellten Instrumente sind im beruflichen Alltag hilfreich, wenn Compliance ihre volle Wirkung entfalten soll sogar notwendig. Tricks und Kniffe werden hier als Mittel verstanden, mit deren Hilfe die formalen Möglichkeiten der Compliance erweitert werden, um auf diese Weise ein Ziel zu erreichen. Damit sind noch keine Grenzen gezogen, wie weit die Compliance bei deren Einsatz gehen kann. Hierzu wird das Ethikverständnis herangezogen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie damit umgegangen wird, wenn das Gegenüber zu vergleichbaren Instrumenten greift. Damit ergibt sich ein unmittelbarer Bezug zum in Kap. 3 angeführten Regelutilitarismus, weshalb der Compliance-Officer (CO) den Einsatz entsprechender Mittel auf der Gegenseite tolerieren sollte. Grenzen sind sicherlich dort erreicht, wo die Unwahrheit vermittelt wird. Wo diese beginnt und wo noch eine gewisse „Schönung“ der Realität erfolgt, entscheidet der Einzelne, wobei eine kritische Auseinandersetzung mit den Kollegen nicht schadet. Ein zusätzlicher Aspekt liegt darin, entsprechende Verhaltensweisen anderer aufzudecken, nachzuvollziehen und auf ihre eigentliche Intention zurückzuführen. Compliance ist keine konfliktfreie Veranstaltung, kann es auch nicht sein. Dann ist es hilfreich nicht nur die eigenen Möglichkeiten abzuwägen, sondern auch die des Gegenübers zu durchschauen

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1 Einleitung

und wenn erforderlich unwirksam zu machen. Die Gefahr der „Silokarriere“ in der Compliance besteht darin, dass der CO viele Tricks nicht kennt, die bspw. einem Außendienstler geläufig sind. Die Idee seine eigene Tätigkeit zu „verkaufen“ lehnen nicht wenige CO innerlich ab, verbinden sie rasch mit einem Gebrauchtwagenhändler. Dabei war jeder, auch jeder CO, einmal ein hartnäckiger Verkäufer, wurde doch in der Kindheit und der Jugend kein „Nein“ der Eltern klaglos hingenommen, sondern vielmehr die eigene Überzeugung hartnäckig vertreten. Bei den Tricks und Kniffen liegt einer der Schwerpunkte des vorliegenden Buches. Nicht aus Lust an der Beeinflussung, ja Manipulation, sondern um die Compliance wirkungsvoller zu gestalten, aber auch weil diese bisher wenig im Fokus der Betroffenen standen. Nicht der Zweck, sondern die Mittel der Compliance sind Schwerpunkt des vorliegenden Buches. Eine Analogie zum Sport ermöglicht die Einordnung: Bei einem Trick des Gegenspielers kann man Bewunderung zeigen und dann alles daran setzen diesen selbst zu erlernen, oder an seinem alten Muster festhalten. Bei letzterem springt man bildlich gesprochen allerdings nur so weit, wie ein Skispringer, der am Parallel-Stil festhält anstatt auf den V-Stil umzustellen. Schön kann man auch mit dem erstgenannten Stil springen, so weit wie die Letztgenannten es allerdings nicht mehr schaffen. Eine wirkungsvolle Compliance erfordert Wissen und Mut. Das Eine ist ohne das Andere wie eine Schere mit nur einer Klinge, beide sind unerlässlich. Zu ersterem kann dieses Buch einen Beitrag leisten, letzteres kann nur der Leser persönlich leisten. Deshalb schließt dieses erste Kapitel mit der Aufforderung von Immanuel Kant: „Sapere aude! – Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“ (Gigerenzer 2004, S. 330).

Literatur Gigerenzer G (2004) Das Einmaleins der Skepsis. Piper, Berlin Popper K (2003) Die offene Gesellschaft und ihre Feinde. Mohr, Tübingen

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Der Hintergrund der Compliance

Zusammenfassung

In der Einleitung wurde die Praxisorientiertheit betont, dieses Kapitel fasst die Grundlagen unseres Wirtschaftssystems zusammen und führt so in den Hintergrund der Compliance ein. Was scheinbar ein Widerspruch ist, stellt sich als Hintergrund der Compliance dar.

Um es mit dem US Senator Webster zu sagen, welcher bereits 1830 feststellte: „Wenn wir zuerst wissen könnten, wo wir stehen und wohin wir gehen, könnten wir auch besser einschätzen, was zu tun ist und wie es zu tun ist.“ (Nagler 2009, S. 190). Die folgenden Überlegungen kann und soll kein Compliance-Officer (CO) ständig anstellen, ein gelegentliches Erwägen ist aber notwendig, um zu gewährleisten, dass man den richtigen Beruf an der richtigen Stelle ausübt. Ob das Wirtschaftssystem seines Landes das richtige ist, ist eine Frage, die kaum einen CO umtreibt. Grundsätzliche Kritiker des marktwirtschaftlichen Systems sind die wenigsten Betriebswirte oder Juristen und finden sich kaum in privatwirtschaftlichen Unternehmen. Dennoch lohnt ein kurzes Innehalten. Kein Mensch muss die Wirtschaftsform seines Landes für richtig halten, fast jeder wünscht sich ein wenig mehr oder weniger Marktwirtschaft, mehr Freiheit oder Grenzen, mehr Eigenverantwortlichkeit oder Umverteilung. „Compliance“ im wortwörtlichen Sinne des Befolgens kann nur der glaubhaft vertreten, der die entsprechende Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung für richtig erachtet, auch wenn niemals alle Vorgaben als optimal erachtet werden. Wer hiervon nicht überzeugt ist, kann sein Berufsleben in der Compliance als schlechter Schauspieler wahrnehmen, die im weiteren Buch dargestellten Schritte jedoch nicht gehen, allein deshalb weil der Wille, die Zustimmung, die Freude, ja die Begeisterung für die Aufgabe nicht © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Schneider, Werkzeuge wirkungsvoller Compliance, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61792-2_2

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2  Der Hintergrund der Compliance

­ orhanden ist. Der angesprochene Schauspieler wird von den Ansprechpartnern rasch entv larvt, seine Verhaltensweise durchschaut. Wie jedoch sieht unsere Gesellschaft, unsere Wirtschaft, unser Verständnis von „Compliance“ aus? Können Aussagen getroffen werden ohne bereits Wertungen vorzunehmen und Urteile auszusprechen? Im Folgenden wird ein Versuch unternommen. Ein knapper historischer Abriss skizziert die Ausgangslage. Betrachtet man die Wirtschaftsgeschichte, fällt auf, dass Phasen des freien Wettbewerbs relativ kurz waren. Die Zünfte des Mittelalters sorgen auf vielfältige Weise dafür, dass ihre Mitglieder ein Auskommen hatten, wobei die Beschränkung der Anzahl der jeweiligen Berufsvertreter das wirkungsvollste Instrument darstellte. Mit der Industriellen Revolution schienen die Einschränkungen zu fallen, die Gewerbefreiheit wurde 1810  in Preußen, 1859 in Österreich Realität, dabei existieren zahlreiche Einschränkungen bis heute. Mit dem Erfolg der Industriellen Revolution ging der Siegeszug des Freihandels einher. Die führende Wirtschaftsmacht Großbritannien baute seine Zollschranken und weitere Handelshemmnisse ab, 1817 entwickelt David Ricardo die Theorie der komparativen Kostenvorteile, womit nachgewiesen wurde, dass ein Austausch für zwei Volkswirtschaften auch dann vorteilhaft ist, auch wenn eine einzelne bei allen Gütern Kostennachteile aufweist. Mit der Aufhebung des Navigation Acts 1849 und der britischen Einfuhrzölle auf Getreide 1846 schien der freie Wettbewerb seinen Siegeszug anzutreten. Die deutschen Staaten folgten der Entwicklung, welche mit dem Börsenkrach von 1873 allerdings ihr Ende fand. Nach dem Ersten Weltkrieg verstärkte sich der Protektionismus, worunter die österreichische Wirtschaft vor allem aufgrund der neuen Grenzen des vorher einheitlichen Wirtschaftsraumes des österreichisch-ungarischen Kaiserreiches zu leiden hatte. Nach der Weltwirtschaftskrise und dem Zweiten Weltkrieg gewannen die Befürworter des Freihandels erneut die Überhand. Innerhalb der EU setzte sich der Freihandel durch, Güter, Kapital und Menschen können sich frei bewegen. Wohin das Pendel aktuell ausschlägt lässt sich kaum prognostizieren, der Brexit und die Handlungen des amerikanischen Präsidenten geben allerdings wenig Anlass zum Glauben an eine weitere Vertiefung des Freihandels. Wie die Staaten im Allgemeinen gelangten auch die Unternehmen im Speziellen rasch zu der Ansicht, dass der Wettbewerb nicht die optimale Wirtschaftsform sei, vor allem wenn aufgrund der Größe und der, vergleichsweise geringen, Anzahl der Wettbewerber die Möglichkeit der Marktaufteilung besteht. Hier können die Vereinigten Staaten als Beispiel herangezogen werden, da die notwendigen Vorrausetzungen für Absprachen Mitte des 19. Jahrhunderts relativ früh bestanden. Eisenbahngesellschaften und Montanunternehmen teilten Märkte unter sich auf und hielten Preise künstlich hoch, John Rockefeller schuf mit der Standard Oil ein Monopol für Mineralöl. Der Gesetzgeber reagiert mit dem Sherman Antitrust Act von 1890, der ersten Rechtsquelle für das US-amerikanische Wettbewerbsrecht, wobei die konsequente Anwendung und Verschärfung erst während der Präsidentschaft von Franklin D. Roosevelt in den 1930er-Jahren erfolgte. In Deutschland ergab sich eine vergleichbare Entwicklung. Das Kohlesyndikat wurde 1893 gegründet, die Vorgängervereinigung der IG Farben 1904. Die Entwicklung ver-

2  Der Hintergrund der Compliance

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stärkte sich in den 1920er-Jahren, manifestiert durch die Gründung der Vereinigten Stahlwerke. Diese Zusammenschlüsse bleiben bis 1945 aktiv, der Staat engagierte sich kaum in der Bekämpfung bzw. Zerschlagung dieser Organisationen. In Österreich waren vergleichbare Entwicklungen aufgrund des Rückstandes der Wirtschaftsentwicklung bis zum 1. Weltkrieg weniger zu verzeichnen. Eine der Kernaussagen der Anhänger des freien Wettbewerbs ist, dass dieser der maximalen Anzahl von Menschen den maximalen Wohlstand beschert. Wenn auch bereits Adam Smith diese Sichtweise 1776 im Wohlstand der Nationen ausführte, befanden sich die Anhänger von Marktwirtschaft und Freihandel in Deutschland und Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg in der Minderheit. Insbesondere die schlagkräftig organisierten Arbeiter der Montanindustrie favorisierten die Verstaatlichung ihrer Unternehmen. Ihren bedeutendsten Erfolg hatten sie mit der jahrzehntelangen Subventionierung der Kohleförderung in Deutschland und der Verstaatlichung der VÖEST 1946 in Österreich. In zahlreichen Wirtschaftsbereichen wie der Post, dem Fernmeldewesen oder Personen- und Güterverkehr bestanden staatliche Monopole, welche mittlerweile weitgehend abgebaut wurden. Die beeindruckenden Produktivitätszuwächse haben die meisten Menschen vom Vorteil des freien Wettbewerbes überzeugt, solange sie davon nicht selbst betroffen sind, wie die Diskussion um die Zulassung zu bestimmten Berufen belegt. Ältere Leser erinnern sich noch an die Zeiten, in den ein Telefonanschluss beantragt wurde und die Auswahl des entsprechenden Telefons denkbar einfach war: Es gab nur eins. Mit dem Aufkommen des Mobilfunks und der privaten Anbieter, der Versteigerung der Lizenzen und der stürmischen Entwicklung der entsprechenden Telefone war eine sichtbare Verbesserung für die Kunden offensichtlich. Nicht jedoch zwangläufig für die Hersteller der Produkte, wie Aufstieg und Fall des ehemaligen Weltmarktführers Nokia belegte. Hierbei handelt es sich in fast idealtypsicher Weise um eine Fallstudie des Konzeptes der „schöpferische Zerstörung“, welches Joseph Schumpeter einführte (Schumpeter 1912, S. 157). Unternehmen versuchen auf vielfältige Weise dieser Zerstörung zu entgehen, wobei zwei Möglichkeiten bestehen. In stabilen Märkten fand häufig eine Konsolidierung der Anbieter statt. Die geringe Anzahl ermöglicht Absprachen, meist zulasten der Abnehmer. Hier sprechen die Kartellverfahren eine eindeutige Sprache. In dynamischen Märkten, insbesondere im Umfeld des Internets versuchen Unternehmen eine marktbeherrschende Stellung zu erreichen, um aus der Position der Stärke heraus Preise und Vertragsbedingungen durchzusetzen. Die Auseinandersetzungen der Wettbewerbskommission der EU mit Unternehmen wie Microsoft oder Google zeichnen ein eindeutiges Bild. Selbstverständlich streben Unternehmen möglichst hohe, vor allem stabile, Erlöse an. Nur diese ermöglichen einen dauerhaften Fortbestand und sichere Arbeitsplätze, auch für den einzelnen CO. Dies gilt nicht nur für die angesprochenen, weltweit agierenden Konzerne. In der Realität bemühen sich Unternehmen ständig darum den Wettbewerb mit der Konkurrenz abzuschwächen, wenn nicht sogar auszuschalten. Möglichkeiten, Umsätze und Gewinne zu verstetigen und gut zu verteidigende Marktpositionen zu besetzen warden gesucht. So verteidigen die Automobilhersteller die lukrative Möglichkeit exklusiv Ersatz-

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2  Der Hintergrund der Compliance

teile zu vertreiben, Druckerhersteller verteidigen den Vertrieb von Tintenpatronen, die Hersteller von Kaffeekapseln versuchen zu vermeiden, dass Konkurrenten ihre Produkte imitieren. Vor diesem Hintergrund entsteht ein systematischer Konflikt zwischen Unternehmenszielen und rechtlichen Vorgaben bzw. der Compliance, der Einhaltung, dieser Vorgaben. Damit ist auch die Zusammenarbeit zwischen der Compliance und ihren unternehmensinternen Partnern grundsätzlich konfliktträchtig. Kommt es nicht zu entsprechenden Konflikten handelt eine Seite nicht optimal im Sinne ihrer Zielerreichung. Deshalb gilt es für die Compliance hellhörig zu werden, wenn dieser Konflikt in ihrem Unternehmen scheinbar nicht existiert. Ein Unternehmen, das die Compliance verabsolutiert, kann mit einer Fußballmannschaft verglichen werden, die niemals gelbe oder rote Karten erhält, aber auch keine Tore erzielt. Compliance alleine garantiert keinen Markterfolg (Kenneke et al. 2014, S. 250). Ein Compliance, welche sich auf die „reine Lehre“ zurückzieht, mag Richtlinien erstellen und Schulungen durchführen, Akzeptanz bei den Ansprechpartnern im Unternehmen wird nicht mehr erzielt, Parallelwelten entstehen in denen die Mitarbeiter Vorgaben schlicht ignorieren. Das Beispiel VW und sein „Dieselgate“ kann hier herangezogen werden. Mittlerweile ist sichtbar, wie groß die Gruppe der beteiligten Mitarbeiter war und wie lange diese bestand. Viele im Unternehmen werden davon gewusst haben, die Compliance offensichtlich nicht. Oft ist der Druck Ergebnisse zu generieren in der Realität größer, als sich an Compliancevorgaben zu halten. Damit besteht die Situation, dass die Suche, Besetzung und Verteidigung der Position im Wettbewerb durch die Compliance ständig infrage gestellt wird. Um das Überleben des Unternehmens und damit den eigenen Arbeitsplatz zu sichern, setzt sich tendenziell die erstgenannte Position durch. Welche Möglichkeit hat die Compliance unter diesen Voraussetzungen Entwicklungen zu gestalten anstatt der Realität hinterher zu laufen? • Der aufgezeigte Widerspruch ist in der Marktwirtschaft systemimmanent. Der Versuch diesen grundsätzlich aufzulösen, ist zum Scheitern verurteilt. • Die Compliance muss das Geschäftsmodell verstehen, dass tatsächliche, nicht das, welches nach außen kommuniziert wird. Eine Frage ist entscheidend: wo wird das Geld verdient? Wo soll zukünftig das Geld verdient werden? Was ist die „Cash Cow“ im Portfolio und warum? • So entwickelt sich ein offener Dialog, nicht ein weltfremdes „Predigen“ scheinbar alternativlosen Verhaltens, verbunden mit der Androhung vom Strafen bei Nichteinhaltung der Vorgaben. • Darauf aufbauend wird mit den Ansprechpartnern diskutiert, wie die Marktstellung im Wettbewerb verteidigt oder ausgebaut werden kann. • Wenn die Partner der operativen Einheiten feststellen, dass sich die Compliance um praktikable Lösungen bemüht, entwickelt sich ein offener Dialog. Lösungen werden gemeinsam entwickelt und umgesetzt. Blinde Flecken, wie sie bei jahrelangen Kartellabsprachen (Stahl, Schienen, Zucker etc.) die Regel waren, gehören der Vergangenheit

Literatur

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an. Dafür zahlt die Compliance allerdings eine Preis: raus aus dem Elfenbeinturm, runter vom hohen Ross, hinein in das Unternehmen. • Auch die Unternehmensleitung muss sich im beschriebenen Spannungsfeld stellen. Der bisherige Widerspruch zwischen plakativen Sonntagsreden zur Compliance und der Ignoranz von grenzwertigen Maßnahmen zur Verteidigung der Marktsituation sollte der Vergangenheit angehören. Ein knappes Beispiel illustriert, worin sich der Übergang vom Allgemeinen zum Speziellen, von der Wirtschaft zum Unternehmen zeigt. Das Wirtschaftsmagazin Capital enthält in der Ausgabe 09/2016 einen Artikel mit der bezeichnenden Überschrift „Monopoly“. Bei Werbebriefen wurde die Deutsche Post von der Bundesnetzagentur abgemahnt, da sie ihre „marktbeherrschende Stellung im Bereich der Briefdienstleistungen missbräuchlich ausnutzt und damit Wettbewerber behindert“. Der Bundesverband Briefdienste fordert, dass die Compliance-Abteilung der Post den Konzern wieder auf „den rechtlich einwandfreien Weg“ bringen möge (Brambusch 2016, S. 77–81). Entsprechend ist der Vorwurf an die Compliance, dass sie nur feststellt, was nicht zu tun ist, anstatt Aussagen darüber zu treffen, was getan werden kann, so richtig wie trivial. Angesichts der Tatsache, dass die meisten Unternehmen irgendwann insolvent gehen sind allerdings Ratschläge, wie diese Entwicklung vermieden wird durchaus wertvoll für die Beteiligten (Taleb 2010, S. 45). Dass sich dieser „rechtlich einwandfreie Weg“ aus Sicht der Deutschen Post und ihrer Wettbewerber durchaus anders darstellt, ist anzunehmen. Dennoch gilt es für die Compliance eine Lösung, genauer die „richtige“ Lösung zu finden, welche die Unternehmensinteresse, unter Einhaltung der Gesetzte, soweit wie möglich schützt. Fertige Antworten kann das vorliegende Buch nicht geben, wohl aber Instrumente vorstellen, welche nicht allein dazu beitragen die „richtige“ Lösung zu finden, sondern auch diese überzeugend darzulegen und letztlich durchzusetzen. Es sei deshalb nochmals an den in Kap. 1 erwähnten kritischen Rationalismus erinnert. Die Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung ist eine Vorgabe für die Compliance. Sicherlich erfolgen Veränderungen, sicherlich kann und soll sich der CO als Staatsbürger in diese einmischen, die Vergangenheit lehrt allerdings, dass entsprechende Veränderungen in langen Zeiträumen oder historischen Brüchen erfolgten, welche sich in den DACH Staaten aktuell nicht abzeichnen. Damit verbleiben dem CO zwei Möglichkeiten: die Wirtschaftsform und das Verhalten des Unternehmens im vorgegebenen Rahmen zu akzeptieren oder eben nicht. Es gibt viele herausfordernde Tätigkeiten, außerhalb der Privatwirtschaft, auch zunehmend für CO. Wer sich jedoch im skizzierten Spannungsfeld den Complianceaufgaben stellt, wird aus dem Folgenden Impulse für seine Tätigkeit gewinnen.

Literatur Brambusch J (2016) Monopol. Capital (09/2016):77–81

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Kenneke S et  al (2014) Organisationspsychologische Aspekte der Compliance. In: Schettgen-­ Sarcher W et al (Hrsg) Compliance officer. Springer Gabler, Wiesbaden Nagler J (2009) Abraham Lincoln. Beck, München Schumpeter J (1912) Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung. Dunker & Humblot, Berlin Taleb N (2010) Der Schwarze Schwan, Konsequenzen aus der Krise. Knaus, München

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Das Unternehmen

Zusammenfassung

Das Unternehmen, dessen Verhältnis zur Gesellschaft, das Verständnis von Legalität und Legitimität, letztlich die Unternehmenskultur bestehen lange vor der Einrichtung einer Compliance-Organisation. Sicherlich wird der CO diese Sachverhalte beeinflussen, muss sich jedoch erst einmal der bestehenden Realität stellen und letztlich die Frage beantworten, ob das Unternehmen das richtige ist und er sein Verständnis von Compliance umsetzen kann. Auf dieser Basis werden Möglichkeiten und Grenzen der Tätigkeit abgesteckt. Ob und wie sich die Anregungen der folgenden Kapitel umsetzen lassen, wo Unterstützung erwartet werden kann und wo Widerstände die Umsetzung verlangsamen, komplizieren, vielleicht unmöglich machen entscheidet sich hier.

3.1

Bindung, Identifikation, Selbstkontrolle

Ich habe nicht den Verein gefunden, der Verein hat mich gefunden ist ein Credo zahlreicher Fußball Fans. Eine vergleichbare Bindung zum Unternehmen war insbesondere in der Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs nach dem Zweiten Weltkrieg nicht unüblich. Eine Generation nach der nächsten arbeitet für das gleiche Unternehmen. Beidseitige Loyalität, das stillschweigende Übereinkommen, die Sicherheit des Arbeitsplatzes gegen die Treue zum Arbeitgeber zu tauschen waren die Grundlage der Zusammenarbeit. Nicht wenige Verwaltungsmitarbeiter bezeichneten sich als „Beamte“, die „… ianer“ trugen diese Bezeichnung stolz vor sich her. Diese Zeiten sind Vergangenheit, wobei das Pendel nach den Betonung der „Ich AG“ wieder in Richtung beidseitiger Loyalität zurückschlägt. Kein CO muss mit seinem Unternehmen „verheiratet“ sein. Dennoch sollte ein Arbeitgeber gefunden werden, mit dem eine Identifikation möglich ist. Nur dann kann sich Freude an der Arbeit, Begeisterung und Stolz entwickeln. Identifikation mit dem Unter© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Schneider, Werkzeuge wirkungsvoller Compliance, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61792-2_3

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3  Das Unternehmen

nehmen mag keine zwingenden Voraussetzungen einer Tätigkeit sein und auch die kuhsoziologische These, dass glückliche Kühe mehr Milch geben, ist empirisch nicht belegt. Wenn aber der CO nicht im Großen davon überzeugt ist, dass sein Unternehmen grundsätzlich richtig handelt, wird er im Kleinen daran scheitern die Mitarbeiter zu richtigem Handeln anzuhalten, sie davon zu überzeugen. Nicht zuletzt deshalb ist die im Folgenden dargestellt Selbstprüfung für einen CO von größerem Belang, als für die Mehrzahl der Mitarbeiter. Die Alternative eines schizophrenen Berufsalltags erscheint wenig verlockend. Hier kann eine Analogie zum Straßenverkehr gezogen werden. Die Stärke des Autos ist für das Vorankommen wichtig, noch entscheidender sind allerdings die Straßenverhältnisse. Geht es auf trockener Straße rasch vorwärts, nimmt die Geschwindigkeit bei Regen ab, um sich im Schneegestöber weiter zu reduzieren. Bei Glatteis herrscht dann Stillstand, wer dennoch den Start wagt endet mit seiner Fahrt meistens schnell. Um wirksam zu sein benötigt die Compliance festen Untergrund, nicht immer, aber auf Dauer. Damit kommt der Entwicklung der Wetterverhältnisse eine ebenso bedeutende Rolle wie dem aktuellen Zustand zu. Trocknet eine Straße im Sonnenschein, wird die rasche Weiterfahrt nicht zum Problem, während Temperaturen die sich dem Gefrierpunkt näher bei heftigem Niederschlag eine planmäßige Ankunft unwahrscheinlich werden lassen. Letztlich handelt es sich bei Grad der Identifikation um eine persönliche Frage. Ein Mensch benötigt die Identifikation mit dem Unternehmen um seine Arbeit wirkungsvoll, aber auch gerne, zu gestalten, ein anderer erbringt die gleiche Leistung bei der Wahrnehmung eines „Jobs“, der ihm schlicht seinen Lebensstandard sichert. Friedrich August von Hayek meinte, einen schlechten Ökonomen würde man daran erkennen, dass er nur Ökonom sei (Taghizadegan 2016, S. 37). Vielleicht erkennt man einen schlechten CO daran, dass er nur CO ist. Ein Unternehmen findet und beschreibt seine Rolle in der Gesellschaft nicht primär vor dem Blick auf die Compliance, der Schwanz wedelt nicht mit dem Hund. Eine Einordnung ermöglichen die Ausführungen von Ferdinand Tönnies, dessen „Gesellschaft und Gemeinschaft“ 1887 als erstes deutschsprachiges Werk erschien, welches sich als soziologisch bezeichnet (vgl. Tönnies 2010). Tönnies unterscheidet zwischen zwei Arten kollektiver Gruppierungen auf Basis der gegenseitigen „Bejahung“ der sozial Handelnden: die „Gemeinschaft“ einerseits, die „Gesellschaft“ andererseits. Diese Unterscheidung basiert auf seiner Prämisse, dass es für den Einzelnen nur zwei Grundformen bewusster Bejahung der Anderen geben kann. Diese „Bejahung“ ist für Tönnies der Erkenntnisgegenstand der Soziologie. Definition Analytisch kann der Wille zur Bejahung in zwei Formen erscheinen, als gemeinschaftlicher „Wesenwille“ oder als gesellschaftlich orientierter „Kürwille“. Fühlt sich der Einzelne als Teil eines größeren sozialen Ganzen, orientiert er sein Handeln an dessen übergeordneten Zweck. Denken und handeln alle so, ist er einem Kollektiv als einer „Gemeinschaft“ zugehörig. Die Form des Willens, welche die Gemeinschaft ­bejaht, heißt bei Tönnies „Wesenwille“. Beispiele wären die kommunale Gemeinschaft,

3.1 Bindung, Identifikation, Selbstkontrolle

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Glaubensgemeinschaften oder die Deichgenossenschaft. Oder aber der Einzelne bedient sich der Anderen auf instrumentelle Weise, sie sind ihm Mittel zur Erreichung seiner eigenen individuellen Zwecke. Dann hat er am Kollektiv als einer „Gesellschaft“ teil. Diese nur über die Phase der Individualisierung zur allgemeinen Geltung gelangende Form des Willens heißt bei Tönnies „Kürwille“. Ein typisches Beispiel sind die Aktionäre einer Aktiengesellschaft. Die „Gemeinschaft“ genügt sich selbst, kann aber durchaus Wachstum anstreben. Die „Gesellschaft“ ist ein Instrument, welches der Handelnde austauschen kann. Weder für ein Unternehmen, noch für den einzelnen Mitarbeiter gibt es die eine, ideale Form. Damit wird die Positionierung von Unternehmen und Mitarbeiter eine permanente Aufgabe der Unternehmensleitung sein. Auf dieser Basis wird die wirksame Compliance ihre Schwerpunkte setzen. Beide Seiten müssen sich zwischen den Extremen bewegen, sonst bestehen Unternehmen nicht auf Dauer. Die Compliance entscheidet für keine Seite, berät und benennt die Konsequenzen für Unternehmensleitung und Mitarbeiter, antizipiert die Veränderungen und die Folgen für ihre Arbeit. Unternehmen sind immer auch Spiegelbild der Gesellschaft. Abb. 3.1 zeigt die vier möglichen Extrempositionen auf und beschreibt die darauf aufbauenden Formen des Miteinanders. Mitarbeiter Gemeinschaft vs. Unternehmen Gemeinschaft Das Leben ist bekanntlich kein Ponyhof. Sicherlich wirkt es auf den ersten Blick vorteilhaft, wenn beide Seiten nicht ausschließlich selbstzentriert denken und handeln, sondern über gemeinsame Ziele verbunden sind, welche sich nicht auf die Gewinn- bzw. Selbstoptimierung beschränken. Karitative Unternehmen mit einem klaren, nicht wirtschaftlichen Ziel finden sich hier. Kommt es jedoch zur Krise, welche fast alle Unternehmen früher oder später trifft werden die negativen Folgen ersichtlich, für beide Seiten. Mitarbeiter bleiben zu lange im Unternehmen, verzichten darauf berufliche Alternativen zu suchen. Unternehmen, die an ihren Mitarbeitern in jedem Fall festhalten ergreifen zu spät notwendige Korrekturmaßnahmen, welche auch Entlassungen beinhalten können. Die Eigentümer werfen schlechtem Geld gutes hinterher, mit der Insolvenz ist auch die wirtschaftliche Existenz der oder des Inhabers ruiniert.

Abb. 3.1  Gesellschaft und Gemeinschaft. (Eigene Darstellung)

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3  Das Unternehmen

Mitarbeiter Gesellschaft vs. Unternehmen Gemeinschaft Diese Konstellation existierte typischerweise im „realen“ Sozialismus, teilweise auch in Staatsunternehmen in marktwirtschaftlichen Gesellschaften. Ebenso können sozial verantwortliche Unternehmen und Betriebe im Sozialbereich entsprechend aufgestellt sein. Solange der Wettbewerbsdruck nicht zu hoch wird, können solche Unternehmen langfristig bestehen. Der Mitarbeiter wird versuchen, dass für sich herauszuholen was immer möglich ist, an finanziellen wie hierarchischen Möglichkeiten. Erfolgskritisch ist dabei die Verheimlichung, ja Vertuschung, seiner Absichten. Mitarbeiter Gemeinschaft vs. Unternehmen Gesellschaft Dieser Zustand entsteht, wenn Unternehmen, welche traditionell die Verantwortung für ihre Mitarbeiter betont und gepflegt haben, andere Ziele erreichen müssen, sei es, dass Marktbarrieren aufgehoben wurden oder neue Anteilseigner ambitioniertere Gewinnziele verfolgen. Grundsätzlich mag es für ein Unternehmen ideal sein, wenn Mitarbeiter dieses als Gemeinschaft verstehen, sich nicht als Selbstoptimierer einbringen, sondern mit dem Unternehmen emotional verbunden sind. Das unter diesen Voraussetzungen beachtliche Leistungen erbracht werden ist offensichtlich. Der Preis ist die Manipulation der Mitarbeiter, dass Vorspielen einer Welt, welche, nicht mehr, existiert. Dies geht allenfalls eine Weile gut, immer mehr Mitarbeiter merken auf und suchen wie das Unternehmen nur den eigenen Vorteil, zunehmend mit der Bereitschaft unethische, ja ungesetzliche Wege zu beschreiten. Mitarbeiter Gesellschaft vs. Unternehmen Gesellschaft Beratungsgesellschaften und Börsenhändler pflegen diese Konstellation, nicht heimlich verschämt, sondern für alle Beteiligten offensichtlich. Jeder weiß, worauf er sich einlässt. Stimmen die Zahlen verdient der Mitarbeiter viel, das Unternehmen noch viel mehr. Stimmen die Zahlen nicht, wird sich rasch getrennt, ohne Emotionen von beiden Seiten. Wenn allerdings der Zweck die Mittel heiligt, wird die Auswahl der Mittel selten hohen ethischen Standards folgen. Für die Compliance ergeben sich aus der jeweiligen Konstellation andere Schwerpunkte, wie sie Abb. 3.2 aufzeigt.

Abb. 3.2  Schwerpunkte der Compliance. (Eigene Darstellung)

3.2 Legalität und Legitimität

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Mitarbeiter Gemeinschaft vs. Unternehmen Gemeinschaft In diesem Unternehmen steht das Gespräch, das miteinander verhandeln im Schwerpunkt. Kontrollen treten dagegen zurück, weil die Mitarbeiter gemeinsam gemeinsame Werte verfolgen und einzelne Delinquenten durch wirkungsvolle soziale Gruppenkontrollen einem hohen Aufdeckungsrisiko unterliegen. Mitarbeiter Gesellschaft vs. Unternehmen Gemeinschaft Der Selbstoptimierer ist in einer Gemeinschaft gefährlich. Diese vertraut dem Einzelnen, oftmals zu stark. Die Compliance setzt dem die Sanktionierung entgegen und vermittelt diese durchaus plakativ. Mitarbeiter Gemeinschaft vs. Unternehmen Gesellschaft Die Compliance wird den Mitarbeiter die, oft neue, Situation erklären und die Motive der Unternehmensleitung vermitteln. Dieser gegenüber gilt es allerdings auch auf Widersprüche hinzuweisen. Plakativ die heile Welt zu beschwören und gleichzeitig die Mitarbeiter mit einem Netz von Kennzahlen zu überziehen und diese bei Nichterreichung abzustrafen funktioniert nicht lange. Mitarbeiter Gesellschaft vs. Unternehmen Gesellschaft Die Spielregeln sind klar, für alle Beteiligten. Die Compliance muss hier wenig erklären, als vielmehr die Einhaltung gewährleisten. Die Einhaltung interner Vorgaben, vor allem aber von Gesetzen. In der vorherrschenden Kultur wird es immer wieder passieren, dass Einzelne zur Zielerreichung versuchen. cc

Tipp  Die folgenden Fragen helfen bei der Einordnung der eigenen Situation:

•• Spreche ich gerne über mein Unternehmen, gebe ich in privaten Gesprächen meinen Arbeitgeber gerne an oder spreche ich nur allgemein über die Branche? •• Mag ich es, würde ich es mögen, wenn sich an meinem Fahrzeug ein Hinweis auf das Unternehmen, am Nummernschild oder als Aufkleber befände? •• Empfehle ich Freunden und Verwandten meinen Arbeitgeber und dessen Leistungen? •• Benutze ich selbst, direkt oder indirekt Produkte und Leistungen wenn sich die Gelegenheit bietet? •• Teile ich die offiziellen Unternehmensansichten? Vertrete ich dies offensiv im privaten Gespräch?

3.2

Legalität und Legitimität

Aus Sicht des CO sollte sein Unternehmen sowohl legal, als auch legitim handeln. Dass dies nur für das Unternehmen als Ganzes und nie für die für alle Mitarbeiter und Geschäftspartner gelten kann, ist unstrittig (Schneider und Geckert 2016, S. 192–200).

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3  Das Unternehmen

Legalität – die Gesetzeskonformität – ist die Grundlage des CO bei der Beurteilung eines Unternehmens. Zentrales Merkmal eines Rechtsstaates ist es, dass nur solche Unternehmen dauerhaft existieren, die legal handeln. Die Alternative sind kriminelle Vereinigungen, welche in jedem Staat bis zu einem gewissen Umfang bestehen, wobei die Existenz einer formalen Compliance Organisation hier nicht weiter diskutiert werden muss. Für den einzelnen CO ist die Legitimität entscheidend. Was ist richtig und falsch ist, wird einerseits individuell festgelegt, anderseits innerhalb der Gruppen den der Einzelne zugehörig ist soziologisch bestimmt, als auch in der demokratischen Gesellschaft im Rahmen der politischen Willensbildung. Daraus entwickelt sich die Anerkennungswürdigkeit, die Legitimität. Dabei läuft die Legitimität der Legalität grundsätzlich voraus. Themen gewinnen in der gesellschaftlichen Diskussion an Relevanz, erst halten Einzelne, dann größere Gruppen die legale Lösung nicht, bzw. nicht mehr für legitim. Einzelne Parteien übernehmen diese Ansicht, welche sich weiter durchsetzt, irgendwann von der Mehrheit der Bevölkerung und der Parteien übernommen wird und dann zu einer neuen, legalen, Lösung führt. Typische Beispiele finden sich im Umweltschutz, der Sterbehilfe oder der rechtlichen Gleichstellung von Homosexuellen, im wirtschaftlichen Bereich kann der Umgang mit anonymen Auslandskonten oder die Strategien der Steueroptimierung internationaler Konzern herangezogen werden, wo bestehende, legale, Regelungen zunehmend als illegitim angesehen werden und durch neue Lösungen ersetzt werden. Legitimität beschreibt tendenziell ein „Bauchgefühl“, während die Ethik sich systematischer mit dem „Richtig“ und „Falsch“ auseinandersetzt. Die Ethik wird im Kap. 4 behandelt, wobei sicherlich Wechselwirkungen bestehen. An dieser Stelle geht es bewusst um generelle Einstellungen, welche stimmen müssen, wenn seitens des CO eine Beziehung zum Unternehmen aufgebaut werden soll, welche über den etwas sterilen Begriff des „Arbeitgebers“ hinausgeht. Kein Unternehmen erwartet von einem CO, dass dieser alle Gesetze für richtig hält und alle Gerichtsurteile als angemessen empfindet, eine grundsätzliche Bejahung der Verfassung und des demokratischen Rechtsstaats muss jedoch vorausgesetzt werden. Nur sog. „Tendenzbetriebe“ dürfen engere Grenzen setzt, womit primär kirchliche und gewerkschaftliche Institutionen betroffen sind. In der Realität bestehen verschiedene Schnittmengen zwischen Legalität und Legitimität, welche Abb. 3.3 aufzeigt. Eine nähere Betrachtung ist deshalb geboten, weil sich hieraus eine unmittelbare Erklärung des Handelns ergibt, sowohl des CO, als auch der weiteren Mitarbeiter.

3.2.1 Legal und legitim In diesem Bereich sollten idealerweise alle Handlungen des Unternehmens erfolgen. Nicht zuletzt weil sich Ansichten ändern, die des einzelnen CO, die der Gruppen, welcher er sich zugehörig fühlt und der Gesellschaft als Ganzem, werden sich nur im Ausnahmefall Legalität und Legitimität vollständig decken. Eine solche Deckung wäre auch nicht wünschens-

3.2 Legalität und Legitimität

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Abb. 3.3  Legalität und Legitimität. (Schneider und Geckert 2016, S. 193)

wert und würde lediglich zu Stillstand führen, im Staat, in der Gesellschaft, als auch in den Unternehmen. Dennoch sollte eine grundsätzliche Übereinstimmung vorhanden sein. Aus Sicht des CO ist es für den Einzelnen notwendig, seine Arbeit als legal und legitim zu erachten, um die eine sinnstiftende Identifikation zu erleben. Dies gilt für alle Mitarbeiter und damit auch für den CO. Beispiel

So kann ein Vegetarier ein hervorragender CO sein, allerdings kaum in einer Wurstfa­ brik und ein Pazifist kann nicht bei einem Hersteller von Waffen seine Aufgaben mit Begeisterung verrichten. ◄ Entsprechend werden sich CO auch aufgrund dieser Kriterien ihren Arbeitgeber suchen, wenn sich aber der Unternehmenszweck bzw. das Geschäftsmodell ändern, kann sich eine Entwicklung ergeben, welche dazu führt, das CO den Unternehmenszweck nicht mehr als legitim erachten. Wird keine andere Aufgabe gefunden, ist die „innere Kündigung“ noch eine harmlose Entwicklung. Eine Unternehmensführung könnte die Ansicht vertreten, dass letztlich einzig die Legalität von Bedeutung ist und sich bewusst nicht darum kümmern müsse, ob die Handlungen auch als legitim angesehen werden. Dann wird die im nächsten Abschnitt dargestellte Schnittmenge gewählt, mit schwerwiegenden Folgen.

3.2.2 Legal und illegitim Nicht alles was erlaubt ist, ist auch richtig, aus Sicht des Einzelnen, wie aus Sicht der Mehrheit.

3  Das Unternehmen

18 Beispiel

Dabei handelt es sich im Alltagsleben bspw. um Verkehrsvorschriften, aber auch persönliche Sachverhalte, wenn einer einem anderen sein „Wort gibt“, anschließend aber darauf verweist, dass das Gegenüber keine „Beweise“ für die Zusage hätte. Ebenso sind Unternehmen betroffen, welche versuchten sich mit legalen Tricks der Zahlung von Steuern zu entziehen oder Unternehmensleitungen, die sich neben großzügigen Gehältern zusätzlich hohe Pensionszahlungen einräumen. ◄ Legal und illegitim kann der Umgang mit Mitarbeiter, als auch der Umgang von Mitarbeitern untereinander sein. Wobei das Meinungsspektrum sicherlich groß ist, was ein fairer Umgang bedeutet. Dennoch sollten transparente, nachvollziehbarer Kriterien vorhanden sein. Die Deutungshoheit darf nicht Dritten überlassen werden, machen doch ansonsten Verschwörungstheorien rasch die Runde. Die Compliance kann sich nicht auf formal legale Positionen zurückziehen, sondern muss das Meinungsbild der Mitarbeiter aufnehmen, reflektieren und dafür Sorge tragen, dass dieser Bereich so klein als möglich ist. Menschen, die hohe ethische Maßstäbe an sich und andere anlegen, werden auf eine solche Situation reagieren. Potenzielle Mitarbeiter erwägen gar nicht erst einen Einstieg, andere wählen ein stilles Ausscheiden, ergeben sich keine Chancen auf dem Arbeitsmarkt die innere Immigration. Die Mitarbeiter, die an Bedeutung gewinnen teilen die Skrupel nicht, die Tendenz sich in diesem Bereich aufzuhalten nimmt unmerklich zu, bis die Gesellschaft, der Rechtsstaat reagiert. Viele Unternehmen bekommen dann Probleme dieser Entwicklung zu folgen. Diese Punkt ist aus Sicht der Compliance weiterhin wichtig, weil es ein kleiner, gleichwohl gefährlicher Schritt zum nächsten Punkt ist. Bildlich gesagt baut das Unternehmen mit solchem Vorgehen eine Brücke, deren Überschreitung gefährlich wird.

3.2.3 Illegal und legitim Wie oben dargestellt folgt die Legalität der Legitimität mit einem zeitlichen Abstand, welcher in demokratischen Ländern unvermeidbar ist. Häufig lösen öffentliche Gesetzesverstöße, welche von einer Vielzahl von Menschen als legitim erachtet werden Entwicklungen in Richtung Legalität aus. Beispiel

Als berühmtes Beispiel mag Mahatma Gandhi dienen, welcher Salz aus dem Meer nahm und damit gegen die britischen Kolonialgesetze verstieß. Andere Gesetzesverstöße ergeben sich bspw. im Rahmen des Konsums weicher Drogen. ◄

3.2 Legalität und Legitimität

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Weiterhin gibt es Menschen die sich in festen Gruppen organisieren, sich eigene Regeln setzen und bewusst illegal handeln, womit eine kriminelle Vereinigung vorliegt, welche auch innerhalb von Unternehmen nicht auszuschließen ist. Offiziell betonen die Unternehmen im Allgemeinen und die Compliance im Speziellen den Primat der Politik über die Wirtschaft, d. h. egal wie legitim eine Handlung angesehen wird, wenn sie illegal ist, wird sie nicht vorgenommen. Der Einzelne, aber auch Gruppen werden bis zu einem gewissen Grad immer eine andere Ansicht haben. Diese wird auch compliancerelevante Tatbestände betreffen, bzw. wo Untreue oder Vorteilsgewährung beginnen. Wo sich Illegalität und Legitimität überschneiden ist die Gefahr für Compliance-­ Verstöße besonders groß. Die Überschneidung der beiden Sachverhalte ermöglicht langwährende Verstöße, die häufig von einer überraschend großen Anzahl von Mitarbeitern begangen werden, welche oft eine, zumindest stillschweigende, Duldung weiterer Mitarbeiter genießen. Fast alle schwerwiegenden Compliance-Verstöße ereignen sich in diesem Bereich. Die eigene Werte, dass eigene Rechtsverständnis wird über die Gesetze gestellt, wobei die Beteiligten sich bewusst sind, dass gegen Gesetze verstoßen wird, unabhängig davon, ob Absprachen mit Wettbewerbern erfolgen, Entscheidungsträger bei Kunden ­beeinflusst werden oder technische Daten der eigenen Produkte manipuliert werden. Dabei entwickelt sich eine Gruppendynamik, versichern sich die Beteiligten gegenseitig doch, dass der Zweck die Mittel heiligt, dem Wohl des Unternehmens so gedient wird und Dritte nicht geschädigt werden. Egal wir krude die Argumentation für einen Dritten auch sein mag, für die Beteiligten ist diese nachvollziehbar, sie handeln legitim. Der Druck der Zielvorgaben tut dabei ein Übriges, insbesondere bei einer Unternehmenskultur, welche die Zielerreichung verabsolutiert, kein Gespräche über mögliche Abweichungen und deren Gründe ermöglicht. Da entsprechende Gruppen eine durchaus beachtliche Größenordnung erreichen und Vorgesetzte bewusst wegsehen, versagen die Instrumente des Internen Kontrollsystems, die Compliance erreicht die Beteiligten mit ihren Argumenten nicht. Bei Präsenzveranstaltungen herrscht Kopfnicken, bei elektronischen Schulungen werden die erwarteten Antworten markiert, danach wieder zur Tagesordnung übergegangen. Auch der CO sollte sich selbstkritisch prüfen, ob er – zumindest nicht im Kleinen – die dargestellte Argumentation teilt. Beispiel

Wird nicht gelegentlich der teurer Flug ausgewählt, weil Kollegen andere Zentralbereiche so handeln? Wird ein Hotel bevorzugt, weil es schöner, wenn auch teurer ist, weil die Mitarbeiter der Gesellschaft dort selbst übernachten? ◄ Beispiele lassen sich meistens finden. In Bezug auf die persönlichen Ausgaben hat jeder CO eine Vorbildfunktion, ob er will oder nicht. Vielleicht wird er auf sein Verhalten nicht angesprochen, beobachtet wird er dagegen immer, meist sehr genau.

3  Das Unternehmen

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3.2.4 Illegal und illegitim Hier erfolgen keine Handlungen. Für den Einzelnen mögen Ausnahmen gelten, weil dieser Illegitimität schlicht anders versteht. Vermeiden lässt sich dies nie vollständig, dann müssen allerdings das Interne Kontrollsystem und die Prüfungen der Internen Revision dafür sorgen, dass entsprechende Handlungen frühzeitig aufgedeckt und der Schaden für das Unternehmen überschaubar bleibt. Die Frage, ob das Unternehmen, für welches der CO tätig ist grundsätzlich legal und legitim handelt muss jeder CO persönlich für sich beantworten. Dabei kann jede Antwort immer nur vorläufige sein, ändert sich doch sowohl der Unternehmenszweck, die Gesetze und damit die Legalität, als auch die persönliche Wahrnehmung von Richtig und Falsch und damit die Legitimität aus Sicht des CO.

3.3

Unternehmensauftritt

CO handeln und wirken unternehmensintern. Die Darstellung und Vertretung des Unternehmens gegenüber der Öffentlichkeit obliegt der Unternehmensleitung. Werden Fragen von Legitimität und Legalität behandelt, ist rasch der Bogen zur Politik geschlagen. Wenn sich Unternehmensleiter zu politischen Sachverhalten dezidiert äußern, müsste konsequenterweise eine unternehmensinterne Umsetzung, in Form verbindlicher Vorgaben erfolgen, womit eine Kernkompetenz der Compliance angesprochen wäre. Hier kann die Compliance nur zur Zurückhaltung raten, oder um es mit Manuel Theisen, einem bekannte Corporate Governance-Experten zu politischen Äußerungen von Unternehmensleitern sagen (Theissen 2020): Man kann nur verlieren. Unternehmensführer sind keine Politiker und dürfen auch nicht der Versuchung unterliegen, solche quasi „in Teilzeit“ werden zu wollen. Mediale Aufmerksamkeit sollte deshalb auch im und mit dem Unternehmen und nicht auf dem gesellschaftspolitischen Glatteisparkett gesucht werden. Der Dialog ist dort zu führen, wo er demokratischerweise zu führen ist: in der Politik und ihren Diskursen. Unternehmen haben die Konsequenzen der Politik zu berücksichtigen, aber nicht Alternativen dafür zu generieren. Dafür ist ihre Interessenlage (und die aller Stakeholder) zu klar definiert, sie sind kein „Wohlfühlzirkus für Gutmenschen“. Selbstverständlich nehmen Unternehmen an der Gesellschaft und in ihr teil, aber sie sind eben nicht die richtigen Adressaten für gesellschaftspolitische Anliegen.

3.4

Unternehmenskultur

Während beim Thema Legalität und Legitimität die meisten CO aufgrund ihres beruflichen Hintergrundes die Argumentation nachvollziehen können, wird dies bei der Unternehmenskultur für Juristen und Betriebswirte mit einem Ausbildungsschwerpunkt in Prü-

3.4 Unternehmenskultur

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fungs- und Rechnungswesen schwieriger. Die Veröffentlichungen zum Thema sind nicht eindeutig, gewisse Modewellen wiederholen sich. Während die klassische Betriebswirtschaftslehre den rational handelnden Menschen in den Mittelpunkt stellt, gab es später Entwicklungen, welcher der Unternehmenskultur überragende Bedeutung für den wirtschaftlichen Erfolg zusprachen. Hier sei nur auf die begeisternden Veröffentlichungen in den 1980er-Jahren verwiesen, welche den Erfolg der japanischen Wirtschaft mit der anderen Unternehmenskultur erklärten. Heute ist die Sorge, dass japanische Unternehmen die europäischen Länder erobern abgeklungen und parallel die Begeisterung für das zugrunde liegende Managementmodell. Im kleineren Maßstab gilt dies für gefeierte Unternehmen und ihren späteren Misserfolg. Ob Yahoo oder Enron, Nokia oder RIM (Blackberry), erst erschien deren Unternehmenskultur als Grund des Erfolges, dann des Niedergangs. Scheinbar kann Unternehmenskultur ziemlich alles erklären und auch das Gegenteil davon. Eine Auseinandersetzung mit diesem Thema scheint dem Versuch zu ähneln den berühmten Pudding an die Wand zu nageln. Warum sollte also ein CO hierfür seine Zeit einsetzten, vielleicht verschwenden? Weil wirksame Compliance nicht im luftleeren Raum erfolgt, sondern im Unternehmen. Beispiel

Ein Werkzeug muss nach dem zu bearbeitenden Material ausgesucht werden, nicht umgekehrt. Wer Holz sägen will, braucht ein anderes Werkzeug als zum Aufbrechen einer Straße. Bei einer Auswahl und dem Einsatz der Instrumente einer wirkungsvollen Compliance kommt der Unternehmenskultur überragende Bedeutung zu. ◄ Culture eats strategy for breakfast, soll Peter Drucker festgestellt haben. Sicherlich kann sich eine Unternehmenskultur ändern, ohne radikale Brüche aber nur sehr langsam, selbst wenn die Unternehmensleitung dies wünscht und fordert. Die Compliance kann ihren Teil dazu beitragen, dass sich die Entwicklung in einer compliancekonformen Richtung vollzieht, erst einmal ist die bestehende Unternehmenskultur allerdings ein Faktum, welches es zu verstehen und akzeptieren gilt. Damit stellt sich die persönliche Frage an den CO, ob er diese kann und will, letztlich, ob er sich persönlich in der Lage sieht seine Tätigkeit wirksam wahrzunehmen. Die Unternehmenskultur hat eine enge Verbindung zur Legalität/Legitimität und ist dennoch nicht das gleiche. Zwar wird im kulturellen Rahmen gemeinsam festgelegt, welches Tun bzw. Unterlassen legitim ist und welches nicht, die Unternehmenskultur ist dennoch weiter und unschärfer. cc

Im hier gewählten Kontext wird die Unternehmenskultur als die Gesamtheit der verhaltensbeeinflussenden Werte, Normen und Symbole verstanden, welche in einem Unternehmen in der Interaktion gemeinsam geschaffen und weiter entwickelt werden und die Basis für die Unternehmensidentität bilden (Franken 2010, S. 209).

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3  Das Unternehmen

Wer bei dieser Definition wieder an den erwähnten Pudding und den Versuch diesen an die Wand zu nageln denkt liegt nicht völlig falsch, einfacher ist sicherlich der Rückgriff auf das Thema Legalität/Legitimität. Die Legitimität eines Handelns bzw. Unterlassens, eines Eingreifens oder Ignorierens legt der Einzelne nicht isoliert fest. Immer hat sein Umfeld einen großen, meist entschiedenen, Einfluss. Dieser Einfluss kommt aus dem privaten, wie beruflichen Umfeld. Letzteres manifestiert sich in der Unternehmenskultur. Beispiel

Wer für sich proklamiert unabhängig zu entscheiden und sich nicht vom Umfeld beeinflussen zu lassen, sollte überlegen warum die überwiegende Anzahl der Amerikaner für die Todesstrafe sind und Mitteleuropäer diese ablehnen, warum die Römer im Zirkus die Gladiatorenkämpfe bejubelten, während wir heute andere Freizeitvergnügen bevorzugen, ja selbst warum ein Teil der Menschheit mit Stäbchen isst und ein anderer mit Messer und Gabel. ◄ Das sich auch Unterschiede im Umgang mit der Compliance ergeben dürfte unbenommen sein. Das bekannteste Modell der Unternehmenskultur stammt von Schein, welches in Abb. 3.4 dargestellt ist.

Abb. 3.4  Modell der Unternehmenskultur. (Eigene Darstellung, mod. nach Franken 2010, S. 210)

3.4 Unternehmenskultur

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Die Compliance konzentriert sich bei ihrer Tätigkeit häufig auf die bekundeten Werte. Grundprämissen und Artefakte fließen nur unbewusst in die Handlungen ein. Teilweise wurden diese bei langjähriger Tätigkeit im Unternehmen bereits übernommen, teilweise steht ein neuer CO diesen unbeholfen gegenüber, bemüht sich einen Zugang zu den Ansprechpartnern zu finden und scheitert, weil Artefakte und Grundprämissen nicht gekannt sind und nicht berücksichtigt werden können. Wobei „Berücksichtigen“ nicht mit der unkritischen Übernahme zu verwechseln ist. Compliance ist wirksam, wenn die Unternehmenskultur berücksichtigt wird. Kein CO muss sich beliebig machen und seinen Ansprechpartnern nach dem Mund reden, ohne die Berücksichtigung, das Einlassen auf die Unternehmenskultur blieben jedoch wesentliche Aspekte der Compliance unwirksam. Sanktionen und Bestrafungen sind weiterhin möglich, das Überzeugen von der Compliance wird scheitern. Anderseits kann die Kultur in besonderem Maße passen, die Zusammenarbeit ist bei allen Kontroversen partnerschaftlich und fair. Der CO fühlt sich wertgeschätzt, im Unternehmen, in der Position. Grundsätzlich lassen sich vier Norm Typen der Unternehmenskultur finden (Macharzina und Wolf 2015, S. 246, 247). Wenn auch die Idealtypen selten der Realität entsprechen, sollte es dennoch möglich sein das eigene Unternehmen einem Typ zu zuordnen. • Tough-Guy-Macho-Kultur, risikoorientiert, individualistisch orientierte, harte, spekulierende Mitarbeiter, Schnelligkeit und Aggressivität sind wichtiger als Ausdauer und Beständigkeit, typische Branchen: Devisenhandel, Filmindustrie • Work-Hard, Play-Hard Kultur, Risiken geringer, wichtigstes Ziel: Umsätze, Quantität geht vor Qualität, rege Geschäftstätigkeit, typische Branchen. Massenwarenindustrie • Bet-Your Company Kultur, grundlegende, wohlüberlegte Entscheidungen, welche Erfahrung und Expertentum voraussetzen, typische Branchen: Maschinen- und Anlagenbau • Process Kultur, statische, risikoarme Branchen, Ordnung vor Flexibilität, Spezialisierung vor Teamwork, typische Branche: der öffentliche Dienst. Es gibt keine besonders gute oder schlechte Unternehmenskultur, eben so wenig eignet sich eine besser als die andere für eine wirkungsvolle Compliance. Wichtiger ist der „Fit“ des CO mit der entsprechenden Kultur. Vieles kann eine wirkungsvolle Compliance ändern, die Unternehmenskultur nicht. Dies soll sie auch nicht versuchen, weil nur die entsprechende Kultur den Erfolg des Unternehmens ermöglicht. Es sei nochmals an die Eingangsthese von Drucker erinnert: Culture eats strategy for breakfast. Die auf der Unternehmenskultur aufbauende Unternehmensethik wird im Kap. 4 behandelt, dort die entsprechenden Instrumente der Ethik vorgestellt, welche eine Einordnung von Entscheidungen in die Kategorien „richtig“ und „falsch“ ermöglichen.

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3  Das Unternehmen

Da der CO nicht mit dem Unternehmen und das Unternehmen nicht mit dem CO glücklich wird, wenn die Unternehmenskultur nicht bejaht wird, sollte ein Selbstprüfung erfolgen, ohne deren positiven Ausgang der CO nicht wirksam sein kann, sondern allenfalls angestrengt wirkt. cc

Tipp 

•• •• •• •• ••

Fühle ich mich im Unternehmen wohl? Gehe ich gerne zur Arbeit? Habe ich Kontakte außerhalb der Compliance? Sprechen die Kollegen und ich die gleiche Sprache? Träume ich von einem anderen Job? Schaue ich auf Jobangebote? Bin ich bereit auch ohne Aufstiegsperspektive den Arbeitgeber zu wechseln?

Die letzte Frage, nicht die erste, beschäftigt sich mit den Ressourcen, welche eine Compliance zur Verfügung gestellt bekommt. Auch wenn die Funktion erst eingerichtet wird, sollte sich nicht auf nebulöse Versprechungen verlassen werden, als vielmehr von der Unternehmensleitung eine eindeutige Aussage, wann welche Schritte umgesetzt werden eingefordert werden. Wer Verlässlichkeit erwartet muss diese auch bieten können. Hierbei stehen die organisatorische Aufhängung, die Anzahl der Mitarbeiter und die finanziellen Ressourcen im Mittelpunkt. Sicherlich ist ein Mindestmaß genauso schwierig zu quantifizieren, wie der Punkt an dem Compliance schlicht zu umständlich und schwerfällig wird und ein solcher Kostenfaktor ist, dass die Wettbewerbsfähigkeit leidet. Letztlich muss der CO wissen, welche Ressourcen erforderlich sind um seine Aufgabe wirkungsvoll zu gestalten. Vor diesem Hintergrund werden auch die im weiteren Buch vorgestellten Maßnahmen betrachtet, erst ob dies sinnvoll sind, dann ob die notwendigen Ressourcen zur Verfügung stehen.

3.5

Die Unternehmenswahl

Die oben dargestellten Fragen muss sich kein CO jeden Tag stellen. Wenigsten im Jahresrhythmus sollte jedoch erwogen werden, ob man persönlich (noch) an der richtigen Stelle ist. Einiges können CO im Unternehmen beeinflussen, vieles aber auch nicht. Nachdem bisher die zu akzeptierenden Sachverhalte im Mittelpunkt standen, verändert sich nun die Darstellung zum primären Zweck des Buches, der wirkungsvollen Compliance. Mit der Entscheidung für ein Unternehmen, für eine Position, legt sich der CO fest. Es gibt eine Grundlage auf der Compliance ihre Wirksamkeit entfalten kann. Ausreden und Ausflüchte fallen weg. Bei Misserfolgen sind nicht mehr die anderen schuld, sondern man selbst, persönlich. Allerdings gilt es immer seiner persönliche Integrität zu schützen und das berühmte Adorno Zitat nicht zu vergessen: „Es gibt nicht das richtige Leben im falschen“ (Adorno 1994, S. 43).

Literatur

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Literatur Adorno T (1994) Minima Moralia, Gesammelte Schriften 4. Suhrkamp, Frankfurt Franken S (2010) Verhaltensorientierte Führung. Gabler, Wiesbaden Macharzina K, Wolf J (2015) Unternehmensführung. Springer Gabler, Wiesbaden Schneider T, Geckert C (2016) Verhaltensorientierte Compliance. Schmidt, Berlin Taghizadegan R (2016) Alles, was Sie über die Österreichische Schule der Nationalökonomie wissen müssen: Eine Einführung in die Austrian Economics. fbv, Siegen Theissen M (2020) Unternehmen sind kein Wohlfühl-Zirkus für Gutmenschen. www.wiwo.de. Zugegriffen am 05.02.2020 Tönnies F (2010) Gemeinschaft und Gesellschaft. Grundbegriffe der reinen Soziologie. WBG, Darmstadt

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Das Fundament der Compliance

Zusammenfassung

Compliance, welche sich auf die Einhaltung von Gesetzen beschränkt, wird der Entwicklung im Unternehmen hinterherlaufen, anstatt diese (mit) zu gestalten. Die Auseinandersetzung mit dem theoretischen Konstrukt der Ethik und der praktischen Umsetzung im Unternehmen ermöglicht die Entwicklung des individuellen Ethikverständnisses des einzelnen CO. Darauf kann sich eine „anständige“ Compliance begründen, welches Mitarbeiter nicht gängelt, sondern Instrumente zur Entscheidungsfindung bereitstellt. Vor diesem Hintergrund werden die im weiteren Buch vorgestellten Tricks und Kniffe diskutiert, welche eine wirkungsvolle Compliance ermöglichen.

4.1

Theorie und Praxis

Das vorliegende Kapitel ist theoretische geprägt und doch von hoher Praxisrelevanz. Im Buchtitel ist von „wirksamer“, nicht „guter“ Compliance die Rede. Zu erstem können valide, fundierte Hinweise und Anregungen gegeben werden, zu letztem nicht, solange nicht, wie nicht eine engstirnige Doktrin scheinbar ewige gültige Weisheiten liefert und damit im Widerspruch zum Kritischen Realismus steht. Das ein Unternehmen dennoch „gut“ sein soll, wird damit nicht infrage gestellt. Ob dies der Fall ist bedarf der Prüfung. Zwar erfolgt diese Prüfung unbewusst laufend, dabei kann der Einzelne jedoch unbewusst den zweiten Schritt vor dem ersten machen, nicht ergebnisoffen prüfen, sondern rechtfertigend erklären, warum bestimmte Vorgehens- und Verhaltensweisen des Unternehmen notwendig und gerechtfertigt sind. Um die Diskussion vom Kopf auf die Füße zu stellen sind Kenntnisse ethischer Prinzipien, die Auswahl eines passenden Ansatzes, die ­Anwendung auf die eigene Situation, die Diskussion der Einschätzung und die Umsetzung © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Schneider, Werkzeuge wirkungsvoller Compliance, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61792-2_4

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4  Das Fundament der Compliance

der Ergebnisse erforderlich. Die hierzu notwendiger Instrumente, werden im weiteren Kapitel vermittelt. Situationen, die auf Basis der weiteren Ausführungen als „gut“ oder „schlecht“ klassifiziert werden lassen sich rasch finden. Beispiel

• Ein Unternehmen nutzt ein Modell zur Steueroptimierung und verlegt die, sehr geringen Zahlungen, in eine sog. Steueroase, • es wird Vormaterial für die Produktion aus ominösen Quellen in einen Bürgerkriegsland bezogen, • einem arabischen Kunden wird zugesagt, keine Geschäfte mit dem Staat Israel zu tätigen. ◄ Dabei gibt es keine ewigen Wahrheiten, keine endgültigen Antworten, nicht in der Gesellschaft, nicht in der Compliance, sondern nur einen aktuelle Stand, die Überzeugungen des CO, welche sich nicht auf eine einsame Erleuchtung begründet, sondern die Ausei­ nandersetzung mit der Thema, sowohl im Kreise der Fachkollegen, im Unternehmen, als auch der Gesellschaft einbezieht. Der Hinweis, dass keine Wahrheiten ewig gelten, soll zur regelmäßigen Reflexion anhalten, nicht aber zum Stillstand, zum Zaudern führen, wohl wissend, dass es nur eine relative, nie eine absolute Wahrheit geben kann. Hiermit ist ein entscheidender Unterschied zwischen engstirnigen Fanatikern und pluralischen Gesellschaften aufgezeigt.

4.2

Ethik

Jeder Mensch gibt sich ethische Vorgaben, reflektiert diese aber in der Regel nicht bewusst, sondern entwickelt diese aus Persönlichkeit, Herkunft, Ausbildung und beruflichem Hintergrund. Dabei handelt es sich genauer gesagt um „Moral“, den Komplex von Normen und Regeln, die das Handeln des Einzelnen bestimmen und deren Übertretung zu Schuldgefühlen führt, gegenüber sich selbst bzw. gegenüber anderen. Moralisch zu handeln reicht für den CO nicht aus. Viele Entscheidungen können nicht schablonenhaft getroffen werden, bei der Beurteilung eines Sachverhaltes, der Entscheidung eines Einzelnen fließen Person und Intention ein. Um einerseits die notwendige Sensibilität zu gewährleisten, andererseits nicht willkürliche Entscheidungen zu treffen ist eine inten­ sivere, systematischere Beschäftigung mit der Ethik, als Lehre von der Moral, erforderlich. Gesetze bilden den ethischen Mindeststandard einer Gesellschaft. Diese werden im Rahmen der Ausführungen über Legalität und Legitimität, welcher in Kap. 3 diskutiert wurde laufend diskutiert, interpretiert und angepasst. Eine weitere Konkretisierung erfolgt über den Unternehmenszweck und interne Vorgaben. Letztere sind konkreter als die Gesetze, sind aber nicht in der Lage den täglichen Umgang der Mitarbeiter zu konkretisieren.

4.2 Ethik

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Der Versuch das Miteinander in allen Einzelheiten vorzugeben würde zu Bürokratie und Verkrustung führen. Deshalb steht im weiteren Abschnitt die Ethik des Einzelnen, des CO im Mittelpunkt und wie sich diese im vorgegebenen, akzeptierten, Rahmen ausgestaltet. In jedem Unternehmen gibt es eine spezielle Unternehmensethik. Damit sind nicht die wohlfeilen, oft trivialen Aussagen in Unternehmensleitbildern und Imagebroschüren gemeint, als vielmehr die Einordnung des Unternehmenszwecks als gesetzeskonform und ethisch richtig. Vorausgesetzt wird, was bereits beim Unternehmenszweck thematisiert wurde: der Vegetarier wird schließlich nicht gezwungen in der Wurstfabrik zu arbeiten. Für die Mitarbeiter wird der Unternehmenszweck ethisch richtig und damit legitim sein, womit der Bogen zum vorherigen Kapitel geschlagen wird. Diese Annahme war grundsätzlich richtig. Zu Zeiten in den sich die Welt und die Unternehmen, aber auch die Werte der Mitarbeiter allenfalls unmerklich veränderten. Dies ist heute anders. Beispiel

Welche Ansprüche sollen an Arbeitssicherheit bei Lieferanten gestellt werden? Sind Geschäfte mit bestimmten Ländern richtig? Erfolgen Übernahmen oder Fusionen stellen sich ebenfalls entsprechende Fragen. Soll der Einzelne bei einem Unternehmen bleiben, welches von einem Staatskonzern eines absolutistischen, undemokratischen Landes übernommen wird? ◄ Die Compliance kann und soll vorneweg gehen, allerdings nie zu weit. Vergleichbar mit dem Radfahren im Windschatten muss der Anschluss gehalten werden, die Mitarbeiter dürfen nicht „abreißen“ lassen, dann fährt die Compliance immer noch mit hohem Tempo vorneweg, stellt aber beim späteren Umsehen fest, dass der Anschluss längst verloren gegangen ist. Aufgrund der Stabstätigkeit und der primären Beschäftigung mit der Compliance ist diese Gefahr immanent. Die Compliance muss mit den anderen Mitarbeitern verzahnt, nicht verbrüdert, bleiben, um dem Anspruch der Lokomotivfunktion gerecht zu werden. Deshalb findet sich hier ein Schwerpunkt der weiteren Ausführungen. Nicht der einzelne Mitarbeiter, nicht die Unternehmensleitung, sondern die Gesamtheit der Mitarbeiter legen informell die Regeln fest, verhandeln darüber was richtig und falsch ist. Sicherlich kann die Compliance nicht im Sinne einer Gehirnwäsche einseitig Vorgaben machen, eine wirkungsvolle Compliance nimmt allerdings nicht nur die Situation und die Entwicklung wahr, sondern beeinflusst diese aktiv. Aus dem dargestellten Instrumentenkasten wird sich der einzelnen CO seine, persönliche, Ethik entwickeln, prüfen und weiter entwickeln. Ob bewusst oder unbewusst geht jeder Mensch entsprechend vor, beurteilt Handeln bzw. Nichthandeln als „gut“ oder „falsch“. Dabei ist ohne die entsprechende Reflexion eine Neigung zur deontologische Ethik festzustellen. Diese ist dem CO aus der Ausbildung vertraut. Wo es um Fragen des Rechnungs- und Prüfungswesen oder der Rechtswissenschaften geht, steht die deontologische

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4  Das Fundament der Compliance

Ethik im Mittelpunkt. Ein Tun oder Unterlassen wird auf Basis bestehender Gesetze und interner Richtlinie geprüft um festzustellen, ob das Handeln richtig oder falsch war. Dies ist relativ einfach, für alle Beteiligten. Dennoch ist eine konsequentialistische Ethik notwendig wenn Compliance wirksam sein will, wenn die Mitarbeiter die Entscheidungen der Compliance nicht nur als legal, sondern auch als legitim wahrnehmen sollen. Wie aufgezeigt werden die Grenzen durch die Gesetze und die Rechtsprechung gesetzt, sonst besteht die tendenziell Gefahr, dass das Unternehmen zur Sekte, zur kriminellen Vereinigung wird, welches sich außerhalb der Gesellschaft stellt. Die Durchsetzung der aufgezeigten Haltung ist nicht einfach, nicht so einfach wie das Denken und Handeln in bestehenden Schubladen. Hier gilt es auch innerhalb des Unternehmens Andere zu überzeugen, letztlich die Unternehmensleitung. Nicht die eingeforderte Konsequenz im Handeln, genauer im Urteilen und Vollstrecken, als vielmehr die Konsequenz in der Geisteshaltung benötigen eine wirksame Compliance. Dann wird der Verstoß gegen Compliancevorgaben nicht pauschal abgestraft, sondern der Persönlichkeit, die Intention und das Umfeld des Mitarbeiters gewürdigt, dieses Thema stellt den Schwerpunkt von Kap. 17 dar. Wer eine Tätigkeit als CO wählt soll dem Anspruch genügen Fachmann für Ethik zu sein, in Theorie und Praxis. Die Ansprechpartner dürfen nicht allein theoretische Expertise erwarten, sondern eine Vorbildfunktion voraussetzen. Vorbildfunktionen werden gerne pauschal abgelehnt, will sich der Einzelne nicht permanent den damit verbunden Ansprüchen stellen und zum, meist ungünstigen Zeitpunkt, daran erinnert werden. Im komplexen Feld des „richtigen“, des „anständigen“ Verhaltens ist der CO jedoch Vorbild, völlig zu Recht. Dieser Vorbildfunktion gilt es sich zu stellen, ohne Wenn und Aber. Die Verbindung zur Tugendhaftigkeit, hört sich moralinsauer, nicht nur für jüngere Mitarbeiter „uncool“ an. Hier gilt nicht allein rational zu argumentieren, sondern mit Leidenschaft die Position zu vertreten. Die Alternative zur Compliance, eine korrupte Gesellschaft, in der der Einzelnen nicht aufgrund von Fähigkeit und Engagement Dinge erreicht, sondern Beziehungen und Geld erforderlich sind um eine Ausbildungsstelle oder eine Arztbehandlung zu erhalten ist tatsächlich „uncool“.

4.3

Entscheidung im Einzelfall

Im zunehmenden Maße werden einzelne Fälle der Compliance zur Entscheidung vorgelegt. Mitarbeiter sind verunsichert, fürchten Fehler zu machen und sich drakonischen Strafen auszusetzen. Dann wird lieber einmal zu viel als zu wenig nachgefragt. Diese Einzelfallentscheidungen binden zunehmend Kapazitäten der Compliance. Mitarbeiter ziehen sich aus der Verantwortung zurück, ist die Compliance dagegen, gibt es halt kein Geschäft, die „Verhinderer“ sind schuld, nicht der betreffende Mitarbeiter. Hier macht es die ­Compliance ihren Ansprechpartner teilweise zu einfach. Eine gelegentliche Erinnerung an Immanuel Kant: Sapere aude! – Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen wird nicht schaden (Gigerenzer 2004, S. 330). Deshalb ist die Zeit, welche in Ethik-­

4.3 Entscheidung im Einzelfall

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Schulungen investiert wird eine Investition im wortwörtlichen Sinne. Wie entsprechende Schulungen gestaltet werden, thematisiert Kap. 16. Dabei reicht ein Rückzug auf formaljuristische Positionen nicht aus, eine Entscheidung muss den, im vorliegenden Kapitel angesprochenen, ethischen Prinzipien entsprechen. Gesetze und Gerichtsurteile sind bindend und ermöglichen keine Kompromisse im Rechtsstaat. Die Compliance hat die Einhaltung zu gewährleisten und die Sanktionierung bei Verstößen sicher zu stellen. Damit ist eine notwendige Bedingung erfüllt, die hinreichende Begründung der „richtigen“ Entscheidung erfolgt auf Grundlage ethischer Prinzipien. Wichtig bei den folgenden Schritten ist es, die Reihenfolge einzuhalten um unausgegorene Schnellschüsse zu vermeiden.

4.3.1 Gesinnungs- und Verantwortungsethik Max Weber hat die Unterscheidung in Verantwortungs- und Gesinnungsethik vorgenommen. Diese trifft wichtige, grundlegende Aussagen, ist jedoch in der konkreten Entscheidungssituation oft zu unscharf. Die Gesinnungsethik verpflichtet, lehnt Kompromisse ab und nimmt jegliche Kosten in Kauf, die aus dem entsprechenden Handeln entstehen. Im Grunde wird zwischen dem Handeln und seinen Wirkungen kein rationaler Zusammenhang gesehen. Die Gesinnung ist der Zweck, der die Mittel heiligt, indem das Ziel erreicht wird oder nicht. Dem Gegenüber stellt Weber die Verantwortungsethik, die sich an der „Kultur“ orientiert, die eine Anpassung an politische, wirtschaftliche und sonstige Bedingungen vorsieht. Kultur ist laut Weber der Kompromiss zwischen sachlichen und ethischen Forderungen. Ersteres – die radikale Nichtanpassung um der Werte willen – ist eine Gesinnungsethik, zweites – die Kompromissbereitschaft um der Werte willen – die Verantwortungsethik. Verantwortungsethik bedeutet, dass der Handelnde bereit ist, für die Folgen seiner Handlung gerade zu stehen und gegebenenfalls sein Handeln als gescheitert zu betrachten. Gesinnung bedeutet, dass der Gesinnungsethiker in Bezug auf seine Folgen ritualistisch handelt, während der Verantwortungsethiker in Bezug auf Gesinnungen technisch handelt (Schneider und Geckert 2016, S. 16). Mithin ist kein Konzept als ethischer Beurteilungsmaßstab universell geeignet. Der Einzelne mag sein Leben an einem der beiden Konzepte ausrichten, dass Unternehmen wird daran scheitern, wenn man das in Kap. 2 und  3 dargestellte systemimmanente Spannungsfeld berücksichtigt. Hier kann das folgende Prinzip weiterhelfen.

4.3.2 Regelutilitarismus Grundlegend für die ethische Bewertung einer Handlung in einem utilitaristischen Rahmen ist das Nützlichkeitsprinzip, dargestellt als Grundformel: Diejenige Handlung bzw. Handlungsregel (Norm) ist im sittlichen bzw. moralischen Sinne gut bzw. richtig, deren Folgen für das Wohlergehen aller von der Handlung Betroffenen optimal sind. Dabei kann

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4  Das Fundament der Compliance

es zu der fragwürdigen Situation kommen, dass ein Betroffener, welcher ein Haus erworben hat, nicht seinen Immobilienmakler bezahlt, sondern der Caritas das Geld spendet. Der damit verbundene Vertragsbruch würde im Utilitarismus akzeptiert, nicht jedoch in der Unterart des Regelutilitarismus der das Kriterium des größten allgemeinen Glücks auf Handlungsregeln anwendet. Beispiel

Ein typisches Anwendungsfeld ist die Korruption. Diese nutzt ein korruptes Unternehmen, welches bspw. den Bauleiter eines Nahverkehrsunternehmens schmiert, um die eigenen, teureren Aufzüge in die U-Bahn-Schächte einzubauen. Den Preis zahlen der Steuerzahler und die Fahrgäste, also sehr viel mehr Menschen als der einzelne Bauleiter. ◄ Der Regelutilitarismus ist ein wertvolles Instrument, welches dennoch des sorgfältigen Einsatzes bedarf. Komplexer wird die Betrachtung, wenn es um die im vorherigen Kapitel angesprochenen Wettbewerbsvorteile von Produkten geht, die einer Vielzahl von Menschen nützen, die jedoch nur von Unternehmen entwickelt werden, wenn sie die Früchte ihres geistigen Eigentums nützen können, weshalb es entsprechende Patente gibt. Wo die Grenzen liegen, wo ein Missbrauch beginnt, wird im Einzelfall von Wettbewerbsbehörden festgestellt. Dieser Fall liegt exemplarisch bei der Entwicklung neuer Medikamente vor. Gleiches gilt für deren Preisgestaltung, lehrt doch die Volkswirtschaftslehre, dass der ­maximale Erlös eines Monopolisten dann erzielt wird, wenn die gesamte Nachfrage zur Hälfte gedeckt wird. Dies mag bei der trendigen Jeans unkritisch sein, beim Trinkwasser ergibt sich eine andere Bewertung. Dennoch lassen sich mit den dargestellten Instrumenten Handlungen als „richtig“ oder „falsch“ klassifizieren. Häufig bleiben Situationen, in denen ein unbestimmtes Missfallen bleibt, welche sich der Betroffene meist selbst nicht erklären kann. Dann, und erst dann, gilt es dem Bauchgefühl Gehör zu schenken. Ein Lösungsansatz mag sein, sich kritisch zu fragen, welches der Kardinalstugenden: Weisheit, Mäßigung, Tapferkeit, Gerechtigkeit für die Lösung erforderlich ist (Ruter 2016, S. 49). Meist wurde dann die schwierigere, gleichwohl bessere, Lösung gefunden. Auf diesem Fundament ist eine Diskursethik mit den Ansprechpartnern im Unternehmen möglich, ein verständigungsorientierter, durch Unvoreingenommenheit geprägter Dialog zwischen Einzelnen um ethische vertretbare Handlungen zu finden. Diese im beruflichen Alltag durchzusetzen ist nicht einfach. Gelingen kann es nur bei entsprechendem Rückhalt, durch die Kollegen, den Leiter der Compliance und letztlich die Unternehmensleitung. Unternehmensethik ist keine Schönwetterveranstaltung, kein löbliches Tun, sondern ein Pflicht (Macharzina und Wolf 2015, S. 1044). Hier erweist sich ob Compliance eine Alibiveranstaltung ist oder die Überzeugung gewonnen wurde, dass es zwar Alternativen gibt, welche aber langfristig keine wirklichen Alternativen darstellen, wenn das Unternehmen noch in fünf oder zehn Jahren existieren soll.

4.3 Entscheidung im Einzelfall

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4.3.3 Umsatz vs. Ethik Oben wurde geklärt inwieweit das Geschäftsmodell des Unternehmens ethisch vertretbar ist. Nun können einzelne Handlungen detailliert beurteilt werden. Die Reihenfolge ist wichtig, allzu oft ist es in der Compliance umgekehrt. Dann entsteht der, fatale, Eindruck, die Compliance sei „Groß im Kleinen“ sprich der Erstellung detaillierte Richtlinien und Handlungsanweisungen, aber „Klein im Großen“ der eindeutigen Entscheidung welche Geschäfte möglich sind, und welche nicht. Wer sich dezidiert damit auseinander setzt in welche Länder Überweisungen fließen, dass zugrunde liegende Geschäft jedoch ignoriert, bestätigt den dargestellten Vorwurf. Jeder CO kennt das Argument, genauer das Todschlagargument: wenn sich die Ergebnisverantwortlichen ethisch korrekt und compliancekonform verhalten werden Umsatz und Ergebnis sinken, Arbeitsplätze, vielleicht der Fortbestand des Unternehmens seien bedroht. Hier helfen Analogien zum Sport, die richtigen Schlüsse zu ziehen. Entscheidend dabei ist der Unterschied von Handlungsbedingungen und Handlungen, bzw. von Spielregeln und Spielzügen. Handlungen hat der Einzelne in der Hand, die Handlungsbedingungen nicht. Handlungsbedingungen können nicht von den einzelnen Akteuren gesetzt werden, wie schon das vorherige Kapitel über den Wettbewerb aufgezeigt hat. Es bedarf glaubwürdiger, sanktionsbewährter Regeln, die der Staat etabliert und durchsetzt. Die Demarkationslinie zwischen moralischem und unmoralischem Verhalten ist nicht die Unterscheidung in Egoismus und Altruismus, sondern zwischen eine Vorteilsstreben auf Kosten anderer und einem Vorteilsstreben, bei welchem auch für andere Vorteile entstehen (Homann und Lütge 2016, S. 44). Dabei bewegen sich die Wahrnehmung was moralisch gerechtfertigt ist und die staatliche Durchsetzung eindeutig in einer Richtung, wie gesellschaftliche Diskussionen, als auch Gesetzesveränderungen, aufzeigen. Weiterhin nimmt die Wahrscheinlichkeit der Aufdeckung von Verstößen zu, wie Kronzeugenreglungen oder die Belohnung von Whistleblowern durch staatliche Stellen belegen. Um im sportlichen Bild zu blieben: wo früher ein Spieler eine Tätlichkeit begehen konnte, wenn der Schiedsrichter wegschaute, wird dieses Vergeben heute von Fernsehkameras eingefangen. Dann gibt es zwar keine rote Karte auf dem Spielfeld, aber die Sperre wird später am grünen Tisch ausgesprochen. Das Unternehmen, genauer der einzelne Mitarbeiter, muss entscheiden ob es überholten Verhaltensweisen anhängt, gegen gesetzliche Vorgaben bewusst verstößt und das zunehmende Aufdeckungsrisiko in Kauf nimmt oder eine zukunftsorientierte Aufstellung wählt, Kunden aufgrund der Preis-Leistungs-Verhältnis vom Kauf überzeugt oder auf trüben Wegen zum kurzfristigen Erfolg gelangt, langfristig wird ein solcher Erfolg nicht mehr sein.

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4.4

4  Das Fundament der Compliance

Ethik verhandeln, Anständigkeit gewährleisten

Die Idee, dass Ethik im Unternehmen „verhandelt“ wird erscheint ungewöhnlich, ja zweifelhaft. Werte und Überzeugungen soll fest stehen, konsequent vertreten werden und dürfen keine „Verhandlungsmasse“ darstellen, wenn der Einzelne nicht vor sich und anderen als wankelmütig dastehen möchte. Dennoch zeigt auch der Rückgriff auf die angeführte Alltagsethik, dass Menschen Ethik sehr wohl verhandeln. Was Mitarbeiter unter Rationalität verstehen, was sie für richtig und falsch für sich und andere erachten, ist offen für Interpretation, Rechtfertigung, Bewertung, Verhandlung und gegenseitige Verständigung. Die Forderung nach Rationalität ist nicht natürlich, sondern begründungsbedürftig, Rationalität ist interpretativ (Hedtke 2014, S. 63). Bisher wurde die Entscheidung des einzelnen CO thematisiert, welche dieser vor seinem ethischen Selbstverständnis verantwortet. Damit handelt es sich um eine persönliche Entscheidung. Allerdings dürfen die Ansprechpartner erwarten, dass die Compliance mit einer Stimme spricht. CO treffen nicht perse „bessere“ oder „richtigere“ Entscheidungen, ihre Entscheidung müssen aber ethischen Ansprüchen genügen. Damit nicht zu verwechseln ist ein „Schmusekurs“, welcher alles Verhalten erklären und jede Sanktion vermeiden hilft. Im Gegenteil! Es geht um eine klare, nachvollziehbare, integre Linie des Verhaltens und Entscheidens. Allerdings im Spannungsfeld des Kritischen Rationalismus. Ob nicht doch der Andere Recht haben könnte bedarf der Prüfung, auch vor dem Hintergrund das Antworten nur in der aktuellen Situation richtig sind und sich ändern können. Einfacher geht es leider nur um den Preis ein engstirniger, weltfremder Fanatiker zu werden, können solche doch mit einfachen, universellen, ewig gültigen Antworten dienen. Wie die Geschichte der Fanatiker und totalitären Regime zeigt, bricht das Kartenhaus irgendwann zusammen und die einst so fest Überzeugten stehen vor den Trümmern ihres Weltbildes. Damit stellt sich die Frage, welche Unterschiede in der Compliance Organisation, zwischen den einzelnen CO bestehen dürfen um die Wirksamkeit nicht zu gefährden. Wie bereits erwähnt ist eine größere Vielfalt der Mitarbeiter sinnvoll. Dies bringt neben zahlreichen Vorteilen den Nachteil mit sich, dass es aufwendiger wird den Rahmen zu stecken. Dabei gilt es sorgfältig zu trennen, welche Handlungen vor dem Gesetz richtig und falsch sind, um darauf aufbauend die engeren unternehmensinternen Vorgaben als Beurteilungsmaßstab anzulegen. Dabei gilt es wiederum auf Popper zurückzugreifen und sich und anderen einzugestehen, dass ich mich irren kann, dass du Recht haben kannst und dass wir zusammen vielleicht der Wahrheit auf die Spur kommen werden (Popper 2003, S. 281). Die Ethik ist für den Kritischen Rationalismus das Problemlösen auf sozialem Gebiet, keine Wissenschaft. Wo um Überzeugungen gerungen, wo in den offenen Diskurs eingetreten wird, muss dieser von beiden Seiten ergebnisoffen geführt werden. Nicht als Selbstzweck, sondern um den in Kap. 2 beschriebenen Konflikt zu lösen, für das Unternehmen gut zu verteidigende

4.4 Ethik verhandeln, Anständigkeit gewährleisten

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Wettbewerbsposition zu schaffen, welche mit den Vorstellungen der Gesellschaft und den gesetzlichen Vorgaben zum Kartellrecht in Einklang steht. Sind Grenzen gesetzt, gilt es innerhalb dieser wirksam zu werden. Daraus resultieren auch Konflikte mit Kollegen und Vorgesetzten, die ein Ethikverständnis vertreten, welches mit den Vorstellungen der Compliance unvereinbar ist. Selten erfolgte hier eine Auseinandersetzung mit den verschiedenen Konzepten, als vielmehr die unreflektierte Beibehaltung einer Übung, welche im eigenen Verhalten als erfolgreich eingeschätzt wurde. Je dünner die Grundlage der Bewertung was ethisch verantwortlich ist, umso größer ist häufig die Vehemenz mit der diese vertreten wird. Reinhard Sprenger entwickelt in seinem Buch: „Das Anständige Unternehmen“ Kriterien was die richtige Führung ausmacht – und was sie weglässt. Zu Beginn zitiert Sprenger den Theologen Dietrich Bonhoeffer (Sprenger 2015, S.  93): „Wenn wir nicht den Mut haben, wieder ein echtes Gefühl für menschliche Distanzen aufzurichten und darum persönlich zu kämpfen, dann kommen wir in einer Anarchie menschlicher Werte um.“ Bei seinem dritten Prinzip des anständigen Unternehmens „Versuche nicht Menschen zu verbessern“ (Sprenger 2015, S. 175) geht Sprenger explizit auf Ethikseminare und die Compliance ein und bestreitet er deren Sinnhaftigkeit, ja Anständigkeit. Damit ist die Com­ pliance unmittelbar angesprochen, welche den Vorwurf der „Unanständigkeit“ nicht unkommentiert lassen sollte. Weiterhin kritisiert Sprenger die „Fürsorgepflicht“; welche zu einer Bevormundungskultur führe und der Infantilisierung der Mitarbeiter Vorschub leiste. Fürsorge sei Herablassung, der Mitarbeiter ein minder wehrhaftes Opfer, wobei die Rolle nicht immer ungern eingenommen werde, fürchteten doch nicht wenige Mitarbeiter die Freiheit und wollen nicht für die Wirkungen ihres Handelns geradestehen. „Anständigkeit“ ist ein Anspruch, den die Compliance sicherlich an sich selbst stellt. Sprenger beklagt Unanständigkeit, insbesondere einen Überschuss an Zudringlichkeit, eine fehlende Distanz zum Mitarbeiter. Damit stellt sich die berechtigte Frage an die Compliance ob sie anständig handelt, Mitarbeiter nicht infantilisiert, Denken vorschreiben und Handlungskonzepte vorgeben will, welche über den legalen Rahmen weit hinausgehen. Konkret gilt es zwei Fragen zu beantworten: • Infantilisieren Compliance Vorgaben nicht die Mitarbeiter, wenn selbst kleinste Entscheidungen vorgelegt werden müssen und unzählige Vorgänge und Entscheidungen der vorherigen Zustimmung bedürfen? Soll ein Unternehmen, soll die Compliance überhaupt Vorgaben machen, welche über den gesetzlichen Rahmen hieraus gehen? • Sind Vorstellungen zur Ethik keine individuelle Angelegenheit, welche der Einzelne für sich klären kann und soll? Kommen Vorgaben nicht einer Anmaßung gleich, die der Gehirnwäsche und den Denkverboten totalitärer Regime entspricht? Die Verhandlung, das offenlegen und diskutieren ist auch deshalb wichtig, weil Menschen vermuten zu wissen, wo ihre Meinung der Mehrheit entspricht und berücksichtigen dies in gewissen Maße, aber selbst wenn Sie offensichtlich extreme Meinung wie bei dem

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4  Das Fundament der Compliance

Abb. 4.1  Ethische Bewertung fragwürdiger Praktiken. (Eigene Darstellung, angelehnt an: Epley (2014) Machen wir uns nichts vor. Ullstein, Berlin, S. 175)

Ethisch fragwürdige Praxis

Ist das unethisch?

Wie viele Prozent teilen Ihre Meinung?

Sie arbeiten bewusst langsam, um neuen Aufgaben zu vermeiden

Ja – 23 %

55 %

Sie enthalten Kollegen, die sich um dieselbe Position bewerben, Informationen vor

Ja – 25 %

Sie übertreiben im Vorstellungsgespräch ihr aktuelles Gehalt

Ja – 53 %

Sie nehmen für den privaten Gebrauch Büromaterial mit nach Hause

Ja – 60 %

Sie laden am Arbeitsplatz urheberrechtlich geschütztes Material ohne Bezahlung herunter

Ja – 70 %

Sie melden sich krank, um einen freien Tag zu haben

Ja – 71 %

Sie übernehmen eine Aufgabe, die Sie in Wahrheit nicht erledigen werden

Ja – 73 %

Sie landen Freunde zum Essen ein und rechnen dies als Spesen ab

Ja – 86 %

Sie installieren eine Raubkopie eins Programmes auf ihren privaten Rechner

Ja – 94 %

72 %

Nein – 6 %

66 %

Nein – 77 % 68 % 69 %

Nein – 75 % 52 % 61 %

Nein – 47 % 71 % 62 %

Nein – 40 % 65 % 69 %

Nein – 30 % 66 % 66 %

Nein – 29 % 64 % 68 %

Nein – 27 % 69 % 72 %

Nein – 14 % 60 %

Herunterladen urheberrechtlich geschütztem Material vertreten und ihre Meinung nur von 6 % der Versuchsteilnehmer geteilt wird, vermuten sie immer noch, dass eine Mehrheit der Menschen, hier 56 % ihre Meinung teilt (Epley 2014, S. 175). Abb. 4.1 zeigt die Ergebnisse einer Untersuchung, die Epley mit seinen Studenten durchführte. Epley fordert seine Studenten jährlich auf bestimmte Praktiken als ethisch bzw. unethisch zu bewerten und in einem zweiten Schritt anzugeben, wieviel Prozent der Bevölkerung die gleiche Meinung vertreten würden. Abb. 4.1 stellt die Ergebnisse dar.

4.5

Das Spannungsfeld

Grundsätzlich erscheint die Alternative erwachsene Menschen eigenständig entscheiden zu lassen nicht abwegig. Wer „unternehmerisches Denken“ fordert sollte sich zweimal überlegen, ob jedes Bagatellgeschenk der Compliance zur Genehmigung vorgelegt wird und selbst kleine Einladungen mit dem Verweis auf die Compliance ausgeschlagen werden müssen.

4.5 Das Spannungsfeld

37

Beispiel

Wenn in der Weihnachtszeit Wandkalender mit Werbeaufdrucken verteilt werden, macht sich die Compliance schlicht lächerlich, wenn sie die Rückgabe dieser Geschenke an die Empfänger von den Mitarbeitern des eigenen Unternehmens fordert. ◄ So werden Mitarbeiter gegängelt, durchaus vergleichbar mit der 15-jährigen, welche um 21:00 Uhr zu Hause sein muss und bei Überschreitung die vorherige Genehmigung der Eltern einholen muss. In vielen, hoch regulierten, Tätigkeitsfeldern kommt kein Verantwortlicher auf die Idee Ethikseminare zu veranstalten und regelmäßige Wissenskontrollen durchzuführen. Berufskraftfahrer sind in einem sehr regulierten Umfeld tätig, müssen eine Vielzahl von Gesetzten und Vorgaben kennen und diese einhalten, dennoch sind Ethikseminare für diese Berufsvertreter unüblich, wobei darauf resultieren Defizite nicht bekannt sind. Wird der Kernbereich der Compliance angesprochen, der Umgang mit Geschäftspartner des Unternehmens reicht es jedoch nicht aus, einfach auf die Gesetzes und deren Einhaltung zu verweisen. Das Wirtschaftsrecht der DACH Staaten ist unscharf formuliert. Hier ist nicht der Ort die Vor- und Nachteile zu diskutieren, Fakt ist jedoch, dass nirgends exakt festgelegt ist, was „Untreue“ ist, was „Vorteilsnahme“ oder „Vorteilsgewährung“ bedeuten. Die rechtliche Bewertung eines Vorgangs obliegt letztendlich einem Richter, nicht dem bzw. den Betroffenen. Beispiel

So hatte das Landgericht Essen bspw. eine völlig andere Auffassung als der Angeklagte Thomas Middelhoff bezgl. der Bewertung der Hubschrauberflüge von seinem Wohnzum Arbeitsort auf Kosten des Unternehmens. Der Verurteilte sah darin die optimale Nutzung seiner knappen Zeit, das Gericht Untreue zulasten der Besitzer des Unternehmens. ◄ Sicherlich handelt es sich hierbei um ein besonders schillerndes Beispiel, aber auch auf mittleren Entscheidungsebenen gibt es oft unterschiedliche Bewertungen eines Vorfalls. So wurden die Entlassung, welche ein Akteur des Schienenkartells aussprach arbeitsrechtlich fast ausnahmslos einkassiert. Nicht zuletzt deshalb hinkt der Vergleich mit dem Kraftfahrer. Das, in Kap. 3 diskutierte, Spannungsfeld des Wettbewerbsvorteils besteht immer. Dieser Konflikt setzt sich im Arbeitsalltag fort. Selbstverständlich soll ein Vertriebsmitarbeiter partnerschaftlich, vertrauensvoll mit Kunden zusammenarbeiten, mit dem Ziel, dass der Kunde nicht beim erstbesten, geringfügig preiswerteren, Angebot zum Konkurrenten wechselt. Die Logen der Fußballstadien sind voll mit Unternehmensleitern, welche die beachtlichen Kosten mit der Pflege von Geschäftsbeziehungen begründen, die Einladun-

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4  Das Fundament der Compliance

gen zu Veranstaltung im geschäftlichen Umfeld zu denen der Ehepartner explizit mit eingeladen wird, gehen selten auf Ebene der Sachbearbeiter ein. Damit sind Mitarbeiter angesprochen, welche mit besten Wissen und Gewissen handeln und den Vorteil des Unternehmens im Blick haben. Dabei gilt es allerdings die zweite Seite der Medaille zu beachten. Wer andere beeinflussen, in gewissem Rahmen manipulieren will, kann auch selbst zum Ziel werden, wobei der redliche, aufrichtige Geschäftspartner an den Rand der Legalität geraten kann. Bis zur Überschreitung dieser Grenze ist es nur ein kleiner Schritt, wobei bereits oben dargelegt wurde, dass diese Grenze keine eindeutige Markierung, als vielmehr ein undeutliches Hinweisschild im Nebelfeld ist.

4.6

Die negative Perspektive der Compliance

Mancher Leser kennt noch „Deutsche Babcock“ oder „Feldmühle Nobel“, vielleicht auch „Nixdorf oder „VIAG“. Diese Unternehmen zählten 1988 zu den Gründungsmitgliedern des Dax 30. 13 dieser 30 Unternehmen sind heute noch existent, also mehr als die Hälfte verschwunden. Warum? So unterschiedlich die Geschichte war, lässt sich ein Merkmal festhalten: die Entscheider haben Fehler begangen, schwerwiegende Fehler. Und die übrig gebliebenen Unternehmen? Kein Unternehmen schreibt eine ununterbrochene Erfolgsgeschichte. Ob Glyphosat bei Bayer, der Dieselskandal bei VW, die Fusion von Daimler mit Chrysler oder das brasilianische Hüttenwerk von Thyssenkrupp, alles grobe, teuere Fehlentscheidungen, aber mit einem entscheidenden Unterschied zu den erstgenannten Unternehmen: die betroffenen Unternehmen überlebten. Nicht das Treffen richtiger Entscheidungen, sondern das Vermeiden falscher Entscheidungen gewährleistet das Überleben. Dabei hilft auch hier ein Blick in die Geschichte um die Perspektive zu erweitern (Schneider und Funk 2020, S. 7). Analogien zur Evolution drängen sich auf. Dabei wird Evolution häufig mit dem „Survial of the fittestes“, dem Überleben der Besten gleichgesetzt. Dieses Evolutionsverständnis ist ebenso populär wie falsch. Es überlebt nicht die Art, welches alles richtig macht, die am Fittesten ist, sondern die Vertreter einer Spezis, der der alles entscheidende Fehler nicht unterläuft, die sich fortpflanzen, bevor alle Vertreter aus dem Genpool ausgeschieden sind. Populären Veröffentlichungen der Wirtschaftsliteratur konzentrieren sich auf positives Wissens. Immer wieder stehen Erfolgsstories einzelner Unternehmen oder Unternehmensleiter an die Spitze der Beststellerlisten. Das mediale Dauerfeuer, in Büchern, Zeitschriften und Blogs, bis zu den Versprechen der Unternehmensberater vermittelt positiven Wissens. Wir wissen es, wir können es, tönt es allerorten. Bei aller Komplexität der Unternehmen erfreuen sich „Kochrezepte“ ungebrochener Popularität. Hier eine andere Perspektive einzunehmen ist nicht einfach, bedarf zumindest der stringenten Begründung, nicht allein gegenüber den externen Ansprechpartnern der Compliance, sondern auch ­innerhalb der eigenen Organisation. Der Macher wird geschätzt, nicht die Zögernde, der

4.6 Die negative Perspektive der Compliance

39

Handelnde, nicht die Abwägende. Eine „hands-on“ Mentalität wird eingefordert, wo eine „hands-off“ Einstellung vielfach die bessere Alternative wäre. Diese Grundeinstellung wird kein CO verändern. Damit liegt ein Grund vor, warum CO bei ihrer Aufgabe, die tendenziell mehr „Nein“ als „Ja“ beinhaltet oft unsicher sind und versuchen dem Gegenüber doch noch irgendwo entgegen zu kommen. Dabei kann die negative Perspektive das erforderliche Selbstbewusstsein aufbauen, eine notwendige Ablehnung offensiv zu vertreten und argumentativ zu begründen. Menschen fällt es leichter negatives Wissen zu generieren und zu nutzen, als positives Wissen zu schaffen. Wir wissen eher was nicht ist, als was ist; was falsch ist, als was richtig ist; kennen das Wort „Durst“, aber nicht dessen Gegenteil. Legen im Straßenverkehr Höchstgeschwindigkeiten fest und nur an wenigen Stellen Mindestgeschwindigkeiten. Fehlschläge sind informativer als Erfolge, weshalb negative Wissen nicht perfekt, aber robust ist. Die Umsetzung ist einfach: öfter „Nein“ sagen. Laut und vernehmlich, offensiv und nicht verschämt. Wenn ein Geschäft in einem korrupten Markt unter Einhaltung der Compliance-­Vorgaben nicht möglich ist, ist es nicht möglich. Sicherlich können und dürfen die Verantwortlichen nach Lösungen suchen und hartnäckig versuchen die Compliance von deren Tragfähigkeit zu überzeugen, irgendwann aber ist Schluss. Was nicht geht, geht nicht. Gleiches gilt für alte Zöpfe, lieb gewordene Gewohnheiten, aus der Zeit als die Compliance noch nicht den aktuellen Stellenwert hatte. Dann werden Übergangsfristen vorgeschlagen, vielleicht ein Abwarten, bis ein bestimmter Protagonist aus dem Unternehmen ausscheidet, aber auch hier gilt: Nein ist Nein. Vor dem diesem Hintergrund verweist die Compliance verweisen, dass ihre primäre, originäre Aufgabe, ihr Fundament darin besteht, falsche Entscheidungen zu vermeiden. Die Begründung warum so der Fortbestand des Unternehmens gesichert wird, erfolgt auf Basis der oben entwickelten Begründung. Damit wird ein zusätzlicher, positiver Aspekt gewährleistet: die Unterscheidung, die Abgrenzung, die Unverwechselbarkeit im oft uniformen Einerlei der verschiedenen Stabsbereiche. Warum also nicht kurz und knapp die folgende Aussage an prominenter Stelle proklamieren: Erste und wichtigste Aufgabe der Compliance ist das Vermeiden von Fehlern, vor allem im Umgang mit Geschäftspartnern und gesetzlichen Vorgaben. Zum Vermeiden falscher Entscheidungen leistet die Compliance einen wichtigen Betrag, für positive Entscheidungen sind andere zuständig, wobei eines nicht vergessen werden sollte: Unternehmen überleben nicht, weil sie alles richtig machen, sondern weil sie grobe Fehler unterlassen. Diese Aussage gilt durchaus auch für die persönliche Laufbahn. Nassim Taleb führt an, dass man einen Scharlatan daran erkennt, dass dieser positive Ratschläge gibt, seinem Publikum, seinem Auftraggeber nur sagt, was dieser tun, nicht aber, was er lassen soll (Taleb 2014, S. 411). Solche Scharlatane gibt es überall, die Compliance darf eine selbstbewusste Ausnahme darstellen und darauf selbstbewusst hinweisen, ja Stolz sein.

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4  Das Fundament der Compliance

Literatur Epley N (2014) Machen wir und nicht vor. Ullstein, Berlin Gigerenzer G (2004) Das Einmaleins der Skepsis. Pieper, Berlin Hedtke R (2014) Wirtschaftssoziologie. UKV, Konstanz Homann K, Lütge C (2016) Einführung in die Wirtschaftsethik. LIT, Berlin Macharzina K, Wolf J (2015) Unternehmensführung. Springer Gabler, Wiesbaden Popper K (2003) Die offene Gesellschaft und ihre Feinde. Mohr, Tübingen Ruter R (2016) Tugenden eines ehrbaren Aufsichtsrates. Schmidt, Berlin Schneider T, Funk K (2020) Nein! Die negative Persepektive der Compliance. ZFRC 1/2020. Schmidt, Berlin Schneider T, Geckert C (2016) Verhaltensorientierte Compliance. Schmidt, Berlin Sprenger R (2015) Das Anständige Unternehmen. DVA, München Taleb N (2014) Antifragilität. btb, München

5

Entscheiden

Zusammenfassung

In den Kap. 2, 3 und 4 wurde, bildlich gesprochen, das Spielfeld der Compliance eingeschränkt und die grundsätzlichen Regeln entwickelt. Mit wachsender Konkretisierung geht es nun darum für die Compliance mitzuspielen, richtig zu entscheiden. Dies betrifft sowohl die Entscheidungen, welche ein CO arbeitstäglich trifft, als auch die Umsetzung der Vorschläge des vorliegenden Buches. „Ewige“ Weisheiten vermitteln nur engstirnige Fanatiker, deshalb sollen die weiteren Vorschläge geprüft, über die grundsätzliche Akzeptanz und die konkrete Umsetzung entschieden werden. Zu erstem gaben die Kap. 2, 3 und 4 Anregungen, zu letzterem entwickelt das vorliegende Kapitel Lösungsmöglichkeiten.

5.1

Interpretationsansatz

Entscheiden als Wahl einer Handlung aus mindestens zwei Möglichkeiten ist zentraler Bestandteil der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften. Darüber ob eine Handlung rechtlich zulässig ist, ob ein Bewertungsansatz dem Handelsrecht entspricht wird in Ausbildung und Praxis immer wieder entschieden. Diese laufend eingeübte Art der Entscheidung wird innerhalb der Compliance unbewusst zum grundsätzlichen Maßstab gesetzt, die Umwelt mit diesem Modell interpretiert. Der Interpretationsansatz der Unternehmensführung zeigt verschiedene Möglichkeiten der Interpretation auf, welche in Abb.  5.1 dargestellt sind (Macharzina und Wolf 2015, S. 104). Mit der Abbildung wird deutlich, dass der Informationszugang mittels „Ermittlung“ als Voraussetzung einen aktiven Informationszugang und eine gute Analysierbarkeit der Umwelt voraussetzt. Diese Voraussetzungen sind bei der Beurteilung eines Agentenvertrages gegeben, bei der Beantwortung der Frage, ob in der Niederlassung Indikatoren für eine © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Schneider, Werkzeuge wirkungsvoller Compliance, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61792-2_5

41

42

5 Entscheiden

Abb. 5.1  Interpretationsmodell der Unternehmensführung. (Macharzina und Wolf 2015, S. 104)

Absprache mit Wettbewerbern vorhanden sind scheitert dieser Ansatz. Entsprechend stellt sich für die Compliance bei jeder Entscheidung die Frage, wie die Umwelt interpretiert werden kann. Allzu oft wird die „Ermittlung“ angenommen, wo die „Inszenierung“ die realistischere, wirksamere Einordnung darstellt. Mit der Inszenierung wird wiederum das zitierte Motto „Sapere aude“ angewendet. Nicht jeder Informationszugang kann aktiv sein, es gibt immer Situation, welche nicht vollständig beschreibbar sind, dennoch wagt die Compliance den Versuch zur Inszenierung zu gelangen. Wie dieser Schritt gestaltet wird, ist ein zentrales Thema der weiteren Ausführungen. cc

Beim Entscheiden liegt damit eine komplexe Situation vor. Im Gegensatz zur Entscheidung im Rahmen der „Ermittlung“ ergeben sich bei anderen Entscheidungssituationen Wechselwirkungen, deren Berücksichtigung grundsätzlichen Einfluss auf die Entscheidungsqualität hat.

5.2 Komplexe Situationen

5.2

43

Komplexe Situationen

Dörner hat ein Computermodell entwickelt, in dem die Entscheider das Leben eines afrikanischen Stammes verbessern sollte, also den, in Kap. 4 dargestellten, Regelutilitarismus anwenden. Beispiel

Mittels diktatorischer Vollmachten kann die Jagd oder der Ackerbau intensiviert und/ oder die Region elektrifiziert werden (Dörner 2003, S. 22–32). Sechs Mal konnte in die Versuchsanordnung eingegriffen werden. Nach den ersten drei Schritten hatten die Teilnehmer alles im Griff, scheinbar. Dann brachen fast immer Hungersnöte aus, da die Bevölkerungsentwicklung die Nahrungsversorgung schnell überstieg. Dabei gab es keine signifikanten Unterschiede zwischen unerfahrenen und erfahrenen Teilnehmern, Schülern und berufserfahren Partizipanten. ◄ Die Gründe für den Erfolg bzw. Misserfolg lagen vielmehr in bestimmten „Denkfiguren“, welche Abb. 5.2 darstellt (Dörner 2003, S. 28). Werden die drei Kategorien Entscheidungen, Reflexionen und Fragen im Zeitablauf gegenüber gestellt, ist das Schema offensichtlich. Nach den ersten Sitzungen glaubten die Teilnehmer über ausreichend Wissen zu verfügen. Auch spätere Misserfolge führten nicht zu verstärkten Fragen und Reflexionen, sondern hektischeren, kurzfristigen Entscheidungen.

Abb. 5.2  Entscheidungen, Reflexionen und Fragen: Die Entwicklung über sechs Sitzungen. (Dörner 2003, S. 28)

44

5 Entscheiden

Dabei waren die Parallelen zu realen Ereignissen offensichtlich: • • • •

Handeln ohne vorherige Situationsanalyse, Nichtberücksichtigung von Fern- und Nebenwirkungen, Nichtberücksichtigung der Ablaufgestalt von Prozessen, Methodismus: Man glaubt, über die richtigen Maßnahmen zu verfügen, weil sich keine negativen Effekte zeigen, • Flucht in die Projektmacherei, • Entwicklung zynischer Reaktionen. Weitere Erkenntnisse liefert ein anderes Experiment, in dem die wirtschaftliche Entwicklung einer Kleinstadt simuliert wurde (Dörner 2003, S. 32–46). Beispiel

Auf Basis der Entwicklung der Zufriedenheit der Bewohner konnten „gute“ und „schlechte“ Entscheider identifiziert und die relevanten Unterschiede im Verhalten festgestellt werden. Ein wesentlicher Unterschied lag darin, dass die guten Versuchspersonen mehr Entscheidungen trafen als die schlechten Teilnehmer. Weiterhin handelten diese komplexer, wobei signifikant mehr Entscheidungen pro Absicht realisiert wurden. Außerdem beschäftigten sie sich frühzeitig und intensiver mit den tatsächlichen Problemen und ließen sich von Störmanövern wenig beeinflussen. Die Anzahl der Hypothesenbildung unterschied sich nicht, allerdings prüfen die guten Teilnehmer ihre Hypothesen häufiger durch Nachfragen. Diese Fragen waren häufiger „Warum“ Fragen, während die schlechten Teilnehmer mehr „Gibt es“ Fragen stellten. Die schlechten Teilnehmer blieben nicht bei einem Thema, sondern wechselten rasch. Die guten Teilnehmer identifizierten die wichtigen Tätigkeitsfelder und widmeten sich diesen kontinuierlich. In der Selbstorganisation machten sich diese Gedanken über sich selbst und ihr Verhalten. Ein nennenswerter Zusammenhang zwischen Intelligenzwerten und Leistung ergab sich nicht. Für die Compliance geht es schlicht darum die Probleme zu lösen, die man lösen soll, nicht die, welche man lösen kann. ◄ Das bedeutet im Einzelfall auch, dass auf andere Entscheidungsträger verwiesen oder eine Frage der Unternehmensleitung vorgelegt bzw. an dieses zurückverweisen wird. Bei aller Hektik im Alltagsgeschäft gilt es immer wieder zurück zu treten, eine Entscheidung zu überdenken, ggf. zu revidieren. Diese Vorgehensweise ist effektiver als vermeintlich „dynamisches“, „unternehmerisches“ Vorgehen.

5.3 Anforderungen

5.3

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Anforderungen

Wirkungsvolle Compliance erschöpft sich nicht in der Lösung einfacher, statischer und transparenter Probleme. Um den eigenen Anforderungen genüge zu leisten, gilt es Problemen in komplexen, dynamischen und intransparenten Situationen zu bewältigen (Dörner 2003, S. 58–73). • Komplexität. Viele Einzelmerkmale können nicht unabhängig voneinander betrachtet werden, sondern beeinflussen sich gegenseitig, deshalb ist die gleichzeitige Beachtung notwendig, man kann fast nie nur eine Sache machen, Vernetztheit bedeutet, dass die Beeinflussung einer Variabel nicht ohne Auswirkungen auf die anderen bleibt. Komplexität ist subjektiv, nicht objektiv. Autofahrer ist gutes Beispiel. Es erscheint für den Fahranfänger komplex, für den erfahrenen Fahrer dagegen einfach. • Dynamik. Die Gebilde, das Unternehmen wartet nicht auf die Compliance, sondern entwickelt sich weiter, es entsteht Zeitdruck. Es reicht nicht den aktuellen Stand zu erfassen, vielmehr gilt es festzustellen, wo das System sich hinbewegt, hinbewegen möchte. • Intransparenz. Nicht alles was man sehen möchte ist sichtbar. Weiterhin ist Strukturwissen ist nötig. Wissen über die Art und Weise wie die Variablen des Systems zusammenwirken. Jeder Mensch trifft Annahmen und erschafft sich ein Realitätsmodell. Dies kann richtig oder falsch, vollständig oder unvollständig sein. Meistens ist es falsch und unvollständig. Die Beachtung dieser Sachverhalte bei den einzelnen Projekten der Compliance kann durch einen „Avocadi diaboli“ verbessert werden. Ein wechselnder Mitarbeiter sucht bewusst nach Gegenargumenten und verzichtet auch nicht auf die oft plakativen Vorwürfen gegenüber der Compliance. So wird eine Vorbereitung verbessert, welche sich bewusst nicht auf rationale Argumente beschränkt. Ergänzt wird dieses Vorgehen um eine Nachschau abgeschlossener Projekte. Insbesondere wenn diese vom Leiter der Compliance initiiert wurden, gilt es die Mitarbeiter aktiv dazu aufzufordern Probleme zu schildern. Dies erfolgt im Rahmen einer speziellen Sitzung, ausschließlich negatives Denken tötet jede Initiative, gelegentliches negatives Denken vermittelt aber ein realistischeres Bild als Stillschweigen oder substanzlose Zustimmung. Bei der Berücksichtigung dieser Aspekte hinkt die Compliance oftmals hinterher, teilweise selbst verschuldet. Schon die Ausbildung als Juristen oder Wirtschaftswissenschaftler mit Schwerpunkten im Prüfungs- und Rechnungswesen führt an die Lösung von Einzelfällen heran, vernachlässigt jedoch das unternehmerische Handeln, das Denken in Zusammenhängen. „Politisches“ Handeln wird wenig wertgeschätzt, aber vor dem Anspruch der wirkungsvollen Compliance schlicht notwendig sein. So wie sich kein Politiker auf die Entwicklung und Durchsetzung von Gesetzen im stillen Kämmerlein beschränken kann, kann sich die Compliance nicht auf den Einzelfall beschränken, sondern muss

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5 Entscheiden

vielmehr das große „Spiel“ mitspielen, ja mitspielen wollen. Hierzu vermitteln die folgenden Kapitel das notwendige Rüstzeug. Kahneman konzentriert sich bei seiner Analyse des menschlichen Entscheidens nicht auf komplexe Systeme, sondern einzelne Entscheidungen, wobei er in vielfältigen empirischen Versuchen nachgewiesen hat, das die Entscheidungsqualität hier allenfalls durchschnittlich ist und Menschen unabhängig von formaler Qualifikation und hierarchischer Stellung im Unternehmen zu typischen Fehlentscheidungen neigen. Laut Kahneman erfolgt eine unterschiedliche Wahrnehmung des Menschen in den Systemen 1 und 2, welche beim Denken aktiviert werden. System 1 arbeitet automatisch, schnell, mühelos und ohne bewusste Steuerung. System 2 lenkt die Aufmerksamkeit auf anstrengende mentale Aktivitäten. Im System 1 entstehen Gefühle und Eindrücke, die die Hauptquelle der expliziten Überzeugungen und bewussten Entscheidungen von System 2 sind. System 1 ist immer aktiv, System 2 befindet sich hingegen in einem Ruhemodus und muss bewusst aktiviert werden. Erst wenn System 1 Komplikationen feststellt, wird System 2 zur Unterstützung aktiviert. Kahneman nennt seinen Ansatz „WYSIATI“ („What you see is all there is“ – Nur was man gerade weiß, zählt), mittels dem er die Schwachstellen im menschlichen Denken darstellt (Kahneman 2012, S. 112–116). System 1 konstruiert hervorragend Geschichten, wobei der Widerspruchsfreiheit entscheidende Bedeutung zugesprochen wird. Dabei bleiben die Menge und Qualität der Daten weitgehend bedeutungslos. Auf Basis beschränkter Informationen wird die bestmögliche Entscheidung gefällt. Ob die Informationen dazu wirklich ausreichen, wird nicht hinterfragt. Selbstverständlich wollen, teilweise müssen, Menschen schnell denken, aber ist dieses schnelle Denken und das sich daran anschließende urteilen und entscheiden in jedem Fall die richtige Lösung? Aus dem allzu raschen Entscheiden entstehen meistens Fehlurteile. Typische Ausprägungen davon sind dabei die folgenden (Staehle 1994, S. 187–192): • Stereotypenbildung: Diese vereinfachen den Wahrnehmungsprozess, indem auf Basis einzelner Merkmale eine Kategorie gebildet wird und ein generelles Urteil gefasst wird. Dabei können die Vorurteile über einen Menschen sowohl positiver, als auch negativer Natur sein. Vorurteile projizieren sich überwiegend auf Menschen, ebenso kann aber ein Ort, eine bestimmte Fachabteilung oder ein Prüfungsansatz betroffen sein. • Halo-Effekt: Der Halo Effekt kommt zum Tragen, wenn ein Effekt des Betrachtungsobjektes alle anderen Eigenschaften überstrahlt. Dies trifft bspw. auf besonders erfolgreiche oder erfolglose Unternehmen zu. Im Erfolg wird scheinbar alles richtiggemacht, im Misserfolg alles falsch. In diesen Zusammenhang kann es interessant sein einmal zu lesen, was die Wirtschaftspresse bspw. aktuell und vor zehn Jahren über die Firma Nokia oder den Manager Thomas Middelhoff geschrieben hat.

5.4 Bauchgefühl, Heuristik oder Algorithmus

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• Primacy-Recency-Effekt: Dieser bezieht sich darauf, dass die Reihenfolge, in der Reize wahrgenommen werden für die Wahrnehmung von Bedeutung ist. Dabei kommt dem letzten Reiz die größte Bedeutung zu. • Projektion: Entsteht beim Einzelnen ein Gefühl der Schuld oder des Versagens werden diese Gefühle nicht selten auf andere projiziert. Schuld sind andere, nicht man selbst.

5.4

Bauchgefühl, Heuristik oder Algorithmus

5.4.1 Spezielle Situation der Compliance Was falsch ist, ist falsch. Hier wird die Compliance grundsätzlich die in Kap. 4 vorgestellte negative Perspektive einnehmen. Immer wieder gibt es Versuche den CO zu überzeugen, zu überreden, ja schlicht zu ermüden. Dabei werden falsche Denkweisen und Vorschläge nicht richtiger, wenn man darüber redet. Der radikale Konstruktivismus mag die Wirklichkeit als soziales Konstrukt betrachten, dem ist aber die „Ententheorie“ entgegen zu halten, welche besagt, dass etwas was wie eine Ente aussieht, sich wie eine Ente bewegt und wie eine Ente anhört meistens auch eine Ente ist. Nun werden Entscheidungen bekanntlich von allen Mitarbeitern im Allgemeinen, von den „Entscheidern“ im Speziellen laufend im Unternehmen getroffen. Damit ist hier kein Allleinstellungsmerkmal der Compliance vorhanden. Warum soll sich dann explizit mit Entscheidungsformen auseinandergesetzt werden? Weil sich Entscheidungen bzgl. der Compliance von anderen Entscheidungen unterscheiden. Bei „normalen“ Geschäften ist alles klar, einer möchte kaufen, ein anderen verkaufen. Man klärt Angebote und Nachfrage ab, verhandelt miteinander, kalkuliert und rechnet, prüft, verändert Vertragsentwürfe und trifft schlussendlich eine Entscheidung. Der Unterschied zu compliancerelevanten Entscheidung liegt in der Auswirkung. Ein Geschäft wird getätigt und ist damit abgeschlossen. Sicherlich mag es Wartungs- und Serviceleistungen geben, sicherlich einmal einen erneuten Kontakt, weil Leistung oder Zahlung nicht zur Zufriedenheit erfolgte, grundsätzlich ist das Geschäft aber beendet. Das nächste Werkzeug oder Vormaterial, Fahrzeug oder Maschine, können beim gleichen Anbieter gekauft werden oder nicht. In der Compliance verhält es sich anders. Hier müssen nicht Fälle angesprochen werden, in denen demonstrativ mit dem Bargeldbündel gewedelt oder die Goldmünze auf dem Tisch liegt. Einerseits treten diese in der Phantasie externer Betrachter sehr viel häufiger, als im unternehmerischen Alltag aus, anderseits bedarf es keiner Entscheidungsregeln und -formen, wenn völlig klar ist, was zu tun bzw. zu lassen ist. Verstöße gegen die Compliance kommen unscheinbarer, trivialer, scheinbar belangloser daher, zumindest am Anfang. Niemand der einen Mitarbeiter zu Verstößen gegen die Compliance-Vorgaben verleiten möchte, würde dies so plakativ herausstellen. Eine Leistung wird erbracht, eine ­Gefälligkeit gewährt, aber eine Gegenleistung scheinbar brüsk abgelehnt. Dennoch ist genau diese das Ziel eines Compliance-Verstoßes. Nicht heute, nicht morgen, aber

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5 Entscheiden

irgendwann. Um den Druck auf den Empfänger zu steigern, wird auch das „Anfüttern“, die langsame, unmerkliche Steigerung der Zuwendungen eingesetzt. Das Gegenüber möchte das richtige, bewusste Entscheiden gezielt verhindern, nicht wie beim Kaufvorgang die Vorzüge der eigenen Leistung betonen, sondern die Nachteile herunterspielen und trivialisieren. Hier den richtigen Ausstieg zu finden, besser den Einstieg zu vermeiden bedarf der sorgfältigen Auswahl der richtigen Entscheidungsform. Sowohl für den einzelnen Betroffenen, als auch den CO bei der Beurteilung der Sachverhalte.

5.4.2 Entscheidungsformen Die erste, viel zu selten gestellte Frage ist, welche Form der Entscheidung überhaupt gewählt wird. Objektivität drückt sich darin aus, dass Gleiches gleich entschieden bzw. beurteilt wird, womit die gleichen Instrumente zum Einsatz gelangen sollten. Die richtige Entscheidungsform führt nicht immer zu einem guten Ergebnis, die falsche jedoch häufig zu einem schlechten. Grundsätzlich gibt es vier Entscheidungsformen: • Das Bauchgefühl. Einfach seiner Intuition folgen und den spontanen, ersten Einfall umsetzen, aber auch andere Meinungen anhören, komplexe Berechnungsmodelle Ergebnisse produzieren lassen und dann doch in sich hinein hören und im Zweifelsfall dem Bauchgefühl folgen, selbst wenn die, scheinbar objektiven Argumente in eine andere Richtung weisen. Eng mit dem Bauchgefühl verknüpft ist die Heuristik. Das deutsche Wort „Daumenregel“ beschreibt dieses Vorgehen gut. Es gibt vielleicht viele Informationen, aber nur wenige davon sind relevant und werden zur Entscheidungsfindung herangezogen. Der Entscheider macht sich im sprichwörtlichen Sinne keinen Kopf, wägt nicht lange ab, sucht nicht nach weiteren Informationen sondern entscheidet schlicht. Wobei hierzu eine Regel herangezogen wird, so einfach diese auch sei. • Ein Algorithmus ist eine Handlungsvorschrift zur Lösung. Algorithmen bestehen aus endlich vielen, wohldefinierten Einzelschritten. Alle relevanten Informationen werden quantifiziert, und gewichtet, dann wird gerechnet und ein Ergebnis kommt heraus. • Die Experten. Der Begriff „Experte“ bezieht sich im hier gewählten Zusammenhang sowohl auf Menschen, als auch technische Systeme. Entscheidend ist, dass die Entscheidung vorgegeben wird, dem eigentlichen Entscheider nur die Zustimmung bzw. Umsetzung bleibt. Ein Experte ist jemand, dem von der (Fach)Öffentlichkeit im Allgemeinen, als auch dem Betroffenen im Speziellen zugestanden wird, dass dieser über relevante Kenntnisse verfügt, die man selber nicht hat. Entscheidungen werden in der oben dargestellten Reihenfolge komplexer, aber werden sie auch besser? Albert Einstein wird eine Regel zugeschrieben: Es geht darum, alles so einfach wie möglich zu machen, aber nicht einfacher.

5.4 Bauchgefühl, Heuristik oder Algorithmus

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5.4.3 Expertenwissen Bei der Entwicklung von Börsenkursen lässt sich die Qualität von Expertenwissen einfach beurteilen. Es liegen eine Fülle von quantitativen Daten für lange Zeiträume vor. Experten geben für eine große Anzahl von Börsenindizes und Wechselkursen Prognosen ab, wobei diese mit der späteren Entwicklung einfach verglichen werden können (Gigerenzer 2013, S. 119). Gleiches gilt für die Entwicklung eines Portfolios im Vergleich zum Markt. Die Ergebnisse sind eindeutig: Experten sind schlecht, schlechter als der Zufall oder plakativ ausgedrückt die Affen, die Pfeile auf eine Dartscheibe werfen um besonders aussichtsreiche Werte zu ermitteln. Zwar gibt es immer wieder Einzelne, die über einen längeren Zeitraum richtige Prognosen erstellen, dabei hilft allerdings der Zufall. Je größer die Anzahl der Experten, umso wahrscheinlicher, das einer oder mehrere auch nach vielen Jahren noch richtig liegen. Vergleichbare Ergebnisse lassen sich bei klinischen Studien finden, wenn Expertenmeinungen und Formelwissen miteinander verglichen werden. Meehl betrachtet 200 Studien, in 60 Prozent waren Algorithmen besser, in 40 Prozent ergab sich ein Unentschieden, was für die Algorithmen sprach, da diese schneller und preiswerter Ergebnisse bereitstellten (Kahneman 2012, S. 276). Meehl vermutet, dass Experten deshalb so schlecht liegen, weil sie besonders clever, kreativ und unkonventionell sein möchte. Selbst wenn diesen leistungsfähige Algorithmen vorliegen, setzen sie sich über dies hinweg, weil sie annehmen über zusätzliche, besonders relevante Informationen zu verfügen. Wie sollte sie sonst ihren Status als Experte rechtfertigen? Der Bogen zum „Entscheider“, der einen Agenten beauftragt oder eine persönliche Einladung erhält, ist schnell gezogen. Warum ziehen Menschen Expertenmeinungen hinzu, wenn bessere und leistungsfähigere Möglichkeiten bestehen und schon die einfache Fortschreibung der Gegenwart bessere Ergebnisse bringt? Der Blick auf den Torwart beim Elfmeter hilft bei der Erklärung. Michael Bar-Eli analysierte 286 Strafstöße bei Top-Fußballspielen. Die Wahrscheinlichkeit dass die Schüsse nach links, in die Mitte oder nach rechts gehen, ist in etwa gleich groß. Die Torhüter sprangen meistens in eine Ecke und hielten etwa 25  Prozent der Schüsse, blieben sie stehen und ging der Schuss in die Mitte hielten sie 60 Prozent. Es wäre rational stehend zu bleiben (Friebe 2013, S. 76). Dies sieht aber unglücklich aus und wirkt wie eine Arbeitsverweigerung. In die falsche Ecke springen ist schlicht Pech. Fans und Team erwarten Aktion, beim Fußball nicht weniger als im Verkauf. Dabei ist Stehenbleiben oft besser, als bewusste Entscheidung, nicht als passive Erduldung. Dennoch ist es falsch Expertenwissen vollständig anzulehnen. Unter bestimmten Umständen können Menschen zu Experten werden. Dazu bedarf es zweier Vorrausetzungen: eine regelmäßige Umwelt und unmittelbare Folgen der eigenen Handlungen, welche ­direkt erfahrbar sind. Wenn dann noch 10.000 Stunden Übungszeit eingesetzt wurden, kann der Experte Entscheidungen treffen, die Dritten nicht möglich sind. Deshalb sollte man im Operationssaal aufhorchen, wenn der Anästhesist sagt, dass etwas „nicht stimmt“, erhält dieser doch ein unmittelbares Feedback auf seine Handlungen, wenn der Patient zu früh aufwacht oder gar nicht mehr. Der Chirurg, der eine Hüftoperation vornimmt erhält

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5 Entscheiden

diese Rückkoppelung meistens nicht. Die meisten Leser werden als Autofahrer einen Expertenstatus erlangen. Die Handlung wird regelmäßig vorgenommen und die Reaktion auf Fehler erfolgt unmittelbar. Nun ist es bei denen, die andere zu Compliance-Verstößen anhalten ein explizites Ziel, den Verstoß und die Auswirkungen zu entkoppeln, wie schon zu Anfang dieses Abschnittes betont wurde. Was ist schlimm an einer Aufmerksamkeit unter Freunden? Dabei wissen beide Beteiligten, dass der Zeitpunkt der Rückzahlung kommen wird. Experten in der Compliance sind sinnvoll und notwendig, die eigene Wahrnehmung als „Compliance-­ Experte“ in Ein- und Verkauf führt dagegen schnell in die falsche Richtung, mehr noch auf die abschüssige Bahn.

5.4.4 Algorithmen Der Begriff des Experten ist immer relativ. Deutsche wissen grundsätzlich mehr über deutsche Städte als Amerikaner und umgekehrt. Dies sollte auch zutreffen, wenn zwei Städte bzgl. ihrer Einwohnerzahl verglichen werden. Gigerenzer legte Deutschen und Amerikanern hierzu Vergleiche vor, wobei beiden Versuchsgruppen die gleichen Fragen gestellt wurden (Gigerenzer 2013, S. 68). Ein Beispiel: • Welche Stadt hat mehr Einwohner? Milwaukee oder Detroit? • Welche Stadt hat mehr Einwohner? Hannover oder Bielefeld? Die Versuchsteilnehmer schnitten bei dem ihnen unbekannteren Land besser ab. Dabei war die Erklärung einfach: für das Ausland wählten sie schlicht die Stadt als größer aus, die ihnen bekannt war, setzen als eine einfache Heuristik ein. Beim eigenen Land gerieten sie als Experten dagegen ins Nachdenken … Wenn Expertenmeinungen so schlecht und Algorithmen so gut sind, stellt sich die Frage, warum letztgenannte nicht viel häufiger zum Einsatz gelangen. Weil Menschen sie nicht mögen. Hier machen compliancerelevante Fragen keinen Unterschied. Wird über autonomes Fahren berichtet, wird ein einzelner Unfall am anderen Ende der Welt thematisiert, vor allem wenn Opfer zu beklagen waren. Relevant ist die Information nur, wenn die unfallfreien Kilometer ebenfalls angeführt und mit denen eines menschlichen Fahrers in Bezug gesetzt werden. Das Ziel sollte sein das Fahren sicherer zu machen, am Anspruch der absoluten Fehlerfreiheit scheitern Menschen und Systeme. Kahneman entwickelte als Armee – Psychologe einen einfachen, aber wirkungsvollen Algorithmus um für Rekruten den passenden Truppenteil auszuwählen. Die bisher dafür Verantwortlichen waren entschieden gegen dieses Vorgehen, fanden es sehr viel interessanter Gespräche zu führen anstatt Checklisten abzuarbeiten. Die Lösung bestand darin, dass die Verantwortlichen verpflichtet wurden festgelegte Fragen zu stellen, um dann ab-

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5.4 Bauchgefühl, Heuristik oder Algorithmus

Erfolgsquote von Entscheidungsregeln 80 Multiple Regression

78

Take-the-Best Strichliste

76 74 72 70 68 66 64 62

Rückschau

Vorschau

Abb. 5.3  Erfolgsquote von Entscheidungsregeln. (Eigene Darstellung, angelehnt an: Gigerenzer (2013) Risiko, Bertelsmann, München, S. 165)

schließend eine endgültige Beurteilung durchführten  (Kahneman 2012, S.  285). Dass Checklisten keine „Krücke“ für unsichere bzw. schlechte Entscheider darstellen, zeigt sich im Luftverkehr, wo Piloten diese bei der Überprüfung vor dem Start, als auch im Notfall einsetzen. Zu einem Vergleich der Leistungsfähigkeit wurden drei Verfahren miteinander verglichen (Gigerenzer 2013, S. 165): • bei der Strichlisten-Regel werden alle Faktoren gleich behandelt und alle Alternativen gleich bewertet, • bei der Take-the-best Regel wurde alleine der beste Grund berücksichtigt, • bei der multiplen Regression werden sämtliche Faktoren gewertet und gewichtet (Abb. 5.3). Das einfachste Verfahren ist das effektivste. Die Compliance hat bereits für viele Entscheidungen Algorithmen entwickeln, wenn es bspw. darum geht Agentenverträge zu prüfen oder über die Annahme von Geschenken zu regeln. Die Anwendung dieser Vorgaben stellt selten ein Problem dar. Vielmehr versuchen die Beteiligten nicht selten Ausnahme zu schaffen, in denen die vorhandenen Algorithmen

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5 Entscheiden

eben nicht zur Anwendung gelangen könnten. Dann wird kein Vertriebsagent beauftragt, sondern ein „Unterstützer“ vor Ort, dann erhält der Mitarbeiter kein Geschenk, sondern sein Lebenspartner. Diese Ausweichmanöver gilt es explizit anzusprechen. Alle Beteiligten wissen, worum es sich handelt bzw. was das Ziel des Handelns darstellt, suchen aber nach Ausreden und Ausflüchten, die bei näherer Betrachtung Unsinn sind und bleiben.

5.4.5 Bauchgefühl Bauchgefühl ist nicht mit Expertentum gleichzusetzen. Der Experte kann begründen warum er zu einer Entscheidung gelangt, derjenige, der auf sein Bauchgefühl hört, kann dies nicht. Gigerenzer definiert das Bauchgefühl als ein Urteil dass: • Rasch im Bewusstsein auftaucht. • Dessen tiefere Gründe nicht vollkommen bewusst sind. • Das stark genug ist, dass Menschen danach handeln (Gigerenzer 2013, S. 143). Das Bauchgefühl erfährt in der verhaltenswissenschaftlichen Literatur größtenteils Ablehnung. Die Ablehnung Kahnemans wurde bereits in Abschnitt 5.3 angesprochen. Dabei sind Bauchentscheidungen nicht vollständig in Kahnemans Systematik einzufügen. Es geht nicht um den spontanen „Schnellschuss“, sondern die bewusste Entscheidung, wenn scheinbar alle Fakten objektiv auf dem Tisch liegen und zu einer Entscheidung in eine bestimmte Richtung leiten, aber das Bauchgefühl zum Gegenteil auffordert. Bauchregeln sind nicht willkürlich, sondern beruhen auf jahrelanger Erfahrung und dienen einem bestimmten Ziel. Wenn der Bauch schweigt, schweigt er, wenn er sich meldet, sollte er ernstgenommen werden. Dabei werden Bauchentschiedungen selten thematisiert. Ein CO möchte nicht seinen Ansprechpartnern mitteilen, dass die vorliegenden Fakten wichtig seien, er aber aufgrund seines Bauchgefühls anders entscheide. Dabei zeigt eine Untersuchung von Gigerenzer, dass Bauchentscheidungen in Unternehmen häufig vorkommen und mit höherer Hierarchiestufe sogar zunehmen (Gigerenzer 2013, S. 149). Auch, weil es sich oftmals um komplexe Entscheidungen handelt. Bedauerlicherweise meinen Entscheider sich nicht zu ihren Bauchentscheidungen bekennen zu können und nehmen eine nachträgliche Rationalisierung vor, suchen also nach weiteren Fakten, die ihr Bauchgefühl bestätigen. Noch häufiger wird defensiv ­Entscheiden, also die beste Option fallen gelassen und die zwei- oder drittbeste Option gewählt, um sich selber zu schützen (Gigerenzer 2013, S. 153). Bei allen Entscheidungen gilt es die sprichwörtlichen Hausaufgaben zu machen, zu prüfen, zu quantifizieren wo dies möglich ist. Dennoch hilft es vor der endgültigen Entscheidung auf das  Bauchgefühl zu hören, vor allen das der ältesten, erfahrensten Entscheider.

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5.4.6 Generelle Regel Jeder CO, jeder Ansprechpartner der Compliance bevorzugt intuitiv eine Entscheidungsform. Geprägt durch die Ausbildung und beruflicher Position, letztlich auch die Persönlichkeit, entscheidet der ein bewusst aus dem Bauch, während der andere sorgfältig a­ bwägt, die Auswirkungen quantifiziert und berechnet. Die obigen Ausführungen ­verdeutlichen, dass es die eine, optimale Entscheidungsform nicht gibt. Wenn auch keiner über seinen sprichwörtlichen Schatten springen kann, gilt es dennoch zu prüfen, ob eine gewisse ­Veränderung in eine bestimmte Richtung zu besseren Entscheidungen führt. Die Grundfrage wie einfach bzw. komplex eine Entscheidung ausfallen soll, fast Gigerenzer wie folgt zusammen (Gigerenzer 2013, S. 131): Hohe Ungewissheit Niedrige Ungewissheit Viele Alternativen Wenige Alternativen Kleine Datenmenge Große Datenmenge Mach es einfach Mach es komplex

5.4.7 Einmaligen Möglichkeiten? Es gibt sie immer wieder, einmalige Möglichkeiten, die vielleicht wiederkommen, vielleicht nicht. Entscheidungsdruck entsteht, wird nicht selten bewusst aufgebaut. Selbstverständlich gelten weiterhin die Compliance-Vorgaben, obwohl, ein wenig Flexibilität wird nicht schaden und dient schließlich dem Großen, Ganzen so die rasche Argumentation. Ein häufiges Kriterium erschwert die planvolle, rationale Entscheidung: die Anzahl der Entscheidungsmöglichkeiten, der Alternativen. Oft gibt eine große Anzahl von Möglichkeiten, wobei die genaue Anzahl unbekannt bleibt, auch nicht bekannt sein kann. Wenn vorliegende Angebote verglichen und bewertet wurden ergibt sich im Nachhinein vielleicht eine noch vorteilhaftere Alternative. Ebenso könnte allerdings Gelegenheiten verpasst werden, die sich in der Rückschau als besonders attraktiv herausstellen. Die große Herausforderung ist meistens, dass die Möglichkeiten nicht unbeschränkt lange bestehen bleiben, mitunter nur sehr kurzfristig bestehen. Die Unterschiede lassen sich leicht herausstellen. So besteht bei der Entscheidung für einen neuen Vertriebsagenten eine nicht exakt bestimmbare Anzahl an Möglichkeiten bzw. potentiellen Kandidaten. Wird dagegen eine spezielle Maschine beschafft, gibt es eine überschaubare Anzahl bekannter Anbietern, welche miteinander im Wettbewerb stehen, die Angebote blieben eine Zeitlang offen, so dass der Einkäufer die Alternativen vergleichen und die Entscheidung in Ruhe treffen kann. Soll eine entsprechende Maschine dagegen gebraucht erworben werden, ist die Situation komplexer. Plötzlich gibt es mehrere Angebote, drei Wochen später ist nichts Adäquates auf dem Markt verfügbar. Angebote bestehen nur kurzfristig, wer nicht entschlossen zugreift kommt oft zu spät, wer zu schnell zugreift erwirbt vielleicht einen wenig vorteilhaften Ladenhüter. Wie lange aber noch abgewartet, wie lange auf ein, möglicherweise noch besseres Angebot gewartet werden?

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5 Entscheiden

I­ rgendwann muss jedoch eine Entscheidung fallen, egal wie schwer diese fällt. „Einen Tod muss man sterben“ ist die nicht unpassende Beschreibung dieser Situation. Die beschriebene Herausforderung beschäftigten Menschen lange bevor es eine „Compliance“ gab. Eine klassische Abhandlung dieser Frage ist das Mitgiftproblem (Schneider, 2020, S. 20). Sultan Saladin sucht einen neuen Berater. Zur Prüfung wurden den Kandidaten jeweils 100 schöne Frauen vorgestellt. Der jeweilige Kandidat sollte die Frau mit der höchsten Mitgift auswählen. Jede trat einzeln vor und nannte ihre Mitgift, wobei die Reihenfolge zufällig gewählt war. Der Kandidat musste unmittelbar entscheiden ob er eine Frau auswählte oder nicht. Dann kam die nächste Frau an die Reihe, wobei der Kandidat nicht auf bereits vorgestellte Frauen zurückgreifen konnte. Wählte der Betreffende nicht die Frau mit der höchsten Mitgift, wurde er den Löwen zum Fraß vorgeworfen. Dass hier wenig verlockenden Aussichten bestehen, bedarf nicht der weiteren Erläuterung. Aber kann der Kandidat überhaupt etwas tun, um seine Chancen von 1 zu 100 signifikant zu steigern? Gibt es eine bessere Strategie als würfeln oder raten? Vielleicht das Vertrauen in die eigene Intuition? Die erfolgversprechendste Vorgehensweise ist relativ einfach: Der Kandidat lässt die ersten 37 Frauen vorübergehen, notiert die höchste Mitgift und wählt die nächste Frau aus, deren Mitgift diesen Wert übertrifft. Damit erhöht sich die Chance der richtigen Auswahl und damit seines Überlebens von 1 auf 33 Prozent. Zu Berechnung des Wertes wird die Eulersche Zahl eingesetzt, die die Basis des natürlichen Logarithmus ist, also 1 + ½ + ¼ + 1/8 + 1/16 … Sie beträgt 2,72. Die Zahl der Alternativen, hier 100, wird durch diese Eulersche Zahl geteilt, woraus sich der Wert 37 ergibt. Werden Versuchsteilnehmer vor eine vergleichbare Aufgabe gestellt, entscheiden diese in aller Regel sehr viel früher, somit zu früh. Sich Zeit nehmen, erste Angebote vorübergehen lassen und erst später zu entscheiden ist deshalb nicht die schlechteste Wahl. Dabei sollten allerdings die erwogenen Möglichkeiten dokumentiert werden und zumindest eine grobe Einschätzung der Anzahl der möglichen Alternativen erfolgen, um diese in Bezug zum möglichen Zeitraum zu setzen. Wenn bspw. eine gebrauchte Maschine benötigt wird, können die Angebote über einen Monat erfasst werden. Kommen in diesem Zeitraum bspw. drei Angebote auf den Markt und soll in spätestens acht Monaten eine Entscheidung fallen, würde in diesem Zeitraum ungefähr 24 Angebote vorliegen. Wird diese Anzahl durch die Eulersche Zahl geteilt, sollte nach 9 erfassten Angeboten das beste Angebot dokumentiert sein. Das nächste Angebot, welches besser ist wird angenommen. Dieses strukturierte, schablonenhaft erscheinende Vorgehen wirkt bei wichtigen Entscheidungen merkwürdig. Viele Einkäufer mögen sich eine bessere Lösung vorstellen, diese kann es sicherlich geben, ebenso aber das Gegenteil eintreten. Die Zeit läuft ab, der Entscheidungsdruck wird größer, nichts passiert und irgendwann muss dann entschieden werden. Die dargestellte Regel kann keine optimale Entscheidung gewährleisten, aber eine nachvollziehbare, begründete, womit bereits Entscheidendes erreicht wurde.

Literatur

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Faustregeln Die hier aufgeführten Faustregeln sind nichts anderes als die oben bereits erwähnten Algorithmen, allerdings für die spezielle Situation. Faustregeln gewährleisten ebenfalls keine perfekte Entscheidung, helfen aber zumindest völlige Fehlentscheidungen zu vermeiden. • Finden Sie den wichtigsten Grund und vergessen Sie alles andere. Nicht selten weiß der Einkäufer bzw. der Auftraggeber genau was er will. Eine Immobilie soll in einem bestimmten Stadtteilliegen, die Maschine unbedingt von einem gewissen Hersteller sein. Dann wird vielleicht scheinbar objektiv entscheiden, allerdings bei jedem anderen Angebot so lange nach Ablehnungsgründen gesucht, bis diese tatsächlich gefunden wurden. Die dafür erforderliche Zeit sollte man sich persönlich, als auch den Anbietern sparen. • Legen Sie ihr Anspruchsniveau fest. Wählen Sie die erste Alternative, die dieses Anspruchsniveau erfüllt und beenden Sie die Suche. Wenn klar ist, was wirklich zählt, was reicht, aber auch was unbedingt notwendig ist, muss nicht unnötiger Aufwand getrieben werden. • Ihre innere Stimme, das bereits oben angeführte Bauchgefühl.

Literatur Dörner D (2003) Die Logik des Misslingens. Rororo, Reinbek Friebe H (2013) Die Stein Strategie. Hanser, München Gigerenzer G (2013) Risiko. Bertelsmann, München Kahneman D (2012) Schnelles Denken, langsames Denken. Siedler, München Macharzina K, Wolf J (2015) Unternehmensführung. Springer Gabler, Wiesbaden Schneider C (2020) Wie trifft man die richtigen Entscheidungen. In: Brauerei-Forum 3/2020. VLB, Berlin Staehle W (1994) Management. Vahlen, München

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Ziele und Planung

Zusammenfassung

In Kap. 5 wurde das Thema „Entscheiden“ behandelt, in diesem Kapitel stehen Ziele und Planung im Mittelpunkt. Die Reihenfolge der beiden Kapitel könnte auch anders gewählt werden, bestehen doch zahlreiche Interdependenzen zwischen den Themen und bilden Entscheiden, Ziele und Planung eher einen Kreislauf der regelmäßigen Abstimmung als eine abgeschlossene Folge aufeinander aufbauender Schritte. Ziele und deren Planung werden in der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre diskutiert, im Rechnungs- und Prüfungswesen sowie in der juristischen Ausbildung dagegen kaum angesprochen. Dies ist bei der Beurteilung und Lösungen einzelner Sachverhalte sicherlich gerechtfertigt, vor dem Anspruch der Entwicklung einer wirkungsvollen Compliance dagegen kritisch zu sehen.

6.1

Ziele

Die Compliance ist als mittlerweile etablierte Funktion in den Zielbildungsprozess des Unternehmens eingebunden. Die Kostenstelle wird jährlich geplant, Soll – Ist Vergleiche vorgenommen und mit dem Controlling und/oder der Unternehmensleitung diskutiert. Wie bei andere zentrale Funktionen erfolgte eine zunehmende Quantifizierung mittels sog. Key Performance Indikator (KPI). Diese Vorgehensweisen sind bekannt und eingeübt. Die Frage ist vielmehr wo Besonderheiten bestehen, wie sich eine wirkungsvolle Compliance aufstellt. Dabei bestehen grundsätzliche Unterschiede zwischen den Zielen der Compliance gegenüber denen der operativen Unternehmensfunktionen wie bspw. Vertrieb, Einkauf oder Produktion, als auch gegenüber Stabsstellen wir dem Personalwesen oder dem Arbeitsschutz, welche quantitative Ziele definieren und den Zielerreichungsgrad definieren können. Die Unterschiede sind: © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Schneider, Werkzeuge wirkungsvoller Compliance, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61792-2_6

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6  Ziele und Planung

• Vielfalt der Ziele. Sicherlich weisen auch andere Funktionenmehrere Ziele, teilweise Zielbündel aus, die Ziele der Compliance sind jedoch in hohem Maße unterschiedlich. So kann die Teilnahme an Schulungen eindeutig quantifiziert, die Erfolgskontrolle einfach erfolgen. Überweisungen in Steueroase können mittels entsprechender Einstellungen im ERP System ausgeschlossen werden, die Schaffung einer Compliancekultur entzieht sich dagegen eine unmittelbaren Bewertung und Erfolgskontrolle. • Diffizile Machtbasis. Diese ist in der Stabsposition der Compliance begründet, welche keine unmittelbare Weisungsbefugnis enthält. Zwar besteht die Möglichkeit über den Umweg der Unternehmensleitung Vorstellungen durchzusetzen, diese Mittel sollte allerdings nur als letzte Mittel eingesetzt werden. Wieder und wieder die Unternehmensleitung für diese Aufgabe einzusetzen, bindet dort erhebliche Ressourcen, schafft Unbehagen, da es sich um keine angenehme Aufgabe für alle Beteiligten handelt und wirft Fragen nach der Durchsetzungs- bzw. Überzeugungsfähigkeit auf. Eine souveräne Compliance findet andere Wege. • Messung der Zielerreichung. Ist die Compliance wirksam, hat sie ihrer Ziele erreicht, wenn keine Verstöße festgestellt werden oder ist das genaue Gegenteil der Fall? Damit verfolgt die Compliance perse unklare Ziele, da ein Kriterium fehlt, an dem man die Zielerreichung messen kann. • Wirtschaftlicher Erfolg. Weiterhin muss die Compliance als strenge Nebenbedingung den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens als Ziel berücksichtigen. Das bei der Schaffung und Sicherung von Wettbewerbsvorteilen die Grenzen der Compliancekonformität zumindest gestreift werden, zeigte Kap. 2 auf. Das Ziel der Compliancekonformität lässt sich mittels vorhandener Standards wie ISO, ASI oder IDW dekompositionieren. Wird dann von den entsprechenden Organisationen die Compliance geprüft, werden Soll-Ist Vergleiche auf Basis von Checklisten vollzogen, um auf dieser Basis Prüfungsergebnisse zu generieren. Auch verschiedene Fachbücher orientieren sich in ihrem Aufbau an diesen Vorgaben. Sicherlich schaffen diese Aufstellungen einen gewissen Mindestrahmen, wobei Begriffe wie „Kultur“ sich der Operationalisierung entziehen. Vergleichbar mit der Hauptuntersuchung eines Fahrzeuges kann die „Verkehrstüchtigkeit“ der Compliance festgestellt werden. Ob das Auto besonders schnell oder sparsam fährt ist damit nicht gesagt. Um dem Anspruch einer wirksamen Compliance gerecht zu werden bedarf es mehr, mehr Wirksamkeit und mehr Anstrengungen. Ein Buch, welches nicht die Grundlagen der Compliance vermittelt, sondern auf diesen aufbaut muss andere Ansprüche stellen, auch an den Leser. Die einzelnen Kapitel zeigen Stellschrauben auf, „drehen“ muss diese der jeweilige Verantwortliche, wobei wie bei der Einstellung eines Motors die Kunst darin besteht, das laufende Aggregat durch ein wenig „mehr“ oder „weniger“ der Einstellgrößen in seiner Wirksamkeit zu verbessern. Jede Veröffentlichung kann bis zu einem gewissen Grad nur pauschale Aussagen treffen und dem Leser die kritisch-­konstruktive Prüfung nicht abnehmen.

6.2 Zielermittlung

6.2

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Zielermittlung

„Wir können nie Verstöße vollkommen ausschließen.“ „Wie sollen wir bei xxx Mitarbeitern gewährleisten, dass sich alle compliancekonform verhalten?“ Soweit die Standardaussagen der Verantwortlichen. Sicherlich sind die Aussagen nicht falsch, aber auch befriedigend? Für die Öffentlichkeit, die Unternehmensleitung, die Compliance selbst? Anderseits wäre die Aussage, dass eine bestimmte Anzahl an Verstößen, eine bestimmte Schadens- bzw. Strafhöhe tolerabel wäre ebenfalls merkwürdig. Entsprechende Aussagen können die Strafverfolgungsbehörden aufgrund des Gesetzes der großen Zahl treffen, wenn es bspw. um Einbruchdelikte geht, nicht aber die Compliance. Eine Analogie aus dem Arbeitsschutz zeigt die Absurdität dieses Vorgehens. Ein Aushang an zentraler Stelle im Unternehmen, seit wie vielen Tage keine Compliance-Verstöße erfolgten, bzw. seit wann alle Mitarbeiter compliancekonform handeln ist unmöglich, weil es keiner weiß. Im Arbeitsschutz ist die Anzeige der unfallfreien Tage dagegen durchaus nicht unüblich. Damit ist ein grundsätzliches Dilemma möglicher Complianceziele angesprochen. Diese Ziele sind grundsätzlich negativ, d. h. es sollen keine Verstöße stattfinden. Bei negativen Zielen fällt es allerdings schwer festzulegen, was eigentlich erreicht werden soll. Entsprechend gilt es das primäre Vermeidungsziel der Compliance ins Positive umzuwenden, es zu spezifizieren. Allerdings besteht das Dilemma darin, dass eine zu frühe Festlegung spezifischer Ziele den Blick auf den Gang der Entwicklung verstellen kann, den im Kap. 4 getätigte Aussagen widersprechen. „Compliance“ im wortwörtlichen Sinn ist zweifelsohne ein komplexes Ziel, welches der Dekomposition, der Aufteilung in entsprechende Unterziele bedarf. Diese einzelnen Ziele, können mittels des „Eisenhower Quadrates“ eingeordnet werden. Wer seine Zeit nur mit dringenden, sicherlich auch wichtigen Aufgaben verbringt, bleibt der Feuerlöscher des Unternehmens. Eine wirksame Compliance welche über den kurzfristigen Horizont he­ raus reicht, räumt den wichtigen, gleichwohl weniger dringenden Aufgaben nicht allein die notwendige Bedeutung ein, sondern vor allem die benötigte Zeit. Ein aktuell festgestellter Compliance-Verstoß muss rasch geklärt werden, auch wenn deshalb eine Schulung verschoben wird. Hilfreich ist jedoch eine Einteilung des Zeitaufwandes in die verschiedenen Quadranten der Abb. 6.1.

Abb. 6.1  Eisenhower-Quadrat. (Eigene Darstellung)

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6  Ziele und Planung

Die pragmatische Lösung liegt in der Zwischenzielmethode. Dabei kann das Pareto Optimum bzw. der Weg dorthin eine Möglichkeit aufzeigen. Konkret: wie verbessert sich eine Variable ohne die anderen zu verschlechtern. Bei jedem Zwischenziel sollte es zumindest eine Sache geben, welche unmittelbar zum Begriff gehört. In diese Richtung entwickelt sich auch das vorliegende Buch. Ein geschlossener, alle Aspekte berücksichtigender Entwurf wird nicht angeboten, kann nicht angeboten werden. Ohne diese Priorisierung droht rasch ein Reparaturbetrieb, falsche Herausforderungen werden angegangen, die scheinbar dringenden, nicht die wichtigen Aufgaben gelöst. cc

Menschen suchen sich gerne Aufgaben mit mittlerem Schwierigkeitsgrad, das Zwischenziel wird zum Endziel. Es werden nicht die realen Probleme gelöst, sondern die, die besonders auffällig erscheinen oder für die man Lösungen zur Hand hat.

Hier werden Anstrengungen intensiviert, nicht dort wo es wichtig ist. Auch beim vorliegenden Buch kann eine Aktion, ein Kapitel besonders interessant erscheinen, die Argumentation eingängig. Dann legt der Leser los und löst ein Problem wobei die angesprochenen Probleme für die eine Lösungskompetenz vorliegt und auch durch Ausbildung und bisherige Karriere vorgegeben sind. Nur handelt es sich möglicherweise um ein falsches Problem. Weiterhin dürfen mögliche implizite Probleme, welche bisher nicht als solche erkannt werden, nicht vernachlässigt werden. Diese tauchen erst auf, wenn andere Probleme gelöst sind. Typischerweise in der Compliance, wenn nach eklatanten Verstößen, die Compliancevorgaben derart verschärft wurden, dass das eigentliche Geschäft kaum noch wahrgenommen werden kann. Dann werden die Regeln wieder zurückgedreht, der Kreislauf beginnt erneut. Zukunftsprobleme werden häufig nicht ausreichend berücksichtigt. Der Zinseszins Effekt zeigt eindrucksvoll auf, wie sich Entwicklung aus kleinen Anfängen heraus entwickeln. Diese können primär durch einen konkreten Bezug auf die Unternehmensplanung besser antizipiert werden. Sind bspw. in einer bestimmten Weltregion signifikant höhere Umsätze geplant, sollte sich die Compliance frühzeitig um eine Personalausstattung bemühen, die diesem Aspekt gerecht wird. Gleiches gilt die angesprochen Sichtweise bzw. Entwicklung von Legalität und Legitimität innerhalb der Gesellschaft. Der Austausch mit den in Kap. 10 thematisierten Partnern trägt zur rechtzeitigen Erkennung bei. Das Problem ist nicht das Unwissen, sondern Nicht-wissen-Wollen, weil aktuelle Probleme den Blick verstellen. Die einfache Lösung liegt darin, nie zu vernachlässigen das es auch Merkmale jeder Situation gibt, welche nicht verändert werden sollen. Abb.  6.2 fasst die Folgen mangender Zielkonkretisierung zusammen (Dörner 2003, S. 94). Die Beachtung der dargestellten Fehler trägt zur Verbesserung der Zielermittlung bei. Wirksame Compliance bedarf wirksamer Ziele. Ziele sind dann wirksam, wenn sie als Ausgangslage für die folgende Planung dienen können.

6.3 Das Abfalleimer-Modell

61

Abb. 6.2  Folgen mangelnder Zielkonkretisierung. (Dörner 2003, S. 94)

6.3

Das Abfalleimer-Modell

Nicht immer kann und soll neu geplant werden. Plötzlich tauchen neue Herausforderungen auf, ein Kartellrechtsverfahren wird eingeleitet, die Erreichung eines Ziels ist nicht möglich, ein zentraler Ansprechpartner fällt aus oder innerhalb eines größeren Projektes ändern sich die Prämissen. Oben wurden „Reparatur“ im Rahmen der Zielfestlegung kritisch angesprochen. Dabei ist ein möglicher „Reparaturbetrieb“, welcher sich um die Beseitigung konkreter Mängel kümmert besser als Nichtstun. Das „Garbage Can Decision“ Modell, wortwörtlich das „Abfalleimer Modell“ kann helfen Prozessmuster in schwachen Ordnungsstrukturen zu erkennen (Macharzina und Wolf 2015, S. 634–638). In diesem Modell werden die folgenden Annahmen getroffen: • • • •

Im Unternehmen fließt ein ständiger Strom von Problemen, im Unternehmen fließt ein ständiger Strom von Lösungen, die Interessenträger des Unternehmens werden als Strom von Teilnehmern aufgefasst, es existiert ein ständiger Strom von Entscheidungsarenen.

Die Unternehmensleitung im Allgemeinen und die Compliance in ihrem Verantwortungsbereich im Speziellen haben die Funktion die Verbindungen zwischen den Strömen herzustellen und aufrechtzuerhalten. Da der Einfluss nie vollständig sein kann, wird die

62

6  Ziele und Planung

Abb. 6.3  Garbage-Can-Entscheidungen. (Macharzina und Wolf 2015, S. 637)

Organisation als Black-Box aufgefasst, die Ergebnisse sind immer bis zu einem gewissen Grad auch Zufallsprodukte. Abb.  6.3 zeigt die Garbage Can Entscheidungen auf (Macharzina und Wolf 2015, S. 637). Entscheidungen werden nach diesem Modell auf drei Arten getroffen: • Übersehen. Eine Entscheidung ist fällig und genügend Energie ist vorhanden. Dann wird eine Entscheidung schnell getroffen, aber keine Lösung des eigentlichen Pro­ blems herbeigeführt. • Flucht/Abwanderung. Probleme warten längere Zeit auf eine Lösung, wenn diese nicht erfolgt wandern diese in erfolgsversprechende Entscheidungsarenen ab. Erfolgt dann letztlich die Entscheidung, kann sie das eigentliche Problem nicht mehr lösen. • Lösung des Problems. Auf Basis der intensiven Auseinandersetzung wird das Problem letztlich gelöst. Die Popularität dieses Ansatzes begründet sich nicht zuletzt daraus, dass viele Praktiker hier die Realität wiedererkennen. Zufälle tragen in erheblichem Maße zur Entscheidung bei, erst im Nachhinein erschienen diese dann als rationale Entscheidung. Damit ist eine enge Verbindung zur österreichischen Schule der Volkswirtschaftslehre vorhanden, welche die Idee der evolutorischen Schöpfung von Wissen durch Unternehmer und die Betrachtung der dynamischen Unsicherheit wirtschaftlicher Prozesse in den Mittelpunkt

6.4 Das Umfeld der Planung

63

i­hrer Überlegungen stellt. Allerdings kann der fehlende normative Gehalt der Aussage unbefriedigend sein, weshalb nochmals betont sei, dass diese Vorgehensweise dann gewählt wird, wenn ein konsequent – rationales Vorgehen nicht möglich ist. Dass diese möglich wird, dazu sollen die in den weiteren Kapiteln vorzustellenden Schritte beitragen.

6.4

Das Umfeld der Planung

Die Compliance des Unternehmens ist mit einem lebendigen Organismus vergleichbar. Man kann nicht einen Aspekt verändern oder beeinflussen, ohne dass nicht andere ebenfalls beeinflusst wird. In jedem System gibt es positive Rückkoppelungen, eine Variable beeinflusst sich selbst, ihre Vergrößerung bewirkt eine weitere Vergrößerung. Negative Rückkoppelungen haben dagegen die Tendenz einen bestimmten Zustand aufrecht zu erhalten, nach Störungen kehrt der vorherige Gleichgewichtszustand wieder zurück. So wird ein System gepuffert und fällt nicht nach einem Eingriffen auseinander. Die vielfältigen Appelle an compliancekonformes Verhalten sind ein Beispiel. Die Argumente werden nachvollzogen, vielleicht erfolgt auch kurzfristig eine Veränderung, langfristig wird jedoch häufig zum ursprünglichen Verhalten zurückgekehrt. So kompliziert und theoretisch sich diese Ausführungen anhören, so praxisrelevant sind sie für eine wirksame Compliance. Die Unternehmensleitung als der größte Multiplikator angesprochen, ebenso der innere Zirkel, dort wo die wichtigen Entscheidungen getroffen werden, worauf sich Kap.  9 bezieht. Verbündete werden gesucht, die richtige Form der Ansprache dargestellt und schlussendlich auch der Umgang mit Widerstand und Ablehnung. Bei Einzelpunkten kann auf die Ausführungen zur Rückkoppelung zurückgegriffen werden. Aus der Perspektive der Rückkoppelung wird der Einfluss Dritter auf die eigene Planung besser eingeordnet und im nächsten Schritt gesteuert. Ob Unternehmensleitung, Aufsichtsgremien, Wirtschaftsprüfer oder betriebliche Stellen. Alle haben eigene Interessen, aus Altruismus wird kaum das getan, was die Compliance plant, auf die Eigeninteressen der Ansprechpartner wird hier nicht immer eingegangen, berücksichtigt werden diese jedoch vor der Durchführung einzelner Schritte. Dörner beschreibt einen Versuch, in dem Probanden die richtigen Entscheidungen treffen müssen. Beispiel

Eine komplizierte Maschine erstellt ein Produkt, wobei zwei widersprüchliche Ziele verfolgt werden: hoher Gewinn und Umweltschutz. Die Unterschiede zwischen guten und schlechten Testpersonen sind eindeutig. Die schlechten Testpersonen treffen ­insbesondere in den ersten Eingriffsphasen deutlich mehr Entscheidungen, während die guten Entscheider vorsichtig sind und durch Fragen ihre Informationsbasis verbessern. ◄

64

6  Ziele und Planung

Wer an dieser Stelle auf das Kap. 5 zurückblickt, stellt fest, dass im dort vorgestellten Experiment die guten Entscheider mehr Entscheidungsfreude zeigten, die Ergebnisse der beiden Versuche mithin widersprüchlich erscheinen. Der Grund liegt im Zeitdruck, der beim Produktionsexperiment erheblich größer ist. Die guten Entscheider fragen genügend, die schlechten Entscheider reagieren bei langsamen Entwicklungen mit exzessiver Informationssammlung, einer stärker werdenden Unsicherheit, weitere Informationssammlung und Entscheidungsvermeidung. Bei Zeitdruck macht sich Informationsverweigerung und Aktionismus breit. Abb.  6.4 und  6.5 zeigt das Verhältnis von Fragen und Entscheidungen bei „guten“ und „schlechten“ Versuchspersonen auf (Dörner 2003, ­ S. 148–155). Diese Unterschiede gilt es für die Compliance zu beachten. Das hier dargestellte Projekt der wirkungsvollen Compliance bedarf einer anderen, nicht besseren, Vorgehensweise, als Ermittlungen in einem isolierten Korruptionsfall. Für die Compliance gilt es auf Basis der Ziele die Planung zu konkretisieren und dann schlicht loszulegen, ohne zu vernachlässigen die Zusammenhänge und Folgen des eigenen Tuns regelmäßig zu beobachten und wo erforderlich das Vorgehen anzupassen, ohne die Ziele aus dem Auge zu verlieren.

6.5

Planung

Das über die Zielfindung Gesagte gilt auch beim Thema Planung. Diese nimmt in der betriebswirtschaftlichen Ausbildung und der zugrunde liegenden Literatur eine weite Behandlung ein, womit sich wie bei den Zielen die Frage stellt, welche Besonderheiten der wirkungsvollen Compliance eine spezielle Behandlung rechtfertigen. Die Maßnahmen der folgenden Kapitel lassen sich in unterschiedlichem Maße planen.

Abb. 6.4  Fragen (in %) bei „guten“ und „schlechten“ Entscheidern. (Dörner 2003, S. 151)

6.5 Planung

65

Abb. 6.5  Anzahl der Entscheidungen bei „guten“ und „schlechten“ Entscheidern. (Dörner 2003, S. 151)

Beispiel

Eine Schulung lässt sich gut planen, Rückkoppelungen können in die folgenden Veranstaltungen eingebunden werden. Diese finden regelmäßig zu festgelegten Terminen statt. Die Arbeitsbeziehung zum „Chef“ ist dagegen vielen Unwägbarkeiten ausgesetzt. Ein Termin wird kurzfristig verschoben, die Dauer reduziert oder es findet ein spontanes Treffen in der Kantine statt, welches den ungestörten Austausch ermöglicht. Hier ist vieles fremdbestimmt, weshalb eine Planung nur in gewissen Grenzen möglich ist. ◄ Dennoch verwenden Unternehmen meistens ein favorisiertes Planungsmodell, was auch seine Wirkung auf die Compliance nicht verfehlt, nicht verfehlen kann, um eine gewisse Einheitlichkeit darzustellen. Dabei können Zentralbereiche die unterstützende Funktionen wahrnehmen nicht wie der Verkauf geplant und gesteuert werden. Die Unternehmen versuchen es dennoch. Wie oben dargestellt, wird die Compliance dieses Spiel mitspielen, mitspielen müssen, ja sollen. Auch um die für die Planung und Zielkontrolle verantwortlichen Kollegen nicht im sprichwörtlichen Regen stehen zu lassen. Das Argument, dass bestimmte Instrumente überall greifen, nur eben im bestimmten Ausnahmefall nicht, bekommt nicht alleine das Controlling zu hören, sondern auch die Compliance. Innerhalb der Compliance gilt es eine Balance zwischen Planung und Improvisation zu finden. Ein CO bereitet sich akribisch vor, plant jede Einzelheit, der andere geht nur mit einem ungefähren Konzept an die Aufgaben und regiert flexibel auf unerwartete Ereignisse. Beide Vorgehensweisen sind richtig oder falsch, es kommt auf die spezielle Situation an. Dabei wird die wirksame Compliance eine Suchraumeinengung vornehmen, weil vollständige Planung praktisch nicht möglich ist und alle Eventualitäten nicht einzubeziehen sind (Dörner 2003, S. 238–242).

66

6  Ziele und Planung

cc

Erfolgreiche Planer unterscheiden eindeutig zwischen zentralen und flankierenden Maßnahmen, während bei schlechten Planern ein Maßnahmenhaufen anstatt eines Maßnahmenkonzepts vorliegt.

In der Realität gilt es verschiedene Planungskonzepte anzuwenden. Den Instrumentenkasten zu nutzen, nicht auf den typischen Fehler verfallen, seine favorisierte Planungsart dort einzusetzen, wo sie suboptimale Ergebnisse verspricht. Der Leiter der Compliance sollte deshalb nicht seine Planungshoheit durchsetzen, sondern auch die Aufgaben in Teilbereichen delegieren. Die Planung der Compliance wird von den angestrebten Zielen abhängig sein. Folgende Planungsmethoden können alternativ eingesetzt werden: • Klare Ziele, Rückwärtsplanen mit Zwischenzielen, Vom Ziel ausgehend was benötige ich, typisches Beispiel: Verabschiedung von Richtlinien, Schulungen, Prüfungen. Hier können die im Controlling üblichen Planungstools zum Einsatz gelangen. • Unklare Ziele, Auswahl der Aktionen nach Maßgabe der früheren Erfolge bzw. Misserfolge, Effizienz-Divergenz Methode. Hierunter fällt bspw. der Kontakt zum Führungszirkel, aber auch der Auftritt der Compliance. • Orientierungslosigkeit, Garbage Can. Wird im Rahmen der Diversifikation ein Unternehmen mit anderem Geschäftsmodell übernommen, wird die Compliance unter dieser Prämisse die ersten Schritte vornehmen. Bei der Auswahl des richtigen Planungsinstrumentes, dessen Einsatz und der Erfolgskontrolle handelt es sich um ein Prozesslernen, nicht Anpassungs- oder Veränderungslernen. Abb. 6.6 stellt das Prozesslernen dar (Reimer 2005, S. 264). Das dieses Lernen innerhalb der Compliance erfolgt, gewährleistet die Complianceleitung. Unter dem Begriff des Prozesslernens wird das sog. Agile Management einbezogen. Nicht mehr die möglichst vollständige Planung in allen Einzelheiten, sondern das Loslaufen, das Machen, das Vorangehen in kleinen Schritten wird propagiert. Allerdings gibt es auch Grenzen, wo standardisierte, bewährte Prozesse vorliegen, sind die klassischen Planungsinstrumente oft wirkungsvoller (Koch 2016, S. 52–60).

Abb. 6.6  Prozesslernen. (Eigene Darstellung, angelehnt an: Reimer (2005) Verhaltenswissenschaftliche Managementlehre. Haupt, Bern, S. 264)

6.6 Projektprognose und Projektrechnung

67

Entsprechend sollen nicht andere Lernformen diskreditiert werden, welche bspw. bei dem Lernen einer Richtlinie oder dem Umgang mit Geschäftspartner unverändert ihre Berechtigung besitzen. Bei komplexen Projekten, worunter sicherlich eine wirksame Compliance einzubeziehen ist, wird es hilfreich sein, die Planungsinstrumente und damit auch die Perspektive gelegentlich zu wechseln. Große, visionäre Ziele sind wichtig, werden aber nur dann erreicht, wenn einzelne, messbare Zwischenziele definiert und deren Zielerreichung kontrolliert wird. Jeder CO hat seine „Lieblingsplanung“, der eine denkt gerne groß, der andere eher klein, einer braucht tägliche Zielkontrollen, der andere schaut einmal im Quartal wo er steht. Es gibt nicht die eine, beste Form der Planung, der Mix, die Vielfalt trägt zum Erfolg bei.

6.6

Projektprognose und Projektrechnung

6.6.1 Bessere Instrumente, bessere Ergebnisse? Die Instrumente des Projektmanagement werden immer umfangreicher, immer detaillierter. Spezielle Software wird eingesetzt, über den Fortschritt gesprochen, mögliche Abweichungen diskutiert, Korrekturmaßnahmen eingeleitet und deren Ergebnisse nachgehalten. Jeder Beteiligte kennt die roten, gelben und grünen Ampeln der regelmäßigen Präsentationen. Ob damit die Qualität der Projektplanung erhöht wird, steht auf einem anderen Blatt. Anhaltspunkte hierfür lassen sich in der Realität kaum finden. Sicherlich mögen spektakulär gescheitert Großprojekte wie die Elbphilharmonie, der Berliner Flughafen oder Stuttgart 21 die Wahrnehmung verzerren, dass es jedoch bei kleineren Projekten erfolgreicher läuft und die private Wirtschaft alles im Griff hat, wo staatliche Entscheidungsträger scheitern, dafür gibt es keine Indikatoren. Die Relevanz für die Compliance ergibt sich aus zwei Gründen. Erst einmal für die eigenen Projekte, dass hier die Zielgrößen erreicht werden sollen, bedarf nicht der Begründung. Anderseits aus der Compliance  – Relevanz anderer Projekte. Drohen Zielgrößen verpasst zu werden, wird nach Wegen gesucht diese dennoch zu erreichen, zumindest die Abweichung zu minimieren. Das hier zu kreativen, ungewöhnlichen Mittel gegriffen wird, ist nachvollziehbar, dann ist es ein kleiner, oft fließender, unmerklicher Schritt, die ­Vorgaben der Compliance „kreativ“ umzudeuten, ein sprichwörtliche „Abkürzung“ zu nehmen. Entsprechend wird eine risikoorientierte Compliance betroffenen Projekten ­genauer hinschauen und in Abstimmung mit der Internen Revision Prüfungseinsätze und -umfänge steigern. Dass es im Idealfall erst gar nicht zu Abweichungen kommen soll, ist einseitig. Dass CO aber auch als Spezialisten für das Projektmanagement auffallen bisher nicht bekannt. Allerdings kann eine Perspektivveränderung den Unterschied zwischen erfolgreichen und gescheiterten Projekten ausmachen, welche sich nicht auf die technische Expertise, sondern das menschliche Verhalten bezieht. Diesen Sachverhalt gilt es zu Projektbeginn zu

68

6  Ziele und Planung

würdigen, aber auch im Rahmen möglicher Veränderungen und Korrekturen immer wieder zur Sprache zu bringen.

6.6.2 Planung und Realität Es gibt zahlreiche Studien, die Planungen und Realität miteinander in Bezug setzen, wobei es nicht an Eindeutigkeit der Ergebnisse fehlt (Kahneman 2012, S. 309). • Eine Studie aus 2005 betrachtet weltweite Eisenbahn-Neubaustrecken, die zwischen 1969 und 1998 in Betrieb gingen. In 90 Prozent der Fälle wurde die Nutzerzahl zu hoch angesetzt, im Durchschnitt um 106  Prozent, die Kosten dagegen um 45  Prozent zu niedrig geplant. • Langjährige Untersuchungen zeigen, dass ca. 90 Prozent der weltweiten Infrastrukturprojekte teuer als geplant werden, im Durchschnitt um 28 Prozent. • Eine Studie von Hausbesitzer in den USA ergab 2002, dass diese für die Renovierung ihrer Küche durchschnittlich 18.656 Dollar einplanten, die tatsächlichen Kosten sich jedoch auf 38.769 Dollar beliefen. Damit handeln Menschen nicht besser, wenn es um ihr eigenes Geld geht.

6.6.3 Die Blamage des Nobelpreisträgers Das Scheitern von Projekten hat nichts mit Einsatz, Erfahrung oder der Intelligenz zu tun. Daniel Kahneman, Nobelpreisträger für Wirtschaft machte eine solche Erfahrung, die er selbst als „Blamage“ bezeichnete (Kahneman 2012, S. 303–305). Kahneman erstellte als studierter Psychologe, einen Lehrplan zur Entscheidungstheorie für das israelische Bildungsministerium. Er stellte ein Team aus Lehrern, Studenten und einem Experten für die Curriculum-Entwicklung zusammen. Bei den wöchentlichen Treffen gewannen alle Teilnehmer den Eindruck gut voran zu kommen. Die Projektlampen schienen „grün“ zu leuchten. Kahneman nahm nach einem Jahr eine Schätzung der weiteren Projektdauer vor. Um eine gegenseitig Beeinflussung der Teilnehmer auszuschließen, schrieb jeder seine Schätzung auf einen Notizzettel und gab diesen ab. Die Ergebnisse ­lagen eng zusammen, zwischen zwei und zweieinhalb Jahren. Abschließend fragte Kahneman den Curriculum-Experten des Teams nach vergleichbaren Projektgruppen und deren Zeitaufwand bis zur Fertigstellung eines ähnlichen Lehrplans. Die Frage stürzte den Angesprochenen in Verlegenheit, aus dieser Sicht hatte er das Projekt noch nicht betrachtet. Schließlich teilte er mit, dass etwa 40 Prozent der Projekte abgebrochen werden und diejenigen die abgeschlossen würden bisher immer zwischen sieben und zehn Jahren benötigten. Kahneman griff nach dem letzten Rettungsanker und bat ihn die Ressourcen und Fähigkeit der eigenen Gruppe einzuschätzen, wobei sein Urteil „leicht

6.6 Projektprognose und Projektrechnung

69

unterdurchschnittlich“ lautet. Der Befragte hatte selber vorab eine Schätzung von zweieinhalb Jahren für das eigene Projekt abgegeben. Bei diesen Aussichten, wäre kein Beteiligter bereit gewesen weiter zu arbeiten, da die Information aber den eigenen, bisher gewonnenen, Erfahrungen, widersprach, entschieden sich die Projektmitglieder zum Weitermachen. Das Projekt wurde letztlich nach acht Jahren abgeschlossen. Kahneman selber hatte bereits Israel verlassen und lebte in den Vereinigten Staaten …

6.6.4 Innen- und Außensicht Wissen und Erfahrung, sorgfältiges Vorgehen und konsequentes Projektmanagement schützen nicht einem systematischen Fehler: der Einnahme der Innensicht, verbunden mit dem Ausblenden der Außensicht. Im von Kahneman geschilderten Beispiel hatte auch das erfahrenste Gruppenmitglied mit seiner Innensicht falsch gelegen. Um diesen systematischen Fehler zu vermieden, zumindest abzuschwächen, hat Dan Lovallo, Professor an der australischen University of Sydney ein Vorgehen entwickelt (Epstein 2019, S. 109). Er bat australische Investoren um eine detaillierte Erfolgseinschätzung ihrer aktuellen Projekte, hierbei wurde Return on Investment (ROI) prognostiziert. In einem zweiten Schritt wurden sie aufgefordert andere, ihnen bekannte Projekte zu beurteilen und deren möglichen ROI zu schätzen. Als Investoren kannten sie entsprechende Projekte. Beim ersten kam Schritt die Innensicht, beim zweiten die Außensicht zum Einsatz. Das eindeutige Ergebnis: der wirtschaftliche Erfolg, der ROI, der eigenen Projekte wurde um 50 Prozent höher als der, der fremden, vergleichbaren Projekte beurteilt. Die Versuchsteilnehmer waren von Ergebnis sichtlich betroffen. Wurde ihnen anschließend die Möglichkeit eingeräumt die Chancen der eigenen Projekterwartungen anzupassen, führte dies zu deutlich reduzierten Erwartungen. Diese unterschiedlichen Perspektiven kennt der Leser auch aus seinem Privatleben. Zwar scheitern viele Ehen, die eigene wird aber ewig halten; fast jedes Bauprojekt, vor allem die Renovierung alter Gebäude wird fast immer teuer als vorgesehen, nur beim eigenen Haus wird alles glatt laufen.

6.6.5 Mehr Informationen, höhere Gewissheit? Die Kenntnisse eigener Projekt werden immer größer als die fremder Projekte sein. Dies sollte bei einer Planung vorteilhaft sein, ist es doch einsichtig, dass ein mehr Wissen vielleicht wenig relevant, vielleicht unnütz ist, aber keinen schädlichen Einfluss besitzen dürfte. Schließlich entscheiden Projektverantwortliche, welche Informationen sie nutzen, welche sie verwerfen oder ignorieren. Dass dabei die menschliche Psyche Entscheidern

70

6  Ziele und Planung

einen Streich spielt ist wenig bekannt. Der folgende Versuch erläutert die Systematik (Kahneman 2012, S. 184). Tom W. studiert an einer großen Universität. Ordnen Sie die folgenden Fachrichtungen nach der wahrscheinlichsten Fachrichtung an, die Tom studiert: • • • • • • • •

Betriebswirtschaft Informatik Jura Geisteswissenschaften Bibliothekswissenschaften Maschinenbau Physik Sozialwissenschaften.

Die Aufgabe erscheint einfach, die Versuchsteilnehmer schätzen ab, wie häufig die jeweiligen Fächer studiert werden und bildeten eine entsprechende Reihenfolge, in der Geisteswissenschaften vor Maschinenbau und Betriebswirtschaftslehre vor Bibliothekswissenschaften angeführt werden. Nun wurden weitere Informationen über Tom W. bereitgestellt, die auf einer Persönlichkeitsskizze seiner Schule basieren würden: Tom ist hochintelligent, ihm mangelt es aber an Kreativität. Er hat ein Bedürfnis nach Klarheit und Ordnung, sein Schreibstil ist mechanisch und fade, er mag aber kauzige Wortspiele. Er besitzt geringes Einfühlungsvermögen und ist kontaktscheu, verfügt allerdings über ein ausgeprägtes moralisches Bewusstsein. Erneut sollte eine Reihenfolge der möglichen Studienfächer erstellt werden. Diese sah im Durchschnitt wie folgt aus: • • • • • • • •

Informatik Maschinenbau Betriebswirtschaft Physik Bibliothekswissenschaften Jura Geisteswissenschaften Sozialwissenschaften.

Sicherlich entspricht die Darstellung von Tom bestimmten Stereotypen, die einen Einfluss auf die Studienwahl haben dürften, eine Informationen ist allerdings noch wichtiger: die sog. Basisrate, also wie viele Studenten überhaupt ein gewisses Fach belegen. Den Testteilnehmern lagen diese Daten vor. Bei einer Gegenüberstellung der Eigenschaften von Tom und den Stereotypen der Studienfächer fällt auf, dass Tom eher einer kleineren Gruppe entspricht. Obwohl die Gruppengröße das entscheidendere Kriterium blieben

Literatur

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sollte, „stürzen“ sich die Probanden auf die persönlichen Eigenschaften und bewerten diese sehr deutlich höher. Hieraus erklärt sich bspw. die hohe Einordnung der Bibliothekswissenschaften, die ein selten belegtes „Orchideenfach“ ist. Je informativer und detailreicher ein Szenario, umso relativistischer wird dies wahrgenommen. Das Plausibilität Wahrscheinlichkeit schlägt, zeigte das abschließende Beispiel auf (Kahneman 2011, S. 199). Die beiden folgenden Szenarien wurden zwei Gruppen vorgelegt, die deren Wahrscheinlichkeit einschätzen sollten: • Eine gewaltige Flutkatastrophe ereignet sich irgendwo in Nordamerika, bei dieser ertrinken mehr als tausend Menschen. • Ein Erdbeben in Kalifornien verursacht eine Flutkatastrophe, bei der mehr als tausend Menschen ertrinken. Die Wahrscheinlichkeit des zweiten Szenarios wurde höher als die des ersten eingeschätzt. Der Bezug zum Projektmanagement lässt sich unschwer finden. Eine Mehr an Wissen führt nicht zwangsläufig zu besseren Entscheidungen. Vielmehr gilt, insbesondere in der Planungsphase immer wieder einen bildlichen Schritt zurück zu machen und die Außenansicht einzunehmen. In fast allen Fällen schlägt die Wahrscheinlichkeit der Mehrzahl der Projekte die (scheinbare) Plausibilität der eigenen Planung.

Literatur Dörner D (2003) Die Logik des Misslingens. Rororo, Reinbek Epstein D (2019) Range. Penguin, New York Kahneman D (2012) Schnelles Denken, langsames Denken. Siedler, München Koch C (2016) Schneller. brand eins (06/2016):52–60 Macharzina K, Wolf J (2015) Unternehmensführung. Springer Gabler, Wiesbaden Reimer J (2005) Verhaltenswissenschaftliche Managementlehre. Haupt, Bern

7

Der Auftritt

Zusammenfassung

Menschen werden mit einer enormen Variationsbreite von Verhaltensmöglichkeiten geboren. Im Rahmen der Sozialisierung erfolgt die Ausbildung des weit begrenzteren Verhaltens. Die Grenzen des üblichen und akzeptablen Verhaltens werden durch die Normen der Gruppe gesetzt, welchen der Einzelne angehört. Der Mensch ist Schöpfer und Geschöpf der Kultur. Dabei erfolgt die Sozialisation im Berufsleben nicht einseitig, unreflektiert sondern als soziale Interaktionsprozesse. Die soziale Rolle bezieht sich auf die vielfältigen wechselseitigen Beziehungen zwischen dem Einzelnen und der Gesellschaft. Menschen stehen auf einer „Bühne“ und spielen verschiedene Rollen, haben ihren Auftritt unter verschiedenen Vorzeichen und Umständen (Henecka 2009, S.  100). Diesen Sachverhalt nimmt eine wirkungsvolle Compliance nicht passiv zur Kenntnis, sondern nutzt ihn aktiv für ihre Belange. Die Gewohnheiten des einzelnen CO werden bewusst reflektiert und ggf. angepasst. Nicht um „stromlinienförmig“ sich selbst zu verkaufen, sondern um mittels Sympathie in die Beziehungspflege mit den Ansprechpartnern zu investieren. Die positiven Folgen werden anhand von Beispielen illustriert.

7.1

Gründe des Auftritts

Grundlagen sind entsprechend gelegt, wenn die „Bühne“ betreten wird, nicht die Bühne verändert sich für die wirkungsvolle Compliance, aber der Auftritt. Beim Begriff „Auftritt“ mag mancher CO schlucken, dies ist aber genau der richtige Ausdruck. Die dabei geweckte Assoziation zur Bühne, zum Theater, ist nicht völlig abwegig. Allerdings bestehen grundsätzliche Unterschiede. Es geht nicht um einen einzelnen Auftritt, sondern das

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Schneider, Werkzeuge wirkungsvoller Compliance, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61792-2_7

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74

7  Der Auftritt

dauerhafte Miteinander, im Gegensatz zum Schauspieler agieren beide Seiten und beeinflussen sich gegenseitig. Dabei ist der Auftritt kein Randaspekt der Compliance, sondern ein zentraler Erfolgsbzw. Misserfolgsfaktor. Rechtliche und ökonomische Kriterien allein reichen nicht aus, um zu erklären, warum ein Ansprechpartner sein Verhalten ändert oder beibehält. Viele Projekte scheitern nicht aufgrund schlechter Leistungen, sondern deshalb, weil sich die CO gegenüber dem Ansprechpartner falsch verhalten. Bspw. zeigen Studien, dass der Erfolg eines Beraters nur zu etwa 20 % von der fachlichen Qualität seiner Problemlösung abhängt. 80 % machen andere Faktoren aus. Ein typisches Beispiel ist eine Vorstandspräsentation. Oft sitzt ein CO Stunden am letzten Feinschliff einer Folie, die sein Gegenüber dann in drei Minuten erfassen soll. Dass nicht alle Überlegungen, die sich der CO gemacht hat, nachvollzogen werden, versteht sich von selbst. Stattdessen orientiert sich der Partner an Hilfskriterien. Beispiel

Im Grunde ist es wie bei einem Arztbesuch. Kaum ein Patient liest mögliche Fachveröffentlichungen, die der Arzt publiziert hat, bevor er seiner Diagnose vertraut. Das Gehirn nutzt eine Abkürzung. Menschen vertrauen auf den intuitiven Eindruck, den der Arzt macht. Eine große Praxis, graue Schläfen, eine runde Brille, eine ruhige Art  – schon fühlen sich Patienten gut aufgehoben und tun, was der Arzt empfiehlt. ◄ Genauso ist es mit einem CO: Wirkt er kompetent? Kann man ihm vertrauen? Ist er sympathisch? Antworten Menschen dreimal mit „ja“, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass Sie sich – bewusst oder unbewusst – so verhalten, wie er es nahe legt (Student 2016, S. 1). Warum sollen sich CO überhaupt die Mühe machen ihren Auftritt zu planen, gar zu inszenieren? Sollte es nicht schlicht reichen seine Arbeit gut zu machen? Dabei ist schon die Entscheidung sich nicht um den Auftritt zu kümmern eine Entscheidung über den Auftritt. Die anderen sind mir egal, können mir egal sein. Wer nicht verkaufen muss, muss sich wenig um seinen Auftritt scheren. Allerdings können dies immer weniger Menschen. Ehemalige Monopole bspw. in der Telekommunikations- oder Energiebranche wurden abgeschafft, staatliche Institutionen werden regelmäßig beurteilt. Ein CO mag kurzfristig seine Sichtweise durchsetzen, Macht auszuüben, im Sinne Max Webers den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen. Langfristig ist dies nicht möglich. Peter Drucker stellte fest, dass kein totalitäres Regime etwas gegen den Willen der Massen tun kann (Beatty 1998, S. 24). Dies sollte eine Compliance wissen, welche aktuell „Oberwasser“ hat. Compliance muss den eigenen Auftritt bewusst gestalten, weil sie verkaufen muss, wenn sie wirksam sein will. Verkauft wird immer auch die eigene Person, die Abteilung, das Unternehmen. Dabei handelt es sich um einen Kreislauf, wie in Abb. 7.1 dargestellt, der sich verstärken oder abschwächen kann.

7.2 Die Selbstverstärkung

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Abb. 7.1 Verkaufskreislauf. (Eigene Darstellung)

7.2

Die Selbstverstärkung

Ein bewusst initiierter Auftritt hat unmittelbare Wirkungen, nicht allein auf Dritte, sondern auch den Handelnden. Betrachtet man die Machtposen bestimmter Manager, mag man sich manchmal an einen Zoo erinnert fühlen, ihren Zweck erfüllen Posen allerdings auch bei Menschen, in erster Linie bei dem, der die Posen ausführt. Beispiel

Bei einer Untersuchung sollten die Teilnehmer unterwürfige Gesten oder expansive Machtposen einnehmen. Die Position wurde mit medizinischen Gründen des späteren Messverfahrens erklärt. Einige Teilnehmer standen mit herausgestreckter Brust, andere kauerten sich zusammen. Die jeweilige Position sollte eine Minute eingehalten werden. Bei der anschließenden Eigenbewertung der Teilnehmer gab es signifikante Unterschiede sich „mächtiger“ und „beherrschender“ als Dritte einzustufen. Bereits nach eine Minute (Robertson 2013, S. 94). ◄ Entsprechend führen kleine, kurzzeitige Veränderungen zu tief greifenden Veränderungen in Körper und Gehirn. Die Militärakademien wissen, warum die angehenden Offizieren die „Brust raus. Schultern zurück“ Haltung verinnerlichen sollen. Entsprechend sollten auch CO die Befolgung dieser Hinweises erwägen, sich aber ebenso von den Machtposen Dritter nicht allzu sehr aus dem Konzept bringen lassen. Eine vergleichbare Wirkung hat die Kleidung von Mächtigen.

76

7  Der Auftritt Beispiel

Die Farbe Rot signalisiert dabei typischerweise Macht. Bei den olympischen Spielen tragen Boxer jeweils blaue oder rote Hemden, die Farbe wird zugelost. Die in den roten Hemden antretenden Boxer gewinnen in 62 % der Fälle (Robertson 2013, S. 83). ◄ Vor diesem Hintergrund gewinnt die Bekleidung des CO eine andere Bedeutung, als dass sie alleine im gesetzten Rahmen den persönlichen Vorlieben frönt. Die Wirkung der Compliance hängt deshalb in nicht geringem Maße vom Auftritt des einzelnen CO ab. Die Aufforderung sich nicht „hängen zu lassen“ darf deshalb durchaus wortwörtlich genommen und im Kollegenkreis weitergegeben werden.

7.3

Gewohnheiten

Eine Präsentation vor dem Vorstand wird meist sorgfältig vorbereitet, die passende Kleidung ausgewählt und jedes Wort abgewogen. Im Arbeitsalltag wird dagegen das Miteinander nicht hinterfragt, es erfolgt aus Gewohnheit. Gewohnheiten sagen viel über einen Menschen aus, dass Verhalten im Arbeitsalltag wird vom Gegenüber als urteilsbildend wahrgenommen. Deshalb ist der Versuch sich bestimmte Verhaltensweise anzutrainieren meist zum Scheitern verurteilt, der so gestaltet Auftritt wird vom Ansprechpartner rasch als schlechte Schauspielerei entlarvt und führt zum Gegenteil des Angestrebten. Die sprichwörtliche Macht der Gewohnheit lässt sich kurzfristig bändigen, aber nicht langfristig besiegen. Deshalb wird nur der CO überzeugen, der aus Gewohnheit seine Rolle wahrnimmt. Gewohnheit nicht im Sinne von abgestumpften, auswendig gelernten Phrasen, sondern der tiefen Überzeugung, dass das Richtige richtig vertreten wird. So verstandene Gewohnheiten können als Schnittmenge von Wissen, Fähigkeiten und Zielen verstanden werden. Abb. 7.2 verdeutlicht die Sichtweise. Bei der Betrachtung der drei Kreise wird einmal mehr der Unterschied des vorliegenden Buches zu anderen Veröffentlichungen deutlich. Wissen im klassischen, technischen Sinne spielt eine vergleichbar geringe Rolle. Dies soll nicht mit einer Missachtung verwechselt werden. Selbstverständlich ist solides, auf dem neuesten Stand gehaltenes, Wissen eine entscheidende Grundlage der Compliance, nur reicht diese schlicht nicht aus. Das Wissen, welches hier im Mittelpunkt steht, ist die Überzeugung in die Notwendigkeit einen wirkungsvollen Auftritt als Gesamtkonzept zu verfolgen. Fähigkeiten zu besitzen bedeutet, in der Lage zu sein, etwas Bestimmtes zu tun, die auf einem Gebiet notwendigen Techniken zu kennen und anwenden zu können. Auf deren Vermittlung liegt der Schwerpunkt des vorliegenden Buches. Wobei bestehende Fähigkeiten nicht ersetzt, sondern erweitert werden.

7.4 Der CO als Verkäufer

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Abb. 7.2  Gewohnheiten. (Eigene Darstellung)

Ziele beschrieben eine weite Spanne von vager Hoffnung bis zum konkreten Begehren. Wer das vorliegende Buch liest, wird dies selten tun um einzig seine bisherige Vorgehensweise bestätigt zu sehen, als vielmehr um neue Impulse zu erhalten, diese auf den Einsatz zu prüfen und wo sinnvoll umzusetzen. Entsprechend wird der Wunsch die eigene Compliance wirkungsvoller zu gestalten hier vorausgesetzt. Aus diesen drei Komponenten entwickeln sich Gewohnheiten. Der wirkungsvolle CO wird diese nicht unbewusst entstehen lassen, sich selbst nicht darüber im Klaren sein, welche Gewohnheiten er warum hat, sondern diese bewusst reflektieren und wo erforderlich verändern. Hier hilft eine Analogie zum Leistungssportler, welcher die gesamte ­Palette aus Wissen, Fähigkeiten und Wünschen gezielt einsetzt, um sein großes Ziel zu erreichen.

7.4

Der CO als Verkäufer

Mit dem zielgerechten Auftritt erfolgt ein fließender Übergang zum Verkäufer. Wobei dieser Beruf nicht wenigen CO als glattes Gegenteil der eigenen Tätigkeit erscheint. Viele Versprechen, wenig Substanz, Assoziationen zu Gebrauchtwagen und Teppichen sind schnell gezogen. Es gilt sprichwörtlich die eigenen Finger nachzuzählen, wenn man diesen Menschen die Hand gegeben hat. Hiervon grenzt sich der CO deutlich ab. Im zurück-

7  Der Auftritt

78

haltenden, verbindlichen Auftreten, der Korrektheit und dem gewählten Ausdruck, letztlich auch im Berufsverständnis und der persönlichen Integrität. Dabei ist jeder Mensch ein geborener Verkäufer. Es sei nur an die ultimative Vorgehensweise von Kindern und Jugendlichen erinnert, ein Nein als Antwort schlicht nicht zu akzeptieren. Irgendwann verlieren die meisten Menschen dieser Fähigkeit oder verdrängen sie. Dabei bleibt der Einzelne immer Verkäufer, seiner selbst. Langfristig kann nur Qualität verkauft werden, diese verkauft sich aber nur, wenn sich darum bemüht wird. Wer sich nur auf die Pflicht zurückzieht und andere Aspekte vernachlässigt, steht auf dünnem Eis (McCormack 1984, S. 95, 96). Die Grenzen zur selbstsüchtigen Ich AG, zur Gewinnung des kurzfristigen Vorteils setzen die ethischen Regeln, welche in Kap. 4 dargestellt wurden und das zentrale Fundament der Compliance bilden. Einmal mehr gilt es für den einzelnen CO sich bewusst zu machen, das er zu den sprichwörtlich „Guten“ zählt und eine substanziellen Beitrag zum Fortbestand des Unternehmens leistet. Wirksame Compliance ist primär Antreiber des Guten und erst dann Verhinderer des Schlechten. Auf diesem Fundament begründet sich ein erfolgreicher, authentischer Auftritt. Vermutet das Gegenüber, dass der CO seine Rolle nur schlecht spielt, statt überzeugend vertritt, bewirkt das auftretende Misstrauen das Gegenteil des Gewünschten. Der Ansprechpartner hört die Worte, nimmt die Gesten wahr, hängen bleiben wird jedoch die Befürchtung, dass Überreden statt Überzeugen geschieht. Die selbstverständliche Frage was verkauft werden soll, wird hier noch nicht abschließend behandelt, als vielmehr in den weiteren Kapiteln ausgebreitet.

7.5

Halo-Effekt

Die Bedeutung des Auftritts begründet sich auch im sogenannten Halo Effekt. Im Kap. 5 wurde dieser kurz vorgestellt, verbunden mit der Warnung diesen nicht unberücksichtigt zu lassen, um nicht verzerrter Wahrnehmung und Fehlurteilen anheim zu fallen. Menschen streben nach einem stimmigen Gesamtbild. Dies gilt sowohl die Ansprechpartner der Compliance, als auch die Complianceverantwortlichen. Der Halo-Effekt kommt dann zum Tragen, wenn ein Effekt des Betrachtungsobjektes alle anderen Eigenschaften überstrahlt. Dies trifft bspw. auf besonders erfolgreiche oder erfolglose Unternehmen zu. Was früher großartig war, wird dann rasch Unsinn. Beispiel

Nokia oder Kodak mögen als unternehmerische Musterbeispiele dienen, aber auch einzelne Verantwortliche können herangezogen werden. So „krönte“ das Manager-­ Magazin 2012 Martin Winterkorn, den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden von VW, zum deutschen Manager des Jahres … ◄

7.5 Halo-Effekt

79

Neben dem Halo-Effekt ist auch die Verwechslung von Korrelation und Kausalität ein typischer Fehler. So werden bei erfolgreichen Unternehmen meistens hohe Korrelation zwischen Mitarbeiterzufriedenheit und Unternehmensperformance festgestellt. Aber welche Reihenfolge ist richtig (Rosenzweig 2008, S. 88–102)? Bedingt hohe Mitarbeiterzufriedenheit Unternehmenserfolg oder ist es genau anders herum? Der Halo-Effekt lässt sich auch auf Ebene einzelner Teams nachweisen. Beispiel

So wurden in einem Experiment zwei Gruppen zusammengesetzt, um zukünftige Umsätze von Unternehmen einzuschätzen. Anschließend gab es ein Feedback des Experimentleiters. Dieses fiel einmal sehr gut, einmal schlecht aus. Dann wurde nach der Qualität der Gruppenzusammenarbeit gefragt. Der Halo-Effekt wurde rasch sichtbar. In der vermeintlich guten Gruppe wurde eine gute Zusammenarbeit, in der schlechten Gruppe eine schlechte Zusammenarbeit von den Teilnehmern angegeben (Rosenzweig 2008, S. 76). ◄ Ein weiterer Fehler wird in bekannten Untersuchungen deutlich, wie „Auf der Suche nach Spitzenleistungen“. Es werden ausschließlich Spitzenunternehmen untersucht, um Merkmale zu identifizieren, welche diese besitzen, schlechte Unternehmen dagegen nicht einbezogen. Der Fehler: man erfährt nichts über Bluthochdruck, wenn nur Menschen mit Bluthochdruck nimmt und nicht auch eine Vergleichsgruppe. Die Themen entsprechender Untersuchungen sind meistens ähnlich: Mitarbeiter, Werte, Kultur, Handeln und strategische Ausrichtung werden als Schlüsselgrößen identifiziert. Noch so gründliche Studien kommen aber bei systematischen Fehlern zu falschen Schlüssen. Die Quantität stimmt, nicht aber Qualität. Fast kein Unternehmen bleibt dauerhaft erfolgreich. Von den S & P 500 aus den Jahr 1957, blieben vierzig Jahre später 74 übrig. Schumpeters kreative Zerstörung beweist hier einmal mehr ihre Relevanz. Ursache und Wirkung von Erfolg werden verwechselt. Man kann auch eine Untersuchung über die erfolgreichsten Wetter in einem Kasino machen, wobei die Aussagekraft übersichtlich bleibt (Rosenzweig 2008, S. 122). Es gibt nicht sie nicht, die magische Formel, für den Erfolg des Unternehmens, leider auch nicht für den Erfolg des Compliance. Damit schlicht dem Fatalismus das Feld zu überlassen ist dennoch nicht die richtige Schlussfolgerung. Vielmehr gilt es sich Komplexität und Ambiguität einzugestehen, in guten Zeiten Bescheidenheit und in schlechten Zeiten Lernbereitschaft an den Tag zu legen (Rosenzweig 2008, S. 201). Mit der Betrachtung des Halo-Effektes stellt sich die Frage, welches Bild die Compliance bietet. Ob dies systematisch gestaltet oder dem Zufall überlassen wird. Nochmals zur Kernaussage: einzelne Eigenschaften können nur schwer unabhängig voneinander bewertet werden, sie werden in einen Topf geworfen um ein geschlossenes, konsistentes Bild zu zeichnen.

7  Der Auftritt

80

Im nächsten Abschnitt wird der gezielte Einsatz des Halo-Effekts behandelt, an einem besonders relevanten Bereich, der Sympathie.

7.6

Sympathie

Sympathie scheint für die Compliance keine große Rolle zu spielen. Sicherlich sitzt man mit den Kollegen im Betriebsrestaurant beim Mittagessen zusammen die man besonders mag, ist eine Prüfung angenehmer, wenn die sprichwörtliche Chemie mit dem Ansprechpartner stimmt. Der Selbstanspruch der Compliance ist aber ein anderer. Unbestechlich und unabhängig soll ein streng sachliches Urteil gebildet werden, wobei Justizia mit ihren verbundenen Augen durchaus als Symbol herangezogen wird. cc

Mit der Berücksichtigung von Sympathie wird allerdings ein entscheidender Hebel der Wirksamkeit der Compliance eingesetzt, welcher als Grundlage der einzelnen Arbeitsschritte eine wichtige Rolle spielen sollte (Cialdini 2013, S. 227–276).

Einer der wichtigsten Auslöser von Sympathie ist äußere Attraktivität. So erhalten attraktive Kandidaten bei Parlamentswahlen zweieinhalbmal mehr Stimmen als weniger attraktive Kandidaten. Allerdings behaupten 73 % der Menschen, dass Aussehen keinen Einfluss auf ihre Wahlentscheidung hat. Hier zeigt sich einmal mehr der signifikante Unterschied zwischen tatsächlichem und vermeintlichem Verhalten von Menschen. Allerdings lässt sich aus diesem Sachverhalt nur schwer eine unmittelbare Handlungsempfehlung für die Compliance ableiten. Weder die Aufforderung nur noch schöne Menschen einzustellen oder den bereits vorhandenen Mitarbeiter entsprechende Operationen vorzuschlagen sollten zu einer erhöhten Wirksamkeit führen. Allerdings kann man durchaus darauf achten, nicht selbst dieser Fehleinschätzung zu erliegen. Handlungsempfehlungen können eher aus dem Sachverhalt der Ähnlichkeit gezogen werden. Beispiel

So ergab die Bitte um eine Münze zum Telefonieren erhebliche Unterschiede. Bei vergleichbarer Kleidung der beiden Beteiligten erfüllten über zwei Drittel die Bitte, bei anderer Kleidung weniger als die Hälfte. ◄ Das Kriterium der Ähnlichkeit beschränkt sich nicht auf die äußere Erscheinung. Beispiel

Beim Versand von Fragebögen mit der Bitte um Rücksendung war die Anzahl der zurückgesandten Bögen doppelt so hoch, wenn eine Anpassung des Absenders an den

7.6 Sympathie

81

Namen des Empfängers erfolgte, als ein Stephan Schmidt von einem Steffen Schmidt oder ein Ralf Weber von einem Rolf Wieber angeschrieben wurde. ◄ Signifikant höhere Erfolgsquoten können also mit relativ einfachen Mittel erzielt werden. Die Imitation von Stimme oder Körperhaltung durch erfolgreiche Verkäufer mag ­zusätzlich wirken, ist aber nicht unbedingt erforderlich und kann bei falschem Einsatz das Gegenteil des Gewünschten bewirken. Ähnlichkeiten findet der CO im gemeinsamen Gespräch. Hier ist der Besuch des Arbeitsplatzes des Ansprechpartners hilfreich. Bilder auf dem Schreibtisch, Wimpel an der Wand, Poster an der Tür, Tassen mit speziellem Aufdruck, fast überall sind Hinweise vorhanden, worüber sich der Betreffende definiert, worüber er reden kann und will. Ein gemeinsamer Bezugspunkt ist schnell gefunden und dient zum Gesprächseinstieg, zum Aufbau von Sympathie. Auf dieser Basis kann Wertschätzung entwickelt, können Komplimente gemacht werden. Beispiel

Der erfolgreichste Autoverkäufer der USA versendet jeden Monat über 13.000 Karten an ehemalige Kunden mit aufgedruckter, freundlicher Mitteilung. Die Botschaft auf der Rückseite ist jedes Mal eine andere, auf der Vorderseite aber steht immer „Ich mag Sie“ Schon über ein so einfaches Kompliment freuen sich die Menschen. ◄ Ist einmal ein persönlicher Austausch in Gang gekommen, ist es nicht schwierig bestimmte Leistungen zu würdigen oder einzugestehen, dass man sich etwas Bestimmtes vielleicht nicht zutraut oder eine Leistung kaum in Qualität bzw. Quantität des Ansprechpartners schaffen könnte. Da der CO mit einer Vielzahl von Mitarbeitern im unregelmäßigen Kontakt steht, muss der Einzelne abwägen, ob er den Gesprächsfaden beim nächsten Mal wieder aufgreifen kann oder sich besser knappe Notizen über Ansprechpartner und Gesprächsinhalte macht. Menschen mögen was sie kennen. Dies betrifft das persönliche Umfeld, wie den beruflichen Alltag, wobei die Grenzen rasch verschwinden. Jeder kennt Gespräche, bei den sich herausstellt, das bisher unbekannte Kollegen aus der gleichen Stadt kommen oder an der gleichen Hochschule studiert haben. Sofort ist uns der andere sympathischer, eine persönliche Beziehung entwickelt sich besser und intensiver. Gleiches gilt für eine kleine Gruppe von „Außenseitern“, unabhängig davon, ob das Kriterium Geschlecht, lokale Herkunft, Muttersprache oder Hautfarbe ist. Auch die Compliance entwickelt sich rasch zu einer Gruppe, wobei diese Entwicklung von Außenstehenden sehr viel leichter wahrgenommen wird, als von den eigentlich Betroffenen. Dabei ist sehr einfach Konflikte zwischen Gruppen zu steigern, ein „Wir gegen die“ Gefühl entwickeln. Einfach die Gruppen eine Zeit im eigenen Saft schmoren lassen und dann zum Wettbewerb gegeneinander antreten lassen. Rasch sind sich die Gruppen spinnefeind. Wer hier Analogien zum Berufsalltag sieht, liegt sicherlich nicht falsch. Allerdings gibt es auch Gegenrezepte, um bspw. ethnisch unter-

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7  Der Auftritt

schiedliche Schüler zu einem Team zu formen. Hierzu gilt es Situation zu schaffen, in denen Konkurrenzverhalten allen schadet. Gemeinsame, erfolgreiche Bemühungen zur Zielerreichung führen zur Überwindung von Spannungen. Der entscheidende Schritt ist dabei die Vorgabe gemeinsamer Ziele (Cialdini 2013, S. 242–248). Es liegt nicht zuletzt an der Compliance diese gemeinsamen Ziele zu finden und mit den Ansprechpartnern durchzusetzen. Nicht auf der moralisch abstrakten Ebene, nach dem Motto, dass nur Compliance die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens sicherer, als vielmehr im konkreten Einzelfall, wie bspw. Geschäftspartnern die Wertschätzung auch ohne kostspielige Geschenke vermittelt werden kann. Die Assoziation von Nachrichten und deren Überbringer ist uralt. Zwar werden die Boten schlechter Nachrichten nicht mehr totgeschlagen, wie im alten Persien, aber immer noch werden entsprechende Assoziationen gebildet. Siegt die lokale Fußballmannschaft haben „wir“ gewonnen, dagegen verlieren „die“. Die schlichte Assoziation mit guten oder schlechten Dingen hat einen direkten Einfluss auf die Beliebtheit des Einzelnen. Weiterhin werden dem Einzelnen die gleichen Charaktereigenschaften wie seinen Freunden und Bekannten zugesprochen. „Mitgegangen, mitgefangen, mitgehangen“ lautet ein altes Sprichwort. Darauf gilt es auch bei der Vermittlung von Nachrichten seitens der Compliance zu achten. Insbesondere bei schlechten Nachrichten, bei der Ablehnung bestimmter Geschäftspraktiken, sollte die Compliance die Verkündung der Nachricht durchaus dem überlassen, der sie ausgelöst hat, sprich entsprechende Geschäftspraktiken etabliert hat. Gute Nachrichten können und sollen dagegen bereitwillig verkündet werden (Cialdini 2013, S. 254–261).

7.7

Beziehungspflege

Bei der Auseinandersetzung, der kritischen Berücksichtigung, dem Feedback im Kollegenkreis handelt es sich um eine Investition im wortwörtlichen Sinne. Die Auswirkungen lassen sich nach einiger Zeit feststellen. Die Compliance wird dann wirkungsvoller, weil sie einfacher gestaltet werden kann. Nicht jedes Wort wird auf die sprichwörtliche Goldwaage gelegt, anstelle des verbreiteten „Misstrauensvorschuss“ wird ein Vertrauensvorschuss aufgebaut. Missverständnisse werden auf dem kleinen Dienstweg geklärt anstatt über höhere Hierarchieebenen zu eskalieren. Eine Untersuchung, welche alle und erfolgreiche Manager gegenüber stellt, zeigt als größten Unterschied die Beziehungspflege auf, wie Abb.  7.3 aufzeigt (Wiswede 2012, S. 268). Die Betrachtung der Halo-Effektes verdeutlicht auch den großen, oft verhängnisvollen Einfluss, welchen unsympathische Auftritte eines einzelnen CO auf die gesamte Abteilung haben können, wobei Unsympathisch etwas anders als Nicht-Sympathisch bedeutet. Berufliches Auftreten ist keine Privatangelegenheit. Privat mögen Marotten gepflegt werden, wenn andere damit nicht klar kommen, sollen diese den Kontakt zum Betroffenen einstellen. Dies ist im Berufsleben kaum möglich. Hier kommen die oftmals geschmähten Se-

7.8 Überzeugung

83

Abb. 7.3 Relative Verhaltenshäufigkeiten erfolgreicher und effektiver Manager. (Wiswede 2012, S. 268)

kundärtugenden zum Einsatz. Pünktlichkeit, Sauberkeit, ein verbindliches Auftreten, kein schlechtes Reden über Nichtanwesende sind schlichte Selbstverständlichkeiten. Vor allem Berufsanfänger tun sich mit einzelnen Punkten schwer, nicht weil sie nicht wollen, sondern weil sie sich nicht immer darüber im Klaren sind, dass eine halbstündige Verspätung und der ständige Blick auf das Smartphone für den gleichaltrigen Freund kein Problem darstellen, vom fünfzigjährigen Instandhaltungsleiter aber als Unverschämtheit aufgefasst werden. Hier gilt es aufzuklären, rasch nach jedem einzelnen Vorfall, aber hinter verschlossenen Türen.

7.8

Überzeugung

7.8.1 Überzeugungskraft von Aussagen Letztendlicher Sinn eines Auftretens ist nicht die Weitergabe von Informationen oder das Beurteilen von Sachverhalten, was auch auf bürokratischem Weg aus dem „stillen Kämmerlein“ heraus erfolgen kann. Vielmehr sollen die Ansprechpartner von der Compliance überzeugt werden, compliancekonformes Verhalten nicht aus Sorge um Aufdeckung und Sanktion bei Überschreitungen, sondern aus der Überzeugung das richtige zu tun leisten. Zwar kann man dem Gegenüber nur vor den Kopf schauen, dennoch geben Untersuchung von Goldstein, Martin und Cialdini praxisorientierte Hinweise, zumal diese die Überzeu-

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7  Der Auftritt

gungskraft von Aussagen an einem Sachverhalt überprüften, der durchaus Analogien zur Compliance aufweiset: die wiederholte Benutzung von Handtüchern durch Hotelgäste. Auch hier geht es darum, den Einzelnen von einer richtigen Tat zu überzeugen, die Absicht die Umwelt zu schützen zur konkreten Handlungen werden zu lassen. Der Leser kennt die Aufhänger in Hotelzimmern, in denen auf die Beeinträchtigung der Umwelt durch das Waschen hingewiesen und der Hotelgast um seinen, persönlichen Beitrag zum Umweltschutz gebeten wird. Nun verwenden ohnehin die meisten Hotelgäste ihre Handtücher mehrfach. Goldstein et. al. nahmen eine kleine, unbedeutende Veränderung vor. Sie ersetzten das Gesetz der sachlichen Argumentation, durch das der sozialen Bewährtheit. Die Gäste wurden über die Aufhänger darüber informiert, dass bereits die Mehrzahl der Gäste ihre Handtücher mehrfach benutzt. Die Auswirkung war deutlich: die Wahrscheinlichkeit, dass die Gäste, die diesen Aufhänger vorfanden ihre Handtücher mehrfach nutzen lag um 26 Prozent höher, als bei denen, denen das Umweltschutzargument nahegebracht wurde (Goldstein et al. 2009, S. 22). Menschen eifern Vorbildern nach, auch wenn dies selten zugegeben wird, bleibt die Wirkung messbar. Auch deshalb verwendet die Werbung möglichst attraktive Menschen oder Prominente um die beworbenen Produkte und Leistungen in ein positives Licht zu setzen. Anders lässt es sich nicht erklären, warum bspw. Fußballer für Körperpflege oder Handballer für Autos werben. Wen der Einzelne als Vorbild ansieht, ist eine individuelle Entscheidung. Merkwürdig, ja widersinnig erscheint es jedoch, wenn ein Hotelgast den vorherigen Zimmerbenutzer als Vorbild akzeptieren würde, schließlich ist ihm dieser meist völlig unbekannt. Ein Vorbild mag dieser nicht sein, als Modell der sozialen Bewährtheit wird er dennoch angesehen. Wird auf dem angesprochenen Aufhänger im Bad darauf verwiesen, dass der Vorbenutzer seine Handtücher mehrfach verwendete, steigt die Erfolgsquote noch weiter auf 33 Prozent (Goldstein et al. 2009, S. 25).

7.8.2 Das negative Beispiel Die Compliance muss nicht die Mitarbeiter erreichen, die sich an die Regeln halten, sondern die, die einen Verstoß erwägen oder bereits konkret durchführen. Entsprechend werden bei Vorträgen und Veranstaltungen, auf Plakaten und in Broschüren, die Menschen angesprochen, die sich falsch verhalten und zur Verhaltenskorrektur aufgefordert. Diese scheinbar sinnvolle Vorgehensweise kann sich als Trugschluss erweisen und das Gegenteil des Gewünschten bewirken, wie Goldstein et. al. mittels eines Versuchs in einem amerikanischen Nationalpark nachwiesen. Der Petrified Forest National Park im US-Bundesstaat Arizona ist für sein versteinertes Holz berühmt. Der Fortbestand des Nationalparks ist allerdings durch die Mitnahme von Holzstücken durch Besucher bedroht. Um diese zu korrektem Verhalten anzuhalten, steht am Parkeingang ein großes Schild mit der Aufschrift: „Tag für Tag wird unser aller Erbe in kleinen Stücken davongetragen. Pro Jahr verschwinden 14 Tonnen versteinertes Holz aus unserem Nationalpark“. Wer kennt nicht vergleich-

7.8 Überzeugung

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bare Aussagen, die sich auf den Umwelt- oder Arbeitsschutz, als auch die Compliance beziehen? Nun ist unklar, was dieser Appell bei den Besuchern auslöst, ob und in welche Richtung sich das Verhalten verändert. Erkennen diese die Gefährdung und tragen ihren Teil zum Erhalt des Nationalparks bei oder führt die Aussage nach dem Prinzip der sozialen Bewährtheit zum Gegenteil des Gewünschten? Sagen sich Besucher vielleicht, dass wenn so viele Menschen gegen die Vorgaben verstoßen, sie selbst ebenfalls so vorgehen können, ja sollen? Goldstein et. al. brachten zwei unterschiedliche Hinweisschilder an, um das tatsächliche Verhalten zu messen. Das erste Schild folgte dem Prinzip der sozialen Bewährtheit und lautete: „In der Vergangen haben viele Besucher versteinertes Holz gestohlen und damit den natürlichen Grundlagen des Parks geschadet“. Der Text wurde mit einem Bild illustriert, auf dem Menschen Holzstücke wegtragen. Das zweite Schild vermied den Bezug zur sozialen Bewährtheit und lautete schlicht: „Bitte nehmen Sie kein Holz aus dem Park mit und schützen Sie so die natürlichen Grundlagen unseres Nationalparks“. Neben dem Text war ein Mensch mit einem Stück Holz und über dessen Hand ein roter Kreis mit einem Schrägstrich abgebildet, dem universellen Zeichen für „Nein“. Um die Aussagekraft des Experimentes zu verbessern, gab es einen dritten Versuch ohne jedes Schild. Jeweils drei Besichtigungspfade wurden mit den Schildern bzw. ohne Schild versehen. Die Wege anschließend mit Holzstücken präpariert um die Verluste festzustellen. Gabe es gar kein Schild betrugen die Verluste 2,92 Prozent, war das Schild mit der negativen Aussage angebracht erhöhte sich dagegen die Anzahl der Diebstähle auf 7,92 Prozent, verdreifachte sich damit praktisch, während die schlichte Aufforderung auf Diebstähle zu verzichten zu einer gewissen Reduktion auf 1,67 Prozent führte (Goldstein et al. 2009, S. 30).

7.8.3 Widerstehen der „magnetischen“ Mitte Menschen folgen aus natürlicher Neigung dem Verhalten anderer. Wenn auch gerne die Unabhängigkeit der eigenen Entscheidungen betont wird, zeigen Versuche wieder und wieder das Gegenteil auf. Hieraus ergibt sich die Frage, wie positive Vorbilder ins rechte Licht gerückt werden können. Die Versuche Goldstein et. al. zu dieser These, bezogen sich auf der Energieverbrauch. 300 kalifornische Haushalte nahmen daran teil. In einem ersten Schritt wurde deren Energieverbrauch festgestellt und zwangsläufig herausgefunden, dass jeweils die Hälfte der Versuchsteilnehmer mehr bzw. weniger als der Durchschnitt verbrauchte. Die einzelnen Teilnehmer wurden über die Durchschnittswerte und ihren individuellen Verbrauch informiert. In den folgenden Wochen nahm der Verbrauch bei denjenigen mit hohem Verbrauch im Durchschnitt 5,7  Prozent ab. Auch der Verbrauch der bisherigen Energiesparer veränderte sich, allerdings in die entgegengesetzte Richtung, die Steigerung betrug durchschnittlich 8,6  Prozent. Menschen richten sich in ihrem Verhalten an der Mitte aus, so stark, dass Goldstein et. al. hierfür den Begriff der „magnetischen“ Mitte

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7  Der Auftritt

verwendet. Diese Anpassung erfolgt unabhängig davon, ob eine Norm erwünscht oder unerwünscht ist. Goldstein et. al. veränderten daraufhin ihre Mitteilungen ein wenig. Die Meldungen über einen geringen Verbrauch wurden mit einem positiven Smiley versehen ☺, die ­hohen Verbrauchsmengen mit einem negativen Symbol ☹. Das lächelnde Gesicht führte zu keinen Veränderungen der bereits erfassten Verhaltensänderungen, dass negative allerdings dazu, dass die Verbrauchsmengen um durchschnittlich 5  Prozent abnahmen (Goldstein et al. 2009, S. 33).

7.8.4 Implikationen für die Compliance Betrachtet man aufgedeckte Compliance-Verstöße verwundern oft mehrere Sachverhalte: die Anzahl der Verstöße, die Vielfalt der betroffenen Branche und die Dauer über die die Verstöße erfolgten. Die Intention der Compliance über die Sachverhalte zu informieren ist klar: entsprechende Vorfälle sollen im eigenen Unternehmen verhindert werden. Kann aber nicht das Gegenteil des Gewünschten bewirkt werden? Kann bei den Betroffenen nicht der Eindruck entstehen, dass viele Andere so handeln und man selber der einzig Aufrechte, vielleicht der einzig Dumme ist? In Ländern mit einer Pressefreiheit wie den DACH-Staaten werden persönliche Verfehlungen, ja Bereicherungen von Menschen die in der Öffentlichkeit stehen berichtet, kann der Leser nicht auf die Idee kommen sich seinen sprichwörtlichen Anteil am Kuchen zu sichern? Berichte und Indizes zeigen die Korruption in einzelnen Ländern auf, ist diese besonders hoch, könnte dies als vorweg genommene Entschuldigung dienen ebenfalls korrupt vorzugehen? Im oben dargestellten Beispiel der versteinerten Holzes im Nationalpark berichtet ein teilnehmender Doktorand von einer irritierenden Erfahrung: er besuchte den Nationalpark mit seiner Verlobten, einer Frau die er als einen der ehrlichsten Menschen beschreibt, die ihm begegnet seinen, als sie das Schild mit den verschwundenen Mengen lass, flüsterte sie ihm zu: „Da sichern wir uns wohl am besten auch noch schnell ein Teil …“(Goldstein et al. 2009, S. 29). Diese Perspektive wird durch den in Abschn. 4.4 bereits aufgezeigten Sachverhalt, dass Menschen vermuten, dass Dritte einen Sachverhalt ähnlich wie sei beurteilen, selbst wenn die Meinung tatsächlich einen Außenseiterpostion darstellt, noch verstärkt. Mit der Aufdeckung dieser Problematik ist die Grundlage zur Verbesserung gelegt. Konkrete Schritte werden in den weiteren Kapiteln entwickelt.

Literatur Beatty J (1998) The world according to Peter Drucker. Broadway Books, New York Cialdini R (2013) Die Psychologie des Überzeugens. Huber, Bern Goldstein N, Martin S, Cialdini R (2009) Yes! Andere überzeugen. Huber, Mannheim

Literatur

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Henecka H (2009) Grundkurs Soziologie. UKV, Konstanz McCormack M (1984) What they don’t teach you at Harvard Business School. Profile Books, New York Robertson I (2013) Macht – Wie Erfolge uns verändern. dtv, München Rosenzweig P (2008) Der Halo-Effekt. Gabal, Offenbach Student D (2016) Der Berater Markt ist heiß gelaufen. http://www.manager-magazin.de/unternehmen/artikel/unternehmensberater-a-1113938.html. Zugegriffen am 29.09.2016 Wiswede G (2012) Einführung in die Wirtschaftspsychologie. Reinhardt, München

8

Der Chef

Zusammenfassung

Der „Chef“ ist die Person welche über Wohl und Wehe entscheidet, der Compliance im Allgemeinen wie dem des Leiters im Speziellen. Unterschiede zu anderen Aufgabenträgern im Unternehmen gibt es hier letztlich nicht. Sind die Dinge fachlich und persönlich im Lot, ist eine grundlegende Voraussetzung der wirkungsvollen Compliance gelegt, ist das Gegenteil der Fall, bleibt Compliance Stückwerk. Ein „Nebeneinander“, welche in der weitgehenden Ignorierung des Gegenüber seinen Ausdruck findet, mag zu leidlichen Zufriedenheit aller Beteiligten in der Vergangenheit geführt haben, wird aber nicht mehr funktionieren, wenn die Compliance sich dem Anspruch der Wirksamkeit stellt. Welche grundlegenden Prinzipien eine effektive Zusammenarbeit begründen, ohne die Integrität des CO zu beschädigen wird im weiteren Kapitel dargestellt.

8.1

Grundwissen der Verantwortlichen

Mit zunehmender Bedeutung der Compliance hat sich die unmittelbare Berichterstattung an die erste Führungsebene etabliert. Damit ist in der üblichen Form der Kapitalgesellschaft der Vorstand bzw. die Geschäftsführung angesprochen. Ob so gegeben oder nicht, zwei Sachverhalte sollte jeder Vorstand kennen, dass er diese kennt ist Aufgabe des Complianceleiters persönlich. Wenn man den Betreffenden nachts weckt, muss dieser bei „Business Judgement Rule“ und „Neubürger Urteil“ sofort im Bild sein. Der BGH hat in seinem Urteil vom 21. April 1997 bezüglich der im § 93 AktG festgeschriebene „Business Judgement Rule“ entschieden, dass ein Unternehmensleiter hinsichtlich der zu treffenden unternehmerischen Entscheidungen einen bestimmten Spielraum hat. „Ihn trifft keine ­persönliche Haftung, wenn er ausreichend gut informiert ist und eine Entscheidung ­nachvollziehbar im besten Sinne des Unternehmens getroffen hat“, urteilte der BGH © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Schneider, Werkzeuge wirkungsvoller Compliance, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61792-2_8

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8  Der Chef

(BGH, BGHZ 135, 244). Seine Präzisierung erfährt die Regel im sog. Neubürger Urteil in Deutschland (LG München I, Az. 5HK O 1387/10). Der Vorsitzende Richter, Helmut Krenek führt hierzu im Interview aus: Die Frage des Ob, also ob ein funktionierendes CMS eingerichtet werden muss, ist sicherlich keine unternehmerische Entscheidung, sondern ergibt sich aus dem Gesetz. Eine Aktiengesellschaft ist an das Legalitätsprinzip gebunden. Dies ist keine Frage der Business Judgement Rule. Was im Einzelnen für ein Unternehmen notwendig ist, da hat der Vorstand einen Ermessensspielraum. Die Problematik, was konkret ein Unternehmen tun muss, ist einzelfallabhängig. Und Gerichte entscheiden immer nur Einzelfälle, aus denen – das räume ich ein – durchaus auch Rückschlüsse auf andere gezogen werden können. Aber als Richter kann ich Compliance Officern keine Ratschläge geben, wie in ihrem Unternehmen ein funktionierendes System auszusehen hat. Das ist nicht meine Aufgabe als Richter. Sondern da muss sich jeder überlegen, funktioniert es bei uns mit unserem CMS oder müssen wir nachjustieren? Urteile aller Gerichte können indes Anhaltspunkte dafür geben, wie mit bestimmten Fragestellungen umzugehen ist (Jäckel 2016, S. 1). Neben diese persönlichen Risiken sind die unternehmerischen Risiken gewachsen. Die Aufdeckungswahrscheinlichkeit bei Verstößen hat, auch aufgrund der Kronzeugenregelungen, drastisch zugenommen, die Strafhöhe wurde erhöht. Sind Unternehmensführung und Besitz nicht in einer Hand, erwarten die Anteilseigner, dass eine Compliance Abteilung ihr Vermögen schützt. Weiterhin fordern Geschäftspartner eine funktionsfähige Compliance. Diese Argumente sind der Compliance bekannt, sollten aber auch bei der Unternehmensführung bekannt sein. Dies wird allzu oft von der Compliance vorausgesetzt, ohne hinreichende Belege. Deshalb wird es nicht schaden auf verschiedenen Wegen, im persönlichen Gespräch oder der Weitergabe von Unterlagen das Bewusstsein in diesem Bereich zu schärfen.

8.2

Einstellung und Motive des Vorgesetzten

Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler. Entsprechend sollte jedes Unternehmen wissen, was seine Kunden erwarten, warum sie seine Leistung erwerben. Eine Uhr kann schlicht die Zeit anzeigen oder ein luxuriösen Schmuckstück sein, ein Mensch kann Wasser trinken oder 18 Jahre alten Whiskey. Die Compliance könnte sich auf die schlichte Notwendigkeit ihre Existenz, ohne weitere Begründung zurückziehen, eine wirksame Compliance wird die Motive der Ansprechpartner im Allgemeinen, insbesondere die des unmittelbaren Vorgesetzten im Speziellen ergründen um auf dieser Basis die eigene Wirksamkeit nachzuweisen und die erforderlichen Ressourcen zu erhalten, wobei hier eine Beschränkung auf das Budget zu kurz greift. Die im weiteren Buch vorzustellenden Schritte sind sehr viel effektiver durchzuführen, wenn der Rückhalt, ja die Überzeugung, des direkten Vorgesetzten vorhanden sind.

8.2 Einstellung und Motive des Vorgesetzten

91

Wie der Vorgesetzte auf entsprechende Informationen reagiert gibt Hinweise auf dessen Einstellung und Motivation zur Compliance. Grundsätzlich gibt es vier unterschiedliche Motive (Grant-Hart 2016, S. 13). • Sorgen/Angst um sich selbst: Die Angst vor Strafen ist sicherlich gerechtfertigt. D&O Versicherungen schützen bis zu einem gewissen Grad vor finanziellem Schaden, wobei der vertraglichen Ausgestaltung hohe Bedeutung zukommt. Hier kann die Compliance konkrete Hinweise geben (Steiner 2014, S. 103–144). Dennoch ist die Bereitschaft der Unternehmen sich von Verantwortlichen für Compliance-Verstöße zu trennen sicherlich gestiegen. Damit verbunden ist ein Reputationsverlust des Betroffenen, der auch bei finanzieller Unabhängigkeit schwer wiegt. Früher hofierte Menschen werden zur persona non grata erklärt, soziale Kontakt eingefroren. Letztes und schwerstes Geschütz der Behörden ist sicherlich eine Freiheitsstrafe, welche jeder Mensch zu vermeiden sucht. • Sorgen/Angst um das Geschäft, die Geschäftsentwicklung: Steht nicht die persönliche Bereicherung im Mittelpunkt, sollen Compliance-Verstöße Umsätze und Gewinne sichern bzw. erhöhen. Dies war in der Vergangenheit vielfach möglich, die Zeiten haben sich jedoch geändert. Nicht allein die DACH Staaten, auch notorisch korruptionsanfällige Länder verstärken ihre Anstrengungen zur Korruptionsbekämpfung. Damit stellt sich nicht mehr die Frage ob, als vielmehr wann Verstöße aufgedeckt werden. Strafen stehen im Mittelpunkt der Berichterstattung, wobei zivilrechtliche Ansprüche der Geschädigten und der Ausschluss vom Wettbewerb oft schwerwiegender sind, als die plakativen Strafen für den Gesetzesverstoß an sich. • Ethische Ansprüche: Das Richtige tun ist nicht alleine ein Anspruch weltfremder Gutmenschen, immer mehr Unternehmensverantwortliche prüfen ihr Verhalten und das ihrer Mitarbeiter vor den in Kap. 3 dargestellten ethischen Ansprüchen. Wirtschaftlicher Erfolg bedeutet ihnen Vieles, aber nicht alles. Um es, etwas drastisch, mit Peter Drucker zu sagen: I don’t want to see a pimp in the mirror when I shave in the morning (Beatty 1998, S. 108). Dies sollte ein selbstverständlicher, eigener Anspruch sein. • Wettbewerbsvorteile, Ansprüche der Kunden: Immer mehr Geschäftspartner erwarten, dass ihr Gegenüber „sauber“ ist. Kann dies nachgewiesen werden, entsteht Vertrauen, welches zu einem Wettbewerbsvorteil erwächst. Einfach nach den Motiven zu Fragen ist möglich, reicht aber nicht aus. Wer würde einräumen, dass er ethisch keine Probleme mit Compliance-Verstößen hat und nur aus Furcht vor persönlichen Nachteilen Gesetze einhält? Die Intentionen können jedoch im Laufe der Zusammenarbeit erfasst und präzisiert werden. Hierzu werden Informationen den verschiedenen Motiven zugeordnet. Die Reaktion auf diese Informationen, deren Umfang, die zeitliche Distanz zur Ansprache, sowie die Intensität von Gesprächen geben Hinweise. Im nächsten Schritt geht es darum dem Vorgesetzten zu vermitteln, wie die Compliance gewährleistet, dass die entsprechenden Ziele erreicht werden. Das hierzu Ressourcen

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8  Der Chef

e­ rforderlich sind bedarf nicht der weiteren Erläuterung, womit sich der Übergang zum nächsten Aspekt ergibt. Mit diesem Ansatz erfolgt ein Bezug auf den kybernetischen Managementansatz „Engpasskonzentrierte Strategie“ von Mewes. Die Strategieentwicklung beruht demnach auf der Suche nach dem „Engpass“ in den Bedürfnissen der Zielgruppe und die Entwicklung eines neuen Nutzens. Dieses Prinzip steht in Analogie zum biologischen Wachstums­ modell von Justus Liebig, nach dem die Beseitigung eines speziellen Nähstoffmangels Grundlage des Wachstums ist (Krüger 2015, S. 70). Dabei stehen neben scheinbar „harten“ Fakten verhaltensbedingte Themen im Mittelpunkt und können dem Chef echten Mehrwert liefern, wie der folgenden Punkt aufzeigt.

8.3

Willensstärke

Für verschiedene Aufgaben sind verschiedene Fähigkeiten, ja Eigenschaften erforderlich. So wie Verantwortliche als ihre Schwäche allenfalls „Ungeduld“ einräumen, geben sie sich bei der „Willensstärke“ höchste Punktzahlen. „Chefs“ müssen schließlich entscheiden, wieder und wieder, täglich, mit nicht nachlassender Schaffenskraft. Die Compliance wird dieses Paradigma nicht offen in Frage stellen, im vertraulichen Gespräch aber relativieren und wirkungsvolle Verhaltensweisen zum Thema Willenskraft anbieten. Nähmen sich alle Entscheider die folgenden Hinweise zu Herzen, kämen zahlreiche, hoffnungsvolle Karrieren nicht zu einem jähen Ende. Nicht nur, aber auch wegen Compliance  – Verstößen.

8.3.1 Grundfalsche Entscheidungen In der Praxis ist es erstaunlich, welche Regeln Menschen brechen, geschriebene oder ungeschrieben, vor allem dann, wenn ein unbedeutender, kleiner Vorteil mit dem Risiko des Karriereaus erkauft wird. Prominenten Beispielen, die an die Öffentlichkeit gelangen, gibt es reichlich, hier einige prominenten Beispiele: • Der Gouverneur des US-Bundesstaates New York Eliot Spitzer kam „zufällig“ auf eine Internetseite mit Angeboten Prostituierter. Er rief die angegebene Telefonnummer an und bestellte einen „Service“. • Der DFB Präsident Reinhard Grindel ließ sich von einem ukrainischen Oligarchen eine Luxusuhr schenken. • Die deutsche Bischöfin Margot Käßmann fuhr betrunken ihren Dienstwagen und geriet in eine Polizeikontrolle. • Letzter Vertreter dieser illustren Reihe ist der österreichische FPÖ Vorsitzende Heinz-Christian Strache, der sich im Gespräch mit einer vermeidlichen russischen Oligarchentochter um Kopf und Kragen redet.

8.3 Willensstärke

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Die Betroffenen bekundeten nach dem Bekanntwerden der Vorfälle ihre Reue. Beim Betrachter machte sich ungläubiges Erstaunen breit. Der mögliche Erfolg stand in keinem nachvollziehbaren Verhältnis zum Risiko. Zum klaren, unzweideutigen „Nein“ hätte es eigentlich keine Alternative geben dürfen, ein Dilemma lag nicht vor. Damit stellt sich die Frage wie dazu kommen konnte. Dies vor dem Hintergrund, dass es sich bei allen Betroffenen um „Chefs“ handelte, welche bereits jahrelang in der, kritischen, Öffentlichkeit standen. Entsprechend sollte ein persönlich Angesprochener nicht vorschnell vermuten, dass ihm solche Fehler nicht unterlaufen werden.

8.3.2 Auf und ab der Willenskraft Willenskraft ist kein Thema für den Chef. Hierüber verfügt er, in ausreichendem, überdurchschnittlichem Maße. So wird dem Beststellerautor Reinhard Sprenger zugestimmt, wenn dieser feststellt: „… dass der Mensch sich gegenüber anderen Lebenswesen durch Freiheit und Selbstbestimmung auszeichnet. Dass er frei wählt und entscheidet – egal, was die Hirnforschung meint hervorzaubern zu können an Tröstungen für Willensschwache. Und dass er insofern verantwortlich ist.“ Damit waren die oben angeführten Entscheider schlicht selber schuld. Sprenger ist zuzustimmen, wenn es die Verantwortung des Einzelnen für sein Handeln betont, diese bzw. sich selber soll der CO für ihr Handeln verantwortlich machen (Sprenger 2015, S. 116). Dennoch lohnt ein zweiter Blick auf die Entwicklung gravierender Fehlentscheidung. Die Ursache vieler Fehlentscheidung hat einen Namen: die Willenskraft bzw. die Willensschwäche. Ein Versuch zeigt die Funktionsfähigkeit der Willenskraft auf: Die Teilnehmer durften einen ganzen Tag lang nichts essen und betraten entsprechend hungrig den Versuchsraum. Vor ihren Plätzen standen drei Teller mit unterschiedlichen Auflagen: ofenwarme Plätzchen, Schokolade und Radischen. Einige Versuchsteilnehmer durften Plätzchen essen, andere Schokolade, weitere mussten mit den Radischen vorliebnehmen. Letzteres fiel auch deshalb schwer, weil die Probanden einige Zeit alleine im Raum blieben und die Radischen Esser Plätzchen und Schokolade sahen und rochen, ohne zugreifen zu dürfen. Die Teilnehmern widerstanden der Versuchung, dass hierzu erhebliche Willenskraft erforderlich war, bedarf nicht der Erläuterung. Anschließend wurden die Probanden in einen anderen Raum gebracht um eine Geometrieaufgabe zu lösen, welche tatsächlich unlösbar war. Mit diesem Vorgehen lässt sich die Willenskraft eines Menschen bestimmen. Diejenigen die Plätzchen oder Schokolade essen durften, versuchten sich durchschnittlich zwanzig Minuten an den Aufgaben, die Radischen-­Esser hingegen nur über acht Minuten, also weniger als die Hälfte. Der Grund war relativ einfach: letztere hatte ihre Willenskraft bereits in hohem Maße dazu eingesetzt der Schokolade und den Plätzen zu widerstehen. Willenskraft ist keine statische, sondern eine dynamische Größe, welche sich erschöpft, wie ein Muskel (Baumeister und Tierney 2012, S. 32).

94

8  Der Chef

Ein gemeinsames Kennzeichen von Menschen in hohen Positionen ist, dass diese ständig Entscheidungen treffen, den ganzen Arbeitstag lang und diese von entsprechender Relevanz sind. Hierzu bedarf es erheblicher Willenskraft, welche sich im Laufe des Tages erschöpft. Es gibt keine spezielle Willenskraft für einzelne Aufgaben. Radischen und Geometrie haben so wenig miteinander zu tun, wie eine Diät und eine Investitionsrechnung. Wer sich auf einen Marathonlauf vorbereitet oder eine Diät durchführt, sollte nicht gleichzeitig Entscheidungen treffen die große Willensstärke benötigen (Baumeister und Tierney 2012, S. 46). Um Willenskraft aufzubringen, bedarf es weiterhin einer körperlichen Vorrausetzung: der Glukose. Liegt der Blutzuckerspiegel unter einer gewissen Grenze zeigen Versuchsteilnehmer eine schwächere Willenskraft, die Selbstdisziplin nimmt dramatisch ab. Nun sollen Entscheider nicht fortlaufend zuckerhaltigen Lebensmitteln konsumieren, die den Blutzucker kurzfristig nach oben puschen, als vielmehr Nahrung zu sich nehmen, die einen langsamen Auf- und Abbau gewährleistet. Damit sei kein Urteil über den aktuellen Trend des Intervallfastens ausgesprochen, eine Kombination aus Fasten und Entscheiden wird die Entscheidungsqualität jedoch erheblich verschlechtern. Dabei zeigt sich die Verschlechterung wie im Radischen-Experiment. Es wird sich kürzer mit dem Sachverhalt beschäftigt, schneller entschieden, nicht selten etwas durch gewunken, was bei intakter Willenskraft auf entschlossene Ablehnung stoßen würde. Dass schwerwiegende Fehlentscheidungen oft in den Abendstunden fallen, liegt nicht zuletzt daran, dass im Tagesverlauf getroffene Entscheidungen die Willensstärke schwächen. So wurde vor Versuchsteilnehmern ein Tisch mit verlockenden Waren aufgebaut. Eine Gruppe betrachtet diese nur, die andere traf Entscheidungen, welches Gut sie erhalten wollten: Der grüne oder der blaue Stift? Das gelbe oder das graue T-Shirt? Die dünne oder die dicke Kerze? Auch solche unbedeutenden Entscheidungen schwächen die Willenskraft. Die Entscheider zeigten im folgenden Versuch schwierige Aufgaben zu lösen deutlich weniger Ausdauer, als eine Vergleichsgruppe. Es ist unwichtig, welche Entscheidungen der Einzelne im Laufe eines Arbeitstages getroffen hat, als vielmehr, dass überhaupt Entscheidungen gefällt wurden. Das diese Situation vor allem für Chefs eher die Regel denn die Ausnahme darstellt, bedarf nicht der Erläuterung.

8.3.3 Die einzelne Entscheidung Im oben angeführten Fall der Fälle, in dem eine, verhängnisvolle, grundsätzlich falsche Entscheidung getroffen wurde, kamen oft mehrere der aufgezeigten Umstände zusammen. Der lange Arbeitstag neigte sich zum Ende, es wurden viele Entscheidungen getroffen, dass Abendessen wartet Zuhause, der Blutzuckerspiegel ist abgesunken. Nicht selten schwächen zusätzliche Faktoren die Willenskraft: Schlafmangel, ein Sportprogramm oder eine Diät, zusätzlich steht eine wichtige, private Entscheidung an. Dann kommt noch eine Nachfrage herein, ein Projekt soll genehmigt, eine Investition freigegeben werden, ein Vertriebsagent beauftragt werden. Nicht selten wird Zeitdruck

8.4 Unabhängige Compliance

95

aufgebaut, hier und jetzt gilt es die Gelegenheit zu nutzen. Die Reaktion sollte klar sein: ein eindeutiges NEIN. Obwohl? Eine, eine einzige Ausnahme? So schlimm wäre es nicht, der Mitarbeiter ist nicht dumm, flexibles, unternehmerisches Handeln wird doch immer gepredigt… Jetzt noch die Kraft aufbringen zu widerstehen? Also doch ein JA. Ganz so dramatisch wird die Angelegenheit kaum verlaufen. Kommt der Vorfall später ans Licht, macht sich Erstaunen breit. Nicht nur bei den Betrachtern, auch beim Betroffenen selber. Das Risiko das etwa schiefgeht stand in keinem Verhältnis zu den Vorteilen. Die eine Frage bleibt: Wie konnte er nur? Oder: Wie konnte ich nur? Die Mitarbeiter des Unternehmens kennen die Arbeitsbelastung ihres Chefs relativ gut. Dann wird eine Entscheidung nicht am Montagmorgen vorgelegt und um eine Entscheidung bis Mittwoch gebeten, sondern am Freitagnachmittag Entscheidungsdruck geschaffen. Der Auftrag müsse sofort vergeben bzw. angenommen werden. Eine knappe Zustimmung per E-Mail reicht aus, die Details werden später nachgereicht …

8.3.4 Empfehlungen Eingangs dieses Abschnitts wurde festgestellt, dass sich kein Chef als willensschwach ­titulieren würde. Es sei deshalb nochmals erwähnt: Willenskraft ist keine stabile Eigenschaft wie Körpergröße oder Intelligenz. Sie schwankt, nicht langsam wie das Körper­ gewicht, sondern rasch, innerhalb eines Tages. Diese Tatsache sich selbst gegenüber einzuräumen ist die Basis um Fehlentscheidungen zu vermeiden. Die Empfehlung ist einfach: treffen Sie keine schwerwiegenden Entscheidungen bei geschwächt Willenskraft ist. Besser zögern und am nächsten Morgen entscheiden, als am Ende eines stressigen Arbeitstages einen verhängnisvollen Fehler zu begehen. Sich nicht unter Druck setzen lassen, vor allem nicht unter zeitlichen Druck. Vielleicht eine zweite Meinung einholen, dass für und wider abzuwägen, damit sich im Nachhinein nicht nur der Betroffene fragt, wie es dazu kommen konnte. Vor allem aber im Zweifel NEIN sagen.

8.4

Unabhängige Compliance

Macht sich die Compliance nicht beliebig, wenn sie die Motive der Unternehmensverantwortlichen aufgreift? Gilt es nicht vielmehr unabhängig und objektiv seine Arbeit zu tun, sicherlich dafür zu werben, aber das zu tun, was aus Sicht der Compliance notwendig ist? Eine solche Compliance ist nicht wirksam sondern selbstzentriert. Selbstverständlich gibt es ein Mindestprogramm, welches die Compliance zu definieren und durchzusetzen hat. Den Unterschied zwischen ausreichend und wirksam, die Entscheidungsfindung wenn es im wörtlichen Sinne „eng“ wird, macht jedoch auch die Berücksichtigung des Chefs aus. Dabei gilt es das richtige Maß von Nähe und Distanz zu finden. Enge persönliche Beziehungen vereinfachen vieles, können sich aber schnell als kontraproduktiv erweisen,

96

8  Der Chef

wenn die Unternehmensleitung wechselt und ein allzu enge Nähe zum vorherigen Chef bekannt ist.

8.4.1 Die notwendigen Ressourcen Ob finanzielle Mittel oder Mitarbeiter, Größe der Diensträume und der Standort innerhalb der Unternehmenszentrale, letztlich die persönliche Entwicklung und das Gehalt des Complianceleiters, diese Entscheidung trifft primär der Vorgesetzte. Wenn auch selten eine grundsätzliche Abkoppelung von der Gesamtentwicklung möglich ist und bei generellen Einsparrunden die Compliance einen Beitrag leisten muss, bestehen dennoch Spielräume, welche es zu nutzen gilt. Inwieweit jährliche Budgetgespräche oder Entscheidungen im Einzelfall die wesentliche Rolle spielen, hängt vom jeweiligen Unternehmen ab. Der typische CO hat mit dem Verkaufen, auch seiner eigenen Anliegen wenig Erfahrungen. Damit verbunden ist eine Abneigung gegenüber entsprechenden Anstrengungen, welche als unter der eigenen Würde diskreditiert werden. In Kap. 7 wurde der CO bereits als Verkäufer dargestellt und diese Perspektive begründet. Dies gilt es auch im Umgang mit dem Chef zu beherzigen. Unabhängig davon wie ungewohnt diese Aufgabe fällt, Alternativen gibt es hierzu nicht. Es gibt eine einfache, gleichwohl wirkungsvolle Möglichkeit das zu bekommen, was man wünscht. Diese besteht darin erst mehr zu fordern, was wahrscheinlich zur Ablehnung führt, um anschließend eine kleinere Bitte zu äußern, welche dem eigentlichen Wunsch entspricht. Dies wird häufig erfüllt. Die zweite Bitte muss nicht klein sein, sie muss nur kleiner als die erste sein. Allerdings darf die erste Bitte nicht unverschämt groß sein. Beispiel

In Versuchsanordnungen stieg die Zustimmung für eine Bitte von 17 auf 50 %, in einem anderen Fall von 43 auf 84 %, wenn sie als zweite, kleinere Bitte formuliert war (Cialdini 2013, S. 72–83). Als Nebeneffekt gilt es zu verzeichnen, dass die „Opfer“ zufriedener sind und eine stärkere Verantwortung empfinden die Vereinbarung einzuhalten. ◄ Allerdings gilt es auch für die Compliance aufzupassen, wenn die Partner im Unternehmen vergleichbar vorgehen, wenn es bspw. um die Zustimmung zu Agentenverträgen oder Einladung geht.

8.4.2 Fakten vs. Mutmaßungen Natürlich wird Small Talk gehalten, auf und zwischen allen Ebenen im Unternehmen. Grundsätzlich mag es als Indikator für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit dienen, wenn bspw. der Vorstand nach der persönlichen Ansicht über einen bestimmten Ansprechpartner

8.4 Unabhängige Compliance

97

fragt. Gerade die in Kap. 5 vorgestellten Fehler zeigen allerdings auf, wie rasch Schnellschüsse erfolgen und Fehleinschätzungen abgegeben werden. Compliance kann und soll berichten, aber Fakten. Sicherlich bekommen CO viel mit, nur wenige Mitarbeiter der Unternehmenszentrale verbringen so viel Arbeitszeit unmittelbar am Ort der Leistungserbringung und sprechen mit Mitarbeitern aller Hierarchieebenen. Dennoch gilt es sich hier konsequent zurück zu halten, ja zu verweigern. Viele Fehler kann und wird man einem CO verzeihen, solange die persönliche Integrität gewährleistet erscheint. Es gilt das Motto des langjährigen General Motors Chef Alfred P. Sloan zu berücksichtigen: „He never gave an opinion on a person, only on his performane“ (Beatty 1998, S. 53). Schon um die Mitarbeiter zu schützen, welche Thema des Gespräches wären, ohne das für sie die Möglichkeit der Stellungnahme besteht. Damit ist natürlich nicht die Berichterstattung über compliancerelevante Sachverhalte einbezogen, aber auch hier gilt es im Zweifel nachzudenken, was Fakten und was Mutmaßungen sind.

8.4.3 Über die Bande spielen Der Chef ist Chef und bleibt es auch. Über ihn und nur über ihn läuft eine mögliche Kommunikation mit Anteilseigner, Wirtschaftsprüfern und Aufsichtsgremien. Dabei wird die Compliance peinlich genau die Spielregeln einhalten. Jedes mögliche Gespräch gilt es vorab mit dem Chef abzustimmen. Damit verbunden ist das klare Aufzeigen der Grenzen der Compliance gegenüber den Aufsichtsgremien. Der eigene Vorgesetzten, meistens ein Vorstandsmitglied, kann zu bestimmten Handlungen angehalten, das Verhalten aber nicht geprüft werden. Aufsicht über die Unternehmensführung führen die Aufsichtsgremien, nicht die Compliance, wobei die Compliance nicht den „Hilfssheriff“ spielt.

8.4.4 Die Schlüsselkompetenz Die vielfältige Position eines CO benötigt vielfältige Kompetenzen, die Gewichtung wird aus Sicht des Chefs variieren, wobei die angesprochenen Einstellungen und Motive eine wichtige Rolle spielen. Die zentrale, entscheidende Komponente wird allerdings die ­Loyalität darstellen. cc

Viele Fehler und Unzulänglichkeiten werden verziehen, solange Loyalität besteht. Wird diese angezweifelt, sind alle andere Kompetenzen ohne Bedeutung.

Deshalb muss ein CO seinem Chef gegenüber loyal sein. Diese Loyalität darf nicht als kritikloses Abnicken falsch verstanden werden. Vor allem im Graubereich der Compliance, wo einzelne Handlungen unterschiedlich interpretiert werden, ist es für den Chef wichtig jemanden zu haben, der ihn darauf hinweist, wie seine Maßnahmen wahrgenommen und interpretiert werden. Diese Informationen sollten ausschließlich mündlich und

98

8  Der Chef

unter Vier-Augen geäußert werden, wobei vermittelt wird, dass keine Informationen an Dritte durchgestochen werden. Ist der Chef dagegen grundsätzlich gegen die Compliance, unfähig Kritik aufzunehmen und unwillig Verhalten zu ändern bleibt nur der ultimative Schritt, der im letzten Kapitelabschnitt aufgezeigt wird. Gerade weil der Loyalität ein zentraler Stellenwert zukommt, wird von interessierter Seite gerne versucht hier einen Keil zwischen Chef und Compliance zu trieben. Im größeren Kreis wird gerne ein anonymer Fall beschildert und die Compliance um eine Einschätzung gebeten. Dass es sich dabei um das Verhalten des Chefs handelt wird erst einmal nicht thematisiert. Deshalb gilt es in solchen Fällen Vorsichtig zu sein und um weitere Informationen zu bitten.

8.4.5 Compliancegegner Chef Eine Compliance Organisation ist heute schlichte Notwendigkeit. Kein Unternehmen einer gewissen Größenordnung kann sich dem Druck von Gesetzgeber, Justiz, Anteilseignern und Öffentlichkeit dauerhaft entziehen. Diese Entwicklung kann dem Chef zuwider sein. Aus schlichter Ablehnung, aus Sorge um die Unternehmensentwicklung bei konsequenter Umsetzung, vielleicht sogar aufgrund persönlicher Verwicklung in Gesetzesverstöße wird die Compliance abgelehnt. Notwendige Ressourcen werden nicht zur Verfügung gestellt, Untersuchungen behindert, blockiert oder per Dienstanweisung verboten. Die Compliance kann und soll für die eigenen Anliegen werben, wird aber an ihre Grenzen stoßen. Dann gilt es schlicht Konsequenzen zu ziehen. Dabei spielen nicht mögliche Haftungsfragen die primäre Rolle, sondern die persönliche Überzeugung darüber was richtig und falsch ist. Schlussendlich gilt es, dass Unternehmen zu verlassen und eine andere Aufgabe zu übernehmen.

Literatur Baumeister R, Tierney J (2012) Die Macht der Disziplin. Goldmann, Frankfurt am Main Beatty J (1998) The world according to Peter Drucker. Broadway Books, New York Cialdini R (2013) Die Psychologie des Überzeugens. Huber, Bern Grant-Hart K (2016) How to be a wildly effective compliance officer. Brentham House, London Jäckel I (2016) Zum Neubürger Urteil. http://www.compliance-manager.net/fachartikel/zum-neubuerger-urteil-022015. Zugegriffen am 20.10.2016 Krüger W (2015) Unternehmensführung. Schäffer Poeschel, Stuttgart LG München I, Az. 5HK O 1387/10, 5HK O 1387/10 Urteil vom 10.12.2013 Sprenger R (2015) Das anständige Unternehmen. dva, München Steiner M (2014) Damoklesschwert persönliche Haftung  – Schutzschild D&O Versicherung? In: Schettgen-Sarcher W (Hrsg) Compliance Officer: Das Augsburger Qualifizierungsmodell. Springer Gabler, Wiesbaden

9

Der innere Zirkel

Zusammenfassung

Bevor sich ein CO mit dem inneren Zirkel des Unternehmens beschäftigt, steht eine Auseinandersetzung mit dem Unternehmen als Ganzes. Die erste Vorausetzung das es „passt“ für den CO, dieser die Unternehmenskultur bejaht, wurde bereits in Kap. 2 angesprochen. Diese Kultur gibt den Rahmen vor in dem sich die Mitarbeiter bewegen. Die Zugehörigkeit zum inneren Zirkel ermöglicht es insbesondere dem Complianceleiter bereits schwache Signale aufzunehmen und frühzeitig darauf zu reagieren, nicht im Nachhinein Sachverhalte zu prüfen, sondern diese bereits im Entstehen mit zu gestalten.

9.1

Mittendrin statt nur dabei

Ist der CO im eigenen Unternehmen mit Freude tätig und identifiziert sich mit Unternehmenszweck und -zielen ist die zentrale Vorausetzung geschaffen, um zum inneren Zirkel zu gehören. Die formale Vorausetzung stellt die Hierarchieebene dar. Da der Complianceleiter fast immer unmittelbar an die Unternehmensleitung berichtet ist diese ebenfalls erfüllt. Die weiteren Ausführungen dieses Kapitels betreffen primär den Leiter der Compliance, allerdings wird auch der einzelne CO entsprechende Situation auf seiner Hierarchieebene finden. Den „Inneren Zirkel“ gibt es formal nicht. Damit kann der Eindruck entstehen, dass das Unternehmen ohne diesen nicht allein funktioniert, sondern vielleicht leistungsfähiger wäre, wenn diese informellen Strukturen nicht bestehen bzw. nur schwach ausgeprägt sind. Damit verbunden ist die Frage, welches Verhältnis die Compliance zu diesem ­Konstrukt haben sollte. Zwischen den Ausprägungen als aktiver Teil tätig zu sein und sich bewusst auszugrenzen bestehen zahlreiche Zwischenstufen. © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Schneider, Werkzeuge wirkungsvoller Compliance, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61792-2_9

99

100

9  Der innere Zirkel

Hier wird die These vertreten, dass die Compliance aktiver Bestandteil des inneren Zirkels sein sollte. Die Intensität der Teilnahme hängt auch von der Persönlichkeit des Complianceleiters ab, ob dieser Freude am informellen Austausch hat oder Berufliches und Privates strikt trennen möchte und der „Small Talk“ ihm Unbehagen bereitet. Im inneren Zirkel werden keine „harten“ Fakten im Mittelpunkt des Austauschs stehen. Diese sind bekannt, wobei börsennotierte Unternehmen aufgrund ihrer Publikationspflichten die Maxime verfolgen Informationen möglichst früh und umfassend an die Öffentlichkeit zu bringen. Vielmehr geht es darum Meinungen, Tendenzen, Entwicklungen, schwache Signale zu empfangen, als auch zu beeinflussen. Diese Informationen ändern nichts daran, ob eine Entscheidung richtig oder falsch ist, Compliancevorgaben eingehalten oder gegen diese verstoßen wird. Die Kenntnis des Meinungsbildes, dessen Beeinflussung, vor allem aber die Entwicklung ermöglicht eine wirksamere Compliance. Was gemacht werden muss, soll gemacht werden, aber die vielfältigen Parameter, was, wann, mit welcher Intensität ausgeführt wird, kann auf Basis der gewonnenen Informationen zielgerichteter gestaltet werden. Deshalb handelt es sich bei der Teilnahme am inneren Zirkel um keinen Selbstzweck, als vielmehr eine Notwendigkeit. Der in Kap. 7 angeführte „Auftritt“ schafft die Ausgangslage für die Aufnahme in den inneren Zirkel. Stephan Covey verdeutlicht diese Perspektive in seinem Bestseller: „The 7 habits of highly effective people“. Covey unterscheidet den „Circle of Concern“, als die Dinge die Menschen angehen vom „Circle of Influence“, die Dinge welche sie beeinflussen können. Abb. 9.1 verdeutlicht diese Perspektive. Dabei ist der Kreis des Interesses grundsätzlich größer als der Kreis der Beeinflussung. Abb. 9.1 erläutert die Sichtweise. Im Privat- wie Berufsleben gibt es immer Dinge die Menschen betreffen, welche sie dennoch nicht beeinflussen können (vgl. Covey 1989, S. 81).

Abb. 9.1  Kreis des Interesses. (Eigene Darstellung)

9.1 Mittendrin statt nur dabei

101

Dieser Sachverhalt trifft auf alle Menschen zu. Aufschlussreich ist, wie sich die die beiden Mengen zueinander bewegen. Nicht aufgrund externer Einflüsse, sondern der Einstellung des CO.  Aktive Menschen konzentrieren sich auf den Kreis der Beeinflussung und erweitern diesen, passive Menschen konzentrieren sich auf den Kreis des Interesses und verkleinern so den Kreis der Beeinflussung. Nicht wenigen CO der „alten Schule“ konzentrieren sich auf den Kreis des Interesses, alles geht die Compliance irgendwie an, Verantwortung wird aber weitestgehend vermeiden. Prüfungen von Geschäftsvorfällen erfolgen im Nachhinein, dann kann die Compliance zuverlässig beurteilen, was falsch und was richtig lief, ohne jedoch Hinweise für zukünftige Fälle zu geben, hierfür sei man nicht zuständig. Abb. 9.2 zeigt diese Entwicklung auf (vgl. Covey 1989, S. 82). Eine wirkungsvolle Compliance konzentriert sich dagegen auf den Kreis der Beeinflussung und weitet diesen aktiv aus, wie in Abb. 9.3 dargestellt. Der Leiter einer wirksamen Compliance gehört dem inneren Zirkel an, will diesem angehören. Mit der Zugehörigkeit ist eine aktive Beteiligung, eine Einflussnahme verbunden, wenn man nicht als Faktotum und Betriebsnudel auftreten will oder sich moralinsauer in die Ecke stellt (vgl. Covey 1989, S. 83). Mit der Zugehörigkeit zum inneren Zirkel sind Nachteile verbunden. Wer sich frühzeitig einbringt, wer Verantwortung übernimmt macht eher Fehler, ist angreifbarer als der, welcher im Nachhinein prüft. Ein typisches Beispiel ist die Entwicklung neuer Märkte. Die Compliance sollte frühzeitig davon erfahren und bereits in der Vorbereitungsphase Kontakt zu den Verantwortlichen aufbauen. Dann werden bestehende Richtlinien erklären, Möglichkeiten der praktikablen Umsetzung entwickeln, evtl. Anpassungen vorgenommen, anstatt nach geraumer Zeit zur Prüfung aufzutauchen, Abweichungen vom Standard festzustellen ohne sich um die Gründe zu kümmern, um sich dann wieder rasch zu ­verabschieden. Mit der Involvierung verlässt die Compliance den angesprochenen Kreis des Interesses und betritt den Kreis der Beeinflussung. Dann ist Compliance wirklich daAbb. 9.2  Kreis des Einflusses. (Eigene Darstellung)

102

9  Der innere Zirkel

Abb. 9.3  Proaktiver Fokus. (Eigene Darstellung)

bei, ist Partner und nicht Richter, wird eingebunden statt ferngehalten. Die Kollegen treten an die Compliance heran, nicht mit fertigen Präsentationen sondern offenen Fragen.

9.2

Wissen voneinder

9.2.1 Lernt man sich kennen? Arbeiten Menschen eng und über einen längeren Zeitraum miteinander stellen sich die Beteiligten stets die Frage, was die Anderen über sie denken. Nicht nur aus Neugierde, sondern auch, um die Zusammenarbeit belastbar zu gestalten. Epley untersuchte die einfach zu stellende und schwierig zu beantworten Frage: was denken die anderen über mich (Epley 2014, S. 31)? Machen wir uns nicht vor. Menschen sind relativ gut darin einzuschätzen, wie eine Gruppe von Personen sie im Durchschnitt beurteilt. Dabei wurden unterschiedliche Eigenschaften abgefragt, wie Intelligenz, Humor, Rücksichtnahme, Freundlichkeit oder Führungsfähigkeit. Dies trifft auch auf Arbeitsgruppen zu, in den die Menschen sich zumindest im beruflichen Alltag gut kennen. Die Korrelation betrug 0,55. Mithin sind die Vorstellung nicht vollständig richtig, aber einigermaßen zutreffend. Als nächstes wurde untersucht, inwieweit Menschen die Meinung einzelner Gruppenmitglieder über sich einschätzen konnten. Dies gelang den Teilnehmern fast gar nicht. Die Korrelation lag bei 0,16, was nah einem Würfelwurf bzw. dem völligen Zufall kommt. Wie wissen kaum, wie uns der andere einschätzt, selbst wenn wir mit diesem regelmäßig zusammenkommen bzw. -arbeiten. Kein Mensch wird von sich behaupten Gedanken wildfremder Menschen lesen zu können, anderseits sollte dies bei Menschen die einem vertraut sind möglich sein, zumindest bis zu einem gewissen Grad. Ob Freude oder Kollegen, Vorgesetzter oder Lebenspartner,

9.2 Wissen voneinder

103

schließlich verbringt man viel Zeit miteinander, tauscht sich aus und bekommt rasche Rückmeldungen auf eigene Handlungen. Auch hier zeigen Versuche ein differenziertes Bild. Bei Fremden werden Gefühle mit einer Genauigkeit von 20 Prozent erraten, bei engen Freunden mit 35 Prozent. Also besser, aber nicht viel besser (Epley 2014, S. 36). Interessant in diesem Zusammenhang ist auch, inwieweit Menschen sich zutrauen die Gedanken ihnen besonders nahestehender Personen zu kennen. Im „Spiel der Neuvermählen“ wurde die Partner in getrennte Räume gebracht und ihnen eine lange Liste zum Partner vorgelegt, wobei zugesagt wurde, dass der Partner die Ergebnisse nicht zu Gesicht bekäme. Über intellektuelle Leistungsfähigkeit, Sportlichkeit, soziale Fähigkeit bis zu mehr oder weniger Beliebtheit verschiedener Freizeitaktivitäten reichte die Spannbreite. Der Partner im Nachbarraum wurde aufgefordert vorherzusagen, wie die Fragen beantwortet werden, als auch wie sicher er sei, dass die Vorhersagen zutreffen. Mit den Ergebnissen ließ sich ermitteln, wie gut sich die Partner kannte, aber auch wie gut sie sich zu kennen glaubten. Da die Teilnehmer sich schon bis zu sechs Jahren kannten, waren die Ergebnisse entsprechend gut, die richtige Vorhersage erfolgte in 44 Prozent der Fälle, wobei bei fünf Auswahlmöglichkeiten auch bei wahllosen Antworten 20 Prozent erreicht werden. Signifikant größer waren allerdings die Unterschiede bei der Frage, was der jeweilige Partner vermuteten voneinander zu wissen. Sie glaubten in 82 Prozent der Fälle richtig geurteilt zu haben. Hier liegt das Problem: wie wissen einiges über andere, aber weniger als wir vermuten. Keiner kann Gedanken lesen. Kein Psychologe fragt seine Versuchspersonen oder Patienten nach den Gründen für ihr Denken oder Verhalten. Zutreffende Antwort können allenfalls erwartet werden, wenn nach dem Endprodukt des Denkens gefragt wird, also danach was sie denken, nicht warum (Epley 2014, S. 66). Einen einfachen Beweis liefert das klassische Sockenexperiment. Den Versuchsteilnehmern wurden vier Paar Socken vorgelegt, wovon sie das, mit der besten Qualität auswählen sollten. Dabei waren die Socken identisch. Die Teilnehmer bevorzugten das Paar, welches ganz rechts lag. Diese wurde viermal so häufig wie das linke Paar gewählt. Auf die Möglichkeit angesprochen, dass die Reihenfolge eine Rolle spielen würde, wurde dies von praktisch allen Teilnehmern verneint (Epley 2014, S. 67).

9.2.2 Die Haut des Anderen Den anderen zu verstehen mag gelingen, wenn man die Welt mit seinen Augen sieht, mit seinen Augen sehen kann, sich wortwörtlich in ihn hineinversetzt, entsprechend oft wird dieser Versuch für Verhandlungen vorgeschlagen. Der Leser wird es an dieser Stelle des Textes ahnen: auch dies funktioniert nicht. Häufig kann man sich nicht in Situation des andern tatsächlich hineinversetzen, man weiß schlicht nicht wie es wirklich ist und bedient sich entsprechender Stereotype. Wie ist es drogenabhängig oder arm zu sein? Sind die Betroffenen nicht willensschwach und antriebslos? Zumindest ein wenig? In einem Experi-

104

9  Der innere Zirkel

ment sollten 104 Paare Fragen zur Einstellung des anderen beantworten. In der Perspek­ tiv-­ Gruppe sollten sich in die Situation des anderen hineinversetzt  werden, in der Kontroll-Gruppe schlicht die Fragen beantwortet werden. In der Kontroll-Gruppe ergab sich eine gute Übereinstimmung von 0,5 Korrelationspunkten, in der Perspektiv-Gruppe sank diese auf 0,39. Der Leser erinnert sich, wie im weitere vorne liegenden Abschnitt Dritte eingeschätzt wurden, ähnlich wie man selber, aber tendenziell schlechter. Es hilft sicherlich oft, sich bewusst zu machen, dass anders Menschen Dinge anders sehen, nicht aber der Versuch zu verstehen wie sie die Dinge anders sehen (Epley 2014, S. 274).

9.2.3 Ermittlung der anderen Sichtweise Bisher standen Missverständnisse im Mittelpunkt. Zum Abschluss soll es darum gehen, wie diese zumindest reduziert werden können. Die Lösung ist einfach: Fragen, nicht annehmen. In der erwähnten Partnerstudie bekam eine weitere Gruppe die Möglichkeit ei­ nander die Fragen der Studien dem anderen zu stellen, bevor die Antworten vorausgesagt wurden. Wie bei einem Interview wurden dem anderen die Fragen gestellt, wobei allerdings die Aufgabe ein wenig erschwert wurde. Der Partner durfte keine exakte Einordnung auf einer Skala vornehmen, stattdessen wurde einfach über die Fragen gesprochen, weiterhin war es verboten die Antworten zu notieren, stattdessen mussten sich die Fragenden auf ihr Gedächtnis verlassen (Epley 2014, S. 280). Dann wurde die Fehlerquote der Antworten gegenübergestellt. Hierbei wurden die Aneignung der Sichtweise, eine Kontrollgruppe und die Ermittlung der Sichtweise erfasst. Die Ergebnisse sind in Abb. 9.4 dargestellt. Es sei nochmals betont, dass es sich um den Lebenspartner handelt, nicht um fremde Dritte. Fehlerquote in %

Übernahme der Sichtweisen Dritter

40 35 30 25 20 15 10 5 0

Aneignung der Sichweise

Kontrollgruppe

Ermittlung der Sichtweise

Abb. 9.4  Übernahme von Sichtweisen Dritter. (Eigene Darstellung, angelehnt an: Epley (2014) Machen wir uns nichts vor. Ullstein, Berlin, S. 285)

9.3 Mitglieder des inneren Zirkels

105

Nun mag das Abfragen vor der Beantwortung ein wenig wie schummeln wirken, in der Realität handelt es sich jedoch nicht um einen Test für die Qualität oder Tiefe einer Beziehung, sondern es geht schlicht darum Missverständnisse zu vermeiden. Die um die Hälfte verminderte Fehlerquote spricht für dieses Vorgehen.

9.2.4 Ermittlung der Sichtweise Die Compliance weiß um die Bedeutung der Ermittlung der Sichtweise bei compliance – relevanten Sachverhalten. Regelmäßige Gespräche sind Teil von Prüfungen. Standardisierte Fragen werden gestellt, die Antworten in ein Formular übertragen. Epley lässt seine Studenten jährlich Personalgespräche simulieren, wobei eine typische Situation konstruiert wird. Abteilungsleiter und Mitarbeiter erhalten Informationen übereinander und tauschen sich 30 Minuten lang aus. Der Vorgesetzte bewertet die Arbeit seines Mitarbeiters als gut, weiß aber auch, dass gewisse Probleme bestehen, wobei der Mitarbeiter die Bedenken seines Chefs kaum kennt. Schlussendlich bewertet der Mitarbeiter seine Leistung günstiger als der Vorgesetzte. Nach dem Gespräch werden die Studenten aufgefordert vorherzusagen, wie die andere Seite über sie denkt. Das Ergebnis: der eine weiß darüber, was der andere denkt fast nichts. Dies liegt daran, dass Menschen einander nicht erzählen was der andere wissen will, das sie ausweichen, tricksen, in die Irre führen, ja bewusst lügen. Dies ist in wenigen Fällen eine Grundeinstellung, als vielmehr der Situa­ tion geschuldet. Sie haben nicht das Gefühl ehrlich antworten und Verständnis finden zu können (Epley 2014, S. 287).

9.3

Mitglieder des inneren Zirkels

Der Begriff des „inneren Zirkels“ ist bewusst unscharf formuliert. Dieser innere Zirkel wird sich größtenteils am Organigramm orientieren. Damit können grob die Angehörigen der Unternehmensführung und die erste Führungsebene zusammengefasst werden. Wie erwähnt gehört die Complianceleitung damit formell dazu. Je nach Geschäftszweck des Unternehmens können jedoch ein oder mehrere Funktionen im besonderen Fokus stehen. So wird bei einem Einzelhändler dem Einkauf eine größere Bedeutung als bei einem Beratungsunternehmen eingeräumt, die IT bei einem Gartenbauer nicht die gleiche Bedeutung besitzen wie bei einem Maschinenbauer. Interessant sind deshalb regelmäßige Treffen, welche die Unternehmensleitung einberuft und deren Teilnehmer. Schon die Sitzordnung, offiziell oder inoffiziell, gibt Hinweise auf die Bedeutung. Wer sitzt neben dem Vorstand, wer am Ende der Tischreihe. Dies gilt vor allem dann, wenn die Teilnehmer eben nicht der formale Hierarchieebene entsprechen, sondern einige andere Mitarbeiter eingeladen sind, während andere nicht teilnehmen. Weitere Hinweise geben auch Reisen und wer die Unternehmensführung dabei begleitet.

106

9  Der innere Zirkel

Das Netzwerk jedes CO ist eine persönliche Angelegenheit. Insbesondere der Complianceleiter wird nicht jedem seiner Mitarbeiter generell Zugang zu seinen informellen Kanälen geben, diesen aber im begründeten Ausnahmefall darauf zurückgreifen lassen. Manchmal besteht die Befürchtung, dass talentierte, ambitionierte Mitarbeiter die Kontakte zu eigenen beruflichen Entwicklung nutzen und der Leiter der Compliance damit selbst dazu beiträgt, das Leistungsträger die Compliance verlassen und an anderer Stelle im Unternehmen eine Stelle einnehmen. Bei aller Sorge hierüber sollte sich allerdings eine Frage gestellt werden: Was ist besser? Sie haben talentierte Mitarbeiter und lassen sie gehen oder das Gegenteil?

9.3.1 Relevanz von Gerüchten und Stimmungen Wirklich ist, was wirkt. Ist dass, was mir als Irrtum erscheint, wirklicher und stärker als die Wahrheit, so obliegt es mir zunächst, dem Irrtum zu folgen, denn in ihm liegt Kraft und Leben – die ich verliere, wenn ich bei dem bleibe, was mir wahr erscheint. Diese stellt bereits der Schweizer Psychiater C.G. Jung fest (Schneider und Bäcker 2017, S. 128). cc

Die Welt ist nicht wie sie ist, sondern wie Menschen sie sehen.

Gerüchte leben typischerweise vom Spannungsverhältnis, ob diese wahr sind oder nicht. Was eindeutig ist, ist kein Gerücht, was völlig unwahrscheinlich ist schlicht ein Märchen. Gerade das Umfeld der Compliance, die Einhaltung von Vorgaben biete sich als „Brutstätte“ von Gerüchten an. Beispiel

Steigt ein Vertriebsmitarbeiter in luxuriösen Hotels ab? Bezahlt ein Lieferant einem Einkäufer den Urlaub? Sorgt ein Aufsichtsratsmitglied dafür, dass sein Sohn einen guten Posten im Unternehmen erhält? Tankt die Frau des Vertriebsleiters ihr Privatfahrtzeug auf Firmenkosten? ◄ All diese Vorgänge könnten möglich sein, aber auch nicht. Dabei entwickeln Gerüchte rasch eine Eigendynamik, verstärken sich quasi selbstständig und werden aufgrund unterschiedlicher Quellen von mehr und mehr Mitarbeitern geglaubt. Dann ist der Zeitpunkt für die Compliance gekommen einzugreifen und diese Gerüchte auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen, bevor weiterer Schaden anrichten und sogar Einzelne zur Nachahmung angehalten werden. Vorausetzung ist allerdings, dass die Compliance entsprechende Gerüchte kennt. Bekanntlich werden Gerüchte nicht auf dem offiziellen Dienstweg berichtet, sondern über informelle Quellen weitergegeben. Mit der Zugehörigkeit zum inneren Zirkel erhält die Compliance den notwendigen Zugang.

9.3 Mitglieder des inneren Zirkels

107

Auch die Unternehmensentwicklung, Investitionen und Desinvestitionen in Produkte und Standorte werden im Unternehmen eifrig diskutiert. Sicherlich hat die Compliance keinen Einfluss auf diese Entscheidungen, sollte allerdings darauf in der Planung ihrer Aktivitäten Rücksicht nehmen. Einen Besuch in fünf Monaten anzukündigen, wenn bereits die Spatzen von den Dächern pfeifen, dass der Standort in drei Monaten geschlossen wird, wirkt unprofessionell, anderseits ist es in einem unruhigen Umfeld besonders wichtig, dass die Compliance „Flagge zeigt“. Dies aber als eine bewusste Entscheidung, nicht als Zufall.

9.3.2 Informationsaustausch Ähnlichkeit von Compliance und Geheimdiensten mögen unterschiedlich gesehen werden, aufschlussreiche Analogien gibt es dennoch. Die Frage was Geheimdienste erfolgreich macht, wurde von einem Team der Harvard Business School untersucht. Dabei wurden 64 verschiedener Geheimdienstorganisationen der Vereinigten Staaten betrachtet, um zu klären, wo der Unterschied zwischen erfolgreicher und weniger erfolgreicher Tätigkeit liegt. Der zentrale Faktor bei der Erfolgsbestimmung wurde eindeutig festgestellt: die Hilfe, die sich die Teammitglieder untereinander geben, ausgedrückt in der Zeit und Energie, welche für die informelle Information, die Beantwortung von Fragen und die Weitergabe von Wissen eingesetzt wurde. Damit wurden die Beteiligten in die Lage versetzt, Wissenslücken zu schließen, ihre eigenen Annahmen zu hinterfragen, andere Perspektiven einzunehmen und bisher benutzte Entscheidungsmuster bei entsprechender Notwendigkeit zu revidieren. Vergleichbare Untersuchungen von Philip Podsakoff, University of Indiana bestätigten die Ergebnisse der Geheimdienstuntersuchungen für Unternehmen. Die Häufigkeit und Intensität, mit der sich Mitarbeiter gegenseitig unterstützen hat direkten Einfluss auf Umsatz, Ergebnis, Kundenqualität und Mitarbeiterfluktuation. Dabei wurden so unterschiedliche Unternehmen wie Banken und Papiermühlen, Großhändler und Pharmaunternehmen, in die Untersuchung einbezogen (Grant-Hart 2016, S. 1). Dieser Sachverhalt trifft auf alle Hierarchieebene zu, nicht nur, aber auch auf die Führungsebene des Unternehmens. Die Hilfe die sich Mitarbeiter untereinander geben, die Häufigkeit und Intensität der Kontakte kann zwar theoretisch durch formale Treffen verordnet werden, mit Leben gefüllt werden diese Ansprüche jedoch durch die informelle, rasche Zusammenarbeit im Einzelfall. Grundlage hierfür ist ein bestehender, persönlicher Kontakt der Beteiligten. Durch die informelle Zusammenarbeit dehnt sich der Circle of Influence aus, langsam aber stetig.

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9  Der innere Zirkel

9.3.3 Andere Perspektiven Eine weitere Annäherung an das Thema erfolgt über die Frage, was erfolgreiche Unternehmen und was eine wirksame Compliance ausmachen. Den ersten Punkt hat die Unternehmensberatung McKinsey im Januar 2015 in einer breit angelegten Untersuchung behandelt. Für die Effektivität der Unternehmensführung wurden vier Schlüsselfaktoren identifiziert, die für 89 % des Erfolges maßgeblich seien. Einer dieser vier Faktoren ist die Suche oder die Einnahme einer anderen Perspektive (Feser 2016, S. 1). Die Einnahme einer anderen Perspektive kann nur erfolgen, wenn man diese kennt. Diese triviale Erkenntnis besitzt jeder CO. Um aber neben den offiziellen Verlautbarungen auch schwache Signale zu empfangen, bewusst „unfertige“ Meinungen, Befürchtungen und Ängste kennen zu lernen, bedarf es des persönlichen, informellen Austausches, welches sich auf Basis der persönlichen Wertschätzung kontinuierlich entwickelt. Interessante Hinweise gibt eine Untersuchung des Verhältnisses von Störfaktoren, Widerspruch und Kreativität. Probanden sollten einfarbige Bilder betrachten und frei assoziieren, was ihnen zu Farbe und Helligkeit einfiel. „Freies Assoziieren“ ist in der Realität nicht unbedingt kreativ. Bei der Farbe „Grün“ antworten 40 % mit „Gras“, nur 20 % haben einen kreativen Einfall wie „Irland“ „Geldschein“ oder „Blätter“. Bei einem Experiment kamen Gruppen zu entsprechenden Ergebnissen. Dann wurden den Gruppen Teilnehmer zugeführt, welche bewusst falsche Antworten gaben und z. B. blaue Bilder als „grün“ bezeichneten. Die anderen Gruppenmitglieder kamen ins Nachdenken. Deren Standardantwort war immer noch „blau“, aber Antworten wie „Jeans“ oder „Schimmel“ häuften sich. Anderen Versuch bestätigten die Ergebnisse. Wurden Testpersonen mit falschen Antworten konfrontiert, wurden diese kreativer. Gute Ideen lassen sich am besten in Umgebungen realisieren, welche einen gewissen Störfaktor und Irrtum enthalten. Störungsfreie Umgebungen sind häufig zu steril, um Ergebnisse hervorzubringen, welche nicht vorhersehbar sind (Johnson 2013, S. 157). Deshalb sollte die Compliance den Kontakt zu solchen Mitgliedern des inneren Kreises suchen, welche nicht in der Rechtsabteilung oder dem Rechnungswesen tätig sind, sondern bspw. im Marketing oder dem Personalwesen Verantwortung tragen, wenn es darum geht kreative Lösungen zu finden. Eine wirksame Compliance bedarf dieser Kreativität. Das größte Hindernis der Teilnahme der Compliance an informeller Zusammenarbeit ist vielfach die Begriffsbezeichnung der eigenen Tätigkeit, die „Compliance“. Schon der Titel bereitet manchen Unbehagen. Entsprechend gilt es einen offensiven Ansatz zuvertreten und darauf hinzuweisen, dass Compliance Geschäfte langfristig ermöglicht, auch um den Preis einzelne Aktivitäten kurzfristig zu verhindern. Manchmal hilft eine weitere Perspektive. Alle Beteiligten dürfen sich glücklich schätzen, dass Korruption keine weit verbreitet Realität in den DACH Staaten ist, ein Termin beim Arzt, die Höhe der Strafe bei Verkehrsverstößen oder der Ausbildungsplatz für die Kinder nicht von Beziehungen oder Geschenken abhängig ist.

9.3 Mitglieder des inneren Zirkels

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Die Negierung der eigenen Aufgaben, die Verharmlosung der eigenen Aktivitäten ist dagegen keine Basis langfristig fruchtbarer Kontakte. Der CO darf stolz auf seinen Beitrag zum Unternehmenserfolg sein und diese Sichtweise auch offensiv darstellen.

9.3.4 Offizielle Veranstaltungen Die meisten Veranstaltungen orientieren sich an der formalen Organisationsstruktur. Allerdings gibt es immer Treffen, welche nur einen bestimmten Teil der Beteiligten einbeziehen. Hiervon gilt es für die Compliance Kenntnis zu erlangen. Hilfreich kann ein Blick in die elektronischen Terminkalender potenzieller Teilnehmer sein, ebenso können Mitarbeiter die diese Treffen vorbereiten gefragt werden, Veranstaltungstechniker und Sekretärinnen sind hier relativ genau im Bilde. Dann gilt es zu beurteilen, ob eine Teilnahme von Interesse sein könnte. Im Zweifelsfall wird sich um eine erste Einladung bemüht, um auf dieser Basis zu entscheiden, ob eine regelmäßige Teilnahme angestrebt wird. Um eine Einladung zu erhalten gilt es schlicht den Veranstalter anzufragen, seine Interesse, ja die Neugierde einzuräumen. Dabei ergibt sich eine Wechselwirkung zwischen der Teilnahme an ersten Veranstaltungen und persönlichen Kontakten. Die Teilnahme wird nicht brachial durchgesetzt, es wird nicht permanent gedrängt, sondern das Ziel beharrlich verfolgt. Bei den entsprechenden Veranstaltungen sind Informationen wichtig, aber auch Meinung und Tendenzen, Stellungsnahmen und Ansichten. Dabei wird es fast automatisch auch zu Aussagen zum Thema Compliance kommen, welche der CO natürlich mit besonderer Aufmerksamkeit zur Kenntnis nimmt und in einen Gesamtkonsens einordnet. Gleichermaßen wichtig ist das Netzwerken. Sicherlich eine Modewort, aber dennoch eine Notwendigkeit. Dabei gilt es die folgenden Hinweise zu beachten, vieles erfolgt ohnehin, bei einigen Punkten wird der einzelne CO jedoch blinde Flecken haben. • Frühzeitig da sein. Viele Teilnehmer reisen weit an und haben entsprechende Pufferzeiten eingeplant. Dies sind oft dankbar dafür einen ersten Ansprechpartner zu finden, später kommen weitere Gesprächsteilnehmer hinzu, der CO ist damit schon zu Veranstaltungsbeginn im Gespräch. Deshalb gilt es früh das eigene Büro zu verlassen und zum Veranstaltungsort zu gehen. Fragen nach dem Ablauf bei erfahrenen Teilnehmern schaffen einen Gesprächsbeginn. • Freiwillig helfen. Dies betrifft die Vorbereitung und Organisation. Dabei bricht sich der CO bildlich gesprochen keinen Zacken aus der Krone, wenn er auch ohnehin stark angespannten Mitarbeitern hilft noch Stühle hereinzutragen oder die Kaffeekanne an ihren Platz zu stellen. Eine besonders wertvolle Hilfe ist die Betreuung von Teilnehmern, welche am Abend vor der Veranstaltung anreisen. Hier Gastfreundschaft zu bieten, die Stadt zu zeigen oder einfach miteinander essen zu gehen wird sehr geschätzt. Reisen parallel Ehepartner oder Kinder mit, sollte ebenfalls Hilfe bei der Organisation deren Programmes erfolgen.

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9  Der innere Zirkel

• Themen anbieten. Bei regelmäßigen, formalen Treffen fällt es den Verantwortlichen oft schwer ausreichend Themen zu sammeln. Eine Vielzahl der in diesem Buch behandelten Sachverhalte eigenen sich auch für Vorträge und Diskussionen. Die Präsentation kann für die Teilnehmer von Interesse sein, wenn diese für ihre Mitarbeiter Veranstaltungen durchführen, bspw. können die Ausführungen zur Ethik in Kap.  4 nicht nur präsentiert werden, als vielmehr verschiedene Entscheidungen auf dieser Basis als „richtig“ oder „falsch“ beurteilt werden. Bietet der CO zum Abschluss an vor Ort entsprechende Veranstaltungen zu moderieren, ist ein weitere Schritt zur Intensivierung und Verstetigung des Kontaktes gemacht. Damit entwickelt der CO eine unmittelbare Beziehung zum Veranstalter, welche meistens eine Schlüsselposition im Unternehmen innehat. • Insbesondere bei einem Einstieg in ein Unternehmen mag der CO Spezialist für die Compliance sein, selten aber das Geschäftsmodell in allen Einzelheiten kennen. Hier gilt es offen zu sein, Fragen zu stellen und anschließend zuzuhören. • Ziele setzen. Wenn Teilnehmerlisten vorliegen gilt es diese sorgfältig zu studieren, oft sind weitere Informationen über den Einzelnen zu erhalten. Stellt sich dann bspw. he­ raus, dass CO und Teilnehmer aus der gleichen Region stammen oder an derselben Hochschule studiert haben, ist rasch ein Anknüpfungspunkt gefunden. • Die Mischung macht es. Der CO sollte sowohl dem „Star“ in der Gruppe freundlich zuhören, als auch auf Teilnehmer am Rand zugehen. • Neuen Teilnehmern helfen. Wenn man Zugang zum inneren Kreis gefunden hat, gilt es auch andere, neue Teilnehmer einzubinden und diesen Kontakte zu schaffen. • Dranbleiben. Im Idealfall endet ein Gespräch mit einem Anknüpfungspunkt für weitere Kontakte. Informationen können gegeben werden, ein Besuch wird vereinbart oder ein gemeinsames Projekt aufgesetzt.

9.3.5 Inoffizielle Termine Bei mehrtätigen Veranstaltung findet an den Abenden meistens ein mehr oder weniger offizielles Treffen der Teilnehmer statt. Es wird miteinander gegessen, als auch getrunken. Für manche Beteiligte das wichtigste überhaupt am gesamten Treffen, für andere eine unangenehme Peinlichkeit, der sie möglichst schnell zu entkommen suchen. Insofern kann der Titel eines Liedes von Herbert Grönemeyer „Wir feiern hier ’ne Party und du bist nicht dabei“ (Grönemeyer 1991) je nach Perspektive Verheißung oder Bedrohung sein. Keiner kann und soll aus seiner Haut, letztlich ist es eine persönliche Frage ob und wie man an diesen Treffen teilnimmt. Die Höflichkeit gebietet allerdings ein Mindestmaß an Engagement. Ist man wenig an einem zu steigenden Alkoholpegel zunehmend lautere Austausch interessiert, finden sich auch andere Teilnehmer welche ebenso das dezente Gespräch im Hintergrund bevorzugen. Wer möchte kann und soll jedoch mitmachen. Dass dabei die Wirkung alkoholischer Getränke auf die eigene Befindlichkeit bekannt ist, sollte vorausgesetzt werden können.

9.4 Konzentrische Kreise

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Mit zunehmend informellerem Charakter werden Geschichten ausgetauscht, welche durchaus die Form von „Heldenstorys“ annehmen können. Der Einzelne erzählt welche Erfolge er wie erlangte, auch gegen bestehende Vorschriften. Das früher alles besser war, als es noch keine Compliance gab bedarf eigentlich nicht Erwähnung. Ziemlich zuverlässig tritt dann ein Vertreter auf, der den CO reizen will. Spitze Bemerkungen über eine „Spitzel“, welcher am nächsten Arbeitstag eine Untersuchung anstrengen wird gehören zum Standard. So schwer es dem einzelnen CO fallen mag, gilt es diese Spitzen schlicht mit einem Lächeln zu quittieren und sich keinesfalls zu Reaktionen auf dem gleichen Niveau herabzulassen. In Kap. 8 wurde bereits darauf verwiesen keine Mauscheleien mit dem Chef einzugehen. Gleiches gilt für die Kollegen. Gerüchte und schlechtes Reden über Abwesende mögen für manchen das sprichwörtliche Salz in der Suppe sein, der CO wird sich immer an seinen ethischen Ansprüche messen.

9.4

Konzentrische Kreise

Kontaktaufbau und -pflege ist eine wichtige Aufgabe der Compliance, muss jedoch wie alle anderen beruflichen Aktivitäten dem Postulat der Wirtschaftlichkeit untergeordnet werden. Dabei gilt es jedoch einen entscheidenden Unterschied zu beachten: unter dem Begriff der Wirtschaftlichkeit wird der Wert der geschäftlichen Beziehung beurteilt, nicht der Mensch als Gegenüber, welcher immer wertvoll bleibt. Entsprechend sollten Kontakte konzentrisch organisiert sein, je wichtiger desto intensiver der Austausch (Breng 2016, S. 79). Abb. 9.4 entwickelt eine mögliche Einordnung. Letztlich gilt es diese Kreise ganz bewusst zu ziehen, Namen einzutragen und die Positionen alle sechs Monate zu überprüfen. Wenn ein einzelner Kontakt eine geringere Bedeutung erhält, sollte das bisherige Verhalten dennoch eine gewisse Zeit beibehalten werden, damit nicht der Eindruck entsteht, der andere würde sofort fallen gelassen, wenn seine berufliche Bedeutung sinkt. Bei allem persönlichen Austausch stehen berufliche Themen an erster Stelle. Um zu einem tatsächlichen Austausch zu gelangen, gilt es für den CO seine Hausaufgaben zu machen. In seinem Fachgebiet ist er selbstverständlich Profi, darf im Verantwortungsbereich des Gegenübers durchaus Amateur sein, nicht aber Dilettant. Beispiel

In jedem Unternehmen gibt es Schlüsselgrößen, welche bekannt sein sollten. Preise auf Einkaufs- oder Absatzmärkten, die Auslastung an bestimmter Stelle, Auftragseingängen oder Ergebnisse, unternehmensinterne Kennzahlen oder der Cash Flow. Dies sollte der CO präsent haben, nicht auf dem Laptop, sondern im Kopf. ◄

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9  Der innere Zirkel

Den nötigen Zugang werden die Management Berichte bieten, die Compliance wird gewährleisten auf dem Verteiler zu stehen. Damit ist ein Gesprächseinstieg gewährleistet, welcher Interesse an der Tätigkeit des Gegenübers signalisiert. Der CO ist kein Hilfscon­ troller oder Hilfsverkäufer, vielmehr geht es darum sich die Umstände erklären zu lassen und durchaus Achtung vor den Anstrengungen des Gegenübers auszudrücken, Empathie zu zeigen und die Leistung des Gegenübers wertzuschätzen. Bei Ansprechpartner gilt es das Motiv in den Fokus zu nehmen, nicht das vordergründige Thema. Grundsätzlich lassen sich Ansprechpartner danach unterscheiden, ob diese ein Bedürfnis nach Nähe oder Distanz haben. Abb. 9.5 systematisiert die Perspektive (vgl. Verweyen 2013, S. 128) (Abb. 9.6). Innovatoren lassen sich schnell von Neuem begeistern, Unterstützer bringen gerne Dinge voran und helfen anderen. Der typische Innovator hat Lust daran Neuland zu betreten und neue Dinge auszuprobieren, der Unterstützer will wissen, wo sein Nutzen liegt.

Abb. 9.5  Die richtigen Kreise. (Eigene Darstellung)

Abb. 9.6  Hauptmotive der Ansprechpartner. (Eigene Darstellung)

9.5 Geben und Nehmen

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Der Bewahrer wird mit kreativen und innovativen Vorschlägen abgeschreckt, der Performer möchte eine effiziente, Erfolg versprechende Lösung sehen (vgl. Verweyen 2013, S. 128). Die Hauptmotive lassen sich wie in Abb. 9.6 dargestellt zusammenfassen. Für den einzelnen CO mag es interessant sein, sich selbst einer Gruppe zu zuordnen. Dabei gilt die Gruppenzugehörigkeit zu akzeptieren, Themen aus der Compliance zu adres­ sieren, welche den Gesprächspartner interessieren, aber auch selbst zu zuhören, welche Informationen, durchaus aber auch Ansprüche, an die Compliance formuliert werden.

9.5

Geben und Nehmen

Persönliche Sympathie erleichtert und stabilisiert eine persönliche Geschäftsbeziehung, im dauerhaften beruflichen Kontext geht es jedoch darum, welche Vorteile eine Beziehung mit sich bringt, dass sich die investierte Zeit tatsächlich als Investition darstellt. Die Währung in der gezahlt wird sind Informationen. Nicht die Informationen die ohnehin frei zugänglich sind, sondern Informationen die über die üblichen Kanäle nicht kommuniziert werden. Entweder weil sie von keinem generellem Interesse sind oder weil sie aus Unternehmenssicht noch nicht abschließend zu Entscheidungen führten. Damit bewegen sich die Gesprächspartner auf sprichwörtlich dünnem Eis, an der Grenze zur Legalität und den ethischen Ansprüchen, welche bei der Compliance ohnehin nicht am unteren Rande des Möglichen angesiedelt sein sollten. Die Compliance verfügt über vielfältige Informationen, über Menschen und intensive, vielfältige Kontakte. Entsprechend interessant sind für den Gesprächspartner oft harmlose Fragen, wo ein früherer Kollege nunmehr im Unternehmen tätig ist, wie es ihm beruflich wie privat geht. Diese Informationen können meistens problemlos weitergegeben werden. Dabei sollten allerdings primär positive Äußerungen fallen. Kurzfristig sind negative Bemerkungen interessant, teilweise lustig, langfristig fragt sich der Ansprechpartner allerdings selbst, was wohl über ihn gesprochen wird, wenn er nicht dabei ist. Das herbei vertrauliche Äußerungen vertraulich blieben bedarf eigentlich nicht der Erwähnung. Diese Vertraulichkeit gilt auch für Überlegungen der Unternehmensleitung, zumal es bei börsennotierten Gesellschaften schon aus rechtlichen Gründen nur möglich ist eine minimale Anzahl von Entscheidern einzubinden und nach der Entscheidung dieser an die Öffentlichkeit zu tragen. Das Nehmen besteht einerseits aus standort- bzw. fachspezifischen Informationen, welcher der CO benötigt um seine Aufgaben wirksam zu verrichten. Jedes Unternehmen hat einen spezifischen Zweck, entwickelt aber dennoch keine Leistungen an den Kunden vorbei. Gleiches gilt für die Compliance. Die Wirksamkeit der im weiteren Buch dargestellten Schritte hängt im entscheidenden Maße von der Passgenauigkeit der Angebote ab. In den hier angesprochenen Gesprächen wird eine zentrale Grundlage dafür gelegt. Weiterhin ist es wichtig Stimmungen und Meinungen innerhalb des Unternehmens zu empfangen. Um ein geschlossenes Bild zu erhalten sind hierfür vielfältige Gespräche ­notwendig, da einzelne Meinungen immer bis zu einem gewissen Grad voneinander

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9  Der innere Zirkel

a­ bweichen. Werden diese Meinungen in Gesprächen auf der Arbeitsebene, bei Schulungen und Prüfungen berücksichtigt, erfährt das Gegenüber das die Compliance nicht in einer Wolke über dem eigentlichen Geschäft schwebt, sondern Anteil nimmt und gestaltet, anstatt ausschließlich im Nachhinein alles besser zu wissen. Wie mit konkreten Hinweisen auf compliancerelevante Sachverhalte umgegangen wird, wird in Kap.  12 zu den Ansprechpartnern thematisiert. Das vorliegende Kapitel zählt nicht zu den kürzesten im Buch, entsprechend lang ist auch der Weg bis zu diesem Punkt. Abkürzungen gibt es schlicht nicht. Dennoch gibt es gewisse Tricks, welche durchaus angewendet werden dürfen. Einen besonders wirkungsvollen stellt der nächste Abschnitt vor.

9.6

Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft

Compliance und Geschenke stehen durchaus in einem spannungsvollen Verhältnis. Nun erfolgt hier die Aufforderung Geschenke zu machen. Geschenke an Kollegen, welche über ein überdurchschnittliches Einkommen verfügen und sich die meisten Wünsche aus finanziellen Gründen sicherlich selbst erfüllen können. Der Grund liegt in einer tief verankerten menschlichen Eigenschaft. Wir bemühen uns anderen das zurückzugeben, was wir von ihnen bekommen haben. Es gibt eine allgemeine Abneigung gegen die, welche nehmen ohne zu geben. Menschen tun oft alles erdenkliche, um nicht zu dieser geizig und engstirnigen Gruppe gezählt zu werden. Zahlreiche Untersuchungen belegen diese Ausführungen. Beispiel

Bei einem Versuch, geht einer der beiden Teilnehmer aus dem Versuchsraum und sagt beim Zurückkommen, dass er den Versuchsleiter gefragt habe, ob er eine Cola am Automaten kaufen dürfe, daraufhin hat er zwei gezogen, um seinen Mitstreiter eine zu schenken, ungefragt. Wenig später teilte er seinem Partner mit, dass er Lose verkaufe und sich freuen würde, wenn der andere welche erwerben würde. Im Durchschnitt wurden zwei Lose gekauft, doppelt so viele wie bei Probanden, denen keine Cola mitgebracht wurde. Zum Zeitpunkt des Experiments kostet eine Cola 10 Cent, ein einzelnes Los 25  Cent. Ein weiteres Beispiel unterstreicht die Ergebnisse. Die Beigabe eines Fünf-Dollar-Schecks zu einem Versicherungsfragebogen war doppelt so effektiv, wie das Angebot den ausgefüllt zurückgeschickten Bogen mit 50 US$ zu honorieren (Cialdini 2013, S. 54). ◄ Das System funktioniert auch, wenn ein ungebetener Gefallen erfolgt. So versehen karitative Organisationen bei ihren Spendenaufrufen oft kleine Beilagen, Adressaufkleber oder dünne Armbändchen.

Literatur

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Eine typische Möglichkeit ist das Verteilen, die Weitergabe von Werbeartikel des Unternehmens. Wenn viele Unternehmensstandorte bestehen ist häufig die Auswahl entsprechender Produkte sehr interessant. Die Vielfalt der Geschmäcker erstaunt immer wieder, ruft teilweise Belustigung hervor, ist aber immer wieder Gesprächsanlass, weshalb viele Kollegen hier gerne zugreifen. Insbesondere weiter entfernte Standorte, vor allem im Ausland freuen sich oft über die üblichen Werbegeschenke, die einen Hinweis auf das Unternehmen beinhalten. Entsprechend gilt es ordentlich mitzunehmen. Ebenso ist die Mitgaben von kleinen Aufmerksamkeiten bei Veranstaltungen zur Compliance möglich. Für ausgewählte Ansprechpartner können zu Weihnachten oder zu Dienstjubiläen kleine Aufmerksamkeiten im Rahmen der zulässigen Höchstgrenzen gewährt werden. Hier gilt es Augen und Ohren ganzjährig offen zu halten und rechtzeitig bei passenden Geschenken zu zugreifen.

Literatur Breng J (2016) Der Kontaktmann. Capital (04/2016):79 Cialdini R (2013) Die Psychologie des Überzeugens. Huber, Bern Covey S (1989) The 7 habits of highly effective people. Simon & Schuster, New York Epley N (2014) Machen wir uns nicht vor! Ullstein, Berlin Feser C (2016) Decoding leadership: what really matters. http://www.mckinsey.com/global-themes/ leadership/decoding-leadership-what-really-matters. Zugegriffen am 26.11.2016 Grant-Hart K (2016) How to be a wildly effective compliance officer. Brentham House, London Grönemeyer H (1991) Luxus. EMI Electrola, London Johnson S (2013) Wo gute Ideen herkommen. Scoventa, Bad Vilbel Schneider T, Bäcker I (2017) Wo Rauch ist, ist auch Feuer (?). In: ZFRC 1/2017. Erich Schmidt, Berlin Verweyen A (2013) Mut zahlt sich aus. Gabal, Offenbach

Verbündete

10

Zusammenfassung

Das Wort „Verbündete“ hört sich nach Mauscheln, nach „kleinem Dienstweg“ an. Warum soll es überhaupt Verbündete im Unternehmen geben? Grundsätzlich wollen alle Unternehmensangehörigen das Gleiche. Ein wirtschaftlich gesundes Unternehmen, welches dauerhaft sichere Arbeitsplätze zur Verfügung stellt und Karriereoptionen bietet. Dennoch verfolgen einzelne Bereiche des Unternehmens spezielle Unterziele, welche eine Differenzierung ermöglichen, ja sinnvoll machen. Im vorliegenden Kapitel geht es dabei um die dauerhaft angelegte Zusammenarbeit mit Institutionen, insbesondere anderer Abteilungen des Unternehmens, diese soll so angelegt sein, dass sie unabhängig von den handelnden Personen Bestand hat. Erst im zweiten Schritt geht es um die Zusammenarbeit mit Einzelnen, welche aufgrund von Unternehmens- bzw. Positionswechseln unvermittelt beendet werden kann und deshalb als tragfähiger Pfeiler einer wirkungsvollen Compliance nur begrenzten Wert hat.

10.1 Mögliche Verbündete Ein Bündnis ist ein vertraglich geregelter Zusammenschluss, wobei innerhalb des Unternehmens nur informelle Bündnisse abgeschlossen werden, und kein „Abschluss“ im formal-­rechtlichen Verständnis erfolgt. Eine langfristig angelegte, systematische und vertrauensvolle Zusammenarbeit macht es für die Compliance einfacher ihre Wirksamkeit zu entfalten, als wenn mit bestenfalls neutralen Ansprechpartnern umgegangen wird. Das solche Bündnisse auch im Konfliktfall wertvoll sind, wird in Kap. 19 thematisiert. Das gemeinsame Ziel der Bündnisse, das Band, welches die Beteiligten zusammenschweißt heißt Unternehmenssicherheit. Die Compliance ist nicht Teil des Risikomanage-

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Schneider, Werkzeuge wirkungsvoller Compliance, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61792-2_10

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10 Verbündete

ment Systems (RMS), wobei bei eigenständigen Ziele und unterschiedlichen Instrumenten gewisse Überschneidungen vorhanden sind (vgl. Lück 1998, S. 8). Die im RMS zusammengefasst Funktionen sind die ersten, natürlichen Verbündeten der Compliance. Abb. 10.1 zeigt die übliche Struktur des RMS auf. Die Bestimmung möglicher Bündnispartner erfolgt auf Basis des Organigramms. Diese unterscheidet sich von Unternehmen zu Unternehmen, gewisse Ähnlichkeiten können jedoch vorausgesetzt werden. Im weiteren Kapitel wird auf die wesentlichen Bündnispartner eingegangen. Entsprechend wird sich an erster Stelle die Interne Revision sowie das Risikomanagement als Verbündete anbieten, wobei auch zum Controlling und dem Rechnungswesen entsprechende Beziehungen aufgebaut werden sollten. Sicherheit als gemeinsame Klammer der Verbündeten bedeutet bekanntlich Gefahrenfreiheit. Ohne diese wird kein Unternehmen auf Dauer existieren, alleine reicht diese aber nicht zum Erfolg aus, wie bereits Abschn. 4.6 unter Rückgriff auf die Evolution ausführte. Es muss eine Balance zwischen den verschiedenen Bereichen des Unternehmens bestehen. Einzelne sollen Grenzen infrage stellen, welche aus Sicherheitsgründen gezogen werden. Diskussionen, ja Konflikte, sind Kennzeichen eines lebendigen Unternehmens, in dem die Mitarbeiter ihre Aufgaben mit Leidenschaft ausfüllen, wie es in Kap. 2 aufgezeigt wurde. Anderseits ist es ebenso eine Realität, dass sich nicht alle an Recht und Gesetz halten, nicht jeder Mitarbeiter die persönlichen Interessen hinter die des Unternehmens zurückstellt. Dann muss, bildlich gesprochen die Abwehr stehen. Beispiel

Um ein Beispiel aus dem Fußball aufzugreifen: alle müssen miteinander spielen, die Abwehrkette aber genau abgestimmt sein, Automatismen müssen greifen. Die ­Zusammenarbeit, im Training wie im Spiel ist intensiver, als mit den anderen Mannschaftsteilen. Natürlich muss jeder Einzelne seine Leistung erbringen, Erfolg gibt es

Abb. 10.1  Mögliche Struktur eines RMS. (Eigene Darstellung)

10.2 Die einzelnen Verbündeten

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aber nur gemeinsam. Weiterhin ist die Ähnlichkeit bereits äußerlich feststellbar. Ein quirliger 1,60 m großer Spieler kann auf vielen Positionen eingesetzt werden, in der Innenverteidigung setzt man besser auf 1,90 m große, kantige Spieler. ◄

10.2 Die einzelnen Verbündeten Das Wort „Verbündete“ weist auf einen Unterschied zur Zusammenarbeit mit anderen Unternehmensfunktionen hin, welche laut der meisten Unternehmensleitbilder ohnehin immer „vertrauensvoll“, „offen“, „partnerschaftlich“ sein soll. Bei der Interne Revision gilt es zu beachten, dass diese früher die Sicherheitsthemen exklusiv behandelte, welche heute die Compliance vertritt. Hieraus lässt sich eine gewisse Konkurrenz um die Themen und die damit aufgeführten Ressourcen nicht ausschließen. Compliance erscheint heute als das modernere, zukunftsweisendere Konzept. Dabei wird Compliance ohne Interne Revision nicht funktionieren. cc

Die sprichwörtliche Compliance, das Befolgen von Vorgaben bedarf der Prüfung. Ohne diese Prüfung landet der sprichwörtliche Tiger Compliance rasch als Bettvorleger.

Deshalb reicht das passive Lesen der Prüfungsberichte nicht aus, vielmehr ermöglicht die regelmäßige Kommunikation einen Austausch, bereits bei der Prüfungsplanung. Dabei geht es nicht allein um vermeintlich harte Fakten, als vielmehr auch um Eindrücke und Impression, wo ein näheres Hinsehen sinnvoll erscheint. Die Compliance wird Impulse aufgreifen, wenn einzelne Vorgabe der Präzisierung bedürfen oder nicht praktikabel sind. Compliance-Verstöße Einzelner werden in Zusammenarbeit mit der Internen Revision festgestellt. Einen Schwerpunkt der Zusammenarbeit stellen Prüfungen dar, welche in Kap. 15 ausführlich behandelt werden. Eine allgemeinere Perspektive vermittelt die Zusammenarbeit mit dem Controlling. Auf dieser Basis können Hinweise auf systematische Compliance-Verstöße einer größeren Gruppe, oft über einen längeren Zeitpunkt begangen, erhalten werden. Das Geschäftsmodell, die Ursachen und Gründe von Erfolg und Misserfolg werden im Controlling sowohl passiv dokumentiert, als auch aktiv vorangetrieben. Hier finden sich die Begründungen, warum das eigene Unternehmen erfolgreicher als die Konkurrenz ist, bzw. werden soll. Dieses Modell erschließt sich häufig nicht auf den ersten Blick, zumal die offiziellen Darstellungen nicht immer der Realität entsprechen. Wie in Kap. 3 angeführt schützen Unternehmen ihre Gewinnquellen konsequent, teilweise am Rand der Legalität, teilweise darüber hinaus. Hier sprechen rechtliche Auseinandersetzungen eine deutliche Sprache, wenn Wettbewerber versuchen sich einen Teil vom Erfolg zu sichern. Die Compliance vermittelt was geht und was nicht geht, wo Positionen zu halten sind und wo nicht. Damit verbunden ist ein Blick auf die Geschäfte in einzelnen Märkten, insbesondere wenn Compliance-­ Verstöße dort eher die Regel aus die Ausnahme sind. Nach der Feststellung von Verstößen werden oft Richtlinien verschärft, Verantwortliche ausgetauscht und Besserung gelobt.

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10 Verbündete

Allein der Blick in die Umsatz- und Ergebniszahlen zeigt der Compliance inwieweit damit Ernst gemacht wird. Sind hier keine Rückgänge festzustellen, gilt es einmal mehr beim Controlling nachzufragen, warum Auswirkungen ausbleiben. Der Übergang vom Controlling zum Rechnungswesen ist oft fließend und hängt weniger von der Aufgabenaufteilung als den Begrifflichkeiten des Unternehmens ab. Wer wirklich in die Unternehmenswelt eintauchen will, braucht hier Kenntnisse, hinterlassen doch praktisch alle Aktivitäten ihre Spuren im Rechenwerk. Die unkreative Konzentration auf außergewöhnliche Positionen, die Analyse der Konten mit Titel wie „Bewirtung“ und „Geschenke“ ist die Pflicht der Compliance. Die Kollegen im Rechnungswesen kennen dagegen die Kür, wissen darum, dass Rechnungen auch unter falschem Buchungstitel schlicht auf große Aufträge gebucht werden können, wo sie kein CO jemals findet. Selbst systematische Verstöße gegen das Kartellrecht hinterlassen Spuren im Rechenwerk, wenn bspw. die bit rate (Anzahl abgegebener Angebote) und die hit rate (Anzahl erfolgreicher Angebote) analysiert werden (Schneider 2014, S. 22–27). So ist es ein typisches Kennzeichen von Absprachen, dass zwar die Beteiligten grundsätzlich auf alle Anfragen mit einem Angebot eingehen, mittels der Kosten und Leistungsbestandteile aber dafür Sorge tragen, dass immer der Kartellant zum Zuge kommt, der gemäß Absprache den Auftrag erhalten soll. Mit der Rechtsabteilung des Unternehmens besteht bereits aufgrund der zahlreichen Juristen in der Compliance eine „natürliche“ Verbindung. Diese gilt es zu intensivieren, vor allem aber Nichtjuristen der Compliance einzubinden. Inwieweit die Rechtsabteilung in die Complianceaktivitäten eingebunden ist, regelmäßig oder im Bedarfsfall Aufgaben übernimmt wird individuell festgelegt. Die Compliance achtet darauf, die Kollegen nicht nur bei den normalen, trivialen Sachverhalten einzubinden, sondern auch dann hinzu zu ziehen, wenn es im wortwörtlichen Sinne ernst wird, Fehlverhalten aufgedeckt wird, Befragungen vorgenommen und Entscheidungen vorbereitet werden. Bei der Präsentation der Ergebnisse auf einer höheren Unternehmensebene gilt es bewusst die anderen glänzen zu lassen. Nicht pauschales, manchmal gönnerhaft wirkendes Lob auszusprechen, sondern konkret anzumerken, welcher Mitarbeiter wie zum Projekterfolg beigetragen hat. Die Unternehmensleitbildern sprechen der ethischen Einstellung der Mitarbeiter entscheidende Bedeutung zu. So bezieht sich das größte deutsche Unternehmen, der Volkswagenkonzern darauf, dass „jeder Vorgesetzte Vorbild und hat sein Handeln in besonderem Maße an den Verhaltensgrundsätzen auszurichten“ (Volkswagenag.com 2017), das österreichische Äquivalent, die OMV AG verweist in ihrem Code of Conduct auf „gelebter, proaktiver ethischer Verantwortung“ (OMV.com 2017). Ob dies tatsächlich so ist, erfährt die Compliance nur Einzelfallabhängig im Rahmen von Prüfungen. Das Personalwesen verfügt über effektivere Instrumente. Insbesondere 360 Grad Beurteilung, welche Mitarbeiter einbeziehen, geben Hinweise auf die Arbeitszufriedenheit, niedrige oder hohe Fluktuation unter den Mitarbeiter eines bestimmten Bereiches werden für die Compliance von Interesse sein. Hieraus sind noch keine Compliance-Verstöße abzuleiten, aber die

10.3 Gründe und Hindernisse der Bündnisbildung

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Frage des „Warum“ sollte sich die Compliance beantworten und feststellen, wo und warum signifikante Unterschiede zum übrigen Unternehmen bestehen. Aufgrund der Sensibilität der benötigten Informationen werden Abfragen im Vorfeld vom Datenschutz auf ihre Zulässigkeit geprüft.

10.3 Gründe und Hindernisse der Bündnisbildung Bereits beim inneren Zirkel wurden in Kap. 8 Gründe für einen informellen Informationsaustausch genannt. Diese Gründe, die wirksamere Arbeit aufgrund vielfältiger Informationen und anderer Perspektiven bleiben bestehen. Zusätzlich treten operative Vorteile in den Vordergrund. Der Austausch von Informationen wird deshalb standardisiert, gleiches gilt für die Abstimmung der Tätigkeit nicht zuletzt um Doppeltarbeiten zu vermeiden, als auch die Belastung der untersuchten Einheiten zu verringern, welche sich zu Recht über vergleichbare Fragen, die in kurzen Abständen von unterschiedlichen Stellen gestellt werden wundern. Weitere Vorteile ergeben sich für den einzelnen CO, welcher seine berufliche Karriere nicht ausschließlich in der Compliance sucht, sondern nach anderen Positionen Ausschau hält, wobei dieser Austausch keine Einbahnstraße darstellt, sondern auch von der Compliance zur Rekrutierung neuer Mitarbeiter genutzt wird. Ein zentrales Hindernis der Zusammenarbeit sind die Ressourcen des Unternehmens, welche grundsätzlich knapp sind. Um diese Ressourcen wetteifern die verschiedenen Bereiche. Dabei handelt es sich vordergründig um die finanziellen Mittel, welche die Unternehmensführung verteilt, nicht weniger bedeutsam sind die Aufmerksamkeit, die Wertschätzung, der unmittelbare Zugang zur ersten Führungsebene. Um dieses Hindernis aus dem Weg zu räumen, sollten sich die Beteiligten vom statischen Verständnis der begrenzten Mittel, des bildlichen Kuchens, welcher nur einmal verteilt werden kann trennen. Vielmehr gilt es den sprichwörtlichen Kuchen zu vergrößern, die Unternehmensleitung davon zu überzeugen, dass die Verbündeten einen Wertbeitrag leisten und die Fixierung auf die Kostenseite zu kurz greift. Viele Teilaufgaben werden besser, vollumfänglicher erfüllt, wenn unterschiedliche Beteiligte diese gemeinsam ausführen. Die Compliance, aber nicht allein die Compliance, werden durch die Zusammenarbeit wirkungsvoller. Ressourcen werden wirkungsvoller eingesetzt und reduziert, wenn die Zusammenarbeit klappt. Aus dem sich entwickelnden Vertrauen erwächst die Zuversicht, dass nicht einer dem anderen den knappen Platz an der Sonne streitig macht, sondern sich alle gemeinsam im Licht aufhalten. Aus Sicht der Unternehmensleitung kann es zwei verschiedene Lösungen bzgl. der Zusammenarbeit der einzelnen Funktionen des RMS untereinander und der Compliance geben. Sicherlich bietet eine engere Zusammenarbeit Effizienzgewinne an, das ökonomische Prinzip gelangt zur Anwendung, eine höhere Wirksamkeit alle Beteiligten erscheint gewährleistet. Allerdings gibt es auch eine andere Perspektive, gemäß des lateinischen Divide et impera (teile und herrsche) können verschiedene, durchaus in Konkurrenz stehen

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10 Verbündete

Institutionen insbesondere die Kontrolle verbessern. Vor allem totalitäre Regime setzen diesen Gedanken um, in dem nicht einer, sondern mehrere, miteinander konkurrieren Geheimdienste das Volk überwachen. Zwar wird kaum ein Verantwortlicher diesen Gedanken offen aussprechen, sich danach richten kann er sich dennoch. Dagegen ist aufgrund des Direktionsrechtes wenig einzuwenden, vielmehr gilt es das Vorgehen zu verstehen, innerhalb der eigenen Gruppe Gelassenheit zu vermitteln und die Zusammenarbeit vielleicht in ihrer Intensität und Offensichtlichkeit zu reduzieren. Der Austausch sog. „schwacher Signale“ ist nur mit Verbündeten, nicht mit gleichgültigen oder gar feindseligen Ansprechpartnern möglich. Betrachte man große Unfälle bzw. Katastrophen geschehen diese selten aus dem sprichwörtlichen „heiteren Himmel“, wie die Analyse besonders signifikanter Fälle zeigt. Fast immer waren die Informationen vorhanden um die sich abzeichnende Entwicklung zu antizipieren. Dies wird offensichtlich, wenn im Nachhinein Untersuchungen erfolgten. Sowohl bei den Terrorakten vom 11. September 2001, dem Jom Kippur Krieg oder dem japanischen Angriff auf Pearl Harbour. Die verschiedenen Informationen, die unterschiedlichen Puzzleteile wurden nur nicht zu einem Bild verdichtet, der Austausch von schwachen Signalen durch die verschiedenen Empfänger erfolgte nicht. Dabei helfen Brainstorming Sitzungen nur bedingt. Der Gedanke, an das fehlende Puzzleteil kommt vielleicht zu einem anderen Zeitpunkt als der planmäßigen Sitzung. Deshalb ist ein regelmäßiger, informeller Austausch, auch von schwachen Signalen sinnvoll. Diese gilt es dann abwägen, zu verknüpfen und erneut darüber zu sprechen (Johnson 2013, S. 141). Dabei bedarf es eines Vertrauens, welches im Laufe der Zusammenarbeit entwickelt, geht es doch nicht um harte Fakten, belastbare Informationen als vielmehr um Gefühle und Ahnungen, welche stimmen können, oder auch nicht.

10.4 Das emotionale Bankkonto Menschen vertrauen oder misstrauen einander, nicht Fachabteilungen. Über das sich entwickelnde Vertrauen hinaus kann sind persönliche Sympathie, ja Freundschaft entwickeln. In vielen Business Ratgebern wird empfohlen Freundschaften mit Geschäftspartnern anzustreben. Tricks und Kniffe werden vermittelt, wie diese Freundschaften geknüpft und vertieft werden. So verweist Mark McCormack darauf, dass wenn man keine Geschäfte mit Freunden macht, letztlich nur Neutrale und Gegner überbleiben, was ein wenig verlockende Perspektive verheißt (McCormack 1984, S.  53). Bei den Ausführungen sollte man nicht die Sichtweise dieses Autors vernachlässigen, es ist die des Verkäufers. cc

Ein CO muss sich seine Unabhängigkeit bewahren. Dies gegenüber Freunden zu schaffen ist kaum möglich und führt zu Loyalitätskonflikten zwischen Freund und Unternehmen.

10.4 Das emotionale Bankkonto

123

Kap. 17 geht ausführlich auf die Unterschiede von geschäftlichen und sozialen Beziehungen ein. Der berühmte Ausspruch Gordon Gekkos aus dem Film Wall Street „Wenn du einen Freund brauchst, kaufe dir einen Hund.“ ist bei allem enthaltenen Zynismus nicht völlig abwegig. Eine andere Ansicht vertritt Stephen Covey, der von einem „emotionales Bankkonto“ spricht, welche Menschen untereinander haben (Covey 1989, S. 188–198). Ständig werden Ein- und Auszahlungen vorgenommen, der Kontostand kann sich im Soll oder im Haben befinden, wobei der Einzelne sich tunlichst darum bemühen sollte, den Kontostand im Soll zu behalten. Ist dieser im Haben ist das Gegenüber vorsichtig, ja misstrauisch, das Gegenüber wird mit den sprichwörtlichen „spitzen Fingern“ angefasst, Aussagen werden möglichst neutral, ja vorsichtig bis nichtssagend betroffen, Informationen nur bei explizitem Nachfragen weiter gegeben. Covey beschreibt die Möglichkeiten der „Einzahlung“ anschaulich und nennt die folgenden Beispiele: • • • • • •

Den anderen verstehen, auf die kleinen Dinge achten, Versprechen halten, Ansprüche deutlich artikulieren, persönliche Integrität zeigen, bei Fehlern aufrichtig entschuldigen.

Kap. 9 gab bereits praktische Beispiele. Bei einem positiven „Kontensaldo“ bereitet die Situation keine Schwierigkeiten, in der die Compliance das Gegenüber braucht, Information zur Beantwortung einer kurzfristigen Anfrage benötigt werden oder bei einer plötzlichen Untersuchung ein Mitarbeiter der anderen Fachabteilung benötigt wird. Hieran sollte der Complianceleiter immer denken, wenn Bitten an ihn herangetragen werden. Das einfachste Mittel wird viel zu selten eingesetzt, das Loben des Gegenübers, im größeren Kreis, gegenüber der Unternehmensführung. Wenn Hilfe gewährt wurde, wenn ein Beitrag dazu führte, dass die Compliance wirksamer wird, gilt es dies herauszustellen, laut, detailliert und deutlich. Dabei wird erst der Einzelne gelobt, dann die betreffende Fachabteilung. Es gibt keine rein rationalen Arbeitsbeziehungen, zu Institutionen vielleicht, zu Menschen nicht, wobei die Unterscheidung immer bis zu einem gewissen Grad künstlich ist. Das Vertrauen Einzelner ist wichtig, aber nur darauf zu setzen ist zu kurzfristig gedacht. Die Zusammenarbeit ist immer vom Engagement, auch der persönlichen Sympathie der Beteiligten abhängig, sollte jedoch nicht einzig darauf begründet sein. Einer verzerrte Wahrnehmung kann allerdings kaum beseitigt werden, vielmehr erscheint die notwendige Gelassenheit, die Akzeptanz der Feststellung als beste als Alternative. Der Einzelne ist der wichtigste Mensch, zumindest in seiner Selbstwahrnehmung. In einem klassischen psychologischen Experiment wurden beide Partner einer Partner-

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10 Verbündete

schaft gefragt, zu welchem Prozentsatz sie unangenehme Aufgaben übernehmen. Wie zu erwarten lag die Addition bei mehr als 100 Prozent. Allerdings überschätzen Menschen auch ihre Beteiligung an negativen Handlungen, wenn auch in geringem Maße. Dabei nimmt die egozentrische Übertreibung in Gruppen noch zu. Je mehr Mitglieder eine Gruppe hat, umso größer ist dieser Effekt. An der Harvard-Business-School führt Epley ein Experiment mit 699 MBA-Studenten durch, welche zwei Jahre lang in derselben Studiengruppe arbeiteten. In höchstens vierköpfigen Gruppen ergab die Addition der geschätzten, eigenen Beiträge ebenfalls einen Wert von über 100 Prozent, allerdings nur knapp darüber. Bei achtköpfigen Gruppen ergab die Addition dagegen einen Wert von 140 Prozent (Epley 2014, S. 139).

Literatur Covey S (1989) The 7 habits of highly effective people. Simon & Schuster, New York Epley N (2014) Machen wir uns nicht vor! Ullstein, Berlin http://www.omv.com/portal/01/com/omv/OMV_Group/sustainability/business-principles/business-ethics-and-compliance. Zugegriffen am 27.06.2017 http://www.volkswagenag.com/de/group/compliance-and-risk-management.html. Zugegriffen am 27.06.2017 https://na.theiia.org/news/Pages/The-Three-Lines-of-Defense-in-Effective-Risk-Management-and-Control-Is-Your-Organization-Positioned-for-Success.aspx. Zugegriffen am 24.03.2017 Johnson S (2013) Wo gute Ideen herkommen. Scoventa, Bad Vilbel Lück W (1998) Elemente eines Risiko-Managementsystems. Betr (1/2): 8–14 McCormack M (1984) What they don’t teach you at Harvard Business School. Profile Books, New York Schneider T (2014) Controllingaufgaben im Wettbewerbsrecht. Controll Mag (6/2014):22–27

Das operative Management

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Zusammenfassung

Der innere Zirkel wurde in Kap. 9 thematisiert und enthält grundsätzliche Hinweise für den Umgang mit dem operativen Management. In den Unternehmen einer gewissen Größe, gibt es mehrere Hierarchieebenen. An dieser Stelle soll nicht die Organisation des einzelnen Unternehmens thematisiert werden, generell wird unter dem operativen Management die erste Ebene mit Personalverantwortung verstanden, die Gruppen- und Abteilungsleiter, die Meister und Betriebsleiter. Hier, im alltäglichen Geschäft, entscheidet sich Erfolg oder Misserfolg der Compliance. Nur wenn operative Manager von der Notwendigkeit der Compliance und dem Wertbeitrag für ihren persönlichen Verantwortungsbereich überzeugt sind, kann Compliance wirksam sein. Wie die Perspektive der Betroffenen aktiv einbezogen wird, wie die Zusammenarbeit gestaltet wird, zeigt das weitere Kapitel auf.

11.1 Das Image des operativen Managements Ein Blick auf das Image des operativen Managements bei der Unternehmensleitung, in den Publikationen und Untersuchungen, als auch in der Öffentlichkeit hilft der Compliance den richtigen Zugang zu den Betroffenen zu finden. Ob „Business Reengineering“ oder „Agiles Management“, die Namen ändern sich, die Programme ein wenig, aber eine Konstante haben sie alle: das Operative Management mag nicht die Wurzel allen Übles sein, zumindest aber der Meisten. Immer wenn Unternehmen dynamischer und flexibler, schneller und profitabler werden wollen, werden Hierarchieebenen abgebaut. Auf wundersame Weise entstehen diese erneut, bis zum nächsten Programm. Davon betroffen ist typischerweise das operative Management. Das Image der „Lehmschicht“ ist schlecht. Das hier das entscheidende Wissen des Unternehmens veran© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Schneider, Werkzeuge wirkungsvoller Compliance, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61792-2_11

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11  Das operative Management

kert ist, das hier die Fachleute tätig sind, welche einen Unterschied zur Konkurrenz machen, das hier Fehler ausgemerzt und Korrekturen flexibel vorgenommen werden, um Ziele trotz aller Umwege zu erreichen, wird selten erwähnt. Weiterhin verursachen Instrumente wie Balanced Scorecard oder 360° Beurteilung zusätzliche Arbeit ohne immer einen unmittelbaren Nutzen für die Betreffenden anzubieten. Vielmehr fühlen sich die Betroffen oft überwacht und in die Enge getrieben. Gab es früher ein primäres Ziel, welches sich schon aus dem Namen der Abteilung ableiten ließ, sollen nunmehr eine Vielzahl von Ansprüchen erfüllt, es jedem Recht gemacht werden. Sicherlich kann die Intention nachvollzogen werden, aber primär muss das Hauptziel der Abteilung erreicht werden, die Produktivität gesteigert, die Einkaufspreise gesenkt, Absatzmengen und Gewinne erhöht werden. Darauf achtet schon das Controlling mit detaillierten Datenanalysen und Abweichungsberichten. Diese Sichtweise setzt sich in der Berichterstattung fort. Presseartikel über großartige Unternehmen konzentrieren sich auf die oder den „Helden“ an der Unternehmensspitze, dann werden die tollen Mitarbeiter thematisiert, die Ebenen dazwischen werden nicht erwähnt, außer wenn ein Abbau erfolgte. Die Compliance übernimmt diese Perspektive nicht, sondern würdigt die positiven Aspekte der Betroffenen. Ohne eine Beteiligung des operativen Managements scheitert Compliance.

11.2 Besonderheiten im Umgang Die Grundeinstellung sollte vom Respekt geprägt sein. Zwar trifft diese Aussage für alle Kontakte zu, besitzt aber vor dem Hintergrund der dargestellten Ausgangssituation besondere Relevanz. An erster Stelle steht die Ankündigung einer Untersuchung im Verantwortungsbereich, als auch des unmittelbaren Kontaktes zu einzelnen Mitarbeitern des Betroffenen. Im persönlichen Gespräch werden das ehrliche Interesse an der jeweiligen Tätigkeit und die Bitte um weitere Informationen ausgesprochen. Hier bilden die in Kap. 3 angesprochenen Informationen die Grundlage. Auch wenn man die Betreffenden über längere Zeit nicht trifft, gilt es Namen und Funktionen zu behalten um diese präsent zu haben. Vor allem bei Zusammenkünften im größeren Kreis, ist es möglich aktiv auf einzelne operative Manager zuzugehen und sich auszutauschen. Einige operative Manager betrachten die Treffen durchaus als Bühne und inszenieren ihren Auftritt, andere sind zurückhaltender und fühlen sich sichtlich unwohl, sei es aus persönlichen Gründen, sei es, weil sie bisher noch nicht an den Treffen teilgenommen haben. Diese Menschen gilt es seitens des CO anzusprechen, Abläufe zu erklären und interessante Ansprechpartner vorzustellen. Das chinesische Konzept des „Gesicht Gebens“ findet hier seine Ausgestaltung. Begrenzte Ressourcen müssen konzentriert eingesetzt werden. Diese Konzentration erfolgt auch seitens der Compliance. Dabei gibt es eine individuelle Betreuung der obersten Führungsebene. Persönliche Gespräche, das Werben für das eigene Vorgehen, die persönliche Involvierung bei Prüfungen, welche Mitglieder diese Ebene betreffen.

11.3 Kontrollfunktion des operativen Managements

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Grundsätzlich sollen alle Mitarbeiter erreicht werden. Dies erfolgt durch elektronische Schulungen, welche beliebig skalierbar sind, teilweise werden die Führungskräfte angehalten ihre Mitarbeiter persönlich zu schulen. Im Rahmen von Untersuchungen wird ebenfalls auf der untersten Ebene angesetzt, Daten ausgewertet und Gespräche geführt. Das operative Management wird selten speziell betrachtet. Die weiteren Ausführungen verdeutlichen, dass die explizite Auseinandersetzung mit dem operativen Management für eine wirksame Compliance notwendig ist. Gegen den Widerstand des operativen Managements kann Compliance nicht wirksam sein, wobei sich dieser Widerstand nicht immer offen artikuliert, sondern mittels subtiler Mittel ebenso erfolgreich ist. Anderseits gleich ein der Compliance positiv gegenüber stehendes operatives Management viele Defizite aus, welche die Compliance in ihrem Gesamtauftritt oder der einzelne CO beim persönlichen Kontakt aufweisen.

11.3 Kontrollfunktion des operativen Managements Wirkungsvolle Compliance benötigt Kontrolle, wirksame Kontrolle benötigt das operative Management. In diesem Zusammenhang steht das „Three Lines of Defense Modell“ (TLoD) als Rahmenwerk für ein funktionsfähiges Kontroll- und Überwachungssystem, wie es in Abb. 11.1 dargestellt ist.

Abb. 11.1  Three Lines of Defence. (Eigene Darstellung)

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11  Das operative Management

• Die erste „Verteidigungslinie“ ist das operative Management, welches für die Sicherstellung der Identifizierung, Beurteilung, Kontrolle sowie der Verminderung der Risiken im Rahmen des täglichen Geschäftes verantwortlich ist. Zusätzlich gewährleistet das operative Management die Übereinstimmung der Aktivitäten mit den Unternehmenszielen • Die zweite „Verteidigungslinie“ beinhaltet Risikomanagement-, Controlling- und Compliance-Funktionen, um die in der ersten „Verteidigungslinie“ konzipierten Kon­ trollen auszubauen und zu überwachen. • Die dritte „Verteidigungslinie“ stellt die Interne Revision dar. Im Modell nicht beinhaltet sind die externen Kontrollfunktionen wie Aufsichtsrat und Wirtschaftsprüfer. Dabei beschränkt sich die Kontrolle des operativen Managements nicht auf die Kon­ trollen wie sie im Internen Kontrollsystem (IKS) des Unternehmens festgelegt sind und sich durch die formale Zustimmung zu Entscheidungen der Mitarbeiter ausdrückt. Vielmehr kennen die Vorgesetzten ihre Mitarbeiter persönlich, gehen mit vielen arbeitstäglich um und wissen, wie sich diese verhalten, wo einer abwägt und der andere vorwärts stürmt, einer sich bei Entscheidungen absichert während der andere erst im Nachhinein informiert. Wo genau hingesehen werden muss und wo einem Mitarbeiter weitgehende Autonomie gewährt werden kann. Insbesondere um diese weichen Faktoren sollte die Compliance wissen. Informiert das operative Management nicht allein über Compliance-Verstöße, sondern bereits über Störgefühle und schwache Signale ist ein wesentlicher Baustein der wirkungsvollen Compliance errichtet. Wenn eine Unternehmensebene weiß, wie es im Unternehmen tatsächlich läuft, wie das Thema Compliance wahrgenommen und gelebt wird ist es das operative Management. Dies resultiert aus der bereits beschriebenen Sandwich Position, welche es ermöglicht sowohl die ausführende Arbeitsebene, als auch die Leitungsfunktionen im täglichen Miteinander zu erleben. Für die Compliance gibt es eine einfache Möglichkeit diese Wissen zu nutzen: Fragen. Schlicht auf Augenhöhe offenen Fragen stellen, offen zuhören, nicht sofort urteilen, den anderen mehr reden lassen, selbst mehr zuhören. Nicht jeder operative Manager ist auskunftsfreudig, nicht jede Einzeldarstellung stimmt. cc

Erst der laufende Kontakt mit Betroffenen verschiedener Funktionen und Standorte zeigt ein realistisches Bild auf.

Dabei sind nicht allein scheinbare Fakten von Bedeutung, als vielmehr ebenso Gerüchte und Mutmaßungen, welche dadurch relevant werden, dass sie von einer gewissen Anzahl von Mitarbeitern für wahr gehalten werden. Diese, oft unterschwelligen, Strömungen reflektiert die Compliance in ihren Schulungen und Informationen (Schneider und Bäcker 2017, S. 125).

11.3 Kontrollfunktion des operativen Managements

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11.3.1 Filtern, Erklären, Übersetzen Culture eats strategy for breakfast. Diese Peter Drucker Zitat wird sich eine wirksame Compliance wieder und wieder vorhalten, weshalb die Aussage aus Kap. 2 hier wiederholt sei. Strategie wird von Unternehmensleitung entwickelt, die Unternehmenskultur für den einzelnen Mitarbeiter wird konkret vom Vorgesetzten vorgegeben, noch mehr vorgelebt. Entsprechend wird hier Compliance Realität, nirgends anders. Dabei sind es weniger die formalen Aktivitäten, das Versenden der Compliance Richtlinie oder die Verpflichtung an entsprechenden Schulungen teilzunehmen. Die Mitarbeiter wissen, dass sich der Vorgesetzte den formalen Vorgaben beugen muss, wie bei den erwähnten anderen Projekten die die Unternehmensleitung initiiert. Es sind die kleine, oft subtilen Äußerungen anhand derer Mitarbeiter einordnen, was der Vorgesetzte tatsächlich von der Compliance hält. Ob das Anliegen ernsthaft unterstützt oder hintertrieben wird. Ob bei Verstößen ein augenzwinkernder Tadel oder eine schmerzhafte Sanktion erfolgt. cc

Schlussendlich entscheidet nicht die Compliance, sondern der Vorgesetzte über Wohl und Wehe, beruflichen Auf- oder Abstieg des Mitarbeiters.

Hinzu kommt die Erklärungsaufgabe des Vorgesetzten. Bei allem Bemühen der Verständlichkeit, können Publikationen der Compliance einen gewissen Formalismus nicht ablegen. CO sind oft über die mangelnden Fähigkeiten vieler Mitarbeiter erstaunt, scheinbar einfache Texte zu verstehen, ja überhaupt lesen zu können. Die Anzahl der funktionalen Analphabeten ist größer als meist angenommen. Die „Leo. Level-One Studie“ ermittelte einen Wert von 7,5  Mio. funktionalen Analphabeten unter den Personen im erwerbsfähigen Alter in Deutschland (wikipedia Analphabetismus). Eine vergleichbare Situation besteht bei der möglichen Ansprache der Compliance. Sicherlich werden den Mitarbeitern vielfältige Angebote gemacht um mit der Compliance in Kontakt zu treten. Oft besteht aber schlicht die Sorge sich nicht adäquat ausdrücken zu können und sich unter Umständen lächerlich zu machen. Diese Sorge wird der Vorgesetzte beeinflussen, zur Meldung ermutigen oder davon abhalten. Damit bleibt der Vorgesetzte erste Anlaufstelle. Selbst wenn dieser angesprochen wird, ist noch keine Weitergabe der Information an die Compliance sichergestellt. Insbesondere Probleme im eigenen Verantwortungsbereich werden nicht selten lieber unter den Tisch gekehrt, als offen angezeigt. Allzu rasch stellt die Compliance ein Versagen der Kontrollfunktion fest und der operative Manager wird selbst zum Beschuldigten. Arbeit verursacht eine Compliance Untersuchung ohnehin immer und unter Arbeitsmangel und Langeweile leiden die wenigsten Betroffenen.

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11  Das operative Management

11.3.2 Die Schuldfrage Kommt es zu Compliance-Verstößen erwartet die Unternehmensleitung zu Recht Maßnahmen, welche zukünftig entsprechende Vorfälle verhindern. Damit, zumindest indirekt, verknüpft ist die Schuldfrage. Betrachtet man die einzelnen Linien des Three Lines of Defense Modell können auf der zweiten und dritten Ebene Fehler erfolgt sein, auf der ersten Kontrollebene dagegen in praktisch jedem Fall. Damit steht der jeweilige Vorgesetzte eines Delinquenten unter pauschalem Verdacht, womit schon aus einfachen Gründen der Arithmetik in den meisten Fällen das operative Management betroffen ist. Die Kontrollen waren schlicht unzureichend, so weit so einfach. Im besten Fall bleibt der Vorwurf unausgesprochen und führt zu keinen Sanktionen. Intensität, Formalität und Häufigkeit der Kontrollen werden dagegen in praktisch jedem Fall erhöht. Der dauerhafte Mehraufwand verbleibt beim operativen Management. Das unter diesen Umständen nicht jeder Betroffene jeden Verdachtsfall meldet bzw. aktiv nachfasst wo Ungereimtheiten auftreten ist nachvollziehbar. Es gilt seitens der Compliance Vorteile von Meldungen nicht allein zu vermitteln, sondern zu initiieren. Im Anschluss an die Aufarbeitung des einzelnen Falles werden notwendige Veränderungen im IKS sorgfältig geprüft. Dabei gilt es der Veränderung des Arbeitsaufwandes für die Kontrollfunktion besondere Sorgfalt zuzuwenden. Das operative Management wird in die Verantwortung genommen und kann sich nicht darauf beschränken über die weiter ansteigende „Regelungswut“ zu klagen. Vielmehr werden eigene Vorschläge, auch dazu wo formale Kontrollen reduziert werden können, eingefordert. Diese Reduktion mag angesichts des aktuellen Compliance-Verstoß merkwürdig vorkommen, die Alternative wird allerdings kaum die Bereitschaft steigern aktiv möglichen Verstößen nachzugehen. Entsprechend gilt es bei Meldung über Verstöße, bei der Ansprache schwacher Signale, als auch von Anregungen wie Lücken im IKS geschlossen werden Vorteile für die handelnden, operativen Manager zu schaffen. Dies beginnt mit der eigentlichen Selbstverständlichkeit des aufrichtigen Dankes und wird mit der expliziten Erwähnung gegenüber der Unternehmensleitung weitergeführt. In diesem Rahmen kann eine Berücksichtigung in der Personalbeurteilung, letztlich eine finanzielle Komponente angeregt werden, handelt es sich doch letztlich um einen Verbesserungsvorschlag, welcher bei formaler Nichtzuständigkeit in vielen Unternehmen honoriert wird.

11.3.3 Reaktionen auf Complianceaktivitäten Und nun kommt die Compliance … Vor dem oben dargestellten Hintergrund ist es leicht nachzuvollziehen, welche Reaktionen bei den Betroffenen entstehen, wenn ein Besuch angekündigt oder ein Schulung absolviert werden soll. Unabhängig von der grundsätzlichen Einstellung zu Thema.

11.3 Kontrollfunktion des operativen Managements

131

Rasch macht sich Zynismus bei den Betroffenen breit, zumal diese schon viele Programme und Projekte erlebt und durchlebt haben. Vielleicht tritt dies auch auf die Compliance zu, vielleicht handelt es sich um einer der Modewelle die auf- und abschwellen. Wer im operativen Management seine eigentliche Arbeit gut machen möchte, muss schlicht gewisse Anordnungen ignorieren. Er kann nicht drastisch gesprochen jede neue Sau reiten, welche die Unternehmensführung durchs Dorf treibt, unabhängig davon, ob sie neuen Managementkonzepten oder der ungebremsten Reglungswut des Gesetzgebers entspringt. Wenn die Compliance irgendwo im Unternehmen stört, dann hier. Die Umsetzung, aber auch die oben beschriebenen Aufgaben des Erklären und „Übersetzten“, die Kontrolle, die Meldung von Verdachtsfällen, letztlich die Unterstützung bei Prüfungen, die meiste Arbeit neben der Compliance hat das operative Management. Dieser Sachverhalt ist der Compliance bewusst, entsprechend wird nach Möglichkeiten gesucht den Betroffenen, vergleichbar mit einem Tauschgeschäft, etwas anzubieten. Dabei hört sich „Anbieten“ seltsam defensiv an. Beispiel

So bieten die meisten ERP-Programme Auswertungen an, welche Besonderheiten gezielt aufarbeiten. So können bspw. Buchungen zu ungewöhnlichen Zeiten dargestellt werden. Weiterhin ist es möglich eine sog. Benford-Analyse über eine größere Datenanzahl laufen zu lassen. Hierdurch werden Daten, welche manipuliert, bspw. durch eine nachträgliche Aufführung, zuverlässig ermittelt. Der individuelle Kontrollaufwand kann parallel zurückgefahren werden. ◄ Compliance ist kein Tauschhandel, kein Geschäft auf Gegenseitigkeit, wo die Partner auseinander gehen können, wenn sie sich nicht einig werden. Dennoch kann auch Unterstützung geleistet werden, nicht in dem Compliance weniger aktiv, sondern wirksamer wird. Was einzelne Vorgaben auslösen, welchen Arbeitsaufwand diese in der Praxis verursachen lässt sich nicht immer abschätzen, während die operativen Einheiten den Arbeitsaufwand tragen müssen. Hier können kleine Veränderungen zu einer deutlichen Einsparung von Zeit und Nerven führen. Die Anpassung von Höchstgrenzen, die Möglichkeit der nachträglichen Genehmigung oder der Zusammenfassung von Vorgängen vereinfacht die Arbeit der operativen Einheiten, zeigt vor allem, dass deren Bedenken ernst genommen werden und Berücksichtigung finden, wo dies möglich ist. In Kap. 8 wurde die Neuverhandlung nach Zurückweisung als Instrument der Compliance gegenüber der Unternehmensleitung vorgestellt. An dieser Stelle gilt es darauf ­hinzuweisen, dass auch Dritte dieses Instrument im Umgang mit der Compliance einsetzten können. Beispiel

Ein Blick auf die Watergate Affäre zeigt die Wirksamkeit dieses Instrumentes auf, auch gegenüber intelligenten, politisch erfahrenen Akteuren. Die Ausgangslage war für den US Präsidenten Richard Nixon sehr komfortabel, seine Zustimmungswerte hoch, die

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11  Das operative Management

Wiederwahl erschien wahrscheinlich. Der Urheber des Einbruchplans in ein Büro des politischen Gegners galt Regierungsmitarbeitern als wenig vertrauenswürdig, der Plan war mit 250.000  US$ teuer, zumal das Geld aus schwarzen Kassen besorgt werden musste. Im Büro von Lawrence O’Brien, in das eingebrochen wurde, befanden sich keine relevanten Information und das ein Einbruch ohnehin ein riskantes Unternehmen ist, bedarf nicht der weiteren Erläuterung. Vor diesem Hintergrund gibt es eine Frage: Warum? Der Plan wurde von Gordon Liddy ausgeheckt, der für die Informationsbeschaffung im Nixon Team zuständig war. Dieser Plan war nicht sein erster, zwei vorherige Pläne waren noch riskanter, teuer, abwegiger. Schließlich stimmte das Nixon Team dem letzten Plan zu, welcher immer noch riskant, ja verrückt war, aber nicht ganz so verrückt wie die ersten Pläne. Wie die Geschichte ausging ist bekannt, Richard Nixon kam einer Amtsenthebung durch seinen Rücktritt zuvor (Cialdini 2013, S. 77–79). ◄ Vergleichbares Verhalten ist im operativen Management zu finden. Dabei beschränkt sich das Vorgehen nicht auf Vorgaben der Compliance, sondern beinhaltet auch Besuchsund Gesprächstermine, zeitliche Vorgaben von Umsetzungsplänen oder die Follow-up Berichterstattung. Diese lässt sich dort „herunterhandeln“, selbst wo es aus Sicht der Compliance kein weiteres Entgegenkommen möglich erscheint. In akuten Krisen setzt sich die Compliance schlicht durch. Andere Aufgaben müssen verschoben werden. Im Konfliktfall hilft die Einbindung der übergeordneten Berichtsebene. Anders liegt der Fall bei planbaren Prüfungs- oder Schulungsaktivitäten. Die Mehrzahl der operativen Manager zeigt sich kooperativ, Einzelne verweigern sich dagegen einer Zusammenarbeit. Dann hilft es den Spieß umzudrehen, den Zeitaufwand zu benennen, aber der angesprochenen Stelle mögliche Terminvorschläge zu überlassen. Eine pauschale Ablehnung wird schlicht an die disziplinarisch nächsthöhere Stelle berichtet und die damit verbundenen Folgen möglichst sachlich weitergegeben. Dies bedeutet nicht, dass keine Anpassungen der ursprünglichen Pläne erfolgen, ist doch auch die Compliance nicht vor Modewellen gefeit, Unternehmen die besonders hart von Compliance-Verstößen betroffen waren, haben sich nicht selten Regeln gegeben, welche in der Praxis schlicht nicht umsetzbar waren. Später wurden die Vorgaben auf ein sinnvolles Maß zurückgedreht. Zu vermeiden sind allerdings informelle Lösungen, die Ausnahme im Einzelfall, welche sich schneller als gedacht im Unternehmen herumspricht und zu einem aufwendigen Erklärungsbedarf führt, wenn entsprechende Sonderlösungen in einem anderen Fall nicht möglich sein sollen Rasch entwickelt sich dann eine kaum zu bewältigende Dynamik. Wenn der Begriff der Revolution in diesem Zusammenhang übertrieben ist, lohnt dennoch ein Blick auf die Hintergründe, wann Revolutionen ausbrechen. Diese ereignen sich meistens nach einer Phase der Verbesserungen sozialer und ökonomischer Bedingungen, wenn dann eine abrupte, einschneidende Verschlechterung erfolgt. So hatten die amerikanischen Siedler in den britischen Kolonien den höchster Lebensstandard und niedrigste Steuerlast aller Kolonie, die Revolution nahm ihren Ausgangspunkt in vergleichsweise geringen Steuererhöhungen. Die „Black Riots“ in den 1960er-Jahren in den USA erfolgten, nachdem 1940–1955 das Durchschnittseinkommen der Schwarzen

11.4 Ablehnung der Compliance

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gegenüber weißen Amerikanern mit ähnlichem Ausbildungsstand, von 56 auf 80 % gestiegen, dann aber bis 1962 auf 74 % zurückgefallen war (Cialdini 2013, S. 343).

11.3.4 Angst als Mittel zum Zweck Betrachtet man die Selbstdarstellung der Compliance fühlt man sich an die Entwicklung der Kirchen erinnert. Die ewige Verdammnis der Sünder, die Drohung in die Hölle zu kommen, die Existenz des Teufels, all diese Aussagen werden heute kaum noch getätigt, vielmehr die positiven Folgen eines gottgefälligen Lebens thematisiert. Auch die Compliance beansprucht zunehmend Geschäfte zu ermöglichen, anstatt diese zu verhindern und betont die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens zu sichern anstatt Mitarbeitern, die gegen Compliancevorgaben verstoßen mit Sanktionen zu drohen. Eine wirksame Compliance wird ihre Schwerpunkte hier nicht zu einseitig setzen, sondern auch negative Folgen bei Verfehlungen thematisieren. cc

Die Angst etwas zu verlieren motiviert stärker, als der Gedanke etwas Gleichwertiges zu gewinnen.

Broschüren, welche zur Brustkrebsvorsorge anhalten sind signifikant erfolgreich, wenn sie darauf hinweisen, was die Frauen zu verlieren haben, als wenn die positiven Folgen in den Vordergrund gestellt werden (Cialdini 2013, S. 317). Die Ansprechpartner in Angst zu versetzten ist kein Selbstzweck und darf kein generelles, andauerndes Gefühl der Ohnmacht verursachen, vielmehr ist damit die Aufforderung verbunden konkrete Probleme zu benennen, bei denen Compliance helfen kann und will (Grant-Hart 2016, S. 70). Nicht die Compliance, sondern der Gesetzgeber, die Gerichte, letztlich die Gesellschaft legt Compliancevorgaben fest. Die Abteilung gleichen Namens setzt Vorgaben um, prüft das Vorgehen und sanktioniert Fehlverhalten. Wobei durchaus angemerkt werden sollte, dass der einzelne CO hinter diesen Vorgaben steht.

11.4 Ablehnung der Compliance Compliance ist kein Kuschelveranstaltung, kein Schönwetterthema. Jeder Mitarbeiter darf seine Meinung zur Compliance haben, Vorgaben sind aber einzuhalten. Sucht ein operativer Manager die offene Auseinandersetzung ist er sich meistens entsprechender Unterstützung seiner Vorgesetzten sicher und hält sich für unverzichtbar. In einer solchen Auseinandersetzung darf es nur einen Sieger geben, die wirkungsvolle Compliance, da bei einer Niederlage das Adjektiv wirkungsvoll schlicht zu streichen ist. Sucht der Kontrahent die große Bühne kann er diese bekommen. Gerade weil das operative Management so wichtig ist und die Signalwirkung einer einzelnen Auseinandersetzung kaum zu überschätzen ist, wirft die Compliance ihr gesamtes Gewicht in die Waagschale. Aufbauend auf dem Kon-

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11  Das operative Management

takt zur Unternehmensführung und dem inneren Führungszirkel werden formale Vorgaben ihre Wirksamkeit beweisen. Es gibt immer Mitarbeiter die sich nicht an die Regeln halten, nicht an Gesetze, nicht an Compliance Vorgaben, nicht an die Regeln eins geordneten Miteinanders. Wie sich die Compliance dann verhalten kann entwickelt Kap. 17.

Literatur Cialdini R (2013) Die Psychologie des Überzeugens. Huber, Bern Grant-Hart K (2016) How to be a wildly effective compliance officer. Brentham House, London Schneider T, Bäcker M (2017) Wo Rauch ist, ist auch Feuer (?). ZFRC, 1/2017. Schmidt, Berlin

Die Ansprechpartner

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Zusammenfassung

Dieses Kapitel behandelt die unterste Hierarchieebene im Unternehmen, die Mitarbeiter, welche nicht leiten, nicht organisieren oder koordinieren, sondern schlicht ausführen. Die Mitarbeiter mit dem unmittelbaren Kontakt zu Kunden und Lieferanten. Ob es um die Bereitstellung von Informationen, die Vorbereitung von Reisen oder die Buchung von Belegen geht, bis zu einem gewissen Grad sind die angesprochenen Mitarbeiter in die Prozesse involviert.

Beobachtet man die Entwicklung der Compliance erscheint der einzelne Mitarbeiter weniger bedeutsam zu werden. Schulungen erfolgen mittels entsprechender Programme, welche interessant und kurzweilig die Mitarbeiter informieren, den Wissensstand mittels standardisierter Fragen abfragen und die Teilnahme dokumentieren. Die Untersuchungen compliancerelevanter Vorgänge geschieht mittels Datenanalysen, welche durch den zunehmenden Einsatz von Prüfsoftware effizient durchgeführt wird. So notwendig und sinnvoll diese Maßnahmen sind, werden sie nicht über Fehlentwicklungen im Vorfeld falscher Entscheidungen informieren und ebenso wenig zur Selbstbezichtigung von Mitarbeitern beitragen, die sich ihres Fehlverhaltens bewusst geworden sind. Sicherlich ist der Kontakt zu Mitarbeitern zeitintensiv, für die Compliance ist es schlicht unmöglich mit allen Mitarbeitern in persönlichem Kontakt zu stehen. Damit verlagert sich die Perspektive der wirkungsvollen Compliance. Die Compliance tritt nur im Einzelfall aktiv in den persönlichen Kontakt, ermöglicht allerdings dem Gegenüber diesen Kontakt zu suchen und zu finden.

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Schneider, Werkzeuge wirkungsvoller Compliance, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61792-2_12

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12  Die Ansprechpartner

So wie die Sicherheit einer Gesellschaft nur durch das Eingreifen des Einzelnen zu gewährleisten ist, kann die Compliance eines Unternehmens nur wirksam sein, wenn sich jeder Mitarbeiter im Rahmen seiner Möglichkeiten dafür verantwortlich fühlt.

12.1 Eingreifen der Mitarbeiter Eingreifen stellt eine Ergänzung des IKS dar. Nicht als bewusste Maßnahme um systematische Schwächen auszugleichen, sondern vor dem Hintergrund, dass es kein perfektes IKS gibt, nicht geben kann (Schneider und Becker 2015, S. 153–159). Hinsehen, Nachfassen, Eingreifen ist für die Compliance selbstverständlich, wenn Hinweise auf mögliche Compliance-Verstöße aufkommen. Dabei handelt es sich um die zentrale Aufgabe der Compliance. Grundsätzlich soll jeder Mitarbeiter im Verdachtsfall aktiv werden, zumindest die Compliance ansprechen. Diese Sichtweise wird in den Complianceschulungen vermittelt, vielfältige Möglichkeiten der Kontaktaufnahme werden aufgezeigt. Aber ist es für die Mitarbeiter wirklich so einfach? Ein genauer Blick auf die Stufen des Eingreifens ermöglicht es wirkungsvoll an den Stellschrauben zu arbeiten. Da es das perfekte System nicht geben kann ist Eingreifen erforderlich. Damit soll kein Mitarbeiter zum „Hilfssheriff“ der Compliance werden, als vielmehr aufmerksam seine Umgebung wahrnehmen und wenn er auf compliancerelevante Sachverhalte stößt prüfen inwieweit er sich Einmischen soll, ja muss. Beispiel

Dieses Auffallen widerfährt Mitarbeitern der untersten Hierarchieebene. Der Assistentin, welche die Reisekostenabrechnung erstellt, dem Versandmitarbeiter, der Ersatzteile verschickt, dem Buchhalter, welcher die einzelnen Kostenpositionen auf ein Projekt bucht. Formal sind diese nicht für Kontrollen verantwortlich. ◄ Damit stellt sich die Frage des Verhaltens bei Auffälligkeiten. Wegsehen, sich Aufwand und Ärger sparen oder sich Einmischen ist dann die Frage. Dass dieses Eingreifen eine Vielzahl von Optionen beinhaltet erläutern die weiteren Ausführungen. Als Abwehrargument werden mögliche negative Folgen aufgeführt. Es kann sich doch nicht jeder in alle möglichen Sachverhalte einmischen. Aber selten ist dies ein entscheidendes Problem. Bei näherem Hinsehen nur in den wenigsten Fällen. Deshalb werden die Mitarbeiter zum Eingreifen ermuntert. Um dieses Eingreifen zu fördern ist ein Blick auf die Stufen des Eskalationsprozesses hilfreich. Abb. 12.1 zeigt die fünf Stufen auf, welche der eingreifende Mitarbeiter durchschreiten muss, bevor eine aktive Handlung erfolgt.

12.1 Eingreifen der Mitarbeiter

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Abb. 12.1  Eskalationsstufen des Eingreifens. (Eigene Darstellung)

1. Ereignis bemerken Menschen nehmen ihre Umgebung mehr oder weniger aufmerksam wahr. Während sich der eine Mitarbeiter fast ausschließlich auf sich und seine Aufgaben konzentriert und äußere Einflüsse größtenteils ausblendet, nimmt ein Anderer auch Dinge um sich herum aufmerksam war. Diese Aufmerksamkeit gehört nicht zu den Pflichten eines Mitarbeiters, wobei die positiven Folgen unübersehbar sind. Nicht alleine um Gefahren zu vermeiden oder Kosten einzusparen, sondern um flexible Lösungen zu finden, den Anspruch des unternehmerischen Denkens in unternehmerisches Handeln umzusetzen. 2. Einschätzen der Situation als: eingreifen erforderlich An das Bemerken einer Situation schließt sich die Frage an, ob persönliches Eingreifen erforderlich und sinnvoll ist. Viele Menschen neigen dazu Ausweichargumente zu finden. Bei entsprechender Ignoranz lassen sich diese sogar für offensichtliche Notfälle finden. Ein Bewusstloser hat sich schlafen gelegt oder ist schlicht betrunken. In der Compliance gib es selten akute Notfälle, aber immer wieder Entscheidungen, mit denen eine Grenze überschritten wird. Nicht alleine formal durch die Nichteinhaltung von Meldepflichten, sondern im Bewusstsein des Einzelnen. 3. Verantwortung übernehmen Mit der Anzahl der Beteiligten nimmt die Bereitschaft zur Übernahme der Verantwortung beim Einzelnen ab. Formal verantwortlich ist immer irgendjemand, zumindest

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12  Die Ansprechpartner

theoretisch im Rahmen des IKS.  Argumente warum sich Andere besser zur Verant­ wortungsübernahme eignen, lassen sich rasch finden: höherer hierarchische Position, engere organisatorische Verbindung, männlich oder weiblich, jünger oder älter. Wie in entsprechenden Situationen reagiert wird, ist ein wichtiger Indikator für die grundsätzliche Einstellung der Mitarbeiter, welcher vom Umgang im Unternehmen geprägt ist. Jeder Mensch hat die Erfahrung gemacht an Ansprechpartner zu geraten, welche Verantwortung abwälzen statt zu übernehmen. Gerät man dann an die dritte Person, welche erneut an andere verweist, verliert man schlicht die Lust sich um entsprechende Sachverhalte zu kümmern. Wie viel wohltuender, angenehmer und effektiver sind Mitarbeiter welche bereitwillig Verantwortung zeigen und aktiv Probleme lösen. 4. Entscheidung wie einzugreifen ist Nachdem ein Mitarbeiter festgestellt hat, dass aus seiner Sicht ein Eingreifen erforderlich ist, kann er dies unmittelbar tun oder Dritte informieren. Dann handelt es sich bei der Information Dritter um ein bewussten, zielgerichtetes Handeln und nicht Desinteresse, Ignoranz oder die Sorge falsch zu handeln. Eingreifen setzt formale Nichtzuständigkeit voraus, weshalb kein Eingreifen perfekt, aber fast immer besser als Nichtstun sein wird. Eingreifen bei compliancerelevanten Tatbeständen kann meistens delegiert werden, da ausreichend Zeit vorhanden ist, also wenige Situation ein unmittelbares Handeln erfordert oder das Gefährdungspotenzial derart groß ist, das professionelles Handeln geboten ist. Ein Hindernis des Eingreifens stellt missverstandene Loyalität dar. Hiervon betroffen ist typischerweise der Zusammenhalt einer Gruppe, wie er in Kap. 14 dargestellt wird. Die Compliance kann kaum im Einzelfall wirken, wohl aber exemplarische Hinweise geben. 5 . Eingreifen Eingreifen macht aus drei Gründen Sinn: –– Die Weitergabe der Information ist zu aufwendig, da es sich um Bagatellvorfälle oder offensichtliches Versehen handelt. So können bspw. Zahlendreher bei Übertrag der Rechnungsdaten in die Reisekostenabrechnung entstehen oder bei den Kosten einer Reparatur verrutscht das Komma um eine Stelle. Nur wenn sich einzelne Bagatellvorfälle häufen wird es sinnvoll die Verantwortlichen anzusprechen. –– Notfall, Dringlichkeit. Ein Handeln ist unverzüglich erforderlich. Primär um möglichen Schaden vom Menschen und Unternehmen abzuwenden. Dies ist bei der Compliance eher ein Ausnahmefall, werden die Mitarbeiter, welche eingreifen können nur selten unmittelbar an der eigentlichen Aktion beteiligt sein. –– Man erhält Informationen, welche nicht den eigenen Tätigkeitsbereich betreffen, für andere aber nützlich sein könnten. Dann gilt es abzuwägen, ob weitere Informationen eingeholt oder unverzüglich die Informationen an die betreffende Stelle weitergeleitet werden. Hier sind auch sog. schwache Signale angesprochen, welche mehr oder weniger zufällig im Kollegenkreis weitergegeben werden. –– Fehler und Falschinterpretationen können nicht ausgeschlossen werden, aber Handeln ist in fast jedem Fall besser als Nichtstun.

12.2 Entscheidungskriterien

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12.2 Entscheidungskriterien Eingreifen kann kaum seitens der Compliance eingefordert werden. Vielmehr sollte es sich bei entsprechender Einstellung der Mitarbeiter um eine Selbstverständlichkeit handeln. Dennoch können in einem kurzen Workshop oder im Rahmen regelmäßiger Schulungen auf Möglichkeiten hingewiesen werden. Hier kann eng mit der Arbeitssicherheit zusammen gearbeitet werden, welche regelmäßige Schulungen der relevanten Mitarbeiter durchführt. Abb. 12.2 nimmt bewusst Beispiele aus diesem Bereich auf und zeigt die unterschiedlichen Situationen auf und welche Form des Eingreifend die sinnvollste ist. 1. Geringe Komplexität – geringe Gefährdung Hier besteht nur eine Alternative: Eingreifen. Kleine Handlungen entscheiden nicht über die Wirksamkeit der Compliance, machen aber das Miteinander einfacher, rufen zusammengerechnet durchaus signifikante Verbesserungen hervor und erhöhen das Niveau der Compliance signifikant. 2. Hohe Komplexität – geringe Gefährdung Aufmerksamkeit ist wichtig, direktes Eingreifen führt aber nicht immer zu den gewünschten Resultaten. Deshalb sollte die Compliance angesprochen werden. 3. Geringe Komplexität – hohe Gefährdung Die Risiken des Eingreifens übersteigen die Chancen. Deshalb wird in diesem, seltenen, Einzelfall darauf verzichtet werden und ausschließlich die Compliance informiert, welche im Unternehmen bekannt sein sollten. 4. Hohe Komplexität – hohe Gefährdung In dieser Situation lässt sich das Risikopotenzial nicht eindeutig beurteilen. Mitarbeiter scheuen häufig davor zurück Informationen weiterzugeben um nicht für falsche Schlüsse verantwortlich gemacht zu werden. Nur gegenseitiges Vertrauen trägt zur Weitergabe der Informationen bei. Der Mitarbeiter mischt sich nicht direkt ein, geht aber den weiten Weg vom Bemerken des Ergebnisses bis zur Einschätzung wie vorzugehen ist. Für die Compliance reicht die einzelne Information nicht immer aus, um einen Gesamteindruck zu gewinnen, verdichten sich allerdings verschiedene Einzelmeldungen wird das Bild zusehends klarer, die Informationen immer relevanter.

Abb. 12.2  Entscheidungskriterien des Eingreifens. (Eigene Darstellung)

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12  Die Ansprechpartner

12.3 Vorgesetzter vs. Compliance Für den Mitarbeiter bietet sich neben der Complianceorganisation der unmittelbare Vorgesetzte als Ansprechpartner an. Die Auswahl kann die Compliance dem Betreffenden nicht abnehmen, wobei für die Compliance die Ansprache über den Vorgesetzten selten Vorteile bringt. Dieser kann persönlich involviert sein, eigene Untersuchungen anstellen, welche nicht immer optimale Ergebnisse erbringen oder Spuren verwischen und die Weitergabe der Informationen an die Compliance blockieren. Eine wirkungsvolle Compliance nutzt deshalb die vielfältigen Möglichkeiten sich als der richtige Ansprechpartner zu präsentieren. Verantwortung übernehmen, Dinge nochmals ansprechen, sind zentrale Kriterium des Eingreifens. Verantwortung ist im Unternehmen formal geklärt, deshalb ist kein Eingreifen vorgesehen, auch nicht erforderlich. Beispiel

Wenn man Großprojekte sieht, welche nicht knapp am Ziel vorbei gehen, sondern vollkommen scheitern, öffentliche Projekte wie der Bau des Berliner Flughafens, aber auch unternehmerische Projekte wie die Errichtung des Hüttenwerkes durch Thyssen-­Krupp in Brasilien, stellt sich die Frage, warum nicht irgendjemand zu einer frühen Projektphase laut und vernehmlich „Stopp“ gerufen hat, unrealistische Planungen angehalten und das gesamte Vorhaben kritisch revidiert wird. ◄ Ähnlich verhält es sich, wenn kriminelles Verhalten Einzelner aufgedeckt wird, welches eigentlich durch vielfältige interne und externe Kontrollen verhindert werden soll. Aber auch aus einem Fall wie Nick Leeson und dem Zusammenbruch der Barings Bank 1995 wurde wenig gelernt und so konnte sich ein vergleichbarer Fall bei der Société Générale 2008 mit dem Protagonisten Jérôme Kerviel ereignen. Bei der Aufarbeitung dieser Fälle fällt auf, dass viele mittelbar Beteiligten ein „Störgefühl“ empfanden, dies aber schlussendlich nicht deutlich adressierten.

12.4 Autorität Die Ausführungen über den Auftritt des CO in Kap. 7 bleiben unverändert gültig. Allerdings gibt es ein grundsätzliches Charakteristikum im Umgang mit der operativen Ebene, das Machtgefälle. Der CO ist schon räumlich in der Unternehmenszentrale tätig, meistens gibt es nur noch eine Hierarchieebenen über dem CO, den Leiter der Compliance, welcher unmittelbar an die Unternehmensleitung berichtet. Damit verfügt der CO über mehr Macht als sein Ansprechpartner. Hierzu gehören immer auch eine gewisse Distanz und der Mut diese Distanz über längere Zeit auszuhalten. Deshalb sprechen CO ihre Ansprechpartner mit „Sie“ an und laufen nicht in Kleidung herum als wären sie gerade vom heimischen Sofa aufgestanden (Verweyen 2013, S. 59).

12.4 Autorität

cc

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Autorität ist keine Eigenschaft, sondern eine Beziehungsqualität.

Autorität ergibt sich durch Machtgefälle. Im Unternehmen ist diese festgelegt, aber diffiziler als beim Militär, wo sich zwei Angehörige unmittelbar den jeweiligen Dienstgrad erkennen. Formal besteht ein eindeutiges Autoritätsgefälle innerhalb einer Abteilung, aber selbst diese wird durch das Spezialistentum einzelner Mitarbeiter löchriger. Ebenso unklar ist die Situation, wenn ein CO ohne Personalverantwortung auf einen Meister aus der Produktion trifft, welcher Dutzende Mitarbeiter hat. Vor allem jüngere CO negieren diese Machtgefälle häufig im persönlichen Umgang, wollen sich auf Augenhöhe zum Ansprechpartner begeben und machen sich dadurch teilweise unglaubwürdig. Dabei erhöht eine zielgerichtete Nutzung der Autorität die Wirkung der Compliance. Die Grundlagen des Aufbaus dieser Autorität wurden insbesondere in Kap. 8, 9 und 10 gelegt, auf dieser Ausgangssituation gilt es aufzubauen. Da wo jemand das Gegenüber als Experten in seinem Fach wahrnimmt, wirkt Autorität beidseitig. Diese Autorität kann und soll akzeptiert, ja wertgeschätzt werden. Dann muss es keine Hahnenkämpfe darum geben, welche Autorität mehr zählt. Autorität schüchtert allerdings auch ein. Scheinbar harmlose Beispiele zeigen dies auf: • Versuchsteilnehmern wurden Menschen vorgestellt und deren berufliche Position genannt, wobei zwischen Student, Tutor, Assistent, Dozent und Professor unterschieden wurde. Bei der Schätzung der Größe nahmen die Durchschnittswerte um 1,3 cm je Titel zu (Cialdini 2013, S. 292). • Geht ein Mann bei Rot über die Ampel und trägt einen Anzug folgten diesem dreimal so viele Menschen wie der gleichen Person in Arbeitskleidung (Cialdini 2013, S. 299). • Wenn ein Ampel grün wird und das unmittelbar davor stehende Auto nicht losfährt hupen bei einem Nobelwagen 50  % der dahinter befindlichen Fahrzeuge, bei einem Kleinwagen fast alle (Cialdini 2013, S. 301). Aber auch ernste Sachverhalte sind von der Wirkung der Autorität betroffen. Beispiel

Ein Arzt rief bei der Pflegekraft einer Krankenhausstation an und gab die Anweisung einem Patienten 20 mg eines Medikamentes zu verabreichen. 95 % der angerufenen Pfleger folgten der Anweisung, obwohl telefonische Anweisungen verboten waren und auf der Verpackung eindeutig stand, dass die maximale Tagesmenge 10 mg nicht überschreiten darf (Cialdini 2013, S. 296). ◄ Hieraus kann unmittelbar abgeleitet werden, was geschieht, wenn ein Vorgesetzter seinen Mitarbeiter anweist gegen eine eindeutige, schriftlich fixierte Compliancevorgabe zu verstoßen.

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12  Die Ansprechpartner

12.5 Machtgefälle Die Autorität legt unmittelbar das Machtgefälle zwischen den Beteiligten fest, weshalb es gilt es ein optimales Machtgefälle zwischen CO und Ansprechpartner zu finden. An dieser Stelle bestehen interessante Analogien zur Flugsicherheit (vgl. Hagen 2013). Die technische Entwicklung von Flugzeuge erfolgte über Propellerflugzeugen zu Kolbenmotoren und in den 1970er-Jahren zu Turbinentriebwerke, welche weitaus zuverlässiger waren als die Vorgängermotoren. Dennoch nahmen die Unfallzahlen nicht im prognostizierten Umfang ab. Die Aufzeichnungen der Black Box enthalten sowohl die technischen Flugdaten, als auch die Gespräche der Cockpitbesatzung und ermöglichten eine präzise Analyse von Flugunfällen. Für Unfälle waren zu über 70 % mangelhafte Kommunikation und undurchsichtige Entscheidungsprozesse an Bord der Flugzeuge verantwortlich. Auf diese Erkenntnis reagierten die Flugsicherheitsbehörden mit der Entwicklung des Cockpit- oder Crew Resource Management Program (CRM). Ab 1990 wurde ein integrierter Ansatz verfolgt, der dem heutigen Verständnis als Fehlermanagement entspricht. Die zentrale These ist, dass sich Fehler reduzieren, nicht aber abstellen lassen. Seit 1997 ist das CRM für alle Piloten verpflichtend. Entsprechend gilt es drei Ziele mit den gleichen Prioritäten zu verfolgen: • Fehler vermeiden, • Fehler erkennen, • Fehler ansprechen. Ein „optimales“ Machtgefälle mag ein theoretisches Ideal sein, die generelle Richtung zeigt Abb. 12.3 auf. Der Mitarbeiter muss ausreichend Macht besitzen um Fehler anzusprechen, um bei möglicherweise falschen Entscheidungen einzugreifen, laut und unmissverständlich (Hagen 2013, S. 98).

Abb. 12.3  Optimales Machtgefälle. (Hagen 2013, S. 98)

12.5 Machtgefälle

143

Während im Flugzeug nur unmittelbar Betroffenen angesprochen sind, wird im Unternehmen auch der Fall eintreten, dass weitere Mitarbeiter eine Entscheidung treffen, bzw. davon erfahren, welche nicht unmittelbar in einem Vorgesetzten – Mitarbeiter Verhältnis stehen, wenn bspw. ein Mitarbeiter der Buchhaltung eine Rechnung bucht. In Bild eins ist das Machtgefälle zu hoch. Der hierarchisch niedrigere Beteiligte traut sich schlicht nicht etwas zu sagen oder macht allenfalls wage Andeutung, die das Gegenüber häufig nicht richtig aufnimmt und einordnet, gezielte Nachfragen erfolgen kaum, ebenso wenig die Information Dritter, bspw. der Compliance. Der Angesprochene signalisiert meist Desinteresse, je nach Situation und Naturell des Mächtigen erfolgen auch abwertende oder zynische Bemerkungen. In Bild zwei besteht das richtige Machtgefälle. Die Beteiligten begegnen sich nicht auf Augenhöhe, nehmen aber einander ernst, der Ranghöhere hört zu, fragt nach, erst wenn er genau vorstanden hat wie die Situation tatsächlich ist und worum es dem Gesprächspartner geht entscheidet er. Damit verbunden ist der ehrliche Dank für die Ansprache, selbst wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass kein Fehler vorlag. Der Ansprechpartner vertraut auf die Autorität der Compliance, darauf, dass diese die richtige Entscheidung durchsetzen kann, auch gegen mögliche Widerstände. In Bild drei ist das Machtgefälle zu niedrig. Zwar ist ein offener Austausch möglich, unterbleibt aber oft, weil der Mitarbeiter nicht daran glaubt, dass die Compliance Dinge verändern kann und bei einer möglichen Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Verantwortlichen ihre Sichtweise nicht durchsetzt. cc

Sicherlich ist ein optimales Machtgefälle allenfalls theoretisch herzustellen, dennoch sollte die Compliance die eigene Autorität kritisch prüfen und wo erforderlich nachjustieren.

Im Gespräch erhält der CO Hinweise von seinem Ansprechpartner, häufig verklausuliert, aber dennoch deutlich erkennbar. Der Auf- bzw. Abbau von Autorität erfolgt von den Äußerlichkeiten und dem Titel, über die Sprache, die Gesprächsthemen. Weiterhin gibt es Unterschiede zwischen den Abteilungen, gegenüber Mitarbeitern der Poststelle ist das Autoritätsgefälle ein anderes, als gegenüber einem Informatiker in der IT Abteilung. Wie Autorität wirkt, können Dritte meist besser beurteilen als man selbst. Entsprechend wertvoll wird ein offenes Feedback unter Kollegen der Compliance sein, wobei auch hierfür das richtige Machtgefälle eine wesentliche Voraussetzung darstellt. Beispiel

Ein besonders „Exemplar“ ist vor diesem Hintergrund der „Kümmerer“, eine Funktion die im Unternehmen nicht offiziell belegt ist, aber immer existiert. Zieht ein Mitarbeiter von einem Standort an den nächsten um, benötigt der Vorstand eine spezielle Büroausstattung, muss ein neues Firmenfahrzeug beschafft werden, kommt dieser Mitarbeiter

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12  Die Ansprechpartner

in Spiel. Er verfügt frühzeitig über exklusive Informationen und registriert ­aufmerksam Veränderungen im Unternehmen, woher und wohin der sprichwörtliche Wind weht, erkennt kaum ein anderer Mitarbeiter früher. ◄ Hier einen regelmäßigen Austausch zu pflegen verhilft der Compliance zu Informationen, die anders kaum zu erhalten sind. Ein weiterer Ansprechpartner bezgl. der Kostenentwicklung der neuen Auslandsniederlassung oder der Buchung einzelner Rechnung auf ein komplexes Projekt ist der damit befassten Mitarbeiter. Nicht das zentrale Rechnungswesen, sondern der Mitarbeiter, welcher den Originalbeleg kontiert und/oder bucht. Die für Compliance relevanten Informationen werden hier erstmalig relevant, bei zweifelhaften Vorgängen wird Alarm geschlagen oder vertuscht. Auch wenn der Mitarbeiter nicht alle Vorgänge an die große Glocke hängen will, können im vertraulichen Gespräch Hinweise erfolgen, wo ein gezieltes Nachfragen geboten ist.

12.6 Informelle Möglichkeiten der Informationsgewinnung Potenzielle Ansprechpartner müssen die Möglichkeit erhalten den CO anzusprechen (Schneider und Funk 2019, S. 110–111). Wer kennt nicht Kollegen, die im preußischen Stechschritt über den Flur eilen, die bei Besuchen in ihrem Büro neben dem Gespräch noch auf ihren Bildschirm starren oder mit dem Smartphone herumspielen. Dieses Verhalten zeigt dem anderen, dass er und seine Arbeit, von geringem Interesse und Wert sind. Mit einem solchen Menschen beschränkt sich das Gespräch auf den nötigen Informationsaustausch. Selbstverständlich steht der CO nicht selten unter Termindruck, kann und darf dies dem Gesprächspartner signalisieren und das verbindliche Angebot eines späteren Gespräches machen. Grundsätzlich sollte aber Offenheit zum Austausch signalisiert werden, schon durch einen offenen Blick, eine kurze, persönliche Ansprache, ein verbindliches, freundliches Auftreten. Informationen unterscheiden sich nicht grundsätzlich von anderen Gütern. Ohne eine exakte Quantifizierung vorzunehmen, erfolgt ein dauerhafter Austausch nur dann, wenn sich Geben und Nehmen für alle Beteiligten in der Waage halten, wie in Abschn. 9.4 bereits ausgeführt. Die Erwartungen von Informanten sind unterschiedlich. Während der eine schlicht Wissen weitergibt, erwartet ein anderer konkrete Schritte zur Abstellung eines aus seiner Perspektive existierenden Missstandes. Der CO wird keine Schnellschüsse vornehmen, zumal die Belastbarkeit einer Information zum Gesprächszeitpunkt kaum beurteilt werden kann. Ob aber eine Information aufgegriffen wird oder nicht wird unmittelbar zugesagt. Dazu gehört auch, dem Ansprechpartner keine Zwischenstände zu melden und unter Umgehung der offiziellen Berichtswege Informationen durchzustechen. Ein Informant befindet sich in einer oft schwierigen Situation. Allen Appellen zum Trotz auf mögliche Missstände hinzuweisen, wird der Vorwurf der Denunziation, der

Literatur

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Nestbeschmutzung hinter vorgehaltener Hand bestätigt. Deshalb gilt es einen Informanten zu schützen. Dies geschieht dadurch, dass möglicher Eifer gedämpft und Aktivitäten als Hilfssheriff eine Absage erteilt wird. Weiterhin können Untersuchungen erst nach einer gewissen Zeit vorgenommen werden, um einen Zusammenhang zu einem möglichen Informationsgeber nicht offensichtlich werden zu lassen. Auf diese zeitliche Lücke wird der Gesprächspartner hingewiesen.

12.7 Verstehen und Verständnis CO sind Experten wissen darum, sind darauf stolz, aber gleichwohl ehrlich bemüht ihre Aussagen an die Zielgruppe anzupassen. Dies gelingt jedoch nur selten, zu selten, wie die „Klopfstudie“ nachweist. Menschen wurden gebeten einem Partner ein Lied „vorzuklopfen“. Dazu wählten sie aus einer Liste von 25 bekannten Musikstücken jeweils drei Lieder aus um anschließend die Melodie auf einer Tischplatte zu klopfen. Sie schätzen die Trefferquote der Zuhörer durchschnittlich auf 50  %, tatsächlich lag diese bei 2,5  Prozent. Diese gravierende Fehleinschätzung begründet sich nicht aus Ignoranz oder Unwillen, Menschen wissen es nicht besser. Es gibt nur eine Möglichkeit, die gravierende Lücke zu schließen: einzelne Vertraute aus einer Zielgruppe gezielt zu fragen, inwieweit das Gesagte verständlich ist oder auch nicht (Epley 2014, S. 179).

Literatur Cialdini R (2013) Die Psychologie des Überzeugens. Huber, Bern Epley N (2014) Machen wir uns nicht vor! Ullstein, Berlin Hagen J (2013) Fatale Fehler. Springer Gabler, Wiesbaden Schneider T, Becker M (2015) Mitarbeiter-Compliance. Schmidt, Berlin Schneider T, Funk K (2019) Aber von mir haben Sie es nicht … ZFRC 3/2019. Schmidt, Berlin Verweyen A (2013) Mut zahlt sich aus. Gabal, Offenbach

Berufsanfänger

13

Zusammenfassung

Junge Menschen, welche in das Berufsleben eintreten, sind keine „unbeschriebenen“ Blätter. Dennoch verändert sich in deren Leben mit dem Eintritt in ein Unternehmen sehr viel. Nicht alleine die äußeren Lebensumstände, auch Werte und Überzeugungen werden neu ausgerichtet. Wie, in welche Richtung diese Ausrichtung erfolgt, wird von vielen Seiten beeinflusst, durchaus in zielgerichteter Absicht. Wie sich die Betreffenden entwickeln, welche ethische Einstellung sich festigt, wie sie zur Compliance stehen wird rasch festgelegt und kann später nur unter großen Anstrengungen verändert werden, wobei sich diese Anstrengung sowohl auf die Compliance, als auch den Betroffenen beziehen. Betrachtet man vor diesem Hintergrund bspw. die in Kap. 14 angesprochenen festen Gruppen entwickelt sich durchaus ein „Wettlauf“ darum, wer die jungen Kollegen als erster erreicht und seine Überzeugungen vermitteln kann. Diesen Wettlauf nimmt eine wirkungsvolle Compliance auf, mit dem festen Vorsatz zu gewinnen. Dann entwickeln die jungen Kollegen ein tragfähiges Konzept der persönlichen Compliance.

13.1 Zwischen Kumpel und Chef Der Auftritt der Compliance wurde bereits in Kap. 7 angesprochen, dennoch gibt es Besonderheiten zu beachten. Das Hierarchiegefälle zwischen einem CO und einem Auszubildenden ist besonders hoch. Wie Kap. 12 aufgezeigt kann ein zu großes Autoritätsgefälle dazu führen, dass sich das Gegenüber nicht meldet, wenn Sachverhalte auffällig werden. Dennoch wird der Versuch des Autoritätsabbaus selten erfolgreich sein. Der CO ist nicht der Kumpel der Auszubildenden. Anpassungen an Kleidung und Sprache würden rasch peinlich, die persönlichen Interessen sind meistens zu unterschiedlich, als das ein angenehmer Dialog darüber erfolgen könnte. © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Schneider, Werkzeuge wirkungsvoller Compliance, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61792-2_13

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13 Berufsanfänger

Entsprechend stellen die Veranstaltungen keine Kuschel- und Plauderveranstaltung dar. Compliance ist ein harter Wettbewerbsfaktor kein softer „nice to have“ Aspekt. Über die Einbindung des Personalwesens wird festgestellt wie andere Schulungen ablaufen, ob Noten bzw. Beurteilungen abgegeben werden und wie dies im Rahmen der Compliance Veranstaltung erfolgen sollte. Dennoch wird der CO dosiert Informationen über sich preisgeben, sich als „Gesicht“ der Compliance darstellen und betonen, für alle Anliegen persönlich zur Verfügung zu stehen. Die folgenden Themen eignen sich für Diskussionen. Inwieweit diese möglich sind, hängt nicht zuletzt vom Reifegrad der Teilnehmer ab. Insbesondere Jugendliche wollen lieber „Cool“ als authentisch wirken, was eine ernsthafte Diskussion nicht vereinfacht.

13.1.1 Wissen über die Compliance Das Informationsverhalten junger Menschen hat sich verändert, die Aufmerksamkeitsspanne ist zurückgegangen, Informationen werden als kleine „Häppchen“ im Internet aufgenommen. Grundlegendes Wissen über die Compliance wird dennoch im Rahmen von Präsentationen vermittelt. Sind aufgrund der Organisation Blockveranstaltungen notwendig, wechseln sich diese Teile mit den aktiven Übungen, welche im weiteren Kapitel aufgeführt werden, ab. Im Rahmen einer allgemeinen Ausführung für Auszubildende macht es wenig Sinn spezielle Regelungen zu zitieren, welche nur einen gewissen Anteil der Mitarbeiter betreffen und ohnehin erst nach der Ausbildung Relevanz erhalten. Vielmehr geht es darum generell auf Gesetze sowie unternehmensinterne Regelungen und deren Relevanz für den einzelnen Mitarbeiter hinzuweisen. In diesem Rahmen kann das Three line of defence Modell knapp erläutert werden. Darauf aufbauend werden die Instrumente der Compliance im Rahmen von Untersuchungen dargestellt, wie bspw. Datenanalysen wirken und welche Möglichkeiten heute bestehen elektronische Kommunikation auszuwerten, aber auch die Möglichkeiten der Kartellbehörden und die Kronzeugenregelungen verwiesen. Damit wird auf die Intention von Kap. 12 Bezug genommen, dass die Angst vor der Aufdeckung von Fehlverhalten wirkungsvoll ist. Die Compliance ist kein zahnloser Tiger, keine Alibiveranstaltung. Gleichzeitig erfolgt der Hinweis, dass die Compliance als Ansprechpartner, als Pro­ blemlöser, zur Verfügung steht, vor allem nach der Ausbildung mit der Übernahme einer festen Position. Dann sollten sie entsprechend vorbereitet sein. Diese Vorbereitung beschränkt sich nicht in Hinweisen auf Richtlinien und die Absolvierung elektronischer Schulungen.

13.1 Zwischen Kumpel und Chef

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13.1.2 Wissensvermittlung Schon bei der grundlegenden Frage, was „Compliance“ bedeutet wird nicht nur die überwiegende Anzahl der Auszubildenden keine Antwort geben können. Hier gilt es schlicht Wissen zu vermittelten. Die weitere Wissensvermittlung unterscheidet sich bei Auszubildenden jedoch grundsätzlich von anderen Mitarbeitern. Von der Mehrzahl der Vorgaben sind Auszubildende schlicht nicht betroffen, weil sie keine eigenständigen Entscheidungen treffen. Weiterhin werden konkrete Compliancevorgaben ohnehin angepasst, einmal erlernte Vorgaben können somit evtl. nicht mehr gelten, wenn diese tatsächliche Relevanz erlangen würden. Wichtiger ist es aus Compliancesicht ein grundsätzliches Verständnis zu wecken, dem Auszubildenden die Möglichkeit zu schaffen ein dauerhaftes Fundament zu bilden, auf dessen Basis er „richtig“ oder „falsch“ entscheidet, sich aber zumindest im Klaren darüber ist, was er tut und welche Konsequenzen daraus erwachsen. Dieses grundlegende Ethikverständnis, davon was „richtig“ und „falsch“ ist hat jeder Mensch, auch ohne das Wort „Ethik“ zu kennen und zu benutzen. Totalitäre Regime unterscheiden sich bei diesem Aspekt nicht grundsätzlich von den ersten Großunternehmen des beginnenden 20. Jahrhunderts. Auch hier wusste der Inhaber angeblich was richtig und falsch war, welche politische Meinung seine Mitarbeiter vertreten sollten, ja mussten, wenn sie ihren Arbeitsplatz behalten wollten. Das Sozialdemokratie und Gewerkschaften ein zu bekämpfendes Übel darstellt war selbstverständlicher Bestandteil dieses Denkens. Die Compliance vertritt eine anderen Ansatz und stellte dabei das erwähnte Motto Immanuel Kant: Sapere aude! – Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen, in den Mittelpunkt. Dies allein reicht jedoch nicht aus, um compliancekonforme Verhaltensweisen zu gewährleisten. Kein Mensch handelt dauerhaft gegen die eigenen Überzeugungen. Selbst jahrzehntelange Diebstähle auf Kosten des Unternehmens, Absprachen mit Konkurrenten oder die Manipulation technischer Daten rechtfertigen die Beteiligten, nicht öffentlich, aber vor sich selbst und innerhalb der Gruppe der Mittäter. Hier erfolgt ein kurzer Rückgriff auf Kap. 4. Die Compliance vertritt keine konsequentialistische Ethik, nach der der Zweck die Mittel heiligt, keine deontologische Ethik, die nur die Handlung beachtet und deren Folgen ausblendet, sondern der Regelutilitarismus, welcher eine Sequenz von Handlungen desselben Typs nach einer Regel beurteilt. Jeder Mitarbeiter, jeder Auszubildender darf schlicht „Nein“ sagen, die Ansichten der Compliance, das Geschäftsmodell des Unternehmens, das Wirtschaftsmodell Marktwirtschaft ablehnen. Die DACH Staaten sind freie Länder mit vielfältigen Möglichkeiten. Wer allerdings grundsätzliche Probleme mit seiner Stellung in Unternehmen und Gesellschaft hat sollte die Konsequenz tragen und sich einen anderen Platz suchen und von dort für seine Überzeugungen streiten. Mit dieser Perspektive ist der Primat der Politik über die Wirtschaft verbunden. Gesetze können aus Sicht des Unternehmens oder einzelner Mitarbeiter falsch, ja unsinnig sein. In einem demokratischen Rechtsstaat können und sollen die Betroffenen dafür eintreten, dass ihre Meinung die Mehrheit überzeugt und zum Gesetz wird. Solange dies nicht möglich ist, gilt es die bestehenden Rechte einzuhalten. Sich

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13 Berufsanfänger

e­ igene Regeln außerhalb des Rechtsrahmens zu geben ist ein zentrales Merkmal krimineller Vereinigungen. Aus diesen Überlegungen leitet die Compliance die Überzeugung ab, dass wir die „Guten“ sind. Selbstbewusst, aber immer mit dem Wissen, dass es sich dabei um eine Momentaufnahme handelt, fanden es doch alle, „Gute“ wie „Schlechte“ vor 500 Jahren angebracht Dieben die Hand abzuschlagen.

13.1.3 Beeinflussung „Beeinflussung“ ist ein zentrales Thema in diesem Kapitel, vor allem weil mit diesem Begriff nicht nur positive Assoziationen verbunden sind, gerade bei CO, welche sich hohe ethische Ansprüche stellen. Bevor andere überzeugt werden können, muss man selbst überzeugt sein. Ansonsten wird statt Begeisterung, ja Leidenschaft, nur Dienst nach Vorschrift erfolgen, was vom Gegenüber nicht unbemerkt bleibt. Hierbei gilt es die jungen Menschen ernst zu nehmen, ihnen Konzepte vorzustellen, mittels derer sie entschieden können, was richtig und was falsch ist. cc

Die Compliance wird ihre Sicht der Dinge erläutern, entscheiden kann nur der Einzelne. Entscheidet sich dieser allerdings anders als vom Unternehmen gefordert, mag er viele Plätze in der Gesellschaft finden, nur eben nicht hier.

Beeinflussung zielt auf die Veränderung von Einstellungen oder die Korrektur von Überzeugungen. Zwar ist ein Nicht-Beeinflussen nicht möglich, wenn Menschen miteinander kommunizieren, diese Perspektive greift aber als Begründung der zielgerichteten Beeinflussung zu kurz. Damit gerät die Beeinflussung schnell in die Nähe von Manipulation. Dabei ist Manipulation eine verdeckt Beeinflussung, mit dem Ziel den Beeinflussten zu übervorteilen. In Deutschland und Österreich sind die Vorbehalte aufgrund der totalitären Zeit des Nationalsozialismus und des kommunistischen Regimes in der ehemaligen DDR besonders groß. Diktaturen setzten in ihrer Indoktrinierung bewusst bei den jungen Menschen an, beginnen spätestens mit 10 Jahren und investieren beachtliche Ressourcen in diese Aufgabe. Adolf Hitler skizzierte 1938 wie Menschen ihr ganzes Leben als Mitglieder nationalsozialistischer Organisationen verbringen und fasst seine Überlegungen zusammen: „… und sie werden nicht mehr frei ihr ganzes Leben“ (Grüttner 2015, S. 288). Dass die Compliance keine Beeinflussung in diesem Sinne betreiben möchte ist unzweifelhaft, dennoch gilt es diesen Aspekt offensiv aufzugreifen und zu vermitteln, wo die entscheidenden Unterschiede liegen. Diese Begründung erfolgt nicht allein gegenüber den Teilnehmern der Schulungen, sondern auch gegenüber anderen Mitarbeitern und der Unternehmensleitung. Wie alle Menschen werden Auszubildende beeinflusst. Im Unternehmen vom ersten Tag an. Daran sind auch die Mitarbeiter beteiligt, welche eine ablehnende Haltung gegenüber der Compliance haben. Die Compliance darf nicht den Gegenspielern das Feld über-

13.1 Zwischen Kumpel und Chef

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lassen, welches ohne große Skrupel überzeugen, ja manipulieren. Ein negatives Wort über „unnütze Vorschriften“, die Kommentierung von Schulungen als „Zeitverschwendung“, die Abwertung der Compliance als „weltfremde Veranstaltung“, hier erfolgt eine bewusste Beeinflussung. Lässt die Compliance diese Protagonisten gewähren, kann es zum Ende der Ausbildung schon, zu spät sein mit der eigenen Beeinflussung zu Beginnen.

13.1.4 Spezielle Form der Beeinflussung Die Compliance bewegt die zukünftigen Entscheider nicht dazu den Vorgaben zähneknirschend Folge zu leisten, sondern überzeugt davon, dass die Compliance einen wichtigen Beitrag zur Zukunftssicherung leistet. Dazu kann eine spezielle Form der Schulung beitragen, wie sie im Folgenden dargestellt wird (Cialdini 2013, S. 110–112). Beispiel

Der Koreakrieg fand von 1950 bis 1953 statt. Der Kalte Krieg hatte bereits begonnen, die McCarthy Ära war in den Vereinigten Staaten eingeläutet. Damit handelte es sich auch um einen Krieg der Systeme mit Kennzeichen eines Glaubenskrieges. Das „Umdrehen“ der zahlreiche Kriegsgefangene, die Überzeugung, dass das eigenen Gesellschaftssystem das Richtige sei diente primär der eigenen Propaganda. Interessanterweise waren Nordkorea respektive die Volksrepublik China damit erfolgreicher als die USA, obwohl die Zahlen der Grenzübertritte bis zum heutigen Tag auf eine größere Attraktivität des kapitalistischen Systems hinweisen. Das gesamte Vorgehen war dabei sanktionsfrei, es wurde kein Druck auf die Gefangenen ausgeübt. Die Gefangenen wurde aufgefordert Äußerungen zu treffen, welche schwach antiamerikanisch oder prokommunistisch waren. Dabei kannten die Gefangenen alleine die amerikanische Realität, während ihnen das Leben im Kommunismus unbekannt war und sie nur auf die Selbstdarstellungen zurückgreifen konnten. Entsprechend trafen sie einen unzulässigen Überkreuzvergleich. Die Ungleichheit der amerikanischen Gesellschaft wurde mit der angeblich klassenlosen Gesellschaft in Nordkorea verglichen, der alltägliche Rassismus in Teilen der USA der internationalen Völkerfreundschaft gegenüber gestellt. Daran schloss sich die Bitte an über entsprechende Themen kleine politische Aufsätze zu schreiben. Druck um Gefangene zur Teilnahme zu bewegen gab es nicht. Den Gewinnern der Wettbewerbe um den besten Aufsatz wurden allenfalls kleine Gewinne, wie einige Zigaretten oder Obst versprochen. Weiterhin gewannen nicht immer die flammendsten Appelle des Kommunismus, auch Texte die grundsätzlich die USA unterstützen und nur schwache Kritik enthielten hatten Gewinnchancen. Dabei wussten die Kriegsgefangenen natürlich, dass ein gewisser kommunistischer Anstrich die Erfolgschancen erhöhte und wer an einem Wettbewerb teilnimmt möchte auch gewinnen. Das Ergebnis war eine freiwillige Aussage, ein Commitment des jeweiligen Teilnehmers. Anschließend wurden einzelne Texte im nordkoreanischen Radio unter Nennung

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des Autors vorgelesen. Entsprechende Sendung wurde auch in Südkorea von amerikanischen Soldaten gehört. Damit war aus der privaten Äußerung ein öffentliches Commitment geworden. Ein besonders Merkmal dieser Meinungsäußerungen ist, das sie von Dauer sind. Der primäre Grund liegt im Ziel der Konsistenz der eigenen Persönlichkeit. Wer seine Überzeugung weiter vertritt ist charakterfest, vertrauenswürdig, vernünftig und sicher. Wer diese öfter wechselt als opportunistisch, wankelmütig, unstet. Die wenigsten wiesen die Chuzpe des deutschen Bundeskanzlers Adenauers auf, der lakonisch festhielt: „was stört mich mein Geschwätz von gestern.“ Damit verfestigte sich die Überzeugung der Beteiligten und war dauerhaft stabil, auch nach Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft. ◄ Womit der Zustand erreicht ist, den die Compliance bezüglich der Überzeugungen der Auszubildenden anstrebt. Die Umsetzung bei den Auszubildenden kann sich an das oben dargestellte Vorgehen anschließen. Ein Wettbewerb wird durchgeführt, kleine Texte zur Compliance verfasst werden und der Gewinner erhält einen Preis. Hierfür können übliche Werbegeschenke, eine Nutzung von unternehmenseigenen Sitzen bei Sportveranstaltungen oder die Begleitung zu Complianceschulungen an anderen Standorten ausgelobt werden. Entsprechende Texte werden im Intranet des Unternehmens veröffentlicht und an stark frequentierten Stellen ausgehangen. Da sich immer mehr Auszubildende nicht mehr präzise schriftlich äußern können, gilt es ergänzend kreative Formate zu entwickeln. So kann durchaus ein witziger Sprechgesang zur Compliance entwickelt werden.

13.2 Einflussbereiche Die Beeinflussung des Denkens ist die Grundlage des Handelns, genauer des Entscheidens. Wie bereits dargelegt handelt kein Mensch auf Dauer illegitim, jede Tat wird gerechtfertigt, vor allem vor sich selbst. Die hier ausgeführten Informationen können falsche Entscheidungen nicht vermeiden, erschweren diese aber dem Betroffenen. Wer Compliance-­Verstöße provoziert, Mittäter im Unternehmen sucht oder als Geschäftspartner seine Vorteile gewinnen will, versucht Situationen zu vermeiden, in den der Ansprechpartner nachdenken kann. Vielmehr soll dieser spontan handeln, erst im Nachhinein den Fehler erkennen, aber keinen Ausweg sehen. Diese Fehler kann das Wissen über die Compliance reduzieren, aber nicht ausschließen. Wobei Fallstudien, welche bspw. die Vorgehensweise des „Anfütterns“ thematisieren durchaus dazu beitragen nicht in falsche Verhaltensmuster zu verfallen. Ebenso wird die in Abschn. 8.3 angesprochene Willensschwäche in bestimmten Situation angesprochen, wobei den Berufsanfängern die prominenten Beispiele aufgezeigt werden.

13.2 Einflussbereiche

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Weiterhin gilt es die Möglichkeit einer Rückkehr, die Korrektur von Fehlern wie sie in Kap. 18 dargestellt werden aufzuzeigen. Der CO vermittelt, dass die Compliance über die notwendige Macht verfügt, Zusagen treffen und einhalten kann. Im Idealfall greift der Betreffende ein, wenn ihm etwas auffällt. Je nach Position und Persönlichkeit über die direkte Ansprache oder die Information des Compliance. Betrachtet man die Stufe des Eingreifens in Kap. 12, kommt der Übernahme der Verantwortung die entscheidende Bedeutung zu. Sicherlich ist ein laufender Kontakt mit den (ehemaligen) Auszubildenden schon aus zeitlichen Gründen nicht möglich, die Auszubildenden sollten jedoch spätestens mit der Übernahme der ersten Verantwortung wissen, dass sie mit dem CO einen kompetenten, wertschätzenden Ansprechpartner besitzen. Das Idealbild der wirksamen Compliance wird nie vollkommende Realität, die Saat einer wirkungsvollen Compliance wird jedoch hier gelegt. Für eine Compliance, welche nicht dem einzelnen Verstoß hinterherläuft, sondern eine Compliance die gemeinsam mit dem Partner das richtige Verhalten diskutiert, Lösungen findet und die Anwendung durchsetzt.

13.2.1 Unternehmenseinsteiger Unter dem Begriff der Einsteiger werden die Mitarbeiter zusammengefasst, welche neu in das Unternehmen kommen und bereits über Berufserfahrung verfügen. Diese verfügen über unterschiedliche Erfahrungen mit der Compliance. Da das Thema aber an erheblicher Relevanz besitzt, sind fast alle damit bereits in Berührung gekommen. Die Lippenbekenntnisse und Richtlinien unterschieden sich kaum. Nicht selten triff die zynische Bemerkung zu, dass die Einsteiger in Sachen Compliance bereits „austherapiert“ sind und kaum noch erreichbar erscheinen. Sicherlich kann es für die Compliance nicht darum gehen, die CO anderer Unternehmen schlecht zu machen und das eigene Konzept als Maß aller Dinge darzustellen. Vielmehr sollte das ehrliche Angebot gemacht werden, die bisherigen Erfahrungen zu schildern, damit auch die eigene Compliance davon profitieren kann. Zentralen Stellenwert erhält allerdings das ehrliche Angebot eines Neustarts. Die Compliance weiß nicht, wie sich Mitarbeiter in seiner vorherigen Position gegenüber dem Thema Compliance aufgestellt hat. Die bei Verfehlungen notwendige Rechtfertigung vor sich selbst, die Angst vor möglicher Aufdeckung, all dies kann jetzt entfallen. Bevor Verflechtungen und gegenseitige Abhängigkeiten entstehen darf sich der Mitarbeiter an die Compliance wenden. Diese wird aufzeigen, wie ein wirksamer Schutz möglich ist. Allerdings gilt es, ein Vorspielen nicht bestehender Möglichkeiten zu vermeiden. Neue Mitarbeiter haben meist feine Antennen für die tatsächliche Machtsituation im Unternehmen und stellen rasch fest wie es um den Stellenwert der Compliance bestellt ist.

154

13 Berufsanfänger

13.2.2 Trainees Viele Unternehmen stellen Hochschulabsolventen als Trainees ein und bieten diesen neben verschieden Stationen im Rahmen des Programmes gemeinsame Veranstaltung an. Diese Möglichkeit sollte die Compliance aufgreifen. Der Unterschied zu den Auszubildenden in Alter, Dauer des Programmes und Wissensstand ist zu groß, um ein gemeinsames Programm zu initiieren. Dennoch gilt es auch diese Mitarbeiter zu erreichen, bevor es aufgrund eingefahrener Handlungs- und Denkweisen sehr viel schwieriger, wenn nicht unmöglich wird. Moral und Ethik spielten in der Ausbildung von Wirtschaftswissenschaftlern, Juristen und Ingenieuren lange Zeit keine Rolle. Zwar intensivieren Hochschulen nunmehr die Ausbildung in diesen Bereichen, die meisten Absolventen kommen jedoch ohne fundiertes Wissen in das Unternehmen. Hier gilt es die dargestellten, grundsätzlichen Kenntnisse zu vermitteln und zu verdeutlichen, dass es sich bei Compliance nicht um die Einhaltung der Höchstgrenzen bei der Bewirtung, sondern eine grundsätzliche Denk- und Handlungsweise handelt. Die dargestellten Grundlagen der Ethik müssen für jede Mitarbeiter, welcher sich mittelfristig als Führungskraft positionieren will präsent sein, um auf dieser Grundlage seine Tätigkeit zu gestalten. Um es mit Peter Drucker auszudrücken: „You are visible; you’d better realize that you are constantly on trial. The rule is: I don’t want to see a pimp in the mirror when I shave in the morning. Leaders lead by the infectious example of integrity, not by charisma“ (Beatty 1998, S. 172). Darüber hinaus gehend kann für Trainees eine Ausbildungsstation in der Compliance gebildet werden (Schneider und Becker 2015, S. 184–188). Dann sollte allerdings im Vorfeld eindeutig geklärt sein, in welchem konkreten Projekt die Trainees mitarbeiten können. Sicherlich können diese bei den hier vorgestellten Schulungen mitwirken und diese aus ihrer Perspektive bereichern. Die Durchführung erfolgt allerdings weiterhin durch einen erfahrenen CO, auch um dem oben angesprochenen Machtaspekt zu entsprechen. Sozialer Einfluss verläuft nicht in einer Richtung, nicht nur die Mehrheit dominiert die Minderheit. Erneuerung und Fortschritt werden oft durch Einzelne oder Minoritäten ausgelöst. Dieser Minoritätseinfluss ist die entscheidende Treibfeder für Innovationen und sozialen Wandel. Eine Minorität ist dann erfolgreich, wenn sie einen abweichenden Standpunkt konsistent verfolgt, diesen also einstimmig und über die Zeit hinweg vertritt (Stürmer 2009, S.  142). Ehemalige Trainees bilden oft standort- und funktionsübergreifend eine solche Gruppe, woraus sich unmittelbare Chancen für die Compliance ergeben.

13.2.3 Beeinflussung der Mehrheit Junge Mitarbeiter sind Trendsetter, diese bringen Ideen ein, welche erst von der Mehrheit der Gesellschaft abgelehnt werden, aber zukünftig mehrheitsfähig werden können, irgendwann in Gesetzte einfließen und spätestens dann für die Unternehmen relevant werden. Natürlich sind die Auszubildenden nur ein Teil der Jugend, ihre Meinung besitzt aber

13.3 Fürsorge der Compliance

155

deshalb für das Unternehmen besondere Relevanz, weil sie über die Leistungen des Unternehmen überdurchschnittlich gut informiert sind und in ihrem Bekanntenkreis darüber sprechen. Diese Stimmungen gilt es seitens der Compliance aufzugreifen, in Veranstaltungen, insbesondere den in Kap. 16 anzusprechenden Schulungen zu reflektieren. Warum diese für die Compliance bedeutsam sind, wird bei der Auseinandersetzung mit dem Spannungsverhältnis von Legalität und Legitimität deutlich.

13.3 Fürsorge der Compliance Der Managementautor Reinhard Sprenger entwickelt in seinem Buch: „Das Anständige Unternehmen“ Kriterien was richtige Führung ausmacht – und was sie weglässt. Zu Beginn zitiert Sprenger den Theologen Dietrich Bonhoeffer: „Wenn wir nicht den Mut haben, wieder ein echtes Gefühl für menschliche Distanzen aufzurichten und darum persönlich zu kämpfen, dann kommen wir in einer Anarchie menschlicher Werte um“ (Sprenger 2015, S. 5). Bei seinem dritten Prinzip des anständigen Unternehmens „Versuche nicht Menschen zu verbessern“ geht Sprenger explizit auf Ethikseminare und die Compliance ein und bestreitet er deren Sinnhaftigkeit, ja Anständigkeit (Sprenger 2015, S. 172–179). Damit ist die Compliance unmittelbar angesprochen, welche den Vorwurf der „Unanständigkeit“ nicht unkommentiert lassen kann. Sprenger mag mit der Ablehnung des paternalistischen Konzepts der „Fürsorgepflicht“ nicht grundsätzlich falsch liegen. Er verwirft dieses Konzept mit dem Hinweis auf den Respekt vor dem Willen des Anderen und seiner Fähigkeit über sein Leben selbstständig zu entscheiden und Probleme selbst zu lösen (Sprenger 2015, S. 141). Um eine Lösung zu finden gilt es Aufgabe, Kompetenz, Verantwortung als Bestandteile jeder Stellenbesetzung, jeder Aufgabe im Unternehmen näher zu betrachten. Die Betrachtung beginnt mit der Verantwortung. Bei Sachverhalten die das Thema Untreue betreffen ist es dem Mitarbeiter möglich Verantwortung zu tragen, bei Verstößen gegen das Kartell- und Wettbewerbsrecht dagegen kaum praktikabel. Die Strafen sind im Regelfall derart hoch, dass der bzw. die verursachenden Mitarbeiter diese nicht tragen können. Die Verantwortung für Entscheidungen, die in compliancerelevanten Bereichen fallen, kann deshalb der einzelne Mitarbeiter nicht alleinverantwortlich tragen. Die Unternehmensleitung würde damit einer Gefährdung des Fortbestandes des Unternehmens Vorschub leisten, das Risiko ist schlicht zu groß. Vor diesem Hintergrund ist der Begriff „Fürsorge“ unangebracht, vielmehr geht es um Verantwortung. Nicht alleine für den handelnden Mitarbeiter, sondern das Unternehmen als Ganzes. Die Aufgabe eines Mitarbeiters hat keinen unmittelbaren Bezug zur Compliance, solange er nicht für eine kriminelle Vereinigung tätig ist, wohl aber die Mittel welche zur Erfüllung der Aufgabe, zur Erreichung der Ziele eingesetzt werden. Damit ist die Compliancerelevanz der Handlungen des Mitarbeiters angesprochen und der Bogen zum nächsten Aspekt der Aufgaben eines Mitarbeiters, der Kompetenz, geschlagen. Hat dieser die Kom-

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13 Berufsanfänger

petenz, soll dieser die Kompetenz besitzen über die Compliancekonformität seiner Handlungen zu entscheiden oder sollen dies andere tun? Die Kompetenz zur richtigen Entscheidung wird durch die Kenntnis der einschlägigen Gesetze und deren Auslegung durch die Gerichte sowie das Wissen um unternehmensinterne Richtlinie begründet. Aufgrund der, bereits erwähnten, Unschärfe der Regelungen können niemals alle Eventualitäten abgebildet werden. Vielmehr werden grundlegende Prinzipien zur Entscheidungsfindung herangezogen, das Ethikverständnis des Betroffenen unterscheidet dann zwischen „richtig“ und „falsch“. Völlig zu Recht sollte kein M ­ itarbeiter zu einem bestimmten Ethikverständnis gezwungen werden. Dennoch stellen verbindliche Veranstaltungen zum Thema „Ethik“ keinen unzulässigen Eingriff in die Autonomie der Mitarbeiter dar. cc

Der Verantwortungsethiker muss vor sich selbst, dass Unternehmen vor dem Gesinnungsethiker geschützt werden.

Wenn im Sinne der Verantwortungsethik der Zweck die Mittel heiligt, entsteht für die Compliance eine problematische Situation, die Gefahr von Compliance-Verstößen ist ständig präsent. Wenn sich dagegen die Verantwortung nicht auf die eigene Aufgabe, sondern auf das Unternehmen als Ganzes bezieht, kann daraus ein belastbares Handlungskonzept entwickelt werden. Eine ausschließliche Konzentration auf die Gesinnungsethik ist angesichts des aufgezeigten Spannungsverhältnisses im Wettbewerb für das Unternehmen problematisch. Wer nicht ausprobiert, nicht Grenzen auslotet, seine Position zwischen Wettbewerb und Wettbewerbsvorteile nicht laufend justiert, gerät schnell in eine extreme Position. Nur den Vorteil des Unternehmens oder nur den Vorteil der Geschäftspartner zu sehen führt angesichts der Komplexität des Marktgeschehens unweigerlich in eine Sackgasse, entweder für das Unternehmen oder für den Betroffenen. Auf dieser, freiwilligen, Einordnung der eigenen, individuellen Ethik können Compliancevorgaben aufbauen. Gemeinsam mit dem Mitarbeiter werden Umfang und Intensität der Complianceeingriffe festgelegt. Selbstverständlich ist es würdelos, wenn der Leiter des Vertriebs in Asien bei kleinen Aufmerksamkeiten eine Genehmigung benötigt und nicht selten die Geschenke zurücksenden muss, solange diese das Konzept der Verantwortungsethik bejaht. Hier sollen die regelmäßige Erstellung einer Übersicht und die Weitergabe an die Compliance ausreichen. Der junge Mitarbeiter der Projektbetreuung einer Baustelle in Afrika benötigt eine intensivere Unterstützung, vielleicht auch stärkere Eingriffe der Compliance. Der Mitarbeiter, der sich dagegen unwillig zeigt eine Auseinandersetzung mit dem Konzept der Ethik zu führen, wer seine Denkweisen und Motive nicht offenlegen möchte darf dies tun. Das daraus resultieren erhöhte Risiko für die Compliance wird jedoch zu einer stärkeren Überwachung führen. Einen Tod müssen die Compliance und die betroffenen Mitarbeiter sterben. Entweder den der Infantilisierung, welche jede Entscheidung abnimmt oder den der ethischen Auseinandersetzung und der Abstimmung der eigenen Werte mit der Compliance. Wer, wie

Literatur

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Sprenger, beides ablehnt liegt falsch, gräbt bildlich gesprochen an der Grube mit, in die Mitarbeiter und anschließend das Unternehmen fallen werden.

Literatur Beatty J (1998) The world according to Peter Drucker. Broadway, New York Cialdini R (2013) Die Psychologie des Überzeugens. Huber, Bern Grüttner M (2015) Brandstifter und Biedermänner. Klett-Cotta, Stuttgart Schneider T, Becker M (2015) Mitarbeiter-Compliance. Schmidt, Berlin Sprenger R (2015) Das anständige Unternehmen. DVA, München Stürmer S (2009) Sozialpsychologie. Reinhardt, München

Die Gruppen

14

Zusammenfassung

Die Compliance zielt bei ihrem Vorgehen grundsätzlich auf den Einzelnen. In der Tradition der Rechtwissenschaften, welche keine kollektiven Handlungen kennt, sondern nur das einzelne Individuum freispricht oder verurteilt. Dabei mögen die Umstände einfließen, grundsätzliches Credo bleibt jedoch, dass der Einzelne eine Entscheidung eigenverantwortlich trifft und verantwortet. Dieser Tradition berücksichtigt nicht die Gruppe, welcher dieser angehört. Dabei ist wirtschaftliches Handeln immer auch soziales Handeln, da es sich sinnhaft am Verhalten anderer orientiert, zum kollektiven Repertoire (selbst-)verständlicher Verhaltens- und Handlungstypen gehört, auf Erwartungen anderer zu reagieren oder sich gegenüber anderen zu rechtfertigen bzw. rechtfertigen zu können (Hedtke 2014, S.  1). Wirtschaftlich  Handelnde sind in soziale Gruppe und Organisationen eingebunden. Eine Gruppe ist mehr als die Summe der Mitglieder, führt quasi ein „Eigenleben“. Deren Funktionsweise wird nicht zuletzt deshalb verdeutlicht, weil die Mehrzahl der schwerwiegenden, lang anhaltenden Compliance-­Verstöße von Gruppen begangen werden.

14.1 Funktionsweise von Gruppen Das Menschen nicht alleine leben, arbeiten und entscheiden, sondern sich in großem Maße an anderen Gruppenmitgliedern orientieren und sich der Mehrheitsposition anpassen selbst dann an, wenn dies offensichtlich falsch ist, kann eindrucksvoll belegt werden. Abb. 14.1 zeigt drei verschiedene Linienlängen auf (Stürmer 2009, S. 139). In zwölf Durchgängen mussten die Versuchsteilnehmer angeben, welche von den drei Vergleichslinien die gleiche Länge wie die Referenzlinie hat. War der Versuchsteilnehmer

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Schneider, Werkzeuge wirkungsvoller Compliance, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61792-2_14

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160

14  Die Gruppen

Abb. 14.1  Linienlänge und Einschätzung. (Eigene Darstellung)

alleine anwesend erfolgte in 95 % der Fälle kein einziger Fehler. In der Vergleichsgruppe gaben mehrere andere Personen einstimmig ein falsches Urteil ab. Unter diesen Bedingungen waren 37 % der Urteile der Vergleichspersonen falsch. Nur noch 24 % der Teilnehmer ließen sich in keinem Versuchsgang beeinflussen und gaben immer die korrekte Antwort ab. Wie die Ergebnisse in der Realität aussehen würden, wenn Menschen tagtäglich miteinander agieren und durchaus Druck ausgeübt werden kann, mag der Leser abschätzen. cc

Der Einzelne handelt nie alleine.

Selbst wenn dies scheinbar so aussieht. Ein typisches Beispiel ist der Straßenverkehr, mit seinen grundsätzlich eindeutigen Regeln. Fast alle Menschen halten eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 5 km/h auf einer einsamen Landstraße für legitim, fast keiner eine Fahrt unter starkem Alkoholeinfluss für vertretbar. Diese Meinung wird jedoch nicht autonom getroffen, sondern in der relevanten Gruppe verhandelt. So kommt es, dass kleine Gruppen öffentliche Straßen als Rennstrecken nutzen und mit den Ergebnissen ihrer Rennen prahlen, in ihrer Gruppe. Wie bereits erwähnt, handelt kein Mensch dauerhaft illegitim, wobei die Legitimität durch die Gruppe, welcher sich der Einzelne zugehörig fühlt definiert wird. Davon unmittelbar betroffen sind auch das Arbeitsleben und die Festlegung, wie Aufgaben durchgeführt werden und welches Leistungsniveau als zufriedenstellend angesehen wird. Die Beurteilung von Vor- und Nachteile von Gruppen für die Compliance erfordert ein genaues Betrachten der Funktionsweisen, insbesondere den Einfluss der Gruppe auf das einzelne Mitglied. cc

Menschen betrachten ihr Verhalten in einer gegebenen Situation in dem Maße als richtig, in dem sie dieses Verhalten bei anderen beobachten.

Noch stärker wird diese Beobachtung innerhalb einer Gruppe (Cialdini 2013, S. 187). Am meisten folgen Menschen anderen und machen deren Verhalten zur Richtschnur ihres Handelns, wenn sie unsicher sind und die Situation ungewiss oder mehrdeutig ist.

14.1 Funktionsweise von Gruppen

161

Beispiel

Bei einem Versuch, bei dem ein Schauspieler einen epileptischen Anfall simulierte, half ein einzelner Beteiligter in 85 % der Fälle, waren dagegen fünf Zuschauer anwesend, reduzierte sich die Zahl der Hilfsbereiten auf durchschnittlich 31 %. Dabei handelt es sich bei den Versuchsteilnehmern um Menschen die einander fremd sind. ◄ Die Mitarbeiter eines Unternehmens kennen sich dagegen oft persönlich, in einer Arbeitsgruppe immer. Ähnlichkeit ergibt sich zwangläufig aufgrund vergleichbarer Ausbildung und Arbeitsgeberauswahl, auch das Alter und Geschlecht sind bei Mitgliedern von Arbeitsgruppe meist ähnlich. Je ähnlicher sich Menschen betrachten, umso größer ist der Einfluss auf das eigene Verhalten, selbst wenn diese unbekannt sind. Kinder die im Kindergarten abseits standen wurde ein 23 minütiger Film gezeigt. Ein abseits stehendes Kind beobachtete andere Kinder und beteiligte sich später an deren Aktivitäten. Nach der einmaligen Betrachtung waren sechs Wochen später die Kinder, welche den Film betrachtet hatten die sozial aktivsten (Cialdini 2013, S. 170). Wird auf Gruppen Druck ausgeübt, schließt sich bildlich gesprochen die Wagenburg. Der Unterschied zwischen „uns“ und „denen“ wir immer größer. Beispiel

Wie weit dies gehen kann, zeigte der kollektive Selbstmord von 910 Menschen in Guyana, welche als Sektenmitglieder 1978 geordnet und freiwillig in den Tod gingen. Sie waren ein Jahr zuvor von San Francisco in den Dschungel geflohen, nun drohte eine Untersuchung durch US-Behörden. Die Betroffen waren auf sich selbst gestellt, von vermeintlichen Feinden umgeben und ohne Kontakt zu anderen Menschen. Der Aufforderung Gift zu nehmen kamen praktische alle Sektenmitglieder nach. ◄ Insbesondere in Unsicherheit schauen Menschen auf andere und eifern diesen nach. In Experimenten lässt sich die Funktionsweise von Gruppen gut beobachten (Dörner 2003, S. 278–292). Je größer der Einsatz, ja die Opfer, umso stärker ist die Tendenz, dass diese nicht vergeblich sein dürfen. Abb. 14.2 verdeutlicht die Funktionsweise einer solchen Gruppendenke. Wobei „+“ für Verstärkung und „−“ für Verringerung steht. „Erfolg“ bzw. „Misserfolg“ markieren den einen oder anderen Ausgang (Dörner 2003, S. 284). Beispiel

Eine Gruppe wurde im Rahmen der Simulation vor die Aufgabe gestellt ein krisenhaftes Unternehmen wieder zum Erfolg zu führen. Nicht unerwartet kam es zu heftigen Auseinandersetzungen über den richtigen Weg. Irgendwann wurde ein Maßnahmenpaket vereinbart, welches als fauler Kompromiss alle Vorschläge zu berücksichtigen versuchte. Nicht unerwartet wurde so die Krise verschärft, es drohte kurzfristig die Insolvenz. Daraufhin setzen sich die Streithähne zusammen und fanden eine durchdachte

162

14  Die Gruppen

Abb. 14.2  Bedingungen der Gruppendenke. (Dörner 2003, S. 284)

Kompromissstrategie. Die Strategie war wirksam. Nun war Einigkeit angesagt, da alle Beteiligten einen erneuten Streit vermeiden wollten. Die gewählte Strategie war erst einmal erfolgreich, allerdings nicht von Dauer. Das schlimme war allerdings, dass es nicht ausschließlich abwärts ging, sondern immer wieder kurze Aufschwungphasen zu verzeichnen waren. Diese bekräftigten die Gruppe an der Strategie festzuhalten, beim Misserfolg wurde das Vorgehen ein wenig modifiziert, aber grundsätzlich beibehalten. Die Gruppenmitglieder waren der Meinung das Beste herausgeholt zu haben. Die tatsächlichen Ergebnisse sprachen allerdings eine andere Sprache, die Gruppe schnitt unterdurchschnittlich ab. Der anfängliche Streit hatte die Teilnehmer so verschreckt, dass

14.1 Funktionsweise von Gruppen

163

sich die Solidität über alles stellt und kritische Diskussionen ausblendeten. So entstand eine strategische Inflexibilität. Eine solche Gruppe hält an ihrer Strategie fest, solange die Ergebnisse nur schlecht, nicht aber sehr schlecht sind. ◄ Im oben dargestellten Versuch gab es in einer weiteren Gruppe eine etwas andere Entwicklung. Beispiel

Auch hier entwickelte sich anfangs ein Streit zwischen zwei Beteiligten, den einer der Protagonisten klar für sich entscheiden konnte. Der Unterlegene wurde auf einen unbedeutenden Posten abgeschoben. Der Alleinentscheider entwickelte sich rasch zum Alleinherrscher, mit entsprechenden Gefolgsleuten, welche seine Herrschaft und Strategie legitimierten. Die Entscheidungen waren gut und richtig, allerdings nur für eine gewisse Zeit. Dann änderten sich die Umstände und die alten Antworten passten nicht mehr für die neuen Herausforderungen. Die anderen Gruppenmitglieder hielten still, der Mitarbeiter mit eigenen Ideen war längst kalt gestellt und reagiert nur noch zynisch. Der Gruppenherrscher war in seiner eigenen Illusion gefangen, wollte nicht Prinzipienlos erscheinen um bei seinen Gefolgsleute nicht das Vertrauen zu gefährden. Keiner wies auf den Bedarf eines grundsätzlichen Strategiewechsels hin, solange nicht die völlige Katastrophe droht. ◄ Die Bedingungen mögen sich ändern, die Strategie bleibt dennoch bestehen. Abb. 14.3 erläutert diese Denkweise im Loyalitätszirkel (Dörner 2003, S. 290). Wer die Geschichte von einst gefeierten und später verteufelten Unternehmen wie Nokia oder Yahoo, HP oder RIM (Blackberry) betrachtet, erkennt viele der dargestellten Mechanismen wieder. Anderseits gilt es nicht die Vorteile von Gruppe außer Acht zu lassen. Die Mitglieder kennen und vertrauen einander, die Mitglieder starker Gruppen haben oftmals das gleiche Geschlecht, Ausbildung und sozialer Status sind ebenfalls vergleichbar. Der Einzelne weiß wie der andere „tickt“, kann zuverlässig einschätzen wie dieser in einer bestimmten Situation reagieren wird. Damit verfügt die Gruppe über eine ungeheure Flexibilität, ­Entscheidungen können rasch getroffen und umgesetzt werden. Der Preis wurde allerdings schon oben erwähnt: ist eine grundsätzliche Neuausrichtung erforderlich, versagt die Gruppe, wobei die Stärke des Versagens in unmittelbarem Zusammenhang zur Gruppenstärke steht. Gruppen können aus zwei Perspektiven betrachtet werden: Gruppen im Unternehmen bzw. über die Unternehmensgrenzen hinweg und die Compliance als Gruppe bzw. einzelne Gruppen innerhalb der Compliance, wobei letzteres nur bei größeren Organisationen besteht.

164

14  Die Gruppen

Abb. 14.3  Loyalitätszirkel. (Dörner 2003, S. 290)

14.2 Gruppen innerhalb des Unternehmens Das Compliance-Verstöße sowohl von einzelnen Mitarbeitern wie von Gruppen begangen werden ist eine triviale Erkenntnis. Auf spektakuläre Einzeltaten wie die Taten Nick Leesons bei der Baring Bank oder Jérôme Kerviel bei der Société Générale wurde bereits kurz eingegangen. Dolose Handlungen eines Einzelnen zu verhindern ist Aufgabe des Internen Kontrollsystems, wie es in Kap. 10 dargestellt wurde. Die Compliance ist hierfür schlicht nicht zuständig und sollte dies insbesondere im Falle des Versagens des IKS deutlich adres­sieren. Bei einem funktionsfähigen IKS besteht die Möglichkeit für Gruppe gegen Compliance Regeln zu verstoßen. Oft über einen sehr langen Zeitraum, so war das Schienenkartell bspw. 30 Jahre aktiv. Hier bleiben Kontrollinstrumente wie das Vier Augen Prinzip, die Aufgabenrotation und die Kontrollfunktion des Vorgesetzten unwirksam. Eigene Werte werden über die im Unternehmen proklamierten Grundsätze, ja die Gesetze gestellt. Diese Werte werden konsequent eingehalten und stellen in der Perspektive der Gruppenmitglieder ehrenwerte Grundlagen der Zusammenarbeit dar, nicht umsonst bezeichnet sich die italienische Mafia als „ehrenwerte“ Gesellschaft.

14.2 Gruppen innerhalb des Unternehmens

165

Gruppen, die durchaus als kriminelle Vereinigungen bezeichnet werden können, offenbaren ihre Existenz nicht. Damit steht die Compliance vor der Herausforderung solche Gruppe zu erkennen um dann zielgerichtet gegen diese vorzugehen. Wer hier an einen Jäger im Nebel auf dem Hochsitz denkt, liegt nicht grundsätzlich falsch. Bildlich gesprochen einfach drauflos zu ballern ist wenig erfolgsversprechend. Lärm und Gestank belästigen Dritte, der Hirsch läuft ungerührt weiter durch den Forst. Leider erreicht die Compliance mit ihrem Vorgehen oft das Gegenteil des Erwünschten. Eine Null Toleranz Politik deren Bestandteil drakonische Strafen bei Compliance Verstößen ist, schweißt entsprechende Gruppe noch stärker zusammen und verbaut Mitgliedern den Rückweg in die Legalität. Wie mit Delinquenten verfahren werden kann entwickelt Kap. 18. Weiterhin kommt den Gruppenleitern die sog. kognitive Dissonanz entgegen. Mittels dieses Phänomens bringen Menschen widersprüchliche Impulse unter Kontrolle. Diese folgt dem starken Drang zur Bewahrung einer Konsistenz, welche die geistige Gesundheit des Einzelnen erhält. Diesen Konflikt haben typischerweise Menschen, welche dem aufgezeigten Prinzip des Regelutilitarismus folgen wollen, aber von anderen Gruppenmitgliedern unter Druck gesetzt werden diesem entgegengesetzt zu handeln, bspw. indem sie eine persönliche Bereicherung unterstützen. In diesem Dilemma gibt es zwei Lösungswege: man leistet Widerstand womit ein Ausschluss aus der Gruppe, Unannehmlichkeiten am Arbeitsplatz, vielleicht auch die Beschneidung beruflicher Möglichkeiten droht oder man erleichtert sich die Situation, zumindest ein wenig, indem man bspw. wegsieht, wo man hinsehen sollte, einen Vorgang nicht gegenüber der Compliance thematisiert, welcher angesprochen werden müsste. Diese Verhaltensweise zeigt sich in extremen Situation und wurde unter dem Begriff des „Stockholm Syndroms“ bekannt, als sich die Geisel in einer schwedischen Bank binnen kurzer Zeit mit ihren Geiselnehmer solidarisierten (Robertson 2013, S. 271–276). Für die Compliance gilt es Auswege glaubhaft anbieten, vergleichbar mit den Kronzeugenregelungen, die die Kartellbehörden als wirksames Instrument gegen wettbewerbswidrige Absprachen entwickelt haben. Bei einem möglichen Ausweg gilt es die Situation des Betroffenen zu berücksichtigen, konkret was mit ihm geschehen soll, wenn praktisch alle unmittelbaren Kollegen belangt werden und dieser sich seine berufliche Zukunft nicht im Unternehmen vorstellen kann. Entsprechend solle eine neue Position gefunden, aber auch als letzte Lösung eine großzügige Abfindungsregel implementiert werden. Weiterhin gilt es eine spezifische Schwäche dieser Gruppen zu nutzen: insbesondere wenn diese über längere Zeit bestehen, müssen immer neue Mitglieder gewonnen werden, welche bspw. nach der Ausbildung oder dem Eintritt von einem anderen Unternehmen eingebunden werden. Zu diesem Zeitpunkt ist eine Offenbarung des kriminellen Verhaltens für den Betroffenen noch relativ einfach möglich. Vor diesem Hintergrund sind die Ausführung zu den Berufsanfängern in Kap. 13 und das Thema Schulungen in Kap. 16 zu betrachten. Hier werden ethische Konzepte vermittelt und Werte geteilt, die es dem Einzelnen ermöglichen die Argumentation der Gruppenmitglieder zu durchkreuzen, welche

166

14  Die Gruppen

angeblich nur einen „gerechten“ Anteil am Unternehmensergebnis in Anspruch nehmen. Diese Möglichkeit besteht für den Einzelnen allerdings nur eine kurze Zeit. Um das Bild aus Abb. 14.1 aufzugreifen: rasch beurteilt dieser die Länge der Striche so wie die Mehrzahl der Gruppenmitglieder. Die Compliance kann entsprechend Prüfungen in besonders sensiblen Bereichen durchführen, wenn ein neues Mitglied im Idealfall als Lehrling oder Trainee Complianceschulungen durchlaufen hat und etwa drei Monate in der neuen Funktion tätig ist. Im Rahmen einer Prüfung findet sich die Möglichkeit für ein vertrauliches Gespräch. Wenn der betreffende Mitarbeiter noch nicht fest in die Gruppe eingebunden ist, lassen sich meistens erste, schwache Signale bemerken, auf die die Prüfung aufsetzen kann. Eine Gruppe von innen heraus zu ändern bzw. zu schwächen oder aufzulösen ist ein komplexer, lang andauernder Prozess. Diesen kann die Compliance nicht alleine gestalten, vielmehr ist eine Zusammenarbeit mit der Organisationseinheit, dem Personalwesen, evtl. der Unternehmensleitung erforderlich. Die Vor- und Nachteile fester Gruppen, gelten für alle Unternehmensbereiche. Die Welt ändert sich zu schnell, als das nicht hier Veränderungen erforderlich wären. Das Personalwesen kann und wird die Entwicklung beobachten und wo notwendig Veränderungen initiieren (Schneider und Geckert 2016, S. 117). Der Zusammenhalt der Gruppe wird geschwächt. Neue Mitglieder werden regelmäßig zugeführt. Dabei wird zeitweise Zusammenarbeit nicht ausreichen, wobei grundsätzlich auch Auszubildende einzusetzen sind. Das häufige Gegenargument: zu komplexe Aufgaben, Sicherheitsbedenken, zu gefährlich, zu dreckig, zu langweilig werden ignoriert. Ist es unmöglich, Mitarbeiter für dieses Aufgabenfeld zu finden, gilt es die Attraktivität zu erhöhen oder die Aufgabe fremd zu vergeben. Ergänzende Maßnahmen sind: • • • •

Räumliche Trennung der Mitglieder, Erhöhung der Gruppengröße, Reduzierung der Gruppenzusammenkünfte, Erhöhung des Konkurrenzdenkens, Aufteilung in Untergruppen und Vergleich des Ergebnisses.

In Zeiten der Veränderung, der Unruhe weitet die Compliance gezielt ihre Aktivitäten aus und zeigt durch die persönliche Präsenz Ansprechmöglichkeiten auf. Vergleichbare Möglichkeiten ergeben sich wenn aufgrund einer negativen wirtschaftlichen Entwicklung eine Umstrukturierung, vielleicht sogar Freistellungen erfolgen sollen. Wollen einzelne Beteiligte in diesem Zeitraum ihr Gewissen entlasten, sollte die Compliance zur Stelle sein.

14.3 Die Compliance als Gruppe Die Voraussetzungen zur Entstehung einer Gruppe sind in der Compliance fast idealtypisch gegeben. Die Anzahl von fünf bis zwanzig Mitgliedern, direkte Interaktionen, physische Nähe, gemeinsame Ziele, die Beeinflussung des eigenen Handelns durch andere

14.3 Die Compliance als Gruppe

167

und die langfristige Zusammenarbeit (Staehle 1994, S.  248). Entsprechend kann davon ausgegangen werden, dass viele Compliance Organisationen eine Gruppe darstellt. Die Gruppe Compliance kann und wird bestehen bleiben, womit noch nicht die Frage der Stärke des Zusammenhalts geklärt ist. Der einzelne CO, als auch die Gemeinschaft muss für sich entschieden, ob sie eine Stärkung oder Schwächung dieses Zusammenhalts akzeptieren will, um wirksamer zu werden. Sicherlich hat jeder einzelne CO eine Vorstellung von der optimalen Gruppenstärke. Einer plant gemeinsame Freizeitaktivitäten mit den Kollegen, denen sich ein anderer mit vorgeschobenen Terminen zu entledigen sucht, mancher freut sich auf die Weihnachtsfeier mit dem informellen Austausch, ein anderer denkt daran mit Schrecken. Meistens pendelt sich unbewusst ein Gruppenzusammenhalt ein, einzelne Kollegen verbringen mehr Zeit miteinander, andere weniger, meistens sind die Beteiligten mit der Situation nicht unzufrieden, wobei es immer ein fragiles Gebilde bleibt, welches der laufenden „Feinjustierung“ bedarf, wenn bspw. neue Kollegen hinzukommen oder ein Mitarbeiter hierarchisch aufsteigt. Damit ist eine Complianceorganisation sowohl eine organisch gewachsene Primärgruppe, als auch eine Sekundärgruppe als bewusst geplante, rational organisierte Gruppe mit spezieller Arbeitsteilung. Kohäsion ist der Maßstab für die Stabilität und Attraktivität einer Gruppe. Höhere Kohäsion entwickelt sich unter den folgenden Voraussetzungen: kleinere Gruppen bis 20 Mitglieder, erfolgreiche Gruppen, homogene Gruppen in Ausbildung und Einstellung, Gruppen die eine Vielzahl sozialer Kontakte erlauben, Gruppen ohne starken Intragruppen Wettbewerb, hohe Einigkeit über Gruppenziele (Staehle 1994, S. 263, 264). Dass diese Voraussetzungen meistens auf die Compliance Organisation zutreffen bedarf nicht der weiteren Begründung. Zwar können damit keine Aussage über die Leistung verbunden werden, generell aber nimmt die Leistungsstreuung ab. Leistungen werden nivelliert, es wird Durchschnitt produziert. Diesen Durchschnitt anzuheben ist der Anspruch des vorliegenden Buches. Mit zunehmender Gruppenstärke nimmt bei den Mitgliedern die Intoleranz gegenüber Abweichlern zu, scheut die Gruppe Innovationen und erschwert Kreativität, während die Abschottung nach außen zunimmt (Wiswede 2012, S. 107). Wirksamkeit benötigt gewisse Veränderungen, genauer, die Bereitschaft Veränderungen vorzunehmen wenn diese erforderlich werden. Vor dem Hintergrund des vorliegenden Buches gilt es die Vorschläge zu prüfen, um darauf aufbauend zu entscheiden wo alles bleiben kann wie es ist und wo nicht. Dass darüber kontroverse Ansichten bestehen ­werden ist keine Ausnahme, sondern die Regel. Damit kann festgehalten werden, dass sich notwendige Veränderungen nicht allein auf die Ansprechpartner beschränken, sondern den einzelnen CO und die Zusammenarbeit innerhalb der Gruppe Compliance einbeziehen. Die Compliance ist in aller Regel hierarchisch organisiert, ein Leiter steht an der Spitze, welcher disziplinarischer Vorgesetzter des einzelnen CO ist und in entscheidendem Maße über dessen berufliches Vorankommen, letztlich die Zukunft im Unternehmen entscheidet. Ebenso werden die grundsätzlichen Entscheidungen durch diesen getroffen. Zum Führungsstil gibt es eine Vielzahl von Veröffentlichungen, welche sich bedauerlicherweise nicht selten widersprechen. Dieses Thema zu behandeln würde dem Schwerpunkt des

168

14  Die Gruppen

Buches verändern bzw. seinen Umfang sprengen, weshalb hiervon lediglich einige knappe Aspekte herausgestellt werden. Hier sei nochmals an das Autoritätsgefälle aus Kap. 12 erinnert. Sicherlich kann und soll nicht jede Entscheidung basisdemokratisch entschieden werden, aber die Möglichkeit des sanktionsfreien Widerspruchs muss gegeben sein, als auch genutzt werden. Der Complianceleiter versteht sich vor diesem Hintergrund als Moderator, Entwickler und Förderer der Gruppe. Er muss nicht selbst erfolgreich sein, sondern anderen zum Erfolg helfen. cc

Ein guter CO ist nicht automatisch ein guter Leiter der Compliance.

Noch zu häufig sitzt ein blutleerer Technokrat an der Spitze und sucht sich seinen Nachfolger nach der größtmöglichen Ähnlichkeit aus. Entsprechend gilt es auch bei der Beurteilung der Mitarbeiter klar zu unterscheiden, benötigt ein Leiter doch andere Fähigkeiten als ein CO. Bei ersterem sind vor allem zu nennen: Fähigkeit zur Selbstreflexion, Verständnisbereitschaft, Einfühlungsvermögen, Kooperationsbereitschaft, Kommunikationsfähigkeit, Konfliktlösungsbereitschaft, Kritikfähigkeit (Franken 2010, S. 163). Eine wirkungsvolle Compliance erfordert Veränderungen durch die Compliance und in der Compliance. Nicht sofort und vollständig sondern im laufenden Prozess, in dem sich Phasen der Weiterentwicklung mit der Konsolidierung des Erreichten abwechseln. Dieser Prozess orientiert sich, wie bei allen komplexen Aufgaben, am regelmäßigen Wechsel zwischen Entscheiden und Reflektieren, wie er in Kap. 5 dargestellt wurde. Wie aufgeführt verfügen Gruppen über eine Vielzahl von Vorteilen, auch für die Compliance. Die Abstimmung der Mitarbeiter wird einfacher, der Koordinationsaufwand sinkt, weiterhin dürfen die Ansprechpartner ein vergleichbares, kalkulierbares Auftreten verschiedener CO erwarten, womit gleichzeitig ein Nachteil verbunden ist. Compliance kann durchaus ein wenig mehr Unberechenbarkeit und Überraschungen gebrauchen, wie stark die Veränderungen sein können, ja müssen wird in einem iterativen Prozess ermittelt. Wirksamer kann eine Compliance so werden, perfekt kaum. Veränderungen erfolgen auf zwei Weisen: bestehende Mitarbeiter machen Dinge anders, womit hier eine Veränderung tendenziell langsam erfolgt; ebenso können neue Mitarbeiter die gleichen Dinge machen, wobei der Unterschied zum bisherigen Vorgehen mit alternativen Ausbildungswege zunimmt. Der Psychologe, die Soziologie, der Politologe oder die Kommunikationswissenschaftlerin haben eine andere Herangehensweise als die Wirtschaftswissenschaftlerin oder der Jurist. Es wird anstrengend, für die neuen, wie die alten Kollegen und sicherlich eine Zeit dauern bis das angestrebte Niveau erreicht wird. Abstimmungsschwierigkeiten, ja Spannungen sind in der Anfangszeit der Zusammenarbeit kaum zu vermeiden, Die Compliance Leitung muss Sorge tragen, das aus der Compliancegruppe nicht einzelne, neue Mitarbeiter ausgegrenzt werden oder sich kritisch bis feindlich gesinnte Gruppen gegenüber stehen. Das eine Balance zwischen persönlicher Individualität, gemeinsamer Aufgabe und Wirgefühl gefunden wird, wie sie in Abb. 14.4 dargestellt wird.

Literatur

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Abb. 14.4 TZI-Modell. (Franken 2010, S. 188)

Dabei kann es sich in einer dynamischen Welt immer nur um eine dynamische, zeitweise Balance halten, wie es im TZI Modell dargestellt ist (Franken 2010, S. 188). Das probate Mittel um diese Gruppenentwicklung zu gewährleisten ist das Miteinander sprechen, genauer das Miteinander sprechen lernen. Dies fällt vor allem dann nicht leicht, wenn es um Kritik geht, welche fachlich, nicht persönlich aufgefasst werden soll. Dabei hilft regelmäßige Manöverkritik, nach jeder Schulung, nach jeder Prüfung. Nicht immer gibt es tatsächlich Kritikpunkte, aber diese Treffen sind deshalb wichtig, um das miteinander reden zu lernen (Hagen 2013, S. 169). Dabei darf der Einzelne die Initiative ergreifen und auf Schwachstellen hinweisen. Diese Kritik wird deshalb nicht persönlich, weil sich die Mitglieder akzeptieren und respektieren, Privates aber privat bleibt. cc

CO sollen nicht eine autonome Insel im Unternehmen darstellen.

Was in Kap. 9 über den inneren Zirkel geschrieben wurde, gilt auch für andere Möglichkeiten der informellen Gruppenbildung. Inwieweit sich der einzelne CO hier einbringt ist eine individuelle Entscheidung. Dabei gilt es allerdings für den Einzelnen zu berücksichtigten seine Unabhängigkeit zu wahren, Loyalität gegenüber seinen Werten, über die zu einzelnen Personen zu stellen und im Einzelfall nicht auf Basis des Gruppendrucks, sondern sein in Kap. 4 angesprochenes Ethikverständnis zu entscheiden.

Literatur Cialdini R (2013) Die Psychologie des Überzeugens. Huber, Bern Dörner D (2003) Die Logik des Misslingens. rororo, Reinbek

170

14  Die Gruppen

Franken S (2010) Verhaltensorientierte Führung. Gabler, Wiesbaden Hagen J (2013) Fatale Fehler. Springer Gabler, Heidelberg Hedtke R (2014) Wirtschaftssoziologie. UVK, Konstanz Robertson I (2013) Macht. Wie Erfolge uns verändern. dtv, München Schneider T, Geckert C (2016) Verhaltensorientierte Compliance. Schmidt, Berlin Staehle W (1994) Management. Vahlen, München Stürmer S (2009) Sozialpsychologie. Reinhardt, München Wiswede G (2012) Einführung in die Wirtschaftspsychologie. Reinhardt, München

Prüfungen

15

Zusammenfassung

Compliance ist keine Kuschelveranstaltung, der CO kein „Kollegenversteher“. Bei allem Bemühen der Compliance werden sich nicht alle Mitarbeiter, nicht alle externen Partner, an die Compliancevorgaben halten. An dieser Stelle stehen nicht die vielfältigen Gründe hierfür im Blickpunkt, sondern die Möglichkeit durch Kontrollen und Prüfungen die Gefahr von Compliance-Verstößen zu reduzieren, aber auch den aktuellen Stand zu erfahren und zu dokumentieren.

15.1 Prüfungs- und Kontrollkonzepte In Zusammenhang von Kontrollen von Misstrauen zu sprechen ist schlichter Unfug. Das Vertrauen in den einzelnen Mitarbeiter, die subjektive Überzeugung der Redlichkeit der Mitarbeiter bleibt bestehen, womit allerdings auch das Wissen verbunden ist, dass es nicht ausgeschlossen werden kann, dass Einzelnen dies nicht rechtfertigen, woraus sich die Notwendigkeit von Kontrollen und Prüfungen ergibt. Ein Rückgriff auf die in Kap. 4 diskutierten Ethikkonzepte zeigt, dass keines gegen entsprechende Maßnahmen spricht. Wirkungsvoller und anschaulicher als theoretische Überlegungen kann ein kleiner Versuch die Notwendigkeit von Prüfungen nachweisen. Richard Tahler, entwickelte den folgenden Versuch (Thaler 2019, S. 225) (Abb. 15.1): Die in der Abbilddung x dargestellten Karten liegen auf einem Tisch. Die Aufgabe der Versuchsteilnehmer besteht darin, so wenig wie möglich Karten umzudrehen, um zu prüfen, ob die Aussage zutrifft, dass jede Karte mit einem Vokal auf der anderen Seite eine gerade Zahl aufweist. Die Teilnehmer müssen vorab entscheiden, welche Karten sie ansehen wollen.

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Schneider, Werkzeuge wirkungsvoller Compliance, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61792-2_15

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172

15 Prüfungen

Das Vier-Karten-Problem

A

B

2

3

Abb. 15.1  Das Vier Karten Problem. (Eigene Darstellung)

Die Reihenfolge der Karten, die von den Versuchsteilnehmern am häufigsten umgedreht werden ist; A, 2, 3, B. Es ist leicht nachvollziehbar, dass praktisch jeder Teilnehmer entscheidet, „A“ umzudrehen. Wenn diese Karte auf der Rückseite keine gerade Zahl trägt, ist die Aussage offensichtlich falsch. Die zweithäufigste Wahl „2“ bringt nichts. Wenn auf der Rückseite ein Vokal steht, ist die Feststellung in Übereinstimmung der Hypothese, aber das Umdrehen der Karte bestätigt weder die oben angeführte Aussage, noch widerlegt sie diese. Um die Behauptung zu widerlegen muss auch die „3“ umgedreht werden. Die am wenigsten populären Entscheidung ist „B“ umzudrehen, da sich auf der Rückseite ein Vokal verstecken könnte. Die hier gewählte Problembeschreibung präzisiert nicht, dass auf der einen Seite immer Zahlen stehen und auf der anderen immer Buchstaben. Die richtige Lösung lautet also: A, 3, B. Zwei Erkenntnisse lassen sich aus dem Versuch gewinnen: Erstens neigen Menschen dazu eher nach bestätigenden als widerlegenden Informationen zu suchen, weshalb „2“ beliebter als „3“ ist. Zweitens wird der Bestätigungsfehler verstärkt, wenn ungerechtfertigte Annahmen bestimmter Arten widerlegender Informationen unwahrscheinlich erscheinen lassen, was sich daran nachvollziehen lässt, dass „B“ relativ selten umgedreht wird. Während aufgedeckte Compliance-Verstöße einen stärkeren Fokus auf interne Kontrollen legen, führen Unternehmenszusammenbrüche zu einer intensiveren Hinwendung zu Prüfungen. Damit verbunden ist eine inflationäre Entwicklung und Nutzung veränderter Konzepte und Begriffe. Ob Interne Kontroll- oder Überwachungssystem, Risikomanagement, Governance und Compliance, viele Begriffe werden verwendet, oft mit unterschiedlichem Hintergrund in den einzelnen Unternehmen umgesetzt. Verschiedene Aufgaben werden an unterschiedlicher Stelle verankert, mit unterschiedlicher Intensität wahrgenommen, teilweise eigenverantwortlich durchgeführt, teilweise an externe Anbieter ausgelagert. Die Ausgestaltung und Benennung der einzelnen Funktionen im Rahmen der Überwachung ist primär Aufgabe der Unternehmensleitung. Die Compliance muss dafür Sorge tragen, dass eine saubere Abgrenzung wirkungsvolles Arbeiten ermöglicht. Ob

15.1  Prüfungs- und Kontrollkonzepte

173

­ rganisatorische Veränderungen dazu erforderlich sind oder flexible Lösungen auf dem o „kleinen Dienstweg“ gefunden werden ist einzelfallabhängig.

15.1.1 Kontrollen Kontrollen sind gegenwartsorientierte, permanente Soll-Ist Vergleiche, die in innerbetriebliche Arbeitsabläufe fest integriert sind. Sie werden von prozessabhängigen Überwachungsorganen durchgeführt. Abb. 15.2 zeigt diese Überwachungssystem 1 auf (vgl. Freidank 2012, S. 6). Complianceverantwortliche haben ein gespaltenes Verhältnis zur Kontrolle. Oft fühlen sie sich ernst genommen, ja geschmeichelt, wenn betriebliche Stelle idealerweise vor einer Entscheidung diese der Compliance vorlegen, um Unterstützung, ja Entscheidung bieten, wobei sich primär die Frage der Zulässigkeit eines bestimmten Handelns stellt. Hier gilt es vorsichtig zu sein. cc

Grundsätzlich führt die Compliance keine Kontrollen durch, sondern stellt die Grundlagen einer wirkungsvollen Kontrolle den disziplinarisch Verantwortlichen zur Verfügung.

Auf dieser Grundlage gilt es eine, beabsichtigte, Entscheidung als richtig oder falsch zu bewerten. Selbstverständlich gilt es Fragen zu beantworten und Unsicherheit zu nehmen, aber daraus keine Automatismen zu entwickeln. Im Rückgriff auf das Kap. 1 gilt es wiederum Immanuel Kant zu zitieren: „Sapere aude!“ – Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen. Richtlinien und Schulungen stellen entsprechende Entscheidungsregeln zur Verfügung und helfen mögliche Fehlentscheidungen zu vermeiden. Nicht

Abb. 15.2  Überwachungssystem Typ 1. (Eigene Darstellung)

174

15 Prüfungen

mehr, aber auch nicht weniger. Die im vorliegenden Buch dargestellten Maßnahmen ­können nur umgesetzt werden, wenn zeitliche Kapazitäten an anderer Stelle gewonnen werden. Die Beurteilung des Einzelfalls ist hierbei eine der besten Möglichkeiten. Zusätzliche Hilfen für den einzelnen Entscheider stellt das Kap. 17 zur Verfügung.

15.1.2 Prüfungen Prüfungen sind vergangenheitsorientierte, einmalige Soll-Ist Vergleiche, welche nicht in innerbetriebliche Arbeitsabläufe integriert sind. Sie werden von prozessunabhängigen Überwachungsorganen durchgeführt. Damit ist das Überwachungssystem 2 angesprochen, wie es in Abb. 15.3 dargestellt wird (vgl. Freidank 2012, S. 7). Prüfungen gibt es spätestens mit der Existenz größerer Unternehmen, wobei deren Bedeutung durch die Trennung von Unternehmensführung und -eigentum noch zunahm. Seit dem Börsenkrach von 1873 über die Weltwirtschaftskrise in den 1930er-Jahren, dem Zusammenbruch von Enron 2001 und der Lehman Brothers Bank 2008 wurden entsprechende Gesetze immer wieder verschärft, der Zusammenbruch von wirecard wird ebenfalls Auswirkungen haben. Die für die Prüfungen verantwortlichen Stellen sind etabliert und erfahren. Im Kampf um Aufmerksamkeit und Ressourcen ist im letzten Jahrzehnt eine neue Funktion, ein neuer Konkurrent aufgetreten, die Compliance. So wichtig die in Kap. 9 beschriebene Zusammenarbeit mit dem inneren Zirkel ist, gewartet hat dort keiner auf die Compliance. Weiterhin sollten Prüfungsergebnisse offen sein, nicht allein Verstöße gegen Vorgaben thematisieren, sondern auch die Vorgaben selbst zum Thema machen. Dieses Vorgehen würde allerdings das Verhältnis der Zentralbereiche untereinander stark strapazieren. Meistens behält die alte Weisheit, dass, eine Krähe der anderen kein Auge aushackt ihre Gültigkeit. Die übliche Vorgehensweise diese Konflikte zu verdrängen hilft keiner Seite weiter. Die Compliance benötigt die Expertise der Kollegen im Rahmen der Prüfungen, die

Abb. 15.3  Überwachungssystem Typ 2. (Eigene Darstellung)

15.1  Prüfungs- und Kontrollkonzepte

175

­ rüfenden Einheiten die Prüfungsbegleitung der Compliance, entziehen sich die geprüften p Sachverhalte doch oftmals einer schwarz – weiß Betrachtung und des einfachen Urteils in „richtig“ oder „falsch“. Grundlage der Zusammenarbeit wurde in Kap. 9 gelegt. An dieser Stelle erfolgt eine spezielle Auseinandersetzung mit einzelnen Unternehmensfunktionen.

15.1.3 Verhältnis zur Internen Revision Prüfungen sind die klassische Domäne der Internen Revision. Die Feststellung ob Vorgaben befolgt oder nicht befolgt werden, auf neudeutsch das „Comply“ oder „Non Comply“ war und ist die zentrale Aufgabe. Mögen moderne Definitionen der Internen Revision „Beratung“ und „Mehrwert schaffen“ enthalten, ist und bleibt hier die Kernkompetenz. Die oben dargestellten Krisenfälle, das Kontrollversagen innerhalb und außerhalb der Unternehmen hat zur Schaffung neuer, konkurrierender Unternehmensfunktionen geführt. Das Risikomanagement wurde institutionalisiert, das Controlling mischt in der klassischen Domäne der Internen Revision mit, schlussendlich wurde die Compliance geschaffen. Der Aufbau der Ressourcen, der Einsatz der finanziellen Mittel, der Stellenwert im Unternehmen, bei den Anteilseignern und der Öffentlichkeit kann als Bedeutungsverlust der Internen Revision gedeutet werden, womit eine Sichtweise beschrieben ist, die nicht wenige Revisoren teilen. Hier sind die Spezialisten vorhanden, welche Soll-Ist Vergleiche durchführen, Abweichungen gerichtsfest dokumentieren und bei ihren Untersuchungen die Vorgaben des Arbeits- und Datenschutzrechtes kennen und einhalten. So verlockend es für den einzelnen CO, so wichtig eine rasche Untersuchung von Auffälligkeiten erscheint, gilt die Rolle der Internen Revision zu achten. cc

Da die Compliance die Richtlinien im Unternehmen kennen sollte, gilt dies auch für die Vorgaben, wann die Interne Revision eingeschaltet wird und eingeschaltet werden muss.

Entsprechend wird bereits bei der jährlichen Prüfungsplanung zusammen gearbeitet. Diese Prüfungsplanung erfolgt risikoorientiert auf Basis verschiedener Parameter wie Umsatz, Gewinn, Unternehmensentwicklung und Korruptionsindex eines bestimmten Landes. Ergänzend werden die Unternehmensleitung und verschiedene Zentralbereiche um Vorschläge gebeten. Diese Möglichkeit gilt es für die Compliance zu nutzen. Dabei geht es nicht um konkrete Compliance-Verstöße, als vielmehr Hinweise bzw. schwache Signale wo ein genaueres Hinsehen erforderlich sein könnte. Insbesondere an kleineren Standorten wird die Revision ein Standardprüfprogramm durchführen. Dies lässt sich die Compliance erläutern, um nachzuvollziehen welche compliancerelevanten Sachverhalte tangiert werden, um auf dieser Basis möglicherweise Vor-

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15 Prüfungen

schläge zu machen, aber auch um das Vorgehen und die Prüfungssystematik zu verstehen. Schließlich sollte die Compliance auf dem Verteiler der Prüfungsberichte stehen. Neben diesen Routinefällen, welche meist problemlos ablaufen, kommt es immer wieder zu plötzlichen, unerwarteten Feststellungen. Schwerwiegender Compliance-Verstöße werden aufgedeckt oder erscheinen zumindest wahrscheinlich. Dies kann auf vielfältige Weise erfolgen, Prüfungshandlungen der Internen Revision, Aktivitäten der Compliance, anonymen Meldungen und Selbstbezichtigungen oder Selbstanzeigen externer Mittäter. Diese Situationen entwickeln rasch eine Eigendynamik. Nicht zuletzt aufgrund drohender Strafen und Reputationsverluste zeigt die Unternehmensleitung hohes Interesse, will den Fall rasch vollumfänglich aufgeklärt und gelöst haben und lässt sich regelmäßig, oft arbeitstäglich, über den Fortgang der Untersuchungen unterrichten. Um diese Aufmerksamkeit wetteifern die Beteiligten. Rasch entsteht eine Rivalität zwischen Compliance und Revision, welche persönliche Dimensionen annehmen kann. Vor allem die Stelle, welche erste Hinweise erhielt bzw. generierte möchte die Verantwortung nicht abgeben und fühlt sich um die Früchte der eigenen Arbeit betrogen, wenn dies angeordnet wird. Eskaliert ein solcher Streit und muss die Unternehmensleitung entscheiden, gibt es selten einen Gewinner, als vielmehr zwei Verlierer, deren Verhalten denen von Kindern die sich gegenseitig das Spielzeug abnehmen nicht unähnlich ist. Souveräne Akteure klären solche Interessenkonflikte untereinander und vertreten gemeinsam die entsprechende Lösung. Zur Versachlichung der Diskussion verhilft ein Blick auf die einzelnen Komponenten des Kontrollprozesses (Macharzina und Wolf 2015, S. 430). Diese verschiedenen Komponenten sind: • Beobachtung, Ermittlung der realisierten Ergebnisse, • Abbildung, faktische Informationen über die Entscheidungsprozesse, • Beurteilung, Einschätzung des Wirkungsgrades anhand von Normen, Plänen und Sollwerten, • Prävention, dass Bewusstsein von Kontrollmaßnahmen Mitarbeiter zu zielgerichtetem Handeln aus Unternehmenssicht veranlasst. Möglichst unabhängig von einem einzelnen Vorgang sollten sich die Beteiligten darauf verständigen, welcher Zentralbereich welchen Grad der Verantwortung für eine Komponente hat und welche abgestuften Formen der Mitwirkung bestehen, welche sich über die eigenständige bzw. die Teilnahme an den Kontrollen, ein Vetorecht, die eigene Darstellung des Sachverhaltes bis zur Vorabinformation erstreckt. Ohne an dieser Stelle genaue Vorgaben machen zu wollen, wird sich bei den einzelnen Punkten sicherlich die Verantwortlichkeit von der Internen Revision zur Compliance verschieben. So ist die Beobachtung bzw. Ermittlung und die Abbildung der Ergebnisse sicherlich eine Domäne der Internen Revision, während die Beurteilung eines Sachverhaltes und die Prävention zukünftiger Verstöße der Compliance zu zurechnen ist. Auch in der Hektik dringender Prüfungen sollten entsprechende Aufteilungen nicht vernachlässigt werden, gewinnen die Ergebnisse doch an Qualität, wenn derjenige der die Aufgaben wahrnimmt, seine Kernkompetenz anwendet. Es gilt aufwendige Doppeltarbeit zu

15.1  Prüfungs- und Kontrollkonzepte

177

vermeiden, sich aber auch arbeitstäglich über die Ergebnisse auszutauschen und dem Motto des preußischen Generals Moltkes zu folgen: Getrennt marschieren, gemeinsam schlagen. Dabei endet die Zusammenarbeit nicht mit dem gemeinsamen Abschlussbericht, vielmehr wird diese erst im Rahmen der Umsetzungskontrolle der vereinbarten Maßnahmen abgeschlossen. Der Verlust des Interesses ist problematisch, eine doppelte Ansprache der Betroffenen arbeitsaufwendig und unprofessionell, weshalb diese Aufgabe eindeutig zugeordnet und terminiert wird. Bei allen potenziellen Konflikten gilt für Revision und Compliance eng zusammen zu arbeiten und sich von interessierter Stelle nicht gegeneinander ausspielen zu lassen, wenn es diesen darum geht Feststellungen abzuschwächen, Maßnahmen zu verzögern oder Sanktionen zu umgehen.

15.1.4 Controlling Betrachtet man die Selbstdarstellung des Controllings ist Kontrolle nur eine Aufgabe von vielen. Operative Planung und Kontrolle machen 18 % der Arbeitszeit aus (Weber et al. 2008, S. 14). Bei einer annähernd gleichmäßigen Aufteilung von Planung und Kontrolle fällt der Kontrolle damit weniger als 10 % der Arbeitsleistung zu. Wie bei der Internen Revision ist auch hier nicht der Platz auf Selbstdefinitionen zu referenzieren, nach denen Controller wahlweise Kopiloten, Lotsen oder die Bewahrer der Rationalität sind. Letztlich lassen sich aus der Budgetierung, die Kontrolle bzw. Abweichungsanalyse der Unternehmenszahlen wenige Hinweise auf Compliance-Auffälligkeiten gewinnen. Aufschlussreicher sind die Kenntnisse des Geschäftsmodells. Hohe, vor allem stabile, Erträge sind das Ziel jedes Unternehmens, jedes Controllers. Das „Warum“ tritt gerne in den Hintergrund. Häufig sind es scheinbare Randbereiche, bspw. im Service- oder Ersatzteilgeschäft, wo entsprechende Erträge anfallen. Auftretende Wettbewerber werden bekämpft, mit allen legalen Mitteln, manchmal darüber hinaus. Die rechtlichen Auseinandersetzungen, welche die Originalhersteller von Druckerpatronen oder Kaffeepads regelmäßig mit preisgünstigen Nachahmern führen zeigen dies exemplarisch auf. cc

Erst die Kenntnis des Geschäftsmodells gibt der Compliance Hinweise auf konkrete Fragen in diesem Umfeld.

Gleiches gilt für Daten über Hauptkunden und/oder solche Kunden bei denen ungewöhnlich hohe und/oder stabile Erlöse generiert werden. Informelle Frühstückskartelle führen oftmals zur Aufteilung eines Absatzgebietes in Regionen, welche der einzelnen Kartellant erhält, wobei in anderen Regionen nur überhöhte Scheinangebote abgegeben werden. Das „offizielle“ Controlling kennt diese Situation nicht, der einzelne Controller mag dagegen ein unbestimmtes Störgefühl entwickeln, was wertvolle Hinweise auf mögliche Prüfungshandlungen gibt, welche wiederum mit der Internen Revision abgestimmt werden (Schneider 2014, S. 22–27).

178

15 Prüfungen

15.1.5 Organisation, strategische Planung Bei aller Bedeutung der Compliance sollte im Unternehmen nicht der Schwanz mit dem Hund wedeln. Compliancekonformität ist eine strenge Nebenbedingung des Geschäftserfolges, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Spezifische Länderrisiken wurden bereits im Rahmen der Prüfungsplanung der Internen Revision angesprochen. Von Interesse für die Compliance ist die Entwicklung einzelner Geschäftsfelder und Standorte. Vor allem wenn Personalabbau oder Schließungen anstehen, geht bei vielen Betroffen die Loyalität zum Unternehmen drastisch zurück. Der Schritt vom Wegschauen was andere tun zur aktiven Teilnahme an unternehmensschädigenden Handlungen ist dann oft ein Kleiner. Umso mehr zeigt die Compliance an den betroffenen Standorten Flagge. Vor allem Präsenzschulungen können turbulent werden, wenn die Mitarbeiter ganz konkret sehen, was die viel beschworenen Werte des Unternehmens Wert sind, oder auch nicht. Positiv ausgedrückt darf festgehalten werden, wer als CO diese Herausforderung besteht muss keine anderen Veranstaltungen mehr fürchten.

15.1.6 Whistleblower Vorausgesetzt das Unternehmen hat eine Whistleblower Hotline stellt sich die Frage, wie die Meldung eines Sachverhaltes für die Compliance zu bewerten ist. Erst einmal liegt eine zweifache Niederlage vor: ein Vorfall hat sich ereignet und derjenige, dem der Vorfall auffällt spricht keine unternehmensinterne Stelle im Allgemeinen und die Compliance im Besonderen an. Aufgrund der meist einseitigen Kommunikation wird eine Analyse der Gründe kaum möglich sein. Auch Gerüchte und Mutmaßungen werden berichtet, worauf die Compliance entscheiden muss, wie weiter verfahren wird (Schneider und Bäcker 2017, S. 125–129). Die Compliance ist auf die Ergebnisse anschließender Untersuchungen angewiesen. In jedem Fall sollte bei der Auswahl des Ombudsmanns mitgewirkt werden und durchaus Testgespräche geführt werden. Die Einbindung der Internen Revision gibt dem Ombudsmann Hinweise darauf, wo nachfassen beim Gesprächspartner geboten ist, wenn die Informationen zu wage und allgemein gehalten sind, um darauf Prüfungshandlungen aufzubauen. Es ist in jedem Fall besser dem Whistleblower darauf hinzuweisen, warum keine Maßnahmen ergriffen werden können, als bei diesem den Eindruck des Desinteresses oder der Vertuschung zu erwecken. So wird die Wahrscheinlichkeit, dass sich dieser im nächsten Schritt enttäuscht an die Öffentlichkeit wenden könnte zumindest reduziert.

15.1.7 Eigene Prüfungen der Compliance Die Compliance nimmt bei allen Sachverhalten erst einmal die Situation auf. Diese Aufnahme beruht primär auf den Informationen, welche die Gesprächspartner geben.

Literatur

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­ icherlich kann und soll nachgefasst werden, wenn diese nicht ausreichen oder widerS sprüchlich erscheinen, der Schritt zur Prüfung beinhaltet allerdings einen grundsätzlichen Perspektivwechsel. In der Einleitung dieses Kapitels wurde von der Notwendigkeit von Prüfungen gesprochen. Kein Mitarbeiter hat das Recht sich diesen zu entziehen, der Vorwurf des Misstrauens ist ungerechtfertigt, zu vermeiden ist allerdings der Eindruck der Willkürlichkeit. Für die Compliance ist deshalb ein einheitliches, nachvollziehbares Verhalten wichtig. Allzu oft hängt es von der Ausbildung, dem beruflichen Werdegang und den persönlichen Präferenzen des einzelnen CO ab, wo und mit welcher Intensität Prüfungshandlungen vorgenommen werden. Hier gilt es innerhalb der Compliance Organisation eine Systematik zu entwickeln, welche in Abhängigkeit von Bedeutung und Dringlichkeit die Maßnahmen festlegt, welche neben dem eigenen Handeln die Einbeziehung der Internen Revision beinhaltet.

Literatur Freidank C (2012) Unternehmensüberwachung. Vahlen, München Macharzina K, Wolf J (2015) Unternehmensführung. Springer Gabler, Wiesbaden Schneider T (2014) Controllingaufgaben im Wettbewerbsrecht. Controll Mag (6/2014):22–27 Schneider T, Bäcker M (2017) Wo Rauch ist, ist auch Feuer (?). ZFRC 1:125–129 Thaler R (2019) Misbehaving. Pantheon, München Weber J et al (2008) Erfolgreich steuern mit Market Intelligence. Wiley, Stuttgart

Schulungen

16

Zusammenfassung

Schlicht der Pflicht nachzukommen Schulungen abzuhalten, weil diese als Bestandteil einer wirkungsvoller Compliance von vielen Seiten gefordert werden, kann nicht den eigenen Ansprüchen genügen. Lebendige Schulungen engagierter Compliance-Officer sind von großer Bedeutung um die Mitarbeiter zu überzeugen, nicht allein passiv den Ausführungen zu lauschen, sondern aktiv einen eigenen Beitrag zur Compliance zu leisten.

16.1 Das Ziel Bekanntlich bedeutet Compliance Regeltreue. Unternehmen engen damit den Spielraum ein, welchen der Gesetzgeber und die Rechtsprechung setzen. Die Kenntnis dieser Vorgaben wird in Schulungen vermittelt. Hier können und sollen die Mitarbeiter auf bestehende Vorgaben, meistens in Form von Richtlinien zurückgreifen. Schulungen werden diesen Punkt aufgreifen, aber auch die Selbstständigkeit der Mitarbeiter berücksichtigen. Die Compliance darf erwarten, dass diese in der Lage sind sich die notwendigen Informationen zu beschaffen, wenn die Compliance ihre Hausaufgaben gemacht hat und diese Informationen in übersichtlicher Form zur Verfügung stellt. Die Mitarbeiter sollen zum regeltreue Entscheiden angehalten werden, was gleichzeitig als „richtig“ klassifiziert wird. Damit ist der hohe Anspruch verbunden, dass die Compliance beurteilen kann was dieses „richtige“ Entscheiden bedeutet. Das Betrugsdreieck der Abb. 16.1 zeigt die Vorausetzungen auf, welche die Grundlage einer bewussten, nicht compliancekonformen Entscheidung stellen. Entsprechend ist auch ein Umkehrschluss möglich, also die Bestimmung der Voraussetzungen, welche compliancekonforme Handlungen herbeiführen, woraus sich eine Zielrichtung der Schulungen © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Schneider, Werkzeuge wirkungsvoller Compliance, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61792-2_16

181

182

16 Schulungen

Abb. 16.1 Betrugsdreieck. (Grüninger 2014, S. 46)

unmittelbar ableitet: die Reflektion von Gelegenheit, Motivation und Rechtfertigung (Grüninger 2014, S. 46). Gelegenheiten werden bis zu einem gewissen Grad immer vorhanden sein, können allerdings durch ein leistungsfähiges IKS stark eingeschränkt werden. Motive als relativ stabile Persönlichkeitseigenschaft, welche beschreibt, wie wichtig einer Person eine bestimmte Art von Zielen ist können nur zu einem gewissen Grad vom Unternehmen, von der Compliance beeinflusst werden. Unternehmen sehen ihren Mitarbeitern nur vor den Kopf, völlig zu Recht. Indirekte Einflussmöglichkeiten bestehen dagegen, schon darüber, dass Menschen als soziale Wesen von ihrer unmittelbaren Umgebung, auch am Arbeitsplatz, in ihren Motiven beeinflusst werden. Die Möglichkeit die Motive grundsätzlich vorzugeben besteht in einer rechtsstaatlichen Gesellschaft nicht. Das Ziel totalitärer Regime den „neuen Menschen“ zu schaffen scheitert glücklicherweise regelmäßig. Entscheidet der einzelne Mitarbeiter in einer konkreten Situation, ob eine Handlung compliancekonform ist, wird er kaum zur Richtlinie greifen oder die Complianceabteilung anrufen. Ob eine Entscheidung als „richtig“ oder „falsch“ klassifiziert wird, liegt im Ermessen des Einzelnen, die Compliance kann dafür sorgen, dass der Einzelne weiß, welche Konsequenzen diese Einordnung hat. Dabei gilt es zu beachten, dass kein Mensch auf Dauer illegitim handelt, sein Handeln immer rechtfertigt, zumindest vor sich selbst. Egal wie krude die Argumentation ist, jeder legt sich Gründe zurecht, warum bspw. der Diebstahl von Unternehmenseigentum nur dazu beiträgt sich selbst einen „gerechten“ Anteil am Unternehmenserfolg zu sichern. Die Compliance reißt dem Einzelnen die Maske ab und zwingt ihn dazu sich als der Mensch zu sehen, der er tatsächlich ist. Es sei nochmals an die Unterscheidung von Legalität und Legitimität aus Kap. 3 erinnert.

16.2 Beeinflussung vs. Verfestigung

cc

183

Der schulende CO soll von seiner Ausführungen überzeugt, im Idealfall begeistert sein.

Dies kann nicht von jedem Schulungsteilnehmer erwartet werden, wobei eine Kontrolle ohnehin unmöglich wäre. Allerdings gilt es deutlich, auch emotional aufzuzeigen, wie eine Gesellschaft, wie ein Unternehmen aussehen würde, wenn eine Gruppe charakterloser Selbstoptimierer am Werk wäre. Länder mit grassierender Korruption und schwachen staatlichen Autoritäten bieten hier ausreichendes Anschauungsmaterial. Was das Unternehmen im Speziellen erwartet, wurde bereits in Kap. 3 angesprochen. Unternehmen können und sollen sich ihre Mitarbeiter aussuchen, Menschen ihren Arbeitgeber. Wer nicht hineinpasst, nicht hineinpassen will soll gehen, besser erst gar nicht ins Unternehmen eintreten, im Interesse aller Beteiligten. Selbstverständlich kann der Einzelne sein Denken, seine Motive verbergen. Dann muss dieser aber Wissen, dass die Compliance kein zahnloser Tiger ist, sondern durch das IKS Handlungen prüft und Fehlverhalten sanktioniert. Womit Schulungen auch auf diesen Aspekt eingehen sollten und Konzepte der Strafverfolgungsbehörden, als auch der Internen Revision durchaus Erwähnung finden dürfen. Entsprechend werden in den Schulungen die Inhalte von Kap. 2, 3, 4 und 5 thematisiert, auf welche an dieser Stelle noch einmal knapp referenziert wird. Eine Schulung würde überfrachtet, wenn alle der folgenden Inhalte angesprochen würden. Bei einem regelmäßigen, meist jährlichem, Rhythmus ist aber ohnehin auf eine gewisse Abwechslung und unterschiedliche Schwerpunktsetzung zu achten. Das auch die Compliance aus ihren Schulungen lernen kann ist so trivial wie richtig. Dabei stehen technische Aspekte im Vordergrund, insbesondere die Nachfrage, wie verständlich, überzeugend und kurzweilig eine Schulung war. Anstelle des Verteilens von Beurteilungsbögen werden ausgewählte Teilnehmer darum gebeten nicht allein ihre Meinung auszudrücken, sondern auch bei den anderen Teilnehmern nachzufragen. Es ein nochmals an das „Vortrommeln“ aus Abschn.  12.7 hingewiesen: was einem selber klar und einsichtig ist, kann beim Gegenüber völlig anders sein. Entscheidende Hinweise auf Compliance-Verstöße werden kaum im größeren Kreis von Teilnehmern zu erwarten sein. Allerdings darf der authentische Auftritt in einer Präsenzschulung durchaus als erstes Angebot des persönlichen, vertraulichen Kontaktes verstanden werden.

16.2 Beeinflussung vs. Verfestigung Das eine einzige Schulung zur Zielerreichung nicht ausreicht, beruht nicht alleine auf dem Abflachen der Lernkurve, dem Vergessen der Teilnehmer. Vielmehr sind Werte keine ewig gültigen Wahrheiten. Diese ändern sich durch den sozialen Kontakt in einer Gesellschaft, aber auch im Unternehmen. Nicht theoretisch als richtig anerkannte Werte, sondern vielmehr soziale Werte bestimmen das Handeln. Diese Normen geben vor, was in einer Situation notwendig und allgemeingültig geschehen soll. Dabei können sich je nach Situation

184

16 Schulungen

fundamentale Unterschiede ergeben, welche dann sichtbar werden, wenn liebevolle ­Familienmenschen zu Kriminellen werden und beide Rollen scheinbar unabhängig voneinander jahrelang durchgehalten werden. Mit dem Eintritt in das Berufsleben im Allgemeinen, als auch das einzelne Unternehmen im Speziellen werden Werte in spätestens einem Jahr übernommen (Wiswede 2012, S.  144). Ist die Compliance hier nicht schnell, sind andere schneller, ist die Compliance hier nicht hartnäckig sind andere hartnäckiger, vor allem die in Kap. 14 erwähnten Gruppen. Wie angeführt ist die Wissensvermittlung, das Lernen eine zentrale Aufgabe der Compliance. Wissenvermittlung nicht im Sinne der Höchstgrenzen eines zulässigen Geschenkes, sondern der Instrumente, welche es ermöglichen eine Entscheidung als „richtig“ oder „falsch“ einzuordnen. Abb. 16.2 zeigt den eingeprägten Lernstoff auf (Schneider und Geckert 2016, S. 72). Beim Lesen bspw. einer Compliance Richtlinie liegt die Behaltensquote bei 10 %, das Ansehen eines Filmes erhöhte diese Quote auf 50 %, aber erst die Simulation und praktische Ausführung führen zu 90 %. Wie hoch diese Quote nach einem Jahr ist, wenn typischerweise die nächste Compliance Schulung erfolgt mag der Leser abschätzen. Unzweifelhaft ist aber, dass wenn die Mitarbeiter Wissen dauerhaft erwerben sollen, es zur Schilderung und/oder zur Simulation keine Alternativen gibt. Entsprechend sollten Fallspiele einen Schwerpunkt darstellen. An dieser Stelle werden bewusst keine Vorgaben dargestellt, gilt es doch für den einzelnen CO Beispiele vorzustellen, welche ihm persönlich wichtig sind. So können einzelne Entscheidungen anhand von unterschiedlichen Ethikkonzepten, als auch Gesetzen als „richtig“ oder „falsch“ klassifiziert werden, anhand von Einladung, welche nicht nur den Mitarbeiter betreffen, sondern auch Verwandt oder Freude einbeziehen, aufgezeigt werden, wie schwierig es sein

Abb. 16.2  Behaltensquote nach Lernform. (Schneider und Geckert 2016, S. 72)

16.2 Beeinflussung vs. Verfestigung

185

Abb. 16.3  Drei verschiedene Lerntypen. (Schneider und Geckert 2016, S. 177)

kann eine eindeutige Linie zu ziehen, deren Überschreitung falsch ist, auch um den Preis vor anderen als klein kariert, ängstlich oder schlicht „uncool“ angesehen zu werden. Abb.  16.3 zeigt die drei verschiedenen Lerntypen auf (Schneider und Geckert 2016, S. 177). So hat der Autor bspw. bei der letzten Runde von Complianceschulungen dargestellt, wie er persönlich wirkungsvoll beeinflusst werden könnte. Beispiel

Eine Einladung zu einem Fußballspiel in der Stadionlounge, wobei ein weiterer Gast mitgebracht werden kann und der Eingeladene seinen minderjährigen Sohn auswählt. Im Laufe des Besuches nehmen die Geschenke schrittweise zu. So wird der Sohn im angeschlossenen Shop komplett in Vereinsfarben eingekleidet. Soll der Vater diesen auffordern die Kleidung wieder zurück zu geben? Vielleicht gibt es noch ein zusätzliches Kleidungsstück für die Freundin. Im Anschluss erfolgt die Aufforderung doch zum nächsten Heimspiel erneut zu kommen. Da andere Gäste kurzfristig abgesagt hätten, ständen noch vier Karten zur Verfügung, womit auch Schulfreunde mitgebracht werden können. Auch hier entsteht die gleiche Frage nach dem eigenen Rollenverständnis: großzügiger Gönner eines tollen Nachmittages oder kleinlicher Compliance Bürokrat. Beim nächsten Besuch gibt es sogar die neuen, exklusiven Fußballschuhe im dreistelligen Eurowert. Soll dies der eigene Vorgesetzte erfahren? ◄ Jeder Einzelne hat seine Schwachstelle, vielleicht das Kind, vielleicht der Partner, der eine möchte ein Fußballspiel sehen, der andere ein Motorsportveranstaltung, der Dritte einmal im Sternelokal essen. Diejenigen welche zu Compliance-Verstößen verführen wedeln in den seltensten Fällen demonstrativ mit einem Geldbündel.

186

16 Schulungen

16.3 Elektronische vs. Präsenzschulung Beide Schulungsformen sind unverzichtbar, wobei allerdings die Unterschiede gesehen werden sollten. Diese Beziehen sich bereits auf das mögliche Verständnis der Compliance. Compliance kann bekanntlich als Verhaltenskodizes (Code of Conduct) und Ethikkodizes (Code of Ethics) aufgefasst werden (vgl. Niewiarra und Segschneider 2016, S.  109). Abb. 16.4 fast die Unterschiede der Perspektiven zusammen. Während die elektronischen Schulungen einen Schwerpunkt auf den Verhaltenskodex legen, wird der Ethikkodex das Thema der Präsenzschulungen darstellen.

16.3.1 Elektronische Schulungen Elektronische Schulungen sind für Unternehmen einer gewissen Größenordnung unverzichtbar. Sämtliche benötigten Teilnehmer werden erreicht, die Teilnahme an der Schulung und das erfolgreiche Bestehen des kleinen Testes als Bestandteil werden gerichtsfest dokumentiert. Von den Anbietern wurde in den letzten Jahren ein hoher Standard erreicht, hier kann Compliance kaum noch wirksamer werden, wobei es dennoch immer wieder lohnenswert ist Preise und Leistungen zu vergleichen. In diesem Zusammenhang gilt es die Vertragsdauer kritisch zu prüfen. Ein Bestandteil der Angebote ist die mögliche

Abb. 16.4  Unterschiede von Verhaltens- und Ethikkodex. (Eigene Darstellung)

16.3 Elektronische vs. Präsenzschulung

187

I­ndividualisierung, welche leidenschaftslos unter Kostenaspekten zu prüfen ist. Ob ein Wort des Unternehmensleiters zu Beginn des Programmes die Wirksamkeit erhöht, mag der Betroffene persönlich beurteilen, nicht ohne vorab allerdings die Kosten zu kennen. Die Compliance stellt im Rahmen einer Checkliste sicher, dass die notwendigen Informationen enthalten und aktuell sind. Die wenigsten CO sind geborene Einkäufer, hier sollte die Expertise der Fachleute im Unternehmen zielgerichtet genutzt werden und diese in die Verhandlungen eingebunden werden. Oft lohnt ein Anbieterwechsel nach einigen Jahren, nicht weil ein Konkurrenzprodukt besser oder schlechter ist, sondern eine andere Perspektive vermitteln, einen anderen Schwerpunkt setzen kann. Bei der Prüfung der Angebote gilt es eine grundsätzliche Tatsache der Werbung nicht aus dem Auge zu verlieren: der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler. Bei sehr unterschiedlichem Bildungsgrad gilt es auch Mitarbeiter einzubinden, welche nicht über den Stand eines CO verfügen. Ausbildungsleiter im gewerblichen Bereich und Arbeitnehmervertreter geben hier wertvolle Hinweise.

16.3.2 Präsenzschulungen Mit den oben dargestellten Unterschieden der Schulungsformen löst sich der scheinbare Konflikt zwischen diesen auf. Gleichwertig neben der professionellen, elektronischen Schulung legt der CO in seiner Veranstaltung bewusst andere Schwerpunkte. cc

Es wird nunmehr persönlich. Diesem Anspruch kann jeder CO genügen, ohne der geborene Entertainer zu sein.

Insbesondere Präsenzschulungen geben der Compliance ein „Gesicht“. Die überwiegende Zahl der Mitarbeiter bekommt Kollegen aus den Zentralbereichen fast nie zu sehen. Mit dem Auftritt des CO, ändert sich dies. Hinter anonymen, oft glatt und unpersönlich erscheinenden Präsentationen kommt ein Mensch zum Vorschein. Dieser kann Werte vertreten, für sein Anliegen eintreten, andere Menschen beeinflussen, vielleicht überzeugen und für seine Sache einnehmen. Der CO wird selten unmittelbar im Rahmen einer Schulung angesprochen, aber die Möglichkeit einer späteren Kontaktaufnahme wird vermittelt. Elektronische Schulungen sind die Pflicht, Präsenzveranstaltungen die Kür. Sind angemessene elektronische Schulungen initiiert, besteht hier ein großer Freiheitsgrad, welchen es zu nutzen gilt. Präsenzveranstaltung bieten, was elektronische Schulungen nicht bieten können, Individualität und Originalität. Ein Schlüsselproblem der Präsenzschulungen ist sicherlich die Zeitintensität, wobei meistens nicht die eigentlichen Schulungen, sondern die Reisen zu den Teilnehmern, zeitund kostenintensiv sind. Wird hier ein Jahresrhythmus angestrebt müssen die Abstände nicht exakt 12 Monate betragen. Es wirkt befremdlich, wenn der CO durch die Welt jettet um eine einzige Schulung durchzuführen, auch vor dem Aspekt der Sparsamkeit.

188

16 Schulungen

Da die Reisezeit häufig den größten zeitlichen Aufwand darstellt, kann es durchaus anders herum erfolgen und die Schulungsteilnehmer suchen die Unternehmenszentrale auf. Dies ist vor dem einzigen Zweck der Complianceschulung kaum zu rechtfertigen, oft kann aber ein interessantes Programm mit anderen Zentralbereichen zusammengestellt werden.

16.3.3 Der Dozent Beim Aufbau der Veranstaltung ist eine klare Trennung vorzunehmen. Entweder erfolgt ein Vortrag oder ein Dialog. Da beide Formate einem anderen Modus folgen, funktionieren diese nicht gleichzeitig. Grundsätzlich wird dem Vortrag der Vorrang gegeben. Zweifel, ja Ablehnung gegenüber der Compliance werden in einem größeren Kreis, evtl. unter Anwesenheit des eigenen Vorgesetzten selten geäußert. Allerdings wird der Boden für den vertraulichen, persönlichen Dialog bereitet. Authentizität und Klarheit sind der Schlüssel des Auftritts. Authentizität begründet sich auf der inneren Haltung, aus der jemand heraus präsentiert. Authentizität hat mit Mut zu tun, der Bereitschaft den Zuhörenden zu signalisieren, dass die Botschaft genau an sie gerichtet ist. Klarheit gibt es nur wo Ehrlichkeit herrscht. Wer nichts zu verbergen hat muss keine Nebelkerzen entzünden, keine Denglisch sprechen und kein PowerPoint Kino in Betrieb nehmen (Verweyen 2013, S. 156, 157). Ohne den Anspruch zum Staatsschauspieler zu werden, sollten gewisse Präsentationstechniken erlernt und regelmäßig aktualisiert werden. Das Argument des Zeitmangels greift hier nicht. Die oben entwickelte Unterscheidung in Verhaltens- und Ethikkontext erfordert vielmehr eine gleichwertige Berücksichtigung durch die Compliance. Das Verhalten mag auf anderem Wege erreicht werden, die Ethik dagegen primär durch das persönliche Auftreten des einzelnen CO. Zu Beginn des Kapitels wurde bereits die Frage gestellt, ob der CO nun auch noch Experte für Kommunikation sein muss. Die Antwort ist einfach: Nein. Der CO kann und soll Amateur bleiben, wobei der Ausdruck nicht abwertend gemeint ist. Wer in der Freizeit Fahrrad fährt, Schach spielt oder seinen Garten gestaltet, wird nicht so gut wie ein Profi werden, kann aber dennoch ein beachtliches Niveau erreichen. Hier wird kein laienhafter, unprofessioneller Auftritt propagiert. Bemerken die Schulungsteilnehmer, dass ihnen keine Kommunikationsexperten gegenüber steht, gewinnt ein anderer Aspekt an Bedeutung: die Glaubwürdigkeit. Gerade dann, wenn die Beteiligten bemerken, dass dem Vortragenden sein Auftritt schwer fällt, ja vielleicht sichtlich unangenehm ist, gewinnt das Thema an Relevanz. Dieses muss für den Vortragenden eine hohe Bedeutung haben, wenn dieser die offensichtliche Mühe auf sich nimmt. Fähigkeiten und Wünsche eine Schulung zu gestalten sind in unterschiedlichem Maß vorhanden. Wo ein CO in dieser Rolle sichtlich aufgeht, treibt die Vorstellung vor einer größeren Gruppe sprechen zu müssen und in einer anschließenden Diskussion Rede und Antwort zu stehen einem Anderen den Angstschweiß hervor. Dennoch sollte grundsätzlich

16.5 Werte

189

jeder CO in diese Aufgabe eingebunden werden. Jeder hat seine eigene Persönlichkeit, seinen eigenen Stil, einen anderen Ansatz Menschen zu erreichen, ja zu überzeugen. ­Dieser wirkt auf die Teilnehmer unterschiedlich, kein Dozent kann alle Mitarbeiter erreichen, mit der Fülle, der Reichhaltigkeit der Ansprache nimmt jedoch die Wahrscheinlichkeit zu, den Einzelnen persönlich zu überzeugen. Sicherlich werden am Anfang Fehler nicht vermeidbar sein, die Veranstaltung gerät zu kurz oder zu lang, eine witzige Bemerkung wird von den Teilnehmern so nicht wahrgenommen, ein einzelner Gedankengang nicht nachvollzogen, hier gilt es schlicht am Ball zu bleiben und durch Übung besser zu werden. Insbesondere in der Anfangsphase sollte im Publikum zumindest ein Mensch sitzen, welche später ein vertrauliches, ehrliches Resümee ziehen kann.

16.4 Wissen Elektronische Schulungen vermitteln, was der Teilnehmer wissen sollte, wo es steht, die Kenntnis entsprechende Richtlinien und wie Ansprechpartner bei Fragen ausfindig gemacht werden. Damit handelt es sich um explizites Wissen, welches in Medien gespeichert und aktiv genutzt werden kann. Das implizite Wissen ist dagegen unbewusst und passiv vorhanden ist. Ein Mitarbeiter wird nach erfolgreicher Schulung Höchstgrenzen bei Geschenken kennen, zumindest wissen, wo diese nachzuschlagen sind. Bei der Beurteilung in „richtig“ und „falsch“ dagegen auf sein implizites Wissen zurückgreifen und kaum beurteilen können wie und warum diese Einschätzung erfolgt (Schneider und Geckert 2016, S. 180). Dieses Wissen ist dann erforderlich, wenn eine Richtlinie keine konkreten Vorgaben macht. So sind bspw. Geschenke an einen nahen Angehörigen nicht geregelt, wobei es dennoch dem Betroffenen einsichtig sein sollte, dass diese ebenfalls unter entsprechenden Höchstgrenzen zu subsumieren sind. Das die Idee alles in entsprechenden Vorgaben regeln zu können zum Scheitern verurteilt ist, zeigt die Reglungswut im Steuerrecht, welche den Anspruch erhebt alle Sachverhalte zu klären, aber selbst von Spezialisten kaum noch durchschaut wird.

16.5 Werte Werte spielen für die Rechtfertigung betrügerischer Handlungen im Rahmen der Abbildung Abb. 16.1 eine zentrale Rolle. Als Rechtfertigung wird in der Philosophie die Darlegung von Gründen für eine These, eines Leitsatzes verstanden. Die eigenen Werte ermöglichen dem Menschen die Beurteilung einer Handlungen in richtig oder falsch. Die Compliance gibt dem Einzelnen keine Werte vor, zeigt allerdings die Konsequenten auf, welche Werte zu welchem Verhalten, letztlich zu welchem Leben führen.

190

16 Schulungen

„Wert“ im wirtschaftlichen Sinn ist die Wertschöpfung bzw. – maximierung. Dabei ist Wertmaximierung keine Ausgeburt des Turbokapitalismus, sondern ein selbstverständliches Ziel von Unternehmen. Wie tief der Wettbewerbsgedanke im Menschen verankert ist, mit welcher Leidenschaft der Einzelne versucht das Maximum aus seinen Möglichkeiten herauszuholen, kann an jedem Wochenende bei Sportveranstaltungen betrachtet werden, unabhängig davon ob es sich um Berufs- oder Freizeitsportler handelt. Wer um jeden Preis siegen möchte, ob im Sport oder im Wirtschaftsleben folgt dem Konzept der konsequentialistischen Ethik. Danach sind es die Konsequenzen einer Handlung, welche diese als gut oder böse qualifizieren. Zynisch ausgedrückt heiligt der Zweck die Mittel. Das damit der Einzelne bildlich den Ast absägt auf dem er sitzt verdeutlicht die Compliance. Theoretische Ausführungen sind wichtig, in Schulungen gilt es dagegen die praktischen Konsequenzen aufzuzeigen, wenn eine Gesellschaft nur noch aus einzelnen Selbstoptimierern besteht. Was wenn der Arzt im Krankenhaus, der Polizist im Straßenverkehr oder der Personalleiter der Ausbildungsplätze vergibt sich so verhält? Dauerhaft hat ein Unternehmen nur Bestand, wenn die Mitarbeiter dem Regelutilitarismus als Entscheidungsgrundlage folgen, wie er in Kap. 4 vorgestellt wurde. Dies gilt es wieder und wieder aufzuzeigen und die Überzeugung mit Engagement, ja Leidenschaft zu vermitteln. Werte spielen in den Selbstdarstellungen der Unternehmen eine zentrale Rolle. Kaum ein Unternehmensleitbild, kaum eine knappe Selbstdarstellung verzichtet darauf. Im gleichen Kontext wird die „Ethik“ thematisiert, ohne weitere Hinweise, wie sie in Kap.  4 ausgeführt wurden. Damit setzen sich die Verantwortlichen dem Vorwurf der Beliebigkeit aus. Hier soll die Compliance darauf drängen, dass Werte kein spezielles Compliance Thema sein dürfen, sondern unmittelbar ein Thema der Unternehmensleitung sind. Werden neue Controllingkonzepte, die neue Finanzkennzahl mit geringem Aussagewert aber langem, englischem Namen wieder und wieder propagiert, auch unter hohem zeitlichen Aufwand, gibt dies ein eindeutiges Bild: für die Unternehmensleitung ist die konsequentialistische Ethik zentrale Handlungsmaxime, der Regelutilitarismus allenfalls ein Schönwetterthema.

16.6 Faustregeln Bei allen erforderlichen, theoretischen Einordnungen, können einfache, robuste Faustregen ebenfalls dem Einzelnen helfen, eine Handlung als „richtig“ oder „falsch“ zu beurteilen. Die Compliance stellt mit der PLOB-Regel ein solches Instrument zur Verfügung. Jeder Mitarbeiter sollte sich die folgenden Fragen ehrlich beantworten: • P wie Publizität. Was würde ich davon halten, wenn meine Entscheidung morgen in der Zeitung oder im Internet steht – unter Nennung meines vollen Namens?

Literatur

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• L wie Legal. Wie ist die Rechtsposition? Ist mein Tun gesetzlich erlaubt oder verboten? Kann ich den konkreten Fall mit ausreichender Sicherheit juristisch beurteilen oder müsste ich zuerst einen Experten fragen? • O wie Oma. Was würde meine Großmutter dazu sagen oder hätte dazu gesagt? Viele alte Menschen verfügen über ein ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein und wissen intuitiv, was richtig und was falsch ist, vorgeschobenen Rechtsfertigungsversuchen zum Trotz. • B wie Bauchgefühl. Was sagt mein Bauchgefühl? Es gelingt uns meist recht gut, dieses Gefühl auszublenden, allerdings nicht auf Dauer. Über kurz oder lang kommt der Moment, wo wir zugeben müssen, dass eine Handlung ein mulmiges Gefühl in der Magengrube auslöst. Was tun, wenn einer oder mehrere Punkte Anlass zum Zweifel geben? Fragen Sie Ihren Compliance Officer!

Literatur Grüninger S (2014) Handbuch compliance management. Schmidt, Berlin Niewiarra K, Segschneider D (2016) Balanceakt compliance. Frankfurter Allgemeine Buch, Frankfurt Schneider T, Geckert C (2016) Verhaltensorientierte compliance. Schmidt, Berlin Verweyen A (2013) Mut zahlt sich aus. Gabal, Offenbach Wiswede G (2012) Einführung in die Wirtschaftspsychologie. Reinhardt, München

Der Compliance-Verstoß

17

Zusammenfassung

Dass Compliance-Verstöße passieren ist eine bedauerliche Tatsache, welche weder zur Resignation, noch zum Aktionismus führen darf. Aktive und potenzielle Täter sollen möglichst frühzeitig „abgeholt“ werden. Werden die Motive verstanden und die Handlungen nachvollzogen, wird aus einem einmaligen Verstoß kein andauerndes Handlungsmuster. Neben dem Täter gilt es die weiteren, unbeteiligten Mitarbeiter zu berücksichtigen. Diese ziehen aus dem Umgang mit dem Delinquenten Schlüsse und orientieren ihr eigenes Verhalten daran. Zieht die Compliance diese Perspektive heran, wird nicht allein Bestrafung oder Vergeltung der Handlungsmaßstab sein, sondern Verständnis, ja Barmherzigkeit herrschen, wobei letztere von einem konzeptionslosen „alles wird gut“ weit entfernt ist.

17.1 Compliance als Schnellkochtopf Vergleicht man die Compliance mit einem Schnellkochtopf sind alle üblichen Maßnahmen dazu angetan die Temperatur und den Druck im Topf zu erhöhen. Dies trifft auch auf die im vorliegenden Buch entwickelten Schritte zu. Fehlt das Ausgleichsventil, die Möglichkeit kontrolliert Druck abzulassen, fliegt der Topf irgendwann in die Luft. Die Trümmer treffen Beteiligte und Unbeteiligte und alle fragen sich wie es dazu kommen konnte, wenn bspw. jahrelang eine größere Gruppe von Mitarbeitern gegen Compliancevorgaben verstieß. Betrachtet man die nach der Aufdeckung vorgenommen Schritte, wirkt es allerdings so, dass der neue Topf dickere Wände erhält, dem Auslassventil aber immer noch keine Bedeutung geschenkt wird. Der Herd wird wieder auf volle Temperatur gedreht und alles erscheint gut, schließlich sind die neue Wände dicker, mehr Personal steht zur

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Schneider, Werkzeuge wirkungsvoller Compliance, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61792-2_17

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17  Der Compliance-Verstoß

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­ erfügung und zusätzliche Kontrollen wurden implementiert, eine unerbittliche Null-ToV leranz Politik erscheinen als adäquate Reaktion. Unbemerkt baut sich neuer Druck auf … Alle Fortschritte im Strafrecht, im Umgang mit Straftäter, insbesondere Jugendlichen, welche in jungen Jahren auf die „schiefe Bahn“ geraten, ein angemessenes, individuelles Strafmaß, die Begleitung nach Verbüßung der Strafe und Resozialisierung sind an vielen Unternehmen vorbeigegangen. Hier erinnert Compliance an die Situation des Strafvollzuges in den 1950er-Jahren.

17.2 Das falsche Paradigma Werden Compliance-Verstöße bekannt, steht bei der Beurteilung des Verstoßes der Täter im Mittelpunkt. Unabhängig davon, ob es sich um einen Kollegen im eigenen Unternehmen oder den Manager eines anderen Unternehmens handelt dessen Verhalten an die Öffentlichkeit gelangt ist. Meistens ist es ohnehin kaum möglich die Motive zu kennen, die Situation zu verstehen, die Handlungen nachzuvollziehen. Dann liegt es schlicht an der Person, ihren, schlechten, Charaktereigenschaften. Die Compliance folgt diesem Verhaltensmuster. Wer bspw. vor diesem Hintergrund die üblichen Schulungsunterlagen betrachtet, stellt fest, dass ein einseitiges Schwarz – Weiß Bild überwiegt. Dilemma-Entscheidungen, schwierige Interessenabwägungen, Situationen von Überlastungen und Überforderungen kommen schlicht nicht vor. cc

Menschen neigen im Allgemeinen dazu Ursachen negativen Verhaltens bei anderen auf die Person zurückzuführen, bei sich selbst wird das Verhalten jedoch mit der speziellen Situation begründet (Stürmer 2009, S. 42).

Entsprechend werden Ausreden und Entschuldigungen Aussage zum eigenen Fehlverhalten dominieren. Dies ist kein schlechtes, sondern ein typisch menschliches Verhalten. Menschen neigen zum „Wegattribuieren“. Das eigene Verhalten wird auf situative Faktoren statt stabiler Persönlichkeitsmerkmale zurückgeführt (Stürmer 2009, S. 60). Dies hilft ein stabiles, positives Selbstbild zu entwickeln. Dann war der eigene Compliance-Verstoß ein einzelner Vorfall, eine unglückliche Situation, selbst wenn sich diese erneut und wiederholt ereignet.

17.3 Überlegtes und spontanes Verhalten Abb.  17.1 erläutert die einzelnen Komponenten eines geplanten Verhaltens (Stürmer 2009, S. 61). Die Einstellung gegenüber einem Verhalten setzt sich aus zwei Komponenten zusammen: aus der eingeschätzte Auftrittswahrscheinlichkeit bestimmter Verhaltenskonsequenzen und der Bewertung dieser Verhaltenskonsequenzen. Das Produkt aus Erwartung und

195

17.3 Überlegtes und spontanes Verhalten

Auftrittswahrscheinlichkeit Verhaltenskonsequenz Einstellung gegenüber dem Verhalten Bewertung Verhaltenskonsequenz

Intention

Verhalten

norminative Erwartungen Anderer

subjektive Norm Motivation den Erwartungen zu entsprechen

Verhaltenskontrollen

Abb. 17.1  Theorie des geplanten Verhaltens. (Stürmer 2009, S. 61)

Wert stellt die Einstellung gegenüber dem Verhalten dar, wie Erfolg oder Misserfolg gewertet und wie hoch das Aufdeckungsrisiko eingeschätzt wird. Auch die subjektive Norm wird aus zwei Komponenten entwickelt: der wahrgenommene normative Erwartungen signifikant Anderer bzgl. des Verhaltens und der Motivation diesen Erwartungen zu entsprechen. Hier ist die Unternehmensleitung gefordert, die Compliance verdeutlicht und präzisiert in einem ersten Schritt und beeinflusst diese mit weiteren Maßnahmen. Aus der Intention erwächst die Verhaltensbereitschaft, zum tatsächlichen Verhalten führt diese erst, wenn die Verhaltenskontrolle erfolgreich verläuft. Die Intention wird über die Wahrnehmung über die erforderlichen Fähigkeiten und Ressourcen zu verfügen kon­ trolliert. Die Verhaltenskontrolle der direkten Ausführung prüft, ob das Verhalten tatsächlich erfolgen kann. Damit ist erneut das Internen Kontrollsystems betroffen. Eine andere, psychologische Gefahr ist das „Moral Konto“. Darauf zahlen Menschen mental ein, wenn sie eine gute Tat vollbracht haben und heben bei schlechten Taten ab. Mitarbeiter die ständig und gewissenhaft die Compliance-Vorgaben erfüllen verfügen irgendwann über einen erheblichen „Kontostand“. Warum soll dann nicht auch einmal „abgehoben“ werden (Niewiarra und Segschneider 2016, S. 149)?

196

17  Der Compliance-Verstoß

Beispiel

Die Familie wurde durch die langen Arbeitstage vernachlässigt, also kann man als Ausgleich doch das Angebot eines Wochenendtrips annehmen oder dem Ehepartner das Schmuckstück gönnen, welches ein Geschäftspartner an die Privatadresse schickt. ◄

17.4 Geld oder Liebe? Im vorherigen Abschnitt wurde die subjektive Norm als ein Einflussfaktor der Intention angesprochen. Diese bildet den Schwerpunkt einer möglichen Beeinflussung durch interessierte Dritte, da hier die größten Einflussmöglichkeiten bestehen, wie schon der Begriffsbestandteil der „Subjektivität“ annehmen lässt. In der Fantasie von Außenstehenden wedeln diejenigen die Mitarbeiter zu Fehlverhalten anhalten möchten bildlich gesprochen mit dem Geldbündel, wobei diese Ansicht so populär wie falsch ist. Bei diesem Vorgehen würde dem Betroffenen bildlich gesprochen die Maske vom Gesicht gerissen. Nicht vor anderen, sondern vor sich selbst. Die eigenen Normen, die Legitimität des eigenen Handels können nicht gewahrt werden. Egal wie verklausuliert das Angebot Geld gegen Compliance – Verstoß daherkommt, kann derjenige der im wortwörtlichen Sinne Schmiergeld annimmt seine Selbstachtung nicht mehr waren. Um das erwähnte Bild von Peter Drucker aus Abschn. 13.2.2. aufzunehmen, wenn sich eine solche Person morgens im Spiegel sieht, sieht sie den „pimp“, keinen anderen. Wer Dritte zu falschen Entscheidungen anhalten möchte, geht einen anderen, subtileren Weg, der die Normen menschlichen Verhaltens berücksichtigt. Menschen handeln unter zwei, fundamental unterschiedlichen Normen. Einmal steht das soziale Miteinander im Mittelpunkt, ein anderes Mal der Markt. Wie diese Normen wirkten untersuchte der US Psychologe Dan Ariely. Versuchsteilnehmer wurden an einen PC gesetzt und bekamen die Aufgabe, auf dem Bildschirm mittels der Maus einen Kreis in ein Quadrat ziehen. War die Aufgabe erfüllt, wiederholte sich diese. Diese einfache Vorgabe eignet sich gut zur Ermittlung des Einsatzwillen der Testteilnehmer. Es wurden drei Gruppen gebildet. Die erste erhielt den geringen Betrag von 10 Cent pro erfüllter Aufgabe, die zweite beachtliche 4 Dollar, die dritte Gruppe kein Geld, sondern wurde nur freundlich um die Teilnahme gebeten. Dass diejenigen, die 10 Cent erhielten keinen übergroßen Einsatz zeigten und nur 101 Kreise ausfüllten, wird nicht erstaunen. Die besser Bezahlten schafften 159 Kreise, diejenigen die kein Geld erhielten sogar 168. Soziale Belohnung ist damit wirkungsvoller als Geld! Damit wird einmal mehr die Wirksamkeit des in Abschn.9.4 angesprochenen Prinzips des Gebens und Nehmens ausgezeigt (Ariely 2019, S. 100). Es fällt auf, dass der Unterschied zwischen der guten Bezahlung und der freiwilligen Teilnahme relativ gering ist, bei einem geringen Entgelt die Leistung jedoch drastisch abnimmt. Wer weder eine angemessene Bezahlung, noch soziale Anerkennung erhält, ist wenig motiviert.

17.4 Geld oder Liebe?

197

Wenn Menschen etwas leisten sollen können sowohl Sozial- als auch Marktnormen zur Anwendung gelangen, beide Normen sind wirksam. Eines jedoch funktioniert nicht: die Mischung, die Vermengung. Stellen Sie sich vor, Sie sind bei netten Freunden oder Verwandten zu einem Essen eingeladen. Der Tisch biegt sich unter der Last der Speisen, ein Wein nach dessen Preis man besser nicht fragt wird kredenzt, von Vorspeisen bis zum Nachtisch gibt es Mengen, die sicherlich eine Fußballmannschaft satt machen, aber für die Anwesenden schlicht zu viel sind. Zum Ende des schönen Abends erheben Sie sich, loben einmal mehr die Qualität der Speisen und die nette Atmosphäre. Eine solches Mahl würde in einem guten Restaurant wenigsten 80 € pro Person kosten, vom Wein ganz zu schweigen. Sie zücken ihre Brieftasche und überreichen den Gastgebern 200 € für sich und ihren Partner. Die Reaktion ist leicht vorstellbar: Erst betretenes Schweigen, dann Proteste der Gastgeber. Anschließend würden sich alle Anwesenden über ihr merkwürdiges, ja ungebührliches Verhalten verwundern. Ob Sie nochmals mit einer Einladung rechnen könnten erscheint unwahrscheinlich. Warum? Dabei wirkt das komplizierte, soziale Miteinander aufwendig. Menschen achten da­ rauf, dass zumindest langfristig ein Ausgleich von Geben und Nehmen herrscht. Dabei können je nach Situation auch Geldsummen fließen, aber dann nur in eine Richtung, so wenn die betagte Tante ihrem Neffen einen kleinen Betrag nach dessen Besuch zusteckt. Hilft dagegen der handwerklich begabte Nachbar beim Möbelaufbau, wird als Ausgleich bspw. eine Einladung zu einem Theaterabend ausgesprochen. Obwohl? Mag er nicht Fußballspiele mehr? Darauf hat man aber selber wenig Lust. Der soziale Ausgleich ist und bleibt kompliziert. Das Konzept, welches Ariely darstellt ist nicht neu. Eine vergleichbare Unterscheidung nahm bereits Georg Simmel 1900 vor (vgl. Simmel 2009). Simmel unterscheidet die beiden wichtigsten sozialen Medien: Geschenke und Geld. In seiner Philosophie des Geldes erläutert Simmel den entscheidenden Unterschied, Geld ermöglicht einen Tausch mit Menschen, die man nicht kennt. Nach dem Kauf eines Joghurts im Supermarkt gehen Käufer und Verkäufer wieder auseinander. Der Vorgang kann sich wiederholen aber auch nicht, eine dauerhafte Beziehung wird nicht aufgebaut. Mit Abschluss des Geschäftes ist der Austausch beendet. Keiner der Beteiligten steht gegenüber dem anderen in einer Schuld. Die Rechnung ist beglichen, rechtlich wie sozial. Das Geschenk ist das Gegenteil des Geldes. Geschenke fordern eine Revanche. Segen und Fluch der Gabe ist die soziale Beziehung wie Simmel ausführte. Damit verbunden ist die Frage des Ausgleiches, des sich revanchieren. Der Beschenkte tauscht Freiheit gegen Abhängigkeit. Damit besteht die Situation, welche Ariely beschrieben hat, eine Mischung aus sozialen und Marktnormen entsteht. Nicht nur die oben aufgeführte Essenseinladung liefert die zentrale Erkenntnis, dass ein solches Verhältnis problematisch ist. Genau diese Situation wird allerdings von interessierter Seite angestrebt. Zielgerichtet wird die Zusammenarbeit verändert, werden „Geschenke“ gemacht, wobei der Begriff weit gefasst werden kann. Dem Gegenüber wird geholfen, wenn bspw. kurzfristig Bedarf entsteht, wenn eine falsche Bestellung irrtümlich abgegeben wurde, eine Leistung nicht

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17  Der Compliance-Verstoß

vertragskonform ausgeführt wurde und der Nachbesserung bedarf. Auch innerhalb eines Unternehmens wird diese problematische Perspektive offensichtlich, wenn ein Kollege plötzlich Vorgesetzter wird. Es sei nochmals auf den entscheidenden Unterschied hingewiesen, das Prinzip des Gebens und Nehmens innerhalb einer Organisation ist hilfreich und sinnvoll, außerhalb bzw. zwischen Organisationen sollte tunlichst darauf verzichtet werden. Auch um den Preis als kleinlich, ja pedantisch bezeichnet zu werden, ist doch das Gegenteil der Fall. Nur die konsequente Trennung von Privat- und Berufsleben verschafft in beiden Lebensbereichen die notwendige, erstrebenswerte Freiheit. Nun werden sich viele Leser in einer Situation befinden, dass diese Mischung der sozialen und marktlichen Normen bereits erfolgt ist. Hier hilft nur eines: die Beziehung auf „Null“ stellen, gedanklich aber auch tatsächlich, klaren Tisch machen, Schulden begleichen, gleichwohl ob diese im sozialen oder juristischen Sinne bestehen.

17.5 (Potenzielle) Täter erreichen Für den potenziellen Täter sind die möglichen Konsequenzen seines Handels eindeutig. Dennoch wird er sich kaum von der Compliance angesprochen fühlen. Wie dargelegt, wird das eigene Fehlverhalten situativ interpretiert. Dann wurde in einer Situation, eine falsche Entscheidung getroffen. Wer mag diesen Einzelfall für sich grundsätzlich ausschließen können? Die personenbezogenen Richtlinien und Präsentationen der Compliance werden nachvollzogen und akzeptiert, nur eben nicht auf die konkrete Situation bezogen. Selbst wenn das scheinbar spontane Verhalten regelmäßig erfolgt und von Dritten als überlegtes Handeln bedeutet wird, wird der Betroffene für sich persönlich diese Einschätzung ablehnen. Eine Analogie zu Rauschgiftabhängigen verdeutlicht diese Sichtweise, auch diese haben immer einen, situativen, Grund zur Flasche, der Tablette oder Spritze zu greifen, die Gewohnheit wird schlicht geleugnet. Für die Compliance gilt es Mitarbeiter, welche in dieser Situation standen zu erreichen, ohne zu wissen um welche Mitarbeiter es sich handelt. Dennoch kann eine gewisse Einordnung erfolgen, handelt es sich doch bei den Betroffenen grundsätzlich um Mitarbeiter, welche die oben angesprochen Entscheidungen überhaupt treffen können, womit Berufserfahrung und eine gewisse hierarchische Stellung vorausgesetzt werden dürfen. Andere sollten durch das IKS an entsprechenden Handlungen gehindert werden. Für eine Ansprache werden sich Schulungen eignen, welche auf dieser Ebene dialogorientiert gestaltet werden und entsprechende Situationen in Form einer Fallstudie thematisieren. Damit werden die Aussagen des Kap. 16 zu Schulungen nicht ungültig, vielmehr handelt es sich um eine gezielte Erweiterung. Mit dem Anspruch Verständnis zu zeigen ist der Vorwurf verbunden dem Täter Auswege anzubieten, Verstöße zu trivialisieren und Dritten Anreize zu geben die gleichen Verstöße zu begehen. Diese Diskussion gibt es im Strafrecht seit 100 Jahren, wobei das Pendel immer wieder in die eine oder andere Richtung ausschlägt. An dieser Stelle kann

17.7 Zukünftige Verhinderung

199

nicht die Situation im einzelnen Unternehmen thematisiert werden, der Leser mag selbst prüfen inwieweit Verfolgung, Bestrafung, ja Vergeltung, in seiner Complianceorganisation den Schwerpunkt darstellen oder auch Angebote zur Rückkehr und Resozialisierung eine Rolle spielen.

17.6 Das Angebot der Compliance Die im Kap.  4 angesprochen ethischen Prinzipien sollen Compliance-Verstöße verhindern. Wer diese Prinzipien kennt und beachtet ist hiervor sicherlich besser geschützt als andere, nie aber vollständig. Damit bleibt die Frage der Ausrichtung zwischen einer konsequenten Compliancepolitik, welche Verstöße nicht trivialisiert und relativiert und der Möglichkeit einem Delinquenten Möglichkeiten der Umkehr zu bieten. Interessante Analogien lassen sich aus der Kirchengeschichte ziehen. Die Vorgaben richtigen Verhaltens gleichen dabei den üblichen Compliancerichtlinien, „du sollst“ bzw. „du sollst nicht“ sind in den Geboten eindeutig vorgegeben, abgestufte, relative Strafen gegen mögliche Verstöße gibt es nicht. Dem Sünder droht die ewige Verdammnis im Jüngsten Gericht. Dennoch zeigt die Kirche einen Ausweg auf, die Barmherzigkeit. Barmherzigkeit ist eine der herausragenden Eigenschaften Gottes. In seiner Offenbarung am Sinai gibt er sich zu erkennen: „der Herr ist ein barmherziger und gnädiger Gott, langmütig, reich an Huld und Treue“ (Exodus, 34,6 nach Luther 2016). Während das „gnädig“ darauf verweist, dass Gott sich seinem Volk zuwendet, drückt das „barmherzig“ aus, dass Gott die Sünde sieht, aber verzeiht und dem Bund mit seinem Volk treu bleibt. Immer wieder wird betont die Bibel, dass Gott die Sünde hasst, aber den Sünder liebt. Die katholische Kirche gibt es seit fast 2000 Jahren, wahrscheinlich auch wegen der Möglichkeit der Beichte und der damit verbundenen Umkehr. Inwieweit die Fantasie des Lesers ausreicht sich eine vergleichbare Situation für die Compliance vorzustellen kann hier nicht beurteilt werden. Dennoch sollte die Frage ernsthaft gestellt werden: Was bietet die Compliance dem „Umkehrer“? Warum soll sich der Einzelne sein Verhalten ändern? Warum Fehler bekennen? Dabei schaut der Täter vor einer Selbstbezichtigung auf den Umgang mit denjenigen Betroffenen, die bereits auffällig wurden und wie im Unternehmen mit ihnen umgegangen wurde, womit sich der Bezug zum folgenden Kap. 18 ergibt, dass das Vorgehen nach der Aufdeckung thematisiert.

17.7 Zukünftige Verhinderung Aus Fehlern lernen, ist so richtig wie trivial. An erster Stelle steht allerdings für die Compliance die Erkenntnis, dass Fehler begangen wurden. Compliance-Verstöße als unvermeidbar abzutun kann nicht der selbst gewählte Anspruch sein. Ein perfektes IKS ist für ein Unternehmen schlicht zu teuer und unpraktikabel, als das dieses vor allen Verstößen

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17  Der Compliance-Verstoß

schützen kann, dann gilt es auf andere Instrumente ergänzend zurück zu greifen, wie sie im vorliegenden Buch entwickelt werden. Im vorliegenden Kapitel steht der Einzelne im Blickpunkt. Zu Anfang des Buches war es die Gesellschaft und das Unternehmen, dann die Gruppe, bzw. Gruppen, denen sich der Einzelne zugehörig fühlt. Diese drei Bereiche beeinflussen sich gegenseitig, die wirkungsvolle Compliance nutzt in allen Bereichen ihre Möglichkeiten, wobei die sozialen Prozesse bereits aufgrund ihrer „Scharnierfunktion“ einen Schwerpunkt darstellen. Die Konzentration, die Vermehrung bzw. Verminderung der Aktivitäten der Compliance orientieren sich dabei am Minimumgesetz von Justus von Liebig, welches besagt, dass das Wachstum von Pflanzen durch die im Verhältnis knappste Ressource (Nährstoffe, Wasser, Licht etc.) eingeschränkt wird.

17.8 Die Unbelehrbaren Es kann und wird Unbelehrbare geben, Mitarbeiter, welche sich bewusst auf Kosten des Unternehmens bereichern, als auch solche, die Prioritäten falsch setzen, dem Unternehmen durch ihr Verhalten kurzfristige Vorteile bescheren, selbst um das Preis die langfristige Existenz zu gefährden. Eine wirkungsvolle Compliance wird deren Anzahl auf sehr wenige reduzieren können. Stellt die Werteorientierung einen zentralen Eckpfeiler der Unternehmenspolitik dar und ist bei Einstellung und Beförderung die Grundlage der Entscheidung, werden Fehltritte als Realität akzeptiert, Auswege angeboten und Lösungen skizziert. Compliance-Verstöße lassen sich nicht vollständig vermieden, das wirksame IKS wird jedoch die Existenzgefährdung des Unternehmens auf ein Niveau drücken, mit dem die Beteiligten leben können. Um das Bild des Schnellkochtopfes vom Anfang des Textes aufzugreifen, der Druck muss hoch bleiben, durch die Möglichkeit des kontrollierten Dampfaustritts aber beherrschbar sein. Damit wird der Bogen zum Kap. 18 geschlagen, welches aufzeigt, wie mit Mitarbeitern verfahren wird, die nicht compliancekonform handeln.

Literatur Ariely D (2019) Amazing decisions. Hill and Wang, New York Luther M (2016) Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung – Lutherbibel revidiert. Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart Niewiarra K, Segschneider D (2016) Balanceakt compliance. Frankfurter Allgemeine Buch, Frankfurt Simmel G (2009) Philosophie des Geldes. Anaconda, Köln Stürmer S (2009) Sozialpsychologie. Reinhardt, München

Nach der Aufdeckung

18

Zusammenfassung

Nach der Aufdeckung eines Compliance-Verstoßes ist die Aufregung im Unternehmen groß. Nicht zuletzt aufgrund zunehmender Reputationsverluste und Strafhöhen nimmt die Unternehmensleitung regen Anteil, die Rechtsabteilung bemüht sich um die Eingrenzung des Schadens, die Interne Revision um die exakte Ermittlung und die zukünftige Vermeidung entsprechender Vorfälle. Dabei kommt dem Strafmaß eine große Bedeutung zu, für den Betroffenen, noch mehr für die Unbeteiligten, welche nur dann zukünftig Compliance-Verstöße melden, wenn sie das Strafmaß als gerecht ansehen. Wie dieses Strafmaß bestimmt wird, zeigt der weitere Text auf. Seinen Abschluss findet der Vorgang im Umgang mit dem Deliquenten, wo ebenfalls Verhältnismäßigkeit vor Unerbittlichkeit stehen sollte.

18.1 Verantwortlichkeit und Ziele Welcher Unternehmensbereich nach der Aufdeckung eines Compliance-Verstoßes die Verantwortung übernimmt lässt sich nicht aus dem Organigramm entnehmen, dass die Expertise verschiedener Funktionsträger erforderlich ist, vereinfacht die Angelegenheit nicht. Dennoch sollte die Compliance die Federführung übernehmen und die Aktivitäten koordinieren. Dabei sind die Aufgaben anderer Fachbereiche, deren Involvierung und die benötigte Arbeitszeit häufig größer, aber das entscheidende Ziel wird nur erreicht, wenn die Compliance die Anstrengungen koordiniert: der zukünftige Ausschluss vergleichbarer Vorfälle. Mit der Aufdeckung doloser Handlungen ist das erste Ziel bereits erreicht. Entsprechend schnell entsteht der Eindruck, dass die weiteren Aufgaben unter dem Begriff der „Abarbeitung“ oder des „Aufräumens“ subsumiert werden können. Nach der großen © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Schneider, Werkzeuge wirkungsvoller Compliance, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61792-2_18

201

202

18  Nach der Aufdeckung

­ ufregung mit Bekanntwerden des Vorfalls wird Hektik verbreitet und der Delinquent aus A dem Unternehmen entfernt. Solange nicht noch eine rechtliche Aufarbeitung in Form von Gerichtsprozessen erfolgt, ist der Vorgang damit abgeschlossen. Dennoch sollte die Compliance die Chance nutzen das plötzliche Rampenlicht optimal auszufüllen und dies bewusst zur Werbung für die Tätigkeit zu gestalten. Dabei steht der Umgang mit dem Täter, genauer der von den anderen Mitarbeitern empfundene Umgang, im Mittelpunkt. Konsequenz und Härte mögen erforderlich sein, wirken aber verstörend und unsympathisch, wenn das Vorgehen als „ungerecht“ wahrgenommen wird. In diesem Spannungsfeld gilt es das richtige Vorgehen zu entwickeln. Kommt es zu einer behördlichen Strafverfolgung ist die Minimierung des Strafmaßes ein selbstverständliches Ziel, hierzu wurden die Grundlagen lange vor dem Einzelfall gelegt. Entweder gibt es ein funktionsfähiges CMS oder nicht. Die taktischen Verhandlungsfragen gegenüber den Behörden werden hier nicht näher betrachtet.

18.1.1 Zukünftige Vermeidung Dieses Ziel bedarf nicht der Begründung. Dabei gilt es den Prozess der Aufbereitung als Chance zu sehen. Defizite wurden offensichtlich und können gezielt beseitigt werden. Selbstverständlich ist eine Überprüfung der bisherigen Vorgaben hilfreich. Zwar sind meistens die grundsätzlichen Vorfälle abgedeckt, eine Präzisierung ist im Einzelfall hilfreich. Dabei gibt es unterschiedliche Gründe, welche einen Compliance-Verstoß ermöglichen. Sicherlich kann ein schlichtes Kontrollversagen vorliegen, ein Betroffener erledigt diese Aufgabe schlecht und oberflächlich. Hier gilt es allerdings kritisch zu fragen, inwieweit die Kontrolle überhaupt möglich ist. Beispiel

Der Finanzleiter, welche Zahlungsvorschläge final freigibt und dabei eine Liste von mehreren 100 Positionen erhält, kann eine „prüferische Durchsicht“ leisten, aber keine vollständige Kontrolle. ◄ Weiterhin kann ein Delinquent mit entsprechendem Geschick Lücken im IKS entdecken, die bisher keinem aufgefallen sind. Beispiel

Bei einem großen Konzern organisierte ein Hausmeister die beruflichen Umzüge von Vorständen. Dessen Beliebtheit resultiert daraus, dass er den Betroffenen praktisch alle Aufgaben mit großer Umsicht abnahm, auch die Anerkennung der Rechnungen der Umzugsunternehmen. Bei einer Büroverlegung sah der betroffene Vorstand zufällig doch die freigegeben Rechnung, an die fünf abgerechneten LKW konnte er sich nicht

18.1 Verantwortlichkeit und Ziele

203

erinnern. Später kam heraus, dass der Hausmeister und der Umzugsunternehmer jahrelang gemeinsame Sache gemacht hatten. ◄ Als finale Möglichkeit kann der technische Fortschritt dort Lücken schaffen, wo früher keine Bestanden. Beispiel

Der sog. „Vorstandstrick“, bei dem von einem scheinbaren Vorstand ein Mitarbeiter zur Überweisung einer größeren Summe unter strikter Geheimhaltung angehalten wird, funktioniert nur deshalb, weil bei einem Anruf im Telefondisplay dessen Name erscheint und spätere E-Mails ebenfalls entsprechend gekennzeichnet sind. ◄ Bei aller nachdrücklichen Verfolgung sollte sich die Interne Revision, nicht selten auch die Compliance fragen, inwieweit eine gewisse Nachlässigkeit auf eigener Seite zur Entwicklung beigetragen hat.

18.1.2 Gerechtigkeit Gerechtigkeit im Umgang mit dem Täter erscheint wenig relevant. Falls es zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung kommt ist dies ein Thema, welches das Unternehmen ohnehin nicht berührt. Im internen Umgang lässt das Arbeitsrecht der DACH Staaten in den meisten Fällen die Entlassung zu, wenn diese zivilrechtlich scheitert, gibt es die Möglichkeit einer Abfindungsregelung. Beim unternehmensinternen Strafmaß gibt es eine einfache Maxime: Je härter die Strafe umso besser. Also erfolgt die unmittelbare Freistellung nach der Aufdeckung der Tat. Wie dann die endgültige Trennung möglichst preiswert erfolgt wird den Arbeitsrechtlern überlassen. Nun wird einlöst was vielfach verkündet wird, die „Null-Toleranz-­Politik“ gegenüber Compliance-Verstößen. Mögliche Alternativen erscheinen wenig attraktiv. Soll das Unternehmen postulieren, das jeder Verstoß geprüft wird und wenn dieser nicht so schlimm ist das Leben nach einer Ermahnung weiter geht? Entsprechend kann sich für einen Beobachter, unternehmensintern oder -extern der Eindruck entstehen, dass Strafe, ja Rache und Vergeltung, das beherrschende Motiv sein. Ein solches ist Vorgehen üblich, und falsch. Vielmehr sollte der Anspruch darin bestehen gerecht zu sein. Für das Unternehmen im Allgemeinen und für die Compliance im Speziellen. Die zwangsläufig pauschalisierenden Aussagen zur Ethik aus Kap.  4 erfahren hier eine konkrete Ausgestaltung. Alle die im Unternehmen die unerbittliche Verfolgung des Täter postulieren sollten noch einmal einen Blick auf ihr Unternehmensleitbild werfen und die darin enthaltenden Aussagen zum Thema „Mitarbeiter“ und dem Umgang miteinander durchlesen.

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18  Nach der Aufdeckung

Verschiedene Konzepte der Gerechtigkeit wetteifern miteinander, wie die Diskussion innerhalb einer Gesellschaft immer wieder zeigt. Erfolgen öffentlichkeitswirksame Verurteilungen hat praktisch jeder Mitarbeiter eine Meinung dazu, warum das Strafmaß zu hoch oder zu niedrig sei. Dennoch lässt sich ein Grundkonsens entwickeln. Gerechtigkeit bedingt einen angemessenen, unparteilichen und einforderbaren Ausgleich der Interessen und der Verteilung von Gütern und Chancen zwischen den Beteiligten. Also im hier betrachteten Zusammenhang zwischen Delinquenten, Compliance, Unternehmensöffentlichkeit und -führung. Weiterhin soll das mögliche „Urteil“ für die anderen Mitarbeiter nachvollziehbar sein. Die Alternative zur Gerechtigkeit ist Willkür, welche sich keiner für sich oder seine Kollegen wünscht. Wenn das Unternehmen aus Sicht der Mitarbeiter so handelt ist es illegitim. Wie bereits ausgeführt ist diese Illegitimität eine dankbare Ausrede dafür selbst illegal zu handeln. Wer das Unternehmen so wahrnimmt ist nach eigener Überzeugung ein Denunziant, wenn er Compliance-Verstöße meldet. Damit hat der wahrgenommene Umgang mit den Tätern Folgen für die Meldung von Auffälligkeiten an die Compliance. Das Fehlverhalten sanktioniert werden muss, ist für die Mitarbeiter selbstverständlich, nur aber wenn diese Sanktionen als gerecht wahrgenommen werden, wird die Bereitschaft vorhanden sein auf Auffälligkeiten im unmittelbaren Arbeitsumfeld hinzuweisen und den Kollegen einer Verfolgung auszusetzen. Gleiches gilt in noch stärkerem Maße nach eigenen Fehlern. Das Verkünden zeitlich befristeter Amnestieregeln ist das Gegenteil von Gerechtigkeit, Willkür. Ein solches Vorgehen erinnert fatal an das Gottesgnadentum absolutistischer Herrscher, welche Amnestien gewährten, oder nicht. Mitarbeiter die sich falsch verhielten sind durchaus bereit die Folgen zu tragen, wenn aber ein geringfügiger Verstoß gegen Bewirtungsregeln zur Vernichtung der beruflichen Existenz führen kann, werden die Betroffenen schweigen.

18.2 Der unternehmensinterne Gerichtshof Letztlich muss die Unternehmensleitung zu einer Entscheidung, vergleichbar mit einem Gerichtsurteil, kommen. Damit in einem „Verfahren“ ein gerechtes Urteil gefällt wird, ist die Berücksichtigung einer Vielzahl von Faktoren zu gewährleisten: • • • • • • •

vollständige Aufklärung des Sachverhaltes, Unparteilichkeit des Richters (keine Befangenheit), Sachkenntnis des Richters, juristische Fachkenntnis des Richters, quasi Öffentlichkeit des Verfahrens, eine allgemeingültige Prozessordnung, das Recht der Beteiligten auf Akteneinsicht,

18.2 Der unternehmensinterne Gerichtshof

205

• die Möglichkeit, Beweise zu beantragen, Zeugen und Sachverständige zu befragen, sowie zur Sach- und Rechtslage Stellung zu nehmen, • die Möglichkeit, sich anwaltlich vertreten zu lassen. Diese Aufzählung zeigt eindeutig die Grenzen einer unternehmensinternen Urteilsfindung auf. Unabhängig davon, wie man es nennen mag, letztlich entscheidet im Unternehmen eine Person oder Institution darüber, was mit einem Betroffenen geschieht, da ein Großteil der dolosen Handlungen nicht strafrechtlich verfolgt wird, sondern es dem Unternehmen obliegt zivilrechtliche Schritte einzuleiten und/oder unternehmensintern vorzugehen. Dabei ergibt sich ein grundsätzliches Problem. Rechtssystematisch wird das ursprüngliche apodiktische Recht etwa der Zehn Gebote (Du sollst/sollst nicht …) vom konditionalen Recht (wenn  – dann) unterschieden, das die moderne Gesetzgebung prägt (Herzog 1988, S. 282). Compliance Vorgaben sind apodiktisch, womit es keine Indikatoren für das Strafmaß gibt. Anderseits wäre die Alternative eines konditionalen Rechts kaum praktikabel, müsste dieses doch potenzielle Verfehlungen nach einzelnen Detailgrade erfassen und jeweils Strafen festlegen. Ein Blick auf die Begründung von Strafen hilft allerdings weiter.

18.2.1 Strafe Vorgaben sollen nicht als unverbindliche Empfehlungen aufgefasst werden, weshalb für einen Verstoß Strafen vorgesehen sind. Strafen werden nach der Vereinigungstheorie mit verschiedenen Zielen begründet: • • • •

Veränderung des zu Bestrafenden zum Besseren (Spezialprävention), Abschreckung potenzieller anderer (Generalprävention), Schutz anderer (z. B. der weiteren Mitarbeiter), Wiederherstellung der Gerechtigkeit (Sühne) und von Vergeltung (Talionsprinzip), Gleichgewicht zwischen Schaden des Täters und Schaden des Opfers.

Letztlich bedarf es unternehmensinterner Kriterien bei der Ermittlung des Strafmaßes. Der folgende Vorschlag ist interpretierbar und verhandelbar (Schneider 2017, S. 63). • • • • • • • •

Motivation: persönliche Bereicherung oder Erreichung von Unternehmenszielen, Vorteilsgewinner: Täter, Angehörige, andere Mitarbeiter, Dritte, Durchführung: systematisch geplant oder spontan, Dauer des Verstoßes: einmalig oder andauernd, Aufdeckung: durch Dritte oder Selbstbezichtigung, Höhe des Schadens, Persönlich Betroffene, Dauer der Betriebszugehörigkeit, Zeit bis zur Pensionierung,

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18  Nach der Aufdeckung

• Berufliche Alternativen beim Verlassen des Unternehmens, • Position, Vertrauensverhältnis, • Persönliche Situation, Anzahl der Menschen die vom Einkommen des Delinquenten abhängig sind. Die Priorisierung kann und soll diskutiert werden um einen Konsens im Unternehmen herzustellen, welchen die Mehrzahl der Mitarbeiter teilt. Dabei gilt es abstrakte Lösungen zu finden, welche auf den Einzelfall Anwendung finden, nicht aber umgekehrt zu verfahren und einen „Musterfall“ zu entwickeln. Die Ausgestaltung der Strafe kann verschiedene Ausprägungen besitzen. • • • • • • cc

Finanzieller Ausgleich des Schadens: Sofortzahlung oder Ratenlösung, Streichung bzw. Reduktion von erfolgsabhängigen Entgeltbestandteilen, Spende an gemeinnützige Institutionen, Versetzung, hierarchische Abstufung, soweit dies möglich ist, Kündigung, Zeitraum bis zum Ausscheiden, Abfindungshöhe, Zivilrechtliche Verfolgung. Gerechtigkeit schließt Barmherzigkeit nach christlichem Verständnis nicht aus. Damit impliziert Barmherzigkeit nicht, dass die Compliance bei Verstößen wegsieht, sondern dass die Unternehmensleitung diese walten lassen kann.

Damit ist eine Frage der Unternehmenskultur angesprochen, wie sie in Kap. 3 skizziert wurde. Dies gilt es allerdings vorab und unabhängig vom Einzelfall festzulegen. Barmherzigkeit darf nicht zur Willkür werden, nicht nach Gutsherrenart gnädig gewährt oder verwehrt werden. Barmherzigkeit findet ihren Ausdruck bspw. in Bagatellgrenzen, wenn eine Unternehmensschädigung nicht ersichtlich ist oder der Berücksichtigung des Lebensalters bzw. der Dienstjahre wenn das für und wider einer Entlassung diskutiert wird. Ebenso kann der Grund thematisiert werden, der dem Versuch einer persönlichen Bereicherung zugrunde lag. An dieser Stelle können und sollen keine konkreten Vorgaben gemacht werden, innerhalb des Unternehmen kann aber ein breiter Konsens erzielt werden. Die Mitarbeiter wissen um die Folgen von Compliance-Verstößen und werden keine „Gnade vor Recht“ Politik favorisieren. Das dargestellte Vorgehen ist zeitaufwendig und interpretativ, allerdings stellt das bisherig oft geübte Vorgehen keine überzeugende Alternative dar. Unternehmen die sich bei diesem Thema an der Strafverfolgung des Mittelalters orientieren stellen ihre Compliance damit auf das Niveau einer damaligen Strafverfolgungsbehörde: der Inquisition.

18.2 Der unternehmensinterne Gerichtshof

207

18.2.2 Vertraulichkeit vs. Unternehmenspranger Signifikate Compliance-Verstöße bleiben spätestens dann nicht unerkannt, wenn Behörden ermitteln und/oder Gerichtsverfahren anhängig werden. Aber auch wenn Kollegen plötzlich verschwinden und weder der Betroffene noch das Unternehmen Gründe anführt stellen sich Mitarbeiter die Frage nach dem Warum. Sicherlich muss das Unternehmen den Persönlichkeitsschutz des Betroffenen wahren, anderseits werden nicht offiziell verkündete Informationen durch den „Flurfunk“ ersetzt, was nicht im Sinne der Compliance ist. Deshalb wird zeitnah auf den Persönlichkeitsschutz im Generellen hingewiesen. Die Compliance greift ergänzend auf die bereits bestehenden Kontakte im Unternehmen zurück, um kursierende Gerüchte zu erfahren und dort zu entkräften, wo es möglich ist.

18.2.3 Schadensausgleich Die oft hohen Schadenssummen lassen einen Ausgleich durch den verursachenden Mitarbeiter wenig wahrscheinlich erscheinen. Dabei geht es nicht allein um die persönliche Bereicherung, sondern auch um oft immense Kosten der Ermittlung, insbesondere wenn externe Unterstützung erforderlich wird. Die Privatinsolvenz bzw. der Konkurs des Betroffenen wäre die zwangsläufige Entwicklung. Sind Unternehmen involviert stehen die Chancen besser, wobei in beiden Fällen Rückzahlungspläne eine größere Erfolgsaussicht als die unverzügliche Durchsetzung der Ansprüche haben. Dann muss aber meistens mit dem Täter weiter zusammen gearbeitet werden, stellt doch die Tätigkeit im bzw. für das Unternehmen die Haupteinkommensquelle dar. Anderseits werden nicht selten Bagatellgrenzen überschritten, wenn es bspw. um die Annahme bzw. Gewährung von Einladungen oder Geschenken handelt. Hier zweistellige Eurobeträge zurück zu fordern wirkt engstirnig und kleinlich. Da eine „Strafe“ des Unternehmens jedoch rechtlich fragwürdig ist, kann eine Spende an eine wohltätige Organisation diesen Konflikt lösen. Vergleichbar mit dem Konzept der Tagessätze kann, je nach Relevanz des Verstoßes das Einkommen je Arbeitstag, -woche oder Monat als Zahlung vereinbart werden.

18.2.4 Die weitere Tätigkeit Eine weitere Beschäftigung der Delinquenten wird von den meisten Unternehmen kategorisch ausgeschlossen. Im Zweifel erfolgt die fristlose Kündigung, unabhängig davon ob es sich um Täter oder Mitläufer handelt. Selbst um den Preis einer Niederlage vor einem Arbeitsgericht werden lieber hohe Abfindungen gezahlt, als das der Betroffenen noch einmal das Unternehmen betritt.

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18  Nach der Aufdeckung

Beispiel

Hier sei nochmals an die erfolgreiche Organisation Kirche erinnert. Deren zentrale Eckpfeiler Paulus und Petrus werden in der Bibel mit ihren Verfehlungen, ihren Sünden dargestellt, um auf dieser Basis das Schuldeingeständnis und die Umkehr darzustellen. ◄ Dass diese beiden den Aufbau der jungen Kirche ganz maßgeblich gestalteten, sollte nicht unerwähnt bleiben. Solange nicht die unmittelbaren Kollegen sich einer weiteren Zusammenarbeit widersetzten, sollte die Compliance eine Weiterbeschäftigung präferieren. Die Betroffenen können im Rahmen von Schulungen ihre damalige Situation erläutern und einmal mehr plausibilisieren, dass die Situation, nicht die Persönlichkeit die entscheidende Determinante des Fehlverhaltens war.

18.2.5 Bild in der Öffentlichkeit Wie die Mitarbeiter interpretiert auch die Öffentlichkeit entsprechende Vorgänge, wobei die Kenntnisse meistens noch geringer ausfallen. Das Unternehmen muss und wird sich erklären, ohne dass der Schutz der Persönlichkeit des Einzelnen vernachlässigt werden darf. Deshalb wird es insbesondere bei der Führungsebene hilfreich sein, dass der Betroffene, in Abstimmung mit dem Unternehmen, selbst an die Öffentlichkeit geht, den Fehler einräumt und die skizzierten Folgen, bspw. die Spenden an gemeinnützige Organisationen publik macht.

18.3 Positiver Abschluss Der reine Tisch zum Abschluss ist wortwörtlich zu verstehen. Muss der Delinquent gehen wird sichergestellt, dass kein langer Leerlauf, kein Stillstand entsteht. Bleibt dieser im Unternehmen steht er nicht unter besonderer Beobachtung und absolviert eine Bewährungszeit, sondern kann sich voll und ganz seinen Aufgaben widmen. Abschließend gilt es einen Maßnahmenplan zu entwickeln und umzusetzen, welche sich auf den Verstoß bezieht. Das Momentum, das oft schmale Zeitfenster wird genutzt um längst geplante Schritte umzusetzen, welche bisher scheiterten. Diese Pläne sollten bereits existieren und ausformuliert sein. Hier bleibt die Compliance allzu oft wage. Als Maßstab kann sich das Controlling anbieten. Werden Soll- Ist Abweichungen im Budgetprozess festgestellt, reicht ein netter Appell selten aus. Stattdessen werden Maßnahmen diskutiert, Kennzahlen der Ziele festgelegt und die Umsetzung kontrolliert. Sicherlich bleibt nicht alles wie es wahr, die im Kap. 19 dargestellten Veränderungen betreffen jedoch die Organisation, nicht mehr den Einzelnen.

Literatur

Literatur Herzog R (1988) Staaten der Frühzeit. Ursprünge und Herrschaftsformen. Beck, München Schneider T (2017) Gerechtigkeit und Compliance. ZFRC 2:62–64

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Konflikte

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Zusammenfassung

Konflikte gehören zum beruflichen Alltag. Solange Knappheit herrscht wird es Konflikte geben, sei es um finanziellen Erfolg, den Stellenwert im Unternehmen, um die Aufmerksamkeit der Unternehmensleitung und die Zuteilung von Ressourcen, letztlich auch mit Ansprechpartner die den Konflikt suchen, aus welchen Gründen auch immer. Ebenso bringt die notwendige Koordination der verschiedenen Funktionen im Unternehmen Konflikte mit sich. Die Fähigkeit Konflikte zu lösen stellt keine Domäne der Compliance dar. Allzu oft und schnell wird lauthals der Argumentation Martin Luthers vor dem Wormser Reichstag von 1521 gefolgt: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir.“ Es seien die Gesetze, dass Primat der Politik über die Wirtschaft was keine Kompromisse zulässt. Dennoch gibt es zur Lösung von Kompromissen keine wirkliche Alternative. Die brachiale Durchsetzung der eigenen Vorstellung mag im Einzelfall gelingen, löst jedoch beim Gegenüber eine tief sitzende, emotional begründete Abneigung aus. Die Folge sind Rachegefühle, verbunden mit dem Wissen, dass man sich im Leben zweimal sieht. Wer geduldig abwartet wird die Chance zur Rache finden und nutzen. Dass diese Situation nicht eintreten soll bedarf nicht der weiteren Ausführung.

19.1 Ehrlichkeit Das vorliegende Kapitel beginnt mit dem Thema Ehrlichkeit, weil hier Konflikte angesprochen werden, welche der Einzelnen quasi mit sich selber austrägt. Da sich 92 % der Menschen als „ehrlich“ bezeichnen, scheint dieses Thema wenig Relevanz zu besitzen. Dennoch gibt es Situation in denen Ehrlichkeit zur Ausnahme wird. Erst wenn diese Konflikte gelöst sind, können Konflikte mit Dritten gelöst werden. Wie bei vielen anderen © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Schneider, Werkzeuge wirkungsvoller Compliance, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61792-2_19

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212

19 Konflikte

Sachverhalten ist auch hier eine Trennung von CO und Mitarbeitern künstlich. Mithin ist der Leser sowohl aktiv und direkt als Mensch betroffen, wie auch passiv und indirekt als CO. Dan Ariely führte aufschlussreiche Experimente durch, welche wichtige Hinweise generieren. Dabei beschränken sich die Ergebnisse nicht auf die Aufdeckung von Fehlverhalten, sondern können Betroffenen dabei helfen ehrlich zu bleiben (Ariely 2015, S. 74).

19.1.1 Grad der Ehrlichkeit Eine Gruppe von Studenten absolvierte einem Multiple-Choice Test. 50 Fragen wurden innerhalb von 15 Minuten beantwortet. Für jede richtige Antwort erhielten die Teilnehmer 10 Cent. Es wurden drei Gruppen gebildet. Die erste Gruppe füllte die Testbögen aus und gab sie ab. Unehrliches Verhalten war ausgeschlossen. Die zweite Gruppe übertrug nach dem Test die Antworten auf einen Auswertungsbogen, auf dem die korrekten Antworten standen. Wer bspw. bei der Frage nach dem längsten Fluss der Erde „Mekong“ angekreuzt hatte, sah nun, dass es sich um den „Nil“ handelte. Die Übertragung der eigenen Ergebnisse wurde nicht kontrolliert, Arbeits- und Auswertungsblatt wurden der Aufsichtsperson übergeben. Unehrlichkeit war möglich, verbunden mit dem Risiko erwischt zu werden. Die dritte Gruppe übertrug die Antworten ebenfalls auf das Auswertungsblatt und zerriss den ursprünglichen Testbogen, so keine Kontrolle der Ehrlichkeit möglich war. Die erste Testgruppe beantwortet durchschnittlich 32,6 Fragen richtig, die zweite Gruppe 36,2 Fragen, die dritte 35,9 Fragen. Weitere Versuche bestätigten die Ergebnisse als repräsentativ, unabhängig von Ausbildung oder Alter der Teilnehmer. Menschen nutzen offensichtlich Betrugsmöglichkeiten, auch wenn der Vorteil mit 10 Cent pro einzelnem Betrug gering ist. Allerdings werden die Möglichkeiten nicht auf die Spitze betrieben, selbst wenn keinerlei Risiko besteht erwischt zu werden, nimmt die Unehrlichkeit keinen größeren Umfang an. Ehrlichkeit ist Menschen wichtig, in einer von Ariely zitierten Studie gaben 98 Prozent der Teilnehmer dies an. Dennoch sind offensichtlich mehr als 2  Prozent der Menschen unehrlich, was widersprüchlich wirkt. Sie sind es nicht wirklich, zumindest nicht in ihrer Selbstwahrnehmung, allenfalls ein wenig. Ein Kugelschreiber wird einmal mit nach Hause mitgenommen, keine ganze Kiste, ein Karton Kopierpapier entwendet, keine Palette in den Privatwagen umgeladen. Bei den Reisespesen ein wenig die Uhrzeiten manipuliert, nicht aber Belege gefälscht oder eine Reise vorgetäuscht.

19.1 Ehrlichkeit

213

19.1.2 Moralische Implikationen Bei einem anderen Test galt es Mathematik-Aufgaben zu lösen. Hier wurden ebenfalls Antworten die ohne Betrugsmöglichkeiten, solchen mit Betrugsmöglichkeiten gegenübergestellt. Wie erwartet ergaben sich Unterschiede. Die betrugsfreie Gruppe löste durchschnittlich 3,1 Aufgaben, die Teilnehmer mit Betrugsmöglichkeiten 4,1 Aufgaben. Im nächsten Test wurden erneut Betrugsmöglichkeiten eingeräumt, die Teilnehmer erhielten allerdings vorab Aufgaben. Die Hälfte sollte die letzten fünf Bücher notieren, die sie gelesen hatte, die andere die zehn Gebote, besser gesagt die, welche ihnen einfielen. Beim anschließenden Test betrogen diejenigen, die die Bücher notiert hatten durchschnittlich, diejenigen, die die ihnen bekannten Gebote notierten dagegen überhaupt nicht. Bei anderen Versuchen zeigten vergleichbare Eingriffe die gleiche Wirkung. So unterschrieben Studenten vor dem Test eine Erklärung, in der festgehalten wurde, dass der Test unter den „Ehrenkodex“ der Universität fällt, wobei ein solcher Kodex überhaupt nicht existierte. Wiederum waren die Teilnehmer die die Erklärung unterschrieben ehrlich, selbst bei Manipulationsmöglichkeiten. Damit wird der Einfluss entsprechender Erklärung klar, selbst wenn es nur Aufschreibungen moralischer Vorgaben ohne direkten Bezug zur eigentlichen Handlung sind oder die Bestätigung einer Vorschrift, die in Bezug zur Ehrenhaftigkeit steht, so pauschal dieser auch sein mag. Bereits die in Kap. 13 angesprochenen Berufsanfänger werden deshalb mit dem Thema konfrontiert.

19.1.3 Ehrlichkeit und Geld Während des Vorlesungsbetriebs an der Universität schlich Dan Ariely in die Gemeinschaftsbereiche von Studentenheimen und platzierte in den frei zugänglichen Kühlschränken einmal ein Sixpack mit Coca-Cola Dosen, einmal einen Teller mit sechs Dollarscheinen. Was würde schneller verschwinden? Nach spätestens 72 Stunden waren sämtliche Dosen verschwunden, das Geld blieb unangetastet. Die zugrunde liegende Systematik zeigt sich auch im Berufsleben. Wenn ein Familienmitglied einen gelben Textmarker braucht, welche im Büromittelschrank frei zugänglich ist, nehmen diesen viele Mitarbeiter mit. Angenommen die Ausgabe erfolgt durch einen Mitarbeiter, der erst wieder am folgenden Tag anwesend ist, gegenüber der Arbeitsstätte liegt aber ein Schreibwarengeschäft, der Betroffene müsste zwei Euro zahlen, hat aber kein Bargeld zur Hand. Die Portokasse ist offen, er könnte zwei Euro herausnehmen und damit den Stift kaufen. Dies würden die wenigsten tun. Kleine Schwindeleien werden durch den Handelnden rationalisiert. Wenn die oben erwähnten 98 Prozent der Menschen Ehrlichkeit für wichtig und richtig handeln, werden sie nicht unehrlich handeln, zumindest nicht so richtig … Entsprechend wird ein wenig Unehrlichkeit so gedeutet, dass sie in das Selbstbild des ehrlichen Menschen passt. Die Mitnahme von Büroartikel, die Angabe längerer Reisezeiten in der Spesenabrechnung, die

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19 Konflikte

allzu üppige Einladung eines Geschäftspartners, all dies wird als Teil der Gesamtentlohnung interpretiert, zumal das Gehalt bzw. die Jahresprämie ohnehin zu niedrig sind. Dann ist es ausgleichende Gerechtigkeit, wenn sich der eigene „faire“ Anteil zugestanden wird. Was für einen selbst gilt, muss für andere gelten, entsprechend wird häufig weggesehen, wenn sich andere Mitarbeiter im wortwörtlichen Sinne selber bedienen. Bei dem sprichwörtlichen Griff in Kasse, wären allerdings keine Ausreden mehr möglich. Für die Compliance gilt es diese Sichtweise, ja Selbsttäuschung, zu hinterfragen, ja zu zerstören. Selbstverständlich besteht für ein Unternehmen kein Unterschied, wenn 1 Euro oder ein wiederzubeschaffendes Gut im Wert von 1 Euro entwendet wird. Nun kann nicht auf jeden Stift oder jeden Block Kopierpapier ein Preisschild angebracht werden, die ­gesamten Kosten der Beschaffung sollte allerdings in Compliance – Schulungen durchaus angeführt werden, um die Dimension der Selbstbedienung und die Folgen für das Unternehmen darzustellen. Diebstahl bleibt Diebstahl und ist mit dem Anspruch der eigenen Ehrlichkeit nicht vereinbar.

19.1.4 Direkter und indirekter Gelderhalt Bei einem weiteren Versuch wurde die Logik der Handlenden ersichtlicher. Es galt zwanzig Rechenaufgaben zu lösen, anschließend wurden 50 Cent pro richtiger Antwort ausgezahlt. Erneut wurden drei Gruppen gebildet. • Die Antworten der ersten Gruppe wurden abgegeben und kontrolliert. • Die zweite Gruppe hatte wiederrum die Möglichkeit der unbemerkten Manipulation. Die Ergebnisse entsprachen den bisherigen Versuchen. In der ersten Gruppe wurden durchschnittlich 3,5 Fragen richtig beantwortet, in der zweiten Gruppe 6,2 Fragen. In der dritten Gruppe wurden die Antworten wie die der zweiten Gruppe nicht kontrolliert. Als Unterschied wurde festgelegt, dass die Gruppenmitglieder nicht unmittelbar Geld vom Versuchsleiter erhielten, sondern sich aus einer Schüssel je richtiger Antwort einen Poker-Chip nahmen, dann drei Meter durch den Raum gingen und dort die Chips gegen Bargeld umtauschen konnten. In dieser Gruppe stiegen die „richtigen“ Antworten drastisch an und lagen bei durchschnittlich 9,4. Bei den bisherigen Versuchen mit 2000 Teilnehmern hatten nur vier behauptet alle Probleme gelöst zu haben, beim Poker-Chip Versuch behaupteten dies 24 von 450 Teilnehmern. Da in der kontrollierten Testgruppe niemand die Aufgaben 14–19 richtig gelöst hatte, ist die Wahrscheinlichkeit alle Fragen richtig zu beantworten äußerst gering. Damit veränderte sich die Betrugsquote von 0,16 % auf 5,33 %, stieg also um das 33-fache an. Im Experiment wird der Chip innerhalb von Sekunden zu Geld gewechselt. Der Leser mag ermessen, welche Auswirkungen es auf die Ehrlichkeit der Betroffenen hat, wenn bei Aktienoptionen oder Vertriebsprovisionen ein sehr viel längerer Zeitraum vergeht, bis die tatsächliche Auszahlung erfolgt.

19.2 Lösungsmöglichkeiten von Konflikten

215

Mittels der Entkoppelung wird der Bezug zwischen Handlung und Auswirkung weitgehend außer Kraft gesetzt, selbst wenn es sich, wie bei der Versuchsanordnung, nur um wenige Sekunden, respektive Meter, handelt. Hier zeigt sich ein Bild, dass bereits in Kap. 17 bei der Vermischung von Bezahlung und Geschenk entwickelt wurde. Dieser Mechanismus wird von Dritten genutzt, die sich auf Kosten des Unternehmens mit Hilfe eines Mitarbeiters bereichern wollen. Es wird eben nicht mit dem bildlichen Geldbündel gewedelt, sondern durchaus eine zeitliche und inhaltliche Distanz hergestellt. Dann erfolgt die Entlohnung einige Zeit später und wird über einen „Beratervertrag“ abgewickelt, es fließt kein Bargeld, sondern ein entsprechendes „Geschenk“ wird gemacht. Bei einer Bezahlung wird der selbstaufgelegte Schleier weggezogen und der Akteur muss sich als der sehen, der er tatsächlich ist: ein Betrüger. Bei Geld fehlen die Ausreden, bei anderen Gütern nicht. Der Betroffene bleibt „gut“, nicht primär vor den Augen anderer, sondern nach den eigenen Ansprüchen.

19.1.5 Kenntnis der Mechanismen Menschen sehen das dargestellte Verhalten nicht voraus. Als in einem anderen Experiment Studenten befragt wurden, ob diejenigen die Chips erhalten eher zu Betrug neigen, als die, die unmittelbar Geld erhalten, war die Ansicht klar: das Verhalten bliebe gleich, schließlich erfolgt der Umtausch sehr schnell. Die oben dargestellten Mechanismen aufzudecken ist eine Aufgabe der Compliance. Betrügerisches Verhalten ist das Resultat des Versuches zwei Ziele miteinander zu vereinbaren, die unvereinbar sind. Menschen möchten mit reinem Gewissen in den Spiegel schauen können, aber auch persönliche Vorteile wahrnehmen, falls sie sich bieten. Die Flexibilität der menschlichen Psyche ermöglicht es finanziell vom Betrug zu profitieren, ohne gleichzeitig ein allzu schlechtes Gewissen zu haben. Ariely bezeichnet dies als „Mogelfaktor“ oder „unscharfes Gewissen“. Um es volkstümlich auszudrücken: A bisserl was geht immer.

19.2 Lösungsmöglichkeiten von Konflikten Kein Konflikt beschränkt sich auf die sachliche Ebene. Mit der Eskalation der Auseinandersetzung gewinnt die persönliche Ebene an Gewicht. Die wenigsten Beteiligten können sich wie Politiker in der Öffentlichkeit Duelle liefern, um anschließend im Privaten zu harmonieren. Letztlich entscheidet die Complianceleitung, ob ein Austausch des Beteiligten zur Lösung der Situation sinnvoll ist. Dieser erfolgt aber nur nach Aussprache mit dem Mitarbeiter. Schließlich ist die Alternative ausschließlich blutleere, leidenschaftslose Berufsvertreter in den eigenen Reihen zu haben wenig befriedigend.

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19 Konflikte

Abb. 19.1  Konfliktlösungsstrategien. (Eigene Darstellung)

Anhand der Bedeutung des konträren Sachverhaltes lassen sich verschiedene Lösungsmöglichkeit finden. Gibt es Eindeutigkeit, wird gemäß Abb. 19.1 das spezielle Vorgehen gewählt. Diese Eindeutigkeit ist in der Realität seltener als vermutet, da die Bedeutung eines Sachverhaltes subjektiv ist. Dies fällt den Betroffenen häufig erst im Nachhinein auf, wenn eine scheinbare Niederlage doch nicht die befürchteten Auswirkungen hat oder sich die mühsam erkämpfte Durchsetzung als Pyrrhussieg erweist. Deshalb wird „Tit for Tat“ als primäre Vorgehensweise ausgewählt und ausführlich gehandelt. Tit for Tat Lösungsmöglichkeiten von Konflikten können nur unscharf sein, da sich das Kriterium „Bedeutung“ einer Quantifizierung entzieht. Vertrauen die Verhandlungspartner einander wird das Kriterium deutlich vermittelt, während es in anderen Situationen unklar bleibt. Ist die Situation unklar oder bewegen sich die Parameter in einem mittleren Bereich wird ein anderes Vorgehen ausgewählt, ein robustes Vorgehen, welches selten optimale, zumeist aber zufriedenstellende Ergebnisse hervorbringt: Tit for Tat. In der Spieltheorie bezeichnet Tit for Tat (Zug um Zug) die Strategie eines Betroffenen, welcher in einem fortgesetzten Spiel im ersten Zug kooperiert und anschließend genauso handelt wie der Gegenspieler in der vorherigen Runde. Damit erfüllt Tit for Tat vier Vo­ raussetzungen für eine wirkungsvolle Verhandlungsstrategie (Macharzina und Wolf 2015, S. 612): • • • •

Klarheit, Nachsichtigkeit, Freundlichkeit, Provozierbarkeit.

Tit for Tat ist klar und einfach, da nur zwei einfachen Regeln bestehen. Sie ist nachsichtig, denn sie reagiert nicht nachtragend und ist bereit, die Kooperation wieder aufzunehmen. Die Strategie ist freundlich, insofern jede Interaktion freundlich beginnt. Sie ist

19.2 Lösungsmöglichkeiten von Konflikten

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provozierbar, das heißt, sie lässt unfreundliches Verhalten eines Gegenspielers nicht unbestraft. Tit for Tat bestraft bei Defektion auch Interaktionspartner, die sich zuvor über längere Zeit kooperativ verhalten haben. Folgende Grundsätze sind dabei zu beachten (Dixit und Nalebuff 1997, S. 112): . Fangen Sie mit Kooperation an. 1 2. Verfolgen Sie genau, wie oft die andere Seite unfreundlich agiert, während Sie kooperieren. 3. Wenn der Anteil unfreundlichen Verhaltens zu hoch wird, kehren Sie zu Tit for Tat zurück. Damit wird ersichtlich, dass hier kein Widerspruch zur im Kap. 18 propagierten Barmherzigkeit besteht. Tit for Tat beinhaltet keine explizite Aufforderung unkooperativ zu sein, aber die Bereitschaft sich so zu verhalten sollte in der Compliance vorhanden sein. Weiterhin gilt es das unkooperatives Verhalten der Gegenseite offensichtlich zu machen. Es sind die kleinen, scheinbar unbewussten Handlungen, welche dennoch ihren Eindruck nicht verfehlen. Die ausschließlich schriftliche Dokumentation, der „vergessene“ Rückruf, die lang anhaltende, besonders intensive, Prüfung, der streng formale Ton ohne menschliche Komponente. Diese Reaktionen bleiben der Gegenseite nicht verborgen, um ein gegenseitiges Hochschaukeln zu vermeiden, werden immer wieder Signale der besseren Zusammenarbeit ausgesandt. Die meisten Ansprechpartner werden diese Strategie verstehen, bewusst oder unbewusst. Verhandeln Verhandlungen sind möglich, wenn es Verhandlungsmasse gibt. Die Compliance tut sich im Vorfeld von Gesprächen oft schwer diese zu sehen. Unbewusst werden Analogien zu Basarhändlern gezogen, bei denen unrealistische Vorstellungen Ausgangspunkt jeder Verhandlung sind. Nicht zu Unrecht versucht die Compliance bereits im Vorfeld den Partnern weit entgegen zu kommen, Richtlinien so knapp wie möglich, Schulungen so selten wie möglich und Prüfungen so kurz wie möglich zu gestalten. Interpretiert die Gegenseite dagegen das Angebot der Compliance als mehr oder weniger unverbindliche Ausgangsposition der eigentlichen Verhandlung, wird die Lösungssuche schwierig. Weiterhin gilt es den unterschiedlichen Charakteren im Unternehmen gerecht zu werden. Der Buchhalter mag neue Gesetze erhalten und wissen, dass Diskussionen weder möglich, noch sinnvoll sind, während der Einkäufer davon ausgeht, dass jedes Angebot einen gewissen Puffer enthält, Verhandlungen von der Gegenseite sogar erwartet werden, wie bspw. der Controller der den „Knetprozess“ zu den festen Ritualen der Budgetierung zählt. Verhandeln als Lösungssuche hört sich grundsätzlich gut an. Vorschläge wie das Harvard Konzept oder der von Stephan Covey propagierte „Dritte Weg“ zeigen eindrucksvolle Wege aus scheinbar unvereinbare Positionen zu einer gemeinsamen Lösung zu gelangen. Es gibt keine Gewinner und Verlierer, keinen faulen Kompromiss, kein Treffen in der

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19 Konflikte

Mitte der Maximalforderungen, sondern einen dritten, für alle Beteiligten besseren Weg, dessen Entwicklung ethischen Standards entspricht. Allerdings ist die Entwicklung dieser Lösungen zeit- und arbeitsintensiv, womit eine Beschränkung auf für beide Seiten bedeutsame Sachverhalte erforderlich wird. Ebenso können grundsätzliche Gespräche geboten sein, wenn sich Beteiligte immer wieder bei scheinbar unbedeutenden Punkten „verhaken“ und diese als Nebenkriegsschauplatz nutzen, weil die tiefer liegenden, grundlegenden Konflikte nicht thematisiert werden. Durchsetzen Keiner kann und soll sich mit Konflikten mehr als nötig beschäftigen. Manchmal ist das schlichte Durchsetzen der eigenen Position notwendig. Dies gelingt relativ geräuschlos, wenn die Gegenseite dem Sachverhalt wenig Bedeutung zugesteht. Eine wesentliche Vo­ raussetzung ist, dass der Rückzug ohne die Einbeziehung Dritter erfolgt, welche diesen als Schwäche auslegen können. Vor allem unverhältnismäßig große E-Mail Verteilter führen zu Eskalationen, welche leicht vermeidbar wären. Nicht immer hat der CO Zeit und Lust Diskussionen zu führen. Handelt es sich um Kleinigkeiten oder längst geklärte Sachverhalte, gilt es die Gegenseite darauf hinzuweisen. Oft erwartet die Gegenseite auch diese. Autoritäres Verhalten erscheint antiquiert, allerdings antizipieren einige Menschen klare Ansagen, fordern diese nicht selten heraus und warten die Reaktion der Compliance ab. Weiterhin ist die Frage der Popularität dieser Strategie auch länderabhängig. In Europa steigt deren Bedeutung grundsätzlich in südlicher und östlicher Richtung. Das Verhalten der Compliance im Einzelfall wird von mehr Mitarbeitern beobachtet als häufig vermutet. Ist das Fundament entsprechend fest, gilt es auch darauf feste aufzutreten. Kompromiss Mit dem Wort „Kompromiss“ ist rasch die Assoziation zum „faulen Kompromiss“ gezogen. Bei weniger wichtigen Positionen ist das Treffen in der Mitte eine einfache Lösung. Diese funktioniert dann, wenn beide Seiten von realistischen Positionen ausgehen. Versucht die Gegenseite mittels utopischer Vorstellungen die mögliche Mitte weit in ihre Richtung zu verlegen, funktioniert dieses Vorgehen nicht. Dann gilt es die Lösungssuche abzubrechen, wobei eine erneute Aufnahme möglich ist, wenn beide Partner mit realistischen Vorstellungen an den Verhandlungstisch zurückkehren. Nachgeben Bedeutung ist ein Kriterium, welches sich einer ausschließlich sachlichen Bewertung entzieht. Aus für die andere Seite nicht immer bekannten Gründen kann etwas wichtig sein, was nicht wichtig erscheint. Diese Bewertung gilt es mitzuteilen, wenn nötig zu erfragen, ob explizit eine Begründung erwarten zu müssen. Allerdings muss die Möglichkeit des Nachgebens bestehen, womit der Bogen zur oben angesprochenen „Verhandlungsmasse“ geschlagen wird.

19.3 Macht

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Ist es möglich sollte die Compliance nachgeben, aber die Gegenseite daran erinnern, dass ein entsprechendes Verhalten in der Zukunft auch seitens der Compliance erwartet wird.

19.3 Macht Bei aller notwendigen Bereitschaft gemeinsamen Lösungen zu finden, wird es für die Compliance zwei Bereiche geben in denen dies nicht möglich ist. Die Identifikation erfolgt auf Basis der Unterscheidung von Peter Drucker. Drucker grenzt Effektivität: „Die richtigen Dinge tun“, und Effizienz: „Die Dinge richtig tun“ voneinander ab. Die richtigen Dinge müssen getan werden, wie sie auf Basis der Gesetze, als ethischen Mindestkonsens der Gesellschaft und Aufgrund der persönlichen Ethik des CO festgelegt werden. Besteht seitens der Unternehmensleitung, der Vorgesetzten außerhalb oder innerhalb der Compliance Organisation eine andere Sichtweise gilt es sich Adornos Aussage zu vergegenwärtigen. cc

Es gibt kein gutes Leben im Schlechten.

Die Suche nach einer beruflichen Alternative ist die einzige Möglichkeit. Ebenso ausgeschlossen ist die gemeinsame Lösung, wenn diese die Gegenseite nicht will. Kann sich die Unternehmensleitung auf ihre Position berufen, besteht diese Möglichkeit bei den Ansprechpartnern im Unternehmen nicht. Dann wird schlicht unfair gehandelt, Lügen verbreitet und hinter dem Rücken agiert, rasch wird die persönliche Ebene berührt. Damit wird es unschön, dann muss es persönlich werden, vor allem für das Gegenüber. Es stellt sich schlicht die Frage, wer am Ende der Sieger ist, wer die Macht hat. Wer offenen Widerspruch lauthals artikuliert und die persönliche Auseinandersetzung bewusst sucht bewegt sich auf der Machtebene. Ein solcher Konfliktpartner meint über die entsprechende Macht zu verfügen und diese auch gegenüber der Compliance durchsetzen zu können, ganz im Sinne Max Webers, welcher Macht als die Möglichkeit beschreibt seinen eigenen Willen auch gegen den Anderer durchsetzen zu können (Weber 2013, S. 16). Der Casus Belli, der Kriegsfall, ist eingetreten. Genauer beschreibt der Casus Belli nicht die Menge der Umstände, die zu einem Krieg führt, sondern den letzten, auslösenden Faktor, den sprichwörtlichen Rubikon, der überschritten wurde. Dann gibt es keine Konfliktlösungsmöglichkeiten mehr, nur noch eine Auseinandersetzung welche zu Sieger und Besiegtem führt. Dieser Punkt sollte nie erreicht werden, weshalb damit dass Konzept der Abschreckung verknüpft ist. Nicht Belehrung oder Rache sind hierbei das Motiv, die Compliance sagt nicht „weil“, sondern „falls“. Auf dieser Ebene fällt die Entscheidung, ob sich Compliance durchsetzt oder die Gegenseite, anders gesprochen wer mächtiger ist bzw. über welche Machtquellen verfügt.

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19 Konflikte

19.3.1 Machtquellen Compliance und operative Manager stehen sich in Fragen der Macht oft gegenüber, verstehen bzw. akzeptieren nicht die Machtquellen der Gegenseite, weil sie andere Machtquellen präferieren und zur Sicherung ihrer Position im Unternehmen einsetzen. cc

Compliance setzt auf die Machtquelle, welche von Max Weber als Bürokratie bezeichnet wurde, während die andere Seite auf Macht durch Bestrafung, Belohnung und auf Vorbildmacht setzt (Weber 1922, S. 48).

Compliance vertraut in einer Auseinandersetzung auf ihre bürokratische oder legale Macht, welche in entsprechenden Gesetzen und unternehmensinternen Richtlinien ihren Ausdruck findet, worauf der angesprochene Manager allerdings nicht eingeht bzw. den entstandenen Konflikt eskaliert. Der Ansprechpartner reagiert nicht wie gewünscht, ­taktiert, verzögert, äußerst sich herablassend bis sarkastisch, ignoriert die Anforderungen der Compliance teilweise oder vollständig, immer mit dem festen Glauben über die nötige Macht zu verfügen. Damit vertraut das Gegenüber darauf, dass seine Machtquellen der Bestrafung bzw. Belohnung oder als Vorbild stärker sind. Eskaliert der Konflikt wird dieser von der Unternehmensleitung gelöst. Ist die Einschätzung des Compliancegegner korrekt, wird die Unternehmensleitung eine Machtquelle des Betroffenen höher einschätzen, als die legale Macht der Compliance. Diese Machtquelle kann in der scheinbaren Unverzichtbarkeit liegen, den Ergebnissen, welche zum Unternehmensgewinn beitragen aber auch in persönlichen Bindungen und Loyalitäten. Dann wird der Compliance durch den gemeinsamen Vorgesetzten meist wortreich erklärt, dass das Anliegen grundsätzlich richtig sei, aber im speziellen Einzelfall nicht zur Anwendung gelangen kann. Die Auseinandersetzung ist beendet, der Sieger steht fest. Ob dabei die Machtquellen Belohnung, Bestrafung, Identifikation oder Wissen handelt ist dabei zweitrangig. Oft sollen diese vorborgen bleiben, will doch der Finanzvorstand bspw. kaum einräumen, dass er einem alten Schulfreund noch einen Gefallen schuldig ist. Abb. 19.2 stellt die Ausgangslage graphisch dar. Manchmal ist offensichtlich, warum keine Intervention erfolgt, so wenn der „Starverkäufer“ in einem wichtigen Markt unverzichtbar erscheint, manchmal werden Gründe vermutet, so wenn sich die Beteiligten schon seit Jahrzehnten kennen, manchmal bleibt nur die Spekulation, ob der Konfliktpartner die sprichwörtlichen Leichen im Keller kennt, wie es auch sein, die Machtquelle ist vorhanden, wirkungsvoll und intakt. Solange sich Compliance nicht mit dem Phänomen „Macht“ auseinandersetzt, dieses versteht und zielbewusst einsetzt wird sich die Situation nicht verbessern. Oft verschlechtert sich die Entwicklung, wenn der Konfliktpartner erfährt, dass seine Macht wirksam ist. Der Konflikt eskaliert zusehends auf eine persönliche, öffentliche Ebene, Compliance wird vorgeführt, mit den entsprechenden negativen Folgen, fragen sich doch auch andere Mitarbeiter, warum sie Compliancevorgaben Folge leisten müssen, wo andere größere Freiheiten besitzen.

19.3 Macht

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Abb. 19.2  Machtquellen von Compliance und Gegenüber. (Eigene Darstellung)

Entsprechend sollte Compliance eine solche Auseinandersetzung tunlichst gewinnen. Um diese zu gewährleisten ist es notwendig mehr über das Thema „Macht“ zu wissen.

19.3.2 Motive und Einflussfaktoren der Macht Warum überhaupt Macht in einem Unternehmen diese bedeutende Rolle spielt ist auf den ersten Blick nicht ersichtlich. Sicherlich bestehen Konflikte, welche beispielsweise bei der Verteilung der grundsätzlich knappen Mittel systemimmanent sind. Zu deren Lösung gibt es jedoch die von Max Weber als „rationale“ Form der Herrschaft favorisierte Bürokratie innerhalb festgelegter Kompetenzen und einer festen Hierarchie, welche eine sachlich-­ rationale Lösung herbeiführen soll. Dabei gibt es Hierarchien, sprich Machtgefälle, auch dort, wo es nicht erforderlich ist. Fähigkeiten und Neigungen Einzelner führen nicht automatisch zum Machtgefälle. Hierarchie entsteht, weil der Sieger eines Kampfes die Chance steigert den nächsten Kampf zu gewinnen. Biologisch ist dies nachweisbar, wenn Fische der gleichen Art beobachtet wurden und zu größeren oder kleineren Artgenossen zugeführt wurden. Nach fünf Tagen wurden diese Fische wieder zusammengeführt wurde. Das Aggressionsverhalten hatte sich deutlich geändert (Robertson 2013, S. 74). Die Fische welche mit kleineren Artgenossen zusammen gewesen waren, waren deutlich aggressiver. Aggressivität findet beim Menschen einen zuverlässigen Indikator: den Testosterongehalt im Blut. Testosteron macht weniger ängstlich, weniger schmerzempfindlich und aggressiv (Robertson 2013, S. 75). Damit wird der Erfolg bei weiteren Kämpfen wahrscheinlicher. Solche Menschen finden sich in jedem Unternehmen wieder: der Vertriebsleiter, der beeindruckende Gewinne in seinen Markt erwirtschaftet; der Produktionsleiter, der Kos-

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19 Konflikte

tenstrukturen schafft, welche die Konkurrenz nicht vorweisen kann; der Entwicklungschef mit immer neuen Ideen. Diese „Stars“ suchen nicht selten bewusst Konflikte – auch mit der Compliance. Der Testosteronspiegel kann nicht nach dem Gewinn eines Kampfes bis zur nächsten Auseinandersetzung hoch bleiben, ohne zu körperlichen Schäden zu führen. Allerdings verändert sich mit jedem Gewinn das Gehirn ein wenig. Neue Androgenrezeptoren werden geschaffen. Diese Veränderungen sind kontextabhängig. Den Kontext können Menschen oder Organisationen, Orte, Geräusche, Gerüche darstellen (Robertson 2013, S. 78). Dies ist ein Grund dafür, dass Sportmannschaften in Heimspielen erfolgreich sind, aber auch warum der aggressive Mitarbeiter zu Hause ein liebevoller Familienvater sein kann. Macht und Gewinnen werden durch Faktoren beeinflusst, die den rationalen Betrachter erstaunen. So haben die Farben die ein Konfliktpartner trägt einen unmittelbaren Einfluss auf das Ergebnis der Auseinandersetzung. Beispiel

Im Amateurboxen werden bei Olympia die Trikotfarben zugelost, der einzelne Boxer trägt dann ein rotes oder blaues Trikot. Die Boxer im roten Trikot gewinnen in 62 % der Fälle (Robertson 2013, S. 82). Weitere Beispiele lassen sich finden, wenn, scheinbar Mächtige durch die raumgreifende Sitzposition, ja selbst die Größe der Unterschrift Macht symbolisieren. Die Symbolik erreicht nicht allein das Gegenüber, sondern stärkt auch den Absender. ◄

Beispiel

Selbst die Haltung des Einzelnen beeinflusst die Gewinnchancen. Im Spiel „Stein, Papier, Schere“ nimmt man mit einer Hand eine entsprechende Form an. Versuchsteilnehmer wurden aufgefordert „Stein“ oder „Schere“ mit einer Hand zu bilden. Die Selbsteinschätzung und Entschlossenheit der Teilnehmer wird damit substanziell beeinflusst. Die Faustbildung zu „Stein“ führt in diesem Fall von einer höheren Entschlossenheit. ◄

19.3.3 Die Wirkung der Macht Das Verhalten machthungrige Politiker oder Manager unterscheidet sich nicht grundsätzlich vom Helden des Schulhofes oder dem Leiter einer relativ autonomen Niederlassung im Ausland, allerdings sind die Folgen bei Ersteren erheblicher. Nach einem Sieg ist ein Hormonschub wie ein Rausch. Der nächste Schuss muss wieder sitzen. Entscheidungen werden im kleinen Kreis getroffen, Aufgaben werden nicht delegiert, Ratschläge nicht eingeholt, Konsens nicht gesucht. Dabei besteht dieser Kreis aus Menschen die ähnlich veranlagt sind und vor allem beim Thema „Macht“ die gleiche Sicht- und Vorgehensweise haben.

19.3 Macht

223

Dabei wirkt nicht allein Geld: Respekt und Bewunderung wirken noch stärker. Beispiel

Für den Oscar nominierte Filmschauspieler sind fast immer erfolgreich, reich und berühmt. Dennoch leben Oscargewinner durchschnittlich vier Jahre länger als oscarnominierte Schauspieler (Robertson 2013, S. 156). ◄ Der Glaube erfolgreich zu sein, Dinge unter Kontrolle zu haben wirkt als Gegengift des Stresses. Wer glaubt sein Leben unter Kontrolle zu haben, bricht unter Druck nicht so leicht zusammen. Untersuchungen warum Menschen in Kriegsgefangenenlager zusammenbrechen und andere nicht, ergeben signifikante Unterschiede in dem Grad in dem sie sich eigenverantwortlich fühlen und sich ein höheres Maß an Verantwortung und Kontrolle zusprechen, auch unter widrigen Bedingungen (Robertson 2013, S. 179). Dabei ist die stärkste Bedrohung das Bedrohungsgefühl, wenn man die Beurteilung durch einen anderen Menschen fürchtet. Scham ist der größte Stressauslöser, abgesehen von unmittelbarer Lebensgefahr (Robertson 2013, S. 192). Wer die Diskussionen um die Größe und Ausstattung von Büros und Dienstwagen verfolgt, bekommt einen Eindruck von diesem Mechanismus. Das Verhältnis zum Geld hat unmittelbaren Einfluss auf das Verhalten. Beispiel

Versuchsteilnehmer setzten aus Worten Sätze zusammen. Einmal wurden neutrale Worte gewählt, einmal solche mit Geldbezug. Aus jeweils fünf Worten wurden vier Sätze gebildet. Die Folgen des Geldbezuges waren messbar. So wurde Spenden nach der Satzwahl mit „geldnahen“ Worten in geringerer Höhe gemacht. Generell waren die Betroffenen waren hilfsbereit wenn der Bleistift eines Vorübergehenden hinfiel, ebenso rückten beim Arbeiten mit ihrem Stuhl von anderen ab. Nur durch das Denken an Geld (Robertson 2013, S. 228). Welche Wirkung reales Geld hat mag der Leser abschätzen. ◄

19.3.4 Die Klärung der Machtfrage Meistens findet die Machtfrage ihren Ausdruck darin, dass ein Ansprechpartner Compliance-Verstöße begeht und nicht bereit ist diese zu korrigieren. Dabei werden keine eindeutigen Gesetzesverstöße gerechtfertigt, als vielmehr einzelne Compliancevorgaben abgelehnt, wobei dies oftmals bewusst in einem ehrverletzenden, höhnisch, sarkastischen Ton erfolgt. Weiterhin erfolgen diese Angriffe vor einem größeren Publikum um das Gegenüber bloßzustellen und diesem die Lust an jeder weiteren Auseinandersetzung zu nehmen. So soll zukünftig ausgeschlossen werden, dass Compliance einen weiteren Konflikt sucht und die eigenen Kreise stört.

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19 Konflikte

In einer solchen Situation gilt es deshalb für Compliance die Machtfrage zu entscheiden, zu gewinnen. Gegenüber einem machtbewussten Opponenten gibt es keine Alternative, keinen Kompromiss, keine Hoffnung, dass der Betreffende durch eigene Einsicht oder bürokratische Macht zum Einlenken bewegt wird. Dabei sollte der Blick nicht isoliert auf die einzelne Auseinandersetzung fallen, als vielmehr die darin innewohnende Dynamik berücksichtigen. Das Gegenüber bemüht sich um Zuschauer, auch um ihnen seine Macht zu demonstrieren. Diese werden ihr eignes Verhalten gegenüber Compliance am Sieger der Auseinandersetzung ausrichten. Bei allem scheinbaren impulsiven Handeln wählt der Konfliktpartner Zeitpunkt und Ort der Auseinandersetzung bewusst. Ob bei einem Abschlussgespräch einer Prüfung, bei einer Präsenzschulung oder einem Gespräch nach einer offiziellen Veranstaltung im Kreis der Kollegen. Scheinbar eruptiv brechen die Klagen über Compliance hervor. Andere ­beantworten Anfragen per E-Mail harsch und unfreundlich, gerne unter Einbeziehung eines großen Verteilerkreise. Auf die gesuchte Konfrontation gilt es nicht einzusteigen, wenn Compliance nicht sicher ist diese an Ort und Stelle zu gewinnen. Vielmehr gilt es kaltes Blut zu bewahren, so schwer dies auch im Einzelfall fällt, zu deeskalieren, das Gespräch zu beenden und evtl. den Ort zu verlassen. cc

Der Kampf wird wieder aufgenommen, aber Ort, Zeitpunkt und Spielregeln legt die Compliance fest, vor dem Hintergrund, dass sich die Gewinnchancen so erheblich erhöhen.

Hat sich der Gegner zu erkennen gegeben, gilt es Verbündete zu finden. Meistens geht der scheinbar Mächtige mit anderen Stabsstellen nicht anders als mit Compliance um. Selbstgerechtigkeit, ja Selbstverliebtheit, verbunden mit persönlicher Abwertung lassen die Gegnerschaft automatisch anwachsen. Dann tauschen die Betroffenen Informationen aus um ein besseres Bild zu gewinnen, was sowohl Motive, als auch Verhaltensweisen und eine später abgestimmte Auseinandersetzung betrifft. Bei den Opponenten Verstöße gegen Vorgaben zu finden wird nicht schwer fallen, allerdings gilt es dies mit den Wünschen der Unternehmensleitung, den Themen, wo die Verantwortlichen besonderes Interesse an der Einhaltung haben abzustimmen. Dies sind vor allem Aufgabenfeldern in denen sich der Manager in einem größeren Kreis, gegenüber anderen Mitgliedern der Unternehmensleitung oder den Besitzern persönlich verpflichtet hat die Umsetzung zu gewährleisten. Damit wird eine Situation geschaffen, in der sich auch die vorgesetzte Stelle in ihrer Macht bedroht fühlen müssen und sich, nicht nur deshalb, auf die Seite der Compliance schlagen, ja schlagen müssen. Mit Abschluss bzw. der laufender Aktualisierung der Vorbereitung gilt es wiederrum den Fokus auf den Gegner zu richten. Der nach eigenem Empfinden Unbesiegbare wird irgendwann Rückschläge erleiden, Ziele werden nicht eingehalten oder persönliche Beziehungen in die Unternehmensleitung enden. Dann hat sich die Waage in Abb. 19.3 geneigt, zum Vorteil der Compliance.

19.3 Macht

225

Abb. 19.3  Gleichgewicht für und wider die Compliance. (Eigene Darstellung)

Nun ist der Zeitpunkt gekommen zurück zu schlagen. Die Einhaltung einer bestimmten Vorgabe wird gefordert, die erwartete Ablehnung bzw. Zurückweisung dokumentiert und die Unternehmensleitung um eine Entscheidung gebeten. Dies erfolgt vor einem möglichst großen Publikum im Unternehmen. Gespräche werden nicht in den Räumen des Gegners sondern bei der Compliance geführt. Die Beteiligten wissen welche Auswirkungen die Körperhaltung, ja die Farbe der Krawatte hat. Der Gegner wird bildlich gesprochen festgenagelt und bekommt mitgeteilt was bis wann wie zu tun ist. Das Vorgehen ist mit anderen Stabsstellen informell abgestimmt, die zeitnah ähnliche Themen adressieren, wobei insbesondere die in Kap. 10 angesprochenen Verbündeten zum Einsatz gelangen. Dann geht es in schnellen Folgen mit anderen Compliancezielen weiter, es wird primär schriftlich kommuniziert und das Verhalten des Gegenübers dokumentiert, verbunden mit der Bereitschaft bei Bedarf eine vergleichbare Auseinandersetzung erneut zu führen. Dies wird aber selten erforderlich sein, lernen doch scheinbar Mächtige in der Praxis schnell, mit wem sie ihre Spiele spielen können und mit wem nicht bzw. nicht mehr. Die beschriebene Macht ist allerdings auch dann aus Compliancesicht problematisch, wenn sie sich nicht gegen Compliance wendet. Ethische Prinzipien erreichen die allzu Mächtigen nicht (mehr), verlieren ihre Funktion als Entscheidungsgrundlage. Macht kann so prägen, dass es nicht mehr möglich ist, sich in andere Menschen hinein zu versetzten und zu reflektieren, wie diese das eigene Verhalten beurteilen. Die Wirkung ist durchaus einer starken Droge vergleichbar.

226

19 Konflikte

Beispiel

In der Wirtschaftskrise 2008 erschienen die Führer der drei amerikanischen Autohersteller vor dem US-Senat, um um Staatshilfe zu bitten. Alle drei reisten dabei von De­ troit mit ihrem jeweiligen Firmenjet an. Die Wirkung dieses Auftretens auf Öffentlichkeit und Politiker bedarf nicht der Erläuterung. ◄ Machtversessen führt nicht nur sprichwörtlich zur Machtvergessenheit.

19.3.5 Macht und Moral Die Verbindung von Macht zu Moral ist schlüssig festzustellen. Beispiel

Das Machtgefühl wird in einem Experiment beeinflusst oder tatsächlich gemessen, dann eine moralisch schwierige Frage gestellt. Bspw. ob es zulässig ist Folter einzusetzen, um Unschuldige zu retten. Die Machtbewussten neigen zu regelkonformen Entscheidungen, nicht zu ergebnisorientierten, lehnen die Folter also ab, während die Machtlosen hingegen die Folter im konkreten Fall bejahten. Damit ist allerdings noch nicht das Wesentliche über das Verhältnis von Macht und Moral gesagt. Eine andere Frage betrachtet die Situation, dass jemand sich durch einen Trick eine Sozialwohnung beschaffen kann, die er aufgrund einer Kündigung dringend benötigt. Wie erwartet finden die Mächtigen den Trick weniger akzeptabel als die Machtlosen. Es folgt eine Änderung, eine andere Version der Geschichte wird erzählt: Der Versuchsteilnehmer persönlich benötigt nun eine Sozialwohnung. Das Machtverhältnis kehrt sich bei dieser Situation um. Die Mächtigen wählen die ergebnisbezogene, die Machtlosen die regelkonforme Beurteilung. ◄ Mächtige setzen Regeln durch, bei andern, bei sich selbst, sehen sie die Dinge lockerer (Robertson 2013, S. 234–236). Macht führt rasch zur Heuchelei, wobei aufgrund des besonderen Fokus der Öffentlichkeit Politiker noch stärker als Manager im Blickpunkt stehen. Hier seien nur die US Politiker Antony Weiner oder Eliot Spitzer angeführt. Der Leser wird unschwer entsprechende Vertreter in den DACH Staaten finden. Die Folgen auf Compliance bedürfen nicht der weiteren Ausführung. Eingangs des Textes wurde der Gegensatz hergestellt, der entsteht, wenn die bürokratische Compliancemacht auf Machtquellen wie Belohnung, Bestrafung, Identifikation oder Expertenwissen trifft. Anders ausgedrückt trifft legal auf legitime Macht. Kurzfristig kann legitime Macht erstaunliches Bewirken und zu eindrucksvollen Erfolgen führen. Langfristig entwickelt diese eine Eigendynamik, die zu einem Vabanque Spiel führt, die beruf-

Literatur

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liche Existenz des Betroffenen bedroht und bei Mächtigen in der Unternehmensleitung das gesamte Unternehmen mit in den Abgrund reißen kann. Wer ein wenig Rückblick betreibt wird viele Beispiele finden, in der Wirtschaft mit Personen wie Jürgen Schrempf, Thomas Middelhoff oder Eike Batista, aber auch in der Politik mit Silvio Berlusconi oder Donald Trump. Bürokratie hört sich langweilig, ja antiquiert an. Ein Bürokrat an der Spitze des Unternehmens trifft nicht immer die tollsten Entscheidungen, sichert aber nicht allein die Compliance, sondern den Fortbestand des Unternehmens sehr viel besser, als die Menschen, welche auf andere Machtquellen setzen. cc

Deshalb wird Compliance bei den Mächtigen im Unternehmen als Mahner und Werber für die bürokratische Macht auftreten.

Wenn auch keine Konflikte mit der Compliance bestehen, bereitet sich Compliance darauf vor, was kommen kann, meistens auch kommen wird. Je heftiger die Auseinandersetzung, je größer und interessierter das Publikum um so schnell erfolgt eine Einteilung in Sieger und Verlierer. Hat sich der Pulverdampf allerdings verzogen, sehen beide Seiten nicht als die strahlenden Gewinner aus. Die Prämisse nur solche Auseinandersetzungen zu führen, die man auch gewinnen wird, ist als Anspruch gut, als Versprechen jedoch unrealistisch. Ein erneuter Rückgriff auf die von Schumpeter propagierte kreative Zerstörung verdeutlicht, dass auch die Compliance selten unbeschädigt aus den notwendigen Konflikten herausgeht. Wer als Sieger kein Triumphgeheul anstimmt wird auch als Verlierer eher die Sympathien auf seiner Seite haben. Deshalb sollte Gesten gegenüber den Verlierer in ihrer Symbolwirkung nicht unterschätzt werden. Schon das gemeinsame Mittagessen im Betriebsrestaurant wird nicht unbemerkt bleiben und dem Gegenüber das zurückgeben, was die Chinesen als „Gesicht“ bezeichnen. Damit ist der Bogen zum Beginn des Kapitels geschlagen, verbunden mit der Erinnerung, dass man sich im Leben, wie im Unternehmen, zweimal sieht.

Literatur Ariely D (2015) Denken hilft zwar, nützt aber nicht. Droemer, München Dixit A, Nalebuff B (1997) Spieltheorie für Einsteiger. Schäffer Poeschel, Stuttgart Macharzina K, Wolf J (2015) Unternehmensführung. Springer Gabler, Wiesbaden Robertson I (2013) Macht. dtv, München Weber M (1922) Wirtschaft und Gesellschaft. Mohr Siebeck, Tübingen Weber M (2013) Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. Beck, München

Prüfer und Berater

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Zusammenfassung

Das in diesem Kapitel behandelte Thema wird in einer Veröffentlichung über das Controlling oder den Einkauf, das Personalwesen oder den Vertrieb keine Rolle spielen. Dabei ist die Bedeutung dieser Funktionen für den Unternehmenserfolg nicht größer oder geringer als die der Compliance. Dennoch kann festgehalten werden, dass das hier dargestellte Thema für die Compliance von größerer Relevanz als für die aufgeführten Funktionen ist. Dass aber die Compliance einen größeren Bedarf an externer Prüfung, Beratung oder Unterstützung als andere Unternehmensfunktionen ausweist kann kaum begründet werden.

Die Emotionalität, diese Themas vereinfacht nicht das Vorgehen. Wer hat noch keinen Witz über Berater gemacht, wer noch nicht über, meist nur kolportierte, Geschichten den Kopf geschüttelt? Letztlich geht es auch darum den Berufsvertretern eine faire Chance einzuräumen. Vor diesem Hintergrund gilt es für die Compliance die eigene Bedeutung, sowohl fachlich, wie persönlich in die Waagschale zu werfen und den Prozess zu steuern, zumindest aber zu beeinflussen. Dabei spannt sich der Bogen von der Auswahl des Beraters über die Auftragsvergabe und Prüfungsdurchführung bis zum abschließenden Bericht.

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Schneider, Werkzeuge wirkungsvoller Compliance, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61792-2_20

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20  Prüfer und Berater

20.1 Agilität Berater müssen innovativ sein, dass immer Gleiche, bewegt keinen potenziellen Mandanten zur Auftragsvergabe. Dabei sind gewisse, sich selbst verstärkende Wellenbewegungen unvermeidlich. Wenn die Unternehmensleitung nicht von selbst auf den fahrenden Zug aufspringt, wird sie sich von Besitzern und Öffentlichkeit fragen lassen müssen, wann denn entsprechende Aktivitäten aufgenommen werden. Zum Zeitpunkt der Verfassung dieser Auflage ist dieses Thema „Agilität“. Bestand ursprünglich eine enge Begrenzung auf die Software – Entwicklung, hat sich das Konzept auf komplette Unternehmen ausgebreitet. „Agilität“ wird zum Motto aufgerufen das ganze Unternehmen soll „agil“ werden, selbstverständlich auch die Compliance. Was unter dem Begriff der Agilität verkauft wird, ist größtenteils eine Mogelpackung. Nicht mehr und nicht weniger. Selbstverständlich kann alles ein wenig schneller ablaufen, ein wenig schlanker organisiert werden, Agilität meint jedoch etwas völlig anderes. ­Nassim Talib hat alles hierzu gesagt: Agil ist, wer die eigene „Haut aufs Spiel setzt.“ (Taleb 2014, S. 25). Dies ist vom einem Mitarbeiter eines Unternehmens selten gewünscht und praktisch nicht möglich. Eine ergebnisorientierte Gehaltskomponente kann zu Schwankungen des Einkommens führen, nicht aber dazu, dass der Mitarbeiter Geld verliert bzw. mitbringt. So wenig es nach Adorno das richtige Leben im Falschen geben kann, können eine Kapitalgesellschaft im Allgemeinen und Mitarbeiter eines Unternehmens im Speziellen agil sein. Agilität ist und bleibt ein notwendiges Merkmal einer Marktwirtschaft, nur sind es eben die Unternehmensinhaber und -gründer die agil sind, nicht Angestellte von Unternehmen, unabhängig von der Hierarchiestufe. An verschiedenen Stellen des Buches wurde die Compliance als „Antreiber“, nicht als „Bremser“, als „Ermöglicher“, nicht als „Verhinderer“ dargestellt. Soll dann die mühsam erworbene, sorgsam aufgebaute Reputation beschädigt werden, indem beim Thema „Agilität“ gebremst wird? An dieser Stelle folgt der einzige, opportunistische Hinweis: lassen Sie die Karawane weiterziehen, irgendwann ist sie durchgezogen und das Leben geht weiter. Grundsätzlich anders verhält es sich beim einem Start-up, wo die Beteiligten im wortwörtlichen Sinne agil sind, da sie ihr eigenes Geld einsetzen und vollumfänglich am Ergebnis partizipieren, im Guten wie im Schlechten. Falls hier eine Compliance – Organisation besteht, wird das Thema „Risiko“ entscheidende Bedeutung besitzen. Finanzielle, geschäftliche Risiken gehören zum Geschäftsmodell, rechtliche Risiken gilt es konsequent auszuschließen.

20.3 Angebot und Nachfrage

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20.2 Die Deutungshoheit Jedes Unternehmen will wachsen. Ist dieses in den etablierten Tätigkeitsfeldern nicht in ausreichendem Maße möglich, werden zusätzliche Aufgabenfelder gesucht. Dies gilt auch für Beratungsunternehmen im Allgemeinen und für Anbieter aus dem Bereich der Wirtschaftsprüfung und rechtlichen Beratung im Speziellen. Dass Marketingaktivitäten die Grundlage des späteren Umsatzes sind, ist ebenfalls keine besondere Besonderheit. Diese beginnen bei Veröffentlichung zum Thema, wobei im Compliancebereich eine besondere Fülle existiert, welche allerdings nicht als Quelle herangezogen wird. Der Grund ist relativ einfach: die Anbieter bemühen sich intensiv und erfolgreich um die Deutungshoheit. Veranstaltungen zum Thema Compliance werden von den Anbietern häufig gesponsert, die Verfasser von Beiträgen in Fachzeitschriften und von Büchern zum Thema kommen regelmäßig aus diesem Umfeld und in den sich konstituierenden Berufsverbänden der DACH Staaten bemühen sich die Anbieter um einen wesentlichen Einfluss. Abschießend sei die Lobbyarbeit beim Gesetzgeber, vor allem auf der immer wichtiger werdenden, europäischen Ebene erwähnt. Das auch hier für ein mehr an Formalismus und Prüfungen geworben wird bedarf kaum der Erwähnung. Dieses Vorgehen ist nicht unethisch, aber problematisch. Fehlen kritische Stimmen ist die Gewinnung einer ausgewogenen Meinung schwierig, für die Entscheider außerhalb der Compliance, insbesondere die Aufsichtsgremien. Diese Ausführungen sollen nicht einseitig als Kritik verstanden werden. So wie sich die Compliance innerhalb des Unternehmens um zunehmenden Einfluss und mehr Ressourcen bemüht, versuchen auch Anbieter im Umfeld der Compliance die Nachfrage zu erhöhen.

20.3 Angebot und Nachfrage Wo Gesetze bestehen, stellt der Staat deren Einhaltung sicher. Dies erfolgt einerseits indem Strafen bei Überschreitung festgelegt werden, anderseits indem Kontrollen erfolgen. Diese Kontrollen können regelmäßig erfolgen, was vor allem bei technischen Vorgaben geschieht, aber auch durch mehr oder weniger regelmäßige Stichproben, wie sie in den DACH Staaten beim Steuergesetzen erfolgen. Entsprechende Kontrollen nehmen staatliche Funktionsträger vor oder, wie beim Jahresabschluss externe Prüfer, wobei Ansprüche an diese ebenfalls der Staat festlegt werden durch Berufsverbände eine Konkretisierung erfahren. Im weiten Feld der Compliance gibt es dabei eine komplexe Gemengelage. So wurde ein erstes Gesetzt gegen unlauteren Wettbewerb in den USA mit dem Sherman Antitrust Act bereits 1890 erlassen, während Österreich und Deutschland erst nach dem Zweiten Weltkrieg entsprechende Gesetze erließen. Ergänzend kommen in verstärktem Maße Anforderungen von Kunden hinzu, welche für die Compliance im Allgemeinen Erklärungen von Geschäftspartner erwarten und sich teilweise das Recht eigener Prüfungen einräumen. In

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20  Prüfer und Berater

diesem Zusammenhang werden gerne amerikanische und britische Gesetzte herangezogen, die verschärfte Anforderungen an Unternehmen stellen, welche in diesen Staaten Geschäftsbeziehungen unterhalten, wovon fast jedes Unternehmen einer gewissen Größenordnung betroffen ist. Wie es mit dem Unternehmensstrafrecht weiter geht, kann zum Zeitpunkt der Manuskripterstellung noch nicht beurteilt werden. Dann kommen noch einschlägige Urteile hinzu, welche ein „angemessenes“ Compliancesystem einfordern. Zusammenfassend kann sicherlich von einer komplexen, unklaren Situation gesprochen werden. Komplexität ist ein Kennzeichen der meisten unternehmerischen Entscheidungen. Allerdings werden meistens Chancen und Risiken bestehen, während bei der Compliance primär Risiken für das Unternehmen existieren. Diese Perspektive besteht vor allem für die Unternehmensleitung, wissen der Gesetzgeber und die Strafverfolgungsbehörden doch genau, wo sie den Hebel ansetzten müssen: bei hohen Strafen und der persönlichen Haftung der Manager. Das kein Mensch ins Gefängnis möchte bedarf nicht der Erklärung. Die Unsicherheit bei den Betroffenen ist groß. Die, sicherlich berechtigte, Frage, ob die Compliance die Risiken im Griff hat kann nicht eindeutig beantwortet werden. Wo ein Bedürfnis ist, ist auch ein Angebot. Die Reduktion des Risikos über eine unzureichende Compliance zu verfügen wollen die Anbieter gewährleisten. Mehr sei nicht möglich, aber das sei auch schon viel. Dabei lassen sich die Angebote in zwei Bereiche aufteilen: die Prüfung der Compliance, etwas hochtrabender des Compliance Management Systems und Dienstleistungen, welche von der Compliance selbst nachgefragt werden.

20.4 Prüfungen der Compliance Es gibt keine Verpflichtungen die Compliance prüfen zu lassen, wenn auch die Anbieter versuchen beim Gesetzgeber entsprechenden Druck aufzubauen, Gerichtsurteile in diese Richtung interpretieren und den Verantwortlichen die Notwendigkeit nahelegen. Externe Prüfer werden deshalb primär durch das Aufsichtsgremium bzw. die Unternehmensführung beauftragt. Die Auftraggeber müssen die Intention der Beauftragung nicht der Compliance mitteilen, dennoch wäre es hilfreich diese über die Unternehmensleitung in Erfahrung zu bringen. Ist der Wirtschaftsprüfer die treibende Kraft und führt dieser den Auftrag durch? Meinen Aufsichtsgremien und/oder Unternehmensleitung, dass diese notwendig sei? Wie lautet die Begründung? Ist der Auftrag vergeben, gibt es für die Compliance kaum Möglichkeiten Veränderungen bezgl. Inhalt und Umfang herbeizuführen. Vielmehr geht es in einem ersten Schritt darum zu erwägen, was die Prüfungen aus Sicht der Compliance erbringen wird. Analogien zu technischen Untersuchung von Fahrzeugen und Anlagen können durchaus gezogen werden. Die Erkenntnis, dass die Reifen ausreichend Profil besitzen ist nicht unwesentlich, vor allem, da man eine schleichende Verschlechterung oft nicht rechtzeitig bemerkt. Allerdings wird bei der Pflichtausstattung immer mehr darauf gesattelt, Tagesfahrlicht eingeführt oder die dritte Bremsleuchte obligatorisch,  zukünftig werden automatische Notfallmeldungen eingeführt. Das Todschlagargument ist mehr Sicherheit, der

20.4 Prüfungen der Compliance

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Nachteil sind die höheren Kosten bei Anschaffung und Verbrauch, die individuelle Abwägung fällt bei freiwilligen Sicherheitskomponenten unterschiedlich aus. Positive Abweichungen vom Normalzustand werden nicht geprüft, die Motorleistung und Beschleunigung spielen keine Rolle, ein tolles Design wird nicht beurteilt. Beim nächsten Mal wird die Prüfung zwangsweise aufwendiger und teurer. Und wie gut ist der Fahrer im gewählten Bild? Dies wird nicht geprüft. Obwohl eine mit allen Sicherheitsmerkmalen ausgestattet Luxuslimousine mit einem 18-jährigen Fahrer mehr Unfälle verursacht als ein Kleinwagen mit einer 45-jährigen Frau am Steuer. Bei einer Prüfung der Compliance beziehen sich die Anbieter auf entsprechende Standards wie IDW PS 980, ONR 192050 und/oder ISO 19600. Dabei darf nicht vergessen werden, dass die Berufsvertreter der Prüfer diese entwickelt haben, also durchaus die Situation entsteht, in der der Hund die Wursttheke bewacht. Dieses Vorgehen wäre plausibel, wenn Abweichungen vom Sollzustand ersichtlich werden und die Verantwortung auch bei Prüfer gesucht würde, wie dies bspw. bei technischen Anlagen der Fall ist, wo nach Unfällen zu Recht diese Frage aufkommt. In der Compliance wird jedoch postuliert, dass eine vollständige Sicherheit nicht zu gewährleisten sei, die bekannte „Erwartungslücke“ somit auch hier besteht. Der Nutzen entsprechender Zertifizierungen wird vielfach zu hoch ­eingeschätzt, die Standards bieten inhaltlich wenig neues, wobei auch die Frage, wer die Zertifizierer zertifiziert ungeklärt blieb (Berndt 2014, S. 25). Dennoch greift eine ausschließlich negative Betrachtungsweise zu kurz. Prüfer sind in der Regel auf dem theoretisch neusten Stand, sehen verschiedene Unternehmen und können deshalb die Einhaltung gewisser Mindeststandards durchaus erfassen und dokumentieren. Die Compliance erwartet einen Bericht an den Auftragsgeber, welche allenfalls kleineren Verbesserungsbedarf konstatiert. Dass die Bedeutung für die Compliance nicht zu hoch ist, dafür haben die Betroffenen im Vorfeld Sorge zu tragen. Ein negativer Bericht soll nicht zu dauerhaften Irritationen und dem Verlust der Reputation führen. Ein positiver Bericht ist ohnehin nicht zu erwarten, wird sich doch kein Prüfer zu weit hervorwagen, um im nächsten Jahresabschluss dann das Versagen der Compliance feststellen zu müssen. Im Ausnahmefall sind negative Berichte für die Compliance von Vorteil, weil Mitarbeiter in die Compliance abgeschoben wurden, welche nicht die notwendige Qualifikation besitzen, die notwendigen Ressourcen nicht zur Verfügung stehen oder die Aufgabe frisch übernommen wurde und Verantwortung beim Vorgänger gesucht würde. Letztere Ziele sind leicht zu erreichen, wird der Prüfer auf diese Intension dezent hingewiesen und in seinen Aktivitäten entsprechende unterstützt, wird es kaum Konflikte bei der Prüfung geben. Hieraus ergibt ein gewisser Widerspruch resultiert, dem sich der CO ehrlich stellen sollte. Die laufende Kommunikation, insbesondere der zu erwartenden Prüfungsergebnisse, sollte dazu führen, dass keine Überraschungen im Bericht enthalten sind. Dabei gilt es durchaus hart zu verhandeln und nicht vorschnell auf eine Ignoranz der Ergebnisse zu setzen. Die Bandbreite der Anpassung reicht dabei über Streichung und Rechtfertigung bis zur Relativierung der Feststellung. Die Compliance verfügt über reichliche Erfahrungen, wenn es um die Diskussion von Prüfungsergebnissen geht, allerdings aus der gegengesetzten Perspektive.

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20  Prüfer und Berater

Letztlich addressiert die Compliance nach Abschluss der Prüfungen gegenüber den Auftraggebern im Unternehmen deutlich die Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit, um den möglichen Einfluss auf eine erneute Auftragsvergabe zu nutzen. Es sei an Kap. 8 erinnert, wo dargestellt wurde, wie Wünsche an Vorgesetzte adressiert werden.

20.5 Prüfungsablauf Das angeblich alle Beteiligten das Gleiche wollen wird gerne zu Prüfungsbeginn herausgestellt, wobei der geringe Wahrheitsgehalt dieser Aussagen der Compliance aufgrund eigener Prüfung bekannt ist. Konflikte werden im Verlauf auftreten. Konfliktlösungsstrategien wurden in Kap. 19 angesprochen. Aufgrund des meist mittleren Konfliktpotenzials wird sich in Regel Tit for Tat als robuste Vorgehensweise anbieten, mit der Tendenz zum Kompromiss. Kompromiss bedeutet in der Mitte treffen, beide Seiten machen Konzessionen. Sind Abweichungen von Soll-Zustand vorhanden gilt es für die Compliance ­nachzubessern. Sicherlich hat jeder CO seine individuelle Art auf Prüfer zu zugehen, eine grundsätzlich gemeinsame Linie verbessert jedoch die Effektivität. An erster Stelle gilt es den Auftrag sorgfältig zu studieren, nicht zu diskutieren. Daran anschließend werden die Qualifikation der Prüfer erfasst und mögliche Widersprüche zwischen dem Anspruch der Präsentationen und der Realität festgehalten. Weiterhin werden die Kosten erfasst und analysiert. Darin sollte der vermutete Arbeitsaufwand für die Compliance enthalten sein. Dabei müssen mögliche Abweichungen nicht unmittelbar an den Auftraggeber gemeldet werden, vielmehr kann die daraus entstehende Verhandlungsmasse im Konfliktfall eingesetzt werden. cc

Der CO hat Erfahrungen aus der Sicht des Prüfers, kann aber ergänzend von der Internen Revision erfahren, wie die geprüften Stellen geschickt Widerstand aufbauen und Ablehnung artikulieren.

Ob es sich um notwendige Zeit für Interviews und Befragungen handelt, der Arbeitsplatz der zur Verfügung gestellt wird, die Daten und Aufzeichnungen welche zur Verfügung stehen bzw. zur Verfügung gestellt werden, die Diskussionen, um Prüfungshandlungen und -ergebnisse. Auch hier kann das Verhalten der Compliance als Reaktion auf das Verhalten des Prüfers eingesetzt werden. Schlussendlich gilt es die Frage der Kostenverteilung zu beachten. Wer die Prüfung beauftragt sollte auch die, oft nicht unerheblichen, Kosten tragen, eine Belastung des Compliancebudgets ist vor diesem Hintergrund nicht zu rechtfertigen. Setzt der Auftraggeber dies durch, werden diese Kosten bei entsprechenden Darstellung deutlich von den übrigen Kosten getrennt ausgewiesen. Die schlimmsten Prüfer sind die, welche im persönlichen Gespräch Feststellungen relativieren, im finalisierten Bericht jedoch schweigende Mängel konstatieren. Dann gilt es ruhig zu bleiben und daran zu denken, dass Rache am besten kalt serviert wird. Bei der

20.5 Prüfungsablauf

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nächsten Prüfung kann der Prüfer bewusst auflaufen. Das schärfstes Mittel ist die Aussage, dass bestimmte Aufgaben, insbesondere im Bereich der Dokumentation durch die Compliance schlicht nicht erfüllt werden, womit sich weitere Prüfungshandlungen erübrigen und der Prüfer eine entsprechende Stellungnahme in Bericht abgibt. Nach erfolgter Berichtsverteilung werden dann sämtliche Empfänger darauf hingewiesen, dass die scheinbar fehlenden Maßnahmen erfolgen und dokumentiert sind. Offensichtlich hat der Prüfer versäumt explizit danach zu fragen… Zahlreiche Dienstleister bieten Leistungen im Umfeld für die Compliance an. Dabei handelte es sich sowohl um technische Lösungen, als auch Dienstleistungen sowohl in der klassischen Beratung wie der Bereitstellung von Unterstützung durch Anbieter mit speziellen Kenntnissen. Das andere Modell wird primär durch Wirtschaftsprüfer verfolgt. Da im Bereich der klassischen Prüfung ein starker Wettbewerb herrscht und Umsatz- bzw. Ergebnissteigerungen nur sehr begrenzt möglich sind, verfolgen die Anbieter zwei weitere Strategien. Einerseits werden zusätzliche Prüfungen im Rahmen des Jahresabschlusses angeboten, andererseits Beratungen zur bzw. der Compliance. An erster Stelle steht sicherlich die grundlegende Entscheidung, welche Aufgaben fremdvergeben werden. Die oft emotionale Diskussion wird durch eine grundsätzliche Entscheidung versachlicht. Die Frage des Verhältnisses von Eigen- und Fremdkapazität stellt sich in vielen anderen Unternehmensbereichen. Die Analyse der dort getroffenen Entscheidung kann neue Perspektiven vermitteln. Die Compliance als originäre Unternehmensaufgabe kann nicht vollständig fremdvergeben werden. Dennoch ist es möglich, die personelle Kapazität so auszulegen, dass die Aufgaben nicht vollständig von Mitarbeiter wahrgenommen werden. Eine antizipierende Steuerung der eigenen Kapazitäten wird dafür sorgen, dass keine kurzfristigen Engpässe entstehen. Dies ist aufgrund des Charakters der Aufgaben möglich, stehen neben zeitintensiven, aber nicht zeitkritischen Aufgaben wie Schulungen auch Untersuchungen und Sonderprüfungen, die sich zwar einer vollständigen Planung entziehen, aber durch die Verschiebung einzelner Schulungen durch die eigenen Mitarbeiter grundsätzlich zu bewältigen sind. Entsprechend wird eine dauerhafte Fremdvergabe von Aufgaben selten erforderlich sein. Dann beschränkt sich die Fremdvergabe auf politische Entscheidungen der Unternehmensleitung, welche bspw. eine möglichst geringe Personalstärke fordert, auf Stellenabbau mit Signalwirkung setzt oder die fixen Kosten senken möchte. Hier wird die Compliance den Erwägungen Folge leisten. Weiterhin gilt es die Personalplanung der langfristigen Unternehmensentwicklung anzupassen. Ist bspw. mittelfristig ein Umsatzrückgang geplant, welcher auch die Personalstärke der Compliance tangiert, kann eine befristete Fremdvergabe die Notwendigkeit späterer Freistellungen vermeiden. Bei der Auswahl der Dienstleisters kommt der ausführenden Person entscheidende Bedeutung zu. Die Compliance wird sich das Entscheidungsrecht über den Einsatz einer bestimmten Person offenhalten. Hierbei stellt sich an erster Stelle die Frage nach der Ähnlichkeit in Alter, Ausbildung, Werdegang und persönlichem Auftreten. Allzu rasch wird ein Anbieter ausgewählt, welcher aufgrund der Ähnlichkeit möglichst geräuschlos in das

236

20  Prüfer und Berater

bestehende Team passt. Dies erleichtert sicherlich die Zusammenarbeit, insbesondere die Kommunikation innerhalb der Compliance, als auch die Außenwirkung. Dennoch sollte erwogen werden einem anderen, fremde, ja exotischen Vertreter die Chance der Zusammenarbeit zu geben. Diese Zusammenarbeit wird zeitintensiver, anstrengender, vieles scheinbar Selbstverständliches bedarf der Klärung, der Auseinandersetzung, letztlich der Hinterfragung der eigenen Position. Dies kann zur Weiterentwicklung der Compliance beitragen, aber auch zu einer Enttäuschung führen. Dabei ist allerdings das Risiko deutlich kleiner als bei einer festen Einstellung. Besteht keine krisenhafte Situation welche schnelle Ergebnisse erfordert und sich zeitliche Puffer für die Koordination vorhanden sollte diese Lösung erwogen werden. Eine andere Situation stellt sich, wenn Spezialwissen zeitlich befristet benötigt wird. Hiervon sind insbesondere Kenntnisse von Recht und Sprache in anderen Ländern betroffen. Dabei wird das Problem des Einkaufs von Dienstleistungen besonders offensichtlich, sind die zu erbringenden Leistungen doch im Vorfeld nicht prüfbar. Entsprechend intensiv sollte die Phase des Kennenlernens und der Definition der Erwartungen erfolgen. Wenn möglich wird vor allem bei ersten Aufträgen ein eigener Mitarbeiter den Dienstleister begleiten und die Aufgabenwahrnehmung in die gewünschte Richtung beeinflussen. Eine weitere Notwendigkeit der Auftragsvergabe kann sich im konkreten Notfall ergeben, wenn größerer Prüfungsfeststellungen und/oder Compliance-Verstöße Maßnahmen erfordern, welche mit der vorhandenen Kapazität nicht erfüllt werden können.

20.6 Einkauf von Leistungen Wie erwähnt ist der Einkauf von Dienstleistungen eine komplexe Aufgabe. Die Leistungen können nicht vorab beurteilt werden, Arbeitsproben werden aufgrund der Vertraulichkeit nicht zur Verfügung gestellt, wären aber aufgrund der jeweils individuellen Verhältnisse ohnehin nur begrenzt aussagefähig. Weiterhin ist der Einkauf nur eine Randaktivität der Compliance, weshalb die professionellen Einkäufer des Unternehmens in die Auftragsvergabe eingebunden werden. Daneben schadet es selbstverständlich nicht, sich im Kreise der Berufskollegen auszutauschen, Empfehlungen auszusprechen, als auch Tipps zu erhalten. Die Einbindung des Einkaufs ist wichtig um die notwendige Transparenz zu schaffen. Bei entsprechenden Aufträgen schauen Mitarbeiter genau hin, wer und warum den Auftrag erhält. cc

Kaum ein anderer Vorgang wird im Unternehmen als illegitimer betrachtet, als die „freihändige“ Auftragsvergabe und die teilweise exorbitanten Beraterhonorare.

Hiermit unmittelbar verbunden ist die Frage ob bekannte Anbieter beauftragt werden. Sicherlich kann eine gewisse Standardisierung erwartet werden, welche negativen Abweichungen nicht vermeidet, extreme Enttäuschungen aber meistens ausschließt. Gegen die

Literatur

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Beauftragung sprechen die hohen, manchmal, horrenden Kosten. Wer die Lage des Unternehmenssitzes und die Ausstattung der Büros betrachtet, bekommt einen ersten Eindruck woher die Kosten rühren. Ist eine langfristige, regelmäßige Fremdvergabe geplant, gilt es durchaus selbstbewusst einen eigenen Pool von Dienstleistern zu entwickeln, welche fair, aber nicht überzogen honoriert werden. Zwischenberichte und ein regelmäßiger Austausch über Soll- und Istergebnisse vermeiden Enttäuschungen nach Auftragsabschluss. Hierbei gilt es Zufriedenheit als auch Unzufriedenheit deutlich zu artikulieren. Diese Aufgabe eignet sich gut für CO der zweiten Reihe, welche sich für weitere Aufgaben qualifizieren möchten. Ihren formalen Abschluss findet der Auftrag durch die Rechnungsprüfung, welche maßgeblich durch die Auftragsformulierung vorgegeben wird und insbesondere bei Stundenhonoraren die Nachvollziehbarkeit und Begrenzung ermöglicht. Die abschließende Beurteilung und Dokumentation des Auftrags schlägt wiederum die Brücke zum nächsten Auftrag. Auch hier gilt es keinen intransparenten Sonderweg zu beschreiten, sondern bewährte Instrumente des Einkaufs einzusetzen.

20.7 Weitere Entwicklung Als Anschauungsobjekt kann die Interne Revision dienen. Dort versuchen Interessierte den sog. Certified Internal Auditor (CIA) als Ausbildungsstandard zu etablieren. Mittels eines Multiple Choices Tests soll die Qualifikation als Revisor nachgewiesen werden. Dabei handelt es sich sicherlich um eine erstrebenswerte Entwicklung: für die Anbieter. Prüfungen und Vorbereitungen müssen bezahlt, regelmäßige Weiterbildung durch die Angebote der Anbieter absolviert werden. Selbstverständlich sind die Gesetzgeber der DACH Staaten in ihrer Argumentation wenig stringent, warum bestimmte Tätigkeiten eine formale Qualifikation benötigen und andere nicht. Sicherlich sind wir heute froh, dass nicht mehr, wie im Mittelalter, der Friseur zusätzliche medizinische Leistungen erbringt, sondern die Aufgabe durch Mediziner erfüllt werden, welchen einen entsprechenden Berufsabschluss besitzen, warum aber ein Revisor oder CO formale Qualifikationen benötigt, welche für einen Personaler oder Controller entbehrlich sind, kann nicht schlüssig dargelegt werden. Weiterbildung ist eine ständige Aufgabe für jeden CO. Wer daran nicht interessiert ist, wird auch das vorliegende Fachbuch nicht zur Hand nehmen. Dennoch ist es an dieser Stelle geboten, erneut auf Kap. 1 zurück zu greifen. „Sapere aude“ hat auch im hier gewählten Zusammenhang seine Berechtigung.

Literatur Berndt T (2014) Betriebswirtschaftliche Grundlagen der Compliance. In: Schettgen-Sarcher W et al (Hrsg) Compliance Officer. Springer Gabler, Wiesbaden Taleb N (2014) Anti-Fragilität. btb, München

Die eigene Karriere

21

Zusammenfassung

Karriereberater gibt es in ausreichender Anzahl, teilweise schillernder Form. An dieser Stelle die vielfältigen Aspekte knapp abzuhandeln ist vermessen. Allerdings gilt es die Besonderheiten der Compliance zu würdigen. Die Anzahl der Compliance Officer ist relativ klein, die Hierarchiestufen knapp, wenn der Vorgesetze 40 Jahre alt ist, als Leiter der Compliance unmittelbar an die Unternehmensführung berichtet und keine weiteren beruflichen Ambitionen hat, ist über die Karrierechancen im Unternehmen alles gesagt. Eine weitere Besonderheit besteht in der Abhängigkeit von der Unternehmensleitung. Wie diese Compliance versteht und lebt wird nur sehr begrenzt beeinflusst. Damit kann die Arbeitszufriedenheit in einem geringeren Maße gestaltet werden, als dies bei anderen Funktionen der Fall ist. Um so wichtiger ist eine regelmäßige, selbstkritische Bestandsaufnahme der eigenen Situation, zu der das weitere Kapitel Anregungen bietet. Wie in allen anderen Berufen kann es in der Compliance nicht nur Erfolge und Sternstunden geben, weshalb der Umgang mit Misserfolgen thematisiert wird.

21.1 Bewertung der eigenen Situation Auf diese Besonderheiten gilt es vor allem Einsteiger deutlich hinzuweisen. Diese können durch die Tätigkeit in der Compliance vielfältige Eindrücke des gesamten Unternehmens erhalten, lernen interessante Kollegen und Entscheider kennen, sollten aber nach spätestens zwei Jahren wissen, ob der dauerhafte Verbleib die richtige Entscheidung ist. Gegen Schluss des Buches bietet sich ein Rückgriff auf Kap. 1 an. Darin wurden mit dem Begriff der „Wirksamkeit“ ein Vorwurf und ein Versprechen impliziert. Der Leser sollte sich mit den Ausführungen auseinandersetzen, seine eigenen Aktivitäten mit dem Konzept abgleichen und kritisch prüfen, ob er diese umsetzen kann und will. Nicht alle © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Schneider, Werkzeuge wirkungsvoller Compliance, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61792-2_21

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21  Die eigene Karriere

Vorschläge eignen sich, nicht alle werden vom Leser als wirksam eingestuft, sowohl vor dem Konzept der Compliance im Allgemeinen, der Situation des Unternehmens im Speziellen und letztlich den eigenen Kompetenzen und Möglichkeiten. Dennoch hat der Autor die Hoffnung, dass viele Impulse vermittelt wurden, die Bedarf aufzeigen, als auch Möglichkeiten der Umsetzung anbieten. Nicht allein auf Grundlage diese Buches, sondern generell sollte jeder Berufstätige in gewissen Abständen prüfen inwieweit er richtig ist. Richtig im Beruf und richtig im Unternehmen. Hierbei gilt es nicht in den bereits angesprochenen Fehler zu verfallen und Verhalten anderer einseitig auf die Person, bei sich selbst aber auf die Situation zu beziehen. Abb. 21.1 fast die Kriterien zur Einordnung der eigenen Situation zusammen. Die Abbildung enthält keine spektakulären Aussagen, als vielmehr Selbstverständlichkeiten. Die damit verbundenen Fragen muss sich kein CO täglich stellen, zumindest aber einmal jährlich gilt es diese ehrlich zu beantworten. In vielen Unternehmen gibt es jährliche Ziel- bzw. Zielerreichungsgespräche. Vor diesen Gesprächen wird eine Bewertung der eigenen Situation sinnvoll sein, auch um die eigenen Ziele besser zu formulieren und nach dem Gespräch die Erreichung zu prüfen. Inwieweit dem Vorgesetzten die eigene Situation dargelegt wird, muss der Betroffene persönlich entscheiden. Sicherlich kann die eigene Position verdeutlicht werden, Drohungen, gar Ultimaten, sollten dagegen unterbleiben. Berufswahl richtig – Unternehmen/Situation richtig Kurz und knapp: wer sich hier positioniert muss das vorliegende Kapitel nicht weiterlesen, sondern kann sich auf die angesprochenen Punkte konzentrieren. Die hieraus entwickelten Aufgaben sollten allerdings unabhängig von der Einschätzung der eigenen Position angegangen werden. Schließlich sollte Zufriedenheit nicht zu Genügsamkeit führen. Berufswahl richtig – Unternehmen/Situation falsch Es gibt grundsätzlich Gründe, warum diese Einschätzung erfolgen kann. Bei aller propagierten Notwendigkeit der Compliance wird diese im Einzelnen Unternehmen immer noch als Alibiveranstaltung wahrgenommen. Ebenso kann der unmittelbare Vorgesetzte grundlegend andere Positionen vertreten oder es passt zwischenmenschlich einfach nicht. Dann ein anderes Unternehmen zu suchen ist sicherlich die beste Lösung. Der richtige Zeitpunkt wird von Berufserfahrung und Lebensalter abhängen. In jungen Jahren kann es besser sein, sich eine Zeit durchzubeißen, um mindestens zwei Jahre auf der Position zu bleiben. Nicht alleine um Fragen zum Lebenslauf zu vermeiden, sondern

Abb. 21.1  Berufswahl und -position. (Eigene Darstellung)

21.1 Bewertung der eigenen Situation

241

auch, weil es bei allen Problemen immer Bereiche geben wird, in denen dazugelernt werden kann, selbst die Erkenntnis, dass es so nicht geht, kann hierunter subsumiert werden. Ist der CO dagegen langjährig tätig, wird rasch nach anderen Beschäftigungsmöglichkeiten Ausschau gehalten. Allerdings bestehen Einschränkungen aufgrund der geringen Stellenanzahl. Ist man im einzigen Großunternehmen vor Ort tätig, kommt man um einen Ortwechseln nicht herum. Ist dazu nicht die Bereitschaft vorhanden, wird es schwierig die Vorstellungen umzusetzen. Wenn die Möglichkeit besteht sollte dann ein Berufs- bzw. Positionswechsel als realistische Alternative erwogen werden. So schwer es dem Einzelnen fällt, sollten die Pläne gegenüber keinem Kollegen bekannt werden. Die erste Information wird zugleich die letzte sein, die Verkündigung des Abschieds. Tritt die ­beschriebene Situation allerding öfter auf, wird sich der Betroffene selbstkritisch fragen müssen, ob die Selbsteinschätzung nach Abb. 21.1 nicht in einem anderen Feld erfolgen sollte. Berufswahl falsch – Unternehmen/Situation richtig Die Stellenanzeigen für CO versprechen, was alle Stellenanzeigen versprechen. Dass die Realität eine andere ist, weiß der berufserfahrene CO und ahnt der Einsteiger. Bei aller Faszination die begeisterte CO erfahren, kommt nicht jeder mit der diffizilen Situation aus, welche mehr berät als entscheidet und bei allem Austausch vom operativen Geschäft ein Stück weit entfernt ist. Da es kein Studienfach Compliance gibt, können alternative Beschäftigungsmöglichkeiten zu finden sein. Hier ist durchaus Offenheit gegenüber dem Vorgesetzten anzuraten, welcher in der Regel den Wechsel unterstützen wird, ist doch unabhängig von Leistungsniveau ein unzufriedener Mitarbeiter eine Hypothek für alle Beteiligten. Berufswahl falsch – Unternehmen/Situation falsch In dieser Situation erscheint ein radikaler Schritt erforderlich. Schließlich geht es um die Selbstverwirklichung, einem immer populärer erscheinenden Ziel. Die Veröffentlichungen von und über Menschen, welchen diesen Schritt, fast immer erfolgreich, gegangen sind, nimmt unverändert zu. Dabei ist eine „alles oder nichts“ Entscheidung, das Abbrechen aller Brücken mit mit hohen Risiken behaftet, insbesondere da die finanzielle Unabhängigkeit nur selten gegeben ist. Entsprechend gilt es Vorbereitung zu treffen und Meilensteine zu setzen, erste Erfolge im alternativen Beschäftigungsfeld zu erzielen, aber auch bei offensichtlichen Misserfolgen erneut zu starten. Letztlich kann ein Durchhalten erforderlich werden, wenn zu spät gehandelt wird und sich aufgrund des Alters keine anderen Alternativen am Arbeitsmarkt mehr ergeben. Deshalb erfolgt zum Ende dieser Überlegungen ein Rückgriff auf die anfängliche Aussage der regelmäßigen Überprüfung, um diese Sackgasse zu vermeiden.

242

21  Die eigene Karriere

21.2 Zielerreichung Alles gelingt dem, der nur fest genug daran glaubt, konsequent seine Ziele verfolgt und sich keine Ablenkung gestattet, womit ein Misserfolg alleine dem Betreffenden geschuldet. Diese Sichtweise wird in unzähligen Veröffentlichungen vertreten. Nicht wenige glauben diesen Thesen und versorgen sich mit immer neuen Publikationen vergleichbaren Inhalts. Dabei hat schon Napoleon Hill mit seinem 1937 erschienen Buch „Denke nach und werde reich“ hierzu das wesentliche gesagt. Sicherlich hat diese Perspektive ihre Berechtigung, aber kein Buch kann die grundlegende Frage beantworten, ob ein Ziel realistisch ist und die Bemühungen dieses zu erreichen zu früh abgebrochen wurde oder der Versuch mit dem Kopf durch die Wand zu gelangen schlicht unrealistisch ist. Wie weit unrealistische Vorstellungen verbreitet sind, lässt sich exemplarisch bei Jugendlichen beobachten, ist doch die Wahrscheinlichkeit eines Lottogewinns höher, als als YouTube Star oder ­Teilnehmer einer Casting Show dauerhaft erfolgreich zu sein. Deshalb sollten Selbstoptimierer ehrlich prüfen, ob die erreichten 90, 80 oder 70 % wirklich so schlecht sind und anderswo die traumhaften 100 % tatsächlich winken. Bei den wenigsten CO wird sich eine völlig eindeutige Zuordnung der Felder in Abb. 21.1 ergeben. Vielmehr findet die Realität meistens in Zwischenzonen statt. Darin kann sich der Einzelnen grundsätzlich einrichten, wenn eine klare Tendenz besteht und zumindest mittelfristig die Entwicklung in die richtige Richtung läuft. Dies werden meistens eigene Entscheidungen sein, kann aber auch im „Aussitzen“ von Situationen begründet sein, wenn der bisherige Vorgesetzte bspw. in einem Jahr in der Ruhestand geht und die Zusammenarbeit mit den designierten Nachfolger besser gestaltet werden kann. Bei der Prüfung der eigenen Ziele gilt es ehrlich sein, vor allem vor sich selbst. Vielen ist Arbeitsplatzsicherheit und ein stabiles Einkommen wichtiger, als Leidenschaft und, scheinbare, berufliche Selbstverwirklichung. Diese Menschen beziehen ihre Lebensfreude aus Freizeitaktivitäten oder der Familie. Kein CO muss mit lauten „Tschaka“ montags das Büro stürmen, eine ruhige, systematische Arbeitsweise, ein geregeltes Leben zwischen Beruf und Freizeit steht einer wirksamen Compliance nicht im Wege. Über „Work life balance“ wurde viel Unsinn verbreitet, völlig abwegig ist diese Sichtweise jedoch nicht. Dennoch muss der CO dauerhaft Ansprüchen genügen, vor allem seinen eigenen. Ausschließlich Dienst nach Vorschrift zu leisten wird den wenigsten ethischen Konzepten gerecht. Dann bleibt nur die Alternative anders zu reden als zu denken, sprich die Flucht in den Zynismus oder die Resignation. Ein solcher CO fristet sein Berufsleben als schlechter Schauspieler. Eine Situation, welche sich nie ganz ausschließen lässt, aber nicht lange andauern sollte zu verändern ist im ureigensten Interesse.

21.3 Fortune müssen sie haben, die Compliance-Officer

243

21.3 Fortune müssen sie haben, die Compliance-Officer Den in Abschn. 21.2 vorgestellten Anforderungen sei an dieser Stelle eine andere, ungewöhnliche hinzugefügt: Die Aufforderung zum Glück. Nicht glücklich sein, sondern Glück haben (Schneider 2019, S. 82).

21.3.1 Aspekte des Glücks Wenige Begriffe werden so unterschiedlich eingesetzt wie das „Glück“ auf. Der eine, glückliche Moment ist angesprochen, das glückliche Leben, Zufälle erweisen sich als glücklich. Unzähligen Sprichworte sind allgegenwertig. Die meisten betonen den Einfluss des Einzelnen auf sein Glück, sei doch jeder „seines Glückes Schmied“ gilt es „das Glück zu zwingen“, welches „mit den Tüchtigen ist“. Zu Ende gedacht führt dieses Glücksverständnis zu einem Anforderungsprofil von CO, welches dem Napoleons bzgl. seiner Generäle entspricht: „Fortune müssen sie haben“, legte der Französische Kaiser fest. Nun mögen Analogien zwischen Compliance und Militär, zumindest der Polizei gerne gezogen werden, die „Fortune“ im Anforderungsprofils eines CO festzulegen dürfte befremdlich wirken. In der arbeitstäglichen Praxis macht jeder Mensch, jeder CO die Erfahrung, dass es keine Möglichkeiten gibt alle Einflussfaktoren und ihre Auswirkungen zu erfassen. Der Titel des vorliegenden Buches verspricht eine „wirkungsvolle“, keine „perfekte“ Compliance. Zufälle und damit Glück und Pech spielen immer eine Rolle, einmal eine nebensächliche, einmal eine entscheidende. Die in Abschn. 21.2 propagierten Einstellungen führen zu entschlossenen Handlungen, ertragen doch Menschen, welche an die Notwendigkeit von Anstrengungen und Talent glauben bereitwilliger die notwendigen Maßnahmen, welche für den Erfolg notwendig erscheinen. Würde dem Glück eine dominierende Rolle beim Erfolg zugesprochen, bestände die Tendenz sich in Ausreden zu flüchten, wenn das angestrebte Ziel nicht erreicht wurde. Betrachtet man Erfolgsstorys von Menschen oder Unternehmens werden Schwierigkeiten nicht verdrängt, Widerstände nicht ausgeklammert, schlussendlich jedoch siegte der unbändige Erfolgswille und die nimmermüde Schaffenskraft, der schon früh erkannte Weg wurde konsequent beschritten. Glück oder Pech scheinen keine Rolle gespielt zu haben.

21.3.2 Bedeutung des Glücks Welche Bedeutung das Glück auf den Ausgang eines Wettkampfes hat, lässt sich leicht feststellen. Die folgenden Versuche wurden durch Robert H. Frank durchgeführt. Frank

244

21  Die eigene Karriere

führt Simulationen durch, welche vergleichbar mit Sportereignissen in Form eines „The – Winner – takes – it – all“ Turniers erfolgen, wobei der Sieg auf objektiv messbarer Leistung beruht. Frank akzeptiert die überragende Bedeutung, welche Talent und Anstrengung auf die Leistung haben und gewichtet den Faktor Glück nur zwischen 1 und 20 Prozent. Die jeweiligen Werte für Talent, Anstrengung und Glück werden rein zufällig ermittelt. Die Testgruppen betrugen 1000, 10.000 und 100.000 simulierte Teilnehmer. Das höchste Kompetenzlevel wird mit 100 =N/(N+1) festgelegt, da diese Level mit der Anzahl der Teilnehmer tendenziell ansteigt. Bei 100.000 Teilnehmer und einem Einflussfaktor des Glücks von fünf Prozent hat, liegt die Glücksquote der Gewinner bei 94,73 %, 87,1 % der Sieger verfügen nicht über den höchsten Wert von Talent und Anstrengung. Neben dem Faktor Glück wird die Anzahl der Teilnehmer als wesentliche Größe offensichtlich. Mit wachsender Anzahl von Teilnehmern nehmen solche mit herausragendem Talent und unbändigem Willen zu. Der objektiv beste Teilnehmer in einem Wettbewerb wird nur sehr wenig besser als weitere Teilnehmer sein, welche aber mehr Glück haben können. Entsprechend steht am Ende nicht der talentierteste, sondern der glücklichste Teilnehmer als Gewinner fest. Ein einfaches Beispiel aus dem Sport verdeutlicht die Perspektive. Der entscheidende Engpass an die Spitze des Fußballs ist der Schritt aus der riesigen Anzahl der talentierten, engagierten Nachwuchsspieler in die Bundesliga oder sogar Nationalmannschaft. So wurde Marco Reus als Jugendspieler bei Borussia Dortmund „aussortiert“, was Mesut Özil bei Schalke 04 erfuhr, Mats Hummels spielte bei Bayern München nur in der Regionalliga Mannschaft weshalb er den Verein verließ. Nachdem diese Spieler über Umwege in die Bundesliga bzw. Nationalmannschaft gekommen sind, zählen sie dort seit Jahren zu den Stammkräften. Bei jedem Fußballspiel gibt es Glück und Pech, nur nimmt der Einfluss auf die Leistung im Vergleich mit anderen ab, weil die Anzahl der Teilnehmer am Wettbewerb auf dieser Ebene entscheidend geschrumpft ist. Der in Abschn. 7.5 erwähnte Halo-­ Effekt kommt hier erneut zum Tragen.

21.3.3 Handlungsempfehlungen Die Versuchsergebnisse sollen nicht zum Fatalismus führen, ein achselzuckendes „so Gott will“ provozieren oder als Ausrede für ausbleibenden Erfolg dienen. Talent bleibt genauso wichtig wie Anstrengungen. Ob diese ausreichen, hängt jedoch entscheidend von der Anzahl der Wettbewerber ab. Reduktion der Teilnehmerzahl Die Simulation von Frank führt mit 1000 bis 100.000 Teilnehmer eine Anzahl auf, welche bis vor kurzem für den realen Wettbewerb bis auf wenige Ausnahmefälle unrealistisch erschien. Zwar steht auch CO im Wettbewerb, meistens jedoch ist eine überschaubare Anzahl von Mitbewerbern vorhanden, womit der Faktor „Glück“ zu Recht vernachlässigt

21.3 Fortune müssen sie haben, die Compliance-Officer

245

wurde. Die heutige einfache, jederzeit und überall vorhandene Möglichkeit der Stellensuche erhöht jedoch sicherlich die Konkurrentenzahl. Sicherlich versucht ein CO auch ohne die Berücksichtigung des Faktors „Glück“ die eine gut zu verteidigende Wettbewerbsposition im Unternehmen aufzubauen, wobei mit jedem Wettbewerber weniger der Einflussfaktor des Glücks zurückgeht. Entsprechend gilt es Leistungen für das Unternehmen, letztlich die Unternehmensleitung hervorzuheben, wozu Kap. 8 Hinweise generiert. Ein Alleinstellungsmerkmal ist und bliebt der persönliche Nutzen für die Mitglieder der Unternehmensleitung, die Verhütung des größtmöglichen, beruflichen Unglücks, der persönlichen Haftung. Hier können andere Funktionen nicht punkten. Erhöhung der Wettkampfteilnahmen „Kleine Haie“ heißt eine deutsche Filmkomödie, welche die Odyssee junger Menschen du beschreibt, die einen der begehrten Plätze an den wenigen Schauspielschulen erhalten möchten. Talentiert und willensstark wollen sie sich ihren beruflichen Traum erfüllen und wissen intuitiv um die einzige Möglichkeit ihre Chancen zu erhöhen: die möglichst zahlreichen Teilnahmen an Aufnahmeprüfungen. Auch Joanne K.  Rowling bot ihren ersten Harry Potter Roman zahlreichen Verlagen an, bis schlussendlich die Veröffentlichung mit einer Auflage von 500 Exemplaren erfolgte, verbunden mit dem wohlwollenden Hinweis des Verlagsverantwortlichen sich eine feste Tätigkeit zu suchen, da die Honorare kaum zu Lebensunterhalt reichen würden. Entsprechend gilt es unter der Prämisse der zunehmenden Anzahl an Wettbewerbern die Anzahl der Angebote, die Entwicklung neuer Lösungen, innovativer Schulungen und passgenauer Informationen zu erhöhen, wohl wissend, dass damit die Erfolgsquote zurückgeht. Aber dem Glück seine sprichwörtliche Chance gegeben wird. Akzeptanz des Faktors Glück Schlussendlich gilt es bei allen Fähigkeiten und Ressourcen, bei allem Engagement der Beteiligten auch den Einfluss des Glücks oder Pechs zu akzeptieren. Dabei wird die Compliance nicht in Unverbindlichkeit flüchten, sondern die nachvollziehbaren Daten der oben dargestellten Simulation heranziehen.

21.3.4 Glück des CO Der einzelne CO kann die aufgeführten Faktoren „Reduktion der Teilnehmerzahl“ bzw. „Erhöhung der Wettkampfteilnahmen“ wirkungsvoll nutzen. Die Reduktion der Teilnehmerzahl gelingt durch den Aufbau spezieller Fähigkeiten, über die die Kollegen im Unternehmen nicht verfügen. Ob es die Sprache bzw. die Gesetze in einem wachsenden Auslandsmarkt sind, technisches Wissen über die Produkte, die im vorliegenden Buch entwickelten Denk- und Handlungsweisen, den Einsatz von Heuristi-

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21  Die eigene Karriere

ken und deren vollmundige Bezeichnung als „Digitalisierung“ oder „KI“. Jeder CO kann ein entsprechendes Tätigkeitsfeld finden und entwickeln. Wettbewerbe finden im Unternehmen um Aufgaben und Positionen statt, wobei die Erhöhung der Teilnahmen ambitioniert erscheint, finden Wettbewerbe doch selten offen statt. Möglichkeiten ergeben sich vielmehr bei der Karriereentwicklung, insbesondere wenn es um Stellenbesetzungen andere Unternehmen geht. Zwar wird der Leser nicht dazu aufgefordert sich um jede interessante, offene Stelle zu bewerben, wer aber dem Zufall eine Chance gibt, erhält irgendwann Möglichkeiten, die nicht erwartet werden konnten, womit sich der Bogen zu den oben angesprochenen Motivationsgurus schließt.

21.4 Mit Fehlschlägen umgehen Diese Kapitel schließt nicht mit einem flammenden Appell ab, betont nicht die rasante Entwicklung der Compliance, den herausfordernden Weg und die beruflichen Möglichkeiten. Hierzu bedarf es keiner Aussagen, kommt doch der Betroffenen mit dieser Situation ohnehin gut klar, weshalb ein anderes Thema den Abschluss bildet: die Traurigkeit. Vieles gelingt in der Compliance, manches nicht. An Fehlschlägen sind mal die Umstände schuld, mal die anderen, mal man selbst. Wie geht der einzelne CO mit Fehlschlägen um? Gibt es richtige und falsche Verhaltensweisen? Auch hier entfalten die angesprochenen, selbsternannten Motivationsgurus eine eigene Dynamik: wer nur richtig motiviert ist, kann alles erreichen. Der Umkehrschluss ist ebenfalls schnell gezogen: wenn etwas nicht klappt, war der Betreffende nicht motiviert genug, hat es am Glauben, der bekanntlich Berge versetzten kann, fehlen lassen. Unterstützung erfährt diese Sichtweise auch scheinbar von wissenschaftlicher Seite. Resilienz heißt dann das Motto, vereinfacht gesagt: stell dich nicht so an. Die Kontrollüberzeugung führt dazu nicht auf Glück oder Zufälle zu vertrauen, sondern die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Unbemerkt übernehmen diese Sichtweise auch Compliance-Verantwortliche. Gefühle sind in der Compliance erlaubt, allerdings nur positive. Glücklich sein darf, motiviert sein muss man. Enttäuschungen, ja Wut, dürfen kurzfristig entstehen, solange sie rasch in positive Gedanken, positive Energie und positive Ergebnisse abgewandelt werden. Aber Traurigkeit? Schnell kommt der Burnout, die neue Volkskrankheit der Wehleidigen ins Spiel und die Karriere des CO ist beendet. Hierfür ist scheinbar kein Platz, nicht in Unternehmen, nicht in der Compliance. Dabei hat Traurigkeit durchaus positive Auswirkungen (Gruber 2016, S. 477–479): • Aus Sicht der Evolution geben negative Gefühle Hinweise auf Probleme und Bedrohungen, welche Aufmerksamkeit benötigen, • negative Gefühle helfen bei der Konzentration, erleichtern analytisches und detailliertes Denken, verringern das Denken in Stereotypen, steigern die Erinnerung von Augenzeugen und fördern bei anspruchsvollen Aufgaben die Beharrlichkeit,

Literatur

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• der Versuch negative Gefühle auszublenden führt oft zum Gegenteil, die Unterdrückung erhöht die seelische Pein, intensiviert Suchtmittelgebrauch, steigert Fehl- und Überernährung bis zum Auftreten von Selbstmordgedanken, • die wissenschaftliche Tradition hat sich lange mit den Vorteilen positiver Gefühle beschäftigt, dabei gibt es ebenso negative Auswirkungen positiver Gefühle: die Förderung auf sich selbst zentriertem Denken und Verhalten, wie Egoismus, Stereotypenbildung, Betrug, Unehrlichkeit und geringere Empathie, • allerdings wird auch die Ablenkbarkeit wird erhöht, die Leistung bei detailorientierten Arbeiten nimmt ab, • Hemmungen werden reduziert, das Eingehen unkontrollierbarer Risiken nimmt zu. Psychisches Wohlbefinden wird nicht durch das ausschließliche Vorhandensein eines Gefühls bestimmt, sondern durch eine Vielzahl von Gefühlen. Wichtig ist die Achtsamkeit auf die Höhen und Tiefen, des Lebens im Allgemeinen und der beruflichen Tätigkeit als CO im Speziellen. Der Grad der psychischen Flexibilität ist für das Wohlbefinden sehr viel wichtiger als ständiges Hochgefühl. Oder um es mit der schlichten, alten Volkswahrheit zu sagen: auf Regen folgt wieder Sonnenschein. Dass die Dauer der Sonnenstunden zunimmt, dass das Verhältnis von Sonne und Regen verbessert wird ist der Anspruch, den das vorliegende Buch aus Sicht des Lesers hoffentlich eingelöst.

Literatur Gruber J (2016) Traurigkeit ist immer schlecht, Glücklichsein ist immer gut. In: Brockmann J (Hrsg) Welche wissenschaftliche Idee ist reif für den Ruhestand? Fischer, Frankfurt Schneider T (2019) Fortune müssen sie haben, die Controller. Controller magazin 4/2019. Haufe, Freiburg

Veränderungen

22

Zusammenfassung

Grundsätzlich dienen die Ausführungen dieses Buches dazu einen Verstoß zu vermeiden, dass dieser dennoch eintreten kann, ja eintreten wird, sollte nicht lakonisch mit dem Begriff der „Erwartungslücke“ abgetan werden. Die Compliance prüft vielmehr ihr bisheriges Handeln selbstkritisch. Diese Prüfung führt nicht automatisch zu einem Mea Culpa, liegt die Verantwortlichkeit für einen Verstoß außerhalb der Compliance wird dieser Sachverhalt deutlich adressiert.

Wie nach der Aufdeckung des Verstoßes, dass Ziel der zukünftigen Vermeidung erreicht wird, hängt vor allem davon ab, ob zum Zeitpunkt der Aufdeckung ein Rätsel oder ein Geheimnis vorlag. Um dies festzustellen bedarf die Compliance systematisierender und empathisierende Mitarbeiter.

22.1 Der GAU Bei entsprechend Vorfällen werden rasch martialische Ausdrücke gewählt, von einem GAU, dem größtmöglich anzunehmenden Unfall gesprochen oder die unlogische Steigerung des „Super GAU“ benutzt. Dabei stellt sich an erster Stelle die Frage, was in diese Kategorie fällt. Als erstes Kriterium bieten sich sicherlich die, absehbaren, Kosten an. Diese betreffen den unmittelbaren Schaden für das Unternehmen, wobei mögliche Strafen und zivilrechtliche Ansprüche häufig noch höher sind. Weiterhin kann ein Ausschluss als Lieferant drohen, welcher ebenfalls quantifiziert wird. © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Schneider, Werkzeuge wirkungsvoller Compliance, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61792-2_22

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250

22 Veränderungen

Von vergleichbarer Relevanz sind weitere Folgen der bestehenden Kontrolllücke. Der aufdeckte Einzelfall eröffnet neue Einsichten in Vorfälle die bisher nicht im Fokus standen, als wenig wahrscheinlich, vielleicht unmöglich eingeschätzt wurden. Die Erkenntnisse des Einzelfalls ermöglicht eine zielgerichtet Untersuchung, welche allerdings entsprechende Ressourcen erfordert. Die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit ist ein weiteres Kriterium, welches nicht opportunistisch zu verstehen ist, als vielmehr die Außenwirkung des Unternehmens, als auch seine Zukunftsfähigkeit berührt. Dabei ist es zweitrangig, ob ein Vorfall als illegitim oder illegal wahrgenommen wird. Als Musterbeispiel mag hier der Fall der „Brand Spar“ dienen. Beispiel

Dabei handelte es sich um einen schwimmenden Öltank in der Nordsee, welchen 1995 Shell nach der Ausmusterung versenken wollte. Von den Behörden war der Vorgang genehmigt. Nach Bekanntwerden der Pläne startete Greenpeace eine Kampagne. Boykottaufrufe führen in einigen Märkten zu Umsatzrückgängen bis zu 50 %. Greenpeace schätze die Ölrückstände auf 5500 t, tatsächlich waren es 100 t. Shell lenkt ein und verschrottete die Plattform an Land. Die Kosten lagen bei EUR 36 Mio. 1998 wurde von den Anrainerstaaten ein Versenkungsverbot für die Nordsee erlassen, wobei die Folgen einer möglichen Versenkung noch nicht abschließend geklärt sind. ◄ Ein weiteres Beispiel war der Erwerb von teuren Schreibwaren durch Bundestagsabgeordnete. Beispiel

Abgeordnete des deutschen Bundestages konnten bei einem durch die Verwaltung festgelegten Schreibwarenhändler ihren Bürobedarf decken. Die Liste mit den möglichen Einkaufsgütern enthielt auch teure Füllfederhalter, welche von einzelnen Abgeordneten erworben wurden. Damit war das Verhalten zweifelslos legal. Der Aufschrei der Presse war beachtlich, praktisch keine Zeitung verzichtete auf eine ausführliche Berichterstattung. ◄ Deshalb gilt es seitens der Compliance die Unternehmensleitung gelegentlich an einen Sachverhalt zu erinnern, den Peter Drucker bereits 1942 feststellt: cc

„Unless the power in the cooperation can be organized on an accepted principle of legitimacy, it will be taken over by a central government“ (Drucker 1995, S. 95).

In der Realität geht es dabei nicht um die „alles oder nichts“ Lösung der Verstaatlichung, als vielmehr der zunehmenden Eingriffe in die Autonomie. Ein praktisches Beispiel sind hier die Diskussionen um den Anteil weiblicher Führungskräfte. Das Gesetz für

22.2 Chance vs. Risiko

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die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen (FüPoG) schreibt mit der Festlegung einer Quote für die Aufsichtsräte börsennotierter Gesellschaften eine erste, verbindliche Regelung vor, welche durchaus als Einsteig in weitere Vorgaben des Gesetzgebers interpretiert werden kann, wie die aktuelle Diskussion um vergleichbare Regelungen für Vorstände zeigt.. Wird ein Compliance-Verstoß bekannt stellen sich drei Fragen: • Wer war schuld? Wer soll wie bestraft werden? Hierzu gab Kap. 17 bereits Lösungsvorschläge. • Warum dieser Täter? Auch hierauf wurde bereits eingegangen. Es sei nochmals erwähnt, dass Menschen sich selbst situationsbezogen und andere ­persönlichkeitsbezogen beurteilen. Diesem üblichen Schema gilt es sich für die Compliance zu entziehen. Auch in informellen Diskussionen sind Mutmaßungen wenig hilfreich. • Wie sollen Verstöße zukünftig verhindert werden?

22.2 Chance vs. Risiko Kommt es zu negativen Abweichungen der gewünschten Entwicklung ist die Stellungnahme der Verantwortlichen von erstaunlicher Einstimmigkeit, unabhängig davon, ob das Controlling oder das Personalwesen, die Arbeitssicherheit oder die Compliance im Fokus steht. „Ich bin nicht schuld, kenne aber die Lösung“ lässt sich die Verteidigungslinie zusammenfassen, verbunden mit der Aufforderung mehr Ressourcen zu erhalten, um entsprechende Vorfälle zukünftig auszuschließen. Dabei können ungewöhnliche Wege ungewöhnlichen Erfolg versprechen. Die Compliance muss rasch die eigenen Defizite erkennen, um nicht pauschal nach „mehr“ zu rufen, sondern gezielt Schwachstellen zu beseitigen, welche bisher nicht beseitigt werden konnten. Dabei hilft die einfache Aufteilung in: Aufgabe, Kompetenz und Verantwortung. Erst wenn hier die Hausaufgaben gemacht wurde kann nach mehr Ressourcen gerufen werden. Die Unternehmensleitung interessiert im Konfliktfall weniger die formale Autorität als die reale Macht der Compliance Maßnahmen nicht allein vorzuschlagen, sondern deren Umsetzung durchzusetzen. Einerseits muss diese vorausgesetzt werden, wenn Compliance wirksam sein soll, anderseits wird eine wirksame Compliance Macht erlangen. Es liegt an den Verantwortlichen, ob sich aus der vorhandenen Situation eine Aufwärtsspirale entwickelt, welche der Compliance neue Durchsetzungsmöglichkeiten schafft oder eine Abwärtsspirale entsteht, die der Compliance als plakatives Feigenblatt die Lösungskompetenz abspricht und die tatsächliche Verantwortung in andere Hände überführt. Deshalb sei an dieser Stelle an Carl Schmitts Ausspruch erinnert, dass der souverän ist, der über den Ausnahmezustand entscheidet. Im weiteren wird davon ausgegangen, dass das Unternehmen über eine Interne Revision verfügt und als Kapitalgesellschaft ein Aufsichtsgremium hat.

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22 Veränderungen

22.3 Verantwortlichkeit Der Erfolg hat viele Väter, während der Misserfolg bekanntlich einen Waisenkind ist. Die Compliance übernimmt vor diesem Hintergrund Verantwortung, schon um den eigenen ethischen Ansprüchen zu genügen. Damit ist jedoch nicht gesagt, dass jeder Compliance-­ Verstoß automatisch der Compliance anzulasten sein kann. Entsprechend gilt es für die Verantwortlichkeit intern zu klären, nach außen auf Einigkeit der Unternehmensstelle zu setzen, welche das in Kap. 15 angesprochene unternehmerische Überwachungssystem bilden. Dabei lassen sich Konflikte nicht vermeiden, die Compliance wehrt sich gegen ungerechtfertigte Beschuldigungen, räumt aber auch eigene Verantwortung ein, wo diese gegebenen sind. Abb. 22.1 benennt die Verantwortlichkeit auf Basis der Kriterien der Anzahl und der Hierarchieebene der Beteiligten. Hierarchieebene niedrig, Einzeltäter In diesem Fall bestehen Lücken im IKS. Dies kann sowohl systematisch aufgrund fehlender Regelungen, insbesondere Kontrollen sein, aber auch in der mangelhaften Ausführung der Kontrollen begründet sein. Hier wird primär die Interne Revision gefordert sein Abhilfe zu schaffen, die Einführung entsprechender Kontrollen zu begleiten und die Umsetzung zu prüfen. Hierarchieebene hoch, Einzeltäter Die Compliance ist nicht der heimliche Unternehmensherrscher, wenn auch Vorgaben grundsätzlich für alle Unternehmensangehörigen gelten, kann ein Kontrolle der ersten Führungsebene weder durch die Interne Revision, noch die Compliance, erfolgen. Hier sind vielmehr die Aufsichtsgremien gefordert, Kontrolle durchzuführen bzw. deren Durchführung durch externe Prüfer zu gewährleisten. Einen relativen Schutz kann die gegenseitige Kontrolle der Betroffenen bieten, spezielle Prüfungsaufträge können an externe Prüfer vergeben werden, welche vom Aufsichtsgremium beauftragt werden und unmittelbar an dieses berichten. Hierarchieebene niedrig, mehrere Täter Je nach Anzahl der Täter und Umfang der betroffenen Hierarchieebenen sind wirksame Kontrollen kaum einzurichten, die bestehen Kontrollen werden meist eingehalten, aber Ad

Abb. 22.1  Verantwortlichkeit bei Compliance-Verstößen. (Eigene Darstellung)

22.4 Aufbereitung des Einzelfalls

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absurdum geführt. Weitergehende, intensivere Kontrollen würden zu einem Stillstand im Unternehmen führen. Deshalb ist hier die Compliance gefordert. Diese Situation stellt einen Schwerpunkt der bisherigen Ausführungen dar und ist einer der Schlüsselfaktoren, welcher eine wirksame von einer unwirksamen Compliance unterscheidet. Hierarchieebene hoch, mehrere Täter Besteht eine solche Situation stellt sich die Frage ob es sich noch um ein Unternehmen oder bereits eine kriminelle Vereinigung handelt. Hier sei nochmals betont, dass nicht allein illegales, sondern auch illegitimes Verhalten angesprochen ist. Letztlich kann nur die Öffentlichkeit, über den Umweg der Politik, eingreifen und das betroffene Unternehmen zerschlagen bzw. in öffentlichen Besitz überführen. Dabei gibt es oftmals Zwischenstufen, welche mehr oder weniger intensive Eingriffe des Gesetzgebers erforderlich machen, wie sie typischerweise im Kartellrecht einen Ausdruck finden. Eine vergleichbare Situation liegt bei legalen, gleichwohl illegitimen, internationalen Steuervermeidungsstrategien vor.

22.4 Aufbereitung des Einzelfalls Ist es zum Compliance Verstoß gekommen wird die Aufbereitung des Falls von Öffentlichkeit und Aufsichtsgremien berechtigterweise gefordert und rasch geliefert. Stimmen aber die zugrunde liegenden Prämissen? Haben der oder die Verantwortlichen schlicht falsch entschieden, Vorgaben ignoriert oder wurden Genehmigungen umgangen? Gibt es vielleicht ganz andere Ursachen? Um dies festzustellen lohnt es sich bei der Analyse eine grundsätzliche Frage zu stellen, deren Beantwortung entscheidenden Einfluss auf die weiteren Schritte und letztlich die Ursachenanalyse hat: War ein Geheimnis oder ein Rätsel Ursache des Unfalls? Diese wesentliche Unterscheidung trifft Malcolm Gladwell (Gladwell 2010, S. 145–167). Ein Blick auf die Informationsbeschaffung der Geheimdienste erläutert den Unterschied. Beispiel

Im Kalten Krieg galt es Rätsel zu lösen. Wie viele Panzer hat die Gegenseite, wo sind die Atomraketen stationiert, wie sehen die Einsatzpläne aus. Jede zusätzliche Information war ein echter Erkenntnisgewinn, welcher einen nachvollziehbaren Vorteil erbrachte. Beim heutigen Kampf gegen den internationalen Terrorismus gilt es Geheimnisse zu lösen. Nicht nur die amerikanische NSA besitzt Informationen im Übermaß ohne damit sämtliche Fragen klären und alle Probleme lösen zu können. Ob noch mehr Informationen tatsächlich für mehr Sicherheit sorgen erscheint zweifelhaft. ◄ Mit der Beantwortung dieser Frage ist die Richtung vorgegeben, wie zukünftig vergleichbare Ursachenforschungen gestaltet werden. Bei einem Rätsel führen mehr und bessere Informationen zu einer Lösung. Der Sachverhalt ist bei einem Geheimnis undurch-

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22 Veränderungen

dringlicher. Zahlreiche Informationen lagen zum Entscheidungszeitpunkt vor, viele, häufig zu viele. Notwendig wäre eine bessere Auswertung durch intelligente, skeptische Mitarbeiter. Es gilt zukünftig alle Informationsträger zusammenbringen um Informationen auszutauschen und daraus ein Gesamtbild abzuleiten, ohne Mängel und Schwächen der Einschätzung zu vertuschen. Es sei nochmals an den Austausch schwacher Signale erinnert, wie er in Kap. 10 aufgezeigt wurde. Das hierfür notwendige Vertrauen gilt es allerdings vor dem Auftreten des hier behandelten Einzelfalls aufzubauen. Ob Compliance oder andere Stabsbereiche, allzu schnell wird bei einem Misserfolg ein Rätsel als Ursache vermuten. Eine Begründung dafür ist rasch gefunden – allerdings erst im Nachhinein. Es gibt einen oder mehrere Schuldige, welche zu identifizieren sind. Die Sanktionierung erfolgt auf dem Fuße, dass Problem erscheint gelöst, bis zum nächsten Fall. Parallel werden die Vorgaben angepasst. Wenn sich ein Fehlschlag aus zu wenigen Informationen an zu wenigen Stellen erklären lässt, müssen zukünftig noch mehr Informationen gewonnen und noch mehr Adressanten zugänglich gemacht werden, womit der Bogen zum oben angesprochenen Ruf nach mehr Ressourcen geknüpft ist. Auch Öffentlichkeit und Unternehmensleitung orientieren sich bei ihren Einschätzungen meistens unausgesprochen an der Rätselhypothese. Wer lange und intensiv sucht wird Belege – selten Beweise – für ein Rätsel finden. So lässt sich – im Nachhinein – gut begründen, warum eine bestimmte Person oder Organisation einen verhängnisvollen, nicht nachvollziehbaren Fehler beging. Eine Vielzahl von Arbeiten über öffentlichkeitswirksame Fehler führen dies aus: ob der japanische Angriff auf Pearl Harbour, der Jom Kippur Krieg oder die Terrorakte des 11. September 2001, hätten Einzelne die vorhandenen Informationen aufgegriffen und richtig gehandelt, wären die tragischen Geschehnisse vermeidbar gewesen. Ähnlich verhält es sich bei Compliance Verstößen, wenn die Diskussionen auch intern verlaufen. Sicherlich kann es sich bei dem Misserfolg um ein Rätsel handeln. Bei aller Intensität der Analysen wer, welche Informationen hatte oder nicht hatte, weitergab oder vorenthielt, um das Rätsel zu lösen, gilt es nicht zu vernachlässigen, dass genauso gut ein Geheimnis vorliegen konnte. Dabei wird der CO nicht in der Gegenwart verharren und das Problem aus der heutigen Sicht betrachten, sondern versuchen, sich in die Situation der Entscheider zum damaligen Zeitpunkt zu versetzen. Dann ergibt sich ein differenzierteres Bild. Bei einem Rätsel gilt es den Verursacher zu finden und zukünftige Fehlentscheidungen zu vermeiden. Hierbei steht der CO durchaus in der Pflicht auch die Umsetzung entsprechender Maßnahmen zu begleiten. Das mehrfache Versagen durch vergleichbare Fehler ist unentschuldbar, wenn dies zu empfindlichen finanziellen Einbußen führt. Bei einem Geheimnis wird die Liste der Kandidaten nochmals durchgegangen und die „Schuld“ auf mehrere Schultern verteilt.

22.5 Verhaltensgründe

cc

255

Zur Gewinnung eines abwägenden Urteils bedarf es verschiedener Lösungsansätze und Typen. „Rationale Analysten“ sind für die Aufarbeitung von Rätseln prädestiniert, während „kreative Spinner“ Geheimnisse aufdecken.

Die präsentierte und kommunizierte Lösung beeinflusst das zukünftige Verhalten der Betroffenen. Vermittelt der CO die Einschätzung, dass es sich um ein Rätsel handelte, werden zukünftig noch mehr Daten gesammelt, analysiert, ausgewertet und an möglichst viele Stelle verteilt, um das Rätsel zu lösen. Wird dagegen vermittelt, dass ein Geheimnis nicht gelöst wurde, ist das zukünftige Verhalten anders. Lösungen werden gemeinsam gesucht, Alternativen lebendig diskutiert, Meinungen anderer nicht unterdrückt sondern zugelassen. Dabei wird das Wissen, dass es keine Gewissheit gibt offen thematisiert. Dann können schon kleine Abweichungen vom geplanten Verhalten kommuniziert werden, um bei Bedarf rechtzeitig Maßnahmen zu initiieren, immer mit dem Wissen, dass bei einem möglichen Scheitern nicht Schuldige ermittelt und bestraft werden, sondern die Kommunikation verstärkt und der Zusammenhalt, dass gemeinsame Finden und Umsetzen von Entscheidungen weiter verbessert werden. Letzter Mosaikstein ist die Kommunikation der Compliance, welche der Unternehmensleitung erläutert, warum es sich um ein Geheimnis handelte. Dass diese Einschätzung größeren Diskussionsbedarf nach sich zieht, als die bisher übliche „Rätselprämisse“ ist nachvollziehbar, zumal die einfache Rätsellösung – Entfernung der Verantwortlichen aus ihrer Position – nicht greift. Der Weg zur zukünftigen Lösung von Geheimnissen ist komplexer, in einer komplexer werdenden Welt aber eine Kernkompetenz der Compliance, womit eines klar sein muss: vergleichbare Situation lassen sich nie vollständig vermeiden. Allerdings können die Ergebnisse der Analyse der Compliance einen Weg weisen, um die Gefahr entsprechender Vorfälle zu vermindern, womit bereits mehr gewonnen ist, als mit der – allzu vorschnellen – Auflösung des scheinbaren Rätsels.

22.5 Verhaltensgründe Geschichte wird nach hinten erklärt und nach vorne gelebt. Diese Aussage trifft auch auf die Compliance zu. Bei den erwähnten Geheimnissen wurden viele wichtige Details erkannt, die Zusammenfügung zu einem Gesamtbild blieb aus. Diese Zusammenfügung erfolgt durch den regelmäßigen Austausch in der Compliance aufgrund des richtigen Machtgefälles, wie es in Kap. 12 dargestellt wurde. Die Wissensgewinnung durch die Compliance benötigt unterschiedliche Herangehensweise. Wie in den erwähnten historischen Fällen. Nassim Nicholas Taleb zeigt eine gefährliche Unterentwicklung einer zentralen, menschlichen Fähigkeit auf, dem Mangel anderen Wissen zu zuschrieben, welches sich vom eigenen Wissen unterscheidet und einen unmittelbaren Bezug zu den im letzten Abschnitt erwähnten Analysten und Spinnern hat (Taleb 2010, S. 54).

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22 Veränderungen

Beispiel

Bei Kindern kann man diesen Mangel testen. Ein Kind schiebt ein Spielzeug unter einen Tisch und verlässt den Raum. Dann kommt ein zweites Kind und versteckt das Spielzeug unter dem Bett. Dieses Kind wird gefragt, wo das erste Kind das Spielzeug suchen wird. Kinder unter vier Jahren entscheiden sich für das Bett, da sie noch nicht nachvollziehen können, dass dem andere Kind Informationen fehlen, über die man selbst verfügt, ab dem vierten Lebensjahr setzt sich diese Erkenntnis durch. ◄ Dieser Test gibt Hinweise auf das Vorliegen des Asperger Syndrom. Wie hätte wohl der typische Compliance Officer, wie der Leser persönlich abgeschnitten? Das menschliche Naturell zeigt zwei Extreme im Hinblick auf die Fähigkeit zu systematisieren und Empathie zu empfinden. Systematisierende Menschen leiden an einem Mangel zu empfinden. Sie fühlen sich zu technischen Berufen hingezogen, falls sie Geisteswissenschaften, bspw. die Betriebswirtschaftslehre auswählen, neigen sie zu Tätigkeitsfeldern, in denen „richtig“ und „falsch“ eindeutig festliegen, bspw. im Bereich der Rechnungslegung, auch die Rechtswissenschaften kennen eine entsprechende Unterscheidung, spätestens mit einem Gerichtsurteil. Empathisierende Menschen wissen darum, dass es nicht die „eine“, „richtige“ Antwort gibt, neigen allerdings zu geringerer Sorgfalt und sind weniger Akkurat im Ausführen von Aufgaben. Sie ergreifen eher soziale Berufe. Systematisierende Menschen lehnen Vielschichtigkeit und Unsicherheit ab, kann doch nicht sein, was nicht sein darf. Nichtsprachliche Signale werden kaum verstanden und allenfalls widersprüchlich ausgesendet. Die Prüfung eines Agentenvertrages gelingt ihnen hervorragend, beim Hinterfragen, bei der Erwägung der Möglichkeit, dass eine ganze Gruppe von Mitarbeitern und deren externe Partner Compliancevorgaben systematisch aushebeln fehlt ihnen schlicht die Fantasie. Gespräche beschränken sich auf „technische“ Aspekte. Mögliche Indizien werden ignoriert, Hinweisen nicht nachgegangen. Kommt es dann zum sprichwörtlichen Knall ist das Erstaunen groß. Die Folgen sind nicht eine erhöhte Achtsamkeit, das Aufgreifen schwacher oder widersprüchlicher Signale, sondern mehr Vorgaben und Prüfungen. Was nicht funktioniert hat, wird nicht verändert, sondern verschärft. Wo empathische Menschen hinhören und nachfragen, wo Unwohlsein aufgenommen wird, nimmt der Systematiker schlicht nichts wahr. Deshalb sollte die Zusammensetzung eines Compliance Teams Anlass zum Nachdenken geben. Systematisierende CO sind wichtig, ja unverzichtbar, eine gewisse Anzahl empathisierender Mitarbeiter jedoch in gleichem Maße. Vielleicht kann bei der nächsten Einstellung bewusst ein anderer Menschentyp gesucht werden, die Soziologin statt der Juristen eingestellt werden, der Politikwissenschaftler dem Betriebswirtschaftler vorgezogen werden. Um das zu vermeiden, was Thema des Kapitels ist, der GAU für die Compliance.

Literatur

Literatur Drucker P (1995) The future of industrial man. Transaction, Piscataway Gladwell M (2010) Was der Hund sah. Campus, Frankfurt Taleb N (2010) Der Schwarze Schwan. Konsequenzen aus der Krise. dtv, München

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Nachwort

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Zum Ende des Buches hat der Leser eine Fülle von Anregungen erhalten. Manche werden auf Zustimmung stoßen, manche auf Skepsis, manche auf Abneigung. Hoffentlich wird einiges angegangen und in die Praxis umgesetzt. Weder Leser, noch Autor können sich sicher sein, was erfolgreich sein wird und was nicht. Eines ist jedoch klar: nicht alles wird gelingen. Wer Neues, wer Ungewöhnliches probiert liegt zwangläufig einmal daneben, einmal knapp, einmal auch deutlich. Ein Prüfungsansatz wird umgesetzt, der von den Beteiligten viel abverlangt, jedoch keine erkennbaren Resultate liefert, eine innovative Schulung löst bei den Teilnehmern nur Kopfschütteln aus, ein Konzept wird hintergangen, eine organisatorische Veränderung lässt sich nicht durchsetzen. Was alles schiefgehen, was misslingen kann verwundert oft im Nachhinein. Unwillkürlich erinnert man sich an die Worte Anna Kareninas aus dem gleichnamigen Roman von Leo Tolstoi, dass alle glücklichen Familien gleich glücklich sind und alle Unglücklichen anders unglücklich. Alle bemerken die Panne und der CO möchte am liebsten Unsichtbar werden. Dabei war es nicht so schlimm wie gedacht. Woher der Autor das weiß? Von Barry Manilow bzw. einem nach ihm benannten Experiment (Gilvich 1999, S. 743). Wer einen Eindruck des amerikanischen Sängers gewinnen möchte mag auf YouTube nachsehen, zum Zeitpunkt der Texterstellung hatte sein größter Hit „Mandy“, 4,2 Millionen aufrufe. Zu seinen besten Zeiten war er allerdings bei amerikanischen College – Studenten ungefähr so populär wie bei deutschsprachigen Studenten vielleicht die „Flippers“, deren größerer Erfolg „Die Sonne von Barbados“ mit 4,1 Millionen Aufrufen Barry Manilow nahe kommt. Der Leser mag sich das letztgenannte Video ansehen oder einem ihm bekannten Studenten vorspielen um die Wirkung zu erfahren. Vielleicht kennt und schätzt er Barry Manilow und/ oder die Flippers, würde damit in der Altersgruppe der Studenten aber zu einer exklusiven Minderheit zählen. Nun zum Versuch: die teilnehmenden Studenten wurden in einen Raum gebracht und sollten im Rahmen des Experimentes ein T-Shirt ­anziehen.

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Schneider, Werkzeuge wirkungsvoller Compliance, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61792-2_23

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23 Nachwort

Der Leser ahnt wer darauf abgebildet war: Barry Manilow. Anschließend wurde sie in einen Raum geführt, in dem die anderen Teilnehmer bereits warteten, wovon selbstverständlich keiner ein entsprechendes T-Shirt trug. Die Versuchsleiterin erklärt dem Studenten, dass er zu spät sei, aber trotzdem teilnehmen dürfe und dieser schleicht auf seinen Platz. Gerade als er sich hinsetzt ändert sie ihre Meinung, bittet ihn den Raum zu verlassen und auf eine spätere Gelegenheit zu warten, worauf der Teilnehmer erneut im Mittelpunkt steht und wieder an allen anderen Teilnehmern vorbeiläuft. Die anschließende Frage war der Kern des Experimentes: Der Teilnehmer sollte abschätzen, wie vielen im Raum das Motiv seines T-Shirts aufgefallen sei. Im Experiment schätzen die Teilnehmer das dies 50 Prozent aufgefallen sei. Die tatsächliche Quote lag bei 23 Prozent. Die Lehre aus dem Experiment ist gleichzeitig der Trost des Autors am Ende des Buches: So wichtig wie wir uns halten sind wir nicht.

Literatur Gilvich T et al (1999) The spotlight effect in social judgement. J Pers Soc Pychol 76:743–753