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German Pages [208] Year 2006
© 2006 by FZ - Verlag GmbH, 81238 München Alle Rechte bleiben vorbehalten. Druck: DSZ - Druck GmbH, München Printed in Germany ISBN 3-924309-76-0
E IN PAAR W O RT E ZUVO R Mit _ dreihund ertsieb enundneu n zig Ja - Stimmen b ei zweihund ertund zwei Nein , z wö l f m a l E n t h a l t u n g u n d e i n e m u n gü l t i g e n Z e t t e l i s t An g e l a M e r k e l a m 2 2 . N o v e m b e r 2 0 0 5 v om D eu t s c h en B u n d es t a g i n s Am t d es B u n d es k a n z l e r s d e r B u n d es republik Deutschland gewählt worden. Wa s i h re P f li c h t un d S ch u ldi gk ei t i s t, wei ß m a n . E s s t eh t im Am t s ei d gem ä ß Art i k el 5 6 d es Gru n d ges et z es fü r d i e Bu nd es rep u b li k Deu t s ch lan d , we lc h er d a lau t et : „ Ic h s ch wöre, d as s ich m ein e Kra ft d em Woh le d es d eut sch en Volk es wi dm en, s ei n en Nu t z en m eh r en , S c h a d en v o n i h m wen d en , d a s Gru n d ge s e t z u n d d i e Ge s et z e d e s B u n d e s wa h r e n u n d v e r t e i d i g e n , m e i n e P f l i c h t e n g e w i s s e n h a ft e r f ü l l e n u n d Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe." Aber weiß man auch, wer sie ist, die das geschworen hat? „J a, m ein e Ha a re sind get önt." Als s i ch An gel a M erk el d erges ta lt in d er „B i ld " a m 3 . M a i 2 0 0 2 „ ou t et e ", h ä t t e m a n d en k en k ön n en : E n d li c h m a l j e m a n d a u s d e r Gi l d e d e r S p i t z e n p o l i t i k e r , d e r m i t o f f e n e n Ka r t e n s p i e l t . G a n z d a s G e g e n t e i l v o n Ka n z le r S c h röd er, d er u m s ein e n i e ergra u en d en S ch lä fen ei n St a at s geh ei m n i s ge macht hat und sogar vor d en Kadi brachte, wer es lüft en wollt e. Gan z offen konnte d en n a u c h n a c h d em „C om i n g o u t " i n d er „B i ld " ü b e r d a s M e rk e l' s c h e Ha u p t h a a r di skuti ert werd en. B is hin zu r öffent lich en Emp feh lun g d es P romi - „Hai rst yli s t en ", Le e S t a f f o rd a n d i e C h efi n d e r C h ri s t d e m ok ra t en : „Un b ed i n gt b l on d e Hi gh li gh t s und etwas Spra y- Wa x als zeitgemäßes Finish." („Welt am Sonntag", 6. März 2005). Au ch au f and eren wi chti gen Gebi et en is t di e Öffent lichk eit hin reich end au fgek lä rt word en. B ei spi els wei s e, d as s Fra u M erk el b es ond ers gern Blut wu rst mit Ka rt offel b rei isst un d dass sie h ervorragend Pflau menku ch en b acken k ann, mit d em sie Gä s t e b e z a u b e rt ( „B ei m i r i s t n oc h k ei n e r u n zu f ri ed en we g g e g a n g en . " ) In d i es e r H i n s i c h t a l l e r d i n g s wa r d e r F o r t s c h r i t t z u S c h r ö d e r n i c h t s o a u f r e g e n d . W u s s t e m an d och län gst auch , was d er Gen os s e d er B oss e fü r Lei b und Ma gen b evorzu gt. Von wegen : „Doris , h ol m i r ma l 'n e Fla s ch e Bi er. " Od er s ein e legendä re „Ka n zler platte": Currywurst mit Fritten. D o c h s on s t ? W i e h ä lt s t Du ' s , „ An gi e ", d en n n u n b ei s p i e ls we i s e m i t d e r P o li t i k ? Ka n n d a d i e a t e m b e r a u b e n d e E n t h ü l l u n g i h r e r B i o g r a p h i n P a t r i c i a Le ß n e r k r a u s „An gela M erk el i st k ons ervativ, lib era l und p rogres si v zu gleich " wi rk li ch b efri edi g e n ? Un d we r s i n d i h r e E i n f lü s t e r e r, i h r e B e ra t er u n d E i n fl u s s n eh m e r h i n t er d en Kulissen? 3
In d er M erk e l-B i ogra p h i e von E ve l yn R ol l h ei ß t es vi el s a gen d n i ch t s s a gen d, b ei d en M en sch en, di e „An gela Merk el wi rk lich b erat en ", hand ele s i ch um „Leu t e, di e eb en n i c ht h eru m la u fen u nd da rü b er red en ". E s s ei en „i n t er es s a n t e M en s c h en , d i e sich regelmäßig mit ihr t reffen". M ehr erfährt man nicht. Wi e ab er i st das bei s pi els wei s e mi t j en em V-Mann d es Richa rd P erle, d es „Fü rs ten d er Fins t erni s" hin t er d en Ku li s s en v on Wh i t e Hou s e u n d Wa ll S t re et , d er s i ch m it Fra u M erk el zu m „Briefing" hinter verschlossenen Türen trifft? Oder wer war der Große Unbekannte, au f d es s en Ord er hin Frau M erk el d en „Tät ervolk "-R edn er Ma rt in Hoh mann in P ar t ei u nd Fra k t i on li q ui di ert e, wo s i e i h n d och ei gen t li c h m it ei n er R ü ge d a von k om men las sen wollte? Ist man über d en „ Inn er Circ le" d es „S ys tems Merkel" wirk lich au s reich end in form i ert, wen n m an weiß , da ss ih re Bü roch efin B eat e Bau mann und ihre Press esprecherin Eva Christiansen ihr „Girls Camp" darstellen und Eckart von Klaeden, Merkels „Ecki", die wichtigste Figur in ihrer „Boy Group" sei? Au f d e r let zt en S ei t e, i m m erh i n d er z wei h u nd ert un d si eb zi gs t en , i h rer M erk el- B i og r a p h i e k o m m t d i e P u b li z i s t i n J a c q u e l i n e B o ys e n z u m S c h l u s s : „ An g el a M e r k e l lässt den Blick hinter die Mas ke nicht zu." Sie habe „ihre Fähigkeit, eine Maske zu tragen, perfektioniert", heißt es da weiter. „Sie verbirgt vor der Öffentlichkeit sehr s orgfä lt i g, wa s s i e wi rk li c h den k t . " Am 7 . M a i 20 01 sc h on b et i t elt e d i e „S üd d eu ts ch e Zeitun g" ein en An gela- M erk el -Artik el mit d er Sch la gzei le „Di e Frau mit d er Maske". „S p h i n xha ft e Vers c h los s en h ei t u nd ei n e p oli t i s ch e Un b es t im m b a rk ei t " an a lys i ert B oys en b ei M erk e l. Ga n z ä h nli c h d a s Urt ei l von M erk el- B i ogra p h P rof. Dr. Ge rd La n g gu t h : „ S i e h a t et wa s S p hi n xh a ft e s a n s i c h . " Un d e r f ra g t : „ Wa ru m i s t es An gela Merkel augenscheinlich so unangenehm, wenn man mehr von ihr wissen will?" M a tt hi a s Kra u ß, M erk el- Leb e n s b es c h rei b er au c h er, i s t a u f ei n en „S c h ut zp an zer" ges t oß en , m it d em sich di e P oli tik erin u m geb en hab e. Weit er s ch reib t er. „Wer zu unt ersuch en t ra cht et , wa s An gela M erk el üb er sich s elbst p rei s gibt , d er st ößt zua llererst auf ein einfach es Ergebnis: am liebsten gar nichts." Biographin Nicole S c h le y, An ge la M erk e l s eh r g e wo gen , k om m t d oc h n i ch t a n d er k ri t i s ch en An m erk un g vorb ei , d a s s s i e n u r „ei n woh l d os i ert es M i n i mu m an In form a t i on en zu r P er s on p rei s gi b t ". Nä m li ch n u r solc h e Hä p p ch en , „di e fü r d en S t i m m en fa n g u n erlä s sli ch sind ". Wozu au ch Bi ld er au s d er Vergan genh eit geh ören wü rd en, a ls si e n och n i c h t i m R a m p en li c h t s t a n d , d i e „p ro f e s s i on e l l a u s g e wä h lt " s ei en u n d „i n j ed e m Fall Symp athien weck en ". Nicht ern st gemeinte An merkun g am Rand e: Früh er schnitt man Ecken an Fotos ab, die nicht kommen sollten.
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Bio graphin Patricia Leßnerkra us wi ll die Merk el'sche Zugeknöpftheit, was die ei ge n e Vi t a an geh t , mi t d eren DDR - P rä gu n g erk lä ren . E s rüh re n oc h a u s d er Zei t h er, a ls si e „vor a llem ni e p rei s geb en du rft e, wi e s i e und ih re Fa mi li e dah eim wi rk li ch leb en , wa s s i e d en k en un d d i sk ut i eren ". Au c h n ic ht , wa s m a n zu ha u s s o a lles s t u d i ert ha b e a n ni c ht d er S E D- Li n i e en t sp rec h en d em Les egu t . Doc h : Ka n n d a s m ög l i c h s e i n , d a s s F r a u M e r k e l n a c h m e h r a l s a n d e r t h a l b J a h rz e h n t e n m e n t a l i m m e r n och nicht an gek omm en i st in d er frei est en Ges ells ch aft, d ie j e a u f d eu ts ch em B o den, wenn nicht sogar auf Gottes Erdbod en insgesamt, b estanden hat? Eine Ge s el ls c h a ft , in d er s i c h n i em and vor S c h la pp hü t en fü rc ht en m u s s , in d er k ei n e Zen sur stattfindet, in der jeder sagen, jeder auch lesen darf, was er möchte ... Od er s ol lt e d er DDR - B e zu g b ei m M erk el' s c h en Ni c ht p rei s geb en wol l en eh er m eh r d a ri n li e g en , d a s s Va t e r H or s t Ka s n e r, d er P fa rr e r, d er „ r ot e Ka s n er ", wi e e r k i r c h en i n t e rn g en a n n t wu rd e , s eh r vi e l n ä h e r a n d e r S E D -S t a a t s m a c h t d ra n wa r , a ls es d em B i ld ent s p ric ht , wa s Toc h t er An ge la ge rn a ls d a s a llg em ei n gü lt i ge g em a lt hätte? Und wie war das noch gleich mit An gela Merk el a ls FDJ -Aktivistin, wom ög li c h a ls „S ek ret ä ri n fü r Agi t a ti on un d P rop a gan da "? Un d m it i h rer a n geb li c h sp u r los versch wundenen Arb eit an der Ka rl -Marx -Universität Lei pzig, „Was ist s ozialis tische Lebensweise"? Biograph Krauß ziti ert einen Journalist en mit den Wort en: „Di e Kan zlerkandidatin hat di e Kun st , a llen Fra gen aus zu weich en, s ich nicht fest zu legen , nicht s zu s a gen, z u ei n em Gra d p e rf ek t i on i e rt , d er n i c h t ei n m a l i m , N eu en D e u t s c h la n d ' d e r a lt en S E D err ei c h t word en wa r. " „ An g ela M erk e l i s t wi e ei n Gl et s c h ers e e", p oet i s i ert e d er J ou rn a li s t Di et e r S c h n a a s i m „Ha n d els b la t t " Nr. 1 3 / 200 0 na ch i h rer Wa h l zu r CDU-Chefin. „So tief man auch hineinschaut — einen Grund findet man nie." Au ch en ge p oliti sch e Weggefä h rt en sind da oft rat los. „Wi e s i e wi rk lich t ickt, da s k a n n k e i n e r s o r i c h t i g s a g e n " , wu r d e J u n g e - U n i o n s - C h e f P h i l i p p M i ß f e l d e r i m „st ern" -Extra zur Bundestags wahl 2005 zitiert. In d ems elb en Artikel hieß es : „Üb er M e rk e l wi s s e e r a m wen i g s t en , ei g en t li c h n i c h t s , s a gt F ri ed ri c h M e r z. " W a s m a n ihm, der zu ihrer „Skalpsammlung" auf dem Weg nach oben gehört, allerdings nich t s o gan z glaub en m a g. Vi ellei cht wollt e M erz nu r nic ht s o un versch ämt offen s ein wi e E x -Mini st er Günth er Kra u s e, d es s en Ska lp sich auch in d er M erk el -Sam m l u n g b efi n d et , u n d d e r wu t s c h n a u b t : W e r d e r F ra u M e rk e l d en R ü c k en zu we n d e, bekomme „einen Finalschuss, einen Tritt in den Arsch. So funktioniert die." „ D e r g a n z e M e r k e l -C l a n s t e h t u n t e r d i e s e m V e r h ü l l u n g s z wa n g " , h i e ß e s i n d e r „B er li n er M org en p os t " vom 18 . S ep t em b er 20 05 . Au c h Vater u n d Mu tt er m a c h en d i e S c h o t t e n d i c h t . „ D i e Ka s n e r s s c h we i g e n " , m e l d e n J o u r n a l i s t e n , d i e s i c h b e i den Eltern erkundigen wollten. Nicht anders der Gatte, Professor Sauer, der des5
halb von Medien „Phantom der Oper" getauft wurde (er liebt, zumindest das weiß „die Öffentlichkeit", das Musiktheater. Wer plaudere, könne sich gleich eine neue Uni suchen, zitiert der „stern" einen Studenten des kameralichtscheuen Prof. und Kanzler-Gemahls. Und es geht sogar noch weiter. Die „Märkische Allgemeine" aus Angela Merkels Kindheits- und Jugendheimat Brandenburg berichtete am 31. Mai 2005 über den Fall jenes alten Freundes der Familie in Templin, bei dem ein Merkel-Biograph vorbeischauen wollte. „Als der bei ihm klingelte, hat er erst einmal Angela Merkel angerufen. Sie wollte nicht, dass er redet. Sie sichert sich ab." Mit den Worten: „Ich habe der Angela versprochen, nichts zu erzählen", blitzte der Quellenforscher ab. Das, was über sie geschrieben stehe, entspreche „bei weitem nicht der Realität", bekundete Frau Merkel in einem Interview mit dem Magazin „Cicero", Mai 2004. Um dann aber auch gleich klarzustellen, dass sie eben nichts klarstellen wolle: „Ich halte mich an den Spruch des englischen Königshauses: Never complain, never explain." Vulgo: Scher' dich nicht, erklär' dich nicht! Sollen Ihre Hoheit uns auf diese „feine Englische" davonkommen oder wollen wir, geneigter Leser, auf den folgenden hunderzwanzig Seiten gemeinsam das Wagnis eingehen, der Realität ein Stückchen näher zu kommen?
David Korn
Bei dem im vorliegenden Buch zitierten Merkel-Biographien handelt es sich um: Jacqueline Boysen, Angela Merkel. Eine Karriere, Berlin 2005 (aktualisierte Neuausgabe) — Herlinde Koelbl, Spuren der Macht. Die Verwandlung des Menschen durch das Amt. Eine Langzeitstudie, München 1999 — Matthias Krauß, Das Mädchen für alles. Angela Merkel. Ein Annäherungsversuch, Leipzig 2005 — Gerd Langguth, Angela Merkel, München 2005 — Patricia Leßnerkraus, Merkel, Macht, Politik. Und wo sonst noch die Weiblichkeit regiert, Saarbrücken 2005 — Hugo Müller-Vogg, Angela Merkel — Mein Weg. Ein Gespräch mit Hugo Müller-Vogg, Hamburg 2005 — Evelyn Roll, Die Erste. Angela Merkels Weg zur Macht. Reinbek 2005 (2. Auflage) — Nicole Schley, Angela Merkel. Deutschlands Zukunft ist weiblich, München 2005 — Wolfgang Stock, Angela Merkel. Eine politische Biographie, München 2005 (2., überarbeitete und aktualisierte Auflage) 6
„In den Osten rübergemacht” An g e l a D o r o t h e a Ka s n e r , d i e s e i t i h r e r e r s t e n E h e s c h li e ß u n g 1 9 7 7 M e rk e l h e i ß t — sie b ehielt d en angeh eirateten Namen nach der Scheid ung 1982 bei —, kam a m 1 7 . J u l i 1 9 5 4 i m H a m b u r ge r S t a d t t e i l E i m s b ü t t e l z u r W e l t . E i n i g e i h r e r m ü t terlicherseits aus Westpreußen stammenden Verwandten lebten damals in der H a n s e s t a d t : Ih r e M u t t e r H e r l i n d Ka s n e r g e b . J en t z s c h , i h re Gr o ß m u t t e r Ge r t r u d Jent zsch (eine Leh rerin), d eren Sch west er Emi lie sowi e eine Tant e der klein en Angela, Ärztin von Beruf. D i e 2 6- j ä h r i g e H e r l i n d K a s n e r w o h n t e i m S o m m e r 1 9 5 4 m i t d e m B a b y b e i d e r Groß m u t t er von An g e la i n d er Ha m b u rger ls es t ra ß e 9 5 . Zu vor h a t t e s i e m i t ih rem M a n n i n d e r H u d t w a l c k e r S t r a ß e , H H -W i n t e r h u d e , g e l e b t . A n g e l a s V a t e r w a r nach „drüben" in die „Ostzone" gegangen. So sagte man damals im Westen, wenn der kommunistisch beherrschte Tei l Deutschlands gemeint war, den die M a c h t h a b er i n O s t b e r li n a u f d en Na m en „ D eu t s c h e D em ok r a t i s c h e R ep u b li k " g etauft hatten. Horst Kasner, zu dieser Zeit 27 Jahre alt, hatte als frischgebackener evangelischer Th eologe noch vor d er Geburt sein er Tocht er von Hamburg aus „rübergem a c h t " . F l u g s t a u s c h t e e r s e i n e n b u n d e s d e u t s c h e n P e r s o n a l a u s we i s i n e i n e n s o l c h e n d e r D D R u m . Im D o r f Q u i t z o w n a h e P e r l e b e r g , w e s t l i c h e s B r a n d e n b u r g (h eut e: La ndk rei s P ri gni t z), t rat er ein e Pfa rrst elle an. Mitt e S ept emb er 1954 folgte ihm seine Frau Herlind mit Klein-Angela dorthin. Ka s n e r, a ls P o li zi s t en s oh n a m 6 . A u gu s t 1 9 2 6 i n B e r li n -P a n k o w z u r W e l t g e k o m m e n , w o e r a u f g e w a c h s e n wa r u n d s e i n e F a m i l i e a u c h n a c h Z w e i t e m W e l t k r i e g u n d M a u e r b a u 1 9 6 1 v e r b l i e b ( An g e l a M e r k e l b e r i c h t e t v o n h ä u f i g e n B e s u c h e n a l s Ki n d u n d J u g en d li c h e b ei d e r O m a i n P a n k o w), h a t t e 1 9 4 8 s ei n Th e o l o gi es t ud i u m i n H e i d e l b e r g b e g o n n e n u n d d a n n i n B i e l e f e l d b z w. H a m b u r g a b g e s c h l o s s en, wo er a uch a ls Vika r (Epiphan i enki rch e, HH- Wint erhud e) wi rk t e. In d er E lbmetropole lernte er Herlind Jentzsch kennen. Sie studierte an der Hamburger Universität Englisch und Latein mit Lehramt als Ziel. „ D e r d a m a l i g e H a m b u r g e r B i s c h o f H a n s O t t o W ö l b e r e r ö f f n e t e Ka s n e r , d a s s e r gebraucht werde — als evan gelischer Pfarrer in der Berlin - Brandenburgischen La n d e s k i rc h e. P fa r r e rm a n g e l m a c h t e s i c h i n d e r D DR b em e r k b a r. " S o gi b t P r of . Dr. Gerd La n ggu t h i n s ei n er M erk el -B i og ra p h i e Ka s n ers ei gen e V ers i on zu m Hi n t e r g r u n d s e i n e s W e s t -O s t - W e c h s e l s v o n 1 9 5 4 w i e d e r . B e i d i e s e r D a r s t e l l u n g hakt es ab er sch on da ran, da ss Wölb er erst zehn J ahr e sp ät er, 1964, Bi sch of wu r d e . 1 9 4 2 o r d i n i e r t , 1 9 4 4 a l s W e h r m a c h t p f a r r e r i n It a l i e n i n Ge f a n g e n s c h a ft 7
geraten, 1945 wieder in Deutschland, diente er 1954 in Hamburg als Jugendbeauftragter der Kirche. An g ela M e rk el s Va t er e rk lä rt e rü c k b li ck end i n ei n em s ei n er e xt rem s e lt en en P r es s eg es p rä c h e (ei n em a u f E n gli s c h a m 6 . S ep t em b er 2 0 05 ver öff en t li c h t en „ In t ern at i on a l Hera ld Tri b u n e"- In t e rv i e w), d a s s d er C h ef d er — vo n ih m ni ch t n äh er vorg e s t e l l t e n — „ M a n n s c h a f t " („ c o m p a n y" ) , d i e s e i n e r F r a u u n d d e m B a b y An g e l a b ei d er Um si elun g üb er di e Zon en gren ze zu ihm in di e DDR ha lf, b ei d er Au ft ra gs e r t e i l u n g b a s s e r s t a u n t ü b e r d a s An s i n n e n g e w e s e n s e i . D e r M a n n h a b e g e s a g t , dass es normalerweise doch von Ost nach We st, nicht jedoch andersherum g e h e . B i s l a n g , s o d e r „ C o m p a n y " -C h e f w e i t e r , k e n n e e r n u r z w e i S o r t e n v o n M e n s c h e n , d i e v o n W e s t n a c h O s t w e c h s e l n w o l l t e n : „ K o m m u n i s t e n o d e r wi r k liche Idioten." Doch zu welcher gegebenen falls dritten Art mag Horst Kasner gehö rt haben? Tatsache ist, dass damals großen Mengen Deutscher, die von d er DDR in die B u n d es r ep u b li k gi n g en (a l l ei n 1 9 5 4 wa r en e s M on a t fü r M o n a t z wi s c h en d r ei ß i gu n d vi e r zi gt a u s en d ), n u r r e la t i v wen i g e g e g en ü b er s t a n d en , d i e d en u m g ek eh rt en W e g e i n s c h lu g e n . Un t e r d en W a n d e r e r n v o n W e s t n a c h O s t a b e r , d i e n i c h t g e r a d e von Sinn en waren (und auch n icht aus rein familiären Gründ en in die DDR w e c h s e l t e n , wa s g e l e g e n t l i c h v o r k a m ( , f a n d m a n i n d e r T a t f a s t n u r Ko m m u n i s ten oder zumindest doch Sympathisanten der kommunistischen Weltanschauung. Wä h ren d nu n z. B . da s von der B er li n er Ta g es zei t u n g „B Z" ver öff en t li c h t e „M er k e l -Le x i k on " b eh a u p t et , J u n gp fa r r e r Ka s n e r h a b e m i t s e i n em W e c h s e l i n d en Os ten der Kirche in der DDR helfen wollen, „den Angriffen des Kommunismus s t a nd zu ha lt en ", n ot i ert M erk el- B i ogra p h i n J ac qu eli n e B o ys en , Ka s n er s ei „p ri n zip i ell d em s o zi a li s t i s c h en Ges el ls c h a ft s b i ld zu get an " ge wes en , u nd t ei lt e d i e „B erl i n e r M o r g en p os t " a m 1 8 . S ep t em b e r 2 0 0 5 m i t , d a s s d e r M e rk e l -Va t e r „d i e DDR für das gelobte La nd hielt". Demzufolge hätte bei ihm schon früh ein weltan schau lich er Li nk sdra ll von erh eb lich er In t ensi tät vorgelegen . Mit na ti ona ler S o l i d a ri t ä t i m S i n n e ei n e s b es on d e r en V e ra n t wo rt u n gs g e fü h ls f ü r d i e g e i s t li c h e B et r eu u n g g era d e d er m i t t e ld eu t s c h en La n d s l eu t e d ü r ft e H o rs t Ka s n er s Üb e rt ri t t i n d i e DDR j ed en fa lls n i ch t s zu t un geh a b t ha b en . La n ggu t h : „ An ge la M erk e ls Va t er s a g t h e u t e , e r wä r e ü b e r a l l h i n g e g a n g e n , wo h i n d i e Ki r c h e i h n g e s c h i c k t h ä t t e , selbst nach Afrika." I m S E D - S t a a t h a n d e l t e s i c h d e r W e s t - O s t -W a n d e r e r k i r c h e n i n t e r n d e n S p i t z n a m en „ d e r r o t e Ka s n e r " e i n . E r g e r i e t m i t C h ri s t en ü b e r Kr e u z , d i e a u f s t ri k t e Di s t a n z zu d en k om m u ni s ti s ch en M ac ht ha b ern hi elt en . P ro f. La n ggu t h b eh aup t et , w e g e n „ i n t e n s i v e r S t a a t s n ä h e " b z w . w e i l e r „ z e i t w e i s e K o n t a k t e m i t d e r S t a a t s8
s i c h e rh ei t n i c h t s c h eu t e" s ei An g e l a M e rk e l s Va t e r „t i e f i n d a s D DR - S ys t e m v er strickt" gewesen . Der „rote Kasn er" wirkte jed en falls als „grau e Emin en z d er b ra n d en b u rgi s c h en Ki rc h e " ( „r b b on li n e " ). Dr e i ß i g J a h r e la n g wa r e r C h ef e i n er S c h a lt s t e l l e d e r Th e o l o g en a u s b i ld u n g i n B ra n d en b u r g, d es P a s t ora lk o l l e gs W a ld h of b ei T e m p li n . Da b ei k a m e s zu ei n e r Ko l la b o ra t i on m i t d er p o li t i s c h en M a c h t im Staate, die über das zwi ngend erforderliche Maß offenbar hinausging. Zu Ka s n e rs Ka r ri e r e i n d e r k o m m u n i s t i s c h en Di k t a t u r a u f d eu t s c h e m B od en u n d d a rü b er, wi e „t i ef" s ei n e „V ers t ri c ku n g" wi rk li c h gewes en s e i n m a g, sp ät er m eh r i n diesem Buch.
Beinahe vom Leben „befreit" H o r s t Ka s n e r h a t t e , wi e g e s a g t , s e i n e n a c h m a l i g e E h e f r a u , An g e l a M e r k e l s M u t t er, i n Ha m bu rg k en n en geler n t . Geb oren word en wa r He rli n d J en t zs ch a m 8 . J u li 1928 in Elbing. Langguth übrigens vermut et fä lschlich Danzig; Nicole Schley liegt m i t „ g e b ü r t i g e H a m b u r g e r i n " n o c h fa l s c h e r ; P a t r i c i a Le ß n e r k r a u s s c h r e i b t , we i t dan eb en grei fend, von „westd eut sch er Ab sta mmun g", Prof. Wolfgan g St ock, a u c h n i c h t t r e f f s i c h e r e r , v o n „ An g e l a M e r k e l s we s t d e u t s c h e r M u t t e r " , wä h r e n d d i e a n d e r en M erk e l -B i o gra p h e n s i c h zu d i es e r H erk u n ft s fra g e a u s s c h wei g en . Im Alt er von acht Jah ren, 1936, ka m Herlind Jent zsch mit ih rer Fa mi li e au s d er westpreußischen Heimat nach Hamburg. Möglich erweise hing es mit ein er Ver setzung ihrer Mutter, also Angela Merkels Oma, die Lehrerin war, zusammen. O b wo h l e s i n d e r b e r ü h m t e n D i r e k t i v e J C S 1 0 6 7 d e r v e r e i n i gt e n S t a b s c h e f s d e r U S - Ar m y v on 1 9 4 5 u n z wei d eu t i g h i eß : „ D eu t s c h la n d wi rd n i c h t zu m Z we c k e s ei n e r B e f r e i u n g b e s e t z t , s on d er n a l s b e s i e g t e r F e i n d s t a a t " , p f l e g t An g e l a M e r k e l d i e Al l i i e rt en g e rn e a l s „B e fr e i e r" d er D eu t s c h en zu b e z e i c h n en . B ei s p i e ls we i s e l e i t e t e s i e i h r e R e d e a u f d e r M ü n c h n e r Ko n f e r e n z f ü r S i c h e r h e i t s p o l i t i k , 1 2 . F e b ru a r 2 00 5 (d er Vora b en d d es 6 0. J ah res t a ges d er wes t a lli i ert en Ve rn i c ht un g von D r e s d e n , wa s d i e C D U -C h e f i n i n i h r e r An s p ra c h e g ä n z l i c h u n e r wä h n t l i e ß ) , m i t dem Satz ein: „Am 8. Mai gedenken wir des 60. Jahrestages des Endes des Z we i t en W e l t k ri e g es u n d d e r B e f r ei u n g E u r op a s v o m Na t i o n a ls o zi a li s m u s . " Un d zu r B ekrä fti gun g ih rer S olida rit ät m it Bu sh, d em Ir a k -Kri egs h errn, b et ont e M erk el a m 5 . F eb ru a r 2 0 0 3 i n „t a c h el e s ", d e m „ Li v e -C h a t d er T a ge s s c h a u ", d a s s j a a u c h Deut sch land 1945 „ohn e mi litä ri sch es Ein greifen d er Alli i ert en ni cht b efreit " wor d e n wä r e . W e i t e r l o b t e s i e i n e i n e m In t e r v i e w m i t d e r „ Z e i t " , 6 . M a i 2 0 0 4 , d a s An s i n n e n d e r U S A, „ d i e D e m o k r a t i e , d i e s i e d e n D e u t s c h e n n a c h d e m Z w e i t e n Weltkrieg gebracht haben, auch in den Irak zu bringen". 9
N u n f ü g t e s s i c h s o , d a s s An g e l a M e r k e l s e i g e n e M u t t e r u n d a u c h d i e w e i t e r e n i n Ha mb u rg leb en d en Fa m i li e n a n geh öri gen i n d er Ta t b e i n ah e d u rc h d i e Wes t a l li i ert en , gen a u er g es a gt d u rc h d eren Lu ft wa ff en R o ya l Ai r F orc e u n d US Am eri c a n Air Force, „befreit" worden wären — und zwar vom Leben: Mit d er „Op era ti on Gom orrha" erreich t en di e völk errech ts wid ri gen B omb enan grif fe von R AF und USAAF au f Zi vi listen End e Ju li 1943 in der Hansestadt ihren s c h a u ri g en H öh ep u n k t . E s wa r e n ü b e rh a u p t d i e b i s d a h i n s c h we r s t en An g ri f f e i n d e r G e s c h i c h t e d e s Lu f t k r i e g e s . D a s a l l i i e r t e C o d e w o r t b e z o g s i c h a u f a l t t e s t a m en t a ri s ch e Üb erli e fe ru n g: V ern i c h tu n g d er B evö lk eru n g v on S od om u nd Gom or r h a , a u c h d er Ki n d e r, we g en m o ra li s c h er V e rk om m en h ei t i n d en S t ä d t en — s o zusagen per Luftangriff, mit Feuer und Schwefel von oben. Im Hamburger F e u e r s t u r m - In f e rn o, E n d e J u li 1 9 4 3 , k a m en a u c h Ta u s en d e Ki n d e r u m . Di e m ei s t en Op f e r e rs t i c k t en i n fo l g e d es ln j ek t or e f f ek t es , d e r m ons t r ös en Ka m i n wi rk u n g d e s H ö l l e n f e u e r s a u s M e n s c h e n h a n d , o d e r wu r d e n i n d en K e l l e r n d u rc h e i n s t r ö m e n d e R a u c h s c h wa d e n v e r g a s t . D i e G e s a m t z a h l d e r T o t e n i n d e r H a n s e s t a d t i n d e n T a g e n d e r „ O p e r a t i o n G o m o r r h a " b e l i e f s i c h a u f ü b e r f ü n f z i g t a u s e n d . Au f d em Hambu rger Fried h of Ohlsd orf sind die Bomb en op fer in ein em gewaltigen M a s s en gra b b es t a t t e t wo rd en . E i n D en k m a l v on Ge r h a rd M a rc k s ru ft i h r Le i d i n Erinnerung, den Lebenden zur Mahnung. D r ei m a l wu rd e d i e F a m i li e vo n An g e la M e rk e ls M u t t e r i n H a m b u r g a u s g eb o m b t . Nu r knapp k am en di e J ent zsch s — un t er Verlu st säm t lich en Hab und Gu t es — mit d e m L e b e n d a v o n . D a s M ä d c h e n H e r l i n d wu r d e s c h l i e ß l i c h a u s H a m b u r g i n S i ch erh eit geb racht. Sie erleb te d as Kriegsend e in ein em an d er Elb e gelegen en Dorf d es h eu t i gen S a c h s en -An h a lt. B ei d er s t a a t li c h orga ni s i ert en , h a up t sä ch li c h v o n d e r H i t l e r j u g e n d v e r a n t wo r t e t e n Ki n d e r l a n d v e r s c h i c k u n g ( V e r b r i n g u n g a u s d e n b o m b e n b e d r o h t e n S t ä d t e n a u f s La n d ) , i m R a h m e n d e r e r m e h r e r e M i l l i o n e n Ki n d e r u n d J u g e n d l i c h e b e t r eu t wu r d en , h a n d e l t e e s s i c h u m d i e g r ö ß t e h u m a n i t ä r e R et t u n g s a k t i on d es Z we i t en W e lt k ri e g es — n eb en d e r E va k u i eru n g v on M i l l i on en F l ü c h t li n g en ü b e r d i e O s t s e e a b E n d e 1 9 4 4 d u rc h d i e d eu t s c h e M a ri n e u n ter Führung des Großadmirals und letzten Reichspräsidenten Karl Dönitz.
Wurzeln in Westpreußen Angela Merkels aus Elbing in Westpreußen stammende Großmutter Gertrud J en t z s c h g eb . Dr a n g e , d i e m i t i h r e r T oc h t e r H e r li n d s e i t 1 9 3 6 i n Ha m b u r g l eb t e, wa r , wi e b e r ei t s e r wä h n t , P ä d a g o gi n . Vo r i h r e m Um zu g i n d i e n o rd d eu t s c h e E lb m et rop ol e h a t t e s i e a n d er E l b in ger Kön i gi n -Lu i s e - S c h u le i h ren Di en s t a ls Leh re rin verrichtet. Bei ihrem Vater, Emil Richard Drange (18. März 1866 — 8. April 10
1 9 1 3 ) , An g e l a M e r k e l s U r g ro ß v a t e r , h a n d e l t e e s s i c h u m e i n e n a u s O s t p r e u ß e n n a ch E lb in g zu ge wa n d ert en M ü lle rm ei s t ers oh n . E r fü h rt e Em m a Wa c h s (2 5. Ok t ob e r 1 8 7 1 — 1 . Au gu s t 1 9 3 5 ) h ei m , F r a u M e rk e l s Ur o m a . E m i l D ra n g e b ra c h t e e s zu m Ob ers t a d t s ek ret ä r i m Magi s t ra t u nd s t ellv ert ret en den B ü rgerm ei s t er E lb i n gs . D i e F a m i l i e l e b t e i n d e r T a n n e n b e r g a l l e e . D a s Gr a b m a l d e r D r a n g e s a u f d e m a l ten Fri edhof der Stadt ist erhalten gebli eben. Die Inschrift erwähnt auch die h oh e Fu n k t i on von An ge la M e rk els U rgr oß va t er i m Gem ei n d ewes en . W ei t er e V orfahren Merkels stammten aus Niederschlesien. E lb i n g li egt ö s t li c h von Da n z i g, s ü d li ch d es Fri s c h en Ha ff s a m E lb i n gflu s s . Hi er an d er u ralten Bern stein straß e k am es vor rund 12 00 Jah ren zu r Gründun g d er H a n d e ls s i ed lu n g T ru s o , d i e vo n d en b a lt i s c h en P ru z z en (P r u ß en ) u n d d en g er m an i s c h e n W i k i n g e r n g e n u t z t wu r d e . Di e S t a d t E l b i n g s e l b s t wu r d e 1 2 3 7 v o n H e rmann Ba lk , d em b erühmt en erst en La n dmei st er d es Deut sch en Ord en s, gegründ e t ; d i e B ü r g e r s t a m m t en z u n ä c h s t m e i s t a u s Lü b e c k . 1 3 5 8 g e h ö r t e d i e S t a d t z u d en Grü n d e rn d er D eu t s c h en H a n s e. In f o l g e N i ed er ga n gs d e r O rd en s m a c h t s t a n d E lbin g a b 1466 un t er p oln isch er Herrsch aft; di e B evölk erun g k onn t e j ed och ih ren rein deutschen Charakter bewahren. Unter Friedrich dem Großen kam Elbing 1772 an den Staat Preußen. Es nahm im 19. Jahrhundert, insbesondere nach Grü ndun g d es Bi sm arck reich es , groß en wi rt sch aft lich en Aufs ch wun g. Dort gab es ei n e Werft von Welt ru f, ein b ed eut end es Lok omoti vwerk , d i e größt e Zi ga rrenfabrik Festlandeuropas. N a c h d e m E r s t en W e l t k r i e g b l i e b d i e S t ad t i m Ge g e n s a t z z u v ö l k e r r e c h t s wi d ri g abgetrennten anderen westpreußischen Gemeinden beim Deutschen Reich. Es l e b t e n s o g u t w i e k e i n e P o l e n i n E l b i n g . In d e r u n w e i t g e l e g e n e n S t a d t M a r i e n b u r g v o t i e r t e n a m 1 1 . J u l i 1 9 2 0 b e i d e r V o l k s a b s t i m m u n g 1 7 8 0 5 d e r W a h lb e r ec h t i gt en fü r D eu t s c h la n d u n d ga n z e 1 9 1 fü r P o l en . Di e Ab s t i m m u n g i n we s tp r eu ß i s c h en lä n d li c h en Kr e i s e n d e r Um g eb u n g erb ra c h t e a m s e lb en Ta g e u m d i e 9 0 % fü r D e u t s c h l a n d . W o b e i m a n b ed e n k e n m u s s , d a s s d a s e i n d eu t i g e E r g e b n i s t rot z d es E len d s d es Deu t s c h en R ei ch es n ac h d er Ni ed erla g e i m E rs t en We lt k ri eg u nd d em ni ed ers c h m et t ern d en Vers a i l le r Ve rt ra g e rru n gen wu rd e, wä h ren d P ol en s i c h k rä ft i g e r Un t e rs t ü t zu n g d e r S i e g er m ä c h t e e r f r eu t e u n d i n t e rn a t i on a l a l s a u fstrebende neue Macht „gehandelt" wurde. Z u K r i e g s b e g i n n 1 9 3 9 h a t t e E l b i n g k n a p p 1 0 0 0 0 0 E i n wo h n e r . V o m 2 3 . J a n u a r 1 94 5 b i s zu m 10 . Feb ru a r 1 945 vert ei d i gt en W eh rm a c h t u nd Volk s s t u rm d i e S t a d t ge gen d i e m i t ge wa lt i ge r Üb e rm a c h t a n grei fen d e R ot e Arm ee, wod u rc h vi er Fü n ftel d er bis d ahin verb lieb enen Elbin ger und d er hin zu geströmten Flüchtlin ge w e s t wä r t s e n t k o m m e n k o n n t e n . D i e a n d e r e n D e u t s c h e n i n d e r S t a d t wu r d e n b i s a u f w e n i g e Au s n a h m e n V e r b r e c h e n s o p f e r v o n E x z e s s t ä t e r n a u s d e n R e i h e n d e r 11
R ot en Ar m e e b z w. p o ln i s c h en V e rt r ei b u n g s t e rr o rs . Na c h E n d e d e s Z we i t en W e l tkrieges kam das von Deutsc hen „ethnisch gesäubert e" E lbing unter Wa rschaus H e r r s c h a ft . Di e P o l en n en n en e s E lb la g. S ei t An fa n g d e r 1 9 9 0 e r - J a h r e d a r f s i c h dort wied er in Ansätzen deutsches Leben regen („Gesellschaft der deutschen Minderheit Stadt und Landkreis Elbing"). Un t er d en E lbi n ger Op fern der s t a li n i s ti s ch en M ord - un d S c h än du n gsk om m a nd os b efa n d en si ch 194 5 verm u t li c h au ch Verwa n d t e An g ela M e rk els . Ni c h t sd es t ot rot z zä h lt si e — ob woh l a ls füh rend e P olitik erin d er Bund es repub lik lan ge s ch on nich t m eh r d em Di k t a t d er en t s p rec h en d en S E D - P rop a ga n da un t er wor fen — d i e S o wj et uni on au sd rück li ch zu d en „Befrei ern Deuts ch land s ". E s s ch ein t Frau M erk el nicht z u i r r i t i e r e n , w e s In h a l t s d i e T a g e s b e f e h l e d e r F ü h r u n g a n S t a l i n s T r u p p e n wa r e n , a ls s i e d i e Gr e n z en D eu t s c h la n d s e r r ei c h t en . „E s i s t zwe c k l os , v on d en S o l daten d er Roten Armee Gn ade zu ford ern. Sie lod ern vor Hass un d Rach such t. D a s La n d d e r F a s c h i s t en m u s s z u r W ü s t e we r d e n " , h i eß e s d a . O d e r : „ Gr o ß u n d b ren n end ist un ser Hass. Diesmal werd en wir d as d eutsch e Gezü cht end gü ltig zerschlagen." N i c h t s d e s t ot r o t z a n t wo r t e t e d i e C D U - C h e f i n i n e i n e m In t e r v i e w m i t d e r „ Z e i t " , Nr. 16/2005, auf die Frage, ob der 8. Mai 1945 ein Tag der Niederlage oder der B e fr e i u n g g e we s en s e i : „R i c h a rd v on W e i zs ä c k e r h a t d a s s e i n e r z ei t ga n z ri c h t i g ges a gt . E s wa r ei n Ta g d er B efr ei u n g vom Na t i ona ls ozi a li s m u s , u nd zwa r fü r a lle . . . Zu d en en , d i e u n s v om Na t i on a ls o zi a li s m u s b e f r ei t h a b e n , g eh ö rt e eb en a u c h u n b e s t r e i t b a r d i e S o wj e t u n i on . " An g e l a M e r k e l l ä s s t d i e s e E h r e e i n e r M a c h t z u t ei l we r d en , a n d e r en S p i t z e e i n Gu la g - u n d Ge n i c k s c h u s s d i k t a t or s t a n d , a u f d es sen Kerbholz Abermillionen Morde gingen. In s B i ld von d er Un i on d er S ozi a li s t i s c h en S owj et r ep u b li ken a ls „B efr ei e rm a c h t " will ebenso wenig passen, dass schon wenige Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges eine gewaltige westlich e Militärallian z unter Beteiligung der Bun d e s d e u t s c h e n g e b i l d e t wu r d e , u m d i e s e U d S S R i n S c h a c h z u h a l t e n u n d z u r ü c k z u d r ä n g en . Di e „ P h i l os op h i e " d e r v on F ra u M erk e l s o b e wu n d ert en Na t o b es t a n d über Jahrzehnte in kaum etwas anderem als in der Beschwörung der Gefahr d u r c h d i e S o wj e t u n i o n s o z u s a g e n a l s „ S c h u r k e n s t a a t " u n d „ M a c h t d e s B ö s e n " . Und noch heute, lange nach Niedersturz der kommunistischen Herrschaft im R ei c h M o s k a u s , p r op a gi ert d i e N a t o M i s s t ra u en g e g en R u s s l a n d a u c h we g e n d e r sowjetimperialistischen Vergangenheit. Die Herkunft der mütterlichen Familie Angela Merkels aus Elbing erregte im Frü h h erb s t 20 05 d a s In t eres s e p oln i s ch er M ed i en , di e B eri c h t e da rü b er verö f fen t lichten. Am 16. Oktober 2005 ging auch die Berliner „BZ" auf Frau Merkels Fami12
li en wu rzeln i m „p olni sch en E lb la g" ein, wob ei di e offenb ar von weni g Komp et en z beleckten Redakteure, die zu r Recherche direkt vor Ort gewesen sein wollten, d i e Groß s t a d t a m Fri s c h en Ha ff a ls „M a s u ren s t ä dt ch en " b ez ei c h n et en u nd E lb i n g damit absurderwei se in ein e weit entfernte südostpreußische Landschaft, Masur e n , v e r l e g t e n . Au t h en t is c h a b e r k l a n g e n z u m i n d e s t d i e v o n d e r „ B Z " wi e d e r g e geb en en An- u n d Ab s i c h t en des p oln i s c h en S t a d t ob erh a up tes v on E lb i n g, Hen r yk S lon i n a . Da s B la t t s ch ri eb : „ An g ela M e rk el i s t E lb la gs gr oß e H offn u n g. Der B ü rg e r m e i s t e r wi l l d e m n ä c h s t a n U r- O p a s W o h n h a u s ei n e Ge d e n k t a f e l a n s c h l a g e n . S lonina : , Du rch An gela M erkel k ann E lb la g eu ropa weit b ekannt werd en. Si e kann h e l f e n , d a s s s i c h h i e r n e u e B e t r i e b e a n s i e d e l n . W i r b r a u c h e n d r i n g e n d Ar b e i t s plätze. Denn 39 Prozent sind ohne Job.—
„Da kommt das Slawische in mir durch" Im J a h r zu vor ha tt e An gela Merk el ih r von d er „Zeit " (Nr. 41/2004 ) veröffent licht e s G e s p r ä c h m i t z w e i „ t ü r k i s c h s t ä m m i g e n d e u t s c h e n In t e l l e k t u e l l e n " , d a s v o n „ D e u t s c h la n d a l s E i n wa n d e ru n gs la n d " h a n d e l t e, fü r e i n s el t s a m es „ C om i n g ou t " gen u t zt . S i e p rä s en t i ert e s i c h n un p löt zli c h a ls ei n e Art M ult i k u lti- Ges c h öp f. „E s g i b t v e rs c h i ed en e M i s c h u n g en ", s a gt e s i e u n d s p ra c h — i n An s p i e lu n g a u f i h r en Gr o ß v a t e r a u s E l b i n g — v o n „ p o l n i s c h e n An t e i l e n i n m e i n e r F a m i l i e " . „ M a n c h m a l ", s o fu h r s i e f ort , „ z u m B ei s p i e l , we n n i c h s o v e rs on n en od e r m e l a n c h o li s c h vor mich hin schaue, denke ich, da kommt das Slawische eben durch." B ei d en „d eu t s c h- t ü rk i s c h en " In t e l l ek t u e l l en , d en en s i c h An g e la M e rk e l a ls „M i s c h u n g " i r g e n d wi e s c h i c k s a l s g e n ö s s i s c h h i n z u g e s e l l e n w o l l t e , h a n d e l t e e s s i c h u m d i e An wä l t i n S e yr a n At e s u n d d e n S c h r i ft s t e l l e r F e r i d u n Z a i m o g l u . D i e s e r , V e r fa s s e r ei n es W e rk e s „ Ka n a k s p ra k ", m a c h t e b es on d e r e Fu ro r e, a l s e r 2 0 0 5 m i t v i e rh u n d e rt t ü rk i s c h en Ha lb m on d -B a n n e rn d i e W i en e r Ku n s t h a l l e v e rh ü l lt e. Di e Empörung über dieses von vielen Wienern als Provokation gewertet e „Kunst E vent " t ru g zu d em mit k räftigen Ant i -Üb erfremdun gs -Au s sa gen erzi elt en, sp ekta kulären Gemeinderatswahl-Erfolg der FPÖ, Oktober 2005, bei. Was mag nun ab er b ei An gela M erk el wirk lich „du rchk omm en ", wen n sie sich i m m er wi ed er a ls en ergi s c h e S a c h wa lt eri n p oln i s c h er In t er es s en g eri ert ? S o h i eß e s a m 1 6 . Au gu s t 2 0 0 5 i n ei n e m Z D F -B e ri c h t ü b e r i h r en ge r a d e b e en d et en P o l en besuch: „Angela Merkel wurde hofiert. Präsident Kwasniewski sprach schmeich elnd von d er ,h öch st wah rsch ein lich kün fti gen Kan zlerin' . Nicht nu r er, di e m ei sten Politiker in Warschau wären mit einem Regierungswechsel in Berlin du rchau s zu fri ed en. Und An gela M erk el verstand es b ei ih rer Vi sit e, di e p oln isch e Öffentlichkeit für sich einzunehmen. Sie versprach eine neue Russlandpolitik in 13
Berlin und auch auf EU- Ebene. Schröder agiere über die Köpfe der Polen und auch der Balten hinweg. Di e Männerfreundschaft zwischen dem Kanzler und Wl adimir Putin war d en Polen stets ein Dorn im Au ge und h öch st su sp ek t ... Angela Merk el nutzte die St immungslage und äußerte Verständnis. ,Die deut s c h en P o li t i k e r, d i e k ü n f t i g n a c h M o s k a u f li e g en , we r d en i n W a rs c h a u z wi s c h en la n d en ' , fa s s t e Don a ld Tu s k von d er li b era l -k on s er va t i ven , B ü rg erp la t t form ' s ei n Gespräch mit der Kanzlerkandidatin zusammen." V e rt r et e r d es en g s t en S t a b es v o n F ra u M erk e l wi e et wa F ri ed b e rt P f lü g e r h a t t en z u v o r s c h a r f e Kr i t i k a n S c h rö d e r s u n d P u t i n s Z we i e r - Gi p f e l i n Kö n i g s b e r g ( r u s s is ch- am t lich : Ka linin grad ) an lä s s lich d es 750 - Jah r- Jub i läu ms d er ostp reuß isch en Haup tstadt geüb t, wei l di e St aat slenk er Polen s u nd Li t auen s nich t ein gelad en wa r en . Di e R u s s en h at t en zum F es t d i e Kön i gs b erg er Un i vers i t ä t offi zi e ll a u f d en Namen des größten Sohnes der Ostpreußenmetropole, de s Giganten der deuts c h e n u n d a b e n d l ä n d i s c h e n P h i l o s o p h i e Im m a n u e l K a n t , g e t a u f t . Au c h d i e v o n S c h r ö d e r u n d P u t i n An f a n g S e p t e m b e r 2 0 0 5 u n t e r z e i c h n e t e V e r e i n b a r u n g ü b e r ei n e Ga s- P i p e li n e von R u s s lan d n ac h Deu t s ch la n d du rch d ie Os t s e e — von S a nk t Petersburg bis Greifswald — stieß auf harsche Proteste der M erk el- CDU, weil d em p oln isch en An sinn en, di e R ohre qu er du rch P olen zu verlegen (m it d er Folge, dass Warschau direkt am Drücker säße), nicht Rechnung getragen worden war. Doc h h at s olc h e P olon op h i li e woh l w en i ge r d a m i t zu t un , d a s s d i e C DU -Fü h reri n wi r k l i c h g e n e t i s c h „ P o l n i s c h e s " o d e r „ S l a wi s c h e s " i n s i c h wä h n t , s o n d e r n e h e r mit d er Tatsach e, dass Polen sich wie k ein and eres Ex- Ostb lock land an d en Rock zip fel von Uncle Sam heftet. Das weckt Begeisterun g b ei d er Ch efin d er Ch ri std em ok rat en . P rot ok olli ert von ih rem Hofbi ograph en Hu go Mü ller - Vogg wu rd e i h r s ym p t o m a t i s c h e s Lo b , d a s s i n P o l e n „ b e i n a h e v o r j ed e m ö f f e n t l i c h e n Ge bäude neben der Nationalflagge auch die der Nato hängt".
„In a kind of ghetto" N o c h b e vo r n u n An g e la M e rk e l s V a t er H o rs t Ka s n e r s e i n en Di en s t a ls P fa rr e r i n Qu i t zo w/ P ri gn i t z i m H e rb s t 1 9 5 7 wi ed er q u i t t i e rt e, u m h öh e r en Au f ga b en i n d e r D D R z u z u s t r eb e n , wu r d e i m n a h e n P e r l e b e r g a m 7 . J u li j e n e s J a h r e s s e i n e F r a u von Sohn Marcus entbund en. (Die dreijährige Angela kam zur Entlastung von Herlind Ka sn er fü r zehn Woch en zu r Oma nach Hambu rg.) An d er Ka rl -Ma rx -Uni versi tät Lei p zi g zu m Ph ysiker a usgebi ld et , wi e sein e Sch west er An gela auch , b ra ch t e es P a s t oren s oh n M a rcu s Ka s n er, d er ü b ri gen s d i e s t a a t lic h- s ozi a li s t i s ch e J u g e n d we i h e e m p f a n g e n h a t t e , i n D DR - Z e i t e n z u m S c h l u s s s o g a r a l s S t i p en d i a t zum Mitarbeiter des sowjetischen Kernforschungszentrums Dubna bei Moskau. 14
Eine Karri ere, die, ähnlich wi e die b eachtliche wiss ensc haftliche Laufbahn Angela M e rk e ls od e r H o rs t Ka s n e rs S t e l lu n g i n d e r D DR - Ge s e l l s c h a ft , n i c h t s o r ec h t zu d e r wei t v e rb r ei t et en D a r s t e l lu n g p a s s en wi l l, d a s s d i e An ge h öri g en d i e s er F a m i li e i m r ea l e xi s t i eren d en S E D- S o zi a li s m u s q ua s i wi e „ Au s s ä t zi ge" h ä t t en veg et i e r e n m ü s s en . ( „ W e li v ed i n a k i n d o f gh et t o” , b eh a u p t et e H o r s t Ka s n e r i n s ei n em b e r e i t s e r wä h n t e n In t e r v i e w m i t d e m „ In t e r n a t i o n a l H e r a l d T r i b u n e " . „ W i r s i n d i m m e r d i e Au ß e n s e i t e r g e we s e n " , e r z ä h l t e An g e l a M e r k e l i h r e r B i o g r a p h i n E v e lyn Roll.) Darüber später mehr. Im H e r b s t 1 9 5 7 a l s o z o g d i e n u n v i e r k ö p f i g e F a m i l i e Ka s n e r n a c h T e m p l i n i m N o r d we s t e n d e s h e u t i g e n B u n d e s l a n d e s B r a n d e n b u r g u m . D a P f a r r e r H o r s t Ka s n er „woh l wen iger zum p raktisch en Dien st am M en sch en tau gte als meh r zu m Theologisieren" (Bärtels, „Angela Merkels Kindheit in Templin" in: Frauenmagazin „ f r i d a " ) , s o l l t e e r d o r t i n d e r U c k e r m a rk a u f V e r a n l a s s u n g d e s d a m a l i g e n S u p e r i n t end en t en d es Ki rc h en k rei s e s B ra n d enb u rg/ Ha vel u n d na ch m a li gen B i s ch ofs Albrecht Schönherr, ein es Verfechters enger Kooperation von Ki rche und SED -Staat, a m Au f b a u e i n e s „ S e m i n a r s fü r k i rc h li c h e D i e n s t e " wi r k e n . D a r a u s e n t wi c k e l t e s i c h d a s Tem p li n er P a s t ora lk ol le g Wa ld h of, d a s von 1 9 60 b i s 19 90 un t er Ka s n ers Lei tun g s tand — ein e Fortb i ldun gsst ätt e d er b rand enburgisch en evan geli sch en Ki r che, deren Einfluss erheblich war: „Vi e le Th e ol og en m u s s t en zur W ei t erb i ld u n g od er wä h ren d i h rer Au s b i ld u n gs zei t als Vikare vor dem zweiten theologischen Examen nach Templin. Wohl jeder b ra nd en bu rgi s c h e P fa rrer wa r wä h ren d s ei n er Au s b i ld un gs zei t m i n d es t en s ei n m a l für kürzere oder längere Zeit im Waldhof ... Horst Kasner hatte innerhalb der B erlin -B rand enbu rgi sch en La nd eski rch e wegen s ein es Ein flus s es au f d en th eologi s c h en N a c h wu c h s e i n e z en t ra l e F u n k t i on . " ( La n g gu t h ). „ J e d e r b ra n d en b u r gi s c h e P fa rre r i s t wä h ren d s ei n er Au s b i ld un g m ind es t en s ei n m a l fü r ku rze Z ei t i m Wa ldhof gewesen." (Evelyn Roll). An gela Merkels Mutter Herlind, studierte Philologin, u n t er ri c h t et e a u f d em W a ld ho f Na c h wu c h s t h e o l o g en i n E n g li s c h u n d La t ei n i s c h ; s p ä t e r ga b s i e a u c h a m O s t b er l i n er M i s s i on s h a u s E n g li s c hs t u n d en fü r k i rc h li c h e Mitarbeiter.
„Was man Heimat nennt" Au f d e m W a l d h o f b e i T e m p l i n wo h n t e An g e l a M e r k e l v o n i h r e m 4 . b i s z u m 1 8 . L e b e n s j a h r . In T e m p l i n k a m a u c h i h r e S c h we s t e r Ir e n e , d i e h e u t e a l s E r g o t h e r ap eu t in i n B erli n t ät i g i st , a m 1 9 . Au gu s t 196 4 a ls d ri tt es un d let zt es Ki n d a u s d er Verb i n du n g von Hors t Ka s n e r m i t s ei n er E h efra u H er li n d geb . J en t zs c h zu r W elt . „ D i e U c k e r m a rk i s t f ü r m i c h d a s , wa s m a n H e i m a t n en n t " , s a g t An g e l a M e r k e l , 15
laut „Spiegel online", 11. September 2005. Wobei das Nachrichtenmagazin m e i n t , d a s s „ e s s o k l i n g t , a l s h ä t t e s i e k e i n e H e i m a t " . V i el l e i c h t l i e g t d a s a u c h nur an der unaufgeregten Sprechweise von Frau Merkel, die zwar über sich sel bst sagt, dass gelegentliches Verfallen ins Schreien einer ihrer Hauptfehler sei („Ein e Sch wäch e von mir ist Sch reien ", gestand sie d em TV - „Talk master" B ec k m a n n ; S en d u n g vo m 1 0 . J a n u a r 2 0 0 5 ), d i e a b e r i n d e r Ö f f en t li c h k ei t h ä u fi g a l s s a c h li c h b i s zu r E m ot i on s l o s i gk ei t wa h r g en o m m en wi rd . An d er e r s ei t s i s t d e r Bedarf an Hektikern in der deutschen Politik auch so gedeckt. Di e Uc k erm a rk , An ge la M erk els Ki n d h ei t s - und J u gen dh eim a t , wi rd du rch flos s en v o n d e r 1 0 3 Ki l o m e t e r l a n g e n U c k e r ( i n P o m m e r n h e i ß t s i e U e c k e r ) , d i e g e g e n ü b er Us ed om i n s S t et t i n er Ha ff m ü n d et . E s i st ei n e b ra nd en bu rgi s c h - p om m ers c h e Gr e n z r e gi on , d i e a u f h a lb e m W e g e v o n B e r li n n a c h S t et t i n l i e gt . Ös t li c h d a v on , j enseit s d er Od er, b efi nd et si ch wei t es La nd, da s d en Deut sch en 194 5 gewa ltsam genommen und unter polnische Herrschaft gestellt wurde. Man kann die Uc k erm a rk m it ih ren za h lrei c h en h errli c h en S een u nd au s ged eh n t en , oft un b erü h r t en Wä ld e rn m i t Fu g u n d R ec h t ei n e d e r r ei z v o l ls t en La n d s c h a ft en D eu t s c h la n d s nennen. Besondere Faszination übt der dortige Nationalpark Unteres Odertal aus. Zweifellos h at die Uck ermark das Zeu g, ein e „Tosk ana des Nord en s" zu sein , wi e e s i n d e r F r e m d e n v e r k e h r s w e r b u n g d e r R e g i o n h e i ß t . A l l e r d i n g s : „ D i e M e n s c h e n h a b e n k e i n G e l d . S i e h a b e n k e i n e A r b e i t . U n d s i e h a b e n k e i n e P e r s p e k t iv e . " S o d i e M e r k e l- B i o g r a p h i n E v e l y n R o l l ü b e r d i e V e r h ä l t n i s s e d o r t . A l s Sc h n ap si d ee er wi es si c h d i e Erri c h t un g ei n er mi t La n d esmi t t eln g ef örd e rt en „ W e s t e r n s t a d t " ( „ S i l v e r L a k e C i t y" ) , m i t d e r m a n T o u r i s t e n a n l o c k e n u n d d i e Wi rt s c h a ft i m R au m e T em p li n a n ku rb eln wol lt e. Di e B et r ei b erge s e lls c h a ft m e ld et e m a n gels B es u c h er ra s c h In s olv en z a n . De r U rla u b er i n d er Uc k erm a rk er wa rt et dort offenbar nicht ausgerechnet die Nachäffung des amerikanischen Wilden Westens. Am 2 8 . J u li 2 00 5 sc hild ert e d er Kor res p on d en t d es „R h ei n i s ch en M erk u r" s ei n en E i n d ru c k von d en T e m p li n e rn : „ O b d e r Ka n z l e r S c h röd e r h e i ß e od e r M e rk e l, s ei i hn en ega l, v ers i c h ern d i e M en s c h en, di e ü b er d en Ma rk tp la t z t röd eln . S i e h a b en andere Sorgen. Fast jeder Vierte ist ohne Arbeit. Und die Politik könne daran a u c h n i c h t s ä n d e rn . " E i n S p ri n g er -J ou rn a li s t wi e M a rt i n S . La m b ec k a b e r h öh n t : „Die Uckermark, wo man weder auf Frisur noch Kleidung achten muss." ( „ b i ld . t- on li n e ", 7 . Au gu s t 2 0 0 5 ) . Ob d i e s e r P r op a ga n d i s t e t a b li e rt e r P o l i t i k , d i e u n fä hi g i st , Geb i et e i n d en n eu en B u nd eslä n d ern , d i e b lü h en d e La n d sc ha ft en s e i n k ön n t en , a u c h wi rk li c h a u fb lü h en zu la s s en , s i c h ei n er s o lc h en Im p e rt i n en z gar nicht schämt? 16
D a k a n n e i n e p o l i t i s c h e S t i m m u n g s l a g e z wi s c h e n O s t s e e u n d E r z g e b i r g e , E l b e/ W e r r a u n d O d e r / N e i ß e wo h l k a u m wu n d e r n e h m e n , d i e M a t t h i a s Kr a u ß i n s e i n e r 2 0 0 5 er s c h i en en en M erk e l- B i o g ra p h i e wi e f o l gt b es c h r ei b t : „ 1 5 J a h r e h a b en d i e etablierten Parteien der Bundesrepublik gebraucht, um in Ostdeutschland eine Zw ei d ri tt elmehrh eit d a von zu üb erzeu gen, da ss si e fü r di esen La nd est ei l k ein Ko n z ep t h a b en . Di e s e Z we i d ri t t e l m eh rh ei t wä h lt en t we d er ü b erh a u p t n i c h t m eh r oder rechtsextrem. Oder eben die PDS."
Die „Befreiung" der Uckermark Das damals, als die Kasn ers hin zoge n, wie auch h eu te rund 17 000 Ein wohn er z ä h l e n d e T e m p l i n , c a . 8 0 Ki l o m e t e r v o n B e r l i n e n t f e r n t , wi r d „ P e r l e d e r U c k e r m a rk " gen a n nt . E s u rkun d et e ers t m a ls 1 2 70 . Di e t r ot z a lle r S c h ic k s a ls s ch lä ge d er G e s c h i c h t e v o l l s t ä n d i g e r h a l t e n g e b l i e b e n e a l t e S t a d t m a u er g i l t d e r j e n i g e n v o n Rothenburg ob der Tauber als ebenbürtig. Temp lin und Umgebung hatten ab Ende Apri l 1945 unter der Rot en Armee s c h we r zu l ei d en . Di es s ei h i e r d es h a lb i n E ri n n e ru n g g e ru f e n , we i l An g e la M e r k e l — wi e b e r e i t s e r wä h n t — i m m e r wi e d e r m i t „ D e u t s c h l a n d s B e f r e i u n g 1 9 4 5 " durch die Alliierten kommt und auch den Sowjets entsprechende Ehre erweist. Überdies rühmte sich die CDU- Politik erin schon häufig, sie habe Richard von W e i z s ä c k e r s 1 9 8 5 e r B u n d e s t a g s r e d e z u m v i e r z i g s t e n J a h re s t a g d e s Kr i e g s e n d e s (8. Ma i 1945 a ls „Ta g d er B efreiun g") da ma ls in d er DDR nich t nu r „i m Geh ei m en v o l l B e wu n d e ru n g g e l e s e n " , s o n d e r n d i e An s p r a c h e a u c h a b s c h r i f t li c h u n t e r d e n en ku rs i eren la s s en , „d i e i h r Vert ra u en gen os s en ", wi e e s i n d er B i ogra p hi e von J a c q u e l i n e B o ys e n h e i ß t . B i o g r a p h i n R o l l : „ An g e l a M e r k e l b e s a ß n a t ü r l i c h e i n e Ab s c h r i ft d e r R e d e . U n d s i e z e i g t e s i e d e n we n i g e n K o l l e g e n , d e n e n s i e v e r t r a u te. So einen tollen Präsidenten hätten die anderen Deutschen drüben im Wun derland hinter der Mauer." Warum es a llerdings derart viel konspirativer Umstände zur Verbreitung der W ei zs ä c k er' s c h en Au s la s s u n gen b ed u rft h ab en s oll, b lei b t d ub i os . Di e 8 . -M ai -R e d e d e s B u n d e s p rä s i d e n t e n wa r v o n W e s t f e r n s e h e n u n d - r a d i o p e r D i r e k t ü b e r t r a gung in so gut wie jeden DDR - Haushalt transportiert worden und wurde über W o c h en i n AR D u n d Z D F , d a m a l s S en d er e r s t e r W a h l d e s Gr o ß t ei l s d e r DDR - B e völkerung, immer wieder zitiert. Christdemokrat von Weizsäcker hatte in seiner R ede zum 40. Jahrestag des Kriegsendes als erster Bundespräsident den 8. Mai 1945 zum „Tag der Befreiun g" erk lärt un d darü b er h inau s ein e Kollek tivhaftun g d es d eutsch en Volk es, 17
Nachkriegs generation en inbegriffen, wegen der Untaten zur Hitlerzeit proklami ert. Ori gi na lt on : „Und d enn och wu rd e es von Ta g zu Ta g k la rer, wa s es h eut e fü r u n s a l l e g e m e i n s a m z u s a g e n g i l t : D e r 8 . M a i wa r e i n T a g d e r B e f r e i u n g . . . Di e Vorfa h ren h a b en ei n e s c h wer e E rb s c h a ft h in t erla s s en . Wi r a lle, ob s c hu ld i g od er n i c h t , o b a lt o d e r j u n g , m ü s s e n d i e V e r g a n g e n h e i t a n n e h m e n . W i r a l l e s i n d v o n i h r e n F o l g e n b e t r o f f e n u n d f ü r s i e i n H a f t u n g g e n o m m e n . " In t e r e s s a n t e r w e i s e heißt es in E velyn Rolls M erk el-Biographie über Vat er Hors t Kasner: „E r sieht ein b i s s c h en a u s wi e d i e D DR -Ve r s i on v on R i c h a rd v on W ei zs ä c k er. O ff en b a r d en k t e r a u c h s o . " A u s i h r e r Ki n d h e i t u n d J u g e n d z e i t b e r i c h t e t An g e l a M e r k e ! ( „ D i e Zeit", Nr. 16/2005): „Wir haben zweimal im Jahr das KZ Ravensbrück besucht." Nu n ha t wa h rli c h n ic ht j ed er Deu t s c h e ei n e s olc h e fa m i li ä r e „E rb la s t " zu b e wä lt i gen wi e Rich ard von Wei zsäck er. E r s elb st wa r i m Kri eg Weh rmacht offi zi er, R egi m e n t s a d j u t a n t u n d O r d on n a n z d e s Ge n e r a l s M a t zk y, d e r i m O b e r k o m m a n d o d e s H e e r e s fü r F ei n d b e ob a c h t u n g z u s t ä n d i g wa r. S ei n Va t e r, E rn s t v on W e i zs ä c k e r, d i en t e H i t l e r a l s s t e l l v e r t r e t e n d e r R e i c h s a u ß e n m i n i s t e r , g e h ö r t e d e r N S D AP a n u nd b ek lei d et e d en Ra n g ei n es B ri ga d efü h rers (en t s p ri ch t : Gen era lm a j or) d er S S — u nd z wa r d er s c h wa r zen S S , n i ch t et wa d er f eld gra u en Wa ff en -S S . Vi k t or von W e i z s ä c k e r, On k e l d es n a c h m a li g en B u n d es p rä s i d en t en , h a t t e a l s fü h r en d e r N eu rol og e u n d M ed i zi nph i los op h i m Dri t t en R ei c h d en Fü h rer Ad o lf Hi t ler zu m „E rs t en Ar zt d es d eu t s ch en Volk es " a u s geru fen . Der Na t u rwi s s en s c h a ft ler C a rl Fri ed ri c h von Wei zs ä c k er , B rud er R i ch a rd von Wei zs ä c k ers , wa r ei n er d er wi c h t i gs t en Atom(bomben)forscher des Hitlerreiches. Als n un ab er di e R ot e Arm ee au f ih rer „B efreiun gst ou r" in d en let zt en Ap ri lta gen 1945 d i e Uck erma rk erreicht hat t e, ges chah en auch d ort, n icht zu let zt in Te mp lin u n d U m g e b u n g , e n t s e t z l i c h e V e r b r e c h e n : P l ü n d e r u n g e n u n d B ra n d s c h a t z u n g e n , V e r g e wa l t i g u n g e n u n d M o r d e . B e t r o f f e n w a r e n n e b e n d e n E i n h e i m i s c h e n a u c h d i e F l ü c h t l i n g e , d i e a u s d e n G e b i e t e n j e n s e i t s d e r O d e r h e r b e i g e s t r ö m t wa r e n . Da s oh n eh in du rc h ei n en m i li t ä ri s ch s inn los en B om b en a n gri ff vom 6 . M ä rz 19 44 ge zei c h n et e T em p li n wu rd e v on m a rod i eren d en R ot a rm i s t en zu s ä t zli c h ü b el zu geri c h t et . Au ch d i e in k ai s erli c h er Z ei t , 1 91 0, ei n ge wei h t e Goet h e - S c h u le b ra n n t en d i e e i g e n t ü m l i c h e n B e f r e i e r b i s a u f d i e G r u n d m a u e r n n i e d e r . D a s G e b ä u d e e n tstand ab 1949 neu; Angela Merket war dann später Schülerin der Lehranstalt. Au f d e m W a l d h o f , d e r r u n d e i n e n Ki l o m e t e r v o r d e n T o r e n T e m p l i n s g e l e g e n e n l a n g j ä h r i g e n s p ä t e r e n W i r k u n g s - u n d W o h n s t ä t t e v o n An g e l a M e r k e l s F a m i l i e , wu r d e 1 9 4 5 S u p e r i n t e n d e n t Ka r l Go t t f r i e d B u c h h o l z v o n S o wj e t s o l d a t e n b e s t i a li s c h um geb ra c h t. E r, d er a u ch S t ad tp fa rrer von T em p li n wa r, m u s s t e s t erb en , d a er sich schützend vor Flü chtlin gsfrau en gestellt hatte, d en en Vergewaltigun g durch enthemmte, alkoholisierte Rotarmisten drohte. (Siehe: www.stephanus-stif18
t un g. d e/ Wa ld h of/ fes t s c h ri ft 150 j ah re. p d f) Bu c hh olz, a ll es a n d ere a ls ei n „Na zi ", h a t t e d i e J a h r e z u v o r b e h e r z t g e g e n n a t i o n a l s o z i a l i s t i s c h e E u t h a n a s i e- M a ß n a hm e n d e s „ G n a d e n t o d es " b z w . d e r „ V e r h ü t u n g e r b k r a n k e n N a c h w u c h s e s " g e kämpft. Und auf noch ein bezeichnendes „Befreiungsgeschehen" des Jahres 1945 aus der Umgebung von Templin sei hier hingewiesen: D a s M a r g a r e t h e- H e n n i g-H a u s d e r „ A l t e n p f l e g e h e i m T e m p l i n Gm b H ", e i n e r E i n r i c h tu n g d e s D e u t s c h e n R o t en Kr e u z e s , Kr e i s U c k e r m a r k -W e s t , e r i n n e r t a n d e n „E n ge l v on Hoh en l yc h en ", M a rga ret h e An t on i a E m m a Hen n i g geb . P i et s c h m a nn . 1896 in Lübb en /Sp reewald zu r Welt gek ommen , hatte sie sich als Rotkreu zs c h we s t e r i m E r s t e n W e l t k r i e g i n d e r V e r wu n d e t e n p f l e g e g e r a d e z u a u f g e z e h r t . Na c h 19 18 gin g s i e a ls S c h wes t ern a u s b i ld eri n i n da s vom B ü rgerk ri eg z er rü t t et e Sowj et russland. 1924 bi s 1928 wa r si e Lei t erin d es Kri egswa i sen h ei ms „Haus Sonnensch ein" in Hoh enlychen nahe Temp lin, 1928 bis 1931 Obersch w ester in d e r H e i l a n s t a l t H o h e n l y c h e n . N a c h Au s b r u c h d e s Z w e i t e n W e l t k r i e g e s wa r s i e wi ed er i n d er V er wu n d et en b et reu u n g a k ti v. S i e ri eb s i c h auc h fü r Kri e gs g efa n gen e , Z wa n g s d e p o r t i e r t e u n d J u d e n a u f , v e r s o r g t e s i e m i t M e d i k a m e n t e n u n d L e b en sm itt eln . „Vi el e Fra u en aus d em Kon zent rati on s la ger Raven sb rück, di e tä gli ch n a ch Hoh en lyc h en zu r Arb ei t gefa h ren wu rd en , h ab en da nk d er t ät i gen Hi lfe v on Margareth e Hennig überlebt; sie set zt e ihr Leb en aufs Spiel, um andere zu ret t en ", h eißt es in ein em Zeit ges chich tsb eri cht d es DR K Uck erm a rk (www. k v - uck erm a rk - we s t . d rk . d e). W e i t e r i m W o r t la u t : „ Al s d i e R ot e Arm e e a m 1 . M a i 1 9 4 5 i n Lyc h en ei n m a rs c h i ert , wi rd M a rga ret h e Hen n i g von ru s s i s c h en S old a t en in ih rem H a u s ü b e r fa l l en . S i e k a n n n oc h u m Hi l f e ru f en u n d z we i Le h r er d e r n a h e g e l e g en en Pann wit z -Schu le folgen di es em Ru f. Si e werd en von Rota rmi st en ersch os s en . M a r g a r e t h e H e n n i g wi r d v o r d e n Au g e n i h r e r M u t t e r u n d i h r e s d a m a l s n e u n j ä h ri gen S oh n es geq u ä lt , ver ge w a lt i gt , m i t ei n em Kop fs c h u s s erm o rd et u n d in ei n em Massengrab auf dem Hohenlychener Friedhof verscharrt." In d e n a u f d i e „ B e f r e i u n g " f o l g e n d e n J a h r z e h n t e n B e s a t z u n g r i c h t e t e n d i e b e i Temp lin stationierten Sowjettrupp en verh eerend e Umweltschäd en an . „Gan ze W a l d s t ü c k e g i n g e n b e i s o wj e t i s c h e n P a n z e r ü b u n g e n i n F l a m m e n a u f " , h e i ß t e s i n d e r M e r k e l- B i o g r a p h i e v o n J a c q u e l i n e B o y s e n . N i c h t z u v e r g e s s e n : U n t e r s t ren gs t er Geh ei m h a lt u n g wu rd en i m Ap ri l 1 959 zwölf At o m ra k et en üb er d en M i litärflugplat z Templin in die DDR geschafft — di e erst en russischen Nuklear -Raketen außerhalb der Grenzen der „Befreiermacht" Sowjetunion.
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Der Geist des Waldhofs W i e b er e i t s e r wä h n t , ü b er t ru g Al b r e c h t S c h ön h er r s ei n em V e r t r a u en s m a n n H or s t Ka sn er Au fba u un d Lei t un g d es fü r di e Th eologen fortb i ld un g in B rand enb urg m aß geb li ch en Pa st ora lk ollegs Wa ldh of b ei Temp lin . S ch önherr, 1936 in B erlin a ls P fa rrer ordini ert, hatt e in d er NS -Zeit Kon takt e zu r B ek ennend en Ki rch e unt erha l ten und Bonh oeffers Pred igerseminar Fink en wald e b esucht. Nach Weh rmachtdienst un d b ritisch er Kriegsgefan gen sch aft wu rd e er 1946 Sup erin tend ent d es Ki rc h en k rei s es B ra n d en b u rg/Ha ve l, 1 9 62 Gen era ls u p eri n t en d en t i n B ran d enbu rg, 1969 Ch ef d es Bund es d er E van geli sch en Ki rch en in d er DDR; von 1972 b is 1981 (Ruhestand) wirkt e er a ls Bisc hof der Ost region d er B erlin- Brandenburgischen Kir che. S c h ön h err wa r m a ß g eb li c h a n d er S p a lt u n g d er E va n ge li s c hen Ki rc h e i n Deu t s c h land (Bundesrepublik/DDR) beteili gt. Er betrieb Kollaboration mit der SED (Höhe p u n k t wa r d a s „ Gi p f e l t r e f f e n " m i t H o n e c k e r , 6 . M ä r z 1 9 7 6 ) u n d g a b d i e P a r o l e a u s : „ D i e e v a n g e l i s c h e Ki r c h e i n d e r D D R i s t n i c h t Ki r c h e g e g e n , n i c h t n e b e n , s on d e rn i m S o zi a li s m u s . " E h rh a rt N eu b e rt s c h r ei b t i n s ei n er „ Ge s c h i c h t e d er Op p ositi on in d er DDR " (B erlin 1998 ), S ch önh err hab e „di e Regi ean we i sun g fü r ein e Ki r c h e g e g e b e n , d i e a u f e i g e n e K o s t e n d e n K o n f l i k t m i t d e r S E D - G e s e l l s c h a f t s c h eu t e ". D er R e gi ea n we i s e r e n ga gi e rt e s i c h l ei t en d i n k om m u n i s t i s c h i n fi l t ri e r ten und von der Stasi durchsetzten Organisationen wie dem „Weißenseer Ar b e i t s k r e i s ", i n d e s s e n F ü h ru n g a u c h H o r s t Ka s n e r m i t m i s c h t e , u n d d e r 1 9 5 8 g eg r ü n d e t e n , v o n M o s k a u g e l e n k t e n P ra g e r „ C h r i s t l i c h e n F r i e d e n s k o n f e r e n z " , f ü r die Kasner ebenfalls wirkte. S c h ön h err s c h i en von d er „B e wä lt i gu n g" Hi t lers wi e b es es s en zu s ei n . Un d d i es e O b s e s s i on s t e i g e r t e s i c h b e i i h m , j e l ä n g e r d i e Z e i t d e s NS -D i k t a t o r s z u rü c k l a g und je höher die Leichenberge weltweit durch neue Kriege und Genozide wurd e n . 1 9 8 8 b r a c h t e d e r A l t b i s c h o f s e i n e „ V e r g a n g e n h e i t s b e wä l t i g u n g s " -P h i l o s o p hi e b ei ei n em Ged en k got t es d i en st in Da ch au wi e f ol gt zu m Au s d ru c k : Der Ho lo caust an den Juden werde dem deutschen Volk „noch über Generationen hin a n ha ft en "; ei n e „B efr ei u n g von di es er S c h u ld " k ön n e, wen n ü b erh au pt , vi ell ei c h t i r g en d wa n n ei n m a l u n d n u r d u rc h „h a rt e Arb e i t , Kl e i n a rb ei t , Kn oc h en a rb ei t " e r rei c h t werd en . Deu t s c h la nd t ra ge we gen Hi t le r „ ei n Ka i n sm a l", ri ef S c h ön h err i n D a c h a u a b s c h l i e ß en d a u s . In B ü c h m a n n s „ Ge f l ü g e l t e n W o r t e n " f i n d e t m a n z u m B e g r i f f „ Ka i n s m a l " d i e E r l ä u t e r u n g : „ N a c h d e r B i b e l s o l l d i e s e s Z e i c h e n b e wi r k e n , d a s s n i e m a n d Ka i n e r s c h l ä g t . H e u t e b r a u c h t m a n d i e s e s W o r t a l s a l l g e m e i ne Umschreibung für einen Verbrecher."
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Von 1960 bis 1990 also war Horst Kasn er Chef d es Past oralkollegs in Schön h e r r ' s c h e m G e i s t e a u f d e m „ W a l d h o f "- G e l ä n d e , e i n e n K i l o m e t e r a b s e i t s d e r S t a d t T e m p li n a m T e m p li n e r Ka n a l. E s h a n d e lt e s i c h s o zu s a g en u m ei n D o r f fü r s i c h . Di e Ka s n er s b e woh n t en d a s „ Ha u s Fi c h t en g ru n d ", ei n d r ei g es c h os s i g es Ge b ä u d e m i t a n h ä n g en d em S e m i n a rt ra k t . An g e la M e rk e l : „ Ic h k a m n i c h t a u s ei n e m ty p i s c h e n P f a r r h a u s , w e i l m e i n V a t e r w ä h r e n d m e i n e r g a n z e n K i n d h e i t i n d e r W e i t e r b i l d u n g f ü r P f a r r e r t ä t i g wa r , a l s o e i n S e m i n a r g e f ü h r t h a t . E s g a b n i c h t d e n k l a s s i s c h e n Ge m e i n d e b et r i e b d ru m h e r u m . " An a n d e r e r S t e l l e b e r i c h t e t e s i e ü b e r d a s L e b e n a u f d e m Wa l d h o f : „ W i r h a t t e n d a h e i m i m m e r e i n e s o g e n a n n t e Hausmutter. Und noch etwas früher hatten wir einen Gärtner." F ü r H i l f s a r b e i t e n z o g K o l l e g c h e f H o r s t Ka s n e r a u c h B e h i n d e r t e h e r a n , d i e a u f d e m a u s g e d e h n t e n W a l d h o f- A r e a l i n s e p a r a t e n B e h a u s u n g e n u n t e r g e b r a c h t waren. Angela Merkel: „Es gab dort Mongoloide und viele von ihnen waren bettl ä g e ri g. Di e wu rd en i n d e r DD R-Z e i t u n s ä g li c h s c h l e c h t b e h a n d e lt . E i n i g e m u s s ten ständ ig an gebund en au f Bänk en sitzen ... Bei un s hat immer jeweils ein er der erwachsenen Patienten gearbeitet." W o h l g em e rk t : Di e B et r eu u n g d e r B eh i n d ert en a u f d em W a l d h of- Ge l ä n d e g eh ö rt e n i c h t z u d e n O b l i e g e n h e i t e n P f a r r e r Ka s n e r s . D a s s e r s e i n e g u t e n B e z i e h u n g e n z u r D D R- O b r i g k e i t f ü r d i e V e r b e s s e r u n g d e s o f f e n b a r f u r c h t b a r e n L o s e s d e r S c h wers t b eh in d ert en a u f d em Wa ld h of g en u t zt h ä tt e, i s t a lle rd i n gs n i ch t b eka nn t geword en . St attd essen li est man b ei Prof. La n ggu th : „Der früh ere Tec hn isch e L e i t e r a u f d e m W a l d h o f , U l r i c h S c h o e n e i c h , h e u t e B ü r g er m e i s t e r v o n T e m p l i n , h a tt e s i ch ja h rela n g m i t Ka s ner g es t ri t t en . E s gab h eft i ge Au s ei n a n d ers et zu n gen , d a i n f o l g e d e s wa c h s e n d e n R a u m b e d a r f s K a s n e r s u n d s e i n e s S t e l l v e r t r e t e r s d i e B eh ind ert en zu weni g P lat z hat t en. Ka sn er ‚wei t et e da s Pa st ora lk olleg au f Kost en der Behinderten aus', sagt Schoeneich." Der Templiner Waldhof- Komplex wa r er wachsen aus einem „Knabenrettungs h a u s " fü r verwa h rl os t e S t a d t ju n gen , 185 4 von d er Herrn h ut er B rü d ergem ei n d e i m Gei st e d es evan geli sch en Theologen Joh ann Hin ri ch Wich ern gegründ et. Von 1 92 7 b i s 193 3 lei t et e P a s t or Hei n ric h Grü b er d i e An s t a lt . E r ga lt n a c h d er M ac ht ü b ern a h me Hi t lers we gen se i n er en g en B ezi eh u n gen zu n a t i ona l- so ld a t i sc h en Krei s en („S t a h lh elm " , „Na t i on a ler C lu b ") un d a ls Vord en ker d es a llg em ei n en Ar b ei t s d i en s t es a l s ei n F a vo ri t fü r d en P o s t en d e s S t a a t s s ek r et ä rs i m R ei c h s a rb ei t sm i n i s t e r i u m , ü b e r wa r f s i c h a b e r m i t d e r N S- O b r i g k e i t , w a r v o n 1 9 4 0 b i s 1 9 4 3 F u n k t i on s h ä ft li n g (B l oc k ä lt es t e r, D o l m et s c h e r ) i m Ko n z en t r a t i on s la g e r S a c h s en h a u s en , d a n n i m „P fa f f en b l oc k " v on Da c h a u , u n d k on n t e n a c h s ei n e r E n t la s s u n g au s d e m KZ m i t t e n i m Kr i e g , J u n i 1 9 4 3 , wi e d e r a l s P f a r r e r i n B e r l i n t ä t i g s e i n . Von 1949 bis 1958 fungierte Grüber als EKD-Bevollmächtigter in Ostberlin, später 21
a u c h n o c h a l s E h r e n p rä s i d e n t d e r D e u t s c h -Is r a e l i s c h e n Ge s e l l s c h a f t i n d e r B u n desrepublik. W ä h r e n d i m D r i t t e n R e i c h d a s Au s b i l d u n g s a n g e b o t f ü r s c h w e r e r z i e h b a r e o d e r s t ra ffä lli g e J u gen d li c h e au f dem Wa ld h of er wei t ert word en wa r — b ei s p i els wei s e u m ei n e d r ei k la s s i g e B e ru fs s c h u l e fü r T i s c h l e r, S c h n ei d e r u n d S c h u h m a c h e r — , k a m d i e s e A r b e i t i n S E D- Z e i t e n m e h r u n d m e h r z u m E r l i e g e n . D i e k o m m u n i s t i s c h e O b ri g k e i t wü n s c h t e n i c h t , d a s s k i rc h l i c h -d i a k on i s c h e E i n r i c h t u n g e n E r z i e h u n g s a u f g a b e n wa h r n ä h m e n . 1 9 5 8 d a n n e r f o l g t e d i e g ä n z l i c h e U m wa n d lu n g d e r J u g en d e r zi eh u n g s a n s t a lt a u f d em W a ld h o f- Ge l ä n d e i n e i n k i rc h li c h b et r eu t es B ehindertenheim.
Das Schweigen des Vaters In m a n c h en B i o g ra p h i en e rs c h ei n t P a s t ora lk o l l e g -C h ef H or s t Ka s n e r a ls s t e t s u n ers c h roc k en er M or a lh ü t er. E vel yn R o l l ü b er d en Wa ld h of: „ Hi er i m R ei c h d es Vat ers ga lt en di e Wert e d es c hri st lich en Ab en d land es. " Da k omme ein em fa st so e t wa s wi e b e i As t e r i x u n d Ob e l i x i n d e n S i n n : „ Ga n z B r a n d en b u r g wa r v o n d e n Ulb rich ts un d Hon eck ers b es et zt. Gan z B rand enburg? Nein ! E in von unb eu gsam en C h ri s t en b ewoh n t er Wa ld h of vor d e r S t a d t m au er von T em p li n h i elt s i ch wi e ei n e Rettungsinsel im rot en Meer d es S ozialismus. " Das „Merkel -Lexikon" d er B erliner „B Z" b l ei b t s ozu s a gen i m B i ld e u nd t ei lt üb er d a s Ka s n ers c h e Wa ld h of- Id yl l m i t : „ D a s E lt e rn h a u s An g e la M e rk e l s s t eh t wi e ei n c h ri s t li c h e r F e l s i n d e r k om m u n i stischen Brandung." Dass „Rettun gsinsel" b zw. „Fels" d rei Jah rzehn te lan g von „rotem M eer" und „Brandung" so bemerkenswert unangetastet blieben, will Biographin Nicole S c h l e y m i t g e r a d e z u v i rt u o s er M i m i k r y d e r Ka s n e r -S i p p e e r k l ä r e n : „ Ge h e i m h a ltun g galt b ei d en Kasn ers als ob erste Maxime ... Niemand du rfte wissen, d ass die Familie Westfern seh en sch aute, welch e Bü ch er es im Hau se gab od er wel c h e Th em en i n g e m ei n s a m en S t u n d en d i s k u t i e rt wu rd en . S o wa r es Ho r s t Ka s n e r i m L a u f e d e r J a h r e g e l u n g e n , a l s S y m p a t h i s a n t d e s D D R -S y s t e m s w a h r g e n o m men zu werden, was ihm — und seiner Familie — gewisse Vorteile brachte." Über einige dies er „gewiss en Vort ei le" gibt Langguth in seiner Merk el- Biographie Au fs c h lu s s : „Da s s d i e Ka s n er s z wei Au t os h a t t en — ei n en P ri va t wa g en , d en m a n ü b er , Gen e x' b e zog en h a t t e, un d ein en Di en s t wa gen , wa r fü r DDR - Z ei t en a b s olu t a u ß e r g e w ö h n l i c h . . . H o r s t Ka s n e r e r h i e l t p r a k t i s c h a l l e w e s t l i c h e Li t e r a t u r, d i e i h m z u g e s a n d t wu r d e . . . Z u d e n P r i v i l e g i e n P f a r r e r Ka s n e r s g e h ö r t e n a u c h d i e Westreisen .. Er konnte viele Westreisen unternehmen, übrigens auch seine 22
F r a u , d i e b i s n a c h A m e r i k a f u h r . " P f a r r e r Ka s n e r t o u r t e u . a . n a c h It a l i e n u n d Großbritannien. La n g gu t h fi nd et es b em e rk en s wert , d a s s „ An g ela M erk el p r a k ti s ch n i e üb er i h ren Va t er s p ri c h t ". Au ch b ei Hors t Ka s n er s elb s t s ei a u ffä lli g, d a s s er „ga r n i c h t ers t i n s Vi si er d er Öffen t li c h k ei t gera t en m öc h t e". E r verm ei d e es , m i t s ein er Toc h t er z u s a m m en fü r i r g en d we lc h e p o l i t i s c h en R ep o rt a g en a u c h n u r a b g e li c h t et zu we r d e n . „ Ka s n e r wa r w e d e r z u e i n e m Ge s p r ä c h n o c h z u r B e a n t wo r t u n g v o n s c h r i f t li ch ein gereicht en Fra gen b erei t ", sch reibt La n ggu th. Vom M erk el - Va t er erhi elt er d en a b s c h lä gi g en B es c h ei d , „d a s s wi r P e rs on en u n d In s t i t ut i on en g e g en ü b e r, d i e a n Veröf f en t li c h un gen ü b er un s ere Toc h t er i n t eres s i ert s i n d , gru nd s ä t zli c h k ei n e Au s k ü n f t e ü b e r u n s e r e p e r s ö n l i c h e n u n d f a m i l i ä r e n B e l a n g e e r t e i l e n , u n d d i e s s ch on ga r nicht , wenn k ein e au sdrü ck lich e Zu sti mmun g unserer Toc ht er vorli egt ". Und am 31. Mai 2005 meld et e das brandenburgisch e Ta geblatt „Märkische All gem ei n e": „ Ka s n ers red en m i t n i em a nd em m eh r. Ih re T oc h ter wi rd d a s b egrü ß en . Merkel ist nicht Schröder. Lieber abschotten als zu viel private Einblicke riskie11
ren. D e r M e r k e l -V a t e r m a c h t f ü r M e d i e n u n d R e c h e r c h e u r e a l l e r A r t d i e S c h o t t e n d i c h t . D i es b et ri f ft a u c h s ei n e Z e i t i m D ri t t en R ei c h , ü b e r d i e k ei n er d e r za h lr e i chen Biographen und Presseberichterstatter, die sich mit der Merkel- Familie in t en s i v b e fa s s t h a b en , a u c h n u r e i n e ei n zi g e S i lb e m i t zu t ei le n we i ß . R ei n v om Ge b u rt s j a h r h e r, 1 9 2 6 , k ön n t e Ho r s t Ka s n er s eh r woh l i n d e r b ra u n en E n d z ei t n oc h i r g e n d wi e „ d a b e i " g e we s e n s e i n . Z u m i n d e s t h ä t t e e r a l t e r s g e m ä ß e i g e n t l i c h M i litärdienst in der Wehrmacht geleistet haben müs sen. Was wäre denn schon S c h li m m e s d a ra n ? W a ru m d i e Ge h ei m n i s k r ä m e r ei ? Di e s e F r a g en g e lt en a u c h An ge la M erk e l, d i e h i n s i ch t li ch i h rer V er wa n d t s ch a ft i m a llgem ei n en , i n s b es on d ere ab er b ei biographisch en Details zum Vater extrem wortkarg ist — man k önnte au ch sagen, d ass sie sich hier, seh r im Gegen satz zu ih rer son stigen Red selig keit, als grabesschweigsam erweist. Kanzler Gerhard Schröder hingegen hatte k e i n e P r o b l e m e , ü b e r s e i n e n ( 1 9 4 4 i n R u m ä n i en g e f a l l e n e n ) V a t e r a l s S o l d a t e n d e r d eu t s c h en W eh r m a c h t a u c h i n a l l e r Ö f f en t li c h k ei t zu s p r ec h en ; u n d e r t a t es ohne bewältigungsneurotische Anwandlungen. „ D a s d ü r ft e d a ra n li e g en , d a s s s i e k ei n In t e r e s s e d a ra n h a t , d i e t a t s ä c h li c h e R o l l e Ka s n e rs i m D DR -S o zi a li s m u s zu b e l eu c h t en . " S o v e r s u ch t P ro f. La n g gu t h d i e M erkel'sch e Auskunftsabstinenz zu erklären. Denn: „ Ih r Vater zeigt e — zumindest gelegentlich — ein e intensive Staatsnähe oder sch eute zeitweilig die Kontakte m i t d e r S t a a t s s i c h e r h e i t n i c h t . " La n g g u t h we i t e r „ H o r s t K a s n e r wa r b b e i s e i n en Reisen in d en Westen fü r die Deu tsch landp olitik d er DDR." Bei ein er von d er staatlichen „Nationalen Front" organisierten Italien-Reise habe „der rote Kasner" 23
di e An sich t vert ret en, nu r die Kommuni st isch e Pa rt ei k önn e da s La nd vor wei terem Niedergang retten. Rain er Epp elmann, sp äter DDR - Dissid en t und Wen d ep olitik er, war als ju n ger P f a r r e r a u f d e m W a l d h o f . Im N a c h h i n e i n b e s c h r e i b t e r d i e v o n Ka s n e r d o r t v e r b rei t et e p es s i m i s t i s ch e Zu k u nft s vi s i on wi e fo lgt : Di e eva n ge li s c h e Ki rc h e we rd e i n d e r D DR d e rm a ß en s c h ru m p f en , d a s s s i c h k a u m n oc h Ge m e i n d en ei n en h a u p t a m t l i c h e n P fa r r e r l e i s t e n k ö n n t en ; d a s S c h i c k s a l d e r m e i s t e n P a s t o r e n we r d e e s dann sein, „Nebenbeipfarrer" bzw. „Fei erabendprediger" zu sein. Eppelmann e m p fa n d d i e Ka s n e r' s c h e W e i s s a gu n g a ls h e r z l os , d e m ot i vi e r e n d , g e ra d e zu d efa i t i s t i s c h : „ D e r m a c h t e u n s j u n g e n M e n s c h en , d i e s i c h d a a u f d a s Ge m e i n d e p f a r r amt vorbereiten sollten, nicht gerade Mut . Da dachte ich damals natürlich: du Arsch." E in ha rt es Urt ei l, das län gst nich t von a llen B esuch ern d es Ka s n er - Kollegs get ei lt wi rd . M a n b e g e gn et a u c h i m m e r wi ed e r S t i m m en v on Z ei t z e u g en , d i e Ho r s t Ka s n er als vorbild lich en Th eologen emp fund en hab en. Sein Wirk en k önn e nu r ger e c h t b e u r t e i l t w e r d e n , w e n n m a n d i e M a c h t v e r h ä l t n i s s e , u n t e r d e n e n e r a r b e iten mu sste, und die Zeitu mständ e b erück sich tigte, wird fü r ihn woh l nich t zu Unrecht ins Feld geführt.
Der „rote Kasner" in Aktion Horst Kasner habe „auf Synoden mit Vehemenz Positionen vertreten, die im m a c h t p o l i t i s c h e n In t e r e s s e d e r D D R g e l e g e n " h ä t t e n , l i e s t m a n b e i P r o f . L a n gg u t h . „ E r wa r g a n z u n d g a r a u f d i e D D R -S t a a t l i c h k e i t fi x i e r t " u n d s e i a u c h e i n „Ak t eur d er ki rch lich en Tei lun g" in Deut sch land gewes en . Als B ei spi el da fü r, wi e Ka s n e r u n d s e i n e t h e o l o g i s c h e n Ge s i n n u n g s g e n o s s e n op e r i e r t e n , s c h i ld e r t La n gguth Ab läu fe b ei d er Syn od e, die vom 13 . bis zu m 17. Feb ru ar 1966 in Berlin st a t t fa nd u nd au f we lc h er Wei c h en fü r d i e Sp a ltu n g d er B erli n - B ra n d en b u rgischen Kirche gestellt wurden: In e i n e m S E D - i n t e r n e n B e r i c h t ü b e r d a s k i r c h l i c h e T r e f f e n h i eß e s , d a s s „ P r o f . Mü ller au f d er Syn od e k onseq u ent die Politik un seres Staates vertrat. Er tru g d u rc h s e i n Au f t r e t en we s e n t l i c h z u r Ko o r d i n i e r u n g d e r z a h l e n m ä ß i g s c h wa c h e n p rogressi ven Kräft e und zu r Verhind erun g ein es Ab wü rgens d er Di sku ss i on du rch d i e Le i t u n g d e r S yn o d e b e i . Au c h d i e S yn o d a l e n R e c h t s a n wa l t d e M a i z i ö r e u n d P f a r r e r Ka s n e r h i e l t e n s i c h a n u n s e r e K o n z e p t i o n . " B e i d e m e r w ä h n t e n M ü l l e r h a nd elt e es si c h u m ei n en au f SED - Li n i e li e g en d en , mi t d em M i n i st eri u m fü r Staatssicherh eit zusamm enarbeitend en Ostberliner Theologi eprofess or (zu ihm nachher meh r); d er in dem Dokument erwähnte Clemens d e Maiziöre, d er 1980 24
v e r s t a r b , wa r F u n k t i o n ä r d e r v o n d e r S E D g l e i c h g e s c h a l t e t e n B l o c k p a r t e i C D U u nd Va t er d es l et zt en D DR -M i n i st erp r ä s i d ent en s owi e p oli t i s c h en An gela -M e rk elFörderers 1990/91, Lothar de Maiziere. Langguth: „Was unter ,unserer Konzeption' zu verst ehen ist, ergibt sich von s e lb s t — es wa r n i c h t d i e Ko n z ep t i on d e r Ki r c h e , s on d ern d es D DR -S t a a t e s , d es Am t e s f ü r Ki r c h e n f r a ge n u n d — s c h l i m m e r n o c h — d e s M i n i s t e r i u m s f ü r S t a a t s s i c h e r h e i t . " In e i n e m d i e S y n o d e v o n 1 9 7 0 b e t r e f f e n d e n D o k u m e n t d e s S t a a t s s ek reta riat s d er DDR fü r Ki rch en fra gen h i eß es (zit. na ch Lan gguth ): „Wi r k önn en einschätzen, dass progressive Synodale sowoh l von d er Quantität als auch von d e r Qu a li t ä t i h r e s Au ft r et en s h e r b r ei t e r wi rk s a m we r d en k on n t en . P r of . M ü l l e r, R e c h t s a n wa l t ( C l e m e n s ) d e M a i z i e r e , P f a r r e r Ka s n e r u n d La n d e s j u g e n d p f a r r e r Gü n t h e r e r r e i c h t e n d u r c h t a k t i s c h k l u g e s Au f t r e t e n , d a s s d i e S yn o d e d i e f e i n d l i c h en Kon z ep t i on en n i ch t b es ch los s u n d i n d er Fra g e d er E i gen s t ä n di gk ei t d er Ki r c h e B e r li n -B ra n d en b u r g a u f d e m T e r ri t o ri u m d er D DR m i t e c h t en Ko m p r om i s s en zu s t i m m t e. " P rof. La n ggu t h : „ Au fg ru n d di es er Ak t en la g e k a n n m it Fu g u n d R ec h t ges a gt werd en, d a s s Hors t Ka s n er a k t i v an d er S p a lt un g d er B erli n -B ra n d en bu rgi schen Kirche mitwirkte." Von b es on d erer B ed eu t u n g i st au ch d i e E rm it t lun g La n ggu t h s , da s s Hors t Ka s n er n i c h t n u r „ l a n g e M i t g l i e d " d e s „ W e i ß e n s e e r Ar b e i t s k r e i s e s d e r k i r c h l i c h e n B ru d e r s c h a f t i n d e r E v a n g e l i s c h e n Ki r c h e i n B e r l i n -B r a n d en b u r g " — k u r z : W A K — wa r, s on d ern d a rüb er hi n au s si c h „fü r ei n i ge J a h re i m Lei t erk rei s " d i es er Ve rei n igung betätigte. D e r a u f In i t i a t i v e A l b r e c h t S c h ö n h e r r s a m 1 7 . J a n u a r 1 9 5 8 a u f e i n e r P f a r r e r t a g u n g i m Ad o lf- St o ec k er - S t i ft ( S t ep h a n u s- S t i ft ) i n B e r li n -W e i ß en s e e g e g rü n d et e WAK wu rd e „v on d er St a si st a rk b eei n flu sst " ( La n g gu t h). Ei n e d er Ha u p t au f gaben d es Arbeitskreises b estand in den ersten Jahren darin, die Anhänger d es eva n ge li s c h en Bi s c h ofs von B erli n -B ra n d enb u rg u nd E KD - R a t s vors i t zen d en Ot t o Di b eli u s i n d er DDR a u s zu s c ha lt en u nd d en „Di b eli a n i s mu s" zu b ek ä m p fen . Di b e li u s m it S i t z i n B erli n (Wes t ) wa r a n t ik om m un i s ti s ch u nd ges a m t d eu t s c h ges i n nt ; n a c h S E D -Le s a rt h a n d e lt e e s s i c h b ei i h m u m e i n en „ Ag e n t e n d e s w e s t l i c h en Imperialismus". L a u t E h r h a r t N e u b e r t ( „ G e s c h i c h t e d e r O p p o s i t i o n i n d e r D D R 1 9 4 9 -1 9 8 9 " ) w a r d er W AK, i n d es s en Lei t erk re i s zei t wei li g a u c h An ge la M e rk els Va t e r m i t wi rk t e, „ s t et s d e r v e r lä n g ert e Ar m d er S E D i n d er S yn od e". W i ed er La n g gu t h : „ In D o k um e n t e n d e s M i n i s t e r i u m s fü r S t a a t s s i c h e r h e i t wi r d d e r W e i ß e n s e e r Ar b e i t s k r e i s zu d en ,p rogres s i v en i n n erk i rc h li ch en Zu s a m m en s ch lü s s en ' gezä h lt . " M erk e l -B i og r a p h i n B o ys e n t e i l t zu d i e s e m Ko m p l e x m i t : „ Ka s n e r g e h ö r t e d e m W e i ß e n s e e r 25
Arb ei t s k rei s a n , ei n er k lei n en , a b er exp on i ert en Gru p p e vo n DDR - Th eol og en , d i e s ich vi elfach d er Kritik ih rer Gla ub ensb rüd er aus s et zt e, wei l s i e ein e au sdrü ck lich staatsnahe Haltung pflegte. Der Staatsapparat seinerseits duldete den WAK n i c h t n u r, s on d ern e rm ö g li c h t e d en Th e o l o g en d i es e s Kr ei s e s , i h r e k i rc h en i n t e rn u m s t r i t t e n en An s i c h t e n ü b e r d a s V e r h ä l t n i s v o n M i s s i o n u n d g e s e l l s c h a f t l i c h e r Teilhabe der Christen im Sozialismus in einer Publikation zu verbreiten." D a m i t wa r en d i e v om W AK h e r a u s g e g eb en en „ We i ß en s e e r B lä t t e r " ( „ WB I” b z w. „WB") gem eint, deren erstes Heft im Frühjahr 1982 erschien — mit ausdrücklicher Gen ehmigung des Lekt ors für nichtlizenzpflichtige Druckerzeugniss e im DDR -Ku l turministerium. Über das WAK- Organ berichtet der em eritiert e Theologieprofessor a n d e r Hu m b o ld t- Un i v e rs i t ä t R ei n h a rd H en k ys , d e r i n d en 8 0 er -J a h r en V e rt r et e r d e s E v a n g e l i s c h e n P r e s s e d i e n s t e s ( e p d ) i n d e r D D R wa r : „ D i e s e i t 1 9 8 2 e r s c h ei n en d en , W e i ß en s e e r B lä t t e r' v e r a c h t et en d i e Op p o s i t i on u n d d en u n zi e rt en s i e u n verh ü llt . Ih r e Zi e lg ru p p e wa r en vi e lm eh r Th e ol og en u n d F u nk ti on s t rä ger d er offizi e ll en e va n geli s c h en Ki rc h e. Di e WB k ol la b ori ert en off en m i t d er , rei n en Leh re ' der SED, interpretierten die kirchliche Zeitgeschichte von dies er marxistischen Po sition aus ... Der SED kreideten die WB schon vor der Wende ideologische Rechtsabweichung an."
Antifaschismus zur Gleichschaltung Der b er ei t s er wä h n t e k om mu ni s t i s ch gep olt e Th eo lo ge P r of . Ha n fri ed Mü ller u n d d ess en Eh efrau R os ema ri e Müller - S t reis and, P rofess orin für Ki rch en geschich t e an d er Ostb erlin er Humb oldt - Universität, stellten die id eologisch en Weich en im W A K u n d b ei d en „ W B I" . M ü l l e r, J a h r ga n g 1 9 2 5 , Kr i e gs t e i ln eh m e r, t h eo l o gi s c h a n d e n U n i v e r s i t ä t en B on n u n d Gö t t i n g e n a u s g e b i l d e t , wa r e i n W e s t -O s t - W e c h sl e r wi e Ka s n e r : Al s Ak t i vi s t d e r k om m u n i s t i s c h en F D J ( We s t ), d e r b e r ei t s u n t e r d em Damok lessch wert d es Verb ots steh end en KPD - Ju gend , hatte er sich 1952 aus der Bundesrepublik in die DDR abgesetzt. Dort brachte er es zum Professor fü r S ys t em a t i s c h e Th eol ogi e a n d er Os t b erli n er Un i v ers i t ä t. S c h önh errs E va n gelischer Kirche Berlin-Brandenburg gehörte er als Synodaler an. „ T h e o l o g e n u m H a n f r i e d M ü ll e r t r i e b e n i h r e B o n h o e f f e r -I n t e r p r e t a t i o n s o we i t , d a s s s i e i m Kom m u n i s m u s sc hli eß li c h d i e E rfü llu n g d er c h ris t li c h en H offn u n g s a h en u n d m a c h t en d a m i t i h r e T h e o l o gi e zu ei n er op e ra t i v en Id e o l o gi e i m Di en s t e d e r S E D zu r Au fh eb u n g d er c h ri s t li c h en R e li gi on . " ( N eu b e r t ). „ Ha n fri ed M ü l l er propagierte die Auflösung der Kirche im Kommunismus und griff wi ederholt s t a a t s k ri t i s c h e Ki rc h en v ert r et e r u n d op p o s i t i on e l l e Gr u p p en a n ; e r wa r b ei m M i nisterium für Staatssicherheit als IM ,Michael' registriert und hat sich zu ,partiel26
l e r Z u s a m m e n a r b e i t ' m i t d e m M f S b e k a n n t . " ( M ü l l e r -E n b e r g s / W i e l g o h s / H o f f mann, „Wer war wer in der DDR? Ein biographisches Lexikon", Augsburg 2003). In H e f t N r . 1 / 2 0 0 0 d e r „ W B I " s c h r i e b M ü l l e r ü b e r d i e E n t s t e h u n g d e s W e i ß e n s e e r Ar b e i t s k r e i s e s , „ P a t e g e s t a n d e n " h ä t t e n i n s b e s o n d e r e „ B r ü d e r , d i e s i c h z u r Z e i t d es F a s c h i s m u s a l s P fa rre r n a c h wu c h s g e we i g ert h a t t en , s i c h v on d en n a zi fi z i e rt en o ffi z i e l l en Ki rc h en b eh örd en p rü f en z u la s s en u n d s t a t t d es s en b e i Au s b i ld u n g s s t ä t t en d e r B e k e n n e n d e n Ki r c h e i h r t h e o l o g i s c h e s E x a m e n m a c h t en " . M ü ller weiter „Viele von ihnen hatten das berühmte von Dietrich Bonhoeffer g e l e i t e t e P r e d i g e r s e m i n a r d e r B e k en n en d en Ki r c h e i n F i n k e n wa l d e b e s u c h t , wa ren a u f d em a n t i fa s ch i st i s ch en Flü g e l d er B ek en n en d en Ki rc h e b eh ei m a t et . . . Fü r sie gab es nie eine ‚Bedrohung aus dem Osten', in höchstem Maße jed och eine s o l c h e a u s de m ‚ W e s t e n ' . . . S i e m a c h t e n d i e , D i s s i d e n t e n f r a g e ' n i c h t z w e c k s Förd erung der Konterrevolution, sondern zwecks der Vert eidigung des Sozialismus zum Thema." „Im Au ftrag d er SE D" (so der DDR -Oppositionsforscher Ehrhart Neubert, der auch M i t a rb e i t e r d e r Ga u c k - b z w. B i rt h l e r -B e h ö r d e i s t ) u n d u n t e r F e d e r f ü h r u n g H a n fried Müllers erarb eitete d er Weiß enseer Arb eitskreis 1963 „Sieb en Sätze über d i e F rei h ei t d er Ki rc h e zu Di en en ". N eu b ert : „Di e , S i eb en S ä t ze' n u t zt en d en An t i fa s c h i s m u s zu r Gl e i c h s c h a lt u n g m i t d e r s i c h a n t i fa s c h i s t i s c h a u s g eb en d en S E DGesellschaft. Damit wurde jede Kritik an der SED suspekt und als kirchlicher Hoch mut di squa li fi zi ert. Di e sp ezi fis ch e Art d es Ant ifas chism us, d i e von d er S E D als gesellschaftspolitisches Instrument gebraucht wurde, wurde nun theologi s i ert . " La n ggu t h : „Hi er en t wi c k elt e s i c h ers t m a ls ei n e Nä he von C h ri s t en tu m u nd S ozia lis mu s ma rxi sti sch er P rägun g. " Di e „sp ezi fi sch e Art des Ant i fas chis mu s" d er DDR- Kom munis t en gip felt e bek annt lich da rin , d as s d i e B erlin er Mau er von ihn en zum „antifaschistischen Schutzwall" deklariert wurde. B ei Ha n f ri ed M ü l l e r li e s t s i c h d i e E n t s t eh u n gs g e s c h i c h t e d e r „ W e i ß en s e e e r B lä t t e r " s o : „ An fa n g d e r a c h t zi g e r J a h r e s c h os s en i n d er DDR s u b v e rs i v e P u b li k a t i on e n , o f t a l s , n u r f ü r d e n k i r c h l i c h e n D i e n s t g eb r a u c h ' d e k l a r i e r t , w i e P i l z e a u s d e m B od e n . S i e s i gn a li s i e r t en i n d e r Ge s e l l s c h a f t p o l i t i s c h - m o r a li s c h e n u n d i n d er Ki rc h e t h eol ogi s c h en Verf a ll. Dem wo l lt e d er W ei ß en s e er Arb ei t s k rei s m i t ein e m n i c h t a n t i k o m m u n i s t i s c h o r i e n t i e r e n d e n M i t t e i l u n g s b l a t t b e g e g n e n u n d b ea u ft ra gt e a m 6 . Dezem b e r 1 9 81 Ha n fri ed M ü ller u n d C h ri st ia n S ta pp en b ec k zu erk un d en , ob d a s m ögli c h s ei . E s wa r m ög li c h , un d i m Frü h ja h r 198 2 ers c hi en Heft 1 der Weißens eer Blätt er." (M üller in: „WB I", Nr. 1/2000). Zur „WB I" -Gründungsz e i t f un g i e r t e ü b r i g e n s Kl a u s G y s i a l s H o n e c k e r s S t a a t s s ek r e t ä r f ü r Ki r c h e n f r a g e n . E s h a n d e l t s i c h u m d e n b e i d e r S t a s i v i e l e J a h r e a l s IM „ K u r t " g e f ü h r t e n 27
V a t e r d es l e t zt en S E D- C h e fs u n d n a c h m a li g en P D S / Li n k s p a rt ei -Fü h ru n g s fu n k t i o närs Gregor Gysi. Fü r Ha n fri ed M ü ller, s ei n e Fr a u R os em a ri e M ü ll er- S t r ei s a n d u nd d eren W AK -Ge s i n n u n gs g en os s en r oc h a l l e s n a c h „ Kon t e r r e v o lu t i on ", wa s s i c h i r g en d wi e g e g en d i e S E D -D i k t a t u r r i c h t e t e o d e r a u c h n u r z u r i c h t e n s c h i e n . D a m i t m u s s t e d e n W A K- E i n p e i t s c h e r n n a t ü r l i c h d i e „ D e u t s c h l a n d , e i n i g V a t e r l a n d " - B e w e g u n g 1 9 8 9 / 9 0 a l s d a s „k on t er r e v o lu t i on ä r " B ö s e s c h l ec h t h i n er s c h ei n en . W ä h r en d d i e W A K ' l e r i m m e r wä h r e n d e S c h u l d u n d B u ß e d e r D e u t s c h e n w e g e n d e r H i t l e r z e i t p rop a gi e rt en , ri e f Ha n fri ed M ü l l e r d en Ge n o s s en i n Nr . 5 / 1 9 8 9 d e r „ W ei ß en s e er B l ä t t e r " a n g e s i c h t s d e r s i c h a b z e i c h n e n d e n S E D -G ö t z e n d ä m m e r u n g z u : „ K e i n e R e u e ! K e i n e B u ß e ! K e i n e S c h u ld b e k e n n t n i s s e ! A l l d a s h ei ß t h i e r u n d h e u t e n u r a l l z u l e i c h t , a n d e r S t e l l e z u k a p i t ul i e r e n , wo e s n u r a u f e i n e s a n k o m m t : W i d e r stand. Unser Weg führt jetzt in die Resistance."
„Zwei getrennte Deutschlands bevorzugt" Zur Eröffnung des „Lesertreffens der Weißenseer Blätter", 7. Mai 1994, verkünd et e Gen os s i n M ü ller -S t rei s a n d : „Wi r h a t t en vo r d er Kon t err ev olu t i on ver geb li c h zu warnen versucht ... Uns ging es darum, zu verhindern, dass aus der Kirche e i n e k o n t e r r e v o l u t i o n ä r e P a r t e i wü r d e . " D e r S E D / P D S wa r f s i e b e i d i e s e r G e l e g e n h e i t Ka p i t u l a n t e n t u m v o r . „ In d e r Ko n t e r r e v o l u t i o n ü b e r r a s c h t h a t u n s a l l e rd i n g s d a s k a m p f l o s e Au f g e b e n d e r P a r t e i , d i e e i g e n t l i c h n i c h t zu r Ka p i t u l a t i o n b e r u f e n g e we s e n wä r e , s o n d er n z u r F ü h r u n g a u c h d a n n n oc h , a l s d i e S o wj e t u n i on die DDR verkauft und — wenn auch nicht sofort — geliefert hatte." Üb e r d i e Zu s t ä n d e i n d e r D DR s a gt e d i e W AK -Id e o l o g i n m i t vi e l E u p h em i s m u s u n d C h u zp e : „ Ge wi s s , e s h a t Du m m h ei t en g e g eb en , vi e l l ei c h t s o ga r m eh r a ls a ndernorts, es hat Gesetzesverstöße gegeben, sicher nicht mehr als andernorts. U n d e s h a t F ä l l e v o n K o r r u p t i o n g e g e b e n , g a n z b e st i m m t w e i t w e n i g e r a l s a n d e rn o rt s , wo m a n d ek r e t i ert h a t , d a s s d i e D DR ei n ‚ Un r e c ht s s t a a t ' g e we s e n s ei . " Ab s c h li eß en d ri e f M ü l l e r- S t re i s a n d d en W AK- Ge t r eu en zu : „ R eu e u n d S c h u ld b ek e n n t n i s f o r d e r t e n d i e F e i n d e d e s S o z i a l i s m u s u n d Ka p i t u l a n t e n . . . W i r w o l l t e n un seren Teil dazu b eitragen, d ass Kommunisten wied er Mut, Selbstvertrau en , Kampfeswillen gewönnen ... Wir wussten ja noch aus der Nazizeit, dass ein g a n z es V o lk b es o f f en s ei n k a n n . . . W i r s c h ei n en , s o we i t wi r s eh en , d i e e i n z i g en zu sein, die so etwas wie eine ‚linke Orthodoxie' vertreten." Müller-Streisand be-
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k a nn t e s i ch i n ih rer R ed e ü b erd i es zu ei n er „R ot en Hi l fe i m gei s t li c h en u n d gei s tigen Sinn". B ez ei c h n end erwei s e geh ört e a u c h Ma rgot Hon ec k er, d i e S ED- M i n i st eri n u nd Ga ttin des Oberhauptes des Mauermord- und Stasisystems, zu den Autoren des WAK- Organ s. Und woh l n och sympt omati sch er i st , was di e Kn all- rot e „j un ge w e l t " a m 1 1 . Au g u s t 2 0 0 3 i n W ü r d i g u n g v o n M ü l l e r - S t r e i s a n d ( An l a s s wa r d e r 8 0 . Geb u rt s t a g d er i m Art i k el a ls „p ri n zi pi en t reu d er m a rxi s t i s ch en Di a lek t ik ver b u n d en " c h a r a k t e ri s i ert en Ge n os s i n ) v om S t a p e l li eß : „ W o e s u m wi s s en s c h a ft lich e Wah rh eit und u m Verantwortun g fü r d ie Gerech tigk eit geh t, lässt sie sich von gän gi gen Nost a lgi evorwü rfen ni cht an fech t en. In ih rem E insa t z fü r d en S ozial i s m u s u n d d i e D DR k a n n s i e W a l t er U lb ri c h t u n b e fa n g en u n d eh r e rb i et i g, a u c h im Blick auf den Lebenslauf ihrer Zeitgenossen, ,unseren Lehrer' nennen." An g e l a M erk e l s V a t er a b er, l a n gj ä h ri g zu s a m m en m i t Ha n fr i ed M ü l l e r u n d R os em a ri e M ü l l e r- S t r ei s a n d i m W AK, s c h l os s s i c h i n d e r DDR -Un t e r ga n gs p h a s e d em „Neu en Forum" an. Dieser Gruppierung ging zunächst der Ruf voraus, dass sie z u r s t ä r k s t e n Kr a f t i n d e r W e n d e- D D R we r d e n k ö n n e . S i e t r a t m i t a n d e r e n V e r e i n i g u n g e n z u r V o l k s k a m m e r wa h l i m M ä r z 1 9 9 0 a l s „ B ü n d n i s 9 0 " a n , w e l c h e s b ei nu r 2,9% land ete. Zu r Nied erlage h atte d as d eu tlich e Nein d es „Neu en Fo rum" zur Wi ed ervereinigung maßgeb lich beiget ragen. „Di e m eist en bestim men d en Ak t eu r e gi n g en v on d e r Z we i s t a a t li c h k ei t D eu t s c h l a nd s a u s . ‚ W i ed er v e r ei n igung' war für si e k ein Them a." („Wikip edia- Enzyklopädie", Stich wort „Neues Forum"). La u t „ In t e r n a t i o n a l H e r a l d T r i b u n e " v o m 6 . S e p t e m b e r 2 0 0 5 h ä t t e H o r s t Ka s n e r n a c h d em M a u e rf a l l 1 9 8 9 z we i g et r en n t e D eu t s c h la n d s b ev o r zu gt ( „p r ef e r r ed t o h a v e t w o se p a r a t e G e r m a n ys " ) . W e i t e r ä u ß e r t e e r g e g e n ü b e r d e m B l a t t : „ I wa n t e d a d e m o c r a t i c E a s t G e r m a n y. B u t t h e p e o p l e wa n t e d t h e d e u t s c h e m a r k . " E r h a b e e i n d e m o k ra t i s c h e s O s t d e u t s c h l a n d g e wo l l t , d a s V o lk j e d o c h d i e D e u t s c h e Mark. Kasner ließ 1990 rasch wieder die Finger von der Parteipolitik. D a s „ B ü n d n i s 9 0 " f u s i o n i e r t e 1 9 9 3 g r ö ß t en t e i l s m i t d e n we s t d e u t s c h e n Gr ü n en . Ma rcu s Kasn er, An gela M erk els B rud er, h eut e S oft wa re- In geni eu r ein es Telek omm u ni ka t i on s -Unt ern eh m en s in Da rm s t ad t un d P ri va td ozen t fü r P h ys i k an d er Un iversität Magd ebu rg, machte b is zu diesem Zu sammen sch luss von 1993 b eim „B ü nd n i s 90 " mi t , i s t s ei th er a b er p a rt eib uc h ab s ti n ent geb li eb en . Herli n d Ka s n er wi e d eru m , An g e la M e rk e l s M u t t e r, wi rk t e n a c h d er W e n d e b i s 1 9 9 9 a l s S P D- Abg e o r d n e t e d e s u c k e r m ä r k i s c h e n Kr e i s t a g e s i n P r e n z l a u , w o s i e a n f a n g s a l s P a r lamentsvorsteherin fungierte. 29
„Den Staat zur Beute gemacht” Horst Ka sn er ist s eit d er fü r ihn s o fru st ri erend en Wi ed erverein i gun g nu r m eh r we n i g m i t p r on on c i e rt p o li t i s c h e n S t e l lu n gn a h m en h e r v o rg et r e t en . Im z we i t en J a h r d er M i t gli ed s c h a ft s ei n er T oc h t er i m B un d es ka bi n et t Koh l u nd fa s t ei n J ah r na ch ihrer Wahl zur stellvertretenden CDU - Bundesvorsitzenden allerdings veröffentlichte er in „die kir che", Organ der Evangelischen Kirche von Berlin - Brandenburg, Nr. 33 (16. August 1992), unter der Schlagzeile „Nichts kann bleiben, wi e es einmal war" ei n e k n a llh a rt e Ab rec h n un g m i t p oli t i s ch en En t a r tu n gen in Bu nd es rep u b li ka ni en . M a n c h e P a s s a g en k a n n g e wi s s a u c h u n t e rs c h r ei b en , we r a u s g ä n z li c h a n d e r er p o litischer Richtung kommt. Angela Merkels Vater schrieb in dem besagten Artikel: „ Al s B ei g et r et en e l eb en wi r n u n m i t d em Gru n d g es et z d e r a lt en B u n d es r ep u b li k , a n ei n e Neu fa s s u n g i s t n i ch t zu d en k en . All en fa l ls E r gä n z u n gen un d Än d eru n gen wi r d e s g e b e n . U n d d a b e i s t eh t e s , wi e g e s a g t , n i c h t z u m b e s t e n u m d i e f r e i h e i t lich demokratische Grundordnung. Von der Diktatur der Staatspartei befreit, haben wi r a u f e i n e n d e m o k r a t i s c h e n Au f b r u c h g e h o f f t u n d s i n d n u n i n e i n e n P a r t e i e n staat hineingeraten, in dem gemäß Verfassungsp ostulat ,alle Staatsgewalt vom Volk e au s geht ', dann ab er d orthin ni cht m eh r zu rückk ehrt. Wi r b em erk en nun , wi e sich d ie etab lierten Parteien d en Staat zu r Beu te gemacht h ab en und d ass d er S t a a t zu m S e lb s t b ed i en u n gs l a d en fü r P o li t i k e r g e wo rd en i s t . . . D e r P a rt ei en s t a a t der Bundesrepublik, in dem sich die beiden Volkspartei en inhaltlich kaum noch un t ers c h ei d en , h eb t s ic h ei gen t li c h n u r n och du rc h d a s M eh rp a rt ei en s ys t em von d er P a rt ei d ik t at u r d er DDR a b . In d er b eq u em en P rop or zd em ok ra t i e wi rd d er Klü n gel z u m S ys t em . M a n s c h a n zt s i c h wec h s e ls ei t i g Vo rt ei l e zu . " Di e P o li t i k i n d i es e m „System" sei „im Grunde die Fortsetzung der Wirtschaft mit anderen Mitteln". B i ogra p hi n B oys en : „ An g e la M erk el s a gt , s i e h a b e d i e b i tter e B i la n z i h res Va t er s ü b e r f a s t z we i J a h r e D e m o k ra t i e n i c h t g e l e s e n . D i e s e Au s s a g e p a s s t d a z u , d a s s sie unter allen Umständen verhindern möchte, dass die Öffentlichkeit von d en d u rch au s le gi t i m en u nt ers c h i ed li c h en p oli t i sc h en Üb erzeu g u n gen i n ih rer Fa m i li e erfährt." Seit Horst Kasner mit seinem Artikel von 1992 den Finger auf von vielen als s c h m e r z li c h em p fu n d en e W u n d en g e l e gt h a t t e, i s t e s , j ed en f a l ls i n d en Au g en ei n es Gr o ß t ei ls d er D eu t s c h en i m e i n s t i g en „ D rü b en ", e h er n o c h s c h l ec h t er g e wo r d en . Der P u b li zi s t M at th i a s Kra u ß a na lys i ert i n s ei n er 20 05 ers c h i en en en M erk el Biographie ein e entsprechende Haltung, die sich übrigens auch in demoskopischen U n t e r s u c h u n g e n wi d e r s p i e g e l t : „ Au s d e r P e r s p e k t i v e d e r m e i s t e n O s t d e u t s c h e n s i n d d i e p o l i t i s c h en U n t e r s c h i e d e z wi s c h e n d e n W e s t p a r t ei e n n i c h t m eh r g r ö ß e r a ls di e zwi sc h en d en ein sti gen DDR - B lockpa rt ei en. " Da zu pa sst au ch ein e B e30
s ch reibun g d er Zu ständ e au s d er Fed er von E velyn R oll: Di e s o genannt en groß en Volkspartei en würd e n dem zufolge „hauptsächlich darüber nachdenken, mit welch er Werteglasur sie ihre immer ähnlicher werdenden pragmatischen Politikansätze ü b erzi eh en u nd si e s o wen i gs t en s s ym b o li s c h u nt ers c h ei db ar u nd fü r ih re R es t m i lieus schmackhaft machen könnten". Die er st e aus frei en Wahlen , März 1990, hervorgegangene Volkskammer hingegen hatte sich n och du rch ein e groß e Vielfalt au sgezeichn et. Das Sp ektru m d e r Ab g e o rd n et en a u s ei n e r F ü l l e v on P a rt ei en u n d B e we g u n g en r ei c h t e von d en m i t r e c h t e n P a r o l e n g e wä h l t e n D S U ' l e rn b i s z u Ko m m u n i s t e n . D i e s e e r s t e f r e i e Volkskammer glich in gewisser Weise dem ersten Deutschen Bundestag von 1949. Auch fü r di es en ga lt b ei spi els wei s e n och nicht di e Mi lli on en Wäh ler d isk ri m i n i eren d e Fü n fp roz en t h ü rd e u nd wa s s i c h d i e C DU/ C S U - b zw. S P D -M a c h th a b er später noch a lles einfa llen li eß en, um „Auß enseit er" rauszuha lt en und aus z u s c h a l t e n — ga n z ä h n l i c h wi e e s n a c h 1 9 9 0 i n d en n e u e n B u n d e s l ä n d e r n u n t e rnommen wurde, nur dass die Plattmache dort teilweise noch schneller ablief. Die Etablierten hatten ja schließlich inzwischen auch wesentlich mehr Übung. Au c h i m e r s t en B on n e r Na c h k r i e gs p a r la m en t , 1 9 4 9- 1 9 5 3 , ga b e s ei n e b e m erk en swert e p oli t i s c h e Vi el fa lt . In s g es a m t wa ren 1 2 ve rs c h i ed en e P a rt ei en u n d Gru p p i e r u n g en v e rt r et en . Da s r ei c h t e v o n d en ga n z R ec h t en ( DR P / N a t i on a l e R ec h t e ) m i t d em d a m a ls j ü n g s t en B u n d e s t a gs a b g e o rd n et en Ad o l f v on Th a d d en , d em s p ä t e r en NPD- Chef, bis zu den unverwüstlichen Kommunisten um KPD -R eimann. Und noch ein en weiteren Vergleich h alten Bund estag 1949 und Volk skammer 1 990 au s: B e i d e l e i s t e t e n Kä r r n e r a rb e i t f ü r V o l k u n d V o l k s h e r r s c h a f t wi e k a u m j e a n d e r e d e u t s c h e P a r l a m e n t e s e i t 1 9 4 5 . Da s Ge r e d e v o n „ Z e r s p l i t t e r u n g " u n d „ In s t a b i l i tät", wen n „zu viele" Parteien im Parlament säß en , ist rein e Propaganda Herr s c h en d er zu r S i ch eru n g d es ei gen en B es i t zs t a nd es . Ge gen d a s a llei n qu an ti t at i ve P e n s u m , d a s d e r s o vi e l fa lt s b u n t e 1 9 4 9 er -B u n d es t a g b e wä lt i gt h a t , v e rb la s s t d i e L e i s t u n g d e s h e u t i g e n . V o n d e r i n h a l t l i c h e n Q u a l i t ät d e r B e s c h l ü s s e g a r n i c h t e r s t z u r e d e n . E s i s t n i c h t s e h r ü b e r s p i t z t a u s g e d r ü c k t , we n n m a n ü b e r d i e G e s e t z e d e s e r s t e n B u n d e s t a g e s s a g t : J e d e r S c h u s s e i n T r e f f e r . U n d h e u t e ? Ka u m ein Tropfen im Zielwasser mehr. W a s d i e V o l k s k a m m e r v o n 1 9 9 0 b e t r i f f t , s o i s t E v e l yn R o l l z u z u s t i m m e n , we n n s i e s c h r e i b t , d a s s d a s i m W e s t e n a u f g e k o m m e n e a r r o g a n t e W o r t v o n d e r „ La i e n s p i e l s c h a r" n i c h t s a ls „ d u m m e s Z e u g " s ei . J e m eh r Z e i t v e r g eh e , fä h rt d i e P u b liz i s t i n f o rt , d es t o d eu t li c h er we r d e a n d en P r ot ok o l l en u n d D ok u m en t a t i on en d i eser 181 Tage Volkskammer der unvergleichliche Fleiß jenes Parlamentes. „Und wa h r s c h e i n l i c h i s t i n d i e s e m La n d a u c h s c h o n l a n g e n i c h t m e h r d i e V e r a n t wo r tungsbereitschaft und der Blick auf das Gemeinwohl so viel stärker gewesen als 31
a l l e p a r t e i t a k t i s c h en In t e r e s s e n . V i e l l e i c h t wa r e n d i e 1 8 1 T a g e v o n B e r l i n t r o t z d er vi el en E i n red en un d E in flu s s n ah m en a u s B onn s oga r n äh er a m Id ea lb i ld ei n er p a r l a m en t a r i s c h en , r e p r ä s e n t a t i v e n D e m o k r a t i e a l s v i e l e s , wa s wi r s o n s t i n d i esem Land hatten." B ei ei n er V era n s t a lt u n g d er B ü rgeri n i t ia ti ve „ F rei e H ei d e " erk lä rt e H ors t Ka s n er i n d e r Ki r c h e v o n Z e c h l i n a m 4 . S e p t e m b e r 1 9 9 4 : „ F ü r d i e h e u t e f ä l l i g e n p o l i t i s c h e n E n t s c h e i d u n g e n i s t e i n h o h e s M a ß a n In t e l l i g e n z e r f o r d e r l i c h . D e m s i n d P o l i t i k e r i n d e r R e g e l n i c h t g e wa c h s e n . Ih r g e i s t i g e r H o r i z o n t , d a s wi r d i m m e r wi e d e r d e u t l i c h , i s t b e g r e n z t . S i e s i n d m e h r M a c h e r a l s D e n k e r . U n d v o r a l l e m versteh en sie sich au f d ie Macht: Wie k ommt man zu r Macht? Wie b leib t man a n d e r M a c h t ? . . . Di e p o li t i s c h e Kl a s s e i s t ra t l os , d i e E t a b li e rt en s i n d a u f B e s i t z standswahrung bedacht." Der Fa ll der Mauer habe den „Zerfa ll der bipolaren W e l t o r d n u n g d e s 2 0 . J a h rh u n d e r t s " c h a r a k t e r i s i e r t ; d i e „ n e u e W i r k l i c h k e i t " s e i jetzt „die Weltgesellschaft". „Di eser n euen Wirklichkeit zu entsprechen, das m us s un s k la r s ein , wi rd von un s Verzi cht ford ern. " Pa st or Ka s n er ziti ert e b ei d i es e r G e l e g e n h e i t e i n e n P a s s u s a u s d e m B ri e f d e s Ap o s t e l s P a u lu s a n d i e Ge m e i n de in Rom: „Lasst euch nicht gleichschalten dieser Weltzeit." S eith er a llerdin gs i st von P fa rrer Ka sn er nicht s „Hochp oli tis ch es " m eh r in M edi en z u v e r n e h m e n . D a wi r d d o c h k e i n e G l e i c h s c h a l t u n g s t a t t g e f u n d e n h a b e n ? 2 0 0 5 notierte das Maga zin „Cic ero": „Er predigt am li ebst en über den sechst en Ta g d e r S c h ö p fu n g u n d fü r e i n e n m e n s c h l i c h e n U m g a n g m i t T i e r e n . . . H o r s t Ka s n e r hat sich d em Mit gesch öp f vers ch ri eb en . " Di e M erk el- E lt ern leb en üb ri gens i mm er noch in Templin, in einem Einfamilienhaus am Stadtrand.
In „permanenter Auflehnung"? W a s n u n d a s g ä n g i g e P r o -M e r k e l - S c h r i ft t u m ü b e r d en D D R -L e b e n s we g d e r P o r t r ä t i e r t e n b r i n g t , m u t e t o ft n i c h t wi e B i o - s o n d e r n wi e S c h i z o g r a p h i e a n . N i c h t selten treten die Angela M., die wegen der erdrückenden Allgegen wart einer g n a d e n l o s e n D i k t a t u r n u r h e i m l i c h , s t i l l un d l e i s e o p p o s i t i o n e l l g e w e s e n s e i n k on n t e , u n d d i e An g e la M . , we l c h e fu rc h t ( wi e ü b ri g en s a u c h fo l g en- ) lo s d a s R egi m e o ff en en Vi s i ers b e feh d et e, n u r ei n p a a r Zei t u n gs zei l en od er B u c h s ei t en von ei n a nd er en t fern t a u f. M erk el -B i ogra p h Ma t th ia s Kra u ß m a c h t d e n S p i elve rd erb er und n oti ert : „Di e d eut sch e Pub li zis tik si eh t sich ged rän gt, ein en Wid erstand s gei st z u e r f i n d e n , v o n d e m An g e l a M e r k e l m e i l e n w e i t e n t f e r n t wa r , u n d f ü r d e n i h r e Biographie auch nichts hergibt. Nichtsdestotrotz werden Beispiele heran g e s c h l e p p t , u n d z wa r s o l c h e , d i e s i c h e b e n s o i m L e b e n d e s l i n i e n t r e u e s t e n G e nossen auffinden lassen würden." 32
Hi er s ei ein e grunds ät zli ch e An m erkun g ein gefü gt : S o s eh r au ch Versuch e, Wid er stand nach Toressch luss zu konstruieren, kritikwürdig sind: Million en Deutsche in d er „DDR ", d i e sich nich t offen au fgelehnt h ab en gegen d i e Diktatu r, s ond ern ein fach „ihr Leben gelebt" haben oder sozusagen als kleine Marschierer „mitmachten", sind dafür nicht zu verurt eilen . Es kehre jed er vor d er eigene n Tür zuerst. Wa r „im Wes t en " st et s a lles Gold, wa s glän zt e? Wu rd e und wi rd n icht au ch in Dem ok rat i en o f t g e s c h wi e g e n a n g e s i c h t s v o n U n r e c h t , wo e i n l a u t e s N e i n , we n n n i c h t W i d e rs tand geb ot en wä re? Verglichen mit a llen and eren „Kom muni sm en", wa r di e s ozus a gen d eut sch e Versi on in d er DDR di e relati v erträ glich st e. Man hüt e sich grund sätzlich vor Werturteilen aus sicherer Distanz. Räumlich oder zeitlich. „Oh n e Fu rc h t vor d e r S t a s i er zi eh en Va t er u n d Mu tt er An g ela i n Op p os i t i on zu m S E D -S t a a t ", wei ß d a s „ M e rk el- Le x i k on ", ei n e P u b li k a t i on d e r B e r li n e r „ B Z" , zu b eri c h t en . An gela M e rk el s el b s t erzä h lt : „ Ic h h a b e d i e DD R n i e a ls m ei n H ei m a tland empfund en . .. Jed en Ab end kam i ch voller Wut nach Hause und musst e m i r e r s t e i n m a l a l l e s v o n d e r S e e l e r e d e n . M i c h v e r b a n d m i t d i e s e m L a n d ü b e rh a u p t n i c h t s . " A n a n d e r e r S t e l l e ä u ß e r t e s i e : „ Ic h h a b e m i c h i n e i n e r s t e t i g e n u nd s t et i g zun eh m en d en , s eh r k ri ti s ch en Au s ei n a nd ers et zu n g m i t d er DDR b efu n d en . " 199 4 b eku nd et e s i e la u t d em Na ch ri ch t en m a ga zin „Der S p i eg el" : „ Ic h l eb t e in permanenter Auflehnung gegen den Staat DDR." „ U n d s o wu c h s d i e W e s t d e u t s c h e ( s i c !) An g e l a Ka s n e r a l s Au ß e n s e i t e r i n i m Ar b ei t e r - u n d B a u e rn s t a a t i m u c k e rm ä rk i s c h en T e m p li n a m R a n d e d e r S c h o r fh ei d e auf", li est man in Nicole Schleys Merkel -Biograph ie. „Auß enseiterin in der DDR", s o l a u t e t a u c h e i n e Ka p i t e l ü b e r s c h r i f t i n An g e l a M e r k e l s a l s Z wi e g e s p r ä c h m i t d e m J o u r n a l i s t e n H u g o M ü l l e r -V o g g g e s t a l t e t e n A u t o b i o g r a p h i e „ M e i n W e g " . „ M e i n e G e s c h wi s t e r u n d i c h , wi r wa r e n n a c h D D R -M a ß s t ä b e n s c h o n Au ß e n s e i te r " , s a g t e An g e l a M e r k e l i h r e m L e b e n s b e s c h r e i b e r P r o f . W o l f g a n g S t o c k . U n d d i e s e s Au ß e n s e i t e r t u m s o l l s i c h i n e i n e r „ f e i n d l i c h e n U m w e l t " ( „ a h o s t i l e e n v i ron m en t ") a b ges p i elt h a b en , s o d er „ In t ern a t i on a l Hera ld T ri b un e" i n s ei n er M er kel-Berichterstattung nach Befragung Horst Kasners. D a b ei k on n t en s o wo h l Ka s n e r a l s a u c h s ei n e Ki n d e r An g e la u n d M a rc u s fü r V e rh ä lt n i s s e a n g eb li c h „ wi e i m F e i n d e s la n d " e r s t a u n li c h r eü s s i e r en . Di e we n i g s t en B ü r g e r d e s Ar b e i t e r - u n d B a u e r n s t a a t e s j e d e n fa l l s b r a c h t e n e s z u Ko l l e g -C h e f s m i t b e s t en B e zi eh u n g en n a c h „ g a n z ob en " u n d a u s g ed eh n te n W e s t r ei s e- M ög li c hk eiten (Vater) od er sch afften d en Sp run g in die Reih en d er Privilegierten d er Ak a d e m i e d e r W i s s e n s c h a ft e n ( T o c h t e r ) o d e r k a m e n a l s S t i p e n d i a t en a n s Al l e r h ei li gs t e d er Wi s s en s c h a ft d er ru h m rei c h en S owj et u n i on , da s Ke rn fors c h u n gs zentrum Dubna bei Moskau (Sohn). So gesehen, kann man bei den Kasners wohl doch wieder von Außenseitertum sprechen. 33
Biographin Schley bringt ein Foto der Vierjährigen und schreibt dazu: „Schwierige Kindheit. Als Pastorentochter hatte Angela Dorothea Kasner keinen leichten Stand in der DDR." Der Schnappschuss zeigt allerdings ein munteres und fideles Mädchen, und Angela Merkel selbst hat wiederholt betont, eine unbeschwerte Kindheit verlebt zu haben. An anderer Stelle ihres Buches notiert Schley: „Angela und ihre Geschwister mussten wegen ihrer christlichen Erziehung stets auf der Hut sein und allerlei Hänseleien erdulden." Biographin Patricia Leßnerkraus über Jung-Angela: „Sie darf vor allem nie preisgeben, wie sie und ihre Familie daheim wirklich leben, was sie denken und diskutieren. Vor allem nicht, dass im Hause Kasner selbstverständlich Westfernsehen geschaut und massiv über Honecker geschimpft wird, die Hausbibliothek gefüllt ist mit Büchern aus dem feindlichen Westen. Eine furchtbare Belastung für ein kleines Mädchen, das doch eigentlich fröhlich, beschwingt und unbeschwert durchs Leben laufen sollte." Dass nun aber Westfernsehen auf dem Programm der Masse der DDR- Bürger stand (da waren die Kasners gegebenenfalls nun wirklich keine Außenseiter), dürfte Stasi-Mielke und auch dem gesamten Politbüro der SED ohnehin bekannt gewesen sein. Davon zeugte im übrigen allein schon die Ausrichtung der Antennen auf den Dächern des Volkes. Und was die Kasner'sche Hausbibliothek betrifft, so wurde, wie bereits in diesem Buch erwähnt, deren steter postalischer Nachschub aus dem Westen kontrolliert und zum Waldhof durchgereicht. In sämtlichen Biographien liest man die Story, dass Angela Kasner an der Templiner Schule bei der Antwort auf die Frage nach dem Beruf ihres Vaters aus Angst vor Nachteilen durch das Atheistenregime bewusst so genuschelt habe, dass statt „Pfarrer" eher „Fahrer" zu verstehen gewesen sei. Dabei dürfte niemand, auch kein Lehrer, im kleinstädtischen Templin nicht genau gewusst haben, dass Vater Kasner ein paar Steinwürfe von der Stadtmauer entfernt als Pfarrer eine große Ausbildungsstätte für Theologen leitete, welche sich überdies höchster staatlicher Duldung, wenn nicht mehr, erfreute. Widerstand leistete der Kasner-Nachwuchs laut diverser veröffentlichter Lebensläufe auf subkutane Art. Ein Beispiel aus der Biographie von Roll: „Angela Merkel wusste schon mit neun Jahren die Namen aller westdeutschen Minister auswendig." Soll das etwa heißen, dass nur die Bonner Bundesregierung, nicht aber der Ostberliner Ministerrat von Klein- Angela als legitim anerkannt wurde? In diesem Zusammenhang ist auch belangreich, was Angela Merkel selbst zum Beleg des „Außenseitertums" ihrer Familie bekundet hat: „Mein Bruder kannte alle Päpste auswendig. Ich sammelte Kunstpostkarten. Und gegenseitig haben wir uns die Hauptstädte der Länder der Welt abgefragt." Nun wird es zweifellos auch auf 34
Von Apologie bis zum Versuch kritischer Beleuchtung reicht die Palette bisheriger Merkel-Biographien. 35
d e n o f f i z i e l l e n D D R -Le h r p l ä n e n fü r d e n E rd k u n d e - U n t e r r i c h t g e s t a n d e n h a b en , d a s s d en S c h ü l e rn d i e N a m en d e r H a u p t s t ä d t e d er W e l t b ei zu b r i n g en s ei en . Un d schätzungsweise wäre es überall auf Erden ein wenig ungewöhnlich, wenn ein Teenie das Sammeln ausgerechnet von Kunstpostkarten als Steckenpferd hat. Was nun ab er d ie Päp ste anbetrifft, so hand elte e s sich zweifellos u m ein e außerord entlich e mnemot echnische Leistung von Klein - Ma rcus, reif für „Wett en d a s s . . . " , we n n e r t a t s ä c h l i c h a l l d i e H e i l i g e n V ä t e r „ a u s we n d i g g e k a n n t " h a b e n s o l lt e — we i t ü b e r d r e i h u n d er t a n d e r Za h l, m i t Na m en wi e T e l e s p h oru s , d e s s en P on t i fi k a t v on 1 2 5 b i s c a . 1 3 6 n . C h r. wä h rt e, o d er s ei n e s N a c h f o l g er s H yg i n u s , m i t E u t yc h i a n u s (u m 2 8 0 n . C h r. ) u n d S ym m a c h u s (4 9 8 -5 1 4 ) , m i t Ad eod a t u s 1 . , Sissinius, Gelasius usw. usf. etc. pp. Nur: Könnte es nicht sein, dass man als Sohn eines evang elisch en Pfarrers mit d erlei extrem ein gepauktem „Papismus" eh er d en eigen en Vater hoch nehmen, d enn die k ommunistische Staatsmacht h e rausfordern wollte?
Kraftprobe „Kasi"/Stasi Nicole Schley, ansonsten nimmermüde auf „unvermeidbare" Camouflage und Ko n s p i r a t i on b e i m Ka s n e r ' s c h e n Ko n t r a g e g e n d a s S E D -S ys t e m h i n we i s e n d , b e t ont and erers eit s : „An gela t rug d eut lich erk ennba r Wes tk leidun g. " Ähn lich E velyn R o l l , d e r z u f o l g e F r ä u l e i n Ka s n e r „ i m m e r i n W e s t k l a m o t t e n " z u s e h e n g e w e s e n s ei . An ge la M erk e l s elb s t (n a c h zu les en i n i h rer B i ogra p h i e von Wo lf ga n g S t oc k ) b eh aupt et : „ Ic h h ab e p rak tis ch ni e DDR - Klam ott en get ra gen. " M anch e Zei t zeu gen allerd in gs h ab en gelegen tlich and ere Wah rn ehmun gen gemacht. So b erichtete An gela M erk els eh emaliger Math ematik - und Ph ysik leh rer lau t „BZ" vom 20. M ä r z 2 0 0 0 , d a s s e r s i e a n d e r S c h u l e „ a u c h m a l i n d e r b l a u e n B lu s e d e r F D J g e s eh en " hab e. M erk el - Bi ographin Jacqu elin e B oys en sch reibt: „Als Ki nd lernt e si e wi e s e l b s t v e r s t ä n d l i c h b e i d e s — d a s F a l t e n d e r H ä n d e z u m G e b e t wi e a u c h d a s Binden des Pionierknotens." V o r a l l e m f e h l t i n d e n g ä n g i g e n L e b e n s b e s c h r e i b u n g e n n i e d e r H i n we i s a u f n a hezu permanentes Tragen von Jeans, welche Angela von der Westverwandt s cha ft p er P ak etp ost ges chickt b ek om m en und d er DDR - Obrigk ei t zum Trot z an gezogen hab e. „In sb esond ere ih re Jeans sti eß en vor a llem b ei d en Leh rern auf M i s s b i l li gu n g " ( S c h l e y) . P a t ri c i a Le ß n e rk ra u s s c h r ei b t ü b er d i e s o zu s a g en k ec k f r e c h g ek l ei d et e j u g en d li c h e An g e l a Ka s n er , d a s s s i e „ e i n k l ei n e r P a ra d i e s vo g e l u n t e r l a u t e r g r a u e n S p a t z e n " g e w e s e n s e i . B e i M e r k e l- B i o g r a p h La n g g u t h a b e r l i e s t s i c h d i e S a c h e s o : „Un d s o li e f s i e a ls T e en a g e r a u f P a rt i e s m i t W e s t - J ea n s herum, während ihre Freundinnen zumeist Mini-Röcke bevorzugten." 36
D i es e lb e An g e la Ka s n e r, d i e a u s An gs t v o r R ep r es s a li en i n d e r S c h u l e a u s i h r em V a t e r , d e m P f a r r e r , e i n e n „ F a h r e r " g e m a c h t h a b e n wi l l , g i n g a u f d e r P e n n e a n g e b li c h s o v e r we g en B i s s i d en t i s c h i n d i e Of f en s i v e , d a s s s i e „ li n i en t r eu e Le h r e r i n end los e Di s k u s s i on en ver wi c k elt e, u m i h re S E D - We lt a n sc h au un g lä ch erli c h zu m ach en " („B Z - M erk el-Lexi k on "). „Si e n ei gt e in d er Schu le zu Wid ersp ruch ", wi ll H u g o M ü l l e r -V o g g h e r a u s g e f u n d e n h a b en . S i e wa r a u c h , i m B a c k fi s c h a l t e r v o n 1 3 J a h r e n , s c h o n s o e i n e r i c h t i g e „ Ac h t u n d s e c h z i g e r i n ", m a d e b y GD R . Im M a i 1 9 6 8 h a b e d i e „ F l o w e r - P o w e r- S t i m m u n g " An g e l a M e r k e l e r f a s s t , we i ß d a s „ B Z M erk el- Le xi k on " u n d s ch rei b t wei t er. „ Ih r e op p os i t i on ell e Ha lt u n g ge wi n n t j et zt an Profil. Sie wiegelt ihre Klassenkameraden gegen die SED-Lehrer auf." Zen t ra l b ei E rzä h lu n gen ü b er d i e „ wi d ers t ä n d leri s c h e" P en n ä leri n An ge la Ka s n e r ( S p i t zn a m e u n t e r d en Gl e i c h a l t ri g en : „ Ka s i " ) i s t d i e S t or y v o n ei n em s o g en a n n t e n S c h u l - Au f s t a n d u n t e r i h re r L e i t u n g i n d e r 1 2 . Kl a s s e . D i e s e „ E r h e b u n g " b e s t a n d d a r i n , s c h ä lt m a n d e n K e r n h e r a u s , d a s s d i e S c h ü l e r d a s v o r g e g e b e n e P r o gramm einer so genannten „Kulturstunde" eigenmächtig änderten, um einem unb eliebten Pauk er ein s auszu wisch en . Höh epu nkte: Man tru g ein hu moresk es Poem von Christian Morgenstern vor, in welch em auch ein auf ein er Mauer h oc k en d er M op s v o rk o m m t ( wa s e i n e a n k la g en d e An s p i e lu n g a u f d i e B er li n e r M a u er gewes en s ei ), und di e „In t ernat i ona le" („Völk er, h ört di e S i gna le"), das Ka mp f li ed d er i n t ern a t i on a len k om m u ni s t i sc h en B ewe gu n g, wu r d e von d e r Kla s s e n i c ht wi e l e h r p l a n m ä ß i g v o r g e s e h e n a u f D e u t s c h , s on d e rn i n en g l i s c h e r S p r a c h e a n g e s t i m m t (wa s „p rov ok a n t " gewes en s ei , wei l es s i c h d ab ei gem ä ß S E D -Di k t i on u m
die „Sprache des Klassenfeindes" gehandelt habe). Di e von 150 %i g Li ni ent reu en d es Leh rins titut s ein ges cha lt et e S tas i s oll d er „Au f s t a n d s f ü h r e r i n " An g e l a Ka s n e r d a r a u f h i n „ b e i n a h e " d e n w e i t e r e n L e b e n s w e g — d a s Ab i t u r , d a s S t u d i u m u s w. — v e r m a s s e l t h a b e n . Di e B et o n u n g l i e g t a u f „ b e i n a h e". Den n Va t er Hors t Ka s n er li eß s ei n e e xz e ll en t en B ez i eh u n gen b i s „h och hi nau f" in B erlin (Os t ), Haup t stadt d er DDR , spi elen — unt er E in scha ltun g au ch d es ih m gu t b ek annten Ch efju risten d er Kirch e im Arb eiter - und Bau ernstaat, d es s p ä t e r en b r a n d en b u rgi s c h en S P D - M i n i s t e rp rä s i d en t en u n d B u n d es m i n i s t e rs M a n f r e d S t o l p e . E r g e b n i s : Di e S t a s i v e r l o r d i e Kr a f t p r o b e m i t d e r Ka s i . D e r Ku l t u r s t u n d e n e k l a t b l i e b o h n e K o n s e q u e n z e n f ü r d i e P a s t o r e n t o c h t e r . M e r k e l - B i o g r ap h i n S c h l e y f i n d et , d i es s ei „ e i n we i t e r es In d i z fü r Ka s n ers An s eh en u n d s e i n en Einfluss im DDR-System". D i s z i p l i n a r m a ß n a h m e n g a b e s d a n n a b e r d o c h n o c h . B e t r o f f e n wa r d e r L e h r e r , d en d i e Kl a s s en - Kä m p f er u m Ka s i & C o. a u f d em Ki ek e r h a t t en . W e i l e r p ä d a g o gisch versagt habe, wurde er der Schule verwiesen. 37
Ta t s a c h e j ed en fa lls i s t , da s s An g ela Do rot h ea Ka s n er 1 9 61 i n d er Tem p li n er Goe t h e - S c h u l e e i n g e s c h u l t wu r d e u n d s p ä t e r d i e n a c h H e r m a n n M a r t e r n , e i n e m a l t k om m u n i s t i s c h en S p i t z en g en o s s en d e r S E D (u . a . wa r e r Vi z ep rä s i d en t d er D DR „Vo lk s k a m m er"), b en a n nt e E rwei t ert e Ob ers c h u le (E OS ) b e s u c h en k onn t e; wob ei zu b erü cks ichti gen is t, da ss in d er DDR da ma ls c a. 85 P rozen t d er Alt ers gen oss en An g ela s d i e E OS - Zu la s s u n g ver weh rt b li eb , n u r rela t i v wen i ge es i h r a ls o gl ei c h t u n u n d a u f d i e we i t e r f ü h r e n d e L e h r a n s t a l t w e c h s e l n k o n n t e n . M a n w e i ß , d a s s Fräulein Kasn er, P farrerstochter und Thälmannpi onierin, am 3. Mai 1970 in der St. M a ri a -M a gda len en - Ki rc h e zu Tem p li n von S up eri n t en d ent Ha n s -Ge org S c h ra m m k on fi rm i ert wu rd e. B e l egt i s t wei t e r, d a s s An ge la Ka s n er n a ch i h rer Z ei t b ei d en J u n gen P i on i eren , d en en s i e als Z wei t k lä s s l eri n b ei get r et en wa r, i m Alt er von 1 6 J a h r en M i t g li ed d er s t a a t li c h e n k om m u n i s t i s c h en J u g en d or g a n i s a t i on F DJ wu rd e (rund 55 Prozent a ller jun gen DDR -Deut sch en wa ren d ama ls m it dab ei ), wob ei si e „nach Erinnerung von Mitschülern in der FDJ in ihrer Klas s e ,führend' wa r” sowie „ Fu n k ti on en in i h rer FDJ- Gru p p e üb ern ah m " (La n ggu t h ) u nd au ch „wi e a l le a n d e ren wä h ren d d er F eri en i n Uniform ü b t e un d di e S c hu l -Na c hm i t ta ge a u f FDJ - Tr effen verbrachte" (Bärtels, „Angela Merkels Kindheit in Templin"). T a t s a c h e i s t we i t e r , d a s s „ Ka s i " i n d e r n e u n t e n Kl a s s e z u r B e l o h n u n g f ü r a u ß e r ge wöh n li c h gut e E rgeb n i s s e i m Fa c h R u s si s ch un t er d er of fi zi el l en Los u n g „M a r xi s t i s ch -len i n i s ti s ch e W elt a n s c h au un g i s t d a s fes t e Fu n d a men t d er Fr eu n d s ch a ft " anlässlich des 100. Geburtstages Lenins zur Internationa len „Russisch -Olympiade" a u f S t a a t s k o s t e n n a c h M o s k a u r e i s e n d u r ft e . Üb e r l i e f e r t i s t f e r n e r , d a s s An g e l a M erk el „fü r h erv orra g en d e ge s el ls c h a ft li c h e un d sc hu li s ch e Lei s t u n gen " n a ch d er z e h n t e n Kl a s s e u n d s p ä t e r d a n n e i n z we i t e s M a l d i e L e s s i n g -M e d a i l l e i n S i l b e r verli ehen bekam. Fakt ist schließlich, dass die Kasner - Tochter 1973 als Jahr g a n g s b e s t e i h r Ab i t u r a u f d e r E O S b a u t e u n d s o g l e i c h Z u g a n g z u m S t u d i u m a n d er R en ommi erh ochs chu le d er DDR erhi elt, d er Leip zi ger Ka rl -Ma rx - Uni versitä t, s i e a l s o n a c h An s i c h t d e r V e r a n t w o r t l i c h e n d e n o f f i z i e l l e n „ An f o r d e r u n g e n a n d e n S t u d i e n b e we r b e r " e n t s p ra c h , d i e a u c h f ü r d a s F a c h P h ys i k , f ü r d a s s i e s i c h e n t s c h i ed , g a lt en : „ Di e B e we r b er m ü s s en d u rc h i h r e b i s h e ri g en Le i s t u n g en d ok u mentieren, dass sie fähig und bereit sind , sich für unsere sozialistische Gesell s c h a f t s o rd n u n g e i n z u s e t z e n . S i e s o l l e n s i c h d u r c h s o z i a li s t i s c h e s B e wu s s t s e i n , ges el ls c h a ft li c h e Ak t i vi t ä t , u nt a d eli ges V erh a lt en , gu t e Al lg em ei n b i ld un g u nd ge festigtes politisches Wissen auszeichnen."
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Um Albert Einstein zu begreifen ... „Der Ged ank e, d en väterlichen Beru f zu ergreifen , kam ih r nicht in d en Sinn, a u c h wen n i n d e r D DR vi e l e P fa r r e rs k i n d er d en W e g i h r es V a t e rs ei n s c h lu g en ", s c h r ei b t La n ggu t h i n s ei n er An g e l a - M e rk e l- B i o g rap h i e. W a ru m n u n a b e r g e ra d e d a s P h ys i k -S t ud iu m ? Fra u M erk el erlä u t ert e wei t i m Na c hhi n ei n — i m S ept em b er 2 00 5 un d sc hi ck zu m E in s t ein- J a h r p a s s en d (5 0. Tod es t a g d es B erü h m t en ) — di e H i n t er g rü n d e i h r es E n t s c h lu s s e s i n ei n em In t e r vi e w m i t d e m M a ga zi n „C i c e r o " : „ P rä g en d en E i n f lu s s a u f m i c h h a t s i c h e r li c h a u c h Al b e rt E i n s t ei n g eh a b t , d e r j a viel meh r war als nu r ein b rillan ter Wissen schaftler. Wie b ei and eren groß en P h ys i k ern a u ch , zu m B ei sp i el We rn er Hei s en b erg u n d Ca rl - Fri ed ri c h von Wei zs äc k er, fü h rt e b ei E i n st ei n d i e wi s s en s c h a ft li ch e Au s ei n a nd ers et zu n g m i t elem en t aren Prinzipien der Schöpfung zu sehr anregenden philosophischen Ansätzen." B i ogra p h Wolf ga n g S t oc k über An g ela M erk els Fa k u lt ä t s en t s ch ei du n g von 19 73 : „ S i e i n f or m i e rt s i c h b ei B ek a n n t en ü b e r a n d e r e s t a a t s f e rn e S t u d i en fä c h er u n d e rwä rmt sich für Ph ysik. , Für Einsteins Relativitätstheorie habe ich mich intensiv int e r e s s i e r t , a l l e r d i n g s m e h r a u s p h i l o s o p h i s c h e r S i c h t . ' S i e e n t s c h l i eß t s i c h , d i e Hera u s ford e ru n g a n zun eh m en ." M erk el i m Ges p rä c h m i t Hugo M ü lle r- V ogg : „ Ic h wo l l t e d i e E i n s t ei n ' s c h e R e la t i vi t ä t s t h e o ri e v e rs t eh en , wo l l t e b e g r ei f en , wa s d i e Le u t e u m R ob e rt Op p en h ei m e r , d i e d i e At o m b o m b e g eb a u t h a b en , d a c h t en . Un d vieles mehr." Der 1879 in Ulm geborene, zunächst für eine Zeitlang in die Schwe iz, später dann für immer nach den USA ausgewanderte Albert Einstein hatte unter Hinw e i s a u f Ge f a h r e n , d i e Am e r i k a d u r c h D e u t s c h la n d d r o h e n wü r d e n , d e n U S - P r ä sidenten Roosevelt schon am 2. August 1939 zum Bau einer Atombomb e aufgef ord ert — ei n en M on a t vor Kri egs a u s b ru ch in Eu rop a , zwei ei n vi ert el J a h re v or o f f i z i e l l e r K r i e g s b e t e i l i g u n g d e r V e r e i n i g t e n S t a a t e n v o n Am e r i k a ( D e z e m b e r 1 9 4 1 ) . Na c h d e m R o o s e v e l t i m O k t ob e r 1 9 3 9 s e i n O k a y e r t e i l t h a t t e , wu r d e d a s At om b om b en vo rh a b en (Dec kna m e: „M a n h at t an P roj ec t ") u nt er Lei t u n g von J . R ob e rt Op p en h ei m e r v e r wi rk li c h t . Im Au gu s t 1 9 4 5 k a m es s c h li eß li c h zu m E i n s a t z d es e i g en t li c h d en D eu t s c h en z u g ed a c h t en M a s s en v e rn i c h t u n gs m i t t e l s g e g en d i e jap ani sch e Zi vi lb evölk erun g: Di e US- At omb omb en ford ert en Hund ert taus end e Op fer in Hiroschima und Nagasaki. D i e t i e f e V e r s t r i c k u n g E i n s t e i n s u n d O p p e n h e i m e r s , b e i d e v o m F a c h P h ys i k , i n d a s At om b om b en p roj ek t d er US- R egi eru n g zei gt b es on d ers d eu t li ch , wi e z wei f e lh a ft d i e B e h a u p t u n g i s t , d i e b e s a g t e W i s s e n s c h a ft s e i „ s t a a t s f e r n " . An g e l a M e rk e ls B ru d e r M a rc u s , a u c h er P h ys i k er , wa r — wi e b e r ei t s e r wä h n t — S t i p en d i a t der Sowjets am Atomzentrum Dubna bei Moskau, welches dem Staate zweifellos 39
besonders nahe stand; interessanterweise kam er nach der Wende in den Ge n u s s e i n e s U S -S t i p e n d i u m s . S c h l i e ß l i c h An g e l a M e r k e l s e l b s t : W a s s i e a m O s t b erli n er P h ys i k a li s c h en Zen t ra li n s t it ut Ad le rs h of a b 1 9 78 m i t ih ren Kol l eg en a u s z u t ü f t e l n h a t t e , wa r v o n d en k o m m u n i s t i s c h e n M a c h t h a b e rn u . a . d a z u g e d a c h t , d em S E D -S t a a t u nd au ch d er Ud S S R wi rt s c h a ft li ch e Vort ei le d u rc h n eu a rt i ge M e t h o d e n d e r V e r w e r t u n g s o w j e t i s c h e n E r d g a s e s i n d e r c h e m i s c h e n In d u s t r i e z u verschaffen . Und in d er Ein leitun g d er M erk el - Dissertation von 1986 hieß es: „ D i e K o h l e n wa s s e r s t o f f w a n d l u n g b e i h o h e n T e m p e r a t u r e n i n Ab w e s e n h e i t v o n S au erst off (Th erm olys e, P yrol ys e, P la s m olys e) i st gegen wä rti g und sich er auch in Zukunft von hoher volkswirtschaftlicher Bedeutung." In d e r D o k t o r a r b ei t g i n g e s n i c h t z u l e t z t d a ru m , wi e d i e Z e r f a l l s r e a k t i on e n b e i d er Abfa llen ts orgun g volks wirt scha ft lich zu nu t zen s ei en, di e DDR s ozu sa gen au s D r e c k Ge l d m a c h e n k ön n e . An g e l a M e r k e l k o n n t e i n d i e s e r F r a g e d e m Ar b e i t e r und Bau ernstaat letztlich d och k ein e entsch eid en d e Hilfestellun g leisten . Der Wi s s en s c h a ft s pu b li zi s t Ulri c h S c h na b el n ot i ert e i n d er „ Ze i t " vom 1 4 . J u li 2 00 5 : „Hä u fi g wi rd An ge la M erk e l m i t Ma rga ret Th a t c h er v erg li c h en , d i e a ls ers t e Fra u u n d Na t u r wi s s en s c h a ft l e ri n d e n S p ru n g a n ei n e R e gi e ru n gs s p i t z e s c h a fft e . . . B e v o r T h a t c h e r z u r E i s e r n e n Ka n z l e r i n a u f s t i e g , b e g l ü c k t e s i e a l s C h e m i k e r i n d i e B rit en mit d er En t wick lun g d es S oft ei s. Ein s olch er E rfolg bli eb An gela M erk el in der Wissenschaft versagt. Das Resultat ihrer Arbeit fällt eher bescheiden aus."
„Was ist sozialistische Lebensweise?" An g ela M erk e l s t u d i ert e v on 1 97 3 bi s 19 78 P h ys i k a n d er Ka r l-M a rx -Un i ve rs i t ä t . Di e Hoc hschu le in Lei p zi g wa r 1409 von Akad emik ern d er üb erhaupt ä lt est en d eu t s c h en Un i v e r s i t ä t , d e r P ra g e r, g e grü n d et wo rd en . Im Z we i t en W e lt k ri e g wu r den 80 Prozent der Leipziger Leh r - und Fo rschungs einrichtungen sowi e 70 Prozent d es B ib li oth eksb estand es du rch Lu ftan gri ffe d er „B ef rei er" verni cht et . Zah lreich e wi s s en s c h a ft li ch e Kor yp h ä en d er Un i vers i t ä t Lei p zi g k a m en i m B om b enk ri eg u m od er fielen sonstigen alliierten „Befreiun gs" - Aktion en zu m Op fer. Am 5 . M ai 1 95 3, d em 13 5 . Geb u rt s t a g von Ka rl M a rx, e rfo lgt e d i e Ta u fe d er Un i vers i t ä t a u f d e n N a m e n d i e s e s a u s d e r T a l m u d g e l e h r t e n -F a m i l i e H i r s c h e l h a - L e v i s t a m m e n d en B e g rü n d er s d e s Kom m u n is m u s . Da s h a t m a n 1 9 9 1 rü c k g ä n gi g g em a c h t . S ei t dem lautet der offizielle Name wieder, wie früher: Universität Leipzig. Au c h hi n si c ht li ch An gela M er k els Un i vers i t ä t s zei t k u rsi ere n in M ed i en E rzä h lu n g e n ü b e r A k t e d e s „ W i d e r s t a n d s " b z w. d e r W e i g e r u n g , s i c h d e m r o t e n R e g i m e zu unterwerfen. Merke! selbst stellt herau s, maßgeblich an einer zweimal die W o c h e v e r a n s t a l t e t e n „ D i s k o" i h r e r F a k u l t ä t b e t e i l i g t g e w e s e n z u s e i n , b e i we l 40
c h e n Ge l e g e n h e i t e n s i e „ a l s B a rd a m e " d i e v o n i h r b e s c h a f f t e n Ge t r ä n k e , v o r a llem „Ki rsch -Whisk y", profitabel verkauft habe. Angela Merkel wi ll dies irgend wi e a ls i h r früh es B ek en nt ni s zu r M a rkt wi rt s c h a ft m i tt en im rea l exi s t i er en d en S ozi alismus verstanden wissen. Di e a ls C DU- n a h gelt en d e C hefi n d es Al l en s b a ch er M ei nu ngs fors c h u n gs i n s ti tu t s , P r o f. D r. E li s a b et h N o e l l e, m e i n t e es v e rm u t li c h b e s on d e r s gu t m i t d e r V o rs t eh er i n d er C h ri s t d e m ok ra t en , a ls s i e a m 1 7 . N o v em b e r 2 0 0 4 i n d e r „ F ra n k fu rt e r Al lgem ei n en " u nt er d er S c h la gze i le „S i e gi lt a ls k lu ge Fra u " ü b er M erk els Lei p zi ge r S t u di u m i n di e W elt s et zt e: „ Ab e r d i e ei gen t li c h vorg es c h ri eb en en m a rxi s t i s ch en B e g l e i t k u r s e b e s u c h t e s i e n i c h t . " M e r k e l s e l b s t s t e l l t i h r e T e i l n a h m e a m ob l i g atorischen marxistisch -leninistischen Ausbildungsprogramm d er Universität nicht in Ab r e d e . Al l e r d i n g s f ü h r t s i e f ü r s i c h i n s F e l d , d a s s i h r e A b s c h l u s s a rb e i t i n M a r xi s m u s -Len i n i s m u s zu m Th em a : „ Wa s i s t s ozi a li s t i s ch e Leb en s wei s e ?" s ei n er zei t „ v i e l K r i t i k g e e r n t e t " h a b e — we i l „ z u v i e l ü b e r d i e B a u e r n u n d z u we n i g ü b e r die Arbeiterklasse" enthalten gewesen sei. N a c h p r ü f b a r i s t d a s n i c h t . D e n n d i e s c h r i f t l i c h e n A r b e i t e n An g e l a M e r k e l s i m universitären Pfllichtfach Marxismus- Leninismus sind samt und sonders irgend wie p e r d u g e g a n g e n , g e l t e n j e d en f a l l s a l s n i c h t m e h r a u f fi n d b a r . Au c h i h r E l a b o r a t „Wa s i st s ozia li sti sch e Leb en swei s e?" i s t — s o Mü ller- Vogg — „i n d en Ak ad emi eAk t en nicht m eh r zu find en ". Fra u M erk el m acht gelt end , üb er k ein erlei Abs chrift o d e r Ko p i e z u v e r f ü g e n . Au c h P r o f . La n g g u t h s c h r e i b t i n s e i n e r 2 0 0 5 e r s c h i e n e nen Biographie der CDU- Chefin: „Bislang ist keine jener Arbeiten Angela Mer k els zu Fragen des Marxismus-Leninismus aufgetaucht." N a c h Ab s c h lu s s i h r e s S t u d i um s (Di p l o m : 1 9 7 8 ) e rh i e lt An g e la M e rk e l „ ei n e d e r begehrtesten St ellen an der Akademie d er Wissenschaften, der zentralen For s chun gsakad emi e d er DDR, und zwa r a m Zent ra lins titut für Ph ys ik a li sch e Ch emi e (Z IP C )", wi e ih re Bi ographin S ch ley s ch reib t. Am ZIP C , B erlin- Ad lersh of, gab es d a m a l s a l l e s i n a l l e m ru n d 6 0 0 M i t a rb ei t er . An g e la M e rk e l wi rk t e i n ei n em B ü r o i m „Di en s t geb ä ud e 2 .1 4 ". Ih r Fa c h geb i et wa r d i e Qu an t enc h em i e. S c h le y wei t er: „ D i e M i t a r b e i t e r d e r Ak a d e m i e g e n o s s e n i n d e r a n g e b l i c h k l a s s e n l o s e n G e s e l l schaft d er DDR gewisse Freih eiten und verfü gten üb er ein en im Vergleich zur d u rc h s c h n i t t li c h e n D D R -B e v ö l k e r u n g g e h o b e n en L e b e n s s t a n d a rd . " D a s M on a t s g e h a l t d e r u n v e r h e i r a te t e n u n d k i n d e r l o s e n P h ys i k e r i n l a g z u l e t z t b e i we i t ü b e r du rch schnit t lich en 1012 Ma rk. M erk el -Bi ographin B oys en : „Au f Kon gres s en , zum B ei s p i e l b ei d en r e g e lm ä ß i g a b g eh a lt en en Arb ei t s t a gu n g en d er Qu a n t en c h em i k e r im Ostseeb ad Küh lun gsb orn, wo auch die jun ge Gru nd lagen forsch erin An gela M e rk e l i h r e Ar b ei t d e r F a c h öf f en t li c h k ei t v o rs t e l l t e, t ra f en s i c h Wi s s en s c h a ft l e r unterschiedlicher Nationalität ... Angela Merkel hatte diverse Male Gelegenheit, 41
lä n ger e Zei t a m H e yr ovs k y- In s t it ut an d er Ak a d em i e d er Wi s s en s c h a ft en i n P ra g zu arbeiten." Au c h b e zü g li c h An g e la M e rk e l s W i rk en a m In s t i t u t Ad l e rs h o f d e r Ak a d e m i e d e r W i s s en s c h a ft en b e g e gn et m a n i n B i o gra p h i en g e l e g en t li c h H i n wei s en a u f a n g eb l i c h wi d e r s t ä n d l e r i s c h e b z w. wi d e r s p e n s t i g e H a n d l u n g e n d e r P o r t r ä t i e r t e n . S o h ei ß t e s b ei E v e l yn R o l l ü b er d i e Ge wi e ft h ei t en d er An g e la M erk e l, s i c h a n o f fi z i e l l en P rop a ga n d a -V e ra n s t a lt u n g en , wi e e t wa d en 1 . M a i -D e m on s t ra t i on en , v orb ei zu m o g e ln : „S i e h a t s i c h ge d rü c k t , wa n n i m m e r e s gi n g, h a t s t a t t d e s s en li eb e r b ei m Tellera b wa sch geh olfen i m R atsk eller Köp enick od er — gan z li sti g — ein en R ec h n ert a g ei n gel egt a m In s t i t u t sc om p ut er. " (R ol l h a t ü b rigen s , li s t i ger wei s e, i hr e r M e r k e l- B i o g r a p h i e e i n e n A u s s p r u c h v o n M a x F r i s c h v o r a n g e s t e l l t : „ J e d e r Mensch erfi ndet sich früh er oder spät er ein e Geschichte, die er für sein Leb en hält. Oder eine ganze Reihe von Geschichten.")
Agitation in der blauen Bluse W a s n u n d i e La u f b a h n v o n A n g e l a M e r k e l i n d e r „ F r e i e n D e u t s c h e n J u g e n d " b et ri fft , d er DDR- S t a a t s ju gen d orga n i s a ti on , wi ll m a n wei s m a c h en , d a s s s i e di e E nt s c h e i d u n g z u m M i t m a c h e n n i c h t , wi e e i n S c h u l f r e u n d s i c h e r i n n e r t , „ s e l b s t u n d g a n z v o n s i c h a u s g e t r o f f e n " h a b e u n d a u c h n i c h t e t wa „ g l ü h e n d e F D J - Ak t i v i st i n " ( „ B e r l i n e r M o r g e np o s t " , 1 8 . S e p t e m b e r 2 0 0 5 ) g e we s e n s e i , s on d e r n d a s s e s s i c h b e i i h r e m B e i t r i t t a l s S e c h z e h n j ä h r i g e — ä h n l i c h wi e z u v o r b e i i h r e m An schluss an die Jungen Pioniere — um „ein Schutzprogramm" gehandelt habe. S p rich : FDJ -Gen os sin s ei An gela M erk el nu r zu r Ta r nun g gewes en . Und Bi ograph Wolfgang Stock tischt folgende Geschichte über das angeblich jähe Ende des „S chut zp rogram ms " au f: „Nach ein er FDJ -Weihn acht sfei er gibt es Krach, wei l si e d a s c h ri s t li c h e Li ed , E s i s t e i n R os ' en t s p ru n g en ' a n g e s t i m m t h a t . Da m i t i s t M e r kels FDJ-Karriere schnell beendet." N a c h g e wi e s e n i s t , d a s s An g e l a M e r k e l n i c h t n u r a l s J u g e n d li c h e , s on d e r n a u c h n o c h — a b 1 9 7 8 — a l s e r wa c h s e n e V o l l a k a d e m i k e r i n a n d e r Ak a d e m i e d e r W i s s en s c h a ft en d e r DDR , wo m a n lä n g er a l s i n a n d er en B e r ei c h en , n ä m li c h b i s zu m 30. Lebensjahr, der FDJ angehören konnte, bei den roten Blauhemden rührig wa r . B e i Hu g o M ü l l e r - V o g g, M e rk e ls H o fb i o gra p h en , r ed uz i e rt s i c h d a s a u f „ ei n k l ei n es P ös t c h en a l s F DJ -Ku lt u rb e a u ft ra gt e a m In s t i t u t ". An g e l a M e rk e l s ei g en e E rk lä run g zu ih ren Ad lersh ofer FDJ -Ak t i vitä t en : „Ic h hab e Th eat erka rt en b es orgt , B u c h l es u n g en o rga n i s i e rt , z. B . d i e B ü c h e r j ü n g e r er s o wj et i s c h er S c h ri ft s t e l l e r, V o rt rä g e. Au c h a l l e s , wa s z wi s c h en d en Z ei l en k ri t i s c h g eg e n ü b er d e r D DR wa r, h a t u n s i n t e r e s s i e r t . " W o l f g a n g S t o c k z u m T h e m a An g e l a M e r k e l u n d d i e F D J : 42
„Aus der Einstellung, ,etwas für den Menschen tun zu wollen', lässt sich ihre FDJ-Arbeit erklären. Sie sieht diese Mitgliedschaft als Möglichkeit zur Organisation von kulturellen und sportlichen Veranstaltungen sowie als Hilfeleistung bei sozialen Problemen, nicht als politische Arbeit unter jungen Menschen.” Spätestens hier aber wird es denn auch Biographin Evelyn Roll zu bunt: Angela Merkel habe, betont sie, „als Schülerin das blaue Hemd einer Organisation getragen, die in der Bundesrepublik als verfassungsfeindlich erklärt war" (gemeint ist die FDJ); auch sei Merkel, wie es bei Roll weiter heißt, „tatsächlich FDJ-Sekretärin für Agitation und Propaganda an der Akademie der Wissenschaften" gewesen. Biographin Jacqueline Boysen hält fest: „Angela Merkel übernahm ganz selbstverständlich eine Funktion im Sekretariat der FDJ- Grundorganisation an ihrem Institut. Zwang oder Überredung waren nicht notwendig ... Während Kollegen von damals sich an Angela Merkel in der Position der FDJ-Sekretärin für Agitation und Propaganda erinnern, beschreibt sie selbst ihre damalige Aufgabe in der staatlichen Jugendorganisation als die einer Kulturfunktionärin." Seit Anfang 1984 dann sei „die Doktorandin nicht mehr in der FDJ- Leitung aktiv" gewesen, „um sich ungestört auf ihre Dissertation zu konzentrieren", teilt Boysen weiter mit. „Professor Hans- Jörg Osten war mehrere Jahre lang der FDJ- Sekretär am Institut, Merkels FDJ- Chef also gewissermaßen", fährt Evelyn Roll fort. Sie zitiert einen Bericht Ostens, demzufolge Angela Merkel sich „vor allem um das so genannte Studienjahr zu kümmern hatte, eine monatliche Zwangsveranstaltung zur politischen Weiterbildung". 2001 wurde Prof. Osten hinsichtlich Angela Merkels FDJ-Aktivitäten von „rbb-online" wie folgt zitiert: „Sie hat sich da sehr engagiert Wir waren auch zusammen im Ferienlager, sie hat die älteste Mädchengruppe betreut." Prof. Langguth wiederum schreibt in seiner Merkel-Biographie von 2005: „Osten kann sich nicht an die genaue Funktion seiner damaligen Kollegin erinnern, wohl aber daran, dass sie in dem vier- bis fünfköpfigen Leitungskreis unter anderem für das ‚Studienjahr' verantwortlich war — worunter ,politische Bildung' und die Vermittlung des Marxismus-Leninismus verstanden wurde." Zu Beginn ihrer Karriere als Bundesministerin übrigens hatte Angela Merkel in einem Interview mit der „Ostsee- Zeitung" geäußert. „Wir müssen lernen, über unsere eigene Vergangenheit zu sprechen. Wenn ich heute durch die neuen Bundesländer reise, habe ich den Eindruck, dass niemand in der Gewerkschaft, der Partei oder der FDJ war. Es gibt nur den Schrei nach vier oder fünf Leuten, die man an der Fahnenstange hängen sehen will."
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Mit der Stasi in Büro und Hausflur Im Physikalischen Zentralinstitut der Akademie der Wissenschaften arbeitete An gela Merkel Schreibtisch an Schreibtisch mit Frank Schneider, der auf den Spitznamen „Schnaffi" hörte und sich später als langjähriger Zuträger des Ministeri ums für Staatssicherheit entpuppte (IM „Bachmann"). Merkel-Biographin Boysen: „,Schnaffi' berichtete seinem Führungsoffizier, dass die Kollegin Merkel eine ,saubere politische Haltung' vertrete. Sie wäre nach ihren eigenen Aussagen we niger von ihrem kirchlichen Elternhaus geprägt als vielmehr durch Schule und Studium, würde sich Argumenten zugänglich zeigen und offen ihre Meinung sa gen. Haltung und Handlungen — so die Beobachtung des IM — stimmten bei ihr überein." IM Bachmann alias Schneider alias Schnaffi schnüffelte bis in den Intimbereich der Auszu forschenden hin ein. Er gab bei der Stasi u. a. von ihm registrierte „mehrere Liebschaften" zu Protokoll und dass er gelegentlich einen der Liebhaber nur im Bademantel bekleidet in der Wohnung seines Ausspähungsopfers vor gefunden habe. Zugleich betonte er, dass Angela Merkel über eine „politisch po sitive Grundeinstellung" verfüge. Wenn nun Prof. Langguth den Eindruck gewonnen hat, dass Frau Merkel in der DDR „ihr Engagement nie so weit trieb, dass auch nur ein Hauch einer wirk lichen Opposition spürbar gewesen wäre", so lässt sich jedenfalls ziemlich sicher sagen, dass die Stasi tatsächlich keinen Hauch verspürte. In diesem Zusammenhang bleibt nachzutragen, dass Angela Merkel 1992 von einem Stasi- Anwerbeversuch berichtete, der sich 1978 abgespielt habe. Geschehen sei es, als sie sich um eine Forschungsstelle an der Hochschule in Ilme nau beworben h ab e. Z wei Agen te n d es M fS h ätten si e in ei nem Treppenhaus der Hochschule eine halbe Stunde lang bedrängt. Sie aber habe das Duo abblitzen lassen und schließlich mit der Drohung vertrieben, dass sie den Versuch, sie als Spitzel zu keilen, an die große Glocke hängen werde. Jacqueline Boysen schreibt dazu in ihrer Merkel-Biographie von 2005: „,Bild' und ,BZ' schmückten die Details zu diesem Anwerbungsversuch der Stasi weidlich aus: Scheinwerfer hätten die gnadenlosen Offiziere auf Angela Merkel gerichtet — ein für Anwerbungsversuche im Treppenhaus einer Hochschule wohl doch eher untypisches Szenario. In den Akten der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen der Staatssicher heit wiederum, wo ein solcher Vorgang üblicherweise Spuren hinterlassen hätte, finden sich darauf bislang keine Hinweise." Recherche ist hier übrigens beson ders schwierig: „Angela Merkel lässt keinen Einblick in die Stasi- Unterlagen zu." (Langguth).
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M a t t h i a s Kr a u ß , d e r p o l i t i s c h l i n k s a n g e s i e d e l t e B i o g r a p h v o n An g e l a M e r k e t , m a c h t s i c h we g en i h r er W e s t r e i s e 1 9 8 6 ei n i g e Ge d a n k en : „ M i t 3 2 d u r ft e An g e la M erk el zu r Hoc h zei t i h rer C ou s in e n a ch Ha mb u rg. Ob woh l s olc h e R ei s en vi e l öf ter stattgefunden haben, als man heute gemeinhin annimmt — eines jedenfalls war n icht alltäglich : Dass ein e jun ge, geschied en e und kind erlose Ostb erlin er Ak a d e m i e wi s s e n s c h a f t l e r i n m i t k i r c h l i c h e m E l t e r n h a u s 1 9 8 6 b e i n a h e m i r n i c h t s d i r n i c h t s n a c h H a m b u r g f u h r . N i c h t z u m B ru d e r o d e r z u d e n E l t e r n . N i c h t z u m O n k e l o d e r z u d e n G r o ß e l t e r n . N e i n , z u V e r wa n d t e n d ri t t e n Gr a d e s , wi e d a s d am a l s h i eß . Zu d i es e m u n g eh eu r en V e rt ra u en s b e we i s k a n n m a n i h r i m Na c h h i n e i n n u r n oc h g ra t u li e r en . Un d An g e l a M e rk e l h a t d a s i n s i e g es e t zt e V ert ra u en n i c h t enttäuscht." Übrigens wei lt e Angela Merk el wenige Ta ge vor dem Mauerfall 1989 erneut in Hamburg, diesmal zum 85. Geburtstag ihrer Großtante Emilie („Tante Emmy"(.
Moskauer Nächte/California Dreamin' Einen vielleicht noch bemerkenswerteren „Vertrau ensbeweis" ab er brachte die DDR d em lan gjäh ri gen Leb ens gefäh rt en An gela M erk els, P rof. Dr. J oach im Sau er, en t geg en , d er s ei t 1 9 98 ih r zwei t er E h ega t t e i s t . B i ogra p h La n ggu t h : „ In t ere s s a n t i s t , d a s s S a u e r n oc h zu r DDR- Z e i t , n ä m li c h 1 9 8 8 u n d 1 9 89 , fü r i n s g e s a m t s ec h s M onat e ein Forschun gsau fentha lt b ei P rofes s or R einha rd Ahlri chs vom In s titu t fü r Physikalische Chemie der Universität Karlsruhe genehmigt wurde." Einen „Dank an Dr. Joachim Sauer für kritische Durchsicht des Manuskriptes" e n t h i e l t An g e l a M e r k e l s a m 8 . J a n u a r 1 9 8 6 b e i d e r Ak a d e m i e d e r W i s s e n s c h a ften der DDR, Zentra linstitut für Ph ysikalische Chemi e, P rofess or Dr. Lut z Zü licke, ein gereicht e Arb eit zu r E rlangun g d es Dokt orgrad es d er Natu rwi s s ens cha ft en (Dr. rer. n a t . (. Di e ei n hun d ert d reiu nd fün fzi g S c h rei b m a s ch in ens ei t en u m fa s s en d e Di ssertationsschri ft trug den Tit el: „Unt ersuchung des M echanismus von Zerfa lls reak ti on en mit ein fach em Bindun gsb ruch und B erechnun g ih rer Ges ch windi gk eit s konstanten auf der Grundlage quantenchemisch er und statistischer M ethoden ". Der Dank d er Dokt orandin für Du rch sicht sdi en st e ga lt „j enem J oachi m Sau er, d er ihr guter Freund und damals noch verheiratet war und den sie 13 Jahre später selbst heiraten sollte". (Nicole Schley(. Üb er S a u er s p ä t er m eh r. Nu r ei n es s c h on vor weg : S ei n ra d i k a ler Ta p et en wec h s el k u rz n ach d em M au erfa l l — von Os t b erli n n a c h S an Di eg o/ Ka li forn i en — k ön n t e auch von Einfluss auf den Paradigmen wechsel zugunsten der USA b ei Merk els V o r m a c h t -V o r l i e b e g e w e s e n s e i n . L a n g e n ä m l i c h wa r s i e v o n d e r S o w j e t u n i o n hingerissen. So liest man bei ihrer Biographin Boysen: „Angela Merkel hatte seit 45
ihrer Schulzeit ein Faible für die Sowjetunion und nahm begeistert am Aus t a u s c h p r o g r a m m d e r Ak a d e m i e d e r W i s s e n s c h a f t e n t e i l . " D i e s e s „ F a i b l e " h a t t e sie b eispielsweise auch zu ein er woch en la n gen „Tramp - Tou r" 1983 du rch die Uni on d er S ozi a li sti sch en S owj et repub lik en veran la ss t, di e bi s nach B aku a m Ka s p i s c h en M e er fü h rt e. Au ß e rd em s ei es , s o d a s „M u n zi n g e r - Ar c h i v ", An g e la M e r kels „ursprünglicher Berufswunsch" gewesen, Lehrerin für Russisch zu werden. Als n un ab er ih r Leb en sgefäh rt e Dr. Sau er, ein e Kor yp hä e au f d em Geb i et d er ch emi sch en Fors chun g in d er DDR, Fa ch gebi et : Zeoli th e, 1990/91 a ls h och d oti er ter Deputy Technical Director bei Bios ym Technologi es Inc. im kalifornischen San Di ego wi rk en k onnt e, st i eg An gela M erk els Am erikab egeis terun g in st ei le Höh en. Seither auch ist speziell Kalifornien erklärtermaßen ihr „Traumland". La n ge b evor ihr Ca li forni a Drea min ' b egann, a ls o n och in Zei t en, a ls si e eh er von M o s k a u e r N ä c h t e n t rä u m t e , h a t t e An g e l a Ka s n e r 1 9 7 7 i n e r s t e r E h e U l r i c h M e r k el, ein en Kom mi lit on en an der Fa ku ltät fü r Ph ys ik d er Univers itä t Lei p zi g, geh ei ratet. Die b eiden waren sich bei gemeinsamer Teilnahme an einem Studenten a u s t a u s c h m i t d e r S o wj e t u n i o n n ä h e r g e k o m m e n . D i e R e i s e h a t t e n a c h M o s k a u und Leningrad geführt. Ulrich M erk el stammt au s dem thü rin gisch en Vogtland . Sein em Vater geh örte d o r t , b i s e r v o n d e n Ko m m u n i s t e n e n t e i g n e t wu r d e , e i n m i t t e l s t ä n d i s c h e r T e x t i l b e t r i e b . D i e k i r c h l i c h e T r a u u n g An g e l a K a s n e r s m i t U l r i c h M e r k e l f a n d i n d e r Geo rg en -Ka p el le zu Tem p li n s t a t t. Der wei h evo l le Ak t wu r d e von ei n em b efreu n d et en P farrer vollzogen , nicht von Vat er Ka sn er. Das s b ei An gela M erk el vi el Li e be in der Beziehung zu ihrem erst en Mann im Spiel gewesen wäre, kann man den Quellen nicht gerade entnehmen. Sie sagt selbst: „Hauptgrund für die s c h n e l l e H ei ra t i s t g e we s en , d a s s es ei n e C h a n c e, g em e i n s a m ei n en Arb ei t s p la t z am gleich en Ort zu b ek ommen , nu r dan n gab, wen n man verh eiratet war." Die „Berliner Morgenpost" schrieb dazu am 18. September 2005: „Angela Merkel macht heute keinen Hehl daraus, dass die Heirat handfeste Gründe hatte. Ge meinsamen Arbeitsp latz und Wohnung gab es b evorzugt für Eheleute." Merk el Biograph Matthias Krauß ergän zt: „Ein zin sloser Eh ek redit in Höh e v on 5000 DDR-Mark war auch nicht zu verachten." E s d a u e r t e n i c h t a l l z u l a n g e , d a l i e ß An g e l a M e r k e l i h r e n e r s t e n Ge m a h l f a l l e n . D i e T r en n u n g gi n g v on i h r a u s . B i o g ra p h i n Le ß n erk ra u s : „ D a s j u n g e P a a r fi n d et i n d er B e r li n e r M a ri en s t ra ß e e i n e Hi n t erh o f woh n u n g . . . U lr i c h M e rk e l r en ovi e rt nach Feierab end die ziemlich heruntergek ommene Wohnung. 1981 ist er fertig u n d z u f ri e d e n m i t d e r R e n o vi e r u n g, d a v e r l ä s s t i h n s e i n e F r a u . " D i e S c h e i d u n g erfolgt e 1982, nach knapp fünf Ehejahren. Angela Merkel konnte es im Nach 46
hinein offenbar gar nicht schnell genug gegangen sein. „Nach drei (I) Jahren waren wir wieder geschieden", erzählte sie 1991 der Journalistin Koelbl. Ulrich Merkel hat es übrigens zum Dozenten an der Humboldt-Universität gebracht. Politisch soll er ein Anhänger der Grünen sein.
„Angies" Traumland Laut Biographin Leßnerkraus hat Angela Merkel den fünf Jahre älteren, an der Akademie der Wissenschaften bereits arrivierten Chemiker Dr. Sauer, ihren späteren zweiten Ehemann, „Anfang der 80er- Jahre" in Ostberlin kennen gelernt. Leßnerkraus weiter. „In der Kantine (der Akademie) beim gemeinsamen Mittagessen soll es geknistert hab en." Bei Langguth liest sich der Sachverhalt so: „Sauer war bereits einmal verheiratet. Aus dieser im Jahre 1969 geschlossenen Ehe mit einer einstigen Klassenkameradin, einer diplomierten Chemikerin, gingen zwei Söhne (Daniel und Adrian) hervor. Sauers erste Frau, die lange Jahre wegen der Kindererziehung nicht berufstätig war, arbeitete später als Lektorin. Angela Merkel war zeitweise im Hause Sauer eingeladen. Sauer zog 1983 aus der gemeinsamen Wohnung aus. 1985 erfolgte die Scheidung ... Die beiden Söhne lebten nach der Trennung bei der Mutter." Joachim Sauer ist am 18. April 1949 als Sohn eines Konditors in Hoyerswerda/ Sächsische Schweiz (nach anderen Angaben: Chemnitz) geboren worden. Ab 1967 studierte er Chemie an der Humboldt- Universität, 1972 machte er sein Diplom, 1974 promovierte er, ab 1977 arbeitete er an der Akademie der Wissenschaften, 1982 erhielt er den Friedrich-Wöhler -Preis der Chemischen Gesellschaft der DDR, 1985 habilitierte er sich an der Ostberliner Akademie. Zu dieser Zeit war Angela Merkel, seine Geliebte, mit ihrer Doktorarbeit beschäftigt, die von ihm, wie bereits erwähnt, „kritisch durchgesehen" wurde. Langguth: „Häufig wurde Sauer seitens der Akademie nach Prag ‚delegiert', wo ihm Forschungsaufenthalte bei dem bedeutenden tschechischen Wissenschaftler Rudolf Zahradnik vom Heyrovsky-Institut ermöglicht wurden. Sauer und Merkel hatten sich gelegentlich in Prag getroffen. Auch Angela Merkel war sehr häufig bei Zahradnik." Sauers Verpflichtung nach Kalifornien, wo er 1990/91 als Forschungsdirektor, Spezialgebiet: Katalyse, bei Biosym Inc. wirkte, geschah zu einer Zeit, als sich „Headhunters" im Auftrag von US- Konzernen mit dicken Scheckbüchern im zerbröckelnden Ostblock nach Experten „umschauten". Bei Biosym — gegründet 1984 von Arnold T. Hagler, seit 1992 Teil des internationalen Corning- Konzerns — handelt es sich um ein führendes Unterneh men der biochemischen Industrie der USA. Von der internationalen Reputation zeugt die enge Kooperation u. a. mit 47
d e r H i g h- T e c h - In d u s t ri e d e s S t a a t e s Is r a e l ( s i e h e : „ C o o p e r a t i on B e t we e n Is r a e l and th e Sta t e of C a li fornia ", www. j ewi s h vi rtua llib ra ry. org). An gela M erk el st att ete ihrem „Achim" ausged ehnte Besuche an sein er neu en Wi rkungsstätte in San Di ego a b . Als o t ri f ft d i e gä n gi ge Da rs t e llu n g n i c ht zu , ih re US -R ei s e a l s B u nd esm i n i s t e ri n v om 1 1 . b i s zu m 17 . S ep t e m b er 1 9 9 1 , b ei d e r Ka n z l e r Koh l s i e i n Wa s h i n gt on d e m P rä s i d en t en B u s h s en i o r a l s „ m ei n e N eu e " vo r s t e l lt e, s ei i h r e rs t e r Amerikatrip gewesen. Ka li forn i en , J oa c hi m S au ers vorü b erg eh en d e n eu e Hei m a t , wa r von d en S p an i ern i n B e s i t z g e n o m m e n w o r d e n u n d g e h ö r t e d a n n z u M e x i k o . Au c h d i e R u s s e n u n t erh i elt en d ort ei n s t S t ü t zpu nk t e. E rs t M i tt e d es 1 9 . J a h rhu nd ert s ri s s en d i e US A d a s La n d a n s i ch . Di e In d i a n erfra g e fü h rt e m a n d er ü b li c h en a m eri k an i s ch en E ndl ö s u n g z u . D i e l e t z t e n n o c h „ i n f r e i e r W i l d b a h n " l e b e n d e n „ R o t h ä u t e " wu r d e n n a ch E nt d ec kun g ge wa lt i ger Gold v ork om m en „e rl egt ". S i e h ä t t en b ei d er Au s b eut un g vi el lei c h t s t ören k ön n en. Der Gold ra u s c h b rac ht e a u ch rei c h li ch n eu es Geld i n di e Ka s s en d es n ord a m eri k a n i sc h en Groß k a pit a ls , welc h es n i c h t zu let zt d er Fi nanzierung des Ausgreifens der USA in den karibischen und den pazifischen Raum zugute kommen konnte. In d en e r s t en J a h r z eh n t en d es 2 0 . J a h rh u n d e rt s et a b li e rt e s i c h i m k a li fo rn i s c h en Hol l ywood , vor d en To ren vo n Los An g el es , ei n e a u fb lü h en d e Fi lm i n du s t ri e, d i e i n d e n 1 9 3 0 e r - J a h r e n d u r c h er f o l g r e i c h e Ko n k u r r e n z a u s E u r o p a ( U f a , P ot s d a mB a b els b erg; C i n ec i t tä , R om ) a u f d em i n t ern a ti on a len M a rkt i n B ed rä n gn i s geri et . D e r S t u r z d e s F a s c h i s m u s i n It a l i e n 1 9 4 3 u n d d i e N i e d e r l a g e d e s N a t i on a l s o z i al i s m u s i n D eu t s c h la n d 1 9 4 5 k l ä rt e d i e W e t t b e we r b s s i t u a t i on g rü n d li c h . E n d e d e r 1 9 9 0 e r -J a h r e wu rd e e i n er b r ei t e r en Öf f en t li c h k ei t b ek a n n t , d a s s H o l l ywo o d - P r odukti on en d urch Fi lm fond s, derer s ich gewi eft e An leger b edi en en, m it jäh rli ch ca. anderthalb Milliarden Euro aus bundesrepublikanischem Steu ergeld subvention i ert we rd en . B ra nc h en in t ern b ezei c h n et m a n d i es e M i tt el i n Am eri k a a ls „s t u p id G e r m a n m o n e y" . S o k a n n m a n a l s o s a g e n , d a s s d i e k a l i f or n i s c h e „ T r a u m f a b ri k " ü b er d en oh n eh i n s c h on rei c h e n R ei b a c h d u rc h s t a rk en Ab s a t z i h r e r P r od u k t e i n D e u t s c h l a n d s Li c h t s p i e l h ä u s e r n u n d T V -An s t a l t e n h i n a u s a u c h n o c h e r h e b l i c h vom Steuergeld der Deutschen zehrt. Ka li forni ens Au fsti eg nach 1945 zu ein em füh rend en Tec hnologi e- St aat wi ed erum wu r d e d u rc h d e n E r t r a g d e r U S -B e u t e k o m m a n d o s b e i d e n B e s i e g t e n b e g ü n s t i g t . In s b e s o n d e r e d i e n a c h d e m Z w e i t e n W e l t k r i e g a u f In i t i a t i v e d e s P e n t a g o n s g e g r ü n d e t e R AN D C o r p o r a t i o n m i t S i t z i n S a n t a M o n i c a / Ka l i f o r n i e n wa r f ü r d i e Au s wert u n g d er Au s b eu t e zu s t ä n d i g. Wa s a n b erei t s ver wi r k li c ht en od er n oc h im Versuch sstadium b efin d lich en Technik en aller Art im n ied ergeworfen en Deuts c h en R e i c h 1 9 4 5 v o r g e f u n d en wo r d e n wa r , h a t t e d en a l l i i e r t e n E x p e r t en s c h i e r 48
d e n At e m v e r s c h l a g e n . D i e d e u t s c h e W i s s e n s c h a f t wa r d e r U S- a m e r i k a n i s c h e n auf zahlreichen Feldern weit voraus, in einigen Bereichen sogar um Jahrzehnte. „Deutsch land gibt sein e reichsten Geh eimnisse preis", schlagzeilte der „News C h r on i c l e " a m 2 1 . F e b r u a r 1 9 4 6 ; s e i t en we i s e b e r i c h t e t e d a s B l a t t ü b e r s e n s a t i o n e l l e W i s s e n s c h a ft s f u n d e b e i d e n D e u t s c h en , wo b e i d i e „ Au s w e r t u n g d e r S c h ä t z e d e n F o r t s c h r i t t a u f v i e l e J a h r e b e s t i m m e n " w e r d e . Im O k t o b e r 1 9 4 6 s c h r i e b „Harp er's Magazin e", die Zah l d er in Deutsch land erb euteten Ak ten stü ck e mit wi s s e n s c h a f t l i c h e n G e h e i m n i s s e n s e i a u f e i n e D r e i v i e r t e l m i l l i o n a n g e wa c h s e n ; u m d i e d e u t s c h e n E n t wi c k l u n g e n d e n a n g l o p h o n e n E x p e r t e n b e k a n n t z u m a c h e n , s e i ei g en s „ ei n d eu t s c h - en g li s c h e s F a c h wö rt e rb u c h m i t et wa vi e r zi gt a u s en d n eu e n t ec h n i s c h en u n d wi s s en s c h a ft li c h e n Au s d rü c k en " v e rfa s s t wo rd en . Au ß e rd em griffen sich die USA Hunderte Genies aus dem geschlagenen Großdeutschen R e i c h . Di e R a k e t e n - u n d R a u m f a h rt p i on i e r e u m W e r n h e r v o n B r a u n s i n d d i e b e kanntesten Beispiele. E n d e d e r 1 9 8 0 e r , An f a n g d e r 1 9 9 0 e r J a h r e f a n d d a n n e i n e r n e u t e r „ b r a i n d r a i n " s t a t t . D i e s m a l wa r e s d e r Z u f l u s s v o n W i s s e n s c h a f t l e r n a u s d e m b e r s t e n d e n O s t b lock . Da von p rofiti ert en di e US A i m Allg em ei n en und di e in Ka li forni en an sä ssi gen Konzerne insbesondere. Die breite Öffentlichk eit glaubt aufgrun d der gän gigen Berichterstattung, dass s i c h An gela M e rk el m i t i h rem E h em a n n ü b li ch erwei s e i n i hrer n oc h a u s DDR - Zei ten stammenden uckermärkischen „Datsche"" einem See beim Örtchen Hohen wa ld e n a h e T em p li n zu r ek rei er en p fle g e ( we lc h es , ei n s t ei n e k lei n e K a t e n u r, i n z wi s c h en zu ei n em v on h oh en Fi c h t en u m g eb en en v e ri t a b le n La n d h a u s v on z we i Geschossen geword en ist). So schreibt das meist aus Selbstauskünften der Por t r ä t i e r t e n s c h ö p f e n d e „ M u n z i n g e r -A r c h i v " : „ D a s E h e p a a r z i e h t s i c h a n g e m e i n s am en frei en Ta g en in s Feri enhau s in Temp lin zu rück . " Im „ Ka ndid at ench eck : Ang e l a M e r k e l " d e s „ K ö l n e r S t a d t - An z e i g e r s " , 1 2 . S e p t e m b e r 2 0 0 5 , h i e ß e s : „ S i e en tsp annt am lieb sten im Ferienhau s in d er Uck ermark , wo d er eigen e Garten g e p f l e gt wi rd . " Da zu p a s s en h ä u fi g e M e rk e l -W en d u n g en i n In t er vi e ws wi e : „ F ü r mich ist das Bodenständige sehr wichtig." Wa h r i s t a lle rd i n gs a uc h , d a ss Ka li forn i en s ei t S a u ers v on B i os ym In c . ve rs ü ß t en T a g e n v o n S a n D i e g o z u d e n b e v o r z u g t e n U r l a u b s z i e l e n An g e l a M e r k e l s u n d i h r e s M a n n e s g e h ö r t . B i o g r a p h i n Le ß n e r k r a u s : „ Im W i n t e r t r i f f t m a n d a s E h e p a a r b ei m S k i la n g la u f i n d e r S c h we i z a n , i m F r ü h li n g od e r S om m e r zi eh t e s s i e n a c h It a li en , a u f La Gom e ra od er i n M erk els Li eb li n gs la n d Ka li forn i en . " La n ggu t h b e ri c h t et ergä n zen d , d a s s s i ch Sa u er/ M erk el „ö f t er zu m Wa n d ern i n d er S c h wei z i n Pontresina im Engadin" aufhalten. 49
In d e n wä h r e n d d e r 9 0 e r- J a h r e g e f ü h r t e n G e s p r ä c h e n d e r J o u r n a l i s t i n H e r l i n d e Koelbl mit Merk el sind folgende Urlaubsaussagen enthalten: „Wir hatten auch e i n e n s c h ö n en S o m m e r u r l a u b , e i n e w u n d e r b a r e K a l i f o r n i e n r e i s e . U r l a u b w e i t w e g v o n d a h e i m h i l f t , d e n D i n g e n z u e n t f l i e h e n . In d i e s e n v i e r W o c h e n i s t e s m i r g e lu n g en , ri c h t i g a b zu s c h a lt en . " (M erk e ) 1 9 9 4 ) . „ Vo r k u r z em wa r i c h i m U r la u b i n d er P r ov en c e. " (M e rk e) 1 9 9 5 ). „Ic h f li e ge Wei h n a ch t en n ac h Ka li forn i en . Da fi c ht mi ch d a nn n ic ht s m eh r an . Wen n ic h frü h er Urla ub in m ein em Hä u s ch en in der Uckermark machte, war das schrecklich." (Merke) 1996).
„Eine Amerikanerin in Deutschland" „ Am eri k a s eh en . Ka li fo rn i en , S a n Di ego. " S o a n t wort et e An gela M erk e l i m J a h re 2 0 0 0 i n ei n em In t e r vi e w m i t d e r „ Z e i t " ( Au s ga b e N r. 6 j en e s J a h r e s ) a u f d i e F ra g e , wa s „ Ih r s c h ö n s t e s E r l e b n i s s e i t d e m F a l l d e r M a u e r " g e w e s e n s e i . G l ü c k s g e fü h l e i m f e rn en Li e b li n g s la n d a n d e r U S -W e s t k ü s t e g l ei c h n a c h d er D DR - W ende sind — wie gesagt — mutmaßlich nicht ohne Auswirkung auch auf den Um sch wun g b ei d er M erk el' sch en Vormach t- Zun ei gun g geb li eb en : Vom Faib le fü r d i e S o w j e t u n i o n z u r U S -B e g e i s t e r u n g . U n d d i e g l e i ß e n d e k a l i f o r n i s c h e S o n n e sch eint 1990 u mgeh end gewirkt zu hab en , so d ass die USA d en Stich b ei „An gie" rasch machen konnten. J e d e n f a l l s s c h r e i b t B i o g r a p h i n B o ys e n ü b e r M e r k e l s H a l t u n g s c h o n a l s s t e l l v e r t ret en d e P r es s es p r ec h eri n d er let zt en DDR -R e gi eru n g, d a s s s i e s i c h „i n d er Fra ge k ü n ft i g e r a u ß en p o li t i s c h e r Ko n s t e l la t i on en " g e g en ü b e r d em M i n i s t erp rä s i d en t en „p löt z li c h ga n z u n m i s s vers t ä nd li c h p os i t i oni ert " h a b e. B oys en wei t e r. „ Lot h a r d e M a i zi é r e wa r i rr i t i ert , a ls s i e i h m b ed eu t et e, d a s s es d oc h ga r k ei n en Z we i f e l d a r a n g e b en k ö n n e , d a s s a u c h d a s v e r e i n t e D e u t s c h l a n d M i t g l i e d d e r N a t o b li e b e . Z u d i e s e r Z e i t k u r s i e r t e u n t e r d e n o s t d e u t s c h e n V e r h a n d lu n g s p a r t n e r n , d i e i h r e S k ep s i s g e g en ü b e r d e r N a t o l ä n gs t n i c h t ü b e r wu n d en h a t t en , ei n e Vi e l z a h l a n d er e r M o d e l l e . . . D a s s s i c h s e i n e S p r e c h e r i n s o d e u t l i c h z u r N a t o b e k a n n t e , ü b e rraschte den Ministerpräsidenten." M erk els Fa i b le fü r d a s US -d om i n i ert e W es t b ün dn i s u nd di e US A s c h lec h t h in s oll t e s i c h i n d e n f o l g e n d e n J a h r e n n o c h s t e i g e r n . Ih r e B i o g r a p h i n S c h l e y s c h r e i b t v o n „ P r o- Am e r i k a n i s m u s ". M a n d a r f a n n e h m e n , d a s s R ep r ä s e n t a n t e n d e s U S- Ins i d e r t u m s w i e d e r M e g a b a n k e r u n d F e d e r a l- R e s e r v e -B o s s Al a n G r e e n s p a n u n d Hen r y Ki s s i n ger, e wi g e Gra u e E m i n en z d er a m eri k a ni s c h en P oli t i k , di e Fra u M er kel verschiedentlich Privataudienz gewährt en, der ohnehin schon westküs tenb egei st ert en d eut sch en Politik erin auch di e Herrli chk ei ten d er Ostkü st e na h egebracht haben. Weiter hat sich Angela Merkel in Amerika von Persönlichkeiten 50
An der Verschlossenheit der „Frau mit der Maske" haben sich MerkelBiographen auf manchen Feldern ihrer Vita die Zähne ausgebissen. 51
wie Pau l Wolfowitz (Sp itzn ame: „Velociraptor", nach ein em k lein en , au s d em H i n t e r h a lt o p e r i e r e n d e n R ä u b e r d e s P a l ä o z ä n , s o z u s a g e n d e r P a r t i s a n u n t e r d en S a u ri e r n ) u n d R i c h a rd P e r l e , d e r we g e n s e i n e r N e i g u n g , Ko n f l i k t e m i t B o m b en u n d R a k et en zu l ös en , a u f d en s c h m u c k en B ei n a m en „ P ri n c e o f Da rk n es s " ( Fü r s t d e r Fi n s t e rn i s ) h ö rt , er l ä u t ern la s s en , d a s s d i e C h e fs v on W h i t e H ou s e u n d Wa l l S t reet b e ru fen s i n d , a ls d i e S h eri ffs d er We lt a u fzu t ret en . W es t li c h - wert e g em ei n s c h a f t l i c h u n t e r r i c h t e t wu r d e An g e l a M e r k e l ü b e r d i e s b e i T r e f f e n h i n t e r g r u n d m ä c ht i ger, t ra n s at la n ti s c h er In s id erk rei s e, zu d en en s i e a u f Vor la d u n g d er „Tri la tera l C om m i s s i on ", d er „ At la n t ik -B rüc k e" un d sc h li eß li ch , M a i 20 05 , a uc h d er s o genannten Bilderberger erschien (darüber nachher mehr). Im La u fe d e r Z ei t i s t es j ed e n fa lls s c h on s o wei t ged i eh en , d a s s d i e „ Fra n k fu rt er R u n d s c h a u " a m 2 . Ap r i l 2 0 0 3 e i n e n M e r k e l- B e r i c h t m i t „ E i n e A m e r i k a n e r i n i n Deu t s c h la nd " b et i t elt e u n d d as s d i e C DU -C h efi n 2 00 5 ei n B ek en n tn i s na ch B lu t s b a n d e n a r t v o n i h r e m S e m i -„ E c k e r m a n n " H u g o M ü l l e r - V o g g a u f s c h r e i b e n l i e ß : „ D a s At la n t i s c h e B ü n d n i s h a t f ü r m i c h Äh n li c h k ei t m i t ei n e r F a m i li e. " Na c h d em d i e Ka n z l e rk a n d i d a t i n vo m i s r a e li s c h en J ou rn a li s t en Ad a r P ri m o r ( S oh n d es e h e maligen Botschafters Is ra els in der Bundesrepublik, Avi Pri mor) eingehend befra gt wo r d en wa r, g e wa n n d i es e r d e n E i n d ru c k , s o s ei n B e ri c h t ü b er d i e E i n v e rn a h m e i m Zi on i s t en b la t t „ Ha a r et z " a m 1 4 . S ep t e m b e r 2 0 0 5 , d a s s e i n e Ka n z l e ri n M erk e l m eh r Di s t a n z zu R u s s la n d sc ha ffen ( „m ov e a wa y from R u s s i a ") u nd d i e Verei n i g ten Staaten von Amerika umarmen werde („She will embrace the U.S.")
Das „Phantom" an ihrer Seite J oa c h i m S a u e r a b e r ü b e rn a h m n a c h R ü c k k u n ft a u s Am e ri k a 1 9 9 2 d i e Le i t u n g d e r „Arb ei ts grupp e Quan t ench emie" d er Ma x- P lan ck- Ges ells c haft, u m dann Leh rstuh l inhab er fü r Ph ysik a li sch e und Th eoreti sch e Ch emi e d er B erlin er Hu mb oldt - Uni ver sität zu werden. Dort wi rkt Sauer auch als Sprecher des „Sonderforschungsbereichs 546": Struktur, Dynamik und Reaktivität von Übergangsmetalloxid-Aggregaten. P r o f e s s o r S a u e r u n d An g e l a M e r k e l h a b e n r u n d a n d e r t h a l b J a h r z e h n t e i n s o g e n a nn t er wi ld e r E h e m i t ei n a nder ge l eb t . B i ogra ph in Leß n erk ra u s : „ Fra g en n a c h ei n e r E h e m i t J oa c h i m S a u er b e a n t wo rt et s i e la n g e s t et s m i t d em S a t z , T ra u s c h ei n — n e i n d a n k e , d a s h a t t e i c h s c h o n m a l . — B e i W o l f g a n g S t o c k l i e s t s i c h d a s f o lgen d ermaß en : „ La n ge lebt en si e un verh ei rat et zu sa mmen. M erk el hät t e sch on g e rn frü h e r g eh ei ra t et , a b e r we i l s i e Ko n f o rm i t ä t h a s s t , wi ll s i e n a c h 1 9 9 0 , n a c h d em s i e i m R a m p en li c h t s t eh t , u n b ed i n gt d en E i n d ru c k v e rm ei d en , s i e h ei ra t e i h ren Leb en s g efä h rt en j et zt n u r, u m d er öffen t li c h en E rwa rt u n g ger ec h t zu werd en . E r s t a l s s i e 1 9 9 8 n i ch t m e h r M i n i s t e r i n i s t , s o n d e r n a l s C D U - G e n e r a l s e k r e t ä r i n 52
ei n , Ei n er- Am t ' i n n eh at , i n d em es k ei n e glei c h ra n gi gen Koll eg en gi b t , m it d en en s i e v e r g li c h en we rd en k a n n — d a h ei ra t et s i e J oa c h i m S a u e r s t a n d es a m t li c h : a m 3 0 . D e z e m b e r 1 9 9 8 , oh n e E l t e r n u n d o h n e T r a u z e u g e n . " De r Ak t wu r d e i m S t a n d e s a m t B e r l i n -M i t t e z u r M i t t a g s z e i t v o l l z o g e n ; k i rc h li c h l i e ß s i c h d i e P a s t o r e n t o c h t e r m i t d e m P r o f e s s o r n i c h t t r a u e n . E i n e k l e i n e An z e i g e i n d e r „ F A Z " v o m 2. Januar 1999 kündete vom Eheschluss. E s g i b t v e r s c h i e d e n e M u t m a ß u n g e n , a u f w e s s e n In i t i a t i v e h i n s i c h d i e b e i d e n n a c h s o l a n g e r Z e i t ü b e r h a u p t n o c h d a s o f f i z i e l l e J a -W o r t g a b e n . E s s o l l d a b e i auch um die Überlegung gegangen sein, dass eine „wilde Ehe" immer noch in m a n c h en V o lk s k r ei s en n i c h t g e r a d e „a n k om m t " . M a l h ei ß t e s , d e r „ gu t e R a t " zu r Verheiratung habe vom s einerzeitigen C DU/CSU -Fraktionsc hef Wolfgang Schäuble ges t a m m t ; m a l geh en d i e V er m u tu n gen i n R i ch tun g a u f ei nen „f reu n d li c h en , a b er bestimmten Hinweis" des Kölner Kardinals Meisner. J oa c h i m S a u e r s ei „R a t g eb e r s e i n e r p r o m i n en t en E h e f ra u " , h a t d i e „B i ld " (t - on li n e - Au s g a b e , 7 . Au g u s t 2 0 0 5 ) z u b e r i c h t e n g e wu s s t u n d a u c h e i n k o n k r e t e s B e i spiel dafür genannt „Sie nimmt ihn mit, wenn sie in Boutiquen Kleidung ein kauft." Die „Mitteldeutsc he Zeitung" wartete am 16. Oktober 2005 mit der a t em b era u b end en In form a t i on a u f: „E r i s t es a u c h , d er ei n k a u ft u nd d en Hau s ha lt in der Wohnung in Berlin -Mitte versorgt." D a r a u f a b e r s c h e i n t s i c h d i e B e d e u t u n g d e s P r o f e s s o r s i n d e r S a u e r - M e rk e l ' s c h e n B e z i e h u n g s k i s t e n i c h t z u b e s c h rä n k e n . S c h o n 1 9 9 1 s a g t e An g e l a M e r kel d er Fotojournalistin Herlinde Koelbl auf d eren Frage, welchen Ein fluss ihr M a n n a u f s i e a u s ü b e : „ W a s d i e P o l i t i k a n g e h t , s p i e l t e r e i n e g a n z wi c h t i g e R o l l e . " In ei n e m v on d e r „ B u n t e" a m 2 4 . J a n u a r 2 0 0 2 v er ö f f en t li c h t en In t e r vi e w b e k u n d et e M e rk e l : „ E s h ei ß t o ft , d a s s m ei n M a n n a l s p o li t i s c h e r B e ra t e r k ei n e R o l le sp i ele. Di ese Ei nschät zung en t sp rich t üb erha upt ni cht d en Ta tsach en. " Di e „Sächsisch e Zeitung" meld et e am 15. Oktob e r 2005, Sauer habe sein er Leb ensg e f ä h rt i n s c h on i n i h r e r Fu n k t i on a ls P r e s s e s p r ec h e ri n d es „ D e m ok ra t i s c h en Au f bruchs", Anfang 1990, „geh olfen, als sie die erste wichtige Pressemitteilung formulieren musste". Fern er notierte das Blatt „Er liest einige ihr er Parteitags red en , b evor si e si e hä lt . " M erk el - B i ograph Lan gguth 2005 : „Verm ut li ch übt er, — d e r a ls ei n ‚b ri l la n t e r' Ko p f g i lt — m eh r p o li t i s c h en E i n f lu s s a u f An g e la M erk e l aus, als bekannt ist oder vermutet wird." N a c h a l l e d e m h a t d i e Ö f f e n t l i c h k e i t e i n g e s t e i g e r t e s In t e r e s s e d a r a n u n d w o h l a u c h ei n R ec h t d a ra u f, Nä h e re s ü b er d a s Z o on p o li t i k on J oa c h i m S a u e r zu e r fa h ren , we lc h es a n geb li c h „p oli t i s c h eh er a u f C S U - s t a t t au f CDU -Li n i e li egt " (M er kel-Biograph Prof. Stock). Doch: „Auch Merkels zweiter Mann ist für die Presse 53
tabu." (Stock ). „Alles in allem versucht das Paar, sich völlig ab zu schirmen ." ( L a n g g u t h ) . „ S a u e r g i b t k e i n e In t e r v i e w s , g i b t n i c h t s v o n s i c h s e l b s t p r e i s . " ( S c h l e y ) . „ D e r M a n n a n M e r k e l s S e i t e w i l l u n b e k a n n t u n d un e r k a n n t b l e i b e n . " ( „ M ü n c h n e r M e r k u r " , 2 4 . O k t o b e r 2 0 0 5 ) . „ W e r i r g e n d e t wa s ü b e r d e n P r o f e s s o r ausplaudert, der kann sich gleich eine neue Uni suchen", zitiert der „stern" (Nr. 33/2005) einen Sauer-Studenten. „ E r r ed et n i c h t m i t J ou rn a li s t e n ", s c h r i eb d i e „S ä c h s i s c h e Z e i t u n g " a m 1 5 . Ok t ob e r 2 0 0 5 u n d v e r ö f f e n t l i c h t e d e n W o r t l a u t d e r E -m a i l v o n S a u e r a n e i n e n Z e i t u n g s r e d a k t e u r , d e r u m e i n I n t e r v i e w g e b e t e n h a t t e : „ Ic h h a b e m i c h e n t s c h l o s s e n , k e i n e J o u rn a l i s t e n g e s p rä c h e z u f ü h r e n , d i e n i c h t d u r c h m e i n e T ä t i g k e i t a l s Hoc h s c hu lleh r er u n d Fors c h er , s on d ern au s s ch li eß li c h d u rch di e p oli t i s ch e Tä t i gkeit meiner Frau veranlasst sind." Biographin Schley üb er Sau er/M erk el: „Die b e i d e n s c h e i n e n s i c h d a r ü b e r z u a m ü s i e r e n , wi e d i e P r e s s e ü b e r j e d e k l e i n e In formation herfällt, die sie ihr gezielt hinwerfen." S o ist es k aum verwund erli ch, das s P rof. Sau er von J ou rna lis t en — in An spi elun g auf seine Musiktheaterliebhaberei — zum „Phantom der Oper" („stern") erklärt wo r d en i s t od e r M ed i en i h n a l s „ u n s i c h t b a r wi e ei n M o l ek ü l" ( „t a z ") b e z e i c h n en b zw. i h n s c h li c ht u nd ergr ei f en d p er S c h la gz ei l e „D er Un s i c ht ba re" ( „Di e W elt ") taufen. Mister Kirschbaum von der Nachrichtenagentur „R euters" schrieb am 8 . S ep t e m b er 2 0 0 5 v on S a u er a ls v on ei n e m „ m ys t e ri ou s m a n ", e i n er „s h a d o w fi gure behind Merkel". N u r s e h r s e l t e n z e i g e n s i c h S a u e r / M e r k e l g e m e i n s a m d em g e m e i n e n V o l k e . E i n öffentliches Schaulaufen des Paares gibt es immerhin einmal im Jahr bei den B a yr e u t h e r F e s t s p i e l en , zu d e n en d e r b ek en n en d e W a gn er- F a n S a u e r r eg e l m ä ß i g wa l l f a h r t e t , u m d a n n i m S p r e i z s c h r i t t m i t s e i n e r G e m a h l i n d a s S p a l i e r d e r P r om i n en z -An ga f f e r u n d P r es s efo t o gra f en v or d e m F e s t s p i e lh a u s zu p a s s i e r en . F a s t s c h on ei n er S en s a t i on gli c h e s , a ls d er k a m era li c h t s ch eu e M erk el -Ga t t e 2 0 0 4 b ei d e r ö f f e n t l i c h z e l e b r i e r t e n B e r li n e r 5 0 - J a h r-Ge b u r t s t a g s f e i e r s e i n e r E h e f r a u e r s c h i en . S o l l t e e r g ea h n t h a b en , d a s s ei n a n d e r e r P a rt yga s t m i t s ei n e r B e g l ei t u n g d i es m a l b e s s e r i n s B eu t es c h em a d e r S c h n a p p s c h u s s- u n d S c h la g z ei l en j ä g e r p a s s t e ? E r s t m a l s n ä m l i c h z e i g t e s i c h Li b e r a l e n c h e f Gu i d o W e s t e r w e l l e , d e r W u n s c hpartner d er d eutschen Christdemok raten, b ei sozusagen offizieller Gelegenheit m i t d em Herrn s ei n es Her z en s . E r zog d i e M ed i en s c h ei n wer fer b ei d er M erk elf eie r au f sich und sein en „ Lover ". Zu m Geli n gen d es Ab ends t ru g da nn n och Ed m u n d S t o i b e r b e i m i t s e i n e m V e r s p r e c h e n a n d i e J u b i l a r i n , d a s s „ d i e S c h we s t e r aus München", er meinte die CSU, „immer an Ihrer Seite" sein werde. 54
Für „Homestorys" in der Presse steh en Merkel und Gatte schon gar nicht zur Verfü gung. Das Dah eim d es Paares übrigens ist laut „Mu nzinger - Archiv" eine „ Al t b a u e t a g e i n B e r l i n - M i t t e" . B i o g r a p h i n L e ß n e r k r a u s we i ß v o n e i n e r „ A l t b a u D a c h g e s c h o s s wo h n u n g " z u b e r i c h t e n . Di e „ W e l t " s c h r i e b a m 2 4 . Ok t ob e r 2 0 0 5 , F r a u M erk e l wo l l e „i n i h r e m Ki e z , i h r e r Alt b a u woh n u n g a m Ka n a lu f e r " a u c h a ls Ka n z l er i n v erb l ei b en . Ge n a u er b et ra c h t et h a n d e lt e s s i c h b e i m M erk e l/ S a u e r - D o mizil um das oberste Geschoss eines klassizistischen Prachtbaus am Berliner Ku p f e r g r a b e n i n e x z e l l e n t e r h a u p t s t ä d t i s c h e r W o h n l a g e , d i r e k t a n d e r v o n d e r U n e s c o z u m W e l t k u l t u r e r b e e r k l ä r t e n M u s eu m s i n s e l , g l e i c h g e g e n ü b e r d e m P e r gamonmuseum. Unterhalb von Merkel lebt dort Ottmar Schreiner, d er Linksflügler in der SP D -Füh r u n g, d a n n f o l g t d i e E t a g e m i t P r o f . H a n s M a ye r , d e m E x -P r ä s i d e n t en d e r Hu mboldt- Universität. Im Part erre schließlich bet reibt Dr. h. c. Lothar de Maiziäre, d er l e t zt e DDR - M i n i s t e rp rä s i d en t u n d M erk e l -Vo r gä n g er a l s S t e l l v e rt r et er Koh l s i m P a r t e i v o r s i t z , s e i n e Ka n z l e i u n d d e n s o n s t i g e n B ü r o b e t r i e b ( a b 1 9 9 3 a l s H a u p t s t a d t r ep r ä s e n t a n t u n d b i s 2 0 0 4 a l s V o r s i t z e n d e r d e s Au f s i c h t s ra t e s d e r „ H u n z i n g e r In f o r m a t i o n AG " d e s b e k a n n t e n „ P R -M a n a g e r s " M o r i t z H u n z i n g e r ( , u n d i m N a c h b a rb a u , wo ei n s t Th ea t e rm o gu l M a x R ei n h a rd t r e s i d i er t e, u n t e rh ä lt B u n d e s p rä s id en t au ß er Di en s t en Dr. Dr. h . c. mu lt . R ic ha rd Frei h er r von Wei zs ä c k er, d er von An g e la M erk el b e wu n d ert e „B efr ei u n gs red n er" ( Ac h t er M a i ), bü rom ä ß i g s ei n Hauptstadthauptquartier.
Sehnsucht nach deutscher Einheit? B i o gra p h P r o f. W o l f ga n g S t oc k wi l l we i s m a c h en , An g e la M e rk e l h a b e „ z u D DR Z e i t e n d a s u n b e u g s a m e B e k e n n t n i s d e r W e s t -C D U z u r d e u t s c h e n W i e d e r v e r e i n i g u n g b e wu n d e rt ". E i n e s o lc he „ B e wu n d e ru n g " i s t n i c h t b el e g t . Un d a l l ei n s c h on die Behauptung, dass sich die CDU im Westen Deutschlands „unbeugsam zur W i ed e r v e r ei n i gu n g b ek a n n t " h a b e, e rs c h ei n t f ra g li c h g en ug . E s ga b a u c h i n W o r t e n u n d T a t e n f ü h r e n d e r B o n n e r C h ri s t d e m o k ra t e n v i e l b u n d e s r e p u b li k a n i s c h e n Separatismus. Ken n zeichn end fü r di e Eins t ellun g zu r Deuts ch en Fra ge zunä chst — s eit d en 70 er J a h r en — i n T e i l en , d a n n — a b B e gi n n d e r Ac h t zi g e r — b e i fa s t d e r Ge s a m t h ei t d e s b u n d e s r e p u b l i k a n i s c h e n P o l i t - E s t a b l i s h m e n t s wa r , wa s d i e „ F r a n k fu r t e r Al lgemeine" im Juli 1988 meldete: „Als der amerikanische Botschafter in Bonn, B u r t , A n f a n g d i e s e s J a h r e s e i n e g e m e i n s a m e S t r a t e g i e d e s W e s t e n s z u r Ü b e rwi n d u n g d er p o li t i s c h en T ei lu n g D eu t s c h l a n d s f o rd e rt e, b e k a m e r we d e r v on d e r Bundesregierung n och aus den Reihen der Opposition Unterstützung. Niemand 55
gri ff d en Vors c h la g a u f. Als a m 7 . J u n i P rofes s or Da s c h i t s ch ew, Lei t er d er Ab t ei l u n g Au ß e n p o l i t i k i n d e r s o wj e t i s c h e n Ak a d e m i e d e r W i s s e n s c h a f t e n , D e u t s c h la n d exp ert e u n d B era t er Gorb a t s ch ows , i n d er s o wj et i s c h en B ot s c h a ft in B onn er k l ä r t e , M a u e r u n d S t a c h e l d r a h t s e i e n s c h li m m e R e l i k t e d e s Ka l t e n Kr i e g e s , d i e das Dasein und die Psych e d er M en sch en b elasteten und d eshalb mit d er Zeit vers c h wi n d en m ü s st en , ga b es u n t er d en B onn er P oli t i k ern wi ed eru m k ei n e m erk l i c h en R ea k t i on en . Da s of fi zi e l l e B on n , d i e R e gi eru n g, d i e P a rt ei en n a h m en v on Daschitschews Äußerungen keine Notiz." N i c o l e S c h l e y b e h a u p t e t : „ V o n i h r e n E l t e r n ü b e r n a h m An g e l a M e r k e l d i e Ü b e r zeu gun g, d ass die Wied ervereinigun g Deu tsch lands ein hoh es p olitisch es Ziel sein mü sse. Diesen Ged ank en verfolgten d ie Eltern p rivat und b eru flich stets w e i t e r . S o s e t z t e s i c h Va t e r Ka s n e r z u j ed e r Z e i t b e wu s s t f ü r d i e Ge m e i n s c h a f t d e r O s t - u n d W e s t k i rc h en ei n . Au fg ru n d i h r e r Üb er z e u gu n g g e l a n gt e s e i n e T o c h ter 1989 zu d er Einsicht, dass sie in die Politik geh en müsse, um dieses groß e Ziel voranzubringen." Ü b e r d i e s e D a r s t e l l u n g k a n n m a n s i c h n u r wu n d e r n e i n g e d e n k d e r v i e l f ä l t i g e n Ak t i vi t ä t en von Va t e r Ka s n er g e g e n d i e d eu t s c h e E i n h ei t : V on s ei n em S ep a ra t i s mus als Leitungsmit glied des „Weißenseer Arb eitskreises" üb er seine spalt eris ch en Akti vität en a ls S yn oda ler bi s hin zu s ein em B ek enn tni s von 2005, d as s ih m auch nach 1990 „zwei Deutschlands" lieber gewesen wären. Angela Merkel s p i e l t m i t o f f e n e r e n Ka r t e n . In e i n e m In t e r v i e w m i t d e r „ Z e i t " , N r . 1 6 / 2 0 0 5 , g e s t a n d s i e : „ M e i n Va t e r wa r d e r M e i n u n g — d i e i c h g e t e i l t h a b e — , d a s s d i e T e i lung und alle damit verbunden en Folgen ein Ergebnis des von Deutschland be gonnenen Krieges ist ... Als Folge war es für ihn erklärbar." „ Ic h h a b e j e d o c h n i c h t d e n E i n d r u c k g e h a b t , d a s s A n g e l a b e s o n d e r s u n t e r d e r M au er g e li t t en h a t . " S o wi rd E x- Ga t t e Ul ri c h M erk el s o wo h l von J a c q u eli n e B oysen a ls a u c h von Ge rd La n g gu t h zi t i ert . Ge wi s s i st Fra u M erk els B ek u n d un g gla u b h a ft, ü b er d i e M a u eröff n un g „u n ei n ges c h rä nk t froh " ge wes en zu s ei n . Doc h wa s B i o g r a p h i n B o ys e n ü b e r i h r e S t i m m u n g u n m i t t e l b a r n a c h d e m h i s t o r i s c h e n 9. November 1989 berichtet, lässt nichts von heiß er Sehnsucht nach deutscher Einheit erk ennen : „Sie b lieb seh r sk eptisch. Sie hatte gelernt, mit d er Teilung d e r D e u t s c h en z u l e b e n , u n d wa r a n d i e E xi s t en z v o n D DR u n d B u n d e s r e p u b li k gewöhnt. Das Gedankenspiel um eine Wiedervereinigung war ihr, solange sie d e n k e n k on n t e , v e r we h r t g e w e s e n . E s f i e l i h r n u n n i c h t l e i c h t , d a s e i n g e i m p f t e Tabu zu brechen." W e d e r h a t s i c h An g e l a M e r k e l a n o p p o s i t i o n e l l e n B e w e g u n g e n g e g e n d a s k o m munistische Teilstaatsregime auf deutschem Boden beteiligt, noch gar für Bestre56
bungen engagiert, die auf Überwindung der deutschen Teilung abzielten. Als 1989 b ei d en M ontagsd emonstration en Zehntau send e „ Wir sind das Volk " au f den Straßen und Plätzen der DDR bekundeten, war sie nicht mit dabei. Auch nicht, als Hunderttausende „Wir sind ein Volk!" riefen. N a c h d em s i e i m F e rn s eh en a m 9 . N ov e m b e r 1 9 8 9 d i e An k ü n d i gu n g d e r u m g eh en d en Öffn u n g d er B erli n er M a u er a u s d em M un d e d es P oli t b ü ro- M it gli ed s Gü n th er S c h a b o ws k i v e r n o m m e n h a t t e , e s w a r k u r z n a c h 1 9 . 0 0 U h r , b e g a b s i c h An g e l a M erk el nach eigen em Bekund en „wie ü b lich" an Donn erstagab end en zun äch st e i n m a l f ü r d r e i S t u n d e n m i t e i n e r F r e u n d i n i n d i e S a u n a a m T h ä l m a n n -P a r k i n O s t b e r l i n . Al s s i e wi e d e r h i n a u s k a m , g e r i e t s i e i n e i n e j u b e l n d e M e n s c h e n m e n g e , d i e i n R i c h t u n g a u f d i e g e ö f f n e t e M a u e r f l u t e t e . „ Ic h s a h d i e M e n s c h e n d i e B o r n h o l m e r S t r a ß e h i n u n t e r s t r ö m e n , i c h s c h l o s s m i c h d em S t r o m a n . " N a c h n u r ku rzer Zeit westwärts d er Mau er, die sie zu ein em Telefon at mit d er Tante in H a m b u r g n u t zt e, en t z o g s i c h An g e l a M e rk e l s c h n e l l wi ed er d e m a n s c h we l l e n d en B egeis t erun gs taum el (es wa r, a ls wollt e gan z B erlin d i e Nacht durch fei ern ). „ Ic h bin lieb er zu rü ck gegan gen. Ich musste am näch sten M orgen früh rau s. Un d so v i e l f r e m d e C o m p a n y — j e t z t wa r e s e r s t e i n m a l g e n u g , i c h wa r f ü r m e i n e V e r hältnisse ohnehin schon ziemlich weit gegangen." In d e r M e r k e l- B i o g r a p h i e v o n B o y s e n l i e s t m a n w e i t e r . „ S i e t r a t w e n i g e T a g e n a c h d e r M au e r ö f f n u n g w i e g e p l a n t e i n e l ä n g s t v e r e i n b a r t e D i e n s t r e i s e n a c h Th orn an . Zu i hrer Verwu nderun g sp rach en d ort au sgerech n et i hre p oln isch en Kollegen ohne zu zögern von der raschen Vereinigung der beiden deutschen S t a a t en — a ls s ei n i c h t s s e lb s t v e rs t ä n d li c h e r a ls d i e Wi ed er h er s t e l lu n g d e r s t a a tli ch en Einh eit d er Deut sch en ." La n ggu th sch i ld ert d en Sachverha lt unt er B eru fun g a u f M e r k e l ' s c h e S e l b s t b e k u n d u n g e n ( In t e r v i e w m i t d e r „ B e r l i n e r M o r g e n p o s t ", 1 2 . J a n u a r 2 0 0 3 ) wi e f o l g t : „ D a n a c h — a m 1 3 . N o v e m b e r 1 9 8 9 — f u h r An g e l a M erk el erst ein mal au f ein e Dienstreise nach Polen , wo es sie ,erstaunt' hatte zu h ören , , a ls Nä c h s t es k om m e d i e d eu t s c h e E i nh ei t ' . Ih r e Wi s s en s c h a ft s k olle gen , wa r en b a s s e rs t a u n t , d a s s i c h d a a u ft a u c h t e u n d n i c h t i n D e u t s c h la n d g eb li eb en wa r , w o d o r t d o c h g e r a d e a l l e s s o s p a n n e n d s e i . U n d d a n n s a g t e n s i e m i r , d a s s b e i i h r e m n ä c h s t en B e r l i n- B e s u c h D e u t s c h l a n d wo h l s c h o n wi e d e r v e r e i n i g t s e i . D a s h a t m i c h wi e d e r u m e r s t a u n t ' . " An g e l a M e r k e l r ä u m t ei n : „ S o we i t h a t t e i c h n i ch t ged a ch t . " Au c h h i er i st s i e s e lb s t eh rli c h er a ls m a n c h e i h rer Hofb i ogra p h en u nd vi ele i h re r s on s t i gen P rop a ga n di s t en , d i e i h r Lorb eer en a n di ch t en , wo es k ei ne zu ernten gibt. Ap rop os p o ln i s c h e Wi ed e rv er ei n i gu n gs -Vora u s s a gen , d i e s ozu s a gen a u f ei n „Ni x vers t ehn " b ei bund es repub likani sch en P oli t -P romin ent en gest oß en sind : In s ein em Buch von 1990 „Deutsche Wahrheiten" schreibt Oskar Lafontaine: „Unplanmäßig 57
( I) k a m j e t z t d i e E i n h e i t a l s F o l g e d e s Z u s a m m e n b r u c h s d e s e u r o p ä i s c h e n Ko m muni smu s. Im Frü hjah r '89 saß ich in ein em M adrid er Hot el d em p olni sch en Schriftsteller Adam Schaff gegenüber. Als er behauptete, die deutsche Fra ge werd e b ald das wichtigste Th ema in Eu ropa sein, d enn die Wied ervereinigun g stehe vor der Tür, habe ich ihn nur ungläubig angesehen."
EUnigkeit und Recht und Freiheit ... E i n wa h r e s H e r z e n s a n l i e g e n a b e r i s t An g e l a M e r k e l o f f e n k u n d i g d i e S c h a f f u n g e i n e s s u p r a n a t i o n a l e n E U -S t a a t e s , i n d e m a m E n d e v o n D e u t s c h l a n d a l s e i g e n s t ä n d i g e m , s e l b s t b e s t i m m t e m V ö l k e r r e c h t s s u b j e k t s o g u t wi e n i c h t s m e h r ü b ri g b l e i b t . In d e r E U v e r m e i n t s i e „ d a s e r f o l g r e i c h s t e p o l i t i s c h e P r o j e k t i n d e r G e s c h i c h t e u n s e r es Kon t i n en t s " e r k en n en zu k ön n en , wi e s i e i n d e m v on i h r h e ra u s gegebenen Sammelband „Europa und die deutsche Einheit", erschienen 2000, s c h ri e b . „ D a s Z i e l d e r e n d g ü l t i g e n E i n h e i t E u r o p a s i s t e i n f e s t e r B e s t a n d t e i l u n s e r e r p o li t i s c h en Id e n t i t ä t ", p rok la m i e rt e s i e d a . W ei t e r : „ D e u t s c h la n d s Z u k u n ft l i e gt i n E u rop a . . . Wi r wo l l en e i n gr oß e s u n d ei n s t a rk e s E u rop a . E i n u n g et ei lt e s Europa ... Wir wollen die dynamische Spitze Europas bilden." In s b es on d e r e h a t M e rk e l wi ed e rh o lt d i e M ü n c h n e r „ Ko n f e r e n z en fü r S i c h e rh e i t s p o li t i k ", T r e f f en h oc h k a rä t i g e r P o li t - In s i d er W e r t egem ei n s c h a ft ,
zu r
en ga gi ert en
d e r s o ge n a n n t en
Da rs t el lu n g
i h rer
we s t li c h en
eu r op a p oli t i s ch en
Gru n d sa t zp os itionen genutzt. Au s i h r e r An s p r a c h e b e i d e r X L I. M ü n c h n e r S i c h e r h e i t s k o n f e r e n z , 1 2 . F e b r u a r 2 0 0 5 : „ E u r o p a b ra u c h t i m 2 1 . J a h r h u n d e r t e i n e g e m e i n s a m e Au ß e n - u n d S i c h e r heitspolitik ... Europa kann heut e zu einer gemeinsamen Außen - und Sicher h ei t s p oli t ik n u r fi nd en , wen n es s ei n e p oli t i s ch e In t egra t i on vora n t rei b t . " Wei t er p l ä d i e r t e M e r k e l i n d i e s e r R e d e f ü r e i n e E U - T r u p p e , d i e a u c h a u f a n d e r e n Ko n tinenten militärisch zum Einsatz komm en kann: „Die Aufs t ellung der europäischen B a t t l e Gr o u p s i s t ei n wi c h t i ge r S c h ri t t . . . D a m i t wi rd d i e E U h o ff en t li c h i n z we i b i s d r e i J a h r e n i n d e r L a g e s e i n , i n a k u t e n Kr i s e n a u c h a u ß e r h a l b E u r o p a s e i n z u g r e i f e n , w e n n i h r e S i c h e r h e i t s i n t e r e s s e n b e r ü h r t s i n d . Ic h b e g r ü ß e d e n v o r ges eh en en B ei t ra g Deu t s c h la nd s zu m i nd es t en s d rei d i es er Ka m p fgru p p en . " Üb er dies betonte Frau Merkel, dass „die weit reichende sicherheitspolitische E i n b i n d u n g d e r Tü rk ei i n eu ro p ä i s c h e S t ru k t u r en a n zu s t r eb en " s ei u n d d a s s „E u ropa sich nicht als Gegengewicht zu den USA verstehen"" sondern Brüssel einer „gemeinsamen Agenda" mit Washington folgen möge. In ihrer Red e bei der XL. Münchner Konferen z, 7. Februar 2004, hob die CDU -Füh rerin zu einer Hymne auf die EU-Verfassung an: „Der Weg dahin ist alternativlos. 58
Oh n e e i n e eu rop ä i s c h e V e rfa s s u n g h ä t t e E u r op a k ei n e Zu k u n ft . S i e s c h a f ft Kl a r h ei t d er Ko m p et en z en . S i e erm ö g li c h t E i n i gk ei t . S i e wi rd d es h a lb a u c h k o m m en , m i t e i n we n i g Gl ü c k v i e l l e i c h t s o g a r n o c h v o r d e n E u r o p a wa h l e n i m J u n i . " D e r E U -V e r fa s s u n g s v e rt ra g k a m d e n n a u c h , wen n a u c h ru n d ei n J a h r s p ä t er . Im B u n d e s t a g s t i m m t e n 5 6 9 v o n 5 9 4 a n we s e n d e n Ab g e o r d n e t e n i m M a i 2 0 0 5 z u . An g e l a M e rk e l h a t t e zu v o r i m P l en u m a u s g e ru f en : „ Ic h k a n n a u s v o l l e m H e r z en J a s a gen." Überhaupt h atte sie sich als treibende Kraft einer „Europaverfassung" p rofi li ert. S o ford ert e si e 2000 in ih rem b ereit s erwähnt en „E u ropa " - Buch : „Es i st Au f ga b e d e r B u n d es r e gi e ru n g, d a s Th e m a V er fa s s u n gs v e rt ra g i n d i e e u r op ä i s c h e Debatte zu bringen." Die deutsche Nat ion allerdi ngs wurde von den Berliner Politikern an der Ent s c h ei du n g üb er d i e V erfa s s u n g d er E u rop ä i s ch en Un i on ni ch t b et ei li gt . S ä m t li c h e M e i n u n g s u m f r a g e n z e i g t e n ei n k l a r m e h rh e i t l i c h e s N e i n u n t e r d e r B e v ö l k e r u n g d er B u n d es rep u b lik . Doc h wi ed er ei n m a l h a t t e es i n D eu t s c h la nd n ic ht s zu s a gen , was das Volk sagt. Franzosen und Niederländer hingegen erhielten das freie W o r t a l s S t a a t s b ü r g e r u n d b ra c h t en d i e s o g e n a n n t e E U - Ve r f a s s u n g , d i e n u r b e i Z u s t i m m u n g a l l e r M i t g li ed s s t a a t en d e r Un i on i n Kr a ft t r e t e n k a n n , 2 0 0 5 b ei P l e bisziten mit deutlichen Mehrheiten zu Fall. M ü l l er -V og g n ot i e rt i n d i es em Zu s a m m en h a n g : „D i e ü b e r ze u gt e E u r op ä e ri n M e r k el ist grund sätzlich sk eptisch gegen üb er Volk sentsch eid en au f Bund eseb en e, egal um welches Thema es sich handelt." Evelyn „Plebiszite verletzen ihre Id e a l v o r s t e l l u n g e i n e r r e p r ä s e n t a t i v e n D e m o k ra t i e . " M a h n e n d s a gt An g e l a M e r k e l : „ W e n n H e l m u t K o h l d e n E u r o d a m a l s z u r Ab s t i m m u n g g e s t e l l t h ä t t e , w ä r e e r d u r c h g e f a l l e n . " W e l c h e i n Gl ü c k a b e r , l a u t C D U -C h e f i n , d a s s e s e i n e s o l c h e V o l k s e n t s c h e i d u n g f ü r d e n B e i b e h a l t d e r D -M a rk n i c h t g a b . D e n n s o h a b e e s g es c h eh en k önn en , d a s s „d er E u ro d en eu rop ä i s c h en E in i gun gs p roz es s u n u mk eh rb a r gemacht hat". Auch bei Abstimmungen über die Neuaufnahme von Staaten in d i e E U s o l l f ü r d i e a n g e b l i c h m ü n d i g e n B ü r g e r n a c h An s i c h t M e rk e l s g r u n d s ä t z l i c h g e l t e n : „ W i r m ü s s e n d r a u ß en b l e i b e n . " 2 0 0 0 v e r k ü n d e t e s i e i n i h r e m „ E u r o p a " - B u c h : „ D i e D e b a t t e u m e i n en V o l k s e n t s c h e i d z u r O s t e r w e i t e r u n g i s t d e r f a l s c h e An s a t z. Wi r k ön n en d i e M en s c h en n i c h t v on E u r o p a ü b e r z eu g en , i n d em wi r S k ep s i s u n d B e fü rc h t u n g en e i n F o ru m g e b en . " M i t d e rs e lb e n B e g rü n d u n g k ön n t e man dem Volk die Stimmzettel auch gleich ganz wegnehmen. D i e g e wa lt i g e O s t a u s d eh n u n g d e r E U, d i e 2 0 0 4 v o l l z og en wu rd e u n d d i e m i t d er bereits versprochenen Aufn ahme Bulgariens und Rumäniens 2007 fortgesetzt we r d en s o l l, k on n t e An g e la M e rk e l ga r n i c h t s c h n e l l g en u g g eh en . In i h r em „ E u r o p a " -B u c h v on 2 0 0 0 s c h r i e b s i e : „ D i e z ü g i g e u n d en t s c h i e d e n e O s t e r we i t e r u n g i s t f ü r d i e Z u k u n ft u n s e r e s K o n t i n en t s b ed e u t s a m . . . An d er O s t e r we i t e r u n g l a s59
sen sich der politisch e Wi lle und die politische Energie Europas erm ess en. An i h r l ä s s t s i c h a b l e s e n , o b wi r s e l b e r b e g r i f f e n h a b en , wa s a u f d e m S p i e l s t e h t . " Mü ller- Vogg gegenüb er äuß ert e Frau M erk el 2005 : „ Ic h bin fes t da von üb erzeu gt , dass die Beitrittsländ er im Osten genau so ein e Bereicherun g fü r Eu ropa sind, wie die neuen Bundesländer es für die Bundesrepublik waren."
„Das schlimme Wort vom deutschen Weg" „ An g e s i c h t s d e s b e v o r s t e h e n d e n Ir a k -K r i e g e s h a t S c h r ö d e r d a s s c h l i m m e W o r t v o m , d e u t s c h e n W e g ' g e p r ä g t " , l i e ß s i c h An g e l a M e r k e l 2 0 0 5 i m Ge s p r ä c h m i t M ü l l er- V og g we i t e r ei n ; d i e b es a gt e P a ro l e s ei „ g e fä h r li c h ". B e i d e r X L. M ü n c hn er Kon feren z fü r Sich erh eit sp oli tik verkünd et e M erk el a m 7. Feb rua r 2004 : „Ein , d e u t s c h e r W e g ' i s t i m m e r d e r f a l s c h e W e g . " D a z u p a s s t , wa s d i e C D U - C h e f i n bei der XXXIX. Sicherh eitskonferen z in München in ihrer Ansprache vom 8. Februa r 2 00 3 p rok la m i ert e: „Di e e u rop ä i s ch e E i ni gun g u nd di e Ab s a ge a n S on d erweg e j ed we d er Ar t i s t d i e ra i s on d ' è t r e d es d e m ok ra t i s c h en D eu t s c h la n d s n a c h d er Ka tastrophe des Zweiten Weltkrieges. Für mich ist die enge Partnerschaft und F r e u n d s c h a ft m i t d en V e r ei n i g t en S t a a t en v on Am e ri k a eb e n s o e i n e Gru n d es s en z d e u t s c h e r S t a a t s v e r n u n f t , wi e e s d i e e u r o p ä i s c h e In t e g r a t i o n i s t . " In „ t a c h e l e s . 0 2 — Li v e-C h a t v on t a g e s s c ha u . d e ", 5 . F eb ru a r 2 0 0 3 , li eß s i c h F ra u M e rk e l wi e fol gt ve rn eh m en : „E s i s t ei n e d er Leh ren d er Ges c h i c ht e, da s s Deu t s c h lan d k ei n e S on d e r we g e a b s ei t s s ei n e r eu r op ä i s c h en u n d a m e ri k a n i s c h e n V e rb ü n d et en g eh en s o l lt e . " Äh n li c h M e rk e ls E i n la s s u n g i n d em v on i h r 2 0 0 0 h e ra u s g e g eb en en B u c h „Europa und die deutsche Einheit": „Die Zeit der Sonderwege ist vorbei." Von d er a n geb li c h en d eu t sc h en Da s ei n sb erec h t i gun g b zw. S t a a t s vern un ft s - E s s en z ä l a M e r k e l s t e h t a l l e r d i n g s i m Gr u n d g e s e t z n i c h t s . W o h l a b e r d e f i n i e r t d i e s e s d i e Bu nd es rep u b li k Deu t sc h lan d a ls Na t i ona ls t a a t un d verp fli c h t et di e d eu t s ch en P olit ik er im Am ts eid (Artik el 56 und 64) zum E insa t z für di e n ati ona len B elan ge. V o n d a h e r i s t M e r k e l s Ab s a g e a n e i g e n s t ä n d i g e d e u t s c h e P o l i t i k — wi e a n d e r s wä r e d i e F o r d e r u n g n a c h V e r z i c h t a u f d en „ d e u t s c h e n W e g " b z w. a u f a l l e s o g e n a n n t en S on d e r we g e zu i n t erp r et i er en ? — s c h we r l i c h a l s v e r fa s s u n gs k on f o rm zu w e r t e n . G a n z z u s c h w e i g e n , d a s s d i e v o n d e r C D U -C h e f i n p r o p a g i e r t e „ r a i s o n d ' ä t r e " B u c h s t a b en u n d Ge i s t d e r U NO -C h a rt a wi d e rs p ri c h t , we l c h e d a s R ec h t ei n es j ed en V o lk e s a u f ei n en W e g n a c h ei g en er F a Q on v erb ri eft . D e r k a t e g o ri s c h e V e r z i c h t D eu t s c h la n d s a u f „ E i g en " - b z w. „ S on d e r we g e " wä r e i m ü b ri g en p a ra d ox e r we i s e s o z u s a g e n d i e g r ö ß t e E x t r a wu r s t a l l e r Z e i t e n , we i l k e i n e N a t i o n s o n st zu einer solchen Selbstkastration bereit ist. 60
In i h r e r R ed e vo m 2 . F eb ru a r 2 0 0 2 b ei d e r „M ü n c h n e r S i c h e rh ei t s k on f e r en z " b e k l a g t e An g e l a M e r k e l „ d i e Vo r b e h a l t e d e r N a t i on a l s t a a t e n , z u g u n s t e n d e r E u r o p ä i s c h e n Un i o n a u f S ou v e r ä n i t ä t s r e c h t e z u v e r z i c h t e n ". S i e s e t z t e s i c h fü r e i n e „ V e r g e m ei n s c h a ft u n g d e r Kom p et en z en i n d e r In n en - u n d R ec h t s p o li t i k " a u f E U E b en e ei n , b ezei c h n et e d i e „E n t s ch ei du n g fü r ei n en eu rop ä i s ch en Ha ftb efeh l" a ls „überfä lli g", ri ef weit er aus: „Wir benötigen einen eigenen europäischen Geh e i m d i e n s t " , r i c h t e t e e i n e T i r a d e g e g e n „ K l e i n s t a a t e r e i i n s i c h e r h e i t s- u n d v e r e i d i gu n g s p o l i t i s c h e n F r a g e n " , f o r d e r t e e i n e „ g e m e i n s a m e R ü s t u n g s p o l i t i k " u n d plädierte für „gem einsam e Au ßen - und Sicherheitspolitik" (GASP ) der EU- Staaten. W ö r t l i c h : „ Lä n g e r f r i s t i g s o l l t e d i e G AS P v e r g e m e i n s c h a f t e t w e r d e n , a u c h we n n vi elen d er Ab schi ed gerad e von di esem B ereich d er nati onalen Sou veränität s c h wer fä l lt . " W ei t er i m M erk el' s c h en R ed et ext : „Di e E n t s ch ei d un g, ein e eu rop ä i sche Eingrei ftruppe ins Leben zu rufen, ist vollkomm en richtig. Dies e Eingreiftrup pe darf jedoch nicht zum Pap iertiger werden." Wobei „natürlich immer der Grundsatz gelten" müsse, „ein geeintes, handlungsfähiges und demok ratisches Europa als starken Partner, nicht als Konkurrenten der Vereinigten Staaten zu schaffen". In d i es e m Zu s a m m en h a n g f o rd e rt e M e rk e l u . a . e n gs t e Ko o p er a t i on z wi s c h en d e r E U -„E i n gr ei ft ru p p e " u n d d en U S - M i li t ä r s ( „t ra n s a t la n t i s c h es b u rd e r- s h a ri n g "; = La s t en t ei lu n g ) u n d d en Ab s c h l u s s ei n e s Ko op e ra t i on s a b k om m en s z wi s c h en E u ro p o l u n d d e m F B I; a l l i n c l u s i v e , a u c h m i t d e m „ A u s t a u s c h v o n D a t e n " , w i e d i e C DU -C h e fi n a u s d rü c k li c h b et o n t e. W en n E d ga r H oo v e r d a s n oc h er l eb en d ü r ft e ! Wü rd e Fra u M erk els Vi s i on Wi rk li c h k ei t , k önn t e da s Fed e ra l B u rea u of In v es t i ga t i on in Wa s h i n gt on D. C . s ei nem An s p ru c h un d Ru f, der wa c h sa m e Groß e B ru d er zu sein, auch diesseits des Atlantiks gerecht werden. Vom J ourn a li st en Mü ller- Vogg 2005 na ch ih rer „Vi si on für Eu ropa " 2020 b efra gt, n a n n t e An g e l a M e r k e l a l s i h r e H o f f n u n g e n : „ E i n h e i t l i c h e Au ß e n g r e n z e n " , „ g e m e i n s a m e Au ß e n - u n d S i c h e r h e i t s p o l i t i k " , „ g e m e i n s a m e r e u r o p ä i s c h e r S i t z i m W elt s i c h erh ei t s ra t ". Au c h m ö ge s i c h b i s da hi n „d er Ab s t a nd E u rop a s zu Am eri k a verringern".
Den Adolf Hitler niemals abbüßen? Ge m ä ß d e m M erk e l ' s c h en E u ro p a - Ko n z ep t b li eb e k a u m n oc h et wa s ü b ri g v on n a t i on a ler S ou v erä n i t ä t. Ni c ole S c h le y i n d es b eh a u pt et u n verd ros s en : „ An g ela M e r kel lässt k einen Zweifel daran, dass ihr die nationalen Belange stärk er am Her zen liegen als das eu rop äisch e Projekt." Jacqu elin e Boysen mein t, b ei An gela Merkel „wenig emotionale Bindung an die EU" feststellen zu können und wähnt 61
weiter: „Fü r sie steht ein Bek enntnis zu Deutsch land, ih r Begriff d es Deutschs e i n s i m V o r d e r g r u n d . " R e a l i t ä t s b e z o g e n e r e r s c h e i n t d a s c h on d i e An a l ys e v o n E v e l yn R o l l , d i e i n i h r e r Le b e n s b e s c h r e i b u n g d e r An g e l a M e r k e l a n m e rk t , d a s s d i e „p os t n a ti on a le Ges e lls c h a ft " (ei n Wort von J ü rg en Ha b erm a s ) „n i c h t n u r zu m e r k l ä r t e n Z i e l d e r Li n k e n , s on d e rn a u c h d e r e u r o p ä i s c h o ri e n t i e r t e n C D U " h a b e we r d en k ön n en . R o l l we i t er : „ P s yc h o l ogi s c h i s t d a s s o e i n e Ar t Id e n t i t ä t s a b s p a ltung als Sühneidee gewesen: Wenn wir den Nationalstaat, unsere nationale Id entität a ls fü r immer untergegan gen bet racht en, haben wi r di e richtigen S c h lu s s f o l g eru n g en a u s d er d e u t s c h en Ge s c h i c h t e g e z o g en . Da m i t i s t d a n n a u c h die historische Schuld abgegolten." Wenn denn ein solches „Abgelten" beabsichtigt wäre! Doch am 4. Dezember 2003 berichtete die „Jüdische Allgemeine", Organ des Zentralrats d er Juden in D e u t s c h l a n d , wi e f o l g t v o m C D U- B u n d e s p a rt e i t a g i n Le i p z i g : „ D i e V o r s i t z e n d e l i e ß k e i n e n Z we i f e l : F ü r e i n e P a r t e i wi e d i e C D U g e h ö r e z u r , s t ä n d i g e n Au s s ö h n u n g a u c h d i e f ort wä h r en d e An e rk en n u n g d es Un a u s s öh n li c h en , d er S i n gu la ri t ä t d e s H o l o c a u s t . J a , m e h r n o c h . G e r a d e d i e s e An e r k e n n u n g h a t u n s d o c h z u d e m La n d g e m a c h t , d a s wi r h e u t e s i n d — f r e i v e r e i n t , s ou v e r ä n . ' . . . E s wi d e r s p r a c h i h r n i e m a n d i m S a a l . " ( „ S o u v e r ä n " wa r wi r k l i c h gu t !) . B e i e i n e r V e r a n s t a l t u n g d es J ü d i s ch en We lt k on gres s es i n B erli n , 2 7 . Apri l 2 0 04 , b et on t e M erk el la u t d p a , „dass es wichtig sei, gerade der jüngeren Generation die dunklen Seiten der d eu t s ch en Ges c h i ch t e wei t er z u verm i t t eln ". In d er „ Z ei t ", Nr. 1 6 /2 00 5, a nt wort et e d i e C D U- V o r s i t z e n d e a u f d i e F r a g e , o b e i n „ A b b ü ß e n d e r N S - V e r b r e c h e n " d u rc h d i e D eu t s c h en m ö g li c h s ei : „ N ei n . Da s k a n n m a n n i c h t a b b ü ß en . E s b l ei b t eine immerwährende Verantwortung." Im Ges p rä c h mi t d em jüd i s chen M a ga zin „Tri b ü n e" äu ß erte An g e la M erk el 2 0 05 : „ D e r B u n d e s k a n z l er s p ri c h t of t d a v on , d a s s d a s E n d e d er N ac h k ri e g s z ei t g ek om m en s ei . Ic h fi nd e, m an mu s s m i t ei n er s olc h en Form u li eru n g s eh r vors i c h t i g s ei n . . . E s s t i m m t a u s d rü c k li c h n ic h t , d a s s d i e C D U ei n E n d e d e r V e r f o l gu n g v on NSVerb rech en ford ert. Und wi r wollen a uch k ein en ‚Sch lu ss strich ' unt er di e NS- Zei t zieh en ." Un d am 14. Septemb er 2005 meld ete das israelisch e Tageb latt „Haare t z " , h i e r z i t i e r t n a c h s e i n e r Au s g a b e i n e n g l i s c h e r S p r a c h e , d a s s s i c h d i e Ka n zlerkandidatin Merkel „wegen des Nazismus und der Einzigartigkeit des Holo c a u s t " g e g en e i n en „ S c h lu s s s t ri c h " a u s g es p r oc h en h a b e (W ö r t li c h : „ T o e r a s e t h e past is something I don't accept because Nazism and the uniqueness of the Holocaust are pari of our history.")
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„Auf Parteiensuche gegangen” „M i t d e m M a u e r fa l l a m 9 . Nov e m b e r 1 9 8 9 ru t s c h t e s i e i n di e P o li t i k ", b eh a u p t e t e P rof. E li s a b et h Noe ll e i n d er „ F AZ" vom 1 7 . Nov em b er 2 0 04 üb er An ge la M er k el. „ Wi e ei n Ali en i s t s i e n a ch zwöl fj ä h ri gem Dorn rös c h en s c hla f a u s ih rem s t au b i g e n Lab or
hinter
der
Berliner
Mauer
in
den
westdeutschen
Politikbetrieb
g e s c h l e u d e r t wo r d e n " , s c h r e i b t E v e l yn R o l l ü b e r M e r k e l s An f a n g i n d e r P o l i t i k gegen End e d er DDR. Doch : Gan z ab geseh en d avon , dass es in d er fast sch on preußisch auf Sauberkeit und Ordnung haltenden DDR keineswegs „staubig" wa r , s c h on ga r n i c h t i m Z en t r a lh ei li gt u m d er d o rt i g en F o r s c h u n g, d e r Ak a d em i e d e r W i s s e n s c h a f t e n ( e s i s t j a a u c h g e wi s s „ v e r s t a u b t " i m S i n n e v o n h i n t e r w ä l d lerisch gemeint), und dass man Vorbehalte gegen die Beschreibung von Frau M erk el als „Dorn rösch en " od er au ch als „Alien " an melden k önn te: Rutsch end b z w. s c h l eu d e rn d g e s t a lt et e s i c h i h r B egi n n en i n d e r P o li t i k n a c h d em M a u e rfa l l sicher nicht, sondern sie ging bedächtig zu Werke. Wi e a lles anfin g mit ihrer Su che nach einer Part ei, Wochen nach der Maueröff n u n g 1 9 8 9 , li e s t s i c h i n An ge l a M e rk e ls e i g en en W o rt en fa s t s o, a ls h a n d e lt e e s s i c h u m ei n en E i n k a u fs b u m m e l i m Ka D e W e. „ S o b i n i c h m i t m ei n em C h e f Kl a u s U l b r i c h t a u f P a rt e i e n s u c h e ge g a n g e n " , s a g t s i e . B e i d e m N a c h n a m e n s v e t t e r d e s e i n s t i g e n D DR- D i k t a t o r s h a n d e l t e e s s i c h u m M e r k e l s V o r g e s e t z t e n a n d e r Ak a demie der Wissenschaften, der sie später dann auch für ihre Part eiarbeit frei s t el lt e. „ Ulb ri c h t i s t b ei d er S DP i n B erli n -Tr ep t o w h ä n gen geb li eb en ", fä h rt M er kel in ihrem B ericht fort. Unter dem Kürzel SDP hatten die parteipolitischen Ak t i vit ät en d er Soziald emokrat en in d er Wen d e- DDR b egonn en. Au ch An gela Merkel lugte bei den Sozis hinein, blieb dort aber nicht „hängen". Biograph La n g gu t h : „E i n e M i t gli ed s c h aft i n d er S DP h ä t t e s i e i rr ev e rs i b el b er ei t s a u f ei n e b es t i m m t e we s t d eu t s c h e P a rt e i f or m a t i on v e rp f li c h t et . " An g e l a M erk e l a b e r h a b e es vorgezogen, sich verschiedene Optionen offenzuhalten. Al s o b u m m e lt e s i e we i t er . B i s s i e a u f d en D em ok r a t i s c h en Au fb ru c h (D A) s t i eß , d e r im Ok t ob e r 1 9 8 9 v on a c h t zi g P er s on en m ei s t a u s d em k i rc h li c h en B e r ei c h i n d er B erli n er S a m a ri t erg em ei n d e a ls S a m m lu n gs b ewe gu n g Op p os i ti on ell er g egrü nd et wo rd en wa r. M e rk e l- B i ogr a p h La n g gu t h : „ S i e b et r a t ers t zu ei n e m Z ei t p u n k t die politische Arena, als die Bürgerrechtler unter groß en Risiken bereits den Durchbruch gegen eine totalitäre Diktatur erkämpft hatten. Wenige Tage vor Weihn ach ten 1989 , fast sechs Woch en n ach d er M au eröffnun g, entschied sich An gela Merk el, im Demokratis chen Aufbruch (DA) mitzu wirken ." Der DA, d er sich a m 1 7 . D e z e m b e r 1 9 8 9 a u c h a l s P a rt e i k o n s t i t u i e r t h a t t e , wu r d e z u d i e s e m Z e i t-
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p u n k t n eb en d e m „N eu en F o r u m " (b ei d em Va t e r Ka s n e r m i t m i s c h t e ) a l s Fa v o ri t für den Sieg bei den kommenden DDR-Wahlen gehandelt. Der D DR -opp osit i on elle Th eologe und na chma li ge Mita rb eit er d er Gauck - B eh örd e E h rh a rt Neub ert , ei n er d er D A -Grü n d er, s c h ri eb üb er ei n g e wi s s es S p ä t ei n s t ei ger tu m von End e 1 989 : „Sie h ab en au f d ie Gelegen h eit gewartet, d ass das Risik o nicht mehr s o hoch ist. Wi r haben sie im mer Novemb errevolutionäre genannt." Bei Merkel wäre sogar „Dezemberrevolutionärin" zutreffend. Lo t h a r d e M a i zi è r e b eh a u p t et h eu t e, An g e la M e rk e l s ei woh l „n u r zu f ä l li g i n d i e C DU gerat en ". P rof. R a lf Der, b efreund et mit M erk el, s eit er ih re Dip loma rb eit an d e r Le i p z i g e r U n i v e r s i t ä t b e t r e u t e , f i n d e t : „ S i e k ö n n t e g e n a u s o g u t a u c h i n d e r S P D s ein. " Bi ographin Leßn erk rau s cha rakt eri si ert M erk els p oli tis ch en „S tand ort " wi e f o l gt : „ S i e i s t k on s e r va t i v , li b e ra l u n d p r o g r es s i v z u g le i c h . " B i o gr a p h La n g guth sieh t in M erk el „ein e Rep räsentantin ein es h eute sichtb aren Trends, d em zufolge Politiker der großen Parteien häufig als austauschbar erscheinen". E v e l yn R o l l s t e l lt ei n e i n d i es e m Zu s a m m en h a n g b e s on d e rs i n t er e s s a n t e B et ra c h t un g a n : „Kei n er v on d en R e volu t i on ä ren d es J a h res 1 989 sp i elt ei n e wi rk li c h b e d e u t e n d e R o l l e i n d e r v e r e i n i g t e n B u n d e s r e p u b l i k . Au ß e r V e r a L e n g s f e l d , G e r d Poppe und Rainer Eppelmann ist kaum einer was geworden in der bundesdeut s c h en P o li t i k . S i e wu rd en a l le s a m t zu Op f e rn d e r D em o k ra t i e, d i e s i e s e lb e r m i t e r k ä m p ft h a t t en . Un d wä h r end s i e a n i h r en i d e o l o gi s c h en H e m m u n g en u n d B r em sen gebastelt haben, während also auch diese Revolution wi eder einmal ihre Ki n d e r v e r z e h r t e , p r o f i t i e r t e n d i e a n d e r e n , d i e n e u d a z u g e k o m m e n w a r e n , wi e An g e l a M e rk e l. " Da zu p a s s t e i n zu t r e f f en d er Hi n we i s von „ B B C n e ws " , 1 9 . S ep t em b er 2 0 05 , d em zu folg e An g ela M erk e l von a ll en „Os s i s " d i e ei n zi ge s ei , d i e i n d er C DU -Fü h ru n g ü b erleb t h a b e: „S h e i s t h e on l y p rom i n e n t , Os s i ' (ea s t ern er ) t o have survived in the CDU leadership."
I m Anfang w ar der „B ruder S chnur" „Un er wa rt et s c h n ell zä h lt e s i e zu m Krei s v on 9 0 ha up t am t lic h fü r d en Dem ok ra t i s c h en Au fb ru c h t ät i gen M it a rb ei t ern i n d er DDR ", h ei ß t es i n J a c qu eli n e B o ys en s M erk el - Bi ographi e: Ab 1. Februa r 1990 wa r si e Angest ellt e in d er Ges chä ft ss t elle d es DA i n Os t b erli n . Un d p lötzli c h a uc h, s ch on ein e Woc h e s p ät er, a m 8 . Feb ru a r 1990 — drei Tage, nachdem DA, CDU und DSU, veranlasst von Kohl, für die V o l k s k a m m e r wa h l d e s n ä c h s t e n M o n a t s d i e „ A l l i a n z f ü r D e u t s c h l a n d " b e s i e g e l t h a tt en — , a van c i ert e An ge la M erk el zu r D A -P res s es p r ec h eri n . M it d i es em P os t en b e ga n n i h r e s t e i l e p o li t i s c h e Ka r ri e r e n a c h Un t e r ga n g d es k om m u n i s t i s c h en d eu t schen Teilstaatsregimes.
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E s wa r W o l f ga n g S c h n u r, d e r d a m a l i g e C h e f d e s D e m ok ra t i s c h en Au fb ru c h s , d er i h r d am i t zu m p oli t i s ch en Durc h b ruc h verh a lf. Wob ei s i e s elb s t b eh a up t et , es s ei e i n e Ad -h oc -E n t s c h ei d u n g d es D A- An fü h r e rs g e we s en , s i e z u r P r es s es p r ec h e ri n z u e r k l ä r e n . D a s i c h S c h n u r v o n An g e l a M e r k e l a u c h R e d e n r e d i g i e r e n u n d z u m T e i l s o ga r a u s a rb ei t en li eß (s i e h a b e d i e An s p r a c h en „ g e wi s s e rm a ß en a u s i n h a l t l i c h en V e rs a t z s t ü c k en g es c h a f f en ", s c h r ei b t B o ys en ), i s t a b e r zu v e rm u t en , d a s s e r s i c h s c h o n g e n a u ü b e r l e g t e , w e n e r d a f ü r d i e g e s a m t e M e d i e n a r b e i t b e s t a l l te D e r 1 9 4 4 i n S t e t t i n g e b o r e n e S c h n u r, n a c h H a l a c h a , d e n a l t t r a d i e r t en j ü d i s c h e n B e s t i m m u n g e n , e i n J u d e ( we i l s e i n e M u t t e r J ü d i n wa r ) , h a t t e i n d e r D D R a l s J u rist und Mann der Kirche Karriere gemacht. Protegiert wurde er von Manfred Stolpe (Kirchenfunktionariat) und von Erich Mielke (Staatssicherheit; Minister). Ab Mitte der 60er Jahre bis in die Zeiten, da das rote Regime in den letzten Zügen lag, stand Schnur in Diensten der Abteilung XX d es Ministeriums für Staatssicherheit (B espitzelung und Zers et zung kirchlicher und oppositioneller Gruppen). In d e r K i r c h e n a n n t e m a n i h n „ B r u d e r S c h n u r " ; d i e S t a s i f ü h r t e i h n u n t e r d e n D e c k n a m en „ T or s t en " u n d „ Dr . R a lf S c h i r m er ". M f S - C h ef M i e lk e d ek o ri e rt e i h n mit diversen Orden. G e wi s s e n l o s b e t r i eb S c h n u r V e r r a t a u c h a n M a n d a n t e n a u s Op p o s i t i on s k r e i s e n , d i e s i c h Hi l f e v on i h m e rh of ft en . Un d n i c h t m i n d er s k ru p el l o s s p i t z e lt e e r i n d e r Ki rc h e . E r wa r la n g e M i t g li ed d e r S yn od e d er E va n g e li s c h e n Ki rc h e i n M ec k l en bu rg, zeit wei s e Vi zepr äs es d er S yn od e d er E van geli sch en Ki rch e d er Uni on (E KU) u n d S yn o d a l e r d e s B u n d e s d er E v a n g e l i s c h e n Ki r c h en i n d e r D D R . „ H e u t e k a n n m a n i n S c h n u r s IM - T o r s t e n -Ak t e n n a c h l e s e n , wi e b i t t e r e r s i c h b e i s e i n e m F ü h r u n g s o f f i z i e r b e k l a g t h a t ü b e r d i e s e s g e h e u c h e l t e Ge t u e m i t e i n e m Go t t , a n d en er nicht glaube, diese ewige Beterei für die Stasi", schreibt Evelyn Roll. He lm u t Koh l, Vors i t z en d er d e r C h ri s t lic h - Dem ok ra t i s ch en Un i on u nd Ka n zler d e r B u n d e s r e p u b l i k D e u t s c h l a n d , f r a ß z u r W e n d e z e i t e i n e n Na r r e n a n S c h n u r , p ri e s i h n i n M e d i en a l s „ M a n n , d e m S i e v e r t r a u en k ö n n e n " u n d s t e l l t e i h n i n a l l e r Ö f f e n t l i c h k e i t s o g a r s c h on a l s „ d e n k ü n f t i g e n M i n i s t e r p r ä s i d e n t e n d e r D D R " v o r . Doc h k u rz vor d er Vo lk s k a mm er wa h l i m M ä rz 1 9 90 k a m en „B ru d er S c h n u rs " S t a si -Schurkerei en heraus. Er trat vom DA -Vorsit z zurück, legte sich einen veritablen N e r v e n z u s a m m e n b r u c h z u u n d g a b ö f f e n t li c h e S c h a u s p i e l e i n S e l b s t m i t l e i d . E s d a u e r t e b i s 1 9 9 3 , d a s s i h m d i e An wa l t s z u l a s s u n g w e g e n M a n d a n t e n v e r r a t s u n d Un wü rd i gk ei t en t zog en wu rd e , u nd s oga r b i s 1 99 6, d a s s das B erli n er La n d geri c h t i h n zu ( l ed i g li c h ) ei n e m J a h r a u f B e wä h ru n g i m Zu s a m m en h a n g m i t s e i n er S t a s i T ä t i gk ei t v eru rt ei lt e. Un g ek lä rt i s t , i n wi e we i t S c h n u r s wi e d e rh o lt e Hi n wei s e a u f seine jüdische Herkunft während des Prozesses und die lauthalsen Drohungen an 65
d a s G e r i c h t ( „ S i e s e t z e n e i n e J u d e n v e r f o l g u n g f o r t !" ) d a s S t r a f m a ß b e e i n f l u s s t e n . E i n s p ä t e r e s V e r f a h r e n g e g e n i h n w e g e n d e s V o r wu r f s , e r h a b e n a c h d i v e r s e n P l e i t e n i m J a h r e 1 9 9 9 m i t e i n e m i s r a e l i s c h e n u n d e i n e m s c h w a r z a f r i k a n ischen Kumpan versucht, gefälschte Wertpapiere im Nennwert von einem zweistelligen Millionenbetrag bei einer Bank zu versilbern, verlief im Sande. An g e l a M e r k e l t a t d e r S t u r z i h r e s s t a s i v e r s e u c h t e n P r o t e g ä s f r e i l i c h n i c h t we h . U n d a u c h d a s s ch wa c h e D A - E r g e b n i s b e i d e r V o l k s k a m m e r w a h l i m M ä r z 1 9 9 0 ( d i e n u n S c h n u r -l o s e T r u p p e e r r a n g g e r a d e m a l 0 , 9 3 % , w a s n u r v i e r M a n d a t e b r a c h t e ) wi r k t e b e i i h r n i c h t k a r ri e r e h e m m e n d . Au f d e r v on C D U , D S U u n d D A verei nba rt en „Alli an z -fü r - Deut sch land" -P rop orzschi en e rutscht e s i e in s Amt ein er s t e l l v e rt r et en d en P r es s es p r ec h e ri n d e r DDR- R e gi e ru n g — a l s Vi z e v on M a t t h i a s Geh ler, d er zu vor Mit arb eit er d es Zent ra lb lat t es „Neu e Zeit " d er B lockpa rt ei CDU ge wes en wa r u n d d an n a ls R efer en t d es s c h li eß li c h ü b er s e i n e S t a s i -V ers t ri c ku n g gestrauchelten Generalsekretärs der Ost-CDU, Martin Kirchner, gewirkt hatte. Al s s t e l l v e rt r et en d e P r es s ea m t s c h e fi n g eh ö rt e An g e l a M erk e l a u c h d e m M i n i s t e r rat an, a ls o d em Kabin et t d er let zt en DDR- R egi erun g, di e von Lot ha r d e Mai zi ère ( C D U- O s t ) g e fü h rt wu rd e. D en P os t en b ek l ei d et e s i e v on Ap ri l b i s zu m Vo l l zu g d er Wi ed ervereini gun g, An fang Okt ob er 1990, d en Mini st erp rä sid ent en b ei s ein en B e s u c h en i n a l l en b ed eu t en d en Ha u p t s t ä d t en E u r op a s b e g le i t en d . Di e k lä g li c h en Reste d es Demok ratisch en Au fb ru chs ab er sch lossen sich im Au gu st 1990 d er D DR -C DU a n . Au f d i es e W e i s e k a m An g e la M e rk e l a n d a s P a rt ei b u c h d e r C h ri s t demokraten.
Rettung aus Dritter-Oktober-Depression N a c h d e m S t a s i -S c h n u r w e g v o m F e n s t e r w a r , ü b e r n a h m e i n a n d e r e r P o l i t i k e r , d e s s e n Ka r r i e r e s p ä t e r s k a n d a l ö s z u s a m m e n b r e c h e n s o l l t e , d i e B e o b h u t u n g u n d Förd erun g An gela M erk els: Gü nth er Krau se, d er als Parlamen tarisch er Staatss ek r et ä r wi e s i e , d i e Vi z e- P r es s es p r ec h e ri n , d i r ek t i m Am t d es M i n i s t erp rä s i d en t e n d e M a i z i è r e i n O s t b e r l i n a n g e s i e d e l t wa r u n d s c h o n v o n d a h e r v i e l K o n t a k t zu Merkel hatte. D r . -In g . G ü n t h e r K r a u s e w a r „ d e r S t a r d e r N a c h w e n d e -Z e i t , H e l d d e s O s t e n s , Vorzei ge -Os si von Koh l" (E velyn R oll). Der C DU - Kan zler, ähn lich enthu sia sm i ert wi e z u vo r v on „B ru d e r S c h n ur " , s a n g i n a l l e r Öf f en t li c h k ei t , b ei Kr a u s e h a n d e l e es sich um „das große p olitische Ta lent der neu en Bundesländer". Krause wa r 1 9 5 3 i n Ha l l e a n d er S a a l e zu r W e l t g e k om m en , s e i t 1 9 7 5 M i t g li ed d e r B l oc k p a r t ei -CDU in d er DDR, ab 1982 an d er In geni eur- Hoch schu le in Wis ma r t äti g. Nach seiner Wahl in die Volkskammer, März 1990, übernahm er die Führung der Frakti66
o n s g em e i n s c h a ft a u s C DU u n d D A. Al s S t a a t s s ek r et ä r wa r e r a n d en V e rh a n d lu n gen für d en deutsch- deutsch en Einigungsvertra g vom 21. Juli 1990 ma ßgeblich beteiligt. Am 3 . Oktob er 1990 wu rd e dan n au fgrund d es vorgen annten Vertrages d er Ans c h lu s s d e r fü n f Lä n d e r d e r e h e m a l i g e n D e u t s c h e n D e m o k r a t i s c h e n R e p u b l i k a n d i e B u n d es r ep u b li k D eu t s c h la n d a m t li c h v o l l z o g en . Da m i t h a t t e s i c h d a s Da s ei n d er DDR -Regi eru n g er l ed i gt . An j en em 3 . Ok t ob er, d es s en Wi ed e rk eh r a llj ä h rli c h als Nation alfeiertag d er Deutsch en zeleb riert wird , hatte An gela M erk el aller d i n g s , wi e B i o g r a p h i n E v e l y n R o l l s c h r e i b t , „ H a l b m a s t - Ge f ü h l e " . M e r k e l s e l b s t b e r i c h t et : „ Ic h h a t t e i n d e r Na c h t j a g e r a d e m e i n e n s c h ö n en P o s t en a l s s t e l l v e r tretende Regierungssprecherin eines nun nicht mehr existierenden Staates v e r l o r e n . J e t z t s o l l t e i c h a l s R e f e r e n t i n i m B u n d e s p r e s s e a m t a r b ei t e n m i t B e s o l d u n g s zi ff e r A 1 3 . V o rh er m u s s t e i c h a b e r n oc h i n W e s t -B e rl i n ei n e E i n s t e l lu n gs u nt ers u c hu n g fü r d en öffen t li c h en Di en s t üb er m i c h ergeh e n la s s en . Un d wei l i c h einen hohen Blutdruck habe, sagte man mir, es sei gar nicht sicher, ob ich in den öffentlichen Dienst übernommen würde. Und ich dachte: Gerade hast du noch bei Mitterrand gesessen, nun bist du wieder vereint — und nichts mehr." Als R et t er aus Dritt er- Okt ob er -Dep ressi on erwi es si ch : Günth er Kra us e. Der „s ta r k e M a n n " d e r C D U i n M e c k l e n b u r g - V o r p o m m e r n h a t t e A n g e l a M e r k e l d e n B u nd e s t a g s wa h lk r e i s 2 6 7 , R ü g e n / S t r a l s u n d / Gr i m m e n , d e n f ü r d i e C h ri s t d e m o k ra t en s i c h e r s t en v on a l l en i m La n d a m Os t s e e s t ra n d o r ga n i s i e rt . Na c h d e m m a n b ei d e r Nominierun g ein es d ort b ereits als Bewerb er gewäh lten Parteifreun d es „ein en F o r m f e h l e r g e f u n d en " h a t t e , wa r d e r W e g f r e i . D i e Au f s t e l l u n g An g e l a M e r k e l s als Bundestagskandidatin erfolgte in Prora auf Rügen. D i e M e r k e l - Kü r f a n d i n d e n R ä u m l i c h k e i t e n d e r e h e m a l i g e n M i li t ä r t e c h n i s c h en Schule „Erich Habersaath" der DDR statt. Das Gebäude gehört zu dem an der P rorer Wi ek gelegen en ri esi gen „Kra ft du rch Freud e" -Zent rum , d em größt en Zi vi l b a u we rk d e s D ri t t en R ei c h e s . Ar c h i t ek t P r o f e s s o r C l em en s Kl o t z wa r f ü r s ei n en E n t wu r f 1 9 3 7 b e i d e r P a r i s e r W e l t a u s s t e l l u n g v o n d e r i n t e r n a t i o n a l e n J u r y m i t d e r Go ld m ed a i l l e a u s g e z e i c h n et wo rd en . Ad o l f Hi t l e r d a c h t e s i c h P r o ra a ls F e r i enparadies für Hunderttausende Arbeiter und ihre Familien, wozu es kriegs bedingt nicht kam. Die sich über Ki lomet er erstreckende An lage stand in der D DR we i t g eh en d u n g en u t zt he r u m u n d d en H er r s c h en d en n a c h 1 9 9 0 i s t a u c h k ei ne sinnvolle Verwendung eingefallen. An g e l a M e rk e l er r e gt e d a m a ls ü b ri g en s n oc h m i t i h r em ei g e n t ü m li c h en „Ou t fi t ", S c h l a b b e r r o c k m i t „ J e s u s l a t s c h e n " u . ä . , Au f s e h e n . D e r J ou r n a l i s t H u g o M ü l l e r V o g g w e i s t a u f e i n e p r o p a g a n d i s t i s c h e Ü b e r l e g u n g h i n , d i e i n f ü h r e n d e n C D U67
Kr e i s en a n g e s t e l lt wo rd en s ei . D e m zu f o l g e wo l lt e m a n „ ei n en z we i t en Fa l l S a b i n e B e r g m a n n- P o h l v e r m e i d e n " . D i e s e , V o l k s k a m m e r- P r ä s i d e n t i n 1 9 9 0 u n d p r o m i n en t e s t e D DR- C h ri s t d em ok r a t i n d er e rs t en W e n d e z e i t , s e i „d u r c h i h r e E s c a d a Kostüme bekannt geworden" und habe durch ihre Extravaganz im Volk Unbehagen ausgelöst. Gü n t h e r K r a u s e , d e r u n t e r d es s e n i n s Ko h l - Ka b i n et t n a c h B o n n g e w e c h s e l t wa r , s et zt e s i c h zu s ä t zli c h da fü r ei n , d a s s d i e a m 2 . Dezem b e r 1 9 90 fri s c h in d en Bu nd e s t a g g e wä h l t e An g e l a M e r k e l a u c h z u M i n i s t e r wü r d e n k a m . H e l m u t K o h l b er i c h t et e s p ä t e r. „E s wa r Kr a u s e , d e r s ei n en E i n f lu s s b ei m i r g e lt en d m a c h t e , u m An gela M erk el in d ie erste gesamtd eutsch e Bund esregierun g zu b eru fen." Bei E v e l yn R o l l li es t s i c h d er Vo r gan g f o l g en d e rm a ß en : „ Al s Ko h l d r ei os t d eu t s c h e Minister in seinem Kabinett haben wollt e, ist es Krause gewesen, der gesa gt h a t : Gu c k d i r d oc h m a l d i e An g e la M e rk e l a n . " S o k a m es d a n n s c h li eß li c h zu i h r e m Ka r r i e r e s p r u n g i n s B u n d e s k a b i n e t t . Am 1 8 . J a n u a r 1 9 9 1 wu r d e M e r k e l a l s Bundesministerin für Frauen und Jugend in der Regierung Kohl vereidigt. W e r a l s A n g e h ö r i g e r d e s M i n i s t e r i u m s- A p p a r a t s g e d a c h t h a b e n m a g , M e r k e l , Koh ls h a rm los a n m u t en d es „M äd c h en ", k önn t e i m li s t en- , fi n t en - un d i nt ri gen reichen Bonn nicht mithalten, sah sich rasch getäuscht. Sie sei „bald geachtet, a b e r a u c h g e fü rc h t et " wo rd en , b e ri c h t et E v e l yn R o l l. W e i t e r : „ An gi e d i e S c h l a n g e , h i e ß e s i m M i n i s t e r i u m . An g i e i s t g e f ä h r l i c h . " D i e B i o g r a p h i n z i t i e r t e i n en e h e m a l i g e n M i t a r b e i t e r d e r M i n i s t e r i n : „ S i e g u c k t e d i c h a n wi e e i n e S c h l a n g e . Du wusstest noch gar nicht, was will sie überhaupt, schon schnappte sie zu." U n d Kr a u s e ? N o c h a m 1 4 . D e z e m b e r 1 9 9 1 h a t t e An g e l a M e r k e l i n e i n e m In t e r vi e w m i t d em „Ha m b u rger Ab en d b la tt " ü b er i h n erk lä rt : „ Ic h s c h ät ze s ei n e Arb ei t u n g e m e i n . E r i s t e i n V e r t r e t e r d e r o s t d e u t s c h e n In t e r e s s e n . Ü b e r i h n wi r d s e h r v i e l U n g e r e c h t e s g e s c h ri e b e n u n d g e s p r o c h e n . " D a s wa r n o c h zu e i n e r Z e i t , a l s Kr a u s e z wa r s c h on a n g e g r i f f e n , a b e r l ä n g s t n o c h n i c h t a n g e s c h l a g e n wa r . D oc h dann geri et Merk els Pa rt eifreund und Prot egé wegen Ska ndale in sch were Was ser. Prompt ließ sie ihn fallen wie ein en glüh end en Erdap fel. Und sie b eerb te i h n a u c h n o c h i m J u n i 1 9 9 3 i m C D U- L a n d e s v o r s i t z v o n M e c k l e n b u r g- V o r p o m mern. Dabei handelte es sich bei den Affären Krauses, vergleicht man sie mit dem S ü nd en regi s t er a n d erer P oli t i k er, d i e un verd ros s en i n Am t u nd Wü rd en geb li eb en s i n d , u m „ p e a n u t s " : D a g a b e s e i n e s o g e n a n n t e P u t z f r a u e n a f f ä r e ( K r a u s e s Ga t t i n , n i c h t e i n m a l e r s e l b s t , h a t t e z u r B e z a h l u n g e i n e s A t a - G i r l s M i t t e l d e s A rbeitsamtes beansprucht) und eine Umzugsaffäre (Steuergeld für Umzugskosten).
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S p ä t er a lle rd i n gs s t and er we gen i ll ega ler Wä h ru n gs s p ek u la t i on vor Ge ri c h t , wu r de auch verurteilt, doch hob der Bundesgerichtshof das Verdikt 2002 auf. „ W e n n m a n K r a u s e a n An g e l a M e r k e l e r i n n e r t , w e r d e n s e i n e P u p i l l e n e n g . D e r Tonfa ll verschärft sich. Die leichte Bitterkeit schlägt um in schweren Ha ss", schreibt Evelyn Roll. 0- Ton Günther Kraus e: „ Ih r Hauptförd erer, der dafür ges orgt hat, dass sie üb erhau pt au fs Festb ank ett k ommt, war ich. Und als ich in s Wan k en gek ommen b in, hat sie den Finalschuss ab gegeb en . So ist die. So funktio n i e rt d i e. Un d d a s k ön n en S i e d u rc h a u s zi t i e r en : W e n n m a n F r a u M e rk e l d en R ü cken zudreht, gibt's einen Tritt in den Arsch."
Mit „Emma" und der Beauvoir D a s J a h r 1 9 9 1 h a t t e n u n g l e i c h e i n e n d o p p e l t e n Ka r r i e r e s p r u n g f ü r An g e l a M e r k e l g e z ei t i gt . S i e g e la n gt e n i c h t n u r i n s Ka b i n et t d e s H e lm u t Koh l, s on d e rn wu r d e a u c h d e s s e n V i z e c h e f i n i n d e r C D U — a l s N a c h f o l g e r i n d e s u n t e r S t a s i -V e r dacht geraten en Lothar de Maizière. Üb er Vorgeschichte und Umstände dieses Merkel'schen Parteiaufstiegs später mehr. Au s e i n i g e n V e r l a u t b a r u n g e n u n d M a ß n a h m e n An g e l a M e r k e l s i n i h r e r Z e i t a l s B u n d es m i n i s t e ri n fü r J u g en d u n d F ra u en , 1 9 9 1 -1 9 9 4 , g la u b t en m a n c h e B e ob a c h t er sch li eß en zu k önn en, es h and ele si ch b ei ihr u m ein e „CDU -Li nk e". Zu d i es em Eind ruck tru g b eispielsweise ih r „Gleichb erechtigun gsgesetz" b ei, das gemäß Gu sto d er Ministerin „an tidisk rimin ierend " sein und Gesch lechtsgen ossinn en et wa b ei d er Arb ei t s p la t zs u c he b egü n s t i gen s ol lt e. Au c h An gela M erk e ls i n „fo rt s c h ri tt li c h en " Krei s en a ls „em a n zi pa t ori s c h " b et ra c ht et e Le b en s fü h ru n g — b eru fs t ä t i g, ni ch t eh eli c h e Zwei e rb e zi eh u n g, n u ll Ki n d er — t ru g zu i h rem „p rogre s s i ven Image" bei. Im O k t o b e r 1 9 9 1 wu r d e d i e J u g e n d - u n d F r a u e n m i n i s t e r i n v o n d e r J o u r n a l i s t i n H e r li n d e Ko e l b l g e f ra gt : „ Kön n en S i e s i c h v o rs t e l l e n , i h re n Le b en s g e fä h rt en zu h ei rat en , vi ellei c h t ei n Ki n d zu h ab en und d ab ei ak t i v P oli t ik zu b et rei b en ?" M er k e ls An t wo rt : „ N e i n , zu s a m m e n m i t d e r P o li t i k k a n n i c h es m i r n i c h t v o rs t e l l en . E i n e H e i r a t wü r d e m ei n Le b e n n i c h t ä n d e r n . Ab e r e i n Ki n d wü rd e n a c h m e i n e m Verständnis b ed euten, d a ss ich die Politik au fgeb e. Das ist ab er zu r Zeit k ein Thema. Vielleicht wird es auch keines mehr." An g ela M erk e l rü h m t s ic h , s ch on zu DDR - Zei t en „s eh r g er n e S i m on e d e B ea u voi r g e l e s e n " z u h a b e n , „ e i n e d e r wi c h t i g s t en V o r d e n k e r i n n en d e s F e m i n i s m u s , e i n e s t a rk e Fra u a u s d em bü rger li c h en La g er ". Di e Kern b ot s c h a ft d er b es a gt en fra n zö sischen Emanzen-Ideologin aber lautete: „Ich beklage die Sklaverei, die der Frau 70
d u r c h d i e M u t t e r s c h a f t a u f g e z wu n g e n wi r d . D i e F r a u b l e i b t n a c h wi e v o r H a u s sklavin, denn sie wird erdrückt, erstickt, abgestumpft und erniedrigt von der K l e i n a r b e i t d e r H a u s wi r t s c h a f t , d i e s i e a n d i e Kü c h e u n d d a s Ki n d e r z i m m e r f e s s elt und ih re Sch a ffensk ra ft du rch ein e gerad ezu ba rba ri sche, unp rodukti ve, k lein l i c h e, e n t n e r v en d e, a b s t u m p fe n d e, n i ed e rd rü c k en d e Ar b ei t v e r g e u d en lä s s t . " M i t i h r e m 1 9 8 5 a l s C D U -B u n d e s fa m i l i en m i n i s t e r i n g e ä u ß e r t e n B e k e n n t n i s z u r W e l t s i c ht d er S i m on e d e B ea u voi r („S i e i s t m ei n Vorb i ld ") h at te s c h on Ri t a S ü s s mu th im Ans ehen „Fortschrittlicher" reüssier en können. Das Linksemanzenblatt „Em ma" säuselte: „Lovely Rita." Ap r o p o s : Z wi s c h e n „ E m m a " -S c h wa r z e r u n d d e r C h e f i n d er „ S c h wa r z e n " b e s t e h t b e r ei t s la n g e gu t es E i n v e rn eh m en . „ Ic h u n t e rh a lt e m i c h g e rn m i t i h r ", s a gt An g e la M erk el, die sich sch on in d en 90 er - Jah ren als Autorin in „Emma" zu Worte g e m e ld et h a t t e. „M i t Al i c e S c h wa r z e r v e r s t eh t s i e s i c h gu t ", n ot i e rt La n g gu t h i n s ei n er Leb en s b es c h rei b un g d er c h ri s t d em ok ra ti s ch en P oli t i k eri n . „S c h wa rz er wa r ei n e d er ers t en , d i e s i ch fü r M erk el a ls C DU -C h efi n a u s ges p roc h en h a tt en ", wei ß B i o gra p h i n E v e l yn R o l l . Di e „ E m m a " -E m a n z e wa r e i n s t a ls l a u t s t a rk e P rop a ga n d i s t i n d e r A n t i -§ - 2 1 8 - B e w e g u n g „ M e i n B a u c h g e h ö r t m i r " a u f d i e ö f f e n t l i c h e Bühne getreten. Was sie in dieser Hinsicht fo rdert, geht sogar noch weit über jene „liberalen" Gesetze hinaus, die ohnehin schon vom Bundesverfassungsgeri cht a ls ek la tant verfas sungs wi dri g, wei l di e Un geb orenen ma s si v ent recht end, kassiert worden sind. Als es 1 992 im Bund estag um ein en Gesetzen twu rf von SPD, Grün en und FDP ging, der die Abtreibung in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten weitg e h en d fr ei g a b , v ot i ert e An ge l a M e rk e l, d i e c h ri s t d em ok ra t i s c h e B u n d e s m i n i s t e rin fü r Ju gend und Frau en, mit Entha ltun g. Ob woh l zu glei ch ein d en Leb en s schut z b es s e r b ea c h t en d e r C DU/ C S U- Ge s e t z en t wu r f v o r la g, d e r i n i h r e m ei g en en M i n i s terium mit erarbeitet worden war. M erk el v ers u c h t e i m Ges p rä c h m it Herli n d e Ko e lb l, De ze m b er 1 99 2 , Vers t ä n dn i s f ü r i h r e i g e n t ü m li c h e s Ab s t i m m u n g s v e r h a l t en z u e r h e i s c h e n : „ W ä h r e n d d e r g a n zen Au seinan d ersetzun g war d er Druck von allen Seiten, au ch d er öffen tlich e D ru c k , s o s t a rk , d a s s i c h a m S c h lu s s k a u m n oc h wu s s t e , wa s i c h s e lb e r wi l l . Da s h a t m ei n e ei gen e E n t s ch ei du ng s o s c h wer g em a c h t . " Bi ogra p hi n E vel yn R ol l frei l i c h n o t i e r t „ N o c h h e u t e f ä l l t v i e l e n d i e s e Ab s t i m m u n g e i n , w e n n s i e e r k l ä r e n wo l l e n , d a s s An g e l a M e r k e l i m m e r s c h o n a b g e wa r t e t h a t , wo h e r d e r W i n d we h t , dass sie immer laviert." Gegen das von SPD, Grünen und FDP, bei Enthaltung der Ministerin Merkel, durchgebrachte Abtreibungsgesetz strengten 248 Abgeordnete der CDU/CSU eine 71
V e r fa s s u n gs k la g e a n , d i e i n Ka r l s ru h e E rf o l g h a t t e u n d zu m j u ri s t i s c h en In k a s s o des M ehrh eitsbesch lusses des Bundestages durch das höchste d eutsche Gericht f ü h rt e . „ Al s W o l f g a n g S c h ä u b l e , d e r z u d e r Z e i t s c h on F r a k t i on s c h e f wa r , m i c h f r a g t e , o b i c h d a s N o r m e n k o n t r o l l v e r f a h r e n u n t e r s c h r e i b e n wü r d e , h a b e i c h d a s o h n e Z ö g e r n g e t a n " , b eh a u p t e t M e r k e l i n i h r e n a u t ob i o g r a p h i s c h e n Ge s p r ä c h e n m i t Hu g o M ü l l e r -V og g. P r of. La n g gu t h h a t d e n Fa l l u n t e rs u c h t u n d i s t a u f Un g e r e i m t h e i t e n g e s t o ß e n . In s e i n e r M e r k e l -B i o g r a p h i e f i n d e t m a n d a z u f o l g e n d e n W o r t we c h s e l z wi s c h en i h m u n d i h r : „ S i e a r gu m en t i e r en , S i e h ä t t en s i c h d e r Kl a ge beim Bundesverfassungsgericht der 248 Bundestagsabgeordneten ang eschloss en . "/ „Ha b e i c h au ch . " — „ Ic h ha b e ab er Ih r en Na m en a u f d er Kla g es c h ri ft n ic ht g e f u n d en . " / „M a g s e i n , we i ß i c h n i c h t m e h r , u n t e r s t ü t zt h a b e i c h d i e Kl a g e p o l i tisch immer." Im J a n u a r 1 9 9 2 s t a rt et e B u n d es j u g en d m i n i s t eri n M e rk e l e i n „ Ak t i on s p ro g ra m m " mit insgesamt 132 „An ti - Aggression s- Projek ten " zu r Eindämmun g d er Ju gendg e wa l t . Vi e l e s d a von b e we g t e s i c h i m R a h m en d e s Üb li c he n . E t wa „ M a ß n a h m en gegen R echt s radika le" (z. B. „Verb ot n eona zi sti sch er Ton t rä ger"). Doch ein es d er „ An t i -Ag gr es s i on s -P r oj ek t e" d es Ha u s es M erk el ri c h t et e s ic h s oga r gegen Um t ri e b e, die au f d as Kerbh olz Mäch tiger geh en, n ämlich d er M ed ien gewaltigen d es F e r n s eh en s : d i e In i t i a t i v e g e ge n v e rr oh en d e u n d zu Ge wa l t a n s t a c h e ln d e Da rs t e l lun gen au f d em Bi ldsch irm. Auch di e in M erk els „P ro j ekt- Pak et " en tha lt en e An reg u n g , ei n S c h u lp f li c h t fa c h Vö l k erk u n d e ei n zu fü h r en , wa r s i c h e r b e g rü ß en s we r t . D e r E t h n o l o gi e, a l s o d er E r f or s c h u n g, B es c h r ei b u n g u n d Wü rd i gu n g d er n a t i on a len Vielfalt d er M en schh eit, geh ört d rin gend wied er mehr Au fmerksamk eit g e zo llt . Au c h d es h a lb , wei l d i e Völk e rk u nd e b ei d er Zu wa n d eru n gs fra ge r ec h t zei t i g H i n wei s e d a ra u f l i e f ern k a n n, we l c h e M i g ra n t en zu r Ku lt u r d es Au fn a h m e la n d es passen und d esh alb gu t in tegrierbar sind und welch e p oten ziellen Zu wand erer wa h rsch ein lich i mm er fremd e E lem ent e in ges ells cha ft lich en Pa ra llelt op oi b leib en werden, was für das Gemeinwesen mit hohen Risiken behaftet ist. Al l e i n : „ Di e m ei s t en In i t i a t i ve n v e r li e f en i m S a n d e ", r e s ü m i e rt S c h l e y d en p ra k t i s c h n i c h t v o r h a n d e n e n E r t r a g d e r M e r k e l ' s c h e n „ An t i -A g g r e s s i o n s - P r o j e k t e " . Au c h d i e In i t i a t i v e g e g e n d e n „ b l u t i g e n B i l d s c h i r m " b r a c h t e e r s i c h t l i c h n i c h t s . Ebenso war der Vorschlag „Völkerkunde an die Schulen" erfolglos.
Klimaschutz und „Castor"-Strahlen N a c h d e r B u n d e s t a g s wa h l 1 9 9 4 ü b e rn a h m An g e l a M e r k e ! a m 1 7 . N o v e m b e r d e s J a h r e s i m n eu en Ka b i n et t Ko h l d a s M i n i s t eri u m fü r U m we l t , Na t u r s c h u t z u n d R e aktorsicherheit als Nachfolgerin von Klaus Töpfer. Als Höhepunkt ihres Wirkens 72
i n di es em Am t em p fi n d et s i e i h re P rä s i d en t s ch a ft b ei m s o gen a n n t en UNO- Kli m agipfel in Berlin, der im April 1995 mit rund 1000 Delegierten aus 130 Staaten s t a t t fa n d . Da b ei wu rd e d a s „B e r li n er M a n d a t " b e s c h l os s en — ei n e Ab s i c h t s e rk lärun g, d ie „Treibhau sgase" erh eb lich zu vermind ern. Aller din gs folgte d er Verab schiedun g d es b esagten Man dates au f d er Tagun g sch on bald die weitgeh ende Verabschiedung von dessen Inhalt in der Realität. 1 9 9 7 wa rt et e U m we l t m i n i s t e ri n M e rk e l m i t d em V o rs c h la g z u r E i n fü h ru n g e i n e r A r t Ö k o s t e u e r a u f . S o e r k l är t e s i e b e i s p i e l s w e i s e a m 1 7 . J u n i d e s J a h r e s i n d e r „ F r a n k fu r t e r R u n d s c h a u " : „ E n e r g i e i s t h e u t e z u b i l l i g . . . E s m ü s s e n a u s m e i n e r S i c h t g e z i e l t d i e S t e u e r n a u f E n e r g i e a n g e h o b e n we r d e n , s e i e s ü b e r M i n e r a l ö l , Hei zgas od er St rom. Der gewün scht e um welt p oli t isch e Len kun gs- od er Lern effekt tritt freilich nur ein, wenn klar ist, dass die Steuersätze über Jahre allmäh lich angehoben werden." B e i d e n Au s e i n a n d e r s e t z u n g en u m d i e At o m k r a f t we r k e e r g r i f f M e r k e l P a rt e i fü r d i e a u s d e r Ke r n e n e r g i e Ka p i t a l s c h l a g e n d e n Ko n z e r n e . A u c h s e t z t e s i e s i c h v e h em en t fü r d i e F o r t s et zu n g d e r s o g en a n n t en C a s t o r- T ra n s p ort e m i t ra d i oa k t i v en Ab fä l l en ei n , g e g en d i e s i c h e i n e b r e i t e P r ot es t f ron t g eb i ld et h a t t e. Hoh e W e l l e n s c h l u g e n E n t h ü l l u n g e n i m M a i 1 9 9 8 , d a s s d i e C a s t o r -B e h ä l t e r e n t g e g e n d e r B e t e u e r u n g e n d e r In d u s t ri e u n d d e r M i n i s t e r i n s e i t J a h r en S t r a h l u n g e n a u f wi e s e n , die üb er d en zu lässigen Gren zwerten lagen . Der An seh en sverlust M erk els, die s i c h von d en Kon zern en „h i n ters Li c h t gefü h rt " fü h lt e, wa r erh eb li c h . Di e C a st orAffä re t ru g zu r s c h wer en Wa h ln i ed erla g e d er Koh l -R e gi er u n g i m S ep t em b er 1 99 8 u n d z u i h r e r Ab l ö s u n g d u r c h R o t g r ü n b e i . An g e l a M e r k e l v e r t e i d i g t e i h r e n v o r pommerschen Bundestagswa hlkreis zwar, fi el allerdings auf 37,3 Prozent der S t i m m en z u rü c k , wä h r en d e s b ei i hr em e r s t en An t ri t t , 1 9 9 0 , b e i n a h e n o c h d i e a b solute Mehrheit, 48,5%, gewesen war.
Die Schwarze-Koffer-Bombe platzt ... „Der 4 . Novemb er 1999 wu rd e zum Sch warzen Donn erstag, zu m sch wärzesten T a g i n d e r b i s h e r i g e n G e s c h i c h t e d e r C D U " , h e i ß t e s i n d e r M e r k e l- B i o g r a p h i e von E ve l yn R ol l. Wei t er : „E s wa r d e r Ta g, a n d em Ha ft b efe h l ge gen Wa lt h er Lei s ler Kiep erlassen wu rd e, d er Tag, an d em die Sp end en affäre b egann ." An gela M e rk e l e r l eb t e d en S c h wa r z en D on n er s t a g a l s n u n m eh ri g e Ge n e r a ls ek r et ä ri n d e r „ S c h wa r z e n " . An d i e s e n P o s t e n wa r s i e g l e i c h n a c h d e r B u n d e s t a g s wa h l , i m N o vember 1998, gekomm en — vorgeschlagen von Kohls Erb en als Partei vorsitzender, W o l f g a n g S c h ä u b l e , u n d i n d e r Na c h f o lg e v on E x -P a s t o r P e t er Hi n t z e. D e r h a t t e als ein Bauernopfer für die Wahlniederlage gegen Rotgrün herhalten müssen. 73
Ki e p , m e h r a l s z we i J a h r z e h n t e l a n g ( 1 9 7 1 - 9 2 ) C D U -B u n d e s s c h a t z m e i s t e r , z e i t we i s e z u g l ei c h La n d es fi n a n zm i n i s t e r i n Ni ed er s a c h s en , s owi e H a n s -D a m p f -i n -a l len- Gass en internationaler Ins iderzi rkel (Atlantik -Brücke, Trilatera le Kom mission, B i ld erb erg er), wa r a m b es a gt en S c h wa rz en Don n ers t a g d er C h ri st d em ok ra t en p er H a ft b e f eh l d es Am t s g eri c h t s Au g s b u r g ei n g es p e r rt wo rd en . E s wa r d en S t ra f v er fol ge rn zu r Ken n t ni s gela n gt , d a s s er ru n d a ch t Ja h re zu vo r, a m 2 6 . Au gu s t 1 99 1, von d em Bitu men fab rikan ten und Waffen schieb er Karlhein z Sch reib er, ein em C S U- Mit gli ed, au f d em Pa rkp lat z ein es Sch wei zer Eink aufs zent ru ms in St. Ma rga r e t h en ei n en Ko f f er m i t ei n e r M i l li on M a rk d u b i os e r Z we c k b es t i m m u n g e rh a lt en hatte. Eine Versteuerung der Summe fand nicht statt. Ki ep k a m s c h on t a gs d rau f, 5 . Nov em b er 1 9 99 , gegen ei n e Ka u t i on von fa s t ei n er h a lb en M i lli on M a rk wi ed er a u f frei en Fu ß . Doc h es k on nte von d en in volvi e rt en Kreisen nun nich t meh r verhind ert werd en, dass nach u nd nach ein wah rer Ab g r u n d a n R e c h t s b ru c h , S c h i eb u n g , B e s t e c h u n g u n d Ko r r u p t i o n m i t V e r wi c k lu n g prominenter P olitiker der C DU/CSU (neb en Koh l und Kiep z. B. Bundesinnenminis t er Kanth er und E x -Verfas sungs schu t zch ef P fah ls ) offenba r wu rd e. Di e Au s wu ch e run gen des Skandals reichten bis zu der vermutlich mit 50 Mio. geschmierten Veräuß erun g d er Leu na -Min era l-R a ffin eri e (Sach s en - Anha lt) n eb st d eren Tank st el l e n n et z a n d en i n F ra n k r ei c h s i t z e n d en Ko n z e rn E lf Aq u i t a i n e u n d zu ei n em v o r derorientalischen Panzerd e al mit wohl sogar 220 Mio. als „Schmiere". Rasch m a c h t e d a s W o rt v on d e r „B on n er B i m b es - R ep u b li k " d i e R u n d e ( „ B i m b es " : Au s druck aus Kohls Pfälzer Hei mat für Schmiergeld). Bezei chnend war auch ein „Spiegel"-Titel: „Die geschmierte Republik". I m Z e n t r u m d e r S c h w a r z e- K o f f e r- A f f ä r e u m i l l e g a l e P a r t e i s p e n d e n -M i l l i o n e n stand nun aber niemand anderes als der Mann, der ein Vierteljahrhundert als P a rt eifüh rer di e Ch ris t lich -Dem okrati sch e Uni on Deut sch land s gep rä gt hat t e. Ges t e rn n oc h i n d e r v e r öf f en t li c h t en M ei n u n g a l s „ Ka n z l e r de r E i n h ei t " g eb en ed e i t , g e r i et H e l m u t Ko h l n u n zu r „d i c k en , gi ft i g en S p i n n e i m Ne t z ", zu m „ ra c h s ü c h t i g e n a l t e n M a n n , d e r 1 6 J a h r e l a n g 1 6 S t u n d en a m T a g d i e P a r t e i b i s i n d i e l e t z t en Un t ergli ed eru n gen m a n i puli ert u n d n eb en b ei a uc h n och ei n La n d regi e rt h a t ", wi e e s i n E v e l yn R o l ls M erk el -B i og ra p h i e h ei ß t . P r o f. La n g g u t h b em ü h t ei n ä h n l i c h e s B i ld u n d s c h r e i b t v o m E x -Ka n z l e r a l s „ d e r d i c k e n S p i n n e i m N e t z we r k " . Friedbert Pflüger, selber hochrangiger CDU -Politiker und zur Hoch -Zeit der „dicken S p i n n e " a u f g es t i e g en , v e r öf f en t li c h t e 2 0 0 0 ei n B u c h t i t e l s „ E h r en wo rt . Da s S ys tem Kohl und der Neub eginn", in welch em er die Umt rieb e soga r mit dem Trei b en d er „E h ren we rt en Ges el ls c h a ft ", a ls o d es s c h werk ri m i nel l en Un t erwelt -M ob s a u f S i zi li en , v e r g li c h u n d rh et o ri s c h f ra gt e : „ W a s u n t e r s c h e i d et d en n d i e s es i l l e gale Finanzierungssystem von der Mafia?"
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Ko h l g es t a n d i m D e z em b e r 1 9 9 9 ö ff en t li c h , a n d e rt h a lb b i s z we i M i l li on en M a rk a n Ge s e t z u n d P a rt e i g r e m i e n v o r b e i g e s c h l e u s t z u h ab e n . S o g a r d a s r u n d Z e h n f a c h e wa r i n s g es a m t i m La u f e d e r Z ei t i n i r g en d we lc h en „ S c h wa r z en Ko f f e rn " d en „ S c h wa r z en " zu g e s c h ob en wo r d en . Di e S u m m en fa n d en fü r j en es „ S ys t e m Koh l " V e r we n d u n g , d u r c h d a s D e u t s c h l a n d s Ka n z l e r p a r t e i u n t e r Ku r a t e l e i n e s M a n n e s u nd s e i n e r S e i l s c h a f t g e h a lt e n u n d v o n Ge l d g e b e r n u n d Dr a h t z i e h e r n i m H i n t e r g r u n d b e e i n f l u s s t wu r d e . D i e S p e n d e r w o l l t e K o h l n i c h t n e n n e n . W e i l e r i h n e n das Ehrenwort gegeben habe, dass sie anonym blieben. Der Altkanzler schob a u c h n o c h d i e a b w e g i g e B e g r ü n du n g n a c h , e i n e „ S c h u t z p f l i c h t " g e b i e t e i h m S c h wei g en , we i l i n D eu t s c h la n d d em j en i g en V e r l eu m d u n g d roh e, d e r d i e B ü r g er lichen finanziell unterstütze.
„Zuckerpuppe aus der Schwarzgeldtruppe" Als d i e d em osk opis ch e La ge fü r di e C- Pa rt ei en in folge d er Affäre u m Koh l, Ki ep , Ka n t h er u s w. i m m e r k a t a s t rop h a l e r wu rd e — d e r Ab s t u r z i n d en M ei n u n g s u m f ra g e n wa r j ä h — , „ ü b e r n a h m An g e l a M e r k e l d i e R o l l e d e r S a u b e r f r a u " ( S c h l e y ) . „ W i r h a b e n j e d e s In t e r e s s e a n e i n e r v o l l s t ä n d i g e n Au f k l ä r u n g " , h a t t e d i e C D U Gen era ls ek r et ä ri n glei c h b ei d er e rs t en P r es s ek on f eren z zu m S p en d en s ka nd a l verk ü n d et . Un d a m 2 2 . D e z em b er 1 9 9 9 v e rö f f en t li c h t e An g e la M e rk e l i n d er „ F AZ " u n t e r d e r S c h l a g z e i l e „ D i e Z e i t K o h l s i s t u n wi e d e r b r i n g l i c h v o r ü b e r " e i n e n n a m en t li c h gezei c h n et en Art i k el , i n d em es h i eß : „Di e v on He lm u t Koh l ei n gerä u mt e n V o r g ä n g e h a b e n d e r P a r t e i S c h a d en z u g e f ü g t . " E s s e i n u n Z e i t , s c h n e l l s t e n s „Nachfolgern, den Jüngeren" in der CDU, „das Feld zu überlassen". Da m i t s c h os s M erk el n i c h t nur
einen Vog e l a b : Da Koh l wä h n t e, d a s s S c h äu b le,
sein Nachfolger a ls Pa rteichef, mit dem er bitter verfeh det war, der Spiritus r e c t o r d e r V e r ö f f e n t l i c h u n g s e i , f o l g t e e i n H a u e n u n d S t e c h e n h i n t e r d e n Ku l i s sen , welch es sch ließ lich dazu füh rte, dass b eid e Beteiligte, b lessiert bis d orth in a u s, da s Feld fü r ei n e Dri t t e rä u m t en : An ge la M erk e l. P rof. La n g gu t h : „Du rc h d e n , F A Z ' -Ar t i k e l s i n d b e i d e H e r r e n s o i n R a g e g e b r a c h t wo r d e n , d a s s s i e b e i m Versuch, jeweils d en anderen vom Pod est zu reißen, sich gegenseitig mitrissen ... Sollte das Merkels Kalkül gewesen sein, ist es aufgegangen." E v e l yn R o l l ü b e r d e n F o r t g a n g d e r D i n g e : „ An g e l a M e r k e l wu r d e v o n d e r C D U B a s i s zu r J ea nn e d ' Arc d er S p en d en a ffä re, zu r Hoffn u n gs t rä geri n u n d sc h li eß li ch zu r P a rt ei c h efi n h och gej u b elt . " Au c h B i ogra ph in B oys en z i eh t d en Verglei c h m i t der Heiligen Jungfrau von Orleans heran: „Plötzlich wandelte sich das wegen der 75
Prinz- Eisenherz- Frisur verspottete ‚Mädchen' auf den Porträts zur unbestechlichen Heilsbringerin, zu einer Jeanne d'Arc mit messianischen Fähigkeiten." Die „Welt" des Springer- Konzerns proklamierte Angela Merkel am 10. Februar 2000 zur „Chefaufklärerin", zu einer „Ikone der Glaubwürdigkeit". Zuvor, beim traditionellen Münchner Starkbieranstich auf dem Nockherberg, war die „Heilige Jungfrau" kabarettistisch zur „Zuckerpuppe aus der Schwarzgeldtruppe" ausgerufen wor den. Nachdem der Schwarzekoffer- Skandal über viele Wochen Schlagzeilen beherrschend gewesen war und CDU/CSU -nahe Medien anfingen, mit der Aufdeckung von SPD -Affären „zurückzuschlagen", schwand schließlich allgemein die Lust in der Etabliertenschaft, weitere Steine ins Rollen zu bringen und damit am Ende vielleicht eine Lawine zu riskieren, unter die man selber geraten konnte. So blie ben denn auch kritische Stimmen zu Angela Merkels „Aufklärer -Image" ab Ende 1 9 9 9 i n M e d i e n r e c h t r a r . I m m e r h i n fr a g t e S a b i n e R ü c k e r t i n d e r „ Z e i t " Nr. 6/2000 noch: „Wurde sie nicht selbst in dem Augiasstall gemästet, den sie jetzt ausmisten will?" Erstaunlich leicht, die Sache „wegzustecken", wurde es der inzwischen an die oberste CDU- Spitze gelangten Angela Merkel gemacht, als aufflog, dass auch der Landesverband Mecklenburg -Vorpommern der Christdemokraten fast „hun dertfünfzig Riesen" (genau: 147 000 Mark) aus schwarzen Kassen der Bundesparte i erhalten hatte. Praktisch ganz unbeschadet überstand Merkel als Parteichefin darüber hinaus den Skandal um eine mysteriöse Überweisung von einer Mio. un bekannter Herkunft durch Walther Leisler Kiep an den Bundesvorstand, März 2001, wobei die Parteispitze den Vorgang der Öffentlichkeit verdächtig lange vorzuenthalten versucht hatte.
„Was wird man denn dann?" Biographin Roll meint: „Angela Merkel gehörte nicht zum System Kohl. Sie war von draußen zugekommen. Sie kannte die Herren Waffenschieber und Finanz iers nicht einmal dem Namen nach." Biographin Schley schreibt: „Ohne ihr Wissen hatte Übervater Kohl sie zu einem Spielball in seinem System gemacht, zu einer Marionette, die an den Fäden des Systems Kohl hing." Erst nach Auffliegen des Skandals sei „Angel a Merkel nach und nach bewusst" geworden, „dass sie vom wir klich en S yste m Ko h l in all d en Jah ren au sgeschlossen geblieben war ", schreibt Schley weiter — allerdings nicht umhinkommend, sich über „diese Naivität" doch zu wundern. 76
E s m u s s t a t s ä c h l i c h e i n h o h es M a ß a n Ar g l o s i g k e i t b e i An g e l a M e r k e l o b wa l t e t h a b en, da s s s i e t rot z i h rer ex p on i ert en S t ellu n g i n d er C DU -P a rt ei h i era rc h i e und i h r er s o zu s a g en n ä c h s t en Nä h e z u Ko h l ü b e r s o vi e l e J a h r e n i c h t s von d em N et z we r k , d a s d i e „d i c k e, g i ft i g e S p i n n e" g e s p on n en h a t t e, g e s p a n n t h a t t e . Ab 1 9 9 1 b i s zu Koh ls Ab t ri t t na c h d er ver lo ren en B u n d es t a gs wa h l 1 9 98 wa r s i e i m m erh i n s e i n e s t e l l v e rt r et en d e C D U- B u n d es v or s i t z en d e g e we s en u n d ü b erd i e s M i n i s t e ri n im Kabinett des „Schwarzen (Koffer)-Riesen". Ü b e r h a u p t wa r n i e m a n d a n d e r e s a l s Ko h l — i n d e r N a c h fo l g e v o n S t a s i - S c h n u r u nd S k an da l- Kra u s e — d er d r i t t e (u nd zwei f el los wi c h t i gs t e) m a ß geb li c h e Ka rri er e h e l f e r An g e l a M e r k e l s . M a n n a n n t e s i e s o g a r „ K o h l s G e s c h ö p f " ( B i o g r a p h i n R o l l ). 1 9 9 2 h i eß es i n ei n e m M ed i en k o m m en t a r, d a s s M erk e l d era rt gu t zu Ko h l passen würde, als habe er sie „eigens in einem Genlabor anfertigen" lassen. Noc h 1 998 , i m J ah r vor d em groß en S k a n da l -Kn a ll, s a gt e M erk el zu r J ou rn a li s t i n Her li n d e Ko e lb l: „ Wa s i c h geword en b i n, bi n i ch zu nä ch s t d u rch Helm u t Koh l g eworden." Wi e a lles b egann zwi sch en „S ch öp fer" und „Ges ch öp f", schi ld ert Prof. Lan ggu th : „ D a s e r s t e Ke n n e n l e r n e n wa r n i c h t g a n z z u f ä l l i g , s o n d e r n wu r d e v o n i h r s e l b s t initiiert." Hans Geisler (er entstammte wi e Merkel dem Demokratischen Auf b ru ch ; s pä t er wu rd e er C DU -M in i s t er i n S a ch s en ) s ei von i h r ers u c h t word en , s i e b ei m s o gen a n nt en Verei n i gu n gs p a rt ei ta g d er C DU, 11 2 . Ok t ob er 1 990 , m it Koh l b e k a n n t z u m a c h e n . Al s o k a m e s z u e i n e m e r s t e n D i r e k t k on t a k t z wi s c h e n M e r k e l und dem Bonner Machthaber. Der lud sie daraufhin ins Kanzleramt ein. Das M e et i n g f a n d s c h on m on a t s d a ra u f , N o v em b e r 1 9 9 0 , s t a t t . D i e C h em i e z wi s c h en d e r Q u a n t e n c h e m i k e r i n u n d d e m Ka n z l e r m u s s a u f An h i e b g e s t i m m t h a b e n . G e m äß B i ograph St ock b erich t ete d i e frisch au s B onn nach B erlin zu rück gek omm en e M e r k e l i h r e m V e r t r a u t e n H a n s -C h ri s t i a n M a a ß : „ D u , Ko h l h a t m i c h i n d en Ar m genommen und gefragt: ,Was wird man denn dann?!— Na c h n u r zwei M on a t en wa r d i e F ra g e g ek lä rt : M er k e l m u t i ert e zu r B u nd es m i n i s t eri n . Un d n oc h ei n ma l e lf M on a t e s p ä t er wu rd e b ei m C D U - B u nd es p a rt ei t a g ei n e An gela M erk el vom Li cht d er Welt erb lickt , di e nun E rst e St ellvert ret end e Vorsit z e n d e Koh l s a n d er S p i t z e d er C h ri s t li c h -D em ok ra t i s c h en Un i on wa r. Al s s o lc h e f ü l l t e s i e d i e L ü c k e a u s , d i e Lo t h a r d e M a i z i ö r e h i n t e r l a s s e n h a t t e . D e r wa r a b r u p t a b g e t r e t e n ( wo r d e n ) , we i l e s i h m n i c h t r e c h t h a t t e g e l i n g e n wo l l e n , p l a u s i b el zu m a c h en , wi e er a ls IM „C z ern i " i n Ak t en u m Ak t en d es DDR -M i n i st eri u m s für Staatssicherheit geraten konnte, ohne IM „Czerni" gewesen zu sein.
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„Brutalstmögliche Aufklärung” E i n „ ra d i k a l e r N eu a n fa n g " wa r v o n An g e l a M e rk e l v e rh ei ß en wo rd en , a ls s i e , i h r e s Z e i c h e n s „ C h e f a u f k l ä r e r i n " , a m 1 0 . Ap r i l 2 0 0 0 b e i m P a r t e i t a g i n E s s en z u r n e u e n V o r s i t z e n d e n d e r s k an d a l g e b e u t e l t e n C D U g e wä h l t wu r d e . R o l a n d Ko c h , e i n a n d er e r c h ri s t d e m ok ra t i s c h e r Au fs t r eb e r, h a t t e s o ga r e i n e „b ru t a ls t m ö g li c h e Aufklärung" versprochen. Ehrenwort. W e n n d e m a b e r wi r k l i c h s o g e we s e n wä r e : H ä t t e n d a n n n i c h t a n g e s i c h t s d e r D i m en s i on en d e s S k a n d a ls ei g en t li c h b ei vi e l l e i c h t e i n e r ga n z en Hu n d e rt s c h a ft h oh er He rrs c h a ft en d es b un d es rep u b li ka ni s ch en P oli t- u nd Ges e l ls c h a ft s gefü ges d i e H a n d s c h e l l e n k l i c k e n , d i e S c h we d i s c h e n Ga r d i n en z u g e h e n m ü s s e n ? N i c h t s d e r gl ei c h en a llerd i n gs ges c h a h . M an m u s s n ic ht un b edi n gt ein An h än ger v on J ü rgen Habermas s ein, wenn man sein Wort für b erechtigt hä lt, dass es ein „ei gentümli ch es Mis s verhä ltni s zwis ch en d er Größ en ordnun g d er CDU -Affä re und ih rer Folgen losigk eit" gab. Jed en falls sch eint meh r zu- als au fged eckt word en zu sein. E v e l yn R o l l i n i h r e r M e r k e l -B i o g r a p h i e v o n 2 0 0 5 : „ E t wa d i e Hä l f t e d e r U n i o n s a b geord n et en s i nd E nt m a ch t ete u nd Vers t ri c kt e d es S ys t em s Koh l. E h em a li ge M inister, eh emalige Staatssek retäre u nd eh emalige Hand lan ger ... Deshalb k lammern sie sich umso nachhaltiger an die Verklärung der Vergangenheit." So gab es gerad e mal einen einzi gen Selbstm ord: Ein Fraktionsangest ellt er d er C DU/C S U nah m sich d as Leb en , da er fü r Pri vat zwec k e d era rt „unau ffä lli g" lan ge F i n g e r i n d i e s c h wa r z e n Ka s s e n d e r S c h wa r z e n g e m a c h t h a t t e , d a s s e s a u f f i e l . U n d d a g a b e s n u r e i n i g e g a n z w e n i g e , z u d e m l a u e H a f t s t r a f e n . V e r h ä n g t e t wa ge g en M a n fred Ka n t h er, d en Ex- B u n d esi n n en min i st er (1 8 M on a t e a u f B ewä h r u n g ) , u n d g e g e n H o l g e r P f a h l s ( 2 0 0 5 : 2 1 / 4 J a h r e Ge f ä n g n i s , d o c h g l e i c h n a c h Urt ei l wi ed er fr ei g ela s s en ). D i es er eh em a li ge P rä s i d en t d es B u nd es a m t es fü r V er f a s s u n g s s c h u t z u n d E x- S t a a t s s ek r et ä r i m V e rt ei d i gu n g s m i n i s t e ri u m wa r — la n g e steckbrieflich gesucht — nach einer seltsamen „Verfolgungsjagd" rund um die E rd e 2 0 0 4 i n ei n e r n ob l en B ou l e va rd woh n u n g i n P a ri s , a l s o ga n z i n d er Na c h b a r s c h a ft , v e rh a ft et wo r d en . Im H e rb s t 2 0 0 5 k a m h e ra u s , d a s s P f a h ls v on ei n e m Geh eimd ien st, womöglich d em fran zösisch en (vielleicht ab er auch ein em n ah östl i c h en ) , g e d e c k t wo r d e n wa r . Ka n t h e r u n d P f a h l s ü b r i g e n s h a t t e n s i c h z u Ko h l s Ka n z l e r z e i t m i t s c h a r f e n M a ß n a h m e n g e g e n d i e p o l i t i s c h e R e c h t e h e r v o r g e t a n . Es mutet fast wie ein Treppenwitz an, dass die wackeren Kämpfer gegen „Rechtsradikale" schließlich als überführte Unrechtsradikale endeten. Au c h m i t R ü c k t r i t t e n w e g e n d e r C a u s a S c h wa r z e K o f f e r wa r e s n i c h t w e i t h e r . Wolfgang Schäuble beispielsweise, der wegen Verstrickung in die Affäre den Fraktions- und Parteivorsitz (für Merkel) geräumt hatte, tauchte schon bald darauf 78
a l s C h e f - Au ß e n p o l i t i k e r d e r C- P a r t e i en wi e d e r a u f . 2 0 0 4 wa r e r s o g a r An wä r t e r au f da s Amt d es Bund esp räsid ent en; d och Horst Köh ler vom In t ernati ona len Wä h ru n gs fon d s zog d en Lä n g er en . Im N ov em b er 2 0 05 d es ign i ert e An g e la M erk e l Schäuble zum Bundesinnenminister. S c h li eß li c h H e l m u t Koh l. Ge g e n 3 0 0 0 0 0 M a rk Ge l d b u ß e s t e l l t e d a s La n d g e ri c h t B on n da s Verfa h ren geg en i hn ei n . Als „h ei m li c h er Vors i t z e n d er d er Kon ra d -Ad e n a u e r -S t i ft u n g " ( La n ggu t h ), d i e i n d e r C D U ei n en k a u m zu ü b er s c h ä t z en d en E i n flu s s a u s ü bt , b li eb er a u c h i n d en Z ei t en d er „b ru t a ls t m ögli c h en Au fk lä ru n g" ei n e „dicke Spinne im Netz" — mit V-Leuten in allen wichtigen Parteigremien. Ko h l h a b e b a l d n a c h M e r k e l s Au f s e h e n e r r e g e n d e m F AZ -Ar t i k e l d e s 2 2 . D e z e m ber 1999 wieder „das Gespräch mit ihr gesucht", weiß Biograph Stock. Wohl n i c h t oh n e E r f o l g . J e d e n f a l l s s t i m m t e d i e „ C h e f a u f k l ä r e r i n " s c h on 2 0 0 0 i n d e m von ihr herausgegebenen Buch „Europa und die deutsche Einheit" ein Hosianna a u f i h r e n „ S c h öp f e r " a n : „ D i e C D U h a t s i c h , wa n n i m m e r s i e R e g i e r u n g s v e r a n t wort un g t ru g, m it a ller En tschi ed enh eit fü r Eu ropa ein ges etzt . Allein wäh rend d er Ka n z le rs c h a ft von Helm u t Ko h l wu rd e d i e E u rop ä i sc h e Ge m ei n s c ha ft zwei m a l er weitert, wu rd e sie zu r Eu ropäisch en Union u nd wu rd en Gren zk ontrollen ab ge s c h a f f t . D e r B i n n e n m a r k t wu r d e v e r w i r k l i c h t u n d d e r E u r o s a m t e i n e r E u r o p ä i schen Zentralbank nach dem Vorbild der Bundesbank auf den Weg gebracht ... Helmut Kohl hat immer ausgezeichnet, dass er eine Vision von Europa hatte. Di es i s t Verp fli c h t un g au c h fü r un s ere P o li t i k d es 21 . Ja h rh un d ert s . .. Wi r b au en au f d em au f, was Ch ristd emok raten von Kon rad Ad enau er bis Helmut Koh l ge leistet haben." B e s on d e rs s ym b o lt r ä c h t i g wa r d a n n 2 0 0 2 d i e B e s t a l lu n g d e s Ad en a u e r - S t i ft u n g s V o r s t a n d s m i t g li ed s R on a ld P o f a l la a ls n eu er J u s t i zi a r d e r C DU/ C S U- B u n d es t a g s frakti on (2004 wu rd e er ein er d er Vi zefrak ti ons ch efs ). Nicole S c h ley: „M it s ein er E rn en n u n g b a n d An g e la M e rk e l i n d i r ek t a u c h wi ed e r H e lm u t Ko h l ei n , d en n v on Pofalla heißt es, er habe einen guten Draht zum ehemaligen Bundeskanzler. N i c h t z u l e t z t i s t e r R e c h t s a n wa l t i n d e r Ka n z l e i , d i e H e l m u t Ko h l wä h r e n d d e r S p en d en - Af fä r e v ert ra t . " Ge m e i n t i s t d i e E s s en er S o zi et ä t H o l t h o f f -P fö rt n e r. P o f a l l a i s t v o m „ H a n d e l s b l a t t " a l s „ M a n n m i t d i r e k t e m D r a h t z u An g e l a M e r k e l " p ort rät i ert word en, d er „hint er d en Ku lis s en di e Fäd en zi eht ". E r b ezeichn et Koh l als sein „großes Vorbild". „ Li eb er Helmu t Koh l, wi r s ind froh, da ss S i e zu uns geh ören ", ri ef An gela M erk el b eim Festak t „60 Jah re CDU", Berlin, 16. Jun i 2005 , d em wie in alten Zeiten zen t ri ert in d er erst en R eih e th ron end en E ld er Sta t es- (b zw. S pid er-)m an zu. Ih rem H o f b i o g r a p h e n M ü l l e r -V o g g h a t t e s i e w e n i g z u v o r i n d e n N o t i z b l o c k d i k t i e r t : 79
„ H e l m u t Ko h l i s t i n d e r C D U wi e d e r u n e i n g e s c h rä n k t b e h e i m a t e t . U n d f ü r m i c h ist er ein guter Ratgeber — ein uneigennütziger dazu.” Der C DU- n a h e M erk el-B i og ra p h S t ock freu t s i c h ü b er d en „en d gü lt i gen S c h u lt er s c h lu s s z wi s c h e n d e m a l t e n P a t r i a r c h e n u n d An g e l a M e r k e l " . E r we i ß a u c h v o n ei n er s p e zi e ll en S c h wert lei t e fü r d i e „J ea n n e d ' Arc " a u ß er Di en s t en zu b eri c h t en . Ko h l n ä m l i c h h a b e An g e l a M e r k e l e i n e n „ R i t t e r s c h l a g g a n z b e s o n d e r e r Ar t " z u kommen lass en, indem er ihr sagte: „Mit Ihrer Nominierung zur Kanzlerkandidatin h a t d i e C D U ei n e gu t e W a h l g e t ro f f en . W e r wi e i c h S p e zi a li s t i n d e r Fü h ru n g e i n e r F ra k t i on i s t , d e r we i ß , wa s S i e g e l ei s t et h a b en . " W ei t b e zi eh u n g s r ei c h er , a ls v o n i h m s e lb s t wo h l b ea b s i c h t i gt , fä h rt S t oc k f o rt , F ra u M e r k e l v er ri c h t e a n d er Spitze der Christdemokraten „als gute Schülerin des Vorbild s Kohl wichtige Dinge ganz ähnlich wie er". Kön n en vor diesem Hintergrund nu r Sch u fte Böses dab ei d en k en, wen n n eu erdings immer öfter vom „System Merkel" die Rede ist, das „Handelsblatt" am 8 . Ju n i 20 05 ü b er d i e Ch efi n d er C h ri s td em ok ra t in n ot i ert e: „ In d er Fra k t i on s i t zt s i e w i e e i n e S p i n n e i m N e t z " u n d — u m i m B i l d e z u b l e i b e n — d i e Il l u s t r i e r t e „stern" b ereits 2003 zur arachnologisch en Charakterisierung Merkels das Bild von der „Schwarzen Witwe" gewählt hat? M e r k e l -B i o g r a p h i n E v e l y n R o l l ü b e r d i e B i l a n z e i n e s h a l b e n J a h r z e h n t s „ s c h o n un gs los e r", „b ru t a ls t m ögli c her" Au fk lä ru n g: „Ni em a n d i n d er C DU wi l l n oc h et wa s h ören von sch wa rzen Ka ssen und And erk ont en, von di esen an geb lich en Sp end ern, d eren Namen Helmut Koh l b is h eu te n icht genannt h at, von mind est e n s 2 0 M i l l i o n e n M a r k au s K o h l s Am t s z e i t , b e i d e n e n m a n i m m e r n o c h w e d e r we i ß , woh e r s i e k a m en , n oc h , wo h i n s i e gi n g en . D a s E rm i t t lu n gs v e rfa h r en i n d e r Sache Kohl ist gegen eine Zahlung von 300 000 Mark ,vorläufig' eingest ellt. Was will man m ehr? Di e CDU hat über 15 Millionen Ma rk Mitleidsspenden an d e r A f f ä r e v e r d i e n t . Ko h l h a t m i t s e i n e m ‚ T a g e b u c h ' m e h r Ge l d g e m a c h t , a l s e r zur Einstellung seines Verfahrens zahlen musste. Worüber also noch palavern? V e r s c h wu n d e n e Ak t e n ? D r e i Gi g a b yt e s g e l ö s c h t e R e g i e r u n g s d a t e n ? B l o ß n i c h t darüber sprechen."
Mit David Rockefeller in der Sauna B ezei chn en d dü rft e au ch d er un geb roch en sta rk e Ein flu ss d es Wa lth er Lei sler Ki e p i n d er C D U i m Al l g e m ei n en u n d a u f P e rs on en i n M er k e ls i n n e r s t em Zi rk e l i n s b e s on d e r e s ei n . M i t d e r Ve r h a ft u n g d es la n gj ä h ri g en C D U- S c h a t zm ei s t er s g eri et — wi e b erei t s g es c h i ld ert — i m Nov em b er 2 0 03 d er S p en d en - S k and a l a n di e Öffentlichkeit. Obwohl bis zur Halskrause verwickelt, kam der Beziehungsreiche 80
s t ra frecht lich b i lli g, vi ellei cht b es s er ges a gt : unb i lli g, da von. 2001 erfolgt e Ki eps V e r u r t e i l u n g z u 3 0 T a g e s s ä t ze n j e 1 5 0 0 M a rk we g e n S t e u e r h i n t e r z i e h u n g ; 2 0 0 4 e r g i n g g e g en i h n S t ra fb e f eh l ü b er 4 0 5 0 0 E u r o we g en u n ei d li c h e r Fa l s c h a u s s a g e vor dem Parteispenden-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages. Ki e p , J a h r ga n g 1 9 2 6 , S oh n ei n es B a n k b o s s e s , i s t s ei t l a n g em s c h on ei n e Z e n t ra l g e s t a l t b ei d e r V e rn et zu n g b un d es r ep u b li k a n i s c h e r „E li t en " m i t d e m O li g a rc h en t u m d e r U S -O s t k ü s t e. N eb en s e i n e r F ü h ru n g s fu n k t i on i n d e r e i n f lu s s r ei c h en V e r einigung „Atlantik -Br ücke" logierte er lange auch bei den nach Art einer i n t e r n a t i o n a l e n Ge h e i m g e s e l l s c h a f t g e b a u t e n „ B i ld e r b e r g e r n " u n d b e i R oc k e f e l l e r s „ T ri l a t era l C o m m i s s i on " ( T C ). 1 9 7 1 , f a s t z ei t g l ei c h m i t d e r Üb e rn a h m e d es CDU - Schatzmeisteramtes durch ihn (er b ekleid ete es 21 Jahre, wobei die „Mie sen" in der Parteikasse zu letzt auf sage und schreibe fünfundsiebzig Million en M a rk a n g e wa c h s e n wa r e n ) , h a t t e i h n d i e C D U / C S U - B u n d e s t a g s f r a k t i o n m i t d e r „ W a h rn eh m u n g i n t e rn a t i on a l er Ko n t a k t e" b et ra u t . Im S c h a t t en k a b i n et t d e s Ka n z lerkandidaten Franz Josef Strauß, 1980, war er Anwärter für den Posten des Bund esauß enmini st ers. 1999 beri ef Ka n zler S ch röd er ihn a ls „P ers ön li ch en B eau f tragten für Sondermissionen im Ausland". B ei Ki ep s At la n t i k- B rüc k e h an d elt es s i c h u m ein e „m ä c h t ige Al li a n z" („M a n a ger M a ga zi n " ), ei n e S c h a lt z en t ra le s o g en a n n t e r T ra n s a t la n t i k er , e i n B i n d e g li ed z wi s c h en U S - O s t k ü s t e u n d b u n d e s r e p u b l i k a n i s c h e m T o p -E s t a b l i s h m e n t . Ki e p s t a n d von 1 98 4 b i s 20 00 s ozu s a gen a ls Ka p i t ä n a u f d er Kom m a n d ob rü ck e d er „B rü c k e" u nd i s t s ei th er E h ren vors i t zen d er, d i e u nb es t ri t t en e Gra u e E m i n en z. In s ei n en Le benserinnerungen plauderte er ein wenig aus dem Nähkästchen, wie es so ist, w e n n m a n d e n r e a l e x i s t i e r e n d e n T r a n s a t l a n t i z i s m u s j e n s e i t s d e s Gr o ß e n T e i c h s i n N e w Y o r k -M a n h a t t a n p ra k t i z i e r t : „ In d e r S a u n a m i t D a v i d R o c k e f e l l e r , d a n n T r e f f e n m i t d e n J e wi s h P r e s i d e n t s , d a n n C ou n c i l a n F o r e i g n R e l a t i o n s . Im S m o k i n g z u e i n e m Di n n e r , d a s W e l t b a n k p r ä s i d e n t W o l f e n s o h n m i t 2 5 0 Gä s t e n gi b t . Einer meint: Wenn jetzt eine Bombe hochgeht, ist der Kapitalismus am Ende." Üb e r N eu m i t g li ed s c h a ft en i m e l i t ä r en Kr ei s d e r At la n t i k - B rü c k e en t s c h ei d et ei n Au s schu s s na ch Art und Krit eri en , d i e d er Öffent lichk ei t verb orgen b leib en. Au ch we r z u d en Na c h wu c h s s t a r s d e r t ra n s a t la n t i s c h en B rü c k en b a u e r g eh ö r en wi l l, zu i h r en s o g en a n n t en Y ou n g Le a d e rs , m u s s s i c h g en a u es t en s d u rc h c h ec k en la s s en . Mehrere Leute aus dem engsten Stab von Angela Merkel sind aus den Young L e a d e r s d e r At l a n t i k -B r ü c k e h e r v o r g e g a n g e n . F r i e d b e r t P f l ü g e r b e i s p i e l s w e i s e od er E c k a rt von Kla ed en , M erk els „E c k i ", ih r „wi c h t i gs t er Zu a rb ei t er" („M u n zi n g e r - Ar c h i v " ). M e rk e l s e lb s t h a t i n i h r e r Z ei t a l s B u n d e s m i n i s t e ri n d i e Au fn a h m e weihen des hintergrundmächtigen transatlantischen Zirkels empfangen. 81
G e g r ü n d e t w o r d e n w a r d i e „A t l a n t i k - B r ü c k e " 1 9 5 2 a u f B e t r e i b e n v o n E r i c M . W a rb u rg a u s d er b ek a n n t en B a n k h er r en s i p p e. H eu t e i s t M a x M . Wa rb u r g, b ed eut end st er leb end er Sp ros s d es C lans , Fin an zb os s (Schat zm eis t er) d er Organis ati on. Er h errsch t ansonsten üb er ein verzweigtes Geld imp er ium: M . M. Warbu rg & C o. , ei n e d er größ t en P ri va t ba n k en d er Bu nd es rep u b li k (S it z: Ha m b u rg), d i e Kr ed i t i n s t i t u t e C . F . P l u m p & C o . ( B r e m e n ) , Lö b b e c k e & C o . ( B e r l i n ) u n d T e m p u s B a nk (Zü ri ch ), di e Wa rb u rg In ves t Ka p i t a lges el ls c h a ft (Fra n k fu rt /M a in ), Im m ob ilienfonds, Schiffsbeteiligungen, Assekuranzen und so fort. „ D i e O p p o s i t i o n wa r h o c h r a n g i g v e r t r e t e n , d i e B u n d e s r e g i e r u n g n u r d u r c h a u f merksam zuhörende und mitschreibende fachkundige Beobachter. Auf der d eut sch -a m erik anis ch en , XXI. Bi ennia l C onferenc e' in B erlin , organi si ert von d er At la n t i k B rüc k e un d d em Am eri c a n C oun c i l an Ge rm a n y, h i elt An ge la M erk e l a m Donn erstag Ab end die Dinn er Sp eech." So stand es in d er „Welt" am 14 . Jun i 2 0 0 3 . B ei i h r e r S c h m a u s a n s pr a c h e e rgi n g s i c h d i e C D U -C h e fi n i n s e lb s t fü r i h r e Verh ä lt n i s s e ext r em en US- S c h m u s erei en . Im Z en t ru m d er Kon fer en z h a b e, s o d i e „ W e l t " , d i e F ra g e g es t a n d en , we l c h em Z we c k d i e E i n i gu n g E u r op a s d i en en s o l l e und ob an gesichts d es Streits Bu sh s mit Sch röd er und Chirac h insichtlich d es Krieges gegen den Irak die Anbindung an die USA gefä hrdet sei. „Nationale d eu t s ch e As p ek t e", s o fu h r da s S p rin ger- B la t t fort , s ei en b ei d er Zu s a m m en ku n ft „ i n d e n H i n t e r g r u n d g e t r e t e n " . D i e Z e i t u n g w e i t e r ü b e r d e n Ko n f e r e n z- T e n o r : „Eu ropa ist im Werd en, Deutsch land nu r meh r sein wichtiges zentrales Bin d eg l i e d . D a s T r e f f e n z e i g t e , wi e d i e t r a n s a t l a n t i s c h e W e l t i n Z u k u n f t wa h r g e n o mmen werden wird." Auch bei d er Tri lateralen Kom mission (Trilat era l Com mission, TC), d er Ki ep angeh ört , i s t An g e la M e rk e l b er ei t s i n E rs c h ei n u n g g e t r et e n . S o wa r s i e b ei s p i e ls we is e R ed n e ri n b ei m „2 8 t h M e et i n g of E u r op ea n Gr ou p " d e r TC i n B e r li n , 2 3 . Ok t ober 2004. Bei den Trilateralen handelt es sich um einen handverlesenen Haufen von i n s ges a m t d rei h un d ert fünfzi g Ges t a lt en u nd Ges t a lt er d er i n t ern at i ona len Ge schäftswelt und Politik. TC wurde 1973 auf Geheiß David Rockefellers gegründet. Da s Ob erhaupt d es sup erkapi ta list is ch en C lan s i st a uch di e Zen t ra lfi gu r d er Tri lateralen geblieben. Dr. Markus Zimmermann bezeichnet in seiner Studie „Die wa h r en M a c h t h ab e r i n Wa s h i n gt on " d i e T r i la t e ra l e Ko m m i s s i on a l s „ Z K d e r Gl o b a l i s i e r e r " . M a n c h e K r i t i k e r b e h a u p t e n , d a s T C- E n d z i e l s e i d i e W e l t h e r r s c h a f t des Turbokapitalismus. TC = Turbo-Capitalism?
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Bei den Head-Hunters Den B i ld erb erg ern (b en a nn t na c h i h rem ers t en Ta gu n gs h ot el 1 9 54 i n d en Ni ed er l a n d en ) , d e r en R ei h en Ki ep la n g e Z e i t g e zi e rt h a t , m a c h t e An g e l a M e rk e l b ei e i n em T r e f f en v om 5 . b i s z u m 8 . M a i 2 0 0 5 i n e i n em s t ri k t v o n d e r s on s t i g en W e l t ab gesch ott et en Nob elh ot el zu R ott ach - E gern erstm a ls ih re Au fwa rtun g. Als o d rei Wochen vor ihrer Nominierung als Kanzlerkandidatin. Beim Meeting mit insges a mt 134 Tei ln ehm ern au s 30 S taat en wa ren bund es repub lik anis ch ers eit s fern er z u g e g en : D eu t s c h e -B a n k - C h ef J os e f Ac k er m a n n , M a t h i a s D öp fn e r a ls R ep rä s en t a n t d es S p ri n g e r -Kon z e rn s , M ed i en m o gu l Hu b e rt B u rd a , S i em en s -AG -P r ä s i d en t Kla u s Klein feld , Daim ler -Ch rys ler - Au fsi chts ra ts vorsit zend er Hi lm a r Kopp er, M at t h i a s Na s s , s t e l l v e rt r et en d e r H e r a u s g eb er d e r „ Z e i t ", Da i m l e r - C h r ys l e r- C h e fm a nager Jürgen E. Sch rempp, Ekkehard D. Schulz (Th yssen Krupp AG) und Deutsche- P ost- AG-B oss Klaus Zu m winkel s owi e die C DU- Bundesvorständler Fri edbert P f l ü ge r u n d M a t t h i a s W i s s m a n n . D a s B u n d e s k a b i n e t t wa r i n G e s t a l t d e s In n e n m i n i s t e r s O t t o S c h i l y v e r t r e t e n . Ge r h a r d S c h r ö d e r s e l b s t k a m a u f e i n e n k u r z e n u n d k n a p p en H ö f li c h k ei t s s p ru n g v o rb ei . Au s Ös t e rr e i c h wa r e n a m T e g e rn s e e d a bei: Oscar Bronner, Herausgeb er des „Standard", Hans Peter Haselsteiner von d er B auh oldin g St raba g und der s ozi a ld em okrati sch e Bund es min ist er a. D. Rud olf S c h o l t e n i n s e i n e r n e u e n E i ge n s c h a ft a l s B a n k e r ( Ö s t e r r e i c h i s c h e K o n t r o l l b a n k AG) . D a s T op- In s i d e rt u m d e r V e r ei n i gt en S t a a t en v on Am e r i k a l i eß s i c h i n R ot t a c h- E g e r n v e r t r e t e n u . a . d u r c h : H e n r y Ki s s i n g e r , d e r Gr a u e n E m i n en z d e r U S P oli t i k i n P erm a n en z, Mi c ha el A. Led e en von B u s h s Vord e n k fab ri k Am eri c a n En t erp ri s e In s t i t u t e, d en „P ri n ce o f Da rk n es s " R i c h a rd N. P e rl e, Da vi d R oc k efe ll er s o wi e W e l t b a n k- C h e f J a m es D . W o l f en s oh n u n d d e s s en d e s i gn i e rt en Na c h f o l g e r Paul Wolfowitz, den Ex-Vize von Rumsfeld im Pentagon. Wie stets, so hielt sich au ch d iesmal die allgemein e Presse weitestgeh end an das Sch weigegeb ot, d as die au f Geh eimh altun g strik t b edachten Bild erb erger h i n s i c h t li c h i h r e r Zu s a m m en k ü n ft e s ei t e h u n d j e e r la s s en h a b en . Z wa r k a m d i e „ F i n a n c i a l T i m e s " e i n e W o c h e v o r B e g i n n d e r T a g u n g, 1 . M a i 2 0 0 5 , m i t e i n e m Art ik el üb er d i e Bi ld erb erger unt er vi el versp rech end er S chla gzei le („P ower P l a yers versuchen die Welt zu steuern") heraus, doch war der Beitrag inhaltlich nichtssagend. Am 5 . Mai 2005 li eß C NN (Radi o) im m erhin d en Pub li zi st en J on R on s on zu Wort k omm en , d er si ch mit d en B i ld erb ergern in s ein em Buch „Th em. Ad ventu res with E x t r e m i s t s " b e s c h ä ft i gt h a t . E r s a g t e d e m S e n d e r . „ V i e l e d e r An t i -B i ld e r b e r g e r unter d en Versch wörun gsth eoretik ern sind vom rechten Rand d es p olitisch en Spektrums, die sich als Gegner der Globalisierung bezeichnen, oft allerdings Na84
t i on a li s t en si nd . S i e werf en d en B i ld erb erg ern vo r, ei n e W elt r egi eru n g zu p la n en , wa s d i e B i l d e r b e r g e r a u f l a n g e S i c h t a u c h t a t s ä c h l i c h a n s t r e b e n , d i e Id e e e i n e r E i n e -W e l t -G e m e i n s c h a f t , e i n e r N e u e n W e l t o r d n u n g . . . D i e B i l d e r b e r g e r s e h e n s i c h s elb s t a ls Hea d -Hu n t ers . S i e k n üp fen Kon t a k t e m i t aufs t ei gen d en P oli t i k ern , v o n d e n e n s i e d e n k e n , d a s s s i e v i e l l e i c h t e i n e s T a g e s e i n m a l P r ä s i d e n t od e r P r e m i e r m i n i s t e r we rd en k ön n t en , u n d s i e s i n d Gl ob a li s t en , In d u s t ri e l l e, F ü h r e r, d i e g l a u b en , d a s s P o li t i k n i c h t d en Po li t i k e rn ü b er l a s s en b le i b en s o l lt e. S i e v e r such en, sie zu b eein flu ssen — mit weisen Worten in d en Sitzun gen hinter ver schlossenen Türen." E in J ahr zu vor, 29. M ai 2004, ha tt e da s „Deu tsch land radi o" üb er d i e Bi ld erb erger b e ri c h t et . Da h i eß e s ü b e r d i e s e „g eb a l lt e P rä s en z v on Le a d e rs h i p u n d Ka p i t a l " : „ P o l i t i k wi r d n i c h t n u r i n Ka b i n e t t e n u n d i n P a r l a m e n t e n g e m a c h t . B e v o r p o l i t i s c h e T h e m e n a m Ka b i n e t t s t i s c h v e r h a n d e l t we r d e n , s i n d s i e z u m e i s t a b s e i t s d e r Öffen t li c h k ei t s ch on du rch da ch t u nd b es p roc h en word en. E s ga b un d gib t za h lrei c h e Z i r k e l , i n d e n e n v o r g e d a c h t wi r d , wa s d a n n z u r P o l i t i k g e m a c h t wi r d . E i n e d e r e x k l u s i v s t en R u n d e n , d i e g r o ß e n E i n f l u s s a u f d i e S t r a t e g i e n d e r we s t l i c h en A l l i a n z h a t t e , i s t d i e B i l d e rb e r g e r - Ko n f e r e n z m i t p r o m i n en t en D i p l o m a t en , Ök onomen und Politik ern. Vor 5 0 Jahren, am 29. Mai 1954, fand die BilderbergerKon feren z erstmals statt." Wie es b ei den M eetings abläuft, schild erte das „ D e u t s c h la n d ra d i o " s o : „ Dr ei T a g e d a u ert d i e P r o z ed u r, e i n e Art B ra i n -s t o r m i n g üb er d ie wich tigsten ak tu ellen weltp olitisch en Fragen . Dann treffen sich rund 1 2 0 R e i c h e u n d E i n f l u s s r e i c h e a u s E u r op a u n d d en U S A, s c h e i n b a r p r i va t zu e i nem informellen Meinungsaustausch."
Geweiht vom Fürsten der Finsternis ... Drei Ta g e v or i h rer offi zi e ll e n P rok la m a ti on a ls Ka n zle rk a n di d at in von C DU un d C S U e rh i e lt An g e la M e rk e l i n a l l e r Ö f f en t li c h k ei t s o zu s a g e n fü rs t li c h e W e i h en . D a s „ Ha n d e ls b la t t " vo m 2 7 . M a i 2 0 0 5 v e r öf f en t li c h t e ei n In t e r vi e w m i t d em B i ld erb erg er R i c h a rd P erl e, d em ei n flu s s rei c h en „Fürs t en d er Fi n s t ern i s " h in t er d en Ku li ssen von Whit e Hou se und Wa ll Street. Der hatt e gegenüber „Hand els b la t t " -R ed ak t eu r B a ck fi s ch bek u nd et : „E s gi b t s eh r groß e Un t ers c h i ed e zwi s c h en d e r U S- R e gi e ru n g u n d d en d eu t s c h en S o zi a ld e m ok ra t en . Da s t ri fft m i t B li c k a u f d i e C DU/ C S U n i c h t zu . . . Ic h r e c h n e i m F a l l e e i n es W a h l s i e g e s v on F r a u M erk e l m i t e i n e r d e u t l i c h e n V e r b e s s e r u n g d e s b i l a t e r a l e n V e r h ä l t n i s s e s . . . An g e l a M e r k et i s t s eh r fes t in d er t ra n sa tla n t i s ch en Tra d it i on vera n k ert . S i e s t eh t voll h i n t er der Nato und setzt sich für eine enge Abstimmung zwischen Berlin und VVashing85
t o n e i n . An g e l a M e r k e l s c h e i n t d i e g l o b a l e V i s i o n v o n H e l m u t K o h l z u h a b e n . Von Bundeskanzler Gerhard Schröder sind wir derlei nicht gewohnt." P e r l e , b i s 2 0 0 3 C h e f, s ei t h e r Gr a u e E m i n en z d e s a n E i n f lu s s k a u m zu ü b e rs c h ä t zenden Defense Policy Board und überhaupt „Global Player" in zig Insider -Zirkeln, hatte sich wegen der von ihm propagierten Atomwaffen - Erstschlagsstrategi e s c h on i n d e n 8 0 e r- J a h r e n d e n s c h m u c k e n B e i n a m e n „ P r i n c e o f D a r k n e s s " ( F ü r s t d e r F i n s t e r n i s ) e i n g e f a n g e n . E s k rä n k t i h n ü b e r h a u p t n i c h t , wi e d e r m i t i h m g u t b ek a nn t e P rof. Dr. M i c h a el S t ü rm er i n d er „ W e lt " v om 1 2 . Au gu s t 2 0 02 b eri ch t e t e , a u c h s o g e n a n n t z u we r d e n . P e r l e , s o S t ü r m e r w e i t e r , g l a u b e n i c h t a n V e r t r ä ge u n d Kom p rom i s s e, s on d ern fü r i h n s ei „d er Ka m p f d e r Na t u rzu s t and z wi s c h en den Staaten"; der Mann stamme halt „aus der Schule von Morgenthau". Ge m e i n t i s t H en r y M or g en t h a u j r. , U S- Fi n a n zm i n i s t e r u n t er F . D . R o o s ev e l t u n d Verfechter eines d rak onischen Siegfried en s im Zweiten Weltk rieg. Er entwarf d en n ach ih m b en annten Plan fü r ein zerstück eltes, h elotisiertes Deu tsch land o h n e In d u s t r i e , a l s o u n t e r Z e r s t ö r u n g d e r Le b e n s g r u n d l a ge n d e r M a s s e d e s d eu t s c h en Volk es . S elb s t d er h a rt ges ot t en e US -Kri e gs m i n i s t er Hen r y Le wi s S t i m s on wa r s c h oc k i ert u n d wa n d t e ge g e n d en P la n s ei n es Ka b i n et t s k o l l e g en ei n , d a s s e r au f die Vernich tun g von d reiß ig M illion en Deutsch en hinauslau fe. Fü r Martin Ni em öller, d en evan gelis ch en Th eologen und scha rfen Widers ach e r Hit lers, zi elt e d e r M or g en t h a u -P la n i n l e t zt e r Ko n s eq u en z s o ga r d a ra u f a b , „d a s d eu t s c h e V o lk bis zu seinen Wurzeln auszurotten". E i n e r d e r wi c h t i gs t en V e rt ra u en s l eu t e P e r l e s i n d e r B u n de s r ep u b li k D eu t s c h la n d i s t J e f f r e y „ J e f f " G e d m i n , d e r s e i t 2 0 0 1 d i e h i e s i g e Z w e i g s t e l l e d e s U S - a m er i k a n i s c h en As p e n - In s t i t u t s m i t S i t z i n B e r l i n l e i t e t . Ga ry S m i t h v o n d e r B e r l i n Am e r i c a n Ac a d em y s a gt ü b e r i h n : „ E r v e r m i t t e lt a u s s c h li eß li c h d i e W e l t s i c h t ei n e s R i c h a r d P e r l e o d e r P a u l W o l f o wi t z . " Al s Ka n z l e r S c h r ö d e r — m i t d e m o s k o pisch ermittelter Zustimmung von 80 Prozent der Deutschen — die militärische B et ei li gu n g a n B u s h s Go l f - Kr i e g v er we i g e rt e, ä u ß e rt e Ge d m i n : „ Vi e l e D eu t s c h e sind vom Nationalpazifismus verhext." P er les V -M a nn ha t s i ch en g an d i e Fe rs en An ge la M erk el s geh eft et . Am 2 7 . M ä rz 2 00 3 n oti ert e d i e „ We lt a m S on n t a g": „ Ged m i n ha t vorgef ü h rt, wi e m a n p opu lä re P o l i t i k b e r a t u n g b e t r e i b t . D e r Am e r i k a n e r i s t s e i t a n d e r t h a l b J a h r e n i n D e u t s c h land , ha t s ein In s ti tut und d i e B erlin er Think - Tank- S zen e ord ent lich aufgemi sch t. M a l p a r li e rt er b ei ‚C h ri s t i a ns en ' ü b e r d en Ka m p f g e g en d e n T e rr o r, d a n n b ri e ft er An g ela M erk e l i m k lei n s t en Kr ei s i n S ch we ri n üb er d a s d eu t s ch - a m eri k an i s ch e Verhältnis. Seine Präsenz brachte ihm die Bezeichnung ,heimlicher Botschafter der
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US A in Deu tsch land ' ein. " (Im an glo -a m erikani sch en Sp rach geb rau ch b ed eut et „t o briet" soviel wie: „Instruktionen geben", „Auftrag erteilen".) Evelyn Roll schreibt in ihrer Merkel -Bi ographie einerseits nichts - und anderers eits doch wieder vielsagend: „Man hört so wenig von den Menschen, die Angela M e rk e l wi rk li c h b e ra t en . . . Le u t e, d i e s i e wi rk li c h b era t en , d i e la u f en eb en n i c h t h e ru m u n d r ed en d a rü b er . " E s h a n d e l e s i c h u m „ i n t er e s s a n t e M en s c h en , d i e s i c h r e g e l m ä ß i g m i t An g e l a M e r k e l t r e f f en " . J e f f G e d m i n i s t z w e i f e l l o s e i n s o l c h e r „interessanter Mensch". D r ei W o c h en n a c h d e m Zu s a m m en t r e f f en v on M r. P er l e m i t d e r v on Ge d m i n „ g e b ri eft en " M erk el b eim Bi ld erberg -Au fma rsch in R otta ch -E gern und d rei Ta ge n ach d es Fi n s t ern i s fü rs t en öffen t li c h ert ei lt en Wei h en fü r s i e, wa r es d a n n a m 30 . Ma i 2 00 5 i n B erli n s o wei t : E s erf o lgt e d i e B es t a l lu n g An g e la M erk e ls zu r Ka n z l erk a n d i d a t i n d er C - P a rt ei en — d u rc h zu s t i m m en d es Hä n d ek la t s c h en u n d Ti s c h k l op f en d er P rä sidiu m smi t gli ed er von C DU und C SU au f Edmund S t oib ers entsp rech end en V o r s c h l a g h i n b e i e i n e r g e m e i n s a m e n S i t z u n g d e r F ü h ru n g s g r e m i e n d e r S c h we s t e rp a rt e i en . Au s s p ra c h e, F ra ge n a c h Ge g e n k a n d i d a t u r en , g eh ei m e Ab s t i m m u n g — all das fand nicht statt. Au f d en Frü h s t ü ck s ti s ch en d er Da m en u n d Herren P rä s i d ium s m i t gli ed er v on C DU u n d C S U h a t t e n v o r d e r „ W a h l " M e r k e l s z u r Ka n z l e r k a n d i d a t i n e t a b l i e r t e d e u t s c h e B lä t t e r g e l e g en m i t S c h la g z ei l en wi e : „U S -R eg i eru n g h of ft a u f An g e la M er k e l . " U n d i n i h r e r i m Au g u s t 2 0 0 5 , d e m M on a t v o r d e r B u n d e s t a g s wa h l , e r s c h i e n e n e n M e r k e l -B i o g r a p h i e b e r i c h t e t e N i c o l e S c h l e y: „ An g e l a M e r k e l g i l t i n d e n Kreisen d er USA, in den en sie b ekannt ist, als p ro- amerikanischer als Gerhard Schröder und somit auch als eine leichter zu handhabende Partnerin ... Die A m e r i k a n e r h o f f e n a u f e i n e b e t r ä c h t l i c h e V e r b e s s e r u n g d e r d e u t s c h -a m e r i k a n i schen Beziehungen, sie hoffen sogar auf einen ganz grundsätzlichen Wendepunkt E n d li ch werd en s i e d en groß e n Gegn er i h rer Ira k -In t e rv en t ion , Gerh a rd S c h rö der, los." Am 1 7 . S e p t e m b e r 2 0 0 5 s c h li e ß l i c h , V o r t a g d e r B u n d e s t a g s wa h l , h i e ß e s i n d e r „Fra nk fu rt er Rund schau ": „Die a m erik anis ch en Zeitun gen sind sich wei t geh end ei n i g, wer D eu t s c h la nd regi er e n s oll: An g e la M erk el. P ra k t is c h d i e ges a m t e P res s e in den USA wünscht sich den Abtritt des aufsässigen Gerhard Schröder. , Auf Wi ed erseh en , we h op e', t it elt e di e Los An geles Ti mes, und meint e da mi t : Au f Nimmerwied ersehen. Die US - Presse nimmt es Schröder immer noch übel, dass er sich kurz vor der Bundestagswahl 2002 so vehement gegen den Einmarsch d e r U S A i n d en Ir a k a u s g e s p r o c h en h a t . Da m i t s t i m m t s i e, n i c h t u n e r wa rt et , m i t Washington überein, wo Schröder ebenfalls ungeliebt ist." 87
„Saddams reale Massenvernichtungswaffen” „ M i t i h r er Ha lt u n g zu m Ir a k -Kr i e g h a t s i c h C D U -C h efi n M e rk e l d a s W oh l wo l l e n Washingt ons gesichert — auch manchen Partei freunden i st das nicht geheu er", h i eß es i m „S pi ege l", Nr. 9 / 20 03 . Di e P oli t ik eri n la g i n d er en t s c h ei d end en Ph a s e 2 0 0 2 / 2 0 0 3 i n d e r Ta t v o l l a u f B u s h - Li n i e, wä h r en d S c h r öd e r m i t d e r P a r o l e v om „d eu t s c h en Weg " (M e rk el : „E i n s ch li m m es Wort , g efä h rli c h ") öff en t li c h S t ellu n g gegen ein e militärisch e Beteiligun g am „Kreu zzu g" gegen d en „Sch u rk en staat Irak" bezog. Das entsprach der Meinung der großen Mehrheit der Deutschen, wie Meinungsumfragen zeigten. „ Als d er Kri eg t r a u ri ge R ea li t ä t wi rd , s t eh t es fü r s i e , au ß er F ra ge, d a s s d i e C DU i n d er Au s ei n a nd ers et zu n g d er a lli i ert en S t rei t k rä ft e m i t dem i ra k i sc h en Di kt a t or Sadd am Hu ssein n icht n eutral sein k ann— , h eiß t es in Wolfgan g Stock s B i o g r a p h i e M erk e l s . W ei t e r : „ Ih r e k la r e Ha lt u n g i n d em v on S c h r öd er h oc h e m ot i on a lis i ert en Wah lka mp f wi rd t ei lwei s e h efti g k ritis i ert. Ih ren Kritik ern ant wort et s i e in ei n em p ers ön li c h en An t wort b ri ef. Da r i n b et on t s i e, es s ei ‚u n vera n t wort li c h ,
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kat egoris ch au s zus ch li eß en. Als let zt es M i t t el wi rd es i n m a n ch en Kon f li k t en , s o a u ch in d i es em , un a u s wei c h li ch sein und bleiben.— Der Leb en sb esc h rei b u n g M erk els von Pro f. La n g gu t h i st zu en t n eh men , d a ss b ei m Ira k- Kri eg s e lb s t a u s gem a c ht en „P ro -Am e r i k a n ern " wi e Wo lf ga n g S c h ä ub le und Edmund Stoiber der Bushismus der CDU - Chefin zu weit gegangen sei. Stoi b er (d em als Kan zlerkand idat im Wah lkamp f 2002 die Felle wegzu sch wimmen d roh t en ) h a b e s o ga r „ f ü r e i n i g e S t u n d en d i e Üb er f lu g r ec h t e a m e ri k a n i s c h e r B om ber in Frage gestellt". M e rk e l s t e l lt e d i e u n i on s i n t e rn en Kri t i k e r ru h i g. W o b ei s i e a u c h Zu c k e rb r ot v e r a b rei c ht e. Am 2 5 . M a i 2 004 jed en fa lls la s m a n i m „s t ern ": „ Als No rb ert La m m ert i n d er Ira k - F ra g e erk en n en li e ß , d a s s er g eg en d en Kri egs k u rs d er US A i s t , b ra c h t e M erk e l d en ei n f lu s s r ei c h en C h e f d er NR W - La n d es g ru p p e i m B u n d e s t a g b ei ei nem stundenlangen Spa ziergang auf Rügen an ihre Seit e. Wird die Uni on 2006 s t ä r k s t e F r a k t i o n , d ü r f t e La m m e r t m i t d e m b e g e h r t e n S t u h l d e s B u n d e s t a g s p r ä sidenten b elohnt werd en." Nun fand die ei gent lich fü r 2 006 vorges eh ene Wah l b ekannt lich sch on im Sept emb er 2005 st att. Ku rz d an ach wu rd e La mmert Bun destagspräsident. N a c h d em s i e a m 5 . F e b ru a r 2 0 0 3 i n „ t a c h e l es ", d em „ Li v e - C h a t d er t a g e s s c h a u " a u f d i e F r a g e , wi e d e n n i h r e Kr i e g s b e f ü r wo r t u n g m i t i h r e r „ c h ri s t l i c h e n Gr u n d 88
lage" zu vereinbaren sei, ausgerechnet den trotz seiner schweren Erkrankung geradezu herkulisch gegen Bushs Irak-Krieg ankämpfenden Johannes Paul II. in ihrem Geiste hatte mitmarschieren lassen („Selbst der Papst schließt den Krieg als letztes Mittel nicht aus"), ließ es Angela Merkel bei ihrer Rede auf der XXXIX. Münchner „Konferenz für Sicherheitspolitik, 8. Februar 2003, so richtig krachen. Unter dem Leitwort „Frieden durch Dialog" waren dort Falken aus der gesamten westlichen Wertegemeinschaft in Vorbereitung der großen Beize eingeflogen. Nachdem sie die USA zum ausschließlichen „Exporteur von Sicherheit", die NatoEuropäer aber zu „Importeuren" über die Jahrzehnte hinweg und „die Deutschen" überdies zu den „größten Nutznießern des ganzen Systems" erklärt hatte (tatsächlich trugen die Deutschen, direkt an der Hauptkampflinie des Kalten Krieges, stets das höchste Risiko — und die höchsten Kosten in der Nato sowieso), rief die CDU-Chefin aus: „Ob es uns gefällt oder nicht: Wenn der Partner im Sicherheitsverbund bedroht ist, dann ist das auch unsere Angelegenheit. Die Bedrohung ein es P artn ers, die Bed rohun g der USA, ist spätestens am 11. September (2001) offenbar geworden. Sie ist real, nicht fiktiv. Auch die Bedrohung durch die Massenvernichtungswaffen von Saddam Hussein ist real, nicht fiktiv. Die aus dieser Bedrohung entstehende Gefahr kann uns alle treffen ... Europa muss bereit sein, sich an militärischen Maßnahmen als ultima ratio zu beteiligen. Teilhabe an Entscheidungen erfordert Teilhabe am Risiko." Merkel beschwor „die Bedrohung, die von Saddam Hussein für den Weltfrieden ausgeht", wie dies „US-Außenminister Powell am Mittwoch im UN-Siche rheitsrat überzeugend dargelegt hat". Die CDU-Vorsitzende weiter „Wenn am Ende die friedliche Entwaffnung fehlschlagen und als letztes Mittel nur die angedrohten Zwangsmaßnahmen verbleiben sollten, dann befürworten wir um der internationalen Sicherheit und der Autorität der UN- Charta willen auch ein militärisches Vorgehen. Deutschland sollte sich in diesem Fall nach seinem Vermögen und in europäischer und transatlantischer Abstimmung beteiligen." Während der von Merkel als Kronzeuge angerufene Colin Powell im September 2005, zweieinhalb Jahre nach seinem UN-Auftritt, öffentlich enthüllte, dass ihm für den Vortrag vor den Vereinten Nationen gefälschtes Material aus Geheimdienstquellen untergeschoben worden war und er weiter bekannte, wie er sich schäme, die Storys von den „die Welt bedrohenden Massenvernichtungswaffen des Saddam Hussein" damals der Weltvölkergemeinschaft aufgetischt zu haben („Ich fühle mich furchtbar"; „Es war ein Schandfleck meiner Karriere"), antwortete Angela Merkel in ihren 2005 erschienenen autobiographischen Gesprächen mit Hugo Müller-Vogg auf die Frage, ob sie sich vom US- Präsidenten Bush hinsichtlich des Irak-Krieges getäuscht fühle, mit einem glatten „Nein". 89
„Schröder Does'nt Speak for All Germans” F r a u M e r k e l s t a t t e t e i n B e g l e i t u n g i h r e s A d l a t u s P f l ü g e r , e i n e s E x t r e m- T r a n s atlan tizisten, d en USA im Feb ruar 20 03 ein en Besuch ab. Sie b eteu erte gegen über ihren Gesprächspartnern — Vizep räsident Ch eney, Verteidigungsminister R u m s f e l d , d e s s e n V i z e W o l f o wi t z , d i e d a m a l i g e S i c h e r h e i t s b e r a t e r i n u n d n a c h m a li g e Au ß en m i n i s t e ri n R i c e — u n ei n g e s c h rä n k t es t e S o li d a ri t ä t g er a d e h i n s i c h t l i c h d e s Ir a k -K u r s e s . A m 2 0 . F e b r u a r 2 0 0 3 e r s c h i e n d a n n i n d e r „ W a s h i n g t o n P o s t " , d e m — n e b e n d e r „ N e w Y o r k T i m e s " — wi c h t i g s t en S p ra c h r o h r „ d e r O s t k ü s t e ", ei n v on An g e la M erk e l a l s „c h a i r m a n o f t h e C h r i s t i a n D em oc ra t i c Un i on in German y and the CDU/CSU parliamentary group in the German Bundestag" verfasster Artik el un ter d er Sch lagzeile „Sch röd er Does'nt Sp eak for All Germ a n s " m i t s c h a r f e n A t t a c k e n a u f d e n K a n z l e r w e g e n d e s s e n K o n t r a z u m I r a kKri eg. Da s s d i e fü h ren d e P er s on d er d eu t s c h en p a rla m en t ari s c h en Opp os i ti on di e R egi erun g d es ei gen en La ndes in ein em au slän di sch en Organ d era rt h efti g an gri ff, und dann n och in ein er inn en - wi e auch außenp oliti sch h öch st di ffi zi len Fra ge, war bis dahin beispiellos. Im M e rk e l -Art i k e l s t a n d : „Di e wi c h t i g s t e Le h r e a u s d er d eu t s c h en P o li t i k — n i e wi e d er S on d e r we g — i s t v on e i n e r d eu t s c h en B u n d es r e gi e ru n g, d i e g en a u d i e s en Sond erweg ein gesch lagen h at, aus wa h ltak tisch en M otiven mal ein fach so b ei s ei t e ge wi s c h t wo rd en . " („ Th e m os t i m p ort a nt les s on of Germ a n p oli t i c s — n ever a g a i n s h ou l d Ge r m a n y g o i t a l o n e — i s s we p t a s i d e wi t h s e e m i n g e a s e b y a Ge r man fed eral government that has done precisely this, for the sake of electoral tactics.") Zu allererst müsse beachtet werden, dass die Bedrohung durch den Ira k k ei n Hi rn ges p in s t , s on d ern rea l s ei : „ Fi rs t , t h e d an ger f rom Ira q i s n ot fi ct i o u s b u t r e a l . " D i e d e u t s c h e u n d e u r o p ä i s c h e G e s c h i c h t e d e s 2 0 . J a h rh u n d e r t s l e h re u n s, d ass militärisch e Gewalt als letztes Mittel gegen üb er Diktatoren nicht a u s g e s c h l o s s e n o d e r a u c h n u r , wi e d u r c h d i e d e u t s c h e B u n d e s r e g i e r u n g g e s c h e h en , in Fra g e g es t e l lt werd en d ü rfe. („ Th e h i s t or y o f Germ a n y a n d E u rop e in t h e 2 0t h C en tu ry i n p a rt i cu la r c ert a in ly t ea c h es u s , t ha t m i li t a ry f orc e m u s t n ever b e r u l ed ou t , o r e v en m er e l y q u es t i on ed — a s h a s b e en d on e b y t h e Ge r m a n f ed e ra l government — as the ultimate means of dealing with dictators.") D e r B ei t ra g li e f a u s m i t e i n em B ek en n t n i s „d e r P a rt e i , d i e i c h fü h r e " zu r „ e n g en Partnerschaft und Freundschaft mit den Vereinigt en Staaten" und zur „europäi s c h en In t e gra t i on ", wa s b ei de s u n a b d i n gb a r e r B es t a n d t ei l d eu t s c h e r S t a a t s r ä s on sei: „For the party that I lead, our close partnership and friendship with the Uni90
Angela Merkel: "Selbst der Papst schließt Krieg als letztes Mittel nicht aus" CDU-Bundesvorsitzende Angela M erkel an 5. Februa r 20 03 ist zu Gast im t acheles.02 LiveChat von tagesschau.de und politik-digital.de im ARDHauptstadtstudio. Moderator: Herzlich willkommen im tacheles.02Chat. tacheles.02 ist ein For mat von tagesschau.d e und politik-digital.de und wird unterstützt von tagesspiegel.de. Wir haben eine Stunde Zeit, kann es losgehen, Frau Merkel?
Ira k- K r ieg Powell: „Schandfleck meiner Karriere"
0 9 . Sep tem b er 2 0 0 5 D er f rü he re a mer i ka n i sc he Au ße n mi ni st er Collin Powell hat in einem Fernsehinterview seinen Auftritt im UN-Sicherheitsrat im Februar 2003 im Vorfeld des Irak -Kriegs bedauert.
US-Außenminister Powell und sogar den Papst ließ Merke! für ihre Unterstützung des Irak-Kriegsherrn Bush aufmarschieren. Tatsächlich wandte sich Johannes Paul II. mit aller Kraft gegen den Irak-Krieg. Und Powell gestand später, für seinen UNO-Auftritt mit Falschmaterial des Geheimdienstes „gefüttert" worden zu sein. 91
ted S t a t es i s j u s t a s m u c h a fun d a m en t a l e l e m en t o f Ge r m a ny' s n a t i on a l p u rp os e as European integration."
„Auslandseinsätze weltweit" S c h r öd e r r et t et e s i c h 2 0 0 2 b ei d e r B u n d es t a gs wa h l m i t s ei n em „d eu t s c h en W e g " di e Kan zlers cha ft vor d em Zugri ff d es gem ein sa m von C DU und C S U a ls Kandid at au f d en Schild geh ob en en Ed mund Stoib er, d er u nter Merk els d emon strativem Pro- Bush- Kurs zu leiden hatte. Evelyn R oll: „Der Wahlkampf lief gut, bis der Irak k ri eg k am. An gela M erk el posit i oni ert e sich gegen d i e St immun g i m La nd fü r d en E inma rsch d er Am erik an er. " Rückb lick end s ch ri eb Gert Kei l in d en „Frank fu r t e r H e ft en " , S ep t em b e r 2 0 0 5 , d u rc h i h r e P r o- Kr i e gs -Ha lt u n g h a b e M erk e l „ ei n en d em o s k op i s c h en N e ga t i v r ek o rd e r zi e lt , n ä m l i c h „b i n n en ei n es M on a t s u m ga n z e 2 0 ( !) P u n k t e i n d e n S y m p a t h i e w e r t e n a b z u s t ü r z e n , w a s n i c h t e i n m a l U w e B a r schel auf der Höhe seines Kieler Skandals geschafft hatte". Elisabeth Noelle v o m A l l e n s b a c h e r In s t i t u t f ü r D e m o s k o p i e b e r i c h t e t e i n d e r „ F A Z " d e s 1 7 . N o v e m b e r 2 0 0 4 v o n e i n e m Z u sa m m e n b ru c h d e r M e r k e l ' s c h e n „ Gu t e -M e i n u n g - W e rte" von 2002 auf 2003 auf nur noch 30 %. Von diesem Rückschlag habe sich ihre Beliebtheitskurve „nicht mehr erholt". Geg en üb er Mü ller- Vogg b ekund et e An gela M erk el, es hab e si e 20 03 b ei ih rer I r a k p o s i t i o n „ g e l e it e t " , d a s s a u c h a n d e r e p o l i t i s c h e W e i c h e n s t e l l u n g e n i n d e r b u n d e s d eu t s c h en Ge s c h i c h t e g e g e n d i e M eh rh ei t d er B e v öl k e ru n g g et r o f f en wo r d en s ei en . Au f M ü l l e r- V o gg s V o rh a lt „ Ih r E i n t r et en fü r d i e V er e i n i gt en S t a a t en i s t i n d i es e r E i n d eu t i gk ei t i n D e u t s c h la n d n i c h t m eh rh ei t s fä h i g " a n t wo rt et e M e r k el gleich mütig: „Das kann sch on sein ". Und sie fuh r fort, „dass es Prob leme gibt, bei deren Lösung wahltaktische Überlegungen keine Rolle spielen dürfen". B ei i h r er R ed e a u f d e r X L. M ü n c h n er S i c h erh ei t s k o n f e r en z, 7 . F eb ru a r 2 0 0 4 , ä u ß e r t e M e r k e l : „ Au c h ü b e r e i n m ö g l i c h e s E n g a g e m e n t d e r N A T O a u f W u n s c h e i n e r f r e i g e wä h l t e n R e g i e r u n g i m Ir a k i m R a h m e n e i n e r U N- R e s o l u t i on wi r d d i s k ut i ert . In ei n em solc h en Fa ll d a rf si ch Deut sch la nd der An ford eru n g n ic ht verschli eßen." Verlaufs der Ansprache zitiert e die CDU -Chefin zustimmend folgend e Au s s a g e d e r f r ü h e r e n U S- Au ß e n m i n i s t e r i n M a d e l e i n e A l b r i g h t a u s d e r e n Aut ob i og ra p h i e ( Ka p i t e l „ Im Du e l l m i t Di k t a t or en " ( : „ Di e z en t ra l e a u ß en p o li t i s c h e Zielsetzun g lautet, Poli tik und Hand eln and erer Nation en so zu b eein flu ssen , d a s s d a m i t d e n In t e r e s s e n u n d W e r t e n d e r e i g e n e n N a t i o n g e d i e n t i s t . D i e z u r V e r fü gu n g s t eh en d en M i t t e l re i c h en v on f r eu n d li c h en W o rt e n b i s zu M a rs c h f lu gk örp ern . " M erk els Kom m en t a r d a zu : „E s i s t ei n e De fi n i t i on, d i e au s m ei n er S i c ht nicht nur für die amerikanische Außen- und Sicherheitspolitik Gültigkeit haben 92
muss, sondern auch Maßstab einer europäischen Außen - und Sicherheitspolitik sein sollte, besser: sein muss." Frau Merkel st ellte bei dieser Gelegenheit einen außenpolitischen Grundsatzbeschluss des CDU -Bundesvorstandes vom 28. April 2003 heraus, in dem es heißt: „Wenn das Recht auf Selbstverteidigung einschließlich Nothilfe und Inter ventionsverbot zur Sicherung von Frieden u nd Stabilität nicht mehr ausreichen, muss das Völkerrecht behutsam weiterentwickelt werden." Schließlich prokla mierte Merkel bei ihrer Münchner Ansprache des 7. Februar 2004: „Wenn wir unseren Interessen und Werten dienen wollen, müssen wir Außenpolitik a ls Weltinnenpolitik verstehen." Nötig sei, dass „Deutschland als größtes (?) Land Europas seinen außen- und sicherheitspolitischen Beitrag für eine Weltinnenpoli tik im umfassenden Sinne wirkungsvoll leisten" möge. Woraus u.a. folge: „Aus landseinsätze der Bundeswehr werden zunehmen. Die Verteidigung unserer Interessen und unserer Sicherheit muss im 21. Jahrhundert weltweit erfolgen." Bleibt noch nachzutragen, dass Merkel die Bundeswehr für „unsere Interessen" nicht nur „weltweit" einsetzen will, sondern sie auch schon seit längerem darauf drängt, die Möglichkeiten zum Militäreinsatz gegen den „inneren Feind" aus zuweiten. Symptomatisch war ihre Rede im Bundestag vom 11. Oktober 2001, in der sie ausführte, der 11. September (die Anschläge auf das World Trade Center und das Pentagon) hätten „gezeigt, dass die Grenzen von innerer und äußerer Si cherheit zunehmend verschwimmen". Merkel weiter: „Niemand in dieser Bundesrepublik Deutschland, jedenfalls nicht in meiner Partei, wird in irgendeiner Weise Polizei und Bundesgrenzschutz durch Kräfte der äußeren Sicherheit ersetzen wol len. Vielmehr geht es um die Frage, ob in bestimmten Bedrohungssituationen, ergänzend zu dem, was wir von Polizei und Bundesgrenzschutz brauchen, und er gänzen d zu d e m, wa s b erei ts h eu te d as Gru n d gesetz e rmö glicht, viellei cht bestimmte Dinge zusätzlich angewandt werden sollten." Man müsse „über die sen und jenen Artikel des Grundgesetzes noch einmal nachdenken ... Ich lade uns alle ein, dies ohne alle ideologischen Scheuklappen zu tun."
Israel als Staatsräson Es gibt wohl nur ein einziges anderes Land, dem Angela Merkel ähnlich viel, wenn nicht sogar noch mehr Aufmerksamkeiten angedeihen lässt wie den USA: Israel. Lange rollte die Zuneigung auf der Einbahnstraße nach Nahost. Doch — was lange währt, wird endlich gut — seit ca. Ende der 90er- Jahre erwidert man die Sympathie. Man scheint in Israel aufrichtig erfreut zu sein, mit Angela Mer kel über eine besonders engagierte Sachwalterin eigener Interessen in Deutsch93
land zu verfügen, die „die Existenz Israels zum Kern der Staatsräson unseres Landes und zur Räson unserer Partei" erklärt (Rede Angela Merkels bei der Berliner Festveranstaltung „60 Jahre CDU", 16. Juni 2005). Die Beziehung ist unterdessen so eng geworden, dass die Münchner „National Zeitung" in ihrer Ausgabe vom 30. September 2005 feststellte: „Studiert man die Stellungnahmen von Medien in Israel sowie Berichte zionistischer Organe welt weit zur Bundestagswahl, gibt es keinen Zweifel: Jene Seite würde die Kanzler schaft Merkels begrüßen. Dort ist man guter Hoffnung, dass sie sich kräftig für jüdische Belange, speziell für die Interessen Israels, einsetzen wird." V ierzeh n Ta ge zu vo r, 1 6 . Sep te mb er 2 0 0 5 , h atte es in den in Tel Aviv au f Deutsch erscheinenden, zionistisch ausgerichteten „Israel Nachrichten" zum bundesrepublikanischen Urnengang geheißen, dass „Jerusalem die Wahlen mit Auf merksamkeit beobachtet", dass „Merkel die Politik von Scharon unterstützt" und dass sich die Bundesrepublik „im Falle von Merkels Wahl im Nahen Osten mehr engagieren" werde — „einschließlich der finanziellen Seite", wie das Blatt betonte. Die „Israel Nachrichten" weiter: „Scharon und sein deutscher Amtskollege Bundeskanzler Gerhard Schröder haben sich lange nicht mehr getroffen, nachdem Schröder das israelische Ansuchen um die Finanzierung von zwei zusätzlichen Dolphin- U-Booten beiseite stellte. Israel hatte hierfür um Finanzhilfe von etwa einer Milliarde Dollar ersucht, nachdem Deutschland zu Beginn der 90er- Jahre drei solche U- Boote geliefert hatte. Nach ausländischen Berichten sind sie mit Atomgeschossen bestückt." Nachdem die erste Lieferung der U- Boote an Israel aus deutscher Kasse bezahlt worden sei (unter Kohl), habe SPD- Verteidigungsminister Peter Struck ein weiteres Milliar dending der Bundesrepublik hinsichtlich zusätzlicher Unterseeboote unterstützt. Doch, so fuhren die „Israel Nachrichten" fort: „Schröder, der sich mit Deutsch lands schwersten sozioökonomischen Problemen seit dem Zweiten Weltkrieg konfrontiert sah, weigerte sich, darüber zu sprechen." Jetzt aber, mit der Aussicht auf die Kanzlerin aus den Reihen der C- Parteien, stünden die Zeichen günstiger. Eine Prognose, die sich inzwischen als wahr herausgestellt hat. Das neuerliche U- Boot-Geschen k an Israel war sozusagen Merkels erste Amtshandlung als Kanzlerin. Durchgedrückt hatte sie es schon bei den Koalitionsverhandlungen. Auch der einflussreiche israelische Journalist Adar Primor, Sohn des einstigen Botschafters in der Bundesrepublik Avi Primor, zeigte sich kurz vor der Bundestagswahl davon überzeugt, dass Israel zusätzlichen Nutzen aus der Merkel'schen Kanzlerschaft ziehen werde. Nach einer stundenlangen Einvernahme der CDUChefin, deren Extrakte von der israelischen Tageszeitung „Haaretz" am 14. Sep94
temb er 2005 au ch in ih rer en glisch sp rach igen Au sgab e veröffen tlicht wu rd en , s c h ri eb e r, F r a u M e rk e l u n t ers t ü t z e „ rü c k h a lt l o s " ( „ wh o l eh e a rt ed l y" ) d i e P o li t i k von Premier Scharon. Nicht zuletzt, so Primor weiter, sei in Bez ug auf das Ver l a n g e n n a c h w e i t e r e n U -B o o t e n z u e r w a r t e n , d a s s d i e C D U -V o r s i t z e n d e a l s R e gi erun gsch efin — im Gegen s at z zu S chröd er — „ Is ra els W ün sch e b erück sichti gen will". Was ja voll eingetroffen ist. Im Ges p rä c h m i t „Ha a ret z" -P r i m or ä u ß ert e F ra u M erk et „Di e B e zi eh u n gen m i t Is r a e l s i n d e i n k o s t b a r e r S c h a t z , d e n wi r h ü t e n m ü s s e n . W i r u n d d i e k o m m e n d e n Gen eration en mü ssen un s unserer Geschichte b ewu sst sein und d er Verantwor t u n g, d i e s i e b ei n h a lt e t . Wi r m ü s s en ei n e k la r e ö f f en t li c h e P o s i t i on d a zu ei n n eh m e n u n d e n g e B e z i e h u n g e n m i t d e r j ü d i s c h e n Ge m e i n s c h a ft i n D e u t s c h l a n d p f l e g e n . U n d n a t ü r l i c h m ü s s e n wi r e n g e B e z i e h u n g e n z u Is r a e l p f l e g e n . " D i e s g e l t e a u c h fü r d a s V e r h ä l t n i s z wi s c h e n Is r a e l u n d d e r E U , d a s e s z u i n t e n s i v i e r e n g e l te. In e i n e m n o c h v o r d e r B u n d e s t a g s wa h l 2 0 0 5 v o n M e r k e l s F r a k t i o n s m i t a r b e i t e r Gert Ola v Göh s (Fa chb ereich Au ß enp oli tik ) ent worfen en Papi er zu m d eut sch - i s ra el i s c h en V e r h ä l t n i s h e i ß t e s : „ D i e S h o a h u n d d i e i m d e u t s c h e n N a m e n a n d e n J u d en b e ga n g en en V e rb r ec h en d e r n a t i on a ls o zi a li s t i s c h en Ge wa l t h e rr s c h a ft p rä g en d i e d eu t s ch- i s ra eli s c h en B ezi eh u n gen . " Im „B e wu s s t s ei n der h i s t ori s c h en Vera n t w o r t u n g D e u t s c h l a n d s g e g e n ü b e r Is r a e l " s e i „ e i n i n t e n s i v e r u n d f r e u n d s c h a f t l i c h er d eu t s c h -i s ra eli s c h er Di a log" zu fü h ren . In s b es on d er e b ed ü rfe es d er E rk en n t nis, dass in Deutschland „die Bekämpfung von einseitigen anti - israelischen E i n s t e l l u n g e n e i n e g e s a m t g e s e l l s c h a f t l i c h e Au f g a b e " s e i . H i e r m ü s s e a u c h a u f di e M edi en ein gewi rkt werd en. Wei t er. „Di e P olit ik, di e Bund es regi erun g und d er Bundestag haben ebenfalls eine große Verantwortung, auf die negative Stimm u n g i n d e r B e v ö l k e r u n g g e g e n Is r a e l z u r e a g i e r e n . " N i c h t m i n d e r s e i e n d i e In stitutionen der politischen Bildung entsprechend in die Pflicht zu nehmen. B ei ih rem Vort ra g a m 7 . Dezem b er 2003 vor d em „5. Eu ropäi sch- Is ra eli sch en Dia l o g " h a t t e An g e l a M e r k e l i h r e G r u n d s a t z p o s i t i o n e n h i n s i c h t l i c h d e s d e u t s c h e n V e r h ä l t n i s s e s z u m j ü d i s c h e n S t a a t wi e f o l g t u m r i s s e n : „ W i r h a b e n u n s e r e D e m o kratie auch auf den Lehren aus der Geschicht e aufgebaut. Dazu gehört unverr ü c k b a r d i e An e rk en n u n g d e r S i n gu la ri t ä t d es H o l oc a u s t . S i e wa r u n d i s t d i e V o raussetzung dafür, dass wir frei und souverän sein können. Aus diesem Vers t ä n d ni s d er E i n zi ga rt i gk ei t d es Holoc a u s t er wä c h s t ei ne ga n z s p e zi e ll e B e zi e h u n g D e u t s c h l a n d s z u Is r a e l . . . D a ra u s f o l g t , d a s s wi r g r u n d s ä t z l i c h f ü r d i e An l i e g e n Is r a e l s e i n t r e t e n . . . D e u t s c h l a n d m u s s e i n e P o l i t i k m a c h e n , d i e i m Z w e i felsfa lle für die Belange Israels eintritt und keine Neutralitätsbetrachtungen zulässt."
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N a c h d e m s i e b e i i h r e m „ D i a l o g " - V o r t r a g d e n B u s h- Kr i e g g e g e n d e n Ir a k g e l o b t h a t t e, we i l d e r W a f f en ga n g „ v ö l l i g n eu e B li c k wi n k e l u n d Op t i on en e r ö ffn et " h a b e, „die es mit Sadd am Hu ssein so n icht gab ", ließ sich M erk el zu ein em wei t er en La n d d es O ri en t s ei n , d a s sozu sa g en a u f d er Ab sc h u ssli st e st eh t : „Da ss d er Ira n au s d em B lick wink el Is ra els ei n e B edrohun g d arst ellt , st eht nicht in fra ge. W e n n wi r a n d e r S t e l l e Is r a e l s l e b e n wü r d e n , wü r d e n w i r g e n a u s o e m p f i n d e n . " ( Le b e n wi r a b e r n i c h t !) . D i e C D U- C h e f i n f o r d e r t e b e i d i e s e r Ge l e g e n h e i t , „ a u s d e m Ir a k -K o n f l i k t z u l e r n e n " . D i e i h r e s E r a c h t e n s e n t s c h e i d e n d e F r a g e l a u t e t : „Gehen wir wied er getrennte Wege, ist wi eder der eine für die Mora l verant wo r t li c h u n d d er a n d e r e fü r d i e m i li t ä ri s c h e D r oh u n g ? Od er s c h a f f en wi r es d i es mal in einer Art Amalgami erung, unsere militärischen und moralischen Kom p o n e n t e n b e i d e r s e i t s d e s At l a n t i k s g l e i c h g e r i c h t e t z u r Ge l t u n g z u b r i n g e n ? D e r Iran ist ein Testfall." Zur Erläuterung: Amalgamierung bedeutet Versch melzung von Metallen mit Qu e c k s i lb e r. W e g en a k u t er Ve r g i ft u n gs g e fa h r i s t h öc h s t e V o r s i c h t g eb o t en . Al s Erste Hilfe wird die Verabreichung eines Brechmittels empfohlen.
Mit Herzblut im „Inner Circle" F r a u M e r k e l h a t s i c h a l s B u n d e s t a g s a b g e o r d n e t e i n d e r „ D e u t s c h - Is r a e l i s c h e n P a rla m en t a ri ergru p p e" en ga gi ert . Di es e Ve rei n i gu n g rek ru t iert s i c h gem ä ß S elb s t a u s k u n ft a u s „a u s g es p r oc h en en F r eu n d en Is r a e l s , d i e Z ei c h e n d er S o li d a ri t ä t s et zen ". Rein h old Rob b e, ein er d er b etei ligten Bu n d estagsab geord n et en au s d en R e ih en d er S PD, b ezeichn et di e in d er Deut sch - Is ra eli sch en P a rla m ent a ri ergrupp e m it wi rk end en Volk s vert ret er a ls „Kollegi nn en und Kollege n aus a llen Frak ti on en, b e i d e n e n H e r z b l u t a m T h e m a h ä n g t " ( In t e r v i e w m i t d e m „ D e u t s c h l a n d f u n k " , 2 3 . Ok t ob e r 2 0 0 3 ). N eb en d er P a r la m en t a ri e r g ru p p e B u n d e s r ep u b li k- U S A i s t d i e d eu t s c h - i s ra e li s c h e m i t s t et s m eh r a ls 1 0 0 M d B d i e s t ä rk s t e a l l e r s o lc h en Zu s a m menschlüsse des Bundestages. Glei c h d rei d er en gs t en M erk el -Mit a rb eit er, Mit gli ed er ih res „ In n er C irc le", geh ö ren d er D eu t s c h -Is ra e li s c h en P a rla m en t a ri ergru p p e a n . E s si nd d i es di e M dB E ck a rt von Kla ed en , Hi ld ega rd M ü lle r u n d R on a ld P ofa lla . E v e l yn R ol l d efi n i ert d en „ In n e r C i r c l e " a l s „ T r u p p e , d i e s i e T a g f ü r T a g u n m i t t e l b a r b e r ä t u n d s i c h v o n Zeit zu Zeit ein paar Tage mit ihr in ein Strandhotel auf die Ostseehalbinsel Fischland Darß zum Nachdenken und Redenschreiben zurückzieht". Hi ld ega rd Mü ller st eht seit 2002 an d er Spit ze d er Deutsch - Isra eli sch en Pa r la m ent a ri ergrupp e und sit zt da rüb er h inaus im P rä sidiu m der Deut sch - Is ra eli sch en Gesellschaft (DIG). Die DIG — „Ecki" von Klaeden gehört auch dazu — stellt sich 96
vor als „die Organisation der Freunde Israels". Sie will „praktische Solidarität mit dem jüdischen Staat auf allen Ebenen durchsetzen", „in unserer gesamten Arbeit für die Sache Israels werben" und „Einfluss nehmen vornehmlich auf die Regierung und die politischen Parteien". Klassische Lobbyarbeit also. Die so vielfältig für Israel engagierte Hildegard Müller, bis 2002 Chefin der Jungen Union, ist die engste Vertraute Angela Merkels, ihre „verlässliche Stütze im CDU-Präsidium" (Langguth). Die beiden verbindet auch eine Duzfreundschaft, was bei Merkel nicht häufig vorkommt. Am 25. Mai 2004 berichtete der „stern" über Müller, dass sie „mit einem besonders SMS- tauglichen Gerät im Präsidium pausenlos unter der Tischkante einschlägige Infos im Sinne der Vorsitzenden textet". „Im Jahr des 40. Jubiläums der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und Israel sind Hildegard Müller und ihre Parlamentariergruppe gleich mehrmals zu Besuch in Tel Aviv und Jerusalem", berichtete das ZDF am 11. Mai 2005. Weiter: „Auch haben sich Mitglieder der Parlamentariergruppe mit Vertretern der israelischen Botschaft, aber auch mit dem American Jewish Committee und anderen Nichtregierungsorganisationen getroffen. Auf diesen verschiedenen Treffen seien Ideen entstanden, die Gesetzgebungsverfahren, Vertragsverhandlungen und auch die praktische Außenpolitik der Bundesregierung beeinflusst haben, erklärt Hildegard Müller." „Das Band, das Deutschland und Israel verbindet, kann nicht stark genug sein", rief Merkels gute Freundin anlässlich des 40. Jahrestages der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und dem nahöstlichen jüdi schen Staat am 12. Mai 2005 aus. Kernsätze aus Hildegard Müllers Bundestagsrede zum besagten Jahrestag: „Normal können die deutsch-israelischen Beziehungen niemals sein. Die Beziehungen werden stets durch die Singularität der Schoah gekennzeichnet sein ... Deutschlands Beziehungen zum jüdischen Staat gründen auf unsere Verantwortung für die Schoah und deshalb sind unsere Beziehungen durch unser unerschütterliches Eintreten für das Existenzrecht des Staates Israel und die Sicherheit seiner Bürger bestimmt. Israel wird sich in dieser Hinsicht stets auf Deutschland als Freund und Partner verlassen können. Die besondere Verantwortung, die wir für die Sicherheit Israels haben, werden wir auch in der internationalen Staatengemeinschaft immer einsetzen."
Die Reise nach Jerusalem 2005 antwortete Angela Merkel auf die Frage des jüdischen Magazins „Tribüne", welchem Land sie als Regierungschefin in Berlin den ersten Staatsbesuch abstatten wolle: „Für einen deutschen Bundeskanzler ist generell Israel ein Land, das 97
e r a ls e i n es d e r E rs t en b e s u c h e n s o l lt e . " S c h on a ls f ri s c h g eb a c k en e B u n d es m i n i s t e ri n fü r F r a u en u n d J u g en d h a t t e s i e e s 1 9 9 1 ei li g, i n i s ra e l i s c h e Ge fi ld e zu p i l g e rn . B i o g ra p h La n g gu t h : „ E s wa r M e rk e l s p e rs ön li c h er W u n s c h , m ög li c h s t b a ld n a c h Is r a e l z u r e i s e n . " S i e q u e n g e l t e b e i Ka n z l e r Ko h l . D i e O f f i z i e l l e n d e s j ü d i schen Staates aber hatten sicher nicht auf ihr Ersch einen gedrängt, wie es sich a u c h e r wi es , a l s s i e t a t s ä c h li c h a n g e f l o g en k a m u n d m a n d ort u n t en ga r n i c h t s o recht wusste, was mit ihr anzufangen sei. Vom 7 . b i s 9 . Ap ri l 1 9 9 1 ging n u n a ls o M erk e ls s eh n li c h er Wu n s c h in E rfü llu n g. Di e R ei s e n a c h J eru s a lem . D e r Is ra el - Au fen t h a lt wa r i h r z wei t er Au s la n d s b es u ch a l s Kab in ett sm it gli ed , rechn et m an ein e kurze S tipp visi t e zu vor in Fra nkreich mit . Jedenfalls war Israel ihre erste längere Auslandstour im Ministeramt. Frau M erk el kam mit ein er Delegation in d en jüd isch en Staat, d er auch Staats m i n i st er Lu t z S t a ven h a gen an geh ört e. E i n Geh ei m n i s u m gib t d a s S ch i ck s a l d i es es M a n n e s , d e r i n K o h l s K a n z l e r a m t f ü r d i e Au f g a b e n g e b i e t e „ R ü s t u n g s k o n t r o l l e u n d G e h e i m d i e n s t e " z u s t ä n d i g w a r . B a l d n a c h S t a v e n h a g e n s Is r a e l - B e s u c h a l s R ei s ek om p a gn on von An ge la M erk el f l og d er g es et z wi d ri ge P la n zu r B eli efe ru n g d es jüd isch en Staates mit Pan zern au s Bestän d en d er DDR au f. Die Tank s d er NV A wa r en von d eu t s ch en Geh ei m d i en s t lern a ls „ La n d m a sc h in en " get a rn t und in H a m b u r g a u f S c h i f f e v e r l a d e n wo r d e n , d i e n a c h Na h o s t a u s l a u f e n s o l l t e n . D o c h m a n h a t t e d i e R e c h n u n g oh n e d i e W a s s e r s c h u t z p o l i z e i g e m a c h t . D e r e n a u f m e r k s a m e, i n d i e d e li k a t en Hi n t erg rü n d e n i c h t ei n g e we i h t e B ea m t e n a h m en d i e k o l o s s a l e K o n t e r b a n d e h o p s . D e r S k a n d a l k a m a n d i e Ö f f e n t l i c h k e i t . Im D e z e m b e r 1 9 9 1 wu r d e S t a v e n h a g e n a u f g r u n d d e r A f f ä r e z u r D e m i s s i o n g e z w u n g e n . Ku r z da rau f, im Mai 1992, nahm d er Mann sein reich es Wi ssen um di e auch sonst r e g e g e n u t z t e d u b i o s e W a f f e n r o u t e D e u t s c h l a n d - Is r a e l m i t i n s G r a b . G ä n z l i c h p l ö t z l i c h u n d u n e r wa r t e t s t a r b e r . M i t z w e i u n d f ü n f z i g . An L u n g e n e n t z ü n d u n g . ( D i e „ La n d m a s c h i n e n " -P a n z e r d e r E x- N V A ü b r i g e n s f a n d en d o c h n o c h — R e c h t hin, Gesetz her — ihren Weg nach Israel.) Neben Merkel und Stavenhagen war Bundesforschungsminister Heinz Riesen h u b e r d e r D r i t t e i m B u n d e a u s d e m Ko h l - Ka b i n e t t b e i m Is r a e l- B e s u c h i m Ap r i l 1 9 9 1 . E r s t a h l M e r k e l , d i e s i c h d o c h s o v i e l v o r g e n o m m e n h a t t e , g l e i c h a b An k u n ft a u f d e m F l u gh a f en T e l Av i v -Lo d d i e S c h a u . M ed i eng e wa n d t wi e s t et s u n d w e i l e r f ü r d i e Ga s t g e b e r s c h o n a l l e i n we g e n s e i n e s R e s s o r t s , W i s s e n s c h a f t u n d Forschun g, wesen tlich interessanter war als die Frau en - und Ju gend min isterin a u s B on n (Deu t s ch la nd su b ven t i on i ert Is ra e ls Wi s s en s c h a ft t ra di t i on ell m i t erh eb l i c h en S u m m e n ) , z o g R i e s e n h u b e r f a s t a l l e Au f m e r k s a m k e i t a u f s i c h u n d g a b In t e r v i e w a u f In t e r v i e w . M e r k e l h i n g e g e n s t e l l t e s i c h z i e m l i c h v e r g e b e n s a u f d i e 98
Zehenspitzen. Ihr Kabinettskollege wurde überdies, so ihr beißender Eindruck, vom deutschen Botschafter von der Gablentz mehr beachtet als sie. Als Riesenhuber dann auch noch von den israelischen Offiziellen mehr Aufmerk samkeit geschenkt wurde als ihr, brannten Angela Merkel die Sicherungen durch. Langguth beschreibt ihre Empfindungen dergestalt, dass sie, die sie nach Schil derung eines Augenzeu gen aus dem Pressetross „mit klopfendem Herzen in Israel eintraf", sich gefühlt habe „wie bestellt und nicht abgeholt". Der Biograph weiter: „In der Anspannung dieses für Merkel historischen Besuches kam in ihr so etwas wie eine ,kalte Wut' hoch. Dies führte zu einem Tränenausbruch, den auch begleitende Journalisten wahrnahmen. Berichtet wurde darüber nie." Der Tränenfluss rührte das Herz des Israelis. Jedenfalls durfte Angela Merkel — sozusagen als Trostbonbon — auf einen Sprung bei Außenminister Levy vorbeikommen. „Auffallend bei der Programmgestaltung war, dass sie, obgleich Pfarrerstochter, die christlichen Stätten mit wenig sichtbarer Bewegtheit besuchte und an keinen Andachten teilnahm", notiert Langguth weiter über Merkels damaligen Israel Trip. „A ndere christdemokratische Politiker legten bei ihren Reisen nach Israel Wert auf eine Teilnahme an einem christlichen Gottesdienst, einer Andacht oder etwa einer Vesper mit Mönchen." Frau Merkel habe ihre israelischen Gesprächspartner „offensichtlich sehr beein druckt", meint Langguth zur Visite des April 1991 abschließend. Die Frage, womit denn eigentlich, lässt er freilich offen. Seither war Andrea Merkel mehrfach in Israel. Und die letzten Jahre öffneten sich ihr auch die Türen aller Hochrangiger dort unten — Scharon usw.
Beim „Aufstand der Anständigen" auch dabei Unmittelbar nach Bekanntwerden eines nächtlichen Brandanschlags auf die Syna goge von Düsseldorf, 3. Oktober 2000, setzte in Bundesdeutschlands Polit-Estab lishment ein regelrechter Run darauf ein, wer zuerst die tiefste Betroffenheit über derlei brutalen Antisemitismus bekundet und den höchsten Alarm wegen der rechtsradikalen Gefahr auslöst. Bevor auch nur die Spurensicherung vor Ort ihre Arbeit abgeschlossen hatte, von der Entdeckung irgendwelcher konkreter Hinweise auf die politische Natur der Täter ganz zu schweigen, war laut Medien und Politikermund völlig klar: Es konnte sich bei den Feuerteufeln nur um rechtsradikale deutsche Antisemiten handeln. 99
Den ersten Et app en sieg im Wettlau f erran g zweifellos Gerh ard Sch röd er. Der Ka n z l er p r ok la m i e rt e i m g l ei ß en d en B li t z l i c h t g e wi t t e r d er M ed i en d i r ek t a m Ta t ort und n och am Nach mittag nach d er Tat d en „Au fstand d er Anständigen " geg e n a l l e s , wa s „ r ec h t s ra d i k a l " s e i . B a ye r n s In n en m i n i s t e r Gü n t h er B e c k s t ei n v ers u c h t e h a s t i g, d en Ka n z l e r zu t op p en u n d d e r C S U d i e S i e gs p a l m e zu s i c h e rn . E r ford ert e ri gor os d a s Verb ot der NP D ( we lc h es Ve rfa h ren d a n n j a au c h t at s ä ch li ch i n Ga n g k a m , u m 2 0 0 3 v o r d e m B u n d e s v e r f a s s u n g s g e r i c h t z i e m l i c h k l ä g l i c h z u s c h ei t ern ). An ge la M erk e l h i n ge gen , oh n eh i n ni ch t b eka nn t a ls b es on d er e S c h a rfmacherin gegen die Rechten, hielt sich relativ zurück. D o c h b ei d e r v o m B u n d es p rä s i d en t en R a u a n g e fü h rt en g r oß en „ S t a a t s d em on s t ra t i on g e g e n r e c h t s " a m 9 . N o ve m b e r 2 0 0 0 i n B e r l i n — J a h re s t a g d e r f u rc h t b a r e n antisemitischen Gewaltausbrüche von 1938, der so genannten Kristallnacht —, s u c h t e d i e C D U - C h e f i n i h r e C h a n c e , n u n a u c h b e i d e r a n t i r e c h t e n Ka m p a g n e e inen Platz an der Mediensonne zu ergattern. Ob e s a n ei n e r R e gi ea n wei s u n g S c h r öd er s g e l e g en h a t , wi e g e l e g e n t li c h b eh a u ptet wi rd, oder andere Hintergründe maßgeblich waren: Merkel erhielt bei der Berlin er Manifestation d es 9. Novemb er 2000 auf der Prominentenbühne ein en P l a t z n u r i n d er d ri t t en R e i h e h i n t en zu g ewi es en . B i o g ra p hi n R o l l s c h i ld ert , wi e s ich di e C DU -Ch efin gesch ickt nach vorn e sch ob : Erst ein S tückch en zurü ck s ei ' s g e g a n g en , d a n n ei n s c h n e l l e r S e i t en wec h s e l u n d s c h li eß li c h , za c k , en t s c h lo s s en v o r a n g e s c h ri t t e n . R o l l w e i t e r „ J e t z t s t a n d An g e l a M e r k e l d a , g a n z v o r n e i n d e r e r s t en R ei h e i m B li c k f e ld d e r Ka m e ra s , s c h ön a u s g e l eu c h t e t n eb en P a u l S p i e g e l, dem Vorsitzenden d es Zentralrats der Juden in Deutschland." Doch genau dies sei ihr Fehler gewesen. In d e r T a t . D e n n s o m u s s t e s i c h M e r k e l s o z u s a g e n a l s a r m e S ü n d e r i n i m R a m p en licht und fü r j ed ermann offenba r vom jüd isch en Ch effunkti on ä r di e Levi t en le s e n l a s s e n . „ W a s s o l l d a s Ge r e d e u m d i e Le i t k u l t u r " , r i e f d e r Z e n t r a l r a t s v o r s t e h e r v o r T a u s e n d e n a u f d e m P l a t z , M i l l i o n e n v o r d e n B i l d s c h i r m e n a u s . „ Is t e s et wa d eu t s c h e Le i t k u lt u r, F r e m d e zu j a g en , S yn a g og en a n z u zü n d en , Ob d a c h l os e z u t öt en ? M ei n e Da m en u n d H e r r en P o li t i k e r. Üb e r l e g en S i e, wa s S i e s a g en , u n d hören Sie auf, verbal zu zündeln." S p i ege l s p i elt e a u f d en Au s d ru c k „d eu t s ch e Lei t k u lt u r" an , d en ei ni g e Z ei t zu vor C DU/ C S U -Fra k t i on s c h ef Fri e d ri ch M erz i n d i e au s lä n d erp oli t i s c h e Deb a tt e ei n ge bracht hatte und der von links als „faschistisch" und vom Zentralrat als gefährl i c h „ p op u l i s t i s c h " v e r wo r f e n wu r d e . W e n n S p i e g e l b e i s e i n e r B e r l i n e r At t a c k e p u n k t g en a u M e r z, m i t d e m M e r k e l n oc h n i e gu t k on n t e, g e t r of f en h ä t t e , wä r e e s für sie halb so schlimm gewesen. Doch infolge der Verarbeitung des Merz'schen 100
Spruches in den Medien wurde der Ausdruck „deutsche Leitkultur" mit der CDU insgesamt verknüpft. Und so stand die Parteichefin der Christdemokraten bei der Berliner Kundgebung durch Spiegels Worte wie abgewatscht da. Nichts gefruchtet hatte es, dass längst zuvor schon, wie Merkel -Biographin Boysen berichtet, die CDU- Spitze dem Vorsitzenden des Zentralrats der Juden versichert hatte, auf den Begriff der deutschen Leitkultur zu verzichten. Wie dem auch sei. Paul Spiegel ist nun einmal ein Mann, dem man einfach nicht böse sein kann bzw. darf. Erst recht nicht, wenn man führender Christdemokrat ist. Und so gab es denn auch in der Folgezeit trotz des 9. November -Affronts von Berlin nur Schmeichel- und Streicheleinheiten aus dem Konrad- AdenauerHaus für den Zentralratschef. Beispielsweise konnte die „Jüdische Allgemeine" a m 1 1 . März 2 0 0 4 ver meld en : „Der P räsid en t des Zen tralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, wird von der CDU als Wahlmann in die Bundesversammlung entsandt. Die nordrhein -westfälischen Christdemokraten haben auf Vorschlag ihres Landesvorsitzenden Jürgen Rüttgers diese Personalie vergangene Woche einstimmig beschlossen ... Die Bundesversammlung wählt am 23. Mai den Nachfolger von Bundespräsident Johannes Rau." Was nun aber den Brandanschlag auf die Synagoge von Düsseldorf angeht, der die ganze Aufregung ausgelöst hatte, so stellte sich später heraus, dass deutsche Rechte damit nichts zu tun hatten. Die Tat war von jungen Migranten aus dem Orient verübt worden, die als Motiv Rache für Israels grausames Vorgehen gegen die Palästinenser angaben. Interessanterweise war die im Jahre 2000 erfolgte Proklamation eines „Aufstands der Anständigen" als Antwort auf einen antijüdischen Anschlag kein No vum. Einen solchen Aufstand hatte schon 1969 der Chef der Jüdischen Gemeinde Berlin, Heinz Galinski, ausgerufen. Und zwar, gleich nachdem eine im Jüdischen Gemeindehaus, Fasanenstraße/Westberlin, deponierte Zeitzünderbombe entdeckt worden war. Auch in diesem Falle stellte sich schließlich heraus, dass keineswegs deutsche Rechtsextremisten dahintersteckten. Bei dem Täter in Berlin handelte es sich um einen Drogenabhängigen aus der linksextremen Szene, dem ein Mitarbeiter des bundesrepublikanischen Inlandsgeheimdienstes „Verfassungsschutz" die Höllenmaschine besorgt hatte. (Siehe: Wolfgang Kraushaar, „Die Bombe im Jüdischen Gemeindehaus", Hamburg 2005).
Hohmann und das „Tätervolk" Genau drei Jahre nach der Feuerteufelei am jüdischen Gotteshaus zu Düsseldorf bekamen die Anständigen in Bundesrepublikanien erneut Gelegenheit zum Groß101
au fstand. Wied er h atte es mit d em Th ema Ju d en zu tun . Und ab ermals war An gela Merkel involviert. Nur unmittelbarer und heftiger als 2000. A l l e s b e g a n n d a m i t , d a s s d e r C D U -B u n d e s t a g s a b g e o r d n e t e M a rt i n H oh m a n n a m 3. Oktober 2003 bei einer Veransta ltung in Neuhof (gelegen in s einem Fu lda er W a h lk r ei s , d en e r 1 9 9 8 v om Al t m ei s t er d e r c h ri s t d em ok ra t i s c h en Kon s e r va t i v en Alfred Dregger ü b ern ommen hatte) ein e Red e zum Nationalfeiertag un ter d em Lei t wo rt „ Ger ec h t i gk ei t fü r Deu t s c h la nd " h i elt . Hoh m a nn bek la gt e d a b ei d a s d efi z i t är e d eu t s c h e Na t i on a lb e wu s s t s ei n u n d wi es d i e Ko l l e k t i v b e zi c h t i gu n g zu rü c k , die Deutschen seien wegen der zur Hitlerzeit verübten Massenverbrechen ein „Tät ervolk ". Selbstverständlich könne man ja ebenso we nig von d en Juden als „ T ä t e r v o l k " s p r e c h en , m ö g e n a u c h vi e l e V e r a n t wo r t l i c h e d e s b o l s c h e wi s t i s c h en Terrors jüdischer Herkunft gewesen sein, äußerte der Volksvertreter. Daraus, dass er d en Terminus „Tät ervolk" auch nur im Zusammenhang mit den Juden erwähnt und dass er längere Passagen sein er Rede jenen Herku nftsjuden in der Sowjetunion gewidmet hatte, die in die rot en Massenmorde verwickelt waren , wollte man Hoh man n später ein en Strick d reh en. Strafrech tlich war in d e r An s p r a c h e a l l e s u n a n f e c h t b a r . D i e v o m Z e n t r a l r a t d e r J u d e n e i n g e s c h a l t e t e S t a a t s a n wa l t s c h a f t b e i m L a n d g e r i c h t F u l d a t e i l t e m i t B e s c h e i d v o m 5 . F e b r u a r 2 0 0 4 m i t , d a s s m a n g e ls E r fü ll u n g v on T a t b es t ä n d en k ei n V e r fa h r en e r ö ffn et we r de. Die Zentralratsbeschwerde dagegen wurde am 13. Mai 2004 von der Gene ralstaatsanwaltschaft Frankfurt/Main zurückgewiesen. Z u n ä c h s t e i n m a l wa r n a c h d er R ed e H oh m a n n s d r ei W o c h en la n g n i c h t s p a s s i e rt . O b w o h l d e r W o r t l a u t v o n d e r ö r t l i c h e n C D U i n s In t e r n e t g e s t e l l t w o r d e n w a r . W i e d e r S t ei n d a n n i n s R o l l en k a m , s c h i ld e rt d a s j ü d i s c h e In t e rn et - Or ga n „h a ga -
lin
„ Wi r b es c h l o s s en , a u f d i e s e R ed e a u fm e rk s a m z u m a c h en . D e r e rs t e Ar t i k e l
zu r R ed e ers c h i en a m 2 7. Ok tob er 2 0 0 3 i n h a ga li l. c om . Gl ei c h zei t i g i n form i ert en wi r d e n F r a k t i o n s v o r s t a n d d er C D U , d e n B u n d e s t a g s p r ä s i d e n t e n , d i e P r e s s e u n d ei n e M i t a rb ei t eri n d es Hes s i s c h en Ru nd fun k s. Der e rs t e T V- B eri c h t ers c h i en ku rz d a ra u f i m H es s i s c h en R u n d fu n k . Am Ab en d d es 2 8 . Ok t obe r d a n n a u c h i n Ta g e s schau und Tagesthemen." Nu n ga b es k ei n Ha lt en m eh r. Di e S c h la g zei l en ü b er d en „ An t i s em i t en Hoh m a n n " gewitterten nur so und die Tiraden ste igerten sich bis hin zum Auswurf des „ B i l d " -K o l u m n i s t e n F r a n z J o s e f W a g n e r a m 9 . N o v e m b e r 2 0 0 3 : „ D e r M a n n i s t v e r r ü c k t . W i r m ü s s e n i h m p s yc h o t h e r a p e u t i s c h h e l f e n . " Z u n e h m e n d e n t f e r n t e n s i c h d i e i n d e n M e d i e n v e r b r e i t e t e n „ Au s s a g e n " d e s A b g e o r d n e t e n v o m wa h r e n T e x t s e i n e r 3 . -Ok t ob e r -R ed e . D e r T en o r d er At t a c k en g e ge n H oh m a n n la u t et e, e r habe „die Juden als Tätervolk bezeichnet" bzw. „beschimpft", was die Tatsachen 102
völ li g a u f d en Kop f s t el lt e. D er Ab ge ord n et e gi n g j u ri s ti s ch m it E rfolg g eg en s olc h e V e r d r e h u n g e n v o r ; d o c h m i t d e n M i t t e l n d e s P r e s s e r e c h t s ( W i d e r r u f/ Ge g e n d a rs t ellu n g) ei n e m ed i a l groß h in au s p os au nt e Lü ge wi ed er a u s d er W elt s c h a ffen zu wollen, gleicht dem Versuch, Zahnpasta zurück in die Tube zu drücken. An g e la M erk e l sc h i c k t e La u ren z M e yer fü rs e rst e St e llu n gn eh men a n d i e M ed i e n f r o n t . A m 3 0 . O k t o b e r 2 0 0 3 ä u ß e r t e d e r C D U -G e n e r a l s e k r e t ä r , H o h m a n n s R e d e s e i „ u n e r t r ä g l i c h " ( Au s s a g e i n d e r „ t a g e s s c h a u " ) ; d i e P a r t e i f ü h ru n g s t e h e „u n t er S c h oc k " , Hoh m an n , „s ol l s i c h en t sc hu ld i gen " („t a ges t h em en "). Am 3 . No v e m b e r s t a n d en Kon s eq u en z en a u f d e r Ta g e s ord n u n g v on P rä s i d i u m u n d B u n d esv o r s t a n d d e r C D U . M a n g l a u b t e , e s b e i e i n e r R ü g e b e we n d e n l a s s e n z u k ön n en , we n n H oh m a n n s i c h „ ei n s i c h t i g " z e i g e . Un d i n d e r Ta t ä u ß e rt e d e r Ab g e o rd n et e i n d i e s e n T a g e n i m m e r wi e d e r , wi e s e h r e r e s b e d a u r e , d a s s e r m i t s e i n e r R e d e b öses Blu t geschaffen h ab e, dass er um En tschu ld igun g bitte, dass er u m ein e B e wä h r u n g s f r i s t n a c h s u c h e u . ä . A l l e s f ü r d i e K a t z . D i e M e d i e n k a m p a g n e l i e f massiv weiter. Am 9 . N o v e m b e r 2 0 0 3 v e r k ü n d e t e C S U- C h e f S t o i b e r , g e m ä ß Z i t a t t a g s d ra u f i n der „Welt", Martin Hohmann befinde sich „außerhalb unseres Verfassungs b ogens" und hab e sich „schu ld i g an Op fern und Leb en den gema cht ". Zu glei ch malten bund esd eutsch e M edien d ie Gefah r ein es Boyk otts d eutsch er Waren in d e n U S A a n d i e W a n d ; s o l c h e B o yk o t t a u f r u f e s e i e n we g e n d e r Af f ä r e H o h m a n n s c h on i m Um lau f. (Ta t s ä ch li ch sp i egelt e s i c h d er d eut s c h e Hoh m a nn t ru b el i n d en US -M ed i en nu r geri n g wi d er; a ll erd i n gs h at t e di e „Ne w Y or k P os t " a m 9 . November tatsächlich eine Boykottdrohung gegen die deutsche Industrie ausgestoßen.) Am 10. November kündigte Angela M erk el, die sich bis dahin eher zurückgeha lten hatt e und es b ei ein em scharfen Rü ffel für d en „Tä t ervolk "- R edn er b ela ss en wol lt e, d en Au s s c h lu s s Hoh m a n n s a u s d er Fra k t i on a n. Am 1 1 . Novem b er p ei t s c h t e d a s R e v o l v erb la t t „B i ld " d i e S t i m m u n g we i t e r h oc h : „J ed em i n C D U u n d C S U m u s s k la r s ei n : E s d a rf m i t d i e s e m P o li t i k er we d e r M i t l ei d n oc h fa ls c h e S o li d a rit ä t geb en . " Am 1 2 . Nov em b er 2 0 03 erk lä rt e d er p a rla m en t ari s c h e Ges c h ä ft s fü h rer der CDU/CSU- Bundestagsfraktion Eckart von Klaeden (Merkels „Ecki") im „D eu t s c h lan d funk ": „ Fü r Hoh m a nn u nd fü r di e Fra k t i on i s t es d a s B es t e, wen n er freiwillig geht. Aber wenn er nicht geht, muss er ausgeschlossen werden." Am 14. November 2003 war es dann soweit. Auf Angela Merkels Antrag hin wu rd e M a rt i n H oh m a n n m i t s o f o rt i g e r W i rk u n g a u s d e r F ra k t i on a u s g e s c h l os s en (der Parteiausschluß trat am 20. Juni 2004 in Kraft). Er war der erste Bundes t a g s a b g e o r d n e t e d e r C D U / C S U , g e g e n d e n j e s o l c h e M a ß n a h m en e x e k u t i e r t wu r den. Ta gs nach der CDU/CSU -Fraktionssitzung, bei der Hohmanns politische Liquidierun g b esch lossen word en war, zitierte die „Frank fu rter Allgemein e" ein en 103
Teilnehmer, der anonym bleiben wollte: „Merkel hat genau 29 Stimmen mehr be kommen, als sie brauchte. Die Hälfte derjenigen, die ihren Antrag unterstützten, taten das gegen ihre innere Überzeugung. Die Stimmung war fast wie in einer Dik tatur. Keiner wagte, sich anderen zu erkennen zu geben, wie er abstimmen würde. Jeder misstraute jedem." Abschließend notierte die „FAZ" aufgrund ihrer Quellen in der Fraktion, es sei dort der Eindruck entstanden, Merkel habe ihren Meinungswechsel von der Rüge zum Rausschmiss „spontan und ohne eine Prü fung in der Partei gefasst und verkündet". Das beschäftige Partei und Fraktion, „weil sie nicht wissen, auf wen der plötzliche Sinneswandel zurückzuführen ist und wer Einfluss auf die Vorsitzende hat — heute in diesem, morgen eventuell in einem anderen Fall. Vermutungen dazu sind schon im Umlauf."
Der Biss der Schwarzen Witwe Im „Focus" hieß es am 17. November 2003: „Viele fragen sich, wie es ihnen er gehen würde, wenn sie einen Fehler machten, hat ein Fraktio nsvize registriert." Der „stern" fragte am 21. September 2005 in seiner Reportage „Angela Merkel. Der Aufstieg des Mädchens — rückblickend: „Könnte Merkel Hohmann deshalb so fix abgehalftert haben, damit sich die konservativen Hinterbänkler in der Frakt i on k ü n ft i g v o r d e r ‚ S c h wa r z e n Wi t we ' i n Ac h t n e h me n ? " Ge mä ß d i e s e r „stern" -Berichterstattung soll sich „Angie" über die Wirkung des Hohmann -Rauswurfs wie folgt amüsiert haben: „Jeder fragt sich jetzt, ob er der Nächste ist, den die kalte Hundeschnauze Merkel absägt." Noch am Abend direkt nach der Hohmann - Exekution hatte Merkel in der „tagesschau" erklärt: „Das Signal, das wir politisch wollten, ist ganz eindeutig." Nicht ohne Zynismus fuhr sie fort: „Der Eindruck, man darf seine Meinung nicht sagen, ist natürlich vollkommen falsch. Jeder kann seine Meinung sagen. Nur: Nicht jede Meinung passt in das Programm der CDU." Apropos: Beim „Antisemitismus- Seminar" des Jüdischen Weltkongresses Ende April 2004 in Berlin forderte Merkel: „Keine falsche Neutralität. Keine falsch verstandene Toleranz mit Antisemitismus." Wobei der Jüdische Weltkongress und andere zionistisch dominierte Vereinigungen bekanntlich bereits Kritik an Israels überhartem Vorgehen gegen die palästinensische Zivilbevölkerung als Antise mitismus werten. Weiter erhob Merkel bei der Weltkongress -Tagung die Forderung nach einem „gemeinsamen klaren Rahmen" in der EU bei der „Bekämpfung des Antisemitismus". Fraglich ist allerdings, dass es ihr gelingen kann, anderen EU-Staaten, deren Strafrecht keine Delikte nach Art des deutschen Volksverhet104
zungsparagraphen 130 kennt, auf dem „europäischen" Umweg Einschränkungen der Meinungsfreiheit aufzudrücken. Der Biss der „Sch warzen Spinne" bzw. das Zuschnappen der „kalten Hundeschauze" im Falle Hohmann zeigte in der CDU tatsächlich tiefe Wirkung. Alle Andersdenkenden schienen in Schockstarre verfallen zu sein. So konnte das Zentralratsb latt „Jüdisch e Allgeme in e" am 4 . Dezemb er 2003 berichten: „Der Fall Hohmann hat die CDU auf dem Leipziger Bundesparteitag nicht lange aufgehalten. In der Aussprache hat nur ein Delegierter ausführlich Partei für Hohmann ergriffen, den wiederum zwei Stellvertretende Parteivorsitzende, Annette Schavan und Jürgen Rüttgers, mit knappen Erwiderungen in die Schranken wiesen." Nur ein einziger Aufmucker! Bei der Sitzung der Fraktion hatten noch 28 CDU Abgeordnete gegen den Ausschluss Hohmanns gestimmt, sechzehn sich enthal ten, vier Stimmen waren ungültig. Macht zusammen immerhin achtundvierzig Parlamentarier, die noch vierzehn Tage vor dem Parteitag in dieser Frage der Chefin die Gefolgschaft versagt hatten. Weiter aber im Text der „Jüdischen All gemeinen" vom 4. Dezember 2003: „Der einzige Opponent gegen das Vorgehen der Vorsitzenden im Falle Hohmann argumentierte nicht inhaltlich, sondern formal, nahm die grundgesetzliche Meinungsfreiheit und die christliche Barmherzigkeit zu Hilfe und musste sich anschließend gleich von der stellvertretenden Vor sitzenden Schavan belehren lassen, dass auch die chri stliche Vergebung zunächst Reue voraussetze, wovon Hohmann kein Anzeichen habe erkennen lassen." „Merkels erstklassige Führungsleistung", begeisterte sich Jens Peter Paul vom Hessischen Rundfunk in den „tagesthemen" des 14. November 2003 über den Hohmann- Rauswurf. „Merkel wirft Hetzer raus" — „Starke Frau Merkel" lauteten tags drauf die Jubelrufe der „Bild" -Zeitung. Das Blatt weidete sich an der Vor stellung: „Möglicherweise wird Hohmann im Bundestag ganz nach hinten ver bannt. Auf den Platz, wo bis zu seinem Tod FDP- Rebell Jürgen Möllemann saß." Auch an der gnadenlosen Ausschaltung Möllemanns im Zuge seiner heftigen Auseinandersetzung mit dem jüdischen Zentralrats- Vizechef Friedman hatten die Springer- Medien maßgeblichen Anteil. Zu den Hintergründen solchen Engage ments gleich mehr. Belangreich für die Bewertung des Falls Hohmann ist noch die Tatsache, dass der Parlamentarier sich schon lange vor seiner „Tätervolk"- Rede bei Einflussreichen verdächtig gemacht hatte. Beispielsweise indem er als jemals einziger Bundestagsabgeordneter im Hohen Haus an ein von den Etablierten streng gehütetes Tabu rührte: Er thematisierte 2002, dass der staatliche deutsche Goldschatz (110,8 Millionen Unzen Feingold, entspricht rund dreieinhalbtausend Tonnen) nur 105
zu ein em k lein en Bruch teil in Deu tsch land au fb ewah rt wird , wäh rend sich die groß e Masse der Barren in den Händen des US - Superbankers Alan Greenspan b e fi n d et u n d i n d en u n t eri rd i s c h en T r e s or en v on d es s en Fe d e ra l R es e r v e B a n k i n N e w Y o r k - M a n h a t t a n l a g e r t . D e r S c h a t z wa r e i n s t „ we g e n d e r k o m m u n i s t i s c h en Gefahr aus dem Ostblock" nach Amerika verlagert worden und ist dort trotz Wegfalls d ieser Bed rohu n g geb lieb en. Die offizielle Au sred e lau tet, d er Rü ck transport sei „zu teuer". 2 0 0 0 b e r ei t s h a t t e H oh m a n n d en J ü d i s c h en W e l t k on g r es s i n R a g e v e r s et zt , d a e r m i s s b rä u c h li c h e V e r wen d u n g d eu t s c h e r W i ed er gu t m a c h u ng d u rc h zi on i s t i s c h d o m i n i e r t e Ge l d v e r t e i l u n g s o r g a n i s a t i on e n , i n s b e s o n d e r e d i e J e wi s h C l a i m s C o n f e r e n c e , i m B u n d e s t a g a n g e s p ro c h e n h a t t e . D a s s e s b e i d e r W e i t e r l e i t u n g d e r v o n D e u t s c h la n d we g e n d e r Un t a t e n i n Au s c h wi t z u s w. g e za h lt e n M i t t e l l ä n g s t n i c h t i m m e r k o s c h e r z u g e h t , i s t i n d e r T a t e i n e r n s t e s P r o b l e m . M a n d en k e n u r a n d i e Aufdeckungen des New Yorker Professors Norman Finke lstein, Jude auch er, über die Machenschaften einer „Holocaust-Industrie". Gi n g e e s b e i d e r i n t e r n e n j ü d i s c h e n V e r t e i l u n g d e r d e u t s c h e n M i l l i a r d e n l e i s t u n gen im Großen und Ganzen mit rechten Dingen zu, wäre auch eine Meldung kaum zu erk lären, die am 22 . Ju li 2005 in der auf Deutsc h in Tel Avi v ersch ei n en d en zi oni s t i sc h en Ta ges ze i t un g „ Is ra el Na c h ri c ht en " s t an d . Da s B la t t b eri ch t e te, Collette Avital, israelische Parlamentsabgeordnete und Vorsitzend e d es zu s t ä n d i g e n Au s s c h u s s e s d e r Kn e s s e t , h a b e d a r ü b e r g e k l a g t , d a s s — s o wö r t l i c h — „ e i n D ri t t e l d e r H o lo c a u s t -Üb e r l eb en d en i n Is r a e l u n t e r d e r Ar m u t s g r en z e l eb t "; F r a u Av i t a l b e z e i c h n e t e d i e s e n M i s s s t a n d a l s „ e i n e S c h a n d e f ü r d i e g a n z e N a t i -
on".
Deckname „Shalom" Bleibt noch die Fra ge, wer d ie geh eimnisvolle Macht gewes en sein mag, durch welche die zaudernde Angela Merkel veranlasst wurd e, im Fall Hohmann das Henkersb eil zu schwingen. Hier wird man wohl am zi elsichersten auf Fried e S p ri n ger t i pp en mü s s en . E s lieg en s t a rk e In d i zi en d a fü r vor, d a s s di e M ed i enk on z e r n b a s s i n z u r p o l i t i s c h e n Li q u i d i e r u n g H oh m a n n s d en Da u m e n s e n k t e u n d M e r kel ihr gehorchte. Fried e Sp rin ger, fün fte Gattin , Witwe und Erbin d es M edien zaren Axel Cäsar S p ri n g e r, s t eh t a n d e r S p i t z e d es g r öß t e n Z ei t u n gs k on z e rns E u r op a s . W e rd en d i e s ei t Herb s t 2 0 05 voll zu gs r ei f en S p ri n ger' s c h en P lä n e zu r Ü b ern a h m e von „P ro S i e b e n — S a t 1 - Ka b e l 1 - N 2 4 — N e u n Li v e " a u s d en H ä n d en d e s a m e r i k a n i s c h - i sr a e l i s c h e n F i n a n z a k r o b a t e n H a i m S a b a n wa h r , h e r r s c h t i h r H a u s a u c h ü b e r d a s 106
g r öß t e P ri va t f e rn s eh en -Kon s or t i u m d es Ko n t i n en t s . Ko n z er n i n t ern h a t t e m a n fü r d e n M e g a- D e a l m i t S a b a n d en D e c k n a m e n „ P r o j e k t S h a l o m " a u s e r wä h l t . N eb e n d e r i s r a e l i s c h e n An s p i e l u n g s o l l t e d e r C o d e a u c h f ü r d e n V o r n a m e n d e r C h e f i n stehen. Ap r o p o s Is r a e l : Al l e M i t a r b ei t e r d e s M e d i e n u n t e r n e h m e n s S p r i n g e r we r d e n v e r traglich verpflichtet, sich fü r den jüdischen Staat einzusetzen. Die Verlegerin, s elb s t n i c h t jüd i s ch , i s t Trä ge ri n d es Leo -B a ec k- P r ei s es d e s Z en t ra lra t s d er J u d en in Deut sch land (2000 ), d es Eh rend okt orhut es d er i sra eli schen B en - Gu ri on- Uni ver s i t ä t (2 0 0 2 ) u n d d e s „P r ei s e s fü r V e rs t ä n d i gu n g " d es J ü d i s c h en M u s eu m s i n B er l i n (2 0 0 3 ) . F r i e d e S p ri n g e r s 1 9 8 5 v e r s t o r b en e r Ge m a h l , d e r M e d i e n m o g u l Ax e l Cä sa r Sp rin ger, p flegt e zu b eton en : „Der Herr h at da s jüd isch e Volk a ls s ein Volk au s erwä h lt , u m ihm du rc h a lle Zei t en zu d i en en. " Di e Wei sun g, da ss sich a lle M i t a rb ei t er s c h ri ft li c h zu m E n ga g em en t fü r Is r a e l v e rp f li c h t en m ü s s en , g eh t a u f i hn zu rü ck . (E in e en t s p rec h end e US A - T reue -Kla u s el i s t n ac h d en An s c h lä gen d es 11. September 2001 in die Anstellungsverträge zusätzlich aufgenommen worden.) Bi s 1945 wa r es a llerdin gs gar ni cht wei t h er m it Axel S p rin gers Phi los emiti smu s. E r geh ört e n ach E rmitt lun gen d es M ed i en forsch ers Dr. P et er Köp f d em na ti ona ls o zialistisch en Reich sverband d er Deu tsch en Presse, d er nationalsozialistisch en Reichsschrifttumskammer und auch dem Autom obilclub des Nationalsozialistischen Kra ft fa h rerk orp s (NS KK) a n . Als R ed a k t eu r, s t ellv ert r et en d er Ha u pt s ch ri ft s t ell e r u nd Ju n i orch ef h a tt e er wes en t li c h e B ed eu tu n g i m Verla gs h a u s s ei n es Va t ers Hi n rich (gen annt : „Hein o") And rea s Th eod or Sp rin ger und in d es s en M edi en : „Alt ona er Nachrichten", „Hamburger Neueste Zeitung", Verlag „Hammerich & Lesser". Di e NS- S p ri n ger- P ress e fr ön t e ei n em wi d er wä rt i g en An t i s em i t i s mu s , d a s s s ic h ei n e m d e r M a g e n b e i m Le s e n u m d r e h t . S i e h e t z t e g e g e n J u d e n a l s „ R a s s e " , d e r e n An geh örige „d ie Brunn en in Deutsch land vergiften " („Altonaer Nach rich ten ", 8 . Ap r i l 1 9 3 3 ) , r i c h t e t e H a s s t i r a d e n a u f d en „J u d e n p öb e l " ( „ A l t o n a e r N a c h ri c h t en ", 11 . Ja nu a r 19 37 ), s et zt e d i e Ki n d er Is ra e l m i t „Va m pi ren " gl ei c h („Alt on a er N a c h ri c h t en ", 9 . M ä r z 1 9 3 7 ) o d er b e g ei s t e rt e s i c h t i t e ls e i t i g ü b e r d i e E r ri c h t u n g d e s W a r s c h a u e r Gh e t t o s u n t e r d e r S c h l a g z e i l e „ J u d e n f r a ge i m Go u v e r n e m e n t g elöst" mit den Wort en : „Zum erst enmal seit Jahrhundert wurde j etzt d er Jude zu e i n e m g e o r d n e t e n L e b e n s wa n d e l g e z w u n g e n , d e r i n e r s t e r Li n i e d i e P f l i c h t z u r Ar b e i t i n s i c h t r ä gt . . . Di e J u d en s i n d a l s F r e m d k ö rp e r i m G e n e r a l g o u v e r n e m e n t gekennzeichnet." („Hamburger Neueste Zeitung", 2. August 1940). Am D i e n s t i n d e r W e h r m a c h t k a m M i l l i o n ä r s s oh n Ax e l S p r i n g e r d u rc h e i n e ä r z t liche „Attest -Sa lve" unter Au sspielen von „B eziehungen" vorbei (so s ein Biograph Clau s Jacobi). Den en glisch en Besat zern tischte Sp rin ger das Märch en au f, er 107
habe „getarnt" Widerstand gegen Hitler geleistet. Sie glaubten ihm vermutlich k e i n W o r t , k o n n t en i n i h m a b e r e i n e n d e v o t e n Ge f o l g s m a n n d e s j e we i l i g e n Z e i t gei st es erk en n en u nd sta t t eten i h n m i t d er Li z en z fü r d i e He ra u sga b e von M ed i en zu r „Um er zi eh u n g" d er Deu t s c h en i m S i nn e d er S i eg er a u s . Als o b ega n n d er n e u e Au f s t i e g d e s Ax e l C ä s a r S p r i n g e r . O b wo h l H i t l e r u n d d i e H i t l e r z e i t i n d en Sp ri n ger- M ed i en von h eu t e i mmer n oc h u n d soga r g est e i gert „b e wä lt i gt " wer den, hat dort eine Bewältigung der eigenen NS-Belastung nie stattgefunden. Der b em erk en s wert e Leb en s weg d e r Fri ed e S p ri n ger, g eb or en e E l fri ed e R i e wert s , von d er mittellosen Gärtn erstochter zu r Vorsteh erin von Eu ropas größtem M e d i en k on z e rn , b e ga n n 1 9 6 5 : S i e m e l d et e s i c h , d a m a ls 2 3 J a h r e a lt , a u f d i e An n on c e „ Vi l l en h a u s h a lt s u c h t Ki n d e rm ä d c h en " i n Ha m b u r g -B la n k en es e i m Ha u s e d e s Axe l C ä s a r S p rin ger u n d wu rd e von d es s en d a ma li ger ( vi e rt en ) Ga t t i n ei n ges t ellt . D a s Ki n d e r m ä d c h e n v e r wa n d e l t e s i c h i n d i e h e i m li c h e Ge l i e b t e d e s 3 0 J a h r e ä l t e r e n M e d i e n m o gu l s u n d n a c h d e s s e n n eu e r l i c h e r S c h e i d u n g 1 9 8 9 s c h l i e ß l i c h i n s ei n e fü n ft e E h efra u . „ Ic h b i n s ei n Ges c h öp f", b ek en nt s i e. In d er v on In g e Klop fer verfa sst en Bi ographi e Fri ed e Sprin gers h eißt es, dass si e „st ändig in d er An g s t g e l e b t " h a b e , „ i r g e n d e t wa s f a l s c h z u m a c h e n , wa s s e i n e n Un m u t h ä t t e e r r e g e n k ö n n e n , u n d d a n n wi e d e r v e r s t o ß e n z u we r d e n , wi e s o v i e l e v o r i h r " . W e i ter: „Sie lebte Springers Leben. Ein eigenes hatte sie nicht." N a c h Ax e l S p ri n g e rs T od t ra t F r i e d e S p ri n g e r 1 9 8 5 d a s E rb e a n . Al s T e s t a m en t s v o l l s t r e c k e r wi r k t e E r n s t C ra m e r , d e r l a n g j ä h ri g e e n g e W e g g e f ä h r t e d e s v e r s t o r b en en Kon zernch efs. Cramer, in Au gsbu rg geb oren, als Jud e unter Hitler emi griert, war in der Nachkriegszeit in de r Uniform eines US- Offiziers für die Ver ga b e v on P r es s e li z en z en i n d er a m eri k a n i s ch en B es a t zu n gs zon e D eu t s c h la nd s z u s t ä n d i g. H o c h b e t a g t n o c h v e r f ü g t e r ü b e r m a ß g e b l i c h en E i n f l u s s i m S p ri n g e r V e r l a g . W e n n e r s i c h n i c h t a n s ei n en wei t e r en W oh n s i t z en — i n Is r a e l b z w. N e w York ( er b eh i elt s ei n e US -S t a a t s bü rgers c h a ft b ei ) — a u fh ä lt , res i d i ert e r i n ei n em Büro gleich vis-ä-vis mit jenem Friede Springers im Hauptquartier des Konzerns.
Der Rauswurf und das „Welcome" J ü d i s c h -i s ra e l i s c h e Kr e i s e j e d e n f a l l s h a b e n R u n d -u m- d i e -U h r- Ge h ö r b e i F r i e d e S p r i n g e r u n d F r i e d e S p r i n g e r i h r e r s e i t s h a t R u n d - u m-d i e - U h r- Ge h ö r b e i An g e l a M e r k e l . U n d d a v o n m a c h t e s i e a u c h i n S a c h en H o h m a n n G e b r a u c h . M e r k e l -B i o graph La n gguth : „Der ei gen t lich e Gru nd fü r di e Veränd erung d er P os iti on M erk els im Falle Hohmann dürfte gewesen sein, dass sie den öffentlichen wie nichtöff en t li c h en Druc k un t ers c h ätzt h a tt e. Ni ch t zu let zt dü rft e i n d i es er Fra ge Fri ed e Springer, Mehrheitsaktionärin des Axel Springer Verlages, einen großen Einfluss 108
auf Angela Merkel ausgeübt haben. Zwischen beiden Frauen gibt es einen freundschaftlichen Kontakt." Weitere Einzelh eiten lasen sich im „Handelsblatt" am 8. Mai 2005 wie folgt: „ Al s d i e C DU -C h e fi n i m N ov e m b e r 2 0 0 3 z ö g e rt , M a rt i n H oh m a n n we g en d es s en w e i t h i n a l s a n t i s e m i t i s c h e m p f u n d e n e n Äu ß e r u n g e n a u s d e r F r a k t i o n z u s c h m e i ß en , lä s s t F ri ed e S p ri n g er s i c h zu i h r e r Du z f r eu n d i n d u rc h s t e l l e n u n d d r oh t Kon sequen zen an. Eingeschüchtert sich ert M erk el zu, Hohmann zu entfern en." Am 1 . D e z e m b er 2 0 0 4 h a t t e es i n e i n em Hi n t e r gru n d b e ri c h t d er e va n g e li s c h en Na c hr i c h t e n a g e n t u r „ i d e a -s p e k t r u m " g e h e i ß e n : „ D o c h d e r Z e n t r a l r a t d e r J u d e n l ä s s t n i ch t loc k er. E b en s o a l len vo ra n d i e S p ri n ger- P r es s e. Hoh m a nn : , F ri ed e S p ri n ger r i e f b ei An g e la M e rk e l a n u n d d roh t e, we n n i c h n i c h t ra u s f l i e g e, we rd e d i e Ka m p a gn e i n Welt u n d B i ld woc h en la n g la u fen . ' An ge la M erk e l k n i ck t ei n , a uc h n a ch m a s s i vem Dru c k du rc h d en CS U -C h ef E d m un d S t oib er. E s k om m t zu ein em P a rt ei ausschlussverfahren." „M i t ei n em an d eren P a rt ei m i tgli ed gi n g d i e C DU a nd ers u m ", s c h ri eb „i d ea -s p ekt ru m " i n s ei n em Hoh m a nn -B eri c h t wei t er. „D er Vi z ep rä s i den t d es Z en t ra lra t s d er Jud en Mich el Fried man wu rd e im Ju li 2 003 wegen illegalen Kok ainb esitzes in z e h n F ä l l e n b e s t r a f t . D a ss e r s i c h P r o s t i t u i e r t e v o n e i n e r M e n s c h e n s c h m u g g l e r bande besorgt hatte und damit in den Dunstkreis der organisierten Kriminalität geriet, spielte juristisch keine Rolle. Noch bevor der Prozess gegen die ukrain i s c h e B a n d e b e g a n n , g a b e s s c h o n we n i g e W o c h e n n a c h d e m Au f d e c k e n s e i n e r k r i m i n e l l e n T a t e i n e s o g e n a n n t e W e l c o m e - B a c k- P a r t y . M i t d a b e i w a r A n g e l a Merkel." F r i e d m a n wa r a l s Ku n d e i m e i n s c h l ä g i g e n M i l i e u ( Z u h ä l t e r , D e a l e r ) u n t e r d e m Dec k n a m en „P a olo P i n k el " b e k a nn t. Neb en s ei n em Am t a ls Vi ze P a u l S p i eg els i m Zen tralrat b ek leid ete er zu r Tatzeit n och meh rere and ere h oh e Fu nktion en. So wi r k t e e r a u c h a l s P r ä s i d e n t d e s E u r o p ä i s c h en J ü d i s c h en Ko n g r e s s e s . D a s k a u m zu fassende niedri ge Stra fma ß gegen ihn b elief s ich auf 150 Tagessätze j e 116 E u r o. In s g e s a m t m u s s t e P i n k el / F ri ed m a n 1 7 4 0 0 E u r o a n S t r a f e fü r s ei n e Kok a i n d eli k t e za h len . Hi erb ei wu rd e von ei n em m on at li c h en Net toei n k om m en d es Deli n quenten in Höhe von 3480 Euro ausgegangen. A u s A n l a s s d e r b e r e i t s e r w ä h n t e n R ü c k k e h r- F e t e , v e r a n s t a l t e t n u r k u r z e Z e i t nach der Verurteilung per Strafb efeh l, äußerte Friedman gemäß „Berlin er M orgen p os t " vom 1 . Ok t ob er 2 003 , er wol l e d u rc h s ein C om eba c k „ei n en k lei n en B ei t ra g d a zu l ei s t en , d a s s d i e p o l i t i s c h e Ku lt u r i n D eu t s c h la n d a u s d em d e r z ei t i g en S t i l ls t a n d , d e r La n g e wei l e u n d V e rf l a c h u n g a u s b ri c h t ". S p r i n g e r s „ W e l t " wi e d erum brachte an jenem 1. Oktober 2003 folgende Notiz: „Die Berliner Filmproduzen109
t i n R e gi n a Z i e g l er h a t t e M on t a ga b en d zu r W e l c o m e -B a c k - P a rt y fü r M i c h e l F r i edm a n , d en eh e m a li g en Vi z ep rä s i d en t en d es Z en t ra l ra t s d er J u d en i n D eu t s c h la n d , i n i h re Zeh l en d orfer Vi lla ei n ge la d en . B ei Zi egl er u n d Eh em a nn Wol f Grem m t ra f e n s i c h u . a . C D U -C h e f i n An g e l a M e r k e l , d e r R e g i e r e n d e B ü r g e r m e i s t e r Kl a u s Wowerei t , Fi lmp rodu zent Artu r B raun er und Ba yern s In n enm ini st er Günth er B ecks t ei n . Fri ed m a n ha tt e ei n en S t ra fb efeh l weg en Kok a i nb es i tzes a k z ep t i ert u nd s ic h öffentlich bei seiner Lebensgefährtin Bärbel Schäfer entschuldigt." S i n n i g e r we i s e h a t t e di e B e r li n e r Z i e g l er -F i lm Gm b H i m J a h r e 2 0 0 3 S t r ei f en wi e „R ot li c h t IV — Im Di c k i ch t der Gr oß s t a dt ", „E n d li ch S ex" u nd „All es v ers p i elt — Die Geschichte einer Sucht" im Produktionsprogramm. Und dpa meldete am 2 7 . M a i 2 0 0 5 : „ D i e B e r l i n e r F i l m p r o d u z e n t i n R e g i na Z i e g l e r wi l l d e n e r s t e n R o m a n v on M i c h e l F r i ed m a n „ Ka d d i s h i m M or g en g ra u en ' v e rf i lm en . Di e F i lm r ec h t e seien schon verkauft, die Verträge unterschrieben."
„Die Deutschen humanisieren" Im Novemb er 20 03 war Fried man erstmals nach Au ffliegen sein es Hu ren- und Kok a i n- S ka nd a ls wi ed e r a u f d em B i ld s c hi rm b ei ei n er Ta l k s h ow a u fget a u c h t. Di e m i t M e r k e l b e f r e u n d e t e S a b i n e C h r i s t i a n s e n ( T V 2 1 Gm b H ) h a t t e e s m ö g l i c h g e macht. Am 3. Novemb er 2003 meld ete die „Berlin er Zeitung": „Die TV- Firma AVE h a t d i e F r i e d m a n -T a l k s p r od u z i e r t u n d s t e h t a u c h f ü r d e s s e n C o m e b a c k b e r e i t . " B ei m Ch ef d er AVE Fi lm- u n d Fern s eh p rod u k ti on , ein er T oc h t er d er Holt zb ri n c k Gr u p p e, h a n d e lt e s s i c h u m W a l i d N a k s c h b a n d i . D er F r ied m a n - S p e zi i s t a u s d e m O ri en t n a c h D eu t s c h l a n d g ek o m m en . W e lc h e Ge d a n k en d en i n Af gh a n i s t a n g eb orenen Nakschbandi beflügeln, wird in seinem am 19. September 2000 von der „ S ü d d eu t s c h en Z e i t u n g " v e röf f en t li c h t en Ar t i k e l m i t d em T i t e l „ W e l t m ei s t e r d er Au g en wi s c h e r ei — Wi e d i e Au s lä n d e r d i e d eu t s c h e Ge s e l l s c h a ft v e rä n d e rn " d eu tlich. Darin schrieb der Friedman-Fan an die Adresse der Deutschen gerichtet: „Fra gwü rdi g, du mm und läch erli ch- gefäh rlich i st es , wa s Ih r von Euch gebt, wenn M en s c h en g es c h la g en , e rn i edr i gt u n d e rm ord et we rd en . Ih r s ei d W e lt m ei s t e r d er Au gen wisch erei und d es Vertu sch en s und k önnt au f jed e M elodie ,Nie wied er' s i n g e n . D o c h i n E u r e n H e r z e n u n d i n d e n Kö p f e n i s t o f f e n s i c h t l i c h d a s , Im m e r wi e d e r ' u n d , Im m e r m e h r ' e i n g e b r a n n t . La n g e , e i n e E wig k e i t l a n g , h a b e n wi r g e d a ch t , E u er hi lflos er V ers u c h , d i e Des a vou i eru n g un d Dem ü t i gu n g von M en s c h en an d erer Herkun ft mit ein em Betrieb sun fall gleich zu setzen , sei zutreffend und k l u g . W i r h a b e n g e g l a u b t , B e t r i e b s u n f ä l l e s e i e n Au s n a h m en u n d v o r a l l e m r e p a r a b e l. M a s c h i n en k ön n en n u n m a l a u c h i n d eu t s c h en F a b r i k en v e rs a g en , d a c h t en w i r . N u n a b e r i s t g e w i s s , d a s s Ih r a l s M e n s c h e n v e r s a g t h a b t . E s i s t Z e i t , d e r 110
Wahrheit ins Gesicht zu sehen. Schaut Euch ins Gesicht! Findet endlich — 55 Jah r e n ach d em Zwei t en Weltk ri eg — h erau s, wer Ih r s eid u n d wa ru m Ih r s o s e i d . B ek en n t E u c h zu E u r en N e on a z i s , zu E u r en R e c h t s ra d i k a l en . . . W i r k en n en E u r en i n n e r en Zu s t a n d . Da fü r h a b en wi r ei n en B li c k u n d d i e n öt i g e S en s i b i li t ä t . Un d d a wi r E u c h k en n en , we r d en wi r u n s a u f E u c h n i c h t m e h r v e r la s s en . W i r g ehen unseren Weg und der ist schmerzlich und voller Dornen, aber am Ende erf o l g r ei c h . Ih r k ön n t u n s h er a b s et z en , b e l e i d i g en , d e m ü t i g en od er v e r l et z en , a b e r Ih r w e r d e t u n s n i c h t l o s . Ih r h a b t n u r d i e C h a n c e , m i t u n s z u l e b e n . E i n L e b e n ohn e u ns wird es fü r Eu ch nicht meh r geb en. Die lb rahims, Stefan os, M arios, L a y l a s u n d S o r a y a s s i n d d e u t s c h e R e a l i t ä t . Ih r w e r d e t e s n i c h t v e r h i n d e r n k ö n n e n , d a s s b a l d e i n t ü r ki s c h s t ä m m i g e r R i c h t e r ü b e r E u c h d a s U r t e i l f ä l l t , e i n p a k i s t a n i s c h er Ar z t E u r e Kra n k h ei t en h e i lt , e i n Ta m i l e i m P a r la m en t E u r e Ge s e t z e m it verabsch i ed et und ein Bu lga re d er Bi ll Ga t es Eurer New E c on om y wi rd . Nicht Ih r werd et di e Ges ells c ha ft int ern ati ona lisi eren, m od erni sieren und hum ani si eren, s on d e rn wi r we r d en es t u n — f ü r E u c h . Ih r s ei d b ei d i es em l e i d v o l l en P ro z e s s l ediglich Zaungäst e, lästige Gaffer. Wi r werd en die deutsc he Ges ellschaft in Ost und West verändern. Wir Ausländer." D i e P u b li zi s t i n S i lke B u rm e s t e r wi ed e ru m b es c h ä ft i gt e s i c h i n d e r „t a z " v om 1 3 . M ä r z 2 0 0 4 m i t d e r M o r a l d e r a r t b e s o n d e r s M o r a l r e i c h e r : „ S ys t e m a t i s c h wi r d u n t e r d e n T i s c h g e k e h r t , d a s s F r i e d m a n s i c h wi e d e r h o l t o r g a n i s i e r t e r , k r i m i n e l l e r S t ru k tu ren b ed i ent e, u m s ei ner S exu a li t ä t m i tt els Z wa n gs p ros t i t u i ert er zu fr ön en . D a s s e r , d e r a l s L e b e n s m a x i m e s e i n e S e l b s t b e s t i m m u n g n i m m t , s e i n e Ge s p i e l i n n en b ei ein em M en sch en b est ellt e, d er p rofessi on ell Fra u en i ns La nd sch leu st u n d d i e s e d u r c h V e r g e wa l t i g u n g, M i s s h a n d lu n g u n d D r o h u n g e n g e g e n d e r e n F am i l i e , g e f ü g i g ' m a c h t . D e r M a n n , d e r s i c h l a u t e i n e r 3 8 7 5 a b g e h ö r t e An r u f e u mf a s s e n d e n L i s t e d e r B e r l i n e r S t a a t s a n wa l t s c h a f t , u k r a i n i s c h e N y m p h e n ' o r d e r t e ( e i n e i n B Z- An n on c e n b e n u t z t e C o d i e r u n g fü r j u n g e , u n er f a h r e n e N e u z u g ä n g e ) , i st k ein Schnü rs enk elverkäu fer. Mich el Fri edm an i st Dr. jur. " Fri edman hab e „m it k e i n e m W o r t e i n g e s t a n d e n , a b h ä n g i g e , s i c h i n N o t b e f i n d l i c h e F r a u e n b e- u n d a u s gen u t zt und m i t Sk la ven h alt ern g es c h ä ft li c h verk eh rt zu h a b en ". B u rm es t er a n d i e Ad r e s s e v o n An g e l a M e r k e l , S a b i n e C h r i s t i a n s e n u n d R e g i n a Z i e g l e r . „ V i e l l e i c h t s o l lt en d i es e ei n f lu s s re i c h en F ra u en s i c h m a l Ged a n k en u m d i e Op f e r v on ihrem Freund Michel Friedman machen statt um seine Karriere." B e r e i t s u n m i t t e l b a r n a c h Au f f l i e g e n d e s S k a n d a l s h a t t e s i c h M e r k e ! m i l d e ü b e r F r i e d m a n g e ä u ß e r t . S e i n e An k ü n d i g u n g e i n e s R ü c k z u g e s v o n a l l e n ö f f e n t l i c h e n Äm t e rn , b ei a ll erd i n gs gl ei c h zei t i ge r V erh ei ß u n g ei n es C om eb a c k s („z wei t e C h a nce"), kommentierte die CDU-Chefin laut „Bild" vom 9. Juli 2003 mit den Worten: 111
„Herr Friedman hat sich zu seinen Fehlern bekannt und daraus seine Konsequen zen gezogen. Seine Entscheidung verdient unseren Respekt.” Die nähere Bekanntschaft zwischen Angela Merkel und Michel Friedman rührt her von gemeinsamen Zeiten i m CDU- Bundesvorstand. Während sie als stellvertretende Parteivorsitzende amtierte, gehörte der jüdische Funktionär von 1994 bis 1996 diesem Führungsgremien der Christdemokraten an. Im September 1995 wurde Friedman Mitglied des Bundesausschusses Medienpol itik der CDU, 1997 Mitglied des CDU -Bundesfachausschusses für Kultur. 1999, inzwischen fungierte Merkel als Generalsekretärin der Partei, machte ihr Intimus Peter Müller, christ demokratischer Ministerpräsident an der Saar, Friedman zum Chef seiner Stabs stelle für Kultur und Europafragen. Am 1. November 2004 brachte die „Frankfurter Rundschau" einen Bericht über Friedman, den Zweitchanceler, in dem es hieß: „Er pafft heftig an der Zigarre. Rauch kräuselt sich. Er bleibt in der CDU, weil er ihr nicht den Triumph gönnen möchte, sie zu verlassen. ,Heute würde ich nicht mehr in eine Partei eintreten.' Obwohl es ihm doch Respekt abnötigte, als die CDU- Chefin Merkel und der bayerische Innenminister Beckstein bei Friedmans großer ,Welcome back!' -Party in Berlin auftauchten."
Die Macht der „Elite-Netzwerke" Bei Zieglers Berliner „Welcome Back" für Friedman zugegen war übrigens auch Kai Diekmann, Chefredakteur der „Bild"- Zeitung aus dem Hause Springer. Womit sich der Kreis schließt. Merkels devote Haltung gegenüber Friede Springer, wie sie in der Sache Hoh mann zum Ausdruck kam, dürfte folgenden Hintergrund haben: Ohne die massive propagandistische Schützenhilfe des Springer- Konzerns wäre sie kaum kanzlerabel geworden. Organe des Hauses wie „Bild" und „Welt" haben sie regelrecht hochgeschrieben — bis hin zum mächtigen Merkel-Titelseitenbild in der „Bild" mit der Mega- Schlagzeile „Miss Germany" am letzten Tag des Schröder'schen Widerstandes gegen sie als Kanzlerin nach der Bundestagswahl 2005. Immer wenn Merkel demoskopisch tief hinunter ins Souterrain gerutscht war, beispielsweise infolge ihrer Befürwortung einer deutschen Beteiligung am Bush-Krieg gegen den Irak, betätigten sich die Springer- Medien als hilfreiche Keller-Geister. So geschah es auch unmit telbar vor dem Urnengang am 18. September 2005, als sich „Miss German ys" Umfragewerte im Sinkflug befanden und die Springer- Meinungs macher eine Bruchlandung ihrer Wunschkandidatin nur unter Aufbietung aller Schikanen von Volksaufklärung und Propaganda verhindern konnten. 112
Neb en F ri ed e S p ri n ger h a t m it E li s a b eth („ Li z" ) M oh n vom B ert els m a n n -Kon ze rn e i n e w e i t e r e „ M e d i e n z a r i n " ' e n t s c h e i d e n d z u m Au f s t i e g An g e l a M e r k e l s a n d i e o b e r s t e P o l i t s p i t z e D e u t s c h la n d s b e i g e t r a g e n . E i n e b yz a n t in i s t i s c h e H ym n e a u f An g e l a M erk e l, d i e F ra u M oh n 2 0 0 4 von s i c h ga b u n d i n d e n i h r h öri g en M ed i en v e rb r ei t en li eß , wi rk t e wi e d e r Au ft a k t ei n e s ga n z en S t a k k a t os a n H os i a n n a s fü r di e Füh rerin d er Ch ri std em ok ra t en in Pres s e, Fu nk un d Fern s eh en. Wenn m an n i ch t s o wei t g eh en wi l l zu s a gen , d i e Ka n z le ri n M erk el s ei Fri ed e S p ri n gers u n d M o h n s „ Ge s c h ö p f " , s o b e s t eh t d oc h z u m i n d e s t d a r a n k e i n Z we i f e l , d a s s d i e v o n den beiden Medienhäusern gesponserte Propaganda der CDU-Chefin jenes Qu ä n t c h en a n V or s p ru n g v o r S c h r öd er g es i c h ert h a t , d a s l et zt li c h k ri e gs en t s c h ei dend war. J a h r z eh n t e la n g h a t d er B e rt e ls m a n n- Ko n z ern v o r l a u t er B ewä l t i gu n g d e r N S - V e rgangenheiten anderer Kreise und des d eutschen Volkes ganz „vergessen", dass m a n m i t s i c h s e lb s t zu er s t i n s R ei n e k om m en s o l lt e. D en n a l l d i e S t o r ys d e s V e r l a g e s , m a n s e i i m D r i t t en R ei c h wi d e r s p e n s t i g, we n n n i c h t wi d e r s t ä n d l e r i s c h g e wesen, waren Märchen. Bertelsmann unter der Verlegerfamilie Mohn war im D r i t t en R e i c h ob e n a u f u n d u m s a t z s t a rk , v o r a l l e m m i t Kr i e g s l i t e r a t u r u n d F e l d ausgaben für die Wehrmacht. M e r k e l- F ö r d e r i n L i z M o h n g e b . B e c k m a n n w i e d e r u m h a t a u f e i n e d e m L e b e n s weg der Friede Springer nicht unähnliche Weise reüssieren können: Als Sieb zeh n j ä h ri ge wu rd e s i e, ei g en t li c h Za h n a rzt h elferi n , 1 9 58 Tel ef on i s t in b ei B ert elsmann und bald darauf Geliebte des zwei Jahrzehnte älteren, verheirateten Ko n z e rn c h e fs R ei n h a rd M oh n . E r b ra c h t e s i e i n ei n er „ P a rk - E h e" m i t ei n em V e rlagsangestellten unter. Erst 1982 schloss der Bertelsmannboss offiziell die Ehe mit ihr. Mohn legte die Führung des Unternehmens nominell nach und nach in ihre Hände. In s b es on d er e ü b er d i e B ert els m a nn -S t i ftu n g, d i e 57 P rozen t d er Ak t i en a m Gru n d k a p i t a l d e r B ert e l s m a n n AG h ä lt , d em fü n f t g r öß t en M ed i en k on z e rn d e r W e lt , ü b t d a s a u s Güt e r s l o h i n W e s t f a l e n s t a m m e n d e U n t e r n e h m e n e i n e g e r a d e z u u n h e i m li c h e Hi n t ergru n d m ac ht i n Deu t s ch la nd a u s. Di e B ert e ls m a n n -S t i ft un g wi rk e „a u f u nd u rch s ic ht i ge Wei s e a n fa s t a ll en b ed eu t s a m en s ozi a l- u n d bi ld un gs p oli t i s ch en R e f o r m e n u n d s i c h e r h e i t s p o l i t i s c hen E n t s c h e i d u n g e n m i t " , a n a l ys i e r e n d i e J o u r n a li s t en Fra n k B öc k elm a n n un d Hers c h Fi s c h ler i n i h rem 2 0 04 ers c h i en en en B u ch „B ert e ls m a n n — Hin t er d er F a s s a d e d es M edi en i mp eri u m s ". In d en m aß geb li c h en Gr e m i en g eh e „n i c h t s m eh r oh n e B e rt e l s m a n n " . „ Hi e r en t s c h ei d en E li t e- N et z we rk e a u s P a rt e i e n u n d Ko n z e r n e n d a rü b e r , we l c h e P r o b l e m e v o r d r i n g l i c h u n d we l c h e Lösu n gen a k zep t a b el si n d . Di e R ep rä sen t a n t en d es st a a t li ch p rot egi ert en Bertelsmann-Konzerns sind als Akteure der Wirtschaft dabei." In den „Elite-Netz113
werken", für die die Bertelsmann- Stiftung typisch und unter denen sie das absolute Schwergewicht sei, werde ein „Vorab- Konsens" geschaffen. Der politische Streit der etablierten Parteien reduziere sich dann „nur noch auf Nuancen". „Das Wahlvolk soll möglichst von allen historisch wichtigen Entscheidungen entlastet werden. Wichtige Fragen sind heute gerade dadurch gekennzeichnet, dass über sie nicht abgestimmt wird." Böckelmann weiter: „Die politische Klasse stimmt sich in den Elite-Net zwerken erst einmal über das Mögliche und Durchsetzbare ab, bevor das Ringen um öffentliche Zustimmung beginnt. Der Bevölkerung soll ja die Logik der globalen Ökonomie beigebracht werden, aber zu dieser selbstlosen Lernleistung ist sie nur bis zu einem bestimmten Grad imstande. Die Schritte der Anpassung an die globale Wettbewerbslogik werden immer unpopulärer, sind kaum noch zu ,vermitteln'. Die Parteien haben enorme Selbstdarstellungsprobleme. Und in dieser Lage bewähren sich solche Einrichtungen wie die Bertelsmann-Stiftung." Sie übernehme die „Rolle einer übergeordneten nationalen Vormundschaft". Böckelmann fährt fort: „Die Politiker, die hier eingebunden werden, haben der BertelsmannStiftung viel zu verdanken." Es komme eine Entwicklung im „Prozess der Globalisierung" zum Ausdruck, bei der „internationale Elite- Netzwerke, deren Tätigkeit nicht im klassischen Sinne politisch legitimiert ist, immer mehr an Einfluss gewinnen". Jeder Bundesbürger über 15 Jahre verbringe durchschnittlich pro Tag eine Stunde mit der Nutzung von Bertelsmann-Produkten, in allen bedeutsamen sozial- , bildungs- und sicherheitspolitischen Gremien würden die Gutachter der Bertelsmann- Stiftung sitzen, wobei „die meisten ein schlägigen Entscheidungen ihre Handschrift erkennen lassen". Man gelange zu dem Schluss, dass Bertelsmann „eine deutsche und europäische Großmacht" sei. Wer nicht mitmache, den treffe die Keule des „Populismus"- Vorwurfs. Doch das Unbehagen wachse. Böckelmann: „Die Leute spüren, dass fast alles, was sie bei Sabine Christiansen hören und auf den Meinungsseiten der großen Blätter lesen, in gewisser Weise vorsortiert und au feinand er ab gestimmt ist und im gemein samen Kielwasser kreist. Es kommt einem alles unendlich bekannt vor. Und daraus erwachsen Politikmüdigkeit und Parteienverdrossenheit. Die an den Elite- Netzwerken beteiligten Konzerne und Parteien werden als monolithischer Block wahrgenommen. Das erhöht die Chancen von Protestparteien linker und rechter Couleur und außerparlamentarischer Oppositionen neuen Stils". Es sei ja eben kennzeichnend beispielsweise für die „Rechtsaußen", dass sie zu den „Nichteingebundenen" gehören. Evelyn Hol's Systemkritik ähnelt der Böckelmann'schen. Die Merkel- Biographin schreibt: „Mit der parlamentarischen, repräsentativen Demokratie des deutschen 114
Gr u n d g e s e t z e s v o n 1 9 4 9 h a t d a s , wa s h e u t e i n d e r B u n d e s r e p u b l i k D e u t s c h l a n d g e b o t e n wi r d , n i c h t m e h r v i e l z u t u n . . . . Ga r n i c h t s m e h r wi r d i m d e u t s c h en P a r lament, im Plenarsaal und in den Gremien, alles vorh er in außerparlamentari s c h en Ko m m i s s i on en u n d R ä t e n v e rh a n d e lt od e r g l ei c h p er D e k r e t i m In t e r vi e w, b e i S a b i n e C h r i s t i a n s e n , i m i n s z e n i e r t e n P o l i t e r e i g n i s u n d i n s ym b o l i s c h e n B i l dern, die das politische Han deln mehr und mehr ersetzen ... Die Pervertierung d e s p a r l a m e n t a r i s c h - r e p r ä s e n t a t i v e n S y s t e m s z u m m e d i a l- p r ä s e n t a t i v e n S y s t e m d er E rei gn i s d em ok ra t i e, d er Üb erga n g d er P a rt ei en d em ok ra t i e zu r Tel ek ra t i e, ha t s i c h s c h l e i c h e n d v o l l z o g e n . " U n d d a v o n h a t n i e m a n d m eh r p r o f i t i e r t a l s An g e l a M e rk e l. M eh r a u c h n o c h a ls Ge r h a rd S c h r öd e r, d e r „, B i ld ' u n d ‚ Gl ot z e — fa s t zu m A und 0 der Macht und des Machterhalts erklärt hat.
„Ich will Deutschland dienen" In d er B u nd es rep u b li k Deu t s ch la n d red en et a b li ert e P o li t i ker i n Wa h lk ä m p fen t ra d i t i on e l l r e c h t e r a l s s i e r e g i e r e n . D e r k l a s s i s c h e F a l l wa r d e r W a h l k a m p f 1 9 7 2 , a ls Wi ll y B ra n d t, d a ma ls d i e Ik on e va t er la n d s los er Li n k s fort s c h ri t t ler, fü r s ei n e f u l m i n a n t e r f o l g r e i c h e Ka m p a g n e d i e R e p u b l i k m i t M i l l i o n e n s e i n e r K o n t e r f e i s und d em fast sch on nach NPD k lin gend en Sp ruch „Deutsch e, wir k önn en stolz sein auf unser Land" überzi ehen li eß. Ein gut es Jahrzehnt später si egt e Helmut Ko h l m i t s ei n en W en d es p rü c h e n , d i e m ei s t en d a v on r ec h t s ( z u m B ei s p i e l d i e An k ü n d i gu n g d ra s t i s c h e r V e rr i n g e ru n g d e r Au s lä n d e r za h l) . D a s R e s u lt a t a l l e rd i n g s war au s rech ter Sicht ernüchternd. Am 5 . Dezemb er 2004 h ieß es in d er „Welt a m S on n t a g" ü b er Koh ls B i la n z: „Ni e wa r d i e B u n d es rep u bli k li b era l er, h ed on i s t i s ch er und mu ltiku ltureller a ls in d en Jah ren s ein er Kan zlersch aft. " („Li b era l"? Na j a . ) Wob ei m a n ergä n zen k ön n t e, da s s An ge la M erk el a ls M in i s t eri n un d Vi zec h e fin der CDU zumindest rein an Jahren beinahe die Hälfte der Verkohlung mitzuverantworten hat. D i e M e r k e l - C D U f ü h r t e d e n B u n d e s t a g s w a h l k a m p f 2 00 5 s t r e c k e n w e i s e s o , a l s wä r e s i e d e m „ D eu t s c h la n d p a k t " a u s D VU u n d N P D b ei g e t r e t en . Am 1 8 . S ep t e m b e r 2 0 0 5 s c h ri e b d i e „ B e r l i n e r M o r g e n p o s t " : „ T a p f e r h a t An g e l a M e r k e l i n d e n l e t z t e n M o n a t e n f a s t j e d e n T a g m e h r m a l s d i e N a t i on a l h ym n e g e s u n g e n , t ra d i t i o n e l l a m E n d e j e d e r W a h l k a m p f v e r a n s t a l t u n g , o b e n a u f d e r B ü h n e , i m Kr e i s d e r ört lichen Hon oratioren, überall in der Bundesrepublik. ,Vora n mit Deutschland, vo r a n m i t u n s e r e m V a t e r l a n d !' h a t s i e j e d e s M a l z u m Ab s c h i e d g e s a g t . S i e s a h s o aus, als ob sie das verdammt ernst meinte." Ka u m z u r Ka n z l e r k a n d i d a t i n e r h o b e n , h a t t e An g e l a M e r k e l a m 3 0 . M a i 2 0 0 5 i n Berlin ganz auf Vaterländisch ausgerufen: „Wir wollen, dass es Deutschland wie115
Merkel: "Ich will Deutschland dienen"
Gekürt: CDU- Chefin ist Kanzlerkandidatin. Sie plant eine große Steuerreform. Hamburg - Es war eine historische Entscheidung, und sie wu rde von d er Partei mit begeisterter Zustimmung a u f g e n o m m e n . Als erst e Frau in d er bundesdeutschen Geschichte ist Angela M e r k e l gestern von CDU und CSU zur Kanzlerkandidatin gekürt worden.
Eine gelöste Angela Merkel gestern mit Edmund Stoiber in Berlin: Der CSU-Chef schlug sie als
Einstimmig benannten die Präsidien der b e i d e n Schwesterparteien die 50 Jahre alte Politikerin a u s Ostdeutschland zur
Kanzlerkandidatur
"Ich will Deutschland dienen" CDU-Chefin Angela Merkel ist offiziell die Kanzlerkandidatin der Union bei der vorgezogenen Bundestagswahl im Herbst. CSU-Chef Stoiber sicherte ihr volle Unterstützung zu: "Sie werden mich immer an Ihrer Seite haben." Die 50-Jährige ist die erste Frau, die für das Amt kandidieren wird. D e r C S U-V o r s i t z e n d e E d m u n d S t o i b e r g a b d i e Nom ini erun g von An gelika M erk el in B erlin nach ein er gemein samen Präsidiu mssitzun g d er b eid en Sch westerp arteien b ekan nt. Die Entscheidung sei „einmütig und einstimmig" gewesen, sagte Stoiber unter l a n g a n h a lt e n d e m B e i fa l l v o n M i t a r b ei t e r n d e r Parteizentrale und Mitgliedern der Stoiber an ihrer Seite - das soll Unionsfraktion im Bundestag. immer so bleiben, erklärte der CSU-Chef nach der Nominierung S t o i b e r s a g t e we i t e r , d i e S e r i e v o n _ Merkels. .
Die nationalpatriotischen Gelöbnisse der Kanzlerkandidatin fanden in Medien großes Echo. 116
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d er b esser geh t. Dab ei geht es n icht u m Parteien, es geht n icht um Karrieren, u m E r od e r Ic h , E r od er S i e o d er wi e a u c h i m m e r d a s i n di e s en Ta g en fo rm u li e rt wird. Es geht um et was An deres: Wi r wollen Deutsch land dienen. Ich wi ll D e u t s c h l a n d d i e n e n . D e u t s c h l a n d k a n n e s s c h a f f e n u n d g e m e i n s a m w e r d e n wi r es s c h a ffen . " Mi t d er An k ün di gu n g „Wi r wol len d i e , Ic h -AGs ' d u rc h d i e , Wi r -Ge s e l l s c h a f t e r s e t z e n " k a m e i n e z u s ä t z l i c h e W ü r z e a n V o l k s g e m e i n s c h a ft i n d i e s e Ka n z le rk a n di da ti n an t ri t t s red e h i n ein . Und m an c h er n at i ona lges i n n t e E U -Kri t i k er wi r d v o n g u t e r H o f f n u n g e r fü l l t wo r d e n s e i n , a l s e r i n F r a u M e r k e l s An s p ra c h e d es 3 0 . M a i 2 0 0 5 F o l g en d e s v e rn a h m : „ Di e P o li t i k b ra u c h t ei n e n eu e Ku lt u r d es Z u h ör en s . Wi r s o l lt en zu m B e i s p i e l a u c h d a s N ei n d er F ra n z os en zu r E U -V e r fa s sung zum Anlass nehmen zu zeigen: Wir haben verstanden." T a g s d r a u f v e r ö f f e n t l i c h t e d i e „ B i l d " e i n In t e r v i e w m i t M e r k e l , wo r i n d i e Ka n z l e r i n i n s p e b e k u n d e t e : „ E s wä r e v i e l e r r e i c h t , we n n d i e D e u t s c h e n e i n e s T a g e s wi ed er s t o l z a u f i h re Lei s t u ngen u n d au f i h r La n d s in d . " E rh eb li c h es M ed i en ec h o e r z i e lt e d i e Ka n d i d a t i n a u c h m i t d en r e c h t en P a r o l en i n i hr e r F e s t r ed e „6 0 J a h r e CDU" am 16. Juni 2005 in Berlin. Kostproben aus ihrem Text: „ Wi r s i n d n i ch t ei n er Id eo logi e verp f li c h t et . Wi r s i n d n i ch t d er p oli t i s c h e Arm ei n e r Kl a s s e, ei n e r Gru p p e od er e i n e s E i n z e l - In t e r e s s e s . . . La s s en S i e e s m i c h a u f d en P u nk t b rin gen : Un s er e M ot i va t i on h ei ß t Deu t s c h lan d ... , E in i gk ei t u nd R ech t u n d F r e i h e i t s i n d d e s Gl ü c k e s U n t e r p fa n d ' , h e i ß t e s i m D e u t s c h l a n d l i e d . Di e s e r G e d a n k e i s t u n s e r e An t r i e b s fe d e r . E r i s t R i c h t s c h n u r u n s er e s H a n d e l n s . . . Au c h h eu t e st eh t un ser La n d wi ed er a n ei n er en t sc h ei d en d en Weg ga b e lu n g. La ss en Si e un s h eut e ab er nich t zu erst mi t d en Sch wi eri gk eit en un seres La nd es b egin n en . La ss en Si e u n s a n d ers b egi n n en . M it d em Kla n g d i es es La n d es. M i t d en Verh eißungen, die dieser Klang bei jed em von uns auslöst. Deutschland — das v e rh e i ß t Zu s a m m en h a lt . E i n La n d , i n d em j ed e r fü r s i c h u n d a n d e r e gi b t , wa s er k a n n , u n d k e i n e r f a l l e n g e l a s s e n wi r d , w e i l e r n i c h t m e h r k a n n . . . W i r C h r i s t d e m o k r a t e n wo l l e n d i e S p a l t u n g e n i n u n s e r e r G e s e l l s c h a f t h e i l e n . W i r we r d e n s i e a b e r n u r h ei l en k ön n en , we n n d i e B ü rg e r u n s e r La n d a l s S c h i c k s a ls g e m ei n s c h a ft — a l s ei n e Na t i on — b eg r ei fe n . W i r s i n d e i n e S c h i c k s a ls ge m e i n s c h a ft . Wi r b ra u chen ein erneuertes Bewusstsein dafür." Zu Beginn der letzt en und heißesten Phase des Wahlkampfes äußerte Angela M e r k e l i m In t e r v i e w m i t d e m M a g a z i n „ C i c e r o " ( S e p t e m b e r 2 0 0 5 ) : „ N u r m i t e i n e m B ek e n n t n i s z u m e i g e n e n La n d — z u u n s e r e r Ge s c h i c h t e , z u u n s e r e r Ku l t u r u nd Sp ra c h e u nd zu d en M en sc h en mi t i h ren Lei s t u n gen — k ön n en wi r d i e Krä ft e und den Zusammenhalt entwickeln, mit denen sich positiv Z ukunft gestalten lä s s t . E rs t d i e gem ei n s a m e M ot i va t i on , da s ei gen e La n d vora n zu b ri n gen , s ch a fft d i e V o r a u s s e t zu n g fü r d e n O p t i m i s m u s , d e n D eu t s c h la n d j e t z t b r a u c h t . D e s h a lb 118
will ich mein en Beitrag d azu leisten, dass die Deutsch en i n Deutsch land stolz auf ihr Land sein können." In „ C i c e r o " h a t t e A n g e l a M e r k e l i m M a i 2 0 0 4 s o z u s a g e n a u c h d e n S t a r t s c h u s s für ihre Vaterlandskampagne abgegeb en. Sie bekundete in dem Kulturmagazin : „ Ic h bin k on s ervat i v, wa s Pa tri oti s mus und Hei mat li eb e anb e lan gt. Ic h hab e ein en St olz a uf da s ei gen e La n d. " M erk el a n an d erer St elle (zi t . na ch Sch ley): „Da s Made in Germany muss wieder zu unserem Markenzeichen werden." Gel egen t li ch ab er schi en en die Gä u le mit ih r durch zu geh en (b zw. ih re Gh ost writ er h a tt en ih r d es Gu t en zu vi el ei n geflü s t ert ). S o b ek u nd et e An gela M erk el i n ei n em „s t ern " -In t e rvi e w, 1 8 . Novem b er 2 00 4 : „Wi r wol l en a nk nüp fen a n di e groß en Zei t en un seres La n d es, in d em da s Au t o, d er C ompu t er und d as Asp i rin erfund en wu rd e. " Au t o u n d As p i r i n , d a s m a g j a n oc h a n g eh en : s i e wu rd en i m k a i s e r li c h en D e u t s c h l a n d u n t e r W i l h e l m I I. e n t wi c k e l t . Ab e r C o m p u t e r u n d „ g r o ß e Z e i t u n s e r e s La n d e s " , a n d i e „ wi r a n k n ü p f e n wo l l e n " ? V a t e r d e s C o m p u t e r s wa r b e k a n n t li c h P rof. Kon ra d Zu s e. M i t „Z 3 " s c h u f er d en we lt wei t er s t en ec h t en C om p ut er. Das war 1941. In der Hauptstadt des Großdeutschen Reiches, Berlin ... Au c h d i e g ä n g i g e n M e rk e l - B i o g r a p h e n h a b e n „ d i e r e c h t e An g i e " r e g i s t r i e r t u n d a n a lys i ert . J a c q u eli n e B o ys en : „S i e b e s c h wö rt ei n en Na t i on a ls t olz, wi e er we i t en T e i l e n d e r w e s t d e u t s c h e n B e v ö l k e r u n g l a n g e f r e m d wa r u n d p l ä d i e r t d a f ü r , e i n n a ti on a les S elb s t ve rs t ä n dn i s zu en t wi c k eln . " Ni c ole S c h le y s c h rei b t : „, Wi r a rb ei t e n f ü r d e u t s c h e In t e r e s s e n , f ü r u n s e r e A r b e i t n e h m e r i n u n s e r e m L a n d . ' , D a s d e u t s c h e In t e r e s s e m u s s v o n n u n a n d a s e n t s c h e i d e n d e Kr i t e r i u m d eu t s c h e r P o l i t i k s ei n . ' S o k li n gt d i e n eu e An g e l a M e rk e l. Da s d eu t s c h e In t e r es s e s t eh t i m V or d ergrund ... Auch au ß enp olitisch sollen d eutsch e Belan ge in d en Vord ergrund gerückt werden." „Welch e Bilan z wü rd en Sie d en Deu tsch en b ei d er Bundestagswah l 2009 gern p rä s enti eren ?", fra gt e Hu go Mü ller -Vogg di e C DU -Kan zlerkandid at 2005. M erk els An t wort : „Das s a lle — vom Pförtn er b is zum p ot en zi ellen Nob elp reist rä ger — da s Gefü h l hab en , es lohnt sich , in di esem La nd und fü r di eses La n d zu a rb eit en . Dass die Menschen wieder stolz sind auf Deutschland, das ist mein Ziel." W i e a b er s o l l s i c h d a s a l l e s ve r t ra g en b ei s p i e ls we i s e m i t d e r M erk e l ' s c h en Ab s a g e a n e i g e n e d e u t s c h e W e g e i n d e r Au ß e n p o l i t i k , m i t i h r e n B e k en n t n i s s en z u e i n e m „ E u r op a ", i n d e m D e u t s c h l a n d v ö l l i g e i n g e s c h m o l z e n wi r d , e s k e i n e S o u v e ränität mehr hat, wie mit ihrem ständigen Sühnen und Büßen für die Hitlerzeit?
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Was kommt von Herzen? Im „D eu t s c h la nd rad i o" k om men t i ert e d er J ou rn a li s t E c kh a rd Fu h r, Feu i ll et on c h ef d e r „ W e l t " , a m 7 . J u n i 2 0 0 5 M e r k e l s „ Ic h w i l l D e u t s c h l a n d d i e n e n " - T ö n e : E s handele sich „fast schon um ein Gelübde", meinte er, und gehe „jed enfalls rhet o r i s c h ü b e r d a s h i n a u s , w a s i n d i e s e m L a n d s e i t e i n i g e r Z e i t d e r p a t r i o t i sc h e T o n i s t " . E s d rä n g e s i c h d e r E i n d ru c k a u f , h i e r b ek u n d e e i n e F r a u , s i e wo l l e „ i hr e m L a n d d i e n e n wi e d i e H e i l i g e J o h a n n a " . F u h r w e i t e r . „ F e s t s t e l l e n l ä s s t s i c h zumindest, dass solch e Redeweise heute niemanden mehr verschreckt und dass sie auch nicht mehr als hoffnungslos veraltet gilt." „ Ko m m t M e rk e ls , P a t ri ot i s m u s ' v on H e r z en ?" , f ra gt P r o f. La n g gu t h . M a n c h e s i s t vom U S -Wa h lk a m p f a b gek up fert . „ Als An g ela M e rk el a m 3 0 . M ai d i e ers t e Ka n z lerkandidatin der Bundesrepublik wurde, stand sie mit einem Stapel B lättern l e i c h t v e r l o r en v o r ei n e m W a l d a u s M i k r of on en . Ih r e W o rt e k l a n g en d eu t li c h a b g e l e s e n e r — a b e r g e n a u s o p a t r i o t i s c h wi e d i e d e s Kr i e g s h e l d e n Ke r r y : , Ic h wi l l Deutschland dienen'." („Cicero", online, 24. August 2005). Au ch mit ih rer Ankü nd i gun g ein es Wid erstand es gegen di e Vollm it gli ed scha ft d er Tü rk ei i n d er E u rop ä i s ch en Un i on ha t An gela M e rk el b ei r ec h t en Deu t s c h en (un d we i t d a rü b er h i n a u s ) s o zu s a ge n p u n k t en k ön n en . „ Ic h b i n b ek a n n t er m a ß en g e g en e i n e M i t g l i e d s c h a f t d e r T ü r k e n i n d e r E U . . . E i n e M i t g l i e d s c h a ft wü r d e d i e E U a u f a b s e h b a r e Z e i t ü b e r f o r d e r n . " S o l i eß s i e s i c h i m Ge s p r ä c h m i t M ü l l e r- V o g g 2005 ein . B oys en : „An gela Merk el b egibt sich hi er in Oppos iti on zu r P ositi on d er US A; di e inn enp oliti sch e Wi rkun g ih rer Au ss a ge zäh lt in di esem Fa ll m eh r a ls di e sonst viel beschworene Bündnistreue." An d e r e r s e i t s s i t z t a u f B e t r e i b e n M e r k e l s s e i t E n d e 2 0 0 4 E m i n e D e m i r b ü k e n i m C D U- B u n d e s v o r s t a n d . S i e i s t t ü r k i s c h -d e u t s c h e D o p p e l s t a a t s b ü r g e r i n m u s l i m is ch en Glaub en s. Di e „t a z" s ch la gzei lt e zu ih re r Wah l in di e Füh run g d er Christd em ok ra t en : „Un i on i n s t a l li er t M u lt i k u lt i . " In d e r „B Z " la u t et e d i e S c h l a g z e i l e : „ M u l t i -Ku l t i -M e r k e l " U n d i m In t e r n e t e r wä r m t e s i c h d i e „t u rk i s h g a y & l e s b i a n c ommun it y" fü r Demi rbük en m it d en Wort en : „Si e wi rb t offen fü r den E U - B eit ritt d e r T ü r k e i u n d wa n d t e s i c h e n t s c h i e d e n g e g e n d i e i n d e r U n i o n d i s k u t i e r t e U n t ers c h ri ft en a kt i on gegen d en B ei t ri t t. Au ß erd em s et zt s i e s i c h fü r Is la m u n t erri c h t i n d e u t s c h e r S p ra c h e e i n . S i e i s t g l ä u b i g e M u s l i m i n u n d m i t d e m e v a n g e l i s c h e n C D U -B a u s t a d t r a t M i c h a e l W e g n e r v e r h e i r a t e t . D i e T o c h t e r S e r a f i n a wo l l e n d i e Eheleute nach eigenen Angaben in beiden Religionen erziehen." „ Fü r m i c h i s t di e d opp elt e S t a a t sb ü rgers c h a ft ei n e S elb s t vers t ä n d li ch k ei t ", b et on te die CDU-Türkin am 21. November 1997 in einem Interview mit der „Zeit". Am 120
9 . Sept emb er 2 001 wa rb Demi rbük en im EKD- B la tt „Chri smon " zu sa mmen mit P a u l S p i e g e l v om Z e n t ra lra t d e r J u d en fü r n oc h m eh r M u lt i k u lt i i n D eu t s c h la n d . S i e b e k u n d e t e : „ Ic h w e r d e o f t m i t d e r An g s t k o n f r o n t i e r t , e s g ä b e z u v i e l e Au sländer. In Berlin gibt es 13,1 Prozent Menschen ausländischer Herkunft. Das h ei ß t : 8 7 P r o z en t s i n d D eu t s c h e. Wi e k ön n en 8 7 P r o z en t b e h a u p t en , d a s s 1 3 P r o zen t zu vi el sind ?" Im „Ch ri sm on"- Ges p räch en t wick elt e Merk els Tü rkin auch ein e Z u k u n f t s v i s i o n : „ Ic h wü n s c h e m i r , d a s s i m S o z i a l a m t M u t t e r M e i e r d u r c h e i n e Afri kan erin ih re S ozia lhi lfeleis tun g b ezi eh t od er ein Tü rk e i m Baua mt in h öchst er P o s i t i on s i t zt . . . W a ru m k a n n e i n e Ta g es s c h a u - S p r ec h eri n n i c h t t ü rk i s c h s t ä m m i g sein? Das wäre der Alltag, den ich mir für die Zukunft wünsche." E m i n e D e m i rb ü k en wu rd e 1 96 1 i n Ki li s / Tü rk ei g eb or en . Ih r V a t er k a m E n d e d e r 60er- Jahre a ls Gastarb eit er h er und holt e di e Fa mili e nac h. Von 1977 bis 1979 b es u c h t e s i e e i n Gym n a s i u m i n Is t a n b u l. N a c h S t u d i en z ei t a n d e r T U B er li n wu r d e s i e An fa n g d er 8 0 er -J a h re a ls S ozi a la rb ei t eri n i n B erli n t ä t i g u nd k a m zei t wei s e als Mitarbeiterin des Senders Freies B erlin unter. Sie ist die dienstälteste Au s lä n d e rb e a u ft ra gt e B er l i n s ( s ei t 1 9 8 8 i n S c h ön eb e r g, s ei t 2 0 0 1 fü r T e m p e lh o f Sch ön eb erg zu ständ ig(. Seit 19 92 hat sie d en Dopp elp ass. Von 1990 b is 1999 wa r D em i rb ü k en S p r e c h e ri n d es Tü rk i s c h en B u n d e s i n B er l i n - B ra n d en b u r g e. V. , von 1995 b is 1997 Pressesprech erin d er Tü rkisch en Gemeind e in Deutsch land e . V . , 1 9 9 7 / 9 8 V o r s t a n d s m i t g l i e d d e r T ü r k i s c h en Ge m e i n d e i n D e u t s c h l a n d e . V . 1994 wu rd e sie Vorstand smitglied und Pressesp rech erin d es „Bü ros gegen ethn i s c h e Di s k ri m i n i eru n g en i n B e r li n -B ra n d en b u r g ". S ei t 2 0 0 0 g eh ört s i e d e m Vo r s t a nd d es „B u nd es geg en et h ni s c h e Di sk ri m in i eru n g i n Deu t s c h lan d e. V. " a n . Der C DU h a t s i e s i c h 1 9 9 5 a n g e s c h l os s en . S ei t 2 0 0 2 i s t s i e La n d es v o rs t a n d s m i t g li ed d er B er li n er C h ri s t d em ok ra t en . Au f d em B u n d es p a rt ei ta g i m De z em b er 2 0 0 4 ka m sie dann als Wunschkandidatin Merkels in den CDU-Bundesvorstand. An g e l a M e rk e l i m Ge s p rä c h m i t M ü l l e r -V o gg ü b e r d i e Tü r k en i n D eu t s c h la n d a l s „ z u s ä t z li c h es Wä h l e r p ot en zi a l " : „ In d e r Ta t k ön n en wi r i n g r oß en T e i l en d e r t ü r k i s c h s t ä m m i g e n B e v ö l k e r u n g e i n e T e n d e n z f e s t s t e l l e n , S P D o d e r Gr ü n e z u wä h l e n . D a g i b t e s a b e r a u c h e i n e n r e c h t r e g e n M i t t e l s t a n d . H i e r wi e d e r u m h a t e i n e P a rt e i m i t k on s e r va t i v en Wu rz e l n d u rc h a u s gu t e An s a t zp u n k t e . . . J ed en fa l ls s o l l t en wi r u n s u m d i e In t e gra t i on d er t ü rk i s c h s t ä m m i g en B e vö l k eru n g k ü m m e rn . E s wü r d e d e r C D U a u c h g u t a n s t e h e n , w e n n e s g e l ä n g e , e i n e n V e r t r e t e r d i e s e r B e völkerungsgruppe aus unseren Reihen in den Bundestag zu bringen." Au c h „ d a s C " s o l l e „ u n s n i c h t a b h a l t e n , G e m e i n s a m k e i t e n z u e n t d e c k e n " , f ä h r t Merkel fort. Si e nennt ein Beispiel: „Wir st ehen im Gespräch mit türkischen G r u p p i e r u n g e n wi e d e r m o s l e m i s c h -k o n s e r v a t i v e n P a r t e i A K P d e s M i n i s t e r p r ä sidenten Erdogan. Er möchte auf alle Fälle Mitglied der Europäischen Volkspartei 121
we r d en . In e i n em e r s t en S c h ri t t h a t d i e AKP d en B e ob a c h t e r s t a t u s i n d e r E V P e r ha lt en. " Zu r E rläu t erun g: E VP , Eu ropäi sch e Volk spa rt ei, is t d er Zus am m ens ch lu ss hauptsächlich christdemokratischer Parteien auf europäischer Eben e, der auch die CDU angehört. Di e AKP d er Türkei wurzelt in der islam istisch -fundamentalistis c h e n V o l k s b e w e g u n g . W e g e n d e s l a i z i s t i s c h -k e m a l i s t i s c h g e p r ä g t e n M i l i t ä r s muss sie sich zusammenreißen. Sonst zögen die Generäle blank. Bevor er sich weg en d er Bajon ette d er Militärs „wand elte", h atte d er heu tige AKP - Ch ef und t ü rk i s c h e M i n i s t e rp rä s i d en t E rd og a n a l s B ü r g e rm ei s t e r vo n Is t a n b u l d en M a s s en bei einer Kundgebung das Wort des türkischen Nationaldichters Zi ya Gökalp (1876 - 1924 ) zu geru fen : „Di e Mina rett e sind un s ere B aj on ett e, di e Kupp eln uns ere Helme, die Moscheen unsere Kasernen, die Gläubigen unsere Soldaten." „5 1 P rozen t d er Deu t s c h en n eh m en an , d a s s m i t Fra u M erkel a ls B u n d es k an zleri n d e r Zu zu g v on Au s lä n d e rn s t ä rk er a ls b i s h e r b e g r en zt we r d en wü rd e. " ( E li s a b et h Noelle, In s titut für Dem osk opi e Allen s bach , „FAZ", 17 . Novem b er 2004 ). Wi ed er h o l t h a t M e r k e l a l s Ka n z l e r k a n d i d a t i n d i e s e n G l a u b en g e n ä h r t . In d e m z u r B u n d estagswah l 2005 erschien en en au tobiographisch en Buch „M ein Weg" äuß erte sie: „Wenn wir die Auswirkungen der Zuwanderung nach Deutschland in den l e t z t e n f ü n f z i g o d e r v i e r z i g J a h r e n b e t r a c h t en , d a n n f ä l l t d i e B i l a n z , we n n m a n die Sozialhilfe und alles hinzurechnet, negativ für Deutschland aus." Wie man Wahlkämpfe gewinnt, indem man die Sorgen und Nöte der Bevölke r u n g we g e n Ü b e r f r e m d u n g a u f g r e i f t u n d Ab h i l f e v e r s p r i c h t , k on n t e An g e l a M e r k e l, g er a d e f r i s c h g eb a c k en e Ge n e ra l s ek r et ä ri n , i m F e b ru a r 1 9 9 9 i n H es s en b e ob a c h t e n . D o r t g e l a n g e s i h r e m P a r t e i f r e u n d R o l a n d Ko c h m i t e i n e r e i n P l e b i s z i t i m i t i e r en d en Un t er s c h ri ft en - Ka m p a gn e g e g en d i e d op p e lt e S t a a t s b ü r g er s c h a ft ei nen fulminanten Wah lsi eg zu erringen und die jahrzehntelang vorh errsch enden S ozia ld em ok rat en ab zu lös en . Der Koc h' sch e Triumph wa r üb ri gen s d er Au ftak t zu e i n e r ga n z en S e ri e v on C D U - W a h l e r f o l g en , d u rc h d i e s i c h M erk e l a l s Gen e ra ls ekretärin das „Image" eines „Siegertyps" verschaffen konnte. Auch in der Zuwandererfra ge aber ergibt sich bei der Chefin der deutschen C h ri s t d e m o k ra t en e i n Gl a u b wü r d i g k e i t s p r o b l e m : W i e k a n n m a n e i n e r s e i t s e i n e n i m In n e r e n g r e n z e n l o s e n , w e i t n a c h O s t e u r o p a h i n e i n a u s g e d e h n t e n , a b 2 0 0 7 auch noch um Bulgarien und Rumäni en aufgeplusterten EU- Staat anstreben, in dem Abermillionen Fremde wegen der Freizügigkeit ohne Schranken nach Deutschland kommen dürfen, und andererseits Ausländerbegrenzung fordern? Üb ri g en s we i s t E v e l yn R o l l d a ra u f h i n , d a s s d i e C D U u n t er M erk e l l ä n g s t s c h on v o n P o s i t i o n e n a b g e r ü c k t i s t , v o n d e n e n v i e l e W ä h l e r m e i n e n , d a s s s i e n oc h a u f rechterhalten werden. Die Merkel-Biographin schreibt über die Pressekonferenz 122
d e r C D U - C h e fi n m i t i h r em Z u wa n d e ru n gs b ea u ft ra gt en P et e r M ü l l e r, M i n i s t e rp rä sident des Saarlandes, am 6. November 2000: „Merkel und Müller gaben be kannt, dass die Position der CDU in Zukunft sei: Deutschland ist ein Einwan d eru n gsland . Wäh rend Parteielite und Öffentlichk eit also mit d er Balgerei u m d i e s e n b e s c h e u e r t e n B e g r i f f , L e i t k u l t u r ' a b g e l e n k t wa r e n , wu r d e n i n d e r p r a k t i sch en Politik au f sen sation elle Art und Weise ,un verrückb are' Position en au s d em i d e o l o gi s c h en Z e i t a lt er g e r ä u m t . " Fü n f M on a t e s p ä t er d a n n d e r n ä c h s t e „ E r f o l g " i n d i e s e r R i c h t u n g . R o ll : „ Al s E n d e Ap r i l d e s J a h r es 2 0 0 1 s c h l i eß l i c h d a s g e m e i n s a m e T h e s e n p a p i e r v o n C D U u n d C S U v e r a b s c h i e d e t wi r d , k o m m t d a s s o h ei ß un d glü h en d u mk ä mp ft e Wo rt Lei t k u lt u r d a rin n ic ht m eh r v or. Da s fä l lt a b er k a u m n oc h j e m a n d e m a u f. W a s a u f fi e l i s t : O f f e n b a r h a t An g e l a M e r k e l j e t zt s o gar St oibers CSU dazu gebracht anzuerkennen, dass Deutschland ein Einwan derungsland ist."
Nachfrage befriedigen ... Woru m es in d er Haup tsach e wirk lich geht, wenn d eutsch e Etab lierte in Wah l k ä m p f en „r e c h t e T ön e " a n s c h l a g en , d ü r ft e fo l g en d e r Au s zu g a u s d en Ge s p rä c h en von Hugo Müller-Vogg mit Angela Merkel deutlich machen: M.- V.: „Franz Josef Strauß hat immer gesagt, rechts von der Union dürfe es kei n en Platz für ein e d emok ratisch e Partei geb en." A. M : „Rech t hat er gehab t." M. - V: „Nun sind NPD und DVU angetreten, genau diesen Platz zu besetzen. Wi rd hi er vi ellei cht ein e Nachfra ge b efri edi gt, wei l di e C DU d en Nat i ona l -Kons er vativen k ein en tsprech end es An geb ot macht?" A. M.: „Die Wah lerfolge dieser P a r t e i e n h a b e n i n e r s t e r Li n i e m i t d e n w i r t s c h a ft l i c h e n S c h wi e r i g k e i t e n z u t u n . D a v e r f a n g e n s c h e i n b a r e i n fa c h e An t wo r t e n . D a h a t d i e C D U e i n e wi c h t i g e Au f g a b e , n ä m l i c h a r g u m e n t a t i v e t wa s e n t g e g e n z u s e t z e n . D a m ü s s e n wi r d a n n d e u t lich machen, dass wir — zum Beispiel beim Th ema EU-E rweiterung — deutsche Interessen vertreten ... Als deutsche Parteien sind wir von deutschen Bürgern g e wä h l t — u n d z wa r m i t d e m Au f t r a g , i m i n t e r n a t i o n a l e n W e t t b e w e r b d a s B e s t e fü r Deu t s c h la nd h era u s zu h olen . Da s k om m t ma nc h ma l n i cht d eut li c h genu g rü b er. Auch deshalb haben Rechtsradikale bisweilen Zulauf."
123
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Personenverzeichnis Ackermann, Josef 84 Adenauer,
D a s c h i t s c h e w , W j a t s c h e s-
Konrad 79 Ahlrichs, Reinhard
law 56
He ise nbe rg, Werne r 39 Henkys, Reinhard 26
45 Alb ri ght , M ade le i ne
De mirb üke n, Emine 120 f.
He n n i g, M a rga re t he 1 9
92 f. Ates, Seyran 13
Der, Ralf 64
Hintze, Peter 73
Avital, Collette 105
Dibelius, Otto 25
Hitler, Adolf 18, 20, 61, 67,
Backfisch, Michael 85
Diekmann, Kai 112
Balk, Hermann 11
Dönitz, Karl 10
Barschel, Uwe 92
Döpfner, Mathias 84
Bärtels, Gabriele 15, 38
Drange, Emil 10f.
Baumann, Beate 4
Dregger, Alfred 102
107f., 119 Hoffmann, Dieter 27 Hohmann, Martin 4, 102106 Honecker, Erich 20, 22, 34 Honecker, Margot 29 Hoover,
Beauvoir, Simone de 70f. Beckmann, Reinhold 16 Beckstein, Günther 100, 112 Be rgma nnPo hl, Sab ine 68 Birthler,
Einstein, Albert 39 Eppe l ma nn,
Edgar 61
Ra ine r 24, 64 Erdogan, Tayyip
Hunzinger, Moritz 55
121 f. Jacobi, Claus 107
Marianne 27 Böckelmann, Frank
Finke lste in, Nor ma n 1 05
113f. Bonhoeffer, Dietrich 20,
Fischler, Hersch 113 Fried ma n,
27 Boysen, Jacqueline 4f., 8,
Mic he l 109-112 Friedrich
Jentzsch,
Emilie
Jentzsch,
Gertrud
7, 7,
45 9
Johannes Paul II. 89, 91
II. der Große 11 Frisch, Max
17, 19, 25, 30, 36, 40, 43ff., 50, 56, 61, 64, 75,
41
Kant, Immanuel 14
101, 120
Fuchs, Michael 83
Ka nt he r, Ma n fre d 7 5, 7 8
Brandt, Willy 115
Fuhr, Eckhard 120
Kas ner, Herlind 7, 9f., 14 f.,
Bra u n, We rnhe r vo n 4 9
Gab le nt z, O t to vo n de r 9 9
Brauner, Artur 110 Bronner,
Galinski, Heinz 101
Oscar 84
G a uc k , J o ac hi m 2 7 , 6 4
Buchholz, Karl Gottfried 18f.
Gedmin, Jeffrey 86f
Burda, Hubert 84
Gehler, Matthias 66
Burmester, Silke 111
Geisler, Hans 77
Burt, Richard 55 Bush,
Göhs, Gert Olav 95
G e o r g e H . 4 8 Bush, George
Gökalp, Ziya 122
W. 82, 88f.,
Gorbatsc how, Mic ha il 5 6
112, 117 Richard
Chirac,
Jacques
Christiansen,
Eva
Christiansen, Sabine 86, 110 ff., 114f.
90 82 4
Kas ne r, Ho rst 5, 7, 1 4 f., 1 8, 21 ff., 24 ff., 29 f., 32 f., 37, 46, 64 Kasner, Irene 15 Kas ne r, Ma rc us 14, 2 9, 3 6, 39
Graw, Ansgar 117 G ree nsp a n,
Cheney,
23, 29, 33f.
Keil, Gert 92 Kerry, John 120 Kiep, Walther Leisler 73, 76, 81 f.
Ala n 50, 10 5 Gremm, Wolf
Kirchner, Martin 66 Kirschbaum,
110
Erik 54 Kissinger, Henry 50, 84
trüber, Heinrich 21 f.
Klaeden, Eckart von 4, 81,
Günt her, Rolf-Dieter 25
96, 103
Gysi, Gregor 28
Kleinfeld, Klaus 84
Gysi, Klaus 27
Klopfer, Inge 108
Cramer, Ernst 107
Klotz, Clemens 67 H a b e r ma s , J ü r g e n 6 2 , 7 8
Koch, Roland 78, 122
Hagler, Arnold T. 47 Haselsteiner,
Köhler, Horst 79
Hans Peter 84
125
Koelbl, Herlinde 6, 47, 50, 53, 70f., 77 Kohl, Helmut 30, 48, 55, 59, 65f., 68, 70, 72-80, 86, 96, 115 Köpf, Peter 107 Kopper, Hilmar 84 Krauel, Torsten 83 Krause, Günther 5, 66 -70, 77 Kraushaar, Wolfgang 101 Krauß, Matthias 4f., 6, 17, 30, 32, 45f. Kwasniewski, Aleksander 13 Lafontaine, Oskar 57f. Lambeck, Martin S. 16 Lammert, Norbert 88 Langguth, Gerd 4, 6ff., 9, 15, 21ff., 24f., 36, 38, 40, 43f., 47, 49, 54, 56f., 63, 71 f., 74f., 77, 79, 88, 96, 99, 108, 126 Ledeen, Michael A. 84 Lengsfeld, Vera 64 Leßnerkraus, Patricia 5f., 9, 34, 36, 46f., 49, 52, 55, 64 Levy, David 99 Maaß, Hans-Christian 77 Maizière, Clemens de 24f. Maizière, Lothar de 24, 50, 55, 64, 66, 70, 77 Marcks, Gerhard 10 Martern, Hermann 38 Marx, Karl 40 Matzky, Gerhard 18 Mayer, Hans 55 Meisner, Joachim 53 Merkel, Ulrich 46f., 56 Merz, Friedrich 5, 100f. Meyer, Laurenz 103 Mielke, Erich 65 Mißfelder, Philipp 5
Mitterrand, Frangois 67 Mohn, Liz 113f. Mohn, Reinhard 113 Möllemann, Jürgen 105 Morgenstern, Christian 37 Morgenthau, Henry 86 Müller, Hanfried 24f., 26-29 Müller, Hildegard 96f. Müller, Peter 112, 123 MüllerEnbergs, Helmut 27 MüllerStreisand, Rosemarie 26-29 Müller -Vogg, Hugo 6, 14, 33, 37, 39ff., 52, 59f., 67, 72, 79, 89, 92, 120f., 123 Nakschbandi, Walid 110 Nass, Matthias 84 Neubert, Ehrhart 20, 25ff., 64 Niemöller, Martin 86 Noelle, Elisabeth 40, 63, 92 Oppenheimer, J. Robert 39 Osten, Hans-Jörg 43 Paul, Jens Peter 105 Perle, Richard 4, 52, 84ff., 87, 117 Pfahls, Holger 74, 78 Pflüger, Friedbert 14, 74, 81, 84, 90 Pofalla, Ronald 79, 96 Poppe, Gerd 64 Powell, Colin 89, 91 Primor, Adar 52, 94f. Primo, Avi 52, 94 Putin, Wladimir 14 Rau, Johannes 101 Reimann, Max 31 R ei n h a r d t , M a x 5 5 Rice, Condoleezza 90 Riesenhuber, Heinz 96f. -1126 26-
Robbe, Reinhold 96 Rockefeller, David 81 f., 84 Roll, Evelyn 4, 6, 15ff., 21, 31, 34, 36, 41, 43, 59, 62ff., 66ff., 70f., 74f., 77, 78, 80, 86, 96, 122f. Ronson, John 84 Roosevelt, Franklin D. 39, 86 Rückert, Sabine 76 Rumsfeld, Donald 84, 90, 117 Rüttgers, Jürgen 101, 105, Saban, Haim 106f. Saddam Hussein 89f., 95 Sauer, Joachim 5f., 45-50, 52-60 Schabowski, Günther 57 Schäfer, Bärbel 110 Schaff, Adam 58 Scharon, Ariel 94, 99 Schäuble, Wolfgang 53, 72, 75, 78f. Schavan, Annette 105 Schily, Otto 84 Schley, Nicole 4, 6, 9, 33f., 36f., 40, 50, 54, 61, 72, 75f., 79, 87, 119 Schnaas, Dieter 5 Schnabel, Ulrich 40 Schneider, Frank 44 Schnur, Wolfgang 65f., 77 Schoeneich, Ulrich 21 Scholten, Rudolf 84 Schönherr, Albrecht 15, 20, 25f. Schramm, Hans-Georg 38 Schreiber, Karlheinz 74 Schreiner, Ottmar 55 Schrempp, Jürgen E. 84 Schröder, Gerhard 3, 14, 16, 23, 60, 62, 81 f., 84, 86ff., 94, 100, 102, 115, 117
Schulz, Ekkehard D. 84 Schwarzer, Alice 71 Schweitzer, Eva 117 Slonina, Henryk 13 Smith, Gary 86 Spiegel, Paul 100f., 109, 121 Springer, Axel C. 76, 106f. Springer, Friede 82, 84, 106-109, 112f. Springer, Hinrich 107 Stafford, Lee 3 Stalin, Josef 12 Stappenbeck, Christian 27 Stavenhagen, Lutz 96 Stimson, Henry L. 86 Stock, Wolfgang 6, 9, 33, 36, 39, 41, 52f., 55, 80, 88 Stoiber, Edmund 54, 87f., 91, 103, 109, 116, 123 Stolpe, Manfred 37, 65
Strauß, Franz Josef 81, 123 Struck, Peter 94 Stürmer, Michael 86 Süssmuth, Rita 71 Sutherland, Peter 83
Ulbricht, Klaus 63 Ulbricht, Walter 21, 29
Weizsäcker, Richard von 12, 17f., 55 Weizsäcker, Viktor von 18 Westerwelle, Guido 54 Wichern, Johann Hinrich 21 Wielgohs, Jan 27 Wilhelm II., Deutscher Kaiser 119 Wissmann, Matthias 84 Wolfensohn, James 81, 84 Wölber, Hans-Otto 7 Wolfowitz, Paul 52, 84, 86, 90 Wowereit, Klaus 110
Wachs, Emma 11 Wagner, Franz Josef 102 Warburg, Eric M. 82 Warburg, Max M. 82 Weizsäcker, Carl Friedrich von 18, 39 Weizsäcker, Ernst von 18
Zahradnik, Rudolf 47 Zaimoglu, Feridun 13 Ziegler, Regina 110ff. Zimmermann, Markus 82 Zülicke, Lutz 45 Zumwinkel, Klaus 84 Zuse, Konrad119
Thadden, Adolf von 31 Thatcher, Margaret 40 Töpfer, Klaus 72 Tusk, Donald 14
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Dass Frau Merkel ausgezeichnet Pflaumenkuchen backen kann und sich von Star-Friseur Udo Walz die Haare machen lässt, gehört zu den sensationellen Enthüllungen, die man allgemeinen Medien entnehmen kann. Dieses Buch widmet sich vorrangig anderen Feldern: Merkel regiert Deutschland – doch wer regiert Merkel? Wer hat im innersten Kreis um sie herum, ihrem „Inner Circle", das Sagen? Was verkündet sie als ihre Ziele in Insiderkreisen, zu welcher Politik hat sie sich da verpflichtet? Wer hat ihre steile Karriere gefördert, ihr den Sprung ins Kanzleramt ermöglicht? Und ihre DDR-Zeit: Wie tief war ihr Vater, Pfarrer Kasner, kirchenintern: „der rote Kasner", in das DDR-System verstrickt? Wie verhält es sich mit Merkels marxistisch-leninistischer Grundsatzarbeit „Was ist sozialistische Lebensweise?", die angeblich spurlos verschwunden ist? Wie steht es um ihre Vergangenheit als FD J-Aktivistin – womöglich sogar als „Sekretärin für Agitation und Propaganda"? Wer mit dem Blick auf die Kulissen zufrieden ist, der benötigt dieses Druckwerk nicht. Wer aber mehr wissen möchte, dem öffnet das Buch einen Spalt zum Blick hinter die Kulissen.
JOSEF LANDOWSKY
Rakowskij-Protokoll über die Vernehmung des Sowjetbotschafters Kristjan Jurjewitsch Rakowskij durch den Beamten der GPU Gabriel G. Kuzmin am 26. Januar 1938 in Moskau
ALS MANUSKRIPT GEDRUCKT
Titel der spanischen Originalausgabe: SINFONIA EN ROJO MAYOR (capitulo XI.: Radiografia de la Revolucion) de Jose Landowsky, traduccion de Mauricio Carlavilla
Auflage: 2200 Druck: Faksimile-Verlag Die Umschlagzeichnung ist ein Ausschnitt aus einer Zeichnung von A. Paul Weber "Die Banken von England" Copyright by Editorial NOS, Madrid 1950 Deutsche Übersetzung: Dürer-Verlag, Buenos Aires 1987
Faksimile-Verlag • Postfach 66 01 80 • D-2800 Bremen 66
Geleitwort
W
ährend des Ostfeldzuges im Zweiten Weltkrieg stieß ein Freiwilliger der spanischen Blauen Division auf ein Bauernhaus tief in Rußland. Er fand dort die Leiche des langjährigen NKWD-Arztes Dr. Josef Landowsky und bei ihr eine Anzahl dicht beschriebener Hefte. Diese Aufzeichnungen wurden 1950, ins Spanische übersetzt, von Mauricio Carlavilla in Madrid unter dem Titel "Sinfonia en Rojo Mayor" im Verlag NOS herausgegeben. Das Buch wurde nach seinem Erscheinen, das alarmierende Wirkungen auslöste, sofort von gewissen Kräften eilfertig aufgekauft. Sein sensationelles Kernstück ist das Protokoll über die Vernehmung des ehemaligen sowjetischen Botschafters in Paris, Kristjan Jurjewitsch Rakowskij. Dieser, ein alter Bolschewist trotzkistischer Prägung, wurde im Rahmen der großen "Tschistka", der auch Tuchatschewskij, Gamarnik, Jakir u. a. zum Opfer fielen, verhaftet, jedoch eigenartigerweise nicht "liquidiert". Warum? Auch das könnte sich aus der aufmerksamen Lektüre dieses Protokolls ergeben. Der Leser sollte auch schwerer verständliche Stellen nicht überfliegen, sondern sich diese gewissenhaft erarbeiten. Auch täte er gut, die Darstellung mit den realen Geschehnissen immer wieder zu vergleichen. Die Mühe lohnt sich, und nur so wird man die ganze Ungeheuerlichkeit dieser Aufzeichnungen begreifen können.
Kristjan Jurjewitsch Rakowskij - Sowjetbotschafter in Paris Vernehmung durch den Beamten der GPU Gabriel G. Kuzmin am 26.1.1938 in Moskau
Kuz.: Wie wir in der Ljubjanka übereinkamen, habe ich mich darum bemüht, für Sie eine letzte Chance zu erwirken; Ihre Anwesenheit hier beweist, daß ich dies erreicht habe. Wollen sehen, ob Sie uns täuschen werden. Rak.: Ich wünsche und hoffe, daß nicht. Kuz.: Aber vorher einen Rat von Mann zu Mann: Hier handelt es sich jetzt um die reine Wahrheit. Nicht um die "Prozeß-Wahrheit", wie sie im Prozeß im Licht der Geständnisse der anderen Angeklagten erscheinen muß und sich, wie Sie wissen, völlig der politischen Notwendigkeit, der "Staatsraison", wie man im Westen sagt, unterzuordnen hat. Die Notwendigkeiten der internationalen Politik lassen uns die ganze Wahrheit, die "wahre Wahrheit", geheimhalten. Ganz gleich, wie der Prozeß verläuft, die Völker und Menschen werden das erfahren, was sie erfahren sollen - einer aber muß alles wissen: Stalin. Ihre Worte hier, seien sie wie sie wollen, können Ihre Lage nicht verschlimmern. Diese läßt ohnehin, wie Sie wissen, keine Verschlimmerung zu. Sie können sich nur zu Ihren Gunsten auswirken. Sie können Ihr in diesem Augenblick schon verlorenes Leben zurückgewinnen. So - nun wollen wir sehen: ihr alle werdet also bekennen, daß ihr Spione Hitlers im Solde der Gestapo und des O.K.W. seid, nicht wahr? Rak.: Ja! Kuz.: Und ihr seid Spione Hitlers? Rak.: Ja! Kuz.: Nein, Rakowskij, nein! Sagen Sie die Wahrheit, nicht die Prozeßwahrheit! Rak.: Wir sind keine Spione Hitlers, wir hassen Hitler so, wie Sie
Kristjan Jurjewitsch Rakowskij - Sowjetbotschafter in Paris
ihn hassen, so wie Stalin ihn hassen kann, vielleicht noch mehr. Aber die Sache ist sehr kompliziert. Kuz.: Ich werde Ihnen helfen. Vielleicht weiß ich auch etwas. Ihr Trotzkisten habt Kontakt mit dem Deutschen Generalstab aufgenommen, nicht war? Rak.: Ja! Kuz.: Seit wann? Rak.: Das genaue Datum weiß ich nicht, aber bald nach dem Sturze Trotzkijs, lange bevor Hitler an die Macht kam. Kuz.: Dann sind Sie also nicht Spione von Hitler persönlich oder von seinem Regime? Rak.: Richtig. Wir waren es schon vorher. Kuz.: Und mit welcher Absicht? Etwa um ihm einen Sieg und einige russische Gebiete für Deutschland zu schenken? Rak.: Nein, keinesfalls. Kuz.: Dann also als gemeine Spione, für Geld? Rak.: Für Geld? Wir haben keine Mark von Deutschland bekommen. Hitler hat nicht entfernt genug Geld, um beispielsweise einen Volkskommissar für innere Angelegenheiten der Sowjetunion zu kaufen, hat doch dieser zu seiner freien Verfügung ein Budget, das größer ist als die Vermögen der Ford, Morgan und Vanderbilt zusammen, ohne auch nur darüber Rechenschaft geben zu müssen. Kuz.: Also - aus welchem Grunde dann? Rak.: Darf ich ganz frei sprechen? Kuz.: Ich bitte Sie darum, dazu habe ich Sie ja aufgefordert. Rak.: Hatte nicht auch Lenin einen höheren Grund, die Hilfe Deutschlands anzunehmen, damit er nach Rußland gelangen konnte? Muß man die Verleumdungen gelten lassen, die dann gegen ihn geschleudert wurden? Nannte man nicht auch ihn einen Spion des Kaisers? Seine Verbindung zum Kaiser und das deutsche Eingreifen, damit die Bolschewisten als Anstifter der Niederlage nach Rußland gelangten, sind doch offensichtlich.
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Protokoll der GPU-Vernehmung am 26.1.1938 in Moskau
Kuz.: Ob das richtig oder falsch ist, gehört nicht zur Sache. Rak.: Nein, erlauben Sie mir, dies abzuschließen. Steht nicht fest, daß Lenins Handlungsweise dem deutschen Staate zu gute kam? Gestatten Sie: Hier ist der Friede von Brest-Litowsk, in dem gewaltige Gebiete der Sowjet-Union an Deutschland abgetreten wurden. Wer hat das Herbeiführen der Niederlage als bolschewistische Waffe schon 1913 proklamiert? Lenin, - ich weiß die Worte seinen Briefes an Gorkij auswendig: "Der Krieg zwischen Österreich und Rußland würde für die Revolution sehr nützlich sein, aber es ist nicht sehr wahrscheinlich, daß Franz Josef und Nikita uns diese Gelegenheit bieten." Sie sehen: Wir, die sogenannten Trotzkisten, die die Herbeiführung der Niederlage im Jahre 1905 erfanden, zu welcher Methode sich dann Lenin 1913 bekennt, wir verfolgen jetzt noch diese Taktik, die Taktik Lenins ... Kuz.: Mit dem kleinen Unterschied, Rakowskij, daß heute in der Sowjetunion der Sozialismus und nicht ein Zar herrscht. Rak.: Glauben Sie an das Bestehen des Sozialismus in der Sowjetunion? Kuz.: Ist denn die Sowjetunion nicht sozialistisch? Rak.: Für mich nur dem Namen nach. Hier liegt der wahre Grund der Opposition. Gestehen Sie mir zu - und der reinen Logik nach müssen Sie es mir zugestehen -, daß wir theoretisch, der Vernunft nach, das gleiche Recht haben, "Nein" zu sagen, wie Stalin es hat "Ja" zu sagen? Und wenn der Sieg des Kommunismus es rechtfertigt, daß man die Niederlage herbeiführe, so hat, wer den Kommunismus durch Stalins Bonapartismus für verraten und verkauft hält, ebensoviel Recht, die Niederlage herbeizuführen, wie Lenin es hatte. Kuz.: Ich glaube, Rakowskij, daß Ihr großer Stil als Dialektiker Sie zum Theoretisieren verleitet. In der Öffentlichkeit würde ich Ihnen widersprechen, das ist klar; gut, ich erkenne Ihr Argument an, das einzig mögliche in Ihrer Lage, obwohl ich glaube, ich könnte Ihnen beweisen, daß es nur ein Sophisma ist. Doch das zu anderer Zeit, wir
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Kristjan Jurjewitsch Rakowskij - Sowjetbotschafter in Paris
werden noch eine Gelegenheit haben, und ich hoffe, daß Sie mir die Revanche gestatten werden. Im Augenblick nur soviel: wenn Ihr Herbeiführen der Niederlage und die Niederlage der Sowjetunion selbst nur den Zweck hat, den Sozialismus, den wirklichen Sozialismus, also nach Ihnen den Trotzkismus, durchzusetzen, so ist in dem Augenblick eine solche Niederlage ziel- und zwecklos, wo doch alle Ihre Führer und Kadres so konsequent liquidiert würden, wie wir es getan haben. Die Niederlage würde nur die Thronerhebung eines "Führers" oder eines faschistischen Zaren zur Folge haben, nicht war? Rak.: In der Tat, Ihr Schluß ist richtig. Kuz.: Nun, wie ich glaube, beweist das deutlich, daß wir schon viel erreicht haben. Ich, der Stalinist, und Sie, der Trotzkist, haben das Unmögliche möglich gemacht und sind zu einem Punkt gelangt, in dem wir übereinstimmen. Wir stimmen darin überein, daß heute die Sowjetunion nicht besiegt werden darf. Rak.: Ich bekenne, daß Ich nicht geglaubt hatte, mich so einem intelligenten Manne gegenüber zu sehen. In der Tat, für jetzt und noch für viele Jahre dürfen wir die Niederlage der Sowjetunion weder wünschen noch herbeiführen, denn heute - soviel ist sicher - wären wir gar nicht in der Lage, sie für eine Machtergreifung auszunutzen. Wir Kommunisten hätten keinen Vorteil davon. So ist die Lage wirklich, ich stimme darin mit Ihnen überein. Die Zerstörung des stalinistischen Staates kann uns heute nicht bewegen. Ich sage das, indem ich noch einmal betone, daß dieser Staat am allermeisten antikommunistisch ist. Sie sehen, ich bin offen. Kuz.: Ich erkenne es, und das ist auch der einzige Weg, damit wir uns verstehen. Ich bitte Sie jedoch noch um eine Erklärung für etwas, was ich als einen Widerspruch in sich empfinde: Wenn für Sie der sowjetische Staat der am meisten antikommunistische ist - warum wünschen Sie heute nicht seine Zerstörung? Ein anderer wäre doch weniger antikommunistisch, also ein geringeres Hindernis, damit Sie Ihren reinen Kommunismus einführen könnten ...
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Protokoll der GPU-Vernehmung am 26.1.1938 in Moskau
Rak.: Nein, das ist eine allzu vereinfachte Deduktion. Auch wenn Stalins Bonapartismus dem Kommunismus so entgegengesetzt ist wie Napoleon der Revolution, ist es augenfällig, daß die Sowjetunion doch weiter eine kommunistische Lehre und Form hat; sie hat einen formalen, keinen realen Kommunismus. Und wie das Verschwinden Trotzkijs es Stalin erlaubte, automatisch den realen in den formalen Kommunismus zu verwandeln, so wird das Verschwinden Stalins uns erlauben, seinen formalen in einen realen Kommunismus zu verwandeln. Eine Stunde würde uns genügen. Haben Sie mich verstanden? Kuz.: Ja, natürlich. Sie haben uns eine klassische Wahrheit gesagt, nämlich daß niemand zerstört, was er zu erben wünscht. Nun gut, das alles ist ein sophistisches Gespinst. Es gründet sich auf eine Annahme, die von den Tatsachen widerlegt wird, nämlich auf Stalins Antikommunismus. Gibt es Privateigentum in der Sowjetunion? Gibt es persönlichen Mehrwert? Gibt es Klassen? Ich will nicht mehr Tatsachen anführen - wozu auch? Rak.: Ich habe Ihnen das Bestehen eines Formalkommunismus ja zugestanden. Alles, was Sie anführen, sind hohle Formen. Kuz.: So? Und zu welchem Zweck? Etwa aus bloßer Laune? Rak.: Nein, es ist eine Notwendigkeit! Es ist nicht möglich, die materialistische Entwicklung der Geschichte aufzuhalten, um so weniger, je mehr man sie zu bremsen wünscht. Und mit welchen Kosten! Auf Kosten dessen, daß man sie in der Theorie annehmen muß, um sie in der Praxis zu hintertreiben. So unbesiegbar ist die Kraft, die die Menschheit zum Kommunismus drängt, daß nur sie es vermag, gegen sich selbst gekehrt, die Schnelligkeit der Entwicklung, genauer gesagt das Fortschreiten der permanenten Revolution, aufzuhalten. Kuz.: Ein Fall? Rak.: Hitler. Das ist der offensichtlichste Fall. Er benötigte den Sozialismus, um den Sozialismus zu besiegen. Daher sein anti-
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Kristjan Jurjewitsch Rakowskij - Sowjetbotschafter in Paris
sozialistischer Sozialismus - das nämlich ist der Nationalsozialismus. Stalin braucht einen Kommunismus, um den Kommunismus zu besiegen. Daher sein antikommunistischer Kommunismus, denn das ist sein Nationalkommunismus. Die Parallele fällt in die Augen. Aber trotz des Antisozialismus' Hitlers und des Antikommunismus' Stalins, schaffen beide, gegen ihren Willen, doch Sozialismus und Kommunismus und viel mehr. Ob sie wollen oder nicht, ob sie es wissen oder nicht, bauen sie einen formalen Sozialismus und einen formalen Kommunismus, den wir, die Erben von Marx, schicksalhaft erben müssen. Kuz.: Beerben? Aber wer erbt denn? Die Liquidation des Trotzkismus ist restlos. Rak.: Auch wenn Sie das sagen, glaube ich es nicht, wie riesenhaft auch die "Säuberungen" sind - wir Kommunisten überleben sie doch. Nicht alle Kommunisten kann Stalin erfassen, wie lang auch die Arme seiner Ochrana sind. Kuz.: Rakowskij, ich bitte Sie, und notfalls befehle ich es Ihnen, sich verletzender Anspielungen zu enthalten. Mißbrauchen Sie nicht Ihre diplomatische Immunität! Rak.: Nanu, bin ich noch bevollmächtigter Minister? Botschafter? Von wem? Kuz.: Genau gesagt, von diesem u n e r r e i c h b a r e n T r o t z k i s m u s , wenn wir ihn so nennen wollen. Rak.: Vom Trotzkismus, auf den Sie anspielen, kann ich nicht bevollmächtigt sein; er hat mir seine Vertretung nicht übertragen, und ich haben sie mir nicht genommen. Sie haben sie mir gegeben. Kuz.: Ich fange an zu vertrauen. Ich notiere zu Ihren Gunsten, daß, als ich auf den Trotzkismus anspielte, Sie seine Existenz nicht bestritten haben. Das ist ein guter Anfang. Rak.: Wie sollte ich es bestreiten? Ich war es ja, der ihn erwähnt hat. Kuz.: Nachdem wir das Bestehen eines sehr besonderen Trotzkismus durch gegenseitiges Übereinkommen anerkannt haben,
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Protokoll der GPU-Vernehmung am 26.1.1938 in Moskau
wünsche ich, daß Sie mir einige Hinweise geben, um die angeführten Übereinstimmungen auszuwerten. Rak.: In der Tat, ich kann hinweisen auf das, was mir zur Sache zu gehören scheint, ohne versichern zu können, daß das immer genau der Gedankengang von "Jenen" ist. Kuz.: So habe ich es also zu erwägen. Rak.: Wir sind darin einig geworden, daß für jetzt die Opposition an Niederlagen oder dem Sturz von Stalin nicht interessiert sein kann, denn wir haben nicht die physische Möglichkeit, ihn zu ersetzen. Darin stimmen wir beide überein. Nur aber eine unbestrittene Tatsache: Der Potentiale Angreifer besteht. Da ist dieser große Nihilist Hitler, der die gefährliche Pistole der Wehrmacht gegen den ganzen Horizont richtet. Mit oder ohne unser Zutun - wird er gegen die Sowjetunion das Feuer eröffnen? Lassen Sie uns übereinkommen, daß das für uns die entscheidende Unbekannte ist. Halten Sie das Problem für richtig gestellt?!' Kuz.: Es ist richtig gestellt. Jedoch für mich gibt es dabei keine entscheidende Unbekannte. Ich halte den Angriff Hitlers auf die Sowjetunion für unbedingt sicher. Rak.: Warum? Kuz.: Einfach deswegen, weil der, der ihm Befehle gibt, es so anordnet. Hitler ist nur ein Kondottiere des internationalen Kapitalismus. Rak.: Ich gestehe die Existenz der Gefahr zu, aber von da bis zur Verkündung, daß ein Angriff Hitlers auf die Sowjetunion unbedingt sicher sei, klafft ein Abgrund. Kuz.: Den Angriff auf die Sowjetunion bestimmt schon das innerste Wesen des Faschismus selbst; außerdem drängen ihn dazu alle kapitalistischen Staaten, die ihn zu seiner Wiederaufrüstung ermächtigt haben sowie zur Besitzergreifung aller wirtschaftlichen und strategischen Basen dafür. Das ist zu augenfällig. Rak.: Sie vergessen etwas sehr Wichtiges: Die Wiederaufrüstung Hitlers und die Möglichkeiten und Straflosigkeiten, die ihm die Versailler Nationen bis jetzt gegeben haben, merken Sie wohl, haben
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Kristjan Jurjewitsch Rakowskij - Sowjetbotschafter in Paris
sie ihm in einer besonderen Zeit gegeben ... nämlich als die Opposition noch da war, als wir noch einen besiegten Stalin hätten beerben können. Halten Sie dies für ein zufälliges zeitliches Zusammenfallen? Kuz.: Ich sehe keine Verbindung zwischen der Tatsache, daß die Nationen von Versailles die deutsche Wiederaufrüstung gestattet haben, und dem Bestehen der Opposition. Die Tragweite des Hitlerismus ist in sich völlig klar und logisch. Der Angriff auf die Sowjetunion findet sich seit ältester Zeit in seinem Programm. Die Zerstörung des Kommunismus und die Ausdehnung nach Osten sind ein Dogma in "Mein Kampf", diesem Talmud des Nationalsozialismus. Und daß Ihre Politik der Niederlage diese bekannte Drohung hat benutzen wollen, ist angesichts Ihrer Gesinnung natürlich. Rak.: Ja, auf den ersten Blick erscheint das alles logisch und natürlich, aber allzu logisch und natürlich, als daß es stimmen könnte. Kuz.: Damit es nicht so wäre, damit uns Hitler nicht angreift, müßten wir auf das Bündnis mit Frankreich vertrauen ... und das wäre gewiß geistvoll. Das wäre so dumm, als wollte man darauf vertrauen, daß der Kapitalismus sich opfern sollte zur Rettung des Kommunismus. Rak.: Wenn man ohne größere politische Kenntnisse als diejenigen einer Massenversammlung diskutiert, haben Sie ganz recht. Aber wenn das Ihr Ernst ist - entschuldigen Sie, dann bin ich enttäuscht. Ich hielt die politische Bildung der berühmten Polizei Stalins für höher stehend. Kuz.: Der Angriff des Hitlerismus auf die Sowjetunion ist außerdem eine dialektische Notwendigkeit; es heißt soviel, wie den schicksalhaften Klassenkampf auf die internationale Ebene zu erheben. Bei Hitler wird notwendigerweise die ganze kapitalistische Welt stehen. Rak.: So, angesichts Ihrer scholastischen Dialektik, bilde ich mir eine noch armseligere Vorstellung von der politischen Bildung des
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Protokoll der GPU-Vernehmung am 26.1.1938 in Moskau
Stalinismus. Ich höre Sie sprechen, wie etwa Einstein einen Gymnasiasten über die vierdimensionale Physik sprechen hören würde. Ich sehe, daß Sie vom Marxismus nur seine Elementarien kennen, das Demagogische und Populäre. Kuz.: Falls es nicht zu lang und zu dunkel sein sollte, bitte ich Sie, mir etwas von dieser "Relativität" und "Quantentheorie" des Marxismus zu enthüllen. Rak.: Keine Ironie! Ich spreche getragen von einem besseren Wunsche. In diesem gleichen Elementar-Marxismus, den man Ihnen noch auf Stalins Universitäten beibringt, können Sie einen Grund finden, die Ihrer These über die Gewißheit des Angriffes Hitlers auf die Sowjetunion widerspricht. Man lehrt ja immer noch als Eckstein des Marxismus, daß der innere Widerspruch die unheilbare und tödliche Krankheit des Kapitalismus ist - oder nicht? Kuz.: Das stimmt. Rak.: Und wenn das so ist, wenn der Kapitalismus am dauernden Inneren Widerspruch auf wirtschaftlichem Gebiet leidet? Das wirtschaftliche und das politische Gebiet sind keine Einheiten in sich, es sind Zustände oder Dimensionen der sozialen Einheit, und die inneren Widersprüche entstehen auf dem sozialen Gebiet und wirken sich aus auf wirtschaftlichem oder politischem Gebiet oder, je nach dem, auch auf beiden. Es wäre absurd, Fehlbarkeit auf wirtschaftlichem Gebiet, aber Unfehlbarkeit auf politischem Gebiet annehmen zu wollen, etwa als Voraussetzung dafür, daß sich Ihre These vom Angriff auf die Sowjetunion bestätigt. Kuz.: So bauen Sie in allem auf den inneren Widerspruch, die Schicksalhaftigkeit, den unvermeidlichen Irrtum, denen die Bourgeoisie unterliegen muß, sollte der Angriff Hitlers auf die Sowjetunion vermieden werden. Ich bin Marxist, Rakowskij, aber hier unter uns, und ohne irgend einen Kämpfer beleidigen zu wollen, sage ich Ihnen, daß ich bei all meinem Glauben an Marx doch die Existenz der Sowjetunion nicht einem Irrtum ihrer Feinde zuschreiben möchte und Stalin wohl auch nicht.
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Kristjan Jurjewitsch Rakowskij - Sowjetbotschafter in Paris
Rak.: Ich aber doch ... Nein, sehen Sie mich nicht so an, ich mache weder Scherze, noch bin ich verrückt. Kuz.: Gestatten Sie mir wenigstens meine Zweifel zu hegen, solange Sie mir nicht Ihre Behauptung beweisen können. Rak.: Sehen Sie, wie recht ich hatte, Ihre marxistische Bildung für mittelmäßig zu halten? Ihre Gründe und Reaktionen sind doch diejenigen eines Kämpfers aus Reih und Glied. Kuz.: Und sind sie nicht wahr? Rak.: Ja, wahr für den kleinen Zellenobmann, den Bürokraten und die Masse. Angebracht für die Leute, die in Reih und Glied kämpfen ... Die müssen das glauben und buchstäblich wiederholen ... Hören Sie mich vertraulich - es geht mit dem Marxismus wie mit den antiken esoterischen Religionen; ihre Gläubigen mußten auch nur das Elementare, ja das Grobe kennen, wenn man den Glauben erwecken wollte, der etwas absolut Notwendiges ist, in der Religion wie in der Revolution. Kuz.: Werden Sie mir nicht jetzt einen mysteriösen Marxismus enthüllen wollen, etwas wie eine neue Freimaurerei? Rak.: Nein, nichts von Esoterik. Im Gegenteil - ich werde es Ihnen mit der Klarheit des hellen Mittags zeigen. Der Marxismus, noch ehe er ein philosophisches System, ein System der Wirtschaft oder Politik ist, ist eine Verschwörung für die Revolution. Und da die Revolution für uns die einzige absolute Wirklichkeit ist, so sind Philosophie, Wirtschaft und Politik nur insoweit Wahrheit, als sie zur Revolution führen. Die innere, sagen wir die subjektive Wahrheit in der Philosophie, Wirtschaft, Politik und auch in der Moral besteht überhaupt nicht, sie kann nur Wahrheit oder Irrtum im Sinne wissenschaftlicher Abstraktion sein. Diese aber ist für uns der Dialektik der Revolution untergeordnet - der einzigen Wirklichkeit und darum der einzigen Wahrheit, und darum muß sie es auch für jeden echten Revolutionär, also auch für Marx, sein und sich also auch so auswirken. Erinnern Sie sich jenes Satzes von Lenin, als jemand ihm entgegenhielt, daß seine Absicht der Wirklichkeit entgegen-
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stände? "Ich spüre es durch die Wirklichkeit" sagte er. Glauben Sie, daß Lenin eine Albernheit gesagt hat? Nein, für ihn war jede Wirklichkeit relativ gegenüber der einen und absoluten: der Revolution. Marx war genial. Wenn sein Werk nur eine gründliche Kritik des Kapitals wäre, so stellte es schon eine wissenschaftliche Leistung ohnegleichen dar; aber wo es die Kategorie der Meisterwerke erreicht, da wird es zur ironischen Schöpfung: "Der Kommunismus muß triumphieren, weil sein Feind, das Kapital, ihm den Triumph verschafft." Das ist die Leitthese von Marx. Gibt es eine größere Ironie? Damit man ihm glaubte, genügte es, den Kapitalismus und den Kommunismus zu entpersönlichen, das menschliche Wesen in ein rationales Wesen zu verwandeln wie ein wunderbarer Taschenspieler. Das war sein geniales Hilfsmittel, um den Kapitalisten, die die Wirklichkeit des Kapitals darstellen, zu sagen, daß der Kommunismus durch ihre angeborene Idiotie triumphieren würde. Denn ohne die dauernde Idiotie des 'homo oeconomicus' kann es in ihm nicht den von Marx proklamierten dauernden inneren Widerspruch geben. Zu erreichen, daß der 'homo sapiens' sich in den 'homo stultus' verwandelt, heißt eine magische Macht zu besitzen, heißt fähig zu sein zu bewirken, daß der Mensch auf der zoologischen Leiter wieder bis zur untersten Stufe herabsteigt, nämlich zur Bestie. Nur weil die Existenz des 'homo stultus' in dieser Epoche der Höhe des Kapitalismus gegeben ist, kann Marx seine axiomatische Gleichung formulieren: Innerer Widerspruch + Zeit = Kommunismus. Glauben Sie mir, wenn wir Eingeweihten ein Bild von Marx sehen, selbst wenn es sich hier über dem Haupteingang der Lubjanka brüstet, können wir einen inneren Lachanfall nicht unterdrücken - wir sehen ihn hinter seinem Bartfußsack über die ganze Menschheit lachen. Kuz.: Sind Sie tatsächlich im Stande, sich über den wunderbarsten Gelehrten der Epoche lustig zu machen? Rak.: Ich mich lustig machen? Nein - das ist Bewunderung! Damit es Marx glücken konnte, so viele Männer der Wissenschaft zu
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täuschen, mußte er ihnen allen überlegen sein. Jetzt aber, um Marx in seiner ganzen Größe beurteilen zu können, müssen wir uns den wirklichen Marx anschauen, den Revolutionär, den Marx des kommunistischen Manifestes. Das heißt, Marx den Konspirator, denn während seines ganzen Lebens lebte die Revolution ja schon im Zustand der Konspiration. Nicht umsonst dankt ja die Revolution ihre Erfolge und endlichen Siege diesen Männern der konspirativen Arbeit. Kuz.: Leugnen Sie also den dialektischen Prozeß der inneren Widersprüche des Kapitalismus im Endtriumph des Kommunismus? Rak.: Seien Sie versichert, daß, wenn Marx geglaubt hätte, daß der Sieg des Kommunismus lediglich durch den inneren Widerspruch im Kapitalismus kommen würde, so hätte er den inneren Widerspruch gewiß nicht ein einziges Mal auf den Tausenden von Seiten seines wissenschaftlich-revolutionären Werkes erwähnt. Das wäre ein kategorischer Imperativ der wirklichen, nämlich revolutionären, nicht der wissenschaftlichen Natur von Marx gewesen. Ein Revolutionär, ein Konspirateur enthüllt doch niemals dem Gegner das Geheimnis seines Sieges. Er gibt ihm doch niemals Information - er gibt ihm "Desinformation", wie Sie es in der Gegenspionage zu tun pflegen. Nicht war? Kuz.: Damit kommen wir also nach Ihrer Darstellung zu dem Schluß, daß es keine Widersprüche im Kapitalismus gibt, und daß, wenn Marx auf solche hinweist, dies nur ein strategisch-revolutionäres Hilfsmittel ist. So ist es doch? Aber die kolossalen, dauernd zunehmenden Widersprüche im Kapitalismus sind doch vorhanden. Daraus also ergibt sich, daß Marx lügend die Wahrheit sagte. Rak.: Sie werden als Dialektiker gefährlich, wenn Sie den Zügel der scholastischen Dogmatik zerreißen und Ihrem eigenen Ingenium freie Bahn lassen. Es stimmt - Marx sagte lügend die Wahrheit. Er log, als er den Irrtum, den inneren Widerspruch als "Konstante" der Wirtschaftsgeschichte des Kapitals proklamierte und sie für "natürlich und schicksalhaft" erklärte; jetzt aber: er sagte die Wahrheit, denn er
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wußte bereits, daß die Widersprüche sich in steigendem Maße produzieren und vermehren würden bis zu ihrem Höhepunkt. Kuz.: Dann - jetzt werden Sie antithetisch. Rak.: Hier besteht keine Antithese. Marx täuscht aus taktischen Gründen über den Ursprung der Widersprüche im Kapitalismus, nicht über ihr augenfälliges Bestehen hinweg. Marx wußte, wie sie sich erzeugen, verschärfen und endlich die totale Anarchie der kapitalistischen Produktion als Einleitung zum Triumph der kommunistischen Revolution bewirken würden. Er wußte, daß sie sich ereignen würden, weil er diejenigen kannte, die sie p r o d u z i e r t e n . Kuz.: Es ist eine eigenartige Neuheit, jetzt zu entdecken, daß es nicht das Wesen und ihm eingeborene Gesetz des Kapitalismus ist, das ihn dazu bringt, sich "selbst zu töten", wie es mit einer glücklichen Formulierung, Marx bestätigend, ein bürgerlicher Wirtschaftswissenschaftler, Schmalenbach, ausgesprochen hat. Aber mich interessiert sehr, ob wir so zum Persönlichen kommen werden. Rak.: Haben Sie es noch nicht gespürt? Haben Sie nicht bemerkt, wie sich bei Marx Wort und Werk widersprechen? Er proklamiert die Notwendigkeit, ja Schicksalhaftigkeit des inneren Widerspruches im Kapitalismus und weist auf den Mehrwert und die Akkumulation des Kapitals hin. Er weist so auf eine echte Wirklichkeit hin. Der größeren Konzentration der Produktionsmittel - sagt er scharfsinnig - entspricht die größere proletarische Masse, die größere Kraft, um den Kommunismus durchzusetzen, nicht war? - Nur aber, zur gleichen Zeit, da er dies proklamiert, gründet er die Internationale. Und die Internationale ist im Klassenkampf des Tages "reformistisch", das heißt, eine Organisation, um den Mehrwert zu begrenzen, und, wenn möglich, zu beseitigen. Daher ist objektiv die Internationale nach der Theorie von Marx eine kontrarevolutionäre, antikommunistische Organisation. Kuz.: Und das bedeutet, daß Marx ein Kontrarevolutionär, ein Antikommunist wäre? Rak.: Da sehen Sie, wie man eine bloße marxistische
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Elementarbildung ausbeuten kann. Die Internationale als kontrarevolutionär und antikommunistisch mit logischer und doktrinärer Klarheit zu bezeichnen, das bedeutet in den Tatsachen nur ihre sichtbare und sofortige Wirkung, in den Texten nur den Buchstaben zu sehen. Zu so absurden Ergebnissen kommt man, gerade weil sie einleuchtend zu sein scheinen, wenn man vergißt, daß Worte und Taten im Marxismus den strengen Regeln der höheren Wissenschaft untergeordnet sind: den Regeln der Konspiration und der Revolution, Kuz.: Werden wir endlich zu einem endgültigen Schluß kommen? Rak.: Gleich. Wenn der Klassenkampf auf wirtschaftlichem Gebiet in seiner nächsten Wirkung reformistisch und daher den ersten theoretischen Voraussetzungen für den Durchbruch des Kommunismus entgegengesetzt ist, so ist er in seiner echten und wirklichen Bedeutung rein revolutionär. Aber, wie ich noch einmal wiederhole, untergeordnet den Regeln der Konspiration, das heißt der Verschweigung und Verbergung seines wahren Zieles. Die Beschränkung des Mehrwertes und damit der Akkumulation auf Grund des Klassenkampfes ist nur der Schein, eine Art Spiegelfechterei, um die erste revolutionäre Bewegung der Masse auszulösen. Der Streik ist schon ein Versuch zur revolutionären Mobilmachung. Unabhängig davon, ob er gelingt oder scheitert, ist seine wirtschaftliche Wirkung anarchisch. Endlich ist dieses Mittel zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage einer Klasse in sich schon eine Verarmung der allgemeinen Wirtschaft; ganz gleich wie Umfang und Ergebnis eines Streikes sind, ist er immer ein Aderlaß an der Produktion. Allgemeines Ergebnis: mehr Elend, aus dem sich die Arbeiterklasse nicht befreit. Das ist schon etwas. Aber das ist nicht die einzige Wirkung, nicht einmal die Hauptwirkung. Wie wir wissen, ist das einzige Ziel des Klassenkampfes auf wirtschaftlichem Gebiet, mehr zu verdienen und weniger zu arbeiten. Ins Wirtschaftliche übersetzt: mehr zu verbrauchen und weniger zu erzeugen. Ein so absurdes Wirtschaftsverfahren - nach unserem Lexikon ein solcher
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"innerer Widerspruch" -, unbemerkt von den Massen, die im Augenblick durch eine Lohnerhöhung verblendet sind, wird automatisch durch eine Preiserhöhung ausgeglichen, selbst dann, wenn diese mit staatlichem Zwang eingeschränkt wird; der Widerspruch, mehr verbrauchen als erzeugen zu wollen, wird durch einen anderen ausgeglichen: die Geldinflation. Und so ruft man diesen circulos vitiosus von Streik, Hunger, Inflation, Hunger immer wieder hervor. Kuz.: Außer, wenn der Streik auf Kosten des Mehrwertes vom Kapitalismus stattfindet. Rak.: Theorie, reine Theorie! Unter uns gesagt, nehmen Sie irgendein Wirtschaftsjahrbuch irgendeines Landes und teilen Sie den Ertrag unter die Lohnempfänger und Sie werden sehen, was für ein "außerordentlicher" Quotient dabei herauskommt. Dieser Quotient ist das Konterrevolutionärste der Welt, und wir müssen ihn als größtes Geheimnis hüten. Denn wenn wir von der theoretischen Dividende die Löhne und die Direktionskosten, die ja durch die Beseitigung des Eigentümers erforderlich werden, abziehen, so bleibt fast immer eine passive Dividende für die Proletarier. Mehr noch, wenn wir die Verminderung des Produktionsvolumens und das Absinken der Qualität einsetzen. Wie Sie sehen, ist die Behauptung, daß der Streik ein Kampf für das unmittelbare Wohlsein des Proletariats sei, nur ein Vorwand, ein notwendiger Vorwand, um es zur Sabotage an der kapitalistischen Produktion zu treiben. Dadurch vereint man die Widersprüche des bürgerlichen und des proletarischen Systems und schafft eine doppelte Waffe der Revolution. Es liegt auf der Hand, daß dies nicht von selbst eintreten kann, denn es besteht eine Organisation, Führer, Disziplin und vor allem keine Dummheit. Könnten Sie nicht den Verdacht hegen, daß die berühmten inneren Widersprüche des Kapitalismus, besonders der Finanz, auch von jemandem o r g a n i s i e r t sein könnten? Als Grundlage der Einführung erinnere ich Sie daran, daß die proletarische Internationale bei der Auslösung von Inflation mit der Finanz-Internationale übereinstimmt. Und wo es
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Übereinstimmung gibt, kann es sich auch um ein Abkommen handeln. Das sind Ihre eigenen Worte. Kuz.: Ich sehe einen so enormen Widersinn oder den Versuch, ein neues Paradoxon zu entwickeln, daß ich es mir nicht einmal vorstellen könnte. Es scheint, als wollten Sie das Bestehen einer Art kapitalistischen I n t e r n a t i o n a l e , einer anderen, nur entgegengesetzten Komintern behaupten. Rak.: Ganz richtig. Als ich Finanz-Internationale sagte, personifizierte ich sie genau so, wie wenn man Komintern sagt, aber mit der Anerkennung einer "Kapintern" sage ich nicht, daß sie die Feindin ... Kuz.: Wenn Sie wollen, daß wir die Zeit mit Spitzfindigkeiten und Phantasien vertun, so haben Sie dafür einen schlechten Augenblick gewählt. Rak.: Glauben Sie vielleicht, ich sei die Lieblingssklavin aus "Tausend und einer Nacht", die Abend für Abend ihre Einbildungskraft verschwendet, um ihr Leben zu retten? Nein, wenn Sie glauben, daß ich abschweife, irren Sie. Um aber dahinzukommen, wohin zu gelangen wir uns vorgenommen haben, muß ich Ihnen vorher Klarheit über wichtige Dinge verschaffen angesichts Ihrer völligen Unkenntnis auf dem Gebiet des "höheren Marxismus". Ich kann von einer solchen Klarstellung nicht absehen, denn ich weiß wohl, daß im Kreml die gleiche Unbildung herrscht. Sagen Sie mir, ob ich fortfahren soll. Kuz.: Sie können fortfahren, aber ich sage Ihnen offen: wenn alles nur auf eine phantasievolle Unterhaltung hinausläuft, wird Ihr Vergnügen einen sehr bösen Epilog haben. Sie sind gewarnt. Rak.: Ich fahre fort, als hätte ich nichts gehört. Da Sie ein Scholastiker des "Kapitals" sind und ich Ihre induktiven Begabungen erwecken möchte, werde ich Sie an etwas Besonderes erinnern. Beachten Sie, mit welcher Geistesschärfe Marx gegenüber dem rudimentären Industrialismus Englands in seiner Zeit den ganzen zukünftigen riesenhaften Industrialismus ausmalt, wie er
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ihn analysiert und geißelt, wie abstoßend er den Industriellen malt. Die Phantasie von Ihnen wie von den Massen, wenn sie sich die menschliche Verkörperung des ungeheuerlichen "Kapitals" vor Augen hält, sieht sie so, wie sie Marx gemalt hat: ein dickbäuchiger Industrieller, Brasilzigarre im Maul, friedend rülpsend und die Frau oder Tochter des Arbeiters verführend. Ist es nicht so? Andererseits erinnern Sie sich an die Mäßigung von Marx und seine bürgerliche Bravheit, wenn er die Währungsfrage darstellt. Im Gelde erscheinen seine berühmten inneren Widersprüche nicht. Die Finanz, als Einheit in sich, besteht für ihn nicht, und der Handel und Geldumlauf sind für ihn Folge des bösen kapitalistischen Produktionssystems, dem sie völlig untergeordnet und von dem sie bestimmt sind. In der Geldfrage erscheint Marx als Reaktionär, und das war er, zur größten Überraschung, obwohl er jenen fünfzackigen Stern - gleich dem Sowjetstern - vor Augen hatte, der ganz Europa mit seinem Glanz erfüllte: die fünf Brüder Rothschild mit ihren Banken, die Herren über die größte Akkumulation des Kapitals, die die Welt bisher gesehen hatte. An dieser ungeheueren Tatsache, die die Einbildungskraft jener Zeit blendete, geht Marx unbemerkt vorüber. Das ist doch sonderbar nicht? Vielleicht ergibt sich aus dieser besonderen Blindheit von Marx ein gemeinsames Phänomen in den Revolutionen der letzten Zeit. Wir alle können beweisen, daß, wenn die Massen sich einer Stadt oder Nation bemächtigen, sie immer eine fast abergläubische Furcht vor Banken und Bankiers zeigen. Sie haben Könige, Generale, Bischöfe, Polizisten, Priester und andere Vertreter der gehaßten Vorrechte umgebracht, haben Kirchen, Paläste und sogar Stätten der Wissenschaft geplündert und in Brand gesetzt, aber als wirtschaftlichsoziale Revolutionäre haben sie das Leben der Bankiers respektiert und die prächtigen Bankgebäude unverletzt gelassen. Nach meinen Aufzeichnungen bis zu meiner Verhaftung wiederholt sich heute das Gleiche ... Kuz.: Wo? Rak.: In Spanien. Wissen Sie das nicht? Und jetzt sagen Sie mir:
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kommt Ihnen das alles nicht ganz außergewöhnlich vor? Ich weiß nicht, ob Sie die sonderbare Ähnlichkeit von Internationaler Finanz und Internationalem Proletariat bemerkt haben. Man könnte sagen, daß das eine ein Spiegelbild des anderen ist, und wenn es ein Spiegelbild ist, dann ist es das Proletariat, denn es ist moderner als die Finanz. Kuz.: Wo sehen Sie eine Ähnlichkeit bei so entgegengesetzten Dingen? Rak.: Objektiv gesehen sind sie i d e n t i s c h . Ja, wie ich gezeigt habe, ist es die Komintern, unterstützt von den Reformisten und dem ganzen Gewerkschaftswesen, die die Anarchie der Produktion, die Inflation, das Elend und die Verzweiflung der Massen hervorruft, und die Internationale Finanz, bewußt oder unbewußt von der Privatfinanz unterstützt, schafft die gleichen Bedingungen, nur vervielfacht. Wir können uns schon die Gründe vorstellen, warum Marx die inneren Widersprüche der Finanz vertuschte, die seiner scharfsinnigen Beobachtung gar nicht verborgen bleiben konnten, wenn er in der Finanz einen Verbündeten gefunden hatte, dessen Handeln objektiv betrachtet revolutionär ist und damals schon von außerordentlicher Bedeutung war. Kuz.: Unbewußtes Zusammentreffen - kein Bündnis, das eine Verständigung, Willensübereinstimmung, Vertrag voraussetzen würde. Rak.: Wenn es Ihnen recht ist, vertagen wir diesen Aspekt. Jetzt ist es besser, zur subjektiven Analyse der Finanz überzugehen, oder besser, schauen wir uns die Persönlichkeit ihrer Vertreter an. Es ist genügsam bekannt, daß das Geld seinem Wesen nach international ist. Aus dieser Wirklichkeit ergibt sich, daß die Einheit, die es besitzt und sublimiert, kosmopolitisch ist. Die Finanz auf ihrem Gipfelpunkt, als Selbstzweck, die Internationale Finanz verneint die Nationalität und erkennt sie nicht an. Sie erkennt auch den Staat nicht an - daher ist sie, objektiv gesehen, anarchisch, und würde es restlos sein, wenn sie, die jeden nationalen Staat verneint, nicht notwendigerweise selbst ihrem Wesen nach ein Staat wäre. Der reine Staat ist nur noch Macht. Und
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das Geld ist reine Macht, das Geld ist Staat. Der kommunistische Überstaat, an dem wir seit einem Jahrhundert bauen und dessen Schema die Internationale von Marx ist, analysiert ihn und läßt sein Wesen erkennen. Der Entwurf, das Schema, die Internationale und ihr Prototyp, die Sowjetunion, sind auch reine Macht. Die wesenhafte Identität beider Schöpfungen ist vollkommen. Das ist etwas Schicksalhaftes; denn die Persönlichkeit ihrer Urheber war auch identisch: Finanzmann und Kommunist sind beide Internationalisten. Beide, mit verschiedenen Begründungen und verschiedenen Mitteln, bekämpfen den bürgerlichen Nationalstaat. Der Marxist, um ihn in den kommunistischen Überstaat einzugliedern, deshalb nämlich ist er Internationalist; der Finanzmann verneint den bürgerlichen Nationalstaat, und seine Verneinung scheint ihm Selbstzweck zu sein; eigentlich aber ist er kein Internationalist, sondern ein anarchischer Kosmopolit. Das ist sein Anschein heute - aber wir werden bald sehen, was er ist und will. Im Negativen, wie Sie sehen, gibt es eine individuelle Identität der internationalen Kommunisten und der kosmopolitischen Finanzmänner; als natürliche Folge besteht sie auch zwischen der kommunistischen Internationale und der FinanzInternationale. Kuz.: Zufällige subjektive Ähnlichkeit und objektiv in ihren Gegnern, die aber im Wurzelhaften und Wesenhaften zerbricht. Rak.: Erlauben Sie mir, jetzt nicht zu antworten, um die logische Ordnung nicht zu zerstören. Ich will nur das Grundaxiom unterstreichen; Geld ist Macht. Geld ist heute der Mittelpunkt der Gravitation in der Welt. Ich glaube, Sie stimmen damit überein? Kuz.: Fahren Sie fort, Rakowskij, ich bitte Sie. Rak.: Zu wissen, wie die Internationale der Finanz dazu kam, Herr des Geldes zu werden, dieses magischen Talismans, der bis in unsere Zeit für die Menschen in steigender Entwicklung das geworden ist, was einst Gott und Nation waren, das ist etwas, das an wissenschaftlichem Interesse sogar die Kunst der revolutionären Strategie übertrifft - denn es ist auch Kunst und auch Revolution. Ich werden es Ihnen auseinandersetzen.
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Als die Augen der Geschichtsschreiber und der Masse durch das Geschrei und den Erfolg der Französischen Revolution geblendet waren, das Volk trunken war vom Sieg, den König samt den Privilegierten und aller ihrer Macht gestürzt zu haben, da hatten sie nicht bemerkt, daß eine Handvoll Menschen, schweigsam, vorsichtig, unauffällig sich der wirklichen Macht des Königtums bemächtigt hatten, einer magischen, fast göttlichen Macht, die es besessen hatte, ohne es zu wissen. Die Massen bemerkten nicht, daß Fremde für sich diese Macht ergriffen hatten, die sie alsbald zu einer viel härteren Sklaverei als unter dem König zwingen würde, denn dieser war durch seine religiösen und moralischen Bindungen und seine Torheit gar nicht fähig gewesen, solche Macht zu gebrauchen. Daher kam es, daß sich der größten Macht des Königs solche Männer bemächtigten, deren moralische, intellektuelle und kosmopolitische Beschaffenheit es ihnen ermöglichte, sie zu handhaben. Natürlich waren es jene, die von Geburt keine Christen, wohl aber Kosmopoliten waren. Kuz.: Was kann diese mythische Macht sein, deren sie sich bemächtigen? Rak.: Sie nahmen das königliche Privileg, M ü n z e n z u p r ä g e n , an sich ... Lächeln Sie nicht, daß ich nicht glauben muß, Sie wüßten nicht, was die Münze wirklich ist. Ich bitte Sie, sich einmal in meine Lage zu versetzen. Meine Stellung Ihnen gegenüber gleicht der eines Arztes, der einem anderen, vor Pasteur aus dem Tode erweckten Arzt die Bakteriologie erklären sollte. Aber ich begreife Ihre Unkenntnis und entschuldige sie. Eine Sprache, die mit Worten jongliert, welche falsche Vorstellungen über Dinge und Taten erwecken, kann keine wirklichen, exakten Begriffe vermitteln. Ich habe die Münze genannt, - natürlich erschien vor Ihrem inneren Auge sofort die Gestalt der physischen Münze aus Metall oder Papier. Nicht doch! Das ist das Geld nicht! Die im Umlauf befindliche physische Münze ist ein richtiger Anachronismus. Wenn sie noch besteht und umläuft, so geschieht es durch einen Atavismus, nur weil es praktisch
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ist, eine Illusion, heute eine reine Fiktion der Phantasie, aufrechtzuhalten. Kuz.: Ein so brillantes Paradoxon ist kühn, beinahe poetisch! Rak.: Wenn Sie wollen, brillant, aber es ist kein Paradoxon, was ich da sage. Auch ich weiß - und das ließ Sie wohl lächeln - daß heute noch die Staaten auf Metallstücke oder Papier die Bilder ihrer Könige oder ihre Landeswappen prägen - doch was bedeutet das schon? Die große Menge des umlaufenden Geldes, das Geld der großen Transaktionen, die Vertretung des nationalen Reichtums, Münze, jawohl Münze haben jene Männer, auf die ich anspielte, auszugeben verhindert. Titel, Anweisungen, Schecks, Wechsel, Indossements, Diskont, Kurse, Zahlen und immer wieder Zahlen, das hat, wie ein entfesselter Wasserfall, die Völker überschwemmt. Was war demgegenüber das Metallgeld und das Papiergeld? "Jene" aber als sehr feine Psychologen kamen bei der Straflosigkeit der allgemeinen Unwissenheit zu viel mehr. Noch über die riesige Reihe des Finanzgeldes hinaus, um ihm einen Umfang bis zum Unendlichen zu geben und es mit der Schnelligkeit des Gedankens auszustatten, schufen sie das Kreditgeld ... eine Abstraktion, ein gedachtes Wesen, eine Ziffer ... Kredit, Glauben ... Verstehen Sie es schon? Betrug, falsches Geld mit gesetzlichem Kurs ... Mit anderen Worten, um mich besser verständlich zu machen, Banken und Börsen und das ganze Finanzsystem sind eine gigantische Maschine, um eine Ungeheuerlichkeit gegen die Natur zu begehen, wie Aristoteles es bezeichnet hat, nämlich das Geld wieder Geld erzeugen lassen, etwas, das einmal ein Verbrechen gegen die Wirtschaft, im Fall der Finanzleute auch ein Verbrechen gegen das Strafgesetzbuch ist, denn es ist Wucher. Ich weiß schon, was nun der Gegeneinwand sein wird, nämlich, daß sie einen gesetzlichen Zins beziehen. Auch wenn man dies zugesteht - und das heißt viel zugestehen - so bleibt der Wucher der gleiche; denn wenn der Zins, den sie nehmen, gesetzlich ist, so täuschen Sie fälschend ein gar nicht existierendes Kapital vor. Die
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Banken haben immer, geliehen oder in produktiver Bewegung, eine Menge Kreditgeld, Geld in Zahlen, die fünf- bis hundertmal größer ist als die Summe des ausgegebenen physischen Geldes. Ich will nicht von den Fällen sprechen, in denen das Kreditgeld - das fabrizierte Falschgeld! - das als Kapital eingezahlte Geld übertrifft. Wenn man aber berücksichtigt, daß nicht das wirkliche Kapital, sondern das nicht existente Kapital Zinsen bringt, dann muß der Zins um so viel mal unberechtigter sein als das wirkliche Kapital durch diese Fälschung vervielfacht ist ... Und berücksichtigen Sie bitte, daß das System, das ich darlege, noch das unschuldigste ist, um Falschgeld herzustellen. Stellen Sie sich, wenn Sie können, einige wenige Menschen vor mit einer unumschränkten Macht zum Besitz realer Güter, und es werden unumschränkte Diktatoren des Wertes im Umsatz sein, also Diktatoren der Erzeugung und Verteilung, und daher der Arbeit und des Verbrauches. Wenn Ihre Vorstellungskraft das gestattet, stellen Sie sich das im Weltmaßstab vor und Sie werden die auf sozialem und moralischem Gebiet anarchische, also revolutionäre Wirkung erkennen. Verstehen Sie nun? Kuz.: Nein, noch nicht. Rak.: Natürlich - es ist sehr schwer, Wunder zu verstehen. Kuz.: Wunder? Rak.: Ja, Wunder! Ist es kein Wunder, wenn sich eine Holzbank in eine Kathedrale verwandelt? Solch ein Wunder aber haben die Menschen im letzten Jahrhundert tausendmal erlebt, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Denn es ist ein staunenerregendes Wunder, daß die Bänke, an denen schmierige Wucherer saßen und mit ihrem Gelde handelten, zu Tempeln wurden, die ihre heidnischen Säulenfassaden an jeder Ecke der modernen Städte emporrecken und zu welchen die Menge eilt, besessen von einem Glauben, den nicht einmal die Himmlischen einzuflößen vermögen, um begeistert alle Reichtümer der Gottheit "Geld" darzubringen, von der sie meinen, sie throne im Stahlschrank des Bankiers, ihrer göttlichen Aufgabe
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hingegeben, sich bis ins Unendliche zu vermehren. Kuz.: Das ist die neue Religion der faulenden Bourgeoisie. Rak.: Gewiß, Religion. Die Religion der Macht! Kuz.: Also sind Sie ein Dichter der Wirtschaft. Rak.: Man braucht schon Poesie, um sich eine Idee von der Finanz, dem genialsten und revolutionärsten Kunstwerk aller Zeiten, zu machen. Kuz.: Das ist eine irrige Anschauung. Die Finanz, wie Marx und vor allem Engels sie definiert haben, wird bestimmt vom kapitalistischen Produktionssystem. Rak.: Stimmt, aber umgekehrt: das System der kapitalistischen Produktion wird bestimmt von der Finanz. Was Engels d a g e g e n sagt und sogar beweisen will, ist der überzeugendste Beweis d a f ü r , daß die Finanz über die bürgerliche Produktion herrscht. Weil das so ist, haben Engels und Marx die Finanz, die gewaltigste Maschine der Revolution - verglichen mit ihr ist die Komintern ein Kinderspielzeug -, nicht aufdecken und anklagen wollen. Im Gegenteil, unter Benutzung ihres wissenschaftlichen Talentes mußten sie noch einmal die Wahrheit im Interesse der Revolution "camouflieren". Und das haben beide getan. Kuz.: Die Geschichte ist nicht neu, so etwas, erinnere ich mich, hat Trotzkij schon vor zehn Jahren geschrieben ... Rak.: Sagen Sie mir ... Kuz.: ... als er proklamierte, die Kominform sei eine konservative Organisation verglichen mit der Börse von New York, und die großen Bankiers seien die "Schmiede der Revolution". Rak.: Ja, das sagte er in einem kleinen Buch, in dem er den Zusammenbruch von England voraussagte. Ja, so sagte er und fügte hinzu: "Wer drängt England auf den Weg der Revolution?" und er antwortete: "Nicht Moskau, sondern New York." Kuz.: Aber erinnern Sie sich, daß er auch behauptete, daß, wenn Finanzmänner von New York die Revolution vorbereiteten, es unbewußt geschähe?
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Rak.: Der Grund, den ich angegeben habe, warum Engels und Marx die Wahrheit camouflierten, gilt auch für Leon Trotzkij. Kuz.: Ich schätze an Trotzkij nur eine Anschauung mit einem gewissen literarischen Stil, eine schon reichlich bekannte Anschauung, mit der er sich dann begnügt hat, nach der, wie Trotzkij selbst sagt, diese Bankiers "erfüllen unwiderstehlich, unbewußt ihre revolutionäre Mission". Rak.: Und Sie erfüllen ihre Mission, obwohl Trotzkij auf sie mit Fingern zeigt? Sonderbar, daß sie sie nicht ändern! Kuz.: Die Finanzmänner sind unbewußte Revolutionäre, denn sie sind es nur objektiv wegen ihrer geistigen Unfähigkeit, die letzten Wirkungen zu sehen. Rak.: Glauben Sie das wirklich? Glauben Sie, daß diese wirklichen Genies unbewußt handeln? Halten Sie die Leute, denen heute die ganze Welt gehorcht, für ein paar Idioten? Das wäre ein erschreckender Widerspruch. Kuz.: Und was wollen Sie sagen? Rak.: Ganz einfach, ich behaupte, es sind objektiv und subjektiv Revolutionäre, völlig bewußt. Kuz.: Die Bankiers? Sind Sie verrückt geworden? Rak.: Ich nicht. Und Sie? Denken Sie einmal nach. Diese Männer sind Männer wie Sie und ich. Daß sie Geld besitzen, daß sie Gläubiger sind, kann nicht das Ende ihres Ehrgeizes darstellen. Wenn etwas in den Männern im unmittelbaren Verhältnis zu seiner Befriedigung wächst, so ist es der Ehrgeiz nach Macht. Warum sollten sie nicht den Trieb zur Herrschaft, zur totalen Herrschaft empfinden, diese Bankiers? Genauso wie Sie und ich. Kuz.: Aber wenn sie schon, wie Sie glauben - und ich tue das auch - schon die universelle Wirtschaftsmacht besitzen - was können sie sich denn noch wünschen? Rak.: Ich habe es schon gesagt: die totale Macht. Eine Macht wie diejenige Stalins über die Sowjetunion, aber universal.
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Kuz.: Eine Macht wie diejenige Stalins? Aber mit umgekehrtem Ziel. Rak.: Die Macht, wenn sie in Wirklichkeit absolut ist, kann nur eine sein. Der Gedanke des Absoluten schließt die Vielfalt aus. Insofern müssen die Macht, welche die "Kapintern" und die, welche die "Komintern" erstreben, um absolut und beide auf gleichem, nämlich politischem Gebiet wirksam zu werden, eine identische Macht sein. Absolute Macht ist Selbstzweck - oder sie ist nicht absolut. Und bis heute hat man keine Maschine von totalerer Macht als den kommunistischen Staat erfunden. Die bürgerlichkapitalistische Macht, auch in ihrem höchsten Grade, im cäsarischen, ist eine beschränkte Macht, denn als es sie theoretisch als Verkörperung der Gottheit bei Pharaonen und Caesaren im Altertum gab, da war das Wirtschaftsleben noch so primitiv und der technische Staatsapparat noch so rückständig, daß immer noch ein freier Raum für den Einzelmenschen verblieb. Begreifen Sie, daß diejenigen, die relativ schon über Völker und Regierungen der Erde herrschen, nun auch absolut herrschen wollen? Begreifen Sie, daß dies das einzige ist, was sie noch nicht erreicht haben ... Kuz.: Das ist interessant, mindestens als Fall von Verrücktheit. Rak.: Weniger verrückt jedenfalls als die Verrücktheit Lenins, der davon träumte, die Welt von einem Schweizer Dachzimmer aus zu beherrschen, oder von Stalin, der das Gleiche während seiner Verbannung in einer sibirischen Holzhütte geträumt hat. Mir erscheint ein solcher Ehrgeiz bei den Herren des Geldes von der Höhe eines New Yorker Wolkenkratzers aus viel natürlicher. Kuz.: Kommen wir zum Schluß. Wer sind "Jene"? Rak.: Glauben Sie denn, ich würde hier als Gefangener sein, wenn ich wüßte, wer sie sind? Kuz.: Warum? Rak.: Aus einem einfachen Grunde: wer "Jene" kennt, den versetzen sie nicht in eine Lage, wo er verpflichtet sein könnte, sie zu
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nennen. Das ist eine Elementarregel jeder intelligenten Konspiration, wie Sie ja auch wissen. Kuz.: Haben Sie nicht gesagt, daß sie Bankiers sind? Rak.: Ich nicht. Erinnern Sie sich, daß ich immer "Internationale Finanz" gesagt habe, und, wenn ich sie persönlich bezeichnen wollte, habe ich immer "Jene" und nie mehr gesagt. Wenn ich Sie informieren soll, werde ich immer nur Tatsachen, keine Namen nennen, weil ich diese nicht kenne. Ich glaube Sie nicht zu täuschen, wenn ich sage, daß "Jene" keine von den Männern sind, die als Inhaber von Ämtern in der Politik oder im Bankwesen der Welt auftauchen. Soviel ich verstanden habe, verwenden sie seit der Ermordung von Rathenau dem Rathenau von Rapallo - in Politik und Finanz nur noch Zwischenmänner. Natürlich Männer ihres vollen Vertrauens, von einer durch tausend Mittel garantierten Treue. So kann man sicher sein, daß die Bankiers und Politiker nur ihre "Strohmänner" sind - wie groß auch ihr Rang sein mag und wie sehr sie persönlich als Urheber der Ereignisse erscheinen. Kuz.: Obwohl das zugleich verständlich und logisch ist - könnte Ihre begründete Unkenntnis nicht vielleicht nur ein Versteckspielen von Ihnen sein? Nach meinem Eindruck und nach meinen Akten haben Sie eine zu große Rolle in dieser Verschwörung gespielt, um nicht mehr zu wissen. Ahnen Sie nicht vielleicht die Persönlichkeit von einem von "Jenen"? Rak.: Ja, aber vielleicht glauben Sie mir nicht. Ich bin dazu gekommen anzunehmen, daß es sich um einen Mann oder Männer mit einer - wie sage ich es? - mystischen Persönlichkeit handelt, um eine Art Gandhi, aber ohne seine Auffälligkeit, Mystiker der reinen Macht, ohne alle groben Zutaten. Ich weiß nicht, ob Sie mich verstehen. Also Namen und Adresse von "Jenen" weiß ich nicht. Stellen Sie sich vor, Stalin würde heute die Sowjetunion beherrschen, aber ohne Mauern und ohne seine Leibwache, mit nicht mehr Garantie für sein Leben als irgend ein Bürger. Was wäre sein Mittel, um sich vor Attentaten zu
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bewahren? Das Mittel jedes Konspirateurs, und wenn er noch so viel Macht hat: - Anonymität! Kuz.: Es ist Logik in allem, was Sie sagen. Aber ich glaube Ihnen nicht. Rak.: Also glauben Sie mir, ich weiß nichts! Wenn ich es gewußt hätte, wie glücklich würde ich heute sein! Ich säße nicht hier, mein Leben zu verteidigen! Ich verstehe Ihre Zweifel völlig und auch die Notwendigkeit, die Sie auf Grund Ihres polizeilichen Berufes empfinden, etwas Greifbares herauszubekommen. Ihnen zu Gefallen und auch, weil es für das Ziel, das wir beide verfolgen, nötig ist, werde ich das Mögliche tun, um sie zu orinetieren. Wissen Sie, daß die nicht geschriebene Geschichte, die nur wir kennen, uns als den Gründer der Ersten Internationale des Kommunismus - natürlich geheim Adam Weishaupt angibt? Erinnern Sie sich seines Namens? Er war der Führer des als " I l l u m i n a t e n " bekannten Freimaurerordens, dessen Namen er von der zweiten antichristlichen und kommunistischen Verschwörung des Zeitalters, der Gnostik, entlehnt hat. Als dieser große Revolutionär, Semit und Exjesuit, den Triumph der Französischen Revolution voraussah, entschloß er sich (oder wurde beauftragt - man nennt als seinen Chef den großen Philosophen Mendelsohn) eine Organisation zu schaffen, die geheim sein und die Französische Revolution über ihre politischen Ziele hinaus weitertreiben sollte, um sie in eine soziale Revolution zur Aufrichtung des Kommunismus zu verwandeln. In jenen heldischen Zeiten war es eine ungeheuere Gefahr, den Kommunismus auch nur als Ziel zu erwähnen. Daher alle die Vorsichtsmaßnahmen, Prüfungen und Mysterien, mit denen er das Illuminatentum umgeben mußte. Noch fehlte ein Jahrhundert, bis man sich ohne Gefahr von Gefängnis oder Hinrichtung öffentlich als Kommunist bekennen konnte. Was man nicht kennt, das ist die Verbindung von Weishaupt und seinen Anhängern zu dem ersten Rothschild. Das Geheimnis des
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ersten Ursprunges von dem Vermögen dieser berühmtesten Bankiers läßt sich damit erklären, daß sie die Schatzmeister der ersten Komintern waren. Es bestehen Anzeichen dafür, daß, als jene fünf Brüder sich in fünf Provinzen des Finanzreiches von Europa teilten, eine geheimnisvolle Macht ihnen half, dieses sagenhafte Vermögen anzusammeln. Es könnten jene ersten Kommunisten aus den Katakomben von Bayern gewesen sein, die über ganz Europa verstreut waren. Andere aber sagen, ich glaube mit größerem Recht, daß die Rothschild nicht die Schatzmeister, sondern die Führer jenes ersten geheimen Kommunisten waren. Diese Auffassung stützt sich auf die sichere Tatsache, daß Marx und die höchsten Führer der Ersten, nun schon öffentlichen Internationale, darunter Heine und Herzen, dem Baron Lionel Rothschild gehorchten, dessen revolutionäres Bild, von Disraeli, englischer Premier und ebenfalls eine seiner Kreaturen geschaffen, ihn uns in der Gestalt des Sidonia hinterließ, des Mannes, der als Multimillionär unzählige Spione, Carbonari, Freimaurer, Geheimjuden, Zigeuner, Revolutionäre usw. kannte und befehligte. Das erscheint alles phantastisch, aber es ist erwiesen, daß Sidonia das idealisierte Bild des Sohnes vom alten Nathan Rothschild darstellt, wie auch der Kampf beweist, den er gegen Zar Nikolai I. zugunsten von Herzen geführt hat - einen Kampf, den er gewann. Wenn alles wie ich glaube, Wirklichkeit ist, was man im Licht dieser Tatsachen erschließen kann, so könnten wir jetzt schon den Erfinder der gewaltigen Maschine der Akkumulation und der Anarchie, die die Internationale Finanz darstellt, beim Namen nennen; es wäre der gleiche, der die revolutionäre Internationale geschaffen hat. Etwas Geniales: mit dem Kapitalismus die Akkumulation des Kapitals in höchstem Maße zu schaffen, das Proletariat zur Arbeitseinstellung und in die Verzweiflung zu treiben, und zur gleichen Zeit die Organisation zu schaffen, die die Proletarier vereinigen sollte, um sie in die Revolution zu treiben. Das wäre das erhabenste Kapitel der Geschichte. Und mehr noch: Sie erinnern sich eines Satzes der Mutter der fünf Brüder Rothschild: "Wenn meine
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Söhne es nicht wollen, so gibt es keinen Krieg!" Das heißt, sie waren Schiedsrichter und Herren über Krieg und Frieden, nicht die Kaiser. Können Sie sich eine Tatsache von derartig kosmischer Bedeutung vorstellen? Sehen Sie hier nicht schon den Krieg in seiner revolutionären Funktion? Krieg-Kommune! Seit damals also war jeder Krieg ein Riesenschritt zum Kommunismus. Wie wenn eine geheimnisvolle Macht den Wunsch Lenins befriedigt hätte, den er zu Gorkij äußerte. Erinnern Sie sich - 1905-1914! Erkennen Sie zum mindesten an, daß zwei von den drei Hebeln, die die Welt zum Kommunismus erheben, vom Proletariat weder bedient sind noch es sein können. Die Kriege wurden weder hervorgerufen noch geführt von der Dritten Internationale noch von der Sowjetunion, die es damals noch gar nicht gab. Auch jene kleinen in der Verbannung schmachtenden Gruppen von Bolschewisten konnten sie weder hervorrufen, so sehr sie sie herbeiwünschten, noch gar führen. Das ist sonnenklar. Und noch weniger konnte noch kann die Internationale oder die Sowjetunion diese ungeheuere Akkumulation des Kapitals und nationale oder internationale Anarchie der kapitalistischen Produktion erreichen, einer Anarchie, die fähig ist, ungeheuere Mengen Lebensmittel zu verbrennen, statt sie den hungernden Menschen zu geben, fähig, nach jenem malerischen Satz, den Rathenau ausspie, "zu bewirken, daß die halbe Welt Mist produziert, und die andere halbe Welt ihn kaufen muß". Endlich kann es das Proletariat sich nicht gutschreiben, diese in geometrischer Progression fortschreitende Inflation, die Entwertung den dauernden Raub des Mehrwertes und des nichtfinanziellen Sparkapitals, des nicht wucherischen Kapitals, und damit das dauernde Absinken der Kaufkraft, was zur Proletarisierung des Mittelstandes, des eigentlichen Feindes der Revolution, führt ... Es ist also nicht das Proletariat, das den Hebel des Krieges und den Wirtschaftshebel führt. Er ist gewiß der dritte Hebel, der einzig sichtbare und auffällige, der den endgültigen Angriff auf die Festung des kapitalistischen Staates macht und sie nimmt. Gewiß, sie nimmt, wenn "Jene" sie ihm ausliefern.
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Kuz.: Ich sage wieder, daß alles dies, das Sie so literarisch darstellen, einen Namen hat, den wir schon zum Überdruß in unserer Unterhaltung, die zu keinem Ende kommt, erwähnt haben, nämlich "innerer Widerspruch des Kapitalismus", und wenn, wie Sie behaupten, es einen Willen und eine Aktion gibt, die dem Proletariat fremd sind, fordere ich Sie auf, mir konkret einen persönlichen Fall zu nennen. Rak.: Sind Sie mit einem einzigen zufrieden? - Nun "Jene" haben politisch den Zar für den russisch-japanischen Krieg isoliert, und die Vereinigten Staaten haben Japan finanziert, genauer gesagt, Jakob Schiff, Chef des Bankhauses Kuhn, Loeb & Co., Nachfolger - und größerer Nachfolger! - des Hauses Rothschild, aus dem Schiff hervorging. So groß war seine Macht, daß er durchsetzte, daß die in Asien Kolonien besitzenden Völker den Aufstieg des fremdenfeindlichen japanischen Reiches stützten, dessen Fremdenfeindlichkeit jetzt Europa zu spüren bekommt. Aus den Gefangenenlagern kamen die besten Kämpfer nach Petrograd, ausgebildet durch die revolutionären Agenten, die aus Amerika zu ihnen geschickt worden waren, nachdem die Erlaubnis dazu durch die Männer, die Japan finanziert hatten, von Japan erlangt worden war. Der russisch-japanische Krieg mit der organisierten Niederlage der Heere des Zaren, rief die Revolution von 1905 hervor, die, obwohl verfrüht, nahe daran war zu siegen. Wenn ihr auch der endgültige Triumph versagt war, so schuf sie doch die notwendigen politischen Voraussetzungen für den Sieg von 1917. Und mehr noch. Haben Sie die Biographie von Trotzkij gelesen? Erinnern Sie sich an seine erste Zeit als Revolutionär? Er ist noch ein Jüngelchen, war nach seiner Flucht aus Sibirien einige Zeit bei den Emigranten in London, Paris und der Schweiz; Lenin, Plechanow, Martow sehen ihn nur als vielversprechenden Neuling an. Aber er wagt, schon bei der ersten Spaltung unabhängig zu bleiben, und möchte Schiedsrichter für die Einigung sein. Im Jahr 1905 zählt er erst 25 Jahre und kehrt allein nach Rußland zurück, ohne Partei und eigene Organisation. Lesen Sie
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die nicht "gesäuberten" Berichte von Stalin über die Revolution von 1905, die Berichte von Lunatscharski, der kein Trotzkist ist. Trotzkij steht an der Spitze der Revolution in Petrograd - das ist die Wahrheit. Nur er geht aus der Revolution mit Prestige und Volkstümlichkeit hervor. Weder Lenin, noch Martow, noch Plechanow gewinnen sie oder erhalten sie. Wie und warum steigt der unbekannte Trotzkij auf und gewinnt auf einmal Autorität über die ältesten und angesehensten Revolutionäre? Ganz einfach, er hat sich verheiratet. Mit ihm kommt nach Rußland seine Frau, die Sedowa. Wissen Sie, wer das ist? Das ist die Tochter von Jivotovsky, eng verbunden mit den Bankiers Warburg, den Teilhabern und Vettern von Jacob Schiff, der Finanzgruppe also, die Japan finanziert hat und durch Trotzkij nun auch die Revolution von 1905 finanziert. Hier haben Sie den Grund, warum Trotzkij auf einmal an die Spitze der revolutionären Stufenleiter kam. Und hier haben Sie den Schlüssel für seine wirkliche Persönlichkeit. Machen wir einen Sprung nach 1914. Hinter dem Attentat auf den Erzherzog steht Trotzkij, und das Attentat löst den europäischen Krieg aus. Glauben Sie wirklich, daß das Attentat und der Krieg bloße Zufälle sind, wie es auf einem Zionistenkongreß Lord Melchett sagte? Analysieren Sie im Lichte der "Nicht-Zufälligkeit" die Entwicklung des Feldzuges in Rußland. Das "Herbeiführen der Niederlage" ist ein Meisterwerk. Die Hilfe der Alliierten für den Zaren wird so reguliert und dosiert, daß sie den alliierten Botschaftern als Argument dient, von der Dummheit Nikolais II. eine Massaker-Offensive nach der anderen zu erreichen. Die Masse des russischen Fleisches war riesig, aber nebensächlich. Die organisierten Offensiven führten zur Revolution. Als sie von allen Seiten droht, ist das Heilmittel die Einrichtung der demokratischen Republik. Die Republik der Botschaften, wie Lenin sie nannte - das heißt, man sichert den Revolutionären Straflosigkeit zu. Aber es fehlt noch etwas, Kerenskij muß eine weitere Massaker-Offensive loslassen und führt sie durch,
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damit die demokratische Revolution sich überschlägt. Und mehr noch - Kerenskij muß die totale Übergabe des Staates an die Kommunisten durchführen und vollendet sie, Trotzkij kann "unsichtbar" den ganzen Staatsapparat übernehmen. Welch sonderbare Blindheit! Das ist die Wirklichkeit der so viel besungenen Oktober-Revolution: Die Bolschewisten übernahmen die Macht, die "Jene" ihnen auslieferten. Kuz.: Sie wagen also zu behaupten, Kerenskij sei ein Komplize von Lenin gewesen? Rak.: Von Lenin, nein, aber von Trotzkij, ja, besser gesagt: von "Jenen"! Kuz.: Absurd! Rak.: Können Sie nicht verstehen? Gerade Sie nicht? Das wundert mich. Wenn Sie, als Spion im Schutz des Geheimnisses um Ihre Persönlichkeit, es fertigbringen, Befehlshaber einer feindlichen Festung zu sein - würden Sie nicht die Tore den Angreifern, denen Sie wirklich dienen, öffnen? Würden Sie nicht ein Besiegter und Gefangener mehr sein? Vielleicht würden Sie nicht die Gefahr laufen, beim Angriff auf die Festung zu sterben, wenn ein Angreifer, der nicht ahnt, daß Ihre Uniform nur eine Maske ist, Sie für einen Feind hält? Glauben Sie mir: ohne Denkmäler und Mausoleum verdankt der Kommunismus Kerenskij mehr als Lenin. Kuz.: Wollen Sie damit sagen, daß Kerenskij sich bewußt und freiwillig besiegen ließ? Rak.: Ja, das steht für mich fest. Verstehen Sie das bitte, da ich ja bei all dem persönlich dabei war. Aber ich werde Ihnen noch mehr sagen: Wissen Sie, wer die Oktober-Revolution finanziert hat? "Jene" haben sie finanziert, genau durch die gleichen Finanzleute, die Japan und die Revolution von 1905 finanziert haben. Jacob Schiff und die Brüder Warburg, das heißt der große Bund der Banken, eine von den fünf Federal-Reserve-Banken, die Bank Kuhn, Loeb & Co., wobei sich andere europäische und amerikanische Bankiers beteiligten, wie Guggenheim, Hanauer, Breitung, Aschberg von der "Nya Banken" in
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Stockholm. Ich war "aus Zufall" in Stockholm dabei und nahm Teil an der Übertragung der Gelder. Bis Trotzkij kam, war ich der einzige, der von der revolutionären Seite daran teilnahm. Aber Trotzkij kam endlich; ich muß betonen, daß die Alliierten ihn aus Frankreich wegen seiner Tätigkeit für die Niederlage ausgewiesen hatten und daß die gleichen Alliierten ihn freiließen, damit er im alliierten Rußland für die Niederlage wirken sollte. Wieder ein Zufall? Wer wird das geschafft haben? Die Gleichen, die es erreichten, daß man Lenin quer durch Deutschland fahren ließ! Wenn "Jene" in England erreichen konnten, Trotzkij, den Wehrzersetzer, aus einem Lager in Kanada herauszuholen und zu bewirken, daß er mit Freipaß durch alle alliierten Kontrollen nach Rußland fahren konnte, so haben andere, darunter Rathenau, die Fahrt Lenins durch das feindliche Deutschland durchgesetzt. Wenn Sie einmal die Geschichte der Revolution und des Bürgerkrieges ohne Vorurteile studieren würden, mit dem Geist einer polizeilichen Untersuchung, wie Sie es in geringen Fragen mit weniger Beweismaterial tun, so werden Sie im gesamten Ablauf der Ereignisse wie in den Einzelheiten und sogar in manchen anekdotischen Zügen eine Reihe erschreckender "Zufälligkeiten" finden. Kuz.: Gut, nehmen wir als Hypothese an, daß das nicht alles Zufall sei. Was leiten Sie nun an praktischen Wirkungen davon her? Rak.: Lassen Sie mich diese kleine Geschichte abschließen nachher wollen wir beide daraus die Schlüsse ziehen. Trotzkij wird seit seiner Ankunft in Petrograd ohne Vorbehalt von Lenin zugelassen. Wie Sie nur zu gut wissen, waren die Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden in der Zeit zwischen den beiden Revolutionen sehr tief. Alles ist vergessen, und Trotzkij ist der Meister des Triumphes der Revolution, ob Stalin das will oder nicht. Warum? Das Geheimnis davon bewahrt die Frau Lenins, die Krupskaja. Sie weiß, wer Trotzkij wirklich ist; sie hat auch Lenin überzeugt, Trotzkij aufzunehmen. Sonst wäre Lenin in der Schweiz
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blockiert geblieben, das war schon ein mächtiger Beweggrund für ihn. Und ebenso war es das Wissen darum, welche Hilfe Trotzkij der Revolution gebracht hat. Lenin wußte damals, daß Trotzkij das Geld und mächtige internationale Hilfe brachte; der plombierte Wagen war der Beweis dafür. Dann die Einheit des ganzen linken revolutionären Flügels, Sozialisten, Revolutionäre und Anarchisten statt der unbedeutenden bolschewistischen Partei - auch das ist das Werk Trotzkijs, nicht der eisernen Unnachgiebigkeit von Lenin. Nicht umsonst ist der alte "Bund" der jüdischen Proletarier, aus dem alle die Zweige der Revolution in Rußland stammen, denen er neunzig Prozent seiner Führer gegeben hat, die wahre Partei des "Parteilosen" Trotzkij gewesen. Natürlich nicht der offizielle und öffentliche "Bund", sondern der geheime "Bund" der in alle sozialistischen Parteien verzweigt war und deren Führer alle unter seiner Leitung stehen. Kuz.: Auch Kerenskij? Rak.: Auch Kerenskij und einige nicht sozialistische Parteiführer, Führer der bürgerlichen Parteien. Kuz.: Inwiefern das? Rak.: Vergessen Sie die Rolle der Freimaurerei in der ersten bürgerlich-demokratischen Phase der Revolution? Kuz.: Gehorchte Sie auch dem "Bund"? Rak.: Als unmittelbare Stufe darüber, aber in Wahrheit gehorchte sie "Jenen". Kuz.: Trotz der marxistischen Welle, die sich erhob, die auch ihre Vorrechte und ihr Leben bedrohte? Rak.: Trotz alledem! Natürlich sahen sie die Gefahr nicht. Berücksichtigen Sie, daß jeder Freimaurer mit seiner Einbildungskraft mehr gesehen hat und gesehen zu haben glaubt als das Wirkliche, denn er bildet sich ein, was er wünscht. Dazu ist die zunehmende Anwesenheit von Freimaurern in den Regierungen und Staatsführungen der bürgerlichen Nationen für sie ein Beweis der
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politischen Macht ihrer Gesellschaft. Berücksichtigen Sie, daß zu jener Zeit die Regierenden aller alliierten Nationen mit ganz wenigen Ausnahmen Freimaurer waren. Das war für sie ein sehr gewichtiges Argument. Sie hatten den absoluten Glauben, daß die Revolution in die bürgerliche Republik nach französischem Typ auslaufen werde. Kuz.: Nach dem Bilde, das Sie mir von Rußland im Jahre 1917 gemalt haben, müssen sie sehr "schlau" gewesen sein, wenn sie das glauben sollten ... Rak.: Das waren sie und das sind sie! Die Freimaurer haben jene erste deutliche Lektion nicht begriffen, nämlich die Große Revolution, in der sie eine bedeutsame revolutionäre Rolle gespielt haben und die die meisten Freimaurer verschlang, voran ihren Großmeister, den Herzog von Orleans, besser gesagt, den König, der auch Freimaurer war, und danach Girondisten, Hebertisten, Jakobiner ... und wenn einige überlebten, so geschah es dank Napoleon Bonaparte und seinem Putsch im Brumaire. Kuz.: Wollen Sie damit sagen, daß die Freimaurer bestimmt sind, durch die Hände der Revolution zu sterben, die von Ihnen selber herbeigeführt wird? Rak.: Ganz richtig ... Sie haben eine tief geheim gehaltene Wahrheit formuliert. Ich bin Freimaurer, Sie werden es gewußt haben, nein? Also gut. Ich werde Ihnen also das große Geheimnis sagen, das man immer dem Freimaurer zu enthüllen verspricht - aber das man ihm weder im 25ten, noch im 33ten, noch im 93ten, noch im höchsten Grade irgend eines der Riten enthüllt. Ich kenne es, selbstverständlich nicht weil ich Freimaurer bin, sondern weil ich zu "Jenen" gehöre. Rak.: Die ganze Bildung des Freimaurers und das öffentliche Ziel der Freimaurerei geht dahin, alle notwendigen Voraussetzungen für die kommunistische Revolution zu schaffen und zur Verfügung zu stellen, natürlich unter verschiedenen Vorwänden, die sie unter ihrem bekannten Dreispruch verbergen. Und da die kommunistische Revolution die Liquidation der ganzen Bourgeoisie als Klasse und die
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physische Liquidation jedes politischen Führers der Bourgeoisie voraussetzt, ist das wirkliche Geheimnis der Freimaurerei der Selbstmord der Freimaurerei als Organisation und der physische Selbstmord jedes irgendwie bedeutenden Freimaurers. Nun verstehen Sie schon, warum, wenn dem Freimaurer ein solches Ende vorbehalten ist, man Mysterien, Theaterszenen und soundsoviel "Geheimnisse" benötigt - um das wirkliche Geheimnis zu verbergen. Lassen Sie sich, wenn Sie dazu Gelegenheit haben, nicht entgehen, sich in irgendeiner zukünftigen Revolution die Geste von Erschrecken und Blödheit zu betrachten, die auf dem Gesicht eines Freimaurers erscheint, wenn er kapiert, daß er von den Händen der Revolutionäre sterben soll. Wie er kreischt und sich auf seine Verdienste um die Revolution berufen will! Das wird ein Schauspiel, um auch zu sterben - aber vor Lachen! Kuz.: Und leugnen Sie noch die angeborene Dummheit der Bourgeoisie? Rak.: Ich bestreite sie der Bourgeoisie als Klasse, nicht bestimmten Teilen von ihr. Das Bestehen von Irrenhäusern beweist noch nicht, daß der Irrsinn Allgemeingut sei. Die Freimaurerei kann auch ein Irrenhaus sein, aber in Freiheit. Ich fahre fort: wenn die Revolution gesiegt hat, vollzieht sich die Machtergreifung. Es tritt das erste Problem auf: der Frieden und mit ihm die erste Spaltung innerhalb der Partei, woran die Kräfte der Koalition, die an der Macht ist, teilnehmen. Ich will nichts erzählen über den Kampf, der in Moskau zwischen Anhängern und Gegnern des Friedens von Brest-Litowsk ausgefochten wurde, da es ja hinlänglich bekannt ist. Ich will lediglich darauf hinweisen, daß die später so benannte trotzkistische Opposition, die Liquidierten und diejenigen, die noch liquidiert werden sollen, sich dort schon abzeichnete. Alle waren gegen die Unterzeichnung des Friedensvertrages. Dieser Friede war ein Irrtum, ein unbewußter Verrat von Lenin an der internationalen Revolution. Stellen Sie sich
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vor, die Bolschewisten hätten in Versailles in der Friedenskonferenz und später im Völkerbund gesessen, mit der Roten Armee, verstärkt und ausgerüstet von den Alliierten, in Deutschland stehend. Man hätte mit Waffengewalt den Sowjetstaat an die deutsche Revolution geschmiedet. Ganz anders sähe heute die europäische Landkarte aus. Aber Lenin, trunken vor Macht, unterstützt von Stalin, der auch schon vom Alkohol des Befehlenkönnens getrunken hatte, gefolgt von dem national-russischen Flügel der Partei, setzten sich mit materieller Gewalt durch. Und so wurde der "Sozialismus in einem Lande" geboren, das heißt der Nationalkommunismus, der heute mit Stalin seinen Gipfel erreicht hat. Natürlich gab es Kampf, aber nur in einer Form und einem Umfang, daß er nicht den kommunistischen Staat zerstören konnte; das ist die für die Opposition bis heute geltende Voraussetzung. Das war auch der Grund unseres ersten Scheiterns und aller späteren Mißerfolge. Aber es gab einen wilden, wenn auch getarnten Kampf, um nicht unsere Teilnahme an der Macht zu gefährden. Trotzkij organisierte durch seine Verbindungen das Attentat der Kaplan gegen Lenin. Auf seinen Befehl tötete Blumkin den Botschafter v. Mirbach. Der Staatsstreich der Spiridonowa und ihrer Sozialrevolutionäre geschah in Übereinstimmung mit Trotzkij. Sein Mann für diese Dinge war unverdächtig, es war jener Rosenblum, ein litauischer Jude, der den Namen O'Reilly führte, bekannt als einer der besten Spione des britischen Intelligence Service. Der Grund für die Auswahl von Rosenblum war, daß er nur als englischer Spion bekannt war, also England, nicht Trotzkij oder wir im Falle eines Fehlschlages für Attentate oder Komplotte verantwortlich gemacht worden wären. So geschah es. Der Bürgerkrieg ließ uns die konspirative und terroristische Methode aufgeben, denn er bot uns die Möglichkeit, in unseren Händen wirkliche Staatsmacht zu haben, als Trotzkij Organisator und Führer der Roten Armee wurde. Das Sowjetheer, das unablässig vor den "Weißen" zurückweicht und das Gebiet der Sowjetunion auf den
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Umfang des alten Großfürstentums Moskau zusammenschrupfen läßt, wird wie durch ein Wunder auf einmal siegreich. Wodurch glauben Sie wohl - durch Wunder oder durch Zufall? Ich werde es Ihnen sagen: als Trotzkij den Oberbefehl über die Rote Armee übernimmt, hat er schon in seiner Hand die notwendige Gewalt, um die Macht zu ergreifen. Die Siege werden sein Prestige und seine Macht steigen lassen, die "Weißen" können bereits besiegt werden. Glauben Sie wirklich die amtliche Darstellung, die alles am Wunder des sowjetischen Sieges der mittelmäßigen, schlecht bewaffneten und disziplinlosen Roten Armee zuschreibt? Kuz.: Wem denn sonst? Rak.: Zu neunzig Prozent ist er "Jenen" zuzuschreiben. Sie dürfen nicht vergessen, daß die Weißen auf ihre Art "demokratisch" waren. Bei ihnen waren die Menschewisten und die Reste aller alten liberalen Parteien. Innerhalb dieser Kräfte haben "Jene" immer sehr viel Kräfte, bewußt oder unbewußt, in ihren Diensten gehabt. Als Trotzkij das Kommando übernahm, bekamen sie Befehl, systematisch die Weißen zu verraten, und zugleich die Zusage, daß sie mehr oder weniger schnell an der Sowjetregierung beteiligt werden würden. Maiskij war einer dieser Männer, einer der wenigen, dem man das Versprechen gehalten hat, aber auch nur, weil er Stalin von seiner Treue überzeugen konnte. Als diese Sabotage zusammenwirkte mit der schrittweisen Verminderung der Hilfe für die weißen Generäle, da erlitten diese, die außerdem arme Idioten waren, eine Niederlage nach der anderen. Endlich nahm Wilson in seine berüchtigten 14 Punkte den Punkt 6 auf, der ausreichte, um für immer jedem Versuch der "Weißen" gegen die Sowjetunion ein Ende zu setzen. Während des Bürgerkrieges faßte man Trotzkij für die Nachfolge Lenins ins Auge. Daran war gar nicht zu zweifeln. Der alte Revolutionär konnte schon in seinem Ruhm sterben. Wenn er lebend den Kugeln der Kaplan entging, so würde er wohl nicht lebend der getarnten Euthanasie entkommen, die man gegen ihn anwandte. Kuz.: Hat Trotzkij sein Leben abgekürzt? Großer Clou für Ihren
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Prozeß? War es etwa Levin, der Lenin behandelte? Rak.: Trotzkij? Vielleicht hat er eingegriffen. Daß er darum gewußt hat, ist ganz sicher. Also gut, die technische Durchführung, das Zusätzliche - wer weiß das? "Jene" haben soviel Kanäle, um zu ihrem Ziel zu kommen. Kuz.: Wie es auch sei - die raffinierte Ermordung Lenins ist etwas derartiges erster Ordnung, daß sie im nächsten Prozeß vorgebracht werden muß. Was meinen Sie, Rakowskij, erscheint Ihnen das als nebensächlich, der Urheber? Natürlich, wenn Sie in diesem Gespräch scheitern ... Der technische Fall paßt zu Ihnen als Arzt gut. Rak.: Ich rate Ihnen nicht dazu. Fassen Sie diese Sache lieber nicht an; sie ist zu gefährlich für Stalin selbst. Sie können mit Ihrer Propaganda machen was Sie wollen; aber "Jene" haben auch ihre Propaganda und sie ist viel mächtiger und ein viel stärkerer Beweisgrund als alle Geständnisse, die man Levin, mir oder sonst jemand entreißen könnte. Das "cui prodest?" läßt in Stalin den Mörder von Lenin sehen. Kuz.: Was wollen Sie damit sagen? Rak.: Daß die klassische, untrügliche Regel, um einen Mörder zu entdecken, heißt: herausbekommen, wem der Mord nützt. Und im Falle Lenins war derjenige, dem er zugute kam, Ihr Herr Chef, Stalin. Denken Sie daran und machen Sie nicht diese Einwürfe, die mich stören und nicht zum Schluß kommen lassen. Rak.: Es ist offenes Geheimnis, daß, wenn Trotzkij nicht Lenins Nachfolger wurde, nicht Menschenkraft dem entgegengewirkt hat. Die Summe der Macht in der Hand Trotzkijs während Lenins letzter Krankheit war viel größer als er sie benötigte. Schon besaßen wir das Todesurteil gegen Stalin. Der Brief, den die Krupskaja ihrem Gatten entriß, hätte gegen Ihren jetzigen Chef in den Händen eines Diktators Trotzkij gereicht, um ihn zu liquidieren. Aber ein dummer Zufall, wie Sie schon wissen werden, ließ all unsere Pläne scheitern: Trotzkij erkrankt an einem Leiden, das ihn zufällig befällt, und im
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entscheidenden Augenblick, als Lenin stirbt, ist er monatelang zu jeder Tätigkeit unfähig. Ein Nachteil neben all den Vorteilen, wenn alles auf eine Person konzentriert ist. Es ist natürlich, daß ein Trotzkij, der für die Durchführung seiner Aufgabe vorgebildet war, nicht plötzlich improvisiert werden kann. Keiner von uns, auch nicht Sinowjew oder Kamenew, hatten die Ausbildung oder die notwendigen Hebel in der Hand, was übrigens auch Trotzkij, eifersüchtig, er könnte ersetzt werden, niemand hatte gestatten wollen. Als wir also beim Tode Lenins Stalin gegenüberstanden, der im geheimen eine fieberhafte Tätigkeit entfaltet hatte, sahen wir eine Niederlage im Zentralkomitee kommen. Wir mußten also eine Lösung improvisieren, und diejenige, die sich bot, hieß, sich Stalin anzuschließen, stalinistischer als er zu sein, zu übertreiben, also zu sabotieren. Den Rest kennen Sie - unseren dauernden unterirdischen Kampf und dauerndes Scheitern gegenüber Stalin, der sich als ein beispielloses Genie der Polizeikunst erweist. Mehr noch: Stalin, vielleicht aus einem nationalistischen Atavismus, betont sein Russentum und ruft um sich eine Schicht ins Leben, die wir ausrotten müßten, den Nationalkommunismus im Gegensatz zum internationalen Kommunismus, den wir darstellen. Er stellt die Internationale in den Dienst der Sowjetunion, und da die Sowjetunion ihm dient, in seinen Dienst. Wenn wir eine geschichtliche Parallele finden wollen, müssen wir auf den Bonapartismus hinweisen, und wollen wir eine andere Persönlichkeit wie Stalin suchen, so finden wir keine geschichtlich vergleichbare. Aber ich glaube eine Parallele gefunden zu haben, wenn ich zwei zusammennehme: Fouche und Napoleon. Lassen wir bei letzterem seine zweite Lebenshälfte weg, das Nebensächliche, Uniform, militärische Hierarchie, Krone, alles Dinge, die Stalin nicht in Versuchung zu bringen scheinen und zusammen auch keinen Stalin ergeben, und nehmen wir das Hauptsächliche: die Erwürgung der Revolution, der er nicht dient, sondern deren er sich bedient, die Gleichsetzung mit dem ältesten russischen Imperialismus, wie bei Napoleon mit dem gallischen, die
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Schaffung einer Aristokratie, zwar keiner militärischen, da er noch keine Siege hat, sondern auf der bürokratisch-polizeilichen Ebene... Kuz.: Genug, Rakowskij, Sie sind ja nicht hier, um trotzkistische Propaganda zu machen. Werden Sie endlich zum Konkreten kommen? Rak.: Natürlich komme ich dorthin. Aber wann erreiche ich es, daß Sie sich einen leichten Begriff von "Jenen" machen, mit denen Sie im Praktischen und Konkreten zu rechnen haben? Vorher nicht. Daran liegt mir mehr als daran, bei Ihnen nicht zu scheitern, wie Sie verstehen werden. Kuz.: Dann kürzen Sie möglichst bitte ab. Rak.: Unser Scheitern, das von Jahr zu Jahr deutlicher wird, umfaßt auch die Tatsache, daß alles, was in der Nachkriegszeit von "Jenen" für den neuen Angriff der Revolution getan wurde, ohne Ziel blieb. Der Vertrag von Versailles, der für Politiker und Wirtschaftler so unerklärlich ist, weil niemand seine wirkliche Zielrichtung ahnte, war die am meisten entscheidende Voraussetzung für die Revolution. Kuz.: Die Theorie ist ganz kurios - wie wollen Sie das erklären? Rak.: Keines Volkes Interesse erforderte die Reparationen und wirtschaftlichen Einschränkungen von Versailles. Ihre absurde Berechnung lag so klar auf der Hand, daß sogar die bedeutendsten Wirtschaftler der Siegervölker sie sogleich angriffen. Nur Frankreich forderte als Reparationen eine Summe, die größer war als der Wert seines gesamten Nationalvermögens, so als wäre der ganze Boden Frankreichs in eine Sahara verwandelt worden. Schlimmer noch war das irrsinnige Abkommen, auf Grund dessen man Deutschland viel mehr zu zahlen auferlegte als es konnte, es so im Ganzen verkaufte und den Gesamtertrag seiner nationalen Arbeit auslieferte. Schließlich kam man zu dem Ergebnis, der Weimarer Republik ein phantastisches Dumping aufzuzwingen, wenn sie etwas von den Reparationen bezahlen wollte. Und was war das Dumping? Unterkonsum, Hunger in Deutschland, und im gleichen Maße Arbeitseinstellung in den Einfuhrländern. Und wenn sie nicht einführten, Arbeitslosigkeit in
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Deutschland, Hunger und Arbeitslosigkeit im einen oder im anderen Teil - das ist die erste Folge von Versailles. War also der Versailler Vertrag nicht revolutionär? Man tat sogar mehr. Man versuchte, eine gleichmäßige Leistungsreglementierung auf internationaler Ebene durchzusetzen. Das bedeutete, die widersinnige Anarchie zu zwingen, das Ausreichende und für jede Nationalwirtschaft Angemessene zu produzieren, wobei man jedoch so tat, als seien dafür Klima, nationaler Rohstoffreichtum und sogar die technische Ausbildung von Direktoren und Arbeitern bedeutungslos. Bislang lag für die naturgegebenen Ungleichheiten von Boden, Klima, Rohstoffen innerhalb der einzelnen Nationalwirtschaften ein Ausgleich immer darin, daß die ärmeren Länder m e h r arbeiten mußten. Nur dadurch, daß ihre Leistungsfähigkeit stärker ausgeschöpft wurde, vermochten die ihren Mangel infolge der Armut des Bodens auszugleichen wie auch die Unterschiedlichkeit in den industriellen Möglichkeiten und anderen mehr. Ich will mich nicht weiter verbreiten, aber die vom Völkerbund auferlegte Reglementierung der Arbeit, die sich auf ein abstraktes Prinzip der Gleichheit des täglichen Leistungspensums berief, bedeutete in Wirklichkeit innerhalb eines unverändert gebliebenen kapitalistischen Produktions- und Tauschsystems die Aufzwingung einer ökonomischen Ungleichheit; sie hieß den Zweck der Arbeit mißachten, nämlich die ausreichende Produktion. Die sofortige Wirkung war eine unzureichende Produktion, ausgedrückt einerseits durch umfangreiche Einfuhren aus den rohstoff- und industriereichen und gesättigten Ländern, die mit Gold bezahlt wurden, solange Europa Gold hatte, andrerseits durch eine Scheinblüte in den USA, die ihre riesige Produktion in Gold und goldgedeckte Scheine einhandelten, in denen sie schwammen. Wie jede Anarchie der Produktion - und eine solche wie damals hatte man überhaupt noch nicht erlebt! - hat die Finanz, haben "Jene", sie ausgebeutet, unter dem Vorwand, sie mit einer noch größeren Anarchie zu heilen, nämlich der Inflation des amtlichen Geldes und
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einer noch hundertmal größeren Inflation ihres eigenen Geldes, des Kreditgeldes, des falschen Geldes. Erinnern Sie sich der aufeinanderfolgenden Abwertungen bei vielen Völkern, der deutschen Abwertung, der amerikanischen Krise und ihrer trefflichen Wirkungen? Ein Rekord an Arbeitslosigkeit, mehr als dreißig Millionen Arbeitslose allein in Europa und USA, waren die Folge. Glauben Sie nun, daß der Versailler Vertrag und der Völkerbund Voraussetzungen für die Revolution waren? Kuz.: Das mag sein, ohne daß es beabsichtigt war; Sie können mir nicht beweisen, warum sie vor der logischen Weiterentwicklung der Revolution und dem Kommunismus zurückweichen und warum sie darüber hinaus eine Front mit dem Faschismus bilden, der in Italien und Europa triumphiert. Was antworten Sie nun? Rak.: Wenn man die Existenz und das Ziel von "Jenen" außer Betracht lassen wollte, hätten Sie ganz recht. Aber man darf ihre Existenz und ihre Zielsetzung nicht vergessen, genau so wenig wie die Tatsache, daß Joseph Stalin die Macht in der Sowjetunion innehat. Kuz.: Ich sehe keine Verbindung dazwischen. Rak.: Weil Sie nicht wollen! Hinweise und Anhaltspunkte sind doch reichlich da! Ich wiederhole noch einmal: Stalin ist für uns ein Bonapartist, kein Kommunist. Kuz.: Aber der Faschismus ist doch weisenhafter Antikommunismus, sowohl gegen den stalinistischen als auch gegen den trotzkistischen Kommunismus! Und wenn die Macht "Jener" so groß ist, warum haben sie ihn nicht verhindert? Rak.: Weil jene es waren, die Hitler triumphieren ließen. Kuz.: Jetzt übertreffen Sie alle Rekorde an Absurdität. Rak.: Das Absurde und das Wunderbare verschmelzen bei bildungsmäßiger Unfähigkeit. Hören Sie mich: Ich habe schon das Scheitern der Opposition anerkannt. "Jene" erkannten am Ende, daß Stalin durch einen Staatsstreich nicht gestürzt werden konnte. Und ihre geschichtliche
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Erfahrung diktierte ihnen eine andere Lösung: Mit Stalin dasselbe zu machen wie einst mit dem Zaren. Eine Schwierigkeit bestand jedoch, die uns unüberwindlich schien: Es gab in ganz Europa kein Land, das die Invasion hätte durchführen können; keines besaß eine entsprechende geographische Lage oder ein ausreichendes Heer für einen Einmarsch in die Sowjetunion. Da es den Gegner nicht gab, mußten "Jene" ihn schaffen. Nur Deutschland war bevölkerungsmäßig und strategisch in der Lage, um in Sowjetrußland einzufallen und Stalin Niederlagen zuzufügen. Aber, wie Sie verstehen werden, war die Republik von Weimar nicht so angelegt, daß sie andere hätten angreifen können, sondern so, daß andere sie angreifen konnten. Und am Himmel des deutschen Hungers begann das flüchtige Gestirn Hitlers zu erglänzen. Ein scharfsinniges Auge richtete sich darauf. Die Welt hat seinen fulminanten Aufstieg bewundert. Ich will nicht sagen, daß das alles unser Werk gewesen wäre. Die revolutionärkommunistische Wirtschaft von Versailles führte ihm immer größere Massen zu. Auch wenn sie nicht eingerichtet worden wäre, um Hitlers Sieg herbeizuführen - die Voraussetzung, die Versailles für Deutschland schuf, waren Verproletarisierung, Hunger und Arbeitslosigkeit, und die Folge davon hätte der Triumph der kommunistischen Revolution sein sollen. Weil jedoch diese durch Stalins Führung der Sowjetunion und der Internationale vereitelt worden war und man Deutschland nicht dem neuen Bonaparte überlassen wollte, milderten der Dawes- und Young-Plan diese Voraussetzung etwas, in der Erwartung, daß in Rußland die Opposition siegen würde. Als dies nicht eintrat, mußten die Voraussetzungen, die man geschaffen hatte, ihre Folgen haben: Der wirtschaftliche Determinismus in Deutschland zwang seinem Proletariat die Revolution auf. Da durch Stalins Schuld die sozialinternationale Revolution verhindert worden war, stürzte sich das deutsche Proletariat in die nationalsozialistische Revolution. Das war ein dialektisches Faktum. Aber trotz aller Voraussetzung und Begründung hätte die
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nationalsozialistische Revolution niemals siegen können. Es fehlte ihr dazu mehr. Es war nötig, daß auf Grund von Anweisungen die Trotzkisten und Sozialisten die Massen spalteten, die ein waches und intaktes Klassenbewußtsein hatten. Schon dabei haben wir eingegriffen. Aber es war noch mehr nötig. Im Jahre 1929, als die Nationalsozialistische Partei an ihrer Wachstumskrise litt und ihr die Geldmittel ausgingen, sandten "Jene" ihm einen Botschafter; ich kenne sogar seinen Namen, es war ein Warburg. In unmittelbaren Verhandlungen mit Hitler einigt man sich über die Finanzierung der Nationalsozialistischen Partei, und Hitler bekommt in ein paar Jahren Millionen von Dollars, die Wallstreet sendet, und Millionen von Mark, diese durch Schacht: die Erhaltung von SA und SS und die Finanzierung der folgenden Wahlen, die Hitler die Macht bringen, geschieht mit Dollars und Mark, die "Jene" schicken. Kuz.: Die nach Ihrer Darstellung einen vollkommenen Kommunismus erstreben und ausgerechnet einen Hitler bewaffnen, welcher schwört, das erste kommunistische Volk auszurotten. Wenn ich das glaube, ist schon allerlei "Logik" bei den Finanzleuten! Rak.: Sie vergessen wieder den Bonapartismus von Stalin. Erinnern Sie sich, daß gegenüber Napoleon, dem Erwürger der Französischen Revolution selbst ein Ludwig XVIII., ein Wellington, Metternich, ja sogar der autokratische Zar objektiv revolutionär waren. Das ist beste stalinistische Lehre. Sie werden seine Thesen über das Verhalten von Kolonien gegenüber den imperialistischen Mächten auswendig können. Danach sind objektiv der Emir von Afghanistan und König Faruk Kommunisten, weil Sie gegen Seine Britische Majestät kämpfen - warum sollte denn nicht auch Hitler in seinem Kampfe gegen den autokratischen Zaren "Koba I." objektiv Kommunist sein? Und endlich, ohne Abschweifungen: hier haben Sie Hitler mit wachsender militärischer Macht, der sein Drittes Reich ausdehnt, und was er noch hinzufügen wird - bis er die notwendige Macht hat, um
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Stalin anzugreifen und völlig stürzen zu können. Sehen Sie nicht die allgemeine Zahmheit der Wölfe von Versailles, die sich auf schwaches Knurren beschränken? Ist das vielleicht auch Zufall? Hitler wird in der UdSSR einbrechen und so wie 1917 die Niederlagen des Zaren uns dazu dienten, diesen hinauszuwerfen, so werden die Niederlagen Stalins uns dienen, ihn hinauszuwerfen und zu ersetzen. Und die Stunde der Weltrevolution schlägt wieder. Denn die demokratischen Nationen, die heute eingeschläfert sind, werden, sobald Trotzkij wieder die Macht ergreift, wie einst im Bürgerkrieg einen allgemeinen Wechsel spüren. Dann wird Hitler vom Westen her angegriffen werden, s e i n e G e n e r a l e w e r d e n s i c h e r h e b e n u n d i h n l i q u i d i e r e n ... Wird dann Hitler objektiv kommunistisch gehandelt haben oder nicht? Kuz.: Ich glaube weder an Fabeln noch an Wunder! Rak.: Also, wenn Sie nicht glauben wollen, daß "Jene" fähig sind, zu verwirklichen, was sie verwirklicht haben, bereiten Sie sich vor, den Einmarsch in die Sowjetunion und das Ende Stalins noch vor einem Jahre zu erleben. Ob Sie es für ein Wunder oder einen Zufall halten, bereiten Sie sich vor, es zu erleben und zu erleiden. Aber sind Sie wirklich fähig, sich einfach zu weigern, das zu glauben, was ich Ihnen gesagt habe, sei es auch nur als Hypothese? Kuz.: Gut, sprechen wir hypothetisch. Was regen Sie an? Rak.: Sie haben zuerst auf unsere Übereinstimmung hingewiesen. Uns interessiert der Angriff auf die Sowjetunion nicht: denn der Sturz Stalins würde das Zusammenbrechen dieses Kommunismus bedeuten, der, selbst wenn er formal ist, uns doch angeht, denn wir sind überzeugt, daß es uns noch einmal gelingen wird, ihn zu stürzen und ihn in einen echten Kommunismus zu verwandeln. Ich glaube, genau die Synthese des gegenwärtigen Augenblicks gegeben zu haben? Kuz.: Ausgezeichnet! - Lösung? Rak.: Vor allem müssen wir dafür sorgen, daß die potentielle Gefahr eines Angriffs durch Hitler verschwindet. Kuz.: Wenn, wie Sie versichern, "Jene" es gewesen sind, die ihn
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zum "Führer" gemacht haben, müssen sie Macht über Hitler haben, daß er ihnen gehorcht. Rak.: Da ich mich wegen der Eile nicht gut ausgedrückt habe, so haben Sie mich nicht gut verstanden. Wenn es auch stimmt, daß "Jene" ihn finanziert haben, so haben sie doch weder seine Existenz noch sein Ziel entdeckt. Der Abgesandte Warburg kam zu ihm mit falschem Namen, es scheint nicht einmal, als ob Hitler seine Rassenzugehörigkeit erraten habe; außerdem log er über diejenigen, die er vertrat. Er sagte, er sei von einer Finanzgruppe der Wallstreet abgesandt, die daran interessiert sei, die nationalsozialistische Bewegung als eine Drohung gegen Frankreich zu finanzieren, dessen Regierung eine Finanzpolitik verfolge, die die Wirtschaftskrise in den USA hervorrufe. Kuz.: Und glaubte Hitler das denn? Rak.: Das wissen wir nicht. Es kam auch nicht darauf an, daß er die Gründe glaubte, unser Ziel war, daß er triumphieren sollte, ohne ihm irgendeine Bedingung aufzuerlegen. Das wirkliche Ziel, u n s e r Ziel war, den Krieg zu provozieren - und Hitler war der Krieg, begreifen Sie? Kuz.: Ich verstehe. Danach aber sehe ich kein anderes Mittel, ihn zurückzuhalten, als ein Bündnis der Sowjetunion und der demokratischen Völker, das Hitler einschüchtern könnte. Wie ich glaube, ist er noch nicht stark genug sich zur gleichen Zeit gegen alle Staaten der Welt zu wenden, wohl dagegen durchaus stark genug, einen nach dem anderen .. Rak.: Kommt Ihnen das nicht als eine allzu einfache, fast möchte ich sagen, kontrarevolutionäre Lösung vor? Kuz.: Um einen Krieg gegen die Sowjetunion zu vermeiden? Rak.: Schneiden Sie diesen Satz in der Mitte entzwei: "einen Krieg zu vermeiden", ist das nicht völlig kontrarevolutionär? Denken Sie nach: jeder echte Kommunist muß in Nachahmung seines Idols Lenin und der anderen großen revolutionären Strategen immer den Krieg wünschen.
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Nichts beschleunigt so den Sieg der Revolution wie der Krieg. Das ist ein marxistisch-leninistisches Dogma, zu dem Sie sich bekennen müßten. Also - dieser stalinistische Nationalkommunismus, dieser Bonapartismus ist fähig, den Verstand der reinsten Kommunisten derartig zu verdunkeln, daß sie die Umkehrung gar nicht mehr erkennen, der Stalin verfällt, nämlich die Revolution der Nation unterordnen, statt die Nation der Revolution! Kuz.: Ihr Haß gegen Stalin verblendet Sie und verwickelt Sie in Widersprüche. Waren wir nicht darin einig geworden, daß ein Angriff auf die Sowjetunion nicht wünschenswert sei? Rak.: Und warum muß der Krieg denn notwendigerweise gegen die Sowjetunion gerichtet sein? Kuz.: Welches andere Volk könnte Hitler denn sonst angreifen? Es ist doch ganz klar, daß er seinen Angriff gegen die Sowjetunion richten wird, wie seine Reden es ankündigen. Was für Beweise wollen Sie noch dafür? Rak.: Und wenn Sie und die Männer im Kreml das so fest und diskussionslos glauben, warum haben Sie dann eigentlich den Bürgerkrieg in Spanien provoziert? Sagen Sie mir nicht, das sei aus rein revolutionären Gründen geschehen. Stalin ist gar nicht fähig, irgendeine marxistische Theorie zu verwirklichen. Wäre es ein revolutionärer Grund gewesen, so wäre es nicht korrekt gewesen, in Spanien so und so viel ausgezeichnete internationale revolutionäre Kräfte zu verheizen. Es ist das Volk, das der Sowjetunion am fernsten lebt, und die elementarste, strategische Bildung konnte nicht raten, dort die Kräfte zu vertun. Im Konfliktsfall aber, wie hätte Stalin eine spanische Sowjetrepublik versorgen und militärisch stützen können? Aber ich bleibe ernst: von einem anderen Gesichtspunkt aus waren Revolution und Krieg in Spanien richtig. Dort ist ein wichtiger strategischer Punkt, ein Kreuzweg der sich schneidenden Einflußlinien der kapitalistischen Mächte - man hätte somit einen Krieg unter diesen
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provozieren können! Ich erkenne an: das war theoretisch richtig, aber nicht in der Praxis. Sie sehen bereits, daß der Krieg zwischen dem demokratischen und dem faschistischen Kapitalismus n i c h t ausbricht. Und ich sage Ihnen jetzt: wenn Stalin sich für fähig hielt, von sich aus ein Motiv zu schaffen, das geeignet wäre, den Krieg unter den kapitalistischen Nationen zu provozieren, warum sollte man nicht theoretisch annehmen dürfen, daß andere das auch erreichen könnten? Kuz.: Läßt man die Voraussetzungen gelten, kann man hier auch die Hypothese zulassen. Rak.: Also, das gibt einen weiteren Punkt, in dem wir übereinstimmen. Erstens, daß es keinen Krieg gegen die Sowjetunion geben soll, zweitens, daß man ihn unter den bürgerlichen Nationen hervorrufen muß. Kuz.: Einverstanden. Sagen Sie das als persönliche Meinung oder als Meinung von "Jenen"? Rak.: Als meine Meinung. Ich habe weder Auftrag noch Verbindung mit "Jenen", aber ich kann versichern, daß sie in diesen beiden Punkten mit dem Kreml übereinstimmen. Kuz.: Es ist wichtig, das von vorneherein festzulegen, denn es ist die Hauptsache. Dennoch möchte ich gern wissen, worauf Sie sich berufen, um die Sicherheit zu haben, daß "Jene" zustimmen. Rak.: Wenn ich Zeit genug gehabt hätte, ihren ganzen Plan darzustellen, wüßten Sie schon die Gründe, warum sie zustimmen. Heute will ich nur drei davon nennen. Kuz.: Welche sind das? Rak.: Einer ist, wie ich schon erwähnt habe, daß Hitler, dieser ungebildete Elementarmensch, aus natürlicher Intuition und sogar gegen die technische Opposition von Schacht, ein höchst gefährliches Wirtschaftssystem geschaffen hat. Als Analphabet in jeder Wirtschaftstheorie, nur der Notwendigkeit gehorchend, hat er, wie wir es in der Sowjetunion gemacht haben, die internationale wie die
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private Finanz ausgeschaltet. Das heißt, er hat sich selber wieder das Privileg, Geld zu machen, angeeignet, und zwar nicht nur physisches Geld, sondern auch Finanzgeld; er hat die intakte Maschine für Falschgeldherstellung an sich genommen und läßt sie nun für den Staat laufen. Er hat uns überholt, denn wir haben diese in Rußland unterdrückt und lediglich durch einen groben Apparat, genannt Staatskapitalismus ersetzt; das war ein sehr teurer Sieg für die notwendige vorrevolutionäre Demagogie. Das sind die beiden Wirklichkeiten, wenn man sie vergleicht. Das Schicksal hat Hitler sogar begünstigt; er besaß fast kein Gold und so konnte er gar nicht in Versuchung geraten, es zu seiner Währungsgrundlage zu machen. Da er als einzige Sicherheit für sein Geld nur über die technische Begabung und die machtvolle Arbeitskraft der Deutschen verfügte, wurden Technik und Arbeit sein Goldschatz, etwas so wesenhaft Gegenrevolutionäres, daß es, wie Sie wissen, radikal wie durch Zauberkunst jene Arbeitslosigkeit von mehr als sieben Millionen Technikern und Arbeitern beseitigte. Kuz.: Durch die beschleunigte Aufrüstung. Rak.: Ach, keine Spur! Wenn Hitler dazu gekommen ist, im Gegensatz zu allen bürgerlichen Wirtschaftlern, die ihn umgaben, könnte er sehr wohl fähig sein, ohne Kriegsgefahr sein System auf die Friedensproduktion anzuwenden. Können Sie sich ausmalen, was dieses System bedeuten würde, wenn es eine Anzahl Völker ansteckt, die einen wirtschaftlich autarken Kreis bilden? Etwa beispielsweise das Britische Commonwealth? Stellen Sie sich vor, es funktionierte in seiner kontrarevolutionären Art! Die Gefahr ist nicht drohend, noch nicht, denn wir haben das Glück gehabt, daß Hitler sein System nicht auf eine ihm vorausgegangene Theorie aufgebaut hat, sondern ganz empirisch, in keiner Weise wissenschaftlich formuliert. Das heißt, daß es keinen rationaldeduktiven Prozeß durchlaufen hat, es gibt darüber keine wissenschaftliche These, man hat auch keine Lehre davon formuliert. Aber die Gefahr ist latent; jeden Augenblick kann auf dem
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Wege der Induktion sich eine Formel ergeben. Das ist sehr ernst, ernster als alles Theater und alle Grausamkeit beim Nationalsozialismus! Unsere Propaganda greift das auch nicht an denn aus der polemisierenden Kontroverse könnte die Formulierung und Systematisierung der gegenrevolutionären Wirtschaftslehre erwachsen. Da gibt es nur eine Rettung: den Krieg! Kuz.: Und das zweite Motiv? Rak.: Wenn der Thermidor der russischen Revolution gesiegt hat, so konnte das geschehen durch das vorherige Bestehen eines russischen Nationalismus. Ohne einen solchen Nationalismus wäre der Bonapartismus unmöglich gewesen. Und wenn das schon in Rußland geschah, wo der Nationalismus nur embrionär, persönlich, der Zar war - was für ein Hindernis muß nicht der Marxismus in einem voll entwickelten Nationalismus Westeuropas finden! Marx ist hinsichtlich des Ortes des revolutionären Sieges einem Irrtum verfallen gewesen. Der Marxismus siegte nicht in der am meisten industrialisierten Nation, sondern in Rußland, das fast kein Proletariat hatte. Unser Sieg hier ist neben anderem der Tatsache zuzuschreiben, daß Rußland gar keinen wirklichen Nationalismus besaß, während er bei den übrigen Nationen auf der Höhe seiner Entwicklung stand. Sehen Sie, wie er sich bei ihnen mit dieser außergewöhnlichen Macht im Faschismus erhebt und wie er ansteckend wirkt! Sie werden verstehen, daß dieser gerade jetzt für Stalin von Nutzen ist, und daß uns darum die Erdrosselung des Nationalismus in Europa einen Krieg lohnend macht. Kuz.: Zusammengefaßt also haben Sie, Rakowskij, einen wirtschaftlichen und einen politischen Grund angegeben. Und welches ist der dritte? Rak.: Das ist leicht zu erraten. Wir haben noch einen religiösen Grund. Ohne das niederzuschlagen, was vom Christentum noch lebt, ist es unmöglich, den Kommunismus siegen zu lassen. Die Geschichte ist beredt - es hat die Revolution sechzehn Jahrhunderte gekostet, ehe sie ihren ersten Teilerfolg erringen konnte, indem sie die erste
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Spaltung des Christentums hervorrief. In Wirklichkeit ist das Christentum unser einziger Feind, denn das Politische und Wirtschaftliche in den bürgerlichen Völkern ist nur seine Folge. Das Christentum, das das Individuum bestimmt, ist fähig, die revolutionäre Ausstrahlung des neutralen, laizistischen oder atheistischen Staates an Luftmangel zugrundegehen zu lassen, wie wir es in Rußland erleben, und schafft sogar diesen geistigen Nihilismus, der in den beherrschten, noch christlichen Massen lebt, ein Hindernis, das auch in zwanzig Jahren Marxismus noch nicht überwunden ist. Wir gestehen Stalin zu, daß er jedenfalls auf dem religiösen Sektor kein Bonapartist war. Auch wir hätten nicht mehr oder anderes getan als er. Ah! Wenn Stalin auch wie Napoleon wagen würde, den Rubikon des Christentums zu überschreiten, dann hätten sich sein Nationalismus und seine gegenrevolutionäre Wirkung um das Tausendfache vermehrt. Und vor allem, dann hätte eine radikale Unüberbrückbarkeit jede Übereinstimmung zwischen uns und ihm unmöglich machen müssen, auch wenn sie nur zeitlich und objektiv ist - wie diejenige, welche sich schon zwischen uns abzeichnet, wie Sie erkennen werden. Kuz.: Tatsächlich, es ist meine persönliche Meinung, daß Sie die drei Grundpunkte herausgearbeitet haben, über die man die Linie eines Planes ziehen kann. Soviel gebe ich Ihnen für den Augenblick zu. Aber ich mache meine geistigen Vorbehalte, im einzelnen meinen völligen Unglauben hinsichtlich dessen, was Sie auf dem Gebiet von Menschen, Organisationen und Tatsachen ausgeführt haben. Aber, legen Sie schon die Generallinien Ihres Planes dar. Rak.: Ja, jetzt ja. Der Augenblick ist nun gekommen. Nur einen Vorbehalt: ich spreche unter meiner eigenen Verantwortung. Ich nehme die Verantwortung für die Auslegung der drei vorhergehenden Punkte als Gedanken von "Jenen" auf mich, aber gebe zu, daß "Jene" zur Erreichung der drei Zwecke einen teilweise völlig verschiedenen Plan für wirksamer halten können, als denjenigen, den ich nahelege. Stellen Sie das bitte in Rechnung.
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Kuz.: Das tue ich. Sprechen Sie nur. Rak.: Fassen wir es ganz einfach. Da für die deutsche Militärmacht nicht mehr das gleiche Ziel besteht, für das sie geschaffen wurde, nämlich uns, der Opposition, die Macht in der Sowjetunion zu verschaffen, müssen wir eine Umstellung der Fronten erreichen, den Angriff Hitlers von Osten nach Westen wenden. Kuz.: Ausgezeichnet! Haben Sie an einen Plan zur praktischen Verwirklichung gedacht? Rak.: Ich hatte genug Zeit dafür in Lubjanka. Ich habe nachgedacht. Sehen Sie: Wenn es ursprünglich so schwierig war, einen Punkt der Übereinstimmung zwischen uns beiden zu finden und sich dann doch alles ganz natürlich abwickelte, so beschränkt sich nun das Problem darauf, irgend etwas zu finden, in dem auch Stalin und Hitler übereinstimmen. Kuz.: Ja, aber Sie werden zugeben, daß selbst das schon ein Problem ist. Rak.: Aber kein so unlösbares, wie Sie glauben. In Wirklichkeit gibt es nur dann unlösbare Probleme, wenn sie einen subjektiven dialektischen Widerspruch einschließen. Hitler und Stalin aber können übereinstimmen, denn bei aller Verschiedenheit sind sie in ihrer Wurzel identisch; mag Hitler in pathologischem Grade ein Gefühlsmensch und Stalin normal sein, so sind sie doch beide Egoisten; keiner ist Idealist, darum sind sie beide Bonapartisten, das heißt klassische Imperialisten. Da das aber so ist, läßt sich eine Übereinstimmung der beiden leicht erzielen. Warum auch nicht, wenn dies sogar zwischen einer Zarin und einem preußischen König möglich war? Kuz.: Rakowskij. Sie sind unverbesserlich ... Rak.: Erraten Sie es nicht? Wenn Polen bewirkte, daß Katharina II. und Friedrich II. sich verständigten - jeder von beiden ein Muster für den jetzigen "Zar" und den jetzigen "König" in Rußland bzw. Preußen - warum sollte Polen nicht auch die Ursache für eine
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Verständigung zwischen Hitler und Stalin sein? Die geschichtliche Linie von den Zaren zu den Bolschewisten und von den Monarchen zu den Nationalsozialisten ebenso wie alles Persönliche bei Hitler und Stalin könnten sich in Polen treffen. Ebenso unsere Linie, ebenso diejenigen von "Jenen" - übrigens ist das ein christliches Volk, und, ein weiterer erschwerender Umstand, ein katholisches Volk. Kuz.: Und angenommen, sie stimmen in diesem Dritten überein ...? Rak.: Wenn Willensübereinstimmung besteht, ist ein Vertrag möglich. Kuz.: Zwischen Hitler und Stalin? Verrückt! Unmöglich! Rak.: Es gibt nichts Verrücktes, noch weniger Unmögliches in der Politik. Kuz.: Nehmen wir also als Hypothese an: Hitler und Stalin greifen Polen an. Rak.: Darf ich unterbrechen: ihr Angriff kann lediglich die Alternative "Krieg oder Frieden" hervorrufen - das müssen Sie zugeben. Kuz.: Ja, aber - und was? Rak.: Halten Sie England und Frankreich mit ihrer Unterlegenheit an Heer und Flugwaffe für fähig, Hitler und Stalin anzugreifen, wenn diese zusammenhalten? Kuz.: In der Tat - das scheint mir schwierig, wenn es Amerika nicht gäbe. Rak.: Lassen Sie einen Augenblick die Vereinigten Staaten aus dem Spiel. Sie gestehen mir also zu, daß ein Angriff Hitlers und Stalins auf Polen keinen europäischen Krieg auslösen kann? Kuz.: Logisch, das erscheint nicht sehr möglich. Rak.: In diesem Falle wäre ein Angriff auf Polen fast sinnlos. Er würde nicht zur gegenseitigen Zerstörung der bürgerlichen Staaten führen, die Drohung Hitlers gegen die Sowjetunion würde nach Durchführung der Teilung Polens, weiterbestehen, wenn auch vorerst theoretisch. Deutschland und die Sowjetunion hätten sich gleichmäßig
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verstärkt, praktisch jedoch hätte sich Hitler mehr verstärkt; denn die Sowjetunion braucht weder Land noch Rohstoffe, um stärker zu werden, wohl aber braucht sie Deutschland. Kuz.: Das ist richtig gesehen. Aber es scheint keine andere Lösung zu geben. Rak.: Es gibt doch eine Lösung. Kuz.: Welche? Rak.: Daß die Demokratien den Aggressor angreifen und nicht angreifen. Kuz.: Jetzt schweifen Sie ab. Angreifen und Nichtangreifen zugleich ist eine völlige Unmöglichkeit. Rak.: Glauben Sie? Beruhigen Sie sich! Wären nicht beide Angreifer? Sind wir nicht einig darüber geworden, daß der Angriff nur durchgeführt wird, wenn ihn beide unternehmen? Gut, was wäre dabei undenkbar, daß die Demokratien nur einen der Aggressoren angreifen? Kuz.: Was wollen Sie damit sagen? Rak.: Einfach daß die Demokratien nur einem der Angreifer den Krieg erklären, genau gesagt, Hitler! Kuz.: Das ist nur eine billige Hypothese. Rak.: Hypothese ja, aber keineswegs billig. Überlegen Sie: jedes Volk, das gegen eine Koalition feindlicher Staaten kämpfen muß, hat als wichtigstes strategisches Ziel, sie getrennt, einen nach dem anderen, zu schlagen. Das ist eine so wohlbekannte und vernünftige Regel, daß man sie nicht erst beweisen muß. Also, Sie werden mit mir übereinstimmen, diese Gelegenheit zu schaffen wäre nicht falsch. Da Stalin sich durch einen Angriff der Demokratien auf Hitler selbst nicht angegriffen fühlt und ihm auch nicht beispringt, ergibt sich die Frage: Ist das nicht der richtige Weg? Außerdem legen die Geographie und vor allem auch die Strategie das nahe. Frankreich und England werden doch nicht so dumm nein, zu gleicher Zeit gegen zwei Mächte kämpfen zu wollen, von denen eine bereit ist, neutral zu bleiben, und
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die andere ohnehin schon für sie eine harte Nuß darstellt. Und von wo aus sollten sie denn einen Angriff auf die Sowjetunion durchführen? Sie haben mit ihr keine gemeinsame Grenze, es sei denn, sie griffen über den Himalaya hinweg an. Gewiß, es bleibt die Front in der Luft, aber womit und von wo aus sollten sie Rußland angreifen? In der Luft sind sie Hitler völlig unterlegen. Was ich da geltend mache, ist ja kein Geheimnis, es ist nur allzusehr bekannt. Wie Sie sehen, vereinfacht sich alles sehr. Kuz.: Ja, wenn man den Konflikt auf die vier Mächte begrenzt, sind Ihre Schlüsse logisch. Aber es sind nicht vier - es sind viele, und die Neutralität ist in einem Krieg von solchem Umfang nicht leicht aufrechtzuerhalten. Rak.: Gewiß, aber auch das mögliche Eingreifen weiterer Nationen ändert das gegenseitige Verhältnis der Kräfte nicht. Machen Sie im Geist eine Bilanz und Sic werden sehen, daß das Gleichgewicht bleibt, auch wenn mehrere oder alle europäischen Nationen eingreifen sollten. Außerdem, und das ist wichtig, keine andere Nation, die an der Seite von England und Frankreich in den Krieg eintreten würde, könnte diesen die Führung abnehmen; damit aber bleiben die Gründe gültig, die diese an einem Angriff auf die Sowjetunion hindern. Kuz.: Sie vergessen die Vereinigten Staaten. Rak.: Sie werden gleich sehen, daß ich sie nicht vergesse. Ich beschränke mich darauf, ihre Position in dem uns vorliegenden Problem zu untersuchen, und sage Ihnen, daß Amerika nicht erwirken kann, daß Frankreich und England Hitler und Stalin gleichzeitig angreifen. Um das zu können, müßten die Vereinigten Staaten mit dem ersten Tage in den Krieg eintreten. Und das ist unmöglich. Erstens, weil die USA niemals in einen Krieg eingetreten sind noch eintreten werden, wenn sie nicht angegriffen werden, wann immer es ihnen paßt. Hat die Provokation keinen Erfolg und der Gegner hat sie eingesteckt, dann ist die Aggression einfach erfunden worden. In ihrem ersten internationalen Kriege, 1898 gegen Spanien, dessen
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Niederlage nicht zweifelhaft war, hat man die Aggression einfach fingiert, oder "Jene" haben sie fingiert. 1914 hatte die Provokation Erfolg. Gewiß wird man darüber streiten, ob sie technisch stattgefunden hat, aber es ist eine Regel ohne Ausnahme, daß, wer eine Aggression begeht, ohne daß sie ihm hilft, sie begeht, weil er provoziert worden ist. Also: diese wunderschöne amerikanische Taktik, der ich meinen Beifall nicht versage, unterliegt immer einer Bedingung: daß die Aggression "richtig" erfolgt, nämlich wenn es dem "Angegriffenen" paßt, also den Vereinigten Staaten, d. h. wenn sie militärisch gerüstet sind. Ist das heute der Fall? Offensichtlich nein. Die USA haben heute kaum hunderttausend Mann unter Waffen und eine mittelmäßige Flugwaffe; respektabel ist nur die Schlachtflotte. Aber verstehen Sie, daß sie damit die Alliierten nicht für einen Angriff auf die Sowjetunion gewinnen können, zumal auch England und Frankreich nur eine Überlegenheit haben, nämlich in der Luft. Ich habe also wieder nachgewiesen, daß es von dieser aus jetzt keine Änderung im Verhältnis der Kräfte geben kann. Kuz.: Auch wenn ich das zugebe, erklären Sie mir doch die technische Verwirklichung. Rak.: Da, wie Sie gesehen haben, Stalins und Hitlers Interessen für Ihren Angriff auf Polen zusammenfallen, bleibt nur noch übrig, diese Übereinstimmung zu formulieren und einen Vertrag über den Doppelangriff zu schließen. Kuz.: Und das halten Sie für sehr leicht? Rak.: Gewiß nicht. Man brauchte dazu eine erfahrenere Diplomatie als sie Stalin hat. Man müßte diejenige dafür im Dienst haben, die Stalin enthauptet hat oder die jetzt in der Lubjanka verfault. Litwinow wäre in früheren Zeiten dazu fähig gewesen, wenn auch mit gewissen Schwierigkeiten, weil seine Rassenzugehörigkeit ein großes Handicap für Verhandlungen mit Hitler gewesen wäre, aber heute ist er als Mensch fix und fertig, gejagt von einem panischen Schrecken, er hat eine tierische Angst, weniger vor Stalin als vor Molotow. All sein Talent ist festgelegt darin, daß man ihn nicht für einen
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Trotzkisten halte. Wenn er erfährt, daß er eine Annäherung an Hitler einfädeln soll, hieße dies für ihn ebensoviel wie wenn man ihm zumutete, er solle selber den Beweis seines Trotzkismus liefern. Ich sehe den geeigneten Mann nicht - außerdem müßte er ein reinblütiger Russe sein. Ich würde mich für die erste Fühlungnahme anbieten. Und ich rege an, daß wer immer die Gespräche beginnt, die auf einer ganz vertraulichen Ebene stattfinden müßten, von Ehrlichkeit überfließen muß. Angesichts der Mauer von Vorurteilen kann man Hitler nur mittels der Wahrheit hereinlegen. Kuz.: Ich verstehe wieder einmal Ihre Rede in Paradoxen nicht. Rak.: Entschuldigen Sie, das ist sie nur scheinbar; die Notwendigkeit der Zusammenfassung zwingt mich dazu. Ich wollte sagen, daß man im Konkreten und Naheliegenden mit Hitler mit offenen Karten spielen muß. Man muß ihm zeigen, daß es sich um kein abgekartetes Spiel von Provokationen handelt, um ihn in einen Zweifrontenkrieg zu verwickeln. Zum Beispiel kann man ihm versprechen und im gegebenen Augenblick auch zeigen, daß unsere Mobilmachung sich nur auf die wenigen Kräfte beschränken wird, die für den Einmarsch in Polen nötig sein werden, was in der Tat wenig Truppen erfordert. Unsere wirkliche Disposition müßte dahin gehen, daß er seine verfügbaren Massen zur Abschlagung eines angenommenen englisch-französischen Angriffes festlegt. Stalin müßte großzügig sein in den Lieferungen, um die Hitler ersucht, besonders was das Erdöl betrifft. Das ist es, was mir so im Augenblick in den Kopf kommt. Es werden tausend ähnliche Fragen sich erheben, alle der gleichen Art, die so gelöst werden müssen, daß sie Hitler die Sicherheit geben, daß wir nur unseren Teil von Polen nehmen wollen. Und weil es in der Praxis so gemacht werden wird, wird Hitler mit der Wahrheit getäuscht werden. Kuz.: Aber, in diesem Fall - wo soll da die Täuschung liegen? Rak.: Ich lasse Ihnen einige Augenblicke, damit Sie selber entdecken, wo Hitlers Täuschung sich finden läßt. Vorher aber möchte
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ich betonen, und Sie müssen es notieren, daß ich bis zu diesem Augenblick einen logischen, normalen Plan entworfen habe, durch den man dazu kommen kann, daß sich die kapitalistischen Staaten gegenseitig zerstören, indem man ihre beiden Flügel den faschistischen gegen den bürgerlichen, aufeinander stoßen läßt. Aber, ich wiederhole, mein Plan ist logisch und normal. Wie Sie gesehen haben, kommen weder mysteriöse noch irgendwie fremdartige Faktoren dabei ins Spiel. Mit einem Wort, "Jene" greifen nicht ein, damit seine Durchführung möglich wird. Und doch glaube ich Ihren Gedanken zu erraten - Sie denken in diesem Augenblick, daß es dumm war, die Zeit damit zu vertrödeln, die unbeweisbare Existenz und die Macht von "Jenen" nachweisen zu wollen ... Nicht wahr? Kuz.: Das stimmt. Rak.: Seien Sie offen zu mir. Sehen Sie ihr Eingreifen wirklich nicht!? Ich sage Ihnen zu Ihrer Hilfe, daß ihr Eingreifen existiert und entscheidend ist. Auch wenn die Logik und Natürlichkeit des Planes reiner Schein ist. Erkennen Sie "Jene" denn wirklich nicht? Kuz.: Offen gesagt, nein! Rak.: Und doch ist Logik und Natürlichkeit meines Planes reiner Schein. Das Natürliche und Logische wäre es, wenn sich Hitler und Stalin gegenseitig vernichten. Eine einfache und leichte Sache für die Demokratien, wenn ihr Ziel wirklich das wäre, das sie proklamieren, obwohl viele Demokraten das glauben; denn es wäre genug, wenn sie Hitler erlauben - halten Sie das fest "erlauben" - würden, Stalin anzugreifen. Sagen Sie mir nicht, daß Deutschland siegen könnte. Wenn der russische Raum und die Verzweiflung Stalins und der Seinigen unter dem Beil Hitlers oder gegenüber der Rache ihrer Opfer nicht ausreichen sollten, die Militärmacht Deutschlands zu ersticken, so stände ja dem nichts im Wege, daß die Demokratien klug, methodisch Stalin unterstützten, wenn sie sehen, daß er schwach wird, und ihre Hilfe bis zur völligen Erschöpfung der beiden Heere fortsetzen. Das würde gewiß leicht, natürlich und logisch sein, wenn
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die Beweggründe und Absichten der Demokratien, die viele ihrer Menschen für wahr halten, Tatsachen wären, und nicht, was sie wirklich sind: Vorwände. Es gibt ein Ziel, ein einziges Ziel - den Sieg des Kommunismus, den aber zwingt niemand den Demokratien auf als New York, nicht die "Komintern", sondern die "Kapintern" der Wallstreet. Wer außer ihr könnte Europa einen so offensichtlichen und völligen Widerspruch aufzwingen? Wer kann die Kraft sein, die es zum totalen Selbstmord treibt? Nur eine ist dazu fähig: das Geld. Das Geld ist Macht, die einzige Macht. Kuz.: Ich will offen mit Ihnen sein Rakowskij. Ich gestehe Ihnen Gaben eines außergewöhnlichen Talentes zu. Sie haben eine brillante, aggressive, feine Dialektik, wenn diese Sie im Stich läßt, kann Ihre Phantasie immer noch einen bunten Vorhang, der wie leuchtende und klare Perspektiven aussieht, spinnen. Aber das alles, auch wenn es mir Freude macht, genügt mir nicht. Ich befrage Sie also, als ob ich alles glaubte, was Sie mir gesagt haben. Rak.: Und ich gebe Ihnen die Antwort unter der einzigen Bedingung, daß Sie mir weder mehr noch weniger, als ich gesagt habe, unterlegen. Kuz.: Zugesagt. Sie sagen also, daß "Jene" den vom kapitalistischen Gesichtspunkt logischen Krieg zwischen Deutschland und der Sowjetunion hindern und hindern werden? Lege ich das richtig aus? Rak.: Völlig richtig. Kuz.: Aber die gegenwärtige Lage ist, daß sie die deutsche Ausdehnung und Wiederbewaffnung gestatten. Das ist eine Tatsache. Ich weiß schon, daß, nach Ihrer Auffassung, der heute durch die "Reinigungen" gescheiterte trotzkistische Plan der Beweggrund dafür war, - insofern schon ohne Ziel! Gegenüber der neuen Lage regen Sie lediglich an, daß Hitler und Stalin einen Pakt schließen und sich Polen teilen sollen. Und ich frage Sie: was garantiert uns, daß mit und ohne Pakt, mit und ohne Teilung Polens, Hitler die Sowjetunion nicht angreifen wird?
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Rak.: Da gibt es keine Garantie. Kuz.: Warum also weitersprechen? Rak.: Überstürzen Sie sich nicht; die furchtbare Drohung gegen die Sowjetunion ist praktisch und real. Es ist keine Hypothese oder Drohung mit Worten. Es ist eine Tatsache, eine zwingende Tatsache. "Jene" haben schon eine Überlegenheit über Stalin, die sie nicht aufgeben dürfen. Stalin bietet sich nur eine Alternative, eine Option, keine volle Freiheit. Hitlers Angriff rollt ganz von selbst an, "Jene" brauchen nichts zu tun, um ihn hervorzurufen, brauchen ihn nur handeln zu lassen. Das ist die entscheidende Grundtatsache, die Sie in Ihrer sehr vom Kreml geprägten Denkweise vergessen haben ... Umdenken, mein Herr, umdenken! Kuz.: Welche Option? Rak.: Ich werde es noch einmal definieren: entweder wird Stalin Zertreten oder er führt den Plan durch, wie ich ihn gezeichnet habe, damit sich die europäischen kapitalistischen Staaten gegenseitig vernichten. Ich habe das eine Alternative genannt, aber, wie Sie sehen, ist es nur eine theoretische Alternative. Stalin wird sich gezwungen sehen, wenn er überleben will, den von mir vorgeschlagenen Plan durchzuführen, sobald er von "Jenen" gebilligt ist. Kuz.: Und wenn er Nein sagt? Rak.: Das wird unmöglich sein. Die deutsche Ausdehnung und Aufrüstung werden weitergehen. Wenn Stalin sich ihr gegenüber sieht, riesig, bedrohlich - was soll er dann machen? Sein eigener Selbsterhaltungssinn wird ihm das sagen! Kuz.: Es scheint, daß die Ereignisse sich nach der von "Jenen" entworfenen Planung abwickeln müssen. Rak.: Und so ist es. Natürlich in der Sowjetunion ist es heute noch nicht so, aber früh oder spät wird es sich ereignen. Es ist nicht schwer, vorauszusagen und zur Durchführung zu bringen, wenn etwas demjenigen paßt, der es durchführen soll, in diesem Falle Stalin, den ich nicht für einen Selbstmordkandidaten halte ... Es ist viel schwerer
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vorauszusagen oder die Durchführung jemand aufzuerlegen, dem es nicht paßt, also in diesem Falle den Demokratien. Ich habe es für diesen Augenblick mir aufgehoben, die wirkliche Lage zu konkretisieren. Aber lösen Sie sich von dem Gedanken, daß Sie in der gegebenen Lage Schiedsrichter seien - Schiedsrichter sind "Jene". Kuz.: Immer wieder "Jene"! Müssen wir mit Gespenstern umgehen? Rak.: Sind Tatsachen Gespenster? Die internationale Lage wird voll Wunder, aber nicht gespenstisch sein; sie ist real und recht real. Es gibt kein Zauberstück, dort wird nämlich die zukünftige Politik bestimmt. Halten Sie das für das Werk von Gespenstern? Kuz.: Wir wollen sehen. Nehmen wir also an, Ihr Plan würde angenommen. Etwas Greifbares, Persönliches müßten wir kennen, um zu verhandeln. Rak.: Zum Beispiel? Kuz.: Eine Person mit Vertretungsmacht, mit Vollmachten. Rak.: Und warum? Um des Vergnügens willen, sie zu kennen und zu sprechen? - Berücksichtigen Sie, daß die angenommene Person, falls sie sich einstellt, keine Beglaubigungsschreiben mit Siegel und Stempel mitbringen, keine Diplomatentracht tragen wird, am allerwenigsten von "Jenen"; was sie sagt oder verspricht, was sie an Verträgen abschließt, wird keinerlei juristischen oder Vertragswert haben. Verstehen Sie, daß "Jene" kein Staat sind, sie sind, was die Internationale vor 1917 war, was sie offiziell heute noch ist - zugleich Nichts und Alles. Stellen Sie sich vor, die Sowjetunion wollte mit der Freimaurerei, mit einer Spionage-Organisation, mit dem mazedonischen Komitadschi oder den kroatischen Ustascha verhandeln. Würde es da irgend etwas Amtliches, Geschriebenes, juristisch Vertragliches geben? Solche Verträge, wie diejenigen zwischen Lenin und dem deutschen Generalstab oder die von Trotzkij mit "Jenen" vollziehen sich ohne Brief und Siegel. Die einzige Garantie für ihre Erfüllung beruht darin, daß es den Vertragschließen-
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den nützlich ist, den Vertrag zu erfüllen - und das ist die einzige wirkliche Garantie bei jedem Vertrag, auch wenn er mit noch soviel Feierlichkeit geschlossen wird. Kuz.: In diesem Falle - was würden Sie beginnen? Rak.: Ehrlich gesagt, ich würde noch morgen anfangen, Berlin zu sondieren. Kuz.: Um den Angriff auf Polen zu vereinbaren? Rak.: Damit würde ich nicht anfangen. Ich würde mich entgegenkommender zeigen, etwas enttäuscht von den Demokratien, würde in Spanien etwas nachgeben ... Das wäre eine Tatsache, die Mut macht; dann würde ich vage auf Polen anspielen. Wie Sie sehen keine Festlegungen, aber genug, damit die Elemente des OKW, die Männer der Bismarck-Linie, wie sie sich nennen, Hitler gegenüber Argumente bekommen. Kuz.: Nicht mehr. Rak.: Im Augenblick nicht mehr. Das ist schon eine große diplomatische Aufgabe. Kuz.: Offen gesagt, bei den heute im Kreml herrschenden Gedankengängen glaube ich nicht, daß gegenwärtig irgend jemand wagen wird, eine so radikale Wendung in der internationalen Politik anzuraten. Ich fordere Sie auf, Rakowskij, sich doch einmal im Geiste in den entscheidenden Mann im Kreml zu versetzen. Nur mit Ihren Enthüllungen, Ihren Gründen, Ihren Hypothesen und Anregungen - da werden Sie mir Zugeben, daß sich niemand überzeugen lassen kann. Ich selbst, der ich Sie gehört habe und - ich darf das nicht leugnen einen starken Eindruck von Ihren Worten und Ihrer Person bekommen habe, habe mich doch nicht einen Augenblick versucht gefühlt, praktisch einen Vertrag zwischen der Sowjetunion und Deutschland ins Auge zu fassen. Rak.: Die internationalen Ereignisse werden dazu mit unwiderstehlicher Gewalt zwingen. Kuz.: Aber das hieße wertvolle Zeit verlieren. Sprechen Sie über
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etwas Greifbares, was ich als Beweis für die Glaubhaftigkeit vorlegen kann. Sonst getraue ich mich nicht, den Bericht über unsere Unterhaltung nach oben durchzugeben; ich werde ihn mit aller Wortgetreulichkeit abfassen, aber er wird in einem Archiv des Kreml schlummern. Rak.: Würde es genügen, damit Sie ihn in Betracht ziehen, daß jemand, auch unamtlich, mit einer wichtigen Persönlichkeit spricht? Kuz.: Das wäre, wie ich glaube, etwas Greifbares. Rak.: Aber, mit wem? Kuz.: Das ist meine persönliche Meinung, Rakowskij, Sie haben von konkreten Personen gesprochen, von großen Finanzmännern, wenn ich mich richtig erinnere, haben Sie einen gewissen Schiff angeführt, auch einen anderen, der als Verbindungsmann zu Hitler bei dessen Finanzierung gedient hat. Es wird auch Politiker oder Persönlichkeiten von Rang geben, die zu "Jenen" gehören oder die "Jenen" dienen. So einer könnte uns dienen, um etwas Praktisches einzuleiten. Kennen Sie da niemand? Rak.: Ich sehe die Notwendigkeit nicht. Überlegen Sie - worüber wollen Sie verhandeln? Gewiß über den Plan, den ich anregte, nicht wahr? Aber wozu? Bei diesem Plan haben "Jene" im Augenblick nichts zu tun, ihre Aufgabe ist "Nicht handeln". Also können Sie keine positive Aktion vereinbaren oder fordern. Erinnern Sie sich und überlegen Sie es gut. Kuz.: Auch wenn dem so ist, erzwingt der Zustand unserer persönlichen Auffassung eine Realität, auch wenn sie unnötig ist ... Einen Mann, dessen Persönlichkeit die Macht, die "Jene" ausüben sollen, wahrscheinlich macht. Rak.: Ich werden Ihnen den Gefallen tun, obwohl ich von der Nutzlosigkeit überzeugt bin. Ich sagte Ihnen schon, daß ich nicht weiß, wer "Jene" sind. Zur Sicherheit hat mir das auch einer gesagt, der es wissen mußte. Kuz.: Wer?
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Rak.: Trotzkij. Weil Trotzkij es mir gesagt hat weiß ich nur, daß einer von "Jenen" Walther Rathenau, der Mann von Rapallo, war. Da sehen Sie den letzten von "Jenen", der öffentlich politische Macht ausübte, wie er es war, der die Wirtschaftsblockade um die Sowjetunion zerbrach, obwohl er einer der größten Millionäre war. Dann war es Lionel Rothschild. Mit Sicherheit kann ich jetzt nicht mehr Namen nennen. Gewiß, ich könnte jetzt mehr Namen nennen, deren Persönlichkeit und Taten sie mir völlig mit "Jenen" übereinstimmend erscheinen lassen - aber ob diese Männer dabei befehlen oder gehorchen, kann ich nicht sagen. Kuz.: Nennen Sie mir einige. Rak.: Als Einheit das Bankhaus Kuhn, Loeb & Co. in der Wallstreet; innerhalb dieses Bankhauses die Familie Schiff, Warburg, Loeb und Kahn; ich sage Familie trotz der verschiedenen Familiennamen, denn sie sind alle untereinander durch Ehen verbunden, Baruch, Frankfurter, Altschul, Cohen, Benjamin, Straus, Steinhardt, Blum, Rosenman, Lippman, Lehman, Dreyfus, Lamont, Rothschild, Lord, Mandel, Morgenthau, Ezechiel, Lasky ... Ich nehme an, das sind genug Namen. Wenn ich mein Gedächtnis anstrenge, kann ich mich an noch mehr erinnern. Aber, ich wiederhole, daß ich nicht weiß, wer einer von "Jenen" sein kann, noch daß ich versichern könnte, daß notwendigerweise einer es ist. Ich muß da alle Verantwortung ablehnen. Aber ich glaube fest, daß jeder einzelne der von mir Aufgeführten, auch wenn er selber es nicht ist, einen substantiierten Vorschlag an "Jene" kommen lassen würde. Danach ob man nun die richtige Person getroffen hat oder nicht - muß man nicht auf eine direkte Antwort warten. Die Antwort geben die Tatsachen. Das ist eine unveränderliche Technik, die sie beachten und deren Beachtung sie durchzusetzen wissen. Zum Beispiel, wenn Sie einen diplomatischen Schritt machen wollen, müssen Sie nicht die persönliche Form anwenden und sich an "Jene" wenden; beschränken Sie sich darauf, eine Erwägung, eine vernunftgemäße Hypothese
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auszudrücken ... Dann braucht man nur abzuwarten. Kuz.: Sie werden verstehen, daß ich jetzt keinen Zettelkasten hier habe, um alle die Personen nachzusehen, die Sie erwähnt haben, aber ich nehme an, daß diese sehr weit weg sind. Wo sind sie? Rak.: Zum größten Teil in den Vereinigten Staaten. Kuz.: Sie werden verstehen, daß, wenn wir da eine Aktion einleiten, uns das viel Zeit kosten wird. Und wir haben es eilig. Nicht wir, sondern Sie, Rakowskij. Rak.: Ich? Kuz.: Ja, Sie, erinnern Sie sich, daß Ihr Prozeß sehr bald beginnen soll. Ich weiß es nicht, aber ich halte es für nicht allzu kühn, daß wenn der Vertrag hier den Kreml interessieren soll, er ihn interessieren müßte, bevor Sie vor dem Gericht erscheinen; das wäre für Sie eine sehr entscheidende Sache. Ich glaube, daß Sie in Ihrem eigenen Interesse uns sehr schnell etwas liefern müßten. Das Wesentliche wäre, eher in Tagen als in Wochen einen Beweis dafür zu bekommen, daß Sie die Wahrheit gesagt haben. Ich glaube, daß, wenn Sie uns den liefern könnten, ich Ihnen fast relativ große Sicherheiten geben könnte, Ihr Leben zu retten ... Anderen Falles garantiere ich für nichts. Rak.: Gut, ich werde es wagen. Wissen Sie, ob Davies in Moskau ist? Ja, der amerikanische Botschafter. Kuz.: Ich glaube, ja. Er müßte zurückgekehrt sein. Rak.: Das wäre ein Weg. Kuz.: Ich glaube, wenn es so ist, müßten Sie mit ihm beginnen. Rak.: Nur ein so außergewöhnlicher Fall, glaube ich, gibt mir das Recht, gegen die Regeln einen amtlichen Weg zu verwenden. Kuz.: Können wir demnach annehmen, daß die amerikanische Regierung hinter all dem steht? Rak.: Dahinter nicht, darunter ... Kuz.: Roosevelt? Rak.: Soweit ich weiß. Ich kann nur daraus schließen. Folgen Sie
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mir mit Ihrer Manie für Spionageromane! Ich könnte Ihnen zu Gefallen eine ganze Geschichte fabrizieren: ich habe genug Erfindungsgabe, wahre Daten und Tatsachen, um einen Schein der Wahrheit zu schaffen, der an die Beweiskräftigkeit streift. Aber sind die öffentlich bekannten Tatsachen nicht viel augenfälliger? Sehen Sie selbst! Erinnern Sie sich jenes Morgens des 24. Oktobers 1929. Es wird eine Zeit kommen da er für die Geschichte der Revolution ein wichtigerer Tag sein wird als der 24. Oktober 1917 ... Dieser 24te ist der Tag des Kraches an der Börse in New York, der Beginn der sogenannten Depression, der wirklichen Revolution - zwölf bis fünfzehn Millionen Arbeitslose! Im Februar 1933 ist der letzte Schlag der Krise mit der Schließung der Banken. Mehr konnte die Finanz nicht tun, um den klassischen Amerikaner, der noch verschanzt im Reduit seiner Industrie saß, auf den Kopf zu schlagen und ihn wirtschaftlich der Wallstreet zu versklaven ... Es ist bekannt, daß jede Verarmung in Blühen des Parasitentums bedeutet - und die Finanz ist der große Parasit. Aber diese amerikanische Revolution hatte nicht nur das wucherische Ziel, die Macht des Geldes zu steigern, sie wollte viel mehr. Die Macht des Geldes, obwohl sie eine politische Macht ist, war bisher immer nur auf indirekte Weise ausgeübt worden - jetzt aber sollte sie sich in unmittelbare Macht verwandeln. Der Mann, durch den sie dies ausüben wollten, sollte Franklin Delano Roosevelt sein. Haben Sie verstanden? Notieren Sie das: in diesem Jahr 1929, dem ersten Jahr der amerikanischen Revolution, im Februar, fährt Trotzkij aus Rußland weg; der Krach ist im Oktober. Die Finanzierung Hitlers wird im Juli 1929 bewilligt. Glauben Sie, daß das rein zufällig ist? Die vier Jahre von Hoover werden dazu verwandt, um die Machtergreifung in den Vereinigten Staaten und in Rußland vorzubereiten, dort durch die finanzielle Revolution, hier durch den Krieg und die darauf folgende Herbeiführung der Niederlage ... Wird ein guter Roman für Sie mehr Beweiskraft haben? Aber Sie werden verstehen, daß ein Plan von derartigem Umfang einen außerge-
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wöhnlichen Mann als Inhaber der Exekutivgewalt in den Vereinigten Staaten benötigte, dazu bestimmt, die organisierende und entscheidende Kraft zu werden: dieser Mann war Franklin Roosevelt und mit ihm Eleanor Roosevelt. Gestatten Sie mir zu bemerken, daß diese Bisexualität keinerlei Ironie ist, man mußte ungleiche Dalilas vermeiden. Kuz.: Ist Roosevelt einer von "Jenen"? Rak.: Ich weiß nicht, ob er einer von "Jenen" ist oder ihnen nur gehorcht. Was bedeutet das auch schon? Ich glaube, er ist sich seines Auftrages bewußt, aber ich kann nicht bestimmt sagen, ob er durch Erpressung gehorsam gemacht ist oder ob er zur Leitung gehört, aber sicher ist, daß er seinen Auftrag erfüllt, seine Aktion durchführt, die ihm übertragen ist, und zwar mit aller Gewissenhaftigkeit. Fragen Sie mich nicht mehr, denn ich weiß nicht mehr. Kuz.: Im Falle man sich entschließt, sich an Davies zu wenden welche Form würden Sie empfehlen? Rak.: Zuerst muß man die Personen richtig auswählen. Jemand wie der "Baron" könnte zu brauchen sein. Lebt er noch? Kuz.: Ich weiß es nicht. Rak.: Gut, die Auswahl der Person bleibt Ihre Sache. Ihr Abgesandter muß sich vertraulich und indiskret, am besten als getarnt oppositionell zeigen. Die Unterhaltung wird mit Geschick bis zu der widerspruchsvollen Lage vorgetrieben, in die die sogenannten europäischer Demokratien die Sowjetunion mit ihrer Allianz gegen den Nationalsozialismus versetzen. Das heißt, sich mit dem britischen und französischen Imperialismus, einem wirklichen Imperialismus, gegen einen potentiellen zu verbünden. Ein Glied im Gespräch wird dazu dienen, die falsche Stellung der Sowjetunion dabei mit der gleichfalls falschen Stellung der amerikanischen Demokratie zu vergleichen ... Auch die amerikanische Demokratie sieht sich gedrängt, um eine innere Demokratie in Frankreich und England zu verteidigen, einen Kolonialimperialismus aufrechtzuerhalten ... Wie
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Sie sehen, kann man die Frage auf eine sehr starke logische Grundlage stellen. Dann ist es kinderleicht, eine Hypothese für die Aktion zu formulieren. Erstens: wenn weder die Sowjetunion noch die USA ein Interesse am europäischen Imperialismus haben, dann schrumpft der Streit auf eine Frage der persönlichen Herrschaft zusammen. Ideologisch, politisch und wirtschaftlich aber würde Rußland und Amerika die Zerstörung des europäischen Kolonialimperialismus nützen, ganz gleich, ob direkt oder indirekt, aber noch mehr den Vereinigten Staaten. Wenn Europa in einem neuen Kriege alle seine Kraft verliert, würde England, das über keine eigene Kraft, sondern nur über solche als europäische Hegemonialmacht verfügt, sobald Europa als Machtpotenz verschwindet, mit seinem britischen Empire englischer Sprache sofort zu den Vereinigten Staaten gravitieren, wie es politisch und wirtschaftlich schicksalhaft ist. Ist man soweit gekommen, kann man eine Pause von einigen Tagen einschieben. Dann, wenn sich die Wirkung gezeigt hat, kann man weiter vorstoßen. Hitler hat eine Aggression begangen, irgendeine, er ist seinem Wesen nach Aggressor, darüber kann man sich nicht täuschen. Und man kann dann weiter fragen: Welche gemeinsame Haltung sollten die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion gegenüber einem Kriege einnehmen, der immer - ganz gleich unter welchem Beweggrund! ein Krieg ist unter Imperialisten, die besitzen, und Imperialisten, die den Besitz erstreben; aber neutral zu sein hängt nicht nur vom eigenen Willen, sondern auch vom Aggressor ab. Die Sicherheit, neutral bleiben zu können, besteht immer nur, wenn der Aggressor im Angriff keinen Vorteil sieht oder ihn nicht ausführen kann. In diesem Fall ist es klar, daß der Aggressor eine andere Nation angreift, natürlich auch eine imperialistische. Dann weiterzugehen und aus Gründen der Sicherheit und Moral nahezulegen, daß, wenn der Zusammenstoß unter den Imperialisten nicht von selber ausbricht, er hervorgerufen werden muß, muß dann ganz leicht fallen. Und, wenn man einmal die Theorie angenommen hat - wie man sie annehmen wird! - dann die
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praktischen Aktionen zu vereinbaren, ist eine rein mechanische Angelegenheit. Hier ist der Fahrplan: 1) Abkommen mit Hitler, um die Tschechoslowakei oder Polen zu teilen. Am besten dieses. 2) Hitler wird annehmen. Wenn er in seinem Eroberungsspiel des Bluffs fähig ist, etwas zusammen mit der Sowjetunion zu nehmen, wird er das für die untrügliche Garantie halten, daß die Demokratien verhandeln werden. Er kann gar nicht an ihre Drohworte glauben, da er ja weiß, daß die am meisten kriegerischen zugleich für die Abrüstung sind, und daß ihre Abrüstung echt ist. 3) Die Demokratien werden Hitler und nicht Stalin angreifen; man wird den Leuten sagen, daß zwar beide gleichmäßig der Aggression und Teilung schuldig sind, strategische und Nachschubgründe aber es veranlassen, sie getrennt zu schlagen. Erst Hitler, dann Stalin. Kuz.: Und sie würden uns nicht mittels der Wahrheit betrügen? Rak.: Und wie denn? Behält nicht Stalin die Freiheit, im notwendigen Maße Hitler zu unterstützen? Lassen wir es nicht in seiner Hand, den Krieg unter den Kapitalisten bis zum letzten Mann und letzten Pfund in die Länge zu ziehen? Womit sollen sie ihn denn angreifen? Schon mit der kommunistischen Revolution im Inneren, die siegen wird, werden die kapitalistischen Staaten genug zu tun haben. Kuz.: Aber wenn Hitler schnell siegt? Wenn er, wie Napoleon, ganz Europa gegen die Sowjetunion mobilisiert? Rak.: Das ist unglaublich! Sie vergessen den wichtigsten Faktor, die Existenz der USA. Ist es dann nicht natürlich, daß die USA Stalin nachahmen und ihrerseits die demokratischen Völker unterstützen? Wenn man "gegen die Uhr" diese beiden Hilfeleistungen für die beiden kämpfenden Lager zusammenwirken läßt, so sichert das unfehlbar die endlose Dauer des Krieges. Kuz.: Und Japan? Rak.: Hat es nicht schon genug mit China zu tun? Stalin mag ihm seine "Nichtintervention" garantieren. Die Japaner haben ja eine Neigung zum Selbstmord, aber doch nicht so sehr, daß sie zugleich
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die Sowjetunion und die USA angreifen. Noch mehr Einwände? Kuz.: Nein, wenn es von mir abhinge, wäre es Beweis genug. Aber glauben Sie, daß der Botschafter ...? Rak.: Es glauben wird? Man hat mich nicht mit ihm reden lassen. Aber beachten Sie eine Einzelheit - die Ernennung von Davies wurde im November 1936 veröffentlicht; wir müssen annehmen, daß Roosevelt seine Entsendung schon früher plante und betrieb; alle kennen ja die Umständlichkeiten und die Zeit, die es erfordert, amtlich die Ernennung eines Botschafters durchzuführen. Man muß also etwa im August sich über seine Ernennung geeinigt haben. Und was geschah im August? Damals wurden Sinowiew und Kamenew erschossen. Ich möchte schwören, daß seine Ernennung den einzigen Zweck hat, aufs neue die Politik von "Jenen" gegenüber Stalin festzulegen. Ja, das glaube ich fest. Mit welcher Besorgnis hat er einen nach dem anderen der Führer der Opposition in den auf einander folgenden Parteireinigungen fallen sehen müssen. Wissen Sie, daß er bei dem Prozeß von Radek anwesend war? Kuz.: Ja! Rak.: Sie sehen ihn! Sprechen Sie mit ihm. Er wartet seit vielen Monaten. Kuz.: Für diese Nacht müssen wir schließen. Aber bevor wir uns trennen, will ich etwas mehr wissen. Nehmen wir an, daß alles Wahrheit ist, sich mit vollem Erfolg verwirklichen läßt. Dann werden "Jene" gewisse Bedingungen stellen. Können Sie erraten, welche das sein werden? Rak.: Es ist nicht schwer, das zu unterstellen. Die erste wird sein, daß die Hinrichtungen von Kommunisten, d. h. von Trotzkisten, wie sie uns nennen, aufhören. Dann wird man einige Einflußzonen festlegen - wie soll ich sagen? - die Grenzen, die den formalen vom wirklichen Kommunismus trennen. Im wesentlichen wird es nicht mehr sein. Dann wird es sich um Versprechen gegenseitiger Hilfe handeln für die Zeit der Dauer des Planes. Sie werden dann z. B. das Paradox erleben, daß eine Menge von Menschen, Feinde Stalins, ihn
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fördern, und das werden weder Proletarier noch Berufsspione sein. In allen Rängen der Gesellschaft, auch in den höchsten, werden mutige Männer sich erheben, um diesen Formalkommunismus Stalins zu unterstützen, wenn er dazu übergeht, nicht zwar Realkommunismus, aber doch objektiver Kommunismus zu sein. Haben Sie mich verstanden? Kuz.: Ein wenig. Aber Sie verhüllen die Sache in einem so dunklen Kasuismus ... Rak.: Da wir abschließen müssen, kann ich mich nur so ausdrücken. Wir wollen sehen, ob ich Ihnen noch helfen kann zu verstehen. Es ist bekannt, daß man den Marxismus auch Hegelianertum genannt hat. So wurde die Frage vulgär dargestellt. Der Idealismus Hegels ist die vulgäre Anpassung an das grobe westliche Verständnis des naturalistischen Mystizismus von Baruch Spinoza. "Jene" sind Spinozisten, vielleicht gilt auch das Umgekehrte und der Spinozismus sind "Jene", wobei jener nur die der Epoche angepaßte Version für die eigene, viel ältere und höhere Philosophie "Jener" ist ... Also Marx als Hegelianer und darum als Spinozist, wurde seinem Glauben untreu, aber nur zeitweilig und aus taktischen Gründen. Es ist nicht, wie es der Marxismus verficht, daß durch die Vernichtung eines Gegensatzes eine Synthese entsteht. Durch die überwindende Integration von These und Antithese als Synthese entsteht eine Wirklichkeit, eine Wahrheit in einem Schlußakkord von Subjektiv und Objektiv. Sehen Sie es nicht? ... In Moskau Kommunismus - in New York Kapitalismus, These und Antithese. Analysieren Sie beide. Moskau: subjektiver Kommunismus und objektiver Kapitalismus, Staatskapitalismus. New York: subjektiver Kapitalismus und objektiver Kommunismus. Persönliche, wirkliche Synthese, Wahrheit: Internationale Finanz, Kapitalismus Kommunismus - eben "Jene ..."
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FORSCHUNGSREIHE HISTORISCHE FAKSIMILES Reprints für Forschungszwecke, insbes. zur Ergänzung von Sammlungen. Erscheinungsjahr 1987
FAKSIMILE-VERLAG / VERSAND D-2800 Bremen 66 • Postfach 66 01 80 Der Faksimile-Verlag liefert eine große Auswahl außergewöhnlicher Nachdrucke. Fordern Sie unser neues Gesamtverzeichnis an!
"Das Unglück des Zweiten Weltkrieges war, daß man gegen Hitler unbedingt Krieg machen mußte." Rudolf Augstein (SPIEGEL 7.1.1985) Das "RAKOWSKIJ-PROTOKOLL" ist ein historisches Zeugnis von kaum zu überbietender Hintergründigkeit und Dramatik. Kristjan Jurjewitsch Rakowskij (1873-1941), Sowjetbotschafter in Paris, wird unter Stalin 1937 als Angehöriger einer oppositionellen Gruppe verhaftet, die der Diktator fürchtet. Er wird aber nicht wie Tuchatschewskij, Gamarnik, Jakir und viele weitere Internationalisten, die Stalins Nationalkommunismus ablehnen, liquidiert, sondern bekommt eine letzte Chance, sein Leben zu retten. Er soll dem GPU-Beamten Gabriel G. Kuzmin die Motive seiner Konspiration mit der deutschen Reichsregierung und sein Wissen über die Hintergründe der Revolution von 1917 zu Protokoll geben. Rakowskij, dem es um die Erhaltung des Sowjetsystems, notfalls unter stalinistischen Vorzeichen zu tun ist, nutzt diese Gelegenheit, um Stalin einen Plan zu unterbreiten, wie er gemeinsam mit Deutschland Polen angreifen und im Anschluß daran Hitler in einen vernichtenden Krieg mit den westlichen Demokratien verwickeln könne, an dessen Ende die sowjetische Vorherrschaft steht. Rakowskij zeichnet dem ungläubigen GPU-Mann, der noch daran glaubt, daß der Sozialismus seinen Sieg eines Tages der Krankheit des Kapitalismus, dem sogenannten "inneren Widerspruch'' verdanken werde, das Bild einer internationalen Verschwörung, in der Kapitalismus und Kommunismus "Kapintern" und "Komintern" - unter einer gemeinsamen Leitung stehen. Rakowskij selbst versteht sich als Abgesandter dieser Leitung, hat in dieser Funktion die Finanzierung der Oktoberrevolution 1917 vorangebracht und Trotzkijs Machtapparat mit aufgebaut, kennt aber seine Oberen nicht. Er kann darüber nur Indizien zu Protokoll geben. Indizien, die Schlaglichter auf zeitgeschichtliche Ereignisse werfen, welche in der Geschichtsliteratur aufgrund der unzureichenden Quellenlage oft ausgespart werden. Dabei ist das "Rakowskij-Protokoll" keine Variante einer nationalistischen Verschwörungstheorie, sondern das Zeugnis eines Kommunisten und Freimaurers, der derartigen Theorien abgewandt ist. Das Rakowskij-Protokoll erschien wenige Jahre nach seiner Auffindung in den Hinterlassenschaften des NKWD-Arztes Dr. Josef Landowsky 1950 in Spanien. Eine deutschsprachige Ausgabe veröffentlichte wenig später in kleiner Auflage der Dürer-Verlag in Argentinien. Der vorliegenden Ausgabe liegt diese Übersetzung zugrunde.
ISBN: 3-8179-0003-1