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German Pages [761] Year 2019
Nina Hinrichs
Wattenmeer und Nordsee in der Kunst Darstellungen von Nolde bis Beckmann
Mit 519 Abbildungen
V& R unipress
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet þber https://dnb.d-nb.de abrufbar. 2., þberarbeitete Auflage 2019, 2017, V& R unipress GmbH, Robert-Bosch-Breite 6, D-37079 Gçttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich gesch þtzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen FÐllen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Max Beckmann, Strandlandschaft, VG Bild-Kunst, Bonn 2019 Vandenhoeck & Ruprecht Verlage j www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-7370-1035-1
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nordsee und Wattenmeer in nationalen, politischen und ideologischen Kontexten deutscher Geschichte . . . . . . Nordsee und Wattenmeer im Kontext ästhetischer Auseinandersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere übergeordnete Untersuchungsaspekte . . . . . .
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Sehweisen von Natur und Landschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einblicke in historische Sehweisen auf das Wattenmeer und die Nordsee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das malerische und romantische Deutschland: Wanderungen an der Nordseeküste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Helgoland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Föhr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Wangerooge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Norderney . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Bremerhaven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Cuxhaven und Neuwerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abschließende Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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37
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47 48 54 57 60 61 63 65
Nordsee und Wattenmeer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gründe für die Ernennung zum Weltnaturerbe Wattenmeer Der Schutzgedanke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kritische Betrachtungen zum Weltnaturerbe Wattenmeer .
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6
Inhalt
A Nordsee und Wattenmeer in nationalen, politischen und ideologischen Kontexten deutscher Geschichte 1. Marinemalerei im Kontext der Flottenpolitik von Kaiser Wilhelm II. . Marinemalerei im Kontext des Ersten Weltkriegs . . . . . . . . . . . .
69 72
Hans Bohrdt – ein wilhelminischer Marinemaler . . . . . . . . . . . . . Annäherungen an das Meer aus der Seefahrerperspektive . . . . . . . Politische und nationale Belegungen der Marinemalerei: Die Nordsee als Kriegsschauplatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bohrdts Bildmotive der zivilen Seefahrt: Die Nordsee als Bühne, Seeverkehrsgebiet und Arbeitsraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vielschichtige ästhetische Annäherungen an Wattenmeer und Nordsee: Schönheit bis Bedrohung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Sturmfluten und Landgewinnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abschließende Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
75 80
105 118 125
Willy Stöwer – ein wilhelminischer Marinemaler Bilder der Seefahrt . . . . . . . . . . . . . . . Die Nordsee als Bühne der Kriegsmarine . . . Zivile Bildthemen . . . . . . . . . . . . . . . . Abschließende Zusammenfassung . . . . . . .
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129 130 134 146 147
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161 171 177
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180 183 193
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2. Claus Bergen – Die Nordsee als Kriegsbühne im Kontext zweier Weltkriege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . »Wir leben noch« – Claus Bergens Bericht von einer U-Bootfahrt im Ersten Weltkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marinebilder im nationalen Kontext – Die Nordsee als Kriegsschauplatz im Ersten und Zweiten Weltkrieg . . . . . . . . . . Unpolitische, ästhetische Annäherungen an die Nordsee . . . . . . . Abschließende Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Magnus Weidemann – Nordsee und Wattenmeer im Kontext von Jugendbewegung, Freikörperkultur und Rassentheorie . . . . . . Nordsee und Wattenmeer im Kontext von Freikörperkultur und Jugendbewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bilder der Freikörperkultur am Meer . . . . . . . . . . . . . . . Liebe zum Meer – rauschhaftes, religiös besetztes Meereserleben Sehweisen von Wattenmeer und Nordsee im Kontext der Rasse-Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
85 94
7
Inhalt
»Unsere Nordische Landschaft« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die erzieherische Aufgabe des Buches . . . . . . . . . . . . . . b) Nordische Charakteristika von Wattenmeer, Nordsee und Küste Weidemanns Meeresmotivik in der Nachkriegszeit . . . . . . . . . . Abschließende Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Nordsee und Wattenmeer im Nationalsozialismus: Kriegsschauplatz, Landgewinnung und ideologische Vereinnahmung . . . . . . . . . . Instrumentalisierung von Kunst im Dienste nationalsozialistischer Ideologie und Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . »Kampf gegen die Nordsee« im Kontext der Blut und Boden-Ideologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nordsee und Wattenmeer als Teil deutscher Heimat . . . . . . . . . Seefahrt als Motiv nationalsozialistischer Kunst . . . . . . . . . . . Nordsee als Kriegsfront . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abschließende Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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203 208 212 233 237
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244 252 258 264 271
B Nordsee und Wattenmeer im Kontext ästhetischer Annäherungen 1. Künstlerkolonie Duhnen/Altenwalde – Harmonische Ansichten der Cuxhavener Küstenlandschaft und des Wattenmeeres um 1900 . . . . Ausgewählte Motive der Künstler – ein Einblick . . . . . . . . . . . . Abschließende Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
275 276 287
Wilhelm Laage: Grafische Annäherungen an die Cuxhavener Wattenmeerregion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Intensive Wahrnehmung des Wattenmeeres . . . . . . . . . Laages Motive von Wattenmeer und Nordsee . . . . . . . . Abschließende Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . .
289 290 294 302
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2. Karl Schmidt-Rottluff und Erich Heckel – Nordsee und Wattenmeer als Inspiration für freie Farb- und Formexperimente . . . . . . . . . . Künstler der Brücke-Bewegung in Dangast . . . . . . . . . . . . . . . Das Nordseebad Dangast um 1900 – Einblicke in Rezeption und künstlerische Darstellungstraditionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Künstlerische Inspirationen der Brücke-Künstler durch die Dangaster Landschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schmidt-Rottluff: Künstlerische Inspirationen durch die Dangaster Landschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Maritime Motive im Werk Schmidt-Rottluffs . . . . . . . . . . .
303 303 304 309 313 317
8
Inhalt
c) Heckel: Künstlerische Inspirationen durch die Dangaster Landschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Maritime Motive im Werk Heckels . . . . . . . . . . . . . e) Maritime Werke von Emma Ritter und Max Pechstein . . Abschließende Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . .
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Erich Heckel: Nordsee und Wattenmeer als Projektionsfläche zweier gegensätzlicher Lebenssituationen: Krieg und Urlaub . . . . . . . . . . Heckels Sanitätseinsatz im Ersten Weltkrieg bei Ostende . . . . . . Die Nordsee als Projektionsfläche individueller Empfindungen . . . Heckels Sylt-Aufenthalte 1923–1962 – Einblicke in die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Wattenmeer und der Nordsee in späteren Werken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abschließende Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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321 323 327 330
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337 337 338
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350 363
3. Franz Radziwill – Das Wattenmeer zwischen Alltag, Krieg, Glauben und Fantasie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Bedeutung der Dangaster Landschaft und des Wattenmeeres für Radziwills Kunst in der frühen Schaffensphase . . . . . . . . . . . . . Expressionistische Annäherungen im Frühwerk . . . . . . . . . . . . Wandlung zur Neuen Sachlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Romantische Einflüsse in Radziwills Naturauffassung und maritimen Bildwelten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Radziwill im Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einblick in die maritime Motivik Radziwills im Nationalsozialismus . Die Nordsee als Schauplatz der Kriegsmarine in Radziwills Werken . Zersplitterte Welten in der Nachkriegszeit . . . . . . . . . . . . . . . . Küstenschutz, Landgewinnung und Sturmflut im Spätwerk Radziwills Kritische Sehweisen in Hinblick auf Tourismus, Umweltverschmutzung und Naturzerstörung . . . . . . . . . . . . . . Abschließende Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Alfred Bachmann – naturalistische Annäherungen an den Stimmungs- und Lebensraum Wattenmeer . . . . . . . . . . . . . . . Biografische Bezüge zum Wattenmeer . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bachmanns Aufenthalte am Wattenmeer . . . . . . . . . . . . . . Ästhetisches Erleben der Nordsee und des Wattenmeeres . . . . . . . Verbildlichungen von Stimmungen und Dynamik an Wattenmeer und Nordsee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bildmotive: Inseln und Halligen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wattdarstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
365 366 374 381 384 394 397 401 414 427 432 436
439 440 441 448 450 456 461
9
Inhalt
Verbildlichung von Lichtstimmungen und Wetterphänomenen Sturmdarstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verbildlichung der Tierwelt des Wattenmeeres . . . . . . . . . Bilder des Wattenmeeres als Jagdgebiet . . . . . . . . . . . . . Bildmotive: Mensch und Meer . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bildmotive: Schiffe und Meer . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einblicke in die Rezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rezeption vor 1933 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rezeption im Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . c) Rezeption in der Nachkriegszeit . . . . . . . . . . . . . . Abschließende Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . .
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5. Käte Lassen: Die dänische Nordseeküste als Alltagsraum der Küstenbewohner und als Stimmungslandschaft . . . . . . . . . . Biografischer Bezug zur Nordsee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Suche nach Ursprünglichkeit: Dänische Küstenlandschaft und deren Bewohner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klitmøller (1905–1910) – Darstellungen von Frauen am Meer . . . Graue Periode: Maritime Werke nach dem Ersten Weltkrieg . . . . Stenbjerg (1924–1944) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Fischerdarstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Nordsee aus der Sicht der Kinder . . . . . . . . . . . . . Lassen im Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abschließende Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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464 468 471 480 484 492 495 495 501 508 509
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513 515
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517 519 528 536 538 543 546 547
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6. Emil Nolde – Künstlerische Annäherung an Nordsee und Wattenmeer im Kontext individueller Farbästhetik und subjektiver Empfindungen Nordsee und Ostsee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Noldes Verbundenheit mit der nordfriesischen Landschaft und Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufenthalt in Lildstrand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eine Sturmfahrt im Kattegat – Wellenmotivik in Noldes Werk . . . . . Rückkehr in die Nordseeküstenregion nach Utenwarf . . . . . . . . . a) Überschwemmungen und Sturmfluten . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Tierwelt der Nordseeküstenregion . . . . . . . . . . . . . . . Aufenthalt auf Hallig Hooge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seebüll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufenthalt auf Sylt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Maritime Werke im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit . . Abschließende Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
549 554 557 562 571 575 578 584 586 590 593 603 612
10
Inhalt
7. Max Beckmann – Die Nordsee als künstlerischer Studienort, Urlaubsziel und Projektionsfläche individueller Lebenssituationen . Beckmanns künstlerische Annäherungen an die Nordsee im Frühwerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufenthalt auf Wangerooge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erster Weltkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Scheveningen – Blicke aufs Meer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nordseebilder im gesellschaftshistorischen Kontext: Beckmanns Diffamierung im Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . Sturm- und Gewitterbilder – basierend auf einem Wangerooge-Aufenthalt kurz vor Beckmanns Emigration . . . . . . Zandvoort – Spiegelung der bedrückenden Exilsituation Beckmanns in maritimen Darstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beckmanns Bezug zur Nordsee in der Nachkriegszeit . . . . . . . . Abschließende Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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615
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616 626 629 633
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684 686
Farbabbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
689
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Internetquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
701 737
Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
739
Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit A: Nordsee und Wattenmeer in nationalen, politischen und ideologischen Kontexten deutscher Geschichte . . . . . . . . . . Fazit B: Nordsee und Wattenmeer im Kontext ästhetischer Annäherungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gibt es eine gemeinsame Essenz aller Werke? . . . . . . . . . . . Das Wattenmeer als etwas Einzigartiges und Besonderes in künstlerischen Darstellungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forschungsausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Vorwort
In dieser Studie wird eine Untersuchung von Darstellungen der Nordsee und des Wattenmeeres ausgewählter Künstlerinnen und Künstler – im Zeitraum Ende des 19. bis Mitte des 20. Jahrhunderts – durchgeführt. Die Bilder werden in Hinblick auf gesellschaftspolitische, historische und kulturelle Zusammenhänge unter Berücksichtigung der individuellen Künstlersituation betrachtet. Ziel der Studie ist eine Untersuchung exemplarischer künstlerischer Darstellungen von Nordsee und Wattenmeer unter den folgenden zwei übergeordneten thematischen Gesichtspunkten: 1. Nordsee und Wattenmeer in nationalen, politischen und ideologischen Kontexten deutscher Geschichte 2. Nordsee und Wattenmeer im Kontext ästhetischer Annäherungen Auf Basis einer ikonografischen Analyse werden die unterschiedlichen Zugänge und bildnerischen Darstellungen von Nordsee und Wattenmeer untersucht.1 Ein in der bisherigen Forschung noch nicht erfolgter Überblick der Werke wird gegeben. In dieser zweiten überarbeiteten Ausgabe wird der Nolde-Kapitelkomplex in überarbeiteter, aktualisierter Form vorgelegt. Durch das Auswerten bisher nicht zugänglicher Dokumente in der Nolde-Forschung hat sich die Sehweise auf den Künstler radikal verändert. Zum Recherchezeitpunkt lagen diese Erkenntnisse noch nicht vor, so dass sie erst in dieser Ausgabe berücksichtigt werden. Im ersten Teil wird dargelegt, inwieweit sich in den Bildern nationale, politische und ideologische Aspekte deutscher Geschichte spiegeln. Im zweiten Teil werden Künstlerinnen und Künstler herangezogen, die freiere Zugänge zu Nordsee und Wattenmeer in ihren Bildern visualisierten. Der Begriff »ästhetische Annäherungen« ist in dieser Studie sehr offen gefasst, um den differie1 Eine vollständige tiefenhermeneutische Analyse jedes Einzelbildes würde den Rahmen der Arbeit sprengen. Somit erfolgt eine solche Untersuchung nur in Bezug auf exemplarische Werke.
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Vorwort
renden Ansichten und vielfältigen künstlerischen Umsetzungen gerecht zu werden. Weiterhin wird in der Gesamtschau dargelegt, ob die unterschiedlichen Darstellungen einen gemeinsamen inhaltlichen Gehalt besitzen. Zudem wird überprüft, inwieweit die von der UNESCO als »besonders schützenswert« ausgezeichneten Phänomene des Weltnaturerbes Wattenmeer in dem Untersuchungszeitraum verbildlicht und bereits als etwas Besonderes betrachtet wurden. Abschließend wird ein Forschungsausblick gegeben. Auf Basis der Überlegungen dieser kunsthistorischen Studie werden im zweiten kunstdidaktischen Teil der Habilitationsschrift kunstpädagogische Vermittlungsansätze zum Thema »Wattenmeer« abgeleitet und anschließend untersucht, inwieweit sie sich für die Welterbebildung eignen.2 Dazu wird ein Katalog didaktischer Themenfelder an der Schnittstelle von Kunstpädagogik und UNESCO-Welterbebildung erstellt und für das Weltnaturerbe Wattenmeer konkretisiert. Hypothesen, für welche thematischen Zugänge sich die vorab benannten Strategien aufgrund ihrer spezifischen Eigenheiten besonders eignen, werden überprüft. Dieser zweite Teil der Studie leistet somit eine Grundlagenforschung zum Bildungsauftrag der UNESCO zum Weltnaturerbe Wattenmeer im Bereich der Kunstpädagogik. Die unterschiedlichen Teile dieser Arbeit sind zwar durch die übergeordnete Thematik »Weltnaturerbe Wattenmeer« verbunden, doch stellen beide in sich geschlossene Studien dar. Es gibt allerdings wesentliche Verknüpfungsstränge: So werden auf Basis von Teil 1 kunstdidaktische Vermittlungsziele und -strategien für den zweiten Teil abgeleitet und umgesetzt. Zudem ist Teil 1 Voraussetzung für die Analyse der malerischen Strategie in Teil 2. Beide Abschnitte sind jedoch methodisch und inhaltlich voneinander abzugrenzen. Somit lässt sich dieses Buch isoliert vom kunstdidaktischen Teil lesen.
2 Vgl. Hinrichs 2016.
Einleitung
Ziel dieser stil- und motivgeschichtlichen Studie ist eine Analyse künstlerischer Darstellungen der Nordsee und des Wattenmeeres ausgewählter Künstlerinnen und Künstler im Zeitraum vom Ende des 19. bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts.1 Im Rahmen eines subjektivistischen Landschaftsbegriffs, der dieser Studie zugrunde liegt, reicht das Wahrnehmungsspektrum von Wattenmeer und Nordsee vom Alltagsraum, Stimmungslandschaft, Urlaubsort, Arbeitsfeld, Kriegsschauplatz, Seefahrtzone und Naturschutzgebiet bis hin zur Projektionsfläche individueller Empfindungen und Lebenssituationen. Künstlerische Darstellungen können die unterschiedlichen Sehweisen und ästhetischen Erfahrungen der Künstler reflektieren. Ebenso fungiert Kunst als Reflexionsmedium gesellschaftlich-politischer, historischer und kultureller Kontexte. Kunstwerke werden somit in erster Linie als geistesgeschichtliche Zeugnisse im Sinne Panofskys2 aufgefasst. Der erste Teil dieser Studie behandelt exemplarisch Künstler, deren Werke weitestgehend in nationalen, politischen und ideologischen Zusammenhängen deutscher Geschichte stehen.3 Im zweiten Teil werden ästhetische, künstlerische Annäherungen an Nordsee und Wattenmeer untersucht, die primär keine nationalen und politischen Belegungen aufweisen. Beide Kapitel tragen inhaltlichen Überschneidungen Rechnung, um zu verhindern, dass die Künstlerinnen 1 Im Folgenden werden die Begrifflichkeiten »Seestück«, »maritime Bilder« und »Marinemalerei« verwendet. Die Termini besitzen im jeweiligen historischen Kontext verschiedene begriffliche Ausprägungen und ein großes thematisches Spektrum. Vgl. Meyer-Friese 1981, S. 13ff. Im Gebrauch dieser Studie wird der Terminus »Seestück« insbesondere mit Darstellungen des Meeres in Verbindung gesetzt, der Begriff »Marinemalerei« dagegen in Bezug zu Schiffsdarstellungen. »Maritime Bilder« umfassen beide Sujets. Ebenfalls werden die unterschiedlichen begrifflichen Ausführungen der Künstler herangezogen. 2 Vgl. Panofsky 1997, vgl. Panofsky 2003. Die Werke werden nicht als auf sich verweisende autonome Objekte in Anlehnung an Imdahls Ausführungen aufgefasst. Vgl. Imdahl 2003. 3 Leider konnten trotz umfassender Bemühungen nicht immer alle Bilddaten ausfindig gemacht werden. In diesen Fällen liegen nur unvollständige Bilduntertitel vor.
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Einleitung
und Künstler nur auf eine thematische Ausrichtung eingegrenzt werden. In den Fällen, in denen vielfältige Annäherungen an Wattenmeer und Nordsee vorliegen, ist dies entsprechend dargestellt.4 Bei der Auswahl der Künstler und Künstlerinnen wurden Vertreter unterschiedlicher, künstlerischer Ideale und Bewegungen ausgesucht, damit die Ansätze breit gefächert sind. Anhand ausgewählter Werke wird differenziert dargelegt, mit welcher Motivik und Bildsprache sich die jeweilige Künstlerperson der Nordsee und dem Wattenmeer angenähert hat. Der Fokus dieser Studie liegt dabei auf der Malerei, wohingegen andere Kunstformen nur in Einzelfällen herangezogen werden, insbesondere wenn Wechselwirkungen zur Malerei erkennbar sind. Neben den Bildern wurden Selbstzeugnisse wie Briefe und Tagebuchnotizen untersucht, um den individuellen Künstlerkontext und persönliche Wahrnehmungsweisen in die Untersuchung mit einfließen zu lassen.
Nordsee und Wattenmeer in nationalen, politischen und ideologischen Kontexten deutscher Geschichte Der Begriff »Ideologie«5 ist in dieser Studie in Bezug auf die untersuchte historische Zeitspanne eng gewählt: Rassistische Theorien der völkischen Bewegung sowie die nationalsozialistische Weltanschauung als auch lebensreformerische Konzepte werden darunter gefasst. Diesbezüglich werden Künstler betrachtet, die in ihren Bildern die genannten Inhalte visualisierten bzw. ihre Werke in den Dienst von Ideologien, Politik oder nationalen Strömungen deutscher Geschichte gestellt haben.6 Der Untersuchungszeitraum ist für die deutsche Geschichte von großer Bedeutung: In dieser Zeitspanne, Ende des 19. Jahrhunderts bis Mitte des 20. Jahrhunderts, in der sich zwei Weltkriege ereigneten, fand in Deutschland 4 So haben sich beispielsweise die im ersten Teil angeführten Marinemaler auch ästhetisch – ohne nationale oder politische Intentionen – dem Sujet der Schifffahrt genähert. Da sie viele ihrer Werke jedoch in den Dienst der Kriegspropaganda stellten, werden sie in Teil A der Studie verortet. Im Gegenzug lassen sich aus vielen Bildern der im zweiten Teil der Studie angeführten Künstler geschichtliche und politische Ereignisse, wie die Auswirkungen der zwei Weltkriege oder der nationalsozialistischen Terrordiktatur lesen. Da der Großteil der Werke jedoch nicht in politischen und nationalen Kontexten verortet werden kann, werden diese Malerinnen und Maler im zweiten Teil der Studie behandelt. 5 Ideologie: a) an eine soziale Gruppe, eine Kultur o. Ä. gebundenes System von Weltanschauungen, Grundeinstellungen u. Wertungen; b) weltanschauliche Konzeption, in der Ideen (2) der Erreichung politischer u. wirtschaftlicher Ziele dienen. Vgl. Duden – Das Fremdwörterbuch, 9. Aufl. Mannheim 2007. 6 In den nationalistisch geprägten Zeiträumen des Wilhelminismus und Nationalsozialismus liegt eine Überlagerung politischer und nationaler Interessen vor. Im Nationalsozialismus erfolgt zudem eine Verknüpfung mit ideologischen rassistischen Ideen.
Nordsee und Wattenmeer in nationalen, politischen und ideologischen Kontexten
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der Wandel von der Monarchie zur Demokratie statt. Im Jahr 1871 erfolgte die Gründung des Deutschen Reiches. Die wilhelminische Monarchie wurde nach dem Ersten Weltkrieg durch die Weimarer Republik abgelöst. Letztgenannte war jedoch nicht lange von Bestand, der Nationalsozialismus etablierte eine Diktatur. Die Terrorherrschaft mündete in den Zweiten Weltkrieg. Erst nach 1945 konnte Deutschland mit Unterstützung anderer Länder den Weg in eine Demokratie beschreiten. Allerdings erfolgte 1949 zunächst die Spaltung Deutschlands in die BRD und DDR. Die Wiedervereinigung im Jahre 1989 liegt bereits außerhalb des Untersuchungszeitraums dieser Studie. Aufgrund des Analyseschwerpunktes, im Hinblick auf den Einfluss politischer Entwicklungen in Deutschland und nationaler sowie ideologischer Belegungen, wird eine Eingrenzung auf deutsche Künstler und Künstlerinnen vorgenommen.7 Es wird untersucht, inwieweit sich in den Bildern die politische und historische Entwicklung Deutschlands sowie die zwei Weltkriege spiegeln. Weiterhin werden nationale oder ideologische Belegungen herausgearbeitet. Auf den ersten Blick mag es verwundern, dass maritime Werke derartige Belegungen aufweisen. Allgemein hatte die Nordsee hinsichtlich nationaler, politischer und ideologischer Kontexte Bedeutung als Austragungsort für Seegefechte im Ersten und Zweiten Weltkrieg, für national konnotierte Landgewinnungsmaßnahmen und rassisch-ideologische Vereinnahmungen. Dies spiegelt sich ebenfalls in maritimen Werken, insbesondere in der Marinemalerei. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts stand die Marinemalerei im Zeichen der beiden Weltkriege. Dabei wurde sie für nationale Absichten auch propagandistisch zur Popularisierung des Seekrieges eingesetzt. Die Nordseeküstenstadt Wilhelmshaven war bereits im Ersten Weltkrieg ein bedeutender Kriegsmarinestützpunkt. Kaiser Wilhelm II. führte eine Aufrüstungspolitik der Flotte durch und popularisierte maritime Thematiken auch durch die Kunst. Exemplarisch für die wilhelminische Marinemalerei werden in dieser Studie Werke der Künstler Willy Stöwer und Hans Bohrdt untersucht, da sie ihre maritimen Bilder in den Dienst der kaiserlichen Flottenpolitik stellten. Zwischen den Weltkriegen, in der Zeit der Weimarer Republik, büßte die Gattung der Marinemalerei in der breiten Bevölkerung zunächst stark an Popularität ein. Allerdings war in den zwanziger Jahren im Rahmen wiedererstarkender Kriegsbegeisterung ein wieder wachsendes Interesse an maritimen Darstellungen zu verzeichnen. Im Nationalsozialismus wurde die Marinemalerei wiederholt propagandistisch instrumentalisiert und erlebte eine erneute Blütezeit. Stöwer war bereits 1931 gestorben und Bohrdt hatte während dieser Zeit als alter Mann nur noch sporadisch Erfolge mit seinen Kriegsmarinedarstellungen. Somit liegen ihre Hauptschaffensphasen vor dem Beginn des Natio7 Dazu gehören Hans Bohrdt, Willy Stöwer, Magnus Weidemann und Claus Bergen.
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nalsozialismus. Claus Bergen wird als weiterer Künstler in dieser Studie benannt, da er in beiden Weltkriegen als Kriegsmarinemaler tätig war. Er hatte bereits im Ersten Weltkrieg durch seine Werke zur Heroisierung des Seekriegs beigetragen und knüpfte im Zweiten Weltkrieg daran an. Seine Kriegsmarinedarstellungen waren im Nationalsozialismus sehr gefragt und wurden propagandistisch inszeniert. Die Bedeutung seiner maritimen Darstellungen von Nordsee und Wattenmeer werden diesbezüglich analysiert. Eine weitere Strömung, die in den zwanziger Jahren erstarkte, war die der Jugendbewegung und Freikörperkultur. Der Künstler Magnus Weidemann, ursprünglich als Pfarrer tätig, war in diesen Bewegungen insbesondere auf der Nordseeinsel Sylt aktiv. Obwohl Weidemann ein eher unbekannter Künstler ist, wird er in diese Studie mit aufgenommen, da sich in seinen Werken und Schriften neben den Idealen der Freikörperkultur auch die im Kontext völkischer Bewegung erstarkende Rasselehre spiegelt. Im Rahmen des »Nordischen Gedankens«, der später zur Grundlage nationalsozialistischer Ideologie wurde, vereinnahmte Weidemann die Nordsee, deren Inseln und Küste als Teil »nordischer Urheimat«. Auch diese ideologischen Belegungen werden untersucht. Der Antisemitismus erreichte im Kontext nationalsozialistischer Rassenideologie einen traurigen Höhepunkt. Die deutsche Heimat und damit ebenso die Nordseeküste wurden im Rahmen der Rasse-Kunst-Lehre motivisch verbildlicht. Die in den nationalsozialistischen »Großen Deutschen Kunstausstellungen« und in der repräsentativen Zeitschrift für nationalsozialistische Kunst, »Kunst im Dritten/Deutschen Reich«, präsentierten Nordsee- und Wattenmeerdarstellungen werden analysiert und dabei nationale und ideologische Belegungen in Verbindung mit der Blut- und Boden-Kunstideologie herausgearbeitet. Die maritimen Werke der in diesem Teil ausgewählten Künstler stehen in unterschiedlichen inhaltlichen und zeitlichen Zusammenhängen und decken den Untersuchungszeitraum dieser Studie ab.
Nordsee und Wattenmeer im Kontext ästhetischer Auseinandersetzung Im zweiten Teil werden exemplarisch Künstlerinnen und Künstler betrachtet, die eine weitestgehend unpolitische und freiere, ästhetische Auseinandersetzung mit Wattenmeer und Nordsee auszeichnet. Die Vielfalt der Darstellungen von Nordsee und Wattenmeer, die motivisch von Stimmungsreichtum über die Besonderheiten der Natur bis hin zum Alltags- und Arbeitsraum sowie zum Urlaubsort reichen, wird herausgestellt. Unter Bezugnahme auf den individu-
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ellen Künstlerkontext wird analysiert, inwiefern Wattenmeer und Nordsee in den Bildern als Projektionsfläche für Empfindungen und für die jeweilige Lebenssituation dienten und welche anderweitigen inhaltlichen Belegungen vorliegen. Der Untersuchungszeitraum ist für die kunstgeschichtliche Entwicklung von großer Bedeutung. Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts erfolgte ein Bruch mit den traditionellen Konventionen. Im Zusammenhang avantgardistischer Strömungen wurden bis dahin unübliche Medien und Darstellungsformen eingeführt. Auch in der Malerei etablierten sich neue Ideale, die eine stilistische und motivische Vielfalt initiierten. Die realistisch-naturalistischen Darstellungen hatten zwar weiter Bestand, parallel dazu entstanden jedoch andere Ausdrucksformen. So gab es in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts verschiedene Stilrichtungen. Aus diesem Grund stellt diese Studie Künstler vor, die sich auf unterschiedlichste Weise der Nordsee und dem Wattenmeer näherten und dieses bildlich umsetzten. Zu ihnen gehören: Wilhelm Laage, Karl Schmidt-Rottluff, Erich Heckel, Franz Radziwill, Käte Lassen, Alfred Bachmann, Emil Nolde und Max Beckmann. Im Folgenden wird die Auswahl begründet und skizziert, welche motivischen und stilistischen Schwerpunkte die Werke enthalten. Diese Studie verweist auf die im Nordseeküstengebiet Duhnen für einige Jahre bestehende Künstlerkolonie. Studenten aus Karlsruhe und Stuttgart suchten mit ihren Professoren diese Gegend in den Sommermonaten von 1895–1903 regelmäßig auf, um dort unter freiem Himmel künstlerisch zu arbeiten. In dieser Zeit fand durch das Aufbrechen künstlerischer Konventionen eine Abkehr vom traditionellen Akademieleben statt. Es wird ein Einblick in die bildlichen Auseinandersetzungen der Mitglieder dieser Künstlergemeinschaft mit dem Wattenmeer und der Nordsee gegeben. Die grafischen Annäherungen von Wilhelm Laage, – einst Student in der Kolonie – werden exemplarisch dargelegt, da er sich nach Auflösung der Künstlergemeinschaft für einige Jahre in der Gegend niederließ. Während die Arbeiten der Duhner/Altenwalder Künstler naturalistische Züge aufweisen, stehen die Werke der ab 1907 in Dangast tätigen Künstler der BrückeBewegung im Kontext expressionistischer Ideale. Die Künstlerbewegung »Die Brücke« wurde um 1905 ins Leben gerufen. Zwei Mitglieder, Schmidt-Rottluff und Erich Heckel, hielten sich im Zeitraum von 1907 bis 1912 mit Unterbrechungen in Dangast auf. In ihrer Suche nach Ursprünglichkeit und freier Natur schufen sie künstlerische Darstellungen, die sich durch freie Farb- und Formexperimente auszeichnen. Diese Studie legt ihre künstlerischen Annäherungen an die Wattenmeerregion dar. Weiterhin wird ein Einblick in Heckels Werke gegeben, die – zeitlich nach Auflösung der Brücke-Bewegung – in Ostende
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während des Ersten Weltkriegs sowie auf späteren Urlaubsreisen nach Sylt entstanden. Auch nachdem die Brücke-Maler den Nordseeküstenort Dangast verlassen hatten, inspirierten sie nachfolgende Künstler. Auf ihren Spuren wählte Franz Radziwill Dangast als Heimat. Die Bedeutung des Wattenmeeres für seine Person und seine Kunst wird erläutert. Anfänglich sich noch zum Expressionismus bekennend, wandte er sich der Neuen Sachlichkeit und dem Fantastischen Realismus zu. Seine Werke zeichnen eine inhaltliche und stilistische Entwicklung und eine große motivische Vielfalt mit Bezügen zu seiner jeweiligen Lebenssituation aus, die differenziert dargelegt wird. Alf Bachmann wird als weiterer Künstler in diese Studie einbezogen, da er einen wichtigen Themenkreis des Wattenmeeres aufgriff: Er näherte sich diesem Meer sowohl als einem Natur- und Lebensraum als auch in Bezug auf den Stimmungsreichtum. Er unternahm mehrere Studienreisen, in denen er auf dem Boot die Natur des Wattenmeeres intensiv ästhetisch erlebte. Die dabei entstandenen Werke veranschaulichen Ansichten des vielfältig von den Gezeiten geprägten Wattenmeeres. In gegenständlichen Darstellungen verbildlichte Bachmann dessen Schönheit. Da er auch großes ornithologisches Interesse besaß, band er die Vogelwelt motivisch in seine Darstellungen ein. Die Studie analysiert seine verbildlichten Sichtweisen auf das Wattenmeer. Allerdings ist sein Werk umstritten, da es im Nationalsozialismus große Würdigung erfuhr. Diesem Aspekt wird in der Studie Rechnung getragen. So erfolgt neben der Untersuchung seiner Motivkreise auch ein Einblick in die Rezeption seines künstlerischen Schaffens. Während sich viele der vorab benannten Künstler insbesondere den Motivkreis der deutschen Wattenmeerküste erschlossen, entdeckte Käte Lassen das traditionelle Leben der dänischen Küstenbewohner/innen für ihre Kunst. Ihre Bilder spiegeln das Leben der Menschen an der Nordseeküste wider. Diesbezüglich wird erörtert, inwieweit diese Küstenlandschaft als Alltagslandschaft und Projektionsfläche von Stimmungen und Empfindungen dient. Die in verschiedenen zeitlichen Phasen entstandenen Bilder von der Nordsee werden im jeweiligen historischen Kontext analysiert. Ein weiterer Künstler, der wie Lassen starken Bezug zu Dänemark aufweist und neue Sehweisen auf das Meer in seinen Werken visualisierte, ist Emil Nolde. Er näherte sich mittels seiner individuellen Farbästhetik der Nordsee an. Im Jahre 1906 war er kurzzeitig Mitglied in der Künstlergruppe »Brücke«, verließ diese jedoch wieder und beschritt einen individuellen Weg. Im Gegensatz zu den anderen Mitgliedern, die sich nur einige Jahre – mit Unterbrechungen – an der Nordseeküste aufhielten, war er im deutsch-dänischen Grenzbereich geboren und lebte lange Zeit an der Nordsee in Nordfriesland. Diese Studie zeigt auf, in welcher Weise dieses Meer Einfluss auf Noldes künstlerische Entwicklung und
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seine Farbästhetik nahm und welche maritimen Darstellungsweisen er kreierte. Dabei muss jedoch beachtet werden, dass die maritimen Bilder zwar nur einen Teil seines Gesamtoeuvres ausmachen, jedoch von großer Bedeutung sind. Dies gilt ebenso für die Arbeiten von Max Beckmann. Dieser Künstler wurde gewählt, da seine Werke vielfältige Annäherungen an die Nordsee zeigen. Im Laufe seines Lebens suchte er verschiedene Orte der Nordseeküstenregion von den Niederlanden über Deutschland bis nach Dänemark auf. Ihn verband zeitlebens eine tiefe Bindung zum Meer. Die Nordsee fungierte sowohl als Studienort, als Urlaubsziel sowie als Projektionsfläche seiner individuellen Lebenssituation. Während der Zeit nationalsozialistischer Diffamierung, die er im niederländischen Exil verbrachte, war die Nordsee für ihn auch ein Zufluchtsort. In der Schlussbetrachtung werden die Ergebnisse unter den in der Einleitung dargelegten Untersuchungsaspekten zusammengeführt. Ziel der Studie ist es, anhand exemplarischer, künstlerischer Positionen unter den übergeordneten thematischen Gesichtspunkten die Vielfalt künstlerischer Annäherungen an die Nordsee und das Wattenmeer darzulegen.8 Weiterhin stellen die entsprechenden Kapitel in Bezug auf die Zweiteilung inhaltliche Überschneidungen heraus.9
Weitere übergeordnete Untersuchungsaspekte Zudem wird in der Gesamtschau überprüft, ob trotz der Vielfalt möglicherweise eine gemeinsame inhaltliche Essenz der behandelten Werke vorliegt. Die Studie untersucht weiterhin mit Blick auf den heutigen Welterbestatus des Wattenmeeres, ob die gewählten Künstlerinnen und Künstler das Wattenmeer bereits damals als etwas Einzigartiges wahrnahmen und visualisierten. Es wird die Frage behandelt, inwieweit bereits damals, vor Ernennung zum Welterbe, die von der UNESCO als besonders ausgezeichneten Phänomene verbildlicht worden sind. Aus diesem Grund betrachtet diese Arbeit sowohl Künstler, die sich intensiv mit dem Wattenmeer befassten – wie Hans Bohrdt, Magnus Weidemann, Alf Bachmann und Franz Radziwill – als auch Künstler, die das Watt nicht 8 Die Intention dieser Untersuchung besteht jedoch nicht darin, eine exemplarische Darstellung für allgemeine Entwicklungstendenzen in der Landschaftsmalerei des 19. und 20. Jahrhunderts zu geben. 9 So haben sich einige der in dieser Studie angeführten Künstler, wie Hans Bohrdt oder Claus Bergen zwar primär mit politisch motivierten Themen befasst, jedoch ebenfalls unpolitische, ästhetische Annäherungen in ihren Werken vorgenommen. Dies gilt ebenso umgekehrt. Exemplarisch dafür sei auf Bachmann verwiesen. Obwohl dieser Künstler mit seinen Werken keine politischen Aussagen verband, wurden diese von den Nationalsozialisten im Kontext der Blut- und Boden-Ideologie interpretiert. Auch in den Werken Heckels, Lassens, Radziwills und Beckmanns spiegeln sich politisch-historische Ereignisse wie beispielsweise die Auswirkungen der Weltkriege.
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motivisch in ihr Werk einbanden, obwohl sie es kannten. Daraus lassen sich Rückschlüsse hinsichtlich der Bedeutung des Wattenmeeres für ihre Kunst ziehen. Bevor im Folgenden eine Analyse der künstlerischen Auseinandersetzung mit Nordsee und Wattenmeer unter den bereits dargelegten Themenfeldern erfolgt, werden bestimmte naturwissenschaftliche Aspekte erläutert, die für diese Studie von Bedeutung sind. So wird die Ernennung des Wattenmeeres zum Weltnaturerbe dargelegt und kritisch reflektiert.10 Anschließend erfolgt im Kontext subjektivistischer Landschaftstheorie ein Einblick in die Sehweisen von Nordsee und Wattenmeer im historischen Zusammenhang. Zudem wird auf das im Jahre 1840 erschienene Werk »Das malerische Deutschland: Wanderungen an der Ostund Nordseeküste« eingegangen, da hier wesentliche Wahrnehmungsmuster um die Mitte des 19. Jahrhunderts skizziert sind, die zum Teil noch länger bedeutend waren. Somit sind die folgenden Kapitel die Basis für die weitere Untersuchung.
10 Dies ist eine Voraussetzung für die Beantwortung der Frage, inwieweit das Wattenmeer im 19. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bereits als etwas Besonderes wahrgenommen und dementsprechend verbildlicht wurde.
Nordsee und Wattenmeer
Abb. 1: Weltnaturerbe Wattenmeer
Die Nordsee ist ein ca. 520 000 km2 großes Schelfmeer im nordwestlichen Europa.1 Ein Teilgebiet davon ist das Wattenmeer. Dieses erstreckt sich von der niederländischen Halbinsel Den Helder über Deutschland bis zur Halbinsel Skallingen in Dänemark (Abb. 1).2 Es dehnt sich auf eine Fläche von etwa 14 000 km2 aus und umfasst Sand- und Schlickwatten, Priele, Salzwiesen, Seegraswiesen, Muschelbänke, Sandbarren und Barriereinseln.3 Die Britischen Inseln schirmen die 1 Vgl. Gemeinsames Wattenmeersekretariat, World Heritage Nomination Project Group (Hg.) 2008, S. 31f. 2 Vgl. ebd., S. 31ff. 3 Vgl. ebd., S. 91. Es handelt sich um eine alte Kontinentaldriftsenke mit Sedimentablagerungen von mehreren Kilometern Dicke. Vgl. ebd., S. 31f.
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Nordsee und Wattenmeer
Nordsee vom Nordatlantikbecken ab.4 Westlich besteht durch den Ärmelkanal eine Verbindung zum Atlantik, im Osten verbindet der Skagerrak Nordsee und Ostsee. Im Norden erfolgt der Übergang ins tiefe Nordmeer und südlich wird die Nordsee durch den europäischen Kontinent begrenzt. Im Jahre 2009 wurden der niederländische, der schleswig-holsteinische und der niedersächsische Bereich des Wattenmeeres zum UNESCO-Weltnaturerbe erklärt. Das Hamburgische Wattenmeer wurde 2011 in die Welterbeliste aufgenommen, 2014 folgten das dänische Wattenmeer sowie die deutschen OffshoreGebiete. Mit Blick auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse wurde das Wattenmeergebiet als weltweit einzigartig erklärt.5 Die Auffassung, dass diese Natur besonders schützenwert ist, gilt im historischen Zusammenhang als eine relativ junge Sehweise. Auch in künstlerischen Darstellungen von Wattenmeer und Nordsee sind im historischen Verlauf Veränderungen ersichtlich, die Rückschlüsse auf Wahrnehmungstraditionen ermöglichen. Diese Studie betrachtet Wattenmeer und Nordsee aus kunstgeschichtlicher Perspektive. Der Fokus liegt auf maritimen Werken des 19. und 20. Jahrhunderts, die vom niederländischen, deutschen und dänischen Nordseebereich sowie vom Wattenmeer inspiriert wurden. Ebenfalls mit aufgenommen sind übergeordnete Vorstellungen der Nordsee und Darstellungen von hoher See. Doch eine alles umfassende kunsttopografische Analyse der Nordsee und des Wattenmeeres würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Denn im Laufe der Geschichte dienten diese Meeresbereiche vielen Künstlerinnen und Künstlern als Inspiration. Ihre Werke reflektieren historische Ereignisse, gesellschaftshistorische, kulturelle und politische Belegungen und individual-ästhetische Sehweisen. Diese Studie untersucht die hier ausgewählten künstlerischen Darstellungstraditionen unter Einbeziehung verschiedener Einflussfaktoren. Da ein übergeordneter Analyseschwerpunkt darin besteht, ob die von der UNESCO als besonders ausgezeichneten Naturphänomene bereits in der Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts Bedeutung besaßen, wird im Folgenden der Welterbestatus des Wattenmeeres näher vorgestellt.
Gründe für die Ernennung zum Weltnaturerbe Wattenmeer Die UNESCO Welterbekonvention wurde im Jahr 1972 zum Schutz des Kulturund Naturerbes der Welt verabschiedet. Nach Artikel 2 dieser Konvention wird Weltnaturerbe wie folgt definiert: 4 Vgl. ebd., S. 31f. 5 Vgl. u. a. ebd. Vgl. Stock, Wilhelmsen 2011, S. 13, 27, 63.
Gründe für die Ernennung zum Weltnaturerbe Wattenmeer
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»– Naturgebilde, die aus physikalischen und biologischen Erscheinungsformen oder -gruppen bestehen, welche aus ästhetischen oder wissenschaftlichen Gründen von außergewöhnlichem universellem Wert sind; – geologische und physiographische Erscheinungsformen und genau abgegrenzte Gebiete, die den Lebensraum für bedrohte Pflanzen- und Tierarten bilden, welche aus wissenschaftlichen Gründen oder ihrer Erhaltung wegen von außergewöhnlichem universellem Wert sind; – Naturstätten oder genau abgegrenzte Naturgebiete, die aus wissenschaftlichen Gründen oder ihrer Erhaltung oder natürlichen Schönheit wegen von außergewöhnlichem universellem Wert sind.«6
Das Wattenmeer der Nordsee stellt eines der weltweit größten zusammenhängenden gezeitenabhängigen Küstenfeuchtgebiete mit grenzüberschreitendem Charakter dar.7 Das Weltnaturerbe umfasst u. a. Salzwiesen, Inseln, Sandbänke, bei Ebbe trockenfallende Wattflächen, ständig überflutete Platen und Priele und Teile der offenen Nordsee.8 Die Vielfalt der Tier- und Pflanzenwelt und deren Anpassung an den schwierigen Lebensraum sind neben der geomorphologischen Bedeutung des Wattenmeeres ausschlaggebende Gründe für die Ernennung zum Welterbe.9 Weiterhin besitzt das Wattenmeer als Rastgebiet für Zugvögel globale Bedeutung.10 Im Folgenden werden die hier genannten Aspekte, die das Gebiet als ein natürliches System von außergewöhnlichem, universellem Wert auszeichnen und somit Begründungen für die Eintragung in die Welterbeliste darstellen, differenziert ausgeführt.11 1. Das Wattenmeer erfüllt das von der UNESCO aufgestellte Kriterium, das besagt, dass zum Welterbe Gebiete gehören, die »außergewöhnliche Beispiele der Hauptstufen der Erdgeschichte darstellen« und »wesentliche im Gang befindliche geologische Prozesse bei der Entwicklung von Bodenformen oder wesentliche geomorphologische oder physiographische Merkmale« aufweisen.12 Naturkräfte prägen die dynamische Landschaft des Wattenmeeres. Dieses ist aus geologischer Sicht »jung und ursprünglich«.13 Es entstand im Rahmen eines postglazialen Meeresspiegelanstiegs – bedingt durch Schmelzwasser – in den 6 http://www.unesco.de/welterbe-konvention.html, 19. 5. 2013. 7 Vgl. Stock, Wilhelmsen 2011, S. 12. Zu weiteren detaillierten Informationen über Wattenmeer und Nordsee vgl. Gemeinsames Wattenmeersekretariat, World Heritage Nomination Project Group (Hg.) 2008, S. 29–90. Vgl. http://www.nationalpark-wattenmeer.de/sh, 8. 9. 2013. 8 Vgl. Stock, Wilhelmsen 2011, S. 14. 9 Vgl. http://www.unesco.de/welterbe-wattenmeer.html, abgerufen am 8. 9. 2013. 10 Vgl. ebd. 11 Detaillierte Informationen vgl. Gemeinsames Wattenmeersekretariat, World Heritage Nomination Project Group (Hg.) 2008. 12 Detailliertere Informationen vgl. ebd., S. 91–97. 13 Vgl. Stock, Wilhelmsen 2011, S. 13, 27.
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Nordsee und Wattenmeer
letzten 8000 Jahren.14 Im Hinblick auf geomorphologische und evolutionäre, erdgeschichtliche Prozesse stellt dies ein relativ junges Alter dar.15 Auf dem Grund der heutigen Nordsee gab es zum Teil Moore und Wälder.16 Diese wurden überflutet, versanken allmählich und als Folge entstand das Wattenmeer.17 Es entwickelte sich eine amphibische Landschaft.18 Die Übergangszonen zwischen Land und Meer unterliegen nach wie vor ständigen Veränderungen.19 Die nacheiszeitliche Küstengeomorphologie sowie die dynamische Wechselwirkung physikalischer und biologischer Prozesse zeichnen das Wattenmeer als nahezu einzigartig aus. Noch heute ist trotz menschlicher Eingriffe, beispielsweise durch Küstenbefestigungen, in der Entwicklung Dynamik festzustellen. Die Kräfte von Wind und Wasser sowie die Gezeiten bewegen Sandmassen und dadurch verändert sich die Landschaft: Dünen, Inseln und Sandbänke können entstehen, wandern und auch wieder vergehen.20 Tiefgreifende Landschaftsentwicklungen können somit – aus geologischer Sicht – sehr schnell ablaufen.21 Es gibt nur wenige Gebiete auf der Welt, in denen die Entwicklung der Landschaft und des Meeresbodens von solcher Dynamik und solchem Formenreichtum geprägt ist wie im Wattenmeer.22 Weltweit handelt es sich um das einzige Watten- und Barriereinsel-Ablagerungssystem in dieser Größenordnung und mit dieser Vielfalt.23 2. Darüber hinaus erfüllt das Wattenmeer ein weiteres von der UNESCO aufgestelltes Kriterium: Zum Welterbe zählen Naturgebiete, die »außergewöhnliche Beispiele bedeutender im Gang befindlicher ökologischer und biologischer Prozesse in der Evolution und Entwicklung von Ökosystemen sowie Pflanzen- und Tiergemeinschaften an Land, in Binnengewässern, an der Küste und im Meer darstellen«.24 Das Wattenmeer gilt als eines der letzten verbliebenen natürlichen, großräumigen, intertidalen Ökosysteme mit hoher Vielfalt in Europa.25 Aufgrund der schwierigen Bedingungen in dieser Übergangszone zwischen Festland und Meer 14 Vgl. Gemeinsames Wattenmeersekretariat, World Heritage Nomination Project Group (Hg.) 2008, S. 29, 92. 15 Vgl. ebd. 16 Vgl. Stock, Wilhelmsen 2011, S. 28. 17 Vgl. ebd., S. 27ff. 18 Vgl. ebd., S. 27. 19 Vgl. Gemeinsames Wattenmeersekretariat, World Heritage Nomination Project Group (Hg.) 2008, S. 29. 20 Vgl. Stock, Wilhelmsen 2011, S. 27. 21 Vgl. ebd., S. 34. 22 Vgl. Gemeinsames Wattenmeersekretariat, World Heritage Nomination Project Group (Hg.) 2008, S. 29, 92. 23 Vgl. ebd. 24 Vgl. ebd., S. 94. 25 Vgl. ebd.
Gründe für die Ernennung zum Weltnaturerbe Wattenmeer
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sind ökologische Nischen entstanden; die Tiere und Pflanzen haben sich an die extremen Umweltbedingungen angepasst.26 Ebbe und Flut geben einen natürlichen Wechsel vor und im Küstenbereich trifft Salzwasser auf Süßwasser. Die Vielzahl von Übergangszonen zwischen Land-, Meeres- und Süßwasserumwelt sind die Grundlage für die Artenvielfalt.27 Die Tiere und Pflanzen in diesem Bereich haben hinsichtlich dieser problematischen Situation spezielle Überlebenstechniken entwickelt und Lebensgemeinschaften gebildet, die speziell an die Bedingungen im Wattenmeer angepasst sind.28 Wechselseitig beeinflussen die Organismen ihre Umwelt.29 Diese Naturvorgänge bilden ein offenes System, dessen Bedeutung die Grenzen des Wattenmeeres überschreitet. Dabei können sich dort die ökologischen Prozesse zum Teil noch unbeeinflusst vom Menschen entfalten.30 3. Zudem wird ein weiteres Kriterium von der UNESCO als erfüllt angesehen: Naturgebiete gehören zum Welterbe, wenn sie »die für die In-situ-Erhaltung der biologischen Vielfalt bedeutendsten und typischsten natürlichen Lebensräume enthalten, einschließlich solcher, die bedrohte Arten enthalten, welche aus wissenschaftlichen Gründen oder ihrer Erhaltung wegen von außergewöhnlichen universellen Wert sind«.31 Das Wattenmeer zeichnet sich durch eine vielfältige Pflanzen- und Tierwelt aus.32 Etwa 2300 Arten aus Flora und Fauna besiedeln die Salzwiesen.33 Etwa weitere 2700 Arten kommen in den marinen und brackwasserhaltigen Gebieten vor.34 Das Wattenmeer bildet einen Lebensraum für nahezu 10 000 Arten von Pflanzen, Tieren, Pilzen und Einzellern.35 Darüber hinaus besitzen die reichhaltigen und vielfältigen Lebensräume für Vögel als Rast-, Mauser- und Überwinterungsgebiete internationale Bedeutung.36 26 27 28 29 30
31 32 33 34 35 36
Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 94f. Vgl. ebd., S. 94f. Vgl. ebd. Vgl. Stock, Wilhelmsen 2011, S. 13, 63. Der Grund für den einzigartigen ökologischen Charakter des Wattenmeeres ergibt sich u. a. aus der Stabilität und den gedämpften Schwankungen bei physikalischen Eigenschaften ozeanischer Gewässer mit den starken und raschen physikalischen Fluktuationen der terrestrischen Umwelt. Vgl. Gemeinsames Wattenmeersekretariat, World Heritage Nomination Project Group (Hg.) 2008, S. 94. Gemeinsames Wattenmeersekretariat, World Heritage Nomination Project Group (Hg.) 2008, S. 97. Vgl. Stock, Wilhelmsen 2011, S. 13. Vgl. Gemeinsames Wattenmeersekretariat, World Heritage Nomination Project Group (Hg.) 2008, S. 97. Vgl. ebd. Vgl. Stock, Wilhelmsen 2011, S. 13, 96–131. Vgl. Gemeinsames Wattenmeersekretariat, World Heritage Nomination Project Group (Hg.) 2008, S. 98. Vgl. Gemeinsames Wattenmeersekretariat, World Heritage Nomination Project Group (Hg.) 2008, S. 98.
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Nordsee und Wattenmeer
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das Wattenmeer aufgrund der Vielfalt von Tieren und Pflanzen sowie deren Anpassung an einen schwierigen Lebensraum und seinen dynamischen, geologischen Prozessen zum Welterbe ernannt wurde. Durch diese naturwissenschaftlichen Besonderheiten erfolgte die von der UNESCO vorgenommene Auszeichnung dieses Gebietes als besonders schützenswert.
Der Schutzgedanke Im Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt ist in der Welterbekonvention angeführt, dass »Teile des Kultur- oder Naturerbes von außergewöhnlicher Bedeutung sind und daher als Bestandteil des Welterbes der ganzen Menschheit erhalten werden müssen.«37 Mit der Ernennung des Wattenmeeres zum Weltnaturerbe ist die Verpflichtung verbunden, Maßnahmen zum Schutz vorzunehmen. Ein Kerngedanke der UNESCO bezieht sich darauf, Natur- und Kulturerbe für die kommenden Generationen zu erhalten.38 Der Schutzgedanke für das Wattenmeer ist allerdings nicht erst mit der Ernennung zum Welterbe entstanden.39 Seit Beginn des 20. Jahrhunderts erfolgte die Einrichtung kleinerer Naturschutzgebiete, insbesondere zum Schutz von Brutvögeln.40 Jedoch sprachen sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg die Anrainerstaaten zunehmend für die Anerkennung der Bedeutung des Wattenmeeres als Ökosystem aus.41 Nichtsdestotrotz wurden in den 60er und 70er Jahren Großprojekte und Erschließungsmaßnahmen durchgeführt, die zusammen mit dem wachsenden Fremdenverkehr und Umweltverschmutzungen negative Auswirkungen auf die Natur des Wattenmeeres zur Folge hatten.42 Daraufhin initiierten Wissenschaftler und nichtstaatliche Organisationen – beispielweise der WWF und Bürgerbewegungen – Schutzbemühungen. Auch die Regierungen der Wattenmeer-Anrainerstaaten führten institutionelle Maßnahmen durch: So wurde 1982 in Kopenhagen anlässlich der Dritten Watten37 http://www.unesco.de/welterbe-konvention.html, 19. 5. 2013. 38 Weiterhin heißt es: »in der Erwägung, daß es angesichts der Größe und Schwere der drohenden neuen Gefahren Aufgabe der internationalen Gemeinschaft als Gesamtheit ist, sich am Schutz des Kultur- und Naturerbes von außergewöhnlichem universellem Wert zu beteiligen, indem sie eine gemeinschaftliche Unterstützung gewährt, welche die Maßnahmen des betreffenden Staates zwar nicht ersetzt, jedoch wirksam ergänzt;« http://www.unesco.de/ welterbe-konvention.html, 19. 5. 2013. 39 Differenzierte Informationen vgl. u. a. Gemeinsames Wattenmeersekretariat, World Heritage Nomination Project Group (Hg.) 2008, S. 89f., 135–168. 40 Vgl. ebd., S. 89. 41 Vgl. ebd. 42 Vgl. ebd.
Der Schutzgedanke
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meerkonferenz die »Gemeinsame Erklärung zum Schutz des Wattenmeeres« unterzeichnet.43 Im Jahre 1987 wurde das »Common Wadden Sea Secretariat« (CWSS) gegründet44, das noch heute neben Forschung und Monitoring Schutzmaßnahmen koordiniert.45 Bereits in den siebziger Jahren wurden große Gebiete als Naturschutzzonen ausgewiesen.46 Das schleswig-holsteinische Gebiet besitzt seit 1985 den Nationalparkstatus, der niedersächsische Bereich hat diesen seit 1986 und das Hamburgische Wattenmeer gilt seit 1990 ebenfalls als Nationalpark.47 Zudem besteht eine Vielzahl an nationalen und internationalen Schutzabkommen.48 Durch diese sowie den Nationalparkstatus sind bereits entsprechende Schutzbedingungen vorhanden, die durch den Welterbestatus noch verstärkt werden.49 Um den Schutzgedanken und den Aspekt nachhaltiger Nutzung kombinieren zu können, erfolgte eine Unterteilung der Nationalparks in verschiedene Zonen.50 Es bestehen jedoch noch Gefährdungen und beeinträchtigende Faktoren für das Gebiet.51 Dazu gehören u. a. Maßnahmen des Hochwasser- und Küsten43 Vgl. ebd., S. 90. 44 Vgl. ebd., S. 89. 45 Die erlassenen Regularien stehen – seit 1997 – im Kontext des Trilateralen Wattenmeerplans. Vgl. Gemeinsames Wattenmeersekretariat, World Heritage Nomination Project Group (Hg.) 2008, S. 90. 46 Vgl. Gemeinsames Wattenmeersekretariat, World Heritage Nomination Project Group (Hg.) 2008, S. 89. 47 Vgl. http://www.nationalpark-wattenmeer.de/sh, 8. 9. 2013. Vgl. http://www.nationalparkwattenmeer.de/sh, 8. 9. 2013. 48 Exemplarisch sei auf die Auszeichnungen von Schutzgebieten in großen Bereichen des Wattenmeeres durch die EU-Vogelschutzrichtlinie sowie die EU-Flora-Fauna-HabitatRichtlinie verwiesen. Vgl. Gemeinsames Wattenmeersekretariat, World Heritage Nomination Project Group (Hg.) 2008, S. 90. Weiterhin wurden Bereiche als besonders empfindliches Meeresgebiet der Internationalen Schifffahrtsorganisation (PSSA) und als Feuchtgebiet internationaler Bedeutung nach der Ramsar-Konvention anerkannt. Vgl. ebd. Vgl. ebenso http://www.nationalpark-wattenmeer.de/sh, 8. 9. 2013. In den Jahren 1990 und 1992 erfolgte durch die UNESCO die Anerkennung bestimmter Bereiche als Biosphärenreservate. Vgl. http://www.nationalpark-wattenmeer.de/hh, 8.9.3012. 49 Vgl. http://www.nationalpark-wattenmeer.de/nds/nationalpark, 8. 9. 2013. Eine Bedingung zur Verleihung des Status Welterbe besteht darin, dass bereits bestehende Maßnahmen und Regelungen zum Schutz etabliert sind. Vgl. Stock, Wilhelmsen 2011, S. 14. In Bezug auf das Wattenmeer stellen dies u. a. die in den vorigen Anmerkungen angeführten Maßnahmen sowie internationale und nationale Schutzabkommen dar. 50 Zum Beispiel stehen Ruhezonen für Seehunde oder Kegelrobben und Rast- und Brutplätze für Küstenvögel unter besonderem Schutz, vgl. Stock, Wilhelmsen 2011, S. 14. 51 Beispielsweise kann die Tatsache, dass das dem Meer abgerungene Land als Weide- und Ackerfläche und die Nordsee als Fischgrund genutzt werden, Umweltprobleme hervorrufen. Exemplarisch sei auf das Fischen mit Schleppnetzen verwiesen. Auch die Auswirkungen eingeschleppter Arten können zu Veränderungen im dem Gebiet führen. Für eine differenzierte Darstellung vgl. Gemeinsames Wattenmeersekretariat, World Heritage Nomination Project Group (Hg.) 2008, S. 120–133.
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Nordsee und Wattenmeer
schutzes wie auch Arbeiten zur Erkundung und Gewinnung von Gas und Öl sowie für den Bau von Windparks, hier insbesondere in Form von Kabelverlegungen durch das Gebiet.52 Umweltbelastungen, beispielsweise durch Einleitungen von Stoffen mit hohen Schadstoffwerten oder Ölverunreinigungen, zählen zu weiteren Gefährdungen.53 Weiterhin können durch potentielle Auswirkungen eines Klimawandels in Form von Wetterextremen und eines Meeresspiegelanstiegs Bedrohungen ausgehen.54 Auch der Tourismus, der voraussichtlich mit Vergabe des Weltnaturerbe-Status noch weiter ansteigen wird, kann sich nachteilig auf die Natur auswirken, obwohl feste Vorschriften für Fremdenverkehrs- und Freizeitaktivitäten gegeben sind.55 Umfragen haben jedoch ergeben, dass die angeblich intakte Natur ein wesentlicher Grund für einen Nordseeurlaub ist.56 Somit wird angestrebt, im Rahmen eines naturverträglichen sanften Tourismus den Schutzgedanken zu realisieren.57 Es ist offenkundig, dass trotz umfassender Schutzmaßnahmen die Natur des Wattenmeeres weiterhin bedroht ist. Obwohl die Ernennung zum Welterbe als durchaus positiv zu bewerten ist, gibt es hierzu ebenfalls kritische Überlegungen.
Kritische Betrachtungen zum Weltnaturerbe Wattenmeer Der Status »Weltnaturerbe« unterliegt einem gewissen Konstruktionscharakter, da anhand bestimmter Kriterien58 beurteilt wird, ob dieser Titel verliehen wird. Weiterhin gibt es Disparitäten in der thematischen wie auch regionalen globalen Verteilung. Es besteht der Vorwurf, dass die Welterbekonvention auf eurozentrischen und westlichen Sehweisen beruht und diese sich in der politischpraktischen Auslegung zeigen.59 Zudem erfolgt durch den Begriff »Weltnaturerbe« eine symbolische und emotionale Aufwertung des Gebiets.60 52 Vgl. Gemeinsames Wattenmeersekretariat, World Heritage Nomination Project Group (Hg.) 2008, S. 124f. Ebenso können Hafen- und Industrieanlagen beeinträchtigend auf das Ökosystem wirken. Vgl. ebd., S. 121ff. 53 Vgl. ebd., S. 128ff. 54 Vgl. ebd., S. 129f. Vgl. dazu Stock, Wilhelmsen 2011, S. 15–20. Zu möglichen Auswirkungen des Klimawandels vgl. u. a. Fischer, Reise 2011, Gerdes 2011, Weisse, Meinke 2011, Fischer, Reise 2011a. 55 Vgl. Gemeinsames Wattenmeersekretariat, World Heritage Nomination Project Group (Hg.) 2008, S. 131ff. 56 Vgl. Stock, Wilhelmsen 2011, S. 18. 57 Vgl. ebd. 58 Vgl. dazu http://www.unesco.de/welterbe-konvention.html, 19. 5. 2013. 59 Vgl. Dippon 2012, S. 22, vgl. Albert 2002, S. 35. 60 Hasse nimmt eine semantische Analyse des Begriffs »Weltnaturerbe« vor, indem er den Term in die einzelnen Bestandteile »Welt«, »Natur« und »Erbe« zerlegt. Zum Beispiel verweist er
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Die von der UNESCO herausgestellte »Einzigartigkeit« und »Besonderheit« des Gebiets impliziert, dass andere Naturregionen möglicherweise nicht so schützenswert sind und eine geringere Bedeutung besitzen. Diese Annahme muss jedoch kritisch betrachtet werden. Hasse wendet den von Foucault geprägten Begriff der »Heteropie« auf das Weltnaturerbe Wattenmeer an.61 Foucault bezeichnet Heteropien (»andere Räume«) als Gegenposition zu den Räumen des täglichen Lebens.62 Hasses These, das Wattenmeer funktioniere als krisenheterotoper Raum, der eine Wirklichkeit suggeriert, die »so vollkommen, so sorgfältig, so wohlgeordnet« ist, wie die »unsrige ungeordnet, missraten und wirr«63, ist kritisch zu beurteilen. Trotz der Auszeichnung als Weltnaturerbe und der damit einhergehenden Assoziation »heiler Natur« wird das Wattenmeer nicht von jedem als »vollkommen und wohlgeordnet« wahrgenommen. Für einen Touristen mag dies der Fall sein, für Küstenanwohner – wie Fischer oder Wattführer – gehört das Wattenmeer zum Arbeits- und Alltagsraum und fungiert nicht als Heterotopie. Der Fischer wird das Gebiet nicht zwingend als »vollkommen« wahrnehmen – zum Beispiel dann, wenn die Fanggründe zurückgehen. Auch angesichts zunehmender Umweltverschmutzung, möglichen Ölkatastrophen durch Tankerunfälle sowie noch nicht vorhersehbaren Konsequenzen durch den Klimawandel64 ist es kritisch zu bewerten, das Weltnaturerbe als einen krisenheterotopen Raum zu bezeichnen. Auch ist es fraglich, ob Wassersportler, die bei der Nutzung ihrer Schiffe und Wassersportgeräte durch Restriktionen zum Schutz des Weltnaturerbes eingeschränkt sind, diesen Raum als »vollkommen« bezeichnen. In Erweiterung zu Foucaults Ausführungen können im Kontext der Raumdiskurse Annäherungen zum Wattenmeer über die Theorien zu sozialen, politisch-geografischen oder ästhetischen Räumen vorgenommen werden.65 Diese
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darauf, dass der Erbe-Begriff von der UNESCO nur im übertragenen Sinne gebraucht wird, da Erbe im Allgemeinen durch ein Rechtsnachfolgeverhältnis zustande kommt. Das Erbe der Natur könnte rein formal betrachtet nur auf den Tod jener zurückgehen. Vgl. Hasse 2011, S. 99. Die Annahme, dass den Menschen die Natur »gehört«, ist kritisch zu sehen, da die Menschheit doch vielmehr nur ein Teil dieser darstellt. In Bezug auf den Begriff »Naturerbe« handelt es sich darum, dass eine Verantwortung für ein Naturgebiet angesichts der Erhaltung für kommende Generationen eingegangen wird. Durch den Begriff »Erbe« wird die Aufwertung der Region und deren Bedeutung bekräftigt. Vgl. Hasse 2011, S. 102–108. Vgl. Foucault 2006, S. 317–329. Hasse 2011, S. 103. Vgl. hierzu u. a. Gerdes 2011, S. 117–130. Vgl. Meinke, Weisse 2011, S. 131–140, Fischer, Reise 2011a, S. 199–218. Theoretische Ausführungen in Bezug auf Soziale Räume haben u. a. Löw (vgl. Löw 2012), Simmel (vgl. Simmel 2006), Foucault (vgl. Foucault 2006), Lefebvre (vgl. Lefebvre 2006), Bourdieu (vgl. Bourdieu 2006) erstellt. Ausführungen zu politisch-geografischen Räumen vgl. Ratzel (vgl. Ratzel 2006), Braudel (vgl. Braudel 2006), Schmitt (vgl. Schmitt 2006), Arendt
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Ansätze werden jedoch nicht weiter thematisiert, stattdessen erfolgt eine Annäherung über den subjektivistischen Landschaftsbegriff, wie im folgenden Kapitel differenziert ausgeführt wird. Die Wahrnehmung und die Darstellung des Wattenmeeres und der Nordsee unterliegen einer gewissen subjektiven Vieldeutigkeit.66 Somit stellt die Sehweise aufs Wattenmeer als ein Welterbe auch nur eine unter vielen dar. In Bezug auf kritische Überlegungen zum Wattenmeer ist weiterhin festzuhalten, dass mit der Deklaration zum Weltnaturerbe der Fokus auf Naturphänomene gelenkt wird. Auf der Internetseite des Nationalparks Wattenmeer wird es sogar als »Wildnis« bezeichnet, da es weitgehend im ursprünglichen Zustand erhalten sei.67 Die Wattenmeerregion stellt jedoch keine unberührte Natur dar, denn Eingriffe durch den Menschen sind vorhanden. Beispielsweise werden die Inseln und Küsten durch Maßnahmen des Küstenschutzes »befestigt«.68 Nutzung, Bewirtschaftung, Tourismus und »Landschaftspflege« hinterlassen ebenfalls Spuren in der Wattlandschaft.69 Auch im Wattboden sowie im Meereswasser sind menschliche Hinterlassenschaften u. a. in Form von Schadstoffen zu finden.70 Von »heiler Natur« kann daher nicht die Rede sein. Der mit dem Titel verbundene Schutzgedanke ist einerseits von großer Bedeutung, kann andererseits jedoch angesichts möglicher Auswirkungen eines Klimawandels, zum Beispiel eines potentiellen Meeresspiegelanstiegs und Wetterextremen, fragwürdig werden.71 Weiterhin tritt in der öffentlichen Wahrnehmung durch den Welterbestatus der Aspekt zurück, dass das Wattenmeer über Jahrhunderte zum Lebens- und Arbeitsalltag der Küstenanwohner gehört.72 Divergenzen zwischen wirtschaft-
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(vgl. Arendt 2006). Ästhetischen Räumen haben sich u. a. Cassirer (vgl. Cassirer 2006) und Lotmann (vgl. Lotmann 2006) gewidmet. Vgl. hierzu die Ausführungen im folgenden Kapitel. Vgl. zudem u .a. Kirchhoff, Trepl (Hg.) 2009. Vgl. Rieken 2005, S. 15. http://www.nationalpark-wattenmeer.de/, 8. 9. 2013. Exemplarisch sei auf Betonbefestigungen, stählerne Betonwände und Sandvorspülungen bei Inseln verwiesen, um diese vor natürlicher Erosion zu schützen. Vgl. u. a. Hasse 2011, S. 100f. Vgl. Hasse 2011, S. 101. Vgl. ebd. Durch mögliche Auswirkungen eines Klimawandels geht eine Bedrohung für das Gebiet aus, das auch Auswirkungen auf die Wahrnehmung dieser Landschaft hat. Vgl. hierzu u. a. Fischer, Reise 2011, Gerdes 2011, Weisse, Meinke 2011, Fischer, Reise 2011a. Hasse vertritt die These, dass durch die »massenmediale Suggestivkraft« des Weltnaturerbes die bedrohlichen Gefühle angesichts von Konsequenzen des Klimawandels überblendet werden. Vgl. Hasse 2011, S. 110. Reise strebt für den Küstenschutz eine – aus heutiger Sicht – utopisch anmutende Umorganisation dieser Gegend vor. Vgl. Reise 2011. So war es nicht verwunderlich, dass im Rahmen der Diskussionen im Prozess der Welterbe Ernennung gegensätzliche Positionen bei den Anwohnern vertreten wurden. So standen einige Personen der Ernennung des Wattenmeeres zum Welterbe aus Angst vor Restrik-
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lichen, touristischen und den Naturschutz betreffenden Interessen können zu Konflikten in der Region führen.73 Jedoch wurde im Rahmen des Antragsstellungsprozesses von den politischen Akteuren immer wieder betont, dass der Schutzgedanke formalrechtlich einen eher weichen Charakter besitzt, um Bedenken der Bevölkerung gegen Einschränkungen durch Naturschutzmaßnahmen zu zerstreuen.74 Andererseits kann sich die Aufwertung dieses Raumes positiv auf das Identitätskonstrukt und Selbstverständnis der Küstenanwohner auswirken. Dennoch bestehen kritische Überlegungen hinsichtlich einer kommerziellen Vermarktung der Region. Zudem werden durch die Fokussierung in der Antragstellung auf besondere Naturphänomene immaterielles und kulturelles Erbe der Wattenmeerregion, die das mentale Konzept von »Wattenmeer« ebenfalls prägen, in ihrer Bedeutung zurückgedrängt.75 So treten in der öffentlichen Wahrnehmung kulturelle Zugänge zurück. Weiterhin verschleiert die Deklaration zur Natur, dass Bereiche des Wattenmeeres im historischen Verlauf Kulturlandschaften darstellten. Durch Veränderungen der Meeresspiegelhöhe waren einige der heutigen unter Wasser liegenden Gebiete zu früheren Zeiten, als diese trocken lagen, auch besiedelt.76 Davon zeugen u. a. die archäologischen Funde, die das Watt konserviert
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tionen zunächst kritisch gegenüber. Exemplarisch sei auf Aussagen von Prof. Dr. Ludwig Fischer verwiesen, der dies beobachtete. Denn die Schutzverordnungen besitzen Konfliktpotential. Da das Wattenmeergebiet Lebensund Wirtschaftsraum für die an der Nordseeküste ansässigen Menschen oder dort angesiedelten Unternehmen darstellt, können Probleme in Bezug auf Schutzmaßnahmen entstehen. So können sich beispielsweise die Fischer durch die Schutzzonenregularien in ihrem traditionellen Arbeitsraum beschränkt fühlen. So gibt Hasse zu bedenken, dass die UNESCO über keinen großen ökonomischen Gestaltungsspielraum für die Förderung, Pflege und schonungsorientierte Entwicklung des Naturerbes verfügt. Weiterhin führt er an, dass die Restriktionen bestehender SchutzgebietsVerordnungen im Rahmen des Weltnaturerbe-Status nicht ergänzt werden und es so zu keiner nachhaltigen Steigerung des Naturschutzes kommen kann. Vgl. hierzu Hasse 2011, S. 98. Hasse führt an, dass es sich bei dem Wattenmeer nicht um ein reines Weltnaturerbe handele, sondern eigentlich der Kategorie »Weltnatur- und -kulturerbe« entspreche. Vgl. Hasse 2011, S. 101. Die Bedeutung des kulturellen Erbes wurde erst in den 90er Jahren im trilateralen Wattenmeerplan mit aufgenommen. Vgl. Common Wadden Sea Secretariat u. a. (Hg.) 2008, S. 11. Im Rahmen des »Lancewad« -Projekts wurden internationale Bemühungen zum Schutz des Kulturguts der Wattenmeerregion unternommen. »Lancewad« steht für »Integrated Landscape and Cultural Heritage Management and Development Plan for the Wadden Sea Region«. Finanziell unterstützt wurde das Projekt von der EU im Rahmen des »Interreg IIIB Nordsee Programms«. Vgl. Common Wadden Sea Secretariat u. a. (Hg.) 2008, Vorwort. Die Landschaft wird als kulturelle Schatzkammer aufgefasst und es wird angestrebt, das kulturelle Erbe »zu erhalten und mit einer tragfähigen wirtschaftlichen Entwicklung zu verknüpfen«. Vgl. ebd. Vorwort, S. 6. Zu den Ergebnissen vgl. ebd., S. 13–20. Beispielsweise hatte der nacheiszeitliche Meeresspiegelanstieg erst um ca. 6000 vor der Zeitrechnung die jetzige Küstenlinie erreicht. So wurden auf der ca. 5000 v. d. Z. untergegangenen Doggerbank archäologische Funde gemacht, die auf menschliche Besiedlung
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hat.77 Auch die in jüngeren Zeiten im Watt gefundenen Besiedlungsspuren – wie Warften, Brunnen, Schleusen, Kirchen und Friedhöfe – sprechen gegen die Auffassung des Gebiets als reinen Naturraum.78 Das kulturelle Erbe umfasst die sichtbaren und auch verborgenen Spuren menschlicher Kultur.79 Auch Objekte der Erinnerungskultur an der Küste und auf den Inseln wie Skulpturen und Gedenktafeln gehören dazu.80 Das immaterielle Erbe in Form von mündlichen Überlieferungen und rituellen Praktiken sind im Welterbetitel ebenfalls nicht enthalten. In dieser Studie werden künstlerische Auseinandersetzungen mit dem Wattenmeer und der Nordsee als ein Teil des kulturellen Erbes der Wattenmeerregion aufgearbeitet sowie analysiert, ob die von der UNESCO ausgezeichneten Besonderheiten des Wattenmeeres in der Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts Bedeutung hatten.
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schließen lassen können. Vgl. Hasse 2011, S. 100. Weitere Ausführungen zur Besiedlungsgeschichte vgl. u. a. Behre 2008, Niederhöfer 2010, Kühn 2007. Zur Besiedlungsgeschichte des Nordseebeckens und des Wattenmeerraums sowie zu archäologischen Funden in dieser Region vgl. u. a. Wolters 2009, Wolters 2009a, Behre 2008, Niederhöfer 2010, Kühn 2007. Vgl. Fischer, Reise 2011, S. 18. Vgl. u. a. Fischer, Reise 2011, S. 24. Vgl. hierzu u. a. Fischer, Reise 2011, S. 24f., Fischer, N. 2011, Fischer, N. 2007.
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Das Wattenmeer stellt ein amphibisches Grenzgebiet dar. Lange Zeit war der Übergang von Land zu Meer an der Nordseeküste aufgrund von Meeresspiegelveränderungen, Überflutungen und hinsichtlich der Gezeiten unscharf.1 Eine feste Küstenlinie entstand erst durch den Deichbau.2 Die in der Nordseeregion ansässigen Menschen waren stark abhängig von der Gewalt des Meeres.3 Veränderungen der Meeresspiegelhöhe sowie Gezeiten und wiederkehrende verheerende Sturmfluten waren Faktoren, die bei der Besiedlung von Bedeutung waren. Der Ausspruch »Gott schuf das Meer, der Friese die Küste«4 verweist auf den Eingriff des Menschen bei der Sicherung einer festen Küste. Durch den Bau von Deichen und durch Landgewinnungsmaßnahmen wurde eine dauerhafte menschliche Besiedelung ermöglicht. Die Deiche trennen zwei Bereiche: Der Binnenlandbereich kann als Kulturlandschaft bezeichnet werden, das Wattenmeer wird durch den Status »Weltnaturerbe« mit reiner Natur in Verbindung gebracht,5 wobei dies kritisch zu betrachten ist, wie im vorigen Kapitel dargelegt wurde.6 Im Binnenbereich vor den Deichen ist der Eingriff des Menschen unübersehbar und prägt das Bild dieser Region.7 Die Deichlinie und die Nutzung 1 Fischer verweist auf sogenannte »mentale Provokationen« für das geistige Konstrukt der Küstenlinie des Wattenmeeres, u. a. bedingt durch die Wahrnehmung des Gezeitenwechsels sowie durch eine Verschiebung der Küstenlinie, beispielsweise durch Überflutungen. Vgl. Fischer 2011, S. 35f. 2 In dieser Studie wird ein Küstenkonzept vertreten, dass in der Deichlinie oder auch den natürlich vorkommenden Erhöhungen beispielsweise des Geestrückens in Cuxhaven die Abgrenzungen zwischen Land und Meer festlegt. Zu alternativen Küstenkonzepten vgl. u. a. Fischer 2011, S. 43ff. 3 Vgl. u. a. Jöns 2010. 4 Vgl. hierzu Meier 2007, S. 155. Vgl. Rieken 2011, S. 66ff. 5 Vgl. hierzu Fischer, Reise (Hg.) 2011, Vorwort. 6 Vgl. Kapitel »c)Kritische Betrachtungen zum Weltnaturerbe Wattenmeer«. Windparks, Schifffahrt, Fischerei und Tourismus prägen heutzutage u. a. das Bild des Wattenmeeres und der Nordsee. Auch Umweltverschmutzungen, zum Beispiel durch Öltankerkatastrophen zeigen den Einfluss des Menschen. 7 Vgl. hierzu Fischer, Reise (Hg.) 2011, Vorwort.
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dieser als Weidefläche für die Schafe, die Siele, die Schleusen sowie trockengelegte landwirtschaftlich genutzte Flächen verdeutlichen dies.8 Die Begriffe »Natur« und »Landschaft« besitzen in den verschiedenen Kulturen im jeweiligen gesellschaftshistorischen Kontext unterschiedliche Konnotationen und Deutungsmuster, die im Verlauf der Zeit Veränderungen unterlagen.9 In dieser Studie steht der Begriff »Landschaft«10 für die kulturell geprägte, subjektive Wahrnehmung einer Gegend und eines Naturbereichs, die einem ästhetischen Urteil unterliegt.11 Im Englischen gibt es die Unterscheidung zwischen »landscape« und »seascape«. »Seeschaft« ist im Deutschen kein etablierter
8 Jedoch gibt es nicht überall an der Wattenmeerküste Deiche. Exemplarisch sei auf die Inseln und die Region bei Cuxhaven verwiesen. Ein Deichbau erwies sich beispielsweise am Sahlenburger Strand als nicht notwendig, da aufgrund eines Geestrückens ein natürlicher Schutz durch das höhergelegene Land vorliegt. 9 Vgl. Kirchhoff, Trepl (Hg.) 2009, S. 14. Denotationen und Konnotationen der Begriffe »Natur« und Landschaft« ermöglichen Rückschlüsse auf die historisch sich wandelnden komplexen und vielschichtigen Bezüge des menschlichen Umgangs mit der Umwelt. Der Duden definiert den übergeordneten Begriff »Natur« wie folgt: Der Begriff »Natur« umfasst organische u. anorganische Erscheinungen, die ohne Zutun des Menschen existieren oder sich entwickeln. Duden – Das Fremdwörterbuch, 9. Aufl. Mannheim 2007. Das mittelhochdeutsche Substantiv »natura« ist vom lateinischen Begriff »natura« entlehnt, das u. a. »das Hervorbringen; die Geburt; natürliche Beschaffenheit, Wesen« bezeichnet. Vgl. Duden – Das Herkunftswörterbuch, 4. Auflage, Mannheim u. a. 2007. 10 Kirchhoff und Trepl unterscheiden beispielsweise zwischen den Begrifflichkeiten »Wildnis«, »Landschaft« und »Ökossystem«. Vgl. Kirchhoff, Trepl (Hg.) 2009, S. 14f. Zum semantischen Wandel des Begriffs »Landschaft« im 18. Jahrhundert vgl. u. a. Brückner 2009. 11 Vgl. Kirchhoff, Trepl (Hg.) 2009, S. 18–22. Es sei darauf verwiesen, dass begriffsgeschichtlich verschiedene Konnotationen und Denotationen vorliegen. Exemplarisch sei auf den Gebrauch des Begriffs »Landscaf« im Althochdeutschen verwiesen. Dieser hatte unter anderen topografisch-politische Bedeutung, da er einen »durch den Geltungsbereich eines bestimmten Rechts fest umrissenen Landstrich« bezeichnete. Vgl. Kirchhoff, Trepl (Hg.) 2009, S. 19. Die von Kirchhoff und Trepl aufgestellte Charakterisierung, »Landschaft ist eine Gegend, deren Formen als harmonisch und deshalb als schön beurteilt werden« (vgl. Kirchhoff, Trepl (Hg.) 2009, S. 25), wird in dieser Studie nicht vertreten, da beispielsweise auch das Hässliche und Schreckliche bewertende Kriterien einer Landschaft darstellen können. Exemplarisch sei auf den locus amoenus und den locus terribilis verwiesen. Zum Landschaftsbegriff vgl. ebenso Ritter 1978, Rother 1990, Simmel 1957, Smuda 1986. Bereits im Jahr 1335 sind im Kontext von Petrarcas Besteigung des Mont Ventoux die subjektive geistige Auseinandersetzung und die ästhetische Konstitution von Landschaft ersichtlich. Vgl. Ritter 1978, 7–13. Diesbezüglich folgert Ritter : »Natur als Landschaft ist Frucht und Erzeugnis des theoretischen Geistes.« Ritter 1978, S. 13. In dieser Tradition führte Simmel 1957 diesbezüglich aus: »Die Natur, die in ihrem tiefen Sein und Sinn nichts von der Individualität weiß, wird durch den teilenden und das Geteilte zu Sondereinheiten bildenden Blick des Menschen zu der jeweiligen ›Landschaft‹ umgebaut.« Simmel 1957, S. 142. Diskurse der Landschaft wurden ebenso in naturwissenschaftlichen Disziplinen betrieben. Vgl. Kirchhoff, Trepl (Hg.) 2009, Vorwort. Haber verweist beispielsweise auf die Bereiche Geographie, Gartenund Landschaftsgestaltung, Ökologie und Naturschutz. Vgl. ebd. Dabei wird die Auffassung von Landschaft und Natur als objektive, materielle Wirklichkeit vertreten. Vgl. ebd.
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Begriff.12 Dieser würde allerdings sehr gut als übergeordneter Terminus für die hier behandelte maritime Motivik passen. Da er jedoch nicht gängig ist, wird im Folgenden der Terminus »Landschaft« auch für maritime Sujets des Wattenmeeres und der Nordsee geöffnet. Begriffe wie »Meereslandschaft« und »Seelandschaft« fungieren als Umschreibungen. Weiterhin werden Termini wie »Meeresbilder«, »maritime Darstellungen« und »Seestücke« verwendet. »Marinemalereien«13 bezeichnen primär Bilder der Schifffahrt. Da diese Studie die Darstellungstraditionen des Wattenmeers und der Nordsee in der Kunst analysiert, erfolgt eine Anlehnung an den subjektivistischen Landschaftsbegriff. Dieser beinhaltet, dass Landschaft eine mental »im empfindenden Subjekt existierende Ganzheit darstellt« und primär eine bildhafte Vorstellung ist.14 In objektivistischer Deutung dagegen ist die Landschaft eine »extramental reale, funktionale Ganzheit, eine ganzheitliche materielle Wirklichkeit«.15 Obwohl Nordsee und Wattenmeer als etwas real Gegebenes und physisch Erfahrbares existieren, gibt es nicht die »eine« Sichtweise auf dieses Meer.16 So hat beispielsweise ein Fischer einen anderen Blick auf die Nordsee als ein Tourist, ein Naturschützer oder ein Kind. Die Wahrnehmung und die Darstellung des Wattenmeeres und der Nordsee unterliegen einer gewissen subjektiven Vieldeutigkeit, die unter anderem durch kulturgeschichtliche, ideologische und politische Zusammenhänge sowie durch den individuellen Kontext bedingt ist.17 Es muss allerdings bedacht werden, dass die künstlerischen Darstellungen nicht zwingend die Wahrnehmung des Künstlers oder der Künstlerin spiegeln. So kann das Wattenmeer zu freien Farbexperimenten inspirieren, die 12 Vgl. Meyer-Friese 1981, S. 16. 13 Auch der Begriff »Marinemalerei«, der zu verschiedenen Zeiten unterschiedliche Konnotationen und Deutungen erfuhr, beinhaltet die Darstellung maritimer Themen. Allerdings liegt im heutigen Gebrauch des Terminus ein Fokus auf Darstellungen der Schifffahrt. 14 Vgl. ebd., 26, 33–37. 15 Vgl. ebd., 26, 37–41. 16 Die Codierung der Landschaft am Beispiel der Nordseeküste hat Hasse untersucht. Er beschränkt sich dabei auf »touristische Konstruktionsweisen«. Vgl. Hasse 2007. 17 Vgl. dazu u. a. Kirchhoff, Trepl (Hg.) 2009. Vgl. Rieken 2005, S. 15. Zudem werden in dieser Studie die Auffassungen von »Landschaft« und »Natur« der entsprechenden Künstler berücksichtigt, wenn diesbezüglich Ausführungen vorliegen. Ebenfalls besitzen die unterschiedlichen Identitätskonstruktionen für die Deutung von Landschaft eine große Bedeutung. Vgl. Kirchhoff, Trepl (Hg.) 2009, S. 31f. Damit verbunden kann eine Vorstellung von Heimat einhergehen. Im Nationalsozialismus wurde der Begriff Heimat »rassisch« belegt. Dies zeigt sich ebenso in der nationalsozialistischen Rezeption der Nordsee- und Wattenmeerdarstellungen. Allgemein ist zwischen subjektivistisch und objektivistisch geprägten Heimatvorstellungen zu unterscheiden: Im Sinne einer subjektivistischen Deutung kann Heimat als eine Aneignung der Umwelt durch die Subjekte verstanden werden. Heimat wird somit geschaffen. In der objektivistischen Auffassung bezieht sich der Begriff »Heimat« auf die Herkunft und das traditionell Gegebene, in das sich das Individuum einfügen soll. Vgl. Kirchhoff, Trepl (Hg.) 2009, S. 32.
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jedoch nicht das visuell Wahrgenommene abbilden. Der individuelle Kontext des Künstlers und seine Auffassung von Natur und Kunst sind dabei von Bedeutung und werden somit ebenfalls in der Studie herangezogen. Ebenso bestehen bestimmte Darstellungstraditionen und kollektive Wahrnehmungsmuster, in deren Zusammenhang die Bilder beurteilt werden müssen. Möglichen Entwicklungen und Einflüssen, die sich in den Wattenmeer- und Nordseebildern der einzelnen Künstler zeigen, wird somit Rechenschaft getragen. Die Werke werden in Bezug zum individuellen Künstlerkontext, schriftlichen Selbstzeugnissen, historischen Ereignissen und kulturellen Strömungen des jeweiligen Zeitraumes gesetzt, um eine reflektierte Einordnung und Beurteilung der künstlerischen Auseinandersetzungen vornehmen zu können. Um die in dieser Studie analysierten künstlerischen Werke zu kontextualisieren, wird im Folgenden ein Einblick in historische Sehweisen auf das Wattenmeer und die Nordsee für die Zeit vor dem Untersuchungszeitraum gegeben.18 18 Einen Überblick über wichtige Stationen der Geschichte der Nordseeküste liefert Meier. Vgl. Meier 2007. Die Analyse der Darstellungstraditionen und dem damit verbundenen Wahrnehmungswandels der Nordsee und des Wattenmeeres in künstlerischen Darstellungen ist noch nicht erfolgt. Ausführungen zu historischen Sehweisen und Wahrnehmungsmustern der Nordsee vgl. u. a. Hinrichs 2014, Hinrichs 2014a, Reeken 2014. Rieken hat die Bedeutung von Sturmfluten für die Mentalitätsgeschichte der Friesen untersucht, vgl. Rieken 2005. Corbin hat die geistesgeschichtlichen Diskurse, das Meer betreffend, von der Antike bis hin zur Entwicklung einer »Meereslust«, die im Zeitraum 1750–1840 entstand, nachgezeichnet, vgl. Corbin 1988/1990. Seine Analyse der Veränderung der abendländischen Sehweisen auf das Meer stützt sich auf schriftliche Quellen. Eine umfassende kunstgeschichtliche Darstellung der Nordsee und des Wattenmeeres ist noch nicht erfolgt. Der von Fischer, MüllerWusterwitz und Schmidt-Lauber herausgegebene Band »Inszenierungen der Küste« beinhaltet exemplarische Fallstudien zur Nordseeküste (vgl. Fischer, Müller-Wusterwitz, Schmidt-Lauber (Hg.) 2007). Die Kulturlandschaft der Nordseemarschen und der Aspekt der Projektionsfläche von Natur wird u. a. in den von Ludwig Fischer herausgegebenen Bänden behandelt, vgl. Fischer (Hg.) 1997, vgl. Fischer (Hg.) 2004. Norbert Fischer widmet sich der maritimen Gedächtniskultur an der Nordseeküste, vgl. u. a. Fischer, N. 2007, Fischer, N. 2011, Fischer, N. 2014. Im Sammelband »Küstenmentalität und Klimawandel« werden exemplarisch kulturelle und soziale Aspekte der Küstenmentalität in Bezug zum Klimawandel dargelegt, vgl. Fischer, Reise (Hg.) 2011. Zur mythischen Funktion der Deklarierung des Wattenmeeres als Weltnaturerbe vgl. Hasse 2011. Die Frage, inwieweit die Nordsee das dort lebende Subjekt prägen kann, ist von Meyn im Rahmen einer Studie zur Alltagskulturforschung aufgegriffen. Mit der Methode des biografischen Interviews führte sie eine volkskundliche Studie zur Landschaftswahrnehmung der Nordseeküste durch, vgl. Meyn 2007. In der Kunstgeschichte ist dies noch nicht erfolgt. Es existieren Studien zu einzelnen Künstlern. Exemplarisch kann an dieser Stelle nur auf vereinzelte Schriften verweisen werden: vgl. Kat. Husum 1986, Kat. Schleswig 1985, Kat. Husum 1979, Reuter (Hg.) 2008, Kat. Dangast 2007. Zur Künstlerinsel Sylt vermittelt Laage einen Einblick in Literatur und Kunst vgl. Laage 2007. Schulte-Wülwer widmete sich der Kunst auf den Inseln Sylt, Föhr, Amrum sowie allgemein der schleswig-holsteinischen Kunst (Schulte-Wülwer 2003, Schulte-Wülwer 2005, SchulteWülwer 1980). Eine kleine Übersicht exemplarischer künstlerischer Annäherungen an die Kultur und Natur der Westküste in der Kunst des 19. Jahrhunderts bietet der Ausstellungskatalog des auf Föhr situierten Museums »Kunst der Westküste«, vgl. Kat. Alkersum/
Einblicke in historische Sehweisen auf das Wattenmeer und die Nordsee
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Einblicke in historische Sehweisen auf das Wattenmeer und die Nordsee Heute gilt die Natur des Wattenmeers als einzigartig und schützenswert.19 Im historischen Kontext stellt dies eine relativ junge Sehweise dar. Nachfolgend wird ein kleiner Einblick in historische Darstellungs- und Wahrnehmungsmuster gegeben. Sturmflutkatastrophen und die sukzessive Eindeichung des Meeres prägten die Wahrnehmung von der Nordsee. Bei der Besiedelung des Küstenraums wurden die Menschen mit gewaltigen Naturkräften konfrontiert. Erst im Mittelalter, um das 11. Jahrhundert, entwickelte sich die Technik des Deichbaus und der künstlichen Entwässerung.20 Holländische Vorbilder prägten den Deichbau und die Landgewinnungsmaßnahmen in Deutschland.21 Zunächst wurden Ackerflure durch Erdwälle eingedämmt. Durch Verbindungen dieser wurde im 13. Jahrhundert eine Deichlinie, »der goldene Ring«, errichtet.22 Die Technik war jedoch noch nicht ausgereift, sodass es bei Sturmfluten zu Deichbrüchen und damit zu verheerenden Folgen für die dort lebenden Menschen und Tiere kam. Der damit einhergehende Landverlust veränderte die Küstenlinie.23 Nach den Sturmflutkatastrophen in der frühen Neuzeit erfolgten allmählich die Errichtung verbesserter Deiche und die Durchführung von Landrückgewinnungsmaßnahmen.24 In schriftlichen Ausführungen wird seit dem Mittelalter in Beschreibungen von Sturmkatastrophen und dem Verhältnis von Mensch und Meer eine krie-
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Föhr 2009. Ebenso bietet der Ausstellungskatalog »Land am Meer« einen Einblick in die Kunst der Nordseeküste, vgl. Kat. Hamburg 2009. Die Bedeutung des Meeres allgemein in der Kunst ist in den Katalogen zu den Ausstellungen »Seestücke I«, »Seestücke II« dargestellt, vgl. Kat. Hamburg 2005, Kat. Hamburg 2007. Einen Überblick holländischer Marinemalerei bietet u. a. der Katalog »Segeln was das Zeug hält« der Hamburger Kunsthalle, vgl. Kat. Hamburg 2010. Vgl. u. a. Common Wadden Sea Secretariat (Hg.) 2008. Vgl. Meier 2007, S. 155. Holländische Zuwanderer sowie professionelle Fachleute waren häufig für den deutschen Küstenschutz tätig. Vgl. hierzu Fischer, Reise 2011, S. 25. Vgl. Rieken 2011, S. 66. Weitere Ausführungen vgl. ebd., S. 67. Vgl. ebd., S. 67. Die Beziehung der Halligbewohner zum Meer ist dagegen in einem langen Zeitraum eher durch eine passive Haltung zu kennzeichnen. Vgl. Fischer 2011, S. 44f. Im Jahr 1846 charakterisierte Johann Georg Kohl in seinen Reisebeschreibungen die Einstellung der Halligbewohner wie folgt: »Die ganze Thätigkeit der Halligenbewohner ist mehr defensiv als offensiver Natur und beschränkt sich darauf, das Ungemach auszuhalten, welches Natur und Wellen ihnen bereiten. Ihre träge und energielose Stimmung ist eine ganz natürliche Folge ihrer Lage. Verstand und Kraft sind ihnen unnütz. Sie haben dem Meer gegenüber nur das Bewußtsein ihrer Ohnmacht. Ergebung ist ihr Loos. Man findet diesen Zug auf allen unbedeichten und dem Meere preisgegebenen Inseln wieder.« Kohl 1973, S. 333.
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gerisch aufgeladene Metaphorik verwendet.25 Deichbaumaßnahmen werden zum Teil wie militärische Strategien geschildert.26 Der Kampf der Friesen gegen das Meer war und ist noch immer eine gängige Vorstellung. Da die ersten Deiche starken Fluten häufig nicht standhielten, lösten Sturmfluten und ihre verheerenden Auswirkungen mit unzähligen Toten, Landverlust und Seuchengefahr über lange Zeit kollektive Angst und Furcht aus.27 Die Zerstörungen wurden auch als Strafen Gottes angesehen.28 Dieses wird in der Kunst reflektiert, wie beispielsweise die Grafik von Johann Melchior Füesslin (Abb. 2) zeigt, in der die Zerstörungen der Sturmflut des Jahres 1717 dargestellt sind.
Abb. 2: Johann Melchior Füesslin, Darstellung der Sturmflut von 1717, o. D., Druckgrafik
Die Angst der Menschen vor der Gewalt der Nordsee und deren zerstörerische Kraft sind deutlich zu erkennen. Im Untertitel heißt es: »Vorstellung der großen Wasser Flut, die Gottes Hand den 25. und 26. Dezember über viel Land geführt, in der viel Menschen, viel Häuser […] jämmerlich umkamen und zu Grund gegangen.« Im 17. und 18. Jahrhundert entwickelte sich durch aufklärerische Strömungen und neue Technologien insbesondere in Bildungskreisen allmählich eine auf Vernunft basierende rationale Haltung gegenüber der Meeresgewalt.29 Im 17. Jahrhundert war die Republik der Vereinigten Niederlande zu einer der größten Wirtschafts- und Seemächte aufgestiegen. Durch die innovative Konstruktion von Deichanlagen wurde ein Schutz des dahinter tiefer liegenden 25 Beispiele für mittelalterliche Schriften führt Rieken an, vgl. u. a. Rieken 2011, S. 69ff. Fischer verweist auf Schriften des 18. Jahrhundert zum Deichbau, in denen verstärkt militärisch aufgeladene Metaphorik genutzt wird. Vgl. Fischer 2011, S. 37. 26 Vgl. Fischer 2011, S. 37f. Fischer sieht in dem »militärischen« Verständnis von Deichbau als Kampf gegen das feindliche Meer, dem es durch rationales Vorgehen zu besiegen gilt, einen Springpunkt bewusstseinsgeschichtlicher Umwälzung. 27 Vgl. Jakubowski-Thiessen 1997, S. 130, vgl. Meyn 2007, S. 23–28. 28 Vgl. u. a. Jakubowki-Tiessen 2011, S. 58. 29 Vgl. ebd., S. 59.
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Landes ermöglicht. Zudem war dieser Zeitabschnitt von Landerschließungen geprägt. Ein nationales Bewusstsein und ein Repräsentationsbedürfnis bürgerlicher Kreise spiegeln sich u. a. in Werken der niederländischen Marinemalerei im Goldenen Zeitalter.30 Zu dieser Zeit führten die klassischen Bildungsreisen nicht nur nach Griechenland oder Italien, man bereiste auch Holland und dessen Küsten und bestaunte das Nebeneinander von grenzenlosem Meer und neu erschlossenem kultivierten Land.31 In Deutschland herrschten im 18. Jahrhundert noch zwei kontroverse Haltungen hinsichtlich der Naturgewalten der Nordsee vor. Zum einen wurde der Gewalt des Meeres mit gottesfürchtiger Passivität begegnet, zum anderen entwickelte sich ein auf aufklärerischer rationaler Haltung basierendes Naturverständnis.32 Durch diese veränderte Wahrnehmung ergaben sich für den Menschen neue Handlungsstrategien im Küstenschutz. Daraus entwickelte sich ein neues Selbstbewusstsein. Schriftlichen Quellen ist zu entnehmen, dass der Mensch sich nicht länger hilflos der Gewalt des Meeres ausgeliefert fühlte, sondern sich als potentieller Bezwinger des Meeres sah.33 Durch die Entwicklung und Umsetzung effektiverer Küstenschutzmaßnahmen – insbesondere bedingt durch technische Verbesserungen beim Deichbau – erwuchs eine Haltung, die Nordsee als berechenbar und beherrschbar zu begreifen.34 Jedoch ist diese Auffassung nicht zu pauschalisieren, da im Volk immer noch Ängste vor der Gewalt des Meeres zu 30 Vgl. Kat. Berlin 1997. 31 Vgl. Corbin 1988/1990, S. 52f. 32 Zur Kontroverse, die u. a. in den Ausführungen von Rieken (vgl. Rieken 2005) und Jakubowski-Tiessen (vgl. Jakubowski-Tiessen 2003) ersichtlich ist, vgl. u. a. von Reeken 2014. Exemplarisch für die erstgenannte Haltung sei auf die im Jahr 1740 vom Eiderstedter Pastor und späteren Probst Petrus Petrejus verfasste Schrift »Historische Nachricht vom DeichWesen« verwiesen. Vgl. Petrejus 1740/1993, S. 267f. Vgl. ebenso Jakubowki-Tiessen 2011, S. 55. Dieser verurteilte den Deichbau und führte an, dass die Menschen sich lieber – wie zuvor – gottesfürchtig und passiv gegenüber dem Meer verhalten sollten und so den Segen Gottes erwarten könnten. Vgl. Petrejus 1740/1993, S. 209, 267f. Vgl. ebenso JakubowkiTiessen 2011, S. 55f. Einen menschlichen Eingriff in die gottgewollte Ordnung in Form des Deichbaus verurteilte er. Diese Haltung kritisierte beispielsweise der gebürtige Eiderstedter Philosophie- und Mathematikprofessor Johann Nikolaus Tetens. Vgl. Tetens 1787, S. 646f., vgl. ebenso Jakubowki-Tiessen 2011, S. 56. Tetens befürwortete den auf rationalen Einsichten beruhenden technischen Fortschritt des Deichbaus und der Landgewinnung. Vgl. Tetens 1787, S. 857, vgl. ebenso Jakubowki-Tiessen 2011, S. 57. Das Meer bezeichnete er als berechenbaren Feind, weil dieser »offen handelt und sich immer gleich bleibt.« Vgl. Tetens 1787, 653f. Vgl. Jakubowki-Tiessen 2011, S. 60. Die Risiken, die vom Meer ausgehen, hielt er für berechenbar. Aus seiner Sicht sind Sturmfluten keine Strafe Gottes, sondern lassen sich mit Naturgesetzen erklären. Vgl. Tetens 1787, S. 660, vgl. Tetens 1888, S. 6, vgl. ebenso Jakubowki-Tiessen 2011, S. 57. 33 In Bezug auf die Quellenlage des 18. Jahrhunderts verweist Rieken darauf, dass diese Auffassung stark auf gelehrten Schriften fußt und nicht zwangsläufig die Meinung breiter Bevölkerungsschichten darstellt. Vgl. Rieken 2005, S. 34. 34 Vgl. Fischer, Reise 2011, S. 20. Vgl. Jakubowki-Tiessen 2011, S. 60.
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verzeichnen sind.35 Theodor Storm reflektierte die zwei unterschiedlichen Naturauffassungen in seiner Novelle »Der Schimmelreiter«.36 Der Deichgraf versucht – gegen den Aberglauben seiner Mitmenschen – neue, auf rationalen Berechnungen fußende Deichbaumaßnahmen durchzuführen und scheitert damit. Ein rationales Verständnis der Sturmfluten setzte sich in der breiten Bevölkerung erst allmählich durch. Auch im 19. Jahrhundert wurde die Nordsee teilweise noch gefürchtet. Detlev von Liliencron bezeichnete in seinem 1883 erschienenen Gedicht »Trutz blanke Hans«37 die aufgewühlte Nordsee als »Blanken Hans«. Weiterhin nutzte er den Terminus »Mordsee«,38 der auch in der heutigen Zeit noch teilweise verwendet wird. Eine weitere literarische Beschreibung Ende des 19. Jahrhunderts hinsichtlich der »Mordsee« lautet wie folgt: »Die Nordsee wird häufig von den Bewohnern ihrer Küste eine Mordsee und diese Küste selbst eine Schiffbruchküste genannt, und nicht mit Unrecht. Denn die von wildem Sturme gepeitschten, aus den kalten Tiefen der Nordsee hinauffahrenden Wogen kennen kein Erbarmen und wissen nichts von Schonung. Sie schonen weder das Menschenleben noch die Werke von Menschenhand. Nicht genug, daß die Nordsee diese nicht schont; vergreift sie sich doch an ihren eigenen Werken und Gebilden. Sie selbst zerstört und zerreißt die Sandbänke, die Watten und Marschen, die sie gebildet hat; denn Verderben und Zerstören, Auflösen und Verschwindenlassen scheint nun einmal ihr Leben und ihre Lust zu sein.«39
Stürme stellen ebenfalls eine Gefahr für die Seefahrt dar. Die Schifffahrt und die Fischerei spielen eine wichtige Rolle in der Wahrnehmung der Nordsee und des Wattenmeers.40 Dies wurde vielfach in der Kunst verbildlicht. Exemplarisch sei auf Fedelers Werk »Bark ›Argo‹ vor Bremerhaven« (Abb. 3) verwiesen.
Abb. 3: Carl Fedeler, Bark »Argo« vor Bremerhaven, 1866, Bremen, Fokke Museum
35 Vgl. Rieken 2011, S. 71f. 36 Vgl. u. a. Fischer 2011, S. 38. 37 http://www.martinschlu.de/kulturgeschichte/neunzehntes/vormaerz/storm/1888/liliencron. htm, 28. 3. 2014. 38 Ebd. 39 Johansen 1889, S. 1. 40 Ausführungen zur Marinemalerei vgl. Scholl 2002, vgl. Hansen 1977, vgl. Kat. Hamburg 2010.
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Das imposante Segelschiff steht im Mittelpunkt des Werkes. Die Fischerei war überlebenswichtig, insbesondere für die Insel- und Halligbewohner. Somit wurde die Nordsee auch als ein Arbeitsraum wahrgenommen. Dabei stellte die Fischerei an der Nordsee einen mitunter sehr gefährlichen Beruf dar. Schiffe gerieten in Seenot und sanken. Auch die Arbeit an Bord konnte Gefahren bergen. In der Vergangenheit fanden viele Fischer den Tod. Das Los der Daheimgebliebenen lag in der Sorge um die Wiederkehr der geliebten Menschen. Das von Heinrich Tank um 1840 gefertigte Werk »Wartende Fischersfrau« (Abb. 4) zeigt eine Fischerfamilie, die auf die Heimkehr des Ehemanns und Vaters wartet.41 In dieser Szene wird die Sorge und Angst der daheimgebliebenen Fischerfamilie dargestellt. Die Frau blickt sorgenvoll aufs Meer. Dieses ist aufgewühlt und mit brechenden Wellen überzogen. Mit einer Hand beschattet die Frau die Augen, um bessere Weitsicht zu haben. Das kleine Mädchen, das sie im Arm hält, hat dem Betrachter das Gesicht zugewandt; ihr Blick ist jedoch auf einen kleinen neben der Frau knienden Jungen gerichtet. Dieser blickt ebenfalls aufs Meer und zeigt mit erhobenem Finger auf einen für den Betrachter nicht sichtbaren, außerhalb des Bildbereichs liegenden Punkt in der Ferne. Auch der Blick der Mutter ist dorthin gerichtet. Möglicherweise haben sie das heimkehrende Schiff des Fischers entdeckt. Vielleicht ist es auch nur die Hoffnung, dass das Schiff in Sicht kommen möge.
Abb. 4: Heinrich Tank, Wartende Fischersfrau (Rømø), um 1840, Öl, 45 x 60 cm, Hamburg, Altonaer Museum
Schiffbrüche waren sowohl im symbolischen als auch dokumentarischen Sinne ein Themenkreis maritimer Werke, der ebenfalls in Nordseebildern aufgegriffen wurde. Ein offizielles See- und Rettungswesen entstand in Deutschland erst im 19. Jahrhundert. In der Kunst wurden sowohl Schiffbrüche als auch Rettungsversuche verbildlicht. 41 Detaillierte Ausführungen vgl. Kat. Flensburg/Hamburg 2012, S. 82f.
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Das Bild »Schiffbruch vor der Küste Helgolands« (Abb. 5) von Eduard Schmid zeigt kaum wahrnehmbar im linken Bildteil am Horizont das in Seenot geratene Schiff.42
Abb. 5: Eduard Schmidt, Schiffbruch vor der Küste Helgolands, 1854, Öl, 69 x 91 cm, Hamburg, Altonaer Museum
Ein Rettungsboot eilt zu Hilfe. Im Vordergrund ist ein im Wasser schwimmender Teil eines Mastes zu sehen. An der felsigen Küste scheinen Menschen angeschwemmtes Gut zu bergen. Im Brandungstor, ein Merkmal Helgolands, sind ebenfalls einige Personen – möglicherweise Schiffbrüchige – zu erkennen. Die Gewalt aber auch die Schönheit der aufgepeitschten See und der Felsenküste Helgolands stehen im Fokus der Darstellung. Auch wenn verheerende Stürme und Schiffbrüche von den Betroffenen als schrecklich empfunden wurden, so erfolgte bereits Mitte des 18. Jahrhunderts eine Einbettung solcher Erlebnisse in die ästhetischen Theorien der Erhabenheit. Das Erhabene, popularisiert durch die Theorien Burkes, Kants und Schillers, führte zu einem Wandel in der Naturwahrnehmung und damit auch zu einer neuen Sehweise auf das Meer.43 In diesen Theorien wird eine Naturwahrneh42 Detaillierte Ausführungen vgl. ebd. 43 Der Begriff des Erhabenen wurde bereits in der Antike im Rahmen einer Dichtungs- und Rhetoriktheorie gebraucht. Für weitere Informationen vgl. u. a. Brandt 1966. Die Wirkungsmächtigkeit dieser antiken Abhandlung zeigte sich erst in späteren Jahrhunderten. Im 17. Jahrhundert übersetzte Boileau die »Pseudo-Longinus«-Schrift und es kam zur Wiederentdeckung und Popularisierung der antiken Theorie. Diese Übersetzung hatte Einfluss auf spätere Abhandlungen. Im 18. Jahrhundert griffen Burke, Kant und Schiller die Erhabenheit in ihren Theorien auf. Im historischen Verlauf wurde der Begriff entsprechend den jeweiligen geschichtlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Kontexten mit verschiedenen Vorstellungen belegt und unterlag in der theoretischen Ausformulierung Veränderungen und verschiedenen Akzentuierungen. Die Rhetorik wird in den Theorien im 18. und 19. Jahrhundert nicht mehr primär behandelt. Insbesondere die Natur und deren Wahrnehmung durch das Subjekt gewannen Bedeutung. Im Jahr 1688 formulierte John Dennis in einem Brief, dass sich die erhabene Empfindung durch ein widersprüchliches Gefühl aus-
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mung beschrieben, die im Gegensatz zur idyllischen, harmonischen Landschaftsaneignung stand.44 Im Gegensatz zu Burke belegte Kant das Erhabene mit moralischen Ideen. Schiller griff Kants Theorie auf und führte sie im Rahmen seines Konzeptes der ästhetischen Erziehung weiter aus. Eine erhabene Empfindung kann unter anderem durch die Konfrontation des Subjekts mit übermächtiger Natur, zum Beispiel durch die Unendlichkeit des Meeres oder die Ansicht eines Sturms auf See, ausgelöst werden. Der subjektive Charakter der erhabenen Empfindung ist dabei von Bedeutung. Ein Objekt kann nicht a priori als erhaben gelten, sondern ausschließlich vom empfindenden Subjekt als erhaben erfahren werden.45 »So kann der weite, durch Stürme empörte Ozean nicht erhaben genannt werden. Sein Anblick ist grässlich; und man muß das Gemüt schon mit mancherlei Ideen angefüllt haben, wenn es durch eine solche Anschauung zu einem Gefühl gestimmt werden soll, welches selbst erhaben ist, indem das Gemüt die Sinnlichkeit zu verlassen und sich mit Ideen, die höhere Zweckmäßigkeit enthalten, zu beschäftigen angereizt wird.«46 zeichne. Er beschreibt Empfindungen wie Angst, Unwohlsein sowie tiefe innerliche Befriedigung, als er sich bei der Überquerung der Alpen mit der beeindruckenden, aber auch lebensgefährlichen Natur konfrontiert sieht. Vgl. Dennis 1964, S. 380–382. Die Begriffe »terrible Joy« und »delightful Horror« wurden im Diskurs des Erhabenen in dieser Zeit zu Schlagwörtern. 44 Kant verfasste 1764 in seiner vorkritischen Phase eine Abhandlung über das Erhabene: »Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen«. Vgl. Kant 1764/1983. Während die frühe Schrift eine empirisch-deskriptive Darstellung erhabener Phänomene in Anlehnung an Burkes Theorie enthält, nimmt Kant in seiner kritischen Phase eine rationale Analyse des Erhabenheitsbegriffs vor: »Analytik des Erhabenen«. Vgl. Kant 1790/1974, S. 164–277. Die Vernunfttätigkeit, die im frühen Text noch nicht thematisiert ist, stellt in der späteren Theorie der Erhabenheit den wesentlichen Aspekt zur Erhöhung des Menschen dar. Indem eine Person sich die Unbegrenztheit der Vernunft bewusst macht, erhebt sie sich über die als furchtbar empfundene Natur oder über andere als erhebend gekennzeichnete Phänomene. Schiller griff Kants Gedanken in seiner Theorie über das Erhabene auf. Diese formulierte er in den Schriften »Über das Erhabene« und »Vom Erhabenen«. Schiller verfasste 1801 die Schrift »Über das Erhabene«, vgl. Schiller 1801/1963. In den Jahren 1793/94 verfasste er »Vom Erhabenen«, vgl. Schiller 1793/94/1962. Er beschäftigte sich mit der Erhabenheit im Rahmen seines Konzepts der ästhetischen Erziehung. Im Gegensatz zu Kant lässt er die Kunst als Mittel zur Evokation erhabener Empfindungen zu. In beiden Theorien liegt eine Differenzierung von Erhabenem und Schönem vor. Kant 1790/1974, S. 167. Zu weiteren Ausführungen vgl. »Die Analytik des Schönen« in Kant 1790/1974, S. 115–163 und »Analytik des Erhabenen« Kant 1790/1974, S. 164–276, insbesondere S. 164–167. Kant führte aus, dass bei der Betrachtung des »Schönen« in der rohen Natur sich das Gemüt in ruhiger Kontemplation befindet. Die erhabene Empfindung charakterisierte er im Gegensatz dazu als eine Bewegung. Diese Bewegung kennzeichnete er als ein wechselseitiges Anziehen und Abstoßen des Objekts. Vgl. Kant 1790/1974, S. 181f. 45 »Also ist die Erhabenheit in keinem Dinge der Natur, sondern nur in unserm Gemüte enthalten, sofern wir der Natur (sofern sie auf uns einfließt) außer uns überlegen zu sein, uns bewusst werden können.« Kant 1790/1974, S. 189. Weitere Ausführungen vgl. Kant 1790/ 1974, S. 166. 46 »[…] denn das eigentliche Erhabene kann in keiner sinnlichen Form enthalten sein, sondern
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Das Meer stellt kein erhabenes Objekt dar, sondern kann erst durch die Betrachtungsweise dazu werden: Die Vernunft des Subjekts spielt bei der erhabenen Empfindung die ausschlaggebende Rolle. Der Mensch muss sich angesichts »erhebender« Phänomene seiner geistigen Überlegenheit bewusst werden.47 So ist ein Nordseesturm Beispiel einer Naturgewalt, der gegenüber der Mensch physische Ohnmacht erfährt; dies kann das Bewusstsein der geistigen Überlegenheit durch die Vernunft hervorrufen. Sowohl das ruhige als auch das stürmische Meer kann Anlass für erhabene Empfindungen sein. Das urteilende Subjekt selber darf sich allerdings nicht in Lebensgefahr befinden.48 Wenn das Leiden auf die Person des Betrachters übergreift, ist keine ästhetische Wahrnehmung und damit auch keine erhabene Empfindung mehr möglich.49 Somit befindet sich die betrachtende Person in der Zuschauerrolle. Inwieweit sie die übermächtige Natur als furchtbar empfindet und ob sie in der Lage ist, über diese moralische Souveränität zu gewinnen und damit erhabene Empfindungen zu erfahren, liegt im Ermessen des Subjekts.50 Die erhaben konnotierte Natur fand Eingang in die Kunst des 18. und 19. Jahrhunderts. Von der Küste aus
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trifft nur Ideen der Vernunft: welche, obgleich keine ihnen angemessene Darstellung möglich ist, eben durch diese Unangemessenheit, welche sich sinnlich darstellen läßt, rege gemacht und ins Gemüt gerufen werde.« Kant 1790/1974, S. 166. Kant 1790/1974, S. 166. Schiller fasst diesen Aspekt bezüglich der für die erhabene Empfindung geforderten geistigen Emanzipation über die physische Übermacht der Natur wie folgt zusammen. »Erhaben nennen wir ein Objekt, bey dessen Vorstellung unsre sinnliche Natur ihre Schranken, unsre vernünftige Natur aber ihre Überlegenheit, ihre Freyheit von Schranken fühlt; gegen das wir also physisch den Kürzern ziehen, über welches wir uns aber moralisch d. i. durch Ideen erheben. Nur als Sinnenwesen sind wir abhängig, als Vernunftwesen sind wir frey. Der erhabene Gegenstand giebt uns erstlich: als Naturwesen unsre Abhängigkeit zu empfinden, indem er uns zweytens: mit der Unabhängigkeit bekannt macht, die wir als Vernunftwesen über die Natur, sowohl in uns als ausser uns behaupten.« Schiller 1793/94/1962, S. 171. Unter anderem können folgende Objekte kontemplativerhabene Empfindungen hervorrufen: »Ein Abgrund, der sich zu unsern Füßen aufthut, ein Gewitter, ein brennender Vulkan, eine Felsenmasse, die über uns herabhängt, als wenn sie eben niederstürzen wollte, ein Sturm auf dem Meere, ein rauer Winter der Polargegend, ein Sommer der heißen Zone, reissende oder giftige Thiere, eine Ueberschwemmung u. dgl.« Schiller 1793/94/1962, S. 187. »Wirkliches Leiden aber gestattet kein aesthetisches Urteil, weil es die Freyheit des Geistes aufhebt. Also darf es nicht das urtheilende Subjekt seyn, an welchem der furchtbare Gegenstand seine zerstörende Macht beweist d. i. wir dürfen nicht selbst, sondern bloß sympathetisch leiden.« Ebd., S. 192f. Zum Kontemplativerhabenen gehören »Gegenstände, welche uns weiter nichts als eine Macht der Natur zeigen, die der unsrigen weit überlegen ist, im übrigen aber es uns selbst anheim stellen, ob wir eine Anwendung davon auf unsern physischen Zustand oder auf unsre moralische Person machen wollen […] Die Natur giebt zum Kontemplativerhabenen nichts her, als einen Gegenstand als Macht, aus dem etwas furchtbares für die Menschheit zu machen, der Einbildungskraft überlassen bleibt. Je nachdem nun der Antheil groß oder klein ist, den die Phantasie an Hervorbringung dieses Furchtbaren hat, je nachdem sie ihr Geschäft aufrichtiger oder verdeckter verwaltet, muß auch das Erhabene verschieden ausfallen.« Ebd., S. 186f.
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betrachtet stellte das Meer eine Art Bühne dar, auf der sich dramatische Schiffsunglücke und Sturmszenen abspielten. Im Klassizismus sollten solche Bilddarstellungen moralische Empfindungen beim Betrachter wecken. Parallel zu diesen ästhetischen und philosophischen Betrachtungsweisen entwickelte sich Ende des 18. Jahrhunderts mit der Entdeckung der heilenden Wirkung des salzigen Meereswassers und des Seeklimas das Seebäderwesen. Die Nordseeküste sowie die Inseln wurden als Erholungslandschaft betrachtet.51 Dies war der Beginn des Tourismus an der Nordseeküste. Damit einhergehend wurde zunehmend die Schönheit dieses Meeres entdeckt. Die ersten Freilichtmaler kamen an die Küste und auf die Inseln. So unternahm beispielsweise der französische Maler Charles Hoguet eine Reise nach Helgoland. Sie inspirierte ihn zu dem Werk »Helgoland – Westseite Felswatt« (Abb. 6), in dem er eine typische damalige Reisesituation festhält.52
Abb. 6: Charles Hoguet, Helgoland – Westseite Felswatt, 1856, Öl, 95 x 135 cm, Alkersum, Museum Kunst der Westküste
Parallel mit der zunehmenden Etablierung von Seebädern an der Nordseeküste setzten zu Beginn des 19. Jahrhunderts romantische Strömungen ein. Die Romantiker wandten sich mit der Betonung des Gefühls, des Träumerischen und Subjektiven gegen ein rein aufklärerisch-naturwissenschaftliches Weltbild. Es ging nicht mehr um die moralische Selbstbehauptung des Menschen gegenüber der Natur, wie sie Kant und Schiller forderten, sondern um Seelenstimmungen und religiös konnotierte Kontemplation in einem als Andachtsraum Gottes aufgefassten Naturraum, wie er in Caspar David Friedrichs Werken zum Ausdruck kommt. Die dargestellten Rückenfiguren am Meer, mit dem Blick gen Horizont, fungieren dabei als Identifikationsfiguren. Somit kann der Betrachter seine Gefühle auf die dargestellte Meereslandschaft projizieren. Viele maritime Werke des in Greifswald aufgewachsenen Künstlers Caspar David Friedrich sind von der Ostsee inspiriert. Dieses baltische Meer besitzt einen idyllischeren und 51 Vgl. Meyn 2007, S. 39–44. Vgl. Kruse 1888. Vgl. Richter 1833. 52 Vgl. Sadowsky, Anm. 32, 58.
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friedlicheren Charakter als die von Gezeiten geprägte Nordsee. Die Ostsee, ihre Küste und insbesondere die Insel Rügen hatten für die Bildwelten der Romantik größere Bedeutung als die Nordsee. Allgemein war das Meer lange Zeit ein von Mythen und Sagen umrankter Ort. Dies gilt ebenso für die Nordsee und das Wattenmeer. Auch ebneten archäologische Funde sowie Legenden und Sagen, wie zum Beispiel über die versunkene Stadt Rungholt, neue Zugänge zum Wattenmeer und zur Nordsee. Wie bereits angeführt prägte jedoch die Seefahrt stark die Sehweisen auf die Nordsee. Diese umfasste die Handelsschifffahrt, Kreuzfahrten und die Kriegsmarine. Die von Bremerhaven und Hamburg ausfahrenden Auswandererschiffe verdeutlichten, dass das Meer als Länder trennendes, aber auch verbindendes Element angesehen wurde.53 Dagegen fungierte im Ersten und Zweiten Weltkrieg die Nordsee als Teil der Kriegsfront. In Marinedarstellungen diente die Nordsee als Schauplatz für die Kriegspropaganda. Im Nationalsozialismus wurden neben Kriegsmarinedarstellungen auch Landschaftsmalereien der Nordsee und des Wattenmeeres als »arteigene« Darstellungen von Heimat deklariert. Darüber hinaus wurde Landgewinnung im Kontext von Lebensraumgewinnungspolitik betrieben.54 Nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgten verstärkt Schutzbemühungen, hervorgerufen unter anderem durch die Folgen von zunehmendem Tourismus und von Umweltverschmutzung.55 Anhand naturwissenschaftlicher Untersuchungen wurde die Einzigartigkeit und Vielfalt des Wattenmeeres aufgezeigt; im Zeitraum 2009 bis 2014 wurde dem Wattenmeer der Welterbestatus erteilt. Ab Ende des 20. Jahrhunderts und gegenwärtig scheint die Angst vor dem Meer durch effektive Küstenschutzmaßnahmen gebannt.56 Allerdings entstehen aufgrund bedrohlicher Prognosen über die Folgen des Klimawandels neue Ängste.57 Durch Wetterextreme und einen steigenden Meeresspiegel wird die vom Menschen vorgegebene Beherrschung des Meeres gefährdet. Angesichts potentieller Naturkatastrophen stellt sich die Frage, ob sich möglicherweise erneut ein Wandel im Verhältnis Mensch-Natur vollzieht.58 In diesem kurzen Einblick in historische Wahrnehmungsmuster der Nordsee und des Wattenmeeres ist ersichtlich, dass sowohl naturphilosophische, naturwissenschaftliche, medizinische, historische, politische und wirtschaftliche Faktoren auf die Sehweise der Nordsee Einfluss nehmen. Auch die Kunst ist 53 Amerika galt vielen Deutschen als das Land der Hoffnungen. Die Nordsee war ein zu überquerendes Meer auf ihrem Weg in ein vermeintlich besseres Leben. 54 Vgl. das Kapitel über Darstellungen von Wattenmeer und Nordsee im Nationalsozialismus. 55 Vgl. das Kapitel »Der Schutzgedanke« in dieser Studie. 56 Vgl. Hasse 2011, S. 104. 57 Vgl. ebd., S. 104f. 58 Vgl. Jakubowki-Tiessen 2011, S. 61f. Vgl. Fischer, Reise 2011a, vgl. Reise 2011.
Wanderungen an der Nordseeküste
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diesbezüglich von großer Bedeutung. Sie kann sowohl als Reflexionsmedium der benannten Wahrnehmungsmuster fungieren als auch neue Zugänge und Sehweisen initiieren. Ebenso ist für die Wahrnehmung und damit für die künstlerische Auseinandersetzung mit Nordsee und Wattenmeer von Bedeutung, ob die Menschen an der Küste bzw. auf den Inseln lebten oder sich nur eine kurze Zeit dort aufhielten. Aus diesem Grund wurden in dieser Studie sowohl Künstler gewählt, die an der Nordseeküste heimisch waren – wie Emil Nolde, Franz Radziwill oder Ernst Magnus Weidemann – aber auch solche, die nicht von dort stammten und die Nordsee immer nur für eine Zeit lang aufsuchten – wie Max Beckmann, Claus Bergen und Käte Lassen. Im Folgenden werden Einblicke in künstlerische Darstellungstraditionen und Wahrnehmungsmuster von Wattenmeer und Nordsee anhand des Werkes »Wanderungen an der Nord- und Ostseeküste« von Wilhelm Cornelius und Theodor von Kobbe gegeben.59 Da das Werk zeitlich vor dem Untersuchungszeitraum dieser Studie erschien, ist es im Rahmen der Kontextualisierung der im Anschluss analysierten Darstellungen von großer Bedeutung.
Das malerische und romantische Deutschland: Wanderungen an der Nordseeküste Im Jahr 1841 erschien als Band 10 der Reihe »Das malerische und romantische Deutschland« das Werk »Wanderungen an der Nord- und Ostseeküste« von Wilhelm Cornelius und Theodor von Kobbe.60 Der Band ist mit 15 Stahlstichen illustriert.61 Im Folgenden wird anhand der Reisebeschreibungen von Kobbe und den dazugehörigen Stahlstichen dessen »Sehweise« auf die Inseln sowie die Nordseeküste erläutert. Dabei nimmt Kobbe Bezug auf kollektive Wahrnehmungsmuster und Zugänge, die Mitte des 19. Jahrhunderts zur Nordsee, zum Wattenmeer sowie zu den Inseln und der Küste bestanden. Er beschreibt u. a. Helgoland, Föhr, Wangerooge, Norderney, Bremerhaven, Cuxhaven und Neuwerk, was in den nachfolgenden Kapiteln grob skizziert wird. In Kobbes Vorwort äußert dieser, dass – im Gegensatz zum Rheinland – die Aufgabe, die Nordseeküstenlandschaft im romantischen Lichte zu beschreiben, sich als undankbar und schwierig erweist.62
59 60 61 62
Vgl. Cornelius, Kobbe 1841/1973. Vgl. Cornelius, Kobbe 1841/1973. Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 1.
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»Und wer von allen könnte diese traurige Wahrheit mehr für sich in Anspruch nehmen, als derjenige, dem die Aufgabe gestellt ist: über die nebelverdüsterten Sanddünen der Nordsee und über die von Haide, Sumpf und Moor durchzogenen Flächen – in denen die grünen Wiesenteppiche der Marschen mit der homerischen Fülle schwerwandelnder, krummgehörnter Rinderschaaren und erdstampfender Rossherden spärliche Oasen bilden, – das Zauberlicht einer Romantik auszugiessen, deren Keimen, ach! in dieser Prosagegend Deutschlands nur ein kümmerliches Dasein unter der ringsum starrenden Schnee- und Eisdecke vergönnt ist!«63
Die Küstenlandschaft der Nordsee wird von Kobbe eher als karge denn als romantische Landschaft beschrieben.64 Im Gegensatz zur Ostsee war die Nordsee kein typisches Bildmotiv bedeutender romantischer Maler. Somit waren Topoi der Kunst der Romantik im öffentlichen Bewusstsein nicht mit der Nordsee und den weitläufigen Wattlandschaften verbunden. Eine anfängliche Skepsis ist in Kobbes Ausführungen ersichtlich. Nicht das Watt, sondern vielmehr die Inseln, die Hafenstädte sowie das Leben dort weckten sein Interesse. So spricht er dem Seeleben mit den »freiheitsliebenden Seemännern«, die in der Tradition der Freibeuter stehen, eine gewisse Romantik zu.65 Nachfolgend werden seine Ausführungen zu den Inseln und Hafenstädten skizziert.
a)
Helgoland
Kobbe verweist bei seinen Beschreibungen der Insel Helgoland u. a. auf Tacitus’ Ausführungen über die Insel.66 Er wählt einen sagenhaften, mythischen Zugang, der bis in die ersten Jahrhunderte nach Christi zurückreicht. Dabei bezieht er sich auf die »Heidenbekehrung« und diesbezüglich überlieferte Aussagen. So 63 Vgl. ebd. 64 »Möge es uns nur gelingen einem in malerisch und romantischer Hinsicht von der Natur mehr als stiefmütterlich behandelten Theile Deutschlands wenigstens einige Aufmerksamkeit der geneigten Leser zuzuwenden.« ebd., S. 2. 65 »Und auch an Romantik soll’s so Gott will! Nicht fehlen. Das weltdurchschweifende Seeleben unserer Nordseelande biete mancherlei Ersatz für das berg- und wald-umschlossene Stilleben der romantischen Parthien Mitteldeutschlands, und die braunen und verwegenen Theerjacken auf den Schiffen und Bollwerken unserer Nordseehäfen sind die ächten Söhne jener Freibeuter, die Meere durchstreiften, und Niemanden über sich erkannten als den Himmel und seine Sturmwolken, denen ihr Muth gleich wie dem Feinde Trotz bot.« Ebd., S. 3. 66 »Diese merkwürdige Felseninsel der Nordsee, welche hoch emporragend seit Jahrtausenden den Kampf mit den Wellen besteht, wird uns schon in sehr frühen Nachrichten genannt. Ein alter nordfriesischer Schriftsteller, Peter Sachse, glaubt sogar, der Dichter Virgil habe an dem Hofe des Kaisers Augustus von dem Meerwunder gehört und Gelegenheit genommen, die Insel in seinem Gedichte (Aeneide I v. 159) zu beschreiben. Dass Tacitus Helgoland gemeint habe, als er von der Insel Hertha redet, wird durch spätere Zeugnisse fast zur Gewissheit erhoben. Er redet von dem Dienste der Göttin im Ocean, zu welchem sich sieben Suevische Völkerschaften, unter diesen die Angeln und Variner, verbunden hätten.« Ebd., S. 3f.
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führt er eine Göttin im Ozean, heidnische Gebräuche sowie einen Tempel und eine heilige Quelle auf Helgoland an.67 Weiterhin bezieht er sich auf verschiedene Sagen was die Namensgebung der Insel anbelangt.68 Im Hinblick auf das Klima benennt Kobbe den auf Charakteristiken der Helgoländer Natur beruhenden Spruch: »Grön is dat Land, Rohd is de Kant, Witt is de Sand«69. Auch die Lage und Beschaffenheit der Insel wird von Kobbe beschrieben.70 Er führt zutreffend an, dass Helgoland einst größer gewesen sei.71 Denn die Insel ist 67 »Die ersten Heidenbekehrer, Willibrod und Lüdger, machen im achten Jahrhundert eine Beschreibung von dem Götzendienst und dem Zustand Helgolands, welche ganz mit dem, was Tacitus von seiner Insel erwähnt, übereinstimmt. Wir finden hier wieder die geweihten Tiere, welche im Umkreise des Tempels weideten und die Niemand berühren, und die heilige Quelle – aus der man nur schweigend Wasser schöpfen durfte. Diese Quelle, das einzige süsse Wasser der Insel, findet sich auf dem Vorlande und wird in der Brennerei eines Einwohners, Jasper Buse, verwendet.« Ebd., S. 4. 68 »Woher der Name der Insel abzuleiten sein dürfte, ist streitig. Als die Heidenbekehrer kamen, soll sie nach einem hier verehrten Götzen ›Fosetisland‹ benannt sein, An den Namen Helgoland knüpfen sich mehrere Sagen, namentlich eine der merkwürdigsten des skandinavischen Alterthums.« Ebd., S. 4. So greift er die Sage vom König von Lethra Helgo auf, von dem der Name »Helgoland« stammen soll. Dieser habe im sechsten Jahrhundert die Fürstin Olufa mit einer List geraubt, geschwängert und später unwissentlich seine eigene Tochter geheiratet und einen Sohn gezeugt. Dies sei jedoch ein hinterlistiger Plan Olufas gewesen. Nachdem Helgo erfahren habe, dass er seine eigene Tochter Ursa geheiratet habe, nahm er sich das Leben. Vgl. ebd., S. 4f. Kobbe führt eine weitere Sage an, in der Helgoland angeblich Sitz eines Nonnenklosters von St. Ursula gewesen sei. Aufgrund der Gottlosigkeit des Volkes gegen die Jungfrau sei das damals noch bestehende Land versunken und die Überreste, die heutige Insel Helgoland, sei versteinert. »Helgoland sei nach einem dort befindliche gewesenen Nonnenkloster, St. Ursula, benannt. Die heilige Ursula soll hier mit ihren 11000 Amazonen gelandet sein als es noch ein grosses schönes Land war, die Leute aber so gottlos gewesen sein, dass wegen ihres Betragens gegen die Jungfrau das Land versunken, abgerissen und alles versteinert sei.« Ebd., S. 5. Kobbe greift weitere sagenhafte Erzählungen auf. So führt er an, Helgoland sei lange Wohnort des »wilden König Radborgs« gewesen. Einige Jahrhunderte später habe ein auf der Insel lebender Seeräuber dann von dieser Lebensweise abgelassen, wurde bekehrt und habe angeblich ein Kloster gegründet. »Hier hauste der wilde König Radborg; Jahrhunderte nach ihm soll ein Seeräuber, namens Eilbert, von seiner Lebensweise abgelassen haben, völlig bekehrt und endlich sogar Bischof geworden sein, das Christenthum auf der Insel hergestellt und hier ein Kloster gegründet haben. Vom Kloster Rabodsburg, von Hainen und Tempeln ist keine Spur mehr, und mögen sie einst gestanden haben, längst sind sie versunken in die Tiefen des Meeres.« Cornelius, Kobbe 1841/1973, S. 5. Der Name »Helgoland« wird auch mit dem niederdeutschen Ausdruck »Heiliges Land« in Verbindung gesetzt. 69 Ebd., S. 16. 70 Vgl. ebd., S. 10f. »Das nächste Meer gewährt noch durch Farbe und Brandung eine Uebersicht des seichten Meeresgrundes, dessen höhere Theile jetzt abgespült, einst die grössere Ausdehnung der heutigen Insel ausmachten. […] Noch bis zum Jahre 1720 war das Land – de lun – mit der Düne – de halm – und der Wittkliff (weissen Klippe) verbunden; damals wurden sie durch einen Sturm getrennt, und seitdem die Wittkliff dem Meeresboden gleichgemacht.« Ebd., S. 11. 71 Ebd., S. 5f. »Das Verzeichnis der Harden und Kirchen in Nordfriesland von 1240 führt noch drei Kirchspiele, ein Kloster und die Spuren dreier heidnischer Tempel an. Gegenwärtig besteht
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der Gewalt des Meeres ausgeliefert und verändert dadurch ihr Aussehen.72 So verkleinerte sich Helgoland im Laufe der Zeit durch ständigen Wellenschlag, Stürme, Frost und Tauwetter.73 Dadurch bildeten sich durch Erosion bizarr geformte Felsgebilde, die eine Touristenattraktion darstellen.74 Kobbe geht auf den beginnenden Tourismus ein, der bereits Mitte des 19. Jahrhunderts auf der Insel einsetzte.75 Die Wanderung auf den bei Ebbe zutage tretenden Wattbereichen wird von ihm ebenfalls als eine beliebte, aber aufgrund des möglichen Steinschlags von den Felsen auch gefährliche Unternehmung beschrieben.76 Der nach einer Zeichnung gefertigte Stich (Abb. 7) verbildlicht dies: Menschen landen mit Ruderbooten an den bizarren Felsformationen und wandern auf dem freiliegenden Gestein.
Abb. 7: Helgoland, gez. von J. H. Sander, gest. von Grunewald & Cooke
Durch die kleine Darstellung der Figuren in Relation zu den Felsen wirken diese in ihrer Größe und Gestalt imposant.77 Die Nordsee ist spiegelglatt dargestellt
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Helgoland nur aus der Klippe von Keuper-Mergel und einer Sandinsel. Die Fluth durchbrach im Jahre 1720 die schmale Erdenge und machte die nur eine Viertelmeile vom Felsen liegende Düne zur Insel. Seit 1653 hat Helgoland immer mehr abgenommen;« Ebd., S. 6. Vgl. ebd., S. 11f. Vgl. ebd., S. 11f. Vgl. ebd., S. 12f. So berichtet er von »Lustreisen« der Hamburger, die samstags die 12-stündige Dampferfahrt auf sich nehmen, sich am Sonntag »auf Helgoland erlustiren« und am Montag nach Hamburg zurückkehren. Vgl. ebd., S. 10. Diese touristischen Kurzausflüge nach Helgoland sind auch heute noch üblich – auch wenn die Überfahrt bedeutend kürzer ist. »Zur Zeit der Ebbe ist es auch möglich eine Wanderung zu Fuß um die Insel zu machen, mithin ragen dann noch mehr Schichtenköpfe der früher abgespülten Massen aus dem Meere und geben dem Grunde das Aussehen eines frisch gepflügten Feldes, das aber schon mit Algen und Tangen bewachsen ist. Die Möglichkeit des Herabfallen der Felsstücke, des Ausgleitens auf den immer trocknenden Steinen, oder der Überraschung durch die Fluth macht indessen eine solche Wanderung gefährlich. Gerade dieser Umstand zieht aber junge Damen, die auf dieser Wunderinsel mit Gefahren spielen bald interessant genug finden, an, die Wanderung zu machen und sollten hie und da Strümpfe und Schuhe ausgezogen werden müssen.« Ebd., S. 13. Die Beschreibungen der Gefahr, die mit einer solchen touristischen Erkundung der Insel verbunden ist und die Darstellung der klein wirkenden Menschen mit der Größe der Natur
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und verstärkt die friedliche Stimmung. Die gegenüber den Felsen klein wirkenden Segelboote spiegeln sich im Wasser. Vögel umfliegen die hoch aufragenden Felsen. Kobbe führt an, dass »alle Arten Möwen und Strichvögel« auf der Insel beheimatet sind.78 Ebenso beschreibt er weitere im Meer lebende Tierarten.79 Mit Blick auf den Tourismus verweist er weiterhin darauf, dass viele Gäste zur Heilung von physischen und psychischen Leiden auf der Insel weilten.80 Das Bäderwesen spielt eine bedeutende Rolle.81 Der Geruch der am Strand angespülten Algen und Tange wird von Kobbe als nicht »der angenehmste«, dafür aber als heilkräftig bezeichnet.82 Sowohl der gesunden Seeluft, dem Bad im Salzwasser als auch der physischen Beschaffenheit und Schönheit der Insel, die durch den Blick von der Klippe auf das Meer oder bei der Wanderung am Fuße hoher Felswände erhabene Momente bietet, werden heilende Wirkung zugesprochen.83 Das Watt selbst wird jedoch nicht als Attraktion angesehen.
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wecken Assoziationen an das Erhabene. Inwieweit der Zeichner dies intendierte, kann aufgrund mangelnder Selbstzeugnisse nicht rekonstruiert werden. Wahrscheinlich wird er den dargestellten Staffagefiguren nicht die kantsche oder schillersche moralische Überlegenheit zugesprochen haben. Auch Kobbes Ausführungen sprechen dagegen. Es scheint sich vielmehr um eine reine Touristenattraktion zu handeln. Vgl. ebd., S. 15. »Der Sand der Düne bedeckt wohl die Fortsetzung der nördlichen Kreidefelsen, die mit Tangen und Algen bewachsen, zur Zeit der Fluth dem Meere eine violette Färbung geben, zur Zeit der Ebbe aber hie und da über dem Meeresspiegel hervortreten und eine reichliche Ausbeute von Korallen, Patellen (P. pellucida), Seesternen und Taschenkrebsen (C. Pagurus, rotbraun, C. Maenas, grün) gewähren.« Ebd., S. 14. Vgl. ebd., S. 20. In Bezug auf das Seebäderwesen, das auch Helgoland erreicht hat, berichtete Kobbe Folgendes: »Der Badearzt der Insel […] ist ein sehr unterrichteter und erfahrener Arzt, welcher auf an ihn ergehende Anfragen sehr gerne Bescheid erteilt. Die Seebadeanstalt ist erst seit 1826 eingerichtet und hat einen sehr guten Fortgang. Der Genuss der Seeluft ist hier reiner und kräftiger als auf den übrigen Inseln, welche Badeanstalten haben, keine Etiquette geniert die Gäste, welche sich dafür auch selten zu grösseren Veranstaltungen im Conservationshause reuniren, sondern sich gewöhnlich in kleinere Zirkel scheiden. Im Conservationshause, wo ein Fortepiano steht, wird gewöhnlich den ganzen Tage musiciert. In mehreren Häusern der Insel is table d’hite, welche im Durchschnitt bescheidene Ansprüchen entspricht.« Ebd., S. 17. Es lag derzeit noch eine Geschlechtertrennung in Bezug auf das Badeleben vor: »Das westliche Gestade ist das flächere und ihre Rinnen und Löcher, weit hinaus sich sanft vertiefend, der beste Badestrand, der sich wünschen lässt. Weit genug ist der nördliche Theil, den die Damen benutzen, von dem südlichen der Herren entfernt.« Ebd., S. 14. Vgl. ebd., S. 14. »Zwei Umstände sind es vor allen, ein physischer und ein moralischer, die in Helgoland hervortreten. – Die vom Continent entfernte Lage im Meere und die grossartige Erscheinung dieses Felseneilandes, der Reichthum an Form und Farbe, der stets neue Bilder vor das entzückte Auge führt und der dadurch hervorgerufene Einfluss auf das Gemüth.« Ebd., S. 18. »Wem trockne Hitze und Kälte weh thun, der ziehe nach Helgoland und athme die kräftige, salzige Luft, die keine grosse Temperaturdifferenzen kennt, er wird sich wohl und leicht fühlen, doch ist sie für eigentliche Lungenkranke zu rauh, die es aber auch hier nicht giebt.«
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Eine weitere Illustration zeigt einen Blick über die Insel (Abb. 8).
Abb. 8: Helgoland, gez. von J. H. Sander, gest. von A. H. Payne
Topoi der Romantik werden bedient. Hier spiegelt sich eine friedliche, harmonische, nächtliche Stimmung wider. Die Nordsee ist spiegelglatt und das Ebd., S. 16. »Dass der Seeluft, dem Seebad andere Kräfte einwohnen, als der Luft des festen Landes, den Bädern im süssen Wasser, das wussten schon die Alten und die Neuen sind eben daran, den Kreis ihrer Erfahrungen hierüber bedeutend zu erweitern. Jene Kräfte müssen umso entschiedener hervortreten, je reiner und unverfälschter sie sind. An der Küste sind die Kräfte gemischt und getheilt. Mutter Erde und Gott Neptun liegen im Kampfe. Nicht alle Winde bringen dort Seeluft und wer weiss, welchen Einfluss die süssen Wasser der Küste und der Landwolken auf die Salzfluthen ausüben! Wie ungetrübt ist dies alles auf Helgoland! Der Wind mag kommen, woher er will, er führt Seeluft herbei, eine weite Fläche trennt das Eiland von der nächsten Küste, die das Auge nicht mehr erreichen kann. Der Felsen selbst erzeugt keine tellurischen Kräfte, ein Schiff mit Hochbord liegt er mitten im Meere, auf den der Wechsel der irdischen Atmosphäre nicht herüberdrängt. Die bewahrt hier die ihr eigenthümliche Gleichmässigkeit in Temperatur und Feuchtigkeit viel konstanter.« Ebd., S. 18f. »Sodann welchen Reiz bietet Helgoland einem für Naturschönheit offenen Gemüthe! Statt der einförmigen Dünenküste erhebt sich der bunte Sandstein mit der grünen Decke schroff aus der See und drüben schimmert die Düne herüber, eines dem andern zur Zierde und jedes in anderer Beleuchtung immer wieder anders, dazu das Kommen und Gehen der Schiffe, die Helgolander Lootsen und ihr lustig Gewerbe. Eine andere Welt ist dem Bewohner des Festlandes aufgeschlossen, tausendfältig wird das Gemüth angeregt. Jeder Sonnenaufgang im Meere ist eine neue Schöpfung, jeder Sonnenuntergang schliesst dort ein ganzes Drama voll erhabener und erhebender Gefühle ein, und davon sollte der Leib unberührt bleiben? Alltäglich sehen wir, wie die Freude das Antlitz verkläret, wie der Neid so widerlich sich ausprägt, wie die Schamröte tausend kleine Gefässe das Blut treibt und eine ganze Kette voll der gewaltigsten Eindrücke sollte spürlos am Körper vorübergehen! Mögen das Philister glauben, deren Herz zu ist, die mit sehenden Augen blind sind, Helgoland schafft durch seine stillen Wunder. Wem aus der Mutter Erde, aus dem Alltagsleben die Dämonen erwachsen, die seine Ruhe stören, der fliehe vor ihnen nach dem Felseneiland.« Ebd., S. 19. »Sie [die Damen] sind es, die an den erhabenen Naturszenen sich am meisten erfreuen; die, wenn die Boote schaukeln, mit ihrem Muthe manchen Herrn beschämen; ihnen wird dafür eine vorzugsweise segensreiche Wirkung zu Theil.« Ebd., S. 20. Kobbe führt an, dass in Bezug auf »nervöse Formen« des Hämorrhoidalleiden, die »Schlaf und Heiterkeit rauben« und verstärkt beim weiblichen Geschlecht auftreten, ein Aufenthalt auf Helgoland Besserung bringen kann. Vgl. ebd. S. 19f. »Die ungewöhnlich grosse Zahl Damen, welche hier Hülfe suchten und finden, liefert den kräftigen Beweis, was Helgoland in diesen Fällen leistet.« Ebd., S. 20.
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Mondlicht wirft glitzernde Reflexionen auf das Wasser. Klein dargestellte Schiffe sind zu sehen. Verstärkt wird die friedliche Stimmung durch Menschengruppen, die über die Insel wandern oder von dem erhöhten Standpunkt auf das Meer hinausschauen.84 Sie stellen mit hoher Wahrscheinlichkeit Touristen dar, da die Inselbewohner ein hartes Leben führten und nicht unbedingt zu nächtlichen Zeiten lustwandeln konnten. Durch die vom Mondlicht hell erleuchtete Meeresfläche treten zudem die Silhouetten der Gebäude hervor. Der Schein des Leuchtturms hebt sich hell von der grauen Wolkendecke ab. Ein großes Gebäude – möglicherweise das Conservationshaus – steht auf einer Erhebung inmitten der von niedrigem Pflanzenwuchs überzogenen Insel. Zu der Zeit, als Kobbe Helgoland bereiste, befand es sich noch im Besitz der Briten. Erst 1890 wurde die Insel wieder dem Deutschen Reich zugesprochen. Kobbe beschreibt die auf der Insel geltende Rechtsprechung und die herrschenden Sitten.85 Dabei bezieht er die Nordsee ein, da das Leben der Helgoländer – seiner Meinung nach ein »imposantes und originelles Völkchen« – stark von der See bestimmt werde.86 Im Hinblick auf den guten Ruf des helgoländischen Lotsenwesens führt Kobbe an, dass die Seeleute »kühn, zuversichtlich und nüchtern sind«.87 Die Lotsenarbeit der Helgoländer war gefährlich und forderte auch Opfer. Kobbe hat sich Erzählungen darüber auf der Insel angehört und mit dem Helgoländer Dichter und ehemaligen Kapitän Hans Fran Heykens einen fiktiven Dialog zwischen dem Lotsen und dem Kapitän eines vor Helgoland in Seenot geratenen Schiffes verfasst:88 Es wird beschrieben, wie Lotsen zu dem Leck geschlagenen Schiff rudern und ihre Hilfe anbieten.89 Dieser Text wird in der Zeichnung »Helgoland im Seesturm« (Abb. 9) verbildlicht.90 84 Kobbe betont den weiten Blick über die Nordsee von den Klippen aus: »Höchst interessant ist die Fernsicht auf dem Oberlande, nicht nur dem Schiffer, sondern auch dem Meterologen, welchem das fernste Meer der Spiegel des Firmaments wird.« Ebd., S. 10. 85 Ebd., S. 6ff. 86 »In der That treiben die Helgolander ein solches dolce far niente, wie dies die Italiäner nur immer unter ihrem milden Himmel thun mögen. Wenn sie nicht mit ihrem Fischfange und ihrem Lotsengeschäft zu thun haben, starren sie den ganzen Tag in das weite Meer hinein und dulden es mit orientalischer Ruhe, dass ihre armen Weiber und Kinder, namentlich auch die kleinen Mädchen, alle häuslichen Arbeiten, ja sogar die Tagelöhnerdienste, ausschließlich verrichten , und auf diese Weise selbst den Unterhalt der Männer erwerben. […] Uebrigens finden die Helgolanderinnen ein solches Joch billig und gerecht. ›Unsere Männer‹, pflegen sie zu sagen, ›wagen Leib und Leben auf der See für uns, es ist daher billig, dass wir die Zeit, da sie auf der Insel leben, für ihre Ruhestunden ansehen, in denen ja jeder Moment sie zu ihrem grossartigen und lebensgefährlichen Beruf wieder entbieten kann.‹« Ebd., S. 8f. 87 Vgl. ebd., S. 20. 88 Vgl. ebd., S. 22–25. 89 Vgl. ebd., S. 21–29. 90 Vgl. ebd., S. 21–29.
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Abb. 9: Helgoland, gez. von J. H. Sander, gest. von A. H. Payne
Diese zeigt die Nordsee von ihrer rauen Seite. Hohe Wellen haben ein Schiff in Seenot gebracht. Im Vordergrund ist ein Ruderboot mit Helgoländer Lotsen zu sehen, die auf ein Schiff zusteuern, das ihre Hilfe benötigt. Der Mast des in Seenot geratenen Schiffes ragt schräg in den Himmel und erhöht die Dramatik dieses Bildes. Im Gegensatz zu den friedlichen Darstellungen Helgolands bei ruhiger See zeigt dieses die Gewalt der Nordsee.
b)
Föhr
Seine Reise führte Kobbe weiter zu den nordfriesischen Inseln. Er bezieht sich in seinen Beschreibungen auf die Veränderung der Küstenlinie und der Inselformen, verursacht durch Sturmfluten und wechselnde Höhen des Meeresspiegels.91 Kobbe führt an, dass es bei Ebbe noch möglich sei, von einer Insel zur anderen zu wandern.92 Die Schönheit der Halligen sieht er jedoch nicht. Viel91 »Grosse Erinnerungen an ungeheure Naturereignisse der Vorzeit knüpfen sich an den Anblick der zerrissenen Inselgruppe der Westsee.« Ebd., S. 29. Kobbe verweist weiterhin auf eine Karte von Caspar Dankwerth und Johann Meier. »Diese Inseln [Föhr und Sylt] hatten in der Vorzeit nicht allein unter sich, sondern auch mit dem festen Lande Verbindung. Einst soll ein langer Landstrich von Jütland bis nach Schottland hinaus gereicht haben, die Wellen haben ihn verschlungen, ein Ueberbleibsel davon ist das grosse Jütsche Riff, jene Dünenreihe, welche längs der Westküste sich hin zieht, den Seefahrern Gefahr bringt, aber dazu gedient hat, dass hinter derselben, in den Tiefen der Binnengewässer, das eingedrungene Seewasser in Ruhestand getreten ist. Dadurch hat das Marschland sich gebildet; nur wo der Wellenschlag zu stark ist, hat keine Marschbildung stattfinden können; deshalb zeigt sich diese so wenig an der Jütschen Küste, wie an der Westseite der Friesischen Eilande. Bis zur zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts hatte Nordfriesland, wozu auch Föhr gehörte, eine ganz andere Gestalt.« Ebd., S. 29. 92 »Nach Amrum wandern zur Ebbezeit noch oft Fussgänger, desgleichen von Föhr nach der Widingharde des Amtes Tondern. Im Südwesten Föhr’s liegt die Inselgruppe der Halligen. Als die grosse Fluth des Jahres 1634 die Insel Nordstrand zerriss, entstanden aus dem grössern Eilande die beiden grösern Inseln ›Pellworm‹ und ›Nordstrand‹. Diese wurden mit großen Kosten eingedeicht; elf kleinere Inseln blieben als Halligland offen liegen.« Ebd., S. 30.
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mehr wirken diese abschreckend auf ihn, da sie einen schwer zu bewirtschaftenden Boden darstellen.93 Er schildert die Halligen als lebensfeindliche Gebiete im »todten Weltenmeere«.94 Eine negative Bewertung des Wattenmeers und der Halligen ist ersichtlich. Die Schönheit und die Tier- und Pflanzenvielfalt wird nicht erwähnt. Weiterhin führt er aus, dass die dort lebenden Menschen immer wieder von verheerenden Sturmfluten heimgesucht wurden.95 Kobbe betont, dass die von den Sturmfluten der Nordsee für die Menschen ausgehende Gefahr auch für die Bewohner der Insel Föhr, seinem nächsten Reiseziel, gegenwärtig sei. Dabei nimmt er Bezug auf historische Sturmflutkatastrophen.96 In diesem Sinne wird die Nordsee mit ihren Sturmfluten als »Kampf mit den Elementen« bewertet und als eine Bedrohung beschrieben.97 Die Illustration von Föhr (Abb. 10) zeigt dagegen eine friedliche Ansicht auf die Ortschaft Wyk vom Wasser aus – also aus der Perspektive eines Reisenden.98
93 »Die Erdfläche dieser Halligen besteht aus einem aufgeschlemmten, fetten Kleiboden, sie erhebt sich nicht mehr als drei bis vier Fuss über den Stand der gewöhnlichen Fluth, und die Häuser sind auf Werften, Erdhügeln von 12 bis 14 Fuss Höhe, die weder Bollwerk noch Bestickung mit Stroh haben, erbaut. Das Erdreich trägt hier kein Korn, es wächst kein Baum, es blüht keine Blume, keine Quelle bietet klares Wasser, kein Vogel singt; nur schrillende Wassermöven in zahlloser Menge umkreischen diese Erdflecke, die unbelebt und finster im todten Weltmeere liegen.« Ebd., S. 30f. 94 Ebd., S. 30f. 95 Vgl. ebd., S. 32. Somit war ihr Siedlungsverhalten stark vom Meer geprägt. 96 »Nur der fortwährende Kampf mit den Elementen, von welchen die Insel umwogt wird, giebt eine Unterbrechung der immer gleichen Einförmigkeit des insularischen Lebens. Am Furchtbarsten seit unvordenklicher Zeit sahen unsere Tage eine Erneuerung des alten Kampfes mit den Wellen. Zwei Tage hatte ein heftiger Wind geweht, als dieser in der Nacht des 3. Februars 1825, als gerade Springfluth eintrat, zum Orkan ward. Um Mitternacht erhob sich plötzlich die See 16 bis 17 Fuss über die Mittelfluthen. Deiche und Fluthen wurden an mehreren Stellen weit überstiegen und bald erfolgten mehrere Grundbrüche im Norden und Westen der Insel. Die See stürzte sich in das Land und überschwemmte die ganze Marsch, wie auch einen bedeutenden Theil der niederen Geest. Um fünf Uhr morgens hatte die Westsee Besitz von etwa 34 der Oberfläche Föhrs genommen. Häuser, welche nicht höher gebaut waren als die Fluthen von 1817 und 1818 gereicht hatten, wurden weggerissen, ganzen Familien blieb kein Ausweg als Rettung durch Durchwaten nach höher gelegenen Stellen. Den ganzen Tag über behielt die See ihren Stand; selbst im Flecken Wyck erfolgte ein Durchbruch des Spülkogs im Hafen. Am Morgen des 4. Februar sah man vor Föhr die Verwüstungen, welche der Sturm auf den Halligen angerichtete hatte. Auf mehreren Warften waren die Wohnungen ganz vertilgt, auf andern erblickte man bloss das übrig gebliebene Stenderwerk. Man schickte Böte mit Lebensmitteln umher und brachte einen Theil der Geretteten nach Föhr.« Ebd., S. 37. 97 Ebd., S. 37. 98 In Bezug zur Begriffsgeschichte von »Föhr« bezieht sich Kobbe auf die Bedeutungen von »Schutz« aber auch »Seeraub«. Ausführliche Darstellungen vgl. ebd., S. 32.
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Abb. 10: Wyk auf Föhr, gez. von J. H. Sander, gest. von J. Gray
Auf der nur von seichten Wellen überzogenen Nordsee tummeln sich allerhand Fahrzeuge: Ruderboote, Segelschiffe und auch ein Dampfschiff, dessen schwarzer Rauch in den Himmel steigt. In der Ferne ist die Häuserzeile von Wyk zu sehen.99 Dabei stellt er heraus, dass das Seebad den Bekanntheitsgrad der Insel bedeutend steigert.100 Erneut erwähnt er das Watt nicht explizit, betont allerdings, dass es den Inselbewohnern insbesondere in der Vergangenheit Nahrungsmöglichkeiten bot. So sammelten sie bei Ebbe Austern und gingen auf den nahegelegenen Sandbänken auf Robbenjagd.101 Jedoch lebten sie weitestgehend von der Seefahrt auf der offenen Nordsee.102 Diesbezüglich wird ange99 Kobbe hat in seinen Reisebeschreibungen – in Bezug zur Illustration – die Überfahrt nach Wyk geschildert. »Der bedeutendste Ort auf Föhr ist der in der Zeichnung vor uns liegende Flecken Wyck. Auf einem hohen Sandufer sieht der vom festen Lande kommende, den die Fähre von Dagebüll nach der Insel führt, in einer Länge von sechszehnhundert Fuss eine freundliche Reihe von Häusern, die eine Allee vom steilen Ufer trennt.« Ebd., S. 32. Kobbe nimmt weitere Ausführungen in Bezug auf die Geschichte Wycks vor. Vgl. ebd. 100 »Entfernteren ist Wyck durch die dort 1829 gegründete Badeanstalt bekannter geworden. Der Gründung ging eine Fehde über den Werth der Ostsee- und Nordseebäder […] voran. Die Wortredner für Föhr suchen dem Seebad daselbst einen grössern Werth beizulegen als irgendeinem andern Bade der Nordsee. Wenn man in Norderney nur 250 Gran salziger Bestandteile findet, so ergiebt ein gleiches Gewicht Wasser bei Föhr 270 bis 300 Gran. Das Bad hat sich bewährt bei rachitischen Uebeln, bei Lähmungen, Gicht und Rheumatismus, bei Scropheln, bei Fehlern der Sinnesorgane und bei Nervenübeln.« Ebd., S. 32f. Kobbe beschreibt solch eine Badekur, die u. a. mittels Badekutschen erfolgte. »Die Stelle, wo kalt gebadet wird, ist ungefähr eine Viertelstunde vom Flecken entfernt. Man fährt für wenige Schillinge dorthin, um nicht vorher zu sehr erhitzt zu werden und geht am Strande oder über Wiesenland zurück. Die Badekutschen sind nach dem Muster der Englischen bequem und gut eingerichtet. Der Meeresgrund ist reiner, feiner Sand; ohne Steine, sicher und nur allmählich sich abdachend. Zu warmen Bädern ist im Flecken selbst […] eine Anstalt eingerichtet.« Ebd., S. 33. Weiterhin führt er an, dass die »Finanzen der Badekasse sehr drückend« seien und man auf eine Unterstützung vom König wartet. Vgl. ebd. 101 Vgl. ebd., S. 35. 102 »In früheren Zeiten war Schifffahrt der vorzüglichste Erwerbzweig der Einwohner. Schon im vierzehnten Jahrhundert widmeten die Schifffahrer sich grösstentheils dem Walfischfang und waren auf Holländischen und Englischen Schiffen gern gesehen, auch oft zu Commandeuren und Harpunirern genommen. […] Seit dem nordamerikanischen Kriege wurden Kauffahrtenschiffe mehr als Grönlandsfahrt üblich; seit dem Kriege, der 1807 mit England
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führt, dass das Leben an der Nordsee starken Einfluss auf die Identität der Menschen genommen habe.103 Dies gelte allgemein für die Bewohner von Inseln. Nach den Nordfriesischen Inseln wandte sich Kobbe den Ostfriesischen Inseln zu. Sein erstes Ziel war die Insel Wangerooge.
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Wangerooge
Kobbe führt an, dass Wangerooge durch die Naturgewalten der Nordsee entstand. Sturmfluten trennten sie einst von den Landmassen des Binnenlandes ab.104 Dann geht er auf die Namensgeschichte von »Wangerooge« ein.105 Die Seeräuberei und die Rivalitäten mit Holland seien zudem ein wichtiger Aspekt der Geschichte Wangerooges.106 Es waren jedoch nicht nur feindliche Überfälle,
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ausbrach, ging dieser Nahrungszweig grösstentheils ein, dagegen wurden die Föhringer viel zur Bemannung der königlichen Kanonenboote verwendet. Eine vorherrschende Neigung für das Seeleben ist noch immer in den Erinnerungen der Alten, in den Lebensplanen der Jugend geblieben, im Allgemeinen ist aber gegenwärtig der Ackerbau vorherrschende Beschäftigung geworden […].« Ebd., S. 33f. »Noch ist der alte Menschenschlag auf Föhr kennbar, noch ist der Geist nicht erloschen, der den Insulaner weit in den Ocean trieb und den er zurückbrachte, und noch in den nächsten Geschlechtern wird man mehr den einstigen Seemann als den nunmehrigen Ackerbauern finden.« Ebd., S. 34. »Wangeroge hat seinen Namen von dem Küstenstriche ›Wangerland‹, mit dem es einst verbunden war. Die grossen Cimbrischen Fluthen, welche zwei Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung grosse Strecken von den Nordseeküsten abrissen und durch weitere Vertiefung der Strömung eine Menge selbstständiger Inseln bildeten, mögen auch Wangeroge zur Insel gemacht haben.« Ebd., S. 38f. »Die Endung ›Oge‹, welche sich bei mehreren nahe liegenden Inseln […] wiederfindet, heisst soviel als Auge. Denn Augen des Meeres nannten die Friesen ihre Inseln. […] Der Wangeroger selbst nennt seine Insel nur das ›Eiland‹, altfriesich ›Euland‹, d. h. Wasserland, während andere diesen Namen von den Eiern der Seevögel ableiten, die sich auf dieser Inselgruppe in zahlloser Menge finden.« Ebd., S. 38. »Um die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts finden wir ihre [Wangerooges] Rhede bedeckt mit Raubschiffen des kühnen friesischen Häuptlings Edo Wiemken, und die Thürme ihrer beiden Kirchen zur Aufbewahrung der Beute und Gefangenen dienend, die der wilde Seekönig den Holländern abgenommen. Denn diesen Myn heers hatt er ewigen Hass geschworen, seitdem ihn die List eines holländischen Kaufmanns in Gefangenschaft gelockt, aus der ihn nur ein, für jene Zeiten ungeheures Lösegeld von 14000 baierischen Gulden, losgekauft hatte, die seine Unterthanen aufbringen gemusst hatten. Endlich überfielen die Holländer Wangeroge. Sie verbrannten die Dörfer und äscherten die Kirchen ein, nachdem sie alles rein ausgeplündert; die wenigen auf der Insel befindlichen wehrhaften Männer wurden erschlagen, Weiber, Kinder und Mägde gefangen und weggeschleppt. Zwar erholte sich die Insel allmälig von diesem Unglück, die Kirchen wurden wieder aufgebaut und Ackerbau und Viehzucht, die der fruchtbare Boden ausserordentlich begünstigte, verbunden mit den Vortheilen des Seeraubes, stellten bald die alte Wohlhabenheit wieder her.« Ebd., S. 38.
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sondern vor allem brachte die Nordsee durch Sturmfluten Vernichtung.107 Kobbe betont die Abhängigkeit der Insulaner von der Nordsee und verweist dabei rückblickend auf die im 16. Jahrhundert herrschenden guten Lebensbedingungen der Insel mit fruchtbarem Land.108 Aufgrund von Sturmfluten verringerte sich die Größe der Insel, die fruchtbaren Böden verschwanden und Armut machte sich breit.109 Kobbe beschreibt dies mit kriegerischer Metaphorik: »Vorzüglich richtete es [das Meer] seine Angriffe gegen den Norden und den Westen der Insel.«110 Er führt die Bemühungen zur Landerhaltung an,111 doch die Sturmfluten blieben auch noch im 19. Jahrhundert eine Bedrohung.112 Das Watt wird von Kobbe u. a. als archäologische Fundstätte versunkener Gebäude und Ortschaften betrachtet, dessen auf der Oberfläche ersichtliche Spuren jedoch im Laufe der Zeit zersetzt wurden.113 Für die Schönheit der Wattstrukturen war Kobbe nicht sensibilisiert. Er sieht im Watt primär »gelbweisse, platte Sandflächen«, die ihn an eine afrikanische Wüste erinnern.114
107 »Allein wiederholte kriegerische Ueberfälle und vor Allem die Gewalt des Meeres, welches durch die immer weiter vorrückenden Deiche gegen die Nord- und Westseite, die fruchtbarsten und kultiviertesten Theile der Insel, getrieben wurde, vernichteten langsam, aber sicher das Gewonnene. Heftige Nordweststürme zerrissen die Sanddünen, welche die blühenden Felder des Kirchdorfs Oldenoge, im Norden der Insel, schützten, und bald wälzte die wilde See ihre sturmgepeitschten Fluten hoch über den Wohnungen der unglücklichen Bewohner. Nicht besser erging es bald darauf dem westlichen Kirchdorf. Die Einwohner […] sahen sich gezwungen, ihre Häuser bei Zeiten abzubrechen, und sie weiter südostwärts hinter den neu entstandenen Dünen wieder aufzubauen. Bald darauf ward die verlassene Stätte samt der Kirche, ein Raub der Wellen.« Ebd., S. 38f. 108 Vgl. ebd., S. 40. 109 »Da ihnen [Insulanern] der Boden, der sie ernährte, so entzogen wurde, sahen sich die Wangeröger auf das Meer angewiesen.« Ebd., S. 40f. 110 Ebd., S. 40. 111 Ebd., S. 41. 112 »Der letzte furchtbare Schlag traf die Insel während der grossen Wasserfluthen des Jahres 1825, welche auch die Schutzdeiche des Festlandes durchbrachen und meilenweite Strecken des fruchtbarsten Marschlandes in eine öde Wüstenei verwandelten, Häuser und Stallungen zertrümmerten, ja, manche samt Grund und Boden fortrissen und weithin wieder absetzten, Schiffe über die Deiche weit in das Land hinein schleuderten und hunderte von Menschen und zahlreiche Herden in den Fluthen begruben, oder die auf Deichtrümmer Geretteten vor Hunger und Kälte umkommen ließen. Die Gewalt des Wasserschwalles, der von Norden her auf die Insel einstürmte, durchriss die hohen Sanddünen, verschlang Gärten und Wiesen und den Kirchhof an der Nordseite, zertrümmerte den festen Feuerthurm (Feuerbaake), und schleuderte die Trümmer bis in die Mitte der östlichen Dünnen.« Ebd., S. 43f. 113 »Noch im Jahr 1750 waren zur Ebbezeit die Trümmer der Kirchen und die Abtheilungen der Äcker zu sehen; im Jahre 1806 noch ganz deutlich die Brunnen und Häuserstellen und selbst vor zwanzig Jahren noch eine Menge von Backsteintrümmern. Gegenwärtig sind auch noch diese letzten Spuren verschwunden, die Fluth bietet dem Auge nur Wasser und [bei] Ebbe gelbweisse platte Sandflächen dar.« Ebd., S. 39. 114 Vgl. ebd., S. 39. »Nach Osten hin bietet sich zur Ebbezeit der Anblick einer unabsehbaren Sandfläche, die uns in die Afrikanische Wüste versetzt, und deren Stille nur von dem fernen
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Die Menschen lebten hier auch vom Gut aus gestrandeten Schiffen.115 Auch eine Handelsflotte trug zum Wohlstand bei.116 Nachdem im Jahre 1806 die Insel Holland zugesprochen wurde, eröffneten die Engländer von Helgoland aus über Wangerooge und die Jeversche Küste einen Schleichhandel.117 Die Franzosen okkupierten die Insel für einige Jahre und unterbanden diesen Schmuggel.118 Nachdem die Franzosen 1813 die Insel verlassen hatten, entwickelte sich wieder Wohlstand und 1819 wurde ein Seebad von Herzog Peter Friedrich Ludwig eingerichtet.119 Kobbe berichtet, dass die Anfänge des Seebädersystems auf Wangerooge zu Beginn des 19. Jahrhunderts durch den Einfluss des Krieges unterbrochen wurden, um danach wieder aufzublühen.120 In der Illustration zum Kapitel über Wangerooge (Abb. 11) nimmt die Nordsee weitgehend eine Bühnenfunktion ein.
Abb. 11: Wangerooge, gez. von J. H. Sander, gest. von A. H. Payne
Im Vordergrund hält sich eine kleine Personengruppe auf: Ein Mann in Jagdkleidung, der ein geschossenes Beutetier hochhält und es einem vornehm gekleideten Paar zeigt. Das Friedliche dieser Szene wird durch ein paar Ziegen und zwei Kindern, die die Tiere möglicherweise hüten, verstärkt. Assoziationen an arkadische Motive können evoziert werden. Ausgehend von den Personen im Vordergrund wird der Blick des Betrachters über den welligen Inselboden bis hin zur alten Ortschaft auf Wangerooge gelenkt. Dort sind architektonische
115
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Rauschen des Meeres und dem heisern Schrillen der Möven und Seeschwalben unterbrochen wird.« Ebd., S. 44. »Denn was von solchen [Schiffsstrandungen] die Wellen an das Ufer trieben, oder die Insulaner auffischten, war gute Prise.« Ebd., S. 39. Eine Zeitlang wurde die Bitte »den Strand zu segnen«, also »recht viele Schiffe in der Nähe stranden« zu lassen sogar in das Gebet in der Kirche aufgenommen. Kobbe führt allerdings an, dass die Regierung das Strandrecht »an sich gezogen« habe. Vgl. ebd., S. 39f. Vgl. ebd., S. 41f. Vgl. ebd., S. 42. Vgl. ebd., S. 42f. Vgl. ebd., S. 43. Vgl. ebd., S. 43ff.
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Besonderheiten, zum Beispiel der markante Westturm mit den drei Spitzen,121 zu erkennen. Menschliche Aktivitäten prägen die Szenerie: Am Strand fährt eine Kutsche, Boote liegen auf dem Trockenen und Personen laufen über das Watt. Im Hintergrund sind Segelschiffe sowie ein Dampfschiff auf der offenen Nordsee zu sehen. Wieder wird die Nordsee von ihrer friedlichen Seite dargestellt.
d)
Norderney
Kobbe reiste weiter auf die Insel Norderney. Er beschreibt, wie auch dort das Leben von der Nordsee und der Bedrohung durch Sturmfluten geprägt ist.122 Zutreffend führt er an, dass die Insel ein sehr bekanntes, vornehmes Seebad besitzt.123 Er bezieht sich auf dessen heilende Wirkung124 und den von den Gezeiten abhängigen Baderhythmus.125 Weiter beschreibt Kobbe die Artenvielfalt der Tierwelt,126 aber auch das faszinierende Meeresleuchten.127 Dieses Naturphänomen war für ihn damals auf121 Vgl. ebd., S. 39. 122 »Den allergrössten Theil des Bodens bilden Dünen, die an der Nordseite zur Schutzwehr gegen den starken Andrang zur See eine vierfache Reihe formieren und am Westende das Dorf in sich schliessen.« Vgl. ebd., S. 48. 123 »Norderney kann mit Recht das vornehmste und glänzendste Seebad der Nordsee genannt werden. Der erste Gebrauch des Seebades in Norddeutschland fällt in den Ausgang des achtzehnten Jahrhunderts. […] Lichtenberg war es zuerst, der im Göttingschen Kalender von 1793 den Deutschen etwas von den Einrichtungen des Englischen Seebades zu Deal erzählte und dabei die Frage aufwarf, ›warum Deutschland noch kein öffentliches großes Seebad habe?‹ Das älteste deutsche Seebad ist Doberan, gestiftet im Jahre 1794 […]. Einige Jahre später ward Norderney zum Seebade eingerichtet, dann Helgoland und seitdem mehrten sich die Badeorte an den Küsten der Ost- und Nordsee fast von Jahr zu Jahr, doch sind die drei genannten die besuchtesten.« Ebd., S. 50. 124 »[…] das Seewasser halte die Gesunden wohl gesund, aber helfe nur fremden, nicht einheimischen Kranken.« Ebd., S. 49. 125 »Man badet hier nur einmal täglich, zur Zeit der steigenden Fluth, weil dann der Wellenschlag das Bad am Kräftigsten macht. Der Eintritt derselben ist auf einer öffentlich im Conservationshause und an den Badeplätzen angeschlagenen Tabelle angegeben und wird ausserdem täglich durch das Aufziehen von rothen Flaggen angezeigt. Da die Fluth, welche binnen 24 Stunden zwei Male mit der Ebbe wechselt, täglich um etwa 50 Minuten später als am vorhergehenden Tage eintritt, so müssen sich ganz natürlich die Badezeit und das Mittagsessen hiernach richten.« Ebd., S. 51. 126 Vgl. ebd., S. 48f. 127 »Eine höchst interessante Erscheinung für die Badegäste bildet zuweilen das Leuchten des Meeres, von dem man eben so wenig anzugeben vermag, als woher der eigenthümliche Geruch des Meeres entsteht. Von dem Aufenthalte so vieler lebender und abgestorbener organischer Wesen im Meere lässt sich vermuthen, dass demselben ausser diesen noch eine Menge animalischer und vegetabilischer Stoffe mitgetheilt werden, welche die Chemie noch nicht darzustellen vermochte.« Ebd., S. 54.
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grund mangelnder naturwissenschaftlicher Erkenntnisse nicht erklärbar. Dies gilt auch für den Geruch des Meeres.
Abb. 12: Norderney, gez. von J. H. Sander, gest. von A. H. Payne
Er verweist wiederum auf das Spezifische des Wattenmeers: Bei Ebbe fällt das Watt trocken und eine Überquerung zu den Inseln auf dem »Meeresboden« ist möglich.128 Wattwanderungen zu den ostfriesischen Inseln, die noch heute eine Touristenattraktion sind, wurden bereits im 19. Jahrhundert durchgeführt. In der Illustration zur Insel Norderney (Abb. 12) ist dagegen der Fokus auf das Inselleben gerichtet. Die Nordsee hat wie in den meisten anderen Bildern nur periphere Bedeutung.
e)
Bremerhaven
Kobbe besuchte auch Bremerhaven und beleuchtet die Schwierigkeiten bei der Befestigung der Stadt mit Blick auf die Wesermündung und das angrenzende Wattenmeer mit den Gefahren von Sturmfluten.129 Während seines Besuches war die Stadt bereits ein Hafen für Auswanderer nach Übersee.130 Auch das Leben in Bremerhaven ist stark vom Meer geprägt. Kobbe be128 »Norderney kann von der Küste des Continents aus zu Wasser und zu Lande erreicht werden. Das Letztere wird durch die Ebbe möglich gemacht, während solcher Zeit das Wasser so bedeutend abläuft, dass die 1 14 Meilen breite Strecke zwischen der Insel und der Küste, das sogenannte Watt, auf der am höchsten liegenden Stelle fast ganz trocken gelegt wird, und die Badegäste zu Wagen und zu Pferde , und wenn sie nasse Füße nicht scheuen, selbst zu Fuss auf die Insel mit großer Bequemlichkeit gelangen. Wer es vorzieht, die Reise zu Lande durch das Watt während der Ebbe zu machen, wird dann vom Hylgenrydersyl aus durch einen zuverlässigen beeidigten Strandvogt, der als Wegweiser dient, die Löcher und Balgen genau kennt, und vor jeder Gefahr sichert, begleitet. Während der Fluthzeit muss man das Watt zu Schiffe passieren, und embarquiert man sich zu diesem Zweck am Fährhaus zu Norddeich, eine halbe Stunde von der ostfriesischen Stadt Norden.« Ebd., S. 50f. 129 Vgl. ebd., S. 58f. 130 Vgl. ebd., S. 61ff. Kobbe führt an, dass der Abschied von Deutschland und geliebten Menschen in dieser Stadt fühlbar ist. Vgl. ebd.
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Sehweisen von Natur und Landschaft
schreibt, wie die Lotsen und Seeleute ihre Arbeit verrichten und die Menschen bei drohendem Sturm nach Schiffen Ausschau halten.131 Wiederum verweist er auf die todesmutigen Seeleute, die bereit sind, für die Sicherheit anderer Schiffe ihr Leben zu opfern.132 Er berichtet, dass die unterschiedlichen Nationalitäten der Seefahrer, die in Bremerhaven zusammentreffen, den Charakter der Stadt stark prägen.133 Zusammenfassend hebt Kobbe die Stadt Bremerhaven als etwas Besonderes hervor.134 Die Illustration (Abb. 13) zeigt den Hafen der Stadt. Das Wasser ist allerdings nur als ein Streif am Horizont hinter den Gebäuden zu erkennen, obwohl es das prägende Element der Stadt darstellt.
Abb. 13: Bremerhaven, gez. von J. H. Sander, gest. von A. H. Payne
131 Ebd., S. 61ff. 132 »Es ist Abend geworden. Man hat ferne Fahrzeuge erblickt; aber keins kam näher. Nun deckt Finsternis den Strom, das Meer. Bald erhebt sich ein Sturm, vielleicht drohet ein Orkan. Leuchten fliegen den Hafen entlang; ein Lootsen-Kutter muss hinaus in die Nacht. Dort sieht man Leute geschäftig, ihr Schiff zu rüsten; eilig, doch mit der Ruhe des Todes im Antlitz. Es sind die Männer, die nie eines Sarges bedürfen, denn von Geschlecht zu Geschlecht sterben sie im Meer ; und das wissen sie.« Ebd., S. 63. 133 »In alle jene Bilder, die sich in stets verändernden Zügen unserm Blicke darbieten, mischen sich die charakteristischen Nationalitäten, welche aus den Schiffsmannschaften der verschiedensten und entferntesten Länder uns entgegentreten. Russen, Engländer, Franzosen, Schweden, Spanier, Amerikaner, Holländer, Neapolitaner, Dänen, Belgier ; und aus gemeinsamen deutschen Vaterlande Hamburger, Lübecker, Preussen, Oesterreicher, Oldenburger, Hannoveraner, Mecklenburger, und Bremer, – Alle, trotz der Gleichheit ihres SeeLebens, von verschiedener Eigenthümlichkeit, vollenden ein Gemälde, welches gleichartig vielleicht nirgends sonst gefunden wird.« Ebd., S. 64. 134 »Aber Bremerhaven, an sich beschränkt und einfach, fasst und hält diese bunten Erscheinungen zusammen, wie der leichte Goldreif die wundersamen Reflexe eines # jour gefassten Edelsteines.« Ebd., S. 64.
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f)
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Cuxhaven und Neuwerk
Kobbes Reise führt weiter nach Cuxhaven und auf die Insel Neuwerk.135 Auch diese Stadt ist von der Seefahrt bestimmt. Kobbe beschreibt, wie Schiffe von internationaler Herkunft bei drohendem Sturm in Cuxhaven Schutz finden können.136 Eine Illustration (Abb. 14), in der Cuxhaven von der Seeseite aus dargestellt ist, verdeutlicht dies: Segelschiffe und ein Dampfboot kämpfen sich durch die hohen Wellen.
Abb. 14: Bremerhaven, gez. von J. H. Sander, gest. von Grünewald & Cooke
Eine in starker Schräglage befindliche Boje verstärkt den Eindruck des tobenden Wassers. Das im Vordergrund gezeigte Geschehen hat eine besondere Dynamik. Im Hintergrund ist die Stadt Cuxhaven zu erkennen. Die ruhig daliegenden Schiffe im Hafen verdeutlichen den Schutz, den der Hafen ihnen bietet. Der Leuchtturm hebt sich – von der Sonne angestrahlt – vom dunklen Wolkenhimmel ab. Die Dramatik im Vordergrund wird durch schräg von links oben einfallende Sonnenstrahlen noch verstärkt. Der Stich vermittelt den Eindruck der stürmischen Nordsee einerseits und den Schutz bietenden Hafen andererseits. Kobbe berichtet auch von früheren Sturmflutkatastrophen, die viel Leid über Cuxhaven brachten. Mit der Entstehung eines Seebades137 wurden der Ruf der 135 »Am Ausflusse der Elbe in die Nordsee […] liegt der Flecken Kuxhaven, dessen Lage sowohl für den hamburgischen Handel, als auch zur Anlegung eines Seebades sehr brauchbar und bewährt befunden ist.« Ebd., S. 113. 136 »Bei Sturm und Eisgang finden die Schiffe hier einen sichern Zufluchtsort und die oft in grosser Zahl aus allen Welttheilen zusammentreffenden Fremden eine gefällige und freundliche Aufnahme.« Ebd., S. 114. Er erwähnt einen Telegrafen, durch den eine gute Verbindung nach Hamburg, dem Zielhafen vieler Schiffe gewährleistet ist. 137 »Der Einwand, der wohl gegen die Wirksamkeit dieses Seebades geäussert wird, dass die Elbe dort noch zu sehr mit süssem Wasser aus den Flüssen Holsteins und des Herzogthums Bremen geschwängert sei, verliert durch den Umstand sein meistes Gewicht, dass jede Fluth kräftiges, salziges Seewasser in grossen Mengen aus der nahen See in die Elbe ergiesst, daher auch zu dieser Zeit die eigentlichen See-Bäder genommen werden müssen.« Ebd., S. 115.
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Stadt und die Lebensbedingungen verbessert.138 Weiterhin verweist er auf das weitläufige Wattgebiet und darauf, dass bei Ebbe die vorgelagerte Insel Neuwerk zu Fuß zu erreichen ist. Dabei bezieht er sich ebenfalls auf die Dynamik der Landschaft, die sich u. a. durch die geografische Veränderung der Baljen und Priele kenntlich macht.139 Neuwerk ist ebenfalls in einer Abbildung visualisiert (Abb. 15).
Abb. 15: Neuwerk, gez. von J. H. Sander, gest. von J. Gray
Sie zeigt eine eisige Winteratmosphäre mit stürmischem Wind. Eine leichte Schneedecke liegt über der Insel und den dargestellten Objekten und Gebäuden. Der Wind verweht den Schnee in Schlieren. Im Vordergrund kämpfen zwei Männer gegen den Wind an. Einer von ihnen trägt eine Stange und hält wegen des stürmischen Wetters seinen Hut fest. Er schaut in die Ferne. In der rechten Bildhälfte erhebt sich imposant der Turm von Neuwerk.140 Auch dieser ist von einer leichten Schneedecke bedeckt. In einiger Entfernung sind auf dem Trockenen liegende Boote und weitere Personen zu sehen. Während im mittleren Bildteil der Himmel etwas erhellt ist, treibt von rechts eine graue Regen- oder 138 »[…] ein seit dem Jahre 1816 zweckmässig eingerichtetes Seebad […] trägt sehr viel dazu bei, Kuxhaven zu erweitern und immer mehr in Flor zu bringen, nachdem jetzt die traurigen Folgen ungünstiger Naturereignisse, welche Deichbrüche und Ueberschwemmungen, epidemische Fieber und Missernten veranlassten, glücklich überwunden und durch die fürsorgliche Thätigkeit des Amtmanns Abendroth, nicht ohne erhebliche Opfer wieder ausgeglichen sind.« Ebd., S. 114. 139 »Zur Ebbezeit kann man vom festen Lande zu Fuß und zu Wagen nach der Insel kommen, wobei man jedoch einige Baljen passieren muss, die jährlich durch die Ebben und Fluthen einige Veränderungen erleiden und durch Zeichen kenntlich gemacht werden.« Ebd., S. 116. 140 »Wichtiger aber noch, als alle diese in Kuxhaven befindlichen Einrichtungen, ist das Merkund Warnungszeichen, welches vor reichlich 500 Jahren auf der nahe dabei gelegenen Insel Neuwerk für Seefahrende errichtet ist und schon vielen Tausenden in finstern stürmischen Nächten Gut und Leben erhalten hat. Diese Insel enthält nur 70 Morgen eingedeichtes Marschland, ist aber von gefährlichen Sandbänken umgeben und der Eingang zur Elbe, selbst für kundige Lootsen, bei neblichem und dunklem Wetter so schwer zu finden, dass keiner das Warnungszeichen, das beim Einsegeln auf der rechten Seite liegen bleiben muss, entbehren kann.« Ebd., S. 115.
Abschließende Zusammenfassung
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Schneefront heran, die den Blick auf die Nordsee verdüstert. Dagegen ist im mittleren und rechten Bildteil der Horizont klar zu erkennen und Silhouetten von Segelschiffen heben sich davor ab. Das Bild vermittelt den unwirtlichen Eindruck eines aufziehenden Unwetters im Winter auf der Insel Neuwerk.
Abschließende Zusammenfassung In Kobbes Reisebeschreibungen werden unterschiedliche Zugänge zu Nordsee, Wattenmeer, Küste und Inseln ersichtlich und dabei gängige Wahrnehmungsmuster bedient. So wurde die Nordsee hinsichtlich des Seebäderwesens als positiv und gewinnbringend empfunden. Der Luft und dem salzhaltigen Meereswasser werden eine heilende Kraft zugesprochen. Die Bewohner profitierten allgemein von den Touristen. Zudem waren Nordsee und Wattenmeer primär ein alltäglicher Arbeitsraum für die Küsten- und Inselbewohner. Fischerei und Seefahrt waren wesentliche Wirtschaftszweige; die Menschen lebten von der Nordsee. Der Naturschutzgedanke findet bei Kobbe noch keine Erwähnung. Ansatzweise beschreibt er die Vielfalt der Tierwelt und Besonderheiten wie das Meeresleuchten. Dagegen war die Furcht vor Sturmfluten noch weit verbreitet, wie aus den Aufzeichnungen hervorgeht. Wiederholt verweist er darauf, dass verheerende Sturmfluten im Laufe der Zeit die Nordseeküste und die Gestalt der Inseln immer wieder veränderten. Mit Blick auf die davon ausgehende Gefahr für Mensch und Land wird die Naturgewalt der Nordsee als eine Bedrohung angesehen. Kriegerische Begriffe wie »Kampf« und »Raub der Wellen« kennzeichnen diese feindliche Haltung. Auch wenn die Insulaner und Küstenbewohner Schiffen im Sturm zu Hilfe kamen, lebten sie aber ebenfalls vom Gut gestrandeter Schiffe.141 Kobbe berichtet, dass im Watt Schiffwracks, aber ebenso Überreste von in Sturmfluten versunkener Dörfer zu finden sind. Somit betrachtet er das Watt auch als archäologische Fundstätte. Er benennt wesentliche Eigenschaften des Watts, beispielsweise dass hierüber bei Ebbe die Inseln zu Fuß erreicht werden können.142 Dabei verweist er darauf, dass eine Wattwanderung beispielsweise rund um die Insel Helgoland zu den touristischen Attraktionen zählt. Zudem bot das Watt den Inselbewohnern durch die Fischerei und Jagd Nahrungsmöglichkeiten. So sammelten sie bei 141 Vgl. ebd., S. 39. 142 Vgl. ebd., S. 50f, 116.
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Sehweisen von Natur und Landschaft
Ebbe Austern und gingen auf den nahegelegenen Sandbänken auf die Robbenjagd.143 Das Wattenmeer galt um 1840 noch nicht als besonders schön, schützenswert oder einzigartig. Mehr als »gelbweisse platte Sandflächen«144 vermag Kobbe im Watt nicht zu sehen. Die verschiedenen Strukturen im Watt und durch Reflexion erzeugte Stimmungen hält er in seinen Reisebeschreibungen nicht fest. Vielmehr vergleicht er die Wattlandschaft mit der Ödnis einer afrikanischen Wüste.145 Das Watt ist somit in seinen Augen kein Ort der Romantik und Schönheit. Die heute von der UNESCO hervorgehobenen Besonderheiten des Wattenmeeres, die zur Ernennung zum Weltnaturerbe führten, wurden von Kobbe nur in Ansätzen benannt. Dagegen wird die Nordsee in Kobbes Beschreibungen ambivalent – als eindrucksvoll, heilsam aber ebenso als bedrohlich und gefährlich – bewertet. In den Illustrationen stellen Nordsee und Wattenmeer jedoch keine eigenständige Motivik dar. Der Fokus liegt auf der Küste und den Inseln, die in gegenständlicher Manier verbildlicht sind. Das Buch »Wanderungen an der Nord- und Ostseeküste« gibt einen Einblick auf bestehende Wahrnehmungsmuster Mitte des 19. Jahrhunderts. Dies ist die Grundlage für die im Folgenden analysierten bildlichen Darstellungen ausgewählter Künstler.
143 Vgl. ebd., S. 35. 144 Ebd., S. 39. 145 Vgl. ebd., S. 44.
A
Nordsee und Wattenmeer in nationalen, politischen und ideologischen Kontexten deutscher Geschichte
Im Folgenden wird dargelegt, in welcher Weise Nordsee und Wattenmeer motivisch in nationalen, politischen oder ideologischen Kontexten deutscher Geschichte – ausgehend vom Wilhelminismus über die Weimarer Demokratie bis zum Nationalsozialismus – verbildlicht wurden.
1.
Marinemalerei im Kontext der Flottenpolitik von Kaiser Wilhelm II.
Die Marinemalerei stand in Verbindung mit der militärischen Aufrüstung im wilhelminischen und später nationalsozialistischen Deutschland und wurde für politische und nationale Ziele instrumentalisiert.1 Allgemein waren Marinegemälde im historischen Zusammenhang häufig mit nationalen Interessen gekoppelt. In Deutschland wurden diese insbesondere im 19. Jahrhundert mit dem Aufstieg Deutschlands zur Seemacht populär. Im Jahre 1898 wurde das erste Flottengesetz nach innenpolitischem Streit vom Parlament gebilligt.2 Wilhelm II. und Tirpitz verfolgten eine militärische Flottenpolitik.3 Es erfolgten technische Neuerungen. So wurde zum Beispiel im Zeitraum von 1870 bis 1914 der Übergang von der Segel- zur Dampfschifffahrt und vom Holz- zum Stahlschiffbau vollzogen. Im Zuge des Wettrüstens mit England wuchs die deutsche Hochseeflotte zu imposanter Größe an.4 Im Kontext der Rüstungspolitik sollte auch die Malerei das Interesse der Bevölkerung an der deutschen Seefahrt wecken.5 Dies hatte eine Blüte und Wertschätzung der Marinemalerei zur Folge.6 Ein wesentliches Ziel der Marinemalerei bestand darin, das Besitzund Bildungsbürgertum für die Flottenpolitik zu begeistern.7 An der Berliner Akademie wurde Ende des 19. Jahrhunderts sogar die Professur für Marinemalerei eingeführt, auf die Carl Saltzmann berufen wurde.8 1 Weitere Informationen zum Marinekrieg in der Nordsee im Ersten Weltkrieg, vgl. u. a. Groß (Hg.) 2006. 2 Weitere Ausführungen zur deutschen Marinepolitik vgl. Salewski 1982, S. 7. 3 Im Jahr 1897 wurde Tirpitz zum neuen Staatssekretär im Reichsmarineamt ernannt, dessen Flottenprogramm die Entwicklung der Marine bis zum Ersten Weltkrieg beherrschte. Vgl. Scholl 1982, S. 22. 4 Weitere Ausführungen vgl. Salewski 1982, S. 8ff. 5 Vgl. Scholl 1982, S. 22. 6 Vgl. Scholl 1982, S. 19.Vgl. Scholl 1995, S. 14f. Ausführungen über Wilhelm II. und die Marinemalerei vgl. Meyer-Friese 1981, S. 24ff. 7 Vgl. Scholl 1982, S. 22. 8 Dieser stand hoch in der kaiserlichen Gunst. Da Saltzmann bereits 1923 starb, wird er in dieser Studie nicht mit herangezogen. Saltzmann studierte von 1867 bis 1871 als Schüler von Prof.
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Marinemalerei im Kontext der Flottenpolitik von Kaiser Wilhelm II.
Willy Stöwer, ein vom Kaiser geförderter Maler, führte bezüglich der aufblühenden Marinemalerei in seinen biografischen Aufzeichnungen Folgendes an: »In dieser Zeit […] stieg ich in ein Spezialgebiet – die Seemalerei – hinein, die eigentlich im deutschen Vaterlande bisher recht stiefmütterlich behandelt worden war. […] Hier war ein großes ergiebiges Feld für künstlerische Tätigkeit vorhanden, und da das Seeinteresse im Volke seit dem Regierungsantritt des jungen Kaisers Wilhelm II. auch stetig wuchs, so begann für den Marinemaler eine aussichtsreiche Zukunft.«9
Damit sollte Stöwer sowohl für die Zeit der Regentschaft Wilhelms II. als auch im Zeitraum des Nationalsozialismus Recht behalten. Er war Mitbegründer des Flottenvereins, der einen hohen Mitgliederzulauf verzeichnete.10 Zudem gab der Verein die Zeitschrift »Die Flotte« und das Jahrbuch »Nauticus« heraus.11 Das im Jahr 1895 erschienene Marinebuch »Unsere Kriegsflotte«, zu dem Saltzmann, Stöwer und Schwinge Illustrationen beisteuerten, war innerhalb kurzer Zeit vergriffen.12 Das nachfolgende Werk wurde zum Bestseller.13 Bevor sich die Kriegsflotte bewähren konnte, wurde sie bereits in Gemälden
9 10 11 12 13
Hermann Eschke an der Kunstakademie Berlin. Er unternahm Studienreisen, die ihn u. a. nach Cuxhaven, Helgoland und Holland führten. Jedoch reiste er nicht ausschließlich an die Nordsee, sondern ebenfalls an die Ostsee. Vgl. Kat. Berlin 2000, S. 8f. Als Mitglied im Verein Berliner Künstler nahm er u. a. im Jahr 1878 mit zwei maritimen Bildern an einer Ausstellung des Vereins teil. Vgl. ebd., S. 14. Die Kronprinzessin war von den Werken so begeistert, dass sie ihn zu einer Audienz lud. Dies stellte eine Wende in seinem Leben dar. Ihm wurde das Angebot unterbreitete, als Reisebegleiter Prinz Heinrichs für eine zweijährige Weltreise auf der Korvette »Prinz Adalbert« zu fungieren. Vgl. ebd., S. 9. Er nahm das Angebot an und erteilte Prinz Heinrich und seinem Bruder, dem späteren Kaiser Wilhelm II., Mal- und Zeichenunterricht. Vgl. ebd., S. 9. Vgl. Scholl 1995, S. 22. Er wurde in den weiteren Jahren ein häufiger Begleiter des Kaisers auf dessen Nordlandreisen, die auch durch die Nordsee führten. Vgl. Kat. Berlin 2000, S. 9. Auf den Schiffsreisen war er nicht ausschließlich malerisch, sondern ebenfalls als Fotograf tätig. Vgl. ebd., S. 22, 28. Viele Gemälde fertigte er auf Basis von den auf den Reisen erstellten Studien und Fotografien im heimischen Atelier an. 1894 wurde er als Leiter für Marinemalerei an die Berliner Kunstakademie berufen. Vgl. Kat. Berlin 2000, S. 9. Viele seiner Marinegemälde stehen im Zeichen der Propaganda für die Flottenaufrüstungspolitik von Wilhelm II. Jedoch sind in seinem Oeuvre sowohl Schifffahrtsdarstellungen als auch reine Meeresdarstellungen vertreten. Beispielsweise fertigte er für das 1906 eröffnete Museum für Meereskunde in Berlin u. a. die Wandgemälde »Garnelenfischerei an der oldenburgischen Küste« und »Austernfischerei an der holländischen Küste« an. Vgl. ebd., S. 35ff. Zudem schuf er Gemälde des Leuchtturms von Neuwerk. Vgl. ebd., Abb. 36, 42. In dem Werk »Stürmische Nordsee« (vgl. ebd., Abb. 35) ist die aufgewühlte See verbildlicht. Hohe Wellen peitschen an eine ins Wasser ragende Mole. Weiter draußen auf dem Meer ist ein Schifffahrtsszenario dargestellt. Seine Werke zeigen eine vielseitige Annäherung an die Nordsee, wobei der Fokus auf der Schifffahrtsmotivik liegt. Stöwer 1929, S. 35. Vgl. Scholl 1982, S. 24. Vgl. ebd., S. 24. Vgl. ebd., S. 24. Vgl. ebd., S. 24.
Marinemalerei im Kontext der Flottenpolitik von Kaiser Wilhelm II.
71
und in Zeitschriftenillustrationen verherrlicht. Viele Marinemaler, darunter auch Claus Bergen, der in dieser Studie ebenfalls behandelt wird, waren beeindruckt von der Technik der Schifffahrt und der Größe der deutschen Flotte. Darüber hinaus trug die Marinemalerei zur Entstehung einer heroisierten deutschen Seefahrtgeschichte bei.14 Nicht nur die damalige deutsche Flotte wurde verbildlicht, sondern es wurden ebenso Motive aus der Geschichte der Hanse, der kurbrandenburgischen Flotte, der im Jahr 1848 bestehenden Flotte sowie der preußischen Flotte aufgegriffen.15 Eine Traditionslinie für die wilhelminische Kriegsmarine sollte visualisiert werden. Eine Intention bestand darin, der Bevölkerung hinsichtlich dieser Flotte eine erfolgreiche deutsche Seefahrtgeschichte zu vermitteln. Die damals populären Marinemaler Saltzmann, Bohrdt und Stöwer gehörten zu dem engeren Künstlerfreundeskreis von Kaiser Wilhelm II.16 Die beiden letztgenannten werden in dieser Studie exemplarisch vorgestellt. Diese Künstler waren persönliche Lehrer des Kaisers; sie begleiteten ihn auf Nordland- und Mittelmeerfahrten, durften an Flottenmanövern teilnehmen und besaßen Verbindungen zum Reichsmarineamt.17 »Wenn ich das Talent gehabt hätte, wäre ich kein Kaiser, sondern Marinemaler geworden« ist ein überlieferter Ausspruch des Kaisers.18 Er versuchte sich auch als Maler in dieser Gattung und fertigte auf seinen zahlreichen Schiffsreisen, auf denen ihn häufig Marinemaler wie Bohrdt, Stöwer oder Saltzmann begleiteten, zahlreiche Bilder an.19 Der Kaiser verlieh allen drei den Professorentitel. Auch in seinem späteren niederländischen Exil blieben sie ihm verbunden. Im Rahmen wilhelminischer Kunstpolitik haben sie die Marinemalerei wesentlich bestimmt. Auch die Darstellung des Segelsportes, der unter Wilhelm II. Bedeutung erlangte, war ein Bereich der Marinemalerei. Der Kaiser war ein begeisterter Segler und unterstützte somit auch aus privatem Interesse die Verbildlichung des Segelsports. Allerdings wurde dieser hauptsächlich auf der Ostsee, insbesondere in der Kieler Förde, und nicht auf der Nordsee betrieben. Deshalb sind die Segel14 Vgl. ebd., S. 24. 15 Vgl. ebd., S. 24. Neben Hans Bohrdt, Willy Stöwer oder Carl Saltzmann waren es u. a. Claus Bergen, Adolf Bock, Christopher Rave und Hans von Petersen, die solche historischen Werke mit einer heroischen, verklärenden Sicht auf die Ereignisse visualisierten. Vgl. Scholl 1995, S. 15. Vgl. Scholl 1982, S. 68f. Allerdings malte Bergen nicht ausschließlich historische Marinebilder, die eine deutsche nationale Seefahrt zeigen, sondern in der Auftragsarbeit »Die Entdeckung der Erde« visualisierte er auch andere Seefahrernationen und deren Seeschlachten. Vgl. Scholl 1982, S. 69f. 16 Vgl. Spanke (Hg.), S. 2. Vgl. Scholl 1982, S. 24. Saltzmann bekleidete sogar eine eigens eingerichtete Professur für Marinemalerei. 17 Vgl. Scholl 1982, S. 24. 18 Vgl. Spanke (Hg.), S. 2. 19 Vgl. ebd., S. 2.
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Marinemalerei im Kontext der Flottenpolitik von Kaiser Wilhelm II.
bilder, die Stöwer und Bohrdt, beide Mitglieder im Kaiserlichen Yacht-Club,20 schufen, für diese Studie ohne Bedeutung. Die Marinemaler widmeten sich aber auch zivilen Themen. Ein weiterer Erwerbszweig lag darin, technische Neuerungen der Seefahrt bildlich umzusetzen. So vollzog sich im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert der Übergang vom traditionellen zum industriellen Schiffsbau. Anstelle von Segelschiffen wurden verstärkt Dampfschiffe gebaut.21 Die Marinemaler griffen auch diese Motivik auf. Die im Wilhelminismus durchgeführten Erneuerungen und technischen Fortschritte besaßen für die zivile Schifffahrt wie die Handels- und Überseefahrt sowie die Fischerei erhebliche Bedeutung. Von der Reichsgründung 1871 bis zu Beginn des Ersten Weltkrieges erfolgte eine rasante Entwicklung der deutschen Handelsflotte.22 Weltweit wurde sie die zweitgrößte nach der Britischen Flotte.23 Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Überseefahrt. Auf den Schiffen von deutschen Reedereien verließen Millionen Auswanderer Europa.24 Auch von Bremerhaven und Hamburg liefen Schiffe nach Übersee aus, an Bord unzählige Menschen, getragen von der Hoffnung nach einem besseren Leben. Viele Marinemaler, so auch Claus Bergen, nahmen an diesen Überseefahrten teil und schufen entsprechende Gemälde. Ein weiteres Betätigungsfeld für die Marinemaler boten die Reedereien, die großes Interesse daran hatten, die Bilder ihrer Schiffe zu Werbezwecken zu nutzen.25 Sie standen im internationalen Konkurrenzkampf. Beispielsweise wurden Werke von Bohrdt für die Werbung genutzt.26 Das Schaffen von Marinegemälden für die Reedereien zu Werbezwecken wurde mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges unterbrochen.27
Marinemalerei im Kontext des Ersten Weltkriegs Während viele Künstler vor dem Ersten Weltkrieg die Erlaubnis hatten, Schifffahrten zu begleiten, änderte sich dies zu Kriegsbeginn. Es herrschte eine gewisse Vorsicht hinsichtlich bildlicher Darstellungen.28 So wurden viele Illustrationen lediglich auf Basis von Berichten gefertigt. Exemplarisch sei auf Stöwer 20 Auch Saltzmann (Ehrenmitglied im Verein »Kaiserliche Marine Potsdam«) widmete sich diesem Motivkreis. Vgl. Kat. Berlin 2000, S. 34. 21 Vgl. Scholl 1995, S. 43. 22 Vgl. ebd. 23 Vgl. ebd. 24 Vgl. ebd. 25 Vgl. ebd., S. 43. 26 Vgl. ebd., S. 45. 27 Vgl. Scholl 1995, S. 45. 28 Vgl. Scholl 1982, S. 27ff.
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verwiesen, der als einer der ersten um Erlaubnis beim RMA (Reichsmarineamt) bat, als Kriegsmaler an Bord eines Schiffes tätig zu sein.29 Dieser Anfrage wurde zunächst nicht entsprochen. Im Verlauf des Krieges erhielten dann einige Maler die Erlaubnis, Kriegsschiffe zu begleiten und Bilder anzufertigen, wie auch Stöwer.30 Jedoch haben nur wenige Künstler die Seeschlachten, die sie malten, selbst erlebt.31 Die Bilder unterstanden der Zensur und wurden zum Zweck geschaffen, die Stärke der deutschen Kriegsflotte zu demonstrieren.32 Kritische Darstellungen von Leid und Tod im Seekrieg waren nicht erwünscht. Der Seekrieg wurde weltweit auf unterschiedlichen Meeren ausgetragen. Auch die Nordsee war ein Teil dieses Kriegsgebiets und wurde in Bildern aufgegriffen. Exemplarisch sei das Werk »Kreuzergefecht bei der Doggerbank am 24. Januar 1915«33 (Abb. A1.1) von Saltzmann verwiesen. Im Vordergrund des Bildes sind noch Überreste eines gesunkenen britischen Schiffes zu sehen. Dahinter erhebt sich ein deutscher Panzerkreuzer. Im Hintergrund sind im Gefechtsrauch weitere Schiffe zu erkennen.
Abb. A1.1: Carl Saltzmann, Kreuzergefecht bei der Doggerbank, Kunstblatt, Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven
Auch wenn die wilhelminischen Marinemalereien ein siegreiches Bild der deutschen Flotte vermitteln sollten, so konnte die deutsche Flotte die in sie gesetzten Hoffnungen nicht erfüllen. Vielmehr sei sie nach Ansicht Salewskis ein »Riesenspielzeug des Kaisers« gewesen.34 Im Krieg kam es nicht zur finalen, alles 29 Vgl. ebd., S. 27f. 30 Vgl. ebd., S. 28ff. 31 Im Ersten Weltkrieg hat Saltzmann – wie Stöwer und Bohrdt – ebenfalls kriegsverherrlichende Werke geschaffen. Saltzmann hat am Kriegsgeschehen nicht teilgenommen, da er aufgrund seiner kleinen Körpergröße für den Militärdienst ausgemustert wurde. Vgl. Kat. Berlin 2000, S. 13. Allerdings nahm er im Jahr 1915 als Zivilist an einer Kriegsschifffahrt auf dem Atlantik teil. In den Kriegsjahren fertigte Saltzmann aus der Perspektive des kaisertreuen Marinemalers Gemälde und Illustrationen über das Kriegsgeschehen an. Somit finden sich auch in seinen Werken keine kritischen Darstellungen von Leid und Schrecken des Krieges. 32 Vgl. Scholl 1982, S. 29f. 33 Bildarchiv Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven, II 1 IX 206. 34 Vgl. Salewski 1982, S. 8.
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entscheidenden Schlacht« auf dem Meer, in der – nach den Wünschen vieler Deutscher – die Kriegsflotte ihre Übermacht gegen England demonstrieren sollte.35 England konnte durch eine Blockade das Deutsche Reich von überseeischen Zufuhren abschnüren und die deutschen Stützpunkte in Übersee erobern.36 Nach erheblichen Verlusten intensivierte Deutschland den U-BootKrieg.37 Ein Ziel bestand darin, England von atlantischen Zufuhren abzuschneiden.38 Dies scheiterte und mit Eintreten der USA in den Krieg war die Niederlage des Deutschen Reiches absehbar.39 Gegen Ende des Krieges gab es zudem Matrosenaufstände.40 Diese begannen in Wilhelmshaven und setzten sich dann u. a. in Kiel fort. Die Mannschaften weigerten sich gegenüber den kaiserlichen Offizieren, sich in einem verlorenen Kampf zu opfern.41 Dies war der Beginn der Arbeiter- und Soldatenaufstände, die das Ende der Monarchie einleiteten. Der Kampf der Matrosen für Demokratie und gegen das Weiterführen eines sinnlosen Krieges wurde in der Marinemalerei selten thematisiert. Mit dem verlorenen Krieg und der Abdankung des Kaisers hatten viele wilhelminischen Marinemaler ihren wichtigsten Förderer verloren. Durch den Versailler Vertrag erfolgten die Entwaffnung der Kriegsflotte sowie der Abbau der Handelsflotte. Der Marinemalerei wurde ein wichtiges künstlerisches Betätigungsfeld genommen. Zudem büßte dieser Kunstzweig stark an gesellschaftlicher Achtung ein. Die wilhelminischen Marinemaler wandten sich nun zunehmend Themen der zivilen Schifffahrt zu, die sie allerdings auch bereits zuvor parallel behandelt hatten. Durch die Popularisierung maritimer Thematiken im Wilhelminismus wurde am Rande auch der Blick auf das Wattenmeer gerichtet. So schrieb und illustrierte beispielsweise Bohrdt Artikel über das Wattenmeer und die Nordsee. Dieser Marinemaler prägte vielschichtige Sehweisen auf dieses Meeresgebiet. Seine Darstellungen werden im Folgenden vorgestellt. Danach wird auf Stöwers Schriften und Bilder Bezug genommen.
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Vgl. ebd., S. 9f. Vgl. ebd., S. 9. Vgl. ebd., S. 10. Vgl. ebd., S. 10. Vgl. ebd., S. 10f. Vgl. ebd., S. 11ff. Vgl. ebd., S. 11ff.
Hans Bohrdt – ein wilhelminischer Marinemaler
Hans Bohrdt (1857–1945) war ein kaisertreuer Künstler, der die wilhelminische Marinemalerei neben Stöwer und Saltzmann stark prägte.1 Seine Kunst wurde durch den Kaiser gefördert und hatte einen hohen Popularitätswert.2 Bereits Ende der 1880er Jahre präsentierte Bohrdt zahlreiche Gemälde auf Berliner Ausstellungen.3 In der Kunstchronik aus dem Jahr 1894 wird angeführt, dass in Bezug auf »Marine und Strandmaler« – u. a. Bohrdt – »keine zweite Nation etwas Gleiches an die Seite zu setzen hat«.4 Hier kommt ein nationaler Stolz auf die Marinemaler zum Ausdruck.5 Rückblickend wird Bohrdt in dem im Jahr 1926 erschienen Werk »Die See« als bedeutender Maler gelobt, der wesentlich zur Etablierung der Marinemalerei beitrug: »Als Bohrdt seine ersten großen Bilder malte, war für die Marinemalerei im deutschen Volke noch wenig Verständnis zu finden. Auch die Vorbilder in den öffentlichen Sammlungen waren nur spärliche, und der Künstler war angewiesen, alles aus sich selbst heraus neu zu schaffen. Bohrdt hat den Aufstieg der deutschen See- und Handelsmacht von den Anfängen an miterlebt, und in Kaiser Wilhelm II. fand er einen eifrigen Förderer seiner Kunst. Auf dessen Einladung hat er viele Reisen auf der Yacht Hohenzollern mitgemacht, und ebenso hat Prinz Heinrich von Preußen ihn unzählige Male zu den Fahrten der deutschen Hochseeflotte zugezogen. Dort war Bohrdt ganz in seinem Ele1 Rückblickend formulierte der Künstler Folgendes über den Rang der Marinemalerei: »So war denn wohl die Marinemalerei in Deutschland wenn auch keine neue Kunst, so doch ein neues Fach derselben.« Bohrdt 1927, S. 11f. 2 Vgl. Scholl 1995, S. 12. Bohrdt wurde in den Künstlerkreis um den jungen Kaiser aufgenommen. Vgl. ebd., S. 22ff. Somit wurde Kaiser Wilhelm II. sein bedeutender Förderer. Der Künstler zählte bald zu den Freunden des Kaisers und wurde zum Professor ernannt. Vgl. ebd., S. 20. Er begleitete den Kaiser auf Seereisen und fungierte währenddessen ebenfalls als sein Lehrer. Vgl. ebd., S. 28ff. 3 Ende 1886 ließ er sich in Berlin nieder und trat dem Verein Berliner Künstler bei. Diesem gehörte er bis 1944 an. Vgl. ebd., S. 20. 4 Vgl. Lützow, Rosenberg (Hg.) 1894. 5 Allerdings erfuhr Bohrdts Werk ebenfalls auch Kritik. Exemplarisch sei auf eine Kritik des späteren Rassenideologen des Nationalsozialismus, Paul Schultze-Naumburg (vgl. SchultzeNaumburg 1896) sowie auf einen Text Alfons Berchtolds (vgl. Berchtold 1896) verwiesen.
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ment, und diesen Umständen ist es zu danken, daß wir in dem heute in Berlin lebenden Künstler einen der ausgezeichnetsten Kenner des gesamten Seewesens vor uns haben.«6
Obwohl Bohrdt durch seinen Förderer Kaiser Wilhelm II. hauptsächlich mit der Darstellung von dessen Flotte populär wurde, weist sein Werk eine große Vielfalt an Themen auf. So waren es auch primär keine politischen Absichten, sondern vielmehr eine persönliche Begeisterung, die ihn zur Marinemalerei führte. Anlässlich seines siebzigsten Geburtstages gab der Künstler rückblickend an, dass ihn als Fünfzehnjähriger der Anblick des Hamburger Hafens so beeindruckte, dass er später Marinemaler wurde.7 »Dieser erste Anblick machte mich zum Maler und Seefahrer zugleich.«8 Ebenso verstärkte eine Fahrt auf dem Segelschiff »Palmerston«, auf dem sein älterer Bruder als Schiffsarzt anheuerte, seinen Wunsch, Marinemaler zu werden.9 Rückblickend berichtete er : »Unauslöschlich der erste Blick auf das Meer. Der Maler in mir war geboren.«10 Bohrdt nahm ein Studium an der Berliner Kunstakademie auf, brach dieses jedoch wieder ab, da in diesem Institut maritime Themen vernachlässigt wurden.11 Er kritisierte, dass zu der Zeit, als er sich in der künstlerischen Ausbildung befand, die Marinemalerei an Akademien häufig nicht anerkannt und nicht gelehrt wurde und aufgrund mangelnder Ausstellungen von Marinewerken nur wenige Vorbilder öffentlich zugänglich waren.12 Somit eignete er sich seine malerischen Kenntnisse als Autodidakt an.13 Er unternahm Seereisen auf verschiedenen Meeren14 und führte dabei malerische Studien durch.15 Die Nordsee war für ihn nur ein Meer unter vielen, die er in seinen Werken – insbesondere als Schauplatz von Schiffen – verbildlichte. Bohrdt verweist darauf, dass Deutschland zur damaligen Zeit – vor allem durch die Flottenpolitik – zu den Seefahrernationen gehörte und dass viele Personen Kenntnisse über die Schifffahrt erlangten, was korrekte Darstellungen 6 7 8 9 10 11
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Rohe 1926a, S. 23. Vgl. Bohrdt 1927. Zitiert nach Rohe 1926a, S. 23. Vgl. Scholl 1995, S. 17f. Vgl. Bohrdt 1932. Vgl. Scholl 1995, S. 18. »Auf der Berliner Kunstakademie fand ich keine Befriedigung meiner leidenschaftlichen Neigung zum blauen Wasser. Das Zeichnen nach gipsernen Totenmasken, das schematische Kopieren von Baumschlag ödete mich an. Nach einigen Wochen lief ich davon und beschloß, mich selbst ohne Lehrer auszubilden.« Bohrdt 1927, S. 11. Vgl. Bohrdt 1901a, S. 104f. »Unsere Marinemaler sind daher wohl meist Selbstlehrer. […] Die Liebe zum Meere, die Sehnsucht, draussen auf den blauen Wogen heimisch zu werden, schafft bei vorhandener Begabung und strenger Selbstzucht den Marinemaler. Es steckt eine Art jugendlichen, abentheuerlustigen Ausreissers in ihm.« Bohrdt 1901a, S. 105. Vgl. Scholl 1995, S. 18. Vgl. ebd., S. 18ff. Vgl. Bohrdt 1927, S. 11.
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in Bezug auf die Marinemalerei voraussetzte.16 Aus diesem Grunde sei – nach Bohrdt – die Marinemalerei17 an konservativen Maßstäben einer gegenständlichen Kunst orientiert.18 Die realitätsgetreue Malweise war für die Richtigkeit navigatorischer und technischer Details der Seefahrt wichtig. Der Künstler vertrat wie der Kaiser konservative Kunstideale und lehnte beispielsweise den Impressionismus ab.19 Er verweist rückblickend darauf, dass vor allem in Seefahrernationen die Marinemalerei eine hohe Wertschätzung erfuhr. Dabei nimmt er Bezug auf die Geschichte der Seefahrt und Marinemalerei in den 16 »Bisher waren die Kunstkenner und Freunde zum überwiegenden Theil Laien in maritimen Dingen; es galt, ein wirkliches Kunstwerk vorausgesetzt, Unkenntniss des dargestellten Gegenstandes nicht viel, jetzt jedoch, wo Deutschland in die vorderste Reihe der seefahrenden Völker gerückt ist, mehren sich auch die Kenner der Schifffahrt und des Meeres, welche die in künstlerischer Darstellung begangenen, gegenständlichen Fehler als eine Störung ihres Kunstgenusses empfinden.« Bohrdt 1901a, S. 93. 17 Im Jahr 1901 veröffentlichte Bohrdt in der Zeitschrift »Die Kunst unserer Zeit: eine illustrierte Monatsschrift für moderne Kunst« den Artikel »Marinemalerei«. Vgl. Bohrdt 1901a. In diesem erläutert er seine Auffassung zum Begriff »Marinemalerei« und deren Stand in Deutschland: »Die Marinemalerei oder genauer gesagt, die See- und Schiffsmalerei, ist in Deutschland wenn auch keine neue Kunst, so doch ein neues Fach derselben. Es gab und gibt viele hervorragende Maler, welche ihrer Begeisterung für das Meer und die Schifffahrt in manchen herrlichen, durch künstlerische Kraft ausgezeichneten Werken Ausdruck gaben, ohne jedoch den genauen Kenner des Dargestellten zu befriedigen, da die Künstler dem Element wohl malerisches Empfinden entgegenbrachten, im Übrigen aber jenes nur mit den Augen des naturbegeisterten Laien sahen. So entstanden meist Strand- und Hafenbilder, vom sicheren Standort aus aufgenommen, mit mehr oder weniger Phantasie geschmückt, manche mit Wolken und Seegang, die zu dem dargestellten Wetter nicht passten, mit Schiffen, welche überhaupt nicht schwimmen können und unter missverstandenen Segeln unmögliche Fahrtrichtungen einschlagen.« Bohrdt 1901a, S. 93. 18 Vgl. Bohrdt 1901a, S. 94f. 19 Vgl. Scholl 1995, S. 20. »Ein anderes Schlagwort ist ›Impressionismus‹. Es soll damit eine ganz neue Kunst entstanden sein. – Nun, er hat von jeher in der Kunst bestanden, man nannte ihn nur früher bescheiden auf gut deutsch Skizzenmalerei, und ist er in diesem Sinne voll berechtigt. Jeder geschickte Maler muss vor der Natur eine schnelle Skizze des allgemeinen Eindrucks eines Gegenstandes, oder einer Stimmung entwerfen können. Die Frage ist nur, ob diese Augenblicksarbeit in Gold- oder Phantasierahmen ausgestellt, als vollwerthiges Kunstwerk, welches jeden Beschauer dauernd fesseln muss, angesehen werden soll. Der Vorgang in der Natur gibt auch hier die Antwort. Ein Schiff ist gemeldet. Ich komme aus dunkler Kajüte an Deck. Im ersten Augenblick sehe ich nur eine weiss schimmernde Pyramide, im zweiten erkenne ich den weiss gemalten Klipper, im dritten und den folgenden Augenblicken geniesse ich, prüfenden Auges den schönen Linien und Farben folgend, das malerische Schauspiel. Im Kunstwerk muss sich meiner Meinung nach diese Reihenfolge der Eindrücke wiederholen. Der Impressionismus begnügt sich mit der Darstellung des ersten Augenblicks. Um diesen allein zu geniessen, müsste ich in der Natur sofort nach Empfang des ersten Eindrucks wieder unter Deck eilen, von dem Kunstwerk aber entweder viele, viele Meter Abstand nehmen oder, mit verbundenen Augen näher tretend, die Binde nur auf Secunden lüften, um den Eindruck der dargestellten Natur zu behalten. Der ernste Künstler kann in seinen Werken, welche er für vollendet ausgibt, unmöglich bei der Impression stehen bleiben.« Bohrdt 1901a, S. 95f.
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Niederlanden, England, Frankreich und Deutschland.20 Weiterhin behauptet Bohrdt, dass die technische Entwicklung der Schifffahrt die »Kulturhöhe« der jeweiligen Nation spiegelt und Rückschlüsse auf die Geschichte der Menschheit zulässt.21 Die Geschichte der Seefahrt weist zwar nationale, militärische und wirtschaftliche Einflussfaktoren auf, jedoch muss Bohrdts Aussage kritisch betrachtet werden, da sie nur auf Nationen mit Seeanbindung anwendbar ist. In Bohrdts Darstellungen ist eine große Faszination für die Schifffahrt zu lesen.22 Ein Schiff ist das wesentliche Medium seines Zugangs zur künstlerischen Betrachtung des Meeres. Neben den unterschiedlichen Schiffstypen galt sein Interesse aber auch dem Meer und den Wetterphänomenen.23 Bohrdt bewun20 »Die Marinemalerei hat naturgemäss geblüht und blüht noch heute in den Ländern, welche sich die Herrschaft zur See erstritten haben. In den Niederlanden entfaltete sich dieses Fach der Kunst mit dem Aufschwunge der Seestaaten, in England mit den grossen Thaten der Flotte im achtzehnten Jahrhundert, in Dänemark zur Zeit der Rührigkeit des kleinen Volkes in maritimen Dingen, Mitte des neunzehnten Jahrhunderts.« Bohrdt 1901a, S. 97. 21 »Ein Schnelldampfer oder Panzerschiff der Jetztzeit zeigt die Kulturhöhe des Volkes, welches ihn erbaut hat. Die Geschichte des Schiffes ist die des Menschengeschlechtes. In den Formen und Zwecken jenes spiegeln sich die Anschauungen und Kulturzustände der verschiedene Zeitalter wieder.« Bohrdt 1901a, S. 102. 22 »Ein reiches herrliches Gebiet der künstlerischen Thätigkeit eröffnet sich dem Marinemaler in der Darstellung des Schiffes und der dramatischen Vorgänge in der Seefahrt aller Zeiten. Vielfach ist die Ansicht vertreten, dass das Fahrzeug unserer Tage wenig Malerisches biete, ja geradezu unschön sei. Ich behaupte aber, dass wenn man den Geist der Schifffahrt erfasst hat, wenn im Bilde die gewaltige Kraft der stählernen Kolosse zum Ausdruck kommt, das Malerische eher gewinnt, als leidet.« Bohrdt 1901a, S. 103. 23 »Das vollkommene Schiff unserer Zeit trägt uns hinaus zu allen Meeren. Das Element löst in uns nicht die Empfindung der Furcht und des Grauens, sondern des Lebens und der Freiheit aus, es enthüllt uns eine unendliche Fülle von Wundern, welche das Auge begierig aufsaugt und die Hand versucht wiederzugeben. Da liegt das blanke Wasser bei Windstille vor uns, leichte Streifen, bald glitzernd vom Sonnenreflex, bald dunkel grau oder blau sich abhebend, deuten auf schwache Brisen, welche über die stille Fläche huschen. Wolken tauchen wie Vorposten eines nachfolgenden Heeres über dem Horizont auf, die Brisen breiten sich aus, bald stört der aufkommende Wind das Wasser aus seiner Ruhe auf. Die kleinen Wellchen einen sich zu wirklichen Wellen, auf deren Kämmen lustig die weissen Katzenpfoten springen. Neue Wolken in bizarren Formen drängen empor ; frischer und frischer wird der Wind, höher und höher die Wogen. Die Dampfer arbeiten schwer im Seegang, die Segler bergen die Bramsegel, Dann huschen schwarze Brisen daher, die ballenden Wolken lösen sich auf in grauen, fliegenden Dunst. Blaugrüne, weissgekrönte, zu Bergen angeschwollene Wellen drängen heran; hier und da überholt eine die andere, schwere Wassermassen prallen aneinander, die Kämme überstürzen sich, und der Sturm fegt die sprühenden weissen Staubmassen auseinander. Die kämpfenden Wogen lassen lange Streifen blanken Wassers, umsäumt von Schaum zurück, welche ihnen ein eigenthümlich öliges Aussehen verleihen. Über die Dampfer fegen die grünen Seen dahin, die Segler rasen unter Marssegeln dahin. Die Kraft der Natur wächst. Ein Orkan braust heran, die Wolken haben jede Form verloren und mischen sich mit dem Dunst der zerstiebenden Brechseen. Der Kampf des Menschen gegen das Element hat seinen Höhepunkt erreicht. Vertrauend auf sein festes Bauwerk sieht der Seemann der zornigen Natur gelassen entgegen. Kraft gegen Kraft. Die heutzuthage mehr gleichen Kämpfer messen sich in wüthendem Ringen. Den zermalmenden Wogen setzt das Schiff die stählerne Brust entgegen, an
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derte sowohl den »Kampf«24 des Menschen gegen das vom Sturm aufgewühlte Meer als auch dessen Schönheit, die sich unter anderem in den unterschiedlichen Wellenformationen zeigt.25 Weiterhin führt er aus, dass jedem Meer charakteristische Farben und Formen zu eigen sind. So verweist er im Hinblick auf das Wattenmeer beispielsweise auf die graugelbe Farbigkeit.26 In Bohrdts Ausführungen wird auch der Glaube an Gottes Schöpfung ersichtlich.27 »Künstlerischer Schaffensdrang trieb mich hinaus in die weite Welt durch Meere und Länder. Ein inhaltsreiches Leben voller Andacht vor den herrlichen Schöpfungen Gottes.«28 Seine Kunstauffassung weist starken Naturbezug mit einigen romantischen Tendenzen auf. So betrachtet er die Wiedergabe der Natur als höchste künstlerische Aufgabe.29 Er strebe eine »weihevolle Stimmung« in der Natur an.30 Angesichts des eindrucksvollen Erlebnisses, am Kap Horn meterhohe Wellen zu durchfahren, bewegen ihn erhabene Gefühle.31 Weiterhin stimme ihn dieses
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der sie ohnmächtig zerschellen. Das Wetter hat ausgetobt, die Wellen rollen regelmässiger heran und glätten sich nach und nach, die Wolken nehmen wieder Form an und lassen das das Sonnenlicht durchbrechen; bald lagert wieder Friede über der blanken Fläche.« Bohrdt 1901a, S. 100. Aus den Ausführungen des Künstlers ist ersichtlich, dass er das Verhältnis des Menschen zum Meer u. a. als kämpferisch deutet. Dabei stellt das Schiff ein Mittel des Kampfes dar. »Das Meer ist dasselbe geblieben, wie es vor Aeonen war, aber das Schiff hat im Laufe von wenigen Jahrtausenden bedeutende Wandlungen erfahren. Der einst ungleiche Kampf des Menschenwerks gegen das Element ist zu Gunsten des ersteren entschieden, und wenn auch noch heute die gewaltige Natur in wildem Zorne manches stolze Schiff zermalmt, so beherrscht der Mensch doch siegreich die Meere. Menschlicher Geist und Millionen regsamer Hände schufen die Wunderwerke unserer Zeit. Die Natur muss ihre Kräfte hergeben zum Kampf gegen sich selbst.« Bohrdt 1901a, S. 102. »Wo das Meer brandet, entstehen die wunderbarsten Wellenformen. Die aufrollende See prallt auf den rückläufigen Soog. Das dadurch sich aufbäumende Wasser gewinnt groteske Umrisse, deren Studium hohen Genuss bereitet.« Bohrdt 1901a, S. 101. »Jedes Meer hat eine bestimmte Charakteristik hinsichtlich der Wellenform und der Farbe des Wassers. Jeder Badegast, welcher einmal die Ost- und Nordsee besucht hat, wird den Unterschied erkannt haben. Welch eine Stufenleiter verschiedener Formen und Farben liegt zwischen dem graugelben Wattenmeere und dem schwarzblauen stillen Ocean, wie anders ist das Bild der Hochsee als das der Binnenmeere.« Bohrdt 1901a, S. 101. »Doch eine neue Poesie, zu welcher uns Wissenschaft und Technik die Thore weit geöffnet haben, steigt empor und regt den menschlichen Geist angesichts der in ihrer gewaltigen Größe erkannten Natur zu neuem Schaffen mächtig an. […] Der Marinemaler trägt das Empfinden der Jetztzeit mit hinaus auf das Meer. Wie am ersten Schöpfungstage, so noch heute schwebt der Geist Gottes über den Wassern; wer ihn versteht wird in der allgewaltigen Natur Anregung zu neuem Schaffen finden.« Bohrdt 1901a, S. 99. Richtigerweise benennt er, dass der Glaube an Meeresgötter, Seeungeheuer und andere fantastische Wesen und Orte erloschen ist. Vgl. ebd., S. 99. Bohrdt 1927, S. 13. Vgl. ebd., S. 10. Vgl. ebd., S. 10. Vgl. Bohrdt 1901a, S. 101.
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Naturerlebnis zu »heiliger Andacht«.32 Bohrdt betrachtet die erhabene Empfindung, die das Meer im Menschen wecken kann, als zu übermächtig, um sie in der Kunst zu verbildlichen.33 Assoziationen an die in der Romantik herrschende Auffassung der religiös konnotierten Naturandacht sind möglich, jedoch kann ihm diese nicht zugeschrieben werden, da die Kontexte zu verschiedenartig sind, wie in den folgenden Kapiteln gezeigt wird.34
Annäherungen an das Meer aus der Seefahrerperspektive Bohrdt näherte sich der maritimen Kunst primär vom Standpunkt eines Seemanns: So fordert er, dass sowohl ein Marinemaler seemännische Kenntnisse besitzen muss als auch der fachkundige Rezipient dieser Bilder.35 Denn die Eigenschaften eines Seemannes sollten sich auch beim Marinemaler bzw. in dessen Werk finden.36 Bohrdt plädiert für ein genaues Studium der Natur und 32 Vgl. ebd., S. 101. 33 »Das Gefühl des schwachen Erdgeborenen, diese ungeheuren elementaren Gewalten überwunden zu haben, lässt das Herz stolz erzittern. Die Malerei ist wohl ohnmächtig in der Wiedergabe der Erhabenheit dieser Natur. […] Dennoch braucht der bildende Künstler nicht zu verzagen an seiner Aufgabe; wenn es ihm gelingt, auch nur einen Theil jener erhabenen Empfindungen, welche das Meer in ihm erweckt hat, den Beschauer zu übermitteln, so hat er bleibende Kunstwerke geschaffen.« Vgl. Bohrdt 1901a, S. 101. Allerdings nutzt er den Terminus »Erhabenheit« ohne moralische Belegungen, die Kant und Schiller diesem auferlegten. 34 Zudem spricht gegen eine romantische Belegung der Fakt, dass er die Beziehung des Menschen zum Meer als einen Kampf bezeichnete. Vgl. Bohrdt 1901a, S. 102. 35 »Der Marinemaler wird daher selbst eine Art Seemann sein, zu mindestens diesen Beruf nach Möglichkeit zu studiren suchen. Um den Künstler zu verstehen, wird auch der Kunstkenner etwas in die Geheimnisse des Seelebens eingedrungen sein müssen.« Bohrdt 1901a, S. 94. Bohrdt führt an, dass häufig der Marinemaler die Begabung zur künstlerischen Darstellung davon abhalte, den Beruf des Seefahrers zu ergreifen und umgekehrt habe der Seemann Neigungen zur künstlerischen Darstellung. Ebd., S. 105. Nach Bohrdt soll der Marinemaler mit den Augen und den Kenntnissen eines Seemanns und der Naturbegeisterung eines Dichters die maritimen Werke gestalten. »Der heutige Marinemaler hat die Aufgabe, das ewige, nimmer ruhende Meer an allen Orten des Erdballes und die herrlichen, von Menschengeist erdachten, von Menschenhand gefügten Bauwerke, welche die Elemente meistern, empfunden mit dem Herzen des naturbegeisterten Dichters, aber gesehen mit den Augen des Seemanns zu schildern.« Ebd., S. 94. 36 »Wer als Künstler das Meer und die Schifffahrt studieren will, muss eine gute Gesundheit besitzen, um all den Unbilden des Wetters trotzen zu können. Scharfe Augen, schnelle Hand und gutes Gedächtnis müssen ihn bei der Wiedergabe der ewig beweglichen Gegenstände seiner Darstellungen unterstützen. Hinsichtlich der Schifffahrt wird er sein Augenmerk zugleich auf die Schiffsarchitektur und die seemännische Thätigkeit richten müssen.« Bohrdt 1901a, S. 106. Er führt die Beziehung des Marinemalers zum Beruf des Seefahrers detailliert aus: »Der Seemann hat ein scharfes Auge und ausgebildete Formenkenntniss in seinem Fach. Auf der weiten Fläche des Meeres gewinnt Alles an Bedeutung; die geringsten Abweichungen
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eine realitätsgetreue Wiedergabe in der Marinemalerei.37 Durch die technische und wissenschaftliche Betrachtungsweise von Meer und Schifffahrt ergaben sich für Bohrdt wichtige Zugänge zum Meer.38 Er weist dabei auf die Schwierigkeiten und Unannehmlichkeiten hin, die Marinemaler beim Skizzieren von Schiffen sowohl auf dem Meer als auch auf der Werft haben.39 Wenn es sich um Kriegsschiffe handelte, die der Maler auf der Werft zeichnen wollte, erschwerten Geheimhaltungsvorschriften seine Arbeit.40 Idealerweise sollte ein Marinemaler das Meer und die Seefahrt auf Schiffsreisen studieren.41 Die Ausübung der künstlerischen Tätigkeit auf hoher See war zu Bohrdts Zeiten noch mit Strapazen verbunden. Die Bedingungen an Bord waren nicht komfortabel und Stürme erschwerten die künstlerische Tätigkeit erheblich. Um die heute kaum noch gängige Praxis künstlerischer Arbeit auf einem Schiff nachvollziehbar zu machen, sei auf Bohrdts Ausführungen verwiesen: »Auch beim Studium des Meeres gibt es Augenblicke, in welchen dem Kunstjünger das Weinen näher sein wird, wie das Lachen. Die Seekrankheit erwähne ich gar nicht, sie ist – Privatsache –, die Erwerbung der sogenannten Seebeine, ohne welche eine erspriessliche Thätigkeit auf einem Schiff fast unmöglich ist, macht schon Schwierigkeiten. Dazu kommt, dass es bei Seegang wenig wassersichere Plätze gibt, an denen der Studierende
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des Wellenganges, das Erscheinen der verschiedenen Wolkenarten bedingen Gründe, über welche er sich sofort Rechenschaft zu geben hat. Taucht am Horizonte, dem Laien noch unverkennbar, ein Schiff auf, so weiss er an minimalen Kennzeichen sofort die Gattung zu erkennen. Geniale, geistreiche Verwischungen, die sich in den Kunstwerken so oft finden, in der Natur zu sehen, überlässt er den Kurz- oder Schwachsichtigen. Die Phantasie des Seemannes ist von jeher stark gewesen, steht aber, da er in und mit der Natur lebt, stets auf natürlichem Boden und ist vor allen Dingen kerngesund. Dekadenten findet der Seemann lächerlich, Hysteriker meiden von selbst die Decksplanken, und wenn sie dort aushalten, so gesunden sie an Körper und Geist. Der Seemann ist etwas Pedant; was er macht, das macht er gründlich. Die Art seines Berufes bedingt die Gründlichkeit; selbst dem genialsten Seemanne, und es gibt derer sehr viele, ist Flüchtigkeit bei Ausführung irgendeiner Arbeit zuwider. Die seemännischen Eigenschaften werden sich mehr oder weniger dem Marinemaler mittheilen, beziehungsweise wird er diese in seinen Werken zum Ausdruck bringen.« Ebd., S. 94. »Zu den schönen Schlagworten heutiger Kunstapostel gehört auch der Ausdruck: ›Naiv gesehen?‹ – Naiv, wie ein Kind sollen wir der Natur entgegentreten und gewissermaßen stammelnd wahrhafte Kunstwerke der andächtig staunenden Welt bringen. Nun ich behaupte und stehe hoffentlich mit dieser Behauptung nicht allein da, dass nur die genaueste Kenntnis der Natur bei innigster Hingabe an diese den Künstler befähigt, frei und gross zu denken und zu schaffen. Ganz naiv, nur aus der Tiefe des Gemüths zu schöpfen, möchte ich dem Darsteller des Meeres und der Schifffahrt nicht rathen.« Bohrdt 1901a, S. 104. Vgl. ebd., S. 99. Vgl. ebd., S. 106–109. »Ich erinnere mich noch mit Vergnügen der Zeit, wo ich nach langen Bemühungen in Wilhelmshaven endlich die Erlaubnis erhalten hatte, das alte Panzerschiff Preussen zu skizzieren, wobei mir Berliner Schutzleute während der ganzen künstlerischen Malzeit treu zur Seite standen und mich dabei misstrauisch auf Verrath des Vaterlandes abschätzten.« Bohrdt 1901a, S. 106. Vgl. ebd., S. 104.
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mit Ruhe arbeiten kann. Auf Segelschiffen werden diese fast nur im Hintertheil, auf Dampfern hinter dem Schornstein oder auf der Brücke, bei schwerem Wetter vielleicht auch im Navigationshäuschen[…]. Aber auch an diesen Plätzen erreicht denselben das Wasser, welches besonders starke Seen an Bord schleudern, zum wenigsten befindet er sich in den feinen Sprühregen, als welchen der Wind die überstürzenden Wellenkämme auflöst. Das Malen mit Wasserfarben ist daher auf einem im Seegange arbeitenden Schiffe recht schwierig, und es gehört Geduld dazu, nicht gänzlich an der Möglichkeit des Studiums nach der Natur zu verzweifeln. Die Ölfarbe ist für diesen Zweck praktischer, nur muss der Skizzirapparat derart construiert sein, dass er dem Maler ermöglicht, trotz Wind und Wasser in Ruhe zu arbeiten. Eine Palette in der Hand zu halten, ist fast ausgeschlossen, da der Wind derart gegen diese Holztafel drückt, dass die Finger der linken Hand, welche krampfhaft den Rand umklammern, bald absterben müssen. In unbewachten Augenblicken schleudert auch die muntere Brise dem Maler die Palette gegen die Männerbrust und die ölige Farbe zaubert im Nu ein ganz naiv empfundenes Stimmungsbild. Das störrische Werkzeug muss also irgendwo festgeschraubt werden, damit es kein Unheil anrichten kann. Auch die Leinwand muss auf ein sehr festes Brett straff gespannt sein, sonst fängt sie an, lustig im Winde zu bibbern, und der Maler wird, ohne es zu wollen, Pointillist. Alles Malgeräth muss mit Rücksicht auf die Windverhältnisse gearbeitet und befestigt sein, sonst fliegt bei einer Böe die ganze Einrichtung in die See […].«42
Der Künstler beschreibt die Unterschiede zwischen einem an Land tätigen Freilichtmaler und einem auf einem Schiff wirkenden Künstler : »Wie verschieden und dabei eigenartig zugleich ist der Anblick des die Hochsee Studierenden von dem eines Malers, welcher der Natur auf ruhigeren Pfaden folgt. In Ölrock und Südwester gehüllt, dass man nur noch die Nasenspitze sehen kann, kauert jener inmitten des fegenden Sprühregens hinter dem Schornstein und hantirt dabei mit den durch das Salzwasser störrig gewordenen Farben auf der feuchten Leinwand. Bei einer gewissen Windstärke hört das Malen nach der Natur wohl ganz auf. Grosse Zähigkeit und Ausdauer vorausgesetzt, gelingt es vielleicht auch dann noch, vom Navigationszimmer aus, den Blick durch die mit dicker Salzkruste verschleierten Fenster auf das Meer gerichtet, einige rohe Skizzen zu Stande zu bringen. Im Allgemeinen jedoch muss der Künstler, da ihm die Natur die Abschrift versagt, den Eindruck des empörten Elementes im Gedächtniss festzuhalten suchen.«43
Was das Malen auf Passagierdampfern angeht, so liegt für ihn die Schwierigkeit darin, dass die Bewegungen der Wellen aufgrund der immensen Größe der Schiffe nicht mehr unmittelbar erlebt werden können und eine sehr starke 42 Ebd., S. 109ff. »Wer weiss, was die Zukunft birgt. Vielleicht konstruiert noch einmal ein erfindungsreicher Kopf ein Specialschiff mit sturm- und wetterfestem, cardanisch aufgehängtem Glaskasten, von welchem aus Kunstwerke grössten Formats gemalt werden können; vielleicht ist es aber auch dann mit einer schnelllebigen Kunstrichtung, welche mehr die Abschrift als den Geist der Natur fordert, vorbei und die schöne Erfindung kommt zu spät.« Ebd., S. 112. 43 Ebd., S. 109ff.
Annäherungen an das Meer aus der Seefahrerperspektive
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Aufsicht aufs Meer ohne Detailreichtum gegeben ist.44 Auch die zahlreichen Passagiere störten den Künstler in seiner Konzentration.45 Aufgrund der schwierigen Bedingungen entstehen großformatige Werke nicht in der freien Natur, sondern im Atelier.46 Das Hilfsmittel der Fotografie lehnte Bohrdt zwar aus ideellen Gründen ab, dennoch wurde es häufig von den wilhelminischen Malern genutzt. An Bord eines Schiffes zu malen hatte aber auch einen großen Reiz. Die Eindrücke, die die Maler dort erlebten, waren häufig von großer Intensität und Inspirationskraft und sie wirkten lange nach.47 Nach Bohrdts Auffassung mussten die Bewegungen des Schiffs oder Wetterphänomene – wie Stürme – selbst erfahren werden, um diese im Bild wiedergeben zu können.48 Der Künstler 44 »Auf grossen Passagierdampfern ist das Studieren etwas bequemer, dafür aber entstehen dem Maler dort andere Schwierigkeiten. Von den hohen Aufbauten herab sieht man das Meer zu sehr aus der Vogelperspektive, Beispielsweise befindet sich die Brücke des Dampfers ›Deutschland‹ etwa 60 Fuss über dem Meeresspiegel, bis zu welcher Höhe sich die grösste vorkommende Woge kaum erheben wird. Die schönen Überschneidungen der Wellen, welche von niederem Standpunkte aus gesehen werden, entziehen sich in der Höhe dem Auge, auch rollen die Wogen bei der Schnelligkeit, mit welcher das Schiff dahineilt, zu rasch vorbei.« Bohrdt 1901a, S. 109ff. 45 »Dazu kommt, dass an Bord der grossen Dampfer sich kaum ein Platz findet, wo man unbelästigt von neugierigen Augen schaffen kann. Für einen Theil der Passagiere ist es eine angenehme Abwechslung in dem eintönigen Bordleben, theils aus Interesse, theils aus Langeweile, dem studierenden Maler zuzuschauen und es gehören ruhige Nerven und sanfte Veranlagung dazu, umgeben von einer dichten Menschenmauer, bei Beantwortung der naivsten Fragen nicht in eine Art Fluchstimmung zu gerathen. Ich habe manchmal den über die Reling fegenden Spritzer, welcher die ganze Gesellschaft auseinander stieben machte, gesegnet, trotzdem er mich selbst auf die Haut durchnässte.« Bohrdt 1901a, S. 109ff. 46 »Angesichts der vielen Schwierigkeiten, welche sich dem Malen bei Seegang entgegenstellen, wird es einleuchten, dass der Marinemaler nicht im Stande ist, grössere Bilder, wie es heutzutage vielfach üblich ist, vor der Natur fertig zu malen, und genöthigt ist, seine Werke nach Skizzen, mit Zuhilfenahme der Erinnerung und der Phantasie im Atelier zu schaffen.« Bohrdt 1901a, S. 112. 47 Rückblickend beschreibt Bohrdt seine Empfindungen angesichts eines Sturmes, den er auf einem Schiff in der Kap Horn Region erlebte: »Wenn ich aus meiner Mappe, die an Bord eines nach heutigen Begriffen kleineren Dampfers gezeichneten, durch die stiebende See halb verwaschenen Bleistiftskizzen – an Malen war ja nicht zu denken – hervorhole und betrachte, dann sehe ich vor meinem geistigen Auge die ungeheuren blaugrünen Glasberge, gekrönt von langen weißen Kämmen, durchfurcht von unzähligen hellen Streifen und Fladen, den Resten der bereits übergestürzten Brecher. Dann peitschten mir wieder Gischt und Sprühregen, in den das schwer arbeitende Schiff gehüllt war, in das Gesicht, Die Sorge um das Leben verschwand vollkommen vor der inneren künstlerischen Erregung beim Anblick dieses gigantischen Schauspiels der Natur.« Bohrdt 1927, S. 13. 48 »Die neuerdings so beliebte und bequeme Photographie ist doch nur eine Eselsbrücke, welche leicht dem Künstler verderblich werden kann, wenn er statt seines eigenen Auges den Apparat sehen und studiren lässt und mehr Studien auf der Trockenplatte als im Skizzenbuche heimbringt. Wer Bewegung darstellen will, muss diese fühlen und empfinden. Die individuelle Empfindung schafft bei der Wiedergabe das Kunstwerk, nicht der vergrößerte Abklatsch einer Momentaufnahme durch die Camera.« Bohrdt 1901a, S. 106.
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musste aber akzeptieren, dass sich diese Form der künstlerischen Ausübung bereits zu seinen Lebzeiten änderte. Anlässlich seines 70. Geburtstages reflektiert er über die neuen, modernen Kunststile. Er respektiert die neuen Ideale und Stilrichtungen in der Kunst, bringt aber sein Bedauern zum Ausdruck, dass die naturnahe Ausbildung zum Marinemaler auf den Meeren Vergangenheit ist.49 Bohrdt beschäftigte sich mit unzähligen Facetten maritimer Themen sowohl als Künstler als auch als Autor.50 Exemplarisch sei auf seine Schriften »Vom Wattenmeer«51, »Eine Sturmflut auf Neuwerk«52, »Deutsche Nordseebäder«53, »Leuchtfeuer und ihre Wärter«,54 »Segelsport«55, »Deutsche Flottenbilder«56 und »Deutsche Schifffahrt in Wort und Bild«57 verwiesen. Darüber hinaus fertigte er wie Stöwer und Saltzmann Illustrationen für Zeitschriften wie die »Illustrierte Zeitung Leipzig«, »Die Gartenlaube«, »Über Land und Meer«, »Daheim«, »Für alle Welt« die »Berliner Illustrierte Zeitung« und die »Deutsche Illustrierte Zeitung« an.58 Die Bilder hatten unterschiedliche maritime Themen.59 Die Kriegsmarine nahm jedoch eine wichtige Stellung in seinem Motivrepertoire ein. Mit Blick auf Bohrdts Ausführungen muss beachtet werden, dass dabei auch politische und nationale Intentionen zugrunde lagen, wie im folgenden Abschnitt gezeigt wird. 49 »Ein Suchen und Sehnen erfüllt die heutigen jungen Künstler, die es wirklich ernst mit der Kunst meinen; daher auch das viele Experimentieren, ja vielfach das Abwenden von der Natur, deren Geheimnisse sie enthüllt wähnen und deren getreue Wiedergabe ihnen banal erscheint. Die Jungen sind von meinem Standpunkt als Marinemaler zu bedauern. Früher gab es noch blaue Fernen, die Welt war weit und groß, die Seefahrt vielfach noch mit Entbehrungen und Strapazen verbunden, abenteuerlich das Studium aber reizvoll gerade durch die zu überwindenden Schwierigkeiten, die Wiedergabe der Natur höchste Aufgabe. Der Eindruck des Meeres von dem niedrigen Bord eines Seglers oder älteren Dampfers aus war gewiß gewaltiger, als der vom hohen Promenadendeck eines modernen Ozeanriesens. Dazu verschlingt das gesellschaftliche Leben an Bord eines solchen, dessen luxuriöse Einrichtungen denen der vornehmsten Hotels gleichen, einen großen Teil der weihevollen Stimmung angesichts der Natur.« Bohrdt 1927, S. 10. 50 Er verweist auf das große thematische Spektrum der Marinemalerei: »Der Marinemaler hat ein weites Feld vor sich. Ihn beschäftigt die Wiedergabe der Natur ; Meer und Seeleben regen die gesunde Phantasie mächtig an. – Die Weltgeschichte, welche zugleich die Geschichte der grossen seefahrenden Nationen ist, reizt ihn, Geschehnisse vergangener und gegenwärtiger Zeiten künstlerisch zu empfinden und, trotzdem die die Historienmalerei jetzt so verpönt sein soll, in Bildern darzustellen.« Bohrdt 1901a, S. 97. 51 Vgl. Bohrdt 1895. 52 Vgl. Bohrdt 1901. 53 Vgl. Bohrdt 1890. 54 Vgl. Bohrdt o. D. 55 Vgl. Bohrdt 1890a. 56 Vgl. Bohrdt 1898. 57 Vgl. Bohrdt 1902. 58 Vgl. Scholl 1995, S. 46. 59 Vgl. ebd., S. 46.
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Politische und nationale Belegungen der Marinemalerei: Die Nordsee als Kriegsschauplatz »Mein Beruf führte mich naturgemäß zur aufblühenden Kriegsmarine. Durch die Gunst des Kaisers und des Prinzen Heinrich wurde mir die hohe Aufgabe zuteil, neue Kunst auch im Dienste des Vaterlandes zu betätigen. […]«60
Obwohl Bohrdt sich mit unterschiedlichen Aspekten der maritimen Thematik auseinandersetzte, widmete er sich verstärkt der Kriegsmarinemotivik und sah darin einen Dienst für das Vaterland. Er verbildlichte sowohl die damalige Flotte als auch historische Ereignisse der Schifffahrt61 und suggerierte damit, dass die Aufrüstungspolitik der Marine in der Tradition einer erfolgreichen Seefahrtgeschichte der Deutschen stehe.62 Exemplarisch für historische Darstellungen sei auf Bohrdts Illustration »Sieg Dietmar Koels und der Hamburger Flotte über den dänischen Seeräuber Klaus Kniphoft am 6. Okt. 1525 bei Greetsiel«63 (Abb. A1.2) verwiesen. Die Schlacht wird in dramatischer Weise dargestellt. Die vom Wind geblähten Segel der historischen Großsegler vertiefen die Dramatik und zeugen von einer längst vergangenen Zeit. Die Nordsee dient dabei lediglich als Bühne.
60 Bohrdt 1927, S. 13. Weiterhin führt er Dankesbekundungen an seine kaiserlichen Gönner aus: »Als Gast des Kaisers und des Prinzen Heinrich wurde mir das Studium der der Kriegsmarine ermöglicht. Wenn ich auf diesem Gebiete Erfolge aufzuweisen habe, verdanke ich es beiden hohen Gönnern« Ebd., S. 13. 61 »Ich schuf Werke teils geschichtlichen Inhalts aus der Hansa und kurbrandenburgischen Zeit, teils Darstellungen der neuzeitlichen Flotte.« Bohrdt 1927, S. 13. 62 »In Deutschland erschien zugleich meteorartig mit der raschen Schöpfung der kurbrandenburgischen Flotte, die Marinemalerei, freilich wie jene holländischen Ursprungs. […] Mit dem grossen Kurfürsten ging auch seine Schöpfung zu Grabe, […] Jahrhunderte sind seit jenem plötzlichen Aufblühen und Verschwinden deutscher Seemacht dahingegangen. Unser Volk versäumte bei dem ewigen kleinlichen Hader seiner Stämme untereinander an der Weltherrschaft, welche nur den seefahrenden Nationen zufiel, Theil zu nehmen. Trotzdem hat von jeher der Deutsche eine grosse Vorliebe für das Meer und die Schifffahrt bezeugt, jedoch lagen diese Neigung mehr romanhafte Empfindungen zu Grunde, welche im Seeleben nur das Abentheuer und nicht den praktischen Werth für das Volk schätzten. Erst als das kleine Dänemark im Jahre 1848 mit seiner verhältnissmässig geringen Seemacht dem schwerfälligen Nachbarn auf den Leib rückte, und es dem Michel, als er seinen Schaden in Thalern und Silbergroschen ausrechnete, anfing, im Geiste zu dämmern, da flammte es auf in den deutschen Gauen, in Begeisterung für eine deutsche Flotte, freilich mit dem gewohnten romanhaften Verständniss für die Erfordernisse einer Seestreitkraft. Es kam denn auch so, wie jeder Sachkenner vermuthet hatte; die rasch geschaffene, in jeder Beziehung unzulängliche Flotte ging zu Grabe. Die Idee blieb jedoch lebendig.« Bohrdt 1901a, S. 97f. 63 Bildarchiv Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven, II 2 IV 035.
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Abb. A1.2: Hans Bohrdt, Sieg Dietmar Koels und der Hamburger Flotte über den dänischen Seeräuber Klaus Kniphoft am 6.okt.1525 bei Greetsiel, Kunstblatt, Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven
Bohrdt hatte eine kaisertreue Haltung und sah die Marinemalerei eng mit nationalen Interessen verflochten. Er betonte, dass Wilhelm II. durch die Flottenpolitik »den Weg zum Meere wies«, da »neue Aufgaben«, in der Industrie und im Handel an das Deutsche Reich herangetragen würden und die Deutschen sich angeblich auf »dem knapp bemessenen Raum des Vaterlandes« nicht entwickeln könnten.64 Diese Aussage ist kritisch zu bewerten, verdeutlicht aber die damalige Haltung. Bohrdt verweist weiterhin darauf, dass durch Literatur und Kunst – angeblich im »Dienste des Vaterlandes« – ein Verständnis für die Flottenpolitik und allgemein für maritime Angelegenheiten in der Bevölkerung erreicht werden soll.65 In seinen Artikeln zeichnen sich propagandistische Züge hinsichtlich der wilhelminischen Flottenpolitik ab. Wiederholt betont er die Bedeutung Kaiser Wilhelms II. für das Deutsche Reich.66 »Das Verdienst unseres Kaisers, dem deutschen Volke […] trotz verständnisloser Gegnerschaft eine starke Flotte geschaffen zu haben, ist unendlich gross und wird im Augenblick der Gefahr auch denen im Geiste aufdämmern, welche heute noch grollend zur Seite stehen.«67
Der Künstler sah sich aufgrund der Förderung durch den Kaiser offensichtlich verpflichtet, diesen und seine Politik zu loben.68 Er trug zur Propaganda der kaiserlichen Flottenpolitik und einer nationalen Belegung der Marinemalerei 64 »An das Deutsche Reich traten neue Aufgaben heran. Das sich mehr und mehr der Industrie und dem Handel zuwendende Volk konnte sich auf dem knapp bemessenen Raum des Vaterlandes nicht entwickeln. Da war es Kaiser Wilhelm II., welcher dem Volke den Weg zum Meere wies und, damit dieser Weg offen bleibe, Sorge für den Ausbau einer starken Flotte trug.« Bohrdt 1901a, S. 98. 65 Vgl. Bohrdt 1901a, S. 98. 66 Vgl. ebd., S. 98. 67 Vgl. ebd., S. 98f. 68 Er betonte wiederholt die Bedeutung des Kaisers für die Marinemalerei. Exemplarisch sei auf folgende Textpassage verwiesen: »Wir Kollegen vom Fach aber sehen in dem Monarchen auch den mächtigen Schützer und Förderer, der mit dem Aufblühen der deutschen Flotte eng verbundenen Kunst der Marinemalerei.« Bohrdt 1901a, S. 98f.
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bei, ignorierte internationale Einflüsse und hielt sich selbst für einen Pionier auf diesem Bereich.69 Bereits vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs verbildlichte er Flottenmanöver zur Vorbereitung des Krieges. Diese fanden u. a. in der Nordsee vor Helgoland statt, denn diese Insel war zum Stützpunkt der kaiserlichen Marine geworden. Exemplarisch sei auf das Bild »Durchbruch der Torpedoboote«70 (Abb. A1.3) verwiesen. Die Inschrift lautet: »Flottenmanöver 1904, 7. Sept., Helgoland«. Eine Geschwaderfahrt von Torpedobooten ist zu sehen. Von dem Bild geht eine starke atmosphärische Wirkung aus. Dies wird u. a. durch die eher ungenaue Malweise und die gedämpfte Farbwahl evoziert. Die in einer Linie fahrenden Kriegsschiffe sind in dunklen Farbtönen dargestellt. Der schwarze Dampf aus den Schornsteinen verstärkt die bedrohliche Wirkung der durch das Wasser brechenden Schiffe. Die Flaggen sind die einzigen Farbtupfer im Bild. Im Gegensatz zu den Schiffen und dem diffusen Grau des Himmels zeigt die Nordsee mehr Details mit einzelnen Gischtkämme auf den Wellen. Der helle Himmel wird im Wasser reflektiert. Dieses Werk sollte die Bedrohlichkeit der Torpedoboote verdeutlichen.
Abb. A1.3: Hans Bohrdt, Durchbruch der Torpedoboote, Kunstblatt, Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven
69 Bohrdt stellte die Behauptung auf, dass sich die Marinemalerei in Deutschland ohne europäische Vorbilder entwickelt habe und deklarierte eine angeblich von ihm mitbegründete deutsche Marinemalerei. Diese Aussage ist nicht haltbar. Die nationalistischen Tendenzen dieser Zeit, die den Ersten Weltkrieg mit begünstigten, finden sich ebenfalls in Bohrdts Ausführungen: »Unsere deutsche Marinemalerei hat sich frei von fremden Einflüssen entwickelt, hoffen wir, dass sie deutsch bleibe und nicht in schwächliche Nachahmung fremder Kunstfertigkeit und fremden Geistes verfalle.« Bohrdt 1901a, S. 112. Diese fremdenfeindliche Aussage muss äußerst kritisch bewertet werden, spiegelt jedoch die nationalistischen Strömungen dieser Zeit. »Auf alle Fälle werden in Zukunft dem Studierenden der Marinemalerei weniger Schwierigkeiten im Weg stehen, als sich uns, den heute lebenden Kollegen boten. Wir haben mit meist unzulänglichen Mitteln gewissermassen Entdeckungsfahrten auf jenem Gebiete machen müssen. Die kommende Generation findet gepeiltes Fahrwasser vor, von dem aus sie wieder neue Wege suchen möge.« Bohrdt 1901a, S. 112. 70 Bildarchiv Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven, III A 00001–0449 a.
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Dieses gilt auch für das Bild »Geschwaderfahrt«71 (Abb. A1.4).
Abb. A1.4: Hans Bohrdt, Geschwaderfahrt, Kunstblatt, Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven
Die Inschrift lautet: »6. Juni 1903, Nordsee«. Der Blick des Betrachters richtet sich vom Heck eines im Geschwader fahrenden Schiffes auf die dahinter folgenden Schiffe. Während die Nordsee in dunklen Farben gehalten ist, besitzt das aufgewühlte Heckwasser im Vordergrund grünliche Tongebung. Die Nordsee ist von hohen Wellen durchzogen, die sich spritzend am Bug der Schiffe brechen. Detailliert ist nur das vordere Schiff dargestellt. Schwarzer Rauch tritt aus dessen Schornstein aus. Die folgenden Schiffe heben sich als Silhouetten vom grauen Himmel ab. Durch die in dunklen Grauwerten gehaltenen Farbtöne, die das Bild dominieren, geht eine bedrückende und bedrohliche Wirkung aus. Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurde Bohrdt die Teilnahme an Kriegseinsätzen als Gast verweigert.72 Nichtsdestotrotz unterstützte der Künstler sowohl durch seine Schriften als auch durch seine Bilder die Propaganda für den Seekrieg.73 So verherrlichte er in seinem verschollenem Werk »Der letzte Mann« (Abb. A1.5) den Opfertod für das Vaterland.74
71 Bildarchiv Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven, III A 00001–0450 a. 72 Vgl. Scholl 1995, S. 38. 73 Detailliertere Ausführungen vgl. Scholl 1995, S. 50. Viele der von ihm gefertigten Werke von der kaiserlichen Marine wurden als Illustrationen für Zeitschriften genutzt. Vgl. ebd., S. 37. 74 Vgl. ebd., S. 7, 34f.
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Abb. A1.5: Hans Bohrdt, Der letzte Mann, Tempera, 1915, Reproduktion, Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven, verschollen
Dieses Bild sollte der Bevölkerung einen heroischen Kampfeswillen auch im Moment des Unterganges vermitteln. Somit besitzt es symbolischen Charakter und eignete sich gut für die Kriegspropaganda. Verzweiflung, Leid und Tod wurden in diesen heroischen Kriegsbildern selten gezeigt, da dadurch eine kritische Sicht auf die zerstörerische Wirkung des Krieges evoziert werden konnte. Dies war jedoch vom Kaiser nicht intendiert. Die Entstehung des Werkes »Der letzte Mann« wurde u. a. durch ein Kriegsereignis nahe den Falkland-Inseln im südlichen Atlantik, also nicht in der Nordsee, inspiriert, sodass nicht weiter auf das Bild eingegangen wird.75 Nachfolgend werden exemplarisch Werke untersucht, die Bohrdt in Bezug auf den Seekrieg in der Nordsee schuf. Das Bild »Vom deutschen Luftkrieg mit England«76 (Abb. A1.6) zeigt englische Unterseeboote, die in einen Kampf mit einem deutschen Luftschiff involviert sind.
75 Im Dezember 1914 erfolgte die Vernichtung von fünf Schiffen des deutschen Ostasiengeschwaders durch britische Kriegsschiffe. Vgl. Scholl 1995, S. 35. Das Bild wurde u. a. als Postkartenmotiv populär. 76 Bildarchiv Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven, II 1 IV 068.
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Abb. A1.6: Hans Bohrdt, Vom deutschen Luftkrieg mit England, Kunstblatt, Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven
Eines der mit Bomben beworfenen U-Boote wurde getroffen. Nach Information des Deutschen Schifffahrtsmuseums bezieht sich die Szene auf ein Seegefecht in der Nordsee.77 Interessanterweise liegt die Betrachterperspektive bei einem der britischen U-Boote. Der Beobachter kann sich mit den Ausschau haltenden und schießenden Marinesoldaten identifizieren. Angesichts der Tatsache, dass Bohrdt sich propagandistisch für die wilhelminische Flottenpolitik einsetzte, ist eine solche Perspektive eher die Ausnahme. Meistens wurden aus der Sicht deutscher Kriegsschiffe die Gefechte in ein heroisches Licht gerückt. In diesem Bild wird durch das Versenken eines britischen U-Boots durch das Luftschiff jedoch ebenfalls der deutsche Siegeswille propagandistisch umgesetzt. Das Versenken britischer Schiffe wurde von Bohrdt ebenfalls im Werk »Untergang der englischen Panzerkreuzer ABOUKIR, CRESSY, HOGUE durch U9, Kapitänsleutnant Otto Weddingen, 22. Sept. 1914«78 (Abb. A1.7) verbildlicht.
77 Bildarchiv Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven, II 1 IV 068. 78 Bildarchiv Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven, III A 00004–0597. Vgl. Scholl 1995, S. 37.
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Abb. A1.7: Hans Bohrdt, Untergang der englischen Panzerkreuzer ABOUKIR, CRESSY, HOGUE durch U9 Kapitänsleutnant Otto Weddingen 22. Sept. 1914, 1915, Kunstblatt, Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven
Dabei nimmt er Bezug auf ein reales Gefecht, das sich etwa 20 Seemeilen nordwestlich von Hoek van Holland ereignete. Bohrdt hat dieses nicht selbst erlebt und es 1915 in verklärter Sicht verbildlicht. Die Nordsee ist sowohl Schlachtfeld als auch nasses Grab für viele Seeleute. Auch im Werk »Seeschlacht vor dem Skagerrak, 31. Mai 1916«79 (Abb. A1.8) wird der Seekrieg überhöht dargestellt.
Abb. A1.8: Hans Bohrdt, Seeschlacht vor dem Skagerrak, 31. Mai 1916, Kunstblatt, Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven
Diese Seeschlacht zwischen der deutschen Hochseeflotte und der Grand Fleet der Royal Navy im Skagerrak diente vielen Marinemalern zur heroischen Verklärung der deutschen Flotte. Dabei hatte die britische Flotte zwar große Verluste erlitten, war jedoch nicht besiegt, sodass der Ausgang eher als unentschieden bewertet werden kann. Das Werk von Bohrdt visualisiert das Meer wiederum als Schlachtfeld. Die von Einschlägen im Wasser verursachten Wasserfontänen sowie die Explosionen auf den getroffenen Schiffen und das Feuer der Schüsse verbildlichen die Kriegsdramatik. Die schwarzen Kriegsschiffe mit dem dunklen Qualm tragen zur bedrohlichen Wirkung des Gemäldes bei. Die aufgewühlte See unterstreicht die Dramatik des Geschehens. 79 Bildarchiv Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven, II 1 IV 247.
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Auch das als Kunstdruck erschienene Werk »Skagerrak«80 (Abb. A1.9) mit dem Untertitel »Ein deutsches Großkampfschiff vernichtet einen englischen Schlachtkreuzer« betont die Dramatik des Kampfes, aber ebenso die Propagandaabsicht, einen Sieg der Deutschen in dieser Seeschlacht zu suggerieren. Ein Hell-Dunkel- sowie Warm-Kalt-Kontrast beherrschen das Bild. Im Vordergrund ist in dunklen Tönen das deutsche Kriegsschiff zu sehen. Es ist umgeben von teils sehr hohen Wasserfontänen, die von den Einschlägen »feindlicher« Geschosse zeugen. In einiger Distanz brennt das getroffene britische Schiff. Durch das Feuer ist es in ein helles, warmes Licht getaucht, das sich von den dunkleren Farben abhebt.
Abb. A1.9: Hans Bohrdt, Skagerrak
Die angeführten Werke sind nur einige Beispiele für Gefechtsmotive in der Nordsee. Allerdings ist in solchen Darstellungen, die propagandistisch genutzt wurden, die genaue lokale Verortung häufig nur von sekundärer Bedeutung, da die Dramatik der Gefechtssituation oder die Größe und Macht der Kriegsmarine die Hauptmotive waren. In den meisten Fällen fungiert das Meer nur als Bühne der Kriegsmarine. Lediglich in den Bildern, in denen detailgetreu reale Seeschlachten gezeigt sind, lässt sich der Schauplatz konkret lokalisieren. Bohrdt verbildlichte nicht ausschließlich Gefechtsszenen. So stellte er ebenfalls die Heimkehr eines Kriegsschiffes dar, das feierlich begrüßt wird. Das Bild »Heimkehr«81 (Abb. A1.10) zeigt Menschen in Ruderbooten, die dem einfahrenden Schiff der kaiserlichen Marine freudig zur Begrüßung entgegenfahren. Die imaginäre Betrachterposition ist an Bord des Ruderbootes im Vordergrund verortet. Eine in Marinebildern selten zu findende fein gekleidete Frauengestalt steht im Ruderboot und winkt mit einem Taschentuch dem entgegenkommenden Schiff zu. Des Weiteren befinden sich noch eine sitzende schwarz gewandete ältere Frau sowie ein ebenfalls stehender Mann im Boot. Der Mann bedient die 80 Abb. vgl. http://thumbs4.ebaystatic.com/d/l225/m/mJ72Sw59 L-RlqCL6e-42Bug.jpg, 20. 09. 2013. 81 Bildarchiv Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven, III A 00004–869.
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Ruder und gibt der Frau Halt. Vor diesem Boot sind weitere dem Schiff entgegenfahrende Ruderboote zu sehen.
Abb. A1.10: Hans Bohrdt, Heimat, Kunstblatt, Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven
Majestätisch erhebt sich das festlich mit Fahnen geschmückte Schiff der kaiserlichen Marine vor diesem Geschehen. Bohrdt hat damit den Moment der freudigen Heimkehr visualisiert. Der verlorene Krieg und das Ende der Monarchie stellten einen Einschnitt in Bohrdts Leben und Kunst dar. Sein größter Förderer, der Kaiser, war entmachtet und befand sich im Exil.82 Durch die Beschränkungen des Versailler Vertrages war die Größe der deutschen Flotte stark beschnitten. Sein bisheriges künstlerisches Betätigungsfeld wurde dadurch sowie mit dem Abbau der Handelsflotte stark eingeschränkt.83 Nach dem verlorenen Krieg gerieten Marinegemälde ins Abseits des vorherrschenden »Kunstgeschmacks«. Dies bekam auch Bohrdt zu spüren. So waren auch seine Marinedarstellungen, die eine mächtige deutsche Flotte zeigen, zunächst kaum mehr gefragt. Seine ruhmreiche Zeit als Marinemaler war vorbei.84
82 Vgl. Scholl 1995, S. 52. 83 Vgl. ebd., S. 52. 84 Bohrdt 1927, S. 13.
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Bohrdts Bildmotive der zivilen Seefahrt: Die Nordsee als Bühne, Seeverkehrsgebiet und Arbeitsraum Die Motivik der Reichsmarine griff Bohrdt nach dem Ersten Weltkrieg nicht mehr so häufig auf und widmete sich verstärkt Themen der zivilen Schifffahrt.85 Allerdings hatte Bohrdt nicht erst nach dem Ersten Weltkrieg dieses Motivfeld entdeckt; es war schon immer für seine Kunst von großer Bedeutung gewesen.86 Als ein Beispiel für ein ziviles Schifffahrtsmotiv sei auf das Werk »Schulschiff ›Großherzogin Elisabeth‹ vor Cuxhaven«87 (Abb. A1.11) verwiesen.
Abb. A1.11: Hans Bohrdt, Schulschiff »Großherzogin Elisabeth« vor Cuxhaven, 1920er Jahre, Tempera, 69 x 89,5 cm, Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven
Dieses ist majestätisch mit gesetzten von der Sonne angestrahlten Segeln vom Künstler in Szene gesetzt. Der Vordergrund liegt im Schatten. Dadurch wird das Segelschiff noch stärker in den Fokus des Betrachters gerückt. Rechts hinter dem Heck des großen Segelschiffes richtet sich der Blick auf die Nordsee. Die Silhouette Neuwerks erhebt sich am Horizont. Nach dem Ersten Weltkrieg mit dem Wiederaufbau der Handelsmarine in den zwanziger Jahren erhielt Bohrdt ebenfalls wieder häufiger Aufträge von Reedereien.88 Die Auftragsarbeiten wurden u. a. als Abbildungen für Werbezwecke gedruckt.89 Beispielsweise sei auf das im Werbekontext stehende Bild des Passagierdampfers Bremen des Norddeutschen Lloyd in Verbindung mit dem Motiv
85 Vgl. Scholl 1995, S. 55. 86 Rückblickend führt er an, dass ihn der Anblick der Schiffe zum Marinemaler gemacht hat: »Der erste Eindruck des alten Hafens hat mich zum Marinemaler gemacht, ein unvergeßliches Bild, das für unsere jüngere Generation für immer entschwunden ist.« Bohrdt 1927, S. 101. 87 Abb. vgl. Scholl 1995, S. 82. 88 Vgl. Scholl 1995, S. 54. 89 Vgl. ebd., S. 54.
Bohrdts Bildmotive der zivilen Seefahrt
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»Leuchtturm Roter Sand« und einem Portrait von Kapitän Ziegenbein verwiesen (Abb. A1.12).90
Abb. A1.12: Hans Bohrdt, Passagierdampfer Bremen des Norddeutschen Lloyd, Kunstblatt, Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven
Der Künstler setzte häufig »Schiffportraits« um. So fertigte er um 1930 das Werk »Schnelldampfer ›Bremen‹ verlässt die Columbuskaje in Bremerhaven«91 (Abb. A1.13).
Abb. A1.13: Hans Bohrdt, Schnelldampfer ›Bremen‹ verläßt die Columbuskaje in Bremerhaven, um 1930, Öl, 177 x 276 cm, Kunstblatt, Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven
Dieses Schiff gewann 1929 das blaue Band als schnellstes Schiff auf der Transatlantikroute Europa-New York.92 Bohrdt verleiht ihm im Kontrast zu den kleinen Dampfschiffen im Vordergrund majestätische Größe, das Oberdeck wird golden von der Sonne angestrahlt. Obwohl der Künstler das zunehmende Verschwinden der traditionellen Großsegler bedauerte,93 verdiente er an der Verbildlichung moderner Schiffe im Rahmen von Auftragsarbeiten. 90 91 92 93
Bildarchiv Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven, II 1 VIII 122. Abb. vgl. Scholl 1995, S. 85. Vgl. ebd., S. 85. »Noch lebt die Segelschiffahrt, aber ihr Ende steht nahe bevor; unsere Enkel werden wohl kaum noch die schimmernde Segelpyramide anders als in Bildern zu sehen bekommen. Wie
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Der Künstler erlebte während seines Lebens einen starken technischen Fortschritt in der Seefahrt, den er in der Kunst thematisiert. So wird in seinen Bildern das Zusammentreffen von traditioneller und moderner Schifffahrt visualisiert. Hier sei auf das um 1895 entstandene Werk »Schnelldampfer des Norddeutschen Lloyd, den Rotesand-Leuchtturm passierend«94 (Abb. A1.14) verwiesen. Der moderne Schnelldampfer, der den Leuchtturm in schneller Fahrt passiert, steht im Kontrast zu dem im Vordergrund im Wasser dümpelnden, kleinen Segelschiff und den Ruderbooten.
Abb. A1.14: Hans Bohrdt, Schnelldampfer des Norddeutschen Lloyd, den Rotesand-Leuchtturm passierend, um 1895, Werbedruck, Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven
Dieses Bild wurde als Werbedruck genutzt. Die Nordsee ist facettenreich dargestellt. In diesem Werk fungiert sie u. a. als Seeverkehrsgebiet und als Arbeitsplatz der im Vordergrund gezeigten Fischer, die in Ruderbooten auf traditionelle Art ihre Netze einholen. Das um 1898 entstandene Werk »Lloyd-Schnelldampfer ›Kaiser Wilhelm der Große‹ vor dem Leuchtturm Roter Sand«95 (Abb. A1.15) visualisiert eine ähnliche Thematik:
relativ kurz ist die Zeitspanne des Umschwungs. Als ich zum ersten Male im Jahre 1872 den Hamburger Hafen sah, beherrschte das Segelschiff die Elbe.« Bohrdt 1927, S. 10f. 94 Vgl. Scholl 1995, S. 99. 95 Abb. vgl. Scholl 1995, S. 73.
Bohrdts Bildmotive der zivilen Seefahrt
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Abb. A1.15: Hans Bohrdt, Lloyd-Schnelldampfer »Kaiser Wilhelm der Große« vor dem Leuchtturm Roter Sand, um 1898, Öl, 64 x 93 cm, Hapag-Lloyd AG, Hamburg
In der Abendstimmung passiert der Schnelldampfer mit erleuchteten Fernstern und von der Sonne angestrahlten Schornsteinen in einiger Distanz den Leuchtturm »Roter Sand«.96 Erneut wird die Konfrontation von moderner mit traditioneller Schifffahrtstechnik dargestellt. Die Ruder- und Segelboote im Bereich des Leuchtturms sind nur als Silhouetten erkennbar. Ein großes Segelschiff, lässt sich in der rechten Bildseite in sehr weiter Distanz erahnen. Die Nordsee wirkt friedlich. Die sanfte Abendstimmung und der in lichten Farben getönte Himmel tragen zu einer harmonischen Wirkung bei. Eine Mondsichel hebt sich kaum erkennbar über dem Bug des Schnelldampfers ab. Durch den Lichteinsatz wird eine Art Bühneneffekt geschaffen. Ausschließlich der Schnelldampfer erscheint angestrahlt. Er wird damit entsprechend seiner Bedeutung in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Denn er galt damals als eines der größten Schiffe der Welt und errang 1897 das blaue Band für die damals schnellste Nordatlantiküberquerung.97 Bohrdt deutet in diesem Ende des 19. Jahrhunderts entstandenen Werk die zukünftige Entwicklung der Seefahrt und damit die zunehmende Verdrängung traditioneller Segeltechnik an. Dies kann ebenfalls in Bezug auf die Werke »Torpedoboot-Division passiert S.M. Schulschiff ›Nixe‹ in der Nordsee«98 (Abb. A1.16) sowie »Hapag-Schnelldampfer ›Normannia‹ vor der Elbmündung«99 (um 1895) (Abb. A1.17) gelesen werden. Im erstgenannten Bild wird dargestellt, wie ein Torpedoboot unter starker Rauchentwicklung das Segelschiff »Nixe« passiert. Während das moderne Dampfschiff schräg in Richtung des Betrachters fährt, entfernt sich das Segelschiff. Im Werk »Hapag-Schnelldampfer ›Normannia‹ vor der Elbmündung« (Abb. A1.17) erscheint das Segelschiff am Ho96 Dieser hebt sich nahezu silhouettenhaft in gedämpften Farben vom zart gefärbten Abendhimmel ab. 97 Vgl. Scholl 1995, S. 43. 98 Bildarchiv Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven, II 1 IV 227. 99 Abb. vgl. Scholl 1995, S. 43, 72.
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rizont mit den vielen weißen Segeln angesichts des imposanten Schnelldampfers »Normannia« in der Mitte nahezu winzig. Die »Normannia« war ein berühmtes Kreuzfahrtschiff. Mit ihm und den Schwesternschiffen »Columbia« und »Fürst Bismarck« wurde die »Hapag« zu einer gefragten Transatlantikreederei.100 Die Bugwelle verdeutlicht die Geschwindigkeit, mit der das Schiff sich fortbewegt. Im Vordergrund sind ein kleines Lotsenboot sowie das Feuerschiff »Elbe 2« zu sehen.
Abb. A1.16: Hans Bohrdt, Torpedoboot-Division passiert S.M. Schulschiff ›Nixe‹ in der Nordsee, Kunstblatt, Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven
Abb. A1.17: Hans Bohrdt, Hapag-Schnelldampfer ›Normannia‹ vor der Elbmündung, um 1895, nach einem Druck der Hapag-Lloyd AG, Hamburg
Da die meisten solcher Bilder als Werbedrucke angefertigt wurden, ist es nachvollziehbar, dass der Schnelldampfer als Hauptmotiv fungiert. Die Nordsee dient dabei primär als Bühne. Für die Wirkung ist es jedoch von entscheidender Bedeutung, ob sie als spiegelglatte Fläche oder als aufgewühltes, tosendes Meer dargestellt ist. Im ersten Fall wird eine friedliche Stimmung evoziert, im zweiten steigert sich die Dramatik. Letztgenanntes ist beispielsweise
100 Vgl. Scholl 1995, S. 43, 72.
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im 1898 geschaffenen Bild »S.M.S. ›Hansa‹ und Kaiseryacht ›Hohenzollern‹ vor Helgoland«101 (Abb. A1.18) zu erkennen.
Abb. A1.18: Hans Bohrdt, S.M.S. ›Hansa‹ und Kaiseryacht ›Hohenzollern‹ vor Helgoland, um 1898, Öl, 100 x 150 cm, Schifffahrtsmuseum Rostock
Die Nordsee ist stürmisch dargestellt. Die Schiffe – insbesondere das Vordere – durchschneiden in eleganter Weise die Wellen. Die spritzende Gischt sowie die dunklen Wolken im linken Bildbereich verstärken die Dramatik. Wie bereits ausgeführt, visualisierte Bohrdt die Nordsee als ein Seeverkehrsgebiet, aber auch als Arbeitsfeld. So griff er verschiedene Berufsbilder, wie die Lotsentätigkeit, die Fischerei und das Rettungswesen auf. Das 1890 geschaffene Werk »Erbitte Lotsenhilfe«102 (Abb. A1.19) vermittelt einen dramatischen Eindruck.
Abb. A1.19: Hans Bohrdt, Erbitte Lotsenhilfe, 1890, Öl, 217 x 169 cm, Museum für Hamburgische Geschichte
101 Abb. vgl. ebd., S. 91. 102 Abb. vgl. ebd., S. 81. Das Bild ist ebenfalls unter dem Titel »Lotsendienst bei schwerem Wetter« bekannt. Vgl. Hansen 1977, S. 188.
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Im Vordergrund kämpft ein Ruderboot gegen die hohen Wellen. Die Menschen stammen vom Feuerschiff »Elbe 2« und versuchen das große Segelschiff im Hintergrund zu erreichen, um die Lotsen überzusetzen. Hohe Wellen türmen sich auf und erschweren dies. Der Mast des Feuerschiffs ragt schräg in die Bildmitte und ist von einem lichtdurchfluteten Himmelbereich umgeben. Der Horizont ist wegen der hohen Wellen und den Wolkengebilden nicht erkennbar. Das Bild ist von großer Dynamik geprägt und verdeutlicht die schwierigen Arbeitsbedingungen der Lotsen in stürmischem Wetter. Dies gilt ebenso für die Darstellung »Hamburger Seelotse«103 (Abb. A1.20).
Abb. A1.20: Hans Bohrdt, Hamburger Seelotse, Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven
Bei schwerem Wetter steigt der Lotse an der Jakobsleiter auf ein Schiff. Mit großer Anstrengung halten die Männer das Ruderboot in den hohen Wellen in Stellung. Die Nordsee zeigt sich von ihrer rauen Seite. Ein weiteres, populäres Bild von Bohrdt »Nordseelotse an Bord eines einkommenden Klippers gehend«104 (Abb. A1.21) zeigt ebenfalls die Gefährlichkeit des Lotsenberufes in der Nordsee. Ein Lotse wird mit einem Ruderboot zum einlaufenden Klipper gerudert. Das Bild wurde 1894 auf der Großen Berliner Kunst-Ausstellung präsentiert und findet u. a. in der Kunstchronik lobende Erwähnung. Dabei wird betont, dass das Deutsche Reich angeblich »die besten und zahlreichsten Marinemaler« hervorbringt. »Aber ein so frisches, starkes, besonders auf dramatische Wirkungen gerichtetes Talent wie Hans Bohrdt, der sich mit seinen Bildern ›Der Nordseelotse an Bord eines ein103 Bildarchiv Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven, II 1 V 441. 104 Stich nach Gemälde vgl. Bildarchiv Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven, III A 00004–0116.
Bohrdts Bildmotive der zivilen Seefahrt
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kommenden Klippers gehend‹, ›Hafenausfahrt bei Swinemünde‹ und ›Herbstnebel an der Emsmüdung‹ über seine frühere nüchterne Auffassung zu freier Schaffenskraft erhoben hat, wird man bei Engländern, Franzosen und Dänen vergebens suchen. Es ist merkwürdig, dass gerade die Nation, die in der Reihe der großen Seemächte der Zahl ihrer Schiffe nach die letzte Stellung einnimmt und auch im Alter die jüngste ist, die besten und zahlreichsten Marinemaler produzirt.«105
Nationale Tendenzen, die in der Zeit stark verbreitete waren, kommen in dieser Kritik zum Ausdruck.
Abb. A1.21: Hans Bohrdt, Stich nach Gemälde »Nordseelotse an Bord eines einkommenden Klippers gehend«, Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven
Die Darstellung eines Hamburger Lotsendampfers (Abb. A1.22) ist weniger dramatisch.106
Abb. A1.22: Hans Bohrdt, Der neue Hamburger Lotsendampfer Kapitain Karpfanger, Kunstblatt, Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven
Das Lotsenschiff der Elbe fährt zu einem Großsegler. Die Nordsee ist zwar von Wellen durchzogen, vermittelt jedoch einen ruhigeren Eindruck als in den zuvor genannten Werken. 105 Lützow, Rosenberg (Hg.) 1894. Auch die populäre Zeitschrift »Die Gartenlaube« druckte zwei Jahre später dieses Bild »Nordseelotse an Bord eines einkommenden Klippers gehend« mit zugehörigen Erläuterungen ab. Vgl. Scholl 1995, S. 23. 106 Bildarchiv Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven, II 1 VIII 015.
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Ebenso thematisierte Bohrdt das harte Leben der Fischer. Exemplarisch sei auf die Abbildung »Helgoländer Fischer«107 (Abb. A1.23) verwiesen.
Abb. A1.23: Hans Bohrdt; Helgoländer Fischer ; Kunstblatt Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven
In schwerer See holen Fischer in einem Ruderboot die Netze ein. Dieser Beruf ist durch vielerlei Gefahren geprägt. Insbesondere von Stürmen geht eine Gefahr für Schiff und Mensch aus. Bohrdt verbildlicht auch die erst im 19. Jahrhundert entstandene »Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger«108 (Abb. A1.23a).
Abb. A1.23a: Hans Bohrdt, Abgleiten eines Bootes der Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger, Kunstblatt, Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven
Es ist dargestellt, wie ein Ruderrettungsboot im Sturm am Strand zu Wasser gelassen wird. 107 Bildarchiv Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven, III A 00001–0148 a. 108 Bildarchiv Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven, III A 00002–119 a.
Bohrdts Bildmotive der zivilen Seefahrt
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In den in diesem Kapitel angeführten Werken, in denen die Seefahrt das Hauptmotiv darstellt, kann das Meer entweder durch den Titel, durch Kenntnisse der Schiffsrouten oder Darstellungen typischer Küsten- bzw. Inseltopografien sowie charakteristischer Seezeichen wie Feuerschiffe oder Leuchttürme lokalisiert werden.109 Vor allem das in der Nordsee befindliche Wahrzeichen »Roter Sand« hat Bohrdt vielfach verbildlicht. Das Bild »Der Rote Sand Leuchtturm an der Wesermündung«110 (Abb. A1.24) zeigt den von hohen Wellen umspülten Leuchtturm.
Abb. A1.24: Hans Bohrdt, Der Rote Sand Leuchtturm an der Wesermündung, Kunstblatt, Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven
Ein Dampfer und ein Segelschiff sind als weitere Bildmotive mit aufgegriffen, fungieren jedoch weitgehend als Staffage. Neben romantischen Belegungen erscheinen Leuchttürme als standhafte Bauwerke, die der Gewalt des Meeres trotzen. Sie sind wichtige Seefahrtzeichen und bieten Orientierung. Das Werk »Der jüngste und älteste Leuchtturm Deutschlands«111 (Abb. A1.25) zeigt in collageartiger Technik die Leuchttürme »Roter Sand« und »Neuwerk«.
109 In Bezug auf Werbedarstellungen für Reedereien spielt die Verortung des Meeresbereichs im Gegensatz zum Schiff eine untergeordnete Rolle und kann sogar fiktiv sein. 110 Bildarchiv Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven, II 1 II 032. 111 Bildarchiv Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven, III A 00004–0782 a.
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Abb. A1.25: Hans Bohrdt, Der jüngste und älteste Leuchtturm Deutschlands, Kunstblatt, Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven
In der oberen Hälfte ist der düster anmutende Leuchtturm auf der Insel Neuwerk zu sehen, dessen Lichtstrahl die dunkle Nacht erhellt. Im unteren Bildteil bricht sich eine Welle am Leuchtturm »Roter Sand« und im Hintergrund ist ein Dreimaster zu erkennen. Während hier die Leuchttürme die bildbestimmende Motivik sind, wird im Werk »S. M. Linienschiff ›Kaiser Wilhelm der Große‹ mit S. M. Panzerkreuzer ›König Wilhelm‹ in der Wesermündung«112 (Abb. A1.26, Farbabbildung) der Leuchtturm zur Staffage. Klein und in gedämpften Farben ist er im rechten Bildteil in der Ferne zu sehen. Die detailliert dargestellten Schiffe stehen im Mittelpunkt. In diesem Kapitel wurde gezeigt, dass Bohrdt die Nordsee primär als Schifffahrtsgebiet, Arbeitsraum aber auch als Bühne ausgewählter Schiffe verbildlichte. Jedoch hat der Künstler sich der Nordsee und dem Wattenmeer auch – ohne Fokus auf die Schifffahrt – unter ästhetischen Gesichtspunkten genähert.
112 Bildarchiv Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven, II 1 IV 202.
Vielschichtige ästhetische Annäherungen an Wattenmeer und Nordsee
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Vielschichtige ästhetische Annäherungen an Wattenmeer und Nordsee: Schönheit bis Bedrohung Bohrdt schuf ebenfalls Bilder der Nordsee, ihrer Küste und Inseln, in denen die Landschaft im Vordergrund steht.113 Exemplarisch sei auf die Werke »Sylt«114 (Abb. A1.27) und »Helgoland«115 (Abb. A1.28) verwiesen.
Abb. A1.27: Hans Bohrdt, Sylt, 8. Sept. 1911, Tempera, 101,5 x 69,5 cm, Privatbesitz
Abb. A1.28: Hans Bohrdt, Helgoland, 19. April 1913, Tempera, 70 x 102 cm, Privatbesitz
Das Werk »Sylt« (Abb. A1.27) vom 8. September 1911 zeigt den Blick vom Strand auf das Meer. Am Himmel brechen hinter den Wolken Lichtstrahlen hervor, die bestimmte Partien der Nordsee beleuchten und sich im feuchten Strandbereich 113 Vgl. Scholl 1995, S. 52. Im Jahr 1904 präsentierte Bohrdt das Werk »Sylt, Nordwester« auf der Internationalen Kunstausstellung in Düsseldorf. 114 Abb. vgl. Scholl 1995, S. 116. 115 Abb. ebd., S. 117.
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im Vordergrund des Bildes spiegeln. Während hier leichte Wellen die Wasseroberfläche kräuseln, so zeigt sich im Werk »Helgoland« (Abb. A1.28) vom 19. April 1913 die Nordsee nahezu glatt. Die Insel erhebt sich silhouettenhaft in der rechten Bildhälfte. Dieses Werk weist keine dramatischen Lichteffekte wie das zuvor Beschriebene auf. Bohrdt ist einer der wenigen Künstler, der bereits Ende des 19. Jahrhunderts die Schönheit des Wattenmeeres bewunderte. Dies bringt er beispielsweise in seinem Artikel »Vom Wattenmeer« zum Ausdruck, der 1895 in einer Ausgabe von »Velhagen & Klasings Monatsheften« erschien.116 In seinen Ausführungen zeichnet sich eine Faszination für diese Landschaft ab. »Das Watt ist nicht Land, nicht Wasser. Der fortwährende Wechsel, der ewige Kampf der beiden Elemente untereinander macht es zu einer Erscheinung eigener Art, die unser Denken und Empfinden aufs höchste anregen muß.«117
Die Faszination, die er auch in weiteren Passagen beschreibt, wird mit einigen Illustrationen visualisiert. Jedoch sei vorab angemerkt, dass das Wattenmeer in seinem Gesamtoeuvre kein herausragendes Motiv darstellt, sondern vielmehr von untergeordneter Bedeutung ist.118 Weiterhin sei einschränkend hinzugefügt, dass Bohrdts Bestrebungen stark davon geprägt waren, für die wilhelminische Flottenpolitik allgemeine maritime Themen – und damit auch das Wattenmeer – zu popularisieren. Bohrdts Bericht über das Wattenmeer stellt vielfältige Sehweisen vor. Es wird ein komplexes Bild dieser vielschichtigen Natur aufgezeigt. Er beschreibt in poetischer Sprache seine Beobachtungen am Wattenmeer und den Wandel der Gezeiten.119 So schildert er u. a. wie allmählich die Ebbe kommt und sich das
116 Vgl. Bohrdt 1895. 117 Ebd., S. 121. 118 Jedoch finden die Darstellungen durchaus Lob. Im Jahr 1888 werden in der Kunstchronik Bohrdts Malereien mit Motiven des Wattenmeeres gelobt: »Ungleich empfindungsreicher, poesievoller und stimmungskräftiger ist eine Reihe von Aquarellen und Ölskizzen nach Motiven aus dem Wattenmeer von H. Bohrdt, welche auch durch ihre feine, sorgsame, aber nirgends zur Glätte getriebene koloristische Behandlung auf einen Künstler von vornehmer Begabung schließen lassen, der auf protzige Wirkung mit den billigsten Mitteln verzichten zu wollen scheint.« Lützow, Pabst (Hg.) 1888. 119 »Wenn der Besucher des Seestädtchens Cuxhaven auf einem Spaziergange am Elbdeich entlang die Kugelbake zur Zeit der Flut erreicht hat, so dehnt sich plötzlich vor seinen Augen das unendlich scheinende Meer aus. In weiter Ferne zeichnet der Leuchtturm von Neuwerk sich in schwachen Konturen von dem dunstigen Himmel ab, am Horizonte lassen noch einige unbewegliche Punkte vermuten, daß die Herrschaft des Meeres dort noch keine unbegrenzte ist. Die Bewegung des Wassers ist eine ungewöhnliche. Statt der langen, wuchtigen Dünungswogen, die, scheinbar aus weiter Ferne kommend, sich langsam überstürzen und gewaltige Wassermassen gegen den Strand wälzen, tollen hier unzählige, kleine, krause Wellen von schmutzig brauner Farbe wild durcheinander, gleich als ob die Natur an dieser
Vielschichtige ästhetische Annäherungen an Wattenmeer und Nordsee
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Wattenmeer verändert.120 Durch eine Wattwanderung von Cuxhaven nach Neuwerk kann er das Watt ganzheitlich-sinnlich erleben. Diesbezüglich beschreibt er seine ästhetischen Erfahrungen: »Vorsichtig wagt man die ersten Schritte auf dem Boden, der kurz vorher der Tummelplatz des Meeres gewesen. Nahe am Deich sinkt der Fuß einige Zoll tief in grauen Schlick, bald aber berührt er festen Sand und Muscheln, die klirrend und knirschend unter den Sohlen brechen. Der Boden ist eben wie eine Tenne, und die Wanderung für den, der naße Füße nicht scheut, mühelos. Die ersten Schritte sind gethan, der Weg ist fest und sicher, drüben winkt das ferne Inselchen herüber und, da die Flut erst in fünf bis sechs Stunden wieder eintritt, wagen wir es jenes Eiland zu Fuß zu erreichen. Bis dorthin bezeichnet eine Kette von, in gewissen Abständen in den Boden gestecktem, zusammengebundenem Strauchwerk die Straße, so daß wir nicht fehlen können.«
Neben der detaillierten Schilderung seiner Empfindungen beim Laufen und Einsinken der Füße im Watt benennt er auch ein Erlebnis von Weite, Unendlichkeit und »erhabener Einfachheit« in der Wattlandschaft.121 Er empfand trotz der nur aus »wenigen Farbentönen« geschaffenen »Einöde« ein Gefühl voller Schönheit, »wie […] vor den erhabensten Meisterwerken Gottes«.122 Dabei schildert Bohrdt aber auch das Gefahrvolle dieser Situation, die darin besteht, dass die Wanderung auf dem trockengefallenen Meeresboden stattfindet und beim Eintreffen der Flut Gefahr durch Ertrinken droht: »Die Seltsamkeit der Lage, in der wir uns befinden, der Reiz der Gefahr, erhöht unsere Stimmung.
Stelle einen Spielplatz für die kleineren Kinder des Ozeans geschaffen hätte.« Bohrdt 1895, S. 113. 120 »Nimmt der Beschauer sich nun ein paar Stunden Zeit, so bemerkt er bald, daß das lustige Treiben der Wellen schwächer und schwächer wird. Die Ebbe tritt ein. Tiefer und tiefer sinkt das Wasser, endlich liegt der ganze Raum bis zum Horizonte still und regungslos da. Wohl glitzert und blinkt es wie zuvor, doch ist es nicht das Blinken des Wasserspiegels bei Windstille. Die muntere, zum Wogentanze einladende Brise huscht vergeblich über die silberglänzende Fläche und erst dort weit zur Rechten, wo der Elbstrom seine Fluten dem Meere zuwälzt, findet sie ihre Tänzer. Bald färben sich auch große Strecken in mattes Grau oder Gelb, lange dunkelgrüne Streifen verraten Vegetation. Die ganze, weite Wasserfläche ist zu festem Land geworden.« Bohrdt 1895, S. 113. 121 »Das feste Land weicht mehr und mehr zurück, bald sind wir allein inmitten der Einöde. Um uns herum türmt der Himmel seine Wolken, die feuchte Fläche spiegelt sie zu, Teil klar, zu, Teil verschwommen wieder. Möwen flattern kreischend auf, ein paar Reiher streichen schwerfällig über den Boden hin. Eine wunderbare Stimmung lagert über dem Bilde erhabener Einfachheit.« Bohrdt 1895, S. 113f. 122 »Einst war ich in die Welt gewandert und wähnte die Schönheit der Natur dort nur allein in blauer Ferne zu finden, wo Palmen rauschen, Berge und Gletscher gen Himmel ragen, wo Vulkane flammen und berghohe Wogen gegen phantastisch geformte Felsen donnern. […] Und hier im Watt, inmitten der tiefsten Einöde, vor einem Bilde, das die Natur nur aus wenigen Farbentönen geschaffen, klang es so schönheitstrunken in mir wieder, wie damals vor den erhabensten Meisterwerken Gottes.« Bohrdt 1895, S. 114.
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Wenige Stunden später, und über dieselbe Stelle, wo wir jetzt dahinwandern, rauschen die Wogen.«123 Auch die Tier- und Pflanzenwelt nahm er bewusst wahr : »Auf den ersten Blick erscheint die Natur wie abgestorben, sieht man aber genauer hin, so findet sich Leben überall. Gerade die Geringfügigkeit der Tier- und Pflanzenwelt des Watts fordert zu innigerer Betrachtung heraus. Da öffnen und schließen sich die Muscheln, dort wirft der Sandwurm kleine Haufen Erde am Boden auf. Flinke, kleine Regenpfeifer trippeln umher, um Würmer zu erschnappen, Krabben fliehen in komischer Gangart unsere Nähe. Der träge Seestern klammert sich an allen festen Gegenständen an, in den Wasserlachen huschen einige Fische ängstlich hin und her, andere liegen zappelnd halb trocken, ein willkommener Fraß für die schwärmenden Möwen.«124
Obwohl Bohrdt die Tier- und Pflanzenwelt würdigte, bewertete er sie als »Geringfügigkeit«,125 erkannte jedoch ihre Vielfalt. Heute ist dies mit ein Grund dafür, dass das Wattenmeer den Titel »Welterbe« trägt. Obwohl Bohrdt für die Tier- und Pflanzenwelt im Watt sensibilisiert war, griff er diese Motivik in seinen Werken nicht auf. Weiterhin reflektierte er während seiner Wanderung, dass es sich um teilweise versunkenes Land handelt, über das sie gingen.126 Ebenso nimmt er in seinen Ausführungen Bezug auf geografische Prozesse und die damit verbundene Dynamik der Wattlandschaft und der Inseln. Somit hat er die – von der UNESCO als ein Grund zur Ernennung des Wattenmeeres zum Welterbe benannten – dynamischen Prozesse im Wattenmeer wahrgenommen. Natürlich besaß er nicht die heute aufgrund moderner Forschungen bekannten, detaillierten geomorphologischen und geografischen Kenntnisse über den Wandel der Wattlandschaft. Doch die Veränderung der Küstenlinien und der Inseln im Wattenmeer ist eine seit Beginn der Sesshaftigkeit der Menschen an der Nordsee bekannte Tatsache. Die größten Umformungen der Landschaft wurden dabei von verheerenden Sturmfluten bewirkt. Bohrdt stellt das Zusammenspiel von Land und Wasser als »erbitterten Streit« und »Kampf« dar : »Wir können den erbitterten Streit zwischen Land und Wasser täglich an den Friesischen Inseln beobachten, welche in absehbarer Zeit das Schicksal, gänzlich zum Watt 123 124 125 126
Bohrdt 1895, S. 114. Ebd., S. 114. Vgl. ebd., S. 114. »Unser Fuß betritt auch förmliche Wiesen von langsträhnigem dunkelgrünem Seegras, Tang und Moosarten, die irrtümlicherweise für Überbleibsel des einst festen Landes gehalten werden. Sagen und Chroniken wissen viel zu erzählen von versunkenen Städten, Wäldern und Wiesen. So viel ist sicher, daß hier eine große Halbinsel zwischen Weser und Elbe weit nach Norden hinausragte und in dem Kampfe mit dem Meere einst unterlag. Auf der obig erwähnten ehemaligen Halbinsel sollen die Cimbern gewohnt haben, von hier aus traten sie, vertrieben durch das Meer, ihre Wanderung gen Süden an.« Bohrdt 1895, S. 114.
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umgewandelt zu werden, erreichen wird, falls es dem Menschen nicht gelingen sollte, dies zu verhindern. […] Einige Erfolge in dem Kampfe hat auch das Land zu verzeichnen. An gewissen Stellen Nordfrieslands hat sich das Watt zu fruchtbarem Marschboden gehöht. Ehemalige Häfen, wie die von List und Neuwerk, sind nach und nach versandet, letzterer ist überhaupt gänzlich unbrauchbar für die Schiffahrt geworden. Durch umfassende Deichbauten wäre es wohl möglich, das Meer zurückzudrängen, indes fragt es sich, ob der Nutzen ein genügend großer wäre, um die enormen Kosten aufzuwiegen.«127
Er wägt den wirtschaftlichen Nutzen von Landgewinnung und Küstenschutz gegen die finanziellen Kosten ab. Auf Basis seiner Beobachtungen während der Wanderung beschreibt er zudem die Priele und Fahrwasserkennzeichnungen und führt an, dass das Watt sowohl für Wanderer als auch für Schiffe Verkehrswege bietet: »Bei diesen Betrachtungen sind wir plötzlich an einen jener Ströme, Priele genannt, die das Watt durchfurchen, gekommen. In ihnen schießt das Wasser geschwind zur Ebbezeit dem Meere zu. Die Flut füllt sie dann ebenso schnell wieder. Sie bilden die Fahrstraßen für die kleineren Schiffe, welche aus der Elbe in die Weser gelangen und diesen abkürzenden Weg nehmen wollen. Lange Birkenstämme, Pricken genannt, welche man in gewissen Abständen in den lockeren Sand am Ufer dieser Ströme gesteckt hat, bezeichnen das Fahrwasser. Die meisten derselben kann man bequem bei Ebbe durchwaten; einige sind jedoch so tief, daß dieses Experiment auf Schwierigkeiten stoßen würde. Der Priel vor uns gehört zu letzterer Art und wir stehen ratlos am Ufer und denken schon über schleunigen Rückzug nach. Da trabt in der Ferne ein Wagen heran. Es ist die Postkutsche, welche fast täglich den Dienst zwischen Duhnen und Neuwerk versieht.«128
Die Postkutsche, die durchs Watt fährt, stellt eine Besonderheit im Postwesen dar. Bohrdt hat die Überquerung eines Priels illustriert (Abb. A1.29)129 und beschreibt, wie er selber von der Kutsche durch den Priel bis zur Insel Neuwerk mitgenommen wurde.130 127 128 129 130
Ebd., S. 114f. Ebd., S. 115f. Abb. vgl. ebd., S. 114. »Ein einfacher, offener Bauernwagen auf hohen Rädern, mit entweder zweifelhaften oder gar keinen Federn, bietet sich unseren Augen dar. Zwei nicht allzu rundliche Pferde erfüllen die Aufgabe, dies Kaiserlich Deutsche Reichspostgefährt sicher durch Sand, Schlick und Wasser zu befördern. Vorn im Wagen sitzt der Kutscher in Zivil und schnalzt fortwährend mit der Zunge, um die Pferde zu ermuntern. Ein paar dralle Neuwerker Bauernmädchen haben es sich auf quer gelegten Brettern bequem gemacht. Gottlob wir finden noch Platz auf dem Gefährt. Die Pferde werden angetrieben, und hindurch geht es durch den gurgelnden Priel. Die Tiere bis an die Brust im Strome watend, kümmern sich augenscheinlich gar nicht um das Wasser, nur die Insassen des Wagens haben Mühe und Sorge sich dem feuchten Element nach Möglichkeit zu entziehen. Nach Erreichung des anderen Ufers trabt das Gefährt ruhig weiter. Der Boden ist eben und fest wie eine asphaltierte Straße, so daß man die mangel-
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Abb. A1.29: Hans Bohrdt, Postkutsche im Priel, Illustration, in: Bohrdt 1895, S. 114
Die in diesem Artikel nahezu seitenfüllende Ansicht des Neuwerker Leuchtturms131 vermittelt dem Leser einen Eindruck, welche Wirkung das imposante Gebäude auf eine über das Watt kommende Person ausübt (Abb. A1.30).132
haften Wagenfedern vergißt. Näher und näher kommen wir an die Insel heran. Der massive viereckige Leuchtturm zeigt klar seine Formen. Bald rollt der Wagen den Deich empor. Wir sind überrascht von den blühenden Feldern, den grünenden Wiesen, auf denen kräftiges Vieh weidet. Hier inmitten der Eindeichung könnte man glauben, sich weit, weit im Binnenlande zu befinden, wenn nicht der ragende Leuchtturm uns an das umgebende Meer erinnerte.« Bohrdt 1895, S. 116. 131 Angesichts des Leuchtturms auf Neuwerk macht Bohrdt auch Ausführungen über die Seefahrt und die Piraterie: »Der einfache, alte Bau, auf dessen Zinnen seit sechshundert Jahren das warnende Feuer leuchtet, zeigt uns ein treues Bild der Vergangenheit deutscher Schiffahrt. Nicht allein zur Sicherung der Seefahrer gegen Gefahren der Elemente, sondern auch zum Schutz und Trutz gegen den schamlosesten Seeraub wurde er errichtet. Unersteiglich von außen mit Mauern von ca. zwei und einem halben Meter Stärke versehen, bildete er damals eine feste Burg gegen das auf dem Wasser vagierende Raubgesindel, welches der legitimen Schiffahrt viel Schaden zufügte. Gar manches wissen die alten Mauern zu erzählen. Hier soll der berüchtigte Störtebecker gefangen, gesessen haben.« Bohrdt 1895, S. 116f. Ebenso führt er Spuk- und Schauergeschichten an. »Auf den Treppen spukt noch heut der Geist des alten Voigt Bernd Besecke, der, falls er jemand auf seinem Spaziergang begegnet, nicht nur den Hut, sondern gleich den ganzen Kopf abnimmt.« Ebd., S. 117. 132 Abb. vgl. ebd., S. 115.
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Abb. A1.30: Hans Bohrdt, Leuchtturm Neuwerk, Illustration, in: Bohrdt 1895, S. 115
Aufgrund der Gastfreundschaft der Inselbewohner beschloss Bohrdt, einige Tage auf Neuwerk zu bleiben. In dieser Zeit unternahm er u. a. eine Wattwanderung zur Schaarhörnbaake. Erneut beschreibt er das faszinierende Erlebnis der Weite sowie die eindrucksvollen Lichtspiegelungen in dieser amphibischen Landschaft.133 Er setzte die erlebte Stimmung im Scharhörnwatt auch bildlich um (Abb. A1.31, 32).134
Abb. A1.31: Hans Bohrdt, Leuchtturm Neuwerk, Illustration, in: Bohrdt 1895, S. 115
133 »Bei eintretender Ebbe beginnen wir wiederum die Wanderung auf dem trocken gelegten Meeresboden. Da die tiefen Priele auf dieser Strecke fehlen, so gelangen wir in etwa zwei Stunden in die Nähe der Bake. Hier bleibt auch zur Ebbezeit noch etwa ein bis drei Zentimeter Wasser stehen, so daß wir thatsächlich wie auf einem großen See dahinwandeln. Luft und Wasser verschwimmen in eins. Der Horizont ist kaum zu erkennen. Die Wolken spiegeln sich getreu wieder. Dazwischen steht die große schwarze Bake, als ob sie im Äther schwebte.« Bohrdt 1895, S. 117. 134 Abb. vgl. ebd., S. 116.
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Abb. A1.32: Hans Bohrdt, Die Scharhörnbake, Bildarchiv Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven
Dunkel hebt sich die Bake vom Himmel ab und spiegelt sich in den feuchten Wattbereichen. Diese Werke vermitteln friedliche Stimmungen. Bohrdt und sein Begleiter machten die nicht alltägliche Erfahrung, die kommende Flut in einem sicheren Raum in der Bake, in die sich Wattwanderer oder Schiffbrüchige bei herannahender Flut flüchten konnten, zu erleben.135 Der Künstler berichtet, dass sich in diesem Gebiet des Wattenmeeres zahlreiche Schiffsunglücke mit vielen Toten ereignet haben.136 Ein versandetes Wrack, das auf solch ein tragisches Schicksal hinweist, hat Bohrdt illustriert (Abb. A1.33).137 135 »Am Bauwerk angekommen, haben wir Zeit und Muße, dasselbe genau zu studieren, da wir erst die Flut abwarten müssen, um wiederum bei Eintritt der Ebbe den Rückweg anzutreten. Acht geteerte Balken streben als Pfeiler empor, welche an ihrer Spitze ein großes und kleines Viereck aus Lattenwerk tragen. Dazwischen sind Horizontal- und Diagonalstützen angebracht, welche dem Ganzen die innere Festigkeit geben. In einiger Höhe über dem Boden befindet sich ein Raum, welcher Schiffbrüchigen so lange zum Aufenthalt dienen kann, bis Hilfe von Neuwerk kommt. Wir betreten das kleine Zimmer und müssen erst einen großen Reiher verscheuchen, der es sich augenscheinlich dort recht bequem gemacht hat. Am Boden liegt Stroh zum Lager, in der Ecke steht ein Gefäß mit Trinkwasser, welches zur besseren Erhaltung mit einer Ölschicht versehen ist, daneben befindet sich eine Kiste mit Schiffszwieback. Auf einem kleinen Borde prangen zwei Flaschen Portwein, welche häufig das Schicksal hatten, von vorbeifahrenden Fischern, denen noch die schwarze Seele eines Störtebeckers im Leibe wohnt, ausgetrunken zu werden. Jetzt werden aber diese Räuber durch folgende Inschrift, welche der Voigt von Neuwerk verfasst hat, zurückgeschreckt: ›Dieser Wein ist nicht etwa dazu da, um mit Vergnügen getrunken zu werden, sondern er ist für die Schiffbrüchigen.‹ Wir rühren als edle Menschen dies Getränk nicht an, zumal uns auch die Versicherung, daß es kein Vergnügen sei, diesen Portwein zu trinken, sehr glaubhaft erscheint. Immerhin gewährte uns das Zimmer gastlichen Aufenthalt und so glaubten wir, uns revanchieren zu müssen. Eiligst malten wir ein sehr schönes Ölgemälde an die Wand, zeichneten eine Umrahmung und hefteten dann im Sinne des Voigts von Neuwerk folgende Inschrift daran. ›Dieses Bild ist nicht dazu da, um mit Vergnügen angesehen zu werden, sondern es ist für die Schiffbrüchigen.‹ Hätten wir mehr Farbe zur Hand gehabt, so wäre es uns nicht darauf angekommen, das Zimmer malerisch zu möblieren und mit einem Ofen zu versehen.« Bohrdt 1895, S. 117f. 136 »Die Bake steht ziemlich am Rande des Watts. In etwa einem Kilometer Entfernung ziehen die Schiffe ihre Straße. Der Seefahrer blickt trübe nach dem schwarzen Bauwerk hinüber,
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Abb. A1.33: Hans Bohrdt, Versandetes Wrack, Illustration, in: Bohrdt 1895, S. 117
Bizarr ragen die Überreste des Holzgerüsts aus dem Watt und spiegeln sich im Wasser. Hier greift er einen Aspekt auf, der selten in der maritimen Kunst thematisiert wird: der Tod im Watt. So wurden immer wieder angeschwemmte Leichen von Schiffbrüchigen oder Wattwanderern gefunden, die oft nicht identifiziert werden konnten.138 Bohrdt hat eine solche Szene in der Illustration »Auffindung eines Schiffbrüchigen«139 (Abb. A1.34) visualisiert.
dessen Umgebung zu einem wahren Friedhof für Menschen und Schiffe geworden ist. Der Sturm treibt das hilflose Fahrzeug gegen den eisenfesten Grund, die zurücktretende Ebbe legt das Wrack trocken. Durch die eigene Schwere gräbt es sich tief in den Boden ein. Die Gezeiten schwemmen mehr und mehr Sand heran, bis nur noch Steven und Rippen hervorragen. Bald sind auch diese Reste verschwunden, das Grab ist zugeschaufelt, und das Wasser flutet frei über die Unglücksstätte dahin.« Bohrdt 1895, S. 118. 137 Abb. vgl. ebd., S. 117. 138 »Ein noch traurigeres Bild bietet die angeschwemmte Leiche eines Schiffbrüchigen. Der Voigt von Neuwerk hat die Pflicht das Watt daraufhin abzusuchen und gefundene Leichen, falls sie sich in einem nicht mehr transportfähigen Zustande befinden, an der Fundstelle zu beerdigen. Da liegt das Gesicht fast unkenntlich, die Hände im Krampfe zusammengeballt, der tote Körper eines Seemannes. Der Voigt hat ihn entdeckt und schreitet mit seinem Gehilfen zur Recognoscierung der Leiche. Wer ist der Mann, der hier liegt – woher kommt er? Vergebliche Fragen. Einige Briefe mit durch das Wasser unleserlich gemachter Schrift verraten nichts. Der Ehering an der rechten Hand trägt keinen Namenszug und zeigt nur, daß der Unglückliche Weib und wahrscheinlich Kinder daheim zurückgelassen hat, die vergebens auf seine Heimkehr warten. Die wenigen Belege werden vom Voigt in Verwahrung genommen und später zu Protokoll gegeben, dann ein paar Spatenstiche und das Grab des Unbekannten schließt sich für immer. Viele, viele ruhen dort im Watt, denen ein widriges Schicksal die Ruhe in der heimatlichen Erde verwehrte.« Bohrdt 1895, S. 118. 139 Abb. vgl. ebd., S. 118.
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Hans Bohrdt
Abb. A1.34: Hans Bohrdt, Auffindung eines Schiffbrüchigen, Illustration, in: Bohrdt 1895, S. 118
Dargestellt ist die im Watt liegende Leiche eines Mannes, eine andere Person – wahrscheinlich der Vogt – beugt sich über sie und liest einige Papiere, die er bei der Leiche gefunden hat. In Rückenansicht ist ein dritter Mann mit leicht gebeugtem Kopf in andächtiger Haltung dargestellt, um anschließend den Toten im Watt zu beerdigen.140 Vögel umkreisen das traurige Geschehen. Es ist ersichtlich, dass Bohrdt nicht nur die Schönheit des Wattenmeers, sondern ebenfalls die Bedrohungen wahrnahm, die von diesem ausgehen kann. In Bezug auf Letzteres sei auf eine überlieferte Geschichte verwiesen, in der sich ein Bauer mit seinem Pferd bei Nebel im Watt verirrte.141 140 Vgl. ebd., S. 118. 141 »So gefahrlos die Wanderung durch das Wattenmeer bei schönem, klarem Wetter ist, umso schwieriger ist sie, selbst für den Kundigsten, wenn schwere Stürme wehen, oder, was noch schlimmer ist, wenn dichter Nebel den Weg verschleiert. Nachfolgende Episode ist mir von dem Beteiligten selbst erzählt worden: An einem schönen, klaren Septemberabend ist der Bauer mit seinem Einspänner von Duhnen abgefahren. Plötzlich entsteigt erst zart, dann dichter und dichter werdend, der feine blauweiße Dunst dem Boden. Noch kann der Mann von einer Pricke zur anderen sehen und fährt ruhig weiter. Da stutzt er – ein Stück Wrackholz hat er für ein Wegezeichen gehalten. Er wendet sich also zurück um die Reihe der abgesteckten Pricken wieder zu erreichen. Ein Haufen Tang und Seegras nasführt ihn zum zweitenmale. Er hält nun, seiner Meinung nach, ganz weit ab zur Linken, da dort der Weg sein müsse. Vergeblich späht sein Auge nach den Zeichen. Seine Wendung war falsch, jetzt trabt er mit seinem Gefährt in die entgegengesetzte Richtung fort, glaubend, daß er die Pricken vielleicht schon durchquert habe. Umsonst, nichts ist zu erblicken. Er verläßt den Wagen, um zu Fuß die Umgegend zu erforschen. Dichter und dichter wird der Nebel. Jetzt kann der Mann kaum sein Gefährt wiederfinden. Noch einmal treibt er das Pferd, im Glauben, nach einer Richtung zu fahren, an. Da bemerkt er nach einer halben Stunde seine eigenen Wagenspuren, die er soeben gekreuzt hat. Er hat also einen Kreis beschrieben. Jetzt packt ihn die Angst. Stunden sind bei dem Umherirren vergangen. Bald muß die Flut eintreten. Das Wasser wird steigen und steigen. Zollweise füllt sich das nasse Grab, dem er verfallen. Er spannt das Pferd vom Wagen ab und jagt auf dem Rücken des Tieres dahin in den Nebel – irgendwohin, nur nicht ruhen, nicht an einer Stelle bleiben. Er prüft nicht mehr, er sieht nicht vor und hinter sich, immer in Gedanken, durch Zufall dem Tode zu entrinnen. Da scheut das Pferd, das Geräusch brechender Wellen dringt entgegen. Der Reiter befindet sich an der Elbe, am Rande des Watts. Hätte er nur einen Kompaß zur Hand. Jetzt aber den Weg zu finden ist unmöglich, die Flut steigt und steigt. Zitternd vor Todesangst klammert sich der Mensch an das Tier. Da schimmert über ihm durch den feinen Dunst das Sternbild
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Der Künstler hat den einsamen Reiter im nebligen Watt als Illustration festgehalten (Abb. A1.35).142
Abb. A1.35: Hans Bohrdt, Verirrt, Illustration, in: Bohrdt 1895, S. 119
Der Untertitel »Verirrt« betont die Dramatik des Bildes. Glücklicherweise endete das Ereignis glimpflich. Bohrdt war sich allerdings durchaus bewusst, dass sich immer wieder dramatische Unglücke ereignen: »Nicht jede dieser Verirrungen ist so gut abgelaufen, manchen begrub die Flut. Den entsetzlichen Todeskampf hat niemand gesehen, und häufig sind nicht einmal die Leichen der Verunglückten wieder zum Vorschein gekommen.«143
Der Künstler berichtet von einem weiteren Vorfall. Ein Touristenpaar, das sich der Gefahr steigender Flut nicht bewusst war, geriet in eine bedrohliche Situation.144 Es rettete sich auf eine Anhöhe am Ufer eines Priels. Hätte das Rettungsboot sie nicht geborgen, wären sie dort ertrunken. des großen Bären. Ein Freudenschrei dringt aus des Reiters Brust. Nun kennt er die Richtung. Dahin läßt er das Pferd rasen, es braucht weder Sporen noch Peitsche, als ob es sich der Gefahr bewußt wäre. Über Schlick und Tang, durch die schon halb gefüllten Priele geht der wilde Ritt. Gurgelnd folgt das gierige Wasser den Spuren der Flüchtlinge, die es doch noch zu erreichen wähnt. Gottlob, die Sterne bleiben unverschleiert. Jeder nochmalige Aufenthalt wäre verderblich. Schon reicht das Wasser dem Pferde bis über die Hufe, da blickt ein zartes, ruhiges weißes Licht durch die Nebelwand. Es ist das Feuer des Neuwerker Leuchtturms – gerettet sind Mann und Roß.« Bohrdt 1895, S. 119f. 142 Abb. vgl. ebd., S. 119. 143 Ebd., S. 120. 144 »Betritt da ein ahnungsloser Sachse mit seiner Frau von Duhnen aus das Watt. Der Weg scheint den Leuten ausgezeichnet und, da sie vom Eintritt der Flut wenig oder gar nichts wissen, so wandern sie lustig vorwärts. Es war gerade zur Zeit der Nippfluten, und der große Priel hatte kaum fußhohes Wasser. Lachend entledigten die guten Sachsen sich ihrer Stiefel und wateten hindurch. Es war sähre scheene und dann suchten se ooch nach Muscheln, um se
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Ebenso schildert Bohrdt die Probleme der Inselbewohner sowie des Postwesens während der Winterzeit, in der es im Wattenmeer zu gefährlichen Eisschichtungen kommen kann.145 Diese Probleme hat Bohrdt zudem in einer Abbildung festgehalten (Abb. A1.36).146
Abb. A1.36: Hans Bohrdt, ohne Titel, Illustration, in: Bohrdt 1895, S. 120
Männer schieben in einer unwirtlichen Schnee- und Eislandschaft ein Boot in eisfreien Bereich, um es wieder ins Wasser zu lassen. Bohrdt zeigt die Gefahren des Eisgangs für die Seefahrt auf: Schiffe können zerdrückt werden, wenn sie mit nach Dräsen zu bringen, weil mer sowas daheeme nich haben thut. So amüsierte sich das Paar mitten im Watt ein paar Stunden, bis sie plötzlich um sich herum nichts als Wasser erblickten, welches baldigst ihre Füße umplätscherte. Herrjemensch nee, so was war ihnen noch nicht vorgekommen. Zuerst machte ihnen vielleicht die Sache noch Spaß, als sie aber schon knietief im Wasser wateten, ging die Angst los. Glücklicherweise war am Ufer des großen Priels eine Erhöhung, wohin sie sich flüchteten. Lange hätten sie sich hier jedoch nicht halten können, und so schrien und lamentierten sie denn, da es ihnen immer klarer wurde, daß das Wasser mehr und mehr stieg. Zufällig wurden sie von Duhnen aus noch rechtzeitig bemerkt, und das Rettungsboot holte die seltsamen Wanderer. Sie sollen späterhin nicht zu bewegen gewesen sein, auch nur einen Schritt auf das Watt hinaus zu wagen.« Bohrdt 1895, S. 120f. 145 »Der Winter zeitigt große Anstrengungen, verbunden mit Gefahr für die Bewohner jener Inseln. Namentlich haben die Sylter und Amrumer, deren Wattenmeere von besonders tiefen Prielen durchzogen sind, mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Im Neuwerker Watt lagert zur Ebbezeit das Eis sich auf den festen Boden und gestattet noch so viel Raum, daß der Postbote zu Fuß oder zu Pferd die Insel erreichen kann. In den oben erwähnten Gegenden reißen die Ströme das Eis fort und packen es an vielen Stellen hoch auf, während große Strecken Wassers frei bleiben. Die Postverbindung muß durch leichte Boote mit Schlittenkufen hergestellt werden. Die Menschen wagen hier eine tolle Fahrt, die in vielem an Polarexpeditionen erinnert. Da jagt der Bootsschlitten mit gehißtem Segel über die spiegelglatten Eisflächen dahin. Dann müssen die Insassen ihn wieder über gewaltige Eisklumpen schleppen, um eine Zeitlang im offenen Wasser die Ruder zu gebrauchen. Diese verschiedenen Arten der Fortbewegung wiederholen sich auf jeder Postreise einige Dutzend Male, und der Leser kann sich einen ungefähren Begriff von den Annehmlichkeiten solcher Fahrten bei Regen, Schnee oder Sturm machen.« Bohrdt 1895, S. 121. 146 Abb. vgl. ebd., S. 120.
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eingekeilt in die Eisschollen auf Sandbänke geschoben werden.147 Der Künstler beschreibt allerdings auch die Schönheit und Faszination der Eisgebilde, die durch die Gezeiten im Wattenmeer geschaffen werden.148 Des Weiteren griff Bohrdt einen Aspekt auf, der ebenfalls nur selten verbildlicht ist: Die heute verbotene Seehundsjagd. Es ist ersichtlich, dass Bohrdt kein kritisches Bewusstsein diesbezüglich besaß: »Viel jagdbares Getier bietet das Watt nicht. Die dort hausenden Vögel sind meist ungenießbar, und die Fische meiden das flachere Wasser. Dagegen sucht der Seehund gern die trockenen Sände auf, um dort zu ruhen und sich den schönen Pelz von der Sonne wärmen zu lassen. Der Jäger hat diesen Tieren gegenüber einen schweren Stand, da letztere sehr scheu sind und gute Wacht halten, was ihnen durch die weite Fläche ja auch erleichtert wird. Doch der Mensch kennt auch hier Mittel und Wege, um die klugen Tiere zu meistern. In Seehundsfell gehüllt, ahmt er die schwerfälligen Bewegungen jener nach und schleicht sich so gegen den Wind bis auf Schußweite an die ruhende Gruppe heran. Freilich sichern nur Besonnenheit, Geschicklichkeit und gutes Schießen den Erfolg, Dinge, die den Berliner Badegästen meist nicht eigen sind, welche auch nur zur Erheiterung und Anregung der plumpen Tiere auf die Seehundsjagd gehen.«149
Der Künstler hat hierzu eine Abbildung einer Jagdszene geschaffen: An eine Gruppe Seehunde robben sich die Jäger mit angelegten Gewehren heran (Abb. A1.37).150
Abb. A1.37: Hans Bohrdt, Seehundjäger, Illustration, in: Bohrdt 1895, S. 120
Heutzutage ist solch eine Situation unvorstellbar.
147 »Die Schiffahrt ist aufs äußerste gefährdet. Das Eis scheint einen Pakt mit dem Watt zur Vernichtung menschlichen Werkes geschlossen zu haben. Wehe dem Fahrzeug, das gekeilt in die Massen den Sänden zutreibt. Von dem Augenblick an, wo der Kiel den Grund berührt, drängen die Schollen nach und die stärksten Schiffswände werden wie loses Papier zerdrückt.« Bohrdt 1895, S. 121. 148 »Wo große Bewegung in die Eismassen kommt, wie etwa an der Elbmündung, wenn die Ebbe das Eis des Stromes in See hinausführt und die Flut nun die gewaltigen Schollen wieder zurückdrängt, finden sich oft geradezu großartige, an die polare Natur erinnernde Formationen. Am Rande des Watts, sowie an den Deichen, staut sich das Eis zu bedeutender Höhe auf und gewährt einen wunderbaren Anblick. Dazu stimmen die durch die Gezeiten vor oder rückwärts geschobenen Schollen ein schauriges Konzert an.« Bohrdt 1895, S. 121. 149 Bohrdt 1895, S. 121. 150 Abb. vgl. Ebd., S. 120.
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Sturmfluten und Landgewinnung
Einen wesentlichen Faktor, der das Leben an der Nordseeküste entscheidend geprägt hat, stellt die potentielle Gefahr von Sturmflutkatastrophen dar. So schrieb Bohrdt einen Artikel über eine auf Neuwerk erlebte Sturmflut in der Familienillustrierten »Über Land und Meer«.151 Eingangs schildert er die Gelassenheit der Binnenländer angesichts stürmischen Wetters und leitet dann zu den Seefahrern und Bewohnern der Nordseeküste und der Halligen über.152 Er vergleicht das sichere Leben im Binnenland mit dem der Seefahrer, die auf dem Meer bei Sturm in Gefahr geraten können.153 Weiterhin verweist er auf die Bedrohungen von Sturmfluten für die Hallig-, Insel- und Küstenbewohner.154 Bohrdt hat eine solche Sturmflut auf der Insel Neuwerk erlebt:
151 Vgl. Bohrdt 1901. 152 »Die Bewohner des Binnenlandes, zumal der Großstädte sehen im allgemeinen den Aufwallungen der Natur mit Seelenruhe entgegen. Wenn grauschwarze Wolken dahinjagen, der Sturm über die Dächer heult und, die Straßen überflutend, eine Regen- oder Hagelbö der andern folgt, dann schimpft wohl der biedere Stadtbewohner über das scheußliche Wetter, geht aber ruhig seiner gewohnten Beschäftigung nach, ja freut sich sogar, falls er ein pfiffiger Geschäftsmann ist, daß das Unwetter viel Ersatz für ruinierte Schuhe und Kleider, umgeknickte Regenschirme, zerdrückte Zylinderhüte und Fensterscheiben zur Förderung der Industrie nötig macht. Wenn dann des Nachts der Sturm lauter brüllt, dann denkt wohl mancher, wie es draußen auf dem Meere zurzeit aussehen mag, er zieht die Decke dichter über die Ohren, schaudert ein wenig und schnarcht dann bald im wohligen Gefühl der Sicherheit und schuldigen Dankes gegen die obrigkeitliche Bauordnung, die ihm ein sturmsicheres Haus beschert hat.« Bohrdt 1901, S. 207. 153 »Ja die da draußen auf dem Meere! Nun, der Seemann, der ein gutes braves Schiff unter seinen Füßen und reichlich Seeraum hat, um unter kleinen Segeln oder mit mächtigem Dampf dem Wetter zu trotzen. Faßt einen schweren Nord- oder Südwester nicht besonders tragisch auf. Er kostet ihn Arbeit und Mühe, durchnäßt ihn bis auf die Haut, aber ein guter Kautabak und kalter Grog ohne Wasser helfen über alle Mühseligkeiten hinweg. Ein gutes Seeschiff wird wohl tüchtig durchgeschüttelt, es stampft und schlingert vielleicht schwer, setzt aber den heranrollenden Seen entweder die starke Brust entgegen oder läßt sich, beiliegend, von den Wellen heben und senken, ohne Schaden zu nehmen. Ernst wird die Sache für den Seemann erst, wenn er im Lee eine Küste mit schweren Brechen hat und die Manövrierfähigkeit seines Schiffes zu wünschen übrig läßt.« Bohrdt 1901, S. 207. 154 »Draußen aber auf den Halligen und niedrigen Marschen sieht man jedem Sturm mit Zagen entgegen. Die Warft auf der Hallig und der Deich am Rande der Marsch sind die einzigen Schutzwehren gegen das Element, das fast instinktartig die schwachen Stellen findet, um zerstörend herauszubrechen und Land und Leute zu verschlingen. Während der Seemann seiner geistigen und körperlichen Kräfte vertrauend, auf seinem Schiffe Gefahr trotzen kann, ist der Hallig- und Marschbewohner der andringenden See gegenüber machtlos, Ein eigenartiges Geschlecht, diese Leute. Jedes Jahrhundert hat mehrere vernichtende Sturmfluten zu verzeichnen. Wie viele in der Ahnenreihe dieser Menschen haben ihr Leben dabei eingebüßt, wie viele Verluste hat das Meer den Familien an Hab und Gut zugefügt! Und dennoch kleben sie an der kleinen Scholle Land, die ständig von dem Wasser bedroht ist.« Bohrdt 1901, S. 207.
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»Auf der eingedeichten Hallig der Insel Neuwerk hatte ich vom 24. bis 26. September Gelegenheit, eine Sturmflut, die glücklicherweise kein Menschenleben forderte, sondern nur Vieh- und Flurschaden anrichtete, zu beobachten. Gegen Nachmittag bedeckte sich der Himmel mit feinem Dunst. Der Wind wehte dabei leicht östlich, eine schwüle Gewitterstimmung lagerte über der Nordsee. Trotz der längst eingetretenen Ebbe wollte das Wasser nicht ablaufen, ein Vorzeichen dafür, daß weit draußen schon andres Wetter herrschte. Plötzlich ging der Wind nach Süden herum und bald darauf nach Südwesten. Ueber das das warme Himmelsgrau huschten kaltbläuliche Wolkenfetzen, die sich von einer im Südwesten aufkommenden Bank lösten. Bald kam es auch herangebraust, das schlimme Wetter, freilich eher als die Sturmwarnung, deren sichtbares Zeichen wie eine große schwarze Backpflaume am Signalmast emporstieg.«155
Eine Illustration (Abb. A1.38) zeigt das weit sichtbare schwarze Zeichen am Signalmast, das einen drohenden Sturm ankündigt.156
Abb. A1.38: Hans Bohrdt, Signalmast, Illustration, in: Bohrdt 1901, S. 207
Bohrdt schildert wie die Inselbewohner versuchen, Mensch und Tier zu retten: »Die Neuwerker waren unterdes thätig, ihr Vieh und Geflügel von der uneingedeichten Marsch zu retten. Für manches Tier jedoch zu spät. Schon vor Eintritt der Flut stieg das Wasser fort und fort, so daß an Rettung nicht mehr gedacht werden konnte. Dabei gehört Neuwerk noch zu den glücklichen Inseln, die durch einen Außen- und Innendeich geschützt sind, und deren Bewohner sich im Falle der Not, wenn beide Deiche gebrochen sind, noch in den 600 Jahre alten Leuchtturm retten können. Mancher besorgte Hausvater brachte denn auch die Frau und Kinder und seine Wertsachen zum Turme. Mit der 155 Bohrdt 1901, S. 207. 156 Abb. vgl. ebd., S. 207.
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einsetzenden Flut wuchs der Sturm bis zur Windstärke 10 der zwölfteiligen Beaufortschen Skala. Das bedeutet für die Nordsee schon recht böses Wetter. Nun stieg das Wasser schneller, und bald war der vorgelagerte Stein- und Bohlenwall überschwemmt. Fliegende Böen von Windstärke 11 trieben die wilden, weißschäumenden, graugelben Massen vor sich her. Höher und höher leckten die Wellen am Außendeich empor, schwere Brecher kämmten über ihnen.«157
Diesen Anblick hat er ebenfalls in einer Illustration visualisiert (Abb. A1.39).158
Abb. A1.39: Hans Bohrdt, Auflaufende Seen kämmen über den Deich, Illustration, in: Bohrdt 1901, S. 210
Es ist dargestellt, wie das auflaufende Wasser über den Deich tritt. In einer weiteren Abbildung (Abb. A1.40) beobachtet ein Bewohner Neuwerks besorgt mit einem Fernglas die ansteigende Flut.159
Abb. A1.40: Hans Bohrdt, Ausschau, Illustration, in: Bohrdt 1901, S. 210 157 Ebd., S. 210. 158 Abb. vgl. ebd., S. 210. 159 Abb. vgl. ebd., S. 210.
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»Draußen auf den Vogelsänden tobten die Seen wild durcheinander. Wehe dem Schiffe, das jetzt dieser Brandung zu nahe käme! Das Feuerschiff ›Kaspar‹ machte die tiefsten Verbeugungen, weit am Horizont tauchte nur hin und wieder die Scharhörnbake aus dem fliegenden Dunst hervor. Ängstlich erwartete man die Nacht, welche die Hochflut bringen mußte. Und sie kam.«160
Glücklicherweise hielt der Deich stand. Der Künstler vergleicht die vom Sturm verwüstete Landschaft mit einem Schlachtfeld.161 Diesen Anblick hat er verbildlicht (Abb. A1.41).
Abb. A1.41: Hans Bohrdt, Nach der Sturmflut, Illustration, in: Bohrdt 1901, S. 207
Weiß heben sich die unzähligen Schutz und Nahrung suchenden Vögel vom schwarzen Acker ab. In der Ferne ist eine Bake zu sehen. Jedoch brachte die Sturmflut nicht nur Unheil für die Insulaner. So beschreibt Bohrdt, wie diese das Gut eines im Sturm gestrandetes Schiff an sich nehmen.162 Er verwendet sogar den Begriff »Beute« für das geborgene Schiff und dessen Ladung.163 Abschlie160 Ebd., S. 210. 161 Durch die kriegerisch konnotierte Wortwahl erweckt er Assoziationen an einen Kampf, der getobt hat: »Jetzt konnte man das Schlachtfeld des Unwetters überschauen. Wiesen und Äcker standen zum Teil unter Wasser, Tausende und Abertausende Möwen und Sturmschwalben hockten ängstlich in den Furchen. Es sah aus, als ob man Papierschnitzel über die Insel ausgestreut hätte.« Bohrdt 1901, S. 210. 162 Bildarchiv Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven II 1 V 031. 163 »Drüben aber, auf Vogelsand, lag eine große gestrandete Bark, deren Mannschaft, wie uns gemeldet wurde glücklicherweise geborgen war. Die nächtliche Flut brachte wiederum hohes Wasser, so daß die Befürchtungen von neuem erwachten. Indes lugten schon kleine blaue Fleckchen hin und wieder aus dem grauen Dunst hervor, anzeigend, daß die Natur ver-
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ßend zieht er aber das Fazit, dass es sich nicht um eine der besonders verheerenden Sturmfluten handelte.164 Exemplarisch sei noch auf drei Illustrationen verwiesen, die Bohrdt für den in der Zeitschrift »Gartenlaube« erschienen Artikel »Deutsche und holländische Landeroberungen an der Nordsee« schuf:165 »Hallig bei geringer Überschwemmung«166 (Abb. A1.42), »Hallig bei Sturmflut«167 (Abb. A1.43) und »Werft [Warft] Oland mit Südkante«168 (Abb. A1.44). Eine Intention des Autors, namens Träger, lag darin, mit dem Artikel einer breiteren Bevölkerungsschicht die Bedeutung der Landgewinnung an der Nordsee zu vermitteln. Eingangs werden die Besonderheiten des Wattenmeers und die im Laufe der Zeit sich verändernden Sehweisen auf diese Region benannt.169 Weiter bezieht er sich auf die Gefahren, die von Sturmfluten für die Küstenbewohner ausgehen. Metaphorisch verweist er auf das »wilde Wasser«, dem die Menschen durch den Deichbau »entgegentraten«.170 Er führt Beispiele großer Sturmflutkatastrophen an.171 In diesem Zusammenhang benennt er die Entstehung der Halligen.172 Träger weist hierzu auf die von Bohrdt geschaffenen Illustrationen hin.
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söhnlicher gestimmt sei. Zur Ebbezeit lief das Wasser dann besser ab, und der Wind begann für Schiffahrtsverhältnisse normaler zu wehen. Die Bark galt als verloren. Der Vogelsand giebt so leicht nichts wieder her. Pfiffige Finkenwärder und Blankeneser Fischer hatten indes bald heraus, daß das Schiff Faßdauben geladen habe und wohl auf seiner Ladung schwimmen könne. Flugs waren zwei Dampfer gechartert, und ehe das Wrack sich im Sande verwühlen konnte, war es abgeschleppt und trotz der hochgehenden Brandung ins tiefe Fahrwasser gebracht. Triumphatoren gleich liefen die Schlepper mit ihrer Beute in Cuxhaven ein. In Finkenwärder und Blankenese soll an dem Tage Festtag gewesen sein, denn Faßdauben sind eine sehr wertvolle Ladung.« Bohrdt 1901, S. 210. In einer Doppelseite füllenden Abbildung wurde von Bohrdt das Abschleppmanöver verbildlicht. Abb. vgl. ebd., S. 209f. »Diese Sturmflut gehörte nicht zu den schlimmsten. Im September hat das erwärmte Wasser nicht die Gewalt wie das kalte von November bis April. Ein Wind gleicher Stärke würde in diesen Monaten ungleich schwereren Schaden anrichten.« Bohrdt 1901, S. 210. Vgl. Träger 1896. Abb. vgl. ebd., S. 697. Abb. vgl. ebd., S. 697. Abb. vgl. ebd., S. 698. »Die überaus merkwürdigen und geographisch so interessanten Küstenverhältnisse der Nordsee mit ihren Inseltrümmern und Watten haben nicht nachgelassen, die Aufmerksamkeit derer zu erregen, die sie aus eigener Anschauung kennenzulernen Gelegenheit hatten oder beim Eintritt von Katastrophen Kunde von ihnen erhielten. Den Römern waren sie nach den Aufzeichnungen des Plinius und Tacitus ein Ort des Schreckens, der in gleicher Weise ihr Grauen wie ihr Mitleid mit den armseligen Bewohnern erregte, den kirchlichen Schriftstellern des Mittelalters nach allem, was sie von Zeitgenossen gehört hatten, eine Gegend voller Naturwunder, den späteren friesischen Chronisten ein Schauplatz des Jammers und der strafenden Gerechtigkeit Gottes, der Gegenwart aber ein Feld wissenschaftlicher Forschung in historischer, geographischer und naturwissenschaftlicher Hinsicht.« Träger 1896, S. 697. Vgl. ebd., S. 696. Vgl. ebd., S. 696.
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Die Abbildung »Hallig bei geringer Überschwemmung« (Abb. A1.42) zeigt im Vordergrund eine Frau in Rückenansicht, die auf drei Männer in einem anlandenden Ruderboot zu warten scheint.
Abb. A1.42: Hans Bohrdt, Hallig bei geringer Überschwemmung, Illustration, in: Träger 1896, S. 697
Im Hintergrund sind Gebäude auf der überschwemmten Hallig zu erkennen, die auf ihren Warften aus dem ruhigen Wasser ragen. Im Gegensatz zu dieser friedlich wirkenden Überschwemmungsszene visualisiert die Abbildung »Hallig bei Sturmflut« (Abb. A1.43) eine dramatische Situation:
Abb. A1.43: Hans Bohrdt, Hallig bei Sturmflut, Illustration, in: Träger 1896, S. 697
Die Nordsee tost, die Gebäude auf der Warft ragen aus dem aufgewühlten Wasser und wirken angesichts der Gewalt des Meeres klein und verloren. Die bedroh172 Vgl. ebd., S. 696f. »Alle Halligen bestehen aus sehr fruchtbarem Marschboden und wurden zu der Zeit, als sie noch Bestandteile eingedeichter Marschlandschaften bildeten, mit Getreide bestellt […]. Seit dem Verlust ihres Zusammenhanges mit bedeichten Landschaften wird nur noch Viehzucht auf ihnen betrieben, weil sie bei ihrer sehr geringen Höhe über dem normalen Flutstande durch jeden heftigen Sturm überschwemmt werden. (Vergleiche die Abbildungen auf dieser Seite.) Infolge dieses Umstandes gehören sie zu den merkwürdigsten Inseln der Erde […].« Ebd., S. 697.
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lichen Wellen brechen sich an der Warft und hüllen die Gebäude in Gischtwolken. Die dritte Illustration verdeutlicht die Gefahr des Landabbruchs am Beispiel der Südkante der Hallig Oland (Abb. A1.44).173 Träger verweist in seinem Text hinsichtlich der Dynamik im Wattenmeer auf diese Abbildung.
Abb. A1.44: Hans Bohrdt, Warft Oland mit Südkante, Illustration, in: Träger 1896, S. 698
Er betont, dass durch die Sturmfluten Erosion die Folge ist und die Brandung die Uferkante »wegfrißt«.174 Das Watt wird bei ihm nicht als eigenständiges Motiv aufgegriffen, sondern als »übriggebliebenes Fundament« bezeichnet, »auf dem sich vor Jahrhunderten die viele Quadratmeilen umfassenden Marschflächen […] erhoben, deren Reste wir eben in den Halligen erblicken«.175 Träger führt nicht die Schönheit des Wattenmeeres und deren Tier- und Pflanzenwelt an, sondern betrachtet das Gebiet ausschließlich als vom Menschen zu nutzendes Kulturland.176 In diesem Zusammenhang verweist er auf niederländische und deutsche Pläne zur Entwässerung und Landgewinnung.177 Weiterhin beschreibt er seine eigenen Bemühungen und »Bitten um Wiederaufnahme der Arbeiten, mit welchen [er] im Hinblick auf die mitleiderregende Lage und die unbestreitbare Wichtigkeit der Halligen als Wellenbrecher für die in ihrem Schutze liegenden Seedeiche seit 1889 vorstellig wurde«.178 Im Gegensatz zur heutigen Wahrnehmung des Wat173 Vgl. ebd., S. 698. 174 »Die gesamte Lage der Bewohner wäre nun an sich keineswegs bedauerlich, wie jeder glauben könnte, der die Halligen nicht aus hinreichender Anschauung kennt, wenn nicht jeder Sturm an den etwas meterhohen senkrechten Uferkante eine Brandung erzeugte, die das Land sozusagen wegfrißt. Dadurch nehmen die Inseln von Jahr zu Jahr an Umfang ab […].« Träger 1896, S. 697. 175 Vgl. ebd., S. 698. 176 »Es kommt nur darauf an, das amphibische Wattengebiet der Kultur zurückzugewinnen, wofür allerdings bedeutende Mittel, Arbeit und Zeit erforderlich sind, so daß einzig und allein der Staat das großartige Werk in die Hand nehmen kann, und dazu scheinen nunmehr wirklich Aussichten vorhanden zu sein, In Preußen und in Holland rüstet man sich, das von der Nordsee verschlungene Land wieder zu erobern.« Vgl. Träger 1896, S. 698. 177 Vgl. ebd., S. 698f. 178 Vgl. ebd., S. 699. Er wertet es als Erfolg, dass »jetzt zunächst 1320000 Mark in den Etat eingestellt [sind], mit welchen in fünfjähriger Bauzeit ein Faschinendamm vom Festlande
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tenmeers als Welterbe, der Lebensraum für eine Vielfalt an Tieren und Pflanzen beherbergt, strebt Träger eine »Erschließung« dieser Wattgebiete an,179 indem durch Landgewinnung neuer Lebensraum für die Menschen geschaffen wird. Auch Träger nutzt kämpferisch belegte Metaphorik: Mit der »Eroberung« bestimmter Wattgebiete wird angestrebt, »ein großartiges Friedenswerk abzuschließen, welches der preußischen Verwaltung unvergänglichen Ruhm, eine kleine neue Provinz und einen nach Millionen zählenden Bargewinn eintragen würde.«180 Der Autor wertet die Pläne für Entwässerungsmaßnahmen als eine neue siegreiche Phase nach vergangenen Zerstörungen durch Sturmfluten.181 Jedoch ist es fraglich, ob Bohrdt diese Auffassung Trägers teilt. Er hat zwar Illustrationen für den vorab genannten Text geschaffen, doch in dem von ihm selbst verfassten Artikel stellt er die Besonderheiten des Wattenmeers und seine persönlichen ästhetischen Erfahrungen in dieser Landschaft heraus. In diesen zeichnet sich ein vielschichtiges Bild ab.
Abschließende Zusammenfassung Abschließend kann hinsichtlich der in der Einleitung dargelegten Untersuchungspunkte Folgendes festgestellt werden: Bohrdt visualisierte vielfältige Zugänge zur Nordsee und zum Wattenmeer. Allerdings nähert er sich primär aus der Perspektive des Seemanns dem Gebiet der Marinemalerei und stellt motivisch Schiffe in den Fokus. Er verdankte Kaiser Wilhelm II. seinen Ruhm als Marinemaler. Viele seiner Werke wurden im Kontext politischer und nationaler Intentionen geschaffen, in der breiten Bevölkerung das Interesse an maritimen Thematiken zu evozieren. In seinen Darstellungen der kaiserlichen Flotte und der Seeschlachten des Ersten Weltkriegs ist eine starke nationale Belegung ersichtlich. In einem von ihm verfassten Artikel sieht er sich selbst als Pionier der deutschen Marinemalerei, obwohl er doch in der Tradition einer europäischen Marinemalerei steht.182 Seine gegen-
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nach der Hallig Oland und von da nach Langeneß geführt werden« soll. Vgl. Träger 1896, S. 699. »Mögen sich diese Zahlen in der Praxis günstiger oder ungünstiger gestalten, unter allen Umständen wird sich ein ansehnlicher Gewinn dabei ergeben, der endlich dazu führen dürfte, die quadratmeilengroßen Wattenflächen um Hooge, Norderoog, Süderoog, Südfall, Pellworm und Nordstrand in gleicher Weise in Angriff zu nehmen und die oben genannten Halligen in ihrem Bestande zu sichern.« Träger 1896, S. 698. Vgl. ebd., S. 699. »Wir stehen nach der jahrtausendelangen Periode der Zerstörung an der Schwelle einer neuen Entwicklungsphase der Nordsee-Küstengebiete, denn ist erst einmal ein so bedeutender Anfang gemacht, so wird die Regierung gewiß nicht mitten auf ihrer Siegesbahn innehalten.« Träger 1896, S. 699. Bohrdt 1901a, S. 112.
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Hans Bohrdt
ständlichen, naturalistischen Bilder basieren häufig auf Malstudien, die er auf Schiffen sowie in Häfen und auf Werften anfertigte. Neben Motiven der Kriegsmarine verbildlichte Bohrdt Themen der zivilen Schifffahrt, so beispielsweise im Auftrag von Reedereien Darstellungen von großen Passagierdampfern. Darüber hinaus visualisierte er das Fischereiwesen, die Lotsentätigkeit und das Rettungswesen. Er bedauerte das zunehmende Verschwinden der traditionellen Segelschiffe und thematisierte den Wandel in der Seefahrt, bedingt durch technische und wissenschaftliche Neuerungen und Fortschritte. Jedoch diente dabei die Nordsee nicht ausschließlich als Schifffahrtsgebiet oder Schauplatz von Seeschlachten und zur Präsentation der kaiserlichen Marine, sondern auch die Schönheit der Nordsee und die Besonderheiten des Wattenmeers wurden dargestellt. Bohrdt bereiste die Wattenmeerregion und publizierte Artikel über seine ästhetischen und künstlerischen Annäherungen. Zum einen faszinierte ihn diese Landschaft, zum anderen müssen seine Schriften im Kontext seiner im Rahmen der wilhelminischen Flottenpolitik stehenden Bestrebungen, maritime Themen im Volk zu popularisieren, bewertet werden. Er unternahm Wattwanderungen, erlebte Sturmfluten und suchte den Kontakt mit der Bevölkerung. Er beschrieb die Schönheit des Wattenmeers und das Gefühl von Weite und Erhabenheit, das er in der Wattlandschaft empfand. Die heute von der UNESCO ausgezeichneten Besonderheiten nahm er nur zum Teil wahr : So machte er Ausführungen zum Tier- und Pflanzenleben und über die dynamischen Prozesse der amphibischen Landschaft. Der Naturschutzgedanke spielt in seinen Ausführungen noch keine Rolle. Vielmehr schildert er das gefahrvolle Leben der Menschen an der Nordseeküste im Kontext von Landgewinnung und Küstenschutz. Jedoch besitzt die Motivik des Wattenmeeres in seinem Gesamtwerk keine so große Bedeutung wie die der Schifffahrt. Letztgenannter galt sein Hauptaugenmerk. Im Jahre 1927, anlässlich seines siebzigsten Geburtstags, verfasste Bohrdt einen Artikel über sein Leben, der in der Familien-Illustrierte »Daheim« erschien.183 Im Rückblick auf den Ersten Weltkrieg wird keine kritische Einstellung deutlich.184 In Bohrdts Aufzeichnungen 183 Vgl. Bohrdt 1927. 184 »Ich habe später nur noch vollen künstlerischen Genuß beim Anblick des Meeres auf unseren Kriegsschiffen gehabt, von deren niedrigem Bord aus die heranrollenden Wogen in ihrer ganzen Schönheit und Gewalt zur Geltung kamen.« Bohrdt 1927, S. 10. Bohrdt bedauerte die nach dem Ersten Weltkrieg verstärkte Ablehnung von Marinemalereien: »In der Kunst spiegeln sich Charakter, Neigung, Beruf, Lebens- und Weltanschauung eines Volkes wider. Geht man in England durch die Galerien und öffentlichen Gebäude, so sieht man in den Kunstwerken, daß man bei einem seefahrenden Volke zu Hause ist. Ein unkundiger Fremder, der die deutschen Galerien durchwandert, bekommt nie den Eindruck, daß er sich bei einem Volke befindet, das in der Seefahrt nächst dem englischen die größte Rolle gespielt hat und noch spielt, daß es vor kurzer Zeit die zweitgrößte Kriegs- und Handelsmarine der Welt
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sind immer noch eine große Kaisertreue und Verpflichtung gegenüber dem »Vaterland« sowie ein Gefühl der Dankbarkeit gegenüber seinen kaiserlichen »Gönnern« ersichtlich. Bei der Machtergreifung Hitlers im Jahr 1933 war Bohrdt bereits ein alter Mann. In der Folgezeit wurden einige seiner Werke auf den Großen Deutschen Kunstausstellungen (1937–1944) präsentiert,185 so 1942 ein Bild mit Nordseemotivik, nämlich »Brandung bei Sylt«. Hitler wurde anlässlich des Stapellaufs des KdF-Schiffes Robert Ley ein Werk von Bohrdt überreicht.186 Anlässlich seines 85. Geburtstages widmete ihm eine Ausstellung des Vereins Berliner Künstler zwei Säle.187 Dort stellte Bohrdt ebenfalls Werke mit Nordseemotiven aus, wie »Brandung an der Mole von Helgoland«.188 Jedoch erlebte seine Malerei keinen erneuten Aufschwung. Bohrdt verstarb im Dezember 1945.
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besessen hat. Sollte die Wasserscheu beim Volke oder bei den Kunstgelehrten vorhanden sein? Letztere behaupten vielleicht, unsere Marinemaler schaffen keine Kunstwerke – wer weiß es?« Vgl. Bohrdt 1927, S. 13. Er nahm an den Ausstellungen in den Jahren 1938, 1939, 1941 und 1942 mit je einem Werk teil. Vgl. Scholl 1995, S. 56. Vgl. ebd., S. 26. Vgl. ebd., S. 57. Vgl. ebd., S. 57.
Willy Stöwer – ein wilhelminischer Marinemaler
Willy Stöwer (1864–1931) war wie Bohrdt ein kaisertreuer Marinemaler.1 Auch seine Kunstwerke sollten in der Bevölkerung Begeisterung für die wilhelminische Flotte vermitteln.2 Illustrationen von ihm in Zeitschriften und Bildbänden sowie eigene Herausgeberschaften trugen zur Popularisierung der kaiserlichen Marine bei,3 denn Stöwer stellte seine Kunst in den Dienst der wilhelminischen Flottenpolitik: »Hier war nun eine große nationale Aufgabe zu fördern, der ich mich mit ganzer Seele und allem Verständnis für die Notwendigkeit der Sache hingab und der ich mein ganzes Können widmete. Je gründlicher das deutsche Volk über den Einfluss der Seemacht auf sein Geschick belehrt wurde, umso schneller wurde das hohe Ziel, welches der weitschauende Kaiser im Auge hatte, erreicht. In dieser Ueberzeugung habe ich an der großen Aufgabe, für das Heranwachsen einer deutschen Seemacht zu wirken, mitgearbeitet, und ich glaube heute mit Bestimmtheit annehmen zu dürfen, daß auch meine Arbeit ihre Früchte getragen hat.«4
Stöwer, der wie Bohrdt zu den Begünstigten des Kaisers gehörte,5 betrachtete seine Kunst als nationale Aufgabe. Er war der Meinung, dass die Marinemalerei »im deutschen Vaterlande bisher recht stiefmütterlich behandelt« worden sei,6 jedoch durch das Interesse des Kaisers an maritimen Themen profitiert habe.7 1 Es ist nur spärliche Sekundärliteratur zu Willy Stöwer vorhanden. Vgl. u. a. Hormann 2001, vgl. Hormann, Scheele 2000, vgl. Loeck 1989. 2 Vgl. Loeck 1989, S. 6. 3 Vgl. ebd., S. 6f. 4 Stöwer 1929, S. 44f. 5 Im Jahr 1894 nahm er an der Großen Berliner Kunstausstellung teil. In dem Buch »Unsere Kriegsflotte« von Georg Wislicenus fertigte er verschiedene Illustrationen an und der Kaiser, der bereits zuvor ein Bild von ihm erstanden hatte, richtete seine Aufmerksamkeit auf ihn. Vgl. Stöwer 1929, S. 42f. 6 Vgl. Stöwer 1929, S. 31. 7 Stöwer zieht dem Begriff »Marinemaler« den Terminus »Seemaler« vor. Er erläutert, was er unter diesen Begrifflichkeiten versteht: »Die Bezeichung ›Marinemaler‹ klingt sehr hübsch, treffender wäre aber wohl Seemaler als Gegensatz zum Landschaftsmaler, denn unsere Do-
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Willy Stöwer
»Hier war ein großes ergiebiges Feld für künstlerische Tätigkeit vorhanden, und da das Seeinteresse im Volke seit dem Regierungsantritt des jungen Kaisers Wilhelm II. auch stetig wuchs, so begann für den Marinemaler eine aussichtsreiche Zukunft.«8
Bilder der Seefahrt Stöwer begleitete den Kaiser auf verschiedenen Seefahrten, die er in Bildern festhielt.9 Im Gegensatz zu Bohrdts Darstellungen weisen Stöwers Bilder und Schriften nicht so vielfältige Zugänge zu Wattenmeer und Nordsee auf. Die Motive der Schifffahrt dominieren in seinen Bildern gegenüber reinen Meeresdarstellungen. So schreibt Stöwer der Schifffahrt und deren Technik eine größere Rolle zu als der See und ihren Erscheinungsbildern.10 Obwohl der Künstler in dem zwei Jahre vor seinem Tode veröffentlichten Buch »Zur See mit Pinsel und Palette«11 ausführt, dass »die Kunst und der Gegenstand ihrer grenzenlosen Liebe, das Wasser« stets sein »Denken und Fühlen, […] Tun und Lassen« beherrscht habe, steht in seiner Kunst das Schiff im Mittelpunkt und nicht die See.12 Das Werk »In der Nordsee«13 (Abb. A1.45) verdeutlicht diesen Aspekt:
8 9 10
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mäne ist nun einmal die See mit ihrer Schiffahrt, und zum Wassermalen genügt nicht nur allein das Talent, sondern auch Seefahrt und umfangreiche Kenntnisse derselben gehören dazu. Wie viele nennen sich Marinemaler und haben keine Ahnung von See und Schifffahrt, und ihre sogenannten künstlerischen Erzeugnisse sind nur gut ›nachempfunden‹.« Vgl. Stöwer 1929, S. 82. Stöwer 1929, S. 31. Vgl. Loeck 1989, S. 7. Seine Ausführungen in Bezug auf Werbeplakate seiner Zeit verdeutlichen, dass er das Schiffsmotiv vor landschaftlichen Darstellungen setzte: »Das Schiff ist fast Karikatur geworden und nur Beiwerk im Bilde und sollte doch die Hauptsache sein. Wenn man bedenkt, dass solch ein hochmoderner Passagierdampfer ein Kunstwerk der Schiffbautechnik ist, so muß gerade diese Schöpfung als bildlicher Mittelpunkt zur Geltung kommen und nicht das Landschaftliche.« Stöwer 1929, S. 50. Vgl. Stöwer 1929. Vgl. ebd., Vorwort. Vgl. ebd., S. 202.
Bilder der Seefahrt
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Abb. A1.45: Willy Stöwer, In der Nordsee, Illustration nach einem Gemälde, in: Stöwer 1929, S. 202
Die aufgewühlte Nordsee, mit einigen heranrollenden Brechern fungiert lediglich als Bühne für zwei Segelschiffe und ein Dampfschiff.14 Die Beziehung zum Wasser und zur Seefahrt war bei Stöwer familiär bedingt. Er wuchs in Wolgast auf und verbrachte nach einem Umzug der Familie die Jugendjahre in Stettin.15 Somit war es allerdings die Ostsee und nicht die Nordsee, die ihn in seiner Kindheit prägte. In seinen Erinnerungen schreibt er : »Wir [Willy Stöwer und sein Bruder] hatten eben Seemannsblut in den Adern und wollten auch Seefahrer werden wie unsere ganze Verwandtschaft.«16 Sein Vater war Segelschiff-Kapitän und häufig fern von der Familie.17 Während der Herbst- und Winterstürme beherrschte die Sorge um den Vater, der sich mit dem Schiff auf dem Meer befand, das Familienleben.18 So berichtete Stöwer von der Sturmflut im Jahr 1872, die er als Achtjähriger miterlebte.19 Auch die Kindheitserlebnisse in der nahegelegenen Werft förderten seine Liebe zu Schiffen.20 Früh erlernte er das Segeln,21 erlebte dann aber auch den allmählichen Niedergang der Segelschifffahrt und den beginnenden Aufstieg der Dampfschifffahrt – gerade auch unter dem Eindruck der väterlichen Sorgen um die Zukunft.22 Rückblickend führt er an, dass er in seiner Jugend viel gemalt und gezeichnet und sich über technisch unkorrekte Illustrationen von Schiffen geärgert habe:23 »Es fehlte eben noch überall im Volk, besonders im Binnenlande, das Verständnis 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23
Vgl. ebd., S. 201f. Vgl. ebd., S. 7. Ebd., S. 7. Vgl. ebd., S. 7. Vgl. ebd., S. 7, 9. Vgl. ebd., S. 8. Vgl. ebd., S. 8f. Vgl. ebd., S. 12f. Vgl. ebd., S. 12. Vgl. ebd., S. 13f.
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Willy Stöwer
für Seewesen und Schifffahrt.«24 Zunächst wurde Stöwer Lehrling in der Kunstund Dekorationsmalerfirma der Gebrüder Dittmer in Stettin, gab diesen Beruf jedoch schnell wieder auf.25 Auf eigenen Wunsch wurde er Volontär auf einer Schiffswerft.26 Danach heuerte er als Maschinenassistent auf einem Auswanderer- und Frachtdampfer an, der nach Nordamerika fuhr.27 Die Reise führte nach New York und über England zurück nach Deutschland.28 Auf dieser Fahrt nahm Stöwer seine Zeichenstudien wieder auf.29 Nach seiner Rückkehr fand er eine Anstellung in einer Werft.30 Im Jahre 1886 wurde er in Tegel Konstrukteur der Schiffs- und Maschinenfabrik »Germania«.31 Sein Interesse galt weiterhin der Kriegsmarine und so nahm er an einer vierwöchigen militärischen Übung in Kiel teil.32 In Tegel beendete er seine Arbeit als Ingenieur, verschrieb sich der »Seemalerei« und arbeitete als Illustrator für verschiedene Zeitschriften.33 Es schlossen sich künstlerische Studienreisen in die norddeutschen Hafenstädte an der Ostsee an.34 Weiterhin frönte er seiner Segelleidenschaft auf dem Tegeler See und auf der Ostsee und nahm an Regatten teil.35 Er setzte seine Erlebnisse ebenfalls in »segelsportlichen Bildern« um.36 Die Nordsee mit ihren Gezeiten war nicht der ideale Austragungsort für kaiserliche Regatten und besaß somit in diesen Werken keine Bedeutung. Stöwer nahm 1887 an Regatten während der 24 25 26 27
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Ebd., S. 13. Vgl. ebd., S. 15f. Vgl. ebd., S. 16f. Vgl. ebd., S. 17. Während der Atlantiküberquerung genoss er die maritime Atmosphäre an Deck: »Hier ging einem das Herz auf beim Anblick dieser großartigen Meereseinsamkeit, und ich konnte mich in meiner Freizeit nicht satt sehen an dem Heranrauschen der langen mit weißen Brechern verschönten Wogen.« Ebd., S. 19. Vgl. ebd., S. 19–22. Vgl. ebd., S. 19. Vgl. ebd., S. 22. Vgl. ebd., S. 25. Vgl. ebd., S. 28. Vgl. ebd., S. 23f., 31ff. Vgl. ebd., S. 32. Vgl. ebd., S. 38. Vgl. ebd., S. 40. In Bezug zu dem von Stöwer herausgegebenen Buch über den elitären Segelsport führt er Folgendes an: »Zu dieser Herausgabe hatte ich mich entschlossen, weil der Segelsport damals noch Antrieb brauchte und in größeren Kreisen der Bevölkerung populär gemacht werden mußte.« Ebd., S. 135. Dieser kaiserliche Segelsport wurde allerdings verstärkt auf Binnengewässern und der Ostsee ausgetragen. Beliebter Austragungsort kaiserlicher Regatten war die Kieler Woche. Die Nordsee mit ihren Gezeiten eignete sich nicht so gut dazu. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde der Segelsport in breiten Kreisen populär und Stöwer, als kaisertreuer, konservativer Segler, drückt sein Bedauern darüber aus, dass somit etwas Elitäres am Segeln verloren gegangen sei. »Segel- und Motorboote wuchsen wie die Pilze empor; ein jeder mußte sein eigenes Fahrzeug haben. Natürlich hat dieser Massenbetrieb auf dem Wasser dem Segelsport das Vornehme und Exklusive genommen, das ist unstreitig.« Ebd., S. 283.
Bilder der Seefahrt
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Kieler Woche teil und erhielt aus der Hand des Kaisers die Medaille für einen dritten Platz.37 In den folgenden Jahren schlossen sich weitere Segelerfolge an, gekoppelt mit Aufträgen für Bilder.38 Im Jahre 1907 wurde ihm aufgrund seiner künstlerischen Verdienste der Titel »Professor« verliehen.39 Dabei profitierte er stark von der Gunst des Kaisers. 1904 brach er von Bremerhaven aus zu seiner ersten »Kaiserreise« auf.40 Auf dieser Fahrt waren »Farbenkasten und Skizzenbuch sowie der Photoapparat immer bei der Hand«.41 Jedoch schuf er kein Werk von der Nordsee als eigenständiges Motiv. Seine Arbeitsweise gestaltete sich in der Regel wie folgt: Auf den Reisen wurden Malstudien und Fotografien zur Vorlage für spätere im Atelier auszuführende Werke erstellt. Diese zum Teil sehr mühselige Arbeit an Bord eines Schiffes beschreibt er wie folgt: »Auf See an Bord eines sich bewegenden Schiffes gibt’s keine aufgebaute Staffelei, keinen Malschirm und all das Zubehör, womit der Landschafter, der Porträtist, Genremaler usw. sich gemütlich ausbreiten kann. Auf einem bequemen Passagierdampfer wie dem ›König Albert‹ wird allerdings dem Marinemaler die Tätigkeit nicht schwer und fast ein Vergnügen, aber an Bord von Kriegsschiffen und Torpedobooten, zumal bei schlechten Wetter, da muß man schon ein halber Jongleur sein, Seebeine besitzen und mit geringsten Mitteln das Gewollte schnell mit Pinsel oder Stift erfassen. Vielleicht haut auch eine plötzliche See über den Maler hinweg und verwischt die ganze mühsame Arbeit, und man kann von neuem beginnen. Auf einem kleinen Kreuzer unserer ruhmreichen alten Flotte hatte ich mich sogar einmal hinter dem Wellenbrecher auf der Back zur Arbeit festbinden lassen, und ich saß hier wie in einer Schaukel mit einem Skizzenblock auf den Knien, um eine Wasserstudie von der schweren heranrollenden See zu machen. Es ging eine Weile, aber dann kam ein Brecher über die Back und durchnäßte mich bis auf die Haut; Pinsel, Farbkasten und Skizze waren dahin, und bevor man mich aus dem Zurring befreien konnte, mußte ich noch vieler solcher Duschen erleiden.«42
Auf mehreren Reisen lernte er die Nordsee und deren Küste kennen und porträtierte sie.43 Stöwer betrachtete die Nordsee zunächst als Region für die zivile 37 38 39 40 41 42 43
Vgl. ebd., S. 52f. Vgl. ebd., S. 59. Vgl. ebd., S. 183. Vgl. ebd., S. 82. Vgl. ebd., S. 87. Ebd., S. 90. Exemplarisch sei auf ein Bild verwiesen, das eine kaiserliche Nordseefahrt mit dem Schnelldampfer Lahn zeigt. Vgl. Loeck 1989, S. 4f. In der linken Bildhälfte ist der Leuchtturm Roter Sand verbildlicht. Ein Schiffsgeschwader ist im rechten Bereich dargestellt. Vgl. Loeck 1989, S. 4f. Weiterhin sei exemplarisch auf eine von Stöwers Studienreisen an die Nordseeküste verwiesen: »Während dieses Sommers hatte ich auch die Gelegenheit, die Hochseefischerei und die Fischerorte der Unterelbe, Finkenwärder, Blankenese bis Cuxhaven, näher kennenzulernen.« Stöwer 1929, S. 44. Die Nordsee erwähnt er in seinen Ausführungen aber nicht explizit. Allerdings besuchte er die Hafenstädte an der Nordseeküste. So bereiste er im
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Willy Stöwer
Schifffahrt, später als Kriegsgebiet. Er berichtete, dass seine Begeisterung für Kriegsschiffe früh entflammt war und er den »heißen Wunsch« hegte, »auch einmal der deutschen Kriegsmarine angehören zu dürfen«.44 Exemplarisch sei auf eine Reise Stöwers verwiesen, bei der er erneut den Kaiser begleitete.45 Stöwer beschreibt den Weg aus der Elbe nach Helgoland wie folgt: »Die Cuxhavener Batterien sandten ihren Salut dröhnend über das graugelbe Elbewasser; die Feuerschiffe wurden passiert, malerische Fischkutter glitten an uns vorüber, und dann erschien halb am Steuerbord voraus die besonnte rötliche Silhouette von Helgoland als letzter deutscher Gruß. Wie hätte ich auf dieser schönen Ausfahrt ahnen können, daß ich diese Gewässer der deutschen Bucht erst nach dreizehn Jahren wiedersehen sollte, und zwar nicht als friedlicher Reisender, sondern unter deutscher Kriegsflagge an Bord eines deutschen Schlachtschiffes im Weltkriege!«46
Die Nordsee als Bühne der Kriegsmarine Stöwer hatte bereits Ende des 19. Jahrhunderts ein erhöhtes Interesse an Kriegsgeschwaderfahrten. Beispielsweise nahm er 1899 ausgehend von Kiel an einer Manöverfahrt teil, die ihn wiederum in die Nordsee führte.47 Von der Westküste Jütlands wurde Kurs auf Helgoland genommen. Stöwer beschreibt seine Eindrücke: »Ein steifer Nordwest fegt über die Nordsee und läßt ihre grünen Fluten zu kleinen Wellenbergen sich auftürmen. In schäumenden Kaskaden brechen sich die Seen am Rammbug der Panzer, und die Torpedobootsflotillen verschwinden fast in grüner See und Qualm.«48 Jedoch faszinierten ihn die Kampfmanöver mehr als die Natur oder das Tierleben der Nordsee, wie aus seinen Aufzeichnungen hervorgeht.49 Exemplarisch sei auf folgende Passage verwiesen: »Torpedobootsangriffe wurden erwartet, und obwohl wir abgeblendet dampften, hatten uns die schwarzen, unheimlichen Gesellen, trotz rabenfinsterer Macht doch gefunden. Das leuchtende Kielwasser hatte unsere Schiffe den Booten verraten, und nun folgten nächtliche Kampfszenen von prachtvoller Wirkung. Scheinwerfer, Maschinengewehre
44 45 46 47 48 49
Rahmen seines Projekts »Die deutschen Hafenstädte« norddeutsche Städte, wie Emden und Wilhelmshaven aber auch die ostfriesischen Inseln. Vgl. Stöwer 1929, S. 78, 217. »Schon in Emden fand ich so viele malerische Motive, daß ich mich von dieser ostfriesischen Stadt kaum trennen konnte.« Ebd., S. 217. Das Wattenmeer mit Ebbe und Flut fand er dagegen nicht erwähnenswert. Vgl. Stöwer 1929, S. 12. Diese führte von Hamburg über die Elbe auf die Nordsee mit dem Ziel Italien. Vgl. ebd., S. 138ff. Ebd., S. 140f. Vgl. ebd., S. 59ff. Ebd., S. 63. Vgl. ebd., S. 63f.
Die Nordsee als Bühne der Kriegsmarine
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und Raketen wechselten in Farbenspielen, die für Maleraugen doppelt fesselnd waren, und diese von der Brücke der ›Wörth‹ aus gesehenen Szenen werden mir für immer unvergeßlich bleiben.«50
Er betrachtete das kriegerische Geschehen unter ästhetischen Gesichtspunkten und fertigte Skizzen von den Schiffsmanövern an: »der photographische Apparat hat längst in dieser Atmosphäre versagt, und nur das Skizzenbuch und das Gedächtnis müssen dem Künstler helfen.«51 Eine kritische Einstellung zum Seekampf, der Leid und Vernichtung brachte, besaß Stöwer nicht.52 Auf dieser Manöverfahrt wurden sowohl Helgoland als auch Wilhelmshaven angelaufen.53 Stöwer interessierte sich jedoch kaum für die Nordsee, das Wattenmeer und die Küste, sondern primär für Kampfszenen.54 Er verbildlichte unterschiedliche Flottenmanöver und Geschwaderfahrten. Bereits 1899 malte er das Bild »Torpedoboot S54 im Seegang der Nordsee«55 (Abb. A1.46).
Abb.A1.46: Willy Stöwer, Torpedoboot S 54 im Seegang der Nordsee
Die Wellen brechen über dem durch das Wasser schneidende Boot. In diesen idealisierten Darstellungen spielen die Menschen, in diesem Fall die harte Arbeit der Besatzung,56 nur eine untergeordnete Rolle. Auch in späteren Jahren nahm der Künstler wiederholt an Manöverfahrten teil und setzte sie bildlich um wie zum Beispiel das Werk »Manövergeschwader in der Nordsee« (Abb. A1.47). In diesem sind Schiffe in schwerer See bei einer Geschwaderfahrt verbildlicht.
50 51 52 53 54 55 56
Ebd., S. 64. Ebd., S. 64. Ausführungen zu seinen Kriegsdarstellungen vgl. u. a. Kemmler 2000. Vgl. Stöwer 1929, S. 64f. Vgl. ebd., S. 64. Vgl. Hormann, Scheele (Hg.) 2000, S. 25. Vgl. ebd., S. 25.
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Willy Stöwer
Abb.A1.47: Willy Stöwer, Manövergeschwader in der Nordsee, Kunstblatt, Bildarchiv Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven
Ein weiteres Bild zeigt ein Kaisermanöver der Hochseeflotte mit Schlachtschiffen und Torpedobooten in einer simulierten Gefechtssituation in der Nordsee (Abb. A1.48).57
Abb. A1.48: Willy Stöwer, Zu den Kaisermanövern der Hochseeflotte in der Nordsee, 1912, Bildarchiv Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven
Der durch die Scheinwerfer hervorgerufene Hell-Dunkel Kontrast bei Nacht erzeugt einen unheimlichen, dramatischen Eindruck. Das Werk »Von unserer Kriegsflotte«58 (Abb. A1.49) zeigt ein Geschwader von deutschen Kriegsschiffen.
57 Bildarchiv Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven, II 1 IV 286. 58 Bildarchiv Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven, II 1 IV 310.
Die Nordsee als Bühne der Kriegsmarine
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Abb. A1.49: Willy Stöwer, Von unserer Kriegsflotte, Kunstblatt, Bildarchiv Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven
Laut Information des Deutschen Schifffahrtsmuseums handelt es sich um die Sturmfahrt der neuen Hochseetorpedoboote in der Nordsee.59 Die bei Stöwer häufig dargestellte aufgewühlte See mit elegant durch die Wellen schneidenden Schiffsbugs, soll die Dramatik dieser Kriegsszenen noch steigern. Dies ist neben den bereits angeführten Werken auch in dem 1913 entstandenen Bild »Torpedobootsangriff in der Nordsee« (Abb. A1.50) der Fall.
Abb. A1.50: Willy Stöwer, Torpedobootsangriff in der Nordsee, 1913, Öl, 130 x 200 cm, Sammlung Peter Tamm, Hamburg
Hohe, sich brechende Wellen durchziehen die Nordsee. Zum Teil sind nur die Aufbauten der Schiffe hinter den Wellenbergen zu erkennen. Somit trägt die Nordsee, obwohl sie primär Bühnenfunktion besitzt, entscheidend zur Wirkästhetik des Dargestellten bei. Willy Stöwer hatte sich zu Beginn des Ersten Weltkriegs als Kriegsberichterstatter und Schlachtenmaler beworben, was jedoch zunächst abgelehnt wurde.60 Der Eintritt in die Kriegsmarine war ihm aus gesundheitlichen Grün-
59 Bildarchiv Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven, II 1 IV 310. 60 Vgl. Stöwer 1929, S. 253.
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Willy Stöwer
den verwehrt.61 Seine Werke, die er u. a. zu Illustrationszwecken schuf, mussten dem Reichsmarineamt zur Zensur vorgelegt werden.62 Im Jahr 1915 erhielt er dann doch die Genehmigung als Kriegsmaler nach Flandern zu fahren.63 In Zeebrügge hielt er malerisch das Ein- und Auslaufen der Torpedo- und U-Boote in die Nordsee fest (Abb. A1.51).64
Abb. A1.51: Willy Stöwer, U-Boot, bei schwerem Wetter Zeebrügge anlaufend, Illustration nach einem Gemälde, in: Stöwer 1929, S. 266
Stöwer war insbesondere von den U-Booten fasziniert und verherrlichte diese.65 Ebenso besuchte er den vom Krieg geprägten Strand von Ostende: »In den nächsten Tagen besuchte ich Ostende, war aber sehr enttäuscht von diesem sogenannten Weltbad, da natürlich jetzt Stacheldraht, Strandgeschütze und feldgraue Marine diesem Ort das Gepräge gaben. […] Es war bewundernswert, was in den Dünen bei Heyst und Knocke geschaffen war : hier reckten drohend 28,5 cm Geschütze der Küstenbatterie ihre Rohre auf die See, Munition wurde auf Schienen heraufbefördert, und alles war gefechtsklar.«66
Aus seinen Aufzeichnungen wird ersichtlich, dass er ein verklärtes Bild vom Krieg besaß und das Leiden und den Tod an der Front selten bewusst erlebte.67 Er profitierte sogar vom Krieg, da er für verschiedene Zeitschriften Illustrationen von Seeschlachten schuf und vermehrt Aufträge für Kriegsgemälde 61 62 63 64 65
Vgl. ebd., S. 22. Vgl. ebd., S. 253. Vgl. ebd., S. 258. Vgl. ebd., S. 266. »Das Heldentum des deutschen U-Boot-Fahrers im Verlauf des Krieges steht einzig groß in der Welt da; die deutsche Technik hatte mit diesen wunderbaren geheimnisvollen Fahrzeugen eine Waffe geschaffen, die, bis zur Erschöpfung gegen einen rücksichtslosen Feind ausgenutzt, dem Kriege wohl einen anderen Ausgang hätte geben können.« Stöwer 1929, S. 262. Exemplarisch sei weiterhin auf den von ihm mit Text versehenen Bildband »Deutsche U-BootTaten« verwiesen. Vgl. ebd., S. 269. 66 Vgl. ebd., S. 262. 67 Vgl. ebd., S. 253–263.
Die Nordsee als Bühne der Kriegsmarine
139
erhielt.68 Da zur damaligen Zeit die Fotografie noch nicht durchgängig als Medium zur Kriegsberichterstattung verbreitet war, wurden Kriegsereignisse durch Kunstwerke illustriert.69 Wie Bohrdt und Bergen schuf auch Stöwer Bilder der Skagerrakschlacht, obwohl er sie persönlich nicht erlebt hat.70 Auch andere Gefechte wie die Seeschlacht auf der Dogger Bank in der Nordsee im Jahre 1915 griff er motivisch auf, ohne dabei gewesen zu sein. Das Bild mit der Inschrift »Deutscher Panzerkreuzer im Gefecht, Nordsee 24. Januar 1915« (Abb. A1.52, Farbabbildung) zeigt ein solches Gefechtsmotiv : ein deutsches Kriegsschiff, umgeben von durch Einschläge erzeugten Wasserfontänen. Mit diesem Werk gratulierte er Kaiser Wilhelm II. zum Geburtstag. Folgende Inschrift belegt dies: »Seinem allergnädigsten Kaiser erlaubt sich zum 27. Jan. 1915 in deutscher Treue und Liebe alleruntertänigste Glückwünsche zu Füssen zu legen. Willy Stöwer«. Dies verdeutlicht die kaisertreue Einstellung des Künstlers.71 Häufig ist in den Bildern von untergeordneter Bedeutung, dass die dargestellten Seegefechte in der Nordsee stattfanden. Es ist das Gefechtsmotiv, das im Vordergrund steht. Zur Rolle des Seekriegsgebietes äußert sich Stöwer : »Die Wasserfläche bietet keine charakteristischen Merkmale wie das Schlachtfeld. Nur die Farbe der See läßt Nord oder Süd unterscheiden.«72 Es sind meist die Titel oder die verbildlichten Schiffe, die Aufschluss über die Seeschlacht und das Meer, auf dem das Gefecht stattfindet, geben. Allerdings wurden später in Einzelfällen topografische Lokalisierungen bis hin zu Titeländerungen vorgenommen. So nahm man in Bezug auf das Werk »Vernichtung eines englischen Schlachtkreuzers«73 (Abb. A1.53) aus dem Jahre 1916 folgende unterschiedliche Zuordnungen vor:
68 Vgl. ebd., S. 253–256. 69 Diesbezüglich führt Stöwer an, »große kriegerische Ereignisse bedurften immer schon der künstlerischen Erfassung, um sie der Welt und Nachwelt zu erhalten, das beweist uns die Geschichte«. Vgl. Stöwer 1929,S. 265. 70 Vgl. ebd., S. 264ff. 71 Hormann, Scheele (Hg.) 2000, S. 14. 72 Stöwer 1929, S. 173f. 73 Hormann, Scheele (Hg.) 2000, Rückseite.
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Willy Stöwer
Abb. A1.53: Willy Stöwer, Vernichtung eines englischen Schlachtkreuzers, 1916, Tempera, 32 x 47 cm, Privatbesitz
In einem Schmuckblatt aus den 30er Jahren wurde der Titel ergänzt zu »Vernichtung eines englischen Schlachtkreuzers bei Coronel am 1. Nov. 1914« und auf einer Postkarte aus dem Jahr 1917 lautet der Titel: »Seegefecht in der Nordsee am 24. Jan. 1915«.74 In dem Buch von Hormann und Scheele wird das Schiff als der Schlachtenkreuzer »Indefatigable« identifiziert, der in der Skagerrak Schlacht 1916 versenkt wurde.75 Somit müssen nicht vom Künstler verliehene Titel mit Vorsicht betrachtet werden. Mit Bezug auf den letztgenannten Bildtitel »Vernichtung eines englischen Schlachtkreuzers« (Abb. A1.53) kann ergänzt werden, dass der sinkende Kreuzer explodierte und über 1000 Menschen mit in den Tod riss.76 Weder durch den Titel noch in der Darstellung wird die Tragik des Geschehens deutlich. Dies ist auf die propagandistische Intention zurückzuführen, die die angebliche Stärke der deutschen Flotte in den Fokus rückt. Tod und Leid sind in Stöwers Seegefechtsdarstellungen nicht verbildlicht. Wenn diese Thematik in Einzelfällen doch Eingang in seine Bildwelt fand, dann als heroisch verklärter Untergang, als Opfertod fürs Vaterland oder als heldenhaftes Versenken des feindlichen Schiffs. Das Bild »Eine Heldentat der deutschen Marine: Die Vernichtung der drei englischen Panzerkreuzer ›Aboukir‹, ›Hogue‹ und ›Cressy‹ durch das deutsche Unterseeboot U9«77 (Abb. A1.54) zeigt ein Schiff kurz vor dem Untergang.
74 75 76 77
Ebd., Rückseite. Ebd., Rückseite. Ebd., Rückseite. Bildarchiv Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven, II 1 IV 285.
Die Nordsee als Bühne der Kriegsmarine
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Abb. A1.54: Willy Stöwer, Eine Heldentat der deutschen Marine: Die Vernichtung der drei englischen Panzerkreuzer ›Aboukir‹, ›Hogue‹ und ›Cressy‹ durch das deutsche Unterseeboot U9, Kunstblatt, Bildarchiv Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven
Im Vordergrund ist ein Teil der Besatzung in Rettungsbooten zu sehen. Die übrigen Seeleute befinden sich im Wasser oder noch an Bord des sinkenden Schiffes. Es mutet makaber an, angesichts des Schicksals dieser Menschen und der Tatsache, dass viele den Tod fanden, von einer Heldentat zu sprechen. Als weiteres Beispiel für Kriegspropaganda sei auf das Werk »Seegefecht in der Nordsee«78 (1915) (Abb. A1.55) verwiesen.
Abb. A1.55: Willy Stöwer, Seegefecht in der Nordsee, Kunstblatt, Bildarchiv Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven
Es zeigt den englischen Schlachtenkreuzer »Lion«, der von einem deutschen Schiff torpediert wird. Die Dramatik der Darstellung wird u. a. durch die hohen, durch Einschläge verursachten Wasserfontänen, den Wellen sowie der Schräglage der Schiffe evoziert. Im Hintergrund ist das weitere Geschehen der Seeschlacht zu erkennen. Ein Luftschiff verweist auf den Aspekt, dass der Krieg 78 Bildarchiv Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven, II 1 IV 280.
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Willy Stöwer
nicht nur auf und unter dem Wasser, sondern ebenfalls von der Luft aus geführt wurde. In den meisten Fällen stehen in diesen Bildern die Gefechtssituationen im Vordergrund und das Meer wird zur Bühne degradiert. Nur in wenigen Bildern, wie im großformatigen Werk »Torpedobootsangriff in der Nordsee«79 (Abb. A1.50), wird das Meer stärker in den Vordergrund gerückt. Die sich zum Teil brechenden Wellen sind detailliert ausgearbeitet. Auch wenn die Wasserfläche das Schlachtfeld ist, steht hier die Schiffmotivik nicht im Fokus. Die schwere See erzeugt eine besondere Dramatik. Viele von Stöwers Darstellungen zeichnet eine Verklärung der Kriegsmarine aus, die sich in erster Linie mit der kaisertreuen Haltung und den Glauben Stöwers an einen deutschen Sieg erklären lässt. Gegen Ende des Ersten Weltkriegs, im Jahr 1918, nahm Stöwer an einer Fahrt der »Ostfriesland« teil:80 »Als wir gegen neun Uhr morgens Cuxhaven passierten, zog ein Luftschiff über uns dahin, und ich erfuhr, daß verschärfte Bereitschaft des Geschwaders befohlen sei und vielleicht mit Überraschungen in der Nordsee zu rechnen wäre. Die Bezüge der Geschützmündungen waren längst verschwunden, und so harrten wir der Dinge, die da kommen sollten. Als wir das Elbefeuerschiff, welches als Sperrlotsenstation vor der Mündung lag, passiert hatten, kam uns aus der See eine Minensuchflotille entgegen, bestehend aus sechs jener Minenräumboote, welche draußen auf gefährlichstem Posten den nervenaufreibenden, anstrengendsten Dienst im Seekriege zu bewältigen hatten. Schwarz wie die Teufel, aber in stolzer Kiellinie glitten die schneidigen Fahrzeuge an Backbord vorüber und wurden mit drei Hurras von unseren Schiffen begrüßt; dann verschwanden sie bald achteraus in Rauch und Qualm, um im Hafen einige Tage die wohlverdiente Ruhe zu finden.«81
Diese periphere Thematisierung der Nordsee zeigt sich ebenso in den Gemälden. So hat Stöwer die vorab beschriebene Passage der Minensuchflottille malerisch festgehalten82 (Abb. A1.56).
79 80 81 82
Hormann, Scheele (Hg.) 2000, S. 5. Vgl. Stöwer 1929, S. 277ff. Ebd., S. 277. Vgl. ebd., S. 278.
Die Nordsee als Bühne der Kriegsmarine
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Abb. A1.56: Willy Stöwer, Einlaufende Minensuchflottille passiert das auslaufende Geschwader, Illustration, in: Stöwer 1929, S. 279
Der Blick des Betrachters und der Betrachterin wird entlang des Decks der »Ostfriesland« mit grüßenden Offizieren zu der vorbeifahrenden Minensucherflotte gelenkt. Stöwer schildert weiter seine Fahrt durch die Nordsee: »Wir dampften mit großer Fahrt nach Norden, ich stand neben dem Admiral auf der Brücke und suchte mit dem Glase den Horizont ab, aber nur der rote Felsen von Helgoland kam in leichtem Morgendunst in Sicht, sonst war die See öde und leer. […] Mit einer Schlacht oder einem Gefecht sollte es also nichts werden, denn als wir auf der Höhe von Helgoland waren, kam vom Flottenchef […], der mit der Schlachtflotte auf SchilligReede gefechtsklar lag, der Befehl zum Einlaufen in die Jade, und wir machten kehrt und dampften wieder nach Süden.«83
Es mutet makaber an, dass Stöwer während dieser Schifffahrt gegen Ende des Krieges noch auf eine Seeschlacht hofft. Auf der Rückfahrt bot sich ihm der Anblick der unzähligen auf Reede liegenden Schiffe. Dabei beschreibt er die »Schiffe der Kaiserklasse mit Kreuzern und Torpedobooten« als ein »majestätisches Bild«84 und hat dies in einem Bild festgehalten (Abb. A1.57):
83 Stöwer 1929, S. 278. 84 »Von Backbord grüßte bald der Rotesandleuchtturm vor der Wesermündung herüber, und dann tauchten gegen Mittag vor uns bei stillem Wetter hohe Rauchsäulen auf. Unter ihnen erkannte ich bald die riesigen grauen Leiber der Linienschiffe des III. Geschwaders, die Schiffe der Kaiserklasse mit Kreuzern und Torpedobooten, ein majestätisches Bild!« Stöwer 1929, S. 278.
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Willy Stöwer
Abb. A1.57: Willy Stöwer, Linienschiffe auf Reede, Illustration, in: Stöwer 1929, S. 280
»Aus dem grauen Dunst löste sich ein riesiger Schlachtkreuzer mit Dreibeinmast, es war der neue ›Hindenburg‹; als wir vorbeidampften, sahen die Leute an Bord im Verhältnis zu den Dimensionen dieses mächtigen Schiffes wie kleine helle Punkte aus. Diesen Kreuzer in der Schlacht zu sehen, wäre mein größter Wunsch gewesen, aber es sollte nicht sein, denn unser Geschwader hielt Befehl, in Wilhelmshaven einzulaufen. Die Schleusen nahmen uns bald darauf in Empfang, ein Werftdampfer half, und dann machte ›Ostfriesland‹ im Hafen fest; meine Kriegsfahrt war beendet.«85
Es ist bezeichnend, dass auf dieser Fahrt Stöwers »größter Wunsch« darin bestand, die »Hindenburg« in einer Schlacht zu sehen.86 Die Matrosen zeigten dagegen nicht mehr die Bereitschaft, für diesen Krieg zu sterben, wie der Matrosenaufstand in Wilhelmshaven belegt.87 Die Tatsache, dass Stöwer weitab von den Orten der Zerstörung und Vernichtung agierte und zudem durch den Krieg für seine Kunst profitierte, erklärt seine nur schwer verständliche Reaktion auf das Waffenstillstandsabkommen: »Da schlug eines Tages wie eine Bombe das deutsche Waffenstillstands-Angebot in die schwüle Atmosphäre hinein, und die Noten Wilsons ließen keinen Zweifel, daß es auf einen Sturz der Monarchie abgesehen war. Jetzt mußte es ›hart auf hart‹ gehen, und ich nahm an, daß das deutsche Volk sich einmütig erheben und die Wilsonschen Forderungen glatt abweisen würde.«88
Stöwer war sich der Ausmaße eines an die 17 Millionen Menschenleben fordernden Krieges nicht bewusst. So verurteilte er auch die Revolution in Wilhelmshaven: »Bald setzten die Vorzeichen des Umsturzes ein, auf den Linienschiffen ›Thüringen‹, ›Helgoland‹ und ›Ostfriesland‹, jenem I. Geschwader, auf dem ich noch vor kurzer Zeit 85 Ebd., S. 278f. 86 Ebd., S. 279. 87 Stöwer merkt dazu Folgendes an: »nicht ahnend, daß gerade auf den Schiffen dieses Geschwaders in wenigen Monaten die Revolution ausbrechen sollte.« Stöwer 1929, S. 279. 88 Ebd., S. 279ff.
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die letzte Reise gemacht hatte, meuterte die Besatzung, aber ein Strafgericht brach nicht über sie herein. Die Disziplin war in der Marine dadurch vernichtet. Schwäche überall! Von Kiel aus setzte dann die Revolution ein und überschwemmte bald die Heimat. Der Scherbenhaufen war fertig.«89
Da Stöwer den Kaiser, der ihm beträchtlich zu seinem Ruhm verholfen hatte, verehrte, trafen ihn dessen Abdankung und das Ende der Monarchie schwer.90 Ebenso war er um seine Zukunft als Marinemaler besorgt: »Nach dem Zusammenbruch kam für Kunst und Künstler eine dunkle Zeit, manch tüchtige Kraft erlahmte und mußte eine andere Existenzmöglichkeit suchen, um sich über Wasser zu halten, und für die Spezialisten, wie z. B. Schlachten- und Marinemaler, sah es besonders bedrohlich aus.«91
Stöwer hielt jedoch an der Marinemalerei fest und hoffte darauf, dass die nationalen Kräfte und die Marine wieder erstarken würden. Dies trat in der Tat ein. In den zwanziger Jahren wuchs das Interesse an der Marinemalerei wieder und fand im Nationalsozialismus im Kontext von Kriegspropaganda erneut einen Höhepunkt. Allerdings erlebte Stöwer, der 1931 starb, dieses nicht mehr. In seinem 1929 erschienen Buch »Zur See mit Pinsel und Palette« reflektiert er rückblickend die Situation der Marinemalerei in der Weimarer Republik: »Es hieß nun durchhalten und ruhig den alten Weg weitergehen, denn die Ereignisse zur See während des Krieges hatten ja eine unendliche Fülle an Stoff für den Maler geschaffen, so daß kein Mangel daran vorhanden war, und die folgende Zeit bewies mir, daß ich richtig gehandelt hatte. Die anfängliche Abneigung mancher Leute gegen kriegerische Bilder begann wieder abzuflauen, das Verständnis für das deutsche Heldentum zur See faßte allmählich Wurzel, und so fanden sich auch bald wieder Käufer von Seekriegsbildern, und ich konnte auf diese Weise unserer Flotte manches kleine Denkmal setzen.«92
Unter anderen arbeitete er an der Illustration und textlichen Ausführung des 1926 erschienenen Buches »Die deutsche Flotte in großer Zeit«.93 Ebenso widmete er sich – wie sein Kollege Bohrdt – zivilen Themen der Marinemalerei.94
89 90 91 92 93 94
Ebd., S. 280. Vgl. ebd., S. 280f. Ebd., S. 281. Ebd., S. 281f. Vgl. ebd., S. 291f. Vgl. ebd., S. 283.
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Willy Stöwer
Zivile Bildthemen Exemplarisch sei auf das um 1924 entstandene Werk »In der Nordsee«95 (Abb. A1.58, Farbabbildung) verwiesen, das die Konfrontation traditioneller Segelschifffahrt und moderner Dampfschifffahrt zeigt. Durch die hohen Nordseewellen fährt ein Besanewer mit leuchtend roten Segeln und im Hintergrund ein Dampfschiff. Nach dem Krieg reiste Stöwer an die Nordseeküste nach Bremerhaven, um eine Neuerung in der Schifffahrt, eine innovative Antriebsform durch sogenannte Flettnerrotoren, zu sehen.96 Ein durch diese Rotoren angetriebenes Schiff fand jedoch hinsichtlich ästhetischer Kriterien nicht seine Zustimmung. Er wurde zu einer Probefahrt mit diesem neuartigen Schiff eingeladen, er lehnte jedoch ab mit dem Hinweis auf regnerisches Wetter.97 Stöwer befasste sich allerdings bereits in frühen Jahren und nicht erst nach dem Ersten Weltkrieg mit zivilen Themen der Seefahrt. Er schuf Werke mit unterschiedlichen maritimen Motiven wie zum Beispiel das Bild »Post- und Schnelldampfer LAHN der Reederei Norddeutscher Lloyd und die Fahrt des Kaisers« (Abb. A1.59).
Abb. A1.59: Willy Stöwer, Post- und Schnelldampfer LAHN der Reederei Norddeutscher Lloyd und die Fahrt des Kaisers, 1912, Kunstblatt, Bildarchiv Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven
Das traditionelle Fischerboot im Vordergrund steht im Kontrast zum modernen Dampfschiff und verdeutlicht die Entwicklung in der Seefahrt. Weit im Hintergrund heben sich die Silhouetten des Leuchtturms Roter Sand sowie weiterer Schiffe vor dem Himmel ab. Der Künstler griff motivisch ebenfalls das Leben der Fischer und deren traditionellen Fangmethoden im Wattenmeer auf, wie das Bild »Wattenfischer mit Schlickschlitten« (Abb. A1.60) zeigt. Es vermittelt einen Einblick in die heut95 Hormann, Scheele (Hg.) 2000, S. 10. 96 Vgl. Stöwer 1929, S. 293. 97 Vgl. ebd., S. 293.
Abschließende Zusammenfassung
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zutage nicht mehr üblichen Arbeitsmethoden der Fischer und das damit verbundene Erleben des Watts.
Abb. A1.60: Willy Stöwer, Wattenfischer mit Schlickschlitten, um 1890
Jedoch nimmt dieses Thema nur einen kleinen Anteil in seinem Motivrepertoire ein, sodass hier nur ein Einblick gegeben wurde.
Abschließende Zusammenfassung Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass Stöwer in der Marinemalerei zwar ein großes Spektrum an Themen behandelte, der Fokus jedoch eindeutig auf der Darstellung der Schifffahrt und der Kriegsmarine liegt. Das Wattenmeer belegt in seinen Schriften und Bildern nur eine untergeordnete Rolle. Er betrachtete es als nationale Aufgabe, die Bevölkerung mit seinen Bildern und Illustrationen mit maritimen Themen, insbesondere die der Schifffahrt im Kontext der wilhelminischen Flottenpolitik vertraut zu machen. Seine Marinegemälde verbildlichen seine Faszination von technischen und navigatorischen Leistungen. Zivile Themen, wie die Handelsschifffahrt, die Überseefahrt und auch die Fischerei werden ebenfalls motivisch aufgegriffen. Die technische Entwicklung im Untersuchungszeitraum, zum Beispiel die Ablösung der Segelschiffe durch Dampfschiffe, werden ebenso dargelegt. Wattdarstellungen finden vereinzelt Eingang in seine Bildwelten. Es ist die Seefahrt, der das Hauptinteresse Stöwers galt. Ein weiterer Künstler, der sowohl im Ersten als auch Zweiten Weltkrieg die Nordsee als Kriegsschauplatz verbildlichte, war Claus Bergen.
2.
Claus Bergen – Die Nordsee als Kriegsbühne im Kontext zweier Weltkriege
Claus Bergen (1885–1964) war ein Künstler, der die Darstellungstraditionen der Marinemalerei mit prägte.1 Er wurde für diese Studie ausgewählt, da er zwei Weltkriege als Marinemaler verbildlichte und einige seiner Bilder mit nationalen Vorstellungen belegte. Ebenso befasste er sich mit zivilen Themen der Schifffahrt sowie Meeres- und Küstendarstellungen. Bergen unternahm auf verschiedenen Meeren Seereisen, auf denen er sein Motivrepertoire anreicherte.2 So visualisierte er in seinen Werken nicht nur die Nordsee, sondern auch andere Meere. In seinen Marinebildern sind sie häufig Schauplätze von Seeschlachten oder dienen als Bühne für die Schiffe. Allerdings hat er das Meer auch als eigenständiges Motiv, ohne Staffage gewählt.3 Weiterhin schuf er Darstellungen von den Inseln und Küsten.4 Im Folgenden wird der Fokus ausschließlich auf Darstellungen der Nordsee und des Wattenmeeres gerichtet. Bergen wurde in Süddeutschland, also weit entfernt von der Nordsee, geboren.5 Sein Vater, Illustrator der »Gartenlaube« und der »Illustrierten Zeitung«, förderte das künstlerische Talent seines Sohnes.6 Bergen genoss in München eine akademische Ausbildung und ließ sich von Hans Bartels in der Marinemalerei unterrichten.7 Zunächst wurde er als Illustrator der Karl May Romane bekannt, doch sein Interesse an maritimen Themen war früh geweckt. Im Jahre 1907 reiste 1 Für eine ausführliche Bibliografie bis 1987 vgl. Herzog 1987, S. 54–62. Weiterhin sei auf Hormann, Kliem 2002 und Bernartz 1989 verwiesen. 2 Vgl. u. a. Herzog 1987, S. 7. Exemplarisch sei auf eine Mittelmeer-Ausbildungsreise der Reichsmarine im Jahr 1930 verwiesen, vgl. Herzog 1987, S. 25, sowie auf die Teilnahme an der Jungfernreise des Schnelldampfers »Columbus« von Bremerhaven nach New York. Vgl. Herzog 1987, S. 23. Weiterhin sei auf eine Überführungsfahrt der Luxusyacht Amida von Kiel nach New York verwiesen, vgl. Herzog 1987, S. 24. 3 Exemplarisch sei auf das Werk »Offenes Meer« (vgl. Herzog 1987, S. 168f.) oder »Große Woge« (vgl. Herzog 1987, S. 191) verwiesen. 4 Exemplarisch sei auf die Studien seines Sylt-Aufenthalts im Jahr 1919 verwiesen. 5 Vgl. Herzog 1987, S. 15, vgl. Hormann, Kliem 2002, S. 9. 6 Vgl. Herzog 1987, S. 15. 7 Vgl. ebd., S. 16f, vgl. Scholl 1982, S. 25.
150
Claus Bergen
er nach Hamburg und Helgoland.8 Insbesondere die Schiffe in den Häfen faszinierten ihn.9 Ein Jahr später hielt er sich zu Studienzwecken im englischen Fischerhafen Polperro auf und fertigte hierzu verschiedene Werke an. Die Schiffe der englischen Flotte in den Häfen von London und Plymouth fanden seine Bewunderung, was ihn bestärkte, Marinemaler zu werden.10 In den Jahren 1909, 1911, 1912 und 1913 kehrte er nach Polperro zurück, fuhr mit den Fischern aufs Meer und setzte seine Erlebnisse bildlich um.11 Aber auch an der deutschen Nordseeküste führte er Studien durch.12 Ab 1913 befasste er sich intensiv mit der Darstellung der Kriegsmarine13 und bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs bewarb er sich als Kriegsmaler bei der Deutschen Marine.14 Seinem Wunsch wurde stattgegeben und er erhielt eine vorübergehende Aufenthaltserlaubnis in der Marinestation Wilhelmshaven.15 Allerdings musste er sich der damit verbundenen Zensur beugen.16 Seine Tätigkeit als Kriegsmarinemaler machte ihn berühmt. In der Marinemalerei spielte die Darstellung von Technik und Navigation der Schiffe eine wesentliche Rolle. Bergen besaß die Fähigkeit, dies realitätsnah in Zeichnungen und Bildern umzusetzen. Zur Kontrolle legte er häufig den Kommandanten Skizzen seiner Gemälde vor, um eventuelle Fehler in der Darstellung auszumerzen.17 Denn er erlebte viele Seegefechte nicht persönlich. So entstanden u. a. die Bilder der Skagerrak-Schlacht auf Basis von Schlachtkarten, Kriegstagebüchern und Augenzeugenberichten.18 Bergen suchte jedoch nach Gelegenheiten, an Kriegsfahrten teilzunehmen und fuhr sogar auf einem U-Boot mit.
»Wir leben noch« – Claus Bergens Bericht von einer U-Bootfahrt im Ersten Weltkrieg Bergen nahm 1917 an einer U-Bootfahrt mit der U-53 von Helgoland ausgehend ins Kampfgebiet teil. Der Bericht über diese Fahrt mit entsprechenden Illustrationen wurde allerdings erst 1930 in dem Buch »Wir leben noch«19 im Kontext 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19
Vgl. Herzog 1987, S. 17, vgl. Hormann, Kliem 2002, S. 10f. Vgl. Herzog 1987, S. 17. Vgl. ebd., S. 17. Vgl. ebd., S. 17. Detaillierte Ausführungen vgl. Schlechtriem 1982, S. 56ff. Vgl. Herzog 1987, S. 17. Vgl. Scholl 1982, S. 25. Vgl. Scholl 1982, S. 25ff. Vgl. Herzog 1987, S. 18, vgl. Scholl 1982, S. 28f. Vgl. Herzog 1987, S. 18. Vgl. ebd., S. 19. Vgl. ebd., S. 18. Vgl. ebd., S. 22. Vgl. Hormann, Kliem 2002, S. 59–74. »Im Jahre 1917, nach Erklärung des
Claus Bergens Bericht von einer U-Bootfahrt im Ersten Weltkrieg
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wiedererstarkender Kriegsmarinebegeisterung veröffentlicht. Die Abhandlung und die Bilder geben Aufschluss über die persönliche Wahrnehmung des Künstlers von der Nordsee als Kriegsschauplatz. Zudem eröffnen sie einen eher seltenen Zugang zur Nordsee – die Unterwasserperspektive im U-Boot. Es folgen exemplarische Passagen, die sich auf diese Fahrt in der Nordsee beziehen. Auf die Beschreibungen der Atlantikfahrt wird nicht näher eingegangen.20 Zunächst musste Bergen einen Schiffskommandanten finden, der gewillt war, ihn als Gast und Kriegsmaler aufzunehmen. Ihm wurde geraten, Helgoland aufzusuchen.21 So setzte er zur Insel Helgoland, zum Ausgangspunkt der Reise über, wo sich ein bedeutender Kriegshafen befand.22 Bergen nahm bei der Fahrt die Insel und Nordsee als Kampfgebiet wahr : »Wie ruhig und friedlich lag doch die Nordsee um die Insel! Selbst die schweren Geschütze in den Kasematten des Oberlandes kannten nur Kriegsbereitschaft. Aber das von der Bevölkerung geräumte, nur von Marine bewohnte Helgoland war bereit als Vorpostenfestung in der kampfdurchkreuzten Nordsee.«23
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uneingeschränkten U-Bootkrieges, hatte auch ich die von mir längst ersehnte Gelegenheit, an Bord von U 53 unter Kapitänleutnant Rose eine Fernfahrt als Kriegsmaler mitmachen zu dürfen. Unvergeßlich bleiben mir die Erinnerungen, die ich auf jener Fahrt davongetragen habe.« Bergen, Neureuther (Hg.) 1930, Vorwort. Er beschreibt, dass das Zeichnen im U-Boot unter diesen Bedingungen erschwert war. Vgl. Bergen, Neureuther (Hg.) 1930. Vgl. Hormann, Kliem 2002, S. 60. Es entstanden zahlreiche Gemälde in Bezug auf die U-Bootfahrt und er veröffentlichte in Schriften und auf Künstlerpostkarten seine Erlebnisse. Vgl. Bergen 1918, vgl. Scholl 1982, S. 35. Bergen führt an, dass er auf der U-Bootfahrt aufgrund des Seegangs einen Unterschied zwischen der Nordsee und dem Atlantik feststellen konnte: »Der Atlantik macht sich fühlbar. Die großen, mächtigeren und majestätischen Bewegungen dieses Weltmeeres haben die leichter erregbare, eingeschlossene Nordsee abgelöst.« Bergen, Neureuther (Hg.) 1930, S. 29f. Bei der Heimfahrt des U-Bootes verweist Bergen wiederum auf die Unterschiede von Atlantik und Nordsee: »Wir verließen die blauen Tiefen des Atlantiks. Die Ausläufer der grünlicher werdenden Nordsee machten sich in kürzeren Wellenzügen bemerkbar« Ebd., S. 62ff. »Bei der dritten U-Bootflotille auf Helgoland hätten Sie wohl die beste Gelegenheit, das zu sehen und zu malen, was Sie wünschen. Dort sehen Sie die verschiedenen Frontboote aktionsbereit im Hafen. Sie finden einen angenehmen Aufenthalt, und es bietet sich möglicherweise Gelegenheit, an einer Fernfahrt teilnehmen zu können.« Bergen, Neureuther (Hg.) 1930, S. 11. »Ein kleines, älteres Torpedoboot, ein Depeschenboot Wilhelmshaven – Helgoland, brachte mich auf die deutsche Nordseeinsel. Im dortigen U-Boothafen lag die alte ›Sophie‹ als Wohnschiff für die Offiziere der U-Boote. Ich wurde bereits erwartet, freundschaftlich begrüßt und an Bord der alten Fregatte, die immer noch sauber aussah, in einer sehr geräumigen und auch hellen Kammer wohnlich untergebracht. An den Piers lagen mehrere große und kleinere U-Boote verschiedener Bauart, teils frontbereit, teils glücklich heimgekehrt von Kriegsfahrt. Auch einige graue Torpedoboote waren zu Gast im Bereiche der U-Boote.« Bergen, Neureuther (Hg.) 1930, S. 12. Ebd., S. 13.
152
Claus Bergen
Bereits vor seiner Einschiffung hatte er von Helgoland aus an Manöverfahrten auf Begleitbooten teilgenommen.24 Von dort beobachtete er die Tauchfahrt eines U-Boots in der Nordsee25 und er hat diesbezüglich das aus dem Wasser auftauchende Sehrohr in einer Illustration festgehalten (Abb. A2.1).
Abb. A2.1: Claus Bergen, Das Auge des U-Bootes, Illustration
Es gehört zu dem U-Boot, auf dem er mitfahren sollte.26 Diese Fahrt trat er mit gemischten Gefühlen an, da einige Wochen zuvor der »uneingeschränkte U-Bootkrieg« ausgerufen worden war.27 24 Vgl. Hormann, Kliem 2002, S. 60. 25 »In wenigen Sekunden war das niedrige Boot, das Geschütz und endlich der Turm in einem hellen Schaumstrudel weggetaucht, dann schnitt nur noch der oberste dünne Teil des Sehrohrs mit dem Glasauge vor einem schmalen Schaumstreifen durch das grünblaue Wasser. Und plötzlich wußte man nicht mehr, daß hier irgendwo unter Wasser ein langes Boot mit Menschen, Maschinen und Torpedos einen Probeangriff fuhr. Plötzlich kommt die sich schnell verlängernde Laufbahn der Torpedos geradewegs auf uns zu. Es wäre ein sicherer Treffer gewesen. Nach vollendeter Laufbahn schwimmt weit draußen der dampfende Aal und wartet, ruhig auf den Wellen schaukelnd, auf seine Übernahme vom Begleitboot. Dann wächst das hohe Sehrohr, der die Wassermassen abschüttelnde Turm, die Kanone und schnell das ganze Boot überraschend, zauberhaft aus dem Wasserspiegel, Kommandant und Mannschaften kommen auf den Turm und winken zu uns herüber.« Bergen, Neureuther (Hg.) 1930, S. 14f. 26 Zuvor wird er vom Kommandanten zum Abendessen ins Kasino auf dem Oberland Helgolands eingeladen. Er beschreibt die friedliche Nachtstimmung auf der Insel: »Wundervoll ist die Stimmung der hellen, blauen Mondnacht auf der Terrasse des Kasinos mit dem weiten Blick über die glitzernde, schlafende See. Bei einem guten Glase Wein richte ich an den liebenswürdigen Kommandanten die Frage, ob ich nicht einmal auf seinem Boot an einer Fernfahrt teilnehmen könne.« Bergen, Neureuther (Hg.) 1930, S. 15. 27 »Einige Wochen vorher war der uneingeschränkte U-Bootkrieg erklärt worden. Die Fahrt schien interessant zu werden. Nach Überwindung einiger Zweifel und eines großen Lampenfiebers begab ich mich an Bord, verstaute meine Habseligkeiten in meiner Koje über dem Bette des Steuermanns, machte mich einigermaßen bekannt mit der völlig neuartigen Umgebung und wartete der Dinge, die da kommen sollten.« Bergen, Neureuther (Hg.) 1930, S. 16.
Claus Bergens Bericht von einer U-Bootfahrt im Ersten Weltkrieg
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»Unter ›Heil und Sieg!‹ gleitet das Boot langsam der Hafenausfahrt zu, hinaus zwischen den hohen, starken Schutzmolen, an denen noch einige Kameraden Abschiedsgrüße herüberwinken, in die grüne, leichtbewegte Nordsee. Vorbei an der allen U-Bootfahrern der Nordsee bekannten Hog-Stehen-Tonne geht der Kurs nach Norden. Immer mehr verschwindet die rote Felseninsel. Eine andere Welt scheint mich aufgenommen zu haben.«28
Bergen hat eine Illustration vom Auslaufen des U-Bootes aus dem Hafen (Abb. A2.2) und eine weitere (Abb. A2.3) vom durch das Wasser gleitenden U-Bootes angefertigt, wobei in der Ferne – kaum erkennbar – die Silhouette Helgolands zu erkennen ist.29
Abb. A2.2: Claus Bergen, Unter Heil und Sieg gleitet das U-Boot der Hafenausfahrt zu, Illustration
Abb. A2.3: Claus Bergen, Immer mehr verschwindet die rote Felseninsel, Illustration
Nach der Ausfahrt von Helgoland nahm Bergen die Nordsee als bedrohliches, gefahrvolles Kampfgebiet wahr. Die Fahrt wurde zunächst durch Flugzeuge gesichert.30 Bergen hat die auf dem Turm nach feindlichen U-Booten und Schiffen Ausschau haltenden Männer in Rückenansicht verbildlicht (Abb. A2.4). 28 Bergen, Neureuther (Hg.) 1930, S. 16. 29 Vgl. ebd., o. S. (nach Seite 18). 30 »Über uns kreisen zwei Flugzeuge, die uns Sicherung und Geleit geben. Ihre Anwesenheit wirkt sehr beruhigend, denn trotz friedlich anmutender Fischübernahme drohen überall Gefahren. Feindliche U-Boote können auch schon hier auf der Lauer sein. Aber auch auf
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Claus Bergen
Abb. A2.4: Claus Bergen, Auf dem Turme halten jederzeit mehrere Paare scharfsichtiger Falkenaugen der Wachposten Ausschau, Illustration
Dabei kann der erhöht stehende Mann mit im Wind wehenden Mantel, der sich mit einer Hand an der Reling festhält und dessen Blick etwas seitlich über die See gerichtet ist, Assoziationen an heroische Personendarstellungen evozieren. Durch die Untersicht wird die Illusion erzeugt, der Betrachter schaue zu ihm auf. Insgesamt ist Bergens Bericht von seiner Begeisterung für die U-Bootfahrt gekennzeichnet. Der Künstler versetzte sich in die Sehweisen der Wachhabenden an Bord. Er beschreibt deren Schwierigkeiten, Schiffe, insbesondere Periskope von U-Booten, in der bewegten Nordsee zu erkennen.31 Für die Schönheit des Meeres haben sie keinen Blick. Sie suchen die Nordsee nach feindlichen Schiffen und U-Booten ab. Bergen beschreibt die Fahrt des U-Bootes sowohl während der Überwasserfahrt als auch beim Tauchgang.32 Während der Tauchfahrt ist innerhalb eines Uunserm Boote selbst auf dem Turme halten jederzeit mehrere Paare scharfsichtiger Falkenaugen der Wachposten unablässig Ausschau nach verdächtigen Schaumstreifen, Sehrohren und ähnlichen unerwünschten Anzeichen feindlicher Störungen.« Bergen, Neureuther (Hg.) 1930, S. 17. 31 »Es gehören eiserne Ruhe und Erfahrung dazu, in etwas bewegter See, in den tänzelnden kleinen hellen Schaumkronen und dahinter ablaufenden Schaumstreifen nicht immerzu Gespenster von Sehrohrspuren zu sehen. Auch die auf den Wellen schaukelnden Möwen sind für derartige Täuschungen sehr geeignet. Die Wachmannschaften erkennen an einer nur zu ahnenden, etwas dunkleren Färbung über dem Horizont eine Rauchwolke eines noch völlig unsichtbaren Dampfers ebenso schnell mit bloßem Auge wie einen nadelfein erscheinenden Strich eines über der Horizontlinie auftauchenden Mastes.« Bergen, Neureuther (Hg.) 1930, S. 24. 32 So befand er sich häufig an Deck und erlebt die Fahrt in aufgetauchten Zustand mit. »Noch sind mehrere Matrosen der Freiwache an Deck, um die würzige Seeluft zu genießen und um zu rauchen. […] Wortlos hängt jeder seinen Gedanken nach. In Zickzacklinien verliert sich das Kielwasser in der Dämmerung. Öfter wiederholen sich die vom wachhabenden Offizier durch das offene Turmluk an den im Turme stehenden Rudergänger gegebenen Befehle zur Kursänderung. An beiden Seiten des Buges bäumt sich die klare, blaugrüne See unter abfließenden Schaumwirbeln. Die See wird unruhiger, Spritzer fliegen auf das Deck. Über die ölschillern-
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Bootes von der Unterwasserwelt nicht viel zu sehen. Von seiner ersten Tauchfahrt beschreibt Bergen folgende Eindrücke: »Mit brausendem Zischen strömt das Wasser in die Tauchtanks. Es ist, als müßte man das schwere Wasser da draußen fühlen. Mit sanfter Neigung sinkt der Boden, das Boot nach vorne. Ganz allmählich, kaum fühlbar ist das Sinken. […] Ich öffne mit Erlaubnis des Kommandanten die dicke eiserne Schutzklappe eines der kleinen Seitenfenster und presse meinen Kopf neugierig an das feste Glas. Ich sehe wie draußen im Tageslicht, wie in einer andern Welt, die schäumenden Wassermassen über dem Vorschiff zusammenschlagen. Das Geschütz verschwindet in stürzenden Strudeln. Die Wellen wachsen, sie kommen näher, schlagen zornig gegen den Turm, überspülen mein Fenster. Dann nur noch heller Schaum und klares Wasser, unhörbar, phantastisch vor dem Glase: hellgrün, dunkelgrün, immer dunkler, immer ruhiger wird das tiefe Wasser. Deutlich erkenne ich die in magischem grünem Lichte schwimmende Kanone auf dem Vorschiff.«33
Diesen Anblick hat Bergen festgehalten. Leider wurde die Illustration (Abb. A2.5) nur in Sepia abgedruckt und nicht in den von Bergen beschriebenen »magischen Grüntönen«.
Abb. A2.5: Claus Bergen, Deutlich erkenne ich die in magischem grünem Lichte schwimmende Kanone auf dem Vorschiff, Illustration
Er schildert, dass eine fast andächtige Atmosphäre und »feierliche Stille« unter Wasser herrsche.34 Der Künstler zieht die Folgerung, dass die Fahrten über und unter Wasser völlig unterschiedlich sind. »Wir leben in zwei verschiedenen Welten, umflossen vom reinsten Lichte der Sonne, der klaren Luft des weiten, unbegrenzten Meeres und wieder eingeschlossen von leuchten-
den, eisenschwarzen, tonnenartig gewölbten Außentanks spülen das Wasser und heller Schaum.« Bergen, Neureuther (Hg.) 1930, S. 20. 33 Bergen, Neureuther (Hg.) 1930, S. 22f. 34 »Die Sonne dringt durch das klare Wasser bis zu uns herab und glänzt auf den blanken Teilen des Eisens. Eine feierliche Stille herrscht hier unten.« Bergen, Neureuther (Hg.) 1930, S. 23.
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Claus Bergen
den, unergründlichen, blaugrünen, schweren Wassermassen in druckfester, enger Eisenkammer des Tauchbootes.«35
Die Stille und das Eingeschlossensein unter Wasser stehen im Kontrast zu den Wellengeräuschen, dem Seegang und der frischen Luft bei der Überwasserfahrt.36 Bergen verweist weiterhin darauf, dass er es für nahezu unmöglich erachtet, die wahrgenommenen Empfindungen der »majestätischen Natur« des Meeres, die Lichtstimmungen und die Farben in Gemälden darzustellen.37 Aus seinen Ausführungen ist eine ästhetische Sensibilisierung für das Meer ersichtlich. Bei der Anfertigung seiner Skizzen als Basis späterer Gemälde hat er Schwierigkeiten, auf dem Außendeck eines U-Bootes bei Seegang zu zeichnen.38 Aber auch das Arbeiten im Inneren beschreibt er als problematisch, da Schmutz und Öl das Zeichenpapier verunreinigten und die Lichtverhältnisse nicht optimal waren. 35 Bergen, Neureuther (Hg.) 1930, S. 48. 36 Diese unterschiedlichen Wahrnehmungen werden auch in Bergens Beschreibungen des Auftauchens ersichtlich. »Nach dem Kommando ›Auftauchen!‹ überwacht der leitende Ingenieur das Ausblasen der Tauchtanks mittels Preßluft. Einen wahren Höllenlärm von ohrenbetäubendem Pfeifen und Brausen verursacht dieses Manöver. Man wird gehoben. Durch das Zentralsehrohr […] sieht man gerade das Vorschiff und das Geschütz aus den Schaummassen emporsteigen. Das ganze Deck wird frei. Ein dumpfer Schlag in den Ohren. Das Turmluk ist wieder geöffnet, und frische Seeluft strömt ins Boot. Die Bewegungen des Seeganges werden fühlbar, die Stille der Unterwasserfahrt ist vorüber. Die See rauscht an unserm Boote entlang. […] Oben auf dem Turme trieft noch alles von Salzwasser. An den Eisentrossen hängen zerfetzte Quallen und Teile goldgelben Seegrases.« Bergen, Neureuther (Hg.) 1930, S. 23f. 37 »Es wird wohl niemals einem Maler gelingen, die wunderbaren Farbenspiele, die Lichterlebnisse auf den jagenden, türmenden Ozeanwogen, die durchsichtige Tiefe des Meeres oder die bei allen Gegensätzen von Lichtern und dunkeln Farbtönen über dem Gesamtbilde flutende, blendende Helligkeit, wahre Orgien blitzender, gleißender Sonnenreflexe, restlos mit den toten Farben der Palette meistern zu können. Stückwerk ist unser Können. Zur Ohnmacht wird es vor solch gigantischer, majestätischer Natur und überwältigender Bewegung. Nur die Erinnerung, das Einfühlen in das große Erlebnis und die Schulung von Auge und Geist bleiben verwertbare und wertvolle Bestandteile für künstlerisches Gestalten und Übersetzen.« Bergen, Neureuther (Hg.) 1930, S. 51f. 38 »Auch das Zeichnen wird unter solchen Umständen eine Art Sport, ein Erhaschen eines sekundenlangen trockenen Augenblicks. Krampfhaft hält die Linke einen schmutzig und ölig gewordenen Skizzenblock zusammen, während die nicht viel reinlichere Rechte unter beständigem Abwischen des klebrigen Seewassers ab und zu einige Striche und Notizen auf das arg mitgenommene Papier zu bringen versucht. Solches Arbeiten ist wirkliche Kunst! Ich muß jedes Papier loben, das bei derartiger Behandlung noch willig bleibt, jeden Zeichenblock preisen, der sich nicht schon nach dem ersten Seewasserbade auflöst oder von dem fegenden Winde nicht zerrissen wird. Mein Material hat die Probe bestanden. Jede Skizze, jeder Strich, kurz alles, was man aus solchem Wetter mit nach Hause bringt, sind gnädige Geschenke der Elemente. Dauerndes Beobachten und Studieren bleiben letzten Endes die einzigen und sichersten Mittel, das Gesehene, Erlebte später einigermaßen wahrheitsgetreu schildern zu können.« Bergen, Neureuther (Hg.) 1930, S. 51f.
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Bergen nahm seine künstlerische Tätigkeit trotz ästhetischer Zugänge primär im Kontext des Krieges wahr. Er beschreibt, dass die beobachteten Schiffe und Flugzeuge die Nordsee zum Kriegsschauplatz machten: »Zwei vor uns fahrende, mit Minenfanggeräten ausgestattete Patrouillenboote, ehemalige Fischdampfer, geleiten uns durch die minenverseuchten Zonen der deutschen Bucht. Nachdem wir die an Steuerbordseite zu uns herüberleuchtenden, langen Dünenketten von Sylt, der still und verträumt am Horizont sich vom graublauen Hintergrunde abhebenden Nordfrieseninsel, passiert haben, übernehmen an Stelle der beiden abdrehenden Fischdampfer zwei Torpedoboote die Aufgabe unserer Führung. Auch die Flieger werden später von zwei anderen Seeflugzeugen abgelöst, bis schon ziemlich weit nördlich, am Rande des deutschen Seegebietes, Winksprüche und Leuchtsignale die Verabschiedung unserer tapferen Pfadfinder und Begleiter melden. Mit dem Wunsche ›Glückliche Fahrt!‹ drehen Torpedoboote und Flieger im Scheine der Abendsonne ab. Wir sind uns selbst überlassen. In diesiger Ferne, hinter unserm Kielwasser, verschwinden die Torpedoboote, mit Richtung List auf Sylt enteilen die Flieger rasch unsern Blicken. Die Maschinen laufen große Fahrt. Scharf und lautlos pflügt der Bug die atmende See.«39
Der Maler verweist allerdings dabei auch ansatzweise auf die Schönheit der Nordsee und bezieht sich auf die vom Sonnenuntergang hervorgerufene Stimmung auf dem Meer.40 Daneben sind die Zeichen des Seekrieges – auch in Form von Treibgut und Wrackstücken – jedoch unübersehbar.41 Aufgrund der Kriegssituation und der Blockade begegnen ihnen allgemein nur wenige Schiffe.42 Bergen erwähnt, dass die Fischerboote sich trotz der Gefahren des Krieges nicht scheuen, weiterhin ihrem Geschäft nachzugehen.43 39 Bergen, Neureuther (Hg.) 1930, S. 17f. 40 »Nach einem ausgezeichneten Abendessen […] klettert man gerne noch auf den Turm zu den Wachleuten, um sich bei einer Abendzigarre der nördlichen Abendstimmung zu erfreuen. Die Sonne ist bereits da drüben hinter Britannien untergegangen, graue und violette Töne mit silbernem Glanze auf dem Wasser lösen die leichtenden, glühenden Farben nach Sonnenuntergang ab. Aber noch lange bleibt es hell.« Bergen, Neureuther (Hg.) 1930, S. 18. 41 »Zwei einsame deutsche Vorpostenboote, die weit hier draußen, auf sich selbst angewiesen, wie auch unser Boot, harten und heldenhaften Dienst versehen, passieren wir stumm in einiger Entfernung. […] Tagelang ist kein Schiff zu sehen. Nur Treibholz, Balken und Bretter, die als Bauholz für feindliche Schützengräben bestimmt waren und nun zur Widerlegung des bekannten Sprichwortes, wonach das Wasser keine Balken hätte, auf der Nordsee herumschaukeln, auf denen jetzt die Möwen träumen. Ab und zu ein Korkballen oder andere mit dicker Muschelkruste überzogene Wrackstücke. Noch seltener eine losgerissene, rostbedeckte Mine. Sonst nur die vom Kriege nicht betroffenen Seevögel und das um die Streitigkeiten der kleinen Menschen auf ihren geduldeten Fahrzeugen sich nicht kümmernde, souveräne, majestätische Meer.« Bergen, Neureuther (Hg.) 1930, S. 18. 42 »Kein Schiffsverkehr! Ist die Blockade die Ursache oder sind’s die deutschen U-Boote? Das letztere ist wahrscheinlicher.« Bergen, Neureuther (Hg.) 1930, S. 19. 43 »Mehrere deutsche Hochseefischerboote gleiten in der Dämmerung schemenhaft an uns vorüber. Sie scheinen keine Gefahren des Seekriegs zu kennen. Was schert sie Feind, was schert
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Die Fahrt der U-53 führte u. a. um die Shetlandinseln herum an die irische Nordwestküste und weiter zum englischen Kanal und Irlands Südküste.44 Das Zielgebiet lag im Atlantik, da sich Schwerpunkte des Seekriegs dorthin verlagert hatten. So wurde die Nordsee trotz aller Gefahren von Bergen als relativ friedlicher Bereich erlebt.45 Allerdings durchquerten sie auch Kriegsgebiete, wie den Skagerrak, in dem 1916 die Schlacht stattfand, deren Verbildlichung Bergen großen Ruhm einbrachte.46 Im Gegensatz zum Festland, auf dem verheerende Schlachten ihre Spuren hinterlassen und auf dem später Denkmäler errichtet werden können, ist dies im Meer nicht möglich. Die See zeigt keine Spuren vergangener Gefechte. Das Meer erlangt erst durch Dokumentationen, Erzählungen und Bilder Bedeutung als Erinnerungsort. Als das U-Boot das Gebiet der Skagerrak-Schlacht durchkreuzt, schreibt Bergen: »Und dann kommen wir in das Skagerrak. Welche Fülle stolzer und wehmütiger Gedanken birgt dieser Name! Hier kämpften vor Jahresfrist die zwei mächtigsten Flotten der Erde die größte Seeschlacht der Weltgeschichte. Freund und Feind haben hier herrliche, blühende Menschenleben und stolze Schiffe verloren. Niemals wird dieses weite Schlachtgebiet sichtbare Kunde geben von jenem großen Geschehen, kein Kreuz und keine Blume die letzten Ruhestätten vieler Helden kennzeichnen, die unter den schwimmenden Kielen der nach Jahren wieder darüber wegfahrenden, mit frohen und lachenden Passagieren besetzten Vergnügungsdampfer in ihren eisernen geschoßdurchsiebten Särgen liegen. Und wie diese Helden da unten auf dem Grunde im Skagerrak, so liegen viele Tausende verstreut in den versenkten Booten auf dem Meeresboden rings um Europas Küsten. Vereinend und schützend breitet sich das ewige Meer über die tapferen Streiter. Eine rauhe, eine stürmische Nacht begleitet uns durch dieses Heldengewässer. Sind es die Geister der da unten ruhenden Kameraden, die uns mit Salzwasser und heulenden Windstößen begrüßen?«47
Bergen nennt dieses Meeresgebiet ein Heldengewässer.48 Darin ist eine Heroisierung der Skagerrakschlacht zu sehen, die sich auch in seinen Bildern (Abb. A2.7, 8, 9) spiegelt. Nationale Treue hat für den Künstler allgemein einen hohen Stellenwert.49 So deutete er sogar die Versenkung eines unter neutraler Flagge
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sie Mine! Solange es Fische in der Nordsee gibt, wird gefischt.« Bergen, Neureuther (Hg.) 1930, S. 18f. Vgl. Bergen, Neureuther (Hg.) 1930, S. 16. »Vorwärts! Nach Norden, hinaus ins Weltmeer, wo die großen Transportschiffe, ganze Geleitzüge, Munition, Kriegsmaterial, Truppen für unsere Feinde zu unseres Landes und Volkes Vernichtung herbeischaffen. Hier ist kein Arbeitsfeld für uns, in der stillen Nordsee, dem Hauptgebiet der großen Schlachtschiffe.« Bergen, Neureuther (Hg.) 1930, S. 19. Vgl. Scholl 1982, S. 31–34. Bergen, Neureuther (Hg.) 1930, S. 65f. Ebd., S. 65f. Vgl. ebd., Vorwort, S. 26.
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segelnden Schiffes während der U-Bootfahrt als »Pflicht am Vaterland«.50 Die Nordsee und insbesondere der Atlantik galten unter diesen Gesichtspunkten als reine Kriegsschauplätze. Aufgabe und Ziel der U-Bootfahrt waren das Versenken von feindlichen Schiffen.51 Auch in Bergens Beschreibungen der Heimreise nimmt er die Nordsee primär als Kriegsgebiet wahr : »Die uns gemeldete große U-Boot- und Minengefahr beginnt an der dänischen Küste, der wir im Abstande der Dreimeilengrenze folgen. Die Schwimmwesten müssen angelegt werden. In humorvoller Weise empfiehlt mir der Kommandant die vorzügliche dänische Küche und die guten sauberen Hotels, wenn der Fall eintreten sollte, daß ich in dieser Nacht an Land schwimmen müßte.«52
Dies ist jedoch nicht der Fall, das U-Boot kann ungehindert den Weg nach Helgoland fortsetzen. In der deutschen Nordsee erwartet sie wieder ein Geleitschutz: »Mit dem tiefernsten aber frohen Bewußtsein ›Wir leben noch!‹ begrüßten wir den Morgen, die deutsche Nordsee, zwei deutsche Torpedoboote und deutsche Flieger.«53
Der Künstler berichtet, wie sie sich Helgoland nähern und dort freudig empfangen werden.54 Er hat dies in einem Bild motivisch umgesetzt (Abb. A2.6).55 50 »Nur die Notwendigkeit der Versenkung jedweden Fahrzeugs innerhalb des Sperrgebietes, die der Krieg erforderte, unterdrückte beim Anblick des Unterganges solch stolzer Segler in den Herzen wahrer Seeleute aufkommende wehmütige Anwandlungen. Hier war weder Schönheit noch Poesie ausschlaggebend, sondern lediglich die Pflicht am Vaterlande.« Bergen, Neureuther (Hg.) 1930, S. 58. 51 »Ich hatte genügend Gelegenheit, mich während dieser U-Bootfernfahrt zu überzeugen, wie unglaublich schwer es war, nach oft stundenlangem Berechnen und Überlegen einen Angriff erfolgreich durchzuführen und endlich ein von schnellen, geschickt geführten, schwerbewaffneten Begleitfahrzeugen gesichertes Fahrzeug vor das Rohr zu bekommen. Und war es dann soweit, dann kam die Kunst des sicheren Schießens mit den kostbaren Torpedo während einer nur sekundenlang möglichen Orientierung mit einem Auge durch das ein- und ausfahrende Sehrohr bei beständig durch den Seegang überschnittenen Gesichtsfelde. Wurde das nur ganz wenig und mit Vorsicht über die Wasserfläche ausgefahrene Sehrohr oder dessen unvermeidliche Schaumspur oder auch die Laufbahn des abgeschossenen Torpedos zu frühzeitig auf der andern Seite entdeckt, dann war es für jeden Erfolg zu spät. Auch der Gegner hatte große Erfahrungen in geschickter Abwehr, im Angriff, Täuschungsmanövern und schwer zu berechnenden Zickzackkursen. Auf allen Überwasserfahrzeugen des Feindes spähten beständig viele geübte Augen nach Spuren deutscher U-Boote, war man auf unsere Vernichtung eingestellt, und winkten für deren Gelingen hohe Auszeichnung und Prämien. Mit schnellen U-Bootjägern, Zerstörern, Flugzeugen, Netzen, Wasserbomben, U-Bootfallen in allen Spielarten, U-Booten und andern Mitteln ging man uns zu Leibe. Auf beiden Seiten gab es Mißerfolge, für viele das Ende.« Bergen, Neureuther (Hg.) 1930, S. 28f. 52 Bergen, Neureuther (Hg.) 1930, S. 66. 53 Ebd., S. 66. 54 »Deutsche Vorpostenboote und ein auslaufendes U-Boot begrüßen uns. Spiegelglatt liegt die grüne Nordsee vor uns. Heimatmöwen ziehen ihre Kreise und folgen unserm Kielwasser. An
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Claus Bergen
Abb. A2.6: Claus Bergen, Heimkehr – Helgoland in Sicht, 1917, Mischtechnik, 14,5 x 21,5 cm, Privatbesitz
Ein Teil des Decks sowie der Turm des aufgetauchten U-Bootes sind zu sehen. Die Silhouette Helgolands setzt sich rechts vom U-Boot kaum erkennbar am Horizont ab. Auf dem Deck scheint angesichts der glücklichen Heimkehr eine entspannte Stimmung zu herrschen. Einige Seeleute – zum Teil in Büchern vertieft – sitzen an den Turm gelehnt. Auf dem Turm selbst sind Besatzungsmitglieder mit verschiedenen Tätigkeiten beschäftigt. So gibt ein Mann mit Flaggen Winkzeichen, die einem Schiff im linken Bildbereich gelten. Vorne am Bug befinden sich ebenfalls einige Seeleute. Einer hat die Hand winkend zum Gruß erhoben. Spiegelglatt, wie Bergen die Nordsee bei der Rückfahrt nach Helgoland beschrieben hat,56 ist sie in dieser Illustration nicht, denn leichte Wellen durchziehen das Meer, darüber fliegen einzelne Möwen. Das Dargelegte gibt einen Einblick in die während des Ersten Weltkriegs unternommene U-Bootfahrt. Bergen hat in seinen Ausführungen das Kampfgeschehen in den Fokus gerückt. Ästhetische Ausführungen und künstlerische Darstellungen der Nordsee besitzen lediglich peripheren Stellenwert. Aus seinen Schriften lassen sich Begeisterung und Faszination angesichts der Erlebnisse auf der U-Bootfahrt lesen. Dabei führt Bergen an, dass er diese auch aus künstlerischer Perspektive überaus lehrreich empfand.57 Die Kameradschaft an Bord Backbord leuchten wieder die langen Dünenreihen der nordfriesischen Insel. Endlich ertönt der Ruf: ›Helgoland voraus in Sicht!‹ Herzlich bedankt sich der Kommandant von den abdrehenden Torpedobooten, die uns wohlbehalten in sicheres Fahrwasser geleitet hatten. Näher kommt uns der vertraute, bekannte rote Felsen. Um die Mittagszeit nimmt uns der Helgoländer Hafen in freudigem Empfang.« Bergen, Neureuther (Hg.) 1930, S. 68. 55 Vgl. Bergen, Neureuther (Hg.) 1930, S. 67. 56 Ebd., S. 68. 57 Rückblickend schildert er seine Begeisterung diese Reise im Dienste des Vaterlandes angetreten zu haben wie folgt: »Für mich als Maler war die überaus eindrucksvolle, künstlerisch lehrreiche und wertvolle U-Bootreise zu Ende gegangen. Keine Stunde, keinen Tag jener Fahrt im Kreise der U-Bootkameraden möchte ich missen, war es in den engen Räumen des Bootes oder bei den Wachposten auf dem Turme, war es bei glitzernder Sonne auf spiegelglatter See, oder im tollen Auf und Nieder des sturmgepeitschten Atlantiks; […] Als ich damals den
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hebt er als besonders lobenswert hervor.58 Die U-Bootfahrt und der Zusammenhalt der Mannschaft werden in seinen Ausführungen heroisiert. Im Nationalsozialismus wurden die Schlagworte »Kameradschaft« und »Treue«, die auch Bergen verwendete,59 verstärkt im Rahmen der Kriegspropaganda genutzt. Das im Jahr 1930 publizierte Buch steht im Kontext einer wieder erstarkenden Kriegsbegeisterung. Eine Intention Bergens lag u. a. darin, in der Bevölkerung wiederum Begeisterung für die Kriegsmarine, insbesondere für die U-Boote zu wecken.
Marinebilder im nationalen Kontext – Die Nordsee als Kriegsschauplatz im Ersten und Zweiten Weltkrieg Obwohl vielen wilhelminischen Marinemalern zu Beginn des Ersten Weltkrieges zunächst aus Gründen der Geheimhaltung nicht erlaubt wurde, Fahrten der Kriegsmarine zu begleiten und zu verbildlichen, erhielt Bergen vom Reichsmarineamt die Erlaubnis, bereits 1916 an einer Fahrt auf der »S.M.S. Markgraf« als Kriegsmaler teilzunehmen.60 Die dabei entstandenen Werke, die der Zensur unterlagen, wurden vom RMA als »sehr gut« befunden und berechtigten Bergen weiterhin in Wilhelmshaven als Kriegsmaler tätig zu sein.61 Somit war er anwesend als 1916 die Hochseeflotte von der Skagerrak-Schlacht zurückkehrte.
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Helgoländer Boden wieder unter den Füßen hatte, mußte ich in erster Linie wieder die schon vor der Ausreise an mich gerichtete Frage beantworten: ›Haben Sie auch etwas gesehen?‹ Ein Bruchstück des schweren Kampfes zur See und unter dem Wasser war vor meinen Augen eigenes Erlebnis geworden, und doch hatte ich so vieles gesehen, Eindrücke gesammelt, die die Feder ebensowenig zu schildern vermag wie Pinsel oder Zeichenstift.« Bergen, Neureuther (Hg.) 1930, S. 68f. »Den menschlich stärksten Eindruck hinterließ mir die treue, ehrliche Kameradschaft, der eiserne Zusammenhalt zwischen Mannschaft und Offizieren auf dem kleinen Raume des Bootes, abgeschnitten von der Heimat, ohne jede Verbindung, draußen in feindbesetzten Meeren, völlig auf sich selbst angewiesen, umgeben von tausenderlei lauernden Gefahren und stets den Tod vor Augen, selbstaufopfernd und ritterlich für die Ehre ihres Landes kämpfend. Einer für alle, alle für einen! Das war der U-Bootleute oberstes Gesetz. Von ihm geleitet, fuhren sie hinaus, kehrten sie heim und blieben viele der Tapfersten im Tode vereint auf dem Grunde des Weltmeeres in ihren stählernen Särgen. Und die noch leben, haben ihrem kameradschaftlichen Gedanken bis heute die Treue gehalten und dabei auch ihren Maler nicht vergessen. Mögen die in diesem Buche gesammelten Erlebnisse davon Zeugnis ablegen, was eiserner Wille und Zusammenhalt selbst auf verloren geglaubtem Posten und in höchster Gefahr vermocht haben.« Bergen, Neureuther (Hg.) 1930, Vorwort. »Noch lebt der Geist der Kameradschaft und der Treue. Möge er in weitesten Kreisen Wurzel fassen und die Erkenntnis reifen lassen, daß Einheit und gegenseitiges Vertrauen eine unüberwindliche Kraft erzeugen und zum Erfolge führen. In diesem Sinne: Große Fahrt voraus!« Bergen, Neureuther (Hg.) 1930, Vorwort. Vgl. Scholl 2002, S. 50. Vgl. ebd., S. 50.
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Aufgrund von persönlichen Gesprächen und Berichten der Augenzeugen sowie unter Zuhilfenahme von Seekarten schuf er Gemälde, die den Eindruck erwecken, er habe die Schlacht miterlebt.62 Detailgetreue Darstellungen der Kampfszenen und technische sowie navigatorische Richtigkeit trugen dazu bei, dass die 1917 in der Kaiser-Friedrich-Kunsthalle in Wilhelmshaven präsentierten Werke gelobt und auch von hochrangigen Seeoffizieren erworben wurden.63 Bergen hat verschiedene Ansichten der Skagerrak-Schlacht gemalt, in denen unterschiedliche Perspektiven zum Ausdruck kommen (Abb. A2.7, 8, 9).64 So bekommt der bzw. die Betrachtende beispielsweise beim Werk »Skagerrak: Die achtern Türme der Seydlitz« (Abb. A2.8) den Eindruck, er bzw. sie wäre selbst auf dem Schiff, das gerade im Kampfeinsatz ist. Meterhohe Wasserfontänen, die von Einschlägen herrühren, erzeugen eine bedrohliche Dramatik, wie sie auch in den Bildern »Skagerrak« (Abb. A2.7) und »Linienschiff Hessen in der Schlacht vor dem Skagerrak« (Abb. A2.9) ersichtlich ist.
Abb. A2.7: Claus Bergen, Skagerrak, Gouache, 73,5 x 117 cm, Privatbesitz
Abb. A2.8: Claus Bergen, Skagerrak: Die achteren Türme der Seydlitz, 1916/17, Tempera, Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven
62 Vgl. ebd., S. 50. 63 Vgl. ebd., S. 54. 64 Vgl. Herzog 1987, S. 18, vgl. Scholl, S. 6, vgl. Salewski 1982, S. 7, vgl. Hormann, Kliem 2002, S. 47.
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Abb. A2.9: Claus Bergen, Ausschnitt, Linienschiff Hessen in der Schlacht vor dem Skagerrak (31. Mai 1916), Gouache, Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven
In diesen exemplarisch gewählten Werken sind die großen Schlachtschiffe im Kampfeinsatz visualisiert. Die Luft ist häufig verraucht und dunstig dargestellt. Der Skagerrak als Teil der Nordsee stellt die Bühne für den Seekrieg dar. Die Bilder Bergens trugen zur Verklärung der Skagerrak-Kampfhandlungen bei. Obwohl es keinen Sieger in dieser Schlacht gab, wurde sie für die deutsche Kriegspropaganda instrumentalisiert. Die Bilder sollten demonstrieren, dass sich die deutsche Flotte gegen die britische Royal Navy tapfer zur Wehr gesetzt hat. Bergen verbildlichte weitere Gefechte in der Nordsee. Exemplarisch sei auf das Werk »S.M.S. CÖLN im Seegefecht bei Helgoland« (Abb. A2.10) verwiesen.65
Abb. A2.10: Claus Bergen, S.M.S. Cöln im Seegefecht bei Helgoland, Mischtechnik, Privatbesitz
Es zeigt den Kreuzer »S.M.S. Cöln«, der 1914 während eines Gefechts mit einer britischen Flotteneinheit sank.66 Bergen hat dabei nicht den Moment des Untergangs dargestellt, sondern den unter starken Beschuss geratenen deutschen Kreuzer. Wiederum soll heldenhafte Gegenwehr bildhaft verdeutlicht werden. In der Kriegspropaganda wurden allerdings nicht ausschließlich die Siege der deutschen Marine, sondern auch ihre Verluste verbildlicht und häufig als mutiger Widerstand gegen den Feind oder als heroischer Untergang interpretiert. Diese propagandistischen Floskeln fanden sowohl im Ersten als auch im Zweiten Weltkrieg Verwendung. So hat Bergen beispielsweise ein Marinege65 Vgl. Hormann, Kliem 2002, S. 55. 66 Vgl. Hormann, Kliem 2002, S. 55.
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denkblatt (Abb. A2.11) entworfen mit der Aufschrift: »So sank das Schiff – die Ehre nie.«
Abb. A2.11: Claus Bergen, Marinegedenkblatt mit Reichskriegsflagge, Mischtechnik, 77 x 105 cm, Lenggries
Ein im Vordergrund sitzender Adler und eine Reichskriegsflagge sollen die Stärke und Macht Deutschlands symbolisieren sowie den Heldentod propagieren. Kritische Darstellungen von Leid und Tod gab es von Bergen nicht. In den vielen Werken mit Seekriegsmotiven bleiben die Seeleute anonym. Das Individuum und dessen Schicksal visualisierte er in diesem Kontext nur selten. Da alle seine Kriegsmarinebilder eine ähnliche Motivik und Bildsprache besitzen, wird die Darstellung auf obigen Einblick beschränkt. Darüber hinaus hat Bergen Entwürfe für Bucheinbände gefertigt, von denen viele ebenfalls im Kontext der Heroisierung der Marine stehen. Dies zeigen u. a. folgende Titel:67 »Helden zur See« (ca.1917/18) (Abb. A2.13), »Die Leistungen der deutschen Flotte im Weltkrieg«68 (1918), »Wir leben noch«69 (1930), »Die Hochseeflotte ist ausgelaufen«70 (1930) (Abb. A2.12), »Ein Schiff! Ein Schwert! Ein Segel!«71 (1934) sowie »Die versenkte Flotte. Die Großtat deutscher Männer in der Scapa Bucht«72 (1935). 67 Exemplarisch sei auf folgende weitere Titel verwiesen: »Kreuz wider Kokarde, Jagdflüge des Leutnants Udet« (vgl. Eichler 1918), »Die verratene Flotte« (vgl. Freiwald 1931) und »Seeheld Graf Spee« (vgl. Fein 1933). Detaillierte Ausführungen vgl. Hormann, Kliem 2002, S. 156– 159. 68 Vgl. Bischoff 1918. 69 Vgl. Bergen, Neureuther (Hg.) 1930. 70 Vgl. Cornelissen 1930. 71 Vgl. Droop, Kinau (Hg.) 1934. 72 Vgl. Fein 1935.
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Abb. A2.12: Claus Bergen, Die Hochseeflotte ist ausgelaufen (Ausschnitt), 1930, Bucheinbandentwurf, Tempera, 44 x 32 cm, Gemeinde Lenggries
Abb. A2.13: Claus Bergen, Helden zur See (Bucheinbandentwurf), ca.1917/18, Bucheinbandentwurf, Tempera, 44 x 32 cm, Gemeinde Lenggries
Ebenfalls wurden von Bergen Illustrationen u. a. für folgende Bücher geschaffen: »Meisterwerke der Kriegsmalerei« (1916)73, »Gedichte zur Seeschlacht vor dem Skagerrak« am 31. Mai 1916« (1916), »Wir waren einst. Die deutsche Flotte von ihren Anfängen bis zum Ausgang des Weltkrieges« (ca. 1925), »Der U-Bootskrieg 1914–1918« (1925)74, »Deutschlands Gegner im Weltkrieg« (1926), »Unsere Marine im Weltkrieg 1914–1918« (1927)75 sowie »Geschichtsbuch für die Jugend des Dritten Reiches« (1934)76.77 73 Vgl. Zentral-Depot für Liebesgaben des stellvertretenden Militär-Inspekteurs der freiwilligen Krankenpflege (Hg.) 1916. 74 Vgl. Michelsen 1925. 75 Vgl. Mantey (Hg.) 1927. 76 Vgl. Gaede, Schütte 1934.
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Claus Bergen
Bergens Marinebilder stehen im Kontext kaiserlicher und später nationalsozialistischer Kriegsverherrlichung. Nach dem Ersten Weltkrieg ging das Interesse an Marinedarstellungen in der breiten Öffentlichkeit stark zurück. Jedoch erhielt Bergen weiterhin Privataufträge von der Marine. Im Nationalsozialismus betätigte er sich erneut als Kriegsmarinemaler. Somit war er auf diesem Gebiet sowohl im Ersten als auch im Zweiten Weltkrieg tätig und trug so zur Popularisierung der Marine und heroischen Verklärung von Seeschlachten bei.78 Viele seiner Kampfszenen wurden in der Kriegspropaganda instrumentalisiert. Seine politische Überzeugung spiegelt sich ebenfalls in einigen seiner Werke. Bergen war kein Verfechter der Weimarer Republik und trat bereits 1922 für ein Jahr in die NSDAP ein und meldete 1932 erneut die Parteizugehörigkeit.79 In den Werken »Reichskriegsflagge vor Kreuz« (Abb. A2.14) und »Reichskriegsflagge vor Hakenkreuz« (Abb. A2.15) sind nationale wie nationalsozialistische Belegungen ersichtlich.
Abb. A2.14: Claus Bergen, Reichskriegsflagge (bis 1921) und Kreuz, Tempera, 20 x 40 cm, Privatbesitz
77 Detaillierte Ausführungen vgl. Hormann, Kliem 2002, S. 156–159. 78 Vgl. Herzog, Anm. 56, S. 36. Exemplarisch sei auf die zahlreichen Seeschlachtengemälde, wie beispielsweise »Gegen England« verwiesen. Vgl. Hormann, Kliem 2002, S. 131. 79 Der anfänglich kurze Parteibeitritt hängt wahrscheinlich mit dem zerschlagenen Hitlerputsch zusammen. Vgl. Herzog 1987, S. 23. Der Künstler war bekennender Nationalsozialist. Vgl. u. a. Herzog 1987, S. 26. Ich stimme nicht der von Hormann und Kliem getätigten Äußerung »Claus Bergen war ein völlig unpolitischer Mensch« zu. Vgl. Hormann, Kliem 2002, Einleitung.
Marinebilder im nationalen Kontext
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Abb. A2.15: Claus Bergen, Reichskriegsflagge (1933–1935) vor Hakenkreuz, Tempera, 20 x 40 cm, Privatbesitz
Im erstgenannten Bild ist die kaiserliche Reichskriegsflagge im Zusammenspiel mit dem wogenden Meer und einer kreuzförmigen Lichtdarstellung im Himmel zu sehen. Die Fahnenstange wird nach unten hin transparent, sodass die Flagge wie eine Erscheinung wirkt. Das Lichtkreuz erhebt sich als Symbol am Horizont. Kreuzförmige Lichtsymbole sind bereits bei Caspar David Friedrich in seinen religiös-romantischen Werken enthalten. Auch Schnars-Alquist verbildlichte in seinem Werk »Durchs Kreuz zum Licht«, das ein Altarbild in der Christus- und Garnisonskirche in Wilhelmshaven zeigt, das christliche Symbol als Lichterscheinung am Himmel. Die Darstellung des Kreuzes in Bergens Werk steht jedoch nicht in religiös-romantischer Tradition, sondern besitzt durch das Zusammenspiel mit der kaiserlichen Reichskriegsflagge nationalen Symbolgehalt. So ist es auch möglich, dass das Kreuz am Himmel als Symbol des deutschen Kaiserreichs und Vorläufer des Hakenkreuzes zu sehen ist und als lichtbringendes Ziel erscheint. In der zweiten Version (Abb. A2.15) ist die Botschaft noch plakativer. Es wird suggeriert, der bzw. die Betrachtende befinde sich auf dem nassen Schiffsdeck. Der Blick fällt auf die wehende Reichskriegsflagge und auf eine Lichterscheinung zwischen den aufgerissenen Wolken am Himmel in Form eines überdimensional großen Hakenkreuzes. Die Deutung ist offensichtlich: Der Nationalsozialismus – symbolisiert durch das Hakenkreuz – ist bereits lichtbringend am Himmel aufgegangen. Diese zwei Werke stehen im Kontext nationaler Propaganda für die Kriegsmarine. Sie zeugen von der kaisertreuen und später nationalsozialistischen Einstellung des Künstlers.
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Claus Bergen
Nach Ende des Ersten Weltkriegs und der Auflösung der Kaiserlichen Marine wandte sich Bergen u. a. Themen der Handelsschifffahrt zu.80 Die Verbindung zu Marinekreisen bestand jedoch auch weiterhin; zum Beispiel nahm er 1926 an einer Mittelmeerfahrt der Reichsmarine teil und wurde 1928 zum Ehrenmitglied der Münchner U-Bootkameradschaft ernannt.81 Er erhielt Aufträge für Marinedarstellungen82 und schuf Illustrationen – beispielsweise für die veröffentlichten Erinnerungen des U-Boot-Befehlshabers Michelsen.83 In den nationalsozialistischen »Großen Deutschen Kunstausstellungen« im Haus der Deutschen Kunst in München war Bergen durchgängig mit einigen Werken vertreten.84 Exemplarisch sei auf folgende verwiesen: »Deutsche Zerstörer in der Nordsee«85 (Abb. A2.16, Farbabbildung), »Von Feindfahrt zurück«86 und »Erfolgreiche Rückkehr«87. Weiterhin erschienen über ihn Berichte im Völkischen Beobachter, in der NS-Zeitschrift »Kunst im Deutschen/Dritten Reich« sowie in den Zeitschriften »Kunst dem Volk«, »Weltkunst«, Illustrierte Zeitung«, »Die Wehrmacht« und »Das Bild«.88 Bergen erhielt ebenfalls Auftragsarbeiten von nationalsozialistischen Machthabern.89 Seine Gemälde erfüllten sowohl hinsichtlich ihrer Motivik als auch seines Stils die nationalsozialistischen Vorstellungen von Kunst.90 Bergen suchte den Kontakt zu einflussreichen Personen, z. B. zum Präsidenten der Reichskammer für Bildende Künste, Eugen Hönig.91 Im Jahre 1936 war Bergen zugegen, als Hitler das Marine-Ehrenmal in Laboe einweihte.92 Im selben Jahr schenkte Hitler ein Gemälde von Bergen der Kriegsmarine für das Offi-
80 81 82 83 84 85 86 87 88 89
Vgl. Herzog 1987, S. 23. Vgl. ebd., S. 23f. Weitere Belege vgl. Scholl 1982, S. 38f. Vgl. Hormann, Kliem 2002, S. 107. Vgl. Michelsen 1925. Vgl. Kataloge der Grossen Deutschen Kunstaustellungen von 1937–1944. Kat. München »Grosse Deutsche Kunstausstellung« 1940, S. 20, Nr. 63. Kat. München »Grosse Deutsche Kunstausstellung« 1941, S. 20, Nr. 59. Kat. München »Grosse Deutsche Kunstausstellung« 1942, S. 20, Nr. 61. Eine Übersicht gibt Herzog 1987, Anm. 41, S. 36, S. 54–62. Exemplarisch sei auf das Gemälde »Die Beschießung Almerias durch ›Admiral Scheer‹« verwiesen. Vgl. Herzog 1987, S. 27–30. 90 Vgl. hierzu ebd., S. 23, 26, 30f. und Anmerkung 40, S. 35f. Vgl. Scholl 1982, S. 43. Bereits vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges schürte Bergen mit seinen Motiven aus dem Ersten Weltkrieg die Begeisterung für die Kriegsmarine. So wurden die in der Berliner Ausstellung »Seefahrt und Kunst« (1935) gezeigten Werke im »Völkischen Beobachter« lobend als »historische Dokumente des Heldenruhms der Kriegsmarine von bleibendem Wert« herausgestellt. 91 Dieser versicherte ihm, dass er überzeugt sein könne, dass »ich Sie in Ihrer Bedeutung als schaffender Künstler in der Zukunft wohl würdigen werde.« Vgl. Scholl 1982, S. 39. Vgl. Hormann, Kliem 2002, S. 117f. 92 Vgl. Scholl 1982, S. 41.
Marinebilder im nationalen Kontext
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ziersheim in Kiel.93 Zur gleichen Zeit fand anlässlich der 20-Jahr-Feier der Skagerrak-Schlacht eine Ausstellung in der Kieler Kunsthalle mit Gemälden von Bergen statt.94 Dieser Ausstellung wurde von den Nationalsozialisten »traditioneller und erzieherischer Wert« zugesprochen.95 Bergen versuchte in der Zeit des Nationalsozialismus mit Unterstützung von Oberbefehlshabern der Kriegsmarine die erneute Verleihung des Professorentitels zu erreichen, den er im Jahre 1918 erhalten hatte, der ihm jedoch wieder entzogen wurde.96 Allerdings scheiterte er damit.97 Dafür verlieh ihm Hitler 1944 das Kriegsverdienstkreuz II. Klasse.98 Durch seine Kontakte zur Kriegsmarine erhielt er Einladungen, Fahrten der Kriegsmarine zu begleiten und künstlerisch darzustellen. Er war Gast auf Unterseebooten und wurde vom Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, Admiral Dönitz, ins Hauptquartier in Kerneval in Frankreich eingeladen.99 Weiterhin war er Begleitperson auf dem Torpedoboot »Seeadler«, dem Panzerschiff »Deutschland« und dem Zerstörer »Karl Galster«.100 In Bezug auf letztgenannten entstand das Bild »Deutsche Zerstörer in der Nordsee« (Abb. A2.16, Farbabbildung), das in der Großen Deutschen Kunstausstellung 1940 ausgestellt und in der Zeitschrift »Kunst im Deutschen Reich« gewürdigt wurde.101 Die Nordsee war für Bergen nicht nur Schauplatz und Einsatzgebiet für die Kriegsmarine, sondern auch für die Kriegsflugzeuge.102 Dies zeigt das Werk »Junkers Ju-88-Kette über der Nordsee«103 (Abb. A2.17). 93 94 95 96 97 98 99 100 101 102
Vgl. Herzog 1987, S. 27. Vgl. Scholl 1982, S. 41. Vgl. ebd., S. 42. Bergen wurde im Rahmen seiner Ausstellung im Münchener Glaspalast von König Ludwig III. von Bayern zum Königlichen Bayerischen Professor ernannt. Vgl. Herzog 1987, S. 22, 30f. Vgl. Herzog 1987, S. 30f. Vgl. Scholl 1982, S. 43. Vgl. u. a. Herzog 1987, S. 26, vgl. Scholl 1982, S. 43. Vgl. u. a. Herzog 1987, S. 26, vgl. Scholl 1982, S. 43. Detaillierte Ausführungen vgl. Kapitel »Nordsee und Wattenmeer im Nationalsozialismus«. In Bergens Werken wird auch die Perspektive aus der Luft gewählt und der Blick aus Kriegsflugzeugen auf das Meer visualisiert. Ebenso fertigte er Arbeiten an, die das Leben unterhalb des Meeresspiegels in U-Booten verbildlichen. Obwohl er dies bereits im Ersten Weltkrieg ausführte, verweist Tröge in seinem 1943 publizierten Buch »Feuer und Farbe« auf die angebliche Neuartigkeit dieser Perspektive: »Ebenso neuartig ist uns die Eroberung unentdeckter Blickpunkte, neuer Dimensionen für den Kriegsmaler. Ähnlich revolutionierend wie einst für die niederländische und die gesamteuropäische Kunst das Hinauswagen der Maler auf die hohe See und damit die Eroberung des Meeres für die Malerei, für das ›Seestück‹ war, wirkt auf uns heute der Blickpunkt aus der Luft, den wir erst aus der Wochenschau kannten und den nun vereinzelt kühne Maler in Feindflügen zu innerem Erleben verdichten. So geben Bergens ›Angriff auf englischen Geleitzug‹ (120), Lebrechts ›Bomben auf England‹ (110) und Spulers Werk aus dem Zyklus ›Unsere Luftwaffe‹ (124) uns vollkommen ungeahnte, neue und fesselnde Schaumöglichkeiten. Dasselbe tut Bergen mit seinen U-Boot-
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Claus Bergen
Abb. A2.17: Claus Bergen, Junkers Ju-88-Kette über der Nordsee, 1940, Tempera, 38 x 61 cm, Privatbesitz
Ebenso schuf Bergen Werke, in denen Flugzeuge und Schiffe zusammen dargestellt sind wie das Bild »Gegen Engelland«104. Es zeigt ein durch die Wellen brechendes deutsches U-Boot mit Luftunterstützung eines JU 88 Geschwaders. Dieses Bild fand bei den Nationalsozialisten Gefallen und wurde in der Großen Deutschen Kunstausstellung präsentiert. Zustimmung fanden ebenfalls seine Meeresdarstellungen, die nicht im Kontext des Krieges standen, zum Beispiel das Bild »Nordsee«, das 1938 in einer Ausstellung im Kölner Haus Neuerburg vorgestellt wurde. Der »Völkische Beobachter« berichtet dazu: »Claus Bergens ›Die Nordsee‹ wurde beinahe ausschließlich von Arbeiterinnen als das schönste Bild der Ausstellung bezeichnet, und zwar mit Begründungen wie diesen: ›Wenn ich dieses Bild betrachte, überkommt mich eine eigenartige Ruhe, und ich muß unwillkürlich nachdenken. Das Bild gefällt mir am besten, weil es mich mit dem Stück Meer zugleich die weite Welt in Gedanken betrachten läßt.‹ – ›Dieses Bild gefällt mir am besten vielleicht, weil ich so sehr für die See schwärme‹«105
Nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt Bergen ein kurzes Schaffensverbot, ein Entnazifizierungsverfahren wurde eingeleitet und er konnte wieder als Künstler arbeiten.106 Er wandte sich nun von der Kriegsmarinemotivik ab und widmete sich verstärkt zivilen Themen wie Meeres- und Seefahrtsdarstellungen aber auch
103 104 105 106
Bildern, die fast wie durch das Sehrohr eines zweiten tauchenden oder getauchten U-Bootes erschaut aussehen und uns durch diese ungeahnte, unerwartete Art der Darstellung fesseln: ›Begegnung im Atlantik‹ (128) und ›Im Kampfgebiet des Atlantiks‹ (129), während seine großen Marinestücke ›Beschießung der Westerplatte durch die Schleswig-Holstein‹ (134) und ›Wacht in der Nordsee‹ (135) zusammen mit den Werken Schreibers aus dem U-Boot-Krieg ›Gegen Engeland‹ (133) und ›Nach der Geleitzugschlacht‹ (Tafel IV) das Bild des heutigen Seekrieges in kühner Weise vor Augen stellen.« Tröge 1943, S. 27. Vgl. Hormann, Kliem 2002, S. 105. Vgl. ebd., S. 131. Talmon-Gros, Walter, in: Völkischer Beobachter, 1. 5. 1938. Vgl. Scholl 1982, S. 85f. Einige seiner Werke wurden nach dem Krieg von den Amerikanern beschlagnahmt. Vgl. Herzog 1987, S. 26.
Unpolitische, ästhetische Annäherungen an die Nordsee
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historischen Themen.107. Somit knüpfte er an frühere Bildwelten an, denn neben seinen Kriegsbildern hatte er immer auch maritime Werke ohne politischen Inhalt gemalt, in denen u. a. die Schönheit des Meeres visualisiert ist. Auf Beispiele wird im folgenden Kapitel eingegangen.
Unpolitische, ästhetische Annäherungen an die Nordsee Claus Bergen hat bereits vor dem Ersten Weltkrieg während seiner Studien auf Polperro das Meer als ein wichtiges Motiv in seinem Schaffen entdeckt. In seinen maritimen Werken verbildlichte er die See, die Küste und Inseln sowie die zivile Schifffahrt. Das Meer hat er neben der Schifffahrtsmotivik auch als eigenständiges Motiv realitätsnah bildlich umgesetzt wie beispielsweise im recht spät entstandenen Werk »Offene See bei Mondschein (Große Woge)« (Abb. A2.18).
Abb. A2.18: Claus Bergen, Offene See bei Mondschein (Große Woge), 1962, Öl, ca. 40 x 60 cm, Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven (Sammlung Bernartz)
Es zeigt die nächtliche, von Mondschein erhellte, aufgetürmte See. Der Titel verweist darauf, dass das Motiv nicht in Küstennähe, sondern auf hoher See verortet ist. Jedoch ist eine eindeutige topografische Lokalisierung seiner Meeres- und Wellenmotive häufig nicht möglich. Ebenso können übergeordnete Vorstellungen des Meeres zugrunde liegen. Im Gegensatz dazu sind die Darstellungen von Inseln und Küste leichter zu verorten. Exemplarisch sei auf zwei Helgoland-Bilder verwiesen. Erstmals bereiste Bergen Helgoland im Jahre 1907;108 zehn Jahre später hielt er sich vor seiner Kriegsfahrt mit der U 53 wiederum eine Zeitlang dort auf. Allerdings war Helgoland sowohl im Ersten als auch im Zweiten Weltkrieg 107 Vgl. Herzog 1987, S. 31, vgl. Schlechtriem 1982, S. 58. 1924 erhielt der Künstler eine Einladung, an der Jungfernfahrt der Columbus nach New York teilzunehmen. Auf der Fahrt entstanden mehrere Gemälde. Vgl. Schlechtriem 1982, S. 66. 108 Vgl. Hormann, Kliem 2002, S.137. Vgl. Schlechtriem 1982, S. 60f.
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Claus Bergen
Sperrgebiet. Der Künstler fertigte im Laufe seines Lebens einige Werke dieser Insel mit Blick von der Seeseite aus an, so beispielsweise in dem Werk »Helgoland« (Abb. A2.19), das im Bildband »Die See« im Jahre 1926 erschien.109
Abb. A2.19: Claus Bergen, Helgoland, Öl, unbekannt
Die Insel ist von der Wasserseite mit Blick auf die Lange Anna dargestellt. Der blaue, mit weißen Schönwetterwolken überzogene Himmel vermittelt einen nahezu idyllischen Eindruck. Dieser wird jedoch durch die aufgewühlte See und die an die Felsen brandenden Wellen etwas getrübt. Im Gegensatz dazu vermittelt das Bild »Helgoland. Die Perle der Nordsee«110 (Abb. A2.20) einen bedrohlicheren Eindruck.
109 Vgl. Luckner, Sarnetzki, Rohe 1926, ohne Seitenzahl. Folgender Kommentar wurde zu diesem verfasst: »Witt is de Sand, Rot is dat Land, Grön is de Kant…. Kündet ein alter Spruch von Helgoland, und eine treffliche Illustration dazu liefert das haarscharf gesehene Bild der Nordseeinsel von Claus Bergen. Dieser Künstler gehört zu denen, die die See aus voller Seele lieben. In Marinekreisen ist er ebenso bekannt, wie in denen der Kunst und durch seine Arbeiten zu dem Werk ›Die deutsche Marine im Weltkriege‹, das den vollendeten Sachkenner bekundet, sowie durch das Bild ›Skagerrak‹ im Marinemuseum im Kiel hat er sich neuerdings auch die Teilnahme einer breiten Öffentlichkeit errungen. Ein Wirklichkeitsmaler par excellence, der, ob er ein Seegefecht darstellt, das mit den letzten Errungenschaften der Kriegstechnik ausgekämpft wird, oder einen malerischen Winkel im Seehafen oder am Meeresstrande, uns immer die genaueste Anschauung der Dinge liefert. So, wie er es auf seinem Bilde wiedergibt das Eiland, prägt es sich jedem ein, der es einmal aufgesucht hat oder an ihm vorbeigefahren ist; an dieser zyklopischen Felsenburg, die aus dem weiten Meere aufragt, kahl, baumlos, nur oben von leichtem Grün bekrönt.« Rohe 1926a, S. 22f. 110 Vgl. Hormann, Kliem 2002, S. 137.
Unpolitische, ästhetische Annäherungen an die Nordsee
173
Abb. A2.20: Claus Bergen, Helgoland, die Perle der Nordsee, ca. 1950, Öl, ca. 60 x 89 cm, Privatbesitz
Aus der stürmischen, aufgepeitschten, grünen Nordsee erhebt sich in rotbraunen Farben die felsige Küste Helgolands, darüber wölbt sich ein grauer, bewölkter und Unwetter andeutender Himmel. Die Insel ist aus größerer Distanz verbildlicht, wirkt fast klein und verloren, trotzt jedoch eindrucksvoll der Gewalt der stürmischen Nordsee, Dieses Bild entstand 1950 und steht beispielhaft für die zivilen Themen, die Bergen nun zunehmend wählte. Bergen bereiste neben Helgoland andere Nordseeinseln, wie Sylt. Diese Insel suchte er bereits im Herbst 1919 mit seiner Verlobten, Elisabeth Wagner auf.111 Der Künstler entfloh damals den revolutionären Wirren.112 Anfang der 20er Jahre schlossen sich weitere Reisen an.113 In dem Ölgemälde »Elisabeth Wagner am Strand von Westerland auf Sylt« (Abb. A2.21) malte Bergen seine spätere Frau am Strand.114
Abb. A2.21: Claus Bergen, Elisabeth Wagner am Strand von Westerland auf Sylt, 1919, Öl, 69 x 64 cm, Gemeinde Lenggries 111 112 113 114
Vgl. Schlechtriem 1982, S. 64f., vgl. Hormann, Kliem 2002, S. 39. Vgl. Schlechtriem 1982, S. 65. Vgl. Hormann, Kliem 2002, S. 74. Vgl. Hormann, Kliem 2002, S. 74. Diesem Werk liegt eine Skizze zugrunde.
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Claus Bergen
Das Meer im Hintergrund ist lediglich als blaugrauer Streifen dargestellt. Weiße Brandung kennzeichnet die Strandlinie. Die Frau steht leicht erhöht unterhalb eines Kliffs oder Dünenzugs. Der Wind spielt mit ihrem Rock, Mantel und Kopftuch. Die Frau, nicht die Nordsee ist das Hauptmotiv des Bildes. Bergen fertigte auf Sylt weitere Skizzen an, die seinen Gemälden als Vorlagen dienten,115 zum Beispiel die Skizze »Der Strandvogt (Gestrandetes Schiff vor dem Roten Kliff auf Sylt)« (Abb. A2.22).
Abb. A2.22: Claus Bergen, Der Strandvogt (Gestrandetes Schiff vor dem Roten Kliff auf Sylt), 1919, Bleistiftskizze, 17 x 25 cm, Gemeinde Lenggries
Die stürmische See brandet an den Strand beim Roten Kliff. Der Himmel wirkt durch die Grauschattierungen unruhig. Vögel beleben die Luft. Ein Mann mit Mantel, Hut und Stock geht am Strand spazieren. Der Titel verweist darauf, dass es sich um den Strandvogt handelt. Er wirkt durch Gestalt und Kleidung imposant. Im Hintergrund ist ein gestrandetes Schiff zu sehen. Bergen hat wesentliche Kompositionselemente dieser Skizze in dem drei Jahre später entstandenen Ölgemälde »Das Rote Kliff auf Sylt« (Abb. A2.23) übernommen.
Abb. A2.23: Claus Bergen, Das Rote Kliff auf Sylt, 1922, Öl, 79 x 134 cm, Gemeinde Lenggries
115 Vgl. Herzog 1987, S. 23, 116f., 120, vgl. Hormann, Kliem 2002, S. 39.
Unpolitische, ästhetische Annäherungen an die Nordsee
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Dieses wurde 1922 im Glaspalast München ausgestellt.116 Wie in der Skizze ist in der rechten Bildseite das Rote Kliff und im linken Bereich das tosende Meer zu sehen. Brandung und Gischtflocken werden an den Strand getrieben. In einiger Entfernung ist ein gestrandetes Schiff in der Brandungszone zu erkennen. Am Strand befinden sich einige Menschen, die im Gegensatz zur detaillierten Darstellung des Strandvogts in der Skizze in weiter Entfernung als Zuschauer oder Gerettete des Schiffsunglücks klein dargestellt sind. Das Werk ist in gedämpften Farben gehalten und gibt einen realistischen Eindruck von den Herbststürmen in der Nordsee, deren Wellen an den Strand von Sylt branden. In diesen Bildern zeigt Bergen die Nordsee von ihrer rauen Seite. Die Macht des Meeres, Schiffe stranden zu lassen, wird visualisiert. In weiteren Werken thematisierte Bergen die Seenotrettung in der Nordsee. So verbildlichte er das auf Wangerooge liegende Rettungsboot »Fürstin Bismarck« (Abb. A2.24).117
Abb. A2.24: Claus Bergen, Das Rettungsboot Fürstin Bismarck, Öl, 80 x 136 cm, unbekannt
Mitte der 1890er Jahre erhielt die Seenotrettungsstation dieses Boot, das 1925 durch die »Fürstin Bismarck II« ersetzt wurde.118 In Bergens Bild ist der Kampf des Rettungsbootes mit den hohen Wellen der aufgewühlten See zu sehen. Die Männer im Boot versuchen rudernd das in Seenot geratene Segelschiff zu erreichen. Bis heute ist dieses Bild auf der Homepage der Wangerooger Seenotrettungsstation abgebildet.119 Das Werk »Rettungsboot im Einsatz« (Abb. A2.25) zeigt das gleiche Motiv.
116 117 118 119
Vgl. Herzog 1987, S. 23. Vgl. Hormann, Kliem 2002, S. 107. Vgl. http://www.seenotretter.de/seenotrettung/stationen/wangerooge.html, 15. 12. 2013. Vgl. ebd.
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Abb. A2.25: Claus Bergen, Rettungsboot im Einsatz, 1929, Tempera, 51 x 107 cm, Gemeinde Lenggries
Auch hier bemühen sich die Männer im Rettungsboot, dem in Seenot geratenen Segelschiff zu Hilfe zu kommen. Aber ebenso finden sich in Bergens Werk Darstellungen der ruhigen Nordsee. Das Aquarell »Der Hafen von Munkmarsch auf Sylt« (Abb. A2.26) vermittelt eine solche friedliche Wattenmeerdarstellung.
Abb. A2.26: Claus Bergen, Der Hafen von Munkmarsch auf Sylt, 1919, Aquarell, 24 x 34 cm, Privatbesitz
Im Vordergrund liegt ein trockengefallenes Segelschiff vor Anker. In einiger Entfernung sind weitere Schiffe sowie im Hintergrund die Insellandschaft Sylts erkennbar. Die um 1920 entstandene Ölstudie »Sanddüne auf Sylt«120 (Abb. A2.27) zeigt den Blick über eine Dünenlandschaft auf die bewegte Nordsee.
120 Vgl. Hormann, Kliem 2002, S. 74.
Abschließende Zusammenfassung
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Abb. A2.27: Claus Bergen, Sanddüne auf Sylt, ca. 1920, Öl, 26,5 x 41,5 cm, Privatbesitz
Das mit lockeren Pinselduktus erstellte Werk vermittelt einen lebendigen Eindruck. Ebenso schuf Bergen ein Bild, in dem der Blick durch die Dünenlandschaft auf das bei Ebbe trockengefallene Wattenmeer visualisiert ist.121 Jedoch gehörten Wattlandschaften nicht in sein gängiges Repertoire. Er griff dagegen Sturmfluten motivisch auf, wie das Bild »Halligwarften bei Land unter« (Abb. A2.28, Farbabbildung) belegt. Dieses Werk spiegelt die Dramatik wider, wenn die Halligen bei Sturmfluten überspült werden und nur die Warften aus dem Wasser ragen. Das ca. 70 x 170 cm große Ölgemälde vermittelt einen beängstigenden Eindruck von den von Wassermassen eingeschlossenen Warfthäusern. Die Nordsee ist aufgewühlt von brechenden Wellen, Gischt hüllt die aus dem Wasser ragenden Gebäude ein. Das grünlich getönte Meer und der graue Himmel verdeutlichen die bedrohliche Situation der Sturmflut. Die Größe des Bildes verstärkt die Dramatik, angesichts der auf den Warften eingeschlossenen Menschen.122 Dies stellt ein Einblick in die zivilen maritimen Bildwelten Bergens dar.
Abschließende Zusammenfassung Der Künstler hat das Meer auf seinen Reisen in zahlreichen Facetten kennengelernt. In seinen Gemälden stellt er unterschiedlichste Meeresstimmungen dar. Neben friedlichen Stimmungen wird das Meer aufgewühlt und stürmisch visualisiert. Bergen wurde jedoch insbesondere durch seine Darstellungen der Kriegsmarine bekannt. Viele von diesen Bildern repräsentieren heroische Sehweisen, die im Kontext der Kriegspropaganda genutzt wurden. Auch nationale Belegungen sind ersichtlich. Kritische Verbildlichungen der Seekriege sind selten. Obwohl er mit den Kriegsdarstellungen Ruhm erhielt, widmete er sich 121 Vgl. Schlechtriem 1982, S. 65. 122 Es existiert zudem eine Bleistiftskizze hierzu. Vgl. Schlechtriem 1982, S. 65.
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Claus Bergen
auch zeitlebens der Zivilschifffahrt und anderen maritimen Themen wie beispielsweise dem Rettungswesen. Die Darstellung des Meeres – beispielsweise einzelne Wogen – war neben dem Motivkreis der Inseln und Küste wichtiger Bestandteil seines Schaffens. Es war generell das Meer, dem er sich verbunden fühlte und das seine Kunst bestimmte. Die Nordsee und ihre Inseln hat er vielfach dargestellt, auch das Wattenmeer fand Eingang in seine Bildwelten. So griff er exemplarisch Charakteristika dieses Meeres auf, wie die während Sturmfluten überfluteten Halligen. Es waren aber primär die Darstellungen der Kriegsmarine, die ihn populär machten. Diese Thematik trug ebenfalls dazu bei, dass er und weitere Kriegsmarinemaler, wie Bohrdt und Stöwer, in Vergessenheit gerieten, da heute ein kritischer Umgang mit diesen Motiven erforderlich ist und diese keine Popularität mehr besitzen.
3.
Magnus Weidemann – Nordsee und Wattenmeer im Kontext von Jugendbewegung, Freikörperkultur und Rassentheorie
Magnus Weidemann1 (1880–1967) war zwar ein relativ unbekannter Maler, doch ist sein Werk insofern für diese Studie von Bedeutung, da es Strömungen der Jugendbewegung und Freikörperkultur auf Sylt sowie das in den 20er Jahren zunehmend popularisierte rassische Gedankengut, das in der nationalsozialistischen Ideologie aufgeht, spiegelt. Die Ideale der Freikörperkultur und die rassischen Vorstellungen projiziert Weidemann in Schrift und Bild auf die Nordsee und das Wattenmeer. Im Folgenden werden zunächst seine im Kontext von Jugendbewegung und Freikörperkultur entstandenen Werke und Schriften angeführt. Ebenfalls wird Bezug auf seine rauschhafte, religiös besetzte Liebe zum Meer genommen. Diesbezüglich ergeben sich inhaltliche Überschneidungen mit dem zweiten großen Themenkomplex dieser Studie, da es sich primär um ästhetische, unpolitische Annäherungen handelt. Aufgrund seiner Ende der 20er Jahre zunehmenden Vereinnahmung der Nordsee und des Wattenmeeres für rassische Theorien wird dieser Künstler jedoch diesem Teil der Studie zugeordnet.
1 Die Forschungen zum Künstler sind spärlich. Vgl. u. a. Wulf 1980, Wedemeyer, Weidemann 1984, vgl. Kat. Sylt 2011, S. 224. Zum Teil wurden von Angehörigen posthum Werke publiziert. Vgl. u. a. Weidemann 1980, Weidemann 2001. Im Folgenden erfolgt eine kritische Bezugnahme auf die zahlreich vorhandenen Schriften des Künstlers und auf weitere Quellen. Eine Schwierigkeit besteht darin, die Bilder im Original zu sehen und deren Daten zu ermitteln. Viele sind nur noch als Abbildung ohne konkrete Daten in dem vom Künstler verfassten Buch »Unsere nordische Landschaft« abgebildet. Im Nachlass finden sich weitere Selbstzeugnisse wie eine selbst verfasste Autobiografie. Letztgenannte wurde zum Großteil direkt nach dem Kriege im Jahr 1946 geschrieben, der Abschluss 1958 angefügt, ebenso das Gesamtdatum. Vgl. Weidemann 1958. In dieser Studie wird sowohl auf Sekundär- als auch Primärquellen Bezug genommen.
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Magnus Weidemann
Nordsee und Wattenmeer im Kontext von Freikörperkultur und Jugendbewegung Der in Hamburg geborene Künstler2 zeigte schon früh Interesse an der Kunst.3 Obwohl er das Studium der Theologie wählte und Pastor wurde,4 war er parallel autodidaktisch künstlerisch tätig. So entstanden während seiner Amtszeit als junger Pastor auf Amrum erste Ölgemälde der Nordsee.5 Eine Unterbrechung seiner beruflichen sowie künstlerischen Tätigkeit erfolgte im Ersten Weltkrieg6 ; weil er als Marinepfarrer nicht verpflichtet wurde, meldete er sich freiwillig zum Sanitätsdienst in Frankreich.7 Er konnte jedoch den schrecklichen Auswirkungen des Krieges entgehen und nahm 1916 wieder seine Tätigkeit als Pastor in einem kleinen Dorf bei Elmshorn auf.8 Weidemann entschloss sich 1920 zugunsten der Kunst den Pastorenberuf aufzugeben.9 Da ein Kopenhagener Mäzen Gemälde von ihm übernahm, konnte er sich ein Haus mit Atelier in Siethwende bauen, das den Namen »Sonnenhof« trug.10 Dort war er im Rahmen von Lebensreformbewegungen tätig.11 So war sein Haus ein Treffpunkt von Anhängern der Jugendbewegung.12 Bis 1925 fungierte der Sonnenhof als Sitz der Schriftleitung der Zeitschrift »Freude – Monatszeitschrift für deutsche Innerlichkeit«, die Weidemann mit edierte.13 In den zwanziger Jahren vertrat er verstärkt die 2 3 4 5 6
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Autobiografische Notizen vgl. Weidemann 1940. Vgl. Weidemann 1977, S. 2. Vgl. Weidemann 1940, S. 1. Vgl. Weidemann 1977, S. 2. Vgl. ebd., S. 2. »[…] brach im August 1914 der Weltkrieg aus. Dieses Ereignis erschütterte mich tief. Ich nahm es unendlich ernst. Bald stand ich, da ich als Marinepfarrer nicht mehr unterkommen konnte, als freiwilliger Kriegskrankenpfleger beim Roten Kreuz in Frankreich. Während ich hier, besonders in der Gegend um Chauny, Laon und La Fere, mit französischen Farbstiften fieberhaft das schöne Feindesland, Volkstum und Baukunst studierte und jede von Dienst und Kameradschaft freie Stunde der Kunst diente, ward meine Frau auch Rotekreuz-Schwester, arbeitete in Kiel und in Warschau. […] Inzwischen starb mein Vater in Glücksburg, und ein Bruder fiel in Flandern. Bald darauf, nach zwei Jahren Kriegsdienst, wurde ich für mein heimisches Pfarramt reklamiert.« Weidemann 1940, S. 5. Vgl. Weidemann 1977, S. 3. Vgl. Weidemann 1977, S. 3. Vgl. ebd., S. 3. Vgl. ebd., S. 6. Weidemann war insbesondere durch seine erste Frau für die Jugendbewegung begeistert worden. Vgl. Weidemann 1977, S. 4. Bereits zuvor hegte er Interesse für lebensreformerische Strömungen, nun engagierte er sich aktiv. Vgl. ebd., S. 4. »Die Jahre 1921 bis 1925 meines Lebens sind zusammengehörig an das Haus in Siethwende gebunden, wo wir nun unseren ganz eigenen und im wesentlichen jugendlichen Lebenskreis aufbauten. Beruflich und gesellschaftlich war es ein ganz neues Leben: Die Kunst und die Jugendbewegung führten uns die Menschen zu und führten uns zu den Menschen.« Weidemann 1958, S. 156. Vgl. Weidemann 1977, S. 6. Vgl. Weidemann 1940, S. 6. Vgl. Weidemann 1977, S. 6. Vgl. Weidemann 1958, S. 161.
Nordsee und Wattenmeer im Kontext von Freikörperkultur und Jugendbewegung
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Idee der Jugendbewegung und der Freikörperkultur.14 So nahm er an einigen Jahrestagungen des Kronacher Bundes teil und arbeitete sowohl schriftstellerisch als auch künstlerisch für unterschiedliche Zeitschriften.15 Weidemann verfasste und publizierte zudem unterschiedliche Bücher, in denen er seine Kunst im Kontext zum Gedankengut der Jugendbewegung und Freikörperkultur präsentierte.16 Den Künstler verband eine Freundschaft mit Hugo Höppener, genannt Fidus, dessen Einfluss sich auch in Weidemanns Werken spiegeln.17 In dieser Zeit nahm das Motiv des nackten Menschen eine vorrangige Stellung in Weidemanns Kunst ein. Er wollte die Schönheit des Menschen in der Natur darstellen. Die Jugend- und Freikörperkulturbewegung richteten sich als Protest und alternative Lebensform gegen das bürgerliche städtische Leben.18 »Im Einklang mit der Natur, die wir verehren, sollen natürliche Mittel, vor allem Bewegung und Freiheit in Licht, Luft und Wasser, bei selbstverständlicher und völliger Nacktheit, zu wirklichem bestimmungsgemäßem Menschentum fähig machen. […] Wir erklären also die ›Freikörperkultur‹ als die rechte Pflege des Körpers.«19
In diesem Zusammenhang entdeckte Weidemann Sylt und die Nordsee sowie das Wattenmeer als Inspirationsfeld für seine Kunst. Bereits seit 1921 besuchten der Künstler und seine Frau alljährlich im Sommer das von Knud Ahlborn und Ferdinand Goebel auf Sylt in Klappholttal geleitete »Freideutsche Lager«.20 14 Vgl. u. a. Weidemann 1940, S. 6, Weidemann 1924, Weidemann 1924a, Weidemann 1925, Weidemann 1926, Weidemann 1927. 15 Zu den Aktivitäten im Rahmen der Jugendbewegung vgl. Weidemann 1958, S. 156–166. Vgl. Weidemann 1940, S. 6. Vgl. Weidemann 1977, S. 4f. 16 Exemplarisch sei auf Folgendes verwiesen: »Der männliche Körper in Linien und Licht: 30 Naturaufnahmen männlicher Körperschönheit« (vgl. Weidemann 1924a), »Körperschönheit im Lichtbild: ein Führer durch das Gebiet der Aktlichtbildkunst« (vgl. Weidemann 1924), »Körper und Tanz« (vgl. Weidemann 1925), »Deutsches Baden: ein Führer zu Freude, Schönheit und Gesundheit« (vgl. Weidemann 1926a) und »Ideale Körper-Schönheit« (vgl. Weidemann 1927). 17 Vgl. Wedemeyer, Weidemann 1984. Vgl. Weidemann 1977, S. 5. Vgl. Weidemann 1928. Zahlreiche Briefe, die von der Freundschaft der zwei Männer zeugen, befinden sich im Nachlassarchiv Kiel. 18 Diese Auffassung ist ebenfalls in Weidemanns Gedicht »Die ungefreute Freude« ersichtlich: »Die Sonne ruft – und lichte Weiten voller Glück – Doch keiner hört: euch hält des Alltags dumpfe Hast zurück., Die Heide blüht – und blaue Schmetterlinge schweben, In Duft und Traum – und ihr versäumt das gnadenschönste Leben. Die Möwen schwärmen – sie wissen ihre hohe Sommerzeit. Wir aber sinken – in unser selbstgeschaffenes Leid. Die Sonne ruft – und Meeresweite unermessen – Gott aber weint, daß ›seine Kinder‹ ihn – und sich – vergessen. – Ich klage an: muß Schöpfung unerfüllt in Nichts verderben? Aus eurem Wahn laßt ihr die ungefreute Freude sterben« Weidemann: Die ungefreute Freude, in: Wege und Ziel, zitiert nach Weidemann 1977, S. 8. 19 Vgl. Weidemann 1929, S. 1f. 20 Vgl. Weidemann 1977, S. 8. Begeistert schreibt er in seinen Lebenserinnerungen über seinen ersten Aufenthalt 1921 in Klappholttal: »[…] dieser Sommer [brachte] einen ganz wichtigen, folgenreichen Anfang: Unsern ersten Besuch in Klappholttal auf Sylt! Förmlich instinktiv
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Dieses vertrat die Ideale der Jugendbewegung. Das Erleben der Nordsee war eine intensive Erfahrung für Weidemann. In seiner Kunst zeigten sich neue motivische Themenkreise, in denen er »Meer, Watt und Strand« verbildlichte.21 Aufgrund finanzieller Nöte siedelte Weidemann 1926 vom Festland nach Sylt über.22 Er hoffte dort auf gute Kundschaft bedingt durch den Tourismus.23 Rückblickend begründete er in seinen autobiografischen Notizen, warum er nicht – wie seine Frau vorschlug – nach Köln ziehen wollte, wie folgt: »Ich gehöre nun einmal ans Meer.«24 Diese Insel wurde für ihn zur Wahlheimat, in der er sich seiner Kunst widmen konnte.25 Er erlebte dort zahlreiche maritime Stimmungen und Wetterphänomene, die ihn in seiner Kunst inspirierten: »Von den Sturmfluten, die wir erlebten, bis zur traumhaften Meeresstille und zu den täglichen elementaren Rhythmus von Ebbe und Flut, – von den schweigenden Heidetälern bis zu den lichtoffenen Wanderdünen, von den schroffen Kliffs bis zu den knorrigen Dickichten der Inselwälder, und vom Nebel und Schnee des Winters bis zu den strahlenden Blütenmeeren der Strandnelken und Statizen: Alles wurde mir Stoff zur Gestaltung und der systematischen Erforschung.«26
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mußten wir dorthin finden. Dort war Zukunft, auch meine Zukunft, im ersten Werden! In Klappholttal hatte Dr. Knud Ahlborn, einer der Führer und Anleger der ›Freideutschen Jugend‹, ein Militärbarackenlager mitten in den endlosen Dünen des Nordteils der Insel Sylt vor dem Abbruch schnell erworben, um es zu einem Ferienheim für Lebensreformer und Jugendbewegung auszubauen. Es war noch primitiv, erst im zweiten Lebensjahr, aber doch ideal, getragen von hoher Begeisterung für neue Lebensreform. Das war eine wunderbare Welt für uns, nicht nur Strand, Dünen, Heide in reinster Urgestalt, auch die Menschengemeinschaft, so echt wie schlicht. […] Und schon die Fahrt dorthin, unsere erste Nordseefahrt über Helgoland, war ja ein Großerlebnis.« Weidemann 1958, S. 157. Dadurch sei ihm die »Nordische Landschaft« »Begriff« geworden. »Die vielen Skizzen aus der Sylter Landschaft nahmen ihren Anfang, und dann zu Hause die vielen Bilder vom Meer, vom Watt, vom Strand, welche mir recht zum Schicksal wurden! Die ›Nordische Landschaft‹ wurde mir Begriff […]« Weidemann 1958, S. 157. Vgl. Weidemann 1977, S. 8. Vgl. Weidemann 1958, S. 165f. Vgl. Weidemann 1958, S. 166. Weidemann 1940, S. 7. »Sylt bedeutete mir einen alten Traum, eine Verheißung, eine Erfüllung. Dazu nun die Konzentrierung auf die Malerei.« Weidemann 1958, S. 168. »Nun kam ein neuer Lebensabschnitt in der Wahlheimat Sylt. Diese urwüchsige, nordische Insel wurde das Element, in dem meine Kunst schnell reifte und erstarkte. Der große Fremdenverkehr von Sylt hielt meine Werkstatt in ständiger Berührung mit dem fließenden Leben. Ich hatte Werkstatt und Ausstellungsräume eingerichtet in einem von mir ausgebauten echten alten Friesenhaus, mitten im schönen Gartendorf Keitum. Das Meer und auch das Inselland, mit Dünen, Hallig und Heide, die weiträumigen Gelegenheiten zu natürlicher Lebensführung, und schließlich auch weitere Studienfahrten an die Ostsee und nach Schweden, boten der Malerei unerschöpflichen Stoff.« Weidemann 1940, S. 7. Rückblickend zieht er das Fazit: »Die letzte Heimat, die ›Heimat am Meer‹ war jetzt gefunden, und nur in ihr galt es noch alles das aufzubauen, was zur ›Erkenntnis und Gestaltung‹ des Lebens sich vollenden musste.« Weidemann 1958, S. 174. Jedoch zerbrach an diesem Ortswechsel die Beziehung zu seiner Frau. Vgl. Weidemann 1958, S. 167. Weidemann 1958, S. 182.
Bilder der Freikörperkultur am Meer
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Im Jahre 1939 wurde ihm zudem die Verwaltung des Standesamts auf der Insel übertragen.27 Im folgenden Kapitel wird dargelegt, wie sehr die Ideale der Jugendbewegung im Kontext zur Freikörperkultur im Lager in Klappholttal seine Sehweise und Darstellungen der Nordsee prägten.
Bilder der Freikörperkultur am Meer Die Abwendung vom städtischen Leben und Hinwendung an die freie Natur fand Weidemann auf Sylt.28 Für ihn war es das Meer, das wesentlich zur Gesundheit, Freude und Freiheit der Jugendlichen beitrug, die sich im Sonnenlicht am Nordseestrand in ihrer Nacktheit der Natur hingaben.29 Es biete »lebenserneuernde Wohltat« und »waltet und wacht« über allem.30 Er benennt die »heilig27 Ebd., S. 199. 28 »Wir wollen uns, und besonders unsern Jugendlichen und Kindern, den Blick scharf und klar erhalten dafür, daß nur in der Gefolgschaft der heimatlichen, mütterlichen Natur gesunde Lebensfreude, Körperfreude, Sinnenfreude, die zugleich Seelenfreude ist, und damit geistiger Fortschritt, wesentlicher Bestand überhaupt gegeben ist.« Weidemann 1929, S. 9. 29 »Und nun schaut, im Sonnenglanz des blauen Sommertages, hinab und hinauf diesen Strand, der des deutschen Reiches nordwestlicher Winkel bildet. Da schimmert Düne und Sand so hell, daß See und Himmel dunkel dagegen stehen – geblendet von unten, muß sich das Auge erst an diese Lichtumkehrung gewöhnen, die auch dem Bewußsein eine Umkehrung zum Licht, hier war damals Leben in freier Freude! Seht dort eine Kinderschar, hellschimmernd in rosiggoldener Freude! Seht dort eine Kinderschar, hellschimmernd tummeln im Rausch des Lichts, im Tanz des Windes, im Teppich des weißen Sandes! Sonnenkinder! Hier sind die Bilder lebendige Wirklichkeit vor unsern Augen. Ein Reigenkreis nackter Elfen mit flatterndem Blondhaar tanzt wirbelnd und jauchzend in den Schaum der Wellen, wo diese flach und gefahrlos den Strand überspülen. Hinter dem Kreise glitzert fern auf dem Meere ein Sonnenfunkenband. Ein Rudel kleiner, kichernder Kobolde springt, rollt, purzelt, zappelt den Dünenhang hinab – lichtgewohnt, als hätten sie nie Kinderzwang gekannt. Sie fanden sich in der heiliggroßen Meeresnatur von selber zu ihrer Natur, zum Gotteskleid der reinen Jugendfreude zurück. Weiter hinaus aber, wo See und Sand einsamer feiern, erschauen wir zerstreute kleine Gruppen von großen, schönen, frischen Menschen, die wie Kinder sind und tun. Hinein zum Kampfspiel der naturgestählten Kräfte in die tosenden Fluten! Frei hinausschwimmen ist freilich hier auch für den Geübten unmöglich, verderbenbringend. Aber im Schaumbranden ein nacktes Baden und Spielen, ein sonnenfreies Leben und Atmen, Laufen und Ruhen.« Weidemann o. D., S. 6f. 30 »Auf nordischer Insel, zwei Dünenreihen nur vom brandenden Weststrande abgerückt, liegt in einer flachen Senkung ein Lager dunkler Holzhütten mit lustigen, bunten Fensterläden und Türpfosten. Ein Lager der Jugend neuen deutschen Geistes! Sonnenfroh lichtgläubige Jungscharen verleben hier, äußerlich anspruchslos, innerlich um so reicher, ihre Sommerferienzeit. […] Gebräunte Gestalten, die weder Hut noch Schirm und Stiefel kennen, in eigenschöner, farbiger Kleidung, auf leichten Sandalen oder barfüßig, eilen auf und ab. Man sieht nur Frohsinn, nur Schönheit! Lose Flechten und Blumenkränze tragen die Mädchen und Frauen. Gesunde, wache Kraft und ritterliche, reine Kameradschaft leuchtet auf den Mienen der Jünglinge und Männer. Kinder aus fernen, vergessenen Großstädten laufen und lachen dazwischen, denen das Meer und der Strand lebenserneuernde Wohltat ward. Hier wohnen die
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große Meeresnatur«, durch die die Menschen wieder »zum Gotteskleid der reinen Jugendfreude« zurückfinden31 und bezeichnet dieses Gefühl als »neue deutsche Art« und als einen Aufstieg »zu reinerem Wesen«.32 In seinen Fotografien hielt er dieses freie Treiben, das er in Klappholttal erlebte, fest. So zeigt die Fotografie (Abb. A3.1) eine Gruppe Kinder und Jugendlicher, die sich in den Wellen vergnügen.
Abb. A3.1: Magnus Weidemann, ohne Titel, o. D., Fotografie
Das Meer schenkte nach Weidemann Schönheit sowie Freude und befreite von gesellschaftlichen Zwängen, insbesondere solchen, die in der Großstadt herrschen.33 Das Erlebnis an der Nordsee, wird von ihm als »Erlösung zur Natur« überhöht dargestellt:34
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Freude, Gesittung und Hochsinn, das Volkslied und neuer edler Tanz. […] Über allem waltet und wacht das Meer. Hoch in der Luft hallt ja Tag und Nacht sein fortrollender Brandungsgesang, und seine weißen Vögel überkreisen, seine grauen Gräser umschaukeln das Tal der freien deutschen Jugend, die Gemeinschaft ihrer Sonnenfreude.« Weidemann o. D., S. 5f. Weidemann o. D., S. 6f. »Und nun noch ein Bild, das mir mein Meer in höchsten Feierstunden gab, von neuer deutscher Art, ein Bild des Lebens, wie es frei und leicht aus Meeresweite geboren wird. Das ist wie ein Märchen für viele im Lande, die nicht wissen, daß unser Volk schon aufsteigt zu reinerem Wesen.« Weidemann o. D., S. 5f. Seine Ausführungen sind nicht frei von nationalen Belegungen. So bezieht er sich immer wieder auf die deutsche Jugend und das Deutsche Reich, wie im Folgenden ersichtlich ist. Weidemann o. D., S. 5ff. »Und im Überschwang seliger Daseinslust ein verträumter, wellenverwandter Einzeltanz eines blühenden, schlanken Jungmädchens – das ist die Schönheit, die das Meer schenkt. Hier fiel all das Fesselnde, Drückende, Kranke und Gemeine, welches Großstadtdunst und Fremdgeist – nicht etwa Kulturnotwendigkeit an sich – dem deutschen Leben durch Jahrhunderte aufgezwungen und welches es mit verderblichem Giftgeist heruntergezogen hat, von selber ab, wie Mode und Tand, Gier und Neid, Lüge und Haß von den jungen Seelen, die im Banne der schöpferischen Natur des väterlichen Meeres sich selber fanden. Die selig sein können, weil sie reines Herzens sind und – wie die Kinder. Und sonnenoffen, wie die Vögel unter dem Himmel, wie die Blumen im Dünental, wie der Schaum auf den Wogen.« Weidemann o. D., S. 7. Vgl. Weidemann o. D., S. 7f.
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»Mein Meer sei gepriesen, daß es mir diese alleredelste Erfüllung aller Jugendsehnsucht nach sinnenfroher, natureiniger Innerlichkeit geschenkt hat. Denn diese Äußerlichkeit, sich selber hüllenlos stolz und frei und rein zu zeigen, in nackter Naturwahrheit zu leben – ist Innerlichkeit. Und wolkenhoch erhaben über der Verkennung und Anfeindung seitens jener Untermenschen, die im Weltmodebad zwei Meilen südwärts ihr Unwesen treiben – am Meer zwar auch, aber fern und fremd dem Lichtgeist und der Kraftreinheit dieses Urelements. Die beste Freude meines Meers, die Erlösung von allem Kleinlichen, die Erlösung zur Natur, ist für sie. Sie können dies uns aber nicht verdunkeln. Unser ist das Licht!«35
Weidemann vergleicht das Erleben des Meeres in diesem Zusammenhang als erhebendes Empfinden und als eine Offenbarung. In seinen Fotografien hat er dieses Gefühl und die Hinwendung zum Licht festgehalten wie es beispielsweise in Abb. A3.2 zum Ausdruck kommt.36
Abb. A3.2: Magnus Weidemann, ohne Titel, o. D., Fotografie
Diese verdeutlicht das von Weidemann beschriebene Gefühl der »Erlösung zu Natur« und die andächtige Hinwendung zum Licht, die er im Lager der Jugendbewegung auf Sylt verspürte. Dies hat er in weiteren Fotografien inszeniert (Abb. A3.3).
35 Weidemann o. D., S. 7f. 36 In Rückenansicht steht im seichten Wasser eine nackte Frau mit ausgebreiteten Armen. In andächtiger Haltung scheint ihr Blick nach oben zu der hinter der Wolkendecke durchscheinenden Sonne gerichtet zu sein.
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Abb. A3.3: Magnus Weidemann, ohne Titel, o. D., Fotografie
Auf einem großen Stein steht eine nackte Frau in anmutiger, leicht nach hinten gebogener Haltung mit ausgestreckten Armen. Hinter ihr ist ein Lichtbereich zu sehen, der im Wattenmeer reflektiert, wird und bis zur Frau zu fluten scheint. Die Bildsprache, von nackten Menschen, die sich in freier Natur in andächtiger Haltung zum Licht wenden, stellt in der Jugendbewegung ein gängiges Motiv dar. So erinnern manche Fotografien von Weidemann an Gemälde von Fidus. Es ist jedoch für diese Studie von Bedeutung, dass diese »Naturandacht« am Wattenmeer stattfindet.37 Auch in der Fotografie (Abb. A3.4) ist dieses hingebungsvolle Erleben des Meeres verbildlicht.
37 Weidemann stellt dabei die Bedeutung des Meeres als »herrlichste Offenbarung des Universums« heraus. »Und so erleben wir Menschen der neuesten Zeit, und ganz besonders wir trotz allem in eine lichtere Zukunft gläubig hinwandernden Menschen, heute das Meer : Als die reinste Natur, voll Schönheit, Größe, Rhythmus, Leben kosmischer Mächte. Das Meer ist uns herrlichste Offenbarung des Universums im Bannkreis der Erde. Sein Bild ist uns Gleichnis des Alls: Ohne Anfang, ohne Ende – sichtbar die Kugelgestalt unserer Erde und die umfassende Unendlichkeit des Ätherraumes um sie herum aufzeigend – fühlbar, hörbar und sichtbar den Rhythmus der Zeit und des Raumes abmessend in seinen Gezeiten und in dem wunderreichen Spiel seiner wandernden und brandenden Wogen. Es zu kennen, bedeutet uns Glück, weil wir hier die urhafte Schönheit und Ordnung (d. i. Kosmos) der Natur ganz rein erleben: Das Meer ist, wie es seit Urzeiten war und bleibt, unverändert wie nichts sonst auf der Oberfläche des Planeten. Und wir erleben seine Schönheit so persönlich, sozusagen gastlich, daß wir uns am Meeresstrande geradezu in die Wogen selbst hineingezogen fühlen, zum Spiel der rhythmischen Kräfte des Lebens, und so uns selber im Einklang mit dem Universum wiederfinden.« Weidemann o. D. [1926], S. 7.
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Abb. A3.4: Magnus Weidemann, ohne Titel, o. D., Fotografie, Nachlassarchiv Kiel
Eine nackte weibliche Person ist abgebildet, die sich in ihrer Körperhaltung den brandenden Wellen nähert. Diesbezüglich verweist Weidemann auf die reinigende und heilende Kraft des Meeres, der sich der Mensch in der Natürlichkeit der Nacktheit hingeben soll: »Wir können ja buchstäblich selbst hineintauchen und schöpfen aus dieser elementaren Berührung wunderbare Kräftigung. Aber auch schon durch des Meeres reinen Hauch und durch den nervenberuhigen Anblick seiner schlichten großen Linie und seines im Wechsel sich stetigen Gleichseins werden wir gesund, und am meisten dadurch, daß wir selber, naturfremd geworden in den Steinkerkern unserer Städte, wieder Naturwesen, nackte Kinder der Erde, der Luft, der Heimat werden – wenn wir den Anruf des Meeres, wie eine treue väterliche Stimme verstehen.«38
Weidemann beschwört ein »neues, deutsches, junges Volk«, das sich vom Leben in der Stadt und von gesellschaftlichen Idealen des Wilhelminismus abwendet39 und in Verbindung mit der Freikörperkultur das Meer erlebt: »So hat das neue deutsche, junge Volk sein Meer erlebt. – Es hat die Kleider abgeworfen und allen Tand der prüden und hohlen Zivilisation, es ist hineingestürmt in flüssiges, goldenes Sonnenlicht, in blaugrüne, tanzende Fluten, in schneeweißen, kosenden Schaum, es hat sein Weltgefühl und seine reine Lebensfreude und darin sich selbst
38 Weidemann o. D. [1926], S. 7f. 39 In der Zeitschrift »Die Freude« hat Weidemann eine Rechtfertigung für das Nacktbaden verfasst. Er stellt die These auf, dass das Nacktbaden »natürlicher, gesünder, sittlicher, erzieherischer und schöner« ist als das mit Badekleidung. »Das Baden in unserm Sinne – als das Ganzbaden, das Nacktbaden, das Gemeinsambaden – ist natürlicher, gesünder, sittlicher, erzieherischer und schöner. Als das Halbbaden in Verhüllung und Verstecktheit.« Vgl. Weidemann 1926, S. 123. Damit erteilte er den insbesondere im Wilhelminismus geltenden Sittlichkeitsregeln eine Absage und ruft die Jugend auf, sich in Form des Nacktbadens einer gesünderen, natürlicheren Lebensweise zu bekennen. »Wir Europäer des 20. Jahrhunderts sind der Natur maßlos entfremdet und empfinden als seltsam, aufregend, anstößig und peinlich, was das Allernatürlichste ist.« Vgl. Weidemann 1926, S. 123.
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gefunden. Nicht ist einfacher, schlichter – und tiefer als dies Erlebnis. Das Meer so zu kennen, ist Glück.«40
Weidemann hatte dieses so von ihm beschriebene Meereserleben nicht nur fotografisch, sondern auch malerisch verbildlicht. Exemplarisch sei auf das 1936 entstandene Werk »In der Brandung« (Abb. A3.5) verwiesen.41
Abb. A3.5: Magnus Weidemann, In der Brandung, 1936, Nachlassarchiv Kiel
Die Haltung der weiblichen Person wirkt natürlich und nicht so posenhaft wie die Frauen auf den anderen Fotografien. Das sorglose Badeerlebnis in der Nordseebrandung wird verbildlicht. In den Aktdarstellungen dient das Meer trotz der benannten Hingebung an dieses häufig jedoch nur als Bühne. Auch in der Fotografie (Abb. A3.6) steht die nackte weibliche Person im Fokus – das Meer besitzt Bühnenfunktion.
Abb. A3.6: Magnus Weidemann, ohne Titel, o. D., Fotografie 40 Weidemann o. D. [1926], S. 8. 41 Eine nackte Frau befindet sich in der Nordseebrandung. Sie ist zwar frontal dargestellt, doch ihr Blick geht zur Seite.
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Es ist keine Naturandacht verbildlicht, sondern das Aktmodell scheint in dieser Meereslandschaft für den Fotografen zu posieren. Dasselbe gilt für die Fotografie einer nackten Frau an der Abbruchkante der Insel. (Abb. A3.7).42
Abb. A3.7: Magnus Weidemann, ohne Titel, o. D., Fotografie
Aus solchen Fotografien ist kein tiefergehendes Empfinden für das Meeres abzulesen, sondern vielmehr eine Zurschaustellung des weiblichen Körpers.
Abb. A3.8: Magnus Weidemann, ohne Titel, o. D., Fotografie
Abb. A3.9: Magnus Weidemann, ohne Titel, o. D., Fotografie 42 Ebenso wie in der vorigen Fotografie ist die Frau von vorne gezeigt. Während die aus dem Meer schreitende Frau den Betrachter anschaut, ist der Blick der an der Abbruchkante stehenden Frau aufs Meer gerichtet.
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Auch in seinen Gemälden fungiert das Wattenmeer verstärkt als Kulisse wie beispielsweise in der Strandstudie (Abb. A3.10).
Abb. A3.10: Magnus Weidemann, Strandstudie, 1939, Nachlassarchiv Kiel
In diesen Bildern steht der Körper der Frauen im Interesse des Künstlers. Ebenso wird dies in dem im Jahr 1927 entstandenen kleinformatigen Bild (Abb. A3.11) deutlich, in dem eine nackte, am Strand liegende Frau dargestellt ist.
Abb. A3.11: Magnus Weidemann, ohne Titel, 1927, Nachlassarchiv Kiel
Motivisch faszinierten Weidemann die großen, im Watt liegenden Steine, insbesondere der sogenannte Nixenstein im Zusammenspiel mit dem nackten weiblichen Körper (Abb. A3.8, 9, 12, 13).43
43 So ist in der Fotografie (Abb. A3.8) eine Frau auf ihm zu sehen. Ihr Zopf weht im Wind und ihr Blick scheint in die Ferne zu gehen. Sie zeigt zwar keine andächtige Haltung, aber es ist ein genießerisches Naturerleben visualisiert.
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Abb. A3.12: Magnus Weidemann, Auf dem Nixenstein II, 1956, Nachlassarchiv Kiel
Beispielsweise posiert in dem 1956 geschaffenen Bild »Auf dem Nixenstein II« (Abb. A3.12) eine Frau auf dem Nixenstein, umgeben von der gelb, violett und blau getönten, leicht überfluteten Wattfläche.44 Das Bild entstand nach einer Fotografie (Abb. A3.13), in der die Pose deutlich zu erkennen ist.
Abb. A3.13: Magnus Weidemann, ohne Titel, o. D., Fotografie, Nachlassarchiv Kiel
Die erste im Jahr 1928 entstandene Bildversion »Auf dem Nixenstein« (Abb. A3.14) zeigt ebenfalls eine nackte auf dem Stein liegende Frau.45
44 Nur ein kleiner Streifen Himmel ist zu sehen. Eine dunkle Wolke oberhalb der liegenden Frau verleiht dem Werk eine bedrohliche Wirkung. Die Person hat dem oder der Betrachtenden das Gesicht zugewandt und scheint für den Maler zu posieren. 45 Das Werk »Auf dem Nixenstein« basiert auf einer Skizze, die der Künstler vor Ort gefertigt hat. Vgl. Nachlassarchiv Weidemann, Kiel.
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Abb. A3.14: Magnus Weidemann, Auf dem Nixenstein, 1928, Nachlassarchiv Kiel
Der Nixenstein inspirierte Weidemann nicht nur malerisch, sondern ebenso literarisch. So verfasste er 1950 ein Gedicht, in dem er ein erhebendes Erlebnis beschreibt: Eine auf dem Stein liegende Person schaut in den Himmel und hat das Gefühl, als ob die Seele hinauf »in Gottes Reich« schwebe.46 Die Darstellungen von nackten Frauen auf dem Nixenstein könnten mit Bezugnahme auf dieses Gedicht als religiös-erhebendes Erlebnis gedeutet werden, jedoch spricht das Posenhafte dagegen. Die Aktdarstellungen der Jugendbewegung sollen im Hinblick auf die Ideale frei von sexistischen Annäherungen sein.47 Es ist jedoch auffällig, dass in Weidemanns Werk die Akte weiblicher Modelle im Gegensatz zu den männlichen dominieren. Weidemann führt zwar an, dass allgemein der nackte Mensch Schönheit besitze,48 doch scheint er diese Schönheit vorrangig bei Frauen gesucht zu haben. Das Nacktsein am Strand galt im Wilhelminismus noch als unanständig. Weidemann hat die Anfänge der Freikörperkultur auf Sylt in Bildern festgehalten und begleitete deren weitere Entwicklung kritisch.49 Obwohl er die 46 »Nixenstein Am goldnen Strande ganz allein, Der helle graue Felsenstein, Der will mir nun mein Bette sein – Da ruh ich himmelstrunken. Der Sonnenschein ist all mein Kleid, Der lichte Glanz ist all mein’ Freud, Und um mein Lager weit – so weit – Die See in Silberfunken. Wie hebt mich nun der Wind so weich – Die Seele schwebt, den Möwen gleich, Hoch, hoch hinauf in Gottes Reich – -Die Welt bleibt tief versunken.« Vgl. Nachlassarchiv Weidemann, Kiel. 47 Vgl. u. a. Weidemann 1926. Weidemann bezieht sich in diesem Kontext auf die rechte und falsche Sinnlichkeit: »Die Zeit ist für uns überwunden, wo jedes ›fleischliche Gelüste‹ ohne weiteres als Sünde, und wo die Abtötung des natürlichen, sinnlichen Erlebens als Tugend galt. […] Wir wollen mit unserer Freikörperkultur den ganzen Menschen zu seiner wahren Entfaltung bringen. Und dazu gehört die rechte Sinnlichkeit.« Vgl. Weidemann 1929, S. 3. Weiterhin führt er an, dass es Unsinn sei, »daß die Gewöhnung an den nackten Körper und das Wissen um die geschlechtlichen Erscheinungen und Tatsachen des Menschenlebens etwa die Sinne in ihrer Reizbarkeit« abstumpfen könnte«. Vgl. ebd. Andererseits solle es nicht zu »Überreizung« und »Hemmungslosigkeit« führen. Vgl. ebd. 48 »Die höchste mögliche Schöpfung ist und bleibt der Mensch.« Weidemann 1926, S. 129. 49 So distanzierte er sich Anfang der 30er Jahre davon und verweist rückblickend auf einen neuen Lebensabschnitt. Vgl. Weidemann 1977, S. 5. »Und damit trat meine Kunst in einen
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meisten Aktdarstellungen in den 20er Jahren anfertigte, gehörten sie zeitlebens zu seinem Motivrepertoire. Parallel schuf Weidemann Landschaftsbilder wie zum Beispiel das 1923 entstandene Ölgemälde »Frühmorgens am Wattenmeer« (Abb. A3.15).
Abb. A3.15: Magnus Weidemann, Frühmorgens am Wattenmeer (Ausschnitt), 1923
Es gibt den idyllischen und friedlichen Charakter des Wattenmeers wider. Die zwei Vögel sind detailgetreu dargestellt. Das Bild zeigt exemplarisch, dass Weidemann für die Stimmungen im Wattenmeer und für die Vogelwelt sensibilisiert war. Er beobachtete intensiv die Natur der Sylter Küstenlandschaft.50 Mit der Nordsee und dem Wattenmeer verband ihn eine religiös besetzte »Liebe«, die über die Sehweisen der Freikörperkulturbewegung hinausging, wie im folgenden Kapitel dargelegt ist.
Liebe zum Meer – rauschhaftes, religiös besetztes Meereserleben Es wurde bereits angeführt, dass Weidemann das Meereserlebnis als Offenbarung empfand, das den Weg zu einem gesünderen, natur- und gottnahen Leben, fern der Großstädte weisen konnte. Darüber hinaus hatte er religiöse Empfindungen angesichts des Meeres und personifiziert dieses als Vater und die Heimaterde als Mutter.51 Weiterhin bezeichnete er das Meer als Sinnbild der neuen Abschnitt ein. Die bisherige Periode, die unter der Fahne der Jugendbewegung und sehr wesentlich auch der Freikörperkultur eine gewisse revolutionär-gesellige Note gehabt hatte […] wurde im wesentlichen abgeschlossen, wenn auch nicht ganz verlassen.« Weidemann 1958, S. 181. Er blieb Klappholttal allerdings verbunden, auch in der Nachkriegszeit, als es ein Waisenheim wurde. Vgl. Weidemann 1958, S. 232. 50 Weidemann 1958, S. 182. 51 »Vergiß einmal die liebliche Romantik des Binnenlandes! Verlaß einmal die Arme und den Schoß der mütterlichen Heimaterde – und gib dich dem Vater, daß du ihn erkennst und aus seinem Wesen stark werdest! Das Meer ist der Vater, der Lebenserzeugern, der mit seinen
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Ewigkeit, da es unveränderlich sei und Assoziationen von Unendlichkeit evozieren kann.52 Zudem berge es Leben und besitze sowohl Kraft als auch Schönheit.53 Ebenso beschreibt er in seinen Aufzeichnungen rauschhafte Erlebnisse an der stürmischen und aufgewühlten Nordsee. So berichtet er von einer Seefahrt im Sturm, die er 1924 nach Helgoland unternahm und für ihn ein prägendes Erlebnis war :54 Wolkenheeren die Erde befruchtet, der letztlich alles auf der Erde gestaltet, ohne dessen Kraftweckung alle Berge und Ebenen und Wüsten blieben.« Weidemann o. D., S. 8. 52 »Das Meer ist auf der Erde der lebendigste, unveränderlichste Teil der Natur. Darum ist es das Sinnbild der Ewigkeit. Das ›ohn‹ Anfang, ohne Ende sieht der Mensch in einer einzigen Anschauung nur in der geschlossenen Kreislinie des freien Horizonts, nur auf dem Meere. Darum ist es das Größte dem, der die Natur empfinden und reden hört; und dem, der das Größte ehrt, die mächtigste Freude. Was ist dagegen das Gebirge? Man sprach wohl von »ewigen« Bergen, aber Berge sind Trümmer, Schlacken, Denkmäler uralter Vergangenheiten, täglicher Verfall. Und die Wüste – sie ist tot, wie nichts sonst. Aber das Meer ist ewig lebendig. Wie es heute ist, so war es und so bleibt es, solange es Leben gab und geben wird auf der Erde. Erst mit ihm wird das Leben verschwinden. Es birgt Kraft, denn es schafft in der Gegenwart und oft zusehends Untergang und Neuland. Es bleibt sich gleich, aber es wirkt beständig Veränderung. Es ruht nie, seine Strömungen und sein Atem gehen auch dann, wenn die Oberfläche wie ein Spiegel glänzt. Es birgt in seiner Tiefe Wunder, größte und kleinste, von denen Menschen nur noch wenig wissen. Es trägt Leben auf seiner gleißenden Fläche, welche die willkommene Bahn ist für höchste Lebenstaten des Menschen. Es birgt Schönheit, weil es die Ewigkeit, die Kraft und das Leben uns in seinem einen, reinen, großen Rhythmus zur Anschauung bringt. Seine höchste Schönheit ist der Rhythmus. Nirgends sonst gestaltet sich die Natur so sichtbar, so hörbar, fühlbar zum gleichschreitenden, gewaltigen Gesetzesgang, wie wenn rollende Brandung mit gleichfristigem Urweltgesang zum Strande stürmt – und ihre schimmernden Schaummassen ausbreitet – und zurückgibt – auftürmt und sinken läßt. – Rhythmus ist Regelung. der Rhythmus des Meeres geregelte Ewigkeit.« Weidemann o. D., S. 8f. 53 Weidemann o. D., S. 8f. 54 Weiterhin beschreibt er in Bezug auf seinen Helgolandaufenthalt in poetischen Worten die nächtliche Atmosphäre auf Helgoland, hervorgerufen durch den wiederholt vorbei gleitenden Schein des Leuchtturms und dem Klang des Nebelhorns »Mehr und mehr dämmert es. Der Kopf des Leuchtturms hinten im nassen Gewölk ist Flamme geworden, und dreht sich nun in drolliger Hast, daß seine drei Lichtstreifen sich im Kreise jagen um den ganzen Horizont. Aber sie ertrinken im Nebel kaum, daß sie den Inselrand überschreiten. In diesem rastlosen Tun liegt eine Treue und Kraft, daß man davon ergriffen wird, wie von Lebendigem. Nun dunkelt es ernsthaft. Ich muß zurück zur Stadt, solange ich noch vor den Füßen den unbekannten Boden sehen kann. Einen letzten, langen Blick noch von der trotzigen Höhe in das trotzige Grau, das da anstürmt. Dann am Ostrand, wo es bedeutend stiller ist, südwärts, den Häusern zu. Die Lichtschwerter vom Turm schwingen rhythmisch über mich hin, hasten im Nebeldämmern nach dem Horizont, den man nicht mehr sieht. Der Felsabsturz, hier ebenso senkrecht steil wie drüben, aber weniger zerklüftet, erscheint tiefschwarz. Unten schimmert zuweilen, wie verirrt, eine leise Brandung auf, ihr Rauschen rollt. […] Und nun, da der Nebel dichter ward, und das kreisende Licht trotz seiner blendenden Helle nicht durchdringt, ertönt als Nothelfer das Nebelhorn – irgendwo. Seine Stimme erschüttert die nasse Luft. Die ›Nebelkuh‹ nennen es die Helgoländer ganz treffend, doch liegt seine Stimme wohl noch drei Oktaven tiefer und hat mehr Wohlklang. Immer vier langgezogene Töne, dann Pause. Und so fort, ebenso treu geduldig wie das Licht im hohen Turm. Für wen eigentlich – ? Es mag doch vielleicht irgendwo im nassen Grau der Nacht ein Schiff taumelnd suchen nach
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»Jetzt eine Sturmfahrt, bei Windstärke 12! Unvergeßlich diese Fahrt auf dem Raddampfer ›Viktoria Luise«. […] Aber alle waren seekrank – außer mir! Ich habe mit Jubel immerfort dieses wilde Meer gezeichnet und photographiert, das war lohnend. […] Ich bin so froh, daß ich dies alles so gesehen habe! Es sind verschiedene große Bilder daraus entstanden, die später bedeutende Erfolge brachten.«55
Er hielt dieses Erlebnis in Bildern fest und publizierte dazu einen Artikel.56 In diesem beschreibt er u. a. Gefühle des »Alleinseins«, wenn rings um das in den Wellen tanzende Schiff nur noch Wasser und kein Land mehr zu sehen ist.57 Weg und Ziel und Warnung brauchen vor der Annäherung oder Weisung auf die enge Einfahrt in den bergenden Hafen. Weit trägt der Nebel den Schall, wo das Licht schnell ertrinkt.« Weidemann o. D. [1926], S. 14f. 55 Weidemann 1958, S. 163. 56 Er formuliert in poetischen Bildern das rauschhafte Erlebnis, das er verspürte. »Auf und ab, ganz langsam auf und ab, nur zuweilen einmal mit stoßhaftem Schwung, klettert das Schiff über das rollende Gebirge von graugrünem Wasser. Klatschend fegt immer wieder einmal ein schäumender Sturzbach über das taumelnde, nasse leere Deck. Im Tauwerk der Masten heult ein dumpfes Getön – Windstärke 10! Vom Schornsteinrande reißt der Sturm die Rauchfetzen und zerdrückt sie, anwärts in die grauen rollenden Wasserberge. Das Schiff arbeitet trotzig. Auf der Kommandobrücke stehen die Führer, hinter Segeltuchwänden bis zum Kopf herauf leidlich gedeckt. Im Innern des taumelnden Schiffes, an der stampfenden, rasselnden Maschine, mühen sich sturmgewohnte Kräfte in unsichtbarer Pflichttreue. Alle Fahrgäste aber liegen seekrank in den Kajüten, mehr tot als lebendig, stumpf die langsamen Stunden abwartend.« Weidemann o. D., S. 3. »Immer westwärts den Blick, entgegen den kommenden Wasserbergen, dem weichenden Abendlichte nach. Tief blauschwarz und immer finsterer schärft sich der Horizont. Klarer goldet und grünt der Himmel. Hoch im Übergang zum Nachtblau leuchten himmelsruhig zwei blasse Sterne, über finstern Wolkenfetzen, die sich jagen und doch nie erreichen wie die Wogen. Nun öffnet ein Tal sich weit, aus seinem gehöhlten Grunde schimmert gelber, quirlender Widerschein des Firmaments – und schon neigt sich und stürzt sich das Schiff seitlings hinein – doch aufjauchzend tanzt eine schwere Fontäne über die Radkästen bis zur Brücke hinauf – und schon seh’ ich die kahlen Mastspitzen im Bogen wieder rechts hinüber schlagen nach der dunkleren Seite. Immer wiederholt sich dieser betäubende Rhythmus von Bewegungen, Farben und Tönen, Stunde um Stunde schon. Längst versank der seltsam steile Felsblock Helgoland hinter uns in dämmernder Ferne. Nun es dunkelt, verwirrt auch mich fast das haltlose Kämpfen um festen Stand für die Füße, um einen Ruhepunkt für die trunkenen Augen. Ostwärts ein helles Licht – der Leuchtturm von Amrum: wie kenn ich ihn gut, auf seiner hohen Düne, den Riesen! Heute ist er nur ein blitzender Punkt am Horizont und tanzt mit diesem dunkelnden Kreis von hoch oben im Tauwerk bis tief hinab unter den Bordrand und wieder hinauf und wieder hinab. Da blitzt es geradeaus im Norden auch, als der Horizont vor mir hoch über den Bug hinaufschwankt, feurig zucken hinter den Wassergebirgen. Wieder und wieder, gleichmäßig zweifach, in einem anderen mathematischen Rhythmus, von Menschengeist entgegengebaut dem tobenden Element, dem Schiffe in sinkender Nacht Ziel und Weg zeigend: Das Leuchtfeuer auf der Südspitze von Sylt. Während die Finsternis schaurig auf die brüllende Nordsee sinkt, naht auch den Kranken da unten [Seekranken] Erlösung, gastlicher Strand.« Weidemann o. D., S. 4f. 57 »Wir sind allein – taumeln über smaragdene rollende Hügel, unter blausilbernem Riesengewölbe des dämmernden Tages. Aus grünen, schaukelnden Tälern grüßt uns noch das rubinrote Lichtlein einer Boje, die die Nordausfahrt bezeichnet. Auch dieses bleibt tanzend zurück und versinkt. Grau umspinnt uns ein All von Wasser, und Helgoland, das seltsame, das ganz unwahrscheinliche Land, bleibt entschwunden.« Weidemann o. D. [1926], S. 16.
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Wiederholt schildert er die Hochgefühle, die er während dieser Sturmfahrt auf der Nordsee empfand: »Mich liebte das Meer und trägt mich über seine rollenden Berge, daß meine Seele jauchzt! Ich allein auf dem nassen Deck starre mit selig weitoffenen Augen westwärts, woher diese Berge rollen, zackig und schaumgekrönt, als tauchten sie aus dem dämmernden Abendgoldtor unter bleigrauen Wolkenflügeln hervor. Daß ich dies schauen darf – endlich – Hochsee im Sturm! Daß mir mein Meer dieses wilde Spiel seiner rollenden Berge tanzt! Mir ist es Erfüllung alter Träume, ganz feierlich!«58
Der Pastor empfand feierlich-erhebende Gefühle und sah seine Wünsche in Erfüllung gegangen. Er beschreibt die erlebte Sturmfahrt als Enthüllung der Urschönheit der Nordsee: »Ich harre hier aus, naß und kalt, doch reich durch das Sturmerleben, zielfroh und wegfroh: ich sah, was ihr nicht sahet: mir hat das Meer seine Urschönheit enthüllt, und ich lebte mit ihm in einer Welt, die allein gewebt war aus rollenden Wasserbergen – und Sturm – und Licht – und Freude.«59
Angesichts des aufgewühlten Meeres verglich er die Fahrt mit Werken berühmter Marinemaler.60 »Heute malt die Nordsee selber mir ihre ganze Schönheit hin, lebendig, brüllend und krachend, sprühend und greifend wie tausend wühlende Ungeheuer fährt es dahin, vorbei und weitab davon. Unendlich klein steh ich darin, und doch so sicher froh, daß alles das nur Freude für mich sein soll!«61
Diese Empfindungen gaben ihm Inspiration für später entstandene Gemälde.62 Auch der Blick von den Felsen Helgolands auf die »freie, wilde« Nordsee löst bei Weidemann Hochgefühle aus.63 Von Sturm und Regen ließ er sich nicht abschrecken – im Gegenteil – aus seiner Sicht wurde dadurch das Erleben noch gesteigert. Weidemann ist beeindruckt von dem Gefühl, sich gegen die Kraft des Sturmes der Felskante zu nähern und aus erhöhter Sicht auf die sturmge58 Weidemann o. D., S. 3. 59 Ebd., S. 5. 60 »Bedächtig sah ich solches schon auf Gemälden von Meisterhand: Bartels, Petersen, Melbye, Schnars-Alquist, Bohrdt, Schönleber, Böcklin.« Weidemann o. D., S. 3f. 61 Weidemann o. D., S. 3f. 62 Neben der stürmischen Seereise erlebte er die Gewalt der Nordsee bei schweren Sturmfluten wie zum Beispiel 1924 während seines Sommeraufenthalts auf Sylt. Dies beeindruckte ihn tief und lieferte Inspirationen für seine Kunst. »Mein erster Ausgang am Strand führte mir wieder eine gewaltige Sturmflut vor! Anders als auch hoher See, aber wieder ganz besonders eindrucksvoll.« Weidemann 1958, S. 163. 63 »Ich eile, um noch von der Felsenkante [Helgolands] den ersehnten Ausblick auf das Westliche, freie, wilde Meer zu gewinnen. Zum ersten Male – 45 Jahre mußte ich alt werden, bis sich mir dieser Wunsch erfüllt!« Weidemann o. D. [1926], S. 12. Allerdings hatte Weidemann bereits vor 1925 Seereisen nach Helgoland unternommen, die Insel jedoch nie betreten.
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peitschte Nordsee zu schauen.64 Er beschreibt den Augenblick als andächtige »hohe Feier« und »festliches Erleben«:65 »Das Auge trinkt, jeder Nerv faßt das Erlebnis! Köstlich ist es: So ganz, ganz allein im wilden Tanz der Elemente. Sorgsam stemmt sich der Fuß, daß ich einen Halt habe, wenn die See mit ihren plumpen Grüßen sich anwirft.«66
Auf den Klippen Helgolands fertigte er unter stürmischen Bedingungen Skizzen an, auf deren Basis später Gemälde entstanden.67 Exemplarisch sei auf das über zehn Jahre später geschaffene Bild »Felsenklippen« (Abb. A3.16) verwiesen.68 Der Blick wird entlang der Klippen Helgolands auf die offene Nordsee gelenkt.
64 »Da ist die Kante [der Felsen Helgolands]. Unmöglich aber, ganz heranzutreten: Denn der Sturm schießt heran mit Zentnerdruck. Weiter nordwärts dränge ich mich vor, so die Oberfläche der Insel im ganzen eben, leicht wellig ein wenig ansteigt. Ich möchte doch noch die Nordspitze sehen, das bekannte Bild, wo der einsame Felspfeiler losgelöst von der Inselspitze steht, und wo die Unendlichkeit beginnt. […] Tiefe Buchten reißen von Westen in den Felsklotz der Insel. An ihren Flanken, wo hier und da der Windstrom von der Kante etwas abgelenkt wird, kann ich stehenbleiben und schauen, wie unten, in fünfzig Meter Tiefe, weiße Schaumwalzen über grüngrau wogende Gründe rollen, langsam, parallel der Küste zu. Zwischen ihnen streifen dünne Schaumlinien in der Windrichtung, quer über die platteren Furchen, die zwischen den ringenden Massen sich immer wieder höhlen. Regenwolken flattern darüber her und schlagen an die steilen, purpurnen Felsen. Der Sturm prallt stoßweise an, reißt Sand und Steinchen heraus, daß harte Rippen und Kanten starren. […] Mit Anspannung nur halte ich mich selber auf den Füßen. Ja, man bückt sich, man kniet, man klammert sich am Boden fest an. Man kann sich mühelos das Davonflattern vorstellen – über die grünfahlen Felder und über das Meer […].« Weidemann o. D. [1926], S. 12f. 65 »Meine einsame Wanderung an die Nordspitze, im schweren Weststurm, schon bei einbrechender Dunkelheit, bleibt unvergeßlich! Für mich war das ein festliches Erleben.« Weidemann 1958, S. 168. »Der Regen setzt wieder aus, als ich der Nordspitze endlich nahe bin. Ich kann aufatmend den Augenblick genießen als eine hohe Feier. Da steht der einsame Fels, der ›Mönch‹, wieder Turm einer Ruine, aber um seinen Fuß quirlen die schaumigen, flachen Uferwellen graugrün zwischen roten Trümmern. Die Hauptbrandung bricht sich weiter draußen, schon etwas vom Nebel verschleiert, parallel dem Inselland, über Riffen; dort muß früher einmal das Ufer gewesen sein.« Weidemann o. D. [1926], S. 13. 66 Weidemann o. D. [1926], S. 13f. 67 »Wie der Sturm wieder wilder einsetzt, muß ich mich am festen Draht anklammern, der hier als ein durchaus nicht unnötiger Schutz und Halt den Felsrand umzieht. Zwischendurch kann ich etwas zeichnen, hastig auf flatternden Papierstücken, mit starren Fingern. Ein paar Striche für die Lagerung der Hauptmassen, die eigensinnigen Linien, und für die Hauptwirkung der Kräfte im Bilde; und immerzu kritzelt mir der Sturm dazwischen, indem er die Hand zur Seite reißt. Aber es genügt so. Zehn, zwölf Skizzen sind rasch gesichert. Das soll Bilder geben!« Weidemann o. D. [1926], S. 13. 68 Weidemann kommentiert das Bild wie folgt: »Felsenklippen gibt es auf Helgoland, dem seltsamen Vorposten des deutschen Landes. Von kahler Höhe (50 m) geht der Blick über die wogende, grüne Nordsee. Diese ist hier besonders grün, weil Kreide darin ist (wie auch um Rügen). Sturmvögel umfliegen immer dieses nordische Eiland.« Weidemann 1939, S. 41. Inwieweit dieses durch das beschriebene Erlebnis inspiriert wurde, kann mangels Selbstzeugnissen nicht mehr eindeutig geklärt werden.
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Diese vermittelt allerdings – im Zusammenspiel mit dem Himmel – bei Weitem nicht den stürmischen Charakter, den Weidemann beschreibt.
Abb. A3.16: Magnus Weidemann, Felsenklippen, um 1938
Er kannte dieses Meer jedoch nicht nur von der rauen, sondern ebenso von der friedlichen Seite: So empfand er 1922 die Rückfahrt von Helgoland als überaus friedliches, »unvergleichliches« Erlebnis.69 Der Künstler verlieh den vielfältig erlebten Stimmungen an der Nordsee in seinen Bildern Ausdruck. Das Wattenmeer erwähnte er allerdings in seinen Ausführungen Ende der 20er Jahre nur beiläufig.70 Dieses Meer gewann allerdings im Rahmen seiner rassisch belegten Vorstellungen größere Bedeutung.
Sehweisen von Wattenmeer und Nordsee im Kontext der Rasse-Theorie Weidemann unterlag in den späten 20er Jahren zunehmend dem Einfluss völkischer Rassetheorien. Damit verändert sich ebenfalls seine Sicht auf die Nordsee, seine naturalistische Bildsprache und -motivik dagegen behielt er bei. Aus Weidemanns Schriften ist ersichtlich, dass er dem rassisch belegten »Nor-
69 »Nach Sylt ging es Ende August wieder : Es war die unvergleichliche Fahrt durch die absolute Meeresstille bei Helgoland, es gab keinen Horizont ringsum, alles spiegelte sich haarscharf, und nach unten sah man die Anker auf dem Meeresgrund und jeden Fisch, jeden Krebs.« Weidemann 1958, S. 158. 70 So verglich er beispielsweise die Gezeiten mit dem Atem des Meeres. »Zwei Sandhügelketten, in wenigen Minuten übersprungen, führen ans Meer. Vom Norden zum Süden, geradedurch schneidet die steile Grenze zwischen Inselland und See. Breit ruht der Strand selbst zur Flutzeit, wenn die Schaumfächer der Brandung höher bis ans Trockene züngeln, viel breiter noch zur Ebbezeit, wenn die Wogen zurückweichen aus geheimnisvollem Zwang – der Atem des Meeres.« Weidemann o. D., S. 6.
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dischen Gedanken« im Rahmen der Blut und Boden-Ideologie zugeneigt war, demzufolge der »nordische Mensch« an die »nordische Heimat« gebunden sei. Die in der nationalsozialistischen Ideologie enthaltenen Semantisierungen und Funktionalisierungen von »nordisch« entstammen häufig völkischen Theorien.71 Der rassistische »nordische Gedanke« im Kontext der NS-Ideologie beinhaltet, dass es angeblich eine aus dem Norden stammende superiore Rasse, die Arier, gebe. Die Funktionalisierung des Begriffs »nordisch« für die Genese und Festigung des nationalsozialistischen, rassischen Identitätskonzepts ist in den Schriften von Adolf Hitler, Alfred Rosenberg und Paul Schultze-Naumburg ersichtlich.72 Diese Ideologie war Grundlage des Massenmordes, den die Nationalsozialisten begingen. Obwohl Weidemann rückblickend auf Verzerrungen im Nationalsozialismus hinwies,73 bezog er sich in seiner Autobiografie auf Vertreter der Rassenlehre und Vorreiter der nationalsozialistischen Ideologie wie Houston Stewart Chamberlain und Lagarde.74 Ebenso war er mit den rassistischen Vorstellungen Schultze-Naumburgs vertraut.75 71 Vgl. hierzu u. a. See 1970, See 1994, Puschner, Schmitz, Ulbricht 1996, Lutzhöft 1971, Hartung 1996. Exemplarisch sei darauf verwiesen, dass Weidemann – wie er selber anführt – als »Mitarbeiter der Zeitschrift ›Das Bild‹ und des ›Deutschen Kunstberichts‹ in der ›Deutschen Kunstgesellschaft‹ einen gewissen Boden gewonnen [hat] und […] zum Mitglied dieser Gesellschaft ernannt« worden war. Vgl. Weidemann 1958, S. 192. Diese unterlag der Prägung völkischer Ideologie; Bettina Feistel-Rohmeder war im Vorstand. In Bezug auf diese Verbindung erfolgte die Publikation des Buches »Unsere nordische Landschaft«. Vgl. Weidemann 1958, S. 192. Diesbezüglich führt Weidemann abwertende, kritisch zu beurteilende Aussagen in Bezug auf die internationale Kunstentwicklung an: »Die Gesellschaft [Deutsche Kunstgesellschaft] […] in Verbindung mit dem dortigen Verlag C. F. Müller, dessen Leitung ein Dr. Facht hatte, erstrebte schon lange vor der Hitler’schen Politik und ganz unabhängig von ihr, aus rein idealistischen Gesinnungsgründen, die Rettung einer echten deutschen Kunstgestaltung gegenüber den Tendenzen internationaler Verwirrung. Lebendige Gesundheit gegen alle psychophatische Erweichung oder –Erhärtung.« Weidemann 1958, S. 192. 72 Detaillierte Ausführungen im Kapitel über die Instrumentalisierung von Kunst im Dienste nationalsozialistischer Ideologie und Politik. 73 »Viele Ideale und Hochziele, die wir schon vorher erkannt und gepflegt hatten, wurden vom Zeitgeist jetzt fertig übernommen. Aber dann freilich zum Teil überspannt, verdreht und in Mißkredit gebracht. So etwa die ganze Lebenskunde, der ›Nordische‹ Gedanke, und die Pflege einer deutschnationalen und im Wesentlichen allzu naturalistischen, ja manchmal spießbürgerlichen Kunst.« Weidemann 1958, S. 191. Vgl. Weidemann 1926b. Der Nachkomme Volker Weidemann führt es als eine Art Entschuldigung an, dass Weidemann seit 1923 den Begriff »Nordische Landschaft« verwendet und dies nicht erst im Nationalsozialismus. Vgl. Weidemann 1980, S. 136. Dies ist kritisch zu beurteilen, da im Nationalsozialismus auf bereits zuvor bestehende Vorstellungen des Nordischen Gedanken zurückgegriffen wird. In Bezug auf die nationalsozialistische Machtergreifung führte M. Weidemann an, er »brauchte hier seinen Kurs nicht zu ändern, nicht umzuschalten; es schien von selbst parallel zu gehen«. Weidemann 1958, S. 191. 74 Weidemann 1958, S. 191. 75 Nach dem Krieg machte er die Bekanntschaft mit Schultze-Naumburg. Die Verehrung wird
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Er war wie viele andere Künstler jener Zeit Mitglied in der NSDAP und in der Reichskammer der Bildenden Künste.76 Obwohl er unter dem Einfluss unwissenschaftlicher, rassischer Lehren die Nordsee, deren Küste und Inseln wahrnahm, verfasste er jedoch keine rassistischen Hetzpamphlete. Seine Werke wurden im Nationalsozialismus zwar gewürdigt, doch war sein Bekanntheitsgrad sehr begrenzt. Er nahm zwar an der nationalsozialistischen Ausstellung »Das Meer« in Berlin teil,77 jedoch wurden seine Werke nicht in den Großen Deutschen Kunstausstellungen präsentiert, in denen im nationalsozialistischen Sinne vorbildliche Kunst ausgestellt wurde. In seiner Autobiografie gibt Weidemann an, dass er auch Schwierigkeiten durch seine »volkstümliche« Art bekam: »Volkstümliche Vorträge« wurden ihm verboten und einige seiner Bilder beschlagnahmt.78 Dennoch stehen seine Schriften im Kontext nationalsozialistischer Rassenideologie. Bereits in dem Ende der 20er Jahre verfassten Artikel »Meer – Nordland – und wir« zeichnet sich ein erster Einfluss des rassischen Gedankenguts ab. In diesem führt Weidemann an, dass insbesondere die Norddeutschen rassisch durch »Blut« und »Seele« ans Meer, in diesem Fall die Nord- und Ostsee gebunden seien.79 Er bezieht sich auf die Lage Deutschlands – zwischen der Nord- und Ostsee – und betont deren Bedeutung für die Geschichte und Zukunft Deutschlands: Ohne das Meer wäre das deutsche Volk nicht dasselbe
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in seiner Schrift ersichtlich: »[…] dem altverehrten Prof. Paul Schultze-Naumburg […], dem starken Anreger meiner Jugendzeit.« Weidemann 1958, S. 231. »Dem Geist der neuen Zeit ordnete ich mich als Parteimitglied ein. Ich wurde als Mitglied der Reichskammer der Bildenden Künste eingegliedert. Auch die »Deutsche Kunstgesellschaft, Sitz Karlsruhe« nahm mich als Mitglied auf, nachdem ich für die Kunstzeitschrift »Das Bild« mehrfach Beiträge lieferte.« Vgl. Weidemann 1940, S.7. »Wir schlossen uns aber, wie alle taten, der neuen nationalsozialistischen Richtung an, in der damals eigentlich selbstverständlichen und allgemeinen Überzeugung, daß man so dem Volksganzen und auch seiner kulturellen Entwicklung am besten diente.« Weidemann 1958, S. 191. Beispielsweise waren zwei seiner Bilder in der Ausstellung »Das Meer« in München im Jahr 1943 vertreten. Vgl. Kat. München »Das Meer« 1943, S. 9. Vgl. Weidemann 1958, S. 211, 214. Es wurde ein Erfolg: »[…] fünf Bilder von mir fand ich gehängt: ein großer Vorzug, da von allen anderen Ausstellern höchstens zwei Bilder da waren. Und vier wurden schon am ersten Tag verkauft!« Weidemann 1958, S. 214. Weiterhin erfolgten in der Zeit des Nationalsozialismus Ausstellungen im Altonaer Museum, im Nissenhaus Husum und im Flensburger Museum. Vgl. Weidemann 1958, S. 207f., 211, 218. Weidemann 1958, S. 191, 217. »Es gibt noch viele Menschen, die zum Meer kein persönliches Verhältnis haben. Aber für die Gesamtheit des Volkstums ist es eine gewaltig einflußreiche, ja wesensbestimmende Macht. Für uns, die wir ihm anwohnen, ist es eine Größe, keiner andern aus der Erde vergleichbar, die wir es kennen und lieben, die wir es alle Tage fühlen, nicht nur bei uns in der Nähe, sondern in uns, in der Tiefe – im Blut, in der Seele. Uns ist es die größte Macht im Reiche der Natur – nächst der Sonne, die allein von größerem Bereich ist. Auf der Erde gibt es nichts Gewaltigeres, Beständigeres, Lebendigeres – und Schöneres als das Meer.« Weidemann 1926b, S. 337.
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geworden.80 Neben der Brückenfunktion des Meeres, hebt er in abwertender Darstellung »die Grenzschneidung« hervor »die uns wenigstens auf einer Seite scharf schützt gegen überquellendes Fremdwesen.«81 Zudem betont er dessen häufig unerkannten Einfluss auf den Einzelnen.82 Insbesondere die Jugend ziehe es – einer Sehnsucht folgend – zum Meer. Dort erlebe sie die Erfüllung eines höheren Ziels.83 Weidemann begründet dies mit einer rassischen Verbundenheit »arischer Völker« mit dem Meer – in diesem Fall der Deutschen mit der Nordsee. »Das ist altes Germanenerbteil in unserem Blut, das uns zum Wasser zieht. Die ›Wiege aller arischen Volksstämme muß in Nordeuropa gewesen sein‹.«84 Weidemann verweist auf die Völkerwanderungen und betont, dass die Heimat einer angeblichen »arischen Rasse« im Nordwesten Europas zu vermuten sei.85 »In jedem deutschen Blut fließt etwas von der salzigen Flut der See.«86 Er zieht das 80 »Deutschland liegt im Winkel zwischen zwei Meeren, die seit den Urzeiten der Menschheit seine besondere Eigenart unter den Ländern Europas bestimmten; und in die Urregungen germanischen Geistes an deren Schwellen der ›Geschichte‹ rauschen sie ihre wuchtigen Klänge hinein. Was sie für die Zukunft der Menschheit, und in ihr des Deutschtums, noch bedeuten werden, kann keiner ermessen. Ohne die Berge, ohne die Wälder, ohne die großen Ströme wären wir immerhin im wesentlichen wohl dasselbe Volk, wie wir es jetzt wirklich sind – ohne das Meer niemals.« Weidemann 1926b, S. 337. 81 Weidemann 1926b, S. 338. 82 »So ist auch der innere Einfluß des Meeres auf jeden einzelnen unter uns lebenden Charakter so groß, daß man ihn kaum ganz abschätzen kann. Aber er bleibt vielen unerkannt und ungekannt und ungedankt.« Weidemann 1926b, S. 338. Dabei seien es die Küstenbewohner, denen der Einfluss des Meeres am deutlichsten gewahr wird. »Die in der spürbaren nächsten, sozusagen körperlichen Reichweite des Meeres leben, wissen von ihm. Sie lieben alle das Meer, auch wenn sie es fürchten und meiden. Sie fühlen seine Größe für uns, für uns alle.« Ebd., S. 338. 83 »Wer es neu kennenlernt, dem wird es zum Gleichnis, oft ganz bewußt zum Schicksal und Bestimmung, oft die klärende Erfüllung einer dunklen Sehnsucht. Es treibt besonders das Jungvolk aus allen Winkeln immer häufiger gen Norden und Nordwesten, um einmal, das wunderbare Endlose zu sehen und zu wissen oder doch zu ahnen, was es mit dem Wasser auf sich hat, das doch von der Erdoberfläche mehr als zwei Drittel bedeckt. Wer des Meeres Bild recht in sich aufgenommen hat, wer seinen Pulsschlag gefühlt hat, der hat ein gewisses Ziel der Erkenntnis und aller Wanderfahrt erreicht.« Weidemann 1926b, S. 338. 84 Ebd., S. 338. 85 »Möglich, daß die letzte große Vereisung, die bis über die Ostsee weit in deutsche Marken hineinreichte, vor vielen Hunderttausenden von Jahren zur Abwanderung zwang, die weit in fremden, sonnigeren Fernen neue Reiche schuf, Kulturen baute, – und wieder in Weltwinkeln, die zwischen Meeren lagen: In Indien, in Hellas. Und viel später, in der Zeit der uns bekannten ›Völkerwanderung‹, zogen die Zimbern und Teutonen, dann die Goten und Sachsen, die Wandalen, die Normannen, die Angelsachsen, die Langobarden aus – von Meer zu Meer, und oft auf dem Meer.« Ebd. 86 Weidemann 1926b, S. 338. »Bei aller Auswanderung blieb das Land an den westlichen Küsten unserer Heimat ohne Unterbrechung, solange nicht nur Kunde, sondern auch überhaupt Funde von menschlicher Besiedelung zurückreichen, in germanischem Besitz.« Ebd. Auch die weiteren Ausführungen sind durch rassische Vorstellungen und eine nationale Überhöhung der Deutschen gekennzeichnet. »Die Friesen, die Holsten, die Angeln, die Niedersachsen sind
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Fazit: »Das Meer hat sich ein hartes und stolzes, aber zähes, treues und kluges Geschlecht erzogen.«87 Jedoch steht nicht der gesamte Artikel in einem rassisch verzerrten Kontext. Weidemann nimmt weiter einen historischen Ausblick ohne rassische Belegungen vor und stellt dar, dass sich die Sehweisen und Wahrnehmungsmuster des Meeres änderten. Er verweist auf die Furcht, die lange Zeit der Nordsee entgegengebracht wurde.88 Im Rahmen historischer Seefahrt und Landgewinnungsmaßnahmen im Wattenmeer spricht er von einem »größeren Deutschtum« als »Weltvolk«, das sich die Nordsee als »Kampfelement« bediente.89 Ohne nationale und rassische Belegungen führt er weiter an, dass die Schönheit der Nordsee in weiten Kreisen erst recht spät, insbesondere mit der
nach den Ergebnissen aller Forschungen die rechte Urbevölkerung ihrer Wohnstätte und haben ihre vom rassischen Standpunkt aus ungetrübte Reinheit und Echtheit am meisten bis an die Schwelle der Neuzeit bewahrt. Und gerade diese Stämme haben der Gesamtnation deutscher Zunge und deutschen Geblüts, zu deren Bereich sie sich allzeit treu gezählt haben, zahllose große Menschen geschenkt, die kernhaft tüchtig und charakterfest und weitzielig die deutsche Geschichte merklich vorwärtsgerückt haben, auf jedem Gebiet.« Weidemann 1926b, S. 338f. 87 Ebd., S. 339. 88 »Das Meer hat immer gewaltig auf den Menschen gewirkt und tut es heute noch. Doch hat sich diese Einwirkung in einer bestimmten Richtung verschoben, in dem Maße, wie die geistigseelische Entwicklung des deutschen Menschen sich zu höherer Kultur emporgewandelt hat und sich, wie nach außen, so nach innen, dehnte. Einst war das Meer, wenigstens die Nordsee und der Ozean, die so ja in ganz anderem Grade kosmisch allgewaltig sind und auch erscheinen als das schmale Binnenmeer der Ostsee, für die Menschen aus dem Schutz der Wälder und Berge nur ein Schrecken! Übrigens war es ja mit dem Hochgebirge, dessen schimmernde weiße Pracht wir jetzt lieben, einstmals ebenso. Als griechische und römische Seefahrer im Altertum die erste Kunde von ihren kühnen Seefahrten mitbrachten, wußten sie nicht genug grauenvolle Züge zu berichten aus einer Region, die fast immer unter Sturm und Nebel liegt, wo das Meer im Wechsel von Ebbe und Flut meilenweite Gebiete zu einem Chaos vermischt, das weder Land noch Wasser noch Luft, sondern alles zugleich ist.« Weidemann 1926b, S. 339. Weiter führt er an, dass im Gegensatz zur Nordsee die Ostsee im historischen Kontext positiver bewertet wurde. »Die lieblichere Ostsee, die zumeist blau und sonnig zwischen festen, anmutigen Ufern ruht, hatte es leichter, die Herzen der romantisch-sinnigen Binnenland-Deutschen in Dichtung und Kunst zu gewinnen. Und sie wurde schon in der Blütezeit der Hansa eine Verkehrsstraße, die den Unternehmungsgeist norddeutscher Bürgerstädte zu blühendem Wohlstand und hoher, ganz eigener Kultur führte. Die Baukunst, die wir nordische Backsteingotik nennen, ist ein ragendes Denkmal. Erst später fand Hanseatenmut die neuen größeren Wege westwärts hinaus – und dann ohne Grenzen, rund um den Erdball, in die Tropensonne und ins Polareis. Aber das ward der Weg nur für den Nordwestwinkel, von Holland bis Jütlands Grenze. Hier webte still eine Welt für sich, verschlossen nach rückwärts, unverstanden im alten Deutschland, ganz auf eigene Tatkraft und Einsicht gestellt, im stillen aber doch immer dienend dem Hinterlande.« Ebd., S. 339. 89 »Die Pioniere des größeren Deutschtums, die das endlich geeinte Reich so nötig brauchte, als es sich zum Weltvolk durchrang, machten das Meer zum Kampfelement. Seine Schrecken wurden überwunden, es mußte dienen und nützen. Zu dem alten stolzen Spruch: ›Gott schuf das Meer, der Friese die Küste‹ – gesellten sich die neuen: ›Unsere Zukunft liegt auf dem Wasser‹ und: ›Seefahrt ist not‹.‹‹ Weidemann 1926b, S. 340.
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Entwicklung des Seebädersystems entdeckt wurde.90 Ebenso verweist er auf die Bedeutung der Nordsee für die Handelsschifffahrt, die Kriegsmarine aber ebenso für den Segelsport und den Tourismus.91 In dieser Ende der 20er Jahre entstandenen Schrift sieht er das aktuelle Verhältnis der Menschen zum Meer unter dem Einfluss der Jugendbewegung und persönlichen religiösen Vorstellungen noch als Offenbarung.92 Ungefähr zehn Jahre später, Ende der 30er Jahre haben sich rassische Vorstellungen stärker auf seine Sehweise von Nordsee und Wattenmeer ausgewirkt. Dies lässt sich anhand seines Buches »Unsere Nordische Landschaft« belegen.
»Unsere Nordische Landschaft« Weidemann interpretiert in seinem 1939 publizierten Buch »Unsere nordische Landschaft«93 die Wattenmeer- und Nordseelandschaft im Kontext des rassischen »Nordischen Gedankens«.94 Er führt an, dass der nordisch-arische Rassegedanken ihm erst diese Sehweise eröffnete und ihm damit eine »Wiederentdeckung der nordischen Landschaft« ermöglichte.95 Allgemein sind seine auf 90 »Und dann, eigentlich recht spät und recht plötzlich, entdeckte man erst die Schönheit in der Allgewalt und Größe dieses Elements. Damit hat sich das Verhältnis zwischen dem Meere und uns bedeutsam gewandelt. Jetzt erst gewinnt die deutsche Seele eine innere Verbundenheit zu dem großen Wasser.« Weidemann o. D. 1926b, S. 340. 91 »Zu Handel und Krieg hatte sich inzwischen der Sport gesellt als Führer aufs Wasser und die Erholungsbedürftigkeit als Führer an den Küsten, und da erwachte die Freude am Meer – die auch den Untergang der gepanzerten Flotte überdauert.« Weidemann 1926b, S. 340. 92 Ebd., S. 340f. 93 Vgl. Weidemann 1939. In seinen autobiografischen Notizen führt er Folgendes an: »Meine schriftstellerischen Arbeiten über Heimatkunde, Naturbeobachtung, Kunstfragen und religiöse Probleme unserer Zeitwende sind in Zeitschriften verstreut. Ein fertiges Buch, ausgestattet mit vielen Abbildungen nach meinen Gemälden, erschien 1939 im Verlag C. F. Müller, Karlsruhe: ›Unsere nordische Landschaft‹. Darin ist viel verwertet, was sich aus meinen vielseitigen Studien ergab.« Weidemann 1940, S. 8. 94 Weidemann verweist auf Houston Stewart Chamberlains Buch »Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts«, das u. a. Grundlagen für die rassistische nationalsozialistische Ideologie schuf. Vgl. Weidemann 1939, S. 124. Ebenso verweist er im Rahmen einer antisemitischen Ausführung auf diesen: »Aber auch die Fragen einer deutschen Religion, einer nordisch-arischen Erneuerung des Christentums aus der ursprünglichsten Auffassung und wissenschaftlich neu erforschten Verkündigung des arischen (keinesfalls jüdischen) Galiläers Jesus von Nazareth bearbeitete ich immer wieder in intensiven und umfangreichen Studien. Die alten, eigenen Forschungen wurden besonders durch die Schriften von H. St. Chamberlain zur Klarheit geführt.« Weidemann 1940, S. 8. 95 »Die Ideale ›Blut und Boden‹ – das ist, ohne Bild gesprochen: Rasse und Heimatlandschaft – sind uns für unsere ganze Kultur richtungsgebend geworden. Und nun haben wir hier für unsere Heimatlandschaft einen neuen Wertmaßstab, der zugleich dem Wertmaßstäben unserer Rasse, unseres Blutes ganz verwandt ist. Das ist doch wohl wichtig, weil hier die Wesensgleichheit zweier Grundlagen unseres eigensten und gegenwärtigsten Lebens offenbar
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rassischen Theorien basierenden Argumentationen wissenschaftlich nicht haltbar.96 Er führt aus, dass der »nordische Mensch« an die »nordische Heimat« gebunden sei und durch den Einfluss dieser Landschaft gesund an Leib und Seele werde.97 Dies war eine gängige nationalsozialistische Vorstellung. Der Norden wurde als Urheimat der »arischen Rasse« und damit als angeblicher Ursprungsort jeglicher Kultur stark positiv konnotiert.98 »Weil wir als deutsche Menschen alle mehr oder weniger nordische Menschen sind – was heute ja in keiner Weise erklärt oder bewiesen werden braucht –, deshalb gehört die nordische Landschaft zu uns, ist ›unsere‹ angestammte Landschaft. Sie ist der ›Boden‹ zu unserm ›Blut‹. Sie ist Heimat unserer Rasse, ist ihr Naturgrund.«99
Im Kontext der unwissenschaftlichen Rassentheorie führt Weidemann an, die nordische Landschaft fungiere als »Urquell seelischer und leiblicher Gesundheit« und entspreche »als Gleichnis und Bild charaktervoller Schönheit dem Wunschbild germanischen Seelenadels«.100 Er bezeichnet den Bereich von
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wird. Wir haben für die Würde und Schönheit der Menschen ganz neue Maßstäbe gewonnen, seitdem wir mit unserer Rassenerkenntnis sie beurteilen – und auch ganz andere Freude an ihrem Leben. Genau ebenso entdecken wir in unserer nordischen Landschaft neuen Wert, neue Schönheit, neue Freude.« Weidemann 1939, S. 106. »Aber erst das helle Bewußtsein um unsere nordische Rasse als naturbedingte Lebensordnung führt uns zur vollen Wiederentdeckung der nordischen Landschaft, die unseres Wesens ist. Nun erst kann die Heimat uns Offenbarung sein.« Ebd., S. 24. Das Buch war in bestimmten Kreisen gefragt und in wenigen Jahren vergriffen. Weidemann 1958, S. 198. Die der völkischen Bewegung zugeneigte Bettina Feistel-Rohmeder, die im Vorstand der »Deutschen Kunstgesellschaft« war, internationale Kunstströmungen diffamierte und eine angebliche »deutschnationale Kunst« förderte, beglückwünschte Weidemann. »Frau Feistel-Rohmeder hat mich damals sehr herzlich zu diesem Erfolg beglückwünscht, der mich, wie sie schrieb, ›in die Arena der Anerkannten‹ einreihte.« Weidemann 1958, S. 98. »Das Nordische in ihr [deutsche Landschaft] ist zugleich unser eigener Urgrund. Es kann uns nur dazu helfen, daß wir in unserer altangestammten Art als nordische Menschen klar, weitblickend, stark und gesund, stolz und froh werden. Leicht senkt die deutsche Seele ihre Lebenswurzeln in diesen Boden ein, der ihr – als zeitloser Gesamtheit – seit so vielen tausend Jahren Muttererde.« Weidemann 1939, S. 108. Detaillierte Ausführungen vgl. Kapitel »Nordsee und Wattenmeer im Nationalsozialismus«. Zur Begrifflichkeit des Nordischen im Nationalsozialismus am Beispiel der Friedrich-Rezeption vgl. Hinrichs 2011, S. 166–196. Eine Vorstellung des Nord- und Südraumes basierte bis zum 18. Jahrhundert wesentlich auf der humanistischen Sichtweise bezüglich der griechisch-lateinischen Kultur. Dieser südlichen Kultur wurde das Bild des barbarischen Nordens entgegengestellt. Diese abwertende Darstellung des Nordens erkannte Hitler nicht an: »Daher ist es auch ein unglaublicher Unfug, die Germanen der vorchristlichen Zeit als ›kulturlos‹, als Barbaren hinzustellen. Sie sind es nie gewesen. Nur zwang sie die Herbheit ihrer nordischen Heimat unter Verhältnisse, die eine Entwicklung ihrer schöpferischen Kräfte behinderten.« Hitler (1925/26/1936), S. 433. Weidemann 1939, S. 5. »Wir wollen als nordische Landschaft diejenige tatsächliche Ausprägung von Bodenformen
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Skandinavien über Norddeutschland »bis an den Rhein, an die Mittelgebirge und an die polnische Grenze« als »Urheimat der nordischen Menschen«.101 Die deutsche Nordsee- und Wattenmeerregion – damals noch nicht überflutet – gehörten nach Weidemann somit zur nordischen Landschaft102 und damit zur angeblich »vorgeschichtlichen Heimat«.103 Auch das entstandene Marschland an den Küsten sei ebenfalls nordisch.104 Insbesondere in der Nordsee sieht er aber das »eigentliche nordische Element«:105
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nach ihrer Erscheinung und ihren Lebensbeziehungen zu ergründen suchen, welche genau in dem gleichen Sinne wie unsere Rasse und Kultur nordisch ist: Nämlich im wesentlichen von nördlichen Natureinwirkungen gestaltet und beherrscht. Wir finden sie zugleich im wesentlichen nordwärts vom eigentlichen europäischen Kernland und etwas abseits, doch aber organisch ihm angegliedert. Dieses Gebiet ist in vielen Beziehungen durchaus wesensgemäß mit unserer nordischen Rasse verbunden, äußerlich und innerlich, geschichtlich und lebenskundlich, klimatisch und wirtschaftlich. Gefühlsmäßig wird es als Heimat und Mutterboden in allertiefster Bedeutsamkeit empfunden werden, wird als Urquell seelischer und leiblicher Gesundheit sich bewähren, wird als Gleichnis und Bild charaktervoller Schönheit dem Wunschbild germanischen Seelenadels entsprechen können!« Weidemann 1939, S. 6. Vgl. Weidemann 1939, S. 10. Weidemann führt aus, dass er die Gebiete, »aus denen die nordische Menschenrasse ihre Herkunft ableitet und mit denen sie sich wesensverwandt fühlt« als nordisch charakterisiert. Vgl. Weidemann 1939, S. 14. Nach Weidemann sei dies das Gebiet, »auf dem in vorgeschichtlichen Jahrtausenden […] das Leben und Werden der nordischen Menschenrasse sich nachweisen läßt, und das Gebiet, in dem ohne Unterbrechung bis heute die Rasse verhältnismäßig am reinsten geblieben ist«. Vgl. ebd., S. 6. Weiterhin führt er Folgendes an: »Es gehört allenfalls noch das südliche Norwegen, Finnland, die baltischen Küsten und andererseits höchstens noch Island dazu.« Ebd., S. 5f. Weidemann stellt folgende Behauptung auf: »Wo Polareis und Nordmeer unmittelbar die Baumeister waren, da dürfen wir wirklich schon deshalb von nordischer Landschaft sprechen. Bodengestaltung und Klima (Lufteinwirkung) bestimmen die Entwicklungsgeschichte eines Landes, unter der höheren Leitung kosmischer Ordnungen und Zusammenhänge, ähnlich so wie die Lebens- und Vererbungsgesetze den Charakter jeder Menschenrasse fort und fort bilden.« Ebd., S. 14. »Zwischen jenen felsen- und eisstarrenden, unwirtlichen Bergriesen Skandinaviens und andererseits den milderen europäischen Breiten, die schon während der letzten EiszeitSchwankungen eisfrei blieben und eine urhafte Menschenentwicklung bis hin etwa zu mittleren Steinzeitkultur zuließen, dazwischen liegt das eigentliche ›nordische‹ Gebiet. Es war einst, als unsere Rasse dort heimatlich erwuchs, ein noch fest zusammenhängendes Gelände, damals noch nicht unterbrochen durch die Meeresstreifen zwischen Ost- und Nordsee, die erst durch die sogenannte Litorinalsenkung nach der Eiszeit entstanden sind. […] Das große, geschlossene nordische Land aber war gleichmäßig lebensfreundlich, wenn auch unter herben Anforderungen, vom mittleren Schweden bis nach Friesland herab.« Vgl. Weidemann 1939, S. 10. »Als Sohn der Nordmark kann ich aus langer Erfahrung und vielseitiger Anschauung von unserer nordischen Landschaft reden, und auch mit Stolz. Denn Schleswig-Holstein ist das nordischste Gebiet Deutschlands in jeder Hinsicht. Es ist das Stück, welches dem engsten, ursprünglichsten Umkreise der vorgeschichtlichen Heimat angehört, welches auch wohl am meisten, nach Umfang wie Vielfalt, die Ursprünglichkeit im Aussehen behalten hat. Dazu kommt hier die Sonderbildung der Marsch mit dem Wattenmeer und den Halligen, die wir zur nordischen Landschaft rechnen.« Weidemann 1939, S. 22. »Was dann im Westen abschließend als Marschland vorgelagert ist, hat das Meer hier, und
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»Unsere ersten Gedanken sollen dem Meere gelten, denn ohne Frage ist dieses das eigentlich nordische Element für unsere deutsche Landschaft. Meere gibt es überall auf der Welt. Aber für uns und unsere Heimat ist die See nordisch. Das deutsche Meer nennen wir die Nordsee. Vom Norden her strömt aus dem Ozean die Gezeitenwelle an unsere Küste. Durch die Nordsee kommt der lebensbedingende Golfstrom; über sie hin gehen die Bahnen des Wetters, Sturm und Regen, Wolken und Nebel. Wie wichtig ist jedes von diesen!«106
Weiterhin hebt er das Meer als etwas Besonderes, »Ewiges« in der Natur hervor107 und interpretiert es als »Sinnbild der Unendlichkeit«.108 Für Weidemann prägte die Weite des Meeres das Wesen des nordischen Menschen. So förderte die Konfrontation mit der Weite und scheinbarer Unendlichkeit bestimmte Eigenarten, wie »die Gewöhnung an ein großes Schicksal und die Leistung heldischer Selbstbehauptung«, »weltbezwingende Klugheit und Tüchtigkeit, Zähigkeit und Findigkeit, Organisation und Sparsamkeit«.109
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zwar nach der Eiszeit aufgeschichtet. Ist aber nicht auch dieses in einem ganz ernsten Sinne nordisch? Es ist die ›Nordsee‹, die hier baute.« Vgl. Weidemann 1939, S. 14. Vgl. Weidemann 1939, S. 20, 38. Weidemann bezieht sich weiterhin auf die durch die Eiszeit veränderten geologischen und geografischen Bedingungen, die die Nordsee schufen. »Wie der nordische ganz buchstäblich in der Kette seiner Ahnen aus den nordischen Ländern zwischen Bremen und Stockholm ›herkommt‹ – so ist der Boden der nordischen Landschaft durch die Gletscherwanderungen der Eiszeit aus skandinavisch-finnischen Urgebirgen – hergekommen. Das ganze Erdreich und Gestein, auf dem wir in weitem Umkreise der Nordund Ostsee stehen und gehen, ist wirklich eingewandert – und zwar vom Norden – wie die Germanen. […] Wir leben also in gewissen, recht ausgedehnten Teilen des Deutschen Reiches auf einem Boden-Material unzweifelhaft nordischer Herkunft. […] Bei uns in SchleswigHolstein, das neuerdings mit Recht gern Nordmark genannt wird, ist sogar darüber hinaus bis an den Nordseestrand der äußersten Inselkette zweifellos deutlich, daß das ganze Material der Boden-Oberfläche aus zertrümmerten, aufgelösten und weitgewanderten schwedischen Gesteinen und ausgebreiteten Sanden besteht. Also ist die Grundlage, der Körper unserer Landschaft, buchstäblich nordisch.« Weidemann 1939, S. 14. »Von diesem [dem Meer] sind wieder Luft, Wolken, Klima abhängig. Wir wollen in diesem Zusammenhang kurz das Wasser selbst, dass der Küsten der Nord- und Ostsee beachten. Da aber die bildliche Vorstellung dieser Art Landschaft an sich etwas Altbekanntes ist, wollen wir nur soweit darauf eingehen, daß uns das besondere nordische Gepräge daran bewußt wird.« Weidemann 1939, S. 22. Weidemann bezeichnet ebenso die Ostsee als ein nordisches Element. Weidemann 1939, S. 38. »Es [Das Meer] ist die ewige Form der Landschaft, wie keine andere. Unsere nordische Welt vermittelt uns diese, und damit das Bedeutsamste und Beständigste, was es auf der Erde gibt. Alles andere, auch die erhabensten Gebirge, vergehen und sind ständig in Umbildung und Verfall begriffen. Aber das Meer ist heute, wie es immer war, seitdem die Erde nicht mehr feurig ist, und – es wird zuletzt in fernster Zukunft einmal allein übrigbleiben. Das ist mehr als ein Gefühlswert. Es ist eine Wirklichkeit, eine Sonderstellung in der Natur.« Weidemann 1939, S. 38. »Es [das Meer] ist auch in seiner Erscheinung ein einzigartiges Sinnbild der Unendlichkeit, räumlich wie zeitlich.« Weidemann 1939, S. 38. »Diese Unendlichkeit des Meeres, so leicht ausgesprochen, aber erlebbar und sichtbar, gab der Menschenrasse des Nordens von Urbeginn her den ›Ausgriff ins Weite‹ – und das Wissen von
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Da der »nordische Mensch« rassisch an die »nordische Landschaft gebunden sei«, fordert er die Deutschen auf, die Nordsee und die Küsten zu bereisen:110 »Weil es [das Meer] aber das nordische Urelement ist, sollte jeder Deutsche, der heimatbewußt lebt, auch danach streben, es in Wirklichkeit zu erleben, als deutsche und nordische Landschaft.«111 In diesem Kontext verweist Weidemann auf die »Kraft durch Freude«-Organisation, die solche Reisen ermöglicht.112 Zur Bestärkung führt er an, dass er viele deutsche Menschen kennengelernt hat, die sich an der Nordsee heimisch fühlten. Dies liege an der rassischen Bindung, denn in dieser »nordischen Landschaft« komme es zur »seelischen Auffrischung der besten Elemente ihrer Rassenseele«.113 Denn der »nordische Mensch« könne im Erlebnis der »nordischen Landschaft« das »Arteigene«, das er in Bezug zum »Heroischen« setzt, finden.114
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der All-Einheit zugleich und von der ewigen Ordnung. Auch aber die Gewöhnung an ein großes Schicksal und die Leistung heldischer Selbstbehauptung.« Weidemann 1939, S. 38. »Aus strengen Lebensbedingungen erwuchs dem nordischen Menschentum seine weltbezwingende Klugheit und Tüchtigkeit, Zähigkeit und Findigkeit, Organisation und Sparsamkeit in weiter Sicht. Wir kennen kein mühelos, in Üppigkeit sich sorglos entfaltendes Dasein. Und wir achten die Mühe, die dennoch überwindet, die Leistung. Das Bild solcher Leistung bietet uns unsere nordische Landschaft.« Ebd., S. 54. Weidemann betont, dass ein Teil der angeblich »nordischen Urlandschaft« in Deutschland zu finden sei – ohne nach Skandinavien reisen zu müssen. »Sofern nun ein Teil dieser urtümlichen Landschaftsformen heute noch innerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches liegt, finden wir hier in ganz bestimmtem und wirklichem Sinne unser ›nordisches Land‹. Wir finden es in vollem Ernst – heute noch – auch ohne ›Nordlandreise‹. Das ist nur den meisten Volksgenossen noch gar nicht in voller Tragweite bewußt geworden. Auf deutschem Boden, mit deutschen Verkehrsmitteln, deutschem Geld und deutscher Sprache, also in voller, heimatlicher Bewegungsfreiheit können wir aufsuchen und uns zum Erlebnis und Gewinn machen, was mit vollstem Recht ›unsere nordische Landschaft‹ heißen darf.« Weidemann 1939, S. 10. Weidemann 1939, S. 38. »Die Schiffe der Organisation ›Kraft durch Freude‹ helfen dazu. Unsere Ahnen waren auf dem Meer zu Hause. Sie erlebten mit ihm die Ewigkeit der Natur. Wie gut, daß wir dasselbe können, wenn auch nicht so im Kampf, sondern bequem als Urlaubsfreude. Wir können es ebenso in den ›Bädern‹ erleben.« Weidemann 1939, S. 38. Er bekräftigt nochmals die angebliche Bedeutung der nordischen Heimat für den »nordischen Menschen«: »Aus nordischer Landschaft wächst nordisches Volkstum. In unserer nordischen Landschaft findet es immer wieder ›Kraft durch Freude‹. Es findet noch viel mehr: Sich selbst – und eine harmonische Erfüllung seines Lebensgefühls.« Ebd., S. 127. »Ich habe schon viele Volksgenossen aus entfernten deutschen Gauen […] kennengelernt, die sich hier im Norden, an der See und im weiten, hellen, herben Land, ganz innerlich »zu Hause« gefühlt haben, nachdem sie einmal das Wesen dieser Landschaft in sich eindringend verspürten, die immer wieder Sehnsucht haben, hier ihre Innenkraft aus geheimnisvoll tiefen Quellen aufzufrischen. Das ist der erste große Gewinn, welchen alle Volksgenossen aus dem tieferen, lebenskundlichen Verständnis unserer nordischen Landschaft finden können, wie wir es hier vermitteln möchten: Seelische Auffrischung der besten Elemente ihrer Rassenseele.« Weidemann 1939, S. 108. »Ihr Miterleben [der nordischen Landschaft] stählt uns selbst. Es gibt uns ein stilles Wissen um allgemeine Lebensordnungen und Anforderungen. Es zeigt uns aber auch die sieghafte
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Jedoch sind es nicht ausschließlich rassisch verzerrte Zugänge, die er zur Nordsee erstellt. So beschreibt Weidemann die Empfindung des Großen und Übermächtigen, die angesichts der Weite des Meeres evoziert wird.115 Dies knüpft an seine früheren Empfindungen zur Nordsee an. Es ist jedoch ersichtlich, dass sein Zugang zur Nordsee durch die im Nationalsozialismus verbreiteten rassischen Vorstellungen geprägt wurde. In diesem Sinne versteht Weidemann sein Buch »Unsere Nordische Landschaft« als ein Lehrbuch für den rassischen Gedanken.
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Die erzieherische Aufgabe des Buches
Ziel des Buches sei es, die »Reinheit nordischer Erscheinungsformen« der Landschaft und deren Bedeutung im Kontext der rassischen, im Nationalsozialismus popularisierten Blut und Boden-Ideologie bekannt zu machen.116 Er bezeichnete dies sogar als eine aufklärerische Leistung.117 Als Begründung führt er an, dass die nordischen »Wesensmerkmale« deutscher Landschaft nicht allgemein bekannt seien und dass deren »Reinheit« bedroht sei.118
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Freude des erkämpften Verstandes In solchem heroischen Dasein kann nicht jedes Einzelwesen die schönste Idealform seiner Art voll entfalten. Wir lernen eine andere Schönheit sehen eben im Ausdruck der Kraft, des Willens, des Siegens auch in Leid und Not. Wir sehen sogar die Schönheit des Untergangs, des Todes, des Wracks, des kahlen Stumpfes, der zerrissenen Klippe. Ich meine wirklich, daß eine Landschaft, die auf Schritt und Tritt solches Leben zeigt (meistens eindrucksvoll vereinzelt in weitem, großem Raum), uns als mitfühlenden Menschen gleicher Daseinsbedingungen viel sagen kann; […] Aber wir wissen doch das Heldische wohl zu schätzen und die Schönheit des erprobten, ja auch des gestürzten Kämpfers tief zu werten: als Leistung und Ehre erfüllten Lebenssinns!« Weidemann 1939, S. 54, 58. »Jeder von uns kann am Meer dieses Ur- und Allerleben wieder und wieder finden. Hier stellt sich nichts Menschliches, nichts Kleinliches, nichts Bedingtes dazwischen […].« Weidemann 1939, S. 38. Vgl. Weidemann 1939, S. 12. Vgl. ebd., S. 12. »Der volle Sinn und die urechte Art der ›nordischen Landschaft‹ innerhalb der nördlichen Grenzmarken Deutschlands ist bisher noch kaum klar erkannt. Wir können unserm Volk noch etwas Wertvolles geben, aus seinem Eigenen, wenn wir ihm für diesen ›unseren‹ Besitz die Augen und die Seele öffnen – ehe es zu spät ist. Denn das ist leider wahr: über unsere nordische Landschaft […] schwebt die Gefahr, daß sie ihre Reinheit, ihre nordische Erscheinung mehr und mehr verliert.« Weidemann 1939, S. 12. In Weidemann Ausführungen sind zum Teil rassistische Züge im Kontext des Arier-Mythos zu erkennen. »Sind wir geheilt von dem alten Irrwahn, vor allem schwarzhaarige und dunkeläugige Menschen von brauner Hautfarbe für vorbildlich schön anzusehen, haben wir dafür gelernt, für uns das rassische Ideal des blonden, blauäugigen Nordmenschen als achtenswert und erstrebenswert zu schätzen, so dürfen wir auch das Werturteil über die Landschaft unserer Heimat neu ausrichten. […] Etwas Neues können wir hinzugewinnen, und damit die Quellen unserer Heimatfreude uns vermehren! In der nordischen Schönheit der schlichteren und raueren,
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»Wir wissen, was am Menschen nordische Wesensmerkmale sind. Wissen wir es auch von der Landschaft? Von ›unserer‹ Landschaft? Ich meine, unwesentlich ist diese Besinnung nicht! Und es ist ja noch nicht zu spät. Wie es noch nicht zu spät war, als wir uns in den letzten Jahren auf den nordischen Gedanken aus rassekundlicher Erkenntnis besannen, bevor der Erbadel unseres Blutes im ›Völkerchaos‹ (wie es vor 2000 Jahren am Mittelmeer geschah) aufging und unterging – so ist es noch nicht zu spät, uns auf unsere nordische Landschaft ernstlich zu besinnen, solange wir noch – Reste davon haben.«119
Zuvor hätten viele Menschen die Schönheit der nordischen Landschaft nicht erkannt, da sie nach »unnordischen Maßstäben« geurteilt hätten.120 Auch der südlichen Landschaft gebühre Schönheit, jedoch sei das »Nordische« erst durch die nationalsozialistische Rassenideologie gewürdigt worden.121 In Norddeutschland beständen nur noch Reste der »nordischen, unberührten Landschaft«.122 Insbesondere in der Kultivierung und in internationalen Einflüssen sieht Weidemann eine Gefahr für das »rein Nordische«.123 Er führt an, dass es eine »wesentliche künstlerische Aufgabe« sei, die »nordische Landschaft« »in der Schauung wie im Ausdruck durch Wort und Bild« darzustellen und der Allgemeinheit zu »offenbaren«.124 Weidemanns Ausführungen spiegeln die na-
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und doch nach Art und Wesen so starken, nach Form und Farbe, Haltung und Rhythmus auch äußerlich so klar geprägten Landschaften des deutschen Vaterlandes, die wir bisher mißachteten oder mißverstanden, kann unsere nordische Seele nur bis in die Tiefe wachsen, nur gesunden.« Ebd., S. 106, 108. Weidemann 1939, S. 12. Vgl. ebd., S. 114. »Es war immer falsch, nordische Landschaft als armselige, unfreundliche oder gar häßliche, mindestens aber als langweilige Natur zu verachten. Das geschieht aber noch oft.« Ebd., S. 106. Vgl. Weidemann 1939, S. 106. »Wir haben heute nur noch Reste nordischer Landschaft, die halbwegs unberührt die uns so liebwerten, ja heiligen Gesichtszüge der alten Urmutterheimat tragen.« Weidemann 1939, S. 12. »Nicht ganz Norddeutschland, nicht einmal die ganze lange Küste unseres Vaterlandes ist heute noch nordische Landschaft im echten und alten Sinn. Denn das nordische Wesen ist etwas Urhaftes, Naturfrisches. Die fortschreitende Kultur – oder besser gesagt die europäische, internationale gleichförmig gestaltende Zivilisation der letzten, oft unbedacht instinktlosen Jahrhunderte – nahm überall das Eigentümliche, das Nordische, heraus.« Weidemann 1939, S. 12. Auch die Kultivierung des Landes sei angeblich eine Gefahr, die »Nordische Urlandschaft« zu zerstören: »Schon viel nordische Urform ist verlorengegangen. Das Meiste in der dicht bevölkerten deutschen Heimat – und gerade im flachen Norddeutschland – ist jetzt Kulturlandschaft.« Ebd., S. 20. Vgl. Weidemann 1939, S. 18. »Wenn ein Maler nur die Landschaft, die jedermann kennenlernen kann, geschickt hinmalt, wie sie jeder so normalerweise zu sehen bekommt, womöglich den Ferienmenschendurchschnitt als ›Belebung‹ darin, dann kann er zwar seine Bilder leichter verkaufen […] – aber seine Arbeit kann sein Volk nicht innerlich bereichern. Er schenkt nichts Neues, er führt nicht weiter, nicht in die Tiefe – der Landschaft und des eigenen Wesens. Da ruht ja etwas Besseres! Das Nordische! Der Künstler dient seinem hohen Beruf nur dann, wenn er offenbart, was die meisten Anderen nicht sehen!« Weidemann 1939, S. 118, 120. Seiner Ansicht nach kann das Medium Fotografie diese Aufgabe nicht erfüllen. Vgl. ebd., S. 18.
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tionalsozialistische Auffassung von Landschaftsmalerei als ein »Rassenselbstbekenntnis« wider.125 Die Heimat wird als »arteigener Raum«, als »Rassenraum« bezeichnet, aus dem der Künstler Kraft schöpfe und an den er ewig durch sein »Blut« gebunden sei.126 Weidemann betrachtet Kunst – in Anlehnung an die nationalsozialistische Auffassung – als Erziehungsform und Rassenselbstbekenntnis.127 Dabei betont er, dass auch seine Werke »Grundlinien einer artechten Kunst« enthalten.128 Weidemann benennt einen »nordischen Stil«.129 Dieser sei
125 »Ein Maler, der zu schauen, zu gestalten und auszudrücken geübt ist, der ferner auch mit den Naturwissenschaften einige Fühlung hat, und der endlich selbst nordischer Artung und Empfindung ist, kann sehr wohl eine lohnende und lockende, aber auch verantwortlich gebietende Aufgabe darin sehen: In der Gesamterscheinung der nordischen Landschaft, wie sie uns in den besten Resten ihrer Art vorliegt, den Ausdruck eines umfassenden Lebenszustandes und Lebensschicksals aufzuzeigen, der die Heimatlandschaft durchaus im gleichen Sinne prägt, wie den Menschen in ihr, wie uns selber.« Weidemann 1939, S. 18. Gemäß der Rasse-Kunst-Theorie führte beispielsweise der Kunsthistoriker Eberlein deutsche Kunst auf die »Rasse« der Deutschen zurück. »Deutsche Kunst ist nicht jede in Deutschland geschaffene Kunst; deutsche Kunst ist die in Deutschland von deutschen Menschen deutsch geschaffene Kunst, die gewachsene, nicht die gezüchtete Kunst.« Eberlein 1934, S. 17. Absurd ist, dass die – angeblich aus dem Volke entsprungene – »arteigene« deutsche Kunst , die die »arische Rasse« widerspiegle, dem deutschen Volk erst einmal vorgeführt und dessen Produktion politisch verordnet werden musste. Die bildenden Künste wurden durch politische Maßnahmen zum propagandistischen Instrument funktionalisiert. Vgl. u. a. Merker 1983, S. 125–131. 126 Vgl. Meinhold 1938, S. 13. Eberlein 1939, S. 23. »Kunst aus Blut und Boden« (1932), »Kunst und Rasse« (1928) und »Kampf um die Kunst« (1932) stellen Abhandlungen SchultzeNaumburgs über Kunstbetrachtung auf Basis der Rassenlehre dar. »Nirgends aber spricht sich das Verstehen der Heimatnatur so deutlich und unmittelbar aus, wie in der Kunst. Die deutsche bildende Kunst weiß, daß sie dem mütterlichen Boden verpflichtet und verhaftet ist. Sie muß dann seine Art aber auch vom tiefsten Wesensgrund her klar erfassen. Sie muß das nordische Gepräge unserer Landschaft kennen, aufzeigen, ehren und wahren. Die deutsche Kunst, um deren Wiederaufbau nach langer Überfremdung und Entwurzelung heute so viel heißes Bemühen ist, um die auch noch viel gesorgt und gestritten wird, hat hier ein einfach unerschöpfliches Aufgabengebiet, das sich den übrigen einreiht: Wie am deutschen Menschen und Volksleben, so auch an der deutschen Landschaft die nordische Artung sichtbar zu gestalten. Sie kann das nicht anders, als mit nordischem Stilgefühl tun.« Weidemann 1939, S. 114. 127 Weidemann 1939, S. 116. »Nordisch geprägt sein – in Inhalt und Stilform – das hieße höchste Ehre für die Kunst eines nordischen Volkes. […] Von solcher Darbietung einer neuen deutschen Landschaftsmalerei […] hätte das Volk selber etwas, sie müßte ihm Vermittlung eines wirklichen und eigenen Lebens werden. Dabei muß der Künstler voran gehen.« Ebd., S. 118. »Er [der Künstler] muß den Geschmack auch der Menge führen und langsam erziehen. […] Die Seele des Volkes in idealem Sinne lebt am besten in einer rassischen Auslese von immerhin nicht wenigen, die ihn verstehen und ihm [dem Künstler] dankbar folgen werden, wenn er bewußter, weiter und tiefer schaut als die Menge. Er ist berufen, an seiner höheren Erkenntnis und an seinem tieferen Erlebnis viele teilnehmen zu lassen.« Ebd., S. 118. 128 »In meinen Bildern habe ich das hier noch mit großer Zurückhaltung getan, denn hier sollte mehr die Landschaft als Natur und weniger das Werk als Kunstform zur Sprache kommen.
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rassisch veranlagt und könne beim »nordischen Menschen« durch die künstlerische Arbeit in der »nordischen Landschaft« gefördert werden.130 Diesbezüglich verweist er darauf, dass die zu schaffenden Bilder im naturalistischen Stil angefertigt sein sollen.131 Auch dies entspricht nationalsozialistischen Forderungen an die Kunst. Parallel zum Buch wurden zwei Serien von Bildkarten produziert.132 Allerdings fertigte er viele Werke, die als Abbildungen in den Bildteil einfügt sind, zum Teil bereits Ende der 20er Jahre an, als sich die rassischen Vorstellungen noch nicht so stark bei ihm abzeichneten. Auch die als Untertitel angeführten Texte stehen häufig – im Gegensatz zum vorangehenden Textteil – nicht im Kontext der Rasselehre. Indem er die Bilder in dem Buch, »Nordische Landschaft« aufnimmt und den Anspruch formuliert, die »nordische Landschaft« auf Basis rassischer Theorien bekannt zu machen, rückte er seine Werke jedoch in diesen Kontext.
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Und doch wird das, was ich meine, aus vielen Einzelbeobachtungen und mehr noch aus dem Gesamteindruck des nordischen Charakters erkennbar sein. Hier sind als von der Heimatnatur schon die Grundlinien einer artechten Kunst deutlich genug vorgezeichnet gewesen.« Weidemann 1939, S. 124–126. Vgl. ebenso ebd., S. 116. »Wir nordischen Menschen in nordischer Landschaft sind zur Treue und Ehrlichkeit auch in unserm Stil verpflichtet, der nur nordisch sein kann und darf.« Weidemann 1939, S. 122. »Was aber heißt nordischer Stil in der Malerei? Das ist eine noch recht umstrittene und wenig geklärte Frage. Ich meine, ihrer Lösung näherzukommen, dazu können wir vielleicht aus der nordischen Landschaft etwas lernen. Denn sie prägte ja auch die nordische Seele und ihre Haltung und Weise.« Ebd., S. 122. »So kommt deutsche als nordische Kunst theoretisch und folgerichtig auf eine stark stilisierte, das heißt in schmuckhafte Regelung gebundene, irgendwie rhythmische Formung hinaus, die vom ganz reinen Naturalismus abrückt und jeder bildmäßigen Gestaltung nicht nur im Thema, sondern auch in der formalen Prägung einen geistigen Zug gibt. So erscheint ein gewisses Gleichgewicht zwischen beiden Seiten, zwischen Naturwahrheit und Denkwillkür, als das eigentliche Gebiet deutscher Kunst in strengster Auffassung ihrer besonderen Wesenheit.« Ebd., S. 122, 124. »Der Künstler aber, der seinen nordischen Stil, soweit dieser als unbestimmter Trieb aus Bluterbe und Weltanschauung in ihm selber ruht, zur Vollendung auszubilden begehrt, kann keine Schulung günstiger sein als die in unserer ausgesprochen nordischen Landschaft mit ihrer kosmischen Allverbundenheit bei starker, rhythmischer Stilisierung und großer Formgebundenheit, und mit ihrer Offenheit und Strenge zugleich.[…] Man lernt in der nordischen Landschaft vor allem auch, in der Farbigkeit feinfühlig und gewissenhaft zu werden, und nicht in prahlerischen Kontrasten und rohem Lärm seine Kraft zu zeigen. […] Im übrigen haben andere Rassen wie andere Länder ihre anderen Werturteile. Für uns muß das Nordische gelten« Weidemann 1939, S. 126. Vgl. Weidemann 1939, S. 18. Weidemann 1958, S. 198.
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Nordische Charakteristika von Wattenmeer, Nordsee und Küste
Was sind nun die nordischen Wesenszüge der Landschaft, die Weidemann durch seine Kunst vermitteln wollte?133 Allgemein bezog er sich auf die Landschaftsformen der norddeutschen Küstenlandschaft und insbesondere die seiner Heimat Sylt. Da er zuvor das Gebiet der Nordsee, des Wattenmeers und der Küstenlandschaft als »nordisch« bezeichnete, konnte er nun auch die dortigen Naturphänomene als nordisch deklarieren, wobei er bestimmte Phänomene besonders hervorhebt. Er geht sogar so weit, die Nordseeküstenlandschaft als »nordische Landschaft in voller Stärke, Reinheit und Schönheit« zu beschreiben und zur »heroischen Landschaft« zu überhöhen.134 Allerdings sei der »heroische Charakter« unterschiedlich ausgeprägt und von Wetterbedingungen und den Jahreszeiten abhängig: »Aber sie [heroische Landschaft] erscheint nicht immer gleich heroisch. Damit will ich nun sagen: Das Alltagsgesicht unserer Landschaft ist nicht maßgebend. Es hat, wie das des nordischen Menschen, etwas Verschlossenes, Verhaltenes. Wir können das Meer und seinen Strand mit tiefster Seele nur in besonderen Stunden erleben. […] Sie sind da, wenn etwa im Spätherbst […] die großen Stürme alles aufwühlen; oder wenn zu Winteranfang die weißen Nebeldämpfe alles verschleiern, was entfernt ist, um alles Nahe gespenstisch hervorzuheben; oder wenn die Wanderwolken, im Herbst oder Frühling, den unendlichen Wechsel von Licht, Schatten, Farben und Formen über alles hingleiten lassen; oder wenn in Dämmerungsstunde etwa der Mittsommernächte, oder der feuchtschweren Herbst- und Winterabende, oft eine wahre Wunderpracht von kühnharmonisch abgestimmten Farbtönen über alle Phantasie hinaus alles verklärt. Es gibt da Phänomene des Lichts, die nur in der feuchten Atmosphäre der Küste, und zwar der nordischen Küste, überhaupt möglich sind. Ich nenne ferner noch das seltenere Meer133 Bevor Weidemann dies näher ausführt, gibt er zu bedenken, dass angeblich die Schönheit nordischer Landschaft nur erkannt wird, wenn sich der Rezipient ihrem Wesen öffne. »Doch nicht so leicht öffnet die nordische Landschaft ihren verborgenen und verschwiegenen Reichtum, wenn wir sie nicht von ihrem Wesen her verstehen und mit ihrem eigenen Maße messen. […] Hier wird in Wirklichkeit, in alter Echtheit nordisch gelebt, gefühlt und auch gesprochen und gestaltet. […] Wer hier der Natur und ihrer arteignen Schönheit sich innerlich öffnet, dem wird bald die anfängliche ›Leere‹ einer ›öden Wüste‹ mitteilsam ganz neue Wunder weisen. […] Hier sind die umfassenden, kosmischen Urerscheinungen selber, wie Licht und Wärme, Wasser und Wind, als tonangebende, alles bestimmende Elemente sichtlich übergeordnet allen kleinen Dingen, – auch uns.« Weidemann 1939, S. 110. 134 »In unserer Landschaft trifft immer vieles zusammen, erklingt eine große, ernste und starke Symphonie des Geschehens. Zu dem Gegeneinander von Meer und Küste, von Elementen und Lebenswillen, was an sich schon charakteristisch nordisch ist, gesellen sich die Sondererscheinungen des Lichtes, des Luftzustandes, der Wolkenbildung. Dieses Zusammentreffen, wie es hier bei uns, in der Nordmark und an der Nordsee, so sehr häufig, ja fast gewöhnlich und überall sichtbar ist: Das offenbart und sehr noch, als in gewöhnlichem Sinne, nordische Landschaft in voller Stärke, Reinheit und Schönheit. Es ist die heroische Landschaft.« Weidemann 1939, S. 60.
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leuchten, oder das Nordlicht, oder auch das ganz gewöhnliche Glitzern des Sonnen- oder Mondscheins auf dem bewegten Wasser. Ich muß vor allem nennen den gleichsam zeitlos stetigen, milden Schein der Mitternachtsdämmerung um die Zeit der Sommersonnenwende. Das ist echt nordische Schönheit unserer Landschaft, vom Meere bedingt und im Zusammenwirken von Licht, Luft und Wasser oft so vollendet, daß auch wir, denen diese Erscheinungen etwas Gewohntes sind, immer wieder in Bewunderung und Andacht davor stehen.«135
Obwohl viele Ausführungen von Weidemann inhaltlich »schwammig« sind, bezieht er sich hier auf konkrete Phänomene dieser Landschaft wie das Nordlicht, die dichten Nebelbänke im Winter, die Herbststürme und bestimmte Wettererscheinungen sowie Farb- und Lichtstimmungen, die sich im Zusammenspiel mit dem Meer ergeben. Sie machen für ihn Teile des »Wesens der nordischen Urheimat unserer Rasse« aus.136 Weidemann führt seine Schilderungen der nordischen Landschaft wiederholt auf die rassische »Blut und Boden-Theorie« zurück: »Immer wieder wird und muß unser nordisches Blut in nordischer Landschaft zu den Urquellen seines Lebens bewußt und fühlbar zurückfinden.«137 Dabei sind einzelne Beschreibungen, die er von der Nordsee, der Küste und den Inseln liefert, – isoliert betrachtet – frei von rassischem Gedankengut und zeugen davon, dass Weidemann ein guter Beobachter der Natur war. So führt er zutreffend an, dass die Stimmungen an der Nordsee vielfältig sind. Er beschreibt das Zusammenspiel von Wolkenformationen und ihrer Farben und »Lichtwirkungen« mit dem Meer.138 Mit Blick auf die Lichtstimmungen und die Weite des Meers fühle sich der Einzelne klein und könne sich in diesem Landschaftserlebnis verlieren.139 Das ganzheitliche Erleben würde insbesondere dem nordi135 Ebd., S. 60, 62. 136 »Auf diesen wirklich und ausschließlich nordischen Gegebenheiten beruht eine ganz unvergleichbare, wahrhaft malerische Ausprägung unserer Landschaft nahe dem Meere, zwischen den Meeren und im Meere. Es ist eine andere Luft, in der wir leben, und ein anderes Licht. Gerade dies ist das Wesen der nordischen Urheimat unserer Rasse. Diese konnte unter diesem Himmel, an diesem Meere erwachsen und erstarken, begabt mit ihrer Naturverbundenheit, Innerlichkeit und frohen, gläubigen Sehnsucht in alle Fernen, auch aber mit aller Tüchtigkeit und schöpferischen Gestaltungsfähigkeit – und immer bereit zum Einsatz.« Weidemann 1939, S. 60, 62. 137 Ebd., S. 60, 62. 138 Vgl. ebd., S. 44. 139 Ebd., S. 110. »Die Stimmung nordischer Landschaft ist, auffällig für jeden Landfremden, zu jeder Zeit anders, wechselnd nach Jahres- und Tageszeit, nach Witterung und Wind. Man kann von einem festen Standort aus in kurzer Frist viele völlig verschiedene ›Bilder‹ sehen. Aber immer ist irgend etwas Großes, etwas ganz Gemeinsames da, welches die Allheit umschließt und jedes Einzelwesen, auch uns selbst, hineinzwingt in diesen übergeordneten, unentrinnbaren Zustand: Die Stimmung der Stunde. Und so geschieht dies: Man vergißt leicht sich selber, als Mensch, und fühlt sich ganz hinein in diese zwingende Allgewalt der großen, offenen, immer in größtem Zusammenhang lebenden Landschaft. Der Mensch
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schen Menschen zuteil und offenbare sich in nordischer Landschaft.140 Weiterhin bezeichnet Weidemann die Formationen der Nordseeküste und Inseln als »nordische Urformen«.141 Aus dem Wirken der nordischen Elemente »Luft, Licht, Wasser und Wind«, entstünden Formen und Linien, die den nordischen Stil prägen.142 Als Beispiel für eine solche »nordische« Linienführung verweist er auf die Wellen- und Strandformen sowie wogendes Gras.143 Allerdings können Luft, Licht, Wasser und Wind nicht ausschließlich als »nordische Elemente« bezeichnet werden,144 da sie natürlich überall in Meeres- und Küstengebieten
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freilich, der einzelne, das ›liebe Ich‹, bedeutet gar wenig darin – es sei denn als große Freude, in der das Ganze selber sich bewußt wird! Aber daß man ›sich verliert‹, das ist eben der Gewinn dieses Erlebens, das ist gerade das Erholsame, Heilsame. In der Naturverbundenheit der stark geprägten Landschaftsstimmung finden wir das größere Leben wieder und das tiefere Sein: Die Heimat nimmt uns auf.« Weidemann 1939, S. 110. Dies ist kritisch zu betrachten, da dieses Gefühl natürlich auch an südlichen Strandlandschaften erfahrbar ist. Weidemann vereinnahmt es allerdings als typisch »nordisch«. »Es ist aber wirklich kein Zufall, daß dieses Erlebnis gerade in unserer nordischen Landschaft so besonders leicht und schön jeder empfänglichen Seele zuteil wird. Jede nordische Seele ist dafür offen: Allverbundenheit zu fühlen. […] Nordische Landschaft ist immer das Ganze, wenigstens ein lebendiges, organisches Glied eines Alldaseins [….].« Weidemann 1939, S. 110, 112. In Bezug auf das Alldasein verweist Weidemann auf das Bewusstsein eines größeren Daseins und stellt eine Verbindung zur angeblichen »nordischen Rassenseele« her : »Sobald ich die Stimmung des Ganzen nicht nur fühle, sondern ergründe, bin ich geistig über mich selbst erhoben und eines größeren Daseins bewußt. Ohne Frage ist es so, daß ständiges Erleben dieser tief in das Seelische greifenden Naturverbundenheit seit Urzeiten die nordische Rassenseele mit bilden half […]. Die nordische Seele weiß aus Erleben ihrer Heimatlandschaft ganz anders um das Einssein des Ganzen, um eine allumfassende, nach ewigem Müssen gleichbleibende Weltordnung.« Weidemann 1939, S. 112. »Wenn wir diesen Bezirk [u. a. Nordsee und Küste] als die Urheimat der nordischen Völker ansprechen, so dürfen wir auch die Urformen dieser Landschaft als die eigentlich nordischen bezeichnen.« Weidemann 1939, S. 10. »Nordische Landschaft neigt schon in ihrer großzügigen Natürlichkeit zur weitgehenden Regelung der Formen in fast allen ihren charakteristischen Erscheinungen. Denn diese sind überall und immer – innerhalb der nordischen Landschaft – wesentlich bestimmt und beherrscht von ganz wenigen, übermächtigen, allgemeinen Kräften. Das sind bei uns die nordischen Elemente: Luft, Licht, Wasser, Wind. Aus ihrem Wirken entstehen in Sichtbarkeit jene naturgesetzlich erzwungenen Linienführungen, welche die heutige Technik als ›Stromlinien‹ kennt und anwendet. In ihrer deutlichen rhythmischen Wiederholung an verschiedenartigen Material, am lebenden wie am toten Stoff, in ihrer kontrapunktisch oder fugisch (also musikalischen) reichen Verwendung innerhalb der Symphonie des Weltgeschehens, die wir ›Landschaft‹ heißen, ist ein Kennzeichen der nordischen Natur – und Kunst – zu sehen.« Weidemann 1939, S. 124. »Die Wellenform, die am sichtbarsten der Wind auf die Oberfläche des Wassers hervorbringt […] erscheint in unserer nordischen Landschaft oftmals gleichzeitig und benachbart auch im Sande des Strandes und der Dünen, im ›wogenden‹ Gras, in den Kurven der Baumzweige, in den Geländelinien, in den Wolken. Nordische Kunst braucht nur steigernd, wählend und ordnend ein wenig dieses Spiel der nordischen Natur zu betonen, um sich selbst zu erfüllen.« Weidemann 1939, S. 124. Vgl. Weidemann 1939, S. 124.
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wirken. Die von ihm benannte »nordische Linienführung« findet sich also ebenso in südlichen Strandlandschaften. In seinen Werken verbildlicht Weidemann die »nordische Linienführung« an der Nordseeküste:145
Abb. A3.17: Magnus Weidemann, Strandkurven
So sind im Bild »Strandkurven« (Abb. A3.17) die von Wind und Wasser geschaffenen Strukturen klar erkennbar. Um die »Schönheit nordischer Art« an der Küste zu erleben, eignen sich nach Ansicht des Künstlers insbesondere die Jahreszeiten Herbst und Winter, aber auch der Frühling,146 in denen man die »nordische Witterung« insbesondere an der Küste und auf den Inseln erleben könne.147 Weidemann könne sich eine Künstlerkolonie auf Sylt gut vorstellen, da dort »die Elemente nordischer Landschaft und nordischen Lebens in seltener Vielseitigkeit und urwüchsiger Kraft zusammentreffen«.148 Diese Insel bietet für ihn exemplarisch »Eigenart und Stärke des nordischen Ausdrucks« in »gedrängter Fülle«.149 Nicht nur die Nordsee und das raue Klima, sondern auch die Grabhügel der Vorzeit und die Vegetation, wie die Küstenheide haben nordischen Charakter.150 Ebenso sei die aufgewühlte See im Sturm ein Kennzeichen des Nordischen und könne am eindrucksvollsten auf den äußersten Inseln wie Sylt erlebt werden.151 145 So bezieht sich Weidemann bei seinen Ausführungen über die Nordische Landschaft auf die Schönheit der »Strandkurven« und den Anlagerungen von Muscheln, Steinen und Tang. Vgl. Weidemann 1939, S. 50. 146 Vgl. Weidemann 1939, S. 42. 147 »Wir sehen an der Küste, besonders an der Nordsee, und am meisten auf den Inseln im äußersten Nordwesten (Sylt, Amrum, Helgoland) die größtmögliche Ausprägung nordischer Witterung, die der Landschaft hier ganz besondere, anderswo nur selten oder gar nicht mögliche Eigenthümlichkeiten verleiht. Diese Möglichkeiten sind geradezu unerschöpflich. Und sie sind als das Entscheidende für die nordische Landschaft zu erkennen.« Vgl. Weidemann 1939, S. 42ff. 148 Ebd., S. 126. 149 Vgl. ebd., S. 7, 22. 150 Vgl. ebd., S. 76, 80, 83f. 151 Vgl. ebd., S. 42. »Und darum ist gerade wieder Sylt ein bevorzugter Platz, wo unser nordisches Meer am klarsten sich offenbart und am wechselvollsten sich kundtut. Denn hier ist jeder Tag anders, am äußersten Bollwerk des deutschen Landes.« Ebd.
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In seinen Bildern visualisiert er vielfältige Erlebnisse. So hat er den Sturm im Jahre 1926 auf Sylt erlebt und ein Bild vom Meer umtosten Roten Kliff angefertigt (Abb. A3.18).152
Abb. A3.18: Magnus Weidemann, Im wilden Weststurm
Hohe Wellen branden auf das Kliff. Gischt und Sandwirbel werden vom Sturm auf die Felsen getrieben.153 Die Gewalt des Meeres ist eindrucksvoll umgesetzt. Für Weidemann war dieser Sturm ein »seltenes, aber herrliches Erlebnis«.154 Von diesem Sturm hat er ein weiteres Bild mit dem Titel »Schwere Sturmflut (1926)« (Abb. A3.19) gemalt.155
Abb. A3.19: Magnus Weidemann, Schwere Sturmflut (1926), 1929
152 Weidemann 1939, S. 31. 153 »Im wilden Weststurm trotzt das Rote Kliff von Sylt seit Jahrzehnten dem Meere, aber es muß doch zurückweichen. An diesem Tage hat die See 20 m abgerissen – 1926! Über die Dünen fegt wie dicker Rauch der Flugsand landeinwärts. Das Meer ist lauter Schaum, es rollt und brüllt. Ein seltenes, aber herrliches Erlebnis!« Weidemann 1939, S. 31. 154 Weidemann 1939, S. 31. 155 Er beschreibt dies wie folgt: »Mit wirklich ›haushohen‹ Wellen stürmt die schaumbedeckte See gegen das Land. Jede Woge reißt große Sandmassen herab, braun wird davon das wühlende Wasser. Wolkenberge, Wasserberge, Sandberge, alles hat gleiche Form und gleiche Bewegung. Windstärke 12! Sonst liegt hier ein sehr breiter, glatter Strand friedlich vor den Dünen.« Weidemann 1939, S. 26.
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Es zeigt die mit Gischt überzogenen, hohen Wellen, die im Sturm an eine Küste branden. Weidemanns Bilder halten die Gewalt der Nordsee fest, denn er war sich ihrer Zerstörungskraft bewusst. So war ihm bekannt, dass Sturmfluten ganze Landbereiche wegreißen konnten. So ist in dem Bild »Uferzerstörung durch die Flut« (Abb. A3.20) die Abbruchkante einer Insel dargestellt.156
Abb. A3.20: Magnus Weidemann, Uferzerstörung durch die Flut
Weidemann bezieht sich im Grenzbereich, in dem Meer und Land aufeinandertreffen, auf den »ewigen Kampf«, den er – mit Bezugnahme auf die »arteigene Seele« – als »nordisch« charakterisiert.157 Weiterhin bezeichnet er die Bildung eines Kliffs als »trotzigen, kämpferischen Anblick« und charakterisiert sie als »heldisch«:158 »Hier ist heldische Gegenwehr und ebenso heldischer Angriff sichtbar geworden in einer fast zeitlosen Form unserer Landschaft.«159
156 Folgender Text ist zur Erklärung des Bildes angeführt: »Uferzerstörung durch die Flut, an ungeschützter Stelle rasch fortschreitend. Noch blühen die Trümmer, bald lösen sie sich auf. Einst hat das Meer selbst diesen Marschboden aufgebaut, das zeigt die regelmäßige Schichtung. In der Ferne die stolz-einsame Inselkirche, in blauem Luftschleier bei warmen Südwind.« Vgl. Weidemann 1939, S. 21. 157 »Auf der so reich, schön und wirkungsvoll beleuchteten Bühne, wo Meer und Land zusammentreffen, geschieht nun aber auch etwas, was einem Drama wohl vergleichbar ist: Ein ewiger Kampf, den wir, gerade aus der Ähnlichkeit mit den Charakterzügen unserer arteigenen Seele, ganz unvermittelt als ›nordisch‹ empfinden. Mit harter Windeskraft, mit Strömung und Brandung stürmt das Meer gegen sein Ufer. Und obwohl dieses im Augenblick als die festere Masse Widerstand zu leisten weiß, muß die stetige Wiederholung des gleichen Kraftansturmes doch dem Wasser die Übermacht geben. Selbst Felsenklippen werden von den Wogen zernagt, […]. Wie viel leichter noch unser Strand, der meistens aus Sand, Ton oder steinigen Geschieben besteht. So bildet sich überall am Meere eine deutlich gekennzeichnete Zone der Umformung und Zerstörung.« Weidemann 1939, S. 50. 158 Weidemann 1939, S. 50. Ebenso bezeichnet er die »Nachbarschaft« von Dünen und das Meer als »weiteres, ausgesprochen nordisches Wesen«. Vgl. ebd., S. 84. 159 Weidemann 1939, S. 50.
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Er hat Kliffformationen in verschiedenen Bildern, so auch im Werk »Herbstabend am Morsumkliff« (Abb. A3.21) motivisch aufgegriffen.160
Abb. A3.21: Magnus Weidemann, Herbstabend am Morsumkliff, 1938
Während sich der imaginäre Betrachter im vorab genannten Bild auf einer Felsstufe befindet und der Blick längs der Küstenlinie wandert, ist er im Werk »Strand und Kliff« (Abb. A3.22) an den Strand versetzt.161 Wieder wird der Blick längs des Strandverlaufs gelenkt, an dessen einen Seite sich die Klippen erheben und an dessen anderen Seite sich die Weite des Meeres erstreckt.
Abb. A3.22: Magnus Weidemann, Strand und Kliff, 1929
Häufig verbildlicht Weidemann die Küste – den Grenzbereich zwischen Land und Meer. Eine Begründung findet sich in folgender Aussage des Künstlers: 160 »Wir stehen auf einer Stufe des ständig stark abbröckelnden Felshanges. Die feuchte, warme Herbstluft bringt prächtige Dämmerungsfarben zustande. Das Goethesche Farbenphänomen: Orange vor hellem, Blau vor dunklem Hintergrund. Dazu Grün am Himmel, Rot am Fels. Diese Landschaft hat Edda-Stimmung in sich.« Weidemann 1939, S. 49. 161 »Strand und Kliff in herbstlicher Abenddämmerung. Die Sonne sank im Südwesten. Die feuchte, warme Luft trägt dann noch lange feurig-gelben Schein. Kalte Luft wäre zu gleicher Tagesstunde klar und grünlich. Das Kliff ragt kurz nach einer Sturmflut senkrecht wie eine Mauer. Die abgerissenen Sandmassen liegen nun breit davor, bis die Flut sie allmählich weiterträgt.« Weidemann 1939, S. 25.
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»Nicht nur das Schiff auf der hohen See (die man jetzt, in nordischem Zorn und Trotz, die einzige Kolonie des Deutschen Reiches nennt) vermittelt uns das Erlebnis des ewigen Meeres. Deutlicher noch als ein Teil unserer Landschaft erscheint es uns an der Küste. Und hier ist es am wechselreichsten. Unerschöpflich scheint sein Formenreichtum. Wo immer im Bilde deutschen Heimatbodens das Meer sich zeigt, ist es Grenze und Größe und die entscheidende, alles Leben bestimmende Gewalt. Dieser Eindruck ist wirksam – kaum ein Mensch kann sich ihm entziehen. Wir Deutschen haben, Gott sei Dank, recht viel Raum’, um das Meer vom deutschen Strande aus zu erleben. Überall nun, wo wir diesen Anblick und Ausblick haben, können wir deshalb sagen: Hier ist nordische Landschaft. Hier ist das Wesentliche. Und es ist immer Urnatur.«162
Ebenso zeigt Weidemann den Blick durch die Dünen auf die aufgewühlte Nordsee (Abb. A3.23).163
Abb. A3.23: Magnus Weidemann, Reste eines Wracks, 1928
In der Mitte des Bildes brechen sich an einem Wrack die Wellen. Weidemann führt aus, eine hohe Brandung könne im Gegensatz zur Ostsee allgemein besser an der Nordsee beobachtet werden,164 was er u. a. in dem Bild »Stürmische Brandung« (Abb. A3.24) verbildlicht.165 In der aufgewühlten Nordsee rollen
162 Weidemann 1939, S. 40. 163 »Die See hatte das alte Holzschiff in wenigen Tagen zerrissen. Jetzt gehen die Wellen ruhiger. Ihre Formen setzen sich deutlich in den Dünen fort, nur sind die Kronen hier dunkles, hartes braunes Gras, draußen der schneeige Schaum. Nordseewasser schäumt viel stärker als Ostseewasser.« Weidemann 1939, S. 27. 164 »Die Nordsee, die dem Ozean offen ist, kann uns auch das Erlebnis der Brandung am Strand, diesen buchstäblich ewigen Rhythmus der anrollenden, sich überbäumenden und ausschäumenden Wogen, am stärksten vermitteln.« Weidemann 1939, S. 42. 165 »Stürmische Brandung am Nordmeer. Das Wasser ist braun vom aufgewühlten Grund. Die Wolken steigen noch formlos aus den Fluten und schleppen sich bis zur Küste ganz niedrig, stark schattend, über die rollende See.« Weidemann 1939, S. 39. Jedoch sei »der Eindruck des Nordischen« von der »Zeit und Stimmung des augenblicklichen Naturzustandes« abhängig. Sowohl bei »Sturm« als auch bei »Stille« trete nach Weidemann der nordische Charakter stark hervor. Vgl. Weidemann 1939, S. 42.
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Brecher mit weißer Gischt auf den oder die Betrachtende zu. Eine dunkle Wolkenfront mit Regenschauern verleiht der Szene einen bedrohlichen Charakter.
Abb. A3.24: Magnus Weidemann, Stürmische Brandung
Ein weiterer Aspekt unterscheidet die Nordsee wesentlich von der Ostsee: das Wattenmeer als ein Teilgebiet der Nordsee, das bei Ebbe trockenfällt.166 Dieses besitzt für Weidemann ebenfalls nordischen Charakter wegen der »reichen Wunder welthafter Schönheitsgeschehnisse«, die »aus aller Enge hinausheben in das Ganze und eben darin der nordischen Seele so viel zu sagen haben«.167 Durch die Gezeiten sei das Wattenmeer mit dem »Ganzen« verknüpft: »Die Flutbewegung verbindet die Erdenvorgänge mit Sonne und Mond.«168 Weidemann betrachtet die Wattlandschaft als Relikt eines einstig belebten Landes, das durch Landgewinnungsmaßnahmen erneut kultiviert werden könne: »Die Ebbe legt weite Flächen frei, die gleichzeitig versunkenes Land der Vergangenheit und werdendes Land der Zukunft sind.«169 Diesbezüglich sei die Wattlandschaft geprägt von »Urkräften« und »Urformen«.170 Weidemann hat sowohl das »werdende«, durch Landgewinnung potentiell zu erzeugende neue Land als auch das in Sturmfluten »versunkene« Land verbildlicht.171
166 »Das eigenartige Wechseln von Ebbe und Flut, das ›Atmen des Meeres‹, mit der Fülle seiner Begleiterscheinungen in der nordischen Strandlandschaft und besonders im Watt […].« Weidemann 1939, S. 42. 167 Vgl. Weidemann 1939, S. 42. 168 Ebd., S. 42. 169 Ebd., S. 42. 170 »Unerschöpflich ist das schöpferische Spiel der Urkräfte und der Urformen im Watt – ein Spiel, dessen Regeln und Reize uns erst ganz allmählich vertraut werden.« Weidemann 1939, S. 42. 171 Vgl. Weidemann 1939, S. 117.
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Abb. A3.25: Magnus Weidemann, Morgenlicht über Neuland
Das im Bild »Morgenlicht über Neuland« (Abb. A3.25) überflutete Neuland sollte – nach Weidemann – bald zu bewirtschaften sein. »Morgenlicht über Neuland. Im Hintergrund der Seedeich des älteren Landes, vorn das streifig unter Pflege emporwachsende Neuland im Watt. Sorgsam fördert der Mensch den Vorgang, um immer weiter die Deiche vorschieben zu können. Bald wird auch hier vorn sicher der Pflug gehen. (Am Hindenburgdamm.)«172
Weidemann war auf Sylt durchaus mit Landgewinnungsmaßnahmen vertraut.173 Das »versunkene« Land hat der Künstler in einem weiteren Bild (Abb. A3.26) festgehalten. Es wird jedoch nicht ausschließlich das Zusammenspiel von Watt, Wasser und Himmel dargestellt, zudem sind große Findlinge motivisch in diese Landschaft eingebettet. Während in seinen Aktdarstellungen die großen Steine der Wattlandschaft primär als Bühne fungierten, stellen sie jetzt eigenständiges Bildmotiv dar. »Weite Sandbänke, trocken zur Ebbezeit, tragen noch Reste des alten Landes in diesen zerstreuten Findlingen, die allein übrigblieben. In der Ferne der Dünenwall, Schutzwehr gegen die offene See, und ein Leuchtturm: Südspitze von Sylt. Gleiche Urformen am Himmel und auf der Erde.«174
172 Ebd., S. 117. 173 »Kurz vor dem Kriege wurde nämlich die Eindeichung des weitgedehnten Nösse-Kooges und die Neu-Aufteilung des dadurch gesicherten Marschlandes hinterm Deich beendet. Und das Büro für die ganze Landplanung hatten wir lange Zeit in unserem Hause.« Weidemann 1958, S. 195. 174 Weidemann 1939, S. 125. Er bezeichnet die geschwungenen Formen der Wolken sowie der Wasserläufe als sogenannte »Urformen« der nordischen Landschaft. Vgl. ebd., S. 124.
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Magnus Weidemann
Abb. A3.26: Magnus Weidemann, Versunkenes Land
Auch die Wattlandschaft griff er als eigenständiges Motiv auf. Das Bild »Wattengrund bei tiefer Ebbe« (Abb. A3.27) gibt das Zusammenspiel der braunen Wattflächen mit den bläulichen Wasserläufen wider. Einige weiße Möwen sind zu sehen. Das Bild strahlt eine gewisse Ruhe aus. Der Künstler stellt wiederum den Landgewinnungsaspekt heraus, indem er die Wattlandschaft als »untergegangenes und doch zugleich neuwerdendes Land« bezeichnet.175
Abb. A3.27: Magnus Weidemann, Watt bei Tiefebbe
Auch die Tier- und Pflanzenwelt hebt Weidemann als etwas Besonderes hervor. Weidemann würdigt diese; allerdings mit Bezugnahme auf die Selektion im »Überlebenskampf«, wie im folgenden Zitat deutlich wird: »Es gibt dann aber auch noch eine besondere und starke Lebensfreude in dieser Meeresnatur, die ganz überlegen und wie belohnt erscheint. Was sich nämlich hier erfolgreich zu behaupten weiß im Ansturm der nordischen Wettermächte, es sei Pflanze oder Tier in der Landschaft, das ist dann auch etwas Ganzes! Das hat Charakter. Ich nenne nur ein bekanntes Beispiel der Tierwelt: die Möwe. Wie strahlend, wie stark, wie frei, wie schön!«176 175 »Wattengrund bei tiefer Ebbe. Im Frühling ist der Sand hier braun gefärbt durch rasch austrocknenden Ostwind. Auch diese Farben wechseln mit den Jahreszeiten. Möwen finden stets reiche Nahrung, bis die steigende Flut sie wieder verdrängt. Der grünliche Luftton deutet auf abkühlende Abendluft. Weithin untergegangenes und doch zugleich neuwerdendes Land.« Vgl. Weidemann 1939, S. 93. 176 Ebd., S. 58.
»Unsere Nordische Landschaft«
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Er band Vögel zwar motivisch in einige Werke ein, wie das vorab genannte Werk zeigt, fertigte jedoch keine Tierporträts an. Neben Möwen stellte er ebenso Zugvögel dar. Im Bild »Wildgänse im Nebel« (Abb. A3.28) ist in der oberen Bildhälfte ein ziehender Gänseschwarm zu sehen.
Abb. A3.28: Magnus Weidemann, Wildgänse im Nebel, um 1938
Damit richtet er den Blick auf die Bedeutung des Wattenmeeres als Raststation für Zugvögel. Während viele Künstler ausschließlich die Sommermonate zur künstlerischen Tätigkeit an der Nordseeküste nutzen, malte Weidemann, der auf Sylt sesshaft war, auch winterliche Impressionen, wie das Bild »Strenger Winter 1929« (Abb. A3.29) belegt. Der gefrorene Strand steht im Kontrast zur eisfreien Nordsee. »Strenger Winter 1929 an der Nordsee. Die See selbst bleibt eisfrei. Das warme Wasser vernebelt die ganze Küste. Doch der Strand (im Vordergrund) ist fest gefroren, und davor liegt ein hoher Wall von lockerem Eis, das ist sozusagen die gefrorene Brandung, gemischt aus Schaum und Strand. Dazu muß es schon ungewöhnlich lange frieren.«177
Abb. A3.29: Magnus Weidemann, Strenger Winter 1929, 1929
177 Ebd., S. 121.
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Magnus Weidemann
Ein weiteres Bild »Treibeis im Wattenmeer« (Abb. A3.30) zeigt eine vereiste Wattlandschaft, in deren Hintergrund sich die Dünen einer Insel erheben. Folgender Untertext ist angeführt: »Hinter den Dünen der Inseln friert oft das flache Wasser, weil es hier stark abkühlt, aber es gibt keine glatte feste Eisdecke, weil der Wechsel der Gezeiten das Eis ständig bricht und verschiebt. Die offene See (jenseits der verschneiten Dünen) friert niemals, wegen der Golfstromwärme.«178
Abb. A3.30: Magnus Weidemann, Treibeis im Wattenmeer, 1929
Hier wird das Typische des Wattenmeeres, die Gezeiten und deren Auswirkungen auf die Natur – in diesem Fall die zerrissene und geschichtete Eisdecke – betont. Weidemann hat dies selbst erlebt. So wurde sein Umzug 1925 auf die Insel Sylt durch Eisgang verzögert.179 Eine starke Kältewelle mit Eisgang im Wattenmeer erlebte Weidemann nochmals in der Nachkriegszeit.180 Exemplarisch sei noch auf das Bild »Treibeis« (Abb. A3.31) verwiesen, das motivisch das winterliche Zusammenspiel von Nordsee und Himmel zeigt.181 Über die Hälfte des Gemäldes wird von einer hellblauen Wasserfläche eingenommen. Eine leichte Dünung bewegt das in helleren Farbtönen angedeutete Treibeis. Im Abendhimmel sind viele Farben zu erkennen. Gelbe Wolkenbänder werden von rosa und blauen Wolken eingerahmt. Dazwischen erstrahlt ein blauer Himmel. Das helle Blau und zum Teil das Gelb werden im Wasser wieder aufgegriffen.
178 Ebd., S. 19. 179 »Die Schiffahrt über das Watt, der Weg ging ja damals von Hoyerschleuse nach Munkmarsch, war schon durch Eisstauung verstopft. Ein solcher Zustand dauert oft wochenlang.« Weidemann 1958, S. 168. 180 Ebd., S. 229. 181 »Treibeis im Abendschein, bei sehr strenger Kälte am Nordseestrand, nach Sonnenuntergang. Gefrorene Nebelstreifen schweben in der Luft. Das veilchenblaue, schwimmende, brüchige Eis wird von durchziehenden Dünungswellen rhythmisch gehoben und gesenkt, leise klirrend. Hinten die offene, helle See.« Weidemann 1939, S. 103.
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Abb. A3.31: Magnus Weidemann, Treibeis, 1929
Weidemann schuf unzählige und vielfältige Küstenbilder von der Nordsee und dem Wattenmeer. Das Watt hat er nicht nur in verschiedenen Jahreszeiten, sondern ebenso in unterschiedlichen Tages- und Nachtstimmungen verbildlicht. Beispielsweise hat er ein Nordlicht über dem Watt (Abb. A3.32) gemalt.182 Die Wasserflächen reflektieren das Nordlicht, das hinter einer Wolkenwand am Horizont hervorbricht. Dunkel heben sich die trockengefallenen Wattbereiche und die Boote davor ab.
Abb. A3.32: Magnus Weidemann, Ein Nordlicht über dem Watt
Das Nordlicht wurde im Nationalsozialismus ebenfalls rassisch vereinnahmt. In Weidemanns Bildkommentaren ist dies allerdings nicht der Fall.183 Der Künstler bezieht sich insbesondere auf die Farbigkeit dieser Erscheinung.184 182 »Ein Nordlicht über dem Watt in einer Novembernacht. Durch breite, rotglühende, wolkige Massen gleiten ruhig wechselnde grüne und gelbe Strahlen. Die Erscheinung ist im Nordland nicht ganz so selten wie im Inland, wird aber so prächtig auch wohl nur in den Jahren der meisten Sonnenflecke.« Weidemann 1939, S. 28. 183 Weidemann 1939, S. 28, 44, 48. 184 »Die Feuchtigkeit ist der Lichtträger in der Luft, bei uns fast der einzige, weil in der Meeresnähe Staub und Rauch fehlen. Deshalb ist es auch nachts am Himmel fast nie ganz finster. Auch der reine Nachthimmel, an dem die Sterne so glänzen, hat seine Farbe; er kann blau, grün, violett, durch Nordlichtwirkung auch nicht selten purpurn erscheinen.« Weidemann 1939, S. 44, 48.
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Auch die Mittsommernächte waren für ihn ein Motiv, wie das Bild »Sonnwendnacht mit den Leuchtfeuern« (Abb. A3.33) zeigt.185
Abb. A3.33: Magnus Weidemann, Sonnwendnacht mit den Leuchtfeuern, 1938
Die Silhouetten der trockengefallenen Boote verstärken neben der Farbgebung und den spiegelnden Wattflächen den friedlichen Eindruck. Dieses Naturschauspiel, das er wahrscheinlich selbst erlebte, schien ihn sehr beeindruckt zu haben. So schuf er einige Jahre später ein ähnliches Werk mit dem Titel »Sonnenwendnacht im Watt« (Abb. A3.34).
Abb. A3.34: Magnus Weidemann, Sonnenwendnacht am Watt (vor Keitum, Sylt), 1942, Öl, 40 x 60 cm, Nachlassarchiv Kiel
In vielen dieser landschaftlichen Darstellungen Weidemanns nimmt der Mensch nur eine untergeordnete Rolle ein, wie auch das Bild »Abend im Watt« (Abb. A3.35) zeigt.186 185 »Sonnwendnacht mit den Leuchtfeuern. Mitternachtsdämmerung herrscht um die Zeit der Sommersonnenwende an Deutschlands Nordwestecke. Blick nach Norden, um die Nachtmitte, es wird überhaupt nicht ganz dunkel, das Abendrot glüht in das Morgenrot hinüber. Die Leuchtfeuer stehen blaß in der warmen Glut der milden Luft. Im Watt ist Ebbe, nur im Priel rinnt es noch unhörbar leise.« Weidemann 1939, S. 96. 186 Weidemann kommentiert das Bild wie folgt: »Abend im Watt. Der Meeresgrund liegt frei bei Tiefebbe. Im Priel steigt bald wieder leise die Flut. Die Schiffer wollen ihr Boot zur Fahrt rüsten; mit hohen Stiefeln waten sie mühsam durch den zähen Schlamm, der die Farben des
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Abb. A3.35: Magnus Weidemann, Abend im Watt, um 1938
Eine friedliche Stimmung ist visualisiert. Einige Wasserläufe schlängeln sich durch die Wattlandschaft. Trockengefallene Schiffe liegen in der linken Bildhälfte. Zwei klein wirkende Personen bewegen sich auf das weiter entfernte Schiff zu. Sie fungieren allerdings nur als Staffage in diesem Stimmungsbild und verdeutlichen die Weite des Wattenmeeres. Die in Norddeutschland üblichen Gebräuche, wie das Biikebrennen werden von Weidemann ebenfalls verbildlicht.187 In dem Bild »Frühlingsfeuer auf Hünengrab« (Abb. A3.36) versammelt sich eine Gruppe von Menschen auf einer Erhebung, die im Titel als Hünengrab bezeichnet wird, um ein Feuer.
Abb. A3.36: Magnus Weidemann, Frühlingsfeuer auf Hünengrab, 1937
Auch von diesem Bildmotiv hat er – ein Jahr später – eine nahezu identische Abbildung geschaffen: »Bikenfeuer in Keitum« (Abb. A3.37). Abendhimmels spiegelt. Am Ende der Insel (Deutschlands Nordwesten) blinken die Leuchtfeuer.« Weidemann 1939, S. 43. 187 Weidemann betont die Bedeutung dieser Bräuche für das Heimatempfinden: »In Friesland erhielt sich die altnordische Sitte des Frühlingsfeuers in verschiedener Form. Hier ein ›Büken‹ am Petritag (Februar) wie es auf hervorragenden Hügeln von Insel zu Insel und weit zu, politisch abgetrennten Festland hinübergeht. Besonders schön ist es im Vollmondschein und bei Schneeresten. Um das Feuer werden friesische und deutsche Heimatlieder gesungen.« Weidemann 1939, S. 102.
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Abb. A3.37: Magnus Weidemann, Bikenfeuer in Keitum, 1938, Öl, 70 x 85 cm, Nissenhaus, Husum
Nicht nur kulturelle Riten, sondern auch Verweise auf eine germanische Vorzeit, wie die Hünengräber auf Sylt, hat Weidemann in Bildern festgehalten (Abb. A3.38).188
Abb. A3.38: Magnus Weidemann, Nordseeausblick
Folgende Zeilen verfasste Weidemann hierzu: »Nordseeausblick von hoher, schwarzroter Heide, die von Hünengräbern bekrönt wird. Dunkle, bleigraue Wolken, dunkle stahlblaue See. Eine große und fast zeitlose Ruhe liegt darüber. Diese Landschaft macht still und stark, nicht schwermütig – wenn man selber nordisches Blut hat.«189
Mit Verweis auf die rassische Gebundenheit führt Weidemann an, dass diese Landschaft am Meer bei »nordischen Menschen« keine Schwermut auslöse, sondern »still und stark« mache.190
188 Weidemann 1939, S. 33. 189 Ebd., S. 33. 190 Ebd., S. 33.
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Ebenfalls hat er im Gegensatz zu vorig benannten Bild eine eher harmonisch anmutende Landschaft mit der Abbruchkante einer Prielmündung dargestellt (Abb. A3.39).191
Abb. A3.39: Magnus Weidemann, Prielmündung in blühender Halliglandschaft, um 1938
Die Vegetation des Wattenmeeres verbildlichte er öfter, wie im Werk »Blühende Strandwiese« ersichtlich ist (Abb. A3.40).192
Abb. A3.40: Magnus Weidemann, Blühende Strandwiese
Ebenso stellte Weidemann das Typische der Wattenmeerküste, die Deiche, in dem Bild »Seedeich in Nordfriesland« (Abb. A3.41) dar.
191 Blumen im Vordergrund verstärken den friedlichen Eindruck. Weiße Wolken stehen am Himmel und Vogelschwärme ziehen in der Ferne. »Eine Prielmündung in blühender Halliglandschaft. Die ganzen Flächen sind rein rosafarbig von zahllosen Strandnelken, mit grünen Grasrändern und schwarzem Abbruch, wo die Flut nagt. Durch solchen Abbruch verkleinert sich das Land schnell, die Priele (die wie Flüsse aussehen) werden immer breiter. Man sieht Schwärme von wilden Gänsen und Enten ziehen.« Weidemann 1939, S. 29. 192 »Blühende Strandwiese. Im Hochsommer zaubert die Blüte der Statizen, die man Halligflieder nennt, eine neue Farbpracht auf die Salzwiesen, nach dem Mai-Rosa der Strandnelken nun ein reines Violettblau, und am Prielrand duften betäubend würzig die weißlichen Polster des Strandwermuts. Zu anderen Zeiten wieder andere Farnen – und im Winter ziehen hier oft im Sturm die grauen Wogen.« Weidemann 1939, S. 95.
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»Seedeich in Nordfriesland mit Ausblick auf zwei Halligen. Auch die dichte Häusergruppe hinter dem Deich (links) war früher Hallig, d. h. ›salzige‹ Insel im Meer. Durch immer neue Deichkurven eroberte man das einst versunkene Land zurück. Bäume gibt es hier nicht. Zur Ebbezeit ist draußen alles nasser, grauer Schlick. Bei Sturmflut steigt die See bis fast an die Deichkrone.«193
Abb. A3.41: Magnus Weidemann, Seedeich in Nordfriesland
Nach Weidemann könne der nordische Charakter sowohl beim Anblick des Meeres als auch der Küstenlandschaft,194 sowie in Hafenanlagen zum Ausdruck kommen.195 Diesbezüglich visualisierte er die kleinen Hafenanlagen Sylts (Abb. A3.42).196
193 Weidemann 1939, S. 35. 194 »Der Eindruck der echten und urgewaltigen Erscheinung tritt oft zurück, wo Menschenleben und Menschenwerk am Saume des großen Elements sich vordringend kundtun. Nicht in den Häfen, zwischen Schiffen und Bollwerken, Brücken und Schleusen und Speichern, nicht im ›Seebad‹ wird die Größe des Meeres in ganzer Erhabenheit zu dir reden. Man sieht da immer noch das Menschliche zuviel. Erst in seiner Freiheit, in der Einsamkeit kann es allein zu Wort kommen.« Weidemann 1939, S. 40. Diese »Urnatur« wurde jedoch vom Menschen verändert, beispielsweise in Form von Häfen oder Seebädern. Da jedoch die Menschen, die die Veränderungen vorgenommen haben, nordischer Rasse sind und die Bebauung auf nordischen Land erfolgte, sei somit – nach Weidemann – diese vom Menschen bebaute Landschaft wiederum nordisch. »Und doch ist ein Hafen, ein jedes Beieinander von Schiffen, auch jeder Speicher am Ufer und jede Werft mit ihren Eisengehämmer und ihren Glasdächern, Kranen und Schloten – eine nordische Landschaft. Ihre Menschlichkeit ist nordisch, wie ihre natürliche Grundlage. Allermeist bleibt auch hier – das ist ganz auffällig gewiß – die Menschlichkeit doch ein schönes und großes Bild. Es trägt immer den Charakterzug des Meeres, und das ist nordischer, irgendwie heldischer Charakter.« Ebd., S. 40. 195 Vgl. Weidemann 1939, S. 40. 196 »Kleiner Nordseehafen. Munkmarsch auf Sylt war bis 1928, bis Fertigstellung des Hindenburgdammes für die Reichsbahn, für die große Insel der verkehrsreiche Hafen. Jetzt ist das Bollwerk verfallen und von der zerstörenden Flut in wenig Jahren ganz freigelegt.« Weidemann 1939, S. 36.
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Abb. A3.42: Magnus Weidemann, Kleiner Nordseehafen
Im Vordergrund sind die zum Teil schon verfallenen Holzbalken zu sehen. Der Blick wird durch sie auf eine Inselbucht mit ankernden Schiffen gelenkt. Im Hintergrund sind Gebäude von Sylt dargestellt. Das Motiv einer mit Holzbalken gestalteten Hafenanlage, die zum Teil schon Verfall aufweist, hat Weidemann in einem weiteren Gemälde (Abb. A3.43) aufgegriffen.197 Der Blick des/der Betrachtenden wird von der, dem Festland zugewandten Inselseite Sylts auf ein ruhiges mondbeschienenes Wattenmeer gelenkt.
Abb. A3.43: Magnus Weidemann, Völlige Meeresstille, 1938
Ebenfalls hat er den Standort des ehemaligen Königshafens bei List gemalt (Abb. A3.44).198 Im Vordergrund ist die versandete und bewachsene Landschaft des Ellenbogens dargestellt. Dahinter erstreckt sich das ruhige Meer. Im Hinter-
197 »Völlige Meeresstille ist im Watt bei Flutzeit nicht selten, besonders zur Vollmondzeit. Man schaut hier von der Insel ostwärts. Das Festland liegt so weit ab, daß es nur von höheren Standorten aus sichtbar ist.« Weidemann 1939, S. 37. 198 »Königshafen bei List. Nordisches Landschaftsbild von der äußersten Ecke Deutschlands: Am ›Ellenbogen‹ bei List. Die Bucht ›Königshafen‹, ehemals schiffbar, versandet und verlandet jetzt. Im Vordergrund die vordringende Vegetation: Der ›Queller‹, die Anlandungspflanze, färbt sich im Spätherbst seltsam rot. Die Luft ist diesig blau – bei Südwind. Schattenloses Licht überall.« Weidemann 1939, S. 97.
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grund ist der weitere Verlauf der Insel sichtbar. Ein großer Himmelsbereich mit weißen Wolkenbändern zieht sich über die Landschaft.
Abb. A3.44: Magnus Weidemann, Königshafen bei List
Die Halligen sind ebenso typisch für das Wattenmeer. Das Bild »Halliglandschaft mit Prielbrücke« (Abb. A3.45) zeigt Besonderheiten dieser Landschaftsform:199
Abb. A3.45: Magnus Weidemann, Halliglandschaft mit Prielbrücke, 1938
»Halliglandschaft mit Prielbrücke. Hier ist nicht Regenwasser, sondern die salzige Meeresflut, die das Gelände zerstörend durchdringt. Bei Sturm steigt das Wasser über die Ufer, dann ragen nur noch die Häusergruppen auf ihren künstlichen Hügeln (Warften) aus grauen Wogen. Aber friedlich und reich blüht es hier im Sommer.«200
Weidemann hat seinen Bildern – im Gegensatz zu seinen Schriften – nur wenige rassisch belegte Kommentare beifügt. Auch die Gemälde an sich bieten keinen Anlass zu einer solchen Interpretation. Aufgrund der Tatsache, dass diese als Illustrationen für das Buch »Unsere nordische Landschaft« dienten, erfolgte allerdings eine Belegung mit rassischen Vorstellungen. Obwohl landschaftliche Darstellungen sein Werk ab den 30er Jahren domi199 Weidemann 1939, S. 47. 200 Ebd., S. 47.
Weidemanns Meeresmotivik in der Nachkriegszeit
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nierten, blieben auch Aktdarstellungen weiter ein Motive in seiner Malerei, wie das 1940 geschaffene Werk »Wahrheit ohne Worte« (Abb. A3.46) belegt.201
Abb. A3.46: Magnus Weidemann, Wahrheit ohne Worte (Im Naturschutzgebiet Sylt), 1940, Öl, 74 x 55 cm, Nachlassarchiv Kiel
Den Zweiten Weltkrieg hatte Weidemann recht unbehelligt auf der Insel Sylt erlebt.202 Er musste zwar Luftangriffe aushalten und bedauerte die landschaftliche Veränderung der Insel durch militärische Maßnahmen, doch aufgrund des ausbleibenden Tourismus hatte er auch viel Zeit für seine Arbeit.203 Wie er selbst anmerkte, hatte ihn der Krieg verschont.204
Weidemanns Meeresmotivik in der Nachkriegszeit Nach dem Zweiten Weltkrieg ging Weidemann auf Sylt weiterhin seiner künstlerischen Betätigung nach,205 nahm jedoch keine weiteren rassischen Ausfüh201 Auf der Rückseite hat Weidemann ein Zitat des Romantikers Hölderlin geschrieben: »Oh der armen Phantasien – dieses eine bist nur Du in ewigen Harmonien – froh vollendete Natur« Nachlassarchiv Kiel. 202 Vgl. Weidemann 1958, S. 201f., 220. 203 Weidemann 1958, S. 201f. 204 Ebd., S. 202. Bizarrerweise unternahm er in den ersten Kriegsjahren sogar noch Studienreisen. Vgl. Weidemann 1958, Kapitel XIV. Gegen Kriegsende erfolgte ein stärkeres Bombardement von Sylt, doch dann wurde es auf der Insel wieder sehr friedlich; auch war sie vom Informationsfluss abgeschnitten. Allerdings litten auch die Insulaner an Hunger und an den Auswirkungen des Krieges. Vgl. ebd., S. 221f. 205 Weidemann hält an seiner Kunstauffassung fest, wie folgende Aussage mit abwertendem Charakter gegen freiere Kunstrichtungen belegt: »Wie die Weiterentwicklung im öffentlichen Kulturleben sich künftig gestalten würde, war nicht vorauszusehen. Man mußte abwarten. Im deutschen Volke und bei den innerlich lebendigen Kunst- und Schönheits-
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rungen vor.206 Jedoch hatte dies keinen Bruch in seinem Motivrepertoire zur Folge. Der rassische Gehalt, den er vielen dieser Bilder auch mit der Schrift »Unsere nordische Landschaft« verlieh, war durch das alleinige Betrachten der Gemälde nicht ersichtlich. Im Gegensatz zu vielen »Kriegskünstlern«, die ihre propagandistischen Kriegsbilder nicht länger produzieren konnten und sich neue Motivkreise suchen mussten, konnte Weidemann an seinen Landschaftsmotiven festhalten. Im Folgenden wird ein exemplarischer Einblick gegeben: Nordsee und Wattenmeer stellte er weiterhin auf vielfältige Weise mit unterschiedlichen Stimmungen dar. Das Werk »Wolkenschatten über dem Watt« (Abb. A3.47) wirkt eher düster und bedrohlich, was durch die dunkle Wolkenfront und deren Reflexionen im Wattenmeer zustande kommt.
freunden mochte freilich der Wert eine romantisch-religiös und innerlich bestimmte Kunst weiter gelten, aber daneben regte sich schon eine wildere und gar oft sehr lässige Kunstübung, die sich nun überall aufdringlich breitmacht.« Weidemann 1958, S. 235. Ebenso schien er nicht zur Kenntnis zu nehmen, dass die rassischen Lehren, die auch er vertrat, endgültig abgestraft wurden und allmählich wissenschaftlichen Zugängen wichen. Jedoch wird Weidemann allmählich das Schicksal »entartet« diffamierter Künstler bewusst. So las er Noldes Buch und kontaktierte anlässlich des Todes von Noldes Frau den Künstler. Vgl. Weidemann 1958, S. 228. 206 Motivisch und stilistisch knüpft er an die Darstellungen von Nordsee und Wattenmeer an. Das Ende des Zweiten Weltkriegs kommentierte Weidemann rückblickend in seiner Autobiografie im Jahr 1946 wie folgt: »Der Strom der eigentlichen Geistesentwicklung ging dann später auch wieder weiter, ohne großen Bruch in sich selbst, als das politische System des Nationalsozialismus mit seiner militaristischen Gewaltpsychose so kläglich und gänzlich auseinanderbrach. Wir selbst hatten das nie ganz durchschaut. Ich denke die tiefsten Lebensströme blieben von der politischen Ideologie fast unberührt und flossen weiter. Ich war und blieb in mein Schaffen gleichmäßig vertieft, hingegen an die Ergründung und Gestaltung der Naturseele, in die ich mich eingegliedert fühlte.« Weidemann 1958, S. 191. Er verurteilte rückblickend zwar die Verbrechen des Nationalsozialismus, doch stellt obiges Zitat eine sehr unkritische und unreflektierte Aussage dar. Wenn Adorno einen Bruch der Gesellschaft nach 1945 konstatiert, (vgl. Adorno 1977) so ist ersichtlich, dass Weidemann die unfassbaren, grausamen Ausmaße des nationalsozialistischen Terrorregimes in Form der Shoa nach Ende des Weltkrieges nicht erkannte. Da seine Autobiografie jedoch 1958 fertiggestellt wurde, hätte er im weiteren Textteil durchaus kritischere Stellung beziehen können. Diesbezüglich fügt er im Jahre 1958 nur diese Passage an, in der er wieder feststellt, dass er innerlich keinen Wandel miterlebte: »Es war viel Chaos in Kultur, Politik, Gesellschaft, Wirtschaft, Gesinnung, – und ganz allmählich vielleicht erst ein Festerwerden der geistigen Kräfte von innen heraus und ihre Wiedergeltung im öffentlichen Leben. Im Warten auf neue Ordnung indessen die Jahre schnell, – und in uns blieb eigentlich alles, wie es immer war. ›Wir‹ blieben so seltsam unberührt von all den Umbrüchen des internationalen Ringens.« Weidemann 1958, S. 228.
Weidemanns Meeresmotivik in der Nachkriegszeit
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Abb. A3.47: Magnus Weidemann, Wolkenschatten über dem Watt, 1957, Öl, 40 x 70 cm, Nachlassarchiv Kiel
Entgegen dem Titel ist allerdings kein freiliegendes Watt, sondern ein bräunliches, in leichten Wellen gekräuseltes Wasser zu sehen, durch das das Watt durchzuschimmern scheint. Dieses durch die Gezeiten mit Schlick durchsetzte Nordseewasser ist ebenfalls im Werk »Sturmbrandung« (Abb. A3.48) visualisiert. Hohe Wellen brechen sich am Strand. Der Blick wird auf die aufgewühlte Nordsee gelenkt.
Abb. A3.48: Magnus Weidemann, Sturmbrandung, 1967, Öl, 45 x 70 cm, Nachlassarchiv Kiel
Dagegen ist im Werk »Tiefebbe im Süderwatt« (Abb. A3.49) eine friedlichere Stimmung verbildlicht.
Abb. A3.49: Magnus Weidemann, Tiefebbe im Süderwatt, Frischer und abgestorbener Seetang, 1958, Öl, Nachlassarchiv Kiel
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Magnus Weidemann
Der Künstler schrieb auf die Rückseite erläuternd folgendes: »Frischer und abgestorbener Seetang«. Dieser liegt auf den trockenliegenden Wattflächen. Die Wasserbereiche dazwischen sind in grünlichen Farbtönen gehalten. Aus einer grauen Wolkenwand im Hintergrund lösen sich Regenschauer. Im Gegensatz dazu ist im Werk »Abend vor Sylt« (Abb. A3.50) eine harmonische Abendstimmung abgebildet. Hinter dunklen, blau-grauen Wolken erstreckt sich ein orangener Himmelsbereich. Die Farben des Himmels spiegeln sich im Wasser wider.
Abb. A3.50: Magnus Weidemann, Abend vor Sylt, 1961, Öl, 75 x 112 cm, Nachlassarchiv Kiel
Diese Bilder zeigen exemplarisch die Bandbreite maritimer Motive auf, denen sich Weidemann widmete.207 In der Nachkriegszeit widmete er sich wiederum verstärkt religiösen Schriften.208 Ebenso begleitete er kritisch die wieder erstarkende Freikörperkultur-Bewegung.209 Allerdings nahm er nicht mehr aktiv an der Bewegung teil.210 So kritisierte er den beginnenden Massentourismus, in dem ein naturnahes Erleben nicht mehr möglich war. »Vorerst aber verflachte und versimpelte das Ideal unserer alten Wandervogel-Lichtfreude mehr und mehr in die Breite einer billigen Mode-Sensation. Gerade unser Sylter Strand wurde zu einem Brennpunkt dieser Sensation: Die an sich so lebensnötige Regung der Körperfreiheit beim Baden durchbrach jetzt oft, gleichsam ein Volkswille, alle Dämme. Überall am freien Nordseestrand wurde ohne Scheu und Rücksicht hüllenlos 207 Seine Bilder wurden in Ausstellungen gezeigt, beispielsweise im Nissenhaus in Husum. Vgl. Weidemann 1958, S. 239. 208 Weidemann 1958, S. 229. 209 »In der Nachkriegszeit gab es noch einmal wieder ein lebhaftes, fortgesetztes Zusammenarbeiten mit der Freikörperkultur-Bewegung, welche jetzt neuen Aufschwung nah, und freilich, wie alles in dieser Zeit, mehr in die Breite als in die Tiefe wuchs.« Weidemann 1958, S. 235. Das Buch »Sonnenleben«, dessen Text von Weidemann stammte, beurteilte er als Reinfall. Ansonsten veröffentlichte er Artikel in der Zeitschrift »Sonnenstrahl«. Vgl. Weidemann 1958, S. 236f. 210 »Selber habe ich selten Gelegenheit gehabt, am Strande etwas von dem sonnig-freien Leben zu sehen.« Weidemann 1958, S. 237.
Abschließende Zusammenfassung
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gebadet. Vor allem aber – ohne Geschmack für naturhaftes Auftreten und Verhalten. Viele tausende von Kurgästen bevölkerten braungebrannt unsern weiten Strand. […] Und die Neugierigen, die unwürdigen Spötter und Spieler, die den Ernst der Sache ganz verzerrten, erhoben die Bewegung, im Gespräch wie in der Presse zur lächerlichen Sensation, zur Mode-Nacktheit.«211
Zudem engagierte er sich für den Natur- und Inselschutz. Im Jahre 1955 erhielt er in Anerkennung für sein Engagement die Ehrenmitgliedschaft des Vereins »Naturschutz Insel Sylt«.212
Abschließende Zusammenfassung Weidemann verbildlichte die Nordsee und das Wattenmeer hinsichtlich verschiedener Wetter- und Lichtstimmungen sowie unterschiedlicher Gezeitenzustände. Den auf Sylt lebenden Künstler verband eine tiefe Liebe zum Meer. In den 20er Jahren fand er im Kontext der Jugendbewegung und Freikörperkultur ästhetische Zugänge zum Meer ; dagegen zeichnete sich insbesondere in den 30er Jahren zunehmend der Einfluss rassischer Theorien auf seine Wahrnehmung von Nordsee und Wattenmeer ab. Höhepunkt findet dies in seinem Buch »Unsere Nordische Landschaft«. In diesem werden auf die Nordsee und das Wattenmeer rassische Ideen projiziert und diese Landschaft für rassische Theorien vereinnahmt. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs verbreitete er dieses Gedankengut nicht mehr, blieb der Nordsee- und Wattenmeermotivik aber treu.
211 Ebd., S. 236. 212 Vgl. Weidemann 1977, S. 8.
4.
Nordsee und Wattenmeer im Nationalsozialismus: Kriegsschauplatz, Landgewinnung und ideologische Vereinnahmung
Im Nationalsozialismus lagen unterschiedliche vom Regime propagierte Wahrnehmungsmuster und Darstellungsweisen von Nordsee und Wattenmeer vor. Dieses Meer und dessen Küstenlandschaft fungierten als Projektionsfläche für verschiedene Vorstellungen und Ideen, die sich u. a. in rassenideologischen Auslegungen zeigen. Obwohl in der Kriegszeit eine Deklaration von Küstenbereichen zu Sperrgebieten erfolgte, wurden – solange dies möglich war – durch die nationalsozialistische Kraft-durch-Freude-Organisation Reisen an die Nordsee und auf die Inseln durchgeführt. Darüber hinaus betrieben die Nationalsozialisten an der Nordseeküste Landgewinnung. Ein sogenannter »Kampf« gegen die Nordsee wurde propagiert. Ebenso war die Nordsee im Zweiten Weltkrieg für die Schifffahrt und die Kriegsführung auf See von Bedeutung. So standen beispielsweise mehr als die Hälfte der Exponate der Wanderausstellung »Das Meer« im Dienst des Krieges.1 Auch wenn das entscheidende Kriegsgeschehen nicht in der Nordsee, sondern im Atlantik stattfand, wurde auch die Nordsee in Kunstwerken als Kriegsschauplatz visualisiert und für die Propaganda instrumentalisiert. Jedoch gab es ebenso differenzierte, vielfältige Annäherungen an das Meer und damit auch an die Nordsee, wie beispielsweise die benannte Ausstellung belegt.2 Es wird deklariert, dass die Marinemalerei durch 1 Vgl. Kat. München »Das Meer« 1943. Exemplarisch sei auf folgende Zeitungsberichte verwiesen: Anonym 1943, Anonym 1943a, Schultz 1943, Trumm 1943. 2 Die Ankündigung der Ausstellung in den Münchner Neuesten Nachrichten vom 12. 4. 1943 lautet wie folgt: »Zum erstenmal ist […] der Versuch einer umfassenden künstlerischen Darstellung des Meeres gemacht worden, des Meeres als Naturerscheinung, als Arbeitsstätte und Verkehrsweg, des Meeres als Kriegsschauplatz, kurz des Meeres in allen seinen Erscheinungsformen, Lebensäußerungen und Möglichkeiten.« Anonym 1943a. In der Ausstellung zeigen viele Exponate Ansichten der Nord- und Ostsee (vgl. Kat. München »Das Meer« 1943, S. 3–16). Aber auch andere Gewässer und übergeordnete Meeresimpressionen sind visualisiert. Exemplarisch sei auf die Werke »Venedig, Schlepper« und »Ragusa, Stadthafen« von Wolf Bloem sowie »Brandung« von Walter Schleicher verwiesen. Vgl. Kat. München »Das Meer« 1943, S. 3, 8. Weiterhin können einige Werke nicht eindeutig einem Meeresgebiet zugeordnet werden. Szenen aus Seegefechten und Kriegsmanövern stellen häufig vertretene Motive dar. Exemplarisch sei auf die Werke »Wasserbombe fällt«, »Englische Mine« von Heinz Meckel sowie
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Nordsee und Wattenmeer im Nationalsozialismus
die »neu erwachten und gepflegten, geistigen und seelischen Eigenschaften und Beziehungen« in der Zeit des Nationalsozialismus aus der zuvor bestehenden Isolierung geholt und »ihren Gehalt und ihrer Bedeutung nach [auf den] richtigen Platz« gestellt werde.3 Wattenmeer und Nordsee wurden u. a. als Arbeitsraum, Seeverkehrsgebiet, Kriegsschauplatz, Naturszenerie auch als Stimmungslandschaft visualisiert.4 Eine gewisse Vielfalt in den Themensetzungen ist ersichtlich. Jedoch wurden viele maritime Darstellungen, insbesondere Kriegsmarinedarstellungen für die Propaganda des Krieges geschaffen. Auch die Bilder mit zivilen Motiven wurden häufig im Kontext nationalsozialistischer Ideologie »Kampfgruppe ›Bismarck‹ im Nordatlantik« und »Kriegsschiff zur Überholung im Dock« von J.C. Schmitz-Westerholt verwiesen. Vgl. Kat. München »Das Meer« 1943, S. 13f. In der Ausschreibung des Wettbewerbs wurden »alle deutschen Maler« aufgefordert, »die Schönheit des Meeres und alles das, was mit dem Meer zusammenhängt, in Bildern […] [zu] gestalten«. Vgl. Rittich 1943, S. 9. Die Schwierigkeit das bewegliche Element Wasser in Bildern zu visualisieren wird in Besprechungen zur Ausstellung dargestellt. Vgl. Schultz 1943. Dabei wird auf die unterschiedlichen künstlerischen Zugänge und die Themenschwerpunkte eingegangen: »Hier scheiden sich die Exstatiker und Realisten, die Romantiker und Berichter der Wirklichkeit recht wesentlich. Die Schilderung der Wucht des Elements, des Heranbrausens der Woge, die gleichzeitig glasig und bleiern ist (Eschke, Wilmersdorf; Haase, Jastrow, Völker, Wiesbaden, und Otto Scheinhammer) hat als Gegenstück das Aufgehen der Kreatur vor der Unendlichkeit (Faehndrich, Potsdamm und Alf Bachmann). Anderen ist das Meer Träger der weltumfahrenden Schiffe, ist gleichsam nur Tarnung und Hülle für die wie Messerrücken durch sie hindurchfahrenden U-Boote (Claus Bergen und einige, die sich in ähnlicher Form ausdrücken). Überraschend wie starkfarbige Koloristen (Pietsch, Lamprecht und Diefenbach) tiefsten Ausdruck finden für das Schwimmen des Lichts, die geheimnisvolle Weite des Horizonts. Beliebte stimmungsvolle Motive von Fischkuttern (Guba, Hamel, Hayek, J. Schrag) sind unter den annähernd zweihundert Bildern gleich stark vertreten, wie lichte Buchten südlicher Lande oder die verträumten lichtumflossenen Niederungen von Deutschlands Nordwesten (Wedemer, Lüdungshausen, Schuster-Winkelhof, Fenkohl, Berlin), Geigenbergers bekannte farbig delikate Ozeanriesen und Hummels kurvig nervös gemaltes Hafenvielerlei sind besonders ansprechende Abarten des Themas ›Industrie auf dem Wasser‹.« Schultz 1943. 3 Vgl. Rittich 1943, S. 8f. Die Bilder zeigen, »welchen Reichtum des Motivs, diese Themenstellung umfaßt und daß die Darstellung von Natur, Schiff und Mensch, Objekt und Aktion einem großen, umfassenden Erlebnis untergeordnet ist.« Vgl. Rittich 1943, S. 9. Einige Werke der Ausstellung, zum Beispiel »Fischdampfer holt sein Netz« (Abb. A4.13) (vgl. Rittich 1943, S. 10) von Leonhard Sandrock, »Das Rettungsboot« (Abb. A4.14) (vgl. ebd., S. 11) von Karl Windels, »Sonnenaufgang an der Nordsee« (Abb. A4.10) (vgl. ebd. S. 12) von Alf Bachmann und »Nordisches Meer« (Abb. A4.17) (vgl. ebd. S. 15) von Michael Mathias Kiefer sind in hochwertiger Qualität seitenfüllend in Farbe abgebildet. 4 Weitere Werke mit dem Motivkreis Wattenmeer und Nordsee sind u. a. folgende: »Sonnenaufgang an der Nordsee« und »Nordseeküste« von Alf Bachmann (vgl. Kat. München »Das Meer« 1943, S. 3), »Sandbank (Nordsee)« und »Nordsee, Mittagsstimmung« (vgl. ebd., S. 3) von Ernst Betz, »Nordsee« (vgl. ebd., S. 6) von Heinrich Kley, »Nordseebrandung« (vgl. ebd., S. 7) von Erich Mercker, »Nordsee« (vgl. ebd., S. 9) von Hans Volcker, »Sturmflut« (vgl. ebd., S. 9) von Magnus Weidemann. Die Schifffahrt wurde in folgenden Werken motivisch aufgegriffen: »Leuchtschiff Elbe III auf den Helgen (Cuxhaven)« (vgl. ebd., S. 5) und »Fischdampfer (Nordsee)« (vgl. ebd., S. 5) von Rudolf Guba, und »Fischerhafen in Cuxhaven« (vgl. ebd., S. 9) von Margarete Zawadzky.
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interpretiert. Zu dieser Zeit war die freie, künstlerische Auseinandersetzung mit der Nordsee nur beschränkt möglich.
Instrumentalisierung von Kunst im Dienste nationalsozialistischer Ideologie und Politik Im Nationalsozialismus erfolgte eine Gleichschaltung der Kultur, verbunden mit einer Diffamierung von Künstlern, die sich nicht unterordneten. Kunstauffassung und -politik basierten auf der nationalsozialistischen rassistischen Ideologie.5 Diese Verbindungen zwischen Kulturtheorie und rassistischem Identitätskonzept werden aus den Schriften von Adolf Hitler6, Alfred Rosenberg7 und 5 Ausführungen zu nationalsozialistischer Ideologie, Kulturtheorie und -politik vgl. Brenner 1963, Petsch 1994, Thomae 1978, Merker 1983, Wulff 1983, Schuster 1987, de Jaeger 1988, Backes 1988, Mathieu 1997, Müller-Mehlis 1976, See 1994. Bezug darauf im weiteren Text. Merker gibt eine Übersicht der Motivgruppen in der nationalsozialistischen Malerei und diskutiert die Frage der »Massenwirksamkeit«. Vgl. Merker 1983, S. 241–305. 6 Da die Darstellung von nationalsozialistischer Ideologie, Kulturtheorie und -politik bereits umfassend erfolgt ist, sei hier nur auf die entsprechenden Standardwerke verwiesen: Hitlers Kulturideologie ist größtenteils in »Mein Kampf« dargelegt. Des Weiteren geben aufgezeichnete Reden und Tischgespräche Auskunft. Vgl. Hitler 1980, Picker (Hg.) 1965, Jochmann (Hg.) 1980. Weitere Ausführungen zu Hitlers Kulturideologie vgl. Backes 1988, S. 49–57, vgl. Mathieu 1997, S. 18–80, vgl. Merker 1983, S. 48–56. Hitlers Intention lag nicht in der Entwicklung einer begrifflich fundierten Theorie der nationalsozialistischen Bewegung, sondern in der Verwirklichung politischer Ziele. Die Ideologeme wurden propagandistisch genutzt, um die angestrebten Ziele und das Handeln zu legitimieren. Die »Rassenfrage« spielt in seiner »Weltanschauung« eine dominante Rolle. Vgl. Hitler 1925/26/1936, S. 317, 372, 468. Die nationalsozialistische Kulturideologie basierte auf rassistischem Dualismus von »Ariern« und Juden. Hitler nahm in seinem Rassenwahn die Differenzierung in »Kulturschöpfer« – die »Arier« –, in »Kulturträger« – beispielsweise die Japaner – und »Kulturzersetzer« – die Juden – vor. Vgl. Hitler 1925/26/1936, S. 318f. Nach Hitler stelle der nordische Mensch, der »Arier«, die höchste Form des homo sapiens dar. Vgl. Hitler 1925/26/1936, S. 316f., 324f. Er allein sei befähigt zu wissenschaftlich-künstlerischer Produktivität und überlegener Staatslenkung. Die »Arier«, deren Urheimat im Norden liege, hätten sich aufgrund der lebensfeindlichen, nordischen Bedingungen durch Hochzucht – basierend auf dem Prinzip der Selektion der Stärksten und der »Rassenreinheit« – zur »Herrenrasse« entwickelt. Hitler führte in seiner Argumentation ein stark vereinfachtes darwinistisches Prinzip an. Vgl. Hitler 1925/26/1936, S. 312–316, vgl. Rede auf einer NSDAP-Versammlung: »Warum sind wir Antisemiten?«, München, 13. August 1920, in: Hitler 1980, S. 185, 188. Die »arische Rasse« habe sich über die Erde verbreitet und somit auch ihre Kultur. Vgl. ebd., S. 186. Hochkulturen können nach Hitler nur durch »nordisches Blut« geschaffen worden sein, und auf die Vermischung dieses Bluts mit dem von angeblich »inferioren Rassen« folge stets ihr Verfall. Die kulturelle »Entartung« müsse als Folge schädlicher »Rassenmischung« begriffen und züchterisch überwunden werden, um eine neue »nordische Hochkultur« einzuleiten. Durch die Konstruktion der angeblich überlegenen »nordischen Rasse« wurden ein National- und Zusammengehörigkeitsgefühl der Deutschen und eine Rechtfertigung für politische und ideologische Ziele geschaffen. Der nationalsozialistische Angriffs- und Vernichtungskrieg wurde als ein Kampf
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Nordsee und Wattenmeer im Nationalsozialismus
Paul Schultze-Naumburg8 ersichtlich. Im Nationalsozialismus wurde eine Abgrenzung zur avantgardistischen Kunst – insbesondere der expressionistischen Malerei – und stattdessen ideologiekonforme Darstellungen in gegenständlicher Bildsprache gefordert. Die rassische Blut und Boden-Lehre stellte die Grundlage nationalsozialistischen Kunstverständnisses dar. Die bildenden Künste wurden durch politische Maßnahmen zum propagandistischen Instrument funktionalisiert. Die Bildung der Reichskulturkammer und der Reichskammer der bildenden Künste 1933 sowie die Gleichschaltung der Künste 1937 waren Schritte zur Kontrolle und gezielten Steuerung des kulturellen Sektors seitens des Staates. Die Aufnahme in die Reichskammer der Bildenden Künste war Voraussetzung, um weiterhin künstlerisch tätig sein zu können. Ausschluss oder Nichtaufnahme waren einem Berufsverbot gleichzusetzen. Im Rahmen der Nürnberger Gesetze wurde seit Mai 1936 der Nachweis »arischer Abstammung« als obligatorisches Aufnahmekriterium verlangt. Bereits im November desselben Jahres erklärte Goebbels die Reichskulturkammer als »judenrein«. Ein weiteres Kriterium der Aufnahme lag darin, dass ein Mitglied »politisch unauffällig«, idealerweise konform mit der nationalsozialistischen Ideologie sei.9 Kunst stand im Zeichen nationalsozialistischer Propaganda und wurde unter anderem als »Erziehungsmedium« genutzt. Die NSDAP-Zeitschrift »Kunst im Dritten/Deutschen Reich« orientierte sich an den »Großen Deutschen Kunstausstellungen« und präsentierte die geförderte nationalsozialistische Kunst. Damit kam ihr eine wichtige Funktion in der Öffentlichkeitsarbeit zu.10 Im Rahmen der Kulturpolitik ging die Anweisung an alle Verlage von Zeitschriften und an die Presse, den »Großen Deutschen Kunstausstellungen« besonderes Interesse in Form von Artikeln und Veröffentlichungen von Bildern zuteil werden zu lassen. Diese Publikationen unterlagen allerdings inhaltlichen
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um Lebensraumgewinnung und als Selbstverteidigung dargestellt. Vgl. Hitler 1925/26/1936, S. 62, 727ff. Rassistisches Gedankengut wurde als Begründung für Hitlers größenwahnsinnige Weltherrschaftspläne sowie für seine verabscheuungswürdigen Pläne der »Aufnordung« durch »Rassenreinzucht« und für die systematische Vernichtung der Juden angeführt. Vgl. Hitler 1980, S. 122. Vgl. Hitler 1925/26/1936, 312f. Vgl. Geheimrede Hitlers vor dem deutschen Offiziersnachwuchs am 30. 05. 1942, in: Picker (Hrsg.) 1965, S. 493–504, hier S. 497ff. Zu Kulturtheorie, Person und Wirken Rosenbergs vgl. Merker 1983, S. 56–66; 100–106. Vgl. Mathieu 1997, S. 164–240. Rosenberg veröffentlichte im Jahr 1930 die Abhandlung »Der Mythus des 20. Jahrhunderts«, deren Schwerpunkt Betrachtungen über Kulturtheorie und -kampf bilden. Vgl. Rosenberg 1932. Rosenberg setzte mit der Repräsentativzeitschrift der NSDAP, deren Herausgeber er ab 1937 war, ikonografische Maßstäbe. »Kunst aus Blut und Boden« (1932), »Kunst und Rasse« (1928) und »Kampf um die Kunst« (1932) stellen Abhandlungen Schultze-Naumburgs über Kunstbetrachtung auf Basis der Rassenlehre dar. Die politisch angeordnete deutsche Kunst wurde daher häufig von nationalsozialistischen Politikern geschaffen, wie zum Beispiel Adolf Ziegler. Vgl. u. a. Merker 1983, S. 125–131. Vgl. Merker 1983, S. 79, 104, 161f.
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Vorgaben, Vorschriften für die typografische Gestaltung und weiteren formalen Richtlinien.11 Auf diese Weise wurden Berichte über Kunst und Kultur für propagandistische Zwecke instrumentalisiert. In den Kriegsjahren sollte eine uneingeschränkte Kunstproduktion den ungebrochenen deutschen Kulturwillen zum Ausdruck bringen. Die künstlerischen Darstellungen mussten im Einklang mit den außenpolitischen Zielen des Reiches stehen, um als Motivation und ideologische Stütze der Bevölkerung zu fungieren und damit die Wehrhaftigkeit und Kriegsbereitschaft zu fördern. Dem Volk sollten die kulturelle Überlegenheit und die zu verteidigenden kulturellen Güter vor Augen gehalten werden. Kriegs- und Frontkunst waren von äußerster Bedeutung in den »Großen Deutschen Kunstausstellungen«. Der ungebrochene deutsche Kulturwille sollte ein Selbstbild einer starken »Rasse« gegenüber dem In- und Ausland demonstrieren. Die Tatsache, dass Kunstproduktion und -vermittlung der Kontrolle des Regimes unterstanden und Kunst als ein Propagandainstrument genutzt wurde, ist die Grundlage, auf der die nationalsozialistische Produktion und Rezeption von Bildern mit Wattenmeer- und Nordseemotivik beurteilt werden müssen. Ebenso gab es auch Künstler, die »mitliefen« und Würdigung erfuhren ohne die Intention zu besitzen, die NS-Ideologie zu verbildlichen.12 Zudem erfolgten Vereinnahmungen von historischen Künstlern durch die Nationalsozialisten.13 Das Wirken der in dieser Studie in den entsprechenden Kapiteln vorgestellten Künstler wird hier nicht dargelegt, da dies an anderer Stelle differenziert erfolgt. Dazu gehören u. a. Claus Bergen und Alf Bachmann, die im Nationalsozialismus Würdigung erfuhren. Max Beckmann, Emil Nolde, Karl Schmidt-Rottluff und Erich Heckel sind Künstler, die im Nationalsozialismus diffamiert wurden. Franz Radziwills Werk erfuhr eine zwiespältige Bewertung. In diesem Kapitel werden – abgesehen von wenigen Ausnahmen – Exponate der »Großen Deutschen Kunstausstellungen« herangezogen. Allerdings waren Wattenmeer und Nordsee im Gegensatz zu anderen Themen, beispielsweise figürliche Sujets, nicht so häufig vertreten. Die in den Ausstellungen gezeigten Bilder wurden in der Zeitschrift »Kunst im Dritten/Deutschen Reich« abgebildet und waren repräsentativ für die nationalsozialistische Kunst. Im Rahmen der Analyse werden nicht nur Bilder, sondern auch nationalsozialistische Schriften wie die erwähnte Zeitschrift sowie der »Völkische Beobachter« und der Ausstellungskatalog »Das Meer« herangezogen und Interpretationsmuster von maritimen Werken dargelegt. 11 Vgl. Thomae 1978, S. 37–69, hier S. 52. 12 Exemplarisch sei auf Alf Bachmann verwiesen, dessen Leben und Werk in dieser Studie in einem eigenen Kapitelkomplex vorgestellt wird. 13 Exemplarisch sei auf die nationalsozialistische Vereinnahmung von Leben und Werk Caspar David Friedrichs verwiesen. Vgl. Hinrichs 2011.
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»Kampf gegen die Nordsee« im Kontext der Blut und Boden-Ideologie Der Nationalsozialismus wandte eine kämpferisch aufgeladene Metaphorik auf die Beschreibung des Lebens an der Nordsee und die Entstehung der Küstenlandschaft an.14 Die sprachliche Interpretation von Landgewinnungs- und Küstenschutzmaßnahmen als Kampf besitzt zwar historische Wurzeln,15 jedoch ist im Nationalsozialismus eine Radikalisierung dieser Sprachformen festzustellen. Die Küstenlandschaft wurde als Ergebnis des Kampfes gegen die Nordsee interpretiert. »Kampf um die Heimat berichtet diese meerentrungene Erde, Kampf war die Trockenlegung der küstevorgelagerten Moore, Kampf um das Brot bedeutete der karge Sandrücken der Geest. Kampf ist die Lebensgeschichte der Menschen dieses Landes, die in harter Schicksalsschule zu starken, selbstverantwortlichen Geschlechtern erwuchsen.«16
Dies ist ebenso in den Ausführungen weltanschaulicher Schulung für die HitlerJugend zu erkennen: Auch in dieser Schrift wird das Leben an der Nordsee als »Kampf« beschrieben.17 »Und dann die See! Not und Segen zugleich ist sie für unsere Heimat geworden. Wie oft brach sie durch die Deiche, brandete an den Wurten hoch und verschlang in einer Nacht, was Generationen in mühseliger Arbeit aufgebaut hatten! Aber immer rief ihr der Mensch unserer Küsten und Inseln sein ›Trutz blanker Hans!‹ entgegen. Und er zwang sie! Als Marschenbauer gewann er den geraubten Boden wieder zurück, er rang dem Meere als Fischer seine karge Nahrung ab oder ließ als Seefahrer den Reichtum fremder Länder in die aufblühenden Städte unserer Küsten einströmen. Immer aber war sein Arbeiten ein Kämpfen, und mancher ist dabei ein Opfer der See geworden.«18
Die Nordsee wird in diesem Zusammenhang als feindliches Element betrachtet, das der Mensch bezwingen muss. Die Vorstellung eines Kampfes gegen die Gewalt der Nordsee wird auch in einer Bildbesprechung – in Bezug auf Karl 14 Vgl. Fischer 2011, S. 39f. 15 Zur Subjektivierung der Nordsee vgl. Johansen 1889, S. 1. Fischer stellt die Mentalitätsgeschichte in Bezug auf die Nordsee dar, vgl. u. a, Fischer 2011, S. 37–40. 16 Lendvai-Dircksen o. D., S. 5. 17 »Hinter den sie schützenden Deichen beginnt mit dem Watt der Herrschaftsbereich des ›blanken Hans‹, der Nordsee.« Gebietsführung Nordsee (7) der HJ., Abteilung für weltanschauliche Schulung (Hg.) 1938, S. 6. »In den unzähligen Wasseradern der Marschen erzeigt sich die nahe Verwandtschaft mit dem Meere, das im gnadenlosen Zorn der Elemente gegen die hohen Deiche läuft, schwer nur im Zaum gehalten durch die wache Klugheit der Menschen, die in letzterer Zeit zurückgewinnt an Land, was in Jahrhunderten verloren ging.« LendvaiDircksen o. D., S. 5. 18 Gebietsführung Nordsee (7) der HJ., Abteilung für weltanschauliche Schulung (Hg.) 1938, S. 4f.
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Leipolds Werke, in denen die holsteinischen Elbmarschen verbildlicht sind – in der Zeitschrift »Deutsche Kunst im Dritten Reich« bedient: »In klaren Kontrasten steht hier das Meer dem bißchen Land gegenüber, das Menschenhand dem ›Blanken Hans‹ abgerungen hat, und dem, was sie darauf erbaute. Das ewig von Gefahr umwitterte Leben, das auf und hinter den Deichen vom Meere abhängig ist, schwingt in ihnen [den Bildern] mit ergreifender Schlichtheit.«19
Das Bild »Aus den Elbmarschen« (Abb. A4.1), das sich im Besitz des Stellvertreters von Hitler befand, wurde als vorbildlich für nationalsozialistische Kunst bewertet.20
Abb. A4.1: Karl Leipold, Aus den Elbmarschen
Neben der Motivwahl einer deutschen Landschaft wird der naturalistische Stil als positiv hervorgehoben.21 Weiterhin wird in der Zeitschrift »Kunst im Deutschen Reich« ein Werk von Fritz Mackensen gewürdigt, dass den Arbeitsdienst in der Geest zeigt: »Und als die deutsche Jugend aufbrach, stand er [Mackensen], der ewig Junge, begeistert in ihren Reihen. Er hat dem gewaltigen Geschehen unserer Zeit in der Darstellung der marschierenden ›Arbeitsdienstkolonne‹, die er jüngst in der Geest malte, ein in seiner Dynamik wie in seiner Monumentalität gleich eindrucksstarkes Denkmal gesetzt.«22
Allerdings besaßen Bilder, die motivisch die Landgewinnung und Küstenschutz an der Nordsee zeigen, nur sehr geringe Bedeutung in den »Großen Deutschen 19 Vgl. Rittich 1938, S. 190. 20 Vgl. Scholz 1938, S. 237. Die »malerisch-visionäre Größe des Elbmarschen-Bildes« stellt nach Scholz neben anderen ausgestellten Werken ein überzeugendes Beispiel dar, »daß die Entwicklung der deutschen Malerei heute wieder von einer ganzen Anzahl starker Künstlerpersönlichkeiten weitergetragen wird. Diese Beispiele zeigen aber auch, daß die Malerei heute weit davon entfernt ist, in einem einseitigen akademischen oder, wie manche glaubten befürchten zu müssen, engen naturalistischen Schema stecken bleibt. Neben der Bejahung der Wirklichkeit und der Natur wird in diesen Bildern ebenso klar ein bewußtes Bekenntnis zur gestaltenden Phantasie, zu einer tiefen metaphysischen Sinndeutung des Dargestellten erkennbar.« Scholz 1938, S. 242. 21 Vgl. Scholz 1938, S. 242. 22 Vgl. Hetsch 1940, S. 122.
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Nordsee und Wattenmeer im Nationalsozialismus
Kunstausstellungen«. Erna Lendvai-Dircksen fotografierte diese Landgewinnungsmaßnahmen.23 Diese wurden als Kampf gegen die Nordsee ausgelegt und mit militärisch aufgeladener Metaphorik beschrieben, wie sich im folgenden Kommentar zur Fotografie »Arbeitsdienst bei Dagebüll«24 (Abb. A4.2) zeigt:
Abb. A4.2: Erna Lendvai-Dircksen, Arbeitsdienst bei Dagebüll, Fotografie
»Deutsche Jugend mit dem Spaten erobert Neuland, gegen die alte wilde Nord- und Mordsee ist ein neues junges Heer ausgezogen. Aus den Kolonnen strahlender junger Manneskraft leuchtet das Gesicht der Heimat.«25
Die Fotografin stellt nicht die arbeitenden Männer in den Mittelpunkt, sondern das noch überflutete Land, das es zu entwässern gilt. Die durchgeführten Landgewinnungsmaßnahmen werden als »Angriff« interpretiert:26 »Heute ist trotz der fortschreitenden Küstensenkung der Mensch in erfolgreichem Angriff und versucht die früheren Landverluste wieder wettzumachen. Planmäßig werden Neueindeichungen des vor den Deichen angeschwemmten Neulandes […] in den Koogen vorgenommen. Und ähnlich wie der Arbeitsdienst den Hochmooren zu Leibe geht, so wird auch am Meere bestes Bauernland gewonnen. Im Emsland und an unserer
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Vgl. Lendvai-Dircksen o.D., 38–41. Vgl. ebd., 38. Ebd., S. 38. Die von der Nordsee angelagerten Schlammmassen werden als positiv bewertet: »Neben der zerstörenden Wirkung darf aber auch die Aufbauarbeit des Meeres nicht vergessen werden. In dem ewigen Wechselspiel von Ebbe und Flut, das an der Nordseeküste besonders stark ausgeprägt ist, werden die Sand- und Schlammmassen der Flüsse vor den Küsten angelagert. Jede Flut schwemmt eine neue Schlickschicht über das Watt. So wächst in den Buchten das Watt empor, bis es allmählich den Hochwasserspiegel erreicht. Aus solchen Schlickschichten ist auch der Kleiboden unserer Fluß- und Seemarschen aufgebaut. Die Marschen sind also ein Werk des Meeres.« Gebietsführung Nordsee (7) der HJ., Abteilung für weltanschauliche Schulung (Hg.) 1938, S. 7.
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Nordseeküste entstehen seit der Machtergreifung auf diese Weise neue Provinzen, die mit Spaten und Hacke erobert werden.«27
Ein Ergebnis dieser Entwässerungsmaßnahmen war die Gewinnung des AdolfHitler-Kooges, dem heutigen Dieksanderkoog.28 Dieser avancierte zum propagandistischen Vorzeigeobjekt: Im Kontext nationalsozialistischer Blut und Boden-Ideologie sollte es ein Musterkoog hinsichtlich rassenpolitischer Maßnahmen darstellen. Die Neusiedler wurden anhand angeblich rassischer Kriterien ausgewählt. Eine Volksgemeinschaft, bestehend aus Bauern, Handwerkern und Arbeitern sollte gegründet werden: »Im Anbruch einer neuen Zeit fertig geworden, ist der Hitler-Koog eine Neubesiedlung im Sinne rassischer Auswahl der Besten.«29 Lendvai Dircksen fertigte Porträtfotografien von den Bewohnern des Adolf Hitler-Kooges an (Abb. A4.3, 4). Sie entsprachen den rassischen Vorstellungen nationalsozialistischer Arier-Ideologie.
Abb. A4.3, 4: Erna Lendvai-Dircksen, Jungbäuerin und Jungbauer aus dem Hitler-Koog, Fotografie
Auch die Einweihung des Adolf-Hitler-Kooges wird in dem Fotoband propagandistisch dargestellt: »Als der Koog seine Weihe durch den Führer erfuhr und seinen Namen bekam, da fügte es sich so, daß er die beiden Mädchen, weizenblond, stark und gesund wie gute Ernte mitnahm auf seine Fahrt durch die jungen Fluren: ein Sinnbild der Fruchtbarkeit.«30
27 Gebietsführung Nordsee (7) der HJ., Abteilung für weltanschauliche Schulung (Hg.) 1938, S. 7. 28 Detaillierte Informationen in Bezug auf die nationalsozialistischen Landgewinnungsmaßnahmen und dem Adolf Hitler-Koog vgl. Trende 2011. 29 Lendvai-Dircksen o. D., S. 20. 30 Ebd., S. 23.
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Nordsee und Wattenmeer im Nationalsozialismus
Lendvai-Dircksen bedient das nationalsozialistische Idealbild der Frau als Mutter. Die Mädchen, als zukünftige gebärfähige Frauen, werden als »gute Ernte« bezeichnet.31 Das Porträt des Zwillingspaares (Abb. A4.5) zeigt die Mädchen mit geflochtenen Zöpfen von vorne und im Profil.
Abb. A4.5: Erna Lendvai-Dircksen, Zwillingschwestern aus dem Hitler-Koog, Fotografie
Wie die Personen in den obigen Darstellungen (Abb. A4.3, 4) schauen sie den/die Betrachtende/n nicht an, sodass der Eindruck entsteht, sie seien zum Anschauungsmaterial für – im nationalsozialistischen Sinn – rassisch vorbildliche, arische Kinder degradiert. In den »Großen Deutschen Kunstausstellungen« sind die Küsten- und Inselbewohner allerdings nur in wenigen Werken verbildlicht: »Portrait einer Friesin«32 von Wilhelm Petersen, »Nordischer Fischer«33 von Walter Hannemann und »Nordfriesische Jungbäuerinnen«34 von Wolf Willrich sind Beispiele. Jedoch ist ersichtlich, dass im Rahmen der nationalsozialistischen Ideologie eine rassische Verherrlichung der Küstenbewohner, insbesondere der Friesen,35 stattfand. Diese hätten sich durch die »Kämpfe« gegen das Meer zu gestählten Persönlichkeiten entwickelt:36 »Der Charakter aber, der jene Kämpfe ehrwürdig 31 32 33 34
Vgl. ebd., S. 23. Kat. München »Grosse Deutsche Kunstausstellung« 1937, S. 65, Nr. 542. Kat. München »Grosse Deutsche Kunstausstellung« 1939, S. 38, Nr. 378. Ergänzungsteil, Kat. München »Grosse Deutsche Kunstausstellung« 1939, S. 16, Nr. 232 (919). 35 »In diesem Kampf wurde unser Friesengeschlecht, wuchsen hier Wikingertum und Hanseatengeist.« Gebietsführung Nordsee (7) der HJ., Abteilung für weltanschauliche Schulung (Hg.) 1938, S. 5. 36 Ein Ausblick in die Geschichte wird vorgenommen: »Zerstörend und aufbauend zugleich wirkte das Meer. Als nach der Eiszeit die Doggerbank und der englische Kanal einsanken und Meeresboden wurden, fielen der Nordsee auch bei uns weite Strecken einstigen Festlandes zum Opfer. Bis in die letzten Jahrhunderte hinein hat sie in immer neuen Sturmfluten Stück
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macht, steht noch heute im Gesicht der Nordmark, Zeuge dem tiefen Sinn des Wortes: Blut und Boden.«37 Im Kontext nationalsozialistischer Ideologie sei der Mensch durch das Blut an seine heimatliche Landschaft gebunden und von dieser geprägt. Im Rahmen des rassistischen Ariermythos erfuhr die verherrlichende Darstellung der Küstenbewohner eine Radikalisierung. Lendvai-Dircksen ging sogar so weit, die Küstenbewohner als »natürliches Herrentum« zu klassifizieren.38 Ihre Intention lag darin, den nationalsozialistischen Rassegedanken am Beispiel deutscher Küstenbewohner zu visualisieren. Sie bediente die Vorstellung des tapferen Friesen, der dem Meer die Stirn bietet.39 Unterlegt werden die Fotografien mit plakativen, propagandistischen Untertiteln. Es wird aus nationalsozialistischer Perspektive ein ideologisch besetztes Bild der Küstenbewohner entworfen.40 Dies ist eine
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auf Stück des kostbaren Landes an sich gerissen. Durch wiederholte Meereseinbrüche entstand zwischen 1219 und 1511 der Jadebusen, zwischen 1362 und 1545 der Dollart. Der Grund für dieses Vordringen des Meeres liegt in der Senkung der Nordseeküste. […] Gegen die vordringende See suchten die Friesen sich zunächst durch das Aufwerfen von Wohnhügeln, der sogenannten Warften oder Wurten, zu schützen; erst um das Jahr 1000 herum begannen sie mit dem Bau ihrer Deiche, des ›goldenen Ringes‹ der Nordseeküste. Ungeheure Erdbewegungen sind dazu notwendig gewesen, und von Jahr zu Jahr mußten Erhöhungen und Ausbesserungen vorgenommen werden. Nur eine bis ins letzte disziplinierte Gemeinschaftsarbeit konnte eine solche Leistung vollbringen. Unsere Nordseedeiche sind damit eins der stärksten Zeugnisse eines gemeinschaftsbewußten Sozialismus in unserer Geschichte.« Gebietsführung Nordsee (7) der HJ., Abteilung für weltanschauliche Schulung (Hg.) 1938, S. 7. Die Kämpfe richteten sich nach Lendvai-Dircksen nicht ausschließlich gegen das Meer, sondern ebenfalls gegen die Abhängigkeit von adeliger Obrigkeit und Kirche. Vgl. Lendvai-Dircksen o. D., S. 5. Lendvai-Dircksen o. D., S. 5. Die Fotografin Erna Lendvai-Dircksen beschreibt die Bewohner der Nordseeküstenregion in ihrem Bildband »Das deutsche Volksgesicht Schleswig-Holsteins« wie folgt: »Nach Stämmen verschieden ist dennoch die Volkheit Schleswig-Holsteins geeint in dem Gepräge einzelgängerischen, stolzen und herben Menschentums. Verstreut in der Landschaft liegen die Bauernhöfe. Nach der Ostsee zu in das lebendige Heckenwerk des Knicks gebettet, stehen sie im Raum an der Nordsee frei im Kranz sturmzerrissener Bäume, Wahrzeichen für das natürliche Herrentum, das Platz um sich braucht.« Lendvai-Dircksen o. D., S. 5. Sie zeichnet in ihrem Fotoband ein Bild vom verschlossenen, stolzen Küstenbewohner und unterlegt dies mit persönlichen Erfahrungsberichten der Menschen und stammesgeschichtlich aufgeladenen Denkmälern, wie den Grabmalen in Nieblum auf Föhr. Vgl. Lendvai-Dircksen o. D., S. 56–64. Es liegen historische Wurzeln vor. Bereits im Kontext völkisch-nationalistischer Tendenzen wurde die Heroisierung und ideologische Stilisierung der Friesen radikalisiert, um im Nationalsozialismus einen Höhepunkt zu finden. Vgl. Fischer 2011, S. 41f. Vgl. Rieken 2005, S. 76f. So verdeutlicht der mittelalterliche Spruch »Deus mare, friso litora fecit – Gott schuf das Meer, der Friese die Küste« den Stolz der Friesen, das Land dem Meer abgerungen zu haben. Vgl. Meier 2007, S. 155. Vgl. Rieken 2011, S. 66ff. Die »Bezwingung« des Meeres durch den Deichbau und die damit verbundene wirtschaftliche Erschließung des dahinterliegenden Binnenlandes waren ein identitätsstiftender Faktor für die Friesen. Vgl. Meier 2007, S. 155. Vgl. Fischer 2011, S. 42f. Diese besaßen im Mittelalter eine besondere Stellung, die sie unter anderem der Nordsee zu verdanken hatten: Das Modell »Friesische Freiheit« beinhaltete ein eigenes Rechtssystem, das sich vom weit verbreiteten Feudalsystem unter-
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Nordsee und Wattenmeer im Nationalsozialismus
gängige Sehweise im Nationalsozialismus. So wird die Nordsee in einer offiziellen Schrift für die Hitler-Jugend als »Schicksal« der an der Küste und auf den Inseln lebenden Menschen beschrieben.41 Das Meer wird als das Naturelement betrachtet, das es zu besiegen gilt42 und das den Küstenbewohner rassisch geprägt hat.43 Dabei werden die schwierigen Lebensbedingungen herausgestellt. Somit bezieht sich Lendvai-Dircksen in ihrem Fotoband »Das deutsche Volksgesicht Schleswig-Holsteins« notwendigerweise auch auf landschaftliche Phänomene. Der Kampf, der die Landschaft charakterisiert und die Küstenbewohner geprägt habe,44 zeige sich beispielsweise in den Himmelsaktivitäten.45 Dabei bezeichnete sie den Himmel als »Seele der Landschaft«.46 Neben großartigen Farbspielen und dem »majestätischen« Verlauf der Sonne ziehe angeblich »nirgends wie hier das Wotansheer der Wolken vor dem Sturm« und »nirgends wie hier« fahre die »Peitsche des Regens nieder«.47 Die beschriebene Gewalt des Himmels zeigt sich allerdings nicht in den Fotografien wie beispielsweise »Herbsthimmel über Sylt« (Abb. A4.6).
41 42 43
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schied. Vgl. Rieken 2011, S. 66, vgl. Schmidt 2003. Die Friesen waren von der Heerespflicht außerhalb Frieslands befreit. Vgl. hierzu Rieken 2005, S. 82f., 85. Stattdessen hatten sie die Aufgabe, das Land und das Volk vor dem Meere zu schützen. Vgl. Buma, Ebel (Hg.) 1977, S. 38. Damit waren die Durchführung von Küstenschutzmaßnahmen und die Verteidigung gegen normannische Überfälle gemeint. Vgl. Buma, Ebel (Hg.) 1963, S. 38. In Friesland bildeten sich autonome, genossenschaftlich organisierte Territorialverbände, die auch nach dem die normannischen Überfälle weniger wurden, bestehen blieben. Vgl. Rieken 2005, S. 85. Der Grund dafür lag in dem zu der Zeit stetig ansteigenden Meeresspiegel der Nordsee, der zur Gefahr für Land und Mensch wurde. In Friesland konnte sich keine Ministerialität herausbilden. Vgl. hierzu u. a. Rieken 2005, S. 84f., vgl. van Lengen 1995, S. 115–118, vgl. Vries 2001, S. 541–544. Die Unterwerfungsversuche seitens des Adels scheiterten. Dazu trug ebenfalls der Naturraum bei: Im Norden war die Nordsee und im Süden erschwerten Moore schwerer Reiterschaft das Fortkommen. Vgl. Rieken 2005, S. 85. Die friesische Freiheit war Teil der Identität der Friesen und wurde u. a. durch naturräumliche Gegebenheiten der Nordseeküstenregion bedingt. Vgl. Gebietsführung Nordsee (7) der HJ., Abteilung für weltanschauliche Schulung (Hg.) 1938, S. 5. Vgl. Lendvai-Dircksen o. D., S. 5. Es ist nicht nur die rassische Gebundenheit, sondern ebenfalls durch ihre »Schönheit« zieht sie in Bann. »So ist die Nordsee unser Schicksal geworden. Keiner kann von ihr lassen, den sie erst in ihren Bann gezogen hat. Denn gleich, ob ihre grünen Wellen in ruhigem Pulsschlag auflaufen und gegen den Strand schlagen, ob sie schimmernd im Sonnenlicht ruht oder ob sie im Sturm gegen die Küsten tobt: immer ist sie gewaltig und schön – unsere Nordsee.« Gebietsführung Nordsee (7) der HJ., Abteilung für weltanschauliche Schulung (Hg.) 1938, S. 5. Vgl. Lendvai-Dircksen o. D., S. 5. Vgl. ebd., S. 42f. Vgl. ebd., S. 42. Vgl. ebd., S. 42.
»Kampf gegen die Nordsee« im Kontext der Blut und Boden-Ideologie
251
Abb. A4.6: Erna Lendvai-Dircksen, Herbsthimmel über Sylt, Fotografie
Lendvai-Dircksen widmete sich auch dem Leben der Halligbewohner :48 Die Fotografie »Halligen« (Abb. A4.7) verdeutlicht eindrucksvoll das Ausgeliefertsein der Halligbewohner angesichts der Kräfte des übermächtig wirkenden Meeres.49 Kaum erkennbar heben sich die auf der Hallig befindlichen Gebäude vom Horizont ab. Weite und Größe dieses Naturraums treten dadurch in den Fokus.
Abb. A4.7: Erna Lendvai-Dircksen, Halligen, Fotografie
Das Bild »Halligkante auf Langeness« (Abb. A4.8) von Paul Lehmann-Brauns, das in der »Großen Deutschen Kunstausstellung« 1937 präsentiert wurde, zeigt eine Abbruchkante, was die durch das Meerwasser bedingte, fortschreitende Erosion und Dynamik in der Wattenmeergegend verdeutlicht. Auch hier sind die menschlichen Behausungen klein und nichtig dargestellt.
48 »Wer die Halligen kennt, Bruchstücke untergegangenen Landes, hat auch etwas erlebt von der Melancholie und Größe eines Lebens ewiger Eintönigkeit, ewiger Bedrohung.« Lendvai-Dircksen o. D., S. 65. 49 »[…] die Halligleute lieben ihre von Gefahren umbrandete Heimat«. Lendvai-Dircksen o. D., S. 65.
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Nordsee und Wattenmeer im Nationalsozialismus
Abb. A4.8: Paul Lehmann-Brauns, Halligkante auf Langeness, Öl auf Leinwand
Doch es ist nicht nur der Kampf gegen die Nordsee; die Region besitzt ebenso als Teil der Heimat große Bedeutung.
Nordsee und Wattenmeer als Teil deutscher Heimat Allgemein werden Landschaftsmalereien im Nationalsozialismus als »arteigene« Darstellungen von Heimat und als rassische Bekenntnisse des jeweiligen Künstlers deklariert. »Man weiß, daß das scheinbar genaue Abbild der Natur, wenn es aus der Kraft eines künstlerisch ordnenden Sinnes nachgestaltet wurde, immer zu einem Sinnbild der eigenen Wesensart wird und daß in diesem Sinne auch das schlichteste Naturbild ein seelisches Dokument ist.«50
Landschaftsdarstellungen sollten ideologische Werte repräsentieren und waren somit an nationalsozialistische Anforderungen gebunden. Im Rahmen der Rasse-Kunst-Lehre sei der Künstler »rassisch« dazu befähigt, insbesondere in seinem Heimatraum zu wirken. Somit nahmen in der nationalsozialistischen Landschaftsmalerei die Bildnisse von Deutschland einen beherrschenden Raum ein. Dazu gehörten auch Darstellungen der Nordsee, der Küste und der Inseln. Von den in dieser Studie behandelten Künstlern waren Alf Bachmann und Hans Bohrdt mit landschaftlichen Bildern auf nationalsozialistischen Ausstellungen vertreten. So präsentierte Bachmann in den »Großen Deutschen Kunstausstellungen« u. a. folgende Werke: »Septembermorgen, Helgoland«51 (Abb. B4.83), »Nordsee«52 (Abb. B4.61), »Nordfriesisches Wattenmeer«53 (Abb. B4.57), »Ferne 50 51 52 53
Scholz 1940a, S. 246. Ergänzungsteil, Kat. München »Grosse Deutsche Kunstausstellung« 1938, S. 3, Nr. 9 (973). Kat. München »Grosse Deutsche Kunstausstellung« 1941, S. 18, Nr. 31. Kat. München »Grosse Deutsche Kunstausstellung« 1942, S. 18, Nr. 24. Auch bekannt unter dem Titel »Seehundsplaate«.
Nordsee und Wattenmeer als Teil deutscher Heimat
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Hallig«54 (Abb. B4.24), »Sonnenaufgang«55 (Abb. B4.84) und »An der Emsmündung«56 (Abb. B4.70). Von Hans Bohrdt war das Werk »Brandung bei Sylt«57 ausgestellt. Da diese Künstler in eigenen Kapiteln behandelt werden, werden im Folgenden keine weiteren Ausführungen diesbezüglich vorgenommen. Wie bereits angeführt, nahmen die Nordsee- und Wattenmeerdarstellungen quantitativ allerdings nur einen kleinen Teil in der Gesamtanzahl der Exponate ein. Exemplarisch sei noch auf folgende Werke verwiesen: »Abend am Wattenmeer«58 und »Mondnacht bei Ebbe«59 (Abb. A4.11) von Max Clarenbach, »Ebbe im Watt60 von Eduard Schloemann, »Im Wattenmeer«61 von Hans von Hahek, »Abend am Watt«62 von Erich von Perfall, »Nordseestrand bei Ebbe«63 von Fritz Köhler, »Wattenmeer bei List auf Sylt«64 von Karl O’Lynch von Town, »Ebbe im Hafen von Nordstrand«65 von Helmut Ullrich und »Kanal am Meer, Ebbe«66 von Wilhelm Hambuechen. Ebenfalls werden die Halligen motivisch aufgegriffen. Diesbezüglich sei exemplarisch auf die Werke »Hallig bei schwerem Wetter«67 und »Hallig Gröde«68 von Eduard Schloemann sowie »Halligkante auf Langeneß«69 von Paul Lehmann-Brauns verwiesen. Auch Inseln wurden als Bildmotive gewählt: Hermann Seeger schuf die Werke »Amrumer Dünen«70 und »Blick auf Norddorf-Amrum«71, Erich Mercker das Bild »Insel Sylt«72 und Alfred Haensch die Kreidezeichnungen »Dünen in Kampen auf Sylt IV«73, »Dünen in Kampen auf Sylt II«74, »Dünen in Kampen auf Sylt III«75. Natürlich war auch die 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75
Kat. München »Grosse Deutsche Kunstausstellung« 1942, S. 18, Nr. 25. Vgl. GDK-Research online, Alfred Bachmann, »Sonnenaufgang«, 14. 8. 2016. Kat. München »Grosse Deutsche Kunstausstellung« 1943, S. 18, Nr. 20. Kat. München »Grosse Deutsche Kunstausstellung« 1942, S. 20, Nr. 107. Kat. München »Grosse Deutsche Kunstausstellung« 1938, S. 37, Nr. 138. Kat. München »Grosse Deutsche Kunstausstellung« 1942, S. 25, Nr. 162. Kat. München »Grosse Deutsche Kunstausstellung« 1941, S. 72, Nr. 989. Kat. München »Grosse Deutsche Kunstausstellung« 1938, S. 49, Nr. 328. Kat. München »Grosse Deutsche Kunstausstellung« 1942, S. 58, Nr. 799. Kat. München »Grosse Deutsche Kunstausstellung« 1941, S. 48, Nr. 572. Ergänzungsteil, Kat. München »Grosse Deutsche Kunstausstellung« 1939, S. 11, Nr. 144 (412). Kat. München »Grosse Deutsche Kunstausstellung« 1942, S. 75, Nr. 1109. Kat. München »Grosse Deutsche Kunstausstellung« 1937, S. 45, Nr. 254. Kat. München »Grosse Deutsche Kunstausstellung« 1937, S. 72, Nr. 646. Ergänzungsteil, Kat. München »Grosse Deutsche Kunstausstellung« 1938, S. 13, Nr. 188 (893). Kat. München »Grosse Deutsche Kunstausstellung« 1937, S. 57, Nr. 436. Kat. München »Grosse Deutsche Kunstausstellung« 1938, S. 85, Nr. 938. Ergänzungsteil, Kat. München »Grosse Deutsche Kunstausstellung« 1938, S. 14, Nr. 204 (938). Kat. München »Grosse Deutsche Kunstausstellung« 1942, S. 53, Nr. 700. Kat. München »Grosse Deutsche Kunstausstellung« 1939, S. 37, Nr. 354. Kat. München »Grosse Deutsche Kunstausstellung« 1939, S. 37, Nr. 355. Kat. München »Grosse Deutsche Kunstausstellung« 1939, S. 37, Nr. 356.
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Nordsee und Wattenmeer im Nationalsozialismus
Nordsee ein Thema der Bilder, wie folgende Werke belegen: »Nordsee«76 von Paul Wolde, »Nordsee«77 von Eduard Schloemann, »Am Nordseestrand«78 von Franz Gebhardt-Westerbuchberg und »Stürmischer Tag vor Cuxhaven«79 von Cornelius Wagner. Allerdings sind Rezensionen dieser maritimen Bilder in der nationalsozialistischen Zeitschrift »Kunst im Deutschen Reich« eher selten zu finden. Exemplarisch sei auf einige verwiesen. So wurde das Bild »Halligenlandschaft«80 (Abb. A4.9) von Wolf Röhricht in Bezug zum Heimatgedanken gesetzt81 und – zusammen mit Adolf Dahles »An der Schwemme« und Burmanns »Abend im Moordorf« – als Beispiele für die Verpflichtung in der künstlerischen Haltung benannt.82
Abb. A4.9: Wolf Röhricht, Halligenlandschaft, ausgestellt 1941
Im Nationalsozialismus beziehen sich die Termini »Aufgabe« und »Verpflichtung« auf ideologiekonforme, naturalistische Darstellungen des deutschen Landes. Das Leben auf der Hallig steht im Mittelpunkt des Bildes (Abb. A4.9): Eine kleine Ansammlung von Häusern sowie eine mit Steinwall und Holztor eingegrenzte Weide sind dargestellt. Das Wattenmeer ist nur peripher im linken Bereich erkennbar. Ebenso gehören Küstenstädte wie zum Beispiel Emden83 in das MotivreperErgänzungsteil, Kat. München »Grosse Deutsche Kunstausstellung« 1943, S. 27, Nr. 582. Kat. München »Grosse Deutsche Kunstausstellung« 1938, S. 82, Nr. 891. Kat. München »Grosse Deutsche Kunstausstellung« 1940, S. 36, Nr. 341. Kat. München »Grosse Deutsche Kunstausstellung« 1944, S. 69, Nr. 1010. Vgl. Horn 1941, S. 182. Das Bild wird in einem Artikel mit dem Titel »Tradition und Aufgabe« über das hundertjährige Bestehen des Vereins Berliner Künstler abgebildet. Vgl. Horn 1941. »Wie Berlin als Wahlheimat Volkstum aus allen deutschen Stämmen magnetisch an sich zog, hat sich auch die Kunst Berlins aus allen deutschen Landschaften ergänzt, aber ihre einheitliche Charakterprägung nicht verloren.« Horn 1941, S. 182. 82 Vgl. Horn 1941, S. 188. 83 Vgl. A. H. 1937, S. 30.
76 77 78 79 80 81
Nordsee und Wattenmeer als Teil deutscher Heimat
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toire vorbildlicher deutscher Kunst.84 Die von Erich Feyerabend geschaffenen Holzschnitte von deutschen Städten, die in der »Großen Deutschen Kunstausstellung« 1937 vertreten waren, fanden in der nationalsozialistischen Besprechung lobend Erwähnung.85 Die Tier- und Pflanzenvielfalt war damals kein gängiges Motiv in der Malerei. Die Tiervielfalt erfuhr allerdings in Schriften durchaus Würdigung. So wurde diesbezüglich im Heimatschulungsbrief der Hitler-Jugend auf das Naturschutzgebiet der Insel Memmert hingewiesen.86 Auch der Tourismus und die Kraft-durch-Freude-Fahrten wurden selten verbildlicht. Jedoch war es im Nationalsozialismus durchaus eine gängige Sehweise, die Nordsee und die Inseln im Kontext von Ferien und Erholung wahrzunehmen. Dies belegt auch der Heimatschulungsbrief, in dem auf den Tourismus der Ostfriesischen Inseln und die Schönheit des Meeres hingewiesen wird:87 »Das aber ist ihnen [Ostfriesischen Inseln] allen gemeinsam: die Herrlichkeit des Meeres in seiner Unendlichkeit. Bei gutem Wetter, wenn es spiegelglatt in der Sonne glitzert, bei Sturm und Regenrauschen, wenn der Orkan die Wellen peitscht und die Wogen mit wilder Wucht über Strand und Buhnen schleudert, daß der weiße Gischt wirbelnd aufschäumt und die Spritzer hoch emporgeworfen werden. In jeder Stimmung ist das Meer groß und schön. Und dann die Sommernächte, in denen das Meeresleuchten die Wasser funkeln läßt, als hätte man ein bengalisches Grünfeuer darin entzündet. Das ist der Zauber der Inselnächte.«88
84 Vgl. A. H. 1937. 85 »Der Holzschnitt, den man das Volkslied der Graphik nennen könnte, tritt uns in vielen guten und werkgerechten Arbeiten entgegen. Voran steht auch hier wieder die Schilderung der heimischen Landschaft, die mit Liebe und Treue in ihren Eigentümlichkeiten wiedergegeben wird.« Vgl. A. H. 1937, S. 25. 86 »Eine Welt für sich, aber eine wunderschöne Welt, bilden die sieben Ostfriesischen Inseln, die der Küste vorgelagert sind. Das heißt eigentlich sind es acht: denn das Vogeleiland Memmert, früher nur ein Sand, hat sich im Laufe der Zeit zu einer Insel erweitert, die aber keinen Badeverkehr kennt, sondern als Naturschutzgebiet nur ein Paradies für Möwen und Austernfischer und Seeschwalben und Brandenten und ähnliches Getier sein will.« Gebietsführung Nordsee (7) der HJ., Abteilung für weltanschauliche Schulung (Hg.) 1938, S. 38. 87 »Auf die anderen Inseln aber ergießt sich in jedem Sommer ein Strom erholungssuchender Menschen, die in Sonne und Sand und See und Salzluft gesunden. Sieben schöne Inseln umlagern Ostfriesland wie ein Gürtel: Borkum, Juist, Norderney, Baltrum, Langeoog, Spiekeroog und Wangerooge. Weit ist ihr weißer Strand, an den das ewige Meer brandet und braust, grün sind ihre Dünenketten, deren bizarre windzerwehte Gestaltung an eine Berglandschaft im Kleinen erinnert. Auf den meisten von ihnen gibt es auch Jugendherbergen, die schönste wohl auf Wangerooge im neu erbauten ›Westturm‹.« Vgl. Gebietsführung Nordsee (7) der HJ., Abteilung für weltanschauliche Schulung (Hg.) 1938, S. 38. 88 Gebietsführung Nordsee (7) der HJ., Abteilung für weltanschauliche Schulung (Hg.) 1938, S. 38f.
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Nordsee und Wattenmeer im Nationalsozialismus
Insbesondere eignete sich die Landschaft der Nordseeküste zur Darstellung von Stimmungen.89 »Hafenbilder geben den Rhythmus des Geschäftigen, Küstenbilder die Eigenwilligkeit und Vielfalt der Stimmungen.«90 So wurden in den damaligen Kunstausstellungen ebenso stimmungsvolle Nordsee- und Wattenmeerbilder präsentiert wie zum Beispiel das Bild »Sonnenaufgang«91 (Abb. B4.84). Ein ähnliches Werk, »Sonnenaufgang an der Nordsee« (Abb. A4.10) von Alf Bachmann, wurde in der nationalsozialistischen Zeitschrift »Kunst im Deutschen Reich« gewürdigt.92
Abb. A4.10: Alf Bachmann, Sonnenaufgang an der Nordsee
Ein weiteres stimmungsreiches Werk stellt Max Clarenbachs Bild » Mondnacht bei Ebbe« (Abb. A4.11) dar ; ein Exponat der »Großen Deutschen Kunstausstellung« 1942.93
89 Rittich unterscheidet zwischen Hafen- und Küstenbildern, Marinedarstellungen der Handelsschifffahrt sowie figürlichen Darstellungen. In den Bildern der Handelsschifffahrt sieht er »stichhaltige sachliche Treue vereint mit der Gestaltung schicksalsabhängigen Ringens zwischen Natur und Mensch«. Vgl. Rittich 1943, S. 9. 90 Rittich 1943, S. 9. 91 Vgl. GDK-Research online: Alfred Bachmann, »Sonnenaufgang«, 14. 8. 2016. 92 In Landschaftsmalereien, »einfachen Darstellungen des Meeres bei Sonnenauf- und -untergang«, wie in Bachmanns Werk »Sonnenaufgang an der Nordsee« (Abb. A4.10), sieht der Autor die »Schönheit der Weite der Welt«. Darüber hinaus wecken sie »das Gefühl für machtvolles Wagen und die Sehnsucht nach Abenteuer«. Vgl. Rittich 1943, S. 9. Bachmanns Werk ist eine eher idyllische Darstellung. Die in Grautönen gehaltenen Wolken werden durch die Sonne in zartem Gelb und Rosa beleuchtet. Im Vordergrund erstreckt sich eine feuchte Strand- oder Wattfläche, die die Farben des Himmels reflektiert. Im Hintergrund sind ans Land brandende Wellen zu sehen. Detailliertere Darstellungen vgl. das Kapitel zum Künstler Alf Bachmann in dieser Studie. 93 In der Zeitschrift »Kunst im Dritten Reich« ist dieses Bild in guter Qualität seitenfüllend abgebildet (vgl. Rittich 1942, S. 232), jedoch erfolgt nur ein nebenläufiger Verweis auf dieses: »Aus der Fülle der Landschaftsmalerei sei […] auf die einen jeweils durchaus eigenen Stil verkörpernden kraftvollen Arbeiten von Anton Müller-Wischin, Willy ter Hell, Hermann Dietze, Max Clarenbach, Hans Adolf Bühler, Hans Frank und Carl Weisgerber hingewiesen.« Rittich 1942, S. 228.
Nordsee und Wattenmeer als Teil deutscher Heimat
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Abb. A4.11: Max Clarenbach, Mondnacht bei Ebbe
Es zeigt eine friedliche, nächtliche Stimmung im Watt. Das Mondlicht wird von den feuchten Wattflächen reflektiert. In der unteren linken Bildfläche sind trockengefallene Fischerboote dargestellt. Zwei Männer befinden sich noch auf einem Boot. Allerdings scheinen sie nicht die nächtliche Stimmung zu genießen, sondern sind mit Arbeiten an den Netzen beschäftigt. Die heimatverbundene Arbeit von Fischern und Bauern war ein gängiges Bildmotiv in der Zeit des Nationalsozialismus. Somit fungiert das Wattenmeer in dieser Darstellung primär als Arbeitsraum. Ebenso wurden landschaftliche Elemente der Küste, wie die Dünen (Abb. A4.12) verbildlicht.
Abb. A4.12: Ludwig von Hoffmann, Dünen, 1938, Pastell
Die weitere Bezugnahme im Text gibt Aufschluss darüber, dass es sich hier um eine Nordseeinsel handelt.94 Bei den drei zuletzt erläuterten Bildern liegen in den Besprechungen keine direkten rassischen Vereinnahmungen vor. Doch besteht die übergeordnete 94 Das Pastell »Dünen« von Ludwig von Hofmann wird von Beenken in der Zeitschrift »Kunst im Deutschen Reich« nur mit einem Halbsatz in Bezug auf die Würdigung der Motivvielfalt des Malers erwähnt. So heißt es zu diesem Werk: »die reichgeformte, vielfach grauverhangene Dünenwelt einer Nordseeinsel in salzgeschwängerter Seeluft« sei ein Motiv unter vielen aus seinem Repertoire. Vgl. Beenken 1941, S. 300.
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Nordsee und Wattenmeer im Nationalsozialismus
Vorstellung, dass es sich bei Landschaftsbildern um Seelenselbstbildnisse der Künstler handelt und diese Aufschluss auf rassische Veranlagungen geben. Somit werden im Kontext der Blut und Boden-Ideologie Wattenmeer- und Nordseedarstellungen Deutschlands zur Heimatkunst gerechnet.
Seefahrt als Motiv nationalsozialistischer Kunst In den »Großen Deutschen Kunstausstellungen« war neben reinen Landschaftsmalereien die Schifffahrt im Kontext der Nordseedarstellungen ein weiteres wichtiges Thema. In diesen Werken diente die Nordsee weitgehend als Bühne. Folgende Bilder waren u. a. auf den Ausstellungen vertreten: »Die Hamburger besiegen den dänischen Seeräuber Klaus Kniephoff an der Osterems«95 von Hans Bohrdt, »Vor der Elbemündung ›Feuerschiff‹«96 von Rudolf Guba, »KdF-Schiff ›Wilhelm Gustloff‹ rettet Engländer aus Seenot«97 von Paul Wolde, »Segelschulschiff Niobe in der Nordsee 1888«98 von Adolf Bock. Von Helmut Ullrich waren folgende Werke vertreten: »Schiffe auf der Nordsee«99, »Fischerboot auf Nordstrand«100 und »Schiff im Hafen von Nordstrand«101. Franz Homoet stellte die Werke »Boote der Krabbenfischer«102, »Hafen der Krabbenfischer«103 und »Boote an der Nordseeküste«104 aus. Ebenso war Kurt Wendlandt mit den Bildern »Abend in einem holländischen Hafen«105 und »Holländische Hafenstadt«106 vertreten. Es wurde sowohl die Fischerei als auch die Seefahrt allgemein visualisiert. Idyllische Hafenmotive stehen neben dramatischen Schifffahrtsszenen in stürmischer See. Ebenso wurde der Symbolgehalt dieser Marinebilder betont: Darstellungen von der »kämpferische[n] harte[n] Arbeit auf See« zeigen »die Menschen, die das Meer und sein Schicksal mitgeformt haben«.107 Weiterhin werden diese Darstellungen als heroisch charakterisiert. So führt Rittich an, dass 95 Ergänzungsteil, Kat. München »Grosse Deutsche Kunstausstellung« 1943, S. 5, Nr. 43. 96 Ergänzungsteil, Kat. München »Grosse Deutsche Kunstausstellung« 1938, S. 7, Nr. 81 (1013). 97 Ergänzungsteil, Kat. München »Grosse Deutsche Kunstausstellung« 1938, S. 16, Nr. 240 (892). 98 Kat. München »Grosse Deutsche Kunstausstellung« 1944, S. 21, Nr. 74. 99 Kat. München »Grosse Deutsche Kunstausstellung« 1939, S. 87, Nr. 1209. 100 Kat. München »Grosse Deutsche Kunstausstellung« 1939, S. 87, Nr. 1210. 101 Kat. München »Grosse Deutsche Kunstausstellung« 1940, S. 94, Nr. 1270. 102 Kat. München »Grosse Deutsche Kunstausstellung« 1941, S. 42, Nr. 481. 103 Kat. München »Grosse Deutsche Kunstausstellung« 1942, S. 41, Nr. 463. 104 Kat. München »Grosse Deutsche Kunstausstellung« 1943, S. 37, Nr. 394. 105 Kat. München »Grosse Deutsche Kunstausstellung« 1943, S. 70, Nr. 1070. 106 Ergänzungsteil, Kat. München »Grosse Deutsche Kunstausstellung« 1943, S. 26, Nr. 551. 107 Vgl. Rittich 1943, S. 9.
Seefahrt als Motiv nationalsozialistischer Kunst
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die Umsetzung solcher maritimen Themen »durch die Art des umfassenden Erlebnisses zu heroischer Gestaltung« drängt.108 Aufgrund des heroischen Charakters habe dieser Themenkreis »in der Kunst unserer Gegenwart [Nationalsozialismus] besondere Bedeutung«.109 Kameradschaft, Dienst- und Pflichterfüllung sind wesentliche Schlagworte im Nationalsozialismus. Nach Rittich ließe sich dies in der Gemeinschaft im Seefahrtsleben erfahren.110 So zeigt das Werk »Fischdampfer holt sein Netz« (Abb. A4.13) von Leonhard Sandrock Fischer bei der Arbeit.
Abb. A4.13: Leonhard Sandrock, Fischdampfer holt sein Netz
Der Schriftzug am Bug »Borkum R…« weist auf die Nordsee hin. Diese besitzt inhaltlich jedoch nur periphere Bedeutung. Der Fokus ist auf das Schiff und die Fischer gerichtet. Mit vereinten Kräften zieht die Mannschaft das volle Netz an Bord. Diesen Aspekt – das Zusammenspiel der Mannschaft – hat Rittich in seinem Artikel positiv, im Sinne nationalsozialistischer Zielsetzungen hervorgehoben.111 Es war eine gängige Vorstellung, dass sich in den Marinebildern der Kampf mit der Naturgewalt des Meeres spiegelt. Eindrucksvoll ist in Windels Bild »Das Rettungsboot« (Abb. A4.14) der von Rittich beschworene heldenhafte Kampf des Menschen gegen das Meer zum Ausdruck gebracht.
108 Vgl. ebd., S. 9. 109 Vgl. ebd., S. 9. 110 »Denn das Meer in seiner elementaren Gewalt steht der Einheit Schiff und Mannschaft gegenüber ; es fordert die kämpferische Überwindung heraus und schließt die Männer im Dienst für das Schiff zu einer Gemeinschaft zusammen, von der die Meisterung des eigenen Schicksals und die Erfüllung der Aufgaben abhängt.« Rittich 1943, S. 9. 111 Vgl. Rittich 1943, S. 9.
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Nordsee und Wattenmeer im Nationalsozialismus
Abb. A4.14: Karl Windels, Das Rettungsboot
Angesichts meterhoher Wellen wirkt das Rettungsboot, das von den Männern gerudert wird, winzig und verloren. Hier scheint es sich jedoch nicht um die Nordsee, sondern um eine übergeordnete symbolhafte Darstellung zu handeln. Um in diesem Zusammenhang den »heldischen Gedanken« zu untermauern, wird auf ein Zitat des Rassetheoretikers Hans F. K. Günther verwiesen: »Durch seine Einsamkeit erlebt der Held den Schicksalsgedanken und darum ist er oft der Schweigende gewesen, der sich ohnegleichen weiß, zumeist dem Meer und dem Gebirg und dem Eichbaum verwandt. Darum liebt der Held das Meer und die Fahrt im Wikingsdrachen, darum steigt er hinauf ins Gebirg.«112
Auch das Wikingerschiff hatte im Nationalsozialismus Bedeutung.113 Mit Blick auf die 1935 im Haus der NS-Kulturgemeinde in Berlin stattfindende Ausstellung »Seefahrt und Kunst« wird im Völkischen Beobachter – mit Verweis auf die Rede Rosenbergs – auf das Wikingertum zurückgehende deutsche Seefahrerwesen verwiesen: »Immer sei der Deutsche Wikinger gewesen, das haben wir nicht vergessen. Der Deutsche sei Entdecker, den es immer hinaus auf die See gezogen habe, in den Kampf um die See und mit der See. Auf diesen Wesenszug des Deutschen weise die Ausstellung hin, und es sei zu hoffen, daß sie in diesem Sinne ihre Aufgabe erfülle.«114
Es wurden bizarr anmutende Vergleiche zwischen den Fahrten der Wikinger und den nationalsozialistischen Kriegsschifffahrten aufgestellt: »Wie die Wikinger einst ihren roten Kampfschild im Mast, ging es um das Herrenrecht zur See, so fahren heute auch sie, die deutschen U-Boote, die brennend rote Kriegsflagge, 112 Zitiert nach Rittich 1943, S. 9. 113 So nahm ein nachgebautes Wikingerschiff am Festzug »2000 Jahre Deutsche Kultur« am Tag der Kunst im Jahr 1937 in München teil. Vgl. Gnuva 1937, S. 42f. Der Symbolgehalt des Schiffes wird heroisch herausgestellt: »Voran ein Wikingerschiff, Sinnbild meeresdurchstürmender, weltendurchpflügender Kühnheit.« Vgl. ebd., S. 42. 114 Anonym 1935, S. 2.
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die der Führer ihnen gab [Hakenkreuzflagge], durch den weiten Atlantik; im Kampf für die Zukunft.«115
Die U-Bootmannschaften wurden als Nachfahren der Wikinger heroisiert:116 »UBootsfahren ist nichts für Muttersöhnchen. U-Bootsfahrer sind harte Männer. Sie werden dazu, zu Härte und zu Stolz erzogen durch den Kampf mit der Naturgewalt, in der es sich zu behaupten gilt, und im Einsatz gegen den Feind.«117 Ebenso wurden Segelschiffe in Bezug auf ihren Symbolgehalt im nationalsozialistischen Sinne interpretiert. Dies zeigt eine Besprechung des in der »Großen Deutschen Kunstausstellung« präsentierten Werks »Das neue Deutschland«118 (Abb. A4.15) von Karl Leipold, das sich im Besitz Hermann Görings befand.
Abb. A4.15: Karl Leipold, Das neue Deutschland
Es zeigt ein mit vollen Segeln durchs Wasser fahrendes Schiff.119 »In der ›Ersten Großen Deutschen Kunstausstellung‹ im Haus der Deutschen Kunst in München sah man im Hauptsaal von Karl Leipold ein Bild mit dem verpflichtenden Titel ›Das neue Deutschland‹: ein Schiff unter vollen Segeln, das wagend aus dem Chaos vorstößt und siegessicher von kraftvollem Rhythmus getragen wird. Motiv und Titel haben zunächst nichts miteinander gemeinsam. Aber was in dem Werk anläßlich des Motives an Kraft, Sicherheit, Wagewollen, Sieghaftigkeit und Stolz zum Ausdruck 115 Busch 1942, S. 94. 116 »Wie ein Nachfahre alter Meerkönige der Winkinger- und Seegermanenzeit wirkt dieser UBootswachoffizier.« Busch 1942, S. 18. 117 Busch 1942, S. 87. 118 Kat. München »Grosse Deutsche Kunstausstellung« 1937, S. 57, Nr. 440. 119 Scholz führt an, es gibt »keinen Maler, der die einzigartige Atmosphäre und den stimmungsvollen Charakter dieser Landschaft so groß und mit einem so wahren Empfindungsgehalt gestaltet hätte.« Vgl. Scholz 1942, S. 242. Exemplarisch sei auf verschiedene Werke verwiesen, die die holsteinischen Elbmarschen visualisieren. Diese zeigen ein Segelschiff auf der Unterelbe, die Deichlandschaft an der Störmündung sowie eine Mühle am Außendeich. Vgl. Rittich 1938, S. 184f. Alle drei Werke befanden sich im Besitz des Ministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung und wurden auf der Großen Deutschen Kunstausstellung 1938 ausgestellt. Vgl. Rittich 1938, S. 184f.
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Nordsee und Wattenmeer im Nationalsozialismus
kommt, sind die sichtbar gewordenen Werte und Gefühle, die heute unser Volk beseelen. Die Tatsache, daß sie im Bilde eines Viermasters – dieses unserer persönlichen Anschauung entrückten, weil schon beinahe der Geschichte angehörigen Schiffstyps – Gestalt erhalten haben und nicht z. B. im Bilde eines Ozeandampfers, enthebt das Werk der gegenständlich-zeitlichen Gebundenheit, gibt seinem Gehalt eine überzeitliche Geltung und Wirkung, macht das Bild zum Symbol einer ewiggültigen Geisteshaltung.«120
Rittich bezog diese Darstellung eines unter vollen Segeln fahrenden Großseglers auf das nationalsozialistische Deutschland.121 Weiterhin verband er mit dieser nationalsozialistische Ideale, wie Kameradschaft und »männlichen Wagemut«.122 Da das Werk einen symbolischen Titel trägt und der Künstler verschiedene Meere befahren hat, liegt vermutlich keine Darstellung der Nordsee, sondern vielmehr eine übergeordnete Vorstellung des Meeres vor. Leipold hat jedoch in seinen Bildern auch reale Landschaften gestaltet. Er lebte an der Unterelbe und diese im Einfluss der Nordsee stehende Landschaft griff er motivisch immer wieder auf. Scholz interpretierte Leipolds Motivkreis der See als »Sinnbilder […] der Unendlichkeitssehnsucht des nordischen Menschen«.123 120 Vgl. ebd., S. 184. 121 »Das Vermögen des Künstlers Karl Leipold, mit seinen Bildern Symbole geistiger Anschauung zu geben, wird in diesem Werk besonders eindringlich, weil es trotz seiner überzeitlichen Geisteshaltung unmittelbar auf die Gegenwart Bezug nimmt.« Rittich 1938, S. 184. 122 »Es sind die eigenen Erlebnisse, die in seinen Seebildern immer wieder wach werden, es ist der männliche Geist des selbstverständlich wagenden Wikingertums, der ihn in seiner Jugend auf diese ›schwimmenden Höllen‹ (wie die Schnellsegler von den Seeleuten genannt wurden) trieb, und den er später in seinen Bildern zum Ausdruck brachte. Seine ›hölzernen Schiffe der eisernen Männer‹ sind Loblieder männlichen Wagemutes, aus denen man es erfühlt, daß der Kapitän weder sich, noch sein Schiff, noch die Mannschaft schonte, um auch unter den widerwärtigsten und katastrophalsten Umständen alles, was mur möglich war, herauszuholen.« Rittich 1938, S. 186. 123 Vgl. Scholz 1942, S. 242. Auch Leipolds Gestaltungsweise, aus einem »Farbakkord« im weiteren Arbeitsprozess Motive zu gewinnen und somit nicht vom Motiv ausgehend das Bild zu kreieren, wertet Scholz als »Ausdruck seelischer Empfindungen« und als »Höchstwert nordisch-abendländischer Malerei«. Vgl. Scholz 1944, S. 4. Aussagen eines Hamburger Psychiaters werden herangezogen, in denen Leipolds »dichterisch-mystische empfundenen Seedarstellungen mit geheimnisvollen Seglern und goldprunkenden Gallionen einem echten halluzinatorischen Charakter« zugeschrieben wird, »d. h. daß hier etwas real Unwirkliches aus den tieferen seelischen Schichten des Unterbewußtseins wie eine Wirklichkeit gesehen und gestaltet ist«. Vgl. ebd., S. 4. Dies wird als Beweis »für die Echtheit von Leipolds ganz von den Kräften des Gemüts bestimmten malerischen Gestaltungsprozeß« gesehen. Vgl. ebd., S. 4. Der Maler Karl Leipold war mit seinen Werken sowohl in den Großen Deutschen Kunstausstellungen vertreten als auch in Einzelausstellungen. So wurde ihm zu Ehren im Jahr 1942 eine Kollektivausstellung im Haus der deutschen Kunst organisiert und in der nationalsozialistischen Repräsentativzeitschrift »Kunst im Deutschen Reich« gewürdigt. Vgl. Scholz 1942. In dieser Zeitschrift wurde im Jahr 1944 anlässlich seines Todes ein Artikel zu seiner Erinnerung publiziert. Vgl. Scholz 1944.
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Deutsche Innerlichkeit sahen die Nationalsozialisten als Grundlage deutscher Kunst an.124 Mit Bezug darauf wurde es äußerst positiv bewertet, dass Leipold seine Werke nicht direkt am Motiv schuf:125 »Auch Leipolds farbig so überaus zarte Bilder des norddeutschen Küstenlandes, seine aus der silbergrauen Atmosphäre der Elbmarschen aufsteigenden alten Gehöfte und Mühlen sind niemals vor der Natur gemalt, sind keine Porträts der Wirklichkeit, sondern malerische Summierungen vieler Erinnerungsbilder, die, in der Phantasie ausge»Erfolg und Anerkennung waren erst sehr spät zu ihm gekommen. Leipold war schon siebzig Jahre alt geworden. Als durch die große Sammelausstellung seines Werkes im ehemaligen Kronprinzenpalais in Berlin um die Wende des Jahres 1933 die breite Öffentlichkeit erstmalig einen Begriff von dem heroischen Weg seines fünfzigjährigen Schaffens und der einmaligen Bedeutung seines malerischen Werkes erhalten hatte. […] In den letzten Jahren sind aus verschiedenen Anlässen hier umfangreiche Bildveröffentlichungen und Würdigungen des Werkes von Karl Leipold erschienen.« Scholz 1944, S. 4. 124 Allerdings sind diese Ausführungen wiederum unwissenschaftlich und ideologisch geprägt. 125 »Fragen wir nach der Bedeutung seines nachgelassenen Werkes für unsere Zeit, dann muß man von der Erkenntnis ausgehen, daß Karl Leipold einer der wenigen, wenn nicht in dieser absoluten Form sogar der erste deutsche Maler ist, dem die reine malerische Ausdrucksform angeboren war. […] Leipolds Bilder sind nicht nur meisterliche Malerei im Sinne einer höchsten Verfeinerung sinnlich farbiger Wirkungen, sie sind wie alle echte deutsche Kunst an erster Stelle seelische Bekenntnisse.« Scholz 1944, S. 12. »Er hat das Meer, die Erde und den Menschen so lange und so gründlich studiert, daß ihm die körperliche natürliche Form nun im Augenblick der Intuition zur Hand ist und ihm dann nur das Mittel ist, das ihm vorschwebende geistige Bild erstehen zu lassen.« Vgl. Rittich 1938, S. 189. Die Bilder basieren weitestgehend auf Erinnerungen: »Erst Jahre darauf, als Leipold sich in Hamburg und dann später in Störort in dem alten Zollhaus an der Elbmündung niedergelassen hatte, entstanden aus der Erinnerung jene dichterisch-mystischen Seebilder, jene dramatischen Visionen der über aufgewühlten Wogen dahinjagenden Segelschiffe, die, von einer geheimnisvollen Kraft getrieben, uns wie Sinnbilder des menschlichen Schicksals erscheinen.« Scholz 1944, S. 6. Der im Jahr 1864 geborene Leipold begann eine Ausbildung zum Künstler, brach diese jedoch ab und fuhr zur See. Scholz stellt dies in der nationalsozialistischen Kunstzeitschrift wie folgt dar : »Nachdem er festgestellt hatte, daß ihm die Akademie nichts sein konnte, hat er eine andere und größere Lehrmeisterin gefunden: Die See. Er hat auf Segelschiffen verschiedener Nationen angeheuert, alle Weltmeere befahren, er ist im beispiellos harten Kampf mit den Elementen zum Mann gereift, er hat in dieser Zeit nicht gemalt und nur wenig gezeichnet, er hat sein Vorstellungsleben angefüllt mit Beobachtungen und Eindrücken, die dann viele Jahre später als Visionen lebendig wurden.« Vgl. Scholz 1942, S. 242. Leipold wird als Seemann »durch und durch« dargestellt: »Wenn man ihm in dem großen Berliner Atelier in der Kaiserallee […] gegenübersaß, dann war der in der Haltung sehr gemessene Mann stets mit einer Seemannshose und Weste und einem Seemannshemd bekleidet. Aus den kühnen und doch sehr feinen Formen des markanten Kopfes, der durch einen Seemannsbart kantig abgegrenzt war, leuchteten die ebenso klugen wie durchdringenden Augen, die sich meist im Gespräch sehr stark nach innen wendeten. Sehr bemerkenswert waren auch die trotz jahrelanger harter Seemannsarbeit sehr edlen und in der Feinheit ihrer Ausdruckskraft nervösen Hände, die oft mit lebhafter Geste die Worte begleiteten. […] Wenn man diesem Mann, dessen Erscheinung so gar nicht in die Welt des modernen Großstadtlebens hereinpaßte, gegenübersaß, dann fühlte man die starken Kräfte geistiger Selbständigkeit, die von dieser Persönlichkeit ausstrahlten.« Scholz 1944, S. 4.
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reift aus den Wesenselementen ihres Charakters, als bildhafte Empfindungswerte neu gestaltet wurden.«126
Durch den Gestaltungsreichtum der Farben, »die seelischen Ausdrucksmöglichkeiten im Beziehungsreichtum ihrer unendlichen Tonwerte«, habe Leipold das Medium einer »weltweiten, echt nordisch-mystischen Anschauung der Natur gefunden«.127 Die See, das Wasser sei Hauptthema seiner Kunst, da er »die Erfassung der innersten Wesensgesetze der Natur, ihres kosmischen Rhythmus in der Form eines malerisch adäquaten Ausdrucks« intendierte.128 Allerdings stellte in den in der NSDAP-Zeitschrift abgedruckten Bildern das Meer kein eigenständiges Motiv dar, sondern ist vielmehr Schauplatz und Stimmungsträger, wie zum Beispiel im Werk »Seekönigs Tod«.129 Aber es gab damals auch Einzelausstellungen, die allein maritimen Werken gewidmet waren. So wurde vom deutschen Seegeltungswerk in Gemeinschaft mit dem Amt »Bildende Kunst« in der Dienststelle des »Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP« ein Wettbewerb und eine Wanderausstellung zum Thema »Meer« organisiert und in der Zeitschrift »Kunst im Dritten/Deutschen Reich« beworben.130 Mehr als die Hälfte der Exponate waren dabei motivisch dem Seekrieg zuzuordnen.
Nordsee als Kriegsfront Allgemein nahmen in den Großen Deutschen Kunstausstellungen und in Einzelausstellungen Kriegsbilder im Kontext nationalsozialistischer Propaganda eine wichtige Rolle ein. Die Ausstellung »Das Meer« präsentierte Darstellungen aus dem Seekrieg, die im Kontext der Kriegspropaganda stehen.131 Es wird 126 127 128 129 130 131
Scholz 1944, S. 4. Vgl. ebd., S. 7. Vgl. ebd., S. 7. Abbildung vgl. ebd., S. 7. Vgl. Rittich 1943. Die Werke der Marine-Kriegsmaler und der bei der Marine tätigen PropagandakompanieZeichner wurden im Erdgeschoss der Galerie präsentiert, während die »Schiffs- und Küstenbilder«, die Verbildlichungen von Strand und Hafenstadt und die »romantischen und gegenwartsentsprungenen Stimmungsäußerungen« in den oberen Sälen ausgestellt wurden. Vgl. Schultz 1943. Steiner bemerkt in einem im Abendblatt erschienen Artikel: »Eigentlich sind es zwei Ausstellungen: im Erdgeschoß eine Schau von PK-Arbeiten der Kriegsmarine und im Obergeschoß eine allgemeinere Ausstellung, wo das Thema des Meeres als künstlerische Aufgabe ohne Bindung an Ereignisse der Zeitgeschichte hervortritt.« Trumm 1943. Somit war der Ausstellungsbesucher zunächst mit den Kriegsmarinedarstellungen konfrontiert.
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dargelegt, dass durch die Ausstellung die »Erziehungsaufgabe des Reichsbundes Deutscher Seegeltung durch die Kunst hervorragend unterstützt werde«.132 Daraus lässt sich ersehen, dass Kunst als Erziehungs- und Propagandainstrument von den Nationalsozialisten missbraucht wurde. Im Völkischen Beobachter wurden künstlerische Darstellungen des Meeres als »zweite Front gegen den Feind« hervorgehoben:133 »Das Meer einmal in der künstlerischen Darstellung zu würdigen, nicht nur als Stimmungselement und gewaltige Natur im Guten und Bösen, sondern es zu sehen und zu zeigen in seiner Doppelfunktion als völkertrennenden und völkerverbindenden Nachbar, als wichtiger Teil unserer Fronten gegen den Feind, auf dem sich in diesem Krieg dramatische Kämpfe, hartes und schier übermenschliches Ausharren abspielt, das ist der Sinn einer Ausstellung, die soeben in der Städtischen Galerie eröffnet wurde.«134
Erst durch den Nationalsozialismus würde das Meer als »schicksalbestimmender Faktor«, nämlich als »Kriegsfront« gewürdigt: »Erst der Seegedanke unserer jüngsten Gegenwart hat das Meer als schicksalsbestimmenden Faktor in unser Bewußtsein gebracht, das verzichtvolle Leben der U-BootMänner läßt unsere Gedanken an diese Front der harten Entscheidungen wandern. In diesem Sinne soll die Ausstellung ein kleiner Teil der Anerkennung sein, die die Heimat der ausgedehnten Front auf den Meeren zollt.«135
Die ausgestellten Werke standen im Dienste der Propaganda, denn es wurde betont, dass sich in den Kriegsmarinebildern der unerschrockene Wille im Kampf sowohl gegen den »Feind« als auch gegen die Natur spiegle.136 Obwohl sich im Gegensatz zum Ersten Weltkrieg das entscheidende Kriegsgeschehen von der Nordsee in den Atlantik verlagerte,137 wurden auch Kriegsdarstellungen von der Nordsee in den Ausstellungen präsentiert, zum Beispiel die Werke »Von Feindfahrt zurück«138, »Erfolgreiche Rückkehr«139 »Deutsche Wacht in der Nordsee«140 (A.2.16, Farbabbildung) und »Gegen Engeland«141 von Claus Bergen 132 133 134 135 136 137 138 139 140 141
Vgl. Anonym 1935, S. 2. Vgl. Schultz 1943. Ebd. Ebd. »In U-Boot-Bildern und anderen Bildern der Kriegsmarine erscheint die Atmosphäre auf sich gestellter Einsamkeit und aggressiven Willens im Kampf gegen Natur und Feind.« Rittich 1943, S. 9. Vgl. Salewski 1982, S. 17. Kat. München »Grosse Deutsche Kunstausstellung« 1941, S. 20, Nr. 59. Wahrscheinlich handelt es sich beim angrenzenden Meer um die Nordsee. Kat. München »Grosse Deutsche Kunstausstellung« 1942, S. 20, Nr. 61. Wahrscheinlich handelt es sich beim angrenzenden Meer um die Nordsee. Kat. München »Grosse Deutsche Kunstausstellung« 1940, S. 20, Nr. 63. Auch bekannt unter dem Titel »Deutsche Zerstörer in der Nordsee«. Vgl. Kat. München »Das Meer« 1943, S. 3.
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sowie »Unterseeboot in der Nordsee«142 von Karl Storch (Kapitänleutnant M.A.), »Die Wacht«143 (Abb. A.4.17) von Michael Mathias Kiefer, »He111 auf Feindflug über der Nordsee«144 von Erich Stapel und »Tanker-U-Boot und Kampfboot in der Schleuse«145 von Lothar Günther Buchheim. Die im Nationalsozialismus propagierte Sehweise des Meeres als Kriegsfront wurde allerdings bereits im Ersten Weltkrieg bedient. Es bestehen hier Parallelen in der Instrumentalisierung von maritimen Werken für die Kriegspropaganda. So werden im Nationalsozialismus auch Bilder aus dem Ersten Weltkrieg eingesetzt wie exemplarisch Hans Bohrdts Werk »Heldenkampf der Ariadne im Nebel vor Helgoland 1914«146 belegt. Der Heimatschulungsbrief 1938 bezeichnet den im Wilhelminismus ausgebauten Kriegsmarinestandort Wilhelmshaven als »Wächter an der Nordsee«.147 Bestimmte Erinnerungsorte, wie die Garnisonkirche dieser Stadt, sollten propagandistisch die Kriegsbegeisterung schüren. Dabei erfolgt eine Verherrlichung bestimmter Seeschlachten des Ersten Weltkriegs. »Die Zeugen der ruhmreichen Geschichte unserer Kriegsmarine haben in der Garnisonkirche einen würdigen Platz gefunden und rufen jedem Besucher die Großtaten unserer Soldaten zur See in Erinnerung. Wer als Hitlerjunge diese Gedenkstätte und den Heldenfriedhof betritt, wo neben den Toten der Skagerrakschlacht auch die 31 Gefallenen des Panzerschiffes ›Deutschland‹ ruhen, die an Spaniens Küsten vor Ibiza durch den feigen bolschewistischen Überfall ihr Leben ließen, der wird sich dadurch zu gleichem Einsatz verpflichtet wissen wie sie.«148
Diese Heroisierung war eindeutig als Kriegspropaganda zu verstehen. Im Gegensatz zum Ersten Weltkrieg hatte sich die Kriegsführung auf See aufgrund moderner Technik verändert. Es gab keine heroisch-romantisch zu verklärenden Seeschlachten mit Linienschiffsgeschwadern.149 Stattdessen wurden der See-Luft-Kriegsführung und den aufreibenden Sicherungseinsätzen an 142 143 144 145 146 147
Vgl. Kat. ebd., S. 16. Kat. München »Grosse Deutsche Kunstausstellung« 1940, S. 51, Nr. 589. Kat. ebd., S. 90, Nr. 1194. Kat. München »Grosse Deutsche Kunstausstellung« 1943, S. 22, Nr. 102. Vgl. Kat. München »Das Meer« 1943, S. 4. »Am 23. November 1854 wurde das für den Kriegshafen bestimmte Jadegebiet in einem feierlichen Akt von Preußen in Besitz genommen. So wurde Wilhelmshaven der Platz in Deutschland, wo der deutsche Wehrwille zur See zum ersten Mal Gestalt annahm. Diesem Ursprung gemäß ist das Lebensgesetz der Stadt Wilhelmshaven gekennzeichnet durch einen einzigen Begriff: Kriegsmarine! Für die deutsche Wehrgeschichte ist Wilhelmshaven ein fester Begriff geworden.« Gebietsführung Nordsee (7) der HJ., Abteilung für weltanschauliche Schulung (Hg.) 1938, S. 33f. 148 Gebietsführung Nordsee (7) der HJ., Abteilung für weltanschauliche Schulung (Hg.) 1938, S. 34. 149 Vgl. Salewski 1982, S. 16.
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den Küsten Europas erhöhtes Gewicht eingeräumt.150 Auch spielte der »Überwasserkrieg« gegenüber dem U-Boot-Kampf nur eine untergeordnete Rolle.151 Nichtsdestotrotz wurde diese Art der Kriegsführung in der Marinemalerei und der Propaganda als heroisch verklärt. So wurden Künstler auf Schifffahrten eingeladen, damit diese davon in Bildern berichten. Auf Kriegsschiffen geschaffene Arbeiten wurden in Ausstellungen, wie »Das Meer«, präsentiert und in einem Artikel des »Völkischen Beobachters« lobend hervorgehoben: »Es gibt schlechterdings nichts auf und unter dem Wasser, was die unter so harten Bedingungen arbeitenden Marinekriegsberichter nicht erzählen – und darstellenswert gefunden hätten. Hier liest man ›Wasserbombe fällt‹ und sieht man ›Strohlager im Zwischendeck‹, ›Wacht in Narvik‹, Geleitzug im Mittelmeer, die brennende ›Hood‹ – direkt im Augenblick der Explosion wahrheitsgemäß, wie die Unterschrift bezeugt, erwischt, oder das ›Prisenkommando auf dem englischen Frachter‹.«152
Zeitungen stellten das Können und Wissen der in der Propagandakompanie tätigen Zeichner lobend heraus.153 Während der Kriegszeit sollten die Malereien ungeachtet der Realität einen heroischen Seekrieg zeigen. Marinemalerei erlebte eine neue Konjunktur. Doch trotz der Kriegsverherrlichung ließen sich die Zerstörungen, Verluste und unzähligen Toten nicht gänzlich vertuschen. So wurden beispielsweise Werke des im Krieg gestorbenen Malers Schloemann, die sich ebenfalls in der Ausstellung befanden, besonders hervorgehoben.154 Ein heroischer Opfertod im Dienst des Vaterlandes wurde dabei häufig propagiert. Denn auch maritime Bilder sollten als moralische Stütze der Bevölkerung fungieren.155 So wird im Vorwort zur Wanderausstellung »Das Meer« in der Wiener Kunsthalle 1944 ein ungebrochener deutscher Kulturwille betont.156 150 151 152 153
Vgl. Salewski 1982, S. 17. Vgl. ebd., S. 17. Schultz 1943. »Die Ausstellung der PK-Leute fordert natürlich zum Vergleich mit Ausstellungen von schaffenden Soldaten des Heeres heraus, die uns soviel Anregung gaben, und sie besteht ihnen gegenüber vor allem in der Betonung des durch die Aufgabe bedingten Wissens und Könnens. Um ein Torpedoboot, den Befehlsraum eines Unterseebootes, ja eine Torpedierung darzustellen, bedarf es eben neben dem künstlerischen Sinn großer gegenständlicher Schulung.« Trumm 1943. 154 Vgl. Trumm 1943. 155 In diesem Kontext wurde im Kriegsjahr 1940 die Ausstellung im Haus der Deutschen Kunst als eine gelungene Bewährungsprobe interpretiert. Vgl. Scholz 1940, S. 236. Im Rahmen dieser Exposition wurde bereits auf die Zeit nach dem Sieg Deutschlands verwiesen. Diese Ausstellung sollte den Willen »reif zu werden und sich bereit zu halten für die großen Aufgaben, die auch der Malerei nach dem Siege Großdeutschlands zufallen werden« vermitteln. Vgl. Scholz 1940a, S. 249. 156 So schreibt Robert Scholz über die Große Deutsche Kunstausstellung 1940, zu deren Exponaten u. a. Bilder von Claus Bergen gehörten, Folgendes: »Die Eröffnung der großen deutschen Kunstausstellung im Haus der Deutschen Kunst in München ist mit Recht als eine der stärksten Demonstrationen des kulturellen Bedürfnisses und der kulturellen Tatkraft des
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Durch die Ausstellung sollte die Bedeutung der Seeherrschaft im Kontext einer angestrebten »großdeutschen Zukunft« deutlich werden.157 Kriegsmarinedarstellungen, wie das Werk »Deutsche Zerstörer in der Nordsee«158 (A2.16, Farbabbildung) von Claus Bergen sollten die militärische Überlegenheit und den Siegeswillen Deutschlands verkörpern. Dieses Bild wurde 1940 in der Zeitschrift »Kunst im Deutschen Reich« abgebildet. Scholz würdigte in einem Artikel die »wirkungsvollen Kriegsdarstellungen«, da sie »einzelne typische Kriegsepisoden für das Gedächtnis der Nachwelt festgehalten haben«.159 Der Artikel »Große Kunst im großen Schicksal«160 von Alfred Rosenberg rückt das Werk noch stärker in den Kontext nationalsozialistischer Kriegspropaganda. »Wir wissen, daß von derartigen Kunstwerken die in ihnen geballte Kraft wieder zurückstrahlt auf das deutsche Volk, und daß die Symbolik großer Bauwerke und großer Kunstwerke durch die Macht des Auges auch die Erziehung und Festigung des inneren Willens in der gesamten Nation bedeutet.«161
Diese propagandistischen Werke hielten nicht nur die Kriegsmarine bildlich fest, sondern hatten auch symbolischen Gehalt. So griff Michael Mathias Kiefer in seinen Werken »Die Wacht« (Abb. A4.16) und »Nordisches Meer« (Abb. A4.17) das Motiv des Raubvogels auf.
157
158 159 160 161
deutschen Volkes in dem uns aufgezwungenen Kriege gewertet worden. Die Tatsache, daß Deutschland im Schutze seiner glorreichen Waffen seine Kulturelle Arbeit auf allen Gebieten ungestört und unvermindert fortführen konnte, gehört zu dem Wunder der inneren Erneuerung und kulturellen Bewußtwerdung eines Volkes durch eine Weltanschauung, die dieses Volk wieder zur Erkenntnis seiner schöpferischen Kräfte geführt hat und die es bewirkte, daß die Kunst im neuen Deutschland nicht mehr ein Luxus für eine kleine Oberschicht, sondern eine lebendige, sittliche und geistige Kraftquelle des Volkes geworden ist.« Vgl. Scholz 1940, S. 236. »Wenn heute im fünften Kriegsjahr eine Kunstausstellung ihre Pforten öffnet, so ist dies der Beweis dafür, daß der Pulsschlag des kulturellen Lebens nicht stillsteht, nach der Seite des Schaffens so wenig wie nach der einer Aufgeschlossenheit des Betrachtens.« Kat. Wien 1944, S. 7. »Wenn diese Ausstellung von den periphären Küsten her den weltweiten Gedanken der Seegeltung ins Binnenland trägt, so wird damit gleichsam der Erde eine Saat anvertraut, die einer großdeutschen Zukunft entgegenreift, für deren Freiheit wir kämpfen.« Kat. Wien 1944, S. 7. Vgl. Rosenberg 1940, S. 230. Vgl. KiDR 1940, 8/9, S. 230. Vgl. Scholz 1940a, S. 246. Vgl. Rosenberg 1940, S. 228. Vgl. ebd., S. 228.
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Abb. A4.16: Michael Mathias Kiefer, Die Wacht, Öl auf Leinwand
Abb. A4.17: Michael Mathias Kiefer, Nordisches Meer, Öl auf Leinwand
Der Adler war das Hoheitszeichen der nationalsozialistischen Partei und des deutschen Staates. Er prangte an Bauten der Partei, der Kommunen und der Wehrmacht und wurde propagandistisch auf Plakaten und in der Kunst eingesetzt.162 Mit dem Bild des Raubvogels wurden Aggression, Wachsamkeit, Mut und der Anspruch auf Land- und Luftherrschaft assoziiert. Deshalb erwies sich dieser Raubvogel als äußerst geeignet für die Kriegspropaganda. Beide Werke Kiefers stehen im Kriegskontext. Die Felsformation im Bild »Die Wacht« kann auf die Insel Helgoland verweisen, auf der eine Luftwaffen-Jagdstaffel stationiert war. Die Insel war ein Außen- und Wachposten. Die fliegenden Adler sowie der Titel lassen die Assoziation von patrouillierenden, wachhabenden Kriegsflugzeugen zu und können in Bezug zur anfänglichen nationalsozialistischen Luftherrschaft gesetzt werden. Diese Assoziation lässt sich auch auf das Bild »Nordisches Meer« beziehen. Es evoziert einen düsteren Eindruck. Dunkle schwere Wolken hängen über dem Meer, das sich am Strand bricht. Allerdings ist ein Teil des Meeres durch Lichtreflexionen beleuchtet und mildert so den düsteren Charakter. Die zwei Raubvögel verleihen dem Geschehen eine bedrohliche Note. Sie sind recht groß im vorderen Bildteil dargestellt und fliegen Ausschau haltend über den 162 Vgl. Petsch (1994), S. 52f.
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Strandbereich. Der Titel kann im Kontext des Nordischen Gedankens interpretiert werden und mit der Nordsee assoziiert werden. Nicht nur Bilder, sondern auch Texte über die Nordsee gehörten zur Propaganda. Im Heimatschulungsbrief für die Hitler-Jugend wird in einem Gedicht metaphorisch die Nordsee für propagandistische Zwecke missbraucht.163 Durch Vergleiche mit der Naturgewalt der Nordsee soll Kriegsbegeisterung evoziert werden: »Wir Nordseejungens marschieren Der Herrgott schickt den freien Tod. Der Teufel läßt krepieren! Sei’s drum! Wir trutzen aller Not. Wir Nordseejungen marschieren. Sturm auf! Sturm auf! Sturm auf! Nordsee rollt die Fahnen auf. Wir marschieren trotz Teufel, Tod und Spott, Wir Jungen der Nordsee-HJ.! Die Nordsee brüllt den Kämpfen zu Und schaut den Tod der Freien. Sei’s drum! Die Wellen geben Ruh, Die sanft den Toten sich weihen. Sturm auf! Sturm auf! Sturm auf! Nordsee rollt die Fahnen auf. Wir marschieren trotz Teufel, Tod und Spott, Wir Jungen der Nordsee-HJ.! Der Herrgott schickt den freien Tod, Der Teufel feiges Sterben. Sei’s drum! Wer heut nicht brennt und loht, Den mag der Henker verderben! Sturm auf! Sturm auf! Sturm auf! Nordsee rollt die Fahnen auf. Wir marschieren trotz Teufel, Tod und Spott, Wir Jungen der Nordsee-HJ.!«164
Die im Nationalsozialismus betriebene Propaganda und Aufrüstungspolitik der Kriegsmarine reichte allerdings nicht aus, um einen erfolgreichen Seekrieg führen zu können.165 So hielt der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine bereits im Jahr 1939 in seinem Tagebuch fest, dass die Überwasserstreitkräfte »nur zeigen 163 Vgl. Gebietsführung Nordsee (7) der HJ., Abteilung für weltanschauliche Schulung (Hg.) 1938, S. 2. 164 Vgl. Gebietsführung Nordsee (7) der HJ., Abteilung für weltanschauliche Schulung (Hg.) 1938. S. 2. 165 Vgl. Salewski 1982, S. 16ff.
Abschließende Zusammenfassung
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können, daß sie mit Anstand zu sterben verstehen und damit die Grundlage für einen späteren Wiederaufbau zu schaffen gewillt sind.«166 Die Nordsee, die Küste und die Inseln waren durch den Krieg geprägt. Während die Nordsee als ein Teil des Kriegsgebiets fungierte, waren auch die Küsten und Inseln zum Teil Sperrgebiet. Im Zuge der Geheimhaltungspolitik angesichts kriegsstrategischer Maßnahmen war es verboten, bestimmte Gebiete der Nordseeküste fotografisch oder malerisch abzubilden. So wurde beispielsweise die Insel Wangerooge zum Sicherheitsbereich erklärt (Abb. A4.18).167
Abb. A4.18: NS-Verbotsschild, Sicherungsbereich Wangerooge, Inselmuseum Wangerooge
Abschließende Zusammenfassung Die von den Nationalsozialisten als vorbildlich deklarierten Bilder weisen eine Anlehnung an traditionelle Darstellungskonventionen des Meeres auf. Da eine Abgrenzung zur avantgardistischen Kunst – insbesondere zur expressionistischen Malerei – gefordert wurde, griffen die nationalsozialistischen Künstler auf naturalistische Darstellungen zurück. Weil Kunst der Kontrolle des Regimes unterlag, stehen viele Werke inhaltlich in Beziehung zur nationalsozialistischen Ideologie und Politik. Der Seekrieg stellte dabei ein bedeutendes Thema dar. Das Meer wurde propagandistisch als »Front« gegen den Feind bezeichnet und somit die Nordsee in Marinebildern als ein Kriegsschauplatz verbildlicht. Die Kriegspropaganda sprach diesen Werken einen hohen Stellenwert zu. Auch Bilder der zivilen Seefahrt wurden im Rahmen nationalsozialistischer Ideologie 166 Erich Raeder: Gedanken des Oberbefehlshabers der Kriegsmarine zum Kriegsausbruch, 3. 9. 1939, in: Rahn u. a. (Hg.) 1988, S. 15E–18E. 167 Vgl. nationalsozialistisches Verbotsschild, Exponat im Inselmuseum Wangerooge.
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Nordsee und Wattenmeer im Nationalsozialismus
u. a. als Zusammenhalt der Mannschaft im Kampf gegen das Meer gedeutet. »Kameradschaft« und »Pflichterfüllung« galten angesichts des Krieges als Tugenden. Ebenso liegen weitere symbolische Deutungen vor.168 Daneben wurden nationalsozialistische Landgewinnungsmaßnahmen im Wattenmeer als »Kampf gegen das Meer« ausgelegt. Diese stellten ebenfalls ein Motiv in der Kunst dar. So wurde insbesondere die Gewinnung des Adolf-HitlerKooges – verbunden mit rassenpolitisch motivierten Besiedlungsmaßnahmen – in Propagandafotografien verbreitet. Die rassistische Blut und Boden-Ideologie war die Basis für die Produktion und Rezeption von Kunst und somit auch für Landschaftsmalereien der Wattenmeerküste. Somit wurden ebenso Schönheit und Stimmungsreichtum von Wattenmeer und Nordsee im Rahmen der NS-Ideologie u. a. als rassische Selbstbekenntnisse der Künstler interpretiert. Bilder des deutschen Wattenmeer- und Nordseeküstenbereichs wurden als Heimatdarstellungen rezipiert. Die Küstenbewohner, als durch den »Kampf« gegen die Nordsee geprägte Menschen, erfuhren eine Überhöhung. Diesbezüglich wurde der Alltags- und Arbeitsraum »Nordsee und Wattenmeer« für Fischer und Seefahrer verbildlicht. Abschließend lässt sich anführen, dass Wattenmeer und Nordsee in vielen künstlerischen Darstellungen im Nationalsozialismus als Projektionsraum für politische und ideologische Ideen sowie propagandistische Absichten fungierte. Auch konkrete Ereignisse wie Manöverfahrten oder Gefechte wurden visualisiert und propagandistisch eingebunden. Jedoch nahmen die Wattenmeer- und Nordseebilder in den nationalsozialistischen Großen Deutschen Kunstausstellungen quantitativ nur einen geringen Anteil ein. Die Bilder der Nordsee und des Wattenmeeres von »entartet« diffamierten Künstlern unterscheiden sich stark von vorab angeführten Darstellungen. Dies verdeutlichen die Kapitel über die Künstler Emil Nolde, Max Beckmann, Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff sowie den ambivalent rezipierten Künstler Franz Radziwill in Teil B der Studie. Hier wird auch die malerische Auseinandersetzung Alf Bachmanns mit Wattenmeer und Nordsee behandelt. Dieser war zwar bekennender Nationalsozialist und geschätzter Künstler, doch seine Bilder vermitteln keine ideologischen und politischen Aussagen. Deshalb setzt sich dieser Teil der Studie nicht mit seinen Werken auseinander. Mit der Analyse der visualisierten Sehweisen von Nordsee und Wattenmeer im Nationalsozialismus endet Teil A der Studie, in dem nationale, politische und ideologische Aspekte im Vordergrund stehen. Im Folgenden werden freiere Darstellungen betrachtet.
168 So wird die Fahrt eines Großseglers in Leipolds Werk »Das neue Deutschland« in Bezug zur »Fahrt des Nationalsozialismus« als zukunftsträchtig und verheißend propagiert.
B
Nordsee und Wattenmeer im Kontext ästhetischer Annäherungen
Im folgenden Teil dieser Studie werden exemplarisch Künstler herangezogen, die eine freiere, ästhetische Auseinandersetzung mit Wattenmeer und Nordsee kennzeichnet. Dazu gehören Wilhelm Laage, Karl Schmidt-Rottluff, Erich Heckel, Franz Radziwill, Käte Lassen, Alf Bachmann, Emil Nolde und Max Beckmann. Sie verfolgten primär keine nationalen, politischen oder durch rassische Ideologien motivierten Absichten mit ihren maritimen Darstellungen.
1.
Künstlerkolonie Duhnen/Altenwalde – Harmonische Ansichten der Cuxhavener Küstenlandschaft und des Wattenmeeres um 1900
Parallel zu den um 1900 im Kontext der Flottenpolitik Wilhelms II. stehenden Annäherungen wilhelminischer Marinemaler an die Nordsee wurden zeitgleich freiere Zugänge geschaffen. Es erfolgte eine Distanzierung von konservativen Vorstellungen und damit eine Hinwendung zu neuen Idealen in der Landschaftsmalerei. Mit der Abkehr vom traditionellen Akademieleben entstanden gegen Ende des 19. Jahrhunderts und zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Deutschland und auch an der Nordseeküste Künstlerkolonien.1 Im Folgenden wird die Kolonie in Duhnen als ein Beispiel eines an der Wattenmeerküste bestehenden Künstlerkreises betrachtet und ein Einblick in exemplarische Wattenmeer- und Nordseedarstellungen gegeben. Die meisten Künstler dieser Kolonie erlangten zwar nur regionale Bekanntheit, doch exemplarische Werke sind im Rahmen dieser Studie von Bedeutung, da sie belegen, dass das Wattenmeer und die Küste um 1900 Künstler aus Süddeutschland anzog und sie inspirierte. Abschließend wird die grafische Annäherung von Wilhelm Laage, eines im Künstlerkreis tätigen Studierenden, an das Wattenmeer dargelegt. Duhnen liegt in der Nähe von Cuxhaven an der äußersten Spitze des ElbeWeser-Gebiets an der Wattenmeerküste. Eine Besonderheit der Küste dort stellt ein natürlicher Geestrücken dar, der keinen Deichbau erforderlich macht. Küstenheide gehört zur natürlichen Vegetation und verschönert das Landschaftsbild. Ein großer, weitläufiger Wattbereich erstreckt sich an dieser Küste. So ist beispielsweise die Insel Neuwerk zu Fuß über das Watt zu erreichen. Ende des 19. Jahrhunderts entdeckten Karlsruher Akademiestudenten unter 1 Für eine detaillierte Darstellung von Künstlerkolonien an der Nordseeküste vgl. u. a. Barrett 2010. Diese Entwicklung herrschte auch in anderen Ländern vor und galt als ein Merkmal eines neuen künstlerischen Selbstverständnisses. Erste Künstlerkolonien waren in England bereits um 1800 entstanden. Vgl. Hüneke 1998, S. 12f. Die Schule in Barbizon wurde bereits 1830 begründet. Vgl. u. a. Hüneke 1998, S. 12. Exemplarisch sei zudem auf die Künstlerkolonie Worpswede verwiesen. Zur Duhner Künstlerkolonie vgl. u. a. Bussler 2007, Bussler 1986, Bussler 2009.
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Künstlerkolonie Duhnen/Altenwalde
der Leitung ihrer Professoren, u. a. Carlos Grethe, diese Gegend und gründeten dort eine Künstlerkolonie.2 Später erweiterte sich dieser Künstlerkreis durch Studenten der Stuttgarter Akademie.3 Unter anderen waren folgende Künstler in Duhnen und der Umgebung künstlerisch tätig: Carlos Grethe, Anton Albers, Carl Biese, Hermann Daur, Leopold von Kalckreuth, Friedrich Kallmorgen, Wilhelm Laage, Carl Langhein, Karl Otto Matthaei, Friedrich Mißfeldt4, Gustav Schönleber5, Hans Schroedter6 und Emil Rudolf Weiß.7 In den Jahren 1895–1903 kehrten die Künstler im Sommer regelmäßig in das idyllisch gelegene Fischerdorf zurück, um dort zu arbeiten.8 Sesshaft, wie die Künstler der Worpsweder Kolonie, wurden sie nicht. Es war eine Malerkolonie auf Zeit. Die Künstler trugen dazu bei, die dortige Küstenmotivik bekannter zu machen.9 Neben Landschaftsmalereien entstanden Portraits und Stillleben. Nachfolgend wird jedoch nur ein Einblick in die Darstellungen von Wattenmeer und Nordsee gegeben.
Ausgewählte Motive der Künstler – ein Einblick In den Jahren 1895–1898 konnten die Künstler weitgehend ungestört die Idylle dort genießen.10 Dann setzte jedoch verstärkt der Fremdenverkehr ein und die Abgeschiedenheit und Stille war gestört.11 Als Reaktion darauf zogen sich die Künstler ab 1899 aus Duhnen in die Umgebung, u. a. nach Altenwalde zurück.12 Ihre Werke besitzen zum Teil dokumentarischen Charakter, da sie die Cuxhavener Region zeigen, ehe sie touristisch erschlossen wurde. In ihren Bildern sind allerdings ebenfalls touristische Sehweisen visualisiert.
2 Mitbegründer war u. a. Karl Otto Matthaei. Vgl. Bussler 2007, S. 55. 3 Vgl. Bussler 2009, S. 59. Dies war u. a. dadurch bedingt, dass einige Studierende und Lehrkräfte an diese Universität wechselten. 4 Vgl. Bussler 1989. 5 Zur Biografie vgl. Bussler 2007, S. 60. 6 Zur Biografie vgl. ebd., S. 61. 7 Detaillierte Informationen vgl. ebd., S. 42–63. 8 Vgl. ebd., S. 6. Die Künstler konnten im gemeinsamen Arbeiten und kommunikativen Austausch konstruktive Anregungen und Kritik erfahren. 9 Dies zeigt beispielsweise der Besuch des Marschendichters Hermann Allmers in der Künstlerkolonie Duhnen. Die Popularisierung wurde u. a. durch die die Erstellung von Postkartenmotiven unterstützt. Vgl. Bussler 2009, S. 60f., vgl. Bussler 2007, S. 6. 10 Vgl. Bussler 2009, S. 61. 11 Vgl. ebd., S. 62, 64. 12 Vgl. ebd., S. 64.
Ausgewählte Motive der Künstler – ein Einblick
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Abb. B1.1: Wilhelm Laage, Badeplatz in Altenbruch, o.D, Aquarell, 19,5 x 34 cm, Privatbesitz
So hat Wilhelm Laage den Badeplatz in Altenbruch (Abb. B1.1) und das Badeleben an der Elbmündung (Abb. B1.2) dargestellt. Im letztgenannten Bild wird der Blick des/der Betrachtenden entlang eines Brückengeländers auf eine Mole gelenkt, auf der sich nackte Badegäste befinden.13
Abb. B1.2: Wilhelm Laage, An der Elbmündung, um 1909, Öl, 86 x 103 cm, Heimatarchiv Cuxhaven
Ebenso sind ironische Anklänge in den Darstellungen des touristischen Lebens der wilhelminischen Gesellschaft ersichtlich, wie die von Daur geschaffene Künstlerkarte (Abb. B1.3) zeigt. In der kolorierten Zeichnung ist eine Familie am Strand zu sehen. Die Frau ist fein gekleidet, sie trägt ein langes Kleid, das leicht über den Strand schleift, hochgeschnittene, elegante Handschuhe sowie einen ausgeklappten großen Fächer. Ihr Haar ist zurückgebunden und sie blickt mit erhobenem Kopf in die Ferne. Hinter dieser großen, eleganten, weiblichen Gestalt befindet sich eine kleiner dargestellte männliche Figur mit zwei Kindern. Wahrscheinlich wollte Daur den zunehmenden Fremdenverkehr in der Cuxhavener Region karikieren. 13 Durch die unruhige Darstellung des mit Wolken überzogenen Himmels und des bewegten Meeres mit den unzähligen kleinen Wellen wirkt das Bild lebendig. Die Farben des Wasser, die von Grün bis Grau reichen, vermitteln einen naturalistischen Eindruck der aufgewühlten Nordsee.
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Künstlerkolonie Duhnen/Altenwalde
Abb. B1.3: Hermann Daur, o. T., 1896, Aquarell, Feder, Heimatarchiv Cuxhaven
Viele Künstler schufen Bildmotive für Postkarten, so auch harmonische Darstellungen der Nordseeküste. Die Farblithografie von Matthaei »Nordsee-Idyll«14 (Abb. B1.4) zeigt den Blick auf die Nordsee.
Abb. B1.4: Karl Otto Matthaei, Nordsee-Idyl, Farblithografie, 55 x 75 cm, Heimatarchiv Cuxhaven
Einige Wattbereiche heben sich orange-braun aus dem dunklen Blautönen von Himmel und Meer ab. Im Vordergrund in der rechten Bildseite ist noch ein Grünstreifen zu sehen. Ein weißer Möwenschwarm stellt eine motivische Verbindung zwischen Himmel und Meeresbereich dar und verleiht der Szene eine gewisse Lebendigkeit. Im Hintergrund sind zwei kleine Segelschiffe zu sehen, deren Segel sich im fast unbewegten Wasser spiegeln. Die gedämpften Farben und der etwas düster wirkende Himmel sprechen jedoch gegen die Titulierung »Idylle«. Eine gewisse bedrohliche Wirkkomponente wird dadurch erzeugt. Ein thematisch und kompositorisch ähnliches Werk ist die Farblithografie »Wattstimmung« (Abb. B1.5).15 Wattflächen, zum Teil mit Wasser bedeckt, erstrecken sich vom Vordergrund bis in die Bildmitte. Ein Priel führt in das Bild hinein. Ein 14 Vgl. Bussler 2009a, S. 13. Zu diesem Werk hat Matthaei 1902 eine Vorzeichnung angefertigt. 15 Dieses Werk wurde ebenfalls als Postkarte im Format 9x14 cm gedruckt. Matthaei schuf eine Serie von Postkartenmotiven mit Nordseemotiven. Vgl. Bussler 2009a, S. 70.
Ausgewählte Motive der Künstler – ein Einblick
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Schwarm weißer Möwen ist in der rechten Bildseite zu sehen. Im Fahrwasser befinden sich drei Schiffe. Während die in der Farblithografie »Nordseeidyll« dargestellten Schiffe eher unauffällig im Hintergrund erscheinen, wird ihnen im Bild »Wattstimmung« durch die Farbgebung und größere Darstellung erhöhte Bedeutung zuteil. Details des Dampfers, zum Beispiel einzelne Fenster und ein farbiger Streifen am Schornstein, sind gut zu erkennen. Neben dem Dampfer befindet sich ein Segelboot mit weißen Segeln. Das dritte Segelschiff dagegen ist mit braunen Rumpf und Segeln farblich dezenter gestaltet.
Abb. B1.5: Karl Otto Matthaei, Wattstimmung, Farblithografie, 17 x 30 cm, Heimatarchiv Cuxhaven
Matthaei verbildlichte unterschiedliche, tageszeitlich bedingte Stimmungen im Wattenmeer, wie es in der Federzeichnung »Trockengefallen«16 (Abb. B1.6), in der Farblithografie »Dämmerung im Watt« (Abb. B1.7) und dem Ölgemälde »Wasser, Watt und Wolken« (Abb. B1.8, Farbabbildung) ersichtlich ist.
Abb. B1.6: Karl Otto Matthaei, Trockengefallen, Feder, 9 x 14 cm, Heimatarchiv Cuxhaven
16 Vgl. Bussler 2009a, S. 14.
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Künstlerkolonie Duhnen/Altenwalde
Abb. B1.7: Karl Otto Matthaei, Dämmerung, Farblithografie, 9 x 14 cm, Heimatarchiv Cuxhaven
Erstgenanntes Werk zeigt das Motiv eines auf dem Watt trockengefallenen Segelschiffes. Auch das Bild »Dämmerung im Watt« beinhaltet dieses Motiv. Zwei Segelschiffe, deren Masten sich in den mit Wasser bedeckten Flächen spiegeln, heben sich dunkel vor dem rosafarbenen Abendhimmel und dessen Reflexionen im Wasser ab.17 Im Ölgemälde »Wasser, Watt und Wolken« ist mit lockerer Pinselführung eine maritime Impression in zarten Farbtönen zu sehen. An einen schrägen Strandstreifen im Vordergrund grenzt das hellblaue Meer, in dem sich die Wolken spiegeln. Sowohl Motivik als auch Farbwahl erzeugen einen harmonischen Eindruck. Das Zusammenspiel von Himmel und Meer griff Matthaei wiederholt auf, wie zum Beispiel in den Ölstudien »Wolkenformation über dem Meer«, (Abb. B1.9) und »Untergehende Sonne über dem Wasser« (Abb. B1.10).
Abb. B1.9: Karl Otto Matthaei, Wolkenformation über dem Meer, ca. 1896, Öl, 19 x 28 cm, Heimatarchiv Cuxhaven
17 Weiterhin zeigt das Bild eine neben einem Schiff stehende Person. Angesichts der Schiffsgröße wirkt sie klein.
Ausgewählte Motive der Künstler – ein Einblick
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Abb. B1.10: Karl Otto Matthaei, Untergehende Sonne über dem Wasser, ca. 1896, Öl, 20,5 x 26,5 cm, Heimatarchiv Cuxhaven
Sie spiegeln Farb- und Lichtstimmungen der Nordsee. Ebenso wurde die Küste in unterschiedlichen Wetterstimmungen verbildlicht, wie das etwas kitschig wirkende Bild »Deichvorland mit Regenbogen« (Abb. B1.11) des Künstlers belegt.
Abb. B1.11: Karl Otto Matthaei, Deichvorland mit Regenbogen, Öl, 70 x 95 cm, Privatbesitz
Obwohl im oberen Bildbereich bedrohliche dunkle Wolken zu sehen sind, die ihre Schatten auf das Vorland im unteren Bildbereich werfen, besitzt die Darstellung einen friedlichen Charakter. Dies wird zum einen durch die Motivik und zum anderen durch die Farbwahl erzielt. Der Regenbogen ist in hellen, pastellfarbenen Tönen gehalten. Friedlich grasen Kühe auf dem hellgrünen Küstenbereich. Ein weißer Dreimaster ist nahe dem Horizont und weiter vorne ist ein kleineres Segelschiff mit braunen Segeln verbildlicht. Das Meer ist in graubraunen Farben mit weißen Schaumkronen gehalten. Auch das Watt war für Matthaei ein Motiv. Im Werk »Das Watt vor Duhnen« (Abb. B1.12) hält er die Schönheit der trockengefallenen, mit einzelnen Wasserläufen durchzogenen Wattlandschaft fest.
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Künstlerkolonie Duhnen/Altenwalde
Abb. B1.12: Karl Otto Matthaei, Das Watt vor Duhnen, Öl
Eine Pricke in der linken Bildseite dient als verbindendes Element zwischen Himmel und Erde. Zwei trockengefallene Boote sind in einiger Distanz zu erkennen. In weiter Ferne am Horizont sind ein Dampfer und kleine Segelschiffe im Fahrwasser zu sehen. Während in den meisten Werken der Duhner Künstlerkolonie das Watt als Bühne fungiert, so stellt es im Bild »Wattenlandschaft« (Abb. B1.13) von Carl Langhein18 ein eigenständiges Motiv dar.
Abb. B1.13: Carl Langhein, Wattenlandschaft, Öl, 40 x 50 cm, Privatbesitz
Der Großteil des Bildes zeigt eine halb überflutete Wattlandschaft. Nur ein kleiner Streifen Himmel ist sichtbar. Unterschiedliche von Wasser geprägte Wattstrukturen sind zu sehen. Blau- und Brauntöne beherrschen das Bild. Im Gegensatz dazu fungiert die Wattlandschaft in Langheins Werk »Die Bake« (Abb. B1.14) als Bühne. Es ist die Bake, auf die der Fokus gelenkt wird.
18 Weitere Informationen vgl. Prof. Dr. Carl Langhein Stiftung (Hg.) 2007.
Ausgewählte Motive der Künstler – ein Einblick
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Abb. B1.14: Carl Langhein, Die Bake, Öl, ca. 40 x 50 cm, Privatbesitz
Die Künstler der Kolonie gewannen durch Wattwanderungen eigene ästhetische Erfahrungen und ließen diese in die Bilder einfließen. In Bezug auf die Gezeiten wurde nicht nur das Watt bei Ebbe, sondern auch die Flut als eigenständiges Motiv aufgegriffen, wie in Matthaeis Werken »Die Woge« (Abb. B1.15) und »Die Woge II« (Abb. B1.16), in denen die Gewalt der Nordsee visualisiert wird.
Abb. B1.15: Karl Otto Matthaei, Die Woge, Öl, 56 x 76 cm, Heimatarchiv Cuxhaven
Abb. B1.16: Karl Otto Matthaei, Die Woge II, Öl, 80 x 127 cm, Privatbesitz
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Künstlerkolonie Duhnen/Altenwalde
Carl Biese, ein weiteres Mitglied der Künstlerkolonie, setzte das Motiv von an den Strand brechenden Wellen in anderer Bildsprache um wie beispielsweise in der Lithografie »Meeresbrandung« (Abb. B1.17) ersichtlich ist.
Abb. B1.17: Carl Biese, Meeresbrandung, Farblithografie, Heimatarchiv Cuxhaven
Da sich die Künstler nicht in der winterlichen Jahreszeit, sondern in den Sommermonaten an der Nordsee aufhielten, wurde das Motiv des Sturms nur selten visualisiert. Eins der wenigen Werke, in denen eine Sturmflut motivisch umgesetzt ist, stammt von Matthaei: »Sturmflut auf der Hallig«19 (Abb. B1.18).20
Abb. B1.18: Karl Otto Matthaei, Sturmflut auf der Hallig, Aquarell, Verbleib unbekannt
Die Tätigkeiten der Menschen verweisen darauf, dass Tiere, Menschen sowie Güter in Sicherheit gebracht werden müssen. Das Meer ist zwar aufgewühlt, jedoch ruft das Bild aufgrund der eher hellen Farbtöne keine bedrohliche Wirkung hervor. Die Künstler der Kolonie hatten Kontakt zu den Küstenbewohnern und erhielten einen Einblick in die Wahrnehmung der Wattenmeerregion als Alltags-, Lebens- und Arbeitsraum. So visualisierte beispielsweise Matthaei Eindrücke 19 Vgl. Bussler 2009a, S. 9. 20 Dieses Bild wurde wahrscheinlich allerdings zeitlich nach Matthaeis Aufenthalt in der Künstlerkolonie Duhnen angefertigt.
Ausgewählte Motive der Künstler – ein Einblick
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aus dem Arbeitsleben der Fischer. Exemplarisch sei das Ölgemälde »Fischer im Watt vor Neuwerk« (Abb. B1.19) erwähnt.
Abb. B1.19: Karl Otto Matthaei, Fischer im Watt vor Neuwerk, Öl, 38 x 53 cm
Es zeigt den Arbeitsalltag der in der Cuxhavener Region lebenden Fischer. Auf dem Watt befinden sich ein trockengefallenes Schiff sowie zwei Pferdegespanne mit Kutschen. Auch seine Farblithographie »Krabbenfischer« (Abb. B1.20, Farbabbildung) verweist auf die Wattlandschaft als Arbeitsraum. Im Vordergrund ist ein Fischer dargestellt, der den Inhalt seines Netzes in einen Korb entleert. Er steht auf einem höhergelegenen Wattbereich an der Kante eines Priels. In diesem ist ein weiterer Fischer zu sehen, der bis über die Knie mit seiner Hose im Wasser steht und den Kescher ins Wasser hält. In der Ferne zeichnet sich die Silhouette eines Dampfers im Fahrwasser ab. Eine Postkarte von Schroedter aus dem Jahre 1896 (Abb. B1.21) zeigt die Portraits zweier Fischer in ihrer traditionellen Kleidung.
Abb. B1.21: Hans Schroedter, Krabbenfischer Metscher und Ringe, um 1896, Aquarell, Karte
Zwischen diesen ist ein Blick auf das Meer gegeben. Durch die Inschrift »Unsere Modelle: Krabbenfischer Metscher und Ringe« erfolgt eine Identifikation. Diese Fischer dienten als Motiv in den Werken der Künstler.21 21 Schroedter fertigte diese Karte zum persönlichen Gebrauch an. Darauf lässt sein unterhalb
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Künstlerkolonie Duhnen/Altenwalde
Die Maler der Künstlerkolonie visualisierten nicht ausschließlich die Cuxhavener Wattenmeerregion. So suchten einige Künstler das beliebte Ausflugsziel Helgoland auf und malten es. Biese griff die Felsformationen Helgolands motivisch auf und schuf als Postkartenmotive die Bilder »Der Mönch« und »Die Nonne«, die die so benannten Felsformationen zeigen. Auch eine Ansicht von der Nordspitze Helgolands (Abb. B1.22) malte er, die interessanterweise eine zum Teil trockenliegende Wattfläche beinhaltet und nicht die aufgewühlte Nordsee – wie es häufig der Fall war.
Abb. B1.22: Carl Biese, Die Nordspitze auf Helgoland, um 1900, Lithografie, Postkarte, Heimatarchiv Cuxhaven
Die vorige Beschreibung exemplarisch ausgewählter Werke gibt einen kleinen Einblick in die Bildwelten der Künstlerkolonie. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts lockerten sich die Bindungen der Künstler und die Kolonie löste sich auf. Jedoch blieben einige Künstler wie Hermann Daur, Wilhelm Laage, Franz Hochmann und Karl Otto Matthaei über die gemeinsame Künstlerkoloniezeit hinaus der Region verbunden.22 Die Mitglieder der Duhner Kolonie waren nicht die einzigen, die sich von dieser Wattenmeergegend inspirieren ließen. Schon zuvor war die reizvolle Landschaft dieser Küstenregion von Künstlern entdeckt worden.23 Wie im Kapitel über Hans Bohrdt dargelegt, machte bereits dieser Künstler seine ästhetischen Erfahrungen im Watt – während seiner Wanderung nach Neuwerk und im Hinblick auf die erlebte Sturmflut – in Artikeln und Illustrationen einem breiten Publikum zugänglich.24 Auch eine für diese Region charakteristische Sportart, das Duhner Wattrennen, wurde in der Kunst thematisiert, wie der 1902 angefertigte kolorierte Stich (Abb. B1.23) nach einem Entwurf von Georg Koch zeigt.
des Motivs geschriebener Gruß schließen. In diesem wird zudem deutlich, dass die Künstler am Leben der Küstenanwohner teilnahmen: »Am Montag Schützenfest mitgemacht, davon muss ich euch noch schreiben.« 22 Vgl. Bussler 2009, S. 64. 23 Vgl. Bussler 2007, S. 6. 24 Differenzierte Darstellungen im Kapitel über Hans Bohrdt.
Abschließende Zusammenfassung
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Abb. B1.23: Das Duhner Wattrennen, 1902, kolorierter Stich nach Entwurf von Georg Koch, Heimatarchiv Cuxhaven
Dabei fungiert das Wattenmeer – wie in vielen der benannten Darstellungen – primär als Bühne.
Abschließende Zusammenfassung Im Gegensatz zu den wilhelminischen Marinemalern stellten die Künstler der Duhner/Altenwalder Kolonie die Nordsee nicht primär als Bühne der Kriegsschifffahrt dar. Obwohl einzelne Mitglieder der Kolonie, wie Professor Carl Langhein, dies später durchaus taten. Langhein vertrat wie viele seiner Künstlerkollegen nationale Einstellungen. Im ersten Weltkrieg fuhr er mit einem Minensucher auf der Nordsee und verfasste über diese Fahrt ein Buch, das er 1918 in der »Deutschnationalen Verlagsanstalt« veröffentlichte.25 Während dieser Fahrt schuf er Ölgemälde,26 die er als Illustrationen in den Text einband. Ebenso visualisierte er unter ästhetischen Kriterien die Wattlandschaft, wie die in diesem Kapitel angeführten Bilder belegen. Ähnlich wie der vorab behandelte Künstler Hans Bohrdt schließen sich auch bei ihm die Sicht auf die Schönheit der Nordsee und die Perspektive auf ihre militärische Nutzung nicht aus. Die an dieser Stelle der Studie exemplarisch benannten Bilder der Duhner/ Altenwalder Künstlerkolonie zeigen größtenteils harmonische Ansichten der Wattenmeer- und Nordseeregion und der in ihr lebenden Menschen. Die Künstler suchten die Schönheit und hielten diese in ihren Bildern fest. Dabei thematisierten sie ebenfalls touristische Sehweisen und karikierten diese. Da sie sich nur im Sommer in der Cuxhavener Region aufhielten, zeichnete die meisten von ihnen selber der Blick von außen auf die Region aus. Allerdings bemühten sie sich um den Kontakt mit den Einheimischen und machten in ihren Bildern auch den Arbeitsraum Wattenmeer zum Motiv. 25 Vgl. Langhein 1918. 26 Vgl. u. a. Langhein 1918, S. 14f., 17ff.
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Künstlerkolonie Duhnen/Altenwalde
Das Watt fungiert allerdings nur in wenigen Darstellungen als eigenständiges Motiv. Die Vielfalt der Tier- und Pflanzenwelt stellte für sie kein Motiv dar. Vielmehr visualisierten sie verstärkt den Stimmungsraum des Wattenmeeres und dessen sommerliche Reize. Auch die Schifffahrt griffen sie thematisch auf. Allerdings wurden Schiffe weitgehend als stimmungsunterstützende Bildelemente integriert und nicht in den Mittelpunkt der Bilder gestellt. Ihre Intention lag nicht darin technische und navigatorische Details darzustellen. Mit der Wahl des Künstlerortes am Wattenmeer wollten sie in der Natur am Meer Inspiration für ihre Kunst finden und damit den engen akademischen Betrieb entfliehen, was ihnen auch gelungen war.
Wilhelm Laage: Grafische Annäherungen an die Cuxhavener Wattenmeerregion
Wilhelm Laage, Mitglied der Duhner/Altenwalder Künstlerkolonie, wurde 1868 in Hamburg -Stellingen geboren.1 Er erreichte als Künstler allerdings nur regionalen Bekanntheitsgrad. Für diese Studie wurde er ausgewählt, da er auch nach seiner Zeit in der Künstlerkolonie noch in der Region blieb und das Wattenmeer weiterhin Motiv in seinem Werk darstellte. Seine Bilder stellen Beispiele der grafischen Annäherung an die Nordsee und das Wattenmeer dar. Von 1890–1892 besuchte er die Hamburger Gewerbeschule und durch Fürsprache von Alfred Lichtwark wurde ihm ein Studium an der Karlsruher Kunstakademie ermöglicht.2 Während seiner Studienzeit wechselte er als Meisterschüler von Leopold Graf Kalckreuth an die Stuttgarter Akademie und schloss dort 1904 sein Studium ab.3 Mit Professoren und Studienkollegen reiste er in den Sommermonaten in die Cuxhavener Region nach Duhnen und Altenwalde.4 Nach Ende seines Studiums ließ er sich für einige Jahre mit seiner Frau in dieser Gegend nieder.5 Die norddeutsche Landschaft mit den Küstenorten, die Insel Neuwerk sowie das Wattenmeer lieferten ihm Inspirationen für 1 Biografische Daten Wilhelm Laages vgl. u. a. Hagenlocher 1969, S. 36f. Darstellungen zu Wilhelm Laage vgl. Böhm 1999, Weiß 1901, Zoepf 1934, Schiefler 1912, Schiefler 1974, S. 43ff., Dornhöffer 1899, S. 98–103, vgl. Nebehay 1979, S. 136, Kat. Altona 1969, Bussler 2008, Kat. Reutlingen 1993, Hagenlocher 1969. In Zoepfs Darstellungen sind nationalsozialistische Einflüsse erkenntlich. Jedoch hat er ohne nationalsozialistische Verzerrung die Lebenserinnerungen von Laage publiziert, auf die hier im Folgenden Bezug genommen wird. 2 Vgl. Hagenlocher 1969, S. 19, vgl. Nebehay 1979, S. 134, vgl. Bussler 2008, S. 9, 27. Laage verließ mit 15 Jahren die Schule, arbeitete zunächst bei seiner Mutter in der Bleicherei, verließ diese aufgrund der harten körperlichen Arbeit und verdingte sich in einer Kneipe. In dieser Zeit erlebte er neben für ihn neuen und interessanten Eindrücken auch bedrückende Zustände und der Wunsch, Künstler zu werden, nahm Gestalt an. Weitere Ausführungen vgl. Lebenserinnerungen Laages in Zoepf 1934, S. 9–34. Vgl. Hagenlocher 1969, S. 12f., 36. 3 Vgl. Bussler 2008, S. 28. 4 Vgl. Bussler 2008, S. 27. Ihn verband mit den Künstlern Carl Hofer und Emil Rudolf Weiß eine Freundschafts- und Arbeitsgemeinschaft. Vgl. Nebehay 1979, S. 134, vgl. Hagenlocher 1969, S. 14. 5 Vgl. Zoepf 1934, S. 33.
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Wilhelm Laage
seine Kunst.6 Aus seinen Lebenserinnerungen ist ersichtlich, dass diese Landschaft ihn stark beeindruckte und seine künstlerische Entwicklung geprägt hat.7
Intensive Wahrnehmung des Wattenmeeres »Diese interessante Ecke an der Nordsee mit ihren Watten, Marschen, Geest und Heide zog mich über viele Jahre immer wieder an. Dort, wo die dunkle See mit weißgerandeten Wellen aufschäumt gegen das Granitgestein der Deiche, dort, an dieser Küste, fühlte ich mich frei und glücklich.«8
Der Künstler empfand Freiheit und Glück in dieser Zeit. Der Blick in die Weite rief bei ihm auch Sehnsucht hervor.9 Er erlebte unterschiedliche Lichtstimmungen und Wetterlagen an der Nordseeküste, von Sturm über Windstille bis bin zu dichtem Nebel. Die Gewalt eines Sturmes beschrieb er wie folgt: »Ein aufkommender Sturm verjagte alle Träumerei. Er warf sich mit rasender Wut gegen seine Opfer, griff mit scharfen Krallen in die Takelung der Schiffe, zerriß die Segel in formenreiche Fetzen, daß sie wie Triumphfahnen knallend an den Masten flatterten. Er trieb die umherirrenden Schiffe auf die Sandbänke, oder zog sie für immer in die Tiefe. Leuchttürme und Leuchtfeuer sandten ihren Lichtschein warnend in die Nacht hinaus.«10
Laage nahm die unterschiedlichen Eindrücke und Stimmungen an der Nordseeküste in sich auf. Dabei bezog er sich nicht nur auf visuelle Impressionen, sondern ebenso auf auditive und haptische Eindrücke. Er verglich beispielsweise die windstille Wattenmeerregion mit einer »grauen Geisterlandschaft«, in 6 Neben seiner Zeit in der Duhner Künstlerkolonie erfuhr er u. a. künstlerische Inspirationen in Bezug auf einen im Jahr 1901 unternommenen Paris-Aufenthalt. Vgl. Zoepf 1934, S. 32. Während seines Paris-Aufenthalts fand eine Van Gogh Ausstellung statt. Er gewann u. a. Eindrücke von van Gogh und Renoir. In Bezug auf die Darstellung der »Armen Fischer« erinnerte er sich an die Cuxhavener Region, an »die Heide am Meer der Heimat« und ihn überkam das Verlangen, das Meer an der Nordküste Frankreichs zu sehen. Jedoch muss er angesichts seiner finanziellen Not auf diese Reise verzichten. Vgl. Zoepf 1934, S. 31. Als er in Rouen, einer weiteren Reisestation, weilte, bekundete er den Wunsch die Nordsee zu sehen: »Ja, die Nordsee war nicht mehr weit, ich hörte im Geiste sie schon rauschen und spürte ihren Salzgeruch.« Zoepf 1934, S. 31. 7 »Meer und Heide waren die Welt, aus der ich jahrelang meine künstlerischen Anregungen holte. Ob Sonne, ob Wind, ob Sturm und Gewitter, Nebel und Regen, ich empfand mich eins mit dieser Natur und vernahm in ihren seelischen Regungen die Stimme der Heimat zugleich.« Zoepf 1934, S. 28. 8 Zoepf 1934, S. 26. 9 »Die Sehnsucht glitt traumhaft über die endlose Wasserfläche gegen den Horizont, auf dem sie weiterschwingend fremde Länder entstehen ließ, voller Schönheit und Schrecken.« Zoepf 1934, S. 26. 10 Zoepf 1934, S. 26.
Intensive Wahrnehmung des Wattenmeeres
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der u. a. Seehunde heimisch sind.11 Weiterhin beschreibt er friedliche, neblige und mondbeleuchtete Nächte in der Wattenmeeregion: »Dichter Nebel legt sich vorhangsmäßig auf das Meer. Nur einige lange schmale Wellen dünen langsam gegen das Ufer. Bleich zieht der Mond, in einem weiten hellfarbigen Ringe schwebend, durch die Nacht. Vor dem Nebelvorhang fliegen dunkle Wasservögel gespensterhaft dahin. Irgendwo in der Ferne ein Möwenschrei!«12
Ebenfalls war er auf der Insel Neuwerk, die bei Ebbe zu Fuß erreichbar ist, künstlerisch tätig: »Behaglich und abgeschlossen von der Welt wohnte es sich in dem alten eckigen Leuchtturm auf Neuwerk mit seinen gewaltigen Mauern. Selbst vom Bett aus überblickte man das weite Meer und die Küste mit den Höhen der Altenweider Heide […].«13
Laage fand seine Motive in der Heide-, Dünen- aber auch Deichvorlandschaft sowie direkt am Meer und im Watt: »Ich zeichnete viel an der See und auf dem Vorland; fast täglich war ich draußen.«14 Die Besonderheit der Cuxhavener Landschaft mit dem natürlichen Geestkliff und der Küstenheide übten großen Reiz auf ihn aus.15 Während die Aufenthalte in der Künstlerkolonie hauptsächlich im Sommer erfolgten, so empfand Laage, nachdem er und seine Frau in der Region ansässig geworden waren, das raue Seeklima, insbesondere im Winter, als unangenehm. »Der Winter mit dem Schnee am Ufer der dunklen Wasserfläche und später das Treibeis auf der Elbe, wenn es durch die Strömung zischend hin- und hergeschoben wurde, waren sicher interessant. Doch mit der Zeit ertrug ich das Klima nicht mehr. Der ewige Sturm, besonders im Winter, beunruhigte mich, und der dicke, gelbliche Nebel lastete auf mir.«16
Zudem verweist er auf die »Ödigkeit« in Cuxhaven, die bei ihm in den Wintermonaten Schwermut hervorrief.17 Ein weiterer Beweggrund, die das Paar zum Verlassen der Gegend veranlasste, war der ausbleibende Erfolg in Nord11 »Windstille – Luft und Wasser eine ineinander ruhende, endlose, graue Geisterwelt. Ein kurzer schmatzender Laut im Wasser : ein schwarzer Kopf, mit großen fragenden Augen taucht hervor, langsam verschwindet er wieder ; kreisende Ringe überdecken seine Spur.« Zoepf 1934, S. 26. 12 Zoepf 1934, S. 26. 13 Ebd., S. 26. 14 Ebd., S. 33. 15 »Weit und einsam, geheimnisvoll in ihrem Dunkel, dehnt sich die Heide gegen den Horizont, um dort mehr oder weniger schroff am Meeresstrand zu enden. Von den Höhen erblickt man in gewaltiger Breite Elbe und Weser im Meere sich vereinen. Der Seewind braust je nach Laune schwächer oder stärker über die weiten Heideflächen und regiert unumschränkt über Sandhügel und Vegetation.« Zoepf 1934, S. 26. 16 Ebd., S. 33. 17 Vgl. ebd., S. 33.
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Wilhelm Laage
deutschland.18 So zog das Ehepaar im Jahr 1907 nach Betzingen bei Reutlingen, der Geburtsstadt seiner Frau. Bis zum Ersten Weltkrieg folgten in den Sommermonaten nach wie vor jährliche Aufenthalte in der Cuxhavener Region.19 In einem Brief aus dem Jahre 1909 an seinen Mäzen Theodor Reinhart bekräftigte Laage nochmals die Bedeutung der norddeutschen Heimat für seine Kunst: »Es ist doch als Künstler für mich sehr wichtig, daß ich meiner Heimat treu bleibe. Ich merke es erst recht, seit ich hier in Betzingen sitze, wie sehr ich den Norden als Quelle und Ausdrucksmittel für meine Kunst bedarf.«20
Die Reisen an die Nordseeküste wurden durch den Ersten Weltkrieg unterbrochen.21 Erst später konnte Laage wieder den Cuxhavener Raum aufsuchen. Weiß, ein Kollege von Laage, betonte ebenfalls den Heimatbezug Laages zur Cuxhavener Landschaft.22 Auch Zoepf23 führte an, dass Laage mit dem norddeutschen Raum fest verbunden war : 18 Von den in Cuxhaven entstandenen Holzschnitten wurden nur wenige verkauft. Vgl. Bussler 2008, S. 29. Weiß nahm Partei für den Künstlerfreund und verteidigte dessen Werke gegen kritische Stimmen und versuchte den ausbleibenden Erfolg zu erklären. Vgl. Weiß 1901, S. 263. Gustav Schiefler besuchte Laage 1905 in Cuxhaven, wo er ihn in gedrückter Stimmung antraf – mit sich und seiner Kunst unzufrieden. Vgl. Schiefler 1974, S. 43. Zur Beziehung Laage und Schieflers vgl. u. a. Hagenlocher 1969, S. 15f. Schiefler gab dem Künstler wieder Zuversicht und dieser besuchte ihn daraufhin im nächsten Jahr mit einer Anzahl von Werken. Vgl. Schiefler 1974, S. 43f. Schiefler wurde zu einem Sammler von Laages Werken, publizierte 1912 einen Band über Laages Druckgrafik und trug damit etwas zur Verbesserung seines Bekanntheitsgrades bei. Vgl. Schiefler 1974, S. 45, vgl. Nebehay 1979, S. 134. Rückblickend schreibt Schiefler Folgendes zu Laages Kunst und dessen Beziehung zur Wattenmeerregion: »Die Elbmündung und die Nordseeküste in ihrer rauhen Schönheit waren das Gebiet, auf dem sich seine künstlerische Phantasie am meisten heimisch fühlte. Er hat sein Bestes geleistet, wenn er der spröden Schwingung der Strandlinie, den kräftigen Formen der Uferbauten, der melancholischen Silhouette der Heidehügel und dem weichen Spiel von Luft und Licht, namentlich bei sommerlichen Sonnenuntergängen, die Themata abwandelnd, in seiner herben Holzschnitttechnik immer neue Reize abgewann. Zuletzt hielt er es in der Einsamkeit dort nicht mehr aus, zumal die norddeutsche Hartköpfigkeit seiner Kunst bei den Landsleuten kein Verständnis fand. In Süddeutschland, in Schwaben und der Schweiz, hatte er Freunde seiner Kunst gewonnen, und so siedelte er nach Betzingen bei Reutlingen über. Dort zog er auch die süddeutsche Landschaft in den Kreis seiner Kunst; sowohl das liebliche Neckartal mit den Bergen der Rauhen Alb wie das schweizerische Hochgebirge hat er künstlerisch bezwungen. Seine Liebe aber galt nach wie vor der Heimat, dem Meer, den Altenwalder Heidehöhen und den heißen Tagen des kurzen nordischen Sommers.« Schiefler 1974, S. 45. 19 »Im Sommer zog es mich immer wieder nach Cuxhaven und Altenwalde. Seit Jahren war ich mit dieser Landschaft innerlich verwachsen und ihr Gesicht verfolgte mich ständig an meinem Wohnort im Süden.« Zoepf 1934, S. 33. 20 Brief von Wilhelm Laage vom 10. 02. 1909 an Theodor Reinhart, Stadtbibliothek Winterthur/ Schweiz. 21 »Der Krieg mit seinen harten Folgen brachte es dann mit sich, daß ich auf die jährliche Reise nach dem geliebten Norden verzichten mußte.« Zoepf 1934, S. 33. 22 »Das tiefste Element in Laages Kunst ist seine heimatliche Landschaft: Heide, Watt und
Intensive Wahrnehmung des Wattenmeeres
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»Es lag nur in der Logik des Schicksals, daß dieser Mann [Laage], der seine norddeutsche Heimat: die Heide, das Meer über alles liebte, […] daß er sich gezwungen sah, nach Süddeutschland zu ziehen, So ehrlich und tief er die neue Heimat allmählich verstehen und lieben lernte, und obwohl er hier seine vollkommensten Landschaftsholzschnitte schuf –, mit der Seele suchte er doch immer wieder das meerumschlungene holsteinische Land […].«24
Dies ist allerdings kritisch zu bewerten, da Laage auch den süddeutschen Raum für seine Kunst entdeckte. Die Sehnsucht und höheren Empfindungen, die er auf die Nordseeregion projizierte, erlebte er auch angesichts der Schwäbischen Alb, wie beispielsweise folgende Aussage verdeutlicht: »Wenn vom Roßbergturm der Blick hinstreift, weit über Berge und Täler der Alb, die, von herbstlichen Regenwolken überschattet, dunkel sich ausbreiten, um in der Ferne in marmorner Klarheit von den Alpen begrenzt zu werden, deren kobaltblaue Linien zwischen Himmel und Erde ziehen, dass sprengt die Sehnsucht ihre Fesseln und die Gedanken gleiten hinüber in eine höhere, in die ewige Welt.«25
Somit muss der Einfluss der Nordseemotivik zwar als wichtig, jedoch nicht als einziger Inspirationsquell angesehen werden. Aufgrund einer Verschlechterung seines Gesundheitszustandes war Laage gezwungen, die Holzschnitttechnik aufzugeben und sich ausschließlich der Malerei zu widmen.26 1930 verstarb er. In
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Meeresküste. In seinem Gesicht ist kein anderer Ausdruck als in seiner Kunst. Mensch und Kunst decken sich vollkommen, wie es sein muss. Seine Heimat zeigt ihm in der Einsamkeit ihr sonst verhülltes Gesicht. Er lebt mit ihr, identisch geworden mit ihr, ihrer Einsamkeit, Armut, Schwermuth, geheimen Lieblichkeit, Weite, Größe und Kraft. Ihr Gesicht wird menschlich und schwebt als eine Art Christus, oder, wie Laage es selbst sagt: ›Kurz, ein Mensch, der schon gelitten hat.‹, über die unendlich sich dehnende Heide und gibt in der ausgestreckten Hand den Vogelschwärmen des Himmels Nahrung.[…] Alles, was an menschlichen Erscheinungen darauf zu sehen ist, ist nichts als menschgewordene Landschaft.[…] Keiner hat die Erde, seine Heimatlandschaft und diese Gesichter so unangetastet ins Sichtbare gerufen, erschaffen […].« Weiß 1901, S. 259ff. Weiß führt an, dass Laage die Landschaft als Projektionsfläche menschlicher Empfindungen interpretierte. Dies ist jedoch in Bezug auf seine Meeresdarstellungen kritisch zu werten. Dieser veröffentlichte 1934 ein Werk über Laage. Allerdings finden sich in dessen Ausführungen Anklänge an die nationalsozialistische Blut und Boden-Ideologie. Laages Arbeiten bezeichnet er als »echt und wahren deutschen Wesens«. Vgl. Zoepf 1934, S. 8, 35, 39, 42f. So sieht er es als ein Grundrecht des deutschen Volkes eine »durch und durch einheimische Kunst« zu erhalten. Nach seiner Auffassung habe Laage dies erfüllt: »Die durch und durch einheimische Kunst war Ursprung und Ziel seines [Laages] ganzen Schaffens.« Zoepf 1934, S. 35. Weiterhin verweist er wiederholt auf das Deutsche in Laages Werk: Laage ist »in seiner Auffassung und seinem Ausdruck ›einheimisch‹ deutsch geblieben. Deutsch ist auch die Leidenschaftlichkeit seines Kampfes um die Eigenheit von Farbe und Form […] Deutsch ist endlich seine oft bis zur Herbheit und Härte sich steigernde unbeirrbare Wahrhaftigkeit, seine Treue gegen sich selbst […].« Zoepf 1934, S. 36. Ebd., S. 41. Ebd., S. 34. Vgl. Bussler 2008, S. 39.
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einer Grabrede wurde über seine Nordsee-Bilder angeführt: »in seinen Meeresbildern rauscht weiter das große, befreiende Meer«.27 In selben Jahr wurde in Ulm seine erste große Einzelausstellung eröffnet, die er allerdings nicht mehr erlebte. Seine künstlerischen Erfolge waren bis dahin eher als mäßig zu beurteilen. Er blieb bis in die 60er Jahre nahezu vergessen, bis der süddeutsche Galeriedirekter Alfred Hagenlocher ein Werkverzeichnis veröffentlichte.28 Auch heute ist seine Bekanntheit regional begrenzt.
Laages Motive von Wattenmeer und Nordsee Im Folgenden werden exemplarisch unterschiedliche Motive von Nordsee und Wattenmeer im Werk Laages erläutert.29 Der Künstler wählte insbesondere die Technik des Holzschnitts für seine künstlerischen Darstellungen.30 In diesem sah er eine besondere Ausdrucksform31, mit der er den seelischen Ausdruck in Linie und Fläche gestalten konnte.32 Der Künstler gab an, dass er sich autodidaktisch und individuell dem Holzschnitt genähert habe.33 Jedoch sind Anknüpfungen an
27 Vgl. Zoepf 1934, Nachwort. 28 Vgl. Hagenlocher 1969. 29 Exemplarisch sei auf weitere Grafiken mit Meeresmotivik verwiesen, auf die im weiteren Text kein Bezug mehr genommen wird: »Andenken Altenwalde«, vgl. Hagenlocher 1969, Kat. 29, »Abend am Meer«, vgl. ebd. Kat. 30, »Haus hinter dem Deich«, vgl. ebd., Kat. 46, »Steg am Meer«, vgl. ebd., Kat. 57, »Die Mole«, vgl. ebd., Kat. 66, »Am Priel, Am Vorland«, vgl. ebd., Kat. 91, »Fischende Möwen, Möwen«, vgl. ebd., »Mondaufgang«, vgl. ebd., Kat. 63, »Beim Leuchtturm, Stürmischer Tag, Windiger Tag«, vgl. ebd., Kat. 103. 30 In einer Niederschrift aus dem Jahre 1917 führt Laage Folgendes in Bezug auf die Bedeutung der Holzschnitttechnik für seine Kunst aus: »Auf der Akademie in Karlsruhe um das Jahr 1898 war es, daß mich eine leidenschaftliche Liebe zum Holzschnitt faßte, der viele Jahre hindurch dann meine bevorzugte künstlerische Betätigung wurde. […] Den Holzschnitt mit seinen dunklen Massen, der mit seinem »Gesicht« aus dem Chaos ans Licht strebt, schlicht, einfach und doch ungeheuer stark in der Sprache, den brauchte ich, und jubelnd hing ich mich an ihn, als er mir zurief: ›Nimm mich hin, ich will Dir verhelfen, das auszudrücken, was innerlich in dir tobt und braust.‹ Wie ein Dämon stand er immer vor mir und trieb mich zu rastloser Arbeit an.« Wilhelm Laage über seine Holzschnitte. Niederschrift aus dem Jahre 1917, in: Hagenlocher 1969, S. 33ff., hier : S. 33. 31 »Der Holzschnitt muss seinen ganz selbständigen Charakter haben, der in seinem Schnitt liegt und deshalb in keiner anderen Technik ausgedrückt werden kann. Der Schnitt ist es, worin seine ganze Seele lodert.« Wilhelm Laage über seine Holzschnitte. Niederschrift aus dem Jahre 1917, in: Hagenlocher 1969, S. 33ff. Er lehnte die Technik als Methode zum Zweck der Vervielfältigung ab. Vgl. ebd., S. 33. 32 Vgl. Hagenlocher 1969, S. 17. 33 »Die ganze Technik des Holzschnitts überhaupt, Schnitt und Druck, mußte ich selber für mich erfinden, denn ich hatte niemanden zur Seite, der mir auch nur einen Wink auf meinen Weg gab.« Wilhelm Laage über seine Holzschnitte. Niederschrift aus dem Jahre 1917, in: Hagenlocher 1969, S. 33ff., hier : S. 33. Laage führt in seinen Lebenserinnerungen an, dass Prof.
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vorherrschende Traditionen und Einflüsse im Hinblick auf die zeitgenössische Kunstentwicklung ersichtlich.34 Allgemein wurde der Holzschnitt zu Beginn des 20. Jahrhunderts als expressionistische Ausdrucksform entdeckt.35 Durch die Holzschnitttechnik kann durch scharfkantige, klare Schnitte eine reduzierte Formendarstellung mit wenig Übergängen und hohen Kontrasten erzeugt werden. Dies setzte Laage in vielen seiner maritimen Werke um. Seine Meeresdarstellungen müssen von seinen frühexpressionistische Tendenzen aufweisenden Werken, wie dem Werk »Dorfbrand«36 unterschieden werden. Während er in dem genannten Bild durch die Linienführung Gewalt und Vernichtung ausdrückt, besitzen die Meeresdarstellungen weitaus harmonischeren Charakter.37 Dies wird im Bild »Sonnenuntergang im Watt«38 (Abb. B1.24) deutlich. Zu dieser Thematik hat
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Kalckreuth, dessen Meisterschüler er war, ihm nichts didaktisch vermitteln konnte. Vgl. Zoepf 1934, S. 32f. Schiefler führt an, dass Laage an Kunsttraditionen anknüpfte: »Laage ist keiner von den Stürmern, die dem Kunstgedanken Neuland erobert haben; er steht auf der alten, seit Generationen geschaffenen Grundlage.« Schiefler 1974, S. 45. Mögliche Einflüsse auf sein künstlerisches Schaffen könnten auf das Wirken seiner Professoren und Kollegen zurückgehen, mit denen er im wechselseitigen Austausch stand. Jedoch wurde die Technik des Holzschnitts von seinen Professoren nicht gelehrt und der Lithografie stand Laage skeptisch gegenüber. Allerdings war der Holzschnitt zu Beginn des 20. Jahrhunderts, u. a. bei den Brücke-Künstlern ein beliebtes Ausdrucksmittel. Im Jahr 1906 nahm er an der Dresdener Grafikausstellung der Brücke-Künstler teil. Zur Beziehung Laages zur Dresdner Künstlergruppe »Brücke« vgl. Reinhardt 1978. Vgl. Bussler 2008, S. 12. Zoepf urteilte insbesondere über Bilder aus der Frühzeit des Künstlers wie folgt: »Die Werke sind »im tiefsten Grunde nicht sein Eigentum […]. Hier war er lediglich Schüler, Nachahmer – Erinnerungen an Thoma, Kalckreuth, Millet tauchen auf – hier war er nur einer unter vielen, nicht selbst: Einer.« Zoepf 1934, S. 70. Jedoch sieht Zoepf in Laage einen Künstler, der sowohl im Holzschnitt als auch der Malerei sich frei von den seine Kunst bis dahin bestimmenden Einflüssen gemacht hat und »von vorne« begonnen habe. Vgl. ebd., S. 70. Im Jahr 1899 verfasste Dornhöffer in der Zeitschrift »Die graphischen Künste« einen Artikel über Wilhelm Laage und betont die Bedeutung der in Vergessenheit geratenen Holzschnitttechnik für die Kunst. Vgl. Dornhöffer 1899, S. 89. Er sieht einen Neuanfang in der künstlerischen Entwicklung seiner Zeit, die u. a. von Wilhelm Laage getragen wird. Vgl. ebd., S. 89. Im Sinne dieses expressionistischen Erlebens hebt Hagenlocher in Bezug auf die Kunst Laages die zum Ausdruck gebrachten innerlichen Bilder hervor und erhöht diese in ihrer Bedeutung für die Zeitgeschichte. Vgl. Hagenlocher 1969, S. 11f. »Er gibt dem Holzschnitt jene entscheidende Stellung, die ihn in seiner geistigen Verdichtung von vornherein klar bestimmbar abgrenzt gegenüber gleichzeitigen Versuchen, welche trotz einer gewissen Werkgerechtigkeit nicht über ein illustratives und kunstgewerbliches Machen hinauskommen […].Wilhelm Laage zieht die Konsequenz gegenüber einer Kunst der bloßen Wiedergabe des von der Natur empfangenen Seheindrucks wie auch der »ästhetischen Gourmets« und stellt sich ganz in die Notwendigkeit eines neuen Weges der inneren Gesichte und Visionen.« Vgl. ebd., S. 12. Vgl. Hagenlocher 1969, Tafel 7, Kat. 22. In einigen seiner Holzschnitte, wie »Der Dorfbrand«, sind Anklänge der frühexpressionistischen Stilrichtung zu erkennen. Die späteren Werke der Nordseethematik sind dagegen eher in einer ruhigeren Bildsprache angelegt wie beispielweise »Möwen im Priel« (vgl. Hagenlocher 1969, Kat. 67) oder Spätsommertag« (vgl. ebd., Kat. 68). Vgl. Hagenlocher 1969, Kat. 27.
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Wilhelm Laage
er zwei Holzschnitte angefertigt. Die erste Version aus dem Jahr 1898 (Abb. B1.24) ist im Gegensatz zur zweiten Version klar und strukturiert angelegt.
Abb. B1.24: Wilhelm Laage, Sonnenuntergang im Watt, Sonnenuntergang bei Ebbe, 1898, Druck, 21,8 x 25,3 cm, Privatbesitz
Im Vordergrund sind Details in Form von Gräsern zu erkennen. Die Strichführung im Wasser-, Watt- und Himmelsbereich ist größtenteils parallel gestaltet und vermittelt somit eine gewisse Ordnung und Ruhe. Nur im Vordergrund, in dem sich Wasser- und Trockenbereiche ablösen, ist die Formgebung freier. Laage suchte einen Rhythmus, eine Art übergeordnete Struktur, mit der sich das Meer grafisch erfassen lässt: »Das Meer mit seinen Linien und Bewegungen erschien mir anfangs ganz unentwirrbar für die Kunst. Doch nach einiger Zeit erkannte ich auch darin den großen Organismus und Rhythmus in den Formen, wenn es sich auch noch so wild gebärdete.«39
Dies ist in Ansätzen in der zweiten Version »Sonnuntergang am Wattenmeer«40 (Abb. B1.25) umgesetzt.
Abb. B1.25: Wilhelm Laage, Sonnenuntergang am Wattenmeer, 1911, Druck, 11,1 x 15 cm, Heimatarchiv Cuxhaven
39 Zoepf 1934, S. 33. 40 Vgl. Hagenlocher 1969, Kat. 128.
Laages Motive von Wattenmeer und Nordsee
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Im Gegensatz zur ersten Darstellung, die sich durch feinlinige, penible Gestaltungsweise auszeichnet, wirkt die zweite Version ausdrucksstärker und zeigt eine grobe, reduzierte Linienführung. Abgesehen von der Sonne beherrschen horizontale Linien das Bild. Zum Zeitpunkt der Entstehung lebte Laage allerdings bereits nicht mehr in der Cuxhavener Region. Es ist mit den folgenden Werken eines der letzten Nordseemotive in seinen Holzschnitten.41 Die gleiche genaue, feine Linienführung findet sich in den ein Jahr später entstandenen Werken »Sonne über dem Meer«42 (Abb. B1.26) und »Ebbe, Ebbezeit«43 (Abb. B1.27) wieder.
Abb. B1.26: Wilhelm Laage, Sonne über dem Meer, 1899, Druck, 127 x 29,8 cm, Privatbesitz
Im erstgenannten Werk wird eine beeindruckende Lichtstimmung am Meer visualisiert: Himmel und Vordergrund sind dunkel gehalten. Die Strahlen der hinter einer Wolke verborgenen Sonne brechen hell hervor und reichen hinunter aufs Meer. Die Spiegelung der Sonne auf dem Wasser ist der intensivste Helligkeitsbereich des Bildes. Im Vordergrund heben sich Pflanzen hell vom dunklen Grund ab.
Abb. B1.27: Wilhelm Laage, Ebbe, Ebbezeit, 1899, Druck, 23,2 x 28 cm, Privatbesitz
41 Später entstandene Werk sind: »Auf der Reede« vgl. ebd., Kat. 150. 42 Vgl. ebd., Kat. 47. 43 Vgl. ebd., Kat. 48.
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Das Bild »Ebbe«44 (Abb. B1.27) zeigt dagegen gemäßigtere Helligkeitswerte.45 Detailliert ist die Sicht auf eine bei Ebbe zum Teil trockengefallene Landschaft wiedergegeben. Im Vordergrund verläuft die Küste. Ein Priel führt schlängelnd ins Bildinnere. Tiefenräumlich gestaffelte Darstellungen von Segelschiffen erzeugen perspektivische Wirkung. Im Gegensatz zu den vielen harmonischen und friedlichen Nordseedarstellungen der Duhner Künstlerkolonie sei auf Laages Werke »Des Sommers Grab, Eisgang, Treibeis«46 (Abb. B1.28) und »Böige Mondnacht«47 (Abb. B1.29) verwiesen. Diese entstanden, als er noch in der Cuxhavener Region lebte.
Abb. B1.28: Wilhelm Laage, Des Sommers Grab, Eisgang, Treibeis, 1907, Druck, 26,5 x 32,3 cm, Privatbesitz
Im Holzschnitt »Des Sommers Grab«48 ist die winterliche Ansicht der Nordsee zu sehen.49 Der Blick gleitet von der verschneiten Küste auf das mit Eisschollen überzogene Meer. In der Ferne sind klein einige Schiffe zu erkennen. Das Werk »Böige Nordsee«50 (Abb. B1.29) zeigt dagegen eine düstere Nordsee.51
44 Vgl. ebd., Kat. 48. 45 Von diesem wurden Handpressen von drei Stöcken angefertigt: schwarz oder dunkelbraun, grau-grün, hellgrün-braun-grau. Vgl. ebd., Kat. 48. 46 Vgl. ebd., Kat. 74. 47 Vgl. ebd., Kat. 73. 48 Vgl. ebd., Kat. 74. 49 Ein Druck von zwei Stöcken liegt vor: schwarz und grau oder grün-grau. Vgl. ebd., Kat. 74. 50 Vgl. ebd., Kat. 73. 51 Ein Druck von zwei Stöcken liegt vor: Die Strichplatte ist schwarz oder blau-schwarz oder dunkel-blauviolett; die Tonpalette dagegen ist hell-grün-grau oder blau-grau oder violett. Vgl. ebd., Kat. 73.
Laages Motive von Wattenmeer und Nordsee
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Abb. B1.29: Wilhelm Laage, Böige Mondnacht, Druck, 24 x 29,7 cm, Privatbesitz
Dunkle Wolken beherrschen den Himmel, allein über dem Horizont ist ein hellerer Bereich. Auch der Strandabschnitt im Vordergrund ist dunkel gehalten, durchbrochen von helleren Streifen. Die Silhouetten zweier Segelschiffe sind zu erkennen. Lichtpunkte sind so gesetzt, dass sie aus dem Dunkel hervortreten. In einigen grafischen Arbeiten zur Nordsee, wie im Farbholzschnitt »Abend am Meer« (Abb. B1.30), setzt der Künstler eine stark reduzierte Formsprache ein.
Abb. B1.30: Wilhelm Laage, Abend am Meer, 1907, Druck, 20,7 x 24,8 cm, Privatbesitz
Ein dunkles Blau dominiert das Bild. Am Horizont erscheint ein hellgelber Farbbereich, möglicherweise ist es das schwindende Licht des Tages oder eines vage zu erkennenden Leuchtturms am Horizont. Silhouettenhaft ist ein Dampfer im Blau des Meeres dargestellt, dessen schwarzer Rauch den gelben Himmelsbereich durchbricht. In reduzierter Linienführung ist im Vordergrund die Silhouette einer weiblichen Gestalt in Rückenansicht zu erkennen, die sich auf ein Geländer stützt und aufs Meer schaut. Der/die Betrachtende kann Gedanken und Empfindungen auf die Person projizieren, einhergehend mit Assoziationen von Sehnsucht aber auch Freiheit. Auch im Holzschnitt »Marine«52 (Abb. B1.31) steht 52 Vgl. ebd., Kat. 75.
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ein klein dargestellter Mann mit dem Rücken zum Betrachter am Strand, der zu den Schiffen aufs Meer hinausblickt und als Identifikationsfigur dienen kann.
Abb. B1.31: Wilhelm Laage, Marine, 1907, Druck, 35,5 x 49,8 cm, Privatbesitz
Ein eher untypisches Werk im Kontext seiner Meeresmotivik, stellt der Druck »Stiller Tag am Meer, Meeresstille«53 (Abb. B1.32) aus dem Jahr 1901 dar. Im Vordergrund ist eine weibliche Person in Frontansicht porträtiert.
Abb. B1.32: Wilhelm Laage, Stiller Tag am Meer, 1901, Druck, 14,2 x 19,9 cm, Privatbesitz
Die Darstellungsweise erinnert an Werke von Edvard Munch. Die Frau hat ihren Kopf ein wenig seitlich nach unten geneigt und die Augen geschlossen. Ihre dunklen langen Haare fallen zu beiden Seiten herab. Die Mundwinkel sind etwas nach unten gezogen. Ihre Haltung und ihr Gesichtsausdruck drücken Melancholie aus. Im Hintergrund ist das Meer mit angrenzendem Land zu sehen. Eine Mole mit Steg durchschneidet parallel zum Horizont das Bild. In der Ferne ist ein Dreimaster angedeutet. Der melancholische aber auch friedliche Gesichtsausdruck des Mädchens kann auf die Landschaft projiziert werden und verleiht auch dieser einen ruhigen, etwas schwermütigen Akzent.
53 Vgl. ebd., Kat. 56.
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Das Motiv einer Frauengestalt am Meer wiederholt sich bei Laage auch in den Werken »Am Strand«54 (Abb. B1.33) und »Am Meer, Frau am Meer/Strand«.55
Abb. B1.33: Wilhelm Laage, Am Strand, 1906, Druck, 16,7 x 20 cm, Privatbesitz
Da diese sehr ähnlich sind, wird exemplarisch das erstgenannte Bild erläutert. Es zeigt eine dunkel gekleidete Frau von vorne. Soweit zu erkennen ist, hat ihr Gesicht einen ernsten Ausdruck. Im Hintergrund ist die Strandlandschaft mit einem ins Meer hineinragenden Steg zu sehen. Das Bild wirkt durch die schräg nach hinten verlaufenden Küstenlinien dynamisch, besitzt aber durch die dunkle Gestalt eine melancholische Komponente. Ebenfalls verbildlichte Laage das Badeleben, wie in dem frühen Werk »Badeplatz« (Abb. B1.34) ersichtlich ist.56
Abb. B1.34: Wilhelm Laage, Badeplatz, 1898, Druck, 11,6 x 19,6 cm, Heimatarchiv Cuxhaven
Die Idylle des Badens in der Elbmündung ist dargestellt. Im Hintergrund ist die Kugelbake, das Wahrzeichen Cuxhavens zu sehen. Diese ausgewählten Werke vermitteln einen Einblick in die künstlerische Auseinandersetzung Laages mit dem Wattenmeer.
54 Vgl. ebd., Kat. 65. 55 Vgl. ebd., Kat. 64. 56 Dieser Handdruck wurde mit schwarzer und grau-grüner Tonplatte angefertigt. Vgl. ebd., Kat. 25.
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Wilhelm Laage
Abschließende Zusammenfassung Abschließend ist festzustellen, dass Laage ein breites Motivspektrum wählte. Seine maritimen Werke sind, im Gegensatz zu den zeitgleich tätigen Marinemalern, frei von nationalen und politischen Intentionen. Er wählte sowohl touristische Impressionen als auch Wetterphänomene und Lichtstimmungen im Wattenmeer als Motive. Rückenfiguren sowie Frauendarstellungen unterstützen in einigen Werken die dargestellten Stimmungen. Schiffe band er häufig als Staffage ein. Die heute das Wattenmeer als besonders auszeichnende Phänomene – wie die Tier- und Pflanzenvielfalt – griff er jedoch thematisch nicht auf. Auch das Watt mit seinen unterschiedlichen Strukturen entdeckte er nicht als eigenständiges Motiv. Vielmehr verbildlichte er – wie seine Kollegen in der Künstlerkolonie – weitgehend Stimmungen dieser Landschaft. Mit der Technik des Holzschnitts gelang es ihm, durch reduzierte Formensprache und Farbwahl zum Teil sehr ausdrucksstarke Werke zu kreieren. Der Einfluss von Wattenmeer und Nordsee ist für seine künstlerischen Darstellungen zwar wichtig, doch stellt dies nicht der einzige Inspirationsquell dar.57
57 So hatten maritime Eindrücke für sein Spätwerk, das in Süddeutschland entstand, nur geringe Bedeutung.
2.
Karl Schmidt-Rottluff und Erich Heckel – Nordsee und Wattenmeer als Inspiration für freie Farb- und Formexperimente
Die Kolonie in Duhnen war nicht die einzige Künstlergemeinschaft an der Nordseeküste. Auch einige Künstler der Brücke-Bewegung fanden dort für eine Zeitlang Inspiration.
Künstler der Brücke-Bewegung in Dangast Im Jahre 1905 gründeten Karl Schmidt-Rottluff, Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner und Fritz Bleyl die Künstlerbewegung »Brücke«.1 Weitere Künstler wie Max Pechstein schlossen sich der Gruppe an.2 Die jungen Maler strebten eine Überwindung der konservativen Kunststile und Ideale an.3 Sie lehnten akademische Richtlinien und die Traditionen der etablierten Kunstströmungen ab. Heckel, Schmidt-Rottluff, Kirchner und Bleyl haben sich autodidaktisch der Kunst genähert.4 Ihr Wunsch war es, »alle revolutionären und gärenden Kräfte an sich zu ziehen«.5 So hat Schmidt-Rottluff beispielsweise Nolde aufgefordert, dieser Bewegung beizutreten.6 Nolde kam der Aufforderung nach, war jedoch nur für kurze Zeit Mitglied.7 Kunst bedeutete den jungen Brücke-Mitgliedern eine revolutionäre Haltung, die als Ziel die Überwindung des Althergebrachten und Traditionellen anstrebte.8 So heißt es im Manifest der Brücke:
1 Vgl. u. a. Kat. Dangast 1998, S. 8. Vgl. Vogt 1965, S. 11–16. Allgemeine Darstellung vgl. u. a. Kat. Grenoble 2012. Vgl. Möller u. a. 2011. 2 Vgl. u. a. Kat. Dangast 1998, S. 8. 3 Vgl. u. a. ebd., S. 8f. 4 Vgl. Henkel 2010, S. 24. 5 Vgl. Vogt 1965, S 11. 6 Vgl. ebd., S. 11. 7 Vgl. Brix 1995, S. 66. Vgl. Hüneke 1995, S. 25. Vgl. Gabler (Hg.) 1983, S. 40. 8 Vgl. Vogt 1965, S. 12.
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Karl Schmidt-Rottluff und Erich Heckel
»Mit dem Glauben an Entwicklung, an eine neue Generation der Schaffenden wie der Genießenden, rufen wir alle Jugend zusammen, und als Jugend, die die Zukunft trägt, wollen wir uns Arm- und Lebensfreiheit verschaffen gegenüber den wohlangesessenen, älteren Kräften. Jeder gehört zu uns, der unmittelbar und unverfälscht das wiedergibt, was ihn zum Schaffen drängt.«9
Mit dieser allgemeinen Forderung sind keine konkreten Ziele der Kunst formuliert. In starker Farbigkeit und expressiver Form brachten die Künstler ihre Wahrnehmungen und Empfindungen zum Ausdruck.10 Sie strebten ein natürliches, »unmittelbares« und unverfälschtes Leben jenseits der Städte an.11 Einige der Brücke-Künstler fanden dies in Dangast an der Nordseeküste. SchmidtRottluff, Erich Heckel und – für eine kurze Zeit auch Max Pechstein – hielten sich in der Sommerzeit in der Dangaster Gegend auf.12 Dieses Seebad war touristisch noch nicht sehr populär und auch künstlerisch kaum bekannt. Die angestrebte Ursprünglichkeit fanden sie im Umgang mit der Landbevölkerung, wie den Fischern, und im ästhetischen Erleben unterschiedlichster Landschaftsformen.13
Das Nordseebad Dangast um 1900 – Einblicke in Rezeption und künstlerische Darstellungstraditionen Da Dangast sowohl von den Brücke-Künstlern als auch von Franz Radziwill, der im Anschluss an dieses Kapitel behandelt wird, als Künstlerort gewählt wurde, erfolgt im Folgenden eine kurze Vorstellung dieses an der Nordseeküste gelegenen Ortes und ein Einblick in bildliche Darstellungen um 1900. In Woerl’s »Führer durch das Nordseebad Dangast und seine Umgebung« aus dem Jahre 1891 wird die Landschaft wie folgt beschrieben: »Das Nordseebad Dangast liegt auf einer Halbinsel gleichen Namens und wird nördlich, östlich und westlich vom Jadebusen umschlossen, nach Süden und Südwesten hat es dagegen Verbindung mit dem Festlande und ist daher ohne Seefahrt zu erreichen. Die Düne auf welcher das Badeetablissement liegt, erhebt sich 11 m über den Meeresspiegel der Nordsee von Töndern bis zum Dollart ist Dangast die einzige Strecke, wo die künstliche Eindeichung unterbrochen ist und diese von der Düne, welche sich von Münster aus mitten durchs Herzogtum erstreckt und hier bis zum Meere auslaufend den 9 10 11 12
Vgl. ebd., S. 12. Vgl. u. a. Hüneke 1998, S. 13. Vgl. Dahlmanns 2007, S. 36. Vgl. u. a. Hüneke 1998, S. 13. Vgl. Dahlmanns 2007, S. 36. Vgl. Kat. Bernried 2011, S. 5. Hüneke verweist darauf, dass es sich um keine Künstlerkolonie handelt. Vgl. Hüneke 1998, S. 14. Zu detaillierten Ausführungen über die Lebensumstände von Schmidt-Rottluff und Heckel vgl. Peukert 1998a, S. 60–66. Vgl. Hüneke 1995. 13 Vgl. u. a. Dahlmanns 2007, S. 40.
Das Nordseebad Dangast um 1900
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künstlichen Schutzdeich ersetzt. Da wo die Halbinsel wieder Verbindung mit dem Festlande hat, beginnen die starken Schutzdeiche wieder, welche das hinter ihnen liegende Land vor dem Eindringen des Seewassers schützen. Während die Badeetablissements und die 15 Minuten entfernt liegende Ortschaft Dangast Sandboden haben, beginnt schon gleich hinter der Schule Marsch- und Moorboden. […] Dem älteren Schwemmlande, das hier steil gegen das Meer hin abfällt, lagern sich zu beiden Seiten die Gebilde des Alluviums als Darg und Wiesenmoor, sowie die Marsch an.«14
Dieser Nordseeort ist mit eines der ältesten Seebäder an der deutschen Küste.15 Die Badegäste reisten nicht wegen des Wattenmeers dorthin. In einem Reiseführer aus dem Jahre 1912 (Erstauflage 1876) wird sogar geraten, den Nordseeort bei Flut und nicht bei Ebbe zu besuchen, da die Wattlandschaft einen trostlosen Anblick biete: »Da zur Zeit der Ebbe der Jadebusen mit Ausnahme einer schmalen Fahrrinne ganz trocken liegt, kann nur zur Flutzeit gebadet werden, und einen einmaligen Besuch muß man unter allen Umständen so einrichten, daß man die Flut trifft. Von der Dangaster Höhe hat man den besten Überblick über das öde, nur durch den Wechsel der Gezeiten belebte Wattenfeld, das bald so trostlos mit seine Sand- und Schlickmassen daliegt, bald mit trübe rauschenden Wellen sich bedeckt, welche die Flut durch die Öffnung des Busen hineintreibt.«16
Dies zeigt, dass das Watt am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht im Hinblick auf Schönheit oder die Vielfalt von Tier- und Pflanzenwelt benannt wurde. Stattdessen fand es aufgrund des Salzgehalts von Wasser und Luft und der damit verbundenen Heilwirkung positive Erwähnung.17 In der wilhelminischen Zeit gab es noch eine Trennung in Damen- und Herrenstrand, die auch am Dangaster Strand eingehalten wurde.18 Weiterhin wurde im Reise14 Woerl’s Reisehandbücher 1891: Führer durch das Nordseebad Dangast und seine Umgebung, S. 4. 15 Weitere Informationen sowie Ausführungen zu bildnerischen Darstellungen vgl. hierzu Peukert 1998a, S. 52–57. 16 Strackerjan 1912, S. 140. 17 »Zeitweilig ist der Gehalt an Salzen noch stärker, was auch dadurch erklärt, dass der jenseits des Strandes befindliche Schlick weit grössere Quantitäten Salz bindet als der blosse Sandboden; da nun zur Zeit der Ebbe der Jadebusen mit Ausnahme des schmalen Fahrstreifens fast ganz trocken liegt, so findet ganz entschieden eine starke Salzverdunstung statt, wovon das einströmende Flutwasser grosse Mengen wieder auflöst und so den Gehalt an Salzen verstärkt. Die Flutdauer beträgt in der Nordsee 6 Stunden 13 Minuten, die Dauer der Ebbe 6 Stunden 12 Minuten, sodass zwischen jedem Fluteintritt eine Differenz von 25 Minuten liegt.« Woerl’s Reisehandbücher 1891: Führer durch das Nordseebad Dangast und seine Umgebung, S. 6. Die Heilwirkungen der Seeluft und des Meereswassers werden ebenfalls in einem eigenen Kapitel dargelegt. Vgl. ebd., S. 15f. 18 »Gehen wir nun von der Düne zu dem schönen, teils bewachsenen Kiesstrande hinunter so kommen wir nach einer Wanderung von 10 Minuten an einen auf den Strand weit hinausgebauten Pier, der erstens als Badestrand für die Herren und zweitens als Landungsbrücke für die von Wilhelmshaven kommenden und dahin abgehenden Boote dient. Auf diesem Pier
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Karl Schmidt-Rottluff und Erich Heckel
führer auf die Lichtreflexionen in der amphibischen Landschaft und die damit einhergehenden Stimmungen hingewiesen, zum Beispiel auf die Farbenpracht der Sonnenuntergänge.19 Ebenso wurde von Sturmfluten am Beispiel der versunkenen Insel Arngast berichtet, deren Überreste um 1900 noch mit dem Schiff oder bei Ebbe zu Fuß übers Watt zu erreichen waren.20 Das Wattenmeer stellte jedoch nicht ausschließlich Stätte archäologischer Funde dar, sondern war für die Anwohner primär ein Arbeits- und Alltagsraum, die Fischerei für sie eine wichtige Einkommens- und Nahrungsquelle. In Woerl’s Reiseführer von 1891 wird von den Fangmethoden dort berichtet: »Von den Fischern des Dorfes wird der Fang der Garnelen (Granat, Corvetten) im großartigen Maßstabe betrieben. Über 1000 Fangkörbe sind auf dem Strande ausgelegt, welche sich bei eintretender Ebbe mit den schmackhaften Fischen füllen. Nach geeigneter Ebbe fahren die Fischer mit ihren Schlitten über den Strand zu den Fangplätzen um den Fang einzuheimsen.«21
Ebenso wird auf den bereits im Jahr 1891 errichteten Kriegsmarinestandort Wilhelmshaven und dessen Auswirkungen auf die Landschaft Bezug genommen: »Erst wenn man das hart am Strande gelegene, mit der Frontseite dem Strande zugekehrte Konservationshaus erreicht hat, dann erst hat man einen überraschenden Anblick. Vor uns nach Nordwesten der große Jadebusen in seiner ganzen Breite, nach Norden hin liegt der Kriegshafen Wilhelmshaven, in der Luftlinie 10 km entfernt, mit seinen Gebäuden, Mastenwald und Schiffskolossen. Nach Nordosten hin ist der Ankerplatz der Reichskriegsflotte und selten vergeht ein Zeitabschnitt, wo man dort nicht einige Vertreterinnen unserer Kriegsmarine stolz sich schaukeln sieht.«22
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befinden sich eine Anzahl Kabinen zum Auskleiden, etwa 5 Minuten weiter, ausser Gesichtsweite, liegt der Damenbadestrand mit einer gleichen Anzahl Kabinen, von denen aus man das Bad in offener See nimmt.« Woerl’s Reisehandbücher 1891: Führer durch das Nordseebad Dangast und seine Umgebung, S. 11. »Goldig, mit mitunter phänomenalen Farben koloriert, verschwindet beim Sonnenuntergang die Sonne ins Meer. Auf dem Wasser spiegeln sich die reflektierenden Strahlen in mitunter ungeahnter Farbenpracht.« Woerl’s Reisehandbücher 1891: Führer durch das Nordseebad Dangast und seine Umgebung, S. 10. »Mitten im Jadebusen liegen die Rudera der Insel Arngast, eines einst ansehnlichen Dorfes. Vor einigen Jahren wussten sich noch einige Leute der Zeit zu erinnern, wo mehr als 50 Stück Hornvieh eine recht gute Weide auf der Insel fanden. Nach den letzten Zerstörungen durch die Fluten namentlich in den Jahren 1863 und 1873 ist dort nur noch eine spärliche Dünenvegetation vorhanden. Der höchste Punkt des Inselchens ragt bei ordinärer Flut nur etwa 3 m aus dem Wasser hervor, die Insel hat kaum noch einen ha Ausdehnung. Mächtige Eichenstumpfe, sowie Birkenreste weisen noch jetzt auf den ehemaligen Waldbestand hin. […] Arngast ist noch heute ein Sammelpunkt und Brutplatz für zahlreiche Sumpf- und Schwimmvögel. Arngast ist auch übers Watt zu erreichen.« Woerl’s Reisehandbücher 1891: Führer durch das Nordseebad Dangast und seine Umgebung, S. 12. Woerl’s Reisehandbücher 1891: Führer durch das Nordseebad Dangast und seine Umgebung, S. 11f. Ebd., S. 10.
Das Nordseebad Dangast um 1900
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Dangast war ein Seebad, in dem sowohl der landschaftliche Reiz und Stimmungsreichtum des Jadebusens genossen als auch eine heilende und erholsame Wirkung durch das Nordseeklima erfahren werden konnte. Zudem lag es in unmittelbarer Nähe des Kriegsmarinestandorts Wilhelmshaven. Die Brücke-Künstler waren nicht die ersten, die diese Gegend als Motiv künstlerischer Auseinandersetzung wählten. Nachfolgend wird ein kleiner Einblick in bildliche Traditionen anhand exemplarischer Werke gegeben. Eine nachkolorierte Lithographie von Johann Gerhard Wilms zeigt eine »Ansicht der Reichsgräflich Bentinckschen Seebade-Anstalt zu Dangast« (Abb. B2.1) um 1830.23
Abb. B2.1: Johann Gerhard Willms, Ansicht der Reichsgräflich Bentinckschen Seebade-Anstalt zu Dangast, 1830, Lithografie, Landesmuseum Oldenburg
Der Jadebusen ist nur als Streifen im Hintergrund zu sehen, im Vordergrund die Kuranlage mit Badegästen und Fischern. In einer späteren, um 1885 angefertigten Lithographie (Abb. B2.2) ist Dangasts Lage am Meer ins Zentrum gerückt.24
Abb. B2.2: Unbekannt, Nordseebad Dangast, um 1885, Lithografie, Privatbesitz
Das Nordseebad wird von der Seeseite aus visualisiert. Im Vordergrund sind ein Schiff und einige Menschen in einem Ruderboot zu sehen. Ebenso ist eine Be23 Vgl. Peukert 1998a, S. 53, Abb. 35. 24 Vgl. ebd., S. 54, Abb. 36.
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Karl Schmidt-Rottluff und Erich Heckel
sonderheit Dangasts dargestellt. Die natürliche Geestabbruchkante macht einen künstlichen Deich nicht erforderlich. In derselben Zeit, im Jahre 1888 schuf Julius Preller das Gemälde »Blick auf den Jadebusen« (Abb. B2.3).25
Abb. B2.3: Julius Preller, Blick auf den Jadebusen, 1888, Öl auf Leinwand, Privatbesitz
Das Werk zeigt nicht die Kuranlagen, die häufig als Motiv dienten, sondern den Promenadenweg am Geestrand mit Brücke und Seewasserzuleitung. Am Strandabschnitt befinden sich einige klein dargestellte Personen. Dahinter erstreckt sich die Wasserfläche des Jadebusens mit einigen Segelschiffen. Im Hintergrund ist die Stadtsilhouette Wilhelmshavens zu sehen. Die Malerin Olga Potthast von Minden richtete im Bild »Segelschiff auf dem Wattenmeer« (Abb. B2.4) den Fokus gänzlich auf das Wattenmeer26 und kreierte eine atmosphärische Stimmungslandschaft.
Abb. B2.4: Olga Potthast von Minden, Segelschiff auf dem Wattenmeer, Postkartenreproduktion »Nordseebad Dangast«
Das Werk liegt als Postkartenreproduktion mit dem Titel »Nordseebad Dangast« vor.27 Die naturalistischen Darstellungstraditionen von Dangast im 19. Jahrhundert 25 Vgl. ebd., S. 56, Abb. 38. 26 Vgl. ebd., S. 56, Abb. 39. 27 Vgl. ebd., S. 56, Abb. 39.
Künstlerische Inspirationen der Brücke-Künstler durch die Dangaster Landschaft
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wurden im Zuge avantgardistischer Kunstströmungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufgebrochen. Die Brücke-Maler schufen expressionistische Werke der Dangaster Gegend. Insbesondere Schmidt-Rottluff und Erich Heckel fertigten unterschiedliche Arbeiten an und fanden in der Auseinandersetzung mit der Landschaft nachhaltige Anregungen für ihre Kunst.28
Künstlerische Inspirationen der Brücke-Künstler durch die Dangaster Landschaft Schmidt-Rottluff war mit Unterbrechungen von 1907–1912 in der Dangaster Gegend künstlerisch tätig.29 Häufig kam er schon im Mai nach Dangast und blieb dort bis November.30 Heckel dagegen hielt sich – nach eigenen Angaben – »von 1907–1910 jeweils im Sommer und manchmal auch bis zum Spätherbst« dort auf.31 Zudem weilte er im Zeitraum von 1909–1911 in den Sommermonaten zusammen mit Kirchner und Pechstein bei den Moritzburger Teichen in Dresden und ließ sich dort inspirieren.32 Heckels Kunst dieser Jahre ist somit nicht ausschließlich auf den Einfluss des Nordseeküstenortes zurückzuführen.33 28 Vgl. u. a. Kat. Dangast 1998, S. 9. 29 Zunächst fanden Schmidt-Rottluff und Heckel Unterkunft in Dangastermoor und zogen schließlich nach Dangast. Vgl. hierzu Peukert 1998a, S. 61ff. Vgl. ebenso Gäßler 2007, S. 10f. Im Jahr 1909 zog Schmidt-Rottluff von Dangastermoor nach Dangast um. Vgl. Peukert 1998a, S. 63. Weitere detaillierte Informationen zu den Aufenthalten der zwei Künstler in der Dangaster Gegend vgl. Kat. Bernried 2011, S. 5. Vgl. Peukert 1998a, S. 61–69. Vgl. Brix 1995. Zur Beziehung Heckels und Schmidt-Rottluffs vgl. u. a. Ketterer 1988, S. 38ff. Zur Gründung der Brücke vgl. ebd., S. 41f. 30 Vgl. Kat. Bernried 2011, S. 20. 31 Vgl. Ketterer 1988, S. 53. Detaillierte Ausführungen zur künstlerischen Entwicklung Heckels in Dangast vgl. Dahlmanns 2007. 32 Vgl. Kat. Bernried 2011, S. 20. 33 Vgl. Dahlmanns 2007, S. 42. Als Pechstein Heckel im Jahr 1910 nach Dangast begleitete, berichtete er von Spannungen zwischen Schmidt-Rottluff und Heckel. Möglicherweise waren diese zwischenmenschlichen Schwierigkeiten Anlass, dass Heckel 1911 nicht nach Dangast zurückkehrte. Vgl. u. a. Hüneke 1998, S. 15. »In dieser Zeit arbeitete Schmidt-Rottluff allein oben in Dangastermoor bei Varel in Oldenburg. Den Ort hatte er gemeinsam mit Heckel aufgefunden. Heckel redete mir zu, mit hinaufzukommen, und da es für diesen Sommer doch schon zu spät für Nidden war, willigte ich ein. Ich wollte mich auch endlich vergewissern, warum es so schwierig sei, mit Schmidt-Rottluff zu einem inneren Verhältnis zu gelangen. Auf der Fahrt nach Oldenburg warnte mich Heckel schon: Er fürchte, von Schmidt-Rottluff erdrückt zu werden. Ich verstand ihn nicht und war noch erfüllt von dem hinter uns liegenden Moritzburger Erlebnis, das mich so sehr bereichert hatte. Bald aber wurde ich inne, weshalb der um so vieles sensiblere Heckel sich gegen Schmidt-Rottluff verteidigen mußte, um sich in seiner Arbeit zu behaupten. Vielleicht hatten auch diese Stimmungen ihn bewogen, mich als Schützer mit hinaufzubitten. Als wir am Abend unserer Ankunft zu Schmidt-Rottluff gingen, ihm von der Gründung der Neuen Sezession berichteten und er seine Bilder zeigte, begriff ich
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Karl Schmidt-Rottluff und Erich Heckel
Schmidt-Rottluff dagegen versprach sich in Bezug auf seine künstlerische Entwicklung sehr viel von dem Aufenthalt in Dangast.34 Die Oldenburger Malerin Emma Ritter machte um 1909 die Bekanntschaft mit Schmidt-Rottluff und schloss sich diesem für die folgenden, alljährlichen Dangastaufenthalte an.35 Max Pechstein verbrachte 1910 – nach der Gründung der Neuen Sezession – ebenfalls mehrere Wochen dort.36 Die Künstler hatten Dangast nicht nur wegen der Küstenlage gewählt, sondern vielmehr aufgrund der Vielseitigkeit der Landschaftsformen. Heckel berichtete rückblickend über die eher zufällige Wahl Dangasts als Künstlerort:37 »Schmidt-Rottluff [….] und ich überlegten, wo man hingehen könne, um neue Motive zu finden. Ich habe dann einen großen Atlas aufgeschlagen, und wir suchten irgendeine Küste, denn wir wollten gerne ans Meer, an eine Stelle, die auf besondere Weise herausstach. Im Atlas befand sich eine kleine Sonderkarte des Jadebusens in Oldenburg. Es zeigte sich, daß es am Jadebusen sowohl Sanddünen als auch Deiche gab, einen
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Heckel. Wären wir alsbald wieder fortgefahren, dann wäre dies ein großes Geschenk für uns gewesen.« Reidemeister (Hg.) 1963, S. 44–46. Hüneke gibt zu bedenken, dass diese Erinnerungen nicht präzise waren, da Heckel und Pechstein nicht gemeinsam anreisten und ihre gemeinsame Zeit an den Moritzburger Teichen noch vor ihnen lag. Vgl. Hüneke 1998, S. 19. Weitere Ausführungen vgl. Peukert 1998a, S. 66f. Dies ist in einem Brief vom 26. Mai 1907 ersichtlich, den er aus Dangastermoor an Gustav Schiefler nach Hamburg sandte: »Ich habe viel Hoffnung auf diesen Sommer gesetzt und denke, daß hier in dieser Abgeschiedenheit, sich manches erfüllen soll.« Brief von SchmidtRottluff an Gustav Schiefler, vom 26. 5. 1907, Dangastermoor, in: Wietek 1995, S. 119. Vgl. Gäßler 1998, S. 27ff. Vgl. Wietek 1957, S. 11. In ihren Erinnerungen ist folgende Passage überliefert: »Durch Theodor Francksen, den Begründer des Oldenburger Heimatmuseums, wurde ich darauf aufmerksam gemacht, etwa um 1909, daß sich in Dangast ein paar junge strebsame und interessante Maler-Künstler für mehrere Sommer schon niedergelassen hätten. Ich kam aus meiner Münchner Zeit, wo in der Sezession hauptsächlich Impressionismus, oder wie in der Scholle (Leo Pütz) ein wie mir schien, etwas äußerlicher, dekorativer Schwung herrschte. Als ich nach Dangast kam, war dort nur noch Schmidt-Rottluff und die Kunsthistorikerin Rosa Schapire aus Hamburg […]. Von meinem ersten Besuch an war ich stark beeindruckt vom Schaffen dieser Brücke-Künstler, fand ich doch bei ihnen das, was mir bis dahin sonst noch nirgends in zeitgenössischer Kunst begegnet war : großzügige Komposition, verbunden mit einer tiefen Innerlichkeit der Darstellung, mochte es sich um reines Menschentum handeln, oder um Landschaft und rein Gegenständliches. Dabei eine volle und ruhige Farbigkeit und eine Schöpferkraft und Fülle, die ich bis dahin auch noch nicht kannte. […] Ein paar Sommer hintereinander sind Schmidt-Rottluff und ich dann noch allein in Dangast gewesen, die für mich voll der verschiedenen Anregungen waren, und der erste Eindruck, den ich dort fand, hat sich nie im geringsten abgeschwächt. Eher verstärkt, als ich dann später die anderen Brücke-Künstler in Berlin antraf.« Dangaster Erinnerungen von Emma Ritter, 1946, zitiert nach Wietek 1957, S. 43f. Vgl. auch Kat. Dangast 1998, S. 357. Ausführliche Darstellung vgl. Gäßler 1998. Vgl. zudem Wietek 1957, S. 5, 10. Der Zufallscharakter und die Spontanität dieser Entscheidung werden in der Forschung allerdings angezweifelt. Vgl. hierzu u. a. Hüneke 1998, S. 12. Vgl. Peukert 1998a, S. 58f. Vgl. Gäßler 2007, S. 10f. Vgl. Dahlmanns 2007, S. 37.
Künstlerische Inspirationen der Brücke-Künstler durch die Dangaster Landschaft
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künstlichen Damm und landeinwärts Moor. Wir sagten uns, dies sei die geeignete Stelle für uns, da müßten wir hingehen, denn diese Gegend war uns völlig unbekannt.«38
Dangast war damals ein recht unbekannter Ort, der künstlerisch noch nicht erschlossen war und somit eine gewisse Ursprünglichkeit besaß. Auch wird der finanzielle Faktor eine Rolle gespielt haben.39 In dem Nordseeort konnten die Künstler relativ kostengünstig leben. Da Heckel noch fest in einem Architekturbüro angestellt war, reiste SchmidtRottluff als Erster nach Dangast. Seine Begeisterung über die Gegend brachte er in einem Brief zum Ausdruck: »Er [Schmidt-Rottluff] schrieb mir [Heckel], die Gegend sei großartig und man müsse das alles unbedingt malerisch festhalten.«40 Dies belegen ebenfalls die in dieser Zeit entstandenen Werke. Allerdings verbildlichten die Künstler das Watt und allgemein das Meer eher selten. Dies mag verwundern, da sie einen Ort am Wattenmeer gewählt hatten.41 Dagegen faszinierten sie der Ort Dangast und seine Bewohner, die kleinen Fischerdörfer der Umgebung, die Gebäude, wie Ziegeleien und Windmühlen, umso mehr.42 Ebenso griffen sie verschiedene Landschaftsformen wie das Moor, Heideflächen sowie Geest und Marsch aber auch die schützenden Deiche auf.43 Der Seebädertourismus war damals in dieser Region noch nicht sehr ausgeprägt, sodass sich die Künstler der Einsamkeit in der Natur hingeben konnten – fern von der großstädtischen Eile und Betriebsamkeit.44 Ritter berichtete über den Aufenthalt in Dangast rückblickend: »Die Dangaster Landschaft mit dem stets weiten Himmel darüber, Ebbe und Flut am Wattenmeer, den damit verbundenen Menschen, den stark wechselnden Farben, je ob viel Feuchtigkeit in der Luft war oder Trockenheit, das gab ja auch Gelegenheit genug, den künstlerischen Menschen zum Schaffen zu treiben. Und er ließ sich treiben, so sehr, daß die Leinwände an Zahl so viel wurden, daß beispielsweise, einmal habe ich es erlebt, Schmidt-Rottluff eine dicke Rolle davon bei Ebbe ins Tief warf – mit der Flut aber kam sie wieder ans Land. Sie sollte eigentlich aus seinem Geschaffenen verschwinden.«45
Sowohl die Farbigkeit als auch die Vielfalt der Landschaftsformen inspirierten sie zu ihren Werken. 38 39 40 41 42 43 44
Ketterer 1988, S. 52. Vgl. Kat. Dangast 1998, S. 353f. Vgl. Dahlmanns 2007, S. 37. Ketterer 1988, S. 52. Vgl. Hüneke 1998, S. 15. Vgl. Wietek 1957, S. 12. Vgl. ebd., S. 12. Vgl. ebd., S. 11. In Bezug auf Zweites Aussage »Man sucht das Arkadien an den Moritzburger Teichen, auf Fehmarn, in Dangast, an der Ostsee […]« (vgl. Zweite 1996, S. 49f.) führt Peukert an, dass die Dangastaufenthalte von Schmidt-Rottluff und Heckel nicht den klassischen Arkadienvorstellungen entsprechen. Vgl. Peukert 1998a, S. 75ff. 45 Dangaster Erinnerungen von Emma Ritter, 1946, zitiert nach Wietek 1957, S. 44. Vgl. ebenso Kat. Dangast 1998, S. 357.
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Karl Schmidt-Rottluff und Erich Heckel
Es mag ebenfalls verwundern, dass obwohl Dangast ein Badeort war und der Akt ein demzufolge naheliegendes Motiv darstellte, dieser nicht verstärkt aufgegriffen wurde. Dabei besaßen Aktmotive bei vielen Brücke-Künstlern große Bedeutung. Es war ihr Ziel, mit konventionellen, künstlerischen Darstellungen des Körperlichen zu brechen. Das sinnliche Erleben wurde als ein Kraftquell für die Kunst angesehen.46 Während Kirchner, Pechstein und weitere Mitglieder der Brücke-Bewegung sich an den Moritzburger Teichen insbesondere Aktdarstellungen widmeten, stellten anfangs Schmidt-Rottluff und Heckel in Dangast nackte Menschen eher selten dar.47 Ein Grund mag gewesen sein, dass das Seebad von »bürgerlichen« Strukturen geprägt war, die »öffentliches Nacktsein« untersagten.48 Aber auch die Kosten, befreundete Aktmodelle aus Dresden einzuladen und deren Unterhalt zu bezahlen sowie der Mangel an Kontakten zu potentiellen Aktmodellen in der Dangaster Region lassen sich als Gründe anführen.49 In diesen wenigen Darstellungen mit nackten Menschen nimmt das Meer auch nur eine periphere Bedeutung ein. Im Gegensatz zu den kaisertreuen Künstlern, die die Nordsee häufig als Schauplatz einer nationalen Seefahrtsgeschichte sowie als Ort der Machtdemonstration der kaiserlichen Marine visualisierten, schufen die im Zeitraum 1907–1912 in Dangast tätigen Künstler abstrakte, frühexpressionistische Sehweisen. Schmidt-Rottluff und Heckel waren Autodidakten, die die Möglichkeiten der verschiedenen Kunsttechniken auf der Suche nach ihrem individuellen Stil erprobten. Die Dangaster Landschaft bot ihnen durch ihre Farbigkeit und vielseitige Motivik Freiraum zum Experimentieren. Im Kontext der Ideale der Brücke-Bewegung sollten die Werke das subjektive Seherlebnis von der Ursprünglichkeit der Landschaft mit gesteigerter Intensität möglichst authentisch wiedergeben. Freier künstlerischer Ausdruck wurde angestrebt, das reine Naturabbild dagegen abgelehnt. Während der Aufenthalte an der Wattenmeerküste schufen die Künstler – insbesondere Schmidt-Rottluff – zahlreiche Werke.50 Viele von diesen beschlagnahmten später die Nationalsozialisten und kennzeichneten sie als »entartet«.51 Auch im Krieg wurden Bilder vernichtet.52 Die noch vorhandenen Werke bringen zum Ausdruck, was die Künstler angesichts dieser Landschaft empfunden haben. 46 Vgl. Kat. Bernried 2011, S. 57. 47 Vgl. Hüneke 1998, S. 15. 48 So gab es getrennte Damen- und Herrenbäder mit Badehütten und Umkleidewagen. Vgl. Peukert 1998a, S. 76f. 49 Vgl. Hüneke 1998, S. 15. Vgl. Peukert 1998a, S. 76. 50 Vgl. Wietek 1957, S. 11. Vgl. Kat. Bernried 2011, S. 20. 51 Vgl. Wietek 1957, S. 20–23. 52 Vgl. Wietek 1957, S. 6, 20f.
Künstlerische Inspirationen der Brücke-Künstler durch die Dangaster Landschaft
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Nachfolgend wird die künstlerische Entwicklung von Schmidt-Rottluff und Heckel skizziert und dabei die Bedeutung des Wattenmeers anhand exemplarischer Werke herausgestellt. Da grafische Formen wie Holzschnitt, Lithografien und Radierungen in der Kunst der Brücke von großer Bedeutung waren, erfolgt deren Einbeziehung.53
a)
Schmidt-Rottluff: Künstlerische Inspirationen durch die Dangaster Landschaft
Die Dangaster Aufenthalte hatten auf die künstlerische Entwicklung von Schmidt-Rottluff großen Einfluss.54 In einem Brief aus dem Jahre 1908 entschuldigte er sich bei Luise Schiefler, dass er seinem Versprechen, einen Sonnenuntergang zu malen, in diesem Sommer in Dangast nicht nachgekommen sei, da sich seine »malerischen Anschauungen« geändert haben:55 »Meine malerischen Anschauungen haben sich dieses Jahr in einer Weise geändert und einen neuen Weg genommen, von dem ich selbst nicht weiß, wohin er eigentlich führen soll. Mit dieser Verwandlung war aber auch verbunden, daß ich wenig gemalt habe und das Wenige tastend und suchend.«56
In diesem Jahr ist Schmidt-Rottluffs künstlerisches Schaffen von einer Experimentierfreude geprägt. Seine Werke zeigen eine große Stilbreite. Allerdings sei neben den Landschaftseindrücken ebenfalls auf weitere Einflüsse durch bereits vorherrschende künstlerische Strömungen verwiesen. So schuf er Werke, die neoimpressionistische und zum Teil pointilistische Struk53 Heckel führte rückblickend in Bezug zur Begrifflichkeit »expressiv« Folgendes aus: »Wie kommt man auf das Wort ›expressiv‹? Der jugendliche Elan, mit dem man an seine Aufgaben heranging, brachte es auch mit sich, daß man ohne viel Überlegung ans Werk ging, statt sorgfältig an einem Holzstock herumzuschneiden. […] Erst nach einiger Zeit setzte das eigentlich Kompositorische im Holzschnitt ein. Dies beruht eben doch wieder auf dem Zusammenleben von uns in der Natur. Das kann man daran sehen, daß es erforderlich war, rasch zu arbeiten. Alles wechselte motivisch und technisch ja ständig. Die Stellungen der Badenden, aber auch das Licht mußte man rasch erfassen, und dieses Zupacken veranlaßte einen natürlich, bei der Beobachtung rasch und scharf zu sehen, worauf es ankommt, und so läßt man viel von dem weg, was man insgesamt sieht. Das ist eine Art Reduktion, wie sie dann in der letzten Konsequenz, sagen wir einmal, in der abstrakten Kunst vorkommt.« Erich Heckel, in: Ketterer 1988, S. 60f. 54 Vgl. hierzu Remm 2007. 55 In einem vorangegangenen Brief im Juli desselben Jahres führt er an, dass er wenig gearbeitet habe und »es immer nur beim Schauen geblieben« ist. Brief von Schmidt-Rottluff aus Dangastermoor an Luise Schiefler in Hamburg im Juli 1908, in: Wietek 1995, S. 124. 56 Brief von Schmidt-Rottluff aus Dangastermoor an Luise Schiefler in Hamburg, 25. 9. 1908, in: Wietek 1995, S. 126.
314
Karl Schmidt-Rottluff und Erich Heckel
turen aufweisen.57 Jedoch betonte Schmidt-Rottluff rückblickend, dass diese Einflüsse nur periphere Bedeutung hätten:58 »Um die Zeit, da die ›Brücke‹ gegründet worden ist, hatten wir und ebenso andere herzlich wenig Ahnung, was vielleicht in Frankreich und anderswo vorging – man kannte damals gerade erst die Impressionisten – , nicht einmal C8zanne. Van Gogh kam uns zeitlich zu spät, er war uns natürlich eine Art Bestätigung –. Wobei ich von mir bekennen muß, daß ich damals seiner Betonung des Umrisses fremd gegenübergestanden habe.«59
Im Sommer 1906 besuchte Schmidt-Rottluff eine Zeitlang Emil Nolde in Alsen und erfuhr dort wechselseitige Anregungen.60 Das von der Ostsee inspirierte Werk »Am Meer«61 (Abb. B2.5), das eine große Farbigkeit und virgulistischen Charakter besitzt, belegt, dass Schmidt-Rottluff bereits vor dem Aufenthalt in Dangast seine Bilder farbenfroh gestaltete.
Abb. B2.5: Karl Schmidt-Rottluff, Am Meer, 1906, Öl, Brücke-Museum Berlin
Den abstrahierenden, impulsiven und kraftvollen Duktus übernahm er in den Dangaster Werken. In den Anfangsjahren dominierte diese »ineinander wogende Farbigkeit« in seinen Bildern.62 Jedoch entwickelte sich Schmidt-Rottluffs Stil von kleinteiliger Struktur hin zu einer stärker kontrastierenden Farbigkeit, einer Flächenhaftigkeit und Einbezug linearer Elemente.63 Ebenso schuf er in dieser Zeit Werke, die ineinander
57 58 59 60 61 62 63
Vgl. Remm 2007, S. 30f. Ausführungen zur künstlerischen Entwicklung vgl. u. a. Brix 1995, S. 58–62. Zitiert nach Vogt 1965, S. 14. Abb. vgl. Remm 2007, S. 26. Vgl. Remm 2007, S. 26. Vgl. ebd., S. 29. Vgl. hierzu Hüneke 1998, S. 17.
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verlaufende Farben zeigen.64 Er erprobte die Ausdrucksmöglichkeiten der Aquarellmalerei und übertrug sie zum Teil auf die Ölmalerei.65 Im Sommer 1907 besuchte Schmidt-Rottluff den Kunsthistoriker und Sammler Gustav Schiefler und erhielt Anregungen aus dessen Sammlung. Insbesondere Arbeiten von Munch beeindruckten ihn;66 in einigen seiner Werke sind Einflüsse dieses Künstlers zu erkennen.67 Auch machte er durch Schiefler die kurze Bekannschaft mit Wilhelm Laage. Jedoch war der Kontakt nur sehr flüchtig und hinterließ bei Schmidt-Rottluff keinen tiefen Eindruck.68 Neben diesen Einflussmöglichkeiten wurde seine künstlerische Entwicklung stark von der Dangaster Landschaft geprägt:69 So führte der Künstler in einem Brief aus dem Jahr 1909 an, dass die Farben dieser Landschaft ihn stark faszinierten:70 64 Exemplarisch sei auf das Bild »Stilleben (Töpfe)« (1908, Öl, Privatbesitz) verwiesen. Abb. vgl. Remm 2007, S. 30. 65 Vgl. Remm 2007, S. 30. 66 In einem Brief schreibt er Folgendes: »[…] wieder in meiner stillen Heimat [Dangastermoor] angekommen, möchte ich Ihnen für vieles danken, was hier noch lange fortleben wird. Diese Munchs, die beiden Holzschnitte und einige Lithographien beschäftigen mich noch stark.« Brief von Schmidt-Rottluff an Gustav Schiefler, vom 28. 7. 1907, Dangastermoor, in: Wietek 1995, S. 120. 67 Vgl. Remm 2007, S. 29f. 68 »Es war sehr liebenswürdig von Ihnen [Schiefler], mich bei Laage anzumelden. Freilich war diese Bekanntschaft von recht kurzer Dauer und ich glaube nicht, dass Laage einen ungefähren Eindruck von mir gehabt hat, wie ich mir nun auch nicht einbilde, ihn zu kennen.« Brief von Schmidt-Rottluff an Gustav Schiefler, vom 28. 7. 1907, Dangastermoor, in: Wietek 1995, S. 120. 69 Sein dort entstandenes Werk zeichnet sich durch eine Vielfalt künstlerischer Techniken aus. Vgl. Brix 1995, S. 58. Schmidt-Rottluff versuchte seine inneren Erlebnisse und visuellen Eindrücke der Natur zum Ausdruck zu bringen. Vgl. Remm 2007, S. 33. Zur künstlerischen Entwicklung Schmidt-Rottluffs in den Dangaster Jahren vgl. ebd., S. 20–27. 70 Diese Farbigkeit bezieht sich allerdings nicht nur auf die Lichtstimmungen an der Nordsee, sondern ebenfalls auf die blühende Vegetation (vgl. Brief von Schmidt-Rottluff an Luise Schiefler, Juli1908, Dangastermoor, in: Wietek 1995, S. 124), deren Farben sich so üppig nur im Frühling und Sommer zeigten. »Die warmen Tage jetzt waren ganz herrlich, Farben, alles wie Feuer, ums so trüber siehts jetzt aus.« Brief von Schmidt-Rottluff an Richard tom Diek, vom 8. 6. 1908, Dangastermoor, in: Wietek 1995, S. 123. In einem weiteren im Sommer 1908 verfassten Brief führt er an, dass er bei »trübem Wetter« nicht so gerne arbeitet: »Die Luft hier ist etwas trübe geworden, so daß ich glaube zur Ruhe zu kommen – bei trübem Wetter bin ich nun einmal nicht so tätig als bei Sonnenschein.« Brief von Schmidt-Rottluff an Gustav Schiefler, vom 7. 7. 1908, Dangastermoor, in: Wietek 1995, S. 123. Dies ist ebenso in einem weiteren Brief ersichtlich. In diesem beschreibt er, im Jahr 1911 von einer Norwegenreise wiederkehrend, die unter einer Trockenperiode leidende Dangaster Natur als trostlos. Vgl. Brief von Schmidt-Rottluff an Bertha Rohlsen, vom 23. 8. 1911, Dangastermoor, in: Wietek 1995, S. 139. Jedoch war die allgemeine starke Farbigkeit der sommerlichen Natur Motiv in vielen seiner Werke. »Die ersten Dinge, die ich aus mir herausmalte, zeigten von Anfang an eine starke Reaktion auf Farbe. Das Spiel von Farben, das das Auge über der sinnlichen Welt sah, in ungebrochener Helligkeit, das bannte mich. Es waren unbestimmte Gefühle, die
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»Es ist unglaublich, wie stark man die Farben hier findet, eine Intensität, wie sie kein Pigment hat, fast zu scharf für die Augen. Dabei sind die Farbenakkorde von großer Einfachheit. Malen kann hier eigentlich nur heißen: Verzicht leisten vor der Natur, und es an der richtigen Stelle tun, ist vielleicht eine Definition von Kunst.«71
Obwohl der Künstler von der Farbigkeit fasziniert war, wählte er andererseits auch häufig von der Realität abstrahierte Farben.72 Forderungen der BrückeBewegung nach reinem und unverfälschtem Ausdruck inneren Erlebens können in seinen Werken gesehen werden:73 »Je stärker meine Empfindungen wurden, umso stärker wurde die Farbe, umso tiefer und um so mächtiger. Auch die einzelnen Farbflächen wurden größer, – sie mußten größer werden. Denn wenn ich eine Farbe auch für eine größere Entfernung starkwirkend haben will, muß ich ihr auch eine größere Fläche innerhalb des Bildes geben. Nun begannen die Bilder auch eine innere Struktur zu bekommen. Habe ich eine große Farbfläche im Bild, der ich das Schwergewicht vorbehalten möchte, muß ich die andern Flächen in ihren Dimensionen dazu ins rechte Verhältnis bringen. Dasselbe gilt auch für die Farbe, die für mich ja das Primäre war. Jede einzelne muß in dem und dem Verhältnisse zu der und der anderen stehen. Neben diesem Blau kann just nur das Gelb stehen, wenn das Blau nicht in seinem Werte verändert werden soll, und nur eben diese Menge Rot von eben dieser Nuance kann zu beiden treten.«74
71 72 73
74
wachgerufen wurden, eigentlich mehr ein Zittern aller Empfindungen, […]. So waren denn auch die ersten Bilder. Es waren Impressionen im selben Sinne, wie sie die Franzosen gemalt hatten, trotzdem ich die ersten erst sah, als meine Sinne schon längst stärkere Eindrücke auffingen.« Schmidt-Rottluff 1911. Brief von Schmidt-Rottluff an Gustav Schiefler im Juni 1909, in: Wietek 1995, S. 130. Vgl. Remm 2007, S. 30f. »Sie [die Kunst] ist Ausdruck mächtigsten Lebensgefühls, sie fesselt die gewaltigsten Empfindungen, die die Vision dem Künstler gibt, die uns himmelhoch hinauftragen, wo der Mensch für Augenblicke an seinem Menschsein trunken wird. – Ich möchte meinen Bildern die Gefühlsgewalt der Vision – des Sehens – geben, die ich vor und von der Natur habe.« SchmidtRottluff 1911. In den Briefen ist ersichtlich, dass Schmidt-Rottluff sich auch philosophisch mit der Kunst befasste. Exemplarisch sei auf folgende Passage verwiesen: »Das nun einmal angeschnittene Thema von der Seelenmalerei ist leider noch nicht so ganz zur Ruhe zu bringen. Ich möchte vor allem nicht, dass Sie mich in meiner Weise, Malerei zu geben, als äusserlich fassen, wozu meine Bemerkung von der malerischen Aussenseite vielleicht führen könnte. […] Es fällt mir eine Bemerkung ein, die ich früher mal gemacht habe, eben über den Zusammenhang zwischen Psyche und Körper : Jeder Mensch schafft sich sein Gesicht selber.« Brief von Schmidt-Rottluff an Ernst Beyersdorff in Oldenburg am 12. 7. 1909, in: Kat. Dangast 1998, S. 350. Schmidt-Rottluff 1911. Weiterhin führt er Folgendes aus: »Ein Bild darf dann keine Farbfläche enthalten, die etwa herausgenommen und für die eine andere in Farbe verschiedene eingeflochten werden könnte. Genau so wenig darf das Liniengefüge, das die verschiedenen Flächen ordnet, verschoben werden. So aus inneren Forderungen heraus gewachsen repräsentiert ein Bild eine Empfindung in ihrer stärksten Kraft, festgebannt in Farben und Linien. Das sieht nun alles entsetzlich konstruiert aus, skelettgleich und dürr, und doch hat die Kunst den stolzesten freien Flug. Sie ist der Ausdruck mächtigsten Lebensgefühls, sie fesselt die gewaltigsten Empfindungen, die die Vision dem Künstler gibt, die uns himmelhoch hinauftragen, wo der Mensch für Augenblicke an seinem Menschsein trunken wird. – Ich möchte
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Schmidt-Rottluffs Stil entwickelte sich zu einer Geschlossenheit im Einsatz von Farbe und Form.75 So zeigt sich in seinen Werken, insbesondere den Lithographien zunehmend eine Entwicklung zur Reduktion von Formen.76 Im Folgenden werden ausschließlich maritime Bilder herangezogen.
b)
Maritime Motive im Werk Schmidt-Rottluffs
Schmidt-Rottluff hat in Relation zum Gesamtwerk der Dangaster Zeit nur wenige Werke mit Wattenmeermotivik geschaffen. So waren auf der 1907 stattfindenden Ausstellung des Oldenburger Künstlerbunds nur zwei Lithographien von Schmidt-Rottluff mit maritimer Motivik, »Herbstliches Meer« und »Hafen bei Ebbe«, vertreten.77 Im Jahre 1909 reichte er den Holzschnitt »Wattenmeer« ein.78 Auch sei exemplarisch auf folgende Gemälde und Aquarelle verwiesen: »Hafen bei Ebbe«79, »Deichdurchbruch«80, »Leuchtturm«81, »Schiffe im Watt«82, »Strand mit Körben«83, »Watt bei Ebbe«.84 Das Werk »Watt bei Ebbe«85 (Abb. B2.6, Farbabbildung) schuf SchmidtRottluff im Jahr 1912. Es zeichnet sich durch eine reduzierte Farb- und Formgebung aus. Das Bild visualisiert eine abendliche Stimmung. Der Himmel ist in rot-orangen Farbtönen gehalten, die in den wasserführenden Prielen wieder aufgegriffen werden. Die trockenen Wattbereiche sind in dunklen Blau- und Schwarztönen gestaltet. Durch den Komplementärkontrast verstärkt sich die Leuchtkraft der Farbflächen. Schwarze Silhouetten von fahrenden Segelschiffen heben sich von den
75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85
meinen Bildern die Gefühlsgewalt der Vision – des Sehens – geben, die ich vor und von der Natur habe. – Visionen können nur dem Einzelnen zuteil werden; erst wenn sie Form haben, können andere ihre Bannkraft spüren.« Chemnitzer Tageblatt und Anzeiger, 28. 4. 1911. Vgl. ebenso Hüneke 1998, S. 22. Der Künstler zieht diesbezüglich folgendes Fazit: »So aus inneren Forderungen herausgewachsen, repräsentiert ein Bild eine Empfindung in ihrer stärksten Kraft, festgebannt in Farben und Linien.« Schmidt-Rottluff 1911. Der Künstler setzt sich insbesondere 1910 mit Flächen im Bild auseinander. Diesen »Flächenstil« vervollkommnet er auf einer Norwegenreise und nach Dangast im Jahre 1911. Vgl. hierzu Hüneke 1998, S. 20f. Vgl. Gäßler 2007, S. 14. Vgl. Brief von Schmidt-Rottluff an den Oldenburger Kunstverein, Dangast 11. 10. 1909, in: Wietek 1995, S. 132. Vgl. Wietek 1957, S. 51, 78. Vgl. ebd., S. 78. Vgl. ebd., S. 80. Vgl. ebd., S. 80. Vgl. ebd., S. 81. Vgl. ebd., S. 80. Vgl. Kat. Dangast 1998, Abb. 18.
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blauen und orangen Tönen ab. Es scheint windstill zu sein, da sich die schwarzen Segel kaum bewegt in den orange-roten Wasserflächen spiegeln. Mit wenigen bildsprachlichen Ausdrucksmitteln hat Schmidt-Rottluff ein eindrucksvolles Werk geschaffen, das eine friedliche abendliche Stimmung am Wattenmeer verbildlicht. Im Werk »Deichdurchbruch« (Abb. B2.7) dagegen überwiegt eine gewisse Buntheit.
Abb. B2.7: Karl Schmidt-Rottluff, Deichdurchbruch, 1910, Öl, 76 x 84 cm, Brücke-Museum Berlin
Dabei entsprechen einige der gewählten Töne wie das Rot im Himmel und auf der Erde nicht den natürlichen Farben. Während die Farben und Formen im Bild »Watt bei Ebbe« gemäßigt und flächenhaft eingesetzt wurden, liegt im Werk »Deichbruch« ein unruhiger Pinselstrich vor; das Flächenhafte der Farben wird aufgebrochen und damit eine dynamischere Wirkung evoziert. Weitere Strandbilder kreierte Schmidt-Rottluff: Der Dangaster Weststrand, der sich unterhalb des Kurhauses an der Strandmauer erstreckt, besteht aus dem Sand eines Geestkerns.86 Während der Anwesenheit der Künstler im Sommer wurden dort für die Badegäste Strandkörbe aufgestellt.87 Sie dienten dem Künstler als Motiv, das er sowohl malerisch als auch grafisch umsetzte wie zum Beispiel im Aquarell »Strand mit Körben«88 (Abb. B2.8).89
86 Vgl. Peukert 1998, S. 316. 87 Der Strand von Dangast mit den Strandkörben und der Strandmauer ist auf der Lithografie »Strand« verbildlicht. Vgl. Peukert 1998, S. 316, Abb. 62. Das Motiv Strandkorb hat er zudem im Holzschnitt »Strandkörbe« dargestellt. Vgl. ebd., Abb. 61, vgl. Kat. Dangast 1998, Abb. 39. 88 Vgl. Wietek 1957, S. 81. 89 Vgl. Peukert 1998, S. 316.
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Abb. B2.8: Karl Schmidt-Rottluff, Strand mit Körben, 1909, Aquarell
Dieses Bild verdeutlicht wiederum einen freien Umgang mit Farben und Formen. Es zeigt eine Buntheit, die durch das Nebeneinander von gelben, roten, blauen und grünen Farben entsteht. Der Himmel ist in lasierender Weise in gedämpften, blauen und grauen Tönen mit Übergängen ins Grünliche und Rötliche gehalten. Dagegen bestechen der Strand- und Meeresbereich durch leuchtende Töne. Der in kräftigem Gelb gemalte Strand verläuft in Schlängellinien. Drei in lockerer Pinselführung ausgeführte Strandkörbe befinden sich am Strand. In der rechten oberen Bildhälfte ist das Meer zu sehen, das an den Strand grenzt. Es ist in nebeneinander gesetzten farbigen Farblinien und -flächen gestaltet. Das Bild weist Aussparungen auf, durch die der weiße Untergrund zu sehen ist. Insgesamt hat das Aquarell einen lebendigen und heiteren Charakter. Diese drei unterschiedlichen Bilder geben ein Beispiel der großen Spannbreite stilistischer Vielfalt, in der Schmidt-Rottluff sich in der Dangaster Zeit künstlerisch entwickelte. Beispielhafte Holzschnitte und Lithografien stehen teilweise in Wechselwirkung mit seinen Malereien. Werke mit maritimer Motivik sind die Holzschnitte »Wattenmeer«90 und »Sonnenuntergang am Meer«91 sowie die Lithografien »Hafen bei Ebbe«92 (Abb. B2.9) und »Herbstliches Meer«93 (Abb. B2.10). In diesen überwiegen lineare Gestaltungsmittel.
90 91 92 93
Vgl. Wietek 1957, S. 82. Vgl. ebd., S. 82. Vgl. Kat. Dangast 2007, Abb. 5. Vgl. ebd., Abb. 7.
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Karl Schmidt-Rottluff und Erich Heckel
Abb. B2.9: Karl Schmidt-Rottluff, Hafen bei Ebbe, 1907, Lithographie, 27,5 x 34,8 cm, Städt. Kunstsammlungen Chemnitz
Das Bild »Hafen bei Ebbe« hat als Motiv den ehemaligen Sielhafen Ellenserdamm.94 Mit linearen Elementen werden drei im Hafen liegende Boote angedeutet. Durch die wellige Strichführung erhält das Werk einen bewegten Charakter. Nur einige Striche deuten das Watt an. Die Lithografie »Herbstliches Meer« erzielt durch einen stärkeren HellDunkel-Kontrast zwischen Meer und Strand einen dramatischeren Effekt.
Abb. B2.10: Karl Schmidt-Rottluff, Herbstliches Meer, 1907, Lithographie, 24,5 x 35 cm, Landesmuseum Oldenburg
Das aufgewühlte Wasser des Jadebusens mit den an den Strand rollenden Wellen ist mit unzähligen, sich überlagernden, linearen Elementen dargestellt. Im Vordergrund ist ein Strandabschnitt mit zwei Ruderbooten und einem Fischkasten verbildlicht. Nur ein schmaler Bildstreifen über dem Meer ist dem Himmel vorbehalten. Das Strichgewirr lässt das Bild bewegt erscheinen. Anhand dieser ausgewählten Bilder ist ersichtlich, dass Schmidt-Rottluff das Wattenmeer häufig im Zusammenspiel mit der Küste oder Booten festhielt. Sowohl motivisch als auch bildsprachlich deckt er ein breites Spektrum ab. 94 Vgl. ebd., S. 78.
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c)
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Heckel: Künstlerische Inspirationen durch die Dangaster Landschaft
Auch in Heckels künstlerischer Entwicklung lassen sich zu Beginn der Dangaster Jahre impressionistische Elemente nachweisen.95 Wie Schmidt-Rottluff experimentierte er in dieser Zeit ebenfalls mit den Ausdrucksmöglichkeiten verschiedener Techniken.96 Auch er entwickelte eine Bildsprache, in der die »flächige Malweise«, die Reduktion der Formen und die intensive Farbgebung von großer Bedeutung sind.97 Er brach ebenfalls mit der realistischen Darstellungsweise und der perspektivischen »Realitätstreue«.98 Das rauschhafte, schnelle Erfassen bestimmender Farben und Formen in der Natur zeichnete nach Heckel allgemein die von den Brücke-Künstlern vorgenommenen expressiven Darstellungen aus.99. »Diese Abstraktion, die wir pflegten, ist bedingt durch die Begeisterung für das Motiv. Man ist erregt, wenn man eine ungeheuer leuchtende Farbe auf einem Körper einfangen 95 Vgl. Dahlmanns 2007, S. 38f. 96 Vgl. ebd., S. 39f. Heckel grenzte rückblickend die Entwicklung seiner Kunst von dem Einfluss bestimmter Kollegen, wie Munch ab, und verweist auf eine gemeinsame Wurzel in der Jugendstilbewegung. »Die, wie Sie feststellen, oft wiederholte Behauptung, daß Munch die Brücke beeinflußt und angeregt habe, stimmt tatsächlich nicht. Seine Arbeiten waren uns in Originalen oder Abbildungen in den ersten entscheidenden Jahren 1904–08 oder 1909 in Dresden unbekannt. Anlaß zu der von der Kritik wohl meist ungeprüft übernommenen These kann mehreres gewesen sein. Einmal: die gemeinsame Wurzel: die ›Jugendstilbewegung‹. Die gewisse formale Elemente, die lineare und farbige Entwicklung in der Fläche angebahnt hatte, abstrakter aber auch kristallinisch wuchshafter Natur, am Anfang des Jahrhunderts. Bei uns, die wir einige Jahre später diesem Stil gegenüberstanden, zum Teil mit einer gewissen Ablehnung, weniger spürbar als bei Munch […]. Dann: es bestand eine Verwandtschaft zu Munch im Erleben und in der Einstellung zum Menschen, wie sie Kandinsky oder Marc nicht haben. Schließlich in der Graphik ergeben sich aus dem rein Handwerklichen Ähnlichkeiten.« Brief vom 8. 7. 1946 an die Dr. Vriesen Stiftung, zitiert nach Vogt 1965, S. 13f. 97 Vgl. Dahlmanns 2007, S. 40ff. 98 Vgl. ebd., S. 41. Vgl. Vogt 1965, S. 25. 99 Allerdings gibt es unterschiedliche künstlerische Entwicklungsstufen in den Dangaster Jahren sowie stilistische Abweichungen der Künstler. Vgl. hierzu Hüneke 1998, S. 17ff. Detaillierte Ausführungen zur Stilentwicklung der Maler vgl. Hüneke 1998. Heckel führt Folgendes bzgl. der Technik aus: »Ziemlich gemeinsam wird bis etwas 1908 die Ölfarbe in der Konsistenz verwendet, wie sie aus der Tube kommt. Aber schon damals stellten wir uns die Grundierung der Leinwand oder Pappe selbst her ; durch einen Auftrag von Leim und Schlemmkreide mit geringem Ölzusatz. Dieser Grund saugt einen Teil des Öls aus der aufgestrichenen Farbe auf, besonders wenn dieselbe, was damals noch von uns allgemein gemacht wurde, primär, d. h. im endgültigen Wert einmal hingesetzt wird. Dadurch wird die Farbe nicht wie auf Ölgrund oder bei vielem Übereinandersetzen glänzend sondern matt, stumpf auftrocknen, mit einer Oberflächenlichtbrechung. […] Meines Wissens haben auch Schmidt-Rottluff und Kirchner die Leimfarbe für Bilder bis heute so gut wie nie verwendet. Die matte Wirkung ihrer Bilder kommt eben einerseits von dem saugenden Grund, andrerseits von einer Verdünnung der Tuben-Ölfarbe mit Terpentin, die etwa 1909 begann.« Brief vom 20. 3. 1924, Staatsbibliothek Hamburg, Nachlass Sauerlandt. Vgl. ebenso Hüneke 1998, S. 17.
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Karl Schmidt-Rottluff und Erich Heckel
möchte. Man nimmt dann natürlich das stärkste Rot, das man auf der Palette hat, und erfaßt den Körper selbst und seine Formen. Im Grunde sind diese nebensächlich gemessen an diesem Rot. Natürlich ähnelt der Gegenstand einer menschlichen Figur, aber es kommt einem gar nicht darauf an, daß diese menschliche Figur durchmodelliert ist, wie dies früher im Atelier mit sehr viel Sorgfalt durchgeführt wurde. Es kommt im Wesentlichen darauf an, das einzufangen, was man sieht, und sei es auch nur eine Bewegung.«100
Dieses kann sowohl durch eine Farbe oder ein Motiv inspiriert sein und zeichnet sich durch das »rasche Hinschreiben« auf die Leinwand aus.101 Die Künstler hatten somit »unmittelbar vor der Natur« gemalt.102 Ebenso wurden Aquarell und Zeichnung genutzt, um spontane Eindrücke und Bildideen zu fixieren. Auch Heckel nutzte in dieser Zeit verstärkt den Holzschnitt als expressive Ausdrucksform.103 Die Dangaster Landschaft und die Nordsee boten sich für eine expressive Auseinandersetzung mittels Farben und Formen an.104 Es waren insbesondere die satten Farben der norddeutschen Landschaft, die auch Heckel faszinierten.105
100 Erich Heckel, in: Ketterer 1988, S. 61. 101 »Das ›Expressive‹ entsteht meiner Meinung nach aus dem Wunsch, einen Baum festzuhalten innerhalb einer Umgebung, einem Hügel, mit dem Himmel, einer Wolke, oder man fügt noch Menschen hinzu. Das geschieht natürlich nicht in langsamer und bedachtsamer Art, sondern rasch und zupackend. Das erscheint mir als das Gemeinsame aller ›Brücke-Künstler‹ während der Moritzburger bzw. Dresdner Periode, daß jeder von uns das Zupackende hatte, das rasche Hinschreiben.« Erich Heckel, in: Ketterer 1988, S. 62. 102 Vgl. Ketterer 1988, S. 53. 103 Vgl. Remm 2007, S. 31. 104 In einem Brief Heckels an Gustav Schiefler im September 1907 ist seine Begeisterung für diese Landschaft zu lesen: »Seit ein paar Tagen bin ich wieder hier in Ruhe und Natur, die mir nach den anstrengenden Tagen des Großstadtlebens sehr wohltut. […] Nun ist doch noch prachtvolles Wetter hier, das für den Regen des Sommers reichlich entschädigt. Die Sonne brennt nur so. Und die Stimmungen am Meer sind ganz kolossal fein.« Brief von Erich Heckel an Gustav Schiefler im September 1907, in: Kat. Dangast 1998, S. 352. Buchheim behauptet sogar, dass dieser Aufenthalt an der Nordseeküste ausschlaggebend für die künstlerische Entwicklung von Schmidt-Rottluff und Heckel war: »Denn hier [Dangast] war es, wo Schmidt-Rottluff und Heckel den Impressionismus überwanden, wo die Weite von Land und Meer sie zu großflächigen Kompositionen ermutigte, wo Licht und Atmosphäre die Farben explodieren ließen, wo ihre Malerei einen Grad von Reduktion und Abstraktion erreichte, der in Dresden wohl in dieser Form nicht möglich gewesen wäre.« Vgl. Kat. Bernried 2011, S. 19. 105 Während eines Romaufenthalts 1909 verglich er die Farben dort mit denen an der Nordseeküste: »Vorläufig haben wir in Deutschland im Juni an der Nordsee genauso starke Farben, aber möglich, daß die dann noch tollere Gelb bringen im Sommer.« Brief von Erich Heckel aus Rom an Rosa Schapire in Hamburg am 16. April 1909, in Kat. Dangast 1998, S. 352. Vgl. ebenso Gabler (Hg.) 1983, S. 62. Weiterhin verweist Heckel auf die Farbigkeit weiterer Elemente der Landschaft, wie die Geest, das Moor und die Ziegeleien. Vgl. Ketterer 1988, S. 53.
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»Die Landschaft am Jadebusen hat durch ihre Herbheit und die Kraft ihrer Farben wesentlichen Einfluß auf uns ausgeübt. Wenn man bei Ebbe im Boot auf den Jadebusen hinausfuhr – in den Prielen, das sind so eine Art Wasserläufe, die noch befahrbar sind, weil sie tief einschneiden und kleine Flüsse bilden –, so befanden sich links und rechts Schlickberge. Dieser Schlick leuchtete in ungeheurer Pracht rot oder braun. Aber das Wasser war ebenso farbig.«106
Obwohl Heckel die Farbigkeit des Wattenmeers benennt, griff er dieses nur selten motivisch auf. Im Folgenden wird ein Einblick in seine Bildwelt gegeben.
d)
Maritime Motive im Werk Heckels
Auch in Heckels Oeuvre nehmen die Werke mit Wattenmeermotivik nur einen geringen Anteil ein. Allerdings wurden maritime Bilder auch zerstört; so sind die Ölgemälde »Wattenmeer«107, »Ginster am Wattenmeer«108, »Watt bei Ebbe«109 nicht mehr vorhanden.
Abb. B2.11: Erich Heckel, Boot im Schlick, 1908, Öl, 75 x 52 cm
Weitere Werke, in denen er sich mit maritimen Themen befasste, sind »Boot im Schlick«110 (Abb. B2.11), »Watt bei Ebbe«111, »Ginster am Wattenmeer«112, 106 107 108 109 110 111 112
Ebd., S. 53. Vgl. Vogt 1965, Kat. 26. Vgl. ebd., Kat. 38. Vgl. ebd., Kat. 39. Vgl. Wietek 1957, S. 88. Vgl. ebd., S. 89. Vgl. ebd., S. 89.
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Karl Schmidt-Rottluff und Erich Heckel
»Strand in Dangast«113, »Schiffe im Watt«114 und »Jadebusen«115. Darüber hinaus sei auf die Radierungen »Segelboote (Boot im Watt)«116, »Watt mit Schiff«117 und »Boot im Watt«118 (Abb. B2.14) verwiesen. Alle diese Werke zeigen eine reduzierte Formensprache. In der Tuschezeichnung »Dangaster Strand«119 (Abb. B2.12) hat Heckel das Zusammenspiel von Land und Meer thematisiert und den Strandabschnitt bei Dangast östlich des Kurhauses, in lockerer Pinselführung angedeutet.120
Abb. B2.12: Erich Heckel, Dangaster Strand, 1907, Tusche, 30,2 x 44,4 cm, Brücke-Museum Berlin
Weiterhin hat er 1907 den Holzschnitt »Segelboot (Segelboot auf dem Jadebusen)«121 angefertigt. Das Motiv des Segelboots eignete sich zur Abstraktion mittels geometrischer Figuren, wie sie Lyonel Feininger durchführte. In dem von Heckel geschaffenen Holzschnitt sind erste Abstraktionen durch die Reduktion von Formen erkennbar (Abb. B2.13). Die gewölbten Segel des mittig positionierten Segelboots vermitteln eine gewisse Dynamik. Die linearen Stilmittel lassen das Meer bewegt erscheinen.
113 114 115 116 117 118 119 120 121
Vgl. ebd., S. 91. Vgl. ebd., S. 91. Vgl. ebd., S. 92. Vgl. ebd., S. 95. Vgl. ebd., S. 95. Vgl. Gabler (Hg.) 1983, S. 59. Vgl. Kat. Dangast 1998, Abb. 121. Vgl. ebd., Abb. 84. Vgl. Peukert 1998, S. 317. Vgl. Kat. Dangast 2007, Abb. 28.
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Abb. B2.13: Erich Heckel, Segelboot, 1907, Holzschnitt, 15,5 x 21,8 cm, Landesmuseum Oldenburg
Während das zuvor genannte Werk Dynamik beinhaltet, so erweckt das Bild »Boot Schlick«122 (Abb. B2.11) den Eindruck des Statischen.
Abb. B2.14: Erich Heckel, Boot im Watt, 1908, Radierung, 12,8 x 15 cm, Landesmuseum Oldenburg
Ein im Watt trockengefallenes Segelboot ist seitlich dargestellt. Durch reduzierte Linienführung erfolgt eine abstrakte Annäherung. Das Watt dient als Bühne und ist nicht detailliert ausgearbeitet. Auch in weiteren Werken Heckels, beispielsweise im Bild »Boot im Watt« (Abb. B2.14), ist es kein eigenständiges Motiv. Zu der Zeit, als die Künstler sich in Dangast aufhielten, wurden die Fischerei und der Krabbenfang noch auf traditionelle Weise durchgeführt. So kamen Ruder- und Segelboote sowie Granatkörbe und teilweise auch Schlickschlitten zum Einsatz. Heckel berichtete, wie er einmal beim Einbringen der Reusen zugegen war : »Ich erinnere mich, daß ich einmal beim Einbringen der Reusen dabei war. Dort wird eine Art Fischfang mit Reusen betrieben. Wir fingen Garnelen oder Krabben oder so kleine Krebse, wie man das alles nennt. Diese Krabben haben wir dann gesotten, sie werden wie die Krebse ganz rot und schmecken sehr gut. Ende Oktober oder Anfang 122 Vgl. Vogt 1965, Kat. 15.
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Karl Schmidt-Rottluff und Erich Heckel
November wurden die Körbe hereingeschafft, und ich weiß noch sehr gut, daß ich daran beteiligt war und es mir viel Freude bereitete.«123
Diese Erlebnisse flossen in seine Bildwelten ein. So schuf Heckel u. a. die Radierungen »Drei Fischer am Strand«124 (Abb. B2.15) und »Boote mit Granatkörben«125 (Abb. B2.16), die Situationen aus dem Alltag der Fischer zeigen.
Abb. B2.15: Erich Heckel, Drei Fischer am Strand, 1908, Radierung, 12,4 x 15 cm, Landesmuseum
Abb. B2.16: Erich Heckel, Boote mit Granatkörben, 1908, Radierung, 18,7 x 13 cm, Altonaer Museum
Das Krabbenfangen mit Schlickschlitten war eine Besonderheit im Wattenmeer. Auch dieses Motiv hat Heckel in dem Werk »Fischer mit Schlickschlitten«126 (Abb. B2.17) umgesetzt. 123 124 125 126
Ketterer 1988, S. 53. Vgl. Kat. Dangast 1998, Abb. 122. Vgl. ebd., Abb. 127. Vgl. ebd., Abb. 124.
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Abb. B2.17: Erich Heckel, Fischer mit Schlickschlitten, 1908, Radierung, 11,2 x 11,8 cm, Altonaer Museum
In den genannten Radierungen besitzt das Wattenmeer nur Bühnenfunktion.
e)
Maritime Werke von Emma Ritter und Max Pechstein
Um die Werke Schmidt-Rottluffs und Heckels zu kontextualisieren, sei ebenfalls auf exemplarische Bilder von Ritter und Pechstein verwiesen. Es sind nur wenige Arbeiten mit Nordseemotivik aus dem von 1909–1912 geschaffenen Werk Ritters erhalten. Die studierte Künstlerin gehörte nicht zur Brücke-Bewegung, war jedoch zusammen mit Schmidt-Rottluff in der Gegend künstlerisch tätig. Viele ihrer Bilder wurden 1943 in Berlin durch Bombenangriffe vernichtet.127 Vorhanden sind noch die Holzschnitte »Schiffe im Watt«128 (Abb. B2.19), »Vom Wattenmeer«129 und »Überschwemmung«130 (Abb. B2.18).131 Die genannten Werke sind flächig und in klaren Schwarz-Weiß-Kontrasten ohne Grauwerte ausgeführt. Im Bild »Überschwemmung« (Abb. B2.18) hat Ritter die unter Wasser stehenden Bereiche in reduzierter Formgebung mit wenigen Linien und Flächen visualisiert.
127 128 129 130 131
Vgl. Gäßler 1998, S. 31f. Vgl. Wietek 1957, S. 98. Vgl. Kat. Dangast 1998, Abb. 151. Vgl. Gäßler 1998, S. 30. Vgl. Wietek 1957, S. 98. Vgl. Kat. Dangast 1998, Abb. 152. Eine intensive Auseinandersetzung mit dieser Technik erfolgte unter Einfluss von SchmidtRottluff im Jahr 1911. Vgl. Gäßler 1998, S. 29.
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Karl Schmidt-Rottluff und Erich Heckel
Abb. B2.18: Emma Ritter, Überschwemmung, 1911, Holzschnitt, 25,5 x 34 cm, Landesmuseum Oldenburg
In der linken Bildhälfte öffnet sich der Blick auf den Jadebusen. Dieser wird jedoch durch einen weit ins Wasser ragenden Steg versperrt. Ein am Ufer liegendes Boot kennzeichnet den Übergang der überfluteten Fläche zum Meer. Hätte Ritter nicht die gegenständlichen Motive wie Steg und Boot aufgegriffen, könnte es als rein abstraktes Bild bezeichnet werden. Im Holzschnitt »Schiffe im Watt« (Abb. B2.19) liegt eine gegenständlichere Auseinandersetzung mit der Wattlandschaft vor.
Abb. B2.19: Emma Ritter, Schiffe im Watt, 1910, Holzschnitt, 28 x 34 cm, Privatbesitz
Zwei Schiffe dienen als Hauptmotiv. Die Wattlandschaft und die Spiegelungen der Boote im Wasser sind in reduzierter Formsprache visualisiert. Das Watt als eigenständiges Motiv wird auch von Ritter nicht aufgegriffen. Dies ist ebenso in den Werken Pechsteins der Fall. Er hielt sich nur kurz in Dangast auf, doch in einigen Werken ist der Einfluss der Nordseemotivik deutlich zu verzeichnen.
Künstlerische Inspirationen der Brücke-Künstler durch die Dangaster Landschaft
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Dazu gehört das Ölgemälde »Am Jadebusen«132 (Abb. B2.20), in dem das Wasser als eigenständiges Motiv fungiert.
Abb. B2.20: Max Pechstein, Am Jadebusen, 1910, Öl, 65 x 65 cm, Pfalzgalerie Kaiserslautern
Das Augenmerk richtet sich auf brechende Wellen. Das aufgewühlte Wasser des Jadebusens ist in überwiegend grünlichen Farbtönen gehalten. Ein gelber Himmel mit grau-blauen Wolken erstreckt sich über dem Meer. Das Gelb wird in den am Strand auslaufenden Wellen im Vordergrund wieder aufgenommen. Ebenso hat Pechstein das Watt als Thema gewählt. In dem Aquarell »Priel bei Dangast«133 (Abb. B2.21) ist ein wasserführender Priel während der Ebbe zu sehen.
Abb. B2.21: Max Pechstein, Priel bei Dangast, 1910, Aquarell und Kreide, 11 x 14 cm, BrückeMuseum Berlin
132 Vgl. Kat. Dangast 1998, Abb. 135. 133 Vgl. Kat. Dangast 1998, Abb. 138.
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Karl Schmidt-Rottluff und Erich Heckel
Das Watt ist in reinem Gelb dargestellt und erinnert eher an eine Strandlandschaft. Das scheinbar trockengefallene Segelboot verweist auf eine typische Situation im Wattenmeer.
Abschließende Zusammenfassung Abschließend ist festzustellen, dass von den erhaltenen Bildern der hier angeführten Künstler nur einige Werke Wattenmeer- oder Nordseebezug aufweisen, obwohl das Wattenmeer als Grenzlandschaft, in dem elementare und ursprüngliche Kräfte und Elemente aufeinandertreffen, die Künstler inspirierte.134 Auch wenn der Stimmungsreichtum und die Farbigkeit des Wattenmeers benannt wurden, stellte für sie das Watt kein eigenständiges Motiv dar. Ebenso hatte die vielfältige Tier- und Pflanzenwelt diesbezüglich keine Bedeutung. Denn die Künstler empfanden damals das Wattenmeer nicht als besonders schützenswerte Natur. Die Küstenlandschaft und die Fischerei dagegen wurden häufiger in den Werken visualisiert. Nationale Belegungen und Darstellungen der Kriegsmarine, die aufgrund des nahegelegenen Stützpunktes Wilhelmshaven ebenfalls die maritime Sichtweise prägten, liegen in den Werken der Brücke-Künstler nicht vor. Ihr Ziel galt der Überwindung konventioneller Kunstideale und -strömungen. Aus diesem Grund knüpften sie nicht an gängige Bildthemen der wilhelminischen Marinemalerei oder der traditionellen Landschaftsmalerei an. Die Künstler waren bemüht, ihre Werke sowohl in der Umgebung Dangasts als auch in größeren Städten zu präsentieren.135 Damit die im ländlichen Dangast 134 In Bezug auf die Motivwahl schienen auch zwischenmenschliche Unstimmigkeiten im Jahr 1910 eine Rolle zu spielen. Max Pechstein berichtete Folgendes: »So blieben wir [Pechstein, Heckel] und Wochen hindurch sahen wir vieles in der Landschaft, was Schmidt-Rottluff bereits geschaffen hatte, für uns also tabu war. Nun Heckel und ich freundeten uns mit den Krabbenfischern und Bauern von Dangastermoor an und fanden unter ihnen und den Ortsansässigen manches Modell.« Reidemeister (Hg.) 1963, S. 44–46. Diese angekündigte Tabuisierung von Motiven schien allerdings nicht konsequent erfolgt zu sein, da alle drei Künstler sich auch mit ähnlichen Bildthemen, wie der Darstellung von Booten befassten. Vgl. Dahlmanns 2007, S. 44. Mit abfälliger Note führt Pechstein weiterhin Folgendes an: »Unsere [Heckel, Pechstein] Moritzburger Erkenntnisse führten ja auch unsere Formgebung weit über Schmidt-Rottluff hinaus, der damals noch an der Grenze der impressionistischen Technik stand. Menschlich benahm er sich wie ein Freund.« Reidemeister (Hg.) 1963, S. 44– 46. Hüneke zweifelt den stilistischen Vorsprung Pechsteins dagegen an. Vgl. Hüneke 1998, S. 20. 135 Vgl. hierzu u. a. Hüneke 1998, S. 11–15. Vgl. ebenso Peukert 1998, S. 73f. Zu den Anfängen der Ausstellungstätigkeit vgl. Gäßler 2007. Schmidt-Rottluff versuchte Bindungen in der Region aufzubauen beispielsweise durch seine Bemühungen um Aufnahme in regionale Kunstvereine. Vgl. u. a. Hüneke 1998, S. 15. Vgl. ebenso Gäßler 2007, S. 11ff. Auch Heckel stellte Aufnahmeanträge. Beide Künstler wurden Mitglieder in der Vereinigung nord-
Abschließende Zusammenfassung
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weilenden Maler weiter in Kontakt zur städtischen Kunstszene standen, erfolgte zudem ein Austausch mittels selbstgefertigter Künstlerkarten.136 Allgemein wurden ihre Werke im Rahmen von Ausstellungen zwiespältig bewertet.137 Die Tatsache, dass keine typischen Dangaster Motive bildlich umgesetzt wurden, war neben dem Bruch mit künstlerischen Darstellungskonventionen ein Grund, warum viele der in Dangast geschaffenen Bilder auf Ablehnung stießen.138 Für westdeutscher Künstler sowie im Oldenburger Künstlerbund. Im letztgenannten war ebenfalls die Oldenburger Malerin Emma Ritter zugehörig. Vgl. Wietek 1957, S. 8, 10. 136 Vgl. Hedinger 1998, S. 42–45. Beispielsweise lassen sich von Schmidt-Rottluff 66 angefertigte Künstlerpostkarten nachweisen. Vgl. Wietek 1995, S. 48. Rückblickend führt SchmidtRottluff im Jahr 1958 Folgendes zur Künstlerkarte aus: »Wann es eigentlich aufkam, dass die Brückeleute Postkarten zeichneten, weiss ich nicht mehr, es war gewiss schon vor 1909. Da wir alle nicht gerade eifrige Briefschreiber waren, dienten die Karten als kurze Mitteilung über unsere Arbeit besonders Rosa Schapire [legt] grossen Wert darauf, die Arbeit zu verfolgen und so sind die meisten Karten Skizzen von Bilder und Beobachtungen.« Brief Schmidt-Rottluff an Gerhard Wietek vom 6. 8. 1958, in: Wietek 1995, S. 177. Um die Jahrhundertwende haben zahlreiche Künstler das Medium Künstlerpostkarte gestaltet und genutzt. Vgl. Hedinger 1998, S. 47f. Zur Geschichte der Anfänge von Künstlerpostkarten vgl. u. a. Hedinger 1998, S. 45ff. In Bezug auf maritime Werke sei auf die Mitglieder der Duhner Künstlerkolonie verwiesen, die ebenfalls das Medium Künstlerpostkarte gebrauchten. Durch die Künstlerpostkarten wurden die Motive der Kunstwerke verbreitet. Allerdings handelte es sich bei den Adressaten der Künstler der Brücke-Bewegung und Duhner Kolonie um einen eher begrenzten Kreis, der u. a. Sammler umfasste. Die Kunsthistorikerin Rosa Schapire war beispielsweise eine wichtige Adressatin von SchmidtRottluffs Karten. Vgl. Hedinger 1998, S. 47. Jedoch gelangten die Karten bereits bei der Beförderung in verschiedene Hände. Im Gegensatz dazu haben beispielsweise Bohrdt und Stöwer Künstlerkarten kreiert, die in größerer Anzahl aufgelegt wurden; dadurch fand ihre Kunst größere Verbreitung. Auch Franz Radziwill, der 1920/21 Dangast besuchte und 1923 dort sesshaft wurde, übernahm die Tradition des Kartenschreibens. Vgl. Hedinger 1998, S. 50. Wiederum gehörte Rosa Schapire neben Wilhelm Niemeyer zu den wichtigen Adressaten. Vgl. Hedinger 1998, S. 50f. Vgl. Peukert 1998a, S. 69f. Radziwill stellt die Dangaster Landschaft in den anfänglichen Künstlerkarten u. a. in fantastischer Manier dar. Exemplarisch sei auf die Künstlerkarten »Strandlandschaft mit springenden Fischen« (vgl. Katalog Dangast 1998, Abb. 179) und »Landschaft« (ebd., Abb. 176) verwiesen. Dadurch ist keine topografische Verortung in die Dangaster Landschaft möglich. In einigen Karten greift er jedoch markante Punkte Dangasts auf, zum Beispiel das Alte Posthaus. Vgl. Hedinger 1998, S. 50. Seine Annäherung an die Nordsee und das Wattenmeer wird im anschließenden Kapitelkomplex dargelegt. 137 Vgl. Gäßler 2007, S. 16–20. 138 In Bezug auf eine Ausstellung von Heckel und Schmidt-Rottluff im Oldenburger Augusteum ist ersichtlich, dass viele Besucher keinen Zugang zu den in Dangast gefertigten Werken fanden. »Wenn die Ausstellung der beiden jungen Dangaster Künstler bisher hier seitens des großen Publikums nur eine kühle, ablehnende, nur durch die Achtung vor ihrem ernsten Wollen gemilderte Kritik gefunden hat, so ist daran weiter nichts Verwunderliches. Dazu hat ihr Schaffen auch ein gar zu fremdartiges Gesicht, das den harmlosen Beschauer manchmal direkt zu vexieren scheint. Selbst in einer großen Stadt würden die Dangaster auf viel Mißverstehen und gleichgültiges Achselzucken gestoßen sein.« Besprechung eines unbekannten Kritikers in den Oldenburger Nachrichten 1908 in Bezug zur Sonderausstellung E. Heckel (Dangast), Schmidt-Rottluff (Dangastermoor) im Augusteum vom 27. September bis 18. Oktober 1908, zitiert nach Wietek 1957, S. 37–42, hier : S. 37.
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den freien Einsatz von Farben und Formen hatte die breite Mehrheit der Betrachter kein Verständnis. In Besprechungen wurden beispielsweise einige Bilder mit »wilden Schlachtfeldern« verglichen.139 Aufgrund solcher Ansichten ist ersichtlich, dass viele Rezipierende im Umgang mit moderner Kunst noch nicht so geübt waren.140 Jedoch wurden einige Bilder auch positiv bewertet.141 So erhielten die neuen Zugänge der Brücke-Künstler durchaus Lob.142 139 »Betrachtet man ihre [Heckels, Schmidt-Rottluffs] Leinwände aus der Nähe, so gleichen sie einem wilden Schlachtfeld auf dem finger- bis handgroße Bäche eines blutigen Rot, knallenden Gelb und giftigen Grün einen Kampf bis aufs Messer miteinander führen.« Besprechung eines unbekannten Kritikers in den Oldenburger Nachrichten 1908 in Bezug zur Sonderausstellung E. Heckel (Dangast), Schmidt-Rottluff (Dangastermoor) im Augusteum vom 27. September bis 18. Oktober 1908, zitiert nach Wietek 1957, S. 37–42, hier: S. 37. Der anonyme Kritiker hob weiterhin hervor, dass die Künstler »trotz […] vielfachen Unvermögens, das innerlich Geschaute in die Tat umzusetzen, der Welt sehr viel zu sagen haben.« Vgl. ebd. 140 Auf einer 1911 vom Vareler Verein für Kunst und Wissenschaft mitinitiierten Wanderausstellung des Oldenburger Künstlerbundes, waren ebenfalls Bilder von Schmidt-Rottluff zu sehen. Diese wurde in Wilhelmshaven, Jever, Varel und Brake gezeigt und der Künstler hoffte, seinen Bekanntheitswert zu steigern. Allerdings trafen seine Bilder vielfach auf Unverständnis seitens des Publikums. Vgl. Peukert 1998a, S. 71. »Die auffallendsten Gemälde hat der Dangaster Maler Karl Schmidt-Rottluff ausgestellt. Sie sind weitaus am meisten von den Besuchern der Ausstellung besprochen und haben wohl die wenigste Anerkennung gefunden. Man fragte sich: Was soll das bedeuten? Was will der Maler? […] Das darzustellende Sujet wird wenig beachtet und ist daher meist kaum zu erkennen. Farbe ist alles, und die Verschmelzung der Farbe ist Sache des Beschauers. Sie betreten damit neue Wege und suchen Neuland. Ein solches Streben kann man keinen Künstler verübeln, und deshalb hat man auch wohl Schmidt-Rottluff den Eintritt in den Künstlerbund nicht verweigert. Solange aber das Neuland nicht besser gefunden ist, solange die Gemälde nur solches Farbengewimmel zeigen, kann der Künstler eine Anerkennung vom Publikum nicht erwarten. Da ziehen wir denn doch noch das entgegengesetzte Extrem vor, das der Natur peinlich genau folgt und möglichst jeden Baum und Stein so naturgetreu malt, wie die Technik es erlaubt.« »Kunstausstellung«, in: Der Gemeinnützige, 16. April 1911. Zitiert nach Wietek 1995, S. 224. 141 Die mit Schmidt-Rottluff befreundete Kunsthistorikerin Rosa Schapire führte 1911 mit Bezugnahme auf die Farbigkeit das subjektivistische Landschaftserlebnis und den schöpferischen Künstlerakt in Schmidt-Rottluffs Werken an: »Farbströme fließen ineinander und ergeben eine Natur, die vielleicht der ›Wirklichkeit‹ sehr fern steht, aber ebenso der Willkür. […] Er schafft dabei eine neue Welt von seinen eigenen Gnaden. Sie ist wie die Welt eines jeden großen Schaffenden von höchst subjektiver Prägung. Das Augenerlebnis ist der äußere Anstoß, aber durch die gestaltende Kraft des Künstlers werden Dinge eingetaucht in eine neue Sphäre und ihres Wirklichkeitsgehaltes entkleidet. […] Das zuckende Leben von Baum und Strauch, verschlungene Wegen, straff gespannten Segeln, still verschwiegenen Häusern […] gegenüber dem Analytisch-Zersetzenden, Auflösenden des Impressionismus gibt er die Synthese, ein konzentriertes Zusammenfassen, ein Heraustreiben des Wesentlichen, ein Reduzieren des Wesentlichen, ein Reduzieren der Dinge auf ihre unmittelbarsten Komponenten.« Zitiert nach Huber 2005, S. 39. 142 Gustav Schiefler verweist in einem 1918 erschienen Artikel im »Kunstblatt« darauf, dass in Heckels Werken das Landschaftsgefühl Dangasts zum Tragen kommt. »Mehrere Sommer brachte Heckel in Gesellschaft Schmidt-Rottluffs in Dangast an der Oldenburgischen-Küste
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Schmidt-Rottluff verließ Dangast im Jahre 1912 als letzter der Brücke-Bewegung. Dieser Ort und seine Umgebung hatten ihn in seiner persönlichen und künstlerischen Entwicklung geprägt.143 Ein Grund, warum der Künstler diesen Studienort den Rücken kehrte, war u. a. eine Ostseereise, auf der der Anblick des offenen Meeres große Faszination auf ihn ausübte.144 In Dangast hatte er das Meer im Jadebusen als nahezu umschlossene Wasserfläche kennengelernt. Den Eindruck des weiten Meeres hatte er zwar zuvor bereits während eines Syltaufenthalts gewonnen,145 jedoch schien er die im Gegensatz zur Nordsee eher idyllische Ostsee ohne den Einfluss der Gezeiten zu genießen. Im Mai 1913 schrieb er, dass er nicht vorhabe, in diesem Jahr nach Dangast zu reisen: »Es ist wohl möglich, daß Sie mich dies Jahr nicht in Dangast sehen. Ich habe Lust, wieder mal an die Ostsee zu gehen.«146 Er reiste nach Nidden an die Ostsee, äußerte aber in einem Brief seine Absicht, im Herbst 1913 noch einmal nach Oldenburg, einem Ort nahe Dangast zu kommen.147 Dies setzte er allerdings nicht um.148 Ein weiterer Grund, warum er nicht nach Dangast zurückkehrte, mag in seiner Skepsis im Hinblick auf die dortige Kunstszene und im ausbleibenden Erfolg begründet gewesen sein.149
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zu. Dort fand er das Gefühl für die Weite des Raumes und die Körperlichkeit der Luft; das Meer und seine Atmosphäre haben ihm beides vermittelt. In zart gerissenen Radierungen hat er badende Frauen, vor den bald höher, bald tiefer genommenen Horizont der Wasserfläche gestellt oder Fahrzeuge, die während der Ebbe im Schlick auf der Seite liegen, in einer Art vernis-mou-Technik gezeichnet. Aber die Gegenstände ordnen sich dem Ganzen der Umgebung so ein, daß Raum, Luft und Licht als die eigentlichen Träger des Eindrucks erscheinen. Das Raumgefühl bleibt für die Zukunft dem Künstler ein unverlierbarer Besitz. Wir begegnen ihm in der Folgezeit überall, auch in den begrenzten Landschaften des Binnenlandes und in den Interieurs.« Gabler (Hg.) 1983, S. 52. So führte er noch neun Jahre nach seinem letzten Dangastaufenthalt an, dass diese Gegend zu einem Teil seiner Heimat wurde. »Es ist eigentümlich, wie starke und ich möchte behaupten, heimatliche Gefühle mich mit dem Oldenburger Land verbinden – nicht mit meiner eigentlichen Heimat habe ich einen solchen inneren Zusammenhang. – Was mich hierherzieht ist die Weite des Landes und seine Verwandtschaft mit der Natur Litauens – oder Russlands – wenn schon es jedem nicht leicht fallen wird, da einen Zusammenhang zu sehen. Also ich muß doch bald wieder nach Oldenburg kommen und meiner Frau das Land meiner Jugend zeigen.« Brief von Schmidt-Rottluff an Beyersdorff, vom 4. 9. 1921 aus Jershöft, in: Wietek 1995, S. 152f., hier: S. 153. Vgl. Brief von Schmidt-Rottluff vom 9. 10. 1912 aus Berlin-Friedenau an Beyersdorff in Oldenburg, zitiert nach Wietek 1995, S. 142. Vgl. ebenso Peukert 1998a, S. 68. In Bezug auf den Syltaufenthalt entstanden u. a. die Werke »Sonniger Blick aufs Meer« und »Düne«. Vgl. Remm 2007, S. 25. Brief von Schmidt-Rottluff vom 13. 5. 1913 aus Berlin-Friedenau an Beyersdorff in Oldenburg, zitiert nach Wietek 1995, S. 144. Vgl. Brief von Schmidt-Rottluff aus Nidden (Kurische Nehrung) vom 2. 7. 1913 an Theodor Francksen in Oldenburg, zitiert nach Wietek 1995, S. 144f. Im Jahr 1914 hielt er sich wiederum an der Ostseeküste in Hohwacht auf. So formulierte er in einem Brief an Beyersdorff im Jahr 1914 an, dass er die Entwicklung einer Kunstszene in Oldenburg für nicht sehr wahrscheinlich hält: »Ich hörte dann und
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Karl Schmidt-Rottluff und Erich Heckel
Im Jahre 1913 löste sich die Künstlergruppe »Brücke« auf.150 Der erste Weltkrieg unterbrach dann das künstlerische Schaffen.151 Erst im Jahre 1920 erwachte erneut Schmidt-Rottluffs Interesse, die Dangaster Landschaft seiner Frau zu zeigen,152 er tat dies jedoch nicht.153 Stattdessen wählte er wiederum sein sommerliches Quartier an der Ostseeküste.154 Nach wie vor pflegte er zwar noch einige Verbindungen zu dieser Region,155 jedoch war Dangast für den Künstler
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wann von neuen Kunstplänen in Oldenburg. Soweit ich Oldenburg nun kenne, glaube ich nicht, dass da was Vernünftiges rauskommt. Solange sich Oldenburg nicht zur Selbständigkeit entschliessen kann, sich womöglich einen jungen Kunsthistoriker zum Museumsdirektor holt und den eine moderne Galerie gründen lässt […] nun solange gibt’s wohl auch kein Kunstleben dort.« Vgl. Brief von Schmidt-Rottluff an Ernst Beyersdorff, Hohwacht, 6. 6. 1914, in: Wietek 1995, S. 147. Wie Heckel berichtete, hatten die Mitglieder bei der »Freien Secession« ein breiteres Forum. Vgl. Ketterer 1988, S. 49. Die nationalistische Kriegsbegeisterung erfasst ebenfalls Brücke-Maler wie SchmidtRottluff. Vgl. Brief von Schmidt-Rottluff an Ernst Beyersdorff, Berlin-Friedenau, 2. 11. 1914, in: Wietek 1995, S. 148. Vgl. Brief von Schmidt-Rottluff an Ernst Beyersdorff, Berlin, März 1915, in: Wietek 1995, S. 148f. Er wurde nach Russland eingezogen, geriet in den Stellungskrieg und formulierte bereits im Jahr 1915 in einem Brief den Wunsch nach Frieden. Vgl. Brief von Schmidt-Rottluff an Ernst Beyersdorff, Feldpost Rußland, 9. 6. 1915, in: Wietek 1995, S. 149. Vgl. Brief von Schmidt-Rottluff an Ernst Beyersdorff, Feldpost Rußland, 4. 11. 1915, in: Wietek 1995, S. 148. Vgl. Brief von Schmidt-Rottluff vom 11. 2. 1920 aus Berlin-Friedenau an Beyersdorff in Elsfleth, zitiert nach: Wietek 1995, S. 150f. So äußerte er den Wunsch nach Oldenburg zurückzukehren. Vgl. Brief von Schmidt-Rottluff vom 21. 11. 1920 aus Berlin-Friedenau an Richard tom Diek in Oldenburg, in: Wietek 1995, S. 151. Im Jahr 1920 formulierte er in diesem Brief sogar sein Bestreben dem Oldenburger Künstlerbund wieder beizutreten und die insbesondere während des Krieges versäumten Beträge nachzuzahlen. Vgl. ebd. In einem Brief an Beyersdorff im Jahr 1920 schreibt Schmidt-Rottluff, er und seine Frau bedauerten, dass sie im Herbst doch nicht nach Dangast gekommen waren und dass sie beabsichtigen, nächstes Jahr zu kommen. Vgl. Brief von Schmidt-Rottluff vom 24. 11. 1920 aus Berlin-Friedenau an Ernst Beyersdorff in Elsfleth, in: Wietek 1995, S. 151. Vgl. u. a. Peukert 1998a, S. 68f. So stand er in den 20er Jahren in Briefkontakt mit dem in Dangast niedergelassenen Künstler Radziwill, dessen künstlerische Auseinandersetzung mit dem Wattenmeer in dieser Studie ebenfalls behandelt wird. Vgl. exemplarisch den Brief von Schmidt-Rottluff an Radziwill in Dangast, vom 12. 22. 1921 aus Berlin-Friedenau, in: Wietek 1995, S. 154. In einem Brief lädt Radziwill Schmidt-Rottluff nach Dangast ein. Vgl. Brief von SchmidtRottluff an Radziwill, Dezember 1923, Berlin, in: Wietek 1995, S. 160. Dieser Einladung kommt Schmidt-Rottluff allerdings nicht nach. Er bekräftigte seinen Entschluss in einem weiteren Brief an Beyersdorff: »Was freilich Radziwill so des öfteren über mich zu berichten weiss, verursacht mir ein Kopfschütteln, denn ich wusste nicht, dass ich ihm zu solchen Berichten Veranlassung gegeben hätte. Und so muss ich Ihnen leider vorläufig noch sagen, dass ich irgendwelche, Pläne mich in Dangast festzusetzen z. Zt. nicht habe, zumal ich derartige Pläne für die nächste Zeit überhaupt nicht haben kann.« Vgl. den Brief von Schmidt-Rottluff an Beyersdorff, Berlin-Friedenau, 22. 2. 1924, in: Wietek 1995, S. 160f. Im Jahr 1922 äußerte sich Schmidt-Rottluff gegenüber Beyersdorff positiv in Bezug auf Radziwill: »Dass Sie an Radziwill Freude gefunden haben, freut mich ungemein. Er ist ein reiches Talent voll Einfalt und Tiefsinnigkeit, vielleicht ein zu viel ›Sonntagskind‹.« Brief von
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ausschließlich in seiner künstlerischen Anfangszeit von Interesse.156 Auch die Nordsee wird zu keinem bestimmenden Motiv in seiner Kunst. In Heckels Kunst dagegen findet sich eine intensivere Auseinandersetzung mit diesem Meer. Wie Schmidt-Rottluff hegte auch Heckel zunächst noch heimatliche Gefühle für den Dangaster Landstrich.157 Im Jahr 1922 besuchte Heckel nochmal diese Gegend und war immer noch von ihr fasziniert: »Ich war im Herbst ganz kurz in Dangast und fand es noch so schön wie einst.«158 Allerdings führte er an, dass ein längerer Aufenthalt für ihn dort nicht möglich sei.159 Eine beständige Verwurzelung des Künstlers in der Nordseegegend fand nicht statt. Wie SchmidtRottluff bevorzugte auch er die Ostseeküste. 1911 hielt er sich auf der Halbinsel Darß auf.160 Im folgenden Jahr reiste er nach Hiddensee und besuchte Kirchner auf Fehmarn.161 In den Sommern der Jahre 1913–1944 (unterbrochen durch den Ersten Weltkrieg) wurde die Flensburger Förde sein beliebter sommerlicher Aufenthaltsort.162 Jedoch blieb die Nordsee nach wie vor ein Motiv in seinem weiteren Werk wie im Folgenden gezeigt wird.
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Schmidt-Rottluff an Beyersdorff, vom 5. 2. 1922 aus Berlin-Friedenau, in: Wietek 1995, S. 154. Die Bildsprache, die Radziwill entwickelte, sagte Schmidt-Rottluff allerdings nicht zu, wie aus einem Brief aus dem Jahr 1955 zu entnehmen ist. In diesem führt er an, Radziwills Arbeit »mag krauses Zeug sein – etwas spinnert«. Vgl. Brief von SchmidtRottluff an Emma Ritter, vom 24. 8. 1955 aus Sierksdorf, in: Wietek 1995, S. 175. Im Nationalsozialismus wurde seine Kunst diffamiert und ihm wurde seit 1941 die Berufsausübung verboten. Vgl. Brief von Schmidt-Rottluff an Rosa Schapire, 5. 12. 1945, Chemnitz, in: Wietek 1995, S. 173. So schreibt er in einem Brief im Jahr 1913 auf seinen Weg an die Ostsee: »Ich kam zuletzt noch an die Nordseeküste von Holstein – wanderte stundenlang durch die Marsch, die flach endlos sich ringsum ausdehnte, bis endlich am Horizont kleine Hügel auftauchten, Sanddünen, dahinter das Meer. Es war alles ähnlich wie Oldenburg, das wie ich recht merkte, etwas Heimat für mich geworden ist. Das fehlte mir sehr an der Ostsee. Ich fühlte mich heimatlos, einen Sommer vielerlei Neues zu malen, das ist gut möglich, aber kein zu Haus, kein Zusammengehen mit den Einwohnern [an der Ostseeküste].« Brief von Erich Heckel aus Treudelberg an Walter Kaesbach im Juni 1913, vgl. ebenso Brief an Rosa Schapire in Hamburg am 16. April 1909, in Kat. Dangast 1998, S. 352. Vgl. ebenso Gabler (Hg.) 1983, S. 118. Heckel hatte eine Vorstellung von einer »Idealheimat«, in die auch der Landschaftscharakter der Oldenburger Region mit der Nordseeküste einfloss. Vgl. Brief von Erich Heckel aus Osterholz an Walter Kaesbach am 7. Juli 1913, in Kat. Dangast 1998, S. 352. Vgl. ebenso Gabler (Hg.) 1983, S. 120. Brief von Erich Heckel aus Berlin an Ernst Beyersdorff am 20. 2. 1922, in Kat. Dangast 1998, S. 353. Vgl. Brief von Erich Heckel aus Berlin an Ernst Beyersdorff am 20. 2. 1922, in Kat. Dangast 1998, S. 353. Vgl. Dahlmanns 2007, S. 45. Vgl. ebd., S. 45. Vgl. u. a. Peukert 1998a, S. 68f. Vgl. Dahlmanns 2007, S. 45.
Erich Heckel: Nordsee und Wattenmeer als Projektionsfläche zweier gegensätzlicher Lebenssituationen: Krieg und Urlaub
Das folgende Kapitel erläutert den weiteren Einfluss der Nordsee auf Heckels Kunst anhand zweier Situationen in seinem Leben. Zum einen wird die Bedeutung der Nordsee während seines Sanitätseinsatzes im Ersten Weltkrieg in Ostende dargelegt, zum anderen werden spätere Meeresdarstellungen herangezogen, die während der Urlaubsaufenthalte auf der Insel Sylt entstanden. Es sind zwei gegensätzliche Lebenssituationen, in denen die Werke angefertigt wurden. Dies zeigt sich auch in den Bildern.
Heckels Sanitätseinsatz im Ersten Weltkrieg bei Ostende Heckel, der als nicht tauglich für den Kriegsdienst befunden wurde, meldete sich freiwillig zum Sanitätsdienst.1 Nach zwei Monaten in Westflandern wurde Heckel zu seinem Glück weiter nach Ostende an die Nordsee verlegt.2 Denn dort wurde er der weniger erschöpfenden und zermürbenden Arbeit, gesunde durchreisende Soldaten zu verpflegen, zugeteilt.3 Er war sich seiner relativ erfreulichen Lage durchaus bewusst. Im ersten Kriegsjahr schrieb er : »Ich bin mir bewußt, wie gut das Schicksal noch mit mir war, daß ich diese Zeit am Meer und als immerhin tageweise Freier verbringen konnte. Ich habe viel baden können, hin 1 Vgl. Kat. Berlin 2010, S. 109f. Zu Heckels persönlicher Situation und seiner künstlerischen Entwicklung vgl. u. a. Soika 2010. 2 Dort machte er Bekanntschaft mit dem belgischen Maler James Ensor. Vgl. Vogt 1965, S. 53. Während seines vorigen Aufenthalts im Lazarett in Roulers hatte er angesichts des Leides der Verwundeten die Schrecken des Krieges erfahren. Aufgrund der zweiten Flandernoffensive stiegen die Zahlen der Verwundeten enorm. Vgl. Soika 2010, S. 78. Über seine Eindrücke berichtete er Folgendes: »Wir hören Maschinengewehre und Kanonen und holen von den Verbandslätzen hinter der Front die Verwundeten in den Zügen nach Roulers, wo sie entweder in die Feldortslazarette oder nach Gent weitergebracht werden.« Brief an G. Schiefler vom 15. März 1915 aus Roulers (SUB Hamburg: NGS: B: 31: 1915, 2: 201–201 A). 3 Vgl. Soika 2010, S. 79.
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Erich Heckel
und wieder etwas zeichnen; auf Dienstreisen habe ich Brügge, Gent, Brüssel kennengelernt – ist das nicht selten günstig.«4
Während seiner Sanitätszeit machte er eine kurze Bekanntschaft mit Max Beckmann, ohne dass daraus jedoch eine tiefergehende Künstlerfreundschaft entstand.5 In Ostende fand er an der Nordsee Ausgleich und Erholung von der Arbeit im Lazarett. Dies belegen folgende Notizen in seinen Briefen: »Landschaft, Meer, Matrosen eine unerschöpfliche Fundgrube. […] Das Sommerwetter und die glückliche Gelegenheit zum Meerbad helfen mir sehr. […] Die schöne Seite von Ostende kommt jetzt zur Geltung – das Meer und Sonnenbad am Strand, das unerhört erfrischt, verjüngend, kräftigend wirkt durch das Elementare der stürzenden Wellen, zwischen, denen man taumelt, wird der Körper so leicht und wieder fröhlich […] Ostende ist schöner denn je und das Meer weitatmig und ewig.«6
Heckel schuf somit auch in der Kriegszeit Bilder. Er war dem Sanitätszug von Walter Kaesbach – Kunsthistoriker und Kustos der Berliner Nationalgalerie – zugeteilt, der weitgehend aus Malern und Schriftstellern bestand.7 Ein reger künstlerischer und literarischer Austausch herrschte zwischen ihnen. Heckel sandte seine Werke nach Deutschland und diese wurden bereits zu Kriegszeiten ausgestellt.8 Den Krieg selbst hat der Künstler allerdings nicht unmittelbar verbildlicht. Nachfolgend werden Gemälde angeführt, welche die Nordsee zum Motiv haben.
Die Nordsee als Projektionsfläche individueller Empfindungen Diese Werke unterscheiden sich grundlegend von seinen maritimen Bildern aus der Dangaster Zeit. Dort, wo der Jadebusen den Blick in die Ferne einengt, griff Heckel die Nordsee und das Wattenmeer nicht als eigenständige Bildmotive auf. In Ostende dagegen entstanden eindrucksvolle Meeresdarstellungen. Die in Dangast mit reduzierter Linienführung verbildlichten Fischer- und Schiffsdarstellungen weichen nun Visualisierungen der Weite des Meeres und imposanten Himmelsschauspielen. Exemplarisch sei auf das 1915 entstandene Werk »Meerlandschaft (Ostende)« (Abb. B2.22) verwiesen. 4 Brief an G. Schiefler vom 1. Oktober 1915 aus Ostende (SUB Hamburg: NGS: B: 31:1915, 2: 209–209 A). 5 Vgl. Vogt 1965, S. 53. 6 Zusammengefügte Notizen aus folgenden Briefen: Brief vom 31. 3. 1916 an Max Sauerlandt, Brief vom 3. 7. 1917 an Gustav Schiefler, Brief vom 16. 6. 1918 an Gustav Schiefler, Brief vom 5. 10. 1918 an Walter Kaesbach, zitiert nach Quellen im Nachlass Erich Heckel, Hemmenhofen. 7 Vgl. Soika 2010, S. 79. 8 Vgl. ebd., S. 81f.
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Abb. B2.22: Erich Heckel, Meerlandschaft (Ostende), 1915, Tempera, 70 x 80 cm
Der Blick in die Ferne ist verbildlicht. Das in dunklen Farbtönen gehaltene Meer liegt ruhig da. Einige kleine Wellen rollen an den Strand, auf dem sich örtlich versetzt zwei Paare aufhalten. Über ihnen erstreckt sich ein dramatischer Himmel. In Licht und Schatten getauchte Wolken erinnern an übergroße Finger einer Hand. Angesichts der Weite des Meeres und der Größe des Wolkenszenarios wirken die Menschen am Strand klein und verloren. Den Menschen in seiner Nichtigkeit angesichts einer übermächtig erscheinenden Natur hat Heckel als Motiv wiederholt bildlich umgesetzt. Im (heute zerstörten) Werk »Meerlandschaft bei Ostende (Sonne über dem Meer)« (Abb. B2.23) von 1916 hat er diesen Eindruck ins Apokalyptische gesteigert.
Abb. B2.23: Erich Heckel, Meerlandschaft bei Ostende (Sonne über dem Meer), 1916, Tempera, 145 x 115 cm
Im Vordergrund erheben sich Dünen. Am Strand befinden sich wiederum klein dargestellte Menschen. Dahinter erstreckt sich bis zum leicht gewölbten Horizont das Meer, in dem sich das Sonnenlicht spiegelt. Das Auffälligste an diesem Bild ist der Himmel. Er erinnert an kaleidoskopartig zersplittertes Glas und kann die Assoziation einer Explosion hervorrufen. Das Sonnenlicht scheint die Festigkeit facettierten Glases zu besitzen. Der in geometrische Lichtfiguren zer-
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borstene Himmel wirkt auf die klein und verloren anmutenden Menschen bedrohlich. Die im selben Jahr entstandene Radierung »Meer bei Ostende« (Abb. B2.24) zeigt das gleiche, leicht abgewandelte Motiv in reduzierter Form.
Abb. B2.24: Erich Heckel, Meer bei Ostende, 1916, Radierung
Solche von der Nordsee inspirierten Himmelsdarstellungen griff Heckel in verschiedenen Bildern auf, wie im Werk »Nordsee« (Abb. B2.25, Farbabbildung). Der Himmel und zum Teil auch das Meer scheinen in unterschiedlichen Farbnuancen zu leuchten. Erneut erinnert der Himmel an ein farbiges Kaleidoskop, die aufgewühlte Nordsee brandet an den Strand. Von rechts ragt eine Mole ins Meer, an deren Ende sich ein Seezeichen befindet. Trotz des apokalyptisch anmutenden in gläserne Facetten zersprungenen Himmels strahlt dieses Werk keine solch bedrohliche Wirkung wie das Bild »Meerlandschaft bei Ostende« (Abb. B2.23) aus. Der Hoffnung symbolisierende doppelte Regenbogen hebt die beängstigende Wirkung zum Teil auf. Dazu trägt auch die recht bunte Farbgebung bei.
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Abb. B2.26: Erich Heckel, Hafeneinfahrt in Ostende, 1916, Tempera, 83 x 96 cm, Verbleib unbekannt
Dagegen wirkt das Werk »Hafeneinfahrt in Ostende« (Abb. B2.26) beunruhigend, was sich durch die gezackten Formen am Himmel, die an spitze Glasscherben erinnern, ergibt. Die Buhnen des Hafens ähneln abgebrochenen Gleisen oder einem Weg, der aufs Meer hinauszuführen scheint. Auch hier ist am Ende der einen Buhne ein Seezeichen dargestellt, das klein und verloren erscheint. Durch das schräg verbildlichte Gebäude in der rechten Bildhälfte wird der Eindruck des Wankenden erzeugt und damit das Gefühl von Unsicherheit verstärkt. Das gleiche Motiv griff Heckel ein Jahr später im Werk »Hafeneinfahrt« (Abb. B2.27) wieder auf. Allerdings ist hier die dramatische und beunruhigende Wirkung zurückgenommen. Die Hafenmole wurde aus einer anderen Perspektive dargestellt und wirkt nicht wie ein im Meer endender Weg. Auch die Formen im Himmel sind nicht so spitz und zackig gestaltet. Während im Bild »Hafeneinfahrt in Ostende« (Abb. B2.26) die Bauwerke klein und unbedeutend wirken, dominiert im Werk »Hafeneinfahrt« (Abb. B2.27) ein imposanter, hoch in den Himmel ragender Leuchtturm das Geschehen.
Abb. B2.27: Erich Heckel, Hafeneinfahrt, 1917, Tempera, 84 x 96 cm, Bes. Bezalel National Museum, Jerusalem
Die Darstellung eines in facettenartigen Formen aufgelösten Himmels verbindet die genannten Werke. Die schrecklichen Eindrücke des Krieges, die Heckel als
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Sanitäter erlebte, fließen in diese Darstellungen ein. Ein »zersplitterter« Himmel, der auf die zerrissene Welt während des Krieges verweisen kann, wird in diesen seriellen Werken verbildlicht. Auch die häufig gewölbten Horizontlinien9 sowie die angesichts einer übermächtigen Natur klein dargestellten Menschen und Gebäude lassen sich mit der bedrückenden und beängstigenden Kriegszeit in Verbindung setzen. Innere Bilder und subjektive Empfindungen des Künstlers fanden Ausdruck in solchen Landschaftsdarstellungen. Allerdings darf dies nicht überinterpretiert werden, da Heckel diese Bildsprache bereits vor und auch wieder nach dem Kriege nutzte. Beispiele dafür sind die Werke »Gläserner Tag«10 (Abb. B2.28), »Landschaft auf Alsen«11 und das in der Nachkriegszeit entstandene Werk »Der Schwimmer«12.
Abb. B2.28: Erich Heckel, Gläserner Tag, 1913, Öl, 120 x 96 cm
So steht im Bild »Gläserner Tag« eine Aktdarstellung im Vordergrund. Die Formen von Himmel und Wolken sind facettenartig aufgelöst und spiegeln sich im Wasser. Das Bild ist von der Ostseeküstenregion inspiriert. Leuchtende Farben verleihen dem Werk einen harmonischen Charakter, was durch den Akt unterstützt wird. Im Gegensatz dazu stehen die in Ostende geschaffenen Bilder im Kriegskontext. Bildaussage und Wirkästhetik unterscheiden sich wesentlich. Die
9 Der stark gewölbte Horizont liegt kann – wie bei den anderen in Ostende entstandenen Meeresbildern – darauf verweisen, dass der feste Boden unter den Füßen und die damit verbundenen festgefügten Wertesysteme durch den Krieg erschüttert wurden. Dies darf jedoch wiederum nicht überbewerte werden, da der Künstler auch in den späteren Werken keine geraden Horizontlinien schuf. 10 Vgl. Vogt 1965, S. 37. 11 Vgl. ebd., Kat. 48. 12 Vgl. Dahlmanns 2010, Abb. 20.
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Hilflosigkeit des Menschen gegenüber den in dieser Zeit erlebten Zerstörungen des Krieges können daraus gelesen werden. Die genannten Werke besitzen Konstruktionscharakter, sie sind nicht in freier Natur entstanden.13 Die aufgelösten Formen unterliegen kompositorischen Überlegungen. Nicht nur der Himmel, auch das Meer wurde in expressiven, übersteigerten Formen verbildlicht. Im letzten Kriegsjahr entstanden serielle Arbeiten, in denen die Gewalt und Dramatik des Meeres betont werden. Dies ist ebenso in dem Werk »Nach dem Sturm« (Abb. B2.29) ersichtlich, in dem das aufgewühlte Meer und die aufgepeitschten Wellen in an Flammen erinnernden, zackigen Formen gestaltet sind.
Abb. B2.29: Erich Heckel, Nach dem Sturm, 1918, Tempera, 97 x 65 cm
Diese Bildsprache ruft eine bedrohliche Wirkung hervor. Während der Himmel hier eher von einem organisch anmutenden Wolkenmuster überzogen zu sein scheint, löst sich im Werk »Brandung« (Abb. B2.30) der Himmel explosionsartig in Formen auf.
13 Vgl. Vogt 1965, S. 58.
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Abb. B2.30: Erich Heckel, Brandung, 1918, Tempera, 115 x 83 cm, Verbleib unbekannt
Das aufgewühlte Meer ist im Gegensatz zur vorigen Darstellung naturalistischer gestaltet. Die Dramatik des aufgepeitschten Meers wird am Himmel aufgenommen und noch gesteigert. Auch das Werk »Wolkenschatten« (Abb. B2.31) zeigt eine stürmische Meereslandschaft, allerdings sind hier die expressiven Formen etwas zurückgenommen.
Abb. B2.31: Erich Heckel, Wolkenschatten, 1918, Tempera, 83 x 70 cm
Unzählige von Gischt gekrönte Wellen überziehen das Meer. Wolken in bizarren Formen, überziehen den Himmel. Der Einsatz von Licht und Schatten erzielt eine gewisse Dramatik. Jedoch liegt ein ruhigerer Eindruck als in den zuvor angeführten Bildern vor, da weitgehend organische Formen eingebunden sind. Die Farbigkeit, insbesondere das Rot im Meer, erzeugt allerdings eine gewisse Irritation.
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Die Bilder »Nach dem Sturm«, »Brandung«, und »Wolkenschatten« entstanden im letzten Kriegsjahr.14 In diesen expressiven Sturmdarstellungen lassen sich Eindrücke, die der Krieg hinterlassen hat, lesen. Die Welt ist im Aufruhr. Allerdings wird Heckel in seiner Zeit in Ostende auch Stürme am Meer erlebt haben, was ebenfalls in diese Bilder einfloss. Dennoch kann aus all den in Ostende geschaffenen Werken, in denen die expressiven Formen überwiegen, eine gewisse Anspannung gelesen werden. Obwohl sich Heckel als Sanitäter in Ostende nicht im direkten Gefahrengebiet an der Front befand, so war er doch durch die »Abwehrkanonen gegen feindliche Flieger« und dem Klang von Maschinengewehrsalven sowie der Explosionen von »Fliegerbomben« beunruhigt.15 Bereits 1915 formulierte er in einem Brief seine Bedenken, dass das Kriegsgeschehen auch Ostende erreichen würde. »Trotz der großen Kämpfe an der Westfront ist bis jetzt hier wenig zu merken davon; vorbereitet ist alles. Es kann ja doch jeden Tag auch hier losgehen.«16 Er wiegte sich nicht in Sicherheit, sondern litt unter dieser Angst. All diese Empfindungen finden in der übersteigerten, expressiven Formensprache und dem Motiv eines aufgewühlten Meeres Ausdruck.
Abb. B2.32: Erich Heckel, Jüngling am Meer, 1918, Tempera, 98 x 70 cm
Im letzten Kriegsjahr entstanden ebenso die Darstellungen von Personen wie »Jüngling am Meer« (Abb. B2.32) und »Mädchen am Meer« (Abb. B2.33). In beiden Bildern ist das Meer Kulisse. Während der Mann nackt am Meer steht, ist 14 Heckel war nahezu in der gesamten Zeitspanne des Ersten Weltkriegs beim Roten Kreuz im Einsatz. Erst im November 1918 gelangte er nach Berlin. Vgl. Vogt 1965, S. 124. 15 Brief an G. Schiefler vom 27. Juni 1915 aus Ostende (SUB Hamburg: NGS: B: 31:1915, 2: 204– 205). 16 Brief an G. Schiefler vom 1. Oktober 1915 aus Ostende (SUB Hamburg: NGS: B: 31:1915, 2: 209–209 A).
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das Mädchen im Begriff, ihr Oberteil auf- bzw. zuzuknöpfen, um entweder im Meer zu baden oder aus diesem kommend sich weiter anzukleiden.
Abb. B2.33: Erich Heckel, Mädchen am Meer, 1918, Tempera, 115 x 70 cm, Verbleib unbekannt
Die schräge Darstellung des Meeres und die damit verbundene extreme Neigung des Horizontes im Bild »Jüngling am Meer« kann Irritation beim Betrachter erzeugen, was durch den merkwürdig langen und schmalen Körper des Jünglings verstärkt wird. Eine symbolische Lesart kann darin bestehen, dass die Welt nach vier Jahren Krieg ins Wanken geraten ist. Die Darstellung des ausgemergelten Mannes weckt Assoziationen an Soldatenschicksale während des Ersten Weltkriegs. Heckel griff das Motiv nackter Männer mehrfach auf. So visualisierte er in dem verschollenen Triptychon »Männer am Meer« (Abb. B2.34) wiederholt den Typus des schmalen, überlangen, ausgemergelt wirkenden Mannes.17
Abb. B2.34: Erich Heckel, Männer am Meer, 1916, Tempera, je 96 x 83 cm, Verbleib unbekannt
17 Vgl. u. a. Kuhl 2010, S. 91f. Vgl. Dahlmanns 2004, S. 53–61.
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Inspiriert für diese Darstellungen wurde er durch die im Meer badenden Soldaten. Im Jahre 1915 berichtet er in einem Brief von anreisenden Kompanien, die das Bad in der Nordsee genossen: »Am Strand ist dann tolles Durcheinander und großes Freudengeschrei in den Wellen. Da bekommen Männer aus Schlesien oder Mitteldeutschland zum ersten Mal das Meer zu sehen.«18 Angesichts des ungewissen Schicksals der beim Baden festgehaltenen Soldaten, vermitteln Heckels Darstellungen eine gewisse Tragik. Durch den im Triptychon »Männer am Meer« auf allen drei Bildteilen fortlaufenden Strandverlauf und die nahezu gleiche Höhe des Horizonts, wird die Weite der Nordsee deutlich.19 Während in diesen Bildern die Nordsee als Hintergrund fungiert, setzte Heckel dieses Meer in den Kriegsjahren nicht nur in expressiver, sondern ebenso in gemäßigter, naturalistischer Bildsprache um.
Abb. B2.35: Erich Heckel, Gelbe Sonne, 1917, Tempera, 70 x 80 cm
Exemplarisch sei auf die Temperagemälde »Gelbe Sonne« (Abb. B2.35) und »Wolken über dem Meer« (Abb. B2.36) verwiesen.
Abb. B2.36: Erich Heckel, Wolken über dem Meer, 1917, Tempera, 70 x 83 cm
18 Brief an G. Schiefler vom 12. Juli 1915 aus Ostende (SUB Hamburg: NGS: B: 31:1915, 2: 206– 207). 19 Nur ein schmaler Streifen Himmel erstreckt sich über dem Meer. Das Hauptmotiv des Triptychons sind jedoch die Badenden und nicht die Nordsee.
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Beide zeigen Lichtstimmungen auf der Nordsee. Es wurden keine Auflösungen des Himmels in expressive, abstrakte Formen vorgenommen. Auch die in dieser Zeit entstandenen Aquarelle visualisieren harmonisch anmutende Meeres- und Landschaftsdarstellungen und stehen im Gegensatz zu den apokalyptisch anmutenden vorab erläuterten Bildern. Das Aquarell »Das Meer bei Ostende« (Abb. B2.37) zeigt den Blick auf die Nordsee, über der sich ein blauer Himmel mit weißen Wolkengebilden erstreckt.
Abb. B2.37: Erich Heckel, Das Meer bei Ostende, 1916, Aquarell
Durch Aussparungen, eine lasierende, verlaufende Technik sowie die lichte Farbigkeit hinterlässt dieses Aquarell im Gegensatz zum Temperabild »Meereslandschaft bei Ostende« einen friedlichen Eindruck. Dies ist ebenso im Bild »Meer am Abend« (Abb. B2.38) der Fall, in dem die untergehende Sonne am Meer in flüchtigen Pinselstrichen festgehalten ist. Diese Werke belegen, dass Heckel in der bedrückenden Zeit des Ersten Weltkriegs auch fast idyllische Bilder schuf.
Abb. B2.38: Erich Heckel, Meer am Abend, 1916, Aquarell
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Der Aufenthalt an der Nordsee bot ihm in der schweren Zeit des Ersten Weltkriegs einen tröstenden Ausgleich. Seine innere Anspannung und seine bedrückenden Gefühle angesichts der Kriegslage spiegeln sich in den Verbildlichungen der Nordsee. Nach dem Krieg, im Jahre 1924, suchte er Ostende nochmals mit seiner Frau auf, die sich in einem Brief wie folgt äußerte: »Gestern Abend sind wir von einer Reise heimgekehrt, die uns so reich gemacht hat an schönen Eindrücken und Erlebnissen, wie wir es nicht erwartet hatten, als wir sie mit etwas bangen Gefühlen antraten. Wir waren in Belgien. In den Gegenden, wo Heckel während des Krieges gelebt und die er so gern hat, daß sie ihm ganz heimatlich anmuten… Mit Ostende fingen wir an, das zeigte sich mit Sturm und hoher Brandung am ersten Tage und strahlendem Sonnenschein am zweiten in allem Zauber, den ihm das Meer, die strahlende Luft und seine bauliche Eigenart geben.«20
Auf Basis des Aquarells »Hafeneinfahrt, 1924« (Abb. B2.39) fertigte Heckel vom Hafen in Ostende ein Ölgemälde an (Abb. B2.40).
Abb. B2.39: Erich Heckel, Hafeneinfahrt, 1924, Aquarell, Deckfarben über Wachskreide, 33 x 45,7 cm
Abb. B2.40: Erich Heckel, Hafen von Ostende, 1924, Öl, 83 x 96 cm 20 Brief Siddi Heckels aus Berlin an das Ehepaar Schiefler vom 24. 10. 1924, Universitätsbibliothek Hamburg, Nachlass Gustav Schiefler. Vgl. ebenso Kat. Berlin, Emden, Schleswig u. a. 2009, Kat. 25.
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Im Vergleich zu dem im Jahr 1916 entstandenen Werk »Hafeneinfahrt in Ostende« (Abb. B2.26) mutet es nahezu spannungslos an. In gegenständlicher Manier ist eine Hafenansicht gestaltet. Es steht im Kontext weiterer Hafenmotive von europäischen Städten, die Heckel in den 20er Jahren geschaffen hat.21 Die maritime Motivik im Werk Heckels nimmt allerdings nur einen Bruchteil in seinem Gesamtoeuvre ein. Seine wechselnden Aufenthalte in der Stadt und in der Natur bestimmten u. a. seine Themenwahl.22 Nach dem Krieg lebte Heckel wieder in Berlin. Jedoch zog es ihn ebenfalls zurück an die Ostseeküste. Er kaufte ein kleines Anwesen in Osterholz an der Flensburger Förde, in dem er sich alljährlich im Sommer aufhielt23 Dort war er künstlerisch tätig und erhielt Anregungen von diesem Meer. Ebenso inspirierten ihn seine vielen Reisen.24 Auch die Nordsee ist noch von Bedeutung. So bereiste er Sylt und ließ sich dort zu Bildern anregen, wie im folgenden Kapitel dargelegt wird.
Heckels Sylt-Aufenthalte 1923–1962 – Einblicke in die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Wattenmeer und der Nordsee in späteren Werken Anfang der 20er Jahre unternahm Heckel von seinem Sommerquartier an der Ostseeküste aus Reisen an die Nordsee nach Sylt. Im Jahre 1922 berichtet er in einem Brief vom spontanen Besuch an der Nordsee: »Vorige Woche waren wir kühn und fuhren an die Nordsee. Es gab Sturm mit großen Wellen. Wir badeten jeden Tag bis wieder Regen einsetzte und uns am Sonnabend wieder hierher trieb.«25 Im darauffolgenden Jahr reiste Heckel mit seiner Frau wieder nach Sylt.26 Er suchte nach Abschluss einer künstlerischen Tätigkeit im Angermuseum Erfurt auf der Insel Erholung.27 Es ist offensichtlich, dass das Meer für sein persönliches Wohlbefinden von Bedeutung war. »Die Nordsee ist unerhört und […] für mich der Energiezustrom sehr wohltuend«28, schrieb Heckel einem Freund. Mit Blick auf seine Kenntnis der Nordseeküste bei Ostende beschreibt er vergleichend 21 22 23 24 25
Vgl. hierzu Gabelmann 2004, S. 97–102. Zur stilistischen Entwicklung Heckels vgl. u. a. Vogt 1965, S. 62–99. Vgl. Kat. Sylt 2011b, S. 9. Vgl. u. a. Vogt 1965, S. 62–99. Vgl. Gabelmann 2004. Brief aus Osterholz an Walter Kaesbach, 21. 9. 1922. Archiv für bildende Kunst, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Archiv-Nr. ZR ABK 478, zitiert nach Kopie im Nachlass, Hemmenhofen. 26 Vgl. Kat. Sylt 2011b. Vgl. Kat. Sylt 2011, S. 90. 27 Vgl. Kat. Sylt 2011b, S. 13b. Vgl. Vogt 1965, S. 71ff. 28 Brief vom 21. Juni 1923 an Max Knaus, zitiert nach Gabler (Hg.) 1983, S. 190.
Heckels Sylt-Aufenthalte 1923–1962
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seine weiteren Eindrücke von der Insel: »Die Brandungswelle ist bei Ebbe und bei Flut fast gleich stark, heftiger als in Ostende. Allerdings ist starker Wind von Nordost. Die Dünen etwas schroffer, kahler als bei Den Haag.«29 Die Insel faszinierte Heckel sehr. In einem weiteren Brief während einem seiner ersten Aufenthalte wird sein Bedauern ersichtlich, dass seine Anwesenheit in Osterholz erforderlich sei, da er sonst noch länger auf der Insel verweilt hätte.30 Bis ins Jahr 1962 suchte Heckel die Insel Sylt immer wieder für einige Tage oder Wochen auf.31 Die raue Natur und die Weite des Wattenmeeres bildeten einen Gegenpol zur eher lieblichen Landschaft bei Osterholz und zu den Eindrücken seiner Reisen in die Alpen und in südliche Länder. Sylt war für viele Künstler von großer Bedeutung. Heckels Werk »Dünen am Abend« (Abb. B2.41) zeigt die 1919 gegründete Erwachsenen- und Jugenderholungsstätte »Klappholttal«.
Abb. B2.41: Erich Heckel, Dünen am Abend, 1932, Tempera, 82 x 95 cm
Das naturnahe Leben dort am Meer im Kontext der Jugendbewegung visualisierte Magnus Weidemann in seinen Fotografien und Bildern, wie im Kapitel »Freikörperkultur an Nordsee und Wattenmeer« dargelegt wird. Heckel, der kein Mitglied der Jugendbewegung war, näherte sich auf andere Weise diesem Ort an. Während Weidemann Aktdarstellungen am Strand bei Klappholttal anfertigte, ließ Heckel sich von der Farbigkeit der Landschaft und Gebäude zu einer farbenfrohen gegenständlichen Darstellung leiten. Das Meer ist nur als blauer Bereich im Hintergrund angelegt, in dem sich linear die Himmelsfarben spiegeln. Eine große, gelbe Sonne steht über der Szenerie. Dieses Werk zeigt eine 29 Ebd. 30 »Leider müssen wir wegen dringend notwendig gewordener Anwesenheit in Osterholz schon Ende nächster Woche hier abreisen, sonst wären wir bis zum Beginn der großen Ferien und des Zustroms von Menschen hier geblieben, d. h. nach Kampen gezogen, wo bis Anfang Juli im Kurhaus noch Platz war.« Brief vom 21. Juni 1923 an Max Knaus, zitiert nach Gabler (Hg.) 1983, S. 190. 31 Vgl. Kat. Sylt 2011b, S. 16, Anm. 20.
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Orientierung am Gegenständlichen und wirkt im Gegensatz zu Heckels sonstiger ausdrucksstarker Bildsprache recht naiv. Auch das Wattenmeer wurde zum Thema seiner Kunst. Interessanterweise ist in vielen Werken, die den Term »Watt« im Titel tragen, der Fokus jedoch nicht auf das Watt gesetzt, sondern häufig auf das Zusammenspiel von Land, Wattenmeer und Himmel. Dabei lenkte er den Blick des oder der Betrachtenden über Bildmotive, wie Wege oder Dünendurchlässe, auf die Wattlandschaft, wie es im Ölgemälde »Blick aufs Watt« (Abb. B2.42) von 1931 der Fall ist.
Abb. B2.42: Erich Heckel, Blick aufs Watt, 1931, Öl, 49 x 68 cm
Das Watt weist dunkle Spalten auf. Ein trockengefallenes Segelschiff ragt aus einer Vertiefung. Über dem weiten Wattenmeer wölbt sich der Himmel mit bizarr geformten Wolken. Dieses Motiv setzte Heckel 1955 leicht abgewandelt in der Lithografie »Am Watt« (Abb. B2.43) um.32
Abb. B2.43: Erich Heckel, Am Watt, 1955, Lithographie, 21,5 x 27 cm
Sie zeigt einen über die Dünen zum Strand führenden Weg. Dahinter erstreckt sich das Wattenmeer. Wolken und Wege lassen ornamentale Strukturen erkennen. Dies kann mit der Entwicklung der Landschaftsbilder in seinem Spätwerk 32 Vgl. Kat. Sylt 2011b, Abb. 3.
Heckels Sylt-Aufenthalte 1923–1962
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erklärt werden.33 Während er in Ostende eher expressive Formelemente einsetzte, so gibt er nun Landschaftsgebilde und -phänomene in amorphen Formen, ornamentalen Gebilden und übersteigerten Strukturen wider. Dadurch erhält das Dargestellte einen leicht abstrakten Charakter. Dies ist in den Werken »Am Watt« (Abb. B2.43) und »Blick aufs Watt« (Abb. B2.42) der Fall.
Abb. B2.44: Erich Heckel, Dünen am Watt, 1962, Aquarell, 48 x 63 cm
Abb. B2.45: Erich Heckel, Dünen gegen Watt, 1949, Aquarell, 48 x 63 cm
In Ansätzen zeigt sich diese Art der Landschaftsdarstellung auch in den nachfolgend angeführten Bildern, doch kann dies nicht pauschal auf alle Werke mit maritimem Inhalt bezogen werden. Im weitaus später im Jahr 1962 geschaffenen Werk »Dünen am Watt«34 (Abb. B2.44) wurden wiederum organische Strukturen in den bewachsenen Flächen eingesetzt. Die Insellandschaft steht im Fokus. Das Meer nimmt als blaue Fläche nur einen geringen Bildbereich ein. Auch im Werk »Dünen gegen Watt«35 (1949) (Abb. B2.45) bildet die Darstellung der Sylter Landschaft und nicht das Watt das zentrale Motiv. Das Wattenmeer ist als kleine braune Bildfläche eher von untergeordneter Bedeutung.
33 Vgl. Remm 2010. 34 Vgl. ebd., Abb. 22. 35 Vgl. ebd., Abb. 20.
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Sogar in dem Bild »Watt bei Ebbe«36 (1962) (Abb. B2.46) steht nicht das Watt im Vordergrund.
Abb. B2.46: Erich Heckel, Watt bei Ebbe, 1962, Tempera auf Leinwand, 70 x 86 cm
Ein Weg führt durch die Dünen ins Meer. Einzelne in braun und grün gestaltete Bereiche deuten die trockengefallenen Wattbereiche an, die aus dem hellblauen Wasser herausragen.37 Ein ähnliches Motiv griff der Künstler ein Jahr später in der Radierung »Am Watt«(Abb. B2.47) auf.38
Abb. B2.47: Erich Heckel, Am Watt, 1963, Radierung, 20 x 25 cm
In diesem Werke ist ersichtlich, dass Heckel diese Thematik über einen längeren Zeitraum beibehielt. Die bislang angeführten Werke visualisieren recht harmonische und naturalistische Annäherungen. Im Gegensatz dazu besitzt das Werk »Sylter Dünen am Watt« (Abb. B2.48) eine andere Wirkästhetik. 36 Vgl. ebd., Abb. 31. 37 Der Blick der oder des Betrachtenden wird über den in das Bildinnere führenden Weg gelenkt und kann sich in der Weite des Wattenmeeres verlieren. 38 Vgl. Kat. Sylt 2011b, Abb. 4.
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Abb. B2.48: Erich Heckel, Sylter Dünen am Watt, 1932, Altonaer Museum, Hamburg
Der Himmel mit der dunklen Wolkenfront und der kalten, in fahlen Gelb- und Grüntönen gehaltenen Sonne erzeugt eine bedrohliche Wirkung, die sich durch den Hell-Dunkel-Kontrast vertieft: Die Dünenkette, der Leuchtturm und die Wolken heben sich dunkel von den lichten Grün der Landschaft und dem Gelb des Himmels ab. Wiederum fungiert die Sylter Landschaft, nicht das Watt, als Hauptmotivik. Häufig sind die Wattdarstellungen in Heckels Werken – wie in den vorab angeführten Bildern ersichtlich – als braune oder grüne Flächen gekennzeichnet, ohne den Blick für das Detail. Differenzierte Darstellungen der Wattstruktur oder der in diesem Lebensraum heimischen Tiere und Pflanzen schuf er nicht. Das Sylter Strand- und Badeleben ist kein zentrales Motiv in Heckels Bildern. Obwohl er Aktdarstellungen am Strand durchaus visualisierte, sind viele davon von der Ostsee inspiriert. Jedoch entstanden bei seinen Syltaufenthalten durchaus figürliche Darstellungen, wie »Nordseestrand«, »Knabe am Strand«39, »Strand bei Ebbe« und »Meer im Herbst«40 belegen. Das Bild »Nordseestrand« (Abb. B2.49), das vermutlich das Badeleben am Sylter Strand zeigt, stellt eher eine Ausnahme in seinem Motivrepertoire dar.
Abb. B2.49: Erich Heckel, Nordseestrand, 1931, Tempera, 83 x 96 cm 39 Vgl. ebd., Abb. 41. 40 Vgl. ebd., Abb. 29.
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Die Strandszenerie im Vordergrund wirkt in gewisser Weise beengt und überladen. Auf dem schmalen, mit Spuren und Sandaufhäufungen durchzogenen Strandabschnitt befinden sich ein Strandkorb, verschiedene Flaggen und einige Badende. Der Blick in die Ferne ist durch eine hohe, sich brechende Welle versperrt, die die friedlichen Badeszene zu bedrohen scheint. Das Wasser reicht schon recht nah an den Strandkorb. Mit Ausnahme der Flaggstöcke, die als vertikale Bildlinien fungieren, liegen keine weiteren geraden (horizontalen oder vertikalen) Linien vor. Durch die organischen Formen in Strand, Meer und Himmel, sowie die Schrägen, beispielsweise in der Darstellung des Strandkorbes, besitzt das Bild eine unruhige Wirkästhetik. Heckel vermittelte in diesem Bild ausschnitthaft einen Eindruck des Strandlebens. Das Werk »Knabe am Strand« (Abb. B2.51), das auf dem gleichnamigen Aquarell (Abb. B2.50) beruht, zeigt eine andere Seite des Badelebens. Im Gegensatz zum vorig benannten Werk, ist hier der Blick in die Weite gegeben.
Abb. B2.50: Erich Heckel, Knabe am Strand, 1932, Aquarell, 36,6 x 54 cm
Abb. B2.51: Erich Heckel, Knabe am Strand, 1932, Tempera, 83 x 96 cm, zerstört
An einem nahezu verlassenen Strand steht ein kleiner nur mit Badehose bekleideter Junge. Er trägt eine Schaufel in der Hand und scheint für einen Moment in seiner spielerischen Tätigkeit innezuhalten. Während er in der Aquarellstudie dem Meer zugewandt ist, ist er im Temperabild vom Wasser abgewandt. Die
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Wellen scheinen wie Zungen an dem schräg nach unten verlaufenden Sandbereich zu lecken und umspülen die Füße des Jungen. Die zum Meer abfallende Schräge, an der sich die Wellen brechen, ist im Temperabild noch steiler dargestellt. Somit besitzt das Werk eine dynamischere zum Teil bedrohlichere Wirkung als das Aquarell. Der Eindruck kann evoziert werden, dass die Wellen nach dem Jungen greifen. Auch die Wolken besitzen merkwürdig anmutende züngelnde Formen und unterstreichen die Dynmaik. Die Darstellung des Kliffs im Hintergrund lässt vermuten, dass es sich um das Rote Kliff auf Sylt handelt. Diese Felsformation ist eine Besonderheit der Insel. In Bildern wurde sie immer motivisch aufgegriffen. Die Felsdarstellung in Heckels Bild »Am hohen Kliff« (Abb. B2.53) scheint ebenfalls davon inspiriert zu sein.
Abb. B2.52: Erich Heckel, Bildstudie (Hohes Kliff), 1931, Aquarell, 39,5 x 50,9 cm
Abb. B2.53: Erich Heckel, Am hohen Kliff, 1931, Tempera, 83 x 96 cm, zerstört
Das 1931 entstandene Temperabild wurde nach einer Aquarellstudie (Abb. B2.52) gefertigt. Während auf dieser noch zwei Personen auf dem Kliff zu sehen sind, so hat der Künstler diese Darstellung im Temperabild auf einen einsamen Wanderer reduziert. In der linken Bildhälfte ist der Blick aufs Meer gegeben. Hinter den Personen wuchern Büsche und am Horizont steht eine Sonne. Dieses Werk weist wie die zuvor angeführten Bilder »Knabe am Strand« und »Nord-
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seestrand« Ansätze einer sachlich orientierten Formsprache auf. In gegenständlicher Bildsprache sind Touristenaktivitäten auf Sylt geschildert. Diese Bilder sind Anfang der Dreißiger Jahre, vor der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten, entstanden. Im Nationalsozialismus wurden Heckels Werke als »entartet« diffamiert und er litt unter Arbeitsbeeinträchtigungen.41 Jedoch blieb er bis Kriegsende Mitglied in der Reichskammer der bildenden Künste.42 In Anknüpfung an die bereits in den Jahren zuvor verwendete Bildsprache, nutzte er in den maritimen Werken keine expressiven Stilmittel mehr – wie es in seiner Sanitätszeit in Ostende der Fall war, um seine damalige bedrückende Situation bildlich auszudrücken. In den ab 1933 stattfindenden Ausstellungen wurden ausgewählte Motive von Heckel präsentiert, z. B. Landschaftsdarstellungen.43 Unter diesen Werken befanden sich auch einige von der Nordsee inspirierte naturalistisch anmutende Darstellungen, z. B. »Reiter am Watt«.44 Doch allein die Tatsache, dass es sich um Landschaftsdarstellungen handelte, gab natürlich keine Gewähr für ein Dulden dieser Kunst seitens des nationalsozialistischen Regimes. Beispielsweise wurde Heckels Bild »Dünen am Abend« am Eröffnungstag der Ausstellung Berliner Kunst in München abgehängt und zur Begutachtung an Goebbels gesandt.45 Von 1933 bis 1938 verbrachte Heckel die sommerliche Zeit u. a. auf Sylt. Ein Grund für den Besuch der Insel lag möglicherweise darin, abseits vom politischen Geschehen relativ ungestört seiner Kunst nachgehen zu können. Allerdings unternahm er ebenso Reisen nach Süddeutschland, Österreich und Osterholz,46 sodass der Einfluss der Sylt-Aufenthalte auf seine Bilder nicht überbewertet werden darf. So spiegeln die eher lichten Aquarelle aus der Sylter Zeit auch nicht die düstere Zeit wider, die er durchlebte. Das 1933 geschaffene Werk »Am Wattenmeer«47 (Abb. B2.54) zeigt den Blick über die Dünen der Sylter Landschaft auf das Wattenmeer.
41 42 43 44 45 46 47
Vgl. u. a. Vogt 1965, S. 86f. Vgl. Hoffmann, Soika (Hg.) 2019, S. 173. Vgl. Hoffmann, Soika (Hg.) 2019, S. 93. Vgl. ebd., S. 101. Vgl. ebd., S. 145. Vgl. Vogt 1965, S. 87. Vgl. Kat. Sylt 2011b, Abb. 15.
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Abb. B2.54: Erich Heckel, Am Wattenmeer, 1933, Aquarell, 55,5 x 68,5 cm
Das 1934 entstandene Bild »Das Meer bei Kampen« (Abb. B2.55) enthält dagegen bedrohlicher anmutende Motive: Eine starke Brandungswelle rollt an den Strand. Darüber erstreckt sich ein unruhiger Himmel. Daraus lässt sich möglicherweise die angespannte Lage des Künstlers angesichts nationalsozialistischer Diffamierung lesen. Allerdings ist bei dieser Interpretation Vorsicht geboten. Heckel ließ sich auf Sylt möglicherweise auch nur von dem realen Wellenschauspiel inspirieren.
Abb. B2.55: Erich Heckel, Das Meer bei Kampen, 1934, Tempera, 70 x 80 cm
Während Heckel in den Bildern aus der Zeit in Ostende im Ersten Weltkrieg eindrucksvoll die stürmische Nordsee und die Brandung visualisierte, so büßten die auf Sylt angefertigten Bilder allgemein an Kraft und Expressivität ein. Dies zeigt beispielsweise das eher harmonisch anmutende Bild »Reiter am Wattenmeer« (Abb. B2.56).
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Abb. B2.56: Erich Heckel, Reiter am Watt, 1933, Tempera, 83 x 96 cm
Zwei Reiter sind im Küstenbereich, wo Dünen und Watt aufeinandertreffen, dargestellt. Über ihnen erstreckt sich ein Himmel mit Wolken. Wiederum ist eine ornamentale und amorphe Formenbildung in diesem Werk erkennbar. Eine friedliche Wirkung wird evoziert. Das Wattenmeer, als ein Teil der Landschaft, besitzt nur periphere Bedeutung. Solch eine Darstellung deutschen Landes ohne kritisches Motiv hätte sogar in den Kontext nationalsozialistisch propagierter Kunst gepasst. Es verwundert nicht, dass es für eine Ausstellung im Jahr 1933 ausgewählt wurde, um angesichts nationalsozialistischer Polemik keinen Anstoß zu erregen.48 Die Kriegsjahre zeigen keinen wesentlichen Einfluss in Bezug auf die maritime Bildsprache. So wird in den maritimen Werken der 30er und 40er der Einfluss des Zweiten Weltkrieges nicht reflektiert. Im Jahr 1944 wurde Heckels Berliner Atelier durch Bomben zerstört.49 Im selben Jahr siedelte der Künstler nach Hemmenhofen an den Bodensee über.50 Nach dem Krieg im Jahr 1949 nahm er eine Professur an der Hochschule für bildende Künste in Karlsruhe an. Ab Ende der 40er Jahre suchte der Künstler wieder Sylt sowie die holländische Nordseeküste auf.51
48 49 50 51
Vgl. Hoffmann, Soika (Hg.) 2019, S. 101. Vgl. u. a. Vogt 1965, S. 87. Vgl. u. a. ebd., S. 87. Vgl. Remm 2010, S. 158.
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Abb. B2.57: Erich Heckel, Meer am Abend, 1959, Tempera, 70 x 87 cm
Das Bild »Meer am Abend« (Abb. B2.57) ist eines der wenigen Bilder des Spätwerks, in dem Strand und Meer im Fokus stehen. Aus einem ruhigen, in Rosaund Grautöne gehaltenen Meer erheben sich Brandungswellen. Im Vordergrund ist in Rinnsalen und überfluteten Flächen das auf- bzw. ablaufende Wasser dargestellt.52 Heckel hat sich von den natürlichen Formen an der Nordseeküste zu solchen Werken inspirieren lassen. Jedoch ist wiederum der Einfluss amorpher und organischer Strukturen ersichtlich. Häufig dienen Wattenmeer und Nordsee allerdings nur als Bühne. So auch in dem 1961 geschaffenen Holzschnitt »Strand bei Ebbe« (Abb. B2.58), der in einem Hell-Dunkel-Kontrast und in reduzierter Formsprache eine zum Teil überflutete Wattlandschaft zeigt.
Abb. B2.58: Erich Heckel, Strand bei Ebbe, 1961, Holzschnitt, 26,5 x 43 cm
Einzelne Figuren, die sich in dieser Wattlandschaft befinden, geben dem/der Betrachter/in ein Gefühl für die vorgegebenen Größenverhältnisse. Die kantige 52 Dahlmanns These, Heckel habe die »Farben und Formen der Natur zu einem flächigen Ornament zusammenfasst« (vgl. Dahlmanns 2009, S. 25) ist m. E. kritisch zu bewerten. Die Natur zeigt sich durchaus in diesen von Heckel verbildlichten Formen. Die Wasserverläufe am Strand besitzen geschwungene Formen, doch durch die Schichtung der Bildebenen »Strand«, »Meer« und »Himmel« liegt kein Eindruck eines Gesamtornamentes vor.
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Darstellung der Figuren, insbesondere die des im Vordergrund im Schlick oder Wasser stehenden Mannes, wirkt recht unbeholfen. Dagegen vermitteln die Figuren und Paare im Gemälde »Meer im Herbst« (Abb. B2.59) in der zum Teil überfluteten Wattlandschaft einen naturalistischeren Eindruck und fügen sich natürlicher in das Gesamtbild ein.
Abb. B2.59: Erich Heckel, Meer im Herbst, 1961, Tempera, 82 x 96 cm
Im letztgenannten Werk kommt die Weite – ein charakteristisches Merkmal des Wattenmeeres – zur Geltung. Allgemein bestimmen Pastelltöne das Bild. Die braunen Wattflächen durchbrechen diese lichte Farbigkeit. Auch die nackten Menschen, die sich zum Teil im Wasser spiegeln, brechen aus der eher in horizontalen Linien und Flächen gestalteten Wasser- und Himmeldarstellung heraus. Die Darstellung spiegelt allerdings entgegen des Titels in Bezug auf Farbwahl und Motiv eher eine sommerliche als herbstliche Atmosphäre am Meer wider Heckel besuchte nicht nur auf Sylt die Nordseeküste. Er unternahm auch Reisen, die ihn nach Zandvoort an die niederländische Küste führten. Bilder, wie »Strand bei Zandvoort« (Abb. B2.61) entstanden. Wiederum liegt eine Aquarellstudie (Abb. B2.60) zugrunde.
Abb. B2.60: Erich Heckel, Bei Zandvoort, 1956, Aquarell, Bleistift, 25 x 31 cm
Abschließende Zusammenfassung
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Abb. B2.61: Erich Heckel, Strand bei Zandvoort, 1956, Tempera, 43,5 x 70 cm
Diese erfuhr eine leichte Abänderung, indem beispielsweise die figürlichen Darstellungen weggelassen wurden. Der/die Betrachter/in blickt auf eine einsame Strandlandschaft. Im Sand zeichnen sich Wasserverläufe ab. Die Nordsee liegt ruhig da. Im rechten Bildbereich erstrecken sich Dünenketten, die über dem Horizont durch Wolkengebirge abgelöst werden.
Abschließende Zusammenfassung Allgemein hat die Nordsee Heckel Zeit seines Lebens zu unterschiedlichen Werken inspiriert. Im Hinblick auf die in dieser Studie benannten unterschiedlichen Lebenssituationen können verschiedene Sehweisen auf das Wattenmeer und die Nordsee festgestellt werden. In Dangast, als der Künstler in der Brücke-Bewegung auf der Suche nach seinem individuellen Stil war, benannte er zwar die Farbigkeit und die Stimmungsvielfalt des Wattenmeeres, doch die noch vorhandenen Werke zeigen, dass sie nur eine untergeordnete Rolle in seiner Kunst spielten. So sind es im Wesentlichen grafische Annäherungen mit expressiver, reduzierter Formsprache in Bezug auf Boote und Fischer im Wattenmeer. Im Gegensatz dazu zeigen die expressiven Bilder der Nordsee, die während seines Sanitätseinsatzes im Ersten Weltkrieg entstanden, dass Meer und Himmel als Projektionsflächen der inneren Anspannung Heckels und der allgemeinen bedrückenden Stimmung angesichts des Krieges fungierten. Die auf Sylt geschaffenen Werke unterscheiden sich davon grundsätzlich. Der expressive Gestus früherer von der Nordsee inspirierter Bilder ist stark zurückgenommen. Die Ausdruckskraft der während des Krieges in Ostende gefertigten Meeresbilder erreichen die später entstandenen Werke nicht mehr. Sie stellen naturalistische Annäherungen in gegenständlicher, beruhigter Formsprache dar.53 Dies war zum einen durch einen allgemeinen Stilwandel in seiner Kunst 53 Dahlmanns Ausführungen Heckel in die Tradition der Romantik zu stellen (vgl. Dahlmanns
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und zum anderen durch eine andere Lebenssituation bedingt: Sylt war ein Urlaubsziel für den Künstler. Die harmonischen, gegenständlichen Landschaftsdarstellungen, die in diesem Kontext entstanden, zeugen von der dort relativ entspannten Situation Heckels. Die Diffamierung, die er im Nationalsozialismus erfuhr, spiegelt sich nicht in diesen maritimen Werken. Allerdings erhielt die Motivik des Wattenmeeres in späteren Werken des Künstlers größere Bedeutung. Während das Watt in der Dangaster Zeit insbesondere als Motiv für einige grafische Werke eine Rolle spielte, so band Heckel es später häufiger in seine Gemälde ein. Dabei fungiert es allerdings nicht als eigenständiges Motiv, sondern wird häufig nur als Bildteil in die landschaftliche Komposition eingefügt. Allgemein beinhalten seine Werke keine politischen Aussagen und der Künstler instrumentalisierte sie nicht für nationale Absichten. Jedoch spiegeln sich durchaus die Einflüsse des Ersten Weltkriegs in einigen Bildern.
2010), ist in Bezug auf die Nordseedarstellungen kritisch zu bewerten. Diese stehen in einem anderen Kontext. Andächtiges, religiöses Naturempfinden im Sinne Caspar David Friedrichs ist darin nicht visualisiert.
3.
Franz Radziwill – Das Wattenmeer zwischen Alltag, Krieg, Glauben und Fantasie
Franz Radziwill (1895–1983) suchte Anfang der 20er Jahre auf den Spuren der Brücke-Künstler Dangast auf und wurde dort sesshaft. Nach anfänglichen künstlerischen Annäherungen an den Expressionismus1 setzte er sich im Kontext der Neuen Sachlichkeit2 und dem Magischen Realismus mit dem Wattenmeer und der Nordsee auseinander. Geboren wurde er 1895 in dem Dorf Strohausen in der Wesermarsch.3 Seine Kindheit und Jugend verbrachte er mit seiner Familie in Bremen.4 Dort absolvierte er zunächst eine Maurerlehre. Die Schrecken des Ersten Weltkrieges hatte er in den Schützengräben sowohl an der West- als auch der Ostfront erlebt.5 Diese Eindrücke fließen als Motiv in sein Schaffen ein6 und überlagern sich später mit der Motivik aus dem Zweiten Weltkrieg. Nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft im Jahre 1919 kehrte er nach Bremen zurück und brach seine vor dem Weltkrieg begonnene Ausbildung zum Architekten ab, um Künstler zu werden.7 Einige seiner Werke wurden in Berlin auf der Ausstellung »Freie Sezession« gezeigt.8 In dieser Stadt lernte er bedeutende Künstler avantgardistischer Bewegungen kennen und 1 Die Kunsthistoriker Rosa Schapire und Wilhelm Niemeyer, die ebenfalls Schmidt-Rottluff förderten, unterstützten den jungen Künstler Radziwill. Vgl. u. a. Peuckert (Hg.) 1995, S. 8. 2 Die Stilrichtung der Neuen Sachlichkeit hatte sich u. a. als Reaktion auf den Expressionismus gebildet. Vgl. u. a. Peuckert (Hg.) 1995, S. 12. 3 Vgl. u. a. Peuckert (Hg.) 1995, S. 8. Weitere Ausführungen zum Leben Radziwills vgl. Radziwill 1988. 4 Vgl. u. a. Peuckert (Hg.) 1995, S. 8. 5 Vgl. u. a. Maaß-Radziwill 1995, S. 7. 6 So führte Radziwill 1924 in einem Entwurf für die Publikation der Juryfreien Kunstschau Berlin über sein Leben an, dass ihm die Kriegserlebnisse eine erweiterte Naturwahrnehmung ermöglichten: »Hier [Bremen 1915] unter die Waffen gerufen. Ende 1919 zurück aus englischer Gefangenschaft. Krieg und Gefangenschaft erweiterte mir Natur und Menschen. Hierauf zog ich auf das Land wie früher und wohne z. Zt. fest an der Nordsee.« Entwurf Radziwills für Publikation der Juryfreien Kunstschau Berlin, in: Wietek 1990, S. 106. 7 Vgl. u. a. Peuckert (Hg.) 1995, S. 8. 8 Vgl. u. a. ebd., S. 8.
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Franz Radziwill
erfuhr Anregungen von ihnen.9 Die avantgardistischen Ideale beeindruckten Radziwill. Seine Verbundenheit mit der Kunst der »Brücke«-Maler, die sich von 1907–1912 in Dangast aufhielten, war ein Beweggrund, diesen Ort an der Nordseeküste aufzusuchen.10 Während dieser für die »Brücke«-Künstler nur eine Station darstellte, wurde er für Radziwill zur Heimat.11 1923 heiratete er und erwarb dort ein Haus.12. Ihn reizten die Einsamkeit, die ländliche Abgeschiedenheit und die Naturerfahrungen an der Nordseeküste. In seinen Werken ist die maritime Motivik – insbesondere die Schifffahrt13 – von großer Bedeutung.14 Viele dieser Meeresdarstellungen sind von der Nordsee inspiriert. Jedoch führten ihn Reisen auch auf andere Meere.15 Im Folgenden wird der Fokus auf Nordsee und Wattenmeer gelegt und deren Bedeutung für die Kunst Radziwills herausgestellt.
Die Bedeutung der Dangaster Landschaft und des Wattenmeeres für Radziwills Kunst in der frühen Schaffensphase Radziwill gab im Gespräch mit Waldemar Augustiny rückblickend an, dass diese Landschaft am Wattenmeer große Bedeutung für seine Kunst besaß:16 9 Vgl. Augustiny 1964, S. 11. Über seine damalige künstlerische Tätigkeit führt Radziwill rückblickend aus: »Dabei verstand ich, genau genommen, noch wenig vom Malen. Ich hatte ja nur ein knappes Semester an der Bremer Kunstschule studiert. Aber das fiel damals wenig auf. Alles, was sich neu, geistreich oder abstrus gebärdete, fand Beachtung. Auch die ›Brücke‹Maler machten nicht immer erstklassige Malerei.« Zitiert nach Augustiny 1964, S. 11. 10 Firmenich führt an, dass es nicht mehr eindeutig zu klären sei, ob Schmidt-Rottluff persönlich, die Kunsthistoriker Wilhelm Niemeyer und Rosa Schapire oder allgemein seine Verehrung der Brücke-Kunst Beweggrund für seine Reise nach Dangast waren. Vgl. Firmenich 1998, S. 33. Kemmler gibt einen Überblick über die Beziehungen Radziwills zu den Brücke-Künstlern. Vgl. Kemmler 2007, S. 50. Für einen stilistischen Vergleich von Schmidt-Rottluff und Radziwill vgl. Kemmler 2007. 11 Radziwill wurde sesshaft und lebte dort bis an sein Lebensende. Vgl. Firmenich 1998, S. 33. Vgl. Peukert 1998a, S. 70f. 12 Vgl. u. a. Soin8 (Hg.) 1992, S. 7. Vgl. u. a. Peuckert (Hg.) 1995, S. 12. Zudem befand sich Dangast nur 25 km von seinem Geburtsort Strohausen entfernt. Möglicherweise war auch dies ein Beweggrund. 13 Seine Hafendarstellungen sind zwar häufig von Wilhelmshaven inspiriert, doch ebenso regte ihn der Hamburger Hafen zur Schaffung von Werken an. Vgl. Soin8 (Hg.) 1992, S. 10. 14 Vgl. u. a. Soin8 (Hg.) 1992. 15 Exemplarisch sei auf die Sylt Aufenthalte im Jahr 1936 verwiesen Vgl. Schulte-Wülwer 1989, S. 160. Im Jahr 1935 unternahm er eine längere Reise auf der »Deutschland. Weiterhin reiste er im Jahre 1959 auf die Insel Helgoland. Auf Basis dieser Reise entstand das Gemälde Helgoland. Vgl. Wietek 1990, S. 203, Anm. 522. 16 »Die Maler der ›Brücke‹, Schmidt-Rottluff, Erich Heckel und Max Pechstein, die von 1906 bis nach dem ersten Weltkrieg sich in Dangast aufhielten, kamen zufällig. Sie wollten irgendwo auf dem Lande arbeiten, sie suchten mit dem Finger auf der Landkarte und stießen so auf den
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»Für mich bedeutet Dangast eine Quelle der Inspiration. Hier habe ich einen Himmel, der stündlich, oft von Minute zu Minute einem anderen Licht ausgesetzt ist. Ich habe das Meer und den Wechsel der Gezeiten. Gegen Nordwesten ist der Horizont aufgerauht durch die Kräne und Helgen von Wilhelmshaven. Flugzeuge sausen hoch über mich hin, und an Wintertagen geistert das Nordlicht am Himmel. Aber auch die kleine Welt der Schiffer mit ihren Booten und Netzen, die Welt der Bauern gibt mir Anregungen. Ich habe die Marschenebene vor Augen und zugleich welliges Land mit schönen alten Bäumen und Architekturen. Ein Spaziergang über den Deich, schon das Hinaustreten aus meinem Hause kann eine Welt von Erinnerungsbildern in Bewegung setzen.«17
Der Künstler nahm das Wattenmeer und die Landschaft insbesondere in den Anfangsjahren intensiv wahr. Als er dort noch nicht heimisch war, reiste er im Jahr 1921 im Winter an seinem Geburtstag, dem 6.2., nach Dangast.18 Auch in dieser unwirtlichen, kalten Jahreszeit war er vom Meer, der Landschaft und den Menschen dort fasziniert: »Trotzdem es kalt war, war es für mich herrlich in dieser tiefbewegten Luft grau und tiefblau, es war gerade sehr stark Ebbe und die Watten lagen ganz bloß aber so rein wie das Wasser.«19 Er war sichtlich enttäuscht, als die Malerin Schwichtenberg, der er im April desselben Jahres Dangast zeigte, seine Begeisterung nicht verstand und die Kargheit und fehlende Farbigkeit der Landschaft bemängelte.20 »Sie glauben gar nicht wie entsetzlich es für mich [Radziwill] war, einen Menschen hier raus zu bringen, wo für mich so viel liegt und für diesen gar nichts. Die Erde ist nicht tot, nein sie ist so tief lebendig in ihrem Wesen Farbe und Form […].«21
Radziwill wählte diesen Ort als Heimat und Arbeitsplatz. Er suchte das einsame Naturerlebnis.22 Dabei war das Wattenmeer mit seiner spezifischen Wirkästhetik, der Weite, dem unendlich groß scheinenden Himmelsraum und den Gezeiten von großer Bedeutung. Radziwill hielt sich insbesondere in der warmen Jahreszeit häufig im Watt auf. Im Spätsommer des Jahres 1922 schreibt er : »Jeden
17 18 19 20 21 22
kleinen Ort Dangast. Aber die Beziehung zu der Umwelt blieb nur oberflächlich. ›Unsereiner kann eigentlich überall malen‹, schrieb Heckel 1909 an Rosa Schapire.« Radziwill zitiert nach Augustiny 1964, S. 30. Zitiert nach Augustiny 1964, S. 30. Vgl. Firmenich 1998, S. 33. Brief von Radziwill an Niemeyer, Bremen, 11. 2. 1921, in: Wietek 1990, S. 64. Weiterhin führt er Folgendes aus: »Auch das Volk aller Fischer ist hier sehr fein von einer eigenartigen Ruhe, d. h. nicht kalt, in ihrer Rede karg aber in der Geste eigenartig und erzählend.« Ebd. Vgl. Brief von Radziwill an Niemeyer, 14. 4. 1921, in: Wietek 1990, S. 65. Brief von Radziwill an Niemeyer, 14. 4. 1921, in: Wietek 1990, S. 65. Dabei setzte er sich intensiv mit der Natur an der Nordseeküste auseinander und die Eindrücke, die er während seiner Wanderungen erhielt, setzte er bildhaft um. »So hat mich die letzten Tage das schöne Wetter mehr zum Wandern getrieben als zu arbeiten trotzdem liegt schon manches Aquarell auf meinem Fußboden von meinen Wattreisen.« Brief von Radziwill an Niemeyer, Dangast, 30. 5. 1921, zitiert nach Wietek 1990, S. 65f.
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Franz Radziwill
Tag im Schlick.«23 In einem Brief berichtet er von rauschhaften Naturerfahrungen: »Jeden Tag ziehe ich 2–4 Stunden hinaus mit dem abziehenden Wasser auf ’s Watt ganz nackt. Sie glauben gar nicht was es für eine Wohltat, bis an die Knie im Schlick, nicht zu wissen vom Dreck, der auf meinen von der Sonnenhitze gepeitschten Körper sofort trocknet, umherzustreifen, keinen Menschen weit und breit und doch das unbändige Wesen vieler kleiner Dinge zu fühlen, nur 1mal oder 2mal trifft man mal einen Fischer. Das Watt ist sehr elastisch und mit mir fällt Sonne und Mond. Wenn Sie erst mal nach hier kommen müßen wir unbedingt mal einen Tag draußen rumstreifen. Es erfordert viel Strapazen aber dafür ist es sonnenunanfaßbar herrlich und erlabend. So vermiße ich nichts von der Stadt mehr […].«24
Dieses intensive, ästhetische Erleben zeigt sich nicht nur in Bezug auf seine Wanderungen im Watt, sondern beispielsweise auch in seinen Beschreibungen von einem Bad in der Nordsee – diesmal nicht in Dangast, sondern während einer seiner Aufenthalte in den Niederlanden:25 »Bin dann ohne Badehose in die Wellen gestürzt, trotz der Warnung bei ablaufenden Wasser nicht zu baden. Nicht einen Augenblick habe ich es kalt empfunden, durch die gewaltigen Schläge der Wellen gerötet, und mich immer wieder an das Land werfen lassen, habe mich alle Zeit vergessen lassen, ebenso alles Gefühl für mein Leben. Ich glaube, ich wäre in der frohesten Laune ertrunken, wenn mich die Wellen mitgenommen hätten. Weit über eine Stunde bin ich im Wasser gewesen, trotz der sehr fortgeschrittenen Jahreszeit.«26
Dieses nahezu berauschende Erfahren der Wattlandschaft und der Nordsee ist allerdings in seinen anfänglichen expressionistisch gefärbten Werken nicht er23 Brief von Radziwill an Niemeyer, Ende August/Anfang September 1922 in: Wietek 1990, S. 76. 24 Brief von Radziwill an Niemeyer, Dangast, 30. 5. 1921, zitiert nach Wietek 1990, S. 65f. 25 Er kannte die Nordsee ebenfalls aus seinen Aufenthalten in den Niederlanden. »In Holland habe ich gute Tage verbracht, war das erstemal auf das Land zwischen hohen Dünen, Meer und weiteren Ebenen.« Brief von Radziwill an Niemeyer, 16. 12. 1926, in: Wietek 1990, S. 124f. Zwei Jahre später hielt er sich wiederum in Holland auf. Begeistert berichtet er, wie er bei Den Helder und Schoorl intensiv die Nordsee erlebte: »Wir haben einen ganzen Tag an der äußersten Spitze von Nordholland vor dem Kriegshafen Heldern zwischen der Insel Texel gelegen, haben dort mit Freunden gefischt auf Schellfisch – ein warmer sonniger Tag – den ganzen Tag in die Weite und die Tiefe des Meeres gesehen. Lang auf den Planken des Schiffes gelegen, im immerwährenden Schaukeln in den Himmel geblickt, durchkreuzt vom Flug und den blendenden Weiß der Möwen. Am Abend spät kamen wir mit einem guten Fang von Fischen in Schoorl an. Am andern Tag an dem Rande hoher Dünen, ein lebhafter Wind kam vom Meere, das lauter weiße Kämme zeigte, duchzogen von vielen, in einer Reihe fahrenden Küstenseglern mit hellen leuchtenden Segeln im leichten rot, ocker oder silbernen Grau, auf und runter wie der Weg ziehender Braunfische.« Brief von Radziwill an Niemeyer, 24. 9. 1928, in: Wietek 1990, S. 133. 26 Brief von Radziwill an Niemeyer, 24. 9. 1928, in: Wietek 1990, S. 133.
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sichtlich.27 In den späteren Bildern wird dagegen verstärkt die Visualisierung von Lichtspielen und Wetterphänomenen in der Wattlandschaft zu einem festen Motiv. Denn von Beginn an ist er von den Lichtstimmungen in der amphibischen Natur fasziniert wie in der folgenden Briefpassage von Radziwill aus dem Jahr 1922 zu lesen ist: »Gestern Nachmittag habe ich gearbeitet und bin dann gegen Abend an’s Watt gegangen. Hier hatte ich wieder das schönste Gewitterschauspiel und zwar durch die Sonne. Schwere Wolken lagen am Himmel aber aus einem Sonnenstrich – das ist der Teil den man so oft sieht bei Gewitter am Himmel – der ganze Himmel voll Wolken nur eine kleine Fläche ist ganz hell und am oberen Rand steht die Sonne und aus dieser Fläche schießen wie Lineare die Sonnenstrahlen. Aber diesmal war es ganz anders: aus dem Sonnenreich kamen die Strahlen aber die Sonne stand ganz vorne mitten in einer schwarzen Wolkenballung und so komisch als wenn die Wolken über der Sonne standen.«28
Diese fantastisch, fast surreal anmutenden Himmelsbeschreibungen setzt er in seinen Bildern um. Im Gegensatz zu diesen Naturphänomenen ist er dem Tourismus gegenüber abgeneigt. So machte er sich mit Blick auf die Badegäste zum Beispiel über die elegante, herzogliche Gesellschaft lustig, die in ihren vornehmen Kleidern für ihn so gar nicht ins Watt passte: »[…] gestern war sogar die Herzogin von Sachsen-Meinigen mit ihrer Tochter draußen. Kann Dir sagen, die hat mit ihrem fetten Korpus gepustet und das Watt verflucht. Stelle Dir Watt und Parfüm vor. Sie hat so viel davon bekommen, daß sie heute schon abreist unsere Landesfürstin, die kein Gefühl für Land und erst recht kein Gefühl für die Menschen hier haben. Wenn diese noch einige Tage hierbleiben würde, hätte ich ihr das Bett zu irgendeiner gegebenen Stunde voll Schlick geworfen.«29
Bereits im Sommer 1924 verzeichnete Radziwill die unangenehmen Auswirkungen des verstärkt einsetzenden Tourismus: »Nun etwas von Dangast: es ist diesen Sommer anders geworden, 200 Kurgäste hausen hier, seit Pfingsten steht eine Landungsbrücke bei Gramberg und schleudert jeden Tag einige Hundert Menschen an den Strand. Am Tage bei Flut ist hier ein Leben und Gewühl, wie ich es seit meinem Hiersein nicht kenne. Wenn es Abend geworden, rauschen auf dem Sand faulende Butterbrote und an den Pfählen der Wiesenzäune flattert ein Heer von Zeitungsfahnen, kreischen und machen sich hier kund, als wollten sie mit wütendem Seufzer noch mal den dann allein auf weiter Fläche Stehenden [über] die vergangenen Stunden zwingen.«30 27 Abbildungen vgl. Kapitel »Expressionistische Annäherungen im Frühwerk«. 28 Brief von Radziwill an Niemeyer, Anfang Mai 1922 in: Wietek 1990, S. 73f. 29 Brief von Radziwill an Niemeyer, Ende August/Anfang September 1922 in: Wietek 1990, S. 76. 30 Brief von Radziwill an Niemeyer, 9. 7. 1924, in: Wietek 1990, S. 99.
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Franz Radziwill
Radziwill kritisierte das Verhalten der Urlauber. In seinem Spätwerk fertigte er kritische Bilder bezüglich des zunehmenden Tourismus und der damit einhergehenden Naturverschmutzung sowie der baulichen Veränderungen der Dangaster Landschaft an. Wenn sich zum Herbst der Tourismus wieder beruhigte, nahm er dies erfreut zur Kenntnis.31 Radziwill genoss die Abgeschiedenheit und Einsamkeit der Gegend jenseits der Hochsaison: »So war es bisher schön: kein Kurgast und tiefe nebelumhüllte Ruhe.«32 Obwohl er sich über die zunehmende Urlauberzahl beklagte, war Radziwill trotzdem in der Lage, die sommerliche Idylle an der Nordseeküste zu genießen, wie ein Brief aus dem Jahr 1923 belegt:33 »Wir leben jetzt in einer wunderbaren Wärme hier und liegen jeden Tag am Wasser, das ist eine Herrlichkeit. […] Zur Zeit der Flut ist eine wahre Völkerwanderung nach Dangast, die sich bis in den späten Abend hinein erstreckt. Alle Abende sind windstill und angenehm kühl, sodass man jede einzelne Stimme von weither vernimmt und ans Geisterhafte grenzt dazwischen der melancholische Ton der Wattenvögel. Wir machen jeden Abend einen Spaziergang am Deich […]. Der Himmel hat dann die eigentümlichsten Färbungen von Graugrün, Rot und am Horizont einen tiefen schwarzen Streifen, welcher sich in derselben Weise auch auf das Watt überträgt. Man sitzt eine Stunde draußen, das Leben verliert sich, es wird still, geht dann nach Hause wie in eine neue Welt. Alles draußen ist unerschöpfbar, jede Stunde ist neu und fremd.«34
Radziwill war für die vielfältigen Stimmungen am Wattenmeer offen. Er betonte, dass »am Wasser« die größte Ungebundenheit empfunden werden kann.35 Weiterhin war Radziwill für die Vogelwelt am Wattenmeer sensibilisiert. So beobachtete er die Vögel, die zum Brüten an Land kommen.36 Allerdings verbildlichte er diese nicht, obwohl er sich später, insbesondere in der Nachkriegszeit, intensiv für den Natur- und Vogelschutz einsetzte. Künstlerisch ließ Radziwill sich im Gegensatz zu den Brücke-Malern nicht nur vom Sommer inspirieren, sondern auch Herbst und Winter zogen ihn in seinen Bann.37 In einem Brief aus dem Jahr 1924 beschreibt er eine Kajaktour auf 31 »Dangast ist nun wieder ganz still geworden, man sieht nur noch bekannte Gesichter. Wie die Vögel, die jetzt in Scharen abziehen, so sind von hier auch die Kurgäste davon.« Brief von Radziwill an Niemeyer, 10. 9. 1924, in: Wietek 1990, S. 105. 32 Brief von Radziwill an Niemeyer, Dangast, 1. 6. 1923, in: Wietek 1990, S. 83. 33 Dies belegt eine Briefpassage aus dem Jahr 1925: »Unsere Tage laufen hier in voller Ernte des Sommers: Arbeiten und bei Sonnenschein Strand und Bad. Letzten Sonntag war es besonders schön, wir haben den ganzen Morgen am Deich in der Nähe unseres Hauses geschwelgt, sonnige Landschaft, herrlicher weiter Blick und gebadet. Es war ein Genießertag, wie ihn ländliche Küstenbewohner nur haben können.« Brief von Radziwill an Niemeyer, 8. 7. 1925, in: Wietek 1990, S. 114. 34 Brief von Radziwill an Niemeyer, Dangast, 12. 7. 1923, in: Wietek 1990, S. 84f. 35 Brief von Radziwill an Niemeyer, 5. 10. 1925, in: Wietek 1990, S. 115f. 36 »Die Watten sind leer vom Leben der Vögel, alles brütet, denn die Nester sind gebaut.« Brief von Radziwill an Niemeyer, Dangast 31. 5. 1922, in: Wietek 1990, S. 74f. 37 Insbesondere in der kälteren Zeit ging er intensiver der künstlerischen Arbeit nach. So hatte
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dem zum Teil noch vereisten Jadebusen, die ihn zur bildlichen Umsetzung anregte.38 Aus seinen Ausführungen ist ersichtlich, dass ihn insbesondere die Stille auf dem Wasser faszinierte und er diese Atmosphäre mit seiner Frau genoss.39 Weiterhin beschreibt er den abenteuerlichen Weg zurück über die Eisschollen. Die Eisschichtungen griff er später motivisch in einigen Bildern, wie »Eisberge auf der Jade« (Abb. B3.20) und »Eis auf dem Jadebusen«40 (Abb. B3.22) auf. »Wir trieben rückwärts auf eine Bake, die den Lauf des Tiefes zeigte, wir mußten zurück, da wir nun wußten, daß die Ebbe eingesetzt hatte. Sorglos setzten wir unser kleines Boot in Bewegung dem Lande zu. […] An einigen Stellen lag noch Schnee, grau von Schlick überzogen, ebenso die Eisschollen am Strande. Wir landeten an der großen Eisscholle, die wie ein Felsblock in das Wasser ragte, fuhren in die Bucht um an ihr hinauf zu turnen. Es war schwierig, ohne Hilfe aus dem wankenden, leicht kenternden Fahrzeug hinauszukommen. Mit etwas Mühe war uns dieses bald gelungen, somit kam das Schwierigste, das Boot an Land zu heben. Wir faßten beide vorne die Leinen und bald hing es senkrecht an der Eisscholle, immer mit der Kraft, wieder zurückzufallen, bis wir dieses über seine Mitte hinweg gebracht hatten. Dann ging alles gut, wie ein Schlitten wurde die Kiste über das Eis gezogen. Ich war voller Freude, ebenso Inge, über diesen herrlichen Tag, der so viel Schönheit uns übertragen und mir ein Bild übertrug, daß ich dann gemalt habe […].«41
Dies zeigt exemplarisch, dass Radziwill durch das intensive Naturerleben Inspiration für seine Kunst erhielt.42 Auch in Bezug auf die anderen Jahreszeiten ist
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er im Sommer nach eigenen Aussagen »nicht gearbeitet, habe aber viel gesehen immer draußen, wohl mit dem Stift der aber in Ruhe blieb. Aber jetzt [Herbst] arbeite ich […]«. Vgl. Brief von Radziwill an Niemeyer, Dangast, 3. 10. 1922, in: Wietek 1990, S. 77f. Vgl. hierzu Wietek 1990, S. 94, Anm. 347. Detaillierte Ausführungen zum Bild »Dangast vom Meere aus« vgl. Peuckert (Hg.) 1995, S. 14ff. »Inge und ich waren bei klaren, wenn auch noch sehr kalten Tagen auf das Meer hinausgefahren, ganz alleine, alles war still, im Wasser lag eine feine leichte Dünung. Wir fuhren sehr weit hinaus und ließen uns dann treiben. Still war alles rings herum, nicht mal das Wasser gab einen Laut von sich. Trotzdem die Luft klar, hörte man nicht eine Stimme vom Land herüber schallen, nur vereinzelt zog eine Möwe über uns dahin, blieb still, um zu verschwinden.« Brief von Radziwill an Niemeyer, 17. 3. 1924, in: Wietek 1990, S. 94. Abb. vgl. Soin8 (Hg.) 1992, S. 90f. Brief von Radziwill an Niemeyer, 17. 3. 1924, in: Wietek 1990, S. 94. Dabei spielen ebenfalls Wetterphänomene wie Gewitter oder Stürme, die im Herbst und Winter häufig an der Nordseeküste herrschen sowie das damit einhergehende Lichtspiel durch die schnell ziehenden Wolken, eine wichtige Rolle. »Ein gewaltiger Sturm heult durch die Landschaft, Bäume küssen mit den sonst so erhabenen Kronen die Erde. Solange ich hier bin, habe ich noch nicht einen solchen Orkan von Sturm erlebt. Farbe draußen wie Weltuntergang. Mir ist es bei alle dem Toben sehr wohl ums Herz, male gerade eine Raureiflandschaft und sie hat trotz ihrer Stille allerhand von diesem Geheul mitbekommen. Sicher sitzen die Maler der Großstadt in ihren Etagen und trinken warmen Tee im warmen Zimmer, während wir unsere Arme im Zimmer um den Puckel hauen von all dem herrlichen Luftzug, der durch die Bude fegt, daß einem die Knochen klappern und der Pinsel wie der Schlag des Herzens auf der Leinwand zittert. Um das Haus herum schreit es immerfort: male Franz, das Wetter ist günstig.« Brief von Radziwill an Niemeyer, 2. 1. 1925, in: Wietek 1990, S. 108f.
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solch intensives Naturerleben zu erkennen.43 In seinen Beschreibungen spielen dabei die Farben, die sich jahreszeitlich bedingt verändern, eine wichtige Rolle.44 Die übersteigerte Farbigkeit in vielen Werken Radziwills lässt sich mit seiner intensiven Farbwahrnehmung in der Natur begründen. Dabei zeigt die sinnlichästhetische Naturwahrnehmung aus Radziwills Briefen bereits Tendenzen zum Fantastischen.45 Als sich der Künstler Mitte der 20er Jahre auf der Suche nach 43 »Draußen in der Natur klirrt und bricht es ununterbrochen gleich einem Erdbeben. Man geht nach Hause um zu arbeiten, da sind die Knospen braun, tritt aus dem Haus nach der Arbeit und da ist das braun grün geworden. Alles liegt in einem tiefen grau des Himmels – ich liebe das grau im Augenblick am meisten als Umgebungs-Farbe für Chromgelb/Rot und ein sattes tiefblaues Grün und Schwarz.« Brief von Radziwill an Niemeyer, Dangast, 12. 3. 1923, in: Wietek 1990, S. 81. 44 Dies belegt die folgende Briefpassage über den Herbst: »Ist das heute wieder ein Tag draußen, der ganz in der Luft des Herbstes liegt, klar und rein, geschwängert von einem tiefen Wesen naher doch unantastbarer Dinge. […] Ein Braun gleich einem leuchtenden Zinnober, dagegen ein grün wie Kobalt, ein tiefes Blau-Schwarz. Die Landschaft ist so weit in einer Fläche hingelegt, groß und wuchtig, alle Einzelheiten sind herabgenommen, da geerntet ist fast alle Frucht. Du glaubst gar nicht wie sich auf einer solchen Fläche das Auge weitet, man hat das Gefühl von einer Weite im Körper, von einer Weite seiner arbeitenden Finger, die über die Flächen tasten, zu suchen, was noch ist.« Brief von Radziwill an Niemeyer, Dangast, 3. 10. 1922, in: Wietek 1990, S. 77f. Auch die Besonderheiten des Winters nahm er intensiv wahr und setzte sie in seinen Bildern um. »Stelle Dir vor was dieser Frost für eine Landschaft geboren hat: alles weiß, dazwischen starke rot-schwarz und der Himmel ist grau.« Brief von Radziwill an Niemeyer, 30. 11. 1921, in: Wietek 1990, S. 68. Auch berührten ihn die Veränderung der Farben der Landschaft in der Frühlingszeit und das erneute Aufblühen in der Natur zutiefst. Ebenso war es die Veränderung der Farben in der Wattlandschaft, die ihn faszinierte: »[…] der Weg vom kalten zum warmen ist ungemein wild und erfordert Kraft zum ausharren – so ist es jetzt hier draußen, statt weißer Eisschollen gibt es nur schwarze durch den Schlick getränkt, gegen ein ungemeines starkes Ocker, fast Orange und da es noch immer taut wird das Leben hier noch feiner in sich und intensiver.« Brief von Radziwill an Niemeyer, in: Wietek 1990, S. 70. »Aber auf der anderen Seite gebäret die Erde ihre ungeheure Kraft zur neuen Saat, zum neuen Wuchse der Blätter und Bäume, nicht die Frucht aber die Knospe. Nur noch einige Tage und eine Vollendung wird sein, die nicht lieget in der Lerchen Gesang, nein vor ihm. Die Zeit wo die Meise schlägt, wo der Raureif um die Mittagsstunde auf die Wege polternd fällt, da liegt die ungeheure kräftige Stunde in Würde großer Einsamkeit und flackernder Wärme aus den Wolken. Dieses Geschehen ist seltsam, am seltsamsten für einen Maler der nach Farbe rufet, zu ihr flüchtet, nach Form, aber alles ist Erleben und tiefe Erschütterung wie das gebärende Weib, daß um eine solche Stunde unantastbar ist, rätselhaft und von starker strahlender Kraft in tiefer mystischer Finsternis bis zu einer klaren Helligkeit. Gewaltige Dinge gebäret im Augenblick die Erde. Die Jahresstunde des ewig neuen stehet draußen, rufet und man versinket in ihr hilflos im Danken zur Dankbarkeit.« Brief von Radziwill an Niemeyer, Dangast, 25. 2. 1923, in: Wietek 1990, S. 80f. »Schwer und wuchtig wälzen sich die Farben des Frühlings hier in die Landschaft hinein.« Gezeichnete Postkarte Radziwills an Niemeyer, Frühjahr 1921, in: Wietek 1990, S. 65. 45 Bereits aus dem Jahre 1922 ist eine solche Beschreibung erhalten. »Gestern durfte ich einen herrlichen Abend erleben. Ein furchtbarer Sturm ging an unserer Küste und durch die Wolken zog der Mond sein eigenartiges Licht, das sich mitunter auf die Erde warf wie ein ganz symmetrischer Kegel. Dabei herrschte ein Licht das ganz schwarz erschien aber mit leichten und hellen grauen Strichen durchzogen war, die Häuser in einer dunklen Masse und doch sah
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neuer Bildsprache und -inhalt bereits von den frühen expressionistischen Darstellungen abgewandt hatte, beschäftigte er sich bei einem Spaziergang auf dem Deich mit der Frage nach der Wirklichkeit und dem ewigen Wandel, dem alles unterliegt: »Ich wanderte auf dem Deich. Da formten meine Lippen die Worte: das größte Wunder ist die Wirklichkeit. Aber was ist wirklich? Mein Nachbar – gestern war er übelgelaunt, heute heiter, gestern trug er Arbeitskleidung, heute Sonntagsstaat, vor Jahren hatte er sieben Kinder, heute acht, voriges Jahr war er verheiratet, heute ist er Witwer… Der Baum draußen vor der Tür – vor Jahren noch klein, heute mit mächtiger Krone, gestern im grauen Nebel, heute in vollem Licht, derselbe Baum im Sturm und in der Stille – das Erdreich gehört zu seinem Dasein, der Himmel, vielleicht auch der Stern in der Höhe, mit dem er Zwiesprache hält – alles befindet sich im Wandel, alles steht in seltsamer Beziehung zu allem – welche Fülle, welche Wunder! Die sollte ein Mensch, die sollte die Menschheit je ausschöpfen können?«46
Das »Wunder der Wirklichkeit« mit den vielen Wahrnehmungsschichten setzte er insbesondere in seinem Spätwerk vielfach um. Radziwill fertigte häufig gegenständliche, detailgetreue Darstellungen an, die allerdings durch Einbeziehung fantastischer und surrealer Elemente und übersteigerter Farbigkeit Brüche mit der Realität aufweisen.47 Ebenso erzeugte er durch irrational konstruierte Perspektiven und Lichtführungen Irritationen. In späteren Jahren nahm er man ihre Fenster, man hatte nicht das Gefühl als wenn Menschen darin wohnten, sondern als wenn die tiefe Nacht in sie gezogen wäre und so eine förmliche Lebendigkeit aus ihnen geboren würde wie ich es noch nie gesehen. Hat die Nacht Farbe – ich glaube nicht und vielleicht doch – ich weiß es im Augenblick nicht aber desto stärker sind Klang und Form in ihr als wie am Tag, hervorgerufen hier draußen auf dem Lande durch die Ruhe. Da alles Lebendige wie Tiere und Menschen ruht, da hört man jeden Schlag, den der Wind hämmert um Baum und an den Häusern, wenn er sich in sie oder um sie dreht. Es sind Wirbel, die gleich langsam ziehen den Rauch, am Tage durch die Augen wahrnehmbar, nachts durch das sich verfeinernde Gehör verklären, da steigert sich die Mystik auf das äußerste. Sehen erhält kaum einen Klang so stark als wie mit der ganzen Kraft seines Körpers irgendwo zu sein, nichts zu sehen, nur mit der Wahrnehmung des Gehörs zu arbeiten. Man fühlt die Lebendigkeit von Dingen, die man sehen möchte, aber wo sind sie, wenn man am Morgen nach draußen tritt, dahin sieht, wo einsam in der Nacht ein Leben entgegen gesprungen ist von einer gewaltigen kaum faßbaren Kraft. Ja dort steht etwas: ein Pfahl, ein Gitter, eine alte [!] oder ein Strauch, aber still am morgen, ganz still, so eigenartig still zu der Nacht, das man sich verliert und erst recht den Gegenstand, nachts den Gegenstand mächtig erstehen sieht und sich verliert wie in einem Flug durch die Luft, sich dehnt als wenn wir ohne Hülle wären, als wenn das Blut aus dem Körper von uns in den Raum tritt, doch nirgends einen Halt findet, bis man plötzlich vor einem Baum oder Haus tritt, fast erschreckt und sich im Körper wiederfindet.« Brief von Radziwill an Niemeyer, Dangast, 8. 12. 1922, in: Wietek 1990, S. 79. 46 Zitiert nach Augustiny 1964, S. 13. 47 Er befasste sich bereits früh mit den »Meistern des Absurden«, u. a. mit Hieronymus Bosch und Francisco Goya. Vgl. Augustiny 1964, S. 16. Diese Einflüsse des Fantastischen haben starke Eindrücke hinterlassen und kommen verstärkt in seinem Spätwerk zum Tragen, das ebenfalls surrealistische Bezüge enthält.
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zudem häufig Übermalungen vor und integrierte neue Sinnebenen in bereits vorhandene Bilder. Viele von Radziwills Werken werden dem magischen Realismus zugeordnet. Der Begriff wurde von Franz Roh geprägt. Er führte an, dass mit dem Begriff »magisch« angedeutet werden soll, »daß das Geheimnis nicht in die dargestellte Welt eingeht, sondern sich hinter ihr zurückhält«.48 Radziwill sprach bereits in den frühen 20er Jahren von dem »letzten großen Geheimnis, das alles lebendig macht«.49 Er strebte an, die unerklärlichen »Klänge der Natur«, die die »Seele« vernimmt, in seinen Bildern wiederzugeben.50 Dabei ist er sich durchaus bewusst, dass die Wahrnehmung einer Landschaft oder eines Subjekt sich im Laufe der Zeit wandeln kann und es nicht die eine unveränderliche Wirklichkeit gibt, sondern subjektives Empfinden vorliegt. Dies zeigt sich auch in seinen sich im Laufe der Zeit verändernden Bildwelten in Bezug auf die Nordsee und das Wattenmeer.
Expressionistische Annäherungen im Frühwerk In seiner frühen Kunst setzte sich Radziwill mit wichtigen Vertretern der Moderne, den Brücke-Künstlern sowie Van Gogh und Chagall, auseinander.51 Im Jahre 1924 beschreibt er seine künstlerischen Einflüsse, die er durch SchmidtRottluff erhalten hat: »In der Malerei Schmidt-Rottluffs löste sich für mich eine neue Anschauung, der in der Stille mir der größte Maler seiner Zeit und Lehrer wurde. Seine Farben erschlossen mir mit der Malerei der alten Niederländer das Gesetz von Licht und Schatten […].«52 48 Vgl. Roh 1925, Vorbemerkung, S. 7. 49 »Wissen wir oder können wir als Menschen überhaupt den letzten tiefen Seelengang fassen, den wir immerfort berühren, dem wir immerfort nah zu sein glauben? Aber dieses ist und bleibt das letzte große Geheimnis, das alles lebendig macht. Wir können unser Werken wohl von unserem Atem geben, daß sie diesen Hauch wiedergeben, aber das letzte Große ist, daß irgendetwas sich bewegt, stets einen Klang gibt. Aber das letzte, daß ein Werk selber hört, also ein Ohr hat, das können wir ihm nicht geben und das sind die letzten Dinge. Wir nennen so vieles immer Leben, aber was ist es, was sind die Dinge, die es lebendig machen?« Brief von Radziwill an Niemeyer, Dangast, 25. 5. 1923, in: Wietek 1990, S. 82f. 50 »Wir Menschen, Dichter Maler, Musiker u.s.w. stehen alle in dem tiefen Gefühl, von unserer Seele was zu geben (Vielleicht ist es der falsche Ausdruck) Nicht von unserer Seele, sondern von den Klängen der immer wieder unerschöpfbaren Natur, die in uns gedrungen, die immer wieder was zu sagen hat, so lange Menschen leben, dies den Menschen mitteilt. Dieses Sagen das wollen wir weiter sagen, es geben, so gut es bei uns liegt, so gut es unsere Seele erfasst und sagen kann jeder in seinem besten Wollen und seiner größten Kraft.« Brief von Radziwill an Niemeyer, Dangast, 25. 5. 1923, in: Wietek 1990, S. 82f. 51 Vgl. u. a. Soin8 (Hg.) 1992, S. 7. Zum Frühwerk von 1915 bis 1923 vgl. Firmenich 1995. Zur künstlerischen Entwicklung Radziwills vom Expressionismus zum Realismus vgl. Henkel 2011. 52 Entwurf Radziwills für Publikation der Juryfreien Kunstschau Berlin, in: Wietek 1990, S. 106.
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Aus einigen Briefen Radziwills kann die Hoffnung gelesen werden, SchmidtRottluff würde nach Dangast zurückkehren.53 Diese erfüllte sich aber nicht und Radziwill blieb als Künstler alleine in dem Nordseeküstenort. Seine in Dangast entstandenen frühen maritimen Werke sind stark von der Nordsee inspiriert.54 Sie lassen sich jedoch aufgrund fantastischer Motivik, eigenwilliger Komposition und expressiven Einsatzes von Farben nicht eindeutig verorten.55 Die expressionistische Annäherung des Künstlers an die Wattenmeerküste wird anhand exemplarischer Bilder dargelegt: Inspiriert von den Fischerbooten mit kleiner, kastenförmiger Kajüte schuf Radziwill das Bild »Fischerwohnungen/Ausfahrende Schränke«56 (Abb. B3.1):57
Abb. B3.1: Franz Radziwill, Fischerwohnungen/Ausfahrende Schränke, 1920/21, Öl, 80 x 84,5 cm, Privatbesitz
Boote mit an Schränke erinnernden Kajüten sind auf dem Meer in unmittelbarer Küstennähe dargestellt. Während das Land weitgehend in intensiv orange und gelbe Farbtöne getaucht ist, ist das Meer in parallel angeordneten, breiten, grauen und schwarzen Streifen verbildlicht. Es ist ersichtlich, dass sich Radziwill in seinen frühen Werken von realitätsgetreuen Abbildungen distanzierte. Weiterhin sei auf das Postkarten-Aquarell »Phantastische Strandlandschaft« (Abb. B3.2) verwiesen, in dem seine expressionistische Bildsprache deutlich zum Ausdruck kommt. 53 Vgl. Peukert 1998a, S. 72. Briefe von Schmidt-Rottluff geben Aufschluss darüber, dass Radziwill ihn einlud, ihn in Dangast zu besuchen und gegenüber Beyersdorff Bemerkungen machte, Schmidt-Rottluff würde zurückkehren. Vgl. Brief von Schmidt-Rottluff an Radziwill, Dezember 1923, Berlin, in: Wietek 1995, S. 160. Vgl. Brief von Schmidt-Rottluff an Beyersdorff, Berlin-Friedenau, 22. 2. 1924, in: Wietek 1995, S. 160f. 54 Radziwill verbildlichte nicht nur die Landschaft, sondern griff auch figürliche Motive auf. So stellte er in dem Bild »Der Fischer« in fantastisch anmutender Weise den Fischer in den Vordergrund. Vgl. Kat. Dangast 1998, Abb. 158. 55 Vgl. Peukert 1998, S. 32. Vgl. Hedinger 1998, S. 50. 56 Vgl. Kat. Dangast 1998, Abb. 161. 57 Dieses Werk wurde u. a. in Berlin präsentiert .Vgl. u. a. Peuckert (Hg.) 1995, S. 8.
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Abb. B3.2: Franz Radziwill, Phantastische Strandlandschaft, 1921, Aquarell und Bleistift auf Postkarte, 8,9 x 13,9 cm, Altonaer Museum
In die abstrahiert dargestellte Strandlandschaft sind fantastische Elemente eingefügt. In Radziwills Werken sind auch Einflüsse der Brücke-Maler wie die Flächigkeit von Farbbereichen und die reduzierte Formsprache erkennbar. Jedoch unterscheiden sich viele Motive. Im Gegensatz zum Dangaster Themenkreis der Brücke-Künstler spielt in Radziwills Bildern der Akt eine größere Rolle. Das Werk »Fünf Akte am Strand«58 (Abb. B3.3) zeichnet sich durch Flächigkeit und Reduktion der Formsprache aus.
Abb. B3.3: Franz Radziwill, Fünf Akte am Strand, 1920, Öl, 43 x 55 cm, Sammlung C. H.
Auf einem leuchtend roten Strand sind mit Konturlinien fünf Akte dargestellt.59
58 Vgl. Kat. Dangast 1998, Abb. 159. 59 Radziwill weicht – in expressionistischer Manier – von den natürlichen Farben des Sandes ab. Allerdings sind die Körper der nackten Menschen sowie das Meer im Hintergrund in naturgetreuen Farbtönen gehalten. Dieses Bild wurde wie »Fischerwohnungen/Ausfahrende Schränke« (Abb. B3.1) in Berlin ausgestellt. Vgl. u. a. Peuckert (Hg.) 1995, S. 8. Es verdeutlicht, dass auch im Kontext expressionistischer Kunstströmungen Nordseemotive in Berlin präsentiert wurden.
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In dem zwei Jahre später entstandenen Werk »Badende Frauen«60 (Abb. B3.4) wählte Radziwill bereits eine detailliertere Farb- und Formsprache.
Abb. B3.4: Franz Radziwill, Badende Frauen, 1922, Öl, 85,5 x 79,5 cm, Dauerleihgabe in den Bayrischen Staatsgemäldesammlungen München
Jedoch lassen sich noch deutliche Abstraktionen erkennen. Das Meer, wahrscheinlich die Nordsee, ist nur im linken vorderen Bildteil in einem kleinen Bereich zu sehen und besitzt periphere Bedeutung. Die Reduktion von Formen zeigt sich bei Radziwill ebenso in der Radierung. Dabei liegen wechselseitige Einflüsse zur Malerei vor. In der kolorierten Kaltnadelradierung »Frauen am Strand«61 (Abb. B3.5) aus dem Jahre 1922 sind Frauen am Strand zu sehen, ihre Körper sind in L-Form angeordnet:
Abb. B3.5: Franz Radziwill, Frauen am Strand, 1922, Kaltnadelradierung/Aquarell, 19,6 x 24,2 cm
Die eine Frau liegt am Strand auf einer Decke bzw. einem Tuch. Hinter ihr erhebt sich die andere, von der nur der Oberkörper zu sehen ist. Die Konturlinien sind formbestimmend. Die Gesichtszüge wurden ausgespart und somit liegt eine Anonymisierung vor. Es ist nur ein kleiner Durchblick an der äußeren linken Bildseite zum Meer gegeben. 60 Vgl. Kat. Dangast 1998, Abb. 168. 61 Vgl. Kat. Dangast 2007, Abb. 45.
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In diesen frühen Darstellungen nimmt die Nordsee häufig nur einen kleinen Bildbereich ein. Dies zeigt sich ebenso in den Werken mit Schiffsmotivik. Dies mag verwundern, da in Radziwills Briefen eine intensive Naturerfahrung des Wattenmeeres zum Ausdruck kommt. Im Jahre 1920 schuf Radziwill das Aquarell »Segelboote in einer Bucht«, das ein Jahr später die Grundlage für das Ölgemälde »Segelboote im Schnee« (Abb. B3.6) war.62
Abb. B3.6: Franz Radziwill, Segelboote im Schnee, Segelboote in einer Bucht, 1922, Öl, 85 x 79 cm, Privatbesitz
Letztgenanntes zeigt das Meer und den Strand im Winter. Fünf Segelschiffe, zum Teil bereits abgetakelt, liegen auf einer weißen, verschneiten Strandfläche. Ein roter und ein gelber Streifen, kennzeichnen den Küstenverlauf und sind neben den Brauntönen der Boote die wesentlichen Farbelemente. Im Kontrast zur hellen Küste hebt sich das Meer bedrohlich dunkel davon ab und geht in einen schwarzgrauen Himmel über. Da der Künstler in Dangast ansässig war, erlebte er dort alle Jahreszeiten. Deshalb malte er Schiffe, die bei ihm zeitlebens zum festen Motiv gehörten, in unterschiedlichen Jahreszeiten und Kontexten. So zeigt das im selben Jahre entstandene Aquarell »Segelschiffe«63 (Abb. B3.7) eine blühende Vegetation mit einzelnen Grasbüscheln am gelben Strand.
62 Abb. vgl. Soin8 (Hg.) 1992, S. 56f. Der Titel dort lautet »Segelboote in einer Bucht«. Vgl. Kat. Dangast 1998, Abb. 170. Ausführungen hierzu vgl. Henkel 2011, S. 20. 63 Vgl. Katalog Dangast 1998, Abb. 191.
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Abb. B3.7: Franz Radziwill, Segelschiffe, 1922, Aquarell, 35,5 x 50,5 cm, Privatbesitz
Aufgrund perspektivischer Unstimmigkeiten in der Landschaftsdarstellung scheinen die Segelboote links unten aus dem Bild heraus zu fahren. Dies kann den/die Betrachter/in irritieren, war jedoch vereinbar mit Radziwills Kunstverständnis, da er keine realitätsgetreuen Abbildungen schaffen wollte. Der Künstler wählte auch die Bewegungen des Wassers als eigenständiges Motiv. Das Bild »Die Welle«64 (Abb. B3.9), das auf einem zuvor entstandenen gleichnamigen Aquarell65 (Abb. B3.8) basiert, zeigt ein expressives Formenspiel:
Abb. B3.8: Franz Radziwill, Die Welle, 1921/22, Aquarell u. Bleistift, Privatbesitz
Abb. B3.9: Franz Radziwill, Die Welle, 1921/22, Öl, 78,5 x 85 cm, Stadtmuseum als Dauerleihgabe im Landesmuseum Oldenburg 64 Vgl. ebd., Abb. 167. 65 Vgl. Firmenich 1998, S. 39f. Zur Entstehungsgeschichte vgl. Wieteck 1990, S. 323.
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In unwirklicher Weise erhebt sich aus dem eher ruhigen Wasser eine an ein Ährenbündel erinnernde Welle,66 die die Sonne zu umfassen scheint.67 Die Welle ist in feurigen Farbtönen mittels linearer Elemente und Tupfen gestaltet. Den Großteil des Ölgemäldes nimmt aber das schwarz verbildlichte Meer ein. Dieses Bild weist eine expressive Formen- und Farbsprache auf, die Radziwills Anfangswerk in Dangast kennzeichnen.68 Er schilderte die Faszination, die er noch Anfang der 20er Jahre angesichts abstrakter Bilder empfand: »Wenn ich vor dem Ersten Weltkrieg und in den zwanziger Jahren abstrakte Bilder betrachtete, erfaßten sie mich wie ein Rausch. Nach der totalen geistigen Verholzung der letzten Auswirkungen impressionistischer Bildauffassung schien sich jetzt der Anfang eines neuen und weiten Geistes in der Kunst anzukündigen.«69
Diese Begeisterung erschöpfte sich jedoch bald; Radziwill empfand seine expressive Phase nur als einen Übergang und kehrte zur gegenständlichen Formensprache zurück.70 Bereits im Jahre 1922 schrieb er in einem Brief an Niemeyer, dass die Kunst von Schmidt-Rottluff und Heckel ihm fremd geworden sei:71 »Die Expressionisten der ›Brücke‹, denen ich mich in der Jugend zurechnete, setzten Farbe gegen Farbe nach dem Maße ihrer Kraft. Sie wollten erregen, und sie erreichten in ihren besten Leistungen diese Absicht. Dabei war der Gegenstand gleichgültig und hatte nichts mit der erzielten Erregung zu tun. Farbe war ein abstraktes Phänomen geworden, losgelöst vom Eigendasein des Gegenstandes, losgelöst auch von den Empfindungen des betrachtenden Menschen, durch den der Gegenstand erst sein Gesicht erhält. Das aber war, was ich nicht wollte. Mein Ziel war es, durch die Farbe die Seinswelt des Gegenstandes aufzuschließen und zugleich die Empfindungen, die er in mir auslöste, wiederzugeben. Ein einziger Prozeß sollte objektiven Sachverhalt und subjektive Empfindung binden. Daß die Farbe solche Möglichkeiten besitzt, ging mir bei Grünewald und Rembrandt, am stärksten vielleicht bei den Romantikern auf, bei Caspar David Friedrich und Carl Gustav Carus.«72
Radziwill kritisierte die völlige Loslösung der Farbe vom Gegenstand und lehnte es ab, weiter in die Abstraktion zu gehen. Als Konsequenz daraus wandte er sich vom Expressionismus ab.73 66 Firmenich zieht einen Vergleich zu den von Radziwill verbildlichten Kornähren in dem Werk »Landschaft mit Baum und Kornhocken« (1920), vgl. Firmenich 1998, S. 41, Abb. 24. 67 Durchbrochen wird es von den orangeroten Farbtönen der Welle, des Himmels und der Sonne sowie den gleichfarbigen Reflexionen im Wasser. Die Wellenbewegungen und die aufsteigende Form der Welle evozieren eine dynamische Wirkung. Der starke Farbkontrast unterstützt die dramatische Wirkung. 68 Vgl. Firmenich 1998, S. 33f. 69 Zitiert nach Augustiny 1964, S. 12f. 70 Vgl. Firmenich 1998, S. 40f. 71 Brief von Radziwill an Niemeyer, April 1922, in: Wietek 1990, S. 73. 72 Zitiert nach Augustiny 1964, S. 28. 73 »Dann aber erkannte ich, daß die völlige Loslösung vom Gegenstand das Ende bedeuten
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Wandlung zur Neuen Sachlichkeit Bereits im Jahre 1922 gewannen im Werk Radziwills naturalistische Einflüsse und eine eher sachliche Darstellungsweise größere Bedeutung.74 Da der Künstler keine akademische Ausbildung genossen hatte, bildete er sich autodidaktisch durch ein genaues Naturstudium und Studienreisen u. a. nach Dresden und Holland weiter. Somit finden sich in seiner Kunst sowohl Auseinandersetzungen mit den alten Meistern, Künstlern der Romantik wie auch niederländischen Malern.75 Weiterhin zeigte er Interesse an der Kunst von George Grosz und Otto Dix. Die sozialkritische Komponente dieser zwei Künstler fließt in den 20er Jahren allerdings nicht in seine Werke mit Nordseemotivik ein. Diese zeigen vielmehr unkritische Ansichten des Wattenmeeres und der Küste, wie das Bild »Leuchtturm auf Arngast«76 (Abb. B3.10) belegt.
Abb. B3.10: Franz Radziwill, Leuchtturm auf Arngast, 1927, Aquarell und Tuschfeder, 37,4 x 45,5 cm, Landesmuseum Oldenburg
Dieses im Jahre 1927 entstandene Aquarell zeigt die starken Abweichungen von den einige Jahre zuvor noch seinen Stil beherrschenden expressionistischen Zügen und verdeutlicht die Rückkehr zum Gegenständlichen. Der Leuchtturm im Jadebusen ist detailliert gestaltet. Auch die kaum erkenntlichen Vögel in der Luft sowie die Überreste der untergegangenen Insel Arngast sind differenziert würde. Wer die Natur verliert, der verliert Gott, so formulierte ich meine Auffassung damals, im Jahre 1922, und so würde ich auch heute sagen. Die gegenstandslose Malerei hat ihren Sinn gehabt, wir sind von ihr erregt worden, sie ist die Zwischenstufe zu einer neuen Erkenntnis und einem neuen Weltverhalten geworden; sie hat uns Werte geschenkt, die der Malerei verlorengegangen waren. Die vielen Nachtreter verzerrten alles und führten in die Nacht des Nihilismus.« Zitiert nach Augustiny 1964, S. 12f. 74 Vgl. Peukert 1998a, S. 70f. Vgl. u. a. Soin8 (Hg.) 1992, S. 8. Zur künstlerischen Entwicklung Radziwills von 1923–1933 vgl. März 1995. 1922 wandte er sich verstärkt der Lyrik zu und fand nach einer Schaffenspause wieder zur Malerei zurück. 75 Vgl. u. a. Peuckert 1995, S. 16f. Vgl. u. a. Soin8 1992, S. 7. Beispielsweise wurden die dunklen, bedrohlichen Himmelsdarstellungen Radziwills in der Tradition von Hieronymus Bosch, »Höllenbrueghel«, Leonaert Bramer bis zu Rembrandt gedeutet. Vgl. Hoffmann 1982, S. 43. 76 Vgl. Peuckert (Hg.) 1995, Kat. 21.
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Franz Radziwill
dargestellt. Das Watt erscheint als unwirtliche, braun-graue Fläche mit schwarzen Absetzungen. Allgemein ist das Werk in sehr gedämpften Farben gehalten. Ebenso zeigen die Aquarelle »Segelschiffe im Wattenmeer« (Abb. B3.11) und »Brückenkopf des alten Anlegers in Dangast« (Abb. B3.12) die Abkehr von der expressionistischen Bildsprache.
Abb. B3.11: Franz Radziwill, Segelschiffe im Wattenmeer/Blick auf Jade, 1928/29, Aquarell und Tusche, 18,7 x 45,5 cm, Privatbesitz
Erstgenanntes Bild ist nahezu monochrom gestaltet und vermittelt den Eindruck einer spiegelglatten Nordsee im Küstenbereich, auf der sich einige Segelschiffe befinden. Im Vordergrund ist die Küste zu sehen.
Abb. B3.12: Franz Radziwill, Brückenkopf des alten Anlegers in Dangast, 1928/29, Aquarell und Tusche, 37,4 x 45,5 cm, Privatbesitz
Die Küste als Grenzzone zwischen Land und Meer ist auch im Bild »Brückenkopf des alten Anlegers in Dangast« zu erkennen. Gedämpfte Farben und Grautöne beherrschen das Werk und vermitteln einen düsteren Eindruck. Wie im ersten Bild ist die Farbwahl stark reduziert. Der Blick wird auf den Brückenkopf des alten Anlegers im Wattenmeer gelenkt. In diesen mit Aquarell und Tusche geschaffenen Werken näherte sich Radziwill einer realitätsgetreuen Darstellungsweise an. In dem 1929 entstandenen Werk »Strand von Dangast mit Flugboot«77 (Abb. B3.13) bedient er sich bereits ansatzweise einer surrealistischen Bildsprache und erreicht so eine Verzerrung der Realität. 77 Vgl. Peuckert (Hg.) 1995, Kat. 29. Vgl. ebenso Kat. Emden 1995, S. 158.
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Abb. B3.13: Franz Radziwill, Strand von Dangast mit Flugboot, 1929, Öl, 92,5 x 131,5 cm, Landesmuseum Oldenburg
Dies wird sowohl durch einige übernatürlich erscheinende Himmelsobjekte sowie eine gesteigerte Farbigkeit erzielt.78 Die Strandlandschaft mit der Mauer sowie die Bäume und das Kurhaus auf erhöhter Ebene sind in ein warmes Licht getaucht. Der oder die Betrachtende wird durch den Weg im Vordergrund am Dangaster Weststrand ins Bild geführt. Auf der rechten Seite erhebt sich die Strandmauer. Ein leuchtend rotes Boot liegt am Strand; im Wasser befinden sich tiefenräumlich gestaffelt Segelschiffe mit gesetzten Segeln. Die grauen Farben der Nordsee verschwimmen im linken Bereich mit den Farben des Himmels. So entsteht der Eindruck von Unendlichkeit. Der Himmelsraum ist in Form und Farbgebung unruhig gestaltet. Die schwarzen Wolken rufen eine bedrohliche Wirkung hervor. Ein roter Himmelskörper, umgeben von einer Art Aura, sowie weitere gelbe Objekte darüber verstärken den zum Teil surrealen Eindruck. Ein wie erstarrt wirkendes Flugboot hebt sich vor dem Himmel ab. Flugboote waren ab Ende der 20er Jahre in Dangast kein seltener Anblick.79 Radziwill empfand sie nicht nur als bedrohend, sondern auch als faszinierende technische Objekte. Wie dieses Bild zeigt, lässt sich Radziwill nicht nur von der Natur, sondern ebenso von technischen Fortschritten in Luft- und Seefahrt in seiner Kunst inspirieren. Die Präsenz des Menschen im Wattenmeer ist in diesem Bild unübersehbar, obwohl keine einzige Person dargestellt ist. Es ist nicht das Erlebnis der Konfrontation des Menschen mit der Weite und Größe des Wattenmeeres, das Radziwill visualisiert. In diesem Bild wird bereits angedeutet, was er in seinem Spätwerk thematisch verstärkt aufgreift: ein Spannungsverhältnis zwischen 78 In der kolorierten Vorskizze und den weiteren zugehörigen Skizzen liegt noch keine Verzerrung des Dargestellten ins Übernatürliche vor. Vgl. Peuckert (Hg.) 1995, Kat. 28. 79 Vgl. Peuckert (Hg.) 1995, S. 21. Ebenfalls wurde 1927 der Flughafen in Mariensiel eingeweiht und Flugzeuge waren häufig zu beobachten. Vgl. ebd. Bereits als Jugendlicher war Radziwill mit Flugzeugen vertraut, da die Familie nicht weit entfernt vom Neuenlander Flugplatz wohnte. Dabei hat er die potentielle Gefahr von Flugzeugen erfahren, als er den tödlichen Absturz des Testpiloten Karl Buchstätters beobachtet hat. Vgl. Augustiny 1964, S. 6. Dies hat ihn zu einem Bild inspiriert. Vgl. Soin8 (Hg.) 1992, S. 12. Vgl. Peuckert (Hg.) 1995, Abb. 18.
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Natur und menschlichem Wirken. Jedoch zeichnet Radziwill zeitlebens eine starke Naturverbundenheit aus, in die sich Ende der 20er Jahre Einflüsse der Romantik mischen.
Romantische Einflüsse in Radziwills Naturauffassung und maritimen Bildwelten Während eines stipendierten Aufenthalts in Dresden 1927/28 kam Radziwill mit der deutschen Romantik in Berührung. Ihn inspirierten die religiös konnotierte Naturauffassung der Romantik und die Werke von Caspar David Friedrich und Carl Gustav Carus.80 »Ich arbeitete 1927/28 auf Grund eines Stipendiums in Dresden, wo mir das Atelier meines Freundes Dix zur Verfügung stand, und wo ich für mich die deutschen Romantiker, vor allem Caspar David Friedrich und Carus entdeckte.«81
Bereits vor diesem Aufenthalt war Radziwill mit Carus’ Abhandlung über romantische Landschaftsmalerei vertraut, die scheinbar einen tiefen Eindruck auf ihn machte.82 Seine Begeisterung für romantische Ideale und Vorstellungen fasst er wie folgt zusammen: »Nach diesem Buch [Carus: ›Neun Briefe über Landschaftsmalerei‹] muss Romantik einfachstes Erschauen, d. h. tiefste Erkenntnis aller Dinge durch den großen Gang fühlender Menschen sein. So ist Romantik, wo Verstand und Seele, Durchdringen und Schauen eine Einheit sind. Das ist Schubert, das ist David-Friedrich.«83
80 Zu der Beziehung Radziwills zu Friedrich vgl. u. a. Hinrichs 2011, S. 232ff. Vgl. Soin8 (Hg.) 1992, S. 25–30, Kemmler 2006, S. 37–44. Vgl. März 1973. Vgl. Nobis 1993. Vgl. Kügel 2006, S. 29. Vgl. Schulze 1975. Soin8 stellt Bildzitate heraus und analysiert die Darstellungstraditionen in Bezug auf maritime Motivik. Allerdings ist seine Aussage, dass »bei allen künstlerischen Bezügen, die für Radziwills Schaffen Impulse lieferten, […] ohne Frage die Malerei der deutschen Romantik [dominiert]«, kritisch zu sehen. Vgl. Soin8 (Hg.) 1992, S. 25–30. 81 Zitiert nach März (1973), S. 151. 82 So schrieb er 1926: »Es [Carus‹ Buch »Briefe über Landschaftsmalerei«] ist von meiner Empfindung aus das Tiefste und Einfachste, was je über Landschaftsmalerei ausgesprochen ist. Carus ist für mich, so weit ich heute von solchen Dingen etwas weiß, der grösste Erfasser der Malerei. Mir war es beim Lesen dieser Schrift, als blickte ich mit meinen Augen auf meine tätige sich bewegende eigene Person. […] Die Worte aller darin schreibender einfach, durchzogen vom tiefsten menschlichen Gefühl, stark und selbstlos uns alle zu führen in eine hohe Nähe der Allheit. So habe ich selber das Buch so lieb gewonnen, das ich es einreihen möchte in meinem Dasein als Katechismus höchster göttlicher Erkenntnis.« Brief von Radziwill an Niemeyer, 25.10.l926, in: Wietek 1990, S. 124. Vgl. dazu u. a. Kemmler (2006), S. 38f. 83 Brief von Radziwill an Niemeyer, 25.10.l926, in: Wietek 1990, S. 124.
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Einer der bedeutenden Künstler der Romantik, Caspar David Friedrich, verbildlichte häufig die Naturkontemplation von am Meer befindlichen Rückenfiguren wie zum Beispiel das Werk »Mondaufgang am Meer« (Abb. B3.14) zeigt.
Abb. B3.14: Caspar David Friedrich, Mondaufgang am Meer, um 1821, Öl auf Leinwand, 135 x 170 cm, St. Petersburg, Staatliche Eremitage
Die Menschen geben sich der Größe der Natur am Strand mit dem Blick in die Ferne hin. Ein Mond- oder Sonnenaufgang verstärkt häufig die atmosphärische Wirkung. Friedrich hat sich von der Ostsee inspirieren lassen. Wattdarstellungen waren ihm fremd. In seinen Bildern visualisiert er die Natur als Kontemplations- und Andachtsraum. Dagegen fließen in Radziwills Werke Ende der 20er Jahre bereits surreale Elemente ein. Allgemein müssen seine Darstellungen in einem anderen Kontext betrachtet werden. Der Blick vom Strand in die Ferne und auf die Weite des Meeres, durchbrochen von einzelnen Segelbooten, findet sich zwar auch in seinen Werken. Allerdings liegen Unterschiede vor. Im Folgenden werden exemplarisch maritime Darstellungen Radziwills vorgestellt, in denen dies ersichtlich ist. Im Dezember 1928 verschickte er eine selbstgemalte Postkarte, ein Aquarell mit dem Titel »Küste mit Segelboot und Sonne«84 (Abb. B3.15).
84 Abb. vgl. Soin8 (Hg.) 1992, S. 70f.
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Franz Radziwill
Abb. B3.15: Franz Radziwill, Küste mit Segelboot und Sonne, 1928, Aquarell über Blei, 10,5 x 14,8 cm, Franz Radziwill Haus
Es zeigt den Blick von der Küste auf das Meer, über das sich ein grauer Himmel erstreckt, in dem eine übermächtig erscheinende Sonnenkugel steht. Silhouettenhaft hebt sich ein Segler schwarz gegen den Hintergrund ab. Im Vordergrund macht ein Weg das Werk imaginär begehbar. Auf Basis dieser Bildidee entstand im Jahr 1930 das Ölgemälde »Wattenmeer mit Sonne«85 (Abb. B3.16, Farbabbildung). Dieses nimmt das Grundmotiv der Postkartendarstellung auf; die Bildsprache ist jedoch eine gänzlich andere.86 Wiederum fällt der Blick von der Küste auf das Meer, über dem die Sonne steht. Wie im Aquarell ist im linken unteren Bildbereich ein klein wirkendes Segelschiff mit dunklen Segeln verbildlicht.87 Die Farbigkeit variiert stark gegenüber der Aquarellstudie. Bräunlich-rote Töne, die bis zu Schwarz reichen, dominieren das Werk. Die surreal dargestellte Sonne spricht gegen romantische Einflüsse. Der untere Bereich des Himmelskörpers ist in leuchtendes Rot getaucht, der obere dagegen suggeriert mit hellen Tönen Leuchtkraft. Unterhalb der Sonne durchzieht ein schräger, horizontal verlaufender schwarzer Strich, der wahrscheinlich eine Wolke andeuten soll, den Himmel. Die hellen Farben und die Rottöne spiegeln sich im Wattenmeer. Über dem Horizont erhebt sich Schwärze. Durch den Hell-Dunkel-Kontrast wird die Horizontlinie betont. Gleichzeitig erzielen die dunklen Töne eine bedrohliche Wirkung. Das Segelschiff als Attribut des Menschen wirkt nichtig angesichts der Übermacht der Natur. Dies erinnert inhaltlich an Friedrichs Werk »Mönch am Meer«. Jedoch besitzt Radziwills Bild surrealen Charakter und unterscheidet
85 Abb. vgl. Soin8 (Hg.) 1992, S. 86f. 86 Soin8 und Küster erstellen Bezüge zur Romantik. Vgl. Soin8 (Hg.) 1992, S. 26. Vgl., Küster 1982. Abgesehen davon, dass es sich um eine Naturdarstellung handelt, sind Bezüge zur Romantik m. E. schwer ersichtlich. 87 Es ist schwer zu erkennen, ob es sich im Wasser oder auf dem Watt befindet. Die hochgezogenen Segel sprechen allerdings dagegen, dass es auf dem Trockenen liegt.
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sich von Friedrichs eher naturalistisch anmutenden Darstellungen, in der die Natur häufig als Andachtsraum Gottes fungiert. Das surreale Element wird in dem 1938 geschaffenem Werk »Meereslandschaft mit großer Sonne«88 (Abb. B3.17) noch gesteigert und das Grundmotiv der zuvor angeführten Werke wieder aufgegriffen.
Abb. B3.17: Franz Radziwill, Meereslandschaft mit großer Sonne, um 1938, Aquarell, 22,4 x 36,5 cm, Privatbesitz
Der Blick wird über einen Weg in der grünen Küstenlandschaft aufs Meer gelenkt, auf dem sich nun mehrere Segelboote im rechten Bildbereich befinden. Das Unwirkliche in diesem Werk, das eine gewisse Irritation erzeugt, ist eine riesenhafte Sonnenscheibe. Diese Illusion wird durch die Schattensetzungen erzielt.89 Die surreale Motivik wird im Laufe der Zeit ein wesentliches Merkmal, das Radziwills Werke von denen der Romantiker abgrenzt. Die in der Romantik typische Motivik der aufs Meer schauenden Rückenfiguren stellt im Werk Radziwills eher eine Ausnahme dar. Stattdessen verbildlichte er häufiger am Strand liegende Boote, die mit dem Bug gegen den Horizont gerichtet sind. Dies wurden u. a. in den Werken »Das rote und das blaue Boot« (Abb. B3.28), »Der Kosmos kann zerstört werden, der Himmel nicht«90 (Abb. B3.42), »Mit der Technik den Himmel vernagelt« (Abb. B3.44) und »Wattensegelboote« (Abb. B3.18) aufgegriffen.
88 Abb. vgl. Soin8 (Hg.) 1992, S. 110f. 89 Soin8 gibt zu bedenken, dass diese Abgrenzungen möglicherweise durch den Künstler nachträglich aufgetragen wurden. Vgl. Soin8 (Hg.) 1992, S. 70f. 90 Abb. vgl. Soin8 (Hg.) 1992, S. 146f. Ausführungen zum Bild vgl. u. a. Weichardt 1988, S. 121.
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Franz Radziwill
Abb. B3.18: Franz Radziwill, Wattensegelboote, 1943, Öl, 63 x 89 cm, Privatbesitz
Normalerweise werden Boote mit dem Bug in Richtung Land aus dem Wasser gezogen. Somit kann eine Assoziation von aufs Wasser schauenden »Betrachtern« evoziert werden. In dem Werk »Wattensegelboote« wird diese noch dadurch verstärkt, dass das an Land liegende Segelschiff den Namen des Künstlers, Franz Radziwill, trägt. Das Vorsegel wurde nicht abgenommen nur heruntergezogen und erweckt somit den Anschein, als sei es abfahrbereit. Möglicherweise ist in dieser Darstellung die Sehnsucht zu lesen, seiner damaligen Situation zu entfliehen.91 Das Bild entstand 1943; damals wurden einige seiner Werke durch die Nationalsozialisten diffamiert. Darüber hinaus war seine Situation auch deshalb bedrückend, da ein Jahr zuvor seine Frau gestorben war.92 Möglicherweise lassen sich im Bild diesbezüglich Zusammenhänge erkennen: Neben dem Boot befindet sich eine Frauengestalt, die sich von diesem abgewandt hat und nach links zum Bild »hinaus« schaut. Es ist nicht auszuschließen, dass die Gestalt auf seine gestorbene Frau hindeutet.93 Der Name des Künstlers auf dem Boot kann symbolisch auf die Lebensfahrt verweisen.94 Dadurch lassen sich Assoziationen an Werke Friedrichs wecken. In seinem Bild »Die Lebensstufen« (Abb. B3.19) sind, tiefenräumlich gestaffelt, Segelschiffe in verschiedenen Distanzen zum Ufer dargestellt.
91 Vgl. Soin8 (Hg.) 1992, S. 9 92 Vgl. Radziwill 1988, S. 36. 93 Durch die Farbgebung wird eine Beziehung zwischen der Frau und dem Boot mit dem Namen des Künstlers erstellt: Der rosa Farbton des Rockes wird in dem Vorsegel wiederaufgegriffen. Ein ähnliches Blau ihrer Jacke bzw. ihres Hemdes findet sich im Rumpf des Bootes. 94 Allerdings hat Radziwill in verschiedenen Bildern seine Signatur mit Bildelementen verbunden, sodass keine Überinterpretation vorgenommen werden soll.
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Abb.19: Caspar David Friedrich, Die Lebensstufen, 1835, Öl auf Leinwand, 72,5 x 94 cm, Leipzig, Museum der bildenden Künste
Sie können mit dem unterschiedlichen Lebensalter der Menschen am Strand interpretiert werden. Obwohl verschiedene Bilder Radziwills, wie das obig Genannte, Assoziationen zu Friedrichs Werken ermöglichen können, stehen sie in unterschiedlichen Kontexten. Beispielsweise weist Radziwills Werk »Eisberge auf der Jade«95 (Abb. B3.20) Ähnlichkeiten zu Friedrichs Bild »Das Eismeer« (Abb. B3.21) auf.
Abb. B3.20: Franz Radziwill, Eisberge auf der Jade, 1940/41, Öl , 63 x 89 cm, Verbleib unbekannt
95 Abb. vgl. Soin8 (Hg.) 1992, S. 29.
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Franz Radziwill
Abb. B3.21: Caspar David Friedrich, Das Eismeer, 1823/24, Öl auf Leinwand, 96,7 V 126,9 cm, Hamburg, Kunsthalle
Letztgenanntes Werk eröffnet bedeutungsschwere Interpretationsmöglichkeiten im Hinblick auf die Bedeutungslosigkeit des Menschen angesichts der Übermacht der Natur oder bezüglich des politischen Kontextes.96 Dagegen stellt Radziwill in seinem Bild plakativ Bezüge zum damaligen Kriegsgeschehen her. Im Vordergrund türmen sich spitze Eisschollen wie eine Barriere auf. Rechts davon öffnet sich der Blick zur dahinterliegenden Wasserfläche, aus der ebenfalls vereinzelt spitze Eisschollen ragen. Am Horizont ist die Silhouette Wilhelmshavens zu sehen. Im Himmel sind unzählige Sperrballons zu erkennen. Das Werk kann als Verbildlichung des Widerstandswillens gegen England gelesen werden:97 Wilhelmshaven wird von der Luft aus durch Sperrballons geschützt; im Wasser türmen sich die Eisschollen als scheinbar undurchdringliche Barriere auf. Bei dieser Lesart kann eine propagandistische Absicht vermutet werden. In diesem Fall ist es eher kritisch zu sehen, dass sich Radziwill an Friedrichs Motivik bediente. Möglicherweise geht das Dargestellte auch auf reale Naturerlebnisse Radziwills zurück. Er kannte das vereiste Wattenmeer, an dessen Stränden sich durch die Gezeiten das Eis in bizarren Formen auftürmen kann.98 Mit Blick auf dieses Motiv entstand 1933 das Werk »Eis auf dem Jadebusen«99 (Abb. B3.22).
96 Zu den verschiedenen Lesarten des Bildes vgl. u. a. Hinrichs 2011, S. 80–85. 97 Vgl. Soin8 (Hg.) 1992, S. 29. 98 So beschrieb er 1924 in einem Brief seine Faszination angesichts der großen Eisschollen auf dem Jadebusen: »Heute bin ich den ganzen Nachmittag zwischen den Eisschollen im Watt herumgestürzt […]. Es bedürfte eines Buches, Dir das Watt im Augenblick zu schildern. So etwas ist zu groß, um mit wenigen Worten abzutun – übermannhohe Eisblöcke in Farbe und Gliederung wie selten etwas.« Brief von Radziwill an Niemeyer, 2. 1. 1924, in: Wietek 1990, S. 92. 99 Abb. vgl. Soin8 (Hg.) 1992, S. 90f.
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Abb. B3.22: Franz Radziwill, Eis auf dem Jadebusen, 1933, Öl, 100 x 130 cm, Privatbesitz
Im Vordergrund ist ein Strandabschnitt Dangasts mit der Mauer dargestellt. Im Hintergrund erstreckt sich der mit Eisschollen bedeckte Jadebusen, in dem küstennah ein Segelschiff liegt. In der Ferne ist der Leuchtturm Arngast zu sehen. Der in einigen Bereichen rötlich-gelbe Wolkenhimmel verleiht dem Bild einen dramatischen Charakter und nimmt einen Großteil des Bildes ein. Das imposante Naturschauspiel wird aber durch die zwei Menschen am Strand, die Segel zum Trocknen aufhängen, deutlich abgeschwächt. Durch die intensive Farbgebung der Segel und der Kleidung wird der Blick des/der Betrachtenden auf diese ruhige Tätigkeit gelenkt. Während in Darstellungen von Malern der Romantik die Naturkontemplation im Fokus steht, scheinen die in die Arbeit vertieften Männer das grandiose Himmelsschauspiel nicht zu beachten. Trotz solcher Motive, die schwer mit den Idealen der Romantik zu vereinbaren sind, gibt es in Radziwills Arbeitsweise Bezugspunkte zu romantischen Künstlern wie beispielsweise Caspar David Friedrich. So fertigte Radziwill auch Skizzen in der Natur an, und konzipierte aus diesen ein Gesamtwerk.100 Viele der komplexen Bilder, die unterschiedliche Sinnschichten vereinen, entstanden nicht draußen in freier Natur, sondern im Atelier auf der Basis von Studien und 100 Bei der Entstehung des Werkes »Der britische Winter« können in Bezug auf die Entstehungsweise und die Motive Verknüpfungspunkte zu Friedrichs Arbeitsweise und seiner Motivwahl gesehen werden: Schnee, Krähen und kahle Eichen griff auch dieser auf. Allerdings steht Radziwills Werk in einem anderen Kontext und es liegt eine andere Bildsprache vor. Der Künstler führte Folgendes in Bezug auf dieses Werk an: »Ich weiß, daß mich auf Spaziergängen ein toter, schon zersplitterter Eichbaum reizte. Ich zog mein Skizzenbuch aus der Tasche und zeichnete ihn, nicht diesen Baum allein, sondern zugleich seinen Daseinsraum, den Wurzelgrund, die Nachbarschaft, den Himmel; ich notierte mir die Farben und glaubte schon ein Bildganzes vor mir zu sehen. Aber als ich zu Hause an die Staffelei trat, fühlte ich mich durch unerforschliche Umstände behindert; ich musste den Pinsel weglegen. Später machte ich mir von demselben Baum weitere Skizzen, fünf, sechs oder mehr, und plötzlich geschah es. Die Skizzen, alle zusammen, durchdrangen einander, sie verwoben sich mir mit der von mir erlebten Zeit, die Erregung, die jedem Schaffensprozess vorangeht, war da, und nun – entstand ein Bild, wie es in der Außenwelt nie existiert hat. Die Dinge und ihr Beieinander, die Farben und ihre Bezogenheit – alles war neu und in einem während des Schaffens gefundenen Zusammenhang gerückt.« Zitiert nach Augustiny 1964, S. 26f.
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Vorzeichnungen und zum Teil vermutlich auch anhand von Fotografien.101 Im Gegensatz zu seinen expressionistischen – anfänglich auch in der Natur rauschhaft erstellten – Bildern unterliegen die Werke ab Mitte der 20er Jahre häufig durchdachten Kompositionen. Jedoch stehen die Übermalungen, die Radziwill insbesondere in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg an seinen Werken vornahm, im Gegensatz zur Kunstphilosophie Friedrichs.102 Einige wenige Bildmotive hat Radziwill jedoch zitathaft aus Friedrichs Werk übernommen wie zum Beispiel die Figur des kleinen Mönchs am Strand in Friedrichs Werk »Mönch am Meer« (Abb. B3.23) in dem Bild »Verlorene Erde«103 (Abb. B3.24, 39).
Abb. B3.23: Caspar David Friedrich, Ausschnitt, Mönch am Meer, 1808–10, Öl auf Leinwand, 110 x 171,5 cm, Berlin, Verwaltung der Staatl. Schlösser und Gärten, Schloss Charlottenburg
Abb. B3.24: Franz Radziwill, Ausschnitt, Verlorene Erde, 1939–1960, Öl, 123 x 170 cm, Privatbesitz
Allerdings ist diese Figur angesichts der kleinen Darstellung und der Fülle der weiteren Bildmotive erst auf den zweiten Blick auszumachen. Friedrich sprach seiner Mönchsdarstellung tiefgehende, religiöse Gedanken hinsichtlich der Nichtigkeit des Menschen zu. In Radziwills Werk befindet sich der Mönch in einem anderen Kontext. Das Bild entstand auf Basis von Kriegserfahrungen, wie im Kapitel »Die Nordsee als Schauplatz der Kriegsmarine in Radziwills Werke« differenziert dargelegt wird. Der ursprünglichen Version führte er nach und 101 Vgl. Peuckert (Hg.) 1995, S. 22. 102 Zur Natur- und Kunstauffassung Friedrichs vgl. u. a. Hinrichs 2011, S. 70–75. Weitere Literaturverweise sind dort gegeben. 103 Abb. vgl. Soin8 (Hg.) 1992, S. 49.
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nach weitere Sinnschichten zu. Auch der Mönch wurde nachträglich als Bildmotiv eingesetzt. Während sich Friedrichs Bildgestalt dem übermächtigen Naturschauspiel von Himmel und Meer hingibt, so ist der Mönch in Radziwills Bild in eine surreale, vom Krieg geprägte Küstenlandschaft integriert (Abb. B3.39). Abschließend ist festzustellen, dass das Studium der deutschen Romantik Ende der 20er Jahre Radziwills maritime Kunst zwar beeinflusst hat, jedoch trug dieses vielmehr zur Entwicklung einer eigenständigen Formensprache bei als zu einer Wiederbelebung der Romantik. So gibt es bei ihm zwar Motive, die Assoziationen an Werke der Romantik wecken, jedoch stehen diese in einem anderen Kontext.104 Während in Friedrichs Bildern die Natur etwas Unverrückbares und religiös Besetztes darstellt, ist sie in Radziwills Kunst, insbesondere in seinem Spätwerk, etwas Zerstörbares. Die zwei Weltkriege und der unverantwortliche Umgang der Menschen mit den Errungenschaften der Technik, wie er sich im Abwurf der Atombombe zeigte, haben Radziwills Weltsicht stark verändert. Dies spiegelt sich in einigen seiner maritimen Bilder, in denen er apokalyptische Visionen visualisiert.105 Zwar setzte er auch die Vorstellung des Göttlichen bildlich um. Jedoch ist nicht mehr die Natur Andachtsraum des Göttlichen, sondern in seinen Werken wird die göttliche Dimension als das nicht Darstellbare geschildert, das sich hinter der zerrissenen Wirklichkeit auftut. Ein Bruch im Himmel oder in der Landschaft – wie Radziwill es im Spätwerk häufiger visualisierte – ist in der Malerei der Romantik unvorstellbar. Trotz dieser Unterschiede wurden Radziwills Kunst von einigen Zeitgenossen romantische Tendenzen zugeschrieben. So waren einige Werke von ihm in der 1933 stattfindenden Ausstellung »Neue deutsche Romantik« in der Kestner Gesellschaft in Hannover ausgestellt.106 Anfang der 30er Jahre nahm er unter dem Oberbegriff »Neue Deutsche Romantik« an weiteren Ausstellungsaktivitäten teil.107 Diese Künstlergruppierungen besaßen zum Teil nationale Ansichten im Kontext des rassischen, völkischen Gedankenguts.108 Radziwill vertrat bereits in den 20er Jahren eine national geprägte Einstellung. So äußerte er 1923 in 104 Nicht alle ähnlichen Motive können auf den Einfluss zurückgehen. Ebenso überhöhte Radziwill in einigen Bildern zum Teil die Masten, wie es auch in Friedrichs Hafendarstellungen der Fall ist. Exemplarisch sei auf die Werke »Torpedoboote auf der Jade« (Abb. B3.31) und »Schlachtschiffe auf Reede« (Abb. B3.33) verwiesen. Es ist jedoch kritisch zu beurteilen, diese Motive ausschließlich auf Friedrichs Darstellungen zurückzuführen. 105 Beispielsweise ist es im Werk »Wohin in dieser Welt?« ersichtlich. In diesem reflektiert er die politische Situation des 2. Weltkrieges und dessen Zerstörungen. Weitere Bildbeispiele sind im Kapitel »Zersplitterte Welten der Nachkriegszeit« angeführt. 106 Folgende Werke wurden ausgestellt: »Der Streik« (1931), »Fort bei Dangast« (1927), »Wasserturm« (1932) und »Flugzeug« (1932). Vgl. Soin8 (Hg.) 1992, S. 26. Vgl. Kat. Hannover 1933. 107 Vgl. Peuckert (Hg.) 1995, S. 24f. 108 Vgl. ebd., S. 24f. Ausführliche Literaturverweise vgl. März 1995, Anm. 69.
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einem Brief seinen Unmut über die Weimarer Republik und wünschte sich sogar eine Diktatur.109 Dies sollte sich leider erfüllen.
Radziwill im Nationalsozialismus Da in dieser Studie ebenfalls untersucht wird, inwieweit sich in den maritimen Bildern nationale und politische Einflüsse zeigen, wird im Folgenden Radziwills Beziehung zum Nationalsozialismus dargelegt. Sich bereits vor der Machtergreifung Hitlers zur NSDAP bekennend, wurde er im Jahr 1933 Mitglied.110 Es zeigen sich allerdings Widersprüchlichkeiten in seinem Verhalten.111 So favorisierte er aus sozialpolitischem Engagement 1931 kurzzeitig die linkspolitische Novembergruppe.112 In einem Brief an Niemeyer ein Jahr später bekannte er sich jedoch offen zum Nationalsozialismus.113 Im Jahre 1933 wurde er an die Akademie in Düsseldorf berufen und übernahm den Lehrstuhl von Paul Klee, den zuvor die Nationalsozialisten entlassen hatten.114 Radziwill wurde für seine Kunst anfänglich geehrt. Nachdem jedoch sein expressionistisches Frühwerk bekannt wurde, erfolgte 1934 die Entlassung vom Lehrstuhl an der Düsseldorfer Kunstakademie sowie die Diffamierung einiger seiner Werke als entartet.115 Es folgten Beschlagnahmungen und seitens der 109 »Mit der größten Freude würde ich es begrüßen, wenn wir zu einer Diktatur kommen würden, denn im Augenblick erscheint Deutschland mir wie ein großes Loch, aus dem man einen schon stark verwesten Leichnam genommen hat, um diesen nochmal zu Sezieren, um ihn dann voll der Erde zu übergeben mit einem abgeschlossenen Urteil.« Brief von Radziwill an Niemeyer, Mitte Oktober 1923, in: Wietek 1990, S. 88. 110 Vgl. Peuckert (Hg.) 1995, S. 25. Dem Hitler-Ludendorff-Putsch im Jahr 1923 begegnete er allerdings mit Skepsis. »Du wirst es erfahren haben heute was in Bayern vor sich geht. Man wird ernst – ich sehe zwar für den Untergang nach außen eine Reinigung nach innen, nur zu diesen heutigen Bayrischen Männern habe ich kein Zutrauen, Ludendorff ist ein Leichnam und wird in dieselbe Hölle reiten, wohin er den Krieg geritten hat.« Brief von Radziwill an Niemeyer, 9. 11. 1923, in: Wietek 1990, S. 90. 111 Forschungen zu Radziwills Wirken in der Zeit des Nationalsozialismus vgl. u. a. NeumannDietzsch, Weigel 2011, vgl. Nobis 1993, vgl. Dohmeier 2007, Dyke 2003, vgl. Maaß-Radziwill 1995. Maaß-Radziwill deutet Radziwills Engagement für die nationalsozialistische Bewegung als Widerstand, indem der Künstler und sein Kollege Günther Martin »hartnäckig« auf das Ministerium einwirken wollten. Vgl. Maaß-Radziwill 1995, S. 46ff., 65ff. 112 Vgl. Reinhardt 1995, S. 38. 113 »Jedenfalls scheine ich als Nazi in Berlin schwer verrufen zu sein. Dieses ist mir aber bester Lohn, weiter für diese hohe Bewegung zu werben, die den schönsten Sinn hat, Deutschland! Wenn ihr am 30. Juli zur Wahl geht, dann gebt Hitler eure Stimme.« Brief von Radziwill an Niemeyer, 1. 7. 1932, in: Wietek 1990, S. 141f. 114 Vgl. Kat. Emden 2011, S. 174. 115 Vgl. Brief von Radziwill an Niemeyer, 1. 7. 1935, in: Wietek 1990, S. 144. Vgl. u. a. SchulteWülwer 1989, S. 159f. Die offizielle Begründung lautete: Entlassung aufgrund von pädagogischer Unfähigkeit. Brief von Radziwill an Niemeyer, 26. 2. 1936, in: Wietek 1990,
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Reichskammer der Bildenden Künste Verbote einiger Ausstellungen.116 In der Berliner Ausstellung »Entartete Kunst« im Jahre 1938 wurden drei entwendete Bilder aus Radziwills Frühwerk präsentiert.117 Nach seiner Entlassung lebte er wieder in Dangast und war weiter als Maler tätig. Der Künstler veränderte seinen Stil nicht, wie er es Anfang der 20er Jahre tat.118 Trotz der Diffamierung engagierte sich Radziwill weiterhin für die NSDAP und wurde 1937 zum »Hauptstellenleiter« in Varel.119 In dieser Zeit in Dangast prägten sich seine Religiosität sowie sein Gottvertrauen stärker aus.120 Radziwill fand in der Natur wieder innere Ruhe.121 So genoss er die sommerlichen Badefreuden.122 Er beschreibt fasziniert eine intensive Farbenvielfalt im abendlichen Wattenmeer, der er sich hingab.123
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S. 147. Wietek führt an, dass dieser Vorwurf nicht aus der Luft gegriffen war. Vgl. Wietek 1990, S. 215, Anm. 862. Vgl. u. a. Peuckert (Hg.) 1995, S. 27. Vgl. u. a. Kat. Emden 2011, S. 174f. Vgl. u. a. NeumannDietzsch, Weigel (Hg.) 2011, S. 121. Offiziell distanzierte er sich von diesen und bestand auf deren Entfernung. Dieser wurde Folge geleistet, denn in der Hamburger Version dieser Ausstellung waren sie nicht mehr enthalten. Vgl. Wietek 1990, S. 221f., Anm. 1010. Vgl. Gerster 1995, S. 33. Seine zwiespältige Situation beschrieb Radziwill 1937 wie folgt: »[…] wenn meine Bilder ›entartete Kunst‹ wären, [müßten] meine Ausstellungen verboten werden. Aber die sind alle genehmigt und von der Reichskulturkammer vorbesichtigt und Ziegler ist doch der alleinige Beauftrage des Führers. Er ist dem Führer verantwortlich. Vor drei Wochen erst habe ich meine Mappe mit Fotos von meinen Bildern bis vom Jahre 1923 ohne Beanstandungen von Ziegler zurückbekommen.« Brief von Radziwill an Niemeyer, 19. 12. 1937, in: Wietek 1990, S. 156ff. Zur künstlerischen Entwicklung Radziwills im Nationalsozialismus vgl. Gerster 1995. Brief von Radziwill an Niemeyer, 12. 10. 1937, in: Wietek 1990, S. 154. Dies war zwar ein eher unterer Rang, doch er zeugt von Radziwills Einsatz für die nationalsozialistische Bewegung. Vgl. Wietek 1990, S. 220, Anm. 970. »Wir sitzen im tiefen Schnee, herrlicher Winter, grauer Himmel, weite weiße Erde, schwarzes unendliches Meer, letzter Sonntag vor Weihnachten, suchender Vogelflug. Unter den Dächern der Häuser träumende und sehnende Menschen, deren Empfindungen durch die schwarzen dunklen Fenster nach draußen steigen. Und die Empfindungen kommen zurück aus der weiten weißen Ebene, aus dem hohen, grauen Raum des Himmels und eine einzige Frage bleibt: warum – und sie ruft in unseren Inneren – keine Antwort – und wir gehen mit ihr nach draußen, still und einsam und finden sie in Gott.« Brief von Radziwill an Niemeyer, 19. 12. 1937, in: Wietek 1990, S. 156ff. So schreibt er anlässlich seines einundvierzigsten Geburtstags: »Das ganze Land um uns lag seit langem unter gefrorenem Schnee und hellen Sonnenschein. Ich bin dann ans Meer gegangen und habe mich still all der schönen Freundschaftsbeweise gefreut, die mir an diesem Tage zuteil geworden sind.« Brief von Radziwill an Niemeyer, 7. 2. 1936, in: Wietek 1990, S. 146f. »Sonst nutze ich jenes aus, daß mir das Leben in so reichlichem Maße schenkt, mein Leben draußen am Meer und Deich. Wir baden viel und freuen uns des Sommers.« Brief von Radziwill an Niemeyer, 3. 7. 1936, in: Wietek 1990, S. 148f. »Hier an der Küste ist der Sommer sehr eigentümlich. Heiße, brütende Tage lösen sich ab mit klaren regnerischen Tagen. Doch sind die Abende über dem Watt von einem Reichtum und Zauber der Farben, wie ich diese in den vielen Jahren meines Dangast-Aufenthalts noch nicht gesehen habe. Dabei habe ich viele, sehr viele deutsche Menschen gehört, wenn ein Maler so
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Trotz der Verfemung einiger seiner Werke und Schließung mehrerer seiner Ausstellungen erhielt er Aufträge. Rückblickend schreibt er 1939 in einem weiteren Brief: »Das vergangene Jahr hat mir alles gebracht. Das Letzte an Demütigungen und das Größte an Erfolgen zugleich. […] Das vergangene Jahr ist somit das schaffensreichste und das erfolgreichste meines Lebens.«124 Er konnte in dieser Zeit erfolgreiche Verkäufe verzeichnen, selbst öffentliche Stellen, wie Marine und Luftwaffe erwarben Bilder von ihm.125 Insbesondere Freunde in der Marine standen ihm bei und unterstützten ihn durch Bildkäufe.126 Nicht alle Werke Radziwills erfuhren Ablehnung, denn mit dem nationalsozialistischen Kunstverständnis schlossen sich Einflüsse der Neuen Sachlichkeit nicht aus.127 Radziwills naturalistische Darstellungen von Motiven aus dem Ersten Weltkrieg und der Landschaft Norddeutschlands ließen sich problemlos in den nationalsozialistischen Kanon aufnehmen.128 Auch an der offiziellen »Großen GauAusstellung Weser-Ems« im Jahre 1941 nahm er u. a. mit dem 1939 entstandenen Werk »Der U-Boot-Krieg« (später »Verlorene Erde«) (Abb. B3.37) teil. Er bemühte sich um seine Rehabilitation, zum Teil mit Erfolg.129 Die Einberufung als Soldat riss den Künstler 1939 jäh aus der Rückzugsidylle in Dangast. Er erlebte das Grauen des Angriffs auf Flandern und Holland sowie die Verbrechen an der Zivilbevölkerung.130 Seinen Briefen ist zu entnehmen, dass er ein rasches Ende des Krieges und eine Rückkehr in seine Heimat herbeisehnte.131 Aufgrund seines Alters wurde er nach zwei Jahren freigestellt. Im Jahr 1942 traf Radziwill mit dem Tod seiner Frau ein weiterer schwerer Schicksalsschlag. Er verarbeitete seine Trauer auch in seinen Werken. Darüber hinaus erlebte er in dieser Zeit die Bombardierung von Wilhelmshaven und ihm wurde die zunehmende Zerstörung Deutschlands bewusst.132 Als Folge wandte er sich allmählich vom Nationalsozialismus ab.133 In den letzten Kriegsmonaten wurde er zum Volkssturm eingezogen und geriet in britische Gefangenschaft.
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etwas malen würde, so würde ihm niemand glauben.« Brief von Radziwill an Niemeyer, 20. 7. 1937, in: Wietek 1990, S. 153f. Brief von Radziwill an Niemeyer, 6. 2. 1939, in: Wietek 1990, S. 159. Vgl. Peuckert (Hg.) 1995, S. 27. Vgl. Soin8 (Hg.) 1992, S. 15f. Vgl. Gerster 1995, S. 31. Vgl. ebd., S. 32f. So wehrt sich Radziwill gegen die Vorwürfe, die ihm bzgl. seiner Kunst gemacht wurden. In einem Brief erwähnt er, dass der zuständige Gauleiter bei ihm war und sich für ihn bei höheren Instanzen einsetzen wolle. Brief von Radziwill an Niemeyer, 3. 7. 1936, in: Wietek 1990, S. 148f. Bereits im Jahr 1936 erfolgte eine Rehabilitierung angesichts der Vorwürfe, die dem Künstler bzgl. einer Wilhelmshavener Ausstellung gemacht wurden. Vgl. Wietek 1990, S. 221, Anm. 989. Vgl. Peuckert (Hg.) 1995, S. 27. Vgl. Maaß-Radziwill 1995, S. 33–37. Vgl. u. a. Schulte-Wülwer 1989, S. 164. Vgl. Gerster 1995, S. 35.
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Alle diese Ereignisse hatten Einfluss auf seine Kunst, die sich ebenfalls in den maritimen Bildwelten zeigen.
Einblick in die maritime Motivik Radziwills im Nationalsozialismus Im Folgenden wird exemplarisch auf Radziwills maritime Motivik in der Zeit des Nationalsozialismus eingegangen. Bei der Analyse seiner Kunst im gesellschaftshistorischen Kontext ergibt sich allerdings eine Schwierigkeit: Bei vielen seiner Werke führte der Künstler nachträglich Übermalungen durch, die zum Teil neue Bedeutungsebenen eröffnen.134 Insbesondere bei den im Nationalsozialismus geschaffenen und im Nachhinein mit Übermalungen versehenen Werken wurde der Inhalt zum Teil beträchtlich verändert.135 Da Radziwill die Übermalungen nicht dokumentierte und diese nicht immer erkennbar sind, können bei Deutungen im historischen Kontext Schwierigkeiten entstehen. Exemplarisch für durch Übermalungen veränderte Werke sei auf das Bild »Das grüne Boot«136 (Abb. B3.25) verwiesen.
Abb. B3.25: Franz Radziwill, Das grüne Boot (1. Fassung), 1933, Öl, 78 x 99 cm, Privatbesitz
Das Gemälde schuf Radziwill 1933, in dem Jahr, als er der NSDAP beitrat und seine Professur annahm. Im Folgejahr wurde es auf der »Deutsch-Schwedischen Kunstausstellung« und 1938 im Kontext »Kunstschaffen im Gau Weser-Ems« ausgestellt.137 134 Zum einen hat er in lasierender Malweise Übermalungen vorgenommen, die sich in die Bildsprache des ursprünglichen Werkes einfügen. Zum anderen bricht er mit Übermalungen mit »sattem« Farbauftrag den vorherigen Duktus. Vgl. Chemielewski 1992, S. 41. 135 Chemielewski warnt »vor allzu schnellen Schlußfolgerungen und Interpretationen, die in seinen Übermalungen nur das ›Übertünchen‹ einer nationalsozialistisch-konformistischen Kunst« vermuten. Vgl. Chemielewski 1992, S. 41. 136 Abb. vgl. u. a. Soin8 (Hg.) 1992, S. 46. 137 Vgl. Kat. Oldenburg 1941. Vgl. Kat. Rügen 1934. Vgl. Chemielewski 1992, S. 41.
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Das Werk zeigt weder eine nationalsozialistische Propagandadarstellung, noch besitzt es kritischen Zeitbezug. Im Vordergrund ist ein grünes vor Anker liegendes Boot in Heckansicht zu sehen. Es ist manövrierunfähig, da Segel und Ruder fehlen.138 Am Bootsheck ist die Inschrift »Franz 1933 Radziwill« zu lesen. Eine Deutung besteht darin, im Boot eine Personifikation des Künstlers zu sehen. Allerdings integrierte Radziwill häufig seinen Namen motivisch ins Bild, sei es als Schiffsnamen oder wie im Werk »Deichschluss im Watt«139 (Abb. B3.48) als Namenszug auf einem Baustellenfahrzeug mit Kran. Deshalb darf dieser Aspekt inhaltlich nicht überbewertet werden. Im Hintergrund sind weitere Schiffe erkennbar. Ein in dunklen Farben gehaltenes Dampfschiff fährt in einiger Distanz in Richtung des grünen Bootes. Es ist zu vermuten, dass es sich um eine Nordseedarstellung handelt, jedoch ist die Darstellung nicht eindeutig zu lokalisieren. Später, vermutlich Ende der 40er Jahre, führte Radziwill Übermalungen durch.140 Der Titel des Endzustands im Jahre 1960 lautet »Im Himmel sind viele Felder«141 (Abb. B3.26).
Abb. B3.26: Franz Radziwill, Im Himmel sind viele Felder (Endfassung), 1933/1960, Öl, 78 x 99 cm, Privatbesitz
Das grüne Boot ist nun mit einem bedrohlichen Szenario konfrontiert. Ein großes Dampfschiff hinter dem Boot überragt dieses und scheint darauf zuzuhalten. Dieses ist wie in der ersten Fassung manövrierunfähig. Die bedrohliche Wirkung wird durch eine über dem Horizont aufragende dunkle Wolkenwand verstärkt. Am Himmel dagegen fügte Radziwill seine charakteristischen, rätselhaften, surrealen Elemente ein. Ein merkwürdiger runder Himmelskörper, in 138 Durch die roten Elemente am grünen Boot wird ein Komplementärkontrast erzeugt und die Leuchtkraft der Farben verstärkt sich gegenseitig. Das Boot hebt sich vom blau-grauen Wasser und Himmel ab. 139 Vgl. Peuckert (Hg.) 1995, Kat. 48. 140 Vgl. Chemielewski 1992, S. 42. 141 Vgl. ebd., S. 47.
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dessen Umkreis der Himmel sich in Felder teilt, ein durchsichtig scheinender Körper einer Nixe, ein Fisch und ein Fesselballon sind dargestellt. Dadurch wurde dem Werk eine auf das Übernatürliche verweisende Sinnschicht hinzugefügt. Der Bildinhalt und damit die Aussage haben sich verändert: So könnte das Motiv des manövrierunfähigen Bootes, auf welches das große Dampfschiff zuhält, als Vision der durch den Nationalsozialismus hervorgerufenen Katastrophe des Zweiten Weltkriegs gedeutet werden. Würde die Endfassung des Werkes (Abb. B3.26) anstelle der Erstfassung (Abb. B3.25) in Hinblick auf die Situation von 1933 (dem ins Bild geschriebene Entstehungsjahr) gedeutet, könnte dem Künstler fälschlicherweise ein visionäres Empfinden zugesprochen werden.142 Da er die Übermalungen jedoch erst später ausführte, erübrigt sich diese Lesart. Ein Beispiel für die im Nationalsozialismus geschaffenen neutralen Nordseeküstendarstellungen im naturalistischen Stil, die durchaus in den Kanon nationalsozialistisch gefälliger Motive eingereiht werden können, stellt das mit 1939 datierte Werk »Deich bei Schillig«143 (Abb. B3.27) dar. Ein Weg auf dem Deich führt imaginär ins Bild hinein. Der Blick der oder des Betrachtenden wird diesem folgend längs des Deichs auf die in blauen Farbtönen gestaltete Nordsee gelenkt. Ein Segelboot mit rötlichem Segel stellt ein Verbindungselement zwischen Himmel und Meer dar. Der Himmel ist in gelblich-grauen Farben gestaltet und setzt sich vom Meer und dem eher idyllisch anmutenden Deich und der Vegetation dahinter ab. Ein heller Bereich im Himmel erzeugt im Kontrast zu den dunkleren Wolken einen Hell-Dunkel Gegensatz, der dem Bild eine gewisse Dramatik verleiht.
Abb. B3.27: Franz Radziwill, Deich bei Schillig, 1939, Öl, 85 x 123 cm, E. Wanjura, Kassel
Es waren Landschaftsdarstellungen wie diese, die mit nationalsozialistischen Vorstellungen von Heimatkunst durchaus übereinstimmten. Die düstere Wirkung des Himmels des Bildes (Abb. B3.27) wird im Gemälde 142 Vgl. ebd., S. 41. 143 Vgl. Kat. Emden 1995, Abb. 87.
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»Das rote und das blaue Boot«144 (Abb. B3.28), das Radziwill im Jahr 1935 fertigte, noch gesteigert.
Abb. B3.28: Franz Radziwill, Das rote und das blaue Boot, 1935, Öl, 75 x 100 cm, Privatbesitz
Das Bild ist in drei Ebenen gestaffelt. Hinter der verschneiten Strandlandschaft im Vordergrund erstreckt sich ein Streifen Meer. Der den Großteil des Bildes einnehmende dunkle Himmel verleiht dem Werk eine bedrohliche Wirkung.145 Diese wird noch dadurch verstärkt, dass der Strand menschenleer ist. Der triste Charakter wird jedoch durch das leuchtend blaue und das rote Boot sowie dem Helligkeitsbereich im Himmel und am Strand aufgebrochen. Zwischen den Booten ist auf dem Meer am Horizont ein schwarzes Dampfschiff dargestellt. Links neben dem roten Boot sind im Strand parallel Pfähle aufgestellt. In einiger Entfernung befindet sich ein weiteres am Strand liegendes Ruderboot sowie eine Reihe von Pfählen. Die gegen das Meer ausgerichteten Bugspitzen weisen nach oben auf den Lichtbereich, der Assoziationen von Hoffnung zulässt. Somit strahlt das Bild trotz der Düsterheit eine gewisse Hoffnung aber auch Ruhe aus. Im Gegensatz dazu ist das im Jahr 1939 entstandene Werk »Das Meer«146 (Abb. B3.29) von großer Dynamik geprägt.
144 Vgl. Soin8 (Hg.) 1992, S. 98f. 145 Meines Erachtens vermittelt das Werk nicht unbedingt einen »Ausdruck des kommenden Frühjahrs, aufkeimender Hoffnung«, wie Soin8 anführt. Vgl. Soin8 (Hg.) 1992, S. 8f. 146 Abbildung vgl. Soin8 (Hg.) 1992, S. 114f.
Die Nordsee als Schauplatz der Kriegsmarine in Radziwills Werken
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Abb. B3.29: Franz Radziwill, Das Meer, 1939, Öl, 70 x 87 cm, Privatbesitz
Der Blick fällt auf ein mit weißen Gischtkronen überzogenes, aufgewühltes Meer. Tiefenräumlich gestaffelt sind einige krängende Segelschiffe verbildlicht. Durch ihre parallele Ausrichtung ist eine gewisse Rhythmisierung gegeben. Die Rümpfe liegen in den Wellentälern verborgen. Erst die Gestaltung des Himmels verleiht dem Bild eine gewisse Farbigkeit, atmosphärische Wirkung und verstärkt die Dynamik. In der Mitte ist ein rötlicher Farbton eingesetzt und außen herum herrschen gelbe, hellblaue und weiß-graue Töne vor. Durch die differenzierte Ausgestaltung der Wolken erhält das Geschehen einen leicht irrealen Charakter. Die unruhigen Wolkenverläufe können als Pendants zu den Wellen betrachtet werden. Die klein wirkenden Schiffe sind dem aufgewühlten Meer ausgeliefert und wirken angesichts von diesem im Zusammenspiel mit dem Himmel nichtig. Diese vier Bilder stellen einen exemplarischen Einblick in die maritimen Bildwelten, die Radziwill im Nationalsozialismus verbildlichte, dar. Es wurde aufgezeigt, dass zwar einige Bildmotive durchaus mit nationalsozialistischen Vorstellungen von Kunst in Einklang stehen, der Künstler jedoch seinen individuellen Stil und seine Bildthemen in Bezug zum Meer weiter verfolgte, ohne diese bewusst anzupassen. Ein weiterer Motivkreis, den er allerdings bereits schon seit Ende der 20er Jahre verbildlichte, war der Kriegsmarine zugehörig. Diese war ein beliebtes Bildsujet im Nationalsozialismus.
Die Nordsee als Schauplatz der Kriegsmarine in Radziwills Werken Noch vor dem Nationalsozialismus, ungefähr ab 1927, setzte sich Radziwill mit Motiven der Kriegsmarine auseinander.147 In Bezug auf Schiffs- und Hafendarstellungen können die Bilder »Wilhelmshaven« (1928) und »Der Hafen II« 147 Vgl. Soin8 (Hg.) 1992, S. 7.
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(1930) angeführt werden.148 Exemplarisch sei zudem auf die Werke »Schlachtschiffe auf Reede« (Abb. B3.33) und »Torpedoboote auf der Jade« (Abb. B3.31) verwiesen. Bereits um 1910 – in seiner Jugendzeit – fertigte Radziwill die kolorierte Zeichnung »S.M. Linienschiff Kaiser Wilhelm der Große«149 (Abb. B3.30) an.
Abb. B3.30: Franz Radziwill, S.M. Linienschiff Kaiser Wilhelm der Große, um 1910, Wasserfarben und Tinte, 20,6 x 21,7 cm, Franz Radziwill Haus
Dieses kann in Bezug zur national geprägten Zeitstimmung, die vor dem Ersten Weltkrieg herrschte, gelesen werden und bringt Radziwills frühe Begeisterung für die Schifffahrt und die neuartige Technik zum Ausdruck.150 Gleichzeitig werden diese technischen Gebilde in seinen Werken auch als Bedrohung dargestellt, denn Radziwill ist sich ihrer Zerstörungs- und Vernichtungskraft durchaus bewusst.151 So wurde die Flottenaufrüstung Ende der 20er Jahre von Radziwill auch mit Skepsis verfolgt.152 Da der Künstler nahe des Kriegsmarinestandorts Wilhelmshaven lebte, war er in der Lage, die modernen Schiffe zu beobachten. Radziwill intendierte in seinen Bildern allerdings nicht die reale Situation naturgetreu wiederzugeben, diese bot ihm ausschließlich Anregung und Inspiration. Dies zeigt beispielsweise das Werk »Torpedoboote auf der Jade«153 (Abb. B3.31). 148 149 150 151 152 153
Abb. vgl. Peuckert (Hg.) 1995, Abb. 6,7, 10. Vgl. Kat. Emden 1995, S. 164f. Vgl. Soin8 (Hg.) 1992, S. 52f. Vgl. ebd., S. 7. Vgl. ebd., S. 12. Vgl. ebd., S. 12f. Vgl. ebd., S. 68f. Vgl. Peuckert (Hg.) 1995, S. 19. Vgl. Kat. Emden 1995, S. 140. So ist der im Hintergrund dargestellte Mastenwald im Wilhelmshavener Hafen fiktiv. Möglicherweise lässt sich Radziwill von Caspar David Friedrichs – ebenfalls übersteigerten – Hafendarstellungen inspirieren. Vgl. Soin8 (Hg.) 1992, S. 10f. Dies sei jedoch dahingestellt, da das Werk ansonsten sehr unterschiedlich in Bezug zu Friedrichs Darstellungen ist. Ein Passagierschiff liegt im Hafen. Dieses wird als die »Columbus« gedeutet, die allerdings in dem Zeitraum nicht in Wilhelmshaven gewesen war. Vgl. Soin8 (Hg.) 1992, S. 10. Es ist allerdings fraglich, ob Radziwill intendierte, die Columbus darzustellen oder ob es einfach ein nicht näher identifizierbares Passagierschiff darstellt.
Die Nordsee als Schauplatz der Kriegsmarine in Radziwills Werken
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Abb. B3.31: Franz Radziwill, Ausschnitt, Torpedoboote auf der Jade, 1927, Öl, 80 x 96 cm, Privatbesitz
In dem Zeitraum 1924–1929 wurden in der Marinewerft Wilhelmshaven u. a. moderne Torpedoboote der »Raubvogel- und Raubtierklasse« gebaut.154 Von diesen Schiffstypen inspiriert, setzte er sie in dem Bild »Torpedoboote auf der Jade« um. Zwei von ihnen sind ganz an der rechten Bildseite dargestellt. Durch das Schwarz, ihre – im Gegensatz zu den übrigen Wasserfahrzeugen – beeindruckende Größe und der kantigen Formen erscheinen sie bedrohlich. Die kleinen Segelschiffe wirken dagegen friedlich. Die Gegenüberstellung der traditionellen Segelschifffahrt mit den modernen, hoch technisierten Schiffen stellt ein wiederkehrendes Motiv in Radziwills Werk dar. Dabei wird durch bedrohlich wirkende Darstellungen die Zerstörungskraft der Kriegsmarine herausgestellt, wie es ebenfalls im Werk »Schlachtschiffe auf Reede«155 (Abb. B3.33) ersichtlich ist. Die Schiffe gleichen waffenstarrenden »Ungeheuern«.156
Abb. B3.32: Franz Radziwill, Auf Schillig Reede, 1927, Feder und Blei, 22 x 37,5 cm, Privatbesitz
154 Vgl. Soin8 (Hg.) 1992, S. 10f. 155 Abb. ebd., S. 66f. 156 Vgl. ebd., S. 13.
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Abb. B3.33: Franz Radziwill, Schlachtschiffe auf Reede, 1927, Öl, 80 x 99,5 cm, Dauerleihgabe Kunsthalle Emden
In der Skizze »Auf Schillig Reede«157 (Abb. B3.32), die als Vorlage für das Gemälde diente, sind diese noch nicht in so übersteigerter Form gezeichnet. Die Schiffsmasten im Ölgemälde wirken dagegen überhöht und ragen weit in den Himmel. Durch das Weglassen des kleineren, querfahrenden Bootes aus der Vorzeichnung wird das einzige dynamische Element entfernt. Das Ölbild »Schlachtschiffe auf Reede« hat aufgrund auf Reede liegender Schiffe und der zwei nahezu unbeweglich scheinenden Flugzeuge am Himmel eine statische Wirkung. Auch die Nordsee wirkt trotz der leichten Kräuselungen im Wasser wie eine glatte Fläche. Das Bild erhält sowohl durch die Visualisierung von Militärschiffen als auch durch den Einsatz der Farben einen etwas bedrohlichen Charakter. Während das Wasser weitgehend im vorderen und mittleren Bereich mit dunklen, grünlichschwarzen Farben gestaltet ist, geht es nach hinten hin in hellere grünlichere Töne über. Durch die dunklen Farben im Vordergrund wirkt es unergründlich und düster. Am Horizont ist dagegen ein Lichtbereich angelegt, die dort befindlichen Schiffe wirken weiß angestrahlt. Da allerdings die Quelle der Helligkeit im Bild nicht erkennbar ist, entsteht ein unwirklicher Eindruck. Auch die orange-braunen Farbtöne des Himmels werden nur ansatzweise im grünlichen Wasser reflektiert. Der Komplementärkontrast von Grün und Orange erzeugt gleichzeitig eine erhöhte Leuchtkraft und schafft eine aufgeladene und bedrohliche Atmosphäre. Dieses Bild sowie das Werk »Torpedoboote auf der Jade« (Abb. B3.31) sind keine Propagandawerke, sondern bringen möglicherweise Radziwills damalige Sorge angesichts der erneuten Aufrüstung zum Ausdruck.158 Radziwill legte diese jedoch in den nächsten Jahren zunehmend ab und ließ sich sogar für die Kriegsmarine begeistern.159 Aufgrund seiner Kontakte zur Marine konnte er in 157 Abb. vgl. ebd., S. 64f. Weitere Ausführungen vgl. ebenso Peuckert (Hg.) 1995, S. 19. 158 Vgl. ebd., S. 13. 159 Vgl. Schulte-Wülwer 1989, S. 153.
Die Nordsee als Schauplatz der Kriegsmarine in Radziwills Werken
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den 30er Jahren bei Fahrten auf Kriegsschiffen teilnehmen,160 beispielsweise an einer »Erprobungsfahrt« des Panzerschiffs »Deutschland« in die Karibik und in den Südatlantik.161 In seinen Aufzeichnungen über die Reise hielt er in Notizen die Fahrt von Wilhelmshaven über die Nordsee sowohl beim Aufbruch als auch bei der Heimkehr fest. Dabei räumte er der Erprobung der Kriegstechnik erhöhtes Gewicht ein und nahm in diesem Fall die Nordsee als Kriegs-Übungsplatz aber auch als Kriegsgebiet des Ersten Weltkrieges wahr, wie es in seinen Notizen ersichtlich ist.162 »Die Seekarte zeigt das Gebiet des Seekrieges, und lesen wir in ihr bis an die Küste heran Wrack (1916) (1917), die Beute deutscher U-Boote.«163 Diesen Aspekt griff Radziwill in seinem Werken auf. Exemplarisch sei auf die gleichnamigen Werke »U-Boot Krieg« (Abb. B3.36, 37) verwiesen. In beiden sind U-Boote an der Küste zu sehen, Wrackteile der versenkten Schiffe türmen sich in der Brandung an der Küste. Während der Künstler in vielen seiner Werke die Kriegsmarine bedrohlich und im Gegensatz dazu Segelschiffe positiv konnotiert darstellt, so ist aus seinen
160 Vgl. Peuckert (Hg.) 1995, S. 25. Vgl. Soin8 (Hg.) 1992, S. 13f. Vgl. Scholl 1992, S. 38. Durch die Bekanntschaft mit dem ebenfalls künstlerisch tätigen Marineoffizier Fritz Witschetzky bekam er Kontakt zu hohen Marinekreisen. Vgl. Soin8 (Hg.) 1992, S. 13. Im Jahre 1933 nahm Radziwill u. a. mit Witschetzky am Stapellauf der »Admiral Scheer« teil und besichtigte die »Deutschland« in Wilhelmshaven. Vgl. Schulte-Wülwer 1989, S. 152ff. Vgl. Peuckert (Hg.) 1995, S. 25. Vgl. Soin8 (Hg.) 1992, S. 13f. Vgl. Scholl 1992, S. 38. 161 Vgl. Scholl 1992, S. 38. Die Freundschaft zu Hermann von Fischel ermöglichte Radziwill u. a. diese Einladung zur Marinefahrt. Vgl. Soin8 (Hg.) 1992, S. 13f. Vgl. Scholl 1992, S. 38. Er lässt diesem das Bild »Die Inselbrücke in Wilhelmshaven mit der ›Deutschland‹« zukommen. Vgl. Scholl 1992, S. 38. Das 1933/34 entstandene Werk zeigt Wilhelmshaven als Kriegsmarinestandort. Der, durch den angesichts der Größe der Schiffe klein wirkenden und am Geschehen unbeteiligten Zeitungsleser scheint nicht zum Bildgeschehen zu passen und kann beim Betrachter eine Irritation auslösen. Weitere Ausführungen vgl. Soin8 (Hg.) 1992, S. 14f. 162 Das Seegebiet des Ersten Weltkriegs umfasst natürlich nicht nur die Nordsee, sondern in Bezug auf die Reise auch den Atlantik. Die Wahrnehmung der Nordsee als KriegsÜbungsfelds zeigt sich beispielsweise in folgenden Aufzeichnungen: »Donnerstag, den 14. März 1935, 7.40 Uhr bei klarem frostigen Morgen ablegen und durchschleusen. Scheibenschießen der schweren und mittleren Geschütze bis 1 Uhr mittags. Nachmittags bei klarer Frühlingssonne um Helgoland. Abend bei klarer Mondnacht und glitzernder See Flugzeugabwehrschießen. (Konzentrierung aller technischen Energien des deutschen Volkes) Am 15. März morgens Nebel, stecken bei Amrum, wieder um Helgoland. Nachmittags Dienst Flugabwehrschießen. Viele Vögel kommen an Bord. Lerchen und sogar ein Buchfink (Leben und Tod). Abend bei warmer Witterung passieren von Terschelling Feuerschiff, dessen Nebelhorn bis auf 8 km zu hören ist.« Radziwill, Franz: Reisebericht von der Fahrt mit dem Panzerschiff »Deutschland« nach Südamerika vom 14. März bis zum 18. April 1935, Franz Radziwill Archiv, zitiert nach Soin8 (Hg.) 1992, S. 166. 163 Radziwill, Franz: Reisebericht von der Fahrt mit dem Panzerschiff »Deutschland« nach Südamerika vom 14. März bis zum 18. April 1935, Franz Radziwill Archiv, zitiert nach Soin8 (Hg.) 1992, S. 166.
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Reise-Aufzeichnungen eine starke Faszination für große Kriegs- und Passagierschiffe verbunden mit nationalen Stolz ersichtlich: »[…] heute sollen wir ein Fest erleben, und zwar die Begegnung der 3 deutschen Schiffe ›Kraft durch Freude‹. […] Um 10 Uhr erreichen wir das erste Schiff, den ›Deutschen‹, und überholen diesen an Backbordseite. Es ist ein überwältigender Eindruck, daß 5000 deutsche Menschen sich auf der Weite des [Atlantischen] Oceans begegnen. Deutsche unter Deutschen auf dem weiten Meer. Niemals habe ich die Gemeinschaft und die technische Größe meines Vaterlandes so schön erlebt wie hier auf deutschen Schiffen im Ocean unter dem großen gewaltigen Raum von Wasser und Himmel im großen All. […] von dem ›Deutschen‹ tönte das Deutschlandlied zu uns herüber. Es war der tiefe Austausch deutschen Empfindens weit ab von unserem Lande, welches wir desto fester jetzt in uns trugen.«164
Mit Blick darauf, dass Deutschland keine Kolonien mehr besaß, notiert Radziwill, dass die Deutschen dies durch ihre Technik im Schiffs- und Flugzeugbau wettmachen: »[…] unsere Inseln sind die Technik, mit der wir im Meere fahren, mit der wir durch die Luft ziehen.«165 Weiterhin erfüllte es ihn mit Stolz, dass das technisch moderne Schiff »Deutschland« selbst schwere Stürme unbeschadet durchfuhr.166 Obwohl Radziwill verschiedene Meere und ferne Länder bereiste, flossen die dabei gewonnenen Eindrücke nur marginal in seine Werke ein. In einem Brief an seine Tochter betonte er, dass ihm gerade auf den Reisen bewusst wurde, dass Dangast an der Nordseeküste die wesentliche Inspirationsquelle seiner Kunst sei:
164 Radziwill, Franz: Reisebericht von der Fahrt mit dem Panzerschiff »Deutschland« nach Südamerika vom 14. März bis zum 18. April 1935, Franz Radziwill Archiv, zitiert nach Soin8 (Hg.) 1992, S. 167f. 165 Radziwill, Franz: Reisebericht von der Fahrt mit dem Panzerschiff »Deutschland« nach Südamerika vom 14. März bis zum 18. April 1935, Franz Radziwill Archiv, zitiert nach Soin8 (Hg.) 1992, S. 174. 166 Auf der Rückfahrt gerät das Schiff im Atlantik in einen starken Sturm mit hohen Wellen. »In der Nacht bricht dann ein wütendes Unwetter an, schwere See geht, und es ist ein stolzes Gefühl zu erleben, wie sicher und selbstverständlich das Schiff durch die schwere See seinen Weg zieht.« Radziwill, Franz: Reisebericht von der Fahrt mit dem Panzerschiff »Deutschland« nach Südamerika vom 14. März bis zum 18. April 1935, Franz Radziwill Archiv, zitiert nach Soin8 (Hg.) 1992, S. 166. Radziwill macht Erfahrungen in Bezug darauf, mit einem Schiff der Gewalt des Meeres ausgesetzt zu sein. Das Schiff erhält jedoch nur geringe Schäden und am Ende der Reise formuliert Radziwill wiederum das Vertrauen und den Stolz für dieses Schiff: »Freude ist auf ihren [Seeleute] Gesichtern, Liebe für ihr stolzes Schiff, welchem sie groß jetzt verbunden sind. Das Schiff hat ihnen das Vertrauen gegeben, mg die See noch so wogen, es trägt und hält geführt von seinen Steuerern.« Radziwill, Franz: Reisebericht von der Fahrt mit dem Panzerschiff »Deutschland« nach Südamerika vom 14. März bis zum 18. April 1935, Franz Radziwill Archiv, zitiert nach Soin8 (Hg.) 1992, S. 179.
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»Aber wenn du glaubst, daß mich das malerisch beeinflußt hat, dann irrst dich. Ich fand das alles sehr interessant und war dankbar für diese Gelegenheit, was von der Welt kennenzulernen. Aber gerade auf meinen weiten Reisen ist mir bewußt geworden, daß ich meine Bilder nur zu Hause malen kann. Die farbigste Ecke von der Welt – das habe ich da gemerkt – sind nicht die Tropen – als solches… Das helle Licht macht die grellen Farben alle gleich! Die farbigste Ecke der Welt, die liegt im Norden, zwischen Bergen und Rotterdam! Auf den Reisen hab’ ich erfahren, wie bedeutend mein Vorgarten ist – ich mein’ das jetzt auch symbolisch…«167
Diese Einstellung war im Nationalsozialismus mit der Forderung nach Heimatkunst im Kontext der Blut- und Boden-Ideologie gut vereinbar. Auch die Motive der Kriegsmarine passten in das nationalsozialistische Motivrepertoire, jedoch zeigen einige dieser Bilder, dass er sich nicht den NS-Forderungen unterordnete. Das im Jahr 1938 gefertigte Werk »Jadeküste mit Kriegsschiff im Winter«168 (Abb. B3.33a) beinhaltet – entgegen der Titelgebung – als Hauptmotiv nicht ein Kriegsschiff.
Abb. B3.33a: Franz Radziwill, Jadeküste mit Kriegsschiff im Winter, 1938, Öl, 86 x 125 cm, Privatbesitz
Stattdessen wird der Blick auf die verschneite Jadeküste gelenkt. Im Vordergrund sind zwei fahruntüchtige farbige Holzboote dargestellt. Ihre Bugs weisen gen Horizont auf die offene Jade. Weiter rechts sind in einiger Distanz zwei Männer, wahrscheinlich Fischer an einem weiteren Boot abgebildet. Wasserläufe durchziehen den Strandbereich. Holzpfähle und vereinzelte Gräser und Büsche durchbrechen die Schneelandschaft. In der Ferne ist sehr klein ein Gebäude zu erkennen. Ein düsterer Himmel, der zum Horizont in dunkle Grautöne übergeht, gibt der Landschaft eine bedrohliche Note. Kaum erkenntlich sind zwei Kriegsschiffe im Dunkel auf der Jade dargestellt. Dieses Bild entspricht nicht den Forderungen der Nationalsozialisten, in denen Kriegsschiffe heroisch inszeniert werden sollen. Die vom Dunkel nahezu verschluckten und klein wirkenden 167 Zitiert nach Radziwill 1988, S. 32. 168 Abb. vgl. Neumann-Dietzsch, Weigel (Hg.) 2011, S. 95.
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Kriegsschiffe lassen sich nicht in die typischen Motive der NS-Kriegskunst einreihen, die Begeisterung und Heroismus vermitteln sollen. Dieses Werk steht in der Bildtradition von Radziwills bereits vor der Machtergreifung visualisierten Marinebildern, in denen trotz gewisser Faszination, die der Künstler für diese Technik besaß, die bedrohliche Komponente stark zum Ausdruck kommt. Andere seiner Werke fanden im Nationalsozialismus durchaus Würdigung, wie das im Jahre 1936 geschaffene Werk »Auslaufendes U-Boot«169 (Abb. B3.34).
Abb. B3.34: Franz Radziwill, Auslaufendes U-Boot, 1936, Öl, 115 x 154 cm, Küstenmuseum Wilhelmshaven
Es zeigt die geöffneten Tore einer Schleusenkammer, aus der ein klein wirkendes U-Boot hinaus aufs Meer fährt. Das Bild ist in gedämpften Farben gestaltet und hat durch den wolkenverhangenen, grauen Himmel eine düstere Wirkung. Das U-Boot steuert hinaus ins »Dunkle«. Dies kann in der Weise gedeutet werden, dass das Schiff einer ungewissen und gefährlichen Zukunft entgegenfährt.170 Da das Bild für die Otto-Weddigen-Jugendherberge vorgesehen war,171 ist es wahrscheinlich, dass das U-Boot das ab 1911 von Weddingen befehligte »U 9« ist.172
169 170 171 172
Abb. vgl. Soin8 (Hg.) 1992, S. 100f. Vgl. hierzu Soin8 (Hg.) 1992, S. 16f. Vgl. ebd., S. 16f. Vgl. ebd., S. 17.
Die Nordsee als Schauplatz der Kriegsmarine in Radziwills Werken
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Abb. B3.35: U-Bootflotille »Otto Weddigen«, um 1939, Bildpostkarte, Foto: A. Klein, Radziwill Archiv
Der Kapitänleutnant Weddigen hat im Ersten Weltkrieg drei britische Panzerkreuzer versenkt und wurde als Seeheld verehrt.173 Die düstere Himmels- und Meereswirkung kann auf die letzte Fahrt Weddigens bezogen werden: »U 9« kehrte 1915 von einer Fahrt nicht zurück.174 Möglicherweise sollte mit dem Bild der Jugend im Rahmen der nationalsozialistischen Propaganda der »Heldenmut« Weddigens vermittelt werden.175 Ebenso lässt sich eine kritische Haltung angesichts eines drohenden Krieges daraus lesen. Leider kann die Intention des Künstlers nicht mehr zweifelsfrei erschlossen werden. Radziwill selbst nahm an keiner U-Bootfahrt teil. Die Situation in einem UBoot wurde ihm durch Berichte befreundeter Marineoffiziere vermittelt, von denen viele auch im Ersten Weltkrieg im Einsatz waren.176 In Bezug auf den U-Boot-Krieg hat Radziwill verschiedene Werke geschaffen. Allerdings ist häufig mit großer Wahrscheinlichkeit nicht die Nordsee verbildlicht, sondern der Atlantik, auf dem sich das wesentliche Kriegsgeschehen abspielte. Da die Bildmotivik für seine maritimen Werke und die Stilentwicklung von großer Bedeutung sind, wird an dieser Stelle trotzdem auf einige Werke eingegangen. Das kleinformatige 1938 entstandene Werk »Der U-Boot-Krieg«177 (Abb. B3.36) vermittelt einen bedrückenden Eindruck. Inhaltlich bezieht es sich auf den Ersten Weltkrieg.
173 174 175 176 177
Vgl. ebd., S. 32, Anm. 29. Vgl. ebd., S. 17. Vgl. ebd., S. 17. Vgl. ebd., S. 16f. Abb. vgl. ebd., S. 48.
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Abb. B3.36: Franz Radziwill, Der U-Boot Krieg, 1938, Öl, 24,5 x 35 cm, Privatbesitz
Im Vordergrund ist ein verschneiter Strand abgebildet auf dem sich drei Grabkreuze befinden. Dahinter erstreckt sich eine aufgewühlte See, in der sich in einiger Entfernung drei aufgetauchte U-Boote hell vor dem dunklen Hintergrund abzeichnen. Aufgrund der gleichen Anzahl können die drei symbolisch auf den Tod verweisenden Kreuze mit dem Schicksal der U-Boote assoziiert werden. Am Strand liegen Holzteile, die auf Wrackteile hindeuten. Möglicherweise stammen sie von bereits versenkten Schiffen. Die bedrohliche Wirkung des Bildes wird durch eine schwarze Wolkenwand und einer dahinter zum Teil verdeckten roten Sonne verstärkt. Der obere Bildbereich ist hell und fungiert als farbliches Pendant zur verschneiten Strandlandschaft im Vordergrund. Aus dieser Ölstudie übernahm Radziwill bestimmte Bildmotive für das ein Jahr später geschaffene und weitaus großformatigere Werk, ebenfalls mit »Der U-Boot-Krieg« (Abb. B3.37) betitelt.
Abb. B3.37: Franz Radziwill, Der U-Boot Krieg, (1. Fassung) (Ausschnitt), 1939, Öl, 123 x 170 cm, Privatbesitz
Dieses gleichnamige Bild erfuhr im Laufe der Zeit inhaltliche Veränderungen durch Übermalungen, die Einfluss auf die Lesarten des Werkes hatten.178 Auch 178 Chemielewski führt eine Analyse der Übermalungszustände durch. Vgl. Chemielewski 1992, S. 43f.
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die Titelergänzungen »Der totale Krieg« und »Verlorene Erde« eröffnen andere Akzentuierungen. Der Titel »Der totale Krieg« (Abb. B3.38) weckt Assoziationen an die Propagandarede Goebbels im Jahr 1943. Das Bild steht jedoch nicht im propagandistischen Kontext. Es vermittelt eine kritische Sehweise auf die Zerstörungen im Ersten Weltkrieg.
Abb. B3.38: Franz Radziwill, »Der U-Boot Krieg« oder »Der totale Krieg« (2. Fassung), 1939–43/44, Öl, 123 x 170 cm, Privatbesitz
Bereits in der ersten Bildfassung179 (Abb. B3.37) liegt keine heroische Darstellung vor: Wie in der Ölstudie wird der Blick der oder des Betrachtenden über einen Strandabschnitt, auf dem sich Kreuze befinden, auf das Meer gelenkt, in dem U-Boote aufgetaucht sind. Am Strand türmen sich in der Brandung die Überreste der bereits zerstörten Schiffe in bizarrer Weise. Der dunkle Himmel verstärkt die bedrohliche Wirkung des Gemäldes. Es unterscheidet sich deutlich von den propagandistischen Werken dieser Zeit. Topografisch lässt es sich nicht eindeutig verorten.180 Der symbolische Gehalt steht im Vordergrund. Später erfolgten Übermalungen, die neue Sinnschichten hinzufügten.181 So wurde am Strand eine kleine Figur hinzugefügt, die an das Bildmotiv des »Mönchs« aus Friedrichs Werk »Mönch am Meer« erinnert (Abb. B3.24, 38). Damit werden neue Zugänge eröffnet.182 Ebenso fügte der Künstler ein Kriegsflugzeug am Himmel ein. Mit der neuen Titelgebung »Der totale Krieg« kann aus dem Bild eine negative Sehweise auf den Krieg gelesen werden. In Bezug auf die letzte Bildversion (Abb. B3.39) fließt der Aspekt des Übernatürlichen ein.
179 Vgl. Chemielewski 1992, S. 42. 180 Gerster stellt die Frage, ob es sich um die englische Küste handelt, die zerschellten Schiffe Beute der Deutschen sind und die Kreuze auf tote englische Seemänner hindeuten. Vgl. Gerster 1995, S. 33. 181 Für eine detaillierte Analyse vgl. Chemielewski 1992, S. 43f. 182 Vgl. hierzu die Ausführungen im Kapitel »Romantische Einflüsse in Radziwills Naturauffassung und Bildwelten«.
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Abb. B3.39: Franz Radziwill, »Verlorene Erde« (Endfassung), 1939–1960, Öl, 123 x 170 cm, Privatbesitz
Exemplarisch sei auf die am Himmel schwebende, an einen Engel erinnernde Gestalt verwiesen, die dem Werk eine metaphysische Deutungsebene eröffnet. Der Titel »Verlorene Erde« gibt dem Bild (Abb. B3.39) im Zusammenspiel mit der bedrohlichen Wirkästhetik einen apokalyptischen Charakter. Ursprünglich gab es die Idee, das Werk als Auftrag für die Marine anzufertigen. Witschetzky, ein Freund Radziwills, schlägt übergeordneten Marinestellen vor, zur Neugestaltung der Aula der Marineschule Mürwik ein Kriegstriptychon des Künstlers Radziwill zu wählen.183 Zwei Bilder, nämlich »Der Unterstand am Narocsee – Der Krieg im Osten« aus dem Jahr 1929 und das Werk »Das Schlachtfeld von Cambrai 1917 – Der Krieg im Westen« waren bereits vorhanden und das dritte in Auftrag zu gebende Bild würde den U-Boot-Krieg thematisieren.184 Damit wären in dem Triptychon alle Waffengattungen dargestellt – Heer, Marine und Luftwaffe – und somit alle Fronten verbildlicht: die West- und Ostfront sowie die »Seefront«.185 Ein Triptychon ist in der Regel ein 183 Vgl. Soin8 (Hg.) 1992, S. 17. Witschetzky war gut mit Radziwill befreundet und es ist schwer vorstellbar, dass sein Vorschlag eines Bilderankaufs durch die Marine, verbunden mit der Anfertigung eines weiteren Werkes ohne Absprache mit Radziwill erfolgt sein soll. Möglicherweise wollte der Künstler mit dem Vorschlag seines Freundes zur eigenen politischen Rehabilitation sowie finanziellen Absicherung beitragen. Vgl. Soin8 (Hg.) 1992, S. 18. 184 Vgl. ebd., S. 17f. Vgl. Gerster 1995, S. 33. 185 »Zu den Kriegsbildern von Professor Radziwill, Die beiden Kriegsbilder ›Westfront‹ und ›Ostfront‹ von Professor Radziwill, der selbst an der Ost- und Westfront gekämpft hat, sind nach meiner Überzeugung bei weitem das Beste was überhaupt an Bildern über den Weltkrieg geschaffen worden ist. […] Nicht das an sich Dargestellte, das Gegenständliche, die rauchenden Ruinen, die Flieger, der zerschossene russische Wald, der Unterstand, der Stacheldraht, sind das Entscheidende, sondern der geistige Inhalt dieser Bilder. Dieser geistige Inhalt ist in kurzen Worten folgender: Der Heroismus, den der Krieg vom Soldaten verlangt, die Entbehrungen, die der Krieg dem Soldaten auferlegt, die Pflicht, den Krieg mit seinen Verwüstungen vom Deutschen Boden fernzuhalten, der Krieg eine Naturnotwendigkeit. Gott will den Krieg, Gott will den Kämpfer und Soldaten! Der geistige Inhalt ist damit nicht erschöpft. Jeder Beschauer wird andere Empfindungen haben, wie es bei jedem großen echten Kunstwerk der Fall ist, sei es ein Werk der Literatur, der Musik oder der bildenden Kunst. Das
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Altarbild. In Witschetzkys Sinne soll das Triptychon die Opferfunktion der Soldaten in einem Krieg symbolisieren.186 Die drei Werke unterscheiden sich allerdings stark von den typischen Kriegspropagandabildern. Es sind eher kritische Sehweisen auf den Krieg dargestellt. Die Zerstörungen sind in den Bildern »Der Unterstand am Narocsee – Der Krieg im Osten« und »Das Schlachtfeld von Cambrai 1917 – Der Krieg im Westen« eindrucksvoll und bedrückend verdeutlicht: Die geschundene Landschaft ist dargestellt.187 Ebenso stellt das Werk »Der U-Boot Krieg« (Abb. B3.37) kein typisches Propagandabild dar. Es ist schwer vorstellbar, wie angesichts der bedrückenden Darstellungen Kriegsbegeisterung hervorgerufen werden soll. Dies schien auch die Auffassung der Adressaten des Briefes zu sein. Die Marineschule lehnte den Ankauf der Bilderserie ab, da die Werke nicht den nationalsozialistischen Idealen entsprachen. Stattdessen wurde von der Marine 1937 das Werk »Skagerrak« von Claus Bergen erworben, der ein höheres Ansehen als Radziwill genoss und das Seekriegsgeschehen heroischer umsetzte.188 Da Radziwill mit seinen Werken primär keine politischen Intentionen verband und diese nicht in den Dienst der Propaganda stellte, wurde sein Werk – im Gegensatz zu dem von Claus Bergen, – nicht im ersten Teil dieser Studie eingeordnet. alles predigen diese beiden echten Kunstwerke und ohne daß irgendwelche abstoßenden Gegenstände (Leichen, blutende Wunden usw.) gemalt worden sind. Das alles drückt allein die Landschaft mit ihren Formen und Farben aus. Hierin liegt das Große und das Neue. Das Neue ist ungewohnt, deshalb werden viele die Bilder heute ablehnen. Dies sind die künstlerischen Gewohnheitsmenschen. Die Ablehnung, die die Bilder bei vielen finden, ist ihr höchstes Lob! In Zukunft werden diese Bilder allgemeine Bewunderung finden. Rembrandt, C. D. Friedrich, Thoma, Leibl und viele andere sind zu Lebzeiten abgelehnt worden vom sogenannten kunstverständigem und besserem Publikum.« Vgl. Franz Radziwill Archiv, vgl. auch Schulte-Wülwer 1989, S. 158. 186 »Ich würde mich sehr freuen, wenn gerade die Marine diese Bilder erwerben würde, denn sie erwirbt damit einen ganz großen Kunstschatz, der turmhoch über allem steht, was die Marine bisher erworben hat. Ich schlage vor, daß Prof. Radziwill weiter den Auftrag erhält ein 3. Bild in gleicher Größe zu malen: Der U-Boot-Krieg. […] Was die Marine bisher an Kunst besitzt, besteht im allgemeinen in kleineren oder größeren Illustrationen zur Marineund Seekriegsgeschichte. Diese 2 oder 3 Bilder, in einem feierlichen Raum zusammen aufgehängt, zwingen den Soldaten, vor allem den jungen Soldaten zur inneren Einkehr. Sie veredeln und erheben ihn über den Alltag. Deshalb befürworte ich ihren Ankauf dringend.« Vgl. Franz Radziwill Archiv, vgl. auch Schulte-Wülwer 1989, S. 158f. Niemeyer hatte in einer Besprechung der zwei bereits vorhandenen Bilder »Der Unterstand am Narocsee – Der Krieg im Osten« aus dem Jahr 1929 und das Werk »Das Schlachtfeld von Cambrai 1917 – Der Krieg im Westen« Andachtsfunktion zugesprochen: »Beide in einem Andachtsraum vereinigt, wären das edelste heute mögliche Kriegsdenkmal.« Niemeyer 1931. 187 Durch die Aussparung von Leid und Tod der Menschen konnten die beiden Bilder aber auch als Zeugnis des harten und erbitterten Kampfes deutscher Soldaten interpretiert werden. Vgl. Schulte-Wülwer 1989, S. 156ff. Jedoch sind sie mit der üblichen nationalsozialistischen Kriegspropaganda nicht vereinbar. 188 Vgl. Schulte-Wülwer 1989, S. 159.
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Die Spannbreite der Motivik in den maritimen Werken, die Radziwill in der Zeit des Nationalsozialismus schuf, ist groß. Jedoch änderte er in der Nachkriegszeit allmählich Motivik und Stil.
Zersplitterte Welten in der Nachkriegszeit Radziwill konnte aus der englischen Kriegsgefangenschaft fliehen und kehrte bereits 1945 nach Dangast zurück. Im Jahre 1949 wurde er in einem Entnazifizierungsverfahren als entlastet eingestuft. In der Nachkriegszeit hatte Radziwill zunächst Schwierigkeiten, als freischaffender Künstler seine Familie und die aufgenommenen Verwandten zu ernähren.189 In den Folgejahren fand er wenig künstlerische Anerkennung, u. a. weil er in der NSDAP tätig gewesen war.190 Erst in den 60er Jahren lässt sich von einer »Nachkriegskarriere« sprechen.191 Zunächst erfuhr Radziwill das Leid der Nachkriegszeit.192 Angesichts der 189 190 191 192
Vgl. Peuckert (Hg.) 1953, S. 29f. Vgl. ebd., S. 29f. Vgl. Peuckert (Hg.) 1995, S. 32. In seinen Briefen thematisiert er insbesondere das Leiden der deutschen Menschen und nicht die allmählich bekanntwerdenden Verbrechen der Nationalsozialisten. »Welch seelische Kraft muß aufgebracht werden, um in den Trümmern aller Art sich zu finden und zu behaupten. Grausamkeit, Rache und Vernichtung flaggen weiter in unserem Lande. Und wo einst die Ordnung ruhte, lodert wild die Unordnung. An die steinernen Gotteshäuser, die noch immer nicht lebendig geworden sind, brandet die Verzweiflung.« Brief von Radziwill an Niemeyer, Dangast, Anfang August 1946, in: Wietek 1990, S. 167f. »Mein Atelier habe ich seit vielen Wochen wegen Kohlemangels nicht mehr betreten. Dieses bedrückt mich sehr. Aber bald werden wir den Winter überwunden haben. Aber nicht die Not. Im Gegenteil, es wird noch grausamer werden. Wenn man hört, welche Maßnahmen um unsere Grenzen herum getroffen sind, weitere deutsche Menschen auf die Straße zu jagen. Es sind keine Flüchtlinge mehr, sondern Herausgeworfene, Vertriebene. – Die Welt aber redet, organisiert den Sozialismus. An Sonntagen läutet man das Christentum. – Welch ein Hohn. Vergeltung und Rache sind Triumphe dieses Krieges bei »Siegern und Besiegten«. Es gibt ein Buch von Hans Grimm ›Volk ohne Raum‹. Was geschieht nun? Der größte Wahnsinn. Alles was deutsch spricht, wird in den sehr kleinen deutschen Raum gedrückt. Dazu die große Zahl der Besatzungstruppen, Ausländer, die nicht zurückkönnen – oder wollen. Deutschland ist wie eine Streichholzschachtel voll von Maden, verschlossen, nichts kann sich rühren, bis eine Verwesung bei lebendigen Leibe anfängt. Da wollen dann noch einige Herrn aus der Mottenkiste, geistig wie politisch gesehen, organisieren. Mir kommen ihre Handlungen vor, wie: Es brennt im Haus, es steht in hellen Flammen und die Bewohner machen sich noch Gedanken, ob sie im Wohnzimmer die Kommode an die rechte oder linke Wand stellen sollen. Es ist die Zeit nur noch dem Einzelnen überlassen. Dieses birgt natürlich die furchtbarsten Taten in sich. Wir fühlen aber doch alle, Politik ist nichts mehr und kann in diesem Geschehen unseren Zustand nur verschlechtern. Wir müssen es Gott in die Hand geben – ihm überlassen.« Brief von Radziwill an Niemeyer, Dangast, 26. 12. 1945, in: Wietek 1990, S. 163f. Das Buch, auf das Radziwill verweist, »Volk ohne Raum« war im Nationalsozialismus verbreitet, da es Begründungen für die NS-Außenpolitik lieferte. Vgl. Wietek 1990, S. 223, Anm. 1051.
Zersplitterte Welten in der Nachkriegszeit
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erfahrenen Schrecken ist er skeptisch in Hinblick auf die Zukunft und sucht Halt in der Vorstellung einer göttlichen Instanz, die das Erdengeschehen bestimmt und lenkt.193 Insbesondere in seinem Haus und Garten sowie in der Natur suchte er im Glauben an Gott Frieden.194 Auch die Naturerlebnisse an der Nordseeküste trugen dazu bei, dass Radziwill wieder eine positive Sicht auf das Leben entwickelt: »Am letzten Sonntag haben wir eine Fahrt auf dem Jadebusen gemacht. Auf dem Leuchtturm wurde Kaffee getrunken. Es war ein Tag spätsommerlicher, dunstiger Bläue. Alles wurde eingeschmolzen in den zarten Nebel und die Küste bald versunken oder besser hinweggezaubert. Es sind viele Jahre dahin nach meiner letzten Seefahrt. Der Südwind, der das Meer leicht kräuselte, hauchte leicht der Erde Spätsommerdüfte herüber und Möwenwolken zogen vor und hinter uns auf, ihr weißer Glanz die einzige leuchtende Farbe im weiten Rund in der selbst die Sonne nur kaum gelblich schleierte. Am Abend kamen wir zurück, mit der Freude im Herzen, Gott und seiner schönen Welt recht nah zu sein.«195
In seinen Briefen schildert er weitere Impressionen die er an der Nordsee in der Nachkriegszeit erlebte.196 Auch die Tatsache, dass er im Jahr 1948 zum zweiten Mal heiratete und ihm eine Tochter geboren wurde, trug zur Besserung seiner 193 Vgl. exemplarisch Brief von Radziwill an Niemeyer, Dangast, 26. 12. 1945, in: Wietek 1990, S. 163f. Brief von Radziwill an Niemeyer, Dangast, Anfang August 1946, in: Wietek 1990, S. 167f. 194 »Mir ist mein Garten heut genug auf dieser Erde, um Ruhe zu finden, des Himmels Blaue über ihm, mit meinem Blick gierig aufgefangen, der Trost, die Gottesmahnung, daß wir leben müßen.« Brief von Radziwill an Niemeyer, Dangast, Anfang August 1946, in: Wietek 1990, S. 167f. In einem Brief ist ersichtlich, dass er in der Nachkriegszeit eine stark gottgeprägte Todesvorstellung entwickelte: »Hier ist die Stunde [Tod eines geliebten Angehörigen], wo wir mit uns allein fertig werden müssen. Es ist aber auch jene Stunde, wo Gott uns am nächsten [ist] und Du Dich ihm zuwendest, hier wird Trost und alles Erfüllung und sinnvoll zugleich. So wird der Tod eine Pforte öffnen, durch die wir eine kurze Zeit hindurchsehen können in die Ewigkeit und Gottesherrlichkeit.« Brief von Radziwill an Niemeyer, Dangast, 6. 3. 1947, in: Wietek 1990, S. 178. 195 Brief von Radziwill an Niemeyer, Dangast, 3. 10. 1946, in: Wietek 1990, S. 170. 196 »Unsere Reise nach Ostfriesland hat uns ein paar schöne Tage geschenkt. Wir hatten gutes Wetter, wenn auch grau und herbstlich, dichter Nebel lag auf dem Meer und gab der Brandung vor der Insel die merkwürdigsten Formen. Wie unheimliche, springende und schleichende Tiere kamen die Wellen, aus dem sehr begrenzten Raum der Nebel, um sich vor unseren Füßen zu verlieren.« Brief von Radziwill an Niemeyer, Dangast, 22. 10. 1946, in: Wietek 1990, S. 172. Möglicherweise sind einige Eindrücke in das Werk »Ostfriesland (oder sie kommen)« (vgl. Kat. Emden 2011, S. 153) (1946) eingeflossen. Vgl. Wietek 1990, S. 225, Anm. 1126. Ein Jahr später beschreibt er seine Eindrücke eines Wintertages an der Nordseeküste: »Hier ist es kalt, der Jadebusen ist zugefroren. Ich machte heute einen Spaziergang und selten habe ich in der Landschaft ein so intensives Cobaltblau gesehen wie heute. Die ganze Erde war gelblich weiß und vielleicht erhielt das blau nur diese seltsame Tiefe durch diesen Gegensatz. Am Hang des Deiches brannte die Sonne so auf den Schnee, daß ich einen kleinen Sonnenbrand bekommen habe.« Brief von Radziwill an Niemeyer, Dangast, 16. 12. 1947, in: Wietek 1990, S. 177.
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Stimmung bei. Jedoch veränderte sich angesichts der erlebten Schrecken zweier Kriege Radziwills Blick auf die Welt wesentlich, – insbesondere in Bezug auf den Zweiten Weltkrieg und den Abwurf der ersten Atombombe.197 Er äußerte Zweifel am verantwortungsvollen Handeln der Menschheit angesichts der Zerstörungskraft moderner Technologien und dem Missbrauch wissenschaftlicher Erkenntnisse.198 In einem im Jahre 1945 verfassten Brief an Jürgen Elingius wurden seine diesbezügliche Skepsis aber ebenso sein Glaube an Gott nochmals deutlich: »Das Chaos geht seine Straße und die Atomenergien werden nicht behütet werden. Die Hölle ins Rasen bringen, wenn Menschen anfangen, die göttlichen Formen auseinanderfallen zu lassen, dann fallen auch sie.«199 Die bei ihm in den 20er und 30er Jahren noch ersichtliche Begeisterung für den technischen Fortschritt wich nun Zweifeln und Ernüchterung.200 Seine Kritik richtete sich allerdings auch an die Kirchen.201 Dennoch trat er Anfang der
197 »Denn in den 12 Jahren ist sehr viel geschehen. Wir sind in ein Tal des Leides und der Tränen gegangen, wie wohl keiner zuvor und schreiten jeden Tag tiefer hinein. […] Mag es sein wie es will, in diesen Tagen fallen die Entscheidungen von ungeheurer Bedeutung für die Menschheit. Wendet sie sich dem Geistigen zu oder dem Technischen? Bei der Hinwendung zum Geistigen wird unser Volk eine Aufgabe tragen, an die ich jetzt noch tief glaube.« Brief von Radziwill an Niemeyer, Dangast, 26. 12. 1945, in: Wietek 1990, S. 163f. 198 »Aber oft gehe ich in großer Angst über die Straße, von Gedanken verfolgt, die mir sagen, daß die Menschheit nicht mehr die Kraft hat einen Frieden zu leben, Atomzertrümmerung sinnvoll den letzten Weg dieser geistig versagenden Menschheit anzeigen. Dann weiß ich, daß nur noch Gott entscheiden kann. Dann sehe ich, dass meine Arbeiten der letzten Jahre dahin etwas ahnen lassen.« Brief von Radziwill an Niemeyer, Dangast, 26. 12. 1945, in: Wietek 1990, S. 163f. Ebenso war er besorgt über die in der Welt vorherrschenden Kriegseinstellung und weitere Rüstungsmaßnahmen. »Die Menschheit der Welt lebt z. Zt. in einem solchen Wirbel, in dem die Menschen wohl kaum noch bestimmen können und werden. Das Drohen mit unheimlichen Waffen ist doch nur eine Angst vor der Entscheidung und eine Angst überhaupt. Aber aus Angst ist oft das Schlimmste ausgelöst worden. Das Rüsten ist der Krieg, denn warum rüstet alles so gewaltig? Für den Frieden? Der braucht diese Kräfte nicht, sondern nur die geistigen Kräfte. Nun, die sind z. Zt. in allen den 3 Staaten nicht vorhanden, die sich gegenüberstehen. Jedenfalls sind diese nicht so stark, um den Rüstungswahnsinn aufzubrechen. Die größte geistige Substanz hat nach meinen Erkenntnissen wohl Russland. Was könnte aus einem zukünftigen Krieg gewonnen werden, d. h. mit den Waffen nichts. Sondern diese drei Staaten würden sich so zerfleischen, daß sie am Ende ohne Kraft dastehen würden, gleich wer siegt, denn er wird auch schwach sein, nach einem solchen Gang.« Brief von Radziwill an Niemeyer, Dangast, 15. 11. 1946, in: Wietek 1990, S. 174f. 199 Franz Radziwill an Jürgen Elingius, Weihnachtsbrief 1945, in: Maaß-Radziwill, Radziwill 1988, S. 48. 200 »Denn die männliche Jugend steht unter den Waffen. So hat denn alle der Teufel gefesselt und sie mit Wahnsinn geschlagen, weil sie politisch und damit kriegerisch denken und handeln, statt menschlich zu sein und auf Gott zu horchen, dem sie nicht mehr vertrauen und eigentlich nicht mehr kennen in seinem Walten, aber auch nicht mehr walten lassen.« Brief von Radziwill an Niemeyer, Dangast, 15. 11. 1946, in: Wietek 1990, S. 174f. 201 »Dabei ist das Schlimmste, daß die Kirchen wieder versagen. Haben auch sie keinen Geist
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40er Jahre der Bekennenden Kirche bei.202 Er entwickelte eine starke Gläubigkeit, um die von Existenzängsten geprägten, schwierigen Zeiten bewältigen zu können.203 In dieser Zeit nahm Radziwill Überarbeitungen an seinen Werken vor.204 Er integrierte irrational und surrealistisch anmutende Objekte und Inhaltsebenen in seine Werke und versah diese häufig mit rätselhaften, poetisch anmutenden Titeln. So wird die Bedeutungsebene des Übernatürlichen häufig durch geheimnisvolle Himmelskörper und Risse im Himmel visualisiert. Ebenfalls lässt sich die Selbstzerstörung der Menschen in einer technisierten Welt aus seinen Bildern lesen. So schuf er u. a. apokalyptische Visionen, in die Eindrücke aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg einfließen. Dabei ließ er sich motivisch auch von der Nordsee und ihrer Küstenregion inspirieren. Exemplarisch sei auf das Bild »Friesische Landschaft« aus dem Jahr 1945 verwiesen.205 In diesem besitzt das Meer allerdings nur periphere Bedeutung. Ein weiteres programmatisches Nachkriegsbild stellt das Werk »Nach dem Unglück«206 aus dem Jahr 1949 dar. Dieses greift zwar die Schiffsmotivik auf, jedoch liegt keine Meeresdarstellung vor, sodass es an dieser Stelle nicht weiter besprochen wird.207
202 203
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mehr? Ich nehme es an.« Brief von Radziwill an Niemeyer, Dangast, 15. 11. 1946, in: Wietek 1990, S. 174f. Vgl. Nievers 2011, S. 104. »Die Lehre Christi ist in diesem Gefühl und Wissen eingegangen und so stehen wir dem Vater näher und größer wird seine Allmacht und selbstverständlicher die Ewigkeit. Mir ist es oft, als ginge ich mit ihm Arm in Arm, auf der Erde wie in seinen Himmeln. Dieses werden die Dichter singen und die Maler verkünden.« Brief von Radziwill an Niemeyer, Dangast, 15. 11. 1946, in: Wietek 1990, S. 174f. Weiterhin formulierte er Folgendes: »Sollte es nur seltsam sein, daß uns Dichtern und Malern und Denkern von keiner Instanz, von keiner Gemeinschaft mehr Aufgaben gestellt werden, ja, daß alle Aufgaben wir uns selbst geben und vollbringen? Aber, und das ist wohl wichtig zu sagen, mit einer letzten Verantwortung vor Gott, mit dem Gefühl und der Verpflichtung, ihm, dem Vater aller Dinge zu dienen. Ist es nicht sein Geist und sein Atem, der uns anweht und durchzieht? Wie groß und rein und mannigfaltig erscheint es mir, daß sein Walten von keinem Dogma getrübt wird, um es zu empfangen und auch wohl zu erkennen.« Brief von Radziwill an Niemeyer, Dangast, 15. 11. 1946, in: Wietek 1990, S. 174f. Zur künstlerischen Entwicklung von 1945 bis 1972 vgl. Reinhardt 1995. Vgl. Kat. Emden 2011, S. 151. Abb. vgl. Soin8 (Hg.) 1992, S. 138f. Weitere Ausführungen vgl. u. a. Soin8 (Hg.) 1992, S. 23f.
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Abb. B3.40: Franz Radziwill, Es könnte alles so schön sein, wenn, (Ausschnitt), 1947, Öl, 98 x 112 cm, Privatbesitz
Auch das Werk »Es könnte alles so schön sein, wenn….«208 (Abb. B3.40) reflektiert die Schrecken des Krieges: Eine Strandlandschaft ist dargestellt. Bildzitate in Form der drei im Sand aufgestellten Grabkreuze und dem Wrack im Küstenbereich sind aus dem Bild »Der U-Boot-Krieg« (Abb. B3.36–39) aufgegriffen. Der Himmel ist surreal mit fantastischen Elementen, beispielsweise einem eiförmigen, roten Objekt gestaltet: Ein gelbes Flugzeug scheint unbeweglich am grünlichen Himmel zu stehen. Die Äste zweier teils zersplitterter, toter Bäume ragen gespenstisch in die Höhe. Darunter befindet sich eine Kirche mit angrenzendem Friedhof. Im Vordergrund liegen zwei Ruderboote. Im Heckbereich von dem einen sitzt ein dem/der Betrachter/in abgewandter Flöte spielender Mann, der seltsam unberührt vom Geschehen um ihn herum zu sein scheint. Zwischen den Booten liegt ein Stein, auf dem die Signatur Radziwills zu erkennen ist. Dadurch wirkt er wie ein Grabstein.209 Das Bild hat einen düsteren Charakter und spiegelt Radziwills künstlerische Auseinandersetzung mit dem erlebten Schrecken. Rückblickend gibt er an, dass er die zum Teil apokalyptisch anmutenden Motive nicht erfinden musste, da er die »Hölle« selbst erlebt hatte: »Ich habe von den Malern des Absurden, von Hieronymus Bosch beispielsweise, Anregungen erhalten. Aber ich habe ihnen keine Motive abgeguckt. Ich bin ein Mensch des 20. Jahrhunderts. Eine Hölle brauchte ich nicht zu erfinde, wie Bosch es tat; ich erlebe sie ja rings um mich her, wenn man unter Hölle das Ungeordnete, das Verworrene versteht. Der Teufel heißt ja auch Diabolos, das bedeutet der Durcheinanderwerfer, der Zerstörer. Es ist Wirklichkeit, was ich male, denn mit den leiblichen Augen und meiner Phantasie sehe ich immer neuer Gestalt auflösende und zerstörende Kräfte. Aber es ist ja auch ein bißchen mehr auf die Bildfläche gebracht als die Hölle.«210
208 Abb. vgl. Maaß-Radziwill, Radziwill 1988, Abb. 48. 209 Wiederum sei darauf verwiesen, dass Radziwill seine Signatur häufig auf Bildmotive anbrachte. 210 Zitiert nach Augustiny 1964, S. 25.
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Radziwill erlebte Verunsicherung und Existenzangst, die seinen Glauben an das Übernatürliche in Form einer göttlichen Dimension bestärkten und gleichzeitig Zweifel an dem Umgang der Menschen mit Natur und Technik hervorriefen. »Diese klaren endlichen technischen Dinge (alles ist an Zahlen zu kontrollieren) gegen die göttlichen Dinge, in sich unendlich, ewig anders, das ist der Raum meiner Anschauung, in dem das menschliche Sein heute steht.«211
Im Folgenden wird exemplarisch auf maritime Bilder verwiesen, in denen derartige Empfindungen visualisiert sind. So wird in dem 1947 geschaffenen Werk »Mechanische Zeit ist nicht des Schöpfers Zeit«212 (Abb. B3.41) Radziwills geänderte Weltsicht reflektiert.213
Abb. B3.41: Franz Radziwill, Mechanische Zeit ist nicht des Schöpfers Zeit, 1947, Öl, 109,5 x 138 cm, Privatbesitz
Ein leblos wirkendes, möglicherweise von Wilhelmshaven inspiriertes, und weitgehend in grauen Farbtönen gestaltetes Werfthafenbecken ist dargestellt. Ein Kriegsschiff in Frontalansicht richtet bedrohlich einige Geschützrohre auf die betrachtende Person. Die Technik, die Radziwill so faszinierte, wird hier zur Bedrohung. Als Gegenpol zur Kriegsmarine dienen ein traditioneller Segler und ein weiteres kleines Boot. Diese wirken angesichts der monumentalen Größe des Kriegsschiffs nahezu winzig. Der bedrohliche Eindruck der Szene wird dadurch gesteigert, dass ein Stück von Himmel und Landschaft weggebrochen zu sein scheint, dahinter gibt es nur noch Schwärze. Dies weckt Assoziationen an das All.214 Eine Uhr scheint kopfüber in diesen grenzenlosen Raum zu stürzen. Möglicherweise will Radziwill in Bezug zum Titel darstellen, dass die Zeit an211 212 213 214
Zitiert nach Seeba 2000, S. 39. Abb. vgl. Soin8 (Hg.) 1992, S. 134f. Detailliertere Ausführungen zum Bild vgl. Soin8 (Hg.) 1992, S. 22. Radziwill zeigte ein Interesse an naturwissenschaftlichen Erkenntnissen in Bezug auf moderne Raumvorstellungen. Vgl. u. a. Nievers 2011, S. 104.
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gesichts göttlicher Dimensionen bedeutungslos ist. Das Wasser im Hafenbecken ist neben einem in der Werft befindlichen roten Schiffsrumpf sowie einem gelben Riss im Himmel das Farbigste in diesem Bild. Das Bild enthält noch weitere surreale Elemente. So sind unter Wasser zwei menschliche nackte Figuren zu erkennen. Viele Bildmotive in Radziwills Werken lassen sich nicht klar deuten, es bleibt oft eine gewisse Rätselhaftigkeit, die vom Künstler so gewollt wurde. Dies ist auch in diesem Werk der Fall. Ein Riss oder Bruch in Himmel oder Landschaft wurde ein typisches Motiv in Radziwills Bildern. Die Wirklichkeit ist nicht mehr intakt, sondern scheint zerbrochen. Dahinter erstreckt sich häufig ein schwarzer Raum, der auf eine übernatürliche, göttliche Dimension verweist. Dies ist ebenso in dem im Jahre 1953 geschaffenen Bild »Der Kosmos kann zerstört werden, der Himmel nicht«215 (Abb. B3.42) ersichtlich.216
Abb. B3.42: Franz Radziwill, Der Kosmos kann zerstört werden, der Himmel nicht, 1953, Öl, 96 x 100,5 cm, Stadtmuseum Oldenburg
Eine durch die Nordseeküste inspirierte Strandlandschaft ist dargestellt.217 Zwei Fischerboote liegen parallel auf dem Trockenen. Beide weisen mit dem Bug aufs Meer hinaus zu den anderen Schiffen. Auf einer Erhebung, wahrscheinlich dem Deich, steht ein klein dargestellter Mensch. Er trägt eine Art Stange und ist in Rückenansicht visualisiert. Das Auffälligste im Bild ist der graue, zerrissene Himmel über dieser Küstenlandschaft. Er wirkt wie eine zersplitterte Beton215 Abb. vgl. Soin8 (Hg.) 1992, S. 146f. Ausführungen zum Bild vgl. u. a. Weichardt 1988, S. 121. 216 Die Vorskizze unterscheidet sich wesentlich in ihrer Wirkästhetik von dem fertigen Gemälde. Die aquarellierte Vorzeichnung (vgl. Peuckert (Hg.) 1995, Kat. 42) beinhaltet zwar die Schiffmotivik, das Irritierende des Ölgemäldes – der zerbrochene Himmel und das übernatürliche Himmelsobjekt – ist jedoch noch nicht angedacht. Ebenso ist die Schneelandschaft, die die Wirkung des Bildes unterstützt noch nicht angelegt. 217 Peuckert verortet diese als »Dangaster Oststrand, bevor der Sielhafen in der Nähe des Kurhauses existierte«, da dort im Winter die Fischerboote auf den Strand gezogen wurden. Vgl. Peuckert (Hg.) 1995, S. 31. Inwiefern eine konkrete topografisch Verortung gegeben ist, kann nicht eindeutig geklärt werden.
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platte.218 Dahinter erstreckt sich Schwärze. Am Himmel steht ein rätselhaftes, surreales Objekt, das an einen übernatürlich großen Augapfel erinnert. Merkwürdige schlauchartige Verschlingungen umgeben es und erwecken den Eindruck des Organischen, obwohl es sich bei dem nahezu runden Objekt um etwas Festes zu handeln scheint. Die es umgebenden weißen, wolkenartigen Schlieren lassen darauf schließen, dass es sich von rechts oben ins Bild hineinbewegt. Weitere übernatürliche Elemente wurden integriert. So sind auf verschiedenen Bereichen des an eine zerschlagene Betonplatte erinnernden Himmels kleine Muster zu sehen, die an Sterne erinnern. Weiterhin ist im oberen rechten Bildbereich ein Flugzeug visualisiert, dass dieselbe Bewegungsrichtung, wie eine merkwürdige Flügelgestalt innehat. Möglicherweise wird die übernatürliche Flügelgestalt von dem Flugzeug gejagt.219 In Bezug auf dieses Ölbild ist eine zehn Jahre später getätigte Aussage Radziwills überliefert: »Später erfuhr ich, daß die Engländer zwischen sky und heaven unterscheiden. Auf meine kindliche Art kam ich zu einer ähnlichen begrifflichen Unterscheidung. Der Himmel Gottes war etwas anderes als der meßbare, mit Flugzeugen befahrbare Raum über unseren Köpfen. Gott war für mich größer und war nunmehr absolute Transzendenz geworden.«220
Die Bedeutung des Bildes verweist somit in Verbindung mit Radziwills Vorstellung des Göttlichen auf das Transzendente und Übernatürliche. Der zersplitterte Himmel, der im Bildtitel mit Kosmos bezeichnet wird, lässt sich – nach Radziwill – zerstören. Das Werk könnte darauf verweisen, dass die Menschheit in der Lage ist, ihre Umwelt zu zerstören. Dagegen ist der dahinter liegende transzendente Bereich von Bestand und unzerstörbar. »Schwarz wurde für mich zum Raumbegriff, und der Raumbegriff weitete sich zum Seinsfeld aus.«221 Ebenfalls ist das ein Jahr zuvor datierte Bild »Die Apokalypse«222 (Abb. B3.43, Farbabbildung) von der Dangaster Nordseeküste inspiriert, besitzt allerdings wie die anderen angeführten Werke symbolische Bedeutung. Wie der Titel besagt, ist die Apokalypse dargestellt und zwar in Form eines auseinandergebrochenen Himmels, wie im vorig beschriebenen Bild. Zwischen den großen Spalten ist eine tiefe Schwärze ersichtlich. Diese kann wiederum auf den Bereich den Übernatürlichen und damit des Glaubens verweisen. Die Grundgedanken des Bildes »Der Kosmos kann zerstört werden, der Himmel nicht« (Abb. B3.42) lassen sich somit auch auf dieses Bild übertragen. Es ist u. a. der technische Fortschritt, der die Menschheit zum »Absturz« zu bringen 218 219 220 221 222
Vgl. Peuckert (Hg.) 1995, S. 31f. Vgl. Peuckert (Hg.) 1995, S. 32. Zitiert nach Augustiny 1964, S. 6. Zitiert nach März 1975, S. 9. Maaß-Radziwill, Radziwill 1988, Abb. 55.
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scheint.223 Dies ist eine Lesart, die durch das ins Meer abgestürzte Flugzeug unterstützt wird. Während im Bild »Der Kosmos kann zerstört werden, der Himmel nicht« ein Flugzeug ein geflügeltes Wesen – möglicherweise eine Engelsgestalt – zu jagen scheint, so ist dies in dem ein Jahr zuvor entstandenen Bild »Apokalypse« noch umgekehrt dargestellt. Eine Flügelgestalt in der Luft weist mit einem drohend erhobenen Speer auf ein ins Meer abgestürztes Flugzeug. Möglicherweise wurde dieses als ein von Menschenhand gefertigtes technisches Gerät durch diese übernatürliche Gestalt zum Absturz gebracht. Dies kann darauf deuten, dass die Menschheit trotz aller technischen Errungenschaften gegenüber dem Übernatürlichen bedeutungslos und zerstörbar ist. Ein Paar, eine nackte Frau und ein Mann im schwarzen Anzug gehen davon unberührt am Strand spazieren. Die Tatsache, dass diese zwei Menschen inmitten des apokalyptischen Geschehens spazieren gehen, kann auf die Ignoranz und Verantwortungslosigkeit der Menschen in Bezug auf ihr Handeln verweisen.224 In diesem Bild wird ebenfalls Bezug auf die Landschaftszerstörung durch den zunehmenden Tourismus genommen, worauf Attribute der Urlauber wie ein Strandkorb und ein Zelt hinweisen. Im Vordergrund finden sich weitere teils rätselhafte Details, wie ein Speer mit rotem Tuch, ein roter Bereich mit Sternen im Gras. sowie ein auf einem hölzernen Ständer aufgehängtes weißes Tuch. Das Ruderboot am Strand kann die Fischerei symbolisieren. Es ist jedoch funktionsuntüchtig, da es an Land gezogen ist und die Ruder fehlen. Möglicherweise will Radziwill auf den Rückgang der traditionellen Fischerei verweisen. Ebenso kann es als ein übergeordnetes Symbol aufgefasst werden, das auf das Gestrandetsein und die Unmöglichkeit des Aufbruchs verweist. Das Boot zeigt mit dem gegen das Meer gerichteten Bug in den Himmel und einer imaginären Bildlinie folgend auf ein gelbes, rundes Himmelsobjekt. Über diesem kaum erkennbar scheint sich eine weitere von Schwärze nahezu verschluckte 223 Radziwills Tochter berichtete, dass ihr Vater für die Technik nach 1945 trotz aller Skepsis noch immer eine gewisse Faszination empfand und Flugzeuge sogar als »moderne Friedensengel« bezeichnete: »Es soll auch nicht verhehlt werden, daß ihn das Militär nicht nur abstieß, sondern ebenso faszinierte. Und er fragte sich allen Ernstes, ob die Flugzeuge, die immer noch über Dangast, das ehemalige Vogelschutzgebiet und unser Haus dahindonnern, nicht doch die ›modernen Friedensengel‹ seien…« Radziwill 1988, S. 42. Dagegen steht eine von Augustiny überlieferte Aussage Radziwills, dass Flugzeuge, insbesondere im Spätwerk des Künstlers, negativ konnotiert sind: »Als Werkzeuge des Verderbens jagten sie durch meine Vorstellungen, wie sie später durch meine Bilder geisterten.« Zitiert nach Augustiny 1964, S. 7. 224 Allgemein enthalten die seit den 40er Jahren entstandenen Bilder mit apokalyptischen Inhalten entweder gar keine Menschen oder nur einige wenige, die vom übernatürlichen Geschehen um sie herum unberührt scheinen.
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Flügelgestalt zu befinden. Zudem ist weiter unten noch ein weiteres kleines rätselhaftes Himmelsobjekt dargestellt. Die Skepsis des Künstlers angesichts eines zunehmend vom technischen Fortschritt geprägten Zeitalters kann nicht nur aus diesem sondern auch aus dem 1959 entstandenen Werk »Mit der Technik den Himmel vernagelt«225 (Abb. B3.44) gelesen werden.
Abb. B3.44: Franz Radziwill, Mit der Technik den Himmel vernagelt, 1958, Öl, 78 x 100 cm, Franz Radziwill Haus
Es ist im Gegensatz zu den vorab beschriebenen angeführten Ölgemälden ein verbarrikadierter Himmel visualisiert. Unterschiedliche Motivik ist in dem Werk verdichtet, sodass sich Irritation bei dem/der Betrachter/in einstellen kann. Dabei wurden perspektivische Regeln verletzt wie zum Beispiel die Verkleinerung bei tiefenräumlicher Staffelung.226 So sind die nackten Frauen im Vordergrund gegenüber den Ruderbooten dahinter zu klein dargestellt.227 Weitere Stilbrüche liegen vor. Während die Aktdarstellungen abstrahiert sind, erscheinen andere Bildobjekte wie die Boote oder die Schiffsplanke, realitätsgetreuer dargestellt. Insgesamt ist kein homogen gestalteter Bildraum ersichtlich. Eine angesichts der übrigen Motivik riesig wirkende Schiffsplanke verbarrikadiert den Blick zum Horizont. Dahinter, in der oberen rechten Bildecke ist der Himmel zu sehen. Vor der Holzwand sind einige kleine Himmelsobjekte dargestellt. Auch hinter dem Holz erheben sich rätselhafte Objekte. Schwarze Schwaden umwehen eine ringförmige Struktur, in der sich ein an ein kleines Auge erinnerndes Bildelement befindet. 225 Abb. vgl. Soin8 (Hg.) 1992, S. 154f. 226 Vgl. Soin8 (Hg.) 1992, S. 24. 227 Ein großes Schiff in Frontalansicht scheint aus dem Schatten der riesigen Holzplanke in Richtung Strand zu fahren. An Land sind Menschen dargestellt, die in Relation zu den zwei Ruderbooten unrealistisch klein wirken.
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Wiederum griff der Künstler die Schiffs- und Flugzeugsmotivik auf. Mit Schiffen und Flugzeugen lassen sich Entfernungen überwinden und unbekannte Räume erschließen. In diesem Fall wird dies jedoch durch die riesenhafte Schiffsplanke verhindert. Vor dieser ist ein roter Düsenjäger dargestellt, dessen Schatten auf das Holz fällt. Das Flugzeug erweckt jedoch den Anschein, als stünde es in der Luft. Unter der Planke erstreckt sich eine Küstenlandschaft. Ein Meeresstreifen ist zu sehen. Er weckt Assoziationen an frühere Bilder Radziwills mit spitzen Eisschollen, die im Wasser gegeneinander geschoben werden. Möglicherweise sollen die seltsam spitzen Wellen auch an »Kabbelwasser« erinnern. Eine lokale Verortung ist aufgrund der fantastischen Szenerie nicht möglich und wahrscheinlich auch nicht intendiert. Es gibt jedoch Bildzitate früherer Werke: Die Bootsmotivik des Bilds »Das rote und das blaue Boot« (Abb. B3.28), das von der Nordseeküste inspiriert wurde, findet sich in diesem Bild wieder : In ähnlicher Anordnung liegen zwei funktionsuntüchtige Boote am Strand. In diesem Fall sind es nicht die Farben Rot und Blau, sondern Hellblau und Gelb. Werden die imaginären Bildlinien des blauen und gelben Bootes verlängert, so »stoßen« diese gegen die Holzwand, bzw. weisen auf den roten Düsenjäger. Der Blick in den Himmel und im Kontext der übernommenen Bildmotivik Radziwills in übernatürliche Sphären ist verstellt. Denn die Bugs der originalen Motive im Bild »Das rote und das blaue Boot« weisen in einen Bereich der Helligkeit, der Assoziationen an das Transzendente wecken kann. Dieser ist im vorliegenden Bild mit einer Holzwand versperrt. Im Vordergrund ist eine Gruppe mit drei nackten Frauen dargestellt, die an Radziwills frühe expressionistische Aktdarstellungen erinnert. Die Gruppe ist unifarben gestaltet, mit Konturlinien versehen und wirkt durch den Stilbruch in der Gestaltung wie in das Geschehen collagiert. Der Eindruck wird durch den hinter ihnen befindlichen Ball verstärkt, der sich farblich von ihrer Gestaltungsweise absetzt. Der Titel beeinflusst die Bilddeutung und stellt das Bild in den Kontext der Kritik an den menschlichen Technikglauben. Indem der Mensch den Himmel und das All »erobert« und neue naturwissenschaftliche Erkenntnisse gewinnt,228 ändert sich die Raumwahrnehmung. Der Glaube an das Übernatürliche und an eine Gottheit gerät dadurch in den Hintergrund, kann jedoch – nach Radziwill – nicht zerstört werden, wie ebenso das Bild »Wo der Baum nicht mehr wächst, ist Gott auch« (Abb. B3.45) zeigt.
228 In den fünfziger Jahren machte die Raum- und Luftfahrt enorme Fortschritte, die nicht nur positiv aufgenommen wurden, sondern ebenfalls Kritik hervorriefen.
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Abb. B3.45: Franz Radziwill, Wo der Baum nicht mehr wächst, ist Gott auch, 1951, Öl, 106,5 x 99,5 cm, Franz Radziwill Haus
Wie der Titel besagt, ist die Natur einer Hafenanlage gewichen. Im Hintergrund erstreckt sich eine Industrielandschaft. Wahrscheinlich war bei der Hafendarstellung Wilhelmshaven Vorbild. Ein großes Schiff liegt festgemacht am Kai; im Kontrast dazu wirken einige Segelschiffe auf dem Wasser sehr klein.229 Das Auffälligste an diesem Werk ist die Begegnung von Technik und Übernatürlichkeit in Form eines Roboters und eines engelartigen Wesens im Vordergrund. Dieses steht hinter dem sitzenden, vornübergebeugten Roboter und hat die Hände auf ihn gelegt. Es entsteht der Eindruck, als würde es ihm Trost spenden.230 Über der von Industrie dominierten Hafenlandschaft weitet sich der typische schwarze Himmel mit rätselhaften Objekte und Gebilden. Am Himmel befindet sich neben rätselhaften Elementen ein Flugzeug. Menschen, Pflanzen oder Tiere sind nicht dargestellt. Radziwill schien mit dem Titel aussagen zu wollen, dass Gott immer noch zugegen sei, selbst wenn der Mensch die Natur zugunsten einer technisierten Welt zerstört. Radziwill schuf jedoch nicht ausschließlich maritime Bilder, in denen apokalyptische Szenarien oder Bezüge zu einer Gottheit verbildlicht sind. Bereits 1947 griff er im Werk »Heimkehr des Schiffes«231 (Abb. B3.46) das Motiv eines Überseedampfers auf. Mit Bezugnahme auf den Titel kann die Meeresdarstellung auf die Nordsee verweisen.
229 Ein Segel eines Schiffes ist in den »Deutschlandfarben« gestaltet. 230 Vgl. Soin8 (Hg.) 1992, S. 24. 231 Abb. vgl. ebd., S. 132f.
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Abb. B3.46: Franz Radziwill, Die Heimkehr des Schiffes, 1947, Öl, 57,5 x 39,5 cm, Privatbesitz
Auf dem Meer kommt majestätisch aus dem Dunkeln ein Passagierdampfer auf den/die Betrachter/in zu. Die Größe dieses Ozeanriesens wird durch die Darstellung von zwei ihn flankierenden (Lotsen-) Dampfern und Segelbooten erzielt. Wiederum wird die Konfrontation von traditioneller Segeltechnik und moderner Schifffahrt visualisiert.232 Dieses Bild beinhaltet am Himmel erneut surreale Elemente. Der Großteil des Himmels ist in dunklen Farbtönen, die bis zur Schwärze reichen, gehalten. Darüber erhebt sich eine leuchtend rote, inhaltlich nicht näher zu bestimmende Fläche ab. Ein roter Fisch scheint in diesem Szenario zu schwimmen. Wie aufgeklebt wirken einige abstrahierte Sterne sowie ein Halbmond. Das Fantastische spielte in Radziwills Spätwerk eine große Rolle. Im Jahr 1959 schloss sich Radziwill der Künstlergemeinschaft »Centre international de l’actualit8 fantastique et magique« an.233 Obwohl viele von Radziwills fantastischen Werken vom Wattenmeer inspiriert wurden, sind Wattdarstellungen in diesem Kontext eher selten. In Bezug auf die in diesem Kapitel benannten Werke ist festzustellen, dass die Wattenmeerküste und die Nordsee primär als Bühne von übernatürlichen und apokalyptischen Geschehen fungieren und mit konkreten Bildaussagen in Verbindung stehen. Im Folgenden wird der Fokus auf Verbildlichungen des Wattenmeeres im Spätwerk des Künstlers gelegt, in denen die besondere Naturqualitäten wie das trockengefallene Watt, Sturmfluten aber auch Landgewinnung im Mittelpunkt stehen. 232 Exemplarisch sei neben den im Text bereits angeführten Werke noch auf Folgende verwiesen: »Auf der Jade« (1970) (Abb. vgl. Soin8 (Hg.) 1992, S. 162) und »Begegnung auf dem Wasser« (1970) (Abb. vgl. Soin8 (Hg.) 1992, S. 160). 233 Vgl. Kat. Emden 2011, S. 174.
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Küstenschutz, Landgewinnung und Sturmflut im Spätwerk Radziwills Anfang der 50er Jahre setzte sich Radziwill verstärkt mit dem Aspekt »Lebensraum Wattenmeerküste« auseinander. Er bekam einen Auftrag vom Wasserwirtschaftsamt Wilhelmshaven.234 Hierfür schuf er eine Bildserie,235 von der im Folgenden einige Werke ausgewählt und erläutert werden.
Abb. B3.47: Franz Radziwill, Neues Land/Lahnungen, 1952, Öl, 90 x 121,5 cm, Land Niedersachsen
Das Gemälde »Neues Land/Lahnungen«236 (Abb. B3.47) zeigt Landgewinnungsmaßnahmen im Watt. Die Lahnungen sind horizontal angeordnet und heben sich schwarz von dem sie umgebenden gewonnen Land ab. Die Holzpflockreihe der ersten Lahnung ist klar erkennbar, die dahinterliegende scheint nur angedeutet zu sein. Die Wasserläufe des zu entwässernden Neulandes und die Bereiche dazwischen sind zentralperspektivisch angeordnet. Die Bildlinien scheinen alle auf einen Punkt in der Ferne zu weisen. Einige sind direkt auf ein Schiff im Wasser hinter dem Lahnungsfeld gerichtet, dessen Segel weiß leuchten. Das fahle Licht stammt von einem an den Mond erinnernden Himmelsobjekt, das eine Aura aus hellen, gelblichen Farbtönen sowie einem dunkleren Rot umgibt. Es spiegelt sich in den Wasserläufen im Lahnungsfeld; fahle Blau-, Rot-, und Ockertöne mischen sich in das silbrige Weiß. In der linken Bildhälfte sind zwei weitere unter Segel fahrende Schiffe dargestellt. Mit ihren dunklen Farben heben sie sich kaum vom ebenfalls dunklen Hintergrund ab. Der Himmel ist in bräunlich-grauen Farben gestaltet. Wie in vielen Bildern Radzwills gibt der schwarze im rechten Bildteil verlaufende Be234 Vgl. Peuckert (Hg.) 1995, S. 33. Vgl. Reinhardt 1995, S. 44. 235 Vgl. ebd., S. 33. 236 Vgl. ebd., Kat. 41.
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reich den Blick auf die Ebene hinter der Wolkenwand mit weiteren Himmelskörpern frei. Möglicherweise soll dies das All andeuten. Im Kontext der im vorigen Kapitel besprochenen Werke Radziwills kann es sich auch hier um die Symbolisierung eines transzendenten Bereichs handeln. Wiederum setzt Radziwill Sterne sowie seltsam leuchtende, an Blumen erinnernde Himmelsobjekte ein. Die Darstellung des Wattenmeers besitzt einen traumhaften und düsteren Charakter. Wahrscheinlich wurde Radziwill durch eine Nachtstimmung im Wattenmeer zu dieser eher unheimlichen Darstellung inspiriert. Der Künstler schuf aber auch realitätsgetreuere Abbildungen. So griff er motivisch die in den 50er Jahren erfolgte Eindeichung zwischen Dangast und Petershörn auf, in deren Zug das Dangaster Siel und der Hafen entstanden (Abb. B3.48).237
Abb. B3.48: Franz Radziwill, Deichschluß im Watt, (Ausschnitt), 1959, Öl, 90 x 120 cm, Staatliches Amt für Wasser und Abfall – Brake ehemals Wasserwirtschaftsamt Wilhelmshaven – als Dauerleihgabe im Küstenmuseum Wilhelmshaven
Im Gegensatz zu den im vorigen Kapitel angeführten Werken fehlt diesem jegliches fantastisches Motiv, es zeigt realistisch die Durchführung des Deichschlusses.238 Das im selben Jahr entstandene Bild »Dangaster Siel«239 (Abb. B3.49) hat dagegen einen leicht surrealen Inhalt.
237 Vgl. ebd., S. 33. 238 Die Tatsache, dass der Künstler seine Signatur auf das Kranfahrzeug gesetzt hat, kann darauf verweisen, dass nicht in jedem Fall eine Symbolik mit der Integration seines Namens in Bildelementen gegeben ist. 239 Vgl. Peuckert (Hg.) 1995, Kat. 49.
Küstenschutz, Landgewinnung und Sturmflut im Spätwerk Radziwills
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Abb. B3.49: Franz Radziwill, Dangaster Siel, 1959, Öl, 90 x 120 cm, Staatliches Amt für Wasser und Abfall – Brake ehemals Wasserwirtschaftsamt Wilhelmshaven – als Dauerleihgabe im Küstenmuseum Wilhelmshaven
Dazu trägt der Eindruck des runden, merkwürdigen Himmelsobjektes bei. Die Boote vor dem Siel wirken wie erstarrt. Selbst der in der rechten oberen Bildecke fliegende Vogel wirkt leicht statisch. Nur die Kräuselungen im Wasser brechen den Eindruck der Erstarrung etwas auf. Radziwill setzte sich jedoch nicht nur mit Küstenschutz- und Landgewinnungsmaßnahmen in seinen Bildern auseinander, sondern ebenso mit der Ästhetik der Wattlandschaft. Das zeitlich zuvor, im Jahr 1955 fertiggestellte Werk »Wattlandschaft«240 (Abb. B3.50) zeigt einen mit Pricken markierten Priel, der sich in kurvigen Bewegungen in die Wattlandschaft schlängelt. Peuckert verortet die Darstellung als das Dangaster Außentief.241 Wahrscheinlich wurde sie durch diesen Ort inspiriert, es kann sich aber auch um eine übergeordnete Wattdarstellung handeln.
Abb. B3.50: Franz Radziwill, Wattlandschaft, 1955, Öl, 89 x 121,5 cm, Land Niedersachsen
240 Vgl. ebd., Kat. 45. 241 Vgl. ebd., S. 33.
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Franz Radziwill
Grau- und Brauntöne bestimmen das an eine Hügellandschaft erinnernde Watt. Der Priel schlängelt sich durch das Gebiet wie ein Fluss durch eine karge Landschaft. Durch perspektivische Regeln wie Verkleinerung wird eine Tiefenwirkung erzielt und die Weite der Wattlandschaft dadurch kenntlich gemacht. Farblich setzt sich ein blassrot und gelb gestaltetes Ruderboot von der in grauen Farbtönen gehaltenen Umgebung ab. Es ist auf dem Watt am Prielrand trockengefallen. Der Anker wurde gesteckt, damit es bei Flut nicht wegtreibt. Es ist allerdings funktionsuntüchtig, da die Ruder entfernt wurden. Radziwill hat erneut als Bootsnamen seine Signatur gewählt. Möglicherweise ist dies symbolisch gemeint: Der Künstler befindet sich auf dem »Trockenen«. Das Wasser der nächsten Flut wird das Boot mit seinem Namen wieder anheben, es liegt jedoch vor Anker und kann nicht weggetrieben werden. Möglicherweise wurde die Signatur auch nur aus formalästhetischen Gründen eingefügt. Neben dem rot-gelben Boot durchbrechen die schwarz, rot, weiß gestaltete Boje sowie das gelbe Markierungszeichen auf der ersten Pricke die gedämpften Töne des Watts und des Himmels. Der Himmel ist vielschichtig angelegt. Eine dunkle, graue Wolkenfront zieht in den rechten Bildbereich. So wie der Priel das Watt teilt, scheint auch der Himmel zweigeteilt. Im Gegensatz zur dunklen, bedrohlichen Wolkenfront zeigt sich der Himmelsbereich in der linken Bildhälfte eher friedlich in hellen grau-blauen Farbtönen mit leicht rötlichen Akzenten. Die Farben des Boots und des Priels werden gedämpft im Himmel wieder aufgegriffen. Menschliche Spuren im Watt in Form der Pricken, des Bootes und der Boje sind zwar dargestellt, doch die weite, graue, von einem Priel durchzogene Schlicklandschaft bestimmt die Bildwirkung. Dadurch wirkt das Boot ein wenig verloren. Es vermittelt im Gegensatz zu den organischen Strukturen in Wattlandschaft und Himmel Ruhe und Statik. Radziwill hat nicht nur Wattlandschaft bei Ebbe verbildlicht, sondern auch das Meer bei Flut dargestellt. Dies war bereits in den zuvor angeführten Werken mit Nordseemotivik ersichtlich. Jedoch hat er sich ebenso mit einem Extrem, nämlich der Sturmflut und deren Zerstörungspotential auseinandergesetzt. Exemplarisch sei auf das im Jahr 1956 unter Einbeziehung fantastischer Motive geschaffene Werk »Sturmflut«242 (Abb. B3.51) verwiesen, das große symbolische Ausdruckskraft besitzt.
242 Vgl. ebd., Kat. 46.
Küstenschutz, Landgewinnung und Sturmflut im Spätwerk Radziwills
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Abb. B3.51: Franz Radziwill, Sturmflut, 1956, Öl, 90 x 120 cm, Land Niedersachsen
In der linken Seite des Bildes sind dicht gedrängt Häuser hinter einem Deich zu sehen. Ein Sarg steht symbolträchtig auf dem Deich und aus der heranbrandenden Sturmflut steigt ein den Tod symbolisierendes Skelett mit schwarzer, wehender Fahne. Dies vermittelt die Aussage, dass mit der Sturmflut der Tod kommt. Damit lassen sich Erinnerungen an die großen zerstörerischen, unzählige Tote fordernden Sturmfluten der Vergangenheit wecken. Verstärkt wird die Aussage durch ein apokalyptisch anmutendes Szenario in der Nordsee. Die weißen Brecher wirken vor dem Deich und den Häusern bedrohlich hoch und mächtig. Ein riesenhafter Fisch reckt Kopf und Schwanzflosse aus dem Wasser. Unzählige kleine Segelboote befinden sich in den Wellen. Aus einem schwarzen, lochartigen Wasserstrudel ragen Schiffsteile. Die Schiffe scheinen vom Meer verschlungen zu werden. Hier wird die Nordsee molochartig dargestellt. Am rechten Rande des scheinbaren Lochs befindet sich eine große Kugel, die möglicherweise auf ein (herabgestürztes) Himmelsobjekt hindeutet. Im Himmel darüber sind in roten Linien an Sterne und Mond erinnernde geometrische Muster eingeschrieben. Kaum erkennbar hebt sich ein weißes Flugzeug von den dunklen Farbtönen ab. Von den Schiffsteilen im schwarzen Loch der Nordsee geht eine rote, an einen Blitz erinnernde Zickzacklinie aus und führt hinauf zu einem riesenhaften, fantastischen Wesen am Himmel. Es erinnert sowohl an eine Gestalt mit Flügeln wie Flossen. Der Blitz sowie weitere strahlenhafte Linien scheinen aus einer Art Loch aus deren Rumpf niederzugehen. Die Linien, die aus dem vermutlichen Mund kommen, erinnern an Wind oder Regen. Über dem seltsamen Wesen schwingen eine Art blauweißes Banner und weitere fantastische Elemente sind verbildlicht. Von einem rätselhaften, an einen Topf mit gewundenem Henkel erinnernden Objekt geht ebenfalls ein roter, blitzartiger Strahl aus, der hinter den Deich zu den Häusern führt. Zudem verlaufen weitere blitzähnliche Linien in Richtung der offenkundig versinkenden Schiffe. Dieses Bild symbolisiert die von Sturmfluten ausgehende, todbringende Zerstörung. Die bedrohliche Wir-
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Franz Radziwill
kung der Nordsee wird durch die gedämpften Töne noch verstärkt. Im Gegensatz dazu ist die Häusergruppe hinter dem Deich in leuchtenden Farben gestaltet. Zeitlich entstand das Bild vor der großen Sturmflut des Jahres 1962, die viele Menschenleben forderte. Dies verdeutlicht, dass die von der Nordsee ausgehende Zerstörungskraft auch im 20. Jahrhundert noch von Bedeutung war. Radziwill setzte sich insbesondere in den 50er Jahren mit vielen Facetten des Wattenmeeres und der Küstenlandschaft auseinander. Er thematisierte jedoch nicht nur die Bedrohung durch Sturmfluten und die Küstenschutzmaßnahmen, sondern ebenfalls die vom Menschen ausgehende Umweltverschmutzung und Naturzerstörung.
Kritische Sehweisen in Hinblick auf Tourismus, Umweltverschmutzung und Naturzerstörung Radziwill lehnte den seit den 50er Jahren rapide zunehmenden Tourismus in seiner Heimat an der Nordseeküste ab. Kritisch äußerte er sich über diesen: »Die Sonntage oder besser das Wochenende sind grausam. Autos über Autos welch eine Pest und welch ein Dreck und Lärm sie mit sich bringen. Der Strand ist voller Wohnwagen […].«243 Insbesondere seit Beginn der 60er Jahre erlebte Radziwill wie Dangast zunehmend den naturbelassenen, idyllischen Charakter aufgrund des verstärkt einsetzenden Tourismus verlor.244 Er setzte sich für den Natur- bzw. Landschaftsschutz ein und richtete diesbezügliche Forderungen an offizielle Stellen.245 Darüber hinaus engagierte er sich als Hilfspolizist für das Vogelschutzgebiet im Deichvorland.246 Im Jahr 1958 merkte Radziwill bezüglich seiner Bemühungen an: »Eine gute Landschaft zu erhalten, ist genauso wertvoll und wichtig wie gute Bilder zu malen, aber beides ist in dieser geistig armen Zeit kaum gefragt.«247 Seine Tochter unterlegt seine Einstellung mit folgender Äußerung: »Die radikale Erschließung von Dangst für den Fremdenverkehr empfand er [Radziwill] übrigens als Katastrophe. Auch den Kampf für eine Umgehungsstraße – das Dorf sollte von Autos wieder befreit werden – und für einen behutsamen Bebauungsplan, verlor er. Viele Dangaster hielten ihn zu Zeiten des Wirtschaftswunders ohnehin für einen Spinner.«248 243 244 245 246 247 248
Radziwill an Klapper, Brief vom 7. 6. 1966, Franz Radziwill Archiv. Vgl. Peukert 1998a, S. 71. Vgl. Peuckert (Hg.) 1995, S. 35–40. Vgl. ebd., S. 71. Vgl. ebd., S. 71. Radziwill an Elingius, Brief vom 16. 3. 1958, Franz Radziwill Archiv. Radziwill 1988, S. 42.
Tourismus, Umweltverschmutzung und Naturzerstörung
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Weiterhin überliefert sie Radziwills kritische Haltung und die damit verbundenen »Prognosen«, die bei ihm mit zunehmendem Alter immer düsterer wurden.249 »Der Mensch ist das schlimmste Unkraut für die Erde! […] Damit will ich [Radziwill] nur sagen… die Erde kann wohl ohne den Menschen existieren – aber der Mensch nicht ohne die Erde. Und ich seh dat doch: er is’ auf dem besten Wege, sie endgültig kaputt zu kriegen.«250
Der Künstler reflektierte die zunehmende Veränderung Dangasts und der Nordseeküste durch den Tourismus auch in seinen Bildern. So zeigt das im Jahr 1955 gefertigte Aquarell »Ende der Saison«251 (Abb. B3.52) das von Radziwill ersehnte Ende der Sommersaison in Dangast.
Abb. B3.52: Franz Radziwill, Das Ende der Saison, 1955, Aquarell und Tuschfeder, 34 x 49 cm, Privatbesitz
Wiederum band er fantastische Motivik ein. So wird der in den Farben Rot, Grau, Blau bis zu Grün gestaffelte Himmel von einem überdimensional großen, rätselhaften Objekt beherrscht. Unter diesem befindet sich in gebeugter Haltung ein Fischer in seinem Boot. Dieser wirkt gegenüber dem Himmelsobjekt als auch dem einen riesenhaften Fisch im Wasser geradezu winzig. Auf dem in gedämpften Farben angelegten Strand im Vordergrund stehen zwei verlassene Strandkörbe. Trotz der Farbigkeit erweckt das Bild einen leicht melancholischen Charakter. Dies wird zum einen durch bildsprachliche Mittel wie die Grautöne sowie durch den verlassenen Strand und die gebeugte Haltung des Fischers in seinem Boot bewirkt. Der Künstler jedoch bewertete den alljährlichen Abzug der Touristen positiv. Während in diesem Bild noch keine Kritik enthalten ist, so werden im Werk »Amor und Psyche sind nicht tot« (Abb. B3.53) die Auswirkungen des steigenden Tourismus auf die Landschaft deutlich. 249 Vgl. ebd., S. 44. 250 Ebd., S. 44. 251 Vgl. Peukert (Hg.) 1995, Kat. 44.
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Franz Radziwill
Abb. B3.53: Franz Radziwill, Amor und Psyche sind nicht tot, 1956, Öl, 69,5 x 95,5 cm, Privatbesitz
Mit Blick auf den Titel bezieht sich Radziwill auf Amor und Psyche. Er setzt das berühmte antike Liebespaar als Urlauber in das hohe Gras am Strand, worauf das Zelt hinter ihnen sowie der Strandkorb hindeuten. Im Hintergrund ist eine Hochhauszeile angedeutet, die allerdings an den Rändern mit dem Hintergrund verschwimmt und so den Eindruck einer Fata Morgana erwecken. Tatsächlich gab es um 1970 den Plan, einen Hochhauskomplex in Strandnähe zu errichten.252 Dies wurde jedoch durch den Widerstand der Bürger, dem sich ebenfalls Radziwill anschloss, verworfen.253 Peuckert setzte die im Bild dargestellten Häuser in Bezug zu den später errichteten Häusern am Dangaster Oststrand.254 Dies sei mangels Selbstaussagen des Künstlers dahingestellt. Es ist jedoch ersichtlich, dass Radziwill in dem Bild bereits die Befürchtung der weiteren Strandbebauung visualisierte. Insgesamt besitzt das Werk surrealen Charakter. Dies kommt insbesondere durch die Darstellung zweier sich überlappender, an Leinwände erinnernde Flächen zustande, auf denen das Wahrgenommene – Himmel, Meer mit Schiffen und Hochhauskomplex – als eine Art Bühnenmalerei entlarvt wird. Dies erinnert an die Motivik und Vorgehensweise des bedeutenden Künstlers Ren8 Magritte, mit denen dieser die Wirklichkeitswahrnehmung hinterfragt. Auch Radziwill spielt mit verschiedenen Ebenen von Wirklichkeit und erzielt eine Irritation bei dem/ der Betrachter/in. Hinter den sich überlappenden Flächen erstreckt sich ein rätselhafter in blauen Faserungen dargestellter Bereich. Himmelsobjekte verbinden die beiden Ebenen. Der Nordseestrand wird zur Bühne surrealer, rätselhafter Geschehnisse. In dem Bild »Die Halbinsel der Seligen des 20. Jahrhunderts«255 (Abb. B3.54) aus dem Jahre 1971 wird die Kritik am Tourismus und der damit einhergehenden 252 253 254 255
Vgl. Peukert (Hg.) 1995, S. 38. Vgl. ebd., S. 125. Vgl. ebd., S. 38. Vgl. ebd., Kat. 53.
Tourismus, Umweltverschmutzung und Naturzerstörung
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Naturzerstörung offensichtlich.256 Ironie und Zynismus lassen sich aus der Darstellung lesen.
Abb. B3.54: Franz Radziwill, Die Halbinsel der Seligen des 20. Jahrhunderts, 1971, Öl, 64,5 x 98,5 cm, Privatbesitz
Der Term »Halbinsel« kann sich auf die Geestzunge Dangasts beziehen, die ins Wattenmeer ragt.257 In der rechten vorderen Bildecke sitzt ein nackter Mann auf seinem Badehandtuch, der ein Stück Papier, möglicherweise eine Zeitung, in den Händen hält. In einiger räumlicher Distanz kniet in der linken Bildhälfte eine nackte Frau auf einem roten Handtuch. Vor ihr liegt ein blauer Ball – Radziwill kennzeichnet den Bereich ironisch durch ein aufgestelltes Schild als Spielwiese. In der Mitte steht ihr aufgeschlagenes Zelt. Ebenso bedient sich der Künstler übernatürlicher Motivik: Im Himmel, der von einem rötlichen Grau in dunklere Grautöne übergeht, befindet sich ein Loch, das den Blick auf eine Plankenwand freigibt. In dieser gähnt wiederum ein schwarzes Loch. Die Urlauber – im Titel als selig bezeichnet – gehen unbeeindruckt ihren Tätigkeiten nach und scheinen sich ihrer Umwelt nicht bewusst zu sein: Hinter dem Zelt türmt sich ein Berg Müll und Sperrgut auf: eine Ansammlung unterschiedlichster Dinge vom Strommasten bis hin zu zerbrochenen Schränken. Letztere wecken Assoziationen an die von Radziwill verbildlichten Schränke im Werk »Fischerwohungen/ Ausfahrende Schränke« (Abb. B3.1), das noch in seiner anfänglichen expressionistischen Phase entstand. Die Schränke liegen nun auf dem Müll – dies kann darauf hindeuten, dass die Fischer nicht mehr in ihren traditionellen Booten ausfahren. Ein Flugzeugheck ragt aus dem Rest einer ehemaligen Dünenlandschaft hinter dem Schrottberg hervor. Symbolisch kann der riesige Berg Sperrgut auf die Verschmutzung und Zerstörung der Landschaft im Zuge des Tourismus verweisen. Ein überdimensional großer Galgen, an dem das Landschaftsschutzschild befestigt ist, verstärkt die Bildaussage, dass der Tourismus die Natur zerstört. Die Dangaster Landschaft am Wattenmeer, die seit den 20er 256 Weitere Ausführungen vgl. Franz Radziwill Gesellschaft (Hg.) 2014. 257 Vgl. Peukert (Hg.) 1995, S. 39.
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Jahren Inspirationsquelle für Radziwill war, fiel zunehmend der Zerstörung durch den Fremdenverkehr anheim. Das Engagement des Künstlers für den Naturschutz hielt ab den späten 50er Jahren zeitlebens an.258 So wurde beispielsweise sein Ausweis als Hilfspolizist zur Bewachung des Vogelschutzgebiets mehrfach verlängert.259 Seine Kunst nutzte er wie die hier angeführten Bilder zeigen, ebenfalls als Medium zur Vermittlung des Naturschutzgedankens.
Abschließende Zusammenfassung Anhand der exemplarisch besprochenen Werke ist ersichtlich, dass sich Radziwill auf unterschiedlichen Ebenen dem Wattenmeer und der Nordsee näherte. Auf den Spuren der Brücke-Künstler wählte er Anfang der 20er Jahre Dangast am Jadebusen als Heimat. Jedoch setzte er die insbesondere in den frühen Jahren formulierten rauschhaften Erlebnisse in der Natur des Wattenmeers in seinen Bildern nur ansatzweise um. Nach anfänglichen expressionistischen Auseinandersetzungen mit der Meeresmotivik widmete er sich u. a. dem Studium der Romantik und wandte sich dann der Neuen Sachlichkeit und dem Fantastischen Realismus zu. Radziwill reflektierte in seinen Bildern ebenso historische, gesellschaftspolitische und kulturelle Einflüsse seiner Zeit. So verarbeitete er in seinen maritimen Werken auch die schrecklichen Erfahrungen, die er in zwei Weltkriege machte. Jedoch kann er nicht als Kritiker des Nationalsozialismus gelten, vielmehr prägte ihn hierzu ein ambivalentes Verhalten. So war er selber bekennender Nationalsozialist, der anfangs von dieser Diktatur – in Form der Anerkennung seiner Kunst und dem Erhalt des Professorenamts – profitierte. Zudem lebte er in einer Zeit, die von technischem Fortschritt geprägt war : Der Künstler war gegenüber Flugzeugen und modernen Schiffen einerseits fasziniert, andererseits skeptisch. Er war für die Bedrohung, die von der Technik ausgehen kann, sensibilisiert. In Bezug auf die Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg und den Abwurf der Atombombe entwickelte er zunehmend die Einstellung, dass die Menschen einen verantwortungslosen Umgang mit der Technik und den Erkenntnissen der Naturwissenschaften betreiben. All dies spiegelt sich in seinen maritimen Werken, die häufig durch die Wattenmeerküste bei Dangast inspiriert wurden. In dieser Natur fand er in schwierigen Zeiten, beispielsweise während seiner Diffamierung im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit seinen inneren Frieden. Zudem stellte der Glauben an einen Gott einen festen, positiv besetzten Faktor dar. Das Zerstörbare der menschlichen Wirklichkeit 258 Vgl. ebd., S. 124f. 259 Vgl. ebd., S. 124f.
Abschließende Zusammenfassung
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und die metaphysische Dimension des Glaubens verbildlichte er ebenfalls in maritimen Werken, inspiriert durch die Nordsee und das Wattenmeer. Viele dieser Werke, die u. a. durch Übermalungen entstanden und surreale Elemente beinhalten, besitzen eine gewisse Rätselhaftigkeit, die sich nicht restlos ausdeuten lässt.260 Jedoch lassen sich in Bezug auf sein Gesamtwerk neben den benannten Motiven weitere Themen in der Auseinandersetzung mit dem Wattenmeer und der Nordsee ablesen. So verbildlichte Radziwill in vielen Bildern die Küstenzone. Das Wasser oder das Watt als eigenständiges Bildmotiv griff er nur selten auf. Häufig fungieren Wattenmeer und Nordsee als Bühne oder sie sind Teil von umfassenderen Landschaftsdarstellungen. Dabei visualisierte er sowohl die moderne Schifffahrt mit technischen Neuerungen, beispielsweise ersichtlich in Form von Kriegsmarineschiffen oder modernen Überseedampfern, als auch traditionelle Seefahrt mit Segelbooten. Insbesondere in seinem Spätwerk band er symbolische Aussagen in seine Bilder ein. Weiterhin setzte er in Bezug auf das Wattenmeer die Bedrohung durch Sturmfluten, Maßnahmen zur Landgewinnung und zum Küstenschutz sowie das ästhetische Erleben dieser Landschaft bildlich um. Die Dynamik des Wattenmeers ist in einigen Bildern sehr gut erkennbar. Ebenso erfuhr er angesichts des zunehmenden Fremdenverkehrs in Dangast den rücksichtslosen und verantwortungslosen Umgang mit der Natur. Der Künstler engagierte sich für den Naturschutz, indem er sich beispielsweise für Bürgerbegehren einsetzte und als Hilfspolizist das Vogelschutzgebiet bewachte. Auch in seinen Bildern kritisiert er den Umgang der Menschen mit der Natur. Er hat das Schutzbedürftige dieser Landschaft und ihrer Pflanzen- und Tierwelt erkannt und sich dafür eingesetzt, bevor das Wattenmeer zum Welterbe wurde. Nach seinem ambivalenten Verhalten im Nationalsozialismus wurde Radziwills Kunst ab den 60er Jahren zunehmend gewürdigt. So erhielt er ein Stipendium als Ehrengast für die Deutsche Akademie Villa Massimo in Rom.261 Anlässlich seines 70. Geburtstages wurde ihm das Großkreuz des Niedersächsischen Verdienstordens, verliehen. Im Jahr 1970 erhielt er den Großen Niedersächsischen Staatspreis und im Folgejahr das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland.262 Durch die Erkrankung am Grauen Star blieb ihm im Alter allerdings ein weiteres Arbeiten als Künstler versagt. Während in Radziwills Kunst eine deutliche Entwicklung und Veränderung sowohl der Motive als auch des Stils, bedingt durch gesellschaftshistorische und politische Kontexte ersichtlich ist, hat sich beispielsweise Alf Bachmann zeitlebens mit demselben Stil und derselben Motivwahl dem Wattenmeer und der 260 Vgl. Soin8 (Hg.) 1992, S. 30. 261 Vgl. Peuckert (Hg.) 1995, S. 125. 262 Vgl. ebd., S. 125.
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Nordsee angenähert. Die Natur spielt auch in seinen Werken eine wichtige Rolle, wie im Folgenden gezeigt wird.
4.
Alfred Bachmann – naturalistische Annäherungen an den Stimmungs- und Lebensraum Wattenmeer
Alfred Bachmann (1863–1956) beschäftigte sich in seiner Kunst mit der Stimmungslandschaft und dem Lebensraum von Nordsee und Wattenmeer. In gegenständlicher Manier visualisierte er mit Pastell- und Ölmalerei unterschiedliche Lichtstimmungen und Wetterphänomene in der amphibischen Grenzzone zwischen Land und Meer. Heutzutage ist Bachmann nur noch regional bekannt.1 Jedoch bekam er zu seinen Lebzeiten verschiedene Auszeichnungen. Im Jahre 1913 auf der Internationalen Kunstausstellung im Münchener Glaspalast erhielt er für das Werk »Abend an der Nordsee«2 die Goldene Medaille.3 Ein paar Jahre später wurde ihm die Große Goldene Österreichische Staatsmedaille für Kunst und Wissenschaft in Salzburg verliehen.4 Seine naturalistischen Darstellungen von Wattenmeer und Nordsee fanden auch im Nationalsozialismus Gefallen. So waren seine Werke auf den nationalsozialistischen Großen Deutschen Kunstausstellungen vertreten. Anlässlich seines achtzigsten Geburtstages im Jahre 1943 wurde ihm von Hitler die Goethe-Medaille für Kunst und Wissenschaft verliehen.5 Allerdings passte Bachmann seinen Stil nicht nationalsozialistischen Idealen an, vielmehr fanden seine naturalistischen Meeresdarstellungen Anklang. Nichtsdestotrotz muss seine Rolle im Nationalsozialismus kritisch betrachtet werden. Obwohl Bachmann zwei Weltkriege und den Weg Deutschlands von der Monarchie in die Demokratie erlebte, wirken seine Bilder den politischen Er1 Es erwies sich als sehr schwierig den Verbleib vieler Bilder zu rekonstruieren, sodass die Bilddaten leider häufig lückenhaft sind. Es sind insbesondere noch viele Werke aus den dreißiger und vierziger Jahren erhalten, auf die in dieser Studie Bezug genommen wird. Ebenso ist nur spärliche Sekundärliteratur vorhanden. 2 Abb. in Nachlass SHLM, Schloss Gottorf. Vgl. Angerer 1984, Abb. 2. Die Abbildung aus dem Nachlass weicht allerdings von Angerers Abbildung ab. 3 Vgl. Brandes-Druba 1993, S. 18. 4 Vgl. ebd., S. 18. 5 Vgl. ebd., S. 18.
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Alfred Bachmann
eignissen entrückt. Der Künstler stellte seine Werke nicht in den Dienst der Politik oder belegte sie mit ideologischen Ideen. Aus diesem Grund wird er in diesem Abschnitt der Studie behandelt, obwohl seine Kunst im Nationalsozialismus Würdigung erfuhr.6 In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg gerieten seine Werke teilweise in Vergessenheit, jedoch erhielt der neunzigjährige Künstler im Jahr 1953 das Bundesverdienstkreuz.7
Biografische Bezüge zum Wattenmeer Bachmann war nicht in der Nordseeküstenregion beheimatet. Geboren 1863 in Dirschau, einer Kleinstadt bei Danzig, wuchs er im großbürgerlichen Milieu auf.8 Insbesondere seine Mutter sensibilisierte ihn bereits in der Kindheit für intensive Naturwahrnehmungen und die Ornithologie.9 Rückblickend führt Bachmann in seinen Erinnerungen an, dass er schon mit neun Jahren in der Natur Tiere und Landschaften zu zeichnen begann.10 An der Königsberger Kunstakademie absolvierte er von 1881–1886 ein Kunststudium.11 Den Studienort wählte er aus folgendem Grund: »weil es [Königsberg] an der See lag, […] konnte [ich] mein Studium durch längere Fahrten zur See unterbrechen und anfangen meine Sehnsucht nach fernen Ländern zu stillen«.12 Somit kam er im Studium mit unterschiedlichen Meeren in Berührung.13 Er war sowohl mit der ruhigeren Ostsee als auch mit der hohen Dünung des Atlantiks vertraut. Das Wattenmeer hatte der Künstler zu dieser Zeit noch nicht für sich entdeckt. Im Jahr 1890 wählte er als neuen Lebensmittelpunkt München, unternahm jedoch weiterhin Reisen.14 Diese führten ihn dann u. a. an die Nordseeküste, nach Skandinavien, Island und Spitzbergen.15 In den Jahren 1911 und 1914 hielt er sich in Ägypten auf und 1920 nahm er als Landschaftsmaler an einer Expedition nach Patagonien teil.16 Neben fernen Ländern und Meeren übten die
6 Zudem besaß Bachmann keine kritische Haltung zum Nationalsozialismus und war Parteimitglied. 7 Vgl. Brandes-Druba 1993, S. 18. 8 Vgl. Angerer 1984, S. 153. 9 Vgl. Hans Thoma-Gesellschaft (Hg.) 1953, S. 4. Vgl. 13. Rundbrief (Weihnachten 1952) der Hans Thoma-Gesellschaft, Nachlass Bachmanns, SHLM Schloss Gottorf, vgl. ebenso Brandes-Druba 1993, S. 12. 10 Vgl. Hans Thoma-Gesellschaft (Hg.) 1953, S. 4. 11 Vgl. Lengsfeld, S. 5. Vgl. Kat Husum 1993, S. 83. Vgl. Brandes-Druba, S. 8. 12 Hans Thoma-Gesellschaft (Hg.) 1953, S. 4. 13 So bereiste er u. a. die normannische und die bretonische Küste. Vgl. Lengsfeld, S. 5. 14 Vgl. Angerer 1984, S. 154f. 15 Vgl. ebd., S. 154ff. 16 Vgl. ebd., S. 155. Aufgrund seiner Reisen hatte er viele Meere gesehen und diese auch
Biografische Bezüge zum Wattenmeer
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Nordsee und ihre Küsten große Faszination auf den Maler aus, wie es auch seine Bilder zeigen. Seitdem er 1895 mit seiner Frau die Nordsee entdeckt hatte, reiste er – unterbrochen vom Ersten Weltkrieg – wiederholt an die Nordseeküste und auf die Inseln.17 Von Helgoland, Sylt, Juist und vom Wattenmeer sowie weiteren Inseln fertigte er Studien und Gemälde an. Bachmann führte diesbezüglich an: »Meine besondere Liebe aber gilt den Ost- und Nordfriesischen Inseln, sowie dem Wattenmeer, auf dem ich monatelang mit meiner Frau auf einem Holzewer ohne Motor gesegelt bin, um Studien zu machen.«18 Es ist die stetige Veränderung der Wattlandschaft sowie die Assoziation einer zum Teil noch unberührten, grenzenlosen Natur, die Bachmann zeitlebens als Inspiration seiner Werke dienten.19 Sesshaft wurde er dort jedoch nie. Im Folgenden wird ein Einblick in seine Aufenthalte an der Nordseeküste gegeben.
a)
Bachmanns Aufenthalte am Wattenmeer
Der Künstler bereiste das Wattenmeer und die Nordsee häufig. Seine Werke basieren auf intensiven Naturerfahrungen, die er dort erlebte. Viele seiner Bilder spiegeln die Einsamkeit in der Natur, Lichtstimmungen und die Grenze zwischen Land und Meer im Kontext der Gezeiten wider. Bachmann hielt jedoch trotz der Begeisterung für die Nordsee weiter an seinem Wohnsitz in München fest.20 Im Jahre 1911 reiste er nach Sylt. Bachmann liebte die Einsamkeit am Strand und lehnte den touristischen Badebetrieb ab. Seinen Erinnerungen nach organisierte er die Strandbesuche so, dass er dem größten Ansturm des »Badepöbels«, wie er sich ausdrückte, entgehen konnte:
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malerisch visualisiert. Vgl. Lengsfeld, S. 5. Für einen thematisch geordneten Überblick ausgewählter Arbeiten vgl. Kat. Husum 1993, S, 80ff. Vgl. Angerer 1984, S. 156. Hans Thoma-Gesellschaft (Hg.) 1954, S. 4. »Die Großartigkeit unberührter Wildnisse ist es, die mich am meisten zum Malen gereizt hat. Im Hochgebirge fand ich erst oberhalb der Kuhfladengrenze malerische Anregungen. Nacht, Sturm, Nebel, bewegtes Meer, Wolken und ihre Schatten, Regen, Feuer, Rauch- und Staubwolken – kurz alles, was man nicht ›abmalen‹ kann, weil es nicht stille hält – begeistert mich zur Arbeit.« Hans Thoma-Gesellschaft (Hg.) 1954, S. 4. Mitte der vierziger Jahre, als sich Bachmann bereits im fortgeschrittenen Alter befand, plante er eine Autobiografie mit dem Titel »Was ich erschaute und erlebte«. Die zwei im Nachlass befindlichen Entwürfe für das Cover der Biografie verweisen auf die große Bedeutung des Wattenmeeres für den Künstlers. Der eine Entwurf zeigt das Watt über dem eine gelb-rote Sonne steht. Im Hintergrund ist das Meer zu erkennen. Das andere verbildlicht die aufgewühlte See. Der Krieg verhinderte jedoch die Drucklegung des geplanten Buches. Vgl. Angerer 1984, S. 153. Vgl. Lengsfeld, S. 5f.
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Alfred Bachmann
»In dem heißen Sommer 1911 wohnte ich einige Zeit in einem kleinen, uralten Friesenhaus in Wennigstedt auf Sylt. Am Strande baute ich mir eine Sandburg. Um dort unbelästigt vom Badepöbel baden, angeln und malen zu können, stand ich jeden Tag um drei Uhr auf und ging an den Strand. Gegen acht Uhr, als die ersten Strandwanderer erschienen, ging ich wieder nach Hause, frühstückte und legte mich bis ein Uhr zu Bett. Von ein bis gegen vier Uhr konnte ich dann wieder allein am Strande sein. Auf diese Weise war ich auch in den besuchtesten Wochen etwa acht Stunden täglich unbelästigt, da der Strand zu den genannten Zeiten absolut menschenleer war.«21
Im Zeitraum 1915–1924 war er jeweils für bestimmte Zeitabschnitte in St. PeterOrding künstlerisch tätig.22 An diesen Ort kehrte Bachmann auch in späteren Jahren zurück.23 Ein Bekannter des Künstlers begründet dies mit der Vielseitigkeit der Landschaft am Wattenmeer : »St. Peter-Ording muß ihm sehr gelegen haben, weil es da alles gab. Es hatte normalen Strand, dort hatte er auch Dünen, dort hatte er Wattenmeer, begehbares Wattenmeer, draußen wieder das Westerhever-Vorland, den Leuchtturm natürlich, so daß das für einen Maler eine [….] ›reizvolle Stratigraphie‹ war. Wenn man weit rauslief, gab es noch die offene See. Es war also alles da.«24
Aus einem Brief geht hervor, dass Bachmann mit Aufenthalten im Herbst und Frühling wiederum versuchte, dem touristischen Treiben zu entgehen.25 Ein weiterer Grund wird das stürmische Wetter in diesen Jahreszeiten gewesen sein. Die Nordsee zeigte sich von ihrer rauen Seite, sodass Bachmann Stürme erleben und malerisch visualisieren konnte, die er selbst erlebt hatte.26 Auch bei späteren Fahrten durch die Watten und zu den Inseln Nord- und Ostfrieslands27 mit gemieteten Kuttern und Ewern geriet er zusammen mit seiner Frau Christa fast in einen Sturm.28 Die Eindrücke vom Meer dienten ihm als Inspiration in seiner Kunst. Exemplarisch sei auf das Bild »Meereswogen«29 21 Hans Thoma-Gesellschaft (Hg.) 1953, S. 24. 22 Vgl. Angerer 1984, S. 157f. 23 Im Nachlass ist ein Brief enthalten, in dem Bachmann in komischen Versen seinen Aufenthalt kommentierte. »Der Regen tut hier von den Fenstern rinnen, Wir heizen das Zimmer und sitzen drinnen. Ich male Pastelle, mal bunt und mal grau.« Brief Bachmanns vom Oktober 1948, St. Peter-Nordsee. 24 Kuhlemann, Thies 1993, S. 26. 25 »Der Badepöbel hat der kalte Sturm weggetrieben, kaum sieht man noch ein Exemplar mit hochgeklapptem Kragen aus der Kneipe mit hochgeklapptem Kragen aus der Kneipe nach Hause schieben.« Brief Bachmann, Oktober 1948, St. Peter-Nordsee. 26 So erkundete er das Wattenmeer mit den Inseln und der Küste. 1929 hielt er sich u. a. in St. Peter auf und in den Folgejahren bereiste er u. a. Juist und Helgoland. Vgl. Angerer 1984, S. 163. Ab 1925 unternahm er Reisen nach Wyk auf Föhr. Vgl. Angerer 1984, S. 160. 27 Vgl. Lengsfeld, S. 5f. Vgl. Kat. Husum 1993, S. 83. Vgl. Brandes-Druba 1993, S. 18. 28 Auf dieser ersten Fahrt führte sie ihre Reise von Wyk über Hallig Habel nach Sylt. Vgl. Angerer 1984, S. 160f. 29 Vgl. Angerer 1984, Abb. 8.
Biografische Bezüge zum Wattenmeer
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(Abb. B4.1) verwiesen. Dieses zeigt die hochaufgetürmten Wellen der Nordsee, die sich bereits zu brechen beginnen. Die Gewalt eines solchen Sturms ist verdeutlicht.
Abb. B4.1: Alf Bachmann, Meereswogen, 1928, Pastell, 19,8 x 29,3 cm, Schleswig-Holsteinisches Landesmuseum Schleswig
Allgemein zeichnet die Werke Bachmanns ein nahezu realitätsgetreuer Stil aus. So distanzierte er sich von neuen Tendenzen wie der Abstraktion.30 Der Künstler intendierte mittels naturalistischer Annäherung die intensiven Naturerfahrungen umzusetzen. F. von Ostini verweist im 1953 veröffentlichten »Skizzenbuch« rückblickend auf Bachmanns intensive Meereserlebnisse: »B. gehört nicht zu jenen Marinemalern, die allsommerlich an irgendeinem Seestrande die Staffelei aufstellen und dann aus den gewonnenen Studien in Ruhe Bilder zu malen, sich ein paar sicher wirkende Formeln für Wasser und Luft aneignen und sich daraus eine gangbare Spezialität zu schaffen. Er hat das Meer befahren und erlebt wie wenige – […] Vor allem aber kennt er das Meer von langen, langen Fahrten auf kleinen Segelschiffen, die ihre Fahrgäste in innige Berührung bringen mit dem unerschöpflichen Stimmungswechsel der Flut und des Himmels, der sich darüber spannt. Er hat in entlegenster Einsamkeit Monate verbracht, fern aller Kultur, allein mit der Stille unberührter Natur, nur damit beschäftigt, diese Herrlichkeit in all ihren Phasen in sich aufzunehmen.«31
Die Fahrten erfolgten nur unter Segeln und ohne Motor, um der Natur möglichst nahe zu sein.32 So lebten sie u. a. von den Erzeugnissen des Wattenmeeres und gingen während der Fahrt fischen.33 Allerdings navigierte der Künstler nicht selbst, sondern ein Skipper übernahm die Bootsführung. Durch das Segeln und damit der Abhängigkeit von den Gezeiten und Wind nahm Bachmann das Wattenmeer mit Ebbe und Flut intensiver wahr als ein Tourist, der beispielsweise 30 31 32 33
Vgl. hierzu Brandes-Druba 1993, S. 8f. Hans Thoma-Gesellschaft (Hg.) 1953, S. 3. Vgl. Angerer 1984, S. 160. Vgl. Album des Künstlers im Nachlass, Schloss Gottorf, SHLM.
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mit der Fähre die Inseln bereist. Ebenfalls sind die Erlebnisse der Kriegsmarinemaler Stöwer, Bohrdt und Bergen davon abzugrenzen. Ihre Begleitfahrten auf großen, modernen Kriegsschiffen in der offenen Nordsee und im Atlantik stellen andere Erlebnisse dar als Bachmanns Fahrt im hölzernen, traditionellen Ewer auf dem Wattenmeer. In seinem Fotoalbum befinden sich Fotografien eines Schiffs, das er mietete (Abb. B4.2, 3).
Abb. B4.2: Kutterfahrten 1928/29, Fotografie, Nachlass
Abb. B4.3: Kutterfahrten 1928/29, Fotografie, Nachlass
Es fuhren nur wenige Personen mit, nämlich der Kapitän, der Schiffsjunge und der Künstler mit seiner Frau, sodass ein nahezu einsames Naturerleben noch möglich war. Während der Fahrten erlebten sie auch das Trockenfallen im Watt,34 wie eine Fotografie aus dem Nachlass belegt (Abb. B4.4). 34 Eine weitere Fotografie zeigt den Künstler neben dem trockengefallenen Schiff im Watt vor Hallig Habel. Vgl. Album des Künstlers im Nachlass, Schloss Gottorf, SHLM.
Biografische Bezüge zum Wattenmeer
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Abb. B4.4: Im Watt zwischen Föhr und Langeneß, Fotografie, Nachlass
Der Untertitel gibt Auskunft, dass sich das Schiff im Watt zwischen Föhr und der Hallig Langeneß befand.35 Auf der Hallig machten sie Halt. Der Künstler fertigte dort sowie allgemein während der Fahrt – unter zum Teil schwierigen Bedingungen – Studien an, auf deren Basis Gemälde entstanden.36 Seine Frau berichtete allgemein darüber : »Wenn die Wolken, graue, schwarze, hellbeleuchtete, am Mond vorüberjagten und das tiefdunkle Wasser glitzerte, leuchtete ich Alf mit der Taschenlampe, wenn er das Geschaute, Empfundene zeichnen wollte, sei es auf großen Blocks oder kleinsten von 7,5 cm. Oft war das Motiv nur eine Wellen- oder Wolkenlinie, ein Vogel.«37
Im Jahre 1930 schloss sich eine weitere traditionelle Kutterfahrt unter Segeln an Bord der »Maria« an, wie eine Notiz neben einer Fotografie belegt,38 die den Künstler an Bord des Schiffes zeigt. Bachmanns Bekannter Kuhlemann wertet den Motivkreis des Wattenmeeres, den der Künstler sich auf seinen Schiffsreisen erschloss, als etwas Neues und Unentdecktes: »Aber daß er [Bachmann] zum Beispiel einen Fischkutter mietete, im Wattenmeer herumfuhr, das gab es auch nicht vorher. Er hat da eine neue Welt entdeckt, […] Er hat, und das widerspricht dem Konservativen, Traditionellen, doch eine neue Welt entdeckt, auch das Dynamische darin.«39
Obwohl bereits einige Künstler um 1900 das Watt verbildlichten, zum Beispiel Hans Bohrdt oder Künstler der Duhner/Altenwalder Kolonie, so ist es in der Tat
35 Vgl. ebd. 36 Vgl. ebd. 37 Christa Bachmann: Unsere Fahrten im Wattenmeer im Spaetsommer 1928 & 1929 auf der »Chriska«, o. J., zitiert nach Angerer 1984, S. 161. 38 Vgl. Album des Künstlers im Nachlass, Schloss Gottorf, SHLM. 39 Kuhlemann, Thies 1993, S. 27.
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ungewöhnlich, dass ein Künstler das Wattenmeer in dieser Weise intensiv bereiste und zeitlebens seine Motivik daraus zog. Die Fotografien aus dem Künstlernachlass belegen, dass Bachmann seine Studien direkt in freier Natur anfertigte. So zeigt ihn ein Foto in Gummistiefeln stehend und mit Arbeitsmaterialien an der Wasserkante (Abb. B4.5).
Abb. B4.5: Juist 1915?, Fotografie, Nachlass
Eine weitere Fotografie zeigt den 50jährigen Künstler auf einem Schemel am Meer sitzend und kleine Studien anfertigend.40 Dabei scheute er auch das auflaufende Wasser nicht, wie ein Foto belegt (Abb. B4.6).
Abb. B4.6: Bachmann zeichnend am Meer, Fotografie, Nachlass
Weitere Fotografien zeigen den Künstler laut Bildunterschrift in Norderney im Watt, ausgerüstet mit seinen Arbeitsutensilien.41 Auch als alter Mann schuf er am Wattenmeer Studien (Abb. B4.7). Die Fotografie zeigt den warm gekleideten auf seinem Schemel sitzenden Künstler bei der Arbeit im Beisein eines Kindes.
40 Vgl. Album des Künstlers im Nachlass, Schloss Gottorf, SHLM. 41 Vgl. ebd.
Biografische Bezüge zum Wattenmeer
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Abb. B4.7: Juist, Okt. 1935, Fotografie, Nachlass
Seinen Gehstock hat er daneben in den Sand gesteckt. Die Notiz neben dem Bild gibt Auskunft über Jahr und Ort: Juist, Oktober 1935. Bachmann war zu dem Zeitpunkt bereits 72 Jahre alt. Der Künstler scheute zeitlebens keine Unannehmlichkeiten im Rahmen seiner künstlerischen Studien. Beispielsweise übernachtete er während eines Helgolandaufenthalts im Schlafsack unter der »Langen Anna«, um morgens den Sonnenaufgang zu erleben.42 Das Bild »Sommermorgen (Nordsee)«43 (Abb. B4.8) geht nach einer Notiz auf der Rückseite auf diesen Aufenthalt zurück.
Abb. B4.8: Alf Bachmann, Sommermorgen an der Nordsee, 1937, 24,5 x 13 cm, SHLM, Schloss Gottorf
Es zeigt nur einen Streifen blaues Meer mit einigen gekräuselten Wellen, über dem sich ein weiter hellblauer Himmel mit einigen Schönwetterwolken erstreckt. Die Assoziation von Weite und Unendlichkeit der Nordsee stehen im Vordergrund. Allgemein zeigt sich in Bachmanns Werk die Vielfalt der Naturphänomene und -stimmungen des Wattenmeeres und der Nordsee.
42 Vgl. Lengsfeld, S. 6. 43 Bildarchiv Schloss Gottorf, SHLM 1980/1960.
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Ästhetisches Erleben der Nordsee und des Wattenmeeres »Ich wünsche nicht, daß man über meine Werke philosophiert, ›was ich mir dabei gedacht hätte‹. Nichts habe ich mir dabei gedacht, als daß mich die Eigenartigkeit des Lichtes und der Wolken, der Spiegelungen oder Bewegungen in den kurzen Sekunden, in denen sie wieder verschwanden, fesselten! Die Unendlichkeit unberührter Natur ergreift mich.«44
Eindrücke von Weite und Unendlichkeit am menschenverlassenen Wattenmeer faszinierten den Künstler. Ebenso inspirierte ihn der Stimmungsreichtum durch die Wetterphänomene und die Lichtreflexionen der dynamischen amphibischen Landschaft. Diese Eindrücke setzte er in seinen Bildern vielfach um. Bachmanns Frau berichtete Folgendes in Bezug auf seine Malereien: »Es sind keine Abbildungen der Natur, sie wurden geschaffen aus den Erinnerungen des Empfundenen und immer wieder Erschauten, wozu ihm seine Zeichnungen und Skizzen nur als Anregung, als ›Stichworte‹ dienten. Wenn er fern des Meeres Maldrang hatte, und den hatte er fast immer, sah er sich diese [Skizzen] durch und hing so ein manchmal winziges ›Stichwort‹ an die Staffelei vor seinem Maltisch. So schaffte er fast alle seine Werke. Hiervon ausgenommen sind seine Ölstudien, die er nach der Natur malte: seine ›Fingerübungen‹, um nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren, wie er zu sagen pflegte, und die oft so erfrischend ursprünglich, temperamentvoll hingeworfen sind.«45
Bewusst verzichtete er auf die in der wilhelminischen Marinemalerei gängigen Bildmotive wie Fischerboote oder Kriegsschiffe. Stattdessen sind es vielfach Vögel, die als Staffage die Szene beleben. Häufig fungieren jedoch das Wattenmeer oder die Nordsee als eigenständiges Motiv. Dabei distanziert Bachmann sich von einer übergeordneten Kunsttheorie.46 Er verfasste 85jährig »Zwölf Ratschläge für junge Künstler«, in denen er seine Kunstauffassung darlegt.47 Die folgende ausgewählte Passage zeigt die tiefe Beziehung des Künstlers zur Natur: »Die Züge der Wolken, die Bewegung des Wassers, die Wellen des Sandes und die Reihen ziehender Vögel haben, wie jedes darzustellendes Gebilde, ihr grosses Gesetz, und nur derjenige, der dieses Gesetz kennt und empfindet, ist berufen, Künstler zu sein. Setze Dich, wann und wo Du kannst, immer wieder vor die Natur und zeichne das nach, was Du siehst, was Dich erfreut und ergreift. Dann wirst Du im Laufe der Jahrzehnte dahin 44 Nachlass in Schloss Gottorf, SHLM; Inv,-Nr. 1980/ff. 45 Zitiert nach Angerer 1984, S. 159. 46 Er äußerte sich wie folgt zu seiner Auffassung des Begriffs »Kunstwerk«: »Wenn ein von Dir ausgestelltes Bild erst von einem Kunstgelehrten in Länge und Breite erklärt werden muß, sollte Dir das sofort verdächtig erscheinen. Ein Kunstwerk, welches das, was der Künstler sagen will, nicht selber klar und erschöpfend sagen kann, ist kein Kunstwerk.« A. Bachmann: Zwölf Ratschläge für junge Künstler, Oktober 1948, zitiert nach Paust 1993, S. 36. 47 Alf Bachmann: »Zwölf Ratschläge für junge Künstler«, o. O. 1948, zitiert nach Angerer 1984, S. 164ff.
Ästhetisches Erleben der Nordsee und des Wattenmeeres
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kommen, dass z. B. die Wolken und die Wellen, die Du darstellst, gar nichts anderes mehr werden können, als Wolken und Wellen.«48
Bachmann verweist auf ein »großes Gesetz«, das hinter der Natur zu finden sei und das der Künstler erkennen müsse, um diese angemessen darzustellen. Weiterhin betont er, dass der Künstler insbesondere gewaltige Wetter- und Naturphänomene wie Sturm erleben müsse, um Inspirationen für seine Kunst zu erhalten: »Wenn Du Landschaftsmaler bist, dann sorge vor allen Dingen dafür, daß Du Deinen Körper stählst und kräftigst, damit Du allen Unbillen des Wetters trotzen kannst […]. Denke daran, dass die Natur ihre ergreifendsten Schönheiten, die sich besonders bei Sturm und Unwetter offenbaren, zähe verteidigt.«49
Die Tatsache, dass er in seinen Meeresbildern Stimmungen in der Natur verbildlichte, die er selbst erlebte,50 wurde in der zeitgenössischen Rezeption gewürdigt. So führt ein Artikel der Volkszeitung aus dem Jahre 1908 an, dass der Künstler das subjektive innere Erleben am Meer visualisiere.51 In einem anderen 1918 veröffentlichten Artikel wird sogar der Begriff »Naturandacht« genannt.52 In einem weiteren Artikel wird dargelegt, dass Bachmann ein »empfängliches Gemüt für die grossen Stimmungen der endlosen Wasserwelt« besitze und diese in seinen Bildern eindrucksvoll umsetze.53 Noch im Jahr 1951 wird angeführt, er 48 Ebd., S. 166. 49 Ebd., S. 166. 50 Bachmann handelte selber nach diesen Ratschlägen und fertigte in der Natur Skizzen und kleine Pastell- oder Ölstudien. Dabei machte er sich zum Teil Angaben der Farbnuancen. Vgl. Angerer 1984, S. 159. Auf dieser Basis, angereichert durch Erinnerungen und Fantasie, kreierte er später im Atelier Gemälde. Vgl. Paust 1993, S. 34. Sein Bekannter Kuhlemann berichtete Folgendes: »Er malte die Bilder im Atelier, skizzierte aber viel draußen. Bachmann arbeitete dann nach diesen Skizzen, die er vielleicht gar nicht vor sich hinlegte.« Kuhlemann, Thies 1993, S. 24. Diese zeichnen häufig eine atmosphärische Wirkung und ein nuanciertes Farbspektrum aus. »Man erzählt von Bachmann, der ein großer Techniker war, daß er eine enorme Zahl von Grautönen, graue Pastellfarben, ich glaube 180 verschiedene, nur in Paris kaufte.« Kuhlemann, Thies 1993, S. 24. 51 »Wir wüssten keinen Künstler zu nennen, der das Meer so im Innersten erlebt und als Schönheit vom lichten Traum bis zu seelischem Zusammenbruch gefühlt hat, und gleichzeitig mit einfachsten und modernsten technischen Mitteln diese Eindrücke im Gemälde wiedergeben kann.« Anonym 1905a. 52 »So entstand in dem grossen weiträumigen Bilde »Der Morgenstern« eine Elegie, eine verschleierte Inbrunst hingegebenster Naturandacht. In langen, sanften Atmungen beruhigt sich das weite Meer und nimmt in seinen Schoss die leuchtende Ausstrahlung des Morgensternes. Tief, mystisch, feierlich ist dieses Nachtverklingen.« Anonym 1918. 53 »Der Strand- und Marinemaler Alfred Bachmann […] hat ein äusserst empfängliches Gemüt für die grossen Stimmungen der endlosen Wasserwelt. Es sind namentlich die in Zwielicht getauchten in Ahnungen schlummernden Morgen- und Abendzeiten, die ihn fesseln und seinen Stimmungsapparat in Bewegung setzen. Hier verzichtet er denn auch auf jeden lauten Ton und hüllt in tief gestimmte Farbenklänge, was seine Seele bewegt.« Anonym 1918.
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offenbare das Göttliche oder die göttliche Schöpfung in seinen Meeresdarstellungen.54 Assoziationen an die Kunst- und Naturauffassung sowie die Arbeitsweise des berühmten romantischen Malers Caspar David Friedrich sind möglich.55 Wie bereits die Romantiker im 19. Jahrhundert suchte Bachmann zwar das unmittelbare Naturerleben, allerdings ohne die stark religiösen Belegungen.56 Jedoch wollte der Künstler nicht Seelen- und Stimmungsbilder schaffen, in denen die Natur als Andachtsraum Gottes oder als Sinnbild mit politischen Bezügen aufgefasst wurde. Bachmann visualisierte subjektive Naturerlebnisse am Meer, aber ohne versteckte Bildbotschaften oder allegorische Sinnbilder zu schaffen. Allgemein stehen die Werke der Romantiker und die Bachmanns in unterschiedlichen Kontexten.57
Verbildlichungen von Stimmungen und Dynamik an Wattenmeer und Nordsee Im Folgenden werden exemplarische Werke erläutert,58 um einen Einblick in Bachmanns Darstellungen von Wattenmeer und Nordsee zu geben. Da in Bezug auf die Wattenmeer- und Nordseemotive und deren stilistische Umsetzung keine radikale Entwicklung in seinen Bildern festzustellen ist, erfolgt keine chronologische, sondern eine nach Themen geordnete Darstellung. Viele der erhaltenen und in dieser Studie angeführten Werke stammen aus den 30er und 40er Jahren. 54 »Und so entstehen Wunderwerke, deren Schöpfer nur der sein kann, der voll Ehrfurcht und Tiefe des Gefühles und einem aus fanatischem Arbeitssinn gewonnenen Können, die Offenbarung des Göttlichen in der Natur erfaßt.« Anonym (G. B. K.) 1951. 55 Die Natur wurde in der Romantik als Projektionsfläche für Seelenstimmungen und als Andachtsort Gottes empfunden. Mit Ausnahme weniger Bilder hatte Friedrich die Naturstimmungen, die er verbildlichte, selber erlebt. Der Künstler entwickelte seinen individuellen Stil durch Eigenstudium in der Natur. Er fertigte Skizzen an und komponierte aus diesen in seinem Atelier das Gemälde. 56 Bachmanns Bekannter Kuhlemann berichtet Folgendes: »Bachmann ging es immer darum, hautnah an der Natur zu sein. Er legte großen Wert darauf, deshalb ist er […] keineswegs ein Romantiker.« Kuhlemann, Thies 1993, S. 24. 57 Darstellung der Einflussmöglichkeiten anderer Künstler vgl. Brandes-Druba, S. 8f. 58 In dieser Studie wurden ebenfalls Abbildungen von Werken herangezogen, die sich in seinem Nachlass befinden, und deren Verbleib nicht eindeutig geklärt ist. Die Titelgebung wird vom Künstler übernommen, der diese in Form von Untertiteln zur Abbildung beifügte. Genaue Daten zu diesen Bildern sind häufig leider nicht überliefert. Leider sind viele dieser Werke in schwarz-weiß abgebildet. Eine weitere Schwierigkeit besteht in Bachmanns Umgang mit Bildtiteln: So ist im Nachlass ersichtlich, dass er dasselbe Bild mit unterschiedlichen Titeln bedacht hat. Exemplarisch sei auf das Bild »Herbstabend (Hallig Gröde)« (1930, Pastell, 30 x 60 cm, Album Bachmanns, Nachlass SHLM, Schloss Gottorf, Op. 1509) verwiesen, das er in einer weiteren Abbildung mit dem Titel »Hallig Langeness, Priel« betitelte.
Verbildlichungen von Stimmungen und Dynamik an Wattenmeer und Nordsee
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In dieser Zeit hatte der Künstler eine intensive Schaffensperiode, u. a. bedingt durch die Erfolge im Nationalsozialismus.59 Anhand früher Bilder ist jedoch ersichtlich, dass er seinem Stil und der Motivik treu blieb. Die maritime Motivik von Wattenmeer und Nordsee zieht sich zeitlebens wie ein roter Faden durch sein künstlerisches Schaffen. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass möglicherweise auch übergeordnete Vorstellungen des Meeres in diese Bilder einfließen. So wirken seine Meeresdarstellungen – sei es Nordsee oder Atlantik – in einigen Fällen sehr ähnlich. Jedoch hat er spezifische Motive des Wattenmeeres aufgegriffen, wie Pricken oder trockengefallene Wattflächen. Weitere Bilder können aufgrund der Titel oder topografischer Merkmale verortet werden. Zum Teil liegen sogar nationale Eingrenzungen vor, wie beispielsweise beim Titel »Deutsche Nordsee«60 (Abb. B4.9) oder »Deutsche Nordseeküste«61 (Abb. B4.10). Erstgenanntes im Jahr 1934 entstandenes Bild zeigt die aufgewühlte See, die einen feuchten landzungenartigen Bereich – möglicherweise einen Wattbereich – überspült. Ein Sturmhimmel gibt dem Werk einen bedrohlichen Eindruck. Eine Schar, teilweise vom Sonnenlicht angestrahlter Vögel heben sich vor der dunklen Wolkenfront ab. Nur der Titel gibt die Verortung in den deutschen Bereich an. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass das Werk auf Basis einer Reise in die deutsche Wattenmeerregion entstand. Ebenfalls kann die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, dass Bachmann aufgrund der nationalen Stimmungen in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts das Attribut »deutsch« in den Bildtitel eingefügt hat. Dies lässt sich jedoch nicht eindeutig klären und sei dahingestellt. Das Werk »Deutsche Nordseeküste« (Abb. B4.10) beinhaltet eine ähnliche Motivik. Da hier der Hell-Dunkel-Kontrast zurückgenommen wurde, liegt keine solch bedrohliche Wirkungsästhetik vor.
Abb. B4.9: Alf Bachmann, Deutsche Nordsee,1934, Pastell, 63 x 102 cm
59 Vgl. hierzu das Kapitel »Einblicke in die Rezeption«. 60 Abb. im persönlichen Album Bachmanns, Nachlass SHLM, Schloss Gottorf. 61 Abb. im persönlichen Album Bachmanns, Nachlass SHLM, Schloss Gottorf.
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Abb. B4.10: Alf Bachmann, Deutsche Nordseeküste,1938, Öl, 70 x 140 cm
Die Gezeiten als Charakteristikum des Wattenmeeres griff er in seinen Werken wiederholt auf: Im Jahr 1949 schuf er das Werk »Kommende Flut«62 (Abb. B4.11).63 An einen glatt wirkenden Watt- bzw. Strandbereich brechen sich heranrollende Wellen. Die Lichtreflexe der Wolken spiegeln sich auf den feuchten Flächen. Die Verbildlichung der Dynamik angesichts von Ebbe und Flut wurde wiederholt aufgegriffen.
Abb. B4.11: Alf Bachmann, Kommende Flut, 1949, Pastell, 65 x 88 cm
Weiterhin sei auf ein im Jahre 1940 geschaffenes Pastellbild mit dem ähnlichen Titel »Beginnende Flut (Wattenmeer)«64 (Abb. B4.12) verwiesen. In diesem stehen das Himmelsschauspiel und die Lichtreflexionen im Watt im Mittelpunkt. Eindrucksvoll türmt sich eine Wolkenfront im Himmel auf. Durch das Licht- und Schattenspiel im Wattenmeer wird eine leicht dramatische Wirkung erzeugt.
62 Abb. im persönlichen Album Bachmanns, Nachlass SHLM, Schloss Gottorf. 63 Bachmann nutzte häufiger dieselben Titel für unterschiedliche Bilder. Somit gibt es ebenfalls unter diesem Titel verschiedene Darstellungen. 64 Abb. im persönlichen Album Bachmanns, Nachlass SHLM, Schloss Gottorf.
Verbildlichungen von Stimmungen und Dynamik an Wattenmeer und Nordsee
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Abb. B4.12: Alf Bachmann, Beginnende Flut (Wattenmeer), 1940, Pastell
Anhand des im Jahr 1899 geschaffenen Ölbilds »Beginnende Ebbe«65 (Abb. B4.13) ist ersichtlich, dass Bachmann sich bereits früh mit diesen Motiven befasste.
Abb. B4.13: Alf Bachmann, Beginnende Ebbe, 1899, Öl, 32,2 x 41,9 cm
Das Gemälde zeigt die am feuchten Strand auflaufenden Wellenzungen.66 Während Bachmann häufig in seitlicher Aufsicht das Zusammentreffen von Land und Meer visualisierte, ist das Meer hier in Frontalansicht dargestellt. Die Grenzlandschaft, in der Wasser auf Land trifft, faszinierte ihn besonders. Dies zeigt sich auch in der im Jahre 1933 mit Kreide und Bleistift angefertigten Studie mit demselben Titel »Beginnende Ebbe«67 (Abb. B4.14).
65 »Beginnende Ebbe«, 1899, Öl, 32,2 x 41,9 cm, vgl. Kat. Husum 1993, Kat. 56. 66 Die Überlappung der mit Schaum gekränzten Wasserbereiche und die einzelnen Schaumelemente sind differenziert naturalistisch dargestellt. Trotz der in einiger Distanz verbildlichten Brandungszone erweckt das Gemälde einen eher friedlichen Eindruck. 67 Vgl. Kat. Husum 1993, S. 78.
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Abb. B4.14: Alf Bachmann, Beginnende Ebbe, 1933, Kreide Bleistift, 26 x 36 cm, Nissenhaus Husum
In solchen häufig von ihm geschaffenen Darstellungen ist der amphibische Raum zwischen Land und Meer verbildlicht. Die Nordsee brandet auf eine feuchte Watt- oder Strandfläche. Wasser, Watt und Himmel sind die wesentlichen Motive dieses Bildes. Bewusst wurde auf die Verbildlichung menschlicher Einflüsse verzichtet. Das Aufeinandertreffen von Land und Meer stellt ein sich wiederholendes Element in der Bildsprache Bachmanns dar, wie auch die Werke »Nordseeküste«68 (Abb. B4.15), »Landwind (Nordsee)«69 (Abb. B4.16) und »Nordsee«70 (Abb. B4.17) belegen. Exemplarisch wird detaillierter auf letztgenanntes Bild eingegangen. Nahezu zwei Drittel des Bildes nimmt ein lichter grau-blauer Himmel ein, der nur von einigen weißen Schleierwolken durchbrochen wird. Der Blick der/des Betrachtenden wird auf den Grenzbereich von Wasser und Land gelenkt, der sich in der Ferne verliert. Der Horizont ist nur vage zu erkennen. In nahezu realistischer Darstellung hat Bachmann die auf den Strand bzw. das Watt sanft anlaufenden Wellenzungen, die langsam Schaum vor sich herschieben, verbildlicht. Die einzigen Elemente, die das Gefühl von Leere und Weite durchbrechen, sind an Land angeschwemmte Algen. Der Sandbereich ist ockerfarben gestaltet, die noch feuchten Flächen sind im Farbton des Himmels gehalten. Es ist die Weite und das Gefühl von Verlassenheit in dieser faszinierenden Grenzlandschaft, die Bachmann im Bild zum Ausdruck bringt.
68 Abb. im persönlichen Album Bachmanns, Nachlass SHLM, Schloss Gottorf. 69 Abb. vgl. Busch 1943, S. 6. Das gleichnamige Bild »Landwind (Nordsee)« (Abb. im persönlichen Album Bachmanns, Nachlass SHLM, Schloss Gottorf) aus dem Jahre 1938 besitzt nahezu die identische Motivik. Nur einige Bildelemente, wie beispielsweise die unterschiedliche Anordnung der trockenen Wattbereiche, verweisen auf die Verschiedenartigkeit. 70 Bildarchiv Schloss Gottorf, SHLM.
Verbildlichungen von Stimmungen und Dynamik an Wattenmeer und Nordsee
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Abb. B4.15: Alf Bachmann, Nordseeküste, 1932, Pastell, 61 x 81 cm
Abb. B4.16: Alf Bachmann, Landwind (Nordsee), o. D.
Abb. B4.17: Alf Bachmann, Nordsee, 1928, SHLM, Schloss Gottorf
In allen drei Bildern wird die Weite und damit verbundene Assoziation von Unendlichkeit visualisiert. Deiche als bestimmendes Element großer Bereiche der Wattenmeerküste malte er dagegen nur selten; stattdessen band er Inseln und Halligen in seine Bildwelten ein, wie im folgenden Abschnitt anhand exemplarischer Bilder gezeigt wird.
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Bildmotive: Inseln und Halligen Bachmann bereiste viele Inseln und Halligen auf seinen Fahrten im Wattenmeer und band diese motivisch in seine Bilder ein. Dabei visualisierte er auch den Blick von diesen auf das Meer, wie es im Werk »Diesiger Tag (Nordsee, Düne vor Helgoland)«71 (Abb. B4.18) der Fall ist. Die dunstige, nebelverhangene See vor Helgoland ist zu sehen.
Abb. B4.18: Alf Bachmann, Diesiger Tag (Nordsee, Düne vor Helgoland), Privatbesitz
In Bachmanns Bildern sind unterschiedliche Stimmungen der Meeresregion verbildlicht. So ist das Pastellbild »Düne bei Helgoland«72 (Abb. B4.19) zwar auf derselben Insel verortet, es vermittelt jedoch eine gänzlich andere Stimmung.
Abb. B4.19: Alf Bachmann, Düne bei Helgoland, 1937, Pastell, 40,5 x 52 cm
Der Übergang von Land zu Meer steht erneut im Zentrum des Bildes. Die heranrollenden, kleinen Wellen laufen auf einem ruhigen Strand- bzw. Wattbereich aus. Einige Vögel, angeschwemmte Algen und Meeresvegetation säumen den Strand. Im rechten Bildbereich sind in einiger Entfernung die Felsen Helgolands 71 Abb. vgl. Busch 1943, S. 6. 72 Abb. im persönlichen Album Bachmanns, Nachlass SHLM, Schloss Gottorf.
Bildmotive: Inseln und Halligen
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zu erkennen. Der imaginäre Betrachterstandpunkt ist auf dem feuchten Strandbereich angesiedelt mit Blick entlang des Strandbereichs. Ein weiteres ähnlich betiteltes Ölbild »An der Helgoländer Düne«73 (Abb. B4.20) zeigt einen vergleichbaren Blickwinkel.
Abb. B4.20: Alf Bachmann, Düne bei Helgoland, 1937, Öl
Allerdings ist die Nordsee rauer und mit brechenden Wellen dargestellt. Der Strandsaum ist von Tang und Algen übersät und wieder sind einige Vögel im Zwischenbereich verbildlicht. Es ist ersichtlich, dass sich beim Künstler häufig ähnliche maritime Motive und bildsprachliche Elemente wiederholen. Eine Vielzahl von Werken zeigt die Insel Helgoland. Dabei wurden unterschiedliche Perspektiven und Stimmungen bildlich umgesetzt So steht der/die imaginäre Betrachter/in im 1937 entstandenen Gemälde »Juniabend (Helgoland)«74 (Abb. B4.21) auf einer erhöhten Klippe. Der Blick aufs Meer ist visualisiert. Auf der rechten Bildseite ragen noch einige Felsen ins Bild. Die Nordsee ist nur von wenigen Wellen gekräuselt und in einiger Entfernung fährt ein Boot hinaus aufs Meer. Die Licht- und Schattenspiele der Wolken werden im Meer reflektiert. Insgesamt wird eine friedliche Stimmung vermittelt.
73 Abb. im persönlichen Album Bachmanns, Nachlass SHLM, Schloss Gottorf. 74 Abb. im persönlichen Album Bachmanns, Nachlass SHLM, Schloss Gottorf.
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Abb. B4.21: Alf Bachmann, Juniabend (Helgoland), 1937, Pastell, 40 x 52 cm
Bachmann beschäftigte sich thematisch nicht ausschließlich mit den Inseln, sondern auch mit den Halligen. Im Werk »Die Hallig Langeneß«75 (Abb. B4.22) ist von Seeseite her ein Nahblick auf die Hallig gegeben.
Abb. B4.22: Alf Bachmann, Die Hallig Langeneß, o. D.
Eine Warft mit einem Gebäude, einem Friedhof sowie einem ankernden Schiff sind verbildlicht. In der Ferne erhebt sich eine weitere Warft. Bachmann hat gedämpfte Grün-, Rot und Blautöne verwendet und auf seine sonst häufig verwendeten Lichtdarstellungen und -reflexionen verzichtet. Wahrscheinlich entstand das Bild auf einer der Fahrten im Wattenmeer. Darauf verweisen Fotografien in seinem Nachlass (vgl. u. a. Abb. B4.23).76
75 Abb. im persönlichen Album Bachmanns, Nachlass SHLM, Schloss Gottorf. 76 Diese sind auf Langeness während seiner Fahrt im Jahr 1930 entstanden.
Bildmotive: Inseln und Halligen
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Abb. B4.23: Die Hallig Langeneß, Fotografie, 1930
Das 1942 gefertigte Pastell »Ferne Hallig«77 (Abb. B4.24) besitzt im Gegensatz zum vorab genannten Bild eine gänzlich unterschiedliche Wirkästhetik.
Abb. B4.24: Alf Bachmann, Ferne Hallig, 1942, Pastell
Die Hallig steht nicht im Fokus, sondern hebt sich als kleine Silhouette am Horizont ab und fungiert damit als stimmungsschaffendes Motiv. Die Weite des Wattenmeeres wird dadurch ersichtlich.
Abb. B4.25: Alf Bachmann, Herbstabend (Hallig Gröde), Hallig Langeness (Priel), 1930, Pastell, 30 x 60 cm
Auch im Pastellbild »Herbstabend (Hallig Gröde)«78 (Abb. B4.25) ist die Silhouette der Hallig das Stimmungselement. Gesteigert wird dies noch durch die 77 Abb. im persönlichen Album Bachmanns, Nachlass SHLM, Schloss Gottorf. 78 Im Nachlass wird das Bild widersprüchlich betitelt. Zum einen wird die dargestellte Hallig als
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nahezu dramatische Beleuchtung der am Horizont vage zu erkennenden Hallig durch an Scheinwerferlicht erinnernde Sonnenstrahlen. Allerdings können diese Wetterphänomene in der Weise durchaus im Wattenmeer beobachtet werden. Im Vordergrund ist ein Priel zu erkennen, der den Blick der/des Betrachtenden ins Bild führt. Das Watt griff Bachmann, wie auch hier, motivisch häufig im Zusammenspiel mit anderen landschaftlichen Elementen auf. Eine weitere Halligdarstellung liegt im Pastellbild »Hallig in der Morgenfrühe, Habel«79 (Abb. B4.26) vor. Im Vordergrund ist die zum Teil noch mit Wasser bedeckte Wattlandschaft dargestellt. Im morgendlichen Dunst erhebt sich in der Ferne die Hallig, auf der die Silhouetten zweier Gebäude zu erkennen sind. Über diesen erstreckt sich ein sehr weiter Himmelsbereich. Die Gebäude wirken demgegenüber winzig, was die Weite des Wattenmeeres verdeutlicht.
Abb. B4.26: Alf Bachmann, Hallig in der Morgenfrühe (Habel), Pastell
Auch den Blick von der Hallig auf das Meer verbildlichte Bachmann, wie das Werk »Sonnenaufgang bei den Halligen« (Abb. B4.27) zeigt.
Abb. B4.27: Alf Bachmann, Sonnenaufgang bei den Halligen, Pastell Hallig Gröde benannt, der andere Titel lautet »Hallig Langeness, Priel«. Vgl. Nachlass, SHLM, Schloss Gottorf. Letztgenanntes hat Bachmann schriftlich unter die Abbildungen eingetragen. Möglicherweise hat er den Titel irrtümlich frei aus dem Gedächtnis, ohne diesen nochmals zu überprüfen, hinzugefügt. 79 Vgl. Nachlass, SHLM, Schloss Gottorf.
Wattdarstellungen
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Ein Sonnenaufgang ist das zentrale Motiv der Darstellung. Die Silhouetten einiger kleiner Schiffe heben sich vor dem dramatischen Himmelsschauspiel ab. Dies weist auf die Größe und Übermacht der Natur hin, wie sie am Wattenmeer erfahren werden kann.
Wattdarstellungen Im Wattenmeer liegen bei Ebbe bestimmte Sandbänke und ganze Wattbereiche frei. Diese Besonderheit griff der Künstler motivisch zum Beispiel im Pastellbild »Sandbank«80 (Abb. B4.28) auf. Zwei Vögel befinden sich auf einer von Wellen umbrandeten Sandbank. Darüber ist eine diffus wirkende Wolkenszenerie dargestellt.
Abb. B4.28: Alf Bachmann, Sandbank (Nordsee), 1942, Pastell, 60 x 100 cm
Hier fungiert das Watt nicht als eigenständiges Motiv, sondern ist in landschaftliche Darstellungen integriert. Dies verdeutlich ebenfalls das im Jahr 1932 in München wahrscheinlich auf Basis von Studien und Erinnerungen geschaffene Pastellbild »Blick über Watt und Meer«81 (Abb. B4.29).
Abb. B4.29: Alf Bachmann, Blick über Watt und Meer, 1932, Pastell, 45 x 80 cm, Nissenhaus Husum 80 Abb. im persönlichen Album Bachmanns, Nachlass SHLM, Schloss Gottorf. 81 Vgl. Kat. Husum 1993, Kat. 83.
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Alfred Bachmann
In Grau-, Braun- und Blautönen schuf Bachmann die realistisch anmutende Darstellung der friedlichen, zum Großteil mit Wasser bedeckten Wattlandschaft. Der Blick der/des Betrachtenden wird über die Dünen im Vordergrund in die Weite gelenkt. In der Ferne ist nur als weißer Bereich kaum erkennbar die bei Ebbe weit entfernte Wasserfläche der Nordsee zu sehen. Zugvögel ziehen unter einem grau bewölkten Himmel dahin. Die detailliert dargestellten Gräser auf den Dünen im Vordergrund verstärken die Fernwirkung. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts hat Bachmann das Watt als Bildmotiv gewählt wie u. a. eine Abbildung eines aus dem Jahr 1899 stammenden Bildes im Künstleralbum visualisiert (Abb. B4.30).82 Wiederum fungiert das Watt nicht als eigenständiges Motiv, sondern ist im Zusammenspiel mit Wasser und Himmel dargestellt. Bestimmte trockengefallene Bereiche heben sich dunkel vom hellen spiegelglatten Wasser ab. Im Hintergrund ist die heranbrandende Nordsee zu erkennen.
Abb. B4.30: Alf Bachmann, ohne Titel, 1899
Bachmann schuf häufig friedliche und harmonische Ansichten der Wattenmeergegend: Die Ölstudie »Nordsee«83 (Abb. B4.31) vermittelt aufgrund der hellen Farbtöne, die von Ros8-Grau bis hin zu leuchtendem Gelb und Orange im Himmel reichen, einen friedvollen Eindruck.
Abb. B4.31: Alf Bachmann, Nordsee, Öl, 45 x 29 cm, Schloss Gottorf, SHLM 82 Abb. im persönlichen Album Bachmanns, Nachlass SHLM, Schloss Gottorf. 83 Bildarchiv Schloss Gottorf, SHLM 1980/1820.
Wattdarstellungen
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Die Farben werden gedämpft wieder in den feuchten Strandbereichen und Wattflächen aufgenommen. Im vorderen rechten Bildbereich ist der trockene Strand in dunklen Brauntönen gehalten. Die zum Teil flockenartige Gischt kränzt die anlaufenden Wellenzungen. Wie bereits in vielen der hier angeführten Bilder aufgezeigt, gehört zu seinem charakteristischen Motivrepertoire die Darstellung von atmosphärischen Stimmungen.
Abb. B4.32: Alf Bachmann, Im Wattenmeer, 37 x 26 cm, Schloss Gottorf, SHLM
Das Bild »Im Wattenmeer«84 (Abb. B4.32) zeigt eine solche Stimmungslandschaft. Im Vordergrund erhebt sich auf einer trockenen Wattfläche eine angespülte Pflanze. Durch die herabhängenden Pflanzenäste erhält das Werk eine melancholische Komponente. Im Hintergrund zeichnet sich am Horizont vage eine Landerhebung mit Seezeichen ab, die im Zusammenspiel mit der großen Pflanze im Vordergrund eine imposante Fernwirkung evoziert. Das Bild ruft eine friedliche Wirkung bei dem/der Betrachter/in hervor. Eine ähnliche Wirkung vermittelt das Bild »Abend (Wattenmeer)«85 (Abb. B4.33).
Abb. B4.33: Alf Bachmann, Abend (Wattenmeer), Schloss Gottorf, SHLM 84 Bildarchiv Schloss Gottorf, SHLM 1980/1962. 85 Bildarchiv Schloss Gottorf, SHLM.
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Alfred Bachmann
In einer dunstigen Abendstimmung bestimmen unterschiedlich nuancierte Grautöne das Bild. Das Wasser ist wiederum als glatte Fläche dargestellt. Die Algen im Vordergrund verweisen darauf, dass das Wasser nur sehr flach den Wattboden bedeckt. Zwei von Algen behangene Pricken ragen leicht schräg in die Höhe und fungieren als Verbindungselement von Himmel und Erde. Unscharf ist in einiger Entfernung ein Schiff mit geborgenen Segeln mit einem Beiboot dahinter zu erkennen. Möglicherweise liegt es dort vor Anker. Das Bild strahlt durch die Motivik und Farbwahl eine Ruhe aus, die an diesigen Tagen im Wattenmeer zu erleben ist. Anhand dieser exemplarischen Bilder ist ersichtlich, dass Bachmann Wattdarstellungen häufig in landschaftliche Stimmungen integrierte. Das Watt als eigenständiges Motiv hat er nicht umgesetzt.
Verbildlichung von Lichtstimmungen und Wetterphänomenen Wie die bereits zuvor angeführten Bilder zeigen, inspirierten Bachmann insbesondere die durch Lichteinfall und Wetterphänomene erzeugten Stimmungen am Wattenmeer. Bachmann setzte sowohl diffuse Lichtstimmungen wie auch dramatische Lichteffekte ein. Erstgenanntes ist im Werk »Abend (Wattenmeer)« (Abb. B4.33) zu sehen. Vor allem die Pastellmalerei eignet sich zur Darstellung solch atmosphärischer Wirkungen. Als weiteres Beispiel solcher Stimmungsbilder sei auf das Werk »Blick auf das Wattenmeer« (Abb. B4.34) aus dem Jahr 1925 verwiesen.
Abb. B4.34: Alf Bachmann, Blick auf das Wattenmeer, 1925, Pastell, 35 x 49 cm, Privatbesitz
Die Wolken sind diffus gestaltet. Einige Wattbereiche in bräunlichen Farben ragen aus den blau-grauen Wasserbereichen. Der Himmel zeigt die gleichen Farbtöne wie das Meer. Am Horizont sind ungenau einzelne Gebäude zu erkennen. Die nahezu spiegelglatte Wasserfläche erzeugt eine friedliche Stimmung. Ein trockengefallenes Segelschiff und zwei Wasservögel im vorderen rechten Bildteil vertiefen den Eindruck eines friedlichen Naturerlebens.
Verbildlichung von Lichtstimmungen und Wetterphänomenen
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Der Lichteinfall im Wattenmeer, den Bachmann selbst in unterschiedlichster Form erlebte, inspirierte ihn zu verschiedenen künstlerischen Umsetzungen. Zum Teil wirken diese wie inszeniert.
Abb. B4.35: Alf Bachmann, Sonnenstrahlen (Nordsee), 1939, Pastell, 70 x 70 cm
So steigerte er in dem Pastellbild »Sonnenstrahlen (Nordsee)«86 (Abb. B4.35) die Lichtwirkung ins Dramatische: Aus dunklen Wolken im oberen linken Bildbereich brechen an Scheinwerferlicht erinnernde Sonnenstrahlen hervor. Diese durchziehen den Himmel, an dem sich in der Ferne am Horizont helle Wolkentürme abheben. Einige Vögel in der rechten oberen Bildhälfte scheinen zum Licht hinauf zu fliegen. Sie setzen sich als schwarze Silhouetten vor den Lichtstrahlen ab. Im Vordergrund spiegelt sich das Licht in den Wasserflächen des Wattbereichs. In einiger Entfernung ist die Brandung der Nordsee zu sehen. Vereinzelt schieben sich Wellenzungen nach vorne. Bachmann hat nahezu auf jegliche Staffage verzichtet und so das Wattenmeer, das Zusammenspiel von Land und Meer in den Fokus gestellt. Durch den Hell-Dunkel-Kontrast und den dramatischen Lichteffekten wird die Wirkung des Dargestellten gesteigert. Allerdings sind am Wattenmeer durchaus derart dramatische Lichtspiele zu beobachten. Wetterphänomene können dort schnell wechseln. Bachmann hat dies erlebt und sowohl Sonnenstrahlen als auch Regenschleier als Stimmungselemente in seinen Bildern eingesetzt. Exemplarisch für weitere Lichteffekte und Hell-Dunkel- Kontraste sei auf das Werk »Am Wattenmeer«87 (Abb. B4.36) verwiesen. Die linke obere Bildecke ist von einer dunklen Wolke verhangen, die sich bis in die Mitte des oberen Bildrandes zieht. Ein Regenschauer ist wie ein Theatervorhang dargestellt. Die Dunkelheit wird als Reflexion im linken unteren Bildbereich sowie im gesamten Vordergrund wieder aufgegriffen. Der Blick des Betrachters / der Betrachterin 86 Abb. im persönlichen Album Bachmanns, Nachlass SHLM, Schloss Gottorf. 87 Abb. im persönlichen Album Bachmanns, Nachlass SHLM, Schloss Gottorf.
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Alfred Bachmann
wird durch den dunklen Rahmen in die Ferne auf den hellen Bereich gelenkt. Nur einige Wolken ziehen am Himmel und spiegeln sich auf der spiegelglatten Oberfläche des Wattenmeeres.
Abb. B4.36: Alf Bachmann, Am Wattenmeer, 1949, Pastell, 51 x 65 cm
Als Beispiel für die Verbildlichung von Regenschleiern fungiert zudem das gleichnamige Bild (Abb. B4.37).88
Abb. B4.37: Alf Bachmann, Regenschleier (Nordsee), 1937, Pastell, 36 x 50 cm
Wie im vorigen Werk scheinen die dunkleren Bildbereiche die helle Zone in der Mitte zu rahmen. Das Zusammenspiel von Himmel und Meer steht im Fokus. Der Regen ist hier nur als Schleier angedeutet. Im Gegensatz dazu besitzen die Regenschleier im Werk »Regenschauer (Nordsee)«89 (Abb. B4.38) aus dem Jahre 1918 große Bedeutung für die Wirkästhetik.
88 Abb. im persönlichen Album Bachmanns, Nachlass SHLM, Schloss Gottorf. 89 Bildarchiv Schloss Gottorf, SHLM 1980/1951.
Verbildlichung von Lichtstimmungen und Wetterphänomenen
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Abb. B4.38: Alf Bachmann, Regenschauer (Nordsee), 1918, 14 x 25 cm, Schloss Gottorf, SHLM
Der obere Bildteil wird von dunklen grau-blauen Regenwolken beherrscht. Aus diesen gehen in schrägen Linien einzelne Regenschauer nieder. Sie verleihen dem Bild eine atmosphärische Wirkung. Weitere Aspekte unterstützen die Wirkung: Die Farbe des Himmels direkt über dem Horizont wird in den feuchten Flächen reflektiert. Die weiße an den Strand brandende Gischt trennt den Strand- und Wattbereich von der dunkleren Nordsee ab. Das Werk »Aprilabend im Wattenmeer«90 (Abb. B4.39) vereint dagegen unterschiedliche Wetterphänomene.
Abb. B4.39: Alf Bachmann, Aprilabend am Wattenmeer
Im Vordergrund geht ein grau-blau getönter Regenschleier nieder. Über dem Horizont türmen sich dagegen hell erleuchtete Wolkenberge auf. Sie spiegeln sich in den glatten Wasserflächen, aus denen in rötlich-hellbraunen Tönen die trockenen Wattbereiche herausragen. Auf Staffage wurde gänzlich verzichtet und das Naturschauspiel wie so häufig in Bachmanns Bildern in den Fokus gesetzt. Der Künstler griff auch unterschiedliche Tages- und Nachtstimmungen auf. So ließ er sich ebenfalls von der in Mondlicht getauchten Wattlandschaft inspirieren und setzte diese bildlich um: Das Bild »Mondstrahlen am Wattenmeer«91 (Abb. B4.40) hat eine nahezu mystisch verklärte Wirkung. 90 Abb. im persönlichen Album Bachmanns, Nachlass SHLM, Schloss Gottorf. 91 Abb. im persönlichen Album Bachmanns, Nachlass SHLM, Schloss Gottorf.
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Alfred Bachmann
Abb. B4.40: Alf Bachmann, Mondstrahlen am Wattenmeer
Das Licht des Mondes bricht hinter den Wolken hervor und lässt das Wattenmeer als eine silbrig erleuchtete Fläche erscheinen. Einige ankernde Boote wirken gegenüber der Wolkendarstellung recht klein. Sie sind nicht detailliert ausgearbeitet, sondern nur als Silhouetten zu erkennen, die sich im Wasser spiegeln. Jedoch hat Bachmann derart verträumte Stimmungen am Wattenmeer selbst erlebt und konnte darauf zurückgreifen.92
Sturmdarstellungen Bachmann hat das Wattenmeer nicht ausschließlich als friedliche, harmonische Landschaft bildlich umgesetzt, sondern ebenso die Stürme und die Gewalt des Meeres visualisiert. An dieser Stelle wird auf einige dieser Bilder eingegangen. Im Werk »Pricken im Wattenmeer (Wolkenschatten)«93 (Abb. B4.41) ist eine stürmische Ansicht bei Hochwasser zu sehen.
92 In den Aufzeichnungen seiner Frau über ein damaliges Rendezvous an der nordfriesischen Küste des damals noch unverheirateten Paares wird eine romantische Perspektive auf das Wattenmeer ersichtlich: »Dahin ging es in die warme Septembernacht am Wattenmeer entlang. Der Mond glitzerte auf den Wassern und Watten und den kleinen Tümpeln und Wasserrinnen der Außenweiden, des dunklen Vorlandes. Es roch nach See, die würzige Vegetation duftete, Pferd und Wagen glitten lautlos auf dem weichen Boden. Wir waren eingefangen in einen Frieden, in eine unendliche Weite und Stille und darin auch keiner Worte mächtig, nur unsere Hände fanden sich still in tiefem Verstehen für immer.« Bachmann, Christa o. J., S. 10f. Das Geschilderte ist zwar nicht im Bild »Mondstrahlen am Wattenmeer« visualisiert, doch verdeutlicht es, dass Bachmann das Wattenmeer als vielseitigen Stimmungsraum erlebte. 93 Unter diesem Titel ist es von Busch angeführt, vgl. Busch 1943. Im Album Bachmanns besitzt es den Titel »Baaken im Wattenmeer« (Nachlass SHLM, Schloss Gottorf, Op. Nr. 1744). Der Künstler hat im persönlichen Album angeführt, dass sich das Original an Bord des Kreuzers Nürnberg befindet.
Sturmdarstellungen
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Abb. B4.41: Alf Bachmann, Pricken im Wattenmeer (Wolkenschatten), Baaken im Wattenmeer, 1938, Öl, 70 x 70 cm
Die sturmgebeugten Pricken zeigen den Verlauf eines Priels an. Der wolkenverhangene Himmel unterstützt die Dramatik des Dargestellten. Weiße Vögel heben sich vor dem dunklen Himmelsszenario ab. Die Gewalt des Meeres hat Bachmann vielfach visualisiert, so auch im Pastellbild »In der Abendsonne (Nordsee)«94 (Abb. B4.42). Die Gischt der aufgepeitschten Wellen wird durch den starken Sturm verweht. Gegen den dunklen, stürmischen Himmel heben sich hell leuchtend die Wellen und die Gischt ab. Ebenso werden die weißen Körper einiger über der Brandung fliegender Vögel beleuchtet. Das Lichtspiel und der damit verbundene Hell-Dunkelkontrast vertieft die dramatische Wirkung.
Abb. B4.42: Alf Bachmann, In der Abendsonne (Nordsee), 1937, Pastell, 50 x 80 cm
Die Faszination für die im Sturm aufgepeitschte Nordsee zeigt sich ebenso in seinen Skagen-Bildern. In Skagen treffen Ost- und Nordsee aufeinander. Dieses Naturphänomen scheint großen Eindruck auf den Künstler ausgeübt zu haben, wie seine Bilder belegen.
94 Abb. im persönlichen Album Bachmanns, Nachlass SHLM, Schloss Gottorf.
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Alfred Bachmann
Das Ölgemälde »Sturm (Skagen)«95 (Abb. B4.43) zeigt am Strand brechende Wellen der aufgepeitschten See.
Abb. B4.43: Alf Bachmann, Sturm (Skagen), Öl, 100 x 175 cm
Eine Welle ist dabei im Moment des Brechens dargestellt. Der Sturm peitscht die Gischt weg und aus den düsteren Wolken lösen sich Regenschauer. Die Gewalt des Sturmes ist eindrucksvoll wiedergegeben. Bachmann wandelte diese Motivik in seinen Werken immer wieder etwas ab, behielt jedoch grundlegende Elemente bei wie auch im folgenden Bild ersichtlich ist.
Abb. B4.44: Alf Bachmann, Skagens Riff, 1925 gemalt 1941, Pastell, 60 x 100 cm
Im 1941 entstandenen Werk »Skagens Riff«96 (Abb. B4.44) wölbt sich wiederum ein bedrohlicher Sturmhimmel über der aufgewühlten See, die in hohen Brechern an den Strand peitscht. Im Vordergrund ist der Schaum der Wellen, die am Strand auslaufen, zu sehen. Einige schwarze Tang- und Algenpflanzen stellen die einzigen Staffageelemente dar. Ebenfalls hielt der Künstler malerisch Gewitterstimmungen fest. Das Ölgemälde »Gewitterwolken«97 (Abb. B4.45, Farbabbildung) wirkt durch den starken Hell-Dunkel-Kontrast dramatisch. Die schweren Gewitterwolken erzeugen eine bedrohliche Wirkung. Angestrahlt von der Sonne leuchtet die Gischt der sich brechenden Wellen. Der in dunklen Blau-, Grau- bis hin zu Lilatönen gestaltete 95 Abb. im persönlichen Album Bachmanns, Nachlass SHLM, Schloss Gottorf. 96 Abb. im persönlichen Album Bachmanns, Nachlass SHLM, Schloss Gottorf. 97 Bildarchiv Schloss Gottorf, SHLM 1980/1832.
Verbildlichung der Tierwelt des Wattenmeeres
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Himmelsbereich spiegelt sich in den feuchten Strand- oder Wattflächen. Trockene Bereiche in der rechten Bildhälfte im Vordergrund sind in Ockertönen gehalten. Die zum Teil ins Lila übergehenden Farbtöne des Himmels und ihrer Spiegelungen im feuchten Wattbereich bilden einen Komplementärkontrast mit den gelblichen Farben der Gischt und des Strandes. Dies unterstützt die Leuchtkraft der Farben. Es ist die Faszination des Sturmes an der Meeresküste, die der Künstler in vielen dieser seriellen zum Teil sehr ähnlichen Bildern zum Ausdruck bringt.
Verbildlichung der Tierwelt des Wattenmeeres Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts war Bachmann für die Vielfalt der Vogelwelt im Wattenmeer sensibilisiert und hat diese in verschiedenen Bildern visualisiert. In einigen der im vorigen Kapitel angeführten Bilder, wie »Blick auf das Wattenmeer« (Abb. B4.34) und »Sonnenstrahlen (Nordsee)« (Abb. B4.35), sind Vögel als Staffage motivisch eingebunden. Bachmann setzte sie vielfach zur Unterstützung der Stimmung ein. In Sturmbildern beleben sie die Lüfte, in friedlichen Darstellungen werden sie dagegen oft sitzend am Strandbereich dargestellt.98 Im Pastellbild »Zugvögel im Wattenmeer«99 (Abb. B4.46). hielt Bachmann das Wattenmeer als Rastplatz unzähliger Zugvögel fest. Es zeigt die amphibische Natur des Wattenmeeres mit Vogelschwärmen in unterschiedlichen Formationen sowie rastenden Vögeln. Es ist ersichtlich, dass das Wattenmeer Rastplatz aber auch Lebensraum darstellt.
98 Kuhlemann, ein Bekannter des Künstlers führt diesbezüglich Folgendes an: »Auf seinen Wattenmeer-Motiven findet man sehr oft Vogelschwärme, weit weg, als Wolke, wie sie in Wirklichkeit sind, die aber der Ornithologe sofort auch artmäßig an der Weise des Fluges feststellen kann.« Kuhlemann, Thies 1993, S. 26. 99 Abb. im persönlichen Album Bachmanns, Nachlass SHLM, Schloss Gottorf.
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Alfred Bachmann
Abb. B4.46: Alf Bachmann, Zugvögel im Wattenmeer, 1941, Pastell, 40 x 52 cm
Wie bereits erwähnt, fügte der Künstler Vögel als Motiv ein, um Stimmungen zu verstärken wie beispielsweise im Bild »Untergehende Sonne«100 (Abb. B4.47, Farbabbildung). Die kleinen Vögel, die sich im Vordergrund im seichten Wasser spiegeln, betonen den friedlichen Charakter der Abendstimmung am Meer. Dies lässt sich auch im Werk »Ziehende Wildschwäne« (Abb. B4.48) erkennen. Es zeigt zwei über das Watt fliegende weiße Wildschwäne. Die gebeugte Pricke verstärkt den melancholischen Charakter des Werkes.
Abb. B4.48: Alf Bachmann, Ziehende Wildschwäne, Pastell
Im Bild »Seeschwalben (Nordsee)«101 (Abb. B4.49) stehen die Vögel entgegen der Titelgebung nicht im Fokus, sondern sind am Küstensaum in die Landschaft integriert. Sie wirken allerdings ein wenig unnatürlich und wie ins Bild montiert.
100 Abb. vgl. Kat. Husum 1993, Umschlagbild. 101 Die Tatsache, dass er dieses Bild während des Ersten Weltkriegs malte, zeigt, dass er kein großes Interesse besaß den Krieg künstlerisch zu thematisieren.
Verbildlichung der Tierwelt des Wattenmeeres
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Abb. B4.49: Alf Bachmann, Seeschwalben (Nordsee), 1917, Öl, 30 x 50 cm
Während in diesem Werk die maritime Szene im Vordergrund steht, wird in dem kleinformatigen Bild »Seetang und Austernfischer«102 (Abb. B4.50) der Blick der/ des Betrachtenden auf ein großes Büschel an den Strand geschwemmten braunen Seetang sowie zwei Austernfischer gelenkt. Diese wirken gegenüber dem großen Tang klein und zierlich. Der Bildausschnitt beschränkt sich auf den Strandbereich mit langsam heranrollenden, schaumbekränzten Wellenzungen.
Abb. B4.50: Alf Bachmann, Seetang und Austernfischer, Öl, 31 x 42 cm, SHLM, Schloss Gottorf
Bachmann hat nur wenige Werke von Wattenmeer und Nordsee geschaffen, in denen die Vögel als Hauptmotiv fungieren. Exemplarisch sei auf die Bilder »Vogelstudie (Brandenten) Malmö«103 (Abb. B4.51), »Brandenten im Vorland, Sylt«104 und »Schlafende Silbermöwe (Helgoland)«105 (Abb. B4.52) verwiesen.
102 103 104 105
Bildarchiv Schloss Gottorf, SHLM 1980/1839. Vgl. Kat. Husum 1993, S. 29. Vgl. ebd., Kat. 62. Vgl. ebd., Kat. 86.
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Abb. B4.51: Alf Bachmann, Vogelstudie (Brandenten) 1902
Abb. B4.52: Alf Bachmann, Schlafende Silbermöwe (Helgoland), Öl, 30 x 60 cm, SHLM, Schloss Gottorf
Schon als Kind hatte Bachmann großes Interesse an der Ornithologie.106 Später widmete er sich intensiv der Vogelkunde, verfasste einige wissenschaftliche Schriften und band die Vögel motivisch immer wieder in seine Werke ein.107 Kuhlemann, ein Bekannter des Künstlers, berichtete rückblickend begeistert über das ornithologische Interesse Bachmanns:108 106 Er wurde von seiner Mutter für intensive Naturwahrnehmungen, insbesondere der Beobachtung von Vögeln, sensibilisiert. Vgl. Hans Thoma-Gesellschaft (Hg.) 1953, S. 4. Vgl. 13. Rundbrief (Weihnachten 1952) der Hans Thoma-Gesellschaft, Nachlass Bachmanns, SHLM Schloss Gottorf, vgl. ebenso Brandes-Druba 1993, S. 12. 107 Bachmanns Leidenschaft für die Vogelwelt wurde in der Rezeption positiv herausgestellt. Exemplarisch sei auf einen Artikel in den Altonaer Nachrichten aus dem Jahr 1904 verwiesen. In einer Passage wird sein ornithologisches Interesse in seiner Kunst benannt: »Besondere Aufmerksamkeit verdient Alf Bachmann. Sein Hauptaugenmerk richtete der Maler auf Vögel, besonders Seevögel und er geniesst als Ornithologe einen ebenso bedeutenden Ruf wie als Kunstmaler. Durch eine scharfe Beobachtungsgabe ausgezeichnet, verbunden mit grossem, künstlerischem Talent, leistete er auf dem Gebiete der Forschung über Seevögel, ihre Nester und Niederlassung, die diese Wissenschaft manches Grosses. Seine Bilder […] erfreuen sich aber nicht nur streng wissenschaftlicher Naturtreue, sondern trotzdem oder gerade deshalb auch grosser Farbenfreudigkeit und einer brillanten Technik.« Anonym 1904, Nachlass Bachmanns, Schloss Gottorf SHLM. 108 Vgl. Kuhlemann, Thies 1993, S. 22.
Verbildlichung der Tierwelt des Wattenmeeres
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»Bachmann habe ich 1937 auf Helgoland kennengelernt. Er hatte dort eine kleine Ausstellung in der Biologischen Anstalt. Es stellte sich bald heraus, daß Bachmann ein bedeutender Ornithologe und Zoologe war. Er hat im Meerwarth-Soffel, einem Standardwerk, die Tiere der Arktis bearbeitet. Er kannte jeden Vogel.«109
Bachmann ist einer der wenigen Maler, der sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Vogelwelt im Wattenmeer sowohl naturwissenschaftlich als auch künstlerisch näherte.110 So hielt er sich eine Zeitlang auf der nur von einem Vogelwart bewohnten Insel Memmert südwestlich von Juist auf, um ornithologische Studien durchzuführen.111 Er verfasste einige Aufsätze, die er in der Ornithologischen Monatsschrift veröffentlichte.112 Seine intensiven Beobachtungen des Verhaltens der Vögel zeigen, dass er für die Tierwelt sensibilisiert war. Seine Beobachtungen führte er oft unter schwierigen Umständen durch. Im Folgenden wird ein Einblick gegeben: »Memmert, den 15. Juni; frischer Ostwind, sonnig; nachmittags 5 Uhr. – Ich [Bachmann] stehe am Weststrande, wo die weißen Dünen von Borkum in der Sonne über das Wasser herüberglänzen. Ein Tümmlerpärchen fischt behaglich dicht am Ufer ; hoch in der Luft tönt kreck-kreck und kriäh der Zwergseeschwalbe; ihr Gelege, 3 Eierchen, liegt nicht weit vom Strande, auf der Hochwassermarke zwischen kleinen Muscheln. Mit Axt und Säge bin ich beschäftigt, mir eine Hütte zu errichten aus Hummerkisten und Wracktrümmern. Ein angeschwemmter Papageikäfig, in dem noch ein toter grauer Papagei liegt, liefert mir den Draht; ein altes Kajütenfenster habe ich nach Westen eingefügt.«113
Der Künstler führte seine Vogelbeobachtungen sowohl zu verschiedenen Tageszeiten als auch bei unterschiedlichen Wetterbedingungen in einer spartanisch, selbst zusammengezimmerten Hütte durch.114 »Um die armen Vögel nicht unnötig aufzuregen, gehe ich weiter, nachdem ich auf eine kleine Erhebung neben das eine Sturmmövennest, das ich von meiner Beobachtungshütte im Seeschwalbengebiet übersehen kann, eine Handvoll gelben Hornklee gelegt habe, um den Platz mit dem Glase sofort wiederfinden zu können. Nun krieche ich in 109 Kuhlemann, Thies 1993, S. 22. 110 Damit steht er in der Tradition des im 19. Jahrhundert auf Helgoland tätigen Malers Heinrich Gätke. Diesen führte das ornithologische Interesse auf die Insel. Durch die genaue Beobachtung der Vögel erschloss sich ihm die Schönheit dieser Natur und er entwickelte sich zum Maler. Vgl. u. a. Bairlein, Becker 2010, S. 12–23. 111 Memmert wurde lange Zeit im Rahmen von Vogeljagden ausgeplündert. Im Jahr 1908 erfolgte die Ernennung zur »Vogelkolonie«. 112 Vgl. Bachmann 1910, 1910a, 1910b, 1910c, 1010d, 1910e. 113 Bachmann 1910e. 114 »Um das Zur-Ruhe-gehen der Seeschwalben zu beobachten, lasse ich mich zu der kleinen Hütte begleiten, die ich mir aus einem halbdurchgesägten, eingegrabenen Faße und einer dachartigen, darüberstehenden Laube aus Wrackstücken, Reisern und Strandhafer erbaut habe.« Bachmann 1910d.
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meine Hütte, die ich noch mit einigen Hummerkisten verkleidet habe, zwischen deren Brettern ich wie durch Schiessscharten hindurchsehen kann, ohne dass die Vögel jede meiner Bewegungen bemerken. Es regnet unaufhörlich.«115
1908 schuf er eine Ölstudie »Memmert«116 (Abb. B4.53), die eine Vogelgruppe am Strand zeigt.
Abb. B4.53: Alf Bachmann, Memmert, 1908, Öl, 25 x 42, SHLM, Schloss Gottorf
Abb. B4.54: Alf Bachmann, Ebbe (Juist 1912), SHLM, Schloss Gottorf
Einer Notiz auf der Rückseite des Werkes »Ebbe«117 (Abb. B4.54) nach hielt er sich im Jahr 1912 wiederum auf Juist auf, in dessen Nähe Memmert liegt. Das Bild »Ebbe« geht wahrscheinlich auf diese Reise zurück, auch im darauffolgenden Jahr war er dort anwesend.118 Bachmann kam dann nach einem längeren Zeitraum erst wieder Jahr 1933 nach Juist und auf die Vogelinsel Memmert. Dies belegt eine Notiz im persönlichen Album des Künstlers. »Juist Juni 1933« notierte er unter dem Bildtitel »Beginnende Ebbe«119 (Abb. B4.55). Das Werk zeigt eine harmonische Szene mit 115 116 117 118 119
Bachmann 1910b, S. 455. Bildarchiv Schloss Gottorf, SHLM 1980/1828. Bildarchiv Schloss Gottorf, SHLM 1980/1949. Abb. und Notiz in Fotoalbum Bachmanns, Nachlass SHLM, Schloss Gottorf. Abb. im persönlichen Album Bachmanns, Nachlass SHLM, Schloss Gottorf. Dieses Bild schuf er laut Inschrift ein Jahr später. Im persönlichen Album des Künstlers ist noch eine
Verbildlichung der Tierwelt des Wattenmeeres
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feuchtem Wattbereich und einigen Vögeln, die wie im vorigen Bild allerdings nur als Staffage fungieren.
Abb. B4.55: Alf Bachmann, Beginnende Ebbe, 1934, Öl
Ein weiteres auf den Aufenthalt zurückgehendes Bild, »Memmert, Möwenkolonie«120 (Abb. B4.56) unterscheidet sich von seinen üblichen stimmungshaften Meeresdarstellungen. Während sich auf der rechten Bildhälfte eine Düne erhebt, wird der Blick auf das Meer und eine Möwenkolonie am Strand gelenkt.
Abb. B4.56: Alf Bachmann, »Memmert« Möwenkolonie, 1933, Öl, 18 x 26 cm
Alf Bachmann hat bereits ein Jahrhundert vor der Ernennung des Wattenmeeres zum Welterbe die Schönheit der Tierwelt entdeckt. Allerdings sind es hauptsächlich Vögel, die er motivisch aufgriff. Ein weiteres im Wattenmeer lebendes Tier, den Seehund, verbildlichte er nur selten. Exemplarisch sei auf das Ölgemälde »Seehundsplaate«121 (Abb. B4.57) verwiesen.
weitere Darstellung von Juist eingeklebt. Abb. im persönlichen Album Bachmanns, Nachlass SHLM, Schloss Gottorf. 120 Abb. im persönlichen Album Bachmanns, Nachlass SHLM, Schloss Gottorf. 121 Abb. im persönlichen Album Bachmanns, Nachlass SHLM, Schloss Gottorf.
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Alfred Bachmann
Abb. B4.57: Alf Bachmann, Seehundsplaate, Öl
Die Robben und Seehunde sind allerdings nur sehr klein dargestellt und stehen nicht im Mittelpunkt des Bildes. Im Vordergrund branden Wellen an eine Sandbank. Auf dieser liegen kaum erkennbar die Tiere. Daneben in der linken Bildhälfte erstreckt sich ein Priel, dessen Verlauf durch Pricken kenntlich gemacht ist. Aus einem Wolkenhimmel bricht in der linken Bildhälfte Licht hervor. Die Pricken heben sich silhouettenhaft gegen den Himmel ab. Anhand dieses Werkes wird wiederum ersichtlich, dass Bachmann zwar Tiere in ihrem Lebensraum Wattenmeer verbildlichte, aber Tierporträts nur selten anfertigte. Tote Tiere sind eine Ausnahme in seinem Werk. Eins dieser wenigen trägt den Titel »Tote Lumme«122 (Abb. B4.58) und ist wahrscheinlich durch ein Erlebnis eines verheerenden Wintersturms inspiriert. Die tote Lumme im Zentrum des Bildes, deren kleiner, weißer Vogelkörper wie angestrahlt wirkt, ist das Hauptmotiv. Sie spiegelt sich in der Wasserfläche, in der sie liegt. Die dunklen Bereiche des Watts im oberen und unteren Bereich des Bildes lenken den Blick in das Bildzentrum. Bachmann war durchaus mit dem Anblick toter Vögel vertraut – auch in Bezug auf Sturmerfahrungen.123 122 Bildarchiv Schloss Gottorf, SHLM 1980/1811. Unter dem Titel »Nordfriesisches Wattenmeer« in der Großen Deutschen Kunstausstellung 1942 ausgestellt. Vgl. Kat. München »Grosse Deutsche Kunstausstellung« 1942, S. 18, Nr. 24. 123 Exemplarisch sei auf eine Beschreibung solch eines dramatischen Naturereignisses verwiesen: »Es ist ein düsterer Wintertag. Der Sturm heult seit drei Tagen aus Westen, rast über die schmutzig grünen Wogen der Nordsee und wälzt die Wassermassen über die langen Sandriffe, die den ostfriesischen Inseln vorgelagert sind. Am Horizont verschwimmen Himmel und See in einem weißlich-grauen Ton, und in den Prielen, die langen Sandinseln entlang, schwimmt in großen Haufen gelblichgrauer, dicker Schaum, der langsam ans Ufer treibt; dort packt ihn der Sturm, reißt ihn in Fetzen, rollt ihn die Düne hinauf, jagt mit ihm ein weites Stück durch die Luft und läßt ihn endlich in die starren Sanddornfelder fallen, die zwischen altem Schilf und braunen Gräsern die Dünentäler bedecken. Dann wühlt sich der Sturm in die Dünen hinein, wo er eine unbewachsene Stelle findet, treibt den weißen Sand wirbelnd in die Höhe, entführt ihn über die nasse Außenweide und streut ihn ins Wattenmeer herunter. Und er rast weiter, rührt das flache Wattenmeer auf, so gut er kann und saust an den Scharen von Wattvögeln und Enten vorbei, die ihre Köpfe gegen die Windseite gewandt, mit angezogenem Halse still dasitzen auf den miesmuschelbestandenen Sandbänken. In
Verbildlichung der Tierwelt des Wattenmeeres
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Abb. B4.58: Alf Bachmann, Tote Lumme, Öl, 18 x 27 cm, SHLM, Schloss Gottorf
Dies zeigen auch seine Notizen zu einem schweren Sturm an der Nordseeküste und dessen Auswirkungen auf die Vogelwelt: »Dazwischen liegt eine verendete Ringelgans, naß und sandig, mit struppigem Gefieder ; dort eine zweite. Dann kommen wieder, zwischen Tangmassen und Schaum, einzeln und zu mehreren, Stummelmöwen und Stockenten, Sturmmöwen, Seetaucher und Pfeifente. Hier liegt zusammen mit allerlei Arten Enten, besonders Sammet- und Trauerenten, die kaum mehr kenntlich sind in dieser elenden Verfassung, ein brauner Baßtölpel. Aber zwischen all den Opfern, die der Orkan zur Strecke brachte, und die viele
seinem Brausen verhallt das tausendstimmige Rott-Rott-Rott der Ringelgänse, die dort das Seegras abweiden. […] Aber draußen auf See ist’s doch am ärgsten. Der Dampfer, der, von Rußland kommend, nach Westen steuert, wühlt seine Nase tief in eine Welle hinein und wirft große Wassermengen auf seinen Rücken, wie eine badende Riesenente. Der Schornstein ist mit einer weißen Salzkruste überzogen, und der dicke Rauch wird hinuntergedrückt auf die Wogen. Und wie es dem Kapitän zu toll kommt und das Rollen immer schlimmer wird, läßt er die Seile durchschneiden, mit denen die Terpentinfässer auf Deck festgebunden sind, und bald hüpfen in langen Reihen die Fässer taumelnd dem Schiffe hinterher. Doch die Nacht wird noch fürchterlicher. Dicke Schneemassen fliegen horizontal übers Meer, so daß auf zweihundert Schritt keine Laterne mehr zu sehen ist und sämtliche Leuchttürme erloschen zu sein scheinen. Die Flut staut sich mächtig zwischen den Inseln, läßt das Wasser nicht hinaus aus dem Wattenmeer, und wenn die Ebbe eingesetzt hat, springen die Meereswogen in rasendem Kampfe gegen die Wellen des ausströmenden Watts. So toben die brutalen Gewalten noch einen Tag und eine Nacht, als wollten sie alles verschlingen. Zwischen den Dünen bilden sich neue Durchbrüche, durch die sandige, tiefe Wasserbäche wie Gebirgswässer entlang laufen vom Watt zur See: die Außenweide ist ein schmutziger See geworden und die Brunnen der armen Insulaner, die an der Wattseite wohnen, werden mit Salzwasser gefüllt. Endlich erhellt sich der Himmel langsam. Der Wind kommt mehr aus Nordwesten, wird schwächer und schwächer, das Watt beginnt allmählich zu fallen und am Nordstrand tritt das Meer schon etwas zurück vom Fuße der Dünen. Die öden gleichmäßigen Halmpflanzen, die die Menschen in langwieriger Arbeit im Sommer pflanzten, um die schmalen Inseln gegen die Wut des Meeres zu verteidigen, hat er herausgewühlt, daß die Wellen sie wegschwemmten. Die Dünen sind weißgefleckt von kleinen Schneefeldern, und der Schnee, der von der Seeseite herangeweht wurde gegen die unabsehbare Reihe von Holztrümmern, Tang, Kisten, Fässern und Bambusstangen, die das fallende Wasser zurückließ, liegt als nasser Matsch da, vermischt mit Sand und Schaum.« Bachmann o. J., S. 591ff.
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Kilometer weit den Strand bedecken, liegen zu vielen, vielen Tausenden die Leichen eines ganz eigentümlichen Wasservogels […], der Tordalk.«124
Es ist ersichtlich, dass Bachmann detailliertes Wissen über die verschiedenen Vogelarten besaß, wie diese und seine weiteren Aufzeichnungen belegen.125 Derartige Sturmerlebnisse setzte der Künstler teilweise motivisch um. Die heute von Menschen verursachten Bedrohungen der Tierwelt im Wattenmeer und in der Nordsee durch Verschmutzung mit Öl, weiteren Schadstoffen und Abfällen sowie die noch nicht absehbaren Auswirkungen des Klimawandels waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch nicht so ausgeprägt. Damit war auch der Schutzgedanke noch nicht in der Weise etabliert, wie es heutzutage der Fall ist. Das Wattenmeer galt vielen, auch Bachmann, als ein Jagdgebiet.
Bilder des Wattenmeeres als Jagdgebiet Bachmann brachte den Vögeln nicht ausschließlich ornithologisches Interesse entgegen, gleichzeitig frönte er im Wattenmeer der Jagd. Auf den ersten Blick scheinen seine Liebe zur Vogelwelt und seine Jagdleidenschaft nicht vereinbar zu sein.126 Anlässlich des 89. Geburtstages des Künstlers werden Verknüpfungspunkte in Bezug auf seine Tätigkeiten in der Kunst, als Forscher und Jäger benannt: 124 Bachmann o. J., S. 591ff. 125 »Wie ist es nun möglich, daß ein Vogel [Tordalk], der so ganz und gar dem hohen Meere angehört, schon nach einem mehrtägigen Sturm in der traurigsten Verfassung, mit leerem Magen und bis zum Skelett abgemagert, zu ungezählten Tausenden verendet oder doch ganz gänzlich erschöpft, an den Strand getrieben werden kann? Er ist ganz und gar darauf angewiesen, sich durch Tauchen kleine Fische, wie junge Heringe, Sprotten, Sandaale und Stichlinge zu erjagen. Nun muß es wohl vorkommen, daß die flache Nordsee, die ja nirgends über zweihundert Meter tief ist, [..] bei anhaltenden Westwinden bis zum Grunde aufgewühlt und undurchsichtig wird; dann sehen die tauchenden Vögel die Fische, die sie teils auf dem Meeresgrunde ergreifen, teils von unten nach der Oberfläche jagen und so erbeuten müssen, überhaupt nicht mehr. Das schöne Fettpolster, das sie sich als eiserne Ration aus ihrer Heimat mitbrachten, zehrt sich auf, und wenn der kleine Körper erst einmal durch Hunger entkräftet ist, treibt er bald matt und willenlos in die Brandungswellen hinein. Zu schwach geworden zum Fliegen, ertrinkt der unermüdliche Schwimmer, der kleine, elegante Taucher elend in dem flachen Wasser. […] Wie ein dummer und brutaler Jäger hat das ungastliche Meer die schönen kleinen Flüchtlinge aus dem Norden hingemordet und sie achtlos auf den Strand geworfen.« Bachmann o. J., S. 595f. 126 Jedoch beschränkte sich diese stark auf den Fischfang. Ostini beschrieb Bachmanns Jagdleidenschaft in dem Skizzenbuch wie folgt: »Er hat von der Sardine bis zum Walfisch alles fischen helfen, was im Salzwasser schwimmt.« Hans Thoma-Gesellschaft (Hg.) 1953, S. 3.
Bilder des Wattenmeeres als Jagdgebiet
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»Mancher Jäger hat vieles mit dem Forscher gemeinsam, beide sind wiederum oft dem Künstler verwandt. Wie es Maler gibt, die Büchse oder Flinte führen, gibt es wiederum Jäger, die mit Feder und Pinsel umzugehen wissen, und schließlich jagt oftmals der Forscher fernen Zielen nach, als habe er sich auf weltweite Pirsch begeben. Alf Bachmann, der Maler des Meeres und Schilderer der Seevögel, hat ein solches Maler-, Forscher- und Jägerleben geführt.«127
Dem Artikel wurde das Werk »Jäger am Wattenmeer« (Abb. B4.59) beigefügt.
Abb. B4.59: Alf Bachmann, Jäger am Wattenmeer, Öl
Es zeigt einen Jäger mit Gewehr und Hund, der an der Wasserkante im Watt steht und Ausschau nach Beute hält.128 Das Bild illustriert die Beschreibung eines Jagdausfluges ins Norderneyer Wattgebiet, in dem damals noch »freie Jagd und Fischfang« erlaubt waren.129 In einer weiteren Darstellung mit dem Titel »Wattenjäger«130 (Abb. B4.60) visualisiert Bachmann einen in den Dünen sitzenden Jäger mit Gewehr, der aufs Meer hinausschaut. Neben ihm liegt ein großer erlegter Vogel.
127 Deutsche Jäger-Zeitung 1952, S. 254. Weiterhin wird dargestellt, dass Bachmann seine Motive in vielen Ländern und auf vielen Meeren fand, dass das Wattenmeer jedoch eine besondere Rolle spielte: »Dort erjagte er seine unvergleichlichen Stimmungen, auf einsamen Vogelinseln, auf gechartertem, altem Holzewer trieb er monatelang zwischen Bänken und Sänden, malte und lebte vom Fischfang und der Jagd. […] Der ehrende Beiname ›Maler des Meeres‹ wird dem Künstler Bachmann eher gerecht. Grüne Wellenberge hat er nie gemalt, aber mit hingeworfenem Vogelflug, Sandbänken und Treibgut, Strandvögeln das große Lied der Einsamkeit und der Weite des Meeres gestaltet, wie es nur wenigen gelang.« Ebd. 128 Vgl. Weigold o. D. 129 Vgl. ebd. 130 Das Bild wurde in der Glaspalastausstellung 1923 präsentiert.
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Abb. B4.60: Alf Bachmann, Wattenjäger, Öl
Bachmann fertigte nicht nur Illustrationen an, sondern verfasste ebenso kleine Artikel für Jagdzeitschriften.131 Er nahm an zahlreichen Jagden und Fischgängen teil, sodass er aus eigener Erfahrung schöpfen konnte. Damals war dies für die Insel- und Küstenbewohner eine wichtige Nahrungsbeschaffungsmöglichkeit. Da die Sehweise des Wattenmeeres als Jagdzone heute dem Schutzgedanken des Welterbes widerspricht, wird ein Einblick in die im 20. Jahrhundert noch üblichen Jagdpraktiken gegeben und dazu der von Bachmanns Werk »Jäger am Wattenmeer« illustrierte Artikel herangezogen.132 Folgender Absatz verdeutlicht die heute unvorstellbare Jagdperspektive im Watt:133 131 Exemplarisch sei auf den Artikel »Der Kolkrabe« verwiesen, der in der Jagdwochenschrift »St. Hubertus. Der Heger« erschien. Vgl. Bachmann 1927. Darin nimmt er auf das Verhalten des Kolkraben Bezug. Die zugehörige Illustration zeigt einen Kolkraben, der an einen toten, an den Strand geschwemmten Häringshai frisst. Jedoch ist in Bezug auf den Text wahrscheinlich ein isländischer Strand und nicht das Wattenmeer dargestellt. Das Wattenmeer, das bei Ebbe, ebenfalls zum Fressplatz einiger Raben wird, findet nur am Rande Erwähnung; der Fokus liegt auf Island. Vgl. Bachmann 1927. In dem von Hugo Weigold verfassten Artikel »Im Watt« schuf Bachmann die Illustration »Jäger im Watt«. Vgl. Weigold o. D. 132 Es werden ebenso einige ästhetisch geprägte Darstellungen des Wattenmeeres gegeben, die sich inhaltlich nicht auf die Jagd beziehen. Vgl. Weigold o. D. Weiterhin wird die Durchführung von Landgewinnungsmaßnahmen beschrieben. Dabei wird das Watt primär als potentieller Ackerboden für den Menschen dargestellt: Vgl. ebd. 133 »Deshalb gehen wir möglichst rasch, aber ohne zu plätschern, auf den Trupp zu, und so wie einer der Regenpfeifer die Flügel hebt, krachen unsere Schüsse, obgleich es wohl noch sechzig Schritt sein mögen. Wir haben Glück gehabt: Drei Stück bleiben liegen, und zwei fallen noch aus der Luft herab. Gespannt eilen wir hin; was haben wir erlegt? Drei Stück sind trotz der verschiedenen Färbung Alpenstrandläufer ; diese mausern jetzt gerade aus dem braungefleckten schwarzbäuchigen Sommerkleide in das graue Winterkleid um, daher das verschiedene scheckige Aussehen. Aber da ist ja auch ein ganz kleiner sperlingsgroßer Strandläufer dabei, der in dem schwarzen langen Schnäbelchen, den schwarzen Füßen und der oben braunfleckigen, unten weißen Färbung ein Alpenstrandläufer in kleiner Ausgabe ist; es ist ein Zwergstrandläufer. Als dritte Art liegt schließlich noch ein Sandregenpfeifer vor uns, ein allerliebster Vogel, oben dunkelgraubraun, unten weiß, ein schwarzer Brustgürtel, ein weißer Halsring und eine weiße Stirn, dazu gelbe Ständer, die im Leben unheimlich rasch trippeln können, ein kurzer Schnabel an dem dicken Köpfchen, das Kennzeichen der Regenpfeifer.
Bilder des Wattenmeeres als Jagdgebiet
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»Noch mehrfach lassen sie [Isländische Strandläufer] sich durch unser Pfeifen verlocken, in Schwärmen an uns nahe vorbeizufliegen, und jedesmal stürzen einige herab. Die Jagd fängt an wild zu werden. Dutzende hängen schon auf den Rucksäcken, ihr Schweiß färbt Kleider und Hände, bespritzt die nackten Beine, die Flinten sind fast rot von Rost, der sich hier vom Salzwasser fast augenblicklich bildet. Aber immer weiter gehen wir, wieder kommt ein Schwarm meinem Genossen auf schönste Schußweite vorbei. Zwei Schüsse krachen, und wie die Pflaumen beim Schütteln fallen die großen, so ungemein schmackhaften Vögel, von denen es hier Tausende gibt. Zehn Stück lesen wir auf. Wieviel mögen wir wohl im Ganzen haben? Wir wissen es nicht mehr.«134
Die Vielfalt der Vogelarten – heute ein Grund für die Ernennung zum Welterbe – war damals ein Anreiz zur Jagd.135 Obwohl Bachmann einige Illustrationen für Jagdzeitschriften schuf, in der das Wattenmeer als Jagdraum visualisiert ist, band er die Vogelmotivik weitgehend nur als stimmungsunterstützendes Bildelement ein. Dies gilt auch für figürliche Darstellungen. Es ist die Stimmungslandschaft »Wattenmeer«, die im Fokus vieler seiner Bilder steht.136
Schnell wird die Beute an den Beinen auf die Rucksäcke gehängt, und weiter geht’s, dem nächsten Trupp zu. Denn überall stehen auf den Seegraswiesen Vögel herum; viele gehen mit allerlei lieblichen Flöten- und Pfeiflauten zu weit ab, aber dann und wann glückt doch ein weiter Schuß, immer sind es aber Alpenstrandläufer und Sandregenpfeifer. Hin und her geht die Jagd, unzähligemal wird versucht, an größere Vögel, Brachvögel, Limosen, Kiebitzregenpfeifer oder helle Wasserläufer heranzukommen, immer vergebens. Wenn ein Schwarm von Vögeln – meist sind es fünfzig bis zweihundert Stück, mitunter auch Tausende von Alpenstrandläufern – umherrschwirrt unter sanften Drüi-Rufen, dabei einmal nur die Oberseite, im nächsten Augenblick, alle zugleich im selben Moment schwenkend, nur die blendend weiße Unterseite zeigend, dann ducken wir uns nieder, immer leise pfeifend, um den Lockruf nachzuahmen. Dann kommt es wohl vor, daß ein solcher Schwarm sich unter heftigem Sausen bis auf Schußweite naht: in seiner rasenden Fahrt schwenkt er dann plötzlich ab, zu spät, zwei Doppelschüsse fahren quer durch und, wenn es nicht zu weit war, fallen manchmal fünf, ja wohl auch acht und noch mehr Stück. Ist es doch andern Jägern vorgekommen, daß ein Schuß 29 Stück herabwarf. […] Wir verfolgen einen Trupp größerer Strandläufer, die wir nicht gleich erkennen. Endlich halten sie aus, und unsere Schüsse strecken fünf der turteltaubengroßen, ganz grauen, unten weißen Vögel nieder. Zu unsrer Freude sind es Isländische Strandläufer, hochnordische Gäste, die im Sommer sehr schön rostbraun gefärbt sind.« Vgl. Weigold o. D. 134 Vgl. Weigold o. D. 135 Auch andere Tiere wie der Wattwurm, wurden unter diesem Aspekt betrachtet. So wird der Wattwurm im Artikel ausschließlich als Köder für Fischer betrachtet: »Immer weiter sind wir hinaus ins Watt gegangen, längst haben wir die Seegraswiesen verlassen und wandern auf wunderbar festem Boden, der übersät ist mit den Exkrementhäufchen des Sandwurms, jenes allgemein als Köder von den Fischern benutzen, tief im Sande wühlenden Wurms, der in unfaßbarer Menge im Wattenmeere lebt.« Vgl. Weigold o. D. 136 Vgl. Bilderliste in Kat. Husum 1993, S. 81f.
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Bildmotive: Mensch und Meer Obwohl Bachmann häufig einsame, stimmungsvolle Strand- und Meeresansichten schuf, band er ebenfalls Menschen motivisch ein.137 Es sind zumeist Küsten- oder Inselbewohner, für die das Wattenmeer Alltags- und Berufsraum war, die Eingang in seine Bildwelten finden. Dabei steht jedoch oft nicht deren Tätigkeit im Vordergrund, sondern sie werden motivisch in die Stimmungslandschaft eingefügt. Dies ist beispielsweise im Ölgemälde »Nordsee« (Abb. B4.61) ersichtlich, das im Nationalsozialismus Würdigung erfuhr und auf der Großen Deutschen Kunstausstellung 1941 präsentiert wurde.138
Abb. B4.61: Alf Bachmann, Nordsee, Öl
Über dem Meer geht ein Regenschauer nieder. Im Vordergrund läuft gebeugt und mit Fischereiutensilien beschwert ein älteres Fischerpärchen über die feuchte Wattfläche. Ein Einblick in die wetterabhängige Arbeit traditioneller Fischerei ist gegeben. Angesichts der Wolkenfront und des Unwetters wirken die klein dargestellten Menschen der Natur schutzlos ausgeliefert und verdeutlichen wiederum die Größe dieser Natur. Dagegen vermittelt das Pastellbild »Fischerboot (Wattenmeer)«139 (Abb. B4.62) einen friedlichen Eindruck. Auf einer spiegelglatten Wasserfläche, unterbrochen von trockenen Bereichen im Wattenmeer, stakt ein Fischer mit einem Ruderboot. Den Großteil des Bildes nimmt ein leicht bewölkter Himmel ein, der sich über dem Fischer und dem Wattenmeer erstreckt und die Weite veranschaulicht.
137 Vgl. hierzu Paust 1993. 138 Kat. München »Grosse Deutsche Kunstausstellung« 1941, S. 18, Nr. 31. 139 Abb. im persönlichen Album Bachmanns, Nachlass SHLM, Schloss Gottorf.
Bildmotive: Mensch und Meer
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Abb. B4.62: Alf Bachmann, Fischerboot (Wattenmeer), 1932, Pastell, 44 x 33 cm
Abb. B4.63: Alf Bachmann, Abend am Priel (Wattenmeer), 1929, Pastell, 26 x 37 cm
Das drei Jahre zuvor entstandene Werk »Abend am Priel (Wattenmeer)«140 (Abb. B4.63) zeigt ebenfalls einen Fischer, der in seinem Boot vornübergebeugt seiner Tätigkeit nachgeht. Auch hier nimmt der Himmel den Großteil der Bildfläche ein. Das Wasser im Priel ist spiegelglatt. Der Himmel ist klar und nur von einigen Wolken durchzogen. Am Horizont beginnt die abendliche Dämmerung aufzusteigen. Die hell spiegelnden Wasserflächen bilden einen Hell-Dunkel-Kontrast zu den dunklen Wattflächen. Dunkel hebt sich das Boot mit dem Fischer vom Wasser ab. Die Spiegelungen von diesem sowie von den Pricken verstärken den Eindruck nahezu unbewegter Wasserflächen. In diesem Bild stehen der Fischer und sein Boot nicht im Fokus, vielmehr fügen sie sich in die stimmungsvolle, friedliche abendliche Wattlandschaft ein. Ein weiteres stimmungsbeladenes Bild hat den Titel »Morgengrauen (Wattenmeer)«141 (Abb. B4.64).
140 Abb. im persönlichen Album Bachmanns, Nachlass SHLM, Schloss Gottorf. 141 Bildarchiv Schloss Gottorf, SHLM.
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Abb. B4.64: Alf Bachmann, Morgengrauen (Wattenmeer), 1929, Pastell, 26 x 37 cm, SHLM, Schloss Gottorf
Es zeigt eine dunstige Morgenstimmung in Blau- und Grautönen. Der bleiche Mond steht noch am Himmel und spiegelt sich im Wattenmeer. Die Silhouette eines beladenen Fischers, der durch das seichte Wasser zu seinem Boot watet, hebt sich dunkel vom den hellen Farben des Wassers ab. Wieder ist die Wasserfläche ungetrübt und Boot und Fischer spiegeln sich in dieser. Sie wirken klein und verloren angesichts der Weite von Wattenmeer und Himmel. Farblich verschwimmt die Trennlinie zwischen Meer und Himmel. Über dem Horizont erstreckt sich ein fahler, gelber Streif und kündigt den kommenden Morgen an. In diesem sowie in den zuvor angeführten Werken, in denen Menschen mit der Übermacht der Natur konfrontiert sind, werden die Weite und der Stimmungsreichtum des Wattenmeeres deutlich.
Abb. B4.65: Alf Bachmann, Muschelgräber im Watt, 1896, Öl, 73 x 62 cm, Nissenhaus Husum
Im Gegensatz dazu steht in einem von Bachmanns frühen Werke, aus dem Jahre 1896 der Beruf des Muschelgräbers im Fokus (Abb. B4.65). Während dieses Bild eine friedliche Stimmung im Wattenmeer vermittelt, zeigt das Bild »Heimkehrende Hummerboote« (Abb. B4.66) die raue Seite der Nordsee: Angesichts der Weite des Meeres und der hohen Wellen, wirken die Fischerboote nichtig. Dies
Bildmotive: Mensch und Meer
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ist eine der wenigen Darstellungen von Bachmann, in denen die Gefährlichkeit des Fischerberufes visualisiert ist.
Abb. B4.66: Alf Bachmann, Heimkehrende Hummerboote, 1942
Im Jahre 1918 schuf der Künstler die kleinformatige Ölstudie »Schafhirte, Westerhever«142 (Abb. B4.67).
Abb. B4.67: Alf Bachmann, Schafhirte, Westerhever, 1918, Öl, 19 x 27 cm
Dies verdeutlicht, dass er nicht nur das Meer in seinen Werken aufgriff, sondern ebenfalls die Küstenlandschaft mit ihren Menschen. Im Vordergrund sitzt ein Schäfer auf dem Deich. Zu seinen Füßen liegt ein schwarz-weiß gefleckter Hund. Dahinter ist eine Grasebene mit weidenden Schafen zu erkennen. Im Hintergrund hebt sich klein am Horizont der markante Leuchtturm Westerhever mit den zwei Nebengebäuden ab. Der Künstler verbildlichte auch Rituale der Küstenbewohner. So entstand im Jahre 1930 das Werk »Sonnenwendfeuer bei Sturm (St. Peter)«143 (Abb. B4.68).
142 Vgl. Kat. Husum 1993, Kat. 71. 143 Bildarchiv Schloss Gottorf, SHLM.
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Abb. B4.68: Alf Bachmann, Ausschnitt, Sonnenwendfeier bei Sturm (St. Peter), 1930, Pastell, 28 x 47 cm, SHLM, Schloss Gottorf
Er hat dies selbst während seiner Aufenthalte in St.-Peter erlebt. Vor dem vom Sturm niedergedrückten Sonnenwendfeuer heben sich die Silhouetten eines Erwachsenen und eines Kindes ab, die das Geschehen beobachten. Links vom Feuer ist eine Anzahl Menschen mit Fackeln zu erkennen. Große, dunkle Rauchschwaden werden vom Sturm nach rechts gedrückt und verdunkeln diesen Bereich. Die Farben des Bildes sind eher untypisch für Bachmanns Malstil. Das Feuer ist in leuchtenden Gelb- und Rottönen gestaltet und hebt sich vom klaren Blau des Himmels ab. Es steht somit im Fokus des Bildes. Die Darstellung kultureller Riten in der Wattenmeerregion stellt allerdings eine Ausnahme in seinem Motivrepertoire dar. In einem anderen Bild visualisierte er die eigene Tätigkeit als Maler am Wattenmeer.144 Das Gemälde »Landschaftsmaler am Meer«145 (Abb. B4.69) zeigt in Rückenansicht einen Maler, der seine Staffelei im noch feuchten Watt nahe der Wasserkante aufgebaut hat und dort arbeitet. Eine hellblaue Nachtstimmung mit einem sichelförmigen Mond evoziert eine friedliche Stimmung.
Abb. B4.69: Alf Bachmann, Landschaftsmaler am Meer 144 Die Fotografien (Abb. B5.5, B5. 6, B5.7) aus seinem Nachlass belegen, dass Bachmann unter freien Himmel unter erschwerten Bedingungen im Watt gearbeitet hat. 145 Abb. im persönlichen Album Bachmanns, Nachlass SHLM, Schloss Gottorf.
Bildmotive: Mensch und Meer
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Während in seinen Bildern die Menschen häufig verschiedenen Tätigkeiten nachgehen, so gibt es einige Werke, in denen Rückenfiguren in reiner Naturbetrachtung dargestellt sind. Exemplarisch sei auf das Ölgemälde »An der EmsMündung«146 (Abb. B4.70) aus dem Jahre 1941 verwiesen.
Abb. B4.70: Alf Bachmann, An der Ems-Mündung, 1941, Öl, 30 x 60 cm
Ein kleiner Junge in Rückenansicht blickt auf das Wattenmeer hinaus. Während Bachmanns sonstige Bilder häufig durch Leere und Weite beeindrucken, wirkt dieses Werk beinahe überladen. Im Vordergrund sind einzelne Pflanzen detailliert ausgearbeitet. Im Watt steht ein hölzernes Gerüst, möglicherweise ein Seezeichen. Vögel beleben neben Resten von Holzpfählen die Mitte des Bildes. Im Hintergrund ist die Silhouette der anderen Uferseite der Ems zu erkennen. Der Blick auf das Wattenmeer ist durch ein Schiff und dem aus dem Schornstein quellenden Dampf verstellt. Rückenfiguren können – in der Tradition der Romantik – als Identifikationsfiguren für den/die Betrachterin dienen. Vorab beschriebenes Werk steht allerdings in einem anderen Kontext. Möglicherweise sind Einflüsse nationalsozialistischer Kunstideale eingeflossen. Darauf können das Entstehungsdatum und die Darstellung des kleinen blonden Jungen verweisen. Das Werk wurde in der Großen Deutschen Kunstausstellung gezeigt.
Abb. B4.71: Alf Bachmann, Spaziergang am Meer (Nordsee), 1948, Pastell, 30 x 60 cm
Im Gegensatz zu diesem Bild besitzt das Werk »Spaziergang am Meer (Nordsee)« (1948) (Abb. B4.71) eine gänzlich andere Wirkästhetik. Es zeigt das einsame Naturerleben am Meer. Das Werk entstand im Jahr 1948 und geht möglicher-
146 Abb. im persönlichen Album Bachmanns, Nachlass SHLM, Schloss Gottorf.
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weise auf seinen Aufenthalt anlässlich seines 85. Geburtstags auf der Insel Föhr zurück.147 Der Strandbereich mit den anlaufenden Wellen ist atmosphärisch dargestellt. Es herrscht eine diffuse Lichtstimmung. Auf dem Strand steht klein und in Profilansicht eine Person, die auf das Meer hinausschaut.148 Durch die schwarze, im Wind wehende Kleidung hebt sie sich von den im übrigen Bild eingesetzten bläulich-bräunlichen Farbtönen ab. Die Konfrontation des Menschen mit der Weite des Meeres und der Strandlandschaft ist eindrucksvoll visualisiert. Badegäste und Touristen griff Bachmann als Motiv nicht auf. Seine in Briefen übermittelte abfällige Bezeichnung »Badepöbel«149 lässt darauf schließen, dass der Künstler diese Personen als störend empfand. Er bevorzugte das einsame Naturerlebnis. Somit ist es nicht verwunderlich, dass die Motivik badender und sich am Strand vergnügender Menschen in seinem Werk keine bedeutende Rolle spielt.
Abb. B4.72: Alf Bachmann, Grauer Sommertag, (Nordsee), 1917, Öl, 42 x 53 cm
Als Staffage für die Darstellungen der einsamen Meereslandschaft verbildlichte er auch die Zeichen menschlicher Zivilisation wie die Reste eines Weidenkorbs im Ölbild »Grauer Sommertag (Nordsee)«150 (Abb. B4.72). Dieser liegt am Wassersaum und wurde entweder angespült oder von Menschen zurückgelassen. Er hebt sich dunkel von der feuchten Watt- oder Strandfläche ab. Außer dem Korb, der sich im feuchten Watt spiegelt, ist nur die Weite von Meer und Land dargestellt, über der sich ein bewölkter Himmel erstreckt. Das Bild vermittelt 147 Vgl. Angerer 1984, S. 164. 148 Durch die kleine Darstellung der Person im Gegensatz zum weiten Meer- und Küstenbereich werden Assoziationen an Caspar David Friedrichs Bild »Mönch am Meer« geweckt. Vgl. Angerer 1984, S. 164. Dieser wählte jedoch eine Rückenfigur. Durch die seitliche Darstellung des Menschen in Bachmanns Werk ist eine Identifikation durch den Betrachter nur schwer möglich. 149 Vgl. Kapitel »Bachmanns Aufenthalte am Wattenmeer«. 150 Abb. im persönlichen Album Bachmanns, Nachlass SHLM, Schloss Gottorf.
Bildmotive: Mensch und Meer
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wiederum den Eindruck von Ferne, aber ebenso von Einsamkeit und Verlassenheit. Der Umstand, dass das Werk im Kriegsjahr 1917 geschaffen wurde, könnte in Bezug zu Bachmanns Kriegserfahrungen und dem Tod seines Sohnes im Jahre 1915 gelesen werden. Dies ist jedoch kritisch zu sehen, da sich Einsamkeit und Weite im Kontext maritimer Darstellungen wie ein roter Faden durch sein Werk ziehen und damit nicht an Kriegserfahrungen geknüpft sind. Politische Ereignisse reflektiert Bachmann allgemein nicht in seinen Nordsee- und Wattenmeerdarstellungen. Ebenso spricht gegen eine Bezugnahme des Bildes »Grauer Sommertag« zu den Kriegserlebnissen der Fakt, dass er das Motiv des angeschwemmten Weidenkorbs bereits 1908 im Ölbild »Austernfischer«151 (Abb. B4.73) aufgegriffen hat. Der Weidenkorb ist mit zwei Austernfischern im Vordergrund arrangiert. Im Hintergrund erstreckt sich ein Streifen Nordsee und darüber der Himmel. Verfallene Elemente menschlicher Zivilisation wurden von Bachmann primär als Staffage und zur Unterstützung einer Stimmung eingesetzt.152
Abb. B4.73: Alf Bachmann, Austernfischer, 1908, Abb. B4.in Nachlass SHLM
Auch die Überreste von Küstenschutzmaßnahmen griff er auf, beispielsweise in der Ölstudie »Alte Buhne (Wattenmeer)«153 (Abb. B4.74).
151 Abb. im Nachlass Bachmanns, Schloss Gottorf SHLM. 152 So können die Überreste des Weidenkorbes schwermütige Empfindungen hervorrufen. Ebenso bedient er sich dieses Motivs 1936 im Pastellbild »Nordseebrandung« (Abb. im persönlichen Album Bachmanns, Nachlass SHLM, Schloss Gottorf). Diesmal ist der Korb vom ablaufenden oder auflaufenden Wasser überspült. Wiederum wird der Eindruck von Weite und Verlassenheit in der Grenzzone von Land und Meer erweckt. Neben dem Korb ist als weitere Staffage ein Paar fliegender Vögel visualisiert. 153 Bildarchiv Schloss Gottorf, SHLM 1980/1810.
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Abb. B4.74: Alf Bachmann, Alte Buhne, Wattenmeer (Föhr), 1927, Öl, 19 x 27 cm
Diese kleinformatige Studie weicht von den naturalistisch ausgearbeiteten Wattenmeerdarstellungen ab, da die ins Wattenmeer hinauslaufende, verfallene Buhne nur mit wenigen groben Pinselstrichen angedeutet ist. Umgeben wird sie von einer zum Teil noch überfluteten Wattfläche. In einiger Entfernung erheben sich die Dünen einer Insel. Aktuelle Küstenschutzmaßnahmen inspirierten Bachmann dagegen nicht zur künstlerischen Umsetzung.
Bildmotive: Schiffe und Meer Die Schifffahrt besaß zwar Bedeutung im Werk Bachmanns, doch im Gegensatz zu den Marinemalereien seiner Zeit stellen die Schiffe nicht das Hauptmotiv dar. Bachmanns Intention lag nicht darin, die Technik oder Navigation detailliert dazustellen. Stattdessen werden Schiffe in seinen Werken häufig als Stimmungselement eingebunden, wie beispielsweise in den bereits vorab beschriebenen Werken »Mondstrahlen am Wattenmeer«154 (Abb. B4.40), »Sonnenaufgang bei den Halligen« (Abb. B4.27), »Diesiger Tag (Nordsee, Düne vor Helgoland)«155 (Abb. B4.18) und »Abend (Wattenmeer)«156 (Abb. B4.33). Im Folgenden wird noch auf einige Bilder verwiesen:
154 Abb. im persönlichen Album Bachmanns, Nachlass SHLM, Schloss Gottorf. 155 Abb. vgl. Busch 1943, S. 6. 156 Bildarchiv Schloss Gottorf, SHLM.
Bildmotive: Schiffe und Meer
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Abb. B4.75: Alf Bachmann, Wattstudie, 1927, Öl, 18 x 26 cm, SHLM, Schloss Gottorf
In einer im Jahr 1927 geschaffenen »Wattstudie«157 (Abb. B4.75) verbildlichte er ein Segelschiff mit dem traditionell dunkelroten Segel. Im Vordergrund sind eine Wattlandschaft sowie eine horizontal in die Bildfläche ragende Sandbank angedeutet. Wahrscheinlich ist das Bild auf einer von Bachmanns Fahrten im Wattenmeer entstanden. Im Jahre 1929 hielt er sich im Mai und Juni in St. Peter-Ording auf. Dort entstand das Bild »Abendstille (St. Peter)«158 (Abb. B4.76).
Abb. B4.76: Alf Bachmann, Abendstille (St. Peter), 1929, 17 x 25 cm, SHLM, Schloss Gottorf
Es erweckt durch die hellblauen Farbtöne von Himmel und Wasser, die teilweise leicht ins Grünliche oder Graue übergehen, im Zusammenspiel mit dem Ocker der trockengefallenen Wattflächen einen friedlichen Charakter. Verstärkt wird dieser durch die ruhige Meeresoberfläche. Ein Segelboot und zwei Ruderboote heben sich silhouettenhaft von den hellen Tönen ab. Die ankernden Boote vertiefen den Eindruck von Ruhe und Frieden. Im Vordergrund sucht eine Schar Vögel in den Wattflächen nach Futter.
157 Bildarchiv Schloss Gottorf, SHLM 1980/1809. 158 Bildarchiv Schloss Gottorf, SHLM 1980/1957.
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Alfred Bachmann
Das Werk »Stiller grauer Tag (Nordsee)«159 (Abb. B4.77) zeigt dagegen einen detaillierter ausgearbeiteten Segler, der im leicht bewegten Wasser dahingleitet.
Abb. B4.77: Alf Bachmann, Stiller grauer Tag (Nordsee), Öl, 36 x 51 cm, SHLM, Schloss Gottorf
Ebenso hat er das gestrandete Schiff in Form des Wracks motivisch eingebunden. Das Bild »Wrack in den Dünen (Nordsee)«160 (Abb. B4.78) zeigt die Überreste eines Bootes im Sand der Dünen. In der Ferne ist noch ein Streifen des Meers zu sehen.
Abb. B4.78: Alf Bachmann, Wrack in den Dünen (Nordsee), Öl, 42 x 54 cm, SHLM, Schloss Gottorf
Anhand der in den vergangenen Kapiteln angeführten Bilder ist ersichtlich, dass das stimmungsvolle Naturerleben und nicht die detaillierte Darstellung der Schiffe im Vordergrund von Bachmanns Kunst stand.
159 Bildarchiv Schloss Gottorf, SHLM 1980/1782. Grautöne dominieren das Bild. Die braunen Segel und die dunklen Farben des Rumpfes heben sich von den hellen Tönen von Himmel und Meer ab. 160 Bildarchiv Schloss Gottorf, SHLM.
Einblicke in die Rezeption
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Einblicke in die Rezeption Da Bachmanns Tagebücher (bis 1947) verbrannten, ist ein Bezug auf Selbstzeugnisse – zum Beispiel anhand des Skizzenbuches und von Unterlagen im Nachlass – nur eingeschränkt möglich. Im Nationalsozialismus wurden seine Werke gewürdigt. Die im Nachlass befindlichen Materialien, Bachmanns Kunstauffassung sowie die unveränderte Bildmotivik geben Aufschluss darüber, dass er seine Bilder nicht nationalistisch und politisch instrumentalisierte. Um die Rezeption seiner Wattenmeer- und Nordseedarstellungen zu beurteilen und Rückschlüsse auf mögliche Künstlerintentionen zu ziehen, wird ein Einblick in Sekundärquellen aus unterschiedlichen Zeiträumen gegeben.
a)
Rezeption vor 1933
Es ist ersichtlich, dass seine Werke zeitlebens gewürdigt wurden. Bereits 1898 wurde eine positive Kritik in den »Hamburger Nachrichten« veröffentlicht.161 Dem Künstler wurde ein »gesunder Sinn für das Naturschöne« zugeschrieben.162 Im Jahr 1901 zog man im Rahmen einer Besprechung des Kieler Kunstvereins ebenfalls eine positive Resonanz auf seine maritimen »Stimmungsbilder«.163 Bachmanns Werke wurden auf Ausstellungen präsentiert und erreichten eine zunehmend breitere Öffentlichkeit. So erfolgte auf der Großen Berliner Kunstausstellung im Jahre 1905 eine Präsentation von Bachmanns Werk »Kommende Flut«164 (Abb. B4.11). Ein Rezipient lobt in einem Artikel in der Leipziger Volkszeitung aus dem Jahre 1905 die Verbildlichung der Schönheit und der »Lebendigkeit des ewig wechselnden Naturspiels« und verweist damit auf die Dynamik dieser Landschaft.165 Es wird herausgestellt, dass Bachmann in seiner Stimmungskunst die Größe des Meeres nachempfinde.166 Weiterhin wird die 161 »Eine interessante koloristische Aufgabe, der sogar eine gewisse herausfordernde Kühnheit nicht abzusprechen ist, hat Alfred Bachmann in einem großen ›Frührot am Meeresstrande‹ mit vielem Geschick und künstlerischem Feingefühl gelöst. In den feuchten Seeboden rinnenden, in schaumigen Ringen auslaufenden flachen Strandwellen, in denen das jungfräuliche Frührot badet, steckt viel Wahrheit – wie in dem Maler selbst, der dieses Farbphänomen zu malen unternommen, ein gesunder Sinn für das Naturschöne steckt.« Hamburger Nachrichten 1989, zitiert nach Angerer 1984, S. 157. 162 Vgl. Hamburger Nachrichten 1989, zitiert nach Angerer 1984, S. 157. 163 Kieler Zeitung 1901, zitiert nach Angerer 1984, S. 157. 164 Abb. in Nachlass SHLM, Schloss Gottorf. 165 »Gleich bewundernswert ist hier die Lebendigkeit des ewig wechselnden Naturspiels in allen Linien und die völlige lichtgesättigte Harmonie der Farben. Wie dadurch im Bildraum völlig die Schönheit des Naturschauspiels auch geschaffen wurde, ist das, womit wie immer der Könner zum Künstler wird.« Vgl. Anonym 1905. 166 »Oft, ja meist sehen die Künstler, die bildenden und redenden, in der Bewegung des Meeres
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Alfred Bachmann
Farbwahl als gelungen herausgestellt.167 Inhaltlich betonte man Bachmanns Absetzung von der Marinemalerei, in der Schiffe das primäre Sujet darstellen168 Stattdessen wurde die Darstellung der menschenleeren Küste mit dem Blick aufs Meer gelobt.169 Bereits 1906 wurde als Neuheit anerkannt, dass der Künstler die Pastellmalerei für Seestücke nutzte und diese sich insbesondere für die Verbildlichung von atmosphärischen Meeresstimmungen eigne.170 Durch den weichen Duktus des Pastells können Dunst und diffuse Lichtstimmungen mit ineinander übergehenden Farbtönen geschaffen werden. Ebenso eignet sich die Pastellmalerei zur Darstellung von Wasser mit seiner dynamischen Bewegtheit und den verfließenden Formen.171 In einer Besprechung im Jahre 1916 wurde gelobt, dass Bachmann den traditionellen naturalistischen Stil aufgreife und sein Werk keine avantgardistischen Einflüsse zeige.172 Dadurch »haben die Bilder den Reiz des Selbstver-
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etwas Dramatisches, in seiner Erhabenheit furchtbar Ernsthaftes. Gerade das ist der Reiz an Bachmanns ›Kommender Flut‹, daß er den Mantel lichter Farbenpracht, den sich das Meer zur Verhüllung seiner Furchtbarkeit in Gewalt und ruheloser Bewegung umwirft, dieses Malerische des Meeres, so rein empfunden und nachgeschaffen hat.« Vgl. Anonym 1905. »Die beiden Bilder sind neue Belege für die vornehm verinnerlichte Stimmungskunst dieses Münchner Malers.« Vgl. Anonym 1905. »Ausgesucht harmonisch in seinem lichten Grau auf ersterem Bilde, das übers Watt spülende Meer mit dem hellrosa durchleuchteten Wolkenflocken-Himmel. Während auf dem zweiten Bilde in der dunkelblauen mit grünen Lichtern durchsetzen Meeresdämmerung die schäumende Brandung schemenhaft zu verebben scheint.« Vgl. Anonym 1905. »Es ist nicht die weite Meeresfläche, die der Schiffahrt dient, aber auch ihr gefährlich wird, wie die alten holländischen Marinemaler die See gerne schilderten. Einzelne schwarze Segel in der Ferne wirken hier mehr wie Erscheinungen im farbigen Spiel des Atmosphärischen.« Anonym (Dr. P.) 1906. »Der Strand, wenn er dazu gemalt ist, ist öde verlassene Fläche. Das Meer in seiner gewaltigen Einsamkeit, die uns unterreichbaren Fernen des Luftraumes, das spiegeln diese Bilder, den Weltenraum da draußen und die Gewässer unter ihm, wo wir nicht wohnen, wovor wir nur mit ahnungsvollem Schauer stehen; nicht die landschaftliche Natur, wo es grünt und blüht und der Mensch zu Hause ist, sondern das Reich, in dem Oceanos herrscht und die Windgötter walten.« Anonym (Dr. P.) 1906. .»In den 15 Pastellbildern aber, welche fast alle derartige Meeresstimmungen zum Ausdruck bringen, erweist sich Bachmann als ein Meister. Er zeigt, wohl als Erster, daß diese Technik gerade für solche Meeresstimmungen überaus verwendbar und wirkungsvoll ist.« Anonym (Dr. P.) 1906. Noch im Jahr 1940 wird die Pastelltechnik lobend für die Schaffung von Lichtstimmungen über dem Meer hervorgehoben. Vgl. Beyer 1940, S. 8. »Eine wundervolle Farbenkunst ist dem Künstler eigen, eine reife Technik. Namentlich sind seine Pastellarbeiten von höchster Vollendung. Es nimmt sehr für ihn ein, daß er mit peinlicher Sorgfalt, mit liebevoller Hingebung arbeitet. Er verschmäht das, was unsere Jungen ein flottes Hinwerfen nennen, was nur zu oft leichtfertige Oberflächlichkeit ist und verstecktes Nichtkönnen.« Anonym (R.R.) 1916.
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ständlichen, sind freie eigene Nachschöpfungen der ewig unergründlichen Natur.«173 Im Jahre 1913 erhielt er auf der Internationalen Kunstausstellung im Münchener Glaspalast für das Werk »Abend an der Nordsee«174 (Abb. B4.79) die Goldene Medaille.175
Abb. B4.79: Alf Bachmann, Abend an der Nordsee, Kohle, Kreide, 31 x 54 cm, SHLM Schloss Gottorf
Die Tatsache, dass dieses Bild ausgezeichnet wurde, belegt, dass die Nordsee als Bildmotiv Anerkennung fand. Ein paar Jahre später wurde Bachmann die Große Goldene Österreichische Staatsmedaille für Kunst und Wissenschaft in Salzburg verliehen (Abb. B4.80).176 Wiederum ist die Grenzzone von Land und Meer verbildlicht.
Abb. B4.80: Alf Bachmann, Abb. aus dem Nachlass, handschriftliche Notiz unter dem Bild: »Hierfür die gr. Internationale goldene Medaille für Kunst und Wissenschaft vom letzten Kaiser v. Österreich«, Nachlass SHLM
173 Anonym (R.R.) 1916. 174 Abb. in Nachlass SHLM, Schloss Gottorf. Vgl. Angerer 1984, Abb. 2. Das Bild zeigt ein dramatisches Lichtspiel an der Nordseeküste. Wiederum ist die Grenze von Land und Meer visualisiert. Die Watt- oder Strandflächen im Vordergrund nehmen nur leicht die Spiegelungen des Lichteinfalls auf. Dagegen erscheinen ein Bereich des feuchten Sands sowie die Gischt der heranrollenden Wellen erleuchtet. Auch der Himmel ist durch einen starken Hell-Dunkelheits-Kontrast geprägt. Dadurch wird ein dramatischer Effekt erzielt. 175 Vgl. Brandes-Druba 1993, S. 18. 176 Vgl. ebd., S. 18.
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Alfred Bachmann
Allgemein lassen die maritimen Werke den Maler dem zeitpolitischen Geschehen seltsam enthoben erscheinen. Er stellte seine Kunst nicht in den Dienst der Politik. So hielt er zeitlebens an seinem naturalistischen Stil und einer unpolitischen maritimen Motivik fest. Allerdings zeigen sich geringfügige Zeitströmungen in seinen Werken. So war er zum Beispiel als Kriegsmaler im Ersten Weltkrieg in Flandern tätig.177 Allerdings schuf er nur wenige Kriegsdarstellungen. So zeigt eins seiner Werke beispielsweise eine Küstenbatterie bei Ostende.178 Im Kunstwart wurde im September 1915 ein Nordseebild abgebildet mit Verweis darauf, dass die deutschen Soldaten in diesem Sommer nicht die Nordsee bereisen könnten, sodass das Bild eine unerfüllte Sehnsucht kompensieren sollte. Weiterhin wird in dem Artikel betont, dass Bachmanns maritime Werke keinen zeitpolitischen Bezug besitzen, sondern vielmehr eine »ewige« Empfindung des Meeres beinhalten.179 Jedoch erfuhr auch Bachmann das Leid des Ersten Weltkriegs. Sein Sohn starb im Jahr 1915.180 In seiner Kunst verarbeitete der Künstler allerdings seine Trauer nicht. Bereits 1916 arbeitete er wieder an Naturstudien.181 Dies zeigt beispielsweise eine Ausstellung mit überwiegend Seestücken aber auch Hochgebirgsansichten.182 Während des Ersten Weltkriegs besuchte Bachmann weiterhin die 177 Vgl. Lengsfeld, S. 5. 178 Anlässlich einer Ausstellung in der Würzburger Frank’schen Buch- und Kunsthandlung mit maritimen Werken werden ebenfalls seine Kriegsbilder positiv bewertet. Dabei werden ebenfalls Küstenmotive aus Ostende gewürdigt. Anonym (R.R.) 1916. »Gegenwärtig steht der Künstler draußen im Felde als Kriegsmaler in den belgischen Gebieten. Was er da geschaffen hat, gehört zu den besten Arbeiten deutscher Kriegskunst. In der KriegsbilderAusstellung der Berliner Akademie nehmen seine Werke einen hervorragenden Platz ein. Jüngst erschien in der ›Jugend‹ ein Bild, ›Küstenbatterie bei Ostende‹, das starke Aufmerksamkeit erregte. Von ganz besonderem künstlerischen Reiz ist das Bild ›Mühle von Langenmark‹; dort war es, wo unsere jungen Regimenter, das Lied von ›Deutschland über Alles‹ auf den Lippen in den Heldentod stürmten. Ein anderes von fast gespenstischer Wirkung ist ›Löwen bei Nacht‹, großartig in dem Nebeneinander von Licht und Schatten.« Anonym (R.R.) 1916. 179 »In diesen Wochen, da die Nordseefreunde nur ihre Sehnsucht auf Reisen schicken können und da doch die Nordsee in die Gedanken jedes Deutschen tagtäglich tritt, in diesen Wochen mag Alfred Bachmanns ›Strandbild‹ […] besonders ›zeitgemäß‹ erscheinen und doch ist gerade Bachmann Maler des nicht-Zeitlichen. Maler dessen, woran wir denken, wenn wir vom ›Ewigen‹ Meere sprechen, weil es zu den Zeiten Homers gefühlt worden ist, wie man’s nach abertausend Jahren noch fühlen wird. Dieses Gefühl malt Bachmann und das hebt seine Bilder aus den anderen.« Anonym 1915. 180 Der im Skizzenbuch von Bachmann verfasste Dreizeiler anlässlich dieses Ereignisses verweist allerdings auf eine nationale Einstellung zum Krieg: »So stürmt’ er, wie’s das Vaterland gebot,/ Im Herzen Kind, ein Mann in bitt’rer Not,/ Vom schönsten Leben in den schönsten Tod.« Hans Thoma-Gesellschaft (Hg.) 1954, S. 31. 181 Vgl. Brandes-Druba 1993, S. 16. 182 Anonym (R. R.) 1916. Beide Landschaftstypen wurden im Diskurs des Erhabenen häufig
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Nordsee und fertigte maritime Werke an. So hielt er sich 1916 in St. Peter auf und schuf verschiedene Darstellungen, die keinen Kriegsbezug zeigen. Exemplarisch sei auf das Pastellbild »Flut«183 (Abb. B4.81) verwiesen.184
Abb. B4.81: Alf Bachmann, Flut, 1916, Pastell, 38 x 26 cm
Im Jahre 1919 nach Ende des Ersten Weltkriegs widmete sich Bachmann weiter malerisch dem Stimmungsreichtum in der Wattlandschaft.
genannt. Jedoch wird die Schönheit und Stimmungshaftigkeit der Naturgebiete und die Liebe des Künstlers zur Natur in einer Besprechung in der Würzburger Zeitung betont. Vgl. ebd. In einer weiteren Besprechung aus demselben Jahr wird er als »feiner Naturbeobachter« bezeichnet, der »schlichte, einfache Motive« wie Ebbe und Flut in Bildern stimmungsvoll lebendig werden lässt. »Es gibt wenig Menschen, die solch feine Naturbeobachter sind, wie er. Er wählt schlichte einfache Motive, die wellige Linien- und Flächenfolge der Dünen, das ebbende Meer, die vom Sturmwind getriebene Wasserfläche. Die Geister der Luft und des Wassers weben in diesen Bildern. Wundervoll ist es, wie er Stimmung zaubernd lebendig werden läßt.« Anonym (R. R.) 1916. In diesem Kontext wird der Stimmungsreichtum des Meeres benannt, der der/dem Betrachtenden Genuss bereitet. »Da stehen wir vor einer weiten Wasserfläche; Welle auf Welle strömt ans Ufer ; nie rastende Bewegung treibt sie vorwärts. Drüben ballen sich schwere finstere Wolken, unheilsschwer, und senden eine Flut von Regenschauern auf die ruhelosen Wasser. Oder ein anderes Bild: mild und friedlich, die sinkende Sonne färbt die Fluten mit magischem Licht, das in tausend Schattierungen glüht. Wir versinken in stillgenießendes Betrachten.« Anonym (R. R.) 1916. 183 Abb. im persönlichen Album Bachmanns, Nachlass SHLM, Schloss Gottorf. 184 Im Vordergrund ist kabbeliges Wasser zu sehen. Eine vom Wind gebeugte Pricke in der linken Bildhälfte zeigt, dass es sich um einen Priel handelt. Vogelschwärme und Wolkenformationen nehmen die Bewegung der Pricke auf, sodass das Bild trotz der friedlichen Szenerie eine gewisse Dramatik durch die dunklen Wolken in der rechten Bildhälfte erhält.
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Abb. B4.82: Alf Bachmann, Ausschnitt, Regenbogen (Wattenmeer), 1919, Pastell, 24 x 36 cm, SHLM, Schloss Gottorf
In diesem Jahr schuf er das Werk »Regenbogen (Wattenmeer)«185 (Abb. B4.82). Die dunklen Wolken und die vom Sturm aufgepeitschten Wellen vermitteln einen bedrohlichen Eindruck, der sich aber durch den Regenbogen abschwächt. Dieser durchbricht mit seiner leuchtenden Farbigkeit die Dunkelheit. Symbolisch kann dies auch als Zeichen der Hoffnung angesichts des Kriegsendes gedeutet werden. Es ist jedoch fraglich, ob der Künstler dies intendierte, da er seine Kunst nicht als Medium zur Reflexion von politischen und historischen Ereignissen betrachtete. In den 20er Jahren schließen sich weitere Studienfahrten in der Wattenmeerregion an. Insbesondere in den Zeitungen des Nordseeküstenbereichs fand dies lobende Erwähnung. So wird in den Husumer Nachrichten aus dem Jahre 1924 zum Aufenthalt des Künstlers in St. Peter Ording hervorgehoben, dass er »als Gast […] Studien am Strande« macht.186 In Bezug auf die dort entstandenen Werke lobte man die »wunderbare Schönheit« der Naturphänomene und stellte heraus, dass die Bilder »die Augen immer wieder aufs Neue für den geheimnisvollen Zauber unserer Landschaft öffnen«.187 Die intensive Auseinandersetzung Bachmanns mit dem Wattenmeer findet ebenfalls in einem Artikel der Föhrer Zeitung aus dem Jahre 1925 Anerkennung.188 Es wird betont, dass er seine künstlerischen Anregungen u. a. durch seine zahlreichen Aufenthalte in den Watten und auf Sandbänken gewonnen habe und seine Bilder einen »unentrinnbaren Zauber« besitzen, »der fühlende Seelen in der Einsamkeit der unendlichen See anweht.«189 Die Föhrer Zeitung von 1928 gibt zu einer weiteren Studienreise des Künstlers an, dass dieser den Stimmungsreichtum, die Dynamik und die Artenvielfalt des Wattenmeeres erlebte und visuell umsetzte.190 Ein 185 186 187 188 189 190
Bildarchiv Schloss Gottorf, SHLM. Vgl. ebenso Angerer 1984, Abb. 5. Vgl. Anonym 1924. Vgl. ebd. Vgl. Anonym (E.S.R) 1925. Ebd. »Die unmittelbaren Eindrücke, die die Reisenden von der erhabenen Einsamkeit der Tage
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Jahr später erscheint in derselben Zeitung ein Bericht, in dem dargelegt wird, dass der Künstler mit seinen Bildern zur Sensibilisierung für die Schönheit des Wattenmeeres beiträgt. Es wird angeführt, dass dadurch die damaligen, alltäglichen Sehgewohnheiten aufgebrochen werden können.191 Die weitgehend harmonischen maritimen Werke fügten sich sowohl in die Kunstideale des Wilhelminismus als auch des Nationalsozialismus.
b)
Rezeption im Nationalsozialismus
Bachmann war 1933 bei der Machtergreifung Hitlers 70 Jahre alt. Seine maritimen Werke verband er nicht mit politischen Aussagen, jedoch waren seine naturalistischen Nordseebilder, mit den nationalsozialistischen Kunstidealen sehr gut vereinbar. Sie präsentierten einen Bereich deutscher Heimat und dieser Aspekt konnte problemlos in die Rasse-Kunst-Lehre integriert werden. Allerdings passte Bachmann nicht etwa aufgrund nationalsozialistischer Ideologie seinen Stil an deren Ideale an. Zeitlebens blieb er seinem Stil und der Nordseeund Wattenmeermotivik treu und lehnte moderne Stiltendenzen ab.192 Darüber mitbrachten, von den ewig wechselnden Stimmungen der Luft und des Wassers in unserem einzigartigen Wattenmeere, waren tief und nachhaltig. Ganz besonders berührte sie die Musik des Meeres, die in beständigem Wechsel vom leisen Wiegenliede bis zum brausenden Sturmchor erklang; dazu Tag und Nacht die Rufe der ewig unruhigen Seeschwalben, Möwen, Brachvögel und Austernfischer, das taktmäßige Schlagen des Wassers am Schiffskörper. Sie kamen in unmittelbare, innige, dauernde Fühlung mit dem Leben und Weben des geheimnisvollen Zaubers dieser Tage und Nächte, die man sonst auf keine Weise erlangen kann, da man meist, noch dazu in mehr oder weniger lärmender Gesellschaft, an diesen Erscheinungen nur vorbeifährt.« Anonym 1928. 191 »Professor Bachmann bevorzugt zur Wiedergabe des künstlerischen Erlebnisses eine PastellTechnik, deren Subtilität nicht zu übertreffen ist. Die Bilder, die wir sahen, waren von einer begeisternden und beglückenden Zartheit, einer hinreißenden Harmonie des Kolorits; sie vermitteln ein starkes, unmittelbares Erleben der – ach so wenig bekannten – Schönheit der Watten. Im zartesten Nebeldufte die See, daß am Horizont Meer und Himmel in Eins gehen, in die große heilige Einheit der Welt – das war der Grundakkord in diesen einzigartigen Schöpfungen. Professor Bachmann liebt unsere nordfriesische Inselwelt, die zu studieren er seit Jahren nicht müde wird, wegen der besonderen malerischen Qualitäten der Luft. Der angeblichen Kargheit und Dürftigkeit dieser Welt weiß er Farbenreize abzugewinnen, denen gegenüber wir Alltagsmenschen blind sind. Darüber hinaus aber hat und gibt er das organische Gefühl des Meeres und der Landschaft. […] Sie sind geeignet uns unsere Heimat sehen zu lehren.« Anonym 1929. 192 Anlässlich seines 70. Geburtstages verfasste Hans Krieg einen Artikel in den Münchner Neuesten Nachrichten, in denen er den konservativen Stil des Malers lobt: »Gerade in Zeiten, da so viele sogenannte Künstler meinten, mit genialischer Schlamperei und naturfremden Snobismus zu Geltung zu kommen, soll man tief den Hut abnehmen vor einem Künstler, der zwar nicht weiter ist als kleinlich und pedantisch, der aber doch mit geradezu wissenschaftlichem Bedürfnis nach Richtigkeit seiner Bilder erst malt, wenn er sich in ihre
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Alfred Bachmann
hinaus ist überliefert, dass Bachmann kein politisch aktiver Mensch und auch kein überzeugter Nationalsozialist war.193 Ihn zeichnete aber auch keine kritische Haltung aus,194 da er einige von seinen Werken in den Großen Deutschen Kunstausstellungen einreichte. So wurden u. a. folgende Bilder mit Nordseemotivik in den Großen Deutschen Kunstausstellungen präsentiert: »An der Ems-Mündung«195 (Abb. B4.70), »Nordsee«196 (Abb. B4.61), »Nordfriesisches Wattenmeer«197 (Abb. B4.57), »Ferne Hallig«198 (Abb. B4.24), »Sonnenaufgang« (Abb. B4.84) und »Septembermorgen, Helgoland«199 (Abb. B4.83). Ebenso war seine Kunst bei der Ausstellung »Das Meer«200 im Jahr 1943 vertreten. Im Jahre 1935 bekam er eine Porträtmedaille verliehen, die als Postkartenmotiv veröffentlicht wurde.201 Anlässlich seines achtzigsten Geburtstags erhielt Bachmann im Jahre 1943 dann die Goethe-Medaille für Kunst und Wissenschaft.202 All dies zeigt, dass der Künstler dem Nationalsozialismus doch nicht abgeneigt war. Denn Bachmann hätte das nationalsozialistische Regime und dessen Kunstpolitik sowie Ehrungen auch ablehnen können. Viele Künstler wählten die innere oder äußere Emigration. Bachmann tat dies nicht, sondern ließ sich als alter Mann von den Nationalsozialisten würdigen. Auch Hitler sowie die Reichskanzlei waren im Besitz einiger Bilder Bachmanns.203 Im Folgenden wird auf exemplarische Werke Bezug genommen.
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Welt eingelebt hat und ihm das Malen selber nur die Befriedigung eines Bedürfnisses nach dauernder Gestaltung wird.« Krieg 1933. Vgl. Brandes-Druba 1993, S. 16–19. Einer seiner Söhne war mit einer Jüdin verheiratet. Das Paar emigrierte aufgrund politischer Schwierigkeiten im Nationalsozialismus nach Argentinien. Vgl. Brandes-Druba 1993, S. 9. Somit war Bachmann für die Repressalien des Nationalsozialismus sensibilisiert. Weiterhin war nationalsozialistisches Material im Besitz des Künstlers, das auf eine gewisse Nähe zum Nationalsozialismus deutet. Beispielsweise besaß er ein nationalsozialistisches Taschenjahrbuch für die Wehrmacht aus dem Jahr 1943, in dem er täglich Notizen eintrug. Das Vorwort von »Der Soldatenfreund; Ausgabe Kriegsmarine«, das auf einem Zitat von Hitler beruht, besteht aus einem propagandistischen Kriegsaufruf. Vgl. Nachlass Bachmann, SHLM 1980/1999. Der Soldatenfreund. Taschenjahrbuch für die Wehrmacht mit Kalendarium für 1943. Ausgabe B: Kriegsmarine. Bearbeitet unter Verwendung amtlichen Materials von Korvettenkapitän d. R. Fritz Otto Busch, 23. Jahrgang, 1942 Hannover. Kat. München »Grosse Deutsche Kunstausstellung« 1943, S. 18, Nr. 20. Kat. München »Grosse Deutsche Kunstausstellung« 1941, S. 18, Nr. 31. Kat. München »Grosse Deutsche Kunstausstellung« 1942, S. 18, Nr. 24. Auch bekannt unter dem Titel »Seehundsplaate«. Kat. ebd., S. 18, Nr. 25. Ergänzungsteil, Kat. München »Grosse Deutsche Kunstausstellung« 1938, S. 3, Nr. 9 (973). Vgl. Kat. München »Das Meer« 1943, S. 3. Vgl. Brandes-Druba 1993, S. 18. Vgl. ebd., S. 18. Im Nachlass des Künstlers sind Postkarten einiger dieser Werke vorhanden, auf denen ausdrücklich der Besitz Hitlers, bzw. der Reichskanzlei angegeben sind. Nachlass Bachmann, SHLM.
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Das 1939 entstandene Ölgemälde »An der Biskaya (Nordspanien)«204 kaufte die Reichskanzlei. Das Pastellbild »Septembermorgen (Helgoland)« (Abb. B4.83) war im Besitz Hitlers und wurde auf der Großen Deutschen Kunstausstellung 1938 präsentiert.205 Es wurde als Postkarte vervielfältigt, mit einer Inschrift, die besagt, dass das »Original im Besitz des Führers« sei.206
Abb. B4.83: Alf Bachmann, Septembermorgen (Helgoland), 1938, Pastell
Die letztgenannte Darstellung vermittelt einen nahezu mystischen Eindruck der Nordsee. Über dem stillen Wasser steigen Nebel auf, die die Felsen Helgolands leicht umhüllen. Auch der Himmel ist zum Teil diffus gestaltet. Im Vordergrund verstärken einige Vögel im Wasser die friedliche Stimmung. Ein anderes Werk »Aufgehende Sonne (Sonnenaufgang)«207 (Abb. B4.84) befand sich ebenfalls im Besitz der Reichskanzlei und wurde 1940 in der Großen Deutschen Kunstausstellung gezeigt.
Abb. B4.84: Alf Bachmann, Aufgehende Sonne
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Nachlass Bachmann, SHLM. Ergänzungsteil, Kat. München »Grosse Deutsche Kunstausstellung« 1938, S. 3, Nr. 9 (973). Ebd. Abb. in Feistel-Rohmeder 1942.
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Alfred Bachmann
Im Vordergrund ist eine feuchte, glatte Wattfläche mit im Hintergrund brandenden Wellen verbildlicht. Das Licht des Sonnenaufgangs spiegelt sich in den feuchten Flächen. Durch die Beleuchtung vieler kleiner Wolkenpartien wird eine gewisse Dramatik erzeugt. In der linken Bildfläche ziehen Vögel über der Wattfläche dahin. Auch der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine gab bei Bachmann Bilder in Auftrag. Exemplarisch sei auf dessen Brief vom 17. April 1936 verwiesen, in dem der Auftrag der Gemälde für den Kreuzer »Nürnberg« und das Panzerschiff »Admiral Graf Spee« gegeben wurde.208 Drei Ölbilder sollten nach bereits erstellten Skizzen von »Baaken im Wattenmeer«, »Deutsche Nordseeküste« und »Falklandinseln« erstellt werden.209 Die Tatsache, dass Hitler und andere NS-Parteigrößen Bilder von Bachmann besaßen, wurde damals in verschiedenen Artikeln hervorgehoben.210 Ansatzweise wurden seine Werke in den Dienst des Krieges gestellt. So wurden in einem Artikel der Zeitschrift »Das Bild« (1942) seine Werke als Ausdruck der »Liebe zum Deutschen Land« interpretiert; diese sollten als moralische Unterstützung im Kampf dienen.211 Allerdings erfolgte keine Nutzung seiner Bilder für die Kriegspropaganda. Dafür eigneten sie sich inhaltlich auch nicht. Es wurden nur geringfügige Bezüge 208 Nachlass Bachmann, SHLM. 209 Ebd. 210 So wird beispielsweise im Artikel »Der Maler des Meeres« (1943) betont, dass sich einige seiner Bilder im Besitz Hitlers und der Reichskanzlei befinden und die Verleihung der Goethe-Medaille für Alf Bachmann erfolgte: »Der Führer verlieh kürzlich dem Großmeister der Palette Alf Bachmann in München anläßlich seines 80. Geburtstages für besondere Verdienste um die Kunst die Goethe Medaille. Alf Bachmann, einer der Begnadetsten im Reiche der Malkunst, ist ein Maler des Meeres. Alles, was das Meer, seine überwältigende Schönheit und seine Unendlichkeit uns zu sagen hat, erzählen uns die prachtvollen Bilder Bachmanns. Wie kein zweiter verstand er vor allem den Nordseestrand und das deutsche Meer, die Nordsee, zu erfassen und erschöpfend zu behandeln. Seine Bilder hängen beim Führer, in der Reichskanzlei, in Museen, sie sind einmalige Offenbarungen einer deutschen Künstlerseele.« R. P., in: Hofmann 1943, S. 6. Weiterhin wird im Artikel über eine Ausstellung von Alf Bachmann in der Darmstädter Wochenschau im Jahr 1940: »Der Erfolg ist dem Künstler bei seinem unermüdlichen Schaffen treu geblieben, er hat viele Auszeichnungen erhalten, viele Galerien, auch der Führer, der den Künstler hoch schätzt, besitzen Werke von ihm.« Beyer 1940, S. 8. 211 »Wir wünschen unserm Volk in seinem Entscheidungskampf reiche Kost ähnlichen Gehaltes, eingemischt in die geistige Rüstung zu immer höherem Mut, immer härterem Willen, immer siegesfesterem Glauben! Unentreißbar sei ihr innewohnend die Liebe zum Deutschen Land, wie es die Besten unserer Maler in ihren Werken darstellen, als deren einer uns Alf Bachmann längst wohlbekannt ist, dessen ›Aufgehende Sonne‹ von der Reichskanzlei erworben wurde.« Vgl. Feistel-Rohmeder 1942, S. 10. In einer anderen Ausgabe bringt FeistelRohmeder in einem kleinen Artikel ihre Bewunderung für Bachmanns Kunst zum Ausdruck und bezeichnet ihn »in seiner Liebe zu Meer und Fahrt [als] einer der Nordischsten«. Vgl. Feister-Rohmeder 1943, S. 153.
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zur Rasse-Kunst-Lehre erstellt. So wurde ein Artikel von Bettina FeistelRohmeder in der Zeitschrift »Deutsche Bild Kunst«, der das »Deutsche« in der Kunst propagiert,212 mit der Abbildung »Flacher Strand (Nordsee)« von Bachmann illustriert.213 Auch in der Zeitschrift »Die Kriegsmarine« hob man Bachmanns Werke lobend hervor, zum Beispiel das Bild »Die Nordsee«.214 Bachmann wurde als »deutscher Maler der See« und als »urdeutscher Mann« bezeichnet, der »als Seefahrer alle Meere bereiste«.215 In einer weiteren Ausgabe lag ein mehrseitiger Artikel vor, in dem Bachmanns Werke als »Offenbarungen einer deutschen Künstlerseele, die das Meer und den Strand, Seevögel, Wolken, Farben, Licht und Dunkel, die Nähe und die Ferne, die Unendlichkeit der wogenden Weite und die ewige Sehnsucht des germanischen Menschen, dem Meer und Wolken Symbole einer unerreichbar fernen göttlichen Macht scheinen«, gelobt wurden.216 Ebenfalls erfolgte Bezugnahme auf Sagen und nordische Gottheiten.217 Auch Sehnsucht und Erhabenheit wurden benannt.218 In einem im Jahre 212 213 214 215 216
Vgl. Beyer 1940, S. 7f. Vgl. ebd., S. 8. Die Kriegsmarine 1943, S. 11. Die ebd., S. 11. »Man spürt willkürlich in den Bildern des Künstlers […] das, was man den Mythos des Meeres nennen möchte. […] Alf Bachmann ist ein Künstler, der wie kaum ein anderer Seemaler beobachtet, das Geschaute innerlich durchlebt und es wirklichkeitsnah und so lebensecht wiederzugeben versteht, daß seine Bilder jeden ähnlich Empfindenden eindrucksvoll ansprechen. Sie sind Offenbarungen einer deutschen Künstlerseele, die das Meer und den Strand, Seevögel, Wolken, Farben, Licht und Dunkel, die Nähe und die Ferne, die Unendlichkeit der wogenden Weite und die ewige Sehnsucht des germanischen Menschen, dem Meer und Wolken Symbole einer unerreichbar fernen göttlichen Macht scheinen, vollendet neu zu schaffen weiß.« Busch 1943, S. 4ff. 217 Ebd., S. 4. Dabei bezieht er sich ebenfalls auf das Werk »Septembermorgen«, das sich im Besitz Hitlers befindet – wie es explizit im Bilduntertitel ausgewiesen ist. »Ist es nicht, als hülle aufgehende Sonne im Bilde ›Septembermorgen‹ Forsites Land, den Sitz uralter Heiligtümer in goldenes, frieden- und segenbringendes Sagenlicht? Bricht nicht, dem Beschauer geradezu zwingend vor Augen tretend, Thors rollender Wagen, von starken Böcken gezogen, aus der finsterdrohenden Gewitterwolke des Bildes ›Baaken im Wattenmeer‹, das die sturmgepeitschte in den Priel rollende Flut mit vom Nordwest gebeugten Birkenpricken über unruhig laufender Flachsee wiedergibt?« Busch 1943, S. 4f. 218 Dabei wird der persönliche Zugang des Autors zu einem Nordseebild Bachmanns dargestellt: »Ich liebe dieses Bild, das den Strand unserer deutschen Nordseeküste so eindringlich zeigt, besonders, denn es gibt mehr wieder, als Wasser, Seevögel und Wolken, es malt mit unerhörter Eindringlichkeit die unendliche Weite, das Verlorene, Unheimliche und doch wieder so geheimnisvoll Anziehende, Vertraute und Tröstende, das die See uns Seeleuten immer wieder aufs Neue in unendlichen Farben und Formen, eben in der Mannigfalt eines Naturereignisses schenkt. […] In seinen Bildern lebt das, was jeden echten Seemann auszeichnet: das Wissen und die Sehnsucht zur silbernen Ferne, die Schau von der erhabenen Unbegrenztheit, der Unendlichkeit der See und die Ehrfurcht vor der Urnatur, die mit dem Wind und den Wolken ihre ewigen Bahnen zieht.« Busch 1943, S. 4. Allerdings sieht der Autor in Bachmanns Bildern das Scheitern menschlicher Vorstellungskraft angesichts der Weite und Gewalt des Meeres: »Die Ohnmacht, je die Natur ausschöpfend zu ergründen, das
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Alfred Bachmann
1935 in der Zeitschrift »Niederdeutsche Welt«219 erschienenen Artikel wurde Bachmann als »Altmeister der Küstenmalerei« bezeichnet. Der Autor stellte in dem Artikel fest, dass der Künstler seine Bildsprache und -motivik angesichts der Erweiterung und der vielfältigen Experimente in der Kunstentwicklung beibehielt und bezeichnet diese als das »niemals Wankende bodenständiger Kunst«.220 Zum Schluss des Artikels wurde in abwertender Haltung gegenüber den freien Farb- und Formexperimenten nochmals das konservative Element in Bachmanns Kunst betont und der Künstler wurde als Niederdeutscher bezeichnet.221 grausame Stranden menschlicher Vorstellungskraft am ungeheuren Erleben Meer ist symbolhaft eingefangen und dargestellt in jenen vergebens gegen den Strom der Flut sich anstemmenden sturmzerwühlten gewaltigen Brechern.« Busch 1943, S. 4f. 219 Die Zeitschrift besaß nationale Tendenzen, wie im Vorwort ersichtlich ist: »Nur dem deutschen Volk und seiner Zukunft dienend, wollen wir alles Geschehen vom niederdeutschen Standpunkt anpacken. […] Niederdeutsch verstehen wir […] als Bewußtwerdung der eigenen Art […]. Niederdeutsches Wesen und niederdeutsche Sprache haben gerade zum Aufbau eines neuen Deutschland Wesentliches beizutragen. So wollen wir Träger sein des niederdeutschen Gedankens und Führer in der niederdeutschen Bewegung.« Niederdeutsche Welt, Heft 4, April 1935 Lübeck, Vorwort. 220 Vgl. Smidt 1935, S. 116. Dies habe der Autor angesichts Bachmanns Bilder bereits nach dem Ersten Weltkrieg als positiv erfahren: »In der unruhigen Zeit nach dem Kriege, wo alles wankte und der Kunstbegriff in den Strudel einer grenzenlosen Verzerrung hineingerissen wurde, fiel mir eines Tages beim Durchblättern eines alten Jahrgangs des Kunstwarts das erste Bild von Alfred Bachmann in die Hände. Es war betitelt ›Sturm‹ und hatte in der Aufgerissenheit des wilden Meeres, eine derartige Kraft, daß für mich ein Stück Besinnung auf das niemals Wankende bodenständiger Kunst daraus wurde.« Smidt 1935, S. 116. Es war die bildliche Umsetzung des Motivs des Meeres, das Smidt beeindruckt. Das Bild, dessen Druck er in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg in seine »Inflationsbehausung« hängte, bezeichnet er als »Inbegriff des Meeres überhaupt«. Vgl. Smidt 1935, S. 116. »Ich habe mich oft gefragt, weshalb ein Bild neben so vielen anderen den inneren Menschen treffen muß. Ganz einfach und ohne viel Kunstgeklüngel gesagt: Dies Bild von der See, die mir von Kindesbeinen an in allen Stimmungen ihrer Bewegtheit entgegengetreten war, war wirklich gemalt und nicht nur richtig, vielmehr – es lag darüber der göttliche Hauch einer begnadeten Künstlerseele, die dem Mitmenschen etwas zu offenbaren versteht. Hier hatte jemand in das Reich der Unbeständigkeit, des Chaos, hineingegriffen, hatte die verfliehenden und sich überstürzenden Kräfte gemeistert, sie in strengen Linien gezwungen und unter der strahlenden Lebendigkeit der Farben aufleuchten lassen.« Smidt 1935, S. 116. Die Faszination Smidts für Bachmann wird durch eine persönliche Bekanntschaft auf der Insel Juist mit dem 70jährigen Künstler noch vertieft. Vgl. ebd. Es sind insbesondere die Nordseebilder, »die ihre Kühle und Wärme, ihre Urkraft und wolkenüberflogene Einsamkeit zum Ausdruck brachten«, die den Autor fesseln. Er lobt Bachmanns Fähigkeit, Lichtstimmungen mit unzähligen Grauabstufungen in seinen Bildern zu erzeugen. Vgl. Smidt 1935, S. 116f. 221 »Für ihn [Bachmann] gab es Zeiten, wo die Stücke hirnverbrannter Farbschwindler in angesehene Ausstellungen kamen, während seine Bilder auf den Boden oder in einen entlegenen Keller gerieten. Doch nichts hat ihn aus der Bahn gebracht. Und deshalb ist Bachmann der Niederdeutsche, der Unverbogene, der frische Jüngling im grauen Haar, dem die Natur nie etwas anderes war als etwas Ehrfurchtgebietendes, dem man in seinen Grenzen zu fügen hat.« Smidt 1935, S. 118.
Einblicke in die Rezeption
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Viele Artikel, die in der nationalsozialistischen Zeit veröffentlicht wurden, waren jedoch völlig frei von nationalen oder rassischen Tendenzen.222 Im Jahr 1943 verfasste Hofmann einen poetischen Artikel, der als eine Hommage an Bachmanns künstlerische Darstellungen des Meeres betrachtet werden kann.223 In einem weiteren Artikel (1940) wurde Bachmann als »eine der stärksten Persönlichkeiten der deutschen Landschaftsmalerei der Gegenwart«224 benannt und seine Werke als »Oden an das Meer« gelobt.225 Zum achtzigsten Geburtstag von Bachmann druckte der Völkische Beobachter, das Instrument der NSDAP, einen 222 Beispielsweise sei auf den von Rücklin im Jahr 1940 publizierten Artikel »Bilder des Meeres« verwiesen. Vgl. Rücklin 1940. Bachmanns Liebe zum Meer wird betont und sein Werk als Stimmungskunst gelobt: »Bachmann’s Liebe gilt in erster Linie dem Meere und seine Kunst ist Stimmungskunst. Die starke Stimmungskraft seiner Schöpfungen ergibt sich aus dem Miterleben des Künstlers, aus seiner eindringlichen Kenntnis einer jeglichen Naturerscheinung nach Form und Farbe.« Rücklin 1940. Weiterhin wird richtigerweise herausgestellt, dass Vögel in seinen Werken häufiger motivisch aufgegriffen werden, als der Mensch: »Der Mensch und seine Erzeugnisse, Schiffe und Häuser, spielen keine große Rolle in diesen landschaftlichen Schöpfungen, aber das Tier, namentlich die vielgestaltige Vogelwelt, die das Wasser belebt und die er mit sicherem Verständnis zu bilden weiß. Wie er das Wasser, in stillem, spielenden Anrollen, oder in schäumender sturmgepeitschter Brandung zu bilden weiß, das ist einzigartig.« Rücklin 1940. 223 »Himmel, Meer, Wolken, Winde, das schäumende Wellenspiel, die Symphonie der Farbe, die Schauer der Ferne! Niemand kann das alles als Kunst wiedergeben, der es nicht mit vollen Sinnen genossen hat. […] Wo es sich um Himmel in brennenden Farben, um Lüfte mit federleichtem Gewölk, um dunstende zarte Abtönungen in der Atmosphäre, um die fast unwahrscheinlich schönen Lichtwunder des Himmels über der Wasserfläche handelt, nimmt Bachmann gerne den Pastellstift. Eine besondere Liebe hat er für den flachen Strand, für eine stark betonte Horizontale in der Bilderscheinung.« Hofmann 1943. Ohne rassische Bezüge wird die Orientierung zum Nordischen benannt: »Seine Neigung und seine gestaltende Größe weisen den Norddeutschen wieder zum Norden […].« Hofmann 1943. Damit nimmt Hofmann u. a. Bezug auf seine Islandreisen. Weiter heißt es, dass angesichts der rauen Natur dort, die »nur Größe kennt«, der Künstler sich an ihrer »Herbheit sich die Seele stärken dürfen zu einer ernsten männlichen Künstlerschaft«. Hofmann 1943. 224 Vgl. Beyer 1940, S. 7f. »Wenn man ihn Marinemaler nennt, da er den größten Teil seines Schaffens dem Meere gewidmet hat, so ist damals seine Eigenart gar nicht gekennzeichnet, die üblichen stolzen Wellen mit Schiffen, Häfen, Küsten und Badestranden, wie sie sonst die zünftigen Marinemaler darstellen, hat er nicht gemalt, seine Darstellungsweise ist ganz persönlich, nie Schablone. […] Alf Bachmann hat so unermüdlich sein ganzes Leben lang das Meer befahren und erlebt wie kaum je ein Maler […]. In langen, langen Fahrten, nicht auf den großen Dampfern, sondern zumeist auf Segelschiffen und kleinen Fischerfahrzeugen hat er ohn Unterlaß den unerschöpflichen Stimmungswechsel von Wasser und Luft in allen Tages- und Jahreszeiten studiert.« Ebd. 225 »Wo es sich jedoch um dunstige zarte Abtönungen, um Lüfte mit leichtem Gewälk, leuchtende, oft brennende lohende Himmel handelt, greift Bachmann zum Pastellstift, den er in breiter malerischer Art meisterhaft handhabt.« Vgl. Beyer 1940, S. 8. Dabei nimmt er insbesondere Bezug auf das Bild »Hagelböen auf der Nordsee«: »In seiner unerhörten Wucht, ein Drama der Lüfte und Farben, ist dies Bild gewiß keine der gewohnten Marinen, die ein Maler etwa von der Kabine eines Luxusdampfers aus hätte erleben können, hier ist in der Einsamkeit des Nordens ein starkes Naturerlebnis in grandiosen Farbakkorden von einem großen Meister gestaltet worden.« Beyer 1940, S. 7.
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Alfred Bachmann
kurzen Artikel über sein Werk ab.226 In diesem wurde kein Versuch unternommen, den Künstler und sein Werk im Rahmen der NS-Ideologie zu vereinnahmen.227
c)
Rezeption in der Nachkriegszeit
Auch nach dem Zweiten Weltkrieg fanden Bachmanns naturalistischen maritimen Werke – insbesondere in der Nordseeregion – Anerkennung. So würdigte der »Insel-Bote », das Heimatblatt für die Insel Föhr, im Jahre 1952, dass der Künstler zeitlebens seinem Stil treu geblieben ist.228 Die Tatsache, dass Bachmann auch nach 1945 seinen Stil und seine Motivik nicht änderte, – wie das Bild »Muschelbänke bei Ebbe« (Abb. B4.85) belegt –, zeigt, dass er Kunst nicht als Ausdrucksmedium für politische und gesellschaftshistorische Strömungen erachtete, sondern zeitlebens Meeresstimmungen mit Stimmungsgehalt ohne politische Aussage verbildlichte.
226 Vgl. Schultz 1943. 227 »Wenn man als Chronist Alf Bachmann ›stofflich‹ einreihen soll, so ist er zu den Marinemalern zu zählen, aber wiederum gehört er nicht zu ihnen. Er malt zwar das Meer, aber er malt nicht Marine, nicht das Meer mit Schiffen, Häfen und Leben darauf, vielmehr das Wasser allein mit dem Himmel darüber. Das scheint manchem vielleicht wenig. Es ist viel, wenn in diesem Kleinen das Große der unendlichen, der wahrhaftigen Endlosigkeit und Ewigkeit der Natur ausgedrückt erscheint und alles darin eingeschlossen wird, was den Menschen vor der Unendlichkeit bewegen kann. Seine vielen Pastelle und Ölbilder zeichnet ein Etwas aus, das angedeutet hinter der reizvoll und zart geformten und mit seltenen Farbenklängen dargestellten Wirklichkeit steht. Dieses geheimnisvolle Dahinter ist die innigste Einfühlung in die Schöpfung selbst, ein Verstrickt- und Verwobensein mit ihr, das nichts mit Sentimentalität, aber alles mit wahrer und echter Gestaltwerdung im Kunstwerk zu tun hat.« Schultz 1943. 228 »In einer Zeit der fliehenden und flüchtigen Kunstbegriffe auf allen Gebieten, ist es eine wahre Wohltat, einem Maler wie Bachmann wieder zu begegnen. Wie das Meer, das er in allen bewegenden Stimmungen und Stunden auf die Leinewand bannte, ewig und unveränderlich ist, so ist dieser jetzt Endachtziger während seines langen schaffenden Lebens immer auch im Wirbel der Kunstrichtungen sich selber treu geblieben. Er ist einer, der immer wieder in zähem Fleiß und mit begnadeter Meisterschaft die See und den Strand, die Schiffe und die Vögel, die Landschaft und den Menschen so echt zu zeigen wußte, daß jegliche billige Kritik dagegen verstummen muß. Größe und Ernst, Anmut und Frohsinn, Wolkenwunder und Wellenweite, brechende Brandung und verströmende Lichtfluten kann er malen mit einer Sicherheit, die bannend ist und herrlich.« Insel-Bote, Heimatblatt für die Inseln Föhr und Amrum, August 1952, zitiert nach Angerer 1984, S. 164.
Abschließende Zusammenfassung
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Abb. B4.85: Alf Bachmann, Muschelbänke bei Ebbe, 1948, Pastell, 34 x 50 cm
Im Jahre 1953 erhielt der neunzigjährige Künstler das Bundesverdienstkreuz.229 Jedoch geriet seine Kunst nach dem Nationalsozialismus zunehmend in Vergessenheit.230 Dies war möglicherweise durch seine Würdigung in jener Zeit bedingt.
Abschließende Zusammenfassung Abschließend ist festzustellen, dass Bachmann vielfältige Stimmungen von Wattenmeer und Nordsee verbildlichte, die durch seine Aufenthalte dort inspiriert wurden. Er erlebte die Weite der Wattlandschaft, die Gezeiten sowie die durch Wetterphänomene hervorgerufenen Stimmungen selbst. Bewusst entschied er sich für Segelfahrten in einem traditionellen Holzewer, um intensive Erfahrungen in der tidenabhängigen amphibischen Natur zu erleben. Inspiriert durch individuelle Erlebnisse schuf er im Wattenmeer Studien, auf deren Basis später Gemälde entstanden. Ein Schwerpunkt seiner Motivik bestand in der Darstellung von durch Lichteinfall und Wetterphänomenen bedingten Stimmungen. Obwohl er bestimmte Motive wiederholt bediente, wird in seinen Bildern der Stimmungsreichtum des Wattenmeeres ersichtlich. Verschiedene Wetterphänomene und tageszeitliche Stimmungen, vom Sturm bis zu Hagelschauern, friedliche Nebel- und Sonnenlichtdarstellungen, aber auch Mondnächte finden sich in seinen Bildern. Insbesondere reizte ihn motivisch die Grenze zwischen Land und Meer sowie die Weite dieser Natur. Das Zusammenspiel von Wasser und Land, das im Wattenmeer je nach Tide immer wieder ein anderes Aussehen annehmen kann, variierte er vielfach. Häufig spiegeln sich Wolken oder Gischt in den feuchten Strand- oder Wattflächen. Jedoch stellte er 229 Vgl. Brandes-Druba 1993, S. 18. 230 Dies lässt eine Aussage Kuhlemanns schließen, der darauf verweist, dass es dem Künstler im hohen Alter wirtschaftlich nicht gut ging und er »vergessen« wurde. Vgl. Kuhlemann, Thies 1993, S. 24.
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Alfred Bachmann
das Meer und das Watt bzw. den Strand immer im Zusammenspiel mit dem Himmel dar. Wattstrukturen als eigenständiges Bildmotiv verbildlichte er nicht. Wattbereiche wurden meist stimmungsunterstützend als eine glatte Fläche dargestellt, die Raum für Lichtspiegelungen und Reflexionen bietet und die die Stimmung des Bildes wesentlich mitbestimmt. Dabei wählte er häufig für die Umsetzung die Pastellmalerei. Diese eignete sich durch den weichen Duktus zur Darstellung von atmosphärischen Stimmungslandschaften, die durch die Einwirkung von Licht und dessen Reflexionen im amphibischen Raum entstehen. Motivisch band er charakteristische Elemente der Wattlandschaft wie Priele, Pricken und trockengefallene Flächen ein. Ebenfalls hat er Halligen und Inseln dargestellt. Bachmann verbildlichte das Wattenmeer ebenso als Lebensraum verschiedener Vogelarten. Er war begeisterter Ornithologe und beobachtete u. a. auf Memmert Vögel intensiv. Somit näherte er sich dem Wattenmeer auch unter der Perspektive eines Vogelkundlers. Häufig jedoch band er die Vogelmotivik nur als Stimmungselement und als Staffage in das Naturschauspiel ein. So fertigte er nur selten Vogelportraits im Wattenmeer an. Obwohl er die Vielfalt der Tierwelt bewunderte, war er auch als Jäger und Fischer im Wattenmeer tätig. Dies verdeutlichen seine Illustrationen in Jagdzeitschriften. Diese Darstellungen sind im Kontext seines Gesamtwerkes jedoch eher von peripherer Bedeutung. Auch Menschen griff er nur selten in seinen Bildwelten auf. Häufig handelt es sich um Fischer oder Küstenbewohner – den Tourismus und das Badewesen hat er nicht verbildlicht. Die figürliche Motivik wurde dabei häufig als stimmungsunterstützendes Element eingesetzt. Den typisch wilhelminischen Schiffsdarstellungen erteilte er eine Absage. Wenn er Schiffe motivisch integrierte, fungieren diese wiederum weitgehend als Stimmungselemente. In seinen Werken spiegelt sich seine Liebe zu Natur und Meer wider. Er war bereits Anfang des 20. Jahrhunderts für die Schönheit des Wattenmeeres, der Vielfalt der Vogelwelt und deren Anpassung an den Lebensraum sowie für die Dynamik der Wattlandschaft sensibilisiert.231 231 Nach seinem Tod wurde 1993 in einem Interview mit Peter Kuhlemann, einem Zeitgenossen und Bekannten von Bachmann hervorgehoben, dass der Künstler bereits vor Ernennung des Wattenmeeres zum Welterbe für dessen Schönheit und Tier- und Pflanzenvielfalt sensibilisiert war. »Ich würde sagen, der Weltreisende Bachmann, der überall in der Welt gemalt hat, hat wohl eine besondere Vorliebe für Nordfriesland gehabt, für das Wattenmeer vor allen Dingen. Und das ist verständlich, er hat ja viele solcher Bilder gemalt, dieser ständige Wechsel durch die Tiden, etwa im Vergleich zur Ostsee, muß ihn fasziniert haben. Und wir wissen ja auch, daß das Wattenmeer bis auf ganz wenige ähnliche Landschaften einmalig in der Welt überhaupt ist. Und das hat er auch früh erkannt, ehe NationalparkGedanken aufkamen. Das Wattenmeer ist ja gerade der Teil der Nordsee, der sich dem Sehenden lebendig gibt. Die freie Nordsee ist dagegen wieder steril. Aber im Wattenmeer
Abschließende Zusammenfassung
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Obwohl Bachmann – wie viele andere der in dieser Studie angeführten Zeitgenossen – den Weg von der Monarchie über zwei Weltkriege bis zur Republik erlebte,232 thematisierte er dies nicht in seinen Bildern. Diese besaßen weder nationale noch politische Ausrichtung. Jedoch war er im Nationalsozialismus ein gewürdigter Maler. Doch seine Nordsee- und Wattenmeerbilder spiegeln Naturerlebnisse ohne politische Bezüge.233 Er blieb zeitlebens seiner Motivik und Bildsprache treu, ohne diese an die jeweils vorherrschenden Stilrichtungen und politischen Ansprüche anzupassen.234 Während sich Bachmann primär dem deutschen Wattenmeergebiet näherte, hat eine künstlerische Zeitgenossin von ihm, Käte Lassen, den Fokus auf die dänische Nordseeküste und die Küstenbewohner/innen gesetzt, wie im Folgenden gezeigt wird.
offenbart sich die Vielfalt, und dort ist auch die Stimmung viel stärker, die man malen kann. Weil Himmel und Wasser ineinander laufen, die Grautöne und die Spiegelungen, die die freie Nordsee nicht hat, hier zu Hause sind.« Kuhlemann, Thies 1993, S. 22. 232 Ebenfalls erfolgten zu seiner Lebenszeit der Deutsch-Dänische Krieg 1864, der Krieg zwischen Österreich und Preußen 1866 sowie der Deutsch-Französische Krieg 1870/71. Hans Krieg, ein Freund Bachmanns, führte anlässlich Bachmanns 90. Geburtstag im Jahr 1953 Folgendes diesbezüglich aus: »Hier sitzt er nun ein Verbindungsmann zwischen den Zeiten, der das Deutsche Reich entstehen, Bismarck kommen und gehen sah, herausgewachsen aus der Zeit der Romantik und Augenzeuge der Anfänge dieses technischen Zeitalters zwischen Petroleumlampe und Atombombe, dieser faustischen Entwicklung, von der wir nicht wissen, wohin sie die Menschheit führen wird.« Krieg 1953. Die Tatsache, dass Bachmanns Bilder im Nationalsozialismus gewürdigt wurden und er ein von Hitler persönlich geschätzter Maler war, erwähnte Krieg allerdings nicht. 233 Vgl. Brandes-Druba 1993, S. 16. Ausführlichere Darstellungen in Bezug auf politische Einflüsse vgl. Brandes-Druba 1993, S. 14f. 234 Eine Auflistung exemplarischer Werke mit Nordseemotivik vgl. Kat. Husum 1993, S. 81f.
5.
Käte Lassen: Die dänische Nordseeküste als Alltagsraum der Küstenbewohner und als Stimmungslandschaft
Käte Lassen (1880–1956) hat sich in ihrer Kunst der Nordseeküste als einen Alltagsraum der dänischen Küstenbewohner, insbesondere der Frauen, genähert.1 Dies war im Kontext damaliger maritimer Motivik ein ungewöhnliches Thema. Somit brach Lassen wie auch einige ihrer Zeitgenossen, beispielsweise Heckel, Schmidt-Rottluff und Nolde, mit konventionellen Darstellungstraditionen und erweiterte das Spektrum künstlerischer Sehweisen auf die Nordsee. Da sie eine Frau war, musste sie im Gegensatz zu ihren männlichen Künstlerkollegen gegen Widerstände und Hindernisse kämpfen. Aus diesem Grund war ihr Leben, das sie selbstbestimmt führte, häufig von finanziellen Nöten bestimmt. Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren Frauen in der künstlerischen Ausbildung stark benachteiligt.2 Allgemein wurden die Bilder von Künstlerinnen häufig nicht ausreichend gewürdigt; so erlangte auch Lassens Werk nur regionale Bekanntheit.3 Zudem wurden maritime Themen nicht als charakteristische Motive für Künstlerinnen betrachtet.4 Auch in Lassens 1 Vgl. Rohling 1956, vgl. Lassen 2010, vgl. Kat Flensburg 1980, vgl. Mahn 2007, vgl. WolffThomsen 1994, S. 185–188. 2 Vgl. u. a. Berger 1982. Vgl. Lenz 1994, S. 73–78. Vgl. Behling, Manigold 2013. So wurden sie erst im Jahr 1919 offiziell in vielen Städten zum Studium an staatlichen Kunstakademien zugelassen. Vgl. Mahn 2007, S. 109, Anm. 393. 3 Zum Selbstverständnis Lassens als Künstlerin vgl. Lenz 1994, S. 79–82. 4 Natürlich gab es Ausnahmen: Exemplarisch für eine Künstlerin, die in der von Männern dominierten Künstlerwelt sich trotz aller Widerstände einen Weg bahnte, war Hedwig Lindenberg, die später den Namen Hedda Sterne annahm und in den USA eine erfolgreiche Karriere bestritt. In ihrem Anfangswerk hat sie sich maritimen Themen gewidmet. Dass ihre Kunst Anerkennung fand, zeigt die Aufnahme der zwei Bilder »Linienschiff Zähringen‹« und »Rettungsboot Fürst Bismarck« in dem Bildband »Die See«. In der Besprechung wird jedoch ihre Sonderstellung als Künstlerin in diesem Gebiet aufgezeigt: »Daß auch die Frau als Künstlerin sich schon das Sondergebiet der Marinemalerei erobert hat, lehren die Bilder von Hedwig Lindenberg. Es ist etwas nicht Alltägliches, daß eine Frau gerade dieses Spezialgebiet sich aussucht, liegen den malenden Frauen doch mehr die zarten und empfindsamen Themen, Blumenmalerei, friedliche Landschaft oder selbst noch Bildnisse. Aber die Düsseldorfer Malerin Hedwig Lindenberg bekennt mit freudigem Stolze, daß ihre Vorliebe und ihre Neigung für die See und Marine schon in der frühesten Kindheit erwuchsen. Mit welchem Elan sie an ihre
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Käte Lassen
Oeuvre bilden die maritimen Bilder nur einen Teil.5 Jedoch werden in dieser Studie ausschließlich die von der Nordsee inspirierten maritimen Werke herangezogen.6 Da die Künstlerin in der Forschungsliteratur leider nur spärlich vertreten ist, wird neben der Dissertation von Mahn das Buch von Rohling in kritischer Auseinandersetzung erörtert.7 Es handelt sich dabei um keine wissenschaftliche Abhandlung, sondern um die Rezeption eines Zeitgenossen Lassens.8 Die Künstlerin wirkte teilweise an dieser Publikation mit, die diesbezüglich von Bedeutung ist.9 Geboren wurde die Künstlerin 1880 in Flensburg. Mit 16 Jahren schickte man sie zur Erlernung der Haushaltsführung in ein Pastorat in Bargteheide. Sie erhielt jedoch die Erlaubnis, einen Tag in der Woche den Zeichenunterricht an der Hamburger Gewerbeschule zu besuchen.10 Im Zeitraum 1898 bis 1904 absolvierte sie dann ein Studium an der Damenakademie des Münchener Künstlerinnen-Vereins11 und bekam Privatunterricht von Hugo Freiherrn von Habermann.12 Seit 1900 nahm sie an schleswig-holsteinischen Ausstellungen teil,13
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Aufgabe herangeht, zeigen die beiden Muster aus ihrem Werk, die ohne weiteres erkennen lassen, mit wie großem Ernst die Künstlerin bei der Sache ist. Zwei interessante Momente aus dem Seeleben: ein modernes Kampfschiff, in voller Fahrt und trotzig auch der schwersten See die Stirne bietend, und ein Rettungsboot, in Ausfahrt begriffen, um einem bedrängten Segelschiff zu Hilfe zu kommen.« Rohe 1926a, S. 25. Ihr Gesamtwerk umfasst ebenso Kirchenfenster und Fresken. Zur Darstellung ihres Lebensund Gesamtwerkes vgl. u. a. Rohling 1956, vgl. Mahn 2007, vgl. Evers 1983, S. 192ff., vgl. Flagmeier 1987, vgl. Lenz 1994. Vgl. u. a. Lenz 1994. Vgl. Mahn 2007. Vgl. Rohling 1956. Letztgenanntes enthält Verzerrungen, die auf sein Welt- und Frauenbild zurückgehen und kritisch betrachtet werden müssen. Vgl. hierzu auch Mahn 2007, S. 9. Die Niederschrift erfolgte 1951 zu Lebzeiten Lassens, die Veröffentlichung aber erst posthum im Jahre 1956. Vgl. Rohling 1956, Vorwort. Rohling bekräftigt das Mitwirken Lassens: »Der besondere Dank des Verfassers gilt nicht zuletzt der Künstlerin selbst, ihrer Nachsicht und Bereitschaft zu Auskünften über ihr Werk, mit denen sie dem hartnäckigen Wissensdurst des Verfassers während seiner Arbeit Genüge tat.« Vgl. Rohling 1956, S. 12. Kritische Ausführungen hierzu vgl. Mahn 2007, S. 9. Vgl. Lassen 2010, S. 52. Vgl. Lenz 1994, S. 9ff. Vgl. Lassen 2010, S. 52. Vgl. Rohling, S. 13–21. Vgl. Lenz 1994, S. 17–22. Vgl. Lassen 2010, S. 52. Detaillierte Darstellungen vgl. Mahn 2007, S. 61f. In den zwanziger Jahren unternahm der Flensburger Museumsdirektor Dammann Anstrengungen, Lassen überregional bekannt zu machen, wie ein Briefentwurf an den Direktor der Berliner Nationalgalerie belegt: »Hochgeehrter Herr Direktor! Man bittet mich um eine – meines Erachtens in jeder Beziehung sehr überflüssige – Empfehlung. Da es sich um Dinge handelt, denen jede Förderung zuzuwenden ich für meine Pflicht halte, nehme ich mir hiermit die Freiheit, Sie an die beiden SchleswigHolsteinischen Künstler zu erinnern, die nach meinem Urteil mehr als andere bildende Künstler unseres Ländchens Beachtung verdienen. Es sind das Hans Gross in Heide und Käte Lassen in Flensburg.« Briefentwurf von Walter Dammann, Flensburg an Ludwig Justi, Berlin, 5. 6. 1924, Käte-Lassen-Archiv, Museumsberg Flensburg,. Vgl. Mahn 2007, S. 108.
Biografischer Bezug zur Nordsee
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jedoch blieb ihr Bekanntheitsgrad begrenzt.14 1907 hatte sie – gefördert durch den Museumsdirektor Ernst Sauermann – eine Einzelausstellung im Flensburger Kunstgewerbemuseum.15 Neben Anerkennung erfuhr ihre Kunst auch Ablehnung, wie Sauermann rückblickend zu bedenken gab.16 Lassen schuf nicht nur Bilder, sondern erhielt ab 1910 Auftragsarbeiten für die Anfertigung von Kirchenfenstern.17 Mit Blick auf den Nordseeküstenraum kreierte sie 1932 ebenfalls drei Glasfenster für die Morsumer Dorfkirche auf Sylt.18 Da sie keine maritime Thematik beinhalten, werden sie in dieser Studie nicht weiter behandelt. Im Jahre 1904 kehrte Lassen nach Flensburg zurück und arbeitete in ihrem Elternhaus und in freier Natur in der Umgebung.19 Ein Jahr später richtete ihr Vater für sie eine Atelierwohnung ein, die ein fester räumlicher Bezugspunkt in ihrem Leben wurde und zu der sie immer wieder zurückkehrte.20 Um sich fortzubilden, bereiste die Künstlerin Städte, die für die damalige künstlerische Ausbildung von großer Bedeutung waren. So hielt sie sich von 1908 bis 1909 eine Zeitlang in Paris auf.21 Weiter reiste sie ab 1919 häufiger nach Berlin und arbeitete dort künstlerisch.22 Dabei schuf sie angesichts der schlechten sozialen Zustände in der Stadt während der Nachkriegszeit auch sozialkritische Werke.23 Lassen wurde 1928 für eine Zeitlang Mitglied im »Verein der Künstlerinnen und Kunstfreundinnen zu Berlin« und nahm an Ausstellungen teil.24 Zeitlebens kehrte sie jedoch immer wieder zu ihrem Wohnsitz nach Flensburg zurück. Es war aber nicht die Ostsee, sondern die dänische Nordseeküstenlandschaft Jütlands, die sie wesentlich für ihre Bildmotive inspirierte und für lange Zeit eine zweite Heimat wurde.
Biografischer Bezug zur Nordsee Käte Lassen lebte sowohl an der Ostsee- als auch an der Nordseeküste. Für ihre Malerei entdeckte sie jedoch primär den Motivkreis der dänischen Nordsee. Sie lernte diese Landschaft auf ihrer Rückreise von einem Studienaufenthalt in Kopenhagen im Winter 1904/05 kennen. Sie war alleine mit dem Fahrrad un14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24
Vgl. Mahn 2007, S. 108. Vgl. ebd., S. 61. Vgl. ebd., S. 62. Vgl. ebd., S. 54f. Vgl. Mahn 2007. S. 136ff. Vgl. Lassen 2010, S. 52. Vgl. Rohling 1956, S. 31. Vgl. Lenz 1994, S. 26–29. Vgl. Lenz 1994. Vgl. Mahn 2007, S. 118. Vgl. ebd., S. 109f.
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terwegs, was für eine Frau zu Beginn des 20. Jahrhunderts außergewöhnlich war. Ihr Weg führte sie über Skagen im Norden Dänemarks, wo Ost- und Nordsee aufeinandertreffen. Hier erhielt sie Einblick in das Kunstschaffen der dortigen Künstlergemeinschaft. Weiter gelangte sie zum kleinen Fischerdorf Klitmøller an der Nordseeküste Jütlands.25 Dieser Ort an der jütländischen Küste war damals für den Tourismus noch nicht entdeckt worden und die Künstlerin faszinierte das traditionelle Leben der Küstenbewohner.26 Sie besuchte ihn wiederholt von 1906 bis 1910 in den Sommermonaten und war dort künstlerisch tätig.27 Nicht allein dieses dänische Fischerdorf an der Nordseeküste inspirierte sie. In den folgenden Jahrzehnten reiste sie in den Sommermonaten – mit einer Unterbrechung aufgrund eines Einreiseverbots im Ersten Weltkrieg – zudem in die Fischerdörfer Vorupør (1912–1923) und ab 1924 nach Stenbjerg (1924–1944).28 Mitte der 20er Jahre bezog sie ein Haus in Stenbjerg, das sie auch als Atelier nutzte. Jedoch hielt sie sich dort bevorzugt in den Sommermonaten und nicht im Winter auf.29 Die dänischen Orte, die sie besuchte, liegen zwar an der Nordseeküste, jedoch nicht am Wattenmeer. Dieses fand in ihr Motivrepertoire zeitlebens keinen Eingang. Dass sie das Wattenmeer als Ort und Motiv für ihre künstlerische Tätigkeit ablehnte, zeigt u. a. ein Aufenthalt auf der Insel Pellworm im Sommer 1908.30 Sie war auf dieser Insel im Wattenmeer künstlerisch tätig, fand aber mit Blick auf die Landschaft und die Menschen nicht das, was sie in Klitmøller so faszinierte. Lassen zog die nordjütländische Küste der näher gelegenen nordfriesischen Küste vor, da der »atlantische Charakter« dort stärker ausgeprägt sei und sie zu Island, Norwegen und Schottland eine größere Nähe empfand.31 Ein 25 Vgl. hierzu ebd., S. 36ff., 40ff. 26 Rohling beschreibt in pathetischer, verherrlichender Form, dass die Künstlerin ihren persönlichen Raum zur Ausübung ihrer Kunst gefunden hat: »Als sie gar am Rande der Halbinsel Jütland die Westküste erreichte, als sie von flachen Dünenhügeln in Klitmøller zum ersten Male mit einem Blick das Rund des Horizontes und die sich zum Bogen wölbende Küste umspannte, wußte sie, daß sie am Ziel war. Sie hatte ihre Lebenslandschaft, ihre Menschen, ihre Bildwelt, den Raum ihrer künstlerischen Inspiration gefunden. Traum deckte sich mit Wirklichkeit. Die inneren Gesichte stiegen wieder auf. Eine Landschaft und ein Volk urtümlicher Fischer wollte Bild und Sprache werden und fand den begnadeten Künstler, der ihnen Sprache verlieh. 25 Jahre alt war damals die Künstlerin. Seitdem ist Käte Lassen, der jutländischen Heide und der Nordsee […] treugeblieben.« Rohling 1956, S. 30. 27 Vgl. Kat. Hamburg/Flensburg 2012, S. 131. 28 Vgl. Kat. Flensburg 1980, S. 3. 29 Vgl. Rohling 1956, S. 29. 30 Vgl. Rohling 1956, S. 39f. 31 »Das atlantische Gepräge dieser Küste ist es, das nach dem eigenen Zeugnis der Malerin sie so besonders angezogen hat. Sie empfindet hier Schottland, Norwegen und Island als unmittelbar gegenüberliegende Gegebenheiten, deren Landschaftscharakter sie als ihr innerlich verwandt anspricht. Die nordfriesische deutsche Küste vermochte ihr nicht dieses atlantische Urerlebnis zu vermitteln. Das Besondere dieser Landschaft von Thy ist, daß nicht mehr die
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weiterer Grund lag in dem »ossianischen Charakter« der kargen, rauen nordjütländischen Küstenlandschaft, der sie inspirierte.32 Die Weitläufigkeit der schlickigen Wattlandschaft fand dagegen nicht das Gefallen der Künstlerin. So reiste sie im Jahre 1908 wieder nach Klitmøller.33 Die Nordsee griff sie in vielen Werken allerdings nicht als eigenständiges Motiv auf. Es sind die dort lebenden Fischerfamilien mit ihrer ursprünglichen Lebensweise, die sie in ihren Bildwelten umsetzte. Das Thema »Frauen am Meer« nimmt dabei einen wichtigen Stellenwert in ihrem Motivrepertoire ein.34 Allerdings sind in ihren Bildern bereits Einflüsse vorherrschender Stilrichtungen, beispielsweise der skandinavischen Kunst, ersichtlich.35 Die von den Skagener Malern umgesetzte Bildmotivik, weitgehend männlich dominierte Fischerszenen – beim Fang oder bei der Rettung in Seenot geratener Boote – übernahm Lassen allerdings nicht. Sie stellte häufig nachdenkliche oder aufs Meer schauende Frauengestalten am Strand dar. Die Nordsee fungiert in den Bildern dabei als stimmungsschaffendes Element. Sie malte aber nicht nur Frauen, sondern auch Kinder und später auch Männer der Fischerfamilien. Ebenso fand die Tierwelt Eingang in ihr Motivrepertoire. Dabei fertigte sie viele Gemälde draußen am Strand an.
Die Suche nach Ursprünglichkeit: Dänische Küstenlandschaft und deren Bewohner Die Künstlerin suchte die Einsamkeit und die »Ursprünglichkeit« von Landschaft und Fischerleben. Deshalb reizten sie auch Darstellungen des touristischen Srandlebens nicht. In Klitmøller begann sich damals zwar Badeleben zu regen, aber die Orte Vorupør und Stenbjerg, die sie später aufsuchte, waren
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reichen fruchtbaren Marschen das unmittelbare Hinterland des Meeres sind, sondern daß hier Geest und Heide unmittelbar an die Nordsee heranrücken. Der düstere, eintönige Charakter der Geest, ihre karge, noch auf die Tundrenlandschaft zurückweisende Vegetation, der schwermütigem ernste Klang der Vorzeit, der in einsamen Hünengräbern […] fortlebt, verbindet sich in Thyland unmittelbar mit dem heroisch-dramatischen Charakter der Nordsee zu wahrhaft »ossianischer« Wirkung.« Rohling 1956, S. 33. Ausführungen zum Ossianismus und weiterführende Literatur vgl. Hinrichs 2011, S. 129– 134. Im Herbst 1908 brach sie zur künstlerischen Weiterentwicklung nach Paris auf. Dort weilte sie bis zum Frühjahr 1909. Allerdings führte sie ihre künstlerischen Studien ohne akademische Bindung durch. Vgl. Rohling 1956, S. 50–56. Vgl. hierzu Lenz 1994, vgl. Mahn 2007, S. 43. Vgl. Mahn 2007, S. 43. So hat Munch sich bereits der Darstellung von einsamen Frauengestalten am Meer gewidmet. Skagen, der Ort, an dessen Küste Nord- und Ostsee zusammentreffen und der bereits von Künstlern, u. a. Michael Ancher, Christian Krogh und Peder Severin Krøyer, entdeckt wurde, lehnte sie ab. Rohling betont, dass sie die Gesellschaft anderer Künstler mied und dass Skagen ihr zu »weltläufig« sei. Vgl. Rohling 1956, S. 34.
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jedoch noch weitgehend unentdeckt. Die Einsamkeit, Ursprünglichkeit und »Unentdecktheit« in Bezug auf zivilisatorische Einflüsse, regten sie künstlerisch an36 – ein verbreitetes Phänomen bei Künstlerinnen und Künstlern zu Beginn des 20. Jahrhunderts.37 Man wollte wieder zum einfachen Leben in der Natur zurückkehren und der modernen Zivilisation in der Stadt mit ihrer Schnelllebigkeit den Rücken kehren. Das zeigt auch die Entstehung zahlloser Künstlerkolonien um die Jahrhundertwende. Von den Malern der Brücke-Bewegung in Dangast sowie der Künstlerkolonie in Duhnen unterschied sich Lassen insofern, dass sie alleine, weder von anderen Künstlern noch von einem Lebensgefährten begleitet, an der abgelegenen Küste Nordjütlands ihre Kunst ausübte.38 Für die damalige Zeit war ein solches Leben für eine Frau eine Besonderheit. Allerdings isolierte Lassen sich nicht, sondern suchte den Umgang mit den Fischerfamilien. Sie hatte ein gutes Verhältnis zu den Einheimischen und die Küstenbewohner waren gerne bereit, für sie Modell zu stehen. Ihre Werke spiegeln ihren individuellen Blick auf das Leben dieser Menschen sowie die von ihr gesuchte Ursprünglichkeit. Die Darstellung der Küstenbewohner der kleinen dänischen Fischerdörfer war kein gängiges Motiv maritimer Werke. Die Fischerbilder der Skagener Künstler erfreuten sich dagegen größerer Beliebtheit. Möglicherweise lässt sich mit der Wahl von Lassens Motiven an der jütländischen Nordseeküste der nur regionale Bekanntheitsgrad ihrer Kunst begründen.39 Auch Rohling führt das Neue und Ungewohnte in den Darstellungen der dänischen Fischerfamilien an: »Schon im Thema erobert sie Neuland: elementares, primitives Volkstum in karger nordeuropäischer Nordmeer-Küstenlandschaft, das Dasein der Fischer, ihrer Frauen und Mütter, das unbürgerliche Familien- und Sippenbild eines vierten Standes von Werktätigen, die noch in einer urtümlichen Auseinandersetzung mit der elementaren Natur stehen. In der Gebundenheit dieser Menschen an die ewig gleichen Gesetze der Natur und des primitiven Zusammenlebens wird Ewigmenschliches sichtbar gemacht […].«40 36 Rohling führt an, dass die Künstlerin, um diesen Ort »geheim zu halten« und allein für ihre Kunst zu bewahren ihre Werke in Dänemark nicht ausstellte. Sie hätte Angst, sie würde Künstler oder Touristen anlocken, die den ursprünglichen Charakter von der Landschaft und dem dortigen Leben zerstören könnten. Ihre Intention bestand – im Gegensatz zu der vieler ihrer männlichen Kollegen – nicht darin, schnellstmöglich bekannt zu werden. Vgl. Rohling 1956, S. 35. Vgl. Mahn 2007, S. 174. Dies sei dahingestellt. Schließlich war Lassen auf Bildverkäufe angewiesen, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. 37 Vgl. exemplarisch Mahn 2007, S. 43. 38 »Einsamkeit, das Dasein des Einsiedlers in der Wüste, das den Menschen in der Begegnung mit den Elementen zu sich selbst, zum Erlebnis seiner menschlichen Grundsituation führt, das einfache Leben der naturnahem Bauern und Fischer, ihre ›biblische Einfachheit‹ fand Käte Lassen, wenn sie das Land Thy jeden Sommer wieder aufsuchte.« Vgl. Rohling 1956, S. 35. 39 Vgl. Rohling 1956, S. 7. 40 Ebd., S. 8.
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In Rohlings Schilderung der Küstenbewohner, die als Modelle dienten, ist eine Abwertung zu erkennen, die kritisch beurteilt werden muss.41 In seinen Ausführungen ist zudem ersichtlich, dass er Schwierigkeiten hatte, Verständnis für die Begeisterung Lassens für diesen Küstenstreifen aufzubringen. »Es ist nicht leicht zu begreifen oder zu beschreiben, was an dieser kargen Landschaft die Malerin angezogen hat. Gerade die Abwesenheit jedes einladenden landläufigen Reizes, das Durchschnittliche, Prosaische, das Nicht-Malerische, die Motivlosigkeit, das Unromantische, die überwältigende Einsamkeit und Ödnis, die Kargheit und proletarische Armut dieses flachen Küstensaumes müssen es gewesen sein, die der Malerin erlaubt haben, ihre eigene Erlebniswelt umso stärker Form werden zu lassen. Mit instinktiver Sicherheit hat sie in dieser Elementarlandschaft aus Himmel, Meer und Dünenstrand, in der primitiven Lebensgemeinschaft dieser hart um Dasein und tägliches Brot ringenden Fischerdörfer die Voraussetzungen für die Entwicklung einer archaisch vereinfachten Elementarsprache der Malkunst gefunden.«42
Im Folgenden wird anhand der drei Stationen Klitmøller, Vorupør und Stenbjerg die künstlerische Entwicklung Lassens in ihren maritimen Werken dargelegt und die Bedeutung der Nordsee herausgestellt.
Klitmøller (1905–1910) – Darstellungen von Frauen am Meer Obwohl Lassen an der Küste arbeitete, ist es nicht die Nordsee, die als eigenständiges Motiv Aufnahme in ihre Bildwelten fand. Die Weite und der Blick in die Ferne, die Gewalt des aufgewühlten Meeres und ebenso das Friedliche der stillen See griff sie zwar auf,43 doch immer steht eine Vermittlerfigur zwischen dem/der Betrachter/in und der Nordsee. In den Sommermonaten, die sie von 1905 bis 1910 in Klitmøller verbrachte, sind es weitgehend Frauen, gelegentlich auch Kinder, die sie visualisierte.44 Sie standen ihr unter freiem Himmel am Strand Modell. Die Tatsache, dass es sich meist um weibliche Modelle handelte, war nicht darin begründet, dass sie männliche ablehnte. Diese wollten aufgrund gesellschaftlicher Konventionen der jungen Malerin nicht als Modell zur Verfügung stehen.45 Der alte Fischer Per Bolsen, bei dem und dessen Frau die Ma41 So nennt er sie ein »primitives Völkchen« eines »vierten Standes«. Vgl. ebd., S. 8. 42 Vgl. ebd., S. 33. »Das Herbe, Großartige, Spannungsreiche der Nordsee, die unendliche Weite von Himmel und Meer sprachen sie an.« Ebd., S. 33. 43 »Das innig verschwisterte Hineintauchen in die elementare Zone der Natur, der tägliche Umgang mit Sonne, […], dem Rauschen der Brandung, salziger Seeluft, steten Wind, peitschendem Sturm und wehendem, alles überrieselndem Sand bedeutet noch nicht, daß nun das Elementare selbst schon damals Stoff für die Malerei Käte Lassens hätte sein müssen.« Vgl. Rohling 1956, S. 36. 44 Vgl. ebd., S. 39. 45 Vgl. ebd., S. 39.
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lerin damals lebte, fand als einziger Eingang in ihre frühe Bildwelt.46 Nicht zuletzt deshalb erschloss sich der Künstlerin ein neuer Motivkreis, die Darstellung nordjütländischer Frauengestalten am Meer. Die Frauen lebten in den Konventionen des Fischer- und Bauernlebens, was u. a. an ihrer Kleidung ersichtlich ist. Lassen konfrontierte in ihren Bildern häufig einsame Frauengestalten mit der Weite der Nordsee. Ebenso stellte sie einzelne Gruppen am Strand dar. In ihren Bildern überwiegt das Innehalten, die Nachdenklichkeit, das Gefühlvolle wie auch das Träumerische und die Sehnsucht. Sie schuf Stimmungslandschaften, die vom Zusammenspiel von weiblicher Figur und Meer geprägt sind. Durch die Einbettung dieser Frauen in die Meereslandschaft sind auch Assoziationen von Freiheit und Sehnsucht möglich. Im Folgenden werden exemplarische Werke vorgestellt.47 Im Bild »Am Meer, Klitmøller, Mädchen vor der Brandung« (Abb. B5.1, Farbabbildung) steht in Seitenansicht eine Frau in ihrer Tracht am Strand. Sie trägt ein Kleid, eine Schürze sowie eine Haube. Da keine Gesichtszüge zu erkennen sind, wirkt sie anonym. Jedoch fungiert sie nicht als Identifikationsfigur, wie die Rückenfiguren in der Romantik, durch die der/die Betrachter/in Gedanken und Empfindungen auf das Bild projizieren konnte. Stattdessen ist die Frau in eine dynamisch wirkende Strandlandschaft integriert. Wolken in verschiedenen Formationen erheben sich über einem aufgewühlten Meer. Davor ist ein Strandabschnitt ersichtlich. Die Frau hebt sich in dunkleren Farben von der Landschaft ab und sticht als einziges vertikales Bildelement hervor und bringt den einsamen Strandspaziergang zum Ausdruck. Obwohl sich Lassen der durch den Impressionismus populär gewordenen Freilichtmalerei bediente und eine skizzenhafte, rasche Arbeitsweise besaß, sind ihre Intentionen von den Idealen der Impressionisten abzugrenzen. So ging es ihr nicht darum, einen flüchtigen atmosphärischen Eindruck, den sie in der Natur aufgenommen hatte, momenthaft malerisch einzufangen. Vielmehr strebte sie eine Vereinfachung und Konzentration auf das Wesentliche an.48
46 Vgl. ebd., S. 39. 47 Weitere in dieser Studie nicht benannte Darstellungen von Frauengestalten am Meer sind u. a. die Zeichnung »Mädchen in den Dünen im Wind« (vgl. Lenz 1994, Abb. 32) sowie die Ölgemälde »Frau in Weiß am Meer« (vgl. Lenz 1994, Abb. 33a), »Frauen mit schwarzen Tüchern vor dem Strand« (vgl. Lenz 1994, Abb. 33b). Weiterhin kreierte sie Interieurdarstellungen des Fischer- und Bauernlebens an der Küste. Vgl. Rohling 1956, S. 39. Letztgenannte werden jedoch nicht weiter angeführt, da der Fokus in dieser Studie auf den Darstellungen der Nordsee liegt. 48 Vgl. Rohling 1956, S. 41.
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Abb. B5.2: Käte Lassen, Strand bei Klitmøller, 1907, Blei, aquarelliert, 29,4 x 40 cm
Dies zeigt sich ebenfalls in dem Werk »Strand bei Klitmøller« (Abb. B5.2), in dem wiederum eine Frau dargestellt ist, hinter der sich die Weite des Meeres erstreckt. Das Bild ist durchkomponiert und flächig angelegt. Dadurch wirkt es starr und nahezu leblos. In der Zeichnung ist die weibliche Figur detailliert gestaltet, jedoch bleibt ihr Gesicht ungenau Die Landschaft wirkt nahezu abstrakt. Gestaffelt und flächig angelegt sind Strand, feuchter Küstenbereich, Meer und Himmel. Dadurch wird eine statische Wirkung erzeugt. Nur die Frau verbindet diese Bereiche, wirkt allerdings mit dem langen Schatten ebenfalls nahezu erstarrt. Es ist die Kunst des Weglassens, die diese Wirkung ausmacht. Lassen überlud die Werke nicht mit unnötiger Staffage, sondern beschränkte sich auf das Wesentliche. Im Gegensatz zu diesen anonymisierten Werken schuf sie auch individuelle figürliche Darstellungen.49 Diesbezüglich verbildlichte Lassen häufig Frauen in Frontalansicht und aus nächster Nähe. Durch die Gesichtszüge können die Personen zum Teil erkannt werden. So ist in dem 1907 in Klitmøller entstandenen Werk »Frau am Meer« (Abb. B5.3) Line Bolsen im rechten Bildbereich im Profil dargestellt.50 Die Fischertochter stand der Künstlerin häufig Modell.
49 Es wurde von Lassen angestrebt, dass die Frauen sich ungezwungen und natürlich verhalten, so dass gestellte Haltungen vermieden wurden. Inwieweit dies beim Modellstehen zu realisieren ist, bleibt allerdings fraglich, weil diese Tätigkeit schließlich eine unnatürliche, nicht alltägliche Handlung darstellt. 50 Vgl. Mahn 2007, S. 45.
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Abb. B5.3: Käte Lassen, Frau am Meer, 1907, Öl auf Leinwand, 75 x 64 cm, Flensburg, AugusteViktoria-Schule
Der Wind zerrt an ihrer Kleidung und ihr Blick geht hinaus auf die Nordsee im Hintergrund. Ein Strandbereich erstreckt sich zwischen dem Meer und der Frau, die von grüner Vegetation eingerahmt wird. Mit der in die Hüfte gestemmten Hand wirkt sie energisch. Ihr Gesichtsausdruck, soweit im Profil erkennbar, ist jedoch gelöst. Durch die Verbildlichung individueller Gesichtszüge und Körperhaltungen näherte sich Lassen den Empfindungen der jeweiligen Frauen und Mädchen und damit der menschlichen Psyche an. Die Meereslandschaft kann als Projektionsfläche der festgehaltenen Empfindungen dienen. Dies ist allerdings nicht zwingend der Fall, da das Meer ein Teil des Lebensraumes dieser Frauen war. Neben unbeschwerten Gesichtszügen zeigen die Bilder auch nachdenkliche und zum Teil schwermütige und sorgenvolle Haltungen. So wurde beispielsweise das Warten auf den Fischer, der die Familie ernährt, motivisch umgesetzt. Hier ist das Meer ein wichtiges Bildmotiv, das zur inhaltlichen Deutung beiträgt. Lassen hat aber ebenso die Liebe thematisiert. So enthält ihr Skizzenbuch aus dem Jahre 1908 u. a. die Darstellung eines stehenden, sich küssenden Liebespaares am Meeresstrand, dessen Füße vom Wasser umspült werden.51 Das Meer als Bühne des Badelebens und von Unbeschwertheit und Freude lässt sich allerdings aus den meisten Bildern nicht lesen.
51 Vgl. Rohling 1956, S. 47.
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Abb. B5.4: Käte Lassen, Mädchen am Wasser, 1907, Öl auf Leinwand, 109 x 80,5 cm, Museumsberg Flensburg
Das Werk »Mädchen am Wasser« (Abb. B5.4) vermittelt eine schwermütige und nachdenkliche Stimmung. Im vorderen rechten Bildbereich ist in Frontalansicht ein Mädchen abgebildet. Den Blick hält es gesenkt; seine Arme hängen herab, die Hände sind leicht verkrampft. Das Mädchen wirkt nachdenklich und bedrückt, was sich durch die düstere Darstellung von Strand und Meer noch verstärkt. Durch die angeschnittenen Darstellungen von in Nahsicht dargestellten Frauengestalten, wirken diese häufig wie vor die Meereslandschaft montiert und nicht in diese integriert. Mit ihrer vom Meer abgewandten Haltung führen sie den/die Betrachter nicht – wie es bei den Rückenfiguren der Fall ist – in das Bildgeschehen hinein. Dadurch lässt sich der Gegensatz von Nähe und Ferne verdeutlichen. Das 1907 in Klitmøller entstandene Werk »Frau am Meer«52 (Abb. B5.5, Farbabbildung) zeigt wiederum eine Frau in nachdenklicher Haltung. Sie trägt eine dunkle Jacke und ein weißes Kopftuch. Einen Arm hält sie um ihren Leib geschlungen, der andere ist zum Gesicht geführt. Mit gedankenverlorener Geste hält sie einen Zipfel des Kopftuches vor ihren Mund. Die Hand ist recht kantig dargestellt und wirkt nicht realitätsgetreu. Ihr Blick ist nach unten gerichtet, sie hat sich vom Meer abgewandt. Das Bild ist wie die meisten Meeresdarstellungen Lassens nicht differenziert ausgearbeitet, sondern von einem groben Duktus bestimmt. Weiße Bereiche verweisen auf die Gischt der brechenden Wellen. Über dem Meer erstreckt sich in grauen bis helllila Farbtönen der Himmel. Er wird von einer leicht abgedunkelten Wolkenfront beherrscht. Sie scheint direkt über dem Kopf der Frau zu 52 Vgl. Kat. Flensburg/Hamburg 2012, Kat. 42.
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stehen und erzeugt eine bedrückende Wirkung. Wiederum wird durch die Nahsicht der Frauengestalt die Illusion von der Ferne und Weite des Meeres verstärkt. Die Frau steht alleine bei rauem Wetter am Strand. Über die Beweggründe ihrer nachdenklich-melancholischen Haltung kann nur spekuliert werden.53 Zu den maritimen Werken, in denen Gefühle im Vordergrund stehen, zählt ebenfalls das Werk »Verzweiflung« (Abb. B5.6).
Abb. B5.6: Käte Lassen, Verzweiflung, 1908/09, Öl auf Leinwand, 101 x 89 cm, Museumsberg Flensburg
Ein Mädchen liegt am Strand. Die Verzweiflung lässt sich an der Körperhaltung ersehen. Den Kopf hält sie seitlich nach unten gerichtet und verdeckt ihn mit den Händen. Die dunklen Farben ihrer Kleidung und des Haares vermitteln eine negative Stimmung. Ihre Darstellung gleicht auf den ersten Blick einem schwarzen Flecken im Sand. Entgegen der in Nahsicht dargestellten Frauen, die wie vor die Landschaft gesetzt wirken, ist diese weibliche Figur in ihr integriert. Die Farben der Umgebung nehmen die verzweifelte Stimmung allerdings nicht auf. An einem in Mauvetönen gestalteten Himmel erheben sich leuchtende Wolken. Sie wirken gegenüber der liegenden Gestalt sehr groß. Das Meer ist nur als ein blauer Streifen zu sehen, der Himmel und Strand trennt.
53 Es könnte die Gemütsverfassung der Frau sein, möglicherweise hat sie aber auch auf die Ankunft eines Schiffes gewartet. Dies wäre durchaus denkbar, da Lassen als Modelle häufig die Frauen oder Töchter der Fischer wählte.
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Abb. B5.7: Käte Lassen, Drei Frauen am Strand, 1.Fassung, 1908/09, Öl auf Leinwand, 116 x 88 cm
Abb. B5.8: Käte Lassen, Drei Frauen am Strand, 2. Fassung 1908/09, Öl auf Leinwand, 168 x 140 cm, Museumsberg Flensburg
In den zwei gleichnamigen Werken »Drei Frauen am Strand«54 (Abb. B5.7, 8) tritt die Visualisierung der Nordsee in den Hintergrund. Stattdessen liegt der Fokus auf der weiblichen Figurengruppe. Das Werk liegt in zwei Fassungen vor. Die erste kleinformatige Version (Abb. B5.7) entstand in Klitmøller, das zweite Werk in Flensburg.55 Letztgenanntes ist von der Nordseeküste Jütlands inspiriert, entstand jedoch im Flensburger Ate54 Vgl. Kat. Flensburg, Hamburg 2012, S. Kat. 41. 55 Vgl. Mahn 2007, S. 45. Motivisch und farblich gibt es zwischen den beiden Fassungen Unterschiede. So wurde die starke Farbigkeit der ersten Version in der zweiten Fassung zurückgenommen. Vgl. Rohling 1956, S. 47. Obwohl das Hauptmotiv, die Darstellung der drei Frauen beibehalten wurde, finden sich auch inhaltliche Abweichungen. So ist die Frauengruppe in der zweiten Fassung (Abb. B5.8) stärker in die Bildmitte gerückt. Hier kann aufgrund der Anordnung von einer Monumentalisierung gesprochen werden. Ebenso änderte Lassen die Kopfhaltung der Frau, die sich hinter den beiden anderen befindet.
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lier auf Basis einer Fotografie.56 Lassen besaß im heimischen Atelier entsprechende Kleidungsstücke der Fischerfamilien, um Szenen nachstellen zu können.57 Damit unterliegen einige Werke wie das Genannte einer Inszenierung. Im Folgenden wird die Betrachtung auf die zweite Version im größeren Format58 (Abb. B5.8) gelenkt. Den Großteil der Bildfläche nehmen die drei weiblichen Gestalten ein. Die Untersicht trägt zur monumentalisierenden Wirkung bei. Die Frau im Vordergrund der rechten Bildhälfte ist dem Meer abgewandt. Ihr Blick ist nach unten rechts gerichtet und geht an dem/der Betrachter/ in vorbei. Sie trägt ein Kopftuch, eine Bluse und einen im Wind wallenden Rock. Blaugraue Farben dominieren in ihrer Gestaltung. Die Frau ganz links steht etwas dahinter. Ihr Gesicht ist im Profil dargestellt und ihr Blick geht aufs Meer hinaus. Sie schirmt die Augen ab, als suche sie etwas in der Ferne. Möglicherweise wartet sie auf die Ankunft eines Schiffes. Ihr hellrot getönter Rock bildet einen Komplementärkontrast zu dem hellgrünen Meer in der linken Bildecke. Dadurch wird seine Leuchtkraft noch erhöht. Die rot-braunen Haare der Frau verstärken den Kontrast. Sie trägt als Schmuck eine Bernsteinkette und einen Ohrring. Vermutlich stand Line Bolsen Modell, da sie in der gleichen Körperhaltung bereits im Bild »Frau am Meer« (Abb. B5.3) dargestellt ist.59 Von einer 56 Vgl. Kat. Flensburg/Hamburg 2012, S. 131. 57 Vgl. ebd., S. 131. 58 Rohling führt folgende Beschreibung und Deutung an: »Zunächst steht links im Bild die so häufig als Modell dienende gesunde, rothaarige Line, den Kopf ins Profil gedreht, ohne Kopftuch, mit der Hand die den Horizont absuchenden Augen gegen Wind und Sonne abschirmend, die Liebende, die um den geliebten Mann auf See bangt; ihr Gegenpol rechts im Bild ist ein Mädchen energischen, fast männlichen Typs, ›die, die mit den Männern fischen ging‹, frontal zum Betrachter, windabgewandt mit heftig zur Seite wehender Schürze und Kopftuch, einsam, vielleicht enttäuscht und trotzig in sich gekehrt, die tätige, in Alltag und Beruf eingespannte Frau; schließlich zwischen und hinter beiden, im Angelpunkt des Bildes, nur als Kopf im Profil sichtbar, eine Ausschauende mit Kopftuch, ein Selbstporträt der Malerin, blaß und fast unwirklich, mit nornenhaft strengem Zug einer weisheitsvoll Schauenden. Ein Dreigestirn, eine ins Menschliche gespiegelte, mythischen Dreibildern der Nornen oder der Hekate von ferne nachgefühlte Komposition. Daß die Malerin sich selbst porträtiert hat, läßt erkennen, daß dieses in ihrem 28. Lebensjahr entstandene Bild auch einen Wendepunkt, ein Zurück- und Vorausschauen in ihrem eigenen Künstlerleben bedeutet, ein Bild des Bewußtwerdens und der Selbsterkenntnis. Schicksalhaft meldet sich der ausschließende Anspruch künstlerischer Sendung an. Zum ersten Male klingt in diesem Bilde das Motiv der nordischen Seherin der weisen Frau, leise an. Die Künstlerin erlebt sich selbst; zwischen die Liebende und die Schaffende, die beiden im Leben Stehenden geordnet, ist sie die tiefer Schauende, die Enthüllende.« Vgl. Rohling 1956, S. 46f. Da Rohling seine Schrift unter Mitwirkung der Künstlerin anfertigte, ist es durchaus möglich, dass er die Intention der Künstlerin hiermit darlegt. Möglicherweise stellt es auch seine persönliche Lesart vor. Eindeutig lässt sich dies nicht klären. 59 Vgl. Kat. Flensburg/Hamburg 2012, S. 131. Lassen hatte Probleme mit der realitätsgetreuen Darstellung von Händen, wie die in die Hüfte gestemmte, viel zu große und grobe Hand zeigt. Ebenso ist dies anhand der Darstellung der Hand im Werk »Frau am Meer« ersichtlich. Möglicherweise hat sie viele Hände bewusst zu groß dargestellt. Denn in Bezug auf eine
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Frau ist nur der Kopf zu erkennen. Sie hat blonde Haare und trägt ein hellblaues Kopftuch. Rohling vermutet, es handelt sich um ein Selbstportrait der Malerin.60 Auch ihr Blick ist in die Ferne gerichtet. Der Wind bauscht die Röcke und lässt die Haarsträhnen im Wind flattern. Dadurch wird die Dynamik, die am Himmel durch die schräg verlaufenden Wolkenstrukturen gegeben ist, unterstützt. Der Horizont ist tief angesetzt, sodass ein großer Himmelsraum ersteht. Vor dem Meer ist nur ein kleiner Strandabschnitt ersichtlich. Damals wählte Lassen häufig Dreierkonstellationen von Frauen. Nach Entstehung der zwei Werke »Drei Frauen am Strand« griff sie diese Motivik wiederholt auf. Exemplarisch sei auf die Werke »Drei Schwestern in der Kirche«, »Drei Schwestern in den Dünen«, »Die Sorge«, »Drei Frauen gegen den Wind« und »Der Tod und das Mädchen« verwiesen. Inwieweit die Dreierkonstellationen allerdings, wie Rohling anführt, in Bezug zu den Nornen oder der Göttin Hektate gesetzt werden können, ist fraglich.61 Der in der Romantik verbildlichte Blick aufs Meer einer sich in Naturkontemplation befindenden Rückenfigur wird auch von Lassen in einigen Werken motivisch umgesetzt. Exemplarisch sei auf die Ölgemälde »Frau in Schwarz am Meer«62 und »Mädchen auf der Düne am Meer«63 verwiesen. In beiden Bildern ist eine einsame Frauengestalt, seitlich von hinten dargestellt, die auf das Meer hinaus blickt. Sie kann dem/der Betrachter/in als Vermittlerfigur dienen. Das Charakteristische des Meeres, die Ferne und damit verbundene Assoziationen von Unendlichkeit werden in diesen Werken betont. Während sich in romantischen Darstellungen häufig andächtige Naturwahrnehmung und sehnsüchtiges Empfinden spiegelt, können die visualisierten Blicke der Frauen aufs Meer zwar durchaus mit solchen Gefühlen verbunden werden, aber die Werke stehen in einem anderen Kontext. Der aufs Meer gerichtete Blick der Fischerfrauen kann ebenso die Sorge um die Männer auf See ausdrücken. Dies ist jedoch nicht generell der Fall. Obwohl das Meer zu ihrem Alltag gehörte, war eine sehnsüchtige und träumerische Sicht auf dieses möglich. Eindeutig zu klären ist dies nicht, sodass im Sinne Kemps64 von Leerstellen gesprochen werden kann. Abschließend kann für die künstlerische Phase Lassens in Klitmøller angeführt werden, dass die Künstlerin insbesondere die weiblichen Küstenbewohner
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zeitgenössische Kritik an der Realität ungetreuen Darstellung der Hand antwortete sie: »[…] und was die Hände betrifft: Wenn Du einmal in Not kommst und beten lernst, dann wirst Du feststellen, daß die bittenden Hände immer größer werden.« Hansen, Albert: Begegnung mit Käte Lasse. Erinnerungen an alte Zeiten, in: Flensburger Tageblatt, 6. 8. 1976. Vgl. Rohling 1956, S. 46f. Vgl. ebd., S. 46f. Vgl. Lenz 1994, Abb. 35. Die »Frau in Schwarz« ist in eleganterer Tracht gekleidet als die im anderen Bild dargestellte Frauengestalt. Vgl. Lenz 1994, Abb. 37. Vgl. Kemp 2003.
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verbildlichte.65 Die Küstenlandschaft und das Meer fungieren zwar nur als Bühne, jedoch besitzen sie für Inhalt und Wirkästhetik des Bildes wesentliche Bedeutung. Wären diese Frauen in einem häuslichen geschlossenen Raum dargestellt – wie es Lassen durchaus auch verbildlichte – drängen sich andere Lesarten auf. Ebenso unterstützt die Küstenlandschaft in vielen Bildern die visualisierte Stimmung der Frauen. Dies steigert sich noch in den maritimen Werken der sogenannten »Grauen Periode« nach dem Ersten Weltkrieg.
Graue Periode: Maritime Werke nach dem Ersten Weltkrieg Nach 1909 kehrte Lassen zunächst nicht mehr nach Klitmøller zurück, sondern arbeitete an einem in Auftrag gegebenen Fresko in der Heilands-Kirche in Flensburg.66 Jedoch zog es sie wieder in den Norden Dänemarks ans Meer. In den Jahren 1912, 1913, 1914, 1918, 1919 und 1923 hielt sich die Künstlerin im Küstenort Vorupør auf.67 Der Wechsel ihrer künstlerischen Wirkstätte, von Klitmøller nach Vorupør, war u. a. durch den Wunsch nach mehr Einsamkeit bedingt.68 Während ihrer ersten sommerlichen Aufenthalte lebte sie bei Einheimischen, die ihr Quartier gaben. Ebenso war damit ein Wechsel der Motive bedingt.69 Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs überraschte Lassen während eines ihrer dortigen Aufenthalte. Der Krieg stellte für die Künstlerin eine Zäsur da, weil sie 65 Lassen fand die nordjütländischen Menschen in ihrem Charakter und Lebensstil äußerst anziehend, wie Rohling ausführt: »Die Menschen in Klitmøller waren unbefangener und trugen noch nicht jene ihr Inneres verhüllende Maske, mit der eine nivellierende Zivilisation den Einzelnen wie mit einem Firnis überzieht.« Vgl. Rohling 1956, S. 40. Rohlings Urteil über diese Bilder, Lassen schildere »das einfache Dasein, die schlichten Gefühle der Mädchen und Frauen, das Warten und Zeithaben« erfassen m. E. den Gehalt der Bilder nicht und besitzen eine abwertende Tendenz. Ebenso sei folgende bei Rohling angeführte Aussage kritisch bedacht: »Sie [ihre Bilder] heben mit solcher Großaufnahme den Menschen gegenüber der umgebenden Natur zum Mittelpunkt und entsprechen darin der humanistischen Grundstimmung der Vor-Weltkriegszeit. Schlichte Menschen werden bedeutsam gefaßt. Jedes dieser Wesensbilder erobert unser Mitfühlen. Es ist ein Porträt, doch ohne dessen Eitelkeit. Da bei diesen einfachen Menschen der Typus noch prägend mitwirkt, wird es mehr als ein Porträt, Bildnis eines allgemein Menschlichen.« Rohling 1956, S. 41. Die Betonung des »Einfachen« dieser Menschen ist kritisch zu beurteilen, da es abwertend aufgefasst werden kann. 66 Vgl. Rohling 1956, S. 62. 67 Vgl. ebd., S. 70. 68 Vgl. ebd., S. 78. 69 In der Vorkriegszeit befasste sie sich noch verstärkt mit den charakterlichen Darstellungen der Küstenbewohner/innen und ihrer Kultur wie das Bild »Drei Schwestern in der Kirche« belegt. Vgl. Rohling 1956, S. 80f. Da diese Motivik jedoch keine maritimen Bezüge hat, wird im Folgenden nicht weiter darauf eingegangen.
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nicht mehr nach Dänemark reisen konnte.70 Während des Krieges befasste sie sich inhaltlich mit der Komposition des Freskos »Petri Fischzug«, das für das Flensburger Gymnasium geplant war.71 Die Vollendung erfolgte allerdings erst 1920–22. Ebenso setzte sie sich mit dem Thema »Tod« auseinander, was verstärkt durch den Tod ihrer Mutter bedingt war, wie das Bild »Der Tod und das Mädchen«72 (Abb. B5.9) zeigt.
Abb. B5.9: Käte Lassen, Der Tod und das Mädchen, um 1914–18, Öl auf Leinwand, 168 x 91 cm, Museumsberg Flensburg
Erst nach dem Ende des Kriegs konnte sie 1918 und 1919 wieder nach Vorupør zurückkehren. Jedoch zog es sie 1919 auch nach Berlin, wo sie mit dem Nachkriegselend konfrontiert war und diesbezüglich künstlerische Studien schuf, die das Leid der Menschen zum Thema hatten.73 Die unfassbare Zerstörung durch den Ersten Weltkrieg und die Auswirkungen, die sich in sozialem Elend und seelischem Leid zeigten, reflektierte Lassen in ihrer Kunst.74 Davon zeugen ebenfalls ihre in Vorupør entstandenen Bilder. Als Lassen dort eintraf, nahm sie die traurige Stimmung wahr. So hatten die Frauen Angehörige verloren, um die sie trauerten.75 Die Künstlerin visualisiert 70 Vgl. Mahn 2007, S. 77. 71 Vgl. Rohling 1956, S. 70. 72 Vgl. Kat. Flensburg 1980, S. 28. Diese Lebenszeitendarstellung zeigt eine junge und eine alte Frau sowie ein Skelett. Das Bild orientiert sich an mittelalterlichen Lebensalterzyklen. 73 Vgl. Rohling 1956, S. 72. Allgemein unternahm Lassen den Versuch mit einer gewissen Regelmäßigkeit in den folgenden Jahren in Berlin künstlerisch zu arbeiten. So mietete sie sich ebenfalls zeitweilig ein Atelier an. Vgl. Mahn 2007, S. 109. 74 Vgl. Rohling 1956, S. 74. 75 Vgl. Mahn 2007, S. 77.
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dies beispielsweise im Werk »Die Witwe« (Abb. B5.10).76 Eine in dunkle Trauerfarben gewandete Frau ist in einer Dünenlandschaft dargestellt. Ihr Gesicht trägt deutliche Züge des Leids.
Abb. B5.10: Käte Lassen, Die Witwe, 1919, Öl auf Leinwand, 172 x 92 cm, Privatbesitz
Die bedrückende Stimmung der Nachkriegszeit verarbeitete Lassen in Bildern, in denen Grautöne mit Abstufungen ins Blaugrau dominieren; dadurch wird eine schwermütige Wirkung evoziert. Aus diesem Grund wird diese Schaffensphase auch »Graue Periode« genannt. Ebenso änderte sich ihre Motivwahl: Dem Thema »Häuslichkeit«, das sie ebenfalls während ihren ersten Aufenthalten in Klitmøller aufgriff, widmete sie sich kaum noch.77 Stattdessen stellte sie zunehmend Menschen in freier Natur dar.78 Doch sind diese Werke von den früheren, im vorigen Kapitel besprochenen Meeresdarstellungen abzugrenzen. Obwohl Lassen auch weiterhin porträthafte, individuelle Frauendarstellungen schuf, kommt ein neuer Figurentypus zu ihrem Motivrepertoire hinzu: ältere, von Trauer und Leid gezeichnete Frauengestalten.79 Häufig sind diese anonymisiert dargestellt und verkörpern leidvolle Emotionen. Ihre Gesichter sind von Sorge, Leid und Trauer geprägt. Schwarze Konturlinien umrahmen die Bildmotive. Dadurch fehlt ihnen detaillierte Körperlichkeit und sie erscheinen als Abbilder von Stimmungen. Unterstützt wird dies durch die Farbwahl. Exemplarisch sei im Folgenden auf einige in Vorupør
76 Detaillierte Bildbeschreibung vgl. Mahn 2007, S. 81. 77 Vgl. Rohling 1956, S. 70. 78 Es ist nicht mehr das Schützende, häuslich Geborgene, das sie verbildlichte, sondern der Menschen in Konfrontation mit den Elementen der Natur. Den Menschen wurde – symbolisch gesehen – das schützende Dach entrissen. 79 Vgl. Rohling 1956, S. 78.
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entstandene Werke verwiesen, die diesen melancholischen Grundton vermitteln.
Abb. B5.11: Käte Lassen, Die Sorge, um 1923, Öl auf Leinwand, 118 x 94 cm, Privatbesitz
Im Bild »Die Sorge«80 (Abb. B5.11) sind drei Frauen am Strand dargestellt. Sie sind vom Meer ab- und dem/der Betrachter/in zugewandt. Haltung, Ausdruck, Kleidung und die insgesamt gedämpfte Farbgebung des Bildes rufen eine bedrückende Wirkung hervor. Die Sorge wird hier personifiziert. Das Motiv der drei grauen und verhüllten Trauergestalten griff die Künstlerin in einer Serie von Bildern auf.81
Abb. B5.12: Käte Lassen, Drei Frauen schräge im Wind, 1923, Öl auf Leinwand, 120 x 97 cm
Das Werk »Drei Frauen schräge im Wind« (Abb. B5.12) zeigt eine Variation in der Anordnung der verschleierten Personen. Im Vordergrund ist angeschnitten 80 Es wurden zwei Versionen angefertigt. Vgl. Rohling 1956, S. 100. Im Folgenden wird auf die dargestellte Fassung Bezug genommen. 81 Weitere Darstellungen vgl. Rohling 1956, S. 97–104.
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in Seitenansicht nur der Oberkörper einer vornüberbeugten Frau zu sehen. Hinter ihr sind nahezu in Ganzansicht zwei weitere in graue Gewänder gehüllte weibliche Figuren verbildlicht. Eine ist in Rückenansicht dargestellt, die andere wendet sich frontal dem/der Betrachter/in zu, blickt jedoch seitlich zum Bild hinaus. Wie der Titel besagt, lehnen sie sich »schräg« in den Wind. Der Vergleich mit sich im Wind biegenden Grashalmen ist nachvollziehbar.82 Die Frauen scheinen der Kraft des Windes ausgesetzt und ihres natürlichen Gleichgewichts beraubt zu sein. Dies kann auf die seelische Verfassung vieler Frauen in der Nachkriegszeit verweisen, die den Tod von Angehörigen verschmerzen mussten. Kleidung, Körperhaltung und Gesichtsausduck der Trauergestalten verdeutlichen ihr Leid. Das Meer und der Strand dienen in diesem Werk wiederum als Stimmungslandschaft. Die graue Farbgebung unterstützt die Bildwirkung.
Abb. B5.13: Käte Lassen, Drei Frauen gegen den Wind, o. D., Öl auf Leinwand, 102 x 124 cm, Privatbesitz
In dem Bild »Drei Frauen gegen den Wind« (Abb. B5.13) dominieren wiederum Grautöne. Drei in Tücher gehüllte, vornübergebeugte Frauen sind in Seitenansicht am Strand dargestellt. Es liegt eine Anonymisierung vor, da die Gesichter kaum zu sehen sind. Die gebeugte Haltung ist durch das Laufen gegen den Wind bedingt. Die Frauen stemmen sich mit aller Kraft gegen den Wind. Sowohl Bildsprache als auch -inhalt verweisen auf schwermütige Empfindungen. Während die Frauengruppe in den Werken »Die Sorge« und »Drei Frauen schräg im Wind« noch als Hauptmotiv fungieren, ist diese im Werk »Drei Frauen gegen den Wind« im unteren linken Bildteil relativ klein verbildlicht. Der Strand nimmt den größten Bereich des Bildes ein.
82 Vgl. ebd., S. 102.
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Abb. B5.14: Käte Lassen, Meeresstudie, um 1923, Tusche, 65 x 50 cm, Städtisches Museum Flensburg
In der »Meeresstudie« (Abb. B5.14) wird die Übermacht der Natur gegenüber dem Menschen noch gesteigert. Den Großteil des Bildes nimmt das aufgewühlte Meer ein. Der imaginäre Standpunkt der/des Betrachtenden wird auf eine Düne verortet, wie die im Vordergrund angedeutete Wölbung zeigt. Dadurch ergibt sich eine Aufsicht. Im linken vorderen Bildbereich sowie von der rechten Bildseite her nähern sich dunkle Gestalten den am Strand liegenden Booten. Sie sind in gebeugter Haltung visualisiert und wirken gegenüber dem aufgewühlten Meer sehr klein. Wiederum kann die übermächtig wirkende, raue Natur als Projektionsraum von Leid und Trauer der gebeugten, dunklen Gestalten gedeutet werden.83
Abb. B5.15: Käte Lassen, Meerlandschaft, 1923, Öl auf Leinwand, 142 x 104 cm
83 Weitere Werke, in denen das Elementare der Natur in Bezug zum Menschen als übermächtig dargestellt wird, sind u. a. »Vier Frauen in den Dünen« und »Dünenlandschaft mit fünf Frauen«. Detailliertere Darstellungen vgl. Rohling 1956, S. 104.
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Auch im Werk »Meerlandschaft« (Abb. B5.15) wirken die Menschen angesichts der dargestellten Nordsee sehr klein. Die perspektivische Aufsicht unterstützt diese Wirkung noch. Die Personen laufen in Seitenansicht auf einem schmalen Streifen Strand im linken unteren Bildbereich. Allerdings ist die in den zuvor angeführten Werken schwermütige Haltung hier aufgehoben, es scheint sich um einen Strandspaziergang zu handeln. Mächtige Wellen mit Schaumkronen durchziehen das Meer, darüber erstreckt sich nur ein kleiner Streifen Himmel. Die elementare Gewalt des Meeres kommt zum Ausdruck. Eine Lesart dieser neuen Gewichtung der Landschaftselemente im Bild kann darauf verweisen, dass die Natur – in diesen Bildern häufig als raue, düstere Stimmungslandschaft angelegt – gegenüber dem Menschen übermächtig ist. Auch der eingeschränkte, schmale Himmelsbereich in vielen dieser Werke evoziert eine bedrückende Wirkung. So ist im Bild »Die Sorge« nicht einmal mehr ein Himmel zu sehen. Durch die gedämpfte Farbgebung wirken die heranrollenden Wellen bedrohlich und verstärken die düstere Wirkung. Hier scheinen das aufgewühlte Meer und der Wind, gegen den sich die Frauen lehnen, keine befreiende Funktion zu haben. Wird die Landschaft als Projektionsfläche menschlicher Empfindungen gedeutet, lässt dies darauf schließen, dass Trauer und Leid der dargestellten Figuren vorherrschend sind.84 Während die Meereslandschaft in diesen Werken noch deutlich zur Stimmungshaftigkeit der Werke beiträgt, reduzierte Lassen die Formel menschlichen Leids auf rein figürliche Darstellungen und näherte sich abstrakten Darstellungsweisen des seelischen Leids der Menschen in elementaren Formen an. Dies ist beispielsweise in den Werken »Drei Frauen im Wind (Verweht)« (Abb. B5.16) und »Frau auf der Düne« (Abb. B5.17) ersichtlich.85
84 Es werden Bezüge zu den Stimmungslandschaften Caspar David Friedrichs erstellt. Vgl. Rohling 1956, S. 98. Dies ist jedoch kritisch zu beurteilen, da Friedrichs Werke in einem anderen Kontext stehen. 85 Ebenso bezog sie allmählich wieder Farben mit ein. Die in Rot und Grün dargestellten Frauengestalten im Werk »Drei Frauen im Wind« winden sich unnatürlich, so als ob sie sich gegen die Kraft des Windes stemmen oder von diesem »verweht« würden. Ihre Trauer und Klage bringen sie durch ihre expressive Haltung mit ausgestreckten Armen und zum Teil aufgerissenen Mündern zum Ausdruck. Auch die Frau im Werk »Frau auf der Düne« (Abb. B5.17) zeigt eine unnatürliche Pose, die Assoziationen an schwermütige Empfindungen weckt. (Möglicherweise entstammt das Motiv den Berliner Armenhäusern und Gassen. Vgl. Mahn 2007, S. 85.) Das rote Oberteil der Frau sticht leuchtend vom blauen Hintergrund ab. Die Düne scheint nur aus formalästhetischen Gründen Bedeutung zu besitzen. Durch die aufsteigenden Seiten der Düne wird der Blick auf die Figur gelenkt. Die Bildlinien erinnern an eine Dreiecksfigur. Die Form der Düne unterstreicht, dass die Frau der Mittelpunkt des Bildes ist.
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Abb. B5.16: Käte Lassen, Drei Frauen im Wind (Verweht), um 1923, Museumsberg Flensburg
Abb. B5.17: Käte Lassen, Frau auf der Düne, 1923, Öl auf Leinwand, 120 x 83 cm, Privatbesitz
Lassen thematisierte in der Nachkriegszeit jedoch nicht nur Tod und Trauer mit Darstellungen von Frauen, sondern ebenso blieben die charakteristischen Darstellungen der Küstenbewohner ein wichtiger Bestandteil ihres Gesamtwerks. So widmete sie sich auch den Porträts jüngerer Frauen wie im Bild »Drei Schwestern in den Dünen« (Abb. B5.18), das in der Tradition des Werks »Drei Schwestern in der Kirche« steht.86 Die andächtig innehaltenden Schwestern werden in eine angedeutete Dünenlandschaft versetzt, die jedoch von untergeordneter Bedeutung ist. Die Schwestern stellen das Hauptmotiv dar.87 Die 86 Vgl. Mahn 2007, S. 77. 87 Vgl. Rohling 1956, S. 83.
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Künstlerin setzte allmählich wieder mehr Farbe ein. Dies zeigt sich ebenso in ihren Darstellungen von Kindern.88
Abb. B5.18: Käte Lassen, Drei Schwestern in den Dünen, 1919, Öl auf Leinwand, 120 x 78 cm, Privatbesitz
Die männlichen Küstenbewohner – meist Fischer – waren bisher nur peripheres Bildthema. Während Lassen in Klitmøller nur den alten Fischer Per Bolsen malte, so verbildlichte sie 1912 in Vorupør u. a. Per Flasker.89 Auch der Fischer Otto Thomsen stand ihr gegen Ende ihrer Schaffensperiode in Vorupør Modell.90 Allerdings nahmen die Fischer erst in ihrer Schaffensperiode in Stenbjerg einen größeren Anteil in ihrem Motivkreis ein.91
Stenbjerg (1924–1944) Im Sommer 1924 wählte die Künstlerin das nur einige Kilometer von Vorupør entfernte Stenbjerg, als neuen Ort ihrer künstlerischen Tätigkeit. Das Landschaftsbild ist dort ein anderes, da es höhere Dünen gibt, die einen weiten Blick aufs Meer ermöglichen. 88 Vgl. Mahn 2007, S. 96. 89 Vgl. Rohling 1956, S. 79. 90 Der bärtige Mann mit den hellen Augen ist vor der stürmischen, in Blautönen gehaltenen Nordsee dargestellt. Vgl. Rohling 1956, S. 79. 91 Ebenso entdeckte sie eine neue Perspektive. So nahm sie im Großteil ihrer Schaffenszeit das Meer nur vom Strand aus wahr. Nur einmal 1919 ließ sie sich mit einem Fischerboot auf die Nordsee hinausfahren, um Studien für das Fresko »Petri Fischzug« zu machen. Vgl. Rohling 1956, S. 78. Sie setzte dies jedoch nicht in weiteren Gemälden um.
Stenbjerg (1924–1944)
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Abb. B5.19: Anonym, Käte Lassen malt in den Dünen Stenbjerg um 1924, Fotografie
Dort hielt sie sich – mit Unterbrechungen – im Zeitraum von 1924 bis 1944 auf.92 Sie ließ sich ein Holzhaus errichten, in dem sie leben und arbeiten konnte.93 Jedoch blieb die Freilichtmalerei weiterhin von großer Bedeutung in ihrer Kunst.94 Die Künstlerin passte sich den ärmlichen Verhältnissen ihrer Nachbarn an. Denn auch sie hatte während der Inflation der 20er Jahre einen Großteil ihrer Ersparnisse verloren, sodass sie unter finanziellen Engpässen litt.95 Auch berichtete sie von großen Hitzeperioden und vernichtenden Stürmen, die ihr Leben an der Küste beeinträchtigten.96 So versuchte sie in den Herbst- und Wintermonaten, bevor die heftigen Stürme wüteten, wieder in Deutschland zu sein. Manchmal blieb sie allerdings auch länger und erlebte die Gewalt des Meeres und Windes, worauf folgender Briefauszug verweist: »Ich hatte sehr schlechtes Wetter, viel Regen und zuletzt kam noch der […] Wirbelsturm und nahm mein Holzhaus (wo ich meine Arbeiten hinstelle und auch drin arbeiten kann) in die Luft und schmiß es weiter in ein Dünenloch – das Dach fiel ab usw., die Arbeiten wurden alle vernichtet, zum Glück lagen meine Skizzenbücher im Koffer unversehrt – ich wollte das Haus anstreichen und hatte gerade einen großen Topf Farbe angerührt, die hat alles, aber auch alles bekleckert […], es war ein Chaos, ein schreckliches Naturereignis, das man nicht vergisst und mir noch etwas in den Gliedern steckt, es war am 2.–3. Oktober, der Schaum des Meeres flog mir schon 10 m weit entgegen – Dächer flogen, ein Schiff ging mit 24 Mann unter, 16 Segler waren damals vermisst von Esbjerg aus.«97
Trotz dieser intensiven Sturmerlebnisse verbildlichte Lassen sie nicht als eigenständiges Bildmotiv und hielt nach wie vor an figürlichen Darstellungen fest. 92 93 94 95 96 97
Vgl. Rohling 1956, S. 114. Vgl. ebd., S. 114f. Vgl. Mahn 2007, S. 105. Vgl. Mahn 2007, S. 105. Vgl. ebd., S. 106. Vgl. ebd., S. 105f. Brief von Käte Lassen aus Stenbjerg, 23. 10. 1977, Käte-Lassen-Archiv, Museumsberg Flensburg. Vgl. Mahn 2007, S. 106.
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Käte Lassen
Mit dem Ortswechsel ging auch eine Änderung ihrer Motivwahl einher. Sie streifte die düsteren, bedrückenden Empfindungen der Nachkriegszeit ab und öffnete sich neuen Themen.
a)
Fischerdarstellungen
Während in ihren bisherigen Bildern kaum Männer visualisiert werden, griff sie nun verstärkt auf männliche Modelle zurück und widmete sich u. a. der Darstellung von Fischern. Exemplarisch sei auf die um 1927 entstandenen Tuschezeichnungen »Boote am Strand« (Abb. B5.20) und »Zwei Männer am Boot« (Abb. B5.21) verwiesen. Ebenso band sie in einigen Werken Tiere, häufig Hunde, als Teil der Gemeinschaft in ihre Darstellungen ein, wie erstgenanntes Bild zeigt.98
Abb. B5.20: Käte Lassen, Boote am Strand, um 1927, Tusche, 17,5 x 15 cm
Während in den Bildern der Klitmøller- und Vorupør-Zeit die Psyche und Empfindungen der einzelnen oder in kleinen Gruppen dargestellten Frauen im Vordergrund stehen, sind es nun Darstellungen der Gemeinschaft, die Eingang in ihr Motivrepertoire finden.99 Im Gegensatz zu ihren frühen Werken sind die Gesichtszüge und Körperhaltungen nicht detailliert ausgearbeitet, sondern werden häufig nur schematisch in kantigen Zügen wiedergegeben.
98 Hunde sind motivisch integriert. Für weitere Beispiele vgl. Rohling 1956, Abb. 69, 70, 75, 77, 82, 83. 99 Vgl. hierzu Rohling 1956, S1. 114–133.
Stenbjerg (1924–1944)
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Abb. B5.21: Käte Lassen, Zwei Männer am Boot, 1927, Tusche, aquarelliert, 39,5 x 26 cm
Lassen näherte sich in ihren Fischerdarstellungen der Abstraktion an. Menschen und Boote sowie Hunde sind auf ihre wesentlichen Formen reduziert. Ebenso unterliegt die Komposition der Schiffe einer geometrischen Struktur. Dies ist in den zwei gleichnamigen Werken »Boote am Strand« (Abb. B5.20, 22) und dem Ölgemälde »Fischerboote am Strand« (Abb. B5.23) ersichtlich.
Abb. B5.22: Käte Lassen, Boote am Strand, 1927, Öl auf Leinwand, 145 x 119 cm, Privatbesitz
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Käte Lassen
Abb. B5.23: Käte Lassen, Fischerboote am Strand, Öl auf Leinwand, Museum Altona
Eine Variation des Motivs liegt vor. So ist die geometrische Formation der Boote in der mit Tusche gefertigten Studie »Boote am Strand« (Abb. B5.20) und im gleichnamigen Ölgemälde (Abb. B5.22) nicht naturgetreu, sondern unterliegt einem Konstruktionscharakter. Auf diesen verweist zudem die Tatsache, dass nicht alle maritimen Werke in Stenbjerg angefertigt wurden. So entstand das Ölgemälde (Abb. B5.22) in Berlin, also weit entfernt vom Meer. Die Künstlerin konnte auf ihre Studien zurückgreifen und auf deren Basis eine genau durchdachte Komposition entwerfen. In diesem Bild lässt sich zudem erkennen, dass Lassen ebenso als Glasmalerin und Gestalterin von Kirchenfenstern tätig war, was sich in der reduzierten, flächig eingesetzten Farbigkeit zeigt. Es ist kein realistischer Eindruck intendiert, sondern verschiedene Farbflächen mit dominierenden Blautönen wurden flächig nebeneinander gesetzt. Es ist ein kantiger Stil, der sich bei Lassen zunehmend ausprägt. Im Gegensatz zu den menschlichen Charakterstudien ihrer Anfangszeit werden in den in Stenbjerg entstandenen Bildern die Fischer häufig nicht als Individuen fokussiert. Die Fischermotivik behielt Lassen während der langen Zeit, in der sie Stenbjerg aufsuchte, bei. Dies belegt auch das spät, nämlich im Jahr 1942, entstandene Werk »Fischer mit Booten« (Abb. B5.24).
Stenbjerg (1924–1944)
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Abb. B5.24: Käte Lassen, Fischer mit Booten, 1942, Öl auf Leinwand, 145 x 113 cm
Die Nordsee, die im Werk »Meerlandschaft« (Abb. B5.15) aus dem Jahre 1923 gegenüber den Menschen noch übermächtig dargestellt wurde, hat in vielen der in Stenbjerg angefertigten Werke nur Bühnenfunktion. Die in diesem Kapitel angeführten Darstellungen der Fischer und Boote sind am Strand situiert. Als eigenständiges Motiv thematisierte die Künstlerin die Nordsee in ihrer Kunst nicht. Das Gemälde »Strand von Stenbjerg« (Abb. B5.25) ist eines der wenigen Werke, in denen das Meer einen größeren Bildbereich einnimmt.
Abb. B5.25: Käte Lassen, Strand von Stenbjerg, um 1926, Öl auf Leinwand, 79 x 67 cm, Nordfriesisches Museum Ludwig-Nissen-Haus, Husum
Der oder die Betrachtende erhält einen perspektivischen Aufblick auf die in hohen Wellen an den Strand brandende Nordsee. Nur ein kleiner Streifen blauer Himmel erstreckt sich über dem in Grün- und Blautönen gehaltenen Meer. Die am Strand liegenden Boote und das Gebäude erscheinen dagegen winzig. Es ist erneut die Übermacht des Meeres gegenüber menschlich Geschaffenem dargestellt. Ebenso kann aus dem Bild gelesen werden, dass die Nordsee Teil des
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Käte Lassen
Alltags- und Lebensraumes der Küstenbewohner ist. Zudem wird die reale topografische Situation visualisiert: Der Blick von den hohen Dünen auf die am Strand befindlichen Gebäude und Schiffe sowie auf die Nordsee. Im Gegensatz zu diesem Bild ist die Übermacht des Meeres in der Tuschezeichnung »Strand bei Stenbjerg« (Abb. B5.26) zurückgenommen. Es liegt keine solch starke Aufsicht vor und das Meer fungiert hier nur als ein Bildelement.
Abb. B5.26: Käte Lassen, Der Strand bei Staenbjerg, Tusche, aquarelliert, 34 x 46 cm
Die Tatsache, dass Lassen in der Stenbjerg-Schaffensperiode häufig das perspektivische Mittel der Aufsicht nutzte, lag darin begründet, dass die Landschaft in Stenbjerg durch hohe Dünen geprägt ist. Dies zeigt sich ebenfalls im Bild »Mann und Frau auf der Düne (Fischer)« (Abb. B5.27).
Abb. B5.27: Käte Lassen, Mann und Frau auf der Düne (Fischer), um 1926, Öl auf Leinwand, Verbleib unbekannt
Ein stehender Mann mit Händen in den Taschen und eine hinter ihm liegende Frau sind in den Dünen dargestellt. Dahinter fällt der Blick auf die heranrollenden Wogen der Nordsee. Durch die Aufsicht wird eine große Höhe suggeriert.
Stenbjerg (1924–1944)
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Auch der vereinfachende, kantige Stil der Künstlerin wird erneut ersichtlich.100 Die Gesichter sind im Gegensatz zu ihren frühen Werken kaum ausgearbeitet und bleiben anonym. Die Darstellung der Familie war ein weiteres wichtiges Thema der Künstlerin.101 Sie selbst hatte weder Mann noch Kinder und griff als Motiv die in Stenbjerg lebenden Familien auf. Da in diesen Bildern das Meer jedoch keine wesentliche Bedeutung besitzt, werden sie in dieser Studie nicht herangezogen. Es ist zu verzeichnen, dass die Nordsee mit der Zeit zunehmend an Bedeutung in ihren Bildern verlor.
b)
Die Nordsee aus der Sicht der Kinder
Abb. B5.28: Käte Lassen, Junge mit Dorschen, 1924, Federzeichnung, farbige Tusche/Papier Privatbesitz
Lassen schuf durch die Fokussierung auf Kinder bisher wenig beachtete künstlerische Zugänge zum Meer ; die Nordsee wahrgenommen aus der Sicht von Kindern. Die Künstlerin hatte ein gutes Verhältnis zu den Kindern ihrer Geschwister und Nachbarn.102 Sie nahm sie ernst und fragte sie gelegentlich nach ihren Meinungen zu ihren Bildern.103 Ab 1924 fertigte sie aufgrund von Beobachtungen des Lebens der dänischen Fischerkinder das Kinderbuch »Am Meeresrand im Dünensand« an.104 Dafür erstellte sie kolorierte Zeichnungen.105 100 Bereits 1903 wurden ihre »eckigen Konturen« in Bezug zu Werken Hodlers gesetzt. Vgl. Mahn 2007, S. 61. 101 Vgl. Rohling 1956, S. 128f., 148–157. 102 Vgl. Mahn 2007, S. 104. 103 Vgl. Mahn 2007, S. 104. 104 Vgl. Lassen 2010.
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Das Buch konnte allerdings erst posthum veröffentlicht werden, da Lassen keinen Verlag finden konnte, der zu einer Publikation des Buches als Kunstband bereit war.106 Es war das naturverbundene Leben der Kinder in der kargen Nordseeküstenlandschaft, das Lassen faszinierte. In einem Brief aus dem Jahr 1940 schrieb sie: »Die Hauptsache ist, dass die Kinder in der Einsamkeit am offenen Meer geboren, anders in den Himmel sehen.«107 In einem weiteren Briefentwurf bekräftigte sie dies: »Die Hälfte meines Lebens lebe ich am offenen großen Meer weit oben an der Westküste Jütlands. Die Menschen dort in dem kleinen Fischerdorf sind vollkommen anders als die des binnen Landes [Binnenlandes], die Kinder träumen anders und spielen anders.«108
Die kolorierten Zeichnungen und Textpassagen geben Einblick in das Leben der Stenbjerger Fischerkinder. So dienten angespültes Strandgut und Meerespflanzen als Spielzeug. Ebenso hatten die Kinder ein inniges Verhältnis zu Tieren. Dies zeigen die kolorierten Federzeichnungen »Schlafendes Mädchen mit Fischen« (Abb. B5.29) und »Junge, der Möwen füttert« (Abb. B5.30).
Abb. B5.29: Käte Lassen, Schlafendes Mädchen mit Fischen, 1924, Federzeichnung, farbige Tusche/Papier, Privatbesitz
105 Allerdings nahm sie bei der Erstellung der Texte Unterstützung in Anspruch. Vgl. Mahn 2007, S. 101f. 106 Vgl. Lassen 2010, S. 58. 107 Brief Käte Lassens an Eduard Thorn, 20.11. 1940, Privatbesitz. Vgl. Mahn 2007, S. 96. 108 Briefentwurf von Käte Lassen, Rückseite von Alemannenverlag/Stuttgart an Käte Lassen, 3. 3. 1943, Stadtarchiv Flensburg. Vgl. Mahn 2007, S. 103.
Stenbjerg (1924–1944)
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Abb. B5.30: Käte Lassen, Junge, der Möwen füttert, 1924, Federzeichnung, farbige Tusche/Papier, 52,3 x 41,8 cm, Museumsberg Flensburg
Da die meisten Kinder Fischerfamilien entstammten, stellte die Fischerei eine Lebensgrundlage dar. Lassen stellte jedoch in ihren Zeichnungen heraus, dass Fische nicht nur als Nahrung betrachtet wurden, sondern ebenfalls zum Spielen und sogar zum Kuscheln fungierten (Abb. B5.28). Ebenso gibt es Darstellungen von einigen Jungen, die den Fischern helfen und stolz den Fisch als Beute präsentieren. Durch Kinderaugen wird ein verklärter Blick auf das Leben an der Nordseeküste geschildert. In Bezug auf die Nordsee ist im Buch Folgendes angeführt: »Alle großen Kinder laufen fort von zu Hause; sie müssen dabei sein am Meer. Das Meer ist so unfassbar reich. Alles schlägt und treibt es für die Kinder an den Strand. Seesterne, Tang, Muscheln, Krebse. Die vielen bunten Steine und den Bernstein, das Meergold, zu schön ist es, da hindurchzusehen, die Welt sieht dann aus wie Gold. Seemöwen fallen, steigen hinauf in die Unendlichkeit. Der lange Hans liegt Stunde um Stunde im Sand und wartet, dass die weißen scheuen Seemöwen mit krummem, gelbem Schnabel aus seiner Hand Brot erhaschen. Peter mag gerne die Strandvögel beschleichen. Er ist der wildeste Junge […]. Wenn er die Vögel sieht, hält er den Atem an, um sie zu belauschen. Er zieht die Schuhe aus, schleicht näher – vielleicht fängt er einen. Die Fischer kommen zurück vom Meer, ziehen ihre kleinen flachen Boote an den Strand; wer umhersteht an Männern, hilft. Die Kinder greifen die Fische, spielen mit ihnen, nehmen sie in den Arm und haben sie lieb. […] Die Meerkuh brüllt! Gerda hält sich eine Muschel ans Ohr ; sie hört das Brüllen immerfort aus dem tiefen Meeresgrund. […] Vom Meer her fliegen alle Seemöwen in das Land hinein, kreisen und kreischen über den Fischerhütten – es gibt Sturm! Die Kinder rufen ihre Hunde und laufen zum Hause hinaus, spielen mit dem Wind. Die Hunde bellen ihn an, die Kinder schreien und toben in Aufruhrfreude.«109
Der kindliche Blick auf das Meer ist zu Lebenszeiten der Künstlerin kein bedeutendes Thema der Kunst. Ebenso war es unüblich, ein Kinderbuch als 109 Lassen 2010, S. 22–48.
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Käte Lassen
Kunstobjekt zu begreifen, wie es sich Lassen wünschte.110 Die Künstlerin zeigte in dem Werk, das sie als Kunstbuch konzipierte, neue Sehweisen auf.
Lassen im Nationalsozialismus Während des Zweiten Weltkriegs hielt sie sich nicht oft in Stenbjerg auf, da ihre Anträge auf Einreise häufig abgewiesen wurden. Erst 1944 wurde ihr die Erlaubnis erteilt und sie reiste im Mai nach Dänemark.111 Im Nationalsozialismus fanden Lassens Werke neben Ablehnung durchaus Würdigung. Sie konnte weiter künstlerisch tätig sein und ihre Werke der Öffentlichkeit präsentieren.112 So wurde 1935 anlässlich ihres 55. Geburtstages eine Ausstellung im Flensburger Museum durchgeführt.113 Zwei Jahre später folgte eine Präsentation ihrer Werken im Frankfurter Kunstverein.114 1940 wurde ihr der Schleswig-Holsteinische Kunstpreis für ihr Lebenswerk verliehen.115 Ausstellungen in Flensburg, Hamburg und Kiel folgten.116 Die Rezeption ihrer Werke in den 30er und 40er Jahren stand stark unter dem Begriff »Nordischer Kunst«.117 Allerdings verbildlichen viele ihrer Werke keine Ideale nationalsozialistischer Ideologie. So entsprachen ihre Menschendarstellungen der dänischen Küstenbewohner/innen nicht den rassischen Idealen, die die Nationalsozialisten an »nordische Menschen« stellten.118 Einige Werke waren dagegen sehr wohl mit der nationalsozialistischen Ideologie kompatibel:119 Es lässt sich jedoch nicht genau ermitteln, welche Haltung Lassen zum Nationalsozialismus besaß. Ihre Werke wurden zwar nicht auf den Großen Deutschen Kunstausstellungen präsentiert, die als vorbildlich für nationalsozialistische 110 111 112 113 114 115 116 117 118 119
Vgl. Mahn 2007, S. 104. Vgl. ebd., S. 170. Eine differenzierte Darstellung vgl. Vorderwülbecke 1994, S. 226. Vgl. Mahn 2007, S. 143. Vgl. ebd., S. 152. Vgl. ebd., S. 164ff. Vgl. Kat. Kiel 1940. Vgl. Mahn 2007, S. 141–144. Vgl. Kat. Flensburg 1980, S. 6. Vgl. Rohling 1956, S. 145. Exemplarisch sei auf eine Auftragsarbeit zur Darstellung Adolf Hitlers verwiesen. Vgl. Mahn 2007, S. 166ff. Die Tatsache, dass sie diesen Auftrag nicht ablehnte, zeigt, dass sie ihre Kunst zum Teil in die Dienste der Nationalsozialisten stellte. Zudem erhielt sie aus heutiger Sicht umstrittene Aufträge. So schuf sie im Zeitraum 1936–38 das Fresko »Nordischer Schwertertanz« für die Aula der Oberschule in Eckernförde. Vgl. Mahn 2007, S. 153–158. Das Motiv war von überlieferten germanischen Riten inspiriert. Vgl. Rohling 1956, S. 158ff. Es wurde in den Dienst nationalsozialistischer Propaganda gestellt. Vgl. Mahn 2007, S. 156f. Inwieweit solche Bezüge von der Künstlerin intendiert waren, lässt sich aufgrund mangelnder Selbstzeugnisse nicht eindeutig klären. 1945 erfolgte die Übermalung des Wandbildes. Vgl. Mahn 2007. S. 156f.
Abschließende Zusammenfassung
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Kunstideale galten, doch wurden ihre Bilder unter dem Term »nordisch« durchaus wohlwollend rezipiert. Dies ließ sich die Künstlerin gefallen. In Briefen zeigt sich jedoch, dass sie die Zeit des Zweiten Weltkrieges als äußerst bedrückend empfand.120 Nach Kriegsende wurde ihr zunächst die Einreise nach Dänemark verboten und ihr Haus dort beschlagnahmt. Erst um 1950 konnte sie wieder nach Stenbjerg reisen und die Rückgabe des Hauses erreichen.121 In den letzten Jahren, die sie dort künstlerisch tätig war, widmete sie sich insbesondere den Darstellungen von Menschen und Tieren.122 Das Meer trat zugunsten dieser Motive zurück. In Schleswig-Holstein nahm sie weiter an Ausstellungen teil und erhielt von der Stadt Flensburg einen »Ehrensold«.123 Im Jahre 1956 unternahm sie die letzte Reise nach Dänemark. Im Winter desselben Jahres starb sie in Flensburg.
Abschließende Zusammenfassung Durch ihre Aufenthalte in abgelegenen dänischen Fischerdörfern wählte Lassen ein einzelgängerisches Künstlerinnenleben und entzog sich zum Teil der Öffentlichkeit. Dies kann als Reaktion auf die in der Gesellschaft noch verankerte Skepsis gegenüber dem Künstlerberuf einer Frau betrachtet werden. Dagegen spricht aber, dass sie an Ausstellungen teilnahm, sich um Aufträge bemühte und diese auch erfolgreich abschloss.124 Lassen hielt sich lange Zeit direkt an der Nordseeküste auf und fand dort ihre Motive. So fungiert dieses Meer als Kulisse, Lebens- und Arbeitsraum der dargestellten Menschen und als Projektionsfläche menschlicher Empfindungen. Die dänischen Küstenbewohner/innen standen im Fokus ihres Interesses. Jedoch war die Nordsee fester Bestandteil in deren Leben. In diesem Sinne ist das Meer in ihren Darstellungen von großer Bedeutung. Lassen wählte für die Ausübung ihrer Kunst bewusst kleine, abgelegene und für den Tourismus noch unentdeckte Fischerdörfer, in denen die Menschen noch im Einklang mit dem Meer lebten. Ein sozialkritisches Moment ist in den frühen Frauendarstellungen nicht gegeben. Ihre Werke stellen nicht das harte Leben dar, sondern schildern die Emotionen und Lebensumstände der Menschen, insbesondere der Frauen. Das Meer fügt sich als Lebens- und Stimmungsraum ein. Lassens von der dänischen Nordseeküste und den dort lebenden Menschen inspirierte Werke verbildlichen zwar deren Lebensbedin120 121 122 123 124
Vgl. Mahn 2007, S. 166, 169f. Vgl. ebd., S. 174. Vgl. Rohling 1956, S. 166–173. Vgl. Mahn 2007. S. 187f. Dabei war die Glasmalerei allerdings von größerer Bedeutung als ihre maritimen Werke.
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gungen, sie stehen jedoch nationalen Belegungen oder politischen Aussagen fern. Die in der sogenannten grauen Periode in Vorupør entstandenen Bilder zeigen, dass der Erste Weltkrieg Einfluss auf ihre Kunst hatte. Sie visualisieren Leid und Trauer. Die düstere Meereslandschaft ist Projektionsraum für das Leid und die Klage der in Grau dargestellten, gebeugten Frauen. Ansatzweise ist eine gewisse Symbolik zu erkennen. Gegenüber dem Frühwerk liegen stilistische und motivische Veränderungen vor. Die Verbildlichung der subjektiven Gemütslage des Individuums weicht nun zunehmend anonymisierten Typendarstellungen. Im Spätwerk ist erneut eine Änderung von Motivik und Bildsprache festzustellen. Während im Frühwerk noch naturalistische Tendenzen vorherrschen, kamen insbesondere in den späteren Malereien abstrakte Annäherungen zum Tragen. Auch ihre Motivwahl änderte sich. So griff sie auch männliche Personen – Fischer – in ihren Darstellungen auf. Ebenso maß sie Kindern und deren Sehweise aufs Meer Bedeutung zu und visualisierte dies in ihrer Kunst. Die Tatsache, dass die Veröffentlichung ihres »Kinderbuchs« als Künstlerband erst posthum möglich war, zeugt von fehlender Akzeptanz solcher Kunstformen zu Lassens Lebzeiten. Auch wenn Lassen die Nordsee nicht als eigenständiges Motiv wählte, sondern nur die dänischen Küstenbereiche visualisierte, besaß das Meer wesentliche Bedeutung für Bildaussage und -wirkung. Als Lebensraum der dänischen Küstenbewohner und Projektionsfläche von Stimmungen erweiterte sie die Sehweisen und künstlerischen Darstellungen der Nordsee. Das Wattenmeer und dessen spezifische Charakteristiken fanden keinen Eingang in ihre Bildwelten. Obwohl sie nur regionale Bekanntschaft erlangte, wurde sie von ihren Künstlerkollegen gewürdigt. So ist überliefert, dass Emil Nolde in Bezug zu ihrer Person Folgendes geäußert habe: »Sie ist ja ganz anders als ich; aber ich achte sie; denn sie ist ja vollkommen ehrlich; und sie hat es sich nie leicht gemacht.«125 Auch Nolde ist ungeachtet aller Widerstände seinen individuellen Künstlerweg gegangen und hat die maritime Bildsprache im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit der Nordsee erweitert, wie in den nächsten Kapiteln dargelegt wird.
125 Vgl. Fuglsang, in: Schleswig-Holstein, Jahrbuch für Heimat und Volkstum, 1956, S. 107. Vgl. Mahn 2007, Anm. 15, S. 10. Vgl. Rohling 1956, S. 9.
6.
Emil Nolde – Künstlerische Annäherung an Nordsee und Wattenmeer im Kontext individueller Farbästhetik und subjektiver Empfindungen
Emil Nolde1 (1867–1956) trug mit seinen Bildern, in denen Farben und Empfindungen im Vordergrund stehen, mit dazu bei, die naturalistischen Darstellungskonventionen des Meeres aufzubrechen. Der Künstler trat 1906 für eine kurze Zeit der Gruppe »Brücke« bei.2 Während viele der Mitglieder gegen das sinnentleerte, materialistisch ausgerichtete Leben der wilhelminischen Gesellschaft rebellierten und in der Natur nach Ursprünglichkeit suchten, hatte Nolde ein anderes Naturverständnis.3 Denn er war in der Natur der nordfriesischen Landschaft aufgewachsen und besaß eine tiefe Bindung zu dieser ; seine Naturverbundenheit stellte eine Triebfeder seiner Kunst dar. Die Heimat des berühmten Künstlers, der mit Geburtsnamen Hans Emil Hansen hieß, war Nolde, ein Ortsteil von Burkal im deutsch-dänischen Grenzbereich. Den Namen »Nolde« nahm er später an. Das Meer war ein fester Bestandteil in seinem Leben. Der Künstler lebte sowohl an der Nord- als auch an der Ostseeküste. So verbrachte er einige Zeit auf der Ostseeinsel Alsen, es zog ihn jedoch wieder in die nordfriesische Nordseeküstenregion. 1912 kauften Ada und Emil Nolde den Hof Utenwarf, auf dem sie von 1916–1926 lebten. Danach zogen sie in das auf einer Warft gelegene und nach eigenen Plänen umgebaute Künstlerhaus Seebüll; es diente ihnen bis zu ihrem Lebensende als Wohnsitz. Nolde war trotz des im Nationalsozialismus zu einem erschreckenden Ausmaß gesteigerten Antisemitismus in gewisser Weise kulturell aufgeschlossen und machte Reisen, zum Beispiel nahm er als Mitglied einer Expedition des Reichskolonialamtes in die Südsee teil.4 In Bezug auf die Nordsee und das Wattenmeer hielt er sich an der nordfriesischen Küste, im dänischen Fischerdörfchen Lildstrand (1901), auf Hallig Hooge (1919) und auf Sylt (1930) auf.5 1 2 3 4 5
Darstellung der Biografie vgl. u. a. Jüngling 2013. Vgl. Reuther (Hg.) 2008, S. 142. Vgl. Hülsewig-Johnen 2008, S. 10. Vgl. Reuther (Hg.) 2008, S. 142f. Reuther hat u.a. den Heimatbezug untersucht, der sich in Noldes Werken und Schriften spiegelt, vgl. Reuther (Hg.) 2008. Dabei werden ebenso die Ostseeküste, Alsen und Schleswig-Holstein
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Obwohl Nolde unterschiedliche Meere kennengelernt hatte6 und die Nordsee aufgrund des rauen Charakters schätzte, sah er im Meer allgemein ein Urphänomen, etwas Elementares, das er expressionistisch in seinen Werken umsetzte:7 »Alles Ur- und Urwesenhafte immer wieder fesselte meine Sinne. Das große, tosende Meer ist noch im Urzustand, der Wind, die Sonne, ja der Sternenhimmel wohl fast auch noch so, wie er vor fünfzigtausend Jahren war.«8
Er näherte sich dem Meer im Rahmen seiner individuellen Farbästhetik, in der das subjektive Empfinden eine große Rolle spielte:9 »Die Farben mit mir jubeln und weinen, meine Farben. Ich kann nicht wissen, ob auch andere Menschen sie so oder anders empfinden, denn ein jeder ist ein anderer im Sehen und Empfinden und im Nachempfinden.«10
Unter dem Blickwinkel dieses subjektiven Erlebens müssen auch seine Meeresbilder bewertet werden. Seine Meereserfahrungen, Stimmungen und Emp-
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mit einbezogen. Im Katalog zur Ausstellung »Begegnung mit dem Nordischen« wird auf speziell norddeutsche Phänomene und Landschaftswahrnehmungen Bezug genommen, vgl. Kat. Bielefeld 2008. Wesentliche Aspekte von Noldes Lildstrandaufenthalt im Jahr 1901 wurden von Reuther dargelegt, vgl. Reuther 1984. Hess-Hüpel analysierte exemplarische von Nolde auf Hallig Hooge angefertigte Aquarelle im Kontext der Capricciodarstellungen der Moderne, vgl. Hess-Hüpel 1991, Teil 1 und Teil 2. Zur Darstellung von Meeresbildern allgemein im Oeuvre Noldes, ohne spezielle Bezugnahme auf die Nordsee, vgl. Kat. Bremen/Berlin 2007. Vgl. u.a. Kat. Alkersum 2018, vgl. Krämer, Hollein (Hg.) 2014, S. 89–91. Vgl. u.a. Ring 2015. Exemplarisch sei auf seine Reise im Stillen Ozean verwiesen. In einem Brief berichtet er Folgendes: »Unser Schiff geht seinen Gang im Stillen Ozean; es ist wirklich ganz still und heiß. Die kleinen Flugfische streichen erschreckt zu beiden Seiten über die Wasserfläche hin. Vier kleine sonderbare Fische habe ich hingehängt zum Trocknen in der Sonne, aber leider, die prächtige gelb-schwarz-violette Farbenzeichnung geht wohl ganz verloren.« Nolde zitiert nach Sauerlandt (Hg.) 1967, S. 38. Max Sauerlandt, ein Freund Noldes, schrieb in seiner Monografie über dessen Auffassung zum Meer Folgendes: »Nolde kennt das Meer, wie es vor ihm noch kein Künstler gekannt hat. Man möchte glauben, die Erfahrungen und Meererlebnisse ganzer vorangegangener Generationen seien in ihm Bewusstsein geworden. Er sieht – und das ist vielleicht das Besondere und Einzigartige seines menschlichen und damit zugleich auch seines künstlerischen Verhaltens zu dieser größten Naturerscheinung – nicht vom Strand oder vom Schiffe aus: er sieht es so, wie es in sich selbst ist, losgelöst aus jedem Bezug auf den Menschen, als das ewig regsame, ewig wechselvolle, ganz in sich selbst auslebende, in sich selbst sich erschöpfende, ›göttliche‹ Urwesen, das letzte, das in unserer sonst überall nach menschlichem Maß gemaßregelte Welt noch die ungebändigte Freiheit des ersten Schöpfungstages sich bewahrt hat.« Vgl. Sauerlandt 1921, S. 49. Zitiert nach Kat. Karlsruhe 2002, S. 199. Nolde 1967a, S. 181. Mit Verweis auf einen Tagebucheintrag Adas gibt Vergo zu bedenken, dass diese Auffassung des Meeres eine Zeiterscheinung war. Der Tagebucheintrag von 1908 lautet wie folgt: »Am liebsten mag er alles, wo er die Bezeichnung ›Ur‹ verwenden kann.« Zitiert nach Sprotte 1999, Anm. 421. Vgl. Vergo 1995/96, S. 41, 59. »Oft waren bei den Gemälden die Farben für Bild und Komposition bestimmend, die Farben als Mittel des Malers, genauso wie die Worte dem Dichter und in der Musik die Töne dem Komponisten wichtig sind.« Nolde 1967, S. 16. Nolde zitiert nach Kat. Bielefeld 2008, S. 36.
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findungen werden in seinen Bildern zum Ausdruck gebracht.11 Der Künstler hat motivisch sowohl die ruhige, stille als auch die stürmende, tobende See in seinen Werken aufgegriffen, subjektiv angereichert und in seiner Farbsprache umgesetzt. Ebenso wurde er durch das Zusammenspiel von Himmel und Meer und den Lichtreflexionen und Stimmungen inspiriert.12 Diese konnte er in der amphibischen Landschaft Nordfrieslands sehr genießen. Weiterhin zeigen sich in Noldes maritimen Werken verschiedene Tages- und Jahreszeiten.13 Mit seiner persönlichen Sehweise, die sich in seinen Bildern manifestiert, vollzog er einen Bruch mit den bisherigen Traditionen der Meeresdarstellung. Obwohl seine expressionistischen Werke sich deutlich von naturalistischen Darstellungen unterscheiden, spielt die Orientierung an Naturphänomenen und das subjektive Naturerleben eine große Rolle.14 Noldes Meeresdarstellungen können somit nicht nur atmosphärisch verstanden werden, sondern sie stellen ein subjektives Zeugnis des Künstlers dar, das einen persönlichen Erfahrungswert des Künstlers spiegelt: »Der bildende Künstler lebt mittels seiner Augen, er sieht und schaut mit unerbittlicher Schärfe in und durch die Natur hindurch, um dann, mit seinem eigenen Wesen vermischt, danach zu gestalten […].«15 Obwohl Nolde von den vielen Reisen Zeichnungen und Aquarelle mitbrachte, 11 Sprotte hat die Farben in Noldes Meeresdarstellungen anhand exemplarischer Bilder untersucht. Vgl. Sprotte 1999, S. 56–71. 12 Letztgenannter Aspekt zeigt sich ebenfalls in den Werken »Sommerwolken« (vgl. Urban 1987, Abb. 554), »Stilles Meer« (vgl. Urban 1990, Abb. 1161), »Wolkenspiegelung« (vgl. Urban 1987, Abb. 555) und »Helle Wolken« (vgl. Urban 1990, Abb. 1043). Exemplarisch sei zudem auf die Werke »Durchbrechendes Licht« (vgl., ebd., Abb. 1340) und »Überschleierte Sonne« (vgl. ebd., Abb. 1342) verwiesen. Die Tatsache, dass Nolde den Terminus »Wolken« unter anderem im Titel verwendet, verweist auf die Bedeutung, die er dem Himmelsschauspiel zusprach. Vgl. exemplarisch die Werke »Meer und dunkle Wolken« und »Meer und helle Wolken« (vgl. ebd., Abb. 1147, 1148), »Meer und steigende Wolken« (vgl. ebd., 1180), »Meer und weiße Wolken« (vgl. ebd., Abb. 1182), »Meer und gelbe Wolken« (vgl. ebd., Abb. 1183), »Hohe See – bewegte Wolken« (vgl. ebd., Abb. 1315). 13 Exemplarisch für die Visualisierungen jahres- und tageszeitlich bedingter Stimmungen des Meeres sei auf die Werke »Sommerglut« (vgl. Urban 1990, Abb. 1343), »Rote Abendsonne« (vgl. Urban 1987, Abb. 557), »Meer im Mondschein« (vgl. Urban 1990, Abb. 863) »Wintermeer« (vgl. Urban 1987, Abb. 96) verwiesen. In Bezug auf die verschiedenen Tageszeiten ist ersichtlich, dass ihn insbesondere der Stimmungsreichtum des Abends am Meer inspirierte. Weitere Werke, in denen Nolde die Abendstimmung am Meer verbildlicht hat, sind u. a. »Roter Abendhimmel« (Vgl. Urban 1990, Abb. 648), »Nach Sonnenuntergang« (Vgl. ebd., Abb. 650), »Dämmerstunde am Hafen« (vgl. ebd., Abb. 990), »Abendglut« (Vgl. ebd., Abb. 651), »Meer am Abend« (vgl. ebd., Abb. 862), »Meer und Abendwolken« (vgl. ebd., Abb. 1163), »Abendmeer« (vgl. ebd., Abb. 1179), »Abendhimmel und Meer« (vgl. ebd., Abb. 1186), »Abendliches Meer« (vgl. ebd., Abb. 1333), »Abendrot überm Meer« (vgl. ebd., Abb. 1341), »Abendliches Herbstmeer« (vgl. ebd., Abb. 1355). 14 »In Naturverneinung konnte ich nicht arbeiten, in bejahendem, vertieftem Naturmöglichen nur vermochte ich mich zu finden.« Nolde 1993, S. 211f. 15 Nolde 1965, S. 147.
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lassen sich einige Meeresbilder des Künstlers keinem konkreten Meer zuordnen.16 Die Tatsache, dass nur wenige Bildtitel einen direkten Bezug zur Nordsee ermöglichen, lassen darauf schließen, dass Nolde seinen Werken allgemein keinen dokumentarischen Charakter verleihen wollte.17 Jedoch gibt es Ausnahmen: Exemplarisch sei auf zwei Ölgemälde verwiesen, die den Terminus »Nordsee« im Titel tragen. Im Jahr 1930 entstand während seines Syltaufenthalts das Werk »Nordseewolken«18. Da es von Nolde selbst zerstört wurde, sind leider keine Aussagen darüber möglich.19 Es schien wohl nicht das Gefallen des Künstlers gefunden zu haben. Im Jahr 1936 schuf er das Werk »Nordseedünen«20 (Abb. B6.1).
Abb. B6.1: Emil Nolde, Nordseedünen, 1936, Öl, 72 x 99 cm, Nolde Stiftung Seebüll
16 Da Nolde viele seiner Aquarelle nicht mit Datum versah, besteht generell eine gewisse Schwierigkeit Verortungen vorzunehmen. 17 Vgl. Nolde 1967a, S. 103. Weitere Ausführungen zu Noldes Naturauffassung vgl. u. a. Hülsewig-Johnen 2008, S. 12–16. So schrieb er im Jahr 1909, dass es ihm in der Kunst darum gehe, das »Tiefstliegende« zu erfassen. »Die Natur umwerten unter Hinzufügung des eigenen Seelisch-Geistigen läßt die Arbeit zum Kunstwerk werden. Ich suchte solchen Empfindungen zu folgen. Oft stand ich vor der grauen Natur, die so einfach war, die durch Sonne, Wind und Wolken belebt, so verschwenderisch reich werden kann.« Vgl. Nolde 1967a, S. 104. Nolde ließ sich zwar von den Naturphänomenen inspirieren, doch es war nicht seine Intention, die Nordsee- und Wattenmeerregion dokumentarisch in seinen Bildern festzuhalten. »Die Natur getreu und genau nachzubilden, gibt kein Kunstwerk. Eine Wachsfigur, dem Naturvorbild zum Verwechseln gleich, erregt nur Ekel.« Nolde 1967a, S. 103. Nolde reflektiert im Jahr 1909 seine anfängliche Kunstentwicklung: »Meine Art der letzten Jahre zu zeichnen und malen in Nachbildung und Gestaltung der Natur – möglichst mit erstem Strich oder erster Farbe fertig hingesetzt – genügte mir nicht mehr. Zeichnend hatte ich auf dem Papier gewischt und gekratzt, bis der Grund durchlöchert war, um etwas anderes und mehr als bisher, das Tiefstliegende zu erfassen.« Nolde 1967a, S. 103. 18 Vgl. Urban 1990, Abb. 1110. 19 Vgl. Urban 1990, S. 413. 20 Vgl. ebd., Abb. 1159.
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Der Blick der oder des Betrachtenden wandert über eine zum Teil bewachsene Düne im Vordergrund hinaus aufs Meer. Am erhellten Himmel zeichnen sich dunkel die Wolken ab. Das Meer reflektiert das Licht und ist nahe dem Horizont auf einer Fläche beleuchtet. Obwohl sich der Maler nur in wenigen Bildtiteln bewusst auf die Nordsee bezog, so sind zahlreiche Werke von ihr und ihrer Küstenlandschaft inspiriert.21 Das Maritime war schon früh ein Thema in seiner Kunst. Bereits im Jahr 1900 fertigt er das erste Ölgemälde mit dem Titel »Strandwelle«22 (Abb. B6.2) an.
Abb. B6.2: Emil Nolde, Strandwelle, 1900, Öl, 40 x 61 cm, Nolde Stiftung Seebüll
Die ästhetischen Erfahrungen, die Nolde bei seinen Aufenthalten an der Nordsee machte, besaßen für seine Kunst große Bedeutung. Es ist der Farbreichtum der norddeutschen Landschaft, der ihn faszinierte.23 Im Folgenden werden die
21 Bereits in den Anfängen seiner Kunst hatte er Zeichnungen auf der Insel Amrum angefertigt, die zu der Zeit touristisch noch nicht erschlossen war. Vgl. Nolde 1967, S. 12. »Ich zeichnete damals mit hartem Stift auf glattem Papier die Dünen mit ihren Standhalmen, so daß man diese zählen möchte, auch um die kleinen, reetgedeckten Häuser mühte ich mich. Kleine Blättchen wurden dies mit der Nettigkeit, wie sie Dilettantenzeichnungen so oft haben.« Nolde 1967, S. 12. 22 Vgl. Urban 1987, Abb. 64. 23 So führt er in Bezug auf seine Südseereise aus: »Doch merkwürdigerweise waren es nicht die Farben, die mir als Erlebnis geblieben waren. Ja, ich hatte und habe jetzt noch den Eindruck, daß die Tropen gar nicht so vollfarbig sind wie allgemein angenommen wird […]. In der kühlen Zone unserer nordischen Länder, wo die sattgrünen Wiesen sind, wo in feuchten Septembertagen die Blumen so wundervoll leuchten, und wir die langen, in Glut glühenden Morgen- und Abendhimmel haben, da ist es vollfarbiger als unter der bleichen brennenden Äquatorsonne.« Nolde 1965, S. 146. So verwies Nolde beispielsweise in seiner Autobiografie auf den Farbreichtum der Sonnenuntergänge: »Auch die Sonnenuntergänge konnten mit ihren Brechungen herrliche Farborgien sein, doch nur während ganz weniger Minuten; dann war es dunkel.« Ebd., S. 146. Jedoch fällt auf, dass Nolde – trotz seiner Aussage, die Tropen seien nicht so vollfarbig wie angenommen – in den Meeresdarstellungen der Südsee leuchtende Farben verwendet hat. Exemplarisch sei auf die Werke »Meerbucht« (vgl. Urban 1987, Abb. 587), »Tropensonne« (vgl. ebd., Abb. 586) und »Palmen am Meer« (vgl. ebd., Abb. 597) verwiesen. Nolde bezieht sich weiterhin auf die Farbigkeit der norddeutschen Kultur, die sich in Trachten und bemalten
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Einflüsse von Noldes Heimat Nordfriesland auf den Künstler und dessen maritime Motivik erläutert. Dabei wird ebenfalls auf den Unterschied zwischen Nord- und Ostsee eingegangen.
Nordsee und Ostsee »Selbst bin ich der Meinung, daß meine Kunst trotz Reisen überall hin, tief im Heimatboden wurzelt, in dem schmalen Lande, hier zwischen den beiden Meeren.«24 Dabei wird der unterschiedliche Charakter von Nord- und Ostsee in einigen seiner Bilder sowie in seinen Selbstzeugnissen deutlich.
Abb. B6.3: Emil Nolde, Schleswig-Holstein meerumschlungen, 1895, Feder, Bleistift, Aquarell, 14 x 9 cm, Nolde Stiftung Seebüll
Exemplarisch sei auf die Zeichnung einer Landkarte Schleswig-Holsteins aus dem Jahre 1895 verwiesen, in der die Nord- und Ostsee personifiziert dargestellt sind.25 »Schleswig-Holstein meerumschlungen« (Abb. B6.3) betitelte Nolde das Werk, wohl als Anspielung auf das gleichnamige Lied, das als Nationalhymne Schleswig-Holsteins gelten darf.26 Die Nordsee hat die Form eines Wassermanns, der sich weit über das Land beugt und eine Wassernixe umarmt, welche die Ostsee verkörpert. Der Fischschwanz des Wassermanns spaltet sich auf: Ein Teil Bauernstuben findet. Es ist die »naturgegebene, heimische Farbenfreudigkeit«, die ihn inspirierte. »Wir nordisch geborenen Menschen lieben Wärme und Farben.« Nolde 1965, S. 146. 24 Nolde zitiert nach Sauerlandt (Hg.) 1967, S. 160. 25 Vgl. Reuther (Hg.) 2008, S. 59. 26 Nolde führt in seinen autobiografischen Aufzeichnungen an, dass sein Vater es gern »bei festlichen Anlässen« sang. Vgl. Nolde 1949, S. 12.
Nordsee und Ostsee
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strebt nach unten und greift – den Flussverlauf der Elbe darstellend – tief ins Land hinein. Der andere Teil schlängelt sich parallel zum Küstenverlauf nach oben. Möglicherweise wollte Nolde mit dieser Darstellung auf die Gewalt dieses Meeres hinweisen.27 Der Künstler erlebte selbst Sturmfluten und war durch Überlieferungen und Funde mit den Zerstörungen historischer Sturmflutkatastrophen vertraut. Die Nordsee empfand er als rau und verwies auf ihre »herbe, starke Schönheit«28 Dort streiche der Wind »frei und scharf« über das Land.29 Die Darstellung der Ostsee als Nixe verweist dagegen auf den sanfteren Charakter dieses Meeres, das keinen Gezeiten unterliegt und keine verheerenden Sturmflutkatastrophen hervorbringt. Der Künstler bezeichnete die Ostseeregion bei Alsen als »mild«, »lieblich« und »idyllisch«.30 Jedoch hielt Nolde auch die raue Seite der Ostsee fest. Die auf Alsen im Zeitraum von zwei Jahren entstandene Serie »Herbstmeere«31 zeigt in »Farbschlachten« die aufgewühlte, stürmische See.32 Auf Alsen mietete sich das Ehepaar Nolde ein kleines Fischerhaus und der Künstler errichtete am Strand eine Art »Bretterbude« als Atelier.33 So konnte er die Eindrücke der Ostsee unmittelbar umsetzen.34 Der intensive Bezug des 27 28 29 30 31 32
Vgl. Reuther (Hg.) 2008, S. 58. Nolde 1965, S. 147. Vgl. Nolde 1967a, S. 103, vgl. Nolde 1965, S. 147. Vgl. Nolde 1967a, S. 103, vgl. Nolde 1965, S. 147. Vgl. Urban 1987, Abb. 388–401, 461–466. Weitere Ausführungen vgl. u. a. Kat. Karlsruhe 2002, S. 198f. Der/die Betrachtende ist in den meisten Bildern direkt – ohne Zwischenschaltung eines Küstenstreifens – mit der Naturgewalt »Meer« konfrontiert. Im Rahmen der Serie stellt jede Arbeit ein eigenständiges Werk dar. Vgl. u. a. Kat. Karlsruhe 2002, S. 198f. Exemplarisch sei auf die Werke »Herbstmeer VII« (vgl. Urban 1987, Abb. 395), »Herbstmeer X« (vgl. ebd., Abb. 398) und »Herbstmeer IX« (vgl. ebd., Abb. 397) verwiesen. Sprotte führt zu den Werken eine detaillierte Farbanalyse durch. Vgl. Sprotte 1999, S. 60f. Es wird ersichtlich, dass Nolde keine realistische Darstellung des Meeres anstrebte, sondern das subjektiv Erlebte verknüpft in individueller Farbästhetik visualisierte. In seinem Bretteratelier hatte er verschiedene Stimmungen am Meer erlebt. Die Werke »Herbstmeer IX« (vgl. Urban 1987, Abb. 397) und »Herbstmeer X« (vgl. ebd., Abb. 398) waren Exponate der Ausstellung »Entartete Kunst«. 33 Vgl. Nolde 1967a, S. 26. 34 »Durchs Fenster schweiften frei die Augen über das Meer hinweg, und nichts war zu sehen als nur das Wasser und die Wolken und an hellen Tagen drüben der schmale Landstreifen der dänischen Inseln.« Vgl. Nolde 1967a, S. 27. Nolde nahm in diesen Jahren die Natur intensiv wahr. »Landschaftlich lebten wir mit dem Meer und mit den stillen Wolken darüber, mit der spielenden Sonne im Wald und im Garten. […] Aber auch lebten wir besonders gern mit all den Tieren um uns.« Vgl. Nolde 1967a, S. 40f. Er führt aus, dass das intime Naturerleben auf der Insel Alsen eine der Grundlagen war, auf der sich seine künstlerische Schaffenskraft entfaltete. Vgl. Nolde 1967a, S. 32. Das Meer war ein wichtiges Motiv : »Durch das Atelierfenster gesehen entstanden Sommerwolken, Meeresspiegelungen und auch erregte Meerbilder.« Ebd., S. 33. Nolde konnte sich in ekstatisches Arbeiten steigern, das allerdings mit Anfällen von Zerstörungswut einhergehen konnte: »Eines Nachmittags in brennendem Schaffenstrieb malte ich ein Bild, Wellen sich brechend gegen Felsen. Im gleichen Moment, als es fertig war, nahm ich das Palettenmesser und kratzte es ab. Wie verstört stand ich dann da
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Künstlers allgemein zum Meer wurde in dieser Zeit deutlich. Er erlebte die unterschiedlichsten Stimmungen und Wetterphänomene.35 Darauf basierend schuf er maritime Werke, auf die hier im Folgenden jedoch nicht weiter eingegangen wird, da sie von der Ostsee inspiriert sind.36 Ein weiterer Unterschied zwischen Ostsee- und Nordsee findet sich in der Küstenlandschaft. Die Nordseeküstenregion Nordfrieslands wird beherrscht von flachem Land mit Marschen, Sielen und Deichen. Im Gegensatz dazu ist der Strand auf Alsen steinig und bewaldet, sogar Steilhänge finden sich an der Ostseeküste. Auch wenn Nolde in vielen seiner Werke eine übergeordnete Vorstellung des Meeres in Rahmen seiner Farbästhetik umsetzte, so gibt es durchaus Werke, bei denen aufgrund dieser unterschiedlichen Küstenlandschaftstypen Aussagen zur Verortung vorgenommen werden können,37 wie in den folgenden Kapiteln gezeigt wird.
und frug »Warum?« – So wild habe ich nie wieder Himmel und Wasser malen können.« Ebd., S. 33. Es sind nicht ausschließlich maritime Motive, die in dem Bretteratelier auf Alsen entstehen. Vgl. Nolde 1965, S. 147. Neben Motiven, die er seiner unmittelbaren Umgebung entnahm, befinden sich ebenfalls frei erfundene Bilder unter diesen. Vgl. ebd., S. 9. Wiederum ist es die Fantasie, die im Schaffen des Künstlers von großer Bedeutung ist. »Auch oft saß ich im stillen Raum, die Fenster waren vorgezogen, verhalten, mit matten Gesichten, eine leere weiße Leinwand anstarrend, anschauend, bis Figuren, Phantasien, oder Himmel und Wolken sich zeigten, und ich diese dann zeichnend oder malend zu einem Bild gestalten suchte. Zuweilen ging es bis in die Nacht hinein, bis bei meinem Licht, einer Kerze, die letzten Farben, die an diesem Tag […] noch gemalt werden mußten, hingemalt waren.« Nolde 1967a, S. 28f. 35 So genießt er beispielsweise die Stille der Ostsee: »Oft stand ich am Fenster lange schauend, sinnend über das Meer hinaus. Nichts war da, als nur das Wasser und der Himmel. Wenn ein Vogel vorbeiflog, war es ein Ereignis. Keinen Laut hörte ich, als nur zuweilen traumhaft das ganz leise Plätschern der Wellen gegen die Strandsteine.« Nolde 1967a, S. 29. 36 Exemplarisch sei noch auf einige Bilder verwiesen, in denen der Term »Alsen« direkt im Titel genannt wird. Im Werk »Herbstabend auf Alsen« (vgl. Urban 1987, Abb. 181) ist die Ostsee nur nebensächlich im rechten Bildteil dargestellt. Dagegen ist sie im Werk »Meer bei Alsen« (vgl. ebd., Abb. 380) Hauptmotiv. Eine einzelne angedeutete größere Welle rollt mit brechender Gischt heran. Ansonsten wirkt die Ostsee eher friedlich. 37 Das Werk »Am Deich« lässt sich eher der Nordseeküste zuordnen. Vgl. Urban 1987, Abb. 385. Das »Werk Baum am Strand« (vgl. ebd., Abb. 367) ist wahrscheinlich von der Ostseeküste auf Alsen inspiriert worden, da an der Nordseeküste in der Regel flaches Land und Marschen vorherrschen. Nolde beschreibt die bewaldete Küste auf Alsen. Vgl. Nolde 1967a, S. 31f. Ebenso kann Nolde zur Motivik des Bildes »Steiles Ufer« (vgl. Urban 1987, Abb. 372) von der Ostseeküstenregion inspiriert worden sein.
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Noldes Verbundenheit mit der nordfriesischen Landschaft und Kultur Nolde wuchs zwar nicht direkt am Meer auf, doch besaß die Nordsee Auswirkungen auf die Landschaft, in der er lebte. Er führte rückblickend an, dass er als Kind diese Landschaft und ihre Menschen mit Staunen und Bewunderung wahrgenommen hatte.38 So beschreibt der Künstler in seiner Biografie, wie er als kleiner Junge mit seiner Familie die Verwandten in der Marsch besuchte. Dabei stellt er sein Staunen und seine Freude über die Brücken, Schiffe und den Fischfang heraus.39 Die Nordsee nannte er »das wilde Meer«, da das Wasser die Deiche schon öfter durchbrochen hatte.40 Die Großbauern dieser Region betrachtete er mit Respekt.41 Wenn in der »Marsch die Fennen grünten«, zog es Nolde mit seinen Brüdern »dort hinaus und nach dem Gotteskooggebiet mit seinen kleinen Seen, die einst Arme des Meeres waren«.42 Als sie alt genug waren, mussten sie das Vieh dorthin zur »Sommergräsung« führen.43 Da in seinen Aufzeichnungen über die Kindheit das Wattenmeer und die Nordsee nicht direkt erwähnt werden, lässt sich folgern, dass der junge Nolde dem Küstenlandstrich und seiner Kultur mehr Aufmerksamkeit schenkte als der Weite des Meeres. Dies änderte sich mit den Jahren und das Meer wurde ein wichtiges Motiv in seinem Werk. Den Künstler zog es zeitlebens immer wieder zurück in die nordfriesische Landschaft an der Nordseeküste.44 So begründete er seinen Aufenthalt im Jahr 1906 in Nordfriesland u. a. damit, dass ihm Alsen und die Ostsee zu idyllisch seien.45 Später im Jahr 1915 entschied er sich, aus der Ostseegegend wieder zurück in die nordfriesische Region nach Seebüll zu ziehen. Das dortige Flachland mit den Mühlen, Sielen und dem Blick in die Weite bildet eine wichtige 38 Vgl. Nolde 1949, S. 20f. Beispielweise berichtet er über die Schleuse bei Verlath im Ruttebüller See, die er im Bild »Schleuse und Krug Verlath« (vgl. Urban 1987, Abb. 50) darstellte, Folgendes: »Und dann bei der Schleuse von Ruttebüll lag ein Schiff. Wie wir staunten! Es war das erste, das wir sahen. Ein wirkliches Schiff mit Mast, Strickleitern und Tauen.« Nolde 1949, S. 20. 39 Vgl. ebd., S. 20. 40 Vgl. ebd., S. 20. 41 Vgl. ebd., S. 21. 42 Vgl. ebd., S. 24. 43 Vgl. ebd., S. 24. 44 Zum Teil griff er dieselben Bildmotive wieder auf. So entstand beispielsweise ein neues Werk, das den »Krug Verlath« zeigt. Vgl. Urban 1987, Abb. 298. 45 »Zwischen unseren beiden Wäldern auf Alsen, wo wir wohnten eingeschlossen, war ich oft von Kopfweh geplagt. Wir schrieben es diesem zu. Ich liebte den Wald, das stille Meer, unser kleines Heim, und doch zuweilen drängte es mich zu anderer, weniger idyllischer Umgebung hin.« Nolde 1967a, S. 103. »Ich reiste nach dem westlichen Schleswig, wo frei und scharf der Wind über das flache Land hinstreicht.« Ebd., S. 103.
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Komponente in seinem Werk.46 Da in diesen Bildern jedoch die Nordsee und das Wattenmeer nicht als Bildmotiv enthalten sind,47 werden diese in dieser Studie nicht näher behandelt. Nolde nahm bewusst die Schönheit dieser Gegend wahr und gab zu bedenken, dass die Fischer und Bauern diese nicht erlebten,48 da dieser Landstrich primär 46 Mit den Mühlen verband er Kindheitsassoziationen. Vgl. Nolde 1967a, S. 111. Die Mühlen hatten ihn so fasziniert, dass er sie immer wieder verbildlichte. Exemplarisch sei auf einige Mühlendarstellungen verwiesen: »Mühle« (vgl. Urban 1990, Abb. 994), »Schwarze Mühlen« (vgl. ebd., Abb. 995), »Mühlen« (vgl. ebd., Abb. 996). Die frühen Bilder der friesischen Landschaft und deren Bewohner wurden noch in einem naturalistischen Stil angefertigt. Im Jahr 1903 hielt Nolde sich an der nordfriesischen Westküste auf und fertigte das Bild »Fischerhaus« (vgl. Urban 1987, Abb. 119) an. In einem Brief, den er aus Ruttebüll seiner Frau Ada schickte, zeichnete er eine Skizze von dem Motiv und berichtet, dass eine abendliche Stimmung dargestellt und das Wasser in dunklem Blau gestaltet ist. Vgl. ebd., S. 129. Im selben Jahr entstand das Werk »Von der Marsch« (vgl. ebd., Abb. 130). Ein See mit einer Schleuse und Booten sind dargestellt. Auch hier herrscht noch der naturalistische Stil vor. Die Darstellung kann auf die charakteristische Landschaft rund um Ruttebüll verweisen. 47 So entstanden im Jahr 1899 unter anderen die Werke »Friesendorf« (vgl. Urban 1987, Abb. 46), »Fischer und Boote (Karsten Paulsen)« (vgl. ebd., Abb. 47, vgl. Rohde (Hg.) 1955, Abb. S. 499), »Aus Friesland« (vgl. Urban 1987, Abb. 48), »Schilflandschaft (Friesland)« (vgl. ebd., Abb. 49), »Alte Friesen (Detlev Jensen und Mathias Pörksen)« (vgl. ebd., Abb. 51) und »Portrait Frau Thaisen« (vgl. ebd., Abb. 52). 48 Bewunderung und Idealisierung sind aus den Bildern und Selbstzeugnissen Noldes gegenüber den Friesen zu lesen. »Die alten damaligen Herren der Höfe waren ungeschliffene, eigenwillige, selbstgewachsene Menschen, die keine Abhängigkeit kannten und wie kleine Könige auf ihren Besitzungen wirtschafteten. Von der Scholle waren sie nie weggewesen, und das Zerstreuende unserer Zeit, Eisenbahn, Zeitungen, Rundfunk oder Autos, kannten sie nicht. Wir Knaben schauten sie an, respektvoll und staunend: […] Die strotzenden Eigenschaften dieser Bauernherren lassen die einstigen Wikinger ein wenig ahnen.« Nolde 1949, S. 21. Er verbildlichte die dort lebenden Menschen. Exemplarisch sei auf das im Jahr 1937 – basierend auf einer Skizze – angefertigte Werk »Friesenkinder« (vgl. Urban 1990, Abb. 1184) verwiesen. Er betrachtete den »Bauern der Köge« als unabhängigen, freien Mann. »Er ist selbstbewußt in seiner Freiheit und stark geboren. Adelige Herrschaften gab es hier nie, einem Herrn dienen kennt er nicht, außer seinem lieben Gott.« Nolde 1967a, S. 112. In dem Werk »Alte Friesen (Detlev Jensen und Mathias Pörksen)« (vgl. Urban 1987, Abb. 51) stellt er Detlev Jensen und Mathias Pörksen mit Teetassen und Pfeife dar. Dass Nolde auch die Kultur der Friesen interessierte, zeigt sich in der Darstellung der Trachten. Im Werk »Friesen, Mann und Frau« (vgl. ebd., Abb. 358) sind zwei in typischer Tracht gekleidete Friesen dargestellt. Das Motiv friesischer Personen und ihrer Kultur thematisierte Nolde wiederholt. Beispielsweise fertigte er im Jahr 1913 das Ölgemälde »Junge Friesin« (vgl. ebd., Abb. 565) an. Ebenso sei auf das Portrait von Frau Thaisen« (vgl. ebd., Abb. 52) verwiesen. In seiner Biografie nahm Nolde zum Teil eine Selbstinszenierung vor; es zeigen sich Tendenzen nationalsozialistischer Ideologie. Ebenso muss berücksichtigt werden, dass in späteren Auflagen antisemitische Passagen gestrichen wurden, um dem Ruf des Malers nicht zu schaden. Vgl. u. a. Fulda, Ring, Soika u. a. (Hg.) 2019a, S. 69–96, 235f. Noldes Ausführungen lassen die seiner Zeit vorherrschende Heroisierung der Friesen erahnen. Seine Fischer- und Bauerndarstellungen vermitteln allerdings kein Bild der harten Arbeit dieser Menschen. In seinen frühen naturalistischeren Werken, wie »Friesendorf« (vgl. Urban 1987, Abb. 46) und »Fischer und Boote« (vgl. ebd., Abb. 47) wird eher ein idyllischer Eindruck vermittelt.
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ihr Arbeitsraum sei und sie eine andere Sehweise auf diesen besäßen.49 Weiterhin bemängelte er, dass durch Entwässerungsmaßnahmen und den Deichbau einiges dieser Schönheit zerstört wurde.50 Im Gegensatz zu vielen seiner Zeitgenossen, betrachtete er die Deiche nicht primär unter dem Aspekt des Küstenschutzes. Stattdessen legte er ästhetische Kriterien an und bedauerte, dass der Reiz der Landschaft verloren ginge. Es war die amphibische Landschaft, die ihn faszinierte und die er verbildlichte.51 Nolde suchte in den frühen Jahren seinen individuellen künstlerischen Stil. Die friesische Landschaft mit den unterschiedlichen Wetterphänomenen und Lichtstimmungen52 aber auch mit den Häusern und Menschen wurde fester Bestandteil in seinem Motivrepertoire.53 49 Nolde führt diesbezüglich folgendes aus: »Ein schöner Marschhof war meines Vaters und ist wohl jedem Bauern ein Begriff des Glücks auf Erden. Sonst aber nur selten sind es ideelle Schönheiten, welche den Bauer bewegen. Eine Fenne voll drei- oder vierjähriger fetter Ochsen begeistern ihn mehr. […] Der Bauer der Köge geht allmorgendlich mit seinem Springstock auf der Schulter liegend über die Grasfelder zu den Rindern, den Schafen, den Ochsen. Dies ist seine Welt, seine Lust, sein Glück. […] Er geht und schaut und rechnet viel, und weiß es meistens nicht, wie schön die Natur ihn umgibt.« Nolde 1967a, S. 112. 50 Dabei bezieht er sich beispielsweise auf ein kleines Dorf, namens Rosenkranz: »Es war das schönste Dorf in unserem Friesenland. Inzwischen aber nun kamen die Ideen der der ›rationellen Ausnutzung‹. Hoch und trennend zwischen Dorf und See wurde ein barbarischer Deich gezogen, alle Schönheit und das Wunderbare nehmend. Und wo sind die Mühlen, die Brücken, die Sielzüge, die Fahrgräben, die Boote? – Durch Zollhäuser, Pumpstationen und sperrende Deiche ersetzt! Kommende Geschlechter bald wissen von den verlorenen Schönheitswerten nichts. Die seltsamste, vielleicht die schönste Gegend im heiligen deutschen Reich, ist durch den kalten Blick landfremder Ingenieure und Menschen und die Unbill einer Landesgrenze geteilt, zerrissen, verloren. Ein Maler sah es, in Erinnerung glücklich, daß er es sehen durfte.« Nolde 1967a, S. 112f. 51 Er nahm diese intensiv wahr : »Wenn nicht im Boot ich segelnd war, dann ging ich längs den Deichen um die Köge herum, um den Ruttebüller- und den Brünottenkoog, jeweils stundenlange Wege, die den ganzen Menschen, vom scharfen Wind bestrichen, herzhaft erfrischten.« Nolde 1967a, S. 111. Während seinen Wanderungen sprach er nicht viel mit den ihm begegnenden Menschen. »Mir genügte das Sehen, mit aufnehmenden Blick, ob Knecht, ob Magd, ob Bauer, ich sah die Wolken hoch und um mich die vielen bunten Tiere, sie alle, ja alles zur Landschaft mitgehörend.« Ebd., S. 112. Im Jahr 1909 kehrte er wiederum in die väterliche Heimat zurück. Neben religiösen Werken entstanden Ölgemälde, die die nordfriesische Landschaft um Ruttebüll zeigen. Er empfand tiefe Bindung zu diesem Landstrich mit seiner Kultur. Exemplarisch sei auf die Werke »Krug Verlath« (vgl. Urban 1987, Abb. 298), »Rinder im Koog« (vgl. ebd., Abb. 299), »Aus Friesland« (vgl. ebd., Abb. 300) und »Boot im Schilf« (vgl. ebd., Abb. 303) verwiesen. Von letzterem berichtete Nolde rückblickend in einem Brief, dass er in der Entstehungszeit in Nordfriesland selber häufig mit einem primitiven Boot gesegelt sei. Vgl. ebd., S. 269. Das Boot verbildlichte er häufig in seinen Werken, so zum Beispiel im Bild »Hinterm Friesenhof« (vgl. ebd., Abb. 304). Allerdings war es nicht die Nordsee, sondern die Siele und Flüsse, die die Landschaft durchzogen, auf denen er segelte oder mit Ruderbooten unterwegs war. Vgl. Nolde 1967a, S. 110. Aus diesem Grund werden diese Werke nicht herangezogen. 52 »Wenn still der See war an milden Tagen, dann war es herrlich schön. Aber auch, wenn die
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Seinen künstlerischen Zeitgenossen zollte er zwar Respekt, doch fand er angeblich nur wenig Inspiration bei diesen.54 Im Jahr 1899 reiste er mit großen Hoffnungen für seine künstlerische Entwicklung nach Paris.55 Dort besuchte er die Akademie Julien.56 Jedoch war er von der Ausbildung enttäuscht und studierte stattdessen intensiv die Kunstwerke im Louvre.57 Ebenso war er Gast auf der 1900 stattfindenden Weltausstellung.58 Er verlebte ein Jahr in Paris, aber auf der Überfahrt von Le Havre zurück nach Hamburg wurde er sich der Enttäuschung bewusst, die Paris für ihn darstellte. »Ich wäre so gern vom Wind oder Sturm durchschüttelt, durchrüttelt worden, denn dumpf war mir und matt, der Sinn mir schwer. Paris hatte mir wenig nur
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schweren Gewitterwolken kamen. Auf dem flachen Lande sind sie der Schrecken der schwachen Gemüter und dem Starken jedesmal ein Erlebnis in Dramatik und Naturgröße. Während der Nächte lag ich lange lauschend dem Plätschern der Wildenten im Wasser und dem Schmatzen der Fische; der Mond stand hoch, den Gottesfrieden spendend.« Nolde 1967a, S. 110f. Ebenso faszinierten ihn die zur Kulturlandschaft gehörenden Friesenhäuser. »Besonders lieb waren mir die vielen kleinen Häuser, entlang den Deichen angeschmiegt, mit ihren roten Backsteinmauern, mit ihren trotzigen Holunderbüschen und den kleinen der Sonne zugelagerten Blumengärten. Und dann die großen Höfe auf ihren flachen Warften im flachen Marschland liegend, […] versteckt zwischen ihren dunklen Bäumen und dem Gebüsch.« Nolde 1967a, S. 112. Er griff diese Motivik auch in seinen Bildern auf. Exemplarisch sei auf das Werk »Friesenhäuser II« verwiesen. Vgl. Urban 1987, Abb. 340. Dieses wurde später in der nationalsozialistischen Ausstellung »Entartete Kunst« gezeigt. Vgl. Urban 1990, S. 14. Ebenfalls ließ sich Nolde von den sagenumwobenen Hof Bombüll in der Nähe von Klanxbüll zu dem Werk »Räuber auf Bombüll« inspirieren. Vgl. ebd., Abb. 773. Allerdings hatte sich Nolde bereits in Lildstrand mit der Räubermotivik beschäftigt. Vgl. ebd., S. 151. Exemplarisch sei weiterhin auf folgende Werke verwiesen »Friesenhaus« (vgl. Urban 1987, Abb. 334), »Friesenhäuser I« (vgl. ebd., Abb. 339), Friesenhäuser II (vgl. ebd., Abb. 340), »Friesenhäuser III« (vgl. ebd., Abb. 341), »Marschgehöft« (vgl. Urban 1990, Abb. 860), »Herbstwolken, Friesland« (vgl. ebd., Abb. 1048), »Frühling, Friesland« (vgl. ebd., Abb. 1052), »Herbstwolken Friesland« (vgl. ebd., Abb. 1085), »Marschland unter Abendwolken« (vgl. ebd., Abb. 1122), »Friesengehöft am Kanal« (vgl. ebd., Abb. 1153). »Friesenhöfe« (vgl. ebd., Abb. 1165), »Marschhöfe« (vgl. ebd., Abb. 1203), »Heudiemen am Sielzug« (vgl. ebd., Abb. 1204), »Korndiemen am Sielzug« (vgl. ebd., Abb. 1205), »Abendfriede im Koog« (vgl. ebd., Abb. 1208) und »Marschhof« (vgl. Urban 1990, Abb. 1294). Auch den See, die Landschaft, die Menschen und die Tierwelt mochte er sehr. Vgl. Nolde 1967a, S. 110. Zu Einflüssen in seiner Malerei, vgl. Schlenker 2018. So machte er Bekanntschaft mit den Malern Carl Ludwig Jessen und Hans Peter Feddersen, in deren Werken die Nordsee ebenfalls ein wichtiges Motiv darstellt. Zu der Zeit, als Nolde die Maler besuchte, befand er sich noch auf der Suche. Er lebte in St. Gallen und hatte als Künstler erste Erfolge mit Bildmotiven für Postkarten, die die Berggipfel der Alpen mit sagenhaft anmutenden Gesichtszügen zeigten. Als er in Deezbüll das Atelier des Malers Jessen besuchte und Einblick in Zeichnungen und Skizzen erhielt, empfand er es so, als wäre er in ein Heiligtum eingedrungen. Vgl. Nolde 1949, S. 176. Vgl. Nolde 1949, S. 237. Vgl. ebd., S. 237. Vgl. ebd., S. 237–240. Vgl. ebd., S. 239.
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gegeben, und ich hatte doch so viel erhofft.«59 Die Überfahrt inspirierte ihn dagegen künstlerisch. Er zeichnete den Himmel, andere Schiffe und war beeindruckt davon, wie schnell sich die Stimmung auf See ändert.60 Diese Eindrücke fließen in seine übergeordneten Vorstellungen des Meeres mit ein. Denn in Noldes Werk finden sich auch Darstellungen von Schiffen und Häfen. Dabei setzte er diese als stimmungsschaffende Bildelemente ein, nahm aber ebenso Bezug auf reale Gegebenheiten wie dem Hamburger Hafen.61 Allgemein reizte ihn an dieser Motivik primär die farbliche Umsetzung.62 Technik schien ihn – im Gegensatz zu den Marinemalern seiner Zeit – weniger zu interessieren. Auch Segelschiffe sind ein wiederkehrendes Motiv im Gesamtwerk des Künstlers. Jedoch faszinierten Nolde nicht die Segeltechnik oder die Navigation. Die Segelund Dampfschiffe sind in seinen Gemälden häufig nicht das Hauptmotiv, sondern nur Bildelemente, durch die Stimmung und Farbästhetik unterstützt werden.63 Exemplarisch sei auf das im Jahre 1948 entstandene Werk »Lichtes Meer« (Abb. B6.38) verwiesen.64 In den folgenden Kapiteln werden Noldes Aufenthalte an der Nordsee und deren Einflüsse auf seine Kunst erörtert.
59 Ebd., S. 249. 60 Vgl. ebd., S. 249. 61 Er hielt sich im Jahr 1910 eine Zeitlang in Hamburg auf. Vgl. Nolde 1967a, S. 100f. Weitere Ausführungen vgl. Kat. Karlsruhe 2002, S. 160f. Dort fertigte er Tuschpinselzeichnungen und Radierungen von Hafenmotiven an, auf deren Basis Ölgemälde entstanden. Vgl. Nolde 1967a, S. 100f. Exemplarisch sei auf die Werke »Vom Hafen Hamburg I« (vgl. Urban 1987, Abb. 322), »Schiff im Dock« (vgl. ebd., Abb. 323), »Vom Hafen Hamburg II« (vgl. ebd., Abb. 327) und »Vom Hafen Hamburg III« (vgl. ebd., Abb. 362) verwiesen. In Bezug auf die Radierungen urteilte Nolde: »Die entstandenen Radierungen hatten Lärm und Tosen, Rausch und Rauch und Leben, doch wenig Sonne nur.« Nolde 1967a, S. 101. Zudem sei auf die Bilder »Schlepper auf der Elbe« (vgl. Urban 1987, Abb. 363), »Aussenelbe« (vgl. ebd., Abb. 365) verwiesen. 62 So steht beispielsweise im Werk »Schlepper auf der Elbe« (vgl. Urban 1987, Abb. 363) das Farbenspiel von gelben und dunklen Tönen im Fokus. Für eine genaue Farbanalyse vgl. Sprotte 1999, S. 57. Der Dampfer tritt gegen die dunklen Rauschschwaden, die sich im Wasser spiegeln, zurück. 63 Exemplarisch sei auf weitere Werke verwiesen: »Sonnenuntergang III« (vgl. Urban 1990, Abb. 721), »Heißer Wind« (vgl. ebd., Abb. 722), »Segler (Silberluft)« (vgl. ebd., Abb. 724). 64 Kat. Bielefeld 2008, S. 103. Ebenso sei auf das Werk »Lichte See« (vgl. Urban 1990, Abb. 701) verwiesen. Die Wolkendarstellungen und deren Spiegelungen stehen im Vordergrund. Das kleine Segelboot in der rechten Bildhälfte durchbricht das Muster der Farbflächen und fungiert primär als stimmungsschaffendes Element.
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Aufenthalt in Lildstrand Im Jahre 1901 hielt sich Nolde einige Monate im dänischen Fischerdörfchen Lildstrand an der Nordseeküste auf.65 Auf der Suche nach einem individuellen Stil hoffte er Anregungen in der Küstenlandschaft zu finden.66 In den ersten Tagen seines Aufenthalts begleitete er die Fischer auf ihrer Fahrt aufs offene Meer.67 Der Künstler war von den Männern stark beeindruckt und verbildlichte sie.68 Darüber hinaus streifte er in der ersten Woche recht ziellos am Meer »umher« und fertigte einige Studien an.69 »Das Meer rast, große Wellen wälzen sich gegen den Strand, weißer Schaum treibt das Ufer hinan und gleitet wieder zurück. Jetzt regnet es, es klatscht gegen die Scheiben, und lange Tropfen rieseln an ihnen hinunter. Der Wind macht Musik, er spielt wie an Harfen, aber gräßlich langweilig. So auch male ich, kein gewöhnlicher, wohlbekleideter Mensch wird sich freuen können an diesen Bildern.«70
Eine gewisse Niedergeschlagenheit überkam ihn,71 da er das Gefühl hatte, das Leben »karge« mit ihm und ihm das Malen seiner Ansicht nach nicht gelingen wollte.72 Allgemein verbildlichte er in den während seines dortigen Aufenthalts 65 Vgl. Nolde 1949, S. 284–288. Vgl. hierzu ebenfalls Reuther 1984. In einem Brief an Ada, der er erst nach dieser Reise seine Liebe offenbarte, hielt er erste Eindrücke über das Dorf fest. Vgl. Nolde 1967, S. 168. 66 Vgl. Kat. Bielefeld 2008, 114. Vgl. Reuther 1984. 67 Begeistert berichtet er von sich selbst in dritter Person sprechend: »Es war eine herrliche Fahrt und das Zusammensein mit den prächtigen Fischermenschen dem Maler unendlich wunderbar. Es waren nur diese beiden Tage, mit ihrem Glück.« Nolde 1949, S. 284. 68 Eines dieser Werke »Fischer« (Urban 1987, Abb. 92) bezeichnete er im Nachhinein, als er bereits wieder in Berlin weilte, von allen als das »Wesentlichste«. Vgl. Nolde 1949, S. 292. Es zeigt fünf dänische Fischer, mit denen er Bekanntschaft machte. Vgl. Urban 1987, S. 109. Diese sitzen an einem Tisch, der sich vor einem Fenster befindet und scheinen in ein Gespräch vertieft. Sein Freund Hans Fehr kaufte das Bild. Vgl. Karte Hans Fehr an Nolde vom 14.9.03. Archiv Nolde-Stiftung Seebüll. Vgl. Brief Hans Fehr an Nolde vom 19.10. 1903. Archiv Nolde-Stiftung Seebüll. 69 Vgl. Nolde 1949, S. 284. 70 Nolde 1967, S. 168. 71 Vgl. Nolde zitiert nach Sauerlandt (Hg.) 1967, S. 35. 72 »Die Farben gehorchten mir nicht. Lange Wege ging ich, wo sonst niemand ging, quer über das Dünenfeld und die rostrote Heide, wo Kreuzottern ihre gespaltene Zunge drohend gegen den Fremdling züngeln.« Nolde 1949, S. 284. Nolde fühlt sich vom Leben ungerecht behandelt: »Nun habe ich gefunden, daß das Leben mit mir kargt, und das ist der Grund, auf dem, und die Stimmung, in der ich seit einigem lebe, darunter ich leide und auf der auch mein letzter Brief an Dich, der Mehrheit nach basiert. Nun frage ich, ›weshalb‹ und erhalte die Antwort: ›weil ich ein guter Mensch bin‹, weil ich nicht lüge und betrüge, weil ich verspreche und nicht breche. Ich sehe es immerzu, wie reichlich das Leben diejenigen mit seinem schönsten Gaben überschüttet, welche viel und bewußte Schlechtigkeiten begehen, und ich bin wie ein Stiefkind. Ich leide unter der Frage, muß man denn gut sein und auch schlecht, muß ich sein, was ich hasse, muß ich das Böse tun.« Nolde zitiert nach Sauerlandt (Hg.) 1967, S. 35.
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entstandenen Werken das Meer nur selten. Zudem hatte er viel Zeit zum Nachdenken über seine persönliche Situation als junger Künstler und über die anbahnende Beziehung zu Ada, mit der er brieflich in Kontakt stand und die später seine Frau wurde. Tagsüber ging Nolde am Meer spazieren. Er sammelte Bernstein, verwünschte aber gleichzeitig diese Tätigkeit, da sie ihn zum andauernden Abwärtsschauen verleitete und er die Umgebung nicht intensiv wahrnahm.73 Ebenso verbrachte er geraume Zeit damit, im Schutz der Dünen, die Hände im Sand vergraben, einfach nur dazuliegen, »bis sinkend die Sonne verging«.74 Während er sich tagsüber am Strand aufhielt, arbeitete er in den Abendstunden bis in die Nacht hinein.75 Es ist nicht das Meer, sondern landschaftliche und figürliche Motive, die er verbildlichte.76 Exemplarisch sei auf die Tuschepinselzeichnung »Dünenspuk«77 (Abb. B6.4) verwiesen, in der zwei merkwürdige Wesen in einer dunklen Dünenlandschaft dargestellt sind.
Abb. B6.4: Emil Nolde, Dünenspuk, 1901, Tuschpinselzeichnung, 9,5 x 11,9 cm, Nolde Stiftung Seebüll
Die Einsamkeit in dem kleinen Ort und die Beschaffenheit der Küstenlandschaft förderten Noldes Fantasie.78 Der Künstler begann allerdings auch zunehmend 73 74 75 76
Vgl. Nolde 1949, S. 284. Ebd., S. 284f. Vgl. ebd., S. 285. »An den Abenden im kleinen Raum saß ich bis über die Mitternachtsstunde hinweg kritzelnd, zeichnend Räuber und Räuberstuben, Strandläufer, wilde Menschen, Nachtwandler, Sonnenanbeter und ich weiß nicht mehr, wie die erdachten Bezeichnungen alle waren. – Was ich zeichnend nicht festzuhalten vermochte, verflog so schnell wie gekommen hin zum weiten ewigen Raum, wo alles geistig Beflügelte sacht webt und lebt.« Nolde 1949, S. 285. 77 Vgl. Kat. Bielefeld 2008, 114. 78 So schrieb er bereits zu Beginn seines Aufenthalts an Ada Folgendes: »Jetzt wohne ich in Lildstrand. Ich habe das Glück Einsamkeit zu finden; es wohnt kein fremder Mensch im Umkreis mehrerer Meilen. Es war nicht meine Absicht, daß ich so ganz alleine wohnen wollte,
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darunter zu leiden: »Ich war am Ort der alleinige Fremde. Die große Einsamkeit kam über mich.«79 Um dieser zu entgehen, schrieb Nolde Briefe.80 In seinen biografischen Aufzeichnungen führte er an, dass ihn ein Trieb zum Schreiben ergriffen hatte, um Gesehenes und Erlebtes zu verarbeiten.81 Er tat dies zum Teil in expressionistischer Weise.82 Meer und Strand wurden dabei zur Bühne sub-
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aber es fand sich so und ich tröstete mich an meinem Nachbarn dem Felsen bei Bulbjerg, Skarckliidt, der auch so ganz alleine dasteht, er steht ja alleine mach hundert Jahr. Die wilden Wellen laufen dauernd ihre Nasen gegen seinen Körper an, aber dauernd steht er fest, und blutend weichen sie zurück.« Nolde 1967, S. 167. Im selben Brief reflektiert er, dass die Einsamkeit für einen Künstler zwar »von einigem Nutzen« sein kann, jedoch »wirkt [sie] hart und kann schwer [zu] ertragen sein«. Vgl. ebd., S. 168. Nolde 1949, S. 285. Die Einsamkeit thematisiert er beispielsweise in seinen Briefen an Ada: »Sie glauben, ich habe es schön hier, ja liebe Ada es ist schön hier, die Natur ist eigentümlich, aber es ist zu schön für mich einsamen Menschen zu genießen ganz allein. All die innere und äußere Lebensfülle, mit wem soll ich teilen?« Nolde 1967, S. 168. »Nun bin ich so ganz allein. Das große, große heilige Leben mit tausend Armen umwebt mich. Nun liege ich da, wie mit allem verwachsen, lange, weiße Wolkenstreifen ziehen von Norden gen Süd, hoch oben fliegen drei kleine Schwalben. Meine Augen liegen im Dunkeln, denn meine Hand bedecket sie und doch sehe ich einen großen Schatten hin und her wogen, das ist nur ein Halm, der sich vor der Sonne bewegt. Wie doch die Möwen schreien, eine so, eine so, diese ruft, jene antwortet; mir scheint es liegt keine Liebe in ihrem Schreien. Auch ich bin ein Tier, aber auch ein Mensch. Ich mag nicht aufstehen, o laß mich schlafen, schlafen, schlafen, hinein in das Ewige.« Nolde zitiert nach Sauerlandt (Hg.) 1967, S. 32. Vgl. Nolde 1949, S. 286. In einem Brief an Ada vom 20. August 1901 schrieb er, dass die Einsamkeit ihn dazu bringt, von »Möglichkeiten, die nicht möglich sind«, zu träumen: »Ich bin wie ein einsames Kind, das am Strande sitzt und sich baut ein Schloß aus Kies und Sand mit einem großen Garten dazu, mit blühendem Seegras darin. Und dann denke ich, vielleicht kommt eine große Welle und nimmt mich mit, mit meinem ganzen goldigen Spielzeug, dann bleibe ich ein Kind, das spielt in alle Ewigkeit.« Nolde 1967, S. 174. Weiterhin formulierte Nolde in einem an Ada adressierten Brief seine Sehnsucht nach ihr : »Ach, wie ist mir einsam, wenn doch Du hier wärest, dann wollten wir liegen drüben im Schatten jener Düne und leise lauschen, wie uns der Wind spiele einen schönen Sang.« Nolde zitiert nach Sauerlandt (Hg.) 1967, S. 32. »Ich schrieb Briefe, kleine Briefe überallhin, wo ich glaubte, daß gnädigst jemand sie lesen mochte. Die gleichen Phantasien und kleinen Einfälle flogen nach Kopenhagen, Berlin, München, und ich weiß nicht wohin […].« Nolde 1949, S. 285. Als er im Jahr 1926 die Briefe las, die u. a. in der Lildstrandzeit entstanden, kommentierte er sie wie folgt: »Briefe eines naiven, unglücklichen Menschen. Vereinsamt, – ein Mensch dem alle üblichen guten Eigenschaften fehlten, in ihm war verzehrendes Ringen, kühn und zugleich verzweifelnd, einem Verkommenen, dem Fortgehen recht nahe. Da kam sie, meine liebe, liebe Lebensfreundin, – wie seltsam, daß sie mich mochte.« Nolde zitiert nach Sauerlandt (Hg.) 1967, S. 179. Vgl. Nolde 1949, S. 285. So schrieb er beispielsweise an seinen Freund Hans Fehr folgende Zeilen: »Das Gras durchflechtet meine Kleider und Sand lagert sich über mich. In der einen Tasche wohnt eine alte Kröte und wilde Bienen sammeln Honig in meinem Hut. Hände und Finger schlagen Wurzeln tief unten im Sande, die Zehen sind bereits doppelt so lang geworden und werden bald emporwachsen zu großen Bäumen, welche dann in einer seltsamen Farbe blühen. Wenn dann der Seewind die Blütenblätter zerstreut, entsteht eine seltsame Frucht, die jeder bewundert, aber niemand anzurühren traut.« Nolde zitiert nach Reuther 1984, S. 127.
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jektiv-fantastischen Erlebens. So schreibt er in einem Brief an Ada – von sich selbst in dritter Person sprechend – Folgendes: »Ein wilder Mann rennt längs dem Strande, Wellen überspülen seinen Fuß, er lacht dazu, Regen und Schaum fegen ihm ins Gesicht, er trägt seinen Hut in die Hand. Der Wind pfeift, das Wasser rast, er schreit wilden Gesang dazu, eine grausige Harmonie, […]. Nun zieht er die Stiefel aus, er reißt die Kleider nieder und er schwimmt, er schwimmt mit geschlossenen Augen der blinkenden Sonne entgegen. – Nun steht er auf jener Höhe am Strande mit entblößtem Haupt und streckt die Hände gen Himmel, und der schreit in die Winde hinein: ›Leben, Liebe, Liebste, wo bist Du, o komm, wir wollen sein beisammen, wir wollen spielen und glücklich sein, wie es Kinder sind, und wir wollen tanzen.‹ – Nun sitzt er gebückt hinter jener Düne und vergräbt die leeren Hände im tiefen Sand. Die Nacht senkt sich schwarz nieder zur Erde, der Himmel ist kaltblau, die Dünen sind grau, es wird regnen. Er sitzt so blaß, warme Tropfen nässen den Sand… […] Nun rennt er heimwärts, quer durch das Dünenland. Das kleine liebe Dorf schlummert, friedlich, stille, kein Licht mehr glimmt durch die kleinen Fensterlein. – Nun sitzt er dumpf am gelben Lampenlicht, er sinnt: Mein Leben ist ein langes Sehnen, die Stunden werden doppelt lang und es nimmt kein Ende. Ich bin ein Narr und war es von Anbeginn. Das Leben liebt mich nicht. O, dies Lachen. Ich sehe sie, die vielen vielen Menschen lebensklug und tausende sind es, Betrüger sind es, sie leben im Lug und sind fröhlich und sie grinsen mich an, sie lachen mich aus, weil ich ein Narr bin. Nun kommt dieser Schwarm, pfui, zahnlose Gespenster und trockene alte Weiber sind es, Hand in Hand, sie kreischen und gaukeln und schließen einen Kranz um mich, ich Armer stehe hilflos mitten drin. Nun schreitet der große schwarze Mann über die Heide, er hebt den Fuß, er senkt ihn wieder und mit seinem großen Holzschuh tretet er unser kleines Haus in den Grund.«83
Noldes Freunde und Angehörige waren angesichts dieser und ähnlicher Zeilen um den Geisteszustand des Künstlers besorgt.84 Nolde sehnte sich nach Liebesglück und Erfolgserlebnissen in Bezug auf sein Schaffen. Er bezeichnete sich 83 Nolde zitiert nach Sauerlandt (Hg.) 1967, S. 32ff. Eine andere Version desselben Briefes vgl. Nolde 1967, S. 173. Diese lautet wie folgt: »Ein wilder Mann längs den Strand trabt, das Wasser überspült seinen Fuß, er freut sich, Regen und Gischt peitschen ihm ins Gesicht, er nimmt seinen Hut in die Hand. Der Wind heult, die Wellen rasen, er schreit Gesang dazu, eine furchtbare Harmonie, so wundersam, daß selbst in der Heide drüben Gewürm und Kreuzotter ihre Hälse über das Heidekraut emporrecken, um zu hören. Er stand auf Bjulbjergs Höhe, und der Wind glitt hin über den entblößten Kopf, jetzt trabt er heim, quer durch die Dünen. Das kleine liebe Dorf liegt schlafend, still, kein Licht mehr glimmt durch die kleinen Scheiben. – Der wilde Mann, nun sitzt er bei dem gelben Lampenlicht, er ist so gar still und blaß, – er ist wahrscheinlich müde.« Nolde 1967, S. 173. Diese Textpassage, in der Nolde seine Verzweiflung und Einsamkeit in expressiven Bildern darstellt, endet mit der Bitte an Ada, ihn daraus zu erlösen: »In Gedanken sei bei mir, o, sei es, und träume mit mir und sei lieb und ergeben, daß meine Seele still werde, wir wollen glücklich sein wie es Kinder sind. Dein Emil Hansen.« Nolde zitiert nach Sauerlandt (Hg.) 1967, S. 34. 84 Vgl. Kat. Bielefeld 2008, S. 114, vgl. Nolde 1949, S. 285f. So beabsichtigte seine Mutter einen Bruder zu ihm zu schicken, um herauszufinden, ob alles in Ordnung sei. Sie verwarf diesen Gedanken jedoch als ihr Nolde einen »vernünftigen« Brief sandte. Vgl. Nolde 1949, S. 286.
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selbst in dieser Zeit als ein »Künstler, der im Erwachen war«.85 Jedoch war er über viele seiner Bilder enttäuscht und er gab seinem »trockenen« Verstand, der seiner Ansicht nach die künstlerische Empfindung unterdrückte, die Schuld.86 In einem Brief an Ada beschrieb er, wie er sich in rasende Schaffenswut steigerte, die schließlich zur Zerstörung eines gerade geschaffenen Bildes führte.87 Neben Ausbrüchen tranceartiger Schaffenskraft gab er sich Phasen der Ruhe, »entrückt dem Weltlichen« hin.88 Das Meer diente dem Künstler auch als ein »Seelenspiegel«: »Nun ruht das Meer. Auch meine Seele ist still. Nur ganz kleine Wellen plätschern noch leise am Ufer und nur ein ganz kleines Feuer glüht noch tief unten in meinem blutenden Herzen.«89 Er ließ er sich von den in Lildstrand entstandenen Zeichnungen zur Schaffung von einigen Ölgemälden inspirieren. Exemplarisch sei auf die Werke »Vor Sonnenaufgang«90 »Fischer«91, »Kinder«92, »Räuber«93, »Haus hinter Dünen«94 und »Später Abend am Meer«95 (Abb. B6.5)96 verwiesen. 85 Vgl. ebd., S. 286f. 86 So schrieb er an Ada, die nach dem Stand seines künstlerischen Schaffens in Lildstrand fragte folgendes: »Du frägst nach meinen Arbeiten, ich wünsche nicht, daß Du sie siehst, weil das Erwarten wird größer sein, als das Sehen befriedigen kann. Nur zweie ganz einfache Bilder sind fertig, wohl zehne waren fertig, wenn aber die Empfindung einen Moment ausließ, kam gleich der trockene Verstand hilfsbereit und jedes Mal war die Arbeit verdorben. Wenn nur ich ihn packen könnte, den Verstand, ich würde ihn an die Wand nageln und durchprügeln, so wie man einen Rock ausklopft.« Nolde zitiert nach Sauerlandt (Hg.) 1967, S. 31. Noldes Unzufriedenheit über seine Werke zeigt sich ebenfalls in den weiteren Zeilen: »Meine Bilder sind wie unsichtbar, denn es ist ja nichts drauf. Ich will kaufen mir ein Haus mit einer großen, großen Scheune, dort sollen meine Bilder hängen, auf daß niemand ob ihrer lache, daß niemand sie sehe, nur ein einzelner verirrter Wandersmann. Wenn dann im Herbst schnelle Wolken übers Land ziehen, wird mitleidig der Blitz zünden und nichts bleibt nach, als nur ein flackerndes Irrlicht, das spät und nur selten die Stätte besucht.« Nolde zitiert nach Sauerlandt (Hg.) 1967, S. 31f. 87 »Ich stand malend zwei kleine Häuser, die im Abendtrüb lagen, friedlich hinter den Dünen. Es begann zu wehen, die Wolken wurden wild und dunkel, es wurde Sturm und der graue Sand wirbelte hoch hin über die Dünen und die kleinen Häuschen. Ein rasender Sturm, – da plötzlich trieb ein machtvoller Pinsel sein Blech durchs Leinen – der Maler bemerkte sich, er sah sich um, es war immer noch die ruhige schöne Abendstunde, nur er war so hingerissen rasend geworden und hatte sich hineingelebt in diesen Sturm. Das Bild war dahin.« Nolde 1967, S. 173. 88 Vgl. ebd., S. 173. 89 Nolde zitiert nach Sauerlandt (Hg.) 1967, S. 37. 90 Vgl. Urban 1987, Abb. 94. 91 Vgl. ebd., Abb. 92. 92 Vgl. ebd., Abb. 93. 93 Nolde hat das Bild selbst vernichtet. Vgl. Reuther 1984, Anm. 30. 94 Vgl. Urban 1987, Abb. 101. 95 Vgl. ebd., Abb. 100. 96 Vgl. Reuther 1984, Anm. 30. Die ersten Ölgemälde, die das Motiv »Düne« beinhalten, entstanden auf Basis von – während des Lildstrandaufenthalts – angefertigten Zeichnungen. Das Werk »Dünen« (vgl. Urban 1987, Abb. 90) basiert auf drei Zeichnungen, die unter anderen
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Abb. B6.5: Emil Nolde, Später Abend am Meer, 1902, Öl, 64 x 83,5 cm, Nolde Stiftung Seebüll
Letztgenanntes Bild wurde von Nolde übermalt, jedoch später rekonstruiert.97 Dadurch hat das wiedererstellte Bild eine schlechte Qualität. Es ist insofern für diese Studie von Bedeutung, da es sich um eine der wenigen Landschaftsdarstellungen handelt, die während des Aufenthalts in Lildstrand entstanden sind und in denen das Meer nicht als Bühne fungiert, sondern im Zusammenspiel mit Strand und Himmel dargestellt ist.
Abb. B6.6: Emil Nolde, Begegnung, Lildstrand, 1901/02, Bleistiftzeichnung, 13,1 x 16,5 cm, Nolde Stiftung Seebüll
In den meisten dieser Werke hat die Nordsee nur periphere Bedeutung wie in der 1901/02 entstandenen Bleistiftzeichnung »Begegnung, Lildstrand«98 (Abb. B6.6), die den Strand als Bühne für das Zusammentreffen fantastisch anmutender einen Weg hinauf in die Dünen zeigen. Häuser befinden sich auf diesen. Vgl. ebd., S. 107. Allgemein hat Nolde das Motiv »Düne« eher selten umgesetzt. Exemplarisch sei auf die im Jahr 1935 entstandenen Werke »Dünen« und »Dünenlandschaft« verwiesen (vgl. Urban 1990, Abb. 1150, 1151). 97 Es befindet sich auf der Rückseite der Leinwand des Werkes »Junge Liebe«. Vgl. Urban 1987, Abb. 100. 98 Vgl. Kat. Bielefeld 2008, S. 117.
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Gestalten zeigt. Ein ähnliches Bildthema griff er nahezu 19 Jahre später wieder in dem Bild »Begegnung am Strand«99 (B6.7, Farbabbildung) auf. Das Bild entstand auf Sylt, wo er sich aufgrund seiner Arbeit an seiner Autobiografie mit dem Aufenthalt in Lildstrand befasste. Es sind zwei Gestalten mit fantastischem Aussehen dargestellt. Der Wind reißt an ihren Gewändern. Hinter ihnen erstreckt sich das aufgewühlte, dunkle Meer.100 Während des isolierten Aufenthalts (Lildstrand) vermischten sich Fantasie mit real Wahrgenommenem.101 Im Jahre 1901 entstanden jedoch ebenso naturalistischere maritime Werke, die möglicherweise von Lildstrand inspiriert waren wie die Ölgemälde »Milde Stimmung am Meer«102, »Lichte Meeresstimmung«103 (Abb. B6.8) und »Meeresstimmung«104 (Abb. B6.9).
Abb. B6.8: Emil Nolde, Lichte Meeresstimmung, 1901, Öl, 65 x 83 cm, Nolde Stiftung Seebüll
Im Werk »Lichte Meeresstimmung« (Abb. B6.8) dominieren helle Blautöne. Ein Lichtbereich am Himmel wird im Meer reflektiert. Eine friedliche Stimmung wird evoziert. Die Weite und die Leere stehen im Fokus.
99 Vgl. Urban 1987, Abb. 918. 100 Diese Thematik findet sich auch in dem Jahre 1904 entstandenen Bild »Begegnung I«. Vgl. Urban 1987, Abb. 134. Vgl. Reuther 2008, S. 48. Im Jahr 1915 schuf Nolde ein weiteres Werk mit dem Titel »Begegnung II« (vgl. Urban 1990, Abb. 702). Motivisch liegen jedoch starke Änderungen vor. Ebenso weist das titelgleiche Bild »Begegnung II« (vgl. ebd., Abb. 1237) starke Abweichungen von dem ersten Werk auf. 101 Auch andere Einflüsse sind festzustellen. So kann das Motiv »Räuber«, das er häufig in Lildstrand zeichnete und malte, mit Kindheitsgeschichten in Verbindung gebracht werden. Vgl. Kat. Karlsruhe 2002, S. 70. Er griff diese Motivik auch nach dem Aufenthalt auf. Vgl. Nolde 1965, S. 150. Weitere Ausführungen zum Motiv »Räuber« vgl. Reuther 1984, S. 139– 142. Beispielsweise sei auf das ein Jahr später entstandene Werk »Räuber« (vgl. Urban 1987, Abb. 101) verwiesen, das auf Basis der in Lildstrand gefertigten Zeichnung entstand. Vgl. ebd., S. 119. Die Zeichnungen zum Motiv »Räuber« vgl. Nolde 1949, 273f. 102 Vgl. Urban 1987, Abb. 83. 103 Vgl. ebd., Abb. 84. 104 Vgl. ebd., Abb. 85.
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Abb. B6.9: Emil Nolde, Meeresstimmung, 1901, Öl, 65 x 83 cm, Nolde Stiftung Seebüll
Das im selben Jahr entstandene Werk »Meeresstimmung« (Abb. B6.9) wird durch einen Hell-Dunkel-Kontrast beherrscht und besitzt dagegen eine eher dramatische Bildwirkung. Der helle weiß-gelbe Bereich in der Mitte steht im Gegensatz zu den dunklen Flächen, die das Bild im unteren und oberen Bereich rahmen. Die dunkle Wolkenfront im oberen Bereich verleiht dem Bild eine leicht bedrohliche Komponente. Diese früh entstandenen Arbeiten zeigen bereits eine große Spannbreite von Stimmungen am Meer auf. Den Aufenthalt in Lildstrand brach Nolde allerdings ab, weil er »die Vereinsamung oben allein an der Nordsee« nicht mehr ertrug.105 Der Künstler verließ das dänische Fischerdorf, um zu Ada nach Kopenhagen zurückzufahren: »In Lildstrand abschiednehmend ich winkte dem großen Meere zu: Auf Wiedersehen! Als dann in Aalborg der rote monatealte Vollbart fallen sollte, ich saß mit pochendem Herzen, denn ich mußte ein menschliches Aussehen erhalten, so gut, als nur es möglich war. Das Meer war stürmisch und wild, der schlaflose Maler stand im Morgengrauen verschlossen und fahl auf Deck, nur vorwärtsstarrend, bis dann die Landungsbrücke Kopenhagens mit den Menschen sichtbar wurde.«106
Obwohl der Aufenthalt in Lildstrand ihn zu wenigen maritimen Darstellungen inspirierte, war er für seine künstlerische Entwicklung bedeutend. In dieser einsamen Zeit am Meer erlebte er als junger Künstler Zustände des inneren Rausches, der Leidenschaft aber auch der tiefen Unzufriedenheit bezüglich seines Schaffens sowie niederdrückende Einsamkeit. Nachdem Nolde 1901 aus Lildstrand zurückgekehrt war, suchte er Ada Vilstrup auf, mit der sich eine Liebesbeziehung entwickelte. Sie heirateten und beschlossen, an der Ostseeküste zu leben. Im Jahre 1903 zog das Paar auf die Halbinsel Alsen bei Flensburg und lebte dort mit Unterbrechungen ungefähr vierzehn Jahre. Die Wintermonate verbrachte es in der Zweitwohnung in Berlin.107 105 Vgl. Nolde 1949, S. 286f. 106 Vgl ebd., S. 287. 107 Vgl. Nolde 1965, S. 147. Als er im Winter 1902 in Berlin weilte, verspürte er jedoch tiefe Sehnsucht zurück ans Meer zu kehren. Er fühlte sich angesichts der Anonymität in der Millionenstadt »so einsam, wie nie zuvor«. Vgl. Sauerlandt (Hg.) 1967, S. 38. »Nun gehe ich
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Der Künstler vergaß seinen Lildstrandaufenthalt aber nicht. Im Jahre 1921 kehrte er auf einer Dänemarkreise in den Küstenort zurück.108 Während sich die Landschaft kaum verändert hatte, machten ihm andere Faktoren den Lauf der Zeit bewusst.109 Zum Beispiel hatten die jungen Mädchen von einst bereits selbst Kinder.110 Die Dänemarkreise im Jahre 1921 unternahm das Ehepaar, um Ruhe zu finden und Abstand von ihrem Alltag und den Geschehnissen in ihrer Heimat zu bekommen. »Oben in Jütland reisten wir, Irrungen und Widrigkeiten vergessen suchend. Andere Landschaft, anderes Leben, andere Menschen mußten wir sehen und das Meer in seinem Tosen und in seinen stillen Stunden, im Seegras der Dünen wollten wir liegen.«111 Einige Aquarelle lassen sich wahrscheinlich diesem Aufenthalt zuordnen,112 beispielsweise die Darstellung von zwei nackten Badenden113, die Verbildlichung eines Ruderbootes im Wasser114 sowie eine Tuschezeichnung des wilden Meeres.115 Nolde machte bei seinen Aufenthalten in Lildstrand ästhetische Erfahrungen, die für seine Persönlichkeit und seine Kunst von Bedeutung waren. Ein weiteres
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wieder hier umher, alles ist mir zuwider. Diese Millionenstadt. […] – lasse mich fliehen, fort von hier, weit fort! […] Ich kann hier nicht sein, ich vertrage nicht diese schwülheiße Luft, sie stinkt, sie treibt massenhaft Unkraut hervor, so nirgends man mit Freuden sein kann.« Nolde zitiert nach Sauerlandt (Hg.) 1967, S. 38f. »Mich sehnt nach der Natur reinem Leben. Nach Sonnenschein, nach dem Westwind, der die Wellen gegen das Land peitscht. Gewitterwolken. Ich will, daß der [!] Gischt mir ins Gesicht fegt und durchnasse Kleider will ich haben, so sie triefen. Frost. Kälte, die beißt. Eiszapfen vom Bart über den Mund hinunterhängend.« Nolde zitiert nach Sauerlandt (Hg.) 1967, S. 38. Nolde wünschte sich die Konfrontation mit den Elementen am Meer, die ihn aus seiner depressiven Stimmung herausreißen könnten. Weiter schrieb er : »Ich bin so müde, so müde. Mich sehnt nach langem Gras und Dünensand, darin zu liegen, träumen, schlafe, – schlafen bis ich sterbe.« Nolde zitiert nach Sauerlandt (Hg.) 1967, S. 39. Die Tatsache, dass er die Weite und das Klima des Meeres dem Großstadtleben vorzog, zeigt sich beispielsweise ebenso in einem Brief aus dem Jahre 1926. Vgl. ebd., S. 178. Den vergangenen Winter haben Ada und Emil Nolde in Berlin verbracht. Wieder zurück in Utenwarf schreibt Nolde: »Die großen weißen Wolken stehen hoch, fast still am Himmel, der Mensch atmet und gesundet besser hier als während den wirren dunklen Wintermonaten in der Großstadt.« Nolde zitiert nach Sauerlandt (Hg.) 1967, S. 178. »Es zog uns nun auch nach meinem Lildstrand von einst hinauf, wo damals ich so einsam wohnend saß und malte, bis es dann nicht mehr ging, bis ich dann nach Kopenhagen hinübereilte, wo meine Liebste, Liebste war.« Nolde 1967, S. 39. Vgl. Nolde 1967, S. 39. Vgl. ebd., S. 39. Der Künstler erkannte zudem am Strand die technischen Erneuerungen in der Seefahrt. »Am Strande lagen auch noch Boote wie einst, sie aber waren inzwischen doppelt so groß geworden und fuhren mit Motoren.« Nolde 1967, S. 39. Ebd., S. 39. Diese Zuordnung wurde durch Herrn Manfred Reuther vorgenommen. Das Aquarell trägt die Bezeichnung A.Me.5, Nolde-Stiftung, Seebüll. Das Aquarell trägt die Bezeichnung A.Me.6, Nolde-Stiftung, Seebüll. Das Aquarell trägt die Bezeichnung A.Me.4, Nolde-Stiftung, Seebüll.
Eine Sturmfahrt im Kattegat – Wellenmotivik in Noldes Werk
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intensives Meereserlebnis, das ihn nachhaltig beeindruckte, war eine Sturmfahrt im Kattegat 1910.116
Eine Sturmfahrt im Kattegat – Wellenmotivik in Noldes Werk Obwohl das Kattegat kein Teil der Nordsee, sondern vielmehr eine Verbindung zwischen Nord- und Ostsee ist,117 wird im Folgenden darauf Bezug genommen, da dieses Erlebnis Noldes Meeresimpressionen intensiv prägte: »Ein kleiner Fischdampfer nahm uns mit nach dem mitten im Kattegatt liegenden Anholt, eine magere, bedeutungslose Insel. […] Bei der Rückfahrt war das Wasser wild, unser Schiff nur klein. Meine Ada stand seekrank und festgebunden am Mast auf Deck: ›Wie ist das Meer so schön‹, sagte sie. ›Wie ist es mächtig und herrlich!‹ rief sie und war so krank, und weinend schwärmend. Ich stand nebenzu, krampfhaft am Geländer der Treppe mich festhaltend, schauend und staunend, mit dem Schiff und den Wellen auf und nieder schwankend.«118
Weiter führt er an: »Dieser Tag ist mir in einer so starken Erinnerung geblieben, daß jahrelang nachher ich darnach meine Meerbilder malte, die Bilder mit wogenden, wilden grünen Wellen und an der oberen Kante nur ein klein wenig gelblichen Himmels. Falls eine Sturzsee mich über Bord gespült und ich im Element zwischen Leben und Tod hätte kämpfen müssen, – ob ich wohl dann das Meer noch mächtiger würde malen können? Wieweit ist das Erkennen und Erleben dem Künstler für sein Schaffen Bedingung?«119
116 Nolde 1967a, S. 98f. 117 Die Verbindung zur offenen Nordsee erfolgt über das Skagerrak und den Limfjord, die Ostsee ist durch den Öresund, den Großen Belt und den Kleinen Belt mit dem Kattegat verbunden. 118 Kat. Bremen/Berlin 2007, S. 1. 119 Nolde 1967a, S. 98. Die Assoziation von dem von Ruskin überlieferten Erlebnis von William Turner drängt sich auf: Das zu Turners Zeit verspottete und ungenügend gewürdigte Werk »Snow-Storm – Steam-Boat off a Harbour’s Mouth making signals in Shallow Water, and going by the Lead. The Author was in this Storm in the Night the Ariel left Harwich«, ausgestellt in der Royal Academy 1842, (Öl auf Leinwand, 91,5 V 122 cm, London, Tate Gallery) beruhte angeblich auf einer wahren Begebenheit. Turner befand sich an Bord eines Schiffes, als dieses in einen Sturm geriet. Er wies die Matrosen an, ihn an den Mast zu binden, damit er das Geschehen unmittelbar erleben konnte. Vier Stunden war er dort angebunden und glaubte nicht mehr mit dem Leben davonzukommen. Im Nachhinein fühlte er sich verpflichtet, dieses Erlebnis zu verbildlichen. Vgl. Feist 1996, S. 22. Sprotte gibt zu bedenken, dass Nolde möglicherweise – in Kenntnis von Turners Erlebnis – dieses nachempfinden wollte. Dies ist jedoch nicht eindeutig zu klären. Vgl. Sprotte 1999, S. 59.
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Abb. B6.10: Emil Nolde, Das Meer III, 1913, Öl, 87 x 100 cm, Nolde Stiftung Seebüll
Das Motiv einer hohen Woge in der aufgewühlten See griff Nolde zeitlebens auf120 wie im Werk »Das Meer III« (Abb. B6.10). Ein grünlicher Himmel erstreckt sich über dem dunkelblauen aufgewühlten Meer.121
Abb. B6.11: Emil Nolde, Hohe Sturzwelle, 1948, Öl,70 x 56 cm, Nolde Stiftung Seebüll
Abb. B6.12: Emil Nolde, A.Me.16, o.D., Aquarell, 33,6 x 45,4 cm, Nolde Stiftung Seebüll
120 In den Werken »Das Meer IV« (vgl. Urban 1987, Abb. 559), »Hohe See« (vgl. Urban 1990, Abb. 1200) und »Kleines Meerbild« (vgl. ebd., Abb. 1202) verbildlichte Nolde beispielsweise ebenfalls das aufgewühlte Meer. 121 Für eine detaillierte Farbanalyse vgl. Sprotte 1999, S. 64.
Eine Sturmfahrt im Kattegat – Wellenmotivik in Noldes Werk
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Weiterhin sei noch auf die später entstandenen Bilder »Hohe Sturzwelle«122 (Abb. B6.11) und »Hohe Wogen«123 (Abb. B6.13) verwiesen. Das Werk »Hohe Sturzwelle«, das 1948 entstand, hat eine hohe, sich brechende Woge zum Hauptmotiv. Die überwiegend blauen Farbtöne des Meeres werden im Himmel wieder aufgegriffen. Ein Streifen Gelb durchzieht den Himmel und findet sich in spärlichen Reflexionen im Wasser wieder. Die nahezu statisch wirkende Woge macht die Gewalt des Meeres deutlich. Dieses Bild geht auf eine Aquarellstudie (Abb. B6.12) zurück, in der bereits die wesentliche Motivik angelegt ist.
Abb. B6.13: Emil Nolde, Hohe Wogen, 1939, Öl, 68 x 88 cm, Nolde Stiftung Seebüll
Im letztgenannten Werk »Hohe Wogen« ist eine hoch aufgetürmte Welle unter einem in Braun und Gelb gehaltenen Sturmhimmel visualisiert. Den Großteil des Bildes nimmt das Wasser ein. Durch die dunklen Farben geht eine bedrohliche Wirkung vom Bild aus. Wiederum steht die Gewalt des Meeres im Mittelpunkt. Inwieweit sich in den angeführten Werken noch die Erlebnisse der stürmischen Überfahrt im Kattegat spiegeln, ist allerdings fraglich. Die in den 1910er Jahren entstandenen Meeresbilder können zwar durchaus dadurch inspiriert sowie durch Sturmerfahrungen an der Ostsee124 geprägt sein. Die späteren Bilder lassen sich jedoch auch in Bezug zu Erlebnissen an der aufgewühlten Nordsee setzen wie eine Meeresserie belegt, die auf Basis des Syltaufenthalts im Jahre 1930 entstand.125 Die Werke in seinem Spätwerk sind wahrscheinlich nur noch minimal von der Sturmfahrt im Kattegat inspiriert, obwohl dies sicherlich ein tiefgreifendes Erlebnis für den Künstler darstellte.126 Weiterhin kann der politische Kontext und die individuelle Künstlersituation 122 Vgl. Urban 1990, Abb. 1317. 123 Vgl. ebd., Abb. 1201. 124 Dies belegt auch die Serie der »Herbstmeerbilder«, die in den Jahren 1910–12 auf der Ostseeinsel Alsen entstand. 125 Weitere Ausführungen vgl. Kapitel »Aufenthalt auf Sylt«. 126 Vgl. exemplarisch »Brecher« (vgl. Urban 1990, Abb. 1162), »Brandung« (vgl. ebd. 1178), »Bewegtes Meer« (vgl. ebd., Abb. 1318).
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eine Rolle spielen: Nolde schuf in den 30er Jahren stürmische Seebilder. Für ihn war es eine bewegte Zeit. Nolde selber verglich 1938 die nationalsozialistische Zeit, in der er Diffamierungen erlitt, jedoch weiterhin auf Anerkennung hoffte, mit »Wellen«, wie beispielsweise in diesem Zitat – in dem sich auch antidemokratische Tendenzen herauslesen lassen – ersichtlich ist: »Es sind dies Wellen, die sich überstürzend brechen. Die Zeit ist bewegt. Manches kommt uns so überraschend, weil doch wir so ganz zu der neuzeitlichen Bewegung stehen und ich habe den Glauben, daß die liberale, demokratische Regierungsform bald nicht mehr zeitgemäss sein wird.«127 Nolde wandte die Begrifflichkeit der »brechenden Wellen« in dem Typoskript der »Gedanken« aus dem Zeitraum 1928 und 1936 metaphorisch im Kontext des Krieges an: »Es ist bequem und leichtfertig zu sagen: Wir wollen keinen Völkerstreit und keinen Rassenhass, wir wollen keine Revolutionen und keinen Krieg! – Die Menschheit ist eine wogende Masse, wo Wellen sich treffen und brechen brandet Getöse und wenn eine Woge über ungeschützten Boden hinrollt, gibt es Tod und Vernichtung.«128 Ob Nolde seine Wellenbilder mit solchen (kritisch zu beurteilenden) Vorstellungen belegte, ist fraglich,129 da er sich im Kontext des Syltaufenthaltes konkret mit dem Meer befasste und auch spätere Bilder noch auf Basis der dort entstandenen Aquarelle sowie inspiriert durch Erinnerungen an ästhetische Erlebnisse mit dem Meer entstanden. Auch flossen ebenfalls übergeordnete Vorstellungen und seine Farbästhetik mit ein. Zudem zieht sich dieses Motiv durch sein Werk, da er auch schon zuvor düstere Sturmszenen schuf.130 Bei einigen Werken sind konkrete Verortungen möglich, doch Nolde ging es primär um die Verbildlichung von Stimmungen im Kontext seiner gefühlsbetonten Farbästhetik. Ob das Dargestellte nun die Ostsee, Nordsee oder gar ein tropisches Meer zeigt, schien für den Künstler zweitrangig zu sein. Um die Farben eindrucksvoll zu visualisieren, verwendete er häufig die Aquarellmalerei. Aufgrund der ineinanderfließenden Farben bot diese Technik eine Ausdrucksmöglichkeit, die sich zur Vermittlung von Stimmungen gut eignete. Mit der lasierenden Aquarelltechnik konnten Wasser und Wolken eindrucksvoll verbildlicht werden wie das undatierte Aquarell A.Me.14 (Abb. B6.14) zeigt. Über dem Meer erhebt sich ein dramatisches Himmelsschauspiel. Dunkles Blau dominiert das Werk, davon setzt sich im oberen rechten Bildrand eine leuchtend gelbe Fläche ab, die zum Horizont und linken Bildrand hin in eine rote übergeht. 127 Zitiert nach Fulda, Ring, Soika u. a. (Hg.) 2019b, S. 102. 128 Zitiert nach Fulda, Bernhard: Noldes Antisemitismus, in: Fulda, Ring, Soika u. a. (Hg.) 2019a, S. 111ff. 129 Dies kann aber aufgrund mangelnder Selbstaussagen des Künstlers (laut aktuellem Forschungsstand) nicht eindeutig festgestellt werden. 130 Dies belegt seine auf Alsen entstandene Serie der Sturmbilder.
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Abb. B6.14: Emil Nolde, A.Me.14, o. D., Aquarell, Nolde Stiftung Seebüll
Die Weise, wie Nolde flächenhaft Farbtöne einsetzte, die an den Rändern mit der umliegenden Farbe verlaufen, übertrug er in die Ölmalerei, wie es in Ansätzen im Werk »Hohe Sturzwelle«131 (Abb. B6.11) der Fall ist.132 In den frühen Meeresdarstellungen, wie in der Serie der »Herbstmeer«-Bilder, verwendete er dagegen noch pastose Spachteltechnik. Der Wandel von der »kleinteiligen« zur großflächigen Malerei vollzog sich erst nach Entstehung dieser Serie über einen gewissen Zeitraum.133 Die maritimen Werke ziehen sich wie ein roter Faden durch das Werk Noldes. Im Folgenden wird nur auf biografische Stationen und exemplarische Meeresdarstellungen verwiesen, die der Nordsee und dem Wattenmeer zuzuordnen sind.
Rückkehr in die Nordseeküstenregion nach Utenwarf Die Alsener Zeit an der Ostseeküste trug positiv zur künstlerischen Entwicklung Noldes bei.134 Die anfänglichen Jahre im Ersten Weltkrieg verbrachte Nolde mit seiner Frau auf der Halbinsel. Der Künstler meldete sich nicht zum Kriegsdienst. Er nahm den Krieg nur durch Beobachtung der auf dem Meer vorbeiziehenden Kriegsschiffe und allgemeiner Berichte wahr.135 1912 bewarb er sich erfolglos 131 Vgl. Urban 1990, Abb. 1317. 132 Die Farben im Himmel sind flächenhaft aufgetragen und an den Rändern sind Übergänge zu den anderen Tönen geschaffen. 133 Im Bild »Das Meer III« (vgl. Urban 1987, Abb. 588) ist dieser Wandel zur flächigeren Malweise belegbar. Vgl. ebenso Sprotte 1999, S. 64. Detaillierte Ausführungen zur Entwicklung von Noldes Bildsprache vgl. Reuther 2002. 134 Er zog rückblickend folgendes Fazit: »Im Großen gesehen hatten sich während der Alsener Zeit die schwersten technischen und künstlerischen Spannungen gelöst, und auch die schwerste materielle Bedrängnis schien überwunden.« Nolde 1965, S. 149. 135 So schrieb Nolde in einem Brief im Jahr 1915 folgendes: »Einstweilen geht noch der schwere Krieg und wir leben still hier oben auf unserer Insel. Wir schauen übers Meer hinaus, aber
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beim Reichsmarineamt um eine Fahrt auf einem Kriegsmarineschiff, um Marinebilder anzufertigen.136 Doch stellte der Erste Weltkrieg – mit Ausnahme weniger Werke wie das bereits im Jahr 1910 geschaffene Bild »Kriegsschiffe«137 – kein bedeutendes Motiv in seinem Werk dar.138 Obwohl Nolde die Halbinsel Alsen mochte, zog es ihn zurück in seine nordfriesische Heimat.139 Bereits im Jahre 1912 kaufte er ein Haus auf Utenwarf.140 Ein Faktor, der Nolde 1916 zum Verlassen der Insel bewegte, lag im zunehmenden Tourismus an der Ostseeküste.141 Der wesentliche Grund lag jedoch in der Beschaffenheit der Landschaft:142
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kein Dampfer kommt und auch nicht die vielen kleinen Segler, nur manchmal geht schnell ein Kreuzer oder Schlachtschiff vorbei.« Nolde zitiert nach Sauerlandt (Hg.) 1967, S. 118. Vgl. Krämer 2014, S. 91. Vgl. Urban 1987, Abb. 386. Dieses Bild unterscheidet sich stark von den detaillierten Kriegsmarinedarstellungen der wilhelminischen Maler. Jedoch verschloss sich Nolde nicht vor der zu Beginn des Ersten Weltkrieges vorherrschenden Kriegseuphorie und Zuversicht auf einen Sieg. »Den großen Ereignissen im Felde in West und Ost folgen wir mit großer Spannung, und jubeln, wenn die herrlichen Siege gemeldet werden.« Nolde zitiert nach Sauerlandt (Hg.) 1967, S. 118. Da der Erste Weltkrieg in seinen maritimen von der Nordsee inspirierten Werken keinen Niederschlag fand, wird im Folgenden auf diesen nicht weiter eingegangen. Als sie noch auf der Ostseeinsel lebten, besuchten Emil Nolde seine Verwandte an der Nordseeküste auf der Suche nach einem geeigneten Haus für sich und Ada. Vgl. Nolde 1965, S. 9. »Jenseits der Wiedau sahen wir [Emil Nolde und sein Schwager Lornz] das kleine Haus vor dem alten Deich liegen mit seinen drei hohen Obstbäumen und rings um sie herum die vielen Holunderbüsche. ›Dort könnte ich mir denken zu wohnen‹ sagte ich [Emil Nolde].« Nolde 1965, S. 9. Nolde erstand das Haus. Glücklich berichtete er Ada von dem Kauf. »Nun hatten wir drüben ein Haus, meine Ada und ich, wo wir gern wohnen wollten. Wir lebten und schwärmten in diesem Glück.« Ebd., S. 9. Sie reisten nun häufiger an die Nordseeküste, gingen dort spazieren und bewunderten die umliegenden großen Bauernhöfe. Vgl. ebd., S. 9f. Ebd., S. 158. »Hier war der Sommer bisher warm und arbeitsreich, ich male uns wieder arm. […] Leider ist es nicht mehr ganz so ruhig hier, wie in früheren Jahren, das Badeleben nimmt zu. Anscheinend weil wir es schön finden, fahren und pilgern so viele zum Meere hinunter.« Brief Emil Noldes an Hans Fehr von Guderup a/Alsen, 31. 7. 1912. Archiv Nolde-Stiftung Seebüll. Der Künstler Nolde sah sich und seine Arbeit als ein Grund, dass Alsen zunehmend für den Tourismus entdeckt wurde. »Eine seltsame, allgemeine Änderung war während unserem Alsener Aufenthalt geschehen und wohl durch uns veranlaßt. Kein Mensch ging ehedem in den Wald oder an das Meer, und nun war es dort so lebhaft geworden mit Spaziergängern, Badenden, freie Luft und Schönheit suchenden Menschen, daß meine Arbeitsruhe und das Idyllische der Einsamkeit verschwunden waren.« Nolde 1965, S. 148. Möglicherweise war sein Künstlerdasein an der Küste ein attraktives Ziel für Besucher, jedoch war die zunehmende touristische Erschließung der Küsten einem allgemeinen Trend geschuldet. Nolde griff in Alsen ebenfalls das Badewesen motivisch auf. Im Jahr 1912 finden sich erste Motive von Badegästen in seinem Werk. Im Ölgemälde »Mädchen am Meer« (vgl. Urban 1987, Abb. 534) ist im Vordergrund ein nacktes Mädchen dargestellt, das Meerespflanzen in beiden Händen und über einen Arm hängend hält. Sie steht vor der aufgewühlten See. Obwohl Nolde verstärkt figürliche Motive verbildlichte, gehört die Darstellung von Ba-
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»Alsen ist sehr schön, uns nur war des Milden, des Lieblichen und Idyllischen zu viel. Ich hatte oft Kopfschmerzen. Mich sehnte nach hoher, freier Luft, nach herber, starker Schönheit, so wie die Westküste mit ihrer weiten Himmelsspannung und den Wolken über Marschland und Wasser besonders in der rauhen Jahreszeiten sie so verschwenderisch gibt.«143
Er fühlte eine enge Verbundenheit mit der eher kargen Nordseeregion: »Es gibt Menschen, welche absolut nicht verstehen können, daß wir, die es wohl auch anders haben könnten, in dieser flachen, ›langweiligen‹ Gegend wohnen mochten, wo es keinen Wald gibt und keine Hügel oder Berge, und wo nicht einmal an den Ufern der kleinen Wasser Bäume sind. So denken wohl alle üblichen, schnell durchfahrenden Reisenden. – Unsere Landschaft ist bescheiden, allem Berauschenden, Üppigen fern, das wissen wir, aber sie gibt dem intimen Beobachter für seine Liebe zu ihr unendlich viel an stiller, inniger Schönheit, an herber Größe und auch an stürmisch wildem Leben.«144
In Utenwarf führten Emil und Ada Nolde ein ruhiges und zurückgezogenes Leben.145 Sie schätzten die landschaftlichen Eigenheiten der Nordseenähe, die im
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denden nicht zu einem seiner Hauptthemen. Im Jahr 1922 malte er das Werk »Badendes Kind«. Vgl. Urban 1990, Abb. 967. Doch verstärkt setzte sich der Künstler erst während seines Syltaufenthalts mit dem Thema »Badegäste« auseinander. »Mich sehnte nach der schleswigschen Westküste, wo das Land flach ist, wo die Wolken hoch und die kleinen Seen sind.« Nolde 1965, S. 9. Ebd., S. 147. Nolde 1967, S. 9. »Wir lebten sonst immer während der Sommermonate still und bescheiden auf unserem kleinen Utenwarf. Ich schaffend in meiner Kunst, unaufhörlich.« Nolde 1965, S. 156. Dieses abgeschiedene Künstlerdasein weckte auf der einen Seite Interesse. So berichtete Emil Nolde von den vielen Verwandten, die sie häufig besuchen wollten: »ich wußte nicht recht, was sie wollten, denn für meine Kunst hatten sie nur halbwegs tieferen, besonderen Sinn. Es war wohl die Romantik unseres Daseins, das anders war als das alltägliche Leben im wirtschaftlichen Getriebe mit seiner Arbeit und seinem Streben.« Nolde 1965, S. 161. Jedoch lehnte Nolde mit Rücksichtnahme auf seine Arbeit die Besuche ab. Er wollte – insbesondere im Sommer – ungestört malen können. Dies stieß zum Teil auf Unverständnis. Kinder hatte das Ehepaar aber häufiger zu Gast. Vgl. Nolde 1965, S. 161f. Möglicherweise aus dem Grund, dass sie selbst keine besaßen. Mit den Knechten und Mägden lebten sie kameradschaftlich zusammen. Vgl. ebd., S. 170. Ada und Emil Nolde hatten eine freundliche Beziehung zu den Bauern, die in der Gegend lebten. Jedoch bestand ebenso eine Distanz zwischen ihnen. Die Bauern hatten nur »wenig Sinn für unser seltsames Künstlerdasein«, dennoch waren sie »zuvorkommend, hilfsbereit«. Dagegen brachten Ada und Emil allerdings wenig Interesse für ihre wirtschaftlichen Belange und ihre »Gespräche über Vieh und Pferde, Märkte und üblichen Tagesgeschehnisse« auf. Vgl. Nolde 1965, S. 157. Der Künstler war jedoch nicht überheblich und so fanden die »einfachen Menschen« zu seiner Kunst. Vgl. ebd., S. 170. »Meine Kunst, mit mir aus dem Volke entstanden, hatte immer, wo wir waren, die rührendsten Begegnungen mit den einfachen Menschen unserer Umgebung […].« Ebd., S. 171. Allerdings stellte Nolde einen Unterschied zwischen seinen bäuerlichen Nachbarn auf Alsen und den Großbauern an der Nordseeküste fest: »Unsere Alsener Kätnernachbarn stellten jeweils ihre Milcheimer am Feldweg hin, um das ›neue‹ Bild zu sehen, und schauten es lange an. Nur mit den Großbauern war es öfters schwierig. Kunst – sich mit Kunst beschäftigen, sei abwegig und ebenso wie das Hantieren mit Fischgeräten und das
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Herbst und Winter allerdings auch häufig Überschwemmungen mit sich brachten.
a)
Überschwemmungen und Sturmfluten »Während der Sommermonate war alles blumig und friedlich, im Herbst aber trieben die Stürme das Meer über die Grasflächen, peitschend die Wellen gegen die Warften, ja selbst zuweilen, die Mauern durchschlagend, in die Häuser hinein. So stand der Hof dann nur noch auf seinen tief eingerammten Pfählen, und die Bewohner, auf dem Heuboden oben sitzend, erwarteten das Fallen der Flut. Schafe und Rinder ertranken oft, viele Tausende.«146
Die Noldes erlebten den typischen Charakter der Nordseeküste, die den Gezeiten und Sturmfluten ausgesetzt ist. Das Land um ihren Hof war regelmäßig im Herbst und Winter überschwemmt. Die Warft schützte das Haus vor dem steigenden Wasser.147 Obwohl Nolde um die Gewalt des Meeres und deren Zerstörungspotential wusste, nahm er auch die ästhetischen Reize der überfluteten Landschaft wahr.148 So führt er an, dass diese ihm trotz wirtschaftlicher Nachteile »als Maler und als Künstlermenschen […] eine besondere Schönheit und Freude« war.149 »Es war herrlich, wenn um uns in meilenweiter Sicht alles nur Wasser war, wenn der hohe Himmel sich spiegelte, oder wenn in der Nacht der Mond mit seinem kalten Glanz ein Silbermärchenland bildete. Wir hatten es auch gern, wenn der Weg vom alten Deich bis zu uns hinüber mit Reisern abgesteckt war, und wenn unser Pferd so hoch, wie seine Beine waren, durch das Wasser den Wagen ziehen mußte. Und schön war es, wenn der Wind in langen Streifen die Wellen peitschte, oder die farbigen Morgen- und Abendwolken sich in der Wasserfläche verdoppelten. Viel Romantik und viel Ungemach, aber die Schönheit vermochte alles andere zu ersetzen.«150
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Fischen, unter ihrer Würde. Nur die Jagd ließen sie gelten. Unsere Zurückhaltung konnten sie nicht verstehen, sie waren der Meinung, daß zum Künstlerdasein auch Orgien irgendwie und Künstlerfeste gehören.« Nolde 1965, S. 172. Vgl. ebd., S. 160. In einem Brief vom 28. Oktober 1921 beschreibt Nolde diesem beschützenden Charakter : »Heute ist hier ein dunkler Herbstregentag. Das Wasser vor den Fenstern und auf den Wiesen steigt. Bald haben wir vielleicht hohes Winterwasser und das Haus liegt auf seiner Warft als kleine Insel.« Nolde zitiert nach Sauerlandt (Hg.) 1967, S. 157. Nolde beschreibt wie sein Schwager, der als Bauer eine andere Sehweise auf die Landschaft, die sein Arbeitsraum war, eines Morgens die Schönheit um Utenwarf wahrnahm. »Es war ihm verständlich, daß wir unser Utenwarf liebten, und er sah es an diesem Morgen ganz klar, daß es im Leben auch andere und höhere Werte gibt als die alltäglichen wirtschaftlichen des Erwerbs und der Ernährung.« Nolde 1965, S. 158. Möglicherweise hat Nolde ihm diesen Blick auf die Schönheit der amphibischen Landschaft eröffnet. Nolde 1965, S. 158. Ebd., S. 158.
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Abb. B6.15: Emil Nolde, Überschwemmte Marsch, 1910, Öl, 44 x 58 cm, Nolde Stiftung Seebüll
Bereits im Jahre 1910 verbildlichte er die überschwemmte Marsch (Abb. B6.15).151 Die lila-blauen Farben spiegeln sich im Wasser, das den Großteil des Bildes einnimmt. Im Vorder- und Hintergrund sind einzelne Schilfpartien zu sehen. Auch verbildlichte er die nächtliche Atmosphäre der mondbeschienenen Landschaft.152 So schuf er im Jahre 1927 das Werk »Mond über Marschland«153, das allerdings im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde.
Abb. B6.16: Emil Nolde, Überschwemmung (Verhangener Himmel), Aquarell, 34,8 x 48,1 cm, Nolde Stiftung Seebüll
151 Der Bildtitel lautet »Überschwemmte Marsch«, vgl. Urban 1987, Abb. 344. 152 Bereits im Jahr 1903 hat der Künstler ein Bild »Mondnacht« (vgl. Urban 1987, Abb. 129) gemalt, in dem aus erhöhter Betrachterperspektive eine mondbeschienene Landschaft dargestellt ist. Die im Hintergrund visualisierte Wasserfläche ist vom Mond erleuchtet. Inwieweit das Werk in Bezug zur Nordsee- oder Ostseeregion steht oder ob es sich um ein reines Fantasieprodukt handelt, kann nicht eindeutig geklärt werden. Nolde hielt sich im Entstehungsjahr in seiner ursprünglichen Heimat an der Westküste auf. Es ist durchaus denkbar, dass ihn die vom Mond beschienene Landschaft inspirierte. Die Briefe von Nolde vom 23.3.03 und 27.3.03, die er aus Ruttebüll an Ada sandte sowie die im Kontext dieser Reise entstandenen Bilder mit nordfriesischen Motiven belegen den Aufenthalt. Vgl. Urban 1987. S. 129f. 153 Vgl. Urban 1990, Abb. 1045. Dieses Werk wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört.
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Auch das undatierte Aquarell »Überschwemmung«154 (Abb. B6.16) bringt die besonderen Lichtstimmungen in der amphibischen Landschaft zum Ausdruck. Inspiriert durch deren Reflexionen setzte der Maler diese häufig in Stimmungsbildern um.155 Exemplarisch sei auf das Aquarell »Marschlandschaft im Abendlicht«156 (Abb. B6.17) verwiesen, in dem eine friedliche, goldene Abendstimmung visualisiert ist.
Abb. B6.17: Emil Nolde, Marschlandschaft im Abendlicht, Aquarell, 43,7 x 47,8 cm, Nolde Stiftung Seebüll
Abb. B6.17a: Emil Nolde, Marschlandschaft Nordfrieland, Aquarell, 35,7 x 46,9 cm, Nolde Stiftung Seebüll
Die nordfriesische Marschlandschaft ist ein wiederkehrendes Motiv in seinem Werk. Nolde hielt diese zu verschiedenen Jahres- und Tageszeiten fest.157 Wäh154 Vgl. Reuther (Hg.) 2008, Abb. 46. 155 »Wenn Gewölk und Sonnenstrahlen sich dem lebenden Bilde mit Reflexen und Spiegelungen hinzugesellten, dann war es wunderschön, und die Luft war voll vom Gepiepse und Geschwätze aller dieser Vögel.« Nolde 1965, S. 155. 156 Vgl. Kat. Bielefeld 2008, Abb. S. 55. 157 Exemplarisch sei auf weitere Werke verwiesen: Im Bild »Marschlandschaft im Winter« (vgl. Kat. Bielefeld 2008, S. 48) ist in weißen, lila, blau und braunen Farben eine verschneite Landschaft dargestellt. Auf einem vom Vordergrund des Bildes in die Tiefe des Bildes
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rend im Werk »Marschlandschaft im Abendlicht« ein goldenes Farbenschauspiel vorherrscht, so besitzt das Aquarell »Marschlandschaft Nordfriesland« (Abb. B6.17a) eher einen bedrohlichen Charakter. Eine mächtige, graue Wolkenfront hängt über dem Land. Die dunklen Farben werden von den Wasserflächen gespiegelt. Nur einige grüne Landbereiche durchbrechen die Wasserfläche. In der Ferne befindet sich ein Dorf oder eine Ansammlung von Gebäuden, im vorderen rechten Bildbereich ist ein Boot dargestellt, das sich im Wasser spiegelt. Selten band Nolde figürliche Darstellungen in diese weite, flache Landschaft mit dem großen Himmelsraum ein. Da die Aquarelle nicht datiert sind, können sie sowohl in der Zeit, die Nolde in Utenwarf verbrachte, als auch bei seinen Aufenthalten in Seebüll entstanden sein. Diese Bilder zeigen, dass er diese Landschaft immer wieder anders erlebte.
Abb. B6.18: Emil Nolde, Marschlandschaft (mit grauen Wolken), Aquarell, 35,1 x 47,2 cm, Nolde Stiftung Seebüll
Den weiten Himmel über dem flachen Land griff der Künstler wiederholt auf158 wie auch im Werk »Marschlandschaft (mit grauen Wolken)«159 (Abb. B6.18). Nur verlaufenden Weg zwischen zwei vereisten Wasserflächen kommt dem/der Betrachter/in eine kleine in orange-bräunlichen Farben dargestellte Figur entgegen. Aufgrund der recht hoch gesetzten Horizontlinie und der damit erzeugten Aufsicht fügt sich die dargestellte Person in die Landschaft ein. Am Horizont ragen vereinzelte Gebäude und eine Mühle in den Himmel. Die Einsamkeit dieser winterlichen Marschlandschaft wird deutlich. Gesteigert wird dies im Werk »Marschlandschaft im Winter« (vgl. ebd., S. 51). Der Charakter der eisigen Winteratmosphäre wird durch die lichten, überwiegend kalten Aquarellfarbtöne, die sanft ineinander übergehen, deutlich. Gebäude auf einer Warft sind in der Mitte und im Hintergrund dargestellt. Dies sind die einzigen Zeichen von Besiedlung in der menschenleeren, weiten Schneelandschaft. 158 Exemplarisch sei auf das Werk »Landschaft (Nordfriesland)« (vgl. Urban 1990, Abb. 920) verwiesen. Übermächtige Wolken hängen über dem kleinen und verlorenen wirkenden Gehöft. Ebenso ist in den Werken »Hülltoft Hof« (vgl. ebd., Abb. 1121), »glühender Abendhimmel« (vgl. ebd., Abb. 1259) und »Nachmittagswolken, Friesland (vgl. ebd., Abb. 1230) ein großer Himmelsraum verbildlicht. In vielen Aquarellen visualisierte er dramatische Himmelsszenarien über einem schmalen Streifen Land. Vgl. exemplarisch »Seebüll mit Wolkenhimmel« (Aquarell, 33,5 x 46,5 cm, Nolde Stiftung Seebüll, vgl. Kat.
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ein kleiner Streifen Land mit einigen Häusern ist im unteren Bildbereich dargestellt. Dahinter ist in blauer Farbe das Meer angedeutet. Allgemein besitzen Wattenmeer und Nordsee in diesen Werken aber nur untergeordnete Bedeutung, obwohl sich Nolde den Charakteristika dieser Gegend wie der zerstörerischen Gewalt von Sturmfluten durchaus bewusst war : »Ungezählte kleine Sturmfluten sind während dem Jahrtausend unseres geschichtlichen Wissens gewesen, und von dem Rasen der ganz großen Sturmfluten der Jahre 1362 und 1634, wo sehr viele Gehöfte und große Dörfer und viele Tausende von Menschen ertranken, berichteten Augenzeugen und authentische Chroniken.«160
Der Künstler wusste, dass in der Vergangenheit das Nordseeküstengebiet in bestimmten Bereichen eine Kulturlandschaft darstellte. So schrieb er : »Das ganze Gotteskooggebiet ist in der Tiefe voll Holz und mächtigem Pfahlwerk, zeugend von allem gewesenen Kampf gegen Meer, Sturmfluten und Deichbrüche.«161 Weiter berichtete Nolde von angeschwemmten Türen und reichgeschnitzten Altären untergegangener Kirchen, die an ihrem »neuen Platz Weihe spenden«.162 Auch Ertrunkene wurden gefunden: »Öfters sind Skelette Dutzender ertrunkener Menschen ausgegraben worden, so in Ruttebüll, hingelegt einer neben dem anderen, immer den Kopf des einen neben den Füßen des anderen.«163 Der Künstler war sogar bei zufälligen Funden zugegen: »Als mein Soldatenknecht ein Hecktor versetzte, stieß er in der Tiefe auf ein Boot von fremder Bauart. Es konnte nicht gehoben werden, doch über den Platz ging ich nachher, immer dessen gedenkend.«164 Mit Blick darauf betrachtete Nolde die Situation am Wattenmeer als eine Art Kampf zwischen Meer und Mensch um das Land und zog Rückschlüsse von den landschaftlichen und klimatischen Gegebenheiten auf das Wesen der Anwohner und deren Kultur.165 Diese Ausführungen können Assoziationen an die rassistische Blut- und Bodenideologie evozieren.
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Bielefeld 2008, S. 34), »Hof Seebüll« (Aquarell, 34 x 45,6 cm, Nolde Stiftung Seebüll, vgl. Kat. Bielefeld 2008, S. 47) und »Hülltoft Hof (Roter Himmel)« (Aquarell, 35 x 48,5 cm, Nolde Stiftung Seebüll, vgl. Kat. Bielefeld 2008, S. 43). Aquarell, 35,1 x 47,2 cm, Nolde Stiftung Seebüll. Nolde 1965, S. 160f. Ebd., S. 161. Vgl. ebd., S. 161. Ebd., S. 161. Ebd., S. 161. Nolde zeigt großes Interesse an der Kultur in der Nordseeregion. Beispielsweise schenkt er dem Baustil, der das Haus vor potentiellen Sturmfluten schützt, große Beachtung. Vgl. Nolde 1965, S. 9f.
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»Dieser andauernde Kampf mit dem Westmeer mag Aussehen und Charakter der Friesen beeinflußt haben; der zähe stählerne Wille, ihr tiefernstes Wesen, das verhaltene Schweigen ist dem südlicher geborenen Deutschen oft recht schwer verständlich.«166
In Bezug auf das Verhältnis zwischen Mensch und Meer sah er, dass noch viele Aufgaben in diesem Bereich zu bewältigen waren: »Viel gibt es zu tun im Friesenland für überschüssige Kraft, um das zurückzuholen, was einst das große Westmeer in einigen grausamen Sturmnächten dem Friesenvolk an Leben und Land entriß.«167 Dies zeigt, dass er ebenfalls kämpferisch konnotierte Metaphorik nutzte. Weiterhin verweist er auf den Deichbau, durch den sich das Verhältnis der Menschen zum Meer änderte und damit die kollektive Furcht vor verheerenden Sturmfluten abnahm: »Daß heute die Marschbewohner sich so ganz sicher fühlen, liegt wohl an den viel höheren, schützenden Deichen. Draußen grollt das Meer, man kennt seine Gewalt, doch fürchtet es nicht.«168 Obwohl er den Deichbau angesichts der ästhetischen Kriterien der amphibischen Landschaft kritisch betrachtete,169 war er mit dessen Technik vertraut und empfand sie als sinnvoll.170 Interessanterweise studierte er gerade während seines Alsenaufenthalts an der Ostsee die Wattgebiete der Nordsee auf einer Landkarte und stellte Überlegungen zum Einsatz von Deichen zur Landgewinnung an: »Über der Heimatkarte Schleswig-Holstein saß ich, Höhen und Tiefen des Wattenmeeres vergleichend studierend und Verbindungsdeiche nach und zwischen den Inseln hineinzeichnend, zur möglichst günstigen Landgewinnung. – Es werden hier nach und nach – zwanzig oder dreißig Jahre nachher – meine Deiche gebaut.«171
Der Künstler erlebte selber Deichbrüche, unter anderen den Reisbyer Deichbruch im Jahre 1923. Neunzehn Menschen starben, das Vieh der überschwemmten Region ertrank.172 Er berichtete von einem Nachbarn, der mit
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Vgl. ebd., S. 161. Nolde 1967a, S. 35. Vgl. Nolde 1965, S. 161. Nolde 1967a, S. 112f. »Die neuen Deiche werden heute mit allen technischen Hilfsmitteln hergestellt. Einst trug man auf Holzbarren die Erde hoch zu den Warften und den Deichen, bis dann das Rad erfunden wurde, so daß man den Barren hochschieben konnte. Die Schiebkarre war erfunden!« Nolde 1965, S. 161. Sein Bruder Hans kannte »alle Jahresdaten der gebauten Deiche und Schleusen aller Köge, ja alle geschichtlichen Geschehnisse der Jahrhunderte«. Vgl. Nolde 1965, S. 161. 171 Vgl. Nolde 1967a, S. 35. 172 Rückblickend berichtete er Folgendes: »Eines Mittags, es war am 30. August 1923, war bei mildem stillem Sonnenschein das Barometer so tief gefallen, daß wir ganz verwirrt wurden. Es verging noch eine Stunde schönster Idylle mit merkwürdiger Spannung, und dann kam plötzlich ein so rasender Sturm, daß alle Sparren krachten, er wirbelte den Strohdiemen am
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seinem Boot auf der Wiedau in Not geriet. Nolde und einige andere Menschen wollten ihm zu Hilfe kommen, waren aber machtlos. Ebenso beschrieb er den Überlebenskampf von Tieren – unter ihnen ein junger Bulle – die versuchten, aus dem Wasser auf ein notdürftig gezimmertes Floß mit Menschen zu klettern.173 Nachdem das Schlimmste überstanden war, fuhr Nolde zum Ort des Geschehens, um den Deichbruch und seine Auswirkungen zu begutachten: »Unsere Fahrt ging sogleich zum Deichbruch, die verheerenden Wirkungen der Überschwemmung, die Aufwühlung und Überspülung schauend. Die Sturmflut war inzwischen vorbei und das Meer in seine harmlose spiegelblanke Ruhe zurückgekehrt.«174
Abschließend zog Nolde angesichts dieses Ereignisses folgendes Fazit: »Dieses Ereignis vom Reisbyer Deichbruch gab eine eindrucksvolle Vorstellung von den vielen großen Deichbrüchen und dem wilden Toben des Meeres mit seinen Zerstörungen, dem die Friesen während Jahrhunderten trotzten.«175
Jedoch setzte er dieses Erlebnis nur in wenigen Bildern um,176 ein gebrochener Deich gehörte nicht in sein festes Bilderrepertoire.
b)
Die Tierwelt der Nordseeküstenregion
Die Tier- und Pflanzenvielfalt des Wattenmeeres nahm Nolde motivisch ebenfalls nicht in seinen Werken auf. Er war sich jedoch beispielsweise der Scharen von Zugvögeln bewusst, die über das Gebiet flogen. Der Schutzgedanke war derzeit noch nicht weit verbreitet und so nahm Nolde die Vögel u. a. aus der Sicht des Jägers wahr und freute sich, wenn er »drei oder fünf, der fremden, bunten Enten mitzurückbrachte«.177 Der Künstler war von den Zugvögeln und seiner
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Hause hoch, so daß die wieder heruntergefallenen Büschel wie Räder über die Wiesen rollten, und das Wasser am Wiedau wurde zu Wolken gepeitscht.« Nolde 1967, S. 51. Vgl. ebd., S. 52. Ebd., S. 52. Ebd., S. 52. Im Jahr 1926 fertigte er das Werk »Windhosen« (vgl. Urban 1990, Abb. 1033) an, das möglicherweise von dem Geschehen inspiriert ist. Die Gewalt des Unwetters wirkt angesichts des klein dargestellten Gehöfts übermächtig. Dieses Werk wurde 1941 von der Reichskunstkammer konfisziert und gilt seitdem als verschollen, wahrscheinlich ist es zerstört. Vgl. ebd., S. 351. »Es kamen die Regenpfeifer mit ihrem Pfiff und den langen Schnäbeln, und auch die anderen vielen fremden Vögel, und mit dem Wind und den Regenschauern die ganzen Schwärme der Wildenten aus Norwegen und Spitzbergen gezogen, bei uns auf allen Flächen schwimmend. Flach im Boot liegend, sich an Binsenhalmen heranziehend, bis man den Vögeln ganz nahe war, und dann mäuschenstill anlegend und schießend, das war die Jagd zu dieser Zeit [Herbst], und wenn ich dann einige, drei oder fünf, der fremden bunten Enten mitzurückbrachte, das war die Freude der Jagd und auch des Beitrags zur Haushaltung.« Nolde 1965, S. 158.
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Jagdleidenschaft so eingenommen, dass er für sie sogar bisweilen das Malen unterbrach:178 »Es kamen auch die wilden grauen Gänse gezogen. Wenn sie gegen Abend übers Haus flogen, wenn ich noch beim Malen stand, mögen es Dämonen, Engel oder alle Apostel gewesen sein, oder auch lieblichere Gebilde, ich warf Pinsel und Farben hin und stand im Moment draußen, spähend nach den großen, grauen Gänsen. Wenn ich wirklich eine oder zwei schießen konnte, das war schön, aber selten, denn meistens flogen sie höher als mein Schrot reichte.«179
Nolde verbrachte auf der Vogeljagd und beim Fischen viele glückliche Stunden in der Marschlandschaft und auf der Wiedau,180 die weiter zum Meer floss.181 Selbstkritisch führte er jedoch an, dass er kein »wirklicher Jäger« und »kein Bootsmann« wäre.182 Obwohl Nolde auf die Jagd ging,183 war er sehr tierlieb. Wenn er sich dem landschaftlichen Erleben und seinen Träumen in seinem Boot hingab,184 nahm er die Tiere bewusst wahr.185 Jedoch war es nicht die Tier- und 178 Nolde reflektiert seine Jagdleidenschaft: »Dabei frug ich zuweilen etwas betroffen, ob denn dies Schießen wirklich so wichtig sei, daß ich deswegen Farben und Bild liegen lasse? Es ist etwas ganz Eigentümliches, wenn eine so starke Lust den Menschen, Sinn und Willen nehmend, zu beherrschen vermag.« Nolde 1965, S. 159. 179 Nolde 1965, S. 158f. 180 Vgl. ebd., S. 158. 181 Vgl. ebd., S. 162. Er fühlte sich wie betrogen, wenn er an großen Fischfängen durch Krankheit oder »dringendes Malen« nicht teilnehmen konnte. Vgl. ebd., S. 159. 182 Vgl. ebd., S. 170. 183 Vgl. u. a. ebd., S. 158f. 184 »Zuweilen waren auch Tage, wo im Boot ich im Schilf in aller Stille ruhig genießend lag, mir Stunden der Abgeschiedenheit gönnend, so fern allem Leben, als ob ich gar nicht da wäre. Ein wenig denkend nur und träumend mit wachen Augen. Die wachen Träume sind schön und harmlos. Erschlafene Träume gehen freier und tiefer als wahrheitsbeschwerte Gedanken es können, tiefer und höher als erdenschwere Wirklichkeit.« Nolde 1965, S. 160. »Wir mochten so gern in unserm kleinen Boot – es war ein ganz gewöhnliches schwarzgeteertes Fischerboot – umhergondeln, vom Wind geschaukelt und beim Fischen hantierend, wie es sich dabei so gibt. Alle Tage lagen wir, öfters zweimal, draußen auf dem Wasser, meine Ada und ich und der Hund, oft auch war noch ein kleiner Besuch mit dabei.« Ebd., S. 158. Nolde kann in diesen Momenten Entspannung und Glück empfinden und seine Sorgen vergessen: »Stille Zauberstunden waren es, knabenhaft und sorglos, Friede mit dem eigenen Ich, Frieden mit der Welt und auf Erden, – ach Gott wenn es nur so gewesen wäre.« Nolde 1965, S. 160. 185 »Wenn ich im Boot saß bei solcher absoluten Ruhe, erwachte bald mit sonst unsichtbaren Leben die ganze Natur um mich herum. Die Wasserhühner, die Enten und all die kleineren Vögel trieben ihren Fang und auch ihr Liebesspiel. Aber auch die Fische kamen ganz nahe und zutraulich hin zum Boot.« Nolde 1965, S. 160. Es ist nicht die Sehweise des Naturwissenschaftlers, sondern die des Künstlers aus der er die Schönheit der Natur wahrnimmt. »Und wieder saß ich unten im Boot, leise mich zwischen dem Schilf, den Binsen, dem Reth bewegend, und wenn eine Lichtung kam mit den großen, runden flachen Blättern, den gelben und den weißen Seerosen, dann schaute ich in die Tiefe, in die geheimnisvolle Tiefe unserer stillen Wiedaubucht, von der Botaniker erzählten, daß dort seltenste und fast ganz unbekannte Pflanzen wüchsen. Ich sah vieles, wissenschaftlich wußte ich nichts, aber in dies
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Pflanzenwelt des Wattenmeeres, dem er primär Achtung schenkte. Auch spielte das Wattenmeer bei Ebbe keine bedeutende Rolle – weder in seinen Aufzeichnungen noch in seinen Bildern, obwohl er durchaus mit diesem vertraut war, wie auch sein Aufenthalt auf Hallig Hooge belegt.
Aufenthalt auf Hallig Hooge Im Jahre 1919 unternahm der Künstler eine Reise nach Hallig Hooge. Während seines Aufenthalts in der Osterwoche gab es dort aufgrund der kalten Jahreszeit keine weiteren Reisenden und er war recht einsam.186 Im Freien fertigte er Bilder von den »schlängelnden Prielen mit ihren schwankenden Brücken«, der »alten Mühle« und den »Halligkindern« an.187 Die Atmosphäre auf der Hallig regte den Künstler auch zu Werken an, die nicht die typischen Meeresmotive aufweisen.188 Seiner Fantasie entstiegen Gestalten, die ihm fast sichtbar Gesellschaft leisteten. Von sich selber in dritter Person sprechend, berichtete er Folgendes: »Während der Stille der Nächte, wenn nur das Rauschen des Meeres hörbar war, entstanden viele und ganz merkwürdige kleine Skizzen und Blätter in magischer Phantastik, den Maler selbst überraschend. Die merkwürdigsten Wesen mit ihren Tollheiten belebten seine [Noldes] Stube und sie gingen mit ihm auf seinen Halliggängen, ihn fast sichtbar umschwirrend. Wenige wiesen zurück auf schon Gestaltetes, alle, fast alle waren neue Einstellung und forderten neue Bezeichnungen.«189
Während seines einsamen Halligaufenthalts entstanden Aquarelle, in denen er grotesk-fantastische Gestalten darstellte. Viele dieser Werke verwendete er später als Vorlage für großformatige Gemälde.190 So basiert beispielsweise das
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geheimnisvolle Leben und Wachsen, diese Fäden und Flächen und Formen schönster, lieblich zierlicher Art und oft auch kräuselnd, lebendig vibrierend in schillernden bläulich, gelblich, goldigen Farben, konnte ich gar nicht genug hinunterschauen: ›Wenn einmal du das Paradies malen wirst, dann gedenke dieser Stunden hier, die du so glücklich erleben durftest!‹« Nolde 1965, S. 160. Auch genoss er den Blick auf das im Herbst überschwemmte Land um ihr Haus und beobachtete die Vögel. »Wenn im Herbst das Wasser stieg bis zu unserm Haus hinan, dann war auf Utenwarf Burgfriede. Die Flinte blieb auf ihrem Nagel hängen. Wir hatten es gar zu gern, wenn die Tausende Vögel allerlei Arten, dauernd den Konturen des steigenden Wassers folgend, Würmer, Engerlinge und Käfer sich holten; und selbst Habichte saßen ganz in der Nähe der anderen Vögel, übersättigt, wohl nur noch als besonderen Leckerbissen Mäuse und Maulwürfe haschend.« Nolde 1965, S. 155. Vgl. Nolde 1967, S. 13. Vgl. ebd., S. 13–17. Vgl. Hess-Hüpel 1991, Teil I und Teil II. Nolde 1967, S. 13. Vgl. Kat Bielefeld 2008, S. 116. Exemplarisch sei auf einige verwiesen: Das Werk »Schmied und Schneider« (vgl. Urban 1990, Abb. 856) basiert auf den Aquarellen A.Hoo.16 und A.Hoo.17 (vgl. ebd., S. 207). »Geiz und Satan« (vgl. ebd., Abb. 879) geht auf die Aquarellskizze A.Hoo.22 zurück (vgl. ebd., S. 226). »Teufel und Gelehrter« (vgl. ebd., Abb. 881)
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Ölgemälde »Teufel und Gelehrter«191 auf dem Aquarell »Teufel und Geistlicher«192 (Abb. B6.19).193
Abb. B6.19: Emil Nolde, Teufel und Geistlicher, 1919, Aquarell, 25,2 x 14,6 cm, Nolde Stiftung Seebüll
Sowohl während seines einsamen Aufenthalts an der Nordseeküste in Lildstrand als auch später auf Hallig Hooge brach das Element der Fantasie in seiner Kunst besonders stark durch.194 Die Vermutung, es sei die Nähe zum Meer, die Nolde
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basiert auf dem Aquarell A.Hoo.42 (vgl. ebd., S. 229). Ebenso entstanden die Werke »Der Schwärmer (vgl. ebd., Abb. 883), »Gelehrter und Mädchen« (vgl. ebd., Abb. 884), »Räuberhauptmann« (vgl. ebd., Abb. 885) »Tolles Weib« (vgl. ebd., Abb. 891) und »Die Ahnen« (vgl. ebd., Abb. 886) auf Aquarellen, die auf der Hallig Hooge gemalt wurden. Nolde führt folgende Werke an, die auf Basis der auf Hallig Hooge gefertigten Aquarelle – der »kleinen seltsamen Farbigkeiten« – entstanden: »Räuberhauptmann«, »Teufel und Gelehrter«, »Der Schwärmer«, »Geiz und der Satan«, »Gelehrter und Mädchen« und »Seine Ahnen«. Vgl. Nolde 1967, S. 14. Es entstanden noch weitere Bilder, auf die hier kein Bezug genommen wird. Vgl. Hess-Hüpel 1991, Teil 1, vgl. Hess-Hüpel 1991, Teil 2. Vgl. Nolde 1967, S. 14. Vgl. Kat. Bielefeld 2008, S. 163. Das Motiv »Teufel« griff Nolde nicht erst auf Hallig Hooge auf. Im Jahr 1915 schuf er das Werk »Saemann und Teufel« (vgl. Urban 1990, Abb. 698) und im Jahr 1918 das Bild »Mädchen und der Satan« (vgl. Urban 1990, Abb. 804). Die Darstellungen des Teufels sind jedoch grundverschieden und stehen in anderen Kontexten. In Bezug auf die Frage, ob Nolde beim Malen und Zeichnen dieser fantastischen Wesen – bewusst oder unbewusst – auf bereits Bekanntes zurückgriff, ist anzuführen, dass der Künstler mit vielen Kulturen vertraut war. Gottheiten und Wesen der griechischen und der nordischen Mythologie sowie der christlichen Zeit, beispielweise Bacchanten, Faune, Tritonen, Nereiden, Elfe, Riesen, Zwerge, Hexen, Zauberer, Engel und Walküren waren ihm
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zur Schaffung von Werken mit grotesk-bizarren Gestalten anregte, kann jedoch nicht bestätigt werden. Exemplarisch sei auf die Serie von acht Radierungen verwiesen, die im Oktober 1905 in Berlin entstanden.195 Die fantastischen Wesen, die durch »Ausschalten des Intellekts« und »visionären Empfindens« entstanden, wurden fester Bestandteil seiner Kunst.196 Allgemein besaßen die Fantasie und das Traumhafte in Noldes Kunstverständnis große Bedeutung.197 Dies war zwar nicht zwingend an die Nähe zum Meer gebunden, doch die Einsamkeit, die der Künstler auf der Hallig erfuhr, hat sicherlich dazu beigetragen. Er empfand den Aufenthalt als förderlich für seine Kunst. So findet sich in seinen Aufzeichnungen eine stimmungsvolle Verabschiedung von der Hallig: »Auf Wiedersehen, Du Meer und Hallig. Weltferne Vereinsamung kann reichstes Leben enthalten, rauschende Vielfältigkeit zerstreut alle geistige Sammlung. Leb wohl, Du bekannt. Vgl. Nolde 1967, S. 13. Weiterhin war er mit christlichen Vorstellungen von Engeln und dem Teufel vertraut und griff auf Märchen- und Sagengestalten – wie Hexen und Zauberer – zurück. Er nennt dies eine »köstliche, seltsam reiche Wunderwelt«. Vgl. ebd., S. 13. Während seines Alsenaufenthalts entdeckten Emil und Ada Nolde nordische Sagen und nordische Mythologie, die durch die Edda überliefert sind sowie das Nibelungenlied. Vgl. Nolde 1965, S. 11f. Nolde reflektierte seinen Umgang mit fantastischer Motivik im Kontext der bildenden Kunst: »Das Schönste im Leben fesselt ihn [bildender Künstler] und auch das grausig Unheimliche. In den Werken der bildenden Kunst aller gewesenen Zeiten, in den Dramen, den Schau- und Lustspielen der Griechen, bei Goethe und allen Großen sind Gottheiten und Teufel, Heilige und Hexen, Bettler und Fürsten, Schönstes und Häßlichstes, alles durch die Kunst geadelt, immer scharf geprägt und gegenseitig steigernd.« Nolde 1965, S. 147. Nolde empfand die Natur teilweise als »belebt«: »Ich hatte zu dieser Zeit schon unendlich viele Gesichte, wohin ich schaute, die Natur war belebt, der Himmel, die Wolken, auf jedem Stein und zwischen den Zweigen der Bäume, überall regten und lebten in stillem oder wildem lebendigen Leben meine Gestalten, die mich in Begeisterung versetzten und auch plagend nach Verbildlichung riefen.« Nolde 1967a, S. 16. 195 Vgl. Kat. Karlsruhe 2002, S. 70. Zudem sei auf die Werke »Seltsame« und »An der Peripherie« verwiesen, die während eines Berlinaufenthalts entstanden. Vgl. Kat. Bielefeld 2008, S. 118, 167, 169. 196 Vgl. Kat. Bielefeld 2008, S. 116ff., vgl. Nolde 1942. 197 »Ausflüge ins Traumhafte, ins Visionäre, ins Phantastische stehen jenseits von Regeln und kühlem Wissen. Es sind freie, herrliche Gefilde und Gebiete voll Reiz und Scharm in lichtem und tiefem und leichtem geistigen Erleben. Wer nicht träumen und schauen kann, kommt nicht mit.« Nolde zitiert nach Kat. Bielefeld 2008, S. 154. »Höchste Schönheit im Werk entsteht dem Künstler unbewußt, das sinnlich sehende Auge sie schaut, der Verstand braucht Zeit, bis er versteht.« Nolde 1967, S. 14. In Bezug auf sein Kunstverständnis führt er Folgendes an: »Das wirklich künstlerische Schaffen ist eine Gnade. Wem ist sie gegeben – das sich Versenken, die Hingabe, das Hineinleben und Schöpfen aus Urnatur oder aus wachem Traum?« Nolde 1967, S. 58. Über die Träume führt er Folgendes aus: »Deshalb auch habe ich den Glauben, daß Träume dem Künstler wertvoll sind, daß sie in sich künstlerischen Wert tragen. […] Und sind nicht Träume wie Töne und Töne wie Farben und Farben wie Musik. Ich liebe die Musik der Farben.« Nolde 1967a, S. 206f. Jedoch ließ sich Nolde nur von »Wachträumen« inspirieren; die nächtlichen Träume malte er jedoch selten, wie beispielsweise das Werk »Traum« (vgl. Urban 1990, Abb. 1297). »Doch Träume malen habe ich kaum versucht […].« Nolde 1967a, S. 206.
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kleine stolze Insel – dem Westmeer trotzend. Ich trug die Mappe an mich gepreßt voll der geschenkten Geheimnisse, als es über das Watt zurück nach Föhr und dann nach Utenwarf ging.«198
Nolde erwähnt in diesem Zitat, dass er über das Watt zurück gereist sei. Dieses interessierte ihn aber scheinbar nicht weiter oder regte zu weiteren Bildern an. Das Wattenmeer mit seinen Halligen griff Nolde nur in wenigen Werken auf wie die Bilder »Hallig«199 (Abb. B6.20, Farbabbildung) und »Halliglandschaft«200 (Abb. B6.21).201
Abb. B6.21: Emil Nolde, Halliglandschaft, 1919, Aquarell, 2534 x 48 cm, Nolde Stiftung Seebüll
Im Aquarell »Hallig« (Abb. B6.20) steht der übermächtige und farbenfrohe Himmel im Fokus. Im unteren Bildbereich ist die aus dem Wasser herausragende Hallig dargestellt. Die Häuser wirken gegenüber dem großen Himmelsbereich und den hohen Wellen der Nordsee klein und verloren. Die Wattlandschaft, das Typische für die Nordseeregion, in der Nolde lebte, griff er aber motivisch nur selten auf. Im Aquarell »Halliglandschaft«202 (Abb. B6.21) ist im Hintergrund ein Streifen Watt zu sehen, auf dem ein trockengefallenes Schiff liegt. Die dunklen Wolken, die das Bild nach oben begrenzen und die dunkel dargestellte Ansammlung von Häusern auf der Warft verleihen dem Bild eine bedrohliche Wirkung. Diese wird durch die hellblauen Bereiche und die Aussparungen im Wasserlauf sowie die hellen Grün- und Brauntöne gemildert. Das Watt stellt kein eigenständiges Motiv dar, sondern fungiert als Element des Hintergrunds. Auch
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Nolde 1967, S. 14. Vgl. Kat. Bielefeld 2008, S. 53. Vgl. ebd., S. 53. Im Jahr 1939 malte er die Hallig Habel. Vgl. Urban 1990, Abb. 1210. Frau Furtwängler hat das Bild »Hallig Habel« 1910 gekauft. Vgl. Brief Margarete Hubbe an Ada Nolde vom 25.10. 1939. Archiv Nolde-Stiftung Seebüll. Dieses wurde von den Nationalsozialisten im Jahr 1941 beschlagnahmt und gilt seitdem als verschollen. Vgl. Urban 1990, S. 19, 485. 202 Vgl. Kat. Bielefeld 2008, Abb. S. 59.
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in seinen Selbstzeugnissen erwähnt Nolde es eher nebenbei.203 Der Schönheit dieser Naturform schenkte der Künstler keine Aufmerksamkeit.
Seebüll Im Rahmen einer Volksabstimmung wurde die Gegend um Utenwarf Dänemark zugesprochen. Obwohl Ada Nolde Dänin war und Emil Nolde die Vorzüge beider Länder schätzte, haderte er mit den politischen Beschlüssen bezüglich seiner Heimat.204 Als die Trockenlegung der Umgebung von Utenwarf beschlossen wurde und die Stadt Tondern die Kloaken in die Wiedau leiteten, entschieden der Künstler und seine Frau 1925, Utenwarf zu verlassen.205 Denn sie lebten weiter flussabwärts und da es in der Marsch kein Quellwasser gab, waren sie auf das nun verschmutzte Wasser der Wiedau angewiesen.206 Auch die von Nolde so geliebte amphibische Landschaft, sollte nun zerstört werden.207 So gab der Künstler skeptisch zu bedenken, dass Trockenlegungsmaßnahmen durch Sturmfluten der 203 Vgl. Nolde 1967, S. 14. 204 In einem Brief aus dem Jahre 1925 schrieb er Folgendes: »Hier wo wir wohnen ist unsere Heimat, die Verhältnisse aber treiben uns weg. Die Dänen wirtschaften etwas unglücklich in dem kleinen Nordschleswig. Das Volk verarmt, die Gemeinden verschulden und das eigens Heimatliche wird zerstört. Unsere schwerblütige und einfache Art deuten sie als primitiv und rückständig, sie wähnen sich selbst als die Höherstehenden und haben die Geste der Wohltäter. – Es könnte einem ja ganz gleichgültig sein, wenn nicht man diesen Flecken Erde liebte mit der Anhänglichkeit eines Kindes.« Nolde zitiert nach Sauerlandt (Hg.) 1967, S. 175. 205 Vgl. Nolde 1967, S. 80. In einem Brief vom 25. Oktober desselben Jahres schrieb er Folgendes: »Schlimm ist es nur, daß unser kleines liebes Heim nicht mehr unser Heim sein kann, so wie nun alles kommen wird. Wir halten Umschau, suchen und suchen, wo wir die Flügel senken können, wo wir uns niederlassen mögen. Hier gehen die Herbstwinde übers Haus von Meer zu Meer. Wir rüsten zur Reise mit etwas Wehmut im Herzen, denn der nächste Sommer wird eine Änderung bringen. Es ist jetzt schon ein stilles Abschiednehmen von allem […].« Nolde zitiert nach Sauerlandt (Hg.) 1967, S. 176. 206 Vgl. Nolde 1967, S. 80. 207 »Es war ein schwer gefasster Entschluß, unser Utenwarf, diesen kleinen naturgesegneten Platz zu verlassen. Es waren gewichtige Gründe, die uns vertrieben. Die Entwässerungsarbeiten drohten alle Natur- und Urschönheit zu vernichten, die kalt rechnenden Ingenieure hausten barbarisch in der Landschaft, und der bisher so aufrechte Bauernstolz schien verschwinden zu müssen. Der schlimmste Zustand jedoch entstand, als von der Stadt Tondern die Kloaken in die Wiedau geleitet wurden und unsere dringenden Proteste und aller die Wiedau abwärts wohnenden Bewohner unbeachtet blieben – da konnten wir nicht mehr bleiben.« Nolde 1967, S. 80. Für ihn gingen damit nicht nur ideelle und ästhetische, sondern auch ökonomische Werte verloren. Vgl. Sauerlandt (Hg.) 1967, S. 175. »Was ideelle Werte und die Schönheit der heimatlichen Landschaft sind, das weiß der Landbewohner und Bauer wohl kaum, es wird auch nicht erwartet, aber daß er in diesem Falle hier so ganz seine ökonomische Stellung verkennt und mithilft, seine und seiner Kinder Existenz untergraben, das ist doch sehr bedauerlich.« Nolde zitiert nach Sauerlandt (Hg.) 1967, S. 175.
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Nordsee schon häufig zunichte gemacht wurden.208 Da seine Einwände jedoch keinen Einfluss hatten, suchten die Noldes an der schleswig-holsteinischen Westküste einen neuen Ort zum Leben.209 Als sie während einer ihrer Erkundungsfahrten auf die Warft Seebüll nahe der schleswig-holsteinischen Küste stießen,210 waren sie angesichts der Landschaft sofort überzeugt, dort das neue Künstlerhaus zu errichten.211 Im Jahre 1927 organisierte Ada den Umzug von Utenwarf nach Seebüll.212 Ein Jahr später wurden die Bauarbeiten des nach eigenen Plänen entworfenen Künstlerhauses aufgenommen.213 Das auf der Warft liegende Haus ermöglicht einen Blick über das weite, flache Marschland der Nordseeküstenregion.214 Als jedoch in ihrer neuen Heimat 208 »Während dreieinhalb Jahrhunderten hat es sich erwiesen, daß sämtliche große Unternehmungen an der schleswigischen Westküste gegen die Nordsee von dieser selbst wieder bezahlt worden sind und manchmal hundertfältig.« Nolde zitiert nach Sauerlandt (Hg.) 1967, S. 174. Weiter führt er Folgendes aus: »Die Anschlickungsberechnungen von 1566 an bis heute ergeben, daß bei einem vernünftigen Entwässerungsplan und wenn dann der dänische Staat zwei Drittel der Kosten übernimmt, das restliche Drittel innerhalb von 30 bis 35 Jahren gedeckt sein würde und dann Überschüsse erfolgen könnten, und hierbei wären zugleich die ideellen Werte alles für die Zukunft gewahrt.« Nolde zitiert nach Sauerlandt (Hg.) 1967, S. 174f. 209 Vgl. Nolde 1967, S. 80. Im Vorfeld hatte Nolde selber Pläne zur Entwässerung entworfen. So schrieb er in einem Brief vom 5. September 1925 Folgendes: »Dieser Entwässerungsplan nimmt meine ganze Ruhe und Zeit. Während Wochen ja Monaten sitze ich Pläne zeichnend und rechne, rechne.« Nolde zitiert nach Sauerlandt (Hg.) 1967, S. 173. Jedoch wurden seine Entwürfe nicht weiter berücksichtigt. Der tatsächlich durchgesetzte Plan stieß auf Kritik Noldes: »Die Entwässerung an sich ist nützlich und sehr wünschenswert, das Projekt aber in seiner Anlage ist talentschwach, ist wirtschaftlich schlecht gerechnet und dabei alle ideellen Werte zerstörend. – Es steht aber Politik dahinter und der Staat zahlt mit Millionen. Alles könnte anders gemacht werden, zeitgemäß und großzügig und für die Zukunft weit bedeutungsvoller.« Nolde zitiert nach Sauerlandt (Hg.) 1967, S. 174. 210 In nördlicher Richtung befand sich der Hof, auf dem Emil Noldes Vater aufgewachsen war. Vgl. Nolde 1967, S. 91. 211 In einem Brief schreibt Nolde über seine Pläne, dort ein Künstlerhaus errichten zu wollen. »Jenseits der Grenze in Deutschland haben wir ein Bauerngehöft gekauft, – dies muß ich Dir heute mitteilen! Die bange Frage ›wohin‹ ist jetzt gelöst. Aber wir müssen ein kleines Haus dort bauen und mir eine Werkstatt. Ich messe und zeichne jetzt immerzu Grundrisse und Haus, versuchend so und so.« Nolde zitiert nach Sauerlandt (Hg.) 1967, S. 178. »Erst als wir gelegentlich eines Nachmittags auf der hohen, leeren Warft […] staunend standen, als ein junges Pferd um uns herumgaloppierend tollte und die Himmelswolken, über dem Wasser schwebend sich spiegelten, so herrlich waren, da schauten wir beide uns verstehend an, und meine Ada sagte: ›Hier ist unser Platz!‹ Ich stimmte ihr zu, und mit wenigen Worten kauften wir die Warft.« Nolde 1967, S. 80f. Sie mussten jedoch den zugehörigen Seebüllhof ebenfalls ersteigern und entschlossen ihn zu verpachten. Vgl. ebd., S. 81. 212 Vgl. ebd., S. 82f., 93. 213 Vgl. ebd., S. 82f., 92f. Nolde war sich der Geschichte und Baukultur dieser Nordseeregion bewusst. 214 »Wir standen auf unserer Warft Seebüll, die ganze Himmelswölbung über uns, mehr noch als den Halbkreis rundend, denn seltsam ist es, wie sehr eine kleine Anhöhung in der flachen Ebene den Himmelsbogen vergrößert.« Nolde 1967, S. 91. Wie zuvor in Utenwarf
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ebenfalls Landgewinnungsmaßnahmen durchgeführt wurden, zeigte der Künstler eine gewisse Enttäuschung: »Eine Entwässerung des Gotteskoogs-Gebiets wurde auch hier durchgeführt, viel Land gewinnend oder verbessernd, doch die Urschönheit nehmend.«215 Dass Nolde aber kein weltferner Künstler war, zeigen beispielsweise seine konkreten Pläne, die Entwässerung naturnah zu gestalten.216 Diese wurde allerdings nicht umgesetzt. Den Winter, in dem in Seebüll die Stürme wüteten und das Land überschwemmten, verbrachte das Paar jedoch meist in Berlin.217 Um aber auch in dieser Jahreszeit in Seebüll bleiben zu können, legten sie einen Weg mit einer kleinen Brücke an.218 Wie im Kapitel »Rückkehr an die Nordseeküsteregion nach Utenwarf« dargelegt, war es die amphibische Landschaft, die Nolde zu farbenfrohen Werken anregte. Da die Nordsee in vielen dieser Werke nicht verbildlicht ist, werden diesbezüglich keine weiteren Bilder in dieser Studie aufgenommen.
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faszinierten Nolde auch hier die Zugvögel. »Wieder standen wir auf unserer Warft Seebüll. Wie ein Naturwunder waren uns die großen Wolken der Stare, der Tausende, der Hunderttausende, die alle Tage gegen Abend sich auf unseren Feldern sammelten, daß diese ganz schwarz waren. […] Ein rauschender Lärm der Millionen Schnäbelchen. Und dann, an einem Ende beginnend, wie nach festgelegten Regeln, flogen sie hoch, in Massen fliegend, die wunderlichsten lebendigen Wolkenformen bildend, bald dünn und durchsichtig, bald wieder schwarz und wogend, mit drohendem Geräusch, wenn sich der Sperber näherte, seine Beute holend. Die im Gotteskoog-Gebiet Geborenen schauen gern diesem Vogelspiele zu, und der Fremde, der es nicht kennt, steht gebannt in Staunen.« Ebd., S. 97. Die Stare wurden zwar bewundert, aber gleichzeitig als Plage wahrgenommen, da sie das Reet niederbogen und die Ernte, zum Beispiel Obst und Früchte fraßen. Aus diesem Grund wurden sie verscheucht und es wurde sogar auf sie Jagd gemacht. Vgl. ebd., S. 97. Der Künstler beobachtete sie ausgiebig und erfreute sich an ihnen. »Von den anderen Vögeln, dem Kiebitz, dem Austernfänger, den Schnepfen allen und den Bekassinen, den Möwen hinterm Pflug, den Enten in vielen Arten, den Wildgänsen und den singenden wilden Schwänen, den Reihern und dem Kranich, die jeden und wohl besonders den Maler erfreuen, ließe sich noch viel sagen, denn ein jedes Tier hat sein Eigenleben, sie alle leben in Glück und Kampf wie auch wir Menschen.« Ebd., S. 98. Weitere Ausführungen vgl. ebd. Nolde 1967, S. 98. »Mein ganz einfacher klarer Plan, der die Schönheit der Landschaft erhaltend und gesteigert und den wirtschaftlichen Nutzen nicht beeinträchtigt hätte, fand Interesse, aber nicht genügend.« Nolde 1967, S. 99. Vgl. Nolde 1967, S. 99. Vgl. ebd., S. 99.
Aufenthalt auf Sylt
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Aufenthalt auf Sylt Im Jahre 1930 verspürte Nolde angesichts von Rückschlägen bei den Baumaßnahmen des Künstlerhauses in Seebüll das Bedürfnis, auf die Insel Sylt zu reisen, um Ruhe und Sammlung für seine künstlerische Arbeit zu finden.219 Ada begleitete ihn zunächst nach Westerland, Hörnum und List, fuhr dann jedoch wieder zurück nach Seebüll, um die Bauarbeiten zu beaufsichtigen.220 Nolde verbrachte die Zeit von August bis Oktober auf der Insel. Er wollte sich während des Inselaufenthalts ungestört seiner Kunst widmen und die Nordsee erleben: »Ich hatte den Wunsch, möglichst allein und nur beobachtend zu leben und zu malen, und besonders gern wollte ich wieder einmal das Meer in seiner ganzen wilden Größe sehen und erfassen.«221 In seiner Unterkunft in Kampen funktionierte er ein Giebelzimmer mit Blick aufs Meer in ein Atelier um.222 Der Künstler unternahm Strandwanderungen und gab sich nachts unter dem Sternenhimmel philosophischen Gedankengängen hin.223 Erwartungsvoll verbrachte er die ersten Tage mit Malen und Zeichnen.224 Die Atmosphäre am Meer belebte ihn und weckte seine Lebenslust: »Es war, als ob die freie Luft, der salzige Geschmack, die tosenden Wogen mich spornten und beglückten. Herzlich frisch und stärkend war der Wind, die Wanderungen auf dem festen Sand das Meer entlang meine Lust. Ich war aufgetan, wie blühende Blumen zur Sonne es sind, künstlerisch empfänglich jedem Laut und jeder kleinsten Anregung. Die Wogen, ihr Grollen, die Wolken vor und über mir, der Strand, die Dünen und das graue Gras, es war alles mein.«225
Ein Glücksgefühl und eine Art Trance hatten den Künstler erfasst: »Wie ein Trunkener lief ich stundenlang den Strand entlang oder durch den flüssigen Sand der Dünen, meine Gesänge schreiend, wo es einsam war, schreiend mit den Möwen, die auch so schreien.«226 Bei seinem Aufenthalt auf Sylt entstanden figürliche Darstellungen wie das Werk »Dünenweib«227 (Abb. B6.22).
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Vgl. u. a. Fluck 2010. Vgl. Nolde 1967, S. 101f. Vgl. ebd., S. 101. Ebd., S. 101. Vgl. ebd., S. 101. Vgl. ebd., S. 101f. »Nicht Zerstreuung ich suchte, sondern Sammlung.« Nolde 1967, S. 102. Nolde 1967, S. 102. Ebd., S. 102. Vgl. Urban 1990, Abb. 1108.
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Emil Nolde
Abb. B6.22: Emil Nolde, Dünenweib, 1930, Öl, 74 x 88 cm, Nolde Stiftung Seebüll
Dies steht in der Tradition von Frauendarstellungen am Meer, die der Künstler bereits Anfang der 20er Jahre schuf. Deren Titel lauten »Meerweib«228 (Abb. B6.23) und »Seeweib«229 (Abb. B6.24).
Abb. B6.23: Emil Nolde, Meerweib, 1922, Öl, 86,5 x 100 cm, Nolde Stiftung Seebüll
228 Vgl. Urban 1990, Abb. 966. Weitere Ausführungen vgl. u. a. Reuther 1985, S. 325. 229 Vgl. Urban 1990, Abb. 992. Weitere Ausführungen vgl. u. a. Gerhardus 1976/79, S. 62.
Aufenthalt auf Sylt
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Abb. B6.24: Emil Nolde, Seeweib, 1924, Öl, 86,5 x 100,5 cm, Nolde Stiftung Seebüll
Letztgenannte Werke verweisen auf das Sagen- und Mythenhafte des Meeres. Auch Noldes Auffassung, die Natur sei belebt, kann aus diesen Bildern gelesen werden. Es liegt eine übergeordnete Meeresdarstellung vor, wobei nicht auszuschließen ist, dass sie von der Nordsee inspiriert ist. Im Werk »Meerweib« (Abb. B6.23) bricht sich eine Welle über einer zusammengekauerten braunhäutigen Frau. Nur ihre roten Hände und Füße sowie Augen und Mund leuchten hervor. Sie scheint ein Wesen des Meeres zu sein. Im Werk »Seeweib« (Abb. B6.24) sitzt in Rückenansicht eine blonde dem/der Betrachter/in ab- und dem Meer zugewandte Frau vor den sich brechenden Wellen und hebt ihre Arme über ihren Kopf, als ob sie das Meer beschwören wollte. Das ebenfalls in Bezug auf den Syltaufenthalt entstandene Werk »Dünenfantasie«230 (Abb. B6.25) erinnert an den Durchbruch des Fantastischen, den Nolde bereits zuvor in Lildstrand und auf Hallig Hooge bildlich umgesetzt hatte. Es ist allerdings das einzige auf Sylt entstandene Werk, das diesen stark fantastischen Zug trägt. Insgesamt entbehren die auf Basis dieses Inselaufenthalts entstandenen Werke solcher Motive.
230 Vgl. Urban 1990, Abb. 1096.
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Abb. B6.25: Emil Nolde, Dünenfantasie, 1930, Öl, zerstört während des Zweiten Weltkriegs
Stattdessen ließ sich der Künstler beispielsweise von Badenden inspirieren und fertigte von diesen Studien an:231 »Kinder malte ich, wie kleine Tierchen im graugelben Sand krabbelnd, am Strand laufend, in den Wellen plätschernd.«232 In diesem Zusammenhang sei auf das Aquarell »Kinder am Strand« (Abb. B6.26) verwiesen, das den Sylter Bildern zugeordnet werden kann.233 Es stellt zwei im seichten Wasser spielende Kinder dar.
Abb. B6.26: Emil Nolde, Kinder am Strand, 1930, Aquarell, 34,7 x 47,4 cm, Nolde Stiftung Seebüll
Im Gegensatz zu seinem Aufenthalt in Lildstrand, war Nolde nun ein bereits bekannter Künstler. Die Badegäste, die er traf, brachten ihm eine gewisse Anerkennung entgegen.234 Er genoss diese, nahm sie jedoch distanziert wahr : »Ich 231 Auch die Badegäste trugen zu seiner Begeisterung bei und er griff sie motivisch in seinen Werken auf. »Und die Menschen, die schwammen und tauchten und spielten und liefen umher, fast ganz der Kleider entblößt. Die Schönen, die Schlanken, die Dicken, die Krummen, die Mädchen und Männer, die sonst in ihren Kleidern sind. Ich vermochte es kaum zu ertragen, was allen anderen so hübsch und frei, gesund und herrlich selbstverständlich schien.« Nolde 1967, S. 102. 232 Nolde 1967, S. 104. 233 Manfred Reuther hat mir dies in einem Gespräch bestätigt. 234 »Seltsam zuvorkommend waren mir manche Menschen, mich anredend, freundlichst mich suchend, Männer und Frauen, wie nie unter Fremden in der Fremde dieses erwartete oder sonst erfahren hatte. Sie legten einen Nimbus um den Künstlernamen und schauten mich
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begriff alles kaum und nahm es hin, gelassen bewegt, wie auch meine Farben es waren, ob ich die graugrünen Dünen malte, das tosende Meer oder die Menschen.«235 Die Natur und damit auch die Nordsee waren eine wichtige Inspirationsquelle: »Ich malte, was sich vor meinen Papieren und Leinen zeigte: die Wolken, die Wogen eine Dünenphantasie und dann meine leidenschaftlichen Meerbilder mit Sturzwellen und Gischt.«236
Abb. B6.27: Emil Nolde, Meer A, 1930, Öl, 75 x 95 cm, verbrannt im Zweiten Weltkrieg
Abb. B6.28: Emil Nolde, Meer B, 1930, Öl, 73 x 100 cm, Tate Gallery, London
prüfend seltsam an, als ob ich ein anderer sei als die vielen anderen Menschen.« Nolde 1967, S. 102. 235 Nolde 1967, S. 102. 236 Ebd., S. 104.
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Abb. B6.29: Emil Nolde, Meer C, 1930, Öl, 74 x 89 cm, Osaka, Umeda Art Gallery
Nolde beschreibt die aus Ölbildern237 und weiteren Aquarellen bestehende Serie der maritimen Werke als »leidenschaftliche Meerbilder mit Sturzwellen und Gischt.«238 Brechende Wellen sind ein Hauptmotiv dieser Serie.239 Der Künstler stellte die Nordsee von ihrer rauen Seite dar. Wiederum strebte er keine naturalistische Wiedergabe an, sondern die Farben und die Bewegung stehen im Vordergrund. Die Dynamik der Wellen in der aufgewühlten Nordsee wird eindrucksvoll verbildlicht. Exemplarisch sei auf das Werk »Meer B«240 (Abb. B6.28) verwiesen. Durch das blau-schwarze Meer und die dunkle, mächtige Wolke erhält das Bild einen bedrohlichen Charakter. Die Gischtkronen der hohen Wellen leuchten daraus hervor. Hinter den dunklen Wolken erstrahlt ein gelber Himmel. Ein HellDunkel-Kontrast beherrscht das Bild. Während in diesem Werk das Meer nur etwa ein Drittel des Bildraums einnimmt, belegt es in den Werken »Meer C«241 (Abb. B6.29) und »Meer D«242 (Abb. B6.30) nahezu die gesamte Bildfläche. Nur ein kleiner Streifen Himmel erhebt sich über den brechenden Wellen. Die aufgewühlte Nordsee hat der Künstler in diesen Bildern eindrucksvoll visualisiert.
237 Im Jahr 1930 entstanden die Werke »Meer A«, »Meer B«, »Meer C«, »Meer D«, »Meer E«, »Meer F« und »Himmel und Meer« (vgl. Urban 1990, Abb. 1100–1106). 238 Vgl. Nolde 1967, S. 104. 239 Weitere Ausführungen vgl. u. a. Sprotte 1999, S. 67f. 240 Vgl. Urban 1990, Abb. 1101. 241 Vgl. ebd., Abb. 1102. 242 Vgl. ebd., Abb. 1103.
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Abb. B6.30: Emil Nolde, Meer D, 1930, Öl, 73 x 100 cm, Privatbesitz
Abb. B6.31: Emil Nolde, Meer E, 1930, Öl, 73 x 100 cm, Privatbesitz
Ein weiteres Werk der Meeresserie ist das Bild »Himmel und Meer«243 (Abb. B6.32). Es wird von einem expressiven Farbenspiel beherrscht. Der Himmel ist in orange-roten Farbtönen gehalten und nimmt etwa Dreiviertel des Bildraums ein. Komplementär dazu steht das grünblaue Meer, das allerdings nur einen kleinen Bildbereich belegt.
Abb. B6.32: Emil Nolde, Himmel und Meer, 1930, Öl, 56 x 70 cm, Nolde Stiftung Seebüll
243 Vgl. ebd., Abb. 1106.
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Der Stimmungsreichtum der Nordsee und ihre Gewalt kommen in diesen Werken zum Ausdruck. Insgesamt sind einige Ölgemälde und weitere Aquarelle während des Inselaufenthalts entstanden. Während in den auf Hallig Hooge und in Lildstrand geschaffenen Werken die figürlichen Motive überwiegen, entstanden auf Sylt stimmungsvolle, maritime Darstellungen.244 Das Zusammenspiel von Himmel und Meer wird in ihnen eindrucksvoll verbildlicht.245 Unermüdlich und voller Schaffensdrang verbrachte der Künstler die Tage auf der Insel wie auch folgende Notiz belegt: »Am folgenden Tag stand ich wieder malend, getreu wie ein Tagelöhner alle Tage, alle Stunden, bis wieder wandernd ich ging bis nach der Spitze von List, zu dieser seltsamen schweren menschenleeren Natur mit dem drohenden, gellenden Geschrei der Raubmöwen.«246
Nach solch einem schaffensreichen Tag kehrte Nolde müde in sein angemietetes Zimmer zurück,247 so verbrachte er die Monate auf Sylt.248 Der Herbst kam und die meisten Touristen hatten die Insel verlassen.249 »Ich war fast ganz allein noch geblieben. Der Herbst war gekommen, die Tage kurz. Gewitterwolken kamen gezogen mit Hagelschauern, – die Blitze fahrend ins Meer.«250 Mit Beginn der dunklen Jahreszeit änderten sich Noldes Empfindungen: »Mein Sinnen war stumpf, mein glücklicher Frohsinn vorbei, wie im Lebensherbst es oft und quälend so sein kann.«251 Jedoch arbeitete er fast wie im Wahn weiter an seinen Bildern: »Sechs Meerbilder hatte ich stehen in Farben naß und fertig, bis zur Ekstase daran noch arbeitend und immer, immer wieder sie prüfend anschauend.«252 Seine 244 Er griff allerdings auch figürliche Motive auf. Exemplarisch sei auf die Werke »Bildnis« (vgl. Urban 1990, Abb. 1098), »Frau und Sonnenblume« (vgl. ebd., Abb. 1107) und »Akt (Studie)« (vgl. ebd., Abb. 1109) verwiesen. So malte er beispielsweise Gäste des »Hauses Kliffende«, in welchem auch er während seines Aufenthalts verweilte. Exemplarisch sei auf die Werke »Frauenbildnis« (vgl. ebd., Abb. 1097), »Bildnis Frau R.S.« (vgl. ebd., Abb. 1099) und »Bildnis Ren8e-Sintenis« (vgl. ebd., Abb. 1099a) verwiesen. Im erstgenannten malte er Margarete Turgel aus Berlin, in den letztgenannten die Bildhauerin Ren8e-Sintenis. Vgl. Urban 1990, S. 398. 245 »Ich sah die erregte und wilde Schönheit, die abends ihre Feuerfinger über den Himmelsbogen ziehen läßt in letzten schwebenden Wolkenstreifen, in loderndem glühendem Farbenwechsel vergehend. Ich fühlte die Schwüle der Stunde, ich fühlte sie wie Glut und Funkensprühen, malend, malend in naturgetreuer, gehorsamster Empfindsamkeit, wie erhaltenen Befehlen gehorchend.« Nolde 1967, S. 104. 246 Nolde 1967, S. 104. 247 »Und dann ging es den langen, langen Weg der Westküste entlang auf dem glatten Sand am Strand, bis wieder ich zurückkam zu meinem lichten, lieben Bilderraum, müde, müde.« Nolde 1967, S. 104. 248 Vgl. ebd., S. 104. 249 Vgl. ebd., S. 104. 250 Vgl. Nolde 1967, S. 104. 251 Vgl. ebd., S. 104. 252 Vgl. ebd., S. 104f.
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Gemütsstimmungen schwankten. Einerseits suchte er die Konfrontation mit der Natur : »Ich stand am Strand mit breiter nackter Brust dem Meer gegenüber und dann in die Lappen gehüllt, die wir Kleider nennen. Ich stand im Sturm mit knirschendem Sand zwischen den Zähnen.«253 Andererseits gab er sich schwermütigen Stimmungen hin: »Und dann wieder war ich melancholischen Grübeleien verfallen, träumend hin und her in dumpfem Sinnen. Ich ertrug den grauen Herbst und die Schwere der Einsamkeit nicht mehr.«254 Er beschreibt ausdrucksstark – ähnlich wie in seinen Ausführungen zum Lildstrandaufenthalt – seine ins Fantastische übergehenden Empfindungen: »Ein Wilder läuft den Strand entlang im weißen Nebel, der den Wogen folgt. Die Brecher grollend glitten schäumend hoch, im Sand hinan, ihre großen nassen Bogen zeichnend, wie Schuppen übereinander hinlegend. Die grau-gelbe Gischt springend, sich überschlagend, endend zwischen den gepeitschten Strandhalmen. Ich ging, ich lief, es war kalt, an den grausig ausgestorbenen Gasthäusern vorbei, nach meinem Raume hin mit seinen Bildern drin. In den Nächten spürte ich den blassen, kalten Mond, im Schlaf und Traum mich störend, und die Leuchtfeuer blinkten. Wein trank ich, als ob ich Trinker wäre. Und schrieb Zettelchen, lose schwebende Empfindungen […].«255
Wieder war es die Einsamkeit, die er nicht mehr ertragen konnte und die seinem Gemütszustand stark beeinflusste: »Es war fast wie einst, als ich auch am Westmeer wohnend die ganze Schwere der Einsamkeit nicht zu ertragen vermochte, bis dann ich hinüberglitt zu der Geliebten meiner Seele, meines Lebens.«256 In Erinnerung an das sommerliche Treiben begann er sein letztes Ölgemälde auf Sylt: »Unfertig blieb mein letztes großes Bild: Es waren die verschwundenen vielen plätschernden, jubelnden, Erfrischung suchenden Großstadtmenschen, die Badegäste, die ich möglichst viele auf mein Leinen hinmalen wollte, dessen Breite aber nicht genügte, und ich schnitt einen Teil wieder weg.«257
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Ebd., S. 109. Ebd., S. 109. Ebd., S. 109. »Es waren Spannungen, Spannungen damals und jetzt, die den Künstlermenschen hinwerfend bedrohen, beglücken oder töten, alles an der Grenze – wo der Bogen biegt oder bricht. Die Menschen haben es leicht, die langweilig sind im Sein und Denken, die Kälte, Glück und Feuer nicht kennen.« Nolde 1967, S. 109f. 257 Vgl. Nolde 1967, S. 110.
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Abb. B6.33: Emil Nolde, Badestrand, 1930, Öl, 106 x 76,5 cm, Nolde Stiftung Seebüll
Das Bild »Badestrand«258 (Abb. B6.33) zeigt leicht bekleidete Badegäste. Eine Frau in einem gelben »Hosengewand« sticht hervor. Im Hintergrund, zum Großteil von Menschen verdeckt, ist die grüne Nordsee mit großen, sich brechenden Wellen zu erkennen. Diese besitzt Bühnenfunktion. Erinnerungen an das sommerliche Treiben am Strand sind hier visualisiert. Nolde wurde sich der langen Trennung von seiner Frau, der er alle Arbeiten im Zusammenhang mit den Baumaßnahmen überlassen hatte, bewusst und beschloss nach Seebüll zurückzukehren:259 »Wehmütig dachte ich übers Wattenmeer hinweg, hinüber, wo daheim auf unserem Seebüll meine Geliebte war, mit fremden Menschen sich mühend und sehnend sich nach ihrem Maler, der viel und vielzulange in der Fremde blieb.«260 Das Wattenmeer wurde in diesem Kontext als trennendes Element in Bezug auf seine Frau Ada wahrgenommen und so kehrte er zu ihr zurück. Auf Basis des Syltaufenthalts entstanden verschiedene von der Nordsee inspirierte Bilder, die motivisch von figürlichen Darstellungen der Badegäste bis hin zu Farbimpressionen von Himmel und Meer reichen. Die trockenfallende Wattlandschaft, die bei Niedrigwasser auf der dem Festland zugewandten Inselseite zu sehen ist, reizte ihn allerdings nicht zur künstlerischen Umsetzung.
258 Vgl. Urban 1990, Abb. 1111. 259 »Die Vogelkoje mit ihrem verträumten Zauber besuchte ich noch einmal und dann, es war genug.« Nolde 1967, S. 110. 260 Nolde 1967, S. 110.
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Maritime Werke im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit Die Zeit, in der Emil Nolde lebte, war von starken nationalen Strömungen geprägt, die in zwei Weltkriege führten. Aktuelle Forschungen zeigen, dass Nolde überzeugter Nationalsozialist, Antisemit und Rassist war, der auf Anerkennung durch das NS-Regime hoffte.261 Im Nationalsozialismus war der Nationalgedanke mit Bezugnahme auf die Vorstellung eines arischen »Übermenschen« rassistisch aufgeladen. Im nationalsozialistischen Kunstverständnis der Blutund Boden-Ideologie wurden Landschaftsmalereien – und somit auch Darstellungen des deutschen Nordseegebiets – als arteigene Rassenbekenntnisse gewertet. Noldes Kunst wurde als »entartet« – als »undeutsch« diffamiert. Nichtsdestotrotz war der Künstler überzeugter Nationalsozialist, wie z. B. sein Parteibeitritt sowie einige seiner Briefe belegen.262 Nolde strebte eine Würdigung seiner Werke im Kontext der von den Nationalsozialisten deklarierten neuen deutschen Kunst an. Im Jahre der Machtergreifung 1933 befanden sich noch Bilder des Künstlers in der Berliner Nationalgalerie. In Nolde-Ausstellungen im Nationalsozialismus wurden auch Meeresbilder präsentiert. Exemplarisch sei auf die Nolde-Ausstellung in der Galerie Möller in Berlin verwiesen, die noch im Jahr 1937 stattfand.263 Nolde unterstützte ein »Netzwerk« von Bekannten, Freunden und Bewunderern bei der Anerkennung seiner Kunst.264 Im Zuge der 261 Vgl. Fulda, Ring, Soika u. a. (Hg.) 2019a, vgl. Fulda, Ring, Soika u. a. (Hg.) 2019b, S. 9f. 262 Vgl. Merker 1983, S. 132. Vgl. Kat. Bielefeld 2007, S. 51. Vgl. Ring, Jolitz 2013. In einigen Briefen sind sogar eine gewisse Hitlerverehrung und antisemitische Züge ersichtlich. »Den Nationalsozialismus verehre ich als die besondere und jüngste Staatsform, die Arbeit ist zur Ehre erhoben. Und ich habe den Glauben, dass unser großer deutscher Führer Adolf Hitler nur für das Recht und Wohl des deutschen Volkes lebt und wirkt und auch dass er in ernsten Sachen von Grund auf die Wahrheit wissen will, […] und trotz allem, was in jüngster Zeit gegen mich unternommen worden ist, bin ich stets und immer im In- und Ausland für die große nationalsozialistische Sache mit vollster Überzeugung eingetreten.« Koldehoff, Stefan: NS-Vergangenheit des Malers, Noldes Bekenntnis, in: Die Zeit, 10. 10. 2013 (Nr. 42). Vgl. Ring, Jolitz 2013. Vgl. http://www.fr-online.de/kultur/-emil-nolde-retrospektive-derkuenstler-als-gemeiner-mensch,1472786,26471170,view,printVersion.html, 2. 4. 2013. 263 Vgl. Fulda, Ring, Soika u. a. (Hg.) 2019a, S. 59. Auf der Ausstellung wurden u. a. folgende Bilder gezeigt: »Nordseedünen« , »Hohe See« , »Meer und dunkle Wolken«, »Dünen« und »Brecher«. 264 Vgl. Fulda, Ring, Soika u. a. (Hg.) 2019a, S. 39–96. Exemplarisch sei auf eine Aussage Farenholtz’ verwiesen, der der Überzeugung war, dass sich alles zum Guten wenden würde: »Prof. Schardt hat einen sehr schönen Vortrag über deutsche Kunst gehalten, mit dem er grossen Beifall geerntet hat. Der Saal war überfüllt und der Jubel der Hörer gross. Natürlich gab es zum Schluss auch einige Widersprecher. Es war ein tiefer Eindruck, dies leidenschaftliche Bekenntnis so vieler zur Sache festzustellen. Schardt ging von früher nordischer Kunst aus, die er der Mittelmeervölker gegenüberstellte und endete bei Marc und Ihrem [Noldes] Abendmahlbild, das im Lichtbild sehr schön herauskam. – Am Donnerstag war der Redakteur Dr. Sigurd Rabe vom Völk. Beobachter hier und hat die Magdeburger Ausstellung gesehen und besucht. Da konnte ich ihm gleich Ihr Bild zeigen, von dem er tief beeindruckt
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Debatte um die »nordischen Expressionisten«, zu denen auch Nolde zählte, hoffte der Künstler auf eine Anerkennung seiner Kunst.265 Nolde bezeichnete sich und seine Kunst selber als »deutsch, stark, herb und innig«266 und als »nordisch«.267 Dabei sind Beziehungen zur NS Rasse-Kunst-Ideologie ersichtwar. Er hofft, nun auch schreiben zu dürfen und wollte vor der Freitag Kundgebung des Kampfbundes noch mit Alfred Rosenberg sprechen, den ich ja auch eingeladen hatte. Es scheint sich jetzt alles gut zu wenden.« Brief W. A. Farenholtz an Nolde vom 16. 7. 1933. Archiv Nolde-Stiftung Seebüll. 265 Vgl. u. a. Merker 1983, S. 97, 131–137. Vgl. Fulda, Ring, Soika u. a. (Hg.) 2019a, S. 39–68. 266 Vgl. Fulda, Ring, Soika u. a. (Hg.) 2019b, S. 134. 267 Vgl. Nolde 1967, S. 57f. Nolde bezieht sich auf Aspekte der Klimatheorie und führt unter anderen folgende Begründung an: »Die südlich geborenen Menschen sind gewandter als wir, mit zartem weicheren Sinn, und sie mögen das herbere, dynamisch Eckige der nordischen Völker nicht. In peitschendem Regen, in Frost und Sturm und Schneegestäber fühlen wir in der Kälte geborenen Menschen uns herzlich wohl, ja wir lieben das Toben der Elemente dort, wo der Südländer friert. In der Kunst ist es auch so…« Nolde 1967, S. 58. Er distanziert sich von dem arkadischen Gedanken: »Italien, das Land der Vergangenheit und der schlaff machenden Sonne, war nicht das Land unserer Sehnsucht […].« Ebd., S. 65. Nolde nahm, nachdem seine damalige Heimat Utenwarf im Rahmen einer Volksabstimmung Dänemark zugesprochen wurde, die dänische Staatsbürgerschaft an, betrachtete sich aber als Deutscher. Vgl. Hülsewig-Johnen 2008, S. 9. Nolde 1967a, S. 181. Nolde sucht in seiner Vergangenheit um angesichts der Ahnenlinie Klarheit über seine Nationalität zu erhalten. »Meine Mutter, Christine Hansen, heiratete einen jungen Friesen, Niels Hansen. Aus dieser nahen Mischung: Schleswigerin und Friesenblut, bin ich hervorgegangen.« Nolde 1949, S. 12. »Die Vorahnen meiner Mutter, seit neun Generationen auf dem elterlichen Bauernhof wohnend, mögen von der Burg und dem Ahnherrn Niss Ebbesen de Nylle und Thöger Nold oder Nolde herstammen. Diese Namen sind in Sagen und Heldengesängen erhalten.« Nolde 1967, S. 32. Weitere Ausführungen vgl. Nolde 1949, S. 12. Weiterhin hatte Nolde Einblick in ein Familienbuch, das seit 1685 geführt wurde. Jedoch gaben diese Eintragungen nur insofern Rückschlüsse über die Nationalität, dass die Schriftsprache deutsch, die Umgangssprache wahrscheinlich dänisch gewesen war. Vgl. Nolde 1967, S. 35. In Bezug auf die Vorfahren mütterlicherseits führte Nolde an: »Ich habe aber nie erfahren, ob ihre Vorfahren sich dänisch oder deutsch fühlten. Sie waren wohl Schleswiger nur, ganz unpolitisch und sicher wußten sie gar nicht, was das Fremdwort ›Politik‹ bedeutet.« Ebd., S. 35. Die Ahnen seines Vaters waren deutscher Nationalität, Nolde betont, dass sich der Vater unpolitisch verhielt. »Auch mein Vater mit seinem reinen klaren Sinn und Verstand war, in seiner Zeit lebend, unpolitisch und konnte nur deutsch schreiben. […] Er war Friese und die Friesen bis nach Holland hin bekennen sich als deutscher Stamm.« Ebd., S. 35. Nolde selber war im damals zu Deutschland gehörenden Dorf Nolde geboren, dass dann jedoch Dänemark zugesprochen wurde. Jedoch erkannte er die Vorzüge beider Länder. Rückblickend betonte er in seiner Autobiografie, dass es wichtiger sei, das Gemeinsame der Völker zu entdecken und zu fördern, als sich an den Unterschieden zu entzweien. Vgl. ebd., S. 37. In der Zeit, in der die Volksabstimmung durchgeführt wurde, beschäftigte sich Nolde mit der Frage der Nationalität: Was ist deutsch und was ist dänisch? Der Künstler führte aus, dass er von beiden Ländern Gewinn erhalten hatte: »Schleswig und mehr noch Schleswig-Holstein als mein Geburtsland hatten für mich immer einen besonderen und ehrenden Klang gehabt – ich liebte mein Land und stand ohne Neid und Zorn nach Norden und Süden schauend. Dänemark hatte mir eine vielgeliebte Lebensgefährtin gegeben, Deutschland die innige Schönheit seiner Musik und bildenden Künste.« Ebd., S. 32. »Nur das übertriebene Politische und alle kleinlichen Grenzangelegenheiten mochten wir nicht. Still schauten wir allem zu
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lich, denn Noldes Äußerungen können in Bezug zur nationalsozialistischen Auffassung von Heimatkunst gesetzt werden.268 »Die Urgründe meines Künstlertums jedoch liegen zutiefst im Boden engster Heimat verwurzelt. Wenn auch mein Wissen und Verlangen nach künstlerischer Weitung und Darstellungsmöglichkeiten bis in die entferntesten Urgebiete reichen, sei es in Wirklichkeit, wie es in Vorstellung oder Traum – die Heimat bleibt der Urboden.«269
Weiter führt Nolde an, dass er Schleswig-Holstein sowohl menschlich als auch künstlerisch »in Hoffnung und Treue« verbunden sei.270 Ebenso verweist er darauf, dass die Eindrücke auf seinen Reisen seine Kunst nur wenig beeinflussen konnten, da diese in der Heimat »wurzelt«:271 Kunst spiegle die Rasse des Künstlers wider : »Jeder starke Künstler, wo er auch arbeitet, gibt seiner Kunst den Stempel seiner Persönlichkeit, den Stempel seiner Rasse.«272 Solche Äußerungen müssen kritisch betrachtet werden, da sie eine Affinität zur nationalsozialistischen Rasse-Kunst-Lehre aufweisen. Damit belegt er seine Kunst mit rassistischen Heimatvorstellungen im Kontext der NS-Ideologie. Nolde wertete seine Kunst als »deutsch«, doch funktionalisierte er seine maritimen Werke nicht primär für politische Zwecke.273 Trotz Noldes Bemühungen um die Anerkennung seiner Kunst durch die Nationalsozialisten, erfolgte 1941 der Ausschluss aus der Reichskammer der bildenden Künste.274 Auf der Ausstellung »Entartete Kunst« 1937 in München
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272 273
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[nachdem ihre Region Dänemark zugesprochen wurde]. Über manches uns freuend, über einiges waren wir enttäuscht. Wir liebten unser Land, so wie es war […].« Ebd., S. 36f. Vgl. u. a. Hülsewig-Johnen, S. 17. Nolde 1967, S. 35. Vgl. ebd., S. 37. »Selbst bin ich der Meinung, daß meine Kunst trotz Reisen überall hin, tief im Heimatboden wurzelt, in dem schmalen Lande, hier zwischen den beiden Meeren.« Nolde zitiert nach Sauerlandt (Hg.) 1967, S. 160. Jedoch blieb er vom rassischen Gedankengut nicht ganz unbeeinflusst: »Meine vielen Farbenzeichnungen und die Bilder, welche ich auf den Südseeinseln malte, entstanden künstlerisch unbeeinflusst von exotischer Art zu bilden, ja meine kleinen Holzplastiken, ›mit dem Material in der Hand‹ mitten zwischen Inseln und Stämmen der Urbevölkerung entstanden, blieben in Empfindung und Darstellung so heimatlich nordisch deutsch, wie alte deutsche Plastiken es sind – und ich selbst es bin.« Nolde 1967a, S. 181. Dies korrespondiert mit der nationalsozialistischen Auffassung, der Deutsche male aufgrund rassischer Eigenschaften auch in der Ferne »nordisch deutsch«. Nolde 1967a, S. 180. »Sind nicht Politik und Kunst zweierlei? Sollten Künstlermenschen nicht allem Politischen enthoben sein und dem Zwiespalt der Landesgrenzen fernstehen dürfen?« Nolde 1967, S. 35. Nolde verweist auf den Vermittlungscharakter seiner Kunst im nördlichen Europa, die dieser zugesprochen wird. Vgl. ebd., S. 37. Vgl. Sauerlandt (Hg.) 1967, S. 160. »Sollte sie [Noldes Kunst] ein verbindendes Glied werden können zwischen Deutschland und den nordischen Ländern, vielleicht, – S…. glaubt es – ich weiß es nicht.« Nolde zitiert nach Sauerlandt (Hg.) 1967, S. 160. Vgl. Nolde 1967, S. 124.
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war er bereits mit über fünfzig Bildern vertreten.275 Der Künstler wehrte sich gegen die Diffamierung und litt sehr darunter. »Ich schrieb Briefe, mich schärfstens wehrend, sagend, so viel ich konnte und durfte. Ich schrieb, daß ich als geborener Bauernsohn von neun hintereinander, auf gleichen Hof wohnenden Geschlechtern der erste sei, welcher vom Dorf in die Welt hinausgezogen wäre, ich sei nicht ›entartet‹, meine Kunst sei gesund und stark […].«276
Die Zeit seines Berufsverbots verbrachte er in Seebüll.277 Im Privaten fertigte er weitere Werke an.278 Nach dem Krieg förderte er den Mythos eines Malverbots:279 »Die Jahre vergingen. Verstohlen hatte ich bisweilen in einem kleinen, halbversteckten Zimmer gearbeitet. Ich konnte es nicht lassen. Material beschaffen jedoch war mir entzogen, und es waren fast nur meine kleinen, besonderen Einfälle, die ich auf ganz kleine Blättchen hinmalend und festhalten konnte, meine »ungemalten Bilder«, die große, wirkliche Bilder werden sollen, wenn sie und ich es können.«280
Das Meer fand motivisch Eingang in seine sogenannten »Ungemalten Bilder«, die allerdings über einen größeren Zeitraum entstanden.281 Nach dem Krieg hielt er sich eine Zeitlang in St. Peter-Ording auf und auf Basis dieses Aufenthalts entstanden ebenfalls Aquarelle.282 Einige der im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit entstandenen Meeresbilder visualisieren weitgehend übergeordnete Vorstellungen des Meeres. Andere Gemälde basieren auf Meeresaquarellen, (die wahrscheinlich auch auf Sylt entstanden). Nur wenige Werke, z. B. das Bild »Nordseedünen« (1936),
275 Vgl. u. a. ebd., S. 115–149. 276 Ebd., S. 121. 277 »Ein Jahr verging nach dem anderen, – ich weiß kaum wie –. Halb träumend ging ich umher, scheu war ich geworden, fremde Menschen meidend, nur wenig mit Nachbarn redend, dabei nichts von meinem Schicksal erzählend oder wie macht- und wehrlos ich sei. Ich wollte kein Martyrer sein.« Vgl. Nolde 1967, S. 125f. 278 Vgl. u. a. Fulda, Ring, Soika u. a. (Hg.) 2019b, S. 218f. 279 Vgl. u. a. Haftmann 1963, vgl. Nolde 1967, S. 147f., vgl. Osterwold/Knubben (Hg.) 1999. 280 Nolde 1967, S. 126. »Diese kleinen Blätter, »die ungemalten Bilder«, haben mir als Mensch und Maler viel Freude gegeben. Immer wieder, fast ohne es zu wissen, stand ich dabei, mich durch neu erfundenes überraschend. Viele Hunderte sind es geworden. Wenn ich sie alle malen soll, müßte meine Lebenszeit mehr als verdoppelt werden, […].« Nolde 1967, S. 148. Nolde überarbeitete die »Ungemalten Bilder« immer wieder. »Ich selbst habe sie lange und oft angesehen und fast immer wieder viele Male an jedem einzelnen Blatt gearbeitet, geändert, sie in Farben, Zeichnung und Ausdruck gesteigert, bis dann doch ich sie hinlegte, nicht mehr könnend.« Nolde 1967, S. 147. Weitere Ausführungen zu den sogenannten Ungemalten Bildern vgl. Fulda, Bernhard: »Die ›Ungemalten Bilder‹ Genese eines Mythos«, in: Fulda, Ring, Soika u. a. (Hg.) 2019a, S. 179–220. 281 Vgl. u. a. Kat. Alkersum 2018, S. 111–131, vgl. Fulda, Ring, Soika u. a. (Hg.) 2019a, S. 179– 220. 282 Vgl. Reuther 2010.
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weisen im Titel eine lokale Verortung auf. Primär setzte er Stimmungen und Dynamik des Meeres um. In jüngster Forschung wird die These angeführt, dass Nolde auf die Anfeindungen seiner Kunst, insbesondere auf seine figürlichen Darstellungen, in der Weise reagierte, dass er Themen aufgriff, die den Forderungen des NS-Regimes eher entsprachen und nicht zu anstößig waren.283 Möglicherweise blieb das Meer ein beständiges Motiv seines Schaffens, da maritime Darstellungen in den nationalsozialistisch kompatiblen Themenkreis gefälliger Kunst passten.284 Aufgrund mangelnder Selbstzeugnisse lässt sich dies nicht belegen. Zudem kann Nolde Motive der stürmischen See insbesondere in den 30er Jahren erfolgreich verkaufen.285 Vereinzelt visualisierte er das Meer sogar als Kriegszone, wie das Bild »Kriegsschiff und brennender Dampfer« belegt.286 Motivisch hat er sowohl die ruhige, stille und insbesondere auch die stürmende, tobende See (vgl. z. B. Abb. B.6.13) in seinen Werken aufgegriffen.287 Exemplarisch für eine maritime Darstellung,288 die auf Basis einer Aquarellstudie (Abb. B6.34) entstand, sei auf das Werk »Blauer Tag am Meer«289 (Abb. B6.35) verwiesen. Es handelt sich um eine übergeordnete Darstellung vom Meer. Darauf verweisen sowohl der Titel als auch das Motiv. Drei Segler sind in unterschiedlichen Abständen verbildlicht.290
283 Vgl. Fulda: »Juden, Phantasien und Wikinger«, in: Fulda, Ring, Soika u. a. (Hg.) 2019a, S. 119–133, hier : S. 122. 284 Doch es wurden ebenfalls maritime Werke beschlagnahmt, z. B. die Bilder »Hallig Habel« und »Lichte See«. Vgl. Urban 1990, Abb. 701, 1210, S. 19, 485. 285 Vgl. u. a. Krämer, Felix; Hollein, Max u. a. (Hg.): Emil Nolde. Retrospektive, München 2014, S. 269. 286 Abbildung vgl. Krämer 2014, Abb. 20. 287 Vgl. exemplarisch Urban 1990, Abb. 1147, 1148, 1150–1152, 1158–1163, 1178–1183. 1186, 1200–1202. 288 Im Rahmen seiner figürlichen Darstellungen im maritimen Kontext fertigte er das Werk »Der Seemann« (vgl. Urban 1990, Abb. 1281) an. Ein bärtiger, Pfeife rauchender, ernst aussehender Seemann ist in sitzender Pose dargestellt. Im Werk Noldes finden sich zwar vereinzelt Fischerdarstellungen, doch der Seemann gehört im Allgemeinen nicht in sein Motivrepertoire. 289 Vgl. Urban 1990, Abb. 1236. 290 Diese Art Segelschiffe griff Nolde in einem weiteren Werk auf: »Seglerhafen« Vgl. ebd., Abb. 1254.
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Abb. B6.34: Emil Nolde, Ung. 1184, Aquarell, 15,8 x 15,3 cm, Nolde Stiftung Seebüll
Abb. B6.35: Emil Nolde, Blauer Tag am Meer, 1940, Öl, 56 x 70 cm, Nolde Stiftung Seebüll
Auch die Titel der Werke »Harmonie A«291 und »Harmonie C«292 (Abb. B6.36) verweisen darauf, dass Nolde die Meeresmotivik für übergeordnete Vorstellungen – hier die Darstellung von Harmonie – einsetzte. Im erstgenannten Werk wird der Blick des Betrachters vom Land ausgehend an einer Baumgruppe an der Küste vorbei aufs Meer geführt, auf dem sich rechts zwei Segler befinden.
291 Vgl. ebd., Abb. 1270. 292 Vgl. ebd., Abb. 1272.
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Abb. B6.36: Emil Nolde, Harmonie C, 1946, Öl, 73 x 88,5 cm, Nolde Stiftung Seebüll
Im letztgenannten Werk (Abb. B6.36) dagegen wird der Blick auf ein Lichtschauspiel auf dem Meer gelenkt. Anstelle der Segelschiffe werden hier Dampfer in die Komposition eingebunden.293 Neben möglichen Einflüssen der »Ungemalten Bilder« kann z. B. »Harmonie C« mit den in St. Peter entstandenen Aquarellen in Verbindung gebracht werden.294
Abb. B6.37: Emil Nolde, Windiger Nachmittag, 1949, Öl, 70 x 90 cm, Privatbesitz
293 Im Werk »Glühender Meeresabend« (vgl. Urban 1990, Abb. 1322), das allerdings nicht zur Serie der Ungemalten Bilder gehört, führte er diese Kompositionen weiter. Der Blick auf das weite Meer ist visualisiert. Eine dunkle Wolke spiegelt sich im Wasser. Im Lichtbereich des Meeres sind zwei Schiffe zu erkennen, deren weiße Segel sich im Meer spiegeln. Auf der rechten Bildseite ist der qualmende Dampfer dargestellt. Die Schiffe stellen jedoch nicht wesentliche Motive dar, sondern unterstützen die harmonische Wirkung des Bildes. Sprottes Interpretation des Schiffsmotivs allgemein im Werk Nolde schließe ich mich nicht an. Sie führt Folgendes an: »Das Schiff ist als Stellvertreter für den Menschen zu sehen, der seinen Platz in der Natur sucht, ihren elementaren Kräften in der Regel aber eher unterliegt« Sprotte 1999, S. 58. Meines Erachtens ging es Nolde weniger darum den Kampf von Mensch und Natur in diesen Werken zu visualisieren. Vielmehr wird die Farbästhetik und Stimmungshaftigkeit im Vordergrund stehen. So spricht beispielsweise der Titel »Harmonie C« gegen Sprottes Deutung. 294 Vgl. Urban 1990, S. 528, 530. Vgl. Schlenker 2018, S. 29.
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Ebenfalls auf Basis eines Aquarells ist das Ölgemälde »Windiger Nachmittag«295 (Abb. B6.37) entstanden. Das aufgewühlte Meer ist verbildlicht. In der rechten Bildhälfte ist klein am Horizont ein Dampfer zu erkennen. Dieses Motiv ist auch in den im selben Jahr entstandenen Ölgemälden »Schwüle sinkende Sonne«296 und »Abendsonne«297 aufgegriffen. Auch hier ist ein übergeordnetes Farbenschauspiel und Stimmungsbild visualisiert.
Abb. B6.38: Emil Nolde, Lichtes Meer, 1948, Öl, 69 x 85 cm, Nolde Stiftung Seebüll
Das im Jahre 1948 geschaffene Werk »Lichtes Meer« (Abb. B6.38), das möglicherweise auf ein im Kontext des St. Peter-Aufenthaltes 1946 entstandenes Aquarell zurückgeht,298 wird exemplarisch herangezogen, um zu zeigen, dass Nolde Schiffsmotive, die viele Marinemaler in den Fokus ihrer Bilder stellten, nur peripher einsetzte. So liegt im benannten Bild zwar die Konfrontation von moderner Dampfschifftechnik mit traditioneller Segelschifffahrt vor, doch fügen sich die Schiffsmotive nur als stimmungsunterstützende Elemente ins Gesamtbild ein. Die Verbildlichung von technischen Details strebte der Künstler nicht an. Zeitlebens waren es Farben und Stimmungen, die im Vordergrund seiner Werke standen. Variationen des Motivs enthalten die Werke »Glühender Meeresabend«299, »Sonnenuntergang«300 und »Lichte Wolken überm Meer«301 (Abb. B6.39). Im letztgenannten können die winzig dargestellten Segel von zwei 295 296 297 298 299 300 301
Vgl. ebd., Abb. 1321. Vgl. ebd., Abb. 1323. Vgl. ebd., Abb. 1324. Krämer, Hollein u. a. (Hg.) 2014, S. 277. Vgl. Urban 1990, Abb. 1322. Vgl. ebd., Abb. 1320. Vgl. ebd., Abb. 1349. In diesem Werk wird ein Streifen Meer von einer etwa Dreiviertel des Bildraumes einnehmenden Himmelsfläche überspannt. Zwei weiße, winzig erscheinende Segelschiffe verbinden die beiden Bildbereiche. Der Himmel ist in hellen Blau-, Grün- und Gelbtönen angelegt, die im Meer wieder aufgegriffen werden, allerdings ist dieses in einigen Bereichen dunkler dargestellt.
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auf dem Meer befindlichen Schiffen auf die Nichtigkeit des Menschen angesichts der Größe und Weite dieser Natur verweisen.
Abb. B6.39: Emil Nolde, Lichte Wolken überm Meer, 1951, Öl, 68 x 88 cm, Nolde Stiftung Seebüll
Ebenso verbildlichte Nolde das Meer auch ohne Schiffe. Beispielsweise schuf er ausdrucksstarke Bilder der aufgewühlten See mit hohen Wogen und brechenden Wellen. Auch das Zusammenspiel von Himmel und Meer und damit verbundene Wetter und Licht bedingte Stimmungen waren ein wiederkehrendes Motiv in seinem Werk. Exemplarisch sei auf die Werke »Hohe Sturzwelle« (Abb. B6.11), »Abendrot überm Meer«302 (Abb. B6.40) und »Durchbrechendes Licht«303 verwiesen.
Abb. B6.40: Emil Nolde, Abendrot überm Meer, 1950, Öl, 68,5 x 88,5 cm, Nolde Stiftung Seebüll
Das Meer blieb in seinem Schaffen im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit ein wichtiges Motiv.
302 Vgl. Urban 1990, Abb. 1341. 303 Vgl. ebd., Abb. 1340.
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Abschließende Zusammenfassung Der Künstler verbrachte viele Jahre seines Lebens in der Wattenmeerküstenregion. Er kehrte von der Ostseehalbinsel Alsen in die nordfriesische Region zurück und lebte dort bis an sein Lebensende. Nolde liebte die raue, herbe Schönheit der unter dem Einfluss der Nordsee stehenden amphibischen Landschaft. Er war mit den Sturmfluten vertraut und sah im überfluteten Land – im Gegensatz zu vielen seiner Zeitgenossen nicht nur den wirtschaftlichen Schaden – sondern ebenfalls die Schönheit. Auch kannte er weitere Inseln und Küstengebiete der Nordsee und sammelte dort ästhetische Erfahrungen, die ihn inspirierten. So erlebte er Stille, innere Sammlung, Glücksempfinden, Einsamkeit und Melancholie während seiner Aufenthalte in Lildstrand, auf Hallig Hooge und Sylt. Die Meeresbilder ziehen sich – neben anderen Motivgruppen – gleich einem roten Faden durch sein Werk. So fertigte er immer wieder serielle Arbeiten, aber auch Einzelwerke zum Thema »Meer« an.304 Er lehnte »Nachbildungskunst« ab. Somit war es nicht seine Intention, die verschiedenen Meere – in diesem Fall die Nordsee und das Wattenmeer – zu verbildlichen, sondern er intendierte die »Hinzufügung des eigenen Seelisch-Geistigen«.305 Auch die Meeresbilder müssen unter diesem Anspruch bewertet werden. Der Künstler orientierte sich an Naturphänomenen, sodass er die Grenze zum völlig Abstrakten nicht überschritt, doch fließen im Rahmen seiner individuellen Farbästhetik subjektive Erlebnisse und erlebte Meeresstimmungen mit ein. Obwohl er das Meer als ein »Urphänomen« bezeichnete und übergeordnete Vorstellungen des Meeres verbildlichte, sind bei einigen Werken konkrete Verortungen zulässig, wie beispielsweise bei der auf Sylt geschaffenen Serie von Wellenbildern. Nolde ging es jedoch primär 304 Neben den im vorigen Textverlauf genannten Werken sei exemplarisch noch auf folgende Meeresbilder verwiesen. »Meer« (vgl. Urban 1987, Abb. 527), »Hohe See« (vgl. Urban 1990, Abb. 988), »Am Meer« (vgl. ebd., Abb. 1152), »Hohe See« (vgl. ebd., Abb. 1158), »Ruhiges Meer« (vgl. ebd. 1160), »Meer und Himmel« (vgl. ebd., Abb. 1181), »Das Meer« (vgl. ebd., Abb. 1276), »Auf hoher See« (vgl. ebd., Abb. 1334). Exemplarisch wird im Folgenden auf verschiedene Serien verwiesen. Die Werke »Das Meer« (vgl. Urban 1987, Abb. 527) und »Das Meer II« (vgl. ebd., Abb. 528) entstanden im Jahr 1912, als der Künstler noch auf Alsen lebte. Ein Jahr später entstand wiederum eine Serie von Meeresbildern. Folgende Werke gehören zu dieser Serie: »Das Meer III« (vgl. ebd., Abb. 558), »Das Meer IV« (vgl. ebd., Abb. 559), »Das Meer V« (vgl. ebd., Abb. 560). In diesen tritt das Meer mit seinen Wellen und Farben als eigenständiges Motiv stark heraus. Im Jahr 1947 schuf der Künstler eine weitere Serie Meeresbilder : »Meer (I)« (vgl. Urban 1990, Abb. 1290), »Meer (II)« (vgl. ebd., Abb. 1291), »Meer (III)« (vgl. ebd., Abb. 1292) und »Ocean« (vgl. ebd., Abb. 1293). Die Werke zeigen zwar alle das aufgewühlte Meer, doch erfolgte dies in unterschiedlicher Weise. Es ist ersichtlich, dass Nolde im fortgeschrittenen Alter auf eine umfangreiche Bildsprache bei der Darstellung des Meeres zurückgreifen konnte. 305 Vgl. Nolde 1967a, S. 104.
Abschließende Zusammenfassung
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um die Darstellung von Stimmungen im Kontext seiner Farbästhetik. Besonders die durch Lichtreflexion und Wetterphänomene bedingten Stimmungen der Nordseeküste griff er wiederholt motivisch auf. Sie regten ihn neben der Schaffung von Landschaftsmalereien zu figürlichen und fantastischen Darstellungen an.306 Ebenso besitzen einige Werke, wie »Das Seeweib«, Anklänge an das Sagenhafte des Meeres. Auch »reale » Menschen wie Fischer und andere Küstenbewohner verbildlichte er. Das Seebäderwesen an der Nordseeküste erlebte er vor allem auf seinen Reisen. In den wenigen Werken, in denen Badegäste das Motiv bilden, werden diese häufig nicht detailliert sondern im Kontext seiner expressiven Farbästhetik dargestellt. Das Watt und dessen geomorphologischen Veränderungen weckten jedoch nicht sein Interesse. Der Künstler nahm zwar die Vielfalt der Vogelwelt wahr. Jedoch stand seiner Naturliebe die Jagdleidenschaft gegenüber. Den Naturschutzgedanken betrachtete er zwiespältig. Auf der einen Seite beobachtete er die Natur und bewertete beispielsweise Eindeichungsmaßnahmen als Zerstörung der Landschaft. Auf der anderen Seite besaß er Jagdleidenschaft und erkannte die Notwendigkeit des Deichbaus an. Schiffe verbildlichte er nicht – wie die wilhelminischen Marinemaler – detailliert in Bezug auf Technik, sondern sie fungieren vielmehr nur als Stimmungselemente. In der Zeit des Nationalsozialismus übertrug er die rassistische Heimat-Kunst-Ideologie auf seine Bilder.307 In einer werkimmanenten Betrachtung ist dies in seinen Meeresmotiven jedoch nicht ersichtlich. Nolde visualisierte das Meer in seiner Größe, Gewalt, Dynamik und seinen vielfältigen Stimmungen. Allgemein brach Nolde mit seinen expressionistischen Meeresbildern, in denen Farb- und Formästhetik im Vordergrund stehen, traditionelle Darstellungsweisen und initiierte neue Sehweisen. Ein weiterer Künstler, der ebenfalls neue Sehweisen einbrachte und im Nationalsozialismus Diffamierungen erlitt, war Max Beckmann. Auch in seinem Werk spielt die Nordsee eine bedeutende Rolle.
306 Emil Nolde maß dem Figurenbild größere Bedeutung zu als dem reinen Landschaftsbild. Im Jahr 1925 schrieb er in einem Brief Folgendes: »Es fällt mir schwer Landschaften zu malen, oft erst nachdem ich sie ein oder zweimal umgemalt habe, bin ich zufrieden. In meiner Produktion sind nur wenige Landschaften, die mir ebenso lieb sind als manche der Figurenbilder.« Nolde zitiert nach Sauerlandt 1967, S. 171. 307 Vgl. die jüngsten Forschungen Fulda, Ring, Soika u. a. (Hg.) 2019a, Fulda, Ring, Soika u. a. (Hg.) 2019b.
7.
Max Beckmann – Die Nordsee als künstlerischer Studienort, Urlaubsziel und Projektionsfläche individueller Lebenssituationen
Max Beckmann1 (1884–1950) besaß allgemein zum Meer eine enge Bindung und visualisierte seine individuellen Sehweisen in der Kunst. Seine Faszination für das Meer zeigt sich in bestimmten Schaffensphasen.2 Obwohl maritime Bilder nur einen Teil in seinem Gesamtwerk ausmachen und das Wattenmeer nicht zu seinem gängigen Motivrepertoire gehörte, wird seine künstlerische Auseinandersetzung mit der Nordsee in dieser Studie herangezogen, da diese sehr vielseitig ist. Er bereiste allerdings verschiedene Meere und gewann dadurch künstlerische Inspirationen.3 Im Folgenden werden aber ausschließlich Werke analysiert, die motivisch die Nordsee betreffen.4 Während seiner Zeit in Europa, bevor er nach dem Zweiten Weltkrieg in die USA emigrierte, reiste er häufig an dieses Meer. Dabei ist in Bezug auf die Nordseebilder eine Stil- und Motiventwicklung abzulesen. Ebenso spiegeln sich im zeitgeschichtlichen und politischen Kontext die unterschiedlichen Lebenssituationen des Künstlers in seinen Bildern.5
1 Im Jahr 1908 trat Beckmann der Berliner Sezession als Mitglied bei. Nach zwei Jahren verließ er diese allerdings bereits wieder. Im Jahr 1914 war er Mitbegründer der Freien Secession in Berlin sowie Auswärtiges Mitglied der Münchner Neuen Secession. Vgl. Kat. Hamburg 2003, S. 149f. In der Forschung ist Leben und Werk gut aufgearbeitet, sodass an dieser Stelle nur darauf verwiesen wird. Vgl. u. a. Kat. Mannheim 2013, vgl. Kat. Bielefeld/Hamburg 1998, vgl. Kat. Hamburg 2003, vgl. Kat. Amsterdam/München 2007, vgl. Göpel 1976, Bd. 1 und Bd. 2, vgl. Schneede 2011. 2 Zur Bedeutung und Metaphorik des Meeres in Beckmanns Werk vgl. Kat. Hamburg 2003, vgl. Gallwitz 2003, vgl. Harter 2003, vgl. Schubert 1997. Zur Einordnung von Beckmanns maritimen Werken in den kunsthistorischen Kontext sowie eine Analyse möglicher Stileinflüsse vgl. Westheider 2003. Ausführungen allgemein zu Beckmanns Landschaftsmalerei inklusive der Seestücke vgl. Rother 1990. Exemplarisch für maritime Werke, die durch Mythologie und Literatur inspiriert wurden vgl. Rother 1990, S. 114ff. 3 So besaß beispielsweise das Mittelmeer eine bedeutende Rolle für seine Kunst. 4 Belting hat in Bezugnahme auf biografische Stationen Beckmanns Meeresdarstellungen analysiert. Vgl. Belting 2011. 5 Vgl. Gallwitz 2003.
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Beckmanns künstlerische Annäherungen an die Nordsee im Frühwerk »Ich bin durch andere zur Kunst gebracht worden, wollte ursprünglich Seefahrer oder so etwas Ähnliches werden«6, äußerte Beckmann in einem Interview im Jahre 1927. Als Dreizehnjähriger bewarb er sich 1897 erfolglos als Steward auf einem Amazonasdampfer. Letztendlich schlug er eine künstlerische Laufbahn ein und studierte von 1900 bis 1903 an der Großherzoglich-Sächsischen Kunstschule in Weimar. Die Nordsee stellt zwar kein Hauptmotiv in seinem Gesamtoeuvre dar, doch bereits in seinem Frühwerk wurde Beckmann durch diese inspiriert. So bereiste er die Nordwestküste Dänemarks sowie die Inseln Sylt, Wangerooge und Amrum. Einige seiner frühen Bilder entstanden auf diesen Inseln und an der holländischen Küste.7 Im Jahre 1902 unternahm Beckmann eine Reise nach Amrum. Am 7. 7. 1902 berichtete er aus Wittdün seinem Malerkollegen Kunwald über die »wundervolle Nordsee« und bat ihn, mit ihm eine Reise nach Helgoland zu unternehmen: »Sende Ihnen von der wundervollen Nordsee die herzlichsten Grüße. Hätten Sie Lust sich mit mir auf Helgoland ganz in der Nähe von Hamburg einmal zu treffen. Ich komme dann von hier [Amrum] dahin.«8 Diese gemeinsame Reise kam leider nicht zustande. Ein weiterer Brief an Kunwald Ende Juli aus Westerland belegt, dass sich Beckmann auch auf Sylt aufhielt.9 Auf Basis des Aufenthalts an der Nordsee entstanden eine Anzahl maritimer Bilder. Exemplarisch sei auf die kleinformatigen Ölstudien »Strand mit grauem Kahn und grauem Meer«10 (Abb. B7.1), »Meeresstrand, violetter Himmel«11 (Abb. B7.3) »Meeresstrand, braun und grau«12 (Abb. B7.2) verwiesen. In diesen Werken ist das Zusammenspiel von Meer, Strand und Himmel verbildlicht.
6 Zitiert nach Kat. Hamburg 2003, S. 126. 7 Vgl. Kat. Hamburg 2007, S. 14. 8 Brief von Beckmann an Caesar Kunwald, Wittdün, 7. 7. 1902, in: Gallwitz, Schneede, Wiese (Hg.), S. 12. 9 Brief von Beckmann an Caesar Kunwald, Westerland, 28 [?].7.1902, in: Gallwitz, Schneede, Wiese (Hg.), S. 12. 10 Kat. Basel 2011, Kat. 1. Vgl. ebenso Rother 1990, S. 25. 11 Göpel 1976, Bd. 2, Kat. 9. 12 Kat. Basel 2011, Kat. 2.
Beckmanns künstlerische Annäherungen an die Nordsee im Frühwerk
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Abb. B7.1: Max Beckmann, Strand mit grauem Kahn und grauem Meer, 1902, Öl, 19 x 32 cm, Kunsthandel Jörg Maaß, Berlin
Abb. B7.2: Max Beckmann, Meeresstrand, braun und grau, 1902, Öl, 20 x 31,5 cm, Privatbesitz
Abb. B7.3: Max Beckmann, Meeresstrand, violetter Himmel, 1902, Öl
Im erstgenannten ist auf dem Strand im Vordergrund in Seitenansicht ein Ruderboot dargestellt. Dahinter erstreckt sich das Meer. Am Horizont sind vage Erhebungen auszumachen, die auf Halligen und umliegende Inseln deuten können. Eine reduzierte Motivwahl und eine Schichtung der Ebenen »Strand«, Meer« und »Himmel« liegt vor. Das Bild vermittelt eine gewisse Statik und Ruhe. Unterstützt wird dies durch eine horizontal angelegte Pinselführung. Es wurden gedämpfte Farbtöne gewählt, die einen naturalistischen Eindruck vermitteln. Ein ähnlicher Farbklang liegt im Werk »Meeresstrand, braun und grau« (Abb. B7.2) vor. Im Gegensatz zum erstgenannten Bild ist eine schräg verlaufende
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Strandlinie gegeben. Dahinter erstreckt sich das überwiegend in hellen Grauund Blautönen dargestellte Meer. Der Horizont stellt keine gerade Linie dar. Einzelne Segel heben sich sehr klein davor ab. Im Werk »Meeresstrand, violetter Himmel« (Abb. B7.3) ist der schräge Strandverlauf noch gesteigert. Dies und die heranrollenden, mit Gischt bekränzten Wellen erzeugen eine Dynamik, die im erstgenannten Bild »Strand mit grauem Kahn und grauem Meer« (Abb. B7.1) noch nicht vorhanden ist. Allen drei Werken ist gemeinsam, dass durch einen flüchtigen Pinselduktus eine Stimmung wiedergegeben und auf die Darstellung von Menschen verzichtet wurde. Im Gegensatz zu diesen maritimen Studien ist das Werk »Strandlandschaft«13 (Abb. B7.4, siehe Titelbild) detaillierter gestaltet.
Abb. B7. 4: Max Beckmann, Strandlandschaft, 1904, Öl, 50 x 69,5 cm, Museum Kunst der Westküste, Föhr
Es entstand 1903 bei einem Winteraufenthalt an der Nordseeküste bei Scheveningen.14 Eine Anmerkung zum Titel lautet »Strandlandschaft bei beginnender Flut«15 und geht vermutlich auf einen Hinweis Beckmanns zurück.16 Dies ist eines der wenigen Werke, in denen Beckmann die durch die Gezeiten geprägte Landschaft visualisiert. Allerdings sind die Gezeiten an der Nordseeküste bei Scheveningen bei weitem nicht so stark ausgeprägt wie an der Wattenmeerküste. Der imaginäre Betrachterstandpunkt lässt sich auf einer Düne verorten. Erhöht hat der/die Betrachtende Aufblick auf den Strandverlauf. Im linken Bildbereich steht ein Holzgerüst. Dieses wirkt angesichts der Weite der Strandlandschaft nahezu verloren und unbedeutend. Um diese kalte Jahreszeit ist der Strand menschenleer. Überflutete Flächen zeichnen sich auf ihm ab. Das Meer hat sich bei Ebbe zurückgezogen. Die noch feuchten Strandbereiche und Was13 14 15 16
Kat. Basel 2011, Kat. 4. Vgl. Kat. Alkersum/Föhr 2009, S. 18. Vgl. Göpel 1976, Bd. 1, Kat. 16. Vgl. ebd., Kat. 16.
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serverläufe kreieren Muster. Die weiße Gischt auf den sich brechenden Wellen kennzeichnen die Grenze zwischen Wasser und Land. Überwiegend wurden gedämpfte Töne eingesetzt. Dies gibt den Eindruck der winterlichen Nordseeküste wieder. Ein gleichnamiges Werk (Abb. B7.5) zeigt in reduzierter Bildsprache den Grenzverlauf von Wasser und menschenleerem Strand.17
Abb. B7.5: Max Beckmann, Strandlandschaft, 1904, Mischtechnik, 50 x 69,5 cm, Privatbesitz
Während in den bisher angeführten Bildern das Zusammenspiel zwischen Land und Wasser im Fokus stand, ist im 1904 entstandenen Werk »Das Meer«18 (Abb. B7.6) das von Wellen aufgewühlte Meer das Hauptmotiv. Auf eine Stranddarstellung wurde verzichtet. Durch die schräg auf den/die Betrachter/in zulaufenden Wellen wird eine dynamische Wirkung hervorgerufen. Das Meer im Zusammenspiel mit dem Himmel avanciert zum eigenständigen Motiv.
Abb. B7.6: Max Beckmann, Das Meer, 1904/1905, 46 x 59,5 cm, Privatbesitz
17 Vgl. Göpel 1976, Bd. 2, Kat. 17. 18 Vgl. ebd., Kat. 17a.
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Zu Beginn seines künstlerischen Schaffens arbeitete Beckmann am Strand noch als Freilichtmaler.19 Dies änderte sich jedoch; viele seiner Werke wurden im Atelier geschaffen und besitzen somit stärkeren Konstruktionscharakter. Figürliche Darstellungen griff er in den beschriebenen frühen von der Nordsee inspirierten Werken nicht auf. Doch bereits um 1904/05 nahm der Mensch eine bedeutendere Funktion in seinen Bildern ein. In einem Brief an Kunwald vom 27. 10. 1904 aus Berlin berichtet Beckmann, dass er »sehr viel Meerstudien« anfertigt und sich motivisch u. a. mit »Frauen mit flatternden Gewändern am Meer« befasst.20 In dem im Folgejahr entstandenen Werk »Junge Männer am Meer«21 (Abb. B7.7) ist der Fokus auf das Badeleben gerichtet.
Abb. B7.7: Max Beckmann, Junge Männer am Meer, 1905, Schlossmuseum Weimar
Dieses Werk entstand im Berliner Atelier.22 Möglicherweise geht es auf Inspirationen seiner Aufenthalte an der Nordsee zurück. Ebenso kann es sich um eine übergeordnete Darstellung des Meeres handeln.23 Im Vordergrund ist eine Gruppe junger Männer in neoklassizistischer Manier dargestellt.24 Im Hintergrund befinden sich weitere männliche Figuren auf dem Strand sowie im Meer. Im Gegensatz zu den vorab angeführten Ölstudien, in denen Meer und Strand die Stimmung tragen, fungieren sie in diesem Bild als Bühne. Beckmann erntete für dieses Werk seinen ersten Ruhm. Es wurde auf einer Ausstellung der Berliner 19 Vgl. Gallwitz 2003, S. 13. 20 Brief von Beckmann an Caesar Kunwald, Berlin 27. 10. 1904, in: Gallwitz, Schneede, Wiese (Hg.), S. 27–33, hier : S. 32. 21 Vgl. Kat. Basel 2011, S. 58, Abb. 35. 22 Vgl. Brief von Beckmann an Caesar Kunwald, Berlin, 20. 04. 1905, in: Gallwitz, Schneede, Wiese (Hg.), S. 34. Weitere Ausführungen zum Bild vgl. Rother 1990, S. 31f. 23 In einem Brief an seinen Malerfreund Kunwald schrieb er : »Ich habe ein großes Bild gemalt. Fertig gemalt. Nackte Jünglinge am Meer. Etwas conventionell, was? Aber es sieht nicht sehr conventionell aus. Ich bin nicht gerade sehr begeistert davon, habe aber viel gelernt dabei.« Brief von Beckmann an Caesar Kunwald, Berlin, 20. 04. 1905, in: Gallwitz, Schneede, Wiese (Hg.), S. 34. 24 Das Bild ist stilistisch u. a. von Luca Signorelli und Hans von Mar8es beeinflusst mit Anlehnungen an den Neoklassizismus. Ausführungen zum Bild vgl. Rother 1990, S. 31.
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Sezession 1906 ausgestellt und er erhielt dafür ein Stipendium für einen Aufenthalt in Florenz.25 Das Bild wurde museal angekauft.26 Während in diesem Werk die Figuren als Hauptmotiv fungieren, so weichen die im selben Jahr bei einem Dänemarkaufenthalt geschaffenen Werke davon stark ab. Im Sommer 1905 hielt Beckmann sich in Nordjütland in den Orten Agger und Vestervig auf. Dieser Bereich gehört nicht zum Wattenmeer, liegt aber an der Nordseeküste. Ein Brief Beckmanns an seinen Malerfreund Kunwald, mit der Bitte ihn dorthin zu begleiten, verdeutlicht seine Vorfreude auf die Reise an die Nordsee: »[…] ich gehe am 1. Juli an die Nordküste nach Jütland, allein und auf einen ganzen Monat. Entweder nach Skagen oder einem kleinen Fischerdorf in der Nähe. Ich würde mich unglaublich freuen, wenn Du mitgingest. Bitte überlege es Dir ernstlich. Denke Dir weite große graue Strandflächen, schwarzes Meer mit wilden weißen Kämmen, wie Bardenbärte, und Felsen.«27
Kunwald entsprach seiner Bitte jedoch nicht. Somit reiste Beckmann ohne ihn nach Dänemark und fertigte dort in der rauen Natur seine Malstudien an. Diese weisen impressionistische Züge auf. In einem Brief, den Beckmann aus Agger an Kunwald schickte, drückte er seine Bewunderung u. a. für C8zanne und Monet aus.28 Der Künstler führte an, er mache Monet »noch jetzt am Meer hier oft [s]eine Verbeugung«.29 Mit Blick auf die in dieser Zeit angefertigten Werke schrieb er : »Ich stehe jetzt nach vielerley Stilproben endgültig zwischen C8zanne und van Gogh. Ich male jetzt, wenn ich male mit aller Leidenschaft und Kraft, zu der ich überhaupt fähig bin, häufig vielleicht unbesonnen aber doch mit der stärksten Hingebung, zu der ich bis jetzt fähig war und ich glaube, dass ich manches mal so etwas wie innere Befriedigung in mir angedeutet gefühlt habe. […] wenn ich schreibe zwischen C8zanne u. v. G. ich damit nicht meine, dass ich mir nun aus den Produkten dieser beiden eine eigene Stylart zurecht geschmiedet habe, sondern ich bin auf eigenem, ganz logischen Wege zu denselben Erkenntnissen gelangt wie sie und will nun aber noch über sie hinaus. Ich male 25 Vgl. Kat. Basel 2011, S. 57. 26 Vgl. Brief von Beckmann an Arthur von Payern, Niebusch, 16. 07. 1906, in: Gallwitz, Schneede, Wiese (Hg.), S. 46f. »[…] junge Männer am Meer, was damals Kessler für Weimar kaufte […].« Brief von Beckmann an Harry Graf Kessler, Berlin, 05. 08. 1906, in: ebd., S. 177ff., hier : S. 178. Vgl. Brief von Beckmann an Julius Meier-Graefe, F., 10. 05. 1919, in: ebd., S. 46f. 27 Brief von Beckmann an Caesar Kunwald, o. D., in: Gallwitz, Schneede, Wiese (Hg.) 1993, S. 35. 28 Vgl. Brief von Beckmann an Caesar Kunwald, 4. 8. 1905, in: Gallwitz, Schneede, Wiese (Hg.) 1993, S. 36f., 40. 29 Vgl. Brief von Beckmann an Caesar Kunwald, 4. 8. 1905, in: Gallwitz, Schneede, Wiese (Hg.) 1993, S. 37.
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Max Beckmann
hier Meer, Buhnen, Steine, Akte in der Sonne, Selbstportraits mit und ohne Meer, Korngarben etc. etc. alles direkt nach der Natur und nichts als Natur.«30
In diesem Brief benennt er auch die Liebe zur Natur; sie erst befähige jemanden zum Künstler.31 Auf Basis dieses Aufenthalts an der nordjütländischen Nordseeküste entstanden u. a. folgende Werke mit maritimer Motivik32 »Sonniges grünes Meer« (Abb. B7.11), »Große graue Wellen«33, »Große Buhne«34 (Abb. B7.8), »Kleine Buhne«35 (Abb. B7.9), »Nebelsonne«36 (Abb. B7.10), »Meer im Sturm«37, Grauer Tag am Meer»38, »Buhne mit Staffage gegen die Sonne«39.40 Exemplarisch wird im Folgenden auf ausgewählte Bezug genommen.
Abb. B7.8: Max Beckmann, Große Buhne, 1905, Öl, 80 x 159,5 cm, Museum der bildenden Künste Leipzig, Dauerleihgabe aus Privatbesitz
Die Entstehung des Werkes »Große Buhne«41 (Abb. B7.8) wurde von dieser Reise inspiriert. Da es jedoch großformatig ist, entstand es vermutlich nicht direkt am Strand, sondern später nach Skizzen und Studien im Atelier.42 Das in Grautönen gehaltene Bild vermittelt den Eindruck eines Regentages an der Küste. In impressionistischer Manier sind das Meer und der Himmel in zahlreichen, aneinandergesetzten Pinselstrichen gestaltet. Der Regen ist durch schräge Linien angedeutet. Gischt spült auf den felsigen Strand. Die Buhne am Strand verläuft durch die linke Bildbegrenzung angeschnitten in die Mitte des 30 Vgl. Brief von Beckmann an Caesar Kunwald, 4. 8. 1905, in: Gallwitz, Schneede, Wiese (Hg.) 1993, S. 39f. 31 »Solang Du Liebe zur Natur hast bist Du Künstler und je mehr Du die vertiefst um so mehr wirst Du – die alte Sache.« Brief von Beckmann an Caesar Kunwald, 4. 8. 1905, in: Gallwitz, Schneede, Wiese (Hg.) 1993, S. 37. 32 Vgl. Kat. Hamburg 2003, S. 32. 33 Vgl. Göpel 1976, Bd. 2, Kat. 31. 34 Vgl. Kat. Basel 2011, Kat. 5. Vgl. Kat. Hamburg 2003, Kat. 1. 35 Vgl. Kat. Hamburg 2003, S. 32. 36 Vgl. Göpel 1976, Kat. 40. 37 Vgl. Göpel 1976, Bd. 2, Kat. 38. 38 Vgl. ebd., Kat. 41. 39 Vgl. ebd., Kat. 31. 40 Vgl. Kat. Hamburg 2003, S. 147. 41 Vgl. Kat. Basel 2011, Kat. 5. Vgl. Kat. Hamburg 2003, Kat. 1. 42 Vgl. Kat. Hamburg 2003, S. 32.
Beckmanns künstlerische Annäherungen an die Nordsee im Frühwerk
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Bilds. Hinten auf der Buhne ist in schwarz eine Person mit Regenschirm angedeutet, die aufs Meer hinaus schaut. Durch die Größenverhältnisse wirken die Buhne übermächtig und der auf ihr befindliche Mensch klein und verloren. Durch Motivik und Bildsprache hat dieses großformatige Bild eine hohe atmosphärische Wirkung. Die Konfrontation des Menschen mit den Naturgewalten und der Weite des Meeres ist visualisiert.43
Abb. B7.9: Max Beckmann, Kleine Buhne, 1905, Öl, 44,5 x 56 cm, Privatbesitz
Das Bild »Kleine Buhne«44 (Abb. B7.9) hat zwar auch eine Buhne als Motiv doch die Wirkästhetik unterscheidet sich deutlich vom zuvor angeführten Werk. Es ist nicht die Konfrontation eines Menschen mit der rauen Gewalt von Meer und Wetter verbildlicht, sondern in Aufsicht eine Strandlandschaft mit einer ins Meer führender Buhne. Dabei wird durch die Buhne für die Betrachtenden ein Weg in die Weite des Meeres eröffnet. Am Strand sind klein und schwarz die Silhouetten von Menschen angedeutet. Angesichts des atmosphärischen Meereserlebnisses spielen sie nur eine untergeordnete Rolle. Das Motiv der Buhne griff Beckmann noch in weiteren Werken, wie »Nebelsonne« (Abb. B7.10) und »Große graue Wellen«45 auf, allerdings mit untergeordneter inhaltlicher Bedeutung. Im Werk »Nebelsonne« ragt die klein dargestellte Buhne im linken Bildbereich ins Meer hinein. Es ist der Himmel, der den 43 Dieses Sujet wurde durch Caspar David Friedrich popularisiert. Jedoch stehen Beckmanns Werke in einem anderen Kontext. 44 Vgl. Kat. Hamburg 2003, S. 32. Der Pinselduktus ist ähnlich dem des zuvor beschriebenen Werkes und in impressionistischer Weise aufgebaut. Dadurch erscheinen einige Bereiche verschwommen. Jedoch erhält das Bild durch diesen Duktus insgesamt einen lebendigen Charakter. Die Farbwahl unterscheidet sich stark von den dunklen Tönen des Werks »Große Buhne«. Durch zarte Pastelltöne wird ein friedlicher Eindruck evoziert. 45 Vgl. Göpel 1976, Bd. 2, Kat. 31. In diesem Bild sind die Buhnen nur noch in weiter Ferne ersichtlich. Sie dienen dazu, um die Größe und Macht der heranrollenden brechenden Wellen zu visualisieren. Ein Aufblick ist gegeben. Das Werk ist in pointilistischer Manier gestaltet und erinnert ein wenig an mosaikhaften Charakter. Die Gewalt und Macht des Meeres steht im Mittelpunkt des Bildes.
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Max Beckmann
Großteil der Bildfläche einnimmt und übermächtig wirkt. Die Weite des Meeres wird dadurch ersichtlich.
Abb. B7.10: Max Beckmann, Nebelsonne, 1905, Öl, 74 x 53 cm, Privatbesitz
Während Beckmann häufig das Zusammenspiel von Himmel und Meer motivisch umsetzte, so fungiert im Werk »Sonniges grünes Meer«46 (Abb. B7.11) das Wasser als eigenständiges Motiv. Es zeigt die Aufsicht auf von Gischt bedeckte, heranrollende, in warmen Grüntönen erstrahlende Meereswogen. Das Werk steht wiederum in impressionistischer Tradition.47
Abb. B7.11: Max Beckmann, Sonniges grünes Meer, 1905, Öl, Privatbesitz
Es ist ersichtlich, dass Beckmann in dieser auf der Basis des Aufenthaltes an der jutländischen Küste entstandenen Serie das Meer in den Mittelpunkt rückt. Unterschiedliche Annäherungen sind gegeben, die von extremer Aufsicht und 46 Abb. vgl. Harter 2003, Abb. 1. 47 Vgl. ebd., S. 139. Es setzt sich aus unzähligen Pinselstrichen in Kombination mit Farbflächen zusammen, die dem Bild einen ornamentalen Charakter verleihen.
Beckmanns künstlerische Annäherungen an die Nordsee im Frühwerk
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Fokussierung auf das Motiv »Meer«, wie in »Sonniges grünes Meer«, bis hin zur Fernwirkung und zur Konfrontation des Menschen mit der Größe und Weite der Natur reichen. Ebenso wurden verschiedene Stimmungen, Wetterphänomene und Lichtwirkungen festgehalten. Darüber hinaus schuf Beckmann maritime Werke mit symbolischem Charakter wie die Bilder »Rivalen«, »Schiffbruch« (Abb. B7.12) und »Sintflut« belegen.48 In letztgenanntem liegt ein Bezug zu existentiellen Fragen des Menschen vor, in den die symbolische Kraft des Meeres einfließt.49 Das Bild »Schiffbruch« besitzt dagegen einen anderen inhaltlichen Schwerpunkt. Es zeigt einen Ertrunkenen, um den herum einige Menschen stehen. Ihre Körperhaltung drückt Betroffenheit und Ermattung aus. Am Strand liegt ein Ruderboot, daneben steht im Wasser in Rückenansicht ein nackter Mann. Die Schiffbrüchigen scheinen sich mit dem hölzernen Nachen an Land gerettet zu haben. Diese Darstellung ist möglicherweise von einem ähnlichen von Beckmann beobachteten Vorfall auf Sylt inspiriert.50
Abb. B7.12: Max Beckmann, Schiffbruch, 1908, Öl, The Saint Louis Art Museum
Beckmann bereiste verschiedene Küsten und Inseln der Nordsee. So unternahm er 1909 eine Reise nach Wangerooge.
48 Vgl. u. a. Schubert 1997, S. 94. Die Werke »Rivalen« und »Schiffbruch« stehen jedoch im übergeordneten, symbolischen Kontext ohne direkten Bezug zur Nordsee. Somit werden diese im Folgenden nicht näher analysiert. 49 Weitere Ausführungen vgl. Rother 1990, S. 40. 50 Vgl. Schubert 1997, S. 96.
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Aufenthalt auf Wangerooge Im Jahr 1909 hielt sich Beckmann für eine Zeitlang auf Wangerooge auf. In einem Brief an seine damalige Frau Minna Beckmann-Tube beschreibt er in bildhafter Weise seine Eindrücke von der Insel. Es ist nicht die touristische Idylle, die Beckmann schildert. Vielmehr tragen seine Ausführungen zum Teil apokalyptische Züge: »Heiße helle Luft. Der unendlich weite blendende Strand. Ganz weit hinten aus geschmolzenen Erz die Sonne im Meer darüber ein flimmernder staubig violett grau grün goldener Himmel, wie ein Schild und in der Mitte das Haupt der Gorgo die Sonne. […] Hoch oben das schwarz blaue Loch, der Himmel. Ebbe. Flacher naßbrauner Strand. In der Ferne das tiefblaue Meer mit leuchtenden weißen Kämmen. Ganz hinten im Meer sieht man sich die weißen Käm[m]e besonders stark an einer Klippe brechen. Wie ein Gelage von trunkenen weißen Bären. Intermezzo. Riesenhafte Flächen über die in einem fort gigantische Schatten dahinfliegen. Zwischendurch blendend helles Licht eines mysteriösen Gestirns. Haufen von Menschen. Nackte, Bekleidete. Wüste Schlachten. Groteske Gelage von fantastisch gekleideten Geschöpfen, Liebesscenen. Vergewaltigungen. Ströme purpurnen Blutes verschwinden mit weißen sich windenden Leibern in den herüberziehenden Schatten. […] Ein schäumendes Meer mit blitzartig dahingleitenden Segeln, das Brüllen der Wogen hört sich an wie ein Erdbeben. Die Schatten am Horizont aber wachsen mit wahnsinniger Schnelligkeit und halten die weißen Blitze der Segel an. Jetzt verwischt auch diese Unendlichkeit mit einem dumpfen faden Glucksen – die Schatten werden schwärzer und immer undurchsichtiger. Trotzdem fühlt man den großen Raum. Man hört Geschrei und wüstes Lärmen. Jauchzen, das wie Sterbeseufzer klingt. Ekelhafte Töne, widerliches Brunstgeheul. Entsetztes blöckendes jammerndes Geschrei. Dazwischen gellen wie Fanfaren durchdringende Jauchzer des Glücks. Alles wird allmählig von einem dumpfen brodelnden Geräusch wie von einem Trichter eingesogen, was allmählig immer leiser wird, wie immer tiefer unter der Erde. Messerscharf und hart st[r]ahlt das Licht auf eine weite Unendlichkeit gelben hügeligen Sands, […]. – Ich liege auf einer Düne. Hinter mir höre ich das Rauschen des Meeres. Meine Augen sehen in den blauen Abgrund des Himmels. Manchmal hört man den Lärm des Meeres auch nicht. Wohl wenn der Wind nachläßt. Dann ist es ganz still. Zum Weinen still. Ich streiche mit der Hand leise über den Sand. Dann liege auch ich still. Nichts regt sich mehr. Hoch über mir schwebt langsam und lautlos eine strahlend weiße Möve.«51
Es sind rauschhafte, expressive Empfindungen, die er beschreibt.52 Allerdings stellt dieser Zugang eine Ausnahme dar. So ist in den schriftlichen Zeugnissen des Künstlers zudem ersichtlich, dass er sich der Nordsee auf unterschiedliche Weise näherte. Ein Tagebucheintrag aus dem Jahre 1909 zeigt, dass Beckmann 51 Brief von Beckmann an Minna Beckmann-Tube, Wangerooge, 15. 16. 1909, in: Gallwitz, Schneede, Wiese (Hg.) 1993, S. 59f. 52 Dabei können Anklänge an den dionysischen Charakter der Texte von Nietzsche gesehen werden, mit denen Beckmann vertraut war. Vgl. Harter 2003, S. 139f.
Aufenthalt auf Wangerooge
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durch das Meeresrauschen in einen seelischen »Erhebungszustand« versetzt werden konnte, denn er vergleicht es mit erhebender Musik.53 In Bezug auf den Wangerooge-Aufenthalt 1909 entstanden u. a. die Werke »Leute nach der Arbeit am Meer«54 (Abb. B7.13, Farbabbildung), »Trüber Abend am Meer«55 (Abb. B7.16), »Durchbrechende Sonne auf dem Meer«56 (Abb. B7.14), »Aufklärendes Wetter«57 (Abb. B7.15), »Der Strand«.58 Allerdings setzte er in diesen nicht das im Brief beschriebene rauschhafte und apokalyptisch anmutende Geschehen um, sie zeigen einen eher ausgeglichenen Charakter. So ist in dem Werk »Leute nach der Arbeit am Meer (Am Strand von Wangerooge)«59 (Abb. B7.13, Farbabbildung) eine friedliche Szene verbildlicht. Der Blick der/des Betrachtenden wird von einem erhöhten Standpunkt auf einen Strandbereich gelenkt, auf dem Menschen entlanggehen. Das im Vordergrund angedeutete Strandgras könnte auf eine Düne als imaginärer Standort verweisen. Das Bild vermittelt einen stürmischen Tag an der Nordseeküste. Menschen gehen von der Arbeit kommend den Strand entlang. Dabei schauen sie geradeaus und scheinen kein Interesse am Schauspiel des aufgewühlten Meeres zu haben. Nur zwei dunkel und klein dargestellte Personen laufen direkt am Wellensaum entlang und scheinen auf das Meer hinauszuschauen. Die Kleidung der Menschen verweist auf einen kalten, stürmischen Tag. die gelbe Jacke der linken Person des vorweg laufenden Paares hebt sich leuchtend von den sonst eher gedämpften Farben ab.
53 »Aber dann kam ein Brahms-Quintett mit Klavier, das war unglaublich. […] Hoch empor über all den kleinlichen Dreck des Alltagslebens hoben meine Seele diese wundervollen Töne in grandiosen jubelnden Linien wie der Rhythmus des Meeres oder der Bäume wenn die ersten Frühlingsstürme über sie hinbrausen. So viel durch gewaltige Schönheit verklärte Tragik. Die tiefste Schönheit des Menschenlebens gefühlt im Dramatischen desselben.« Tagebücher 1908/ 1909, Berlin, Sonnabend, 9. 1. 1909, zitiert nach Kat. Hamburg 2003, S. 148. 54 Vgl. u. a. Kat. Hamburg 2003, Kat. 5. 55 Vgl. Göpel 1976, Kat. 116. 56 Vgl. ebd., Kat. 111. 57 Vgl. ebd., Kat. 112. 58 Vgl. Kat. Hamburg 2003, S. 148. Vgl. Rother 1990, S. 41f. 59 Vgl. u. a. Kat. Hamburg 2003, Kat. 5.
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Max Beckmann
Abb. B7.14: Max Beckmann, Durchbrechende Sonne auf dem Meer, 1909, Öl, 88 x 78 cm, Verbleib unbekannt
Im Gegensatz dazu hat das Werk »Durchbrechende Sonne auf dem Meer«60 (Abb. B7.14) dramatischere Wirkästhetik. Es setzt die Lichtstimmungen an der Nordsee atmosphärisch um. Das Sonnenlicht bricht durch die Wolken und beleuchtet bestimmte Bereiche im Meer und auf dem Strand. Es wurde auf unnötige Staffage und auf ein erzählerisches Moment zugunsten der Fokussierung auf die Lichtwirkung verzichtet.
Abb. B7.15: Max Beckmann, Aufklärendes Wetter, 1909, Öl, 69 x 79 cm, Verbleib unbekannt
Wetterphänomene visualisierte Beckmann auch in den Werken »Aufklärendes Wetter« (Abb. B7.15) und »Trüber Abend am Meer« (Abb. B7.16). Während im erstgenannten Werk die Wolkendecke aufreißt und das Licht hindurchlässt, gehen im Bild »Trüber Abend am Meer« Regenschauer nieder. Die am Strand paarweise dargestellten Spaziergänger wirken angesichts des aufgewühlten Meers klein. Die Gewalt der Wetterphänomene und der Nordsee werden wiederum eindrucksvoll wiedergegeben.
60 Vgl. Göpel 1976, Bd. 2, Kat. 111.
Erster Weltkrieg
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Abb. B7.16: Max Beckmann, Trüber Abend am Meer, 1909, Öl, 50 x 60 cm, Privatbesitz
Beckmann besuchte wiederholt die Nordseeküste und die Inseln. Dabei erlebte er sowohl die Konfrontation mit den Naturgewalten als auch Erholung und Entspannung. So hielt sich Beckmann ein Jahr später, 1910, erneut eine Zeitlang auf Wangerooge auf,61 wie ein Brief an seine Frau belegt. Wiederum ist eine starke Beziehung zum Meer ersichtlich. So nahm er bei der Abreise Abschied von der Nordsee.62 Dies tat er ebenso bei den folgenden Meeresaufenthalten. Dadurch werden eine gewisse Personifikation des Meeres und damit die intensive Bindung des Künstlers an dieses deutlich. Das Meer mit seinen unzähligen symbolischen Belegungen und der Assoziation von Unendlichkeit faszinierte ihn zeitlebens und spendete ihm in schweren Zeiten auch Trost. Der Erste Weltkrieg stellte solch eine schwierige Lebenssituation für Beckmann dar.
Erster Weltkrieg Beckmann wurde zu Beginn des Ersten Weltkrieges als Sanitäter einberufen.63 Während seines Kriegsdiensts kam er eher durch Zufall nach Ostende ans Meer.64 In einem Brief an seine Frau berichtete er vom Anblick der Nordsee: 61 In Bezug auf diesen Aufenthalt sind u. a. die Werke »Strandlandschaft mit blauem Himmel«, »Große Wellen« und »Badende Frauen« entstanden. Vgl. Kat. Hamburg 2003, S. 149. 62 »Als ich eben noch einmal am Meer war, um Abschied zu nehmen, es ist Abend, sah der Himmel und das Meer genau aus wie den Abend von den Terrassen von Saint-Germain. Dabei dachte ich an Dich und dachte daß ich Dich liebte.« Brief von Beckmann an Minna Beckmann-Tube, Wangerooge, 26. 08. 1910, in: Gallwitz, Schneede, Wiese (Hg.) 1993, S. 61. 63 Vgl. Brief von Beckmann an Minna Beckmann-Tube, 14. 09. 1914, in: Gallwitz, Schneede, Wiese (Hg.) 1993, S. 91. 64 Vgl. Brief von Beckmann an Minna Beckmann-Tube, Ostende, 16. 03. 1915, in: Gallwitz, Schneede, Wiese (Hg.) 1993, S. 107f.
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»Nun habe ich mir eine Zigarette angezündet und denke weiter. An den Augenblick, wo ich die kahlen Linien des entseelten Strandes zuerst sah. An die unheimliche Stille und an die fahlen spitzen Silhouetten von ein paar Soldaten, die langsam auf uns zukamen. An die schmalen alligatorenhaften langen Rohre, die spitz und verschlagen auf das Meer hinaussahen.«65
Des Weiteren beschreibt er das Meer wie eine Geliebte: »Und dann an das Meer, meine alte Freundin, zu lange schon war ich nicht bei dir. Du wirbelnde Unendlichkeit mit deinem spitzenbesätem Kleide. Ach, wie schwoll mein Herz. Und diese Einsamkeit.«66 Aus seinen Worten spricht Sehnsucht, die er wie folgt bekräftigt: »Wenn ich der Kaiser der Erde wäre, würde ich als mein höchstes Recht mir ausbitten, einen Monat im Jahr allein zu sein am Strand.«67
Beckmann genoss angesichts der bedrückenden Kriegssituation die einsame Atmosphäre am Meer. Ihm wurde jedoch bewusst, dass sich durch den Krieg die belgische Nordseeküste bereits verändert hatte: »Eine Herde düster aussehender Menschen gruben irgend etwas Militärisches still und schattenhaft. Ein vereinzelter Posten am Horizont. Alles sonst tot. […] traumhaft wie gegen drei Uhr morgens im Sommer. Eine fahle Zwielichtstimmung. Alles Lebende war draußen. Jenseits.«68
Die 1915 entstandene Zeichnung »Strandpromenade in Ostende«69 (Abb. B7.17) zeigt die nahezu verlassene Promenade. Das Meer ist nur angedeutet.
Abb. B7.17: Max Beckmann, Strandpromenade Ostende, März 1915, Zeichnung
65 Brief von Beckmann an Minna Beckmann-Tube, Ostende, 16. 03. 1915, in: Schneede, Wiese (Hg.) 1993, S. 107f., hier: S. 108. 66 Brief von Beckmann an Minna Beckmann-Tube, Ostende, 16. 03. 1915, in: Schneede, Wiese (Hg.) 1993, S. 107f., hier: S. 108. 67 Vgl. Brief von Beckmann an Minna Beckmann-Tube, Ostende, 16. 03. 1915, in: Schneede, Wiese (Hg.) 1993, S. 107f., hier: S. 108. 68 Vgl. Brief von Beckmann an Minna Beckmann-Tube, Ostende, 16. 03. 1915, in: Schneede, Wiese (Hg.) 1993, S. 107f., hier: S. 108. 69 Vgl. Rother 1990, Abb. 7.
Gallwitz, Gallwitz, Gallwitz, Gallwitz,
Erster Weltkrieg
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In Beckmanns Briefen ist ersichtlich, dass der Krieg anfangs eine gewisse Faszination auf ihn ausübte.70 Als er allerdings an der Front am Verbandplatz direkt an den äußersten Schützengräben in der »großen Kanonade von Ypern« – eingesetzt wurde, um Verwundete zu versorgen und abzutransportieren, empfand er mehr und mehr Entsetzen und Grauen, gemischt mit Angst um das eigene Leben.71 Zunehmend litt er unter der Situation des Krieges. So berichtete er in seinen Briefen von Einsamkeitsgefühlen und »Weltuntergangsträumen«.72 Er nahm die Geschehnisse an der Front in intensiven Farben wahr und wünschte sich, wieder malerisch tätig zu werden.73 In einem weiteren Brief aus Straßburg, wo er sich 1915 nach einem psychischen Zusammenbruch zur Erholung von den schrecklichen Kriegserlebnissen aufhielt, ist ersichtlich, dass das Meer – sogar schon der Gedanke daran – sich auf ihn äußerst beruhigend auswirkte. »Ich habe heute und gestern Abend für mich eine schöne Entdeckung gemacht nämlich dass Straßburg nach Nordosten an den Rhein grenzt und nun besuche ich ihn jeden Abend und das ist fast als ob man an’s Meer ginge. […] Da er starke Füllung hat, rauscht er auch richtig wie das Meer. Es war mir eine große Freude. Für mich ist jeder Tag ein 70 Beispielsweise jubelte er Hindenburg zu: »Ich selbst habe mit Hurra gebrüllt vor diesem merkwürdig starken, grimmigen Gesicht mit den scharfen Augen.« Brief von Beckmann an Minna Beckmann-Tube, 18. 09. 1914, in: Gallwitz, Schneede, Wiese (Hg.) 1993, S. 93f., hier : S. 94. So schrieb er – als Außenstehender – über eine Schlacht Folgendes: »Draußen das wunderbar großartige Geräusch der Schlacht. Ich ging hinaus durch Scharen verwundeter und maroder Soldaten, die vom Schlachtfeld kamen und hörte diese eigenartige schaurig großartige Musik. Wie wenn die Tore zu Ewigkeit aufgerissen werden ist es, wenn so eine große Salve herüberklingt. Ich möchte, ich könnte dieses Geräusch malen. Ah, diese Weite und unheimlich schöne Tiefe! Scharen von Menschen »Soldaten« zogen fortwährend nach dem Zentrum dieser Melodie, der Entscheidung ihres Lebens entgegen.« Brief von Beckmann an Minna Beckmann-Tube, 11. 10. 1914, in: Gallwitz, Schneede, Wiese (Hg.) 1993, S. 98ff, hier: S. 100. Beispielsweise beschreibt er in einem Brief an seine Frau wie er Truppen beobachtet, die an die Front ziehen und er selber den Wunsch hegt, dort zu sein: »Hatte die fiebernste List, einfach hinterherzulaufen. Diese feuerspeiende Horizontlinie hat eine scheußliche Anziehungskraft für mich.« Brief von Beckmann an Minna Beckmann-Tube, V., 20. 04. 1915, in: Gallwitz, Schneede, Wiese (Hg.) 1993, S. 119f., hier : S. 120. 71 Vgl. Brief von Beckmann an Minna Beckmann-Tube, V., 04. 05. 1915, in: Gallwitz, Schneede, Wiese (Hg.) 1993, S. 126–130. Angesichts seiner Fronteinsätze empfand er Angst um sein Leben, entwickelte aber ebenfalls eine gewisse Abgestumpftheit. So bemerkte er angesichts der Verhältnisse in den Schützengräben lakonisch: »Hier war die Existenz des Lebens wirklich zum paradoxen Witz geworden.« Brief von Beckmann an Minna Beckmann-Tube, V., 21. 05. 1915, in: Gallwitz, Schneede, Wiese (Hg.) 1993, S. 133ff., hier: S. 134. 72 Vgl. Brief von Beckmann an Minna Beckmann-Tube, V., 24. 05. 1915, in: Gallwitz, Schneede, Wiese (Hg.) 1993, S. 136f. 73 Vgl. Brief von Beckmann an Minna Beckmann-Tube, V., 08. 06. 1915, in: Gallwitz, Schneede, Wiese (Hg.) 1993, S. 140f. »Ach, ich wollte, ich könnte wieder malen, die Farbe ist eben doch ein Instrument, das man auf Dauer nicht entbehren kann. Wenn ich nur an Grau, Grün und Weiß denke oder an Schwarzgelb, Schwefelgelb und Violett, überläuft mich ein Schauer von Wollust, Ich wollte dann, der Krieg wäre zu Ende und ich könnte malen.« Brief von Beckmann an Minna Beckmann-Tube, V., 08. 06. 1915, in: Gallwitz, Schneede, Wiese (Hg.) 1993, S. 141.
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Kampf. Und zwar ein Kampf mit mir selbst und den bösen Träumen, die um mein Haupt surren wie die Mücken.«74
Das Meer hatte in seiner Unendlichkeit und Weite, die mit Assoziationen an Freiheit verbunden sind, eine positive Wirkung auf sein mentales Befinden. Beckmann kehrte nach dem Krieg ins zivile Leben zurück, ließ sich in Frankfurt-Sachsenhausen nieder und machte einen Neuanfang.75 Im Gegensatz zu seinen Werken vor dem Weltkrieg veränderte sich nun seine Bildsprache.76 Es waren gesellschaftliche Themen, die er zunächst in seiner Kunst aufgriff. Maritime Motive spielten in den nächsten zehn Jahren eine untergeordnete Rolle.77 Trotzdem war eine Bindung zum Meer nachweisbar. So erhalten zwischen 1922 und 1924 Strand- und Meeresmotive in seinen Werken wieder Bedeutung.78 Insbesondere ein Urlaub in Italien bewirkte eine erneute künstlerische Auseinandersetzung mit maritimer Motivik, die im Folgenden jedoch nicht weiter behandelt wird, da es sich nicht um die Nordsee handelt.79 Sie wurde erst Ende der 20er Jahre wieder zum Reiseziel.
74 Brief von Beckmann an Minna Beckmann-Tube, V., 05. 09. 1915, in: Gallwitz, Schneede, Wiese (Hg.) 1993, S. 143ff., hier : S. 144. Weiter schreibt er Folgendes: »›Wir kommen doch noch, wir kommen doch noch!‹ singen sie [die bösen Träume]. Ach und ich möchte so gern noch mein angefangenes Werk zu Ende bringen. Arbeit hilft mir immer über meine verschiedenen Verfolgungswahnsinnsanfälle fort. Aber die Gelegenheit der Arbeit mangelt oft [….].« Ebd. 75 Vgl. u. a. Brief von Beckmann an Fridel und Ugi Battenberg, Halle, 29. 11. 1916, in: Gallwitz, Schneede, Wiese (Hg.) 1993, S. 149f., hier: S. 149. Vgl. Kat. Hamburg 2003, S. 151. 76 Vgl. Gallwitz, Schneede, Wiese (Hg.) 1994, S. 8. 77 Vgl. Peter 2011, S. 29, vgl. Kat. Basel 2011, S. 59. 78 Detailliertere Informationen vgl. Schubert 1997, S. 100. 79 In Briefen an seine zweite Frau Mathilde Beckmann formuliert er seine Vorfreude aufs südliche Meer, in diesem Fall das Mittelmeer. Vgl. Brief von Beckmann an Mathilde Beckmann, F., 02. 08. 1926, in: Gallwitz, Schneede, Wiese (Hg.) 1994, S. 61f., hier: S. 61. Vgl. Brief von Beckmann an Mathilde Beckmann, F., 04. 08. 1926, in: Gallwitz, Schneede, Wiese (Hg.) 1994, S. 62f., hier: S. 63. »[…] ich freue mich nun endlich, endlich auf Dich mein Liebling und auf unser Südmeer!« Brief von Beckmann an Mathilde Beckmann, Paris, [?].08.1926, in: Gallwitz, Schneede, Wiese (Hg.) 1994, S. 67. Es ist das Mittelmeer, ihr »Südmeer« und nicht die Nordsee, das sie zum Reiseziel erkoren haben, um Erholung und Liebesglück zu finden. »Ich bade hier sehr intensiv in wunderbarem grünem Meer und hoffe meine Nerven, die ein wenig ramponiert waren, für den Winter wieder ganz in Stand zu setzen.« Brief von Beckmann an Günther Franke, Spotorno, 26. 08. 1926, in: Gallwitz, Schneede, Wiese (Hg.) 1994, S. 68. Ihr Glück währte jedoch nicht lange. Im Jahr 1925 ließ sich Beckmann von Minna Beckmann-Tube scheiden und heiratete Mathilde Kaulbach. Vgl. Kat. Hamburg 2003, S. 152.
Scheveningen – Blicke aufs Meer
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Scheveningen – Blicke aufs Meer Im Jahre 1928 unternahm Beckmann eine Reise nach Scheveningen an der niederländischen Nordseeküste, auf deren Basis weitere maritime Werke entstanden. Motivik und Bildsprache hatten sich gegenüber seinen frühen Meeresdarstellungen stark verändert. In den in Scheveningen entstandenen Werken steht die Beziehung des Menschen zum Meer und allgemein zur Natur im Vordergrund.
Abb. B7.18: Max Beckmann, Scheveningen, fünf Uhr früh, 1928, Öl, 55,5 x 63 cm, Pinakothek der Moderne, München
Dabei verbildlichte der Künstler den Blick auf die Nordsee zu verschiedenen Tageszeiten. Exemplarisch sei auf die Bilder »Blick auf das Meer« (Abb. B7.21), »Strandpromenade in Scheveningen«80, Scheveningen, fünf Uhr früh»81 (Abb. B7.18), »Badekabine (grün)«82 (Abb. B7.20), »Grauer Strand«83 (Abb. B7.22) und »Abend auf der Terrasse«84 (Abb. B7.19) verwiesen.85 In den genannten Bildern wird nicht nur das Meer verbildlicht. Häufig ist die Komposition so angelegt, dass der Blick auf das Meer von einem Ort ausgeht, an dem sich Menschen aufhalten, zum Beispiel aus dem bewohnten Innenraum durch ein Fenster. Fast alle Bilder weisen eine innere Rahmung auf. Es ist nicht der menschenleere Strand, von dem aus der Blick der Betrachtenden auf das Meer gelenkt wird, sondern der durch den Tourismus belebte Strand mit Promenaden und Hotels. Beckmann schien es weniger um charakteristische Darstellungen der Nordsee zu gehen. Stattdessen kontrastierte er Nähe und Begrenztheit menschlicher Zivilisation mit der Ferne und Weite des Meeres. 80 81 82 83 84 85
Kat. Basel 2011, Kat. 21. Vgl. Kat. Hamburg 2003, Kat. 8. Kat. Basel 2011, Kat. 22. Vgl. hierzu Reifenberg 1970. Kat. Basel 2011, Kat. 23. Kat. ebd., Kat. 24. Kat. ebd., Kat. 25. Weitere Ausführungen vgl. Rother 1990, S. 68–72.
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Max Beckmann
So ist der imaginäre Betrachterstandpunkt des Werks »Scheveningen, fünf Uhr früh« (Abb. B7.18) in einem Zimmer situiert. Der Blick führt durch ein Fenster über die Promenade mit einem Pavillon weiter zum Strand aufs Meer. Die Begrenztheit wird durch das geschlossene Fenster mit den zurückgezogenen Gardinen visualisiert. Gegenstände auf der Fensterbank, zum Beispiel ein Glas Wein, weisen auf menschliche Präsenz hin. Der Strand ist zu der frühen Zeit noch verlassen. Auf dem Meer ist kein Schiff zu sehen. Durch die Enge des Hotelzimmers mit dem geschlossenen Fenster wird der Eindruck von der Weite des Meeres noch verstärkt. Der rötliche Farbton im Bild kann auf die Morgenröte verweisen.86 Jedoch wird die Morgendämmerung nicht zu einem nur positiven Erlebnis, da Störfaktoren eingesetzt wurden: Die verfremdete Zigarettenreklame am Gebäude und die zum Teil verzerrte Perspektive kann eine Irritation auslösen. Es ist kein unmittelbares Naturerleben dargestellt, der Blick durch das geschlossene Fenster kann eine Distanzierung bewirken.87
Abb. B7.19: Max Beckmann, Abend auf der Terrasse, 1928, Öl, 95,5 x 35,5 cm, Richard L. Feigen
Der Gegensatz von Nähe und Ferne ist auch im Werk »Abend auf der Terrasse« (Abb. B7.19) verbildlicht. Der imaginäre Betrachterstandpunkt befindet sich auf 86 Vgl. Schubert 1997, S. 102. 87 Unterschiedliche Deutungsansätze des Bildes liegen vor. Vgl. u. a. Reifenberg 1928, vgl. Rother 1990, S. 70f.
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einer erhöht gelegenen Terrasse. Wiederum ist eine innere Rahmung gegeben. An der rechten Bildseite rahmen ein Laternenpfahl und im Vordergrund die Terrassenabgrenzung das Naturschauspiel in der Ferne. Auch das schmale Hochformat trägt zur Einengung des Blicks bei. Somit wird die Schönheit der Naturphänomene durch den beengten Blick aus der Zivilisation visualisiert. Ein dramatisches Himmelsschauspiel ist dargestellt. Der rote Schein der untergehenden Sonne fällt durch dunkle Wolken hindurch aufs Meer. Der Lichtbereich wird im Wasser und feuchten Strandbereich reflektiert. Kleine schwarze Striche am Strand verweisen auf abendliche Spaziergänger. Durch die erhöhte Perspektive und angesichts der Dramatik des Himmelsschauspiels sowie der Meeresdarstellung wirken die Menschen klein und verloren. Beckmann griff ebenfalls das Strandleben in Scheveningen motivisch in seinen Werken auf, wie in dem Bild »Badekabine (grün)« (Abb. B7.20).
Abb. B7.20: Max Beckmann, Badekabine (grün), 1928, Öl, 70 x 85 cm, Pinakothek der Moderne, München
Der Blick aus einem Badehäuschen ist visualisiert. Begrenzungen und Objekte des Innenraumes sowie persönliche Bezüge des Künstlers sind erkenntlich, wie das von ihm gern gelesene Buch »Titan« von Jean Paul auf der Fensterbank im Vordergrund. Der Blick auf eine grüne Badekabine und auf die im Hintergrund im Meer badenden Menschen, über denen sich noch ein Stück hellblauer Himmel erstreckt, erinnert an das Prinzip »Bild im Bild«.88 Im Gegensatz zu den vorab genannten Werken kommt die Weite des Meeres hier nicht zur Geltung. Ein Grund mag darin liegen, dass die Horizontlinie im Wirrwarr der anderen Linien nahezu untergeht.
88 Vgl. Kat. Basel 2011, S. 79. Vgl. Rother 1990, S. 69.
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Abb. B7.21: Max Beckmann, Blick auf das Meer (rot, grau, blau), 1928, Öl, 82 x 47 cm, Museum Ludwig, Köln
Dies ist auch im Bild »Blick auf das Meer (rot, grau, blau)«89 (Abb. B7.21) der Fall. Es zeigt nur einen schmalen Blick auf das blaue Meer mit Segelschiffen. Der imaginäre Standpunkt der/des Betrachtenden befindet sich in einem Innenraum. Gerahmt ist der Blick u. a. durch eine Tür, auf der Schwelle liegende Objekte, eine Markise und einen Vorhang. Der rote Boden und das blaue Meer stehen in ihrer Leuchtkraft im Kontrast. Die Nordsee ist nur im Ausschnitt aufgegriffen und wirkt wiederum wie ein Bild im Bild. Auch hier kann der Blick aufs Meer aus dem Inneren eines Hauses, gerahmt mit Interieur auf die Distanz des Menschen zur Natur verweisen.
Abb. B7.22: Max Beckmann, Grauer Strand, 1928, Öl, 35,5 x 78,5 cm, Privatbesitz
Im Werk »Grauer Strand« (Abb. B7.22) wurde am unteren Bildrand eine rahmende Begrenzung durch eine angeschnittene Promenadenmauer vorgenommen. Der Blick führt auf das Strandleben und das Meer. Jedoch werden keine 89 Vgl. Kat. Hamburg 2003, Kat. 7.
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Darstellungsmuster eines idyllischen Strandlebens bedient. Die schwarze Höhlung der Strandkörbe löst eher beklemmende Gefühle aus. Nur wenige Strandbesucher sind zu sehen. Das Meer ist in reduzierter Form- und Farbgebung dargestellt. Der Horizont wird durch eine schwarze, leicht gewölbte Konturlinie begrenzt. Darüber erstreckt sich ein schmaler Streifen Himmel. Allgemein rückt Beckmann in seinen Werken das touristische Leben in Kontexte, die sich von Darstellungen idyllischen Strandlebens unterscheiden. Seine Bilder können Assoziationen von Distanzierung und Entfremdung evozieren. Exemplarisch sei zudem auf das Werk »Strandpromenade in Scheveningen« (Abb. B7.23) verwiesen. In der linken Bildhälfte ist der Blick in das Innere eines auf der Promenade fahrenden Autos auf eine Frau in eleganter Kleidung visualisiert.90 Diese schaut am Betrachter vorbei. Neben dem Auto ist im Vordergrund in Rückenansicht eine männliche Person mit Schirmmütze abgebildet, der den Blick nach rechts aufs Meer gerichtet hat. Die männliche Person ist in Schulterhöhe durch die untere Bildbegrenzung angeschnitten. Blickkontakt zu der/dem Betrachtenden wird nicht aufgebaut und dadurch ein Gefühl von Distanziertheit vermittelt.
Abb. B7.23: Max Beckmann, Strandpromenade in Scheveningen, 1928, Öl, 85 x 70,5 cm, Kunsthaus Zürich
Die Straßenlaternen sowie die im rechten Bildteil schwarz ins Meer ragende Mole teilen das Bild. In unrealistischer Weise schlagen die Wellen an den braunen Strand und an die Mole. Hinter dieser sind Aufbauten – möglicherweise vom Fischereiwesen – in rot-bräunlichen Tönen verbildlicht. Dahinter erheben sich 90 In dem Gemälde irritieren die Größenverhältnisse. Neben dem ins Bildinnere führenden Promenadengeländer mit Straßenlaternen, an dem entlang ein Paar spazieren geht, wirken das Auto mit der Frau sowie die männliche Person unverhältnismäßig groß. Möglicherweise befinden sich beide auf einer Erhebung.
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weiße, sehr groß wirkende Wolken, die den blauen Himmel dominieren. Dieses Bild stellt keine der idyllisch-harmonischen Urlaubsdarstellungen dar. Auch ist kein unmittelbares Naturerleben visualisiert, sondern das von der menschlichen Zivilisation »eingerahmte« Meer. Die auf Basis des Scheveningen Aufenthalts entstandenen Werke zeichnen sich allgemein durch innere Rahmungen aus. Inwieweit der gerahmte Blick aufs Meer zum Sinnbild der Unfreiheit wird,91 lässt sich nicht eindeutig klären. Durch die Darstellung des begrenzten Innenraums mit dem dadurch eingeschränkten Blick auf die Weite des Meeres kann durchaus auch Sehnsucht nach Freiheit hervorgerufen werden.92 Im Gegensatz beispielsweise zu den Darstellungen der Romantik, in denen der Mensch in freier Natur einen Kontemplationsraum findet und sich der Weite und Größe des Meers hingibt, ist bei Beckmann der Mensch in diesen Werken eingeengt in der Zivilisation und hat nur noch einen eingeschränkten Blick aufs Meer. Dies steht im starken Gegensatz zu seinen davor erstellten Nordseedarstellungen, die in den vorangegangenen Abschnitten angeführt wurden.93 Die in seinen Gemälden visualisierte Sehweise Beckmanns hat sich geändert. Während in den frühen Werken noch die Suche nach seiner Bildsprache erkennbar ist, hat Beckmann in den 20er Jahren bereits feste Vorstellungen, was er unter Kunst versteht.94 Dabei stellen seine Ausführungen zur Kunst keine argumentativ logisch aufgebauten Theorien dar, sondern enthalten überwiegend begriffliche Unschärfen, Traumbezüge und poetische Ausformulierungen.95 So betrachtete er die Suche nach dem »Selbst« als wichtiges Ziel der 91 Vgl. Rother 1990, S. 71. 92 Vgl. u. a Schulz-Hoffmann 1984, S. 31. 93 Die Konfrontation des Menschen mit der Größe der Natur, wie sie Beckmann in seinem frühen Werk »Große Buhne« (Abb. B7.8) visualisierte, hat in den auf Basis des ScheveningenAufenthalts entstandenen Bildern keine Bedeutung mehr. Vielmehr ist in letztgenannten Werken eine Distanz zum Meer verbildlicht. 94 Dazu wird u. a. der im Februar 1928 formulierte Brief von Beckmann an Gustav Friedrich Hartlaub herangezogen, in dem wesentliche Ausführungen seiner Kunstphilosophie dargelegt sind. Vgl. Brief von Beckmann an Hartlaub vom 7. 2. 1928, in: Gallwitz, Schneede, Wiese (Hg.) 1994, S. 106ff. 95 Seiner Meinung nach, sind Worte zur Beschreibung der Kunst unzureichend. »Es ist sicher das törichste und unzulänglichste Unternehmen, Dinge über Kunst in Worte oder Schrift fassen zu wollen, denn ob man will oder nicht, spricht jeder doch nur pro domo seiner eigenen Seele, und eine absolute Objektivität oder Gerechtigkeit ist nicht möglich. Außerdem sind gewisse letzte Dinge nur durch Kunst an sich auszudrücken, sonst bräuchten sie nicht gemalt, geschrieben oder musiziert werden.« Beckmann 1948, S. 180. Er schrieb der Kunst ein gewisses irrationales, nicht in Worte zu fassendes Wesen zu. Seine Ausführungen basieren nicht auf rationalen Grundlagen, sondern sind durch Traumhaftes, Mystisches und Irrationales geprägt. Er zieht einen Traum heran, um seine Vorstellungen der Kunst näher zu erläutern: »Doch alles sind Theorien und Worte sind mangelhaft um künstlerische Probleme wirklich zu definieren. Was mir vorschwebt und was ich realisieren möchte kann ich vielleicht
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Kunst.96 Darüber hinaus wollte er mit seiner Malerei ein höheres, ewiges Sein verbildlichen.97 Der Fantasie sprach er erhöhte Bedeutung zu und betrachtete die Malerei als ein Medium diese bildlich umzusetzen.98 Beckmann legte seinen Bildern einen tiefgehenden Gehalt zugrunde.99 Dies trifft insbesondere auf seine
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besser in Form einer Art von trunkenen Vision verwirklichen. Eine meiner Figuren vielleicht aus der Temptation sang mir in einer Nacht dies sonderbare Lied: ›Füllt auf Eure Kürbisse mit Alkohol und gebt mir selbst den Größten. Feierlich will ich Euch die großen Lichter, die Riesenkerzen anstecken. Jetzt in der Nacht. – In der tiefen schwarzen Nacht. Wir spielen Verstecken, wir spielen Verstecken über tausend Meere. Wir Götter wir Götter in Morgenröthe um Mittag und in schwarzer Nacht. Ihr seht uns nicht. Ihr könnt uns nicht sehen, doch seid Ihr ich. Drum lachen wir so schön – in Morgenröthe um Mittag und in schwarzer Nacht. Sterne sind unsere Augen, Weltnebel unsere Bärte, Menschenseelen unser Herz. Wir verstecken uns, Ihr seht uns nicht, das wollen wir gerade in Morgenröthe um Mittag und in schwarzer Nacht. Ohne Ende sind unsere Fackeln, silbern, grünrot, purpurn, violett, grünblau und schwarz. Wir tragen sie im Tanze über die Meere und Gebirge, über die Langeweile der Welt des Lebens. Wir schlafen – und die Gestirne kreisen im dumpfen Traum. Wir wachen und die Sonnen treten an zum Tanz über Bankiers und Schafe – über Huren und Fürsten der Welt.‹ So ähnlich sang und sprach noch lange die Figur aus meiner Temptation zu mir, der sich gerade bemühte aus dem Quadrat der Hypotenuse eine bestimmte Konstellation der Hebriden zu den roten Goganten und der Zentral-Sonne zu bestimmen. Nun ich war erwacht, und träumte ein bißchen weiter.« Beckmann 1938, S. 140f. »Nach meiner Ansicht, sind alle wesentlichen Dinge der Kunst […] immer aus dem tiefsten Gefühl für das Mysterium des Seins entstanden. Ein ›Selbst‹ zu werden ist immer der Drang aller noch wesenlosen Seelen. – Dieses ›Selbst‹ suche ich im Leben- und in meiner Malerei. Kunst dient der Erkenntnis nicht der Unterhaltung – der Verklärung – oder dem Spiel. Das Suchen nach dem eigenen Selbst ist der ewige nie zu übersehende Weg, den wir gehen müssen.« Beckmann 1938, S. 135f. »Das einmalige und unsterbliche Ego zu finden – in Tieren und Menschen – in Himmel und Hölle, die zusammen die Welt ergeben, in der wir leben. Raum – Raum- und nochmals Raum – die unendliche Gottheit, die uns umgibt und in der wir selber sind. Dies suche ich zu gestalten durch Malerei.« Beckmann 1938, S. 135. »Immer wieder trat die Malerei als einzig mögliche Realisation der Einbildungskraft vor meine Augen.« Beckmann 1938, S. 140f. Weiterhin führt er über den Prozess des Malens Folgendes an: »Alles Zerebrale und Transcendente binden sich in der Malerei mit einer ununterbrochenen Arbeit des Sehens. Jeder Ton einer Blume, eines Gesichts, eines Baumes, einer Frucht, eines Meeres oder eines Berges wird gierig notiert von der Intensität meiner Sinns, zu denen dann auf mir selbst nicht bewußte Art die Arbeit meines Geistes und letztes Endes die Kraft oder die Schwäche meiner Seele kommt. Dieses ursprüngliche und ewig unveränderliche Kraftzentrum, welches Geist und Sinne erst fähig macht persönliche Dinge auszusagen.« Beckmann 1938, S. 137. Der Vorgang des malerischen »Übertragens« von Objekten im dreidimensionalen Raum auf die zweidimensionale Leinwand ließ in ihm die »Ahnung« einer »vierten Dimension« entstehen, die er »mit ganzer Seele« suchte. Vgl. ebd., S. 139. »Kommen geistige, – metaphysische, – irdische und unirdische Geschehnisse in mein Leben, so kann ich sie nur auf dem Wege der Malerei festhalten. – Entscheidend ist nicht der Gegenstand, – aber seine Übersetzung mit den Mitteln der Malerei in die Abstraktion der Fläche. Ich brauche daher kaum ungegenständliche Dinge, da mir der gegebene Gegenstand bereits unwirklich genug ist, und ich ihn nur durch die Mittel der Malerei gegenständlich machen kann.« Beckmann 1938, S. 135. »Worauf es mir in meiner Arbeit vor allem ankommt, ist die Idealität, die sich hinter der scheinbaren Realität befindet. Ich suche aus der gegebenen
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Bilder mit symbolischem Gehalt zu.100 Dagegen orientierte er sich in den Werken mit Nordseemotivik häufig an der realen Landschaft und gegenständlichen Objekten und verbildlichte diese zum Teil leicht abstrakt, denn er lehnte den Versuch einer naturgetreuen Abbildung ab.101 Insbesondere seine späteren Ausführungen, die er im Rahmen seiner Lehrtätigkeit, nach seiner Emigration in die USA an der Art School der Washington University in St. Louis darlegte, geben Aufschluss auf seine künstlerische Auffassung der Natur, die auch auf seine Meeresbilder übertragen werden kann. So regte er die Beobachtung und die Hingabe an die Natur durchaus an.102 Allerdings verwies er darauf, die »Formen der Natur auswendig« zu kennen, um sie
Gegenwart die Brücke zum Unsichtbaren, ähnlich wie ein berühmter Kabbalist es einmal gesagt hat: ›Willst Du das Unsichtbare fassen, dringe so tief Du kannst ein, in das Sichtbare‹. Es handelt sich für mich immer wieder darum die Magie der Realität zu erfassen, und diese Realität in Malerei zu übersetzen. Das Unsichtbare sichtbar zu machen durch die Realität. Das mag vielleicht paradox klingen, es ist aber wirklich die Realität – die das eigentliche Mysterium des Daseins bildet.« Beckmann 1938, S. 135. 100 In Bezug auf die Nordseedarstellungen sei dahingestellt, inwieweit er in diesen »das Unsichtbare« und die »Magie der Realität« erfasste. Beckmanns Einstellung, das Unsichtbare sichtbar zu machen, kann Assoziationen an die Kunstauffassung Radziwills und den Magischen Realismus wecken Jedoch unterscheiden sich Radziwills Werke grundlegend von denen Beckmanns. Beiden Künstlern ist jedoch gemein, dass sie rein abstrakte, gegenstandslose Darstellungen ablehnten und Tendenzen der Neuen Sachlichkeit in ihren Werken – wenn auch in unterschiedlicher Weise – umsetzten. 101 Beckmann führte über den Prozess der Überführung des Wahrgenommenen in die zweidimensionale malerische Darstellung Folgendes an: »Die Abänderung des optischen Eindrucks der Welt der Objekte durch eine transcendente Mathematik der Seele des Subjekts bedingt die Construktion des Bildes. Prinzipiell ist daher jede Veränderung des Objekts erlaubt, die sich durch ausreichende Gestaltungskraft ausweisen kann. […] Die Übersetzung des dreifachen Raumes der Welt der Objekte in den Zweifachen der Bildfläche [ist] Gegenstand einer umfassenden Gestaltung.« Brief von Beckmann an Hartlaub vom 7. 2. 1928, in: Gallwitz, Schneede, Wiese (Hg.) 1994, S. 106ff., hier : S. 107. Damit erteilte er der naturgetreuen Abbildung eine Absage. Dies ist ebenfalls seinen Ausführungen über das Objekt zu entnehmen: »Die Individualisierung des Objekts durch das Sentiment dient der Formbereicherung. Die individuellen Formveränderungen aller Einzelheiten des Objekts [sind] unerläßliche Mittel zur Darstellung gesammelter körperhaften Volumen.« Brief von Beckmann an Hartlaub vom 7. 2. 1928, in: Gallwitz, Schneede, Wiese (Hg.) 1994, S. 106ff., hier: S. 107. Weiterhin führte Beckmann das Licht und die Farbe als wesentliche Elemente an: »Das Licht als Gliederung der Bildfläche und [zur] tiefere[n] Durchdringung der Form des Objekts. Seine Anwendung bei der Bildgestaltung erfolgt den aprioristischen Apparat der Seele des Subjekts, der die Architektur der Bilder schafft.« Brief von Beckmann an Hartlaub vom 7. 2. 1928, in: Gallwitz, Schneede, Wiese (Hg.) 1994, S. 106ff., hier: S. 108. Beckmann führte über die Farbe Folgendes an: »Farbe als Ausdruck der seelischen Grundstimmung des Subjekts.« Brief von Beckmann an Hartlaub vom 7. 2. 1928, in: Gallwitz, Schneede, Wiese (Hg.) 1994, S. 106ff., hier : S. 108. Insbesondere die Gestaltung der Bildfläche gebe ihm Sicherheit gegen die »Unendlichkeit des Raumes«. Vgl. Beckmann 1938, S. 135. 102 »Vergessen Sie nicht die Natur […]. Gehen Sie viel spazieren, verschmähen Sie möglichst das verderbliche Auto […].« Beckmann 1948, S. 184f.
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»verwerten [zu] können wie in einem Musikstück«.103 In diesen Ausführungen wird kein tiefergehendes Verständnis der Natur ersichtlich, sondern diese wird auf ein Motiv im Repertoire des Künstlers reduziert.104 In Bezug auf diese Auffassung ist eine zu starke symbolische Deutung und Aufwertung der Seestücke Beckmanns kritisch zu sehen. Allerdings schränkte Beckmann diese Ausführungen ein: »Nichts liegt mir ferner, als Sie zu einer gedankenlosen Nachahmung der Naturerscheinungen anregen zu wollen. Immer wieder muß jede Form des Natureindrucks zu einem Ausdruck Ihrer eigenen Freude oder Ihres eigenen Leids werden, und daher in der Gestaltung die Veränderungen erhalten, die erst die Kunst, die echte Abstraktion, ausmacht.«105
Im Hinblick auf dieses Zitat können die Meeresdarstellungen auch als subjektive Stimmungs- und Projektionslandschaften gedeutet werden.106 Dies ist insbesondere in einigen der im Nationalsozialismus geschaffenen Werke ersichtlich. Denn Beckmann nutzte seine Kunst generell nicht, um politische Aussagen zu visualisieren, aber seine Bilder können Aufschluss über seine persönliche Lebenssituation geben.107
Nordseebilder im gesellschaftshistorischen Kontext: Beckmanns Diffamierung im Nationalsozialismus Die Nordseebilder, die Beckmann in den 30er Jahren schuf, unterscheiden sich stark von den bisher angeführten Werken. Die im Nationalsozialismus entstandenen Bilder müssen im gesellschaftshistorischen Kontext beurteilt werden. Der Künstler Beckmann wurde als »entartet« diffamiert und diese bedrückende Situation spiegelt sich in vielen seiner Werke. Bereits 1930 zeichnete sich die Diffamierung ab, wie folgende Briefpassage belegt: »Vergessen Sie nicht, wenn 103 Vgl. ebd., S. 185. 104 »Dazu sind diese Formen da. Natur ist ein wundervolles Chaos, und unsere Aufgabe und Pflicht ist es, dieses Chaos zu ordnen und … zu vollenden.« Beckmann 1948, S. 185. 105 Ebd., S. 185. 106 Die Vorstellungsmuster dieser Naturrezeption unterscheiden sich von der Tradition der Romantik. An dieser Stelle sei Rothers Darlegung widersprochen, dass die Vorstellungsmuster auf eine romantische Natursicht zurückweisen. Vgl. Rother 1990, S. 151, 153. Es ist kein andächtig-religiöses Erleben der Natur , wie es in der Romantik der Fall war, das in Beckmanns Ausführungen zum Ausdruck kommt. 107 Er führte an, sich »niemals in irgend einer Form […] politisch betätigt zu haben«. Beckmann 1938, S. 134. Beckmann befasste sich mit unterschiedlichen philosophischen und religiösen Theorien, die ebenfalls auf sein Kunstverständnis einwirkten. Vgl. u. a. Rother 1990, S. 140.
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Sie dazu Gelegenheit haben, den Nazis beizubringen, daß ich ein deutscher Maler bin. Mittwoch stand im Völkischen Beobachter bereits ein Angriff gegen mich.«108 Im Jahre 1933 wurde eine Ausstellung von Beckmanns Kunstwerken bereits vor ihrer Eröffnung verboten.109 Auch die Leitung des Meisterateliers der Frankfurter Kunstgewerbeschule wurde ihm entzogen.110 Jedoch konnte er als Mitglied des Deutschen Künstlerbunds noch bis 1936 dort Werke präsentieren. Im Zuge der Gleichschaltung wurden jedoch im Jahr 1937 seine Bilder in deutschen Museen beschlagnahmt und zehn Exponate in der Ausstellung »Entartete Kunst« ausgestellt. Darunter befand sich auch ein maritimes Werk, das eine Strandlandschaft zeigt.111 Allerdings stehen in diesem nicht das Meer, sondern die zum Teil abstrakt dargestellten Figuren im Vordergrund. Das Werk ist stark symbolisch aufgeladen. Es handelt sich um eine übergeordnete Vorstellung des Meeres, besitzt keinen ausgewiesenen Nordseebezug und wird aus diesem Grunde nicht weiter besprochen.
Abb. B7.24: Max Beckmann, Blick aus der Schiffsluke, 1934, Öl, 27 x 21 cm, Privatbesitz
Beckmanns zunehmend bedrückende Situation lässt sich aus einigen Bildern lesen. Im Jahre 1934 fertigte er das Werk »Blick aus der Schiffsluke« (Abb. B7.24) an.112 Die Meeresdarstellung unterliegt noch – wie bei einigen maritimen Werke, die auf Basis des Scheveningen-Aufenthalts entstanden sind – dem Prinzip »Bild im Bild«. Eine Schiffsluke fungiert als innere Rahmung. Der Horizont verläuft von links unten nach rechts oben. Diese starke Schräge kann irritieren. Der imaginäre Betrachterstandpunkt auf einem Schiff in hohem Wellengang ist auf 108 Brief von Beckmann an Günther Franke, 23. 10. 1930, in: Gallwitz, Schneede, Wiese (Hg.) 1994, S. 178. 109 Vgl. Gallwitz, Schneede, Wiese (Hg.) 1994, S. 12. 110 Vgl. Kat. Basel 2011, S. 81. Vgl. Gallwitz, Schneede, Wiese (Hg.) 1994, S. 12. 111 Abb. vgl. Westheider 2003, S. 26, Abb. 4. Vgl. ebenso Schubert 1997, S. 113. 112 Vgl. Kat. Basel 2011, Kat. 40. Vgl. Kat. Hamburg 2003, Kat. 13.
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den ersten Blick nur schwierig zu bestimmen und kann verunsichern. Dieses Bild lässt sich auf die unsichere Situation Beckmanns beziehen. Ob es sich bei diesem um eine konkrete Darstellungen der Nordsee handelt, sei allerdings dahingestellt. Vielmehr kann es als übergeordnete Meeresdarstellung mit symbolischem Charakter in Bezug auf Beckmanns Lebenssituation aufgefasst werden. Der feste Boden unter seinen Füßen und damit der Horizont waren sprichwörtlich ins Wanken geraten. In den Jahren 1934 und 1935 unternahm der Künstler Reisen nach Zandvoort an die Nordseeküste.113 Auf Basis dieser Aufenthalte entstanden u. a. die Bilder »Meeresstrand«, »Nach dem Sturm (schwarzes Meer)«, »Badende mit grüner Kabine und Schiffer mit roten Hosen«114 (Abb. B7.26), »Abend. Zandvoort (rotblau)«, Helles blaues Meer Zandvoort»115 und »Blick auf Zandvoort bei Abend«116 (Abb. B7.25).
Abb. B7.25: Max Beckmann, Blick auf Zandvoort bei Abend, 1934, Öl, 40,5 x 99,5 cm, Privatbesitz
Abb. B7.26: Max Beckmann, Badende mit grüner Kabine und Schiffer mit roten Hosen, 1934
113 114 115 116
Vgl. Kat. Basel 2011, S. 131. Vgl. Göpel 1976, Bd. 2, Kat. 400. Vgl. Kat. Hamburg 2003, S. 155. Vgl. Göpel 1976, Bd. 2, Kat. 399.
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Im letztgenannten 1934 entstandenen Bild ist der Blick auf Zandvoort, den Strand und das Meer gegeben.117 Die Horizontlinie ist unnatürlich stark gekrümmt, wie auch im Werk »Badende mit grüner Kabine und Schiffer mit roten Hosen«118 (Abb. B7.26). Das Meer wirkt – insbesondere im letzten Bild – wie ein Wasserhügel, der sich am Horizont erhebt. Dadurch wird eine etwas bedrohliche Wirkung hervorgerufen. Die Gruppe Schiffer, die angedeuteten Badegäste im Meer sowie die im Sand spielenden Kinder scheinen davon nichts wahrzunehmen. Möglicherweise sind die stark gekrümmten und schrägen Horizontlinien in den Bildern Hinweise auf Beckmanns angespannte Lage. Jedoch hat Beckmann bereits in seinen früheren Meeresbildern schräge oder gewellte Horizontlinien dargestellt, sodass keine Überinterpretation erfolgen sollte.119 Auch das Werk »Meeresstrand«120 (Abb. B7.27, Farbabbildung) zeigt einen leicht nach links abfallenden Horizont, was jedoch im Gegensatz zu den vorab angeführten Bildern kaum auffällt. Der Nordseestrand ist eindrucksvoll in reduzierter Form- und Farbgebung dargestellt. Das bei Ebbe zurückgelaufene Wasser hat große Teile des Strandes freigegeben. Allerdings ist nicht das Wattenmeer verbildlicht, sondern wahrscheinlich die Nordseeküste in Zandvoort. Eine schwarz-weiße Ansichtskarte aus dem Nachlass des Künstlers kann hier u. a. als Inspiration gedient haben (Abb. B7.28).121
Abb. B7.28: Ansichtskarte von Zandvoort, Nachlass Mathilde Q. Beckmann
Beckmann bezeichnete es mit Blick auf die Farbwahl als mauvefarbenes Meer.122 Diese Farbe dominiert den Himmel, die Wolken und findet sich in einigen Bereichen des Meeres. 117 Weitere Ausführungen vgl. Göpel 1976, Bd. 1, Kat. 399. 118 Vgl. Göpel 1976, Bd. 2, Kat. 400. 119 Zu Deutungen bezüglich der Horizontlinie vgl. u. a. Rother 1990, S. 84, vgl. ebenso Roh 1952a, S. 9. Inwieweit Beckmann die schiefen Horizontlinien in Bezug zu seiner individuellen Situation einsetzte oder ob er diese ohne tiefgehende Intention gestaltete, kann jedoch mangels Selbstzeugnissen nicht eindeutig geklärt werden. 120 Vgl. Kat. Basel 2011, Kat 42. Vgl. Kat. Hamburg 2003, Kat. 15. 121 Vgl. Peter 2011, S. 33. 122 Vgl. Peter 2011, S. 32. Eine große Wolke, die im oberen Teil besitzt zwei merkwürdig
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Auf der trockengefallenen Fläche des Strands liegt – auf den ersten Blick kaum erkennbar – ein kleines, braunes Ruderboot, das mit einem Tau an einem in den Sand eingeschlagenen Pfahl befestigt ist. Der einzige Verweis auf Menschen – das verlassene Ruderboot – in Bezug zur bedrohlich wirkenden Wolke und der Weite des Meeres kann die Übermacht der Natur repräsentieren. Im Gegensatz zu den gerahmten Blicken und der Gegenüberstellung von menschlicher Zivilisation und der Weite der Nordsee in der Scheveninger Bilderserie wird im Werk »Meeresstrand« die Weite des Meeres ohne Einengung durch menschliche Zeugnisse dargestellt. Dieses Bild lässt sich auch im Kontext des politischen Zeitgeschehens lesen.123 So wird es u. a. als Parabel für die schwierige Zeit im Leben Beckmanns interpretiert.124 Schulz-Mons deutet das Motiv des trockenliegenden, festgebundenen Boots als »Endstation Sehnsucht«,125 Belting sieht Bezüge zur Romantik126 und Schubert betrachtet es als »Symbolik nach rettender Ferne«127. Die Ebbe wird ebenfalls symbolisch gedeutet: Gewaltige, unsichtbare Kräfte bringen das Wasser zum Rückzug. Es lässt sich eine Parallele zum inneren Rückzug des Künstlers angesichts nationalsozialistischer Diffamierung ziehen.128 Inwieweit diese Deutungsversuche der Intention des Künstlers entsprechen, kann mangels Selbstaussagen nicht eindeutig geklärt werden.129 Im Bild »Landungskai im Sturm«130 (Abb. B7.29, Farbabbildung) ist ebenso eine Bezugnahme auf die Künstlersituation möglich: Im Entstehungsjahr 1936 hielt Beckmann sich wieder in Zandvoort auf und erwog auch bereits die Flucht
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anmutende kleine Auswüchse. In diesem Bereich bricht hinter der Wolke fahles Sonnenlicht hervor, das sowohl den Bereich ober- als auch unterhalb der Wolke erhellt. Schwarz hebt sich das Wasser der Nordsee vom hellen Himmel ab. Die Farben des Himmels spiegeln sich jedoch in einigen Bereichen des Meeres sowie in den Wasserflächen am Strand. Der Strand ist in Ockertönen gestaltet. Eine Erhöhung in der rechten Bildhälfte durchziehen einige dunkelgrüne Schlieren. Vgl. u. a. Schulz-Mons, S. 86. Vgl. Reifenberg 1970, S. 14, vgl. Belting 2011, S. 19, vgl. Peter 2011, S. 33. Vgl. Peter 2011, S. 33. Vgl. Schulz-Mons 1984, S. 86. Vgl. Belting 1984, S. 30. Vgl. Schubert 1997, S. 112f. Vgl. Kat. Basel 2011, S. 131. Auch wenn Bezüge zu Beckmanns individueller bedrückender Lage möglich sind, sollte in Bezug auf dieses Bild keine nur auf diese zurückzuführende Lesart gewählt werden. Die Situation des Künstlers im Nationalsozialismus spiegelt sich zwar in vielen Werken, doch ebenso spielen die Naturerfahrungen des Künstlers für seine Werke eine wichtige Rolle. Auch wenn in diesem Fall als mögliche Vorlage eine Ansichtskarte diente, kann anhand der früher von Beckmann angefertigten Gemälden und seinen schriftlichen Äußerungen gefolgert werden, dass der Künstler mit eindrucksvollen Lichtstimmungen am Meer vertraut war und diese in Bildern umsetzte. Diese Erfahrungen werden ebenfalls in der Entstehung des Werkes eingeflossen sein. Vgl. Kat. Basel 2011, Kat. 41.
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aus dem nationalsozialistischen Deutschland. So suchte er im selben Jahr in Paris nach Möglichkeiten einer Emigration in die USA.131 Die Hoffnung auf eine Ausreise erfüllte sich jedoch nicht. Im Werk »Landungskai im Sturm« ragt ein Kai aus rot-braunen Backsteinen mit zwei Festmacherringen von rechts schräg ins Bild.132 Hohe Wellen brechen sich am Kai. Hinter den Wellenbergen zeigt sich eine kleine rote Fläche, die sowohl auf die untergehende Sonne, aber auch auf ein Seezeichen oder Schiffslicht hindeuten kann. Durch den dunklen Himmel und die hochaufgetürmten Wellenberge erhält das Bild einen bedrohlichen Charakter. Es entsteht der Eindruck, dass der Landungskai sich der Gewalt des Meeres zu widersetzen scheint. Angesichts der hohen Wellen und der Schräglage des Kais wäre es auch denkbar, dass er von den Wellen überspült werden könnte. Beckmann trotzte in den ersten Jahren des Nationalsozialismus dessen Anfeindungen.133 Inwieweit er jedoch die im Werk verbildlichte durch das aufgewühlte Meer und den dunklen Himmel ausgehende Bedrohung in Bezug zum Nationalsozialismus setzte,134 kann wiederum nicht eindeutig geklärt werden, es ist jedoch durchaus denkbar.
Abb. B7.30: Max Beckmann, Violettes Meer mit Ruderboot, 1937, Öl, 65 x 75,5 cm, Privatbesitz
Das 1937 im Berliner Atelier angefertigte Bild »Violettes Meer mit Rettungsboot«135 (Abb. B7.30) geht möglicherweise auf Erlebnisse an der holländischen Nordseeküste zurück.136 In reduzierter Bildsprache ist ein Rettungsboot im Meer dargestellt. Ob dieses symbolisch auf seine Hoffnung auf Emigration verweist, sei dahingestellt. Am Strand befindet sich eine Gruppe Menschen und beob131 Vgl. Kat. Hamburg 2003, S. 156. 132 Inwieweit diese als Augen interpretiert werden können (vgl. Peter 2011, S. 34), sei dahingestellt. Rother fühlt sich an Bullaugen erinnert, vgl. Rother 1990, S. 86. 133 Das Bild besaß Bedeutung für den Künstler. Dies ist dadurch ersichtlich, dass er das Bild seiner Frau schenkte. Vgl. Peter 2011, S. 34, vgl. Kat Basel 2011, S. 131. 134 Vgl. Peter 2011, S. 34, vgl. Kat Basel 2011, S. 131. 135 Vgl. Göpel 1976, Bd. 1, 2, Kat. 458. 136 Vgl. Göpel 1976, Bd. 1, Kat. 461.
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achtet das Geschehen. In breiten Streifen sind im Himmel Sonnenstrahlen angedeutet, die auf eine gekrümmte Horizontlinie niedergehen. Naturerfahrungen und Wetterphänomene spielen in vielen Bildern Beckmanns eine Rolle, so auch in den im folgenden Kapitel besprochenen.
Sturm- und Gewitterbilder – basierend auf einem Wangerooge-Aufenthalt kurz vor Beckmanns Emigration Kurz vor Beckmanns Emigration aus Deutschland im Jahre 1937 reiste er nochmals auf die Insel Wangerooge. Auf Basis dieses Aufenthalts entstand eine Serie von Nordseebildern.137 In Bezug zu seinem Wangerooge-Aufenthalt im Jahre 1909 unterscheiden sich die Eindrücke und Bilder des Künstlers allerdings sehr.138 Impressionistische Einflüsse sind verschwunden. In den 1937 entstandenen Werken stehen zum Teil abstrakt umgesetzte Wetter- und Lichtstimmungen der Nordsee im Fokus.
Abb. B7.31: Max Beckmann, Nordseelandschaft I (Gewitter), 1937, Öl, 56,5 x 71,5 cm, Privatbesitz
So sind in den Werken »Nordseelandschaft I (Gewitter)« (Abb. B7.31), »Nordseelandschaft II (abziehende Wolken)« (Abb. B7.32) und »Stürmische Nordsee (Wangerooge)« (Abb. B7.33) verschiedene Stadien im Verlauf eines Sturmes mit Gewitter dargestellt.139 In dem Werk »Nordseelandschaft I (Gewitter)« wird die aufziehende Gewit137 Vgl. Göpel 1976, Bd. 2, Kat. 458, 464–469. 138 Beckmann zieht allerdings Bezüge zu dem vorigen Wangerooge-Aufenthalt: »Meine alten Bekannten habe ich auch schon aufgesucht, alte Gastwirte etc. wo ich früher gewohnt habe und es war ganz erbaulich, wie man sich freute den verlorenen Sohn wiederzusehen.« Brief von Beckmann an Mathilde Beckmann, Wangerooge 17. Juni 1937, in: Gallwitz, Schneede, Wiese (Hg.) 1994, S. 273. 139 Vgl. Belting 2011, S. 18f., vgl. Peter 2011, S. 34f.
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terfront über der dunklen, aufgewühlten Nordsee verbildlicht. Im Vordergrund brechen sich an einem sehr schmalen Streifen dunkelbraunem Strand die Wellen mit breiter Gischt. Die wellenförmige Struktur der heranrollenden Gischt wird durch eine von der linken Bildseite schräg hinaus ins Meer verlaufenden schwarz-grauen Steinmole durchbrochen. Diese steht – im Zusammenspiel mit dem schwarzen Meer – in Kontrast zum hellen Gischtbereich sowie zu den weißen Wolken am Horizont hinter der Gewitterfront. Dahinter hebt sich im linken oberen Bildbereich noch ein Stück hellblauer Himmel ab. Aus der in dunkelblau getönten Gewitterwolke treten schräg nach unten verlaufende Streifen, wahrscheinlich Regenfälle hervor. Durch den Komplementärkontrast von Orange und Blau wird die Leuchtkraft der Farben verstärkt. Die Dramatik des heranziehenden Sturmes – unterstützt durch Farb- und Formgebung – beherrscht das Bild. Außer der Steinmole gibt es kein Anzeichen menschlicher Existenz. Die Natur steht im Vordergrund.
Abb. B7.32: Max Beckmann, Nordseelandschaft II (abziehende Wolken), 1937, Öl, 59,5 x 77 cm, Privatbesitz
Das Werk »Nordseelandschaft II (abziehende Wolken)« (Abb. B7.32) unterscheidet sich in Motivik, Komposition und Farbwahl wesentlich vom ersten Bild der Serie »Nordseelandschaft I«. Die Sturmfront hat sich verzogen. Nur noch einige dunkle Wolkenschleier sowie das aufgewühlte Meer verweisen darauf. Große, weiße Wolken beherrschen den Himmel. Der Horizont ist jedoch nahezu auf der gleichen Höhe wie im vorigen Bild angelegt. In beiden Werken fällt er ein wenig nach links ab. Im zweiten Bild ist jedoch kein frontaler Blick auf die Nordsee visualisiert, sondern eine Aufsicht auf den geschwungenen, nach hinten verlaufenden Strandbereich, der das Bild teilt. Während im linken Bereich die Nordsee verbildlicht ist, sind auf der rechten Seite der Strand und dahinter eine Uferbefestigung zu erkennen.
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Abb. B7.33: Max Beckmann, Stürmische Nordsee (Wangerooge), 1937, Öl, 59 x 77 cm, Privatbesitz
Ein weiteres Bild, »Stürmische Nordsee (Wangerooge)« (Abb. B7.33) geht ebenfalls auf den Wangerooge-Aufenthalt zurück. Es wird im Zusammenhang mit den vorab beschriebenen gedeutet.140 Es visualisiert zwar ebenfalls die Unwettermotivik, besitzt jedoch keine solch dramatische Wirkästhetik wie das Bild »Nordseelandschaft I«. Der Blick fällt auf einen zum Teil überfluteten Strandbereich, der einen Großteil des Bildes einnimmt. Der menschenleere Strand wirkt verlassen. Spuren von Tourismus wie aufgereihte, fahrbare Badekabinen unterstützen die Wirkung von Verlassenheit. Dunkle Wolken türmen sich über dem Horizont und verweisen auf den – wohl abziehenden – Sturm, der die Nordsee aufgewühlt hat. Wie im vorab beschriebenen Bild ist diese wiederum schwarz dargestellt. Weiße Schaumkronen auf den Wellen durchbrechen das Dunkel. Im Gegensatz zum Werk »Nordseelandschaft I« ist das Meer jedoch nur in einem kleinen Streifen im Hintergrund zu erkennen. Der Fokus ist auf den verlassenen Strandabschnitt gerichtet. Betrachtet man die Werke im Kontext eines Gewitterverlaufs, so ist im Werk »Nordseelandschaft I (Gewitter)« (Abb. B7.31) die Dramatik des sich entladenden Gewitters visualisiert. Das Bild »Nordseelandschaft II (abziehende Wolken)« (Abb. B7.32) zeigt die Nordsee und den Strand nach dem Sturm, im Werk »Stürmische Nordsee (Wangerooge)« sind die stürmische Nordsee und der verlassene Strand dargestellt. Die beschriebenen Werke basieren auf realen Unwettererfahrungen von Beckmann auf Wangerooge. Dies ist anhand seiner 140 Im Katalog wird es mit dem Untertitel »Nordseelandschaft III, mit gewölbtem Horizont« betitelt. Allerdings kann der Titel ebenfalls von Göpel nachträglich gesetzt worden sein. Vgl. Göpel 1976, Bd. 1, 2, Kat. 466. Lenz deutet die drei Werke als Triptychon, vgl. Lenz 1984, S. 262. Belting betrachtet die Bildfolge als Zyklus. Vgl. Belting 2011, S. 19. In dieser Darstellung erfolgt eine Bezugnahme auf die Lesart Peters, die mit Bezug auf die Titel die Werke »Nordseelandschaft I« und »Nordseelandschaft II« als aufeinanderfolgend auffasst. Vgl. Peter 2011, S. 34f.
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Briefe an seine Frau belegbar. So führt er als Begründung für seine verfrühte Abreise das schlechte Wetter an: »So ist das Leben mein Liebes, man entflieht der Hitze und kommt in die Kälte und Regen. Wäre gern noch 2 Tage hier geblieben, aber es ist hier bei schlechtem Wetter noch unmöglicher als wie in Holland zur Zeit der Septemberstürme.«141 Das im Bild aufgegriffene Motiv des verlassenen Strands erlebte Beckmann angesichts der Unwetter und der Kälte selbst. »Dieses schreibe ich heute früh in der Morgenkälte, zwischen zähneklappernden Sommerfrischlern – von Baden keine Rede natürlich.«142 So war der WangeroogeAufenthalt im Juni 1937 kein Badeurlaub.143 Dennoch war Beckmann von der Nordsee und dem Strand begeistert: »Der Strand ist hier wunderbar bei Ebbe doppelt so breit wie in Holland und das Meer wie immer schön.«144 Der Künstler schrieb weiter, dass ihn das Meer wiederum faszinierte und ihn zu neuen Bilder inspirierte: »Das Meer hat mir natürlich doch wieder großen Eindruck gemacht und ich bin entschieden entspannter und voll neuer Pläne und vielen Bildern.«145 Obwohl er wegen des schlechten Wetters und der Kälte früher abreiste, war der Künstler gegenüber Sturm und Gewitter nicht nur negativ eingestellt. Aus früheren Aufzeichnungen ist ersichtlich, dass Beckmann die Naturgewalten nicht nur als Bedrohung, sondern auch genießerisch erlebte.146 141 Brief von Beckmann an Mathilde Bechmann, Wangerooge, 19. Juni 1937, in: Gallwitz, Schneede, Wiese (Hg.) 1994, S. 276. 142 Brief von Beckmann an Mathilde Beckmann, Wangerooge 19. Juni 1937, in: Gallwitz, Schneede, Wiese (Hg.) 1994, S. 276. 143 »Leider ist es noch oder ziemlich kalt, so dass Baden noch nicht möglich ist. Immerhin giebt es Stellen in den Dünen, wo man geschützt der Sonne, die doch manchmal erscheint, sich aussetzen kann.« Brief von Beckmann an Mathilde Beckmann, Wangerooge 17. Juni 1937, in: Gallwitz, Schneede, Wiese (Hg.) 1994, S. 273. 144 Brief von Beckmann an Mathilde Beckmann, Wangerooge 17. Juni 1937, in: Gallwitz, Schneede, Wiese (Hg.) 1994, S. 273. 145 Brief von Beckmann an Mathilde Bechmann, Wangerooge, 19. Juni 1937, in: Gallwitz, Schneede, Wiese (Hg.) 1994, S. 276. 146 Allgemein empfand er das Naturphänomen »Gewitter« sowohl positiv als auch negativ. »Jetzt fängt das Gewitter wieder stärker an. Eben war der ganze Himmel wie mit Blitzen geädert. Ach und es donnert so prachtvoll. Das ist einmal ein Ton. Da stecken sie noch alle ungebändigt die feinen großen Naturgewalten. Nun los Himmel, donnere doch blitze doch. Laß mich mehr sehen von deinen wundervollen Schönheiten. Oder kannst du nicht einmal mehr ein ordentliches Gewitter hervorbringen. Da! buh! grau und dum[m] stiert mich der Himmel an. Habe doch mal etwas Temperament du gieb dich doch nicht aus in diesem langweiligen Regen. Los doch zeige noch einmal deine Kräfte, daß man darin umzukommen meint. Spiele einmal wieder deine Urweltsymphonie. Bei deren Klängen mir all das Komische und Kleine versinken soll. Da, na ja ich danke dir für das fahle Leuchten, aber mehr, stärker. Du siehst daß ich warte. Ich warte auf den Riß von oben in der grauen Decke, durch welchen ich hineinsehen kann, in die Unendlichkeit. Nein er will nicht. Bloß der Regen rauscht noch stärker und ich sitze hier mit meiner ungestillten Sehnsucht.« Schmidt (Hg.) 1985, S. 16. Allerdings erlebte er dieses Gewitter nicht am Meer. Das genießerische Erleben Beckmanns von Gewitterstimmungen belegt ebenfalls eine Passage aus einem Brief an seine Frau während seiner Kriegszeit. »Dann bin ich, von P. noch ein Stück begleitet, nach dem
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Die in den 20er Jahren angefertigten Darstellungen, in denen er das Badeleben sowie den Blick aus der Zivilisation auf das Meer visualisierte, wichen nun den Verbildlichungen der Konfrontation mit den Naturgewalten eines Unwetters und der aufgewühlten Nordsee. Während die Scheveninger Bilder häufig innere Rahmungen aufweisen und im Extremfall das Meer reduziert als Bild im Bild zeigen, ist die/der Betrachtende nun mit dem bedrohlichen Meer und menschenleeren Strand direkt konfrontiert. Diese 1937 entstandenen Werke zeigen zwar Naturphänomene, die Beckmann auf der Insel erlebt hatte, sie können jedoch ebenfalls im gesellschaftspolitischen Kontext gelesen werden.147 Gewitter noch im leisen Regen nach Hause gegangen. Wunderschön. Wie unendlich lieb’ ich doch das Gewitter. Ich habe es eben noch versucht zu zeichnen.« Brief von Beckmann an Minna Beckmann-Tube, V., 04. 05. 1915, in: Gallwitz, Schneede, Wiese (Hg.) 1993, S. 125. Für Beckmanns negative Auffassung eines Gewitters spricht, dass er in den Briefen aus seiner Kriegszeit das Kriegsgeschehen mit Blitzen und Donnern verglich. In einem Brief an seine Frau vom 04. 05. 1915 schrieb er Folgendes: »Ich war lange in der völlig zerschossenen Kirche. Es war eine schwüle Gewitterstimmung, und die fahlen Säulen der Kirche kontrastierten wundervoll mit dem violetten Himmel, der durch die Decke düster hereinsah. Dazu das Krachen der Granaten, das ein ganz ähnliches Geräusch gibt, wie der der Blitz einschlägt. Es hat ein wildes, fast böses Lustgefühl, so mitten zwischen Tod und Leben zu stehen.« Vgl. Brief von Beckmann an Minna Beckmann-Tube, V., 04. 05. 1915, in: Gallwitz, Schneede, Wiese (Hg.) 1993, S. 125f., hier : S. 126. Als Beckmann von seinem Sanitätseinsatz in den äußersten Schützengräben während der Schlacht bei Ypern heimkehrte, sah er wie ein »riesiges schwarzes Gewitter […] von Ypern« herüberzog. Vgl. Brief von Beckmann an Minna Beckmann-Tube, V., 04. 05. 1915, in: Gallwitz, Schneede, Wiese (Hg.) 1993, S. 126– 130, hier : S. 130. Er hatte an diesem Tag selber Angst um sein Leben gehabt und Fürchterliches gesehen. Auch ein weiterer gefährlicher Einsatz wurde von einer schwülen Gewitterstimmung begleitet. Vgl. Brief von Beckmann an Minna Beckmann-Tube, V., 21. 05. 1915, in: Gallwitz, Schneede, Wiese (Hg.) 1993, S. 133ff., hier : S. 133. Für ein weiteres Beispiel, wie eine Gewitterstimmung das Grauenvolle und Angespannte des Kriegsgeschehen untermalt, sei auf folgende Schilderung Beckmanns verwiesen: »Kommt es nun das Gewitter, oder kommt es nicht? Bei uns wälzt sich alles im Staub, und die Luft ist wie heißes Wasser. Heute früh war ich an der staubigen, weißgrauen Front und sah wunderbare verzauberte und glühende Dinge. Brennendes Schwarz, wie goldenes Grauviolett zu zerstörtem Lehmgelb, und fahlen, staubigen Himmel und halb und ganz nackte Menschen mit Waffen und Verbänden. Alles aufgelöst. Taumelnde Schatten. Prachtvoll rosa und aschfarbene Glieder mit dem schmutzigen Weiß der Verbände und dem düstern, schweren Ausdruck des Leids. Es kommt nicht, das Gewitter, und doch war es vorhin fast schon da. Alles leichenstill, der Himmel fast schwarz, und die ersten weißen Wölkchen des Entsetzens kräuselten sich bereits ganz vorn. Die Straßen warteten. In der Ferne donnert es. Ich weiß nicht, ob es Gewitter oder Geschütze sind.« Vgl. Brief von Beckmann an Minna Beckmann-Tube, V., 08. 06. 1915, in: Gallwitz, Schneede, Wiese (Hg.) 1993, S. 140f. Ebenfalls in Bezug auf den Zweiten Weltkrieg ist der metaphorische Gebrauch des Begriffs »Gewitter« mit dem Kriegsgeschehen ersichtlich. »Sonntag, 25. Juni 1944. […] Oben brummt das ›Gewitter‹ – scheinbar ewig.« Göpel (Hg.) 1955, S. 80. Damit nimmt Beckmann auf die Kriegsflugzeuge Bezug. Ebenso sei auf das 1932 entstandene Werk »Große Gewitterlandschaft« verwiesen, das in Bezug zur politischen Situation und der sich damals verschlechternden Lage Beckmanns gedeutet wird. Vgl. Rother 1990, S. 74f. 147 Vgl. Kat. Basel 2011, S. 18f.
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Die Bilder »Nordseelandschaft I« (Abb. B7.31) und »Stürmische Nordsee« (Abb. B7.33) wurden in Berlin gefertigt, das Werk »Nordseelandschaft II« (Abb. B7.32) bereits im Exil in Amsterdam.148 Das Ehepaar Beckmann ging kurz vor der Eröffnung der Ausstellung »Entartete Kunst«, in der auch Bilder Beckmanns gezeigt wurden, im Sommer 1937 nach Amsterdam ins Exil. Möglicherweise spiegeln die Unwetterdarstellungen Beckmanns eigene Lebensängste.149 Dass Beckmann die Titel »Nordseelandschaft I« und »Nordseelandschaft II« wählte, verweist auf deren Zusammengehörigkeit. Inhaltlich kann die Reihenfolge so gelesen werden, dass das Unwetter auf- und wieder abzieht.150 Übertragen auf die politische Situation erfüllte sich dieses Wunschdenken nicht. Die schlimmste Zeit – der Zweite Weltkrieg – stand noch bevor. Beckmann musste noch viele Jahre im Exil ausharren.
Zandvoort – Spiegelung der bedrückenden Exilsituation Beckmanns in maritimen Darstellungen Das Exil war für Beckmann eine bedrückende Zeit.151 Anfangs unternahmen er und seine Frau noch Reisen ins Ausland, die jedoch nach der Besetzung der Niederlande 1940 nicht mehr möglich waren.152 Die Lage für den Künstler verschärfte sich.153 Am 7. Mai 1940 notierte er in sein Tagebuch: »Es sieht so aus, als ob sich die Schlinge meines Schicksals langsam anzöge, noch mit einer hämischen Ironie dazu: ›Die Verhinderung wegen Paß-Visa nach Amerika zu gehen, trotz Berufung.‹ Hier in Holland kommt dann der Krieg auch her […] und ich werde dann eingesperrt und komme dort um, oder ich werde von der berühmten und oft erwähnten Bombe getroffen. – Nun, es ist mir auch recht. – Wenn’s nur schnell geht – und allein – Schade nur, ich kann wirklich ganz gut malen.«154
Da Beckmann als »entartet« diffamiert wurde, konnte er am öffentlichen Kunstleben nicht mehr teilnehmen. In dieser bedrängten Situation flüchtete er sich in seine Kunst und nutzte sie auch als »Ventil« und Ausdrucksmedium.155 In der 1938 in London gehaltene Rede »Über meine Malerei« gab Beckmann in Bezug auf seine Situation im Amsterdamer Exil an, dass für sein künstlerisches Schaffen derzeit ebenfalls Erinnerungen für seine Bildwelten von Bedeutung 148 149 150 151 152 153 154 155
Vgl. ebd., S. 157. Vgl. Belting 2011, S. 19f. Vgl. Peter 2011, S. 35. Vgl. hierzu Kat. Amsterdam, München 2007. Vgl. Kat. Hamburg 2003, S. 156f. Vgl. Kat. Basel 2011, S. 159. Vgl. Bormann 2011, S. 41. Göpel (Hg.) 1955, S. 10. Vgl. Bormann 2011, S. 41.
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seien. Dabei spielte auch das Meer eine besondere Rolle: »Das Atelier in Amsterdam, ein großer alter Tabak-Speicher, füllt sich aufs Neue mit Figuren aus alter und neuer Zeit und immer spielt das Meer von Nah und Weit durch Sturm und Sonne – in meine Gedanken.«156 Jedoch sind es in Bezug auf seine maritimen Bilder ebenso neu empfangene Impressionen, die er umsetzte. So besuchte Beckmann häufig Zandvoort, einen kleinen Ort an der Nordseeküste, den er bereits früher bereist hatte. Auf Basis dieser Eindrücke entstanden unterschiedliche Bilder, in denen sich ebenfalls Einflüsse in Bezug auf die Lebenssituation, auf verschiedene Erlebnisse und Erinnerungen oder auf visuelle Vorlagen zeigen.157 Somit unterliegen diese Bilder einem gewissen Konstruktionscharakter. Im Folgenden werden einige exemplarisch vorgestellt.
Abb. B7.34: Max Beckmann, Grünes Meer mit gelbem Kahn, 1937, Öl, 50,5 x 71,5 cm, Privatbesitz
Abb. B7.35: Max Beckmann, Boote am Strand, 1937, Öl, 50 x 71 cm, Privatbesitz
Die 1937 entstandenen Bilder »Grünes Meer mit gelbem Kahn«158 (Abb. B7.34) und »Boote am Strand«159 (Abb. B7.35) sind möglicherweise von der nieder156 157 158 159
Beckmann 1938, S. 135f. Vgl. Bormann 2011, S. 42. Vgl. Göpel 1976, Bd. 2, Kat. 468. Vgl. ebd., Kat. 469.
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ländischen Küste inspiriert.160 Das erstgenannte Werk zeigt das Strandleben. Eine angeschnitten dargestellte Badekabine begrenzt den Blick der/des Betrachtenden auf der linken Bildseite. Beckmann hat keine naturalistische Abbildung angestrebt; so entsprechen die grobe Malweise und die Anordnung der Bildelemente nicht der Realität. So irritiert beispielsweise die perspektivische Darstellung der auf den Badematten liegenden Personen. Neben Badegästen ist noch ein Pferd mit Kutsche verbildlicht, das möglicherweise eine Badekabine transportiert hat bzw. dies noch tun soll. Segelschiffe, eines auf dem Meer, zwei weitere auf dem Strand, verweisen auf die Schifffahrt. Während in diesem Bild ein Schiff unter Segeln auf dem Meer fährt, ist im Bild »Boote am Strand« (Abb. B7.35) eine Aufbruch- oder Rückkehrsituation dargestellt. Ein Schiff wird gerade zu Wasser gelassen oder wieder aus dem Wasser geholt. Weitere Boote, zum Teil mit gesetzten Segeln, liegen auf Slipwagen am Strand. Diese Motivik weckt Assoziationen an Beckmanns Situation und seinen Wunsch zu emigrieren. Es lässt sich nicht mehr eindeutig klären, ob er diese Motive in Bezug auf seine Emigrationspläne wählte.161 Seine Tagebuchaufzeichnungen geben darüber keinen Aufschluss. Dafür verdeutlichen die 1941 im Telegrammstil abgefassten Notizen den positiven Einfluss des Meeres auf den Künstler :162 »Donnerstag, 3. Juli 1941. Zandvoort, herrliches Wetter«163 »Mittwoch, 9. Juli 1941. Zandvoort Bad schön.«164 »Donnerstag, 10. Juli 1941. Zandvoort Bad herrlich«165 »Donnerstag, 24. Juli 1941. In Zandvoort spazieren allein.«166 »Montag, 28. Juli 1941. Zandvoort, wunderbar gebadet.«167 »Donnerstag, 31. Juli 1941. Zandvoort, schönes Bad, fette, große Wellen.«168 »Sonntag, 3. August 1941. Zandvoort gebadet, sehr schön, fühle mich 40 %«169
Die sommerlichen Ausflüge ans Meer und das Badeerlebnis brachten Beckmann Ablenkung und zum Teil Entspannung. Ebenfalls schien er zeitweise der Präsenz 160 Vgl. Göpel 1976, Bd. 1, Kat. 461. 161 So hat Beckmann das Zuwasserlassen von Schiffen und auf dem Trockenen liegende Segelschiffe beobachten können, sodass für eine symbolische Lesart Vorsicht geboten ist. Dagegen spricht auch, dass er bereits vor seinem Exil dieses Motiv einsetzte. Exemplarisch sei auf das Bild »Küstenlandschaft mit Ballon« verwiesen. Abb. vgl. Kat. Hamburg 2007, S. 21. 162 »Samstag, 21. Juni 1941. Zandvoort. Irgendwo im Grenzenlosen liegt das Bestimmte!« Göpel (Hg.) 1955, S. 20. 163 Ebd., S. 21. 164 Ebd., S. 21. 165 Ebd., S. 21. 166 Ebd., S. 21. 167 Ebd., S. 21. 168 Ebd., S. 21. 169 Ebd., S. 21. Der Tagebucheintragung des Folgetages lautet: »Zuviel gearbeitet, wieder 30 %« Ebd., S. 22.
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des Krieges entfliehen zu können.170 Jedoch stellen sich durch die Strandbesuche auch Ermüdungserscheinungen ein: »Überanstrengt durch zuviel Baden im Meer.«171 Wie bei seiner Begegnung mit der Nordsee im Ersten Weltkrieg, als er diese als »alte Freundin« ansprach, bleibt diese personifizierte Sicht auf das Meer erhalten. So verabschiedete er sich Ende August von der Nordsee: »Dienstag, 26. August 1941. Letztes Mal gebadet – Adieu wildes Meer!«172 Im nächsten Jahr schien es Beckmann nicht abwarten zu können, wieder zurückkehren zu können: »Montag, 9. März 1942. Erste Fahrt nach Zandvoort, noch alles kalt aber Sonne. [Hund] Butshy hüpfte jubelnd auf dem Strand, der langsam vom Eis befreit ist.«173 Beckmann litt aber zunehmend unter der Ungewissheit seiner Zukunft, da sich kein Ende der nationalsozialistischen Besetzung in den Niederlanden und des Krieges abzeichnete.174 Ende April zeigten sich auch hier die Anzeichen des Krieges am Strand: »Samstag, 18. April 1942. Mit Quappi in Zandvoort – alles voller Stacheldraht!«175 Ausflüge an die Küste waren bald nicht mehr möglich. So schrieb Beckmann in seinem Tagebuch im Juni des Jahres: »Schlechte Fahrt nach Zandvoort, auch dort ist alles verrammelt mit Stacheldraht etc. – Man kann nicht mehr an’s Meer und Strand.«176 Depressive und düstere Stimmungen lassen sich in seinen Tagebuchnotizen und auch in seinen Gemälden lesen. So kann das im selben Jahr entstandene Bild »Möwen im Sturm«177 (Abb. B7.36) mit seiner angespannten Lage in Verbindung gebracht werden.178
170 »Morgens ›bumste‹ es – nachmittags starkes Bad in Zandvoort mit Q[uappi].« Göpel (Hg.) 1955, S. 22. 171 Ebd., S. 22. 172 Ebd., S. 22. 173 Ebd., S. 31. 174 »Samstag, 21. März 1942. Die Zeit verfliegt und wir wissen nichts – trotz Schopenhauer, der es ja im Grunde, trotz ›des Satzes vom Grunde‹ auch meint. – Mit Q. im kalten Zandvoort als Frühlingsanfang. O Gott und immer noch kalt.« Göpel (Hg.) 1955, S. 32. 175 Ebd., S. 33. 176 Ebd., S. 36. 177 Vgl. Kat. Basel 2011, Kat. 57. Vgl. Göpel 1976, Bd. 2, Kat. 598. 178 Vgl. Kat. Basel 2011, S. 159f.
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Abb. B7.36: Max Beckmann, Möwen im Sturm, 1942, Öl, 70 x 50 cm, Westdeutscher Rundfunk Köln
Es zeigt im Vordergrund vier auf einem Geländer sitzende Möwen. Der durch das Geländer und die Möwen versperrte Zugang zum Meer kann Assoziationen an den in Zandvoort im Krieg nicht mehr zugänglichen Strandabschnitt wecken.179 Eine Möwe ist dem/der Betrachter/in zugewandt, während die anderen drei in Seitenansicht, mit Blick nach links – wahrscheinlich zum Meer – dargestellt sind. Vom linken Bildrand teilweise beschnitten ist in Aufsicht eine fliegende Möwe visualisiert. Sie wirkt perspektivisch irritierend,180 da ihr Schnabel direkt am Geländer endet. Die scheinbar vom Sturm unberührt auf dem Geländer sitzenden Möwen könnten als Symbol für Beckmanns prekäre Lage im niederländischen Exil gedeutet werden.181 Auch die landschaftliche Umgebung kann auf die bedrückende Situation verweisen. Mit grober und reduzierter schwarzer Linienführung sind zwei am Strand liegende Schiffe angedeutet. Dass sie auf dem Trockenen liegen, kann Assoziationen an die gescheiterte Emigration Beckmanns wecken. Ob er jedoch eine solche Bezugnahme intendierte, kann nicht eindeutig geklärt werden. Der Himmel ist eintönig und grau dargestellt. Mit schwarzen Konturlinien sind Wolken gestaltet. Die niederländische Flagge hebt sich leuchtend davor ab. Sie steht nahezu steif in der Luft und verweist auf die Gewalt des Windes. Der Sturm kommt vom Land, was an der Richtung der wehenden Fahne und am Meer zu erkennen ist.182 Ob sich der Sturm in diesem Bild als Krieg interpre179 Vgl. ebd., S. 159f. 180 Das Bild vermittelt keinen realistischen Eindruck, doch dies war wohl von Beckmann auch nicht intendiert. 181 Vgl. Belting 2011, S. 20f. 182 Käme der Sturm vom Meer, würden hohe Brecher an den Strand rollen, dies ist nicht der Fall. Nur an der Grenzlinie von Wasser und Land zeichnet sich Gischt ab. Blaue Flächen
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tieren lässt, ist fraglich,183 da Beckmann bei seinen Ausflügen an die Nordseeküste viele Stürme erlebt hat. Somit kann man nicht pauschal Sturmdarstellungen auf den politischen Kontext übertragen. Individuelle Bezüge sind jedoch möglich. So führte Beckmann in einer Tagebuchnotiz aus dem Jahr 1940 an, dass alles was er »geschaffen und getan habe […] nur abgeworfene Häute seines Selbst« darstellen.184 Seine Werke können somit im individuellen Kontext des Künstlers gelesen werden. Die Möwe stellt ein wichtiges Motiv in weiteren im Zeitraum 1940 bis 1942 entstandenen Werken dar : die Bilder »Die Möwen«185 (Abb. B7.37), »Braunes Meer mit Möwen«186 (Abb. B7.41), »Möwen im Sturm« (Abb. B7.36) und »Möwen sonnig«187 (Abb. B7.38) sind mit großer Wahrscheinlichkeit von der Nordsee inspiriert.
Abb. B7.37: Max Beckmann, Die Möwen, 1940, Öl, Verbleib unbekannt
Im erstgenannten 1940 entstandenen Werk (Abb. B7.37) sitzen die Möwen in Zweier- und Dreiergruppen am Strand. Es wirkt so, als wären sie miteinander im Gespräch vertieft und Beckmann hätte ihnen menschliche Züge zugeschrieben. Im Hintergrund ist das aufgewühlte Meer zu sehen. Davor zeichnet sich als schwarze Silhouette ein am Strand liegendes Segelschiff ab. Wiederum scheinen die Möwen im Vordergrund den Zugang zum Meer zu versperren.
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weisen auf überflutete Stellen am Strand, die wahrscheinlich durch Ebbe oder durch den starken Wind, der das Wasser zurückdrückt, entstanden sind. Vgl. u. a. Rother 1990, S. 103. Göpel (Hg.) 1955, S. 10. Vgl. Göpel 1976, Bd. 2, Kat. 545. Vgl. ebd., Kat. 566. Vgl. ebd., Kat. 601.
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Abb. B7.38: Max Beckmann, Möwen – sonnig, 1942, Öl, 45 x 84,5 cm, Privatbesitz
Im 1942 entstandenen Werk »Möwen – sonnig« (Abb. B7.38) wird dieser Eindruck durch Bauelemente eines Geländers oder Gerüsts noch verstärkt. Möglicherweise gehörten sie zur Absperrung während des Krieges. Im Vordergrund, scheinbar auf einer Anhöhe, sind zwischen und neben diesen einige Möwen zu sehen. Zu dem Gerüst im Vordergrund ist folgende Aussage Beckmanns überliefert: »Eine Tür in die abgesperrten Dünen. Sie können aber auch sagen, die Pforten in die Unendlichkeit.«188 In dieser Aussage ist ersichtlich, dass Beckmann das Gerüst ebenso als Zugang zum abgesperrten Strandbereich betrachtet. Weiterhin wird deutlich, dass der Künstler mit dem Meer und dem Blick in die Weite Unendlichkeit assoziiert. Dieses ist wie in einigen zuvor geschaffenen Werken unnatürlich einem Hügel oder der Erdkrümmung gleich gewölbt. In weiter Ferne auf dem Meer sind neben den auf dem Strand trockenliegenden Booten weitere Schiffe angedeutet. Obwohl die Möwen in den zuvor angeführten Bilder (Abb. B7.36, 37, 38) eher eine Art Wächterfunktion besitzen, haben sie eine ganze Bandbreite symbolischer Belegungen bei Beckmann.189 So können sie u. a. in Bezugnahme auf die Situation des Künstlers ebenfalls Assoziationen an »Freiheit« wecken.190 Zudem sind Möwen typische Meeresvögel und Beckmann kannte sie als Tiere in ihrem natürlichen Lebensraum und band sie möglicherweise auch aus diesem Grund motivisch ein. Beckmann griff in den im Exil entstandenen maritimen Werken nicht nur Möwen, sondern auch auf dem Trocken liegende Schiffe wiederholt motivisch auf. Möglicherweise kann letztgenanntes Motiv als Beckmanns Wunsch, das Land zu verlassen und in die USA zu emigrieren, gelesen werden.191
188 189 190 191
Beckmann, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, zitiert nach Göpel 1976, Bd. 1, Kat. 601. Vgl. u. a. Rother 1990, S. 102. Vgl. u. a. ebd., S. 103. Allerdings griff er das Motiv bereits vor dem Exil auf, sodass in Bezug auf solche Lesarten Vorsicht geboten ist. Vgl. Kat. Hamburg 2007, S. 21.
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Abb. B7.39: Max Beckmann, Meerlandschaft mit drei Kähnen, 1942, Öl, 70 x 89,5 cm, Privatbesitz
Das im Jahr 1942 angefertigte Bild »Meerlandschaft mit drei Kähnen«192 (Abb. B7.39) zeigt im Vordergrund drei parallel angeordnete, auf dem Strand liegende Schiffe ohne gesetzte Segel. Nur das mittlere Boot ist ganz zu sehen, die daneben befindlichen sind angeschnitten dargestellt. Auf dem mittleren befinden sich zwei Personen. Ihre Tätigkeit ist nicht eindeutig zu klären, sie versuchen vielleicht das Schiff segelklar zu machen. Hinter ihnen stehen im Wasser Pfähle und ein Hinweisschild. Die Bildmotivik kann von der Nordseeküste inspiriert sein sowie übergeordneten, symbolischen Charakter besitzen. Es könnten auch Einflüsse bereits gefertigter Werke enthalten sein.193
Abb. B7.40: Max Beckmann, Aufziehendes Gewitter am Meer, 1942, Öl, 59 x 92 cm, Privatbesitz
Ein weiteres Bild »Aufziehendes Gewitter am Meer«194 (Abb. B7.40) lässt ebenfalls Assoziationen an Beckmanns eingeengte Exilsituation zu. Der Blick auf den Strand und auf das Meer ist visualisiert. Einige Boote – eines mit hochgezogenen Segeln – liegen wiederum auf dem Trockenen am Strand. Das hochgezogene Segel könnte auf einen Aufbruch oder eine bereits getätigte Fahrt deuten. Die 192 Vgl. Göpel 1976, Bd. 2, Kat. 605. 193 Darauf verweist das Motiv der Boote, das er bereits 1932 im Werk »Küstenlandschaft mit Ballon« (vgl. Kat. Hamburg 2007, S. 21) aufgriff. 194 Vgl. Kat. Hamburg 2003, Abb. 25.
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bedrohliche graue Wolkenfront am Horizont, die ein Gewitter ankündigt, lässt vermuten, dass die Segler entweder schon wieder an Land gegangen oder noch gar nicht losgesegelt sind. Die im Bild durch das aufziehende Gewitter verbildlichte Bedrohung kann mit der Kriegssituation und den damit verbundenen düsteren Vorahnungen des Künstlers in Verbindung gebracht werden.
Abb. B7.41: Max Beckmann, Braunes Meer mit Möwen, 1941, Öl, 55,5 x 95 cm, Privatbesitz
Im Werk »Braunes Meer mit Möwen« (Abb. B7.41) steht das Motiv des Segelschiffs mit bereits gesetztem, allerdings zerfetztem Segel im Fokus. Das Boot befindet sich in der Übergangszone zwischen Land und Meer. Das zerschlissene Segel flattert im Wind. Einige Möwen im Vordergrund scheinen mit angelegten Flügeln gegen den Sturm durch die Luft zu fliegen. Eine weitere befindet sich am Strand vor dem Schiff. Andere sitzen auf einer hinter dem Segelschiff ins Wasser ragenden Mole und fliegen darüber hinweg. Große Wellen rollen an den Strand und brechen sich an der Mole. Das Motiv des Segelbootes mit zerfetztem Segel sowie die Motivik auf dem Trockenen liegender Schiff in den vorigen Bildern kann auf die Bewegungseinschränkung des Künstlers im Amsterdamer Exil und seinen Wusch, nach Amerika zu emigrieren, hindeuten. In all diesen Werken stellt das Meer kein eigenständiges Motiv dar, sondern fungiert weitgehend als Bühne, hat jedoch große Bedeutung für den Künstler und die Bildaussage. Das Meer bringt die Weite und damit assoziierte Unendlichkeit und Freiheit zum Ausdruck, die der Künstler sich so wünschte. Ob es sich dabei konkret um die Nordsee handelt oder nur übergeordnete Meeresdarstellungen visualisiert sind, ist nicht eindeutig zu klären. Allerdings sind Einflüsse der Nordsee wahrscheinlich, da Beckmann in seinen Exiljahren wiederholt an dieses Meer reiste und es – aufgrund der Kriegssituation – das einzige für ihn zu erreichende Meer war. An der Nordsee fand er – trotz des gesperrten Strandbereichs – Erholung: »Donnerstag, 3. September 1942. War allein in Zandvoort, seit langem wieder einmal frisch und fast jung. Schade, daß man das nicht halten kann.«195 Auch 195 Göpel (Hg.) 1955, S. 39.
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durch seine künstlerische Arbeit versuchte er der düsteren Gegenwart zu entfliehen.196
Abb. B7.42: Max Beckmann, Meer mit großer Wolke, 1943, Öl, 90,5 x 50 cm, Pinakothek der Moderne, München
In diesem Jahr verschärfte sich der Luftkrieg und der Künstler litt u. a. unter Zwangsvorstellungen.197 Diese niedergeschlagene Stimmung Beckmanns kann beispielsweise in dem Bild »Meer mit großer Wolke«198 (Abb. B7.42) gelesen 196 Beckmann arbeitete häufig für einen längeren Zeitraum an den Bildern und fertigte parallel verschiedene Werke an. Dabei griff er auch Motive aus seinem Frühwerk auf wie im Werk »Junge Männer am Meer« (Abb. B7.7). »Freitag, 11. Dezember 1942. Hörte von T. und B.’s Tod – man muß sich an alles gewöhnen. – Entwurf von Adam und Eva umgearbeitet und neuer Entwurf ›Junge Männer am Meer‹. Und draußen wütet der Tod« Göpel (Hg.) 1955, S. 44. »Freitag, 18. Dezember 1942. Junge Männer am Meer angefangen zu malen. Unbändiger Lebenswille gemischt mit Zorn und Resignation toben durcheinander.« Ebd. Das neu geschaffene Bild mit demselben Titel vollendete er erst im Februar 1943: »Sonntag, 28. Februar 1943 ›Junge Männer am Meer‹ endgültig fertig. – Sonst geplagt von Zwangsvorstellungen…« Ebd., S. 48. 197 Göpel (Hg.) 1955, S. 48. Allgemein schlugen der Krieg und die Ungewissheit der eigenen Zukunft sehr auf Beckmanns Stimmung. Exemplarisch sei auf die Tagebucheintragungen im Dezember 1942 verwiesen. Vgl. Göpel (Hg.) 1955, S. 44. Weiterhin sei auf folgende poetische Notiz vom 21. August 1942 verwiesen. »Die Tage fliehen, es regnet ihre Zeiten und bin ich hier – so bin ich auch nicht dort – wo soll mein Lager ich mir wieder breiten, das falsche Leben zieht mich weiter fort. – Sind’s echte Träume, liebe Papageien in rot und blau am schwarzen Dachesrand – verschied’ne Wolken ziehen weiter, allein und öde liegt der Strand« Ebd., S. 39. 198 Vgl. Kat. Basel 2011, Kat. 62.
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werden. Ein düsteres Meer mit einer bedrohlichen Wolke bestimmt das Werk. Während in den zuvor angeführten Bildern der Fokus eher auf der Boots- oder Möwenmotivik liegt, ziehen in diesem Werk das Meer und der Himmel das Augenmerk der/des Betrachtenden auf sich. Eine große, in groben Pinselstrichen ausgeführte dunkle Wolke dominiert den Himmel. Darüber erstreckt sich ein kleiner Bereich fahlen, gelben Lichts. Aus der Wolke scheinen Regengüsse oder auch Lichtstrahlen auf das Meer niederzugehen. Die runden, organischen Formen im oberen Bereich der Wolke werden im Meer wieder aufgegriffen. Die schwungvollen Pinselstriche erinnern allerdings eher an einen Strudel als an die Reflexion der Wolke. Wolke, Himmel und Meer sind in gedämpften Blautönen gestaltet. Der Meeresbereich am Horizont ist dunkelblau. Dagegen ist der Strandabschnitt im Vordergrund in warmen Ockertönen gehalten. Als rahmende Begrenzung in der linken Bildseite fungieren hochgestellte Ruderboote. Durch ihre dunkle Farbgebung und Position im Bild – sie ragen gerade über die Horizontlinie – besitzen sie eher periphere Bedeutung. Der Blick wird über sie auf das dramatische Wolken- und Lichtspiel über dem Meer geführt. Das Werk kann zwar im Kontext von Beckmanns besonderer Situation gelesen werden, ebenso ist es möglich, dass es von real beobachteten Wetterphänomenen inspiriert wurde.199 In seinem niederländischen Exil ließ Beckmann in seinen maritimen Werken nicht nur von der Nordsee inspirieren, sondern schuf ebenso übergeordneten Darstellungen, wie das Triptychon »Departure«, das großen symbolischen Gehalt besitzt, belegt.200 Da es sich nicht um die Nordsee handelt, wird im Folgenden kein weiterer Bezug erstellt. Auch verbildlichte er in diesem Zeitraum südliche Meere. Diese Werke besitzen zum Teil heiteren Charakter.201 Exem199 Wahrscheinlich liegt eine Inspiration durch seine Besuche der Nordseeküste vor. So hielt er sich 1943 ebenfalls in Scheveningen auf. Vgl. Kat. Hamburg 2003, S. 159. Das Bild wurde im Oktober fertiggestellt, (vgl. Göpel (Hg.) 1955, S. 61) während dieser stürmischen Jahreszeit im Herbst sind solche dramatischen Wetterphänomene häufig an der Küste zu beobachten. Jedoch war Beckmann bereits als junger Künstler mit solchen vertraut, wie Werke aus seinem Frühwerk belegen. 200 In diesem fungiert das Meer allgemein als Bühne. Konnotationen von Freiheit sind mit dieser Meeresdarstellung verbunden. Unterschiedliche Deutungsansätze bestehen zu dem Werk. Beckmann führt zum Werk folgende tiefgründige Gedanken aus: »Abfahrt, ja, Abfahrt vom trügerischen Schein des Lebens zu den wesentlichen Dingen an sich, die hinter den Erscheinungen stehen. Dies bezieht sich aber letzten Endes auf alle meine Bilder. Festzustellen ist nur, daß »die Abfahrt« kein Tendenzstück ist und sich wohl auf alle Zeiten anwenden läßt.« Brief von Beckmann an Curt Valentin, 11. Februar 1938, in: Pillep (Hg.) 1987, S. 133f. Damit verweist Beckmann darauf, dass das Werk nicht ausschließlich auf seine damalige bedrückende Lage im Exil mit dem Wunsch der Emigration in die USA bezogen werden soll. Weitere Literaturangaben zu Deutungsansätzen vgl. u. a. Rother 1990, S. 88f., Anm. 250. Eine Übersicht der Literatur bis 1976 vgl. Göpel 1976, Bd. 1, Kat. 412. 201 Vgl. Belting 2011, S. 20.
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plarisch sei auf das Bild »Blick auf Vorstädte am Meer bei Marseille« verwiesen.202 Beckmann zehrte von den Inspirationen südlicher Meereslandschaften, obwohl er ab 1940 keine Reisen mehr dorthin unternehmen konnte.203 Insbesondere die südlichen Meere werden häufiger in friedlicher Stimmung in seinen Werken dargestellt. Möglicherweise hat ihn der raue Charakter der Nordsee sowie der Umstand, dass er sich in den Niederlanden im Exil befand und dieses nicht verlassen konnte, eher zur Verbildlichung von bedrohlich-dramatischen Naturszenarien angeregt. Auch aus Bildelementen wie am Strand liegenden Booten, und gesperrten Stränden kann seine bedrückende Lage gelesen werden. Andererseits hatte er an der Nordsee auch Trost und Zuflucht gefunden. Die Weite des Meeres und damit verbundene Assoziationen von Unendlichkeit und Freiheit besaßen für ihn in seiner bedrückenden Situation große Bedeutung.
Beckmanns Bezug zur Nordsee in der Nachkriegszeit Ein Jahr nach Kriegsende schrieb Beckmann in sein Tagebuch: »Kein Krieg und noch nicht Frieden.«204 Das Kriegsende, das Beckmann herbeigesehnt hatte,205 brachte für ihn zunächst noch keine Befreiung aus seiner misslichen Lage. Er wurde als »feindlicher Ausländer« eingestuft und durfte keiner Ausstellungstätigkeit nachgehen.206 Selbstironisch bemerkte er : »Was willst Du eigentlich, alter Esel. Es geht Dir doch ganz gut, wenn Du auch immer noch ein bißchen eingesperrt bist in diesem Plättbrettland.«207 Im Juli 1945 fuhr Beckmann das erste Mal nach dem Krieg wieder nach Zandvoort. Die Zerstörungen des Krieges hatten die Landschaft verändert: »Freitag, 13. Juni 1945. Erstes mal wieder in Zandvoort. Alles verwüstet – ein anderes Bad – aber schön das Meer«208 Er nahm aber auch die immer noch vom Krieg gezeichnete Strandlandschaft auf unheimliche und geheimnisvolle Weise wahr : »Dienstag, 16. Oktober 1945. War in Zandvoort und wieder zweimal von irgendwelchen verirrten Kugeln beschossen, – und in der Nähe explodierte eine alte Bombe und fuhr 202 203 204 205
Vgl. Kat. Basel, Kat. 47. Zur »Süden-Sehnsucht« Beckmanns vgl. Rother 1990, S. 94–100. Göpel (Hg.) 1955, S. 152. Als der Krieg endlich beendet war, verglich Beckmann symbolisch das erlebte Leiden während des Krieges mit einer Sintflut: »Leider sieht es so aus, als ob das ›furchtbare Drama‹ meines Lebens in einer ganz gewöhnlichen Banalität enden wird. Oh mein Gott – aber schließlich ist das wohl immer so, wenn einer eine Sintflut überlebt hat….« Göpel (Hg.) 1955, S. 119. 206 Vgl. Bormann 2011, S. 51. 207 Göpel (Hg.) 1955, S. 153. 208 Ebd., S. 114.
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gen Himmel wie ein graues Zaubergespenst aus 1001 Nacht. Außerdem sah ich den unbekannten Weg im Nebel in den Dünen. In der Ferne verschwand er und sah aus als ob das Geheimnis der Welt dahinter verborgen wäre. – Vielleicht gehe ich ihn einmal ganz.«209
Die Schönheit des Meeres, die Beckmann wiederholt betonte, konnte der Krieg nicht zerstören. Der Künstler erlebte aber ebenfalls die Beseitigung der Kriegsspuren wie die Sprengung von Seeminen an der Nordsee: »[…] am Strand ungeheure Menschenmassen, die alle den Sprengungen von Seeminen beiwohnten. Tolles Geknalle und Riesenfontainen.«210 Nach Kriegsende fuhr Beckmann wieder regelmäßig zum Badeurlaub ans Meer.211 Wenn er an der Nordsee war, verzeichnete er dies häufig mit einer gewissen Freude in seinem Tagebuch. So notierte er bei einen Scheveningenaufenthalt im Juni 1946: »In Scheveningen das Meer wieder!!«212 Kurz danach fährt er alleine an die Nordsee in Zandvoort. Aus seiner Tagebuchnotiz geht hervor, dass ihm der Aufenthalt gut bekam: »Freitag, 5. Juli 1946. Friedliches Zandvoort gefahren, das erste Mal [in diesem Jahr] wieder gebadet bei stürmischen aber heiterem Himmel. Noch sehr vorsichtig und nur eine Anzahl Wellen.«213 Wie es auch in seinen Bildern ersichtlich ist, suchte er aber nicht nur friedliche Erlebnisse, sondern ebenfalls die Konfrontation mit der Naturgewalt des Meeres. »Samstag, 21. Juli 1945. Stolz bei schlechtem aber warmem Wetter im wilden Meer gebadet!! Mindestens 20–30 starke Wellen. Große Alloha – wie schön.«214 Es zog ihn auch bei starkem Wellengang ins Wasser. »Montag 30. Juni 1945. Leider zu starkes Bad in Zandvoort (Riesenwellen) und kalt […] Sonst schöne Fahrt und wildes Meer.«215 Beckmann nutzte häufiger den Ausdruck »wildes Meer« für die Nordsee.216 Ihn faszinierte die Naturgewalten und die Weite des Meeres: »Früh morgens nach Zandvoort, Bad nach wahnsinniger Gewitternacht. Meer ganz groß.«217 Dieser Eintrag weckt Assoziationen an Werke, in denen er dramatische Wetter- und Lichtstimmung umsetzte, beispielsweise »Meer mit großer Wolke« (Abb. B7.42). Intensiv nahm der Künstler Sturm und 209 Ebd., S. 126. 210 Ebd., S. 120. 211 »Montag, 2. Juni 1947. Zandvoort gebadet, heiß, Wasser kalt« Göpel (Hg.) 1955, S. 192. Exemplarisch sei auf weitere Tagebucheinträge aus dem Jahr 1946 verwiesen. Vgl. ebd., S. 161, 163, 197. »Mittwoch, 18. Juni 1945. Ganzen Tag in Zandvoort bei blendendem Wetter. Wieder gebadet und Sonne gebadet.« Ebd., S. 115. Auch am 24. Juli fuhr Beckmann ans Meer nach Zandvoort. Vgl. ebd., S. 115. 212 Ebd., S. 155. 213 Ebd., S. 157. 214 Ebd., S. 115. 215 Ebd., S. 116. 216 Vgl. ebd., S. 22, 115, 116, 124. 217 Ebd., S. 159.
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Gewitter über dem Meer wahr. Exemplarisch sei auf einen weiteren Tagebucheintrag verwiesen: »Dienstag, 20. August 1946. In Zandvoort gebadet. Großes Gewitter.«218 Ebenso faszinierten ihn die unterschiedlichen Wetter- und Lichtstimmungen, wie Nebelbänke am Meer.219 Obwohl ihm das Meer Ruhe und Erholung verschafften, konnte er dort auch Niedergeschlagenheit empfinden: »Freitag, 30. August 1946. War in Zandvoort bei wildem Sturm und greller Sonne und recht down…«220 In seinen Tagebuchnotizen überwiegen allerdings die positiven Empfindungen.221 Er war allerdings nicht der Einzige, den es ans Meer zog.222 Der nach dem Krieg allmählich wieder einsetzende Tourismus wurde vom Künstler als negativ empfunden: »Montag, 6. August 1945. Grausliche Bahnfahrt nach Zandvoort, viele Stunden Schlange gestanden und kaum das Meer gesehen.«223 Auch im folgenden Jahr 1946 beklagte er den sommerlichen Ansturm der Badegäste: »In Zandvoort gebadet und unter unmenschlichem Volksgedränge zurück.«224 Beckmann war kein Mensch, der den »Massentourismus« an der Nordsee suchte. Vielmehr schätzte er die Einsamkeit dort. So war er erfreut, wenn im Herbst der Tourismus wieder verebbte: »Donnerstag, 27. September 1945. Mit Q. am Meer sehr herrlich grau, wild und allein – wieder das Alte ohne Ferienmenschen – und düstre Löcher in den Dünen mit alten Forts, winkte der Oorlog [Krieg] mir zu, nur noch aus weiter Ferne und zur rechten Seite das grau und weiße, fast raumlose Unendliche.«225
Die Spuren des Krieges waren zwar an der Küste noch gegenwärtig, doch gehörten sie bereits der Vergangenheit an. Wie bereits benannt, lässt eine wiederholte Personifikation des Meeres auf die enge Bindung des Künstlers an dieses schließen, wie auch im folgenden Tagebucheintrag zu lesen ist: »Mittwoch, 6. Februar 1946. War in Zandvoort zu Fuß nach Overveen, ziemlich anstrengend, aber das Meer war wieder Meer und sagte Guten Tag Herr Beckmann.«226 Daraus lässt sich ebenfalls ablesen, dass sich die Lage für den Künstler allmählich wieder normalisierte. 218 Ebd., S. 162. 219 »Freitag, 10. Januar 1947. Autotour nach Zandvoort mit entzückendem Himmel aus dem Nebel.« Göpel (Hg.) 1955, S. 176. 220 Ebd., S. 164. 221 So fuhr er in der Nachkriegszeit immer wieder an die Nordsee. »Mittwoch, 16. Oktober 1946. War in Zandvoort, sah das Meer mal wieder und ein paar andere ganz nette Sachen.« Göpel (Hg.) 1955, S. 167. 222 »Hinfahrt erträglich, Rückfahrt hingegen fürchterlich. Tollste Menschenquetschung, die ich je erlebt.« Göpel (Hg.) 1955, S. 115. 223 Göpel (Hg.) 1955, S. 117. 224 Ebd., S. 159. 225 Ebd., S. 124. 226 Ebd., S. 141.
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Obwohl er häufig in der Nachkriegszeit an die Nordsee reiste, griff er diese nur noch vereinzelt als Bildthema auf. Das Wattenmeer gehörte zeitlebens nicht in sein gängiges Motivrepertoire. Obwohl er beispielsweise durch die Aufenthalte auf den ostfriesischen Inseln durchaus damit vertraut war, reizte es ihn nicht zu bildlichen Umsetzung. Allerdings schuf er im Jahr 1946 das Bild »Wattenmeer grün und schwarz-gelb«227 (Abb. B7.43).
Abb. B7.43: Max Beckmann, Wattenmeer grün und schwarz-gelb, 1946, Öl, 55 x 89,5 cm, Privatsammlung
Es zeigt allerdings nicht das heutige Weltnaturerbe Wattenmeer, sondern stellt eine niederländische Wattlandschaft bei Amsterdam dar. Dieses Werk besitzt eine starke atmosphärische Wirkung. Der Blick in die Ferne der Nordsee ist durch allerhand von Menschen errichtete Objekte verstellt. Es ist kein reines Naturerlebnis visualisiert, in dem die Schönheit der Wattlandschaft im Mittelpunkt steht. Stattdessen ist der Blick auf das Watt und die Nordsee von Menschenhand verbaut. Eine eher bedrohliche Stimmung wird evoziert. Durch die gewählte Farbgebung228 wird diese Stimmung unterstützt. Der Himmel ist in unnatürlich wirkenden kalten, weißlich-gelben Farbtönen gestaltet. Auch die Wasserflächen, die das Licht reflektieren, sind in diesen Farbton getaucht. Ein Hell-Dunkel-Kontrast bestimmt das Bild und erzeugt eine dramatische Wirkung. Die Wattflächen sind primär in Schwarz-Grün gehalten. In Schwarz sowie dunklen Braun-, Blau- und Grüntönen sind die im Vorder- und Mittelgrund dargestellten Netze sowie weitere bauliche Elemente erkennbar. Spitz zulaufende Pfähle ragen aufgereiht aus den überfluteten Flächen. Im vorderen rechten Bildteil ist ein (möglicherweise nicht mehr im Gebrauch stehender) Telegrafenmast zu sehen. Dieser durchbricht die obere Bildbegrenzung und steht parallel zu einem Mast oder Pfahl weiter im Vordergrund, an dem ein Netz zum Trocknen aufgehängt wurde. Zwischen diesen Pfählen wird der Blick auf 227 Vgl. Kat. Basel 2011, Kat. 65. Vgl. Kat. Hamburg 2003, Kat. 31. Er nannte dieses auch »Netzbild«. Es wurde im Dezember 1945 fertig gestellt. Vgl. Göpel (Hg.) 1955, S. 135. 228 Diese geht u. a. auf nach 1945 erhaltene neue Farblieferungen an Beckmann zurück. Vgl. Bormann 2011, S. 51.
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eine Gruppe Segelschiffe gelenkt, die in grober Strichführung angedeutet sind. Der menschliche Einfluss auf das Wattenmeer und dessen Nutzung sind unverkennbar in diesem Gemälde dargestellt. Es bestehen Zusammenhänge zwischen diesem mit den Bildern »Schiphol«229 und »Schiffswerft«230. Inwieweit diese Darstellungen jedoch Visualisierungen möglicher Fluchtwege aus Amsterdam darstellen, – wie in der Forschung geäußert231 –, sei dahingestellt, da keine direkten Äußerungen Beckmanns diesbezüglich überliefert sind.232 Beckmanns Reisefreiheit erweiterte sich. So hielt er sich im Jahr 1946 einige Tage Anfang September in Noordwijk auf.233 Auf Basis dieses Aufenthalts fertigte er das Werk »Marine Noordwijk«234 (Abb. B7.44) an. Wiederum liegt ein gerahmter Blick auf das Strandleben vor. Diesmal sind es aber keine Badegäste, sondern Reiter, die sich am Strand vergnügen.235
Abb. B7.44: Max Beckmann, Marine Nordwijk, 1946, Öl, 55 x 87,5 cm, Bayerische Staatsgemäldesammlungen
Beckmann unternahm weitere Reisen, u. a. nach Scheveningen.236 Auch zog es ihn wieder ans Mittelmeer nach Nizza und dieses Meer fand erneut Eingang in seine Bildwelten. 229 Vgl. Kat. Basel 2011, Kat. 66. 230 Vgl. ebd., Abb. 17, S. 34. 231 Vgl. Peter 2011, S. 35f. Vgl. Göpel (Hg.) 1955, S. 112. Inspiriert wurde Beckmann durch eine Radtour durch das zerstörte Amsterdam im Jahr 1945. »Mittwoch, 30 Mai 1945. Große Fietstour über das zerstörte Schiphol, zurück lange in Sonne und Wind und Einsamkeit.« Göpel (Hg.) 1955, S. 110. 232 Dies ist nicht sehr wahrscheinlich, da sonst in Bezug auf den Schiffsweg eine Auswahl anderer Motive logischer erscheinen würde. 233 Vgl. Göpel 1976, Bd. 1, Kat. 732. 234 Vgl. Göpel 1976, Bd. 2, Kat. 732. 235 Das Reitermotiv kann in der Tradition Liebermanns gelesen werden, der viele seiner maritimen Werke in Noordwijk anfertigte. Vgl. u. a. Rother 1990, S. 104. Die Darstellung der Pferde und Reiter unterscheiden sich jedoch sehr stark. Ebenso steht das Motiv der Reiter in unterschiedlichen Kontexten. 236 »Montag, 25. August 1947. […] Dann Scheveningen wunderbar gebadet, hohe Wellen und warme klare See, ganz prima.« Göpel (Hg.) 1955, S. 203.
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Seine persönliche Situation verbesserte sich allmählich So erzielte er in Amerika Erfolge, die sich positiv auf sein Gemüt auswirkten.237 Am 8. Januar erhielt er die Erlaubnis für den Transport von Bildern nach New York.238 Über die allmählich einsetzende Normalisierung in seinem Leben war der Künstler glücklich. Jedoch litt er darunter, dass er noch nicht den »Non Enemy« Status erhalten hatte. Erst als dieses im Sommer 1946 erfolgte, bedeutete dies für ihn Frieden239 und Beckmann reiste nach Amerika. Dort nahm er eine Lehrtätigkeit an der Art School der Washington University auf.240 Es schlossen sich wichtige Ausstellungen in den USA an.241 Im Jahr 1949 lehrte er an der Brooklyn Museum Art School und zog nach New York.242 Im Folgejahr wurde ihm die Ehrendoktorwürde der Washington University verliehen.243 Als er von Amerika im Jahr 1948 für eine Zeitlang nach Amsterdam zurückkehrte, um die Wohnung aufzulösen, unternahm er auch eine Reise nach Zandvoort: »Mittwoch, 7. Juli 1948. In Zandvoort, kalt windig und doch sehr schön, auch Butshy [Hund] fand es schön.«244 Wiederum empfand er den Aufenthalt an der Nordsee als positiv. Das Meer – allerdings nicht die Nordsee – suchte er auch in den USAweiter auf und es blieb ein wichtiges Motiv in seinem Werk.245
Abschließende Zusammenfassung Anhand Beckmanns Selbstzeugnissen ist ersichtlich, dass das Meer allgemein – sei es die Nordsee, das Mittelmeer oder übergeordnete Vorstellungen – für ihn große Bedeutung besaß. In seinen Ausführungen spricht er vom Meer als Geliebte oder Freundin. Der Künstler näherte sich der Nordsee in unterschiedlichen, zum Teil extremen Lebensphasen und dies spiegelt sich in seinen Bildern. Seine anfänglichen Aufenthalte an der deutschen und dänischen Nordseeküste 237 »Die Tage ziehen und eine gewisse lässige, nicht unfreudige Resignation über Gott und die Welt befächelt zur Zeit meine Seele. Mein Gott – 62 Jahre – noch immer da, mit Erfolgen in New York, einem überstandenen Weltuntergang und mit hilflosem Kraftüberschwang.« Göpel (Hg.) 1955, S. 154. 238 Vgl. ebd., S. 138. 239 »Mittwoch, 21. August 1946. Wiedermal ein ›historischer Tag‹ – die ›Non Enemy‹ Erklärung ist endlich nach fünf viertel Jahren gekommen! Zuletzt wurde es ganz schlimm, Bank gesperrt etc. etc. nun ist endlich für mich der ›Friede‹ da, 5 viertel Jahr länger hat für mich der Krieg gedauert wie für die anderen. Jetzt wird sich noch mancherlei ereignen und vielleicht werde ich noch einiges von der Welt zu sehen bekommen.« Göpel (Hg.) 1955, S. 162f. 240 Vgl. Peter 2011, S. 37. Vgl. Kat. Hamburg 2003, S. 162. 241 Vgl. Kat. Hamburg 2003, S. 164. 242 Vgl. ebd., S. 164. 243 Vgl. ebd., S. 165. 244 Göpel (Hg.) 1955, S. 262. 245 Vgl. Kat. Hamburg 2003, S. 164–167.
Abschließende Zusammenfassung
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waren von der Suche nach seiner individuellen Bildsprache geprägt. In diesen frühen in freier Natur entstandenen, von impressionistischen Tendenzen geprägten Meeresstudien näherte sich Beckmann visuell dem Zusammenspiel von Meer, Himmel und Strand an. In einigen Werken verbildlichte er ebenfalls die Konfrontation von Mensch und Meer. Auch in den im Zusammenhang mit den ersten Aufenthalten auf Wangerooge geschaffenen Werken überwiegen noch impressionistische Züge. Allerdings ist es nicht mehr das einsame Naturerlebnis und die Konfrontation mit der Weite des Meeres, wie er sie 1904 an der dänischen Küste visualisierte. Der Mensch wird zum Beispiel am Strand als heimkehrender Arbeiter in die Darstellungen integriert. Mit den schrecklichen Erlebnissen im Ersten Weltkrieg erfolgte ein Bruch in seinen Darstellungen. Die Bildmotivik der Nordsee fand nahezu ein Jahrzehnt keinen Eingang mehr in Beckmanns Kunst. Erst 1928 kehrte er im Urlaub an die Nordseeküste nach Scheveningen zurück. Die auf Basis dieses Aufenthalts kreierten Werke zeigen eine stark geänderte Sehweise auf die Nordsee: Im Gegensatz zu den impressionistisch geprägten Frühwerken, zeichnet ein reduzierter, gegenständlicher Stil diese Werke aus. Die Bilder entstanden nicht mehr unter freien Himmel, wie es in seinem Anfangswerk häufig der Fall war, sondern unterliegen Konstruktionen. So nutzte Beckmann beispielsweise das Prinzip des »Bildes im Bild« und die innere Rahmung. Auch die Motive änderten sich: Der Blick auf die Nordsee wird häufig aus einem engen, begrenzten Raum in der menschlichen Zivilisation dargestellt. Daraus kann die Distanz des Menschen zur Natur gelesen werden. In den 30er und 40er Jahren lassen sich in Beckmanns Werken Bezüge zu seiner bedrückenden Situation angesichts der Diffamierungen im Nationalsozialismus und seines Exils in Amsterdam herstellen. Kurz bevor der Künstler und seine Frau ins Exil gingen, besuchte er nochmals die Insel Wangerooge. Die Unwetterdarstellungen, die er auf Basis dieses Aufenthalts schuf, können mit dort erlebten Wetterphänomenen, aber auch mit seiner misslichen und bedrängten Situation in Verbindung gebracht werden. Es sind nicht mehr die begrenzten Blicke auf die Nordsee, die er in den 20er Jahren fertigte, sondern menschenleere Strände und das weite Meer, über dem sich dramatische Unwetterphänomene abspielen, rücken wieder in den Fokus. Beckmann hat während seines Exils sowohl die Nordsee als auch andere Meere sowie nicht eindeutig lokalisierbare Meeresdarstellungen geschaffen. Er konnte jedoch ab 1940 nur noch die Nordsee aufsuchen, da er aufgrund der nationalsozialistischen Besetzung Holland nicht verlassen durfte. So brachten ihm dort Badefreuden Ablenkung und Erholung. Viele seiner maritimen Werke sind vom Strand bei Zandvoort inspiriert. Die Unendlichkeit, die Beckmann mit dem Meer assoziierte, besaß für ihn in seiner bedrückenden Exilsituation große Bedeutung. Die Motivik von auf dem Trockenen liegenden Booten kann mit
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Max Beckmann
seiner »Unbeweglichkeit« im Exil und seinen gescheiterten Emigrationsplänen in die USA assoziiert werden. Jedoch hat er das Gemalte selbst gesehen und erlebt. Somit kann nicht eindeutig geklärt werden, inwieweit der Künstler eine symbolische Belegung seiner maritimen Werke intendierte. Nichtsdestotrotz sind Rückschlüsse auf die einengende Exilsituation möglich. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wanderte er in die USA aus und damit rückte die Nordsee aus seinem Blickfeld.
Fazit
Abschließend erfolgt eine kurze Zusammenfassung der in dieser Studie exemplarisch untersuchten künstlerischen Auseinandersetzungen mit der Nordsee und dem Wattenmeer in der Zeitspanne vom ausgehenden 19. bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts. Dabei werden die individuellen Zugänge, Bildsprache und Motivik sowie der gesellschaftshistorische und politische Hintergrund einbezogen. An dieser Stelle sei angemerkt, dass die gewählte inhaltliche Trennung, die dieser Studie unterliegt, nämlich – in Teil A – Darstellungen, die primär in nationalen, politischen und ideologischen Kontexten deutscher Geschichte stehen und – in Teil B – Bilder, die eine freiere ästhetische Annäherung spiegeln, beträchtliche Überschneidungen aufweist. So zeigen sich auf politischen, ideologischen und nationalen Aspekten fußende Ereignisse und Auswirkungen ebenfalls in den Werken von Künstlern, die primär ästhetische Zugänge wählten. Die Auswirkungen der zwei Weltkriege oder der nationalsozialistischen Terrordiktatur lassen sich ebenfalls aus einigen Bildern der Künstler lesen, die keine politischen und nationalen Absichten verfolgten. Exemplarisch sei auf die »Graue Periode« von Käte Lassen, die Werke Max Beckmanns, die im Rahmen seiner Diffamierung im Nationalsozialismus entstanden und die während des Sanitätsdiensts von Erich Heckel in Ostende gefertigten maritimen Bilder verwiesen. Auf der anderen Seite haben Künstler, wie Hans Bohrdt oder Claus Bergen, die eine starke nationale Auffassung besaßen und ihre Werke in den Dienst der Flottenpolitik stellten, auch ästhetische Auseinandersetzungen frei von nationalen, politischen oder ideologischen Belegungen kreiert. Sogar in den national, politisch und ideologisch belegten Werken sind ästhetische Zugänge zum Meer ersichtlich. Aus diesem Grunde hat es sich als richtig erwiesen, das gesamte Spektrum maritimer Themen der verschiedenen Künstler aufzuarbeiten, um diese nicht fälschlicherweise nur auf eine thematische Ausrichtung einzugrenzen. Eine Zusammenfassung der untersuchten Künstler und der Künstlerin wird im Folgenden vorgenommen. Abschließend wird in der Gesamtschau der Frage nachgegangen, ob von einer gemeinsamen Essenz dieser Werke gesprochen
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Fazit
werden kann. Weiterhin wird anhand der behandelten Künstlerinnen und Künstler dargelegt, ob das heute als Weltnaturerbe deklarierte Wattenmeer in den hier untersuchten Werken bereits als etwas Besonderes und Schützenswertes erkannt wurde. Anschließend erfolgt ein Forschungsausblick.
Fazit A: Nordsee und Wattenmeer in nationalen, politischen und ideologischen Kontexten deutscher Geschichte In Teil A der Studie wurde anhand exemplarisch ausgewählter Künstler analysiert, inwieweit sich politische und ideologische Einflüsse deutscher Geschichte sowie nationale Belegungen in den Nordsee- und Wattenmeerdarstellungen zeigen. Der Untersuchungszeitraum ist für die deutsche Geschichte von großer Bedeutung, da in diesem der Weg von der Monarchie unter Wilhelm II. über die Weimarer Republik und über das dunkle Kapitel des Nationalsozialismus letztendlich in eine Demokratie führt. Zwei Weltkriege ereigneten sich in dieser Zeitspanne. Der Kriegsmarinestützpunkt Wilhelmshaven und die Nordsee als Schauplatz der Seegefechte im Ersten und Zweiten Weltkrieg wurden in Bildern visualisiert. Die Nordseeregion fungiert in diesen Darstellungen als Bühne militärischer Stärke Deutschlands. Ebenso wurden Nordsee und Wattenmeer sowie der Küstenbereich in den Bildern als Projektionsflächen von politischen, nationalen und ideologischen Ideen und Vorstellungen genutzt. Dabei sind in einigen Werken propagandistische Instrumentalisierungen ersichtlich. Die von Kaiser Wilhelm II. geförderten Maler Hans Bohrdt und Willy Stöwer stellten ihre Marinedarstellungen in den Dienst seiner Flottenpolitik. Sie trugen durch ihre Werke zur Popularisierung der Kriegsflotte und zur Propaganda für den Seekrieg bei. Beide waren als Marinemaler auf Schifffahrten zugegen und begleiteten sogar den Kaiser auf Reisen. Somit konnten sie ihre künstlerischen Studien in unmittelbarer Anschauung durchführen. Allerdings diente die Nordsee in solchen Bildern primär als Bühne. Die Schiffe sind das Hauptmotiv. Eine gegenständliche und detailgetreue Verbildlichung der technischen und navigatorischen Aspekte der Seefahrt war charakteristisch für diese Werke.1 Viele Auftraggeber und Käufer stammten aus Marinekreisen und bewerteten diese Bilder anhand solcher Aspekte. Es wurde nicht nur eine realitätsgetreue Darstellung der Schiffe, sondern auch des Meeres, in diesem Fall der Nordsee, gefordert. Mit Beginn des Ersten Weltkriegs wurden aus Geheimhaltungsgründen den Künstlern zunächst Begleitfahrten auf Kriegsschiffen untersagt. Diese lockerten 1 Wilhelm II. war konservativen Kunstidealen verpflichtet und lehnte freiere Stile, wie den Impressionismus sowie die Kunst der Sezessionen ab. Vgl. Kat. Berlin 2000, S. 41.
Fazit A
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sich jedoch; so nahm beispielsweise Stöwer gegen Ende des Krieges an einer Manöverfahrt auf der Nordsee teil. Viele Darstellungen von Seegefechten entstanden jedoch nicht aus eigener Anschauung, sondern auf der Basis von Berichten und Seekarteneinträgen. Zudem zeigen die veröffentlichten Marinebilder nicht die freie Auseinandersetzung mit diesem Sujet, sondern unterlagen der Zensur des Reichsmarineamtes. Kritische Sehweisen waren im Rahmen der Kriegspolitik nicht erwünscht. Leid und Tod wurden allenfalls als ehrenvoller Opfertod im Dienst des Vaterlandes visualisiert. Die Nordsee fungierte in diesen Werken als heroisierter Kriegsschauplatz. Nach dem Ersten und nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Marinemalerei in der breiten Öffentlichkeit kaum noch Anerkennung besaß, widmeten sich die Marinemaler Themen der zivilen Schifffahrt sowie meereslandschaftlichen Sujets. Jedoch haben sich die hier angeführten wilhelminischen Künstler Stöwer und Bohrdt zeitlebens parallel mit zivilen Themen und landschaftlichen Darstellungen befasst. Insbesondere Bohrdt setzte sich in Artikeln und Bildern mit verschiedenen Facetten des Wattenmeeres auseinander und befasste sich vertieft inhaltlich mit dieser Grenzlandschaft. Dabei bezog er sich sowohl auf das Zusammenspiel von Mensch und Meer und kulturellen Gepflogenheiten als auch auf Besonderheiten der Natur. Seine ästhetischen Erfahrungen dieser amphibischen Natur setzte er in Schrift und Bild um. Jedoch wurden er sowie auch Stöwer nicht durch Bilder des Wattenmeeres sondern durch Schifffahrtsdarstellungen berühmt. Stöwer starb bereits 1931. Bohrdt war im Nationalsozialismus ein alter Mann. Seine Werke waren zwar nicht mehr so bedeutend wie im Wilhelminismus, wurden jedoch vereinzelt noch gewürdigt. Ein Künstler, der sowohl im Ersten als auch im Zweiten Weltkrieg den Motivkreis der Kriegsmarine aufgriff, war Claus Bergen. Dabei konnte er aus eigenen Erfahrungen schöpfen und neue Sehweisen einbringen. So nahm er im Ersten Weltkrieg als Gast an einer Unterseebootfahrt teil und verfasste dazu einen Artikel mit zugehörigen Illustrationen. Weiterhin entstanden nach den an Bord angefertigten Studien Gemälde. Ebenso schuf er Darstellungen von stattfindenden Seegefechten. Insbesondere durch die Verbildlichung der SkagerrakSchlacht im Ersten Weltkrieg wurde er als Kriegsmarinemaler populär. Dieses Seegefecht erlebte er jedoch nicht selbst. Stattdessen dienten – wie in vielen anderen seiner Bilder – Gespräche, Berichte und Seekarteneintragungen der Gefechtssituation als Grundlage der Darstellung. Auch im Zweiten Weltkrieg fertigte er Bilder von der Kriegsmarine und von Gefechtssituationen an. Er war ein gefragter Marinemaler. Die Nordsee fungiert in diesen Werken primär als Bühne. Diese Bilder standen im politischen Kontext und wurden zu propagandistischen Zwecken eingesetzt. Ebenso schuf er symbolische, national belegte
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Fazit
Darstellungen.2 Nach dem Zweiten Weltkrieg wandte sich Bergen zwar von der Kriegsmotivik ab, hielt jedoch weiterhin an seinem gegenständlichen Stil fest. Aber ebenso verbildlichte er zeitlebens ohne jede politische oder nationale Motivation die Nordsee, das Wattenmeer und die Küste sowie die Inseln. Diese Werke zeugen von der Schönheit des Meeres aber auch der Bedrohung, beispielsweise durch Sturmfluten. Ebenso griff er die zivile Schifffahrt auf. Das Watt mit seinen Strukturen stellt allerdings kein wesentliches Motiv in seinem Oeuvre dar. Während in den Werken der zuvor benannten Künstler Motive der Schifffahrt von großer Bedeutung sind, so besitzt dagegen die Natur des Wattenmeeres im Werk von Magnus Weidemann einen hohen Stellenwert. Der Künstler wurde in dieser Studie herangezogen, da er seine Darstellungen der Nordsee und des Wattenmeeres durch seine Schriften in den Kontext rassischer Ideologie stellte. Im Kontext völkischer Bewegungen wurde die Vorstellung einer aus dem Norden stammenden angeblich superioren Rasse popularisiert, die im Nationalsozialismus ihren traurigen Höhepunkt fand. Weidemann war Ende der 20er Jahre und im Nationalsozialismus zunehmend von dieser Rasselehre fasziniert. Er entwarf in seinen Schriften und Bildern rassisch verzerrte Sehweisen auf die Wattenmeer- und Nordseeregion. So interpretierte er seine Landschaftsbilder vom Wattenmeer u. a. als Darstellungen der Relikte einer angeblichen »Nordischen Urheimat«. Die Bilder an sich besitzen keine rassistischen Motive, sondern werden erst aufgrund seiner schriftlichen Aufzeichnungen in diesen Kontext gerückt. Weidemann verbildlichte beispielsweise maritime Stimmungen im Zusammenhang mit verschiedenen Wetter- und Lichtstimmungen sowie Ebbe und Flut. In seinen Schriften der 20er Jahre ist die Liebe zum Meer und ein rauschhaftes Erleben ersichtlich. Er schuf auch Darstellungen der auf Sylt praktizierten Jugendbewegung und Freikörperkultur, deren Entwicklung er mit beeinflusste und die er nach dem Zweiten Weltkrieg kritisch weiterbegleitete. Allerdings fungieren in diesen Aktdarstellungen die Nordsee und das Wattenmeer weitgehend als Bühne. Im zeitlichen Zusammenhang ist ein Wandel in Bezug auf seine Sehweisen ersichtlich: Während er sich dem Meer zunächst im Kontext der Freikörperkultur und seinem individuellen rauschhaften Erleben näherte, nahm er Nordsee und Wattenmeer später im Kontext rassischer Vorstellungen wahr. Nach dem Zweiten Weltkrieg verfolgte er die rassischen Theorien allerdings nicht weiter. Stattdessen wurde er angesichts des zunehmenden Tourismus auf Sylt für den Naturschutz sensibilisiert. Obwohl Weidemann seine Werke in den rassischen Kontext rückte, wurde er von den Nationalsozialisten nicht besonders gewürdigt. Dabei vereinnahmten 2 So setzte er motivisch das Hakenkreuz als verheißungsvolles Lichtsymbol in den Himmel über dem Meer ein.
Fazit A
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sie Nordsee- und Wattenmeerdarstellungen durchaus propagandistisch und ideologisch. So wurden Bilder vom deutschen Wattenmeer- und Nordseeküstenbereich als arteigene Heimatdarstellungen und rassische Selbstbekenntnisse der Künstler im Rahmen der Blut- und Boden-Ideologie interpretiert. Die Küstenbewohner als vom »Kampf« gegen die Nordsee rassisch geprägte Menschen erfuhren eine ideologische Überhöhung. Weiterhin wurden Landgewinnungsmaßnahmen propagandistisch aufgeladen. Sie stellten ebenfalls ein Motiv in der Kunst dar. So wurde insbesondere die Einweihung des Adolf-Hitler-Koogs – verbunden mit rassenpolitisch motivierten Besiedlungsmaßnahmen – in Fotografien propagandistisch verbreitet. Jedoch waren es insbesondere Kriegsmarinedarstellungen, die verstärkt zu Propagandazwecken eingesetzt wurden. Sie sollten Begeisterung für den Siegeswillen der Deutschen im Seekrieg wecken. Eine Heroisierung dieser Seegefechte lag in diesen Bildern vor. Marinewerke verbildlichten somit die Nordsee auch als einen Kriegsschauplatz. Zivile Schifffahrtsbilder wurden ebenfalls im Rahmen nationalsozialistischer Ideologie u. a. als Zusammenhalt der Mannschaft im Kampf gegen das Meer gedeutet. »Kameradschaft« und »Pflichterfüllung« galten angesichts des Krieges als Tugenden im Nationalsozialismus. Diese Schlagworte sollten u. a. durch die Darstellungen der Schiffsmannschaft vermittelt werden. Ebenso liegen weitere symbolische Deutungen vor. Da im Nationalsozialismus eine Abgrenzung zur avantgardistischen Kunst – insbesondere der expressionistischen Malerei – gefordert wurde, griffen die nationalsozialistischen Künstler allgemein auf naturalistische Darstellungen zurück. Abschließend kann angeführt werden, dass in vielen Bildern aus der Zeit des Nationalsozialismus die Nordsee und das Wattenmeer als Projektionsraum für politische und ideologische Ideen sowie propagandistische Absichten fungierte. Ebenso wurden konkrete Ereignisse wie Manöverfahrten oder Gefechte aber auch besagte Einweihung des Adolf-Hitler-Koogs visualisiert und propagandistisch eingebunden. Jedoch nahmen die Wattenmeer- und Nordseebilder in den nationalsozialistischen Großen Deutschen Kunstausstellungen quantitativ nur einen geringen Anteil ein. Parallel zu den Nordsee- und Wattenmeerbildern, die in nationalen, politischen und ideologischen Kontexten stehen, wurden Malereien kreiert, die freiere ästhetische Auseinandersetzungen spiegeln.
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Fazit
Fazit B: Nordsee und Wattenmeer im Kontext ästhetischer Annäherungen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts änderten sich im Kontext avantgardistischer Strömungen die realistisch-naturalistischen Darstellungen. Neue Künstlergemeinschaften und Sezessionen entstanden. So wurden in Abkehr vom traditionellen Akademieleben Künstlerkolonien gegründet. Um 1900 suchten Studierende der Universitäten Karlsruhe und Stuttgart in der Cuxhavener Wattenmeerregion die freie künstlerische Entfaltung in der Natur. Diese Künstlerkolonie in Duhnen/Altenwalde hatte jeweils in den Sommermonaten einige aufeinanderfolgende Jahre Bestand. Die Inspirationen für ihre in gegenständlicher Manier geschaffenen Werke fanden die Künstler dort. In ihren Landschaftsdarstellungen sind neben verschiedenen Lichtstimmungen und Wetterphänomenen die Gezeiten festgehalten und somit kann ansatzweise die Dynamik dieser Gegend erkannt werden. Zudem lassen sich erste karrikative Auseinandersetzungen mit dem zunehmenden Tourismus aus einigen Darstellungen lesen. Politisch motiviert waren ihre maritimen Bilder nicht. Ebenso zeigen sie keine nationalen Belegungen, sondern sind weitgehend harmonische Landschafts- und Meeresdarstellungen. Für viele dieser Künstler war der Aufenthalt an der Wattenmeerküste nur eine kurze Episode in ihrem Künstlerleben. Einige von ihnen, wie der heute nur regional bekannte Künstler Wilhelm Laage blieben jedoch nach Auflösung der Kolonie dieser Region zunächst verbunden. Für eine Zeitlang wurden er und seine Frau dort sesshaft. Laage wählte ein breites Motivspektrum von Nordsee und Wattenmeer. In Holzschnitttechnik kreierte er in reduzierter Formensprache und Farbwahl Darstellungen insbesondere von Wetterphänomenen und Lichtstimmungen im Wattenmeer. Die Tier- und Pflanzenvielfalt griff er motivisch nicht auf. Auch entdeckte er das Watt mit seinen unterschiedlichen Strukturen nicht als eigenständiges Motiv. Vielmehr verbildlichte er – wie seine Kollegen in der Künstlerkolonie – Landschafts- und Meeresstimmungen. Laage schöpfte wesentliche künstlerische Anregungen aus seinen Aufenthalten an der Nordsee und am Wattenmeer ; für sein Spätwerk hatten diese maritimen Eindrücke jedoch nur noch geringe Bedeutung. Die Künstler der Duhner Kolonie waren nicht die einzigen, die es zu Beginn des 20. Jahrhunderts an die Nordseeküste zog. Karl Schmidt-Rottluff und Erich Heckel, Mitglieder der 1905 gegründeten Brücke-Bewegung, hielten sich im Zeitraum 1907–1912 mit Unterbrechungen in Dangast am Jadebusen auf. Während die Mitglieder der Duhner Künstlerkolonie die am Wattenmeer erlebten Eindrücke in naturalistischer Bildsprache umsetzten, so strebten die Brücke-Maler eine Überwindung der konservativen Kunststile und Ideale an. Sie
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setzten sich von akademischen Regeln und etablierten Kunstströmungen ab und strebten ein natürliches, »unmittelbares« und unverfälschtes Leben jenseits der Städte an. Die Suche nach Ursprünglichkeit in bisher unentdeckten Landschaften hatte sie an die Wattenmeerküste geführt. In starker Farbigkeit und expressiver Form brachten sie ihre Wahrnehmungen und Empfindungen zum Ausdruck. Schmitt-Rottluff verbrachte hier die längste Zeit. Für seine künstlerische Entwicklung war dieser Aufenthalt von großer Bedeutung. Heckel dagegen hielt sich nicht so lange dort auf. Das Wattenmeer wurde von beiden Künstlern zwar motivisch aufgegriffen, doch war die maritime Motivik verwunderlicher Weise nur von untergeordneter Bedeutung. Es sind nur einige Werke erhalten, die konkrete Wattdarstellungen zeigen. Stattdessen wurden u. a. kulturelle Traditionen, wie das Fischen, visualisiert. Die im nahen Wilhelmshaven liegenden Kriegsschiffe reizten die Künstler dagegen nicht zur bildlichen Umsetzung. Ihre Werke sind frei von politischer und nationaler Intention. Nach 1912 kehrten weder Schmidt-Rottluff noch Heckel nach Dangast zurück. Des Weiteren wurde Heckels Auseinandersetzung mit Motiven der Nordsee betrachtet. Die im Ersten Weltkrieg in Ostende entstandenen Werke unterscheiden sich stark von den eher harmonisch anmutenden Dangaster Bildern. Dies ist sowohl auf seine künstlerische Entwicklung wie auch auf seine damalige Lebenssituation zurückzuführen. Er war in Ostende als Sanitäter eingesetzt. In den dort entstandenen Werken fungieren Nordsee und Himmel als Projektionsfläche der inneren Anspannung und der allgemeinen beängstigenden Stimmung angesichts des Krieges. In expressiv übersteigerten Formen, beispielsweise facettenartigen Himmelsstrukturen und gezackten Wellendarstellungen, bringt Heckel seine individuellen Empfindungen und Ängste zum Ausdruck. Im Spätwerk, insbesondere in den auf der Basis von Sylt-Aufenthalten entstandenen, von der Nordsee inspirierten Werken herrscht dagegen eine gemäßigtere, gegenständliche Bildsprache vor. Der Künstler unternahm im Zeitraum 1923–1962 wiederholt kurze Reisen auf die Insel. Das Wattenmeer wird motivisch in die häufig von amorphen und ornamentalen Strukturen geprägte Landschaftsdarstellungen integriert. Als eigenständiges Bildmotiv wählte er das Watt zeitlebens nicht. In einigen Werken visualisierte er den Tourismus an der Nordsee. Die häufig gegenständlichen und in lichten Farben geschaffenen Werke spiegeln eine gewisse Friedlichkeit, die möglicherweise auf die Urlaubssituationen, in denen die Bilder geschaffen wurden, zurückzuführen ist. Die bedrückende Zeit, die er aufgrund der Diffamierungen im Nationalsozialismus erlebte, ist in diesen Werken nicht zu lesen. Auf den Spuren der Brücke-Künstler wählte Franz Radziwill Anfang der 20er Jahre Dangast als Heimat. Er nahm Wattenmeer und Nordsee unter vielschichtigen Aspekten wahr. Sie waren zeitlebens wichtiger Inspirationsquell des Künstlers. So berichtete er von rauschhaften Erlebnissen in dieser von den
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Fazit
Gezeiten geprägten Natur. Nach anfänglichen expressionistischen Auseinandersetzungen mit der Meeresmotivik widmete er sich u. a. dem Studium der Romantik und wandte sich dann der Neuen Sachlichkeit und dem Fantastischen Realismus zu. Wie auch bei Heckel ist eine deutliche Entwicklung und Veränderung in Bezug auf Bildsprache und Motivik in Radziwills Kunst zu erkennen. Während Heckel jedoch im Spätwerk eher zu gemäßigten maritimen Darstellungen findet, tragen viele Werke aus Radziwills später Schaffensphase apokalyptische Züge. In Bezug auf das Wattenmeer verbildlichte Radziwill vielfältige Facetten, wie den Stimmungsreichtum, die Bedrohung durch Sturmfluten, die Maßnahmen zur Landgewinnung, den Küstenschutz und allgemein das ästhetische Erleben dieser Landschaft. Aber ebenso fand die Kriegsmarine Eingang in seine Bildmotivik. Allerdings unterscheiden sich seine Werke stark von den damaligen Propagandabildern. Zudem reflektierte er in den maritimen Bildern historische, gesellschaftspolitische und kulturelle Einflüsse seiner Zeit. Im Nationalsozialismus zeichnete ihn ein ambivalentes Verhalten aus. Obwohl er sich zur NSDAP bekannte, erfolgte eine Diffamierung von einigen seiner Werke. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs distanzierte Radziwill sich dann von dieser politischen Bewegung. Die Erfahrungen von Grausamkeiten im Zweiten Weltkrieg hatten einen starken Einfluss auf seinen Stil und seine Motivik. In seine maritimen Werke flossen zunehmend fantastische Motive ein, die auf eine übernatürliche, göttlich besetzte Dimension verweisen und die Verantwortungslosigkeit und Selbstzerstörung der Menschen im Technikzeitalter anprangern. Sein Glaube an das Übernatürliche und Göttliche sowie seine Skepsis gegenüber einem verantwortungsvollen Handeln der Menschen angesichts naturwissenschaftlicher Erkenntnisse und technischer Fortschritte spiegeln sich in seinen Bildern. Im Alter erlebte er mit dem zunehmenden Fremdenverkehr in Dangast zudem den rücksichtslosen und verantwortungslosen Umgang mit der Natur. Der Künstler engagierte sich für den Naturschutz, indem er sich in Bürgerbegehren einbrachte und als Hilfspolizist das Vogelschutzgebiet bewachte. Auch in seinen Bildern kritisierte er den Umgang der Menschen mit der Natur. Er erkannte das Schutzbedürftige dieser Landschaft und ihrer Tierwelt und setzte sich dafür ein noch bevor das Wattenmeer als Weltnaturerbe anerkannt wurde. Auch der in Süddeutschland lebende Künstler Alfred Bachmann nahm die Natur und die Vogelwelt des Wattenmeeres intensiv wahr und verbildlichte diese. Er unternahm auf gemieteten Segelschiffen Fahrten im Wattenmeer und erlebte diesen Lebens- und Stimmungsraum intensiv. Hierzu entstanden künstlerische Studien, die als Basis für spätere im Atelier gefertigte Werke dienten. Er ist einer der wenigen Künstler in dieser Studie, der für die Vielfalt der im Watt lebenden Vögel sensibilisiert war. In seinen Bildern griff er die Vögel zwar als Motiv auf, setzte sie jedoch häufig nur als Staffage ein. Ebenso war für
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ihn das Wattenmeer auch ein Jagdrevier. In seinen Bildern steht jedoch die Visualisierung des Naturerlebnisses im Vordergrund. In diesen ist die Faszination für das Wattenmeer aufgrund der Lichtstimmungen, der schnell wechselnden Wetterphänomene und des Erlebens von Weite ersichtlich. Er verbildlichte unterschiedliche Stimmungen im Kontext wechselnder Gezeiten sowie verschiedener Jahres- und Tageszeiten. Obwohl seine Werke von den Nationalsozialisten gewürdigt wurden, stellte er sie nie in den Dienst der Politik. Die politischen Entwicklungen Deutschlands hatten keinen Einfluss auf seine Bildwelt und seinen Stil. Es war die malerische Annäherung an die dynamische, stimmungsreiche Natur des Wattenmeeres, die im Fokus seines Schaffens stand. Er blieb Stil und Motivik zeitlebens treu. Während Bachmann den Stimmungsreichtum des Wattenmeeres – insbesondere des deutschen Bereichs – verbildlichte, steht die dänische Nordseeküste in den Werken von Käte Lassen als Stimmungslandschaft und Alltagsraum im Vordergrund. Sie zeigt in ihren Werken neue Sehweisen auf. Dabei sind in ihrem Frühwerk Frauendarstellungen am Meer von großer Bedeutung. Die weiblichen Figuren sind häufig in gefühlvoller, nachdenklicher und passiver Haltung dargestellt. Stimmungen und Gefühle werden betont. Später zeigen sich auch die Auswirkungen des Ersten Weltkriegs in Lassens Bildern. So verbildlichte die Künstlerin in ihrer sogenannten Grauen Periode leidvolle Frauendarstellungen an der Nordsee. Das in trüben Farben gehaltene Meer fungiert als Bühne der Trauernden und als Projektionsfläche ihrer Klagen und ihres Leids. Diese Graue Periode wurde durch farbintensivere Darstellungen von Fischern und ihren Familien abgelöst. Auch Kinder griff sie motivisch auf und konzipierte sogar ein Künstlerbuch zum Leben der Fischerkinder, in dem sie deren Zugänge zum Meer visualisierte. Im Nationalsozialismus war ihr die Einreise nach Dänemark verboten. Sie »lief« im nationalsozialistisch kontrollierten Kunstgeschehen »mit«, ohne Kritik zu üben.3 Diese Zeit hatte keinen besonderen Einfluss auf ihre Kunst. Allgemein liegen in ihren maritimen Werken weitestgehend keine nationalen oder politischen Belegungen vor. Das wesentliche Motiv ihrer Bildwelten war die Ursprünglichkeit der Landschaft und das traditionelle Leben in kleinen Fischerdörfern in Nordwestjütland. Obwohl sie das Wattenmeer kannte, fertigte sie diesbezüglich keine speziellen Darstellungen, beispielsweise vom Watt mit dessen Strukturen, an. Sie zog die dänische Nordseeküste dem Wattenmeer aufgrund des raueren Gepräges vor. Emil Nolde dagegen lebte an der Wattenmeerküste und nahm die Küstenlandschaft und das Meer unter ästhetischen Kriterien als eine farbenreiche 3 Allerdings wurde ihr in der Nachkriegszeit die Einreise nach Dänemark zunächst verboten, bevor sie wieder nach Stenbjerg reisen konnte.
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Fazit
Stimmungslandschaft wahr, die er wiederholt verbildlichte. Mit diesen expressionistischen Meeresdarstellungen, in denen Farb- und Formästhetik im Vordergrund stehen, brach er mit traditionellen Darstellungsweisen und initiierte neue Sehweisen. Er sah im Meer allgemein ein Urphänomen, etwas Elementares, das er expressionistisch in seinen Werken umsetzte. Nolde bereiste zwar viele Meere, verbrachte aber große Zeiträume seines Lebens an der Nordsee. Er erlebte Stille, innere Sammlung, tranceartiges Glücksempfinden, Einsamkeit und melancholische Gefühle während seiner Aufenthalte in Lildstrand, auf Hallig Hooge und Sylt. Er kehrte auf eigenen Wunsch von der Ostseeküste, wo er eine Zeitlang heimisch war, in die nordfriesische Heimatregion seines Vaters zurück und lebte dort bis an sein Lebensende. Somit war die Nordseeküste ein Element des Alltäglichen, dem er jedoch immer wieder ästhetische Reize abgewann. Im Gegensatz zur Ostsee liebte er die raue, herbe Schönheit. Er war mit Sturmfluten vertraut und sah im überfluteten Land – im Gegensatz zu vielen seiner Zeitgenossen nicht nur den wirtschaftlichen Schaden – sondern auch die Schönheit. Die insbesondere durch Lichtreflexionen und Wetterphänomene bedingten Stimmungen in der Küstenregion griff er wiederholt motivisch auf. Das Seebäderwesen an der Nordseeküste erlebte er vor allem auf seinen Reisen, da Nordfrieslands weitgehend eingedeichte Küste zur damaligen Zeit kaum Touristen anzog. In den wenigen Werken, die Badegäste zeigen, werden diese nicht detailliert, sondern im Kontext seiner expressiven Farbästhetik dargestellt. Ebenso besitzt seine Kunst Bezüge zum Fantastischen. So haben ihn die Nordseeaufenthalte in Lildstrand und Hallig Hooge zur Schaffung fantastischer Motivik inspiriert. Darüber hinaus besitzen einige wenige Werke Anklänge an die Sagenwelt des Meeres. Seine Kunst belegte er mit rassistischen Inhalten der NS-Blut- und BodenIdeologie: Er sah in seinen Werken die Heimat-Kunst-Lehre umgesetzt und hoffte auf Anerkennung seitens des NS-Regimes.4 Nolde wurde im Ersten Weltkrieg nicht eingezogen und wies allenfalls mit vereinzelten Darstellungen von Kriegsschiffen auf der Ostsee auf die Kriegssituation hin. Im Nationalsozialismus wurde er trotz Parteizugehörigkeit aus der Reichskammer der Bildenden Künste ausgeschlossen. In dieser Zeit hielt er sich zwar in der Nordseeküstenregion auf und die auf Sylt geschaffenen Aquarelle schienen weiter als Inspiration einiger Bilder zu fungieren, so dass Einflüsse der Nordsee in vielen seiner Meeresbilder wahrscheinlich sind, doch konkrete lokale Verortungen sind schwierig. Vielmehr entstanden übergeordnete maritime Bilder. Ein weiterer Künstler, der wie Noldes neue Sehweisen auf das Meer einbrachte, war Max Beckmann. Auch in seinem Werk spielt die Nordsee eine bedeutende Rolle, obwohl diese Gemälde nur einen Bruchteil in seinem Schaffen 4 Vgl. Fulda, Ring, Soika u. a. (Hg.) 2019b, S. 9f.
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darstellen. Jedoch ist anhand seiner Selbstzeugnisse ersichtlich, dass das Meer allgemein – sei es die Nordsee oder andere Meere – für ihn zeitlebens große Bedeutung besaß. Beckmann näherte sich der Nordsee in unterschiedlichen Lebensphasen und stellte unterschiedliche Aspekte in den Vordergrund. Seine frühen künstlerischen Auseinandersetzungen mit diesem Meer standen unter dem Einfluss des Impressionismus. In den an der Nordseeküste entstandenen Freilicht-Meeresstudien widmete sich Beckmann visuell dem Zusammenspiel von Meer, Himmel und Strand. In einigen Werken verbildlichte er die Konfrontation von Mensch und Meer. Nach den schrecklichen Erlebnissen im Ersten Weltkrieg fand die Bildmotivik des Meeres nahezu ein Jahrzehnt keinen Eingang mehr in seine Kunst. Erst auf Basis eines Urlaubs 1928 in Scheveningen entstanden wieder Nordseebilder, die allerdings eine stark geänderte Sehweise auf dieses Meer zeigen. Im Gegensatz zu den impressionistisch geprägten Frühwerken zeichnet ein reduzierter, gegenständlicher Stil diese Werke aus. Zudem nutzte Beckmann Konstruktionsprinzipien wie die des »Bildes im Bild«. So führt der Blick auf die Nordsee häufig durch ein Fenster, wodurch der Eindruck von Weite des Meeres im Kontrast zu einem engen, begrenzten Innenraum noch verstärkt wird. Dadurch kann die Distanz des Menschen zur Natur assoziiert werden. In den 30er und 40er Jahren können Beckmanns Bilder im Kontext der bedrückenden Situation angesichts von Diffamierungen durch die Nationalsozialisten und seines Exils in Amsterdam gelesen werden. Kurz vor seinem Weg ins Exil reiste der Künstler nochmals auf die Insel Wangerooge. Die Unwetterdarstellungen, die er auf Basis dieses Aufenthalts schuf, lassen sich sowohl mit realen Wettererlebnissen, aber ebenfalls mit seiner misslichen und bedrohlichen Situation in Verbindung bringen. Im Exil besuchte er – solange es die Kriegssituation erlaubte – regelmäßig die Nordseeküste bei Zandvoort. Badefreuden und der Blick aufs Meer in die Ferne verschafften ihm kurze Momente des Glücks. Ebenso ist seine bedrückende Lage angesichts der gescheiterten Emigration in die USA ersichtlich: So verbildlichte er wiederholt auf dem Strand liegende Schiffe, die auf seine »Bewegungsunfähigkeit« und sein »Gefangensein« im Exil hindeuten können. Der Blick in die Unendlichkeit weckt Assoziationen von Freiheit, die sich Beckmann in dieser Zeit so sehr wünschte. In diesen Werken aus dem Exil kann die Nordseeküste als Projektionsfläche der Ängste und Hoffnungen des Künstlers interpretiert werden.5 Allgemein ist in den maritimen Werken eine Motiv- und Stilentwicklung ersichtlich, die Rückschlüsse auf seine künstlerische und persönliche Situation ermöglichen. 5 Jedoch hat er das Gemalte selbst gesehen und erlebt. Somit kann nicht eindeutig geklärt werden, inwieweit er eine symbolische Aufladung seiner maritimen Werke intendierte.
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Fazit
Gibt es eine gemeinsame Essenz aller Werke? Obwohl alle die in dieser Studie angeführten Künstlerinnen und Künstler sich mit demselben geografischen Raum, dem Wattenmeer und der Nordsee, befassten, sind die individuellen Zugänge und deren bildliche Umsetzungen vielfältig. Auch wenn kollektive Wahrnehmungsmuster, beispielsweise die Schifffahrt betreffend, bei einigen Künstlern visualisiert sind, so ist allgemein festzustellen, dass subjektive Sehweisen dominieren. So zeigen sich in den Bildern der behandelten Künstlerinnen und Künstler ganz unterschiedliche Auseinandersetzungen mit Nordsee und Wattenmeer. Wie vorab angeführt liegt ein breites Spektrum stilistischer wie auch motivischer Annäherungen vor. Somit ist es schwierig, von einer gemeinsamen Essenz aller der in dieser Studie untersuchten Werke zu sprechen. Natürlich sind die Motive Meer, Strand und Himmel in den meisten der Bilder zu finden. Doch im Kontext subjektivistischer Landschaftstheorie unterscheidet sich die individuelle künstlerische Wahrnehmung dieses besonderen Naturraums. Indem die Künstlerin oder der Künstler das subjektiv Wahrgenommene bildlich umsetzte, ggf. mit weiteren Vorstellungen und inneren Bildwelten anreicherte, in eine abstrakte Formel reduzierte oder im Atelier in eine konstruierte Komposition einband, erfolgte bereits eine Interpretation im Rahmen des malerischen Aktes, in den individuelle Vorkenntnisse, Wissen, Interessen, Emotionen, bestimmte Absichten sowie die Lebenssituation der Künstlerin und des Künstlers einfließen konnten. In den untersuchten Werken zeigen sich u. a. individuelle Annäherungen an die Schönheit der Natur, deren Weite und Stimmungsreichtum als auch in Einzelfällen deren Bedeutung als Lebensraum für Pflanzen und Tiere. Ebenso wurde die Gewalt des Meeres in Form der stürmischen, aufgewühlten See und das Friedliche der weiten Wattlandschaft oder der stillen See verbildlicht. Die Annäherungen an den Stimmungsreichtum dieser Gegend zeigen sich in vielen Werken. Während Bachmann sie in naturalistischer Manier umsetzte, wurden einige Künstler zu freien Farb- und Formexperimenten angeregt, wie Nolde oder Heckel. Allgemein müssen die behandelten Werke im Kontext übergeordneter individueller künstlerischer Auffassungen, Theorien und Ideale bewertet werden, die in die Produktion mit einflossen. Auch die Naturauffassung und damit das Verhältnis Mensch und Meer spielten eine wichtige Rolle: Der Blick in die Ferne am Meer und der groß scheinende Himmel – unter dem sich Menschen klein fühlen können – geben die Möglichkeit zur Kontemplation und zur intensiven Natur- und Selbsterfahrung aber ebenso zur Projektion von Empfindungen auf diese Landschaft. Dies wurde ebenso in den Malereien umgesetzt. Wenn Menschen in diesen Werken dargestellt sind, fungieren sie u. a. als Vermittlerfiguren von Stimmungen. Ebenso nehmen sie bestimmte Rollen ein, wie Touristen, Fischer, Küstenbewohner bis hin zu reinen Staffagefiguren. Während
Gibt es eine gemeinsame Essenz aller Werke?
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Lassen die Küstenbewohner/innen und deren Stimmungen in einigen Werken in den Vordergrund rückte, so visualisierte Weidemann das menschliche Naturerleben im Kontext der Freikörperkultur. Beckmann rückte in einem seiner frühen Darstellungen die Konfrontation des Menschen mit der Übermacht der Natur in den Fokus. Weiterhin wurden Badegäste, Fischer oder Schiffer in die Bilder unterschiedlicher behandelter Künstler integriert. Auch wurden figürliche Darstellungen – wie in Radziwills Bildern – in konstruierte, surreale Welten eingebunden. Ebenso ist ersichtlich, dass sowohl politische, nationale und ideologische Vorstellungen wie auch historische Ereignisse – wie die zwei Weltkriege – die maritimen Darstellungen beeinflussten. Maritime Darstellungen wurden sogar propagandistisch funktionalisiert, wie Teil A der Studie zeigt. Und auch in einigen Werken der Künstler, die nicht politisch oder ideologisch motiviert sind, zeigen sich Einflüsse der deutschen Geschichte. So haben beispielsweise Künstler, die im Ersten Weltkrieg an der Nordseeküste eingesetzt wurden oder im Nationalsozialismus unter Diffamierung litten, dies in Schrift und Bild reflektiert. Diese Studie zeigt, dass das stilistische Spektrum von realistischer, gegenständlicher Umsetzung bis hin zu abstrakten und surrealistischen Annäherungen reicht. Insbesondere die auf konventionellen Traditionen basierenden Sujets, wie Schifffahrtsdarstellungen, weisen eine gegenständliche, naturgetreue Bildsprache auf. Mittels freier Farb- und Formexperimente wurde eine Absetzung von diesen malerischen Konventionen vorgenommen. Als Reaktion auf expressionistische Darstellungen ist daraufhin ebenfalls eine Rückkehr zum Gegenständlichen u. a. im Kontext Neuer Sachlichkeit zu verzeichnen. Impressionistische, expressionistische, romantische, naturalistische aber auch zum Teil surrealistische Einflüsse lassen sich in den Bildwelten verzeichnen. Während in den maritimen Bildwelten einiger Künstler – wie Radziwill oder Beckmann – im zeitlichen Verlauf Entwicklungen und Veränderungen zu verzeichnen sind, blieben andere – wie Bachmann – ihrer Motivik und ihrem Stil zeitlebens treu. Die Vielfalt der Zugänge und der bildsprachlichen Umsetzungen verweist zum einen auf die unterschiedlichen individuellen Kontexte der Künstler, die ihre Ideen, künstlerischen Vorstellungen und Empfindungen auf diese Gegend projiziert und in ihren Bildern visualisiert haben. Jede Person sah, erlebte und malte das Meer anders. Dabei fungierten Nordsee und Wattenmeer u. a. als Studienort, Urlaubsziel, Schifffahrts- und Kriegsschauplatz, Alltagsraum, Bühne für fantastische Geschehnisse sowie als Projektionsfläche individueller Lebenssituationen, Empfindungen, persönlicher Philosophien und Naturauffassungen.6 6 Letztgenanntes ist insbesondere in den Werken Beckmanns, Radziwills und Lassens der Fall.
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Fazit
Auf der anderen Seite ist ersichtlich, dass sich gerade das Wattenmeer und die Nordsee durch schnell wechselnde Wetterphänomene, Stimmungsreichtum, vielfältiger Natur und auch kultureller Vielschichtigkeit auszeichnen und sich für die unterschiedlichsten künstlerischen Herangehensweisen und Umsetzungen eignen. Es gibt unzählige Themen und inhaltliche Belegungen, die die Künstler und Künstlerinnen inspirierten, wie diese Arbeit zeigte. Diese Studie verdeutlicht neben der Vielschichtigkeit von Wattenmeer und Nordsee den subjektivistischen Landschaftsbegriff. Die untersuchten Werke belegen – trotz der Bedienung von einigen kollektiven Wahrnehmungsmustern – die Vielfalt der individuellen, subjektiven Auseinandersetzung und Verbildlichung von Nordsee und Wattenmeer. Somit ist es – abgesehen davon, dass alle Werke von Wattenmeer und Nordsee inspiriert wurden – schwierig, von einer gemeinsamen Essenz zu sprechen. Im Folgenden wird erörtert, ob das Wattenmeer von den in dieser Studie angeführten Künstlerinnen und Künstlern bereits damals – vor Ernennung zum Welterbe – als etwas Besonderes im Sinne des heutigen UNESCO WeltnaturerbeGedankens verbildlicht wurde.
Das Wattenmeer als etwas Einzigartiges und Besonderes in künstlerischen Darstellungen? Heutzutage stellt das Wattenmeer eine Weltnaturerbestätte dar. Ein Grund dafür liegt in der Vielfalt der Tier- und Pflanzenwelt. Einige der in dieser Untersuchung angeführten Künstler setzten sich bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit der Tierwelt auseinander. So war Bachmann aufgrund seiner ornithologischen Kenntnisse und den in der Wattenmeerregion durchgeführten Beobachtungen für die Vielfalt der Vogelwelt und ihrer Anpassungsfähigkeit in diesem Lebensraum sensibilisiert. Er griff unterschiedliche Vogelarten in seinen Werken auf. Dabei dienten diese allerdings weitgehend als Staffage zur Unterstützung visualisierter Stimmungen. Auch Bohrdt befasste sich mit der Tierund der Pflanzenwelt des Wattenmeeres und verwies in seinen schriftlichen Aufzeichnungen darauf; gängige Bildmotive wurden sie jedoch nicht. Allgemein fungierten Pflanzen und Tiere in den Bildern der hier angeführten Künstler/ innen meist als Staffage. Zudem ist ersichtlich, dass die Künstler/innen wenig Interesse für den Blick fürs Kleine – beispielsweise Wattwurmhaufen, kleine Krebse, Muscheln oder Algen – besaßen und diese Motive nur in Ausnahmefällen visualisierten. Vielmehr reizten viele die Weite und der Stimmungsreichtum vom Meer im Zusammenspiel mit dem Himmel. Zudem besteht eine allgemeine Schwierigkeit in der künstlerischen Auseinandersetzung mit einigen
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zur Ernennung zum heutigen Weltnaturerbe angeführten Gründen darin, dass diese für den naturwissenschaftlichen Laien nicht direkt ersichtlich sind. Beispielsweise können die Vielfalt insbesondere der Kleinstlebewesen und deren Anpassungsfähigkeit an einen schwierigen Lebensraum nicht auf den ersten Blick erkannt werden. Diesbezüglich sind naturwissenschaftliche Kenntnisse nötig, die viele der Künstler/innen damals nicht besaßen. Ein weiterer Grund, der zur Auszeichnung des Wattenmeeres als Welterbe führte, ist die Dynamik der Landschaft. Detaillierte geomorphologische Prozesse sind dem Laien zwar nicht unbedingt verständlich,7 doch die allgemeine Dynamik des von Gezeiten geprägten Gewässers stellt ein charakteristisches Merkmal des Wattenmeeres dar. Die Gezeiten und die amphibische Küstenlandschaft wurden von den Künstlerinnen und Künstlern im Gegensatz zur Tierund Pflanzenwelt häufig verbildlicht. Auch Sturmfluten, Küstenschutz und Landgewinnungsmaßnahmen fanden Eingang in ihre Bildwelten. Jedoch ist auch ersichtlich, dass Details, beispielsweise die unterschiedlich geformten Wattstrukturen, von den in dieser Studie behandelten Künstlern nur vereinzelt als eigenständige Motive aufgegriffen wurden.8 Allerdings inspirierte die Dynamik dieser Landschaft, die sich in Form der Gezeiten und damit einen großen Stimmungsreichtum zeigt, viele Künstler. Bohrdt, Bachmann, Mitglieder der Duhner Künstlerkolonie, Weidemann und Radziwill haben intensive ästhetische Erfahrungen im Watt gemacht. Diese fanden in ihren Bildern Niederschlag. Der heute als selbstverständlich empfundene Schutzgedanke war damals noch nicht stark ausgeprägt. Obwohl in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bereits erste Schutzgebiete eingerichtet waren, galt die Jagd im Wattenmeer einigen der in dieser Studie angeführten Künstler noch als übliche Tätigkeit. Das Wattenmeer als Jagd- und Fischereigebiet war eine gängige Vorstellung, die sich beispielsweise in Bohrdts, Bachmanns und Noldes Ausführungen findet, obwohl insbesondere die beiden letztgenannten auch für den Vogelschutz sensibilisiert waren. In den 50er und 60er Jahren entwickelte sich allmählich ein stärkeres Naturschutzbewusstsein. So engagierte sich beispielsweise Radziwill im Alter aktiv für den Schutz der Vögel und allgemein der Natur. Der zunehmende Tourismus, die damit einhergehenden Verschmutzungen und Zerstörungen 7 So war damals nicht allgemein bekannt, dass angesichts der Dynamik in diesem Gebiet exemplarisch auf erdgeschichtliche, geografische und geomorphologische Entwicklungsprozesse geschlossen werden konnte. 8 Exemplarisch sei auf angeführte Werke von Mitgliedern der Duhner Künstlerkolonie, Langhein und Matthaei, verwiesen. Vgl. Kapitel »Ausgewählte Motive der Künstler – ein Einblick«. Allgemein gehörten Darstellungen des Watts nicht ins gängige Motivspektrum maritimer Malerei. So hatte erst Alfred Ehrhardt in seinem 1937 erschienen Bildband »Watt« Fotografien von unterschiedlichen Wattstrukturen und -formationen publiziert. Vgl. Ehrhardt 1937. Dies wurde im Vorwort des Buches als eine neue Sehweise durch die Fotografie hervorgehoben. Vgl. Dingelstedt: Vorwort, in: Ehrhardt 1937, S. 5–10, hier : 5.
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sowie bauliche Veränderungen der Dangaster Landschaft sensibilisierten ihn für den Schutzgedanken. Auch in den Bildern seines Spätwerks prangert er die Naturzerstörung und das verantwortungslose Handeln der Menschheit an. Auch Weidemann engagierte sich im Alter insbesondere angesichts des zunehmenden Tourismus und dessen Folgen für den Naturschutz; jedoch setzte er dies nicht in seinen Bildwelten um. Den UNESCO-Welterbegedanken gab es im Untersuchungszeitraum noch nicht. Der heute geltende Gedanke, dass das Wattenmeer ein »Erbe« für die gesamte Menschheit darstellt, war gerade in den stark nationalistisch geprägten Zeiträumen des Wilhelminismus und des Nationalsozialismus für viele noch recht abwegig. Zudem ist anzuführen, dass das Wattenmeer für einige in dieser Studie herangezogenen Personen – wie Lassen – nichts Herausragendes darstellte, das sie künstlerisch inspirierte. Auf der anderen Seite zeigt diese Arbeit ebenfalls, dass dieses Meer bereits damals von Künstlern – wie Bohrdt, Bachmann, Laage, Radziwill oder Weidemann – im Kontext unterschiedlicher Sehweisen als etwas Besonderes empfunden wurde. So haben viele der in dieser Studie herangezogenen Künstler dieses Meer unter ästhetischen Kriterien oder anderweitigen inhaltlichen Belegungen als faszinierend und inspirierend empfunden und verbildlicht. Auch die kulturellen Praktiken wurden häufig einbezogen. Abgesehen von den dynamischen Prozessen dieser amphibischen Landschaft waren es aber nicht die heutzutage von der UNESCO angeführten naturwissenschaftlichen Gründe9, die sie inspirierten. Dies zeigt, dass die heutige von der UNESCO durch den Welterbestatus stark naturwissenschaftlich geprägte Sehweise des Wattenmeeres nur ein Teil des Wahrnehmungsspektrums darstellen kann und um künstlerisch-ästhetische und kulturelle Zugänge erweitert werden muss. Diesem Aspekt widmet sich der zweite Teil der Habilitationsschrift.10
Forschungsausblick Da in dieser Studie nur exemplarische Künstlerpositionen gewählt wurden, besteht noch Forschungsbedarf. Natürlich waren noch weitere Künstlerinnen und Künstler, die sich der Darstellung von Wattenmeer und Nordsee widmeten, in diesem Zeitraum aktiv. In Bezug auf deutsche Künstler/innen sei exemplarisch auf Max Liebermann, Andreas Achenbach, Hans Peter Feddersen, Poppe 9 Diese beinhalten: Tier- und Pflanzenvielfalt, die Anpassung an einen schwierigen Lebensraum und die dynamischen Prozesse im Wattenmeer. Nähere Ausführungen vgl. Kapitel »Gründe für die Ernennung zum Weltnaturerbe Wattenmeer«. 10 Vgl. Hinrichs 2016.
Forschungsausblick
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Folkerts, Hedwig Lindenberg, Wenzel Hablik, Leonhard Sandrock, Jacob Alberts, Carl Ludwig Jessen, Paul Lehmann-Brauns und Ingwer Paulsen verwiesen. Die Analyse ihrer Werke in einer Gesamtschau steht noch aus. Da ein inhaltlicher Schwerpunkt dieser Studie auf der Untersuchung nationaler, politischer und ideologischer Belegungen im Kontext deutscher Geschichte liegt, wurden keine internationalen Künstler herangezogen. Dies ist jedoch noch ein wichtiger Aspekt, unter dem folgende Künstler/innen betrachtet werden können: Bernhardus Johannes Blommers, Anna Ancher, EugHne Boudin, Isaac Israels, Johan Barthold Jongkind, Hendrik Willem Mesdag, Andreas Schelfhout, Christian Krohg, Peder Severin Krøyer sowie Edvard Munch. Weiterhin besteht noch Forschungsbedarf in der Analyse von Darstellungstraditionen von Wattenmeer und Nordsee sowohl vor dem in dieser Studie gewählten Zeitraum als auch im Anschluss daran bis zur zeitgenössischen Kunst. Da der Fokus dieser Studie auf der Malerei lag, muss zudem eine Erweiterung der Untersuchung auf andere künstlerische Bereiche wie Land Art, Plastik, Film und Fotografie erfolgen. In diesem Sinne stellt diese Studie eine Grundlagenforschung und einen wichtigen Baustein in der umfassenden Geschichte künstlerischer Darstellungen von Wattenmeer und Nordsee dar, die noch fortgeschrieben werden muss.
Farbabbildungen
Abb. A1.26: Hans Bohrdt, S. M. Linienschiff ›Kaiser Wilhelm der Große‹ mit S. M. Panzerkreuzer ›König Wilhelm‹ in der Wesermündung, Kunstblatt, Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven
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Farbabbildungen
Abb. A1.52: Willy Stöwer, Deutscher Panzerkreuzer im Gefecht, Nordsee 24. Januar 1915, 1915, Aquarell, Deckweiß, 21 x 33 cm, Kasteel Haus Doorn, Niederlande, in: Hormann, Scheele (Hg.) 2000, S. 14
Abb. A1.58: Willy Stöwer, In der Nordsee, 1924, Mischtechnik, 46 x 64 cm, Sammlung Tamm, Hamburg
Farbabbildungen
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Abb. A2.16: Claus Bergen, Deutsche Zerstörer in der Nordsee (Zerstörer »Karl Galster«), 1940, Öl, 149 x 269 cm, Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven
Abb. A2.28: Claus Bergen, Halligwarften bei Land unter, ca. 1919, Öl, 71 x 170 cm, Gemeinde Lenggries
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Farbabbildungen
Abb. B1.8: Karl Otto Matthaei, Wasser, Watt und Wolken, ca. 1896, Öl, 32 x 41 cm, Heimatarchiv Cuxhaven
Abb. B1.20: Karl Otto Matthaei, Krabbenfischer, Lithografie, 30 x 41 cm, Heimatarchiv Cuxhaven
Farbabbildungen
Abb. B2.6: Karl Schmidt-Rottluff, Watt bei Ebbe, 1912, Öl, 76 x 84 cm, Privatbesitz
Abb. B2.25: Erich Heckel, Nordsee, 1916, Tempera, Nachlass Erich Heckel, Hemmenhofen
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Farbabbildungen
Abb. B3.16: Franz Radziwill, Wattenmeer mit Sonne, 1930, Öl, 54 x 72 cm, Privatbesitz
Abb. B3.43: Franz Radziwill, Die Apokalypse, 1952, Öl, 80 x 99 cm, Museum Bochum
Farbabbildungen
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Abb. B4.45: Alf Bachmann, Gewitterwolken, 1912, Öl, 29,5 x 60 cm, SHLM, Schloss Gottorf
Abb. B4.47: Alf Bachmann, Untergehende Sonne (Wattenmeer), 1945, Pastell, 62 x 86,5 cm, SHLM, Schloss Gottorf
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Farbabbildungen
Abb. B5.1: Käte Lassen, Am Meer, Mädchen vor der Brandung, 1909, Öl auf Leinwand, 72 x 70 cm, Ludwig-Nissen-Haus Husum
Abb. B5.5: Käte Lassen, Frau am Meer, 1907, Öl auf Leinwand, 89 x 67 cm, Museumsberg Flensburg
Farbabbildungen
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Abb. B6.7: Emil Nolde, Begegnung am Strand, 1920, Öl, 86,5 x 100 cm, Nolde Stiftung Seebüll
Abb. B6.20: Emil Nolde, Hallig, Aquarell, 33,7 x 47 cm, Nolde Stiftung Seebüll
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Farbabbildungen
Abb. B7.13: Max Beckmann, Leute nach der Arbeit am Meer (Am Strand von Wangerooge), 1909, Öl, 70,5 x 80,5 cm, Landesmuseum Oldenburg
Abb. B7.27: Max Beckmann, Meeresstrand, 1935, Öl, 65 x 95,5 cm, Museum Ludwig, Köln
Farbabbildungen
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Abb. B7.29: Max Beckmann, Landungskai im Sturm, 1936, Öl, 41 x 80,5 cm, Städel Museum, Frankfurt am Main
Literaturverzeichnis
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Abbildungsverzeichnis
Wattenmeer und Nordsee in der Kunst 2.
Nordsee und Wattenmeer
Abb. 1: http://www.waddensea-worldheritage.org/sites/default/files/downloads/welt naturerbe_wattenmeer_de.jpg, 12. 3. 2015.
3.
Sehweisen von Natur und Landschaft
Abb. 2: Abb. 3: Abb. 4: Abb. 5: Abb. 6: Abb. 7–15:
Johann Melchior Fuesslin, Nordfriesisches Institut. Eduard Schmidt, Kat. Flensburg/Hamburg 2012, Kat. Nr. 6. Carl Fedeler, Hansen 1977, S. 161. Heinrich Tank, Kat. Flensburg/Hamburg 2012, Kat. Nr. 39. Charles Hoguet, Sammlung Kunst der Westküste. Cornelius, Kobbe 1841/1973.
A
Nordsee und Wattenmeer in nationalen, politischen und ideologischen Kontexten deutscher Geschichte
A1
Marinemalerei im Kontext der Flottenpolitik von Kaiser Wilhelm II.
Abb. A1.1: Abb. A1.2:
Abb. A1.3: Abb. A1.4:
Carl Saltzmann, Schifffahrtsmuseum Bremerhaven, II 1 IX 206. Hans Bohrdt, Sieg Dietmar Koels und der Hamburger Flotte über den dänischen Seeräuber Klaus Kniphoft am 6. Okt.1525 bei Greetsiel, Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven, II 2 IV 035. Hans Bohrdt, Durchbruch der Torpedoboote. Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven, II 1 IX 125. Hans Bohrdt, Geschwaderfahrt, Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven, III A 00001–0450 a.
740 Abb. A1.5: Abb. A1.6: Abb. A1.7:
Abb. A1.8: Abb. A1.9: Abb. A1.10: Abb. A1.11: Abb. A1.12: Abb. A1.13: Abb. A1.14: Abb. A1.15: Abb. A1.16: Abb. A1.17: Abb. A1.18: Abb. A1.19: Abb. A1.20: Abb. A1.21:
Abb. A1.22: Abb. A1.23: Abb. A1.23a:
Abb. A1.24: Abb. A1.25:
Abbildungsverzeichnis
Hans Bohrdt, Der letzte Mann, Reproduktion Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven. Hans Bohrdt, Vom deutschen Luftkrieg mit England, Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven II 1 IV 068. Hans Bohrdt, Untergang der englischen Panzerkreuzer ABOUKIR, CRESSY, HOGUE durch U9 Kapitänsleutnant Otto Weddingen 22. Sept. 1914, Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven VIII A 00004–0597. Hans Bohrdt, Seeschlacht vor dem Skagerrak, 31. Mai 1916, Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven II 1 IV 247. Hans Bohrdt Skagerrak, vgl. http://thumbs4.ebaystatic.com/d/l225/m/ mJ72Sw59 L-RlqCL6e-42Bug.jpg, 03. 04. 2014. Hans Bohrdt, Heimat, Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven III A 00004–869. Hans Bohrdt, Schulschiff »Großherzogin Elisabeth« vor Cuxhaven, Scholl 1995, S. 82. Hans Bohrdt, Passagierdampfer Bremen des Norddeutschen Lloyd, Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven II 1 VIII 122. Hans Bohrdt, Schnelldampfer ›Bremen‹ verläßt die Columbuskaje in Bremerhaven, Scholl 1995, S. 85. Hans Bohrdt, Schnelldampfer des Norddeutschen Lloyd, den RotesandLeuchtturm passierend, Scholl 1995, S. 99. Hans Bohrdt, Lloyd-Schnelldampfer »Kaiser Wilhelm der Große« Vor dem Leuchtturm Roter Sand, Scholl 1995, S. 73. Hans Bohrdt, Torpedoboot-Division passiert S.M. Schulschiff Nixe in der Nordsee, Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven II 1 IV 227. Hans Bohrdt, Hapag-Schnelldampfer ›Normannia‹ vor der Elbmündung, Scholl 1995, S. 72. Hans Bohrdt, S.M.S. ›Hansa‹ und Kaiseryacht ›Hohenzollern‹ vor Helgoland, Scholl 1995, S. 91. Hans Bohrdt, Erbitte Lotsenhilfe, Scholl 1995, S. 81. Hans Bohrdt, Hamburger Seelotse, Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven II 1 V 441. Hans Bohrdt, Stich nach Gemälde »Nordseelotse an Bord eines einkommenden Klippers gehend«, Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven III A 00004–0116. Hans Bohrdt, Der neue Hamburger Lotsendampfer Kapitain Karpfanger, Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven II 1 VIII 015. Hans Bohrdt, Helgoländer Fischer, Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven III A 00001–0148 a. Hans Bohrdt, Abgleiten eines Bootes der Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger, Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven III A 00002_119 a. Hans Bohrdt, Der Rote Sand Leuchtturm an der Wesermündung, Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven II 1 II 032. Hans Bohrdt, Der jüngste und älteste Leuchtturm Deutschlands, Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven III A 00004–0782 a.
Nationale, politische und ideologische Kontexte deutscher Geschichte
741
Farbabb. A1.26: Hans Bohrdt, S. M. Linienschiff ›Kaiser Wilhelm der Große‹ mit S. M. Panzerkreuzer ›König Wilhelm‹ in der Wesermündung, Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven II 1 IV 202. Abb. A1.27: Hans Bohrdt, Sylt, Scholl 1995, S. 116. Abb. A1.28: Hans Bohrdt, Helgoland, Scholl 1995, S. 117. Abb. A1.29: Hans Bohrdt, Postkutsche im Priel, Bohrdt 1895, S. 114. Abb. A1.30: Hans Bohrdt, Leuchtturm Neuwerk,. Bohrdt 1895, S. 115. Abb. A1.31: Hans Bohrdt, Leuchtturm Neuwerk, Illustration, in: Bohrdt 1895, S. 115. Abb. A1.32: Hans Bohrdt, Die Scharhörnbake, Bildarchiv Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven, III A 00002–0123. Abb. A1.33: Hans Bohrdt, Versandetes Wrack, Bohrdt 1895, S. 117. Abb. A1.34: Hans Bohrdt, Auffindung eines Schiffbrüchigen, Illustration, in: Bohrdt 1895, S. 118. Abb. A1.35: Hans Bohrdt, Verirrt, Illustration, in: Bohrdt 1895, S. 119. Abb. A1.36: Hans Bohrdt, ohne Titel, Illustration, in: Bohrdt 1895, S. 120. Abb. A1.37: Hans Bohrdt, Seehundjäger, Illustration, in: Bohrdt 1895, S. 120. Abb. A1.38: Hans Bohrdt, Signalmast, Illustration, in: Bohrdt 1901, S. 207. Abb. A1.39: Hans Bohrdt, Auflaufende Seen kämmen über den Deich, Illustration, in: Bohrdt 1901, S. 210. Abb. A1.40: Hans Bohrdt, Ausschau, Illustration, in: Bohrdt 1901, S. 210. Abb. A1.41: Hans Bohrdt, Nach der Sturmflut, Illustration, in: Bohrdt 1901, S. 207. Abb. A1.42: Hans Bohrdt, Hallig bei geringer Überschwemmung, Illustration, in: Träger 1896, S. 697. Abb. A1.43: Hans Bohrdt, Hallig bei Sturmflut, Illustration, in: Träger 1896, S. 697. Abb. A1.44: Hans Bohrdt, Warft Oland mit Südkante, Illustration, in: Träger 1896, S. 698. Abb. A1.45: Willy Stöwer, In der Nordsee, Illustration nach einem Gemälde, in: Stöwer 1929, S. 202. Abb. A1.46: Willy Stöwer, Torpedoboot S 54 im Seegang der Nordsee, in: Hormuth, Scheele (Hg.) 2000, S. 25. Abb. A1.47: Willy Stöwer, Manövergeschwader in der Nordsee, Bildarchiv Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven, II 1 IV 212. Abb. A1.48: Willy Stöwer, Zu den Kaisermanövern der Hochseeflotte in der Nordsee, 1912, Bildarchiv Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven, II 1 IV 286. Abb. A1.49: Willy Stöwer, Von unserer Kriegsflotte, Bildarchiv Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven, II 1 IV 310. Abb. A1.50: Willy Stöwer, Torpedobootsangriff in der Nordsee, in: Hormann, Scheele (Hg.) 2000, S. 1. Abb. A1.51: Willy Stöwer, U-Boot, bei schwerem Wetter Zeebrügge anlaufend, Illustration nach einem Gemälde, in: Stöwer 1929, S. 266. Farbabb. A1.52: Willy Stöwer, Deutscher Panzerkreuzer im Gefecht, Nordsee 24. Januar 1915, in: Hormann, Scheele (Hg.) 2000, S. 14. Abb. A1.53: Willy Stöwer, Vernichtung eines englischen Schlachtkreuzers, Hormann, Scheele (Hg.) 2000, S. 14.
742
Abbildungsverzeichnis
Willy Stöwer, Eine Heldentat der deutschen Marine: Die Vernichtung der drei englischen Panzerkreuzer »Aboukir«, »Hogue« und »Cressy« durch das deutsche Unterseeboot U9, Bildarchiv Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven, II 1 IV 285. Abb. A1.55: Willy Stöwer, Seegefecht in der Nordsee, Bildarchiv Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven, II 1 IV 280. Abb. A1.56: Willy Stöwer, Einlaufende Minensuchflottille passiert das auslaufende Geschwader, Illustration, in: Stöwer 1929, S. 279. Abb. A1.57: Willy Stöwer, Linienschiffe auf Reede, Illustration, in: Stöwer 1929, S. 280. Farbabb. A1.58: Willy Stöwer, In der Nordsee, in Hormann, Scheele (Hg.) 2000, S. 10. Abb. A1.59: Willy Stöwer, Post- und Schnelldampfer LAHN der Reederei Norddeutscher Lloyd und die Fahrt des Kaisers, 1912, Bildarchiv Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven, II 1 IX 138. Abb. A1.60: Willy Stöwer, Wattenfischer mit Schlickschlitten, um 1890, Heimatarchiv Cuxhaven, Bussler. Abb. A1.54:
A2
Claus Bergen – Die Nordsee als Kriegsbühne im Kontext zweier Weltkriege
(Alle im Folgenden angeführten Bilder stammen von Claus Bergen.) Abb. A2.1: Abb. A2.2: Abb. A2.3: Abb. A2.4: Abb. A2.5: Abb. A2.6: Abb. A2.7:
Abb. A2.8: Abb. A2.9:
Das Auge des U-Bootes, Bergen, Neureuther (Hg.) 1930, S. 15. Unter Heil und Sieg gleitet das U-Boot der Hafenausfahrt zu, Bergen, Neureuther (Hg.) 1930, S. 16. Immer mehr verschwindet die rote Felseninsel, Bergen, Neureuther (Hg.) 1930, o. S., Bezug auf S. 16. Auf dem Turme halten jederzeit mehrere Paare schafsichtiger Falkenaugen der Wachposten Ausschau, Bergen, Neureuther (Hg.) 1930, S. 21. Deutlich erkenne ich die in magischem grünem Lichte schwimmende Kanone auf dem Vorschiff, Bergen, Neureuther (Hg.) 1930, S. 22. Heimkehr – Helgoland in Sicht, Hormann, Kliem 2002, S. 72, Illustration in: Bergen, Neureuther (Hg.) 1930, o. S., Bezug zu S. 68. Skagerrak, http://www.google.de/imgres?sa=X& biw=1366& bih=639 & tbm=isch& tbnid=MLiRytewNfZCNM:& imgrefurl=http://www.ket tererkunst.de/kunst/kd/details.php%3Fobnr%3D411003825%26anum mer%3D373& docid=HEUFBw3A2wrOiM& imgurl=http://85.214.48. 237/kunst/pic570/373/411003825.jpg& w=570& h=358& ei=eoupUty7 JsfWsgaGyoCYBg& zoom=1& iact=hc& vpx=4& vpy=197& dur=5923 & hovh=178& hovw=283& tx=172& ty=110& page=1& tbnh=128& tb nw=189& start=0& ndsp=36& ved=1t:429,r :0,s:0,i:83, 3. 7. 2014. Skagerrak: Die achteren Türme der Seydlitz, Scholl 2002, Abb. 23. Ausschnitt, Linienschiff Hessen in der Schlacht vor dem Skagerrak (31. Mai 1916), Scholl 2002, Abb. 23.
Nationale, politische und ideologische Kontexte deutscher Geschichte
743
S.M.S. Cöln im Seegefecht bei Helgoland, Hormann, Kliem 2002, S. 55. Marinegedenkblatt mit Reichskriegsflagge, Scholl 1982, erste Seite. Die Hochseeflotte ist ausgelaufen (Ausschnitt), Herzog 1987, S. 152. Helden zur See, Herzog 1987, S. 152. Reichskriegsflagge (bis 1921) und Kreuz, Scholl 1982, S. 40. Reichskriegsflagge (1933–1935) vor Hakenkreuz, Scholl 1982, S. 40. Deutsche Zerstörer in der Nordsee (Zerstörer »Karl Galster«), Herzog 1987, S. 155, T VG Bild-Kunst, Bonn 2016. Abb. A2.17: Junkers Ju-88-Kette über der Nordsee, Hormann, Kliem 2002, S. 105. Abb. A2.18: Offene See bei Mondschein (Große Woge), Herzog 1987, S. 191. Abb. A2.19: Helgoland, Rohe 1926a, S. 22f. Abb. A2.20: Helgoland, die Perle der Nordsee, Hormann, Kliem 2002, S. 137. Abb. A2.21: Elisabeth Wagner am Strand von Westerland auf Sylt, Herzog 1987, S. 115. Abb. A2.22: Der Strandvogt (Gestrandetes Schiff vor dem Roten Kliff auf Sylt), Herzog 1987, S. 120. Abb. A2.23: Das Rote Kliff auf Sylt, Herzog 1987, S. 119. Abb. A2.24: Das Rettungsboot Fürstin Bismarck, http://www.seenotretter.de/see notrettung/stationen/wangerooge.html, 3. 9. 2013. Abb. A2.25: Rettungsboot im Einsatz, Herzog 1987, S. 145. Abb. A2.26: Der Hafen von Munkmarsch auf Sylt, Herzog 1987, S. 112. Abb. A2.27: Sanddüne auf Sylt, Hormann und Kliem, S. 74. Farbabb. A2.28: Halligwarften bei Land unter, Herzog 1987, S. 114, T VG Bild-Kunst, Bonn 2016. Abb. A2.10: Abb. A2.11: Abb. A2.12: Abb. A2.13: Abb. A2.14: Abb. A2.15: Farbabb. A2.16:
A3
Magnus Weidemann – Nordsee und Wattenmeer im Kontext von Jugendbewegung, Freikörperkultur und Rassentheorie
(Alle im Folgenden angeführten Bilder stammen von Magnus Weidemann.) Abb. A3.1: Abb. A3.2: Abb. A3.3: Abb. A3.4: Abb. A3.5: Abb. A3.6: Abb. A3.7: Abb. A3.8: Abb. A3.9: Abb. A3.10: Abb. A3.11: Abb. A3.12: Abb. A3.13: Abb. A3.14:
ohne Titel, Wulf 1986, [S. 52]. ohne Titel, Wulf 1986, [S. 51]. ohne Titel, Wulf 1986, [S. 61]. ohne Titel, Nachlassarchiv Kiel. In der Brandung, Nachlassarchiv Kiel. ohne Titel, Wulf 1986, [S. 55]. ohne Titel, Wulf 1986, [S. 56]. ohne Titel, Wulf 1986, [S. 60]. ohne Titel, Wulf 1986, [S. 59]. Strandstudie, Nachlassarchiv Kiel. ohne Titel, Nachlassarchiv Kiel. Auf dem Nixenstein II, Nachlassarchiv Kiel. ohne Titel, Nachlassarchiv Kiel. Auf dem Nixenstein, Nachlassarchiv Kiel.
744 Abb. A3.15: Abb. A3.16: Abb. A3.17: Abb. A3.18: Abb. A3.19: Abb. A3.20: Abb. A3.21: Abb. A3.22: Abb. A3.23: Abb. A3.24: Abb. A3.25: Abb. A3.26: Abb. A3.27: Abb. A3.28: Abb. A3.29: Abb. A3.30: Abb. A3.31: Abb. A3.32: Abb. A3.33: Abb. A3.34: Abb. A3.35: Abb. A3.36: Abb. A3.37: Abb. A3.38: Abb. A3.39: Abb. A3.40: Abb. A3.41: Abb. A3.42: Abb. A3.43: Abb. A3.44: Abb. A3.45: Abb. A3.46: Abb. A3.47: Abb. A3.48: Abb. A3.49: Abb. A3.50:
Abbildungsverzeichnis
Frühmorgens am Wattenmeer, Kat. Sylt 2012, S. 140. Felsenklippen, Weidemann 1939, S. 41. Strandkurven, Weidemann 1939, S. 51. Im wilden Weststurm, Weidemann 1939, S. 31. Schwere Sturmflut (1926), Weidemann 1939, S. 26. Uferzerstörung durch die Flut, Weidemann 1939, S. 21. Herbstabend am Morsumkliff, Weidemann 1939, S. 49. Strand und Kliff, Weidemann 1939, S. 25. Reste eines Wracks, Weidemann 1939, S. 27. Stürmische Brandung, Weidemann 1939, S. 39. Morgenlicht über Neuland, Weidemann 1939, S. 117. Versunkenes Land, Weidemann 1939, S. 125. Watt bei Tiefebbe, Weidemann 1939, S. 92. Wildgänse im Nebel, Weidemann 1939, S. 127. Strenger Winter 1929, Weidemann 1939, S. 121. Treibeis im Wattenmeer, Weidemann 1939, S. 19. Treibeis, Weidemann 1939, S. 103. Ein Nordlicht über dem Watt, Weidemann 1939, S. 28. Sonnwendnacht mit den Leuchtfeuern, Weidemann 1939, S. 96. Sonnenwendnacht am Watt (vor Keitum, Sylt), Nachlassarchiv Kiel. Abend im Watt, Weidemann 1939, S. 43. Frühlingsfeuer auf Hünengrab, Weidemann 1939, S. 102. Bikenfeuer in Keitum, Wulf 1980, S. 45. Nordseeausblick, Weidemann 1939, S. 33. Prielmündung in blühender Halliglandschaft, um 1938, Weidemann 1939, S. 29. Blühende Strandwiese, Weidemann 1939, S. 95. Seedeich in Nordfriesland, Weidemann 1939, S. 35. Kleiner Nordseehafen, Weidemann 1939, S. 36. Völlige Meeresstille, 1938, Weidemann 1939, S. 37. Königshafen bei List, Weidemann 1939, S. 97. Halliglandschaft mit Prielbrücke, 1938, Weidemann 1939, S. 47. Wahrheit ohne Worte (Im Naturschutzgebiet Sylt), Nachlassarchiv Kiel. Wolkenschatten über dem Watt, Nachlassarchiv Kiel, sowie Wulf 1980, S. 59. Sturmbrandung, Nachlassarchiv Kiel, Wulf 1980, S. 81. Tiefebbe im Süderwatt, Frischer und abgestorbener Seetang, Nachlassarchiv Kiel. Abend vor Sylt, Nachlassarchiv Kiel, sowie Wulf 1980, S. 63.
Nordsee und Wattenmeer im Kontext ästhetischer Annäherungen
A4
745
Nordsee und Wattenmeer im Nationalsozialismus: Kriegsschauplatz, Landgewinnung und ideologische Vereinnahmung
Abb. A4.1: Abb. A4.2: Abb. A4.3: Abb. A4.4: Abb. A4.5: Abb. A4.6: Abb. A4.7: Abb. A4.8: Abb. A4.9: Abb. A4.10: Abb. A4.11: Abb. A4.12: Abb. A4.13: Abb. A4.14: Abb. A4.15: Abb. A4.16: Abb. A4.17: Abb. A4.18:
Karl Leipold, Aus den Elbmarschen, KiDR1 1938, 6, S. 185. Erna Lendvai-Dircksen, Arbeitsdienst bei Dagebüll, Lendvai-Dircksen o. D., S. 38. Erna Lendvai-Dircksen, Jungbäurin aus dem Hitler- Koog, Lendvai-Dircksen o. D., S. 20. Erna Lendvai-Dircksen, Jungbauer aus dem Hitler- Koog, Lendvai-Dircksen o. D., S. 21. Erna Lendvai-Dircksen, Zwillingschwestern aus dem Hitler-Koog, LendvaiDircksen o. D., S. 22f. Erna Lendvai-Dircksen, Herbsthimmel über Sylt, Lendvai-Dircksen o. D., S. 43. Erna Lendvai-Dircksen, Halligen, Lendvai-Dircksen o. D., S. 65. Paul Lehmann-Brauns, Halligkante auf Langeness, KiDR 1937, 2, S. 17. Wolf Röhricht, Halligenlandschaft, KiDR 1941, 6, S. 182. Alf Bachmann, Sonnenaufgang an der Nordsee, KiDR 1943, 2, S. 12. Max Clarenbach, Mondnacht bei Ebbe, KiDR 1942, 8+9, S. 232. Ludwig von Hoffmann, Dünen, KiDR 1941, 11, S. 294. Leonhard Sandrock, Fischdampfer holt sein Netz, KiDR 1943, S. 10. Karl Windels, Das Rettungsboot, KiDR 1943, 1, S. 11. Karl Leipold, Das neue Deutschland, KiDR 1938, S. 190. Michael Mathias Kiefer, Die Wacht, GDK 1940, S. 35. Michael Mathias Kiefer, Nordisches Meer, KiDR 1943, 1, S. 15. NS-Verbotsschild, Sicherungsbereich Wangerooge, Inselmuseum Wangerooge.
B
Nordsee und Wattenmeer im Kontext ästhetischer Annäherungen
B1
Künstlerkolonie Duhnen/Altenwalde – Harmonische Ansichten der Cuxhavener Küstenlandschaft und des Wattenmeeres um 1900
Abb. B1.1: Abb. B1.2: Abb. B1.3: Abb. B1.4: Abb. B1.5:
Wilhelm Laage, Badeplatz in Altenbruch, Heimatarchiv Cuxhaven, Bussler. Wilhelm Laage, An der Elbmündung, Heimatarchiv Cuxhaven, Bussler. Hermann Daur, o. T., Heimatarchiv Cuxhaven, Bussler. Karl Otto Matthaei, Nordseeidyll, Heimatarchiv Cuxhaven, Bussler. Karl Otto Matthaei, Wattstimmung, Heimatarchiv Cuxhaven, Bussler.
1 KiDR wird als Abkürzung für die Zeitschrift »Kunst im Dritten/Deutschen Reich« genutzt, GDK für die Kataloge der Großen Deutschen Kunstausstellungen.
746 Abb. B1.6: Abb. B1.7: Farbabb. B1.8:
Abbildungsverzeichnis
Karl Otto Matthaei, Trockengefallen, Heimatarchiv Cuxhaven, Bussler. Karl Otto Matthaei, Dämmerung, Heimatarchiv Cuxhaven, Bussler. Karl Otto Matthaei, Wasser, Watt und Wolken, Heimatarchiv Cuxhaven, Bussler. Abb. B1.9: Karl Otto Matthaei, Wolkenformation über dem Meer, Heimatarchiv Cuxhaven, Bussler. Abb. B1.10: Karl Otto Matthaei, Untergehende Sonne über dem Wasser, Heimatarchiv Cuxhaven, Bussler. Abb. B1.11: Karl Otto Matthaei, Deichvorland mit Regenbogen, Heimatarchiv Cuxhaven, Bussler. Abb. B1.12: Karl Otto Matthaei, Das Watt vor Duhnen, Heimatarchiv Cuxhaven, Bussler. Abb. B1.13: Carl Langhein, Wattenlandschaft, Heimatarchiv Cuxhaven, Bussler. Abb. B1.14: Carl Langhein, Die Bake, Heimatarchiv Cuxhaven, Bussler. Abb. B1.15: Karl Otto Matthaei, Die Woge, Heimatarchiv Cuxhaven, Bussler. Abb. B1.16: Karl Otto Matthaei, Die Woge II, Heimatarchiv Cuxhaven, Bussler. Abb. B1.17: Carl Biese, Meeresbrandung, Heimatarchiv Cuxhaven, Bussler. Abb. B1.18: Karl Otto Matthaei, Sturmflut auf der Hallig, Heimatarchiv Cuxhaven, Bussler. Abb. B1.19: Karl Otto Matthaei, Fischer im Watt vor Neuwerk, Heimatarchiv Cuxhaven, Bussler. Farbabb. B1.20: Karl Otto Matthaei, Krabbenfischer, Heimatarchiv Cuxhaven, Bussler. Abb. B1.21: Hans Schroedter, Krabbenfischer Metscher und Ringe, Heimatarchiv Cuxhaven, Bussler. Abb. B1.22: Karl Biese, Die Nordspitze auf Helgoland, Heimatarchiv Cuxhaven, Bussler. Abb. B1.23: Das Duhner Wattrennen, 1902, kolorierter Stich nach Entwurf von Georg Koch, Heimatarchiv Cuxhaven, Bussler. Abb. B1.24: Wilhelm Laage, Sonnenuntergang im Watt, Hagenlocher 1969, Kat. 27. Abb. B1.25: Wilhelm Laage, Sonnenuntergang am Wattenmeer, Hagenlocher 1969, Kat. 128. Abb. B1.26: Wilhelm Laage, Sonne über dem Meer, Hagenlocher 1969, Kat. 47. Abb. B1.27: Wilhelm Laage, Ebbe, Hagenlocher 1969, Kat. 48. Abb. B1.28: Wilhelm Laage, Des Sommers Grab, Hagenlocher 1969, Kat. 74. Abb. B1.29: Wilhelm Laage, Böige Mondnacht, Hagenlocher 1969, Kat. 73. Abb. B1.30: Wilhelm Laage, Abend am Meer, Heimatarchiv Cuxhaven, Bussler. Abb. B1.31: Wilhelm Laage, Marine, Hagenlocher 1969, Kat. 75. Abb. B1.32: Wilhelm Laage, Stiller Tag am Meer, Hagenlocher 1969, Kat. 56. Abb. B1.33: Wilhelm Laage, Am Strand, Hagenlocher 1969, Kat. 65. Abb. B1.34: Wilhelm Laage, Badeplatz, Hagenlocher 1969, Kat. 265.
Nordsee und Wattenmeer im Kontext ästhetischer Annäherungen
B2
747
Karl Schmidt-Rottluff und Erich Heckel – Nordsee und Wattenmeer als Inspiration für freie Farb- und Formexperimente
Johann Gerhard Willms, Ansicht der Reichsgräflich Bentinckschen Seebade-Anstalt zu Dangast, Kat. Dangast 1998, Abb. 35, S. 53. Abb. B2.2: Unbekannt, Nordseebad Dangast. Kat. Dangast 1998, Abb. 36, S. 54. Abb. B2.3: Julius Preller, Blick auf den Jadebusen, Kat. Dangast 1998, Abb. 38, S. 56. Abb. B2.4: Olga Potthast von Minden, Segelschiff auf dem Wattenmeer, Kat. Dangast 1998. Abb. B2.5: Karl Schmidt-Rottluff, Am Meer, Remm 2007, Abb. 2. Farbabb. B2.6: Karl Schmidt-Rottluff, Watt bei Ebbe, Kat. Dangast 1998, Kat. 18, T VG Bild-Kunst, Bonn 2016. Abb. B2.7: Karl Schmidt-Rottluff, Deichdurchbruch, Kat. Dangast 1998, Kat. 6. Abb. B2.8: Karl Schmidt-Rottluff, Strand mit Körben, Kat. Dangast 1998, Kat. 18. Abb. B2.9: Karl Schmidt-Rottluff, Hafen bei Ebbe, Kat. Dangast 1998, Kat. 54. Abb. B2.10: Karl Schmidt-Rottluff, Herbstliches Meer, Kat. Dangast 1998, Kat. 55. Abb. B2.11: Erich Heckel, Boot im Schlick, Vogt 1965, Kat. 15. Abb. B2.12: Erich Heckel, Dangaster Strand, Kat. Dangast 1998, Kat. 84. Abb. B2.13: Erich Heckel, Segelboot, Kat. Dangast 1998, Kat. 94. Abb. B2.14: Erich Heckel, Boot im Watt, Kat. Dangast 1998, Kat. 121. Abb. B2.15: Erich Heckel, Drei Fischer am Strand, Kat. Dangast 1998, Kat. 122. Abb. B2.16: Erich Heckel, Boote mit Granatkörben, Kat. Dangast 1998, Kat. 127. Abb. B2.17: Erich Heckel, Fischer mit Schlickschlitten, Kat. Dangast 1998, Kat. 124. Abb. B2.18: Emma Ritter, Überschwemmung, Barrett 2010, S. 273. Abb. B2.19: Emma Ritter, Schiffe im Watt, Kat. Dangast 1998, Kat. 151. Abb. B2.20: Max Pechstein, Am Jadebusen, Kat. Dangast 1998, Kat. 135. Abb. B2.21: Max Pechstein, Priel bei Dangast, Kat. Dangast 1998, Kat. 138. Abb. B2.22: Erich Heckel, Meerlandschaft (Ostende), Vogt 1965, Kat. 5. Abb. B2.23: Erich Heckel, Meerlandschaft bei Ostende (Sonne über dem Meer), Vogt 1965, Kat. 20. Abb. B2.24: Erich Heckel, Meer bei Ostende, Vogt 1965, S. 57. Farbabb. B2.25: Erich Heckel, Nordsee, T Nachlass Erich Heckel, Hemmenhofen. Abb. B2.26: Erich Heckel, Hafeneinfahrt in Ostende, Vogt 1965, Kat. 19. Abb. B2.27: Erich Heckel, Hafeneinfahrt, Vogt 1965, Kat. 10. Abb. B2.28: Erich Heckel, Gläserner Tag, Vogt 1965, Kat. 21. Abb. B2.29: Erich Heckel, Nach dem Sturm, Vogt 1965, Kat. 9. Abb. B2.30: Erich Heckel, Brandung, Vogt 1965, Kat. 8. Abb. B2.31: Erich Heckel, Wolkenschatten, Kat. Berlin, Schleswig 2010, S. 80. Abb. B2.32: Erich Heckel, Jüngling am Meer, Vogt 1965, Kat. 2. Abb. B2.33: Erich Heckel, Mädchen am Meer, Vogt 1965, Kat. 4. Abb. B2.34: Erich Heckel, Männer am Meer, Kat Berlin, Schleswig 2010, Abb. 3. Abb. B2.35: Erich Heckel, Gelbe Sonne, Vogt 1965, Kat. 5. Abb. B2.36: Erich Heckel, Wolken über dem Meer, Vogt 1965, Kat. 7. Abb. B2.37: Erich Heckel, Das Meer bei Ostende, Möller 2004, Kat. 3. Abb. B2.38: Erich Heckel, Meer am Abend, Möller 2004, Kat. 2. Abb. B2.1:
748
Abbildungsverzeichnis
Abb. B2.39: Abb. B2.40: Abb. B2.41: Abb. B2.42: Abb. B2.43: Abb. B2.44: Abb. B2.45: Abb. B2.46: Abb. B2.47: Abb. B2.48: Abb. B2.49: Abb. B2.50: Abb. B2.51: Abb. B2.52: Abb. B2.53: Abb. B2.54: Abb. B2.55: Abb. B2.56: Abb. B2.57: Abb. B2.58: Abb. B2.59: Abb. B2.60: Abb. B2.61:
B3
Erich Heckel, Hafeneinfahrt, Kat. Berlin, Emden, Schleswig 2009, Kat. 25. Erich Heckel, Hafen von Ostende, Kat. Berlin, Emden, Schleswig 2009, Kat. 25. Erich Heckel, Dünen am Abend, Kat. Berlin, Schleswig 2010, S. 107. Erich Heckel, Blick aufs Watt, Vogt 1965, Kat. 10. Erich Heckel, Am Watt, Kat. Sylt 2011b, Abb. 3. Erich Heckel, Dünen am Watt, Kat. Sylt 2011b, Abb. 22. Erich Heckel, Dünen gegen Watt, Kat. Sylt 2011b, Abb. 20. Erich Heckel, Watt bei Ebbe, Kat. Berlin, Schleswig 2010, S. 121. Erich Heckel, Am Watt, Kat. Sylt 2011b, Abb. 4. Erich Heckel, Sylter Dünen am Watt, Museum Altona, Inv. Nr. 1996–95. Erich Heckel, Nordseestrand, Vogt 1965, Kat. 3. Erich Heckel, Knabe am Strand, Kat. Berlin, Emden, Schleswig u. a. 2009, Kat. 64. Erich Heckel, Knabe am Strand, Vogt 1965, Kat. 5. Erich Heckel, Bildstudie (Hohes Kliff), Kat. Berlin, Emden, Schleswig u. a. 2009, Kat. 56. Erich Heckel, Am hohen Kliff, Kat. Berlin, Emden, Schleswig u. a. 2009, Kat. 56. Erich Heckel, Am Wattenmeer, Kat. Sylt 2011b, Abb. 15. Erich Heckel, Das Meer bei Kampen, Vogt 1965, Kat. 2. Erich Heckel, Reiter am Watt, Vogt 1965, Kat. 8. Erich Heckel, Meer am Abend, Nachlass Erich Heckel, Hemmenhofen, Museum Altona, Inv.Nr. 1996–95. Erich Heckel, Strand bei Ebbe, Kat. Sylt 2011b, Abb. 9. Erich Heckel, Meer im Herbst, Kat. Berlin, Schleswig 2010, S. 120. Erich Heckel, Bei Zandvoort, Kat. Berlin, Schleswig 2010, Kat. 116. Erich Heckel, Strand bei Zandvoort, Kat. Berlin, Schleswig 2010, Kat. 11.
Franz Radziwill – Das Wattenmeer zwischen Alltag, Krieg, Glauben und Fantasie
(Alle namentlich nicht näher benannten folgenden Abbildungen stammen von Franz Radziwill.) Abb. B3.1: Abb. B3.2: Abb. B3.3: Abb. B3.4: Abb. B3.5:
Fischerwohnungen/Ausfahrende Schränke, Kat. Dangast Abb. 161. Phantastische Strandlandschaft, Kat. Dangast 1998, Abb. 182. Fünf Akte am Strand, Kat. Dangast 1998, Abb. 159. Badende Frauen , Kat. Dangast 1998, Abb. 168. Frauen am Strand, Kat. Dangast 2007, Abb. 45.
1998,
Nordsee und Wattenmeer im Kontext ästhetischer Annäherungen
Abb. B3.6:
749
Segelboote am Schnee, Segelboote in einer Bucht, Kat. Dangast 1998, Abb. 170, Soin8 (Hg.) 1992, S. 56f. Abb. B3.7: Segelschiffe, Kat. Dangast 1998, Abb. 191. Abb. B3.8: Die Welle, Kat. Dangast 1998, Abb. 22. Abb. B3.9: Die Welle, Kat. Dangast 1998, Abb. 167. Abb. B3.10: Leuchtturm auf Arngast, Peuckert 1995, Kat. 21. Abb. B3.11: Segelschiffe im Wattenmeer/Blick auf Jade, Peuckert 1995, Kat. 24. Abb. B3.12: Brückenkopf des alten Anlegers in Dangast, Peuckert 1995, Kat. 25. Abb. B3.13: Strand von Dangast mit Flugboot, Peuckert 1995, Kat. 29. Abb. B3.14: Caspar David Friedrich, Mondaufgang am Meer, http://www.google.de/ imgres?imgurl=http%3A%2F%2Fwww.philipphauer.de%2Fgalerie%2 Fcaspar-david-friedrich%2Fwerke-gr%2Fmondaufgang-am-meer-1821. jpg& imgrefurl=http%3A%2F%2Fwww.philipphauer.de%2Fgalerie%2 Fcaspar-david-friedrich-werke%2F& h=1466& w=1853& tbnid=5v4p ncgVaUdvMM%3A& zoom=1& docid=PV8AcwJZv2yBGM& ei=oAyX U7-1PM3H7Aaq0IGoCg& tbm=isch& iact=rc& uact=3& dur=736& page=1& start=0& ndsp=8& ved=0CEsQrQMwBw, 10.06.14. Abb. B3.15: Küste mit Segelboot und Sonne, Soin8 (Hg.) 1992, S. 70f. Farbabb. B3.16: Wattenmeer mit Sonne, Soin8 (Hg.) 1992, S. 86, T VG Bild-Kunst, Bonn 2016. Abb. B3.17: Meereslandschaft mit großer Sonne, Soin8 (Hg.) 1992, S. 110f. Abb. B3.18: Wattensegelboote, Soin8 (Hg.) 1992, S. 126f. Abb. B3.19: Caspar David Friedrich, Die Lebensstufen, http://www.zeno.org/ Kunstwerke/B/Friedrich,+Caspar+David+Die+Lebensstufen, 6.4.09. Abb. B3.20: Eisberge auf der Jade, Soin8 (Hg.) 1992, S. 126f. Abb. B3.21: Caspar David Friedrich, Das Eismeer, http://upload.wikimedia.org/wi kipedia/commons/9/96/Caspar_David_Friedrich_006.jpg, 10.06.14. Abb. B3.22: Eis auf dem Jadebusen, Soin8 (Hg.) 1992, S. 90f. Abb. B3.23: Caspar David Friedrich, Ausschnitt, Mönch am Meer, http://www.mei sterwerke-online.de/caspar-david-friedrich/original1753/moench-ammeer.jpg, 7.4.09. Abb. B3.24: Ausschnitt, Verlorene Erde, Soin8 (Hg.) 1992, S. 49. Abb. B3.25: Das grüne Boot (1. Fassung), Soin8 (Hg.) 1992, S. 46. Abb. B3.26: Im Himmel sind viele Felder (Endfassung), Soin8 (Hg.)1992, S. 46. Abb. B3.27: Deich bei Schillig, Kat. Emden 1995, Abb. 87. Abb. B3.28: Das rote und das blaue Boot, Soin8 (Hg.)1992, S. 98. Abb. B3.29: Das Meer, Soin8 (Hg.)1992, S. 114. Abb. B3.30: S.M. Linienschiff Kaiser Wilhelm der Große, Soin8 (Hg.) 1992, S. 52f. Abb. B3.31: Ausschnitt, Torpedoboote auf der Jade, Soin8 (Hg.) 1992, S. 68f. Abb. B3.32: Auf Schillig Reede, Soin8 (Hg.) 1992, S. 64f. Abb. B3.33: Schlachtschiffe auf Reede, Soin8 (Hg.) 1992, S. 66f. Abb. B3.33a: Jadeküste mit Kriegsschiff im Winter, Neumann-Dietzsch, Weigel 2011, S. 95. Abb. B3.34: Auslaufendes U-Boot, Soin8 (Hg.) 1992, S. 100f. Abb. B3.35: U-Bootflottille »Otto Weddigen«, Bildpostkarte, Foto: A. Klein, Radziwill Archiv.
750
Abbildungsverzeichnis
Abb. B3.36: Abb. B3.37: Abb. B3.38:
Der U-Boot Krieg, Soin8 (Hg.) 1992, S. 48. Der U-Boot Krieg, (1. Fassung) (Ausschnitt), Soin8 (Hg.) 1992, S. 42. »Der U-Boot Krieg« oder »Der totale Krieg« (2. Fassung), Soin8 (Hg.) 1992, S. 43. Abb. B3.39: Verlorene Erde (Endfassung), Soin8 (Hg.) 1992, S. 49. Abb. B3.40: Es könnte alles so schön sein, wenn, (Ausschnitt), Maaß-Radziwill, Radziwill 1988, Abb. 48. Abb. B3.41: Mechanische Zeit ist nicht des Schöpfers Zeit, Soin8 (Hg.) 1992, S. 134f. Abb. B3.42: Der Kosmos kann zerstört werden, der Himmel nicht, Soin8 (Hg.) 1992, S. 146. Farbabb. B3.43: Die Apokalypse, Maaß-Radziwill, Radziwill 1988, Abb. 55, T VG BildKunst, Bonn 2016. Abb. B3.44: Mit der Technik den Himmel vernagelt, Soin8 (Hg.) 1992, S. 154. Abb. B3.45: Wo der Baum nicht mehr wächst, ist Gott auch, Soin8 (Hg.) 1992, S. 144. Abb. B3.46: Die Heimkehr des Schiffes, Soin8 (Hg.) 1992, S. 132. Abb. B3.47: Neues Land/Lahnungen, Peuckert (Hg.) 1995, Kat. 41. Abb. B3.48: Deichschluß im Watt, (Ausschnitt), Peuckert (Hg.) 1995, Kat. 48. Abb. B3.49: Dangaster Siel, Peuckert (Hg.) 1995, Kat. 49. Abb. B3.50: Wattlandschaft, Peuckert (Hg.) 1995, Kat. 45. Abb. B3.51: Sturmflut, Peuckert (Hg.) 1995, Kat. 46. Abb. B3.52: Das Ende der Saison, Peuckert (Hg.) 1995, Kat. 44. Abb. B3.53: Amor und Psyche sind nicht tot, Peuckert (Hg.) 1995, Kat. 47. Abb. B3.54: Die Halbinsel der Seligen des 20. Jahrhunderts, Peuckert (Hg.) 1995, Kat. 53.
B4
Alfred Bachmann – naturalistische Annäherungen an den Stimmungsund Lebensraum Wattenmeer
(Alle namentlich nicht näher benannten folgenden Abbildungen stammen von Alf Bachmann.) Abb. B4.1: Abb. B4.2: Abb. B4.3: Abb. B4.4: Abb. B4.5: Abb. B4.6: Abb. B4.7:
Meereswogen, Angerer 1984, S. 162, Abb. 8. Christa, Kutterfahrten 1928/29, Album im Nachlass, Schloss Gottorf, SHLM. Christa Bachmann, Kutterfahrten 1928/29, Album im Nachlass, Schloss Gottorf, SHLM. Christa Bachmann, Im Watt zwischen Föhr und Langeneß, Album im Nachlass, Schloss Gottorf, SHLM. unbekannt, Juist 1915?, Album im Nachlass, Schloss Gottorf, SHLM. unbekannt, Bachmann zeichnend am Meer, Album im Nachlass, Schloss Gottorf, SHLM. unbekannt, Juist, Okt. 1935, Album im Nachlass, Schloss Gottorf, SHLM.65.
Nordsee und Wattenmeer im Kontext ästhetischer Annäherungen
Abb. B4.8: Abb. B4.9: Abb. B4.10: Abb. B4.11: Abb. B4.12: Abb. B4.13: Abb. B4.14: Abb. B4.15: Abb. B4.16: Abb. B4.17: Abb. B4.18: Abb. B4.19: Abb. B4.20: Abb. B4.21: Abb. B4.22: Abb. B4.23: Abb. B4.24: Abb. B4.25: Abb. B4.26: Abb. B4.27: Abb. B4.28: Abb. B4.29: Abb. B4.30: Abb. B4.31: Abb. B4.32: Abb. B4.33: Abb. B4.34: Abb. B4.35: Abb. B4.36:
751
Sommermorgen an der Nordsee, Bildarchiv, Nachlass SHLM, Schloss Gottorf, 1980/1960. Deutsche Nordsee, Abb. im Album des Künstlers im Nachlass, Schloss Gottorf, SHLM, Op. Nr. 1656. Deutsche Nordseeküste, Abb. im Album des Künstlers im Nachlass, Schloss Gottorf, SHLM, Op. Nr. 1837. Kommende Flut, Abb. im Album des Künstlers im Nachlass, Schloss Gottorf, SHLM, Op. Nr. 2431. Beginnende Flut (Wattenmeer), Album des Künstlers im Nachlass, Schloss Gottorf, SHLM, Op. Nr. 1896. Beginnende Ebbe, vgl. Kat. Husum 1993, Kat. 56. Beginnende Ebbe, Kat. Husum 1993, S. 78. Nordseeküste, Album Bachmanns, Nachlass SHLM, Schloss Gottorf. Landwind (Nordsee), Busch 1943, S. 6. Nordsee, Bildarchiv, Nachlass SHLM, Schloss Gottorf, Nr. 979 auf Rückseite. Diesiger Tag (Nordsee, Düne vor Helgoland), Abb. vgl. Busch 1943, S. 6. Düne bei Helgoland, Album Bachmanns, Nachlass SHLM, Schloss Gottorf, Op. Nr. 1789. Düne bei Helgoland, Album Bachmanns, Nachlass SHLM, Schloss Gottorf. Juniabend (Helgoland), Album Bachmanns, Nachlass SHLM, Schloss Gottorf, Op. Nr. 1778. Die Hallig Langeneß, Album Bachmanns, Nachlass SHLM, Schloss Gottorf. Die Hallig Langeneß, Album Bachmanns, Nachlass SHLM, Schloss Gottorf. Ferne Hallig, Album Bachmanns, Nachlass SHLM, Schloss Gottorf. Herbstabend (Hallig Gröde), Hallig Langeness (Priel), Album Bachmanns, Nachlass SHLM, Schloss Gottorf, Op. 1509. Hallig in der Morgenfrühe, (Habel), Album Bachmanns, Nachlass SHLM, Schloss Gottorf. Sonnenaufgang bei den Halligen, Abb. im Nachlass SHLM, Schloss Gottorf. Sandbank (Nordsee), Album Bachmanns, Nachlass SHLM, Schloss Gottorf, Op. Nr. 1954. Blick über Watt und Meer, Kat. Husum 1993, Kat. 83. ohne Titel, Album Bachmanns, Nachlass SHLM, Schloss Gottorf. Nordsee, Bildarchiv SHLM 1980/1820. Im Wattenmeer, Bildarchiv Schloss Gottorf, SHLM 1980/1962. Abend (Wattenmeer), Bildarchiv Schloss Gottorf, SHLM. Blick auf das Wattenmeer, Kat. Husum 1993, Kat. 74. Sonnenstrahlen (Nordsee), Album Bachmanns, Nachlass SHLM, Schloss Gottorf Op. Nr. 1704. Am Wattenmeer, Album Bachmanns, Nachlass SHLM, Schloss Gottorf Op. Nr. 2411.
752 Abb. B4.37:
Abbildungsverzeichnis
Regenschleier (Nordsee), Album Bachmanns, Nachlass SHLM, Schloss Gottorf Op. Nr. 1809. Abb. B4.38: Regenschauer (Nordsee), Bildarchiv Schloss Gottorf, SHLM, 1980/1951. Abb. B4.39: Aprilabend am Wattenmeer, Abbildung im Nachlass SHLM, Schloss Gottorf. Abb. B4.40: Mondstrahlen am Wattenmeer, Album Bachmanns, Nachlass SHLM, Schloss Gottorf. Abb. B4.41: Pricken im Wattenmeer (Wolkenschatten), Baaken im Wattenmeer, Busch 1943, Album Bachmanns, Nachlass SHLM, Schloss Gottorf, Op. Nr. 1744. Abb. B4.42: In der Abendsonne (Nordsee), Album Bachmanns, Nachlass SHLM, Schloss Gottorf, Op. Nr. 1762. Abb. B4.43: Sturm (Skagen), Album Bachmanns, Nachlass SHLM, Schloss Gottorf. Abb. B4.44: Skagens Riff, Album Bachmanns, Nachlass SHLM, Schloss Gottorf. Farbabb. B4.45: Gewitterwolken, Bildarchiv SHLM 1980/1832, T Stiftung SchleswigHolsteinische Landesmuseen Schloss Gottorf, Schleswig. Abb. B4.46: Zugvögel im Wattenmeer, Album Bachmanns, Nachlass SHLM, Schloss Gottorf, Op. Nr. 1901. Farbabb. B4.47: Untergehende Sonne, Inv.-Nr. 1997/465, T Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloss Gottorf, Schleswig. Abb. B4.48: Ziehende Wildschwäne, Smidt 1935. Abb. B4.49: Seeschwalben (Nordsee), Kat. Husum 1993, Kat. 69. Abb. B4.50: Seetang und Austernfischer, Bildarchiv SHLM 1980/1839. Abb. B4.51: Vogelstudie (Brandenten), Malmö, Kat. Husum 1993, S. 29. Abb. B4.52: Schlafende Silbermöwe, SHLM 1980/1873. Abb. B4.53: Memmert, Bildarchiv SHLM 1980/1828. Abb. B4.54: Ebbe (Juist 1912), Bildarchiv SHLM 1980/1948. Abb. B4.55: Beginnende Ebbe, Album des Künstlers im Nachlass, Schloss Gottorf, SHLM. Abb. B4.56: »Memmert« Möwenkolonie, Album des Künstlers im Nachlass, Schloss Gottorf, SHLM. Abb. B4.57: Seehundsplaate, Album des Künstlers im Nachlass, Schloss Gottorf, SHLM. Abb. B4.58: Tote Lumme, Bildarchiv SHLM 1980/1811. Abb. B4.59: Jäger am Wattenmeer, Vgl. Weigold o.D. Abb. B4.60: Wattenjäger, Artikelausschnitt im Nachlass, SHLM. Abb. B4.61: Nordsee, Abb. im Nachlass, Schloss Gottorf, SHLM, Artikel aus 1943 (Busch 1943). Abb. B4.62: Fischerboot (Wattenmeer), Album Bachmanns, Nachlass SHLM, Schloss Gottorf, Op. Nr. 1574. Abb. B4.63: Abend am Priel (Wattenmeer), Album Bachmanns, Nachlass SHLM, Schloss Gottorf, Op. Nr. 1442. Abb. B4.64: Morgengrauen (Wattenmeer), Bildarchiv SHLM. Abb. B4.65: Muschelgräber im Watt, Kat. Husum 1993, Kat. Nr. 54. Abb. B4.66: Heimkehrende Hummerboote, Abb. im Nachlass SHLM. Abb. B4.67: Schafhirte, Westerhever, Kat. Husum 1993, Kat. Nr. 71.
Nordsee und Wattenmeer im Kontext ästhetischer Annäherungen
Abb. B4.68: Abb. B4.69: Abb. B4.70: Abb. B4.71: Abb. B4.72: Abb. B4.73: Abb. B4.74: Abb. B4.75: Abb. B4.76: Abb. B4.77: Abb. B4.78: Abb. B4.79: Abb. B4.80: Abb. B4.81: Abb. B4.82: Abb. B4.83: Abb. B4.84: Abb. B4.85:
B5
753
Sonnenwendfeier bei Sturm (St. Peter), Bildarchiv SHLM. Landschaftsmaler am Meer, Abb. im Nachlass SHLM. An der Ems-Mündung, Abb. im Nachlass SHLM (zu 1980/2023). Spaziergang am Meer (Nordsee), Kat Husum 1993, Kat. 90. Grauer Sommertag, (Nordsee), Abb. im Nachlass SHLM. Austernfischer, Abb. im Nachlass SHLM. Alte Buhne, Wattenmeer (Föhr), Kat. Husum 1993, Kat. 77. Wattstudie, Bildarchiv SHLM 1980 1809. Abendstille (St. Peter), Bildarchiv SHLM 1980/1957. Stiller, grauer Tag (Nordsee), Bildarchiv SHLM 1980/1782. Wrack in den Dünen (Nordsee), Bildarchiv SHLM. Abend an der Nordsee, Angerer 1984, Abb. 2. o.T., Nachlass SHLM. Flut, Album im Nachlass SHLM Schloss Gottorf. Regenbogen (Wattenmeer), Bildarchiv SHLM Schloss Gottorf 1980/ 1955. Septembermorgen (Helgoland), Postkarte im Bildarchiv SHLM Schloss Gottorf. Aufgehende Sonne, Feistel-Rohmeder 1942. Muschelbänke bei Ebbe, Abb. Nachlass SHLM Schloss Gottorf, Op. 2393.
Käte Lassen – Die dänische Nordseeküste als Alltagsraum und Stimmungslandschaft
(Alle im Folgenden angeführten Bilder stammen von Käte Lassen, wenn es nicht anders angegeben ist.) Farbabb. B5.1: Am Meer, Mädchen vor der Brandung, Mahn 2007, Abb. 37, T Museumsverbund Nordfriesland, Nissenhaus, Inhaber der Rechte: Käte Lassen Nachfolgefamilie. Abb. B5.2: Strand bei Klitmöller, Rohling 1956, S. 36. Abb. B5.3: Frau am Meer, Kat. Flensburg1980, S. 21. Abb. B5.4: Mädchen am Wasser, Kat. Husum, Tönder, Lübeck 2003, S. 129. Farbabb. B5.5: Frau am Meer, T Museumsberg Flensburg, Inhaber der Rechte: Käte Lassen Nachfolgefamilie. Abb. B5.6: Verzweiflung, Mahn, Abb. 38. Abb. B5.7: Drei Frauen am Strand, 1. Fassung, Kat. Flensburg 1980, Abb. 20. Abb. B5.8: Drei Frauen am Strand, 2. Fassung, Kat. Flensburg/Hamburg 2012, Kat. Nr. 41. Abb. B5.9: Der Tod und das Mädchen, Mahn 2007, Abb. 65. Abb. B5.10: Die Witwe, Mahn 2007, Abb. 67. Abb. B5.11: Die Sorge, Kat. Flensburg, Hamburg 2012, Kat. Nr. 43. Abb. B5.12: Drei Frauen schräge im Wind, Rohling 1956, Abb. 52. Abb. B5.13: Drei Frauen gegen den Wind, Mahn 2007, Abb. 70.
754
Abbildungsverzeichnis
Abb. B5.14: Abb. B5.15: Abb. B5.16: Abb. B5.17: Abb. B5.18: Abb. B5.19: Abb. B5.20: Abb. B5.21: Abb. B5.22: Abb. B5.23: Abb. B5.24: Abb. B5.25: Abb. B5.26: Abb. B5.27: Abb. B5.28: Abb. B5.29: Abb. B5.30:
B6
Meerstudie, Lenz 1994, Abb. 46. Meerlandschaft, Rohling, Abb. 54. Drei Frauen im Wind (Verweht), Mahn 2007, Abb. 71. Frau auf der Düne, Mahn 2007, Abb. 72. Drei Schwestern in den Dünen, Mahn 2007, Abb. 64. Anonym, Käte Lassen malt in den Dünen, Mahn 2007, S. 204. Boote am Strand, Rohling 1956, Abb. 61. Zwei Männer am Boot, Rohling 1956, Abb. 60. Boote am Strand, Mahn 2007, Abb. 99. Fischerboote am Strand, Museum Altona. Fischer mit Booten, Rohling 1956, Abb. 46. Strand von Stenbjerg, Mahn 2007, Abb. 89. Der Strand bei Staenbjerg, Rohling 1956, Abb. 59. Mann und Frau auf der Düne (Fischer), Mahn 2007, Abb. 91. Junge mit Dorschen, Mahn 2007, Abb. 88. Schlafendes Mädchen mit Fischen, Mahn 2007, Abb. 87. Junge, der Möwen füttert, Mahn 2007, Abb. 85.
Emil Nolde – Ästhetische Annäherung an Nordsee und Wattenmeer im Kontext von Farben und Empfindungen
(Alle im Folgenden angeführten Bilder stammen von Emil Nolde, wenn es nicht anders angegeben ist.) Abb. B6.1: Abb. B6.2: Abb. B6.3: Abb. B6.4: Abb. B6.5: Abb. B6.6: Farbabb. B6.7: Abb. B6.8: Abb. B6.9: Abb. B6.10:
Nordseedünen, Urban 1990, Kat. 1159; Inhaberin des Urheberrechts: Nolde Stiftung Seebüll. Strandwelle, Urban 1987, Kat. 64; Inhaberin des Urheberrechts: Nolde Stiftung Seebüll. Schleswig-Holstein meerumschlungen, Reuther 2008, Abb. 37; Inhaber des Urheberrechts: Nolde Stiftung Seebüll. Dünenspuk, Kat. Bielefeld 2008, S. 114; Inhaberin des Urheberrechts: Nolde Stiftung Seebüll. Später Abend am Meer, Urban 1987, Abb. 100; Inhaberin des Urheberrechts: Nolde Stiftung Seebüll. Begegnung, Lildstrand, Vgl. Kat. Bielefeld 2008, S. 117; Inhaberin des Urheberrechts: Nolde Stiftung Seebüll. Begegnung am Strand, Kat. Bielefeld 2008, S. 145; T Nolde Stiftung Seebüll. Lichte Meeresstimmung, Urban 1987, Abb. 84; Inhaberin des Urheberrechts: Nolde Stiftung Seebüll. Meeresstimmung, Vgl. Urban 1987, Abb. 85; Inhaberin des Urheberrechts: Nolde Stiftung Seebüll. Das Meer III, Urban 1987, Abb. 558; Inhaberin des Urheberrechts: Nolde Stiftung Seebüll.
Nordsee und Wattenmeer im Kontext ästhetischer Annäherungen
Abb. B6.11:
755
Hohe Sturzwelle, Kat. Bielefeld 2008, S. 109; Inhaberin des Urheberrechts: Nolde Stiftung Seebüll. Abb. B6.12: A.Me.16, vgl. Urban 1990, S. 572; Inhaberin des Urheberrechts: Nolde Stiftung Seebüll. Abb. B6.13: Hohe Wogen, Urban 1990, Abb. 1201; Inhaberin des Urheberrechts: Nolde Stiftung Seebüll. Abb. B6.14: A.Me.14, Nolde Stiftung Seebüll; Inhaberin des Urheberrechts: Nolde Stiftung Seebüll. Abb. B6.15: Überschwemmte Marsch, Urban 1987, Abb. 344; Inhaberin des Urheberrechts: Nolde Stiftung Seebüll. Abb. B6.16: Überschwemmung (Verhangener Himmel), Reuther (Hg.) 2008, Kat. 46; Inhaberin des Urheberrechts: Nolde Stiftung Seebüll. Abb. B6.17: Marschlandschaft im Abendlicht, Kat. Bielefeld 2008, S. 55; Inhaberin des Urheberrechts: Nolde Stiftung Seebüll. Abb. B6.17a: Marschlandschaft (Nordfriesland), Kat. Bielefeld 2008, S. 49; Inhaberin des Urheberrechts: Nolde Stiftung Seebüll. Abb. B6.18: Marschlandschaft (mit grauen Wolken), Kat. Bielefeld 2008, S. 93; Inhaberin des Urheberrechts: Nolde Stiftung Seebüll. Abb. B6.19: Teufel und Geistlicher, Kat. Bielefeld 2008, S. 163; Inhaberin des Urheberrechts: Nolde Stiftung Seebüll. Farbabb. B6.20: Hallig, Kat. Bielefeld 2008, S. 53; T Nolde Stiftung Seebüll. Abb. B6.21: Halliglandschaft, Kat. Bielefeld 2008, S. 59; Inhaberin des Urheberrechts: Nolde Stiftung Seebüll. Abb. B6.22: Dünenweib, Urban 1990, Kat. 1108; Inhaberin des Urheberrechts: Nolde Stiftung Seebüll. Abb. B6.23: Meerweib, Kat Bielefeld 2008, S. 147; Inhaberin des Urheberrechts: Nolde Stiftung Seebüll. Abb. B6.24: Seeweib, Kat Bielefeld 2008, S. 146; Inhaberin des Urheberrechts: Nolde Stiftung Seebüll. Abb. B6.25: Dünenfantasie, Urban 1990, Kat. 1096; Inhaberin des Urheberrechts: Nolde Stiftung Seebüll. Abb. B6.26: Kinder am Strand, Reuther (Hg.) 2008, Kat. 45; Inhaberin des Urheberrechts: Nolde Stiftung Seebüll. Abb. B6.27: Meer A, Urban 1990, Kat. 1100; Inhaberin des Urheberrechts: Nolde Stiftung Seebüll. Abb. B6.28: Meer B, Urban 1990, Kat. 1101; Inhaberin des Urheberrechts: Nolde Stiftung Seebüll. Abb. B6.29: Meer C, Urban 1990, Kat. 1102; Inhaberin des Urheberrechts: Nolde Stiftung Seebüll. Abb. B6.30: Meer D, Urban 1990, Kat. 1103; Inhaberin des Urheberrechts: Nolde Stiftung Seebüll. Abb. B6.31: Meer E, Urban 1990, Kat. 1104; Inhaberin des Urheberrechts: Nolde Stiftung Seebüll. Abb. B6.32: Himmel und Meer, Urban 1990, Abb. 1106; Inhaberin des Urheberrechts: Nolde Stiftung Seebüll.
756
Abbildungsverzeichnis
Abb. B6.33: Abb. B6.34: Abb. B6.35: Abb. B6.36: Abb. B6.37: Abb. B6.38: Abb. B6.39: Abb. B6.40:
B7
Badestrand, Reuther (Hg.) 2008, Kat. 24; Inhaberin des Urheberrechts: Nolde Stiftung Seebüll. Ung. 1184, Urban 1990, S. 503; Inhaberin des Urheberrechts: Nolde Stiftung Seebüll. Blauer Tag am Meer, Urban 1990, Kat. 1236; Inhaberin des Urheberrechts: Nolde Stiftung Seebüll. Harmonie C, Urban 1990, Abb. 1272; Inhaberin des Urheberrechts: Nolde Stiftung Seebüll. Windiger Nachmittag, Urban 1990. Kat. 1321; Inhaberin des Urheberrechts: Nolde Stiftung Seebüll. Lichtes Meer, Kat. Bielefeld 2008, S. 103; Inhaberin des Urheberrechts: Nolde Stiftung Seebüll. Lichte Wolken überm Meer, Urban 1990, Kat. 1349; Inhaberin des Urheberrechts: Nolde Stiftung Seebüll. Abendrot überm Meer, Urban 1990, Kat. 1341; Inhaberin des Urheberrechts: Nolde Stiftung Seebüll.
Max Beckmann – Die Nordsee als künstlerischer Studienort, Urlaubsziel und Projektionsfläche individueller Lebenssituationen
(Die im Folgenden angeführten Bilder stammen von Max Beckmann, wenn es nicht anders angegeben ist.) Abb. B7.1: Abb. B7.2: Abb. B7.3: Abb. B7.4:
Strand mit grauem Kahn und grauem Meer, Kat. Basel 2011, Kat. 1. Meeresstrand, braun und grau, Kat. Basel 2011, Kat. 2. Meeresstrand, violetter Himmel, Göpel 1976, Kat. 9. Strandlandschaft, Kat. Basel 2011, Kat. 4, Titelbild: T VG Bild-Kunst, Bonn 2016. Abb. B7.5: Strandlandschaft, Göpel 1976, Kat. 17. Abb. B7.6: Das Meer, Göpel 1976, Kat. 17a. Abb. B7.7: Junge Männer am Meer, Kat. Basel 2011, Abb. 35. Abb. B7.8: Große Buhne, Kat. Hamburg 2003, Kat. 1. Abb. B7.9: Kleine Buhne, Kat. Hamburg 2003, Kat. 2. Abb. B7.10: Nebelsonne, Göpel 1976, Kat. 40. Abb. B7.11: Sonniges grünes Meer, Harter 2003, Abb. 1. Abb. B7.12: Schiffbruch, Schubert 1997, Abb. 5. Farbabb. B7.13: Leute nach der Arbeit am Meer (Am Strand von Wangerooge), Kat. Hamburg 2003, Kat. 5, T VG Bild-Kunst, Bonn 2016. Abb. B7.14: Durchbrechende Sonne auf dem Meer, Göpel 1976, Kat. 111. Abb. B7.15: Aufklärendes Wetter, Göpel 1976, Kat. 112. Abb. B7.16: Trüber Abend am Meer, Göpel 1976, Kat. 116. Abb. B7.17: Strandpromenade Ostende, Schubert 1997, Abb. 7. Abb. B7.18: Scheveningen, fünf Uhr früh, Kat. Basel 2011, Kat. 22. Abb. B7.19: Abend auf der Terrasse, Kat. Basel 2011, Kat. 25.
Nordsee und Wattenmeer im Kontext ästhetischer Annäherungen
757
Badekabine (grün), Kat. Basel 2011, Kat. 23. Blick auf das Meer (rot, grau, blau), Kat. Hamburg 2003, Kat. 7. Grauer Strand, Kat. Basel 2011, Kat. 24. Strandpromenade in Scheveningen, Kat. Basel 2011, Kat. 21. Blick aus der Schiffsluke, Kat. Basel 2011, Kat. 40. Blick auf Zandvoort bei Abend, Göpel 1976, Bd. 1, Kat. 399. Badende mit grüner Kabine und Schiffer mit roten Hosen, Göpel 1976, Bd. 1, Kat. 400. Farbabb. B7.27: Meeresstrand, Kat. Basel 2011, Kat. 42, T VG Bild-Kunst, Bonn 2016. Abb. B7.28: Ansichtskarte von Zandvoort, Nachlass Mathilde Q. Beckmann. Farbabb. B7.29: Landungskai im Sturm, Kat. Basel 2011, Kat. 41, T VG Bild-Kunst, Bonn 2016. Abb. B7.30: Violettes Meer mit Ruderboot, Göpel 1976, Kat. 458. Abb. B7.31: Nordseelandschaft I (Gewitter), Peter 2011, Abb. 1. Abb. B7.32: Nordseelandschaft II (abziehende Wolken), Peter 2011, Abb. 3. Abb. B7.33: Stürmische Nordsee (Wangerooge), Nordseelandschaft III, mit gewölbtem Himmel, Peter 2011, Abb. 12. Abb. B7.34: Grünes Meer mit gelbem Kahn, Göpel 1976, Kat. 468. Abb. B7.35: Boote am Strand, Kat. Basel 2011, Kat. 55. Abb. B7.36: Möwen im Sturm, Kat. Basel 2011, Kat. 57. Abb. B7.37: Die Möwen, Göpel 1976, Kat. 545. Abb. B7.38: Möwen – sonnig, Göpel 1976, Kat. 601. Abb. B7.39: Meerlandschaft mit drei Kähnen, Göpel 1976, Kat. 605. Abb. B7.40: Aufziehendes Gewitter am Meer, Kat. Hamburg 2003, Kat. 25. Abb. B7.41: Braunes Meer mit Möwen, Göpel 1976, Kat. 566. Abb. B7.42: Meer mit großer Wolke, Kat. Basel 2011, Kat. 62. Abb. B7.43: Wattenmeer grün und schwarz-gelb, Kat. Basel 2011, Kat. 65. Abb. B7.44: Marine Nordwijk, Göpel 1976, Kat. 732. Abb. B7.20: Abb. B7.21: Abb. B7.22: Abb. B7.23: Abb. B7.24: Abb. B7.25: Abb. B7.26:
Danksagung
Sehr herzlich bedanken möchte ich mich bei Frau Prof. Dr. Jutta Ströter-Bender, die diese Studie über mehrere Jahre hinweg mit Inspiration und konstruktiver Kritik begleitet und mir immer wieder Unterstützung zuteilwerden lassen hat. Auch Herrn Prof. Dr. Andreas Brenne und Herrn Prof. Dr. Ulrich Kuder gilt mein herzlicher Dank für die konstruktive Begleitung dieser Studie und die Übernahme von Gutachten. Der Universität Paderborn danke ich für die Verleihung eines Postdoc-Stipendiums, ohne das diese Arbeit nicht zustande gekommen wäre. Den zahlreichen Museen und Institutionen, die mir die Möglichkeit der Recherche in ihren Bildarchiven gegeben haben, sei an dieser Stelle ebenfalls mein Dank versichert. Dazu gehören u. a. Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven, Schleswig-Holsteinische Landesmuseen – Schloss Gottorf, Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg, Ostfriesisches Landesmuseum Emden, Heimatarchiv Cuxhaven, Emil Nolde Stiftung Seebüll, Museum Kunst der Westküste, Deutsches Marinemuseum Wilhelmshaven, Common Wadden Sea Secretariat, UNESCO-Weltnaturerbe Wattenmeer-Besucherzentrum Wilhelmshaven, UNESCO-Weltnaturerbe Wattenmeer-Besucherzentrum Cuxhaven, Kunsthalle Wilhelmshaven, Altonaer Museum Hamburg, Nordfriesisches Institut, Nordseemuseum Husum, Radziwill Haus Dangast, Galerie Herold Sylt, Kulturagentur Ostfriesische Landschaft. Ebenso möchte ich einigen Personen meinen Dank aussprechen, die meine Arbeit mit Impulsen und Ratschlägen bereicherten, wie Prof. Dr. Ludwig Fischer, Prof. Dr. Norbert Fischer, Prof. Dr. Hauke Jöns, Prof. Dr. Karsten Reise. Natürlich gilt ebenfalls meinem Mann und meiner Familie für die Ermutigung und Unterstützung während all der Jahre mein großer Dank.