Was tun, sprach Zeus: Redewendungen aus der Antike 9783534258482

Vom Frühstück mit Cerealien bis zum Abend, wenn wir wieder in Morpheus« Arme sinken: Die Antike ist allgegenwärtig. Die

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German Pages 158 Year 2013

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Was tun, sprach Zeus: Redewendungen aus der Antike
 9783534258482

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Was tun, sprach Zeus REDEWENDUNGEN AUS DER ANTIKE

Lasst uns eine Orgie feiern!

Ich verlier’ den Faden.

Geh’ mir aus der Sonne!

Zustände wie im alten Rom!

Heureka, ich hab’ ihn gefunden! Ich hab’ nen Trojaner auf der Festplatte.

Für meinen Latein- und meinen Griechischlehrer, die damit niemals gerechnet hätten

Gerhard Wagner

Was tun, sprach Zeus Redewendungen aus der Antike

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. © 2013 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt mit freundlicher Genehmigung der Regionalia Verlag GmbH, Rheinbach Typographie und Satz: Alexander Aspropoulost, agilmedien Ilmschlagmotiv: Marmorstatue des Zeus. Nach dem antiken Zeus-Standbild des Phidias in Olympia. St. Petersburg, Eremitage. Foto: Wikimedia Commons, George Shuklin Umschlaggestaltung: Finken st Bumiller, Stuttgart

Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany

Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-25848-2 Die Buchhandelsausgabe erscheint beim Konrad Theiss Verlag ISBN 978-3-8O62-2772-7 Umschlagmotiv: Der Raub der Sabinerinnen, Gemälde von Jacques-Louis David, 1799. Foto: Album / Oronoz / AKG Umschlaggestaltung: Stefan Schmid Design, Stuttgart Besuchen Sie uns im Internet: www.theiss.de

Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-73642-3 (für Mitglieder der WBG) eBook (epub): 978-3-534-73643-0 (für Mitglieder der WBG) eBook (PDF): 978-3-8062-2816-8 (Buchhandel) eBook (epub): 978-3-8062-2817-5 (Buchhandel)

Inhalt Vorwort

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Kapitel 1: Von Achillesferse bis Zankapfel

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Redewendungen und Begriffe aus der griechischen Mythologie

Kapitel 2:

Von Amors Pfeil bis Venusberg 65 Redewendungen und Begriffe aus

der römischen Mythologie

Kapitel 3:

Von Marathon bis Spree-Athen

85

Redewendungen und Begriffe aus

der griechischen Ceschichte

Kapitel 4:

Von Rubikon bis Tabula rasa Redewendungen und Begriffe aus

der römischen Geschichte

Stichwortverzeichnis

148

Literaturverzeichnis

155

Bildnachweis

157

1117

Vorwort „Sich mit fremden Federn schmücken" enn man sich mit Redewendungen näher beschäftigt, wird man unweigerlich in andere Zeiten und

W

Kuiturkreise versetzt Es ist erstaunlich, wie viel Einfluss fremde Kulturen auf unsere Sprache gehabt

haben. Die Sprache wimmelt geradezu von Redensarten, die ihre Wurzeln in Religion, Handwerk, Geschichte, Mythologie, Natur, Märchen, Militär und anderen Zusammenhängen haben. In meinen Büchern „Das geht auf

keine Kuhhaut" und „Wer's glaubt wird selig!" bin ich bereits auf Redensarten eingegangen, die sich aus

historischen Quellen des Mittelalters und der frühen Neuzeit sowie aus dem Alten und

Neuen Testament herleiten lassen. Aber auch das klassische Altertum hat deutliche Spuren in unserer Sprache hinterlassen. Das hat etwas mit der überragenden Bedeutung zu tun, die diese Periode für die europäische Kultur hat Die lange und große

Tradition der griechischen und lateinischen Literatur - Texte von Herodot und Platon, Caesar und Cicero wurden in den Höheren Schulen im Original gelesen - hat auch die Sprache geprägt Übertragungen von

Homers „Ilias" und „Odyssee" gehörten noch vor wenigen Jahrzehnten zum Standard-Lesestoff der Jugend

dim Gymnasium, und Achilleus und Odysseus waren Figuren, mit denen sich Jugendliche ebenso identifizierten wie mit Karl Mays Winnetou und Old Shatterhand. Dies mag sich inzwischen deutlich abgeschwächt haben, mit dem Wort „Castor" wird heutzutage ein

Transportbehälter von radioaktivem Material identifiziert, während der gleichnamige Zwillingsbruder des Pollux in Vergessenheit geraten ist Das Interesse an den archaischen Mythen hat nachgelassen, von gele­

gentlichen Ausnahmen wie dem „Troja"-Film von 2004 abgesehen, der aber nur oberflächliche Ähnlichkeit mit Homers Epos hat, und mehreren sehr freien Adaptionen antiker Stoffe. Die Unterhaltungsindustrie produ­ ziert ständig neue Helden, und so haben Batman und Spiderman schon vor einiger Zeit Odysseus und Hera­

kles abgelöst, die Argonauten sind untergegangen und haben dem Raumschiff Enterprise Platz gemacht Die Sprache aber ist, bei aller Wandlungsfähigkeit, ein Museum von historischen Ausdrücken. Diese sind

meist auf dem Umweg über die klassische Bildung der letzten 200 Jahre in unsere Sprache gelangt,

manchmal auch über die deutschen Klassiker wie Schiller oder Goethe, die sich aus dem Fundus der Antike

bedienten - Was tun, sprach Zeus ist ein Beispiel.

Es gibt eine ganze Reihe von Wörtern und Redewendungen, die, kaum noch als solche bemerkt, ihren Weg

aus der Antike in unseren alltäglichen Wortschatz gefunden haben. Redewendungen wie In Morpheus' Arme sinken oder Eine Sisyphusarbeit verrichten und Ausdrücke wie Achillesferse oder Ödipuskomplex

7

Vorwort

sind bekannte Vertreter aus dieser Gruppe, auch wenn die Bedeutung dieser klassischen Anspielungen kaum

noch jemandem bekannt sein dürfte. Vor gar nicht langer Zeit war die Zahl der an antike Sagen erinnernden

Redensarten sogar noch erheblich größer. Heute in Vergessenheit geraten sind Redewendungen wie Midasohren haben, Aus dem Lethebecher trinken oder Auf das Prokrustesbett spannen. Redewendun­

gen sterben nun mal aus, wenn sie nicht mehr benutzt werden, besonders wenn ihr Bezug im Bewusstsein der Bevölkerung nicht mehr präsent ist

Bei diesem Buch handelt es sich nicht um eine wissenschaftliche Abhandlung; es will vielmehr auf unterhaltsame Weise zeigen, dass man viele Redewendungen auf antike Wurzeln zurückführen kann. Erläutert werden heute noch gebräuchliche und von jedem gemäß ihrer Aussage verstandene Redensarten wie

Die Büchse der Pandora öffnen oder Eulen nach Athen tragen. Insgesamt sind vier Kapitel entstanden. Zwei große Abteilungen widmen sich jeweils der Mythologie und der Historie, jede noch einmal in die griechische und die römische Tradition unterteilt Die Abfolge der Artikel

innerhalb der Kapitel richtet sich nach inhaltlichen bzw. historischen Gegebenheiten. So sind innerhalb der mythologischen Themen die Redewendungen aus Sagenkreisen wie denen um Herakles oder der Odyssee im

Zusammenhang behandelt. Ebenso werden Redensarten aus Politik, Philosophie, Kultur, Literatur oder

Architektur in Folge dargestellt

„Zustände wie im alten Rom" Bei den historischen Fakten kann man selbstverständlich sauber trennen - ein Scherbengericht fand nun mal in Griechenland statt, dagegen konnte man nur in Italien den Rubikon überschreiten.

Bei der Mythologie ist das etwas komplizierter. Der griechische Götterhimmel und die Heldensagen wurden

nämlich von den Römern adaptiert, weil die Kultur der Griechen der römischen zu Beginn des „römischen

Zeitalters" weit überlegen war. Viele Götter der Römer wurden mit den griechischen gleichgesetzt, zum Beispiel Jupiter mit Zeus oder Neptun mit Poseidon. Durch den starken Einfluss der griechischen Literatur wurden auch die Heldensagen romanisiert; so wurde der eigentlich griechische Nationalheros Herakles

als Herkules auch in Rom verehrt Insofern kann in den Kapiteln die Regel, griechische und römische Mythologie zu trennen, nicht konsequent durchgehalten werden; so kommt die Achillesferse im grie­

chischen Kapitel vor, die sprichwörtlichen Brüder Castor und Pollux dagegen wegen der Schreibweise im römischen, obwohl sie eigentlich griechische Sagenhelden waren.

Bei der Erläuterung der Herkunft der Redewendungen ergab sich die Schwierigkeit, auf begrenztem Raum teilweise umfangreiche inhaltliche Zusammenhänge zu erklären. Sowohl bei den mythologischen Themen

wie bei denen aus der Geschichte war es unmöglich, komplizierte Verwicklungen der Handlung wie

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Vorwort

beispielsweise in der Tantalos-Sage oder verfassungsrechtliche Probleme wie bei der Überschreitung des

Rubikon durch Julius Caesar in wenigen Worten zu erklären. Hier ist der Leser aufgerufen, durchaus noch einmal die „Sagen des klassischen Altertums" oder ein Geschichtsbuch in die Hand zu nehmen; vielleicht ist die Lektüre des vorliegenden Buches ja der Anlass, wieder einmal in die Sagenwelt des Altertums

einzutauchen oder gar Tacitus zu lesen. Auch seien die Schwierigkeiten nicht unerwähnt, sich bei der Erklärung der Herkunft einer Redewendung

für eine bestimmte Sagenvariante zu entscheiden. Für Leser, die sich intensiver mit der Materie beschäftigen

wollen, seien die teilweise sehr aufschluss- und kenntnisreichen Beiträge im Internetlexikon Wikipedia empfohlen. Wenn man sich mit den klassischen Sagen beschäftigt, stellt man schnell fest, dass meist die latinisierten Namen der Protagonisten im Gebrauch sind. „Apollo" und „Herkules" sind gute Beispiele dafür, von eingedeutschten Versionen wie „Apoll" oder „Achill" ganz zu schweigen. In diesem Buch wird in der Regel der Originalname verwendet, also Achilleus statt Achilles. Eine Ausnahme ist natürlich, wenn die lateinische

Namensform Grundlage einer Redewendung geworden ist wie in Eine Herkulestat vollbringen.

Aber es geht ja in diesem Buch nicht um die Antike selbst, sondern um die Spuren, die sie in unserer

Sprache hinterlassen hat Dafür will das Buch die Augen öffnen. Wenn dabei ab und an etwas Augenzwin­ kern im Spiel ist, sollte man nicht gleich aus einer Mücke einen Elefanten machen. Bevor man sich also im Labyrinth der Sprache verirrt und niemand mehr weiß, woher das Damokles­

schwert seinen Namen hat, kann man mit diesem Buch, epische Breite vermeidend, den Pegasus reiten.

Denn auch wenn es eine Sisyphusarbeit zu sein scheint, steigen wir noch nicht in den Hades hinab, und bevor wir wie Herkules am Scheidewege stehen oder gar wie Ikarus abstürzen, werden wir den Rubikon überschreiten. Das ist dann kein Pyrrhussieg, sondern das Nonplusultra. Quo vadis? Das wissen die Götter...

Gerhard Wagner

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Kapitel 1

Von Achillesferse bis Zankapfel Redewendungen und Begriffe aus

der griechischen Mythologie

Griechische Mythologie

„Ein Chaos hinterlassen" eine große Unordnung verursacht haben haotische Zustände sind so ziemlich das Gegenteil dessen, was der ordentliche Bürger mag. Leider gibt

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es die sehr häufig, in der Politik, in der Ehe, im Verkehr, im Kinderzimmer... Dabei meint dieser Begriff

aus der griechischen Mythologie nicht das, was wir heute unter einem Chaos verstehen. Denn bevor die Erde

geschaffen wurde, so schreibt Hesiod, der große Dichter und Mythensammler, war das Chaos der Urzustand

der Welt Dieser Zustand ist am besten mit einer völligen Leere zu beschreiben, mit dem Nichts, wo ja auch

keine Ordnung herrscht. Der Begriff Chaos kommt vom altgriechischen Verb für „gähnen" - es handelte sich also um eine „gähnende Leere“. Die Ordnung - der „Kosmos" - entstand dann später. Seit dem 1 7. Jahr­

hundert erst hat sich der Begriff „Chaos" für Unordnung, Durcheinander eingebürgert. Ob das Schimpfwort „Chaoten" für Leute, die offenbar jegliche Ordnung nicht nur ablehnen, sondern auch bekämpfen, korrekt ist oder nicht vielmehr die gähnende Leere in deren Köpfen bezeichnet, sei dahingestellt

Chronische Schmerzen haben lang andauernde Qualen erleiden

C

hronische Schmerzen sind lästig, denn sie nehmen kein Ende. Sie haben ihren Namen nach dem griechischen Gott

der Zeit, Chronos. Dieser wird gelegentlich mit Kronos, dem

obersten Gott des Goldenen Zeitalters, verwechselt. Im Unter­

schied zu dem fast abstrakten Zeitgott, der in der Antike keinen eigenen Kult hatte, war Kronos der Sohn des Uranos und Vater

des Zeus. Seine Geschichte ist etwas unappetitlich. Nicht nur, dass er gegen den eigenen Vater rebellierte und ihn schließlich

mit einer Sichel entmannte; aus Furcht vor einem ähnlichen

Schicksal fraß er seine eigenen Kinder auf. Nur Zeus blieb, dank einer List seiner Mutter Rhea, verschont und konnte seinen Vater dazu zwingen, die verschluckten Geschwister - Hera, Hes-

tia, Demeter, Poseidon und Hades - wieder auszuspucken. Vom Zeitgott Chronos, nach dem das Chronometer benannt ist, sind aus der Antike keine Standbilder bekannt; er wird erst seit dem

14. Jahrhundert als Greis mit einem - zu dieser Zeit erfunde­ nen - Stundenglas dargestellt

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Griechische Mythologie

„Titanische Gewalten" unvorstellbare Kräfte

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s gibt kaum etwas, das von „titanischen Gewalten“ übertroffen werden könnte. In der Skala der

Kräfte scheinen die der Titanen die gewaltigsten gewesen zu sein - nicht zufällig nannte man das

größte damals gebaute Schiff „Titanic“. Ein Schwesterschiff sollte übrigens ursprünglich „Gigantic" heißen,

wovon allerdings nach dem Untergang der Titanic Abstand genommen wurde; nun nannte man es unver­

fänglich „Olympie". Titanen waren ein urtümliches Göttergeschlecht des Goldenen Zeitalters. Als Söhne des

Uranos und der Erdgöttin Gaia wurden sie von dieser gegen ihren Vater aufgewiegelt, was damit endete, dass der Titan Kronos seinen Vater besiegte und entmannte. Die handgreifliche Geschichte ging damit weiter, dass Kronos, nun an der Macht, seine Geschwister in den Tartaros sperrte und seine eigenen Kinder ver­

schluckte, weil er sich vor ihnen fürchtete. Gaia gab ihm anstelle des Sohnes Zeus einen Stein in einer Win­ del zu fressen, was nicht unbedingt für die Aufgewecktheit dieses Gottes spricht Und tatsächlich entmachte­

te nun wieder Zeus seinen Vater und etablierte die Herrschaft der Olympier.

„Das ist ja gigantisch! Das ist überwältigend groß.

W

er ist größer: ein Gigant, ein Titan oder ein Zyklop? In der griechischen Mythologie variieren die

Größenangaben, aber auf jeden Fall handelt es sich bei allen drei Gestalten um Riesen, deren Namen

heute noch als Adjektive für die größenmäßige Einordnung von überdimensionalen Erzeugnissen aus Men­

schenhand dienen, aber auch bei außergewöhnlich großen Tieren wie den Walen, den „Giganten der Meere".

„Gigantische" Kulissen bei Open-Air-Konzerten sind mittlerweile die Regel. Die Giganten waren ein Riesen­

geschlecht, das aus den Blutstropfen entstand, die zur Erde fielen, als der Gott Kronos seinen Vater

Uranos entmannte. Sie erhoben sich gegen die olympischen Götter, wurden aber von diesen besiegt und vernichtet Das Aussehen der Ungetü­ me wird ebenfalls unterschiedlich geschildert, auf vielen Darstellungen werden sie mit Schlangen als

Beinen gezeigt - furchterregend, aber sicher etwas unpraktisch in der Fortbewegung. Jedenfalls müs­ sen sie sehr groß gewesen sein - gigantisch eben.

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Griechische Mythologie

„Das Goldene Zeitalter" paradiesische Zustände

uf Hesiod gehen die meisten unserer Informationen über die antike Mythologie zurück. Er zählt eine

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Abfolge von verschiedenen Zeitaltern auf, die sich - allerdings in absteigender Qualität - aneinander­

reihen. Das erste, das Zeitalter des Gottes Kronos, nannte er das „Goldene“, eine dem Garten Eden

vergleichbare Epoche, in dem die Menschen fast wie Götter leben konnten. Danach folgten - ähnlich wie

heute die olympischen Medaillen - das Silberne und dann das Bronzene Zeitalter. Dann folgte das so genannte „Zeitalter der Heroen", der Helden Herakles und Achilleus, der Argonauten und des Trojanischen

Krieges. Hesiod selbst, geboren vor 700 v. Chr., lebte nach eigener Einschätzung im Eisernen Zeitalter, einer rohen und gewalttätigen Epoche, weshalb er seine Zeitgenossen zu sittlichem Lebenswandel aufrief. Im Deutschen spricht man seit dem I 6. Jahrhundert vom Goldenen Zeitalter als einem utopischen Paradies;

heute wird der Begriff meist für die Hervorhebung legendärer Kulturepochen benutzt, zum Beispiel des

„Goldenen Zeitalters der Photographie"; häufig spart man sich sogar das „Zeitalter" und spricht nur von den „Goldenen 20er-Jahren".

„In Arkadien leben" in friedlicher, glücklicher Umgebung

I

m Rokoko führte die Übersteigerung der höfischen

Lebensweise in gewissen Kreisen zu einer Rückkehr zum

genauen Gegenteil, der ländlichen Idylle, zurück zur Natur inklusive Schäferstündchen. Aber auch in der Zeit

des Hellenismus, also den drei Jahrhunderten vor der Zei­ tenwende, hat schon einmal eine Verklärung des Landle­ bens stattgefunden; dabei wurde die historische Land­

schaft Arkadien, ein im Zentrum der Peloponnes gelege­

nes, abgeschlossenes Hochland, als idealer Ort gepriesen. Eben weil dort seit Alters her von der Zivilisation unver­

dorbene Hirten ihr einfaches Leben führten, schien hier noch das Goldene Zeitalter anzudauern, in dem die Men­

schen, scheinbar unbelastet von mühsamer Arbeit und

gesellschaftlichen Zwängen, in einer idyllischen Natur zufrieden und glücklich lebten; ob die so Verherrlichten

in Arkadien das auch so sahen, ist nicht überliefert

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Griechische Mythologie

Den „Ozean" überqueren über eines der Weltmeere fahren

emeinhin kennt man auf der Erde zwei Ozeane, den

G

atlantischen und den pazifischen. Das Wort Ozean, das

aus der griechischen Mythologie entnommen wurde, bezeich­ nete ursprünglich aber gar kein Meer, sondern einen riesigen Strom, der die ganze Welt, die man sich damals ja noch als

Scheibe vorstellte, umfließt Bei Homer ist Okeanos auch Ursprung der Welt, der Götter sowie aller Flüsse, Meere, Quel­

len und Brunnen, von denen der zehnte Teil, Styx, im Inneren der Erde fließt und die Unterwelt begrenzt Hesiod personifi­

zierte Okeanos als Gott, als einen der Titanen; im Unterschied

zu seinen Brüdern habe er allein sich aber nicht am Aufstand

gegen Zeus beteiligt, sondern auf der Seite des Olympiers gegen seine Geschwister gekämpft Okeanos wurde im antiken Griechenland keine feste mythologische Gestalt zugeordnet; so ist er nur selten als Statue abgebildet. Sein römisches Pendant Oceanus dagegen wird relativ häufig dargestellt, allerdings weniger in der

klassischen Pose eines Gottes, sondern wie ein in sich ruhendes Naturwesen.

„Bedecke deinen Himmel, Zeus!" Das ist wirklich peinlich. ieses geflügelte Wort ist, ähnlich wie „Was tun, sprach Zeus", auch zur Redewendung geworden. Mit dem

D

Ausruf bringt man zum Ausdruck, dass sich angesichts einer peinlichen Begebenheit eigentlich der Him­

mel verfinstern müsste. Quelle des Zitats ist ein Gedicht Goethes, in dem er in der Figur des Prometheus, der

nach der griechischen Mythologie den Menschen das Feuer vom Olymp brachte und sich damit den Zorn

des Zeus zuzog, selbstbewusst gegen die Götter aufbegehren lässt Das Gedicht beginnt spöttisch mit den Worten „Bedecke deinen Himmel, Zeus / Mit Wolkendunst / Und übe, dem Knaben gleich / Der Disteln

köpft / An Eichen dich und Bergeshöhn"; Goethe - pardon: Prometheus - spricht Gott jeglichen Einfluss

auf das menschliche Schicksal ab, das er selbst in der Hand habe, fährt fort: „Ich kenne nichts Ärmeres / unter der Sonn' als euch Götter!“ und kommt zu dem Schluss: „Ich dich ehren? Wofür?"

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Griechische Mythologie

„Was tun, sprach Zeus" Ich weiß nicht mehr weiter... ormalerweise ist bei uns der römische Jupiter populärer als sein griechisches Pendant Zeus. Aber wenn

N

für eine verfahrene Situation keine Lösung in Sicht ist, entfährt so manchem der Stoßseufzer: „Was tun,

sprach Zeus ..." ohne dass der Betreffende weiß, wer Zeus war, geschweige, aus welchem Zusammenhang

dieses Zitat stammt Hier geht es nämlich nicht um Homer, sondern um ein Gedicht Friedrich Schillers. Er

nutzt eine antike Szenerie, um sein humanistisches Bildungsideal zu erläutern. Nach dem Muster einer Sage schildert er Zeus, also Gott, wie er den Menschen, nach Berufsgruppen aufgeteilt, die Welt schenkt Als der

Dichter erscheint, ist alles verteilt und nichts für ihn übrig. Der Poet beschwert sich darüber, weil er sich inzwischen am Wahren, Guten, Schönen erfreut habe. Und an dieser Stelle stößt der Allmächtige den Seufzer

aus: „Was tun?" spricht Zeus, „die Welt ist weggegeben / Der Herbst, die Jagd, der Markt ist nicht mehr mein." Um aber doch die Lösung zu finden: „Willst du in meinem Himmel mit mir leben / So oft du kommst, er soll

dir offen sein." Dem ist wenig hinzuzufügen, außer dass Banausen, denen weder Zeus noch die Poesie heilig sind, den Satz so abwandeln: Was tun, sprach Zeus, die Götter sind besoffen ...

Unter der Ägide leben unter der Obhut sein eute wird die Ägide meist mit der Ära gleichgesetzt. Sie ist aber viel mehr, denn der Begriff hat seine Wurzel in der antiken Götter-

Zeus, der oberste Gott, beteiligte sich normalerweise nicht an den Auseinandersetzungen der Menschen, ganz im Gegensatz zu seinen

Götterkollegen, die zum Beispiel im Trojanischen Krieg eifrig mitmisch­

ten, und zwar auf beiden Seiten. Trotzdem war eines seiner Attribute ein großer Schild, wie ihn ein Hoplit im Kampf trug. Dieser Schild, von Hephaistos angefertigt und „Aigis" genannt, wurde von Zeus nicht defensiv, sondern offenbar zu meteorologischen Zwecken gebraucht,

denn wenn er ihn schüttelte, konnte er Sturmwolken erzeugen. Aber

wegen der eigentlichen Funktion des Schildes wird mit „Ägide" ein Schutzverhältnis bezeichnet, in dem sich jemand gegenüber einem

Mächtigeren befindet, der ihn unter seine Obhut genommen hat, wes­ halb hier die Präposition „unter" die Beziehung korrekt beschreibt

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Griechische Mythologie

„Schön wie ein junger Gott" von geradem übernatürlicher Schönheit

pollon galt als der schönste der olympischen Götter. Er wurde von Bildhauern als Jüngling dargestellt

A

Bis auf den Göttervater Zeus, seine Brüder Poseidon und Hades und den missgestalteten Schmied

Hephaistos zeigen die Götterstatuen ausschließlich idealisierte Männer und Frauen in der Blüte ihrer Jugend - sogar die Göttermutter Hera konnte sich mit den jüngeren Athene und Aphrodite hinsichtlich ihrer

Schönheit messen und vor Paris zum Schönheitswettbewerb antreten. So galten die olympischen Götter Apollon, Hermes und Ares als Inbegriff der Schönheit und Jugend, von den Damen Hera, Demeter, Artemis,

Athene, Aphrodite und Hestia ganz zu schweigen. Jung und schön blieben sie durch die Götterspeise Ambrosia ja immer, denn sie unterschieden sich, bei allen menschenähnlichen Eigenschaften wie Hass, Neid

oder Liebe, in einem von den Menschen: Sie waren unsterblich.

„Das wissen die Götter!" Das ist gant ungewiss.

ass Gott allwissend ist, ist für jeden Christen­

D

menschen so sicher wie das Amen in der

Kirche. Aber galt das auch für die Götter der Antike?

Das darf mit Fug und Recht bezweifelt werden, selbst Zeus kam nicht gegen das Schicksal an. Gerade die­

ser Zeus, ein bekannter Schürzenjäger, konnte seine Gattin Hera ein ums andere Mal durch geschickte

Mimikry hinters Licht führen, indem er sich in ein

Tier oder einen Goldregen verwandelte; dass Hera nichts davon ahnte, dürfte Beweis genug sein für ihre

nicht vorhandene Allwissenheit. Insofern ist auch der meist mit einem resignierenden Schulterzucken geäu­ ßerte Hinweis auf die wissenden Götter, der sich zur

Redensart entwickelt hat, eher ironisch gemeint Der Spruch geht zurück auf eine bei Homer vorkommende

Beteuerung des Wortlauts „Das ruht im Schoße der seligen Götter", was soviel bedeutet wie, dass man dage­ gen nichts ausrichten kann. Die Formulierung „Das wissen die Götter!" ist nachweisbar schon um I 700; bei Kleist heißt es: „Das mögen die gerechten Götter wissen". Also: Irren ist menschlich, aber auch göttlich!

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Griechische Mythologie

„Auf dem Olymp sein" auf dem Höhepunkt der Karriere ankommen en Olymp gibt es wirklich. Er ist der höchste Berg Griechenlands, die Spitze in 2900 Metern oft

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in Wolken gehüllt Die antiken Menschen stellten sich seinen Gipfel als Wohnsitz der Götter vor, so

ähnlich wie viele Christen den Himmel. Dort wohnten die zwölf Hauptgötter, die so genannten Olympier,

weshalb man sich den Berggipfel im übertragenen Sinn wie einen Palast vorstellen muss, in dem der Haus­

herr, Zeus, mit seinen Geschwistern und Kindern residierte. Dazu gehörten seine Schwester und Gemahlin Hera, seine Geschwister Poseidon, Demeter und Hestia - sein Bruder Hades als Herr der Unterwelt zählt

nicht dazu - und seine Kinder Ares, Hephaistos, Artemis, Apollon, Hermes, Athene und Aphrodite. Tochter

Hebe spielte die Rolle des Personals an der göttlichen Tafel und reichte den Verwandten Nektar und Ambrosia. Auch wenn es natürlich eine Menge weit höherer Gipfel gibt, dient der Olymp auch weiterhin als

Metapher, wenn man den Gipfel des Ruhmes erreicht hat, und wurde sprichwörtlich noch nicht vom Everest abgelöst.

„Wie Nektar und Ambrosia" himmlisch schmeckende Genüsse ine der Wortschöpfungen der Konsumindustrie lautet „Nektar" und

bezeichnet nicht etwa einen besonders hochwertigen Fruchtsaft, son­ dern das genaue Gegenteil: mit Wasser verdünnte Getränke, die nur einen

geringen Anteil an echtem Saft besitzen, billig hergestellt und angeboten. Die Bezeichnung wird dem ursprünglichen Träger des Namens nicht gerecht Bei dem mythischen Getränk Nektar - und seinem Speise-Pendant Ambrosia -

handelte es sich um die Götternahrung, denn auch die Unsterblichen brauch­ ten etwas zu essen und zu trinken. Deutungsversuche der Substanz dieser olympischen Nahrungsmittel haben so etwas wie Honig ergeben. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, wenn ausgerechnet minderwertige Saftgetränke nach

dem legendären Göttertrank benannt werden. Der Begriff „Götterspeise" ist ebenfalls diesem Sagenkontext entnommen, bezeichnet aber auch nur eine

billige Süßspeise aus Geliermitteln, Zucker, Aroma- und Farbstoffen. In weni­ ger (ein)gebildeten Kreisen ist das in Rot, Grün und Gelb erhältliche Dessert auch als „Wackelpudding“ bekannt

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Griechische Mythologie

Hermetisch verschlossen luftdicht versiegelt ach Einstein ist nichts schneller als das Licht Da befand sich der geniale

N

Physiker im Irrtum; der antike Gott Hermes war, dank kleiner Flügel an sei­

nen Stiefeln, überlichtschnell und damit ein physikalisches Phänomen. Als einer

der zwölf Olympischen Götter war er - unter anderem - der Schutzgott der Rei­

senden und der Kaufleute, der Redekunst und der Wissenschaften. Und hier kom­

men wir der Bedeutung des Ausdrucks „hermetisch verschlossen" näher: Als Wis­ senschaftspatron war Hermes mit der Chemie und der damals damit verwandten Alchemie verbunden. Mittelalterliche Alchimisten nannten die Möglichkeit, ein

Gefäß dicht zu verschließen, „cum sigillo hermetis", mit dem Siegel des Her­ mes. Die „Hermeneutik", die Wissenschaft vom Erklären und Verstehen, ist

möglichenweise ebenfalls nach ihm benannt, weil er die Botschaften der Göt­ ter an die Menschen überbrachte und auch interpretierte. Unter Altphilologen

wird es gern belächelt, dass sich ein bekannter Paketdienst nach dem Uberlichtschnellen benennt

„Die Büchse der Pandora öffnen" etwas Unheilbringendes erfinden

ie Büchse der Pandora ist gewissermaßen das Gegenteil eines Füllhorns, denn sie enthält nur Unheil.

D

Als Göttervater Zeus sich darüber geärgert hatte, dass der Titan Prometheus das Feuer vom Olymp

auf die Erde gebracht hatte, ließ er Hephaistos aus Lehm eine Frau schaffen. Die überaus attraktiv gelungene

Pandora sollte ein Behältnis zu den Menschen bringen mit der hinterhältigen Warnung, den Deckel auf keinen Fall zu öffnen. Natürlich ließ die Neugier den Menschen keine Ruhe, und sie öffneten das Gefäß.

Darauf entwichen alle möglichen Plagen und verteilten sich auf der Erde - das Goldene Zeitalter, das Para­ dies auf Erden ohne Krankheiten oder Tod, war vorbei. In dem Gefäß war auch die Hoffnung enthalten, die Pandora zunächst nicht freilassen wollte. Erst als die Erde ein trostloser Ort wurde, ließ sie sich erweichen, um die Menschen nicht vollends verzweifeln zu lassen. Heute gilt als „Büchse der Pandora"

vor allem die moderne Forschung, deren Erzeugnisse neben vielem Segensreichen auch nicht wieder gutzumachendes Unheil über die Menschen bringen können.

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Griechische Mythologie

„Ein Bild für die Götter" ein lächerlicher oder erbaulicher Anblick

as „Bild für die Götter", das hier gemeint ist, war der Grund für ein „homerisches Gelächter". Die

D

Situation ist folgende: Der hinkende Gott Hephaistos hegt den Verdacht, dass ihn seine Frau Aphro­

dite mit dem attraktiven Kriegsgott Ares betrügt Er fertigt ein unsichtbares und unzerreißbares Fangnetz an,

das tatsächlich die beiden in an Eindeutigkeit nicht zu überbietender Pose festhält Hephaistos holt daraufhin die anderen Götter herbei, um ihnen entrüstet die Ertappten vorzuführen. Was die Götter dort sehen, scheint so Heiterkeit erregend zu sein, dass sie in Gelächter ausbrechen. Warum die Redewendung, die sich

doch immerhin auf einen göttlichen Geschlechtsverkehr bezieht, heutzutage etwas Komisches, Groteskes

bezeichnet, ist unklar. Früher, zum Beispiel in Goethes weniger bekanntem Singspiel „Erwin und Elmire", meinte sie noch etwas Bemerkenswertes, Erbauliches, denn da heißt es: „Ein Schauspiel für Götter, zwei Liebende zu sehn!"

„Homerisches Gelächter" schallendes Lachen

er griechische Dichter Homer wird als Vater der Weltliteratur verehrt, denn seine beiden Epen „Ilias" und

D

„Odyssee" gelten als die frühesten komplexen Dichtungen des Abendlandes. Wir wissen wenig über ihn,

eigentlich noch nicht einmal, ob er nicht selbst eine mythische Figur ist Aber die ihm zugeschriebenen

Werke sind großes Theater, und die handelnden Personen, ob Sterbliche oder Götter, verkörpern schon damals alle menschlichen Stärken und Schwächen. Die Schwäche des Fremdgehens ist auch den Göttern nicht fremd, und so ertappt der Gott Hephaistos seine Frau Aphrodite mit dem Kriegsgott in flagranti. Nach­

dem er die beiden mitten im Seitensprung fixiert hat, führt Hephaistos den anderen Göttern den lebenden Beweis für die Untreue seiner Frau vor. Die Kollegen scheinen bester Laune gewesen zu sein, denn sie bre­ chen angesichts der grotesken Situation in schallendes Gelächter aus. Lachten sie über die beiden peinlich

Berührten unter dem Netz oder über die Peinlichkeit für den Fallensteller? Jedenfalls heißt ein solches Gelächter seitdem „homerisch", weil es von Homer in der „Ilias“ geschildert wurde.

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Griechische Mythologie

Dionysische Gelage wilde Feste

E

s ist doch eigenartig, dass eine Droge jahrtausende­

lang eine so große Rolle gespielt hat Gemeint ist

der Alkohol, der in Form von Wein im griechischen

und mehr noch im römischen Altertum nicht nur Aus­

löser für gute Laune und Entspannung war, sondern auch Exzesse der Hemmungslosigkeit ausgelöst hat Die Antike hat ihm sogar eine eigene Gottheit zuge­

ordnet Dionysos, der auch Gott der Freude, der Fruchtbarkeit und der Ekstase war. Als Weingott war Dionysos meist von berauschten Wesen wie den Satyrn

umgeben, aber auch von Mänaden genannten Frauen, die, ebenfalls unter dem Einfluss von zu viel Wein, Orgien feierten, bei denen nicht nur gesungen und getanzt wurde, sondern wo auch die Zwischenmensch­ lichkeit nicht zu kurz kam. Seitdem werden aus dem Ruder laufende Gelage „dionysisch" genannt, jedenfalls

wenn es nicht nur Männer sind, die sich dem Trünke hingeben. Zur Ehrenrettung des Dionysos sei erwähnt, dass wir ihm das Theater verdanken, das ihm zu Ehren in Athen zum ersten Mal aufgeführt wurde.

„Ein Bacchus-Sohn sein" gerne Wein trinken

W

einköniginnen gibt es viele, es werden sogar Bierköniginnen und Milchköniginnen gekrönt - meist

Botschafterinnen ihrer Tourismusämter. In einigen rheinischen Gemeinden gibt es aber auch einen

„Bacchus", einen jungen Mann, der die jährlichen Winzerfestumzüge anführt. Bacchus ist die lateinische Form

eines Beinamens des griechischen Weingottes Dionysos, der konsequenterweise auch Gott des Rausches war. Wegen seines meist unüberhörbar lärmenden Gefolges wurde er „Bakchos", Rufer, genannt Bei seinem Kult kam es regelmäßig zu ekstatischen, „bacchantischen", Auswüchsen, die oft in Orgien der moralischen Zügel­

losigkeit ausarteten. Davon kann im Rheinland natürlich nicht gesprochen werden. Hier geht es um die jahr­ tausendealte Tradition des Weinbaus und der Trinkkultur. Bacchus wurde nämlich in der Nachantike zum harmlosen - Weinpatron, vergleichbar dem für das Bier zuständigen legendären König Gambrinus. Ein

Bacchus-Sohn ist dementsprechend ein Mensch, der dem Weingott huldigt, indem er dem Rebensaft zuspricht - meist an der von der Weinsäure geröteten Nase erkennbar.

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Griechische Mythologie

„In Hypnose versetzt werden veranlasst werden, in Trance zu fallen m Variete sieht man gelegentlich Künstler, die Zuschauer auf die Bühne holen und hypnotisieren. Ob es

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tatsächlich gelingt, und das auch noch in wenigen Sekunden, einen Menschen übergangslos in diesen

schlafähnlichen Zustand zu bringen, soll hier nicht geklärt werden. Sei's drum: Die Hypnose als Trance-ähnli­ cher Zustand hat ihren Namen nicht ganz zu Recht, denn der Namensgeber war der griechische Gott des

Schlafes. Dieser Hypnos, der Bruder des Todesgottes Thanatos, war für den echten Schlaf zuständig, der sich bekanntlich bei entsprechender Müdigkeit von selbst einstellt, während man in die nach ihm benannte Hypnose eigens

versetzt werden muss. Merkwürdigerweise ist nicht

Hypnos, sondern sein Sohn Morpheus, der Gott der Träume, in einer Redewendung

verewigt: Wenn man einschläft, begibt man sich in Morpheus' - und nicht in

Hypnos' - Arme. Das römische Pen­

dant zu Hypnos hieß übrigens Som­ nus und ist in unserem medizinischen

Begriff „Somnambulismus “ erhalten

geblieben, dem Schlafwandeln.

„In Morpheus7 Arme sinken einschlafen

orpheus ist ein weniger prominentes Mitglied des griechischen Götterhimmels. Er gehörte nicht zu den

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so genannten Olympiern, also den zwölf wichtigsten Göttern um Zeus und Hera. Trotzdem spielte er

eine wichtige Rolle im Leben jedes Menschen - und sogar, wie wir zum Beispiel von Homer wissen, im

Leben der anderen Götter. Morpheus war nämlich, als Sohn des Hypnos, des Gottes des Schlafes, zuständig

für die Träume. Wenn wir also „in Morpheus' Arme sinken“, begeben wir uns schlafend ins Traumland. Dort erschien der Gott früher selbst, je nach Traum in unterschiedlicher Gestalt Auch in der Antike war schon bekannt, welche Wirkung der Saft des Schlafmohns hat Deshalb wurde dessen Samenkapsel das Symbol des

Morpheus. Sein Name diente I 804 zur Benennung des erstmals isolierten Opiats Morphin, dass sein

Entdecker zunächst Morphium nannte, nach dem Gott der Träume.

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Griechische Mythologie

„Nike"-Schuhe tragen mit Turnschuhen eines amerikanischen Herstellers laufen

E

s gab Zeiten, in denen die internationalen Sportarenen ausschließlich von Leicht­ athleten und Fußballern in Trikots von zwei Herstellern, dem mit den drei Streifen

und dem mit einem springenden amerikanischen Silberlöwen, bevölkert wurden. Dass nur zwei Brüder aus Herzogenaurach den Sportartikelmarkt unter sich aufteilten,

konnte die Konkurrenz nicht ruhen lassen. 1972 brachte eine US-Firma eine Sport­

schuh-Kollektion heraus, für die sie einen geradezu programmatischen Namen fand: Nike. Nike ist der Name der griechischen Siegesgöttin, der der römischen Victoria

entspricht Es ist zu bezweifeln, dass die Nutzer dieser Marke den mythologischen Hintergrund dieses Namens kennen, zumal alle Welt ihn amerikanisch ausspricht: „Naiki", was kaum noch Assoziationen zum griechischen Original erlaubt Den erstaunlichen Erfolg der Marke verursachte auch das geschickte Sponsoring durch

prominente Sportler; Weltstars wie der Basketballer Michael Jordan, der Golfer Tiger

Woods und Fußballweltmeister Brasilien sorgten dafür, dass Nike 1989 weltweit füh­

render Sportartikelanbieter wurde.

„Der Arm der Nemesis" die einholende Gerechtigkeit

G

elegentlich kommt in der Literatur der Begriff der Nemesis vor. Damit ist die ausgleichende, vergeltende

Gerechtigkeit gemeint Dieser Name weist zurück auf die griechische Göttin des gerechten Zorns. Sie

geht in erster Linie gegen Menschen vor, die der Hybris, der Selbstüberhebung, anheim gefallen sind. In der

griechischen Tragödie werden meist die Hauptfiguren davon befallen, missachten göttliche Gesetze oder die der Sittlichkeit und müssen von der Göttin Nemesis bestraft werden. Weil Zorn leicht auch in Rachegelüste

umschlagen kann, wurde die Zuständigkeit der Nemesis auch in Richtung Rachegöttin erweitert In der Mythologie haben Götter oft Begleiter, die veiwandte Phänomene betreuen. So wie der Begleiter des Schlaf­ gottes Hypnos der Traumgott Morpheus ist, ist die Begleiterin der Nemesis die Göttin Aidos, zuständig für

das Schamgefühl. Nach Hesiod werden diese beiden die letzten Götter sein, die das verdorbene Menschen­ geschlecht des Eisernen Zeitalters verlassen werden.

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Griechische Mythologie

„Eine Gelegenheit beim Schopf fassen" einen günstigen Augenblick nutzen

W

öhl jeder hat schon einmal die Erkenntnis gewinnen müssen,

dass er eine gute Gelegenheit ungenutzt hat verstreichen lassen,

zum Beispiel eine schöne Frau - oder einen Mann - anzusprechen. Dieses menschliche Schicksal hat schon die alten Griechen so bewegt, dass sie der günstigen Gelegenheit eine eigene Gottheit

zugeordnet haben: Kairos. Auf ihn beziehungsweise seine Physiogno­

mie geht diese Redewendung zurück, denn den Gott des günstigen Augenblicks stellte man sich mit einem kahlen Hinterkopf und einem Haarschopf

an der Stirn vor. Von vorn konnte man ihn, den günstigen Zeitpunkt, an der Stirntol­

le gut festhalten; griff man aber nur etwas zu spät zu, war der Davonfliegende nicht mehr zu halten, denn die Hinterkopfglatze bot keinen Angriffspunkt Anders als Chronos, der Gott der Zeit, oder Tyche, die Göttin des Zufalls, spielte Kairos in der griechischen Mythologie keine

große Rolle, war aber wegen seiner von jedermann nachvollziehbaren Charakteristik populär. Heutige Psycho­ logen haben sich bei ihm bedient und nennen die Angst, Entscheidungen zu fällen, Kairophobie.

In „Harmonie" leben im Einklang miteinander sein ie Griechen hatten für fast jede Naturerscheinung, für jedes Gefühl und sogar für viele abstrakte Dinge

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wie Frieden, Streit oder Krieg eine Gottheit, die diese Begriffe verkörperte bzw. dafür zuständig war. So

gab es auch eine Göttin der Eintracht, die später von den Römern Concordia genannt wurde. Als Tochter

des Ares und der Aphrodite hatte Harmonia einen durchaus vornehmen Stammbaum. Nach dieser Göttin ist die Harmonie benannt, unter der man Übereinstimmung, Einklang, aber auch Ebenmaß versteht. In der Malerei bedeutet Harmonie laut Goethe, „wenn alle Farben nebeneinander im Gleichgewicht angebracht sind", und Musik wird als harmonisch empfunden, wenn ein Akkord mit den Obertönen des Grundtons erklingt Aber vor allem in den zwischenmenschlichen Beziehungen ist Harmonie wichtig: ein Gleichklang der Gedanken und Gefühle. Nicht zufällig werden oft Mannschaftssportvereine nach dem römischen Pendant

„Concordia" benannt

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Griechische Mythologie

„Hygiene walten lassen" auf Sauberkeit achten er Arzt Ignaz Semmelweis erkannte um die Mitte des I 9. Jahrhunderts, dass das weit verbreitete so

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genannte Kindbettfieber, eine schwere Infektionskrankheit frisch entbundener Mütter, auf mangelnde

Sauberkeit bei der Entbindung, aber auch in den Wöchnerinnenzimmern zurückzuführen war. Er regte deshalb

an, in diesem Bereich bis dahin unbekannte Hygienevorschriften einzuführen, was tatsächlich den gewünsch­ ten Erfolg brachte. Maßnahmen, die die Gesundheit fördern, bezeichnen wir heute noch als „hygienisch". Der

Begriff stammt aus dem Griechischen und ist von Hygieia, der griechischen Göttin der Gesundheit, abgelei­ tet Sie war in der Mythologie die Tochter des Asklepios, des Gottes der Heilkunst, und galt als Schutzpatro­ nin der Apotheker. Es ist kein Zufall, dass ihr Attribut, mit dem sie in der bildenden Kunst dargestellt wurde,

ein Füllhorn voller Früchte ist, gehört doch Obst zu den gesündesten Lebensmitteln überhaupt

„Den Äskulapstab tragen" Symbol der Heilkunst

s ist irritierend, dass ausgerechnet der Arzt und der Apotheker, also

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Heilberufe, eine Giftschlange im Wappen führen, die sich an einem

Stab empor windet Dieses Symbol geht zurück auf den griechischen

Heilgott Asklepios, Sohn des Apollon und der thessalischen Fürstentoch­ ter Koronis. Er wurde, nachdem Koronis ihren Geliebten Apollon zuguns­

ten eines Sterblichen hintergangen hatte und deshalb von Apollons

Schwester Artemis erschossen worden war, aus dem Leib der toten Mutter

geschnitten und von dem heilkundigen Kentauren Cheiron erzogen. Askle­ pios wurde ein so genialer Arzt, dass er sogar Tote zum Leben erwecken konnte. Dies brachte den Gott der Unterwelt in Rage. Er brachte Zeus dazu,

Asklepios mit einem Blitz zu erschlagen. Als er noch lebte, soll Asklepios stets eine Natter mit sich geführt haben, die sich um seinen Wan­

derstab ringelte; sie avancierte deshalb zum Symbol der Heilkunde, auch weil aus dem Fleisch von Giftschlangen Medizin hergestellt

werden konnte. Als im Jahre 291 v. Chr. in Rom eine Seuche aus­

brach, wurde der Asklepios-Kult nach Rom überführt; bei dieser Gelegenheit wurde der Name zu Aeskulapius latinisiert

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Griechische Mythologie

Einen „Phaeton" fahren einen Volkswagen der Oberklasse besitzen

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ls der VW-Konzern sich von seinem Image als Massenhersteller lösen wollte und im Jahr 2002 ein Oberklassemodell vorstell­

te, nannte man es „Phaeton", in Anlehnung an die großen Touren­

wagen der 20er- und 30er-Jahre. Kenntnis der griechischen Mytho­

logie hätte die Marketing-Abteilung vielleicht von dieser Bezeich­ nung abgehalten, denn der Gott gleichen Namens ist für seinen Leichtsinn und seine verhängnisvolle Selbstüberschätzung bekannt

geworden. Der Sonnengott Helios hatte sich unbedachterweise ver­

pflichtet, seinem Sohn Phaeton jeden Wunsch zu erfüllen. Dieser nutzte die Gunst der Stunde und verlangte, einen Tag den Sonnen­

wagen lenken zu dürfen. Der Sonnengott, angesichts dieser für Ungeübte nicht zu bewältigenden Aufgabe, bereute seine Zusage, musste sich aber an sein Versprechen halten. Wie nicht anders zu erwarten, konnte der Junge die vier im

wahrsten Sinne feurigen Rösser nicht bändigen, die Quadriga geriet außer Kontrolle und löste eine globale Katastrophe aus. Den Irrläufer konnte erst Zeus mit einem Blitz stoppen. Ein Auto nach diesem Geisterfahrer zu benennen, entbehrt nicht eines gewissen Sarkasmus.

„Einen Schwanengesang anstimmen" das Alterswerk veröffentlichen

er Schwan, ein wegen seiner schneeweißen Farbe und seiner graziösen Schwimmhaltung beliebter Groß­

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vogel, ist nicht gerade als Sänger bekannt Zwar haben Schwäne ein umfangreiches Stimmrepertoire, ihr

Ruf ist aber nicht besonders wohltönend, sondern klingt eher wie „kiorr" oder „tru-tru". Etwas eigenartig, da

vom Schwanen-„Gesang" eines greisen Künstlers zu sprechen, wenn er sein Alterswerk vorstellt - zum Bei­ spiel nannte der Verleger von Franz Schubert dessen posthum zusammengestellten letzten Liederzyklus „Schwanengesang". In der Antike gab es den Mythos, dass ein Schwan vor seinem Tode noch einmal mit

trauriger, aber wunderschöner Stimme ein allerletztes Lied singe. Dies geht zurück auf die Sage von Kyknos,

dem Freund des Phaeton, der den Tod des Abgestürzten beweinte. Die Götter verwandelten ihn aus Mitleid

in einen leuchtenden Schwan, der dann vor seinem Tod an gebrochenem Herzen ein unsagbar trauriges, aber ergreifend schönes Lied gesungen haben soll.

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Griechische Mythologie

Von der Muse geküsst werden künstlerisch inspiriert werden in Pferdekuss ist eine schmerzhafte Erfahrung. Sehr viel angenehmer ist da ein Musenkuss, allerdings auch

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sehr viel seltener. Die neun Musen waren allesamt Töchter des Zeus und Schutzgöttinnen der Künste.

Von welcher ein Mensch einen Kuss bekam, hing entscheidend von der Art seiner Kreativität ab. Klio küsste nämlich den Historiker, Melpomene den Tragödiendichter, Terpsichore den Chorlyriker und Tänzer. Von

Thalia erhoffte der Komödiendichter Inspiration, von Euterpe der Lyriker und Flötenspieler und von Erato der

Verfasser von Liebesgedichten. Urania war die Muse der Astronomie, Polyhymnia die des Gesangs und Kal­ liope die der epischen Dichtung, der Rhetorik, der Philosophie und der Wissenschaft Weil die Vertreter der Kleinkunst, vor allem die Kabarettisten, sich von keiner dieser in Zuständigkeitsbereichen organisierten alten

Musen vertreten fühlten, erfanden sie die Zehnte Muse, allerdings ohne ihr einen Namen zu geben.

„Ins Museum gehen" kulturelle oder technische Sammlungen besuchen

elcher Besucher eines „Museums" denkt dabei an die Musen, die Göttinnen der Künste, Kultur und

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Wissenschaften? Deren Heiligtümer hießen damals tatsächlich „Museion", und insofern ist ein Museum

eigentlich ein heiliger Ort Lange Zeit sahen Museen deshalb aus wie griechische Tempel, und in diesen hei­ ligen Hallen wurde früher geflüstert wie in einer Kirche. Die Vorläufer der heutigen Museen waren die Wun­

derkammern der Fürsten; wer einmal im Grünen Gewölbe in Dresden oder im Raritätenkabinett des hohenloheschen Schlosses Neuenstein war, hat dort Wunderwerke der Malerei, der Goldschmiedekunst und der

Elfenbeinschnitzerei bewundern können, an denen sich die Landesherren bereits vor Jahrhunderten ergötzt haben. Später wurde die Bezeichnung Museum auch auf Ausstellungsräume ausgedehnt, die nicht nur Kunst, sondern auch geschichtliche, technische oder kulturhistorische Sammlungen aufbewahren und zeigen.

Übrigens dürfte auch kaum jemand, der „Musik" macht, noch an die Musen denken Hauptsache, er ist von einer geküsst...

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Griechische Mythologie

Musik" machen ein Instrument spielen aum jemand, der Musik macht, dürfte noch daran denken, dass wir die Bezeich­

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nung seiner Kunst - setzen wir mal voraus, dass er von einer geküsst wurde

- den Musen verdanken. Eigentlich war keine der neun klassischen Musen direkt und ausschließlich für die Musik zuständig, denn gleich drei von ihnen hatten

musikalische Elemente in ihren Künsten: Terpsichore war die Muse der Chorlyrik

und des Tanzes, Euterpe die der Lyrik und des Flötenspiels und Polyhymnia die des Gesangs. „Musik" war also eigentlich die Kunst der Musen allgemein. Dass vor 50 Jahren noch ein Teil des musikalischen Schaffens, nämlich die so genannte U-Musik, als

„leichte Muse" bezeichnet wurde, hat nichts damit zu tun, dass die Göttin, die hierfür zuständig war, besonders frivol gewesen wäre. Vielmehr bezeichnet der Begriff den eher

unterhaltenden Sektor innerhalb der großen Bandbreite der Musik, der aber immerhin auch als „musisch" anerkannt wird - keine Selbstverständlichkeit angesichts des teilweise

sehr leichten, um nicht zu sagen seichten Inhalts...

„Ein Echo hören" wiederholten Nachhall wahrnehmen in Echo entsteht, wenn Reflexionen einer Schallwelle so stark verzögert sind, dass man diesen Schall als

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separates Hörereignis wahrnehmen kann. Das ist die physikalische Erklärung für ein jedermann bekann­

tes akustisches Phänomen, das dazu geführt hat, dass jeder den Bürgermeister einer niederrheinischen Stadt zu kennen glaubt („Wie heißt der Bürgermeister von Wesel? Esel!"). Aber warum heißt diese Schallreflexion

„Echo"? Eine Bergnymphe dieses Namens lenkte die Göttin Hera durch Plaudereien ab, damit deren Gatte Zeus seinen allzu männlichen Neigungen nachgehen konnte. Hera bestrafte Echo damit, dass sie ihr die

Sprache raubte; sie durfte nur noch die letzten Silben wiederholen, die ein anderer gesagt hatte. Als die unglückliche Echo sich in den schönen Narkissos verliebte, konnte sie sich ihm nicht verständlich machen.

Ihre Liebe blieb unerwidert, und so verkümmerte die Unglückliche, bis von ihr nur noch in Felsen verwandel­

te Knochen übrig waren - und ihre Stimme.

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Griechische Mythologie

„Eine erotische Ausstrahlung haben" mit Sinnlichkeit beeindrucken as kommt dabei heraus, wenn die Göttin der geschlechtlichen Liebe, Aphrodite, sich mit dem Gott des

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Krieges einlässt? Ihr Sprössling war Eros, der Gott der „begehrlichen Liebe", nach dem die Erotik ihren

Namen hat Dieser Begriff hat in der Umgangssprache eine andere Bedeutung als in der Psychologie oder Soziologie. Meist wird Erotik mit Sex gleichgesetzt, was es aber nicht trifft, denn, und damit hat sie ihren

Namen zu Recht, Erotik ist mehr als platte sexuelle Befriedigung. Der Gott Eros, bei den Römern Amor oder auch Cupido genannt, steht für die sinnliche Zuneigung, die reizvolle Anziehung zwischen sich Begeh­

renden. Er hat im religiösen Kult kaum eine Rolle gespielt, war aber, wohl wegen seines alle Menschen inte­ ressierenden Themas, eine der beliebtesten Gottheiten. Ursprünglich stellte man ihn sich als Jüngling vor;

erst später wurde er als puttenähnliches Kleinkind dargestellt, das mit Pfeil und Bogen Jagd auf Möchtegern­ Verliebte macht. Und weil die erotische Anziehung oft etwas Flüchtiges, Vergängliches hat, war Eros geflügelt Diese Flatterhaftigkeit dürfte auch dazu geführt haben, dass er nie in den Kreis der Olympischen

aufgenommen wurde.

„Die Äolsharfe spielen" eine dichterische Ader haben

iolos, lateinisch Äolus, war der Gott der Winde. Er spielte in der

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Mythologie keine wichtige Rolle, sondern war eine der Gottheiten,

die Naturerscheinungen wie Sturm, Regen oder Sonnenschein auslösen

konnten - und dafür verantwortlich gemacht wurden. Sein Job war es,

Winde wie Boreas, Euros, Zephyros und Notos wehen zu lassen. Als schon

in der Antike die Entdeckung gemacht wurde, dass der Wind Saiten zum Vibrieren und damit zum Klingen bringen kann, war ein seltsames Musik­

instrument geboren, das zum Spielen ganz ohne menschliches Zutun aus­ kommt Kein Wunder, dass man dieses Instrument, das entfernt an eine

Harfe erinnert, nach dem Windgott benannt hat. Wegen des sphärischen

Klanges wird die Äolsharfe als Sinnbild der Poesie angesehen. Bekannte Komponisten wie Bach und Beethoven, aber auch Dichter wie Mörike, Eichendorff und der invermeidbare Goethe haben der Windharfe in ihren

Werken ein Denkmal gesetzt.

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Griechische Mythologie

„In Panik geraten" plötzlich intensiv Furcht empfinden

elche Mutter würde nicht erschrecken, wenn ihr Neugeborenes Ziegenfüße, Hörner und einen Bart hätte?

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So erging es der Nymphe Dryops. Sie setzte die Missgeburt aus, aber Vater Hermes sorgte dafür, dass

der Kleine später der Gott des Waldes, der Natur und der Hirten wurde. Diese hatten aber auch unter ihm zu leiden, denn es konnte geschehen, dass er, der eigentlich Musik, Tanz und Frohsinn nicht abgeneigt war, sich

in seiner Mittagsruhe gestört fühlte und dann die Herde erschreckte, so dass sie in „panischem Schrecken" flüchtete. „In Panik geraten" und „panische Angst haben" sind Redewendungen, die auf diesen griechischen

Gott zurückgehen. Das Wort „Panik" für eine plötzlich und oft grundlos auftretende Furcht kam erst im I 9. Jahrhundert über das Französische ins Deutsche. Im Mittelalter wurde Pan mit seinen Hörnern und dem Zie­

genbart übrigens zum Vorbild für das christliche Bild vom Teufel, wozu sicher auch sein Bocks-Image als Lüstling beigetragen hat, das die körper- und sexualfeindliche Kirche dem Satan zuschrieb.

„Die Panflöte spielen" auf einem Hirteninstrument musizieren

inige Musikinstrumente haben eine uralte Geschichte, vor allem

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Flöten. Jeder Hohlraum, in dem eine Luftsäule zum Schwingen

gebracht werden kann, kann Töne hervorbringen. So sind auch hohle Pflanzenteile

schon früh als Rohmaterial für Blasinstrumente verwendet worden. Die Erfin­

dung der Panflöte, deren Polyphonie ja nicht auf Grifflöchern beruht, son­ dern auf mehreren nebeneinander angeordneten, unterschiedlich langen

Rohrstücken, wird der griechischen Naturgottheit Pan zugeschrieben. Die Sage erzählt, dass Pan wieder einmal liebestoll eine Nymphe verfolgt habe,

die, keinen Ausweg mehr sehend, sich in ihrer Not in ein Schilfrohr ver­ wandelte. Der enttäuschte Pan hörte klagende Töne, als der Wind über

das Rohr blies. Der Hirtengott brach das Rohr in sieben unterschiedlich

lange Teile, aus denen er die Tonleiter hervorbrachte, indem er sie

nebeneinander hielt und hinein blies.

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Griechische Mythologie

Das ist eine Binsenweisheit Das ist allgemein bekannt.

anchmal gehen Redewendungen auf relativ unbekannte Quellen zurück.

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Diese bezieht sich auf eine Sage um den König Midas, der legendär

wurde wegen seines Wunsches, alles, was er berühre, solle zu Gold werden, so dass er beinahe verhungert wäre, wenn ihn nicht ein mit­

leidiger Gott von diesem Fluch befreit hätte. Eben dieser Midas mischte sich in einen Wettstreit zwischen den Göttern Apollon und Pan ein, wer sein Instrument, Leier oder Flöte, besser spiele. Daraufhin

ließ der unterlegene Apollon dem Juror Midas Eselsohren wachsen -

Schiedsrichter waren schon damals beim Verlierer unbeliebt Die Ohren verbarg Midas unter einem Turban, nur sein Friseur wusste natürlich davon, unter dem Siegel der Verschwiegenheit Wie die meisten Menschen konnte

auch er ein Geheimnis nicht für sich behalten; als er es nicht mehr aushielt, grub

er ein Loch und flüsterte die pikante Wahrheit dort hinein. Später wuchsen an dieser Stelle Binsen, die sich mit dem Wind das Geheimnis zuraunten - es war zur „Binsen­ weisheit" geworden, also zur zwar als interessant vorgetragenen, aber schon

allgemein bekannten Information ohne weiteren Wert

Apollon

„Ein weißer Rabe" ein Individualist; eine große Seltenheit

ach der griechischen Mythologie haben die Raben ihre typische Farbe nicht schon immer gehabt, son­

N

dern waren ursprünglich weiß. Erst ein Zwischenfall, bei dem der Gott Apollon von seiner menschli­

chen Geliebten Koronis mit einem Sterblichen betrogen wurde, während sie mit Apollons Kind, dem

späteren Heilgott Asklepios, schwanger war, soll dazu beigetragen haben, dass wir zu der sprichwörtlichen Rabenfarbe gekommen sind. Apollon hatte nämlich seiner Koronis nicht über den Weg getraut und Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser - einen Raben abkommandiert, der sie bewachen sollte. Dieser verpetz­

te zwar die Untreue prompt, aber Apollon regte sich so darüber auf, dass der Rabe seiner Entlaufenen nicht die Augen ausgehackt hatte, dass er ihn zur Strafe schwarz werden ließ. Wie die Geschichte ausging?

Apollons Schwester Artemis erschoss Koronis zur Strafe mit dem Bogen, und Hermes operierte das

ungeborene Kind aus dem Leib der toten Mutter und rettete so Asklepios.

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Griechische Mythologie

„Eine Nymphe sein" von schlanker, mädchenhafter Gestalt

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n den 70er-Jahren erregten romantische Fotos des britischen Fotografen David Hamilton Aufsehen, der dem Mädchenalter kaum entwachsene, schlanke weibliche Wesen ablichtete, die in den Rezensio­

nen zutreffend mit dem Wort „Nymphe", einem Begriff aus der griechischen Mythologie, beschrieben wurden. Eine Nymphe war ein Naturgeist, eine weibliche Gottheit niederen Ranges, die meist als Personifikation einer Naturform, beispielsweise einer Quelle, vorkam. Im Gegensatz zu echten Göttern waren Nymphen sterblich

- wenn die Quelle versiegte, starb auch ihre Nymphe. Die traditionelle Darstellung der Nymphen als sehr sparsam bekleidete Mädchengestalten spielt bis heute eine Rolle. Dass dabei die Grenze zum Frivolen biswei­

len überschritten wurde, ist ihrem Hang zur sexuellen Freizügigkeit geschuldet, was sowohl Vladimir Nabokov

in seinem Roman „Lolita" die Protagonistin als „Nymphchen“ bezeichnen ließ als auch den inzwischen nicht mehr so gebräuchlichen Ausdruck Nymphomanie für eine übermäßige weibliche Libido hervorgebracht hat

Der Erdteil „Europa" das Abendland

unächst muss hier ein Missverständnis ausgeräumt werden. Zeus näherte sich seinen zahlreichen - oder besser zahllosen - Liebschaften wegen

seiner eifersüchtigen Gattin Hera zwar oft in Gestalt von Tieren wie Stier, Schwan, Adler, Kuckuck (!) oder Schlange, von sodomitischen Praktiken kann aber wohl keine Rede sein, er verwandelte sich meist rechtzeitig

in menschliche Gestalt Dies war auch bei der legendären Entführung

der phönizischen Königstochter Europa so, die von ihm in Gestalt

eines schönen weißen Stieres übers Meer nach Kreta entführt wurde. Diese Szene der nackt auf dem Stierrücken sitzenden Europa wird noch

heute, mehr oder weniger abstrahiert, als Symbol für unseren Erdteil ver­ wendet Dem griechischen Historiker und Geographen Herodot verdanken

wir es, dass die Landmasse nördlich des Mittelmeeres im 5. Jahrhundert v. Chr. nach der von Zeus Entführten benannt wurde. Das eurozentrische Weltbild hatte bis dahin zwar die fremden

Erdteile Afrika und Asia gekannt, den eigenen Kontinent aber nicht als solchen identifiziert

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Griechische Mythologie

„Mit Argusaugen beobachten" misstrauisch bewachen

ekanntlich war der Göttervater Zeus nicht gerade ein Göttergatte. Eine seiner Geliebten war eine

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Dame namens Io, die aber von Gattin Hera in eine Kuh verwandelt wurde. Das allein wäre für Zeus,

der ja bekanntlich Europa, eine seiner anderen Liebschaften, in Gestalt eines Stieres entführte, kein Hinde­ rungsgrund gewesen. Deshalb beauftragte Hera einen mit hundert Augen körperlich ungewöhnlich ausgestat­

teten Riesen namens Argos (lateinisch Argus) damit, die Kuh Io zu bewachen. Argos war der ideale Schicht­ arbeiter, weil er bei Müdigkeit immer nur eine Hälfte seiner vielen Augen schließen musste. So konnte er

Io im wahrsten Sinne des Wortes immer im Auge behalten. Zeus scheint aber ein besonderes Auge auf Io geworfen zu haben, was dazu führte, dass er den Riesen mit allen seinen Augen durch Hermes erst ein­ schläfern und dann töten ließ. Hera konnte nichts für Argos tun, außer dass sie seine hundert Augen in das

Rad des Pfaus versetzte. Wenn man heute jemanden mit Argusaugen beobachtet, dann glaubt man, Anlass zum Misstrauen zu haben.

An der „Herakles-Krankheit" leiden epileptische Anfälle bekommen

n Zeiten, in denen die Medizin noch nicht einmal in den Kinderschuhen

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steckte, sondern Krankheiten manchmal auf den Fluch eines Gottes zurückge­

führt wurden, konnte man sich besonders rätselhafte Erkrankungen wie Migräne oder Wahnsinn nicht erklären. Auch die Epilepsie galt in der Antike als morbus

sacer - „heilige Krankheit". Zur Zeit Heraklits und Herodots suchte man die Gründe für die Anfälle in göttlichem Wirken. So wurde die Epilepsie seit der

Antike auch Herakles-Krankheit genannt Dies ist auf den Umstand zurückzufüh­

ren, dass der Halbgott Herakles, der in einem Anfall von Wahnsinn seine Frau und seine drei Söhne erschlagen hatte, angeblich Epileptiker gewesen sein soll.

Und hier kommt die „heilige Krankheit" wieder ins Spiel, denn bekanntlich war Herakles' alte Feindin, die Göttin Hera, diejenige, die den Helden mit Wahnsinn geschlagen hatte. Der Arzt Hippokrates von Kos allerdings wandte sich dagegen, die Epilepsie als übernatürlich anzusehen; er sah

bereits das Gehirn als Ursprungsort an.

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Griechische Mythologie

Die Milchstraße beobachten unser Sternensystem erforschen

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n der Astronomie benutzen wir, ohne über die merkwürdige Formulierung nachzudenken, für unser heimi­ sches Sternensystem das Wort „Milchstraße“ oder „Galaxis", was auch nichts anderes bedeutet Wie also

kommt die Milch an den Himmel? Bereits in anderen Zusammenhängen ist uns die hohe Seitensprungfre­

quenz von Göttervater Zeus begegnet; Herakles war eines der Erzeugnisse. Weil seine Mutter Alkmene den

Zorn der betrogenen Zeusgattin Hera kannte, fürchtete sie sich, ihren Sohn zu stillen; Athene brachte den

Zeussprössling daraufhin Hera als Findelkind. Etwas eigenartig, dass dann Hera, mitleidig, wie selbst Göttin­ nen angesichts eines Säuglings offenbar sind, den fremden Knaben an die göttliche Brust legte und stillte.

Der kleine Halbgott aber hatte schon nicht nur göttliche Kraft, sondern auch ebensolchen Durst und sog so heftig, dass Hera vor Schmerz den Kleinen wegstieß, wobei ihre Muttermilch über den Himmel spritzte. Die

wohl von einer Göttin zu erwartende Menge Milch bildete dort die gleichnamige Straße. Herakles aber ver­

half der Mundvoll Göttinnenmilch, seine übernatürliche Stärke noch zu steigern.

„Mit einer Hydra kämpfen" mit der Lösung eines Problems neuen Schwierigkeiten gegenü'berstehen anchmal sieht man sich einer Frage gegenüber, aus der, kaum beantwortet, zwei neue entstehen. In

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eine mit unseren heutigen schwierigen Problemen natürlich nicht vergleichbare Lage geriet der antike

Held Herakles, als er die Schlange Hydra erlegen sollte, eine seiner von dem König Eurytheus aufgetragenen

zwölf Aufgaben. Mit dieser Schlange hatte es die Bewandtnis, dass sie nicht nur von überdimensionaler Größe war, sondern auch mehrere Köpfe hatte - ein unter antiken Fabelwesen weit verbreitetes Phäno­

men. Von den Köpfen anderer netter Tierchen unterschieden sich

jedoch die neun Häupter der Hydra, weil jedes doppelt nachwuchs,

wenn es abgeschlagen wurde. Herakles hatte seine liebe Not mit die­ sem Nachwuchs, bis er auf die Idee kam, den jeweiligen Halsstumpf

auszubrennen, so dass nichts sprießen und das Ungeheuer nicht immer gefährlicher werden konnte. Der neunte Kopf war sogar

unsterblich; erst als der Held auch diesen abgeschlagen hatte, war

die Hydra am Ende.

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Griechische Mythologie

„Der atlantische Ozean" das Meer westlich von Europa

er Halswirbel Atlas und die „Atlanten", tragende Elemente in der

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Architektur, haben ihren Namen nach dem Titanen Atlas. Der

wurde nach der Niederlage der Titanen gegen Zeus verurteilt, den Gott Uranos, das personifizierte Himmelsgewölbe, in die Höhe zu stemmen, und zwar am westlichsten Punkt der Erdscheibe am Ufer des nach ihm benannten Atlantik; die verbreitete Darstellung des

eine Erdkugel tragenden Titanen ist also nicht korrekt. Besonders

populär wurde Atlas, weil er eine für ihn unerfreuliche Begegnung mit Herakles hatte, als dieser im Rahmen seiner zwölf Aufgaben die goldenen Äpfel der Hesperiden holen sollte. Nachdem sich Atlas

bereit erklärt hatte, die Apfel zu ernten, während Herakles das Him­ melsgewölbe trage, bedurfte es einer List, damit der Halbgott die Last

wieder loswurde, denn Atlas fühlte sich ohne das Gewicht deutlich entlastet. Herakles akzeptierte zum

Schein den Rollenwechsel, bat aber darum, sich ein Schuiterpolster anlegen zu dürfen. Atlas fiel auf diesen Trick herein und übernahm wieder, woraufhin Herakles sich erleichtert entfernte.

„Atlantis" - untergegangene Insel Sagenumwobener verschwundener Erdteil uch wenn sie sich sehr ähnlich anhören, haben Atlantik, Atlantis und der Atlas überraschender­

weise nichts miteinander zu tun. Der Name für die noch heute sagenumwobene Insel steht nämlich mit dem Titanen Atlas nur sehr indirekt in Verbindung. Das Eiland ist zwar ebenfalls nach einem Mann namens Atlas benannt, dem ersten König von Atlantis. Dieser aber, ein Sohn des Poseidon, wurde von sei­ nem Vater nach dem die Insel umgebenden Meer, dem Meer des Titanen Atlas, benannt Die Insel bewohnte

ein hochmütiger Menschenschlag, woraufhin die Götter sie im Meer versinken ließen, was Generationen lustvoll über den geographischen Ort der Ex-Insel spekulieren ließ. Unser Begriff „Atlas" für eine Sammlung

von Landkarten hat erstaunlicherweise nichts mit der Mythologie zu tun. Er wurde durch Gerhard Mercator im I 6. Jahrhundert eingeführt, der sein kartografisches Werk „Atlas sive Cosmographicae Meditationes de

Fabrica Mundi et Fabricati Figura" nannte, und zwar nach einem weisen König von Mauretanien.

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Griechische Mythologie

„Einen Augiasstall ausmisten" gründlich aufräumen erakles war einer der stärksten Männer der Sagenwelt - kein Wunder bei

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einem Vater Zeus! Der Held schlug sich mit zahllosen Ungeheuern, Riesen

und wilden Bestien herum. Bei einigen seiner Wundertaten aber hätte ihm

auch seine übermenschliche Stärke nicht geholfen; zum Beispiel bei der

Aufgabe, innerhalb eines Tages den Rinderstall des Königs Augias auszumisten. Das war eigentlich unter der Würde eines Halbgottes, zumal die Ställe - genauer

gesagt handelte es sich bei einem Bestand von 3000 Tieren nach heutigen Maßstäben um eine Massentierhaltung - seit 30 Jahren nicht mehr gereinigt

worden waren. Da war es gut, dass Herakles nicht ein tumber Kraftprotz war,

sondern auch innovative Ideen hatte. Er leitete kurzerhand zwei Flüsse durch

den Stall um, so dass deren Fluten die Arbeit erledigten - Wasserspülung

sozusagen. Die Redewendung hat sich bis heute erhalten als Umschreibung

dafür, politisch korrupte oder sonstwie ungeordnete Verhältnisse rigoros zu beseitigen beziehungsweise gründlich aufzuräumen. Herakles

„Halbgötter in Weiß - und Schwarz" arrogante Ärite - und Richter

iese Redewendung nimmt Bezug auf eine Spezies von antiken Wesen, die von einem Gott oder einer

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Göttin abstammten, die sich mit einem Sterblichen - oder einer Sterblichen, wie es häufiger vorkam -

eingelassen hatten. Herakles ist das berühmteste Beispiel, daneben gab es noch eine Reihe weiterer Halbgöt­

ter, denn die Götter standen einer Fraternisierung mit den Menschen nicht allzu ablehnend gegenüber. Halb­ götter hatten selbstverständlich viele göttliche Eigenschaften, die sie weit aus der Masse der Normalsterb­

lichen hervorhoben; eine allerdings nicht: sie waren auch normal sterblich. Heute - die Redewendung ist

noch nicht sehr alt - gibt es im Sprachgebrauch zwei Sorten von Halbgöttern (oder besser solchen, die sich dafür halten): die in Weiß und die in Schwarz. Sowohl Ärzten als auch Richtern wurde früher quasi-göttliche Macht nachgesagt, denn sie entschieden oft über Leben und Tod. Leider steigt einigen auch heute noch gelegentlich ihre Bedeutung zu Kopf, so dass sie meinen, allem Irdischen entrückt zu sein. Der Makel der

antiken Kollegen aber haftet auch ihnen an: Sie sind nicht unsterblich.

Griechische Mythologie

„Eine Achillesferse haben" die schwache Stelle eines sonst tüchtigen Menschen

er griechische Superheld Achilleus ist heute unter der lateinischen

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Namensform Achilles bekannt Er war der Sohn einer Meernymphe

und eines thessalischen Königs, der natürlich als Mensch sterblich

war. Um nun das vom Vater geerbte Risiko der Sterblichkeit zu minimieren, versuchte seine Mutter, ihn wenigstens unverwund­

bar zu machen. Zu diesem Zweck tauchte sie den Neugebore­ nen in den Unterweltfluss Styx. Die rechte Ferse, wo ihn seine

Mutter festhalten musste, wurde nicht vom Wasser benetzt und blieb verletzlich, was ihm zum Verhängnis wurde. Achilleus, der

glanzvollste Held vor Troja und aufgrund seiner Fast-Unverwund­

barkeit stets im heftigsten Kampfgetümmel zu finden, wurde kurz

vor Ende des Trojanischen Krieges ausgerechnet von Paris, dem Urheber des Ganzen, mit einem Pfeil an der Ferse getroffen. Mal davon abgesehen, ob ein Pfeiltreffer an der Ferse einen gesunden Mann umbringen

kann, wird heute noch eine im übertragenen Sinne verwundbare Stelle eines Menschen oder einer Strategie

„Achillesferse" genannt.

„Eine Amazone sein" ais Frau männliche Tätigkeiten ausüben

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bwohl es weit mehr Mädchen gibt, die Reiten lernen, sind Frauen beim Leistungssport auf Pferden in der Minderheit und werden häufig als Amazonen bezeichnet, weil sie einen angeblich männli­

chen Sport treiben. Der Begriff geht zurück auf ein sagenhaftes männerloses Volk in Kleinasien. Schon antike

Autoren rätselten, wie es zuging, dass diese Frauengesellschaft nicht ausstarb - Männer waren also auch bei ihnen zumindest in einem ganz bestimmten Moment unverzichtbar. Homer schildert die Amazonen als Krie­

gerinnen, die auch Männern Paroli bieten konnten. Das von späteren Schriftstellern kolportierte Klischee, die

Amazonen hätten ihre rechte Brust amputiert, um nicht beim Bogenschießen behindert zu werden, dürfte allerdings auf männliche Fantasie zurückzuführen sein. Nicht den Amazonen, sondern dem Amazonas hat

ein bekannter Internet-Händler den Namen entliehen, weil er zu gern die Größe und Verzweigtheit des Stro­

mes erreichen möchte. Der Name dieses Flusses wiederum geht wohl auf das indianische Wort für die in sei­ nem Unterlauf zu beobachtenden Gezeitenwellen zurück.

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Griechische Mythologie

„Wie Orpheus singen können" eine unwiderstehliche Stimme haben

ines der frühen Lieder des Chansonniers Reinhard Mey

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trägt den Titel „Ich wollte wie Orpheus singen“ und

nimmt Bezug auf den berühmtesten mythischen Sänger,

einen Sohn des Gottes Apollon und der Muse Kalliope. Er

soll mit seinem Gesang Menschen, Tiere und sogar Steine zu Tränen gerührt haben. Legendär wurde er wegen eines gewagten Unternehmens, das mit dem Tod seiner gelieb­

ten Frau, der Nymphe Eurydike, zusammenhing. Der untröstliche Orpheus schaffte es, selbst Hades, den Herrn der Unterwelt, mit seinem Gesang zu rühren, der ihm die

Erlaubnis gab, die Tote wieder mit hinauf ans Tageslicht zu nehmen. Die verhängnisvolle Bedingung war allerdings, dass sich Orpheus auf ihrem Weg zurück zur Erd­

oberfläche nicht nach seiner Frau umdrehen dürfe. Irritiert dadurch, dass er die Schritte des Schattens nicht

hörte, sah er sich um - und Eurydike verschwand endgültig im Hades. Diese tragische Geschichte wurde

natürlich für das Theater und die Oper bearbeitet; etwas merkwürdig, dass sie Jacques Offenbach auch als Vorlage für eine lustige Operette namens „Orpheus in der Unterwelt" diente, einer Persiflage auf das Kaiser­ reich Napoleons III.

„Einen Ödipus-Komplex haben" eine übersteigerte Vater- bzw. Mutterbindung empfinden

K

ein Komplex ist so berühmt wie der Ödipus-Komplex. Der berühmte Psychoanalytiker Siegmund Freud benannte das Problem, wenn - sehr vereinfacht ausgedrückt - Kinder sich auch als Erwachsene nicht

davon lösen können, ihren jeweils andersgeschlechtlichen Elternteil mehr zu lieben als den anderen, nach

der Hauptperson eines griechischen Mythos. Oidipos war der Sohn des Königs von Theben, dem von einem

Orakel geweissagt worden war, dass ihn sein eigener Sohn einst töten und seine Mutter heiraten werde.

Obwohl seine Eltern versuchten, dies zu verhindern, kam es tatsächlich nach einigen Jahren durch ein Missverständnis und in Unkenntnis der wahren Zusammenhänge zu diesem Mord und zur Eheschließung des

Sohnes mit der Mutter. Die schicksalhafte Verstrickung des tragischen Helden hat geradezu katastrophale Ausmaße, weshalb auch die Tragödie „König Ödipus" von Sophokles zu den typischsten Beispielen

dieses Genres zählt

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Griechische Mythologie

Argonauten der Neuzeit kühne Seefahrer riechische Helden hatten offenbar das Schicksal, ständig

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unlösbar scheinende Aufgaben gestellt zu bekommen, meist von missgünstigen Zeitgenossen, die auf diese Weise versuchten, sie loszuwerden. Auch Jason, der

Neffe eines thessalischen Königs, wurde von diesem

beauftragt, ihm das Goldene Vlies eines schon damals sagenhaften Widders zu holen. Da sich dieses Fell in Kolchis, einer weit entfernten Landschaft zwischen

Schwarzem Meer und Kaukasus, befand, ließ sich Jason das schnellste Schiff seiner Zeit bauen, einen Fünfzig­ ruderer namens Argo. Nach diesem Schiff wurde die Mannschaft, zu der er die fünfzig tapfersten Helden der

Vor-Troja-Generation einlud, „Argonauten“ genannt Zu ihnen gehörten Herakles, Kastor und Polydeukes, Laertes, der Vater des Odysseus, der Sänger Orpheus und Theseus. Bei einer solchen Besatzung ist es nicht

verwunderlich, dass ihnen der Raub des Goldfells gelang, ganz abgesehen von den Abenteuern, die es auf der Reise zu bestehen galt Gelegentlich werden noch heute mutige und entdeckungsfreudige Bezwinger der

Meere Argonauten genannt

„Der Orden vom Goldenen Vlies" berühmter Ritterorden anchmal kann man auf Gemälden, die einen Fürsten mit einer goldenen Kette um den Hals zeigen, an

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deren Ende ein merkwürdiges Anhängsel erkennen: ein ebenfalls goldenes, in der Mitte zusammenge­

bundenes Fellbündel. Dieses ungewöhnliche Schmuckstück ist in seiner Bedeutung kaum zu überschätzen,

handelt es sich doch um eine Miniaturnachbildung des Goldenen Vlieses. Warum aber hängt sich ein Fürst

ein Schafsfell um den Hals? Dieses Vlies war in der griechischen Mythologie das Fell eines wundertätigen goldenen Widders, das in Kolchis am Schwarzen Meer von einem Drachen bewacht wurde, was es aber nicht

davor bewahrte, später von den Argonauten geraubt zu werden. Die Sage vom goldenen Fell hat ihren Ursprung wahrscheinlich darin, dass im goldreichen Kolchis, dem heutigen Georgien, Schafsfelle dazu

benutzt wurden, Goldstaub aus den Flüssen zu filtern. 1430 gründete Philipp der Gute, Herzog von Bur­ gund, einen vornehmen Ritterorden, den er nach dem mythischen Widderfell benannte, weil er einen Kreuz­

zug plante, den er nach dem Vorbild der tapferen Argonauten durchführen wollte.

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Griechische Mythologie

„Ein Adonis sein" ein Mann von perfekter Schönheit

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enn ein außergewöhnlich attraktiver Mann halb bewundernd, halb aber auch ironisch Adonis genannt wird, geht dies auf einen aus der Beziehung zwischen Kinyras, dem König von Zypern,

und seiner Tochter Myrrha hervorgegangenen Jüngling zurück Myrrha hatte, unter einem Fluch stehend, ihren Vater verführt, der daraufhin sehr wütend geworden war; zum Schutz verwandelte Aphrodite sie in

einen Myrrhenbaum. Dagegen geriet ihr Sohn Adonis wegen seiner berückenden Schönheit in Schwierigkei­

ten, weil sich die beiden Göttinnen Aphrodite und Persephone um ihn stritten. Zeus ordnete an, dass er

jeweils ein Drittel seiner Zeit bei der einen und bei der anderen verbringen solle, während die beiden ihn

das restliche Drittel in Ruhe lassen sollten. Adonis wurde dann von einem von dem eifersüchtigen Gott Ares, einem anderen Liebhaber der Liebesgöttin, geschickten Eber getötet und später zum Gott der

Schönheit erhoben.

Sich narzisstisch verhalten in die eigene Person verliebt sein er Ursprung dieses Begriffs liegt in der Sage von Narkissos, den die

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Römer, die ja viele Gestalten der griechischen Mythologie übernah­

men, später in Narcissus latinisierten. Dieser offenbar sehr ansehnliche junge Mann wurde von seinen gleichaltrigen Zeitgenossen, und zwar bei­ derlei Geschlechts, heftig umworben, war aber so eingebildet, dass er alle

Annäherungsversuche, darunter auch die der unglücklichen Nymphe Echo, zurückwies. Weil er von einem besonders herzlos brüskierten Verehrer ver­ wünscht wurde, strafte ihn die Göttin Nemesis mit dem Fluch der unstill­ baren Selbstliebe. Kein Wunder, dass er sich daraufhin sogar in sein eige­ nes Spiegelbild in einer Wasserfläche verliebte. Weil er die Hoffnungslosig­

keit seiner Sehnsucht erkannte, erdolchte er sich. Aus seinen Blutstropfen soll eine Blume entsprossen sein, die nach ihm benannte Narzisse. Die

psychische Fehlentwicklung der krankhaften Eigenliebe wurde ebenfalls nach dem armen Narkissos benannt; auch weniger pathologische Anwandlungen von zu selbstbewusstem Auftreten werden in der Alltagssprache gern als „narzisstisch" bezeichnet.

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Griechische Mythologie

Einen Ariadnefaden benutzen einen Leitfaden haben

an spricht gern davon, dass eine Konzeption oder eine Strategie einen

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„roten Faden" hat, dem sie folgt Dieser Leitfaden wurde früher filum

Ariadnes genannt, „Faden der Ariadne“. Ariadne war die Tochter des kreti­

schen Königs Minos und seiner Gattin Pasiphae. Diese hatte eigentümliche & Vorlieben, weshalb sie nicht nur der Ariadne, sondern nach einer Liaison mit einem Stier auch einem brutalen Zwitter das Leben schenkte, dem

Minotauros, halb Mensch und halb Rindvieh. Dem athenischen Helden The­ seus half die in ihn verliebte Königstochter, übrigens nach einem Rat des

Daidalos, mit Hilfe des legendären Ariadne-Fadens wieder aus dem Laby­ rinth herauszufinden, nachdem er das Ungeheuer erschlagen hatte. Theseus

hatte ernsthaft vor und auch versprochen, Ariadne zum Lohn zu heiraten, ließ sie aber auf der Heimfahrt nach Athen auf der Insel Naxos sitzen, wo sie dann schlafend von dem Gott Dionysos gefunden und später

geehelicht wurde. Aber das ist eine andere Geschichte.

„Den Faden verlieren" vergessen, was man sagen wollte

s kann selbst versierten Rednern passieren, dass sie „den Faden verlieren", also eine Argumentation nicht

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zu Ende führen können. Diese Redewendung stammt nicht aus der Webersprache, sondern hat mythische

Wurzeln. In der Zeit vor dem Trojanischen Krieg wurde die Stadt Athen wegen einer Blutschuld von dem kre­ tischen König Minos gezwungen, ihm alle neun Jahre sieben Jungfrauen und sieben Jünglinge als Menschen­ opfer für ein Ungeheuer zu schicken, das er in dem von dem genialen Konstrukteur Daidalos gebauten Laby­

rinth hielt. Dieser so genannte Minotauros war halb Mensch, halb Stier. Der athenische Königssohn Theseus

ließ sich als eines der Opfer nach Kreta bringen und tötete das Ungeheuer. Allein hätte er aus dem Laby­ rinth nicht wieder hinausgefunden, wenn nicht Ariadne, die Tochter des Minos, ihm ein Wollknäuel mitgege­

ben hätte, das er am Eingang festband, abwickelte und nach vollbrachter Tat als Wegweiser benutzte. Auch

heute noch versucht man bei der Erforschung von unbekannten Höhlen, „den Faden nicht zu verlieren".

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Griechische Mythologie

„Sich in einem Labyrinth verirren" nicht wieder aus einer verzwickten Lage herausfinden icht nur die oft in historischen Parkanlagen zu findenden Irrgärten, sondern auch verwirrende Situatio­

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nen oder Gedanken werden als Labyrinth empfunden, als scheinbar ausweglos und deshalb beängsti­

gend. Dieses Wort geht zurück auf ein Bauwerk des sagenhaften griechischen Erfinders, Bildhauers und Bau­ meisters Daidalos, eines Daniel Düsentrieb der Antike; ihm bzw. seiner Werkstatt werden die Erfindung solch epochaler Dinge wie Säge, Bohrer und Klebstoff nachgesagt Im Auftrag des Königs Minos von Kreta erbaute

er ein kompliziertes Gebäude, das der sicheren Aufbewahrung eines Ungeheuers namens Minotaurus dienen sollte. Dieses Labyrinth war so verzwickt, dass selbst sein Erbauer beinahe den Ausgang nicht mehr

gefunden hätte. Das Monster war darin sicher eingesperrt, bis es der Held Theseus fand und erschlug. Der benutzte, um wieder aus dem Bau hinauszufinden, den legendären Faden der Ariadne. Die minoischen Rui­ nen des weit verzweigten Palastes von Knossos könnten die Sage vom Labyrinth ausgelöst haben.

Wie Ikarus abstürzen übertriebenen Wagemut büßen müssen

s gibt Menschen, die sich umso mehr zutrauen, je weniger schief geht, bis über die Grenzen ihrer Fähig­

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keiten hinaus. Ein Prototyp dieser Spezies und darum Namensgeber der Redewendung war Ikaros, der

Sohn des genialen Erfinders Daidalos (die Römer latinisierten später beide Namen). Die beiden waren die ersten Menschen, die geflogen sind. Sich den Lüften anzuvertrauen, geschah

nicht aus übermütiger Lust an der Luftfahrt, sondern aus der Not heraus. Dai­

dalos nämlich wurde vom kretischen König Minos gefangen gehalten, weil er Ariadne den Tipp mit dem Faden gegeben hatte, der Theseus aus dem Laby­ rinth verhalf. Der einzige Fluchtweg war die Luft, und so konstruierte Daidalos aus einem Gestänge, Wachs und Federn Flügel. Er ermahnte seinen Sohn,

weder zu hoch noch zu tief zu fliegen, um nicht mit der Sonne oder dem

Wasser des Meeres in Berührung zu kommen. Doch das berauschende Erleb­ nis, wie ein Vogel zu fliegen, verleitete Ikarus, höher und höher zu steigen. Er

kam der Sonne zu nahe, das Wachs schmolz, und die Flügel verloren ihren

Zusammenhalt Der erste Flug endete mit dem ersten Absturz.

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Griechische Mythologie

Das ist der Zankapfel der Gegenstand eines Streites

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arum sollte man sich um einen Apfel, das wohl am weitesten verbrei­ tete Obst Europas, streiten? Nun, es handelte sich hier um keinen

gewöhnlichen Apfel, und die Streitenden waren keine gewöhnlichen Sterblichen. Der Zank spielte sich gewissermaßen auf allerhöchster

Ebene ab, denn hier stritten die Göttinnen Hera, Aphrodite und Pallas Athene darum, wer von ihnen einen goldenen Apfel zugesprochen

bekommen solle, auf den Eris, die Göttin der Zwietracht, die Widmung „der Schönsten" geschrieben hatte, wohl wissend, dass sich die selbst­

bewussten Diven alsbald einen Zickenkrieg liefern würden. Da sich Zeus, der Obergott, wohlweislich aus dem Streit heraushielt, wurde der junge

Paris, trojanischer Königssohn und auch nicht gerade hässlich, zum Schön­

heitsrichter bestellt Die Wahl fiel - wen wundert's - auf Aphrodite, die dem gera­

de der Pubertät Entwachsenen als Gegenleistung die „schönste Frau der Welt" versprochen hatte - wer hätte da widerstehen können.

„Ein Parisurteil fällen" zwischen Gleichwertigem entscheiden müssen

er junge Paris, dessen Name im Unterschied zu dem der französischen Hauptstadt auf der ersten Silbe

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betont wird, hat tatsächlich die Qual der Wahl, nämlich zwischen drei olympischen Göttinnen, die von

ihm wissen wollen, wer die schönste Frau auf dem Olymp sei. Ein Mensch soll entscheiden. Die Göttinnen

versuchen natürlich, den Juror zu bestechen, da offenbar die äußerlichen Argumente - kein Wunder bei Göt­ tinnen - allzu gleich verteilt sind. Hera verspricht ihm Macht und Athene Weisheit; als aber die Göttin der

Liebe ihm die schönste Frau der Welt verspricht, kann Paris nicht widerstehen und erklärt Aphrodite zur Sie­ gerin. Eine folgenschwere Entscheidung, denn die schönste Frau der Welt, eine gewisse Helena, ist bereits

verheiratet Wie man weiß, entführt Paris Helena und löst dadurch den Trojanischen Krieg aus. Die Situation

beim Parisurteii war nicht nur für antike Vasenmaler ein willkommenes Motiv, konnten doch hier drei wun­ derschöne Damen in aufreizender Nacktheit gezeigt werden, denn wie sonst sollten sich um die Schönheit kämpfende Göttinnen einem jungen Mann präsentiert haben?

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Griechische Mythologie

Als schöne Helena bekannt sein als Frau auffällig gut aussehen

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enerationen von Männern waren sich einig, dass kein weibliches Wesen schöner sein konnte als Hele­ na, die Tochter des Zeus und der Leda. Sie soll - Zeus war ja als Schwan zu Leda gekommen - kon­

sequenter-, aber auch amüsanterweise aus einem Ei geschlüpft sein. Helena, die schönste Frau ihrer Zeit, hei­ ratete Menelaos, den König von Theben. Das hinderte aber Aphrodite, die durchtriebene Göttin der Lust

und Liebe, nicht, sie dem Paris zu versprechen, wenn er sie im Schönheitsstreit mit den Göttinnen Hera und

Athene bevorzugen würde. Paris entführte Helena, wohl nicht ganz ohne deren Zustimmung, nach Troja; die weitere Geschichte schildert Homer in seiner „Ilias" in I 5.693 Versen ... Nach dem Fall Trojas nahm Mene­ laos sie übrigens wieder auf; irgendwie nachvollziehbar - wer hätte auf die schönste Frau der Welt verzichtet

Übrigens sind die vielen Helenas, Helenes und Lenas der letzten tausend Jahre nicht nach der Schönen, sondern nach einer Heiligen benannt, der Mutter Kaiser Konstantins.

Die schönste Frau der Welt Schönheitskönigin

chönheit ist relativ, aber trotzdem wird immer wieder die schönste Frau der Welt

gesucht. In den 50er-Jahren wurden Wahlen von Schönheitsköniginnen zu ech­ ten Ereignissen; die „schönste Frau der Welt" wurde sogar von Präsidenten und

Königen - weniger von Königinnen - empfangen. Der bekannteste Schönheits­ Wettbewerb war die Wahl der Miss World, die seit 195 1 ausgetragen wird. Schon 1952 wurde von der Konkurrenz eine Miss Universum inthronisiert, und mittlerweile gibt es Schönheitsköniginnen wie Sand am Meer, die sich Miss International,

Miss Intercontinental oder Miss Galaxy nennen dürfen. Kritische Zeitgenossinnen

halten solche Konkurrenzen für würdelos, aber es hat auch in der Antike bereits Castings gegeben. Das berühmteste war sicher das Urteil des Paris, an dem zwar

nicht 300 „Misses", aber dafür drei Göttinnen teilnahmen, und der Juror Paris

bekam als Schmiergeld Helena, die „schönste Frau der Welt". Im Übrigen ist Schönheit natürlich reine Geschmackssache; man sollte es mit dem Schlager

aus dem I 935 gedrehten Filmlustspiel halten: „Ob blond, ob braun, ich liebe alle Frau'n!“

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Griechische Mythologie

„Als Nestor anerkannt sein" der Altmeister seines Fachs

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n jeder wissenschaftlichen Disziplin gibt es eine Kapazität, die von allen - oder zumindest fast allen - Kol­ leginnen und Kollegen als „Altmeister" anerkannt wird. Dabei handelt es sich meist um einen im Dienste

der Forschung ergrauten, manchmal sogar schon emeritierten Professor, der oft das Standardwerk in seinem

Fach geschrieben hat Eine solche Geistesgröße ist gemeint, wenn die Ehrenbezeichnung „Nestor" gebraucht

wird. Allerdings wird als Nestor manchmal auch nur der Älteste unter den Teilnehmern einer wissenschaftli­

chen Versammlung bezeichnet. Der erste Nestor, ein Held der griechischen Mythologie, war König von Pylos

und trat zuerst in der Argonautensage auf, damals noch in den besten Jahren. In der „Ilias" nimmt er am Kampf um Troja teil und ist - nun in Ehren ergraut - der erfahrene, weise, gerechte und gleichzeitig heitere

Ratgeber des griechischen Heerführers Agamemnon. Wegen dieser seiner Weisheit wird er gerufen, den schicksalhaften Streit zwischen Agamemnon und Achilleus zu schlichten - leider vergeblich.

Mit Stentorstimme rufen andere mit durchdringender Stimme übertönen anchmal fragt man sich, wie die Massenkundgebungen des frühen 20. Jahrhunderts funktionieren

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konnten ohne Mikrophon- und Lautsprechersysteme. Volksredner wie Lenin müssen regelrechte

Stentorstimmen gehabt haben, wenn sie auch die Zuhörer in der zwanzigsten Reihe noch erreichen wollten. Der legendäre Stentor, nach dem überdurchschnittlich laute Stimmen benannt werden,

hatte offenbar dieses Problem nicht, sonst wäre sein Name nicht bis heu­ te Synonym für durchdringende bzw. weit reichende Stimmen. Er ist eine Figur aus Homers „Ilias" und zeichnete sich vor allen

anderen griechischen Helden nicht so sehr durch besondere Tapferkeit, sondern durch eine Stimme aus, die angeblich so

laut war wie die von fünfzig Männern zusammen. Kein Wunder, dass die Anführer des griechischen Heeres ihn gelegentlich

dafür nutzten. Befehle oder Warnungen an möglichst viele weiterzugeben. Von dem physiologischen Phänomen, dass es

extreme Unterschiede in der Stimmlautstärke gibt, können

vor allem Lehrer ein Lied singen ...

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Griechische Mythologie

Das ist ein trojanisches Pferd getarnter Eindringling in einen geschützten Bereich

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ie Sage vom trojanischen Pferd ist sicher eine der populärs­ ten. Kurz gefasst ging es darum, dass den Griechen die

Eroberung der kleinasiatischen Metropole Troja nicht gelingen

wollte. Schließlich griff Odysseus, einer der Anführer, zu einem Trick. Er ließ ein großes hölzernes Pferd bauen, in dem sich

angeblich bis zu 50 Krieger verstecken konnten. Dieses Pferd

wurde von den den vermeintlichen Abzug der Feinde feiernden

Trojanern, gegen den Widerstand der Seherin Kassandra und des Priesters Laokoon, in die Stadt geschafft Nachts verließen die

Griechen das Pferd und öffneten den zwischenzeitlich zurückge­

kehrten Kameraden die Tore - der Untergang Trojas war besie­ gelt Die List des Odysseus hat sich als Redewendung für Mittel

und Wege, getarnt in einen geschützten Bereich einzudringen, erhalten. Die moderne Redensart „etwas vom Pferd erzählen"

dürfte dagegen nichts damit zu tun haben, auch wenn das in

einigen Internet-Foren behauptet wird.

„Einen Trojaner auf der Festplatte haben" ein Schadprogramm im Computer

ede technische Errungenschaft hat ihre Nachteile; auch das Internet wird mittlerweile von

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einer Menge Krimineller missbraucht Dazu bedienen sie sich einer Reihe von Schadprogrammen,

die als Viren bezeichnet werden, weil sie sich epidemieartig ausbreiten und Rechner regelrecht infizieren kön­ nen. Eine dieser Anwendungen hatte von der Computerszene die Bezeichnung „Trojanisches Pferd" erhalten, weil sie sich, als nützliches oder interessantes Programm getarnt, auf den Rechner laden lässt, dort aber ein

schädliches Eigenleben entwickelt, ähnlich wie die feindlichen Soldaten im sagenhaften hölzernen Pferd in

Troja. Dabei kann es sich um Datenspionage handeln, oder der Computer soll von außen ferngesteuert werden. Im IT-Jargon hat sich schon kurze Zeit später aus dem „Trojanischen Pferd" die absolut

ungelungene Kurzform „Trojaner" entwickelt, ohne Rücksicht auf die mythologischen Zusammenhänge.

Das entbehrt nicht einer gewissen Komik, denn es waren ja gerade nicht Trojaner, die sich da in die Stadt einschlichen. Insofern wäre es logisch, wenn der Trojaner „Grieche" genannt würde.

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Griechische Mythologie

„Ein Danaergeschenk bekommen" ein Präsent mit Hintergedanken erhalten as sind eigentlich „Danaer"? Der Begriff ist ein bei Homer gebrauchter Sammelname für

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die griechischen Stämme allgemein. Man leitet ihn von Danaos, einem König der Stadt

Argos, ab. Da geht es den Griechen wie den Deutschen, die ja auch in Frankreich mit dem Namen eines Teilstammes geführt werden: Allemands. Oder den Niederländern,

denn „Holländer" bewohnen eigentlich nur eine Provinz der Niederlande. Als

legendäres Geschenk der Danaer ist ein hölzernes Pferd in die Sagen­ welt eingegangen, das in seinem Bauch griechische Krieger verbarg,

die, nachdem das vermeintliche Präsent nach Troja hereingeholt wor­ den war, dem Feind die Stadttore öffneten. Und damit ist klar, dass mit einem Danaergeschenk eine nur auf den ersten Blick willkommene,

dann aber sich als verhängnisvoll herausstellende Gabe gemeint ist Sprichwörtlich - und damit für diese Redewendung ursächlich - ist ein lateinisches Zitat aus Vergils „Aeneis" geworden, wo der trojanische

Priester Laokoon warnt: „Timeo Danaos et dona ferentes" - Ich fürchte die Danaer, auch wenn sie Geschenke machen.

Kassandrarufe ausstoßen vergeblich warnen

eben der zweckoptimistischen Wissenschaft, die behauptet, stets alles im Griff zu haben, gibt es

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alternative Fachleute, die neue Entwicklungen auf deren Gefahrenpotential prüfen und gegebenen­

falls davor warnen. Da aber unsere ganze Gesellschaft fortschrittsgläubig ist, werden ihre Warnungen - zum

Beispiel vor den Folgen der Massentierhaltung - in der Regel nicht ernst genommen. In dieser Hinsicht sind sie aber nicht die ersten (und werden sicher auch nicht die letzten sein). Schon in Troja gab es eine Wahrsa­

gerin, nach der vergebliche Warnungen benannt wurden. Kassandra, eine trojanische Königstochter, war eine

tragische Figur. Nachdem sich der Gott der Weissagung, Apollon, in sie verliebt hatte, verlieh er ihr die Gabe der Prophetie, die er aber, nachdem sie seinem Werben nicht nachgegeben hatte, mit dem Fluch versah, dass

keiner ihren Weissagungen glauben würde. Die unglückliche Kassandra warnte somit vergeblich vor der Gefahr, die von dem Pferd der Griechen ausging. Die Folgen sind bekannt

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Griechische Mythologie

Das ist mir Hekuba! Das bedeutet mir nichts. ast völlig außer Gebrauch ist heute der Ausdruck „Das ist mir Hekuba". Die früher

gängige Redewendung geht zurück auf Hekuba oder auch Hekabe, die Gemahlin

des trojanischen Königs Priamos und Mutter von mindestens I 8 gemeinsamen Kin­

dern. Als Königin von Troja zu Beginn der zehn Jahre andauernden Belagerung der

Stadt noch stolz und glücklich, stürzt sie nach der Eroberung der Stadt in die Sklave­

rei, ihres Mannes und aller ihrer Kinder beraubt, darunter Hektor, Paris und Kassan­ dra. Aber erst bei William Shakespeare ist aus der antiken Königin auch die Mutter einer Redewendung geworden. Im „Hamlet" wundert sich der Titelheld, wie ein Schau­

spieler wegen des harten Schicksals der alten Königin Hekuba, der Verkörperung tiefs­ ten Frauenunglücks und -elends im Krieg, betroffen in Tränen ausbrechen kann: „Sein

Auge nass, Bestürzung in den Mienen, gebrochne Stimm und seine ganze Haltung nach seinem Sinn. Und alles das um nichts! Um Hekuba!

Was ist ihm Hekuba, was ist er ihr, dass er um sie soll weinen?"

Geflügelte Worte" sprichwörtliche Zitate

edewendungen mit Achillesferse oder Ödipuskomplex erkennt jeder sofort als auf die Antike zurückge­

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hend. Andere aber sind erst dann als solche zu identifizieren, wenn man seinen Homer gut kennt Die

„geflügelten Worte" zum Beispiel haben nichts mit Federvieh zu tun, sondern kommen in den beiden großen Epen des Dichters oft vor als poetischer Ausdruck für die Sprache, die sich bildlich auf Flügeln zum Ohr des

Zuhörers schwingt Man trifft auf ihn so oft, dass er in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen ist -

Philologen haben die „geflügelten Worte" in der „Ilias" 46 mal, in der „Odyssee" gar 58 mal gefunden, aller­

dings in der berühmten Homer-Nachdichtung von Johann Heinrich Voß, denn er übertrug Homers Original­ ausdruck ins Deutsche. Schließlich nannte Georg Büchmann 1864 seine ebenso berühmte Sammlung „Geflügelte Worte"; darin führte er lateinische und griechische Zitate auf, die auf konkrete klassische Quellen

zurückgehen und als Redewendungen Eingang in den allgemeinen Sprachgebrauch gefunden haben.

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Griechische Mythologie

„Entscheidung auf Messers Schneide" Ausgang noch offen

ur Bewaffnung des antiken Kriegers gehörten üblicherweise eine Lanze und ein Schwert, aber sicher auch

Z

ein Messer, denn in Homers „Ilias“ sagt der weise Nestor vor einer Entscheidungsschlacht zu Diomedes,

dass die Entscheidung „auf der Schärfe des Messers“ stehe. Die Messerklinge mit ihrer denkbar scharfen

Trennlinie ist eine gute Metapher für eine Situation, in der die Entscheidung zugunsten beider Seiten

ausfallen kann. Auch im Krieg gegen die Perser soll laut Herodot ein griechischer Kommandant diese Redewendung benutzt haben. Später hat Erasmus von Rotterdam eine zeitgemäße lateinische Form benutzt, die dann mit „auf des Messers Schneide" übersetzt wurde. Wie viele andere Redewendungen, die ihren Ursprung im militärischen Bereich haben, wird auch diese heute hauptsächlich in zivilen Situationen benutzt,

von der Politik bis zum Sport

jemanden becircen mit den Waffen einer Frau verführen ie Redewendung geht zurück auf die lateinische Version

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eines ursprünglich griechischen Namens: Circe, eigentlich

Kirke, eine Tochter des Sonnengottes Helios. Ihr Name ist eines der Argumente von Altphilologen, dass der Buchstabe c

von den Römern einst wie k ausgesprochen wurde. Diese nennen wir sie also mit ihrem richtigen Namen - Kirke lebte auf einer Insel und hatte die - übrigens nicht näher begründe­ te - Angewohnheit, alle Besucher in Tiere zu verwandeln. Bekannt wurde sie durch Odysseus, der im Verlauf seiner Irr­

fahrt auch auf ihr Eiland verschlagen wurde. Seine Gefährten wurden prompt in Schweine verwandelt, Odysseus selbst aber

war durch ein Zauberkraut gefeit und konnte Kirke zwingen, seinen Freunden ihre menschliche Gestalt wiederzugeben. Einem anderen, nur allzu weiblichen Zauber konnte aber auch er nicht widerstehen, und so blieb er mehr oder weniger freiwillig ein ganzes Jahr auf der Insel, zeugte sogar laut Hesiod mit Kirke drei Söhne. Die Zau­

berin hatte Odysseus offensichtlich „becirct" oder „bezirzt“, wie dieser Vorgang hässlich eingedeutscht auch

genannt wird. So oder so - dieses Umgarnen, Bezaubern oder Verführen geschieht nicht immer freiwillig oder zum Vorteil des Becircten ...

so

Griechische Mythologie

„Zyklopische Mauern" urzeitliche Bauwerke mit riesigen Steinen

s gab drei Riesengeschlechter in der antiken Mythologie:

E

Titanen, Giganten und Kyklopen. Die letzteren, von den

Römern Zyklopen genannt, waren laut Homer Söhne des Poseidon, mit deren bekanntestem, einem gewissen Polyphem,

Odysseus auf seiner Irrfahrt große Probleme hatte. Der grie­ chische Geograph Strabon, der um die Zeitenwende lebte,

glaubte, Kyklopen hätten die aus bis zu drei Meter langen und

einem Meter dicken Steinblöcken errichteten bronzezeitlichen Mauern in Tiryns und Mykene erbaut, so dass die Bezeichnung

„zyklopisch" entstehen konnte. Kyklopen hatten - „kyklops"

heißt „kreisäugig" - nur ein einziges, rundes Auge mitten auf

der Stirn. Diese eigenartige Physiognomie verdanken sie wahr­ scheinlich den Erklärungsversuchen der Menschen des Altertums, die, angesichts von Elefantenschädeln mit

großen, zentralen Nasenöffnungen, sich in Unkenntnis der zugehörigen Dickhäuter einäugige Riesen vorstellten.

„Mein Name ist Nobody" Ich verschweige meinen Namen.

in Pseudonym zu benutzen, ist ein uralter Trick, um seine wahre Identität zu verschleiern. Wie uralt, zeigt

E

die Geschichte der Begegnung des griechischen Helden Odysseus mit dem Zyklopen Polyphem. Dieser

hatte ihn und seine Gefährten auf der Heimfahrt von Troja in seiner Höhle gefangen genommen. Auf die

Frage nach seinem Namen hatte Odysseus geantwortet, er heiße „Niemand". Als dann die Griechen den

Einäugigen geblendet und mithilfe einer List des Odysseus die Falle verlassen hatten, wirkte sich dieser Deckname vorteilhaft für die Fliehenden aus, denn Polyphem, den seine Brüder nach seinem Geschrei

befragten, rief: „Niemand hat mich geblendet!", worauf sie ihn nicht ernstnahmen. Dieses antike Pseudonym - auf Lateinisch „Nemo" - hat in der Kulturgeschichte seitdem Spuren hinterlassen. In England nannte man

einen armen Kerl John Nobody", in Frankreich „Seigneur Nemo". Jules Verne nannte seinen Kapitän, der

überall und nirgends auftaucht, „Nemo". Und schließlich lautete 1973 ein nicht ganz ernst gemeinter Italowestern „Mein Name ist Nobody", in dem Terence Hill das Schlitzohr spielte.

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Griechische Mythologie

„Sich zwischen Skylla und Charybdis befinden" die Wahl haben zwischen zwei Übeln enn jemand das Gefühl hat, in einer aussichtslosen Klemme zwischen zwei Übeln wählen

W

zu müssen, geht es ihm vielleicht wie damals Odysseus zwischen Skylla und Charybdis. Auf sei­

ner Irrfahrt kam der Grieche mit seinem Schiff durch eine Meerenge, vermutlich zwischen dem italienischen

Festland und Sizilien, wo die Durchfahrt zwischen den Steilküsten aufgrund widriger Strömungsverhältnisse

sehr schwierig ist Aus Sicht der Altvorderen waren hier zwei Ungeheuer am Werk, die die Schiffe bedrohten. Von Skylla wird gesagt, dass sie zwar den Oberkörper einer Frau besaß, ihr Unterleib aber aus sechs Hunden

bestand, wie immer man sich das vorzustellen hat. Andere Augenzeugen beschreiben sie zwölfbeinig, mit sechs auf Schlangenhälsen sitzenden Raubtierschädeln. Charybdis lebte unterseeisch, denn sie saugte das

Meerwasser mit derartiger Gewalt ein, dass ganze Schiffe mit verschlungen wurden. Die Seefahrer, die dem Strudel der einen zu entgehen suchten, liefen Gefahr, von den Fangarmen der anderen ergriffen zu werden.

Odysseus verlor an dieser Stelle sechs seiner Gefährten und entkam nur um Haaresbreite.

„Von einer Sirene gewarnt werden" ein Alarmhorn hören

er Sinn einer Sirene, einer akustischen Alarmeinrichtung, ist,

D

unüberhörbar zu sein. Ihr Erfinder, ein gewisser Charles

Cagniard de la Tour, entnahm ihre Bezeichnung I 8 I 9 der grie­

chischen Mythologie. Allerdings scheint er die Sage nicht genau gekannt zu haben, denn die mythischen Sirenen waren es selbst,

vor denen man hätte warnen müssen. Sie erzeugten auch kein misstönendes Geheul, sondern stimmten einen wunderbaren

Gesang an, in dem sie auch noch versprachen, bei einem Besuch auf ihrer Insel die Zukunft vorauszusagen. Bei Homer

sind es zwei Wesen, die später als Vögel mit Menschenköpfen,

noch später mit weiblichen Brüsten und Armen abgebildet wurden. Die Seefahrer, die auf der Insel der Sirenen anlegten,

wurden zwar nicht gefressen, fanden aber dort den Tod. Der wissbegierige Odysseus entging diesem Schicksal mit einem seiner Tricks: Er verstopfte die Ohren seiner Kameraden mit Wachs und ließ sich am Schiffsmast festbinden.

So konnte er dem Gesang lauschen, ohne in Gefahr zu geraten.

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Griechische Mythologie

„Einen Mentor haben" von einem erfahrenen Menschen beraten werden

iele junge Menschen lehnen heutzutage die Betreuung durch einen

V

erfahrenen Ratgeber ab und wollen lieber alle Erfahrungen selber

machen - learning by doing. Klüger wäre es natürlich, nicht alte Fehler

zu wiederholen. Für einen solchen erfahrenen Berater hat sich seit dem Anfang des 18. Jahrhunderts die Bezeichnung „Mentor" eingebürgert,

seit der Erzbischof von Cambrai in einem Buch die Abenteuer des Tele­

machos, des Sohnes des Odysseus, geschildert hatte. Darin spielte ein Freund des Königs von Ithaka mit Namen Mentor eine besonders her­

vorgehobene Rolle. Dieser begleitete zwar den schlauen Griechen vor

Troja und bei seiner Irrfahrt, aber aufgrund eines Tricks der Göttin Athene beschützte diese, selbst die Gestalt des Mentor annehmend, auf

Odysseus Heimatinsel den Telemachos und stand ihm, der von der tatsächlichen Distanz zum echten Mentor keine Ahnung hatte, immer wieder als wohlwollender weiser

Berater zur Seite.

„Sardonisches Grinsen" ein grimmiges, schadenfrohes Lächeln

umor ist, wenn man trotzdem lacht Das bekannte Bonmot ist in diesem Zusammenhang besonders

H

treffend. Denn neben dem einfachen Lachen aufgrund guter Laune gibt es bekanntlich noch Arten,

die weniger lustig sind: das ironische, das zynische und das sarkastische Lachen. Weniger bekannt ist das als

„sardonisch" bezeichnete, das mehr ein grimmiges, schmerzliches Grinsen ist Der Begriff taucht zum ersten

Mal bei Homer auf, als der heimgekehrte Odysseus angesichts der feiernden Freier seiner vermeintlich verwitweten Frau „sardonisch" in sich hineingrinst, weil er schon weiß, wie er es ihnen heimzahlen wird. Der

Begriff wurde später von Pausanias mit der Wirkung einer auf Sardinien wachsenden bitteren Pflanze namens Sardänion in Zusammenhang gebracht Ihr Genuss löst krampfartige Gesichtsverzerrungen aus, die man für

Lächeln halten könnte. Nach einer alten Überlieferung soll es in Sardiniens Urbevölkerung die Sitte gegeben

haben, aus Nahrungsmittelknappheit die alten Leute zu töten, offenbar mit ebenjener Giftpflanze, die gewissermaßen den schmerzlichen Abschied mit scheinbarem Lächeln leichter machen sollte.

53

Griechische Mythologie

Eine Odyssee hinter sich haben" eine Irrfahrt erlebt haben

eine der griechischen Sagengestalten kann

K

einem so Leid tun wie Odysseus. Nun gut,

seine List mit dem Trojanischen Pferd entsprach

nicht der Genfer Konvention, und auch bei

anderer Gelegenheit verhielt er sich nicht immer fair. Unterwegs legte er sich mit Göttern und

Ungeheuern an, so dass seine Heimfahrt von

Troja nach Ithaka, einer der Ionischen Inseln westlich von Patras, immer wieder verzögert wur­

de - manchmal trieben ihn widrige Winde gar in Sichtweite seiner Heimat wieder hinaus aufs Meer. Die insgesamt zehnjährige Odyssee, in deren Verlauf er

alle seine Gefährten, die Besatzungen von zwölf Schiffen, verlor und nach einer Zickzackfahrt durchs gesamte Mittelmeer schließlich allein seine Heimat erreichte, hat auch heutigen Irrfahrten den Namen gegeben. In vielen Sprachen ist der Begriff zu einem Synonym für große Umwege geworden, ob es sich nun um die

wegen eines kaputten Navigationsgeräts zeitraubende Suche nach dem Weg, die jahrelange Irrfahrt einer Akte in den Fluren einer Behörde oder den Flug des einsamen Raumschiffs im Kubrick-Film „Odyssee im

Weltraum" handelt

„In den Hades hinabsteigen" sich in die tiefsten Abgründe des Schicksals begeben as Leben nach dem Tode war für die Griechen der Antike wenig verlockend. Wenn sie gestorben waren,

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kamen alle, ohne Unterschied, in das Reich des Herrn der Unterwelt, Hades. Der Bruder von Zeus und

Poseidon hatte bei der Aufteilung der Welt das schlechteste Los gezogen: Zeus erhielt den Himmel, Poseidon das Meer, und für Hades blieb die dann nach ihrem Herrscher benannte Unterwelt übrig, bei allen Men­

schen - und auch Göttern - unbeliebt, denn der Hades galt als schauriges, ödes Reich, aus dem es keine

Rückkehr gab. Die Toten fristeten dort ein schattenhaftes, freudloses Dasein, dem jede positive Perspektive verwehrt war. In der Spätantike wurden diese traurigen Aussichten etwas differenziert und erinnern an die

christliche Sicht der letzten Dinge: Totenrichter entschieden nun über den künftigen Aufenthaltsort, die elysischen Gefilde in ewiger Zufriedenheit oder den Tartaros, wo Frevler wie Sisyphos oder Tantalos in der tiefs­

ten Tiefe für ihre Sünden büßen mussten.

54

Griechische Mythologie

„Seinen Obolus entrichten" nicht ganz freiwillig einen finanziellen Beitrag leisten

E

igentlich heißt der Obolus Obolos, denn er war in der Antike eine griechische Kleinmünze. Da mit ihm aber auch eine mythologische Bedeutung verbunden ist, die weit über seinen fiskalischen Wert hinaus­

geht, ist er sowohl in Rom - als Obolus - als auch über die lateinische Tradition im Deutschen erhalten geblieben und bezeichnet weiterhin einen kleinen Geldbetrag, eine Spende, die man allerdings eher

unfreiwillig entrichten muss. In der Mythologie der Griechen mussten die Verstorbenen nämlich von einem

Fährmann namens Charon über den Fluss Styx, der Ober- und Unterwelt trennte, übergesetzt werden, um in

den Hades zu kommen, wo die Seelen ein Schattendasein führten. Diesen Dienst verrichtete auch ein Charon

nicht gratis, sondern verlangte einen Obolos, den so genannten „Charonspfennig". Einem Toten kann man schlecht eine Münze in die Hand drücken, deshalb war es heilige Pflicht der Hinterbliebenen, den Obolos,

mit dem er seine Überfahrt bezahlen konnte, unter die Zunge des Verstorbenen zu legen, wo er unterwegs nicht verloren gehen konnte.

„Eine Sisyphusarbeit verrichten" eine Aufgabe bearbeiten, die nie zu einem Abschluss gebracht werden kann ie griechische Sagengestalt Sisyphus ist durch ihre Bestrafung in der

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Unterwelt noch in aller Munde. Kaum jemand weiß aber, warum er zu

der berühmt-berüchtigten „Sisyphus-Arbeit" verurteilt wurde, nämlich einen großen Felsbrocken einen steilen Hang hinaufzurollen, der ihm, kurz bevor er

das Ziel erreicht, wieder entgleitet, so dass er wieder von vorn anfangen muss. Sisyphus, der sagenhafte Gründer von Korinth und ein besonders schlauer Mensch, legte sich sogar mit Zeus an, der mal wieder einer jungen Frau nach­

stellte, indem er dies deren Vater verriet. Zeus wollte daraufhin Sisyphus von Thanatos, dem Tod, abholen lassen; Sisyphus aber machte den Tod betrunken

und fesselte ihn, so dass der seiner Aufgabe nicht mehr nachgehen konnte und niemand mehr starb. Der Kriegsgott Ares, den es ärgerte, dass es auf dem

Schlachtfeld keine Toten mehr gab, befreite den Tod und brachte Sisyphus in

den Hades. Aber auch dort konnte er durch einen Trick entkommen, bis ihn dann doch Thanatos, diesmal vorsichtiger, holte und für seine Dreistigkeit ewig büßen ließ.

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Griechische Mythologie

„Tantalosqualen erleiden" unerträgliche Leiden erdulden

er Mensch kann nicht leben, ohne zu trinken. Es muss

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also eine schreckliche Strafe sein, jemanden daran zu hin­

dern. Tantalos, ein Sohn des Zeus und ursprünglich Liebling der Götter, hatte eine solche Strafe verdient, denn er beging gleich mehrere Untaten gegen die Götter. Nicht nur, dass er Nektar und Ambrosia vom Olymp stahl; er stellte vor allem die Götter auf die Probe, indem er ihnen das Fleisch seines

eigenen Sohnes Pelops als Gastmahl servierte, um ihre Allwis­

senheit zu testen. Für diese unglaubliche Tat verurteilten sie ihn, nicht ohne Pelops wieder zum Leben zu erwecken, auf ewig im Tartaros, unter einem bedrohlich über ihm hängenden Sisyphos, Ixion und Tantalos im Tartaros

riesigen Felsbrocken, in einem See zu stehen; sobald er sich

zum Wasser hinab beugte, sank der Wasserspiegel abrupt ab, so dass er seinen brennenden Durst nicht löschen konnte. Außerdem wuchsen dicht über seinem Kopf saftige Früchte, die aber ein Windstoß empor­ hob, sobald er danach griff. Tantalosqualen sind also die Schmerzen, die jemand, von ungestillter Begierde

gepeinigt, empfindet, der etwas nicht bekommen kann, das zum Greifen nahe scheint

„Ins Danaidenfass schöpfen" eine nicht zu bewältigende Arbeit tun ie Redensart vom Danaidenfass wird immer mehr vom „Fass ohne Boden" ersetzt, was das Gleiche meint

D

Aber früher, als die Menschen noch eine solide klassische Bildung hatten, war das Fass der Töchter des

Königs Danaos in aller Munde. Die dazugehörige Sage ist bizarr. König Danaos, der aus Libyen stammende

Ahnherr der Griechen, hatte fünfzig Töchter, sein Zwillingsbruder Aigyptos zufällig fünfzig Söhne. Die beiden

Brüder stritten um das Erbe ihres Vaters, bis Aigyptos vorschlug, dass alle Töchter alle Söhne heiraten sollten,

dann wäre der Erbstreit beendet Nach einigen Verwicklungen fand die Massenhochzeit statt, aber alle Bräute - bis auf eine - ermordeten in der Hochzeitsnacht auf Geheiß ihres Vaters ihre Männer. Zur Strafe mussten

sie im Tartaros Wasser in ein Fass schöpfen, das durchlöchert war. So wurde es nie voll, und sie konnten

nicht erlöst werden. Ein Danaidenfass zu füllen ist also eine mühsame, aber nutzlose und frustrierende Arbeit

ohne Ergebnis, darin der Sisyphusarbeit vergleichbar.

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Griechische Mythologie

„Im Elysium, der Insel der Seligen paradiesische Zustände

ie Römer machten aus dem griechischen Elysion ihr Elysium,

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und als solches hat es sich bis heute in unserer Sprache erhal­

ten als Synonym für die Insel der Seligen, so eine Art Ewige Jagd­ gründe. Dieses Eiland liegt am westlichen Ende des Erdkreises, wo er

vom Okeanos umflossen wird, und ist das Reservat der Helden, denen die Götter zwar die Unsterblichkeit geschenkt haben, ohne

sie aber auf dem Olymp zu dulden. Man muss sich das Elysion wie eine paradiesische, ewig frühlingshafte, blumengeschmückte Wiese

vorstellen, also das genaue Gegenteil vom freudlosen Hades, in den

die gewöhnlichen Sterblichen nach dem Tod kommen. Die Helden des Heroischen Zeitalters sind dort ver­ sammelt, Achilleus, Menelaos, Peleus und viele andere; auch der alte Gott Kronos, der Vater des Zeus, soll

hier ein beschauliches Dasein genießen. Sie vertreiben sich die Zeit mit Sport und Spiel und trinken ab und zu aus einer Quelle, deren Wasser dazu verhilft, das irdische Leiden zu vergessen. Merkwürdigerweise scheint

es auch an diesem glücklichen Ort nicht ohne Justiz zu funktionieren. Nicht Kronos, sondern ein gewisser

Rhadamanthys, Bruder des Minos und legendärer weiser Gesetzgeber, schlichtet hier Streitigkeiten zwischen den Unsterblichen.

„Dämonisch aussehen" einen finsteren Eindruck machen eute verstehen wir unter Dämonen Ausgeburten der Hölle, die Menschen erschrecken, bedrohen oder

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Schaden zufügen - typische böse Geister also, die in unserer rationalen Welt vor allem in Horrorstorys

und -filmen ihr Reservat gefunden haben. Ursprünglich hatte ein Dämon - das griechische Wort bedeutet

eigentlich neutral soviel wie „Geist" oder „Schicksalsmacht'' - fast ein positives Image; dies wird deutlich,

wenn man die römische Entsprechung des „Genius" vergleicht. Unter dem Einfluss der christlichen Kirche wurde der Dämon dann zum „Geist" im Sinne von „Gespenst", ja zum „Teufel", der ausgetrieben

werden muss.

Griechische Mythologie

„Rätselhaft wie eine Sphinx undurchsichtig, mysteriös

ngeheuer haben auch Geschwister. Die Schwester von Hydra und

Höllenhund Kerberos war die Sphinx. Diese Dämonin wartete unweit Thebens auf Reisende, denen sie eine Frage stellen konnte. Wenn jemand das Rätsel nicht lösen konnte - und das waren

genau genommen alle Kandidaten - , fraß die Sphinx den Unglücklichen auf. Das Rätsel ist seitdem sehr berühmt und lau­

tet: Was geht am Morgen auf vier, am Mittag auf zwei und am Abend auf drei Beinen? Der Mensch, ist die Antwort, denn er krabbelt als Baby auf allen Vieren, geht aufrecht als Erwachsener

und benötigt als Stütze im Alter einen Stock als drittes Bein. Ödi­

pus konnte das Rätsel lösen, weshalb sich die Sphinx von ihrem Felsen in den Tod stürzte. Eine Sphinx stellten sich die Griechen wie eine geflügelte Löwin mit Kopf und Brüsten einer Frau vor. Was viele

nicht wissen: In Ägypten war „der Sphinx" männlich, ein Löwe mit menschli­ chem Kopf, meist dem des Pharaos. In der Fachsprache der Archäologen hat sich deshalb zur Unterschei­ dung eingebürgert, die griechische Sphinx weiblich, den ägyptischen männlich zu nennen.

„Einen Basiliskenblick haben" jemanden geradezu tödlich scharf mustern er Basilisk der griechischen Mythologie - wörtlich übersetzt „kleiner König" - ist eines der bekanntesten

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Fabeltiere der Geschichte. Dieser „König der Schlangen" wird zum ersten Mal bei Demokrit im 5. Jahr­

hundert v. Chr. erwähnt, später auch bei Plinius dem Älteren als afrikanische Schlangenart Als Fabelwesen ist der Basilisk natürlich etwas bizarren Ursprungs, denn er schlüpft aus dem Ei eines alten Hahnes, das von

einer Kröte oder einer Schlange ausgebrütet wurde. Sein Atem stinkt unerträglich. Seine wichtigste Eigen­ schaft aber, und damit kam er auch in einem Harry-Potter-Roman zu aktuellen Ehren, ist, dass sein Blick

versteinert, worauf sich auch die Redewendung vom Basiliskenblick bezieht, von dem getroffen man förmlich

erstarrt. Der reale tropische Basilisk ist eigentlich ein Leguan; seine merkwürdige Eigenschaft ist nicht der versteinernde Blick, sondern die Fähigkeit, übers Wasser laufen zu können, weshalb er auch Jesus-Christus-Echse" genannt wird.

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Griechische Mythologie

„Gierig wie eine Harpyie" unersättlich, raffsüchtig

arpyien, die großen Greifvögel der tropischen Wälder Lateinamerikas, wurden nach geflügelten Mischwe­

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sen der griechischen Mythologie benannt. Diese, halb Vogel, halb Frau, machten ihrem Namen alle Ehre

- die auf Griechisch „Reißer“ genannten Töchter eines Meerestitanen und einer Okeanide hatten die Aufga­

be, Seelen von Gestorbenen in den Hades zu bringen, standen aber auch für Spezialaufträge der Götter zur Verfügung. So mussten die Argonauten die Monster vertreiben, als diese dem blinden König Phineus wegen

einer Verfehlung das Leben schwer machten, indem sie ihm bis auf das Allernotwendigste das Essen raubten

oder mit Fäkalien ungenießbar machten. Ursprünglich als schöne Frauen mit Vogelflügeln beschrieben, stellte man sie sich später als - je nach Überlieferung zwischen zwei und fünf - hässliche Dämonen vor, die in

einer kretischen Höhle hausten. Mit einer dieser Harpyien verglichen zu werden, dürfte eine ziemlich harte

Beleidigung sein, obwohl die Habgier mancher Menschen an die Raffsucht der Harpyien denken lässt.

Als „Megäre" bezeichnet werden als rachsüchtige Frau bekannt sein enn eine Frau als „Megäre" bezeichnet wird - dieses Schimpfwort ist aller­

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dings wegen der abnehmenden klassischen Bildung nicht mehr sehr ver­

breitet -, so wird sie einem Trio Infernal zugeordnet, das bei den Griechen

unter dem Namen Erinnyen, bei den Römern als Furien gefürchtet war. Es han­

delt sich um die drei Rachegöttinnen Alekto, „die Unaufhörliche", Tisiphone, „die Rächende", und schließlich Megaira, „der neidische Zorn". Sie hetzten die

Täter und trieben sie zum Wahnsinn, bis sie ihre Schuld gesühnt hatten; im

übertragenen Sinn stellen sie die personifizierten Gewissensbisse dar. Megaira wurde auf griechischen Amphoren häufig mit Fledermausschwingen und einem

Hundekopf dargestellt. Ganz so schlimm ist der Ruf einer „Megäre“ heutzutage nicht mehr, aber der Neid in Verbindung mit Rachsucht und Zorn sind immer noch Charaktermerkmale einer Megäre. Übrigens wurden die Erinnyen, um sie

gnädig zu stimmen, aber auch, weil ihre Tätigkeit als Rächerinnen des Frevels

durchaus anerkannt war, später als „Eumeniden", das bedeutet die „Wohlmei­ nenden“ bezeichnet

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Griechische Mythologie

„Eine Chimäre züchten" ein Fantasiegebilde erzeugen

ines der unzähligen Fabelwesen der griechischen Mythologie war die Chimaira, im Deutschen

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allgemein Chimäre genannt Sie stammte aus einer Beziehung, aus der auch die Hydra, der Kerbe­

ros und die Sphinx hervorgegangen waren - eine reizende Verwandtschaft Homer schildert sie in der „Ilias"

als feuerspeiendes Ungeheuer mit drei Köpfen, vorn ein Löwenhaupt, im Nacken ein Ziegenkopf und als Schwanz der Kopf einer Schlange oder eines Drachen, darin ihrem Bruder, dem Höllenhund, ähnlich. Dieses

Mischwesen tyrannisierte Lykien, ein Königreich auf dem Boden der heutigen Türkei. Erst der Held Bellero­ phontes konnte es töten, nachdem ihm der Meeresgott Poseidon das geflügelte Pferd Pegasos zum Luftkampf zur Verfügung gestellt hatte. Bezug nehmend auf die in dem Wesen zusammengewürfelten Teile von drei

Tieren wurde der Begriff Chimäre später auf alle Mischwesen ausgedehnt Im heutigen Sprachgebrauch wird „Chimäre" bzw. auch „Schimäre" allerdings auch als Synonym für ein Hirngespinst, Fantasiegebilde

oder Einbildung verwendet

Den Pegasus reiten eine poetische Ader haben ie griechische Mythologie kennt die unter­ schiedlichsten Paarungen mit den merkwür­

digsten Ergebnissen. Eine davon ist die Liaison zwi­ schen Poseidon und der Gorgone Medusa, die das

geflügelte Pferd Pegasos hervorbrachte. Der Pegasos soll Blitz und Donner zu Zeus auf den Olymp gebracht haben. Das

später bei den Römern Pegasus genannte Ross diente dem Hel­ den Bellerophontes, das Ungeheuer Chimaira und später die Amazonen zu besiegen. Der Ruf des Pegasus, ein Dichterross zu sein,

geht auf Erzählungen von zwei Quellen zurück, die sein Hufschlag geöffnet haben soll und die Dichter poetisch inspirierten. Im Mittelalter

wurde aufgrund dieser Sagen der Pegasus zum Dichterross, auf dessen Schwin­ gen sich die Poeten zum Olymp emporschwingen können. Moderne Umdeu­ tungen der Sage um den Pegasus, z. B. im Film „Kampf der Titanen“, bringen

das Pferd mit dem Helden Perseus und seinem Kampf gegen die Medusa in Verbindung. Aber wieso hätte das Flügelpferd bei der Tötung seiner eigenen Mutter helfen sollen?

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Griechische Mythologie

„Im Prokrustes-Bett liegen in einer Zwangslage sein

I

n den Zeiten, als die Kenntnis der griechischen Mythologie noch zum Standard der

bürgerlichen Schicht gehörte und die - jedenfalls männlichen - Sprösslinge auf

das humanistische Gymnasium gingen, konnte man, wenn jemand in ein Schema hineingezwungen worden war, in das er nicht hineinpasste, oder wenn jemand sich

in einer unangenehmen Zwangslage befand, vom „Prokrustesbett" hören. Dieses Möbelstück entstammte einer weniger bekannten griechischen Sage um einen hin­

terhältigen Riesen, dessen Name - die Übersetzung lautet „Ausstrecker" - bereits darauf hindeutet, was seine Spezialität war. Dieser Unhold, angeblich ein offenbar

missratener Sohn des Poseidon, lud nämlich Reisende ein, bei ihm zu übernachten. Wenn ihre Beine über das Gästebett hinausragten, hackte er sie ihnen ab; war das Bett zu lang für sie, streckte er sie in die Länge, bis sie hinein passten. Der Held Theseus machte

diesem widerlichen Treiben ein Ende.

„Herostratischer Ruhm" frevelhaft erworbene Berühmtheit

E

s scheint eine seltene, aber zeitlose Sucht zu sein, die Menschen dazu bringt, eine Tat zu verüben, die zwar abscheulich ist, von der die Täter aber erwarten, dass sie dadurch unsterblich werden. Einer dieser

Menschen war Mark David Chapman, ursprünglich ein hartnäckiger Fan, der I 980 meinte, durch den Mord an John Lennon in die Geschichtsbücher eingehen zu können. In der Menschheitsgeschichte gab es einige

solcher Psychopathen, die mittels einer Freveltat berühmt werden wollten. Der erste, von dem ein solches Attentat bekannt ist, war ein gewisser Herostratos, ein ionischer Hirte im 4. Jahrhundert v. Chr. Er setzte aus

krankhafter Ruhmsucht im Jahr 356 den Tempel der Artemis in Ephesos, immerhin eines der sieben Welt­ wunder, in Brand - sich an heiligen Dingen zu vergreifen, galt schon damals als besonders verrucht Nach­

dem er sein Motiv gestanden hatte, versuchte die Stadt, den Namen des Täters geheim zu halten. Natürlich

geschah das Gegenteil: Herostratos, selbst zwar hingerichtet, wurde unsterblich als Namensgeber einer ver­ brecherischen Tat, bei der aus Geltungssucht Kulturgüter zerstört werden. Ob es dem Lennon-Mörder gelin­

gen wird, sein Ziel zu erreichen, bleibt abzuwarten.

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Griechische Mythologie

Der Dritte im Bunde sein Freundschaft schließen wollen ch sei, gewährt mir die Bitte, in eurem Bunde der

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dritte!" - dieser bekannte und oft zitierte Schluss

der 1799 veröffentlichten Ballade „Die Bürgschaft" von Friedrich Schiller hat Eingang gefunden in

unseren Sprachschatz, Nur wenige wissen, dass dem Inhalt des 20-strophigen Gedichts eine historische

Begebenheit im 4. Jahrhundert v. Chr. zugrunde liegt

Das überlieferte Ereignis betraf den Tyrannen von Syrakus, Dionysios IL, der einem Attentat eines

Pythagoreers namens Phintias zum Opfer fallen sollte. Dass dieser Phintias seinen Freund Damon -

Schiller machte Damon zum Attentäter - zum Bürgen wählte, hat mit der Bedeutung der Freundschaft unter den Anhängern dieser Philosophie zu tun. Die

Ballade folgt im Großen und Ganzen dem überlieferten Ablauf, auch soll der historische Dionysios tatsäch­ lich um Aufnahme in den Freundschaftsbund gebeten haben.

„Sieh da, sieh da, Timotheus!" Achtung! Pass auf!

ieses weit verbreitete Zitat stammt aus der Ballade „Die Kraniche des Ibykus", die Friedrich Schiller 1797

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veröffentlichte. Der Dichter verarbeitete darin eine Sage des klassischen Altertums. Sie handelt von dem

Lyriker Ibykos (lateinisch Ibycus), der um die Mitte des 6. Jahrhunderts v. Chr. gelebt haben soll. Dieser Dich­

ter, der für seine erotischen Lieder berühmt war, wurde auf seiner Reise zu den Isthmischen Spielen, bei denen, genauso wie in Olympia, nicht nur sportliche Übungen bewertet wurden, sondern auch Dichter und

Musiker sich dem Preisgericht stellten, von Wegelagerern ermordet. Schiller schildert die Szene, in der der sterbende Poet Kraniche am Himmel als Zeugen anruft, eindrucksvoll, noch eindringlicher aber die Situation,

in der die Rachegöttinnen, die Erinnyen, zusammen mit den Kranichen die Täter zur Selbstentlarvung brin­

gen, indem einer der beiden mehr oder weniger unabsichtlich seinen Kumpan Timotheus auf die Kraniche als die des Ibykos hinweist

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Griechische Mythologie

„Wie ein Damoklesschwert über dem Haupt" ungewisser Ausgang in einer bedrohlichen Lage ie Geschichte vom Schwert am Pferdehaar ist eine Parabel. Danach gehörte ein gewisser Damokles im

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4. Jahrhundert v. Chr. zum Hofstaat des Tyrannen Dionysios von Syrakus, von dem übrigens auch

Schillers bekannte Ballade „Die Bürgschaft“ handelt Damokles beneidete den König um dessen Macht und

Reichtum, und das nicht nur heimlich. Dionysios beschloss, ihm eine Lehre zu erteilen, und lud ihn zu einem Gastmahl ein, wo er sogar auf seinem Platz sitzen durfte. Vorher hatte der König über dem Sitz ein Schwert mit der Spitze nach unten aufhängen lassen, und zwar an einem einzigen Pferdehaar. Damokles war nur so

lange selig, bis er das Schwert bemerkte. Er bat schon bald darum, das Gelage verlassen zu dürfen; er wolle lieber auf alle Annehmlichkeiten verzichten, als dieser Gefahr ausgesetzt zu sein. Und die Moral von der

Geschieht': Die im Überfluss leben, können nie sicher sein, dass es nicht plötzlich vorbei ist mit ihrem Luxus. Die Redewendung „am seidenen Faden hängen" dürfte nichts mit dem Schwert des Damokles zu tun haben; der seidene Faden ist vielmehr der Lebensfaden, den die Parzen spinnen - und irgendwann abschneiden.

Wie ein Phoenix aus der Asche überraschend wieder aufgetaucht enn etwas völlig Zerstörtes, Untergegangenes oder verloren Geglaubtes wider Erwarten noch existiert

W

oder in neuem Glanz erscheint, wird dafür das Bild von einem sagenhaften Vogel verwendet, der ebenfalls

die Eigenschaft hatte, immer wieder neu zu erstehen. Es handelt sich um den Phönix,

einen mythischen Vogel, der aus dem ägyptischen Kulturkreis in die grie­

chische und später römische Mythologie übernommen wurde. In der Zeit

des Hellenismus, also den drei Jahrhunderten vor der Zeitenwende, glaub­ te man, dass der Phönix, der bezeichnenderweise in keinem Zusammen­

hang mit bekannten Helden oder dem griechischen Götterhimmel steht, eine hohe Lebenserwartung von bis zu 500 Jahren habe, aber nur einmal,

und zwar an seinem Lebensende, ein Nest baue. Darin gehe er in Flam­ men auf; in der Asche liege aber ein Ei, aus dem ein neuer Phönix

schlüpfe. Es ist wenig erstaunlich, dass durch diese phänomenale

Fähigkeit zur Regeneration der Phönix später zur Metapher der Unsterblichkeit wurde.

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Kapitel 2

Von Amors Pfeil bis Venusberg Redewendungen und Begriffe aus

der römischen Mythologie

Römische Mythologie

„Neptun opfern" sich bei Seekrankheit übergeben

. er griechische Götterhimmel ist bekanntlich Vorbild für den römischen gewesen. Vie­ le der griechischen Original-Götternamen sind heute nicht mehr populär, weil sie

von den viel weiter verbreiteten römischen verdrängt worden sind. Auch dem grie­ chischen Poseidon erging es so, er wurde von seinem römischen „Kollegen" Neptun überflügelt, soweit man das von einem Meeresgott sagen kann. In der archaischen

Weltvorstellung wurden die drei Naturbereiche durch Hauptgötter vertreten: Zeus/Jupiter für den Himmel, Hades/Pluto für die Unterwelt und Poseidon/Neptun für das Meer (für die Erde waren alle zugleich zuständig). Neptun, der mit seinem

Symbol, dem Dreizack, dargestellt wurde, spielt auch heute noch in der See­ mannsmythologie eine Rolie, neben dem Klabautermann und dem Fliegenden Holländer. Bei einem Umtrunk wird traditionell ein Glas als Opfer für ihn ins Meer geschüttet Eher sarkastisch ist die Verwendung der Redensart, wenn bei hohem Seegang das Mittagessen partout nicht im Magen bleiben will, sondern den Weg über die Reling findet.

„Pluto" - Planet und Hund Himmelskörper auf extremer Umlaufbahn und Comic-Köter

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ürzlich ist dem 1930 entdeckten Himmelskörper Pluto, der kleiner ist als der Erdmond, der Status

eines Planeten aberkannt worden. Wegen seiner dunklen, weit von der Sonne entfernten Bahn hatte

ein elfjähriges, an klassischer Mythologie interessiertes Mädchen aus Oxford damals vorgeschlagen, ihn nach dem römischen Gott der Unterwelt zu benennen. Das radioaktive Schwermetall Plutonium erhielt dann

1 942 wegen seiner „infernalischen Wirkung" seinen Namen nach dem finsteren Planeten. Vergessen wir bei

derart universellen Dingen aber einen berühmten Hund namens Pluto nicht Man weiß, dass sich Disney bei der Benennung eines der beliebtesten Hunde der Comic-Kultur von dem kurz zuvor entdeckten Planeten hat

inspirieren lassen; wenn man aber den hintergründigen Humor - und die durchaus auch bei Amerikanern dieser Zeit noch verbreitete klassische Bildung - des Comic-Vaters in Rechnung stellt, kann man davon ausgehen, dass es sich bei dem tollpatschigen Hund dieses Namens um eine Parodie des Höllenhundes

Cerberus handeln dürfte.

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Römische Mythologie

„Schön wie Apoll" göttlich gut aussehend ie männliche Götterwelt der Römer beeindruckte nicht durch besondere Schönheit. Andere Attribute

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wie Stärke, kriegerisches Wesen oder Klugheit waren wichtiger. Nur einer der Olympier stach durch

seine sprichwörtliche Schönheit unter den anderen hervor: Apollo, bei den Griechen Apollon genannt, Sohn

des Jupiter und der Latona und Zwillingsbruder der Göttin Diana. Apollo war der jugendlich schöne Gott des Lichts, der Heilung und Reinheit, aber auch der Künste, insbesondere der Musik, der Dichtkunst und des

Gesangs. Besonders populär war er als Gott der Weissagung - sein bekanntestes Heiligtum war Delphi, das wichtigste Orakel der Antike. Der mittlerweile seltene Apollofalter (Parnassius apollo) hat seinen Namen von

dem dem Gott geweihten Musenberg Parnassos in Mittelgriechenland, an dessen Fuß Delphi liegt

Der Rheinische Merkur westdeutsches Nachrichtenblatt

ieso nennen sich Zeitungen nach einem römischen Gott? Der Rheinische Mer­

W

kur, der Münchner Merkur und eine überregionale Monatszeitschrift haben

diesen Namen gewählt, weil Merkur als Götterbote unter anderem dafür zuständig war, Nachrichten in kürzester Frist unter den anderen Göttern, die oft weit vom

Olymp entfernt unterwegs waren, zu verbreiten. Dafür hatte er als Hilfsmittel ein Zeichen dafür, dass auch Götter nicht allmächtig sind - die berühmten geflügelten Schuhe und einen ebensolchen Helm auf dem Kopf. Mercuri­ us war einer der zwölf olympischen Götter und entsprach als „Götterbo­

te“ und Gott der Händler - in Rom nannten sich die Mitglieder der Kauf­

mannszunft „mercuriales", und seit 1 94Z wird sein Flügelhelm als stark stilisiertes Logo für die Hannover-Messe benutzt - dem griechischen Hermes. Sein Name geht auf das lateinische Wort „merx" für „Ware“

zurück. Auch wenn Merkur unter anderem der Gott der Diebe war,

wurde der Mittwoch „Mercurii dies“ benannt, was später in den roma­ nischen Sprachen - im Italienischen mercoledi, im Französischen mer-

credi, im Spanischen miercoles - Spuren hinterlassen hat

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Römische Mythologie

„Venusberg und Venushügel" sagenhafter Lusttempel und erogene Zone ach der römischen Göttin Venus sind zwei Erhebungen unterschiedlicher Höhe

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benannt, die nicht verwechselt werden sollten. Der Venusberg gilt in der mittelalter­

lichen Sage als das Exil der vor dem Sieg des Christentums geflohenen heidnischen Liebes­

göttin; hier wartet sie, umgeben von reizvollen Nymphen, auf Männer und verführt sie zu einem Leben in allen erdenklichen, vor allem erotischen Ausschweifungen - ein antikes

Eroscenter. Im Mittelalter äußerst verwerflich, führte so ein Leben konsequenterweise gera­ dewegs in die Hölle. Der berühmteste Insasse des Venusberges soll Tannhäuser gewesen sein, ein realer Ritter und Minnesänger, der es vor allem durch Wagners gleichnamige

Oper zu dauerhafter Bekanntheit brachte. Ein echter Venusberg befindet sich im Stadt­ gebiet von Bonn; sein Name hat aber mit der Lustgöttin nichts zu tun, sondern leitet sich von dem niederdeutschen Wort für Moor ab. Nicht etwa der kleinere Bruder des

Venusberges ist der Venushügel, der treffender als Schamhügel bezeichnet wird. Auch

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wenn er seinen Namen nach der römischen Liebes- und Lustgöttin hat, besteht dieser

pikante Teil der weiblichen Anatomie über dem weiblichen Schambein ernüchternder­ weise aus Fettgewebe ...

„Von Amors Pfeil getroffen werden" von heftiger Zuneigung ergriffen werden

ei der Übernahme der griechischen Götter durch die Römer wurden ihnen viele Zuständigkeiten zuge­

B

ordnet, die vorher etruskische oder italische Gottheiten innegehabt hatten. Der römische Gott Amor,

auch unter dem Namen Cupido bekannt, ist eigentlich das Pendant zum griechischen Eros und genau wie

dieser der Sohn von Mars/Ares und Venus/Aphrodite. Beide, Amor und Eros, sind zwar Gott der Liebe, aber

nicht der tiefen, bedingungslosen Zuneigung, sondern eher des Verliebens. Heute schwingt beim Namen Amor nicht die erotische (sic!) Reife seines griechischen Bruders mit, sondern eher eine fast harmlose Liebe­

lei. Die Redewendung ist entstanden, weil Amor - im Unterschied zu Eros! - meist als geflügeltes Kleinkind dargestellt wird, das, mit Pfeil und Bogen bewaffnet, augenzwinkernd ins Herz trifft, wodurch dann leiden­

schaftliches Klopfen desselben ausgelöst wird.

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Römische Mythologie

„Vulkanische Kräfte" unbeherrschbare Urgewalten er Mensch, der bis vor gar nicht so langer Zeit ausschließlich auf eigene oder höchstens tierische Kräfte

D

zurückgreifen konnte, hat es technisch fertiggebracht, elementare Gewalten freizusetzen - ob immer

zum Segen der Menschheit und der Erde, sei dahingestellt Trotzdem brechen immer wieder Naturgewalten

aus, gegen die selbst Atombombenstärken verblassen. Erdbeben, Tornados, Flutkatastrophen, das alles ist jen­ seits menschlichen Vermögens, es zu entfesseln, aber auch es einzudämmen oder gar zu verhindern. Ein gutes Beispiel sind die aktiven Vulkane, deren Urgewalt atemberaubend ist - es gibt nichts, das sie aufhalten könnte. Benannt sind sie nach dem römischen Gott des Feuers und der Schmiede, Vulcanus, dessen grie­

chischer Name Hephaistos ist Er hat der römischen Sage nach seine Werkstatt, in der er Waffen für die Göt­ ter schmiedet, im Innern des feuerspeienden Berges Vulcano auf einer der Liparischen Inseln nördlich von Sizilien. Er ist übrigens der einzige Gott, der ausgesprochen hässlich ist, was seine Gattin Venus zu immer

neuen Amouren mit Schönlingen veranlasst

„Einen martialischen Eindruck machen" kriegerisch wirken

I

n der römischen Götterwelt war Jupiter der Chef. Aber es gab einen, der ihm

im Götter-Ranking fast gleich kam: Mars, der Kriegsgott - in einer, jedenfalls in

ihren Anfängen, kriegerischen Kultur wie der römischen kein Wunder. In vielem dem griechischen Ares gleich, war er doch vielseitiger und dominanter und wur­

de dementsprechend mehr verehrt Er spielte als Vater der Stadtgründer Romulus und Remus und damit als Ahnherr der Römer eine wichtige Rolle. Der dritte

Wochentag wurde ihm zu Ehren „Martis dies" genannt, weshalb noch heute der italienische Dienstag martedi und der französische mardi genannt wird. Auch in unserer Sprache hat der römische Kriegsgott seine Spur hinterlassen. Wenn etwas

sehr kriegerisch daher kommt, nennen wir es immer noch martialisch, also dem Mars entsprechend. Ob nun alle Männer „martialisch" sind, sei dahingestellt; das

astrologische Symbol für den Kriegsgott, der Kreis mit einem nach rechts oben gerichteten Pfeil, wurde jedenfalls als Kürzel für „männlich" übernommen.

70

Römische Mythologie

„Das hat einen Januskopf" Etwas ist zweideutig.

iner der typischen Kleinstwagen der Nachkriegszeit war, neben dem legendären Goggomobil und der

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isetta, der Janus von der Firma Zündapp. Er sah von vorn wie von hinten fast gleich aus, was daran lag, dass Sitze und Türen spiegelsymmetrisch angeordnet waren. Je zwei Passagiere saßen mit dem Rücken zueinander, zwei schauten nach vorn, zwei nach hinten.

Die Namensgebung zeugt von der klassischen Bildung des Herstellers, denn

sie geht zurück auf den doppelköpfigen römischen Gott Janus. Dieser galt als Gott des Aus- und Einganges, des Anfangs und des Endes und wurde dargestellt mit zwei Gesichtern, eines normal vorn, eines am Hinterkopf,

dadurch gleichzeitig nach vorn und nach hinten blickend. Sein Name hat zu

tun mit dem lateinischen Wort „ianua" (Schwelle), womit auch die Zeitschwel­

le vom alten zum neuen Jahr gemeint war, weshalb der erste Monat des Kalen­ ders den Namen Januar trägt Die Produktion des Janus-Wagens wurde übrigens

nach nur 6902 Exemplaren eingestellt - eine Folge des Wirtschaftswunders.

Die Monate Januar, Februar, März, April, Mai, Juni Mythologie im Kalender

nsere Monate haben keine deutschen Namen, sondern ihre Bezeichnungen klingen fast überall in

U

Europa ähnlich. Das liegt daran, dass unser Kalender auf die alten Römer zurückgeht, die Europa

ihren Stempel aufgedrückt haben. Besonders Julius Caesar hat dafür gesorgt, dass das Sonnenjahr im römi­ schen Reich verbindlich wurde. Die ersten sechs Monate haben daher immer noch Namen, die aus der römi­

schen Mythologie stammen. Der Januar ist - nicht unpassend - benannt nach Janus, dem Gott mit den zwei

Gesichtern, mit denen er gleichzeitig ins neue und alte Jahr blickt Der Februar hat seinen Namen nach dem

lateinischen Verb „februare" (reinigen), weil in ihm das Reinigungsfest Februa gefeiert wurde. Der März ist benannt nach dem Kriegsgott Mars, dem Vater von Romulus und Remus und damit Urahn der Römer. Im

April öffnen sich die Blüten, weshalb dieser Monat nach dem lateinischen „aperire" (öffnen) benannt wurde. Die nächsten beiden Monate sind nach weiteren Gottheiten benannt, nämlich nach Jupiter Maius, dem Gott des Wachstums, und nach Juno, der Gattin des Jupiter und Schirmherrin der Stadt Rom.

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Römische Mythologie

Fortuna lächelt Glück gehabt

ls früher die Fortuna aus Düsseldorf und die Fortuna aus Köln in der­

A

selben Liga spielten, ging es bei Begegnungen dieser Fußballclubs heiß

her, und die Göttin des Glücks, deren Namen man zum Vereinsnamen

gemacht hatte, wohl um ihren Segen beim sportlichen Tun zu beschwören,

war einem Gewissenskonflikt ausgesetzt Aber sie war auch die Göttin des Schicksals, und das ist bekanntlich wankelmütig und unzuverlässig, worauf zwei

ihrer Attribute hindeuten, symbolisch für ihre Zuverlässigkeit: das Lebensrad und eine Kugel, auf der sie balancierte. Kein Wunder, dass sie auch für die

Orakel zuständig war, den antiken Vorläufer der Astrologie beim Versuch, etwas über die Zukunft zu erfahren. Fortuna spielte in der Religion der Römer

eine wichtige Rolle mit vielen Tempeln im gesamten Römischen Reich. Ihr

wichtigstes Attribut war das Füllhorn, dessen Inhalt gleichermaßen ein gutes wie ein böses Schicksal sein konnte, Glück und Pech. Sie goss es ohne Ansehen der Person aus. Wilhelm Busch fand die richtigen Worte: Fortuna lächelt, doch sie

mag / Nur ungern voll beglücken / Schenkt sie uns einen Sommertag /

So schenkt sie uns auch Mücken.

„Ein Füllhorn ausgießen" Überfluss verbreiten ei Darstellungen von Gottheiten konnte es schwierig sein, diese auf Anhieb zu identifizieren; Göttinnen

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waren meist strahlend schön, entweder reich gewandet oder splitternackt, jedenfalls nicht so ohne wei­

teres als Venus, Diana oder Juno zu erkennen. Männliche Gottheiten, ob Apollo, Mars oder Merkur, stellte man maskulin, gut aussehend und meist nackt dar. Um Götterstatuen zu charakterisieren, wurden ihnen

Attribute zugeordnet, symbolische Gegenstände, die etwas mit ihrer Zuständigkeit zu tun hatten; am bekann­

testen ist sicher der Dreizack des Neptun. Einige Göttinnen, zum Beispiel die Schicksalsgöttin Fortuna, trugen ein Füllhorn. Das ist weder ein Musikinstrument noch ein Trinkgefäß, sondern ein geflochtener Korb, der in

der Antike unter anderem zur Weinlese verwendet wurde. Er war trichterförmig, so dass er gut unter den Arm genommen werden konnte. Im Arm einer Göttin war er mit Blumen und Früchten gefüllt und symbolisierte Fruchtbarkeit und Überfluss.

72

Römische Mythologie

Victoria Siegessymbol

V

ictoria" ist ein weit verbreiteter Beiname von Sportvereinen, die meist in der

Kaiserzeit gegründet wurden, so in Aschaffenburg, Köln und Berlin. Dieser

Name geht auf die römische Siegesgöttin gleichen Namens zurück, deren grie­

chische Kollegin Nike hieß. Bei beiden handelt es sich um die vergöttlichte Perso­ nifikation eines eigentlich abstrakten Begriffs, in diesem Fall des Sieges. Die Darstel­ lung der antiken Siegesgöttin, ob griechisch oder römisch, hat auch Einfluss gehabt

auf viele Siegesmale der Vergangenheit, wobei nicht nur das Deutsche Reich beson­

ders Gefallen an dieser Göttin fand, die in der Regel geflügelt dargestellt wurde.

Bekanntestes Berliner Beispiel ist die über acht Meter hohe und 35 Tonnen schwere, vergoldete Bronzeskulptur, die seit 1873 auf der Siegessäule steht und bekanntlich im

Berliner Volksmund „Goldelse" genannt wird. Warum aber ihre Siegesgöttin bei den Römern als jungfräulich galt, lässt Raum für Spekulationen ...

„Penaten"-Creme auftragen wunde Babyhaut lindern

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ltern greifen seit über hundert Jahren zu einer speziellen Salbe, die dem wunden Säuglings-Popo spürbare

Linderung bringt Aber wer hat sich schon einmal Gedanken darüber gemacht, warum diese Creme aus­

gerechnet „Penaten-Creme" heißt? Das ist ein Name wie tausend andere Markennamen, und doch geht er

auf die römische Mythologie zurück. Die Ehefrau des Erfinders der Salbe, des deutschen Drogisten Max Rie­ se, hatte wohl eine - in der Kaiserzeit nicht unübliche - solide klassische Bildung, denn sie schlug vor, die

auf einer Basis von Wollfett und Zinkoxid entwickelte parfümierte Creme nach den Penaten, den römischen Schutzgöttern für die privaten Haushalte, zu nennen. Der Sage nach soll Aeneas die Penaten von Troja nach Latium mitgebracht haben. Ais Seelen verstorbener Vorfahren waren sie familiengebunden und für den Herd

und die Speisekammer und damit für das häusliche Glück zuständig. Die bereits 1904 auf den Markt gebrachte, nach ihnen benannte Salbe dürfte in der Tat den häuslichen Frieden mehr als einmal

gerettet haben.

73

Römische Mythologie

„Cerealien zum Frühstück" Frühstücksflocken aus Getreide

W

er heute von Zerealien - manchmal auch mit C geschrieben - spricht, meint in der Regel Frühstücks­

flocken, weil auf der Packung „breakfast cereals“ steht. Zerealien sind aber in der Landwirtschaft bzw.

im Lebensmittelhandel alle der menschlichen Ernährung dienenden Gewächse und deren Früchte, insbeson­

dere Getreideprodukte. Dieser Begriff wurde vom Namen der römischen Göttin Ceres abgeleitet, einer Toch­ ter des Saturn und damit Halbschwester Jupiters. Sie war die Göttin der Erde, des Ackerbaus, der Fruchtbar­

keit und der Ehe und damit in etwa der griechischen Demeter vergleichbar, deren Namen sich ja eine Han­ delsorganisation entliehen hat, die biologisch-dynamisch erzeugte Produkte verkauft Dass in vielen romani­

schen Sprachen auch das Wort für Bier - lateinisch „cervisia", französisch „cervoise", spanisch „cerveza" - von dieser Göttin abgeleitet ist, ist darauf zurückzuführen, dass beim Bierbrauen bekanntlich Gerste eines der drei

erlaubten Bestandteile ist.

Flora und Fauna Pflanzen- und Tierwelt

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ahreszeitliche Erscheinungen wie Kälte und Regen wurden in Zeiten der fehlenden naturwissenschaftlichen Erkenntnisse dem

Wirken von Gottheiten zugeschrieben, und so hatte auch die Blüte der Natur im Frühjahr ihre verantwortliche Göttin. Ihr Name in der römi­ schen Mythologie war Flora, besonders zuständig für die Getreideblüte,

die ja sehr wichtig war für den Ertrag der Ernte ein Vierteljahr später.

Flora zählte zu den so genannten Vegetationsgöttern, zu denen - in Rom in

zwei Tempeln - für eine gute Ernte gebetet wurde. Analog zu ihrer Disziplin Blüte galt sie konsequenterweise auch als Göttin der Jugend und als Schutz­ gott der Schwangerschaft. Der Name einer anderen, heute in Vergessenheit geratenen, damals aber sehr wichtigen Göttin wurde von ihren Priesterinnen

geheim gehalten; sie war zuständig für Fruchtbarkeit, Heilung und Jungfräulichkeit und wurde unter dem Pseudonym Bona Dea, „gute Göttin", angebetet Einer ihrer

Beinamen war Fauna, womit heute, als sprachliche Zwillingsschwester der Flora, die Tierarten in einem Gebiet oder in einer Epoche bezeichnet werden.

74

Römische Mythologie

„Aurora" beliebter Name für alles Mögliche urora" wird in allen möglichen Bereichen der menschlichen Zivilisation gern als Produktname genutzt,

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für Orte, Himmelskörper, Panzer- und andere Kreuzer, Walfangschiffe, Fregatten, Fähren, Kreuzfahrt­

schiffe, Admiralitätsjachten und Küstenwachboote, Weltraumprojekte, geheime Versuchsflugzeuge und Rake­

ten, Romane, Verlage, Jahrbücher, Opern, Plattenlabel, Getreidemühlen, Matratzenhersteller, Minengesell­ schaften, Server, Bergwerke, Rebsorten, Automobile, Software, Natursteinsorten, Filmpreise, und nicht zuletzt

nennen sich eine ungarische Punk-, eine dänische Death-Metal- und eine britische New-Wave-Band so.

Ursprünglich war dieser Name die lateinische Bezeichnung der Morgenröte, die die Griechen Eos nannten.

Bekanntlich ordneten die Menschen in der Antike auch Naturerscheinungen Gottheiten zu, und so war Aurora gleichzeitig der Name der Göttin dieses Naturphänomens. Sie galt als Schwester des Sonnengottes

Sol und der Mondgöttin Luna, beides auch Naturgottheiten. Mal abgesehen vom Wohlklang des Wortes

bleibt unklar, warum Kriegsschiffe, Getreidemühlen und Computerprogramme „Aurora" genannt werden.

„Keine Moneten haben" mittellos sein as sich wie ein Wort der Berliner Gassensprache anhört, hat seinen Ursprung

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in der römischen Mythologie. Auf dem Capitol, einem der sieben Hügel, auf

denen die Ewige Stadt errichtet worden ist, stand der Tempel der Juno Moneta. Juno war die Stadtpatronin Roms, und der eigenartige Beiname, der „Mahnerin“ bedeutet,

geht zurück auf ein Erdbeben, in dessen Verlauf die Göttin die Bürger gemahnt haben soll, mehr Opfer zu bringen. Entweder in oder direkt neben diesem Tempel soll sich eine Münzstätte befunden haben, weshalb später diese Prägewerkstatt und danach das dort hergestellte Geld nach dem Tempel benannt wurden. Im I 8. Jahr­

hundert ging der Begriff „Moneten" als damals noch studentische Bezeichnung für Geld, dann aber etymologisch verändert auch als „Münzen" in unsere Sprache ein. Aber auch in anderen Sprachen finden sich Spuren der Göttin Moneta: „money“ im

Englischen, „Monnaie" im Französischen, „moneta" im Italienischen erinnern an sie.

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Römische Mythologie

Den Lebensfaden abgeschnitten bekommen plötzlich sterben

st der Mensch eine Marionette, die plötzlich leblos in sich zusammenfällt, wenn jemand den Führungsfa­

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den durchschneidet? Wilhelm Busch brachte es auf den Punkt: „In der Wolke sitzt die schwarze / Parze

mit der Nasenwarze / und sie zwickt und schneidet, schnapp!! / Knopp sein Lebensbändel ab." Dabei griff er

auf eine in der römischen und griechischen Mythologie verbreitete Vorstellung zurück, dass drei Schicksals­ göttinnen, bei den Griechen Moiren, bei den Römern Parzen genannt, menschliche Lebensfäden spinnen. Je

nach Länge und Qualität des Fadens bemisst sich das Leben des daran Hängenden. Die Parzen waren ursprünglich Geburtsgöttinnen, worauf ihre Eigennamen noch hinweisen: Nona („die Neunte“), Decima („die

Zehnte") und Parca („die Geburtshelferin"), wobei sich die ersteren beiden auf die Monde einer Schwanger­ schaft beziehen. Später wurden die Parzen so etwas wie Buchhalterinnen Jupiters; sie waren zuständig dafür,

den Willen des Chefgottes auf Metalltafeln zu archivieren.

Wie von Furien gehetzt' rastlos ein Ziel verfolgend

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n den 6Oer-Jahren war das Fernsehpferd Fury sehr popu­ lär. Eigenartig, dass es einen negativ behafteten Namen

trug, denn das englische Wort „fury" geht auf die Furien, die römischen Rachegöttinnen, zurück. Sie sind heutzutage bekannter als ihre griechischen Pendants, die Erinnyen.

Nach der Mythologie entstanden die drei Göttinnen

namens Alekto, Megaira und Tisiphone, die dafür sorgten, die sittliche Ordnung zu schützen und bei Verfehlungen zu

rächen, in dem unappetitlichen Umfeld der Entmannung

des Urgottes Uranos. Der Name der römischen Göttinnen leitet sich von dem lateinischen Verbum „furere" (rasen, toben) ab, weil die Römer sie sich als alte, aber jung­

fräuliche Weiber vorstellten, mit schwarzen, verzerrten Gesichtern, Schlangenhaaren und drohend geschwun­ genen Fackeln - der Inbegriff des Entsetzens. Heute hat die Bezeichnung „Furie“ immer noch etwas Furcht­

einflößendes, denn gemeint ist eine Frau, die vor Zorn in Raserei verfällt. Merkwürdigerweise ist das davon

abgeleitete Adjektiv „furios" in der Bedeutung „leidenschaftlich, mitreißend" eher positiv.

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Römische Mythologie

Schreiten wie eine Grazie etwas tu aufrecht gehen

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uch die Grazien sind weitaus bekannter als ihre griechischen Schwes­

tern - wer kennt noch die Chariten? In der römischen Mythologie sind

die Töchter des Bacchus und der Venus nach „gratia", dem lateinischen Wort

für Anmut, Liebreiz und Frohsinn benannt und heißen Euphrosyne, Aglaia und Thalia, die letztere namensgleich mit der Muse des Lustspiels. Sie galten als Göttinnen der Anmut; selbstverständlich zeichnete sie besondere Schön­

heit aus, was ein Grund war, warum sie häufig zu dritt Gegenstand der Bild­ hauerei waren. Hier wurden sie in der Regel unbekleidet dargestellt, wie sie

sich gegenseitig umarmen. Die beiden von diesem Dreigestirn abgeleiteten Adjektive „grazil" und „graziös" meinen nicht dasselbe. Während eine grazile

Frau schlank, zierlich und anmutig ist, ist eine graziöse zwar attraktiv, aber einen Tick überspannt, weshalb man heute unter dem Begriff Grazien auch meist etwas augenzwinkernd schlanke, übertrieben aufrecht schreitende junge

Damen versteht, die sich ihrer Reize etwas zu sehr bewusst sind.

„Das ist ja genial!" eine begnadete Leistung

iele Menschen, auch solche, die nicht in die Kirche gehen, glauben fest an den Schutzengel, was

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sich auch darin manifestiert, dass sie unter anderem bei Nebel in hohem Tempo über die Autobahn

rasen - der Schutzengel wird es schon richten. Der heidnische Vorgänger dieses Aufpassers war der Genius, in der römischen Religion der persönliche Schutzgeist eines Mannes, seiner Persönlichkeit und seiner Männ­ lichkeit Ihm wurde geopfert in der Hoffnung auf Beistand in schwierigen Situationen. Im Gegensatz zum christlichen Engel stellte man sich den Genius bärtig, mit freiem Oberkörper, Füllhorn und einer Opferschale vor; erst später erhielt er die Gestalt eines geflügelten Knaben. Auch Orte konnten einen Schutzgeist haben, den so genannten und bis heute bekannten „genius loci". In der Literaturepoche des „Sturm und Drang" im 18. Jahrhundert bildete sich aus dem „Genius“ der Begriff „Genie“. Man bezeichnete damit hochgradig

begabte, gewissermaßen von ihrem Genius besonders geförderte, eben geniale Menschen.

Römische Mythologie

„Das ist eine Fama" Das ist ein Gerücht. n der römischen Mythologie gab es für so ziemlich alles zwischen Himmel und Erde - und auch

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darunter - eine zuständige Gottheit, selbst für nicht körperlich fassbare Dinge. So war Fama die Göt­

tin des Gerüchts. Es hieß, sie sei zu Beginn klein und unscheinbar, von eigentümlicher Gestalt mit vielen neugierigen Augen, lauschenden Ohren, geschwätzigen Mündern und natürlich Flügeln; im Flug werde sie

immer größer und größer. Später verkörperte Fama auch den Ruhm, als dessen passendes Attribut sie eine Art Fanfare erhielt. Zwei Adjektive gehören in dieselbe Wortfamilie. Aus dem lateinischen „infamis" (berüch­

tigt, verrufen) entstand unser „infam" im Sinne von „hinterhältig, unverschämt", während „famos" im Sinne

von „großartig, prächtig, vorbildlich" in der Studentensprache des I 9. Jahrhunderts aus dem lateinischen Adjektiv „famosus" gebildet wurde, was eigentlich ganz neutral „viel besprochen" bedeutet

Das ist psychisch bedingt Das hat seelische Ursachen.

ie sich heute - sehr vereinfachend gesagt - um die Seele

kümmernde Psychologie führt ihren Namen zurück auf das alt­ griechische Wort für „Atem, Hauch", mit dem damals auch das

Wesentliche eines Menschen gemeint war. Eine mythische Figur dieses Namens spielte in der römischen Literatur, dies­

mal übrigens ohne originale griechische Vorlage, eine Rolle.

Der römische Autor Apuleius erzählt die Geschichte von der Königstochter Psyche, deren überirdische Schönheit sogar die

der Venus überstrahlt, so dass ihr selbst der Liebesgott Amor

nicht widerstehen kann. Nach einigen für Liebesgeschichten cha­ rakteristischen Verwicklungen versetzt Venus Psyche in einen

Todesschlaf, aus dem sie nur Amor retten kann. Dieser bean­

tragt bei Göttervater Jupiter die Erlaubnis, dass Gott und Sterb­ liche heiraten dürfen, zumal die Schöne von ihm bereits schwan­

ger ist. Jupiter hat ein Einsehen und erhebt Psyche sogar zu den Unsterblichen. Das Kind der beiden, selbstverständlich ebenfalls

wunderschön, erhält den aussagekräftigen Namen Voluptas, was soviel bedeutet wie Wollust.

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Römische Mythologie

Eine Herkulestat vollbringen" sich übermenschlich anstrengen

er eine besonders schwierige Aufgabe bewältigte,

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kann zu Recht sagen, dass er eine Herkulestat

vollbracht hat Diese Redewendung geht zurück auf zwölf schier unlösbare Arbeiten, die der griechische

Halbgott Herakles, der in der römischen Sage den Namen Herkules trug, erledigen musste. Seine Feindin, die Göttin Hera, bei den Römern Juno genannt, hatte

seinen Geist umnachtet; im Zustand des Wahnsinns

erschlug er seine Frau und seine Söhne. Dafür bekam er vom König Eurystheus, seinem Cousin, zwölf Bußen

auferlegt Er musste Löwen und neunköpfige Schlangen

töten, wilde Hirschkühe und Eber fangen, Rinderställe ausmisten, gefährliche Vögel ausrotten, Stiere und

menschenfressende Rosse zähmen, Amazonenwaffen und Rinderherden rauben, goldene Äpfel und den Zerberus aus der Unterwelt holen. Die Römer waren wegen seiner übermenschlichen Stärke große Verehrer des Halbgottes. Es verwundert nicht, dass Herkules mit seinem äußerst athletischen Körperbau in der Antike,

aber auch noch in späteren Epochen häufig ein Liebling der Bildhauer oder Maler war - und heute der Bodybuilder. Einen besonders muskulösen Typ nennen wir bis heute „herkulisch“.

„Wie Herkules am Scheidewege" vor einer schwierigen Grundsatzentscheidung stehend erkules war Protagonist eines in der Antike populären Gleichnissses. Danach traf der junge Halbgott an

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einer Weggabel zwei sehr unterschiedliche Frauen. Die eine trug kostbare Kleider und war aufwändig

herausgeputzt, die andere war schlicht und bescheiden. Die Stolze lockte ihn damit, dass auf ihrem Weg ein

Leben voller Genuss, Reichtum und Glückseligkeit vor ihm liege. Die andere Frau aber, die die Tugend ver­

körperte, wies ihn darauf hin, dass er auf ihrem Weg viel Leid erdulden, dafür aber auch den Lohn ernten werde: Achtung und Verehrung, ja Liebe der Menschen und Götter. Herkules entschied sich natürlich, dem

Pfad der Tugend zu folgen. Im Mittelalter, der Zeit der ritterlichen Ideale, galt Herkules als Vorbild für

tugendhaftes Verhalten und Kriegertum. Vor allem das Motiv des Helden am Scheidewege war noch bis in die Zeit des Barock sehr beliebt.

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Römische Mythologie

„Das ist das Nonplusultra" Es gibt nichts Besseres. ielen Menschen ist nicht bewusst, dass Herkules gar kein Römer war. Tatsächlich hieß er Alkaeos und

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war ein Sohn des Zeus und der Alkmene, einer Sterblichen, was dem Knaben die Feindschaft der eifer­

süchtigen Zeusgattin Hera einbrachte. Wegen der ständigen Auseinandersetzung mit ihr wurde er schließlich

Herakles genannt, „der, der sich durch Hera Ruhm erwarb". Als er am äußersten Ende der damals bekannten Welt die nach ihm benannten Säulen des Herakles erreichte, die Meerenge von Gibraltar, soll er angesichts

der dahinter befindlichen Wasserwüste die Warnung „Nicht darüber hinaus" auf Griechisch dort an den Felsen geschrieben haben. Die lateinische Version „Non plus ultra" hat sich deshalb erhalten, weil der römi­

sche Herkules wegen der kulturellen Vormachtstellung der Römer in Europa weitaus populärer wurde als sein

griechischer Zwilling. Die lateinische Floskel wird in der deutschen Umgangssprache immer noch verwendet,

um etwas Unübertreffliches zu bezeichnen.

„Die Schiffe hinter sich verbrennen" sich den Rückweg bewusst selbst verbauen n lateinischen Quellen ist der Satz zu finden: „Pons a tergo abruptus est - Die Brücke ist hinter dem

Rücken abgebrochen worden", womit ein Kommandeur offenbar seine Soldaten dadurch motivieren

wollte, dass es keinen Weg zurück gab, sondern nur den siegreichen Vormarsch - oder den Untergang. Der griechische Schriftsteller Plutarch lobt in seinem Werk „Uber die Tugenden der Frauen" die Trojanerinnen, die eine ähnliche Taktik verfolgt haben sollen. Nach der Zerstörung Trojas auf der Flucht, wurden sie zusammen

mit ihren überlebenden Männern nach diversen, von Vergil in seiner „Aeneis" geschilderten Irrfahrten nach

Italien verschlagen; der Dichter lieferte mit seinem, in der Tradition Homers geschriebenen Epos einen wichtigen Beitrag zum Gründungsmythos Roms. Weil die Frauen, des heimatlosen Umherziehens müde, auf

Anregung der Göttin Juno ihre Schiffe in Brand setzten, war den Flüchtlingen die Weiterfahrt verwehrt und sie mussten versuchen, an Ort und Stelle sesshaft zu werden - erfolgreich, wie wir wissen: Sie waren die mythischen Vorfahren der Römer.

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Römische Mythologie

„Sie sind wie Castor und Pollux" Es handelt sich um unzertrennliche Freunde. astor und Pollux waren eigentlich nicht römische, sondern griechische Sagengestalten und hießen

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Kastoras und Polydeukes; es sind aber ihre latinisierten Namen bekannt geblieben. Obwohl sie zwei

verschiedene Väter hatten, galten sie als Zwillinge, denn sie waren in einer Nacht von ihrer Mutter Leda

empfangen worden. Das lässt auf lockere Sitten schließen, aber der eine Vater war Zeus, der bekanntlich Leda

in Gestalt eines Schwans verführte, und der andere Vater war der wohl ahnungslose Ehemann der Leda. Die so genannten Dioskuren (Gottessöhne) waren absolut unzertrennlich, was zu der Redensart geführt hat Als

der sterbliche Bruder Castor in einem Streit erschlagen wurde, war der wegen seiner göttlichen Gene

unsterbliche Pollux untröstlich. Sein gerührter Vater Zeus gewährte ihm die Gnade, mit Castor jeweils einen Tag im Hades und einen Tag im Olymp zu verbringen, mit der Bedingung, dabei zu altern und schließlich auch zu sterben. Der Transportbehälter für radioaktives Material namens Castor hat mit dem antiken Zwilling

überhaupt nichts zu tun, sondern beruht auf der etwas bemüht gebildeten Abkürzung für „cask for storage and transport of radioactive material“.

„Da wacht ein Cerberus" Eine unfreundliche Wache versperrt den Weg.

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achhunde sind gewöhnlich dazu da, niemanden herein zu lassen. Bei diesem berühmten Köter war das anders: er ließ jeden herein, aber niemanden wieder hinaus - aus der Unterwelt Trotzdem hat sich die

Redensart vom Cerberus als einer grimmigen Wache entwickelt, die zum

Beispiel in Vorzimmern von wichtigen Leuten den Zugang versperrt Der griechische Original-Höllenhund hieß Kerberos, die Römer übernah­ men ihn als Cerberus, die Deutschen machten daraus ihren Zerbe­

rus. Diese spezielle Hunderasse - Hunde galten im antiken Hel­

las als unreine Tiere - war sehr groß und dreiköpfig, mit einer

Schlange als Schwanz. Nur zwei Mal gelang es jemandem, an die­ sem Monster unbeschadet vorbei zu kommen. Der legendäre Sän­

ger Orpheus machte ihn mit seinem Gesang brav wie ein Schoß­

hündchen, während Herakles, dessen Aufgabe es war, ihn aus der Unterwelt zu

holen, ihn in einem gigantischen Ringkampf überwältigte.

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Römische Mythologie

„Die Tartaren kommen!" Eroberer aus der Hölle

ie Europäer haben schon immer fremden, von ihnen „kolonisierten“ Völkern Namen gegeben, die oft

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auf einem Missverständnis beruhten. Bestes Beispiel sind die so genannten „Indianer", die natürlich mit

Indien überhaupt nichts zu tun haben, sondern von den Spaniern so genannt wurden, die glaubten, den

westlichen Seeweg nach Indien gefunden zu haben. Auch die Tataren, die früher sogar „Tartaren" genannt wurden, haben ihren Namen vom Westen. Als nämlich immer wieder Völker aus dem Orient - es handelte

sich meist um Hunnen, später um die Mongolen des Dschingis Khan - das Römische Reich bedrohten, wurden diese zuerst von den Römern, dann bis ins Mittelalter hinein als Tartaren bezeichnet; Angst und Schrecken verbreitend, schienen sie direkt aus der Hölle zu kommen. Dieser mythische Ort, bei den

Griechen Tartaros genannt, war in der Spätantike die unterste Unterwelt, wo Menschen wie Sisyphos und

Tantalos, die sich gegen göttliche Gesetze vergangen hatten, zu ewigen Qualen verurteilt waren. Deshalb war „Tartarus" ein Synonym für „Abgrund". Heute nennt sich ein Turkvolk, das vor allem in der russischen

Republik Tatarstan lebt, offiziell „Tataren". Ob sie sich der fatalen Etymologie des Wortes bewusst sind?

„jemanden in den Orkus stoßen" der Hoffnungslosigkeit überlassen

ür den Gott, der bei den Griechen Hades hieß und mit Persepho­

ne, römisch Proserpina, die Unterwelt regierte, kommen in der römischen Mythologie mehrere Namen in Frage. Pluto war einer von

ihnen, ein anderer Orcus. Als Orcus war er der Strafende, der diejeni­

gen Verstorbenen, die das Christentum später Sünder nennen würde,

in der Unterwelt folterte. In der griechischen Sagenwelt war die syno­ nyme Verwendung des griechischen Götternamens Hades auch für

seinen Zuständigkeitsbereich, das Totenreich, üblich. Analog hat

sich im Deutschen aus dem Namen Orkus die Bezeichnung für die Unterwelt allgemein entwickelt; als Orkus gilt demnach der

Abgrund, die Hölle, aus der es keine Rückkehr gibt Wenn man

davon spricht, dass man jemanden in den Orkus stoßen werde, meint man, dass ihm die völlige Vernichtung seiner Existenz dro­

he, ein hoffnungsloser Absturz. Pluto und Proserpina

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Kapitel 3

Von Marathon bis Spree-Athen Redewendungen und Begriffe aus

der griechischen Geschichte

Griechische Geschichte

„Eine drakonische Strafe verhängen übertrieben hart bestrafen enn von „drakonischen Strafen" die Rede ist, haben in der griechischen Geschichte Unbewanderte

W

womöglich die Assoziation zu lat „draco“ (Schlange, Drache), auch das griechische „drakon“ meint

dasselbe. Und tatsächlich amüsierte sich sogar Aristoteles über diesen Gleichklang der Wörter. In Wirklichkeit sind die „drakonischen Strafen" nach dem Gesetzesreformer Drakon benannt, der um das Jahr 621 v. Chr. die Gesetze Athens novellierte. Bemerkenswerterweise führte Drakon zwei bis heute wichtige Änderungen in das Strafrecht ein: Er unterschied zwischen vorsätzlicher und unbeabsichtigter Tötung; außerdem ordnete er

an, Straffäile an spezialisierte Gerichtshöfe zu delegieren - überraschend modern anmutende Maßnahmen. Die drakonische Gesetzgebung war bereits im klassischen Griechenland als übertrieben grausam verrufen, was wohl auf die für viele Delikte vorgesehene Todesstrafe zurückzuführen ist In dieser Bedeutung ist sie

auch im Deutschen sprichwörtlich geworden. Aber Drakon hat die damals bereits vorhandenen Gesetze

lediglich festgeschrieben, teilweise willkürliche Bestrafungen abgeschafft und auch die Blutrache erfolgreich bekämpft.

„Bin ich Krösus?" Ich kann mir das nicht leisten.

B

in ich etwa Krösus?" - Mit dieser Frage werden noch heute übertriebene

Anfragen nach Übernahme finanzieller Zahlungen gern beantwortet Man

meint damit, dass man leider nicht in der Situation sei wie der für seinen legen­

dären Reichtum berühmte historische König. Tatsächlich zählte Kroisos (so sein historischer Name), von etwa 555 bis 541 v. Chr. der letzte König von Lydien,

zu den wohlhabendsten Fürsten seiner Zeit Seinen sagenhaften Reichtum bezog

er vor allem aus den in Kleinasien gefundenen Goldvorkommen. Obwohl sein

Reichtum zum Beispiel mit dem der persischen Könige nicht annähernd vergleich­

bar gewesen sein dürfte, ist er wohl in die Geschichte eingegangen, weil die Lyder das

Münzgeld erfunden haben sollen. Da die Münzen mit seinem Siegel aus einer Gold-Silber-Legierung bestan­ den und in der gesamten antiken Welt verbreitet waren, entstand bei den damit bezahlenden Völkern wohl der Eindruck großen Reichtums des Abgebildeten.

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Griechische Geschichte

„Vor dem Areopag stehen" vor Gericht angekiagt sein ls Areopag bezeichnet man heute noch gelegentlich einen Gerichtshof. Der „echte" Areopag liegt in

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Athen und ist - der Name bedeutet übersetzt „Areshügel" - ein 115 Meter hoher Berg mitten in der

Stadt Hier tagte in der Antike der oberste Rat, der nach diesem Felsen benannt wurde. Der Rat, der auch als

Gericht fungierte, wurde der Sage nach gegründet, als der Gott Ares des Mordes an einem Sohn des Posei­ don angeklagt und dann aus Mangel an Beweisen freigesprochen wurde. Ein weiterer berühmter Kriminalfall der Sage, nämlich die Tötung der Klytaimnestra durch Orestes, ihren und des Agamemnon Sohn, wurde vor

dem Areopag verhandelt und endete ebenfalls mit Freispruch, was übrigens die Anklägerinnen, die Rachegöt­ tinnen, nicht daran hinderte, den Täter weiter zu verfolgen. Der historische Areopag setzte sich aus Adligen,

seit Solon aus ehemaligen obersten Beamten zusammen. Er hatte Verwaltungs-, Regierungs- und religiöse Aufgaben, aber auch die Blutgerichtsbarkeit. Das oberste Gericht des modernen Griechenland heißt immer

noch Areopag, auch wenn es längst nicht mehr auf dem gleichnamigen Hügel tagt

In „Hekatomben" umkommen massenhafte Opfer fordern

V

or nicht allzu langer Zeit gab es noch eine eigentümliche Maßeinheit die Hekatombe. Vor allem im Zusammenhang mit Katastrophen sprach man von einer „Hekatombe an Opfern". Vielleicht passen ja

die beiden Begriffe ganz gut zueinander, denn beide stammen aus der griechischen Antike: die Katastrophe

bezeichnete im Drama eine Wendung zum Schlechten, die Hekatombe, abgeleitet vom altgriechischen Wort für Hundert, ursprünglich ein Opfer von 100 Rindern. Um die Götter gnädig zu stimmen, musste offenbar eine Menge Vieh dran glauben. Da sich aber nicht jeder eine derart große Menge Rinder leisten konnte, ver­ allgemeinerte sich bald der Begriff Heka­

tombe zu einer Bezeichnung für ein Opfer von allgemein vielen Tieren. Wurde

bei Homer auch schon ein Opfer von

zwölf Stieren, Lämmern, Schafen und Zie­ gen eine Hekatombe genannt, so erwies

sich der römische Kaiser Julian auch beim Opfern verschwenderisch: unter

anderem ließ er 100 Löwen und 100 Adler töten. Ob dies die Götter positiv

aufnahmen, ist nicht überliefert.

88

Griechische Geschichte

„Einen Marathon absolvieren" sich über Cebühr lange anstrengen emerkenswerterweise wird heute unter „Marathon" nicht etwa die historische, rund 40 Kilometer von

B

Athen entfernte Ortschaft verstanden, sondern ein Lauf über die lange Distanz von 42,1 95 Kilometern.

Wie kam es dazu? Der griechische Historiker Herodot berichtet, dass im Jahr 490 v. Chr. ein Bote in zwei

Tagen von Athen nach Sparta gelaufen sei mit dem Auftrag, im Krieg gegen die Perser um Hilfe zu bitten. 500 Jahre später machte daraus Plutarch die Legende vom athenischen Läufer, der im Jahre 490 v. Chr. nach dem Sieg in der Schlacht von Marathon - die knapp 40 Kilometer nach Athen gelaufen und dort mit

den Worten „Wir haben gesiegt" tot zusammengebrochen sei. Als an historischer Stelle 1 890 ein Hügel mit

den Gräbern gefallener Athener freigelegt wurde, belebte man die Sage wieder und ließ den legendären Lauf im Rahmen der ersten Olympischen Spiele der Neuzeit in Athen als Wettkampf

stattfinden. Heute ist ein „Marathon" beispielsweise eine die normale Dauer einer Veranstaltung überschreitende Sitzung.

„Wanderer, kommst du nach Sparta ..." Hier ruhen sich erschöpfte Wanderer aus. anderer, kommst du nach Sparta, verkündige

W

dorten, du habest uns hier liegen gesehn, wie

das Gesetz es befahl" lautet der vollständige Vers

eines gewissen Simonides von Keos in einer das

Versmaß übernehmenden Übersetzung. Dieser Satz,

den man als sarkastische Bemerkung gegenüber Ruhebedürftigen früher oft hörte, setzt zum Verständ­

nis eine gewisse klassische Bildung voraus. Er ent­ stammt nämlich einer Übersetzung, die kein Geringe­

rer als Friedrich Schiller von einem der bekanntesten Distichen des griechischen Altertums angefertigt hat,

also einem Verspaar, das aus einem Hexameter und einem Pentameter besteht Das Gedicht soll auf dem Gedenkstein gestanden haben, der für die Spartaner errichtet wurde, die sich, 480 v. Chr. in der Schlacht bei

den Thermopylen einer mehr als hundertfachen persischen Übermacht den Weg versperrend, opferten. Diese Inschrift rühmte ursprünglich den Opfertod fürs Vaterland, das Zitat wird allerdings heutzutage, die Tragik des Originalanlasses ignorierend, eher spöttisch gebraucht.

89

Griechische Geschichte

Ein Scherbengericht abhalten ein umfassend vernichtendes Urteil fällen

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cherben bringen Glück, sagt das Sprichwort. Dies traf auf

die vom Urteil eines Scherbengerichts betroffenen Bürger

im Athen des 5. vorchristlichen Jahrhunderts nicht zu, denn

hier ging es darum, unliebsame Bürger für zehn Jahre aus der

Stadt zu verbannen. Uber die Gründe, meist politisch einfluss­

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reichen Mitbürgern die weitere Mitwirkung am politischen

Leben zu verwehren, soll hier nicht spekuliert werden; es mögen durchaus ehrenhafte, also am Bestand der athenischen Demokratie orientierte,

gewesen sein; andererseits ist aber wohl auch so manche private Rechnung beglichen worden. Wie dem auch sei, das Scherbengericht war eigentlich nur eine Form der Abstimmung, wo aus Ermangelung von Papier die

Stimmabgabe über gekennzeichnete Tonscherben von zerbrochenen Gefäßen, von denen es sicher genug gab, erfolgte. Immerhin mussten 6000 Stimmen gegen eine Person zusammenkommen - eine hohe Hürde.

Dennoch stehen bekannte Namen auf der Liste der nach einem Scherbengericht Verbannten, unter anderem Thukydides, Stratege und herausragender antiker Historiker, aber eben auch Gegner des Perikies. Damals war

das Scherbengericht ein Abstimmungsverfahren mit offenem Ausgang, heute bezeichnet man damit meist

einer Verurteilung nahe kommende Aktionen, mit denen politisch Missliebige ausgeschaltet werden sollen.

„Eine Philippika halten" leidenschaftlich gegen jemanden argumentieren ine leidenschaftliche Rede als „Philippika" zu bezeichnen, gerät etwas aus der Mode. Der Begriff ist

E

zu Zeiten der verbreiteten humanistisch-klassischen Bildung entstanden. Er wurde abgeleitet von vier

Reden, in denen der griechische Staatsmann und begnadete Redner Demosthenes ab 349 v. Chr. zum Wider­

stand gegen König Philipp II. von Makedonien aufrief, und bedeutet soviel wie Angriffs-, Brand- oder Kampfrede. Auch in folgenden Jahren fühlten sich Politiker gedrängt, „Philippiken" zu halten. So wetterte

Cicero, einer der berühmtesten Redner der Antike und Verehrer des Demosthenes, gegen Marcus Antonius

(in Deutschland meist Mark Anton genannt), dem er Streben nach Tyrannis vorwarf, und nannte diese Reden in Erinnerung an Demosthenes „Philippische Reden".

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Griechische Geschichte

Wie Diogenes in seinem Fass bescheiden, anspruchslos

D

iogenes, der legendäre altgriechische Philosoph und Lebenskünstler, lebte im 4. vorchristlichen Jahrhundert in Athen und Korinth. Er wird als einer der

Begründer des so genannten Kynismus angesehen, einer Philosophie, die sich durch eine skeptische Einstellung gegenüber ethischen Normen auszeichnete - unser Begriff „Zynismus" leitet sich davon ab. Diogenes stellte von der

Allgemeinheit als gesichert Anerkanntes radikal in Frage, indem er den

Dingen auf den - manchmal fragwürdigen - Grund ging, hierin Karl Valentin vergleichbar. Der historische Diogenes selbst hat kaum Spuren hinterlassen. Umso mehr Anekdoten sind über seine Lebensweise und seine Lehre, was auf das Gleiche hinausläuft, überliefert; so soll er, als er einmal

ein Kind sah, das Wasser aus der Hand trank, seinen Trinkbecher weggewor­ fen haben, weil ihm klargeworden sei, dass selbst ein Becher zum Trinken ein überflüssiger Luxus sei. Die populärste und bis heute bekannte Geschichte berichtet davon, dass er angeblich in einem

Fass genächtigt haben soll, weil er zum Schlafen keine Wohnung brauche.

„Geh mir aus der Sonne!" Stör mich nicht in meiner Ruhe! m antiken Griechenland scheint der Name Diogenes beliebt gewesen zu sein - kein Wunder, bedeutet er

I

doch in deutscher Übersetzung entweder „aus adligem Geschlecht" oder „Abkömmling Gottes". Jedenfalls

sind diverse bekannte Männer der Antike mit diesem Namen überliefert, unter anderem ein Bildhauer, ein

Feldherr und mehrere Philosophen. Geradezu berühmt aber ist Diogenes von Sinope (399 - 323 v. Chr.), der Kyniker, durch seinen Spitznamen „Diogenes in der Tonne" bis heute bekannt Die Philosophie des Kynis­

mus betrachtete ethische Normen eher kritisch und strebte konsequenterweise nach Bedürfnislosigkeit Der Schriftsteller Plutarch hat die bekannte, aber wohl erfundene Geschichte überliefert, dass Alexander der Große,

wohl um seine Authentizität zu prüfen, dem damals schon legendären Diogenes die Erfüllung eines Wunsches

zugesagt habe, was immer es auch sei. Diogenes soll geantwortet haben: „Geh mir ein wenig aus der Sonne". Cool. Aber leider nie passiert, denn als Alexander nach Korinth kam, weilte Diogenes in Athen ...

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Griechische Geschichte

Den Gordischen Knoten zerschlagen ein schwieriges Problem unkonventionell lösen ie Zerschlagung des Gordischen Knotens ist legendär, ob sie aber einen realen historischen Hintergrund

D

hat, ist umstritten. Alexander der Große, der berühmte makedonische Eroberer, kam im Frühjahr 334

v. Chr. nach Gordion in Kleinasien, wo der damals schon legendäre Knoten Deichsel und Zugjoch eines königlichen Streitwagens verband, angeblich von Göttern angebracht Ein Orakel hatte prophezeit, dass nur

derjenige Asien erobern werde, der diesen Knoten lösen könne. Alexander, der bekanntlich zu handfesten

Maßnahmen neigte, soll den Knoten einfach mit seinem Schwert durchschlagen haben. Gegen den

Wahrheitsgehalt der Geschichte spricht, dass Alexander dafür bekannt war, dass er religiöse Riten

zeitlebens streng achtete; das Zerstören eines gött­ lichen Knotens wäre für ihn sehr untypisch gewesen. Alexander eroberte tatsächlich große Teile - des

damals bekannten - Asiens, starb aber kaum zehn

Jahre später erst 33-jährig, wahrscheinlich an einer Mischung aus Kriegsverletzungen und übermäßigem Weinkonsum.

„Quod erat demonstrandum" Was zu beweisen war.

D

ie Floskel quod erat demonstrandum - „was zu zeigen war" ist eigentlich eine lateinische Übersetzung

aus dem Griechischen. Dort wurde sie von Mathematikern wie Euklid (um 300 v. Chr.) und Archime­

des verwendet, um ihre Beweisführungen abzuschließen und zu bekräftigen. Später wurde dieser Ausdruck auch auf logische, juristische und andere Beweisführungen ausgedehnt Wegen der Häufigkeit und Verbrei­

tung bürgerte sich die Abkürzung q. e. d. ein. Um es noch deutlicher zu machen, und weil die antike lateini­

sche Schrifttype Capitalis Monumentalis keine kleinen Buchstaben kannte, wurde auch Q. E. D. geschrieben.

Dies ist besonders in der englischsprachigen Wissenschaftskultur üblich. Auch den im Lateinischen nicht so geübten Zeitgenossen rutscht gelegentlich ein triumphierendes Quod erat demonstrandum heraus, wenn sich

eine Argumentation mit Hilfe eines praktischen Beweises als richtig herausgestellt hat.

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Griechische Geschichte

Die Sieben Weisen Gremium von Sachverständigen

J

ur noch auf einem Gebiet sind - neben den Weisen aus dem Morgen­ land im Krippenspiel - Weise gefragt: in der Wirtschaft Die exakte

Bezeichnung der fünf Wirtschaftsweisen lautet „Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung". Hergeleitet ist die Kurzform von einer Gruppe von Persönlichkeiten des 7. und 6.

Jahrhunderts v. Chr. Platon nennt als Mitglieder des Zirkels der damals „Sieben Weisen" Thales, Pittakos, Bias, Solon, Kleobulos, Myson und

Chilon. Sie waren meist keine Philosophen, sondern angesehene Staats­

männer. Ihre Weisheitssprüche hatten vor allem das Maßhalten zum Thema: „Nichts im Übermaß!" (Solon); „Erkenne den rechten Zeitpunkt!" (Pittakos); „Maßhalten ist das Beste!" (Kleobulos). Und auch in der heute so

modischen Selbsterfahrung war Chilon Vorreiter: „Erkenne dich selbst!" Ob tat­

sächlich der Rat der so genannten Wirtschaftsweisen gehört wird, darf angesichts der Lage der Weltwirtschaft allerdings lebhaft bezweifelt werden. Kein Wunder, ist doch hier die „heilige" Zahl Sieben auf Fünf reduziert

worden ...

„Das ist ja logisch!" Das hätte ich mir denken können!

riechischlehrern graust es, wenn ihre Schüler ganz selbstverständlich das Wort „logisch" aussprechen.

G

Leider hat sich die Aussprache mit langem o so eingebürgert, dass die richtige fremd, ja falsch klingt

Das Wort „logisch" ist jedoch abgeleitet vom altgriechischen „logos“ (Wort, Gedanke), das mit Omikron, also kurzem o, geschrieben wird. Der ursprüngliche Begriff wurde wohl bereits im 4. Jahrhundert v. Chr. von

Zenon, dem Begründer der Stoa, geprägt Die daraus abgeleitete Logik ist ursprünglich die Lehre vom vernünftigen Schlussfolgern und Argumentieren. Die Logik als wissenschaftliche Disziplin ist in der Philoso­ phie, aber auch in der Mathematik und Informatik unverzichtbar. In der Umgangssprache werden Sachverhal­

te oder Argumente als „logisch" bezeichnet, wenn sie schlüssig, stichhaltig, einleuchtend sind und

Rückschlüsse auf das Denkvermögen ihres Anwenders zulassen. Neuerdings gibt es verschiedene Arten der Logik, die sich zum Teil widersprechen: „Frauenlogik" und „Männerlogik“.

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Griechische Geschichte

„Stoische Ruhe" unbeeindruckbare Gelassenheit eute versteht man unter stoischer Ruhe einen extrem gelassenen, fast unbeteiligten Umgang selbst mit

H

Schicksalsschlägen; der Begriff ist sogar fast negativ behaftet, weil er eine Übersteigerung des Nicht-

aus-der-Ruhe-Bringens und einen zur Passivität neigenden Fatalismus beinhaltet Die „stoische Ruhe" geht

aber zurück auf eines der einflussreichsten und langlebigsten philosophischen Lehrgebäude der Antike. War

der Name zunächst abgeleitet von einer Säulenhalle auf der Agora, dem Marktplatz von Athen, dem zentra­ len Fest- und Versammlungsplatz, so bildete sich dort um 300 v. Chr. eine Denkschule, die ein universelles

Prinzip in allen Naturerscheinungen und natürlichen Zusammenhängen sah. Die Stoiker strebten an, ihren Platz in diesem Universum zu erkennen und mit völliger Leidenschaftslosigkeit zu akzeptieren. Einer der bekanntesten Stoiker war der römische Philosoph Seneca, der selbst einer von Kaiser Nero an ihn gerichteten Aufforderung zum Selbstmord mit „stoischer Ruhe" nachkam, obwohl er gar nicht an der von Nero

aufgedeckten Verschwörung beteiligt gewesen war.

Das ist ja zynisch!" eine bissige Bemerkung ggressiver Humor hat verschiedene Stufen. Sarkasmus zum Beispiel,

A

mit dem Zynismus manchmal verwechselt wird, nutzt Spott und

schwarze Pointen, um einen anderen Menschen zu verletzen. Zynismus dagegen entspringt aus einer pessimistischen Grundeinstellung, die der Welt als Ganzes Werte abspricht und sich darüber lustig macht, wenn

andere Menschen so etwas haben. Ursprünglich bezeichnete der Begriff die Lebensanschauung und -weise der Kyniker, einer grie­

chischen Philosophen-Schule, deren bekanntester Vertreter Diogenes von Sinope war, der im 5. Jahrhundert v. Chr. lebte. Die Kyniker waren schon damals skeptisch, was die ethischen Grundregeln angeht, und streb­ ten demzufolge nach Bedürfnislosigkeit und Natürlichkeit Ihren Namen hatten

sie aufgrund der Bissigkeit, mit der sie allgemeine Werte und Normen in Frage stellten, denn das altgriechische Wort für Hund lautet „kyon". Diogenes

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Griechische Geschichte

„Sophistisch argumentieren" spitzfindig diskutieren enn ein Diskussionsgegner es schafft, ohne tatsächlich im Besitz der besseren Argumente zu sein,

W

die Diskussion in seinem Sinne zu beeinflussen, spricht man gern von „Sophisterei" - man fühlt sich

übervorteilt, bis hin zum Vorwurf von Wortverdrehungen. Ihren Ursprung hat diese Bezeichnung in einer

antiken philosophischen Richtung, die eine Erkenntnis ihres bekanntesten Mitglieds Protagoras in den Mittel­ punkt ihrer Weitsicht stellte: „Der Mensch ist das Maß aller Dinge". Diese Gelehrten und Philosophen, deren

Bezeichnung vom griechischen Wort für „weise“ abgeleitet wird, waren so geschickt in der Kunst der Rhetorik, dass sie in der Lage waren, einen Disput aus der schwächeren Position heraus zu gewinnen. Dies warf ihnen

besonders Sokrates vor, dessen Schüler Platon in seinen „Sokratischen Dialogen" das negative Image des

Begriffs „sophistisch" festigte. Bis heute werden rhetorische Figuren, die zu Fehlschlüssen verleiten sollen, als Sophismen bezeichnet

„Sich platonisch lieben" ohne erotische Ambitionen Zuneigung empfinden

G

emeinhin versteht man heute unter „platonischer" Liebe eine emotionale

Beziehung zwischen Mann und Frau, die keine erotische oder gar sexuel­

le Dimension hat; dabei schwingt ein gewisser mitleidiger Unterton mit Diese Bedeutung entspricht keineswegs der ursprünglichen, und das in mehrfacher

Hinsicht Der Terminus geht nämlich zurück auf den griechischen Philosophen Platon (428 bis 348 v. Chr.), der die Liebe auf geistiger Ebene als die höchste

Stufe der Zuneigung bezeichnete, durchaus im Gegensatz zur körperlichen.

Nach Platon ist diese die niedrigste Qualität, übertroffen von der Liebe zu

schönen und guten Lebenseinstellungen, der Liebe zur Wissenschaft und schließlich der geistigen Liebe, die dem Streben nach ideellen Werten wie

Schönheit, Wahrheit und schließlich Göttlichkeit entspringt Auch die Philoso­ phie (griech. „Liebe zur Weisheit") gehört nach Platon zu dieser Kategorie. Er gesteht zu, dass die höchste Stufe nur sehr wenige Menschen erreichen. Da ist es ein Glück, dass die von Platon beschriebene seelische Verbundenheit und innige Freundschaft eine erotisch motivierte Liebe nicht ausschließen muss ._

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Griechische Geschichte

„Das kleinere Übel wählen" von zwei schlechten Alternativen die bessere wählen er griechische Philosoph Platon (428 - 348 v. Chr.) hat zwar auch ein großes eigenes Werk hinterlassen,

D

ist aber besonders als Schüler und Epigone des Sokrates bekannt Seine Werke sind nicht, wie damals

üblich, als Lehrgedichte geschrieben, sondern in Dialogform; darin lässt er meist Sokrates mit unterschiedli­

chen Partnern Debatten führen. Aus einem der das Denken und die Methode seines Lehrers schildernden

Bücher, dem so genannten Protagoras-Dialog, stammt das Sokrates-Zitat: „Von zwei Übeln wird niemand das

größere wählen, wenn er das kleinere wählen kann." Die Erkenntnis, manchmal nicht zwischen Gutem und Bösem, sondern zwischen zwei Übeln sich entscheiden zu müssen, dürfte jedem schon einmal gekommen sein, spätestens an der Wahlurne ...

Das ist die Quadratur des Kreises Das ist ein unlösbares Problem.

W

enn man mit einem schier unlösbaren Problem konfrontiert wird, kommt einem dies so vor, als solle man die Quadratur

des Kreises lösen, also den Flächeninhalt eines Kreises in ein Qua­ drat überführen. Selbstverständlich sollte jeder Pennäler eine solche

Aufgabe rechnerisch in wenigen Minuten lösen, aber mit den klas­ sischen Mitteln der Geometrie, also Lineal und Zirkel, ist dies unmöglich. Generationen von Mathematikern haben sich an die­

sem klassischen Problem bereits die Zähne ausgebissen. Bereits der griechische Philosoph Anaxagoras soll es um 430 v. Chr. versucht

haben, ebenso Hippokrates von Chios und andere Zeitgenossen. Später versuchten sich auch mathematische Laien an dem scheinbar

so simplen Problem, und auch mit modernen analytischen Metho­

den rückte man ihm zu Leibe. Erst im Jahre I 882 konnte nachgewiesen werden, dass das Problem tatsäch­ lich unlösbar ist. Der Ausdruck „Quadratur des Kreises" ist in vielen Sprachen seither zu einer Metapher für

eine unlösbare Aufgabe geworden. Übrigens ist auf die Antwort zu der Frage nach der Quadratur des Kreises keine Belohnung ausgesetzt

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Griechische Geschichte

„Mit einer Xanthippe verheiratet sein" eine zänkische Ehefrau haben us der Antike sind uns viele Frauennamen überliefert, auf die Mädchen bis heute getauft werden:

A

Irene, Diana, Penelope. Kaum ein Name aber ist so negativ besetzt wie der der Ehefrau des Philoso­

phen Sokrates. Vor allem Xenophon berichtet, dass es sich bei Xanthippe um ein besonders zänkisches Weib gehandelt haben soll, deren Boshaftigkeit ihr Mann nur mit philosophischer Gelassenheit ertragen habe. Mal

abgesehen von der Tatsache, dass die beiden immerhin drei Söhne zusammen hatten, ist in der neueren

Forschung versucht worden, den „klassischen" Charakter dieser Frau zu hinterfragen. Vor allem in der feministisch angehauchten Forschung wurde ihr Verhalten damit erklärt, dass auch Sokrates nicht gerade der liebevolle und fürsorgliche Ehemann gewesen sein wird, sondern seine Familie zugunsten der Philosophie

vernachlässigt haben könnte, was die schlechte Laune seiner Frau möglicherweise verursacht habe. Aber auch

alles Verständnis wird es nicht schaffen, den Namen Xanthippe jemals von seinem Image zu befreien.

„Den Schierlingsbecher reichen zum Tode verurteilen

E

s gibt viele Arten, einen Menschen vom

Leben zum Tode zu befördern. Auch die

vom Gericht verordnete Todesstrafe wird in unterschiedlichen Ländern unterschiedlich aus­

geführt Im klassischen Altertum war, neben Stei­ nigung, Kreuzigung, Erwürgen und Enthaupten,

das Gift eine verbreitete Hinrichtungsart. Dafür wurde meist eine besonders giftige Art der Dol­

denblütler, der Gefleckte Schierling (Conium

maculatum), verwendet, aus dessen Früchten oder Wurzeln das Gift gewonnen wurde. Dessen

Wirkstoff führt zu einer Lähmung des Rücken­ marks, die schließlich den Erstickungstod nach sich zieht Da Giftopfer nicht körperlich entstellt werden, sol­ len die für ihr ästhetisches Empfinden bekannten Griechen diese Hinrichtungsart gewählt haben. Der Begriff „Schierlingsbecher" wird meist mit der Hinrichtung des Sokrates 399 v. Chr. in Verbindung gebracht Sokra­

tes, der wegen vorgeblicher Gotteslästerung angeklagt worden war, nahm den Giftbecher gefasst und ohne

Widerstand entgegen.

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Griechische Geschichte

„Orakeln" rätselhafte Andeutungen machen

mmer schon hätte der Mensch gern gewusst, was die Zukunft bringt, und wenn es nur darum ging, die Lottozahlen schon vor der Ziehung zu kennen. In der Antike waren Orakel Versuche, die Zukunft mithilfe

von meist Frauen zu entschleiern, die in der Lage schienen, die Zeichen zu deuten, die für eine Offenbarung aus dem Jenseits gehalten werden konnten. Charak­

teristisch war, dass diese Vorhersagen meist rätselhaft waren, denn die Pries­

terinnen zogen sich oft durch doppeldeutige Auskünfte aus der Affäre. Berühmt wurde die Antwort auf die Anfrage des Kroisos nach seinen Aus­ sichten für einen Sieg gegen die Perser. Der Spruch lautete, er werde ein

großes Reich zerstören - er verlor und zerstörte damit sein eigenes. Nicht

verwechselt werden darf das Orakel mit dem Hellsehen oder mit der Pro­ phezeiung, ein Orakel (lat „Götterspruch") befragt vielmehr stets eine göttli­

che Instanz. Es ist üblich geworden, mit diesem Begriff auch Orakelstätten wie Delphi, das als Geburtsort Apollons, des Gottes der Weissagung, galt, zu bezeichnen.

Die Römer entwickelten später sogar einen Staatskult, um aus Zeichen in der Natur wie dem Vogelflug oder der Beschaffenheit von Tiereingeweiden die Zukunft zu erkennen.

„Sich sibyllinisch ausdrücken" eine endgültige Meinung zurückhalten n der Antike gab es mehrere Methoden, der Zukunft ihr Geheimnis zu entreißen. Die bekannteste

waren die Orakel, von denen es neben dem berühmten in Delphi noch weitere gab. Auch Seher wie

der legendäre blinde Teiresias und weibliche „Sibyllen" versuchten, die Zukunft zu deuten. Während die Pythia in Delphi ihre kryptischen Sprüche in Trance murmelte, die durch einer Erdspalte entströmendes Gas hervorgerufen wurde, gab eine Sibylle in Ekstase Auskunft. Während man ein Orakel selbst aufsuchen musste,

gaben Sibyllen ihre Weissagungen meist unaufgefordert an ihre Zeitgenossen, darin den Propheten des Alten Testaments nicht unähnlich. Im antiken Griechenland gab es möglicherweise mehrere dieser Frauen, weshalb

„Sibylle" zu einer neutralen Bezeichnung für eine weibliche Prophetin wurde. Wenn sich heute jemand

sibyllinisch ausdrückt, versucht er, einerseits geheimnisvoll, andererseits rätselhaft zu sein.

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Griechische Geschichte

„Eine Orgie feiern" in jeder Beziehung über die Stränge schlagen nter einer Orgie stellt man sich meist exzes­

U

sive Handlungen gegen die guten Sitten vor,

wobei in der Regel der sexuelle Aspekt im Vorder­ grund steht, möglichst noch unter Hinzuziehung erheblicher Mengen von Alkoholika. Die arme

Orgie ist damit auf ihrer eigenen Schlüpfrigkeit

ausgerutscht und unverdient tief gesunken. Denn

ursprünglich bezeichnete das griechische Wort die geheimen Riten beim Dionysos-Kult, später bei

anderen antiken Mysterien. Die deutsche Sprache

übernahm den Begriff als Lehnwort bereits im I 7. Jahrhundert, noch ohne zweifelhaften Beige­ schmack. Er wurde auf geheime Riten der Griechen und Römer und später auf nächtliche kultische Geheim­

treffen allgemein angewendet Später wurde die ursprünglich religiöse Bedeutung durch die heute noch gebräuchliche abgelöst, vielleicht weil man sich geheime Riten ohne sexuelle Komponenten nicht vorstellen

konnte. In der heutigen Zeit, in der sprachlich oft maßlos übertrieben wird, kommen auch für andere, das

gewöhnliche Maß übersteigende Ereignisse Begriffe wie „Fressorgie", „Orgie der Gewalt" oder „Orgie der Farben" in Gebrauch.

Ein Parasit sein auf Kosten anderer leben arasiten haben heutzutage ein schlechtes Image. Sie gelten, ähnlich wie die gleichbedeutenden Schma­

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rotzer, als Wesen, die selbst nicht zu ihrem Lebensunterhalt beitragen, sondern anderen auf der Tasche liegen. Ursprünglich aber wurde „parasitos" ein Apollon-Priester genannt, der auf das Opfergetreide

aufpassen musste und als Gegenleistung einen Teil des Korns behalten konnte. Bereits in der griechischen

Komödiendichtung ab dem 4. vorchristlichen Jahrhundert wurde der Parasit als eines der Fächer, also der

Rollentypen des Schauspiels, aber schon negativ besetzt Als Müßiggänger, der bei anderen Leuten schnorrt,

lebte er in der italienischen Commedia dell' arte weiter. Im Deutschen wurde der „Parasit" auf dem Umweg über das Französische eingeführt, wo er im Lustspiel ebenfalls auf Kosten anderer lebt

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Griechische Geschichte

„Sich für den Nabel der Welt halten" sehr eingebildet, egozentrisch sein

ehrere Orte in Deutschland nehmen für sich in Anspruch, der Mittelpunkt unseres Landes zu sein. Da

M

Deutschlands Grenzen keinen Kreis beschreiben, ist es schwierig, das Zentrum dieser ausgezackten

Fläche zu finden. Obwohl es außer einer gewissen Prominenz nichts dafür gibt, Mittelpunkt zu sein, scheint dieses Spielchen schon uralte Wurzeln zu haben. Denn bereits die alten Griechen machten sich Gedanken

darum, wo der Mittelpunkt der Welt sein könnte. Da sie sich die Erde als runde Scheibe vorstellten, war ein

solcher Gedanke damals relativ nahe liegend. Sie nannten den schließlich definierten Ort, den Apollon­ Tempel in Delphi, poetisch „Nabel der Welt“. Hier wurde ein eher phallisch als nabelförmig aussehender Stein verehrt, der an der Stelle lag, wo sich der Sage nach zwei Adler getroffen hatten, die Zeus vom äußers­ ten Westen und Osten aus auf die Reise geschickt hatte. Die Römer verlegten selbstverständlich später den

Nabel der Welt nach Rom - wohin sonst! - und markierten ihn auf dem Forum Romanum ebenfalls durch einen Stein.

Den Eid des Hippokrates schwören einen ärztlichen Schwur leisten

er „Eid des Hippokrates" ist eine weit verbreitete, aber unhaltbare Legende, denn die

D

Ansicht, dass Ärzte diesen Eid ablegen müssen, ist falsch. Und nicht nur das: Auch

die Urheberschaft eines Mannes namens Hippokrates ist von keiner Quelle belegt.

Trotzdem gilt der griechische Arzt Hippokrates von Kos (460 - 370 v. Chr.) als Ver­

fasser dieser grundlegenden Formulierung einer ärztlichen Ethik. Sie enthält Elemen­

te, die auch heute noch anerkannt sind; das wichtigste ist sicherlich das Gebot,

Kranken nicht zu schaden, und die ärztliche Schweigepflicht. Dagegen wird das Ver­ bot von Schwangerschaftsabbrüchen und aktiver Sterbehilfe heute bekanntlich heftig

diskutiert oder gar ignoriert Die Ablegung des Eides in seiner klassischen Form wird

heute von Ärzten nicht mehr verlangt und hätte auch bei eventuellen juristischen Konsequenzen keine Bedeutung. Heute gehört das Verlesen des „Eides des Hippokrates" dagegen wieder zu den eher theatralischen Bestandteilen von fei­

erlichen Promotionszeremonien vieler Hochschulen, wenn auch nicht in

Deutschland.

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Griechische Geschichte

„In Spree-Athen wohnen Einwohner von Berlin sein ie deutsche Hauptstadt leidet bekanntlich unter dem

D

Minderwertigkeitskomplex, nicht in der ersten Liga der

Weltstädte zu spielen. Wenn New York, Rio, Tokio genannt werden, halten als europäische Metropolen höchstens Paris

und natürlich London mit Der verkrampfte Versuch Berlins,

ständig „Weltstadt-Niveau“ zu betonen, spricht für sich. Das

war früher anders. Spätestens seit der Gründung der Universität 1809 wurde die Stadt zu einem internationalen

Zentrum von Wissenschaft und Kultur, und die klassizistischen Bauten Schinkels erinnern an Athen. Schon 1706 hatte ein

gewisser Erdmann Wircker das Attribut „Spree-Athen" geprägt, und zwar in einer Festschrift, in der er König Friedrich I. dafür pries, dass er „ein Spree-Athen gebauet" habe, wo „die Weisheit erst in rechter Pracht geschauet" werde. Um I 900 galt Berlin dann als eine der fortschritt­

lichsten und kulturell wichtigsten Metropolen der Welt - für eine Stadt, die eigentlich erst seit I 800 aus

dem Schatten anderer Reichsstädte wie vor allem Wien herausgetreten war, eine großartige Wandlung. Der Ruf Athens als antike Welthauptstadt des Geistes wurde im Zeitalter des klassischen Bildungsideals gern auch

auf andere Universitätsstädte übertragen, allerdings konnten sich „Lahn-Athen" für Gießen oder gar „Ryck-

Athen" für Greifswald nicht halten. In Berlin gehört der scheinbar anmaßende Beiname bis heute zum Lokal­ patriotismus und wird immer mal wieder, allerdings oft mit leicht ironischem Unterton, verwendet

„An einem Symposion teilnehmen" eine Diskussionsveranstaltung besuchen

in Symposion war ursprünglich ein Trinkgelage mit Tanz und Musik; zur Zeit Platons handelte es sich um

E

ein Gastmahl, in dessen Verlauf durchaus Reden gehalten wurden, allerdings damals in erster Linie mit

einschlägigen Themen des Genusses und der zwischenmenschlichen Beziehungen gewidmeten Inhalten.

Erst im I 9. Jahrhundert hat es einen Bedeutungswandel gegeben. Seitdem dürfen durchaus nüchterne Dis­

kussionsveranstaltungen, in deren Verlauf Flüssigkeiten nur in Form von Wasser und Kaffee gereicht werden, diesen eigentlich in eine andere Richtung weisenden Titel führen.

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Griechische Geschichte

Wie ein Deus ex machina erscheinen eine überraschende Wendung bewirken enn jemand wie ein „deus ex machina"

W

auftaucht, ist es meist ein Retter in letzter

Minute, mit dem keiner mehr gerechnet hat In

den antiken Dramen ging es nämlich oft um Pro­

bleme, die schicksalsschwer menschliches Handeln überforderten; da mussten Götter her, die dem menschlichen Protagonisten aus seinem Elend heraushelfen konnten. In den „Eumeniden" des

Aischylos und in der „Iphigenie“ des Euripides ist es beispielsweise die Göttin Athene, die per

„deus ex machina"-Vorrichtung erscheint und ins

Geschehen eingreift Dieser „Gott aus der Maschi­ ne" war ursprünglich, trotz des noch heute verbrei­ teten lateinischen Namens, in der griechischen Tragödie tatsächlich der Darsteller einer Gottheit, der mit Hilfe einer Bühnenmaschinerie auf die Bretter, die damals mehr noch als heute die Welt bedeuteten, gehievt

wurde und dort den Konflikt, um den es dramaturgisch ging, löste. Wenn heutzutage Autoren ihre Geschich­ te mit überraschenden Mitteln in eine andere Richtung bewegen, wird dies ebenfalls als „deus ex machina" bezeichnet und ist eher abwertend gemeint, weil Zweifel an der Fähigkeit des Autors bestehen, die Handlung

logisch aufzubauen und zu Ende zu führen.

„Einen tragischen Verlauf nehmen" verhängnisvoll enden

enn heute von Tragik die Rede ist, wenn jemand einen tragischen Fehler begangen hat oder wenn

W

etwas einen tragischen Verlauf nimmt, ist damit gemeint, dass hier Schlimmes geschieht Die wörtli­

che Übersetzung von „tragisch" würde übrigens „bocksartig" bedeuten, was uns auf den ersten Blick nicht

weiterbringt. Tatsächlich aber bedeutet der Begriff „Tragödie" wörtlich übersetzt „Bocksgesang", weil er aus dem Dionysos-Kult entstanden ist, in dem bocksbeinige Fabelwesen, die Satyrn, eine Rolle spielten. Im 6. Jahrhundert v. Chr. entstanden die ersten Tragödien in Athen, deren besonderes Kennzeichen die

schicksalhafte Verstrickung der Hauptperson in einer ausweglosen Lage war, in der sie, obwohl schuldlos, nur

schuldig werden kann. Dieser für die Tragödie charakteristische Konflikt hat dann meist den Zusammenbruch

der Person zur Folge. Sophokles verfasste mit seinem „König Ödipus" ein besonders typisches Beispiel.

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Griechische Geschichte

„Mit dem Thespiskarren unterwegs sein" einer Wanderbühne angehören

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or allem in Zeiten der nicht flächendeckenden Verbreitung von Fernse­ hern gab es Wanderbühnen, die auch das „platte Land" mit Kultur ver­

sorgten. Es sei mal dahingestellt, ob sich die Aufführungen mit denen in den

Metropolen messen konnten, aber es wird für die Landgemeinden immer eine willkommene Abwechslung gewesen sein, wenn sich zur Theatervorstel­ lung der Vorhang hob. Kulissen, Kostüme und nicht zuletzt die Schauspieler

wurden in Pferdewagen transportiert, Wohnwagen vergleichbar, wie sie auch heute noch von Wanderzirkussen benutzt werden. Diese Theaterwagen wurden früher „Thespiskarren“

genannt und zwar nach dem griechischen Dichter Thespis, der im 6. Jahrhundert v. Chr. auch als Theaterlei­ ter und Schauspieler in Athen wirkte und als Erfinder der Tragödie galt. Aus seiner Zeit ist zwar kein derarti­ ger Nachweis bekannt, aber der römische Dichter Horaz berichtet, dass Thespis mit einerWanderbühne auf

einem Karren herumgezogen sei.

„Horror vacui" die Angst vor dem Nichts er „luftleere Raum" war ein typischer Begriff der 6Oer-Jahre, als die ersten Menschen in den Weltraum

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geschossen wurden und dort Erfahrungen mit dem Vakuum machten. Dieses kann auf der Erde selbst

mit stärksten Pumpen nicht hundertprozentig erzeugt werden, weshalb es auf den ersten Blick nicht einleuch­

tet, dass es einen horror vacui, also die „Angst vor der Leere" geben sollte. Aber gemeint ist nicht der luftlee­ re Raum, sondern ein Problem der Scholastik, die davon ausging, dass die Natur vor einem leeren Raum einen Abscheu habe und diesen mit allen Mitteln auszufüllen suche. Aber schon den antiken Philosophen

Aristoteles trieb die Frage um, ob es einen Raum, in dem sich absolut nichts befindet, geben könne. Nach

einigem Nachdenken war er sicher, dass es keine solche Leere geben könne; auf ihn geht die Vorstellung zurück, dass die Natur sogar eine Abscheu vor dem absoluten Nichts habe. Heute wird der Begriff nicht nur im räumlichen Sinne verwendet, sondern auch im akustischen, wenn ein Mensch es zum Beispiel nicht ohne

Musik aushält - „diese mörderische Stille bringt mich um" (B. Lassahn).

103

Griechische Geschichte

Etwas in epischer Breite erklären sehr ausführlich werden pen handeln von sagenhaften Ereignissen, bei denen oft Götter oder Helden wichtige Rollen spielen. Die klassischen Epen schlechthin sind zweifellos Homers

Ilias" und „Odyssee" und Vergils „Aeneis". Aber auch das „Nibelungenlied“ und die „Göttliche Komödie" sind Dichtungen, die die Bezeichnung „episch" verdient

haben. Damit ist aber nicht etwa ein Qualitätsurteil verbunden, gemeint ist

lediglich, dass es sich um ein dichterisches Werk größeren, ia immensen Aus­ maßes handelt Der Ursprung des Wortes Epos liegt im Altgriechischen; es

bedeutete ursprünglich „Wort" oder „Vers", später auch „Erzählung“ und bezeichne­ te die, neben Drama und Lyrik, dritte Hauptform der antiken Dichtung. Auch

heute wird erzählende Dichtung unter dem Begriff Epik zusammengefasst In der

Umgangssprache allerdings hat die „epische Breite" einen eher negativen Sinn bekommen. Man kritisiert zum Beispiel damit, dass Berichte länger gedauert haben als notwendig, weil sie eine besonders große Ausführlichkeit bzw. Weit­ schweifigkeit auszeichnete. Das gilt allerdings auch für die Epen Homers, die in

den Schilderungen von beispielsweise Kriegerrüstungen eine gewisse Weitschwei­ figkeit nicht verleugnen können. Homer

„Du bist ein Banause" Ich halte dich für einen ungebildeten Spießer. er Banause ist ein gutes Beispiel dafür, dass ein Wort im Laufe der Zeit und beim Übergang in

D

andere Kulturkreise eine völlig andere Bedeutung bekommen und seinen ursprünglich neutralen

Wert ins Negative wandeln kann. Das altgriechische Wort „banausos“ bedeutete damals nichts anderes als „Handwerker", abgeleitet von der wörtlichen Übersetzung „ein am Ofen Arbeitender“. Obwohl der Handwer­ ker früher, in einer Zeit, als es noch keine fabrikmäßig gefertigte Waren gab, noch in höherem Ansehen

stand, bekam der Begriff schon in der Antike einen abschätzigen Beigeschmack, wohl wegen des überragen­

den Images der mit ihrem Geist arbeitenden Philosophen. Viel später, um 1 800, entwickelte der Homer­

Übersetzer Graf Stolberg eine gewisse Liebhaberei für dieses griechische Wort und führte seine Lieblings­ vokabel als Fremdwort ins Deutsche ein - der Banause war geboren.

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Griechische Geschichte

In den Hundstagen schwitzen" die heißeste Zeit des ]ahres erleben

ieso nennt man die im Normalfall besonders heißen Som­

W

mertage vom 23. Juli bis zum 23. August „Hundstage'?

Bekanntlich kann ein Hund doch gar nicht schwitzen, denn ihm fehlen die Schweißdrüsen; dafür hechelt er, das heißt, er verduns­

tet zur Wärmeabfuhr Feuchtigkeit in der Nase und im Maul. Das Sternbild Großer Hund, dessen Hauptstern der Sirius ist, deshalb auch Hundsstern genannt, ging in der Antike genau zwischen die­

sen beiden Kalenderdaten auf. Das Sternbild war täglich etwas mehr zu sehen, bis es am 23. August komplett am Himmel stand.

Diese Spanne, die meist auch die Zeit der größten Sommerhitze

darstellte, wurde „Tage vom Großen Hund" genannt, und die alten Griechen glaubten, dass die Hitze durch die Verschmelzung des Sonnenlichts mit dem Feuer des besonders hellen Sirius ausgelöst werde. Durch die Eigenbewegung des Sternbildes Canis Maior hat sich der Aufgang dieses Sternbildes seitdem um rund vier

Wochen verschoben; damit wären also im ganzen September die echten „Hundstage". Aus alter Tradition nennen wir aber die heißen Juli- und Augustwochen immer noch so.

„Eine Koryphäe sein" ein hervorragender Fachmann sein

er Laie staunt und der Fachmann wundert sich, wenn eine Koryphäe am Werk ist Denn es gibt kaum

D

eine größere Anerkennung, als wenn jemand mit diesem Attribut belegt wird. Umso erstaunlicher ist,

woher diese Bezeichnung eigentlich stammt Das altgriechische Ausgangswort, abgeleitet von der Vokabel für „Spitze", bezeichnete einen Anführer, speziell den Chorführer in der griechischen Tragödie. Bekanntlich

bestand die verbindliche Grundstruktur dieser antiken Bühnenwerke aus dem Wechsel zwischen den Monobzw. Dialogen der Schauspieler und den kommentierenden Liedversen des Chores, der in der Tragödie aus

zwölf bis fünfzehn Bürgern bestand, die unter der Leitung eines Chorführers probten. Unser heutiger Termi­ nus bezeichnet, nach einer etymologischen Reise durch das Latein und die französische Sprache, herausra­

gende Persönlichkeiten bestimmter Fachgebiete, in der Regel Geisteswissenschaftler. Die Verwendung des Attributs in der Formel 1 oder in der Schlagerbranche ist aus guten Gründen eher selten.

105

Griechische Geschichte

„Olympische Spiele" alle vier ]ahre stattfindendes Sportfest ie heutigen Olympischen Spiele haben mit der Veranstaltung, auf die ihr Name

D

zurückgeht, fast gar nichts mehr zu tun. Handelt es sich heutzutage um das

größte Sportspektakel der Welt, so waren die Spiele von Olympia, einer Tempelanla­

ge im Nordwesten des Peloponnes mit dem wichtigsten Heiligtum des Zeus, eine

Mischung aus religiösem Kult und verschiedenen Wettkämpfen, sportlichen, aber auch musischen. Noch ein Unterschied: Freuen sich heute Unterlegene über ihre

Silber- oder Bronzemedaiilen, so galten damals schon der zweite und dritte Platz als

untilgbare Schmach. Was fast in Vergessenheit geraten ist Die eigentliche „Olympiade", nämlich der Vier-Jahres-Abstand, der auch heute noch für den Rhythmus der moder­ nen Spiele gilt, war verursacht dadurch, dass neben den Spielen von Olympia auch noch drei weitere abwechselnd stattfanden: die Pythischen Spiele in Delphi, die Nemei-

schen Spiele und die Isthmischen Spiele von Korinth. 1896, in einer Zeit der Begeiste­

rung für das klassische Griechenland, wurde von diesen Vieren lediglich die Olym­ piade wiederbelebt

Eine Lesbierin sein als Frau eine andere Frau Heben

w

eibliche Homosexualität ist natürlich keine Erfindung der Neuzeit Und diese Orientierung mit der

Ägäisinsel Lesbos in Verbindung zu bringen, ist ebenfalls nicht neu - in der Antike war ein Aus­

druck geläufig, der lautete „es machen wie die Frauen aus Lesbos". Ohne hier auf spezielle Techniken einge­

hen zu wollen, darf man wohl davon ausgehen, dass auf Lesbos nicht nur „Lesbierinnen" lebten. Woher kommt dann dieses Synonym? Die Dichterin Sappho, die im 6. Jahrhundert v. Chr. auf dieser Insel lebte, hat

in ihren Versen die Liebe zwischen Frauen besungen. Wenn auch ihre eigenen Vorlieben bis heute nicht bekannt sind, wurde der Terminus „sapphische Liebe" kreiert, der dann im Frankreich des 17. Jahrhunderts

durch „lesbische Liebe" verdrängt wurde. Die Bezeichnung „Lesbe" war lange Zeit - vergleichbar dem Begriff

„schwul" - eher ein Schimpfwort, wurde dann aber von gleichgeschlechtlich orientierten Frauen für eine über

das Sexuelle hinaus gehende partnerschaftliche Bindung zwischen zwei Frauen besetzt und damit aufgewertet.

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Griechische Geschichte

„Die Quintessenz" Der Hauptgedanke, das Wesentliche eute umfasst das so genannte Periodensystem 1 18 chemische Elemente - die Antike kam noch mit

H

den „elementaren" vier Elementen Feuer, Wasser, Erde und Luft aus. Diese Lehre geht auf Philosophen

wie Thales und Heraklit zurück; Empedokles entwickelte die Ansicht, nach der Feuer, Luft, Wasser und Erde die Bausteine aller Dinge sein sollten, und tat damit einen wichtigen Schritt zur Entmachtung der Götter.

Aber schon Aristoteles fragte sich, woher eigentlich das Leben komme, das den vorhandenen Elementen ja

nicht unbedingt zu Eigen ist Er postulierte also ein fünftes Element, das er „Äther" nannte und das die Kraft

haben sollte, toten Gegenständen Leben zu verleihen. Der lateinische Name dieses fünften Elements lautete „quinta essentia" (fünftes Seiendes). Wegen der immensen Bedeutung dieser Quintessenz wandelte sich der

Sinn zu „das Wesentliche, Hauptsächliche, Wichtigste". Eine Quintessenz hat also mit der Essenz als einem konzentrierten Auszug eines Stoffes nichts zu tun.

Heureka! Ich hab's! as Wort „Heureka" kommt aus dem Altgriechischen, ist die

D

I. Person Singular Indikativ Perfekt und bedeutet soviel wie

„Ich hab's gefunden". Bekannt, ja geradezu berühmt geworden ist

der Ausdruck durch eine Anekdote, die uns von Plutarch überlie­

fert worden ist Danach suchte Archimedes von Syrakus (287 212), der berühmteste Mathematiker, Physiker und Ingenieur der

Antike, intensiv nach der Lösung, wie er den Goldgehalt der Krone des Herrschers Hieran II. ermitteln konnte, ohne sie zu beschädi­

gen. Archimedes soll zufällig beim Baden entdeckt haben, dass der Badezuber genau um jene Wassermenge überlief, die seinem Kör­

pervolumen entsprach - das nach ihm benannte Archimedische Prinzip, das auch heute noch beim Schiffbau eine wichtige Rolle

spielt. Begeistert über seine Entdeckung, soll Archimedes nackt, wie er im Bade gesessen hatte, auf die Straße gelaufen sein mit dem Ausruf „Heureka!" Im Gefolge der humanistischen Bildung hat sich der Ausdruck als freudiger Ausruf nach der gelungenen Lösung einer schweren Denkaufgabe verbreitet Man hört ihn auch

bisweilen, wenn eine plötzliche Erkenntnis gewonnen ist

107

Griechische Geschichte

„Das ist der springende Punkt" das Wesentliche, die Hauptsache

A

ristoteles (364 - 322 v. Chr.) war zwar ein berühmter Philosoph, aber auch

für viele wissenschaftliche Disziplinen ein wichtiger Impulsgeber. Er beein­

flusste maßgeblich sogar Biologie und Physik. In seiner „Tierkunde" schilderte er

erstmals einen Versuch, in dessen Verlauf ein „springender Punkt" auftaucht. Er

hatte nämlich bei seinen Forschungen entdeckt, dass sich in einem vier Tage

lang bebrüteten Hühnerei ein kleiner roter Fleck zuckend bewegt. Dies ist der Moment, in dem der Blutkreislauf des Fötus „anspringt". Aristoteles glaubte, dieser

kleine Punkt, der scheinbar hin und her springt, sei der Ursprung des Lebens. Epi­ gonen des großen Griechen übersetzten später seinen originalen altgriechischen

Ausdruck mit punctum saliens ins Lateinische, so wie er bis heute als Terminus in der Physiologie benutzt wird. In der Redewendung meint der springende

Punkt heute noch das Wesentliche, den Kern eines Problems. Der Komiker Heinz Erhardt erweitere die deutsche Sprache, ohne allerdings Aristoteles ver­

unglimpfen zu wollen, um das „hüpfende Komma".

„Die Welt aus den Angeln heben wollen" sich unbesiegbar fühlen

J

eder kennt die Sage von dem Riesen Atlas, der auf seinen Schultern das Firmament trägt. Atlas wird meist,

etwas irreführend, mit einer Weltkugel auf den Schultern dargestellt Mit dieser klassischen Pose hat die

Redewendung von den Angeln, aus denen man übermütig die Welt heben will, nichts zu tun. Vielmehr geht sie laut dem Philosophen Simplikios zurück auf Aristoteles. Der antike Naturwissenschaftler soll im Kontext

seiner Forschungen zur Physik, speziell seiner Beschäftigung mit Flaschenzügen gesagt haben: „Gebt mir

einen festen Punkt und ich werde die Erde bewegen." Er meinte damit, dass er, wenn er einen festen Standort

außerhalb der Erdenmasse haben könne, mittels eines entsprechenden, die Kraft verstärkenden Werkzeugs diese anheben könne. Möglicherweise hat er damit die Hebelgesetze gemeint, wie man später interpretiert

hat Da die Welt kaum aus den Angeln gehoben werden kann (weil der feste Punkt außerhalb fehlt?), hat

diese Redewendung einen leicht hypertrophen Beigeschmack.

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Griechische Geschichte

Aus einer Mücke einen Elefanten machen Unbedeutendes über Gebühr aufbauschen iese weit verbreitete Redewendung ist als solche schon erstaunlich alt Laut dem griechischen Satiriker

D

Lukianos, einem Schriftsteller des 2. Jahrhunderts n. Chr., gab es sie ganz ähnlich, nur mit einem ande­

ren Insekt, zu seiner Zeit bereits - er erwähnt sie jedenfalls als Sprichwort in seinem Text „Lobrede auf die

Fliege". In lateinischer Form finden wir sie in der Renaissancezeit bei Erasmus, auf Deutsch dann im 16. Jahrhundert in einer Übersetzung des Lukian-Textes, nun auch mit Mücke statt Fliege. Grimmelshausen übernimmt diese Formulierung dann, und Luther sorgt für die weite Verbreitung dieses ungleichen

Paares, indem er den Elefanten als Sinnbild des Großen, die Mücke als Symbol für das Kleine verwendet

Sich mit fremden Federn schmücken fremde Leistung als eigene ausgeben

M

it den Ureinwohnern von Amerika, bekannten Federschmuckträgern, hat diese Rede­

wendung gar nichts zu tun. Vielmehr ist sie einem der Gleichnisse des berühm­

ten griechischen Fabeldichters Äsop, dessen Name im Original Aisopos lautete, ent­

sprungen. „Die Krähe und die Vögel" handelt von dem Versuch einer Krähe, sich bei

einem von Göttervater Zeus ausgelobten Casting, wer König der Vögel werden solle,

durchzumogeln. Selbst bekanntermaßen eher unscheinbar gewandet, sammelt sie die herumliegenden Federn anderer, bunter Vögel auf und hübscht damit ihr eigenes

Gefieder auf. Leider bemerken die Eigentümer der „fremden Federn" dies noch

rechtzeitig, bevor Zeus ihr den Vogelthron zuweist, und nehmen ihr den frem­ den Schmuck wieder ab, so dass sie als hässlicher Rabenvögel dasteht. Äsop

überträgt in seinen Fabeln normale menschliche Schwächen im Griechenland

des 6. Jahrhunderts v. Chr. wie Neid, Dummheit, Geiz, Eitelkeit auf Tiere und kann so seinen Zeitgenossen einen Spiegel vorhalten. Dass seine Fabeln auch

heute noch sehr bekannt sind und sogar Eingang in unsere Redewendungen gefun­ den haben, spricht bezüglich ihrer immer noch aktuellen Bedeutung für sich, wenn es auch heute meist fremde Haare sind, mit denen sich Menschen schmücken ...

Aesop

109

Griechische Geschichte

„Sich in die Höhle des Löwen wagen" auf feindliches Gebiet Vordringen

öwen - jedenfalls freilaufende - trifft man in unserer Region eher selten an. Da kann mit der Höhle eines

L

Löwen in der Redewendung eigentlich nur etwas anderes gemeint sein. Sehr unterschiedliche Dinge wer­

den so genannt: das Büro des Vorgesetzten, das Stadion der gegnerischen Fußballmannschaft, das Geschäft

des Konkurrenten - alles jeweils aus dem Blickwinkel des Unterlegenen gesehen. Die Redensart geht zurück auf eine Fabel des griechischen Dichters Aesop, in der es darum geht, dass ein alter Löwe nicht mehr selbst auf die Jagd gehen kann und eine List ersinnt, seine Beute einfach zu sich zu locken. Der alte König der Tiere bittet alle Untertanen, zu ihm zu kommen, um, angeblich vom Tode gezeichnet, von ihnen Abschied nehmen zu können. Alle Tiere besuchen ihn tatsächlich in seiner Höhle, bis auf den schlauen Fuchs, dem auffällt,

dass viele Spuren hinein, aber keine wieder hinausführen. Daraufhin empfiehlt er sich lieber, ohne hineinzugehen. Dass Löwen gar nicht in Höhlen leben, sondern in der freien Savanne, war Aesop

offenbar nicht geläufig.

„Dem Fuchs sind die Trauben zu sauer" Jemand redet sich sein Versagen schön.

er um 600 v. Chr. lebende Dichter Aesop war bekannt für seine,

D

menschliche Fehler und Schwächen karikierenden Fabeln. Neid,

Dummheit, Geiz, Eitelkeit, Faulheit, also durchweg normale negative Eigen­ schaften, werden aufs Korn genommen. Von ihm stammt auch das Gleich­ nis vom Fuchs und den Trauben, aus dem diese Redewendung entstanden

ist Ein Fuchs möchte gern Trauben fressen, die aber unerreichbar hoch hängen. Nachdem er einige Zeit zu ihnen hinaufgeschielt hat, tröstet er sich mit der Bemerkung, dass die Trauben ja ohnehin ungenießbar, weil zu sauer

seien. Die Redensart wird also auf jemanden angewendet, der vorgibt, etwas

gar nicht haben zu wollen, was er in Wirklichkeit nicht erreichen kann.

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Griechische Geschichte

Den Löwenanteil bekommen den größten Teil eines Gewinns einstreichen

ei dieser Redewendung ist wieder der griechische Fabeldichter Äsop, der um

B

600 vor Chr. lebte, der Vater. Über ihn selbst ist wenig bekannt, er soll ein grie­

chischer Sklave gewesen sein, der in der Sprache des kleinen Mannes dichtete. Eine seiner Geschichten handelt von einem Löwen, der zusammen mit einem Fuchs und etwas unglaubwürdig - einem Esel auf die Jagd geht Nachdem der offenbar naive

Esel die Beute gewissenhaft in drei gleiche Portionen geteilt hat, wird der Löwe wütend und zerreißt den Esel. Der Fuchs, um eine neuerliche Aufteilung gebeten, ist so klug, dem Löwen fast die gesamte Beute - eben den Löwenanteil - zuzugestehen

und für sich selbst nur um eine kleine Aufwandsentschädigung zu bitten.

„Eine Schlange am Busen nähren" einem undankbaren Menschen vertrauen ie legendäre Liebestragödie zwischen Kleopatra, der letzten Königin von Ägypten, und dem

D

römischen Feldherrn Marcus Antonius sowie die mysteriösen Umstände ihres Todes beflügelten

die Fantasie der Menschen seit der Antike. Kleopatra starb wohl um 30 v. Chr. auf bis heute ungeklärte

Weise. Seit der Antike ist aber die Vermutung sehr verbreitet, dass Schlangengift ihre Todesursache gewesen sei, wie es Plutarch bereits verbreitet hat, allerdings aus Gründen der politischen Hygiene: Der Schlangengift­

tod war einer Königin angemessen. Die Redewendung von der Schlange am Busen hat aber wider Erwarten nichts mit Kleopatra zu tun. Sie geht vielmehr zurück auf eine Fabel des griechischen Dichters Äsop. Darin

findet ein Bauer eine halberfrorene Schlange und wärmt sie - das Verb „nähren" ist wohl erst später dazuge­

fügt worden - unter seinem Hemd an seiner poetisch Busen genannten Brust. Heute weiß man, dass Tiere selten dankbar sind, schon gar nicht Reptilien; damals wurde die Schlange, die das tat, was man als Schlange tut, wenn man sich bedroht fühlt, nämlich beißen, als undankbar und böse beschimpft Eine Schlange am Busen nähren bedeutet also, dass man Gefahr läuft, von einem undankbaren Menschen bei nächster Gelegenheit hintergangen zu werden.

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Griechische Geschichte

Im Wölkenkuckucksheim wohnen weltfremd sein ie Art des Wolkenkuckucks ist weder in Brehms noch Grzimeks Tierleben verzeichnet. Woher also dieser

D

Begriff, zumal doch jeder weiß, dass gerade der Kuckuck gar kein eigenes Nest baut und daher kein

Heim hat? Das Wort Wölkenkuckucksheim ist eine Lehnübersetzung aus dem Altgriechischen. In der

satirischen Komödie „Die Vögel" des griechischen Dichters Aristophanes, in der er die damalige Großmachts­ politik Athens unter Perikies kritisierte, kommt eine Stadt in den Wolken vor, die sich die Vögel gebaut

haben. Der Philosoph Arthur Schopenhauer schuf die deutsche Übertragung 1813 und gab dem Begriff auch die erweiterte Bedeutung, indem er Philosophen kritisierte, die nach seiner Ansicht nur von „Wolkenku­

ckucksheimen" redeten und nicht von der Realität In deutschen Übersetzungen der Aristophanes-Komödie wird seitdem dieser Begriff verwendet, der inzwischen, etwas vom ursprünglichen Sinn abweichend, synonym zum Begriff Luftschloss verwendet wird für eine Utopie ohne Realitätsbezug.

„Eulen nach Athen tragen etwas Überflüssiges tun

iese Redensart wurde ebenfalls vor 2400 Jahren von Aristophanes in seiner Komödie „Die Vögel"

D

geprägt Augenzwinkernd lässt er einen der Protagonisten angesichts einer fliegenden Eule ausrufen: „Wer hat die Eule nach Athen gebracht?" Die Eule galt damals als eine ArtWappentier

Athens, denn sie war der Symbolvogel der Göttin Athene, der Schutzpatronin der Stadt. In Athen gab es denn auch sehr viele dieser Nachtvögel, aber

auch sehr viele Münzen mit der Abbildung dieser Eule, denn Athen war zur damaligen Zeit sehr reich. Weitere „Eulen" waren also überflüssig.

Aristophanes wollte den Reichtum der Athener karikieren: „An Eulen

wird es nie mangeln." In der römischen Epoche wurde diese Redewen­ dung übernommen, später prägten auch andere Völker ihrer Kultur ent­ sprechende Versionen: von „Kohlen nach Newcastle bringen" in England

bis „mit dem Samowar nach Tula fahren" in Russland, wo Tula ein Zen­ trum der Samowar-Herstellung war. An der Eule als Münzenvogel hat Griechenland übrigens bis heute fest­

gehalten; nach der Drachme zeigt auch der griechische Euro die Eule.

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Griechische Geschichte

Groß wie der Koloss von Rhodos" von riesigen Ausmaßen

ines der Sieben Weltwunder der Antike war der „Koloss von

E

Rhodos". Eine zeitgenössische Beschreibung ist nicht

erhalten, aber im kollektiven Bewusstsein hat sich das Bild eines spreizbeinigen Riesen über einer Hafeneinfahrt festgesetzt Die

Enden der Hafenmolen auf Rhodos liegen allerdings 750 Meter auseinander - undenkbar, dass diese Entfernung von einer Sta­

tue überbrückt worden wäre. Trotzdem muss das 292 v. Chr. im

Hauptheiligtum der Inselhauptstadt aufgestellte monumentale Standbild des Sonnengottes Helios mit seinen für die damalige Zeit enormen Maßen von 30 bis 35 Metern Höhe die Zeitge­ nossen tief beeindruckt haben. Zum Vergleich: Die berühmteste

Großstatue der Antike, der Zeus von Olympia, maß „nur" 12 Meter. Der Koloss, der bei einem Erdbeben im Jahr 226 v. Chr.

einstürzte, bestand aus Bronze - noch fast 900 Jahre lang

konnten Rhodos-Besucher die Trümmer besichtigen. Auch unser Wort „kolossal" geht auf diesen Koloss zurück, obwohl mit „kolossos" ursprünglich eine Statue ohne Grö­

ßenbezug gemeint war.

„Sich ein Mausoleum errichten" nicht vergessen werden wollen

er Wunsch, dass nach dem Ableben die eigene Größe der Nachwelt über Jahrhunderte vor Augen

D

stehen möge, hat die Menschen jahrtausendelang zu teilweise absurden Bauwerken inspiriert - die

Pyramiden von Gizeh sind Weltrekordhalter an umbautem Raum. Weniger monströs, aber sehr dauerhaft in seiner sprachlichen Präsenz ist das Grabmonument, das ein gewisser Maussolos, König von Karten in Klein­

asien mit der Hauptstadt Halikarnassos, Mitte des 4. Jahrhunderts v. Chr. in Auftrag gab; seine Schwester, die auch seine Witwe und Nachfolgerin war, ließ es fertigstellen. Bescheiden wirkte es nicht gerade mit seinen

50 Metern Höhe, und so galt es bereits in der Antike als eines der Sieben Weltwunder. Leider fiel es einem Erdbeben zum Opfer, aber die Friese sowie einige Statuen kann man im British Museum in London bewundern. Ein mehr oder weniger monumentales Grabmal in Gebäudeform „Mausoleum" zu nennen, ist

im deutschsprachigen Schrifttum seit dem 16. Jahrhundert bezeugt; im übertragenen Sinn wird der Begriff gebraucht für ein für die Nachwelt bestimmtes Erinnerungszeichen.

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Griechische Geschichte

Das achte Weltwunder ein überwältigender Anblick

u bist das achte Weltwunder!" - Dieser (meist etwas

D

übertriebene) Ausruf entfährt so manchem angesichts

einer schönen Frau. Beschränken wir uns mal aufs Architek­ tonische. Bereits in der Antike wurden Listen geführt, auf denen Weltwunder aufgezählt wurden, besonders Aufsehen

erregende Bau- oder Kunstwerke. Im 2. Jahrhundert v. Chr. entstand folgende, wegen der Symbolkraft sieben Punkte

umfassende Aufzählung: die hängenden Gärten der Semira­ mis zu Babylon, der Koloss von Rhodos, das Grab des Königs Maussolos II. zu Halikarnassos, der Leuchtturm auf

der Insel Pharos, die Pyramiden von Gizeh, der Tempel der Artemis in Ephesos und die Zeusstatue von Olympia. Bis

auf die Pyramiden wurden alle Weltwunder zerstört oder zerfielen. Heute gibt es wieder Versuche, aktuelle Weltwun­ der-Listen aufzustellen. Da aber alle Welt inzwischen durch den Massentourismus erreichbar geworden ist,

haben sich solche Listen zwischenzeitlich zu Wälzern ausgewachsen, die Titel tragen wie: „1000 places to see before you die". Schöne Frauen sind nicht darunter.

„Sich spartanisch einrichten" äußerst genügsam wohnen ie Redewendung von der spartanischen Lebensweise geht zurück auf ein Image, das auf antiken

Berichten über die Gesetze des Lykurgos, des mythischen Gesetzgebers von Sparta, basiert. Thuky-

dides und andere berichteten pointiert über die Regeln, die angeblich in Sparta herrschten, um Völlerei und Verweichlichung entgegenzutreten. Zum Beispiel dürfe man sich bei den gemeinsamen Mahlzeiten zwar satt essen, aber nicht „den Magen überladen"; auch sei den in der Oberschicht verbreiteten Trinkgelagen in Spar­ ta ein Ende gemacht worden. Plutarch schrieb, dass Lykurg sämtliches Gold- und Silbergeld abgeschafft und

durch unhandliche Eisenmünzen ersetzt habe, die die Anhäufung von Reichtum so gut wie unmöglich gemacht hätten. Aristoteles kritisierte, dass die spartanischen Gesetze nur einer einzigen Tugend dienten, nämlich der kriegerischen. In der Neuzeit bildeten sich daraufhin weitere Klischees um die angeblich von

Kindheit an in strenger staatlicher Zucht zur Kriegsführung und zum Gehorsam erzogenen Spartaner.

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Griechische Geschichte

Eine lakonische Antwort geben knapp, wortkarg reagieren

L

akonien zählt, im Gegensatz zu Attika oder Thrakien, nicht zu den

bekannteren Regionen des klassischen Griechenland. Es handelt sich

um eine Landschaft des Peloponnes, deren Hauptstadt das bekanntere

Sparta war. Die Bewohner hießen Lakedaimonier, nur die Einwohner der

Stadt Sparta durften sich Spartaner nennen. Den Einwohnern wurde damals eine charakteristisch wortkarge Art nachgesagt, weshalb bis heute eine

knappe, aber treffende Ausdrucksweise als „lakonisch" bezeichnet wird.

Beispiel gefällig? Nach einer Niederlage sandten spartanische Heerführer einen Bericht nach Hause, der von den eher redseligen Athenern als

typisch lakonisch belacht wurde: „Boote verloren. Mindaros tot Männer haben Hunger. Wissen nicht, was tun." Bekannt auch die Anekdote, Philipp II. von Makedonien habe an die lakonische Hauptstadt die Drohung

gesandt: „Wenn ich euch besiegt habe, werden eure Häuser brennen, eure Städte in Flammen stehen und eure Frauen zu Witwen werden." Darauf sol­ len die Spartaner geantwortet haben: „Wenn."

„Sich benehmen wie ein Barbar" etwas Rohes, Unmenschliches tun

M

an tut der Barbara eigentlich Unrecht, wenn man die Bedeutung ihres Namens aufdeckt,

denn genauso wenig wie eine Irene, die nach der Friedensgöttin benannt ist, immer verträglich

sein muss, ist eine Barbara immer eine Fremde. „Barbaros" nannten die Griechen der Antike Menschen,

deren Sprache sie nicht verstanden, „unverständlich sprechend". Auch Zeitgenossen mit Sprachfehler oder

Akzent wurden so genannt, vor allem aber die Perser, die alten Feinde. Die Römer übernahmen diesen Begriff als Fremdwort und bezeichneten ebenfalls alle Völker außerhalb ihres römisch-griechischen Kulturkreises als Barbaren. In Deutschland taucht das Wort zuerst um I 600 auf, damals noch wie das Original auf der ersten Silbe betont; später rückte die Betonung unter dem Einfluss des modischen Französisch nach hinten - in der

verwandten Bezeichnung „Berber" für Nicht-Sesshafte ist die Betonung noch erhalten. Noch einmal zurück zur Barbara. Damit ihr Name nicht gar so barbarisch klingt, hat das Deutsche die niedliche Bärbel

daraus gemacht

115

Kapitel 4

Von Rubikon bis Tabula rasa Redewendungen und Begriffe aus

der römischen Geschichte

Römische Geschichte

Seine Hand ins Feuer legen für jemanden bürgen ür diese Redewendung gibt es zwei Deutungen. Sie könnte auf ein im Mittelalter verbreitetes Gottesurteil

F

zurückgehen, für das der Angeklagte eine Zeitlang die Hand ins Feuer halten musste. Als unschuldig galt,

wer sich entweder gar nicht verbrannte - was sicher höchst selten vorkam - oder wessen Wunden in kürzes­

ter Frist wieder verheilt waren. Wahrscheinlicher aber ist die antike Wurzel dieser Redensart Ein gewisser Gaius Mucius Scaevola soll die Stadt Rom im Jahre 508 v. Chr. vor den feindlichen Etruskern gerettet haben.

Die Sage erzählt, dass er sich in das feindliche Lager geschlichen habe, um deren König Porsenna zu töten. Entdeckt und dem König vorgeführt, gab er ein legendäres Beispiel von Standhaftigkeit ab. Er hielt seine

rechte Hand so lange in eine Flamme, bis sie verbrannt war. Der König war dermaßen beeindruckt, dass er die Belagerung Roms abbrach. Sollte sich das Ereignis tatsächlich so zugetragen haben, könnte als Erklärung

eine krankhafte Nervenanomalie gelten, durch die man Schmerzen gegenüber unempfindlich ist Normale Menschen würden sich aber wohl kaum gern die Finger verbrennen.

„Einen Pyrrhussieg erringen" einen in teuer erkauften Erfolg erzielen yrrhos, der von seinen römischen Gegnern Pyrrhus genannt wurde, war ein König der

Molosser und Anführer des Bundes von Epirus und lebte zwischen 31 9 und 272

v. Chr. Das etwa 30.000 Mann und 20 Kriegselefanten umfassende Heer des talen­ tierten Strategen errang in Italien 280 und 279 v. Chr. gegen Rom mehrere Siege,

die allerdings mit hohen eigenen Verlusten erkauft werden mussten. Nach seinem Sieg in der Schlacht bei Asculum soll er gesagt haben: „Noch so ein Sieg, und wir

sind verloren!" Seine Verluste waren in der Tat so gravierend, dass er die Besiegten um Frieden bitten musste. Der römische Senat, stolz auf den am Ende erfolgreichen

Verteidigungskampf, wies diese Bitte zwar ab, die römischen Historiker würdigten

aber den ebenbürtigen Gegner, ohne ihn, wie sonst üblich, zu verspotten. Bis heute

muss der Name des unglücklichen Pyrrhus für Sieger in Konflikten herhalten, die aus der eigentlich gewonnenen Auseinandersetzung geschwächt hervorgehen und aus ihrem Sieg keinen Nutzen ziehen können. Pyrrhus

119

Römische Geschichte

„Sein Schwert in die Waagschale werfen" mit Cewalt drohen uch wenn die Kelten keine Schrift entwickelt haben, was die Recher­ che über sie schwierig macht, so hatten sie doch eine hohe hand­

werkliche Kultur. So waren unter anderem ihre Schwerter wegen ihrer Härte und Schärfe berühmt, und selbst die Römer haben bei ihnen Waffen bestellt Um eines dieser Schwerter geht es in dieser Rede­ wendung. Der römische Historiker Livius beschreibt eine Begeben­

heit im Jahr 387 v. Chr., als die Kelten unter ihrem Anführer Bren­ nus sechs römische Legionen vernichtend geschlagen und die Stadt

Rom mit Ausnahme des Kapitols eingenommen hatten. Damals war es für eine Stadt nicht ungewöhnlich, sich freizukaufen; beim Abwie­

gen der geforderten Menge Goldes scheinen die Römer mit den in ihren Augen zu schweren Gegengewichten unzufrieden gewesen zu sein.

Darauf soll Brennus mit den Worten Vae victis - „Wehe den Besiegten!" auch noch sein Schwert als Symbol der Gewalt auf die Waagschale geworfen haben, so dass die Römer nun sogar noch mehr zahlen mussten. Heute wirft man natürlich keine Schwerter mehr in die Waagschale, aber manchmal seinen guten Ruf, sein Image oder sein Renommee.

„Es ist Gefahr im Verzüge" Es muss sofort gehandelt werden. ie Redewendung von der „Gefahr im Verzüge" geht ursprünglich auf eine Stelle in der „Römischen

D

Geschichte" des Historikers Titus Livius (59 v. - 17 n. Chr.) zurück. Er berichtet darin über eine

Schlacht, in der „periculum in mora", also Gefahr im Verzüge war, so dass die Soldaten die Heeresordnung

verließen und in planloser Flucht auseinander stoben. Abgesehen davon, dass der Ausdruck auch ein wichti­ ger Terminus aus dem deutschen Verfahrensrecht ist, so hat er sich vor allem im politischen Kontext gehal­ ten. Hier geht es manchmal um die Notwendigkeit, rasch zu handeln, weil Gefahr besteht, dass eine Entwick­

lung in die falsche Richtung geht Aber auch in Sachen Denkmalpflege ist die Einschätzung, dass „Gefahr im Verzüge“ sei, das Signal, sofort zu handeln, bevor ein Baudenkmal möglicherweise einstürzt und

unwiederbringlich verloren ist

120

Römische Geschichte

„Als Volkstribun auftreten" der Meinung der breiten Masse eine Stimme geben ls Volkstribun wird ein Politiker bezeichnet, der für sich in Anspruch nimmt, der so genannten schwei­

A

genden Mehrheit eine Stimme zu geben. Den wenigsten gelingt es, wenn sie in Amt und Würden kom­

men, den Ruf eines Volkstribunen beizubehalten, weil am Regierungstisch meist doch andere Erkenntnisse

gewonnen werden als am Stammtisch. Historisch gesehen ist der Bedeutungswandel des Wortes Volkstribun auffällig. Der antike „tribunus plebis" war in der römischen Republik ein gewählter Magistrat, dessen Aufgabe es war, die römischen Plebejer, also das einfache Volk der Handwerker und Bauern, gegen die Macht der

Patrizier in Schutz zu nehmen. Dazu konnte er Maßnahmen patrizischer Beamter und des Senats unterbinden. Die Plebejer schworen einen Eid, der ihn vor körperlichen Angriffen schützte, so dass er demonstrativ unbe­ waffnet ging und auch nachts seine Haustür nicht verschloss. In späteren Jahrhunderten kam es zu einer

Renaissance des Titels; beispielsweise galten bei der Französischen Revolution Robespierre und Danton ganz offiziell als Volkstribunen.

„Ceterum censeo" eine ständig wiederholte dringende Mahnung

in echtes „Ceterum censeo" muss ständig wiederholt werden, wenn

E

man dem Vorbild des römischen Staatsmannes Marcus Porcius Cato,

genannt Cato der Ältere (234 - 149 v. Chr.), nacheifern möchte. Der soll, so überliefert es Plutarch, in einer Phase der Bedrohung Roms

durch die Karthager den Senat immer wieder vor diesem Feind gewarnt haben, indem er, gleichgültig, welches Thema eigentlich auf der Tagesordnung stand, jede seiner Reden mit dem dringenden

Antrag „Ceterum censeo Carthaginem esse delendam - Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Karthago zerstört werden muss" abschloss.

Steter Tropfen höhlt den Stein - im Jahre 150 v. Chr. ließ sich der Senat schließlich überzeugen, der Dritte Punische Krieg und die Zerstö­ Cato

rung Karthagos waren die Folge. Zwei Haken hat die eigentlich sehr schlüs­ sige und in den Sprachgebrauch eingegangene Formel: Plutarch ist der einzige

antike Autor, der dieses Zitat Catos überliefert, und das 225 Jahre später. Und Plutarch schrieb griechisch; beides relativiert die Authentizität des lateinischen Zitats.

121

Römische Geschichte

„Hannibal ante portas!" Gefahr im Verzug!

I

n den Machtkämpfen zwischen Marcus Antonius und Octavian nutzte der auf Octavians Seite stehende Politiker und Schriftsteller Marcus Tullius Cicero (106 - 43 v. Chr.) ein tief sitzendes Trauma der Römer,

nämlich die Bedrohung durch Karthago im 2. Punischen Krieg rund hundert Jahre vorher, zu einem Angriff

auf seinen politischen Gegner, indem er eine seiner Reden mit dem Warnruf „Hannibal ad portas!" bereicher­ te; das Zitat hat also mit Hannibal direkt gar nichts zu tun. Später ist das „ad portas", also „bei den Toren",

durch „ante portas" ersetzt worden, was dem Spruch eine den Realitäten nicht entsprechende Dramatik gibt - Hannibal erreichte nach seinem legendären Sieg bei Cannae die Stadt gar nicht Weil aber der Spruch,

auch in der falschen Zitierweise, später beliebt war, ist er als Warnung vor vermeintlicher oder tatsächlicher Gefahr bis heute so populär geblieben, dass sich der bekannte deutsche Humorist Loriot darauf verlassen

konnte, dass das Publikum auch ohne Lateinkenntnisse den Titel „Pappa ante portas" eines seiner Spielfilme verstand.

„Cui bono?" Wer ist der Nutznießer?

K

rimi-Fans wird das Ermittlungsmuster geläufig sein, dass auf der Suche nach

einem Motiv danach gefragt wird, wer vom Tod des Opfers profitiert Denn

dieses Motiv entlarvt manchmal nicht nur den Täter, sondern auch den - schein­ bar unbeteiligten - Auftraggeber. Diese Frage nach dem Nutznießer aus einer Tat

wird seit über zwei Jahrtausenden mit der Floskel „Cui bono? - Wem nützt es?“ bezeichnet Denn bereits Cicero verwendete sie 80 v. Chr. in einer

Verteidigungsrede, in der er den Mordverdacht vom Angeklagten, dem Sohn des Opfers, auf denjenigen lenkte, der den Besitz des Toten an sich brachte. Cicero war damals erst 27 Jahre alt, und da einem so jungen Advokaten wohl ein so maßgeblicher Gedankengang noch

nicht zugetraut worden wäre, behauptete er, im Jahre 127 habe ein Konsul so plädiert. Heute wird das Cui-bono-Prinzip nicht nur bei Krimi­ nalfällen, sondern auch in vielen anderen Bereichen angewandt, in denen es

- mal mehr, mal weniger kriminell - um Ursache und Wirkung geht, so in der Cicero

122

Politik, der Wirtschaft, aber auch in der Geschichtswissenschaft

Römische Geschichte

Den Rubikon überschreiten sich unwiderruflich auf ein Risiko einlassen ie Überschreitung des Rubikon steht in engem Zusammenhang mit dem bekannten

Zitat Caesars „Alea iacta est". Der verfassungspolitisch komplizierte Hintergrund

kann nur verknappt dargestellt werden. Caesar, der in Gallien erfolgreich gewesen

war, sollte von seinem Gegner Pompeius daran gehindert werden, sich in Rom einer Wahl zum Konsul zu stellen. Er durfte als Provinzstatthalter die Grenzen Roms nicht überschreiten, die im Norden durch das Grenzflüsschen Rubikon

symbolisiert wurden. Caesar nahm den offensichtlichen Rechtsverstoß in Kauf;

als er am 10. Januar 49 v. Chr. den Fluss überquerte, war er sich der Trag­

weite dieses Schritts bewusst Die bewaffnete Überquerung des Flusses in Richtung Rom wurde vom Senat als Kriegserklärung verstanden und

löste einen Bürgerkrieg aus. Übrigens ist bis heute unbekannt, wo der antike Rubikon floss. Das heute so genannte Flüsschen, das

nordöstlich von Florenz im Apennin entspringt und bei Ravenna

in die Adria mündet, wurde erst von Mussolini so getauft

Caesar

„Alea iacta est" Es gibt keinen Weg zurück.

Z

ur Erklärung dieser - auch heute noch oft auf Lateinisch gehörten - Redewendung, die gebraucht wird,

wenn jemand eine wichtige Entscheidung getroffen hat, muss zuerst gesagt werden, dass es im Original

nur um einen einzigen Würfel geht Dieser ist auch noch nicht gefallen, sondern nur geworfen - „iacta”!

Insofern entspricht diese im alten Rom in Spielerkreisen weit verbreitete Floskel dem vom heutigen Roulette

bekannten „Rien ne va plus". Jeden Moment fällt die Entscheidung und ist nicht mehr aufzuhalten. Und

genau so meint es Julius Caesar, als er am 10. Januar 49 v. Chr. den Rubikon, den Grenzfluss zwischen der Provinz Gallia cisalpina und Italien, überschreitet Die Entscheidung ist also noch nicht gefallen, wie die

traditionelle deutsche Fassung des Ausspruchs suggeriert, sondern sie ist nicht mehr rückgängig zu machen.

Das Zitat geht zurück auf Sueton, den Biographen Caesars. Ob Caesar tatsächlich so etwas gesagt hat, wird

mittlerweile angezweifelt Wenn ja, dann wohl auf Griechisch, der für die gebildete römische Oberschicht üblichen Sprache.

123

Römische Geschichte

Auch du, mein Sohn Brutus? Diesen Verrat hätte ich dir nicht zugetraut. on Julius Caesar ist bekannt, dass er - abgesehen von Octavian, seinem Großneffen und Adoptivsohn - einen leiblichen Sohn hatte: Ptolemaios Kaisarion, Ergebnis seiner Liaison mit Kleopatra. Von einem Sohn namens

Brutus ist nichts bekannt. Marcus lunius Brutus Caepio (85 - 42 v. Chr.), Sohn eines Senators, war ein Politiker in der Zeit der späten römischen Repu­

blik; er ist berühmt geworden als einer der großen Attentäter der Geschichte, nämlich als Mörder Caesars. Brutus war überzeugter Republikaner und kämpfte gegen das Triumvirat von Crassus, Pompeius und Caesar. Trotzdem

nahm ihn Caesar, der für seine Milde bekannt war, in den Kreis seiner Ver­

trauten auf. Ein großer Fehler, denn Brutus stellte sich, als Caesar sich zum Dik­

tator auf Lebenszeit ernannt hatte, an die Spitze einer Verschwörung, um die Ver­ fassung zu retten. An den berühmten Iden des März, dem 15. März 44 v. Chr., geschah der Mord im Senat, in dessen Verlauf der sterbende Caesar zu Brutus „Auch du, Sohn?" gesagt haben soll. Mittlerweile wird diese dramatische Szene von der For­

schung allerdings angezweifelt; Biograph Sueton neigte ja dazu - siehe „Alea iacta est" -, seinem Heros Caesar zitierfähige Worte in den Mund zu legen.

„Bei Philippi sehen wir uns wieder!" Demnächst ergibt sich die Gelegenheit zur Revanche.

iese bekannte, heute teils ernst, teils scherzhaft ausgesprochene Drohung ist zwar ursprünglich von dem

D

griechischen Schriftsteller Plutarch in seiner Caesar-Biographie formuliert, aber eigentlich populär gewor­

den durch William Shakespeares Drama „Julius Caesar". Shakespeare, der bei seinen Recherchen wohl die

lateinische Version des ursprünglich griechischen Textes benutzte, lässt Caesars Geist seinem Mörder Brutus sagen, dass sie sich bei Philippi wieder sehen würden. Plutarch, dem es nicht so sehr um die Erforschung der

Vergangenheit ging, sondern um die Darstellung von seiner Meinung nach großen Persönlichkeiten, hatte das Zitat „Bei Philippi sehen wir uns wieder!" bereits dem Geist Caesars in den Mund gelegt: (Cras) Philippis (ite­

rum) me videbis. Damit sollte die Bedeutung der Schlacht bei dem makedonischen Ort Philippi als Rache am Mord des Diktators betont werden.

124

Römische Geschichte

„Durch Abwesenheit glänzen" Aufmerksamkeit erregen dadurch, dass man fehlt

iese Redewendung geht zwar auf einen Brauch in der römischen Antike zurück, ist aber erst im 1 9. Jahr­

D

hundert entstanden, und zwar in Frankreich. Aber schauen wir zuerst nach Rom zur Zeit des Endes der

Republik. Damals war es Sitte, dass einem Leichenzug Bilder von den Verwandten des oder der Verstorbenen

voran getragen wurden. Bei der Beerdigung der lunia Tertia, der Frau des Cassius und Schwester des Brutus,

hätten also die Bilder dieser engen Verwandten gezeigt werden müssen. Nun waren die beiden Genannten ja an dem Mord an Caesar beteiligt gewesen, und es war untersagt, die Bilder von Mördern zu zeigen. Tacitus

erwähnt diese Situation in seinen „Annalen" mit den Worten „aber Cassius und Brutus leuchteten gerade dadurch hervor, dass man ihre Bildnisse nicht sah“. Nun machen wir einen Sprung ins Jahr 181 I. Der fran­ zösische Dichter Marie-Joseph Chenier kannte seinen Tacitus und benutzte in seiner Tragödie „Tibere" des­

sen Formulierung als Quelle für einen Satz, der als Redewendung bis heute in aller Munde ist: „Brutus und Cassius glänzten durch ihre Abwesenheit", sie fielen also gerade dadurch auf, dass sie nicht anwesend waren.

Und genau so ist die Redensart auch heute noch zu verstehen.

Die Monate Juli und August

N

amen unserer Monate haben ihre Wurzeln in der antiken römischen Mythologie, aber auch in der Geschichte. Unschwer zu erkennen sind Juli und August als Ehr­

erbietung für Julius Caesar (seit seinem Tod 44 v. Chr.) und seinen Nachfolger Augustus

(seit 8 v. Chr.), wobei der Juli ursprünglich Quintilis (der „fünfte") und der August „Sexti­ lis" genannt wurde. Der September sollte eigentlich nach dem Kaiser Tiberius, der Okto­

ber nach Domitianus benannt werden; beides konnte sich nicht durchsetzen. Natürlich gab es früher, bevor der lateinische Einfluss auf Mitteleuropa prägend wurde, auch deut­

sche Monatsnamen: So hieß der Januar Hartung, der Februar Hornung, der März Lenzing,

der April Launing, der Mai Winnemond, der Juni Brächet, der Juli Heuet, der August Ernting, der September Scheiding, der Oktober Gilbhart, der November Nebelung und der Dezember Julmond - alles für sich

sprechende Bezeichnungen.

125

Römische Geschichte

„Sich auf seinen Lorbeeren ausruhen" nach Anerkennung nicht mehr ehrgeizig sein ie meisten Nutzer dieser Redewendung werden dabei einen Lorbeerkranz als

D

Ehrenpreis für den Sieger in einem olympischen Wettkampf vor Augen haben.

Weit gefehlt Überraschenderweise erhielten die Sieger in Olympia zwar einen Siegeskranz, aber einen aus Olivenzweigen, nicht aus Lorbeer. Dieser wurde

erst im klassischen Rom als Kopfschmuck des siegreichen Feldherrn kreiert; die „corona triumphalis" durfte der Triumphator beim Einzug in die Stadt

tragen. Später wurde der Lorbeerkranz ein Attribut der Kaiser, und viel spä­ ter erhielten ihn auch sportlich Triumphierende verliehen. Dadurch erhielt der Lorbeer sein besonderes Image als Symbol des Sieges und des Trium­

phes - die höchste Auszeichnung für deutsche Sportler ist heute das Sil­ berne Lorbeerblatt Der Dichter Heinrich Heine ist der Erfinder der „Vor­ schusslorbeeren". In einem Gedicht sagt er von Schiller, Goethe, Lessing und

Wieland, dass diese Genies vom Publikum „keine Vorschuss-Lorbeerkronen" haben wollten.

Vorschusslorbeeren verteilen vorschnelles Lob aussprechen er Dichter Heinrich Heine ist der Erfinder der Vorschusslorbeeren. In einem Gedicht in der Lyriksamm­

D

lung „Romanzeros" bezeichnet er Schiller, Goethe, Lessing und Wieland als „wahre Prinzen aus Genie-

land". Sie „wollten keine Ovationen / Von dem Publiko auf Pump / Keine Vorschuß-Lorbeerkronen / Rühm­ ten sich nicht keck und plump." Vorschusslorbeeren werden noch heute in vielen Bereichen verteilt, auch in

der Politik oder im Sport, wo insbesondere neue Fußballtrainer mit diesem vergänglichen Gewächs ausge­ zeichnet werden. Apropos Sport: Dass auch so etwas wie „schmutziger Lorbeer" existiert, zeigt der gleichna­

mige US-amerikanische Spielfilm aus dem Jahre 1 956 mit Humphrey Bogart in seiner letzten Rolle. Er beschreibt die menschenverachtenden Machenschaften im Boxgeschäft, in dem es üblich war, dass dem Sieger ein imposanter Lorbeerkranz umgehängt wurde.

126

Kölnische Ceschichte

Einen Trumpf in der Hand haben einen unüberbietbaren Vorteil ausspielen

D

iese Redewendung deutet auf den ersten Blick kaum noch ihre antiken Wurzeln an. Erst die etymologi­ sche Untersuchung des Wortes Trumpf, das so deutsch aussieht, fördert seine Abstammung zutage.

Aus dem Griechischen entlehnt, nämlich dem Wort für den Festzug im Dionysos-Kult, entstand das lateini­ sche „triumphus", womit nun der seinen Sieg feiernde Festzug eines römischen Feldherrn gemeint war; wenn

dieser vom Senat erlaubt war, zog er oft unter einem eigens errichteten Triumphbogen hindurch. Im I 5. Jahr­

hundert kam der Begriff nach Deutschland, im I 6. war er bereits eingedeutscht und als Bezeichnung einer überlegenen Karte im Kartenspiel, dem Trumpf, verbreitet Dadurch bildete sich die umgangssprachliche

Übertragung auf Macht, Überlegenheit, wodurch auch das Wort „auftrumpfen" entstand.

Ad calendas Graecas zu einem ungewissen Zeitpunkt

er Namenstag eines gewissen St Nimmerlein, eines im katholischen

D

Heiligenkalender gar nicht verzeichneten Schutzpatrons der Säumi­

gen und Terminübertreter, wird gelegentlich zur Datierung eines Ter­

mins bemüht, den man für äußerst unwahrscheinlich hält. In Ermange­

lung solcher Heiligen behalf man sich im alten Rom, indem man Tage in den griechischen Kalender verlegte, die es dort nicht gab: die Kalenden, also die ersten Tage in einem jeden Monat des römischen

Kalenders. Diese vom Verb calare (ausrufen) abgeleiteten Tage waren

traditionell die Termine, an denen die Schulden bezahlt wurden, weswe­ gen laut dem römischen Geschichtsschreiber Sueton Kaiser Augustus von säumigen Schuldnern gesagt haben soll, sie bezahlten ad calendas Graecas, also an den griechischen Kalenden, die es aber wie erwähnt nicht gab, weswegen mit einer Zahlung nicht

gerechnet werden könne. Die ursprünglich lateinische Redewendung wird auch in anderen modernen

Sprachen verwendet, zum Beispiel im Französischen, Rumänischen und überraschenderweise auch im Neugriechischen.

127

Römische Geschichte

„Furor Teutonicus" klischeehaft deutschtypische Aggression ie Deutschen werden im Ausland gelegentlich mit Bezeichnungen benannt, die eigentlich nur Teilstämme

D

meinen. Nach den Alemannen werden wir französisch als „allemands" und nach den Teutonen italie­

nisch als „tedeschi" bezeichnet. So hat sich auch der Furor teutonicus ebenfalls als geflügeltes Wort für deut­ sche Aggression der furchtbaren Art festgesetzt Der Ausdruck taucht in dem Buch Bellum civile des römi­ schen Dichters Marcus Annaeus Lucanus (39 - 65 n. Chr.) erstmals auf. Dort geht es um das erste Auf­ einandertreffen der jungen römischen Republik mit den Teutonen, einem der germanischen Stämme, die im

2. Jahrhundert v. Chr. auf italienisches Gebiet vordrangen. Die Römer mussten sich in mehreren Schlachten geschlagen geben und befürchteten den Sturm auf Rom. Dieser fand dann zwar nicht statt und man konnte die Eindringlinge schließlich schlagen, aber die schrecklichen Barbaren aus dem Norden blieben ein Trauma

der Römer, das sich Jahrhunderte später bestätigen sollte, als das Weströmische Reich in der Völkerwande­

rung von germanischen Völkern zerschlagen wurde.

Wie ein Schatten seiner selbst" kaum wiederzuerkennen ie kann ein Mensch ein Schatten seiner selbst sein? Der römische Dichter Marcus

W

Annaeus Lucanus (39 - 65) hat einen ähnlichen Ausdruck in seinem Bellum civile

über den Bürgerkrieg zwischen Cäsar und Pompeius als erster benutzt. Er charakterisiert

darin den unterlegenen Pompeius nach der Schlacht von Pharsalos mit den Worten magni nominis umbra - „der Schatten eines großen Namens". In der Antike glaubte man ja,

dass die Menschen nach dem Tode als Schatten in der Unterwelt weiterexistieren wür­

den. Möglicherweise lag daher der Vergleich eines geschlagenen Feldherrn mit einem Schatten nahe. Heute umschreibt man mit der Redensart den Zustand, wenn ein

Mensch blass und ausgezehrt wirkt, wie ein schwaches Abbild seiner früheren Per­ sönlichkeit. Mit diesem Attribut werden nicht nur erkennbar Kranke und Elende

bezeichnet, sondern auch Sportler, Schauspieler oder sonstige Prominente, die ihren Zenit überschritten haben.

128

Römische Geschichte

„Urbi et orbi" weltweit

b katholisch oder evangelisch - diesen Begriff hat jeder schon einmal gehört, der an Weihnachten

O

oder Ostern Nachrichten hört, denn mit Sicherheit wird darin über den Feiertagssegen des Papstes

berichtet Dieser besonders feierliche Segen wird „Urbi et orbi" genannt, weil er ihn nicht nur den auf dem Petersplatz Anwesenden spendet, sondern „der Stadt und dem Erdkreis“, also allen. Aber die Kirche hat die­

sen Spruch nicht erfunden und auch nicht den daraus resultierenden Anspruch. Bereits das alte Römische Reich verstand sich als universell, und schon bei Ovid (43 v. - 17 n. Chr) ist die Formel zu finden. Der Papst

griff diesen Anspruch auf, nicht nur das Kirchenoberhaupt der Stadt Rom („urbs“), sondern das des gesamten Erdkreises („orbis") zu sein. Übrigens erteilt der Papst den Segen „Urbi et orbi" nicht nur an Weihnachten

und Ostern, sondern auch bei seinem ersten öffentlichen Auftritt nach der Wahl. Noch weniger bekannt dürfte sein, dass nach katholischer Lehre mit diesem Segen allen, die ihn empfangen und die „guten Willens sind", ein vollkommener Ablass ihrer Sünden gewährt ist

„Sich Paladin nennen dürfen" als engster Gefolgsmann anerkannt sein

Ä

ltere werden sich erinnern, dass im so genannten „Dritten Reich" Hermann Göring als Hitlers „Pala­

din" bezeichnet wurde, sogar vom Führer selbst. Er stand damit in einer langen Tradition, denn der Begriff stammt aus der Zeit, als die römischen Kaiser ihren

Wohnsitz auf dem Mons Palatinus in Rom nahmen.

Von diesem Berg leitet sich der Begriff Palatium her, von dem wiederum das Wort Palast In der Antike wur­ de eine Person, die im Palast des Kaisers lebte, Palati­ nus genannt; später bezeichnete man damit die treues­

ten Gefolgsleute. Der Palatinus, später Paladin genannt, spielte auch im Mittelalter eine große Rolle. Von „palatinus" wurde nämlich „Pfalz“ abgeleitet; so wurden

befestigte Orte genannt, die der König auf seiner Reise durchs Reich, das keine Hauptstadt und damit keinen festen Regierungssitz hatte, besuchte. Auch in der Neuzeit durften sich mit dem jeweiligen Chef eng verbun­

dene Gefolgsleute „Paladine" nennen, vor allem in Großbritannien und im Deutschen Reich. Göring war also

nicht der einzige „Paladin".

129

Römische Geschichte

„Das ist ein notwendiges Übel" Nachteil, der hingenommen werden muss

I

n den Vereinigten Staaten gibt es nicht wenige Bürger, die die totale Abschaffung aller Steuern fordern.

Dabei scheint es sich um kurzsichtige Zeitgenossen zu handeln, denn sie ignorieren bei diesem Wunsch,

dass dann der Staat, so wie wir uns an ihn gewöhnt haben, zusammenbrechen würde. Aber die Fantasie, das

Finanzamt zu schließen, dürfte jeden schon mal überfallen haben und ist witzigerweise kein neues Phäno­ men. Schon im 3. Jahrhundert hatte der damals regierende römische Kaiser Marcus Aurelius Severus Alexan­

der vor, die Finanzbeamten abzuschaffen, kam aber damals schon zu der oben bereits angeführten Erkenntnis

- ohne Steuern kein Staat Sein Stoßseufzer „necessarium malum - ein notwendiges Übel" ist bis heute in

aller Munde und wird nicht nur auf die Steuern, sondern auf alle möglichen zwar lästigen, aber unvermeidli­ chen Zeiterscheinungen angewendet, mit denen man nicht leben kann, ohne sie aber auch nicht...

Pecunia non ölet - Geld stinkt nicht Der Zweck heiligt die Mittel.

W

arum heißen die öffentlichen Bedürfnisanstalten in Paris „Vespasienne" und in Rom „Vespasiani"? Man braucht nur oberflächliche Geschichts­

kenntnisse zu haben, um zu wissen, dass einer der römischen Kaiser den

Namen Vespasian trug. Dieser führte in seiner Regierungszeit von 69 bis 79 eine Steuernovelle ein, die eine scheinbar anrüchige Tatsache nutzte. Urin

nämlich war schon immer als Gerbungs- und Wäschereinigungsmittel einge­ setzt und in Rom in großen Amphoren gesammelt worden, um ihn dieser

Verwertung zuzuführen. Vespasian nun kam als erster auf die Idee, auf diese öffentlichen Toiletten eine Latrinensteuer zu erheben. Wie der Schriftsteller (und

Verwaltungsbeamte) Sueton überliefert, soll der Kaiser seinem Sohn Titus gegenüber, der Zweifel an der moralischen Berechtigung dieser Maßnahme geäußert hatte, die lakonische Bemerkung „pecunia non ölet" gemacht haben; dabei habe er ihn an Geld aus den Latrineneinnahmen riechen lassen.

Auch heute gibt es diverse Steuereinnahmen, die für einen Staat eigentlich nicht korrekt sind, weil er an Süchten mitverdient, so beim Glücksspiel, dem Alkoholkonsum und dem Tabak - aber Geld stinkt ja nicht

130

Römische Geschichte

Panem et circenses - Brot und Spiele politische Ablenkungsversuche enn eine Regierung das Volk mit Steuergeschenken gnädig stimmen will, steht sie auch heute noch

W

im Verdacht, „panem et circenses" zu veranstalten. Diesen Begriff prägte der römische Satiriker Deci­

mus lunius luvenalis zu Beginn des 2. Jahrhunderts, als er seine Landsleute kritisierte, die seiner Meinung

nach nicht mehr politisch aktiv seien, sondern sich mit „Brot und Zirkusspielen", also Nahrung und Unterhal­ tung, zufrieden gäben. Ohne zynisch sein zu wollen, drängt sich auch heute noch der Eindruck auf, dass vie­

le Zeitgenossen in regelmäßigen Mahlzeiten und Fernsehkonsum den Sinn des Lebens erfüllt sehen. Bereits

vor 2000 Jahren soll Kaiser Trajan der Überzeugung gewesen sein, dass das Volk sich „insbesondere durch zwei Dinge, Getreide und Schauspiele“, im Bann halten lasse; auch die Einwohner Alexandrias sollen nur

noch auf „Brot und Wagenrennen" fixiert gewesen sein. Es gilt also aufzumerken, wenn die Regierung mit

Steuersenkungen, Wahlgeschenken oder Großereignissen die allgemeine Stimmung heben will - womöglich

will sie von Problemen ablenken.

Morituri te salutant' Ich weiß, dass ich keine Chance habe.

G

ladiatorenkämpfe waren an Dramatik nicht zu über­

bieten, denn hier ging es im wahrsten Sinne um

Leben und Tod. Allerdings ist diese zur Redewendung gewordene Floskel nur ein einziges Mal in einer histori­

schen Quelle belegt Und selbst dort findet der Gruß

nicht vor einem Gladiatorenkampf statt, sondern vor einer im Zirkus inszenierten Seeschlacht Es ist also mehr als fraglich, ob Gladiatoren beim Einzug in die Arena jemals

„Ave, Caesar, morituri te salutant - Die Todgeweihten grüßen dich!" gerufen haben. Das Leben eines Gladiators

lag zwar allein in den Händen dessen, der das Spektakel

veranstaltete, das war in der Regel der Kaiser. Dieser über­ ließ das Urteil, ob ein unterlegener Kämpfer getötet werden sollte, aber meist dem Publikum. Hier lauert noch ein Klischee, das der Korrektur bedarf: Die Begnadigung wurde in der Tat mit nach oben gerecktem

Daumen angezeigt; für das Todesurteil dagegen wurde der Daumen nicht, wie meist angenommen, nach unten, sondern mehr waagerecht in Richtung Schlüsselbein gedreht, dorthin, wo der Todesstoß in Richtung

Herz angesetzt wurde.

131

Römische Geschichte

„Lukullisch speisen" eine üppige, luxuriöse Mahlzeit zu sich nehmen

s gibt Restaurants, in denen Preis und Leistung nicht

E

übereinstimmen. Der römische Senator und Feldherr

Lucius Licinius Lucullus (1 17 - 56 v. Chr.) dürfte dieses

Problem nicht gehabt haben. Er erbeutete bei seinen Feld­

zügen, vor allem in Armenien, immense Reichtümer und leistete sich davon luxuriöse Paläste, als erster übrigens auch mit großartigen Gartenanlagen, die er in Kleinasien

kennengelernt hatte. Sein Name ist aber berühmt geworden

durch die legendären Gastmähler, die er veranstaltete, so dass er bis heute für gastronomischen Luxus steht Aber

Vorsicht: Lucullus war kein dekadenter Verschwender und Prasser, sondern ein anspruchsvoller Genießer auf höchstem Niveau, der gern Gäste hatte und bewirtete, sie aber auch zur geistigen Nahrung in seine umfangreiche Bibliothek einlud. Für ein nicht unwichtiges „lukulli­ sches Detail" sollten wir ihm dankbar sein: Er führte die Kirsche aus Kleinasien in Europa ein, die sich dann

innerhalb von I 20 Jahren bis Britannien ausbreitete.

„Von einem Mäzen unterstützt werden" einen Gönner haben or allem in Staaten, die Kultur und Wissenschaft nicht so mit Steuergeldern unterstützen, wie dies

V

zum Beispiel in Deutschland geschieht, sind Opernhäuser, Universitäten und andere Einrichtungen in

hohem Maße auf Spenden angewiesen. In diesen Ländern, vor allem in den USA, gibt es dementsprechend eine Kultur des Mäzenatentums. Bei Mäzenen handelt es sich um Personen, die, ohne eine direkte Gegen­

leistung zu verlangen, kulturelle, soziale, wissenschaftliche, sportliche oder andere Institutionen öffentlichen

Interesses mit Geld oder anderen Mitteln unterstützen. Dabei kann es sich um Museen, Akademien oder

Orchester handeln, aber auch Sport- und andere Vereine und auch einzelne Personen. Der Begriff Mäzen leitet sich von dem römischen Gönner Gaius Cilnius Maecenas her, der zur Zeit des Augustus Dichter wie Vergil und Horaz finanziell unterstützte. Bei aller Anerkennung für hochherziges Mäzenatentum sollte aber

nicht vergessen werden, dass es auch nicht ganz uneigennützige Mäzene gibt, die durch ihre Spenden eine

ganz bestimmte Kultur oder bestimmte wissenschaftliche Ziele fördern wollen.

132

Römische Geschichte

„Minuten“ und „Sekunden" anchmal ärgert man sich über die Tatsache, dass die Zeiteinheiten so wenig dezimal sind. Wie viel

M

praktischer wäre es doch, wenn 100 Sekunden eine Minute und 100 Minuten eine Stunde ergeben

würden. Unser Sexagesimalsystem mit 60 Minuten und 3600 Sekunden pro Stunde hat seinen Ursprung schon im antiken Babylon. Auch für den Astronomen und Geographen Claudius Ptolemaeus, der im 2. Jahr­

hundert n. Chr. in Alexandria lebte, war dieses System normal. Er nannte die Sechzigstel bei seinen Kreisund Winkelteilungen „pars minutae primae“ (von minuere = verkleinern, vermindern), die wiederum gebilde­

ten Sechzigstel der Minute konsequent „pars minutae secundae", woraus die Bezeichnung „Sekunde" wurde.

Korrekt war diese Namengebung nicht, denn wenn es bei der Sekunde um die „secundae", also zum zweiten Mal geteilte Zeiteinheit geht, so müsste die erste nicht Minute heißen, sondern Prime. Diese Winkeleinteilun­

gen übertrugen sich auf die Zeitstunde, deren Zeiger ja auf dem Zifferblatt einen Kreis von 360 Grad

beschreibt Die Minuten und Sekunden wurden also von der Geometrie auf die Zeitrechnung übertragen, nicht umgekehrt!

Die Monate

September, Oktober, November und Dezember

M

onate haben nicht nur merkwürdige Namen, sie sind auch nicht nach einem einheitlichen System benannt Sind die ersten acht

Monate unseres modernen Kalenders nach Göttern wie Juno und Kaisern wie Augustus benannt, so wird es im hinteren Drittel eher langweilig. September, Oktober, November und Dezember haben ihre

Namen nach lateinischen Zahlwörtern - septem, octo, novem, decem.

Nun ist sofort auffällig, dass unser neunter Monat die Zahl Sieben trägt, der zehnte die Acht und so weiter. Das hängt damit zusammen, dass der alte römische Kalender mit dem März als erstem Jahresmonat

begann. Erst 153 v. Chr. verlegte man den Jahresbeginn auf den Januar, wodurch die Namen nicht mehr mit der Reihenfolge überein­

stimmten. Auch für die nach Zahlen benannten Monate waren deshalb

andere, nämlich Kaiser-Namen analog zu Juli(us) und August(us) geplant, jedoch konnten sich „Tiberius" für den September und

„Domitianus" für den Oktober nicht durchsetzen.

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Römische Geschichte

„Tabula rasa machen" mit einer Sache abschließen und neu anfangen enn jemand alle Verfehlungen gesteht, dann wird dies oft

W

mit der Redewendung „tabula rasa machen“ bezeichnet.

Welche „tabula" könnte hier gemeint sein? Das deutsche Wort

„Tafel" ist, wie so viele andere, ein Lehnwort aus dem Lateini­ schen und gleichzeitig die deutsche Übersetzung. Im Altertum war damit auch die Schreibtafel gemeint, die, in Ermangelung

des noch nicht erfundenen Papiers, nicht nur Schüler benutzten, sondern auch Erwachsene als Notizblock. Die antiken Hard­

ware-Entwickler hatten nämlich eine pfiffige Erfindung gemacht:

Sie beschichteten eine Holzplatte mit Wachs, in das Buchstaben geritzt werden konnten. Wenn man die Tafel neu zu beschrei­

ben wünschte, kratzte man die alte Wachsschicht ab und versah

das Brett mit einer neuen - einer wiederbeschreibbaren CD ver­

gleichbar. Eine „tabula rasa" war also eine abgeschabte und damit leere Schreibtafel, ein Pendant zu unserem „reinen Tisch".

„De mortuis nihil nisi bene" Keine schlechte Nachrede am Grabe!

erstorbene haben den Nachteil, dass sie sich nicht mehr wehren können. Entweder der griechische

V

Staatsmann Solon (640 - 560 v. Chr.) oder Chilon von Sparta, beide zu den legendären Sieben

Weisen zählend, soll als erster seine Zeitgenossen dazu aufgefordert haben, über Verstorbene „nichts Schlech­ tes" zu reden. Bei dem Übergang des griechischen Zitats nach Rom hat es später dann eine nicht unwichtige Bedeutungsveränderung gegeben. Während die oft gehörte deutsche Version „Über die Toten sage man nur

Gutes" des meist auf Latein zitierten Spruches auf jeden Fall den Sinn verfälscht, muss man das griechische Original „nicht Schlechtes sprechen" von der lateinischen Version „auf gute Weise sprechen" unterscheiden. Heute versteht man die Mahnung meist so, dass am Grabe und in Nachrufen die Fehler und Nachteile des Verstorbenen geflissentlich verschwiegen und die positiven Seiten in Erinnerung gerufen werden sollten. Wohl dem, bei dem es dann noch etwas zu berichten gibt, sonst ist der Rest Schweigen.

134

Römische Geschichte

Sine ira et studio neutral, unparteiisch er römische Historiograph Publius Cornelius Tacitus (58 - 120 n. Chr.) gilt,

D

neben dem Griechen Herodot, als einer der Väter der Geschichtsschreibung.

Er war sich damals schon im Klaren, dass ein Geschichtsschreiber, der seine Emo­

tionen nicht im Griff hat, Gefahr läuft, nicht unparteiisch zu sein, wenn er Perso­ nen, Ereignisse oder Zusammenhänge schildert Diese - von ihm selbst leider oft ignorierte - Maxime bezeichnete er in seinen „Annalen" mit dem Schlagwort

„sine ira et studio - ohne Zorn und Ereiferung". Gemeint war, dass er Wertungen vermeiden und nur Tatsachen schildern wollte. Zu seiner Zeit war die Gefahr in der

Tat groß, dass man gerade wegen wahrheitsgetreuer Äußerungen in Ungnade fallen

würde. Andererseits konnte es auch geschehen, dass nach dem Ableben des

Gefürchteten zu negativ berichtet wurde, wenn man vor keiner Rache mehr zittern

musste. Der hehre Vorsatz wird auch heutzutage leider oft missachtet, denn auch heute ist die Historiographie oft von weltanschaulichen oder politischen Überzeu­ Tacitus

gungen gefärbt

„Auf der Bärenhaut liegen" dem süßen Nichtstun frönen

D

ie Vorstellung vom Leben der nördlichen Nachbarn der Römer, der Germanen, ist von vielen

Klischees geprägt. Es gibt nämlich, außer der „Germania" des Tacitus, recht wenige Quellen darü­

ber. Tacitus beschreibt die Lebensgewohnheiten des Volkes, das erst wenige Jahre zuvor von Julius Caesar in seinem „De bello Gallico“ erstmals als nicht keltisches, sondern eigenständiges Volk identifiziert worden war.

Woher kommt nun die spaßige, immerhin eine Redewendung verursachende Vorstellung, dass die Germanen auf Bärenhäuten lagen? Bei Tacitus wird der Germane als zwar tapfer, aber arbeitsscheu geschildert, mit

dürftiger, meist aus Tierfellen bestehender Kleidung. Bei den häufigen Gelagen werde ein unbekanntes Gebräu aus Gerste konsumiert, das zu heftigen Raufereien führe. Unter dem Eindruck dieses Textes schrieb

ein Wilhelm Ruer I 872 für eine studentische Bierzeitung ein Lied mit dem Titel „Tacitus und die alten Deutschen", das mit den Zeilen endete: „Es wohnen die alten Deutschen auf beiden Ufern des Rheins, sie liegen auf Bärenhäuten und trinken immer noch eins."

135

Römische Geschichte

„Nomen est omen" Der Name hat etwas zu bedeuten. ann ein Mensch mit Namen Lahm tatsächlich Leistungssport betreiben? Wenn man dem lateinischen

K

Satz „nomen est omen" folgt, kaum, denn der bedeutet „der Name ist ein Vorzeichen, ein Hinweis".

Allerdings wird diese Redensart, seit sie von dem römischen Komödiendichter Plautus (250 - 184 v. Chr.)

in seinem Stück „Der Perser", damals noch in der sinngleichen Formulierung „nomen atque omen", verwendet wurde, in der Regel scherzhaft gebraucht, wenn ein Name tatsächlich eine Verbindung zu Eigenschaften des Trägers zu bieten scheint Als literarischer Kunstgriff genutzt, werden über den Namen Assoziationen

geweckt; so ist Thomas Manns „Tobias Mindernickel" menschenscheu, und in seiner Farce „Hanswursts Hochzeit" übertreibt es Goethe regelrecht mit den sprechenden Namen seiner Protagonisten, von denen einer gar „Peter Sauschwanz" heißt Manchmal ist „nomen“ überhaupt nicht „omen", wenn zum Beispiel ein

blondes Mädchen Melanie, das ist griechisch für „schwarzhaarig", genannt wird - da lacht der Altsprachler.

„Das ist mein Alter Ego" Das ist mein zweites Ich.

s gibt zwischenmenschliche Beziehungen, in denen eine so stark empfundene see­

E

lische Verwandtschaft herrscht, dass die Partner vom jeweils anderen als ihrem

„Alter Ego", ihrem „zweiten Ich" sprechen. Die krankhafte Variante ist die

des Individuums mit gespaltener Persönlichkeit, die sich in einer zwei­ ten Identität äußert Das bekannteste Beispiel aus der Literatur ist

sicher Stevensons Dr. Jekyll mit dem Alter Ego Mr. Hyde, Biedermann und

Monster in einer Person. Eine dritte, weniger dramatische Anwendung erfährt der Begriff, wenn Schauspieler mit einer Rolle dermaßen identifiziert werden, dass ihre

eigene Persönlichkeit dahinter fast verschwindet; Pierre Brice hat nie wieder sein Alter Ego Winnetou ablegen können, und Romy Schneider litt unter dem ihren namens Sissi. Die Prägung des Begriffs haben wir dem römischen Schriftsteller Seneca

dem Jüngeren zu verdanken, der eine Formulierung des griechischen Philosophen Zenon aufgriff und den noch heute in vielen Sprachen als Fremdwort heimisch gewordenen Terminus prägte

136

Römische Geschichte

„Zustände wie im alten Rom" moralisch oder politisch bedenkliche Verhältnisse ngesichts bedenklicher politischer Sitten entfährt so manchem der resignierende Satz „Zustände wie im

A

alten Rom!" Diese auf die angeblichen Verhältnisse im Rom der Kaiserzeit Bezug nehmende Redewen­

dung stammt mitnichten aus der zeitgenössischen Literatur, sondern aus der Sprache studentischer Zirkel

einer noch gar nicht so entfernten Vergangenheit Damals war es üblich, bei allen möglichen Anlässen seine humanistische Bildung durchblicken zu lassen. Dazu gehörte ein, wie man allgemein glaubte, zuverlässiges

Bild über die sprichwörtliche politische, moralische und kulturelle Dekadenz Roms, womit zeitgenössische „unhaltbare Zustände“ gern verglichen wurden. Sicher ist das von vielerlei Klischeevorstellungen geprägte

Urteil auch bei heutiger Anwendung nicht ganz ernst gemeint, denn es wird in erster Linie leicht belustigt in Situationen gefällt, die mit den tatsächlichen Verhältnissen im „alten Rom“ kaum vergleichbar sind, einer unaufgeräumten Wohnung zum Beispiel.

„Hier herrscht spätrömische Dekadenz" Kultureller oder sittlicher Niedergang hat sich breit gemacht. ie Spätantike gilt gemeinhin als Zeitalter des Verfalls. Nicht nur, dass die Sitten verlottert gewesen seien,

D

auch die einstmals beherrschende militärische Macht des Imperiums sei am Ende gewesen. Populärwis­

senschaftliche Schilderungen vom Untergang des Römischen Reiches haben dieses Klischee verbreitet Die

Geschichtsforschung aber hat das Bild, diese Zeit sei von „spätrömischer Dekadenz" geprägt gewesen, mittler­ weile revidiert Fast zu allen Zeiten hat es Klagen über den aktuell herrschenden Sittenverfall gegeben -

Stichwort „Früher war alles besser" -, aber die Idealisierung der „klassischen" Antike war so übertrieben

gewesen, dass ihre Spätzeit im Urteil der Nachwelt nur abfallen konnte. Insofern dürfen solche Quellen nicht überbewertet werden. Auch wenn es in vielen Schulbüchern tradiert wird: Eine spezielle „spätrömische Deka­

denz" hat es in dieser Form wohl nicht gegeben. Insofern ist sie als Schreckbild nicht geeignet, auch wenn es einigen Politikern und Moralaposteln, die den heutigen Sittenverfall an die Wand malen, nicht gefallen wird.

137

Römische Geschichte

Das steht in den Sternen Das ist völlig ungewiss.

wei Begriffe, die etwas mit den Erscheinungen am Him­

Z

mel zu tun haben, sind offenbar genau falsch herum

besetzt: Astrologie und Astronomie. Astronomie heißt wörtlich übersetzt „das Gesetz der Sterne", steht aber für

die Wissenschaft, also die Lehre von den Sternen. Astrolo­

gie dagegen meint die Gesetze, nach denen sich Sterne in Tierkreiszeichen bewegen, heißt aber wörtlich übersetzt

„Lehre von den Sternen", ebenso wie Biologie die „Lehre vom Leben" ist Das ist paradox, denn gerade die Astrologie

hat mit Wissenschaft so viel zu tun wie Wünschelrutenge­ hen mit der Lehre vom Erdmagnetfeld. Der Grund für die

vertauschten Begriffe liegt in der Antike, als zwischen Astrologie, dem älteren Begriff, und Astronomie noch

kein Unterschied gemacht wurde. Besonders im orakelbegeisterten Rom fand der Glaube, dass wie aus dem Vogelflug und aus tierischen Eingeweiden auch aus den Sternen das Schicksal zu erkennen sei, großen Anklang. In der heutigen Redewendung schwingt aber ein mehr als leiser Zweifel mit, dass die Sterne die

Zukunft offenbaren können.

„Das ist meine Alma Mater" An dieser Universität habe ich studiert. enn längst dem Studentenleben entwachsene Herren so ganz nebenbei durchblicken lassen wollen,

W

dass sie eine akademische Laufbahn hinter sich haben, sprechen sie von ihrer „Alma Mater". Nicht­

akademiker verstehen dann oft nur Bahnhof, aber der Eingeweihte weiß sofort, dass hier die Universität

gemeint ist, an der der Sprecher studiert hat Die Sitte, eine Hochschule so zu nennen, ist erst im Italien des

I I. Jahrhunderts entstanden, als die Universität von Bologna, die älteste Europas, 1088 sich das Motto „Alma mater studiorum", wörtlich „nährende Mutter der Studierenden", gab, weil sie Studenten mit Wissen und Bildung füttere. Die Bolognesen griffen dabei aber auf ein altes lateinisches Attribut zurück, denn im

Römischen Reich wurde als „alma" eine nährende, Segen spendende Göttin wie Ceres geehrt. Im Mittelalter nannte man die Muttergottes „alma mater"; heute wird der Begriff nur noch für akademische Bildungsstätten

verwendet, in den USA recht häufig nicht nur für Universitäten, sondern manchmal hinunter bis zur Grundschule.

138

Römische Geschichte

„Krokodilstränen vergießen Mitgefühl heucheln

O

bwohl kaum eines der gefräßigen Reptilien in der Lage sein dürfte, eine menschliche Regung zu ver­ spüren, wurde ihnen nachgesagt, Tränen des Mitgefühls zu vergießen. Diese aus dem Rom des 1. Jahr­ hunderts stammende Redewendung hat sich bis heute gehalten - aber ein weinendes

Krokodil? Der römische Gelehrte Plinius der Ältere (23 - 79) schrieb in seiner Naturgeschichte, dass Krokodile über das grausame Schicksal ihrer Beutetiere

weinen würden. Dieser Aberglauben ist auf das physiologische Phänomen

zurückzuführen, dass verschiedene Arten von Krokodilen, wenn sie ihr

Maul zum Fressen großer Beutetiere weit öffnen, Druck auf die Tränendrü­ sen ausüben und Tränenflüssigkeit freisetzen. Dieses Weinen wurde ange­

sichts der skrupellosen Raubtiere als Heuchelei interpretiert, eine natürlich irrige - Überzeugung, die sich bis in mittelalterliche Naturlehren

wie die im „Physiologus“ beschriebenen hielt Bis heute bezeichnet man eine heuchlerische Zurschaustellung von Betroffenheit oder Mitgefühl mit

dieser Redewendung, obwohl die Krokodile längst von jeder menschlichen Rührung freigesprochen sind.

Goldene Berge versprechen unerfüllbare Zusagen machen er Goldreichtum in den Bergen Persiens, des heutigen Iran, war im Altertum sprichwörtlich. Gleichzeitig

D

lag dieses Land für den normalen Bürger Roms so weit entfernt, dass die „goldenen Berge“ Persiens in

etwa dem El Dorado späterer Zeiten entsprachen, einer sagenhaften, aber unerreichbaren Weltgegend. Wenn

man jemandem also goldene Berge versprach, war dies kaum einzulösen, so ähnlich wie die Sterne vom Himmel. Der berühmte römische Komödiendichter Publius Terentius Afer (um 190 - 159 v. Chr.) verwende­ te diese Formulierung in einem Lustspiel, als er einem Protagonisten „Berge Goldes" versprechen ließ und ihn so nach Kilikien lockte. Erasmus von Rotterdam, der später eine Sprichwörtersammlung veröffentlichte, führte

darin diese Redewendung ebenfalls auf den „Größenwahn der Perser" zurück und bezeichnete sie als „sprichwörtliche Hyperbel dafür, dass jemand großartige Versprechungen macht und die herrlichsten Dinge

in Aussicht stellt".

139

Römische Geschichte

Per aspera ad astra Der Weg zu den Sternen ist steinig.

E

s gibt einige lateinische Redewendungen, die in ihrer ursprünglichen Versi­ on, also ohne ins Deutsche übersetzt worden zu sein, in unseren Sprach­ gebrauch übergegangen sind. Dazu gehört per aspera ad astra, dessen Übersetzung „durch das Rauhe zu den Sternen" weder wörtlich noch im

übertragenen Sinn gebräuchlich ist Am ehesten kommt dem Zitat noch

unser „Ohne Fleiß kein Preis" oder „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen"

nahe. Der römische Schriftsteller Seneca ist der Vater des Zitats, das so ähnlich in seiner Tragödie „Der wildgewordene Herkules" zu finden ist Von dort fand der optimistische Spruch seinen Weg auf viele Wappen, Flaggen und Orden, denn er eignet sich hervorragend als Devise, von der United States

Air Force Academy über diverse Studentenverbindungen und einer Zigarettenmarke bis hin zur Raumschiffsflotte in der Fernsehserie „Star Trek".

„Meine Wenigkeit bescheidene Selbstnennung anchmal weiß man nicht so recht, wie man sich selbst ins Spiel oder Gespräch bringen soll, ohne zu

M

selbstbewusst oder gar aufdringlich oder überheblich zu erscheinen; gelegentlich ist ja tatsächlich

Bescheidenheit eine Zier, wie ein leider langsam verblassendes Sprichwort sagt Da gibt es eine altmodische Variante, die auf eine Formulierung des römischen Schriftstellers Valerius Maximus, eines Zeitgenossen des

Kaisers Tiberius, zurückgeht Dieser wählte im Vorwort zu seinem Werk Factorum et dictorum memorabilium libri novem („Neun Bücher denkwürdiger Taten und Aussprüche)" die Formulierung mea parvitas, also „mei­ ne Wenigkeit", die sich über die Jahrhunderte in der deutschen Sprache gehalten hat Allerdings kann es pas­

sieren, dass die Formel ironisch verwendet wird; dies kann dann der Fall sein, wenn eine Person zwar den Hauptteil eines Projekts erledigt hat, ihre Urheberschaft aber augenzwinkernd mit „meine Wenigkeit" scheinbar relativiert.

140

Römische Geschichte

Captatio benevolentiae Werbung um die Gunst des Zuhörers

ei diesem Ausdruck handelt es sich nicht nur um eine lateinische Floskel, sondern um einen seit der

B

Antike gebräuchlichen rhetorischen Trick. Wie die Übersetzung - „Trachten nach Wohlwollen" - schon

ausdrückt, geht es darum, den Zuhörer oder Zuschauer positiv auf das Folgende einzustimmen. Vor allem zu

Beginn einer Rede, eines Textes oder auch eines Theaterstücks versuchten die Verfasser schon im Altertum, mit mehr oder weniger schmeichelnden Worten das Publikum für sich einzunehmen. Dies gehört noch heute

zum Repertoire von Rednern, denn ein Zuhörer, dem wegen seiner Intelligenz, Schönheit oder wegen seines

Charmes geschmeichelt wurde, wird nicht mehr ganz so kritisch mit dem Gehörten umgehen wie einer, der geflissentlich ignoriert wurde. So gab es im Theaterwesen bis in die Neuzeit die Tradition, vor der eigentli­ chen Handlung einen Prolog zu setzen, in dem die Zuschauer persönlich begrüßt und für ihre Aufmerksam­ keit gelobt wurden. Auch Vorworte in Büchern wenden sich gelegentlich an den so genannten - und damit

geschmeichelten - „geneigten Leser".

Kein Wässerchen trüben können völlig harmlos sein

V

on den antiken Fabeldichtern ist sicher Aesop der bekannteste. Aber es gab auch andere Dichter dieses

Genres. Zur Zeit des Augustus wirkte Gaius Iulius Phaedrus, der zwar Aesop als Vorbild angab und

auch manche seiner Themen aufgriff, seine Fabeln aber im Unterschied zu dem Griechen in Versform

schrieb. Die Redewendung vom (nicht) getrübten Wasser geht zurück auf die Fabel vom Wolf und dem Lamm, die beide am selben Bach trinken. Der Wolf ist mit der Wasserqualität nicht zufrieden und beschuldigt

das etwas weiter unterhalb trinkende Lamm, das Wasser zu verschmutzen. Das Lamm, in allen Kulturen ein Symbol der Unschuld, beteuert diese denn auch und untermauert seine Beweisführung mit dem eigentlich auch von einem Wolf schwer zu widerlegenden Hinweis, das Wasser unterhalb des Standortes des Wolfes gar

nicht verschmutzen zu können. Der Wolf, in der Welt der Tierfabel immer gefräßig, aber nicht besonders intel­ ligent, lässt sich durch solche Spitzfindigkeiten nicht davon abbringen, einen Grund zu finden, das Lamm zu

„bestrafen", und frisst es auf.

141

Römische Geschichte

„Satirische" Texte verfassen spöttisch-kritische Artikel schreiben atiriker - mündliche Satire nennt sich meist Kabarett - sind nicht beliebt, denn sie decken genussvoll

S

Missstände auf, die für ihre Urheber peinlich werden könnten. Ihren Ursprung als Spottdichtung kann

die Satire bis heute nicht verleugnen - und will das vermutlich auch gar nicht Ein naheliegendes Missver­ ständnis vermutete in den Satyrn, den dämonischen Gefährten des Gottes Dionysos, fälschlicherweise den

Namensgeber und führte in früheren Zeiten dazu, dass der Begriff mit y geschrieben wurde. Der Begriff Satire entstammt aber in Wirklichkeit dem lateinischen Wort satira, das sich aus satura lanx entwickelt hat und im

übertragenen Sinn soviel bedeutet wie „bunt gemischtes Allerlei". Schon bei den alten Griechen gab es bekannte Satiriker; einer der ersten war der Kyniker Menippos von Gadara, der im 3. Jahrhundert v. Chr. leb­

te. Seine leider nicht überlieferten Schriften sollen von einer Mischung aus Ernst und Komik, Witz und Spott geprägt gewesen sein. Satirische Kurzformen sind das Normale, aber es gibt auch satirische Romane, deren

bekannteste sicherlich „Don Quijote" und „Gullivers Reisen" sind.

„In medias res" gehen zur Sache kommen

W

er kennt das nicht: Da will ein Mann (oder eine Frau) ein Erlebnis berichten und kommt einfach nicht zur Sache. Alle möglichen, mehr oder weniger nebensächlichen Dinge werden

erwähnt, bevor der Kern der Erzählung auch nur in Sicht ist Früher wurden in gebil­

deten Kreisen solche Abschweifungen durch den Zwischenruf Ad rem! (Zur Sache!) gestoppt, womit wir auch schon beim Thema wären. Die Wendung in medias res - manche sagen auch medias in res, was noch etwas gebildeter klingt -, bedeu­

tet so viel wie „mitten in die Dinge" und stammt aus Horaz' „Ars poetica". Darin

rühmt der römische Dichter den Erzählstil seines griechischen Kollegen Homer, der in der „Ilias", seinem Kolossalwerk über eine Episode im Trojanischen Krieg, ohne

Umschweife gleich zur Sache komme. Homer führe seine Leser - damals werden es

wohl ausschließlich Zuhörer gewesen sein - gleich zu Beginn in medias res, also mitten in die laufende Handlung, nämlich die Auseinandersetzung zwischen Achilleus und Agamemnon.

142

Komische Geschichte

Semper idem" immer dasselbe

E

s gibt Firmen, die seit Jahren, ja Jahrzehnten ein und dasselbe Produkt herstel­ len. Dabei handelt es sich meist um Erzeugnisse, die nicht mehr verbessert

werden können. Ein bekannter Magenbitter ist so ein Produkt; er wird seit

1896 unverändert angemischt, was die Herstellerfirma dazu brachte, sich das

Motto semper idem zu geben. Auch wenn dieses Prädikat in diesem Falle Beständigkeit, ja Vertrauenswürdigkeit ausdrücken soll, wirkt die gleiche Floskel, mit anderer Betonung ausgesprochen, eher resignierend, so im Sinne von „immer

die alte Leier, nichts Neues“. Wie dem auch sei - das lateinische Zitat stammt aus

Ciceros „Tusculanae disputationes" aus dem Jahr 45 v. Chr. Darin erzählt er, dass der griechische Philosoph Sokrates stets denselben (semper idem) Gesichtsaus­

druck gezeigt habe, ob er nun von zu Hause weggegangen oder zurückgekom­ men sei. Der Grund dafür sei aber gewesen, dass sein Geist, der ja den

Gesichtsausdruck bedinge, unverändert geblieben sei - eben „semper idem".

„Sein Veto einlegen" Widerspruch einlegen em „Veto" würde sicherlich jeder einen Ursprung im klassischen Rom zuweisen, so echt antik hört sich

D

dieser lateinische Begriff an. Weit gefehlt - zwar konnte auch schon in damaligen Gerichtsverfahren ein

Einspruch eingelegt werden, aber dieser wurde intercessio genannt Das Veto (lat „ich verhindere"), das heute nicht nur vor Gericht, sondern vor allem in der Politik eingelegt werden kann, ist ein Einspruch, der Entschei­

dungen aufschieben oder ganz blockieren kann - besonders aus amerikanischen Gerichtsfilmen ist der Zwi­ schenruf „Einspruch, Euer Ehren" bekannt Erstmals in ein Verfassungsrecht wurde es in Polen im 18. Jahr­

hundert aufgenommen, wo jedem Abgeordneten zugestanden war, Beschlüsse des Parlaments zu blockieren; dass dies bei den schon damals eigensinnigen polnischen Parlamentariern auf die Dauer nicht gut gehen

konnte, liegt auf der Hand. Heute wird zwischen zwei Arten von Veto unterschieden, dem aufschiebenden,

das nur bis zur nächsten Abstimmung in gleicher Sache gilt, und dem absoluten Veto, durch das beispiels­ weise ein Präsident einen Parlamentsbeschluss endgültig verhindern kann.

143

Römische Geschichte

Etwas „cum grano salis" sagen empfehlen, etwas mit Vorsicht zu genießen

I

hr seid das Salz der Erde", sagte Jesus zu seinen Jüngern und wollte damit ausdrücken, dass Salz das Gewürz ist, das einer Speise erst den kräftigen Geschmack gibt Wieso aber wird ein lateinischer

Ausdruck, der Salz als Bestandteil hat, im heutigen Sprachgebrauch im Sinne von „mit Vorsicht zu genießen" gebraucht? Der Ausdruck cum grano salis geht zurück auf die „Naturalis historia" von Plinius dem Älteren.

Dort berichtet er über den Feldherrn Pompeius, der ein Gegengift gegen Schlangenbisse gefunden habe. Merkwürdigerweise legt Plinius dem Anwender nahe, das Mittel nur addito salis grano einzunehmen, also nachdem ihm ein Körnchen Salz beigemengt wurde. Ob er damit meint, dass die Wirkung des Antidot durch

das Salz überhaupt erst einsetze oder gesteigert werde, oder doch ironisch, dass er erhebliche Zweifel an der Wirksamkeit des Gegengiftes hatte, lässt er offen. Jedenfalls wurde der Ausdruck, umgestaltet zu cum grano

salis - „mit einem Korn Salz“, Bestandteil unseres Wortschatzes; heute wird er meist verwendet, um dem Zuhörer einen Hinweis zu geben, dass das Gesagte eventuell nicht ganz wörtlich zu nehmen ist

In flagranti" erwischen auf frischer Tat ertappen

E

ines der wichtigsten Gesetzbücher der Spätantike ist der Codex lustinianus. Diese Sammlung aller damals geltenden Kaisergesetze gab der ehrgeizige römische Kaiser Justinian im Jahre 528 in Auftrag, um ein

einheitliches Rechtswesen herzustellen. Sein Justizminister Tribonianus, der Herausgeber der Sammlung, formulierte als juristische Formel: In ipsa rapina et adhuc flagrante

crimine comprehensi - „sie sind direkt bei der Ausführung des Raubes und der Verübung des Verbrechens ertappt worden." Später entwickelte sich die Formulierung in crimine flagranti - „solange das Verbrechen noch brennt",

die von dem Substantiv flagrantia = Glut hergeleitet ist und als Kurzform

in flagranti zu einer aus dem Lateinischen übernommenen und nicht übersetzten Redensart wurde, die soviel bedeutet wie „auf frischer Tat".

144

Römische Ceschichte

Das ist ein „Circulus vitiosus"! Das ist ein Teufelskreis.

er Circulus vitiosus ist keine geometrische Figur. Vielmehr ist er, wie sein Name übersetzt lautet, ein „feh­

D

lerhafter Kreis". Man kommt diesem Phänomen näher, wenn man das Wort circulus mit „Zirkel" übersetzt.

So genannte Zirkelschlüsse, ein Phänomen der Logik, gehen bereits auf Aristoteles zurück und wurden auch später im Mittelalter diskutiert Ein Zirkelschluss besteht aus mehreren Einzelschlüssen nach dem „wenn -

dann"-Prinzip, die aufeinander aufbauen. Das wird dann zum Problem, wenn diese von demselben Wissens­ stand ausgehen oder sich gegenseitig bedingen. Auch wenn der Terminus sich antik anhört (und das Pro­ blem ja auch schon von antiken Denkern diskutiert wurde), scheint er erst in der Neuzeit geprägt worden zu sein. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird als Circulus vitiosus eine ausweglose Situation bezeichnet - was

immer man zur Lösung des Problems tut, es führt wieder zum Ausgangspunkt zurück oder verschlimmert die Lage sogar noch. Bei der Übersetzung mit „Teufelskreis" dürfte der mittelalterliche Aberglaube an Beschwö­

rungskreise, mit denen Dämonen gebannt werden sollten, eine Rolle gespielt haben.

Das ist eine „terra incognita" Es handelt sich um unbekanntes Terrain.

n der Antike waren weite Teile der Erde noch nicht erforscht, viele

I

noch nicht einmal entdeckt Der lateinische Begriff terra incognita

war auf historischen Karten - und ist bis heute - die Bezeichnung für

Gebiete, die noch nicht kartographiert sind. So lange von der Erde als einer Scheibe ausgegangen wurde, stellte sich nicht die Frage, ob es hinter dem Scheibenrand noch Land geben könne. Aber schon seit

Aristoteles war bekannt, dass die Erde eine Kugel ist. Der griechische

Astronom und Geograph Claudius Ptolemaeus (100- I 80) entwi­ ckelte ein Planetenmodell, für das er, als Gegengewicht für die große

eurasische Landmasse, einen ebensolchen Südkontinent voraussetzte, den er Terra Australis incognita - „unbekanntes Südland" nannte. Von dieser - eigentlich neutralen -

Bezeichnung ist der Name Australien abgeleitet; wir wissen heute, dass es noch weiter im Süden mit der Antarktis einen weiteren Kontinent gibt, der den Namen Australien noch mehr verdient hätte.

145

Römische Geschichte

Das war ein „annus horribilis" Das war ein Schreckensjahr.

E

s gibt lateinische Floskeln, die sich so anhören, als ob sie bereits von Julius Caesar persönlich geprägt

worden wären. Annus horribilis (lat „schreckliches Jahr") ist so ein Zitat, das aber in Wirklichkeit nur

wenige Jahre alt ist Erst 1992 ging dieses Wort durch die Presse, geprägt durch die englische Königin Eliza­

beth II., die sonst nicht gerade für ihre Neigung zu klassischen Sprachen bekannt ist Zwei Dinge gilt es zu

dieser Bewertung des betreffenden Jahres zu wissen: I 992 war für die Royal Family tatsächlich ein Schre­

ckensjahr, denn nicht nur, dass Windsor Castle bei einem Brand schwer beschädigt wurde, sondern es wurde auch überschattet durch die Ehekrisen ihrer Kinder Andrew, Anne und Charles. Dass aber die Queen gerade

zu dieser Bezeichnung griff, war ein ironischer Bezug auf den den meisten Briten vertrauten Ausdruck annus

mirabilis, der 1 666, ein spezielles Jahr der britischen Geschichte, hervorhebt: Damals wurde einerseits der

große Brand von London auf fast wunderbare Weise eingedämmt, andererseits machte Isaac Newton in diesem Jahr wichtige Entdeckungen.

„Memento mori!" Denk daran, dass du sterblich bist! us Hollywoods Sandalenfilmen kennt man die Szene: Der

A

Imperator zieht in Rom ein, und ein Sklave steht hinter

ihm auf der Quadriga und hält ihm einen Lorbeerkranz über den Kopf. Dabei ruft er ihm immer wieder eine Warnung zu,

angesichts dieses geradezu göttlichen Ruhms nicht überzu­ schnappen. Das berühmte Memento mori - „Bedenke, dass du

sterblich bist" ist aber nicht aus dieser Zeit überliefert, sondern

aus dem mittelalterlichen Mönchslatein, wohl verkürzt aus Memento moriendum esse. Dabei handelt es sich nicht um

einen Todeskult mit Sehnsucht nach der Ewigkeit, sondern hier

soll die Vergänglichkeit allen Irdischen bewusst gemacht werden - vanitas vanitatum. Der römische Trium­

phator wurde übrigens mit folgenden weiteren Worten gewarnt, sich für göttlich zu halten: Memento mori „Bedenke, dass du sterben wirst" - Memento te hominem esse - „Bedenke, dass du ein Mensch bist" Respice post te, hominem te esse memento - „Sieh dich um und gedenke, dass auch du nur ein Mensch

bist." Ein Brauch, der auch heute so manchem gut tun würde.

146

Römische Geschichte

„Quo vadis?" Wo soll das hinfähren? ibelkenner wissen, dass es neben den „offiziellen"

B

Büchern des Neuen Testaments auch so genannte

„apokryphe" gibt, Texte, die aus bestimmten Gründen

nicht in den Kanon des Evangeliums aufgenommen wurden. Aus einem dieser Bücher, den so genannten

Petrusakten, stammt dieses Zitat Es ist einer Szene entnommen, in der dem Apostel Petrus auf der Flucht aus Rom Jesus erscheint, dem er die Frage stellt: „Quo vadis, domine? - Wohin gehst du, Herr?" Der

polnische Schriftsteller Henryk Sienkiewicz ließ 1895 um diese Episode herum seinen berühmten Roman „Quo vadis" spielen. Der Stoff wurde mindestens fünf Mal verfilmt, aber die Fassung von I 951 mit Peter Ustinov in seiner Paraderolle als Kaiser Nero ist die

bekannteste; dramatische Höhepunkte sind der Brand Roms und die Christenverfolgung. Heute wird die Phrase „quo vadis" oft im Sinne von „Wo soll das nur hinführen?" verwendet Dass es in Frankreich eine Automarke namens Quo Vadis gab, lässt Rückschlüsse auf mangelhafte Lateinkenntnisse des Gründers zu.

Die Wagen wurden denn auch - nomen est omen - nur von 1 900 bis 1902 hergestellt.

„Mit seinem Latein am Ende sein" ratlos sein, nicht mehr weiterwissen

ie lateinische Sprache war, ausgehend von Rom als antiker Weltmacht, die Amtssprache im ganzen

Mittelmeerraum und auch in den Provinzen. Latein blieb auch im Mittelalter die lingua franca, also die Verkehrssprache über Grenzen hinweg. Die klassische Sprache Ciceros war nicht nur die Sprache der Kirche, sondern bis in die Neuzeit die Sprache der Literatur, Wissenschaft und Politik - noch bis ins 19. Jahr­

hundert wurden die Vorlesungen an den Universitäten in ganz Europa auf Latein gehalten! Für den einfachen

Mann war diese Sprache schon immer unverständlich, sowohl im Gottesdienst als auch vor Gericht, wo oft

aus lateinischen Quellen zitiert wurde. In der Medizin ist auch heute noch die lateinische Terminologie, ergänzt durch altgriechisches Vokabular, die Regel. Kein Wunder, dass die Patienten beunruhigt sind, wenn

der Arzt lateinische Fachbegriffe murmelt. Wenn ein Arzt die Krankheit nicht erkennt oder ihren lateinischen - Namen nicht weiß, kann durchaus der Eindruck entstehen, er sei mit seinem Latein am Ende.

147

Stichwortverzeichnis A

c Captatio benevolentiae 141 Sie sind wie Castor und Pollux 81

Durch Abwesenheit glänzen 125

Eine Achillesferse haben 38 Ad calendas Graecas i27

Ein Adonis sein 41 Unter der Ägide leben 17 Alea iacta est! 123 Das ist meine Alma Mater 138

Das ist mein Alter Ego 136

Eine Amazone sein 38

Da wacht ein Cerberus 81

Cerealien zum Frühstück 74

Ceterum censeo 121 Ein Chaos hinterlassen 13

Eine Chimäre züchten 60 Chronische Schmerzen haben 13 Das ist ein circulus vitiosus! 145

Cui bono? 122

Etwas cum grano salis sagen 144

Von Amors Pfeil getroffen werden 69

Das war ein annus horribilis 146 Die Äolsharfe spielen 30

D

Schön wie Apoll 68

Vor dem Areopag stehen 88

Dämonisch aussehen 57

Mit Argusaugen beobachten 34

Ein Danaergeschenk bekommen 48

Einen Ariadnefaden benutzen 42

Ins Danaidenfass schöpfen 56

In Arkadien leben 15

De mortuis nihil nisi bene 134

Den Äskulapstab tragen 26

Wie ein Deus ex machina erscheinen 102

Atlantis - untergegangene Insel 36

Wie Diogenes in seinem Fass 91

Der atlantische Ozean 36

Dionysische Gelage 22

Einen Augiasstall ausmisten 37

Eine drakonische Strafe verhängen 87

Aurora 75

Der Dritte im Bunde sein wollen 62

B

E

Ein Bacchus-Sohn sein 22

Ein Echo hören 29

Du bist ein Banause 104

Im Elysium, der Insel der Seligen 57

Sich benehmen wie ein Barbar 115

Etwas in epischer Breite erklären 104

Auf der Bärenhaut liegen 135

Eine erotische Ausstrahlung haben 30

Einen Basiliskenblick haben 58

Eulen nach Athen tragen 112

Jemanden becircen 50

Der Erdteil Europa 33

Das ist eine Binsenweisheit 32

Auch du, mein Sohn Brutus? 124

148

Wie ein Damoklesschwert über dem Haupt 63

Argonauten der Neuzeit 40

Stichwortverzeichnis

F

H

Den Faden verlieren 42

In den Hades hinabsteigen 54

Das ist eine Fama 78

Halbgötter in Weiß - und Schwarz 37

Sich mit fremden Federn schmücken 109

Seine Hand ins Feuer legen 119

Flora und Fauna 74

Hannibal ante portas! 122

Fortuna lächelt 74

In Harmonie leben 25

Die schönste Frau der Welt 45

Gierig wie eine Harpyie 59

Ein Füllhorn ausgießen 72

In Hekatomben umkommen 88

Wie von Furien gehetzt 76

Das ist mir Hekuba! 49

Furor Teutonicus 128

Als schöne Helena bekannt sein 45

An der Herakles-Krankheit leiden 34 Herostratischer Ruhm 61

G Es ist Gefahr im Verzüge 120

Geflügelte Worte 49 Das ist ja genial! 77

Das ist ja gigantisch! 14

Goldene Berge versprechen 139 Das Goldene Zeitalter 15

Der Orden vom Goldenen Vlies 40

Den Gordischen Knoten zerschlagen 92 Schön wie ein junger Gott 18 Ein Bild für die Götter 21

Wie Herkules am Scheidewege 79 Eine Herkulestat vollbringen 79

Hermetisch verschlossen 20 Heureka! 107

Den Eid des Hippokrates schwören 100 Sich in die Höhle des Löwen wagen 110

Homerisches Gelächter 21 Horror vacui 103

In den Hundstagen schwitzen 105 Mit einer Hydra kämpfen 35

Hygiene walten lassen 26

In Hypnose versetzt werden 23

Das wissen die Götter 18 Schreiten wie eine Grazie 77

Wie Ikarus abstürzen 43

In flagranti erwischen 144 In medias res gehen 142

149

Stichwortverzeichnis

Minuten und Sekunden 133 Die Monate Januar, Februar, März, April, Das hat einen Januskopf 71

Mai, Juni 71 Die Monate Juli und August 125 Die Monate September, Oktober, November und

K

Dezember 133 Keine Moneten haben 75

Morituri te salutant 131 Kassandrarufe ausstoßen 48

In Morpheus' Arme sinken 23

Croß wie der Koloss von Rhodos 113

Aus einer Mücke einen Elefanten machen 109

Eine Koryphäe sein 105

Von der Muse geküsst werden 28

Krokodilstränen vergießen 139

Ins Museum gehen 28

Bin ich Krösus? 87

Musik machen 29

Sich in einem Labyrinth verirren 43

Sich für den Nabel der Welt halten 100

Eine lakonische Antwort geben 115

Sich narzisstisch verhalten 41

Mit seinem Latein am Ende sein 147

Wie Nektar und Ambrosia 19

Den Lebensfaden abgeschnitten bekommen 76

Der Arm der Nemesis 24

Eine Lesbierin sein 106

Neptun opfern 67

Das ist ja logisch! 93

Als Nestor anerkannt sein 46

Sich auf seinen Lorbeeren ausruhen 126

Nike-Schuhe tragen 24

Den Löwenanteil bekommen 111

Mein Name ist Nobody 51

Lukullisch speisen 132

Nomen est omen 136 Das ist das Nonplusultra 80

Eine Nymphe sein 33

M Einen Marathon absolvieren 89

Einen martialischen Eindruck machen 70

Sich ein Mausoleum errichten 113 Von einem Mäzen unterstützt werden 132 Als Megäre bezeichnet werden 59 Memento mori! 146

Einen Mentor haben 53 Der Rheinische Merkur 68

Entscheidung auf Messers Schneide 50 Die Milchstraße beobachten 35

ISO

Stichwomeaeichnis

Q Seinen Obolus entrichten 55

Das ist die Quadratur des Kreises 96

Einen Ödipuskomplex haben 39

Die Quintessenz 107

Eine Odyssee hinter sich haben 54

Quo vadis? 147

Auf dem Olymp sein 19

Quod erat demonstrandum 92

Olympische Spiele 106 Orakeln 98 Eine Orgie feiern 99

Jemanden in den Orkus stoßen 82

Wie Orpheus singen können 39 Den Ozean überqueren 16

R Ein weißer Rabe 32

Zustände wie im alten Rom 137

Den Rubikon überschreiten 123

P Sich Paladin nennen dürfen 129 Die Büchse der Pandora öffnen 20

Panem et circenses - Brot und Spiele 131 Die Panflöte spielen 31

In Panik geraten 31 Ein Parasit sein 99

Ein Parisurteil fällen 44 Pecunia non ölet - Geld stinkt nicht 130

Den Pegasus reiten 60

„Penaten"-Creme auftragen 73 Per aspera ad astra 140 Einen Phaeton fahren 27

Bei Philippi sehen wir uns wieder! 124 Eine Philippika halten 90

Wie ein Phoenix aus der Asche 63 Sich platonisch lieben 95

Pluto - Planet und Hund 67

Im Prokrustes-Bett liegen 61 Das ist psychisch bedingt 78 Das ist der springende Punkt 108

Einen Pyrrhussieg erringen 119

s Sardonisches Grinsen 53 Satirische Texte verfassen 142

Wie ein Schatten seiner selbst 128 Ein Scherbengericht abhalten 90

Den Schierlingsbecher reichen 97 Die Schiffe hinter sich verbrennen 80

Eine Schlange am Busen nähren 111 Eine Gelegenheit beim Schopf fassen 25 Einen Schwanengesang anstimmen 27

Sein Schwert in die Waagschale werfen 120 Semper idem 143 Sich sibyllinisch ausdrücken 98 Sine ira et studio 135

Von einer Sirene gewarnt werden 52

Eine Sisyphusarbeit verrichten 55 Sich zwischen Skylla und Charybdis befinden 52

Geh mir aus der Sonne! 91 Sophistisch argumentieren 95 Wanderer, kommst du nach Sparta... 89

Sich spartanisch einrichten 114

Hier herrscht spätrömische Dekadenz 137

Rätselhaft wie eine Sphinx 58

In Spree-Athen wohnen 101

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Stichwortverzeichnis

Mit Stentorstimme rufen 46

Das steht in den Sternen 138

Stoische Ruhe 94 An einem Symposion teilnehmen 101

w Kein Wässerchen trüben können 141

Die Sieben Weisen 93 Die Welt aus den Angeln heben wollen 108 Das achte Weltwunder 114

T

Meine Wenigkeit 140

Im Wölkenkuckucksheim wohnen 112

Tabula rasa machen 134 Tantalosqualen erleiden 56

Die Tartaren kommen! 82 Das ist eine terra incognita 145 Mit dem Thespiskarren unterwegs sein 103

X Mit einer Xanthippe verheiratet sein 97

Sieh da, sieh da, Timotheus! 62

Titanische Gewalten 14 Einen tragischen Verlauf nehmen 102 Dem Tuchs sind die Trauben zu sauer 110

z

Einen Trojaner auf der Festplatte haben 47

Das ist ein trojanisches Pferd 47 Einen Trumpf in der Hand haben 127

Das ist der Zankapfel 44

Was tun, sprach Zeus 17 Bedecke deinen Himmel, Zeus! 16

Zyklopische Mauern 51

u Das kleinere Übel wählen 96 Das ist ein notwendiges Übel 130 Urbi et orbi 129

V Venusberg und Venushügel 69 Sein Veto einlegen 143

Als Volkstribun auftreten 73 Vulkanische Kräfte 121

Victoria 126 Vorschusslorbeeren verteilen 70

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Das ist ja zynisch! 94

Literaturverzeichnis Georg Büchmann, Geflügelte Worte, Berlin 1961

Arthur Cotterell, Die Enzyklopädie der Mythologie, Reichelsheim 1999

Duden Redewendungen. Wörterbuch der deutschen Idiomatik, Mannheim 2002

Homer, Ilias und Odyssee, Wiesbaden o.J.

Herbert Hunger, Lexikon der griechischen und römischen Mythologie, Reinbek 1974

Karl Erich Krack, Redensarten unter die Lupe genommen

- Vom Ursprung und Sinn vielgebrauchter Redewendungen und Begriffe, Berlin 1961 Klaus Müller (Hrsg.), Lexikon der Redensarten, Herkunft und Bedeutung deutscher

Redewendungen, München 2005

Reinhard Pohlke, Das wissen nur die Götter, Frankfurt am Main und Leipzig, 2002

Lutz Röhrich, Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten, Freiburg 2003

Gustav Schwab, Die schönsten Sagen des klassischen Altertums, Wien Heidelberg 1 963

Verwendete Internetseite: www.wikipedia.de

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Bildnachweis Die Illustrationen sind folgenden Werken entnommen:

Jakob von Falke, Hellas und Rom. Eine Culturgeschichte des classischen Altertums, Stuttgart 1879

Meyers Konversationslexikon, Leipzig und Wien,

Vierte Auflage, 1885-1892

Wilhelm Wägner, Hellas, Leipzig 1886

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Bei Zeus! Vom Frühstück mit Cerealien bis zum Abend, wenn wir wieder in Morpheus’ Arme sinken: Die Antike ist allgegenwärtig. Die Mythen, der Alltag und die Taten bekannter Griechen und Römer haben in unserer Sprache überlebt Wer heute Augiasställe ausmistet, einen Gordischen Knoten durchschlägt oder den Rubikon überschreitet wandelt auf den Spuren von Herakles, Alexander dem Großen und Caesar. Manche Wörter, Wendungen und geflügelte Worte erscheinen zunächst wie Rätsel der Sphinx, doch die kurzweiligen Erläuterungen ihres Ursprungs in diesem amüsanten und mit Humor geschriebenen Buch vermitteln schnell die Quintessenz.

Gerhard Wagner, eine Koryphäe auf seinem Gebiet, hat sich nach dem Erfolg des Bandes »Das geht auf keine Kuhhaut. Redewendungen aus dem Mittelalter« nicht auf seinen Lorbeeren ausgeruht, sondern gießt wieder ein Füllhorn von Kenntnissen aus. Aha-Effekte sind garantiert! 160 Seiten mit rund 200 Redewendungen und zahlreichen Illustrationen