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German Pages 305 Year 2023
Mathias Winkler / Markus Lersch / Hans-Ulrich Weidemann (Hg.)
& Wahrer Gott
wahre er wahrer M Mann
Das Geschlecht Jesu in der Theologiegeschichte
Wahrer Gott und wahrer Mann
Wahrer Gott und wahrer Mann Das Geschlecht Jesu in der Theologiegeschichte Herausgegeben von Mathias Winkler, Markus Lersch und Hans-Ulrich Weidemann
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2023 Alle Rechte vorbehalten www.herder.de Umschlaggestaltung: Verlag Herder Umschlagmotiv: © public domain via SMK – Michelangelo, Risen Christ, Statens Museum for Kunst, Kopenhagen Satz und PDF-E-Book: SatzWeise, Bad Wünnenberg Herstellung: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany ISBN Print 978-3-451-39506-2 ISBN E-Book (PDF) 978-3-451-83506-3
Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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„Wahrer Gott und wahrer Mann?“ Die Aktualität der Frage nach der Bedeutung des männlichen Geschlechts Christi . . . . . . . . . . . . . . . .
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Mathias Winkler Ist „der letzte Adam“ ein echter Mann? Jesus Christus, der Mann und sein Körper in der Sicht des Apostels Paulus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Hans-Ulrich Weidemann Christus im Bild des Bräutigams Biblische Ehemetaphorik und Geschlechterpolitik . . . . . . .
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Andrea Taschl-Erber Von Vätern und Söhnen Ein neues Männlichkeitsideal vor dem Hintergrund der trinitarischen Auseinandersetzungen des 4. Jahrhunderts . . .
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Johanna Brankaer Mensch, nicht Mann, geworden für das Heil des Menschengeschlechts Die Inkarnation in der Alten Kirche als soteriologisches Ereignis und als Beispiel für die Geschichtlichkeit der Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Monnica Klöckener „Ein Bild von einem Mann“ Die Männlichkeit Christi in bildlichen Darstellungen der Spätantike . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Lara Mührenberg
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Das männliche Geschlecht Jesu als Thema scholastischer Theologie am Beispiel des Thomas von Aquin († 1274) . . . .
Inhalt
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Thomas Marschler Das männliche Geschlecht Christi in der Theologie des konfessionellen Zeitalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Anselm Schubert Gottesbild im Spiegel? Typologie der Geschlechter und Mann-Sein Jesu bei Louis Bouyer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Markus Lersch Die Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Vorwort Jesus von Nazareth war ein Mann. Dieses Faktum ist unstrittig. Aber welche theologische Bedeutung kommt dem männlichen Geschlecht Jesu zu? Die Frage ist weniger im Hinblick auf den historischen Mann Jesus relevant als vielmehr hinsichtlich des in diesem Mann inkarnierten göttlichen Logos. Wertet die Inkarnation das männliche Geschlecht auf ? Muss man aufgrund der Inkarnation des göttlichen Logos in einem Mann bestimmte theologische Schlussfolgerungen ziehen, die für Gestalt und Leben der Kirche normativ sind? Ist Jesus Christus zwar wahrer Gott und wahrer Mensch, aber in spezifischer Weise vielleicht sogar wahrer Gott und wahrer Mann? Der Frage nach der Bedeutung des männlichen Geschlechts Jesu in der Theologiegeschichte widmete sich eine Tagung im Mai 2022 am Seminar für Katholische Theologie der Universität Siegen. Es sollte dabei nicht um aktuelle Debattenfelder gehen, wie etwa die Frage nach der Zulassung von Frauen zum ordinierten Amt in der Kirche. Stattdessen nahmen die Referent:innen theologiegeschichtliche „Probebohrungen“ vor, ob und wie das Geschlecht Jesu in der reichen Theologiegeschichte bedacht und welche theologische Bedeutung ihm zugemessen wurde. Die Ergebnisse sind in diesem Band versammelt. Einen kenntnisreichen Vortrag auf der Siegener Tagung zur Männlichkeit Christi in der Leben-Jesu-Forschung müssen wir in diesem Band leider missen. Bedauerlicherweise fehlten auf der Tagung und nun auch in diesem Band trotz Bemühungen Beiträge aus der Liturgiewissenschaft, dem Kirchenrecht, der Pastoraltheologie und der Religionspädagogik. Das ist schade, da der Bereich der Praktischen Theologie zeigen könnte, wie sich das Nachdenken über das Geschlecht Christi konkret im Leben der Kirche niedergeschlagen hat – oder es eben nicht hat (der Beitrag von Johanna Brankaer in diesem Band bietet dafür ein anschauliches historisches Beispiel). Dieses Manko ist zugleich eine Chance, Forschungen und weitere „Probebohrungen“ gerade in diesem Bereich gebündelt anzugehen. Des Büchermachens ist also noch lange kein Ende (Koh 12,12). Für die hervorragende Organisation der Tagung im Mai 2022 sowie für die Publikation des Bandes haben wir vielen zu danken. Wir
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Vorwort
danken Frau Anna-Lena Kußmann für die tatkräftige und reibungslose administrative Organisation. Zum Gelingen der Tagung vor Ort danken wir herzlich Frau Friederike Rosenthal, Frau Ricarda Wolfram und Herrn Felix Viedenz. Bei der Vorbereitung der Publikation konnten wir uns immer voll und ganz auf Frau Anne Lillpopp und Herrn Felix Viedenz mit ihrem genauen und kritischen Auge verlassen. Auch hier sagen wir von Herzen: Vergelt’s Gott. Wir danken dem Herder-Verlag und insbesondere Herrn Clemens Carl für das Engagement für diesen Band und die unkomplizierte Begleitung des Publikationsprozesses. Dem Erzbistum Paderborn gilt besonderer Dank für die äußerst großzügige Förderung der Tagung und der Publikation. Dem Bistum Regensburg danken wir für einen namhaften Druckkostenzuschuss. Mathias Winkler, Markus Lersch, Hans-Ulrich Weidemann
„Wahrer Gott und wahrer Mann?“ Die Aktualität der Frage nach der Bedeutung des männlichen Geschlechts Christi Mathias Winkler Zusammenfassung Das Geschlecht Christi ist gegenwärtig in drei theologischen Diskursfeldern relevant: in den Biblical Masculinity Studies, in der Inkarnationstheologie und in der Sakramententheologie hinsichtlich des Weihesakraments. Insbesondere in der Frage nach der repraesentatio Christi im Rahmen des kirchlichen Amts wird die Bedeutung des Geschlechts Christi diskutiert. Vor diesem aktuellen Hintergrund wird das Anliegen des Tagungsbandes entwickelt. Er liefert keinen Beitrag zu den genannten Debattenfeldern, sondern erforscht in theologiegeschichtlicher Perspektive, ob und wie man über das Geschlecht Jesu nachdachte und ob man ihm theologische Bedeutung beimaß.
Abstract Christ’s gender is currently relevant in three fields of theological discourse: in Biblical Masculinity Studies, in Incarnation Theology, and in Sacramental Theology with regard to the Sacrament of Orders. In particular, the question of the repraesentatio Christi in the context of ecclesial ministry discusses the significance of Christ’s gender. The concern of the conference volume is developed against this current background. It does not provide a contribution to the aforementioned fields of debate, but explores in a theological-historical perspective whether and how the gender of Jesus was thought about and whether it was attributed theological significance.
1. Gegenwärtige Diskussionsfelder Über Christi Geschlecht nachzudenken, ist nicht neu, wie die Beiträge in diesem Band auf verschiedene Weise zeigen. Allerdings ist es wahrscheinlich aktueller denn je, vielleicht nicht in globaler, aber doch zumindest in europäischer Perspektive. Der Band verdankt sich
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einer Tagung im Mai 2022 an der Universität Siegen, die auf Impulse reagierte, die in der deutschsprachigen Theologie seit dem Jahr 2019 (wieder) etwas breiter in den öffentlichen theologischen Diskurs drängten und dort kontrovers diskutiert wurden. Die Debatten gehen hauptsächlich auf die Stimmungslage und die Diskussionen rund um den Synodalen Weg der katholischen Kirche in Deutschland zurück, den die Deutsche Bischofskonferenz und das Zentralkomitee deutscher Katholiken gemeinsam durchführten. Das Synodalforum 3 „Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche“ stellte sich unter anderem die Frage nach den Zulassungsbedingungen für das kirchliche Amt und führt damit die Diskussion um Möglichkeit oder Unmöglichkeit der Frauenordination in der katholischen Kirche fort. Damit sind auch Fragen rund um das männliche Geschlecht Jesu und dessen theologische Relevanz berührt. Der gegenwärtige theologische Meinungsaustausch zum Geschlecht Christi wird vorrangig in einem Genre ausgetragen, das man als „theologisches Feuilleton“ (nichtwissenschaftliche Monatszeitschriften, Tageszeitungen, Blogbeiträge) bezeichnen könnte. Jener Ort des Diskurses zeigt die Aktualität, Dynamik und die Relevanz des Themas für die gesellschaftliche und kirchliche Öffentlichkeit. Aktuell ist das männliche Geschlecht Jesu Christi Teil einer fachwissenschaftlichen Perspektive auf Männlichkeiten in der Bibel, den Biblical Masculinity Studies. Daneben ist die Thematik im Bereich der Christologie, der Inkarnationstheologie, der Sakramententheologie und Ekklesiologie beheimatet. Auch Jesu männlicher Körper, der der eines beschnittenen jüdischen Mannes ist, ist Gegenstand einer christlichen Israeltheologie. Jene Themenfelder werden im Folgenden genauer beleuchtet, auch wenn der Band sich im Folgenden mit den aktuellen Debatten nicht auseinandersetzt. Vielmehr soll vor diesem Hintergrund das Anliegen und der Forschungsbeitrag des Bandes entwickelt werden. 1.1 Biblical Masculinity Studies Die Biblical Masculinity Studies entbergen kritisch Maskulinitätsvorstellungen in der Bibel, rekonstruieren sie und setzen sie zueinander ins Verhältnis. Sie nehmen Männer als Männer in den Blick, d. h. sie betrachten die verschiedenen Weisen, wie sich Maskulinität in der Bibel und ihrer Umwelt realisieren kann. Hans-Ulrich Weidemann
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umreißt Maskulinität im antiken Kontext folgendermaßen: „Als Begriff der Wissenschaftssprache bezeichnet Männlichkeit (Mannhaftigkeit, Maskulinität) […] zunächst ein in sich variables Ensemble von Idealen, Erwartungen und Normen, die an jene Männer gerichtet wurden, die in ihren jeweiligen sozialen Bezugsgruppen […] Ehre, Reputation, Autorität sowie Macht und Wohlstand erwerben, mehren oder verteidigen wollten. Der Begriff bezeichnet aber auch die diesen Idealen entsprechenden Praktiken und Verhaltensweisen, die wiederum von der Bezugsgruppe durch Zuschreibung oder Infragestellung von Ehre, Reputation usw. entsprechend bewertet wurden. Männlichkeit umfasst daher all das, was den Mann vom Knaben […], aber auch vom anderen Geschlecht unterscheidet.“ 1 Maskulinität ist damit plural (es gibt Maskulinitäten), relational (wer in welcher Weise als Mann gilt, bestimmen die peer-groups) und agonal (unterschiedliche Maskulinitäten konkurrieren miteinander um Geltung) definiert. Jenes mehrschichtige Zueinander unterschiedlicher Maskulinitäten ist Gegenstand der Biblical Masculinity Studies. Die Biblical Masculinity Studies nehmen Jesus als Mann in den Blick. 2 Jüngst hat dies Moisés Mayordomo etwa für das Sterben Jesu getan. Er vergleicht die Vorstellungen eines für einen Mann schicklichen Todes in der griechisch-römischen Antike mit den Darstellungen der Passion und des Todes Jesu. Stirbt Jesus wie ein „echter Mann“? 3 David Tombs hat – unter anderem durch die Biblical Masculinity Studies informiert – Jesus in der Passion als männliches Opfer sexualisierter Gewalt interpretiert. 4 Derartige Perspektiven auf das männliche Geschlecht Jesu nehmen weniger sein biologisches Geschlecht in den Blick, sondern sein soziales und wie er es performativ realisiert. Die Evangelien porträtieren nicht die maskuline Geschlechterpraxis des historischen, sondern des von ihnen gedeuteten und bezeugten Christus und geben so wieder, wie die ersten Gemeinden Jesu Männlichkeit verstanden.
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Weidemann, Männlichkeitengeschichte, 34. Zu den Biblical Masculinity Studies und neutestamentlicher Exegese siehe grundlegend den Forschungsüberblick Smit, Masculinity and the Bible, passim. 3 Vgl. Mayordomo, Männliches Sterben, passim. 4 Vgl. Tombs, Hidden, passim; Tombs, #MeToo, passim. 2
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1.2 Inkarnationstheologie Der Titel des Bandes „Wahrer Gott und wahrer Mann“ weist auf ein wichtiges Feld, in dem das männliche Geschlecht Jesu relevant sein kann: die Inkarnation des göttlichen Logos im historisch-konkreten, biologisch männlichen Menschen Jesus von Nazareth. Folgt aus der Inkarnation eine besondere theologische Relevanz des biologisch männlichen Geschlechts? Dorothea Sattler gab der Zeitung „Die Welt“ am 29. November 2019 im Zusammenhang mit der bevorstehenden Eröffnung des Synodalen Wegs ein Interview: „Ich jedenfalls sehe gar keine theologische Möglichkeit auszuschließen, dass Gott auch als Frau hätte Mensch werden können.“ 5 Dass der göttliche Logos sich in einem Mann inkarniert habe, sei aber zur damaligen Zeit und in der damaligen Gesellschaft klug gewesen. 6 Entscheidend in der Erlösungslehre sei, so Sattler, die Menschwerdung des göttlichen Logos. Die Stoßrichtung der These ist klar: Das konkrete Geschlecht Jesu – sei es männlich oder weiblich – hat keinen oder einen nur sehr geringen theologisch-argumentativen Wert. Ist das Geschlecht Jesu – sei es männlich oder weiblich – also ein Nebenprodukt der Inkarnation ohne theologisch-argumentativen Mehrwert? Der Freiburger Dogmatiker Helmut Hoping bezog in einem Beitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 28. November 2020 Stellung gegen eine angebliche Irrelevanz des biologischen Geschlechts Jesu. In der online-Fassung trägt der Artikel die Überschrift „Ein Kind ist uns geboren, eine Person ist uns geschenkt“ 7, in der Druckfassung ist er mit „Ein Gottessohn, der nicht Mann sein soll“ 8 betitelt. Der Ton der Überschriften deutet die Kontroverse an. Für Hoping reicht es nicht aus, allein von Menschwerdung zu sprechen, ohne dabei die Geschlechtlichkeit des konkreten 5
https://www.welt.de/politik/deutschland/plus200792730/Streit-ueber-Refor men-ueberschattet-Vollversammlung-der-katholischen-Bischoefe.html (Zugriff: 05. Juni 2023). 6 Vgl. https://www.welt.de/politik/deutschland/plus200792730/Streit-ueberReformen-ueberschattet-Vollversammlung-der-katholischen-Bischoefe.html; ähnlich auch Beinert, Gott, 29. 7 https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/genderdebatte-ueber-jesus17074023.html (Zugriff: 05. Juni 2023). 8 FAZ vom 28. November 2020, 9.
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Menschen Jesus von Nazareth mitzudenken. „Wollte man vom menschgewordenen Sohn Gottes seine körperliche Identität trennen, liefe dies auf ein gnostisch anmutendes Disembodiment, auf eine Entkörperlichung der Inkarnation hinaus.“ 9 Hoping trifft einen wichtigen Punkt: Zur konkreten Menschwerdung gehört notwendig, dass der menschgewordene Logos ein biologisches Geschlecht annimmt. Aber ist es wichtig, ob er ein Mann oder eine Frau wird? Oder ist es lediglich wichtig, dass er überhaupt ein Geschlecht hat, gleich welches, um vollständig Mensch zu werden? Die Positionen Sattlers und Hopings liegen nahe beieinander, denn für beide ist die vollständige menschliche Natur Jesu Christi in der hypostatischen Union soteriologisch entscheidend. Dass Jesus ein biologisches Geschlecht hat, ist ein Teilaspekt dieser vollständigen menschlichen Natur. Beiden geht es im Kern nicht primär um das biologische Geschlecht Jesu und beide leiten daraus auch keine weitere theologische Relevanz ab, die über die Inkarnation und Soteriologie hinausgeht – zumindest hinsichtlich des Themenfeldes der Inkarnation. Mit Elisabeth Hartlieb bleibt dennoch die Frage nach dem Geschlecht Jesu bohrend: „Einer gendersensiblen Theologie stellt sich damit die Frage: Wenn die christliche Botschaft vom Heil Gottes für alle Menschen aufs Engste mit dem historischen Geschehen um Jesus von Nazareth verbunden ist, kann dann die Frage des Geschlechts irrelevant sein? In dem Gedanken, dass die Männlichkeit Jesu essentiell zur Christologie gehört und damit ins Zentrum der christlichen Botschaft, treffen sich jene, die sich gegen weibliche Christusdarstellungen wehren, mit radikalen Feministinnen. Diametral entgegengesetzt allerdings ist jeweils die Bewertung: Während radikale Kritikerinnen zu dem Schluss kommen, dass ein männlicher Erlöser Jesus Christus Frauen nicht erlösen könne und deshalb das Christentum, in dessen Zentrum ein essentiell männlicher Heilsmittler stehe, für Frauen keine Perspektive biete, halten die Befürworter daran fest, dass Männlichkeit und Menschlichkeit nicht zu trennen seien, wenn es um Christus geht.“ 10 Gerade für kontextuelle Christologien und 9
Hoping, Gottessohn, 9. Ähnlich auch Tück, Bräutigam, passim. Grundsätzliche Überlegungen zur Bedeutung des Körpers Christi wie der Gläubigen in christlichen Erinnerungskulturen stellt Pahud de Mortanges, Bodies, passim, an. Für Gender-Aspekte siehe ebd., 139–180. 10 Hartlieb, Feministen, 32.
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solche, die Macht- und Herrschaftsstrukturen aufdecken, kann das Geschlecht Jesu relevant sein. 11 Ottmar Fuchs beleuchtet das Verhältnis von Geschlecht und Inkarnation von einer anderen Seite. Zwar könne man es als Klugheit Gottes auffassen, dass in der damaligen Zeit und Gesellschaft sich die zweite göttliche Person in einem Mann und nicht in einer Frau inkarnierte. Allerdings gehe der göttliche Logos damit radikal in sündige Strukturen des Menschseins ein, die auch die Genderungerechtigkeit umfassen. Insofern nehme in der Menschwerdung als Mann der göttliche Logos an diesen Strukturen Teil und nehme sie in ihrer Erlösungsbedürftigkeit in die Erlösung mit hinein. 12 Fuchs misst dem konkreten männlichen Geschlecht Jesu insofern soteriologische Bedeutung bei, als dadurch der Mensch mitsamt seinen Beziehungen und seiner Lebenswelt vom Inkarnationsgeschehen betroffen und erlöst wird. Betrachtet man das Geschlecht Jesu unter der Perspektive des Inkarnationsgeschehens, so geht es um sein biologisches Geschlecht. Dies lässt danach fragen, welche geschlechteranthropologischen Vorstellungen den theologischen Argumentationen vorausliegen. Geht man davon aus, dass es eine allgemeine Menschennatur gibt, die sich sekundär geschlechtlich ausdrückt, ist das tatsächliche biologische Geschlecht Jesu wohl von geringerer theologischer Relevanz. Stellt man jedoch eine männliche Menschennatur einer weiblichen Menschennatur gegenüber, gewinnt die Inkarnation des göttlichen Logos in einem Mann an theologischem Gewicht. Auf welchem geschlechteranthropologischen Fundament gebaut wird, ist in den Debatten meist nur indirekt erschließbar. Eine Offenlegung der Denkvoraussetzungen ist ein Desiderat der theologischen Forschung hinsichtlich aktueller wie historischer Diskurse um das Geschlecht Jesu. Möglichkeit und Unmöglichkeit eines gemeinsamen Gesprächs unterschiedlicher Positionen sind eng mit einer Klärung dieses Desiderats verbunden.
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Vgl. Hartlieb, Feministen, 32. Vgl. Fuchs, Gott, 283–284. Siehe auch Hartlieb, Feministen, 32–33 und Beinert, Gott, 29.
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1.3 Sakramentale Repräsentation und ekklesiologische Metaphorik „Welche Bedeutung dem Geschlecht Christi für die kirchliche Amtsfrage zukommt, entscheidet sich theologisch ohnehin nicht schon auf der Ebene der Inkarnationstheologie, sondern an der Frage, wie man die Sakramentalität des ekklesialen Leibes Christi und den damit verbundenen Repräsentationsgedanken fasst“, so Helmut Hoping. 13 Das Geschlecht Jesu wird in den Debatten um die Frauenordination in der katholischen Kirche als Argument angeführt. Gegner der Frauenordination messen dem männlichen Geschlecht Jesu eine theologische Bedeutung zu, die Frauen vom Weiheamt ausschließt. Hierbei werden zwei Argumentationsgänge miteinander verknüpft, die bereits in Hopings Zitat anklingen. Zentral ist der Gedanke der sakramentalen Repräsentation, der weitreichende Folgen und Implikationen nach sich ziehen kann. 14 Das erste Argument dreht sich um Sakramentalität. Jene sieht im Geschaffenen die von Gott eröffnete Möglichkeit, die geschaffene Welt zu transzendieren und zum im Symbol verdichteten Begegnungsort zwischen Gott und Mensch zu werden. Das Irdische kann zum Zeichen des bezeichneten Überirdischen werden und es präsent setzen. Allerdings ist die Wahl eines solchen sakramentalen Zeichens nicht willkürlich, sondern es muss eine natürliche Ähnlichkeit (naturalis similitudo) zwischen dem Bezeichneten und dem Bezeichnenden bestehen. 15 Der dahinterliegende Naturbegriff ist nicht nur deskriptiv, sondern auch normativ. Da Jesus ein Mann war, kann und soll ihn aufgrund der natürlichen Ähnlichkeit nur ein Mann sakramental repräsentieren. Andernfalls wäre das sakramentale Zeichen unverständlich und damit kein Zeichen mehr. So etwa argumentiert das Dokument „Inter Insigniores“ der Glaubenskongregation aus dem Jahr 1976 (DH 4590–4606; hier v. a. 4600). Die Substanz des Sakraments bezeichnet dessen Ursprungstreue und macht es heute auf diesen Ursprung hin transparent. Roman Siebenrock zeigt, dass das Geschlecht Jesu in der neuesten dogmengeschichtlichen Entwicklung zuneh13
Hoping, Kind. Siehe zur Repräsentation Christi jüngst die Beiträge im Band Eckholt/ Rahner (Hrsg.), Christusrepräsentanz. 15 Eine Reflexion über die Kategorie „natürliche Ähnlichkeit“ und ihren Zusammenhang mit der repraesentatio Christi stellt Ansorge, Christusrepräsentanz, passim, an. 14
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mend als Substanz (d. h. die Ursprungstreue und Transparenz auf den Ursprung eines Sakraments) des Weihesakraments verstanden wurde. 16 Das biologische männliche Geschlecht Jesu im Rahmen sakramentalen Denkens erscheint als eine normative Vorgabe und hinsichtlich der Weihe sakramententheologisch relevant. Das zweite Argument greift auf zwei neutestamentliche Metaphern zurück. Die erste Metapher ist die vom Bräutigam und seiner Braut (Eph 5,21–33; vgl. auch Mk 2,19 f. par; 2 Kor 11,2): Christus ist der Bräutigam, die Kirche seine Braut. Den (männlichen) Bräutigam könne sinnvoll nur ein Mann darstellen. Diese Metapher wird mit der vom Haupt und Leib verbunden (1 Kor 12,12–31): Christus ist das Haupt der Kirche, diese ist sein Leib. Die Verbindung beider Metaphern führt dazu, dass der Bräutigam zugleich das Haupt der Kirche ist und das Haupt der Kirche nur so von einem Mann dargestellt werden kann. Die Zuordnung von Christus/Bräutigam/ Haupt auf der einen und Kirche/Braut/Leib auf der anderen Seite könne nur dann sinnvoll zeichenhaft dargestellt werden, wenn die Zuordnung nicht nur hinsichtlich der Metaphern, sondern auch in ihrem sakramental-repräsentativen Vollzug geschlechtlich kodiert sei. Die Kombination beider Argumente, die letztlich auf denselben sakramententheologischen Denkvoraussetzungen aufruhen, verleiht dem biologischen männlichen Geschlecht Jesu argumentative Kraft. „Inzwischen ist dieses Kombinationsargument – männlichkeits-stereotyp konnotierte Repräsentation Christi in Verbindung mit einer bipolar codierten Geschlechteranthropologie und ekklesialer Brautschaftsmetaphorik – jedoch zur schlechthin zentralen Begründungfigur avanciert.“ 17 Letztlich kommt dem biologischen männlichen Geschlecht Christi aber nur mittelbar ein argumentativer Wert zu, denn es wird erst im Rahmen sakramentalen Denkens zum Argument und ist es nicht schon aus sich selbst. Kritik an den vorgebrachten Argumentationen bleibt nicht aus. Das substanzontologische Denkmodell, das mit der These von der Geschlechterkomplementarität gepaart wird, hat Saskia Wendel be16
Vgl. Siebenrock, Repraesentatio, 117 mit Anm. 4; Eckholt, Jesus Christus, 50. Der natürlichen Ähnlichkeit und ihrer Bedeutung für die sakramentale Repräsentation in der scholastischen Theologie geht Marschler, Natürliche Ähnlichkeit, passim, nach. 17 Remenyi/Schärtl, Normativität, 54–55.
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schrieben und kritisiert. Hier liege einerseits eine transzendentale Illusion (was man wahrnimmt, hält man für das Ding an sich) und andererseits ein naturalistischer Fehlschluss vom Sein auf das Sollen vor. 18 Margit Eckholt versteht im Anschluss an die Konzilskonstitution „Sacrosanctum Concilium“ sakramentale Christusrepräsentanz als gemeinschaftlichen Vollzug des Gottesvolkes in der Feier des Gottesdiensts. Eine Verengung der Christusrepräsentation auf den männlichen Amtsträger allein sei unzureichend. Sie sei nicht durch substanzontologische Ähnlichkeit gegeben, sondern ereigne sich im Vollzug. Folglich sei das Gegenüber von Amt und Gemeinde, in deren Spannung sich die Repräsentation ereigne, geschlechtlich nicht festgelegt. 19 Die Beiträge im von Margit Eckholt und Johanna Rahner herausgegebenen Band „Christusrepräsentanz“ zeigen die Breite und die Verstehensmöglichkeiten einer repraesentatio Christi jenseits der Fokussierung auf das Geschlecht des Repräsentanten. 20 Nicht nur die Frage nach der Funktionsweise sakramentaler Christusrepräsentation, sondern auch die nach demjenigen, der repräsentiert wird, gibt Anlass zu Fragen. Muss, damit das sakramentale Zeichen verstanden werden kann, eine natürliche Ähnlichkeit zwischen Jesus Christus und dem Amtsträger, einem Mann, bestehen, liegt eines nahe: 21 Der Amtsträger repräsentiert den irdischen Jesus. „Hält man sich vor Augen, dass sich die Inkarnation des Logos Gottes konkret im Mann und Juden Jesus von Nazareth ereignet hat, ist die sakramentale Repräsentation Christi durch männliche Priester in der Feier der Eucharistie nach wie vor angemessen.“ 22 Im Anschluss an Peter Hünermann kritisiert Margit Eckholt dies als sexualisierte Argumentation. 23 Ulrich Lüke nimmt es in kritischer Perspektive radikal ernst, dass ein männlicher, irdischer Jesus vom Amtsträger repräsentiert wird, indem er mit naturwissenschaftlichen Argumenten an ein solches Repräsentationsverständnis herantritt: Was ist etwa mit
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Vgl. Wendel, Jesus, 332–336. Vgl. Eckholt, Jesus Christus, 50; siehe auch Eckholt, Diakonische Kirche, 336–342. 20 Vgl. Eckholt/Rahner, Christusrepräsentanz, passim. 21 Zu einer Reflexion der „natürlichen Ähnlichkeit“ aus zeichentheoretischer Sicht siehe Remenyi/Schärtl, Normativität, 65–75. 22 Tück, Bräutigam, 25. 23 Vgl. Eckholt, Jesus Christus, 49. Siehe auch Hünermann, Lage, 169–170. 19
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Priestern, die phänotypisch ein Mann sind, aber genotypisch nicht? Statistisch muss es solche Priester gegeben haben und geben. 24 Jan-Heiner Tück unterstützt hingegen die Argumentation, die Repräsentation Christi durch einen Mann sei angemessen, und zwar mit einem Verweis auf die Liturgieästhetik: Die in der 1. Person Singular gesprochenen Einsetzungsworte könnten kaum von einer Frau gesprochen werden, ohne die Ästhetik zu stören; ähnlich wäre es, spielten Frauen in einem Theaterstück männliche Rollen. 25 „Wie soll eine Frau den ‚Bräutigam‘ und ‚Herrn‘ der Kirche in der Liturgie symbolisch angemessen zur Darstellung bringen? Würde sie in persona Christi die Worte rezitieren: ‚Das ist mein Leib für euch‘ – verstieße das nicht gegen die Logik sakramentaler Repräsentation? Anwälte der Frauenordination würden das verneinen und warnend Plakate wie Biologismus und Essentialismus hochhalten, um das symboltheologische Motiv abzuwehren.“ 26 Tück selbst versteht seine formulierte Frage offenbar rhetorisch, eine Antwort formuliert er nämlich nicht. Ob aber das Geschlecht entscheidend für die Repräsentation ist, ist umstritten. Interessanterweise geht Tück auch nicht auf die von ihm genannten Einwände des Biologismus und Essentialismus ein. Auch liturgieästhetische Überlegungen lösen das Problem der Frage nach dem Zusammenhang von Geschlecht und Christusrepräsentation nicht endgültig. Benedikt Kranemann hat Tücks liturgieästhetischer Argumentation widersprochen: Zum einen sei Anamnese etwas anderes als ein nachahmendes Rollenspiel und zum anderen bilde das Hochgebet eine Einheit, eine Fixierung auf die Liturgieästhetik der Einsetzungsworte greife daher zu kurz. Anamnese und Epiklese seien nicht geschlechtsspezifisch festgelegt. 27 Roman Siebenrock zeigt auf, dass Repräsentation zu kurz gedacht ist, bezieht man sie vorrangig oder ausschließlich auf den irdischen, biologisch männlichen Christus: „Die ‚Repraesentatio Christi‘ bezieht sich im sakramentalen Handeln niemals nur und nicht einmal primär auf den historisch-geschichtlichen Jesus, sondern immer auf den erhöhten, seiner Kirche zu allen Zeiten gegenwärtigen und daher immer auch auf den kommenden Christus. 24 25 26 27
Vgl. Lüke, Jesu Männlichkeit, passim. Vgl. Tück, Bräutigam, 24. Tück, Bräutigam, 24 (Hervorhebungen im Original). Vgl. Kranemann, Repräsentation.
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Schon das Konzil von Trient hat darauf hingewiesen, dass die reale, substanzhafte Gegenwart Christi in der Eucharistie der ‚natürlichen Daseinsweise immer zur Rechten des Vaters in den Himmeln‘ (DH 1636) korrespondiere. Von dieser Gegenwart her die Vergegenwärtigung Christi zu denken, kann deshalb nicht mit dem Mannsein verbunden werden, weil dieses örtlich und zeitlich, und damit in scholastischer Sprache, akzidentiell (sic!) nur gedacht werden kann. Sie muss mit der Idee des mystischen Leibes Christi in Verbindung gesetzt werden.“ 28
Das Dokument „Inter Insigniores“ bemerkt offenbar diese Spannung in der eigenen Argumentation hinsichtlich der Tradition, umgeht dies aber mit dem Hinweis: „[…] denn Christus selbst war und bleibt ein Mann“ (siquidem Christus ipse fuit et permanet vir; DH 4600). Zwar ist es unstrittig, dass der historische Jesus ein Mann war, aber was bedeutet es, dass Christus Mann war und bleibt? Ist der erhöhte Christus, der zur Rechten des Vaters sitzt, tatsächlich ein Mann wie ein irdischer Mann? Ist die zweite göttliche Person ein Mann? Ist die Trinität in sich männlich? Männlich kodierte Sprachbilder verlängern das männliche Geschlecht in Gott hinein, woran sich zu Recht feministisch-theologische Kritik entzündet. Der Ausbau der Trinitätsspekulation mit männlichen Bildern und der liturgische Gebrauch dieser Bilder begünstigen eine derartige „Vermännlichung“. 29 „Es wird niemand behaupten, dass die Analogierede von den drei göttlichen Personen geschlechtlich festgelegt sei. Allerdings blendet jede dauerhafte Fixierung in der Rede von den drei göttlichen Personen auf das Männliche diesen dogmatischen Tatbestand der Übergeschlechtlichkeit Gottes aus dem Bewusstsein aus.“ 30 Ottmar Fuchs weist daher auf die Übergeschlechtlichkeit Gottes und seine Offenheit hinsichtlich geschlechtlicher Bebilderung hin: „Die prinzipielle Übergeschlechtlichkeit Gottes wie von daher die prinzipielle Möglichkeit, Gott sowie die innertrinitarischen Personen in männlichen wie in weiblichen Bildern (je nach den damit verbundenen Erfahrungen) zu benennen, bezieht sich selbstverständlich auch auf die zweite göttliche Person. Sie ist zwar im Mann Jesus Mensch geworden, aber sowohl in Gott selbst wie auch in ihren anderen innergeschicht-
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Siebenrock, Repraesentatio, 139. Vgl. auch Remenyi/Schärtl, Normativität, 74–75. 29 Vgl. Hartlieb, 32–33. 30 Fuchs, Gott, 283.
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lichen Seinsweisen für androgyne Bebilderungen bzw. Realisierungen offen. Die jeweilige Offenheit bezieht sich auf den Kontext und wird darin entsprechend geschenkt bzw. beansprucht, wie sich die Menschwerdung der zweiten göttlichen Person auf Grund des jüdischen Kontextes so und nicht anders ereignet hat. Dahinter stehen soziokulturelle Gründe im Kontext einer patriarchalen Religion und Gesellschaft, aber noch wichtiger die Durchbrechung dieses Systems in Israel selbst (durch wichtige Interventionen vor allem in der Prophetie).“ 31
Damit ist ein Punkt berührt, der auch die zweite Argumentationslinie entlang der neutestamentlichen Metaphern von Braut und Bräutigam sowie von Haupt und Leib betrifft: Es sind Metaphern. Bürdet die Repräsentation des Bräutigams und des Hauptes der Kirche allein durch einen Mann der Metapher mehr auf, als sie tragen kann? 32 In Eph 5,21–33 mahnt der Autor die gegenseitige Unterordnung der Gläubigen an. Er erläutert dies auch hinsichtlich der Geschlechter: Der Mann ist das Haupt der Frau und die Frau soll sich dem Haupt unterordnen. Gleichzeitig soll der Mann die Frau wie seinen eigenen Leib lieben. Dieses Verhältnis Mann-Frau im Bilde von Haupt-Leib wendet er auf das Verhältnis Christi zur Gemeinde an. Er bezeichnet dieses Verhältnis als Geheimnis und spricht darüber im Hinblick auf Christus und die Gemeinde (Eph 5,32: „Dieses Geheimnis ist groß. Ich rede aber mit Bezug auf Christus und mit Bezug auf die Gemeinde.“). Der Autor selbst versteht seine Rede als metaphorisch. Sie drückt eine Wahrheit mithilfe eines Bildes aus, geht aber nicht darin auf (sie ist eben ein „großes Geheimnis“). Roman Siebenrock warnt davor, das mystische Bild von Braut und Bräutigam biologistisch verengt zu verstehen. Würde man dies jedoch konsequent tun, müsste ein männlicher Priester einem Kirchenschiff voller Frauen gegenüberstehen. 33 An der Einschätzung, was die neutestamentlichen Metaphern leisten können und wo ihre Chancen und Grenzen sind, entscheidet sich, ob deren geschlechtliche Codierung, in der Christus männlich, die Kirche weiblich verstanden wird, theologische Relevanz hat, und falls ja, welche. Jürgen Werbick weist zudem auf den historischen Kontext der Metaphern hin: Metaphern sind historisch 31
Fuchs, Gott, 283. Eine eingehende Besprechung der Leistungsfähigkeit und insbesondere der Grenzen der nuptialen ekklesiologischen Metaphorik bieten Remenyi/ Schärtl, Normativität, 52–65. 33 Vgl. Siebenrock, Repraesentatio, 140–141. 32
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situiert und haben in anderen historischen Kontexten nicht unbedingt dieselbe Aussage oder werden vielleicht auch gar nicht verstanden. Sie müssen ausgelegt werden. 34 Dies schließt auch die geschlechtliche Codierung der Metaphern ein. Der Verdacht, „Inter Insigniores“ trage das männliche Geschlecht in die Trinität hinein, und die Grenzen und Auslegungsbedürftigkeit der neutestamentlichen Metaphern weisen auf einen wichtigen Punkt hin: Wird, sobald das männliche Geschlecht des historisch-konkreten Menschen Jesus von Nazareth im strengen Sinn nicht mehr das Objekt der Reflexion ist, eigentlich die analoge Rede über Gott beachtet und konsequent durchgehalten? Kann von dem Geschlecht Christi jenseits des historisch-konkreten Menschen Jesus von Nazareth überhaupt adäquat gesprochen werden? Die Bezeichnungen der ersten trinitarischen Person als Vater, die der zweiten als Sohn, des Bräutigams als Christus und der Kirche als Braut sind vergeschlechtlichte Sprachbilder, die immer streng analog zu verstehen sind. Kann unter den Bedingungen der analogen Rede von Gott dem Geschlecht Christi in den Metaphern und Sprachbildern überhaupt ein argumentativer Wert zukommen? Wie würden wir über welches Geschlecht Christi reden und wie müsste man es verstehen, wenn wir nur in analoger Weise darüber reden können? Das Geschlecht Christi müsste man auslegen. 1.4 Mann und Jude Das männliche Geschlecht des historisch-konkreten Menschen Jesus von Nazareth kann theologische Relevanz für das Selbstverständnis des Christentums im Angesicht des Judentums haben. Als jüdischer Mann war Jesus von Nazareth beschnitten (Lk 2,21). Die Beschneidung ist Teil seiner jüdischen Identität und seiner Verwurzelung im Judentum. In der Folge ist für die Kirche Jesu Beschneidung stete Erinnerung daran, dass sie mit Israel untrennbar verbunden ist. JanHeiner Tück hat aus diesem Grund mit einem Sammelband dafür geworben, das Fest der Beschneidung Jesu wieder einzuführen. 35 „Würde die Kirche diese Markierung [die Beschneidung, MW] vergessen, würde die konnektive Dimension dieses Gedächtnisses zer34 35
Vgl. Werbick, Kirche, 213. Vgl. Tück (Hrsg.), Beschneidung Jesu.
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schnitten. Das konnektive Gedächtnis aber bindet zum einen die Gestalt Jesu zurück an seine jüdischen Wurzeln; zum anderen stärkt es das Band zwischen der Kirche und dem heutigen Judentum, das im Ritual der Beschneidung bis heute das Zeichen des ungekündigten Bundes sieht.“ 36 Die Beschneidung Jesu verknüpfe Judentum und Christentum, durch sie erhält das männliche Geschlecht Jesu Bedeutung. 37 Zugleich sei die Beschneidung Jesu das Zeichen, dass er in den Bund aufgenommen sei: „Durch die irreversible Markierung am ‚Fleisch‘ wurde Jesus in den ewigen Bund Gottes mit Abraham und seinen Nachkommen (Gen 17) hineingenommen.“ 38 Jan-Heiner Tück bettet die theologische Bedeutung der Beschneidung Jesu in seine Ausführungen zur Frage nach der Christusrepräsentation ein, für die seiner Meinung nach das männliche Geschlecht Jesu relevant ist: „Mit der Relativierung des Mannseins wird aber zugleich das Judesein Jesu marginalisiert, das in der Christologie nach der Shoa eine neue Würdigung gefunden hat. […] Kann die mit der Inkarnation gegebene Leiblichkeit und geschlechtliche Identität Jesu marginalisiert werden ohne den Preis einer Ablösung vom Erbe Israels?“ 39 René Dausner stellt fest, dass Tück trotz der Verknüpfung des Mann-Seins Jesu mit der Beschneidung in seiner Logik sakramentaler Repräsentation nur das Mann-Sein Jesu heranzieht, nicht aber Jesu jüdische Identität. Diese würde gerade trotz ihrer Betonung „geopfert“, um sakramentale Christusrepräsentation auf das Mann-Sein Jesu zu fokussieren. 40 Tück würde also gerade das vollziehen, was er eigentlich nicht will, nämlich eine Trennung von geschlechtlicher und religiöser Identität Jesu. Weiter fragt Dausner, „[…] ob nicht die [von Tück, MW] angesprochene Marginalisierung [der Beschneidung und der jüdischen Identität Jesu, MW] reproduziert und redupliziert wird, wenn im Rahmen der Repräsentation Christi die Einbeziehung des Judeseins Jesu als Begründungsfigur für die Exklusion des Weiblichen gedeutet wird.“ 41 Unabhängig von der Frage nach der repraesentatio Christi kann man grundsätzlich fragen: Welche Rolle spielt das männliche Ge36 37 38 39 40 41
Tück, Beschneidung Jesu, 32. Vgl. Tück, Bräutigam, 25. Tück, Einleitung, 9–10. Tück, Bräutigam, 25. Vgl. Dausner, Jude Jesus, 282. Dausner, Jude Jesus, 283.
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schlecht Jesu in der Frage nach seiner jüdischen Identität? Jesu Körper ist in ein soziokulturelles und religiöses Symbolsystem eingebettet und mit entsprechenden Bedeutungen aufgeladen. Als von einer jüdischen Mutter geborenes Kind ist sein Körper in das Symbolsystem des Judentums seiner Zeit eingeschrieben. Dies gilt für das männliche und weibliche Geschlecht gleichermaßen. Für beiderlei Geschlecht gibt es bestimmte Körperpraktiken, die auch geschlechtsspezifisch sein können. So ist beispielsweise aufgrund der von Menstruation oder Geburt ausgehenden Unreinheit der weibliche Körper spezifisch zu behandeln. Eine geschlechtsspezifische Behandlung des männlichen Körpers ist etwa die Beschneidung. Wäre Jesus eine Frau, wäre sein Körper also auch jüdisch geprägt. Der Beschneidung wird als Bundeszeichen, das nur an einem männlichen Körper vollzogen werden kann und sichtbar ist, hohe Bedeutung beigemessen. Sie wird als Aufnahme Jesu in den Bund Gottes mit Abraham (Gen 17) und mit Israel verstanden. 42 In der Tat ist sie das einzige Bundeszeichen, das an einem Körper sichtbar ist. Andere Bundesschlüsse wie der Bund mit allem Fleisch (Gen 9), der sog. „Bund zwischen den Stücken“ (Gen 15) oder der Sinaibund (Ex 24) haben Zeichen, die nicht am Körper sichtbar sind. Diese „body-modification“ des männlichen Körpers Jesu stellt damit in einzigartiger Weise die Verwobenheit in Israels Bundesgeschichte heraus. Am weiblichen Körper ist diese Körpermanipulation nicht vorgesehen. Bedeutet das, dass jüdische Frauen nicht in den Bund gehören? Wohl kaum. Sie sind auch Teil des Bundesvolkes, nur eben der Teil, dessen Körper diese Zugehörigkeit nicht sichtbar macht. 43 Das männliche Geschlecht Jesu kann in diesem Rahmen nur die 42
Vgl. Tück, Einleitung, 9–10; Kasper, Beschneidung, 23. Siehe zum Komplex Frauen und (Beschneidungs-)Bund Cohen, Circumcision, passim. Zur Zugehörigkeit der Frauen zum Bund trotz fehlender Beschneidung v. a. Cohen, Circumcision, 37–38. Für eine ausführliche Rekonstruktion der jüdischen Diskussion um die Bedeutung der Nicht-Beschneidung jüdischer Mädchen siehe die ausführliche Monografie Cohen, Jewish Women, passim. Cohen zeigt hierbei, dass christliche Polemik, die in der Nicht-Beschneidung jüdischer Mädchen ein Argument gegen die Beschneidungspraxis sah, ein wesentlicher Motor der innerjüdischen Auseinandersetzung um die Bedeutung der (Nicht-)Beschneidung war. Im Anschluss an Cohen darf man vielleicht vermuten, dass die Betonung der Beschneidung als wesentliches Merkmal jüdischer Identität wohl mehr aus einer christlichen als einer jüdischen Perspektive entspringt.
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Funktion haben, die Einbettung ins Judentum und in die Bundesgeschichte Israels am Körper sichtbar zu machen. Es macht dies sichtbarer, als es an einem weiblichen Körper der Fall wäre. Eine Konzentration auf die Beschneidung Jesu und deren Bedeutung für seine jüdische Identität bietet sich aufgrund der Sichtbarkeit am Körper an, allerdings ist jüdische Identität umfassender zu denken. Jesus betet, lehrt, praktiziert in vielfacher Weise als Jude und als jüdischer Theologe. Die theologische Forschung hat die sehr tiefe jüdische Identität Jesu herausgestellt. Er ist Jude weit über die Beschneidung seines männlichen Körpers hinaus. Auch wenn Jesus eine Frau wäre, so wäre eine tiefe jüdische Identität denkbar aufgrund der Glaubenspraxis. Der Beschneidung kann man eine hohe, aber keine exklusive Rolle für die jüdische Identität Jesu zusprechen. Sie ist Teil seiner jüdischen Praxis und Identität, die dauerhaft an seinem männlichen Körper sichtbar ist. Man kann auch nicht dem männlichen Geschlecht Jesu über diesen Weg besondere Bedeutung zumessen. Man würde Jesus nicht seiner jüdischen Identität berauben, wenn man sein männliches biologisches Geschlecht als nicht oder wenig theologisch-argumentativ belastbar ansieht.
2. Das Verhältnis des Bands zu den aktuellen Debatten Die angeführten aktuellen Debatten zeigen ein reges Interesse am Geschlecht Jesu. Meist steht jedoch das Geschlecht Jesu selbst nicht im Fokus des Interesses, sondern es ist Teil der Argumentation zu einem anderen Thema. Zudem fallen einige ungeklärte Fragen und Desiderate rund um theologische Argumentationen zum Geschlecht Jesu auf: 1. Vorausgesetzte Geschlechteranthropologien werden nicht offen benannt oder reflektiert. Welche Bedeutung Jesu Geschlecht zukommt, hängt wesentlich daran, welche Geschlechteranthropologie man vertritt. 2. Es fehlt oft eine theologiegeschichtliche Vergewisserung. Wie dachte man über das männliche Geschlecht Jesu und welche Bedeutung maß man ihm zu früheren Zeiten bei? Welche geschlechteranthropologischen Annahmen waren damals leitend? 3. Entscheidend ist auch die Frage, welchen Aspekt von Geschlecht man herausstellt: das biologische Geschlecht (sex), die soziale
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Geschlechterpraxis (gender), das vergeschlechtlichte Begehren (desire) oder die Selbstzuschreibung zu einem Geschlecht? 4. Es ist nicht immer klar, wessen Geschlecht gemeint ist. Ob das Geschlecht des historisch-konkreten Menschen Jesus von Nazareth gemeint ist oder das der menschlichen Natur, die der Logos in seiner Inkarnation annahm, oder das Geschlecht des zur Rechten des Vaters sitzenden, erhöhten Christus, ist ein bedeutender Unterschied. In welchem dieser Fälle kann wie von einem männlichen Geschlecht angemessen gesprochen werden? Damit zusammen hängt die Frage nach der Leistungsfähigkeit, den Chancen und Grenzen vergeschlechtlichter Metaphern und Bildsprache (Bräutigam-Braut; Haupt-Leib; Vater-Sohn). Wie sind diese angemessen auszulegen, auch hinsichtlich des Geschlechts Jesu? Die in diesem Band versammelten Beiträge wollen diese Desiderate aufgreifen. Es sind Fallstudien zur Relevanz oder Irrelevanz des männlichen Geschlechts Jesu in der Theologiegeschichte, sie sind also theologiegeschichtliche Vergewisserungen. Zugleich legen die Beiträge auch die in den Quellen auffindbaren geschlechteranthropologischen Denkvoraussetzungen frei und ermöglichen so einen differenzierteren Diskussionszugang zu den Quellen. Der vorliegende Band versteht sich als ein theologiegeschichtlich orientierter Debattenbeitrag auf dem Weg zu weiteren Fragen und Antworten. Der Band bietet insofern theologische Grundlagenforschung in historischer Perspektive und ist kein genuiner Beitrag zu den oben genannten Debattenfeldern. Nicht im Fokus steht das Bemühen um die Frage, ob dem männlichen Geschlecht Jesu eine theologische Bedeutung zukommen sollte.
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Ist „der letzte Adam“ ein echter Mann? Jesus Christus, der Mann und sein Körper in der Sicht des Apostels Paulus Hans-Ulrich Weidemann Zusammenfassung Hielt der Apostel Paulus Jesus für einen Mann? Und wenn ja, welche christologische Bedeutung schrieb er dem männlichen Körper Jesu, seinem männlichen Geschlecht und seiner Männlichkeit zu? Auf den ersten Blick scheint die Frage seltsam. Aber zunächst muss geklärt werden, ob sie sich an den irdischen Jesus oder an den auferstandenen und erhöhten Herrn (vom präexistenten Sohn ganz zu schweigen) richtet. Im Kontext der paulinischen Christologie sind das nämlich ganz unterschiedliche Sachverhalte. Nach der Klärung einiger methodischer und hermeneutischer Aspekte werden daher zunächst die Aussagen des Paulus über den irdischen Jesus im Römer- und im Galaterbrief befragt. Dabei ergibt sich die Beschneidung Jesu als die einzige geschlechtsspezifische Körperpraktik mit christologischer Bedeutung. Im folgenden Schritt wird die Leiblichkeit des auferstandenen und erhöhten Christus in den Blick genommen. Der Apostel bezeichnet ihn in 1 Kor 15,44 als „lebensspendenden Geist“ und schreibt ihm in Phil 3,20–21 einen „Leib der Herrlichkeit“ zu. Die Frage lautet dann, ob und inwiefern Paulus den Leib des auferstandenen Herrn noch als spezifisch männlichen Leib angesehen hat. Da diese Frage aufgrund der schmalen Textgrundlage nicht eindeutig beantwortet werden kann, nimmt die Studie drei Umwege: Zunächst wird der Diskurs des Paulus über die körperliche Transformation der Gläubigen bei der Parusie Christi und der Totenauferstehung (1 Kor 15,35–58) analysiert. Es folgt eine Untersuchung der geschlechtsspezifischen Anweisungen an Männer und an Frauen im Gottesdienst (1 Kor 11,2–16). Schließlich wird die in Gal 3,28 proklamierte Aufhebung der Geschlechterdifferenz in den Blick genommen. Die auf den drei Umwegen gesammelten Indizien machen es wahrscheinlich, dass die menschlichen Geschlechterunterschiede in die radikale Transformation der Körper bei der Totenauferstehung einbezogen sind. Deswegen ist auch der auferstandene Christus für Paulus offenbar nicht mehr nur ein Mann – sondern viel mehr.
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Abstract Did the apostle Paul consider Jesus to be a man? And if so, what Christological significance did he ascribe to Jesus’ male body, his male gender, and his masculinity? This question is disconcerting only at first glance. Prior to any attempt at an answer, it must be specified whether it is directed to the earthly Jesus or to the risen and exalted Lord (let alone the preexistent Son). In the context of Pauline Christology these are quite dissimilar issues. And that is why the answer cannot be one-dimensional. Therefore, after clarifying several methodological and hermeneutical aspects, the study sets out to inquire Paul’s statements about „Jesus according to the flesh“ in the Epistles to the Romans and to the Galatians. As it turns out, Jesus’ circumcision is the only gender-specific issue with Christological significance here. After that, Paul’s characterization of the risen and exalted Christ is analysed. The apostle refers to him as „life-giving Spirit“ in 1 Cor 15:44 and attributes a „body of glory“ to him in Phil 3:20–21. Therefore, our initial question must now be clarified to whether and to what extent the body of the risen Lord can still be regarded as a male body. Due to the narrow textual basis, this question cannot be answered unambiguously. Therefore, the study takes three detours. First, Paul’s discourse on the resurrection of the believers with its transformation of their bodies (1 Cor 15:35–58) is analysed. This is followed by an examination of the gender-specific instructions to men and women in worship (1 Cor 11:2–16). And finally, the abolition of gender difference in Gal 3:28 is taken into account. The individual results of the survey with its detours make it highly probable that sexual differences are included in the radical bodily transformation at the resurrection of the dead. Therefore, the resurrected Christ is probably no longer just a man for Paul – but much more.
1. Leib und Differenz: Einleitung Dass Jesus von Nazareth ein Mann war, lässt sich kaum sinnvoll bestreiten, selbst wenn sich am Prädikat „Mann“ sogleich Diskussionen entzünden. Eine viel interessantere Frage ist aber, ob und inwiefern der Apostel Paulus Jesus für einen Mann hielt und welche Bedeutung er dem männlichen Geschlecht Jesu, seinem männlichen Körper, seiner Männlichkeit zugeschrieben hat. Auf den ersten Blick scheint die Formulierung, „ob und inwiefern Paulus Jesus für einen Mann hielt“, überraschend zu sein. Doch stellt man die Frage dort, wo sie text-
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gemäß hingehört, nämlich im Kontext der paulinischen Christologie, dann ist die Sache gar nicht so einfach. 1.1 Männer und Frauen bei Paulus Der Sprachgebrauch des Apostels bietet keine direkte Hilfe. Ausdrücklich als Mann (anēr) bezeichnet Paulus Jesus an keiner Stelle. Ob die Bezeichnung Jesu Christi als „Mensch“ (anthrōpos) im Kontext der Gegenüberstellung von Adam und Christus 1 geschlechtsspezifisch auszulegen ist, Christus also ebenso wie Adam als Mann im Blick ist, ist mehr als fraglich. Denn ob der „Mensch aus dem Himmel“ ein Mann ist wie der „Mensch aus der Erde“, muss sich erst erweisen. Dennoch ist der paulinische Sprachgebrauch aufschlussreich: Wenn der Apostel vom „Mann“ spricht, dann steht in den meisten Fällen das Gegenüber und der Unterschied zur Frau im Fokus. 2 Dasselbe gilt für das Adjektiv „männlich“ (arsēn), das in der Fluchtlinie von Gen 1,28 immer das Gegenüber zu „weiblich“ bezeichnet. 3 Wenn der Apostel also ausdrücklich von „Männern“ spricht, thematisiert er in den meisten Fällen die körperlich-geschlechtliche Differenzierung von Mann und Frau. Im Kontext geht es – wenig überraschend – meist um Sexualität und Ehe (1 Kor 7; Röm 7,2–3), darüber hinaus um geschlechtsspezifische Kleiderordnung bzw. Haartracht (1 Kor 11,2–9).
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Vgl. dazu 1 Kor 15,21 f. und 15,45–49, außerdem Röm 5,15 und 5,19. In den sieben unbestritten echten Paulusbriefen finden sich 43 Belege für ἀνήρ. In der überwiegenden Mehrzahl der Stellen steht ἀνήρ eindeutig für den Ehemann einer im Kontext meist ebenso genannten Ehefrau, im Fokus ist die sexuelle Gemeinschaft: so in 1 Kor 7,2–4 (5 Belege); 7,10–16 (8); 7,34 und 7,39 (2); 1 Kor 14,35 (τοὺς ἰδίους ἄνδρας), 2 Kor 11,2; Gal 4,27 sowie in Röm 7,2 f. (7). Umstritten ist, ob dies auch auf 1 Kor 11,3 f. (3) und 11,7–9 (6) zutrifft. Den Mann im Unterschied zur Frau bezeichnet ἀνήρ (ohne Bezug zur Ehe) in 1 Kor 11,11 f. (4) und in 11,14, den Mann im Unterschied zum Knaben in 1 Kor 13,11. Hinzu kommen Röm 4,8 und 11,4. Paulus benutzt aber auch ἄνθρωπος (also eigentlich „Mensch“) an manchen Stellen im Sinne von „Mann“, so vor allem in 1 Kor 7,1 und in 2 Kor 12,2–3 (in Bezug auf sich selbst), aber niemals als Bezeichnung für eine Frau. Zum Sprachgebrauch des Paulus vgl. auch Økland, Letters, 316 f. 3 ἄρσην als Gegenüber zu θῆλυ: Röm 1,26 f. und Gal 3,28. 2
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Paulus benutzt aber in 1 Kor 16,13 f. auch das Verb andrizomai („mannhaft, tapfer sein“) 4, mit dem nicht ein physisch-körperlicher Sachverhalt angezeigt wird, sondern die Forderung, dem Tugendideal der andreia („Mannhaftigkeit, Tapferkeit“) zu entsprechen. Aus dem Kontext wird deutlich, dass es sich dabei nicht um militärische Mutproben oder bloßes Draufgängertum handelt. Vielmehr steht die Forderung, „mannhaft zu sein“, im Zusammenhang von Wachsamkeit, Standfestigkeit und Stärke. Dies sind zweifellos ‚männliche‘ Ideale, d. h. an Männer gerichtete kulturelle und soziale Erwartungen. Indem solche Ideale aber an Männer gerichtet werden, repräsentieren sie – paradoxerweise – ‚universale‘ Ideale und Tugenden, denen die Gemeinde insgesamt entsprechen soll, das gilt für Männer wie für Frauen. 5 Der eben skizzierte paulinische Sprachgebrauch zeigt also, dass der Apostel dann von „Männern“ redet, wenn die Geschlechterdifferenz (sexual difference) im Blick ist, die sich in den männlichen und weiblichen körperlichen Geschlechtsmerkmalen manifestiert. Männer in diesem Sinne haben einen von dem der Frauen klar unterschiedenen Männerkörper mit entsprechenden Merkmalen, die insbesondere bei Geschlechtsverkehr und Fortpflanzung, aber auch in der Kleiderordnung oder der Haartracht relevant werden, mit denen aber auch hierarchische Zuschreibungen verbunden sind. 1.2 Sex, Gender and Sexual Difference Der Sprachgebrauch des Paulus ist ein weiteres Beispiel dafür, dass die inzwischen geradezu klassische Unterscheidung von sex und gender als Analyseinstrument für antike Texte nicht recht passt und deswegen 4
In 1 Kor 16,13 f. fordert Paulus seine Adressatinnen und Adressaten auf: „Wachet, steht fest im Glauben, seid mannhaft, seid stark! Alles bei euch geschehe in Liebe“ (Γρηγορεῖτε, στήκετε ἐν τῇ πίστει, ἀνδρίζεσθε, κραταιοῦσθε. πάντα ὑμῶν ἐν ἀγάπῃ γινέσθω). Zeller, 1 Kor, 540, paraphrasiert ἀνδρίζεσθε mit „sich als Mann erweisen“, und betont mit Recht, dass es nicht nur zum Femininen, sondern auch zum Unreifen im Gegensatz steht. Dass in V. 14 „die (weiblich-weiche) Liebe“ als regulierendes Prinzip neben die in V. 13 genannten „typisch männlichen“ Haltungen trete, ist allerdings Unsinn. 5 Pointiert Økland, Letters, 317: „the masculine was the paradigmatic and privileged hu-man of which the feminine was an imperfect or secondary version“.
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zunehmend kritisch angefragt wird. 6 Gerade im Kontext einer Studie zu paulinischen Texten und ihrer Auslegungsgeschichte plädiert Benjamin H. Dunning (mit vielen anderen) daher für die Verwendung von „‚sexual difference‘ as an analytic tool“ und für „the analytical primacy not of ‚gender‘ but rather of ‚sexual difference‘“ 7. Die Frage ist dann, wie die körperlichen Unterschiede von Männern und Frauen jeweils interpretiert und mit Bedeutung sowie mit hierarchischen Konnotationen versehen wurden. Ob diese körperlichen Unterschiede in einem antiken Text in einer Weise verstanden wurden, die die Unterscheidung von sex und gender (im Sinne von biologischem vs. kulturellem Geschlecht) rechtfertigt, muss sich jeweils erst erweisen. Wenn wir also in diesem Aufsatz danach fragen, welche Bedeutungen der Apostel Paulus der Tatsache zuschreibt, dass Jesus ein Mann und keine Frau war, dann liegt der Akzent auf dem männlichen Geschlecht Jesu im Hinblick auf seine Körperlichkeit bzw. Leiblichkeit. 8 Demnach geht es um den Körper Jesu, insofern Jesus – wie alle Menschen – nicht abstrakt einen menschlichen, sondern einen männlichen Körper hatte, einen Männerkörper mit dem, was wir (!) als primäre und sekundäre männliche Geschlechtsmerkmale bezeichnen. 9 Als 6
Vgl. dazu den instruktiven Überblick bei Dunning, New Testament, 2–7. Ein Hauptargument gegen die Anwendung der sex/gender-Unterscheidung auf antike Texte ist, dass sich die antiken Diskurse gerade nicht entlang einer „firm division between biology/nature versus norms/culture“ (3) bewegen, zumal eine solche simple Unterscheidung auch von Judith Butler und anderen in Frage gestellt wurde (5 f.). Jede Art von heuristischem oder methodologischem „dualism between body and culture“ ist für antike Texte unangemessen. 7 Dunning, Specters, 15. Vgl. insgesamt Dunning, Specters, 13–17, unter der Überschrift „Complexities of Sexual Difference in the Ancient World – Categories and Terms: Sex, Gender, and Sexual Difference“, außerdem Dunning, New Testament, 2–7. Anregend zum Thema „sexual difference“ ist Butler, Undoing Gender, 174–203. Butler lehnt den Gebrauch dieser Kategorie keineswegs ab, argumentiert aber überzeugend dafür, sie als Frage (statt als Antwort oder als unhintergehbare Grundlage) zu verstehen. Für Butler ist die Geschlechterdifferenz eine Art Feld, in dem biologische, psychische, diskursive und soziale Aspekte ineinander übergehen, womit das Verhältnis zur Kategorie Gender erst gestellt (und nicht beantwortet) ist. 8 Da die in manchen deutschsprachigen Debatten eingebürgerte semantische Differenzierung zwischen Körper und Leib keine terminologische (und wohl auch keine sachliche) Entsprechung in den griechischen Quellen hat, gebrauche ich die beiden Begriffe synonym als deutsche Übersetzung für σῶμα. 9 Von diesen Geschlechtsmerkmalen erwähnt Paulus nur den Penis und diesen auch nur indirekt im Hinblick auf die Beschneidung (s. u. Punkt 2.).
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Mann in diesem Sinne hatte Jesus mit den meisten anderen Männern seiner Zeit diese Geschlechtsmerkmale gemeinsam und unterschied sich eben anhand dieser Merkmale von Frauen – beispielsweise von jener Frau, die ihn geboren hatte (Gal 4,4). Die Frage ist also, welche Bedeutungen Paulus diesem männlichen Körper Jesu (bzw. Jesus, insofern er einen männlichen Körper hatte) zuschrieb. 1.3 Der Männerkörper als tabula rasa? Mit dieser Fragestellung betreten wir in theoretischer Hinsicht keineswegs Neuland. Dafür nur ein Beispiel: In seinem Standardwerk „Masculinities in Theory“ (2010) bezeichnet Todd W. Reeser den männlichen Körper als „the most central aspect of masculinitiy“ 10, denn: „The male body has a particularly close connection to culture and to discourse and is one of the main avenues through which culture attempts to construct masculinity“. Wie aber geschieht diese Konstruktion von Männlichkeit anhand des männlichen Körpers? Reeser dazu: „The male body functions as a kind of tabula rasa or inscriptive surface for masculinity and for culture, and discourse is inscribed on that matter, asserting its power through inscription and reinscription“ 11. Dass der Männerkörper als eine Art Projektionsfläche für die auf ihn bezogenen Männlichkeitsdiskurse fungiert, wird von weiten Teilen der Männlichkeitsforschung angenommen. Allerdings wird dieses Konzept von Raewyn Connell und anderen auch wieder in Frage gestellt. Zwar geht auch Connell von einem Zusammenhang von Männerkörper und Männlichkeit aus. 12 Sie hält aber den Ansatz, wonach die Körper mehr oder weniger „eine neutrale Oberfläche oder eine Landschaft“ sind, „in die ein sozialer Symbolismus eingeprägt wird“, für ebenso falsch wie die entgegengesetzte Theorie, wonach der Körper „eine natürliche Maschine“ ist, „welche die Geschlechtsunterschiede produziert – aufgrund der Unterschiede 10
Reeser, Masculinities, 92: „The male body […] is also a key locus of cultural meaning“. 11 Reeser, Masculinities, 91. 12 Connell, Mann, 95: „Wahre Männlichkeit scheint sich fast immer vom männlichen Körper abzuleiten – einem männlichen Körper innewohnend oder etwas über einen männlichen Körper ausdrückend. […] Deshalb ist es die vordringlichste Aufgabe einer sozialwissenschaftlichen Analyse, die Körper von Männern und deren Beziehungen zu Männlichkeit zu verstehen.“
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hinsichtlich der Gene, der Hormone oder der unterschiedlichen Aufgaben bei der Fortpflanzung.“ 13 Connell bringt zwei Aspekte ins Spiel, die – mutatis mutandis! – auch für den Stellenwert des männlichen Körpers Jesu in der paulinischen Christologie von Bedeutung sind: nämlich die Pluralität und die Veränderlichkeit der männlichen Körper. Dass es – trotz normativer Schönheitsideale – keineswegs nur den einen Männerkörper gibt, ist fast eine Binsenweisheit. Vor allem aber sind Körper zwar unentrinnbar, aber keineswegs unveränderlich. 14 Sie verändern sich durch Altern, Arbeit und Krankheit, aber auch durch Körperpraktiken, also performative Handlungen am und mit dem Körper. Connell betont „die aktive Mitwirkung (agency) von Körpern bei sozialen Prozessen“ 15. Der männliche Körper, die mit und an ihm vollzogenen körperreflexiven Praktiken und die am Körper ansetzenden Männlichkeitsdiskurse stehen also in einem komplexen und wechselseitigen Verhältnis. Diese Fragestellung ist im Hinblick auf die in neutestamentlichen Texten belegten frühchristlichen Diskurse fruchtbar, wo es im Falle Jesu um extreme Formen von Praktiken am Körper geht, nämlich um Folter und Kreuzigung, aber auch die Auferweckung und Erhöhung des Gekreuzigten (s. u. Punkt 3). Auf dem Hintergrund der hier nur exemplarisch skizzierten Debatten um gender und sexual difference, um Körper und körperreflexive Praktiken, lässt sich unsere Fragestellung nochmals präzisieren: Wel13
Connell, Mann, 96. Vgl. ebd., 103: „Wenn der biologische Determinismus genauso falsch ist wie der soziale Determinismus, dann ist es unwahrscheinlich, dass eine Kombination aus beidem richtig sein könnte. […] Wie wir es auch drehen und wenden, ein Kompromiss zwischen biologischer und sozialer Determination taugt nicht als Basis für eine Erklärung von Geschlecht. Und trotzdem können wir weder den durch und durch kulturellen Charakter des Geschlechts, noch die Gegenwärtigkeit des Körpers ignorieren.“ 14 Connell, Mann, 107, betont, „dass wir dem Körper nicht entrinnen können, wenn es um die Konstruktion von Männlichkeit geht; aber wenn etwas unentrinnbar ist, heißt das noch nicht, dass es unveränderbar sein muss. […] Aber damit kehren wir nicht zu der Vorstellung vom Körper als Landschaft zurück.“ 15 Connell, Mann, 111. Connell begreift „Körper als Teilnehmer am sozialen Geschehen (agency)“, die den Verlauf sozialen Verhaltens mitbestimmen. Vgl. ebd., 113: Für Connell sind Körper „sowohl Objekte als auch Agenten der Praxis“, aus der wiederum die Strukturen entstehen, innerhalb derer die Körper definiert und angepasst werden.
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che Bedeutungen schreibt Paulus dem Körper Jesu – und zwar als einem spezifisch männlichen und eben nicht weiblichen Körper – zu? Gibt es „Praktiken“ (Connell) am Körper Jesu, die eine spezifische Form von Männlichkeit konstituieren, die für den Apostel von Relevanz ist? Connells Hinweis auf die Veränderbarkeit von Männerkörpern führt uns noch zu einem weiteren Aspekt, der für die paulinische Christologie aber schlechthin zentral ist. 1.4 Sitzt ein Mann zur Rechten Gottes? Es wurde oben bereits angedeutet: Ob und inwiefern der Apostel Paulus Jesus für einen Mann hielt, ist keineswegs schnell und eindeutig zu beantworten. Denn es muss zunächst geklärt werden, an wen oder an was sich diese Frage richtet. Jesus Christus ist schließlich für Paulus keineswegs bloß ein jüdischer Mann des ersten Jahrhunderts – obwohl er das zweifellos auch ist. Aber Paulus zufolge ist Jesus „gestorben, ja, noch mehr, er wurde auferweckt und sitzt zur Rechten Gottes, wo er sich für uns verwendet“ (Röm 8,34)! Bereits mit diesem Text, dem man viele andere an die Seite stellen könnte, wird klar, dass die genannten Fragen jeweils für sich an den sog. irdischen Jesus und an den Auferweckten bzw. den zur Rechten Gottes Erhöhten zu stellen sind. Wie der Gang unserer Untersuchung zeigen wird, hängt auch dies unlösbar mit der jeweiligen Leiblichkeit Jesu Christi zusammen. Pointiert gefragt: Hat der Auferstandene (noch oder wieder) einen Männerkörper? Sitzt also ein Mann zur Rechten Gottes? Hinzu kommt, und das verkompliziert die Sache weiter, dass der ‚irdische Mann‘ Jesus laut der paulinischen Christologie nur deswegen existierte, weil Gott „seinen Sohn sandte“ (vgl. Gal 4,4 und Röm 8,3). Oder mit den Worten des sogenannten Philipperhymnus: Der Mann Jesus existierte deswegen, weil derjenige, „der in Gottesgestalt war, nicht daran festhielt (oder: nicht danach strebte), Gott gleich zu sein, sondern sich selbst entäußerte, Sklavengestalt annahm“ (Phil 2,6 f.) und den Menschen ähnlich, in einer den Menschen vergleichbaren Gestalt wahrgenommen wurde. 16 Dass Paulus eine hohe Christologie vertritt, die auch die Präexistenz Christi umfasst, ist exegetisch inzwi-
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Zu dieser Paraphrase von Phil 2,6–8 vgl. Standhartinger, Phil, 148.
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schen Konsens. 17 Dort, wo der präexistente Christus in der Geschichte Israels präsent ist, spricht Paulus vom Geist (pneuma): Als pneuma war Christus beim Exodus und bei der Wüstenwanderung des Volkes Israel zugegen (1 Kor 10,3–4). Deswegen konnte Christus durch den Ungehorsam Israels auch „auf die Probe gestellt“ (d. h. provoziert werden) (10,9). Nimmt man 1 Kor 8,6 hinzu, wonach „für uns der eine Kyrios Jesus Christus ist, durch den das All [entstanden ist] und wir durch ihn sind“, dann ist offensichtlich, dass Paulus den präexistenten Christus mit dem Geist (pneuma) Gottes identifiziert, der am Beginn der Schöpfung „über dem Wasser“ wehte (Gen 1,1), und den der Apostel vermutlich auch im Plural von Gen 1,26 eingeschlossen sieht: „Lasst uns einen Menschen machen, nach unserem Bild und Ähnlichkeit“ 18. Biblische und frühjüdische Aussagen über das Wort (logos) Gottes und die Weisheit (sophia) stehen im Hintergrund dieses quasi binitarischen Modells. 19 Nun sind die verstreuten Präexistenzaussagen im Corpus Paulinum für die Frage nach der Männlichkeit Jesu wenig ertragreich. Spitzenaussagen wie jene, wonach Gott „seinen Sohn sandte“ (Gal 4,4; Röm 8,3), tragen für Spekulationen über das Geschlecht des Präexistenten, also sein Geschlecht, bevor er „die Gestalt eines Sklaven annahm“ (Phil 2,7), wenig aus, da Paulus die „Sohn-Gottes“-Prädikation ausdrücklich vom Menschen Jesus aussagt. 20 Vor allem aber ist Männlichkeit im Sinne der sexual difference für Paulus sinnvoll nur im Hinblick auf einen männlichen Körper zu denken – was für den Präexistenten natürlich ebenso wenig anzunehmen ist wie für Gott selbst. Daher haben wir geschlechterspezifisch erst im Hinblick auf den irdischen Jesus festen Boden unter den Füßen – beziehungsweise einen Männerkörper vor Augen. Und tatsächlich finden sich gewisse Hinweise, dass Paulus der ja unbestreitbaren Tatsache, dass Jesus von Na17
Vgl. dazu ausführlich Weidemann, Gottes Bild. In der LXX lautet Gen 1,26: Ποιήσωμεν [!] ἄνθρωπον κατ᾽ εἰκόνα ἡμετέραν [!] καὶ καθ᾽ ὁμοίωσιν. Die Septuaginta Deutsch übersetzt: „Wir wollen den Menschen machen nach unserem Bild und nach (der) Ähnlichkeit.“ 19 Vgl. dazu den instruktiven Überblick über die „binitarischen Ansätze“ im biblischen und frühjüdischen Monotheismus, aus dem dann das neutestamentliche Christentum schöpfte, bei Schäfer, Zwei Götter, 23–75. 20 Dazu Theobald, Sohn Gottes, 121–131. Paulus beharrt Theobald zufolge auf dem Menschsein Jesu als des Gottessohnes. Dies wiederum hätte eine (implizite) Geschlechter-Dimension. 18
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zareth in körperlicher Hinsicht ein Mann (und keine Frau) war, theologische Bedeutung zuschreibt (siehe unten 2.). Im Anschluss daran wenden wir uns dem Sachverhalt zu, dass dieser Männerkörper durch Tod und Begräbnis, Auferstehung und Erhöhung einem Transformationsprozess unterzogen wurde, dessen Konsequenzen für die körperlich manifestierte Geschlechterdifferenz zumindest unklar sind (siehe unten 3.–6.). Doch – um es mit Paulus zu formulieren: Erst das Irdisch-Beseelte, dann das Himmlische (vgl. 1 Kor 15,46). Daher wenden wir uns zunächst dem irdischen Jesus zu.
2. Diener der Beschneidung: Der irdische Jesus als jüdischer Mann 2.1 Aus dem Samen Davids: der Römerbrief Mustert man die für unser Thema möglicherweise relevanten Aussagen im Römerbrief durch, dann fällt zunächst auf, dass Paulus den irdischen Jesus ausdrücklich in jüdisch-messianische Kategorien einzeichnet. Und in diesem Zusammenhang wird die Tatsache, dass Jesus nicht nur ein dem Judentum zugehöriger Mensch, sondern ein jüdischer Mann war, unmittelbar relevant. Paulus präsentiert Jesus nämlich als jüdischen Mann, der sowohl durch seine Abstammung („Same Davids“) als auch durch seine Beschneidung als Messias Israels qualifiziert ist – obwohl der Gekreuzigte und Auferstandene „der Herr aller“, nämlich der Herr von Juden wie von Griechen ist (Röm 10,12, vgl. 1,16). Diesen messianischen Akzent setzt der Apostel nicht nur im Vorübergehen, sondern an drei neuralgischen Stellen des Römerbriefes: im Präskript (Röm 1,1–7), in der programmatischen Einleitung zu den sog. Israel-Kapiteln (9,1–5) und dann im „Fazit des ganzen Briefkorpus“ 21 (15,8–12). 1. Im Zusammenhang des Briefpräskripts 1,1–7 betont Paulus, dass der Sohn Gottes – der der Inhalt seines Evangeliums ist! – aus dem Hause Davids stammt:
21
Haacker, Röm, 328.
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Röm 1,3–4 3 a [das Evangelium Gottes … über seinen Sohn,] b der entstanden ist aus dem Samen Davids nach dem Fleisch, 4 a der eingesetzt wurde als Sohn Gottes in Macht nach dem Geist der Heiligkeit aus der Auferstehung der Toten, b Jesus Christus, unseren Herrn […] Der Apostel verarbeitet in Röm 1,3–4 vermutlich ein auf der Nathanverheißung 2 Sam 7,12–14 fußendes älteres judenchristliches Bekenntnis. „Paulus rezipiert die Formel, um mit ihr zwei komplementäre christologische und soteriologische Aspekte zum Ausdruck zu bringen: Jesus Christus ist ‚seiner irdischen Existenz [kata sarka, HUW]‘ und Herkunft nach Messias Israels – aus davidischem Geblüt –, und wurde ‚gemäß dem Geist der Heiligkeit [kata pneuma, HUW]‘ in seiner österlichen Inthronisation zum ‚Sohn Gottes‘ erhoben, und zwar zum ‚Sohn Gottes in Vollmacht [en dynamei, HUW]‘, wie Paulus in V. 4 ergänzt, um die universale Herrschaftsstellung des an Ostern erhöhten Christus anzudeuten.“ 22 Mit dem am Beginn des Briefes platzierten Hinweis auf Jesu Herkunft ‚aus der Nachkommenschaft Davids‘ macht Paulus deutlich, „dass der Inhalt seines Evangeliums in den eschatologischen Heilshoffnungen Israels verwurzelt ist“, schließlich hat Gott einen geborenen Davididen aus den Toten erweckt und ihn zum Sohn Gottes in Macht und als „unseren Herrn“ eingesetzt. 23 2. Die überragende Bedeutung, die diese Aussage im Präskript für Paulus insgesamt besitzt, zeigt sich dann daran, dass er in 9,5 – also zu Beginn der Israel-Kapitel Röm 9–11 – ausdrücklich daran anknüpft:
22
Theobald, Geboren, 240. Dass 2 Sam 7,12–14 auf Jesu Auferstehung übertragen wurde, lag laut Wolter, Röm I, 86, deswegen nahe, „weil der Prophet nach der Septuaginta-Fassung von 2 Sam 7,12 ankündigt, dass Gott Davids ‚Samen erwecken wird‘ (ἀναστήσω τὸ σπέρμα σου).“ 23 Vgl. Wolter, Röm I, 88.
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Röm 9,4–5 […] anstelle meiner Brüder, meiner Verwandten nach dem Fleisch (kata sarka), 4 a die Israeliten sind, b deren die Sohnschaft [ist] und die Herrlichkeit und die Bundesschlüsse und die Gesetzgebung und der Kult und die Verheißungen, 5 a deren die Väter [sind], b und aus denen der Christus [stammt], soweit es das „nach dem Fleisch“ (vgl. 1,3: kata sarka) betrifft. 24 Die Aussage, dass der Christus dem Fleisch nach aus Israel abstammt, dass der Gesalbte seiner leiblichen Herkunft nach also „ein geborener Jude“ 25 ist, bildet den Höhepunkt einer Aufzählung derjenigen Gaben Gottes, in denen sich Israels Erwählung als heiliges Eigentumsvolk Gottes manifestiert. 3. Zum dritten Mal kommt Paulus auf die genealogische Abstammung Jesu aus Israel und vor allem aus dem Geschlecht Davids in der das Briefcorpus abschließenden Passage 15,8–13 zu sprechen, wo er Jesus mit einer Formulierung aus Jes 11,10 als „Wurzelschössling Isais“ bezeichnet. Im selben Zusammenhang spricht er dann auch von der Beschneidung Jesu: Röm 15,8–13 8 a Denn ich sage: b dass Christus Diener der Beschneidung geworden ist um der Wahrheit (Treue) Gottes willen, c um zu befestigen die Verheißungen an die Väter;
Zur Übersetzung vgl. Theobald, Geboren, 241 f.: τὸ κατὰ σάρκα ist substantivierter Akkusativ mit einschränkender Bedeutung (vgl. BDR § 266,2 Anm. 4). Der Artikel weist zurück auf 1,3: Was das dort genannte „nach dem Fleisch“ betrifft, nämlich die genealogische Abstammung Jesu aus dem Samen Davids, entstammt der Christus aus den Israeliten. 25 Wengst, Freut euch, 293, und weiter: „Das ist keine beliebige Zufälligkeit, sondern Gottes bestätigendes Ja zur Geschichte, die er mit diesem Volk gehabt hat und hat (Röm 15,8).“ 24
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a b c
12 a b c d
dass aber die Heidenvölker Gott verherrlichen (sollen), um seines Erbarmens willen, wie geschrieben steht: […] Und wiederum Jesaja sagt: Es wird der Wurzelschössling Isais (da) sein, und der, der aufsteht, um über die Völker zu herrschen. Auf den werden die Völker hoffen.
„Diener der Beschneidung“ wurde Jesus durch seine eigene Beschneidung, durch die er Gottes Bund mit Israel bekräftigt hat. 26 Man kann sagen, dass Paulus hier den Aspekt der Abstammung durch den der Tora-Observanz ausbalanciert. Im Kontext der Masculinity Studies kann die Beschneidung als Praktik gedeutet werden, die den männlichen Körper transformiert und in ihn einen konkreten ethnisch-religiösen Diskurs einschreibt. 27 Denn die Beschneidung ist das Bundeszeichen des Abraham-Bundes (Gen 17,7–14), der Körper der jüdischen Männer dokumentiert und visualisiert also – im Unterschied zu dem der Frau – die Erwählung Israels aus allen Völkern. Der von den Toten auferstandene, von Juden wie Heiden als „Herr aller“ angerufene Jesus Christus war demnach ein jüdischer Mann aus der Nachkommenschaft Davids, d. h. aus der Wurzel Jesse, dessen Körper das Bundeszeichen der Beschneidung trug. 28 Mit dieser Körper-Markierung seines Sohnes hat Gott seine Verheißungen an die Patriarchen Israels bestätigt – weswegen Christus auch der „Retter“ ganz Israels ist, wenn er „vom Zion kommen wird“ (vgl. Röm 11,26). Ob er das (noch) als beschnittener Mann tun wird, ist eine andere Frage. 26
Theobald, Geboren, 245. Laut Wengst, Freut euch, 420 f., meint Bescheidung hier „das Volk der Beschneidung“. 27 Vgl. dazu Reeser, Masculinites, 92–95. Zur Beschneidung vgl. auch Økland, Letters, 320–322. 28 Vgl. King, Jesus, 417: „Within first-century Jewish protocols of ethnic masculinity, this ritual act would have marked him* prestigiously as male, a full Israelite, and a participant in the covenant with God. It would have distinguished him* especially from women and gentiles, inscribing categories of sex/ gender, status, and ethnicity onto his* material flesh.“ Im Folgenden weist sie allerdings mit Recht darauf hin, dass ein beschnittener Penis in anderen antiken Kontext gerade als Zeichen von Unmännlichkeit gedeutet wurde. Dass Paulus die Beschneidung Jesu nicht erwähne (ebd.), ist allerdings falsch.
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2.2 Geboren von einer Frau: der Galaterbrief Einen anderen Akzent setzt Paulus im vermutlich kurz zuvor geschriebenen Galaterbrief. Hier verbindet er Jesu jüdische Abstammung und seine Unterstellung unter die Mosetora eindrucksvoll mit seinem Kreuzestod. Ersteres entfaltet er in Gal 4,4–5: Gal 4,4–5 4 a Als aber die Fülle der Zeit gekommen war b entsandte Gott seinen Sohn, c geboren (genomenon) aus einer Frau, d geboren (genomenon) unter das Gesetz, 5 a damit er die unter dem Gesetz freikaufe, b damit wir die Sohnschaft empfingen. Der von Gott gesandte Sohn wird aus einer Frau unter das Gesetz geboren. Wichtig ist zunächst, dass Paulus die Sohn-Gottes-Metapher einem Menschen, genauer: einem jüdischen Mann zuspricht, und zwar nicht erst aufgrund seiner Auferweckung und Erhöhung zur Rechten Gottes. Vielmehr bestimmt er „mit ihr sein Gottesverhältnis bzw. das Gottes zu ihm von Anfang an.“ Deswegen „qualifiziert die Prädikation ‚Sohn Gottes‘ Jesus als Person.“ 29 Die extrem verknappte, im Parallelismus formulierte Aussage von Gal 4,4–5 evoziert dann gleich mehrere Assoziationen: Jesus wird als Sohn einer menschlichen Mutter und zugleich als Sohn einer jüdischen Frau geboren, der Sohn Gottes ist ein geborener und dann nach dem Gesetz beschnittener und in Gesetzesobservanz aufgewachsener jüdischer Mann. In Gal 4,4–5 wiederum trägt Paulus die Voraussetzung für die zuvor ebenfalls sehr knapp formulierte soteriologische Fundamentalaussage nach: Als unter dem Gesetz stehender Jude kaufte der Sohn Gottes nämlich am Kreuz diejenigen los, die „unter dem Fluch“ des Gesetzes waren (3,10.13). Er kaufte sie los, indem er am Kreuz „für uns zum Fluch wurde“ (Gal 3,13), also stellvertretend den Fluch auf sich nahm, den das Gesetz über diejenigen ausspricht, die aus „Werken des Gesetzes sind“. Weil er diese Stellvertretung inklusiv versteht, Kreuzestod und Auferstehung also als ein Geschehen denkt, in das 29
Theobald, Sohn Gottes, 128. Dies unterscheidet die „Sohn Gottes“-Prädikation vom Kyrios-Titel!
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„wir“ und also „ich“ einbezogen sind, kann Paulus sagen: „Ich bin durch das Gesetz für das Gesetz gestorben, damit ich für Gott lebe – mit Christus zusammen wurde ich gekreuzigt“ (2,19). Durch den Kreuzestod und die Auferstehung Jesu empfingen die bis dahin „unter dem Fluch stehenden“ Juden, die unter dem Gesetz „verwahrt“ und auf den Christusglauben hin „eingeschlossen“ waren (3,23), die Juden, die unter dem Zuchtmeister (3,24 f.) und wie Unmündige unter Vormündern und Verwaltern standen (4,1 f.) – diese Juden empfingen die Sohnschaft. Und indem Gott in Israel Heil schuf, kam dann auch der Segen Abrahams in Christus Jesus zu den Nationen, so dass alle Anrecht auf das Erbe erlangten. 30 Als Ergebnis dieses ersten Durchgangs können wir festhalten: Dass Jesus ein Mann war, ist für Paulus zwar ‚an sich‘ kein Thema und er zieht aus dem Mannsein Jesu auch keine Konsequenzen für innergemeindliche Strukturen und Hierarchien. Theologisch relevant für ihn ist aber das jüdische Mannsein Jesu. An der Tatsache, dass Jesus ein jüdischer beschnittener Mann war, macht Paulus die Einbindung des Sohnes Gottes in die Heils- und Verheißungsgeschichte Israels und in den Bund Gottes mit Abraham fest, dessen Zeichen die Beschneidung männlicher Juden ist. Bemerkenswert ist, dass die Männlichkeit Jesu im Hinblick auf die Heilsgeschichte Israels relevant wird – nicht aber im Hinblick auf die Schöpfungsordnung. Dass der Sohn Gottes ein Mann ist, um die Vorrangstellung des Mannes zu unterstreichen, ist kein paulinischer Gedanke; dass der Sohn Gottes ein jüdischer Mann ist, um die Verheißungen Gottes an sein Volk zu bestätigen, dagegen schon.
3. Doxa und Pneuma: Der Leib des Auferstandenen bei Paulus Wir hatten bereits eingangs festgestellt, dass sich die Frage nach dem Mannsein Jesu im Falle der Paulusbriefe nicht auf den irdischen Jesus beschränken lässt, der „aus dem Samen Davids“ (1,3) und aus der „Wurzel Jesse“ (15,12) stammte, der ein „Diener der Beschneidung wurde, um die Verheißungen der Väter zu bestätigen“ (15,8), der „von einer Frau und unter das Gesetz geboren“ wurde (Gal 4,4 f.), 30
Dazu vgl. Weidemann, Auszug, 117–129.
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um die, die unter dem Gesetz stehen, vom Fluch des Gesetzes zu befreien und zu Söhnen und Erben zu machen. Dieser jüdische Mann ist am Kreuz gestorben, sein Leib wurde am Kreuz getötet (vgl. Röm 7,4) und begraben. Wenn Paulus im Anschluss dann aber bekennt, dass Christus am dritten Tage auferweckt wurde gemäß den Schriften (vgl. 1 Kor 15,4), stellt sich unmittelbar die Frage, ob der Auferweckte eigentlich ein Mann blieb, ob er als Mann auferweckt wurde – die Frage also, welches Geschlecht der Auferstandene laut Paulus hat. Im Gefälle unserer bisherigen Ausführungen ist damit das Problem impliziert, ob der Auferstandene laut Paulus nach wie vor (oder wieder) einen Männerkörper hat, ob der Auferstandene also eine Art von Leiblichkeit besitzt und – wenn ja – ob sich Paulus diesen Leib des Auferstandenen (noch oder wieder) geschlechtlich differenziert vorstellt. Damit sind wir von einem (vermeintlichen) Randbezirk der paulinischen Christologie direkt ins Zentrum seiner theologischen Anthropologie und Eschatologie geraten. Denn das ist ja tatsächlich eine gute Frage: Besitzt der Auferstandene nach Paulus eine Art von Leiblichkeit und wenn ja, welcher Art ist diese? Das ist auch deswegen eine gute Frage, weil Paulus ja nach eigener Auskunft den auferstandenen Herrn gesehen hat (1 Kor 9,1), der ihm als letztem erschienen ist (15,3–8). Hat Paulus also, haben Petrus, Jakobus und die diversen Gruppen von Osterzeugen also einen Mann gesehen? Leider gibt uns Paulus kaum Antwort auf die genannte Frage. Gar nicht äußert er sich direkt über das Geschlecht des Auferstandenen. Es dürfte Konsens sein, dass aus Christustiteln wie „Herr“ keine Schlüsse über das männliche Geschlecht des Auferstandenen gezogen werden können. Über seine Leiblichkeit finden sich nur an zwei Stellen seiner Briefe gewisse Informationen, die wir in einem ersten Schritt sichten. 3.1 Christi Leib der Herrlichkeit (Phil 3,21) Wir beginnen mit Phil 3,20–21. Wolfgang Schenk zufolge ist das „die einzige Stelle“, in der sich „eine explizite Aussage vom sōma des auferweckten Jesus“ findet. 31
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Schenk, Phil, 325, der allerdings mit Recht auf die indirekte Parallele 1 Kor 15,44 (s. u. 3.2) hinweist.
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Phil 3,20–21 20 a Denn unser Bürgerrecht (politeuma) ist in den Himmeln, b von woher wir auch den Retter erwarten, den Herrn Jesus Christus, 21 a der verwandeln wird unseren Leib (sōma) der Niedrigkeit b zu einem mit seinem Leib (sōma) der Herrlichkeit (doxa) gleichgestalteten, c nach der Wirkkraft (energeia), d mit der er sich auch alles unterwerfen kann. Diesem Text zufolge wird der Retter, der Herr Jesus Christus, aus der himmlischen ‚Bürgerschaft‘ kommen und unseren Leib der Niedrigkeit umwandeln, indem er ihn dem Leib seiner Herrlichkeit „gleichgestaltig (symmorphon) macht“, entsprechend der Kraft, mit der er sich auch das All unterwerfen kann (oder: … der Kraft, d. h. seine Macht, sich auch das All zu unterwerfen). 32 Joachim Gnilka betont mit Recht, dass mit sōma hier nicht der körperliche Bestandteil des Menschen im Gegensatz zum seelischen analog der griechischen Dichotomie bezeichnet wird, sondern die gesamte irdische Existenz, die durch die Körperlichkeit bestimmt ist, und zwar eine Körperlichkeit der Niedrigkeit. 33 Damit ist zweifellos die Sterblichkeit, Hinfälligkeit, Schwachheit des menschlichen Leibes angezielt, die sich nicht zuletzt in seiner Anfälligkeit für die Begierden des Fleisches zeigt (vgl. Gal 5,16–21 sowie 5,24). Was nun aber die Leiblichkeit des Auferstandenen angeht, so impliziert Paulus, dass der zur Parusie aus den Himmeln erwartete Christus einen „Leib der Herrlichkeit“ hat, also einen ganz von doxa konstituierten und geprägten Leib. Doxa heißt in diesem Zusammenhang „Herrlichkeit, Glanz, Strahlen, Ausstrahlung“ 34, daher kann man sagen, der Auferstandene trage ein „himmlisches Lichtkleid“ 35.
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Vgl. Standhartinger, Phil, 266: „Der aus der himmlischen Bürgerversammlung ausgesandte Retter Christus wird die Glaubenden in eine himmlische Gestalt verwandeln und damit in die politisch aktive himmlische Bürgerschaft (re-)integrieren.“ 33 Gnilka, Phil, 207. 34 Zur Semantik von „Herrlichkeit“ (kabod/doxa) vgl. die Synthese bei Schwindt, Gesichte, 102–105. 35 So Standhartinger, Phil, 264 f. An anderen Stellen spricht sie von einem
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Menschliche Sprache kommt hier offensichtlich an ihre Grenzen. In jedem Fall entspricht dem „Leib der doxa“ die Aussage, dass „die doxa Gottes auf dem Angesicht Jesu“ liegt (2 Kor 4,6). Und laut Röm 6,4 wurde Christus durch die doxa des Vaters von den Toten auferweckt. 36 Mit Recht betont daher Rainer Schwindt, dass der Auferstandene nicht nur Herrlichkeit und Kraft empfängt, sondern Herrlichkeit und Kraft wird. Doxa und Dynamis sind also „aktive Potenzen im Heilsgeschehen“. 37 Abgesehen von der Aussage, dass der Leib Jesu ganz von göttlicher Herrlichkeit durchstrahlt ist – aber was bedeutet wiederum das genau? –, kann man dem Text wenig entnehmen. Gar nicht entnehmen lässt sich ihm die Antwort auf die Frage, welche Geschlechtsmerkmale dieser „Leib der Herrlichkeit“ hat. Zwar spricht Paulus davon, dass unser Leib der Niedrigkeit gleichgestaltet wird mit seinem, also mit Christi Leib der Herrlichkeit. Doch impliziert das Possessivpronomen doch wohl keine geschlechtliche Prägung von Christi Herrlichkeitsleib. Ist es also nach wie vor ein Männerkörper – wenn auch ein von himmlischem Glanz durchpulster Männerkörper –, dem unsere geschlechtlich differenzierten Leiber angeglichen werden? 3.2 Christus als lebendigmachendes Pneuma (1 Kor 15,45) Es gibt noch eine zweite Passage, aus der sich vielleicht eine Schlussfolgerung über die Leiblichkeit des Auferstandenen ziehen lässt: In 1 Kor 15,45 schreibt der Apostel – im Anschluss an ein modifiziertes Zitat von Gen 2,7 – über den auferstandenen und erhöhten Christus, dass dieser „zu einem lebendigmachenden Geist“ wurde. 1 Kor 15,44–45 44 a Wenn es einen beseelten Leib (sōma psychikon) gibt, b (gibt es) auch einen vom Geist belebten (sōma pneumatikon). 45 a Wie geschrieben ist:
„dem Himmel angemessene[n] Lichtkleid“ (ebd.) oder von seiner „Glanzgestalt“ (ebd., 263). 36 Laut Wilckens, Röm II, 12, ist das eine singuläre Näherbestimmung der Auferstehung. 37 Schwindt, Gesichte, 190.
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b c
„Es wurde der erste Mensch, Adam, zu einer lebendigen Seele“ (Gen 2,7), (so wurde) der letzte Adam zu einem lebendigmachenden Geist.
Der aus Erde geformte Adam wurde durch die Einhauchung des Lebensgeistes (Gen 2,7) ‚nur‘ zu einer lebendigen Seele, ihm war das Leben also nicht wesenhaft zu eigen, sondern nur als Lebenskraft bzw. als ‚Seele‘ (psyche) verliehen – allerdings nicht im platonischen oder im späteren kirchlichen Sinne einer unsterblichen Seele. Adam besaß – wie alle adamitischen Menschen nach ihm – einen „beseelten Leib“, Paulus spricht vom sōma psychikon. Demgegenüber wurde Christus durch seine Auferweckung und Erhöhung zu einem lebendigmachenden Geist (pneuma), also zum Träger und Spender des göttlichen Geistes und damit selbst zum Lebensspender, 38 der die Gestorbenen lebendig macht (vgl. 15,22 sowie Röm 8,11). Dem entspricht, dass sowohl die bei der Parusie bereits verstorbenen als auch die dann noch lebenden Menschen einen „geistigen Leib“ (sōma pneumatikon) erhalten, also einen von Christus als dem lebenspendenden Pneuma umgestalteten und transformierten und von seinen Lebenskräften durchwirkten Leib. Christus kann dies tun, weil er selbst seit der Totenauferstehung wesenhaft pneuma und damit das Lebensprinzip und die göttliche Lebenskraft schlechthin ist. 39 Im Philipperbrief bezeichnet Paulus diese Lebenskraft als energeia (s. o.). Wenn Paulus dann vom auferstandenen Christus als dem „zweiten Menschen (deuteros anthrōpos) aus dem Himmel“ und als dem „Himmlischen“ (epouranios) spricht, dann stellt er ihn dem „ersten Menschen“, Adam, gegenüber, der „von der Erde, erdhaft“, eben „der Irdische“ (choikos) war (1 Kor 15,47–48). Auch in dieser Passage bleibt die Frage, ob „der zweite Mensch aus dem Himmel“ (noch) ein Mann ist, letztlich offen. Vermutlich kann man aus dem Kontext schließen, dass der auferstandene Christus bereits ein sōma pneumatikon besitzt, wie es den Gläubigen bei der Totenauferstehung verheißen ist. Das Stichwort pneuma deutet darauf hin, dass der Auferstan38
Zeller, 1 Kor, 512 f. Vgl. dazu noch 2 Kor 3,6 sowie Joh 6,63, außerdem Gal 6,8. Die Texte stehen in der Fluchtlinie von Ez 37,4–14. Wolter, Röm I, 473 Anm. 14 sowie 490, verweist noch auf JosAs 16,14; TestAbrA 18,11 und Apk 11,1.
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dene in eine Existenzweise eingegangen ist, in der seine dem Kreuzestod übergebene Leiblichkeit – einschließlich seiner männlichen Geschlechtsmerkmale – vollständig transformiert ist. Doch was bedeutet das für seine Männlichkeit? 3.3 Die zwei Körper des Königs Wir können abschließend festhalten, dass sich bei Paulus im Hinblick auf die Leiblichkeit Jesu Christi zwei unterschiedliche Aussagereihen finden, die auch strikt auseinanderzuhalten sind. Der ‚irdische‘ Jesus ist ein von einer Frau geborener jüdischer Mann aus der Nachkommenschaft Davids mit menschlich-leiblicher Verwandtschaft (Gal 1,18; 1 Kor 9,5). Er besaß ein sterbliches sōma mit männlichen Geschlechtsmerkmalen und war beschnitten. Demgegenüber hat der auferweckte und zur Rechten Gottes erhöhte Herr, den wir von den Himmeln erwarten, ein sōma, dem die Attribute „Herrlichkeit“ (doxa) und „Geist“ (pneuma) beigelegt werden, und er hat die Macht (dynamis bzw. energeia), die dem Tod verfallenen Körper der auf seinen Namen Getauften lebendig zu machen und an sein eigenes sōma anzugleichen. Dazwischen liegt der Kreuzestod des irdischen Jesus (vgl. Phil 2,8), 40 den Paulus insbesondere in Röm 6–8 als Akt physischer Vernichtung versteht: Wenn er in Röm 6,6 formuliert, dass „unser alter Mensch mitgekreuzigt wurde, damit das zur Sünde gehörende sōma vernichtet werde“, so liegt der Akzent zwar auf der Teilhabe der Getauften am Kreuzestod Jesu, aber es ist eben die Teilhabe an der Vernichtung des der Sünde unterworfenen Leibes, die sich bei der Kreuzigung Jesu vollzieht. Auch in Röm 7,4 geht es um den Anteil am Todesgeschick des Leibes Christi, wenn es dort heißt, dass die Glaubenden dem Gesetz gegenüber zu Tode gekommen sind „durch das sōma Christi“. 41 Und wenig später spricht der Apostel davon, dass Burchard, 1 Korinther, 214: „Der letzte Adam wurde πνεῦμα ζῳοποιοῦν in seiner Auferstehung, wie man doch wohl einlesen darf (Röm 1,4), das heißt, nachdem er ein Menschenleben bis zum Tod geführt hatte und also ein Nachkomme Adams als ψυχὴ ζῶσα gewesen ist.“ Der gewagte Folgesatz: „Erst als Auferstandener war er zu Ende erschaffen“, ist dann richtig, wenn man ihn streng auf den „Leib der Herrlichkeit“ bezieht, den der Auferstandene von Gott erhalten hat. 41 Vgl. Zeller, Röm, 132. 40
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„Gott seinen eigenen Sohn in die Gleichgestalt des der Sünde unterworfenen Fleisches und als Sündopfer sandte, und an diesem Fleisch die Sünde (zum Tod) verurteilte“ (Röm 8,3). 42 Aus diesen und anderen Passagen wird klar, dass Paulus im Hinblick auf die Leiblichkeit Jesu Christi stärker die Diskontinuität als die Kontinuität betont. Der Grund dafür liegt u. a. in der Hamartologie des Apostels, schließlich wird Paulus zufolge die ‚Sünde‘, die sich in den Begierden des Fleisches manifestiert (vgl. Röm 7,5), an eben dem Ort vernichtet, an dem sie ihre todbringende Herrschaft aufgerichtet hat. Denn da sich die Sünde unlösbar mit dem ‚Fleisch‘ verbunden hat, indem sie die hier lokalisierten ‚Begierden‘ ganz unter ihre Kontrolle gebracht hat, kann sie nur zusammen mit dem von ihr beherrschten Fleisch vernichtet werden. Dies muss uns hier nicht weiter beschäftigen. Stattdessen halten wir für unsere Fragestellung fest, dass sowohl die Aussagen des Apostels zur Leiblichkeit des Auferstandenen als auch seine Akzentuierung des Kreuzestodes Jesu als Vernichtung seines Körpers die Annahme einer Kontinuität von Jesu Geschlechtsmerkmalen nicht ungeprüft vorausgesetzt sein lassen. Die Frage lautet also: „Given the great difference between the mortal and resurrected bodies, what is the status of sexually differentiated body parts in this account?“ 43
4. Erster Umweg: Mit was für einem Leib kommen die Toten? (1 Kor 15,35–58) An dieser Stelle könnten wir unsere Untersuchung eigentlich einstellen, da Paulus jenseits von Phil 3,20–21 und 1 Kor 15,44–46 keine weiteren Hinweise auf die Leiblichkeit des auferstandenen Jesus liefert. Ob der Auferstandene (noch) ein Mann ist, ob Paulus bei der Formulierung der genannten Passagen einen wie auch immer zu denkenden männlichen Leib Christi im Blick hatte, lässt sich kaum sagen. Allerdings erhebt Paulus ja den Anspruch, er habe den auferstandenen Herrn gesehen (1 Kor 9,1–2), Christus sei ihm ebenso erschienen wie dem Petrus und dem Jakobus (1 Kor 15,3–8), Gott habe ihm seinen Sohn 42
Zu diesem schwierigen Text vgl. Wolter, Röm I, 474–482, der mit Recht auf die Parallelen zu Gal 4,4 und Phil 2,7 hinweist. 43 Petrey, Resurrection Body, 665.
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geoffenbart (Gal 1,15). 44 Und wie er in Phil 3,21 dem Auferstandenen einen „Leib der doxa“ zuordnet, so spricht er in 2 Kor 4,6 von der Erkenntnis der Herrlichkeit (doxa) Gottes auf dem Angesicht Jesu Christi. 45 Nun ist es einerseits mehr als fraglich, ob man diese Formulierungen unmittelbar für eine geschlechtliche Spezifizierung der Leiblichkeit des Auferstandenen auswerten kann, auch wenn sicherlich richtig ist, dass sich durch das Damaskuserlebnis für Paulus „das Sein als Ganzes“ erschließt. 46 Andererseits ist offensichtlich, dass Paulus jenes Wesen, das ihm visionär in überwältigender doxa erschienen ist, mit und als Jesus Christus identifizieren konnte, der einst als Mann lebte und nun zur Rechten Gottes erhöht ist.
Anstatt die Untersuchung an dieser Stelle mit wenig Erkenntnissen im Gepäck direkt ins Ziel zu führen, eröffnen die paulinischen Texte aber noch die Möglichkeit, einen ersten Umweg einzuschlagen, der in weitere Textkomplexe hineinführt, die zumindest indirekt für unsere Fragestellung auswertbar sind. Denn auch wenn uns der Apostel keine weiteren direkten Informationen über den Leib des Auferstandenen gibt, so äußert er sich doch an mehreren Stellen über die Leiber der auferweckten Toten. Dass dies wiederum auch christologisch relevant ist, zeigt ja Phil 3,20 f.: Denn wenn Christus die Leiber der Getauften umgestaltet und seinem eigenen Herrlichkeitsleib gleichgestaltet, dann kann man aus den Aussagen des Paulus über die Leiblichkeit der auferstandenen Gläubigen in gewisser Hinsicht und bei aller Vorsicht Schlussfolgerungen auf die Leiblichkeit des auferstandenen Christus ziehen. Dies gilt insbesondere für die Ausführungen des Paulus in 1 Kor 15. Jürgen Becker betont nämlich mit Recht, dass „man von ihnen, die doch die allgemeine Auferstehung der Toten im Blick haben, auch speziell auf Jesu Tod und Auferstehung schließen kann. Das ist möglich, ja sogar geboten, weil die Auferweckten dem zweiten Adam, also dem himmlischen Christus, entsprechen werden, so wie sie im irdischen Leben dem Protoplasten Adam gleich sind.“ 47 Damit hängt zusammen, dass Paulus hier (im Unterschied zu 1 Thess 4 und
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Dazu Schwindt, Gesichte, 248–255. Einen Reflex von 2 Kor 4,6 auf das Damaskuserlebnis nehmen viele an, vgl. exemplarisch Becker, Auferstehung, 158 f. 46 Schwindt, Gesichte, 188. 47 Becker, Auferstehung, 168. 45
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Röm 5) den Aspekt der Leiblichkeit ins Zentrum rückt. 48 Doch was bedeutet das für die geschlechtliche Differenz der Körper? 4.1 Männer aus Fleisch und Blut Tatsächlich widmet sich Paulus in der zweiten Hälfte von 1 Kor 15 ausführlich der Frage, wie die Toten überhaupt erweckt werden, und vor allem: mit was für einem Leib sie kommen (1 Kor 15,35). 49 Ob diese Fragen in der korinthischen Gemeinde wirklich gestellt wurden, ist unklar. In jedem Fall sind es gute Fragen, denn Paulus lässt ja keinen Zweifel daran, dass unser gegenwärtiger sterblicher Leib, unsere adamitische, dem Tod verfallene Leiblichkeit als solche gerade nicht zukunftsfähig ist: „Fleisch und Blut können das Königreich Gottes nicht erben, die Vergänglichkeit erbt nicht die Unvergänglichkeit“ (1 Kor 15,50). Oder mit dem 2. Korintherbrief: „Unsere irdische Zeltbehausung wird abgebrochen“ (2 Kor 5,1). 50 Dass der „sterbliche Leib“ des Menschen geschlechtlich in „männlich und weiblich“ differenziert ist, bedarf keiner weiteren Begründung. Wenn dem so ist, dann lässt sich die Fragestellung folgendermaßen modifizieren: Gehören die geschlechtlichen Unterschiede für Paulus zu „Fleisch und Blut“, die das Königreich Gottes nicht erben können? Immerhin bezeichnen „Fleisch und Blut“ laut Dieter Zeller ja den vergänglichen Menschen als solchen, der nur im Wechsel der Generationen – und also durch Geschlechtsverkehr und Fortpflanzung – existiert. 51 Und auf Jesus übertragen: Dass der irdische Jesus einen männlichen Körper hatte, leidet keinen Zweifel (s. o.). Dieser Körper des irdischen Jesus war aber gerade nicht der „Leib der Herrlichkeit“ des 48
Vgl. Dunning, Specters, 10: „in I Corinthians 15 Pauls uses the AdamChrist typology to explore the question of the body’s present and future destiny.“ 49 Ausführlich dazu Schwindt, Gesichte, 158–191. 50 Dazu Schmeller, 2 Kor I, 288–290. Die οἰκία τοῦ σκήνους bezieht sich auf das sterbliche, hinfällige σῶμα, καταλυθῇ meint den physischen Tod, das Ende dieses Leibes. Im Unterschied zu 1 Kor 15 ist hier stärker das Ende der leiblichen Existenzweise betont, weniger die Verwandlung des irdischen Leibes. 51 Zeller, 1 Kor, 519, verweist auf Sir 14,18 LXX: οὕτως γενεὰ σαρκὸς καὶ αἵματος, ἡ μὲν τελευτᾷ, ἑτέρα δὲ γεννᾶται. Die Stelle ist aufschlussreich durch die Verbindung von Tod und Geburt, d. h. von Sterblichkeit mit Sexualität und Fortpflanzung.
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Auferstandenen. Durch den Kreuzestod und seine Auferstehung wurde Jesus nicht nur zu einem lebendigmachenden Geist, sondern sein eigener „Leib der Niedrigkeit“ wurde in einen „Leib der Herrlichkeit“ transformiert. Was aber geschah mit den Geschlechtsmerkmalen, die den Körper des irdischen Jesus zu einem Männerkörper machten? Es liegt also nahe, sich den Aussagen des Apostels über die Leiblichkeit der Auferstandenen – die ja an die Leiblichkeit des Auferstandenen angeglichen werden – zuzuwenden. Der entscheidende Text für diese Fragestellung ist 1 Kor 15,35–58, denn hier geht es dem Apostel darum, die Totenauferstehung einerseits als leiblichen Vorgang zu bekräftigen, andererseits einzuschärfen, dass „die Art der Leiblichkeit sich grundlegend von den jetzigen Bedingungen körperlicher Existenz unterscheidet.“ 52 Weder bedeutet Auferstehung also das Eingehen einer vom verwesenden Körper getrennten Seele in den Himmel, noch einfach die Restitution menschlicher Leiblichkeit. Ersteres haben vielleicht die korinthischen ‚Auferstehungsleugner‘ behauptet und sich dabei auf die offensichtliche Absurdität der Vorstellung einer leibhaftigen Rückkehr der Verstorbenen ins irdische Dasein berufen. 53 Mit einer solchen Vorstellung wäre eine Restitution der Geschlechterdifferenz klar vereinbar: Verstorbene Männer kämen als auferweckte Männer von den Toten zurück. Dies würde natürlich insbesondere für Jesus gelten: Der Auferstandene wäre nach wie vor (oder wieder) ein Mann!
Exkurs: Männer im Himmel – Die Konzeption des Lukas Eine solche Vorstellung kann man an der lukanischen Konzeption festmachen, die aber offensichtlich apologetisch abgezweckt ist. Denn vielleicht setzt die lukanische narrative Fassung der Ostereignisse die paulinische Vorstellung voraus und reagiert auf sie oder auf ein bestimmtes Verständnis dieser paulinischen Vorgaben. Ein 52
Zeller, 1 Kor, 454. Vgl. dazu insgesamt Zeller, 1 Kor, 458 f. Laut Zeller lässt sich allerdings über die Vorstellungen dieser Korinther über ihre eigene Zukunft und das Schicksal ihrer Verstorbenen kaum etwas sagen. Greifbar sei nur die „heidnische Durchschnittsmentalität“, laut der der leibliche Tod eben das Ende des Lebens darstellt.
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Hinweis darauf sind die lexikalischen Parallelen zwischen Lk 24 einerseits und den oben besprochenen Passagen aus Phil 3,20 f. und 1 Kor 15,45 andererseits, nämlich insbesondere doxa und pneuma: Vom Eingehen des Christus „in seine Herrlichkeit (doxa)“ spricht der lukanische Jesus im Gespräch mit den Emmausjüngern in Lk 24,26. Dieses Eingehen Jesu in seine doxa ereignet sich offenbar bei „seiner Hinaufnahme“ (Lk 9,51, vgl. 24,51), also bei der Himmelfahrt. 54 Als der Auferstandene kurz darauf in die Mitte der Jünger tritt, werden diese bei seinem Anblick von Furcht ergriffen, da sie meinen, einen Geist (pneuma) zu sehen (24,36–37). Jesus wiederum fordert sie auf, ihn zu berühren und fragt rhetorisch, ob ein Geist (pneuma) Fleisch und Knochen habe wie er. 55 Dass Lukas hier statt von phantasma (Gespenst) von pneuma spricht, ist zumindest bemerkenswert. 56 Fast wirkt die Szene wie eine Art Replik auf die paulinische Charakterisierung des auferstandenen Christus als „lebenspendendes pneuma“ (1 Kor 15,45) mit einem „Leib der doxa“ (Phil 3,21) bzw. einem sōma pneumatikon (1 Kor 15,42–44). 57 Hinzu kommt, dass Lukas zwar vom Eingehen des Messias „in seine Herrlichkeit“ (24,26) spricht, nirgendwo aber den Gedanken einer Verwandlung, einer Transformation seiner Leiblichkeit andeutet. 58 Tatsächlich ist Lukas in Lk 24 „bestrebt zu unterstreichen, dass Christi Gegenwart eine ganz normale ist“ 59. Wenn der lukanische Auferstandene also Hände und Füße (und offenbar auch alles andere) 54
Laut Wolter, Lk, 783, ist „in seine Herrlichkeit eingehen“ Synonym zu „auferstehen und erhöht werden“. Das ist letztlich kein Widerspruch. Vgl. dazu auch Lk 9,31: Jesu ἔξοδος umfasst zwar auch „die Tage“ von Passion, Tod und Auferstehung, gipfelt aber in der Himmelfahrt. 55 Wolter, Lk, 790: „Das Fühlen von Jesu ‚Fleisch und Knochen‘ soll vielmehr deutlich machen, dass es sich wirklich um einen von den Toten Auferstandenen handelt und nicht um einen körperlosen Geist.“ 56 Codex Bezae D=05 liest in Lk 24,37 φάντασμα statt πνεῦμα. Bovon, Lk IV, 584 Anm. 27, verweist auf Apg 12,15 und 23,8–9, außerdem auf Josephus, Ant 13,416. 57 Mir ist rätselhaft, wie Bovon Lk IV, 586, formulieren kann, dass Lukas den Gedanken des Paulus übernimmt, die Auferstehung müsse körperlich sein, um persönlich sein zu können. 58 Vermutlich sind die Erzählzüge der gehaltenen Augen (Lk 24,16) und des verzögerten Erkennens (24,36–43) ein schwacher Nachhall des Verwandlungsmotivs. 59 Bovon, Lk IV, 578.
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hat und zeigt, wenn er „Fleisch und Knochen“ hat, wenn man ihn nicht nur sehen, sondern auch betasten kann und er vor ihren Augen ein Stück gebratenen Fisch isst (24,36–42), wenn der so Auferstandene dann in den Himmel hinaufgetragen (24,51), wenn er emporgehoben und von einer Wolke verdeckt wird (Apg 1,11) – dann sitzt jetzt offenbar tatsächlich ein Mann im Himmel. Ein Mann, den Stephanus, Hananias und Paulus dann ja auch zu sehen bekommen: So sieht Stephanus „den Himmel geöffnet und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen“ (Apg 7,56). Zu Hananias wiederum spricht der Herr im Kontext einer „Erscheinung“ (9,10). Und Paulus sieht den erhöhten Jesus, als er während des Gebets im Tempel in Verzückung gerät (22,17 f.). Lukas betont also zweifellos „die Leibhaftigkeit der Auferstehung“ 60, entscheidend ist aber das Fehlen des Verwandlungsmotivs und genau hier liegt der Unterschied zu Paulus! Dieses Fehlen des Verwandlungsmotivs wird dadurch flankiert, dass eine (auch nur anfanghafte) Verwesung des Leichnams Jesu im Grab ausdrücklich ausgeschlossen wird: Denn „sein Fleisch schaute nicht die Verwesung“ (Apg 2,31). 61 Weder körperliche Verwesung noch Verwandlung beeinträchtigt hier das Mannsein Jesu. Dazu passt, dass Jesus in der Apostelgeschichte zweimal ausdrücklich als Mann (anēr) bezeichnet wird, nämlich von Petrus und von Paulus, und zwar in beiden Fällen im Kontext einer ausdrücklich an „Männer“ adressierten Rede. 62 In der Pfingstpredigt sagt Petrus: „Männer (andres), Israeliten, hört diese Worte: Jesus, den Nazoräer, einen Mann (anēr), der von Gott euch gegenüber erwiesen wurde durch Machttaten und Wunder und Zeichen …“ (Apg 2,22). Hier rekurriert Petrus auf den irdischen Jesus, daher ist dessen Bezeich60
Bovon, Lk IV, 586, im Hinblick auf die Präsentation von Händen und Füßen, die ja aus Knochen gebildet und von Fleisch umgeben sein müssen. 61 Mit der Formulierung ἡ σὰρξ αὐτοῦ εἶδεν διαφθοράν präzisiert der lukanische Petrus die zuvor zitierte LXX-Fassung von Ps 16,10 (= Ψ 15,10): οὐδὲ δώσεις τὸν ὅσιόν σου ἰδεῖν διαφθοράν. Auch der lukanische Paulus zitiert Ps 15,10 LXX in Apg 13,35, reformuliert den Psalmvers dann so: ὃν δὲ ὁ θεὸς ἤγειρεν, οὐκ εἶδεν διαφθοράν (Apg 13,37). 62 Die Anrede ἄνδρες („Männer“) findet sich sehr häufig in den Reden der Apostelgeschichte (Apg 1,11.16; 2,14.22.29.37; 3,12; 5,35; 7,2; 13,15.16.26.38; 14,15; 15,7.13; 17,22; 19,25.35; 21,28; 22,1; 23,1.6; 27,10.21.25; 28,17), man kann sagen, dass dieses Buch von Reden durchzogen ist, die von Männern an Männer gerichtet werden. Dass sich meistens auch Frauen unter den Zuhörern befinden (vgl. nur 17,34), ist davon unbenommen.
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nung als Mann noch nicht auffällig. Anders dann im Falle des Paulus: Dieser wendet sich auf dem Areopag in Athen an die „Männer (andres), Athener“ (17,22) und kommt am Ende der Rede auf das Endgericht Gottes zu sprechen. Dieser werde zu einem festgesetzten Tag „den Erdkreis richten in Gerechtigkeit durch einen Mann (anēr), den er dazu bestimmt hat …“ (17,31). Den athenischen Männern gegenüber bezeichnet Paulus demnach den zum Gericht wiederkommenden Herrn ausdrücklich als Mann. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang auch die lukanische Fassung der Verklärungsperikope (Lk 9,28–36). Charakteristisch für diese ist, dass Petrus, Jakobus und Johannes die Herrlichkeit (doxa) Jesu zu sehen bekommen (9,32). Sie sehen aber auch Mose und Elija, die in Herrlichkeit (doxa) erscheinen, und diese beiden werden zweimal ausdrücklich als „zwei Männer (andres)“ bezeichnet (9,30.32). 63 Männer wie Elija, der noch vor seinem Tod einer Himmelfahrt gewürdigt wird (2 Kön 2,11 f.), behalten in der himmlischen doxa also ebenso ihre geschlechtliche Identität wie Männer, die wie Mose gestorben sind und begraben wurden (Dtn 34,5 f.). Weder in der markinischen noch in der matthäischen Fassung der Verklärungsperikope ist von Männern oder von doxa die Rede. 64 Demgegenüber bringt Lukas das Stichwort doxa offensichtlich deswegen in die Verklärungsgeschichte ein, um den Bogen zur Emmausgeschichte (24,25–27) zu schlagen. 65 Und im Unterschied zu Markus und Matthäus, laut denen Jesus „verwandelt“ (metamorphousthai) wird, erzählt Lukas nur, dass der Anblick seines Gesichtes anders (heteron) wurde und seine Kleidung weiß aufblitzte. 66 Die doxa bedeutet bei Lukas demnach gerade keine echte ‚Verwandlung‘ des Leibes! 67 63
Den zunächst schlafenden Jüngern bleibt verborgen, dass die beiden Männer mit Jesus über sein „Fortgehen, das er in Jerusalem erfüllen sollte“, sprachen, vgl. Wolter, Lk, 351.353. 64 Gleich zweimal fällt das Stichwort δόξα dagegen bei dem kurzen Rekurs auf die Verklärung Jesu in 2 Petr 1,16–18. 65 Wenn in Lk 24,27 „Mose und alle Propheten“ genannt werden, die „über ihn“ geschrieben haben, dass der Messias leiden und in seine Herrlichkeit eingehen musste (ἔδει παθεῖν τὸν χριστὸν καὶ εἰσελθεῖν εἰς τὴν δόξαν αὐτοῦ), dann entspricht das „Mose und Elija“, die auf dem Berg mit dem verklärten Jesus über seinen ‚Exodos‘ sprachen (ἔλεγον τὴν ἔξοδον αὐτοῦ). 66 Vgl. Wolter, Lk, 352. Der Text von Lk 9,29 lautet: καὶ ἐγένετο ἐν τῷ προσεύχεσθαι αὐτὸν τὸ εἶδος τοῦ προσώπου αὐτοῦ ἕτερον καὶ ὁ ἱματισμὸς αὐτοῦ λευκὸς ἐξαστράπτων.
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Vgl. Lk 21,27 (vgl. Mk 13,26 par Mt 25,31).
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4.2 Der eigene und eigentliche Leib Im Gegenüber zu Lukas lässt sich nun die paulinische Konzeption schärfer profilieren. Dafür kehren wir zu 1 Kor 15,35–58 zurück. Eine Schlüsselfunktion für die gesamte Passage haben die Verse 15,35–38: 1 Kor 15,35–38 35 a Aber wird jemand sagen: b wie werden die Toten auferweckt? c Mit was für einem Leib (sōma) jedoch kommen sie? 36 a Unvernünftiger! b Was du säst, wird nicht lebendig, c wenn es nicht stirbt. 37 a Und was du säst – nicht den Leib (sōma), der werden soll, säst du, b sondern ein nacktes Samenkorn c beispielsweise von Weizen oder von irgendeinem der übrigen (Gewächse). 38 a Gott aber gibt ihm einen Leib (sōma), b wie er gewollt hat, c und einem jeden der Samen einen eigenen [ihm zukommenden] Leib (sōma). Man kann sagen, dass Paulus die in V. 35 gestellte Frage erst ab V. 42 beantwortet, denn erst dort wendet er die zuvor entfalteten Ausführungen über die Schöpfung (V. 36–41) auf die Totenauferstehung an: „Ebenso (ist) auch die Auferstehung der Toten“. 68 Um diesen Vergleich mit der Totenauferstehung vorzubereiten, verdeutlicht der Apostel zunächst anhand von Beispielen aus der Schöpfung, mit was für einem Leib der Mensch stirbt und begraben wird, und mit was für einem Leib der Mensch aufersteht. 69 Den menschlichen Leib, der stirbt und begraben wird, vergleicht Paulus zunächst mit einem nack1 Kor 15,42: Οὕτως καὶ ἡ ἀνάστασις τῶν νεκρῶν … Mit Recht betont Burchard, 1 Korinther, 222 f., dass 1 Kor 15,36–41 „kein Gleichnis oder Bild, auch keine Naturanalogie“ darstellt. „Es ist eine echte Parallele. […] Paulus stellt in V. 36–41 als Naturerfahrung fest, daß in der Schöpfung alle Geschöpfe werden, indem ein Same stirbt und Gott ihm seinen arteigenen Leib gibt. Er behauptet in V. 42–49, daß dieses Grundgesetz der
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ten Samenkorn, das in die Erde gesät wird und stirbt, und das dann von Gott mit einem ihm zukommenden Leib ausgestattet wird. 70 Der Apostel betont, dass nicht der Leib (sōma) gesät wird, der entstehen wird, sondern: gesät wird ein nacktes Korn (kokkon), 71 sei es von Weizen oder einer der übrigen (Getreidearten). Wenn dieses Korn dann stirbt, gibt Gott ihm den Leib, der werden soll, den Leib, den er gewollt hat. Dies ist keineswegs ein natürlicher Vorgang, sondern der neue Leib ist Ergebnis der Schöpfungsmacht Gottes. 72 Gott erschafft dem gestorbenen ‚Korn‘ aber nicht nur eine neue Leiblichkeit, vielmehr erhält jeder Samen seinen eigenen (idion), d. h. den ihm zukommenden, den für ihn von Gott schon immer vorgesehenen Leib. Pflanzen entstehen also laut 1 Kor 15,38 so, dass ein ‚nackter‘ Samen gesät wird, der stirbt, und Gott dann dem Gesäten den Leib gibt, den er immer schon für ihn vorgesehen hatte, seinen ‚je eigenen‘ Leib. Allerdings wird dieser arteigene Leib erst nach dem Tod des zuvor gesäten „nackten Korns“ erschaffen. Da im Hinblick auf den Menschen die Analogie zu den Pflanzen – die ja kein ‚Fleisch‘ haben – nicht ausreicht, fügt Paulus den Abschnitt 15,39–41 an: Zunächst legt er anhand der Menschen, des Viehs, der Vögel und der Fische dar, dass es verschiedene Arten von Fleisch gibt, um dann die irdischen Leiber (eben Mensch und Tier) den himmlischen Leibern (nämlich den Gestirnen) gegenüberzustellen. Bereits innerhalb der Schöpfung gibt es also irdische und himmlische Leiber. Während jene aus verschiedenen Arten von Fleisch bestehen, die jeweils eine eigene doxa haben, 73 bestehen diese nur aus Licht bzw. Schöpfung, auf gestorbene Christen angewandt, bedeutet, daß sie als σῶμα πνευματικόν auferstehen werden.“ 70 Zum Verständnis von ἑκαστῷ ἴδιον σῶμα als „jedem einen arteigenen Leib“ (im Unterschied zum individualisierenden „jedem seinen individuellen Leib“), vgl. Burchard, 1 Korinther, 207. Anders Heß, Es ist noch nicht erschienen, 320, laut der die „‚irdische‘ Orientierung an ‚Gattungen‘ im himmlischen Äon in einer überbordenden Leiberfülle aufgeht, die selbst noch Gattungsgrenzen zu transzendieren vermag“. 71 Zum „nackten Korn“ vgl. Hiob 1,21; Ps 49,18, Koh 5,14; 1 Tim 6,7. Vielleicht spielt Paulus auch auf die Nacktheit Adams und Evas in Gen 2,25 und 3,7 (mit 3,21) an. 72 Vgl. Schrage, 1 Kor IV, 287, laut dem Gottes Schöpfermacht auch in der Totenauferstehung am Werk ist (vgl. Röm 4,17), auch wenn an der Selbigkeit des Objektes festgehalten werde, an dem Gott handelt. 73 Allerdings begründet im Falle von Menschen und Tieren die σάρξ die Un-
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doxa. Paulus sieht also den ‚eigenen Leib‘, den Gott für die Menschen vorgesehen hat, in den „himmlischen Leibern“ der Gestirne vorgebildet, die ganz aus doxa, also aus Glanz, Ausstrahlung, Schönheit, Herrlichkeit bestehen. 74 Bis zu seinem Tod hat ein getaufter Christusgläubiger (und eine getaufte Christusgläubige!) also ein sōma psychikon, einen beseelten Leib – und bei der Auferstehung wird ihm und ihr ein sōma pneumatikon gegeben. Christoph Burchard betont mit Recht, dass erst das sōma pneumatikon jenes schöpfungsgemäße sōma sein wird, das Gott für den Menschen als dessen eigenes sōma vorgesehen hat. 75 Denn Paulus zufolge hat Gott den Menschen „von vorneherein als sōma psychikon und sōma pneumatikon gewollt“. 76 Genauer: Er hat den Menschen als sōma psychikon erschaffen und mit kreatürlichem Leben ausgestattet, um ihm dann ein sōma pneumatikon zu geben. 4.3 Das Bild des Irdischen und das Bild des Himmlischen Gegen Ende seiner Ausführungen „stellt Paulus sicher, dass die zukünftige pneumatische Existenzweise in einer abbildhaften Gleichheit mit dem himmlischen Christus besteht […], Christen also aus der irdischen Bestimmtheit durch Adam in die vom Himmel her kommende neue Bestimmtheit durch Christus überführt werden.“ 77 1 Kor 15,48–49 48 a Wie der Irdische beschaffen (ist), b so beschaffen (sind) auch die Irdischen, c und wie beschaffen der Himmlische (ist), d so beschaffen (sind) auch die Himmlischen. terschiede zwischen ihnen, (nicht die δόξα), im Falle der Himmelskörper liegt der Unterschied in der jeweiligen δόξα (Burchard, 1 Korinther, 208 f.). 74 Vgl. Burchard, 1 Korinther, 208. Dieser neue Leib bestehe aus δόξα, „Lichtsubstanz“. 75 Burchard, 1 Korinther, 212: „In den Worten von v. 38 muß das σῶμα πνευματικόν das schöpfungsgemäße ἴδιον σῶμα sein, das Gott der Samenart σῶμα ψυχικόν gibt, nachdem sie in der Erde vergangen ist.“ 76 Burchard, 1 Korinther, 213. Es geht in 15,46–49 also um „zwei aufeinander folgende Abschnitte der menschlichen Existenz mit ganz verschiedener Seinsqualität“. 77 Becker, Auferstehung, 166.
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Und wie wir getragen haben das Bild (eikōn) des Irdischen, werden wir tragen auch das Bild (eikōn) des Himmlischen.
Wie wir das Bild (eikōn) des Erdhaften, nämlich des aus Erde erschaffenen Adam – des „Staubgeborenen“ 78 – getragen haben, so werden wir auch das Bild (eikōn) des himmlischen Menschen, also Christi, tragen. Die eikōn des Irdischen ist eben „Fleisch und Blut“, die das Reich Gottes nicht erben. Demgegenüber ist die eikōn des Himmlischen „konkret die pneumatische Leiblichkeit des Auferweckten, die die ihm Zugehörigen anziehen werden.“ 79 Deswegen werden im Falle der Christusglaubenden dieselben Menschen nacheinander erst durch Adam und dann durch Christus qualifiziert. 80 Mit der einen eikōn ist die andere aber bereits mitgesetzt – analog zum Samenkorn, das zwar sterben muss, das (erst) dann aber von Gott den für ihn immer schon bestimmten Leib erhält! Der Leib, als der gestorbene Christinnen und Christen auferweckt werden, ist Paulus zufolge also „der von Gott bei der Schöpfung für sie bestimmte und ihnen eigentümliche Leib“ 81. Da aber „wir“ alle, also Männer wie Frauen, die eikōn Adams tragen (vgl. 15,49a), stellt sich die Frage, inwiefern diese „eikōn des Irdischen“ geschlechtsspezifisch konnotiert ist. Bei der Formulierung
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So Schrage, 1 Kor IV, 311 f. Zeller, 1 Kor, 517. Vgl. Burchard, 1 Korinther, 217: „[D]ie εἰκών des jeweiligen Stammvaters zu tragen, heißt im Klartext: zunächst σῶμα ψυχικόν und dann σῶμα πνευματικόν sein. Paulus drückt sich aber wohl nicht ohne Grund metonymisch aus. Was immer εἰκών noch bedeutet, es bedeutet jedenfalls auch, daß die sie Tragenden mit dem Stammvater nicht nur Eigenschaften gemeinsam haben (und womöglich welche wie ἐπουράνιος, die auch andere σώματα besitzen), sondern das ganze spezielle Wesen, das ihr σῶμα von anderen unterscheidet.“ 80 Vgl. Zeller, 1 Kor, 516: „V. 49 erläutert, dass es sich um ein Nacheinander bei denselben Subjekten handelt.“ 81 Burchard, 1 Korinther, 209, und weiter: „und zwar für sie als Art, wenn man so biologistisch formulieren darf, nicht individuell für jeden einzelnen Auferweckten.“ Ebd., 210: „was er sein wird, ist mit dem Toten, der begraben wird, festgelegt, wenn auch nicht in ihm angelegt.“ Burchard betont ebd., 217 daher mit Recht, „daß der zweite Mensch die von Gott immer schon gewollte Überholung des ersten ist […]. Das σῶμα πνευματικόν ist unser schöpfungsgemäßes ἴδιον σῶμα, das uns als Menschen vollendet, aber wir erreichen es erst in Zukunft, wenn wir nicht mehr σῶμα ψυχικόν sind.“ 79
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von V. 49a hat Paulus ja offenbar Gen 5,3 im Blick. 82 Dort heißt es, dass Adam nach seiner idea (= Aussehen, äußere Erscheinung, Gestalt) und nach seiner eikōn einen Sohn zeugte, dem er den Namen Seth gab. 83 Adam als Vater gibt also durch geschlechtliche Zeugung seine Gestalt und sein Bild an den Sohn weiter. In dieser Hinsicht gehört die geschlechtliche Differenzierung demnach unlösbar zum eikōn-Begriff: eikōn Adams ist eben sein Sohn Seth. Es gibt aber keinen Grund, den in Gen 5,4 genannten Söhnen und Töchtern (!) jede eikōn-Qualifizierung abzusprechen, auch wenn der Text dazu schweigt. Vermutlich haben die Töchter mittelbar am eikōn-Sein Adams Anteil, analog zur aus seiner Seite genommenen Eva. Entscheidend ist, dass die eikōn durch Geschlechtsverkehr und Fortpflanzung weitergegeben wird, was die geschlechtliche Differenzierung der menschlichen Körper voraussetzt. Auch für Paulus tragen zweifellos Männer wie Frauen die eikōn des Irdischen, zumal er wie alle Leser der Genesis die über Adam verhängte Rückkehr zur Erde im Tod (Gen 3,19 LXX) auf Männer wie Frauen beziehen musste. Allerdings kann man aus 1 Kor 11,7 den Schluss ziehen, dass Männer und Frauen diese gemeinsame eikōnQualifizierung unterschiedlich realisieren (s. u. Punkt 5.). 4.4 Tod und Verklärung Wie aber findet der ‚Übergang‘ vom „nackten Korn“ zu dem von Gott für jeden vorgesehenen „eigenen Leib“ statt? Klar ist zunächst, dass der Mensch sterben muss. 84 Der Tod ist einerseits Verhängnis und Tragödie, andererseits – seit dem Tod Christi – die Voraussetzung dafür, dass dem Menschen eine ganz andersartige Leiblichkeit geschenkt wird. Allerdings: „Sterben muss der ganze Mensch (15,36.50). Keine Entität des Menschen (besitzt von Haus aus oder) kann im Leben vor dem Tod Todesresistenz erlangen. Und als ganzer Mensch, und das in pneumatischer Wirklichkeit einschließlich seiner Leib-
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So auch Schrage, 1 Kor IV, 311; Zeller, 1 Kor, 517, sowie Schwindt, Gesichte, 180 f.190. 83 Gen 5,3 LXX: καὶ ἐγέννησεν κατὰ τὴν ἰδέαν αὐτοῦ καὶ κατὰ τὴν εἰκόνα αὐτοῦ καὶ ἐπωνόμασεν τὸ ὄνομα αὐτοῦ Σηθ. 84 Zeller, 1 Kor, 520. Und weiter: „Ob noch lebendig oder schon tot: Die Menschen sind nie unmittelbar Empfänger der Unvergänglichkeit.“
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lichkeit, wird er auch durch Gottes Auferweckung in die Vollendung eingehen (15,42–44).“ 85 Was aber ist mit jenen, die die (nahe) Parusie des Herrn noch „im sterblichen Leib“ erleben, die also nicht gestorben und verwest sind und demnach keine Totenauferstehung erwarten können? Auch für die dann noch lebenden Menschen gilt ja, dass ihr Fleisch und Blut die basileia Gottes nicht erben können und dass ihre vergänglichen Leiber nicht die Unvergänglichkeit erben (vgl. 15,50). An dieser Stelle bringt Paulus nun das Motiv der Verwandlung ein, 86 und zwar in Gestalt eines mysterion, das er ebenso in der ersten Person Plural formuliert wie zuvor schon V. 49: Hatte er dort geschrieben: „Und ebenso wie wir die eikōn des Irdischen getragen haben, so werden wir auch die eikōn des Himmlischen tragen“, so heißt es jetzt: „Alle werden wir nicht entschlafen, alle aber werden wir verwandelt werden.“ (15,51) Umstritten ist, ob Paulus damit sagen will, dass auch die Toten verwandelt werden, oder ob man die unklare Satzkonstruktion so zu verstehen hat, dass nur alle bei der Parusie lebenden Getauften verwandelt werden – da die Gestorbenen ja von den Toten erweckt werden. 87
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Becker, Auferstehung, 163. Allerdings wäre an Becker die Frage zu richten, ob nicht doch das seit der Taufe vom göttlichen pneuma durchdrungene pneuma des Menschen eine gewisse Kontinuitätsbrücke darstellt, schließlich soll der ‚Unzüchtige‘ laut 1 Kor 5,5 dem Satan zur Vernichtung der σάρξ übergeben werden, damit das pneuma beim Endgericht gerettet werde. Dass das pneuma des getauften Unzuchtstäters die Vernichtung des Fleisches (durch den Tod, wie auch immer dieser herbeigeführt wird) übersteht, ist deutlich. 86 In 1 Kor 15,51 f. formuliert Paulus die Verwandlung mit ἀλλάσσειν, in 2 Kor 3,18 steht μεταμορφοῦσθαι, in Phil 3,21 μετασχηματίζειν. Die Verwandlung der Getauften bei der Parusie könnte auch im ἐπενδύσασθαι („überkleidet werden“) von 2 Kor 5,2 angedeutet sein, vgl. Schmeller, 2 Kor I, 292: Es gehe um eine Verwandlung bei der Parusie ohne vorangehenden Tod (im Bild: ohne Ablegen des irdischen Gewandes). Deutlich vorsichtiger äußert sich der Apostel gegenüber den römischen Christen, denen er bislang unbekannt ist, in Röm 8. Dort spricht er davon, dass „wir auch mitverherrlicht“ werden (8,17) und dass sich „Herrlichkeit an uns offenbaren wird.“ (8,18), sodann von der „Erlösung des Leibes“ (8,23). Allerdings formuliert er in 8,29, dass wir dazu bestimmt sind, dem Bild seines Sohnes gleichgestaltet zu werden, so dass dieser zum Erstgeborenen unter vielen Brüdern werde. 87 Vgl. Burchard, 1 Korinther, 221: „die Toten werden auferstehen ἄφθαρτοι, das heißt als σῶμα πνευματικόν, ‚wir‘ werden direkt dazu verwandelt werden.“
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Allerdings sollte man bei der Diskussion darüber nicht 1 Kor 15,3–5 vergessen. Demzufolge ist Jesus „auferweckt worden am dritten Tag“. Unter der Voraussetzung, dass Paulus diese Zeitangabe nicht symbolisch verstanden hat, war der Leib Jesu bei der Auferstehung also keineswegs bereits verwest. 88 Da der Begriff der Verwandlung in 1 Kor 15,51 f. „auch etwas vorauszusetzen scheint, das verwandelt wird“ 89, könnte Paulus gerade durch die Art des Damaskuserlebnisses zu den Erwägungen von V. 50–58 inspiriert worden sein. Jesus Christus erschien ihm weder als wiederbelebter Leichnam „mit Fleisch und Knochen“ (vgl. Lk 24,39) und männlichen Geschlechtsmerkmalen noch als körperloser Geist, sondern „verwandelt“ mit einem „Leib der Herrlichkeit“.
Leider thematisiert Paulus die Geschlechterdifferenz weder im Hinblick auf das sōma psychikon (wo sie zweifellos vorausgesetzt ist) noch im Hinblick auf das sōma pneumatikon: „The apostle does not explicitly address the future of gender or sexuality in the resurrection.“ 90 Laut Benjamin H. Dunning hängt dies mit der Adam-ChristusTypologie zusammen, in deren Rahmen der Apostel die Leiblichkeit der Auferweckung thematisiert, scheint er hier doch – auf den ersten Blick! – zwei Männer einander gegenüberzustellen: „sexual difference simply does not fit in any obvious or uncomplicated way into a theology of creation and resurrection grounded in an Adam-Christ typology.“ 91 Wenn 1 Kor 15,48 f. zufolge Männer wie Frauen die eikōn des Irdischen tragen, die körperliche Geschlechterdifferenz also zu der von Adam (und Eva) herkommenden, der Sünde und dem Tod verfallenen leiblichen Existenzweise gehört, welche Rolle spielt die Geschlechterdifferenz dann noch in der eikōn des Himmlischen, „die wir tragen werden“? Wenn diese eikōn eine andere, neue, von doxa und pneuma geprägte Leiblichkeit impliziert, was bedeutet das dann für die den alten, überwundenen, transformierten Körper prägende Geschlechterdifferenz? Dass auch sie in die Verwandlung einbezogen ist, der die bei der Parusie noch lebenden (und analog die bereits gestorbenen) Christusgläubigen unterworfen werden, scheint naheliegend. 88
Ausdrücklich heißt es dann in Apg 2,31, dass Christi Fleisch die Verwesung nicht schaute (vgl. Apg 2,27 = Ps 16,10). 89 So Zeller, 1 Kor, 464. 90 Petrey, Resurrection Body, 664. 91 Dunning, Specters, 13.
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5. Zweiter Umweg: Männer und Frauen im christlichen Kult (1 Kor 11,2–16) Um hier zumindest etwas mehr Klarheit zu bekommen, müssen wir noch einen zweiten Umweg einschlagen, in diesem Fall einen Umweg über die Genesis. Es ist ja unbestreitbar, dass das sōma psychikon des adamitischen Menschen geschlechtlich differenziert ist, dass es also „männlich und weiblich“ ist. Denn schließlich erschuf Gott die Menschen „männlich und weiblich“ (Gen 1,27), was wiederum die Voraussetzung für Fruchtbarkeit und Fortpflanzung ist (1,28). Wie aber beurteilt Paulus die in der Genesis erzählte Geschlechterdifferenzierung? Auf dem Hintergrund der bislang vorgenommenen Textbeobachtungen, sind die Implikationen einer Antwort deutlich: Wenn Gott den Menschen letztlich schon immer so haben wollte, wie er uns im Auferstandenen als eikōn Gottes am Ende der Zeit entgegenkommen wird, dann ist die Frage virulent, ob dieser vollendete Mensch ein Mann ist, oder ob die Geschlechterdifferenz mitsamt dem sterblichen sōma psychikon vergehen wird. 5.1 Der Mann als Haupt der Frau (1 Kor 11,3) Entscheidende Hinweise auf sein Verständnis der Genesis liefert Paulus ebenfalls im 1. Korintherbrief, nämlich bei der Begründung seiner Anordnung, dass sich Frauen beim Gebet und bei der Prophetie das Haupt bedecken sollen, Männer dagegen nicht (1 Kor 11,2–16). Männer und Frauen sollen sich an der Haartracht und an der Bedeckung des Hauptes äußerlich voneinander unterscheiden. 92 Oder anders formuliert: Kleidung und Haartracht sollen der Tatsache entsprechen, dass auch getaufte Christusgläubige nach wie vor „männlich und weiblich“ sind. Uns interessiert hier die schöpfungstheologische Begründungslinie für die in V. 3 entworfene hierarchische Überordnung des Mannes über die Frau, 93 die in dem Satz kulminiert: Das Haupt (kephalē) der Frau aber ist der Mann (3d). 92
Die schwierige Diskussion, ob es in 1 Kor 11,2–26 um Kopfbedeckung, Frisur oder Haarlänge geht, kann hier auf sich beruhen bleiben. Vgl. dazu im Einzelnen Zeller, 1 Kor, 350–363, außerdem Taschl-Erber, Genesis-Rezeption. 93 Zeller, 1 Kor 354, betont mit Recht, dass Paulus „die Überordnung des
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1 Kor 11,3 3 a Ich will aber, b dass ihr wisst: c Eines jeden Mannes Haupt (kephalē) ist Christus, d Haupt (kephalē) der Frau aber der Mann, e Haupt (kephalē) Christi aber Gott. Innerhalb der in V. 3 entworfenen Ordnung ist keineswegs der Mann die oberste Instanz: „Das Haupt eines jeden Mannes ist Christus“ (3c), und Christi Haupt wiederum ist Gott. Diesem Verhältnis entspricht der Sohn durch Gehorsam (Phil 2,8; Röm 5,19) und Unterwerfung (1 Kor 15,28). 94 Was Paulus hier nicht ausdrücklich erwähnt, aber doch zweifellos voraussetzt, ist die Tatsache, dass diese hierarchische Geschlechterordnung von Mann und Frau – ebenso wie ihrer beider Sterblichkeit! – die Folge der Übertretung des Paradiesgebots und keineswegs eine Art ‚natürlicher Ordnung‘ ist. Denn in Gen 3,16 heißt es an die Frau gerichtet: „Und zu deinem Mann soll deine Hinwendung sein, und er wird über dich herrschen.“ 95 Eben diese Aussage, dass der Mann über die Frau Herr ist, er über sie ‚herrscht‘, reformuliert Paulus mit dem Nominalsatz 3d: „Haupt der Frau aber [ist] der Mann“. Aus der (mit dem Verb kyrieuein formulierten) Ausübung von Herrschaft in Gen 3,16 wird ein statisch-hierarchisches Verhältnis. Vermutlich vermeidet Paulus in 1 Kor 11,3 aber auch deswegen das in Gen 3,16 LXX benutzte Verb kyrieuein, weil er das Verhältnis von Gott zu Christus passender mit dem Substantiv kephalē („Haupt“) anstatt mit kyrieuein („beherrschen“) formulieren wollte. Mannes über die Frau als Geschlechtswesen“ behaupte, nicht unbedingt in der Ehe. 94 Zeller, 1 Kor, 354. Vgl. Schrage, 1 Kor II, 504: „Schon von seinem Ursprung her ist auch der Mann nicht sein eigenes Haupt, trotz des ihm von der Schöpfung zugewiesenen κεφαλή-Seins gegenüber der Frau. Zudem ist auch Gott als κεφαλή des Christus relational und nicht ontologisch zu verstehen (vgl. 3,23).“ 95 In der LXX lautet Gen 3,16: καὶ πρὸς τὸν ἄνδρα σου ἡ ἀποστροφή σου, καὶ αὐτός σου κυριεύσει. Laut Gertz, Gen, 143, stellt der Erzähler „die in seine Gesellschaft selbstverständliche Vorherrschaft des Mannes als Daseinsminderung“ dar. Wenn es in 1 Kor 14,34 heißt, Frauen sollen sich „unterordnen (ὑποτασσέσθωσαν), wie auch das Gesetz sagt“, dann bezieht sich das ebenfalls auf Gen 3,16.
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5.2 Der Mann als Ebenbild und Abglanz Gottes (1 Kor 11,7–8) In 1 Kor 11,7–9 begründet Paulus dann, warum sich der Mann bei Gebet und Prophetie nicht das Haupt verhüllen darf, obwohl die Übertretung des Gebots doch beide betraf. Der Mann nämlich ist eikōn und doxa Gottes. 1 Kor 11,7–8 7 a Denn zwar darf der Mann sein Haupt nicht verhüllen, b da er Abbild (eikōn) und Abglanz (doxa) Gottes ist; c die Frau aber ist Abglanz (doxa) des Mannes. 8 a Denn nicht [stammt] der Mann aus der Frau, b sondern die Frau aus dem Mann. 9 a Es ist auch nicht der Mann für die Frau erschaffen, b sondern die Frau für den Mann. Streng in der Fluchtlinie von Gen 1–3 (und ohne jede Christologisierung) bezieht Paulus die Gottesebenbildlichkeit hier auf den Mann. 96 Dabei schweigt er sich darüber aus, ob die Frau ebenfalls eikōn Gottes ist. Abgesprochen wird es ihr jedenfalls nicht ausdrücklich, allerdings auch nicht ausdrücklich zugesprochen. Abgesprochen wird ihr allerdings, dass sie sozusagen unabhängig vom Mann doxa Gottes sein kann. Vielmehr gilt, dass die Frau doxa des Mannes ist (7c). 97 Die Frau wird also ganz dem Mann zugeordnet. Dass sie eikōn des Mannes ist, sagt Paulus wohl deswegen nicht, da eikōn auch „Abbild“ im äußerlichen Sinne bedeuten kann 98 und das Wort angesichts der körperlichen Geschlechterdifferenz von Mann und Frau kaum geeignet ist. Die folgenden Ausführungen des Apostels machen deutlich, dass er diese Gedanken aus seiner Lektüre von Gen 2 zieht: Die doxa der Frau leitet sich deswegen vom Mann ab, da „die Frau aus dem Mann“ (11,8, vgl. Gen 2,23) und „um des Mannes willen“ geschaffen wurde (11,9; vgl. Gen 2,18). Paulus kommt vermutlich deswegen auf diese 96
Ist das ein Widerspruch zur sonst von Paulus vertretenen Auffassung, dass Christus die εἰκὼν τοῦ θεοῦ ist (2 Kor 4,4; Röm 8,29) und die Gläubigen erst bei der Parusie diese Ebenbildlichkeit erhalten? 97 Vgl. dazu Sir 17,3 und Spr 11,16 LXX. 98 Vgl. Lindemann, 1 Kor, 243.
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Idee, weil die Frau ja in Gen 2 keinen ‚eigenen‘ Odem des Lebens von Gott erhält (Gen 2,7). Die aus Adam genommene Frau hat sozusagen an dem ihm gegebenen Lebensodem Anteil. Paulus liest Gen 1,26 f. also – wie andere Juden der Antike auch 99 – in Verbindung mit Gen 2. Wenn es dort heißt: „Lasst uns einen Menschen machen nach unserem Bild und nach Ähnlichkeit“ 100, dann bezieht Paulus das auf die Erschaffung Adams in Gen 2,7. Die Aussage „männlich und weiblich schuf er sie“ (1,27) bezieht er dagegen auf Gen 2,21–25. Dabei kommt ihm die Formulierung von Gen 1,27 LXX gelegen, wo im Singular von einem Menschen die Rede ist, den Gott erschaffen will. Hinzu kommt, dass in Gen 5,1–3 LXX die Ebenbildlichkeit ausdrücklich nur auf Adam bezogen und klar von der Ausdifferenzierung der Menschen in männlich und weiblich abgehoben wird: „An dem Tag, an dem Gott Adam machte, machte er ihn (!) nach dem Bild Gottes. Männlich und weiblich machte er sie (!), und er segnete sie“. 101 Und laut Gen 5,3 zeugte Adam im Alter von 130 einen Sohn „nach seiner Gestalt (idea) und nach seinem Bild (eikōn), und er nannte seinen Namen Seth“ 102. An die Stelle göttlichen Schaffens und Benennens tritt nun die männliche Zeugung und Benennung der Nachkommen. Man kann sagen: „Die Gottesebenbildlichkeit pflanzt sich fort“ 103, aber eben über die Zeugungsaktivität des Mannes hin zu seinen Söhnen. 104 Da Adam neben weiteren Söhnen aber auch Töchter zeugt (Gen 5,4), dürften auch diese an der Ebenbildlichkeit
99
Rabbinische Parallelen dafür bei Zeller, 1 Kor, 357 f. Allein der Mann ist
εἰκών Gottes, Paulus fügt hier gegen die Genesis aber noch die δόξα hinzu und
meint damit offenbar Glanz, Abglanz, eventuell auch Schönheit (vgl. damit die
δόξα der Himmelskörper in 15,40 f., aber auch Ps 8,5: τί ἐστιν ἄνθρωπος […] δόξῃ καὶ τιμῇ ἐστεφάνωσας αὐτόν). 100 Gen 1,26 LXX: Ποιήσωμεν ἄνθρωπον κατ᾽ εἰκόνα ἡμετέραν καὶ καθ᾽ ὁμοίωσιν. 101 Gen 5,1 f. LXX: ᾗ ἡμέρᾳ ἐποίησεν ὁ θεὸς τὸν Αδαμ, κατ᾽ εἰκόνα θεοῦ ἐποίησεν αὐτόν·(!), ἄρσεν καὶ θῆλυ ἐποίησεν αὐτοὺς (!) καὶ εὐλόγησεν αὐτούς. 102 Gen 5,3 LXX: καὶ ἐγέννησεν κατὰ τὴν ἰδέαν αὐτοῦ καὶ κατὰ τὴν εἰκόνα αὐτοῦ καὶ ἐπωνόμασεν τὸ ὄνομα αὐτοῦ Σηθ. 103
Gertz, Gen, 197. Dass dies mit den antiken Zeugungstheorien zusammenhängt, die von einer weiblichen Eizelle nichts wussten, ist offensichtlich, kann hier aber nicht vertieft werden.
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Adams partizipieren, wenn auch in anderer Weise als die Söhne. Aber dazu schweigt der Text. Zurück zur Argumentation des Paulus, der hier geradezu subtil zu navigieren scheint. Einerseits sollen Männer und Frauen bei den Gemeindeversammlungen den seit dem Ausschluss des Menschen aus dem Paradies herrschenden Geschlechterunterschieden und -hierarchien äußerlich – und nur äußerlich! – entsprechen, weil sie eben Männer und Frauen sind. Genauer gesagt: Sie sind Männer und Frauen, weil ihre „sterblichen Leiber“ geschlechtlich differenziert sind. Denn auch wenn Männer und Frauen durch den Glauben an Christus und die Taufe auf seinen Namen bereits „in Christus sind“, haben sie nach wie vor ein männliches oder ein weibliches sōma psychikon. Und diese körperliche Differenzierung in „männlich und weiblich“ bedeutet seit der Übertretung von Gottes Gebot nicht nur einen Geschlechterunterschied, sondern ein von Gott verfügtes (!) hierarchisches Verhältnis: die Herrschaft des Mannes über die Frau (Gen 3,16), die sich auch „im Herrn“ noch darin verlängert, dass der Mann das Haupt der Frau ist (1 Kor 11,3). 5.3 Männer und Frauen im Herrn (1 Kor 11,11–12) Andererseits betreffen die genannten hierarchischen Unterschiede nur die körperlichen Gegebenheiten und die damit unlösbar verbundene geschlechtsspezifische Bekleidung bzw. Haartracht. Unabhängig von diesen körperlichen Unterschieden, die sich in Kleidung und Haartracht manifestieren, beten und prophezeien Männer und Frauen im christlichen Kult ohne Unterschied (1 Kor 11,4–5). 105 Deswegen ergänzt der Apostel in 1 Kor 11,11 f. seine geschlechtsspezifischen Kleidungsvorschriften:
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Analog sollen sich Männer und Frauen in der Ehe gegenseitig ihre sexuellen Bedürfnisse erfüllen und haben jeweils Vollmacht über den Leib des Ehepartners, vgl. 1 Kor 7,3–4. Dass 1 Kor 11,4–5 in eklatantem Widerspruch zu 1 Kor 14,33b–35 steht, sieht auch Zeller, 1 Kor, 444, obwohl er von einem Nachtrag aus paulinischer Hand ausgeht (dazu ebd., 443–447). Dies bleibt eine klare Minderheitenposition. Eine nicht-paulinische Interpolation vermutet dagegen Lindemann, 1 Kor, 315–321, laut dem der Widerspruch zwischen 1 Kor 11,4– 5 und 14,33b–35 keinesfalls aufzulösen ist.
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1 Kor 11,11–12 11 a Aber im Herrn ist weder die Frau ohne den Mann, b noch der Mann ohne die Frau. 12 a Wie nämlich die Frau aus dem Mann, b so auch der Mann aus der Frau. c Alles aber ist aus Gott. „Im Herrn“, also im Raum der durch das Christusereignis begründeten „Neuen Schöpfung“ (2 Kor 5,17; Gal 6,15), sind Mann und Frau unhierarchisch aufeinander bezogen (was allerdings etwas anderes ist als Egalität!), wobei auch hier der Aspekt des geschlechtlich differenzierten Körpers im Fokus steht: Eva wurde aus einer dem Adam entnommenen Rippe geformt, und jeder Mann wird von einer Frau geboren. Dieses reziprok-komplementäre Verhältnis der durch Kleidung und Haartracht sichtbar voneinander unterschiedenen Männer und Frauen bezieht sich allerdings auf ihr gegenwärtiges Miteinander in der christlichen Gemeinde – und ist gerade keine Aussage über ihr Verhältnis nach der Totenauferstehung.
6. Dritter Umweg: „Nicht mehr männlich und weiblich“ (Gal 3,28) Verborgen in den Fußnoten seines instruktiven Aufsatzes zu 1 Kor 15 stellt Christoph Burchard die richtige Frage: „Adams Erschaffung sollte weitergehen, aber seine Sünde brach sie ab (anders Sap 9,2 f.; 10,1, wo die Weisheit sie vollendet). Was bedeutet das für das Verhältnis von Gal 3,28 zu Gen 1,27?“ 106 Wie viele Geistesblitze blieb auch diese Frage leider unbeantwortet. Versuchen wir auf dem letzten unserer Umwege eine Antwort. Tatsächlich ist der Hinweis auf Gal 3,28 gerade im Zusammenhang unserer Frage nach der geschlechtlichen Differenzierung des Auferstehungsleibes instruktiv, denn die Passage könnte den entscheidenden Hinweis darauf enthalten, dass die Unterscheidung in „männlich und weiblich“ mit der Totenauferstehung bzw. der Verwandlung der Leiber endet bzw. überstiegen wird.
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Burchard, 1 Korinther, 214 Anm. 43. Einleitend dazu stellt er fest, dass Adam nicht zur Sterblichkeit erschaffen wurde.
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Gal 3,27–28 27 a Denn die ihr auf Christus getauft wurdet, b ihr habt Christus angezogen. 28 a Es gibt weder Jude noch Grieche, b es gibt weder Sklave noch freier Mensch, c es gibt nicht ‚männlich und weiblich‘ (Gen 1,28). d Alle nämlich seid ihr einer in Christus! Zunächst sind die Tempusrelationen des Textes zu beachten. V. 27 spricht mit zwei Verben im Aorist von der bereits zurückliegenden Taufe der Glaubenden und dem „Anziehen“ Christi: Wie ein neues Kleid zieht der auf Christus Getaufte Christus als seine eschatologisch-pneumatische Wirklichkeit an, 107 und wie ein Kleid macht „Christus“ die in den Leibern der Getauften manifesten Unterschiede der überwundenen Existenz wesenlos. 108 „Indem die Gläubigen in einer Art eschatologischer Travestie (1 Kor 15,53 f.; 2 Kor 5,2–4) Christus ‚anziehen‘, werden sie mit ihrer gesamten Existenz in die Heilssphäre Christi inkorporiert.“ Damit „ereignet sich ein radikaler Identitätswechsel, der die Geschlechtsidentität subversiv entfixiert.“ 109 Die in V. 28 folgenden Präsensformen 110 zeigen dann eindeutig, dass Paulus gegenwärtige Sachverhalte anspricht und keineswegs auf eine zukünftige Aufhebung leiblicher Unterschiede abhebt. Durch das ‚Anziehen‘ des einen Christus bei der Taufe sind alle – Juden und Heiden, Sklave und Freie sowie Männer und Frauen – einer in Christus, und deswegen erlangen „sie“ (d. h. eigentlich erlangt „er“) Anteil an der Verheißung an Abraham, die ja „dem Samen“ gilt, nämlich Christus (Gal 3,16). Dass „ihr alle einer seid in Christus“ 111, ist also zweifellos eine gegenwärtige Erfahrung. Allerdings ist der Sitz im Leben von Gal 3,28 107
Mußner, Gal, 263, bei dem allerdings der körperliche Aspekt in V. 28 ganz fehlt. 108 Mußner, Gal, 263, spricht wenig glücklich vom „Einheitskleid“, aber richtig ist, dass dieses ‚Kleid‘ die körperlichen Unterschiede, die es bedeckt, nivelliert. 109 Heß, Es ist noch nicht erschienen, 311. 110 Das dreimalige οὐκ ἔνι in 28abc steht für οὐκ ἔνεστιν (BDR § 98.4) und bedeutet „Es gibt nicht“ (vgl. 1 Kor 6,5; Kol 3,11; Jak 1,17). Den Abschluss bildet das Präsens ἐστε in V. 28d. 111 Dass es in Gal 3,27–28 um die Einheit von Verschiedenem und nicht um
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nur noch undeutlich erkennbar. Daher ist umstritten, in welchen Kontexten des Gemeindelebens die in Gal 3,28 formulierte Vision tatsächlich erfahrbar war. Michael Wolter beispielsweise verweist auf die Gottesdienste der Gemeinde, bei denen die Unterschiede zwischen Juden und Nichtjuden, zwischen Freien und Sklaven und zwischen Männern und Frauen „in Christus“ keine Bedeutung mehr hatten: „Der Gottesdienst wird damit zu derjenigen sozialen Institution, in der es möglich wird, die ‚in Christus‘ bestehende Sinnwelt in soziale Wirklichkeit zu transformieren. Und es ist damit auch der Gottesdienst, in dem die ‚neue Schöpfung‘ von Gal 6,15 konkrete Gestalt gewinnt.“ 112 Stärker von V. 27 her sieht Daniel Boyarin die „ecstatic experience at baptism“ 113 als die Situation, in der das in Gal 3,28 Ausgesagte tatsächlich erfahren wurde. Heinrich Schlier wiederum formuliert, dass „die aus dem alten Äon stammenden metaphysischen, geschichtlichen und natürlichen Unterschiede sakramental, d. h. aber verborgen und real aufgehoben“ sind. 114 Wie dem auch sei, entscheidend ist, dass alle drei in Gal 3,28 genannten hierarchischen Unterschiede auf der körperlich-sichtbaren Ebene weiter bestehen, solange die Getauften „im sterblichen Leib“ sind, ein Leib, der die Signatur der genannten Unterschiede trägt. Dies gilt natürlich insbesondere für die geschlechtliche Differenzierung in „männlich und weiblich“. 115 Gerne übersehen wird aber, dass die körperliche Dimension auch bei den ersten beiden der drei genannGleichheit geht, betont Økland, Letters, 318–320 mit Recht. Pointiert: „Unity can be based on equality, but it can also be based on hierarchy“ (ebd., 319). Letzteres dürfte in Gal 3,28 der Fall sein. 112 Wolter, Paulus, 263. Und weiter: „Nur in ihm konnten die Gemeinden erfahren, was Paulus in 1 Kor 10,17 schreibt: ‚Wir – die vielen – sind ein Leib.‘ In der alltagsweltlichen Wirklichkeit außerhalb des Gottesdienstes blieben die genannten Unterschiede natürlich weiterhin in Geltung.“ Ebd., 264, betont er im Hinblick auf Gal 3,28, dass der Unterschied zwischen Mann und Frau nur innerhalb des sozialen Raumes des christlichen Gottesdienstes mit seiner außeralltäglichen Wirklichkeit aufgehoben ist. 113 Boyarin, Jew, 186. Auch Heß, Es ist noch nicht erscheinen, 309–312, bezieht Gal 3,28 auf die Taufe. 114 Schlier, Gal, 174. 115 Vgl. Boyarin, Jew, 195: „Paul holds that ontologically – according to the spirit – there is a permanent change in the status of gender at baptism, but insofar as people are still living in their unredeemed bodies, gender transcendence is not yet fully realized on the social level – according to the flesh. Perhaps we might say, that final realization awaits the Parousia.“
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ten Gegensatzpaare von entscheidender Bedeutung ist. Das gilt für die „am Fleisch“ vorgenommene Beschneidung (vgl. Röm 2,28), die die Einteilung der Menschheit in „Juden von Natur“ und „Sünder aus den Heiden“ (vgl. Gal 2,15) körperlich sichtbar macht, 116 auch wenn nur Männer die Träger des Bundeszeichens sind. Dies gilt aber ebenfalls für die Unterscheidung von Sklaven und Freien, die in den antiken Diskursen – auch – am Leib festgemacht wurde. 117 Auffällig ist, dass Paulus in anderen Zusammenhängen sowohl die Unterscheidung von Juden und Nichtjuden (Gal 2,15) als auch die Unterscheidung von Mann und Frau (1 Kor 11,14 f.) 118 mit der Natur (physis) in Verbindung bringt. Dass er dies im Falle der Sklaven unterlässt, dürfte wohl Zufall sein.
In Gal 3,28 postuliert Paulus also die Einheit der auf Christus Getauften ohne die Privilegien, Status-Unterschiede und Hierarchien, die sich gerade (auch) an den menschlichen Körpern manifestieren – und zwar trotz der weiterhin bestehenden leiblichen Verfasstheit aller Beteiligten. Obwohl der Christusglaube und die Taufe auf den Namen Jesu nichts an den „sterblichen Leibern“ mit ihren körperlichen Unterschieden ändern – weder an Beschnittenheit und Vorhaut, noch am 116
In Gal 2,15 sagt Paulus, dass er und Petrus „von Natur Juden und keine Sünder aus den Heiden“ (Ἡμεῖς φύσει Ἰουδαῖοι καὶ οὐκ ἐξ ἐθνῶν ἁμαρτωλοί) seien. Belege für φύσις als natürliche Herkunft bei Mußner, Gal, 168 Anm. 3. 117 Vgl. dazu Glancy, Knowledge, 56: „the practice of slavery was predictably – but not deterministically – embodied. […] the practice of slavery conditioned bodies that were typically legible as either slave or free. Moreover, inhabitants of that world expected to be able to read the bodies they encountered in order to know how to treat each person encountered: with deference, with respect, or with a superior air.“ Ebd., 56–65 bietet sie eine Reihe von antiken Beispielen, wie Sklavenkörper durch Armut, Arbeit, sexuelle Ausbeutung oder Strafen ‚geformt‘ wurden und sich von denen freier Menschen unterschieden. Hinzu kommen Tätowierungen oder Brandzeichen als Eigentumsvermerke. Zum Sklavenkörper vgl. die klassische Passage bei Aristoteles, Politik I 5 (v. a. 1254b 20– 40). 118 Vgl. dazu auch Röm 1,25–27, denn die Differenzierung des sexuellen Verkehrs „gemäß der Natur“ (κατὰ φύσιν) von jenem „gegen die Natur“ (παρὰ φύσιν) hängt direkt mit der körperlichen Differenzierung der Menschen in „Weibliche und Männliche“ zusammen, dem die körperliche Komplementarität der Geschlechtsorgane entspricht. Entsprechend handelt es sich beim „natürlichen Gebrauch der Frau“ (Röm 1,27) um die heterosexuelle vaginale Penetration.
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Sklavenkörper, und erst recht nicht an den körperlichen Geschlechterdifferenzierungen – haben diese Unterschiede „in Christus“ jede Heilsbedeutung und auch ihre hierarchische Über- und Unterordnung verloren. Aber weil der Christusglaube und die Taufe auf den Namen Jesu nichts an den „sterblichen Leibern“ mit ihren körperlichen Unterschieden ändern, kann die ‚neue Schöpfung‘ im Gottesdienst offenbar nur punktuell-ekstatisch oder punktuell-liturgisch realisiert und erfahren werden. Nun liefert aber gerade die Proklamation, dass „in Christus“ alle genannten Unterschiede und Hierarchien aufgehoben sind – und zwar trotz der weiterbestehenden körperlichen Differenzierungen zwischen den Gruppen – das entscheidende Argument dafür, dass diese Erfahrungen eine endzeitliche Realität punktuell-proleptisch vorwegnehmen. Dann aber ist es schlicht undenkbar, dass die genannten Markierungen der sōmata psychika auch die sōmata pneumatika der von den Toten auferstandenen und verwandelten Getauften prägen sollten. 119
7. Fazit: Mehr als nur ein Mann Kehren wir nach den drei Umwegen zur Ausgangsfrage zurück. Liest man – wie hier geschehen – Phil 3,20–21 und 1 Kor 15,45–46 in Verbindung mit 1 Kor 15,35–58, 1 Kor 11,2–16 und Gal 3,27–28, dann ist es kaum vorstellbar, dass sich Paulus die Leiblichkeit des auferstandenen Christus noch geschlechtlich differenziert – und also als verklärten Männerkörper – vorgestellt hat. Über weitere Einzelheiten kann man nur noch spekulieren. Vom paulinischen Verständnis der Genesis her dürfte es weniger um eine Art ‚Geschlechtslosigkeit‘ oder auch eine Androgynie 120 Christi gehen, als vielmehr um die Transformation, Aufhebung und Synthetisierung der damals im Garten Eden von Gott vollzogenen körperlichen Ausdifferenzierung des Menschen in Mann und Frau. Paulus las Gen 2,21–25 offenbar so, 119
Heß, Es ist noch nicht erschienen, 316, formuliert, dass auch das menschliche Geschlecht eschatisch einer identitätserneuernden Transformation bedarf. 120 Petrey, Resurrection Body, 665: „Perhaps for Paul, then, there is no male and female in the resurrection because the eschatological human being exhibits only androgyny.“ Dies müsste dann auch für den auferstandenen Christus selbst gelten.
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dass die Erschaffung der Frau aus dem Mann nicht schon das Ziel des Schöpfungshandelns Gottes darstellt, sondern dieses auf die (Wieder-)Vereinigung der beiden „zu einem Fleisch“ hinzielt (Gen 2,24) – nur dass Paulus dieses Ziel weder in der Ehe noch in der sexuellen Vereinigung von Mann und Frau erreicht sieht, sondern dann, wenn der auferstandene Christus unseren Leib der Niedrigkeit seinem Leib der Herrlichkeit gleichgestaltet (Phil 3,21) und wir dann die eikōn des Himmlischen tragen – und zwar Männer wie Frauen gleichermaßen. Wenn die voranstehenden Überlegungen plausibel sind, dann stellt Paulus in der Adam-Christus-Antithese gerade nicht zwei Männer einander gegenüber, sondern einen Mann und ein himmlisches Wesen, das die körperlichen Geschlechtsunterschiede transformiert und transzendiert hat. Hinzu kommt, dass es dem Apostel zufolge zwar ein Mann war, der an seinem Geschlechtsteil das Bundeszeichen trug und unter dem Gesetz stand, der „uns zugute“ den Kreuzestod erlitt, in dem Gott den der Sünde verfallenen Leib vernichtete und die Sünde am Fleisch verurteilte. Aber die durch die Auferweckung und Erhöhung Jesu heraufgeführte „neue Kreatur“ ist gerade kein restaurierter und perfektionierter Mann, sondern viel mehr. Der auferstandene Christus ist kein Mann (mehr) in dem Sinne, dass er keine Frau ist und einen von einem Frauenkörper unterschiedenen Männerkörper hat. Vielmehr sind in seinem „Leib der Herrlichkeit“ die hierarchischen Geschlechterdifferenzen verwandelt und aufgehoben – und eben so ist er Gottes Bild und trägt die Herrlichkeit Gottes auf seinem Angesicht (vgl. 2 Kor 4,6).
Epilog: Welchen Christus repräsentiert ein Priester? In der aktuell heiß diskutierten Frage, ob ein katholischer Priester deswegen ein Mann sein muss, weil er bei der Feier der Eucharistie Christus repräsentiert, der eben ein Mann war, erhalten die voranstehenden exegetischen Überlegungen eine gewisse Relevanz. So signalisieren Matthias Remenyi und Thomas Schärtl im Fazit eines jüngst erschienenen Beitrags zu diesem Thema schon durch die Wortwahl, in welchem Bereich der kanonischen Schriften sie ihr zentrales Argument zu verankern gedenken: „Wenn die eschatologische Wirklichkeit, auf die der Priester als Person verweist, wesentlich durch eine Transformation gekennzeichnet ist, verliert die Orientierung an der
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Zeichenfunktion der sogenannten Schöpfungsordnung notwendigerweise an Bedeutung“. Dieses von Paulus stammende Motiv endzeitlicher somatischer Transformation wird kurz darauf zur These zugespitzt: „Der Christus, den der Priester repräsentieren soll, ist immer auch der verherrlichte Christus“ 121. Die (erst) in der jüngeren Diskussion von lehramtlicher Seite gegen die Frauenordination ins Spiel gebrachte Argumentation mit dem männlichen Geschlecht Jesu wird damit unterspült. Aus den voranstehenden Ausführungen ergibt sich, dass es für diese Auffassung exegetisch insbesondere bei Paulus gute Gründe gibt. Allerdings hat der Seitenblick auf das Doppelwerk des Lukas gezeigt, dass Paulus nicht der einzige Autor des Neuen Testaments ist, der sich zur Männlichkeit Jesu nach seinem Tod und seiner Auferstehung äußert. Bei Lukas bleibt Jesus bis zum Ende aller Tage unverändert ein Mann. Weder Verwesung noch Verwandlung transformieren seinen männlichen Körper. Es wäre eine eigene Untersuchung wert, inwiefern jene eschatologischen Modelle, die eine Kontinuität der menschlichen Geschlechterdifferenz auch über die Totenauferstehung hinaus annehmen und die bleibende männliche Identität des Körpers Jesu behaupten, von lukanischen (statt von paulinischen) Texten inspiriert sind. Ob der hier greifbare Entwurf eschatologischer Kontinuität sowohl christologisch als auch amtstheologisch mehr überzeugt als die paulinische Transformations-Eschatologie, steht auf einem anderen Blatt.
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Remenyi/Schärtl, Normativität, 75. Remenyi und Schärtl berufen sich auf Gregor von Nyssa, bei dem sich in der Tat überraschende Aussagen zur eschatologischen Transformation der binären Geschlechterdifferenz finden. Gregor zufolge bleiben männlich und weiblich (vgl. Gen 1,28) bei uns Menschen keineswegs für immer erhalten, sondern sobald wir in Christus alle einer geworden sind, legen wir „die Zeichen dieses Unterschieds“ (τὰ σημεῖα τῆς διαφορᾶς ταύτης) zusammen mit dem ganzen alten Menschen ab (hom. in Cant. VII zu Cant 3,11; FC 16/2, 412, vgl. außerdem Gregor von Nyssa, hom. opif. XVI und XVII, PG 44, 177–192, v. a. 181–183). Zur geschlechtlichen Identität des auferstandenen Christus äußert sich Gregor an den genannten Stellen nicht direkt, allerdings liegt der Rückschluss auf ihn nahe.
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Christus im Bild des Bräutigams Biblische Ehemetaphorik und Geschlechterpolitik Andrea Taschl-Erber Zusammenfassung Das Bild des Bräutigams, das die Männlichkeit Jesu symbolisch überhöht, stellt in Christologie wie auch Ekklesiologie eine wirkmächtige Geschlechterkonstruktion dar. Aus Genderperspektive treten im Bildfeld Ambivalenzen zu Tage. Biblische Ehemetaphorik, ob auf JHWH oder auf Christus bezogen, wirkt in einer Verflechtung religiöser, sozialer und politischer Diskurse auf konkrete Geschlechterverhältnisse zurück, indem diese durch Rückgriff auf die theologische Ebene autorisiert werden. Wenn der göttliche Partner in der Geschlechtersymbolik androzentrischer Theologie und Anthropologie männliche Überlegenheit repräsentiert, werden mit den Gottes- und Christusbildern unterschwellig Geschlechterkonstruktionen transportiert, die zu einer Divinisierung männlicher Macht führen. Um die Verwendung des Bildfeldes im Neuen Testament zu kontextualisieren, wirft der vorliegende Beitrag zunächst einen Blick auf die ersttestamentlichen Prä- und Intertexte, insbesondere die prophetische Ehemetaphorik, welche die Liebesbeziehung Gottes mit seinem Volk als ehelichen Bund verbildlicht. Hier treten neben Heilsverheißungen des erneuerten Liebesbundes (z. B. Jer 31; Jes 54; 62) Bilder männlich-göttlicher Gewalt als Sanktionierung von Untreue (bes. Hos 1–3; Jer 2–3; Ez 16; 23). Paulus übernimmt die prophetische Metaphorik in 2 Kor 11,2, wenn er die Gemeinde als jungfräuliche Verlobte beschreibt. Der deuteropaulinische Epheserbrief entfaltet das Bildfeld explizit in der „Haustafel“ in Eph 5,21– 33. In der synoptischen Überlieferung begegnet die Metaphorik insbesondere im Kontext der Fastenfrage (Mk 2,19–20 par.; vgl. aber auch die Hochzeitsgleichnisse in Mt 22; 25). Dient in den Evangelien die Hochzeitsfeier zunächst als Bildspenderin für die messianische Heilszeit in der angebrochenen Gottesherrschaft, zeichnet sich in der christologischen Interpretation eine Verschiebung ab. Im Johannesevangelium zeigt sich auf impliziter Ebene eine narrative Entfaltung des Bildfeldes, die im Erzählkranz von Joh 2–4 subtil aufgebaut wird und an der Schwelle zur Passion (12,1–8) und in der österlichen Begegnung mit Maria von Magdala (20,1– 18) erneut begegnet. Die sich am Kreuz vollziehende Hochzeit des messianischen Bräutigams unterläuft dabei auch klassische Rollenerwartungen.
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Abstract The image of the bridegroom, which symbolically exaggerates Jesus’ masculinity, represents a powerful gender construction in Christology as well as in Ecclesiology that reveals ambivalences from a gender perspective. Biblical marriage metaphors, whether related to YHWH or to Christ, have, in an interweaving of religious, social, and political discourses, an impact on concrete gender relations by authorizing them through recourse to the theological level. If the divine partner represents male superiority in the gender symbolism of androcentric theology and anthropology, the images of God and Christ subliminally transport gender constructions leading to a divinization of male power. In order to contextualize the use of the image field in the New Testament, this contribution first takes a look at the First Testament pre- and intertexts, especially the imagery in the prophets depicting God’s love relationship with his people as a marital covenant. Here, images of male-divine violence as a sanction for unfaithfulness (esp. Hos 1–3; Jer 2– 3; Ezek 16; 23) appear alongside promises of salvation in the renewed covenant of love (e. g., Jer 31; Isa 54; 62). Paul adopts the prophetic imagery in 2 Cor 11:2 by transferring the bridal metaphor to the Corinthian community. The deuteropaulinic letter to the Ephesians explicitly unfolds the marital imagery in the household code in Eph 5:21–33. In the synoptic tradition, the bridegroom metaphor is encountered especially in the context of the fasting question (Mark 2:19–20 par.; but cf. also the wedding parables in Matt 22; 25). While in the Gospels the wedding feast as source domain initially targets at the messianic time of salvation in the dawn of God’s reign, a shift becomes apparent in the Christological interpretations. The Fourth Gospel unfolds the image of the bridegroom implicitly-narratively, building it up subtly in John 2–4 (see also 12:1–8 at the threshold of the Passion and 20:1–18). The wedding of the messianic bridegroom that takes place on the cross also subverts classical role expectations after all.
Eine in der Theologiegeschichte wirkmächtige Geschlechterkonstruktion in Christologie wie auch Ekklesiologie stellt die Metapher des Bräutigams dar, die Jesu Männlichkeit symbolisch überhöht. Welche Anhaltspunkte finden sich dafür im Neuen Testament? Wie ist die Metaphorik in ersttestamentliche Bildfeldtraditionen eingebettet? Welche Herausforderungen verbinden sich mit dem biblischen Bildfeld aus Genderperspektive? Diesen Fragen geht der vorliegende Beitrag nach. Biblische Ehemetaphorik, ob in der Hebräischen Bibel auf JHWH oder im zweiten, neutestamentlichen Teil der christlichen Bibel auch
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auf Christus bezogen, spiegelt menschliche Geschlechterbeziehungen, wie sie gelebt und erfahren – oder zumindest vom jeweiligen Autor perspektiviert werden. Zugleich wirkt sie in einer Verflechtung religiöser, sozialer und politischer Diskurse auf die Beziehungswelten zurück, indem diese durch die Inanspruchnahme der theologischen Ebene autorisiert werden. Wenn der männliche Part symbolisch durch den göttlichen Partner in der ehelichen Beziehung repräsentiert wird, wirft dies bezeichnendes Licht auf die dahinterstehenden Geschlechterkonstruktionen und prägt auch wiederum die reale Geschlechterpolitik – ob implizit oder, wie in der Haustafel des Epheserbriefs, auch mit expliziten Forderungen. Um die Verwendung des Bildfeldes im Neuen Testament kontextuell einordnen zu können, empfiehlt sich zunächst ein Blick auf die ersttestamentlichen Prä- und Intertexte, denen der erste Teil gewidmet ist (1.). Findet sich im ersten Kanonteil der Hebräischen Bibel das Thema des Liebesbundes insbesondere in der deuteronomischen Bundestheologie 1, wird die Liebesbeziehung Gottes mit seinem (!) Volk bei den Nebiim, in der Schriftprophetie, metaphorisch als ehelicher Bund verbildlicht. Daher liegt auch der Fokus der folgenden Textbeispiele auf der prophetischen Bildfeldtradition (ohne auf die behandelten Texte in diesem Rahmen im Detail eingehen zu können). 2 Für das Hohelied war die allegorische Auslegung der hier poetisch versprachlichten Geschlechterbeziehungen gemäß der wirkmächtigen prophetischen Ehemetaphorik wohl auch der Motor für dessen Kanonisierung: Die Prophetie stellte den Rahmen für die allegorische Deutung (spätestens ab dem 1. Jahrhundert unserer Zeitrechnung) 3 bereit. Für eine messianische Interpretation bildet wiederum die Hochzeit des gesalbten Königs in Ps 45 einen wichtigen 1
Liebe als eingeforderte Loyalität Israels wird hier parallelisiert zum Halten der Gebote (in Entsprechung zur Liebesrhetorik altorientalischer Vertragsterminologie): siehe z. B. Dtn 5,10; 7,9 etc. (explizit in Weish 6,18; vgl. auch Joh 14,15.21). 2 Ausführlich dazu z. B. Baumann, Liebe; Weems, Love; Abma, Bonds of Love; Moughtin-Mumby, Metaphors. Im vorliegenden Beitrag stehen die Rezeption des kanonischen Endtextes sowie darin gespiegelte Denkmuster und Argumentationszusammenhänge im Fokus, die komplexe Entstehungsgeschichte der einzelnen Texte mit ihren Überarbeitungsschichten kann hier nicht nachgezeichnet werden. 3 Vgl. Zakovitch, Hohelied, 95–97.
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Anhalts- bzw. Ausgangspunkt. Eine weitere Facette des Bildthemas ist in der Weisheitsliteratur zu finden, wo damit die Beziehung der Schüler:innen zur Weisheit ausgedrückt wird. 4 Im Neuen Testament (2.) findet sich die Bildlichkeit ansatzweise in der paulinischen (so beschreibt 2 Kor 11,2 „als literarisch ältester Beleg für eine metaphorische Zuweisung von Christus als Bräutigam“ 5 die Gemeinde als Verlobte in Aufnahme der ersttestamentlichen Brautmetaphorik für Israel) und in der synoptischen Überlieferung (Mk 2,19 f. par.). Im späteren Schrifttum wird sie explizit entfaltet, insbesondere etwa im deuteropaulinischen Epheserbrief als christologische Legitimation der „Haustafel“ in Eph 5,21–33. In dieser Linie spricht auch die Offenbarung von der Hochzeit des Lammes mit dem himmlischen Jerusalem als „Braut“ (nýmphe) bzw. „(Ehe-)Frau“ (gyné). 6 In der Evangelienüberlieferung zeichnet sich dabei im Bildfeld von Hochzeit, Bräutigam und Braut eine (christologische) Verschiebung ab. Zunächst dient die Hochzeitsfeier als Bildspenderin für die messianische Heilszeit in der angebrochenen Gottesherrschaft. An die prophetische Tradition anknüpfend verbildlichen die jesuanischen Bildworte und Gleichnisse diese mit hochzeitlicher Metaphorik (z. B. Mk 2,19 par.). In der späteren christologischen Interpretation wird Jesus selbst zum (messianischen) Bräutigam. Entsprechende allegorische Obertöne klingen wie schon in Mk 2,20 par. auch in der Parabel der Hochzeit des königlichen Sohnes in Mt 22 (vgl. demgegenüber das unspezifischere Setting in Lk 14) sowie beim sich verzögernden Bräutigam in Mt 25 7 an. Ebenso lassen sich in einer intertextuellen Lektüre allegorisierende Elemente in der erzählerischen Dramaturgie des Johannesevangeliums entdecken, narrativ-implizit im Hintergrund der Jesus-Darstellung bzw. der Braut-Typologie für die weiblichen Figuren: insbesondere am Beginn in Joh 2–4 (Hochzeit zu Kana, Bildwort des Täufers vom Bräutigam, Begegnung Jesu mit der Sama4
In Weish 8,2 beispielsweise sucht Salomo die Weisheit als Braut heimzuführen und beschreibt sich als „Liebhaber ihrer Schönheit“ (vgl. auch V. 9). In V. 3 rekurriert er auf Gottes Liebe zur Weisheit. 5 Zimmermann, Geschlechtermetaphorik, 324. 6 Siehe Offb 19,7.9; 21,2.9; 22,17. 7 In Lk 12,36 findet sich dagegen nur ein knapper Vergleich mit „Menschen, die auf ihren Herrn warten, wann er von der Hochzeit zurückkehrt, damit sie, wenn er kommt und anklopft, ihm sogleich öffnen“.
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ritanerin am Jakobsbrunnen), aber auch in Joh 12 (Salbung durch Maria in Betanien) oder Joh 20, wo (zumindest) die patristische Deutung der Ostermorgenerzählung vor der Hintergrundfolie des Hohelieds die Rezeptionsgeschichte prägte. Offen bleibt, ob die Metapher des Bräutigams als messianischer Titel verwendet wird 8 oder ob sie als hohe Christologie ein Bild Gottes übernimmt. 9 Neutestamentliche Textbeispiele werden im vorliegenden Beitrag einerseits aus der paulinisch-deuteropaulinischen Überlieferung (2 Kor 11,2; Eph 5,21–33), andererseits aus der synoptischen (Mk 2,19 f. par.) und johanneischen Überlieferung ( Joh 2–4; 12; 20) präsentiert.
1. Ersttestamentliche Ehemetaphorik In der sogenannten „Ehemetaphorik“ der Prophetie wird Israels Bundesverhältnis zu JHWH als (eheliche) Mann-Frau-Beziehung mit ausschließlichem Treue-Anspruch verbildlicht – neben alternativen Beziehungsmetaphern, beispielsweise einer liebe- und erbarmungsvollen Eltern-Kind-Beziehung (siehe Hos 11). Die weibliche Metaphorik von Städten und Ländern entspricht dem altorientalischen Kontext – die Personifikation von Städten findet sich geläufig in altorientalischer, biblischer und antiker Tradition. 10 Die prophetische Ausgestaltung der Metaphorik, die das Eheverhältnis angesichts eines Treuebruchs fokussiert, erweist sich dabei als ambivalent: Neben Heilsverheißungen, in denen JHWH als liebender, vergebungsbereiter Ehemann auftritt, begegnen problematische Texte, die eheliche Gewaltbeziehungen auf Gott und sein (untreues) Volk projizieren – und von daher wiederum sanktionieren. Es handelt sich um einen stark emotional gefärbten Bereich: Auf der einen Seite werden große 8
Zimmermann, Jesus, 367–373, diskutiert mögliche frühjüdische und rabbinische Belege (eindeutig, aber spät: PesR 37 als Homilie zu Jes 61,10). Siehe bereits ders., Geschlechtermetaphorik, 258–276. 9 So versucht Tait, Jesus, eine hohe Christologie für Mk zu entwickeln. 10 Dazu z. B. Maier, Tochter Zion. Im altorientalischen Kontext fungieren Städte als weibliche Partnerinnen männlicher Götter. Die altorientalische Ehemetaphorik beschreibt Fruchtbarkeit und Befruchtung des Landes in sexueller Bildsprache (vgl. die Wassermetaphorik in Jer 2 f.). Das Gegenbild stellt die unfruchtbare Wüste dar.
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Gefühle und Emotionen wie Liebe und Erbarmen, Eifersucht und Zorn beschrieben, auf der anderen Seite erzeugen die Bilder eine emotionale Wirkung, indem sie Beziehungserfahrungen aufrufen, ob Hoffnungen und Sehnsüchte, oder Enttäuschungen und Verletzungen. 11 1.1 Heilsprophetien des ewigen Liebesbundes Insbesondere wird die Wiederherstellung Israels nach dem Exil als erneuerter Liebes- bzw. Ehebund mit JHWH verbildlicht, etwa in der Heilsprophetie von Jer 31 (= 38 LXX): Der beim Exodus grundgelegten Beziehung bewahrt JHWH hier mit „ewiger Liebe“ (V. 3) 12 die Treue und baut „Jungfrau Israel“ wieder auf (V. 4). Bilder des Heils schließen sich an. Auf die Wehklage (V. 15) folgt die Verheißung der Rückkehr. Dabei verbinden sich mit der „Umkehr“ Zusage und prophetische Mahnung: „(21) Stell dir Wegweiser auf, setze dir Wegmarken, richte dein Herz auf die Straße, auf den Weg, den du gegangen bist! Kehre um, Jungfrau Israel, kehre um in diese deine Städte! (22) Wie lange willst du dich hin und her wenden, du abtrünnige Tochter? Denn JHWH erschafft Neues im Land: Die Frau 13 wird den Mann umgeben.“
Deuterojesaja präsentiert die verwüstete Stadt bzw. das verödete Land als unfruchtbare, einsame, kinderlose Frau, 14 deren Bild der Ausgangssituation großer Mütter in der Erzähltradition Israels entspricht (von den zunächst unfruchtbaren „Erzmüttern“, Sara, Rebekka, Rahel und Lea, bis zur Mutter Simsons und Hanna, der Mutter Samuels). Das Leid kinderloser Frauen wird als Bildspender auf die Situation
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Vgl. Baumann, Liebe, 46. Jer 38,3 LXX: Ἀγάπησιν αἰωνίαν ἠγάπησά σε; vgl. Jes 43,4 LXX: κἀγώ σε ἠγάπησα. 13 ְנֵקָבהwie etwa in Gen 1,27. Beim Terminus für „Mann“ hier, ֶגֶּבר, schwingt virile Kraft mit. 14 In der LXX bezeichnet ἔρημος die verlassene Frau wie das verödete Land. 12
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der Exilszeit appliziert. Demgegenüber verheißt Jes 54 Frau Zion Kinder (V. 1; vgl. bereits 49,20 f. 15): „Freu dich, du Unfruchtbare, die nicht geboren hat, brich in Jubel aus und jauchze, die keine Wehen gehabt hat! Denn zahlreicher sind die Kinder der Verwüsteten/Einsamen (in der LXX éremos) als die Kinder der Verheirateten, spricht JHWH.“
Für die Neubesiedelung braucht es Platz (V. 2 f.; vgl. 49,19 f.). Vergessen ist dann „die Schande deiner Jugend“ bzw. „die Schmach deiner Witwenschaft“ (V. 4): 16 „Denn dein Ehemann 17 ist dein Schöpfer“ (V. 5), welcher sich erbarmungsvoll der – nur für „einen kleinen Augenblick“ (V. 7) – Verlassenen wieder zuwendet (V. 6): „Denn wie eine verlassene Frau, wie eine mit betrübtem Geist hat JHWH dich gerufen, und (wie) eine Frau der Jugend, wenn sie verstoßen ist, 18 spricht dein Gott.“
Sein Zorn weicht seinem „großen Erbarmen“ (V. 7) in „ewiger Liebe/ Gnade“ (ḥésed, V. 8): „Im aufwallenden Zorn habe ich mein Angesicht einen Augenblick vor dir verborgen, aber mit ewiger Liebe habe ich mich deiner erbarmt, spricht dein Erlöser JHWH.“
Wie bei der Flut Noachs gelobt Gott, „nicht mehr zu zürnen“ (V. 9), und verheißt einen „Friedensbund“ (V. 10). Ähnlich vergleicht Jes 62 (Tritojesaja) Gott mit einem Bräutigam, der sich über die Braut freut: 19
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In Jes 49,18 wird das wiederhergestellte Zion mit einer geschmückten Braut verglichen. 16 Zum Bild der Witwe vgl. auch Klgl 1. 17 ;בעלin Jes 54,5 MT als Partizip vokalisiert, parallel zu „der dich geschaffen hat“: ִכּי בֲֹעַל ִיְך ֹעַשׂ ִיְך 18 So auch in der Elberfelder Bibel. In der Einheitsübersetzung als Frage wiedergegeben: „Kann man denn die Frau seiner Jugend verstoßen?“ Vgl. auch die Zürcher Bibel sowie die Lutherbibel: „[…] und die Frau der Jugendzeit, wie könnte sie verstoßen bleiben!“ Ähnlich Baumann, Liebe, 192 („und die Frau der Jugend, ist sie denn verworfen worden“). 19 Von Gottes Freude und Liebe ist auch in Zef 3,17 die Rede.
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„(4) Nicht länger nennt man dich ‚Verlassene‘, und dein Land nennt man nicht mehr ‚Öde‘, sondern du wirst heißen: ‚Mein Gefallen‘ 20, und dein Land: ‚Verheiratete‘. Denn JHWH hat Gefallen an dir und dein Land wird verheiratet sein. (5) Denn wie ein junger Mann eine Jungfrau heiratet, wird dich heiraten, wer dich erbaut. 21 Und wie der Bräutigam sich an der Braut freut, freut sich an dir dein Gott.“
1.2 Gewaltsanktionen gegen Ehebruch Als Kehrseite wird Bundesbruch mit Ehebruch verglichen. 22 Die Verehrung anderer Götter, deviante Kultpraktiken, Assimilation und politische Allianzen mit anderen Völkern ziehen den prophetisch-göttlichen Zorn nach sich. Im Bund als Treuebeziehung Israels zu JHWH tritt der Ausschließlichkeitsanspruch Gottes zu Tage, welcher als „eifersüchtig“ beschrieben wird (vgl. z. B. Ex 20,5 par. Dtn 5,9). Der Bundesvertrag erscheint gleichsam als Ehevertrag zwischen männlich imaginiertem Gott und weiblich repräsentiertem Israel. Ein Verstoß gegen die Alleinverehrung JHWHs wird poetisch als eheliche Untreue verbildlicht, das Gottesvolk in weiblicher Personifikation als promiskuitive (und zu bestrafende) Stadtfrau Jerusalem (bzw. Samaria) charakterisiert. Dies färbt negativ auf die weibliche Geschlechterrolle bzw. das Frauenbild ab und ist Ausdruck eines androzentrischen Gottesbildes sowie einer patriarchalen Geschlechterkonstruktion. Jes 50,1 greift das Thema beispielsweise mit dem Bild der Scheidungsurkunde auf (vgl. Jer 3,8):
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Siehe den Namen von Hiskijas Frau bzw. Manasses Mutter in 2 Kön 21,1. So die Übersetzung von Matthias Millard und Beate Schmidtgen in der Bibel in gerechter Sprache. MT: „deine Söhne“ – was jedoch unpassend für das Heiratsbild erscheint. Die Zürcher Bibel übersetzt: „Denn wie ein junger Mann eine Jungfrau in Besitz nimmt, so werden deine Söhne dich in Besitz nehmen.“ Bei anderer Vokalisierung „deine Erbauer“ (vgl. etwa auch Baumann, Liebe, 196). 22 Vgl. auch Dtn 31,16. Zu den terminologischen und inhaltlichen Parallelen von Berit- und Ehemetaphorik siehe Baumann, Liebe, 68–73. 21
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„So spricht JHWH: Wo ist denn der Scheidebrief eurer Mutter, mit dem ich sie entlassen hätte?“
Wie auch Jer 3,1 reflektiert, darf ein Ehemann nach Dtn 24,1–4 eine mit Scheidebrief entlassene (und damit rechtsgültig geschiedene) Frau, die danach die Frau eines anderen geworden ist, nicht zurücknehmen. Indem Gott keine Scheidungsurkunde ausstellte, hielt er sich diese Option also offen. Einen definitiven Bruch (sowie einen entsprechenden Vorwurf 23) weist er zurück. Insbesondere begegnet der Motivzusammenhang der ehelichen Untreue in Hos 1–3 als „Urtext“. 24 In Jer 2–3 findet sich die Metaphorik gedoppelt für Israel und Juda als Schwestern, hier dominiert die Klage Gottes in der Rolle des enttäuschten Ehemannes. 25 Ausgefaltet tritt das Bildfeld in Ez 16 ( Jerusalem, im Vergleich mit Samaria und Sodom) und 23 (Samaria und Jerusalem) zu Tage. 26 Im Vergleich zu Jesaja wird die Ehemetaphorik bei Hosea, Jeremia und Ezechiel stärker negativ entwickelt. 27 Hier kommt auch männliche Gewalt ins Spiel. Schließlich steht auf Ehebruch gemäß Dtn 22,22–25 die Todesstrafe (vgl. auch Lev 20,10). Die verwendete Bildlichkeit wurzelt in Geschlechterstereotypen, zumal männlichen Projektionen, die in einer patriarchalen Degradierung von Ehefrauen gipfeln – und legitimiert diese wiederum religiös in einem Rückkoppelungseffekt: Insofern die auktoriale Perspektive deckungsgleich mit der Perspektive Gottes erscheint, rechtfertigt das Verhalten Gottes als (all)mächtiger Eheherr (und herrscherlicher Richter) gewalttätige Aktionen eifersüchtiger menschlicher Ehemänner. Die Sicht der Ehe beinhaltet Aspekte von Hierarchie, Herrschaft und (männlicher) Strafe (vgl. Gen 3,16). Weibliche Sexualität steht unter männlicher Verfügung und Kontrolle. 28 23
In Jes 49,14 klagt Zion, dass JHWH sie verlassen und vergessen habe. Zu Hos 1–3 als „‚Urtext‘ der prophetischen Ehemetaphorik“ siehe Baumann, Liebe, 91(–110); García Fernández, Ehemetaphorik, 226; außerdem zum Bildfeld bei Hos etwa Setel, Propheten; Weider, Ehemetaphorik; Wacker, Figurationen; Sherwood, Prostitute; Törnkvist, Use. Vgl. auch Hos 9,1. 25 Dazu z. B. Brenner-Idan, Propaganda; Popko, Marriage Metaphor. Siehe auch Jer 13,20–27. Zu Samaria vgl. ferner Mi 1,6 f. 26 Dazu etwa Galambush, Jerusalem. 27 So auch García Fernández, Ehemetaphorik, 228. 28 Monogamie gilt dabei nur für Frauen. Als „gravierender Unterschied zwi24
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Scharfe Kritik von feministischer Seite formuliert etwa Athalya Brenner, welche diese Literatur als „Pornoprophetics“ 29 betitelt: „Die religiöse Propaganda der sogenannten ‚prophetischen ‚Liebes‘-Metapher‘ missbraucht und beschämt die weibliche Sexualität, obwohl sie strenggenommen auch einen Angriff auf die männliche Sexualität darstellt.“ 30 Das androzentrische Gottesbild – der „männliche/überlegene/ göttliche Partner ist immer gerecht, stark, gewalttätig und autoritär“ 31 – verstärkt negative Stereotypen bezüglich Frauen und weiblicher Sexualität. Als Reflex und Verstärkung bestimmter kultureller Sichtweisen ist die geschlechtliche Repräsentation nicht zufällig – und auch nicht reversibel: Kein Text inszeniert männliche Untreue gegenüber einer weiblich imaginierten Gottheit. Gott als überlegenem männlichem Partner stehen in einer asymmetrisch-hierarchischen Beziehung Menschen als Ehefrau gegenüber, inklusive Geschlechtsumwandlung: In die Metapher der untreuen Frau sind (männliche) Israeliten bzw. Samaritaner (in Ezechiel) als feminisierte Männer gegenüber der göttlichen Herrscherfigur eingeschlossen. Auch wenn sich die Metapher nicht nur auf Frauen, sondern auf das ganze Volk bezieht und auch die politische und religiöse Führung umfasst, handelt es sich nicht um „bloße“, harmlose Metaphorik.
schen altisraelitischem und heutigem Denken“ ist mit Baumann, Liebe, 34, zu sehen: „Die Verletzung der Sexualität einer Frau ist nicht an sich ein Delikt, sondern nur derjenige Übergriff, bei der [sic] das sexuelle Verfügungs- oder Besitzrecht eines anderen Mannes tangiert ist.“ 29 Bereits in dem von ihr edierten FCBib-Band zu den Hinteren Propheten subsumierte sie ihren eigenen sowie weitere Beiträge unter der Überschrift „On the Pornoprophetics of Sexual Violence“. Siehe auch Brenner, Pornoprophetics Revisited. Mehr als 20 Jahre später widmete sie sich der Thematik noch einmal in ihrem Beitrag „Pornoprophetics Revisited, Decades Later“ für den von Claassens/Fischer herausgegebenen Prophetie-Band der Reihe Die Bibel und die Frauen (deutsche Version: „Jahrzehnte später: ‚Pornoprophetisches‘ aus heutiger Sicht“). 30 Brenner, Jahrzehnte, 294. Wie sie verdeutlicht, „konstruiert diese Propaganda ein Klischee: Jede Frau, vor allem jede Ehefrau, ist in sexueller Hinsicht potentiell deviant und muss daher streng kontrolliert werden. […] Es ist davon auszugehen, dass zwischen einer Weltanschauung, die eine solche prophetische Propaganda akzeptabel macht, und dem Missbrauch und der Vergewaltigung von Frauen ein Zusammenhang besteht.“ (Ebd., 295.) 31 Ebd., 299.
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Im Folgenden soll dies an plakativen Textbeispielen aufgezeigt werden. Hosea etwa klagt angesichts des Baalskults 32 das Land der „Hurerei“ an (bereits in Hos 1,2), 33 um beim Publikum Beschämung und eine entsprechende Verhaltensänderung zu erzielen. Die Ehe des Propheten spiegelt symbolisch Israels Beziehung zu JHWH. In Hos 2 ist der Text durchsetzt mit Bildern sexualisierter Gewalt, etwa in V. 4 f. (vgl. auch V. 12), wo Gott in der Rolle und Perspektive des betrogenen Ehemannes zu einem Rechtsprozess aufruft „unter Verwendung der offiziellen Scheidungsformel“ 34 und mit entwürdigender buchstäblicher Bloßstellung droht: „(4) Prozessiert gegen eure Mutter, prozessiert! Denn sie ist nicht meine Frau, und ich bin nicht ihr Mann. 35 Sie soll die Zeichen ihrer Hurerei aus ihrem Gesicht entfernen und die Zeichen ihres Ehebruchs zwischen ihren Brüsten, (5) damit ich sie nicht nackt ausziehe und sie hinstelle wie am Tag ihrer Geburt und sie mache wie die Wüste und sie lasse werden wie verdorrtes Land und sie sterben lasse vor Durst.“
Auch mit den (gemeinsamen) Kindern hat er „kein Erbarmen“ (vgl. 1,6), da es sich um „Kinder der Hurerei“ handelt, deren Mutter „Schande getrieben hat“ (2,6 f.): Sie sind nicht mehr sein Volk, wie 1,9 in Umkehrung der Bundesformel besagt (aufgehoben im erneuerten Bund in 2,1.25). Mit Machterweisen will Gott die „ihren Liebhabern Nachlaufende“ (vgl. auch V. 15) zur Umkehr bewegen und versperrt ihr den Weg (2,8 f.). Auf die anhaltende Promiskuität antwortet er mit angedrohten Sanktionen, darunter Versorgungsentzug (hier zeigt sich die Abhängigkeit der Angetrauten) und öffentlicher sexueller Demütigung:
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Die Bedeutung des Lexems („[Ehe-]Herr“) sowie der Fruchtbarkeitskult könnten Impulse für die Ehemetaphorik geliefert haben. Vgl. Zimmermann, Jesus, 373. 33 Analog bezeichnet Jes 1,21 Jerusalem als „Hure“. Das Thema des Ehebruchs klingt ferner in 57,8 an. 34 Fischer, Liebe, 160. 35 ִכּי־ִהיא ל ֹא ִאְשִׁתּי ְואָנ ִֹכי ל ֹא ִאיָשׁהּVgl. die korrespondierende Formulierung in Hos 1,9: „Denn ihr seid nicht mein Volk und ich bin nicht für euch der ‚Ichbin‘ (Gottesbezeichnung nach Ex 3,14).“
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„(11) […] Und ich entreiße ihr meine Wolle und meinen Flachs, die ihre Blöße bedecken sollten. (12) Und nun decke ich ihre Scham auf vor den Augen ihrer Liebhaber, und niemand wird sie meiner Hand entreißen.“
„All ihrer Freude“ setzt er ein Ende (V. 13) und verwüstet „ihren Weinstock und ihren Feigenbaum“ (V. 14). 36 Dass die Frau von ihrem „Lohn“ spricht, den ihr die Liebhaber gegeben haben, lässt sie als Prostituierte erscheinen. 37 Die Schelt- und Drohrede schließt in V. 15 damit, dass sie JHWH vergessen habe. Ab V. 16 erfolgt die Verheißung hoffnungsvoller Wende, in der Wüste, wie in den „Jugendtagen“ des Exodus (V. 17). 38 Diese Wende kulminiert „an jenem Tag“, wo die eheliche Beziehung wiederhergestellt 39 (V. 18: „Und es wird geschehen an jenem Tag, Spruch JHWHs, da rufst du: ‚Mein Mann‘ 40!“) und ein Bund des Friedens geschlossen wird (V. 20). Die bekannte Verlobungsformel in V. 21 f. stellt einen Bogen zu den Heilsprophetien her: „(21) Und ich werde dich mit mir verloben auf ewig, und ich werde dich mit mir verloben in Gerechtigkeit und in Recht und in Liebe (ḥésed) und in Erbarmen. (22) Und ich werde dich mit mir verloben in Treue, und du wirst JHWH erkennen.“
Noch drastischer wird die Metaphorik des zu strafenden Ehebruchs bei Ezechiel entfaltet, in Bildern von (Gruppen-)Vergewaltigung, Steinigung und Eifersuchtsmord. Während Ez 16 zunächst noch die harmonische Beziehung ausmalt, 41 wird ab V. 15 die Untreue angeklagt, 42 woraufhin der Strafspruch folgt (vgl. auch 23,22–30): 36
Zur erneuten Gabe der Weinberge siehe V. 17. Vgl. Fischer, Liebe, 161. 38 In Jer 2,2 erinnert JHWH an „die Treue deiner Jugendzeit“ und „die Liebe deiner Brautzeit“. 39 Anzumerken ist als „Nebenschauplatz“ des in harmonischen Farben gezeichneten Hoffnungsbildes: Die Verbindung von Liebe und Gewalt, oder die Idee einer durch Gewalt bewirkten Heilung einer Beziehung, erweist sich für misshandelte (Ehe-)Frauen als besonders toxische Beziehung. 40 ִאיִשׁיim Unterschied zu ַבְּעִלי. 41 Ez 16,8 beschreibt den Vollzug des ehelichen Bundes: „Und ich ging an dir vorüber und sah dich, und siehe, deine Zeit war da, die Zeit der Liebe. Und ich breitete meinen Gewandzipfel über dich und bedeckte deine Blöße. Und ich 37
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„(35) Darum, Hure, höre das Wort JHWHs! (36) So spricht der Herr JHWH: Weil […] 43 deine Blöße aufgedeckt wurde (MT) bei deinen Hurereien mit deinen Liebhabern und mit all deinen gräulichen Götzen und wegen des Blutes deiner Kinder, 44 die du ihnen hingegeben hast: (37) Darum, siehe, werde ich alle deine Liebhaber (in 23,23 als feindliche Großmächte konkretisiert) versammeln, denen du gefallen hast, und alle, die du geliebt hast, und alle, die du gehasst hast. Ich werde sie von allen Seiten gegen dich versammeln (in 23,24 wird ihre militärisch hochgerüstete Heeresstärke ausgemalt) und deine Blöße ihnen aufdecken, sodass sie deine volle Blöße sehen. (38) Und ich werde dich nach den Rechtsvorschriften für Ehebrecherinnen und Blutvergießerinnen richten, und ich werde Blut aus Zorn und Eifer(sucht) über dich bringen. (39) Und ich werde dich in ihre Hand geben, und sie werden deinen Sockel zerstören, und sie werden deine Kulthöhen niederreißen, und sie werden dir deine Kleider ausziehen, und sie werden deine prächtigen Schmuckstücke wegnehmen, und sie werden dich nackt und bloß liegen lassen. (40) Und sie werden eine Versammlung gegen dich heraufkommen lassen und dich steinigen und dich mit ihren Schwertern zerstückeln. (41) Und sie werden deine Häuser mit Feuer niederbrennen, und sie werden an dir die Urteile vollstrecken vor den Augen vieler Frauen. Und so werde ich dich aufhören lassen, Hure zu sein, und auch Hurenlohn wirst du nicht mehr zahlen. (42) Und ich werde meinen Zorn an dir stillen, und meine Eifersucht wird von dir ablassen. […]“
Hier tritt auf der einen Seite klassische altorientalische Metaphorik zu Tage, welche die kriegerische Einnahme einer Stadt in Metaphern sexueller Gewalt gegen Frauen verbildlicht. 45 Trauriger realer Anleistete dir den Eid und ging einen Bund mit dir ein, Spruch des Herrn JHWH, und du wurdest mein.“ 42 Als Gipfel der Verfehlungen gilt hier, dass die Frau sich nicht für Prostitution bezahlen lässt, sondern in Umkehrung üblicher Geschlechterverhältnisse ihre Liebhaber bezahlt (Ez 16,33 f.) – damit werden die Abgaben an die Großmächte parodiert. 43 Variierende Textüberlieferung. 44 Siehe dazu Ez 16,20: „Und du hast deine Söhne und deine Töchter, die du mir geboren hast, genommen und sie ihnen als Schlachtopfer zum Essen vorgesetzt. War deine Hurerei noch nicht genug?“ 45 Siehe Kelle, Wartime Rhetoric.
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knüpfungspunkt sind die in der Kriegspraxis seit jeher verbreiteten systematischen Vergewaltigungen als Demonstration des Triumphes und der Macht über die Besiegten. 46 Die kriegerische Szenerie ist auf der anderen Seite überblendet von Bildern eines Ehebruch-Prozesses (wobei im Unterschied zu Dtn 22,22 die Todesstrafe hier nur der Frau gilt). Erhellend sind dementsprechend altorientalische Paralleltexte zu Rechtsbestimmungen im ehelichen Bereich, 47 wie etwa auch Fluchformeln in Vasallenverträgen für den Fall von Vertragsbruch, ferner ikonographische Belege entblößter Kriegsgefangener (wenn weibliche den Rocksaum anheben, deutet dies die sexuelle Verfügungsgewalt der Sieger an). 48 Bei Ezechiel geht die Gewalt als Strafgericht letztlich von Gott als zornigem, eifersüchtigem Ehemann aus (vgl. Ez 16,38.42), der die aggressiven „Liebhaber“ als Werkzeuge zur Züchtigung seiner Frau gebraucht und sie „nach ihren Rechtsvorschriften“ über sie richten lässt (23,24), wie auch 23,25 in drastischen Gewaltszenen beschreibt: „Und ich bringe meine Eifersucht über dich, und sie werden mit Zorn an dir handeln: Deine Nase und deine Ohren werden sie abschneiden, und was von dir übrig bleibt, wird durch das Schwert fallen. Sie werden deine Söhne und deine Töchter wegnehmen, und was von dir übrig bleibt, wird vom Feuer verzehrt werden.“
Schuld an ihrem Schicksal ist verbreiteten patriarchalen Denkmustern entsprechend (blaming the victim) die Frau selbst: „(16,43) Weil du der Tage deiner Jugend nicht gedacht hast und mich durch dies alles erregt hast, siehe, darum lasse auch ich deinen Wandel auf dich selbst zurückfallen, Spruch des Herrn JHWH. […]“ „(23,30) Das wird dir geschehen, weil du den Völkern nachgehurt und dich mit ihren Götzen unrein gemacht hast.“ (Vgl. auch V. 58 f.)
Als „Trauma-Literatur“ gelesen, 49 wird die Zerstörung Jerusalems damit in ein Schema von Schuld und Strafe eingeordnet, zur Bewälti46
Vgl. die Reflexe in Ri 5,30 (ironischerweise aus der Sicht der vermeintlichen Siegerinnen); Klgl 5,11; Jdt 4,12. In Jes 47 in Bezug auf die Stadtfrau Babel, in Nah 3 gegen Ninive gerichtet. 47 Dazu etwa Démare-Lafont, Stellung. 48 Zur Diskussion siehe Baumann, Liebe, 78–90. Zur Ikonographie vgl. auch Schroer, Kult, 58 f.; Poser, Erinnerung, 284 f. 49 Siehe Poser, Ezechielbuch; dies., Erinnerung; Holt, Daughter Zion; Heussler, Hurerei; Baumann, Traumabewältigung.
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gung der kollektiven traumatischen Erfahrung mit Sinn versehen und durch diese Symbolisierung begreif- und handhabbar gemacht (vgl. auch Klgl 1,8–10). Die Schuldzuschreibung und -übernahme ermöglichen, „aus traumatischer Ohnmacht ins Handeln zurückzufinden“ 50: nämlich sich künftig an Gottes Weisung/Tora zu orientieren. Zugleich hält Gottes Täter:in-Sein gegen innerweltliche Kontingenz die Wirkmächtigkeit und Ehre JHWHs fest (der sonst als machtloser – oder selbst untreuer – Gott erschiene), allerdings um den Preis eines gewaltvollen Gottesbildes innerhalb gegenderter Rollenkonstruktionen von weiblicher Sündhaftigkeit und männlicher Strafgewalt. 51 Die anschließenden Verse in Ez 16 vergleichen die ihrer ehelichen Treueverpflichtung nicht Nachkommende mit der älteren Schwester Samaria sowie der Schwester Sodom. In der ähnlichen Passage in Ez 23 gibt JHWH Samaria (Ohola) „in die Hand ihrer Liebhaber, in die Hand der Söhne Assurs, nach denen sie Verlangen hatte“ (V. 9). 52 In den vor Augen geführten Gewaltbildern schlagen sich die traumatischen Erinnerungen der assyrischen Eroberung nieder (V. 10): „Diese haben ihre Blöße aufgedeckt, ihre Söhne und ihre Töchter weggenommen, und sie selbst haben sie mit dem Schwert erschlagen. Und es ging die Kunde zu den Frauen, und die Urteile wurden an ihr vollstreckt.“
Dass die metaphorische Ebene mit konkreter Geschlechterpolitik interagiert, zeigt in 23,48 die Warnung für alle Frauen angesichts des statuierten Exempels: „So werde ich die Schandtat aus dem Land wegschaffen, und alle Frauen sollen gewarnt sein und keine Schandtat wie eure begehen.“
Ez 16 schließt jedoch mit der Verheißung eines ewigen Bundes – das letzte Wort hat Gottes unverbrüchliche Treuezusage, der seine Bundespartnerin nicht vollends preisgibt (V. 60):
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Poser, Erinnerung, 286. Vgl. Poser, Erinnerung, 286 f. 52 In der Einleitung zu den beiden Schwestern Ohola (Samaria) und Oholiba ( Jerusalem) zeigt sich in Ez 23,3 in der Darstellung ihres sexuellen Lebens in der Jugend in Ägypten ein Oszillieren hin zu sexuellem Missbrauch (vgl. auch V. 8.19.21). 51
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„Ich aber werde meines Bundes mit dir aus den Tagen deiner Jugend gedenken, und ich werde dir einen ewigen Bund aufrichten.“
2. Das Bildfeld im Neuen Testament 2.1 2 Kor 11,2: Paulus als Brautführer Anknüpfend an die prophetische Ehemetaphorik, betrachtet sich in 2 Kor 11,2 Paulus als Brautführer, der die Gemeinde als „reine Jungfrau“ Christus (als Bräutigam) präsentiert: „[…] denn ich habe euch mit einem einzigen Mann verlobt (wörtlich: zusammengefügt), (um euch) als reine Jungfrau Christus zur Seite zu stellen.“ 53
Die Aufnahme des ersttestamentlichen Bildfeldes zeigt auch der Vorspann an, wo Paulus in der Rolle des Propheten auftritt: 54 „Denn ich eifere um euch mit dem Eifer / der Eifersucht Gottes […].“
Das Motiv der „Eifersucht Gottes“ (wie in Ez 16,38.42; 23,25) 55 erinnert an dessen Exklusivitätsanspruch. Hier wird dieser mit der betonten Verlobung mit „einem einzigen Mann“ auf Christus übertragen. Die Ausschließlichkeit der Beziehung sieht Paulus offenbar gefährdet. 56 Die geschlechtlich codierte Metaphorik fokussiert den männlichen Geschlechterrollenpart Christi im Gegenüber zur Gemeinde 2 Kor 11,2: ζηλῶ γὰρ ὑμᾶς θεοῦ ζήλῳ, ἡρμοσάμην γὰρ ὑμᾶς ἑνὶ ἀνδρὶ παρθένον ἁγνὴν παραστῆσαι τῷ Χριστῷ. Die wörtliche Übersetzung des „Da-
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nebenstellens“ lässt Hochzeitszeremonien vor dem inneren Auge erscheinen. So steht auch etwa bei der Hochzeit in Ps 45 die königliche Braut an der Seite, nämlich zur Rechten des Bräutigams, siehe in 44,10 LXX: παρέστη ἡ βασίλισσα ἐκ δεξιῶν σου … Für Paulus steht nach der Verlobung die eigentliche Hochzeit allerdings noch aus. 54 Vgl. etwa auch Elija in 1 Kön 19,10; 1 Makk 2,58. 55 Siehe die LXX-Version von Ez 16,38 (καὶ θήσω σε ἐν αἵματι θυμοῦ καὶ ζήλου).42 (καὶ ἐξαρθήσεται ὁ ζῆλός μου ἐκ σοῦ); 23,25 (καὶ δώσω τὸν ζῆλόν μου ἐν σοί). Vgl. aber auch Ex 20,5; 34,14; Dtn 4,24; 5,9; 6,15; Jos 24,19; Nah 1,2. 56 Wie sein „Eifern“ zeigt, geht es dabei auch um seine exklusive Beziehung zur Gemeinde.
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als Braut. Wie bei der ersttestamentlichen Gottesrede handelt es sich in der paulinischen Christologie um bildhafte Aussagen auf metaphorischer Ebene, die dennoch zu festen Vorstellungen gerinnen. Ebenso wie bei der ersttestamentlichen Ehemetaphorik beeinflusst eine implizit vorausgesetzte Dichotomie der Geschlechter gemäß antiken Stereotypen die Figurenkonstellation und führt zu einer Betonung des Mannseins Jesu. Was Geschlechterstereotype und -typologien betrifft, findet sich bei Paulus in 2 Kor 11,3 weiter der Vergleich mit Eva als Kontrastfigur: Die Verführte (dies entspricht vor allem dem gängigen Bild Evas ab der frühjüdischen Rezeptionsgeschichte) bildet das Gegenstück zur reinen Jungfrau. Paulus fürchtet, „dass, wie die Schlange Eva täuschte/verführte (in Aufnahme von Evas Rechtfertigung in Gen 3,13) in ihrer Hinterlist, eure Gedanken verdorben/verführt werden“ 57. Die befürchtete Untreue der Gemeinde beleuchtet er vor der Hintergrundfolie des Sündenfalls. Was ist der situative Kontext für den Einsatz der antagonistischen Metaphorik? Die Bezugnahme auf „ein anderes Evangelium“ (V. 4) 58 und die „Über-Apostel“ (V. 5) 59 zeigt: Tatsächlich geht es um den Ausschließlichkeitsanspruch der Verkündigung des Paulus, der hier rhetorisch untermauert werden soll. „Gegenüber dem Autoritätsstreben dieser Überapostel beschreibt Paulus sein Apostolatsverständnis als ‚exklusiv-distanziertes Anspruchsrecht‘, indem er wie ein eifernder Brautvater über die Virginität seiner Tochter wacht, um sie als ‚reine Jungfrau‘ dem Bräutigam zuzuführen.“ 60 2 Kor 11,3: φοβοῦμαι δὲ μή πως, ὡς ὁ ὄφις ἐξηπάτησεν Εὕαν (vgl. Gen 3,13 LXX: ὁ ὄφις ἠπάτησέν με) ἐν τῇ πανουργίᾳ αὐτοῦ, φθαρῇ τὰ νοήματα ὑμῶν ἀπὸ τῆς ἁπλότητος [καὶ τῆς ἁγνότητος] τῆς εἰς τὸν Χριστόν. Das griechische Verb φθείρω („verderben“) wird auch im sexuellen Kontext verwendet, etwa für die Verführung einer Jungfrau, die dadurch ihre Reinheit verliert. Zum Motivzusammenhang vgl. auch 4 Makk 18,7–9. 58 Dreimal werden Konkurrenz und Differenz zur paulinischen Verkündigung betont in 2 Kor 11,4: εἰ μὲν γὰρ ὁ ἐρχόμενος ἄλλον Ἰησοῦν κηρύσσει ὃν οὐκ ἐκηρύξαμεν, ἢ πνεῦμα ἕτερον λαμβάνετε ὃ οὐκ ἐλάβετε, ἢ εὐαγγέλιον ἕτερον ὃ οὐκ ἐδέξασθε, καλῶς ἀνέχεσθε. 59 2 Kor 11,5: λογίζομαι γὰρ μηδὲν ὑστερηκέναι τῶν ὑπερλίαν ἀποστόλων. 60 Zimmermann, Geschlechtermetaphorik, 324. Für die Vaterrolle des Paulus verweist er auf 1 Kor 4,14 f.; 2 Kor 6,13; 12,14 (ebd., 315 f.323). „Eifersüchtig wacht er über seiner Apostelautorität als Gemeindegründer, die er als Garantie einer rechten und ausschließlichen Christusgemeinschaft einstuft.“ (323). 57
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2.2 Die Haustafel in Eph 5: Analoge eheliche Beziehung von Mann und Frau / Christus und Kirche Die Entfaltung des Bildfeldes in der „Haustafel“ von Eph 5,21–33 kann an 2 Kor 11,2 in der paulinischen Überlieferung sowie vorauszusetzende analoge Traditionen anknüpfen. Hier wird Christus explizit in der Rolle des Ehemannes (der Kirche/Gemeinde) präsentiert (siehe bes. V. 31 f.) – in einer Analogie, die ausdrücklich auf die eheliche Unterordnung von Frauen in einem hierarchischen Geschlechterverhältnis zielt (auch wenn sie die Geschlechterhierarchie im Sinne eines „Liebespatriarchats“ interpretiert). Während Eph 5,21 noch zu wechselseitiger Unterordnung auffordert 61 (hier kommt die ein hierarchisches Verhältnis anzeigende „[Ehr-]Furcht“ nur Christus zu), gilt diese in V. 22 aus der Tradition heraus insbesondere den Frauen, die sich „den eigenen Männern wie dem Herrn“ unterordnen sollen. 62 Mit Bezugnahme auf den „Herrn“ (kýrios) wird dieses hierarchische Geschlechterverhältnis durch den männlichen Part Christi autorisiert (der in einer patriarchalen Gesellschaft mit androzentrischem Menschen- und Gottesbild im Rahmen der antiken Geschlechterrollenordnung nur männlich sein kann). Die Forderung nach der Unterordnung der Frauen findet sich bereits in der vom strukturellen Grundschema her parallel aufgebauten Haustafel des Kolosserbriefs. So eröffnet Kol 3,18 die Mahnungen hinsichtlich der Beziehungen im oíkos: „Ihr Frauen, ordnet euch den Männern unter, wie es sich im Herrn geziemte.“ 63 Der Gottesname kýrios (in der griechischen Bibel für JHWH) kann sich dabei grundsätzlich auf Gott oder Christus beziehen, allerdings deutet die Formulierung „im Herrn“ in ihrer Parallelität zur geläufigen Phrase „in 61
Nach Sellin, Brief, 433, „als Überschrift und Interpretationsleitzeile für die Intention des Verfassers“ zu verstehen (vgl. auch ebd., 434 sowie 438: „Vorzeichen“). 62 Eph 5,21 f.: ὑποτασσόμενοι ἀλλήλοις ἐν φόβῳ Χριστοῦ, αἱ γυναῖκες τοῖς ἰδίοις ἀνδράσιν ὡς τῷ κυρίῳ. Das Participium coniunctum ὑποτασσόμενοι bezieht sich zurück auf den Imperativ in 5,18: πληροῦσθε ἐν πνεύματι. 63 Kol 3,18: Αἱ γυναῖκες, ὑποτάσσεσθε τοῖς ἀνδράσιν, ὡς ἀνῆκεν ἐν κυρίῳ. In 1 Kor 14,34 sollen sich demgegenüber „die Frauen in den Gemeinden/Versammlungen […] unterordnen (ohne direkte Objektangabe), wie auch das Gesetz sagt“ (αἱ γυναῖκες ἐν ταῖς ἐκκλησίαις […] ὑποτασσέσθωσαν, καθὼς καὶ ὁ νόμος λέγει) – wohl eine Anspielung auf Gen 3,16, wo es allerdings um die durch menschliches Fehlverhalten pervertierte Schöpfungsordnung geht.
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Christus“ auf die christologische Übertragung des göttlichen Namens. Demgegenüber erfolgt in Eph 5,22 durch den verkürzten Vergleich „wie dem Herrn“ eine Gleichschaltung von Männern und kýrios, wie auch umgekehrt Gott bzw. Christus 64 als Mann in den Blick genommen werden: Dadurch erscheinen Männer quasi als göttliche Herren. Eine Begründung, die einen über Kol 3 hinausgehenden Rahmen entwirft, liefert Eph 5,23: „Denn der Mann ist Haupt der Frau, wie auch Christus Haupt der Kirche/Gemeinde ist […].“ 65
Hier bindet der Epheserbrief die Aussagen in 1 Kor 11,3 (der Mann ist Haupt/Ursprung der Frau – in einer Genesis-Lektüre, die Gen 2 und 3 zusammenliest) 66 und Kol 1,18 (Christus ist Haupt des Leibes der Kirche) 67 zusammen. In diesem Vergleich zeigt sich eine direkte Parallelisierung von Mann/Christus als Haupt der Frau/Kirche – daraus folgt in V. 24 im Blick auf die Analogie von „himmlischer“ und „irdischer“ Ehe eine jeweilige Unterordnung von Kirche/Frauen unter Christus/Männer: „Wie aber die Kirche sich Christus unterordnet, so sollen sich auch die Frauen in allem den Männern unterordnen.“
Auf der anderen Seite wird in V. 25 die Liebe der (mit direktem Imperativ adressierten) Männer zu ihren Frauen eingemahnt, männliche Gewalt wird ausgeklammert. Auch diese Aufforderung, die sich ebenso bereits in der jeweils reziprok gestalteten Haustafel des Kol findet, 68 wird durch das Vorbild Christi gegenüber der Kirche argumentativ untermauert (V. 25):
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Im näheren Kontext ist hier nur von Christus die Rede – auf den sich die Titulierung damit wohl bezieht. 65 Eph 5,23: ὅτι ἀνήρ ἐστιν κεφαλὴ τῆς γυναικὸς (vgl. 1 Kor 11,3: κεφαλὴ δὲ γυναικὸς ὁ ἀνήρ) ὡς καὶ ὁ Χριστὸς κεφαλὴ τῆς ἐκκλησίας (vgl. Kol 1,18: καὶ αὐτός ἐστιν ἡ κεφαλὴ τοῦ σώματος, τῆς ἐκκλησίας) […]. 66 Dazu Taschl-Erber, Genesis-Rezeption, 77–81. 67 Vgl. etwa auch Kol 2,19; Eph 1,22; 4,15 f. 68 Identisch formuliert Kol 3,19: Οἱ ἄνδρες, ἀγαπᾶτε τὰς γυναῖκας […]. Mit dieser expliziten Mahnung heben sich die frühchristlichen Haustafeln von klassischen Sichtweisen des Geschlechterverhältnisses etwa in der griechischen Philosophie, die auf Herrschaft zielen (siehe z. B. Aristoteles, Politik, 1259a–
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„Ihr Männer, liebt die Frauen, wie auch Christus die Kirche geliebt hat und sich für sie hingegeben hat.“ 69
Christi Liebe zur Kirche, die sie heiligt, reinigt und in makelloser Herrlichkeit an seine Seite als Braut stellt (V. 26 f.), 70 steht in der Tradition der Liebe JHWHs zu Israel. Der Rekurs auf seine Hingabe, die mit Bildern eines Hochzeitsrituals verknüpft ist, bringt dabei deutlich einen Machtverzicht als Kontrapunkt gegenüber klassischen hierarchischen Rollenverhältnissen zum Ausdruck (vgl. etwa auch Mk 10,45). Im Sinne der eingangs (Eph 5,21) akzentuierten gegenseitigen Unterordnung soll sich die von den Männern geforderte Liebe ebenso in einem Herrschafts- und Statusverzicht ausdrücken. 71 In Aufnahme der Leib Christi-Ekklesiologie (sodass im Folgenden Ehe- und Körpermodell als bildspendende Bereiche interagieren) bekräftigen dann V. 28–30: „(28) So sollen auch die Männer ihre eigenen Frauen lieben wie ihre eigenen Leiber. Wer seine eigene Frau liebt, liebt sich selbst, (29) denn keiner hat je sein eigenes Fleisch gehasst, sondern er nährt und pflegt es, wie auch Christus die Kirche, 72 (30) denn wir sind Glieder seines Leibes.“ 1260b), durchaus ab. Es lassen sich jedoch auch Parallelen finden (im jüdischhellenistischen Bereich siehe Ps.-Phokylides 195 f.). 69 Analog begründet Eph 5,2 (καθὼς καὶ ὁ Χριστὸς ἠγάπησεν ἡμᾶς καὶ παρέδωκεν ἑαυτὸν ὑπὲρ ἡμῶν […]) die Liebesforderung – als imitatio Dei (5,1). 70 Vgl. die Beschreibung der Geliebten in Hld 4,7 LXX (καὶ μῶμος οὐκ ἔστιν ἐν σοί) oder der Sophia in Weish 7,22–8,2: Insofern klingt auch Salomos Beziehung zur Weisheit an. Siehe zu Eph 5,27 auch Kol 1,22 (als Folge Jesu versöhnenden Todes): παραστῆσαι ὑμᾶς (dazu vgl. 2 Kor 11,2 mit dem Brautmotiv) ἁγίους καὶ ἀμώμους καὶ ἀνεγκλήτους κατενώπιον αὐτοῦ (ähnlich in Eph 1,4). – Vgl. zu ἁγιάσῃ in Eph 5,26 aber auch die Heiligung des Volkes durch Mose vor der (später als Hochzeit interpretierten) Theophanie in Ex 19,14 (LXX: ἡγίασεν). 71 Vgl. Sellin, Brief, 438. 72 Vgl. dazu die Pflege, die JHWH Jerusalem in Ez 16,9–14 angedeihen lässt (inklusive reinigendem [Braut-]Bad: vgl. Ez 16,9 LXX: καὶ ἔλουσά σε ἐν ὕδατι – Eph 5,26: καθαρίσας τῷ λουτρῷ τοῦ ὕδατος ἐν ῥήματι). Dazu auch Ådna, Liebesbeziehung, 448. – Politischer Titulatur bedient sich Philo, congr. 171, der Gott als „Wohltäter (εὐεργέτης), Retter (σωτήρ), Ernährer (τροφεύς)“ bezeichnet.
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Im zugrunde liegenden Körperbild wird gemäß antiken Geschlechterstereotypen, die Weiblichkeit und Körperlichkeit assoziieren, das Haupt männlich (durch den Mann bzw. Christus: vgl. V. 23) repräsentiert, während der Leib weiblich konnotiert ist (sodass die Ehefrauen mit den Körpern der Männer verglichen werden, die diese ebenso zu ernähren und versorgen haben). 73 Wie das Volk JHWHs ist der Leib der Kirche – inklusive kirchlicher Repräsentanten – weiblich symbolisiert. Da bereits in V. 23 Christus als „Retter des Leibes“ bezeichnet wird und in V. 25 von seiner Hingabe für die Kirche die Rede ist, kann der christologisch-ekklesiologische Vergleich hier knapp ausfallen. Anschließend wird mit Hinweis auf ein mystérion Gen 2,24 (Zitat in Eph 5,31) 74 in Bezug auf eine Art „heilige Hochzeit“ (hierós gámos) von Christus und Kirche ausgelegt: „(31) Darum wird ein Mensch den Vater und die Mutter verlassen und sich an seine Frau binden und die zwei werden zu einem Fleisch. (32) Dieses Geheimnis ist groß, ich aber sage (beziehe) es auf Christus und auf die Kirche.“
Gen 2 als Intertext wirft zudem Licht auf Eph 5,28 f., die Liebe zu den Frauen als eigenem Leib/Fleisch (vgl. auch Gen 2,21–23). Am Ende mahnt V. 33 die männlichen Adressaten noch einmal zur Liebe gegenüber ihren Frauen („wie sich selbst“: vgl. Lev 19,18), wohingegen das angemessene Verhältnis der Frau zu ihrem Mann in (Ehr-) Furcht 75 besteht – was wiederum eine hierarchische Beziehung signalisiert. In Eph 5 bildet also die Beziehung von (Ehe-)Mann und (Ehe-) Frau explizit jene von Christus zur Kirche ab (oder umgekehrt: in V. 32 wird Gen 2,24 auf Christus und die Kirche übertragen), 76 wie 73
Zum Haupt als Steuerungs- und Versorgungszentrum (daher auch in der Kaiserideologie beliebte Metaphorik) siehe Kol 2,19; Eph 4,15 f. 74 Ebenso in Mk 10,7 f. par. Mt 19,5 zitiert. 75 Eph 5,33: ἡ δὲ γυνὴ ἵνα φοβῆται τὸν ἄνδρα; vgl. V. 21: ἐν φόβῳ Χριστοῦ. Das Motiv der Furcht rahmt den Abschnitt (vgl. Sellin, Brief, 434). 76 Sellin, Brief, 437, beschreibt die „oszillierende Bewegung zwischen den beiden Bereichen (Mann – Frau, Christus – Kirche)“, sodass auch Bildspender und -empfänger die Rollen tauschen können: „Die Ehe ist Bildspender für die Aussage auf der Ebene der Ekklesiologie (Bildempfänger), und diese wird umgekehrt ‚Vorbild‘ für die Ehe als Bildempfänger.“ – „Das in die Haustafel allegorisch eingetragene Thema der ‚geistlichen‘ Verbindung von Christus und Kir-
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die mehrmalige Vergleichspartikel „wie“ in V. 23.24.25.29 (ohne die Kirche bereits in V. 22) zeigt. Diese stellt eine hierarchische, asymmetrische Geschlechterkonstellation dar. Wenn der Mann das Haupt der Frau ist (vgl. 1 Kor 11,3), muss Christus als Haupt Mann sein und Kirche in der Rolle der untergeordneten Frau erscheinen: Die implizite Geschlechteranthropologie prägt die christologisch-ekklesiologische Aussage, und diese wirkt wiederum auf die konkreten Geschlechterverhältnisse zurück. Einen kohärenten Narrativ der „Ehe“ von Christus und Kirche entfaltet die Haustafel freilich nicht, 77 welche Elemente der Metaphorik aufgreift, um konkrete soziale Beziehungen zu regulieren. Die Relationen im oíkos bilden dabei (wie bereits in der griechischen Philosophie) die Grundlage für das größere politische 78 wie auch das kosmische Gefüge. 2.3 Mk 2,19 f. par.: Die nicht fastende Hochzeitsgesellschaft In der synoptischen Überlieferung taucht das Bild des Bräutigams im Kontext der Fastenfrage (Mk 2,18–20 par. Mt 9,14 f.; Lk 5,33–35) auf. 79 Die Hochzeit dient hier als bildspendender Bereich für die (messianisch interpretierte) Heilszeit gemäß der Bildfeldtradition in den ersttestamentlichen Prätexten. Mk 2,18 grenzt Jesus und seine Anhänger:innenschaft von jener des Johannes sowie der pharisäischen ab, indem die divergierende Fastenpraxis als Frage an ihn herangetragen wird: „Weswegen fasten die Jünger:innen des Johannes und die Jünger:innen der Pharisäer, deine Jünger:innen aber fasten nicht?“ 80 Darauf antwortet Jesus in Mk 2,19 zunächst: che soll zugleich in der Umkehrung das irdische Verhältnis der Ehepartner prägen.“ (445) 77 Vgl. auch Ådna, Liebesbeziehung, 447.463. Er rekurriert insbesondere auf die Liebesbeziehung von Weisheit und Weisem in der alttestamentlichen Tradition (ebd., 449–459.464). 78 Auch wenn die πολιτεία Christi in Alternative zum römischen Staat gedacht ist, ist sie hier inhaltlich kaum different formuliert – wenngleich sie unter dem Vorzeichen von Gewalt- und Machtverzicht die klassische οἶκος-πόλις-Ethik unterminiert und transzendiert. 79 Vgl. auch EvThom 104. 80 In Mt 9,14 werfen die Johannesjünger:innen als „Wir“ die Frage auf: „Weswegen fasten wir und die Pharisäer viel, deine Jünger:innen aber fasten nicht?“ Hingegen erheben in Lk 5,33 die Schriftgelehrten und Pharisäer (V. 30 explizit
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„Können etwa ‚die Söhne des Brautgemachs/Hochzeitssaals‘ 81 (hebraisierend: die Hochzeiter – die Hochzeitsgesellschaft), wenn der Bräutigam (nýmphios) bei ihnen ist, fasten?“ 82
Das Bildwort stellt heraus, dass Hochzeitsgäste typischerweise nicht fasten (oder gemäß der matthäischen Version trauern): Die messianische Bewegung bzw. die in ihr gekommene Heilszeit wird mit einer Hochzeitsfeier als Freudenfest verglichen, bei der Trauerriten wie Fasten (und Klagen) unangebracht sind. 83 „Das Nichtfasten der Jünger ist so ein demonstratives Zeichen der Heilszeit.“ 84 V. 21 f. zeigen dann: Das eschatologisch Neue lässt sich nicht einfach so mit dem Alten verbinden und verändert auch bisher gepflegte Traditionen bis hin zu Grundvollzügen religiöser Praxis. Mittels hochzeitlicher Bilder wird ebenso in der ersttestamentlichen Prophetie die Heilszeit beschrieben. So gibt etwa in Jer 33,10 f. (= 40,10 f. LXX) die gegenüber 7,34; 16,9; 25,10 85 (ein Bild der hereinbrechenden Exilskatastrophe) wieder hörbare Fröhlichkeit und Freude – insbesondere von Bräutigam und Braut – Kunde von der heilvollen Wende (der Heimkehr): „(10) So sprach JHWH: ‚Es wird noch gehört werden an diesem Ort, von dem ihr sagt:
im Dialog mit Jesus) den Vorwurf: „Die Jünger:innen des Johannes fasten viel und machen Gebete, ebenso auch die der Pharisäer, deine aber essen und trinken.“ Vgl. dazu auch die Gegenüberstellung von Täufer (welcher „kein Brot isst und keinen Wein trinkt“) und Menschensohn (als „Fresser und Säufer“) in Lk 7,33 f. (par. Mt 11,18 f.). 81 Siehe Dschulnigg, Markusevangelium, 99.101, für οἱ υἱοὶ τοῦ νυμφῶνος. 82 Mt 9,15: πενθεῖν („trauern“). Bei Lk 5,34 transitiv: „Könnt ihr etwa die Hochzeiter […] fasten lassen?“ 83 Vgl. dazu in Hld 5,1 die Aufforderung an die Freund:innen zu essen und zu trinken. 84 Dschulnigg, Markusevangelium, 100. 85 Z. B. Jer 25,10 LXX: καὶ ἀπολῶ ἀπ’ αὐτῶν φωνὴν χαρᾶς καὶ φωνὴν εὐφροσύνης, φωνὴν νυμφίου καὶ φωνὴν νύμφης, ὀσμὴν μύρου καὶ φῶς λύχνου. Vgl. auch Bar 2,23 (sowie Offb 18,23 auf Babylon bezogen). Joel 1,8 setzt einen Vergleich zu einer um ihren Bräutigam weinenden jungfräulichen Braut in Trauergewand; siehe auch 2,15 f. im Kontext der geforderten Askese: Fasten und Hochzeitsfreude schließen einander aus (vgl. Zimmermann, Geschlechtermetaphorik, 291). Ähnlich wird in 1 Makk 1,27 die Unheilssituation bei der Entweihung des Tempels durch Antiochus IV Epiphanes beschrieben: „Jeder Bräutigam stimmte die Totenklage an, und die im Brautgemach Sitzende trauerte.“
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‚Verlassen ist er von Menschen und Vieh‘, in den Städten Judas und außerhalb Jerusalems, die verwüstet sind, weil es nicht Mensch und Vieh gibt, (11) die Stimme der Freude und die Stimme der Lust, die Stimme des Bräutigams und die Stimme der Braut, die Stimme derer, die sagen: ‚Preist JHWH, den Allmächtigen, denn gut ist JHWH, denn in Ewigkeit (währt) sein Erbarmen‘ 86, und sie werden Gaben hineinbringen in das Haus JHWHs: denn ich werde zurückbringen jede Fremdansiedelung jenes Landes gemäß dem Früheren‘, sprach JHWH.“ 87
Dass die Heilszusage in V. 15–17 mit einer davidischen Verheißung verknüpft wird, regt zu einer messianischen Lektüre an. Die Fastenfrage in Mk 2,18 f. par. legt einen besonderen Fokus auf das Mahl bei den Hochzeitsfeierlichkeiten: Gerade ein Hochzeitsmahl ist besonders deutlich als Freudenmahl erkennbar. Damit verbindet sich die Tradition des eschatologischen Festmahls, beispielsweise in Jes 25,6–8. 88 So lädt auch der König im Gleichnis von Mt 22,2–14 anlässlich der Vermählung seines Sohnes zum Hochzeitsmahl. 89 In Lk 14,16–24 erzählt Jesus ein entsprechendes Gleichnis von einem Festmahl (V. 15 spielt auf das eschatologische Mahl an), davor aber 86
Vgl. den Kehrvers in Ps 106,1; 118,1.29; 136,1; außerdem 2 Chr 5,13. Jer 40 LXX: (10) οὕτως εἶπεν κύριος Ἔτι ἀκουσθήσεται ἐν τῷ τόπῳ τούτῳ, ᾧ ὑμεῖς λέγετε Ἔρημός ἐστιν ἀπὸ ἀνθρώπων καὶ κτηνῶν, ἐν πόλεσιν
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Ιουδα καὶ ἔξωθεν Ιερουσαλημ ταῖς ἠρημωμέναις παρὰ τὸ μὴ εἶναι ἄνθρωπον καὶ κτήνη (11) φωνὴ εὐφροσύνης καὶ φωνὴ χαρμοσύνης, φωνὴ νυμφίου καὶ φωνὴ νύμφης, φωνὴ λεγόντων Ἐξομολογεῖσθε κυρίῳ παντοκράτορι, ὅτι χρηστὸς κύριος, ὅτι εἰς τὸν αἰῶνα τὸ ἔλεος αὐτοῦ· καὶ εἰσοίσουσιν δῶρα εἰς οἶκον κυρίου· ὅτι ἀποστρέψω πᾶσαν τὴν ἀποικίαν τῆς γῆς ἐκείνης κατὰ τὸ πρότερον, εἶπεν κύριος. 88
Siehe dazu Long, Jesus. Zum messianischen Mahl vgl. auch 1 Hen 62,14. Eine solche messianische Zuspitzung der Hochzeitsmetaphorik (der „König“ richtet die Hochzeit seines „Sohnes“ aus) könnte auch in frühjüdischem Horizont zu verorten sein; zum messianischen Bräutigam siehe etwa den späteren Reflex in PesR 37 zu Jes 61,10. Dieser Vers, der Kleidungs- und Hochzeitsmetapher interagieren lässt (im Fokus des Vergleichs steht der festliche Hochzeitsschmuck von Bräutigam und Braut), ließe sich wiederum auch für das Motiv des fehlenden Hochzeitsgewandes in Mt 22,11 f. als Intertext anführen (siehe ferner Jes 61,3). Vgl. aber im Kontext der rabbinisch belegten Tradition der Sinai-Hochzeit auch Ex 19,10.14.
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bringt er angesichts der Mahlsituation auf der Erzählebene, wo sich Gäste Ehrenplätze aussuchen (V. 7), einen Vergleich mit einem Hochzeitsmahl ein (V. 8). Der zweite Teil von Mk 2,19 beantwortet die zuvor aufgeworfene rhetorische Frage und bekräftigt das Gesagte noch einmal (er fehlt bei den Seitenreferenten). Damit bereitet er bereits auch auf V. 20 vor – eine Erweiterung des Jesuswortes, die eine christologische Interpretation des Bräutigams suggeriert: 90 „(19b) Solange sie den Bräutigam bei ihnen haben, können sie nicht fasten: (20) Es werden aber Tage kommen, wo von ihnen der Bräutigam genommen wird, und dann werden sie fasten an jenem Tag.“
Was also in Jesu Gegenfrage in Mk 2,19a zunächst „als reines Bildwort erscheint, als Verweis auf allgemein verbreitete Sitten einer Hochzeitsfeier, bezieht sich in der Fortführung des Logions perspektivisch immer deutlicher auf die Jünger und Jesus, selbst wenn ‚Bräutigam‘ kein verbreitetes Messiasprädikat ist.“ 91 Gegenüber den ersttestamentlichen Heilsverheißungen (wie auch rabbinischen Belegen einer eschatologischen Hochzeit in den Tagen des Messias) zeigt sich jedoch eine gegenläufige Bewegung: 92 V. 20 spielt auf die Passion an. Die temporalen Angaben klingen vertraut aus der ersttestamentlichen Prophetie: „es werden Tage kommen“, „dann“, insbesondere „an jenem Tag“ (ähnlich in den Parallelstellen Mt 9,15; Lk 5,35). Die Umkehrung der Situation aber – ohne Bräutigam ist Fasten (und Klage) angesagt – erinnert an die ersttestamentlichen Verbildlichungen von Unheilssituationen. 93 Zusammenfassend lässt sich zur synoptischen Tradition sagen: Der Bräutigam kommt zunächst in Bildworten und Gleichnissen vor, ohne dass eine explizite Identifikation mit Jesus vorgenommen wird. Vgl. Jeremias, νύμφη, 1096 f.; Klauck, Allegorie, 160–169; Dschulnigg, Markusevangelium, 101 f. 91 Dschulnigg, Markusevangelium, 101. 92 Vgl. Zimmermann, Geschlechtermetaphorik, 291. 93 Vgl. über die oben erwähnten prophetischen Unheilsszenarien hinaus ferner Klgl 2,10: „Wo ist Brot und Wein?“ In 4 Esr 9 f. klagt später Mutter Zion über ihren bei seinem Hochzeitsfest verstorbenen Sohn (als Reflex der Zerstörung des – herodianischen – Tempels). Siehe auch den Weinverzicht in Mk 14,25. 90
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Dennoch sind die allegorischen Obertöne in der über die Jesusüberlieferung hinausgehenden Weiterentwicklung nicht zu überhören (siehe auch Mt 25) 94, insbesondere vor dem Hintergrund der schon etablierten Metaphorik. Hochzeitsmahl und -feier verbildlichen die gekommene Heils- und Freudenzeit. Eine Braut ist nicht im Blick. 2.4 Narrative Entfaltung des Christusbildes des messianischen Bräutigams im Johannesevangelium 95 In der Erzählwelt des Joh werden die nicht fastenden Jünger:innen Jesu dann tatsächlich zu Hochzeitsgästen: „Am 3. Tag“ findet in Joh 2,1 die Hochzeit zu Kana statt, zu der Jesus und seine Jünger:innen eingeladen sind (V. 2). In dieser Ouvertüre von Jesu öffentlichem Wirken – bei einer Hochzeitsfeier – übernimmt er in einer Rollenumkehr 96 die Verantwortung des Bräutigams, für den Wein 97 zu sorgen. Dass er ihn in (Über-)Fülle 98 zur Verfügung stellt (weshalb sich ein messianisch-königliches Festmahl assoziieren lässt), erweist sich als erstes „Zeichen“ (V. 11) der angebrochenen messianischen Heilszeit. 99 Dass sich die Figuren in der Erzählung nicht gemäß den Rollenerwartungen verhalten, 100 verweist bereits auf eine für Joh typische 94
Vgl. dazu aber auch PesK 19,4 (s. u.). Eine ausführlichere Analyse liegt vor in Taschl-Erber, Bräutigam. 96 Zimmermann, Jesus, 363, spricht mehrfach von „role reversal“. 97 In den an Mk 2,19 f. par. anschließenden Bildworten findet sich ebenso das Stichwort „Wein“: vgl. Mk 2,22 par. Mt 9,17; Lk 5,37–39. 98 Nach Wengst, Johannesevangelium 1, 111, fassen die 6 Steinkrüge zu je 2–3 Metretes (die Maßeinheit entspricht ca. 39 l) etwa 468–702 l. 99 Wein im Überfluss verheißen auch Am 9,13 f.; Joel 4,18; 1 Hen 10,19; ApkBar(syr.) 29,5. Ebenso darf der Wein, der für die Fülle göttlichen Segens, Fruchtbarkeit und Lebensfreude steht, beim Festmahl auf dem Zion in Jes 25,6 nicht fehlen. Auch die Weisheit offeriert bei dem Mahl, zu dem sie einlädt, Wein (vgl. Spr 9,2.5). In Hos 2,17 ist von der erneuten Gabe der Weinberge die Rede. Vgl. auch Jer 31,12. Umgekehrt geht etwa in Jer 48,33 verschwundene Freude mit verschwundenem Wein als Symbol einher (vgl. auch Joel 1,5–12). – Im hellenistischen Kontext erscheint Jesus als „‚dionysischer‘ Messias“ (so der Titel von Hengel, Messias). 100 Gäste (wie auch die ebenso anwesende „Mutter“ Jesu – eine Reminiszenz der Mutter Zion?) ergreifen die Initiative, während die für das Fest Verantwortlichen passiv gezeichnet werden und in der Mangelsituation keine Abhilfe schaffen können. 95
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hintergründige Sinnebene. Eine eschatologische Dimension bringt der „bis jetzt“ (V. 10) verwahrte gute Wein ins Spiel, wie schon an der Satzspitze von V. 1 die über den unmittelbaren chronologischen Erzählrahmen hinausgehende – und für Eheschließungen unübliche 101 – Zeitangabe „am dritten Tag“ (vgl. die Theophanie beim Bundesschluss am Sinai in Ex 19,11.16 102 sowie die Heilserwartung in Hos 6,2) aufhorchen und einen eschatologischen bzw. österlichen Klang mitschwingen lässt. 103 In der rabbinischen Auslegungstradition wird der Sinaibund in Ex 19 als Verlobung des Volkes mit JHWH gedeutet. 104 Mit Mark W. G. Stibbe lässt sich beobachten: „In 2.1– 11, the symbolic import of the Cana miracle is that the eschatological wedding, along with the messianic banquet, has now begun. […] Thus, the eschatological marriage between Yahweh and his people takes place in Jesus-history.“ 105 Die „Stunde“ in 2,4 (die Jesus in 12,23 und dann noch einmal in 17,1 als gekommen erklärt) verweist auf die Erhöhung, sodass sich wie in Mk 2,20 par. eine Verbindung von Hochzeitsthema und Passion zeigt. Den Part des Bräutigams übernimmt Jesus für die Leser:innen auf subtile Weise: Dass die Figur des nýmphios, den der Tafelmeister rufen 101
Zimmermann, Jesus, 363, verweist in der Mischna auf Ket 1,1 (am 4. Tag, bei Witwen am 5.). 102 In Ex 19,10 soll Mose das Volk „heiligen“, damit sie auf den „dritten Tag“ vorbereitet sind (V. 11), wo JHWH vor den Augen des ganzen Volkes auf den Berg Sinai herabsteigt. In V. 16 wird die Theophanie erzählerisch realisiert. Thyen, Johannesevangelium, 152, führt noch weitere Bezüge an, etwa das Motiv der Reinigung oder die Ausführung der Worte Gottes (siehe Joh 2,5: ὅ τι ἂν λέγῃ ὑμῖν ποιήσατε – Ex 19,8 LXX: Πάντα, ὅσα εἶπεν ὁ θεός, ποιήσομεν; vgl. 24,3.7). Vgl. außerdem Olsson, Structure, 102–109; Zimmermann, Christologie, 211. 103 Vgl. Stibbe, John, 46; Klauck, Kana, 10 f.; zur österlichen Dimension ferner Koester, Symbolism, 82.267; Bechtel, Symbolic Level, 246.254; Wengst, Johannesevangelium 1, 108; Theobald, Evangelium, 209 f. 104 Dazu Zimmermann, Jesus, 377 (mit Rekurs auf ShemR 33,7 zu Ex 25,2; DevR 3 zu Dtn 31,9). Zum breiteren rabbinischen Interpretationsrahmen der Sinai-Hochzeit (insbesondere die Königsgleichnisse in Pesiqta de Rav Kahana): ebd., 375 f.; ders., Geschlechtermetaphorik, 208–214. Teilweise tritt eine eschatologische Interpretation zu Tage, etwa in PesK 19,4 (Gabe der Tora als Ketubba zur Verlobung, während sich die Hochzeit wegen der Abwesenheit des Königs verzögert) oder ShemR 15,31 (Erwartung der Hochzeit in der Zeit des Messias). Zu rabbinischem Quellenmaterial siehe auch Villeneuve, Nuptial Symbolism, 292–356. 105 Stibbe, John, 60 f.
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lässt und in einer „komischen Verwechslung“ 106 an Jesu Stelle als für den (guten) Wein Verantwortlichen anspricht ( Joh 2,9 f.), in der Erzählung blass und stumm bleibt, lässt nach dem wahren Bräutigam Ausschau halten. So „erfolgt durch die kontrastive Gegenüberstellung […] eine bildhafte Zuordnung“ 107. Wenn wenig später in Joh 3,29 die Rede noch einmal auf einen nýmphios kommt, wird die Assoziation von Joh 2 vertieft. Die intratextuellen Bezüge zur Erzählung von der Hochzeit in Kana laden – gerade auch vor der synoptischen Folie (Mk 2,19 f. par.) – zu einer „Relektüre“ 108 ein, die den Bräutigam implizit mit Christus identifiziert. In Joh 3,29 vergleicht der Täufer sein Verhältnis zu Jesus mit demjenigen zwischen dem Bräutigam und dessen Freund als „Beistand“, der die Hochzeit bezeugt und sich mit ihm freut: 109 „Wer die Braut hat, ist der Bräutigam; der Freund des Bräutigams aber, der (dabei) steht und ihn hört, freut sich wegen der Stimme des Bräutigams. Diese Freude also ist als meine erfüllt.“
Auch mit der Erwähnung der Braut, die bei der Hochzeit in Kana ja auffällig fehlt, wird das Hochzeitsensemble hier komplettiert. 110 In 3,26 berichtet die Täufer-Anhänger:innenschaft von der größeren Popularität der Taufe Jesu. Damit ist ein analoger Kontext der Abgrenzung zwischen Jesus und Johannes bzw. der jeweiligen Jünger:innenschaft wie in Mk 2,18–20 par. gegeben. Mit explizitem Rückverweis auf Joh 1,20 („ich bin nicht der Messias“) bezeichnet sich der Täufer in 3,28 erneut als Vorbote und kommentiert Jesu Erfolg beim Volk: „Wer die Braut hat, ist der Bräutigam“ (V. 29). Damit begegnet im Zusammenhang von V. 28 f. eine Parallelisierung von Messias und Bräutigam, die zu einer metaphorischen Interaktion der 106
Garský, Zeichen, 80.85 f.88. Vgl. auch McWhirter, Bridegroom Messiah, 49, sowie Theobald, Evangelium, 216: „Die Rede des ‚Tafelmeistes‘ soll wohl die Übertragung dieser Rolle auf ihn nahelegen […].“ 107 Zimmermann, Christologie, 210. Mit Scholtissek, Ironie, 241, ließe sich aufgrund dieser Überblendung von einer „Doppelhochzeit“ sprechen (die auf zwei verschiedenen Ebenen stattfindet); vgl. auch Klauck, Kana, 12. 108 Vgl. Garský, Zeichen, 96 f. 109 Vgl. Wengst, Johannesevangelium 1, 155 f. 110 Vgl. Thyen, Johannesevangelium, 228.
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Konzepte führt und zu deren Überblendung einlädt. Vielleicht handelt es sich zunächst um ein sentenzartiges Bildwort – dessen entfaltete Form im spezifischen Kontext verweist jedoch auf einen metaphorischen Horizont, der in manchen Erzählungen durchschimmert, wo die Rolle des Bräutigams transparent wird. 111 Neben der hochzeitlichen Freude lässt die gehörte „Stimme des Bräutigams“ in Joh 3,29 insbesondere Jer 33,10 f. = 40,10 f. LXX 112 und damit die Erfüllung der prophetischen Heilszusage anklingen. 113 So bezeugt auch der Täufer: „diese Freude also ist als meine erfüllt“. 114 Indem er nun von seiner eigenen Freude spricht, identifiziert er sich mit dem „Freund des Bräutigams“ – und Jesus mit dem „Bräutigam“. Doch erneut bleibt die Frage offen (auch wenn der Missionserfolg in Joh 3 eine implizite Antwort gibt): Wer spielt die Rolle der Braut? „Asking this question leads the paradigmatic reader to look out for a female character who will fulfil this symbolic role.“ 115 Mögliche Antworten finden sich im weiteren Erzählverlauf, wo weibliche Figuren aufgrund des erzählerischen Arrangements und intertextueller Links als Symbolgestalten Aspekte der Braut-Typologie repräsentieren. Dazu können im vorliegenden knappen Rahmen nur einige Schlaglichter präsentiert werden.
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Ähnlich Thyen, Johannesevangelium, 228: „Obwohl das so eröffnete Gleichnis seinen Sinn in sich selbst hat, darf und muß man seine Sätze wohl zugleich vor dem Hintergrund der biblischen Rede von Jhwh als dem Bräutigam und Israel als seiner geliebten Braut und von der verheißenen eschatologischen Erneuerung dieses Verlöbnisses mit der Ungetreuen lesen.“ Nach Zimmermann, Christologie, 216, wird hier „mit der kontextuellen Jesus-BräutigamMetapher ein Bibelcode geliefert, der retrospektiv die Erzählungen in Joh 2,1– 11 und prospektiv in Joh 4 erhellt.“ Ähnlich Zimmermann/Zimmermann, Brautwerbung, 48.50; Theobald, Evangelium, 287; Garský, Zeichen, 87; Zimmermann, Jesus, 359 f. 112 Vgl. τὴν φωνὴν τοῦ νυμφίου ( Joh 3,29) – φωνὴ νυμφίου ( Jer 40,11 LXX). Zum Motiv der „Wüste“ (ἔρημος in Jer 40,10 LXX) siehe Joh 1,23 bezüglich des Täufers (als Zitat von Jes 40,3 LXX): φωνὴ βοῶντος ἐν τῇ ἐρήμῳ. 113 Ausführliche Analyse bei McWhirter, Bridegroom Messiah, 54–58. 114 Zur Motivkombination von „Bräutigam“, „Braut“ und „Freude“ vgl. auch Jes 62,5 (LXX: καὶ ἔσται ὃν τρόπον εὐφρανθήσεται νυμφίος ἐπὶ νύμφῃ, οὕτως εὐφρανθήσεται κύριος ἐπὶ σοί). In V. 8 f. wird ferner Wein erwähnt. – Freude verheißt Jesus auch in den Abschiedsreden ( Joh 15,11; 16,22.24), welche als österliche Freude in 20,20 narrativ eingelöst wird. 115 Stibbe, John, 61.
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Jesu Gespräch mit der namenlosen „Frau aus Samarien“ (4,7; wohl als dessen Repräsentantin, 116 im Gegenüber zu Jesus als Judaíos, siehe V. 9) am Jakobsbrunnen (4,6.12) lässt ersttestamentliche Brunnenszenen mit Brautwerbung anklingen (vgl. Gen 24: Abrahams Knecht Elieser und Rebekka; 29: Jakob und Rahel; Ex 2,15–22: Mose und Zippora). Jer 2–3 als Intertext enthält eine ähnliche Verknüpfung interagierender Wasser- ( JHWH allein ist nach Jer 2,13 „Quelle des Wassers des Lebens“) 117 und Ehemetaphorik (s. o., das untreue Israel ist Exempel für Juda). 118 Vor dem Hintergrund der in Joh 4,20–24 verhandelten Frage der Gottesverehrung spielen die von Jesus erwähnten fünf „Männer“ der Samaritanerin (4,18) daher wohl auf die fremden Götter der fünf 119 in Samarien angesiedelten Völker in 2 Kön 17,24–41 an, 120 der jetzige nicht rechtmäßige Mann auf den aktuellen samaritanischen Kult. 121 In Jesus als Messias ( Joh 4,25 f.29) findet die Samaritanerin ihren wahren Bräutigam. 122
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Siehe die Wir-Rede in 4,12 sowie den Wir-Ihr-Diskurs in V. 20–22. Dass weibliche Symbolgestalten ein Land oder eine Stadt repräsentieren (auch Erzählfiguren wie z. B. Judit), entspricht ja den biblischen Konventionen: siehe insbesondere Israel und Juda bzw. Samaria und Jerusalem als Schwestern in Jer 3; Ez 16; 23 (s. o.). 117 Mit Brunnen und Quellen verbindet sich auch eine sexuell aufgeladene Metaphorik: siehe z. B. Spr 5,15–18; Hld 4,12.15. 118 Jer 3,18 (LXX: ἐν ταῖς ἡμέραις ἐκείναις συνελεύσονται οἶκος Ιουδα ἐπὶ τὸν οἶκον τοῦ Ισραηλ […]) formuliert die Hoffnung auf die Wiedervereinigung von Juda und Israel, vgl. auch 31,31 (= 38,31 LXX); Ez 37,22. Mit Jakob ist in Joh 4 auch der gemeinsame Stammvater anvisiert. Zur vielschichtigen Wassersymbolik in Joh 4 siehe Taschl-Erber, Christological Transformation, 249– 259. 119 Josephus hält die Fünfzahl ausdrücklich fest: […] ἕκαστοι κατὰ ἔθνος ἴδιον θεὸν εἰς τὴν Σαμάρειαν κομίσαντες (πέντε δ’ ἦσαν) […] (ant. 9,288; LCL 326,152). 120 Zum Stichwort προσκυνέω (9x in Joh 4,20–24; siehe außerdem προσκυνηταί in V. 23) vgl. 2 Kön 17,35 f. (προσκυνήσετε in 4 Kön 17,35 f. LXX wie in Joh 4,21). 121 Vgl. z. B. Carmichael, Marriage, 338, Anm. 23; Fehribach, Women, 65– 69; McWhirter, Bridegroom Messiah, 69–72; Theobald, Evangelium, 318.322 f.; Klauck, Kana, 42 f. Zimmermann/Zimmermann, Brautwerbung, 45–50, stellen im Hinblick auf den derzeitigen Mann einen Bezug zum Kontext von 3,22–4,42 (konkurrierende Johannestaufe) her. 122 In Joh 4,35–38 ist eine Reflexion der erfolgreichen samaritanischen Mission im Bild der Ernte (dazu vgl. wiederum Jer 2,2 f. sowie Hos 2,25) eingeschoben.
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An der Schwelle zur Passion, wo sich die johanneische Liebestheologie verdichtet, 123 erfolgt beim Dankesmahl nach der Auferweckung des Lazarus Jesu Salbung durch Maria in Betanien (12,1–8), welche die letzte Woche seines Wirkens einleitet. 124 Mit einer dem Weinwunder in der ersten Woche entsprechenden Fülle an „kostbarem echten Nardenöl“ (V. 3) salbt ihn Maria in Interfiguralität mit der namenlosen Prophetin in Mk 14,3–9 (par. Mt 26,6–13) zum messianischen König 125 und angesichts seines bevorstehenden Todes zugleich für sein Begräbnis 126 (vgl. Jesu Deutung in Joh 12,7 par. Mk 14,8; ähnlich wie in Mk 2,19 f. und 14,7 verweist er in Joh 12,8 auf eine Zeit, wo er nicht mehr „mit“ seinen Jünger:innen ist). Der „das Haus“ erfüllende Duft 127 stellt eine intertextuelle Beziehung zu Hld 1,12 her, 128 sodass der ebenso beim Mahl liegende Jesus als gesalbter König figuriert wird. Gleich darauf folgt in Joh 12,12–19 (anders als in der markinischen Abfolge) der Einzug des Gesalbten nach Jerusalem – ebenfalls unter anderen Vorzeichen als z. B. bei Salomo in 1 Kön 1,38–40. Ein wichtiger Schlüssel für die Deutung Jesu als des messianischen Bräutigams, hier im Rahmen der Königschristologie, liegt in der messianischen Interpretation von Ps 45 (= 44 LXX), wo die
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Vgl. programmatisch Joh 13,1.34 etc. Die betanischen Geschwister erscheinen in 11,5 „paradigmatisch als ‚Geliebte Jesu‘“ (Thyen, Johannesevangelium, 512). 124 Nach Joh 12,1 spielt die Szene 6 Tage vor Pesach. 125 Vgl. z. B. 1 Sam 10,1; 2 Kön 9,3.6 (analog zu Mk 14,3). 126 McWhirter, Bridegroom Messiah, 144, sieht hier „an ironic twist“: „Jesus, the bridegroom-Messiah, is anointed with perfume intended for his burial.“ (88) Vgl. ἀλείφω in Mk 16,1. 127 Dass im AT der von Brandopfern rührende „Wohlgeruch“ (LXX: ὀσμὴ εὐωδίας; vgl. die christologische Interpretation in Eph 5,2) und aromatische Rauchwolken den Tempel zum Zeichen der Gegenwart Gottes „(er)füllen“ (vgl. etwa die Wolke bzw. JHWHs Herrlichkeit in Ez 10,4; 43,5; 44,4 oder die Theophanie in Jes 6,1–4), deutet ferner auf tempeltheologische Symbolik. Vgl. auch Calduch Benages, La fragancia. 128 Vgl. auch Cambe, L’influence, 15–17; Feuillet, La recherche, 107; Fehribach, Women, 93; Winsor, King, 22 f.26; McWhirter, Bridegroom Messiah, 80–88; Thyen, Johannesevangelium, 548; Theobald, Evangelium, 775; Beutler, Johannesevangelium, 350. Gleich zu Beginn findet sich in Hld 1,2–4 die hochzeitliche Motivreihe Liebe – Salbölduft – Freude – Wein. In Jer 25,10 LXX kündet hingegen neben dem verstummenden Freudenruf von Bräutigam und Braut der vergehende Salbenduft (ὀσμὴν μύρου) vom hereinbrechenden Unheil.
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Hochzeit des gesalbten Königs besungen wird. 129 Aufgrund von wörtlichen und motivischen Übereinstimmungen des „Liebeslieds“ 130 mit dem Hld kann eine Überblendungstechnik 131 nach Art der gezera shawa auch die männliche Figur (insbesondere den König 132) des Hld in messianische Farben tauchen. 133 Durch Marias rätselhaft wirkendes Handeln (sie wischt nach Joh 11,2 und 12,3 – anders als die markinische Prophetin und die Sünderin in Lk 7,37 f. – das teure Öl 134 nach der Salbung der Füße Jesu mit ihren Haaren wieder ab und präfiguriert damit bereits die Fußwaschung in Joh 13,5) 135 bekommt die paradigmatische Jüngerin, die Jesu Beispiel dienender Liebe folgt (vgl. 13,14 f.34 f.), Anteil an 129
McWhirter, Bridegroom Messiah, 106–122, sieht hier den entscheidenden Katalysator. Hebr 1,8 f. zitiert Ps 45,7 f. neben Ps 2,7; 2 Sam 7,14; Ps 110,1. Messianische Lektüren des Psalms zeigen sich etwa auch in Tg. Ps 45,3, wo die Schönheit des königlichen Messias gepriesen wird, sowie in Qumran: dazu Zimmermann, Geschlechtermetaphorik, 263; ders., Jesus, 368. Insbesondere lässt sich das „Öl der Freude“ in Ps 45,8 auch mit Jes 61,3 verknüpfen (dazu siehe die messianische Interpretation in 11Q13,II,18 f.). In Joh 19,39 f. stellen die mit Myrrhe und Aloe aromatisierten Leinenbinden (100 Litra verweisen auf eine königliche Bestattung) einen intertextuellen Bezug zu den danach duftenden Hochzeitsgewändern des gesalbten Königs in Ps 45,9 her. 130 Ps 45,1 MT: ִשׁיר ְי ִדיד ֹת/ 44,1 LXX: ᾠδὴ ὑπὲρ τοῦ ἀγαπητοῦ. 131 So zitiert etwa auch Origenes Ps 45 in seinem Hld-Kommentar: V. 10.15 f. in comm. in Cant. 1,5,9 (zu Hld 1,4); V. 9 in 2,10,10 (zu Hld 1,13; ebenso in hom. in Cant. 2,3). 132 Vgl. Ps 45,2.6.12.(14.)15.16 – Hld 1,4.12; 3,9.11; 7,6. SchwienhorstSchönberger, Hohelied, 29, sieht auch in der Zuschreibung des Hld an Salomo „eine messianische Facette“; zur doppelten Verstehensmöglichkeit des „Königs“ im Hld: ebd., 37.107–109. 133 Vgl. dazu später etwa Tg. Hld 7,14–8,2 im Rahmen eines systematischen geschichtsmetaphorischen Aufrisses. 134 300 Denare ( Joh 12,5) entsprechen in etwa dem Jahreslohn eines Tagelöhners. 135 Gruber, Zumutung, 653, weist auf eine „narrative Spiegelung“ hin. Vgl. u. a. Thyen, Johannesevangelium, 548 f. Auch Lk 7,44 stellt den Vergleich mit einer Fußwaschung her. Fehribach, die Maria „as the betrothed/bride of the messianic bridegroom“ (dies., Women, 84 et passim) interpretiert, rekurriert auf die Position von Ehefrauen zu Füßen ihres Mannes bei einem Familienmahl (ebd., 99 f.) und erläutert ferner: „Only a betrothed/bride could have anointed Jesus’ feet with perfume, let down her hair in his presence, and then wiped his feet with her hair without receiving some kind of public rebuke for such otherwise shameless behavior (12:3).“ (175; vgl. 90 f.) Ansonsten deutet die Handlung auf einen Sklav:innendienst. Belege zur Fußsalbung bei Wengst, Johan-
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Jesu Leben verheißendem „Duft“ (vgl. die Duftmetaphorik in 2 Kor 2,14–16) 136, wie schon Origenes betont. 137 Entsprechend der ekklesialen Dimension der Szene, die bereits im Setting des Dankesmahls (siehe Joh 12,2) angelegt ist, 138 könnte sie die messianische Gemeinde repräsentieren, 139 die „Tochter Zion“ in Zef 3,14 140 und Sach 9,9 (zitiert in Joh 12,15: „[…] siehe, dein König kommt […]“ 141). In der entscheidenden „Stunde“ der Erhöhung betritt Maria von Magdala die johanneische Erzählbühne ( Joh 19,25). Früh bringen patristische Kommentare (z. B. Hippolyts Hld-Kommentar) 142 die österliche Begegnung Marias von Magdala mit dem Auferstandenen ( Joh 20,1–18) 143 in intertextuellen Dialog mit dem Hld und sehen in der Osterzeugin die Suchende aus Hld 3,1–4 (vgl. auch 5,6–8; 6,1), die schließlich ihren Geliebten findet. 144 Im Motiv von Suche und nesevangelium 2, 48; Bill. 1,426–428; im griechischen Bereich: van Tilborg, Love, 196–198 (er hebt erotische Konnotationen hervor). 136 Zu den Duftträger:innen vgl. die am Duft der Weisheit (Sir 24,15) partizipierenden Weisen in Sir 39,14. 137 So legt Origenes, comm. in Cant. 2,9, Hld 1,12 im Licht von Joh 12,3 aus und stellt eine interfigurale Verbindung zwischen der als Kirche/Seele gedeuteten Braut und Maria her, die mit ihrem Haar den Duft Christi (den die Narde absorbiert) aufnimmt. 138 Dazu Taschl-Erber, Familie, 35 f. 139 Vgl. Calduch Benages, La fragancia, 260: „[…] María (osmófora) encarna la figura de la esposa“. Außerdem Fehribach, Women, 83–113 (im Unterschied zur Samaritanerin „on behalf of the Jews“ [84]/„of the Jewish people“ [86 et passim]; siehe die Verbindung Marias mit οἱ Ἰουδαῖοι in 11,31.33.45). 140 In Zef 3, das (ebenso) als Intertext der Einzugsperikope dient, soll sich „Tochter Zion/Jerusalem“ freuen (V. 14): „Der König Israels, JHWH, ist in deiner Mitte“ (V. 15; siehe in Joh 12,13 das nach dem Zitat von Ps 118,26 nachklappende ὁ βασιλεὺς τοῦ Ἰσραήλ). V. 17 spricht von seiner Liebe und Freude über sie. Vgl. dazu auch die Anrede der Braut als θύγατερ in Ps 44,11 LXX; Hld 7,2 LXX. 141 In Kombination auch mit Jes 40,9 f. – Klauck, Kana, 54, wertet die intertextuelle Folie des königlichen Einzugs aus: „angesichts der ausgearbeiteten Metaphorik in den Anfangskapiteln kann man unter Umständen daran denken, dass der König hier zu einer Hochzeitsfeier eingeholt wird und die Braut eine Personifikation des Gottesvolkes oder der Stadt Jerusalem darstellt.“ 142 Dazu Taschl-Erber, Intertextuelle Lektüre. 143 Ausführlich zu Joh 20,1–18 inklusive Rezeptionsgeschichte: TaschlErber, Maria von Magdala. 144 Zur Dialogizität mit Hld 3,1–4 vgl. etwa Cambe, L’influence, 17–19 (Resümee 24 f.); Feuillet, La recherche, bes. 102–107; Stibbe, John, 205; Winsor, King, 35–48; McWhirter, Bridegroom Messiah, 88–105. Gerade als Pe-
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(Nicht-)Finden, welches Joh durchzieht, 145 spiegelt sich in der prophetischen Tradition das Drama der Liebesgeschichte Gottes mit seinem Volk. 146 Auch Finsternis ( Joh 20,1) und Gartenmotivik 147 (20,15; vgl. 19,41 f.) etablieren eine metaphorische Bedeutungsebene in der johanneischen Ostermorgenerzählung, die Maria von Magdala als Symbolgestalt der nachösterlichen Gemeinde auftreten lässt. Indem sie mit ihrer Ostererfahrung am Morgen „an jenem ersten Tag der Woche“ ( Joh 20,19), 148 der den Neubeginn markiert, auf der narrativen Ebene die Wiedersehensverheißung des Abschied nehmenden Jesus (14,19–23; 16,16–22) 149 einlöst, weist sie den Weg aus der Klage 150 über den „Weggang“ des Geliebten zur Verkündigung des Lebenden – in der erzählerisch inszenierten Wende (20,14.16) vom Gekreuzigten im Grab zum Auferstandenen, dessen wahren Ort mit der Jüngerin die Gemeinde erkennen soll (siehe die leitmotivische Wo-Frage in V. 2.13.15). So kann sich gegenüber Hld 3,4 oder kaiserzeitlicher Romanliteratur 151 die Wiedervereinigung der Liebenden auch nicht in physischer Unmittelbarkeit vollenden, sondern im sich entziehenden Geliebten, den Maria von Magdala gerade nicht festhalten soll ( Joh 20,17), 152 um vielmehr ihren Auftrag zur Verkündigung der johanneischen Osterbotschaft zu erfüllen ( Joh 20,18: „ich habe den kýrios gesehen“), kommt eine neue Dimension der Beziehung zum Ausdruck. 153
sachlesung wäre das Hld ein plausibler Intertext für die johanneische Passionsund Ostererzählung. Angesichts der späten Belege erhebt sich jedoch die Frage, wie weit sich diese Praxis zurückdatieren lässt. 145 Vgl. Joh 1,38.41.45; 6,26; 7,34–36; 8,21; 13,33; 18,4.7; 20,15. 146 Mit Fokus auf die Weisheit: Spr 8,17; Weish 6,12. 147 Dazu Taschl-Erber, Bräutigam, 361–363. Ausführlich Kramp, Gärten. 148 Vgl. Gen 1,5 LXX sowie zur formelhaften prophetisch-apokalyptischen Zeitangabe ἐν ἐκείνῃ τῇ ἡμέρᾳ in der LXX beispielsweise Hos 2,18.20; Joel 4,18; Jes 25,9; Dan 12,1. 149 Zu μικρόν ( Joh 14,19; 16,16–19) vgl. etwa in Jes 54,7 LXX χρόνον μικρόν. 150 Vgl. Joh 16,20: κλαύσετε – 20,11: κλαίουσα; V. 13.15: τί κλαίεις; 151 Siehe z. B. die Wiedererkennungsszene im VIII. Buch des populären Klassikers Kallirhoë des Chariton von Aphrodisias (dazu etwa Taschl-Erber, Narrative Modelle, 139). 152 Zum Noli me tangere siehe Taschl-Erber, Recognition. 153 Im Philippusevangelium, das mit erotischer Metaphorik und hochzeitlichen Bildern spirituelle Vereinigung umschreibt und die valentinianische Syzygienlehre aufnimmt, wird die geliebte Jüngerin (vgl. auch das Evangelium nach Ma-
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Im Überblick über die Hochzeitsmotivik im Johannesevangelium zeigt sich: Das Bildthema des messianischen Bräutigams als eine Facette der multiperspektivischen johanneischen Christusbildlichkeit wird im ersten Erzählkranz von Joh 2–4 subtil aufgebaut: bei der Ouvertüre Jesu öffentlichen Wirkens beim messianischen Hochzeitsmahl in Kana, seinen ersten Erfolgen bei der Sammlung der messianischen Gemeinde – in Abgrenzung zum Täufer (der gleichsam als Brautführer fungiert) – und der samaritanischen Mission. 154 Vor seinem königlichen Einzug in Jerusalem salbt ihn Maria in Betanien zum messianischen König und zugleich für sein Begräbnis. Die von der Todesbedrohung gerahmte 155 Salbung spiegelt die Paradoxie des erniedrigenden Kreuzestodes, insofern der johanneische Christus sich gerade am Kreuz erhöht als hoheitsvoller König erweist. Die Hochzeit des messianischen Bräutigams wird in der „Stunde“ der Erhöhung am Kreuz vollzogen. 156 Im österlichen Kyrios findet Maria von Magdala in der Ostermorgenerzählung des Johannesevangeliums den Geliebten wieder. Im Licht der ersttestamentlichen Hoffnungen erfährt hier die Liebesgeschichte Gottes mit seinem Volk eine Erneuerung im eschatologischen Bund der Liebe durch Jesu Tod und Auferstehung. In der johanneischen Relecture findet die endzeitliche Hochzeit JHWHs mit seinem Volk in bzw. durch seinen himmlischmessianischen Repräsentanten statt. 157 Die messianische Gemeinde
ria) als Jesu Partnerin bezeichnet. Zur „gnostischen“ Rezeption siehe TaschlErber, Maria von Magdala, 479–588 (mit weiterführender Literatur). 154 Klauck, Kana, 63, formuliert die resümierende These: „In dem Abschnitt ‚Von Kana nach Kana‘ in Joh 2–4 wird der Weg Jesu als seine erste Missionsreise dargestellt, zugleich auf metaphorischer Ebene als Hochzeitsreise in mehreren Etappen inszeniert, immer mit der Gründung einer Familie als letztem Ziel vor Augen.“ 155 Siehe Joh 11,47–57; 12,9–11. 156 Vgl. auch Fehribach, Women, 121–131, sowie breiter zur Kreuzigung als Hochzeit: Pitre, Jesus, 82–113. Bereits Augustinus, expos. Ps. 138,2, interpretiert Joh 19,34 in intertextueller Verknüpfung mit Gen 2,21 auf die Geburt der Kirche aus der Seite (πλευρά) des neuen Adam. 157 Vgl. van Tilborg, Love, 76: „In Jesus God enters into a marriage with Israel.“ – So bleiben auch explizite Aussagen rund um Zeugung, Geburt und Kindschaft, welche in der ersttestamentlichen Prophetie mit der Hochzeitsund Ehemotitik verbunden sind, auf Gott bezogen (vgl. Joh 1,12 f. etc.; in 3,3– 8 mit Fokus auf τὸ πνεῦμα).
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wird durch weibliche Figuren in einer die narrativen Szenen hintergründig überlagernden Symbolik repräsentiert.
3. Bilanz: Die Bräutigam-Metapher und ihre Gender-Implikationen Die biblischen Textbeispiele des Bildfelds zeigen Ambivalenzen. Auf der einen Seite lässt die Hochzeitsmetaphorik Bilder des Heils und festlicher Freude anklingen. Als Analogie für das Gottesverhältnis fungiert, positiv betrachtet, die intime Liebesbeziehung als intensivste personale Begegnung im zwischenmenschlichen Erfahrungsbereich. Der erneuerte Liebesbund resultiert aus Gottes grenzenlosem Erbarmen in ewiger Liebe, die stärker als die Verfehlungen des menschlichen Partners ist. Auf die Passion als Akt der Liebe gewendet, eröffnen sich Bedeutungsdimensionen, die in der Mystik noch weiter entfaltet werden. Auf der anderen Seite signalisiert die anthropomorphe Beziehungsmetapher der Ehe unter patriarchalen Vorzeichen eine hierarchische Beziehung. Gott wird als liebender, aber autoritärer (Ehe-) Mann dargestellt. In der Rezeption der prophetischen Metaphorik mit ihrer Schablonisierung der stereotyp sexuell devianten (und daher zu kontrollierenden, gegebenenfalls auch zu bestrafenden) Frau und der verbildlichten sexuellen Gewalt besteht zudem die Gefahr, Herrschaftsstrukturen mit religiöser Bildsprache zu autorisieren und auch Gewalt gegen Frauen zu legitimieren. Hier zeigt sich die Kontextabhängigkeit von Metaphern: Auch wenn die ursprüngliche Sinnspitze der Metaphorik wohl in vergebender Liebe liegt, klingen in aktuellen Kontexten stärker die Themen ehelicher Gewalt und sexuellen Missbrauchs an. In den Texten schreibt sich die patriarchale Gesellschaftsordnung in anthropomorphe androzentrische Gottesbilder ein und wirkt von daher, sich selbst legitimierend, auf die gelebten Verhältnisse zurück, da metaphorisch-symbolische Ebene und reale Geschlechterpolitik nicht vollends getrennt werden können, sondern interagieren. Metaphern spiegeln und erzeugen Erfahrungswelten, können sich verselbständigen und zu sozialer Wirklichkeit gerinnen. Wenn der göttliche Partner in androzentrischer Theologie und Anthropologie männliche Überlegenheit in der Geschlechtersymbolik des Gottesverhältnisses
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repräsentiert, werden mit den Gottes- und Christusbildern unterschwellig Geschlechterkonstruktionen transportiert, die zu einer Divinisierung männlicher Macht führen und patriarchale Systeme stabilisieren. 158 Das Bild des Bräutigams operiert mit Genderstereotypen. Im AT ist das Bildfeld eingebettet in ein Konzert verschiedener Gottesbilder, die auch weibliche Seiten Gottes ins Bild setzen. In der neutestamentlichen Bräutigam-Christologie verstärkt sich die Androzentrik durch das biologische Geschlecht Jesu. Auf Christus übertragen führt die Metapher zu einer symbolischen Überhöhung des Mannseins Jesu, die antike Gendertypologien aufnimmt und verstärkt – und daraus Konsequenzen für die soziale, insbesondere auch kirchliche Praxis ableitet. So dient etwa die Haustafel in Eph 5 explizit zur Legitimation hierarchischer Geschlechterbeziehungen, auch wenn diese durch die betonte Liebe des jeweils männlichen Parts eine Korrektur erfahren. Insbesondere in der Erzählwelt der Evangelien zeigen sich allerdings in der Passion auch Ansätze, klassische männliche Rollenerwartungen zu durchkreuzen und Geschlechterrollen zu transformieren: Die eschatologische Hochzeit vollzieht sich am Kreuz, anstatt als triumphalistischer königlicher Herrscher erweist sich Jesus als leidender und dienender Messias-Bräutigam, der sein Leben aus Liebe hingibt. Die christologische Bräutigam-Metapher lässt ferner aber auch in der nachösterlichen Reflexion eine asketisch-spirituelle Relecture der Jesusfigur erkennen. Auf Jesus angewendet setzt sie das Bild des ehelosen Wanderpredigers voraus, der keine biologische Familie gründet, sondern die familia Dei jenseits herkömmlicher familiärer Bande um sich sammelt. Daraus ergeben sich wiederum entsprechende Impulse für die Nachfolge. Auch die Haustafel des Epheserbriefs akzentuiert, bei aller Analogie, die Differenz von himmlischer und irdischer Ehe. Auf der figuralen Ebene fehlt in den Evangelienerzählungen (wie auch in den Hochzeitsgleichnissen) eine explizit und klar zugeordnete Braut. Anders als etwa in den poetischen Bildern ersttestamentlicher Prophetie (die jedoch einen wichtigen Schlüssel zum Verstehen der 158
Die Metapher von Braut und Bräutigam nutzten auch Missbrauchstäter im kirchlichen Bereich konkret, indem sie in der repräsentativen Rolle als „alter Christus“ sexuelle Handlungen an „Bräuten“ Christi vollzogen: „Die Rolle der Bibel in der Tatanbahnung“ beschreibt in einem aktuellen Themenheft von Bibel und Kirche („Sexualisierte Gewalt in und mit der Bibel“) Reisinger, Rolle, hier 7, mit Verweis auf Sullivan, Rape Culture, 335.
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neutestamentlichen Metaphorik bildet), oder auch in der (deutero-) paulinischen Briefliteratur, tritt das kollektive bräutliche Gegenüber nicht direkt im narrativen Zusammenhang der Jesus-Erzählung auf. Diese Leerstelle regt in ihrer Offenheit zu unterschiedlichen Füllungen, auch in der Interpretation der Kollektivgestalt, 159 an, wie die Rezeptionsgeschichte zeigt. 160
Literatur Abma, Richtsje, Bonds of Love: Methodic Studies of Prophetic Texts with Marriage Imagery (Isaiah 50:1–3 and 54:1–10, Hosea 1–3, Jeremiah 2–3) (SSN 40), Assen 1999. Ådna, Jostein, Die eheliche Liebesbeziehung als Analogie zu Christi Beziehung zur Kirche. Eine traditionsgeschichtliche Studie zu Epheser 5,21–33, in: ZThK 92 (1995), 434–465. Baumann, Gerlinde, Liebe und Gewalt. Die Ehe als Metapher für das Verhältnis JHWH – Israel in den Prophetenbüchern (SBS 185), Stuttgart 2000. Baumann, Gerlinde, Riskante Traumabewältigung. Neuere Deutungen von Ez 16, in: BiKi 78 (2023), 18–23. Bechtel, Lyn M., A Symbolic Level of Meaning: John 2.1–11 (The Marriage in Cana), in: Brenner-Idan, Athalya (Hrsg.), A Feminist Companion to the Hebrew Bible in the New Testament (FCBib 10), Sheffield 1996, 241–255. Beutler, Johannes, Das Johannesevangelium. Kommentar, Freiburg i. Br. 2013. Brenner-Idan, Athalya (Hrsg.), A Feminist Companion to the Latter Prophets (FCBib 8), Sheffield 1995. Brenner-Idan, Athalya, Pornoprophetics Revisited. Some Additional Reflexions, in: JSOT 70 (1996), 63–86. Brenner-Idan, Athalya, Pornoprophetics Revisited. Decades Later, in: Claassens, L. Juliana/Fischer, Irmtraud (Hrsg.), Prophecy and Gender in the Hebrew Bible (The Bible and Women. An Encyclopedia of Exegesis and Cultural History 1.2), Atlanta 2021, 359–372; deutsche Ausgabe: Brenner-Idan, Athalya, Jahrzehnte später. „Pornoprophetisches“ aus heutiger Sicht, in: Claassens, Juliana/Fischer, Irmtraud (Hrsg.), Prophetie (Die Bibel und
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Im Unterschied zur (deutero)paulinischen Tradition lässt sich bei Joh etwa nicht so eindeutig von der Ekklesia, sei es als lokaler (2 Kor) oder universaler Größe (Eph), sprechen. 160 Dass hier dann teilweise auch die „theologisch-symbolische“ und die „irdisch-konkrete“ Ebene ineinanderfließen, wird an entsprechenden Rezeptionen Marias von Magdala deutlich – von ihrer patristischen Interpretation als Braut des Hld (als Bild der Kirche) bis hin zu belletristischen Spekulationen (wie z. B. in Dan Browns 2003 erschienenem Bestseller The Da Vinci Code).
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Von Vätern und Söhnen Ein neues Männlichkeitsideal vor dem Hintergrund der trinitarischen Auseinandersetzungen des 4. Jahrhunderts Johanna Brankaer Zusammenfassung Ausgehend von der Analyse der komplexen Beziehung zwischen der nizänischen Lehre und der diskursiven (Re-)Produktion spätantiker Männlichkeit durch Virginia Burrus in „Begotten, Not Made“ – Conceiving Manhood in Late Antiquity (2000), möchte ich in Ambrosius’ De fide untersuchen, wie das Thema der Vaterschaft zu einem Diskurs über Männlichkeit beiträgt, sowohl in seinem trinitarischen als auch in seinem sozialen Kontext. In seiner Trinitätslehre stellt Ambrosius traditionelle Vorstellungen von väterlicher Autorität und (biologischen) Familienbanden in Frage. Er stellt zunächst fest, dass die Tatsache, dass der Sohn nicht gezeugt hat, nicht bedeutet, dass er in irgendeiner Weise untergeordnet oder machtlos wäre. Damit ist die Verbindung zwischen Vaterschaft und potestas aufgehoben. Dann versucht er zu beweisen, dass der Sohn auch Vater ist, allerdings nicht durch Zeugung, sondern durch Adoption. Dies ermöglicht es ihm, die Vaterschaft für asketische Kleriker wie ihn selbst zu beanspruchen. Die transzendente Definition der Vaterschaft im Kontext der Trinität gilt auch für die Hierarchie und den Status auf gesellschaftlicher Ebene. Während dies Bischöfen wie Ambrosius erlaubt, einen diskursiven Raum zu schaffen, in dem sie ihre patria potestas ausüben können, bringt es auch – wie Burrus beobachtet hat – die „Auslöschung des Weiblichen aus Darstellungen göttlicher Generativität“ mit sich. Diese Auslöschung erstreckt sich auch auf den christlichen Diskurs über die menschliche Verwandtschaft. Wir sollen Kinder des Vaters und des Sohnes werden. Die Mutter wird nur durch die Verneinung ihrer eigenen Weiblichkeit dargestellt.
Abstract Starting from the analysis of the intricate relation between Nicene doctrine and the discursive (re-)production of Late Antique Manhood by Virginia Burrus in „Begotten, Not Made“ – Conceiving Manhood in Late Antiquity (2000), I set out to investigate in Ambrose’s De fide the ways in which the
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theme of Fatherhood contributes to a discourse about Masculinity, both in its trinitarian and its social contexts. In his trinitarian doctrine, Ambrose challenges traditional conceptions of the fatherly authority and (biological) family ties. He first establishes that the fact that the Son did not beget does not entail any kind of subordination or lack of power on his side. Thus, the link between Fatherhood and potestas is abolished. He then sets out to prove that the Son is also a Father, though not through procreation but through adoption. This will allow him to claim fatherhood for ascetic clerics like himself. The transcendent definition of Fatherhood in the context of the Trinity also applies to hierarchy and status on the level of society. While this allows bishops like Ambrose to create a discursive space where they can exercise their patria potestas, it also entails – as Burrus observed – the „erasure of the female from representations of divine generativity.“ This erasure extends to the Christian discourse about human kinship. We are to become children of the Father and the Son. The Mother is only represented by way of the negation of her very femaleness.
1. Einleitung 1.1 Denkanstoß In ihrem 2000 erschienenen Buch „Begotten, Not Made: Conceiving Manhood in Late Antiquity“ exploriert die amerikanische Kirchenhistorikerin Virginia Burrus, wie das Glaubensbekenntnis von Nizäa und seine Rezeption ein neues Verständnis der Männlichkeit artikuliert und reproduziert haben. 1 Die asketischen Bischöfe, die die nizänische Doktrin förderten, verkörperten dieses neue Ideal, insofern darin zwar die patriarchale Autorität hervorgehoben wurde, zugleich aber die „biologischen“ und familienbezogenen Dimensionen des Mann-Seins in den Hintergrund gerückt wurden. In dem Bekenntnis „Wir glauben an … den einen Herrn, Jesus Christus, den Sohn Gottes, der als Einziggeborene aus dem Vater gezeugt ist, d. h. aus dem Wesen des Vaters, Gott aus Gott, Licht aus Licht, wahrer Gott aus wahrem Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater …“
1
Burrus, Begotten.
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wird innerhalb der Trinität eine patrilineare Abstammung postuliert, die jeder sexuellen oder biologischen Dimension entbehrt und so auf die „mütterliche“ Funktion verzichten kann. Aus einer explizit feministischen Perspektive problematisiert Burrus „the erasure of the female from representations of divine generativity“ 2 – diese Tilgung ist es, die ihrer Meinung nach erst ein radikales Verständnis der Transzendenz ermöglichte. In der Zeugung des Sohnes durch den Vater (allein), in seiner Geburt aus dem Vater (allein) liegt die Grundlage des absoluten Anders-Seins von Schöpfer und Geschöpf. Wo die Beziehung zwischen Mutter und Kind für das Materielle, das Sinnliche, das Bewegliche und somit Vergängliche steht, wo diese Beziehung grundsätzlich fleischlich und sichtbar ist, gehört die Beziehung zwischen Vater und Kind zum Unsichtbaren, zum Symbolischen. Gerade diese Unsichtbarkeit erfordert den „Glaubenssprung“ – der auf der Substitution körperlicher Anwesenheit durch Transzendenz fußt. Die Abwesenheit des transzendenten Gottes wird dann noch einmal durch die „reelle Anwesenheit“ Christi in der Eucharistie substituiert. 3 Diese Vorstellung lässt ebenso wenig Platz für das Körperliche wie für das Mütterliche. Die nizänischen Theologen betonen zum einen die wesentliche Differenz zwischen (dem trinitarischen) Gott und dem Menschen: Die Geburt des Sohnes aus dem Vater kann mit keiner menschlichen Geburt verglichen werden. Zum anderen aber ist diese Vorstellung der Andersheit der Gottheit auch eine Aufforderung an den Menschen, seine eigene Natur zu übersteigen und durch „Adoption“ ebenfalls zum Sohn des Vaters zu werden. Die zu transzendierende Natur ist diejenige, die er als aus einer Gebärmutter geborenes Geschöpf empfing: Es ist die chaotische, körperliche, vergängliche und manchmal sündhafte Natur des Menschen. Die anzustrebende transzendente Natur ist ganz und gar ihr Gegenteil: Als Verneinung des Weiblichen ist sie nicht geschlechtslos. Vielmehr erscheint sie in den Schriften der nizänischen Kirchenväter, so Burrus, als eindeutig männlich. 4
2 3 4
Ebd., 189. Ebd., 189–190. Ebd., 35.
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1.2 Absicht und Abgrenzung des Themas Die Einsichten von Virginia Burrus werde ich als Denkanstoß nehmen, um mich mit einem spezifischen Aspekt des Männlichkeitsideals zu befassen. Vor dem Hintergrund einer „Krise des römischen Männlichkeitsideals“ (2) möchte ich die Einsichten aus Burrus Monographie anhand eines Abschnitts aus dem anti-arianischen Werk De fide des Mailänder Bischofs Ambrosius überprüfen. Dabei beschränke ich mich auf das Thema „Vaterschaft“ und die Frage, wie die nizänische Trinitätslehre es ermöglicht, neu zu definieren, was Vater-Sein bedeutet, sowohl im Hinblick auf die Gottheit als auch auf die innerweltliche Realität (3). Diese neue Perspektive auf Vaterschaft erlaubt es dem kinderlosen Bischof auch, sich selbst als Vater darzustellen (4). Schließen möchte ich mit der Frage, ob es auch für die Mutter noch einen Platz gibt (5).
2. Eine Krise des römischen Männlichkeitsideals In der Forschungsliteratur wurde des Öfteren darauf hingewiesen, dass es in der Spätantike eine Krise des römischen Männlichkeitsideals gab. 5 Zeitgenössische Quellen beschweren sich darüber, dass die Männer, die der Elite angehören, sich nicht mehr in der Armee bzw. in der Politik engagieren, sondern sich vielmehr privaten Angelegenheiten widmen und sich teilweise aus dem öffentlichen Leben zurückziehen. 6 Die autokratische Regierungsform des Kaiserreiches machte eine politische Karriere weniger attraktiv, weil der Schwerpunkt der Verwaltung des Reiches beim kaiserlichen Haushalt lag, in dem nicht nur Männer der Elite angestellt wurden. Die zivilen Ämter waren mit einer großen finanziellen Belastung verbunden, ohne dass sie noch eine reelle Macht versprachen. 7 Zudem gab es auch eine Krise der traditionellen Familie. Die patria potestas wurde durch kaiserliche Gesetzgebung eingeschränkt, 5
Kuefler, The Manly Eunuch, 6. Kritisch dazu: Goldberg, Roman Masculinity, 99–103. 6 Kuefler, The Manly Eunuch, 125, weist darauf hin, dass diese Tendenz von christlichen Autoren des Öfteren positiv bewertet wurde als eine Flucht vor der Welt. So verfasste z. B. Ambrosius eine Schrift De fuga saeculi. 7 Kuefler, The Manly Eunuch, 19–21.
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wobei z. B. Frauen eine größere Kontrolle über ihre Besitzungen erhielten. Zudem hat das Christentum auch von Männern eine größere Moralität in Hinblick auf die Ehe gefordert, was die Möglichkeiten, sich als Mann im Bereich der Sexualität zu behaupten, ebenfalls limitierte. Die geänderte militärische, politische und soziale Lage hat dazu beigetragen, dass das alte Ideal der virtus mit neuer Bedeutung aufgeladen werden musste. Die virtus war ein wichtiges Element des Selbstverständnisses römischer (aristokratischer) Männer. 8 Die „Männlichkeit“ war eindeutig positiv konnotiert, die „Weiblichkeit“ negativ. Als Mann in der römischen Gesellschaft hatte man ständig der Drohung der „Verweiblichung“ standzuhalten. Gerade in der Spätantike beschweren sich Moralisten, sowohl Heiden als auch Christen, über den Verlust der virtus, über die Dekadenz der römischen Eliten, die sich nun in Luxus und Konsum vergnügen. 9 Diese Vorwürfe beziehen sich des Öfteren direkt oder indirekt auf die „Verweiblichung“ der Sitten, d. h. auf einen Mangel an Selbstbeherrschung. 10 Die Selbstbeherrschung wurde als Beweis der Fähigkeit bzw. Eignung zum Herrschen überhaupt angesehen. Nun gab es aber für die meisten Männer der Elite keinen geeigneten Raum mehr, wo sie ihre Autorität wahrlich ausüben konnten. Gerade das Fehlen eines solchen Raums in den traditionellen Arenen der Männlichkeit dürfte die kirchliche Karriere für Männer der Elite attraktiv gemacht haben.
3. Eine neue Perspektive auf „Vaterschaft“ Die ersten Generationen von christlichen Denkern sahen in den Aussagen der Weisheit im Buch der Sprüche, dass der Herr sie einerseits erschaffen hat (8,22 LXX: κύριος ἔκτισέν με) und er sie andererseits 8
Dazu z. B. Kuefler, The Manly Eunuch, 19–21. Römische Schriftsteller betonten die etymologische Verwandtschaft der Begriffe vir („Mann“) und virtus („Tugend“, „Männlichkeit“). Laktanz führt die Bedeutung von vir auf die Vokabel vis („Kraft“) zurück, während er für mulier/mollier („Frau“) auf die Vokabel mollities („Weichheit“) verweist (De opificio Dei 12,16–17). 9 Kuefler, The Manly Eunuch, 125–128, bietet zahlreiche Beispiele aus den Schriften der Kirchenväter. 10 Vgl. z. B. Goldberg, Roman Masculinity, 15–16.
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gezeugt hat (8,25 LXX: γεννᾷ με), keinen Widerspruch, auch wenn die Identifikation zwischen der biblischen Weisheit und (dem präexistenten) Christus bereits im 2. Jahrhundert geläufig war. 11 Viele Theologen des 2. und 3. Jahrhunderts vertraten eine mehr oder weniger implizite subordinatianistische Trinitätslehre. 12 Die Subordination ergab sich schon aus der Verwendung der Vokabeln „Vater“ und „Sohn“. Der Konflikt zwischen dem alexandrinischen Priester Arius und seinem Bischof Alexander am Anfang des 4. Jahrhunderts hat sich um Vorstellungen der Unterordnung des Sohnes kristallisiert. Auch nach der Annahme der Wesenseinheit zwischen Vater und Sohn auf dem ersten ökumenischen Konzil in Nizäa stritten sich Christen weiterhin um die Frage nach dem Verhältnis zwischen Vater und Sohn. In seiner Schrift Über den Glauben an Kaiser Gratian (De fide) versucht der Mailänder Bischof Ambrosius, den jungen Kaiser für seine (neu-)nizänische Trinitätslehre zu gewinnen. 13 Dabei befasst er sich intensiv mit den Argumenten, auf die sich seine (semi-)arianischen 14 Gegner berufen, um die Wesensgleichheit zwischen Sohn und Vater zu bestreiten. Ein Vorwurf, der in diesem Zusammenhang mehrfach begegnet, ist, dass die Arianer die Essenz der göttlichen Transzendenz verkennen, indem sie ständig „menschliche“ Kategorien auf Gott anwenden. Ein Beispiel, das für unser Thema besonders relevant ist, betrifft die Vokabel „Vaterschaft“. In De fide 4,8,78–96 setzt sich der Mailänder Bischof mit dem Argument seiner Gegner, die Vaterschaft sei Zeichen der Superiorität des Vaters, auseinander. Für die Arianer impliziere die Tatsache, dass der Vater den Sohn gezeugt hat, der Sohn 11
Vgl. z. B. Bay, The Wisdom Tradition, 389–411. Origenes hätte aber nicht wirklich eine subordinatianistische Lehre vertreten, den geläufigen Subordinatianismus vielmehr gemildert, so Ramelli, The Father, 31–66. 13 Zu dem Verhältnis zwischen Ambrosius und Kaiser Gratian: McLynn, Ambrose of Milan, 79–157. 14 Ambrosius bezeichnete seine Gegner als „Arianer“, auch wenn dies nicht unbedingt ihrer Selbstwahrnehmung entsprach. Sie vertraten die „homöische“ Position, die zu dieser Zeit im Westen weitverbreitet war (vgl. Ayres, Nicaea and its Legacy, 260–267). Da der Arianismus samt seinen unterschiedlichen Erscheinungsformen nicht das eigentliche Thema dieses Beitrags darstellt, werde ich im Folgenden Ambrosius Bezeichnung seiner Gegner ohne weitere Nuancierung übernehmen. 12
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aber selbst keinen Sohn gezeugt hat, ein hierarchisches Verhältnis zwischen beiden – was übrigens den gängigen sozialen Normen entsprach. Der Vater sei aus diesem Grund allmächtig, der Sohn eben nicht. Ambrosius weist diese Schlussfolgerung zuerst aus „logischen Gründen“ zurück: Entweder müssen seine Gegner gestehen, dass der Sohn mit dem Vater gleichewig ist, was sie aber verneinen, oder sie lästern Gott, indem sie die „Allmacht“ des Vaters erst mit der Zeugung des Sohnes beginnen lassen, den Vater somit von dem Sohn abhängig machen und in dieser Weise seine Allmacht eigentlich verneinen. 15 Ambrosius gibt sich aber nicht damit zufrieden, diesen arianischen Denkfehler aufzudecken. Er reflektiert das Thema Vaterschaft auch inhaltlich weiterführend. Dabei (1) artikuliert er die Verhältnisse zwischen den verschiedenen Personen der göttlichen Dreieinheit, (2) postuliert eine eigentümliche Form der Vaterschaft für den Sohn, und (3) projiziert seine trinitarischen Ansichten auf die gesellschaftlichen Verhältnisse zurück. 3.1 Trinitarische Überlegungen zum Vater und Sohn Ambrosius verwirft die Verbindung zwischen „Allmacht“ und der Fähigkeit zu zeugen. „‚Der Vater,‘ so sagt er, ‚hat gezeugt, der Sohn hat nicht gezeugt.‘ Wieso ist das ein Beweis ihrer Ungleichheit? Das Zeugen ist mit seiner Eigentümlichkeit als Vater verbunden, nicht mit seiner Allmacht. Und die Frommheit macht (die beiden Personen) eben gleich, sie trennt (sie) nicht.“ 16
Das Zeugen ist ein Attribut des Vaters, es ist eine „personengebundene“ Eigenschaft, die mit seiner väterlichen Funktion verbunden ist (paterna proprietas), die göttliche Substanz aber nicht modifiziert. 17 Dass der Sohn gezeugt wurde und selbst nicht gezeugt hat, weist keineswegs auf seine Unterlegenheit hin. Wir haben es hier bloß mit
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Vgl. Ambrosius, De fide 4,8,79–80. Ambrosius, De fide 4,8,81: ‚Generauit‘ inquid, ‚pater, non generauit filius‘. Quod hic argumentum inaequalitatis? Generatio enim paternae proprietatis est, non potentiae, et pietas aequat, non separat. 17 Vgl. Athanasius, Contra arianos 1,29; Gregor von Nazianz, Oratio 29,6. 16
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„natürlichen“ Kategorien zu tun, die über die Göttlichkeit nichts Wesentliches aussagen. „Denn es gibt keine Schwäche (infirmitas) in Christus – weder bezüglich seiner Natur noch bezüglich seiner Macht – wegen der Tatsache, dass er nicht gezeugt hat, weil das Zeugen, wie wir bereits des Öfteren gesagt haben, nicht die Erhabenheit seiner Macht (potestas), sondern eine Eigenschaft seiner Natur betrifft. Denn wenn der Vater nur deswegen allmächtig ist, weil er einen Sohn hat, dann wäre er noch allmächtiger gewesen, wenn er mehrere hätte.“ 18
Es ist auffällig, dass Ambrosius hier den Terminus infirmitas („Schwäche“) verwendet, weil dieser durchaus die Abwesenheit von Kraft, Mut, Standhaftigkeit bezeichnet – d. h. die Abwesenheit von typisch männlichen Eigenschaften. 19 Das Zeugen wäre in dieser Perspektive ein essenzielles Merkmal der Männlichkeit. Ambrosius suggeriert hier, dass sich seine Gegner Christus als „verweiblicht“ vorstellten. Vaterschaft und Sohnschaft sind für Ambrosius loci der Unterschiedlichkeit der göttlichen Personen (distinctio patris et filii et spiritus sancti), die an einer gemeinsamen Substanz ohne Unterschiede teilhaben (quaedam indistincta substantia). 20 Diese gemeinsame Substanz ist eine männliche Substanz, in der die infirmitas keinen Platz hat. Die Unterschiede innerhalb der drei-einen Gottheit gehören zum göttlichen Mysterium, das die menschliche Erkenntnisfähigkeit übersteigt. 21 Seinen Gegnern wirft Ambrosius vor, dass sie dieses Mysterium verkennen, indem sie die Schrift allzu wörtlich lesen und daher menschliche Vorstellungen auf Gott projizieren. Auch wenn in der Schrift von Gottes Gebärmutter die Rede ist (z. B. in Ps 109,3), sollte man sich diese nicht anthropomorph vorstellen. „Er sprach in dieser Weise, nicht um etwas über seinen leiblichen Schoß auszusagen, sondern um eine Eigentümlichkeit der wahren Zeugung zu 18
Ambrosius, De fide 4,8,85: Non est ergo naturae, non est potentiae in Christo aliqua, quia non generauit, infirmitas, quia generatio, sicut saepe iam diximus, non ad sublimitatem potentiae, sed ad proprietatem refertur naturae. Nam si ideo omnipotens pater, quia filium habet, omnipotentior ergo esse potuit, si plures haberet. 19 Vgl. Lewis/Short, A Latin Dictionary, 946ab, s. v. infirmitas. Die Vokabel wird auch konkret verwendet, um Frauen, „the weaker sex“ zu bezeichnen (I, 2). 20 Vgl. Ambrosius, De fide 4,8,91. 21 Vgl. Ambrosius, De fide 4,8,91.
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zeigen. Denn, wenn du dies in körperlichem Sinne interpretierst, dann hat auch der Vater in Schmerzen und mittels einer Empfängnis gezeugt. Bewahre uns aber davor, Gott anhand körperlicher Schwäche (infirmitas) zu ermessen! Die ‚Gebärmutter‘ ist sozusagen das Mysterium der väterlichen Substanz, das Geheimnis seines inneren Wesens, in das weder Engel noch Erzengel, weder Mächte und Herrschaften noch irgendwelche geschöpfliche Natur eindringen (penetrare) konnten. Denn der Sohn ist immer beim Vater und im Vater: beim Vater durch die untrennbare Unterschiedlichkeit der ewigen Dreieinheit, im Vater durch die Einheit der göttlichen Natur.“ 22
An dieser Stelle kann man nachvollziehen, wie Ambrosius den Begriff „Zeugung“ neu definiert. Als Ausgangspunkt nimmt er die menschliche Fortpflanzung. Diese wird sogleich als etwas Unvollkommenes, als Zeichen „körperlicher Schwäche“ dargestellt. Dabei greift Ambrosius noch einmal die Vokabel infirmitas auf, die mit Weiblichkeit konnotiert ist. Die körperliche Wirklichkeit wird ganz aus weiblicher Perspektive beschrieben: Es werden Schmerzen hervorgerufen ebenso wie die Erfahrung, penetriert zu werden. Letzteres wurde von den Römern als schlimmstes Attentat auf die Männlichkeit gesehen. 23 Wenn Ambrosius ausdrücklich verneint, dass Gott – sei es auch durch ein rein geistliches Wesen – penetriert wurde, dann hebt er somit seine unantastbare Männlichkeit hervor, selbst wenn er, so bestimmte Stellen aus der Schrift, eine „Gebärmutter“ hat. Implizit wird Männlichkeit hier – wie es in der antiken Welt gängig war – mit Vollkommenheit gleichgestellt, Weiblichkeit mit Mangel. Interessant ist, dass Männlichkeit und Weiblichkeit dabei von ihrer biologischen Geschlechtlichkeit losgelöst werden. In diesem Sinne können auch Jungfrauen durch ihren verschlossenen, impenetrablen Schoß über ihren „natürlichen“ Zustand aufsteigen. 24 Die transzendente Zeugung, 22
Ambrosius, De fide 4,8,88: Quod utique ideo dixit, non ut corporalem aluum declararet, sed ut proprietatem uerae generationis ostenderet. Nam si ad corporalia referas, ergo et pater cum dolore et conceptione generauit. Sed absit ut deum ex infirmitate corporis metiamur! Est quidam ‚uterus‘ paternae arcanum substantiae interiusque secretum, quod non angeli, non archangeli, non potestates et dominationes, non aliqua creaturarum potuit penetrare natura. Cum patre enim semper et in patre semper est filius, cum patre per distinctionem indissociabilem trinitatis aeternae, in patre per diuinae unitatem naturae. 23 Vgl. Walters, Invading the Roman Body, 29–43. Auch junge Frauen, die der Elite angehörten, dürften nicht penetriert werden (ebd., 35). 24 Vgl. Burrus, Begotten, 144–145.
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ohne Schmerzen und ohne Penetration, wird von Ambrosius als „wahre Zeugung“ (uera generatio) der „natürlichen“, menschlichen Fortpflanzung übergeordnet und ihr in gewissem Sinne als Vorbild und nachzustrebendes Ziel vorgehalten. Dieselbe Vorstellung der Zeugung wird er auch auf die Kirche anwenden. 25 3.2 Der Sohn als Vater Da die wahre Zeugung nun als ein transzendentes Ereignis definiert worden ist, kann Ambrosius sie ebenfalls dem Sohn zuschreiben. Dabei differenziert er aber, um die Eigentümlichkeit der göttlichen Personen nicht zu gefährden, zwischen verschiedenen Arten des Erzeugens. „Ich werde zeigen, dass auch Christus Söhne hat, die er jeden Tag erzeugt. Diese Erzeugung (generatio) oder vielleicht besser ‚Erneuerung‘ (regeneratio) gehört zu seiner Macht (potestas), nicht zu seiner Natur. (Die Vokabel) ‚Adoption‘ verweist ja auf (seine) Macht, (die Vokabel) ‚Erzeugung‘ verweist auf eine (spezifische) Eigenschaft. Das lehrt uns die Schrift selbst. Johannes sagt ja, dass er in dieser Welt war und dass die Welt durch ihn gemacht wurde, dass die Welt ihn aber nicht gekannt hat, dass er zu den Seinen kam und die Seinen ihn nicht aufnahmen. Jenen aber, die ihn aufnahmen, gab er allen Macht (potestas), Gottes Söhne zu werden, denen, die an seinen Namen glauben ( Joh 1,10–12). So haben wir erfahren, dass es (Ausdruck) seiner Macht (potestas) ist, dass er uns zu Söhnen Gottes gemacht hat.“ 26
Nachdem der Bischof von Mailand die Vaterschaft Gottes ausdrücklich von seiner Allmacht losgelöst hat, 27 verbindet er nun die potestas Jesu mit einer eigenen Art der Vaterschaft. 25
Vgl. Brown, The Body and Society, 353–356. Brown betont, wie der diskursive Rekurs auf die Jungfräulichkeit es ermöglichte, die „Grenzen“ der als Körper aufgefassten Kirche zu überwachen. 26 Ambrosius, De fide 4,8,86–87: At ego ostendam et Christum habere filios, quos cottidie generat, sed ea generatione uel potius ‚regeneratione‘, quae potestatis est, non naturae. ‚Adoptio‘ enim potestatis est, generatio proprietatis. Quod ipsa scriptura nos docuit; dicit enim Iohannes quia in hoc mundo erat, et mundus per ipsum factus est, et mundus eum non cognouit, in sua propria uenit, et sui eum non receperunt. Quotquot autem receperunt eum, dedit illis potestatem filios dei fieri, his qui credunt in nomine eius. Didicimus itaque potestatis esse, quod nos filios dei fecit. 27 Ambrosius, De fide 4,8,77–79.
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Die Vaterschaft des Sohnes ereignet sich nicht durch generatio, sondern vielmehr durch re-generatio, die hier mit adoptio gleichgestellt wird. Der Vater und der Sohn erscheinen so beide als „Väter“ der Gläubigen. Letztere wurden zwar nicht wie der eingeborene Sohn im Inneren des Vaters gezeugt, die re-generatio durch Christus, also die Neugeburt in der Taufe, macht sie aber nicht nur zu (adoptierten) Kindern Christi, sondern auch zu Kindern Gottes, des Vaters. Die ursprüngliche generatio, die den Gläubigen in die Welt brachte, und die von der Erbsünde befleckt war, wird durch eine Neuzeugung, die ihn mit der unkörperlichen Transzendenz verbindet, ersetzt. Ebenso wie der Vater den Sohn allein, ohne irgendein mütterliches Prinzip gezeugt hat, bringt der Sohn allein die Gläubigen als Gotteskinder hervor. 28 Anders als ihre erste Geburt aus einer Frau, regeneriert die zweite Geburt sie als vollkommene Wesen: Ihre ursprüngliche infirmitas ist nun durch Teilhabe an der göttlichen potestas überwunden. 3.3 „Weltliche“ Überlegungen zu Vätern und Söhnen Dass die Arianer aus der Titulatur „Vater“ und „Sohn“ auf eine ontologische Unterordnung des Letzteren schlossen, war in der antiken Welt naheliegend. Dem pater familias kam in der (erweiterten) Familie eine exklusive Autorität zu, die in der Spätantike auf einer politischen Ebene in der „absoluten“ Macht des Kaisers widergespiegelt wurde. 29 Söhne unterlagen der patria potestas auch im juristischen Sinne. Ambrosius spielt auf diese Lage an, wenn er den Verdacht äußert, dass seine Gegner diese menschliche Erfahrung auf die Gottheit projizieren. „Und so scheint es mir ebenfalls schlimm, auch wenn es (nur) um Menschen geht, dass einer nur deswegen als minderwertig angesehen würde, weil er einen Vater hat – es sei denn, dass sie gleichsam der Meinung sind, dass Christus in der Lage eines Familienangehörigen sei und darunter leide, dass er nicht vom Vater emanzipiert sei und nicht über die
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In späteren Schriften wird Ambrosius die Analogie zwischen der Kirche und der Gottesmutter entwickeln, wobei das Erzeugen der Gläubigen als Kinder Gottes nicht mehr die Zeugung des Sohnes durch den Vater, sondern die Zeugung des inkarnierten Jesus widerspiegelt. 29 Vgl. Lassen, The Roman Family, 103–120, bes. 112–114.
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Möglichkeit verfüge, die väterlichen Güter (patrimonium) zu verwalten. Christus ist nicht an (religiöse) Bräuche (sacra) gebunden, da er sämtliche (religiöse) Bräuche getilgt hat.“ 30
Wie wir bereits gesehen haben, war die Institution der patria potestas im 4. Jahrhundert einigermaßen „erodiert“. Sie hatte aber noch eine bedeutende symbolische Wirkung. An dieser Stelle sei nicht nur festgehalten, dass diese „menschlichen“ Verhältnisse ohnehin nicht auf die Gottheit angewandt werden können, sondern vor allem, dass Ambrosius hier die Institution der patria potestas selbst, auch als innerweltlichen Machtgrund, kritisiert. Niemand sollte als „minderwertig“ angesehen werden, nur weil er ein Sohn ist, d. h., weil er der väterlichen Autorität (noch) unterworfen ist. Der Mailänder Bischof spielt auf eine Frustration an, die viele römische Männer vermutlich empfunden haben, nämlich auf politische und ökonomische Entscheidungsmacht verzichten zu müssen. Solange er der Autorität des Vaters ausgesetzt ist, ist der Mann ebenso wenig emanzipiert wie ein Kind oder eine Frau. 31 Erneut gewinnt man den Eindruck, dass die Arianer Christus seiner Männlichkeit beraubt haben. Als Sohn ist Christus aber keineswegs einer väterlichen Autorität untergeordnet. 32 Hier erfährt die Wesensgleichheit der trinitarischen Personen eine konkrete Umsetzung in Autoritätsgleichheit. Die Erlösung, die der Sohn bewirkt, erscheint in diesem Zusammenhang auch als eine Befreiung aus der väterlichen Macht. 33 Jesus wird nicht innerhalb einer Struktur von sacra situiert: Er ist nicht durch religiöse Bräuche und Pflichten gebunden, auch nicht im familialen Bereich, sondern hebt diese vielmehr auf.
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Ambrosius, De fide 4,8,92: Et ideo hoc, inquam, graue et de ipsis hominibus uidetur, ut quis ideo minor putetur, quia patrem habet, nisi forte tamquam constitutum in familia putant Christum dolere, quod emancipatus a patre non sit et administrandi patrimonii non habeat facultatem. Sed non est Christus in sacris, qui sacra uniuersa distruxit. 31 Vgl. Welborn, The Young against the Old, K. 2. 32 Ambrosius hat bereits darauf hingewiesen, dass Christus sich wegen der Willenseinheit mit dem Vater nicht einem fremden Willen zu unterwerfen hatte (De fide 4,8,74). 33 Dafür unterwirft man sich nun der Autorität eines transzendenten Vaters – aber zunehmend auch der Autorität eines „symbolischen“ Vaters, nämlich des Bischofs. Vgl. Vuolanto, Children and Ascetism, 79–80; Kuefler, The Manly Eunuch, 142–151.
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Zugleich problematisiert Ambrosius hier die patria potestas, zumindest insofern diese auf biologischer Verwandtschaft fußt. Daran spürt man, dass diese Institution im 4. Jahrhundert nachließ. Die patria potestas verband Macht mit Vaterschaft. Diese Verbindung verwirft Ambrosius, nicht nur in Bezug auf die Trinität, sondern ebenfalls als Grundlage für menschliche und gesellschaftliche Verhältnisse. Dabei fasst er nicht nur das Verhältnis zwischen Vater und Sohn in den Blick, sondern auch den Wert des Zeugens an sich, als konstitutiver Akt der Vaterschaft. „Übrigens erkennen wir, dass es auch im Bereich unserer (menschlichen) Schwäche (infirmitas) des Öfteren vorkommt, dass schwache Menschen Söhne haben, während die Stärkeren keine haben, dass Sklaven sie haben, während ihre Meister keine haben, dass Arme sie haben, während die, die mächtig sind (potentes)[,] keine haben. Aber wenn sie sagen, dass auch dies Zeichen der Schwäche ist, dass Menschen Söhne haben möchten, es aber nicht vermögen, lass sie dann verstehen, dass, auch wenn man die menschliche Wirklichkeit nicht mit der göttlichen vergleichen sollte, doch auch bei den Menschen selbst die Tatsache, dass man Söhne hat oder nicht, nicht ein Zeichen der Macht (potentia), sondern ein Zeichen einer väterlichen Eigentümlichkeit (paterna proprietas) ist. Die Fähigkeit zu zeugen hat nichts mit der souveränen Ausübung (potestas) unseres Willens, sondern mit einer Eigenschaft unseres Körpers zu tun. Denn, wenn es eine Frage der Macht (potentia) wäre, dann würde ein mächtigerer Mensch (potentior) viele Söhne haben. Dass man Söhne hat oder nicht, hat daher nichts mit Macht (potentia) zu tun.“ 34
Wenn seine Gegner aus dem Vater-Sohn-Verhältnis innerhalb der Trinität auf die Minderwertigkeit der zweiten Person schließen, dann verkennen sie die wesentliche Differenz zwischen der menschlichen und der göttlichen Sphäre, so Ambrosius: Sie projizieren die
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Ambrosius, De fide 4,8,81–82: Denique in ipso usu nostrae infirmitatis frequenter euenire cognoscimus, ut et infirmi filios habeant et non habeant fortiores, habeant serui et non habeant domini, habeant inopes et non habeant qui potentes sunt. Sed si dicunt et hoc infirmitatis esse, quia homines uolunt filios habere nec possunt, quamuis humana non sint conferenda diuinis, intellegant tamen inter ipsos quoque homines non potentiae esse, sed paternae proprietatis habere filios uel non habere, nec in potestate nostrae uoluntatis esse generare, sed in corporis qualitate. Nam si esset potentiae, utique potentior multos haberet. Ergo non est potentiae habere filios uel non habere.
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Verhältnisse aus der eigenen innerweltlichen Wirklichkeit auf die Gottheit. 35 Auch wenn der Mailänder Bischof an dieser Stelle davor warnt, Menschliches mit Göttlichem zu vergleichen, greift er hier selbst auf die göttliche Realität zurück, um etwas über das Menschliche auszusagen. Er hat bereits festgestellt, dass innerhalb der Trinität die Eigenschaft „Vaterschaft“ nichts über die (All-)Macht (potestas) einer göttlichen Person aussagt. Das möchte er nun auch auf die menschlichen Verhältnisse erweitern. Auch in diesem Bereich sollte man die Fähigkeit, Kinder zu zeugen, nicht als Ausdruck der Macht oder einer einflussreichen gesellschaftlichen Stellung (potentia) sehen, sondern vielmehr als eine zufällige körperliche Eigenschaft. Ambrosius kritisiert so die immer noch weitverbreiteten traditionellen Normen der römischen Gesellschaft. Dabei geht es nicht nur um die formale Autorität des pater familias, sondern auch um die Idee, dass sexuelle Potenz und die Fähigkeit, Kinder zu zeugen, konstitutive Elemente der männlichen Identität sind. Ambrosius weist die kontingente körperliche Realität aber zugunsten der autonomen Ausübung des Willens als locus der Identität zurück. So modelliert er die menschlichen Normen nach den Verhältnissen einer völlig transzendenten Gottheit. Dabei fasste er nicht nur das Leiden von ungewollt kinderlos gebliebenen Zeitgenossen in den Blick, sondern auch – und vor allem – den Autoritätsanspruch von asketischen Bischöfen, so wie er einer war. Auch unter seinen Gegnern gab es wohl Kleriker, die sich für ein enthaltsames Leben entschieden hatten. Vielleicht spricht er zu ihnen, wenn er am Ende dieses Abschnitts noch einmal auf die inkonsistente Argumentation derer, die dem Sohn wegen der Tatsache, dass er selbst kein Vater ist, die volle göttliche potestas absprechen. „Diejenigen, die diese Frage aufwerfen, verdienen es, dass ihr Urteil auf sie selbst übertragen wird. Denn, wenn der Sohn dem Vater nicht gleichwertig ist, weil er keinen Sohn gezeugt hat, so wie sie es behaupten, lass dann für diejenigen, die solche Untersuchungen hervorbringen, gelten, dass, wenn sie keine Söhne haben, ihre Sklaven über sie selbst bevorzugt werden, insofern sie denen, die Söhne haben, nicht gleichwertig sein können …“ 36 35
Vgl. Ambrosius, De fide 4,8,82–83. Ambrosius, De fide 4,8,94: Digni tamen sunt isti iudicio suo, qui hanc obiciunt quaestionem. Si enim ideo aequalis patri filius non est, quia non generauit filium, et
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Ist die Position des spätantiken Bischofs oder Priesters nicht der ultimative Beweis dafür, dass man keine Söhne gezeugt haben muss, um über Autorität zu verfügen? Wer könnte behaupten, dass dieser wegen seiner Kinderlosigkeit seinen Sklaven untergestellt sei?
4. Der (asketische) Bischof als Vater Dass das Oberhaupt einer Gemeinde als „Vater“ bezeichnet wurde, scheint zwar den üblichen sozialen Verhältnissen zu entsprechen, wurde aber im Christentum der ersten drei Jahrhunderte spärlich praktiziert. 37 Erst im 4. Jahrhundert wird diese Bezeichnung für Bischöfe geläufig. 38 In seinem trinitarischen Exposé hat sich Ambrosius nicht damit zufriedengegeben, darzulegen, dass die Tatsache, dass Christus selbst keinen Sohn gezeugt hat, keineswegs eine minderwertige ontologische Stellung impliziere. Er hat darüber hinaus auch für den Sohn eine Form der Vaterschaft postuliert. Ebenso wenig begnügt er sich damit, festzustellen, dass ein asketischer Kleriker in keiner Weise anderen Männern, die Kinder gezeugt haben, untergeordnet ist. Auch für diesen Kleriker, auch für sich selbst, beansprucht er die Vaterschaft. Diesen Anspruch bringt er u. a. in seiner Schrift Über die Pflichten der Kirchendiener, in der er künftige Kleriker belehrt, deutlich zum Ausdruck: „Auch wenn bereits einige Schriftsteller, die sich für die Philosophie interessierten, über diese Sachen geschrieben haben, wie Panätius und sein Sohn bei den Griechen und Tullius bei den Römern, so fand ich es wegen meines Amtes nicht unangebracht, auch selbst darüber zu schreiben. Und so wie Tullius zur Belehrung seines Sohnes schrieb, so auch ich zu eurer Unterweisung, meine Söhne. Denn ich liebe euch, die ich im Evangelium gezeugt habe, nicht weniger als wenn ich euch aus der Ehe bekommen hätte. Denn die Natur liebt nicht leidenschaftlicher als die Gnade. Gewiss sollten wir diejenigen, von denen wir glauben, dass isti utique fateantur, si non habent filios, qui serunt huiusmodi quaestiones, suos sibi etiam seruulos praeferendos, eo quod habentibus filios aequales esse non possunt. 37 Vgl. Vuolanto, Children and Ascetism, 69–71. 38 Ebd., 71–73. Vuolanto betont, dass die patria potestas jetzt auf die Bischöfe übertragen würde.
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sie ewig mit uns sein werden, mehr lieben als jene, die es nur in dieser Welt sind. Letztere werden des Öfteren als unwürdige (Söhne) geboren, die dem Vater zur Unehre gereichen. Euch haben wir im Voraus zum Lieben auserwählt. Und so werden jene wegen der Notwendigkeit geliebt, welche nicht immer eine kompetente Lehrerin der immerwährende Liebe ist. Ihr (werdet) wegen einer bewussten Entscheidung (geliebt), die das Gewicht der Nächstenliebe mit dem Antrieb der Liebe verbindet: das Prüfen von denen, die du liebhast, und das Liebhaben von denen, die du erwählt hast.“ 39
In dieser Schrift bezieht sich Ambrosius sehr ausdrücklich auf (Tullius) Cicero als literarisches Vorbild. Wo dieser seine Schrift Über die Pflichten seinem leiblichen Sohn Marcus gewidmet hatte, 40 wendet sich Ambrosius an seine „geistlichen“ Söhne. Wie Christus diejenigen, die an ihn glaubten, so hat Ambrosius diese Männer, die das Priesteramt anstrebten, durch „Adoption“ zu seinen Söhnen gemacht. Der Mailänder Bischof hebt die zahlreichen Vorteile einer nicht-leiblichen Vaterschaft hervor: Anders als beim biologischen Nachwuchs, mit dem man nur durch körperliche Notwendigkeit verbunden ist, ermöglicht es die Vaterschaft durch Adoption, sich geeignete Söhne zu erwählen, welche den Vater gewiss nicht beschämen werden. Alles Wichtige, was man seinem Kind vermitteln kann, gehört in dieser Perspektive zum spirituellen Bereich. Die Vorstellung, dass die biologische Familie der „Familie im Glauben“ weichen muss, begegnet bereits im NT. 41 Schon darin 39
Ambrosius, De officiis ministrorum 1,7,24: De quibus etiamsi quidam philosophiae studentes scripserint ut Panaetius et filius eius apud Graecos, Tullius apud Latinos, non alienum duxi nostro munere ut etiam ipse scriberem. Et sicut Tullius ad erudiendum filium, ita ego quoque ad uos informandos filios meos; neque enim minus uos diligo quos in Euangelio genui, quam si coniugio suscepissem. Non enim uehementior est natura ad diligendum quam gratia. Plus certe diligere debemus quos perpetuo nobis cum putamus futuros quam quos in hoc tantum saeculo. Illi degeneres nascuntur frequenter qui dedeceant patrem; uos ante elegimus ut diligamus. Itaque illi necessitate diliguntur quae non satis idonea atque diuturna est ad perpetuitatem diligendi magistra; uos iudicio, quo magnum caritatis pondus ad uim diligendi adiungitur: probare quos diligas et diligere quos elegeris. 40 Vgl. Cicero, De officiis 1,1,1–2, 6. 41 Wenn von einer (symbolischen) Familie in Christus die Rede ist, dann wird vor allem das horizontale Verhältnis der Brüderschaft ins Zentrum gerückt. Die Vaterschaft wird durchaus auf Gottes Vaterschaft beschränkt. Es gibt manchmal eine gewisse Ambivalenz: Paulus sieht sich selbst im 1. Korintherbrief manchmal in der Rolle des „Vaters“ der Gemeinde (1 Kor 4,15). Durchaus bezeichnet
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kann man asketische Tendenzen spüren 42 – zugleich dürfte es für viele Christen der ersten Generationen de facto unmöglich gewesen sein, ihre Stellung und Rolle in einem nicht-christlichen Haushalt mit ihrem Glauben zu vereinbaren. Die Institution „Familie“ mit ihren Verpflichtungen und Bräuchen dürfte für viele Menschen ein konkretes Hindernis dargestellt haben, um den christlichen Glauben zu praktizieren. 43 Das traf im 4. Jahrhundert aber nicht mehr zu. Die Familie war jetzt für viele Christen eine Institution, in der sie den Glauben mitbekommen hatten – eine Institution, in der neue Generationen geboren wurden: Christen und Römer. Daher war es zu dieser Zeit gar nicht mehr so selbstverständlich, dass christliche Autoritäten die Ehe und Fortpflanzung dem asketischen Leben unterordneten. 44 In diesem Abschnitt skizziert Ambrosius ein sehr negatives Bild der leiblichen Vaterschaft. 45 Die Verwandtschaft, für die man sich frei entschieden hat, ist nach seiner Meinung viel nachhaltiger als die rein biologische Verwandtschaft. Letztere beruhe nur auf Kontingenz und körperlichem Trieb und ist daher sehr weit von dem transzendenten Ideal, d. h. der Verwandtschaft zwischen Vater und Sohn in der Trinität, entfernt. Demselben Ideal kommen die asketischen Bischöfe viel näher. Sie können ihre eigene Stellung analog zu der Person des Sohnes denken. Wie er entbehren sie der Vaterschaft als „Eigentümlichkeit“ ihrer Natur. Sie zeugen keine leiblichen Kinder. Daraus erer die Korinther aber als „Brüder“. Diese Metaphern bewirken in unterschiedlicher Weise eine Verteilung der Autorität in der Gemeinde. Dazu: Vander Stichele/Penner, Contextualizing Gender, 126–127. 42 Vgl. Vuolanto, Children and Ascetism, 46–50. 43 Die Geschichte von Perpetua ist ein Beispiel dafür, wie die traditionellen Familienverhältnisse ein Hindernis für das christliche Leben darstellen. In der Passio Perpetua werden die traditionellen Rollen invertiert: der Vater der Märtyrerin, d. h. der pater familias wird in der Schrift symbolisch „entmannt“. Perpetua selbst dagegen gewinnt an Autorität und kann so typisch maskuline Eigenschaften für sich beanspruchen, so wie Tapferkeit, Standhaftigkeit, usw. Dazu: Gold, Perpetua, 106–110. 44 Vuolanto, Children and Ascetism, 79–80, weist nach, wie das Zurückgreifen auf Familienmetaphern im Diskurs der asketischen Bischöfe die Askese für die breitere Gesellschaft akzeptabler machen musste. Das weist allerdings auf einen zu überwindenden Widerstand hin. 45 Was er an anderen Stellen auch in Hinblick auf die leibliche Mutterschaft macht, vgl. Ambrosius, De virginibus, 1,6,24–30.
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gibt sich ebenso wenig wie beim Sohn ein verringerter Anspruch auf Autorität. Ähnlich wie der Sohn sind sie Väter im „übertragenen“ Sinne, d. h. durch Adoption. Sie „zeugen“ neue Christen und neue Kleriker mittels einer rein geistlichen Zeugung, die keiner Weiblichkeit bedarf. Wie beim Sohn ist auch bei ihnen diese geistliche Vaterschaft mit der Ausübung und Weitergabe von Autorität verbunden.
5. Und die Mutter? Vor aller Zeit hat der Vater den Sohn geboren. Er hat ihn aus seiner eigenen Substanz gezeugt. Von einer Mutter ist keine Rede. Die Zeugung des Sohnes durch den Vater ist ein Mysterium, das kein Mensch zu begreifen vermag. Auch wenn sich die Zeugung des Sohnes durch den Vater ausschließlich im Schoß der Gottheit ereignet, stellt sie ein Ideal dar, das Christen wie Ambrosius, und sei es auch nur symbolisch, zu reproduzieren versuchten. Die Askese bot einen Weg, um die eigene geschöpfliche Unvollkommenheit zu überwinden, um so die Gottessohnschaft, wenn auch nicht im ontologischen Sinne, zu verwirklichen. Ebenso wenig wie der göttliche Vater einer (Gebär-)Mutter bedurfte, um einen Sohn zu zeugen, bedarf der asketische Bischof einer Frau, um die nächste Generation von Klerikern zu zeugen. Er kann die patria potestas für sich beanspruchen, ohne sich mit den chaotischen und unreinen Aspekten der Sexualität zu kompromittieren. Die Frage nach dem Sinn und Ziel der sexuellen Differenz konnte man ganz und gar umgehen. Wo der Sohn vor aller Zeit von dem Vater allein hervorgebracht wurde, hat der inkarnierte Christus eine Mutter. Mit der Figur der Gottesmutter Maria war grundsätzlich die Möglichkeit geboten, auch der Frau einen Platz im christlichen Ideal einzuräumen. Mit Ambrosius erlangt Maria tatsächlich einen prominenten Platz in der „hohen“ Theologie. Der Mailänder Bischof bewertet dabei aber nicht so sehr ihre Mutterschaft als vielmehr ihre (immerwährende) Jungfräulichkeit. Die Mutterschaft wurde in dieser Weise ihrer körperlichen Realität beraubt. Ambrosius geht weit über die zu seiner Zeit geläufigen Ansichten hinaus, wenn er für Maria auch die virginitas in partu (die „Jungfräulichkeit während der Geburt“) postuliert. 46 Da er Maria 46
Vgl. Ambrosius, Expositio evangelii scundum Lucam 2,56–57. Ambrosius geht
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nicht nur als historisches exemplum für christliche Jungfrauen betrachtete, 47 sondern auch als typos der „jungfräulichen“ Kirche, die durch die Taufe Christen gebärt, muss er der Mutter Jesu jede leibliche „Unreinheit“ absprechen. 48 Als er sie mit der Braut des Hohelieds, mit einem verschlossenen Garten, einer verschlossenen Quelle und versiegeltem Born (Hohelied 4,12) identifiziert, macht er sie im Grunde „impenetrabel“. Ein so stark sublimiertes Ideal der Mutterschaft ließ es weiterhin zu, auf „echte“ Frauen zu verzichten. Der Bischof als „Sohn“ (und zugleich Vater) zeugt mit der jungfräulichen Kirche, deren Schoß ebenso verschlossen wie die Gebärmutter des Vaters bleibt, die Kinder Gottes. Die Rolle der Kirche wurde dabei natürlich keineswegs, auch nicht in rein symbolischem Sinne, von einer Frau übernommen. 49 Die Weiblichkeit wurde bis auf ihre Abwesenheit reduziert.
6. Fazit Das von Virginia Burrus beschriebene Phänomen einer einseitig männlichen Besetzung der Transzendenz im trinitarischen Diskurs und der damit verbundenen Tilgung der Weiblichkeit in der Vorstellung der göttlichen Zeugung lässt sich an unserem Textabschnitt aus De fide gut nachvollziehen. Die Wesensgleichheit zwischen Vater und Sohn führt zu einer Ambivalenz im Hinblick auf den Status des Sohnes, die es ermöglicht, die traditionellen Verhältnisse, sowohl aus theologischer als auch aus gesellschaftlicher Perspektive, zu befragen. Dabei werden bestimmte Prärogativen des Vaters auf den Sohn übertragen, was zu einer Neudefinition der Vaterschaft geführt hat. Diese Neudefinition würde es kinderlosen Bischöfen erlauben, die patria hier über sein literarisches Vorbild, Origenes, hinaus. Origenes betonte zwar die soteriologische Notwendigkeit des jungfräulichen Empfängnisses, hat aber nie die virginitas in partu postuliert. 47 Vgl. Ambrosius, De virginibus 2,2,6. 48 Vgl. Hunter, Helvidius, 47–71, hier: 59. 49 Die Auseinandersetzungen mit Helvidius und Jovinian könnten darauf hinweisen, dass die gesteigerte „Transzendierung“ von familialen Verhältnissen für viele Christen des späten 4. Jahrhunderts problematisch war. Sie sahen darin eine ungerechtfertigte Abwertung der reellen, leiblichen Mutterschaft und Vaterschaft. Dazu Hunter, Helvidius, 70–71.
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potestas für sich zu beanspruchen. Dabei traten bestimmte, oft „körperliche“ Eigenschaften, die üblicherweise mit „Männlichkeit“ verbunden wurden, in den Hintergrund – und dies zugunsten eines auf die Transzendenz ausgerichteten Verständnisses der menschlichen Vollkommenheit. Dabei wichen die alten Genderstereotypen keinem geschlechtlosen Ideal. Die Analyse von Burrus und ihre Anwendung auf De Fide 4,8 weisen vielmehr nach, dass das Patriarchat zwar transformiert, zugleich aber auch verstetigt wurde. Die Transzendenz wurde zum locus wahrer Männlichkeit, die unter dem Stichwort potestas prägnant zum Ausdruck gebracht wurde. Die infirmitas, die traditionell mit Weiblichkeit assoziiert wurde, kennzeichnete dagegen die materielle, körperliche Wirklichkeit. In seiner Auseinandersetzung mit sowohl „Arianern“, die den Sohn als Geschöpf ansahen, als auch mit „Sabellianern“, die der Gottheit Leiden zusprachen, unterscheidet der Mailänder Bischof zwischen den Bibelstellen, die vom Sohn Gottes reden, und jenen, die auf den fleischgewordenen – d. h. erschaffenen! – Christus verweisen. 50 Nur der Letztere, der „aus der Jungfrau Erschaffene“, hat die (menschliche) Schwachheiten (infirmitates) auf sich genommen. 51 Ihm werden „weibliche“ Merkmale zugeschrieben: Gehorsam, Geduld, Demut, Leiden. Der Mann Jesus entsprach nicht dem geläufigen Ideal der männlichen potestas. Diese Schwachheiten wurden aber am Kreuz durch den Sohn (Gottes) zu Stärke (fortitudo) transformiert. Daher konnte auch die passio der Märtyrer als heiliger Kampf (sacrum certamen), also als Zeichen der Männlichkeit, bezeichnet werden. 52 Das Kreuzereignis ermöglichte es, die Leiblichkeit und somit die Weiblichkeit zu transzendieren, wobei ein neues Ideal der Männlichkeit, welches die „weiblichen“ Elemente aufgenommen und transformiert hatte, in den Vordergrund trat. Die Annäherung, die hier skizziert wurde, hat aber auch ihre Grenzen. Es ist fraglich, inwiefern dieses Phänomen nun spezifisch mit der nizänischen Doktrin zusammenhängt. Es könnte einfach auf eine breitere Evolution in der römischen Gesellschaft hinweisen. So ist es leider nicht möglich, nachzuvollziehen, ob die Gegner der nizänischen Theologie in diesem Bereich tatsächlich eine Alternative bo50 51 52
Vgl. z. B. Ambrosius, De fide 3,5,38; 3,8,58. Vgl. z. B. Ambrosius, De fide 3,1,6. Vgl. Ambrosius, De fide 3,8,53.
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ten, ob ihr Transzendenzverständnis mehr Inklusivität erlaubte, und ob sie ein anderes Ideal der Männlichkeit vertraten. Auch wenn man den Sohn als Geschöpf ansieht, ergibt sich daraus nicht automatisch, dass der Geschlechterdifferenz einen Platz innerhalb der Gottheit eingeräumt wird. Auch wenn man Christus nicht als Vater ansieht, kann man dem asketisch lebenden Bischof eine große Autorität zusprechen. Die Auseinandersetzungen mit Helvidius und Jovinian im späten 4. Jahrhundert bezeugen, dass die hier evozierte transzendente Ausfüllung des Männlichkeitsideals nicht von allen Christen angenommen wurde. Es gab weiterhin eine Mehrheit von Männern und Frauen in den Gemeinden, die ihr Christ-Sein als Väter und Mütter leiblicher Kinder erlebt haben. Wie diese sich die Verhältnisse innerhalb der Gottheit und deren Auswirkung auf die menschlichen Beziehungen genau vorstellten, muss dahingestellt bleiben.
Literatur Quellen Ambrosius, De fide (ad Gratianum Augustum), hrsg. v. O. Faller (CSEL 78), Wien 1964. Ambrosius, Les devoirs. De officiis, Bd. 1, hrsg. v. M. Testard, Paris 1984. Ambrosius, De virginibus ad praecipuorum codicum fidem, hrsg. v. O. Faller (FlorPatr 31), Bonn 1933. Ambrosius, Expositio evangelii scundum Lucam, in: Opera 4, hrsg. v. M. Adriaen (CCL 14), Turnhout 1957, 1–400. Athanasius, Contra arianos, in: Athanasii opera omnia quae extant (PG 26), 983– 1028. Cicero, De officiis, hrsg. v. M. Winterbottom (OCT), Oxford 1994. Gregor von Nazianz, Discours 27–31 (Discours théologiques), hrsg. v. P. Gallay/ M. Jourjon (SC 250), Paris 1978. Laktanz, De opificio Dei, hrsg. v. B. Bakhouche/S. Luciani, Turnhout 2009.
Sekundärliteratur Ayres, Lewis, Nicaea and its Legacy. An Approach to Fourth-Century Trinitarian Theology, Oxford 2004. Bay, Carson, The Wisdom Tradition in Early Christianity through Late Antiquity, in: Adams, Samuel L./Goff, Matthew (Hrsg.), The Wiley Blackwell Com-
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Mensch, nicht Mann, geworden für das Heil des Menschengeschlechts Die Inkarnation in der Alten Kirche als soteriologisches Ereignis und als Beispiel für die Geschichtlichkeit der Theologie Monnica Klöckener Zusammenfassung Dieser Beitrag fragt, ob Jesu Männlichkeit für die Theologen der Alten Kirche im Zusammenhang mit der Inkarnation eine Rolle spielt. Damit fokussiert er das Geschlecht Jesu im Kontext der Menschwerdung, nicht des Menschseins. Grundlage für diese Untersuchung sind altkirchliche Bibelauslegungen zur Inkarnation, insbesondere des Johannesprologs (1.), sowie theologische Traktate zur Inkarnation (2.). Mit der Mariologie gerät ein Aspekt in den Blick, in dem Jesu Mannsein von Relevanz ist (3.). Hermeneutische Überlegungen zur Geschichtlichkeit der Theologie und dazu, was es zu beachten gilt, wenn aktuelle Fragestellungen an historische Texte gerichtet werden, schließen den Beitrag (4.). Die Studie zeigt, dass die Männlichkeit Jesu in den genannten Texten nicht von Bedeutung ist. Vielmehr lesen die altkirchlichen Theologen die Inkarnation des Logos aus einer soteriologischen Perspektive: Der Logos nimmt die menschliche Natur an, um sie zu erlösen. Wenn wir nach dem Geschlecht Jesu in altkirchlichen Texten fragen, tragen wir gegenwärtige Themen an historische Quellen heran. Es ist legitim, in der Geschichte Inspiration für aktuelle Fragen zu suchen; dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass einige unserer Fragen keine Fragen der Kirchenväter waren und dass Theologie und Kirche historische Größen sind. Daher können Lösungen aus der Geschichte nicht einfach auf die Gegenwart übertragen werden. (Kirchen-)Historiker:innen müssen darauf achten, keine Wunschlösungen in historische Texte hineinzulesen, und sich vor anachronistischen Parallelen oder Schlussfolgerungen hüten, um die Tradition nicht zu instrumentalisieren. So können die altkirchlichen Texte zur Inkarnation als Hinweis verstanden werden, im Zusammenhang mit der aktuellen Frage nach der Männlichkeit Jesu die Soteriologie nicht aus den Augen zu verlieren. Für die Erlösung ist die vollständige Annahme des ganzen Menschen notwendig; nur so hat das Menschengeschlecht an der Auferstehung teil.
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Abstract This paper asks whether the masculinity of Jesus shaped the doctrine of the Incarnation as developed by early Church theologians. The basis for this investigation is threefold: early Church biblical interpretations of the incarnation, particularly the prologue of John (1.), theological treatises on the incarnation (2.), and Mariology (3.). The article concludes with hermeneutical reflections regarding the historicity of theology and what needs to be considered when addressing contemporary issues in historical texts (4.). The study demonstrates that the masculinity of Jesus did not play a special role in the sources analyzed. Rather, we find interpretations of the Incarnation of the Logos from a soteriological perspective: the Logos assumes human nature in order to redeem it. When we inquire about the gender of Jesus in early church texts, we bring current topics to historical sources. It is legitimate to seek inspiration from history for contemporary questions; however, it must be taken into account that theology and the Church are historical entities, making historical transfer a complex process. (Church) historians must be cautious not to read desired solutions into historical texts and to avoid anachronistic parallels or conclusions in order to prevent instrumentalizing tradition. Thus, early Church reflections on the incarnation intervene in current debates regarding the masculinity of Jesus, calling attention to the context of soteriology. The complete assumption of the whole human is necessary for redemption; only then can humankind participate in the resurrection.
Der vorliegende Beitrag untersucht auf der Grundlage der altkirchlichen Bibelauslegungen, insbesondere des Johannesprologs als dem biblischen Text über die Inkarnation schlechthin, sowie theologischer Texte der Autoren aus der Alten Kirche über die Fleischwerdung des Logos die Frage, ob das Mann-Sein Jesu für die Theologen der ersten Jahrhunderte im Zusammenhang mit der Inkarnation eine Rolle spielt. Einer solchen Studie sind naturgemäß enge Grenzen gesetzt, da sie nur zeigen kann, wie Texte argumentieren und welche Begriffe sie dazu verwenden. Was ein Autor gemeint hat, wenn er anēr (vir) oder anthrōpos (homo) schreibt, lässt sich kaum mit Sicherheit nachweisen. Ob anthrōpos (oder homo) eigentlich anēr (vir) meint, weil im antiken Denken weit verbreitet ist, dass der ideale anthrōpos ein anēr ist, kann man anhand der dieser kleinen Studie zugrunde gelegten Texte nicht beweisen. Bemerkenswert ist aber, dass anthrōpos in den untersuchten Texten in der Regel als Gegenstück zu theos (bzw. homo zu deus) verwendet wird (nicht aber zu gynē bzw. femina). So lassen die
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Abgrenzungen von anderen Begriffen und Positionen vermuten, worauf es bei den jeweiligen Begriffen ankommt; die Gegenüberstellungen schärfen den verwendeten Begriff. Dies gilt nicht nur für die Begriffe wie anthrōpos, sondern auch für die Aussagen in den untersuchten Traktaten über die Inkarnation: Die theologischen Positionen, gegen die die Autoren argumentieren, machen deutlicher, worauf es ihnen bei ihrer eigenen Formulierung ankommt. Unter diesem Vorbehalt zeigt die vorliegende Untersuchung, dass das Mann-Sein Jesu im Zusammenhang mit der Inkarnation in den Texten aus der Alten Kirche keine Rolle spielt. Vielmehr geht es den altkirchlichen Theologen um die Fleisch- und Menschwerdung des Logos. 1 Dass Geschlecht keine relevante Kategorie ist, liegt auch daran, dass die Autoren die Bibeltexte aus einer soteriologischen Perspektive lesen: 2 Der Logos nimmt die menschliche Natur an, um sie zu erlösen. Geschlecht, Männlichkeit oder Weiblichkeit sind in dieser Frage irrelevant, da die menschliche Natur erlöst werden soll. Gemäß dem Grundsatz, dass nur erlöst wird, was auch angenommen wurde, würde eine Engführung auf die Männlichkeit Jesu bedeuten, dass Frauen nicht erlöst werden. Das war für die altkirchlichen Autoren nicht denkbar. Ebenso wenig formuliert einer der untersuchten Theologen explizit, dass die Frau mit dem Mann mit-erlöst wird, weil sie sich aus ihm herleitet. Die Frage nach dem Geschlecht Jesu spielt in den altkirchlichen Texten zur Menschwerdung keine Rolle; wir richten damit vielmehr eine aktuelle Frage aus der Gegenwart an historische Texte. So wird gleichzeitig deutlich, dass die Theologie wie die Kirche eine historische Größe ist. 3 Das Nachdenken über Gott geschieht in einem zeitlichen Kontext, der im Denken seinen Niederschlag findet. Damit geht einher, dass nicht alle theologischen Texte aus der Vergangenheit für alle zeitgenössischen Fragen Auskunft geben können, weil die 1
Theobald, Geist- und Inkarnationschristologie, 31, betont, nicht Jesus werde „in die Ewigkeit Gottes versetzt, sondern die Präexistenz vom Logos ausgesagt“. Dies ist richtig, wichtig und den altkirchlichen Theologen vollends bewusst. 2 Vgl. Vannier, Le mystère, 531: „Christologie et sotériologie sont liées“; Papandreou, Christologie und Soteriologie, 26: „Die Soteriologie in der alten Kirche war wesentlich Christologie, die soteriologischen Fragen waren mit der Person des Erretters unlösbar verbunden“. Ebd., 30: „Die Lehre über die Person des Erlösers Christus war grundsätzlich Soteriologie“. 3 Vgl. Uhrig, Alte Kirchengeschichte, 68.
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Kontexte, denen sie entstammen, unterschiedliche Aspekte der Reflexion befördern. Was dies bedeutet, wird in einigen hermeneutischen Überlegungen am Ende dieser Studie thematisiert. Da die wohl einschlägigste Stelle zur Inkarnation für die Theologen der Alten Kirche Joh 1,14 („Das Wort ist Fleisch geworden“) 4 ist, stehen im vorliegenden Beitrag zunächst die überlieferten Auslegungen dieser Stelle im Fokus (1.). Anschließend gelangen die altkirchlichen Traktate zur Menschwerdung in den Blick (2.), die in weiten Teilen ebenfalls Bibelauslegung sind. Damit liegt der Schwerpunkt der Untersuchung nicht auf dem Menschsein, sondern auf der Menschwerdung. 5 Es folgt die Untersuchung einer Stelle aus Tertullians De carne Christi, der einzigen Stelle in den Traktaten zur Inkarnation und den Auslegungen zu Joh 1,14, in der die Männlichkeit Jesu eine Rolle spielt (3.). Sie steht allerdings nicht im Zusammenhang mit der Christologie, sondern mit der Mariologie. Die bereits erwähnten hermeneutischen Überlegungen, was es zu berücksichtigen gilt, wenn aktuelle Fragen an historische Texte gerichtet werden, schließen unsere Untersuchung (4.). Weitere Aspekte, denen im Hinblick auf die Frage nach der Männlichkeit Jesu nachgegangen werden könnte, muss diese kleine Studie ausklammern. Dazu gehören Texte über Witwen und Jungfrauen, die häufig die Kirche, Witwen oder Jungfrauen als Braut und Jesus Christus als Bräutigam beschreiben 6 und so mit Bildern von 4
Vgl. Vannier, Le mystère, 531. Eine zweite Stelle, Phil 2,5–11, kann im vorliegenden Aufsatz nicht behandelt werden. Theobald, Geist- und Inkarnationschristologie, 20, bezeichnet Joh 1,14 als „Klimax des Prologs“. Vgl. Markschies, Gottes Körper, 374 f. 5 Zu Joh 1,14a in der vornizänischen griechischen Patristik jenseits der Johannesauslegungen vgl. Uhrig, „Und das Wort“. 6 Vgl. hierzu auch den Beitrag von Andrea Taschl-Erber in diesem Band; für die Alte Kirche vgl. z. B. Ambrosius, in Luc. comm. VIII 9 (BKV 21, Ambrosius 2, 466): „Der Mann ist Christus, die Braut die Kirche: an Liebe eine Braut, an Unversehrtheit eine Jungfrau.“ – Ambrosius, de virginibus I 6,31 (FC 81, 153.155): „Unsere (Mutter) [d. i. die Kirche] hat keinen Mann, aber sie hat einen Bräutigam, insofern sich die Kirche unter den Völkern oder die Seele in jedem einzelnen ohne jede Beugung der Keuschheit mit dem Wort Gottes wie mit einem ewigen Bräutigam vermählt, unempfänglich für Unrecht, reich an Einsicht.“ – Ähnlich zu Christus und Kirche und interessant im Hinblick auf das Geschlecht Jesu aufgrund der Zuschreibung der Jungfräulichkeit an Christus ist Ambrosius, de virginibus I 5,22 (FC 81, 137): „Betrachtet eine andere Auszeichnung der Jungfräulichkeit: Christus ist der Bräutigam einer Jungfrau
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Geschlechtlichkeit arbeiten. Ebenso implizieren beispielsweise die innertrinitarischen Bezeichnungen „Vater“ und „Sohn“ eine Geschlechterzuordnung. Auch nicht behandelt werden können die Aussagen der altkirchlichen Theologen zur Auferstehung der Geschlechter, die indirekt das Geschlecht Jesu thematisieren, wenn die Menschen nach seinem Bild auferweckt werden. 7 Diese Aspekte müssen weiteren Untersuchungen überlassen werden.
1. Die altkirchlichen Auslegungen von Joh 1,14: Die Inkarnation als Fleisch- und Menschwerdung des Logos Zunächst betrachten wir eine der einschlägigsten Stellen für die Inkarnation, nämlich den Johannesprolog, und ihre Auslegungen aus [i. e. die Kirche] (vgl. Eph 5,25–32; 2 Kor 11,2) und, wenn man so sagen kann, Christus ist (der Bräutigam) der jungfräulichen Keuschheit; die Jungfräulichkeit gehört nämlich Christus, nicht Christus der Jungfräulichkeit. Eine Jungfrau ist also diejenige, die ihn geheiratet hat; eine Jungfrau, die uns in ihrem Schoß getragen; eine Jungfrau, die (uns) geboren; eine Jungfrau, die (uns) mit ihrer eigenen Milch gesäugt hat“. – Vgl. Cyprian, de habitu virginum 20 (BKV 34, 78); vgl. ebd., 22 (BKV 34, 80): „[I]hr habt auch keinen Gatten zum Herrn, sondern Christus, euer Herr und Haupt, nimmt den Platz und die Stelle eines Mannes ein“. – Ähnlich Ambrosius, de viduis 13 (BKV 13, Ambrosius 1, 135 f.): „Von all dem [d. h. den Pflichten der Gattin, Mutter und Witwe] aber ist die Jungfrau frei, welche dem ewigen Worte ihre tiefsten Herzensneigungen geweiht hat, welche den Bräutigam mit brennender Fackel und treuem, festem Willensentschlusse erwartet.“ – Ebenfalls zu Jesus als Mann, auf dessen Kommen seine Frau sehnlich wartet, vgl. Ambrosius, in Luc. comm. VIII 11 f. (BKV 21, Ambrosius 2, 467 f.). 7 Als ein Beispiel hierfür sei genannt Augustinus, de civitate Dei XXII 17 (Perl, 809.811 / CCSL 48, 835): „Manche glauben auf Grund der beiden Schriftstellen: ‚… bis wir alle gelangen zur Mannesreife, zum Vollmaße des Alters Christi‘ (Eph 4,13) und: ‚… gleichförmig zu werden dem Bilde des Gottessohnes‘ (Röm 8,29), daß die Frauen nicht in weiblichem Geschlecht auferstehen werden, sondern alle als Männer, weil Gott den Mann allein aus Lehm und das Weib aus dem Manne gemacht hat. Mir scheinen aber eher die recht zu haben, die an der Auferstehung beider Geschlechter nicht zweifeln.“ – „Nonnulli propter hoc, quod dictum est: donec occurramus omnes in uirum perfectum, in mensuram aetatis plenitudinis Christi, et: conformes imaginis filii dei, nec in sexu femineo resurrecturas feminas credunt, sed in uirili omnes aiunt, quoniam deus solum uirum fecit ex limo, feminam ex uiro. sed mihi melius sapere uidentur, qui utrumque sexum resurrecturum esse non dubitant.“
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der Alten Kirche. 8 Es sind fünf große Auslegungen des Johannesevangeliums überliefert, 9 und zwar von Origenes, Johannes Chrysostomos, Theodor von Mopsuestia, Kyrill von Alexandrien und Augustinus. Es erstaunt nicht besonders, dass für die Autoren in ihren Bibelauslegungen das männliche Geschlecht Jesu nicht von Relevanz ist, achten sie doch in der Regel sehr genau auf den auszulegenden Text. Nun heißt es in Joh 1,14, der Logos werde Fleisch. Das hat für die Theologen der Alten Kirche nichts mit der Frage nach dem körperlichen Geschlecht zu tun. Wie sie die Fleischwerdung des Wortes deuten, werden wir im Folgenden sehen. Dabei übergehen wir die Auslegung des Johannes Chrysostomos, da sie für unsere Fragestellung nicht ergiebig ist. 10 Origenes schreibt der Inkarnation einen pädagogischen Zweck zu: 11 Der Logos wird für die Menschen Fleisch, da sie ihn anders nicht fassen können. 12 Er wird Fleisch, „da wir wegen seiner Erhabenheit nicht bei der Wahrheit über ihn beginnen können“ 13. Bezogen auf die Natur des Logos ist der Ursprung Jesu Christi die Gottheit, aber für die Menschen, die sein wahres Wesen nicht fassen können, 14 ist der Ursprung die Menschheit. Die Menschen sind also 8
Für Origenes war eine digitale Suche nach den Begriffen „Mensch“ und „Mann“ in den ersten fünf Büchern des Johanneskommentars möglich, womit die Auslegung von Joh 1,1–41 abgedeckt ist; für Augustinus war diese Suche in allen Johannestraktaten möglich. Die Suche für die Auslegungen von Joh 1 des Chrysostomos, Kyrill und Theodor musste händisch erfolgen und daher auf die jeweiligen Auslegungen von Joh 1, insbesondere Joh 1,14, begrenzt bleiben. 9 Darüber hinaus gibt es weitere Fragmente; vgl. hierzu Klöckener, Die Frau, 19 Anm. 40, sowie Klöckener, Die Begegnung [im Druck]. 10 Vgl. Johannes Chrysostomos, in Ioh. hom. 11 f. (PG 59, 77–86 / Knors, 85– 97). 11 Vgl. Jacobsen, Logos, 93: Für die einfacheren Christen war Jesus Christus der Arzt, um sie von ihren Sünden zu heilen und zu einem moralisch guten Leben zu führen. „To the more spiritual Christians [Origen] says that the Logos came as a teacher to teach those, already healed, how to find their way to the complete participation in the nature of God.“ Vgl. Studer, Gott und unsere Erlösung, 106 f. 12 Vgl. Daley, Word, Soul, and Flesh, 319. 13 Origenes, in Ioh. comm. I 18,107 (SC 120, 116 / Thümmel, 56 f.). 14 Vgl. Ventura, Origenes, 312: Origenes „behauptet, dass die menschliche Natur selbst nicht imstande ist, Gott kennenzulernen, und erklärt die Gotteserkenntnis für eine Gabe Gottes, die wir durch den Sohn und den Geist bekommen“.
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aufgrund der Natur des Logos sowie ihrer begrenzten Auffassungsgabe nicht in der Lage, sofort die Wahrheit über ihn zu verstehen. Vielmehr können sie ihn vorerst (prōton) allein als inkarniertes Fleisch fassen, das unter ihnen wohnt. 15 Unter welchen Bedingungen Origenes die Möglichkeit sieht, den Logos auch anders zu fassen, führt er nicht aus. 16 Es ist bemerkenswert, dass Origenes hier im Johanneskommentar gleich den zweiten Grund der Fleischwerdung des Logos anführt, nämlich die den Menschen nicht unvermittelt mögliche Erkenntnis göttlicher Geheimnisse. 17 Dies liegt vermutlich an den Adressaten seines Kommentars. Der erste, hier nicht genannte Grund für die Inkarnation ist für Origenes, dass die sündigen Menschen zu einem tugendhaften Leben geführt werden, wie er beispielsweise in Contra Celsum erläutert. Erst wenn ein tugendhaftes Leben erreicht ist, können Menschen nach und nach zur Erkenntnis gelangen (und dadurch ein noch tugendhafteres Leben führen). In Contra Celsum wird der erste ethische Aspekt weiter ausgeführt, weil sich die Schrift an Heiden und neukonvertierte Christen richtet, die zunächst ins Christentum eingeführt werden und für die die Geheimnisse Gottes noch nicht erkennbar sind. Im Johanneskommentar hingegen geht es Origenes gleich um die Erkenntnis des Logos. 18 Zu Joh 1,7 ( Johannes soll Zeugnis über das Licht ablegen, „damit alle durch ihn glauben“ 19) schreibt Origenes, Gott habe viele Gründe (aitia), damit die Menschen glauben können, „dass Gott, der über allem Gewordenen ist, Mensch wurde“ 20. Auch hier geht es ausschließlich um die Mensch-, nicht um die Mannwerdung. Diese wird – wie auch andernorts – als Kern und entscheidendes Kriterium
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Vgl. Origenes, in Ioh. comm. I 18,107 (SC 120, 116 / Thümmel, 56 f.); Ventura, Origenes, 304. 16 Zur Erkenntnis Gottes durch den göttlichen Logos vgl. auch Uhrig, „Und das Wort“, 388–390.454–458. 17 Zum Thema vgl. Tilling, Für alle verborgen. 18 Vgl. Jacobsen, Logos, 91 f. 19 Zum Zeugnis des Johannes vgl. Uhrig, „Und das Wort“, 385. 20 Origenes, in Ioh. comm. II 34,202 (SC 120, 346 / Thümmel, 174 f.): „ὅτι θεὸς ὁ ὑπὲρ πάντα τὰ γενητὰ ἐνηνθρώπησεν“.
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des Glaubens dargestellt: „[D]aran, dass er Mensch geworden ist, zweifelt keiner der Gläubigen.“ 21 Theodor von Mopsuestia, dessen Kommentar nur noch in einer syrischen Übersetzung vorliegt, 22 liest Joh 1,14 christologisch; es geht ihm ebenfalls um die Menschwerdung des Wortes, 23 die er – anders als Kyrill, wie wir nachher noch sehen werden – weniger am Begriff „Fleisch“, als vielmehr an der Aussage „er hat unter uns gewohnt“ festmacht. Der Logos wurde nämlich, so Theodor, insofern Fleisch, als er in unserer Natur lebte, was kai eskēnōsen en ēmin bedeutet. „Fleisch werden“ steht für Theodor dann ebenfalls für „Mensch werden“. 24 Durch die Annahme des menschlichen, nicht des männlichen Geschlechts „können auch die anderen Angehörigen seines Geschlechts zur Unsterblichkeit und Unvergänglichkeit gelangen“ 25. Theodor verweist für weitere Ausführungen 26 auf seinen Traktat über die Inkarnation, der 1905 in vollständiger syrischer Übersetzung entdeckt wurde, allerdings dann – bevor er ediert werden konnte – im Ersten Weltkrieg verloren ging. 27 Auch Kyrill interpretiert in seinem stark dogmatisch geprägten Johanneskommentar die Fleischwerdung des Wortes ( Joh 1,14) als Menschwerdung; Fleisch bedeutet für ihn Mensch – anders als Theodor macht er die Menschwerdung am Fleisch fest, nicht daran, dass das Wort unter den Menschen Wohnung genommen hat. Er zitiert „und das Wort wurde Fleisch“ und erklärt, damit betrete der Evangelist die Diskussion der Menschwerdung des Wortes. 28 Der EinzigEbd., I 31,218 (SC 120, 166 f. / Thümmel, 84 f.): „Καὶ περὶ μὲν τοῦ ἄνθρωπον αὐτὸν γεγονέναι οὐδεὶς τῶν πεπιστευκότων διστάξει“.
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Für die syrische Edition vgl. CSCO 115, eine lateinische Übersetzung bietet CSCO 116. Zu den lateinischen und griechischen Fragmenten vgl. Conti, Translator’s Introduction, xxii–xxiii; die griechischen Fragmente bietet Devreesse, Essai, 305–419; sie sind übersetzt von George Kalantzis in Early Christian Studies 7. 23 Vgl. Studer, Gott und unsere Erlösung, 240. 24 Vgl. Theodor von Mopsuestia, comm. in Ioh. 1,14 (CSCO 115, 33 f. / CSCO 116, 23 / Conti, 116). 25 Karfíková, Theodor von Mopsuestia, 408. 26 Vgl. Theodor von Mopsuestia, comm. in Ioh. 1,14 (CSCO 115, 34 / CSCO 116, 23 f. / Conti, 116). 27 Vgl. Conti, in: Theodore of Mopsuestia, Commentary on the Gospel of John, 16 Anm. 37, mit weiterführender Literatur. 28 Vgl. Kyrill, in Ioh. comm. I 8 (Pusey I, 138).
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geborene nämlich wurde Fleisch und Sohn des Menschen genannt. Dies und nichts anderes bedeutet es, dass das Wort Fleisch geworden ist: Es ist, als ob man direkter sagen würde, das Wort sei Mensch geworden. 29 Kyrill erklärt, dass der Johannesevangelist pars pro toto das Wort „Fleisch“ für den Menschen nutzt, 30 weil man so gleichzeitig die Verletzung und die Heilung sieht, den Patienten und den Arzt, 31 das, was starb, und das, was auferstand. 32 So gibt er seiner zuvor christologischen Deutung eine soteriologische Wendung, indem er mit dem Konzept der Heilung durch den Arzt die Erlösung der Menschen ausdrückt, die sich an und durch Christus vollzieht: 33 Er ist gleichzeitig Mensch, der erlöst wird (Patient), und Gott, der erlöst (Arzt). Anschließend beschreibt Kyrill den Unterschied zwischen Christus und den Propheten: Anders als bei den Propheten kam das Wort bei Christus nicht nur ins Fleisch. 34 Es geht nicht um etwas temporär Begrenztes, sondern das Wort wurde wahrhaft Fleisch, was „Mensch“ bedeutet. 35 In der Auslegung von Joh 1,14b („wir haben seine Herrlichkeit geschaut, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit“) betont er erneut, dass es bedeute, das Wort werde Mensch, wenn es heißt, es werde Fleisch. 36 Vgl. ebd. (Pusey I, 138 / Maxwell, 62): „σημαίνει γὰρ τοῦτο, καὶ ἕτερον οὐδὲν, τὸ σάρκα γενέσθαι τὸν Λόγον εἰπεῖν· ὅμοιον γὰρ ὡς εἰ καὶ γυμνότερον ἔφασκεν Ὁ Λόγος ἄνθρωπος ἐγένετο.“ 30 Vgl. ebd.: „ἐκ μέρους τὸ ὅλον συλλαβὼν, ἀπὸ τῆς σαρκὸς ὀνομάζει τὸν ἄνθρωπον“. Vgl. Uhrig, „Und das Wort“, 25. 29
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Vgl. Vannier, Le mystère, 531: Die Kirchenväter verwenden häufig den Begriff Arzt, um zu erklären, wie Christologie und Soteriologie zusammenhängen. 32 Vgl. Kyrill, in Ioh. comm. I 8 (Pusey I, 139 f.). 33 Vgl. auch Uhrig, „Und das Wort“, 521. 34 Vgl. Studer, Gott und unsere Erlösung, 244. 35 Vgl. Kyrill, in Ioh. comm. I 8 (Pusey I, 140): „οὐκ εἰς σάρκα δὲ τὸν Λόγον ἐλθεῖν, ἀλλὰ σάρκα γενέσθαι […] κατὰ ἀλήθειαν γενέσθαι σάρκα, τουτέστιν ἄνθρωπον“. 36 Vgl. ebd. (Pusey I, 142): „Σάρκα γεγενῆσθαι τὸν Λόγον εἰπὼν, τουτέστιν ἄνθρωπον“. – Ähnlich Gregor von Nazianz, Orationes theologicae 3,18 (FC 22, 210 f.): „Schreibe die höheren Aussagen der Gottheit zu, der Natur also, die über alles Erleiden und den Körper erhaben ist, die niederen Aussagen aber dem Zusammengesetzten, dem, der sich deinetwegen entäußert (vgl. Phil 2,7) und Fleisch angenommen hat (vgl. Joh 1,14), oder besser gesagt, Mensch geworden (vgl. Mk 15,39; Phil 2,7) und danach erhöht worden ist (vgl. Phil 2,9), damit du,
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Augustinus betont in den ersten Johannestraktaten nicht das Mann-, sondern das Menschsein Jesu gleichzeitig mit seinem Gottsein: Die Gottheit des Gekreuzigten ist unbegrenzt und nicht an einen bestimmten Ort gebunden. Er kommt als Mensch, weshalb Johannes als Zeuge vor ihm her gesandt wird, damit die Menschen erkennen, dass er mehr als ein Mensch ist. 37 Im selben Traktat deutet Augustinus Joh 1,14 – in einer für ihn typischen Formulierung in Gegensätzen – als Versicherung für die Menschen, dass sie aus Gott geboren sind (eine anthropologische Aussage), weil Gott aus dem Menschen geboren ist. Dies beschreibt er als übergroße Gnade 38 und legt somit den Fokus an dieser Stelle auf die Soteriologie. Es gibt keine Voraussetzungen für die Fleischwerdung des Logos; 39 sie ist radikale Liebe Gottes: 40 „Darum hat er, gleichsam damit wir uns nicht wunderten und entsetzten ob einer so großen Gnade, so daß es uns unglaublich erschiene, daß Menschen aus Gott geboren sind, den Worten: ‚sie sind aus Gott geboren‘, gewissermaßen dich sicher machend, noch beigefügt: ‚Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt‘. Was wunderst du dich also, daß Menschen aus Gott geboren werden? Schau hin auf
was in deinen Ansichten fleischlich und erdverhaftet ist, beseitigst und lernst, dich zu erheben und mit der Gottheit aufzusteigen, und nicht weiter bei den sichtbaren Dingen stehenbleibst, sondern dich zu den geistigen erhebst und begreifst, was Ausdruck seiner göttlichen Natur und was Ausdruck der Heilsgeschichte ist.“ Zum Ähnlich-Werden des Menschen mit Gott vgl. Papandreou, Christologie und Soteriologie, 33; Vannier, Le mystère, 540. 37 Vgl. Augustinus, in Ioh. tract. 2,4 f. (CCSL 36, 14 / BKV 8, Augustinus 4, 22): „Denn nicht nach seiner Gottheit kam oder ging er, da er allgegenwärtig ist und von keinem Raum begrenzt wird. Aber als was kam er? Als Mensch erschien er. Weil er also so Mensch war, daß in ihm die Gottheit verborgen war, so wurde vor ihm her ein großer Mensch gesandt, durch dessen Zeugnis er als mehr erfunden würde denn als Mensch.“ – „Non enim secundum id quod Deus est aut uenit aut discedit, cum sit ubique praesens, et nullo loco contineatur. Sed secundum quid uenit? Quod apparuit homo. Quia ergo sic erat homo, ut lateret in illo Deus, missus est ante illum magnus homo, per cuius testimonium inueniretur plus quam homo.“ Zu den Johannestraktaten vgl. auch die Übersetzung in Auswahl von Susanne Greiner (CMe 63). 38 Vgl. Gonnet, Sacrifice et salut, 203; Fokin, The Doctrine of Deification, 218–220. 39 Vgl. Lam Cong Quy, Die Menschheit Jesu Christi, 284. 40 Vgl. Studer, Gott und unsere Erlösung, 215–217.
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den von Menschen geborenen Gott: ‚Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt‘.“ 41
Auch im dritten Traktat zu Joh 1,15–18 liest Augustinus das Menschsein Jesu soteriologisch, wenn er es dem Menschsein Adams gegenüberstellt. Aufgrund des Falles des ersten Menschen und weil alle sich dadurch „die Begierlichkeit des Fleisches“ zuzogen, musste ein anderer Mensch geboren werden, „der keine Begierlichkeit an sich hatte. Mensch und Mensch, der eine zum Tod, der andere zum Leben“ 42. Augustinus stellt mit Adam und Christus zwei Menschen gegenüber: Adam ist nur ein Mensch, Jesus Christus ein Gottmensch, Adam ein Mensch der Sünde, Jesus Christus ein Mensch der Gerechtigkeit. 43 Es handelt sich bei Jesus und Adam zwar um zwei Männer, doch das spielt für Augustinus keine Rolle. Es geht um den begehrenden, sterblichen Menschen an sich, der durch Christus zum Leben geführt wird. 44 Es gibt Verse im Johannesevangelium, die den altkirchlichen Theologen die Gelegenheit böten, das Mannsein Jesu zu thematisieren, weil Jesus explizit als Mann bezeichnet wird. Zwei Beispiele mögen dafür genügen, dass sie diese Gelegenheit nicht wahrnehmen. Die erste Stelle findet sich in Joh 1,29 f., wo Johannes über Jesus Christus sagt: „Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hin41
Augustinus, in Ioh. tract. 2,15 (CCSL 36, 19 / BKV 8, Augustinus 4, 30): „Ideo cum dixisset: ex Deo nati sunt, quasi ne miraremur, et exhorreremus tantam gratiam, ut nobis incredibile uideretur quia homines ex Deo nati sunt, quasi securum te faciens, ait: Et Verbum caro factum est, et habitauit in nobis. Quid ergo miraris quia homines ex Deo nascuntur? Adtende ipsum Deum natum ex hominibus: Et Verbum caro factum est, et habitauit in nobis.“ 42 Ebd., 3,12 (CCSL 36, 26 / BKV 8, Augustinus 4, 42): „Cecidit primus homo; et omnes qui de illo nati sunt, de illo traxerunt concupiscentiam carnis. Oportebat ut nasceretur alius homo qui nullam traxit concupiscentiam. Homo, et homo: homo ad mortem, et homo ad uitam.“ 43 Vgl. ebd., 3,13 (CCSL 36, 26 / BKV 8, Augustinus 4, 43): „Homo, et homo; sed ille, nonnisi homo; iste Deus homo. Ille homo peccati, iste iustitiae.“ Vgl. Carmona, La salvación, 118. 44 Zur Typologie Adam – Christus bei Augustinus bietet in Ioh. tract. 15,8 (CCSL 36, 153 / BKV 8, Augustinus 4, 256 f.) eine interessante Stelle, in der Augustinus beschreibt, dass Adam durch die Entnahme der Rippe schwach wird, weil sie durch weiches Fleisch ersetzt wird. Die Parallele zu Christus zieht er so, dass Christus schwach wird, indem er Mensch wird, um die Menschen zu stärken. Das Mannsein Adams spielt also eine Rolle im Verhältnis Adam – Eva (stark – schwach), aber nicht bei der Übertragung auf Christus.
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wegnimmt! Er ist es, von dem ich gesagt habe: Nach mir kommt ein Mann (anēr), der mir voraus ist, weil er vor mir war.“ Origenes betont in der Auslegung dieser Stelle zwar, dass Johannes Jesus Christus „Mann“ (anēr) nennt, greift aber das Geschlecht Jesu nicht auf, sondern formuliert direkt im Anschluss, über diesen Menschen sage der Täufer, er kenne ihn nicht. 45 Origenes ersetzt hier „Mann“ durch „Mensch“; er verwendet die Begriffe gleichbedeutend. Man könnte dies so interpretieren, dass der Mensch als solcher oder der ideale Mensch eigentlich ein Mann ist; allerdings geht es an dieser Stelle nicht um Abgrenzungen zur Frau oder Geschlechtlichkeit insgesamt. Jesus wird Mann genannt, so Origenes, damit wir lernen, dass der Mensch, der mit der Gottheit des Gottessohnes ganz vereint sei, älter ist als die Geburt aus Maria. 46 Johannes kann von ihm, den er von Mutterleib an kennt, sagen, dass er ihn nicht kennt, wenn er sich auf das vor der körperlichen Existenz bezieht; 47 er wusste noch nicht, dass Jesus Mann war. 48 Auch diese Stelle kommentiert Origenes nicht weiter. Es gäbe also die Gelegenheit, das Mannsein Jesu zu erklären oder zu betonen, doch stattdessen verwendet Origenes die Formulierungen aus dem Johannesevangelium gleichbedeutend mit „Mensch“. Auch Kyrill zitiert und paraphrasiert in seinem Werk über die Inkarnation des Eingeborenen 49 Johannes den Täufer, der sagt: „Nach mir kommt ein Mann“, ohne auf das Mannsein Jesu einzugehen. 50 Ebenso wenig wertet Johannes Chrysostomos eine Stelle, in der Jesus als Mann bezeichnet wird, auf seine Männlichkeit hin aus, sondern nutzt sie wie Origenes in der Bedeutung „Mensch“: Paulus nennt Christus in der Rede an die Athener einen bloßen Mann, der auferweckt wurde (Apg 17,31). Chrysostomos versteht „Mann“ als Bezeichnung des Menschseins Jesu; die Gottheit spiele in der Situation 45
Vgl. Origenes, in Ioh. comm. I 32,236 (SC 120, 176 f. / Thümmel, 90 f.). Ebenso wenig geht Origenes bei einem Zitat derselben Stelle im zweiten Buch des Johanneskommentars auf das Mannsein Jesu ein; vgl. ebd., II 35,216 (SC 120, 356 f. / Thümmel, 178 f.). 46 Vgl. ebd., I 32,236 (SC 120, 176 f. / Thümmel, 90 f.). 47 Vgl. ebd., I 32,238 f. (SC 120, 176 f. / Thümmel, 90 f.). 48 Vgl. ebd., I 32,239 (SC 120, 176–179 / Thümmel, 90 f.). 49 Zur Datierung (möglicherweise Ende 428 oder Anfang 429) vgl. Durand, Introduction, 52–57. 50 Vgl. Kyrill, de incarnatione Unigeniti 17.20 (SC 97, 274 f.290 f. / BKV 58, 515.523 f.).
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keine Rolle. Paulus wollte die Zuhörer vielmehr davon überzeugen, dass Christus ein Mensch war und auferstanden ist. 51 Dies hat eine soteriologische Bedeutung. Dass die Autoren den Begriff „Mann“ in ihren Auslegungen äquivok zu „Mensch“ verwenden, könnte man vorsichtig so deuten, dass der wahre Mensch für die altkirchlichen Theologen wie für ihr Umfeld ein Mann ist (auch wenn die Männlichkeit an den genannten Stellen nicht etwa von Weiblichkeit abgegrenzt wird). Es liegt in der Natur der Sache, dass die Texte keine Stellen bieten, die eine Untersuchung desselben Sachverhalts für „Frau“ und „Mensch“ erlauben würden. Man könnte diesen Befund auch als Betonung verstehen, dass der Logos als konkreter Mensch, nämlich als Mann, inkarniert wird. Beide Deutungen können nebeneinander stehen. Insgesamt also weisen die überlieferten altkirchlichen Auslegungen von Joh 1,14 sowie von den Stellen im Johannesevangelium, die Gelegenheit böten, das Mannsein zu thematisieren, nicht darauf hin, dass für die Exegeten die Männlichkeit Jesu eine Rolle gespielt hat. Dies schließt nicht aus, dass der inkarnierte Logos ein bestimmtes Geschlecht, nämlich das männliche, angenommen hat. Er ist nicht geschlechtslos, sondern ist in einem konkreten Menschen, einem jüdischen Mann zur Zeitenwende, Mensch geworden. Aus soteriologischer Perspektive geht es allen Autoren nicht um die Mannwerdung, sondern um Menschwerdung und Fleischwerdung. Trotz dieses grundsätzlichen Konsenses setzen die Auslegungen unterschiedliche Schwerpunkte: Origenes schreibt der Inkarnation eine pädagogische Bedeutung zu (die letztlich auch eine soteriologische Implikation beinhaltet, weil aus der Erkenntnis ein tugendhafteres Handeln hervorgeht und umgekehrt); Theodor macht die Menschwerdung in erster Linie am Wohnung Nehmen fest, während Kyrill dafür den Begriff „Fleisch“ nutzt. Kyrill und Augustinus geben ihrer christologischen Auslegung in einem zweiten Schritt eine soteriologische Wendung; Augustinus trifft außerdem die anthropologische Aussage, der Mensch sei aus Gott geboren, was dadurch bewiesen werde, dass Gott aus dem Menschen geboren sei.
51
Vgl. Johannes Chrysostomos, in Ioh. hom. 3,4 (PG 59, 42).
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2. Fleisch- und Menschwerdung in Traktaten über die Inkarnation Einen weiteren Ansatzpunkt für die Frage nach der Menschwerdung des Logos bieten die Traktate über die Inkarnation. Sie zeigen – ebenso wie die Auslegungen von Joh 1,14 innerhalb der Johanneskommentare und -homilien aus der Alten Kirche –, dass die Männlichkeit Jesu für die Theologen im Zusammenhang mit der Inkarnation nicht relevant ist. 52 Tertullians De carne Christi, das eine Untersuchung über die körperliche Substanz des Herrn, über das Fleisch, seine Existenz, Herkunft und Beschaffenheit sein soll, 53 richtet sich gegen die Doketisten und insbesondere gegen die Valentinianer. 54 Valentinus nahm an, Christus habe einen pneumatischen Leib; so konnte er die menschliche Zeugung und Geburt ausschließen. Die Schüler Valentins im Westen sprachen von einem seelischen Leib, weil sie annahmen, dass Christus nur die Seele erlösen müsste. 55 Gegen die Valentinianer betont Tertullian die Menschwerdung in einem wirklich menschlichen Fleisch: 56 „Diese Belege allein müssten eigentlich […] dafür genügen, das menschliche und von einem Menschen angenommene Fleisch (Christi) zu bezeugen, und nicht ein geistiges, so wie auch kein beseeltes oder von den Sternen genommenes oder nur schimärenhaftes, wenn denn die Häresien ohne Eifer und ohne kunstfertigen Streit existieren könnten.“ 57
52
Die Texte wurden vollständig digital auf die Begriffe „Mensch“ und „Mann“ hin durchsucht. 53 Vgl. Tertullian, de carne Christi 1,2 (SC 216, 210 f. / FC 84, 158 f.): „Examinemus corporalem substantiam domini […]. Caro quaeritur; ueritas et qualitas eius retractatur, an fuerit et unde et cuiusmodi fuerit.“ 54 Vgl. Lukas, Einleitung, 127; Markschies, Gottes Körper, 380–384. Zu den ersten antidoketistischen Argumentationen vgl. Emmenegger, Wie die Jungfrau zum Kind kam, 130–133. 55 Vgl. Lukas, Einleitung, 136 f. 56 Vgl. Tertullian, de carne Christi 15,2 (SC 126, 272–275 / FC 84, 226 f.); Markschies, Gottes Körper, 378 f. 57 Tertullian, de carne Christi 15,2 (SC 126, 272–275 / FC 84, 226 f.): „Haec sola sufficere uice praescriptionis debuerunt ad testimonium carnis humanae et ex homine sumptae, et non spiritalis, sicut nec animalis nec sidereae nec imaginariae, si sine studio et artificio contentionis haereses esse potuissent.“
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Tertullian argumentiert deutlich gegen Positionen, die nicht die menschliche Zeugung und Geburt über Christus aussagen wollen. So ist es verständlich, dass er die Männlichkeit Jesu zwar zitiert, weil sie im Bibeltext formuliert wird, aber kein Interesse dafür zeigt, wenn er – wie Origenes zu Joh 1,29 f. und Johannes Chrysostomos zu Apg 17,31 – die Formulierung „Mann“ (vir) in Apg 2,22 explizit als „Mensch“ deutet. 58 Auch dies könnte man erneut als Hinweis darauf lesen, dass der Logos in einem konkreten Menschen, nämlich einem jüdischen Mann, inkarniert wird, oder darauf, dass im antiken Denken in weiten Zügen der wahre Mensch ein Mann ist. Athanasius blickt in De incarnatione Verbi 59 aus soteriologischer Perspektive auf die Menschwerdung des Logos, die er als „Leibwerdung“ beschreibt. Dies ist ihm wichtig, weil sich für ihn der fleischgewordene Logos mit dem menschlichen Leib verbunden hat, um ihm Unverderblichkeit zu schenken. 60 So schreibt er gleich zu Beginn, sein Werk behandle das göttliche Erscheinen des Wortes um unseretwillen. 61 Der Heiland war „von Natur aus unkörperlich und das Wort“, ist aber dennoch aufgrund der Liebe zu den Menschen und der „Güte seines Vaters um unseres Heils willen im menschlichen Leib uns erschienen“ 62. Athanasius verwendet jeweils den Begriff sōma statt sarx. 63 Die Sünde der Menschen gab dazu Anlass, dass der Logos sich verkörperte (ensōmatōseōs), für die Menschen – wie Athanasius erneut betont – in einem menschlichen Leib geboren wurde und erschien. 64 Der körperlose, unvergängliche und immaterielle Lo58
Vgl. ebd., 15,1 (SC 126, 272 f. / FC 84, 226 f.). Vannier, Le mystère, 534, beschreibt ihn als einen der großen Traktate gegen die Arianer; Karfíková, Athanasius von Alexandrien, 348 f., sieht eher eine apologetische Darstellung des christlichen Glaubens und eine Polemik gegen gnostische Markioniten. 60 Vgl. ebd., 351. 61 Vgl. Athanasius, de incarnatione Verbi 1,1 (SC 199, 260 f. / Heil, 77 f.): „περὶ τῆς θείας αὐτοῦ πρὸς ἡμᾶς ἐπιφανείας“. Zur Verwendung von ἄνθρωπος insbesondere Kannengiesser, Introduction, 48–51. 62 Athanasius, de incarnatione Verbi 1,1 (SC 199, 262 f. / Heil, 77 f.). 63 Vgl. Kannengiesser, Introduction, bes. 139. Die menschliche Seele Jesu Christi spielt für Athanasius keine Rolle, auch wenn er sie nicht geleugnet hat. Vgl. hierzu Anatolis, The Soteriological Significance, 266–268. 64 Vgl. Athanasius, de incarnatione Verbi 4,3 f. (SC 199, 276 f.). Zu den Begriffen, die Athanasius für die Inkarnation verwendet, vgl. Kannengiesser, Introduction, 93–139. Ebd., 141: „[L]e corps du Logos devient ‚l’instrument‘ 59
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gos Gottes wurde Mensch aus Liebe zu den Menschen, weil er sah, dass der vernünftige Mensch vom Tod beherrscht wurde, und er nahm einen Leib an, der nicht anders als der unsere ist. 65 So drückt Athanasius die Annahme der menschlichen Natur aus. 66 Um Geschlechtlichkeit oder Männlichkeit geht es ihm nicht. In De incarnatione Verbi betont er ebenso wie in seinen anderen Schriften neben der Menschwerdung auch die volle Gottheit Christi, was mit durch die Gegner seiner Werke bedingt ist. 67 Hieronymus verbindet in seiner Predigt De nativitate Domini eindeutig Inkarnation und Heil gegen apollinaristische Tendenzen, wenn er – in einer ähnlichen Formulierung wie Gregor von Nazianz – betont, was nicht angenommen wurde, sei auch nicht geheilt worden. 68 Am Ende der Homilie lässt er die christologischen Diskussionen seiner Zeit erkennen, wenn er sagt, Christus werde ein ganzer Mensch mit Fleisch, Seele und Vernunft: „Er wird auf der Erde Mensch, ein vollkommener, ein ganzer Mensch, um dem ganzen Erdkreis Heilung zu bringen. Was er irgendwie von der menschlichen Natur nicht angenommen hat, das hätte er auch nicht erlösen können. Wenn er zwar Fleisch, aber keine Seele angenommen hätte, dann hätte er diese auch nicht erlöst. […] Wenn man jedoch zugibt, er habe die Seele erlöst, wie er ja auch eine solche angenommen hat, dann auch die Vernunft, welche, ähnlich wie die Seele über den Körper erhaben ist, bei der Seele als wichtigster Faktor in Frage kommt.“ 69
So führen die Zielrichtung gegen diejenigen, die behaupten, Jesus Christus hätte keine menschliche Seele oder Vernunft angenommen, sowie letztlich die Sorge um das Heil der Menschen dazu, dass Hieronymus die Inkarnation als Mensch- und nicht als Mannwerdung par excellence de notre salut.“ Vgl. Anatolis, The Soteriological Significance, 278. 65 Vgl. Athanasius, de incarnatione Verbi 81 f. (SC 199, 288–291). 66 Vgl. Studer, Gott und unsere Erlösung, 149. 67 Vgl. Vannier, Le mystère, 534. 68 Vgl. Gourdain, Introduction, 24; Vannier, Le mystère, 536 f. 69 Hieronymus, de nativitate Domini 5 (SC 593, 134 f. / BKV 15, 217): „in terra nascitur homo perfectus, homo totus, ut sanaret totum orbem. Quicquid non adsumpsit ex homine, non saluauit: si autem adsumpsit carnem, et animam non adsumpsit, non saluauit. […] Si enim dicunt: ‚Saluauit et animam quam adsumpsit‘ ; sicut maior est anima a corpore, sic ipsius animae principale sensus est: si autem sensum non saluauit, animam, quod minus est, saluauit.“
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deutet. Die Menschheit soll erlöst werden, sodass Christus ganzer Mensch wird, da nur erlöst wird, was angenommen wurde. Das Bild der Heilung der Menschen gleicht demjenigen in Kyrills Johannesauslegung (s. oben), in der er Christus als Arzt (und gleichzeitig als Patienten) beschreibt. 70 Kyrill schreibt in De incarnatione Unigeniti, dass der Logos, der vor aller Weltzeit war, Mensch und Fleisch und der Menschheit nach in den letzten Zeiten geboren wurde. 71 Die Fleischwerdung bedeutet für ihn Menschwerdung. Die Formulierung der christologischen Lehren ist zur Zeit Kyrills schon etwas weiter fortgeschritten. So denkt er darüber nach, wie man die Verbindung von Gottheit und Menschheit in Christus denken kann, und spricht – obwohl er die Unaussprechlichkeit der Verbindung betont 72 – von zwei Naturen, die sich einen: 73 „Wir behaupten aber, es habe eine Zusammenkunft und unaussprechliche Verbindung ungleicher und unähnlicher Naturen zur Einheit stattgefunden, als einen aber anerkennen wir gleichwohl Christum, den Herrn und den Sohn, der zumal sowohl Gott als auch Mensch ist und als solcher erkannt wird. Wir pflegen die Einheit durchaus ungetrennt zu wahren, indem wir glauben, derselbe sei sowohl der Eingeborne als der Erstgeborne; der Eingeborne als Wort aus Gott dem Vater, welches auch aus seiner Wesenheit entsprang, der Erstgeborne aber, sofern er Mensch geworden ist und unter vielen Brüdern. Denn wie einer ist Gott der Vater, aus dem Alles ist, so auch ein Herr Jesus Christus, durch den Alles ist. Als Gott von Natur aber anerkennen wir das Wort, wodurch Alles ist, auch wenn es Fleisch, das heißt Mensch, geworden ist.“ 74 70
Vgl. hierzu Emmenegger, Medizin als Metapher, bes. 94.97 f. Vgl. Kyrill, de incarnatione Unigeniti 20 (SC 97, 292–295 / BKV 58, 524 f.): „Ἐν ἀρχῇ γὰρ ἦν καὶ πρὸ παντὸς αἰῶνος ὁ ἐνανθρωπήσας Λόγος, καὶ αὐτὸς ἦν ἡ πέτρα δεδιψηκότα τὸν Ἰσραὴλ τοῖς παρ’ ἐλπίδα καὶ ἀδοκήτοις ἐκμεθύσκων νάμασι, καίτοι γεννηθεὶς κατά γε τὴν σάρκα καὶ τὸ ἀνθρώπινον ἐν ἐσχάτοις καιροῖς, καὶ κεχρισμένος εἰς τὴν εἰς κόσμον ἀποστολὴν παρὰ τοῦ Θεοῦ καὶ Πατρός.“ 72 Vgl. Durand, Introduction, 81 f. 73 Vgl. Vannier, Le mystère, 537 f. 74 Kyrill, de incarnatione Unigeniti 7 (SC 97, 220–223 / BKV 58, 489): „ Διϊσ71
χυριζόμεθα δὲ σύνοδον μέν τινα καὶ τὴν ὑπὲρ λόγον συνδρομὴν εἰς ἕνωσιν ἀνίσων τε καὶ ἀνομοίων πεπράχθαι φύσεων. Ἕνα δ’ οὖν ὅμως Χριστὸν καὶ Κύριον καὶ Υἱὸν ἐπιγινώσκομεν, ἐν ταὐτῷ καὶ ὑπάρχοντα καὶ νοούμενον Θεόν τε καὶ ἄνθρωπον. Ἀδιάσπαστον δὲ παντελῶς τὴν ἕνωσιν διατηρεῖν εἰθίσμεθα, τὸν αὐτὸν εἶναι πιστεύοντες καὶ μονογενῆ καὶ πρωτότοκον. Μονο-
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Im zusammenfassenden Abschnitt des Werkes betont Kyrill erneut die Menschwerdung, ohne sich auch nur im Entferntesten um die Männlichkeit Jesu zu kümmern. 75 Es wird deutlich, dass die Schwerpunktsetzung in den Aussagen über die Menschwerdung häufig von den Positionen abhängig ist, von denen die jeweiligen Autoren sich abgrenzen. Tertullian betont den wirklich menschlichen Leib, den seine Gegner nicht als gegeben annehmen. Athanasius macht an der Leibwerdung fest, dass Christus die Natur der Menschen angenommen hat. Hieronymus legt Wert auf die Vollständigkeit des Menschen in der Menschwerdung des Wortes, weil er gegen diejenigen argumentiert, die nicht davon ausgehen, dass die Seele angenommen wird. Kyrill schließlich betont die Einheit der zwei Naturen, da seine Gegner eher von einer Verbindung sprechen. In dieser Formulierung sieht Kyrill die Gefahr einer Teilung in zwei Söhne, weshalb er den ewigen Logos deutlich mit dem fleischgewordenen identifiziert. Für keinen der untersuchten Autoren aber spielen die Männlichkeit Jesu oder Geschlechtlichkeit eine Rolle. Das liegt nicht daran, dass sie Jesus als einem konkreten Geschlecht enthoben verstehen, sondern an der soteriologischen Perspektive, mit der sie auf die Inkarnation schauen.
3. Die Geburt Jesu als Öffnung des Mutterschoßes durch etwas Männliches In einer Stelle in den altkirchlichen Texten über die Menschwerdung spielt die Männlichkeit Jesu eine Rolle, und zwar in Tertullians bereits behandeltem De carne Christi. Bemerkenswerterweise steht sie thematisch im Zusammenhang mit der Jungfrauenschaft Mariens. Tertullian argumentiert gegen die Akademiker, denen es ihm zufolge widersprüchlich erschien, dass Maria gleichzeitig Jungfrau und doch nicht Jungfrau war. 76 Er legt ihnen in den Mund, Maria sei eine γενῆ μὲν ὡς ἐκ Θεοῦ Πατρὸς Λόγον, καὶ ἐκ τῆς οὐσίας αὐτοῦ πεφηνότα, πρωτότοκον δὲ αὖ καθὸ γέγονεν ἄνθρωπος, καὶ »ἐν πολλοῖς ἀδελφοῖς.« Ὥσπερ γὰρ εἷς ἐστι Θεὸς ὁ Πατὴρ ἐξ οὗ τὰ πάντα, οὕτω καὶ εἷς Κύριος Ἰησοῦς Χριστὸς δι’ οὗ τὰ πάντα. Θεὸν γὰρ ὄντα κατὰ φύσιν ἐπιγινώσκομεν τὸν δι’ οὗ τὰ πάντα Λόγον καὶ εἰ γέγονε σάρξ, τουτέστιν ἄνθρωπος.“ 75 76
Vgl. ebd., 22 (SC 97, 300 f. / BKV 58, 527 f.). Vgl. Mahé, Introduction, 55.
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„Jungfrau, die doch keine Jungfrau war, gebar, und gebar doch nicht“ 77. Für Tertullian hingegen ist klar: Wenn Christus nicht wirklich geboren wurde, ist er auch nicht gestorben und auferstanden; dann aber könnten die Menschen nicht vom Tod erlöst werden. 78 So behauptet Tertullian, Maria habe wirklich geboren, 79 weil sie aus ihrem Fleische geboren hat, aber nicht wirklich geboren, weil sie nicht aus dem Samen des Mannes geboren hat. Sie ist nicht Jungfrau in Bezug auf das Gebären, sondern im Bezug auf den Mann. 80 Tertullian nutzt den Begriff der Jungfräulichkeit also als Gegenstück zum Muttersein 81 und spricht Maria die Jungfrauenschaft in partu ab; 82 sie wird für ihn durch die Geburt Jesu zur Ehefrau. Damit vertritt Tertullian eine im zweiten Jahrhundert verbreitete These: 83 „Sie, die gebar, gebar wirklich, und wenn sie als eine Jungfrau empfing, so wurde sie durch ihre Geburt zur Ehefrau. Denn sie wurde zur Ehefrau aufgrund der Regel, welche man auf den geöffneten Leib anwenden muss; dabei bestand nämlich im Hinblick darauf kein Unterschied, ob die Gewalt eines Mannes herein- oder herausgelassen wurde: Dasselbe Geschlecht hat das Siegel jenes Leibes geöffnet.“ 84
Tertullian zitiert Ex 13,2 (ein Zitat der Stelle begründet bereits in Lk 2,23 die Darstellung Jesu im Tempel): „Alles Männliche, was den Mutterleib öffnet, wird ‚dem Herrn heilig‘ genannt werden“ 85; der 77
Tertullian, de carne Christi 23,2 (SC 216, 302 f. / FC 84, 258 f.): „Peperit et non peperit uirgo et non uirgo“. 78 Vgl. Emmenegger, Wie die Jungfrau zum Kind kam, 134. 79 Zur Frage, ob Maria gebärt oder nicht, vgl. auch ebd., 214 f., zum Protevangelium des Jakobus; ebd., 215–217, zu weiteren Apokryphen. 80 Vgl. Tertullian, de carne Christi 23,2 (SC 216, 302 f. / FC 84, 258 f.). 81 Vgl. Emmenegger, Wie die Jungfrau zum Kind kam, 222. 82 Vgl. Mahé, Introduction, 56. 83 Vgl. Emmenegger, Wie die Jungfrau zum Kind kam, 225. 84 Tertullian, de carne Christi 23,3 f. (SC 216, 302–305 / FC 84, 260 f.): „Peperit quae peperit, et si uirgo concepit in partu suo nupsit. Nam nupsit ipsa patefacti corporis lege: in quo nihil interfuit de ui masculi admissi an emissi; idem illud sexus resignauit.“ Bei dieser Öffnung des Schoßes geht es vermutlich eher um den Geburtskanal als das Hymen, da das Hymen erst im dritten und vierten Jahrhundert im Westen des Römischen Reiches zum Kennzeichen der Jungfräulichkeit wird; vgl. Emmenegger, Wie die Jungfrau zum Kind kam, 262. 85 Tertullian, de carne Christi 23,4 (SC 216, 304 f. / FC 84, 260 f.): „Omne masculinum adaperiens uuluam sanctum uocabitur domino.“
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Sohn Gottes aber ist für Tertullian wahrhaft heilig. Bei allen anderen Frauen, so Tertullian, öffnet die Ehe den Mutterleib. 86 Die These, dass die Geburt Jesu den Mutterschoß Mariens entsiegelt, stützt Tertullian mit Gal 4,4: Der Sohn Gottes wird nicht aus einer Jungfrau (virgo), sondern einer Frau (mulier) geboren. 87 Tertullian nutzt also letztlich die Männlichkeit Jesu, um die Weiblichkeit Mariens zu verstehen, wenn er versucht zu erklären, ob und wie Maria Frau oder Jungfrau ist. Wie Tertullian schreibt Origenes in seiner 14. Lukashomilie zu Lk 2,21–24, dass bei Maria – anders als bei anderen Frauen – nicht die Vereinigung mit dem Mann, sondern die Geburt des Kindes den Mutterschoß aufschloss; Jesus wird nach Jerusalem in den Tempel gebracht gemäß der Vorschrift in Ex 13,2 und Num 8,16. Dennoch betont Origenes nicht explizit die Männlichkeit Jesu, sondern bespricht nur die Jungfräulichkeit Mariens: 88 „‚Jedes männliche Wesen [omne masculinum] 89, das den Mutterschoß öffnet‘, heißt es und klingt dabei heilig-bedeutsam. […] Denn es ist ja bei allen anderen Frauen nicht die Geburt des Kindes, die den Schoß aufschließt, sondern die Vereinigung mit dem Mann. Der Schoß der Mutter unseres Herrn wurde in dem Augenblick geöffnet, in dem die Leibesfrucht hervortrat, denn kein Mann hatte vor der Geburt Christi diesen heiligen und verehrungswürdigen Schoß berührt.“ 90
86
Vgl. ebd., 23,4 f. (SC 216, 302–205 / FC 84, 260 f.). Vgl. Lukas, in: FC 84, 260 Anm. 182: Anders legt Tertullian, de virginibus velandis 6,2 (SC 424, 158–161), Gal 4,4 aus: Dort definiert er mulier als Gattungsbezeichnung, beschreibt Maria aber immer noch als jungfräulich. – Zur Auslegung von Gal 4,4 bei Origenes im selben Zusammenhang vgl. Emmenegger, Wie die Jungfrau zum Kind kam, 228. Lukas, in: FC 84, 258 f. Anm. 179, kommentiert, so sei es nicht verwunderlich, wenn Tertullian auch von den Brüdern Jesu spreche, wie auch immer er dies letztlich verstanden habe. Emmenegger, Wie die Jungfrau zum Kind kam, 223 f., betont, dass für Tertullian die Geburt weiterer Geschwister Jesu biblisch belegt ist und gegen die Doketisten verwendet wird, um die Inkarnation als wirklich geschehen darzustellen. 88 Zu dieser Origenesauslegung vgl. auch ebd., 226–228. 89 Origenes, in Luc. hom. 14,7 (GCS 49, Origenes 9, 89 / FC 4/1, 172). 90 Ebd., 14,7 f. (FC 4/1, 173). 87
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4. Fazit und hermeneutische Überlegungen zur Kirchengeschichte Es lässt sich nicht nachweisen, dass die Männlichkeit Jesu in den altkirchlichen Auslegungen von Joh 1,14 – der Bibelstelle für die Inkarnation schlechthin – und in den Traktaten über die Inkarnation eine Rolle spielt. Dies liegt insbesondere daran, dass die Theologen der Alten Kirche die Inkarnation soteriologisch verstehen und davon ausgehen, dass nur erlöst werden kann, was auch angenommen wurde. Der Logos wird Fleisch, um die Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht zu erlösen. Anders als in manchen gnostischen Texten beispielsweise zu Maria Magdalena ist es für die untersuchten Theologen keine Notwendigkeit, dass Frauen „männlich werden“, um gerettet zu werden. 91 Die Untersuchung in den Texten zur Inkarnation zeigt also einen geschlechtsunabhängigen Heilsuniversalismus der altkirchlichen Autoren. Dennoch ist ihnen klar, dass der Logos als konkreter jüdischer Mann lebt; er ist nicht etwa geschlechtslos. Diese Männlichkeit ist aber nicht heilsrelevant und gerät daher kaum explizit in den Blick, da die Autoren insbesondere aus einer soteriologischen Perspektive auf die untersuchten Bibeltexte schauen. Gleichzeitig wird deutlich, dass die Autoren der Alten Kirche – wie die Theologietreibenden zu allen Zeiten – ihre Theologie immer in einem bestimmten Zeithorizont formulieren. Das Nachdenken über Gott geschieht in einem Raum, in dem bestimmte Themen im Fokus stehen. So geht es bei Tertullian noch um die Frage, ob Christus einen menschlichen Leib hat, während Kyrill fragt, wie das Verhältnis von göttlicher und menschlicher Natur zu verstehen ist. Die Abgrenzungen von anderen Positionen der jeweiligen Zeit dienen ebenso dazu, die eigene Position zu schärfen, wie sie die zu behandelnden Themen mit-bedingen. Aus diesem Befund ergeben sich hermeneutische Fragen zur (Kirchen-)Geschichte, die hier zumindest angerissen werden sollen: 92 Was bedeutet diese Zeitgebundenheit der Theologie, wenn wir aktuelle Fragen in die Vergangenheit richten? Zunächst: Es ist legitim, gegenwärtige Fragen an die Geschichte zu stellen und zu schauen, welche Anregungen sie bietet, 93 da die Alte 91 92 93
Vgl. Emmenegger, Wie die Jungfrau zum Kind kam, 68–70. Zu den hermeneutischen Fragen vgl. auch Klöckener, Die Frau, 34–36. Vgl. Schmidt, Standort, 407: Es können „die Antworten auf Fragen und
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Kirchengeschichte Spuren von Glauben und Leben der Kirche und der Menschen in den ersten christlichen Jahrhunderten 94 in die theologische Diskussion der Gegenwart einbringt und so Anregungen für aktuelle Fragen und Lösungen anbieten kann: 95 „Die Kenntnis der Kirchengeschichte steht im Dienste der Gegenwart und Zukunft des Lebens von Kirche und Christentum. Die Kirchengeschichte darf das Christentum nicht ‚historisieren‘ und es zum Bildungsgut, zum Wissens- und Diskussionsstoff der Gebildeten degradieren. Es ließe sich dann vortrefflich gebildet über Christentum und Kirche parlieren, ohne zur Gegenwart und Zukunft von Christentum und Kirche beizutragen!“ 96
Das Einbringen von Gedanken aus der Vergangenheit in die Gegenwart ist möglich, weil christliches Leben – trotz aller Unterschiede und Fremdheit – in seinen Grundprinzipien zu allen Zeiten ähnlich ist 97 und die Fragen nach Gott und dem guten Leben überzeitlich sind. 98 Beim Einbringen der historischen Erkenntnisse in die aktuelle Diskussion ist zweierlei zu berücksichtigen: Erstens können die Lösungen oder Konzepte der Alten Kirche nicht eins zu eins und ohne weitere Reflexion übernommen werden, 99 eben gerade weil theologiHerausforderungen, mit denen eine vergangene Kommunikationsgemeinschaft gerungen hat, für eine gegenwärtige Kommunikationsgemeinschaft und ihr Ringen mit je ihren Fragen und Herausforderungen in christlich-religiöser Hinsicht erhellend werden. [… Es geht darum,] die Gegenwart im Lichte erschlossener Vergangenheit sehen zu lernen und mithin die Denkerfahrungen des Glaubens, die in den Quellen beschlossen sind und nicht aus diesen herausdestilliert werden können, für die Wahrnehmung gegenwärtiger theologischer Gestaltungsaufgaben fruchtbar zu machen. […] Wer […] die Geschichte des Christentums für theologisches Nachdenken fruchtbar machen will, muss immer wieder neu die Frage an die Quellen herantragen, ob sich nicht doch Gemeinsamkeiten im christlichen Glauben inmitten aller Fremdheit entdecken lassen.“ 94 Vgl. Uhrig, Alte Kirchengeschichte, 62. 95 Vgl. ebd., 71 f.; Brox, Kirchengeschichte als „Historische Theologie“, 9. 96 Delgado, Kirchengeschichte in schweren Zeiten, 64; vgl. auch Delgado, Vom Nutzen der Kirchengeschichte, 255; Feige, Theologie und Geschichte, 132: „Um eine Erinnerung sollte es ihr also gehen, die sich auf die Gegenwart auswirkt und zu einer kreativen Erneuerung führt beziehungsweise beiträgt.“ 97 Vgl. Schäufele, Auf dem Weg, 172. 98 Vgl. Casey, Lectio Divina, 11 f. 99 Vgl. Brox, Kirchengeschichte als „Historische Theologie“, 9: Man darf nicht
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sches Denken zeitbedingt ist 100 sowie Kirche und Theologie geschichtliche Größen sind. 101 Außerdem muss „die Lehre von Gott im Blick auf die Erfordernisse der jeweiligen Zeit“ 102 sowie auf der Höhe des Diskurses mit den anderen Wissenschaften formuliert werden. Kontinuität schließt darum Entwicklungen und Veränderungen nicht nur nicht aus, 103 sondern macht sie vielmehr notwendig, damit je nach Zeitkontext die Adressat:innen erreicht werden können: Die Kirchengeschichte macht deutlich, „dass die Aufgabe, unsere christliche Identität im Wandel zu bewahren, immer vor uns liegt“ 104. Zweitens ist zu berücksichtigen, dass manche der Fragen, die wir uns heute stellen, keine Fragen der Theologen der Alten Kirche waren. Meine Untersuchung hat dies für die Männlichkeit Jesu im Zusammenhang mit der Inkarnation des Logos gezeigt. Da die Autoren nicht nach der Männlichkeit gefragt haben, können sie die Fragen, die wir an sie herantragen, auch nicht beantworten. Es sind wichtige Aufgaben der Historiker:innen, darauf zu achten, dass nicht gegenwärtige Wunschlösungen in historische Texte hineingelesen werden, um diese Lösungen zu legitimieren, und vor anachronistischen Parallelen oder Schlussfolgerungen zu warnen, sodass die Tradition nicht instrumentalisiert wird. 105 Durch den Blick auf die historischen Perspektiven können eigene Vorverständnisse 106 und das, was in der Gegenwart übersehen wird und in der Geschichte mehr im Bewusstsein war, in den Blick ge-
erwarten, in der Vergangenheit von Kirche „das unmittelbare Leit- und Idealbild für das jetzt zu Verwirklichende zu finden“. 100 Vgl. Ebeling, Studium der Theologie, 82; Leppin, Auf der Grenze, 107. 101 Vgl. Kasper, Kirche und Theologie, 43: „Die Geschichte ist keine Beunruhigung, die von außen in einen an sich ungeschichtlichen Glauben einbricht, sie ist keine Infragestellung des Glaubens, sondern seine ureigenste Dimension.“ Vgl. Feige, Theologie und Geschichte, 129: Die Kirche ist „nicht nur in ihrer äußeren Gestalt, sondern auch in ihrer Theologie, ihrem Selbstverständnis und ihrer Verkündigung geschichtlich geprägt“. Vgl. Uhrig, Alte Kirchengeschichte, 68; Brox, Kirchengeschichte als „Historische Theologie“, 11–13. 102 Uhrig, Alte Kirchengeschichte, 72. 103 Vgl. Roux, Kirchengeschichte als Wissenschaft, 156. 104 Delgado, Vom Nutzen der Kirchengeschichte, 252. 105 Vgl. Uhrig, Alte Kirchengeschichte, 71. 106 Vgl. Schäufele, Auf dem Weg, 170.
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langen. 107 Dabei ist darauf zu achten, dass die überlieferten Quellen umfassend ausgewertet und verschiedene, möglicherweise sogar widersprüchliche Aussagen aus ihrem Kontext erklärt und gegeneinander abgewogen werden. Ebenfalls muss man bedenken, dass nicht alles überliefert ist. Möglicherweise ist für eine bestimmte Fragestellung ein ganzer Strang der Tradition verloren gegangen, auf den wir darum keinen Zugriff mehr haben. Trotz allem, was dabei zu berücksichtigen ist, ist es möglich und sinnvoll, aktuelle Fragen in die Vergangenheit zu richten, und die Perspektiven der Theologen der Alten Kirche können helfen, gegenwärtige Themen anders zu sehen und somit gegebenenfalls Lösungen und Antworten auf unsere Fragen zu finden. 108 Gegenwärtige Fragen können als Ansatzpunkt fungieren – können wir doch gar nicht anders als mit einem tastenden Vorverständnis an die historischen Quellen herantreten, wenn wir möglicherweise relevante Quellen identifizieren und Fragen an sie richten wollen. 109 In der konkreten Frage nach der Männlichkeit Jesu könnten die altkirchlichen Autoren einbringen, dass das Geschlecht, das Mannsein Jesu aus soteriologischer Perspektive keine Rolle spielt, und so darauf hinweisen, die Soteriologie nicht aus den Augen zu verlieren. Für die Erlösung ist die vollständige Annahme der Menschen notwendig; nur so hat das Menschengeschlecht auch an der Auferstehung teil. Der Logos wird wirklich Fleisch, um die Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht mit Leib, Seele und Verstand zu erlösen. Aus diesem Befund leiten die untersuchten Autoren keinerlei Rechte oder Pflichten für Menschen innerhalb der Kirche ab. Vielmehr richtet sich der Glaube an die Fleischwerdung „gegen die […] Gefahr des Enthusiasmus, des Doketismus und spiritualisierender Verflüchtigungen, für die die konkrete Geschichte nur ein leeres Schema, ein äußerer Anlaß, die vordergründige Bühne, äußere Staffage und die Livree darstellt für das offenbarende Sprechen Gottes.“ 110 107
Vgl. Casey, Lectio Divina, 12.155. Vgl. Delgado, Kirchengeschichte in schweren Zeiten, 64. 109 Vgl. Jammerthal/Janssen/Reinert/Schuster, Methodik der Kirchengeschichte, 36–38. Uhrig, „Und das Wort“, 529–531, weist auf die Inkarnationsvergessenheit der Gegenwart hin. Zu den Impulsen der Auslegung von Joh 1,14a für die Gegenwart vgl. auch ebd., 533–536. 110 Kasper, Die Welt, 180 f. 108
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Der Glaube an die Inkarnation des Logos macht also Ernst mit der Geschichtlichkeit des Glaubens.
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„Ein Bild von einem Mann“ Die Männlichkeit Christi in bildlichen Darstellungen der Spätantike 1 Lara Mührenberg Zusammenfassung Der vorliegende Aufsatz geht der Frage nach, wie die Männlichkeit Christi in der spätantiken Kunst dargestellt und verhandelt wird. Es wird deutlich, dass Christus in spätantiken Bildern als männlicher Mensch inszeniert worden ist und dass dies für die zeitgenössischen Betrachter:innen auf den ersten Blick erkennbar war: Er trägt männlich konnotierte Kleidung, seine Frisur ist maskulin, und bisweilen ist er ausgestattet mit einem Bart. Darüber hinaus werden Phänomene in die Bilder integriert, die aus antiken Männlichkeitsdiskursen bekannt sind und die sich aus den schriftlichen Quellen erschließen lassen. Diese Männlichkeitsphänomene werden durch Motive aller Art, wie Gesten, beigeordnete Objekte, die Beziehung zu anderen Figuren usw., ins Bild gesetzt. Da es sich bei diesen Motiven nicht um christliche Neuschöpfungen handelt, sondern um in der Ikonographie bewährte Geschlechtsmarker, sind sie von den antiken Betrachter:innen sofort entschlüsselt und verstanden worden. Christus erscheint als viriler römischer Mann, der mit männlichen Tugenden ausgestattet ist: Er ist aktiv handelnd, aber dabei stets besonnen und kontrolliert, er beherrscht die öffentliche Rede, ist gebildet und hat wichtige politische Funktionen inne. Zugleich ist er mit der höchsten Macht des kosmischen Herrschers ausgestattet. Ziel der antiken Auftraggeber:innen, Handwerker:innen und Künstler:innen war es, Christus in seiner ganzen Machtfülle zu zeigen und ihn als perfekten Menschen zu inszenieren. Da Phänomene wie Macht und Perfektion nach antiker Vorstellung mit Männlichkeit verbunden sind, war es zwingend notwendig, Christus mit männlichen Motiven auszustatten.
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Dieser Beitrag behandelt einen Aspekt des Themas meiner im Entstehen begriffenen Dissertationsschrift. Vgl. zudem Mührenberg, Konstruktionen. Sowie Dies., Gender Trouble. Ich danke Jan Rüggemeier und Sebastian Watta für eine kritische Lektüre des Manuskripts.
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Lara Mührenberg
Abstract This paper explores the question of how the masculinity of Christ is depicted and negotiated in late antique art. It becomes apparent that Christ was staged as a male human being in late antique images and that this was obvious to contemporary viewers at first glance: He is dressed in male clothing, his hairstyle is masculine, and he is sometimes bearded. In addition, phenomena which are known from the ancient discourse of masculinity and that can be extracted from the written sources are included in the images. These phenomena of masculinity are put into the images by motifs of all kinds, such as gestures, attributed objects, the relation to other figures, and so on. Since these motifs aren’t new Christian creations, but proven gender markers in iconography, they were immediately decoded and understood by ancient viewers. Christ appears as a virile Roman man equipped with masculine virtues: As the agent he is actively acting, but always level-headed and controlled, he speaks publicly to crowds, is educated and holds important political functions. At the same time, he is endowed with the supreme power of the cosmic ruler. For the ancient clients, craftspeople and artists the aim was to show Christ in his fullness of power and to stage him as a perfect human being. Since phenomena such as power and perfection are, according to ancient conception, linked to masculinity, it was mandatory to equip Christ with masculine attributes.
Christus gehört zu einer der am häufigsten dargestellten Personen der Weltgeschichte – seit der Spätantike sind Bilder in Umlauf, die ihn in allen Phasen seines Lebens abbilden: als Säugling, als lehrenden und wundertätigen Rabbi, als Leidenden am Kreuz, als Auferstandenen, als thronenden Herrscher über den Kosmos. Diese Bilder zeigen Christus dabei gemäß dem neutestamentlichen und frühchristlichen Textbefund als einen Menschen, dem ein biologisch männlicher Körper zukommt. 2 Dieser biologisch männliche Körper wird in Szenen, 2
Die neutestamentlichen Texte zeichnen dabei ein durchaus ambivalentes Bild von Christi Männlichkeit: Geradezu einen Affront gegen antike Männlichkeitskonzepte stellt – trotz unterschiedlicher christologischer Akzentuierungen – der Kreuzestod dar, andere Aspekte jedoch inszenieren Christus als einen öffentlich agierenden, angesehenen, gebildeten Mann, der mit hoher rhetorischer Kompetenz ausgestattet ist; vgl. zur narrativen Inszenierung der Rhetorik Jesu Young/Strickland, Rhetoric. Zudem ist er von großer Stärke und zeigt durch seine Wunder, dass er die Mächte des Kosmos kontrollieren kann. Die kanonisch gewordenen Evangelien und Apokryphen heben jeweils unterschiedliche Aspekte der Virilität Jesu hervor; vgl. dazu Asikainen, Jesus; Conway, Behold; Klostergaard Petersen, Geschlecht, 20 f.; Mayordomo, Konstruktionen;
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die die Nacktheit Christi zeigen, wie Erzählungen aus seiner Kindheit, seine Taufe oder insbesondere Episoden der Passion und Auferstehung, mitunter unumwunden in allen Details inszeniert. So präsentiert Giotto in seiner Darstellung der Beschneidung den Jesusknaben als strampelndes Kleinkind in den Armen des Priesters und lenkt den Blick des:r Betrachter:in in der senkrechten Bildachse direkt auf das Geschlecht Christi als zentralen Handlungsort. 3 Der Tafelaltar von Matthias Grünewald zeigt einen geschundenen, in der Marter des Todeskampfes erstarrten Gekreuzigten, dessen Leichnam in seiner grünlichen Farbe bereits Ansätze der Verwesung aufzuweisen scheint. 4 Und der ungläubige Thomas versenkt seinen Zeigefinger regelrecht in der Seitenwunde von Caravaggios Auferstandenem, der sich sein Grabtuch wie ein antikes Pallium einzig über die rechte obere Körperhälfte und die Hüfte geschlungen hat – und somit seinen muskulösen Oberkörper freilässt. 5 Aus der Spätantike sind Darstellungen, die den unbekleideten Körper Christi ins Bild setzen, zwar ebenfalls bekannt – verwiesen sei an dieser Stelle auf die Taufszene im sog. Baptisterium der Arianer in Ravenna 6 oder den thronenden Christus auf den sog. Polychromen Fragmenten 7 – aber der Körper Christi in seiner nackten, bloßen Fleischlichkeit wird erst im Laufe ders., Männlichkeit; ders., Androgyne; Ward, Bodies; Weidemann, Mannhaftigkeit; Wick, Männerfreundschaft; Wilson, Unmanly. Zur vereinzelten Nennung weiblich konnotierter Körperteile Jesu vgl. Petersen, Körper, 26 f. Auf die genannten Virilitätskonzepte wird im Folgenden eingegangen. 3 Giotto di Bondone, Beschneidung, 1304–1306, Padua, Capella degli Scrovegni. Eine Abbildung bietet Zuffi (Hrsg.), Erzählungen, 94. Zu den Fresken vgl. Basile, Giotto. 4 Matthias Grünewald, Isenheimer Altar, 1515, Colmar, Musée d’Unterlinden. Fraenger, Grünewald, Taf. 1. Vgl. zudem Seidel, Isenheimer Altar. 5 Michelangelo Merisi, gen. Caravaggio, Der ungläubige Thomas, um 1600, Potsdam, Schloss Sanssouci. Abbildung online abrufbar: https://brandenburg. museum-digital.de/object/11898 (Zugriff: 04. 07. 2023). Vgl. dazu Eckardt, Gemälde, 23 f. 6 Sog. Baptisterium der Arianer, Ravenna. Dat. nach Jäggi, Ravenna, 198– 200.: frühes 6. Jh. n. Chr. Ebd., Abb. 130.131. Zu Darstellungen der Taufe Christi ausführlich Spieser, Images, 99–163. Vgl. zum Aspekt der Nacktheit bei Darstellungen der Taufe zusammenfassend Verstegen, Nacktheit, 113– 117. Zur kindlichen, unschuldigen Nacktheit in diesem Zusammenhang Moraw, Virtus, 124 f. 7 Rom, Museo Nazionale Romano, Inventar-Nr. 67606 und 67607. Rep. I,773a.b. Dat. nach Sörries/Lange, Fragmente, 10: spätes 3. – frühes 4. Jh.
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des Mittelalters und der Frühen Neuzeit in den Fokus des Blickes gerückt und als Projektionsfläche theologischer und kulturgeschichtlicher Debatten ausgeformt. 8 Obwohl der Körper Jesu in der spätantiken Kunst zumeist bekleidet gezeigt ist, kommt ihm eine gewichtige Funktion zu. Denn während es in Texten durchaus möglich ist, das Geschlecht eines Menschen nicht dezidiert zu nennen und andere Aspekte der Person in den Fokus zu rücken, ist dies auf Bildern kaum möglich, es braucht eine wie auch immer geartete optische Sichtbarkeit. In der spätantiken Kunst erhält eine ins Bild gesetzte menschliche Figur einen biologisch menschlichen Körper. Dieser ist eingebunden in den bildlichen Zusammenhang, steht in einem Verhältnis zu anderen Bildelementen und lässt es überhaupt erst zu, dass sich die jeweilige Person durch Haltung, Gestik und Mimik im Bild nonverbal mitteilen kann. 9 Die geschlechtliche Zuordnung des gezeigten Körpers erfolgt in der Kunst der Spätantike vorrangig nicht über die biologische Ausformung eines Körpers, sei dieser männlich oder weiblich. 10 Die Körperformen der Figuren sind zumeist wenig ausgearbeitet, eine weibliche Brust oder ein breites männliches Kreuz sind nicht unbedingt auszumachen. 11 Zudem verbergen sich diese nicht selten unter aufwendig ausgestalteten Gewändern, deren Drapierungen und Schnitte das Darunterliegende verhüllen. 12 Darüber hinaus heben stilistische n. Chr. Nagy, Kästchenbeschlag, Abb. 17. Zur umstrittenen Funktion der Fragmente vgl. Sörries/Lange, Fragmente, 7–8.; Spieser, Images, 166–170. 8 Vgl. dazu Verstegen, Nacktheit, insb. 119–127. 9 Zur Kommunikation im Bild vgl. Rehm, Stumme Sprache. Sowie Touchefeu-Meynier/Lissarrague, Introduction, 20–22. 10 Zur Nacktheit weiblicher wie männlicher Körper ausführlich Moraw, Virtus. 11 Dies gilt nicht für die regelhaft nackt dargestellten biblischen Personen Jona, Adam und Eva sowie bisweilen auch Daniel. Vgl. zu Jona exemplarisch den berühmten Sarkophag in S. Maria Antiqua, Rom. Dat. nach Deichmann, Repertorium, Rep I 747: 3. Viertel 3. Jh. Sowie zu Adam und Eva den Sarkophag des Iunius Bassus. Museo Pio Cristiano, Rom. Dat. nach ebd., Rep I 680: 359 n. Chr. Die Sarkophage werden im Verlauf der Untersuchung mit Verweis auf die im Repertorium der christlich-antiken Sarkophage angegebene Nummer bezeichnet. 12 Dass dies nicht immer der Fall sein muss, zeigen Exemplare, bei denen die Grabinhaberin deutlich mit einem biologisch weiblichen Körper ausgestattet ist. Beispielhaft sei hier verwiesen auf einen Sarkophag auf dem Cimitero di Pretestato, Rom. Dat. nach Deichmann, Repertorium, Rep. I 555: 2. Drittel 4. Jh.
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Eigenheiten wie die oft frontale Darstellung der Figuren, ihre unbewegte, beinahe starre Körperhaltung oder die beliebte Isokephalie (Anordnung der Köpfe auf gleicher Höhe) der Personen naturgegebene Unterschiede zwischen menschlichen Körpern, bspw. einen Unterschied in der Körpergröße, oder kulturell bedingte Besonderheiten, bspw. einen in S-Form gebogenen weiblichen Körper, auf. Zur Verdeutlichung sei hier beispielhaft ein stadtrömischer Sarkophag angeführt, der auf der Frontseite in einem einzonigen Fries Wunder Jesu und Episoden aus dem Leben Petri sowie zentral die Verstorbene in betender Haltung zeigt. 13
Abb. 1: Einzoniger Friessarkophag mit Darstellungen aus dem Leben Petri, jesuanischen Wundern sowie der Grabinhaberin im Oransgestus im Zentrum. Rom, 1. Viertel 4. Jh. n. Chr. (eigene Umzeichnung).
Der Körper der Orantin weist keine Abweichungen von denen des männlichen Personals auf: Der Schwung ihres Körpers und ihr ponderierter Stand gleicht dem des wasserschlagenden Petrus (links außen) ebenso wie dem des Christus der Brotvermehrungsszene (zweite Szene von rechts). Ihre Extremitäten sind ebenso übergroß betont wie die der männlichen Akteure und ihr Gesicht mit dem markanten Kinn gleicht dem der unbärtigen Männer. Die gezeigten Gewänder umhüllen die Körper beinahe vollständig und der Blick der Betrachtenden wird auf den reichen Faltenwurf gelenkt, der eine ganz eigene Dynamik der Oberflächenstruktur erzeugt. Die aufrecht stehenden, zum:r Betrachter:in ausgerichteten Personen sind auf gleicher Ebene Sowie auf ein Exemplar in S. Prassede, Rom, Dat. nach ebd., Rep. I 757: Anfang 4. Jh. Zum Phänomen der offenbar bewusst körperbetont bekleideten Grabinhaberinnen vgl. Studer-Karlen, Verstorbenendarstellungen, 155. 13 Museo Pio Cristiano, Rom. Dat. nach Deichmann, Repertorium, Rep. I, 6: 1. Viertel 4. Jh. n. Chr. Dieser soll an dieser Stelle stellvertretend für eine Vielzahl von Objekten stehen, die in vergleichbarer Weise gestaltet sind.
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angesiedelt und schließen in identischer Kopfhöhe ab, wodurch ihre Schulterpartien auf annähernd gleicher Höhe liegen. Auch dies nivelliert etwaige körperliche Unterschiede. Diese sind hingegen ganz markant inszeniert, nimmt man die im Bild gezeigten Personen in den Blick, an denen Christus hier Wunder wirkt: Die Wächter, der Blindgeborene sowie Maria und die Wickelmumie ihres Bruders in der Szene der Lazaruserweckung sind – als Personen an denen gehandelt wird – unabhängig von ihrem biologischen Geschlecht in geringerer Körpergröße gezeigt. 14 In bildlichen Darstellungen der Spätantike erfolgt die geschlechtliche Zuordnung folglich nicht zuvorderst über den optisch wahrnehmbaren biologischen Körper, sondern vielmehr über die der jeweiligen Person zukommende Geschlechtsrollensymbolik. Diese wird durch ‚Männlichkeit‘ oder ‚Weiblichkeit‘ anzeigende Motive ins Bild gesetzt, bspw. eine geschlechterspezifische Kleidung, Haartracht, Gestik oder auch bestimmte beigeordnete Objekte sowie die Relation zu anderen Figuren. 15 Die Geschlechterrolle, in der eine Person im Bild agiert, geht somit dem gezeigten biologischen Körper voraus. Eine menschliche Figur auf spätantiken Bildwerken verfügt somit – obgleich in unserer Wahrnehmung weniger offensichtlich – stets über eine ihr zugeschriebene Geschlechtlichkeit, die von den antiken Menschen im Moment des Betrachtens unmittelbar wahrgenommen und verstanden worden ist. 16 Dies gilt auch, um nicht zu sagen insbesondere, für die Darstellungen Christi. Und obgleich Genderfragen jeglicher Couleur aktueller sind denn je, gesellschaftlich breit diskutiert und auch in den Kunst- und Geschichtswissenschaften sowie den Theologien detailliert erforscht werden, stellt die Auseinandersetzung mit der visuellen Ausgestaltung Christi hinsichtlich seiner optisch wahrnehmbaren Männlichkeit in der Kunst der Spätantike noch immer ein Desiderat dar. 17 In diesem 14
Zu diesem Phänomen Nauerth, Heilungswunder, 341 f. Vgl. dazu Mührenberg, Gender Trouble, insb. 125. 16 Ausführlich dazu Ebd. Im Rahmen dieser Untersuchung soll das deutsche Wort ‚Geschlecht‘ genutzt und nicht nach ‚sex‘ und ‚gender‘, also ‚biologischem‘ und ‚kulturellem‘ Geschlecht, unterschieden werden, da sich die antike Konzeption von ‚Geschlecht‘ durch die moderne Trennung nicht abbilden lässt. 17 Anders verhält es sich interessanterweise mit femininen Aspekten in der Darstellung Christi. Zuvorderst ist die Arbeit Thomas F. Mathews’ zu nennen, der feminine Aspekte in der Darstellung Christi deutlich betont sieht: Mathews, 15
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Beitrag soll daher folgenden Fragen nachgegangen werden: Welche geschlechtliche Zuschreibung erfährt der ins Bild gesetzte Körper Christi – und damit gleichsam die gesamte gezeigte Figur? 18 Wie werden sein Körper und die diesem anhaftenden Phänomene 19 inszeniert? Wie kann eine solche geschlechtliche bzw. maskuline Inszenierung durch die Betrachtenden decodiert, also das Bild ‚gelesen‘ und verstanden werden? Welche Rolle kam der Geschlechtsidentität bzw. Männlichkeit Christi in der Antike zu? Und nicht zuletzt: Verbirgt sich eine theologische Implikation hinter der ins Bild gesetzten Männlichkeit Jesu?
1. Christus im Bild Eine christliche Kunst und Architektur, die heute als solche fassbar ist, hat sich recht spät herausgebildet. In den ersten Jahrhunderten nach Jesu Tod schweigen die archäologischen Quellen – erst in der Mitte des dritten Jahrhunderts sind materielle Zeugnisse fassbar, die eindeutig Christ:innen bzw. Menschen mit einem engen Bezug zum christlichen Glauben zugeordnet werden können. In diesem Kontext entstehen nun auch – und trotz des alttestamentlichen Bilderverbotes 20 – bildliche Darstellungen Christi. Zwar gibt es Berichte, dass schon vorher Christusbilder existiert haben sollen, diese aber sind rar und lassen sich nicht mehr überprüfen. So berichtet bspw. Irenäus, die gnostische Gemeinschaft der Karpokratianer:innen habe geäußert,
Clash, 115–141. Vgl. zustimmend Jensen, Art, 124–126. Des Weiteren sei auf die Forschungen Ally Kateusz’ verwiesen, die jedoch mitunter aus christlicharchäologischer Sicht deutliche Schwächen aufweisen; vgl. exemplarisch Kateusz, Jesus Woman. Sowie dies., Introduction. 18 Hierbei werde ich mich auf spätantike Bildquellen beschränken und spätere Epochen nicht behandeln, weil diese eine eigene Betrachtung in Hinblick auf das Thema verdient hätten. 19 Unter ‚Phänomen‘ verstehe ich in diesem Zusammenhang ins Bild gesetzte Motive jeglicher Art, von Kleidung und Haartracht über beigeordnete Objekte bis hin zur Handlungsfähigkeit einer Figur. 20 Da auf dieses komplexe Thema hier nicht ausführlich eingegangen werden kann, sei für den spätantik-christlichen Umgang mit Bildern verwiesen auf: Hirsch-Luipold, Bilderverbot; Jäggi, Bild; Verstegen, Zerstörungen.
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ein solches zu besitzen und es gemeinsam mit den Bildern großer antiker Philosophen aufgestellt zu haben. 21 Die frühesten Bilder Christi, die heute überliefert sind, stammen vornehmlich aus dem Bereich der Sepulkralkunst. 22 An diesem Punkt dürften Auftraggeber:innen und Handwerker:innen vor einer Herausforderung gestanden haben, denn die neutestamentlichen Quellen schweigen sich zur optischen Erscheinung Jesu beinahe völlig aus. 23 Es verwundert also nicht, dass sich eine feste Ikonographie der Darstellung Christi erst herausbilden musste. Aus der Spätantike sind so mehrere unterschiedliche Darstellungsweisen Christi bekannt, die weder klar voneinander abzugrenzen sind noch einander strikt in zeitlicher Reihenfolge ablösen. 24
2. Die Männlichkeit des jugendlichen Wundertäters Das Repertoire an Szenen, in denen Christus in der Sepulkralkunst, vornehmlich des 3. und 4. Jahrhunderts, begegnet, ist recht über21
Iren.haer. I,25,6. Dazu Kollwitz, Christusbild, 3. Für weitere Verweise vgl. Dresken-Weiland, Christusbild, 19. 22 Ein in der christlichen Grabkunst beliebtes, aus der paganen Kunst übernommenes Motiv sind bukolische Szenerien des friedlichen Land- und Hirtenlebens, in deren Kontext immer wieder der sog. Schafträger gezeigt wird. Ob dieser mit Christus als Guter Hirte ( Joh 10,11) assoziiert worden ist, gilt es bei jeder Darstellung einzeln zu prüfen. Vgl. zu den paganen Darstellungen Zanker/Ewald, Mythen, insb. 170–173. Sowie zu den christlichen Kontexten Dresken-Weiland, Bild, 77–95; Engemann, Hirt, insb. Sp. 594–607; Kollwitz, Christusbild, 5–7.11–12.; Spieser, Images, 48–73. Vgl. zu jenseitigen Gartenlandschaften in der Katakombenmalerei zusammenfassend zuletzt Mührenberg, Aufenthaltsort, 56–63. Sowie zu Darstellungen des Paradieses Dresken-Weiland, Paradies. Als früheste Darstellungen Christi innerhalb eines Kirchenbaus sei auf die Malereien des Taufraumes in Dura Europos verwiesen. Vgl. dazu Kraeling, Dura Europos. 23 Zur Unsichtbarkeit des Körpers Jesu in seiner Gesamtheit Mayordomo, Männlichkeit, 368 f. Zu einzelnen Körperteilen ausführlich Petersen, Körper. Zur spätantiken Debatte über die Körperlichkeit Christi Markschies, Gottes Körper, 373–418. 24 Grundlegend zum Christusbild vgl. Kollwitz, Christusbild. Sowie Dresken-Weiland, Christusbild. In den theologischen Diskursen der Spätantike findet sich mehrfach die Aussage, Christus erscheine in unterschiedlicher Gestalt; vgl. exemplarisch Pseudo-Dionysius PsDionys. Areop. div. nom. 10, PG 3,91. Ausführlich dazu Bacci, Faces, 193–236.
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schaubar. In überwiegender Zahl handelt es sich um Darstellungen der Wunder: die Brot- und Weinvermehrung, Krankenheilungen und die Lazaruserweckung. 25 All diese Themen erweisen sich als äußerst passend für den sepulkralen Kontext, setzten sie doch das eingreifende Handeln Gottes und die Hoffnung auf ein Leben im Jenseits ins Bild. 26 Christus erscheint ab dem 3. Jahrhundert als sehr junger, beinahe jugendlicher Mann. Auf dem schon angesprochenen Sarkophag (Abb. 1), der hier exemplarisch für vergleichbare Stücke stehen soll, ist Christus in dem mittleren und rechten Bilddrittel gleich viermal (Weinwunder, Blindenheilung, Brotvermehrung, Auferweckung des Lazarus) in diesem Typus gezeigt. Er ist bartlos und sein Haar ist voll und gelockt. Bekleidet ist er mit einer einfachen Tunika und einem darüber drapierten Pallium, an den Füßen trägt er Sandalen. Andere Beispiele dieses Typus zeigen Christus mit noch auffälligerem Haupthaar, das ihm in Wellen oder Locken bisweilen bis auf die Schultern fällt. 27 Die jugendliche Darstellungsweise mag angesichts des lukanischen Berichtes, laut dem Jesus zu Beginn seines Wirkens bereits um die 30 Jahre alt gewesen sein soll (Lk 3,23), überraschen. Sowohl nach hellenistisch-römischer als auch jüdischer Vorstellung beziffert dies das Idealalter eines Mannes, um öffentliche Aufgaben zu übernehmen. 28 Zudem markiert es den Eintritt in das Lebensalter des iuvenis und geht laut Aristoteles auch mit der Blütephase des männlichen Körpers einher, der sich in dieser Phase auf 25
Zu Häufigkeit, Anbringungsorten und Vergesellschaftungen mit anderen Szenen siehe Dresken-Weiland, Bild, 162–181.213–233.247–266. Vgl. zudem die Angaben im Stichwortverzeichnis bei Nestori, Repertorio, 191–218. Zur Ikonographie des Wundertäters Kollwitz, Christusbild, 10–11.19.23–24. Vgl. auch Mathews, Clash, 54–91.; Spieser, Images, 165–231. 26 Zu den sog. Rettungsparadigmen in der frühchristlichen Kunst grundlegend Michel, Gebet, insb. 48–64. Auf die anhaltende Diskussion in der Exegese um frühe hoheitschristologische Implikationen kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden. Vgl. dazu Bühner, High Christology. 27 Vgl. exemplarisch dazu einen Friessarkophag im Museo Nazionale, Rom. Dat. nach Deichmann, Repertorium, Rep I 771: 1. Drittel 4. Jh. n. Chr. Sowie ein Exemplar aus dem Musée Lapidaire d’Art Chrétien, Arles. Dat. nach Christern-Briesenick, Rep III, 38: um 325 n. Chr. 28 Auch andere biblische Gestalten beginnen in diesem Alter ihr Wirken, so auch David (2 Sam 5,4), Joseph (Gen 41,46) und Ezechiel (Ez 1,1). Zum Idealalter Jesu vgl. ausführlich Müller, Ungefähr 30. Sowie zuletzt Klinkmann, Jesus, 149 f.
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dem Höhepunkt seiner physischen Kräfte befindet. 29 Antike christliche Apokryphen, bspw. die Petrus- und Johannesakten, hingegen berichten von der Erscheinung Christi auch in kindlich-jugendlicher und schöner Gestalt, ohne sein genaues Lebensalter anzugeben. 30 Die jugendliche Darstellung Christi erinnert zudem an den Gott Apoll: 31 Dieser wird ebenfalls mit einem jugendlichen Körper und mit langem, lockigem Haar und durchaus femininen bzw. androgynen Zügen gezeigt. Zugleich aber sind Apolls Haltung und Muskulatur zumeist – aber nicht immer – maskulin und sein Körper entspricht der Idealvorstellung jugendlich-männlicher Schönheit. 32 So weist bspw. der sog. Kasseler Apoll einen sich verjüngenden Oberkörper mit einem breiten Kreuz und schmalen Hüften auf, die Muskulatur des Torso entspricht einem festen, jegliches Fett entbehrenden Körper und seine Pose ist nur leicht ponderiert. 33 Die langen, in der antiken Dichtung als goldfarben beschriebenen Locken Apolls können zu ganz unterschiedlichen Frisuren gebunden sein, die durchaus Entsprechungen bzw. Anklänge in denjenigen weiblicher Gottheiten oder sterblicher Frauen finden können. 34 Zuvorderst aber sind sie als göttliche Haartracht zu verstehen und betonen die ewige Jugend und jugendliche Schönheit des Gottes und verweisen auf ein freies und freudenreiches Leben. 35 Die Übertragung der apollinischen Ikonographie auf Christus mag gleich mehrere Gründe gehabt haben. Zum einen wird in frühchristlichen Kontexten die Schönheit Jesu thematisiert, so wird bspw. Ps 45,3 nun auf ihn bezogen: „Du bist der Schönste unter den Menschenkindern, voller Huld sind deine Lippen“. 36 Zum anderen wurde 29
Aristot. rhet. 1390b. Dazu Müller, Ungefähr 30, 497. Sowie Eyben, Einteilung, 180. Für weitere Verweise vgl. Müller, Ungefähr 30, 495–499. 30 Act. Petr. Verc. 5, 51; Act. Joh. 87. Für weitere Quellen, die eine jugendliche Erscheinung Christi nennen vgl. Kollwitz, Christusbild, 5. 31 Vgl. Mathews, Clash, 126–128. Sowie Jensen, Art, 124–126. Zu weiteren ikonographischen Ähnlichkeiten Spieser, Images, 178–190. 32 Zur Ikonographie des Apoll vgl. Ley, Apollon. 33 Sog. Kasseler Apoll, 100–130 n. Chr., Kassel, Staatliche Sammlungen. Schmidt, Apollon, Taf. 1.7–10. 34 Ausführlich zu den unterschiedlichen Frisuren des Apoll vgl. Gkikaki, Frisuren. Sowie zur Goldfarbe mit Angebe der Quellentexte ebd., 149 f. 35 Ebd., 146–153. 36 In der Relecture von Ps 45 wird in Hebr 1,8–9 der genannte König mit Christus gleichgesetzt. Dazu ausführlich Reemts, Psalmen, 107–126. Weitere
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Apoll als Gott des Lichtes 37 und der Heilung 38 verehrt – Aspekte, die bei Christus ebenfalls im Vordergrund gestanden haben. Darüber hinaus ist die Darstellung Apolls als Gott der Musik im Typus des Apollo Kitharoidos 39 beliebt gewesen, was ihn ikonographisch in die Nähe des ebenfalls Kithara spielenden Sängers Orpheus rückte. Orpheus wiederum, der der Sage nach durch seine berückende Musik bei Hades die Rückgabe seiner geliebten Eurydike aus dem Totenreich erreicht hatte, galt den Kirchenvätern als Präfiguration Christi, weswegen Darstellungen des Orpheus in der christlichen Kunst begegnen. 40 Bevor wir uns nun der Frage zuwenden, wie die Männlichkeit in den Darstellungen, die den jugendlich-unbärtigen Christustypus zeigen, inszeniert wird, und, ob die weiblichen Aspekte des Apoll durch die Übernahme der Ikonographie ebenfalls auf das Christusbild übertragen worden sind, scheint an dieser Stelle eine kurze Einführung in (spät-)antike Männlichkeitskonstruktionen und -diskurse geboten: Anders als seit der Späten Neuzeit wird im medizinischen Diskurs 41 der Antike die anatomische Ähnlichkeit der Geschlechter betont und darauf verwiesen, es handle sich schlicht um unterschiedliche Ausprägungen des einen menschlichen Körpers. Der römische Arzt Galen von Pergamon nimmt bspw. an, dass die männlichen und weiblichen Geschlechtsorgane in ihrem anatomischen Aufbau identisch seien
Verweise bietet Spieser, Images, 173 f. Moraw verweist darauf, dass in bildlichen Darstellungen Körper von perfekter Schönheit auf die Tugendhaftigkeit einer Person verweisen. Vgl. Moraw, Virtus, 116. 37 In diesem Zusammenhang zum Aspekt des Glanzes, der auch mit Reinheit verbunden ist Graf, Apollon, Sp. 867. Zur Lichtsymbolik im Kontext der Körperlichkeit des Auferstandenen vgl. Markschies, Gottes Körper, 406. 38 Zur Heiltätigkeit Apolls, der ihn zu den (göttlichen) Ärzten in Konkurrenz treten ließ, Graf, Apollon, Sp. 865 f. 39 Exemplarisch sei auf die römische Kopie (31 v. Chr. – 476 n. Chr.) einer Statue Timarchides I. aus dem Hochhellenismus verwiesen. London, British Museum, Inv. 1861,0725.1. Abbildung online abrufbar: https://www. britishmuseum.org/collection/object/G_1861-0725-1 (Zugriff: 04. 07. 2023). 40 Vgl. Kollwitz, Christusbild, 8.12.; Markschies, Wiederverwendung, 80– 91.; Spieser, Images, 83–93. 41 Zwar darf der medizinische Diskurs der Antike nicht als einheitlich verstanden werden, die Themen ‚Geschlechterdifferenz‘ und ‚Fortpflanzung‘ lassen aber eine weitgehende Übereinstimmung erkennen; vgl. Klostergaard Petersen, Geschlecht, 48.
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und sich schlicht ihre Lage unterscheiden würde. 42 Die Ausbildung des Geschlechts hängt von dem Mischverhältnis der den Körper bestimmenden Säfte ab und wird dabei nicht ausschließlich binär gedacht. Denn das Säfteverhältnis ist bei jedem Menschen ganz individuell ausgeprägt und durchaus Schwankungen und Veränderungen unterworfen. 43 Neben Menschen mit einem hohen Anteil an ‚Weiblichkeit‘ oder ‚Männlichkeit‘ sind auch Personen mit einem ausgewogeneren Mischverhältnis zu finden, deren Geschlecht sich nicht unmittelbar ermitteln lässt. 44 Obgleich in der Regel jeder Mensch männliche und weibliche Anteile in sich vereint, gilt der Mann nach antiker Vorstellung als der Mensch ‚an sich‘, die Frau hingegen als eine mangelhafte Version desselben, denn ein „Mehr“ an Männlichkeit wird mit einer Zunahme an Perfektion gleichgesetzt. 45 Da das Mischverhältnis der Säfte ständig im Schwange ist und durch äußere Einflüsse wie die Lebensführung oder natürliche Alterungsprozesse ganz maßgeblich beeinflusst wird, ist auch die Geschlechtsausprägung dabei keinesfalls fest verankert und kann sich im Laufe des Lebens verändern. 46 Der antike Mann ist stets davon bedroht, dass seine weiblichen Anteile zunehmen und er seine Männlichkeit verliert – er droht zu effeminieren, in einem geschlechtlich unbestimmten ‚Dazwischen‘ zu verbleiben oder gar das Geschlecht zu wechseln. 47 Die Effemination einer Person bezieht sich dabei auf den Menschen in seiner Ganzheitlichkeit: seinen Körper, seinen Charakter, seine Geschlechterrolle, seine Gefühlswelt etc. 48 Der antike 42
Gal. us. part. 14,6. Ausführlich dazu vgl. Laqueur, Leib, 40. Zu weiteren Phänomenen wie die durch die Eltern eingebrachten weiblichen und männlichen Anteile der Spermata, die Lage des Embryos im Mutterleib oder die Temperatur des Uterus vgl. ebd., 54–56; Schubert/Huttner (Hrsg.), Frauenmedizin, 460–462. 44 Polemon von Laodikeia rät dazu, den Blick, die Stimme und die Bewegungen einer Person genau zu studieren, um so zu ermitteln, welches der Geschlechter stärker ausgeprägt sei. Polemon, Phys. 2,25. 45 Vgl. dazu Aristoteles Aristot., gen. an. IV,6. Vgl. dazu Voß, Geschlechterverständnis, 62; Flemming, Medicine, 99; Clark, Women, 73. 46 Vgl. Asikainen, Jesus, 26; Fabricius, Grenzziehungen, 71. 47 Vgl. Williams, Homosexuality, 142; Mratschek, „Männliche“ Frauen, 214. 48 Vgl. Conway, Behold, 18. Effemination definiert sich durch weibliches Gebaren oder Erzeugen femininen Eindrucks in Bezug auf Kleidung, Stimmlage, Verhalten etc. Vgl. Stickler, Effemination, 277; Williams, Homosexuality, 43
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Mann ist daher angehalten, seine Männlichkeit stetig neu zu produzieren, 49 indem er männlich konnotierte Tugenden wie Aktivität, Selbstbeherrschung, Mut, Würdigkeit, Klugheit, Ernst und zuvorderst die Virtus bewahrt. 50 Zu vermeiden hat er hingegen in allen Bereichen – von seinem Alltag als Bürger über Krieg und Sport bis hin zu seinen sexuellen Aktivitäten – alles das, was mit Weiblichkeit assoziiert wird, wie Schwäche, Zügellosigkeit und vor allem Passivität. 51 Die Sicht darauf, wie sich ‚Geschlecht‘ konstituiert, änderte sich in der aufkommenden Christusbewegung nicht. 52 Die Argumente, auf die sich die antiken Autor:innen im Männlichkeitsdiskurs berufen, sind allesamt Teil der gängigen antiken Rhetorik. So nennt bspw. Paulus im Lasterkatalog des 1. Korintherbriefs als männliches Fehlverhalten jedes Ausbleiben von Selbstkontrolle und Aktivität, wobei Letzteres auch im Zusammenhang mit passiven – und damit aus antiker Sicht fehlgeleiteten – Sexualpraktiken steht. 53 Und Clemens von Alexandria führt in Anlehnung an Aristoteles und Euripides die Behaarung des Mannes als Argument für seine Virtus an und äußert sich entschieden gegen den Trend der Epilation und Rasur, die den Mann effeminieren lasse. 54 139–144. Antike Mythen treiben dieses Denkmodell auf die Spitze und berichten von fluiden Geschlechtsausprägungen und -wechseln. Vgl. Phlegon von Tralleis, de mirabilis 7,2; 8. Sowie Ovids Geschichte von Iphis: Ov. met. liber IX, 666–795. 49 Vgl. Gleason, Men, 159. Von der Möglichkeit der Ausbildung ihrer Männlichkeit waren Sklaven, Eunuchen, Barbaren etc. von vornherein ausgeschlossen; vgl. Wilson, Masculinity, 32. 50 Vgl. umfassend zum Konzept der männlichen Virtus McDonnell, Manliness. Zudem Conway, Behold, 21–29; Williams, Homosexuality, 151–156. Cicero benennt die Virtus als Quelle aller männlichen Tugenden, da sich der Begriff von ‚vir‘ herleite; vgl. Kunst, Bärte, 248. 51 Vgl. Conway, Behold, 30; Fraschetti, Introduction, 3. 52 Die Idee der Fluidität bleibt bestehen und wird durch Bezüge zu alt- und neutestamentlichen Texten, vornehmlich die Schöpfungsberichte in Gen 1–3, angereichert; vgl. Klostergaard Petersen, Geschlecht, 38. Trotz der Idee der Gottebenbildlichkeit auch der Frau wird sie weiterhin als Abweichung von dem Menschen ‚an sich‘ – dem Mann – gedacht; vgl. Götz, Mensch, 97. 53 1 Kor 6,9b–10. Dazu Klostergaard Petersen, Geschlecht, 55 f. 54 Clem. Al., paed. III, 15,2. Vgl. Götz, Mensch, 98 f. sowie ausführlich zu Haartracht, Parfüm und Schmuck als Zeichen der Effemination römischer Bürger Olson, Masculinity, 138–140.
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Wenden wir uns wieder der Betrachtung des jugendlich-unbärtigen Christustypus zu: Dass die lockigen, bisweilen langen Haare Christi für die zeitgenössischen Betrachter:innen eine feminine Assoziation hervorgerufen haben, ist anzuzweifeln. 55 Lange, gelöste Haare erwecken zwar aus moderner, westlicher Sicht den Eindruck einer Frauenfrisur, sind für spätantike Personen aber mit anderen Assoziationen verbunden: Gelöstes, unfrisiertes Haar ist für die Darstellung weiblicher Extremsituationen reserviert, in denen die gesellschaftliche oder private Ordnung bedroht oder aufgehoben ist, bspw. in Situationen der Trauer, der Ekstase oder des Wahnsinns. 56 Anders als bei Apoll, dessen Götterlocken zu Frisuren gebunden sein können, die ebenfalls aus einem femininen Kontext bekannt sind, sind von Christus keine Bilder erhalten, die ihn mit einer (spät-)antiken weiblichen Haartracht zeigen. Analog zu den Bildern des Apoll käme für Christus bspw. eine modische Scheitelzopf-, Zopfkranz- oder Melonenfrisur in Frage – allesamt aufwändige Flechtfrisuren, die die Haare ordentlich zusammenhalten. 57 Mit der Übertragung der Ikonographie Apolls auf Christus mögen auch feminine Aspekte des Gottes ins Christusbild eingeflossen und für die zeitgenössischen Betrachter:innen durchaus wahrnehmbar gewesen sein, diese sind aber nicht hervorgehoben oder stärker ausgeformt worden. 58 Viel eher dürfte die Betonung der Göttlichkeit, Jugend und Schönheit Christi im Vordergrund gestanden haben. 59 55
Anderer Ansicht ist Kateusz, Jesus Woman, 94–96. Schade, Frauen, 103 f. Exemplarisch sei auf die Mütter in der Darstellung des bethlehemitischen Kindermordes in dem Obergadenmosaik in S. Maria Maggiore verwiesen. Dat. nach Brandenburg, Kirchen, 195–197: Mitte 5. Jh. n. Chr. Wilpert, Mosaike, Taf. 69. Sowie auf die Darstellung des Raubes der Proserpina in der Vibiakatakombe in Rom. Vibia 1, Dat. nach Ferrua, Vibia, 58–61: 2. Hälfte 4. Jh. Simón, Meanings, Pl. 2.; Fig. 2. Die Malereien der stadtrömischen Katakomben werden im Verlauf der Untersuchung mit Verweis auf die bei Nestori, Repertorio angegebenen Nummern bezeichnet. 57 An diesem Punkt ist zwar zu bedenken, dass Christus – ebenso wie andere biblische Gestalten – nicht in zeitgenössischer, spätantiker Bekleidung auftritt, sondern in einer antikisierenden Tracht. Doch auch Göttinnen und bspw. weibliche Figuren aus Mythen und Sagen, die in antikisierender Kleidung gezeigt sind, werden in der Spätantike in der Regel nicht mit offenen, komplett gelösten Haaren gezeigt. Vgl. zur Haartracht spätantiker Frauen Ziegler, Frauenfrisuren. Sowie Schade, Frauen, insb. 95–104. 58 Mit anderer Gewichtung Mathews, Clash, 126–128. 59 Vgl. auch Spieser, Images, 190. 56
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Dies lässt sich auch dadurch untermauern, dass sich die in den schriftlichen Quellen überlieferten Männlichkeitsphänomene ebenfalls in den bildlichen Quellen ausmachen lassen, die Christus im jugendlich-unbärtigen Typus als Wundertäter inszenieren. Eine Darstellung in der Katakombe Ss. Marcellino e Pietro in Rom zeigt Christus bei der Auferweckung des Lazarus und soll hier stellvertretend für eine Vielzahl von Malereien stehen. 60
Abb. 2: Christus im Typus des jugendlich-unbärtigen Wundertäters erweckt Lazarus, dargestellt als Wickelmumie innerhalb einer Grabädikula, wieder zum Leben. Rom, Katakombe Ss. Marcellino e Pietro, 320–340 n. Chr. (Wilpert, Katakomben, Taf. 232,2).
Die Darstellung befindet sich im Kontext einer privaten Grabkammer im Bereich des Lichtschachtes. Christus ist vor hellem Hintergrund aufrecht stehend im Kontrapost auf einer schmalen, bräunlichen Bodenzone platziert und den Betrachtenden frontal zugewandt. Sein braunes, lockiges Haupthaar umspielt sein unbärtig gezeigtes Gesicht. Bekleidet ist er mit einer hellen, leicht gelblichen Tunika, die mit braunen Zierstreifen besetzt ist. Darüber hat er einen leichten Mantel in derselben Farbe geschlungen, dessen Enden er über seine 60
Marcellino e Pietro 51. Dat. nach Deckers, Repertorium: 320–340 n. Chr. Ebd. Farbtaf. 30a. Zu Christus als Wundertäter vgl. Nauerth, Heilungswunder. Sowie Zimmermann, Healing Christ.
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linke Armbeuge gelegt hat. An seinen Füßen trägt er Sandalen. In seiner rechten, ausgestreckten Hand hält er eine Virga thaumaturga, eine Art Zauberstab. 61 Mit diesem berührt er den Kopf einer kleinen Wickelmumie, die aufrecht in einer nur schematisch mit wenigen Strichen entworfenen Grabädikula mit dreieckigem Giebel zur Rechten Christi steht. Christus ist in dieser Szene als aktiv handelnde Person gezeigt, die in die Geschehnisse des Kosmos einzugreifen in der Lage ist und sogar Macht über den Tod besitzt. 62 Diese besondere Machtfülle wird im Bild durch die Virga thaumaturga ins Bild gesetzt, 63 zusätzlich aber noch durch weitere Männlichkeitsaspekte bereichert, die Christus als vir perfectus zeigen. So agiert er, obgleich er in dieser Situation in Bewegung ist, wie der ponderierte Stand andeutet, doch ruhig, besonnen und kontrolliert und entspricht damit dem Ideal des römischen Arztes: 64 Seine Bewegungen sind auf ein Minimum reduziert, werden nur durch eine Hinwendung des Oberkörpers in Richtung der Mumie und durch seine Gestik angezeigt. Unterstrichen wird dies durch die Kleidung Christi. Das Pallium, das Christus hier über seine linke Armbeuge gelegt hat, und das alterativ auch mit der Linken an der Hüfte fixiert werden kann, schränkt die Bewegungsfreiheit stark ein, erfordert eine aufrechte Körperhaltung und lässt hastiges Agieren nicht zu. 65 Dass die Lazarusmumie hier von weit geringerer Körpergröße gezeigt ist, entspricht – wie bereits angesprochen – einer gängigen Darstellungsweise, bei der die passiven Personen, an denen eine Handlung durchgeführt wird, im Maßstab kleiner gezeigt werden. 66 Dies lässt sich auch exemplarisch auf dem bereits mehrfach angesprochenen stadtrömischen Sarkophag (Abb. 1, S. 175) beobachten: Hier sind nicht nur die Wickelmumie des Laza61
Dazu Spieser, Images, 190–210.; Tsamakda, Paralytiker. Sowie Zimmermann, Healing Christ, insb. 267–272. 62 Dazu Mührenberg, Gender Trouble, 121. 63 Zimmermann, Healing Christ, 269. 64 Im Patient:innenkontakt soll der Arzt sich laut dem Corpus Hippocraticum durch Folgendes auszeichnen: „Haltung beim Sitzen, würdige Zurückhaltung, geziemende Kleidung, überlegenes Auftreten, knapp in der Rede, im Handeln nie fassungslos; gespannte Aufmerksamkeit, Sorgfalt […].“ Hippocr. decent. 12. Übersetzung nach Müri, Arzt, 29. Zu Christus als Arzt vgl. Knipp, Christus Medicus. 65 Dazu Tonger-Erk, Actio, 67. 66 Wie Anm. 14.
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rus, sondern auch der Blinde, der durch Christus von seinem Leiden befreit wird, Maria in der Lazarusszene sowie die Wärter des wasserschlagenden Petrus von deutlich geringerer Körpergröße. Die Aktivität Christi wird durch einen weiteren Aspekt betont: Wie bei diesem Exemplar gut zu sehen ist, war es in der Sarkophagkunst durchaus beliebt, eine reiche Ansammlung von Figuren zu zeigen, die auf engstem Raum interagieren. Die Szenen zeigen Christus bei seiner Wundertätigkeit inmitten sich um ihn drängender Personen, durch die er aber zu keiner Zeit maßgeblich verdeckt wird, wodurch er selbst als die bestimmende Figur der Szene hervorgehoben wird. Ein weiteres Attribut, das Christus regelmäßig zukommt, und das in der Antike mit Männlichkeit assoziiert worden ist, ist das Zeigen von Bildung. 67 Eine große Anzahl der Darstellungen zeigen Christus mit einer Schriftrolle in seinen Händen, die nicht situativ im Erzählzusammenhang steht: Das offensive Mitsichführen einer zusammengerollten Schriftrolle ist ein probates Mittel, um die Bildung der dargestellten Person als Statussymbol zu inszenieren und ist nicht zuvorderst als Hinweis auf religiöse Schriften zu deuten; pagane wie christliche nicht-heilige Personen, vornehmlich Männer, werden mit diesem Attribut ausgestattet. 68 So auch der jugendliche Wundertäter auf genanntem Sarkophag (Abb. 1), der bei den Szenen des Weinwunders, der Blindenheilung sowie der Lazaruserweckung jeweils in seiner Linken eine Schriftrolle präsentiert, die er auf Höhe seines Oberkörpers bzw. seiner Hüfte hält. Dieses Motiv ist in Verbindung mit dem jugendlich-unbärtigen Typus besonders häufig auf Sarkophagen anzutreffen, es begegnet aber ebenso in der malerischen Ausgestaltung der Katakomben oder bspw. in der Szene der Brotvermehrung in der Darstellung auf der Holztür von S. Sabina. 69
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Vgl. Mührenberg, Gender Trouble, 120. Für Beispiele aus der christlichen und paganen Sarkophagkunst vgl. Studer-Karlen, Verstorbenendarstellungen, 83–106. Sowie Birk, Depicting, 73–76. 69 S. Sabina, Rom. Dat. nach Jeremias, Holztür, 105–107: 431–33 n. Chr. Ebd., Taf. 5. Zu Beispielen in der Katakombenmalerei vgl. Zimmermann, Healing Christ, 269. 68
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3. Die Männlichkeit des Philosophen und Arztes Neben dem wundertätigen Christus sind in sepulkralen Kontexten auch Bilder bekannt, die Christus als Lehrer zeigen. 70 Die älteste bekannte Darstellung des Apostelkollegs befindet sich im Kontext eines Arkosolgrabes in der Domitillakatakombe in Rom. 71
Abb. 3: Christus als Lehrer innerhalb des Apostelkollegs. Domitillakatakombe, Rom, 1. Hälfte 4. Jh. (Wilpert, Katakomben, Taf. 148,2).
In dem bogenförmigen, im unteren Bereich beschädigten Feld der Rückwand über dem Grab ist Christus inmitten der Apostel zentral im Bild auf einer Kathedra mit breiter Rückenlehne platziert und den Betrachtenden frontal zugewandt. Er ist im jugendlich-unbärtigen Typus gezeigt und mit einer hellen Scheinärmeltunika mit breiten, braunen Clavi sowie einem farblich abgestimmten Pallium bekleidet. Seine Rechte hat er im Grußgestus erhoben, in der Linken hält er einen entrollten Rotulus. In einem Halbkreis um ihn herum sind die ebenfalls sitzenden Apostel gezeigt. Diese sind mit Tunika und Pal70
Vgl. dazu Spieser, Images, 286–308.; Zanker, Sokrates, 272–280.; sowie teilw. unter Vorbehalt, was die Zuschreibungen hinsichtlich der im Philosophentypus gezeigten Personen im Kontext der Sepulkralkunst anbelangt Kollwitz, Christusbild, 7–8.13–15. Bei diesen Szenen handelt es sich nicht um Episoden aus dem Leben des irdischen Jesus, vielmehr fließen bereits Aspekte des kosmischen Herrschers in diese Darstellungen ein; vgl. Spieser, Images, 307. 71 Domitilla 47. Auf eine Datierung ins frühe 4. Jahrhunderts verweist sowohl die topographische Lage in der ersten Erweiterung der Ampliatusregion als auch der Arkosoltyp; ich danke Norbert Zimmermann für diesen Hinweis. Wilpert, Katakomben, Taf. 148,2.
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lium bekleidet, ihre Haar- und Barttracht variiert. Soweit im Bild, haben sie ihre rechten Hände gestikulierend erhoben. Auch in dieser Szene ist Christus mit einer Fülle an Phänomenen perfekter Männlichkeit ausgestattet: Zum einen ist er auch hier als zentrale Figur inszeniert, die mittig im Bildfeld platziert ist, in ihrer Körpergröße die anderen Personen überragt und von diesen nicht verdeckt wird. Zum anderen verweist die beigegebene Schriftrolle wiederum auf seine Bildung. Dieser Aspekt wird dadurch unterstrichen, dass Christus in dieser Szene als Lehrer auftritt, der seine Schüler in der rechten Lehre unterweist und diese mit ihnen debattiert. 72 Die ikonographischen Motive, die dieser Darstellungsweise zugrunde liegen, nehmen Bezug auf die Darstellung antiker Philosophen. 73 Dies ist besonders eindrücklich bei den bereits um 300 n. Chr. zu datierenden sog. Polychromen Fragmenten zu erkennen. 74 Die farblich gefassten Plattenbruchstücke zeigen Episoden aus dem Kontext des Neuen Testamentes, darunter mehrere Heilungsszenen. 75 Christus erscheint hier nicht im jugendlich-unbärtigen Typus, sondern deutlich gereift mit langen Haaren und einem mächtigen, lockigen Vollbart. Die Haar- und Barttracht der Philosophen ist ebenfalls Teil antiker Männlichkeitsdiskurse. Die schiere Fähigkeit zu Bartwuchs stellt an sich bereits eine deutliche Trennung sowohl von Frauen als auch von Knaben dar, wodurch der Bart als solcher ein signifikanter optischer Anzeiger von Männlichkeit ist. 76 Zudem gelten, wie bereits erwähnt, die übermäßige Körperpflege und die Entfernung von Behaarung als unmännlich. 77 Bekleidet ist Christus in mehreren Szenen 72
Die im Gestus des Grüßens erhobene Hand entstammt kaiserlicher Ikonographie, auf die noch zurückzukommen sein wird. Kollwitz, Christusbild, 18. Spieser erkennt hier aufgrund der erhobenen Rechten Christi gerade keine Lehrszene, sondern zieht eine Verbindung zur Traditio Legis; vgl. Spieser, Images, 302. 73 Ausführlich dazu Zanker, Sokrates, insb. 272–280. 74 Wie Anm. 7. Für eine Übersicht der Forschungsgeschichte bis in die späten 1970er Jahre hinsichtlich der Philosophen-Ikonographie vgl. Dinkler, Christus. Vgl. auch ausführlich dazu Zanker, Sokrates, 283. 75 Zur Diskussion um die aufgrund fehlender Vergleiche nicht eindeutig zu benennenden Szenen sowie zur Debatte um die Funktion der Platten vgl. Sörries/Lange, Fragmente. 76 Vgl. Weidauer, Männlichkeit, 68–78. 77 Wie Anm. 54.
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Abb. 4: Christus sitzt im Typus des Philosophen erhöht inmitten seiner Zuhörerschaft. Sog. Polychrome Fragmente, Detail, spätes 3./frühes 4. Jh. n. Chr. (eigene Umzeichnung).
mit dem Tribon, dem Philosophenmantel, unter dem kein Untergewand getragen wird und der über die linke Schulter gelegt und um die Hüfte geschlungen den Oberkörper freilässt. In Kombination mit der Haar- und Barttracht gehört der Tribon zum ‚Signature Style‘ antiker Philosophen und wurde als äußeres Zeichen ihrer von männlichen Tugenden beherrschten Lebensart wahrgenommen. 78 Neben der optischen Erscheinung handelt es sich auch bei der Philosophie als solcher um ein männlich konnotiertes Phänomen, denn Frauen gelten zum einen als gar nicht befähigt zum intellektuellen Diskurs, zum anderen werden die Tugenden, denen sich der Philosoph unterwirft, wie bspw. Strenge, Würde oder Härte gegenüber sich selbst, mit Männlichkeit assoziiert. 79 78
Urbano, Philosopher’s Cloak, 177 f.181. Bspw. ist Plutarch der Ansicht, die Auseinandersetzung mit der Philosophie erzöge junge Frauen zur Unliebenswürdigkeit. Dazu Mratschek, „Männliche“ Frauen, 213.
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Eine der mittleren Szenen im unteren Register der sog. Polychromen Fragmente zeigt Christus im Moment der öffentlichen Rede, die von zu seinen Füßen kauernden, um ein Vielfaches kleiner gezeigten Zuhörenden verfolgt wird (Abb. 4). 80 Dass Christus hier als sprechend markiert ist, wird durch die Geste angezeigt, die seine rechte Hand formt: Zeige- und Mittelfinger sind ausgestreckt, Ringfinger und kleiner Finger liegen an. 81 Die öffentliche Rede ist Privileg und Verpflichtung des römischen Bürgers, in der er seine rhetorischen Fähigkeiten zeigt und seine Virtus performativ hervorbringt. 82 Die bei der öffentlichen Rede zu wahrende Ruhe und Selbstkontrolle kommt in der statischen, beinahe unbewegten und aufrechten Haltung Christi zum Ausdruck. 83 Neben dem Typus des antiken Philosophen sind weitere Motive in die Darstellung des bärtigen Christus eingeflossen. Asklepios, der Sohn des Apoll, wird ebenfalls bärtig gezeigt und ist bekleidet mit dem einfachen Mantel der Philosophen. 84 Der Gott der Heilkunst gilt Homer als ‚unvergleichbarer Arzt‘ 85, er soll sogar die Fähigkeit besessen haben, Tote wieder zum Leben zu erwecken. 86 Das Askle80
Zur Identifikation als ‚Bergpredigt‘ kritisch Sörries/Lange, Fragmente, 17 f. 81 Zur Darstellung der Rede in dieser Szene Richter, Zweifingergestus, 68. Das Sprechen Jesu drückt sich durch nonverbale Gesten aus, deren Semantik noch nicht umfassend erschlossen ist; insb. der ‚Zweifingergestus‘ wird als ‚Sprechgestus‘ interpretiert. Vgl. umfassend dazu ebd. Die antike Rhetorik umfasst neben der auditiven gleichwertig eine – im Bild unmittelbar erfahrbare – visuelle Ebene, die durch Gestik, Körperhaltung und Kleidung getragen wird; vgl. Gunderson, Staging, 59; Tonger-Erk, Actio, 54; Olson, Masculinity, 167–170. 82 Zur Virilität der öffentlichen Rede vgl. Tonger-Erk, Actio, 53–76. 83 Zur Bedeutung männlicher Tugenden und ihrem Ausdruck in Gestik und Körperhaltung vgl. Tonger-Erk, Actio, 62–66. 84 Vgl. beispielhaft eine Statuette des Asklepios London Eleusis. Athen, Nationalmuseum, 3. Jh. n. Chr., Inventar-Nr. 297. Katakis, Επίδαυρος, Taf. 7, Abb. A. Taf. 8, Abb. A. 85 Hom.Hym. XVI. 86 Quellenverweise für die den Zorn des Zeus hervorrufende Heiltätigkeit bietet Raabe: Aristides, Apologie, 81 f. Exemplarisch für die Darstellung der Heiltätigkeit des Asklepios sei auf folgende Beispiele verwiesen: Weiherelief des Amphiaraos von Oropos, 400–320 v. Chr., Athen, Archäologisches Nationalmuseum, Inventar-Nr. 3369. Hausmann, Weihreliefs, Abb. 8. Sowie: Weihrelief mit Asklepios und Hygeia, um 400 v. Chr., Piräus, Archäologisches Museum. Stainchaouer (Hrsg.), Πειαιως, Abb. 329. Vgl. dazu auch Spieser,
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piosheiligtum in Epidauros ist bis in die Spätantike in Betrieb gewesen und kann als größter Heilbetrieb des antiken Mittelmeerraumes bezeichnet werden. 87 Aufgrund der starken Verehrung des Gottes auch in Rom, 88 liegt es nahe, dass Christus in diesem Punkt mit Asklepios assoziiert worden ist. 89 Durch die Übertragung der Ikonographie des Asklepios auf Christus konnte so der Aspekt der Heilungstätigkeit ganz besonders hervorgehoben werden, wie Erich Dinkler überzeugend gezeigt hat. 90 Auch die mit dem (göttlichen) Arzt verbundenen Männlichkeitsphänomene – bspw. Ruhe, Besonnenheit und Überlegenheit – lassen sich in der Darstellung Christi auf den sog. Polychromen Fragmenten ausmachen. 91 Nicht selten begegnet Asklepios auch auf einem Sitzmöbel sitzend, das mit Elementen eines Thrones, bspw. eines Suppedaneums, ausgestattet sein kann. 92 In vergleichbarer Weise erscheint Christus auf dem, durch die barocke Umgestaltung beschnittenen, Apsismosaik in der Kirche S. Pudenziana in Rom (Abb. 5). 93 In einer apokalyptischen Szenerie, die in der unteren Bildhälfte von der Stadtarchitektur des Himmlischen Jerusalem bestimmt wird, ist eine Gruppe von Personen platziert, in deren Mitte Christus erhöht auf einem reich mit farbigen Steinen und Perlen ausgestatteten Gemmenthron mit einem voluminösen, roten Kissen sitzt. Er ist den Betrachtenden frontal zugewandt, sitzt aufrecht und seine Füße ruhen auf einem Suppedaneum. In seiner linken Hand hält er einen aufImages, 196. Zu Weihinschriften, die diesen Aspekt behandeln vgl. Solin, Wunderheilungsberichte. 87 Für einen Überblick zur Kultstätte vgl. Kötting, Epidauros. 88 Vgl. Renberg, Asclepius. Sowie zur überragenden Bedeutung des Heilgottes Hart, Asclepius. 89 In der Forschung ist auch die ikonographische Ähnlichkeit zu Zeus breit diskutiert worden; für eine Übersicht der Forschungsgeschichte bis in die 80er Jahre vgl. Dinkler, Christus. Sowie Sörries/Lange, Fragmente. 90 Dazu ausführlich Dinkler, Christus. Sowie zustimmend Sörries/Lange, Fragmente, 18–20. Zu den Heilungswundern der Polychromen Fragmente Nauerth, Heilungswunder, 339–341. 91 Wie Anm. 64. 92 Beispielhaft sei an dieser Stelle auf eine Statuette des thronenden Asklepios verwiesen, 2. Hälfte 2. Jh. n. Chr., Griechenland, Korinth, Ausgrabung, Inventar-Nr. S-1999-008. Stirling, Statuettes, Abb. 36. 93 Apsismosaik, S. Pudenziana, Rom. Datierung nach Brandenburg, Kirchen, 145: frühes 5. Jh. Zur Geschichte des Kirchenbaus ebd., 145–151. Zum Mosaik und seiner Restaurierungsgeschichte vgl. Braconi, Santa Pudenziana.
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Abb. 5: Der bärtige, langhaarige Christus thront umgeben von seiner Zuhörerschaft inmitten einer apokalyptischen Szenerie. Rom, S. Pudenziana, frühes 5. Jh. n. Chr. (Wilpert, Mosaike, Taf. 42–44).
geschlagenen Codex mit der Aufschrift DOMINVS CONSERVATOR ECCLESIAE PVDENTIANE, seinen rechten Arm hat er ausgestreckt, die Finger formen den Sprechgestus. Bekleidet ist Christus mit einer goldenen, mit blauen Clavi verzierten Scheinärmeltunika, über die er ein ebenfalls goldenes Pallium geschlungen hat. Seine dunkelbraunen Haare fallen ihm bis auf die Schultern, er trägt einen mächtigen Bart und sein Kopf ist mit einem goldenen Nimbus hinterfangen. Zu den Seiten Christi sind die Apostel platziert, die von zwei weiblichen Gestalten begleitet werden. 94 Hinter Christus erhebt sich der Kalvarienberg, auf dem ein goldenes, mit verschiedenfarbigen Edelsteinen und Perlen besetztes Kreuz platziert ist, das die obere Bildhälfte in voller Höhe einnimmt. Diese ist in einem Wechselspiel aus roten und blauen wellenförmigen Linien als apokalyptisches Glasmeer ausgestaltet, aus dem sich zu den Seiten des Kreuzes die vier Zoa erheben. Auch in dieser Darstellung ist Christus mit einer Fülle an Männlichkeitsphänomenen ausgestattet: Er bildet dominant das Zentrum der himmlischen Lehrversammlung und ist als derjenige gezeigt, der spricht. 95 Er ist als aktiver Part gezeigt und 94
Die Identifikation dieser Personen ist nicht abschließend geklärt, vgl. zuletzt Foletti, God, 12. 95 Wie Anm. 81.
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beherrscht die männlichen Tugenden: Er agiert ruhig und selbstbeherrscht, was durch seine Körperhaltung und die Handhabung des Gewandes ersichtlich wird. Zwar verweisen Bart- und Haartracht sowie die Lehrszene hier wieder auf eine Motivübernahme aus der Ikonographie der Philosophen und durch den Thron darüber hinaus auch stark auf die des Heilgottes Asklepios, doch nun werden weitere Motive ergänzt: Hierzu zählen das Thronen und die Erhöhung Christi, die Thron und Kreuz schmückenden Edelsteine und Perlen, die verwendeten Farben Rot bzw. Purpur und Gold, der sein Haupt rahmende Nimbus sowie die auf kosmische Zusammenhänge verweisenden Elemente der Apokalyptik – allesamt Motive, die dem Kontext kaiserlicher Ikonographie bzw. dem herrschender Götter zuzurechnen sind. 96
4. Die Männlichkeit des göttlichen Herrschers Zunächst sei ein Blick auf ranghohe männliche Gottheiten geworfen: Adulte, herrschende Gottheiten wie bspw. Jupiter, Pluto oder Serapis werden ebenfalls als Männer mittleren Alters mit einem rauschenden Vollbart und langem, durchaus wildem Haar ins Bild gesetzt. 97 Die Männlichkeit dieser Gottheiten wird dabei massiv inszeniert. Als berühmtestes Beispiel sei an dieser Stelle die über 13 Meter hohe chryselephantine Sitzstatue des Zeus in Olympia angeführt, die als eines der sieben Weltwunder der Antike bekannt ist. 98 Der Göttervater wird hier in seiner ganzen Machtfülle gezeigt: Er thront und ist mit 96
Dazu Deckers, Göttlicher Kaiser, 3.; Mathews, Clash, 108 f.; Spieser, Images, 337–342. Zur Bedeutung von Purpur und Scharlach als Zeichen von Maskulinität und Macht vgl. Olson, Masculinity, 109–112. Eine Übersicht der in der Forschung diskutierten Ansätze, bspw. die Übernahme der Ikonographie des Serapis oder Jupiter, bietet Foletti, God. 97 Zur Götterikonographie der Haartracht des Apsismosaiks in S. Pudenziana vgl. Mathews, Clash, 108 f. Zur Männlichkeit dieser in der Forschung als Vatergottheiten bezeichneten Götter vgl. Kanis, Vatergottheiten, 15–21. Zu den Aspekten der Heiltätigkeit des Serapis und der Übertragung seiner Ikonographie auf Christus vgl. Foletti, God, 14 f. 98 Obwohl die Darstellung selbst nicht erhalten ist, ermöglichen Münzbilder und antike Berichte eine recht genaue Vorstellung dieses Bildes. Vgl. Heilmeyer, Zeus. Ausführlich zur Rekonstruktion des Kultbildes Bergbach-Bitter, Kultbilder, 11–196.
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den Attributen des Sieges – dem Lorbeerkranz und der Nike – ausgestattet. 99 Neben den göttlichen werden auch die irdischen antiken Herrscher mit diesen Motiven versehen, was nicht weiter verwundert, denn diese galten als durch eine besondere Nähe zu bestimmten Göttern begünstigt und wurden nicht selten mit diesen assoziiert; so verstand bspw. Diokletian sich als Reinkarnation des Göttervaters Jupiter selbst und ließ sich in der Folge in der Ikonographie des Gottes darstellen. 100 Auch Konstantin nutzte diese Motivik für Selbstbildnisse. 101 Das eindrucksvollste Beispiel stellt die heute nur noch fragmentarisch erhaltene Kolossalstatue aus der Maxentiusbasilika dar, die den Kaiser in der Ikonographie eines göttlichen Herrschers, der hier ebenfalls als Jupiter zu präzisieren sein dürfte, zeigte. 102 Aus ikonographischer Sicht stellte seine Vorliebe für Christus Konstantin vor ein gewaltiges Problem: Denn anders als für die römischen Herrscher vor ihm, die sich in der Ikonographie ihres auserwählten Gottes hatten darstellen lassen, um so das Bild ihrer selbst zu erhöhen, war die geläufige Darstellung Christi für diesen Zweck wenig geeignet. Josef Engemann und Johannes Deckers haben gezeigt, dass mit Konstantin – anstatt die Ikonographie Christi für den Herrscher zu übernehmen – die kaiserlichen Motive auf den Gottessohn übertragen und Christus somit ‚imperialisiert‘ worden ist. 103 Da Macht und Königtum ein gewichtiger Teil der neutestamentlichen Rede über Christus sind, fügt die Betonung dieser Aspekte sich somit organisch in das Christusbild ein. 104 Christus wird durch die Übertragung der Kaiserikonographie mit ikonographischen Elementen 99
Ebd., 120 f. Dazu ausführlich Engemann, Grundlagen. 101 Zu den im Bild inszenierten Herrschertugenden Konstantins vgl. Severin, Bildnisse, 90–92. Weitere Bildbeispiele bietet Deckers, Göttlicher Kaiser, 8. 102 Nach aktuellem Forschungsstand ist Konstantin hier thronend gezeigt gewesen, bekleidet einzig mit dem Göttermantel und einem stabförmigen Zepter in seiner rechten Hand. Ausführlich auch zu den Attributen Konstantins vgl. Deckers, Koloss. Sowie Parisi Presicce, Konstantin, insb. 122–131. Zur Ikonographie des Jupiter Ley, Iuppiter. 103 Zur Imperialisierung des Christusbildes vgl. grundlegend Deckers, Constantin; ders., Göttlicher Kaiser; Engemann, Grundlagen; Kollwitz, Christusbild, 15–22. Vgl. mit einem Schwerpunkt auf der Diskussion um ein Christusportrait auch Büchsel, Christusporträts, insb. 19–44. 104 Einen Überblick zu diesem Thema bieten Zenger, Herrschaft. Sowie Schreiber, Gottesherrschaft. 100
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ausgestattet, die seine Virtus unterstreichen. Denn Macht und Männlichkeit sind im antiken Denken eng verknüpft und hoher gesellschaftlicher Status oder gar Herrschertum sind in höchstem Maß mit perfekter Männlichkeit assoziiert. 105 Der imperialisierte Christustypus wird in der Folge für Bilder jeglicher Größe und jeglichen Kontextes genutzt. Beispielhaft für eine Reihe von Kleinfunden sei eine elfenbeinerne Pyxis aus dem 6. Jahrhundert herausgegriffen, die umlaufend mit der Szene der Brotvermehrung ausgestattet ist (Abb. 6). 106
Abb. 6: Auf der elfenbeinernen Pyxis erscheint der thronende, jugendlichunbärtige Christus in der Szene der Brotvermehrung im Typus spätantiker Herrscher. Nordafrika, 6. Jh. (Photo: © New York, Metropolitan Museum of Art, lizensiert unter CC0, https://www.metmuseum.org/art/collection/ search/464317?ft=pyxisoffset=0rpp=40pos=2). 105
Vgl. Conway, Behold, 35 f.; Fischler, Cult, 165. Williams, Homosexuality, 145–148. Wie eng diese Verknüpfung ist, zeigt sich auch daran, dass Kaiserinnen und heilige Frauen mit maskulinen Attributen und Motiven aus dem Kontext der Kaiserikonographie versehen werden. Vgl. Busch, Frauen, 199– 207; Deckers, Göttlicher Kaiser, 14 f. Sowie Mührenberg, Gender, 123–125. 106 Pyxis mit Darstellung der Brotvermehrung, Nordafrika (Corpus) und Spanien (Deckel), Metropolitan Museum of Art, New York, InventarNr. 17.190.34a, b. Datierung nach Frazer, Treasuries, 11: 6. Jh. Vgl. dazu Little, Pyxis.
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Im Zentrum der Darstellung ist Christus gezeigt, der auf einem Thron mit hoher Rückenlehne und einem voluminösen Kissen Platz genommen hat. Seine Füße ruhen auf einem Suppedaneum. Bekleidet ist der jugendlich-unbärtige Christus mit einer langärmligen Tunika sowie einem darübergeschlungenen Pallium. 107 Während er in der linken Hand einen Kreuzstab hält, hat er die rechte Hand ausgestreckt. Mit dieser berührt er die Brote, die von den Jüngern – zuvorderst sind Petrus (zur Linken Christi) und Paulus (zur Rechten Christi) zu erkennen – herangetragen werden. 108 Zum einen erinnert das Herantragen von Gaben in seiner Motivik an die dem Kaiser huldigenden unterworfenen Völker und wird bspw. auch in Darstellungen der Anbetung durch die Magier genutzt. 109 Zum anderen übergeben die Apostel dem göttlichen Herrscher die Brote mit verhüllten Händen, ein Motiv, das aus dem byzantinischen Hofzeremoniell bekannt ist: Objekte, die dem Kaiser übergeben werden, dürfen nicht mit bloßen Händen berührt werden. 110 Ebenfalls in herrscherlicher Pose ist Christus in dem Mosaik der Apsis von S. Vitale in Ravenna gezeigt: 111 Er ist als Pantokrator auf der Sphaira thronend zentral inmitten einer Paradieslandschaft positioniert, in kostbare Gewänder aus Purpur und Gold gehüllt und nimbiert. 112 Flankiert wird er von zwei Engeln, die in der Funktion der Silentiarier des byzantinischen Hofes den Heiligen Vitalis sowie den Bischof Ecclesius vor den göttlichen Kaiser führen. 113 Vitalis, um die Märtyrerkrone aus der Hand Christi zu empfangen, Ecclesius, um seinerseits das Kirchenmodell zu präsentieren; beide Männer sind da107
Wenige Farbreste verweisen auf eine ehedem farbige Fassung des Objektes. Vgl. Connor, Color, 84. 108 Zur Ikonographie der Apostelfürsten vgl. zu Petrus Dassmann, Petrus III, insb. Sp. 428–439. Sowie zu Paulus ders., Paulus IV, insb. Sp. 1230–1238. Zu Männlichkeitsaspekten in der Darstellung der Apostel vgl. Mührenberg, Gender, 121–123. 109 Vgl. Beispielhaft einen Sarkopahg aus Arles, Musée Lapidaire d’Art Chrétien. Dat. nach Christern-Briesenick, Rep III, 38: um 325 n. Chr. Vgl. Deckers, Göttlicher Kaiser, 10 f. Sowie Verstegen, Weisen, o. S. 110 Grundlegend dazu Dieterich, Ritus. Vgl. auch Deckers, Göttlicher Kaiser, 5. Sowie Engemann, Grundlagen, 265 f. 111 S. Vitale, Ravenna. Dat. nach Jäggi, Ravenna, 238: 2. Viertel 6. Jh. n. Chr. Ebd., Abb. 165. 112 Zur Bedeutung von Purpur und Scharlach s. Anm. 95. 113 Engemann, Grundlagen, 265.
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bei wiederum mit verhüllten Händen gezeigt. 114 Motive der Apokalyptik unterstreichen in dieser Darstellung die Rolle Christi als mächtigen Herrscher, der die Geschicke des Kosmos lenkt – wie das Buch mit den sieben Siegeln in seiner Linken oder das Glasmeer am Firmament. 115 Dass die Macht und Herrschaft Christi durchaus auch als militärische Stärke zu denken gewesen sind, zeigt ein Mosaik in der Erzbischöflichen Kapelle in Ravenna. 116 Hier ist Christus als geharnischter Kaiser in militärischer Bekleidung gezeigt, der Löwe und Schlange mit seinen Füßen zertritt. 117
5. Fazit Christus wird auf spätantiken Bildern als männlicher Mensch inszeniert – dies ist für spätantike Betrachtende auf den ersten Blick ersichtlich gewesen. Er trägt männlich konnotierte Kleidung, seine Frisur ist maskulin, bisweilen verfügt er über einen Bart. Darüber hinaus werden Phänomene, die aus dem antiken Männlichkeitsdiskurs bekannt sind und sich aus den schriftlichen Quellen extrahieren lassen, im Bild inszeniert. Diese Männlichkeitsphänomene werden durch Motive jeglicher Art wie Gestik, beigeordnete Objekte, die Relation zu anderen Figuren etc. gezeigt. Da es sich bei diesen Motiven nicht um christliche Neuschöpfungen handelt, sondern um bewährte Geschlechtsmarker in der Ikonographie, können sie von den antiken Betrachtenden sofort entschlüsselt und verstanden werden. Christus erscheint als viriler, mit männlichen Tugenden ausgestatteter römischer Mann: Er ist aktiv handelnd, dabei aber stets besonnen und kontrolliert. Er ergreift öffentlich die Rede, ist gebildet und in wichtigen politischen Ämtern tätig. Dabei ist er versehen mit der allerhöchsten Macht des kosmischen Herrschers. Diese Darstellung überrascht nicht, denn Jesus wird in den neutestamentlichen Berichten ebenfalls 114
Wie Anm. 110. Vgl. Engemann, Grundlagen, 265 f. 116 Erzbischöfliche Kapelle, Ravenna. Dat. nach Moretti, Avamposto, 146: spätes 5. Jh. – 1. Hälfte 6. Jh. n. Chr. Jäggi, Ravenna, Abb. 146. 117 Zum Motiv des Krieges und der militärischen Stärke als Teil der Männlichkeitskonstruktion im Kontext der Apk vgl. Conway, Behold, 160–174; zur Bedeutung militärisch konnotierter Motive für das Selbstverständnis männlicher Christen in der Spätantike vgl. Kuefler, Soldiers. 115
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mit Phänomenen der Männlichkeit ausgestattet: Er wird als ein öffentlich agierender, angesehener Mann geschildert, der weit gebildeter ist als die Schriftgelehrten, die er durch seine rhetorische Kompetenz besiegt. Zudem ist er von großer Stärke, bezwingt Teufel und Dämonen und hat Macht über die Mächte des Kosmos, was er durch seine Wunder immer wieder zeigt. Das bedeutet jedoch keineswegs, dass davon ausgegangen werden darf, dass die spätantiken Auftraggeber:innen, Handwerker:innen und Künstler:innen ganz bewusst geschlechtstypische Phänomene ins Bild gesetzt hätten, um einen Beitrag zur Diskussion um das Geschlecht Christi zu leisten – oder gar weibliche Aspekte Christi zu unterdrücken. Viel eher ging es aus ganz unterschiedlichen Gründen darum, Christus in seiner bildlichen Ausformung in seiner Machtfülle zu zeigen und als perfekte Person zu inszenieren. Da Phänomene wie Macht und Perfektion antiker Vorstellung nach an Männlichkeit gekoppelt sind, ist es zwingend notwendig gewesen, Christus mit männlichen Attributen auszustatten. Christus erscheint somit im Bild als der perfekte Mensch – und damit eben auch als der perfekte Mann!
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Das männliche Geschlecht Jesu als Thema scholastischer Theologie am Beispiel des Thomas von Aquin († 1274) Thomas Marschler Zusammenfassung Auch wenn die Männlichkeit Jesu Christi kein zentrales Thema der mittelalterlichen Theologie ist, kommt sie im Werk des Thomas von Aquin (1225–1274) an verschiedenen Stellen zur Sprache. In einer Passage seines Sentenzenkommentars, die in der theologischen Summe inhaltlich aufgegriffen wird, beantwortet Thomas die Frage, weshalb Christus in einem Mann zur Welt gekommen sei, mit dem Verweis auf die Überlegenheit des männlichen Geschlechts. Außerhalb der Christologie ist das männliche Geschlecht Jesu konstitutiver Bestandteil in der für die Ekklesiologie wie die Ehetheologie relevanten Braut-Bräutigam-Metaphorik. In seiner Eschatologie lehnt es Thomas in der Tradition Augustins ab, aus der exemplarursächlichen Bedeutung der Auferstehung Christi zu folgern, dass alle Menschen am Jüngsten Tag als Männer auferstehen werden. In der Lehre von der immanenten Trinität verwendet die christliche Theologie die Begriffe „Vater“, „Sohn“ und „Zeugung“, obwohl sie göttlichen Personen keine Geschlechtsidentitäten zuspricht. Anselm von Canterbury hat zur Begründung den Vorrang des (aktiven) männlichen Beitrags in der Zeugung gegenüber dem (passiven) weiblichen angeführt. Dieses Argument klingt bei Thomas von Aquin nach. Obwohl er den analogen Charakter jedes menschlichen Sprechens über Gott betont, können seine Ausführungen zu „Vaterschaft“ und „Sohnschaft“, die in Gott ohne weibliches Pendant Urbilder der entsprechenden geschöpflichen Realitäten sind, als subtile theologische Bestätigung der Geschlechterhierarchie im menschlichen Bereich verstanden werden.
Abstract The masculinity of Jesus Christ is not a central topic in medieval theology. In the writings of Thomas Aquinas († 1274), however, it is mentioned in several places. In a Christological passage of his Commentary on the Sentences (l. 3. d. 12), taken up in the later Summa theologiae (III, 31, 4), Thomas answers the question why Christ came into the world as a male by
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referring to the superiority of the male sex. The influence of Aristotelian natural philosophy and of Biblical teachings concerning the primacy of men over women is evident. Outside of Christology, the male gender of Jesus Christ is a constitutive element for the explanation of his relationship to the Church in the symbol of bride and bridegroom. Thomas uses this metaphor rarely in the context of ecclesiology, more often in his discussion of the Sacrament of Matrimony. Ecclesiastical minsters are always clearly distinguished from Christ, the divine bridegroom. In his eschatology, Aquinas, following Augustine, refuses to infer from the exemplary significance of Christ’s resurrection for the resurrection of all men on the Last Day that all the redeemed will be resurrected as male. This would violate the integrity of human nature. The article concludes with a section on Trinitarian theology. The masculine names for the first two persons and for the production of the Son from the Father (generation) raise the question whether gendered terms are appropriate for the eternally genderless God. In his answer, Anselm of Canterbury points to the primacy of the (active) male role in procreation over the (passive) female. This argument is still present in Aquinas. The analogous character of our theological speaking prevents a direct transfer of statements about God to creaturely realities. Nevertheless, the fact that the divine archetypes of „fatherhood“ and „sonship“ have no female complementary terms could be used to theologically legitimize the supremacy of the male gender.
Wer die 59 Quästionen mit mehr als 300 Artikeln durchsieht, die Thomas von Aquin im dritten Teil seiner theologischen Summe dem Geheimnis Christi gewidmet hat, wird darin keine Frage entdecken, in deren Titel das Geschlecht Jesu ausdrückliche Erwähnung fände. Allerdings bedeutet dies nicht, dass es für dieses Thema im wirkmächtigsten Theologieentwurf des lateinischen Mittelalters nichts zu entdecken gäbe. Dies möchte der folgende Beitrag in drei Schritten aufzeigen. Zunächst wird es um die thomanische Christologie und hier besonders die Frage nach der Angemessenheit der Inkarnation in einem Menschen männlichen Geschlechts gehen. In einem zweiten Abschnitt werden zwei Diskussionsfelder angeleuchtet, in denen außerhalb der christologischen Erörterungen das Mannsein Jesu ein relevanter Faktor ist. Den Abschluss bilden einige Bemerkungen zur Verwendung maskuliner Bezeichnungen für die göttlichen Personen in der immanenten Trinitätstheologie, die als Rahmentheorie der Christologie auch mit Blick auf unsere Frage wichtige Weichenstellungen vornimmt.
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1. Das männliche Geschlecht Jesu im Kontext der Inkarnationschristologie Es gibt in der Scholastik des 13. Jahrhunderts zumindest eine Fragestellung, die unmittelbar mit dem Geschlecht Jesu in Verbindung steht. Wie häufig wurden die Weichen dafür durch Petrus Lombardus († 1160) gestellt. Im Kontext von Distinctio 12 seines dritten Sentenzenbuchs, die einige Aspekte zur menschlichen Natur des inkarnierten Sohnes diskutiert, erörtert er abschließend, ob Gott auch einen Menschen weiblichen Geschlechts in die hypostatische Union hätte aufnehmen können. 1 Diese Frage wird ausdrücklich als „neugierig“ qualifiziert – vermutlich deswegen, weil sie keinen biblischen Anknüpfungspunkt hat und allein im Rahmen einer spekulativen Inkarnationstheologie behandelt werden kann. 2 Inspiriert ist sie durch eine Bemerkung des Augustinus, die der Sentenzenmeister in seiner Antwort zitiert. Der Kirchenvater bemerkt dort 3, dass die Erlösung des Menschen in beiden Geschlechtern zur Erscheinung gelangen musste: Als Mann kam Christus zur Welt, aus einer Frau wurde er geboren. Hinter dieser Aufteilung erkennt Augustinus eine Logik: Das männliche Geschlecht sei das „ehrbarere“ („honorabilior“) und darum von Christus selbst angenommen worden; das ihm folglich nachzuordnende weibliche Geschlecht wird immerhin durch die Mutter des inkarnierten Sohnes gewürdigt. Lombardus fügt keine neuen Argumente hinzu, sondern belässt es bei der Feststellung, dass nach der Meinung „einiger“ Christus zwar auch einen weiblichen Leib hätte annehmen können, die tatsächlich gewählte Weise der Inkarnation aber „passender und angemessener“ sei. Damit ist der Pfad vorgezeichnet, den auch die nachfolgenden Lombarduskommentatoren beschritten haben. 4 1
Vgl. Petrus Lombardus, Sent. l. III, d. 12, c. 4 (Sententiae, tom. 2, 83). Das Thema klingt zuvor bereits an in dist. 6, c. 4, n. 3 (55, Z. 22–25). 2 Monagle, Christ’s Masculinity, versucht, aus dem „quamvis curiose“ umfassendere Folgerungen hinsichtlich der „männlich gegenderten“ Theologie der mittelalterlichen Scholastik abzuleiten. Dies kann m. E. nicht überzeugen, wiewohl die klerikal-männliche Prägung des mittelalterlichen Wissenschaftsbetriebs außer Frage steht. 3 Augustinus, De diuersis quaestionibus, quaest. 11 (CCL 44 A, 18). 4 Vgl. dazu den bis ins 15. Jahrhundert reichenden Überblick bei Gibson, Could Christ Have Been Born a Woman. Aus dem Dominikanerorden vor
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Der junge Thomas von Aquin hat die Fragestellung im Rahmen seines Kommentars zu Distinctio 12 des dritten Sentenzenbuchs aufgegriffen. 5 In Erweiterung seiner Vorlage und im Unterschied zu seinen Zeitgenossen erörtert er zunächst, ob Christus in seiner Inkarnation überhaupt einen geschlechtlich geprägten Menschen annehmen musste. Dies kann mit Verweis auf die „Eigenschaften und Teile der menschlichen Natur“, um deren Wiederherstellung es in der Inkarnation ging, leicht bejaht werden. 6 Allerdings wird einschränkend hinzugefügt, dass ein „Gebrauch“ der „zur Vollkommenheit der Natur“ angenommenen Geschlechtsorgane bei Christus ebenso wenig vorlag, wie dies im Zustand der Vollendung nach der Auferweckung der Fall sein wird. 7 Hier deutet sich an, dass unter der Prämisse der vollkommenen Jungfräulichkeit Christi sein Geschlecht vor allem um der Integrität der menschlichen Natur willen Erwähnung findet; sexuelles Empfinden oder ein realer Vollzug der männlichen Zeugungskraft sind im Fall Jesu aus prinzipiellen Gründen nicht vorstellbar. In dieser Hinsicht führte Christus eher das Leben der Heiligen im Himmel als der übrigen Erdenpilger. Kurz thematisiert wird die Möglichkeit, dass Christus als Mensch mit beiden Geschlechtern in die Welt hätte kommen können; sie wird allerdings sofort als „monströs und unnatürlich“ abgewiesen. 8 In seiner zweiten Unterfrage geht Thomas auf Thomas erwähnt Gibson die Stellungnahmen von Roland von Cremona und Albertus Magnus, nicht aber diejenige von Richard Fishacre, 3 Sent. d. 12: „Quod congruentius fuerit quod esset mas“ (In tertium librum Sententiarum, Teil 1, 221 f.). Seit dem 14. Jahrhundert ging, wie Gibson zeigt, das Interesse an der Fragestellung deutlich zurück. 5 Vgl. Dazu Børresen, Subordination and Equivalence, 230 f.332; Gibson, Could Christ Have Been Born a Woman, 74 f.; Gondreau, The Passions of Christ’s Soul, 145–150. 6 Vgl. Thomas von Aquin, Super Sent., lib. 3, d. 12, q. 3, a. 1, qc. 1 c. Gondreau, The Passions of Christ’s Soul, 150, erkennt hier Aussagen von prinzipieller Bedeutung für die thomanische Christologie: „Though Thomas would never again take up the issue of the male sexuality of Christ in writing, the fact that he alone among his scholastic predecessors and contemporaries finds it important enough to stress the necessary role of an assumed sex and gender in the ontology of Christ proves how deeply at times he is willing to drive his antidocetism, and thus how deeply runs his esteem for the full humanity of Christ.“ Vertiefend (mit Bezug zu aktuellen Debatten): ders., Aquinas on Christ’s Male Sexuality as Integral to His Full Humanity. 7 Vgl. Thomas von Aquin, Super Sent., lib. 3, d. 12, q. 3, a. 1, qc. 1 ad 2. 8 Ebd. ad 1.
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die Entscheidung für das männliche Geschlecht in der Inkarnation ein. Fundament der knappen Antwort ist die Unterscheidung von Gottes „Macht“ („potentia“) und der „Angemessenheit“ ihres konkreten Vollzugs („congruitas“). Gott konnte im Prinzip einen Leib annehmen, wie es ihm gefiel, aber ein Zur-Welt-Kommen als Frau hätte nicht seiner Rolle als „Lehrer und Lenker und Beschützer des Menschengeschlechts“ entsprochen, weil diese Aufgaben einer Frau nicht zukommen. 9 Damit wird die bei Lombardus zitierte augustinische Beurteilung, dass die objektive Unterlegenheit des weiblichen Geschlechts im Vergleich zum männlichen für Gottes Ausgestaltung der Inkarnation entscheidend war, von Thomas präzisiert, aber nicht prinzipiell verändert. Schon in der Übersicht der Fragen zu Beginn von Distinctio 12 bezeichnet er das weibliche Geschlecht als „Naturmangel“ („defectus naturae“). 10 Damit deutet sich an, dass die Nachordnung des Weiblichen, die sich in der angeblich fehlenden Eignung für bestimmte Führungsrollen konkretisiert, ihre Wurzel in der antiken (namentlich aristotelischen) Naturphilosophie hat. Sie ist bekanntlich von einer Sicht des Zeugungsaktes geprägt, in der allein dem Mann die Rolle der aktiven Formalursache zugeschrieben wird, während die Frau (nur) als passive Materialursache gilt. 11 Damit ist nicht bloß eine funktionale Unterscheidung, sondern eine qualitative Hierarchisierung vorgegeben, die sich in allen weiteren Aussagen über (körperliche und seelische) Vorzüge des Mannes 12 und die daraus re9
Thomas von Aquin, Super Sent., lib. 3, d. 12, q. 3, a. 1, qc. 2 c.: „Ad secundam quaestionem dicendum, quod non loquimur hic de potentia Dei: quia ipse potuit assumere quale corpus voluit. De congruitate autem loquendo, quia Christus venit ut doctor et rector et propugnator humani generis, quae mulieri non competunt; ideo nec competens fuit quod sexum femineum assumeret.“ 10 Thomas von Aquin, Super Sent., lib. 3, d. 12, q. 1 pr.: „Solet etiam quaeri, utrum alium hominem […] Deus assumere potuerit. Hic de defectu culpae; secundo de defectu naturae, qui est sexus femineus, ibi: solet etiam quaeri, quamvis curiose, a nonnullis, si Deus humanam naturam potuit assumere secundum muliebrem sexum.“ 11 Vgl. etwa Thomas von Aquin, Super Sent., lib. 2, d. 20, q. 1, a. 2 c.; S. th. I, q. 92, a. 1 c. Zum größeren Kontext: Cadden, The Meanings of Sex Difference in the Middle Ages, 117–134. 12 Sogar hinsichtlich der die Geschlechter nicht wesenhaft unterscheidenden, weil in der Geistseele wurzelnden Gottebenbildlichkeit (vgl. S. th. I, q. 93, a. 6 ad 2) macht Thomas in sekundärer Hinsicht ein Plus des Mannes aus; vgl. S. th. I, q. 93, a. 4 ad 1: „Sed quantum ad aliquid secundario imago Dei invenitur in viro, secundum quod non invenitur in muliere, nam vir est principium
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sultierenden Befähigungen zu konkreten Aufgaben fortsetzt, wie sie sich bei Thomas an vielen Stellen seines Werkes finden. 13 Wenn der Mann einziges aktives und formgebendes Prinzip im Zeugungsakt ist, folgt notwendig, dass die unbehinderte Zeugung stets einen männlichen Nachkommen in perfekter Ähnlichkeit zum Zeugenden hervorbringen müsste. Entsteht dagegen eine Frau, ist irgendein störender Mangel im Spiel. In diesem Sinn ist die berühmte Bezeichnung der Frau als „mas occasionatus“ zu verstehen, als zufällig, akzidentell „missratener Mann“, die sich allerdings nur auf den individuellen Zeugungsakt bezieht, nicht jedoch auf die Absicht der „universalen Natur“, welche das weibliche Prinzip einschließt. 14 Diese naturphilosophisch begründete Überzeugung von der natürlichen Inferiorität der Frau konnte leicht mit biblischen Aussagen über den Schöpfungsvorrang und das Hauptsein des Mannes verbunden werden, die schon das Bild der Frau bei den Kirchenvätern prägten 15 und bei den mittelalterlichen Theologen präsent blieben. Dies gilt auch für Thomas, obgleich er in der knappen Passage zur Geschlechtswahl bei der Inkarnation weder die naturphilosophische noch die biblische Fundierung des Ausschlusses der Frau von Lehr- und Leitungsfunktionen näher entfaltet. Eine Berufung auf die Tatsache, dass Christus in seiner Menschwerdung auch andere leibliche Schwächen („defectus“) angenommen habe, lässt Thomas gegen sein Argument nicht zu, da mulieris et finis, sicut Deus est principium et finis totius creaturae“; Super I. Cor., cap. 11, v. 7. Dazu: Børresen, God’s Image, is Woman Excluded, 218–224. 13 Vgl. dazu Børresen, Subordination and Equivalence, 171–178.192–196. 14 Zur Defizienz des weiblichen Geschlechts und zu Theorien ihres Zustandekommens (anknüpfend an Aristoteles, De gen. anim. 727a–730b.739a–b) vgl. etwa Thomas von Aquin, S. th. I, q. 92, a. 1 ad 1 („per respectum ad naturam particularem, femina est aliquid deficiens et occasionatum […]; sed per comparationem ad naturam universalem, femina non est aliquid occasionatum, sed est de intentione naturae ad opus generationis ordinata“); Super Sent., lib. 4, d. 36, q. 1, a. 1 ad 2; De ver., q. 5, a. 9 ad 9; Super Io., cap. 16, l. 5; Super I. Tim., cap. 2, l. 3. Aus der reichen Literatur zum Thema vgl. Mitterer, Mann und Weib nach dem biologischen Weltbild des hl. Thomas; ders., Mas occasionatus; Popik, The Philosophy of Woman of St. Thomas Aquinas, 10–17, die betont, dass sich Thomas von der rein defizienzlogischen Bestimmung der Frau bei Aristoteles getrennt habe. Fehldeutungen der thomanischen Rede vom „mas occasionatus“ werden ebenso korrigiert bei Nolan, The Defective Male; ders., The Aristotelian Background. 15 Vgl. Børresen, Subordination and Equivalence, bes. 15–91.
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sich seiner Meinung nach mit dem weiblichen Geschlecht keine positive Funktion für das Erlösungswerk verbunden hätte. 16 Dazu passt, dass in den explizit den „defectus corporis“ gewidmeten Passagen der thomanischen Christologie in Sentenzenkommentar 17 und Summa theologiae 18 das Geschlecht Jesu keine Erwähnung findet. In seiner Antwort auf den ersten Einwand zur Frage nach dem Geschlecht des Inkarnierten schließt Thomas Überlegungen dazu an, wie die Erlösung durch den Mann Christus (im Schema typologischer Schriftdeutung) als theologische Inversion des Sündenfalls gedeutet werden kann 19, und setzt damit die von Petrus Lombardus aus Augustinus übernommene heilsgeschichtliche Konturierung des Themas fort. Es wäre an dieser Stelle instruktiv, die recht kurze Passage im thomanischen Sentenzenkommentar mit früheren bzw. parallelen Kommentierungen der Lombardus-Referenz zu vergleichen. Auf jeden Fall greift Thomas nicht alle Aspekte auf, die in diesem Kontext verhandelt werden konnten. So fehlt beispielsweise das schon in der Frühscholastik behandelte und auch noch bei Albertus Magnus angerissene 20 Problem, wie sich ein möglicherweise angenommenes Frausein (ein menschliches „Tochtersein“) zum ewigen „Sohnsein“ Jesu verhalten würde, oder die Bonaventura beschäftigende Frage, ob nicht Maria als einziges menschliches Prinzip Jesu ihrem Kind auch ihr Geschlecht hätte vermitteln müssen. 21 Offenbar hatte Thomas an solchen Details des Themas schon in seinem Frühwerk kein Interesse. In seine unabhängig von der Vorgabe der Lombardussentenzen konzipierte theologische Summa hat der Aquinate die Fragestellung des Sentenzenkommentars überhaupt nicht mehr in gleicher Weise einbezogen. Explizit aufgegriffen wird nur der mariologische Teilaspekt des Problems in Gestalt der Frage, ob Christus „aus einer Frau Fleisch annehmen durfte“ (S. th. III, 31, 4). 22 Indem Thomas hier von demselben Augustinuszitat ausgeht, mit dem der Lombarde 16
Vgl. Thomas von Aquin, Super Sent., lib. 3, d. 12, q. 3, a. 1, qc. 2 ad 2. Vgl. Thomas von Aquin, Super Sent., lib. 3, d. 15. 18 Vgl. Thomas von Aquin, S. th. III, q. 14. 19 Vgl. Thomas von Aquin, Super Sent., lib. 3, d. 12, q. 3, a. 1, qc. 2 ad 1. 20 Vgl. Albert, Super Sent., l. 3, d. 12, a. 10, s.c. 3 (Opera omnia, ed. Borgnet, XXVIII, 234). 21 Vgl. Bonaventura, Super Sent., l. 3, d. 12, a. 3, q. 2 ad 4 (Opera omnia III, 271b). 22 Gibson, Could Christ Have Been Born a Woman, 75, Anm. 29, gibt nicht 17
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die Frage nach der Wahl des männlichen Geschlechts Jesu beantwortet hatte, 23 bleibt in der Summa unter dem ins Mariologische verschobenen Titel aber auch die Antwort auf die christologische Fragestellung erhalten. Vollends deutlich wird dies in der Reaktion auf den ersten Einwand des Artikels. Hier wird die These, dass die Inkarnation in einem Mann als Konsequenz des „edleren“ Charakters dieses Geschlechts anzusehen ist, vermittels eines weiteren Augustinuswortes mit der Aussage verbunden, dass das weibliche Geschlecht durch die Geburt des Gottessohnes aus einer Frau gewürdigt worden sei. 24 Somit bleibt der Sache nach die durch Augustinus und Lombardus vorgezeichnete Stellungnahme zum Mannsein Christi in der Summa unverkürzt erhalten. Obwohl Thomas also weiterhin überzeugt ist, dass Gott einen nachvollziehbaren Grund für die Entscheidung hatte, in einem Mann Mensch zu werden, kommt er in der Entfaltung von Christologie und Soteriologie seiner Summa auf das Geschlechterthema nirgendwo mehr direkt zu sprechen. Hinter dem dogmatisch entscheidenden Aufweis der Wahrheit, Integrität und Heiligkeit der menschlichen Natur in der Inkarnation, der in der Tertia Pars breiten Raum einnimmt, tritt die individuelle Prägung dieser Natur zurück; was Thomas als Theologe über die „humanitas Christi“ zu sagen hat, auch hinsichtlich ihrer sinnlich-emotionalen Realität, kommt ohne Bezug auf das Geschlecht aus. Diese Zurückhaltung ist selbst dort zu konstatieren, wo ein Bogen zum Thema des sexus Christi leicht hätte geschlagen werden können. Wenn Thomas in Anknüpfung an nur die falsche Artikelnummer an, sondern verzichtet auch auf eine genauere Lektüre des Textes. 23 Vgl. Thomas von Aquin, S. th. III, q. 31, a. 4 c.: „Respondeo dicendum quod, licet filius Dei carnem humanam assumere potuerit de quacumque materia voluisset, convenientissimum tamen fuit ut de femina carnem acciperet. Primo quidem, quia per hoc tota humana natura nobilitata est. Unde Augustinus dicit, in libro octogintatrium quaest., hominis liberatio in utroque sexu debuit apparere. Ergo, quia virum oportebat suscipere, qui sexus honorabilior est, conveniens erat ut feminei sexus liberatio hinc appareret quia ille vir de femina natus est.“ 24 Ebd. ad 1: „Ad primum ergo dicendum quod sexus masculinus est nobilior quam femineus, ideo humanam naturam in masculino sexu assumpsit. Ne tamen sexus femininus contemneretur, congruum fuit ut carnem assumeret de femina. Unde Augustinus dicit, in libro de agone Christiano, nolite vos ipsos contemnere, viri, filius Dei virum suscepit. Nolite vos ipsas contemnere, feminae, filius Dei natus est ex femina.“
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die paulinische Leib-Christi-Metaphorik in einer eigenen Quästion über Christus als Haupt der Kirche und aller Menschen nachdenkt (S. th. III, q. 8 25), stellt er keine direkte Beziehung zum Haupt-Sein des Mannes gemäß 1 Kor 11,3 her (obschon mittelalterliche Leser einen solchen Bezug mitgehört haben mögen); ebenso wenig spricht er über eine (wenn auch nur metaphorische) geschlechtliche Prägung des ekklesialen Gesamtleibes, die naheliegen könnte, sofern dessen Haupt mit einem Mann identifiziert wird. 26 Bei der Behandlung des Priestertums Jesu und seiner damit verbundenen hierarchischen Stellung (S. th. III, q. 22) ist unser Thema insofern berührt, als die alttestamentlichen Vorbilder Jesu (die aaronitischen Priester und Melchisedek) ebenso ausschließlich Männer waren wie die in persona Christi handelnden Priester des Neuen Bundes 27; zum Thema macht Thomas dies aber nicht. Noch intensiver treten in S. th. III, q. 31 die männlichen Vorfahren Jesu aus dem Alten Bund in den Blick, wenn u. a. gefragt wird, ob das Fleisch Christi aus Adam oder dem Samen Davids genommen worden bzw. irgendwie im Leib der Väter enthalten gewesen sei. Hier geht es Thomas vor allem darum, die biblischen Aussagen über den Stammbaum Jesu mit der Geburt aus der jungfräulichen Mutter Maria in Einklang zu bringen und dabei die Erbsündenfreiheit Jesu zu unterstreichen. Für die Beschneidung Jesu, die Thomas in S. th. III, q. 37, a. 1 erörtert, war sein männliches Geschlecht natürliche Voraussetzung. Da Christus der eigentlichen Wirkung dieses „Sakraments des Alten Bundes“, der Heilung von der Erbsünde, nicht bedurfte, muss der Theologe andere Gründe dafür finden, dass der Herr sich diesem Ritus unterzog; keiner von ihnen 25
Zu nennen ist bestenfalls ein Hinweis auf die Adam-Christus-Parallele in S. th. III, q. 8, a. 5 ad 1. 26 Gleiches gilt auch für weitere Stellen der Tertia Pars, an denen Thomas mit Hilfe des Haupt-Leib-Bildes über Christus und die ihm zugehörigen Menschen spricht. Vgl. Thomas von Aquin, S. th. III q. 7 pr.; q. 13, a. 3 c.; q. 19, a. 4 c.; q. 19, a. 4 ad 1; q. 22, a. 1 ad 3; q. 28, a. 1 c.; q. 42, a. 4 ad 1; q. 48, a. 1 c.; q. 48, a. 2 ad 1; q. 49, a. 1 c.; q. 53, a. 1 c.; q. 53, a. 2 ad 1; q. 57, a. 6 c.; q. 58, a. 4 ad 1; q. 59, a. 2 c.; q. 59, a. 2 ad 2; q. 59, a. 3 c.; q. 59, a. 6 c.; q. 64, a. 4 ad 3. 27 Vgl. Thomas von Aquin, S. th. III, q. 22, a. 4 c. Nur am Rande sei erwähnt, dass Thomas im opfertheologischen Kontext auch eine weibliche Präfiguration Christi im Alten Testament kennt, nämlich die rote Kuh aus Num 19; vgl. S. th. I-II, q. 102, a. 5 ad 5: „Figuralis autem ratio huius sacrificii est quia per vaccam rufam significatur Christus secundum infirmitatem assumptam, quam femininus sexus designat. Sanguinem passionis eius designat vaccae color.“
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hat mit der Geschlechtswahl Jesu zu tun. Als männlicher Erstgeborener musste Christus gemäß dem mosaischen Gesetz im Tempel Gott dargebracht werden. Auch diesem biblisch bezeugten Ereignis widmet Thomas einen eigenen Artikel (S. th. III, q. 37, a. 3), in dem es vor allem um das Faktum der Gesetzeserfüllung und seine Vorbildlichkeit für uns, nicht aber um das Geschlecht des Kindes geht. 28 Die den christologischen Teil der Tertia Pars abschließenden Quästionen über Sterben, Tod und Erhöhung Christi enthalten gar keine direkten Bezüge zu seiner Männlichkeit mehr. Wenn Thomas die Wahrheit und Integrität der menschlichen Natur Jesu nach der Auferstehung unterstreicht 29, ist damit zumindest einschlussweise auch die Beständigkeit seiner geschlechtlichen Identität behauptet. Dieses in den biblischen Erscheinungsberichten vorausgesetzte Faktum – auch der Auferstandene gibt sich durchweg als Mann zu erkennen – wird nicht eigens hervorgehoben. Auf die veränderte Relevanz des Geschlechtsthemas in der allgemeinen Eschatologie werden wir unter 2.2 noch zu sprechen kommen. Den Befund zur theologischen Summe kann man auch auf andere Werke des Aquinaten übertragen. In seinen Evangelienkommentaren etwa zeigt Thomas kein Interesse daran, Szenen, die von nahen Begegnungen Jesu mit Frauen handeln, aus der Perspektive seiner Identität als Mann zu betrachten. Die Frau am Jakobsbrunnen ( Joh 4) wird als Verkörperung der noch nicht gerechtfertigten Kirche aus den Heiden gedeutet, die von Christus vorbereitet wird 30, so dass sich der Dialog mit ihr ganz auf die Ebene der allgemeingültigen Belehrung verschiebt. Im Verlauf der Auslegung werden gängige Elemente der Geschlechtertypologie einbezogen, die den Vorrang des Mannes gegenüber der Frau implizieren, aber für den Ausleger primär auf die Erschließung eines geistlichen Sinns abzielen. 31 Dies wieder28
In S. th. III, q. 37, a. 3 ad 1 zitiert Thomas eine Passage aus Gregor von Nyssa, die eine recht gesuchte Deutung für den Bezug der Vorschrift auf männliche Erstgeborene enthält: „quia nihil de femineitate culpae portavit“. 29 Vgl. Thomas von Aquin, S. th. III, q. 54, a. 1 und 3. 30 Vgl. Thomas von Aquin, Super Io., cap. 4, l. 1: „Mulier ista significat Ecclesiam gentium nondum iustificatam, quae idolatria detinebatur, sed tamen per Christum iustificandam.“ 31 Vgl. ebd. l. 2 (zu Joh 4,16–18, wo Jesus die Frau auffordert, ihren Mann herbeizurufen): „Nam sicut de aqua dominus figurative loquebatur, ita de viro. Vir autem iste, secundum Augustinum, est intellectus: nam voluntas parit et
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holt sich im thomanischen Kommentar zu Joh 12. Die von intensiver Sinnlichkeit geprägte Szene, in der eine Frau namens Maria dem Mann Jesus die Füße mit duftendem Öl salbt und sie mit ihren eigenen Haaren abtrocknet, ist für Thomas als solche nicht interessant; er nimmt sie vielmehr zum Anlass, Reflexionen über Marias Tugenden, allegorische Deutungen der beteiligten Körperteile 32 und Diskussionen über eine mögliche Identität mit der Frau aus Mk 14 bzw. Mt 26 33 vorzunehmen. Am deutlichsten kommt das Thema der (geistlichen) Liebe in den thomanischen Ausführungen zur Begegnung zwischen Maria Magdalena und dem Auferstandenen in Joh 20 zur Sprache. Marias Tränen werden durch die Sehnsucht ihrer Suche angetrieben und vermehren ihre Liebe. Die „vis amoris“ erklärt die mutigen Worte, welche die Frau an den Auferstandenen richtet, den sie für den Gärtner hält. 34 Wenn Christus ihr verbietet, ihn zu berühren, hat dies nach Thomas nichts damit zu tun, dass sie eine Frau ist – bei Matthäus wird eine Berührung des Auferstandenen durch Frauen
concipit a vi apprehensiva movente eam: unde voluntas est sicut mulier; ratio vero movens voluntatem est vir eius. Quia ergo mulier, idest voluntas, prompta erat ad recipiendum, sed non movebatur ab intellectu et ratione, ut specialiter hoc intelligeret sed adhuc sub sensu detinebatur, ideo dominus dixit ei vade, tu sensualis, voca virum tuum, idest, rationabilem intellectum advoca, quo spiritualiter et intelligibiliter intelligas quod modo carnaliter sapis; et veni huc, intelligendo ducta ratione. […] Et quia iam advocaverat mulier ista virum suum, intellectum scilicet et rationem, ideo dominus aquam doctrinae spiritualis ei propinat, optime manifestando se ei.“ 32 Vgl. Thomas von Aquin, Super Io., cap. 12, l. 1: „Per Mariam significantur contemplativi. […] Unde caput Christi inungit qui ipsum Christum veneratur; pedes autem qui eius fidelibus obsequitur. Quia vero capilli ex superfluitate generantur, pedes domini capillis terguntur, quando aliquis ex ipsis quae sibi superfluunt, defectui subvenit proximorum.“ 33 In seinem Matthäuskommentar spricht Thomas zwar den problematischen Charakter der Salbung durch eine Sünderin an, aber verweist zur Auflösung sofort auf die prophetische bzw. allegorische Auslegung der Szene, die bei Augustinus vorgegeben ist (Super Mt., cap. 26, l. 1). 34 Vgl. Thomas von Aquin, Super Io., cap. 20, l. 3: „Sed cum iste de novo venisset, nec ei dixerat quem quaerebat, quare dixit si tu sustulisti eum? Quem eum? Sed dicendum, quod vis amoris hoc agere solet in amato, ut quod ipse semper cogitat, nullum alium credat ignorare. […] Sed quid dicit si tu sustulisti eum, dicito mihi ubi posuisti eum; et ego eum tollam? Mirabilis mulieris audacia, quam mortui non terret aspectus; et cuius valetudo ad grave mortui funus tollendum plus intentat quam possit.“
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ja ausdrücklich bezeugt. 35 Stattdessen soll vermittelt werden, dass es eine Fortsetzung der irdischen Beziehung zu Christus, wie sie Maria ersehnt („obwohl das Fleisch Christi in der Auferstehung viel besser geworden war“!), nicht geben kann. 36 Es lässt sich nicht übersehen, dass Thomas an all diesen Stellen eng an patristische Interpretationsvorgaben anschließt. Dazu gehört auch die Tendenz, dem Mannsein Jesu als natürlicher Wirklichkeit, getrennt von geistlichen, moralischen oder allegorischen Auslegungen, keine besondere Beachtung zu schenken.
2. Bezüge zum männlichen Geschlecht Jesu in weiteren Kontexten der thomanischen Theologie Im Folgenden soll der Blick über die thomanische Christologie hinaus auf zwei Themenfelder ausgeweitet werden, in denen sich die geschlechtliche Bestimmung Jesu als theologisch relevant erweist. 2.1 Christus als „sponsus Ecclesiae“ Die Bezeichnung Jesu als „Bräutigam der Kirche“ ist in der mittelalterlichen Theologie eine allgemein verbreitete Selbstverständlichkeit. Dies gilt auch für das Werk des hl. Thomas. Obgleich er in seiner Ekklesiologie die Leib Christi-Metaphorik systematisch klar bevorzugt, 37 kommt er auf das dem Ehebund von Mann und Frau vergleichbare Verhältnis der liebenden Erwählung der Kirche durch Christus an verschiedenen Stellen seiner Schriften zu sprechen. 38 In 35
Vgl. ebd.: „Et si dicas eum a discipulis se tangi voluisse, non autem a mulieribus; hoc non potest stare, quia Matth. ult., 9, dicitur de Magdalena et aliis mulieribus quia accesserunt et tenuerunt pedes eius.“ 36 Vgl. ebd.: „Vel dicendum, secundum Chrysostomum, quod haec mulier videns Christum surrexisse, credidit quod esset in eadem qualitate in qua fuerat prius, habens mortalem vitam: unde et volebat cum eo esse sicut ante passionem, et prae gaudio nihil magnum excogitabat; quamvis caro Christi multo melior facta fuerit resurgendo. Et ideo ab hac intelligentia eam revocare volens, dicit noli me tangere; quasi dicat: non putes me de cetero habere vitam mortalem et vobiscum eo modo conversari quo primo.“ 37 Dies belegt allein die schon erwähnte Entfaltung in S. th. III, q. 8, der keine entsprechende Erörterung des Sponsus-sponsa-Motivs zur Seite steht. 38 Das pauschale Urteil bei Børresen, Subordination and Equivalence, 235,
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diesem Bild ist das männliche Geschlecht Jesu ein konstitutiver Bestandteil. In Joh 3,29 erläutert Johannes der Täufer in einem Vergleich sein Verhältnis zu Jesus, indem er den „Bräutigam“ vom „Freund des Bräutigams“ unterscheidet, der zwar nicht die Braut besitzt, sich aber über die Stimme des Bräutigams freut. In Anknüpfung an Johannes Chrysostomus 39 hat Thomas diese Ausweitung der Sponsus-sponsa-Metaphorik kommentiert. Nachdem er verschiedene biblische (vor allem alttestamentliche) Verwendungen des Bildfeldes präsentiert hat, die im Licht der neutestamentlichen Rezeption (genannt werden 1 Kor 11,2; Offb 19,7) auf das Christus-Kirche-Verhältnis bezogen werden können 40, schließt er eine Ermahnung an diejenigen an, denen der Schutz der bräutlichen Kirche anvertraut ist: Sie sollen stets allein „zur Ehre und Verherrlichung des Bräutigams“ handeln. 41 Dazu verweist Thomas auf die in Johannes dem Täufer exemplarisch aufscheidass bei Thomas die Kirche nicht „sponsa“ sei, ist daher überzogen. Thomas ist sich im Klaren darüber, dass die beiden Bilder nicht schlechthin deckungsgleich sind, sofern der „Leib Christi“ das göttliche Haupt selbst miteinschließt, während Christus als „Bräutigam“ der „Braut“ gegenübersteht, wenn auch in einer engen „geistlichen Verbindung“ geeint (vgl. Super Sent., lib. 4, d. 49, q. 4, a. 3 ad 4). 39 Vgl. schon Thomas von Aquin, Super Io., cap. 1, l. 15: „Ubi quatuor, secundum Chrysostomum, considerari possunt. Primo quia hoc quod Ioannes loquitur et Christus tacet, et verbo Ioannis discipuli congregantur ad Christum, competit mysterio: Christus enim est sponsus Ecclesiae, Ioannes vero amicus et paranymphus sponsi. Officium autem paranymphi est sponsam tradere sponso, et loquendo, pacta tradere; sponsi autem est quasi prae verecundia tacere, et de sponsa iam habita pro velle disponere.“ 40 Das Ehebild wird in der mittelalterlichen Theologie nicht bloß auf das Verhältnis zwischen Christus und Kirche, sondern auch auf die Beziehung zwischen Christus und der einzelnen Seele bezogen; vgl. Thomas von Aquin, Super Io., cap. 2, l. 1: „Christus autem, sicut verus animae sponsus, ut dicitur infra III, 29: qui habet sponsam, sponsus est. Discipuli vero ut paranymphi, quasi coniungentes Ecclesiam Christo, de quo uno dicebatur II Cor. XI, 2: despondi vos uni viro virginem castam exhibere Christo.“ Hier werden zudem die Jünger Jesu in der Rolle des Täufers gesehen. 41 Vgl. Thomas von Aquin, Super Io., cap. 3, l. 5: „Simile debent facere homines amici veritatis, ut sponsam eis ad custodiendum commissam non ad propriam utilitatem et gloriam convertant, sed ad honorem et gloriam sponsi honorifice praeservent: alias non essent amici sponsi, sed potius adulteri. Unde Gregorius dicit, quod adulterinae cogitationis puer reus est, si placere oculis sponsae desiderat, per quem sponsus dona transmittit.“
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nenden Tugenden, die auch für die kirchlichen Hirten notwendig sind, um das gläubige Volk dem Bräutigam Christus zuzuführen und nicht etwa für sich selbst zu beanspruchen. Thomas zieht damit zwischen Christus und allen menschlichen Kirchenoberen eine klare Unterscheidungslinie. Nur Christus, so heißt es in einer seiner Schriften aus dem Mendikantenstreit, ist „Bräutigam der Kirche“ im eigentlichen Sinn, weil nur er „aus der Kirche in seinem Namen Kinder zeugt“, was auf die gnadenhafte Ermöglichung der Gotteskindschaft durch Glauben und Sakramente hinweist. 42 Wenn aber andere – gemeint sind konkret Gemeindepriester, aber zweifellos auch Bischöfe 43 – mit dem Titel „Bräutigam“ bezeichnet werden, sind sie in Wahrheit nur „Diener des Bräutigams, sofern sie äußerlich (!) bei der Zeugung der geistlichen Kinder mitwirken, welche sie nicht für sich, sondern für Christus zeugen“ 44. Es kann also keine Rede davon sein, dass Thomas die Braut-Bräutigam-Metaphorik benutzt hätte, um eine problematische Divinisierung der Kirche und ihrer menschlichen 42
Thomas kennt nicht nur die männlich-zeugende Funktion des Bräutigams in der Verbindung mit seiner ekklesialen Braut, sondern kann zumindest punktuell (in Anknüpfung an Jes 66,9) auch davon sprechen, dass die Gläubigen aus Christus wie aus einer Mutter „geboren werden“. Diese Aussage findet sich an recht prominenter Stelle, im Proömium zum ersten Sentenzenbuch: „Partus ipsius Christi sunt fideles Ecclesiae, quos suo labore quasi mater parturivit: de quo partu Isa. ult., 9: numquid ego, qui alios parere facio, ipse non pariam? Dicit dominus. Fructus autem istius partus sunt sancti qui sunt in gloria: de quo fructu Cant. 5, 1: veniat dilectus meus in hortum suum et comedat fructum pomorum suorum.“ 43 Meistens wird von den scholastischen Theologen in altkirchlicher Tradition nur der Bischof als „Bräutigam“ seiner Kirche bezeichnet (vgl. Thomas von Aquin, Super Sent., lib. 4, d. 20, q. 1, a. 4, qc. 1 c.). Eine Begründung liefert Super Sent., lib. 4, d. 24, q. 3, a. 2, qc. 1 ad 3: „Sacerdos autem repraesentat Christum in hoc quod per se ipsum aliquod ministerium implevit; sed episcopus in hoc quod alios ministros instituit, et Ecclesiam fundavit. Unde ad episcopum pertinet mancipare aliquid divinis obsequiis, quasi cultum divinum ad similitudinem Christi statuens; et propter hoc etiam episcopus specialiter sponsus Ecclesiae dicitur, sicut Christus.“ 44 Vgl. Thomas von Aquin, Contra impugnantes, pars 2, cap. 3 ad 22: „Ad illud quod postea obiicitur, quod presbyteri parochiales sunt sponsi Ecclesiarum sibi commissarum, dicendum, quod sponsus Ecclesiae, proprie loquendo, Christus est: de quo dicitur: qui habet sponsam sponsus est, Ioh. III, 29, ipse enim de Ecclesia suo nomine filios generat. Alii autem qui sponsi dicuntur, sunt ministri sponsi, exterius cooperantes ad generationem spiritualium filiorum; quos tamen non sibi, sed Christo generant.“
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Hirten durch undifferenzierte Identifizierung mit Christus zu legitimieren. Die Mitwirkung der Diener im geistlichen Zeugungsgeschehen bleibt vielmehr „äußerlich“, auf die werkzeugliche Mitwirkung bei der Sakramentenspendung (und Glaubensvermittlung) beschränkt, während der Gottessohn alleiniger Ursprung der Gnade ist. 45 Bekanntlich grenzt Thomas die Formel des priesterlichen Handelns „in persona Christi“ meist auf den engeren eucharistischen Kontext ein, 46 und in seiner Ablehnung der Frauenordination beruft er sich nicht etwa (wie Bonaventura) 47 darauf, dass nur ein männlicher Priester den Mann bzw. Bräutigam Christus repräsentieren kann. Stattdessen beschränkt er sich auf das Argument, dass der schöpfungsbedingte „Stand der Unterordnung“ („status subiectionis“) des weiblichen Geschlechts dazu führe, dass dieses für die Bezeichnung eines hierarchischen Vorrangs, wie er dem Geweihten zukommt, prinzipiell ungeeignet sei. 48 Die Erwähnung des Bräutigam-Titels in Verbindung mit Johannes dem Täufer als „Brautführer“ findet sich auch einmal im dritten Teil der theologischen Summe. 49 Daneben gibt es in dieser reifsten 45
Andererseits ist ebendieses Wirken Christi durch Menschen für Thomas ein Argument, um die Rede vom „einzigen Bräutigam Christus“ nicht gegen die Existenz eines Amtes in der Kirche auszuspielen: Es bedarf dieser Diener, um alle Menschen in einen leiblichen Kontakt mit den Sakramenten Christi zu bringen. Vgl. Thomas von Aquin, Contra gentiles, lib. 4, cap. 76, n. 7: „Si quis autem dicat quod unum caput et unus pastor est Christus, qui est unus unius Ecclesiae sponsus: non sufficienter respondet. Manifestum est enim quod omnia ecclesiastica sacramenta ipse Christus perficit: ipse enim est qui baptizat; ipse qui peccata remittit; ipse est verus sacerdos, qui se obtulit in ara crucis, et cuius virtute corpus eius in altari quotidie consecratur: et tamen, quia corporaliter non cum omnibus fidelibus praesentialiter erat futurus, elegit ministros, per quos praedicta fidelibus dispensaret, ut supra dictum est.“ 46 Vgl. dazu Marlingeas, Clés pour une theólogie du ministère, 93–97. Marlingeas hat allerdings nicht das gesamte Wortfeld analysiert, das für das Thema relevant ist (vgl. auch „vicem Dei/Christi gerere“, „Christum repraesentare“). Die Unterscheidung Christi vom Priester/Bischof/Prälat ist bei Thomas aber jederzeit eindeutig. 47 Vgl. dazu Marschler, Natürliche Ähnlichkeit und sakramentale Signifikation. 48 Vgl. Thomas von Aquin, Super Sent., lib. 4, d. 25, q. 2, a. 1, qc. 1 c.: „Cum ergo in sexu femineo non possit significari aliqua eminentia gradus, quia mulier statum subjectionis habet; ideo non potest ordinis sacramentum suscipere.“ Dazu: Børresen, Subordination and Equivalence, 236–239. 49 Vgl. Thomas von Aquin, S. th. III, q. 38, a. 3 ad 1.
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Entfaltung der thomanischen Christologie, soweit ich sehe, nur noch eine einzige weitere Stelle, die den Titel aufgreift, und zwar erneut in einer eher beiläufigen Weise bei der theologischen Rechtfertigung der Ehe Mariens. 50 Eine zentrale Begründungsrolle nimmt dagegen das im bräutlichen Miteinander erfasste Verhältnis von Christus und Kirche auf der Basis von Eph 5,28–33 in der Lehre über das Ehesakrament ein. Da Thomas die Quästionen zur Ehe in der theologischen Summa nicht mehr ausgeführt hat, ist man hier auf die Ausführungen in früheren Werken angewiesen. Darin macht der Aquinate deutlich, dass die Ehe ihren vollen theologischen Sinn erst als Abbild des ChristusKirche-Verhältnisses entbirgt. Erst in dieser Hinsicht werden die drei schon in der Schöpfung grundgelegten Ehegüter in ihrer religiösen Dimension erkennbar: die Hervorbringung von Nachkommenschaft als Zeugung von Gotteskindern in der Kirche „zur Verehrung Gottes“ („ad cultum Dei“), die Treue als Konsequenz der Selbstverpflichtung zwischen einem Mann und einer Frau (in Entsprechung zum einen Herrn und seiner einzigen Kirche) sowie die sakramentale Unauflöslichkeit des Ehebandes als Bild für die von Christus bestätigte unauflösliche Einheit zwischen Gott und seinem Volk. 51 Indem der Mann in der Ehe Christus repräsentiert, die Frau aber die Kirche, wird die natürliche Geschlechterhierarchie einerseits bestätigt (1 Kor 11,3:
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Vgl. Thomas von Aquin, S. th. III, q. 29, a. 1 c. Als ein Konvenienzgrund dafür, dass Maria verheiratet war, wird genannt: „quia per hoc significatur universa Ecclesia, quae, cum virgo sit, desponsata tamen est uni viro Christo, ut Augustinus dicit, in libro de sancta virginitate.“ 51 Vgl. Thomas von Aquin, Contra gentiles, lib. 4, cap. 78, n. 5–6: „Quia igitur per coniunctionem maris et feminae Christi et Ecclesiae coniunctio designatur, oportet quod figura significato respondeat. Coniunctio autem Christi et Ecclesiae est unius ad unam perpetuo habendam: est enim una Ecclesia, secundum illud Cant. 6,8: una est columba mea, perfecta mea; nec unquam Christus a sua Ecclesia separabitur, dicit enim ipse Matth. ult.: ecce, ego vobiscum sum usque ad consummationem saeculi; et ulterius: semper cum domino erimus, ut dicitur I ad Thess. 4,17. Necesse est igitur quod matrimonium, secundum quod est Ecclesiae sacramentum, sit unius ad unam indivisibiliter habendam. Et hoc pertinet ad fidem, qua sibi invicem vir et uxor obligantur. Sic igitur tria sunt bona matrimonii, secundum quod est Ecclesiae sacramentum: scilicet proles, ad cultum Dei suscipienda et educanda; fides, prout unus vir uni uxori obligatur; et sacramentum, secundum quod indivisibilitatem habet matrimonialis coniunctio, inquantum est coniunctionis Christi et Ecclesiae sacramentum.“
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„caput mulieris vir“), 52 andererseits aber in das Verhältnis wahrhaft gegenseitiger Liebe emporgehoben. 53 Für einen mittelalterlichen Theologen wie Thomas hatte die Frage, inwieweit das im ChristusKirche-Verhältnis implizierte Autoritätsgefälle mit einem partnerschaftlichen Geschlechterverhältnis in der Ehe zu vereinbaren ist, noch keine Relevanz. Kritische Sensibilität für die Grenzen des Braut-Bräutigam-Bildes lässt er aber insofern erkennen, als er falsche Anwendungen in Christologie wie Ekklesiologie ausdrücklich zurückweist: Weder das Verhältnis der beiden Naturen in der einen Person des Gottessohnes noch seine Willenseinung mit dem Vater können mit Hilfe der Brautmetaphorik beschrieben werden 54, und es wäre absurd, die Beziehung Christi zur Synagoge (vor der Ehe mit der Kirche) als Konkubinat zu bezeichnen, da es wie „einen Glauben“ auch nur „eine Kirche“ gibt, welche die glaubenden Menschen der alten und neuen Zeit umfasst. 55 2.2 Das Geschlecht in der Auferstehung der Toten Ein weiterer Bezug zum männlichen Geschlecht Jesu begegnet in der eschatologischen Auferstehungslehre. Die mittelalterliche Theologie hat ausgiebig über das ursächliche Verhältnis zwischen der schon vollzogenen Auferstehung Christi und der noch ausstehenden Auferstehung aller Menschen am Jüngsten Tag nachgedacht 56, darunter auch über die Exemplarkausalität, die Christi Auferstehung für diejenigen ausübt, die mit einem verherrlichten Leib Zugang zur himmlischen Glorie erhalten werden. Wenn die Vollendeten ihrem göttlichen Herrn möglichst vollständig verähnlicht werden sollen, liegt der Gedanke nicht fern, dass sie alle wie Christus als Männer auferweckt werden könnten. Zur Unterstützung ließe sich anfügen, dass auf diese 52
Vgl. Thomas, Super Sent., lib. 4, d. 27, q. 3, a. 1, qc. 3 c.; S. th. II–II, q. 164, a. 2 ad 1; Super I Cor., cap. 11, v. 3; Super Io., cap. 4, l. 2. 53 Vgl. Popik, The Philosophy of Woman, 44–57. 54 Vgl. Thomas von Aquin, Super Sent., lib. 4, d. 49, q. 4, a. 3 c. 55 Vgl. Thomas von Aquin, Super Sent., lib. 4, d. 27, q. 3, a. 1, qc. 3 c.: „Sed hoc est valde absurdum: quia sicut est una fides antiquorum et modernorum, ita una Ecclesia; unde illi qui tempore synagogae Deo serviebant, ad unitatem Ecclesiae, in qua Deo servimus, pertinebant.“ 56 Vgl. dazu Marschler, Auferstehung und Himmelfahrt Christi, Bd. 1, 498– 543.
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Weise in der eschatologischen Vollendung allein das (nach mittelalterlicher Sicht) vollkommenere der zwei Geschlechter erhalten bliebe. Tatsächlich greift Thomas solche Argumente auf, wenn er in seinem Sentenzenkommentar die Frage nach dem Geschlecht der Auferstehenden erörtert (auch hier fehlt uns die Ausarbeitung der Summa theologiae). Er folgt damit der Vorgabe des Lombarden. Dieser hatte die eschatologische Deutung des Apostelwortes Eph 4,13 („… bis wir alle zur Einheit im Glauben und der Erkenntnis des Sohnes Gottes gelangen, zum vollkommenen Menschen“; Vulgata: „in virum perfectum“) zum Anlass genommen, die Weise der Christusverähnlichung in der Auferweckung exakter zu bestimmen. Sie wird zwar, so zitiert der Sentenzenmeister Augustinus, das Alter der Auferstehenden betreffen – alle werden in jenem jugendlichen Alter auferstehen, in dem Jesus starb, also mit etwa 30 Jahren. Eine Angleichung an den Herrn in Gestalt und Geschlecht wird allerdings nicht stattfinden. 57 Dieser Lösung schließt sich Thomas mit den übrigen scholastischen Kommentatoren der Sentenzen an. 58 Die Verschiedenheit der Geschlechter, so stellt er klar, gehört sowohl zur integralen Natur des menschlichen Individuums wie zur Vollkommenheit der menschlichen Art und trägt damit zur Ehre des Schöpfergottes bei. 59 Sie wird daher den Auferstehenden ebenso wenig genommen werden wie die Verschiedenheit anderer körperlicher Eigenschaften. 60 Verschwinden wird nur die böse Begierlichkeit beim gegenseitigen Blick der Geschlechter aufeinander, und die mit den Geschlechtsorganen jetzt verbundenen „tierischen Vollzüge“ („animales operationes“) werden nach der Auferweckung keine Rolle mehr spielen. 61 Mit diesen Aussagen stehen Thomas und praktisch alle mittelalterlichen Theologen in der Linie der einflussreichen lateinischen 57
Vgl. Petrus Lombardus, Sent. l. 4, dist. 44, c. 1 (Sententiae in IV libris distinctae, tom. 2, 516 f.). 58 Dazu: Børresen, Subordination and Equivalence, 248 f. 59 Vgl. Thomas von Aquin, Super Eph., cap. 4, l. 4: „ad perfectionem naturae et gloriae Dei, qui talem naturam condidit“. 60 Vgl. Thomas von Aquin, Super Sent., lib. 4, d. 44, q. 1, a. 3, qc. 3 c.; ähnlich Contra Gentiles, lib. 4, cap. 88, n. 1. Zum größeren Kontext der „Wahrheit der menschlichen Natur“ in der thomanischen Auferweckungstheologie vgl. Frezzato, La résurrection de la chair, Kap. 2. 61 Vgl. Thomas von Aquin, Super Sent., lib. 4, d. 44, q. 1, a. 3, qc. 4 ad 2. Auf Mt 22,30 verweist Thomas in diesem Kontext in Super Eph., cap. 4, l. 4.
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Väter (namentlich Hieronymus 62 und Augustinus 63, anknüpfend an frühere Autoren 64), die in diesem Punkt spiritualisierende Tendenzen der griechischen Tradition (Origenes, Gregor von Nyssa 65) abgewiesen hatten. 66 Nur am Rande, über Johannes Scotus Eriugena 67 und seine Schule, blieb die These einer Neutralisierung der Geschlechter in der Auferweckung auch im lateinischen Mittelalter präsent. 68 Wie Lombardus greift Thomas für die nach seiner Überzeugung orthodoxe Auslegung von Eph 3,14 eine Auslegung der Glosse auf: Wenn der Apostel sagt, dass wir alle „zum vollkommenen Mann/Menschen“ gelangen sollen, geht es um Tugend („virtus“), nicht Geschlecht 69, oder vielleicht auch um eine von der Kirche als ganzer und nicht von den Individuen zu verstehende Aussage. 70 Allerdings wird, so ist Thomas überzeugt, nach der Auferstehung die Geschlechterdifferenz keinerlei qualitative Abstufung zwischen Menschen mehr begründen, da es dann nur noch auf die „Verschiedenheit der Verdienste“ ankommt. 71 Weibliche Heilige müssen folglich keine Nachteile im Vergleich zu männlichen in Kauf nehmen. Im Gegenteil: Wenn ihre Liebe größer ist, werden sie auch aus der Gottesschau größere Herrlichkeit empfangen. In vergleichbarer Weise durften schon auf Erden die Frauen, die unter dem Kreuz treu geblieben waren, als erste den auferstandenen Christus schauen. 72 Im Bereich der göttlichen Gnade, so lässt auch die thomanische Sakramentenlehre an vielen Stellen er62
Vgl. Hieronymus, Epitaphium Sanctae Paulae, 23,5–7; Text und Kommentar: Cain (Hrsg.), Jerome’s Epitaph on Paula, 81–84.408. Weitere Texte zitiert Bynum, The Resurrection of the Body, 86–94. 63 Vgl. Augustinus, De ciu. dei 22.17 (CCL 48, 835–36). 64 Vgl. die Nachweise bei Petrey, Carnal Resurrection. 65 Vgl. Dennis, Gregory on the Resurrection of the Body; Ludlow, Universal Salvation, 64–73. Zur Infragestellung dieser Deutung in der aktuellen Debatte vgl. Karras, Sex/Gender in Gregory of Nyssa’s Eschatology. 66 Vgl. Pålsson, Angelic Humans, Glorious Flesh; Do Vale, Cappadocian or Augustinian. 67 Vgl. Roques, Remarques sur la signification de Jean Scot Érigène, 299–317; Steel, Lost Simplicity; Bynum, The Resurrection of the Body, 137–155. 68 Vgl. Weber, Die Lehre von der Auferstehung der Toten, 78 f. 69 Vgl. Thomas von Aquin, Super Sent., lib. 4, d. 44, q. 1, a. 3, qc. 3 ad 1; Super Eph., cap. 4, l. 4. Vgl. schon Petrus Lombardus, Sent. l. 4, dist. 44, c. 1, n. 2 (Sententiae in IV libris distinctae, tom. 2, 517, Z. 1–3, m. Anm. 1). 70 Vgl. Thomas von Aquin, Contra Gentiles, lib. 4, cap. 88, n. 4. 71 Vgl. Thomas von Aquin, Super Sent., lib. 4, d. 44, q. 1, a. 3, qc. 3 ad 2. 72 Vgl. Thomas von Aquin, S. th. III, q. 55, a. 1 ad 3.
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kennen, werden die naturalen Geschlechterdifferenzen überwunden und gilt das Wort des Apostels in Gal 3,28, wonach es „in Christus nicht männlich und weiblich“ gibt. 73 Diese Gnade findet im Eschaton ihre Vollendung, so dass (erst) hier die uneingeschränkte Gleichheit der Geschlechter zur Durchsetzung gelangt. 74
3. Zu den maskulinen Bezeichnungen der göttlichen Personen in der immanenten Trinitätstheologie Für die scholastischen Theologen steht fest, dass Christus allein durch seine Menschwerdung und als Mensch eine geschlechtliche Identität angenommen hat. Als Gott von Ewigkeit ist er reiner Geist, dem keine Geschlechtsbestimmung zukommt und den in dieser Hinsicht die durch die Verschiedenheit der Geschlechter geprägten Menschen nicht unmittelbar abbilden, obgleich sie nach seinem Bild geschaffen sind. Allerdings tritt diese klare Grenzziehung in den Entwürfen der Theologie insofern zurück, als bereits die immanente Trinitätstheologie, die über den dreieinigen Gott in sich, vorgängig zum Schöpfungs- und Erlösungswerk nachdenkt, stark durch geschlechtsbezogene, näherhin männliche Begriffe geprägt ist. Das gilt sowohl für die dem NT entnommenen personalen Bezeichnungen von Vater und Sohn als auch für die Beschreibung der Hervorbringung des Sohnes als „Zeugung“. Daneben finden auch geschlechtsneutrale Begriffe Verwendung (wie „principium“ für den Vater, „verbum“ oder „lumen“ für den Sohn oder „productio“ für die Zeugung). Durch die prosopo73
Vgl. Thomas von Aquin, Super I Cor., cap. 11, v. 11: „Dicit ergo primo: dixi quia vir est imago et gloria Dei, mulier autem non sed viri; verumtamen mulieres non debent desperare de gratia Christi […]. Et huius ratio est quia in gratia Christi quae est in Baptismo, non habet plus vir quam mulier propter conditionem sexus“; Super Gal., l. 3, c. 9; Super Sent., lib. 4, d. 7, q. 3, a. 3, qc. 1 ad 2; ebd. d. 42, q. 2, a. 1, ad 5; S. th. III, q. 67, a. 4 c. (zur Taufbefähigung von Frauen, wenn auch nur im Notfall, sofern kein Mann zugegen ist). 74 Vgl. McLaughlin, Equality of Souls, Inequality of Sexes, 217 (mit Blick auf Thomas): „The true equivalence of the sexes, grounded in the creation of both male and female in the image of God, is given substance only in the resurrected state. There the hierarchical relationships of the order of creation, which correspond to the imperfections of corporeality, are overcome in a resurrected human being, who, though sexed, functions only in a truly human and beatific fashion, that is, with a spiritual/intellectual enjoyment and love of God.“
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logische Auslegung alttestamentlicher Verse auf das innergöttliche Hervorgangsgeschehen kommen sogar weiblich konnotierte Ausdrücke ins Spiel: Der Sohn wird „aus dem Schoß“ des Vaters gezeugt („ex utero“: Ps 110,3), als „Wort“ und „Weisheit“ („sapientia“) des Vaters wird er im göttlichen Intellekt „empfangen“ („conceptus“). 75 Die mittelalterliche Theologie hat die Herausforderung angenommen, den rationalen Gehalt dieser Begriffe möglichst präzise zu klären. Es war bereits Anselm von Canterbury († 1109), der in seinem Monologion die geschlechtlichen Konnotationen der trinitarischen Personbezeichnungen ausdrücklich zum Thema gemacht hat. 76 Da es in Gott keinen Geschlechterunterschied gibt, so schreibt er, sei die Frage zu vernachlässigen, ob man statt von Vater und Sohn nicht eher von Mutter und Tochter sprechen müsse. Anselm lehnt es ab, die vom biblischen Zeugnis her eindeutige Präferenz der männlichen Namen mit Berufung auf die Tatsache zu begründen, dass im natürlichen Bereich das männliche Geschlecht schlechthin „besser“ sei als das weibliche, da die aristotelische Naturphilosophie auch Ausnahmen kenne (manche „Vogelarten, in denen das weibliche Geschlecht immer besser und kräftiger ist“). Dagegen erscheinen ihm zwei andere Argumente für die Bevorzugung der maskulinen Bezeichnungen in der Gotteslehre plausibel. Zunächst verweist er auf die Tatsache, dass im Vater stets „die erste und hauptsächliche Ursache des Nachwuchses“ zu finden sei, welche der mütterlichen vorausgehe. Da in Gott die erste Person einziges Prinzip der Hervorbringung der zweiten ist, wird sie in passender Weise „Vater“ genannt. 77 Zweitens führt 75
Vgl. auch Børresen, L’usage patristique de métaphores féminines; dies., God’s Image, Man’s Image. 76 Vgl. Anselm, Monologion, c. 42 (Opera omnia I, 58, Z. 17–22): „Vellem iam quidem et forte possem illum esse verissime patrem, hoc vero esse verissime filium concludere; sed nec hoc negligendum existimo, an patris et filii, an matris et filiae magis illis apta sit appellatio, cum in eis nulla sit sexus discretio. Nam si idcirco convenienter est ille pater et proles eius filius, quia uterque est spiritus: cur non pari ratione alteri convenit esse matrem, alteri filiam, quia uterque est veritas et sapientia?“ Vgl. Newman, God and the Goddesses, 48 f. Auf die Behandlung der Frage im Monologion verweist Anselm in seiner Epistola de incarnatione Verbi, c. 16 (Opera omnia II, 35, Z. 12–18). 77 Vgl. Anselm, Monologion, c. 42 (Opera omnia I, 59, Z. 1–6): „Aut certe idcirco magis convenit summo spiritui patrem dici quam matrem, quia prima et principalis causa prolis semper est in patre. Nam si maternam causam quolibet modo semper paterna praecedit, nimis incongruum est, ut illi parenti aptetur
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Anselm die Überzeugung an, dass ein Sohn dem Vater stets ähnlicher sei als eine Tochter. Da die vom göttlichen Vater hervorgebrachte Person die größtmögliche Ähnlichkeit zu diesem besitzt, sofern sie ihm wesensgleich ist, darf sie mit Recht als „Sohn“ bezeichnet werden 78. Indem Anselm so die Rede von „Vater“ und „Sohn“ als angemessen erweist, legitimiert er implizit auch die den männlichen Part im Geschlechtsakt bezeichnende Benennung für die Hervorbringung des Sohnes. Nur am Rande sei erwähnt, dass Anselm in einem seiner Gebete ausdrücklich über Jesus Christus als „Mutter“ spricht 79 und damit als Begründer einer von der neueren Forschung viel beachteten Tradition gilt, für die vor allem aus der mittelalterlichen Zisterzienserspiritualität und Frauenmystik zahlreiche Belege beigebracht werden können. 80 Thierry von Chartres († um 1155) greift ein halbes Jahrhundert nach Anselm in seinem Kommentar zu Boethius, De trinitate, die Frage nach den geschlechtlich gefärbten Gottesnamen auf. 81 Anders als Anselm erkennt er die Berufung auf die größere „Würdigkeit“ des männlichen Geschlechts als Grund für die maskulinen Bezeichnungen in der Gotteslehre vorbehaltlos an. 82 Neben das bei Anselm zu findende Ähnlichkeitsargument 83 stellt er den für uns fremdartigen Hinweis auf die sowohl das Männliche als auch das Göttliche bezeichnende ungerade Zahl (als Symbol für die Unteilbarkeit Gottes). 84 Der Verweis auf den aktiven Charakter des Männlichen gegennomen matris, cui ad gignendam prolem nulla alia causa aut sociatur aut praecedit. Verissimum igitur est summum spiritum patrem esse prolis suae.“ 78 Vgl. ebd. (Z. 6–12): „Quod si filius semper similior est patri quam filia, nihil autem similius est alteri quam summo patri proles sua: verissimum est hanc prolem non esse filiam, sed filium. Sicut igitur proprium est illius verissime gignere, istius vero gigni: sic proprium est illius verissimum esse genitorem, istius vero verissimum esse genitum. Et sicut alter est verissimus parens, alter verissima proles: sic alter est verissimus pater, alter verissimus filius.“ 79 Anselm, Oratio ad Sanctum Paulum/Oratio 10. 80 Vgl. Cabassut, Une devotion médiévale peu connue; McLaughlin, Christ My Mother; Bynum, Jesus as Mother, 110–169; Lessing, Die neuen Gottesbilder des 12.–14. Jahrhunderts. 81 Vgl. Thierry von Chartres, Commentum super Boethii librum De Trinitate IV. 4, in: Commentaries in Boethius by Thierry of Chartres and his School, 96. 82 Vgl. ebd. Z. 35–37: „Dico ideo quia sexus masculinus dignior est. Deus vero dignissima omnium rerum est. Ideoque digniori nomine appellari debuit.“ 83 Vgl. ebd. Z. 37–38. 84 Vgl. ebd. Z. 39–35.
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über der passiven Funktion des Weiblichen knüpft wieder an Anselm an: Weil Gott „nichts erleidet, sondern alles tut“, wird er zurecht mit männlichen Namen bezeichnet. 85 Der nur unwesentlich jüngere Richard von Sankt Viktor († 1173) kommt im abschließenden Buch seiner berühmten Schrift über die Trinität gleichfalls auf die Namen für die göttlichen Personen zu sprechen. Sein Argument fügt den bei den vorangehenden Autoren zu findenden Gedanken kaum Neues hinzu: Zwar gebe es in Gott keinerlei „sexus“, aber es sei angemessen, dass die Bezeichnungen von Vater und Sohn von dem „würdigeren“ der menschlichen Geschlechter her genommen würden. 86 Richard weist aber eigens darauf hin, dass das Verhältnis der „Verwandtschaft“ („germanitas“) in Gott in einer Weise vorliege, die im menschlichen Bereich nicht zu finden sei, und warnt deshalb davor, ein „fleischliches Verständnis“ bei der Rede über die trinitarischen Personen zugrunde zu legen. Da Petrus Lombardus unser Thema nicht in seine Sentenzenbücher aufgenommen hat, ist es von den großen Scholastikern des 13. Jahrhunderts nicht regelmäßig behandelt worden. Albert 87 und Bonaventura 88 haben in ihren Sentenzenkommentaren die Argumentation Anselms mit unterschiedlichen Differenzierungen fortgeführt 85
Vgl. ebd. Z. 46–48. In der „Glosa super Boethii librum de trinitate“ (zu Kap. V, 22) räumt Thierry allerdings auch die Möglichkeit ein, für Gott weibliche Bezeichnungen („mater, filia atque donatio“) zu verwenden: Commentaries in Boethius by Thierry of Chartres and his School, 297, Z. 65–67. 86 Vgl. Richard von Sankt Viktor, De Trinitate, l. VI, c. 4 („Quam convenienter optinuit usus ut in illa Trinitate unus ex duobus diceretur Pater et alius Filius“; ed. Ribailler, 231 f., hier 231, Z. 7–12): „In divina autem natura, ut in commune novimus, omnino nullus est sexus. Dignum ergo fuit ut ab eo sexu qui dignior esse cognoscitur, ad id quod omnium dignissimum est nomina transferrentur. Vides ergo quam convenienter optinuit usus ut unus ex duobus in Trinitate diceretur Pater, et alius diceretur Filius.“ 87 Vgl. Albert, Super Sent., lib. 1, d. 7, a. 1 (Opera omnia, ed. Borgnet, XXV, 204–206) 88 Vgl. Bonaventura, Super Sent., lib. 1, d. 5, dub. 10 (Opera omnia I, 122a–b). Die Antwort lautet: „Respondeo: Dicendum, quod nomen matris non transfertur ad divina. Et unam rationem assignat Anselmus in Monologio: quia principium maternum praeexigit aliud principium prius. Et ratio huius est, quia mater est principium passivum, et omne tale movetur ab alio: ergo ante ipsum est principium aliud. Quoniam igitur principium generationis Filii est primum et est pure actuale, ideo nullo modo transfertur maternum principium; transfertur tamen actus maternus, ut concipere et parturire, pro eo quod ibi agit unum
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und so die Verwendung der männlichen Bezeichnungen in der Gotteslehre bestätigt. Thomas greift zwar die bei Anselm angestoßene Fragestellung nicht explizit auf 89, berührt sie aber doch an verschiedenen Stellen seiner Trinitätserörterungen. Die besten Entfaltungen finden sich in den knappen Trinitätskapiteln des Compendium theologiae 90 und den parallelen Erörterungen der Summa contra Gentiles. 91 Wie Anselm knüpft Thomas an die Unterscheidung von aktivem und passivem Zeugungsprinzip gemäß aristotelischer Naturphilosophie an. Bei der rezeptiven Erkenntnis der von ihm verschiedenen Dinge hat unser Intellekt eher eine mütterlich-empfangende Funkprincipium quod hic duo.“ Die Herausgeber verweisen dazu auf Aristoteles, De gen. I,19 f.; II,4. 89 Vgl. die generelle Einordnung bei Johnson, The Incomprehensibility of God, 453: „The medieval period is rather poor in the use of female imagery for God. It is found mainly in the tradition of the motherhood of God, reflected in rare occasional utterances by a theologian such as Anselm and in works of mystics such as Dame Julian of Norwich. While Aquinas does note that the Scriptures attribute to God the Father what in our material world belongs to both mother and father, namely, the begetting of the Son, he is powerfully prevented by his anthropological presuppositions intertwined with Aristotelian biology from attributing maternity to God. There is no place in his system for speaking of God as mother, for God is pure act, whereas in the process of begetting, the mother represents the principle that receives passively.“ 90 Vgl. Thomas von Aquin, Compendium theologiae, c. 39: „Quomodo verbum comparatur ad patrem. In hoc autem consideranda est differentia. Nam cum id quod intellectu concipitur, sit similitudo rei intellectae, eius speciem repraesentans, quaedam proles ipsius esse videtur. Quando igitur intellectus intelligit aliud a se, res intellecta est sicut pater verbi in intellectu concepti; ipse autem intellectus magis gerit similitudinem matris, cuius est ut in ea fiat conceptio. Quando vero intellectus intelligit seipsum, verbum conceptum comparatur ad intelligentem sicut proles ad patrem. Cum igitur de verbo loquamur secundum quod Deus se ipsum intelligit, oportet quod ipsum verbum comparetur ad Deum, cuius est verbum, sicut filius ad patrem.“ 91 Vgl. bes. Thomas von Aquin, Contra gentiles, l. 4, c. 11, n. 19: „Cum autem processio verbi secundum hoc dicta sit esse quod Deus seipsum intelligit; ipsum autem divinum intelligere non est per aliquam virtutem passivam, sed quasi activam, quia intellectus divinus non est in potentia, sed actu tantum: in generatione verbi Dei non competit ratio matris, sed solum patris. Unde quae in generatione carnali distinctim patri et matri conveniunt, omnia in generatione verbi patri attribuuntur in sacris Scripturis: dicitur enim pater et dare filio vitam, et concipere et parturire.“ Vgl. auch Super Sent., lib. 1, d. 7, q. 1, a. 1, arg. 3/ad 3. In der theologischen Summe ist diese Begründung der Vaterschaft gegenüber der Mutterschaft nicht mehr zu finden.
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tion, während das Erkannte die Rolle eines zeugenden Vaters einnimmt. In der Selbsterkenntnis des Geistes ist es umgekehrt: Hier verhält sich der Begriff gegenüber dem zeugenden Intellekt „wie das Kind zum Vater“. Da die göttliche Erkenntnis, aus welcher der Logos hervorgeht, ganz und gar Selbsterkenntnis ist, ist es angemessen, hier von der „Zeugung“ eines „Sohnes“ durch den „Vater“ zu sprechen. Dieser Hervorgang ist durch höchste Ähnlichkeit (sprich: Wesensgleichheit) zwischen Hervorbringendem und Hervorgebrachtem charakterisiert 92 – das macht sein Proprium als Zeugung aus und unterscheidet ihn zugleich vom zweiten Hervorgang, der Hauchung des Geistes durch Vater und Sohn „per modum amoris“. Dort resultiert zwar ebenfalls faktisch eine vollkommene Ähnlichkeitsbeziehung wesensgleicher Personen, die aber nicht formales Bestimmungsmerkmal dieses Hervorgangs ist. 93 Nicht ausdrücklich rezipiert wird bei Thomas im trinitätstheologischen Kontext der bei Anselm zu findende Rekurs auf die größere Ähnlichkeit des Sohnes mit dem Vater im Vergleich zur Tochter, obwohl das Argument unausgesprochen weiter im Hintergrund stehen könnte. 94 Wenn der Aquinate, ähnlich wie zuvor Richard von Sankt Viktor, eigens darauf hinweist, dass die „generatio intelligibilis“ in Gott nicht einfachhin mit der „generatio carnalis“ im geschöpflichen Bereich identifiziert werden darf 95, unterstreicht er den analogen Charakter 92
In diesem Sinn interpretiert Thomas u. a. die biblische Formel vom Hervorgang des Sohnes „ex utero“ bzw. vom Sein „in sinu Patris“ (Contra Gentiles, lib. 4 cap. 11, n. 18; Super Io., cap. 1, l. 11). 93 Vgl. Thomas von Aquin, S. th. I, q. 27, a. 4 c.; De potentia, q. 2, a. 4 ad 7. In S. th. III, q. 32, a. 3 c. erläutert Thomas den Zeugungsbegriff nochmals sehr ausführlich, um die These abzuweisen, dass der Heilige Geist aufgrund seiner aktiven Rolle bei der Erzeugung der menschlichen Natur Jesu in der Inkarnation „Vater Christi“ genannt werden dürfe. Die Bezeichnung kommt allein dem göttlichen Vater kraft der ewigen Zeugung des Sohnes zu; bei der Hervorbringung der menschlichen Natur durch den Heiligen Geist wird dagegen keine formale Ähnlichkeitsbeziehung konstituiert (vgl. auch ebd. ad 1). 94 In einem anderen Kontext (der Ehelehre) zitiert auch Thomas dieses Prinzip: Super Sent., lib. 4, d. 36, q. 1, a. 4, arg. 3. Wenn man es auch in der Trinitätslehre als unausgesprochene Prämisse ansetzt, wird der bei Davies, Thomas Aquinas’s Summa Contra Gentiles, 317, notierte Befund besser erklärbar, dass Thomas bei seiner Rede von Gottes „Vaterschaft“ offenbar überhaupt nicht in Erwägung zieht, dass Väter nicht nur Söhne, sondern auch Töchter haben können. 95 Vgl. Thomas von Aquin, Compendium theologiae, c. 40.
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aller diesbezüglichen Aussagen in der Trinitätslehre. Dennoch sollte man die Bedeutung seiner Aussagen über Vaterschaft und Sohnschaft in Gott im Hinblick auf die gleichnamigen kreatürlichen Realitäten nicht unterschätzen. Thomas zitiert in seinen Werken wiederholt die Aussage des Epheserbriefs über den „Vater unseres Herrn Jesus Christus, von dem her jede Vaterschaft im Himmel und auf der Erde benannt wird“ (Eph 4,13, Vulg.). In seiner Interpretation bedeutet dieser Satz, dass „die Begriffe ‚Zeugung‘ und ‚Vaterschaft‘, wie auch andere Begriffe, die in eigentümlicher Weise von Gott ausgesagt werden, dem Bedeutungsgehalt nach, wenn auch nicht der Weise des Bedeutens nach, früher von Gott als von den Kreaturen ausgesagt werden“ 96. Ähnlich äußert er sich über die Sohnschaft. 97 „Vaterschaft“, „Sohnschaft“ und „Zeugung“ in Gott sind also die mit diesen Termini bezeichneten Wirklichkeiten in reinster, urbildhafter Form, 96
Thomas von Aquin, S. th. I, q. 33, a. 2 ad 4: „nomen generationis et paternitatis, sicut et alia nomina quae proprie dicuntur in divinis, per prius dicuntur de Deo quam de creaturis, quantum ad rem significatam, licet non quantum ad modum significandi. Unde et apostolus dicit, ad Ephes. III, flecto genua mea ad patrem domini nostri Iesu Christi, ex quo omnis paternitas in caelo et in terra nominatur. Quod sic apparet.“ Vgl. Super Eph., cap. 3, l. 4: „Unde hoc nomen paternitas, secundum quod significat conceptionem intellectus nominantis rem, sic per prius invenitur in creaturis quam in Deo, quia per prius creatura innotescit nobis, quam Deus; secundum autem quod significat ipsam rem nominatam, sic per prius est in Deo quam in nobis, quia certe omnis virtus generativa in nobis est a Deo. Et ideo dicit: ex quo omnis paternitas in caelo et in terra nominatur, quasi dicat: paternitas quae est in ipsis creaturis, est quasi nominalis seu vocalis, sed illa paternitas divina, qua pater dat totam naturam filio, absque omni imperfectione, est vera paternitas“; Super Sent., lib. 1, d. 4, q. 1, a. 1 c.; S. th. I, q. 45, a. 5 ad 1; Super De Trinitate, pr. 3. 97 Vgl. Thomas von Aquin, S. th. I, q. 33, a. 3 c.: „Manifestum est autem ex praemissis quod perfecta ratio paternitatis et filiationis invenitur in Deo patre et Deo filio, quia patris et filii una est natura et gloria. Sed in creatura filiatio invenitur respectu Dei, non secundum perfectam rationem, cum non sit una natura creatoris et creaturae; sed secundum aliqualem similitudinem. Quae quanto perfectior fuerit, tanto propinquius acceditur ad veram filiationis rationem“; III, q. 32, a. 3 c.: „Et si quidem perfecta sit similitudo, erit perfecta filiatio, tam in divinis quam in humanis. Si autem sit similitudo imperfecta, est etiam filiatio imperfecta. Sicut in homine est quaedam similitudo Dei imperfecta, et inquantum creatus est ad imaginem Dei, et inquantum creatus est secundum similitudinem gratiae. Et ideo utroque modo potest homo dici filius eius […]. Christus autem est filius Dei secundum perfectam rationem filiationis.“
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auch wenn für uns die unvollkommenen geschöpflichen Partizipationsgestalten primärer Erkenntnisgegenstand sind. Damit ist die eigentlichste (göttliche) Form von „Vaterschaft“ eine solche, die sich un- bzw. über-geschlechtlich vollzieht, in ihrer vollkommenen Aktivität keines zweiten (passiven, mütterlichen) Zeugungsprinzips bedarf und ein einziges Abbild in perfekter Ähnlichkeit hervorbringt, das sich vom Vater allein relational, aber nicht wesenhaft unterscheidet und wegen der perfekten Ähnlichkeit am angemessensten „Sohn“ genannt wird. 98 Welche Bedeutung diese Einsicht für das menschliche Selbstverständnis hat, ob und wie sie als Argument für die Bewertung und Ausgestaltung menschlicher Geschlechterverhältnisse herangezogen werden kann, steht damit noch nicht fest. Die theologische Vorgabe bietet an dieser Stelle ambivalente Rezeptionsmöglichkeiten. Während sie sich einerseits als Impuls zur Relativierung irdischer Geschlechterrollen und -funktionen vom Blick auf die transzendente Urwirklichkeit Gottes her verstehen lässt, bietet sie andererseits auch einen möglichen Ausgangspunkt, um im irdischen Bereich den (bereits naturphilosophisch begründeten) Vorrang des Vaters vor der Mutter und damit des biologischen Mannes vor der Frau zu unterstreichen. Als primäre Repräsentanten innergöttlicher Vollzüge und Relationen könnten menschliche Väter und Söhne jene Superiorität ihres Geschlechts gewissermaßen theologisch letztbegründet sehen, deren (aus heutiger Sicht falsche) empirische Begründung die Konstruktion der Analogie in ihrer scholastischen Fassung erst ermöglicht: „Vaterschaft“ und „Sohnschaft“, auf ihr metaphysisches Ur-Prinzip zurückgeführt, erweisen sich als gänzlich unabhängig von jedem „weiblichen“ Beitrag. Man erkennt hier die Instrumentalisierbarkeit des analogen theologischen Denkens, das zugleich immer auch Potentiale kritischer Infragestellung einseitiger Deutungstraditionen in sich trägt. Es ist die Aufgabe einer heutigen Inkarnationsund Trinitätstheologie, die unbestreitbaren Fakten der biblischen Of98
Wenn Davies, Thomas Aquinas’s Summa Contra Gentiles, 317, meint (mit Bezug auf Contra gentiles IV), Thomas behandle das Trinitätsthema zwar im Rahmen der aus der Bibel übernommenen geschlechtlich konnotierten Sprache, aber ohne Vorurteil in sexueller Hinsicht, lässt er die Begründungsfunktion der göttlichen Vaterschaft für die irdische außer Acht. Die von McCabe übernommene Aussage, Thomas hätte ohne Konsequenzen für seine Argumentation von „Gott, den Eltern“ statt vom „Vater“ als Zeugungsprinzip des Sohnes sprechen können, ist irritierend.
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fenbarungswirklichkeit, in deren Zentrum der männliche „Sohn“ Jesus von Nazareth im Verhältnis zu seinem göttlichen „Vater“ steht, ohne Rekurs auf fragwürdige Geschlechtertypologien zu interpretieren. 99 Im Fall des mittelalterlichen Theologen Thomas von Aquin lässt sich nicht bestreiten, dass die mit dem antiken Zeugungsbegriff eng verbundene Priorisierung des „aktiven“ männlichen Geschlechts gegenüber dem „passiven“ weiblichen bis in die Trinitätslehre und Christologie hinein ihre Spuren hinterlassen hat. 100 In beiden Bereichen lässt sich der Einfluss seiner Argumentation bei katholischen Autoren bis weit in die Neuzeit hinein nachweisen. 101
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Die mit dieser Aufgabe verbundenen Schwierigkeiten zeigen sich nicht zuletzt in Versuchen einer „trinitarischen Begründung menschlicher Sexualität“, wie sie in prominenten Entwürfen des 20. Jahrhunderts angezielt wird. Vgl. etwa Pesarchick, The Trinitarian Foundation of Human Sexuality. Über die immer wieder auch bei Thomas von Aquin ansetzende feministische Kritik traditioneller Christologie informiert Schumacher, Feminist Christologies, bes. 410–412. 100 Wie konsequent Thomas dieses Prinzip heranzieht, zeigt an anderer Stelle seine positive Antwort auf die Frage, ob ein Mensch seinen Vater mehr lieben müsse als seine Mutter: „Sed per se loquendo, pater magis est amandus quam mater. Amantur enim pater et mater ut principia quaedam naturalis originis. Pater autem habet excellentiorem rationem principii quam mater, quia pater est principium per modum agentis, mater autem magis per modum patientis et materiae. Et ideo, per se loquendo, pater est magis diligendus“ (Thomas von Aquin, S. th. II–II, q. 26, a. 10 c.). 101 Für den Bereich der Trinitätslehre vgl. nur Ruiz de Montoya, De trinitate, disp. IV, sect. 5, n. 18–29 (32b–33a; mit der interessanten Differenzierung, dass die Bezeichnung einer göttlichen „Mutter“ eher zu vermeiden sei als diejenige einer göttlichen „Tochter“, da der zweite Begriff keine Unvollkommenheit impliziere und nach den Aussagen über die göttliche Weisheit in Spr 8 als Ausdruck von „Zartheit und Wohlgefallen“ der Liebe verstanden werden könne: n. 29 [33a]); Petau [Petavius], Dogmata theologica, tom. III, De trinitate l. 5, c. 9, n. 15 (167b–168a); Contenson, Theologia mentis et cordis, l. III, c. 1, spec. 1 (333b); Scheeben, Handbuch der katholischen Dogmatik. Zweites Buch, § 122, n. 1013 (Gesammelte Schriften IV, 428 f.).
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Das männliche Geschlecht Christi in der Theologie des konfessionellen Zeitalters Anselm Schubert Zusammenfassung Während die scholastische und monastische Theologie des Mittelalters noch eine ausgedehnte Diskussion um das Geschlecht, die Männlichkeit bzw. Weiblichkeit Christi kannte, kommt es im konfessionellen Zeitalter zur ‚normativen Zentrierung‘ der Debatte auf eine unhinterfragte Männlichkeit Christi. Die Männlichkeit Christi wird sowohl in der protestantischen wie in der katholischen Theologie als Folge der biologischen, moralischen und sozialen Vollkommenheit seiner angenommenen menschlichen Natur verstanden. Wenn das Geschlecht Christi überhaupt noch diskutiert wurde, dann nur noch als Frage seiner vollkommenen Enthaltsamkeit bzw. Ehelosigkeit.
Abstract While the scholastic and monastic theology of the Middle Ages knew an extended discussion about gender, the masculinity or femininity of Christ, the confessional age shows a ‚normative Zentrierung‘ on an unquestioned masculinity of Christ. This masculinity is understood in both Protestant and Catholic theology as a consequence of the biological, moral, and social perfection of his assumed human nature. If Christ’s gender was discussed at all, it was only as a question of his perfect continence or celibacy.
Die Frage nach der Männlichkeit Christi in der Frühen Neuzeit zu stellen, heißt eine theologiegeschichtliche Fragestellung in eine geschlechtertheoretische zu überführen. 1 Dabei dürfte unmittelbar einleuchten, dass die in der Geschlechtergeschichte übliche Unterscheidung von sex und gender in Bezug auf Christus wenig Sinn hat, denn 1
Der Beitrag steht im Rahmen eines größeren Forschungsprojektes zur Gendergeschichte Christi. Die Abkürzungen richten sich nach Schwertner, IATG. Weitere Abkürzungen sind: CO = Baum, Ioannis Calvini; ZW = Huldreich Zwinglis Sämtliche Werke, hrsg. v. Emil Egli, Berlin 1905 ff.; OE = Opera omnia Desiderii Erasmi Roterodami: recognita et adnotatione critica instructa notisque illustrata, Leiden u. a., 1969 ff.
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wir haben es bei „Christus“ in der Frühen Neuzeit formaliter nicht mit einer historischen Person und ihrem biologischen oder kulturellen Geschlecht, sondern mit einer normativen Vorstellung von Menschsein und Mannsein zu tun. Die entscheidende Differenz ist dabei nicht die zwischen dem biologischen Geschlecht Christi und seiner kulturellen Überformung, sondern die zwischen der kulturellen Konstruktion seiner Geschlechtlichkeit und der kulturellen Konstruktion seiner Ungeschlechtlichkeit, wie sie in der christlichen Tradition aus seiner Göttlichkeit üblicherweise abgeleitet wurde. 2
1. Kritik der scholastischen Vernunft In der scholastischen Theologie des Mittelalters war im Rahmen der Sentenzenkommentare regelmäßig die kontrafaktische Frage traktiert worden, ob Christus auch eine Frau hätte sein können und ob er (da wesenseins mit dem Vater) wie dieser auch einen Sohn hätte zeugen müssen oder können. 3 Erst seit etwa 1520 begann die „Summa Theologiae“ die Sentenzen des Petrus Lombardus als Standardwerk der akademischen Theologie zu verdrängen. 4 Da Thomas kontrafaktische Fragen wie die Inkarnation Christi als Frau oder sein Zeugungsvermögen in der „Summa Theologiae“ nicht mehr diskutiert hatte, 5 kamen im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts auch in der katholischen Theologie entsprechende Überlegungen an ihr Ende. 6 2
Siehe dazu den Beitrag von Monnica Klöckener in diesem Band. Vgl. dazu den Beitrag von Thomas Marschler in diesem Band; grundlegend dazu Gibson, Christ, 65–82; zur Frage nach dem Verhältnis Christi zum „ehelichen Akt“ vgl. Triumphus, Summa de Potestate, 419 f. und Romanus, Quaestiones, 53–55. 4 Vgl. dazu grundsätzlich Rosemann, Mediaeval, 1–25. 5 Grundlegend zur Unio-Lehre bei Thomas und in der späteren Scholastik Kaiser, Gott-menschliche Einigung; zur Christologie auch Courth, Christologie, 28–30; Pomplun, Baroque Catholic Theologies, 104–118 und Elliott, Christology, 306–311. 6 Eine Ausnahme stellt Ägidius von Viterbo dar, der sich in seinem neuplatonisch gefärbten Sentenzenkommentar im ersten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts noch einmal ausführlich der potentia generandi Christi annahm (vgl. Viterbo, Commentary, 3 f.). Auch in der sehr konservativen spanischen Spätscholastik wurden die Sentenzen noch bis weit ins 17. Jahrhundert als Lehrbuch verwendet, obwohl man hier vor allem das erste Buch kommentierte und sich ansonsten 3
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Von humanistischer Seite aus hatte Erasmus sich bereits 1509 im „Lob der Torheit“ über Theologen lustig gemacht, die „die heiligen Geheimnisse frei aus dem Kopf erklären“ 7 und dazu vor allem Probleme der kontrafaktischen Inkarnationslehre gezählt. 8 Noch Jahre später war für ihn die Frage, ob Christus eine Frau hätte sein können, so abwegig wie die Idee, er hätte sich „als Kürbis oder als Mistkäfer“ inkarnieren können. 9 Auch in der radikalreformatorischen Tradition wurden kontrafaktische Spekulationen zum Inbegriff einer verkehrten Theologie. 1531 spottete etwa Michel Servet, wenn Gott eine zweite Person gezeugt habe, habe er wohl auch „eine Art geistliche Ehefrau gehabt oder er sei in sich selbst mannweiblich oder hermaphroditisch“. 10 Und wenn Zeugung ein Merkmal des Vaters sei, dann müsse eine solche doch wohl auch für den Sohn angenommen werden, der also selbst ebenfalls einen weiteren Sohn „herausgepustet“ habe. 11
an den Sentenzenkommentar des Durandus von St. Pourcain hielt (vgl. grundlegend Lanza/Tosté, Sentences, 416–503; zu Durandus ebd., 422–425), sodass die Frage, ob Christus auch als Frau inkarniert hätte werden können, hier vereinzelt noch bis ins 18. Jahrhundert diskutiert wurde; vgl. etwa Celaya, Scripta, fol. LVIIa; Christo, Commentariorum, fol. M2r: „Fuit congruentius ut humanam naturam assumeret sub virili sexi, qua sub foemineo, tum quia sexus masculinus est honorabilior & principalius cadens sub intentionem naturae […].“ Vgl. Ripalda, Brevis Expositio, 429: „Tamen voluissem, ut vir Deus a foemina nasceretur, ut caro etiam muliebri […] acciperetur a Verbo, & ea ratione in vtroque sexu fieret redemptio peccati.“ 7 Vgl. Erasmus von Rotterdam, Lob der Torheit, 132. 8 Vgl. ebd. 9 Vgl. Erasmus von Rotterdam, Ad Timotheum, 20,144. 10 Vgl. Servet, De Trinitatis, 39v: „Debuissent ergo dicere, quod habebat uxorem quandam spiritualem, vel quod solus ipse masculofoemineus aut hermaphroditus, simul erat pater & mater, nam ratio vocabuli non patitur, ut quis dicatur sine matre pater.“ 11 Vgl. ebd., 40v: „quod secundum Augustinum, potens est ille filius sibi filium, & patri nepotem effutire, & ex consequenti, potens est ille tertius spiritus chymeram impregnare, & prolem sufflare.“ In seiner „Christianismi Restitutio“ von 1553, 42, spottete Servet, wer solches behaupte, glaube offenbar: „Infiniti ita esse possunt aequales inuisibiles dii, iuxta totam Boccatii genealogiam.“ Zur weiblichen Inkarnation ebd., 43: „Si verbum assumpsisset faeminam [!], tunc ipsum verbum dixissent filium Dei, et ipsam foeminam filiam hominis; quae res duos filios palam ostendet. Ipse filius Dei esset tunc mulier, androgynos, masculo foemineus.“
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Die Theologie der Reformation hatte dagegen guten Grund, über die Frage des Geschlechts Christi tiefes Schweigen zu breiten: Da die Schrift das Geschlecht Christi (bis auf die knappe Erwähnung seiner Beschneidung) anscheinend nirgends thematisierte, gab es für die reformatorische Theologie keinen Anlass für entsprechende Spekulationen. Aus demselben Grund wurde umgekehrt auch an die scholastischen Traditionen zum Geschlecht Christi nicht mehr angeknüpft.
2. Die Reformatoren und das Geschlecht Christi Schon der frühe Luther hatte in seinem Sentenzenkommentar Spekulationen zum Geschlecht Christi kein Verständnis mehr entgegengebracht. 12 Die Frage nach der potentia generandi fertigte er als logischen Fehlschluss ab, 13 die Frage einer möglichen weiblichen Inkarnation Christi überging er. 14 In der reformatorischen Theologie Luthers wird die Tatsache, dass Jesus von Nazareth männlichen Geschlechtes war, stets vorausgesetzt, spielt aber keine Rolle. Details zum Körper Christi wird nur insofern Interesse entgegengebracht,
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Schon Luthers Lehrer Biel, Collectorium, 214: „Si enim sexum femineum assumpsisset, iam feminas viris praetulisset et viros sua naturali dignitate privasset“, hatte die Frage nach der Zeugungsfähigkeit und einer weiblichen Inkarnation Christi um 1490 negativ beantwortet. 13 Vgl. WA 9,37: „Qui sic cavillatur: filius habet potentiam generandi, ergo potest generare, ostendit seipsum fantastica imaginatione illudere, quia imaginatur filium et patrem esse diversos, ut sicut pater generat filium qui est unus deus, ita filius generet alium qui etiam sit unus deus, et sic jam erunt duo dii.“ 14 Den reformierten Kritikern der scholastischen Tradition entging nicht das polemische Potential, das in der kontrafaktischen Inkarnationslehre ruhte. 1580 veröffentlichte Lambert Daneau einen umfangreichen Kommentar zum ersten Buch der Sentenzen, um die mangelhafte biblische und patristische Grundlage der scholastischen Theologie nachzuweisen. Ausführlich widmete er sich der Frage nach der Zeugungsfähigkeit Christi, um zu demonstrieren, dass dabei ein logischer Fehlschluss von der Person auf das Wesen des Vaters vorliegt (vgl. Daneau, In Petri Lombardi, 130: „Ergo non animadvertit Lombardus semper sic Veteres loqui de generatione hac diuina, et eam ad personalitatem, id est, Personam Patris; non ad essentiam ipsius referant.“ Vgl. auch ebd., 129: „Neque tamen propterea est Filius imbecillior Patre, quia Pater esse non potest; vt nex Pater impotentior est Filio, quia Pater Filius esse non potest. Haes est igitur brevis solutio totius huius quaestionis“).
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als sie auf das heilsgeschichtliche Wirken Christi hinweisen. 15 Zwar gibt es in den Predigten vielfältigste Spekulationen über die Zeugung und Beschaffenheit seines irdischen Körpers und Fleisches, Beschreibungen seines Aussehens und seiner Männlichkeit fehlen aber. So beschreibt Luther anschaulich, dass Christus als Kind und als Erwachsener in allen körperlichen, geistigen und seelischen Belangen – ausgenommen die Sünde – ein normaler Mensch war 16 und wie alle anderen Jungen auch gestillt, genährt, gewickelt, beschnitten und erzogen worden sei. 17 Partiell schließt sich Luther der mittelalterlichen Tradition an, Jesus sei von besonderer Klugheit und körperlicher Schönheit gewesen. 18 Aber all diese Darstellungen illustrieren sein Menschsein nur, um seine verborgene Göttlichkeit als umso größeres Wunder zu erweisen. 19 Die konkreteste Theologie der Körperlichkeit Christi entwickelt Luther in seinen Torgauer Predigten von 1533. Hier dient ihm die Menschwerdung dazu, durch Christus alle Aspekte des menschlichen Daseins zu heiligen: „Das ist nu der gang des HERRn Christj von der geburt an durch unser gantzes leben, das er aller dinge eben gelebt und gewirckt hat wie wir, Und da mit, weil ers selbs angeruert, alles geweihet und geheiliget, das keine speise, kein essen noch trincken, kein kleid, kein schlaffen, wachen, gehen, stehen uns kan unrein machen und ein Christ nichts kan sehen, hoeren, anruren &c., dar an er sich versundige, so ferne er im glauben bleibet, Denn es ist durch jn alles 15
Zu Luthers Christologie vgl. Lienhard, Christologisches Zeugnis, und neuerdings Lugoyo, Martin Luther’s Eucharistic Christology, 267–284; zu Luthers Darstellung des historischen Jesus vgl. Loewenich, Luther als Ausleger, 132–143 und Ebeling, Evangelische Evangelienauslegung, 220–225 sowie Jürgens, Christus, 271–279; die wichtigsten Ausführungen zur Körperlichkeit des Auferstandenen finden sich in den Reihenpredigten zu Johannes 1 aus den Jahren 1530–1532 (besonders WA 33,181–191, hier: 184,26–41). 16 Zur Frage der Kindheit Jesu vgl. WA 10/I,443,17–446,4. 17 Vgl. WA 37,42,29–43,25 und WA 46,633,32–634,20. 18 Vgl. WA 10/I, 448,4–17, WA 40/II, 484,25 und WA 46,637a,18 f. 19 Vgl. Lienhard, Christologisches Zeugnis, 68; auch die Beschneidung Christi wird ganz traditionell als Vorgriff auf die zukünftige Erlösungstat Christi behandelt. Der Penis müsse beschnitten werden, da das ganze Wesen des Menschen durch das Geschlechtsorgan weitergegeben werde (WA 10/I,508,13–21). Nur in einer Predigt nimmt Luther die Beschneidung Christi zum Anlass, über das Verhältnis von Männlichkeit und Weiblichkeit nachzudenken (WA 15,808,23–809,7).
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rein worden und geheiliget mit seinen heiligen augen, mund, henden, fussen und allen gelidern, ja kleidern und alle seinem leben […].“ 20 Obwohl explizit „alle gelider“ Christi angesprochen werden und Luther betont, dass durch Jesu sündlose Geburt auch Empfängnis und Geburt gereinigt sind, 21 wird, wie Heiko Jürgens beobachtet hat, alles, was mit seiner Männlichkeit, Geschlechtlichkeit und Sexualität zusammenhängt, vollständig ausgespart. 22 Da Ehe, Sexualität und Fruchtbarkeit Luther als Teil der menschlichen Natur gelten 23 und Christus das Leben der Menschen in „allen Gliedern“ geheiligt hat, wäre es an sich konsequent, Christus auch in diesem Sinne volle Teilhabe an der menschlichen Natur zuzuschreiben. Doch Luther versteht Lust und Triebhaftigkeit des Menschen ganz traditionell als Folge der Erbsünde 24 und betont deshalb, Keuschheit und Enthaltsamkeit seien die vollkommenere, auf übernatürliche Gnade angewiesene Form menschlichen Lebens, 25 und insofern Christus als Gottes Sohn vollkommen war, eignete ihm selbstverständlich die vollkommene Lebensweise jungfräulichen Lebens. 26 Es ist allerdings erklärungsbedürftig, warum Luther diese Tatsache angesichts der überaus reichen mittelalterlichen Diskussionen zur
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WA 37,59,1–11. Vgl. WA 37,56,11–14: „Auff das er nu durch seine geburt unser unreinen empfengnis und geburt huelffe, hat er auch daran angefangen und kompt eben die selbige strasse durch die geburt und empfengnis, Also das er uns durch und durch rein mache durch seine reinigkeit, wo wir unrein sind und sein muessen […].“ 22 Vgl. Jürgens, Christus, 277. 23 Vgl. WA 42,89b,1–5: „Ac si Adam in statu innocentiae permansisset, fuisset haec consuetudo mariti et uxoris suavissima. Ipsum opus generationis quoque fuisset sanctissimum et reverendum. Non fuisset ille pudor ex peccato natus, qui nunc est, quod Parentes tum coguntur se abdere in tenebras. Non minor fuisset in concumbendo honestas, quam est in capiendo somno, cibo, potu cum uxore.“ 24 Vgl. WA 42,88b,4–14. 25 Die ausführlichsten Darlegungen dazu finden sich in den Reihenpredigten zu Mt 19 aus den Jahren 1537 bis 1540 (etwa WA 47,319,33–326,27). Das Verschnittensein um des Himmelreiches Willen setzt Luther mit der Gabe der Keuschheit gleich (WA 47,322,39–40), doch „[d]rumb so sej es gahr nicht zu rathen, das man predige, es sej nicht guth ehelich zu werden, den diese Gabe ist nicht einem jeden verliehen keusch zu leben, den es ist eine sonderliche gabe.“ (WA 47,322,8–11). 26 Vgl. WA 47,325,28. 21
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Keuschheit Christi kaum je thematisiert. 27 Möglicherweise hat Luther nicht nur die Treue gegen den Bibeltext, der zum Thema schweigt, davon abgehalten, das zölibatäre Leben Christi zu thematisieren, sondern auch die Sorge, damit die reformatorische Ablehnung des Pflichtzölibates zu unterlaufen. 28 Vor diesem Hintergrund erstaunt es, dass Luther sich kurz vorher an anderer Stelle explizit über die Sexualität Christi geäußert haben soll. In einer Tischrede aus dem Frühjahr 1532 behauptete er, Jesus habe mehrfach Unzucht getrieben, sowohl mit der Samariterin, als auch mit „Magdalena“ und der Ehebrecherin aus Joh 8, die er „so leicht davon lies. Also mus der from Christus auch am ersten ein ehbrecher werden, ehe er starb.“ 29 In der katholischen Kontroverstheologie wurde diese Äußerung als Beweis für die moralische Depravation der lutherischen Theologie, 30 von liberalen Theologen als Beweis für die wahre Menschlichkeit Jesu 31 und von Leo Steinberg 1983 als ironischer Scherz Luthers verstanden. 32 Dabei hatte Arthur Carl Piepkorn bereits 1954 darauf hingewiesen, dass das hyperbolische Argument vor dem Hintergrund von Luthers Galatervorlesung aus dem selben Jahr zu sehen ist: hier macht Luther deutlich, dass Christus – indem er die Sünden aller Menschen auf sich nimmt – im übertragenen Sinne selbst zum Sünder wird. 33 Die Rede vom „Christus adulter“ ist hier keineswegs eine Thematisierung der Männlichkeit und 27
So etwa in der Obrigkeitsschrift WA 11, 258,20–34 oder in WA 30/ III,503,14; ansonsten dazu knapp in den Tischreden WATr 4, 162 (Nr. 4138). 28 Vgl. dazu Schmidt-Funke, appetitus, 183–193; zur Ehelehre der frühen Reformation vgl. Plummer, Priest’s Whore. 29 WA TR 2,107,21–25, Nr. 1472. 30 Vgl. Piepkorn, Did Luther teach, 417–443; so auch Salmeron, Commentarii, 319. 31 Vgl. Phipps, Sexuality of Jesus. 32 Steinberg (1996), Sexuality of Christ, 144. 33 Vgl. WA 40/I,433b,22–33: „Nos enim sumus peccatores et latrones, ideo rei sumus mortis et aeternae damnationis. Sed Christus in sese recepit omnia peccata nostra et pro illis in cruce mortuus est. Ideo oportuit illum fieri latronem et, ut Esaias ait Cap. 53. ‚reputari inter latrones‘. Et hoc viderunt omnes Prophetae, quod Christus futurus esset omnium maximus latro, homicida, adulter, fur, sacrilegus, blasphemus etc., quo nullus maior unquam in mundo fuerit, Quia iam non gerit personam suam, Iam non est natus de virgine Dei filius, sed peccator, qui habet et portat peccatum Pauli qui fuit blasphemus, persecutor et violentus; Petri qui negavit Christum; Davidis qui fuit adulter, homicida et blasphemare fecit Gentes nomen Domini; In summa, qui habet et portat omnia omnium
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Sexualität Jesu, sondern Ausweis seines soteriologischen Werkes sub contraria specie. Die Körperlichkeit des irdischen Jesus spielt in der Theologie Luthers eine geringe, die Vorstellung seiner Männlichkeit, gar Geschlechtlichkeit schlichtweg keine Rolle. Fast völliges Schweigen über die Männlichkeit Christi wahrt auch Huldrych Zwingli. In seinem Werk spielt die Tatsache, dass Christus männlichen Geschlechtes ist, nicht einmal bei der Beschneidung Christi eine Rolle. 34 Zwingli beschäftigt sich mit der Frage der Ehelosigkeit, doch die Ehelosigkeit Christi wird nirgends thematisiert. 35 Dieses Schweigen dürfte vor allem damit zu tun haben, dass Zwingli in seiner Christologie die menschliche und die göttliche Natur in der Person Christi so deutlich unterschied, 36 dass gelegentlich sogar der Eindruck entsteht, dass Christus als Mensch das eine, und als Gott das andere wisse und tue. 37 Die Unterscheidung beider Naturen hätte den Weg frei machen können zu einer theologischen Beschäftigung mit der Körperlichkeit Christi, doch bei Zwingli wird die Person Christi zur bloßen Typologie seines Werkes. 38 Mit der weitgehenden Ausblendung der Menschlichkeit Christi rücken bei Zwingli Fragen nach der Männlichkeit oder Geschlechtlichkeit Christi gänzlich aus dem Blickfeld. 39 Kaum mehr erfahren wir bei Johannes Calvin. 40 Dass wir überhaupt etwas hören, hat seinen Grund darin, dass Christus – ganz peccata in corpore suo. Non quod ipse commiserit ea, sed quod ea a nobis commissa susceperit in corpus suum, pro illis sanguine proprio satisfacturus.“ 34 Vgl. ZW III,688,35–37; nur im Kommentar zum Lukasevangelium konzediert Zwingli, dass eine Beschneidung des Penis als „frivola et stulta res“ (XVIII,30,32) erscheinen könne, doch diene dies dazu, die Gebote Gottes allen Sinnesorganen einzuprägen. 35 Vgl. ZW XIX,200,30–201,13. 36 Zur Christologie Zwinglis vgl. Locher, Grundzüge, 208–215 und davon weitgehend abhängig Stephens, Theology, 111–118 sowie Campi, Zwingli, 35–44. 37 Beispiele bei Stephens, Theology, 117. 38 Vgl. ZW III,691,2. 39 Vgl. die Ausführungen zur Geburt Christi in ZW XVIII,28,12–24. 40 Zur Christologie Calvins vgl. Edmondson, Calvin’s Christology, vor allem 182–190, und neuerdings Zachman, Christology, 284–296; zur Frage der Menschlichkeit Christi bei Calvin vgl. Dominicé, L’humanité und ders., Christusverkündigung, 238–244 sowie Schellong, Calvins Auslegung, 160– 164, und Willis, Calvin’s Christology, 78–82; zur Frage von Ehe, Sexualität und Geschlechtlichkeit bei Calvin vgl. grundsätzlich Bieler, L’homme.
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klassisch – auch bei Calvin den Menschen nur von dem befreien kann, worin er auch selbst versucht worden ist. 41 Gerade deshalb muss Calvin freilich stets betonen, dass Christus zwar auch ein vollständiger Mensch gewesen, aber in aller Anfechtung unbefleckt geblieben sei. 42 Daraus erhellt wiederum, dass die Ehelosigkeit Christi nicht eigens thematisiert wird. 43 Wie irrelevant die Tatsache, dass Christus männlichen Geschlechtes war, für Calvin ist, zeigt sich etwa an seiner Behandlung von Eph 4,13, wo in Aussicht gestellt wird, dass die Gläubigen in Christus „zu einem vollkommenen Mann“ („in virum perfectum“) werden: Calvin bezieht die hier gemeinte Männlichkeit interessanterweise nicht auf das biologische Geschlecht, sondern auf die Vollendung des Alters („plena aetas in Christo“). 44 Gerade wegen dieser Zurückhaltung ist es auffällig, dass Calvin sich in seinem berühmten Reliquientraktat von 1543 als einziger der Reformatoren zur Reliquie der Vorhaut Christi in der Abtei von Charroux geäußert hat. 45 Calvin stellt freilich weniger die Möglichkeit als die Authentizität der Reliquie in Frage: in der Schrift werde nichts von ihr berichtet, sie sei erst seit dem 5. Jahrhundert bekannt, und werde zudem an verschiedenen Orten verehrt. Da Christus aber sicher nicht mehr als eine Vorhaut besessen habe, sei der Anspruch der Mönche eine „faulseté toute manifeste“. 46 Interessant ist die sich hier zeigende Verschiebung des Sagbaren: Anders als Kritiker der Neuzeit empfindet Calvin die Vorstellung einer Vorhautreliquie keineswegs per se als problematisch. 47 Dass Christus eine Vorhaut besessen hatte, war biblisch belegt und derartig tief in die Tradition von der sünd41
Von daher erklärt sich, vgl. CO 45,80, Nr. 21, Calvins Erklärung der Beschneidung Christi als Gehorsam gegen das Gesetz (Gal 4,4); es ist die Anwendung des Gesetzes auf seinen Körper, die die Beschneidung mit der Kreuzigung verbindet und durch die er die Menschen vom Gesetz befreit hat. 42 Vgl. CO 45,720: „Non in nobis ideo nullus vitium affectus caret, quia omnes modum ac rectum temperamentum excedunt: Christus autem tristitia et metu sic turbatus fuit, ut tamen adversus Deum non insurgeret: sed maneret compositus ad veram temperamentiae regulam. […] Teneatur ergo hoc discrimen, Christum in metu et tristitia infirmum fuisse absque ulla vitii macula; nostros autem omnes affectus quia in excessum ebulliunt, esse vitiosos.“ 43 In CO 45,532–534 stellt Calvin Ehelosigkeit als besondere Gnadengabe dar. 44 CO 51,200. 45 Vgl. seinen „Traité des reliques“ in CO 6, 409–452. 46 Ebd. 47 Vgl. etwa Müller, Hochheilige Vorhaut, 39–43.
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losen Person Christi eingebettet, dass sich blasphemische Assoziationen offenbar von vornherein verboten. 48
3. Die katholische Kirche und das Präputium Christi Tatsächlich distanzierte sich jedoch auch die katholische Kirche im Laufe des 16. Jahrhunderts theologisch und institutionell zunehmend von der Reliquie der Vorhaut Christi. 49 Im Mittelalter hatte sich um diese Reliquie (vor allem in Rom, Antwerpen und Charroux) ein eingeschränkter Kult entwickelt, denn die theologische Frage, ob es eine Vorhautreliquie überhaupt geben könne, blieb offen: musste Christus sie in seiner Auferstehung nicht wieder an sich genommen haben? Und wenn ja, wie sollte man sich das vorstellen? Und wie konnten dann entsprechende Reliquien auf der Erde zurückgeblieben sein? Mit Blick auf die Visionen der Hl. Birgitta, der um 1370 in einer himmlischen Offenbarung die Echtheit der im Lateran aufbewahrten Reliquie versichert worden war, verteidigten die meisten Theologen des 15. und der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts die Echtheit der römischen Reliquie im Gegensatz zu den Reliquien in Antwerpen und Charroux. 50 Die Situation gewann an Eindeutigkeit, als die Vorhautreliquien in Antwerpen und Charroux in den calvinistischen Bilderstürmen der 1560er Jahre verloren gingen. 51 Auch die römische 48
Blasphemie beginnt bei Calvin bezeichnenderweise erst mit einer anderen Reliquie – dem Abdruck des Gesäßes Christi („la forme de ses fesses“), der angeblich in Reims gezeigt werde; solches sei derart gotteslästerlich, dass er es nicht wage, Genaueres zu sagen (vgl. Calvin, CO 6,430: „Ce blaspheme est si execrable que i’ay honte d’en plus parler“). Die Grenze des Sagbaren macht sich für Calvin freilich nicht am Körperteil, sondern an seiner Schriftwidrigkeit fest. 49 Die ältere Literatur zur Vorhautreliquie bei Müller, Hochheilige Vorhaut; umfassend, aber im Detail unzuverlässig Palazzo, The Veneration, 155–176; zuverlässiger aus mediävistischer Sicht dagegen Lützelschwab, Heilsvermittlung, 601–828. 50 Nur wenige leugneten sie (so Medina, Expositio, q. 54 art. 2) andere spekulierten, dass es mehrere Vorhäute geben oder die Vorhaut (wie Christus selbst) an verschiedenen Orten gleichzeitig sein könne. Biel, Collectorium, IV d 44 q 1, schloss in seinem Sentenzenkommentar nicht aus, dass die Vorhaut an verschiedenen Orten gleichzeitig sein könne. 51 Zu Antwerpen vgl. ASS, Bd. 1, 1643, 6; zu Charroux vgl. Lützelschwab, Heilsvermittlung, 618; die anders lautende Behauptung von Müller, Hoch-
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Reliquie war in der Sancta Sanctorum der Lateranbasilika der öffentlichen Verehrung praktisch völlig entzogen. Interessanterweise wurde jedoch bald behauptet, auch sie sei durch Gewalteinwirkung von Protestanten verloren gegangen: Kardinal Francisco Toledo (1532–1596) behauptete in seinem 1600 posthum erschienenen Lukaskommentar, sie sei bei der Plünderung Roms 1527 von einem deutschen Soldaten aus der Sancta Sanctorum gestohlen und zusammen mit anderen Reliquien in Calcata, einem kleinen Bergdorf nördlich Roms, vergraben worden. 52 Nachdem sie Oktober 1557 wiedergefunden worden sei, sich 1559 mehrere Wunder ereignet hätten und die Angelegenheit geprüft worden sei, sei die Verehrung der Vorhaut in Calcata kirchlicherseits anerkannt worden. 53 Interessanterweise handelt es sich dabei aller Wahrscheinlichkeit nach um eine erfundene Tradition, denn die römische Reliquie blieb in Wirklichkeit bis Anfang des 20. Jahrhunderts im Lateran. 54 Deshalb ist es bemerkenswert, dass die Päpste den Kult in Calcata nicht verhinderten, indem sie seine Unrechtmäßigkeit festgestellt oder aber die Reliquie zurückgefordert hätten. Die Gründe dafür sind unklar, aber nach dem Untergang des Kultes in Antwerpen und Charroux, stellte das römische Exemplar tatsächlich die letzte der etablierten Vorhautreliquien dar. Indem man den Kult in der Nähe Roms duldete, ermöglichte man einerseits die weitere Verehrung der Reliquie,
heilige Vorhaut, 105, wird durch die angegebene Stelle bei Thiers, Traite, 109 nicht gedeckt! 52 Die Geschichte wird erstmals erzählt bei Toledo, Commentarij, 250–252. 53 Vgl. ebd. 54 Zeitgenössische Quellen sind nicht erhalten. Wie Grisar, Christusreliquie, 120 bemerkt, stellt sich auch die Frage, warum die Päpste die Translation der einzigen Primärreliquie Christi aus dem Schatz der Laterankirche nicht nur akzeptierten, sondern auch keinerlei Versuch machten, die Reliquie zurückzugewinnen. Einem Verehrer der römischen Reliquie wie Salmeron, Commentarii, 319–322 war um 1560 die angebliche Translation nach Calcata noch ebenso unbekannt wie Suárez, Commentaria, 415. Die wohl um 1600 entstandene ausführlichste Darstellung von Rocca, Thesaurus, 247–252, distanziert sich mit einem „dicitur“ (250) von Calcata. 1905 stellte sich bei der Öffnung der Sancta Sanctorum heraus, dass das Reliquienkreuz, in dem der Tradition nach die Vorhaut aufbewahrt wurde, unversehrt war, eine Plünderung der Sancta Sanctorum und damit die Entwendung der Reliquie also höchstwahrscheinlich gar nicht stattgefunden hatte (vgl. Grisar, Christusreliquie; dazu die Darstellung bei Noreen, Holy of Holies, 520–546).
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konnte sich aber zugleich von einer Reliquie distanzieren, die theologisch weiterhin zweifelhaft blieb. Was die Möglichkeit einer Vorhautreliquie betraf, so wurde die Meinung des Francisco Suarez maßgeblich, der 1605 behauptete, die Vorhaut gehöre zur Vollkommenheit des auferstandenen Christus, weshalb er mit einer Vorhaut auferstehen werde. Diese müsse aber nicht materialiter mit der dem Jesuskinde abgenommenen identisch sein, sondern könne auch aus der körperlichen Substanz des Auferstandenen ergänzt werden, weshalb es durchaus glaubwürdig sei, dass die Vorhaut zur Verehrung auf Erden zurückgeblieben sei. 55 Von protestantischer Seite hielt sich die Polemik interessanterweise in Grenzen. Da die Schrift zur Frage schwieg, was mit der Vorhaut Christi geschehen sei, war man gezwungen, zu rationalen oder historischen Argumenten Zuflucht zu nehmen. 56 So beschränkten sich die meisten protestantischen Theologen wie Calvin darauf, den Reliquienkult insgesamt abzulehnen 57 und konstatierten betreffs der 55
Vgl. Suárez, Commentaria, 255; so auch die Annahme von Rocca, Thesaurus, 150–151, und Collius, De sanguine Christi, 846. Andere begründeten die Existenz der Reliquie umgekehrt damit, Christus werde überhaupt nicht mit Vorhaut auferstehen: 1646 betonte Kardinal Juan de Lugo, Disputationes, 241, die Vorhaut, die dem kleinen Kind abgenommen wurde, wäre für den ausgewachsenen Christus ohnehin nicht groß genug (so auch Serry, Exercitationes, 230–232)! Freilich blieb der Ort der Reliquie umstritten: Calcata erlangte trotz der Versicherungen Kardinal Toledos keineswegs unangefochtene Anerkennung. Salmeron, Suárez und Rocca sprachen sich weiterhin für den Lateran aus, die Bollandisten favorisierten in den Acta Sanctorum 1643 weiterhin Antwerpen, der Jesuit Johannes Ferrandus, Disquisitio Reliquiaria, 17, erklärte die Vorhaut an allen Orten für echt, denn entweder habe Gott die Reliquie auf wunderbare Weise vermehrt oder aber es würden ohnehin nur Teile der Nabelschnur Christi verehrt (!). Solche Argumente erklären vielleicht die skeptische Haltung des Dominikaners Serry, Exercitationes, 232, der die ganze Lehre für scholastischen Unfug („nugae“) hielt. 56 So antwortete der Heilsbronner Abt Johannes Meelführer, Vindiciarum Evangelicarum, Nr. XLV, auf die scholastische Frage, warum Christus ein Glied besessen habe, wenn er doch aufgrund des ewigen Ratschlusses nicht zur Fortpflanzung des Menschengeschlechts geboren sei, ausgerechnet mit dem Argument, „quasi istius membri non sit alius usus & necessitas in corpore humano.“ 57 Obwohl Luther sich in seinem Spott über die Papstkirche und im Benennen körperlicher Vorgänge ansonsten kaum Schranken auferlegt (vgl. dazu Roper, Der feiste Doktor und dies., Luther, 364–368), lässt er gegenüber der Vorhautreliquie größte Zurückhaltung walten. Abgesehen von einem handschriftlichen Verweis auf die Vorhautreliquie (in WA 30/II, 254 wird neben „vnnser lieben
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Vorhaut Christi allenfalls knapp die Widersprüchlichkeit der Überlieferungen. 58 Spätestens Ende des 17. Jahrhunderts war klar, dass die Frage nach der Echtheit der Vorhautreliquie nur ein historisch zu lösendes Problem war. 59 Die ausführlichste Untersuchung hierzu stellte der Nürnberger Theologe Carl Christian Hirsch an, der zu dem erstaunlichen Ergebnis kam, die Vorhaut Christi sei auf Erden nicht erhalten, weil die Juden die Vorhäute nicht aufzuheben pflegten 60 und (!) Christus sie in der Auferstehung ohnehin wieder an sich genommen habe! 61 Die Gründe, warum die katholische Kirche in der Frühen Neuzeit diese Reliquie räumlich und theologisch marginalisierte, sind unklar. Einerseits war der Kirche durch die Hl. Birgitta die Verehrung der Vorhaut explizit aufgetragen worden, 62 andererseits hatte das Konzil von Trient die Verehrung von „lascivia“ ebenso explizit verboten. 63 Die Marginalisierung der Vorhautreliquie offenbart demnach wahrscheinlich am ehesten eine diskursive Verschiebung im Bereich des Sagbaren und in der Wahrnehmung von Körperlichkeit: während für Calvin die Vorstellung einer Vorhautreliquie an sich noch unproblematisch war, wurde sie im weiteren 16. Jahrhundert zu einem Gegenstand, von dem man befürchtete, er könne in der gelebten Frömmigkeit Anlass zu Missverständnissen oder Blasphemien geben. Selbst frauen milch; Josephs hosen; Sannt Franciscus Niderclaid; des weinß ein gleßlein vol, den Cristus auß wasser zu Cana galilea gemacht &c.“ auch „die furhaut der beschneidung Cristi“ als falsche Reliquie genannt), der jedoch nicht gedruckt wurde, findet sich im gesamten Werk Luthers kein Hinweis auf den mittelalterlichen Kult um die Vorhaut Christi (vgl. ebd., 349–350b). Die Zurückhaltung Luthers fällt umso mehr auf, als andere Reformatoren gerade diesen Kult für besonders lästerlich hielten (vgl. dazu Clemen, Seltsame Christusreliquie, 137–144 und Thompson, „So Ridiculous a Sign“, 236–256; zur Kritik eines Johann Gerhard vgl. Gerhard: Confessio Catholica, Art X Cap. III.). 58 Gerhard, Confessio Catholica und Rivet, Apologia, 134; Meelführer, Vindicarium Evangeicarum, Nr. XLVII. 59 So in den kurzen und rein historisch auf die Widersprüche in der Überlieferung hinweisenden Dissertationen von Koeber, Dissertatiuncula, und Hirsch, Historia Critica, 787–849. 60 Vgl. Hirsch, Historia Critica, 836. 61 Vgl. ebd., 839 f. 62 Vgl. Bergh/Aili (Hrsg.), Revelaciones, VI,4: „O Roma, o Roma, si scires, gauderes vtique, ymmo si scires flere, fleres incessanter, quia habes thesaurum michi carissimum et non honoras illum.“ 63 Vgl. Guibert, Documenta, 394.
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wo man vorübergehend an mittelalterliche Traditionen anknüpfte und von der Echtheit der Reliquie ausging, war sie nun aller brautmystischen Kontexte entkleidet. Selbst Alfonso Salmeron, der ins Gedächtnis rief, dass Katharina von Siena die Vorhaut noch als Ehering verstanden habe, 64 verstand diese nicht als Beweis seiner Männlichkeit, sondern als Metonymie des Erlösungswerks. 65 Als Zeichen der Männlichkeit, Geschlechtlichkeit oder gar Sexualität Jesu begegnet sie in der katholischen Theologie der Frühen Neuzeit nirgends.
4. Keuschheit und Schönheit Christi in der konfessionellen Theologie Denn dass Christus keusch und jungfräulich gelebt hatte, war für katholische und protestantische Theologen des konfessionellen Zeitalters so selbstverständlich, dass die Kontroversisten immer wieder erstaunt bemerkten, dies werde auch vom Gegner nicht in Frage gestellt. 66 Francisco Suarez (1548–1617), der bedeutendste katholische Theologe der Gegenreformation, behandelte in seinem umfangreichen Werk die Keuschheit Christi im Rahmen seiner ausführlichen Behandlung der monastischen Gelübde: Nicht nur gelte, dass Christus stets heilig und auch keusch gelebt habe, ja überhaupt erst die Keuschheit als Zeichen geistlicher Vollkommenheit eingeführt habe. 67 Suarez stellt sogar die Frage, ob nicht Christus auch selbst im geistlichen Stande gelebt habe. 68 Dass er entsprechende Gelübde abgelegt habe, verneint Suarez für den Gehorsam, 69 hält es bei Armut
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Vgl. Salmeron, Commentarii, 320. Insofern ist Walker Bynum, Fragmentierung, 61–109 darin zuzustimmen, dass die Geschlechtsorgane Christi nicht primär sexuell verstanden wurden. Ob dies aber, wie sie behauptet, darauf zurückzuführen sei, Geschlechtsorgane seien im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit weniger sexuell konnotiert gewesen als in der Neuzeit, dürfte zweifelhaft sein. Wie Simons, Sex of Men, gezeigt hat, war das männliche Geschlecht in der Frühen Neuzeit prinzipiell mit den gleichen Konnotationen aufgeladen wie heute. 66 Suárez, Commentaria in Tertiam Partem, 415: „ne haeretici quidem in dubium unquam vocarunt.“ 67 Vgl. ebd. 68 Vgl. ebd. 69 Vgl. ebd. 65
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und Keuschheit aber für wahrscheinlich. 70 Christus sei deshalb ein noch leuchtenderes Beispiel gottgeweihter Keuschheit als die Heilige Jungfrau, da ihre Keuschheit nur durch ihn veranlasst sei. 71 Die Lutheraner verhandelten die Keuschheit Christi naheliegenderweise nicht bei den geistlichen Gelübden, sondern im Rahmen der Ehelehre, standen genau damit aber vor einem Problem: aufgrund ihrer Erbsündenlehre hielten sie mit Martin Luther völlige Keuschheit für eine Unmöglichkeit bzw. für einen Zustand, der nur durch besondere, gnadenhafte Unterstützung Gottes zu erreichen sei. 72 Der Zölibat war deshalb eine nicht im Prinzip, sondern nur im Einzelfall gutzuheißende Sache. Dass Christus sich dieser besonderen Gnade erfreut hatte, stand etwa auch für Johann Gerhard (1582– 1637) fest. In seinen „Loci Theologici“ (1610–1622) betonte er schmallippig, Christus sei nicht „zur Mehrung, sondern zur Erlösung des Menschgeschlechtes gekommen“. 73 Genauso sicher war für ihn freilich auch, dass Christus den Zölibat „nicht vorgeschrieben oder befohlen, sondern ihn denen freigestellt hat, die mit der Gabe der Keuschheit versehen sind“ 74 und ansonsten jedem geraten habe, den Weg zu wählen, den man als die geringere Beschwerung des Gewissens ansehe. Dass ein protestantischer Theologe wie Johann Gerhard der Ehelehre fast 700 Seiten, der Keuschheit Christi dabei aber nur wenige Zeilen widmete, lag wohl auch daran, dass sie aufgrund des Schriftbefundes zwar völlig unstrittig, im Rahmen des lutherischen
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Auch wenn Schrift und Tradition nichts dazu sagten, sei es doch wahrscheinlich (Suárez, Commentaria in Tertiam Partem, 416), dass „Christum in primo instante conceptionis suae, se voto consecrasse Deo ad redimendos homines, et in hunc fines omnes actiones et passiones vitae suae voto obtulisse, erit igitur enim probabile perpetuae virginitatis votum Deo nuncupasse.“ 71 Vgl. Suárez, Commentaria in Secundam Secundae, 690: „[…] tanquam rem suae divinae personae maxime decentem illam assumpsit, et a principio conceptionis suae immutabili decreto firmavit; tum etiam quia ipsumet votum B. Virginis ab ipso Christo duxit originem, et in illius honorem et praeparationem inspiratum et dicatum est.“ 72 Siehe oben, S. 246. 73 Gerhard, Locorum Theologicorum, 6: „Christus nuptiis in Cana Galilaea interfuit, sed uxorem non duxit, neque enim ad generationem, sed ad generis humani redemptionem venerat.“ 74 Vgl. ebd.: „[…] non praecipit atque imperavit Christus coelibatum, sed liberum relinquit illis, qui continentiae dono instructi sunt […].“
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Ehebildes, das sich ja explizit für die Priesterehe aussprach, aber auch hochproblematisch war. Auch wenn kaum eine Frage zwischen Katholiken und Protestanten so umkämpft war wie die Frage des Priesterzölibates 75 – dass der Gottessohn zölibatär gelebt hatte, war völlig unstrittig. Dass die evangelische Theologie den sich für sie daraus ergebenen Zielkonflikt nicht thematisierte, kann man nachvollziehen. Dass aber auch die katholische Theologie diese argumentative Inkonzinnität ihres Gegners nicht ausnutze, erstaunt. Dagegen wurde immer wieder behauptet, Christus habe eine besondere, männliche Schönheit geeignet. Schon in mittelalterlichen Psalmenkommentaren war kontrovers diskutiert worden, ob Christus (mit Ps 45,3) der schönste aller Menschen oder umgekehrt (mit Jes 53,2) unansehnlich und ungestalt gewesen sei. 76 Eine seit der Antike gewählte Lösung bestand darin, die Schönheit Christi seiner göttlichen Natur und seine Unansehnlichkeit der menschlichen Natur zuzuschreiben, so schon Tertullian, Hieronymus oder Basilius von Caesarea. 77 1590 führte Francisco Suarez als erster Ciceros 78 terminologische Unterscheidung zwischen „dignitas“, der ureigenen männlichen Schönheit, und „venustas“ als weiblicher Schönheit in die Debatte ein: Suarez betonte, mit der menschlichen Natur habe Christus auch „die vollkommene körperliche Schönheit angenommen“, die einem männlichen Körper eigen sein könne. 79 Diese Schönheit be75
Vgl. nur die ausführliche Bibliographie Roskovanyi, Coelibatus, Bd. IV sowie die Ergänzungen in Bd. VI und VII. 76 So auch Florenz, Summa Sacrae Theologiae, 308, Titulus 50, Cap. IX; die ausführlichste Darlegung der Debatte findet sich bei Sotomayor, Cantici canticorum, 469–480; vgl. auch die vielfältigen Stellenangaben in der 1635 eigens dem Thema gewidmeten Disputation von Torres, Vtrum Christus Dominus, 211–218. 77 Vgl. die Nachweise bei Torres, Vtrum Christus Dominus. 78 Vgl. Cicero, De Officiis 1,30. 79 Suárez, Commentaria in Tertiam Partem, 173: „assumpsisse Christum perfectam corporis pulchritudinem, quam in corpore humano, ac virili esse oportebat.“ Vollkommenheit, Schönheit und Männlichkeit der von Christus angenommenen menschlichen Natur bedingen sich gegenseitig: in Christi Leib sei eine so vollkommene Ausgewogenheit der Säfte und Temperamente gewesen, dass er – wenn er nicht früh eines gewaltsamen Todes gestorben wäre – niemals krank geworden, sondern im hohen Greisenalter aufgrund des Abnehmens „körperlicher Hitze“ eines natürlichen Todes gestorben wäre, den er mit
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stand freilich allein in männlicher Würde, die bei den Menschen Verehrung und Bereitschaft zur Nachfolge auslösen sollte. 80 Sinnlichen Liebreiz dagegen habe Christus nicht besessen. 81 Diese Meinung wurde in der spanischen Spätscholastik weithin maßgeblich, 82 im Laufe der Zeit lässt sich dennoch eine zunehmende ästhetische Aufladung auch des männlichen Körpers Christi feststellen, obwohl sinnliche Schönheit weiterhin mit Weiblichkeit in Verbindung gebracht wurde. Der Jesuit François Vavasseur widmete 1649 der Schönheit Christi einen ganzen Traktat, der auch überkonfessionell weit rezipiert wurde. 83 Er behauptete, in Christus habe es ein Gleichgewicht zwischen Schönheit und Hässlichkeit gegeben, 84 wie es bei Frauen zu beobachten sei, bei denen eine „mittlere Form […] vom weiblichen Körper und Antlitz alle Schmach der Unförmigkeit fernhält und die Schamhaftigkeit vor der Gefahr zu großer Schönheit schützt.“ 85 Dass bedeute nicht, dass Christus, eine Frau gewesen, „irgend etwas irgendwie Unmännliches“ 86 oder gar eine androgyne Na-
der menschlichen Natur auf sich genommen hätte (vgl. ebd., 175 f.); grundsätzlich zur Inkarnationslehre des Suárez vgl. Kaiser, Gott-menschliche Einigung, 94–156. 80 Vgl. Suárez, Commentaria in Tertiam Partem, 174: „naturalis et virilis pulchritudo, cum summa virtute et modestia conjuncta, maxime […] incitat ad reverentiam et dilectionem“; vgl. auch Sotomayor, Cantici canticorum, 473. 81 Vgl. Suárez, Commentaria in Tertiam Partem, 174 f. sowie Torres, Vtrum Christus Dominus, 218. 82 Vgl. etwa Cabezudo, Tractatio, 44. 83 Vavasseur, Christi liber; vgl. dazu Le Brun, Le Christ, 71–98. 1666 kam ein knapp kommentierter Nachdruck des Werkes von Vavasseur in Rostock heraus durch Arnd, Francisci Vavassoris; zu den weiteren Literaturangaben vgl. Walch, Bibliotheca Theologica, 439 f.; 1677 etwa entschied sich der Baden-Durlauchsche Hofprediger Johann Fecht, Noctes Christianae, 359–888 (ebd. unter Berufung auf Chemitz, 454 f.) in seiner Analyse von Vavasseurs Werk der altkirchlichen Tradition zu folgen, Christi Schönheit sei allein auf seiner göttlichen Natur begründet gewesen. 84 Vavasseur, Christi liber, 202: „Ex his apparet […] neutrum Christum, neque vllo modo deformem, neque longe formosum praeter ceteris fuisse.“ 85 Ebd., 203 f.: „mediam quandam formam esse, modicam & modestam […] quae & muliebre corpus ac faciem ab omnie deformitatis contemptu vindicet, & pudicitiam a nimiae pulcritudinis periculo defendat.“ 86 Ebd., 103: „quicquid vllo modo effeminatum“.
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tur gehabt habe, 87 sondern nur, dass sich bei Christus körperliche und moralische Schönheit die Waage gehalten hätten. 88 In dieselbe Richtung argumentierte 1715 der Benediktinerabt Augustin Calmet. 89 Auch er verneinte nicht, dass Christus eine männliche Schönheit besaß, 90 die seinem Alter, seinem Charakter und seiner Berufung entsprechend war. Diese Schönheit war aber nicht eine „weltliche, unmännliche, affektierte“, die „gefährliche Leidenschaften entfachen“ 91 konnte. Selbst seinen Feinden sei es nicht eingefallen, ihn des losen Umgangs mit jenen Frauen zu bezichtigen, die ihn umgaben. 92 Seine Schönheit bestand vielmehr „im Blitzen seiner Augen und einem gewissen je-ne-sais-quoi, das den Respekt und die Liebe jener entfachte, die ihn sahen und ihm folgten“. 93 Mit dem Begriff des „je-ne-sais-quoi“ war die theologische Debatte um die Männlichkeit Christi auf dem Höhepunkt des ästhetischen Diskurses ihrer Zeit angekommen. 94
Exkurs: „Sexuality of Christ“ in der Kunst der Renaissance? Angesichts dieses insgesamt zurückhaltenden Befundes ist es erstaunlich, dass sich in der Kunst der Renaissance ein ganzer Diskurs zur Sexualität Christi entwickelt haben sollte. 1983 vertrat der amerikanische Kunsthistoriker Leo Steinberg die These, in der Kunst der Re87
Vgl. ebd., 106: „neque vt puer paene puella nascendo euaserit, natura dubitante, vtrum e duobus faceret.“ 88 Wenige Jahre später beschwor der Paulanerprediger Pierre Piiart, De singulari Christi, dagegen in einem ganzen Traktat die Schönheit Christi, die er explizit als „virilem, generosam, naturalem“ (S. 13), pries, ohne genauer zu sagen, was er darunter verstand. 89 Calmet, Discours, 347–350, wonach die Rede von der Hässlichkeit Christi in Jes 53 sich erkennbar auf das Aussehen Christi während seiner Passion beziehe, während das Lob in Psalm 45 den Auferstandenen in den Blick nehme; dazu Le Brun, Le Christ, 106. 90 Vgl. Calmet, Discours, 337. 91 Ebd., 337: „une beaute mondaine, éffemine, affectée, propre a attirer des yeux charnels, & à inspirer des passions dangereuses.“ 92 Vgl. ebd. 93 Ebd.: „elle consistoit toute dans l’éclat de ses yeux, dans un certain je ne sais quoi qui inspiroit du respect, & de l’amour à ceux qui le voyoient, & qui l’entendoient.“ 94 Vgl. dazu allgemein Scholar, The je-ne-sais-quoi.
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naissance zeige sich eine Inkarnationstheologie, 95 die die Geschlechtsorgane Christi zum Gegenstand einer regelrechten „ostentatio genitalium“ gemacht habe. 96 Als Beweis führte er eine Fülle von Darstellungen an, in denen das Geschlecht Christi in der Tat im Mittelpunkt des Bildes (oder doch zumindest des Blicks) stand. Da diese These quer zum Befund steht, soll im Rahmen eines Exkurses auf sie eingegangen werden. Steinberg postulierte, im Zentrum der „inkarnatorischen Theologie“ der Renaissance habe nicht mehr die wahre Gottheit, sondern die wahre Menschheit Christi gestanden. Während die Geschlechtsorgane Adams und Evas das Werkzeug zur Weitergabe der Erbsünde gewesen seien, symbolisiere das Geschlechtsorgan Christi die Wiederherstellung urständlicher Unschuld durch die Inkarnation. 97 Allerdings musste Steinberg selbst konzedieren, dass sich für diese Form der Renaissancetheologie keinerlei Textzeugnisse anführen ließen. Das ist wenig verwunderlich, denn erstens gehen keineswegs alle theologischen Traditionen davon aus, dass Geschlechtlichkeit ein Merkmal der ungefallenen Natur war, 98 und zweitens war sich die scholastische Theologie darin einig, dass Christus gerade nicht die ungefallene, sondern die gefallene Natur des Menschen angenommen hatte. 99 Nur deshalb konnte Christus die menschliche Natur überhaupt erlösen, nur deshalb unterlag er aber auch dem körperlichen Zwang, zu schlafen, zu dürsten und zu sterben. Nach der Definition des Thomas von Aquin nahm Christus freilich nur jene defectus naturae an, die zum Erlösungswerk notwendig waren – zu denen Sexualität nach dem Diktum des Thomas aber nicht gehörte, da Christus die Geschlechtsorgane nicht „ad usum“ sondern nur „ad perfectionem“ gegeben seien. 100 Gegen die anderslautende Annahme Steinbergs standen in der Tradition vor allem die Worte Christi, wonach die Vollkommenen um des Himmelreichs willen nicht heiraten (Mt 95
Steinberg (1983), Sexuality of Christ; ders. (1996), Sexuality of Christ. Steinberg (1996), Sexuality of Christ, 1. 97 Ebd., 47–50 und passim. 98 Für die ostkirchliche Tradition vgl. Gregor von Nyssa, De hominis, Kap. 16 und 17; für die westliche Tradition vgl. Eriugena, Peri Physeon, 17–27, und ders. (Hrsg.), Liber Quintus, 48–52. 99 Vgl. Thomas von Aquin, S. Th. III; zur Urstandslehre des Thomas grundsätzlich Köster, Urstand und Schubert, Ende der Sünde. 100 Thomas von Aquin, Super Sent., lib. 3 d. 12 q. 3 a. 1 qc. 1 ad 2. 96
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19,12) und die Vollkommenen und Auferstandenen wie die Engel seien, die nicht freien und nicht gefreit werden (Mt 22,30). 101 Der Mangel an schriftlichen Quellen führte zu einer Methodendebatte mit der Mediävistin Caroline Walker Bynum um den theologischen und historischen Quellenwert von Bildern 102 und den Inhalt von Steinbergs These. Bynum bezweifelte, dass eine Darstellung des Penis’ Christi primär als Hinweis auf Geschlecht und Sexualität zu lesen sei, da in der Frauenmystik des Mittelalters das Fleisch Christi vor allem mit seinem Leiden identifiziert worden sei. Ebenso wie die „Brüste“ Christi in der monastischen Theologie als Symbol des Erbarmens und der Fürsorglichkeit Christi aufgefasst worden seien, sei der Penis zunächst als Objekt der Beschneidung und damit als Symbol seines heilswirksamen Leidens verstanden worden. 103 Für diese entsexualisierte Interpretation des Geschlechts Christi konnte Bynum freilich ihrerseits kaum schlagende Quellen aufbieten. Steinbergs These scheint weniger ein theologisches Problem als ein hermeneutischer Zirkelschluss zugrunde zu liegen: denn entgegen seinem Anspruch nahm Steinberg weder eine eingehende ikonographische Analyse noch eine historische Kontextualisierung der von ihm angeführten Bilder vor. 104 Vielmehr stand ihm ausgehend von seiner These die Bedeutung der Bilder stets schon fest, so dass ihm das Genre einer „ostentatio genitalium“ quasi unter der Hand entstand. Angesichts der Tatsache, dass die zeitgenössische Theologie weitgehendes Schweigen über Männlichkeit, Geschlechtlichkeit oder gar Sexualität Christi wahrt, muss der auffällige Bildbefund Steinbergs allerdings erklärt werden. Am prominentesten Beispiel von Steinbergs Darstellungen soll methodisch der Nachweis geführt werden, dass die irritierende Ikonographie erklärt werden kann, ohne einen quellenmäßig nicht belegten Renaissancediskurs zur Sexualität Christi vorauszusetzen. Das wichtigste und zugleich am kontroversesten diskutierte Bildzeugnis Steinbergs war der Holzschnitt Hans Baldung Griens von 1511 (Abb. 1). 105 Das datierte Bild zeigt das Motiv der „Anna Selb101
Dazu grundsätzlich Walker Bynum, Resurrection of the body. Steinberg (1996), Sexuality of Christ, 358–363; Walker Bynum, Fragmentierung, 68–70.73–78. 103 Vgl. ebd., 68. 104 Steinberg (1996), Sexuality of Christ, 388. 105 Steinberg (1983), Sexuality of Christ, 7.117–120. 102
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Abb.1: Hans Baldung Grien, Anna selbdritt (1511), Rijks Museum Amsterdam (CC 1.0 Public Domain).
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dritt“. Maria und Joseph, so Steinberg, schauen zu, wie Anna das auf dem Schoß der Maria liegende Jesuskind einer rätselhaften „genital manipulation“ 106 unterziehe. In der ersten Auflage setzte sich Steinberg mit älteren Interpretationen auseinander, die in der Handlung Annas eine volkstümliche oder aber magische Tradition sahen. 107 Dem stellte Steinberg seine These entgegen, durch Anna werde handgreiflich der Nachweis der wahren menschlichen Natur Christi erbracht, die ohne Sünde sei. 108 Weiteren Details widmet sich Steinberg nur kursorisch: der tote Baum sei ein Echo auf den Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen, der Weinstock wird eucharistisch als „rectifying vine“ gedeutet. 109 Alternativen Erklärungsmodellen unterstellt Steinberg, „to deny that Baldung’s St. Anne does what everyone sees her do“. 110 Nimmt man freilich das gesamte ikonographische Programm des Drucks in den Blick, legt sich eine andere Erklärung nahe. Das Bild ist nicht nur Teil einer Gruppe großformatiger Drucke mit heilsgeschichtlichen Szenen, 111 sondern ganz offensichtlich nach streng geometrischen Überlegungen gestaltet: die Diagonalen des Bildes markieren den Kopf der Hl. Anna und ihre Hand, die mit zwei Fingern das Geschlecht Christi umfasst. Sie verbinden zudem das aufgeschlagene Buch sowie die Jahreszahl links oben mit dem Künstlermonogramm und dem markanten Stein rechts unten. Exakt die unteren zwei Drittel des Bildes zeigen Maria, Christus und Anna vor einer Mauer, umgeben von Steinen, einem tragenden Weinstock und Vegetation. Das obere Drittel des Bildes zeigt, auf die Mauer gestützt, einen alten Mann mit Buch sowie eine bergige Landschaft 106
Ebd., 6. Vgl. ebd., 7–9.118–119: Nach Philipp Aries sei es Gewohnheit gewesen, die Genitalien von kleinen Kindern zu stimulieren oder man habe dies mit Jean Wirth als arkane, magische Handlung zu verstehen, die Christus zu einem zölibatären Leben verdamme. 108 Vgl. ebd., 10; in der zweiten Auflage setzte er sich S. 349–355 mit den Kritiken Charles Hopes auseinander, ohne seinem Deutungsansatz etwas Neues hinzuzufügen. 109 Steinberg (1983), Sexuality of Christ, 118; Steinberg (1996), Sexuality of Christ, 118 f.361. 110 Steinberg (1996), Sexuality of Christ, 361. 111 Vgl. die Abb. in Jacob-Friesen, Hans Baldung Grien: Hl. Familie (S. 146), Marienkrönung (S. 252–253), Christophorus (S. 298–299), Hexensabbat (S. 316–319) und Sündenfall (S. 342–343). 107
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mit unübersehbaren Kennzeichen des Verfalls. Einzige Verbindung zwischen den ungleichen Hälften sind links die Mauer und rechts der Weinstock, der sich um den abgestorbenen Baum rankt. Steinberg sah im Weinstock ein eucharistisches Symbol, doch rückt der aus den Wurzeln des toten Baumes wachsende Weinstock vor allem die zentrale messianische Prophezeiung der jüdischen und christlichen Tradition in den Blick: „Ein Reis wird hervorgehen aus dem Stumpf Isais und ein Schoss aus seinen Wurzeln Frucht tragen“ ( Jes 11,1; vgl. auch Röm 15,12). Die elf Vögel, die ziellos am Himmel umherfliegen, wären dann möglicherweise als Symbol jener übrigen elf Stämme zu sehen, aus denen der fest wurzelnde Spross Isais eben nicht hervorgeht. Der Mann mit Buch wäre dann auch nicht mehr als lesender Joseph, sondern als Prophet Jesaja mit dem Buch der Prophezeiung anzusprechen, wofür auch seine auffällige Kopfbedeckung spräche. Vor diesem Hintergrund ließen sich auch weitere Bildelemente in einen heilsgeschichtlichen Rahmen einordnen: der markante Stein in der rechten unteren Ecke des Bildes wäre damit wortwörtlich jener Eckstein ( Jes 28,16), den die Bauleute verworfen haben, der von Christus selbst mit den Worten gedeutet wird: „Das Reich Gottes wird von Euch genommen und einem Volk gegeben, das dessen Früchte bringt“ (Mt 21,42). Als zentrales Narrativ des Bildes erwiese sich dann nicht die Sündlosigkeit der menschlichen Natur Christi, sondern die Ersetzung des Alten Bundes durch die Stiftung des Neuen. 112 Wie aber ist in diesem Kontext die Geste Annas zu deuten? Wenn der Bund das Thema des Bildes ist, liegt es nahe, im Symbol des Bundes – der Beschneidung – das zentrale Bildmotiv zu sehen. Christus ist freilich, wie in der Ikonographie üblich, unbeschnitten dargestellt, so dass 112
Dann würde sich das heilsgeschichtliche Schema wie folgt lesen: nach dem Sündenfall (S. 342–343) folgt mit dem besprochenen Bild die Überwindung des Alten Bundes (S. 298), danach die Illustration des Neuen Bundes mit Maria, Anna, Josef und Joachim (S. 146; ein Bild, in dem die verfallene Landschaft mit Burg blüht und wieder aufgebaut ist und das viel deutlicher die leibliche Abstammung Christi illustriert, die Steinberg in den Mittelpunkt seiner Interpretation gestellt hatte); dann eine Marienkrönung (S. 252–253), die wieder das Motiv des Apfels aufnimmt, mit dem der Sündenfall begonnen hatte. Die Darstellung des Christopherus wäre in diesem Zusammenhang als Illustration gottgefälligen (S. 298–299), der Hexensabbat (S. 316–319) als Illustration widergöttlichen Lebens zu deuten.
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aus diesem Sachverhalt allein noch keine Schlussfolgerung gezogen werden kann. 113 Das Besondere an Baldungs Bildinvention ist zweifellos die Tatsache, dass die ikonographisch einmalige Geste Annas überdeutlich zeigt, dass mit Christus der Neue Bund nicht in der Beschneidung des Fleisches, sondern in der Beschneidung des Herzens gekommen ist (Röm 2,27). Das Bild ist demnach wohl eher als Illustration der klassischen Substitutionstheorie zu sehen. Wenn man so will, bezeugt es also gerade nicht die von Steinberg beschworene Wertschätzung der menschlichen Natur Christi, sondern die ganz und gar mittelalterlich gedachte Vorstellung seiner nicht-jüdischen Herkunft.
5. Fazit In der Theologie des Mittelalters hatte man eine weibliche Natur Christi immer wieder diskutiert: in der mystischen Theologie war Christus’ Weiblichkeit in Form der vermeintlich weiblichen Verhaltensweise der compassio zugeschrieben worden. 114 In der scholastischen Theologie hatte man diskutiert, ob Christus sich biologisch als Frau hätte inkarnieren können und es abgelehnt, 115 weil das weibliche Geschlecht in der aristotelischen wie der hippokratischen Tradition des Mittelalters aufgrund seiner humoralen Konstitution als biologisch und damit auch sozial inferior verstanden wurde. 116 Die Männlichkeit des Gottessohnes war Ausdruck der notwendigen biologischen, moralischen und sozialen Vollkommenheit seiner angenommenen menschlichen Natur und verstand sich daher von selbst. In der Theologie des konfessionellen Zeitalters kam es dagegen zu einer normativen Zentrierung in der Frage des Geschlechts Christi: die Vorstellung weiblicher Eigenschaften Christi wich in der katholischen Mystik der Frühen Neuzeit, wie es scheint, vollständig der Vorstellung von einer normativen Männlichkeit des Gottessohnes, und mit dem Verschwinden der Sentenzen aus dem Lehrbetrieb verschwand aus der akademischen Theologie auch die Diskussion um 113
Es gibt zwar Bilder von der Beschneidung Christi, sein Penis selbst wird aber stets unbeschnitten dargestellt; vgl. dazu Steinberg (1996), Sexuality of Christ, 165–167 und neuerdings Brinkmann, Beschneidung Christi, 250. 114 Vgl. Walker Bynum, Fragmentierung. 115 Vgl. Anm. 3. 116 Vgl. Cadden, Meanings.
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eine kontrafaktische Inkarnation. Sowohl in der katholischen als auch der protestantischen Theologie wurde die Männlichkeit Christi schlicht vorausgesetzt: Wo das Geschlecht Christi überhaupt diskutiert wurde, wurde es nicht mehr als Frage möglicher weiblicher Eigenschaften, sondern nur noch als Frage seiner vollkommenen Enthaltsamkeit bzw. Keuschheit diskutiert. Die Vollkommenheit Christi bedeutete also zum einen die Affirmation seiner männlichen Natur, zugleich aber auch deren Aufhebung bzw. Überbietung. Die damit markierte Differenz zwischen ‚normaler‘ und ‚normativer‘ Männlichkeit ließ sich innerhalb des theologischen Diskurses einhegen, außerhalb des theologischen Diskurses brach sie immer wieder auf. 117 Vor dem Hintergrund dieser Tatsache ließe sich sowohl die stillschweigende Distanzierung der katholischen Theologie von der Reliquie der Vorhaut Christi als auch die Zurückhaltung der protestantischen Theologie bei der Kritik an diesem Kult verstehen. Die Verengung der theologischen Diskussion der Männlichkeit Christi auf die Frage der Keuschheit ist möglicherweise auch der Grund für die Tatsache, dass in der protestantischen Mystik des 17. Jahrhunderts (etwa bei Jakob Böhme, Antoinette Bourignon oder im Radikalpietismus) ausgerechnet Vorstellungen von der Weiblichkeit und Androgynität Christi, gar der geistlich-körperlichen Zeugung seiner Nachkommen, erneut aufkamen und enorme Verbreitung erlangten. 118 Erst mit den Überlegungen zur männlichen Schönheit Christi, die Mitte des 17. Jahrhunderts aufkommen, wird die Kontur eines Begriffs von Männlichkeit erkennbar, der in der Jesus-Literatur seit 1800 schließlich zum Topos gerinnen sollte. 119 Die Gründe für die Konzentration der Diskussion um die Männlichkeit Christi auf die Frage seiner Enthaltsamkeit werden in der untersuchten Literatur nirgends thematisiert. Zur Erklärung sind wir daher auf Spekulationen angewiesen. Da wir es beim Begriff der Männlichkeit Christi mit einer normativen Konstruktion von Männlichkeit zu tun haben, wäre es allerdings verwunderlich, sollte gerade 117
So hat Schwerhoff, Zungen wie Schwerter, 196–204, darauf hingewiesen, dass die Mehrzahl der frühneuzeitlichen Blasphemieprozesse in Europa Äußerungen betraf, die Christus oder Maria unterstellten, unkeusch gelebt zu haben. 118 Das kann im Rahmen des vorliegenden Beitrags nicht mehr untersucht werden. Grundlegend vgl. Benz, Der vollkommene Mensch. 119 Vgl. Leutzsch, Ehemann, 95–188.
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das Bild der Männlichkeit Christi nicht jene diskursive Einhegung männlicher Sexualität widerspiegeln, die wir im Prozess der frühneuzeitlichen Sozialdisziplinierung insgesamt erkennen. 120
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Gottesbild im Spiegel? Typologie der Geschlechter und Mann-Sein Jesu bei Louis Bouyer Markus Lersch Zusammenfassung Louis Bouyers Votum für die Notwendigkeit des männlichen Geschlechtes Jesu in seinem Werk „Mystère et ministères de la femme“ von 1976 dürfte die prominenteste derartige Positionierung in der Theologie des 20. Jahrhunderts darstellen. Es fußt auf einem heilsgeschichtlichen Gesamtentwurf, welcher der Differenz und Typologie der Geschlechter eine zentrale theologische Rolle zumisst. Der vorliegende Beitrag beleuchtet diesen Entwurf, der durch die teils subkutane Rezeption in Theologie und lehramtlicher Verkündigung enorme Wirkung entfaltet hat.
Abstract Louis Bouyer’s vote for the necessity of the male gender of Jesus in his work „Mystère et ministères de la femme“ from 1976 might represent the most prominent one in 20th century theology. It is based on an overall conception of salvation history, which assigns a central theological role to the difference and typology of the sexes. This article sheds light on this conception, which has had an enormous impact through its partly subcutaneous reception in theology and magisterial proclamation.
1. Hinführung „Quitte à soulever des tempêtes de vertueuse indignation, disons carrément qu’il eût été monstrueux que le Fils de Dieu se fît femme“. 1 1
Bouyer, Mystère et ministères de la femme, 80. Ein Teil dieser Neuauflage ist bezeichnenderweise mit einem fälschlichen Titel auf dem Cover erschienen: „Mystère et ministère [sic!] de la femme“, wobei aus dem Text eindeutig hervorgeht, dass es Bouyer nicht um „das Amt“ der Frau im Singular und damit im Sinne des Streits um Frauenordination geht, sondern um zwei spezifische altkirchliche Ämter von Frauen, um deren Wiedereinführung er wirbt, nämlich die
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Dieses drastische, 2 selbst schon „tugendhafte Empörung“ gewahrende Zitat entstammt der Feder des hierzulande weithin vergessenen französischen Theologen Louis Bouyer (1913–2004) und stellt eines der wenigen namhaften Voten für ein notwendiges Mann-Sein Jesu in der Theologie des 20. Jahrhunderts dar. 3 Das Diktum entstammt dem Buch „Mystère et ministères de la femme“, dessen Erscheinungsjahr 1976 unmittelbar auf einen Zusammenhang mit der im gleichen Jahr erschienenen Erklärung der Glaubenskongregation „Inter Insigniores“ zur „Frage der Zulassung der Frauen zum Priesteramt“ verweist. Und so ist es weder überraschend, dass Hans Urs von Balthasar das Opusculum bereits ein Jahr später unter dem Titel „Frau und Kirche“ ins Deutsche übersetzt hat (wobei über die Angemessenheit des Titels wie mancher Übersetzerentscheidung im Text zu streiten wäre), 4 noch, dass es im Zuge der von Jan-Heiner Tück ausgelösten neuen Diskussion um die Christusrepräsentanz des Priesters 5 einmal wieder in Erinnerung gerufen worden ist. Handelt es sich bei „Mystère et ministères de la femme“ um ein typisches Beispiel der eilig improvisierten, unbeholfen wirkenden Abwehr eines durch die ersten anglikanischen Frauenordinationen völlig unvorbereitet getroffenen römischen Klerikalismus? Einer Abwehr, die fast nur positivistische Argumente vorzubringen hatte und in ihrem einzig konstruktiven Argument – jenem der geschlechtlichen Repräsentation – vermeintlich nichts als frauenfeindliche Stereotype vorzubringen hatte? So jedenfalls die Meinung Matthias Rémenyis und Thomas Schärtls, die bezüglich der Positionen Bouyers und von Balthasars zur Frauenordination von einer „misogyne[n] Drift“ sowie einer amüsanten bis peinlichen „Bio-Metaphysik“ der Geschlechter „ministères féminins traditionnels“ der geweihten Jungfrau und der Diakonin bzw. Witwe (vgl. ebd., 79–96). Es wäre aufschlussreich zu erfahren, warum Hans Urs von Balthasar den ausweislich des Textes eindeutig amtlich konnotierten bouyerschen Terminus in seiner Übersetzung konsequent mit „weiblichen Diensten“ wiedergegeben hat (Bouyer, Frau und Kirche, 55–68); dies scheint jedenfalls weit eher seinen eigenen theologischen Überzeugungen geschuldet zu sein als jenen Bouyers. 2 So klassifiziert Ratzinger, Das Priestertum, 135, Bouyers Ausführungen. 3 Vgl. vorsichtiger Balthasar, Theodramatik II–2, 260: „Das Wort Gottes erscheint in der Welt als Mann, als der »letzte Adam«. Das kann nicht gleichgültig sein.“ 4 Bouyer, Frau und Kirche; vgl. auch Anm. 1. 5 Vgl. dazu in diesem Band den Beitrag von Mathias Winkler, insbes. 15–21.
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sprechen. Bei beiden würde der Ausschluss der Frau vom Weihesakrament „ganz unbeschadet neuzeitlicher Biologie“ immer noch aristotelisch mit der vermeintlich rein passiven Rolle bei der Fortpflanzung begründet – 6 und dies 150 Jahre nach der Entdeckung der Eizelle durch Karl Ernst von Baer. 7 Schlimmer noch, bei aller letztlich bloß vorgeschützten und leicht als solches durchschaubaren Wertschätzung seien Bouyers und von Balthasars Argumentationen subkutan von der „unselige[n], jahrtausendealte[n] Tradition der Inferiorität der Frau“ und von der Annahme ihrer „nur partiellen oder abgeleiteten, uneigentlichen Gottebenbildlichkeit“ geprägt. 8 Von Balthasars entsprechende Ausführungen, die in dieser Frage – wie der Schweizer offen einräumt – durch jene Bouyers beeinflusst sind, weisen nun in der Tat an einzelnen Stellen problematische Züge und abwertende Konnotationen auf: Dabei ist insbesondere die berüchtigte Passage über das Verhältnis von Christus und Kirche in „Das Herz der Welt“ 9 zu nennen, die geradezu als Vergewaltigungs6
Remenyi/Schärtl, Normativität, 62 f. Dass dieser Vorwurf im Hinblick auf Bouyer falsch ist, belegen folgende Passagen aus dem bereits 1957 erschienenen Werk „Le Trône de la Sagesse“: „La Maternité, en effet, sans être à proprement parler une qualité passive, comme le supposaient les anciens, est une qualité toute dépendante de la Paternité. La mère reçoit du père précisément d’être mère. L’enfant qu’elle produit vient tout d’elle-même, se forme et se nourrit de sa propre substance. Mais c’est seulement par une communication du père qu’elle est capable de le former et de le nourrir“ (Bouyer, Le Trône, 147). Vgl. ebd., 215 f.: „Au contraire, la maternité est à sa place dans la créature; elle caractérise au plus haut point l’activité qui lui est propre. […] Ce n’est pas à proprement parler parce que la maternité devrait être considérée comme une relation passive, comme les anciens l’ont cru […]. Cette vue des choses correspondait à une systématisation superficielle des phénomènes biologiques qui n’aurait plus grand sens pour nous“. Vgl. auch Bouyer, Mystère et ministères de la femme, 65: „Le corps de l’homme n’est que l’instrument d’un contact, par lequel passera, mais nécessairement pour aller au-delà de lui-même en vue de se réaliser, ce qui vient de plus haut que lui. Dans le corps féminin seulement, il est donné aux semences de germer, de la propre substance de la femme, de s’accroître d’elle et en elle et d’y mûrir“. Hinsichtlich von Balthasars ist ebenfalls festzuhalten, dass diesem kaum solche Naivität zu unterstellen ist und er der Frau tatsächlich auch eine aktive Rolle bei der Fortpflanzung einräumt, die allerdings immer eine sekundäre, von einem äußeren Impuls abhängige, antwortende Fruchtbarkeit sei, vgl. etwa Balthasar, Theodramatik II–2, 262. 8 Remenyi/Schärtl, Normativität, 62 u. 65. 9 Balthasar, Das Herz der Welt, 143–148. 7
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phantasie gelesen werden könnte. 10 Allerdings ließe sich durchaus fragen, ob sein marianisches Prinzip einer „antwortenden Fruchtbarkeit“ 11 notwendig im Sinne einer Abwertung von Frauen gelesen werden muss. 12 Hinsichtlich Bouyers liegen die Dinge anders: Erstens entwickelt er seine Typologie der Geschlechter und auch die These von der offenbarungstheologischen und soteriologischen Notwendigkeit des männlichen Geschlechts Jesu unabhängig von und lange vor der Diskussion um die Frauenordination – so vor allem in seinem frühen Hauptwerk „Le trône de la Sagesse“ von 1957. Zweitens fügen sich seine Ausführungen konstitutiv in das Gesamt eines heilsökonomischen Entwurfes ein und bilden insofern keineswegs ein ad-hocStützargument in einem klerikalen Rückzugsgefecht (was im Übrigen auch für von Balthasar gilt). Und drittens lassen sich durchaus Argumente gegen den Vorwurf anführen, Bouyers Position eigne ein frauenfeindlicher Gestus – nicht zuletzt ist dabei seine These zu nennen, die Frau sei das eigentliche Ebenbild Gottes (s. Abschnitt 4). 13 Jedenfalls wird man Bouyers Ansatz nicht gerecht, indem man ihn anhand einzelner aus dem Kontext gerissener Zitate aus einer Kleinschrift verballhornt, zumal mit ihm etwas vorliegt, was Alberto Piola am Ende seiner großen Arbeit über die Frauenordination „Donna e sacerdozio“ noch als Desiderat 14 anführt und was derzeit seitens des 10
Beattie, Acting Up, 126: „Thus nuptial love between Christ and the Church is represented as a ‚blood-wedding‘, consummated in an act of rape during which the woman’s body is conquered, despite her desperate resistance, by the Bridgegroom.“ Vgl. Knauss: Contradictions or Openings?, 144: „There is a vicious circle between Balthasar’s hierarchical model of the trinity, the resulting divine legitimation of male primacy and the social gender roles that inform his theological thinking of God, resulting in both a problematic theology and a problematic vision of human relationships.“ Vgl. allgemein kritisch zur Geschlechterdifferenz bei von Balthasar Vasko, Nuptiality; Zwank, Geschlechteranthropologie. 11 Balthasar, Theodramatik II–2, 262. 12 Vgl. etwa die positiven Deutungen bei Steinhauer, Maria als dramatische Person und Löser, Geschenkte Wahrheit, 25 f.231–235. Papst Franziskus hat wiederholt affirmativ auf das marianische Prinzip von Balthasars abgehoben, vgl. zuletzt Franziskus I., Interview. 13 Karin Heller wirft Bouyer im Übrigen umgekehrt die Abwertung des Männlichen bzw. menschlicher Vaterschaft vor, vgl. Weill: L’Humanisme, 194. 14 Piola, Donna, 582: „Non sembra però possibile constatare que […] i teologi cattolici abbiano trovato il modo di esprimere in modo condiviso quali siano le
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kirchlichen Lehramts von manchen eingefordert 15 und von anderen befürchtet 16 wird: der Entwurf einer christlichen Geschlechtertypologie, die sowohl dem biblischen, theologiegeschichtlichen und lehramtlichen Erbe zu entsprechen sucht als auch dem Stand der profanen Wissenschaften. Ob ein solches Unterfangen angesichts der enorm dynamisierten und hoch emotionalen Debatten um sex und gender sowie des weiteren Fortschritts der humanwissenschaftlichen Erkenntnisse überhaupt durchführbar und zielführend ist, wird sich erst zeigen müssen. An den ungemein einflussreichen Überlegungen des französischen Oratorianers – in ihrer innovativen Radikalität wie unleugbaren Begrenztheit – wird man dabei aber nicht vorbeikommen. Bouyers Entwurf wird im Folgenden auf Grundlage einiger Anmerkungen zu Person, Werk und Intuitionen (2.) sowie zu den Voraussetzungen der Geschlechtertypologie (3.) in zwei Schritten vorgestellt: zunächst im Hinblick auf die Frau als das eigentliche Gottesbild in der Brechung bzw. als abschließendes Geheimnis der Schöpfung (4.) und dann im Hinblick auf das notwendige MannSein Jesu bzw. die Erlösung durch die Mannwerdung des Sohnes aus der ( Jung-)Frau Maria (5.).
2. Anmerkungen zu Person, Werk und Intuitionen Louis Bouyers Werk ist in Deutschland weitgehend in Vergessenheit geraten oder, präziser formuliert, niemals vollumfänglich rezipiert worden – und dies trotz seines enormen Einflusses auf das Zweite Vatikanum, wichtige Vertreter der katholischen Theologie der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wie Hans Urs von Balthasar und Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. und nicht zuletzt die lehramtliche Verkünprospettive cristiane sulla bisessualità umana“. Vgl. auch die Besprechung durch Stefan Tobler (Tobler, Rez. zu Piola, 720). 15 Vgl. etwa das Interview von Willem Jacobus Kardinal Eijk im Nederlands Dagblad vom 09. 11. 2022 (Eijk, Interview). Das Schreiben der Kongregation für das katholische Bildungswesen unter dem Titel „Als Mann und Frau schuf er sie. Für einen Weg des Dialogs zur Gender-Frage im Bildungswesen“ war 2019 auf scharfe Kritik gestoßen; vgl. hier Schlögl-Flierl, Denken in Differenz. 16 Vgl. etwa Cappabianca, „Es braucht ein Moratorium für unqualifizierte Vatikan-Papiere“.
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digung der Päpste von Paul VI. bis hin zu Franziskus (insbesondere die Enzyklika „Mulieris dignitatem“ und die „Theologie des Leibes“ Johannes Pauls II. 17). Die mangelnde Rezeption mag an der – auf der beiden Seiten des Rheins – größer gewordenen sprachlichen Barriere liegen oder auch an der Tatsache, dass Bouyers und seines Übersetzers von Balthasars kirchen- und theologiepolitische Position schon lange nicht mehr zum mainstream deutschsprachiger Theologie gehören; sie hängt aber sicher auch mit der teils schwierigen, intransigenten Art 18 des streitbaren Konvertiten Bouyer selbst zusammen, die bereits seiner Rezeption in Frankreich Grenzen gesetzt hat (welche freilich derzeit im Rahmen einer Art Bouyer-Renaissance nachgeholt zu werden scheint). 19 Es ist hier nicht der Ort, die Vita des konvertierten lutherischen Pfarrers vorzustellen, 20 den etwa seine Schüler Jean-Marie Lustiger 21 und Jean-Luc Marion 22 zu den wichtigsten Theologen des 17
Vgl. zur Einführung Johannes Paul II., Die menschliche Liebe; Katholisches Säkularinstitut Cruzadas de Santa María, Mensch; Surzykiewicz, Liebe; West, Theology; Spindelböck, Theologie. 18 Vgl. etwa folgenden Auszug aus Jean-Marie Lustigers Predigt während Bouyers Requiem: „Au fond, de tout cela, qui a été son œuvre, il n’a jamais eu, à proprement parler, la récompense ici-bas. Toute l’admiration qu’il a pu susciter, le crédit qu’il a pu avoir et l’action considérable qu’il a pu mener, il n’en a eu souvent pas d’autre récompense que les contradictions. Car son humour parfois ravageur, sa lucidité toujours pénétrante et souvent anticipatrice des mouvements de l’histoire et de l’évolution de la société et de l’Église l’ont rendu très ‚inopportun‘, ‚importun‘, alors qu’il était providentiellement envoyé à ces générations-ci“ (Lustiger, Un itinéraire, 10). Vgl. auch die Aussagen von Jean-Luc Marion in Anm. 22. 19 Neben der kontinuierlichen Neuveröffentlichung der Schriften in der Bibliothèque du Cerf und einigen Symposien (vgl. etwa Lesoing/Grintchenko/ Prétot, La théologie) wären hier ebenfalls eine Reihe von Dissertationsschriften an der Gregoriana, an der Lateranuniversität sowie am Institut d’Études théologiques de Bruxelles zu nennen, wie etwa Bouwé, L’union conjugale; Bruté de Rémur, La théologie; Carbonell Segales, Être sanctifié; Heller, Ton créateur; Weill, L’Humanisme; Zordan, Connaissance et mystère. Zur zunehmenden englischsprachigen Rezeption vgl. Lemna, The Apocalypse. 20 Vgl. etwa Duchesne, Louis Bouyer. 21 Vgl. Lustiger, Un itinéraire, 9: „Car il a été un initiateur et un maître merveilleux, un maître à penser. Il a été donné, d’une façon providentielle, à l’Église dans un moment critique, avec la singularité de sa personnalité, de son destin, de sa culture éblouissante et de son génie, pour détecter le trésor enfoui et le remettre en évidence et en cohérence avec la totalité du mystère chrétien“. 22 Vgl. Marion, Introduction, 10: „[C]et homme réputé sévère dans ses juge-
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20. Jahrhunderts zählen. 23 Auch kann Bouyers Lebenswerk an dieser Stelle nicht vorgestellt werden: Aus der jahrzehntelangen Lehrtätigkeit in Frankreich, England, den USA und Spanien sind allein 47 theologische Monographien mit wesentlichen Beiträgen zur Theologischen Anthropologie und Schöpfungslehre, zur Mariologie und Ekklesiologie, zur Liturgie, Soteriologie und Ökumenischen Theologie 24 hervorgegangen – geordnet im Rhythmus mehrerer Trilogien –, dazu zahlreiche Aufsätze, Vorworte, Einführungen und Herausgeberschaften sowie vier Romane. Entscheidend für das Thema dieses Beitrags dürften neben „Mystère et ministères de la femme“ vor allem das bereits genannte frühe Hauptwerk „Le trône de la Sagesse“ – zugleich Mariologie und Theologische Anthropologie – sowie „Le Fils éternel“ (1974), „Le Père invisible“ (1976), „Cosmos“ (1982), „Figures mystiques féminines“ (1989) und schließlich „Sophia“ (1994) sein. Ein letztes, wohl als Summarium gedachtes Werk über das Sakrament der Ehe konnte Bouyer nicht mehr vollenden, was insofern bedauerlich ist, als die vorliegenden Fragmente sich als einschlägig für das hier behandelte Thema erweisen und eine systematische Zusammenschau der Geschlechteranthropologie Bouyers durch diesen selbst somit fehlt. 25 ments, impitoyable avec les sots et les ignorants, voire redoutable polémiste, et dont pourtant tous ceux qui eurent la grâce d’en devenir les familiares ont éprouvé la bonté, l’humour, la tendre fidélité; comment en un mot cet homme, qui vécut et mourut dans un étrange mélange de grandes amitiés et de solitude érémitique, peut-il, le temps passant depuis sa disparition, s’imposer de plus en plus comme l’un des plus grands théologiens de son siècle, et pas seulement en France?“ 23 Noëlle Hausmann bezeichnete es 2016 als „un grand mystère que le plus brillant des théologiens français du XXe siècle soit demeuré dans l’ombre jusqu’à nos jours“ (Weill, L’Humanisme, 13). 24 Im Zusammenhang des Einflusses Bouyers auf die Ökumenische Theologie sei daran erinnert, dass er u. a. die Dissertationsschrift Hans Küngs über die Rechtfertigungslehre Karl Barths betreut hat. 25 Vgl. Weill, L’Humanisme, 195: „Toutefois il est vrai que l’on aurait souhaité que Bouyer, dans un autre ouvrage, présente une théologie du mariage, dans laquelle les thèmes de la complémentarité des époux, de la paternité, de la maternité, du lien aux enfants, de leur éducation, auraient pu recevoir tous les développements attendus. Il en formait justement le projet, mais n’a pu le mener à bien, et sa théologie se ressent de cette lacune“. Christian-Noël Bouwé hat die Fragmente des Werks in seiner Dissertation auswerten können (vgl. Bouwé, L’union conjugale, insbes. 249–252). Diese werden zusammen mit dem rest-
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Hingewiesen sei noch auf das Grundanliegen der Theologie Bouyers sowie die von ihm selbst angeführte Grundintuition hinter seiner Geschlechtertypologie. Für Bouyer ist Theologie organischer Teil des christlichen, für ihn spätestens seit der Konversion notwendig kirchlichen Lebensvollzugs 26 und soll insofern ein Ganzes bilden, das in notwendiger Wechselbeziehung mit jenem Lebensvollzug steht; eine Gesamtvision der Heilsgeschichte im Licht des Glaubens unter Integration der ganzen Tradition. 27 Allerdings, so Bouyer, dürfe diese Gesamtvision nie eigenes System, eigene Konstruktion des Theologen oder der Theologin sein, sondern immer nur treue Synthese des Vorgegebenen und Überlieferten. Gerade in der hier verhandelten Fragestellung beansprucht Bouyer vehement, keine Innovation zu vertreten, sondern lediglich einen unthematischen Tiefenstrom der Tradition seit biblischer Zeit ans Licht zu heben – was ihm Lustiger und von Balthasar auch konzediert haben, 28 was aber natürlich zu lichen Nachlass Bouyers in der Benediktinerabtei Saint-Wandrille aufbewahrt, einem Kloster in der Normandie, das ihm zeitlebens spiritueller Rückzugsort und auch der Ort seiner Konversion gewesen ist. 26 In seinem Werk „Du protestantisme à l’Église“ identifiziert Bouyer die Kirche als ausschlaggebendes Argument für seine Konversion, da die richtigen Grundprinzipien der Reformation nur in der katholischen Kirche vollständig realisiert seien. 27 Vgl. Bouyer, Sophia 195: „La théologie authentique, bien au contraire, n’est qu’une méditation dans la foi de ce qu’on a appelé justement ‚l’histoire de salut‘“. Vgl. zum Ganzen auch den Interview-Band Bouyer, Le métier. 28 Vgl. Lustiger, Un itinéraire, 10: „J’en témoigne à titre personnel: il nous a rouvert les grands chemins de la Tradition, non pas en se détournant des épreuves et des contradictions du temps présent, mais en nous apprenant au contraire à y faire face et à porter sur ses travaux un regard à la fois bienveillant et critique et à y trouver notre miel, dans une intelligence encore plus profonde de la tradition chrétienne. Les exemples seraient innombrables, tant son œuvre nous fait parcourir les aspects les plus divers du mystère chrétien.“. vgl. von Balthasar: Welches Gewicht hat die ununterbrochene Tradition, 257: „Man kann an diese These Bouyers manche Frage stellen, und wir werden es anderswo tun. Aber zuvor ist ihr Zentrum einfach anzuerkennen, um so mehr, als sie den Kern einer kirchlichen Tradition darstellt, der hier von allen peripheren Schlacken und Verunklärungen durch hellenistische Frauenfeindlichkeit (die zum Teil bei den Kirchenvätern und im Mittelalter nachklingt) befreit ist. Das Fatale ist, daß diese Befreiung und Erneuerung einer großen, zu der des Amtes parallelen Tradition in ein Zeitalter fällt, da die ganze Fruchtbarkeit der Differenzierung der Geschlechter in ihrer gegenseitigen Rolle mehr und mehr vergessen und absichtlich unterdrückt wird – und dies zugunsten einer unter dem Deckmantel der ge-
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diskutieren bleibt. Neben biblischen Texten (v. a. Gen 1–11, Weisheitsliteratur, einschlägige paulinische und deuteropaulinische Stellen sowie die Apokalypse) bezieht sich Bouyer dabei breit auf Kirchenväter, mariologische Tradition, karmelitanische Mystik, russische Sophiologie und teils auch frühe Psychoanalyse, ohne immer exakte Verweisstellen seines profunden, enzyklopädischen Wissens anzugeben – was seine Ausführungen teils ein wenig opak erscheinen lässt und die Diskussion erschwert. 29 Die Grundintuition hinter seiner Geschlechtertypologie beschreibt Bouyer im Vorwort von „Cosmos“: Nach dem frühen Tod der Mutter in die Obhut protestantischer Verwandter im ländlichen Idyll des Cher in Zentralfrankreich gegeben, habe er dort intensive Naturerfahrungen gemacht, die ihm den wesentlich personalen Charakter der geschaffenen Natur verdeutlicht hätten. Dieser personale Charakter wie auch die Einheit in der Vielheit von Schöpfung und Geschöpfen habe sich für ihn dabei vorrangig in weiblichen Antlitzen manifestiert: „… quelques expériences particulières qui m’ont fait, pour ma part, reconnaître le monde comme cette unité dans la multiplicité, [… et qui] tendent à assumer un visage personnel, mais qui ne saurait être en fin de compte que l’un ou l’autre visage féminin […], car c’est le mystère même de la femme de personnaliser, si l’on peut dire, la communauté, la communion des personnes“. 30
Was Bouyer unter diesem, die personale Einheit der Wirklichkeit zur Erscheinung bringenden „mystère même de la femme“ versteht, soll im übernächsten Schritt herausgearbeitet werden, zunächst sei noch ein Blick auf drei Grundvoraussetzungen des Ansatzes geworfen.
schlechtlichen Gleichberechtigung und Gleichheit angestrebten Vermännlichung der ganzen durch männliche technische Rationalität gezeichneten Zivilisation“. 29 Bouwé konstatiert insofern mit Recht: „Notons au passage que notre auteur a une grande culture générale. Il cite volontiers, mais rarement de façon précise“ (Bouwé, L’union conjugale, 81). 30 Bouyer, Cosmos, 11 f.
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3. Voraussetzungen der Geschlechtertypologie Bouyers Die erste Voraussetzung stellt zugleich ein zentrales Motiv der Konversion Bouyers zum Katholizismus dar: seine erkenntnisrealistische, adäquationstheoretische Einstellung, die Zurückweisung des Nominalismus und das Festhalten an einer vernunfterschwinglichen logischen Struktur des Kosmos. Für Bouyer ist die ganze Wirklichkeit Schöpfung und als solche vom göttlichen Logos durchwebt; der – stets personal erfahrene – Kosmos ist Ansprache des Menschen durch Gott, Ausdruck göttlicher Gedanken. „Et le monde encore, dans sa matérialité même, se présente à nous comme un langage, et ce langage, telle la Parole divine, qu’est le Christ“. 31
Alles Geschaffene ist – sofern nicht durch die Sünde korrumpiert (wobei diese Korruption nie total sein kann) – Ansprache durch Gott, Teil des göttlichen Schöpfungsplanes und daher mit einem tieferen, dem Menschen zugänglichen Sinn ausgestattet; Christologie und Theologie, Offenbarungstheologie und „natürliche Theologie“ stehen in reziproker Abhängigkeit. 32 Damit eng verbunden ist die zweite Voraussetzung, ein gewisser Pansakramentalismus Bouyers, der die Schöpfungswirklichkeit als Heilsmedium und -instrument Gottes betrachtet oder, anders formuliert, Schöpfungs- und Erlösungsordnung von vorneherein verschränkt sieht: In Schöpfung und Geschichte entfaltet sich die göttliche Weisheit als Schöpfungs- und Erlösungsplan. „Dans la Sagesse, ainsi, c’est la créature que nous devons toujours considérer, mais la créature en Dieu: la créature telle que Dieu la réalisera au terme, et telle qu’il la porte de toute éternité dans sa pensée“. 33
Bouyer identifiziert die göttliche Weisheit nicht exklusiv mit Christus, sondern kennt weitere geschichtliche Personifizierungen – namentlich die Thora, dann vor allem Maria und schließlich die eschatologische Kirche, das Jerusalem von oben (vgl. Offb 21). Dabei verweist er etwa auf die unterschiedlichen Patrozinien der großen Sophienkirche in Istanbul (Christus) sowie Kiew und Novgorod (Maria)
31 32 33
Bouyer, Cosmos, 11. Vgl. Bouyer, Le Fils, 8–13. Bouyer, Le trône, 278.
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und auch auf die ikonographische Darstellung der Sophia. 34 Generell stützt Bouyer seine Weisheitsspekulation auf die Kirchenväter und die russischen Sophiologen, vor allem Bulgákow, aber auch Solowjow und Florenski. An dieser Stelle ist als weiteres Indiz für die Bouyervergessenheit der deutschsprachigen Theologie zu erkennen, dass Gisbert Greshake seine Sophiologie „Maria-Ecclesia“ 2014 augenscheinlich in völliger Unkenntnis der dieser stark ähnelnden Überlegungen Bouyers konzipiert hat. Um dessen erste beide Voraussetzungen noch einmal zusammenzufassen: In der Wirklichkeit liegt erstens ein der menschlichen Vernunft erschwinglicher Sinn, der zweitens Instrument und Teil des göttlichen Schöpfungs- und Erlösungsplans ist, der sich durch die (Heils-)Geschichte realisierenden Weisheit. Beide Voraussetzungen haben dann Konsequenzen für die dritte, in der heutigen geisteswissenschaftlichen Landschaft nicht minder umstrittene Annahme einer „bipolaren“ Geschlechterdifferenz auf biologischer Ebene bzw. des Sexualdimorphismus der menschlichen Gattung. Die Geschlechterdifferenz ist für Bouyer Teil schon des ursprünglichen Schöpfungsplanes und nimmt eine zentrale Rolle auch im Erlösungsplan ein, wie noch zu betrachten sein wird. Bouyer weiß um biologische Erkenntnisse zu möglichen Uneindeutigkeiten und Abweichungen zwischen Geno- und Phänotyp des Menschen bzw. zwischen chromosomalem, hormonellem und durch die Hebamme bestimmtem Geschlecht. Diese Uneindeutigkeiten seien aber nicht als Widerlegung, sondern als Ausnahme von der grundlegenden Regel des Sexualdimorphismus zu betrachten. Dazu ist ihm – wohl aufgrund seiner adäquationstheoretischen Prämissen – eine absolute Distinktion zwischen biologischem Geschlecht auf der einen und sozialem oder psychischem Geschlecht auf der anderen, also zwischen sex und gender, unmöglich. Er gesteht aber offen ein, dass seine Sicht idealtypisch sei: De facto läge in jedem Menschen (mindestens einmal psychisch, er bezieht sich häufig auf Jungs Überlegungen zu anima und animus) eine Mischung männlicher und weiblicher Anteile bzw.
34
Hier ist etwa an die (u. a. auch im Bildteil von „Le trône“ abgebildete) Nowgoroder Sophienikone zu denen, auf der Sophia als abstrakte Personifikation neben ihre geschichtlichen Realisierungen in Christus, Maria und dem Täufer gestellt wird, vgl. hierzu auch Greshake, Maria-Ecclesia, 572–574.
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Merkmale vor, allerdings seiner Meinung nach mit einem je eindeutigen Gravitationszentrum: „[M]asculinité et féminité, en tout individu humain, sont indissociable, cependant que la masculinité ou la féminité propre à chaque individu est le fait, non d’une simple prédominance qui ne serait que quantitative, mais bien d’une polarisation qui fait graviter autour de l’un des deux caractères tout ce qui se rapporte à l’autre.“ 35
So unpopulär diese Sichtweise heute erscheinen mag und so sehr Bouyers Rede von einer binären Idealtypologie als diskriminierend und exkludierend wahrgenommen werden mag, ist doch immerhin festzuhalten, dass diese Idealtypoi ihm zufolge in keinem Menschen in reiner, mischungsfreier Form verwirklicht sind. Im Übrigen dürfte der menschliche Sexualdimorphismus – entgegen dem überhitzten Diskurs in den Geisteswissenschaften 36 – auch heute noch naturwissenschaftliche Mehrheitsmeinung sein, wobei neben den physischen teils sogar psychische Eigenschaften mit den Idealtypoi Mann und Frau assoziiert werden. 37 Alle drei genannten Voraussetzungen des nun vorzustellenden bouyerschen Ansatzes sind heute natürlich umstritten (wenn sie nicht seitens ihrer Gegner gleich als völlig überholt abgelehnt werden), aber immerhin werden sie von ihm offen eingeräumt. Dazu wäre es anachronistisch, Bouyers Entwurf am heutigen Diskursstand zu messen, so sehr dieser ihn womöglich umgekehrt anzuregen vermöchte – und sei es im Sinne einer Provokation.
4. Gottesbild in der Brechung oder: die Frau als das abschließende Geheimnis der Schöpfung Bouyers Theologie zielt, wie angeführt, auf einen schöpfungs- und heilsgeschichtlichen Gesamtentwurf ab, der auch eine spezifische theologische Anthropologie umfasst. Er artikuliert diesen Gesamtentwurf in biblischen Sprachmustern und Bildwelten, ohne jeweils 35
Bouyer, Mystère et ministères, 60; vgl. hierzu auch das fragmentarische Manuskript über das Ehesakrament: Bouwé, L’union conjugale, 260. 36 Vgl. hierzu etwa (Lit.!) Engel, Körper, 122–127. 37 Vgl. etwa Bischof-Köhler, Von Natur aus anders; Voland/Johow, Geschlecht und Geschlechterrolle.
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dezidiert zwischen mythologisch-bildlichen und realen Gegebenheiten zu differenzieren (wenngleich der ausgebildete Exeget und Cullmann-Schüler natürlich um den mythologischen Charakter der biblischen Urerzählungen weiß!): Ausgangspunkt der Überlegungen ist der Fall der Engel als der Erstgeschaffenen, durch den auch die materielle Welt als ursprünglich vollkommener Kommunikationsraum der Engel korrumpiert worden sei. Gott habe daher immer schon den Menschen als möglichen „Ange de remplacement“ 38 und Erlöser der geistigen wie materiellen Schöpfung vorgesehen, wie alle Väter bis Rupert von Deutz einhellig gelehrt hätten. Zu dieser heilsgeschichtlichen Rolle der Menschheit gehöre nun auch konstitutiv die Geschlechterdifferenz, in der sich die essentielle Relationalität und Unabgeschlossenheit des Menschen, sein Verwiesensein auf das Andere seiner selbst und damit auf die Liebe als sein Wesensziel hin zeige. Die Geschlechterdifferenz erlaube dem Menschen, im Gegensatz zum Engel, die Prokreation – und zwar als ein Gut in sich und als Bestandteil des ursprünglichen Schöpfungsplans, nicht aber als bloß in Voraussicht des Sündenfalls geschaffene Kompensation der verlorenen Unsterblichkeit wie bei Gregor von Nyssa. 39 Das ehelichbrautliche Miteinander, die geschlechtliche Vereinigung und die biologische Fruchtbarkeit der Menschen sei vielmehr auch nach idealem Schöpfungsplan Ort und Instrument der möglichen Vollendung gewesen: Hier hätte Gottes Liebe in der ganzheitlichen, selbstlos-opferbereiten Liebe von Mann und Frau Antwort finden können, was die bereits vor dem Auftreten des Menschen gefallene Schöpfung als Ganze erlöst und die Menschheit vollendet hätte. Aus diesen Überlegungen heraus erklärt sich Bouyers Wertschätzung der menschlichen Sexualität und auch der Ehe als der heiligsten und vollkommenen christlichen Lebensform 40 und als Heilssakrament. Nun sei diese Erlösung und Vollendung der Schöpfung durch die bedingungs38
Bouyer, Cosmos, 341 u. ö. Vgl. Bouyer, Le trône, 88 f., mit Verweis auf Gregor von Nyssa, hom. opif. XVII (PG 44, 187–192; SC 6, 162–166). Vgl. hierzu im vorliegenden Band den Beitrag von Anselm Schubert, 259. 40 Vgl. Bouyer, Le trône, 126: „On peut dire pour autant, sans hésiter, qu’une vie de sainteté accomplie qui se réaliserait tout entière dans et par le mariage serait la vie chrétienne la plus parfaite qu’on puisse concevoir“. Er fährt allerdings einschränkend fort: „Mais la perfection éventuelle d’une telle sainteté est bien près de la rendre inaccessible“. 39
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lose Annahme der Liebe Gottes in der ehelichen agapé faktisch von Anfang an ausgeblieben, seien menschliche Beziehungen de facto von Anfang an bloß „égoïsme à deux“ 41 bzw. „égoïsme sensuel“ 42 gewesen, eine „jouissance associée mais non partagée“ 43 bzw. „une volonté de jouissance immédiate, de jouissance détachée de toute autre considération“; 44 die falsche Bevorzugung der „évidences sensibles immédiates aux réalités encore cachées de la foi“ 45 (vgl. Hebr 11,1; Mt 13,35.44). Anstatt Aktuierung der göttlichen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe zu sein, seien menschliche geschlechtliche Beziehungen immer schon hybride Akte des Egoismus, des Stolzes und der Ablehnung Gottes gewesen und sei die Sexualität so von einem potentiellen Heilsinstrument zum schlechthinnigen Instrument der Sünde geworden: Corruptio optimi pessima, wie Bouyer wiederholt mit einer oftmals auf Gregor den Großen zurückgeführten Spruchweisheit kommentiert. 46 Die Menschheit habe so das mögliche Heil verspielt und damit ihre Gottesähnlichkeit, wohingegen ihre Gottesebenbildlichkeit erhalten geblieben sei – so Bouyer mit der bekannten, aus Gen 1,26 LXX entlehnten Distinktion des Irenäus von Lyon. 47 Doch worin besteht für Bouyer die unverlorene Gottesebenbildlichkeit, jener Segen, der immer noch auf der Menschheit liege und sie weiterhin zum möglichen Erlösungsinstrument der ganzen Schöpfung mache? Seine Antwort ist differenziert: Supralapsarisch bestehe die Gottesebenbildlichkeit in der perichoretisch-prokreativen Liebeseinheit der beiden menschlichen Geschlechter. Diese Einheit als vollkommener Ausdruck der immanent-trinitarischen Einheit so41
Bouyer, Le trône, 116. Bouyer, Sophia, 170 43 Bouyer, Cosmos, 367. 44 Bouyer, Introduction à la vie spirituelle, 161. 45 Bouyer, Introduction à la vie spirituelle, 159. 46 Vgl. etwa Bouyer, Le trône, 23; Ders., Sophia, 185. Das bei Bouyer nicht belegte Zitat konnte bei Gregor dem Großen nicht nachgewiesen werden, im frankophonen Raum wird es teils auch mit Hieronymus assoziiert; als ältester Nachweis wurde Laurentius von Brindisi (1559–1619) ermittelt (Laurentius a Brundusio Opera omnia 5/II, 470 sowie 10/I, 123). Tobias Lohner bezeichnete es als „Vulgaris […] medicinae Aphorismus“ (Lohner, Instructissima bibliotheca manualis concionatoria, Bd. 1, 555 [tit. 40]), wobei in der Glosse ein Verweis auf Gregors „Moralia in Job“ vorangeht, was möglicherweise die spätere fälschliche Attribution des Diktums erklärt. 47 Vgl. etwa Iren., haer. V,16,2 (FC 8/5, 134–136). 42
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wie der Einheit von Schöpfer und Schöpfung wäre (in einem potentiellen Urzustand?) grundsätzlich möglich gewesen und werde sich am Ende der Zeit in der Erscheinung der ewigen Kirche tatsächlich verwirklichen, ohne dass dabei die Geschlechterdifferenz aufgehoben würde, 48 womit er sich erneut von Gregor von Nyssa abhebt. 49 Infralapsarisch aber, d. h. unter den Bedingungen der Realgeschichte, stellt die Frau allein für Bouyer das eigentliche Ebenbild Gottes dar. Und zwar deswegen, weil sie für ihn das vollkommene Geschöpf ist. Bouyer spricht hier mit Anton Günther von einer Contraposition in der Gottesebenbildlichkeit 50 bzw. – dieses Mal mit Gregor von Nyssa – vom Geschöpf als dem zerbrochenen Spiegel 51 Gottes: Das Geschöpf könne den Schöpfer nur refraktiv, in spiegelbildlicher Brechung abbilden. Dies bedeute, dass die göttliche Vaterschaft in höchster Weise durch die geschöpfliche Mutterschaft abgebildet würde, die Analogie zwischen Gott und Mensch also eine indirekte und viergliedrige sei, d. h. eine solche der Proportionalität. 52 Der Mensch ist prokreativ, mitschöpfend; er vermag sich selbst fortzupflanzen, einen anderen Menschen in der eigenen Innerlichkeit zu bilden und aus der ursprünglichen Identität mit sich in das Eigen-Sein zu entlassen. Der Mensch vermag dies aber nur als Frau: Zwar brauche es den okkasionellen Beitrag des Mannes, die tatsächliche Fortpflanzung ereigne sich aber im Leib und als wesentliche Aktivität der Frau, die anderes Leben als eigenes hervorbringe, es in und mit dem eigenen Stoffwechsel nähre, um es dann schließlich in einem Akt höchster Liebe zur Welt zu bringen. Dieser Akt sei deswegen als höchste Verwirklichung von Liebe zu betrachten, weil er nicht nur die Bereitschaft voraussetze, sich bei der Geburt den eigenen Leib zerreißen zu lassen, 48
Vgl. Bouyer, Sophia. 164; Ders., Le trône, 286 f. u. ö. Zur eschatologischen Auflösung bzw. Transformation der Geschlechter vgl. Gregor von Nyssa, in Cant. I (FC 16/1, 114–157) sowie im vorliegenden Band den Beitrag Hans-Ulrich Weidemanns, 73. Zur gegenteiligen Positionierung des Thomas von Aquin vgl. den Beitrag von Thomas Marschler, 226 f. 50 Vgl. Günther, Anton, Vorschule zur speculativen Theologie. In Briefen. Erste Abtheilung: Die Creationstheorie, Wien 1828, 102: „die Creatur ist der verkehrte, contraponirte Gott“. 51 Vgl. Das Wort ist der Sohn, 497. Bouyer nennt hier keine Quelle, vermutlich bezieht er sich aber auf hom. opif. XII PG 44, 161–; SC 6,131–134. Zu dieser Metapher vgl. auch Lossky, Théologie mystique, 127; Hausammann, Der umgeworfene Spiegel, 7. 52 Vgl. Bouyer, Sophia, 166. 49
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sondern auch die endgültige Trennung und spätere Entfremdung von der Frucht des eigenen Leibes, vom Kind, in Kauf zu nehmen. All dies erlebe der menschliche Vater – wenn überhaupt – so nur aus der Distanz und weitgehend unbeteiligt. Menschliche Vaterschaft sei daher nur ein Schatten („ombre“) der göttlichen, da der Mann die Entstehung des neuen Lebens nicht in der Hand habe, sondern sie sich nur durch ihn hindurch, also nicht in ihm und auch ohne weitere unmittelbare Konsequenzen für ihn ereigne. Vaterschaft im wahren Sinne heiße, ursprunglos Quelle zu sein, während der menschliche Vater weder ursprunglos noch eigentlich Quelle sei, sondern eben nur Kanal oder Mittler der Zeugung. 53 Auch sei menschliche Vaterschaft, wie Bouyer häufig mit Athanasius betont, immer nur momenthaft, radikal unvollständig und akzidentell 54 – im Gegensatz zur substantiellen Vaterschaft Gottes und der substantiellen Mutterschaft der Frau. Diese substantielle Mutterschaft der Frau bedeute, tatsächlich Quelle des neuen Lebens zu sein – und damit der ganzen Menschheit aus beiden Geschlechtern, die in der Frau sozusagen vorausenthalten sind. Freilich sei die Frau Quelle im zweitursächlichen Sinne: Die Frau sei aktiv, in ihr vollende sich die geschöpfliche prokreative Aktivität und damit die geschöpfliche Aktivität überhaupt; aber diese Aktivität sei immer zweite, empfangene, abhängige Aktivität. Die Frau bringe das Leben hervor, aber sie bedürfe dazu des äußeren Impulses. In dieser Hinsicht, nämlich nur, aber dafür tatsächlich zweitursächlich wirken zu können, befinde sich jedes Geschöpf (also auch der Mann) in sozusagen weiblicher Position gegenüber Gott, wie Bouyers Biograph Jean Duchesne schlussfolgert. 55 Bouyer glaubt, dass mit diesen unterschiedlichen prokreativen Aufgaben bzw. Rollen von Mann und Frau auch idealtypische psychologische Muster der Geschlechter bedingt seien; so neige die Frau von Natur aus eher zur Empathie, zur Sympathie mit dem Objekt, weil ihr – im Gegensatz zum Mann – Objekte nicht notwendig 53
Zum Ganzen vgl. Bouyer, Mystère et ministères, 55–77, hier insbes. 59. Vgl. ebd. sowie Bouyer, Le trône, 214, in Verbindung mit Athanasius von Alexandrien, Ar. I,21,5 (SC 598, 168–171). 55 Duchesne, Bouyer, 90: „le fait que tout être humain se trouve, face au Père éternel, dans une situation féminine et que la ‚féminitude‘ est en conséquence le propre de la condition humaine comme la paternité est celui de Dieu“. Vgl. ganz ähnlich Balthasar, Theodramatik II–2, 264: „Wir deuteten schon an, daß das Geschöpf Gott gegenüber nur sekundär, antwortend, ‚weiblich‘ sein kann“. 54
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äußerlich erscheinen müssten. Die Frau ruhe eher in sich, sie repräsentiere bzw. besser noch sei das ganz zu sich gekommene Geschöpf, das die ganze Menschheit potentialiter in sich trage, während der Mann sich notwendig nach außen übersteige, einen eher subjektivistischen, verobjektivierenden Weltzugang habe und die Welt daher nur durch die Frau als real erlebe. 56 Noch einmal: Das wahre Ebenbild Gottes des Vaters auf rein geschöpflicher Ebene (abgesehen von der gottmenschlichen Person Jesu Christi, der ursprünglichen eikon theou, 2 Kor 4,4) und damit das höchste und abschließende Geschöpf sei die Frau – aufgrund ihrer potentiellen Fruchtbarkeit und Mutterschaft im leiblichen wie auch im spirituellen Sinne. Der Mann repräsentiere bloß in schwächster Form die Transzendenz Gottes und die ungeschaffene Quelle des Lebens, während die Frau die Immanenz der Schöpfung nicht nur repräsentiere, sondern verkörpere und die geschaffene Quelle des Lebens sei. Aus diesem Grunde betrachtet Bouyer die Frau als von Natur aus religiös, während der Mann dies erst werden müsse – vermittelt durch die Frau. Hierdurch erkläre sich, dass etwa das jüdische Gesetz vorrangig an den Mann adressiert sei (weil nur dieser die Gebote nötig habe), und auch der eigentliche Sinn der Reinigungsriten im Zusammenhang von Menstruation und Geburt: Die im Judentum, ehemals auch im Christentum und dazu in vielen anderen Religionen vorgesehenen Purifikationsriten seien nicht durch eine Verunreinigung der Frau bedingt, sondern durch die Berührung mit dem Heiligen, mit dem göttlichen Geheimnis und Leben selbst. (So spreche man bis heute in der Eucharistiefeier von der Purifikation von Kelch und Hostienschale nach der Kommunion, die ebenfalls nicht durch Verunreinigung, sondern durch Kontakt mit dem Allerheiligsten begründet seien.) 57 Für Bouyer ist die Frau so sehr Inbegriff und Abschluss des Menschen und – entsprechend seiner Ausgangsintuition – Personifikation der Einheit der Menschheit, dass die erlöste Menschheit, die endzeitliche Kirche nur weiblich denkbar sei, als die Braut Christi bzw. 56
Vgl. Bouyer, Le trône, 24; Bouyer, Mystère et ministères, 23. Vgl. Bouyer, Mystère et ministères, 63–65. Zur herkömmlichen Deutung der Reinigungsriten vgl. etwa Angenendt, Pollutio; Lutterbach, Sexualität im Mittelalter.
57
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des Lammes (Offb 19,7) 58 so das Geheimnis der Frau das abschließende Geheimnis der Schöpfung ausmache. „Le mystère de la femme, effectivement, dans toute la Bible comme dans la tradition ecclésiastique, apparaît comme le mystère final de la création, et spécialement de la création rachetée, sauvée, divinisée par l’incarnation de Dieu, dans la chair prise par lui de la femme“. 59
5. Erlösung durch die Mannwerdung des Sohnes aus der (Jung-)Frau Maria Im letzten Zitat wurde schon deutlich, dass die Geschlechterdifferenz auch eine zentrale Stelle in Bouyers Deutung des Christusereignisses, in seiner Offenbarungstheologie und Soteriologie einnimmt. Zur Zusammenfassung der eigenen Position strengt er einen etwas gewagten intertextuellen Bezug zwischen Gen 2,24 und Joh 1,14 an: Da die Erlösung nicht durch die geschlechtliche Vereinigung, durch das sexuelle una-caro-Werden der Menschen erfolgt sei, habe sie durch die leibliche Vereinigung, das geistvermittelte una-caro-Werden des Gottessohnes mit der Menschheit aus der Jungfrau Maria erfolgen müssen. 60 Erlösung ist für Bouyer die durch das Christusereignis bewirkte neue „filiation“, die im Gottessohn neu ermöglichte ontologische Gotteskindschaft, zugleich sind es die eschatologischen „noces“, die Vermählung Christi mit seiner Braut der Kirche. Diese beiden biblischen Erlösungsbilder par excellence stünden synonym für die end-
58
Bouyer, Le trône, 286. Bouyer, Mystère et ministères, 33. Im Anschluss unterstreicht Bouyer noch einmal die Verwurzelung des Geheimnisses der Frau im durch sie spiegelbildlich reflektierten Geheimnis Gottes, vgl. ebd., 35: „Le mystère de la femme justement parce qu’il est le mystère de la création rachetée, achevée, épousée par Dieu même, présuppose le mystère de Dieu et ne peut se comprendre que par référence à celui-ci. Cependant le mystère de Dieu n’est point pour cela le simple revers du mystère de l’humanité. Pour mieux dire, il englobe le mystère de l’homme aussi bien de l’homo, homme et femme, que du vir, mais il le dépasse, et de telle sorte que le mystère de la femme en particulier y trouve bien sa source où l’on peut dire qu’il se reflète, mais, comme, comme tout reflet, renversé“. 60 Vgl. Bouwé, L’union, 277. 59
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gültige Rekapitulation (anakephalaiosis; vgl. Eph 1,10) von Menschheit und Schöpfung im ewigen Sohn Gottes. 61 Der Sohn habe die Menschheit – ein weiteres Mal mit Irenäus von Lyon – durch Auf- und Absteigen von Anfang an darauf vorbereitet, ihn zu empfangen und dadurch in ihm als letztem Adam und himmlischem Menschen rekapituliert zu werden. Diese Vorbereitung beschreibt Bouyer in Anlehnung an seinen Lehrer Cullmann als progressive Konzentration der alttestamentlichen Heilsgeschichte bis zum reinen, armen Glauben Mariens, des personifizierten Heiligen Restes bzw. der Anawah schlechthin. 62 An dieser Stelle ist für Bouyer erneut die Geschlechterdifferenz entscheidend: Die Erlösungsinitiative liege allein bei Gott und nicht bei einem menschlichen Vater, aber die Menschheit sei in Gestalt Mariens zweitursächlich-antwortend, mütterlich an der Verwirklichung des Schöpfungsplanes (Weisheit) beteiligt. Die Gottesmutter agiere – mit dem bekannten Thomas-Diktum – „loco totius humanae naturae“, 63 sie sei in der Geschichte die vollkommene Verwirklichung der Weisheit Gottes und in ihrer jungfräulichen Mutterschaft das vollkommene geschöpfliche Ebenbild (als Spiegelbild!) der jungfräulichen Vaterschaft Gottes. In ihr erreiche das Geheimnis der Frau, das ja zugleich das finale Geheimnis der Schöpfung sei, seinen Abschluss. So sei Maria auch Kirche im Ursprung und Vorwegnahme der eschatologisch vollendeten Weisheit Gottes, der ewigen Kirche und Braut Christi. Die Erlösung geschieht Bouyer zufolge durch das integrale, einheitliche Christusgeschehen von der Menschwerdung und Assumption der menschlichen Natur an über das irdische Dasein Jesu bis hin zu Kreuzestod, Auferstehung und Geistsendung. Das Christusgeschehen sei die von Gott immer schon intendierte göttliche Vereinigung mit der Menschheit im Sinne der Eröffnung universaler Kindschaft im Sohn sowie der Vermählung der erlösten Menschheit 61
Vgl. Bouyer, Le Père invisible, 197. Vgl. Bouyer, Le trône 100 f.: „Pour que la bénédiction salutaire prononcée sur Ève pût s’accomplir dans une femme, il a fallu que cette femme consentît, en vouant à Dieu sa virginité, à la pauvreté totale de la foi. […] C’est-à-dire que cette vierge, à cause de tout ce que sa virginité signifiait, à cause de tout ce qu’elle impliquait de fidélité au dessein rédempteur de Dieu, est devenue la Mère de la nouvelle création“. 63 Thomas von Aquin, STh IIIa, q. 30 a.1 c. 62
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mit dem Sohn. Im Gottmenschen zeige sich die wahre (jungfräuliche!) Vaterschaft und die wahre Maskulinität, von der menschliches Mann- und Vatersein eben nur ein dürftiger Abklatsch sei; nur in diesem himmlischen Mann (1 Kor 15,47: ánthropos ex ouranoú) sei wahres Mannsein gegeben, das in den übrigen Männern bloß schattenhaft vorhanden war und ist. 64 In ihm finde die nunmehr vergöttlichte menschliche Natur ihren Abschluss, wobei die menschliche Personalität ihren Abschluss bereits in Maria gefunden habe: „[S]i la nature humaine ne trouve sa perfection essentielle, en même temps que surnaturelle, que dans l’humanité du Christ, ce mâle prototype de toute masculinité, la personne humaine trouve sa perfection initiale, insurpassable, dans une femme: dans la Vierge Mère, Marie“. 65
So begründet Bouyer das eingangs erwähnte Diktum von der notwendigen Maskulinität Christi sowohl soteriologisch als auch offenbarungstheologisch: Der Sohn könne nur als Mann Mensch werden, weil 1) die Erlösung als Vermählung dem Geschöpf gilt, das – individuell wie kollektiv – nur weiblich darstellbar sei und zur Vollendung finde, 2) die Erlösungsinitiative alleinig beim ursprungslos fruchtbaren, erstursächlichen Gott liege und 3) Gott sich selbst aufgrund seines ursprungslos fruchtbaren, erstursächlichen Wesens nur in der Linie der einzig wahren Männlichkeit des Sohnes offenbaren könne. 64
Vgl. Bouyer, Mystère et ministères, 42: „Il y a donc, dans la masculinité de l’homme, quelque chose d’inachevé et d’inachevable, qui ne sera achevé proprement que dans le Fils de Dieu fait homme. Et la masculinité, jusqu’en celui-ci, ne s’achevant que dans la paternité dont lui-même procède, pour autant dépasse et transcende tout à fait l’humanité, même divinisée. Il faut donc dire en définitive que l’homme, le mâle, n’est vraiment homme que dans l’Homme céleste [1 Kor 15,45 f ], le Fils de Dieu, et que la seule vraie et intégrale paternité n’est à proprement parler ni masculine ni féminine, puisqu’elle est le propre exclusivement du seul père qui ne soit que père et qui le soit intégralement, cependant qu’il réalise également, de façon transcendante, cette virginité dont la femme seule, dans l’humanité terrestre, peut offrir quelque image. Si paradoxale qu’en soit l’expression, tout ceci nous montre déjà en quel sens, en Dieu, la sexualité est dépassée, ou plutôt anticipée, ni dans une a-sexualité ni moins encore dans une bi-sexualité, mais dans une paternité et une filiation qui transcendent l’opposition des sexes, tout en ayant dans la masculinité comme une ombre d’elles-mêmes, et comme un reflet dans la féminité“. Zur Vollendung und Rekapitulation des Menschen (als Mann und Frau) im himmlischen Mann/Menschen („homme“) Jesus Christus vgl. Bouyer, Le Fils, 484–488. 65 Bouyer, Mystère et ministères, 71.
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Die erlöste Menschheit existiere Gott gegenüber von Anfang an in Brautlichkeit und empfangender Fruchtbarkeit, d. h. Mütterlichkeit. 66 Der Sohn Gottes habe nur Mann werden können, aber dies auch nur aus einer Frau, und die Menschheit sei insofern als Frau an der eigenen Erlösung beteiligt gewesen. Aufgrund dieser Betonung der Brautlichkeit von Menschheit und Kirche betrachtet Bouyer die weiblichen Ämter der geweihten Jungfrau und der Diakonin bzw. Witwe als die wichtigsten in der Kirche – auch wenn die Lebensform einer vollkommen gelebten sakramentalen Ehe noch stärker dem Schöpferwillen entsprechen würde (so sie denn jemals realisiert worden wäre). Die für Bouyer notwendig männlichen apostolischen Ämter seien auf diese weiblichen Ämter der Rezeption und Assimilation des Evangeliums angewiesen, wie er etwa mit dem kleinen Weg der Liebe der Therese von Lisieux und dem Gedanken der sponsa Christi bei Edith Stein begründet. 67 Das gerade diese beiden großen Karmelitinnen in der aktuellen Debatte als heilige Gewährsfrauen für die Priesterweihe der Frau angeführt werden (so etwa von Philippa Rath 68 und Roman Sieben66
Vgl. v. a. Bouyer, Mystère et ministères, 80 f. Vgl. Bouyer, Figures mystiques féminines, 123–144 u. 161–183. Ähnliche Positionierungen macht er im gleichen Werk bei den Mystikerinnen Hadewijch, Theresa von Avila und Élisabeth von der Dreifaltigkeit aus. 68 Vgl. Rath, „… weil Gott es so will“, 7 f. Das Zitat über Thérèse de Lisieux scheint wörtlich aus einem Zeit-Artikel von Gernot Facius v. 17. 10. 1997 übernommen worden zu sein (vgl. Facius, „Ich fühle mich zum Priester berufen“) und hebt auf einen Bericht der leiblichen Schwester der Heiligen, Céline Martin (Geneviève de Sainte Thérèse OCD) im Rahmen der Voruntersuchung zum Seligsprechungsverfahren 1910 ab (französisches Original in: Alvarez, Procès de béatification, 305 f.). Es geht dabei um die Aussage Thérèses, Jesus habe ihr die Gnade geschenkt, vor Erreichen des kanonischen Mindestweihealters zu sterben, damit sie sich nicht ob der Unmöglichkeit (!) der eigenen Weihe gräme. Das Edith-Stein-Zitat ist verkürzt und damit um die eigentliche Aussage beraubt wiedergegeben, die gerade in der Bestreitung der Möglichkeit der Frauenordination besteht und dabei Bouyers Argumentation recht nahekommt. Unmittelbar nach der zitierten Feststellung, dass der Frauenordination dogmatisch anscheinend nichts entgegenstehen würde, stellt die Heilige fest: „Ob es praktisch sich empfehlen würde, das läßt mancherlei Gründe für und wider zu. Dagegen spricht die gesamte Tradition von den Urzeiten bis heute, für mein Gefühl aber noch mehr als dies die Tatsache, die ich schon früher betonte: daß Christus als Menschensohn auf die Erde kam, daß darum das erste Geschöpf auf Erden, das in einem ausgezeichneten Sinn nach Gottes Bild geschaffen wurde, ein Mann war – das scheint mir darauf hinzuweisen, daß er zu seinen amtlichen 67
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rock 69) mag angesichts dessen verwundern, lässt sich aber unschwer auf die Entkontextualisierung von Zitaten zurückführen. Nicht erst die amtstheologischen Folgerungen, sondern sicher schon die Geschlechtertypologie inkl. der in dieser Form unhaltbaren psychologischen Idealtypologie sowie die heilsgeschichtlichen Implikationen werfen Fragen an Bouyers Entwurf auf, die weiterer Diskussion harren. Vor allem wäre darüber zu diskutieren, inwieweit seine Überlegungen tatsächlich einem Tiefenstrom der Tradition gegenüber der Moderne Recht verschaffen oder nicht vielmehr ihrerseits Stellvertretern auf Erden nur Männer einsetzen wollte. Wie er aber einer Frau sich so nahe verbunden hat wie keinem andern Wesen auf Erden, und sie so sehr zu seinem Bilde geschaffen wie keinen Menschen vorher oder nachher, wie er ihr für alle Ewigkeit eine Stellung in der Kirche gegeben hat wie keinem andern Menschen, so hat er zu allen Zeiten Frauen zur innigsten Vereinigung mit sich berufen, als Sendboten seiner Liebe, als Verkünderinnen seines Willens an Könige und Päpste, als Wegbereiterinnen seiner Herrschaft in den Herzen der Menschen: einen höheren Beruf als den der sponsa Christi kann es nicht geben, und wer diesen Weg offen sieht, der wird nach keinem anderen verlangen“ (Stein, Edith, Beruf des Mannes und der Frau nach Natur- und Gnadenordnung [1931], in: Dies., Die Frau, 56–78, hier 77). An anderer Stelle konstatiert sie mit Verweis auf diesen Text, dass sie „persönlich an eine Entwicklung bis zur Ermöglichung des Priestertums der Frau nicht glaube“. (Stein, Edith, Probleme der neueren Mädchenbildung [1932], in: ebd., 127–208, hier 139). 69 Vgl. Siebenrock, Repraesentatio Christi und Mannsein Jesu, 138. Siebenrock verwendet dasselbe Stein-Zitat wie Rath (s. Anm. 62), das er zwar um den unmittelbaren Folgesatz ergänzt, nicht aber um den inhaltlich diametral entgegenstehenden Rest des Abschnitts. Thérèse zitiert er direkt aus der „Histoire d’une âme“ (hier anhand der Deutschen Ausgabe von 1958). Die integrale Lektüre dieses geradezu als Mémorial der „kleinen Therese“ zu bezeichnenden 11. Kapitels der „Histoire“ (Martin, Édition critique, Bd. 2, 192–203) lässt jedoch unschwer kennen, dass Thérèse die Sehnsucht nach dem Priestertum (d. h. hier die Konsekrationsvollmacht und das Recht, die Hostie anzufassen!) ebenso wie die Sehnsucht nach Prophetentum und Martyrium (alle drei werden zugleich als „mes folies“ bzw. „mes petits désirs enfantins“ abgetan: 196 f.) als Stilmittel einsetzt, um in Analogie zum paulinischen „Hohelied“ (1 Kor 12,31b–13,13) auf die Liebe als ihre eigentliche Berufung zu sprechen zu kommen: „ma vocation, c’est l’amour! “ (198). In der kritischen Neuausgabe der „Histoire“ findet sich im Übrigen nur mehr die Exklamation „La vocation de prêtre!“ (196) ohne die in einigen Ausgaben vorangestellte Phrase „Je sens en moi“. Der Text kann eben so wenig wie der Bericht ihrer Schwester (vgl. Anm. 62) als Beweis des Überzeugtseins Thérèses von der grundsätzlichen Möglichkeit der Frauenordination oder einer eigenen priesterlichen Berufung gedeutet werden. Zur Einordnung vgl. etwa Wollbold, Klarer als Kristall, 34–38.
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aufgrund des geradezu romantischen Konzepts von Liebe und Ehe (als höchster christlicher Lebensform!) als Kind der Moderne bzw. des 19. Jahrhunderts zu betrachten sind. Und es wäre weiter zu fragen, ob die Emphase in der Darstellung der Frau als vollendetem Ebenbild Gottes jenseits gewisser mariologischer Nebengleise die christliche Tradition tatsächlich nachhaltig geprägt hat. Ungeachtet dieser durch seinen Entwurf aufgeworfenen Fragen soll der französische Theologe abschließend aber noch einmal selbst zu Wort kommen: „Il est bien clair, pourtant, que si l’homme, le vir, se définit dans l’humanité bi-sexuée par son caractère représentatif d’une transcendance, et plus définiment de la transcendance d’un Dieu qui se révèle et se communique à nous dans son Fils fait chair, de notre chair prise au sein d’une femme, c’est non un fait fortuit, sans importance ni signification, qu’il se soit fait homme et non femme“. 70
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Bouyer, Mystère et ministères, 80.
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Die Autorinnen und Autoren Johanna Brankaer, Dr. phil. Dr. theol., ist als Postdoc im GRK 2304 „Byzanz und die euromediterranen Kriegskulturen“ an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz tätig. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören das Christentum des 2. Jahrhunderts, einschließlich der Gnosis und die spätantiken christlichen Apokalypsen. Monnica Klöckener, Dr. theol., M.A., ist Akademische Rätin a. Z. am Seminar für Alte Kirchengeschichte, Patrologie und Christliche Archäologie der Katholisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören Bibelauslegung in der Alten Kirche, Tod und Sterben sowie Trostbriefe in der Alten Kirche, Hochschuldidaktik, bes. Kirchengeschichtsdidaktik und wissenschaftlich-theologisches Schreiben. Markus Lersch, Dr. theol. habil., ist Professor für Systematische Theologie am Seminar für Katholische Theologie der Philosophischen Fakultät der Universität Siegen. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören ökumenisch-theologische und religionsphilosophische Fragestellungen, die Sakramententheologie und die französische Theologie des 20. Jahrhunderts. Thomas Marschler, Dr. theol. habil. Dr. phil., ist Professor für Dogmatik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Augsburg. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören die Geschichte der katholischen Theologie (bes. mittelalterliche und frühneuzeitliche Scholastik), Fragen der theologischen Prinzipienlehre, Trinitätstheologie und Eschatologie. Lara Mührenberg, Mag. theol. B.A., ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Neues Testament mit Schwerpunkt Griechisch-römische Antike der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. In ihrem Dissertationsprojekt im Bereich der Christlichen Archäologie erforscht sie Geschlechterkonstruktion(en) in der stadtrömischen Katakombenmalerei. Zu ihren Forschungsinteressen gehören ikonographische
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Die Autorinnen und Autoren
Themen, Sepulkralkultur und -kunst, Märtyrer:innen- und Heiligenkult, Geschlechterdiskurse in historischer Perspektive, Digital Humanities in Archäologie und Bibelwissenschaften und innovative Ansätze in der universitären Lehre. Anselm Schubert, Dr. theol. habil., ist Professor für Neuere Kirchengeschichte am Fachbereich Theologie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Seine Forschungsschwerpunkte bilden die Theologie- und Kulturgeschichte des Christentums in der Frühen Neuzeit und im 19. Jahrhundert. Andrea Taschl-Erber, Dr. theol. habil., ist Professorin für Exegese und Theologie des Neuen Testaments am Institut für Katholische Theologie der Fakultät für Kulturwissenschaften an der Universität Paderborn. Ihre aktuellen Forschungsschwerpunkte sind neutestamentliche Tora- und Identitätsdiskurse, Eikon-Christologie, die Deuteropaulinen sowie Genderforschung. Hans-Ulrich Weidemann, Dr. theol. habil., ist Professor für Neues Testament mit einer Teildenomination Gender Studies / Masculinity Studies am Seminar für Katholische Theologie der Universität Siegen. Seine aktuellen Forschungsschwerpunkte sind das Corpus Paulinum, das Johannesevangelium, das lukanische Doppelwerk, frühchristliche Männlichkeits- und Askese-Diskurse sowie die Auslegung des Johannesevangeliums in der Alten Kirche. Mathias Winkler, PD Dr. theol. habil., ist Professurvertreter des Lehrstuhls Altes Testament an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Biblical Masculinity Studies, Theophaniedarstellungen des AT und das Sprichwörterbuch.