Von Richard Wagner zu Adolf Hitler: Varianten einer rassistischen Ideologie [1 ed.] 9783428545438, 9783428145430

Richard Wagners Antisemitismus ist seit über 160 Jahren in aller Welt stark umstritten. Die Einschätzungen reichen von e

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German Pages 260 [261] Year 2015

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Von Richard Wagner zu Adolf Hitler: Varianten einer rassistischen Ideologie [1 ed.]
 9783428545438, 9783428145430

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HUBERT KIESEWETTER

Von Richard Wagner zu Adolf Hitler

Zeitgeschichtliche Forschungen Band 47

Von Richard Wagner zu Adolf Hitler Varianten einer rassistischen Ideologie

Von

Hubert Kiesewetter

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlagbild: Haus Wahnfried, Richard-Wagner-Museum, Bayreuth (© ullstein bild – imageBROKER / Martin Siepmann) Alle Rechte vorbehalten

© 2015 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: Meta Systems Publishing & Printservices GmbH, Wustermark Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-14543-0 (Print) ISBN 978-3-428-54543-8 (E-Book) ISBN 978-3-428-84543-9 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

„Der uns verhaßte Hitler und Wagner, der von uns geliebte, sind untrennbar miteinander verbunden, von Anfang an und endlos, wegen uns allen? Alles andere ist Selbstbetrug.“ (Hans Jürgen Syberberg)

Vorwort Seit über eineinhalb Jahrhunderten werden die antisemitischen Schriften und Äußerungen Richard Wagners nicht nur kontrovers diskutiert, sondern es ist bis heute zu keiner wissenschaftlichen Übereinkunft ihrer korrekten Auslegung gekommen, obwohl es keineswegs an detaillierten Untersuchungen mangelt. Mit vielfältigen unterschiedlichen Varianten und Abschattierungen stehen sich grob gesehen zwei Standpunkte diametral gegenüber, nämlich einerseits die vehementen Vertreter von Wagners Humanität und Liberalität sowohl in seinen musikalischen Dramen und Opern als auch in seinen Schriften, andererseits die radikalen Kritiker von Wagners Antisemitismus als eine inhaltliche Vorwegnahme des nationalsozialistischen Rassismus. Es ist jedem nüchternen Betrachter klar, daß es zwischen diesen beiden extremen Positionen keine überbrückende Interpretation geben kann, die versöhnend oder gar erlösend zur Schlichtung dieser verbissen geführten Auseinandersetzung beitragen könnte. Aufrechterhaltene Widersprüche in wissenschaftlichen Erklärungen bedeuten logisch einen Supergau, da jede beliebige Aussage mit ihnen vereinbar ist. Das eigentlich wissenschaftliche Problem besteht deshalb nicht in einer erneuten, vielleicht sogar mythologischen, Rekapitulation entsprechender Texte, sondern im kritischen Nachvollzug der politischen Wirkungsgeschichte einer rassistischen Ideologie. Dazu möchten die folgenden Überlegungen einen faktengesättigten Beitrag leisten. Es hat bei den umfangreichen Veröffentlichungen zum Thema Wagner – Hitler den Anschein, als müsse gegenüber einigen Autoren darauf hingewiesen werden, daß Wagner kein Nationalsozialist war, so wenig wie Hegel, Förster, Nietzsche, Treitschke oder Stoecker. Doch in einer freiheitlichen Demokratie muß ohne irgendeine Gefährdung, sanktioniert zu werden, die kritische Anfrage erlaubt sein, ob ein noch heute weltberühmter Komponist und Dramatiker durch seine antisemitischen Schriften und Aussagen nicht in einen schließlich reißenden Strom des Rassenhasses eingestiegen und mitgeschwommen ist. Es war ja lange Zeit unter Wagnerianern üblich, kritische Ansätze gegenüber dem Werk Wagners mit rigoroser Schärfe zu verfolgen und sie zu denunzieren. Dieser sich steigernde Judenhaß im Wagner-Bayreuth mündete jedoch schließlich in der größten und absurdesten Katastrophe der deutschen Geschichte: der versuchten Vernichtung des gesamten jüdischen Volkes. Viele jüngere Menschen, die keinen unmittelbaren Kontakt mehr mit den Opfern hatten oder haben, welche durch die menschliche Hölle einer vernichtungswütigen Diktatur hindurchgegangen sind oder sogar ermordet wurden, können sich kaum mehr das andauernde Entsetzen vorstellen, mit dem unsere Generation in den Jahrzehnten nach 1945 konfrontiert wurde. Man erfuhr, daß die eigenen Väter und Mütter in diese menschenverachtende Vernichtungsmaschinerie

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Vorwort

verstrickt waren, ja manche von ihnen haben sich als Mörder betätigt und dadurch ihren moralischen Kredit verspielt. Über diese rassistische Vergangenheit dürfen wir auch Generationen nach diesen fürchterlichen Ereignissen nicht Augen und Gehirne verschließen. Über mindestens drei Jahrzehnte, von dem Aufsatz „Das Judenthum in der Musik“ 1850 bis zu seinem Tod am 13. Februar 1883, hat Wagner mit steigender Intensität und einem sich vergrößernden Einfluß auf seine Mitstreiter eine menschenverachtende Synthese von deutschem Nationalismus und judenfeindlicher Aggression zu schmieden versucht; darüber scheint es unter kritischen Wissenschaftlern heute keinen großen wissenschaftlichen Dissens mehr zu geben. Wie allerdings dieses antisemitische Gebäude von antisemitischen Parteien und Gefolgsleuten Wagners aufgenommen und in ein rassistisches System integriert bzw. umgewandelt wurde, darüber gehen die Ansichten weiterhin auseinander. Selbst ein halbes Jahrhundert vor der Hitlerschen Machtergreifung, bei Wagners Tod in Venedig, hätten träumerische Phantasten sich nicht ausmalen können, daß der weltberühmte Komponist und Dramatiker einen politischen Einfluß auf zerstörerische Machtmenschen wie die Nationalsozialisten ausüben sollte. Jedenfalls nicht ohne die unausweichliche Konsequenz, daß die künstlerischen Intentionen Wagners vollständig zerstört worden wären. Es war nämlich keineswegs Hitler allein, der im Dritten Reich einen Wagner-Kult betrieb, sondern eine Reihe führender Nationalsozialisten, von Joseph Goebbels bis Alfred Rosenberg, waren begeisterte Wagnerianer. Dabei muß zusätzlich bedacht werden und zu denken geben, daß z. B. weder Thomas Mann noch Adolf Hitler, die beide seit ihren Jugendjahren bis zu ihrem Tod begeisterte Wagnerianer waren, auf die antisemitischen Schriften Wagners in ihren vielfältigen Stellungnahmen und unterschiedlichen Wagnerinterpretationen in schriftlicher oder mündlicher Form eingegangen sind. Im krassen Gegensatz dazu steht der Bayreuther Kreis, von Cosima Wagner über Houston Stewart Chamberlain und Hans Paul Frh. von Wolzogen bis zu Winifred Wagner, der offensichtlich darauf hinarbeitete, nicht nur Wagners Antisemitismus in eine rassistische Ideologie zu verwandeln, sondern spätestens seit 1923 das eigentliche geistige und menschliche Verbindungsglied zwischen Wagner und Hitler zu schmieden. Wir sollten deshalb erneut fragen, wie es möglich war, daß eine rassistische Ideologie, die fast zur Vernichtung des europäischen Judentums geführt hat, in Wagner einen mentalen Vorläufer erkennen konnte und sich massiv auf ihn berufen hat. Diese Bayreuther Tragikomödie wurde ja keineswegs von primitiven germanischen Horden aufgeführt, sondern wurde von einem kulturellen Milieu höchster moralischer Ansprüche inszeniert und solange fortgeführt, bis nichts mehr als der vollständige Untergang ethischer Maßstäbe möglich war. In der wissenschaftlichen Forschung haben Gefühle oder Mythen, ganz im Gegensatz zur Wagnerschen Musik, keinen Platz, obwohl sie natürlich kritischer Gegenstand einer wissenschaftlichen Analyse sein können. Das musikalische und

Vorwort

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dramatische Werk Richard Wagners besteht allerdings zu großen Teilen aus emotionalen Beziehungsdramen, aus Liebes- und Todessehnsucht, aus mittelalterlich verbrämten germanischen Sagengestalten oder aus mystischen Anklängen an antike Überlieferungen, d. h. aus einer märchenhaften Flucht vor den banalen Widrigkeiten des alltäglichen Lebens und einer verhängnisvollen Verurteilung der kapitalistischen Produktion, die wenig Bezug zur konkreten historischen Realität aufweisen. Wenn deshalb von Literatur- und Musikhistorikern die sich einer wissenschaftlichen Erklärung verweigernden Gedankensysteme Wagners wortreich wiedergegeben werden, kann dadurch kein nachprüfbarer Anspruch auf wissenschaftliche Exaktheit begründet werden. Wortreiche Interpretationen und verästelte Definitionen von verschlungenen Gedankengängen sind kein vollwertiger Ersatz für erkenntniskritische Problemlösungen. Wissenschaftliches Arbeiten bedeutet vor allem logisch stimmige Erklärung und sprachlich verständliche Überprüfung scheinbar widersprüchlicher Sachverhalte, d. h. ohne eindeutige und widerspruchsfreie Sprache ist Wissenschaft dazu verurteilt, in vorwissenschaftlichen Betrachtungen steckenzubleiben. Dies macht jede interpretatorische Auseinandersetzung mit den vielschichtigen Texten Wagners zu einem gratwandlerischen Wagnis, aber wenn sie nicht angenommen wird, können wir kaum darauf hoffen, zu einer erklärenden Vertiefung der behandelten Materie zu gelangen. Unter diesen wissenschaftlichen Prämissen habe ich versucht, die politische Wirkungsgeschichte des Wagnerschen Antisemitismus neu zu beleuchten, ohne irgendeinen Anspruch auf auch nur annähernde Vollständigkeit oder besondere Originalität damit verbinden zu wollen. In den kultur- und geschichtswissenschaftlichen Forschungen über Wagners Schriften zu diesem Thema ist diesen vielfältigen Verästelungen der wirkungsgeschichtlichen Folgen m. E. nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt worden, trotz einer fast unüberschaubaren Wagner-Literatur und selbst vielen Einzelstudien des nationalsozialistischen Wagnerianismus. Die relativ häufigen Zitate in diesem Buch aus älterer und neuerer Literatur verfolgen den erkenntnistheoretischen Zweck, einer verbreiteten, relativistischen Ansicht entgegenzutreten, jede Epoche besitze ihre eigenen sozialen und politischen Gesetze oder der Nationalsozialismus sei ein exzeptioneller, mit nichts vergleichbarer Einbruch menschenverachtender Politik in der bisherigen Weltgeschichte gewesen. Jede Gesellschaftsform beruht auf unterschiedlichen Ideen bzw. Ideologien, die vor ihrer politischen Realisierung entstanden sind und die an existierende Verhältnisse angepaßt oder ihr übergestülpt wurden. Deshalb habe ich viele Zitate in den Text und die Anmerkungen aufgenommen, um zu zeigen, wie unterschiedlich verschiedene Interpreten sich zur gleichen Zeit zu ähnlichen Sachverhalten äußerten. Der Wagnersche Antisemitismus hat ebenfalls viele inhaltliche Veränderungen durchlaufen, von dessen Varianten keine mit dem Hitlerschen Rassismus identisch ist, doch können wir von Wagners humaner Einstellung in polemischer Überspitzung sagen, daß er ein „charakterloses Chamäleon“ (Konrad Heiden) war, das seine Ansichten den äußeren Umständen anpaßte. Selbst bei Adolf Hitler wissen wir nicht definitiv, welche gedanklichen Anteile bei der ausführlichen Beschäftigung mit

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Vorwort

Wagners Musik und Schriften für seinen zerstörerischen Rassenwahn maßgeblich waren; wir können lediglich überprüfbare Hypothesen aufstellen. Solche möglichst faktengesättigten Hypothesen sollen dazu beitragen, die wirkungsgeschichtlichen Schnittstellen zwischen Wagners Antisemitismus, dem Rassismus des Bayreuther Kreises und dem mörderischen Rassenwahn Hitlers genauer erklären zu können. Es scheint mir weiterhin eine wissenschaftliche Erklärung notwendig, ob die politische Instrumentalisierung des germanisch-rassischen Mythos im Dritten Reich auf einem fruchtbaren Nährboden beruht, der von Richard Wagner und dem Bayreuther Kreis durchgepflügt und bepflanzt wurde und dessen Früchte Wagnersche Anteile enthalten. Trotz einer über 160jährigen, intensiven Beschäftigung mit Wagners Antisemitismus und dessen politischen Folgen scheint es mir lohnend zu sein, die geistesgeschichtlichen Wurzeln in einem gedrängten Überblick neu freizulegen, um dadurch einen historischen Einblick in die verworrene deutsche Geschichte zu präsentieren. Eichstätt, den 13. August 2014

Hubert Kiesewetter

Inhaltsverzeichnis 1. Kapitel: Einleitende Gedanken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 2. Kapitel: Thomas Manns ambivalenter Wagnerkult . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 3. Kapitel: Wagners früher Antisemitismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 4. Kapitel: Die spärlichen Reaktionen auf den Judenaufsatz von 1850 . . . . . . . . . . . . . . . 64 5. Kapitel: Die verstärkende antisemitische Rolle des Bayernkönigs Ludwig II. . . . . . . . 73 6. Kapitel: Die heftige Kritik an und die Verteidigung von Wagners Judenthum 1869 . . 103 7. Kapitel: Die zwiespältige Rolle von Cosima Wagners Antisemitismus . . . . . . . . . . . . 151 8. Kapitel: Houston Stewart Chamberlains Rassismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 9. Kapitel: Hitler als Wagnerianer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 10. Kapitel: Hitler und Winifred Wagners Bayreuth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 11. Kapitel: Können wir aus den Wagner-Interpretationen etwas lernen? . . . . . . . . . . . . . 226 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253

1. Kapitel

Einleitende Gedanken Um von vornherein Mißverständnisse zu vermeiden, möchte ich betonen, daß es mir in dieser Abhandlung nicht in erster Linie um die Musik bzw. um die Kompositionen des weltberühmten Richard Wagner geht, auch wenn bei dem Thema Wagner – Hitler oft unterstellt wird, daß Hitlers mörderischer Judenhaß in Wagners Musik einen Ursprung habe.1 Musik spricht vor allem menschliche Gefühle und Stimmungen an, die vom Einzelnen sehr unterschiedlich aufgenommen und beurteilt werden, weshalb ich jedem Wagnerenthusiasten zugestehe, von der Musik dieses Komponisten begeistert zu sein, wie ich von der Musik Bachs, Beethovens oder Schuberts begeistert bin. Es scheint mir allerdings das eigentliche wirkungsgeschichtliche Problem zu verfehlen, wenn man die Ansicht von Jonathan Carr teilt: „Wären Wagners Werke wirklich die ,exakten geistigen Vorläufer‘ des Nazismus, hätte ganz sicher gerade der Führer als Erster darauf bis zur Erschöpfung herumgeritten.“2 Ideologische und politische Einflüsse über einen längeren Zeitraum können niemals auf einer Eins-zu-Eins-Kopie des Originals beruhen, sondern sie übernehmen Bruchstücke oder Teile, die in der historischen Konstellation passend sind. Was allerdings nicht mehr bei Wagner geleugnet werden kann – und was von einer Reihe von führenden Nationalsozialisten als dauernde Bestätigung ihres Fanatismus gegen alles Jüdische aufgenommen wurde –, ist folgendes: „Das Judenproblem nahm ihn immer stärker gefangen und beschäftigte ihn unablässig bis zu seinem Tode, es ließ ihm keine Ruhe und geriet hartnäckig in alle seine Gespräche, Briefe und Artikel.“3 Wenn dies der Fall war, müssen wir uns erneut mit 1

Die gründlichste Auseinandersetzung mit dem Problem der antisemitischen Inhalte bzw. Stereotypen von Wagners Musik stammt von Marc A. Weiner: Antisemitische Fantasien. Die Musikdramen Richard Wagners, Berlin 2000, S. 133 ff. Weiner will nicht zeigen, daß Wagners Musik nationalsozialistisch war, sondern: „Eine der Ironien von Wagners Antisemitismus besteht also darin, dass er ihn vielleicht dazu brachte, seine schönste Musik und seine dramatisch reichsten Figuren zu schaffen.“ (S. 19). Auf andere Autoren, die eine direkte Verbindung zwischen Wagner und Hitler annehmen, wird weiter unten eingegangen. 2 Jonathan Carr: Der Wagner-Clan. Aus dem Englischen von Hermann Küsterer. 2. Aufl., Hamburg 2008, S. 253. 3 Robert Gutman: Richard Wagner. Der Mensch, sein Werk, seine Musik (1970). Deutsche Übersetzung von Horst Leuchtmann. 7. Aufl., München 1989, S. 341. Bezüglich der antisemitischen Anschauungen Wagners vertritt Jacob Katz: Vom Vorurteil bis zur Vernichtung. Der Antisemitismus 1700 – 1933. Aus dem Englischen von Ulrike Berger, München 1989, S. 190, die Auffassung: „So radikal und giftig seine Ablehnung der Juden auch war, sie gründete nicht in rassistischen Vorstellungen.“

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1. Kap.: Einleitende Gedanken

der historischen Frage auseinandersetzen, wo die Schnittstellen zwischen Wagners Antisemitismus und Hitlers Rassismus gefunden werden können. Joachim Fest, der sich intensiv mit Hitler und Wagner beschäftigt hat, versuchte die moralische Verantwortung Wagners für diese rassistische Tradition dadurch abzuschwächen, indem er behauptete: „Wagners Antisemitismus hat, wie wir wissen, seine Bereitschaft nicht beseitigen können, im einen oder anderen Fall von sich und seinem Vorurteil abzurücken.“4 Er habe ja schließlich persönlichen Umgang mit Hermann Levi, Angelo Neumann, Heinrich Porges – der illegitime Sohn von Franz Liszt, der zum jüdischen Glauben konvertierte! und doch „im Innersten wahrhaftig Christ“5 geblieben sei –, Joseph Rubinstein oder Carl Tausig gehabt; aber warum sollten Judenfeinde im 19. Jahrhundert jeden Judenkontakt meiden? Wir werden noch hören, welche niederträchtigen Ansichten Wagner über seine angeblichen Freunde vertreten hat, doch am Beispiel von Hermann Levi, dem jüdisch gebliebenen Sohn aus einer alten Rabbinerfamilie, läßt sich paradigmatisch zeigen, wie wenig Widerstand oder Kritik Wagner befürchten mußte. Cosima Wagner erwähnte z. B. in ihrem Tagebuch vom 13. Januar 1879 einen der vielen Besuche Levis im Bayreuther Haus Wahnfried: „Der Km. [Kapellmeister] berichtet von einer großen Bewegung gegen die Juden auf allen Gebieten; in München wolle man sie aus dem Magistrat entfernen – er hofft, in 20 Jahren würden sie mit Stiel und Stumpf ausgerottet und das Publikum des ,Ringes‘ ein anderes Volk abgeben, wir ,wissen es anders‘ – Uns beiden wiedergegeben, sprechen R. und ich von dem merkwürdigen Zug einzelner Juden zu ihm, er sagt, wir bekommen in Wahnfried eine Synagoge!“6 Fest hingegen war der noch zu erörternden Auffassung, wegen dieser jüdischen Freunde sei „ein Verhältnis unmittelbarer Nachfolge zwischen Richard Wagner und Hitler nicht ohne Gewaltsamkeit herzustellen“.7 Mit weniger Gewalt und mehr Rationalität kann man aber feststellen, daß Hitler Wagner als sein nicht nur künstlerisches Vorbild angesehen hat, weshalb man deutlicher, als dies Udo Bermbach versucht, die einzelnen Rinnsale des Wagnerschen Antisemitismus verfolgen muß, um zu überprüfbaren Aussagen zu gelangen. „Es mag ja sein, daß sich Hitler aus seiner Wagner-Lektüre und den Wagnerschen Musikdramen auch Teile seiner Weltanschauung zusammengebraut oder deren Versatzstücke durch selektive Übernahme von Wagnerschen Bekenntnissätzen untermauert hat – aber was besagt das über Wagners Denken, über dessen Intentionen, seine politischen, gesellschaftlichen und ästhetischen Absichten?“8 4 Joachim Fest: Fremdheit und Nähe. Von der Gegenwart des Gewesenen, Stuttgart 1996, S. 285. 5 So Hans von Wolzogen: Lebensbilder, Regensburg 1923, S. 96. 6 Cosima Wagner: Die Tagebücher. Band II: 1878 – 1883. Ediert und kommentiert von Martin Gregor-Dellin und Dietrich Mack, München/Zürich 1977, S. 290 (Hervorhebung von mir). Ausführlich zu Levi das 7. Kapitel. 7 J. Fest: Fremdheit und Nähe (wie Anm. 4), S. 293. 8 Udo Bermbach: Liturgietransfer. Über einen Aspekt des Zusammenhangs von Richard Wagner mit Hitler und dem Dritten Reich, in: Richard Wagner im Dritten Reich, hrsg. von

1. Kap.: Einleitende Gedanken

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Im Dritten Reich gab es eine anschwellende Flut von Publikationen über Wagner – allein der vom Wittelsbacher Ausgleichs-Fonds und Winifred Wagner herausgegebene sowie von Otto Strobel bearbeitete Briefwechsel zwischen König Ludwig II. und Richard Wagner, der in fünf Bänden von 1936 bis 1939 erschien, umfaßt 1.470 großformatige Seiten –, die hier nicht im Detail behandelt werden sollen, sondern auf die überwiegend in den Fußnoten eingegangen wird. Ohne die herausgeschrieene Begeisterung Hitlers für den ,Vordenker‘ Wagner hätte der nationalsozialistischen Ideologie eine wesentliche Tragsäule gefehlt. Bereits im JuliHeft 1933 brachte die Nationalsozialistische Monatszeitschrift Deutsches Wesen Beiträge über „Richard Wagner und das neue Deutschland“ heraus, in dem Richard Wagner „auf der Schwelle zum Dritten Reich“9 bejubelt wurde. Es ist unbestritten, daß diese Publikationsflut mit Hitlers oft geäußerter Wagnerbegeisterung unmittelbar verkoppelt ist, doch selbstverständlich konnten nationalsozialistische Wagnerianer nahtlos an Wagners Antisemitismus anknüpfen und ihn für ihre politischen Zwecke instrumentalisieren und ausbeuten. Man denke nur an die Aussage Wagners, es seien ihm ganz merkwürdige Dinge aufgegangen, „wie auch die heroischen Wesen in der Natur erliegen müssen, Menschen wie Tiere, ,bleiben tun Ratten und Mäuse – die Juden‘,“10 und die nationalsozialistische Propaganda von den lebensunwerten Untermenschen. Antisemitische Tendenzschriften beginnen bereits Jahre vor der Hitlerschen Machtergreifung, aber seit 1933 konnten alle noch vorhandenen moralischen Rücksichten gegenüber jüdischen Schriftstellern, die sich zustimmend oder ablehnend mit Wagner beschäftigten, fallengelassen werden, um die wahre deutsche Größe Wagners und sein antisemitisches Vorbild der zusammenwachsenden Volksgemeinschaft vor Augen zu führen. Wenn noch 2010 in einer an die marxistische Ideologie angelehnten Interpretation behauptet wird, im Dritten Reich habe keine eingehende Auseinandersetzung mit dem Komponisten stattgefunden, dann scheint der Mythos eines monopolistischen Faschismus aus den DDR-Ruinen wiederauferstehen zu wollen. Die gesamte vornationalsozialistische und chauvinistische Wagner-Rezeption in dem halben Jahrhundert von Wagners Tod bis zur Machtergreifung Hitlers, die Wagner auf den unangreifbaren Sockel eines unerreichbaren künstlerischen Genies gestellt und den „Ewigkeitswert seines Schaffens“ (so Julius Kapp am 1. Oktober 1929) gepriesen hat, muß man ausblenden, um zu dem lächerlichen Ergebnis zu kommen: „Nach Saul Friedländer und Jörn Rüsen, München 2000, S. 41. Dagegen äußert sich Hartmut Zelinsky: Richard Wagner – ein deutsches Thema. Eine Dokumentation zur Wirkungsgeschichte Richard Wagners 1876 – 1976 (1976). 3., korrig. Aufl., Berlin/Wien 1983, S. 4, ziemlich eindeutig: „Hitler war konsequenterweise Wagnerianer, aber nicht erst er hat Wagner zu einem deutschen Thema gemacht.“ Und Bryan Magee: Aspects of Wagner (1968). 2. Aufl., Oxford/ New York 1988, S. 25, glaubt: „Wagner’s anti-Semitism is strikingly similar in its personal origins to Hitler’s.“ 9 So Benedikt Lochmüller: „Mächtige Macht“. An Richard Wagner, auf der Schwelle zum Dritten Reich, in: Deutsches Wesen, Juli-Heft 1933, S. 2. 10 C. Wagner: Die Tagebücher, Bd. II (wie Anm. 6), S. 293. Eintrag vom 19. Januar 1879.

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1. Kap.: Einleitende Gedanken

1933 wird dann Wagner in das braune Pantheon befördert.“11 Es ist zwar richtig, daß nicht nur gegen jüdische Autoren, sondern gegen fast jede kritische Stimme – wie wir später bei dem ,Protest der Richard-Wagner-Stadt München’ gegen Thomas Mann sehen werden – vom Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft rigoros gekämpft und sie denunziert wurde. Die damit verbundene Absicht bestand jedoch in der politischen Umerziehung der deutschen Jugend und ihre ideologische Indoktrination mit nationalsozialistischen Unwerten, wie es der Münchener Generalmusikdirektor Prof. Dr. Alfred Lorenz 1938 unter Rückgriff auf das Genie Wagner, das der Welt „nur alle tausend Jahre einmal geschenkt wird“,12 formulierte: „Das Verständnis für einen Kämpfer von solch willensstarker Zielstrebigkeit, dessen Idealismus gegen eine Welt von Unverstand, Mißgunst und Gleichgültigkeit standhielt, muß der Charakterbildung förderlich sein.“ Hitler war seit seinen Jugendjahren Antisemit, doch die zuerst mörderischen Phantasien und dann die millionenfache Praxis des Judenmordes können nicht Wagner allein zur Last gelegt werden, wie Joachim Köhler undifferenziert behauptet: „Hitlers private Utopie, ohne deren Kenntnis seine Errungenschaften wie seine Greueltaten unbegreiflich bleiben, trug den Namen Richard Wagner.“13 Hier werden symbolische Anklänge verwendet, die mit der historischen Realität ganz wenig zu tun haben und eher ein Sensationsbedürfnis bedienen, das heute viele Medien beherrscht. Es läßt sich vielmehr die Aussage nachvollziehen, die auf den Einfluß des Bayreuther Kreises der Familie Wagner bezogen ist, auf Dietrich Eckart, Helene und Edwin Bechstein, Elsa und Hugo Bruckmann: „Was Wagner für Hitlers Persönlichkeit war, das bedeutete Wahnfried für seine Karriere.“14 Hitler hatte Helene Bechstein und Elsa Bruckmann durch die Vermittlung des aus einer Münchener Kunsthändlerfamilie stammenden Ernst Hanfstaengl (1887 – 1975) kennengelernt, der bereits 1931 Auslandspressechef der NSDAP wurde, aber 1937

11 Hubert Kolland: Wagner-Rezeption im deutschen Faschismus, in: Internationales musik- und theaterwissenschaftliches Kolloquium, Beucha-Markkleeberg 2010, S. 301. Mit einigem Wohlwollen kann man es als eine weitgehende Unkenntnis der Wagnerliteratur ansehen, wenn Kolland behauptet: „Zwischen 1933 und 1945 ist praktisch nichts Relevantes über den Komponisten Wagner erschienen.“ (S. 304). 12 Alfred Lorenz: Einleitung zu Richard Wagner: Ausgewählte Schriften und Briefe. 1. Band, Berlin 1938, S. 1. Dort auch das nächste Zitat. Den Wagnerschen Werken könne man entnehmen, „daß tiefe Gedanken über Sozialismus, Volksgemeinschaft, Volkswehr, Vaterlandsliebe, Kolonien, Kultur das traumhafte Wunschbild Richard Wagners erfüllt haben“ (S. 3). 13 Joachim Köhler: Wagners Hitler. Der Prophet und sein Vollstrecker. 2. Aufl., München 1997, S. 8. Diese These führt bei Köhler zu schwindelerregenden und unbeweisbaren Übertreibungen: „Alle Hitlerschen Superlative, die Triumphstraßen mit qualmenden Pylonen und Zeppelinfelder mit rhythmisch bewegten Massen, die Breker-Monster und Flacklichtdome, wuchsen aus dem Bildungshumus des Autodidakten, dem Wagners Werke die Welt bedeuteten.“ (S. 136). 14 Ebd., S. 231. „Hitlers Glaube war Wahnfrieds Glaube.“ (S. 232).

1. Kap.: Einleitende Gedanken

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nach England flüchtete.15 Es scheint mir ebenfalls eine gewagte These zu sein, daß der Tantiemenausfall für Wagneropern seit 1913 dazu geführt haben soll, „dass die Festspiele in finanzielle Nöte gerieten und sich dem nationalsozialistischen Regime andienten“,16 denn seit 1924 lebten die Festspiele erfolgreich wieder auf. Nicht das ,Regime‘, sondern die Person Adolf Hitler, des Wagnerenthusiasten, wie wir später noch genauer sehen werden, bildete ab 1933 das finanzielle Verbindungsglied zu Bayreuth und den sprudelnden Zuschüssen nicht nur zu den Festspielen. Nicht ohne den materiellen Hintergedanken, daß die Bayreuther Wagnerianer ihm gewogen blieben, schenkte Hitler seiner langjährigen Förderin Helene Bechstein das Originalmanuskript von Mein Kampf.17 Andererseits haben antisemitische Strömungen lange vor dem Dritten Reich Wagners Judenhaß genutzt, um berühmte Zeugen für ihren extremen Nationalismus zu reklamieren: „Es gehört zu den herrlichsten Zügen an Wagners Erscheinung, daß er mit unfehlbarer Sicherheit aufdeckt, wo sich die wahren Feinde des Deutschtums bergen.“18 Und der spätere Nationalsozialist Hans von Wolzogen verklärte 1924 den angeblich unsterblichen deutschen Idealismus zu einem Seelenvermögen, das „mit dem Willen nach Erlösung wiederum so verwandt ist wie das wahre Deutschtum mit dem reinen Christentum“.19 Den Hitlerschen Judenhaß auf ein persönliches Vorbild zu verengen und zu behaupten: „Was Hitler dachte, hörte er in Wagners Musik; was er fühlte, bewegte sich zwischen den Extremen einer ekstatisch bejubelten Lohengrin-Ankunft und einem erschütternden Wotans-Abschied, zwischen funkensprühendem Feuer- und tauglänzendem Karfreitagszauber; was ihm in Wagners Dramen um Sein oder Nichtsein plastisch vor die Sinne getreten war, fügte sich in einen scheinbar logischen Zusammenhang von dämonischer Suggestivkraft, der sich wiederum, begrifflich ausgearbeitet und mit prophetischer Autorität ver-

15 Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945, Frankfurt am Main 2003, S. 223, zitiert einen Tagebucheintrag Joseph Goebbels vom 13. März 1937 über Hanfstaengl: „Wenn der auspackt, das wird alle anderen Emigranten weit in den Schatten stellen.“ 16 Holger R. Stunz: Hitler und die „Gleichschaltung“ der Bayreuther Festspiele, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 55. Jg., 2007, S. 242 (Hervorhebung von mir). 17 Vgl. Joseph Wulf: Kultur im Dritten Reich. Band 5: Musik im Dritten Reich. Eine Dokumentation, Frankfurt a. M./Berlin 1989, S. 91. 18 Karl Grunsky: Richard Wagner und die Juden, München o. J. (1921), S. 7. Oder ganz im Sinne Wagners und in seinem Duktus: „Wir sind ganz besonders gefährdet und im Nachteil gegen die Juden, die sich in ihrem Triumphe schon sicher fühlen. Dadurch werden gerade wir Deutsche am ehesten gezwungen, den Dämon loszuwerden. Setzen wir unsere Befreiung durch, so haben wir, was gegen die Juden geleistet worden ist, zugleich für alle andern Völker geleistet!“ (S. 92). 19 Hans von Wolzogen: Wagner und seine Werke. Ausgewählte Aufsätze, Regensburg 1924, S. 24. Später heißt es: „Unser Deutschbewußtsein hat sicherlich durch Wagners Dichtungen gewonnen: wir sind an diesem Dichter unserer deutschen Phantasie und Poesie von ihrer mythischen Wurzel aus wieder so recht froh und stolz geworden.“ (S. 34).

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sehen, in Wagners Philosophie wiederentdecken ließ“,20 wird allerdings einer wirkungsgeschichtlichen Erklärung überhaupt nicht gerecht, kommt ihr nicht einmal nahe. Diese Überbetonung eines einzigen, wenn auch wichtigen Aspekts im Denken und Schaffen Wagners kann ebensowenig dazu beitragen, die komplexe Gemengelage des nationalsozialistischen Wagnerianismus zu entwirren. Ebenso vermag die oft geäußerte These vom ,Mißbrauch‘ Wagners durch die Nationalsozialisten nicht zu überzeugen, denn Ideen zu mißbrauchen bedeutet ja eine böswillig übertriebene und unerlaubte Anwendung solcher Ideen. Wenn wir die antisemitischen Äußerungen, Aufsätze und Broschüren Wagners auch nur halbwegs unvoreingenommen betrachten, dann wird jedoch jeder Leser über inhaltliche Gleichklänge mit der nationalsozialistischen Ideologie überrascht sein. Was hier in unterschiedlichen Interpretationsansätzen erörtert werden soll, ist die außergewöhnliche Wirkungsgeschichte des Antisemitismus Wagners, die natürlich nicht völlig unabhängig gesehen werden kann von seinem phänomenalen Ruhm als Opernkomponist und dramatischer Dichter, selbst wenn behauptet wird, so argumentiere man „aus den Schlupfwinkeln einer Cliquenpolitik“.21 Doch wir können, relativ unabhängig von dem Menschen Wagner, kritische Fragen an die politische Verantwortung einer Familie oder den Bayreuther Wagnerkreis richten, die aus eigenem Können und wegen besonderer historischer Umstände eine herausragende gesellschaftliche Stellung in der Geschichte des Antisemitismus und Rassismus eingenommen haben. Schon seit der Geburt Wagners am 22. Mai 1813 und als er nach den für ihn deprimierenden Erfahrungen in Paris, als Hofkapellmeister in Dresden und einer gescheiterten Revolution 1850 unter dem Pseudonym K. Freigedank in der Neuen Zeitschrift für Musik den Aufsatz „Das Judenthum in der Musik“22 veröffentlichte, war trotz vielversprechender Ansätze für eine Judenemanzipation ein latenter Antisemitismus weitverbreitet. Dieser Aufsatz ist seit seinem ersten Erscheinen sehr diametral beurteilt worden, denn während einige in ihm Gedanken des vernichtenden Judenhasses der Nationalsozialisten erkennen, wollen andere ihn eher verharmlosend als Emanzipationsangebot an die Juden interpretieren. So heißt es etwa in der Dokumentation zur Bayreuther Ausstellung 20

J. Köhler: Wagners Hitler (wie Anm. 13), S. 281. Deutschlands durchschnittliche Antisemiten hätten zwar Juden verwünscht, gehaßt oder auch gerne dahin geschickt, wo der Pfeffer wächst, aber deren Massenmord durch Gaskammern habe man sich nicht vorstellen können: „Erst Wagners großes Welttheater vom metaphysischen Nibelungenkampf, von Verrat und Meuchelmord, vom Untergang der arischen Göttersöhne und der Heraufkunft der Alberichs-Herrschaft verhalf dem Undenkbaren zu sinnfälliger Anschaulichkeit.“ (S. 248 f.). 21 Wilhelm Matthes: Was geschah in Bayreuth von Cosima bis Wieland Wagner? Ein Rechenschaftsbericht, Augsburg 1996, S. 65. 22 Vgl. K.[arl] Freigedank: Das Judenthum in der Musik, in: Neue Zeitschrift für Musik, 33. Bd., Nr. 19. 3. September 1850, S. 101 – 107; Nr. 20, 6. September 1850, S. 109 – 112. Dieser Aufsatz ist von Wagner selbst in veränderter Form unter seinem Namen noch zweimal abgedruckt worden. Zuerst als erweiterte Broschüre Das Judenthum in der Musik, Leipzig 1869, Verlagsbuchhandlung von J. J. Weber, später in der von Wagner Anfang der 1870er Jahre zusammengestellten Werkausgabe. Richard Wagner: Gesammelte Schriften und Dichtungen (1888). 5. Band. Nachdruck Hildesheim 1976, S. 66 – 85.

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„Wagner und die Juden“ von 1984 über den Judenaufsatz: „Er greift darin Züge einer ostjüdischen Minderheit heraus, projiziert sie auf den Juden schlechthin und zeichnet ein Zerrbild, das von jedem kultivierten Durchschnittsjuden ad absurdum geführt wurde.“23 Zwei recht disparate Beispiele antisemitischer Einstellungen aus der Zeit vor dem ersten Erscheinen des Wagnerschen Judenaufsatzes, die beliebig erweitert werden könnten, mögen verdeutlichen, wie unterschwellig damals antisemitische Vorstellungen verbreitet wurden und wie wenig sich der Emanzipationsgedanke durchgesetzt hatte. Im Mai 1811 schrieb der preußische General Friedrich von der Marwitz an den König Friedrich Wilhelm III.: „Diese Juden, wenn sie ihrem Glauben treu sind, die notwendigsten Feinde eines bestehenden Staates, wenn sie ihrem Glauben nicht treu sind – Heuchler –, haben die Masse des Geldes in ihren Händen, sobald aber das Grundeigentum so in seinem Werte gesunken sein wird, daß es für sie mit Vorteil zu acquirieren ist, wird es sogleich in ihre Hände übergehen, sie werden, als Grundbesitzer die Hauptrepräsentanten des Staates, und so unser altes, ehrliches brandenburg’sches Preußen ein neumodischer Judenstaat werden.“24 Und 1844 veröffentlichte der aus einer jüdischen Rabbinerfamilie stammende und protestantisch getaufte Karl Marx in den Deutsch-Französischen Jahrbüchern den Aufsatz „Zur Judenfrage“, in dem die bürgerliche Gesellschaft angeklagt wurde, aus egoistischen Motiven Geldjuden aus ihren Eingeweiden zu erzeugen: „Wir erkennen also im Judentum ein allgemeines gegenwärtiges antisoziales Element, welches durch die geschichtliche Entwicklung, an welcher die Juden in dieser schlechten Beziehung eifrig mitgearbeitet, auf seine jetzige Höhe getrieben wurde, auf eine Höhe, auf welcher es sich notwendig auflösen muß. Die Judenemanzipation in ihrer letzten Bedeutung ist die Emanzipation der Menschheit vom Judentum.“25 23 Manfred Eger: Wagner und die Juden. Fakten und Hintergründe. Eine Dokumentation zur Ausstellung im Richard-Wagner-Museum Bayreuth (1985). 2., verb. und erg. Aufl., Bayreuth 1992, S. 4. Hier wird Wagners extremer Antisemitismus psychologisch verharmlost – z. B. gibt es den „gegen die Juden bislang weitgehend liberal und neutral eingestellten Wagner“ (S. 23) – und es wird behauptet: „Judentum: Das war ein Topf, in den er zeitweise alles hineinwarf, was ihm an der Gesellschaft und am Kunstverständnis seiner Zeit nicht paßte.“ (S. 5). 24 Zitiert von Klaus Thiede: Die Widerstände gegen Steins Reformwerk für das Bauerntum und der Ausgang unter Hardenberg, in: Neues Bauerntum, Bd. XXIV, Heft 6, 1937, S. 265. Daß Wagner ähnliche Gedanken vertreten hat, geht aus einer Bemerkung zu Pierre Joseph Proudhons Eigentumsbegriff gegenüber Cosima vom 6. Februar 1883 hervor, als sie die unbewohnten Paläste in Venedig betrachteten und Wagner sagte: „,Das ist Eigentum! Der Grund alles Verderbens, Proudhon hat die Sache noch viel zu materiell aufgefaßt, denn das Eigentum bedingt die Ehen in Rücksicht darauf und dadurch die Degeneration der Race‘.“ (C. Wagner: Die Tagebücher, Bd. II (wie Anm. 6), S. 1107, Anm. *). 25 Karl Marx: Zur Judenfrage, in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke. Band 1, Berlin 1970, S. 372 f. (Hervorhebungen im Original). Einige Seiten später heißt es: „Das Geld ist der eifrige Gott Israels, vor welchem kein andrer Gott bestehen darf. Das Geld erniedrigt alle Götter des Menschen – und verwandelt sie in eine Ware.“ (S. 374 f.). Es ist vorstellbar, daß

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Diese und viele andere antisemitischen Äußerungen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts können in keinen direkten Zusammenhang mit dem vernichtenden Rassismus der Nationalsozialisten gebracht werden; weshalb sollte also Richard Wagner etwas mit Adolf Hitlers extremen Judenhaß zu tun gehabt haben, selbst wenn Hitler die Wagnersche Musik abgöttisch verehrte und bewunderte? Bewege ich mich mit der Frage, ob Wagner überhaupt etwas mit Hitler zu tun hat, nicht auf einem gefährlichen politischen Gleis, auf einem wirkungsgeschichtlichen See, auf dessen dünnem Eis ich einzubrechen drohe? Können wir Richard Wagner etwa unterstellen, auch nur eine Vorahnung davon gehabt zu haben – von Wissen gar nicht zu sprechen –, daß Hitler ein verbohrter Wagnerianer werden würde und außerdem die Ausrottung des europäischen Judentums und aller jüdischstämmigen Christen durchführen wollte? Natürlich nicht, denn es wäre ja absurd und schizophren, Wagner irgendeine persönliche Mitschuld an dem Vernichtungswahn der Nationalsozialisten zu unterstellen, wie auch die nachgeborenen Generationen nicht für die entsetzlichen Mordorgien von Hitler, Himmler, Goebbels, Göring oder Mengele zur Verantwortung gezogen werden sollten. Nur wenn man auf die ideologische Verballhornung hereinfällt, „Nationalsozialismus und des Meisters Werke sind im Grunde genommen ja nichts anderes als Äußerungen des deutschen Geistes, hier auf staatlich-politischem, dort auf kulturell-künstlerischem Gebiete“,26 könnte man eine vage Übereinstimmung konstruieren. Die Absicht meiner Überlegungen soll deshalb so verstanden werden, zum einen zu erklären, warum bestimmte Ideen oder Ideologien unter besonderen historischen Konstellationen eine größere Wirkungsmächtigkeit entfalten als andere, zum anderen die unterschiedlichen Deutungen nach ihrer Plausibilität kritisch zu analysieren. Dem Wagnerschen Antisemitismus wird in dieser Interpretation allerdings eine bedeutendere Rolle zugeschrieben als z. B. dem von Friedrich Nietzsche oder Heinrich von Treitschke – die beide im Dritten Reich als geistige Vorläufer des Nationalsozialismus angesehen wurden –, nicht nur, weil er auf einen besser vorbereiteten oder besser aufnahmefähigen Boden getroffen ist, sondern weil er von dem politisch einflußreichen Familien- und Freundeskreis in und um Bayreuth wirkungsvoll bis ins Dritte Reich tradiert wurde. Wir können nämlich ohne irgendwelche Abstriche von Wagners Antisemitismus – zumindest seit seinem Zusammentreffen mit dem finanziellen Gönner König Ludwig II. – behaupten: „Er hat mit dem Gewicht seiner weltweiten Berühmtheit einer schändlichen Gesinnung Umriß und Stimme gegeben, er hat eine Bierkellerideologie zur Salon- und Kulturfähigkeit geadelt. Von dieser Verantwortung können ihn auch jene nicht entlasten, die die unbezweifelbare Größe und Macht seiner Musik und der mit dieser Musik transportierten dramatischen Entwürfe verspüren und sich ihre Ergriffenheit Wagner durch seine Bekanntschaften während der Revolutionszeit 1848/49 diesen Aufsatz kannte, was aber ohne Bedeutung ist. 26 Fritz Kempfler: Bayreuth, die Stadt Richard Wagners, in: Bayreuth, die Stadt Richard Wagners, hrsg. von Otto Strobel und Ludwig Deubner. 2. Aufl., München 1943, S. 4.

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nicht nehmen lassen wollen.“27 Dagegen scheint es mir in einer realistischen Interpretation unangemessen, im nationalsozialistischen Überschwang zu behaupten: „Dies neue Reich, für das Wagner die Brücke bauen half, war nicht das Reich Bismarcks, nicht das zweite, sondern das dritte Reich der Deutschen, das Reich Adolf Hitlers.“28 Eine solche Einschränkung gegenüber dem Wagnerschen Antisemitismus gilt auch unter der erkenntnistheoretischen Prämisse, daß wir den genauen Einfluß eines Gedankengebäudes auf ähnliche Vorstellungen später agierender Menschen bzw. Politiker niemals genau erfassen können.29 Trotzdem kann es selbst nach dem 200. Geburtstag unseres Komponisten und Dramatikers am 22. Mai 2013 als historischer Erkenntnisgewinn angesehen werden, wenn die bruchartigen Schnittstellen antisemitischen und rassistischen Denkens bis zu Hitlers Rassenwahn freigelegt werden. Die inhaltlichen Varianten des Wagnerschen Antisemitismus sollen hier gar nicht detailliert wiedergegeben werden, die nicht nur in dem Judenaufsatz, sondern auch in anderen seiner Schriften, im umfangreichen Briefwechsel und in Cosima Wagners Tagebüchern zu finden sind. Darüber gibt es umfangreiche ältere und neuere Publikationen, die noch zitiert werden. Meine diesbezüglichen Darlegungen beschränken sich auf eine wenig kommentierte Wiedergabe, da es mir vor allem auf die wirkungsvollen antisemitischen Traditionsstränge ankommt, auf die Varianten einer rassistischen Ideologie, die den Korridor Wagner – Hitler ausfüllen. Allerdings wende ich mich energisch gegen eine genialische Verharmlosung des Judenhasses Wagners, weil man an weltberühmte Künstler nicht die ethischen Maßstäbe gewöhnlicher Menschen anlegen könne: „Da bei Wagner alles größer und gigantischer ist, so gilt das auch für seinen Antisemitismus.“30 Meine sporadischen Überlegungen wollen vielmehr das drängende Problem in den wissenschaftlichen Focus setzen, wie sich seit der deutschen Reichsgründung 1870/71 die beiden Stränge von Wagners Antisemitismus und Nationalismus, „dem wirklichen Volksgeiste“,31 mit 27 Jens Malte Fischer: Richard Wagners „Das Judentum in der Musik“. Eine kritische Dokumentation als Beitrag zur Geschichte des Antisemitismus, Frankfurt am Main/Leipzig 2000, S. 131 f. Fischer ist der Ansicht: „Die Verbissenheit der Wagner-Verteidiger bis heute rührt aus der menschlich verständlichen Unfähigkeit, beides gleichzeitig auszuhalten: die Gewalt der Musik und die Gewalttätigkeit der Ideologie.“ (S. 132). 28 Hans Alfred Grunsky: Wagner und Hitler, in: Deutsches Wesen, Juli-Heft 1933, S. 8. 29 George G. Windell: Hitler, National Socialism, and Richard Wagner, in: Journal of Central European Affairs, Bd. 22, 1962, S. 479 f., bemerkt dazu: „To assess the influence of one mind on another is one of the most difficult tasks of historical scholarship, and one that can never accomplished with absolute success.“ 30 Marcel Prawy: „Nun sei bedankt…“. Mein Richard-Wagner-Buch, München 1983, S. 41. Wir werden noch hören, daß die Aussage: „Viele Juden gehörten zu Wagners engstem Kreis – auch solche, von denen er überhaupt nichts verlangte“ (S. 42), eine reine Beschönigung darstellt. 31 K. Freigedank: Das Judenthum (wie Anm. 22), S. 105 (Hervorhebung im Original). Auf den Wagnerschen Nationalismus kann ich hier nicht einmal ansatzweise eingehen, möchte aber darauf hinweisen, daß Antisemitismus und Nationalismus zwei Seiten einer ideologischen Verdammungsstrategie des internationalen Kapitalismus sind, die sowohl die Geldjuden

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der rassistischen Tradition extremer Judenfeindschaft verbanden und bis ins Dritte Reich fortwirkten. Zwar enthält der Judenaufsatz von 1850 bereits zentrale Kernaussagen einer antisemitischen Ideologie, aber die eigentliche zerstörerische Saat wird erst mit der Etablierung des Bayreuther Wagnerkreises eingepflanzt, die sich mit den ausufernden Rassevorstellungen von Cosima Wagner, Arthur de Gobineau, Houston Stewart Chamberlain, Hans von Wolzogen und Winifred Wagner in den nationalsozialistischen Rassismus hineinwuchert. Die politische Wirkungsgeschichte einer von vielen Denkern geteilten Ideologie und ihre spezifische Ausprägung durch den Bayreuther Kreis stehen deshalb im Zentrum meiner Analyse.32

als auch den Kosmopolitismus als ihre größten Feinde bekämpfen. Vgl. dazu Matthew Lange: Antisemitic Elements in the Critique of Capitalism in German Culture, 1850 – 1933, Bern 2007, S. 35 ff. Im 1. Band der auf zwölf Bände angelegten Reihe ,Der deutsche Prophet. Richard Wagners sibyllinisches Lebenswerk von Fall und Erlösung des Menschheitsgeschlechtes‘ schrieb Anton Orel: Sibylle des Menschheitsmorgens. Einführung in die Gesamtdeutung, Klosterneuburg bei Wien 1936, S. 61: „Wagner selbst fühlte wohl sein Prophetentum, wenngleich er dessen Wesenssinn nicht zu erkennen vermochte. In dunkler Ahnung seiner Sendung sprach und schrieb er darum auch in den langen Zeiten stumpfsinnigster Verkennung und Begeiferung seines Genius durch eine vom Judentum dazu organisierte und geführte bornierte Welt, in den quälenden Zeiten bitterster wirtschaftlicher Not aus tiefster Überzeugung und mit unerschütterlicher Zuversicht von der Welt und Menschheit umbildenden Kulturkraft seines Lebenswerkes, von dessen Bestimmung, eine große Kulturreform anzubahnen.“ 32 Paul Lawrence Rose: Wagner und Hitler – nach dem Holocaust, in: Richard Wagner und die Juden, hrsg. von Dieter Borchmeyer, Ami Maayani und Susanne Vill, Stuttgart/Weimar 2000, S. 224, schreibt über die unglaubliche Klanggewalt der Wagnerschen Musik: „Es ist eine musikalische Raserei, die auf zu unvermittelte Weise die schlimmen Zornesausbrüche des Komponisten abbildet und zugleich mit großer Deutlichkeit vorwegnimmt, auf welch brutale, abscheuliche Art und Weise Wagners Haß auf die Juden in die Wirklichkeit umgesetzt werden konnte.“

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Thomas Manns ambivalenter Wagnerkult Der Literaturnobelpreisträger Thomas Mann (1875 – 1955) hat wohl wie kein anderer international bekannter Schriftsteller seit seiner frühen Jugend bis zu seinem Tod eine schwärmerische Begeisterung für die Wagnersche Musik bewahrt und ausführlich beschrieben.1 Bereits in einer Antwort auf die von Otto Julius Bierbaum durchgeführten Umfrage der Wiener Zeitschrift Die Zeit vom 16. Januar 1904 schrieb Mann: „Fragte man mich nach meinem Meister, so müßte ich einen Namen nennen, den meine Collegen von der Literatur wohl in Erstaunen setzen würde: Richard Wagner.“2 Die musikalischen und literarischen Werke dieses Künstlers seien für seinen Kunsttrieb so stimulierend gewesen „wie sonst nichts in der Welt“ und hätten ihn mit einer „neidisch verliebten Sehnsucht erfüllt“, dies nachzuahmen, d. h. er nenne ihn ganz bewußt „meinen Meister und nordischen Gott“.3 Bei allen gravierenden Unterschieden zwischen diesen beiden Denkern gibt es tatsächlich eine ähnliche Denk- und Äußerungsform, nämlich die wenig bestimmbare und verschränkte Ausdrucksweise, die mißverständliche Interpretationen geradezu provoziert und die Mann eventuell von Wagner übernommen hat. Diese gegen wissenschaftliche Exaktheit und Präzision neigende Stilistik hat mich angeregt, Manns Einstellung zu Wagner zu untersuchen, weil seine vielfältigen Kommentare einen zentralen Komplex rigoros ausklammern: den Wagnerschen Antisemitismus. Dies ist umso erstaunlicher, als Manns Schwiegervater Alfred Pringsheim sowohl Jude als auch kritischer Bewunderer von Wagners Musik war. Es wird noch zu erörtern sein, warum auch Adolf Hitler trotz ununterbrochener Wagnerbegeisterung

1 Detailliert wiedergegeben von Hans Rudolf Vaget: Seelenzauber. Thomas Mann und die Musik, Frankfurt am Main 2006, S. 21 ff. 2 Zitiert in: Im Schatten Wagners. Thomas Mann über Richard Wagner. Texte und Zeugnisse 1895 – 1955. Ausgewählt, kommentiert und mit einem Essay von Hans Rudolf Vaget (1999). 3. Aufl., Frankfurt am Main 2010, S. 18. Dort auch die beiden nächsten Zitate. Aus dieser sehr verdienstvollen Zusammenstellung mit ausgezeichneten Kommentaren werde ich eine Reihe von Zitaten entnehmen, ohne die ursprünglichen Veröffentlichungsorte genauer zu dokumentieren, die man aus den Quellennachweisen dieses Bandes entnehmen kann. 3 Ebd., S. 19. So gut wie keiner habe erkannt, daß seine literarischen Versuche diese wagnerischen und nordischen Wirkungsmittel ausdrückten: „Oder hat von den acht- oder zehntausend geduldigen Leuten, die meine ,Buddenbrooks‘ gelesen haben, dennoch einer oder der andere in diesem epischen, von Leitmotiven verknüpften und durchwobenen Generationenzuge vom Geiste des ,Nibelungenringes‘ einen Hauch verspürt?“ (Ebd.).

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2. Kap.: Thomas Manns ambivalenter Wagnerkult

kein einziges Mal auf Wagners Antisemitismus zu sprechen kam oder sich auf ihn berief, was so nahe gelegen hätte. Obwohl Mann in einer zwischen 1909 und 1912 entstandenen, aber unveröffentlichten Abhandlung „Geist und Kunst“ Johann Wolfgang von Goethes Urteil paraphrasierte: „Nein, man kann Wagner nicht verehren! Weder sein Charakter noch sein Intellekt gewähren die Möglichkeit“,4 kehrte er in einem Aufsatz vom Mai 1911, der in der Juliausgabe der Wiener Zeitschrift Der Merker veröffentlicht wurde, wieder zu seiner uneingeschränkten Bewunderung Wagners zurück, auch wenn er erhebliche Zweifel an seinem aufrechten Charakter äußerte: „Was ich Richard Wagner an Kunstglück und Kunsterkenntnis verdanke, kann ich nie vergessen und sollte ich mich noch so weit im Geiste von ihm entfernen.“5 Die allmähliche Distanzierung Manns von dem Künstler Wagner in den beiden nächsten Jahrzehnten, dessen heller Stern am deutschen Geisteshimmel zunehmend verblaßte, obwohl seine Musik weltweit Erfolge feierte, erfuhr eine explosionsartige Verstärkung durch ein politisches Ereignis, das Thomas Manns Leben radikal veränderte. Es sind Manns Reaktionen auf dieses „hundsföttische Dokument“,6 die mich ebenfalls dazu bewogen haben, seine Stellung zu Wagners Antisemitismus etwas näher zu beleuchten, weil hier Hitler in Form von fanatischen Wagnerverteidigern auf dramatische Weise in sein Leben trat. Bevor ich auf die dramatischen Umstände von Manns Vertreibung aus seiner deutschen Heimat wegen seiner Wagnerkritik zu sprechen komme, möchte ich einige sporadische Bemerkungen zu den historischen Zusammenhängen und seiner Wagnerdeutung in seiner äußerst demokratiefeindlichen und nationalistischen Schrift Betrachtungen eines Unpolitischen7 machen. Das autobiographisch angelegte Buch entstand zwischen Herbst 1915 und März 1918, d. h. während des Ersten Weltkrieges, und es war nicht nur von den militärischen und politischen Ereignissen inspiriert, sondern ein historisches Dokument für die von Wagner inspirierte extrem nationalistische und antiliberale Haltung Manns während dieser Periode und deswegen keineswegs „ein Mittelding zwischen Werk und Erguß, Komposition und 4

Zitiert ebd., S. 36. Zitiert ebd., S. 43. „Lange Zeit stand des Bayreuther Name über all meinem künstlerischen Denken und Tun.“ (S. 44). Am 9. November 1915 schrieb Mann in einem Brief an Anton W. Heinitz über Wagner: „Er ist riesengroß, vielleicht der stärkste Künstler aller Zeiten.“ (Zitiert ebd., Hervorhebung im Original). Fast genau ein Jahr vor seinem Tod, nach vielfältigen Distanzierungen sowohl von der Person Wagner als auch von dessen Musik, kehrte Mann in einem Tagebucheintrag vom 20. Juli 1954 wieder zur alten Musikbegeisterung zurück. „Genoß jeden Takt, kann nicht sagen, wie ich diese Musik liebe.“ (S. 229). 6 Zitiert ebd., S. 236. Tagebucheintrag vom 19. April 1933. Diese Aussage bezog sich auf den ,Protest der Richard-Wagner-Stadt München‘ vom 16. April 1933. 7 Vgl. Thomas Mann: Betrachtungen eines Unpolitischen, Berlin 1918. XLIV und 611 Seiten! Das Buch ist 1922 in veränderter Form und danach wieder aufgelegt worden. Im Rahmen der Großen kommentierten Frankfurter Gesamtausgabe wurde 2009 das Original erneut veröffentlicht und im gleichen Jahr erschien auch ein Kommentarband von Hermann Kurzke. Die hiesigen Zitate entstammen der Originalausgabe von 1918. 5

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Schreiberei“.8 Es war eher ein politisches Bekenntnis in einer radikalen Umbruchsituation vom autoritären Kaiserreich zu einer sozialdemokratisch geprägten Demokratie ohne demokratische Traditionen. Mann, der sich als ein im 19. Jahrhundert verwurzelter Mensch bezeichnete, war sich natürlich der politischen Brisanz seines Themas bewußt, doch er wollte in langatmigen und vertrackten Ausführungen zeigen, daß Demokratie und Politik „dem deutschen Wesen fremd und giftig“9 seien, was hier nur angedeutet werden kann und soll. Praktische Aufklärung sei doktrinäre Intoleranz und weit entfernt von einem künstlerischen Ethos, das Weltbefreiung, Weltverbesserung und Weltbeglückung erstrebe. In einer programmatischen Aussage übertrug Mann Wagnersche Vorstellungen auf seine Zeit, die erschüttert wurde von dem politischen Kampf der Sozialdemokratie um Demokratisierung eines autoritären Staatswesens, das seit August 1916 mit dem Hindenburg-Programm einen Kriegstotalitarismus durchgesetzt hatte, der auf persönliche Belange keine Rücksicht nahm: „Ich bekenne mich tief überzeugt, daß das deutsche Volk die politische Demokratie niemals wird lieben können, aus dem einfachen Grunde, weil es die Politik selbst nicht lieben kann, und daß der vielverschrieene ,Obrigkeitsstaat‘ die dem deutschen Volke angemessene, zukömmliche und von ihm im Grunde gewollte Staatsform ist und bleibt.“10 Noch 1918, als jedem nüchternen Beobachter klar war, daß dem deutschen Kaiserreich nur noch eine schmachvolle Niederlage bevorstand, wünschte Mann „Deutschlands Sieg“.11 Viel dominanter als diese Wunschvorstellung schwang bei Mann eine abstruse Vaterlandsliebe und die irrationale Überzeugung mit, daß „der Kampf Deutschlands gegen den westlichen Demokratismus, es dem national Empfindenden aufs äußerste erschwert, Demokrat zu sein“.12 Schon über 40 Jahre früher, im Jahr 1874, war ein österreichischer Wagnerianer davon überzeugt, daß Wagner „für die Erhaltung eines edlen Enthusiasmus für Vaterland und Volksthum auf Jahrhunderte hinaus mitgewirkt“13 habe. Richard Wagner selbst hat in einem Gedicht „An das deutsche Heer vor Paris“ vom Januar 1871, das er an Otto von Bismarck sandte, den deutschen Soldaten nach 8

Ebd., S. X. Ebd., S. XXXII. Dort auch das nächste Zitat. „Der politische Geist, widerdeutsch als Geist, ist mit logischer Notwendigkeit deutschfeindlich als Politik.“ (Ebd.). 10 Richard Wagner hatte in seinem Aufsatz „Was ist deutsch?“ auf irrationale Weise gegen die widerwärtige, von französischen Juden und Demagogen hochgezüchtete Demokratie gewettert, deren schlimmste Folge sei, „daß dem verkannten und verletzten deutschen Volksgeiste diese übersetzte französisch-jüdisch-deutsche Demokratie wirklich Anhalt, Vorwand und eine täuschende Umkleidung“ biete. (Richard Wagner: Gesammelte Schriften und Dichtungen (1888). Band 10. Nachdruck Hildesheim 1976, S. 50). 11 T. Mann: Betrachtungen eines Unpolitischen (wie Anm. 7), S. XXXVI. Mann fügte larmoyant hinzu: „Das ist ein Wunsch, den zu erklären, zu entschuldigen man sich unter Deutschen die erdenklichste Mühe geben muß.“ 12 Ebd., S. 85. 13 Adalbert Horawitz: Richard Wagner und die nationale Idee. 2. Aufl., Wien 1874, S. 4 f. 9

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dem, allerdings siegreichen, deutsch-französischen Krieg 1870/71 mit gleichklingenden Tönen gehuldigt. Das deutsche Heer habe sich in nie geahnten Taten in „Frankreich’s eitlem Herzen“14 eingenistet und würde von Schlacht zu Schlacht ihr Blut „unter heißen Schmerzen“ vergießen, denn seine siegreiche Tapferkeit zeige der Welt, es „züchtet Deutschland nur noch Männer“, eine militärische Einschätzung, die auch von dem rücksichtslosen Preußenkönig Friedrich II. stammen könnte. Und in einem Brief vom 12. August 1870 an Catulle und Judith Mendès in der Stadt Paris, von der Wagner sicher war, daß „diese Riesenstadt in Trümmer sinken soll“,15 empfahl Wagner diesen französischen Freunden: „Nehmt Euer Los hin, wie es geworfen ist, als ein Gottesurteil, und ergründet den tiefen Sinn dieses Urteils“. Außerdem komponierte er einen „Kaisermarsch“, der beim Einzug der siegreichen Truppen in Berlin gespielt werden sollte, aber erst am 8. Mai 1871 bei einem Konzert in der Reichshauptstadt zur Aufführung kam; allerdings ohne den deutschen Kaiser Wilhelm I. Wagners Nationalismus war zu dieser Zeit also tatsächlich so groß, daß er seinen Freunden und ganz Frankreich eine gottgewollte Kapitulation nahelegte, da sie gegen die Übermacht des deutschen Heeres ohnehin machtlos seien. Als Thomas Mann seine Betrachtungen zu schreiben begann, war die deutsche Heeresleitung noch fest davon überzeugt, daß der siegreiche Ausgang des Krieges kurz bevorstand. Es ist deshalb gar nicht zu leugnen, daß uns in den Mannschen nationalen Elogen ein auf die Expansionsgelüste des untergehenden deutschen Kaiserreichs zugeschnittener Wagnerianismus in Reinformat begegnet, der dem deutschen Volk, das in den Schützengräben verblutete und abgeschlachtet wurde, eine geistige Gloriole winden wollte, weil Manns politischer Instinkt erbittert reagierte, wenn „die Umfälschung des Geist-Begriffes in der besserischen Aufklärung, der revolutionären Philanthropie“,16 seine romantisierte Kunstauffassung, sein nationales Wesen, vergiftete. Auch wenn Thomas Mann sich während der Weimarer Republik von seiner rigorosen Demokratiefeindschaft emanzipierte, hat er die Betrachtungen nicht verleugnet oder deren Nachdruck verhindert. Wahres Deutschtum, so schrieb er noch 1918, „das ist Kultur, Seele, Freiheit, Kunst und nicht Zivilisation, Gesell14 Richard Wagner: Gesammelte Schriften und Dichtungen (1888). Band 9. Nachdruck Hildesheim 1976, S. 2. Dort auch die beiden nächsten Zitate. Solche militärischen Heldentaten ragten nach Wagner weit über eine Liedkomposition hinaus: „Dein eig’nes Lied in Krieg und Fried‘ wirst du, mein herrlich Volk, dir finden, mög‘ drob auch mancher Dichterruhm verschwinden!“ (Ebd.). In einem anderen Gedicht Wagners „Zum 25. August 1870“ lautete die erste von drei Strophen: „Gesprochen ist das Königswort, / dem Deutschland neu erstanden, / der Völker edler Ruhmeshort / befreit aus schmähl’chen Banden; / was nie gelang der Klugen Rath, / das schuf ein Königswort zur That: / in allen deutschen Landen / das Wort nun tönet fort und fort.“ (Richard Wagner: Gesammelte Schriften und Dichtungen (1888). Band 8. Nachdruck Hildesheim 1976, S. 339). 15 Die Briefe Richard Wagners an Judith Gauthier, hrsg. von Willi Schuh, ErlenbachZürich/Leipzig o. J. (1936), S. 130. Dort auch das nächste Zitat. 16 T. Mann: Betrachtungen eines Unpolitischen (wie Anm. 7), S. XXXIII. Dort auch das nächste Zitat (Hervorhebung im Original).

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schaft, Stimmrecht, Literatur“, d. h. alles Fremdländische – bei Wagner kommt das Jüdische hinzu – gehöre der abscheulichen Sphäre von Zivilisation und Demokratie an. „International ist der demokratische Bourgeois, möge er überall auch noch so national sich drapieren“,17 lautete deshalb sein nationalistisches Credo. Es sei hier kurz an Christoph Steding erinnert, der in jeglicher politisch-philosophischer Neutralität eine europäische Krankheit erkannte und die nervliche Zerrissenheit Nietzsches im geistigen Kampf gegen Wagner hervorhob: „Wagner war hier wie Goliath der Riese, gegen den die kleinen jüdisch-schweizerischen Eidgenossen strotzend von Gegen-gefühlen, um den Begriff Ressentiment wörtlich zu übersetzen, ihre Schleudersteine schleuderten. Kampf gegen Wagner bedeutete für Nietzsche zwiespältigen Kampf gegen sich selbst, Zerrissenheit.“18 So wie Friedrich Nietzsche, dieser philosophische Denker par excellence, der sich vom Wagnerbewunderer zum Wagnerkritiker wandelte, in den Meistersingern den scharfen zivilisatorischen Gegensatz des Deutschen gegen das Französische gesehen hat, so möchte sich Thomas Mann in diesem angeblich unpolitischen Buch bemühen, einen aus Feigheit verleugneten, aber „unsterblich wahre(n) Gegensatz von Musik und Politik, von Deutschtum und Zivilisation“,19 aufzudecken. Der Erste Weltkrieg sei durch das internationale Illuminatentum, den Freimaurerlogen, entfesselt worden, der „mathematisch-rationalisierte(n) Gesellschaftswelt“,20 die sich in Frankreich eingenistet habe, und aus diesem französischen Nährboden sei ein politischer Haß gegen deutsches Wesen entsprungen. „Deutschlands Feind im geistigen, instinktmäßigsten, giftigsten, tödlichsten Sinn ist der ,pazifistische‘, ,tugendhafte‘, ,republikanische‘ Rhetor-Bourgeois und fils de la Révolution, dieser geborene Drei-Punkte-Mann“,21 d. h. die pazifistische Republik ist eine revolutionäre Ausgeburt. Mann stand in dieser antijüdischen Kriegseuphorie ja keineswegs allein, denn z. B. auch Richard Sternfeld bekannte 1916: „Was in solchem Kriege die heilige deutsche Kunst uns geben, wie auch sie eine starke Wehr und Waffen sein kann, das zu erwägen liegt dem Freunde der Kunst Richard Wagners besonders nahe.“22 Man fühlt sich an Friedrich Ludwig Jahn oder an die nationale Ideologie Johann Gottlieb Fichtes erinnert, der ja schon 1793 den Juden kein Bürgerrecht geben, ihnen alle Köpfe abschneiden und andere aufsetzen wollte, in denen keine einzige jüdische Idee mehr sei. Und die Fichte-Gesellschaft von 1914 und der Deutsche Fichte-Bund verbreiteten eine solche antifranzösische Stimmung, daß Mann offenbar davon infiziert wurde, weshalb der abgrundtiefe Franzosen- und 17

Ebd., S. XXXIV. Christoph Steding: Das Reich und die Krankheit der europäischen Kultur (1938). Nachdruck der 5. Aufl. 1943, Viöl 1997, S. 159. 19 T. Mann: Betrachtungen eines Unpolitischen (wie Anm. 7), S. XXXIV. 20 Ebd., S. XXXIX. 21 Ebd., S. XXXV (Hervorhebung im Original). 22 Richard Sternfeld: Richard Wagner und der heilige deutsche Krieg. Oldenburg o. J. (1916), S. 7. 18

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Frankreichhaß Wagners uns verletzend in den Ohren klingt, wenn wir diese Mannschen Ergüsse lesen. So schrieb Wagner etwa über die von ihrer eigenen Zivilisation angeblich angeekelten Franzosen, die dem Ernst der Deutschen nur Oberflächlichkeit, Effekthascherei und Unredlichkeit entgegenzusetzen hätten: „Es ist in der That auffallend, daß dieses Volk den anderen Völkern Europa’s hauptsächlich unter zwei typischen Charakterzügen schnell erkenntlich geworden ist: zierlich bis zur läppischen Gewandtheit, namentlich hüpfend und plaudernd: anderntheils grausam bis zum Blutdurst, wüthend zum Angriffe springend.“23 Selbst wenn die letzte Aussage auf die Robespierreschen Auswüchse der Französischen Revolution, der Hunderte von Gegnern auf der Guillotine unmenschlich hinrichten ließ, bezogen sein sollte, was Wagner jedoch mit keinem Wort andeutet, spricht aus diesen Worten eindeutig intoleranter Franzosenhaß, der nicht allein mit seinen Enttäuschungen in Paris erklärt werden kann. Der vielbeschworene ,deutsche Geist‘ ließ sich angeblich weder bei Wagner noch bei Mann mit einer demokratischen Staatsform vereinbaren. Wagner ließ es keineswegs dabei bewenden, sondern er karikierte auch das französische Volk, bei dem statt deutscher Lesebegeisterung die Lektüre von Zeitungen getreten sei, doch bei einem einzigen falschen Sprachausdruck empöre sich der französische Schriftsteller, dem es vor allem um den Effekt ginge bzw. darum: „Ausbeuter des Ruhmes und Namens deutscher Herrlichkeit“24 zu sein. Während Wagner in einer Zeit lebte, als der deutsche Nationalismus als Staatsideologie schwanger ging und im Bismarckreich – das preußische Militär hatte während eines Jahrfünfts sowohl Österreich als auch Frankreich besiegt – demokratische Strömungen mit rigoroser Gewalt bekämpft und unterdrückt wurden, befand sich Mann während der Niederschrift der Betrachtungen in einer demokrati23 R. Wagner: Gesammelte Schriften, Bd. 8 (wie Anm. 14), S. 72. Außerdem verfaßte er ein Lustspiel „Eine Kapitulation“ (vgl. R. Wagner: Gesammelte Schriften, Bd. 9 (wie Anm. 14), S. 3 – 41), das im Spätherbst 1870 in Paris spielte und in dem Wagner dem lächerlich gemachten und verunglimpften Dichter Victor Hugo die Hauptrolle zuwies. In dieser satirischen Posse, in der die Deutschen kapituliert haben und selig darüber sind, wieder ins Theater gehen zu können, kann die französische Regierung – die fingierten Gesprächspartner sind der französische Politiker Léon Gambetta, der nach der Kapitulation von Sedan am 4. September 1870 in Paris die Republik ausrief und der italienische Freiheitskämpfer Giuseppe Garibaldi, der Frankreich mit Freiwilligen militärisch auszuhelfen versuchte und kurze Zeit Mitglied der französischen Nationalversammlung war – und ganz Frankreich nicht besiegt werden, weil es keine Feinde, sondern nur Freunde gibt: „Ganz Europa hat intervenirt und drängt sich freudig zu uns heran! – Da seh‘ ich England, Lord’s und Gemeine! – Da Rußland, Polen und Kosaken! – Dort Spanier, Portugiesen und Juden!“ (Ebd., S. 27. Hervorhebung von mir). 24 Ebd., S. 46. Auch Adolf Hitler beschwor in seiner Rede zur Eröffnung der Großen Deutschen Kunstausstellung in München am 18. Juli 1937 den kulturellen Reichtum des deutschen Volkes: „Denn man sage nur ja nicht, daß etwa das Volk für eine wirkliche wertvolle Bereicherung seines kulturellen Lebens kein Verständnis besitze. Längst ehe die Kritiker dem Genius eines Richard Wagner gerecht wurden, hatte er das Volk auf seiner Seite.“ (Adolf Hitler: Reden zur Kunst- und Kulturpolitik 1933 – 1939, hrsg. von Robert Eikmeyer, Frankfurt am Main 2004, S. 139).

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schen Zeitenwende gerade in Deutschland, die er vehement leugnete und mit spitzer Feder bekämpfte. Der amerikanische Präsident Thomas Woodrow Wilson (1856 – 1924) hatte noch vor der Veröffentlichung von Manns Buch, am 8. Januar 1918, seine Vierzehn Punkte für eine stabile Nachkriegsordnung veröffentlicht, in denen ein ,Kreuzzug für die Demokratie‘ ein zentrales Anliegen war. Thomas Mann ließ sich davon nicht beeindrucken, sondern beharrte darauf: „Nie wird der mechanischdemokratische Staat des Westens Heimatrecht bei uns erlangen.“25 Deutschlands Übergang zur Demokratie, zu einem demokratischen Staats- und Gesellschaftssystem, verhöhnte er mit einem vielsagenden Hinweis auf ähnliche Tendenzen in Paraguay und Portugal. Der deutsche Mensch würde sich niemals mit einer solchen Gesellschaftsform anfreunden können, denn: „Wir sind kein Gesellschaftsvolk und keine Fundgrube für Bummelpsychologen.“26 Die englischen und französischen Feinde Deutschlands hätten die „gutmütig unpolitische Menschlichkeit“27 der Deutschen ausgenutzt, um ihnen vorzugaukeln, daß Frieden, Freundschaft und Verständigung unter Völkern möglich sei. Tatsächlich habe der mörderische Krieg gezeigt, wie sehr sie uns „politisch gehaßt“ haben, daß unter der Decke eines friedlichen internationalen Verkehrs „der unauslöschliche Todhaß der politischen Demokratie“ sich verstecke und Deutschland nur zugrunde richten könne. Aus diesem Grund hat sich Thomas Mann in diesem Buch an den stillen Gesprächen über einen gerechtfertigten Krieg beteiligt, „die das verfemte, bespieene Deutschland, unter dem unerhörten Druck der demokratischen öffentlichen Welt-Meinung mit seinem Gewissen führte“.28 Das nationale Ethos müsse gegen die demokratische Politisierung des Geistes „den tiefsten, triebhaftesten, unverbrüchlichsten Widerstand“29 mobilisieren, weil sonst der deutsche Geist vor die Hunde ginge, denn nur eine völlige Umwandlung des deutschen Volkscharakters, die nach Mann gar nicht möglich ist, könne eine Demokratisierung einleiten: „Die deutsche Demokratie ist nicht echte Demokratie, denn sie ist nicht Politik, nicht Revolution. Ihre Politisierung, so, daß der Gegensatz Deutschlands zum Westen in diesem Punkt zum Verschwinden gebracht und aus-

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mir). 26

T. Mann: Betrachtungen eines Unpolitischen (wie Anm. 7), S. 265 (Hervorhebung von

Ebd., S. XXXVIII. Ebd., S. XXXIX. Dort auch die beiden nächsten Zitate (Hervorhebung im Original). 28 Ebd., S. 142. Mann machte gar keinen Hehl daraus, daß er den Kantschen völkerverbindenden Pazifismus abgrundtief verachtete: „Es ist wahr, die Erhebung von 1914 riß auch mich zu dem Glauben und zu dem Bekenntnis des Glaubens hin, daß das Volk, dem anzugehören ich die eigentümliche Ehre habe, große Herrschaftsrechte, gültigen Anspruch auf die Teilhaberschaft an der Verwaltung der Erde, kurz, auf politische Macht besitze und die Anerkennung dieser natürlichen Rechte erkämpfen dürfe, ja müsse.“ (S. 183 f.). 29 Ebd., S. XL. Dort auch das nächste Zitat. Es sei sicher, „daß bei einem Zusammenschluß der nationalen Demokratien zu einer europäischen, einer Weltdemokratie von deutschem Wesen nichts übrig bleiben würde“ (S. XLII). 27

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geglichen würde, ist Wahn.“30 In diesem nationalen Wahn hatten ihm der Historiker Friedrich Meinecke (1862 – 1954) und viele andere deutsche Gelehrte31 schon vorgearbeitet, die gegenüber England und Frankreich argumentierten, daß in der täuschenden Hülle humaner Ideale sich lediglich eine brutale Machtpolitik verberge, wogegen Deutschland den „letzten Hauch unserer Kraft daransetzen [müsse]…, um unser nationales Dasein zu behaupten“.32 Abgesehen davon, daß Thomas Mann Wagners Musik als einen lebensbeglückenden Schatz ständig in seinem Herzen trug, kam ihm dessen schwärmerische Deutschtümelei bei der harschen Verurteilung der Demokratie sehr gelegen. Das Dreigestirn Schopenhauer, Nietzsche und Wagner gehöre zu „den Fundamenten meiner geistig-künstlerischen Bildung“,33 doch „die Inständigkeit meiner WagnerLeidenschaft“34 war für Mann deshalb so bedeutend, weil der nationalistische Gleichklang beider Geister in der schroffen Ablehnung alles Nichtdeutschen wie in einer endlosen Parallele nebeneinander herlief. Wagner sei „als geistige Erscheinung so gewaltig deutsch“,35 daß Mann sowohl von der tiefen Herrlichkeit wie der quälenden Problematik deutschen Wesens durchdrungen wurde. Diese verstörende Zwiespältigkeit Thomas Manns gegenüber dem unerwähnten Antisemitismus Wagners soll durch ein längeres Zitat verdeutlicht werden, denn fanatisch deutsch zu sein ist die Kehrseite eines Antisemitismus: „Wagners Deutschtum also, so wahr und mächtig es sei, ist modern gebrochen und zersetzt, dekorativ, analytisch, intellektuell, und seine Faszinationskraft, seine eingeborene Fähigkeit zu kosmopolitischer, zu planetarischer Wirkung stammt daher. Seine Kunst ist die sensationellste Selbstdarstellung und Selbstkritik deutschen Wesens, die sich erdenken läßt, sie ist danach angetan, selbst einem Esel von Ausländer das Deutschtum interessant zu machen, und die leidenschaftliche Beschäftigung mit ihr ist immer zugleich eine leidenschaftliche Beschäftigung mit diesem Deutschtum selbst, das sie kritischdekorativ verherrlicht.“36 Es ließe sich trefflich darüber streiten, ob ,Wagners 30

An einer anderen Stelle des Buches fragte Mann, warum Wagner die Demokratie gehaßt habe: „Weil er die Politik selbst haßte, und weil er die Identität von Politik und Demokratismus erkannte.“ (S. 89, Hervorhebungen im Original). 31 Vgl. die Aufsätze in: Deutschland und der Weltkrieg. Herausgegeben von Otto Hintze, Friedrich Meinecke, Hermann Oncken und Hermann Schumacher, Leipzig/Berlin 1915. Zu den antidemokratischen Tendenzen im Ersten Weltkrieg siehe H. Kiesewetter: Von Hegel zu Hitler (wie Anm. 82), S. 101 ff. 32 Friedrich Meinecke: Kultur, Machtpolitik und Militarismus, in: Deutschland und der Weltkrieg (wie Anm. 31), S. 618. 33 T. Mann: Betrachtungen eines Unpolitischen (wie Anm. 7), S. 34. Von Wagners und Schopenhauers Politikverständnis behauptete Mann: „Es gibt keine nationaleren Persönlichkeiten, als die dieser beiden großen Deutschen der spätbürgerlichen Epoche.“ (S. 100). 34 Ebd., S. 37. „Heute noch, wenn unverhofft eine beziehungsvolle Wendung, irgend ein abgerissener Klang aus Wagners musikalischem Kosmos mein Ohr trifft, erschrecke ich vor Freude.“ (S. 43). 35 Ebd., S. 39. 36 Ebd., S. 40.

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Deutschtum‘ zutreffend als kosmopolitisch bezeichnet werden kann, aber auf keinen Fall ist es analytisch und intellektuell, denn anders als bei Mann war Wagners Deutschtümelei innig verwoben mit seinem gefühlsdurchtränkten und irrationalen Antisemitismus, zu dem er sich freimütig bekannte. Die parlamentarische Demokratie, eine zartbeseitete, mimosenhafte Gesellschaftsform, die zwar Freiheit und Menschenrechte als universelle Forderungen an ihre Fahnen heftet, sich aber immer von neuem zu bewähren und zu verteidigen hat – besonders in unseren Zeiten, in denen das zügelnde Gegengewicht totalitärer kommunistischer Herrschaftssysteme fehlt, können Großmächte wie die USA eine nationalstaatliche Politik betreiben, die ethische Grundlagen der Demokratie gefährdet37 –, muß von allen Nationalisten mit unbarmherziger Rigorosität bekämpft werden, heißen sie nun Richard Wagner, Thomas Mann oder Adolf Hitler. Zwischen individuellen Rechten und dem organischen Machtstaat gibt es nach Mann keine versöhnende Vermittlung, denn die atomisierte Masse weiß nicht, was sie tut oder tun soll, was bereits Hegel 1821 in seiner Philosophie des Rechts geschrieben hat, während die Nation als Staat und der charismatische Führer metaphysisch aufgewertet werden: „Die individualistische Masse ist demokratisch, das Volk aristokratisch.“38 Thomas Mann möchte deshalb die wilhelminische Monarchie mit dem Kaiser als oberste Instanz bewahrt wissen, weil sie angeblich eine geistige und politische Freiheit von Nationalisten seines Schlages garantiere: „Ich will nicht die Parlaments- und Parteiwirtschaft, welche die Verpestung des gesamten nationalen Lebens mit Politik bewirkt“39 und deshalb auch nicht eine „alleinseligmachende demokratische Heilslehre“40 englischer oder amerikanischer Provenienz. Man muß die abwertenden Sätze Wagners über die Demokratie in dem Aufsatz „Was ist deutsch?“ ganz zitieren, um zu verstehen, warum Thomas Mann sich zu ihnen so stark hingezogen fühlte, daß er fast noch ein halbes Jahrhundert später seine politischen Überzeugungen damit untermauerte: „Die ,Demokratie‘ ist in Deutschland ein durchaus übersetztes Wesen. Sie existirt nur in der ,Presse‘, und was diese deutsche Presse ist, darüber muß man sich eben klar werden. Das Widerwärtige ist nun aber, daß dem verkannten und verletzten deutschen Volksgeiste diese übersetzte französisch-jüdisch-deutsche Demokratie wirklich Anhalt, Vorwand und eine täuschende Umkleidung entnehmen konnte. Um Anhang im Volke zu haben, gebärdete sich die ,Demokratie‘ deutsch und ,Deutschthum‘, ,deutscher Geist‘, ,deutsche Redlichkeit‘, ,deutsche Freiheit‘, ,deutsche Sittlichkeit‘ wurden nun Schlagwörter, die Niemanden mehr anwidern konnten, als den, der wirkliche deutsche Bildung in sich hatte, und nun mit Trauer der sonderbaren Komödie zu37 Vgl. dazu Hubert Kiesewetter: Kritik der modernen Demokratie, Hildesheim/Zürich/ New York 2011, S. 70 ff. 38 T. Mann: Betrachtungen eines Unpolitischen (wie Anm. 7), S. 232. Oder anders ausgedrückt: „Es bedeutet auch nichts für jemandes Wert und Rang, daß er Demokrat ist; jeder Dummkopf ist es heute.“ (S. 240, Hervorhebung im Original). 39 Ebd., S. 246. 40 Ebd., S. 358.

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sehen mußte, wie Agitatoren aus einem nichtdeutschen Volksstamme für ihn plaidirten, ohne den Vertheidigten auch nur zu Wort kommen zu lassen. Die erstaunliche Erfolglosigkeit der so lärmenden Bewegung von 1848 [d. h. die demokratischen Strömungen der Verfassungsgebenden Versammlung in der Frankfurter Paulskirche, H.K.] erklärt sich leicht aus diesem seltsamen Umstande, daß der eigentliche wahrhafte Deutsche sich und seinen Namen so plötzlich von einer Menschenart [den Juden, H.K.] vertreten fand, die ihm ganz fremd war.“41 Diese wenigen Sätze Wagners mögen ausreichen, um die glorifizierende Phrase in das realitätsverleugnende Reich einer schönen Fabel zu verbannen, „daß es in Deutschland kaum einen demokratischeren Menschen als Richard Wagner gegeben habe“,42 der ja eindeutig Demokratie als französisch-jüdisch verseucht charakterisierte. Die politischen Konsequenzen, die sich aus einer solchen antikosmopolitischen Einstellung ergeben, können ganz verschieden sein, wie der blinde Antisemitismus Wagners, der vernichtende Rassismus Hitlers oder „nur“ die verabscheuende Verurteilung alles Demokratischen bei Mann – die internationale Demokratie führte nach ihm nichts anderes als einen ideenlosen „unsittlichen Börsenkrieg“43 –, weshalb er betonte: „Wir erinnerten uns, daß Wagner nicht müde wurde, die Demokratie in irgend einem westlichen Sinn und Verstand für fremdartig, übersetzt, undeutsch zu erklären, daß er sie haßte und zwar mit demselben Haß, den ihm die Politik selbst, alles politische Wesen überhaupt einflößte“.44 Ganz im Hegelschen Sinn folgerte Mann daraus, daß politische Freiheit nichts anderes bedeuten könne „als die Freiheit des Patrioten zur Politik, seine Freiheit, am Staate, im Staate zu wirken“.45 Wir wissen nach den verheerenden und mörderischen Regimen im 20. Jahrhundert zur Genüge, was dies in autoritären oder totalitären Staaten für die meisten Menschen bedeutete, nämlich weitgehende Unterordnung unter die befehlende Staatsmacht. Vielleicht war Mann um 1918 nicht genügend politischer 41 R. Wagner: Gesammelte Schriften, Bd. 10 (wie Anm. 10), S. 50 f. (Hervorhebung im Original). 42 Wilhelm Matthes: Was geschah in Bayreuth von Cosima bis Wieland Wagner? Ein Rechenschaftsbericht, Augsburg 1996, S. 119. 43 T. Mann: Betrachtungen eines Unpolitischen (wie Anm. 7), S. 234. Demokratisierung wäre deshalb eine nationalstaatsfeindliche Anpassung an ein zivilisatorisches Weltniveau, „es wäre die Verdummung der Deutschen zum sozialen und politischen Tier, es wäre die Entdeutschung“ (S. 259). 44 Ebd., S. 215. Hier bezog sich Mann auf Wagners zweite, enttäuschte Lebensphase, denn in der Schrift Oper und Drama behauptete Wagner sogar, daß man nicht dichten könne, ohne zu politisieren: „In einer rein politischen Welt nicht Politiker zu sein, heißt aber so viel, als gar nicht existiren; wer sich jetzt noch unter der Politik hinwegstiehlt, belügt sich nur um sein eigenes Dasein“. (Richard Wagner: Gesammelte Schriften und Dichtungen. Band 4 (1888). Nachdruck Hildesheim 1976, S. 53). 45 T. Mann: Betrachtungen eines Unpolitischen (wie Anm. 7), S. 216. Dort auch das nächste Zitat. Nach Mann war es zu seiner Zeit unausweichlich, wenn man demokratische Politik betreiben wollte, was ja die Sozialdemokratie anstrebte, sich als expansionistischer Patriot zu bekennen: „Aber nach Demokratie zu rufen und gegen allen Patriotismus, alles Nationalgefühl vornehm zu tun, das hat keine Folgerichtigkeit.“ (S. 217).

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Mensch, um die freiheitsberaubenden Folgen seiner patriotischen Einstellung abschätzen zu können. Doch in seinen scharfen, politischen Urteilen hielt er sich nicht zurück, sondern erklärte es für unmöglich, „nach Politik, nach Demokratie zu verlangen und dabei antinationaler, antipatriotischer Gesinnung zu huldigen“. Wofür also Thomas Mann in diesem Buch mit verbissener Verve stritt, ist die Wagnersche Hypostasierung des deutschen Geistes, was nichts anderes bedeuten kann, daß eine demokratische Europäisierung, „eine alle Nationalkultur nivellierende Entwicklung“46 bzw. „die restlose Verwirklichung und endgültige Aufrichtung des Weltimperialismus der Zivilisation“ in aller Schärfe verurteilt wurde. Während der Weimarer Republik, die ja für viele deutsche Monarchisten und Militaristen dem eigentlichen deutschen Wesen nicht entsprach, kühlte sich nicht nur die Wagner-Faszination Thomas Manns merklich ab, obwohl er sich immer noch dazu bekannte, daß das künstlerische Erlebnis Wagner für ihn „unendlich zaubervoll und stimulierend“47 gewesen sei, sondern er distanzierte sich zunehmend von dessen politischer Deutschtümelei, ohne seinen Lesern unverblümt zu bekennen, daß er selbst diesem extremen Nationalismus verfallen war. In einer Antwort auf Fragen an europäische Schriftsteller: „Was verdanken Sie dem deutschen Geist? der kosmopolitischen Idee“ der Zeitschrift Literarische Welt von Oktober 1925 sprach Mann zwar immer noch von ,Verführung‘, aber: „Zu denken, daß Wagner noch heute, bei den Restaurationsversuchen Bayreuths, als Schutzherr einer höhlenbärenmäßigen Deutschtümelei und Vertreter roher Biederkeit mißbraucht werden kann, – während europäische Artisten und Dekadenten wie Baudelaire die ersten waren, die ihm zujubelten! Der ungeheure Spott Nietzsches über das Mißverständnis, das Wagner unter uns Deutschen angerichtet, bleibt das stärkste kritische Erlebnis meiner Tage.“48 Jetzt wurde Wagner als „Meister und Rattenfänger“49 bezeichnet, dessen überbordende deutsche Seele eine Gewissensfrage auslöse, die Mann dahingehend beantwortete, indem er seine Haßtiraden gegen England und Frankreich in den Betrachtungen einfach unterschlug, weil er angeblich „den Kosmopolitismus oder Europäismus im wesentlichen auf deutsch erlebte“. Eine ähnliche Wandlung vom Nationalisten zum Demokraten vollzog der weltberühmte Soziologe und Ökonom Max Weber (1864 – 1920). Am 10. Februar 1933, also drei Tage vor Wagners 50. Todestag, hielt Thomas Mann auf Einladung der Münchener Goethe-Gesellschaft einen Vortrag, „Leiden und Größe Richard Wagners“,50 dessen erheblich umfangreichere Fassung im Aprilheft der Neuen Rundschau abgedruckt wurde. Am Todestag selbst – an diesem 13. Februar nahm Adolf Hitler zusammen mit Winifred Wagner an dem Festakt zu

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Ebd., S. 225. Dort auch das nächste Zitat. Zitiert in: Im Schatten Wagners (wie Anm. 2), S. 76. Zitiert ebd., S. 75. Ebd., S. 76. Dort auch das nächste Zitat. Die veröffentliche Fassung ist abgedruckt in ebd., S. 87 – 143.

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Wagners 50. Todestag im Leipziger Gewandhaus teil51 – wiederholte er diesen Vortrag vor der Wagner-Vereinigung Amsterdam und später auf Französisch in Brüssel und Paris. In der gedruckten Fassung halten sich Bewunderung und Kritik Wagners etwa die Waage und Mann weiß kaum „die Liebe zu seinem Werk, einem der großartig fragwürdigsten, vieldeutigsten und faszinierendsten Phänomene der schöpferischen Welt, zu unterscheiden von der Liebe zu dem Jahrhundert, dessen größter Teil sein Leben ausfüllt, dies unruhvoll umgetriebene, gequälte, besessene und verkannte, in Weltruhmesglanz mündende Leben“.52 Wagners Schaffen, seine sinnliche und symbolische Kunst, „das dramatische Sinnlichkeitstheorem“,53 der „Sinnlichkeitsrevolutionarismus“,54 in der er sich selbst „als Priester fühlen“55 mußte, verkörpere „eine düstere, leidende, zugleich skeptische und wahrheitsbittere, wahrheitsfanatische Größe“,56 dessen heilige Kunst „ihm als Reinigungs- und Heiligungsmittel für eine verdorbene Gesellschaft“57 gegolten habe. Es bleibt bis heute unverständlich, warum diese Rede, die relativ distanziert offenkundige Stärken und Schwächen von Wagners Werk ganz im Mannschen Duktus auszutarieren versuchte, „eine derart heftige Eifersuchtsreaktion in der sich dem Nazismus anbiedernden Musikszene auslöste“,58 die ja noch nicht völlig nazifiziert war. Das künstlerische Hinausragen von Wagners Werk über alle älteren musikalischen Darbietungen bestand nach Mann in der Psychologie und im Mythos, weshalb es sich „in merkwürdigster, intuitiver Übereinstimmung“59 zeige mit dem Juden und Psychoanalytiker Sigmund Freud! Hier scheint Thomas Mann ablenken oder zumindest umlenken zu wollen von den antisemitischen Tiraden Wagners auf psychologische und mythologische Motive im Werk Wagners, die ja ohne Zweifel vorhanden sind. Er überging damit jedoch stillschweigend, daß gerade in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die antisemitischen Früchte Wagners reiften und im Antisemitismusstreit – in Berlin wie auch in Wien wurde nach Gründung 51 Vgl. Richard Wagner gepfändet. Ein Leipziger Denkmal in Dokumenten 1931 – 1955, hrsg. von Grit Hartmann, Leipzig 2003, S. 76 f. Und obwohl Winifred Wagner den mörderischen Diktator während des ganzen Dritten Reiches verehrte und umschmeichelte, behauptet Walter Schertz-Parey: Winifred Wagner. Ein Leben für Bayreuth, Graz/Stuttgart 1999, S. 99: „Winifred ist kein politisch denkender Mensch. Ihre Freundschaft zu Hitler ist kein politisches Bekenntnis“. Ausführlich zu Winifred Wagner Kapitel 10. 52 Im Schatten Wagners (wie Anm. 2), S. 87. Fast programmatisch legte Thomas Mann dort das Geständnis ab: „Die Passion für Wagners zaubervolles Werk begleitet mein Leben, seit ich seiner zuerst gewahr wurde und es mir zu erobern, es mit Erkenntnis zu durchdringen begann.“ (S. 96). 53 Ebd., S. 98. 54 Ebd., S. 115. 55 Ebd., S. 90. 56 Ebd., S. 88. 57 Ebd., S. 89. 58 Joachim Radkau: Richard Wagners Erlösung vom Faschismus durch die Emigration, in: Exilforschung. Ein internationales Jahrbuch, Bd. 3, 1985, S. 75. 59 Im Schatten Wagners (wie Anm. 2), S. 93.

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der Antisemitenliga 1880, der Allgemeinen deutschen antisemitischen Vereinigung 1886 und der Deutschsozialen antisemitischen Partei 1889 im Jahr 1891 ein Verein zur Bekämpfung des Antisemitismus ins Leben gerufen – einen ersten Höhepunkt erklommen und dunkle Schatten auf den nationalsozialistischen Rassismus warfen. Natürlich stürzten sich die nationalsozialistischen Verteidiger Wagners aus der Wagner-Stadt München, wie wir noch sehen werden, wie hungrige Wölfe auf diesen jüdischen Schmaus, den sie Mann als typische Verhunzung des Wagnerschen Erbes entgegenschleuderten. Thomas Mann wußte selbstverständlich, daß gerade in der Endphase der Weimarer Republik nationalsozialistische Schriftsteller durch die häufige Bezugnahme Hitlers auf Richard Wagner ermuntert wurden, ihre rassistischen Tiraden mit Wagners Antisemitismus zu begründen. Und er kannte ganz sicher die engen Bande zwischen der Bayreuther Clique um Houston Stewart Chamberlain oder Siegfried sowie Winifred Wagner und Adolf Hitler. Trotzdem konzentrierte sich Mann in seiner Interpretation von 1933 auf die „kosmogonische Märchenphilosophie“,60 die in vielen Opern Wagners nicht nur durchschimmere, sondern als tragende Säule einer Bild- und Gedankenwelt erscheine, „die in aller Kunst ohne Beispiel ist“ und ja öfter mit dem Nationalsozialismus in Zusammenhang gebracht wurde. Sein aufkommendes Mißtrauen gegenüber Wagners theoretische Schriften – dazu gehörten nach Mann offenbar nicht die antisemitischen Schriften, die er an keiner Stelle erwähnte – habe das unendliche Glücksgefühl über diese Kunst, seine nie erlahmende Neugier nach ihr, nicht verdrängen können, denn „Wagners siegreiches Werk beweist nicht seine Theorie, sondern nur sich selbst“.61 Damit gab er seinen wagnereuphorischen Nachfolgern eine interpretatorische Stütze mit auf den Weg, die es ermöglichte, das musikalische Schaffen Wagners strikt von seinen antisemitischen Schriften zu trennen, um am Erlösungswerk festhalten zu können. Doch Manns, in Anlehnung an Friedrich Nietzsche, kritische Bemerkungen an Wagners „eigentümlich Dilettantisches“,62 ein „ins Geniehafte getriebener Dilettantismus“, die sprachliche Charakterisierung von dessen Dichtung, die „oft etwas Schwulstiges und Barockes, auch Kindliches, etwas von großartiger und selbstherrlicher Unberufenheit“63 habe, diese „Abendmahlsphilosophie der Heiligung“,64 relativieren zumindest seine frühere, wiederholte Bewunderung des Wagnerschen Genies, seiner absoluten Genialität. 60

Ebd., S. 95. Dort auch das nächste Zitat. Ebd., S. 97. Darunter kann man sich sehr viel vorstellen, weshalb er vielleicht danach ziemlich abstrakt und abgehoben schrieb: „Es wäre kindliche Barbarei, zu glauben, Höhe und Intensität der Kunstwirkung ergäben sich aus dem gehäuften Maß ihrer sinnlichen Aggression.“ 62 Ebd., S. 98. Dort auch das nächste Zitat. 63 Ebd., S. 99 f. Gleichzeitig heißt es dort: „Sein Genie ist eine dramatische Synthese der Künste, die nur als Ganzes, eben als Synthese, den Begriff des echten und legitimen Werkes erfüllt.“ (S. 100). 64 Ebd., S. 115. Damit war Wagners Parsifal und seine christlich-asketische Altersphilosophie gemeint. 61

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Selbst gegenüber seinen überschwänglichen Lobliedern von Wagners Musik ging Thomas Mann vorsichtig auf Distanz und räumte ein, sie sei „Psychologie, Symbol, Mythik, Emphatik“,65 aber nicht Musik im klassischen Sinn: „Nun denn, das Genie Richard Wagners setzt sich aus lauter Dilettantismen zusammen.“ Es soll hier nicht erörtert werden, daß es ja einiger gedanklicher Drehungen bedarf, wenn man Wagners Musik aus der ihr zugrunde liegenden Dichtung, die ebenfalls zu seinen Schriften gehört, herauslöst und sie als eigenständigen Topos behandelt, die dann ebenfalls dilettantistisch sein müßten. Die von Mann betonte dilettantische Psychologie ist durchsetzt von Arthur Schopenhauers Pessimismus, der Wagners Musik fast eine lächerliche Unklarheit und Schwermütigkeit verleihe: „Der allgemeine seelische Charakter von Wagners Musik hat etwas pessimistisch Schweres, langsam Sehnsüchtiges, im Rhythmus Gebrochenes und aus dunklem Wirrsal nach Erlösung im Schönen Ringendes; … ein Wühlen, Sichschieben und Drängen von unsüdlicher Mühsal“.66 Es wäre zu fragen, ob es unserem Dichterfürsten hier nicht stärker um raffinierte Formulierungen als um eine zutreffende Charakterisierung des weitgespannten Wagnerschen Musikoeuvres geht? Thomas Mann vertraute am 25. April 1933 seinem Tagebuch an, daß der Schweizer Rechtswissenschaftler Alfred Frh. von Oberbeck ihn gefragt habe, ob er der nationalsozialistischen Bewegung beitreten wolle, „um sie zu veredeln“.67 Das war nach dem unten behandelten ,Protest‘ eine ziemliche Zumutung, doch in seinen langen Ausführungen über Wagners Leiden und Größe kam Mann nicht auf dessen politisches Gedankengebäude eines sich zum Rassismus steigernden Antisemitismus zu sprechen, wenn man nicht die verzerrende Aussage, Wagners Gedankensystem stelle „die eigentümlichste Mischung aus Pazifismus und Heroik“68 dar, als politische Äußerung ansehen will. Wir haben ja schon gehört, daß Mann der Politik oder politischen Äußerungen distanziert gegenüberstand, aber kurz nachdem der Diktator Hitler an die politischen Schalthebel der Macht gelangt war, erschien es noch ratsamer, sich mit politisch kritischen Stellungnahmen zurückzuhalten, um nicht mißverstanden zu werden. Es hat außerdem den durchsichtigen Anschein – da Mann gewiß von der Wagnerverehrung Hitlers gehört hatte –, daß er sein politisches Engagement, seine merkwürdige Überzeugung, „daß jedes der großen europäischen Völker auf seine Art ein Verhängnis für Gesamt-Europa bildet“,69 aus den Be65

Ebd., S. 103. Dort auch das nächste Zitat. Ebd., S. 105. Diesem sterbenden Leben lag nach Mann eine charakterliche Zerrissenheit zugrunde, die dieses Einmalige erst ermöglichte: „Gewaltige Ressourcen von guter Laune, von unverwüstlicher Lebensschnellkraft finden sich in diesem mürben Melancholiker, dessen Krankheit eben nur eine unbürgerliche Abart der Gesundheit ist.“ (S. 114). 67 Zitiert ebd., S. 143. 68 Ebd., S. 119. Die Aussage, daß „die Wagnersche Seele in einer vornationalstaatlichen europäischen Sphäre beheimatet ist“ (S. 122), verdeckt dessen Nationalismus eher als ihn aufzuhellen. 69 T. Mann: Betrachtungen eines Unpolitischen (wie Anm. 7), S. 434 (Hervorhebung im Original). Während Mann dort noch Wagners Demokratiefeindlichkeit und dessen Nationalismus für den deutschen Kriegsenthusiasmus als grundlegend ansah, versuchte er sich 1933 66

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trachtungen in Vergessenheit geraten lassen wollte. Dafür spricht ebenfalls, daß er in seinem Essay ausführlich auf Wagners gespaltene Lebenssituationen einging, aber dessen über drei Jahrzehnte sich steigernden Antisemitismus nicht nur nicht erwähnte, sondern durch permanentes Verschweigen eigentlich ungeschehen sein läßt.70 Die ,Leiden‘ eines zwiespältigen Musikers trotz zauberhafter Passion in einer derart einseitigen Weise zu präsentieren, d. h. ohne die geringste Erwähnung des für Wagner so eminent wichtigen Komplexes seiner Judenfeindschaft, wirft drängende Fragen nach Glaubwürdigkeit und Wahrheitsliebe Thomas Manns auf. Diese Fragen können allerdings hier nur angedeutet und nicht beantwortet werden, weil ja unsere Überlegungen um das Verhältnis Wagner – Hitler kreisen und keine abschließende Interpretation Manns intendieren. Es scheint mir jedoch unverkennbar, daß Mann in sprachlich höchst gekünstelten Wendungen versuchte, davon abzulenken, wie sehr Wagners Leben und Wirken angefüllt war von einer politisch inhumanen Sendung. Die hartnäckige Verneinung von Christentum, Religion und Gott sowie die freudige Bejahung von erotischer Philosophie, atheistischer Metaphysik und kosmogonischem Mythos bei Wagner in seiner wichtigsten Schaffensperiode sollten vor allem eines zeigen: „Wagners gesunde Art, krank zu sein, seine morbide Art, heroisch zu sein, ist nur ein Beispiel für das Kontradiktorische und Verschränkte seiner Natur, ihre Doppel- und Mehrdeutigkeit, die sich uns schon in der Vereinigung scheinbar so widersprechender Grundanlagen wie der mythischen und der psychologischen bekundete.“71 Wir werden später noch genauer hören, wie stark die vielfältigen Reaktionen auf Wagners Broschüre über das Judentum von 1869 gerade die Doppel- und Mehrdeutigkeit seiner politischen Ausfälle aufs Korn nehmen und nicht auf die psychologischen, sondern menschlich vernichtenden Intensionen dieser Schrift eingehen. Im krassen Gegensatz zu den Betrachtungen wurde Wagners Nationalismus von Mann 1933 davon freigehalten, eine „patriotische Nebenwirkung“72 erzielen zu wollen, sondern seine nationalistischen Äußerungen belegten eine „vollendete Geistigkeit und Politikfremdheit“ sowie eine „anarchische Gleichgültigkeit“ gegen das Staatliche. Bei einer solchen Politikverleugnung reichte es auch nicht aus, um den Schein eines aufrichtigen Urteils zu wahren, wenn Mann konzedierte, daß davon zu distanzieren: „Es ist durch und durch unerlaubt, Wagners nationalistische Gesten und Anreden [eigentlich waren es felsenfeste Überzeugungen, H.K.] den heutigen Sinn zu unterlegen – denjenigen, den sie heute hätten. Das heißt sie verfälschen und mißbrauchen, ihre romantische Reinheit beflecken.“ (Zitiert in: Im Schatten Wagners (wie Anm. 2), S. 135). 70 An einer anderen Stelle sagte Mann: „Ich will nicht darauf bestehen, daß er ein Revolutionär von 48, ein Mittelklassenkämpfer und also ein politischer Bürger war; denn er war es auf seine besondere Weise, als Künstler und im Interesse seiner Kunst, die revolutionär war und für die er sich ideelle Vorteile, verbesserte Wirkungsbedingungen vom Umsturz des Bestehenden versprach.“ (Zitiert in: Im Schatten Wagners (wie Anm. 2), S. 129). 71 Ebd., S. 123. 72 Ebd., S. 136. Dort auch die beiden nächsten Zitate.

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Wagners Kunst mit keinem Tropfen „demokratisch-europäischen Öles“73 gesalbt worden sei oder zugestanden wurde: „Ihre Deutschheit ist tief, mächtig und unbezweifelbar.“ Daß Wagners nationale Ideen nicht der deutschen Kunst und Politik, sondern dem Musiktheater galten, ist ebenso einseitig und verfälschend wie die beschönigende These, er habe den Weg des deutschen Bürgertums eingeschlagen. Das deutsche Bürgertum in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts hat nämlich einen dramatischen Veränderungsprozeß durchlebt, weil z. B. aus einfachen, unterbürgerlichen Handwerkern Industriemagnaten werden konnten, die den Reichtum finanzkräftiger Juden in den Schatten stellten und teilweise geadelt wurden als auch in den niederen Adel einheirateten. Zwar räumte Mann ein, es gäbe „reaktionäre Züge in Wagners Erscheinung“,74 aber er ging nicht näher darauf ein, sondern verwahrte sich vielmehr gegen Nietzsches höhnische Anspielung auf Wagners deutsches Meistertum mit der Aussage: „Wagners Deutschtum war echt und mächtig.“75 Nur durch eine vollständige Ausblendung des vernichtungswütigen Antisemitismus konnte Thomas Mann die haltlose Ansicht vertreten: „Richard Wagner als Politiker war sein Leben lang mehr Sozialist und Kulturutopist im Sinne einer klassenlosen, vom Luxus und vom Fluche des Goldes [richtiger wäre gewesen: vom Fluche des Judentums, H.K.] befreiten, auf Liebe gegründete Gesellschaft, wie er sie sich als das ideale Publikum seiner Kunst erträumte, denn Patriot im Sinne des Machtstaates.“76 Mann blendete alle politischen Anbiederungen Wagners gegenüber Fürsten und Königen aus, vor allem aber die fast zwanzigjährige innige kulturpolitische Verbindung zu seinem finanziellen Goldesel, dem Bayernkönig Ludwig II., die er in einer ziemlich schiefen Weise so darstellte, als habe sich Wagner damit von seinem früheren Pessimismus weit entfernt bzw. von einer „resignierten, machtgeschützten Innerlichkeit“. Manns denkwürdiger Versuch, noch nach der Hitlerschen Machtergreifung Richard Wagner dadurch von aller politischen Ver73

Ebd., S. 139. Dort auch das nächste Zitat. Was sagt es denn Konkretes über den politischen Gehalt aus, wenn die schauspielerischen Darbietungen Wagners als „eruptive Offenbarung deutschen Wesens“ (S. 140) oder als „die sensationellste Selbstdarstellung und Selbstkritik deutschen Wesens“ (ebd.) bezeichnet werden? Oder das Bekenntnis: „Ja, Wagner ist deutsch, ist national, auf beispielhafte – vielleicht allzu beispielhafte Weise“ (ebd.), wenn 1933 die antisemitischen Gleichklänge des Bayreuther Kreises mit den Nationalsozialisten nicht einmal erwähnt oder eigentlich verschwiegen werden? 74 Ebd., S. 142 (Hervorhebung im Original). Dort auch das nächste Zitat. Deshalb endete dieser Aufsatz wohl mit einer resignativen Feststellung: „Begnügen wir uns, Wagners Werk zu verehren als ein gewaltiges und vieldeutiges Phänomen deutschen und abendländischen Lebens, von dem tiefste Reize ausgehen werden allezeit auf Kunst und Erkenntnis.“ (S. 143). 75 Wagner selbst konnte die kritischen Äußerungen Nietzsches an ihm bis zu seinem Tod nicht verzeihen, denn noch am 4. Februar 1883 sagte er zu Cosima: „Nietzsche habe gar keine eigenen Gedanken gehabt, kein eignes Blut, alles sei fremdes Blut, welches ihm eingegossen worden sei“. Und einen Tag später schrieb Cosima über Wagner: „Nietzsche’s Erbärmlichkeit geht ihm auch wieder durch den Sinn.“ (Cosima Wagner: Die Tagebücher, Band II: 1978 – 1883. Ediert und kommentiert von Martin Gregor-Dellin und Dietrich Mack, München/Zürich 1977, S. 1106). 76 Im Schatten Wagners (wie Anm. 2), S. 136. Dort auch das nächste Zitat.

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antwortung reinzuwaschen, indem er behauptete, diesem sei es um nichts als ein humanes Problem, „der Untrennbarkeit von Geist und Politik“77 gegangen und er habe „der bürgerlich-deutschen Selbsttäuschung“ eines unpolitischen Kulturmenschen angehangen, verdrehte in einem schriftstellerisch leichtfertigen Umgang mit der historischen Wirklichkeit unleugbare Fakten. Auch Winifred Wagner behauptete 1975 gegenüber Hans Jürgen Syberberg, sie habe mit Hitler nie über Judenfragen gesprochen, d. h. „ich bin an und für sich ein restlos unpolitischer Mensch“.78 Darüber wird noch später zu reden sein, doch jetzt erst einmal kurz zu den dramatischen Folgen dieses Mannschen Vortrags. In einem Rundschreiben vom 3. April 1933 – also zwei Tage nachdem von den Nationalsozialisten ein „Judenboykott“ ausgerufen wurde –, das der Bayerische Staatsoperndirektor Hans Knappertsbusch (1888 – 1965) an 45 Persönlichkeiten des Münchener Kulturlebens übersandte, wurde Thomas Mann beschuldigt, in seinem Amsterdamer Vortrag „ein deutsches Genie, den größten Musikdramatiker aller Zeiten, zu verunglimpfen“.79 Da Bayern und München stolz auf ihre guten Beziehungen zu Richard Wagner und König Ludwig II. seien, müsse derjenige, der eine deutsche Geistesgröße wie Wagner, von denen es nur ganz wenige in der Welt gebe, verkleinere, seine „weiß-blauen Wunder erleben!“ Dieser Aufruf, noch heute beschämend für die Unterzeichner, führte zum ,Protest der Richard-Wagner-Stadt München‘ – der Stadt, in der Thomas Mann fast vierzig Jahre seines Lebens verbracht hatte –, der am 16./17. April des gleichen Jahres in den Münchener Neuesten Nachrichten mit den 45 Unterschriften abgedruckt wurde. Unter den renommierten Vertretern von Münchens Kultur und Wissenschaft befanden sich Hermann Bauer, der Präsident der Vereinigten Vaterländischen Verbände Bayerns, Friedrich Dörnhöffer, Generaldirektor der Bayerischen Staatsgemäldesammlung, Münchens Oberbürgermeister Karl Fiehler, der früher mit Mann befreundete Generalmusikdirektor Hans Pfitzner, der Präsident des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes Franz Schmelzle, der Generalmusikdirektor Richard Strauss, dessen Sohn mit einer jüdischen Frau verheiratet war, sowie viele Professoren und Honoratioren des Münchener Kultur- und Musiklebens. Thomas Mann wurde in diesem Protest vorgehalten, daß er es gewagt habe, kurz nach der Machtergreifung des Wagner-Enthusiasten Hitler, der natürlich nicht erwähnt wird, und etwa zwei Wochen nach dem Ermächtigungsgesetz vom 23. März 77

Ebd., S. 137. Dort auch das nächste Zitat. Nicht einmal die zeitliche Einschränkung: „Sein Verhältnis zum Vaterland war bis zur Reichsgründung und bis zu seiner Bayreuther Niederlassung das des Einsamen, Unverstandenen, Abgestoßenen, voll von Kritik und Hohn“ (ebd.), kann gültigen Anspruch auf eine realistische Interpretation erheben. 78 Syberbergs Filmbuch, München 1976, S. 262. Mein Motto steht auf S. 263. 79 Zitiert in: Im Schatten Wagners (wie Anm. 2), S. 233. Dort auch das nächste Zitat. Daß Mann denselben Vortrag schon vorher in München gehalten hatte, wurde nicht besonders getadelt, denn es kam ja diesem Karrieristen von Hitlers Gnaden vor allem darauf an, Mann deshalb zu denunzieren, weil er kritische Gedanken gegenüber Wagner im Ausland vertreten hatte.

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1933, durch das dieser totalitäre Vollmachten übertragen bekam, den großen deutschen Meister verunglimpft zu haben. Das tiefste deutsche Gefühl, das in den musikalisch-dramatischen Werken Wagners zum Ausdruck komme, wolle man sich nicht mit „überheblicher Geschwollenheit in Richard-Wagner-Gedenkreden von Herrn Thomas Mann“80 durch einen „ästhetisierenden Snobismus beleidigen“ lassen. Mit unausgesprochener Süffisanz wurde darauf hingewiesen, daß Mann „seine früher nationale Gesinnung“ – gemeint sind natürlich die nationalistischen Ausführungen in den Betrachtungen, die im Protest fälschlich als ,Gedanken‘ bezeichnet werden! – in eine kosmopolitisch-demokratische Auffassung vertauscht habe. Es sei eine unerträgliche Anmaßung, daß Mann, der „kein Recht auf Kritik wertbeständiger deutscher Geistesriesen“81 besitze, im Ausland als Vertreter des deutschen Geistes eine zugleich lobende sowie kritische Festrede gehalten habe, in der Wagner außerdem noch psychoanalytisch interpretiert werde. Gegenüber einer solchen Unzuverlässigkeit und fehlendem Sachverstand wollten die Protestierenden ein- für allemal feststellen: „Wir lassen uns eine solche Herabsetzung unseres großen deutschen Musikgenies von keinem Menschen gefallen, ganz sicher aber nicht von Herrn Thomas Mann.“ Die menschenverachtende Rigorosität dieser akademisch Gebildeten unter dem Schutz eines totalitären Regimes hat es auch auf anderen Gebieten, z. B. dem nationalsozialistischen Hegelianismus gegeben.82 Die politischen Konsequenzen dieses Protests waren für Thomas Mann, der sich zu dieser Zeit in der Schweiz (Lugano) aufhielt, nicht nur existentiell dramatisch, sondern sie veränderten sein abwägendes Urteil über Wagner in verschiedener Hinsicht, wie wir noch hören werden. Auf Anraten seiner Kinder kehrte er nicht mehr nach Deutschland bzw. München zurück, wo er höchstwahrscheinlich von der Gestapo verhaftet und in ein Konzentrationslager gebracht worden wäre, sondern es wurde ihm später von der nationalsozialistischen Führung die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen und sein Vermögen beschlagnahmt, was ihn offenbar schließlich dazu bewog, von der Schweiz in die USA zu emigrieren. Trotzdem konnte er sich in den mehr als zwei Jahrzehnten bis zu seinem Tod nicht dazu durchringen, auf den Antisemitismus Wagners etwas detaillierter einzugehen, sondern er begnügte sich mit Einträgen in sein Tagebuch: „Grausiges Gefühl davon, wieviel dieser als Cha-

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Ebd., S. 234. Dort auch die beiden nächsten Zitate. Ebd., S. 235. Dort auch das nächste Zitat. Die nationalsozialistischen Wagnerianer fühlten sich eher durch die Heidelberger Festrede von Friedrich Panzer: Richard Wagner und das Deutschtum, Frankfurt am Main o. J. (1933) angesprochen, in der es heißt: „Und heute, da der Tag seines Todes sich zum fünfzigsten Male jährt, rüstet sich die gesamte Nation in Staatsund Stadtregimenten, in Universitäten und kulturellen Vereinigungen aller Art, mit ernster Feierlichkeit dankbar des Mannes zu gedenken, in dem sie einmütig einen der Größten verehrt, die dem Schoße deutschen Volkstums entstiegen.“ (S. 1). 82 Vgl. dazu Hubert Kiesewetter: Von Hegel zu Hitler. Die politische Verwirklichung einer totalitären Machtstaatstheorie in Deutschland (1815 – 1945) – (1974). 2., völlig veränd. und erw. Aufl., Frankfurt am Main 1995. 81

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rakter abscheuliche Kleinbürger tatsächlich vom Nationalsozialismus antizipiert.“83 Oder in einem Brief an den ersten Enkel von Richard Wagner, Franz W. Beidler, der an einer Biographie Cosima Wagners arbeitete, vom 26. November 1935: „Es ist unglaublich, wieviel Nationalsozialismus im Bayreuthianismus schon steckt, z. B. auch in seinem fiktiven Kämpfertum. Unseres Adolfs Schwäche für ,Wagner‘ hat schon ihre gute und schöne Berechtigung.“84 Diese Charakterisierung von Hitlers grenzenloser Wagner-Begeisterung hat etwas naiv Beschönigendes, das davor zurückschreckt, Roß und Reiter zu nennen und selbst den Namen Wagner in Anführungszeichen setzt. Als der Herausgeber der US-Zeitschrift Common Sense, Alfred M. Bingham, Mann im November 1939 um eine Stellungnahme zu dem Artikel ,Hitler and Richard Wagner‘ von Peter Viereck bat, antwortete Mann mit einem ausführlichen Aufsatz ,Zu Wagners Verteidigung‘.85 Er stimme zwar vielen Ansichten Vierecks zu, aber er wiederholte die mehrmals geäußerte These, daß man Wagner zu seiner Zeit und in der Weimarer Republik als „Kultur-Bolschewisten“86 bezeichnet hätte, wofür es überhaupt keine Belege gibt. Der komplette Psychologiemangel selbst der deutschen Wagnerverehrer habe verhindert, zu erkennen, daß Wagner „ein europäischer Künstler von ausgepichtestem Raffinement, ein mit allen Wassern romantischer Verführung gewaschener Tröster, Beglücker, Bezauberer leidender und vielerfahrener Seelen“87 war. Was wiegt gegenüber diesem „Schöpfer der überwältigendsten dramatischen Vision“, die das moderne Abendland je gesehen habe, daß Wagners Prosa, nicht er selbst, „zweifellos etwas stark Nationalsozialistisches hat“?88 Thomas Mann schwelgte erstaunlicherweise 1939, einige Monate nach Beginn des Zweiten Weltkrieges, immer noch in dem für ihn wundervollen Werk Wagners, „eines ebenso seelenvollen wie vor Klugheit trunkenen Zauberers“,89 also eines Verleugners der Wirklichkeit. Was kann gegenüber dieser musikalischen Urgewalt eines deutschen, weltgefeierten Komponisten und Dramatikers des 19. Jahrhunderts der Nationalsozialismus oder Hitlers Wagnerkult ausrichten? Mann 83 Zitiert in: Im Schatten Wagners (wie Anm. 2), S. 146. Eintrag vom 13. Februar 1935, dem Todestag von Wagner. Manns verschiedene Stellungnahmen zu diesem Protest sind abgedruckt in ebd., S. 236 – 265. 84 Ebd., S. 147. Selbst in diesem Brief scheint Mann nicht zu erkennen, indem er sich in ein semitisches Schneckenhaus verkriecht, daß nationalsozialistisches Gedankengut gerade von Cosima Wagner vorbereitet wurde: „Denn wenn schon Wagner so recht deutsch gewesen sein soll – Cosima, die internationale Liszttochter war es doch gewiß nicht.“ (Ebd., S. 148). Siehe dazu Kapitel 7, unten. 85 Das englische Original von Manns ,Letter to the Editor‘ ist abgedruckt in Peter Viereck: Metapolitics. From Wagner and the German Romantics to Hitler (1941; expanded edition), New Brunswick (N.J.) 2004, S- LI-LX. 86 Zitiert in: Im Schatten Wagners (wie Anm. 2), S. 182. 87 Ebd., S. 183. Dort auch das nächste Zitat. 88 Ebd., S. 184. Darüber habe Mann in seinem Aufsatz von 1933, den Viereck kritisierte, „aus Zartgefühl geschwiegen“! 89 Ebd., S. 185.

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machte es sich zu dieser Zeit mit seiner Einschätzung m. E. ziemlich einfach: „National-Sozialismus, in all seiner unsäglichen empirischen Gemeinheit, ist die tragische Konsequenz der mythischen Politikfremdheit des deutschen Geistes.“90 Die nationalsozialistische Bewegung hatte ja gerade gezeigt, daß sie die stimmungsmäßige Unzufriedenheit der deutschen Bevölkerung durch großartige Versprechen besser auszunutzen wußte als die demokratischen Parteien. Die Errichtung von Konzentrationslagern, in denen auch kritische Deutsche inhaftiert und umgebracht wurden, die millionenfachen Judenmorde bzw. die brutale Eroberungspolitik der deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg, vor allem gegenüber Polen und der Sowjetunion, haben sich auf die bewundernde Einschätzung Thomas Manns gegenüber Wagner zweifellos negativ ausgewirkt, was nicht nur daran zu erkennen ist, daß Mann über Wagner keine größere Abhandlung nach dem Krieg mehr verfaßt hat. In sein Tagebuch schrieb er am 30. August 1946, nachdem er abends Wagner-Musik gehört hatte: „Siegfried unter der Linde nach den Totschlägen penetrant nazihaft. Die ,Dunklen‘ lauter Juden und er der sonnige Todschlagheld.“91 Dies war zwar keine ernsthafte Kritik an Wagners Antisemitismus, aber wenigstens eine distanzierte Äußerung zu den charakterlichen Eigenschaften von Wagner-Figuren. Seine oft geäußerte Empörung über den Protest der RichardWagner-Stadt München mag ebenso dazu beigetragen haben, daß er nicht mehr nach Deutschland zurückkehrte und in der Schweiz die letzten Jahre seines Lebens verbrachte, wie seine fehlende Eindeutigkeit gegenüber dem Phänomen Wagner – Hitler, die er ja nicht mehr übersehen konnte. Es sind überwiegend Tagebucheinträge und Briefstellen aus der Zeit nach 1945, in denen dieses Problem angesprochen wird. So richtete er etwa an den Bühnenbildner Emil Preetorius, der von 1933 bis 1939 bei den Bayreuther Festspielen inszenierte, am 6. Dezember 1949 aus Kalifornien den vielzitierten und vielumstrittenen Satz: „gewiß, es ist viel ,Hitler‘ in Wagner“.92 Bei aller durchaus ehrlichen Anerkennung des mühsamen Ringens von Thomas Mann um einen wahrhaftigen Standpunkt nicht nur gegenüber dem Musiker, son90

Ebd., S. 187. Um eine gesellschaftliche Erneuerung Europas zu ermöglichen, konnte Mann sich 1939 sogar vorstellen: „Der National-Sozialismus muß geschlagen werden, das heißt praktisch heute leider: Deutschland muß geschlagen werden.“ (S. 187 f.). 91 Zitiert ebd., S. 196. Tagebucheintrag vom 5. April 1947. Und am 14. April 1950 an Richard Braungart: „Die ,Meistersinger‘ enthalten wundervollste Musik, aber ganz zufällig ist es nicht, dass sie Hitlern gar so gut gefielen.“ (S. 208, Hervorhebung im Original). 92 Ebd., S. 206. Hans Rudolf Vaget vermutet in seinem Kommentar, diese Aussage sei „eine verspätete Reaktion auf Preetorius‘ Aufforderung (Brief 8. 9. 1945) an Thomas Mann, eine ,Apologie Wagners‘ zu schreiben“ (ebd., S. 298, Anm. 206), die der Ansicht entgegentreten sollte, Wagner sei eine Art Nationalsozialist gewesen. In einer Rezension der Letters of Richard Wagner (1950) in der Saturday Review of Literature vom 20. Januar 1951 bemerkte Mann noch einmal: „Wir haben diesen Wagner wieder vor Augen, und da ist zuviel Abstoßendes, zuviel ,Hitler‘, wirklich zuviel latentes und alsbald auch manifestes Nazitum, als daß rechtes Vertrauen, Verehrung mit gutem Gewissen, eine Liebe möglich erschiene, die sich ihrer nicht zu schämen braucht“ (S. 214).

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dern auch dem ,Politiker‘ Wagner, bleibt der denkwürdige Umstand, daß er den frühen Antisemitismus und den späten, judenfeindlichen Rassismus Richard Wagners, der ja das eigentliche Verbindungsglied zum Nationalsozialismus darstellte, weder gründlich aufgearbeitet noch beschrieben, sondern lediglich in einigen Tagebuchsentenzen angedeutet hat. Darüber ist viel gesagt und geschrieben worden, aber es bleibt die unbeantwortete Frage, welche eigentlichen Motive Mann bewogen haben, bei seinen harschen Verurteilungen Hitlers nicht die Brückenfunktion von Wagners Antisemitismus zum nationalsozialistischen Rassismus gesehen bzw. analysiert zu haben. Es reicht m. E. für eine stimmige Erklärung der fehlenden Bezugnahme von Mann auf Wagners Judenfeindschaft nicht aus, wenn man wie Hans Rudolf Vaget glaubt, die Dankesschuld gegenüber Wagner habe Mann dazu veranlaßt, sich „schützend vor ihn [zu] stellen“93 und die beunruhigende Frage an ihn zu richten: „Warum Thomas Mann das explosive antisemitische Potential des Wagner-Erbes nicht entschiedener in seine Wagner-Kritik einbezogen hat?“94 Schließlich hat sich Mann ja auch nicht gescheut, in seinen Betrachtungen rigoros seiner Demokratiefeindschaft freien Lauf zu lassen und den Antisemiten Wagner dafür als Kronzeugen zu bemühen. Auch gegenüber einem Literaturnobelpreisträger und sprachgewaltigen Schriftsteller sollte die kritische Anfrage erlaubt sein, ob er sich nicht den blinden Fleck ,Antisemitismus‘ zu eigen machte, weil er genau wußte, daß sein eigener übersteigerter Nationalismus, sein echtes Deutschtum, seit dem 19. Jahrhundert eine unheilvolle Verbindung zum antisemitischen Rassismus eingegangen war.

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Ebd., S. 343. Ebd., S. 337.

3. Kapitel

Wagners früher Antisemitismus Oft wird Wagners Antisemitismus auf seinen finanziell erbärmlichen ersten Parisaufenthalt von 1839 bis 1842, seine enttäuschende Hofkapellmeisterstelle in Dresden oder auf sein gescheitertes Revolutionsexperiment 1848/49 zurückgeführt, die sich im Judenaufsatz von 1850 niedergeschlagen hätten, doch er ist viel älter und hat ganz andersartige Wurzeln. Offenbar sollen wir tatsächlich glauben, daß dieser Antisemitismus wegen eines fehlenden, gleichwertigen Antipoden als „eine Wut aus schlechtem Gewissen, eine Schmählust aus doppelter Moral“1 entstanden sei! Darin kann ich lediglich eine Ablenkungsstrategie erkennen. Oder kann eine angeblich vorurteilsfreie und objektive Betrachtungsweise – Dieter D. Scholz scheint den erkenntnistheoretischen Unterschied zwischen individueller Subjektivität und transpersonaler Objektivität nicht zu kennen – mit einigem Anspruch auf Überzeugungskraft die fragliche These vertreten, der Wagnersche Antisemitismus sei nicht nur brüchig und widersprüchlich, sondern für seine politische Intention gelte, daß er „frühsozialistischem Gedankengut verpflichtet ist und letztlich auf Assimilation abzielt“?2 Außer diesen fragwürdigen Einschätzungen gilt es erst einmal zu überprüfen, ob die Ansicht von Paul Lawrence Rose einem empirischen Test standhält: „In seinem Privatleben allerdings scheint Wagner vor 1848 keine starke Aversion gegen Juden gehegt zu haben.“3 Vielleicht kommt man mit Friedrich Nietzsche einem erklärenden Verständnis des Wagnerschen Antisemitismus näher, wenn man ihn in seinen menschlichen Charakterzügen betrachtet, z. B. als ein „urtümlich-primitiver Mensch, als deutsche Natur der Barbarei noch nahe“.4 Wie viele Urteile über Wagner läßt sich auch jenes über seine geringe antisemitische Einstellung vor dem Judenaufsatz von 1850 bei unvoreingenommener Betrachtung nicht aufrechterhalten, auch wenn Wagnerianer dies öfter behaupten, ohne auf entsprechende Texte einzugehen. Bereits während seiner Tätigkeit als Magdeburger Musikdirektor, die von prekären finanziellen Verhältnissen geprägt war, schrieb er am 13. Dezember 1834 an seinen Freund Theodor Apel in Leipzig, 1 Martin Gregor-Dellin: Richard Wagner. Sein Leben. Sein Werk. Sein Jahrhundert (1980). 4. Aufl., München 1991, S. 768. 2 Dieter David Scholz: Wagners Antisemitismus. Jahrhundertgenie im Zwielicht – Eine Korrektur (2000), Darmstadt 2013, S. 19. 3 Paul Lawrence Rose: Richard Wagner und der Antisemitismus. Aus dem Englischen von Angelika Beck, Zürich/München 1999, S. 63. 4 Emil Preetorius: Wagner. Bild und Vision, Berlin 1942, S. 41.

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daß er von seiner Zeit in Rudolstadt noch Schulden habe, „Weinrechnungen, – Schneiderrechnungen (denn unsereines hat ja hier gar keinen Kredit), das verfluchte Judengeschmeiß, – und noch andere baare Schulden, – Anhängsel meiner etwas verwöhnten Lebensart“.5 Wie später noch öfter, brachte Wagner hier seine finanziellen Kalamitäten in einen direkten Zusammenhang mit geldverleihenden Juden, die dem unentdeckten Weltgenie nicht einmal gegen Zinsen Geld leihen oder vorschießen wollten, damit er seinen luxuriösen Lebensstil fortführen konnte. Wagner war also weniger ein Pumpgenie als ein Schuldenhai, der seine selbstverschuldete larmoyante Opferrolle Menschen ankreidete, die anders als er solide Finanzgeschäfte durchführen konnten. Der darbende und teilweise hungernde Wagner entwickelte deshalb zunehmend gegenüber in Finanzgeschäften engagierten Juden eine haßgeprägte Aversion – noch nicht gegenüber jüdischen Freunden –, die er ungeprüft, aber keineswegs aus Schmählust, auf jüdische Musiker übertrug. Wenige Wochen vor seiner Abreise aus Paris nach Dresden, am 5. Januar 1842, äußerte er sich gegenüber Robert Schumann in Leipzig über den Komponisten Jacques Fromental Halévy (1799 – 1862; mit eigentlichem Namen Élias Lévy), er sei „offen und ehrlich und kein absichtlich schlauer Betrüger wie Meyerbeer“,6 den er damals schon denunzierte. Nach seiner Flucht wegen Überschuldung aus Riga mit Frau und Hund über London nach Paris besuchte Wagner diesen Giacomo Meyerbeer – dem er am 4. Februar 1837 aus Königsberg einen überschwänglichen Brief über dessen musikalisches Genie geschrieben hatte – in Boulogne-sur-mèr, einer eleganten Stadt – „nicht für abgebrannte Schnorrer, die kaum wissen, wie sie ihre tägliche Nahrung finanzieren sollen“7 –, damit sich dieser für seine Oper Das Liebesverbot einsetzte. Als Wagner nach den deprimierenden Erfahrungen mit dem Pariser Musikleben – während dieser Zeit hatte er fast durchgängig die künstlerische Fürsprache und Protektion von Meyerbeer in Anspruch genommen8 – Anfang Februar 1843 zum 5 Richard Wagner: Sämtliche Briefe. Band I, hrsg. von Gertrud Strobel und Werner Wolf, Leipzig 1967, S. 177 f. (Hervorhebung von mir). Werner Wolf kommentiert die Aussage über das ,Judengeschmeiß‘ folgendermaßen: „Unabhängig von derartigen Ausdrücken vertrat Wagner als Anhänger des ,Jungen Deutschland‘ die Emanzipation der Juden, wie sie beispielsweise in Laubes Roman ,Das junge Europa‘ verfochten wurde. Wenn er damals dennoch eine solche Bezeichnung gebrauchte, geschah das nicht im Sinne von Rassentendenzen, sondern aus seiner Einstellung zur Geldwirtschaft und dem vielfach damit verbundenen Geschäftsgebaren.“ (Ebd., S. 178, Anm. 1). 6 Ebd., S. 576. Und über Felix Mendelssohn Bartholdy heißt es in demselben Brief: „Ich höre, Mendelssohn soll eine Oper für Paris angetragen worden sein: ist Mendelssohn so wahnsinnig, dem Antrage zu entsprechen, so ist er zu bejammern; er ist meiner Ansicht nach nicht einmal im Stande, in Deutschland mit einer Oper Glück zu machen; er ist viel zu geistig und es fehlt ihm durchweg an großer Leidenschaft; wie soll das in Paris werden?“ (S. 578, Hervorhebung im Original). 7 So Berndt W. Wessling: Meyerbeer. Wagners Beute – Heines Geisel, Düsseldorf 1984, S. 176. 8 Ausführlich dokumentiert von Julius Kapp: Richard Wagner und Meyerbeer, in: Die Musik, X. Jg., Heft 14, 1910/11, S. 79 – 94.

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Königlich-Sächsischen Hofkapellmeister in Dresden ernannt worden war, nachdem seine Oper Rienzi am 20. Oktober 1842 in Dresden einen großartigen Erfolg errungen hatte, verfestigten sich seine antisemitischen Vorurteile, die er nun in einem zunehmend aggressiveren Ton äußerte. Zuerst richteten sich seine Anschuldigungen gegen Meyerbeer, dem er noch wenige Monate vorher, Ende November 1841, geschrieben hatte: „Ich werde in alle Ewigkeit nichts anderes gegen Sie aussprechen dürfen, als Dank! Dank!“9 Julius Kapp (1883 – 1962), der das Verhältnis Wagner – Meyerbeer schon früh ausführlich beschrieben und dokumentiert hat, kommentierte den unerwartbaren Sinneswandel nach Wagners Erfolg in Dresden und seiner Anstellung als Hofkapellmeister mit den Worten: „Damit war aus dem protektionsbedürftigen Supplikanten für Meyerbeer plötzlich der gefährliche Rivale im Reiche der Oper geworden.“ Doch neben die persönliche Ranküne mischte sich immer stärker die unverarbeitete Wut auf erfolgreiche und wohlhabende jüdische Mitbürger, was man wohl schwerlich frühsozialistischem Gedankengut zurechnen kann. Als z. B. Robert Schumann von der gerade uraufgeführten Wagneroper Rienzi behauptete, sie ähnele etwas der Meyerbeerschen Musik, antwortete ihm Wagner am 25. Februar 1843, daß er mit ihm in allem übereinstimme, „nur das Eine hat mich erschreckt, u. – ich gestehe es Ihnen – der Sache selbst wegen, erbittert: daß Sie mir so in aller Ruhe hin sagen, manches schmecke oft nach – Meyerbeer.“10 Allein der Geruch dieser (jüdischen) Quelle sei ihm zuwider und „es wäre dies ein Todesurtheil über meine Productions-Kraft, und daß Sie es aussprechen zeigt mir deutlich, daß Sie über mich durchaus noch keine unbefangene Gesinnung haben.“11 Diese ,unbefangene Gesinnung‘ fehlte vor allem Wagner, der nun seinen jüdischen Haß auch auf andere jüdische Bekanntschaften aus seiner Pariser Zeit übertrug, wie Moritz Schlesinger, den er als einen Lumpen bezeichnete. Von seinem sechs Tage nach dem Brief vom 7. April 1843 mit 37 Jahren an Schwindsucht verstorbenen jüdischen Freund Samuel Lehrs in Paris verlangte Wagner: „Aber nichts mehr von Paris! Dies muß ich für alle Ewigkeit im Rücken liegen lassen: – europäisch können wir Opern-Componisten nicht sein, – da heißt es – entweder deutsch oder französisch! Man sieht es ja, was so ein Haus-Narre, wie der Meyerbeer uns für Schaden macht; halb in Berlin, halb in Paris bringt er nirgends etwas zu Stande“.12 9 Zitiert ebd., S. 92. Dort auch das nächste Zitat. In einem späteren Aufsatz, Julius Kapp: Wagner – Meyerbeer. Ein Stück Operngeschichte nach zum Teil unveröffentlichten Dokumenten zusammengestellt, in: Die Musik, XVI. Jg., Oktober 1923, S. 25 ff., schrieb Kapp: „Das mit besonderer Hartnäckigkeit von den gesinnungstüchtigen Wagnerianern Jahrzehnte hindurch verfochtene alberne Märchen von Meyerbeers ,unehrlichen Empfehlungsbriefen‘ mußte, wie so manch andere Bayreuther Eintagsfliege, der allen Vertuschungsversuchen zum Trotz schließlich doch durchdringenden historischen Wahrheit weichen.“ (S. 25). 10 Richard Wagner: Sämtliche Briefe. Band II, hrsg. von Gertrud Strobel und Werner Wolf, Leipzig 1970, S. 222 f. 11 Ebd., S. 223. 12 Ebd., S. 234 (Hervorhebungen im Original). Es ist deshalb eine reine Beschönigung, wenn Dieter David Scholz: Ein deutsches Mißverständnis. Richard Wagner zwischen Barrikade und Walhalla, Berlin 1997, S. 169, behauptet: „Richard Wagner hatte in den dreißiger

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Richtige Juden konnten für Wagner nur Geld scheffeln und Reichtümer anhäufen, aber zu künstlerischem Schaffen waren sie vollkommen ungeignet. Umso erstaunlicher ist, daß der Geigenspieler und Komponist Ludwig Spohr (1784 – 1859) von einem Zusammentreffen von ihm, Meyerbeer und Wagner in der Wohnung von Wagners Schwager, dem wohlhabenden Buchhändler Friedrich Brockhaus, im Jahr 1845 in Leipzig berichtete, wo sich folgendes zugetragen haben soll: „Außer der Familie waren noch der Schriftsteller Heinrich Laube mit seiner sehr gelehrten Frau zugegen, welche die Unterhaltung noch mehr belebten. Am besten gefiel uns Wagner, der mit jedemmal liebenswürdiger erscheint, und dessen vielseitige Bildung nach allen Richtungen hin wir immer mehr bewundern müssen. So äußerte er sich auch über politische Angelegenheiten mit einer Theilnahme und Wärme, die uns wahrhaft überraschte und um so mehr erfreute, da er natürlich in höchst liberalem Sinne sprach. Den Abend verlebten wir herrlich bei Mendelssohn’s, die alles aufboten, um Spohr so viel Freude als möglich zu machen. Diese Familie hat für mich etwas Idealisches, sie bietet eine Vereinigung von inneren und äußeren Vorzügen, und dabei so schönem häuslichem Glück, wie man gewiß selten im Leben findet. In ihrer Einrichtung und ganzem Wesen herrscht neben allem Luxus und Reichthum eine so reizende Anspruchslosigkeit, daß man sich sehr wohl da befinden muß“.13 Die vorher zitierten negativen Äußerungen Wagners über Juden scheinen unvorstellbar, wenn es der Wahrheit entspricht, daß als Spohr sein neustes Quartett vorspielte, „Mendelssohn und Wagner mit entzückten Mienen in der Partitur nachlasen“.14 Eigentlich nennen wir ein solches Verhalten schizophren, aber wir werden noch genauer sehen, wie kalkuliert Wagner seinen Antisemitismus einsetzte, um sich und seine Vorstellungen von Künstlertum von Juden abzugrenzen. Während seines Londonaufenthaltes im Frühjahr 1855, wo ihn angeblich „die hiesige Judenpresse herunterreißt“,15 richtete Wagner einen langen Brief an seinen Revolutionsmitstreiter August Röckel (1814 – 1876), der erst zum Tode und dann zu lebenslanger Haft im Zuchthaus Waldheim verurteilt worden war, wo er nach 13 Jahren 1862 entlassen wurde. Wagner schwärmte Röckel von der Philosophie Arthur Schopenhauers vor, dem es gelungen sei, ihm „den letzten jüdischen Aberglauben auszutreiben, um, zwar mit großem Schmerze, aber mit dem Troste, die letzte willkürliche Täuschung von mir geworfen zu haben, mich so frei zu machen, als man eben sein kann“.16 Der Schopenhauersche Pessimismus, die Verneinung der Welt, stehe der Bejahung eines dem Leben zugewandten, übermächtig gewordenen und vierziger Jahren eindeutig auf Seiten der bürgerlichen Emanzipationsbewegung gestanden.“ 13 Louis Spohr’s Selbstbiographie. Zweiter Band, Kassel/Göttingen 1861, S. 306 (Hervorhebungen im Original). 14 Ebd., S. 307 (Hervorhebungen im Original). 15 Richard Wagner an August Röckel. 2. Aufl., Leipzig 1912, S. 63. 16 Ebd., S. 54.

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Judentums diametral gegenüber. Der gescheiterte Versuch, „den fruchtlosen Stamm des Judenthums“17 auf das Christentum zu pfropfen, habe dieses jedoch traurig entstellt und beinahe unkenntlich gemacht: „Der eigentliche Kern des Judenthums ist aber jener geist- und herzlose Optimismus, dem in Wahrheit alles ganz recht ist, wenn nur Magen und Beutel recht voll zu machen ist, wozu doch immer noch Gelegenheit zu finden ist, wenn man’s nur klug anfängt, und sich die Welt, wie sie nun einmal ist, gehörig herzurichten und zu nutz zu machen weiß.“18 Es dauerte ja nicht mehr allzulange, bis Wagner den bayerischen König Ludwig II. „gehörig herzurichten“ wußte, um danach im jüdischen Überfluß zu schwelgen. Von der dem Wagnerschen Antisemitismus als Motiv oft unterstellten Verlassenheit und Enttäuschung ist hier ebensowenig zu spüren wie von einem aggressiven Charakter wegen persönlichen Kränkungen durch Juden oder jüdische Musiker.19 Es kann nichts erklären von Wagners bis zum antisemitischen Rassismus geführten Judenverachtung, wenn man glauben machen will, eine weichere Persönlichkeit hätte Wagner milder gestimmt, denn seine weiche romantische Ader wird im Musikalischen, Künstlerischen und persönlichem Umgang mit engen Freunden – von den Liebesbriefen gar nicht zu sprechen – überdeutlich. Die ungeheuren Stimmungsschwankungen Wagners von vernichtender Kritik bis zu einfühlender Liebeslyrik durchzieht sein gesamtes Werk von den ersten Äußerungen bis zu seinem Todeskampf. Er hat gewalttätige Gedanken als zweckdienliche Mittel eingesetzt, weshalb es eine höchst fragliche Ansicht ist: „Zu der Wirkungsmacht eines solchen Genies, zu seiner Gewalt der Überwältigung gehört ein Gran Gewalttätigkeit.“20 Man erinnert sich bei einer solchen Argumentation an nationalsozialistische Ideologen, die dem ,Genie‘ Hitler zubilligten, daß ein ,Gran‘ Gewalt unvermeidlich sei, wenn man die negativen Folgen des ,Saustalls‘ Demokratie und ihrer sozialdemokratischen Vertreter beseitigen wolle. Und noch 2013 zu behaupten, „die polemische Vernichtung Meyerbeers [war] ein Akt der Selbstreinigung,

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Ebd., S. 60. Ebd., S. 61. Und an seine Frau Minna, die in Zürich zurückblieb, schrieb Wagner am 31. März 1855 aus London: „Nur die Juden und Lumpe können sich als ,Künstler‘ heute Geld machen: das sieht man hier.“ (Richard Wagner: Sämtliche Briefe. Band VII, hrsg. von HansJoachim Bauer und Johannes Forner, Leipzig 1988, S. 76). Ähnlich an Franz Liszt am 4. April 1855: „Hier ist ja die Lumpenhaftigkeit, Verstocktheit und heilig gepflegte Dummheit mit ehernen Mauern gehütet und gepflegt: nur ein Lump und Jude kann hier reüssiren.“ (Ebd., S. 80 f.). 19 Veit Veltzke: Der Mythos des Erlösers. Richard Wagners Traumwelten und die deutsche Gesellschaft 1871 – 1918, Stuttgart 2002, S. 142, behauptet ganz allgemein: „So trugen die antisemitischen Bestseller der siebziger Jahre den Stempel aufgehäufter Bitterkeit ihrer Autoren, die Narben langjähriger Erfahrungen von Nichtbeachtung und Vereinzelung.“ 20 Jens Malte Fischer: Richard Wagner und seine Wirkung, Wien 2013, S. 30. Das Argument, Wagner habe sich selbst gehaßt und verabscheut und wäre deshalb aggressiv geworden, weil er „in Paris hatte antichambrieren müssen und entwürdigende Lohnarbeit geleistet hatte“ (S. 121 f.), ist ebenso unhaltbar, wie wir später noch hören werden. 18

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der Katharsis für Wagner“,21 wirft kein gutes Licht auf eine tolerante oder liberale Einstellung des Autors. Es ist von modernen Interpreten oft verkannt und verfälscht worden, daß die antisemitische Stoßrichtung Wagners in seinem Aufsatz „Das Judenthum in der Musik“, eine „mit schneidender polemischer Schärfe verfaßte Auseinandersetzung“,22 nicht vornehmlich auf die jüdische Musik, sondern auf das Judentum allgemein gerichtet war, d. h. dem ,künstlerischen Terrorismus‘ Wagners von 1849 folgte ein Jahr später ein völkischer Terrorismus, der mit persönlichen Animositäten nur noch vage verbunden war und mit ,schlechtem Gewissen‘ überhaupt nichts zu tun hatte. Zweifellos spielten auch die zahllosen Enttäuschungen Wagners mit potentiellen jüdischen Geldgebern eine gewisse Rolle, doch wenn seine ärmlichen Verhältnisse wirklich maßgebend für seine antisemitischen Ressentiments gewesen wären, dann hätte dieser Aufsatz nach 1864 nie mehr veröffentlicht werden dürfen. Max Fehr vertrat 1934 die falsche Auffassung, daß dieser anonyme Aufsatz gleich nach Erscheinen „einen Sturm der Entrüstung“23 hervorrief, der auf den Herausgeber der Zeitschrift, Franz Brendel, herunterprasselte, doch er glaubte ebenfalls: „Wenn die Schrift im Allgemeinen auch ein Gelegenheitswerk, einen Notschrei des als Künstler Verfolgten darstellt, so wäre es falsch, ihre Gedankengänge als durchwegs tendenziös verbogen zu halten. Es finden sich vielmehr darin Anschauungen und Wahrheiten vertreten, die an keine Zeit gebunden sind, so daß sie heute, nach achtzig Jahren, eine erneute, hohe Aktualität erlangen konnten.“ Für Nationalsozialisten bedeutete Wagners Antisemitismus, ob 1850, 1869 oder später niedergeschrieben oder geäußert, eine sprudelnde Quelle für ihren vernichtungswütigen Rassismus, auch wenn interpretatorische Unterschiede unübersehbar bleiben. Es ging ihnen ja nicht um wissenschaftliche Wahrheit oder um sachliche Neutralität, sondern sie wollten eine politische rassistische Ideologie untermauern, die in brutale Verbrechen gegen jeden unliebsamen Gegner ausartete. Die beiden als jüdische Musiker angegriffenen Künstler, Felix Mendelssohn Bartholdy und Giacomo Meyerbeer, waren ganz unterschiedliche Charaktere. Während Mendelssohn getauft war und eine protestantische Pfarrerstochter geheiratet hatte, war Meyerbeer ein kränklicher, selbstquälerischer und bekennender Jude, aber beide sind nur die naheliegende Folie, auf die Wagner seinen aufgestauten Haß gegen eine andersartige Religion aufprägen konnte. Dies wird in einem Brief an Karl Ritter vom 24. August 1850 sehr deutlich, in dem Wagner die massive Drohung ausstieß: „Solten die Juden auf den unglücklichen einfall kommen, die sache gegen mich in das persönliche hinüberzuziehen [sein Pseudonym wurde ja bald gelüftet, H.K.], so würde es ihnen sehr übel bekommen, da ich mich nicht im mindesten fürchte, selbst wenn mir Meyerbeer frühere gefälligkeiten gegen mich 21

Ebd., S. 122. So Hans Tessmer: Richard Wagner. Sein Leben und sein Werk, Berlin 1930, S. 156. 23 Max Fehr: Richard Wagners Schweizer Zeit. I. Band, Aarau/Leipzig o. J. (1934), S. 39. Dort auch das nächste Zitat. 22

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vorwerfen lassen sollte, die ich bei solcher gelegenheit auf ihre wahre bedeutung zurückführen würde.“24 Wagners überschäumendes Selbstbewußtsein hat später auch Otto von Bismarck derart gestört, daß er sich den an ihn herangetragenen Bitten Wagners verweigerte. Dagegen war vielen Zeitgenossen Wagners ziemlich klar bewußt, was sein vernichtender Angriff auf das Judentum für die damaligen Antisemiten bedeutete: „Das war eine – nationale That, die man ihrer Nothwendigkeit und Furchtlosigkeit halber in gerechteren und ehrlicheren Zeiten höher preisen wird, als manches Ereigniss, das heute den Klingklang übeltönender Reclame mit Janitscharenmusik [Militärmusik einer türkischen Elitetruppe, den Janitscharen, H.K.] feiert.“25 Ein paar wenig kommentierte Zitate aus dem Judenaufsatz von 1850, der angeblich „in Leipzig ein heilloses aufsehen gemacht hat“,26 sollen zeigen, welche Anknüpfungspunkte rassistische Denker in diesem Text finden konnten und daß er keineswegs „auf der Grenze zwischen traditioneller und moderner Judenfeindschaft“27 stand, denn eine Feindschaft äußert sich in verschiedenen Abstufungen, die von einer Verunglimpfung bis zur existentiellen Ausrottung reichen können, d. h. sie ist weder traditionell noch modern, sondern einfach unmenschlich. Auch die Ansicht, daß Wagners radikal-antisemitische Einstellung „lediglich der in gewissen intellektuellen Kreisen der damaligen Epoche vorherrschenden Atmosphäre“28 entsprach, kann ich in ihrer vagen Unbestimmtheit nicht teilen. Wagner sah es nämlich als seine Aufgabe an, „die unbewußte Empfindung, die sich im Volke als innerlichste Abneigung gegen jüdisches Wesen kundgiebt, zu erklären“29 und dies ist eindeutig eine unmenschliche Verallgemeinerung feindseliger Art. Zwar seien die Juden in ihrer Religion „längst keine hassenswürdigen Feinde mehr“, aber trotz aller vom Liberalismus als luxuriöses Geistesspiel propagierten Judenemanzipation 24 Richard Wagner: Sämtliche Briefe. Band III, hrsg. von Gertrud Strobel und Werner Wolf, Leipzig 1975, S. 384 (Hervorhebung im Original). Vom 18. Dezember 1848 bis 20. Januar 1851 bediente sich Wagner in seinen meisten Briefen, bis auf die an seine Frau Minna und an fast alle seinen Verwandten, überwiegend der Kleinschreibung und ging von der altdeutschen zur lateinischen Schrift über. 25 Adalbert Horawitz: Richard Wagner und die nationale Idee. 2. Aufl., Wien 1874, S. 18 (Hervorhebung im Original). 26 So Wagner in einem Brief vom 13. Dezember 1850 an Ernst Benedikt Kietz in Paris. R. Wagner: Sämtliche Briefe, Bd. III (wie Anm. 24), S. 483. 27 So Dieter Borchmeyer: Richard Wagner und der Antisemitismus, in: Richard-WagnerHandbuch, hrsg. von Ulrich Müller und Peter Wapnewski, Stuttgart 1986, S. 137. Leopold Reichwein: Bayreuth. Werden und Wesen der Bayreuther Bühnenfestspiele, Bielefeld/Leipzig 1934, S. 12, schrieb über diesen Aufsatz bzw. diese Schrift: „Sie trug dem Meister den Haß des Judentums ein, der andauern wird, solange es Juden auf der Erde gibt.“ 28 Na’ama Sheffi: Der Ring der Mythen. Die Wagner-Kontroverse in Israel, Göttingen 2002, S. 22. Sheffi glaubt ebenfalls, daß Wagners Judenschrift keine allgemeine Verurteilung des Judentums enthielt, „sondern eher als persönliche Abrechnung [mit Felix Mendelssohn Bartholdy und Giacomo Meyerbeer] konzipiert war“ (S. 23). 29 K. Freigedank: Das Judenthum in der Musik, in: Neue Zeitschrift für Musik, 33. Bd., Nr. 19. 3. September 1850, S. 101. Dort auch das nächste Zitat.

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fühle sich das deutsche Volk, „bei wirklicher, thätiger Berührung mit Juden, von diesen unwillkürlich stets abgestoßen“.30 Wenn es etwas über die Volksseele zu erklären gibt, wenn eine menschliche Frage wirklich akut ist, dann besteht sie eher darin, wohin dieses ,Abgestoßensein‘ führen kann und welche menschenverachtenden Maßnahmen damit verbunden werden. Wagner gaukelte seinen Lesern vor, eine volkstümliche Abneigung gegen jüdisches Wesen sei nicht religiös oder politisch motiviert, weil einerseits auch in der christlichen Religion viele Menschen den Volkshaß auf sich gezogen hätten, andererseits ein wirklicher politischer Konflikt mit Juden nicht eingetreten sei, was allein durch die in ganz Deutschland durchgeführten Hep-Hep-Aufstände 1819 widerlegt ist. Wagners Einstellung zur Religion änderte sich in den folgenden Jahrzehnten dramatisch, nämlich zu einem Atheismus Schopenhauerscher Provenienz und zurück zu christlichen Vorstellungen, wie uns ein Tagebucheintrag Cosimas vom 6. August 1878 verdeutlicht: „Wie heute zu Mittag unser Freund seine Hände nicht falten wollte zum Tisch-Gebet, warf ihm R. die Unfreiheit vor und sprach anhaltend und herrlich über Religion und wie der triviale Atheismus daran schuld sei, daß es keine Ehrfurcht mehr gebe und daß die Menschen jetzt immer nichts anderes wüßten unter Religion als den Juden-Gott.“31 Nach Wagner war es um 1850 vielmehr zu bedauern, daß ein Herr von Rothschild – entweder meinte er den Gründer des Frankfurter Bankhauses Meyer Amschel R. (1744 – 1812) oder seinen ältesten Sohn Amschel Meyer R. (1773 – 1855) – statt zum König der Juden zu werden, es vorzog, eine Jude zur Finanzierung der Könige zu sein, der die armen Deutschen ausbeute.32 Es käme deshalb vor allem darauf an, wie ja schon Karl Marx vorschlug, sich von den Juden zu emanzipieren, die solange herrschen würden, „als 30

Ebd., S. 102 (Hervorhebungen im Original). Cosima Wagner: Die Tagebücher. Band II: 1878 – 1883. Ediert und kommentiert von Martin Gregor-Dellin und Dietrich Mack, München/Zürich 1977, S. 155 f. 32 In einem Brief an seinen Dresdner Freund Theodor Uhlig vom 20. September 1850 drückte Wagner die Hoffnung aus, daß Franz Brendel ihm ein angemessenes Honorar für seinen Aufsatz zubillige: „Wird er mir das Judenthum honoriren? Verzeihe mir diese jüdische Frage, allein eben die Juden sind daran schuld, daß ich an jeden heller Verdienst denken muß!“ (R. Wagner: Sämtliche Briefe, Bd. III (wie Anm. 24), S. 427). Sowohl Uhlig als auch Brendel unterstützten Wagners Antisemitismus, aber ersterer, den Wagner immer wieder aufforderte, seinen Kampf gegen die Juden voranzutreiben, starb bereits mit knapp 31 Jahren am 3. Januar 1853. Am 15. Februar 1852 hat Wagner einen ergänzenden Einspruch zu seinem Offenen Brief in der Neuen Zeitschrift für Musik gegen kritische Literaten, die „mich kürzlich nach Links zur Demokratie als heimlichen Aristokraten, nach dem Mittelpunkte unsrer civilisirten Welt zu aber den Juden als ihren neidergrimmten Verfolger denunzirten“ (Richard Wagner: Sämtliche Briefe. Band IV, hrsg. von Gertrud Strobel und Werner Wolf, Leipzig 1979, S. 290), an Uhlig gesandt. Acht Tage später, am 23. Februar, nahm Wagner in einem Brief an den Herausgeber der Neuen Zeitschrift, Brendel, diese Ergänzung wieder zurück mit der Begründung: „Diese [die Juden, H.K.] sind jetzt gegen mich in die allergemeinste Rezensentenniederträchtigkeit verfallen, und an mir ist’s daher wahrlich nicht, ihnen erst zu sagen daß sie Lumpen sind.“ (Ebd., S. 296). An Theodor Uhlig schrieb er deswegen noch einmal am 26. Februar 1852: „Sie widdern den Tod, und denken so im Sterben auf was sie eigentlich sind: schlechte kerle“ (ebd., S. 300). 31

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das Geld die Macht bleibt, vor der all unser Thun und Treiben seine Kraft verliert“,33 denn an diesem jüdischen Geld klebe „das Blut zahlloser Geschlechter“. Der instinktmäßige Widerwille gegen das jüdische Wesen mußte sich nach Wagner im Haß auf alles Jüdische, auf etwas „dieser Nationalität unüberwindlich unangenehm Fremdartiges“ äußern. Nur so könnten wir hoffen, „den Dämon aus dem Felde zu schlagen, auf dem er sich nur unter dem Schutze eines gräulichen Halbdunkels zu halten vermag, eines Dunkels, das wir gutmüthigen Humanisten selbst über ihn warfen, um uns seinen Anblick minder widerwärtig zu machen“. Wagner zog in diesem Aufsatz nicht nur die jüdische Kunst und die jüdische Musik in die intolerante Gosse seiner antisemitisch-nationalistischen Aufwallungen, da der Jude „durchaus unfähig zur künstlerischen Kundgebung seiner Gefühle und Anschauungen durch die Rede“34 sei, sondern er sprach den Juden auch jede Fähigkeit ab, die Muttersprache der Nation, in der sie seit Jahrhunderten lebten, richtig zu erlernen und verständlich zu sprechen. So blieb auch das dichterische Sprachgenie von Heinrich Heine nicht verschont, dem Wagner in Paris nicht nur mehrmals begegnete, sondern dessen Gedicht Die beiden Grenadiere Wagner im Sommer 1840 in Paris vertonte und auch andere von dessen Schriften für seine Operntexte verwendete. Auch in der Dresdner Abend-Zeitung vom 6. Juli 1841 würdigte Wagner Heines schriftstellerische Künstlerschaft, doch 1850 behauptete er: „Zunächst muß im Allgemeinen der Umstand, daß der Jude die moderne europäische Sprache nur wie eine erlernte, nicht angeborene redet, ihn von aller Fähigkeit, in dieser Sprache sich seinem Wesen eigenthümlich und selbstständig kund zu geben, im höheren Sinne gefaßt, ausschließen.“35 Deshalb sei es dem Juden verwehrt, in einer für ihn fremden Sprache wahrhaft zu dichten, weshalb ihm auch die ganze europäische Zivilisation fremd geblieben sei und er habe „an der Entwickelung jener nicht Theil genommen, sondern kalt, ja feindselig, hat der Unglückliche, Heimathlose ihr höchstens nur zugesehen“. Unter einem ,gutmütigen Humanisten‘ stellen wir uns eigentlich einen Menschen vor, der weniger widerwärtig über seine jüdischen Mitbürger urteilt. Und als sei dies nicht schon genug an völlig ungerechtfertigter und menschenverachtender Denunziation, verunglimpfte Wagner auch noch die jüdische Sprache, das Hebräisch des Alten Testaments, die trotz zweitausendjährigem Verkehr mit europäischen Sprachen nicht nur keiner höheren, herzdurchglühten Leidenschaft fähig sei, sondern auch seine verletzende, gehässige Ausdruckweise nicht verloren habe: „Als durchaus fremdartig und unangenehm fällt unserem Ohr zunächst ein zischender, schrillender, summsender und mucksender Lautausdruck der jüdischen Sprechweise auf: eine unserer nationalen Sprache gänzlich uneigenthümliche Verwendung und willkürliche Verdrehung der Worte und Konstruktionen, giebt diesem 33 K. Freigedank: Das Judenthum (wie Anm. 29), S. 102. Dort auch die nächsten Zitate (Hervorhebung im Original). 34 Ebd., S. 104 (Hervorhebung im Original). 35 Ebd., S. 103. Dort auch die nächsten Zitate (Hervorhebungen im Original).

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Lautausdrucke vollends noch den Charakter eines unerträglich verwirrten Geplappers, bei dessen Anhören unsere Aufmerksamkeit unwillkürlich mehr bei diesem widerlichen Wie, als bei dem enthaltenen Was der jüdischen Rede verweilt.“ Selbst wenn Wagner die jiddische Sprache nicht gefiel, konnte er sich nicht anmaßen, die jüdische Sprache generell so zu verurteilen, die in die Weltliteratur eingegangen ist. Vielleicht sollte man an dieser Stelle daran erinnern, daß viele Weggefährten Wagners von dem starken sächsischen Dialekt berichteten, den Wagner im täglichen Umgang pflegte und dem in richtig verstandenem Sinn einer Heimatverbundenheit durchaus positive Züge abgewonnen werden können – wenn Wagner nicht gegenüber der jüdischen Sprache so intolerant aufgetreten wäre. Die jüdische Sprechweise wurde von Wagner charakterisiert als sinnloses Nachgerede, „und zwar ganz peinlich genau und täuschend ähnlich, wie Papagaien menschliche Worte und Reden nachpapeln, aber eben so ohne Ausdruck und wirkliche Empfindung, als diese närrischen Vögel es thun“.36 Was für das Wesentliche der Sprache gelte, nämlich die höchste Leidenschaft, äußerte sich nach Wagner in noch stärkerem Maß im Gesang, der beim Juden „geradeweges unausstehlich“37 sei und „uns endlich davonjagend“ – eine anmaßende Charakterisierung. Allerdings habe der gebildete Jude versucht, um den Preis der völligen Vereinsamung und der Aneignung des „herzlosesten aller Menschen“, die auffallenden Merkmale seiner modernen Glaubensgenossen abzustreifen und es für zweckmäßig angesehen, „durch die christliche Taufe auf die Verwischung aller Spuren seiner Abkunft hinzuwirken“, aber damit habe er nur den gesellschaftlichen Zusammenhang mit seinen deutschen Landsleuten zerrissen, denn auch viel Geld mache es nicht möglich, „ein erquickliches Band zwischen Menschen zu knüpfen. Fremd und theilnahmslos steht der gebildete Jude in der Mitte einer Gesellschaft, die er nicht versteht, mit deren Bestrebungen und Ringen er nicht sympathisirt, deren Geschichte und Entwickelung ihm gleichgültig geblieben sind.“ Alle diese Bemühungen des gebildeten Juden hätten ihn aber nicht nur dem Volk entfremdet, sondern ihm auch ein künstlerisches Leben unmöglich gemacht. Dem jüdischen Musiker biete sich als einzigen musikalischen Ausdruck seines Volkes die Feier seines Gottesdienstes: „Die Synagoge ist der einzige Quell, aus dem der Jude, ihm verständliche, volksthümliche Motive für seine Kunst schöpfen kann.“38 Eine solche intolerante Suada soll von einem Menschen stammen, der sich für die Emanzipation der Juden eingesetzt oder auch nur interessiert hat?

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Ebd., S. 105. Ebd., S. 104. Dort auch die nächsten Zitate. 38 Ebd., S. 105 (Hervorhebungen im Original). Dort heißt es weiter: „Wer hat nicht Gelegenheit gehabt, von der Grimasse des gottesdienstlichen Gesanges der Juden sich zu überzeugen? Wer ist nicht von der widerwärtigsten Empfindung, gemischt von Grauen und Lächerlichkeit, ergriffen worden beim Anhören jenes sinn- und geistverwirrenden Gegurgel’s, Gejodel’s und Geplapper’s, das keine absichtliche Caricatur widerlicher zu entstellen vermag?“ (S. 105 f.). 37

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Schließlich kam Wagner auf die von ihm gefundenen bzw. erdichteten Wesensmerkmale von Juden zu sprechen, nämlich Gleichgültigkeit, Kälte, Lächerlichkeit, Trägheit, Trivialität und Unproduktivität; mit einem Wort, der „Jude hat keine wahre Leidenschaft, am allerwenigsten eine Leidenschaft, die ihn zum Kunstschaffen aus sich drängte“.39 Gegenüber solchen Menschen mit ihrer scheinbar erwiesenen Lebensunfähigkeit leitete Wagner die „Rechtfertigung unseres unüberwindlichen Widerwillens gegen jüdisches Wesen“40 ab. Dieses unorganische Lebensbedürfnis jüdischer Künstler erinnerte Wagner an die dem Tod folgende Zersetzung des Körpers: „Dann löst sich wohl das Fleisch dieses Körpers in wimmelnde Viellebigkeit von Würmern auf: wer möchte bei ihrem Anblicke aber wohl den Körper selbst noch für lebendig halten? Der Geist, das ist: das Leben, floh von diesem Körper hinweg zu wiederum Verwandtem, und das ist nur das Leben selbst; und nur im wirklichen Leben können auch wir den Geist der Kunst wieder finden, nicht bei ihrer würmerzerfressenen Leiche.“ Diese ekelerregende Assoziation ist öfter so interpretiert worden, als ob sich Wagner dabei auf einen natürlichen Vorgang aus der Tierwelt bezogen, d. h. die Juden eigentlich nicht gemeint habe. In seinem „Tagebuch“ für König Ludwig II. vom 21. September 1865 wurde er jedoch deutlicher und unmißverständlicher: „In der Natur ist es so beschaffen, dass überall wo es etwas zu schmarotzen giebt, der Parasit sich einstellt: ein sterbender Leib wird sofort von den Würmern gefunden, die ihn vollends zersetzen und sich assimiliren. Nichts anderes bedeutet im heutigen europäischen Culturleben das Aufkommen der Juden.“41 Der jüdische Künstler bzw. Musiker – Wagner erwähnte hier ausdrücklich Felix Mendelssohn Bartholdy (1809 – 1847), dessen Produktionen „zum zerfließenden phantastischen Schattenbilde“42 zerrönnen – könne zwar mit „reichster spezifischer Talentfülle“43 ausgestattet sein, „die feinste und mannigfaltigste Bildung, das gesteigertste und zartempfindenste Ehrgefühl besitzen“, aber eine Herz und Seele ergreifende Wirkung könne diese Kunst nicht entfalten und darin bestünde das Wesen der Kunst. Das Anhören eines Musikstückes dieses Komponisten könne uns nur dann fesseln, „wenn nichts anderes als unsre, mehr oder weniger nur unterhaltungssüchtige, Phantasie durch Vorführung, Reihung und Verschlingung der glättesten, feinsten und kunstfertigsten Figuren, wie im wechselnden Farbenspiele des Kaleidoskopes“ angeregt würde, aber jede tiefere Empfindlichkeit ausbleibe, weil dieser Musik die „Gestalt tiefer, markiger menschlicher Herzensempfindungen“ fehle.44 Diese völlig haltlosen Anschuldigungen gegenüber einem Komponisten, der 39

Ebd., S. 106. Ebd., S. 111. Dort auch das nächste Zitat (Hervorhebungen im Original). 41 König Ludwig II. und Richard Wagner. Briefwechsel, hrsg. von Otto Strobel. IV. Band, Karlsruhe i. B. 1937, S. 19. 42 K. Freigedank: Das Judenthum (wie Anm. 29), S. 109 f. 43 Ebd., S. 107. Dort auch die nächsten Zitate. 44 Obwohl Karl Blessinger: Die Überwindung der musikalischen Impotenz, Stuttgart o. J. (1920), das ostjüdische Proletariat für die Zerstörung der europäischen Kultur verantwortlich 40

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in Wagners Geburtsstadt Leipzig, die Wagner 1869 „Judenmusikweltstadt“ nannte, nicht nur das erste deutsche Konservatorium für Musik mitbegründete, sondern diese Stadt zu einem musikalischen Zentrum Europas machte, entsprangen irrationalen Haßgefühlen ohne jede menschliche Anteilnahme.45 Deshalb ist der marxistische Versuch, Wagners Antisemitismus als fehlerhaftes Ansinnen zu interpretieren, „die Ursachen solcher Erscheinungen in einer vermeintlichen rassischen Eigenart der Juden und nicht im Wesen der kapitalistischen Gesellschaft“46 zu suchen, nicht nur inakzeptabel, sondern eine ideologische Ablenkung einer moralischen Verfehlung. In einem langen Brief an Franz Liszt vom 18. April 1851, den man als gehässige Reaktion auf erste Artikel über seinen Judenaufsatz deuten kann, ließ Wagner gegenüber diesem engen Freund alle menschlichen Rücksichten fallen und reihte Meyerbeer in die gehaßte Phalanx von jüdischen Bankiers und Philistern ein, die ihm wie die Galle dem Blut zuwider seien: „Mit Meyerbeer hat es nun bei mir eine eigene bewandnis: ich hasse ihn nicht, aber er ist mir gränzenlos zuwider. Dieser ewig liebenswürdige, gefällige mensch erinnert mich, da er sich noch den anschein gab mich zu protegiren, an die unklarste, fast möchte ich sagen lasterhafteste periode meines lebens; das war die periode der konnexionen und hintertreppen, in der wir von den protektoren zum narren gehalten werden, denen wir innerlich durchaus unzugethan sind. Das ist ein verhältnis der vollkommensten unehrlichkeit: keiner meint es aufrichtig mit dem Andern; der eine wie der andere giebt sich den anschein der zugethanheit, und beide benützen sich nur so lange als es ihnen vortheil bringt. Aus der absichtlichen ohnmacht seiner gefälligkeit gegen mich mache ich Meierbeer [!] nicht den mindesten vorwurf, – im gegentheil bin ich froh nicht so tief sein schuldner zu sein als z. b. Berlioz. Aber zeit war es, daß ich mich vollkommen aus dem unredlichen verhältnisse zu ihm losmachte: äußerlich habe ich nicht die geringste Veranlassung dazu gehabt, denn selbst die erfahrung, daß er es unredlich mit mir meine, konnte mich nicht überraschen und zumal mir kein recht geben, da ich mir im grunde selbst vorzuwerfen hatte, mich absichtlich über ihn getäuscht zu haben. Aber aus inneren gründen trat die Nothwendigkeit bei mir ein, jede rücksicht der gewöhnlichen klugheit in bezug auf ihn fahren zu lassen: ich kann als Künstler vor mir und meinen freunden nicht existiren, nicht denken und fühlen, ohne meinen machte und ihnen in ihrer osteuropäischen Ghettowirtschaft das Emporkommen eines „satanisch giftigen ostjüdischen Geistes“ (S. 76) ankreidete, rechnete er Mendelssohn Bartholdy „zu den bedeutendsten Erben der klassischen Tradition der deutschen Musik“ (S. 78). 45 Am 11. April 1836 hatte Wagner aus Magdeburg an Mendelssohn Bartholdy geschrieben, daß er ihn bitte, seine Sinfonie C-Dur „als Geschenk von mir anzunehmen; ich wüßte für sie keine schönere Bestimmung“ (R. Wagner: Sämtliche Briefe, Bd. I (wie Anm. 5), S. 259). Und am 17. November 1842 versicherte Wagner Mendelssohn, daß er nie aufhören werde, „ihr glühendster Verehrer“ zu sein (R. Wagner: Sämtliche Briefe, Bd. II (wie Anm. 10), S. 179). 46 Werner Wolf: Einleitung zu R. Wagner: Sämtliche Briefe, Bd. III (wie Anm. 24), S. 27. Dagegen glaubt M. Gregor-Dellin: Richard Wagner (wie Anm. 1), S. 766, daß sich in Wagners Antisemitismus „Privates, Ökonomisches und Rassistisches zu einer gefährlichen PseudoIdeologie vermischten“.

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vollkommenen Gegensatz in Meyerbeer zu empfinden und laut zu bekennen, und hierzu werde ich mit einer wahren verzweiflung getrieben, wenn ich auf die irrthümliche Ansicht selbst vieler meiner freunde stoße, als habe ich mit Meyerbeer irgend etwas gemein.“47 Etwa ein Jahr später, am 13. April 1852, beschwerte sich Wagner erneut bei dem reisefreudigen Liszt über seinen stupiden und fast chronischen Geldmangel, weswegen er auf schöne Reisen verzichten müsse, aber seine unerfüllte Reisesehnsucht sei so groß, „daß sie mir bereits Raub- und Mordpläne auf [das jüdische Bankhaus, H.K.] Rothschild & Comp. eingegeben hat“.48 Hier ist sie wieder, die krankhafte Besessenheit von den raffenden und reichen Juden, die einem armen Musiker nicht einmal gönnen, ein paar Reisen anzutreten, um zu entspannen. Doch wie fast alles in der menschlichen Existenz können auch diese bitteren Klagen je nach materieller Situation unterschiedlich bewertet werden, denn Otto Wesendonck – noch ehe Wagner ein Liebesverhältnis zu dessen Ehefrau Mathilde einging – finanzierte Wagner eine Italienreise von 24. August bis 10. September 1853, die mit Pferdekutsche und Eisenbahn über Bern, Genf, Chambéry, den Mont Cenis nach Turin und Genua führte. Vom 16. Juli bis 10. August des gleichen Jahres verbrachte Wagner zusammen mit dem Freund von Karl Marx, Georg Herwegh, eine Kur in St. Moritz und bereits einen Monat nach seiner Rückkehr aus Italien weilte Wagner vom 9. bis 27. Oktober 1853 in Paris. Vielleicht erinnerte er sich dort an den erfolgreichen und ziemlich reichen Giacomo Meyerbeer, den er ja in seinem Judenaufsatz namenlos angriff und gegen den er möglicherweise auch Raub- und Mordpläne schmiedete. Selbst als Wagner als wohlhabend bezeichnet werden konnte, schoß er seine gehässigen Pfeile auf reiche Juden ab, wie Cosima uns in einem Tagebucheintrag vom 6. September 1880 mitteilte: „Daß Rothschild vom deutschen Kaiser eine Audienz sich erbeten hat, um die gefährdete Lage der Israeliten in Deutschland darzustellen, macht R. Spaß, er sagt mit einiger Genugtuung: ,Ich bin um etwas dabei‘ [was immer dies heißen soll, vielleicht daß er dabei eine Rolle gespielt hat, H.K.], glaubt aber nicht an die Bedeutung der Bewegung.“49 Am Ende des Aufsatzes von 1850 schoß Wagner noch eine unnötige Salve auf den seit 1818 protestantischen Dichter Ludwig Börne (1786 – 1837) – der früher Löb Baruch hieß und 1818 zum Protestantismus übergetreten war – und den ebenfalls christlich getauften (1825) Heinrich Heine (1797 – 1856) ab, wie wir bereits gehört haben, der zu einer Zeit zum dichterischen Juden mutiert sei, „wo das Dichten bei uns zur Lüge wurde, wo unserem gänzlich unpoetischen Lebenselemente alles Mögliche, nur kein wahrer Dichter mehr entsprießen wollte“,50 aber 47

R. Wagner: Sämtliche Briefe, Bd. III (wie Anm. 24), S. 545. Dies bezieht sich auf die oben, Anm. 10, zitierte Aussage Robert Schumanns. 48 R. Wagner: Sämtliche Briefe, Bd. IV (wie Anm. 32), S. 344. 49 C. Wagner: Die Tagebücher, Bd. II (wie Anm. 31), S. 594. 50 K. Freigedank: Das Judenthum (wie Anm. 29), S. 111. Dort auch die nächsten Zitate (Hervorhebung im Original). Heine habe „durch alle Illusionen moderner Selbstbelügung“

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diese „jesuitisch-nüchterne Heuchelei“ eines „ungemein begabten dichterischen Juden“ sei getrieben von dem „unerbittlichen Dämon des Verneinens“, von dem er „rastlos vorwärts gejagt [wurde] in kaltem, höhnischem Behagen“. Es war derselbe Dichter, den Wagner wenige Jahre vorher in Paris hofiert hatte und dessen Dichtungen er nicht nur vertonte, sondern als Vorlagen für seine Opern verwendete! Und was die angeblich jüdische Sonderstellung Börnes betreffe, so glaubte Wagner, daß er nach Erlösung suchte, sie jedoch nicht fand und sich bewußt werden mußte, „daß er sie nur mit auch unserer Erlösung zu wahrhaften Menschen finden könnte“.51 Für Juden bedeute allerdings, gemeinsam mit uns Mensch zu werden, „Aufhören Jude zu sein“,52 d. h. „durch Schweiß, Noth und Fülle des Leidens und der Schmerzen“ sich dieser kämpfenden Gemeinschaft würdig zu erweisen. Und dann sprach Wagner eine Empfehlung an die Juden aus, die rassistischer in einer völkischen Ideologie nicht formuliert werden könnte: „Nehmt rückhaltlos an diesem selbstvernichtenden, blutigen Kampfe Theil, so sind wir einig und untrennbar! Aber bedenkt, daß nur Eines Eure Erlösung von dem auf Euch lastenden Fluche sein kann, die Erlösung Ahasver’s: Der Untergang!“53 Über diese letzte Aussage ist soviel spekuliert worden, daß wir erst einmal die weitere Entwicklung von Wagners Antisemitismus beleuchten müssen, ehe sie angemessen eingeordnet werden kann. In der erweiterten Veröffentlichung des Judenaufsatzes in Broschürenform 1869 hielt Wagner den jüdischen Einfluß auf das geistige Leben in Deutschland für keinen physiologischen Zufall, sondern für ent(ebd.) hindurch den jüdischen Musikern einen verlogenen Stoff bereitgestellt: „Er war das Gewissen des Judenthums, wie das Judenthum das [um verharmlosende Mißverständnisse zu vermeiden, setzte Wagner 1869 hier das Wort „üble“ hinzu, H.K.] Gewissen unserer modernen Civilisation ist.“ (Ebd.). 51 Maria Schindler: Richard Wagner, Zürich/Leipzig 1937, S. 175 f., schrieb darüber beschönigend: „Wagner verdammt nicht den einzelnen Juden; Namennennung ist nur Erläuterung. Er ringt ernst um die Durchleuchtung des ganzen Völkerproblems. Da ist es ein Jude, an dessen Verhalten dem Denkenden Klarheit wird: der Dichter Börne.“ 52 K. Freigedank: Das Judenthum (wie Anm. 29), S. 112. Dort auch die beiden nächsten Zitate (Hervorhebungen im Original). 53 Saul Friedländer: Bayreuth und der Erlösungsantisemitismus, in: Richard Wagner und die Juden, hrsg. von Dieter Borchmeyer, Ami Maayani und Susanne Vill, Stuttgart/Weimar 2000, glaubt, daß Wagner mit dieser Äußerung auf eine Erlösung der Juden vom Judentum, „von speziell jüdischen Charakteristika“ (S. 11), hingezielt habe, während der Hitlersche Erlösungsantisemitismus eher meinte: „Die Erlösung des Volkes, der Rasse oder der arischen Menschheit läßt sich nur durch die Vernichtung der Juden erreichen. Der Sieg der Juden bleibt eine potentielle Möglichkeit: dieser Sieg würde das Ende des Volks, der Rasse oder der arischen Menschheit bedeuten.“ (S. 9). Dina Porat: „Zum Raum wird hier die Zeit“: Richard Wagners Bedeutung für Adolf Hitler und die nationalsozialistische Führung, in: Richard Wagner und die Juden (wie oben), S. 209, verbindet mit dem Begriff ,Untergang‘ den Gedanken der Assimilation bzw. die vollständige Abkehr von jüdischer Identität bei Wagner: „Sein Lebensziel lag darin, mit den Mitteln der Kunst deutsches Nationalgefühl, deutsche Sprache und Kultur zurückzugewinnen, Deutschland vor dem von reichen Juden erzeugten, diesen seinen Geist zerstörenden Materialismus zu befreien und als künstlerischer Erlöser zur erneuten Vereinigung von deutschem Leben und schöpferischer Kraft beizutragen.“

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scheidend: „Ob der Verfall unserer Cultur durch eine gewaltsame Auswerfung des zersetzenden fremden Elementes aufgehalten werden könne, vermag ich nicht zu beurtheilen, weil hierzu Kräfte gehören müßten, deren Vorhandensein mir unbekannt sind.“54 Auch aus dieser Äußerung geht nicht eindeutig hervor, ob Wagner die Vernichtung der Juden befürwortete, doch sie kann leicht so gedeutet werden mit der unbedeutenden Einschränkung, daß sie von Wagner wegen fehlender Kräfte nicht selbst durchgeführt werden könnte. Es erscheint mir allerdings als eine variantenreiche Uminterpretation, aus der ,Erlösung Ahasvers‘ und dem ,Verfall unserer Kultur‘ eine menschliche Seite herauslesen zu wollen. Dieter Borchmeyer geht sogar so weit zu behaupten, die Erlösungsmetapher sei lediglich ein symbolischer Akt, eine mystische Umwandlung des menschlichen Wesens: „Durch sie wird der Jude erst zum wahrhaften Menschen – was der assimilierte Jude nicht sein kann, weil derjenige, an den er sich assimiliert, vom wahrhaften Menschen nicht weniger weit entfernt ist als er.“55 Eine solche Metaphorik von Untergang und Vernichtung finden wir auch bei Adolf Hitler, der ja die Zukunft des Kunstwerkes in monumentalen Bauten verwirklicht sah und als alle seine Pläne gescheitert waren, sich nur noch wünschen konnte, daß auch das deutsche Volk vollständig untergehe, indem es sich selbst in einem ,blutigen Kampfe‘ vernichtete. Wagners Befürchtungen einer untergehenden bzw. degenerierenden Menschheit, wenn dem verworfenen Judentum nicht die erlösende Kraft des deutschen Geistes entgegengestellt würde, endeten ja keineswegs mit der Judenbroschüre von 1850/ 1869, sondern verstärkten sich zu einem fortschreitenden Verfall in seiner Bayreuther Zeit: „Als Gründe dieser Degeneration sieht er den durch Fleischnahrung hervorgerufenen Verderb des Blutes an – hier steht Wagner im Banne des französischen Vegetarianerapostels Gleïzès – den demoralisierenden Einfluß des Judentums und (angeregt durch seinen Freund Graf Gobineau) die Vermischung ungleicher Rassen.“56 Hitler hat diesen Verfallsgedanken offenbar ähnlich gedeutet, denn wenn wir die Aussagen Hitlers gegenüber Hermann Rauschning betrachten, dann relativiert sich die zerstörerische Diskrepanz zwischen der ,Humanität‘ von Wagner und Hitler: „Es wird eine der wichtigsten Aufgaben einer deutschen Politik für alle Zeiten sein, das weitere Wachstum der slavischen Völker mit allen Mitteln zu verhindern. Der natürliche Instinkt gebietet jedem Lebewesen, seinen Feind nicht bloß zu besiegen, sondern ihn zu vernichten. In früheren Zeitaltern galt es als das gute 54 Richard Wagner: Das Judenthum in der Musik, Leipzig 1869, S. 57. J. E. de Sinoja: Das Antisemitentum in der Musik, Zürich/Leipzig/Wien 1933, S. 21 f., schrieb: „Die Judenbroschüre Wagners ist der heimtückischeste und verwerflichste Angriff, den ein Großer, ein Herrscher auf intellektuellem Gebiete, jemals gegen eine Konfession gerichtet hat – der in seinen Bühnenwerken Liebe predigte, im Leben jedoch den Haß übte.“ 55 D. Borchmeyer: Richard Wagner und der Antisemitismus (wie Anm. 27), S. 147. 56 Julius Kapp: Richard Wagner. Eine Biographie (1910). 32. Aufl., Berlin-Schöneberg 1929, S. 169. Diese „heilige Flamme des Fanatismus“ (S. 416) gegen alles Jüdische deutete Kapp mit einer organischen Metapher: „Wagners Schaffen ist ein Gesundungsprozeß, das schmerzhafte Sichlosringen von einem drückenden Alp, das Ausschwitzen einer schweren Krankheit.“ (S. 417).

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Recht des Siegers, ganze Stämme, ganze Völker auszurotten. Wir beweisen unsere Humanität, indem wir dies auf langsame und unblutige Weise vollziehen, wobei wir uns immer vor Augen zu halten haben, daß wir nur an anderen das tun, was man uns selbst zugedacht hat.“57 Es ist noch zu früh, um aus diesen wenigen Zitaten einen möglichen Zusammenhang zwischen Wagnerischem und Hitlerischem Antisemitismus ableiten zu können, aber ich werde später noch intensiver darauf eingehen. Die inhumanen Lehren Gobineaus über die Ungleichheit der Rassen bildeten häufig Gesprächsstoff zwischen Cosima und Richard Wagner, aber dies soll hier nur angedeutet werden, um zu zeigen, daß Wagners früher Antisemitismus sich in seinen letzten Lebensjahren zu einem judenfeindlichen Rassismus entwickelte. So äußerte er sich in einem Gespräch vom 14. Februar 1881 über die ,Theorie‘ Gobineaus: „Daß die Menschheit untergeht, ist gar keine Unmöglichkeit [Gobineau hatte behauptet, die Menschheit würde in 14.000 Jahren untergehen, H.K.]; nur wenn man außer Zeit und Raum die Dinge betrachtet, weiß man, daß es auf etwas andres ankommt als auf Racenstärke, gedenkt man des Evangeliums; und er fügt scherzend hinzu: ‘Wenn unsere Kultur zu Grunde geht, ist es kein Schaden, wenn sie aber durch die Juden zu Grunde geht, ist es eine Schmach‘.“58 Diese gedachte Möglichkeit eines Untergangs der Menschheit bzw. des Abendlandes ist von Oswald Spengler, der den Nationalsozialisten nahestand, in der Weimarer Republik wieder aktualisiert worden. Cosima, die offenbar verkannte, wie ernst es Wagner in dieser Angelegenheit meinte, fügte etwas weltschmerzlich hinzu, „o könnte man in solchen Augenblicken sterben!“59 Gobineaus Einfluß wird nicht nur daran deutlich, daß Wagner die Argumente des Sprachforschers August Friedrich Pott (1802 – 1887), der 1856 ein Buch über Die Ungleichheit menschlicher Rassen veröffentlicht hatte, spöttisch kommentierte und „dessen lächerliche Wut gegen Gobineau, weil dieser an den Verfall glaubt und sich nicht darum kümmert, daß es jetzt Eisenbahnen gibt!“, als einen „zänkischen Ton“ verunglimpfte. Wagner überhöhte geradezu Gobineau mit seiner christlichen Altersphilosophie, „der so weit und so scharf gesehen, dabei aber nicht genug in die Tiefe geblickt“60 habe, indem er Jesus für keinen Juden mehr ansah, sondern aus dessen arischem Blut eine neue Rasse hervorgehen ließ, die ein vollkommen vegetarisches Leben führte, also Regeneration statt Degeneration, was die Deutschen erst noch lernen müßten: „Bei den Deutschen ist alles im Ersterben, eine traurige Einsicht für mich, 57 Hermann Rauschning: Gespräche mit Hitler (1940), Wien 1973, S. 130 (Hervorhebung von mir). 58 C. Wagner: Die Tagebücher, Bd. II (wie Anm. 31), S. 690 f. 59 Ebd., S. 691. Dort auch die beiden nächsten Zitate. Am 28. März 1881 äußerte er sich gegenüber Cosima: „Gobineau sagt, die Germanen waren die letzte Karte, welche die Natur auszuspielen hatte, Parsifal ist meine letzte Karte.“ (Ebd., S. 718). 60 Ebd., S. 1109 f. Eintrag vom 9. Februar 1883. Am 23. April 1882 gab Cosima Wagners Aussage wieder: „Er wirft es Gob. vor, das eine ganz außer acht gelassen zu haben, was einmal der Menschheit gegeben wurde, einen Heiland, der für sie litt und sich kreuzigen ließ!“ (S. 936).

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der ich an die noch vorhandenen Keime mich wende. Eines ist aber sicher, die Racen [Gobineaus, H.K.] haben ausgespielt, nun kann nur noch, wie ich es gewagt habe auszudrücken, das Blut Christi wirken.“61 Es ist meines Wissens wenig bekannt, daß Hans von Bülow bereits in einem Brief an Wagner vom 8. April 1869 den antisemitischen Regenerations-Gedanken formuliert hat, indem er das Judentum als eine fast unheilbare Krankheit bezeichnete: „Die positiven Mächte in Staat und Gesellschaft: Adel, Armee, Clerus sind nicht eben mehr sehr mächtig. Es bleibt zu einer Regeneration nur ,salva venia‘ – der Pöbel. Der brauchte freilich einen Leithammel und zu dieser Mission würde wiederum nur ein Jude sich qualifizieren können. So müßte man denn mit den Schalethophagen [,Schalet‘ war ein jüdisches Sabbatgericht; in Süddeutschland eine puddingartige Mehlspeise, in Norddeutschland eine Bohnensuppe mit Mehlkloß, H.K.] auf einen – umgekehrten – Messias warten, nämlich einen, der sein Volk ans Kreuz heften würde.“62 Die härtesten Rivalen um eine Frau wie Cosima verbündeten sich einträchtig bei ihrem pöbelhaften Kampf gegen die Juden und behaupteten, dies hätte etwas mit Christentum oder christlicher Religion gemein. Der Gedanke einer möglichen Vernichtung des Judentums scheint Wagner häufig beschäftigt zu haben, auch wenn er sich nicht zu einer völlig eindeutigen Stellungnahme durchringen konnte, was offenbar seinem Naturell widersprach. In seinem Aufsatz „Religion und Kunst“63 von 1880 warf er dem jüdischen Volk vor, die christliche Religion verdorben zu haben und dadurch am Verfall der historischen Menschheit Mitschuld zu tragen, weshalb Regeneration und Vivisektion äußerst notwendig seien: „In Erwiderung dieser Sonderstellung von allen Völkern gleich gehaßt und verachtet, ohne eigene Produktivität, nur durch Ausbeutung des allgemeinen Verfalles sein Dasein fristend, wäre dieses Volk sehr wahrscheinlich im Verlaufe gewaltsamer Umwälzungen ebenso verschwunden, wie die größesten und edelsten Geschlechter völlig erloschen sind; namentlich schien der Islam dazu berufen, das Werk der gänzlichen Auslöschung des Judenthums auszuführen, da er sich des Juden-Gottes als Schöpfers des Himmels und der Erde selbst bemächtigte, um ihn mit Feuer und Schwert zum alleinigen Gott alles Athmenden zu erheben.“64 Es ist mir nicht bekannt, ob terroristische Islamisten aus dem Iran oder Palästina, die den jüdischen Staat ausrotten und das jüdische Volk vertreiben wollen, sich auf diese Äußerungen Wagners einer „gänzlichen Auslöschung des Judenthums“ be61 Ebd., S. 850. Eintrag vom 17. Dezember 1881. „In diesem Hinweise auf das Blut Christi selbst“, heißt es bei Hans Schilling: Richard Wagners ethischer Nationalsozialismus, in: Nationalsozialistische Monatshefte, 4. Jg., Heft 40, Juli 1933, S. 293, „erscheint der Grundgedanke der Rassenlehre, die Blutreinheit, in höchster, geheiligter Verklärung und damit im Christentume selbst verankert.“ 62 Hans von Bülow: Neue Briefe, hrsg. von Richard Graf Du Moulin Eckart, München o. J. (1927), S. 463 f. (Hervorhebung im Original). 63 Richard Wagner: Gesammelte Schriften und Dichtungen (1888). Band 10. Nachdruck Hildesheim 1976, S. 211 ff. 64 Ebd., S. 231.

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rufen haben. Doch Nationalsozialisten haben es getan, um auf Wagners Regenerationslehre eine völkische Ethik zu begründen, die eine Liebe des Herzens statt eines nüchternen Verstandes propagierten: „Diese regenerierte Menschheit aber ist nur in Gestalt einer Volkheit des dritten Reiches denkbar.“65 Wie sehr sich Hitler auf Wagner hätte berufen können, gleichgültig, ob er dessen Schriften gelesen hat oder nicht – was wir später noch diskutieren werden –, selbst wenn Wagner sich in seinen diesbezüglichen veröffentlichten Aussagen meist unklar und mehrdeutig ausdrückte, geht aus einem in den Bayreuther Blättern vom Februar/März 1881 veröffentlichten Aufsatz „Erkenne dich selbst“ hervor, der 1887 teilweise in dem Antisemiten-Catechismus im Leipziger Verlag Theodor Fritsch abgedruckt wurde.66 Wagner schien damals davon auszugehen, daß sein Antisemitismus allgemein geteilt oder zumindest von echten Deutschen nicht in Frage gestellt wurde: „Was den Juden die jetzt so verderblich dünkende Macht unter uns und über uns gegeben hat, scheint von Niemandem gefragt, oder erwogen werden zu müssen“.67 Dagegen sei eine Erforschung dieses Zustandes in den letzten Jahrzehnten vernachlässigt worden und „zu einer genauen Kritik des Geistes und Willens unserer ganzen Natur und Zivilisation“ sei keine Neigung vorhanden. Wagner beklagte in einem wehleidigen und gehässigen Ton, „die an die Juden ertheilte Vollberechtigung, sich in jeder erdenklichen Beziehung als Deutsche anzusehen“,68 65

H. Schilling: Richard Wagners ethischer Nationalsozialismus (wie Anm. 61), S. 292. In der noch von Theodor Fritsch (1852 – 1933) herausgegebenen 30. Auflage (76.–82. Tsd.): Handbuch der Judenfrage. Die wichtigsten Tatsachen zur Beurteilung des jüdischen Volkes, Leipzig 1931, S. 422 – 424; in Theodor Fritsch: Handbuch der Judenfrage. Die wichtigsten Tatsachen zur Beurteilung des jüdischen Volkes. 49. Auflage (279.–330. Tsd.), Leipzig 1944, S. 493 – 495. Zu der von Adolf Hitler ausgehenden antisemitischen Hetze hieß es 1931: „Der Erfolg der Hitlerschen Bewegung wird davon abhängen, ob es gelingt, einen wesentlichen Teil der betörten Arbeiter aus den Fängen des jüdischen Kapitals zu erlösen, das heute alle talentvollen agitatorischen Kräfte in seinen Dienst gestellt hat, so daß die Sozialdemokratie mit Recht den Namen einer ,Schutztruppe des Judentums‘ verdient.“ (S. 11). 1944, als die millionenfache Vergasung der Juden in vollem Gange war, konnte die NSDAP (fast) von der vollständigen Vernichtung des jüdischen Einflusses in Deutschland ausgehen: „Der [Erste Welt-] Krieg, dessen Hintergründe einwandfrei den jüdischen Hetzer erkennen lassen, brachte das Erlebnis der Frontgemeinschaft. Aus dieser Feuerprobe des deutschen Menschen und der deutschen Seele wurde die Erneuerung Deutschlands geboren. Während äußerlich Staat und Volk zusammenbrach, während der Parlamentarismus seine riesige Scheinblüte hatte und mit seiner Duldung des Judentums das deutsche Volksvermögen verschleuderte, wurden mehrere völkische Bünde geschaffen. Es war dies eine innere Reaktion auf den Niederbruch, das Aufbegehren der gesunden seelischen Kräfte gegen die nun seit Jahrzehnten im deutschen Volkskörper lebende Verseuchung durch das Judentum. Aus der natürlichen Vielfalt der Erneuerungsbewegungen hob sich bald die Nationalsozialistische Arbeiterpartei heraus, deren Führer Adolf Hitler den Kampf mit dem Judentum in allen deutschen Lebensgebieten aufnahm. Dieses Ringen, das vornehmlich um den deutschen Arbeiter ging, den jüdischer Marxismus und Kommunismus eingefangen hatten, war unerhört hart und reich an Blutopfern.“ (S. 16, Hervorhebung im Original). 67 R. Wagner: Gesammelte Schriften, Bd. 10 (wie Anm. 63), S. 264. Dort auch das nächste Zitat. 68 Ebd., S. 265. 66

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sei zu vergleichen mit einem Blankoscheck an die mexikanischen Schwarzen, sich für Weiße zu halten! Eine auf populäres Selbstmitleid spekulierende Haltung scheint Wagner über drei Jahrzehnte nach seinem Judenaufsatz ergriffen zu haben: „Wer, vor etwa dreißig Jahren, die Unbefähigung der Juden zur produktiven Theilnehmung an unserer Kunst in Erwägung brachte und dieß Unterfangen nach achtzehn Jahren zu erneuern sich angeregt fühlte, hatte die höchste Entrüstung von Juden und Deutschen zu erfahren; es wurde verderblich, das Wort ,Jude‘ mit zweifelhafter Betonung auszusprechen.“69 Wagner griff in diesem Aufsatz auch Geistliche christlicher Religionen an, die sich angeblich gelähmt gefühlt haben, die verderbliche Tradition der Juden fundamental zu kritisieren: „Wie war es möglich, daß es je zu irgend einer Zeit Deutsche gab, welche Alles, was den Stamm der Juden uns in fernster Entfremdung erhält, unter dem Begriffe einer religiösen ,Konfession‘ auffaßten, da doch gerade erst und nur in der deutschen Geschichte es zu Spaltungen der christlichen Kirche kam, welche zur staatsrechtlichen Anerkennung verschiedener Konfessionen führten?“70 Man könnte fast meinen, als wollte Wagner die Reformation oder den Calvinismus für den angeblichen Siegeszug des Judentums verantwortlich machen, obwohl ihm gewiß bekannt war, daß Martin Luther auf ähnliche Weise wie er die Juden denunziert hatte. Während das Judentum an seinem mosaischen Glauben streng festgehalten habe, so argumentierte Wagner etwas scheinheilig, sei die christliche Kultur und Zivilisation zerspalten und stehe im schreiensten Widerspruch zur christlichen Lehre: „Als Ergebniß dieser Kultur stellt sich dem die letzte Rechnung ziehenden Juden die Nothwendigkeit Kriege zu führen, sowie die noch viel größere, Geld dafür zu haben, heraus.“71 Und weil „unsere ganze Zivilisation ein barbarischjudaistisches Gemisch ist, keineswegs aber eine christliche Schöpfung“,72 mußte Wagner dafür sorgen, damit wir nicht „den Verfall des nun dem Eindringen der Juden wehrlos ausgesetzten deutschen Volkes“73 erleiden müssen und es „zur Wiedergeburt eines wahrhaften Racen-Gefühles“74 kommen kann, daß die große Lösung einer Judenvernichtung durch keine andere Nation als die deutsche möglich wird. 69 Ebd., S. 264 f. Und wird der Jude hier nicht als Sündenbock verwendet, „sondern erschien ihm nur als Speerspitze tiefhinabreichender Verderbnis“? (So V. Veltzke: Der Mythos des Erlösers (wie Anm. 19), S. 143). 70 R. Wagner: Gesammelte Schriften, Bd. 10 (wie Anm. 63), S. 265 (Hervorhebung im Original). 71 Ebd., S. 266. 72 Ebd., S. 268. 73 Ebd., S. 270. 74 Ebd., S. 271. Dem deutschen Volk mangele es noch an dem richtigen und sicheren Instinkt, was ihm förderlich sei, deshalb lasse es sich von Juden mit „lügnerischen Phrasen“ (ebd.) betören und überlasse ihnen die wichtigsten Angelegenheiten. Noch ausgelieferter sei der Deutsche dem Juden und läute dieser „mit der papierenen Börsenglocke, so wirft er ihm sein Geld nach, um mit seinen Sparpfennigen ihn über Nacht zum Millionär zu machen“ (ebd.).

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Wir werden später noch genauer hören, daß Wagner seine antisemitischen Vorstellungen seit dem Judenaufsatz von 1850 in unvorstellbare rassistische Sphären ausgedehnt und daß ihn schließlich der abscheuliche Gedanke ergriffen hat, daß es kein menschliches Verbrechen sei, das Judentum zu vernichten. Eine entscheidende Voraussetzung dafür sei allerdings, daß „wir ohne Schein, bis auf das innerste Mark unseres Bestehens, das ,Erkenne-dich-selbst‘ durchführten“.75 Hier wurde eine philosophische Metapher dazu mißbraucht, um eine radikale Maßnahme zu rechtfertigen, die auf praktische Politik angewendet werden kann, aber jeden Erkenntnisprozeß verhöhnt. Und wie wäre nach Wagner diese mörderische Selbsterkenntnis möglich, wie könnten die Deutschen erwachen, um die unausweichliche Notwendigkeit zu erkennen, daß ein vernichtetes Judentum „eine edle Labe bieten“ könnte? Wagner sah diese Möglichkeit nur dann gegeben, wenn „der Dämon, der jene Rasenden im Wahnsinne des Parteienkampfes um sich erhält, kein Wo und Wann zu seiner Bergung unter uns mehr aufzufinden vermag, wird es auch – keinen Juden mehr geben“! Nicht nur Politik, auch Erkennenwollen kann im menschlichen Abgrund enden, wenn der abgrundtiefe Haß jede nüchterne Betrachtung transzendiert. Wagner war es von Anfang an völlig gleichgültig, ob er die Ehre seiner jüdischen Mitbürger zutiefst verletzte, aber daß auch der von Wagner betrogene Hans von Bülow in seinem Brief vom 8. April 1869 ähnliche antisemitische Töne anstimmte, ist zumindest erstaunlich: „Die Wirkung Deiner Broschüre ist über alle Erwartung (Befürchtung?) einschneidend. Selbst hier [in München, H.K.], wo das auserlesene Gesindel numerisch so gering ist, habe ich ganz entsetzlich darunter zu leiden. Nun, es ist mir das eine Ehre, wenn auch kein Vergnügen.“76

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Ebd., S. 274. Dort auch die beiden nächsten Zitate (Hervorhebung von mir). H. von Bülow: Neue Briefe (wie Anm. 62), S. 461.

4. Kapitel

Die spärlichen Reaktionen auf den Judenaufsatz von 1850 Dieser antisemitische Aufsatz eines anonymen Autors aus dem Jahr 1850, das von politischen und ökonomischen Umbrüchen geprägt war, fand keine allzu große Resonanz, abgesehen von einer Protestnote von elf Mitgliedern des Leipziger Konservatoriums, darunter der Violinist Joseph Joachim, an den Herausgeber der Zeitschrift. Im gleichen Jahrgang der Neuen Zeitschrift für Musik erschien etwas mehr als einen Monat später zwar bereits eine Replik auf Wagners Aufsatz,1 der sich auf den Grundsatz berief, würdelose Ansichten oder Meinungen, „die man mit den Waffen einer unklaren, von Haß umdüsterten Gesinnung verfocht, spurlos an uns vorübergehen zu lassen“.2 Der Autor weiche nur deswegen von diesem Grundsatz ab, um zu verhindern, daß sich eine Rechtsvorstellung durchsetze, „vermöge einigen philosophischen und ästhetischen Phrasengeklingels“ einen kritischen Anspruch zu begründen. In der Tat ist es ja für Wagner typisch, seine schärfsten publizierten Angriffe auf Juden in eine phrasenhafte Sprache zu kleiden, die man von verschiedenen Seiten durchleuchten muß, um mühsam die eigentlichen Inhalte herauszufiltern. Die verschiedenen Ansichten Wagners über die Juden wurden von Bernsdorf überwiegend sachlich kritisiert und als Judenfeindschaft ähnlich der Hep-Hep-Bewegung („Hep, hep! Jud verreck!“) charakterisiert, die eigentlich überwunden sei, da Kunst der gesamten Menschheit gehöre: „Es hieße den Juden alle Menschenwürde absprechen, wollte man sie zur Kunst als unfähig darstellen; die Zeiten sind doch wohl vorüber, die über den Juden den Menschen vergaßen und die, verblendet von Glaubenshaß, den Juden mit dem Brandmal der Verworfenheit bezeichneten.“3 Es sei für einen gewöhnlichen Leser zu viel ver-

1

Vgl. Eduard Bernsdorf: K. Freigedank und das Judenthum in der Musik, in: Neue Zeitschrift für Musik, 33. Bd., Nr. 31. 15. Oktober 1850, S. 165 – 168. 2 Ebd., S. 165. Dort auch das nächste Zitat. Der keineswegs anonyme Autor sagte: „Wir wollen uns nur gegen eine Handhabung der Kritik verwehren, die, um ihre hohlen Abstractionen zu beweisen, sich nicht scheut, den Ton pietistischer Winkelblättchen anzuschlagen und Kunstinteressen mit den Waffen confessioneller Gehässigkeit zu verfechten.“ (Ebd.). 3 Ebd., S. 166 (Hervorhebungen im Original). Was Wagner über die Sprechweise der Juden anführe, sei kolossal über- und durcheinander geworfen und könne nur damit erklärt werden, „daß der Verfasser seine Studien über diesen Gegenstand unter den polnischen Trödeljuden gemacht haben muß“ (ebd.), die Wagner ja überhaupt nicht kannte.

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langt, sich durch „diesen Urwald von unlogischen Consequenzen und übertünchter Gemeinplätzigkeit“4 hindurchzuarbeiten. Wir können davon ausgehen, daß Wagner diesen kritischen, aber überwiegend sachlichen Aufsatz gründlich gelesen hat, denn ihm wurde nicht nur regelmäßig diese Zeitschrift zugesandt, sondern dessen Herausgeber, Franz Brendel, war mit Wagner befreundet und hat ihn gewiß über solche Stellungnahmen sofort unterrichtet.5 Was Wagner bewogen hat, seinen Judenaufsatz in dem teilweise bereits zitierten Brief an Franz Liszt vom 18. April 1851 in ein merkwürdig schiefes Bild zu rücken, kann nur vermutet werden. Er schrieb dort u. a.: „Nicht nur aus furcht, sondern um zu vermeiden, daß von den Juden die frage in das nackte Persönliche verschleppt würde, erschien ich pseudonym. Ich hegte einen lang verhaltenen groll gegen die judenwirthschaft, und dieser groll ist meiner natur so nothwendig, wie galle dem blute. Eine Veranlassung kam, in der mich ihr verfluchtes geschreibe am Meisten ärgerte, und so platzte ich denn endlich einmal los: es scheint schrecklich eingeschlagen zu haben, und das ist mir recht, denn solch einen schreck wollte ich ihnen eigentlich nur machen. Denn – daß sie herr bleiben werden, ist so gewiß, als daß jetzt nicht unsere fürsten, sondern die bankiers und die philister die herren sind.“6 Es hat den Anschein, als ob Wagner seinem finanziellen und künstlerischen Förderer in Weimar ein besänftigendes Urteil über seine antisemitischen Tiraden nahelegen wollte, denn der europaweit berühmte Pianist Liszt war damals alles andere als ein Antisemit. Vielleicht wollte er auch nur sein angespanntes Verhältnis zum Großherzog Carl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach (1818 – 1909) verdeutlichen, der ihn auch nach der Aufführung des Tannhäuser am 16. Februar 1849 finanziell nicht so unterstützte, wie Wagner es von fürstlichen Mäzenen erwartete. In der Illustrirten Zeitung erschien am 25. Januar 1851 ein relativ kurzer Artikel des Komponisten und Musikschriftstellers Johann Christian Lobe (1797 – 1881),7 der es für unbegreiflich hielt, daß Wagners Aufsatz sowohl unter den Juden als auch den Christen große Erbitterung hervorgerufen haben soll – er sei nichts als eine sehr abgeschmackte Satire. Es könne nämlich nicht sein, daß vorzügliche christliche und jüdische Komponisten wie Mendelssohn und Meyerbeer „tollhäuslerischen Ton4

Ebd., S. 167. Wagner wandte sich sogar Ende Oktober 1850 mit einem Brief an Bernsdorf, den er wieder mit K. Freigedank unterschrieb, und in dem er behauptete, daß dessen Entgegnung auf einer bewußten Unwahrheit beruhe: „Sie verdrehen meine Grundansicht, – daß die Juden sich erst in unsre Kunst mischen konnten, als sie organisch lebensunfähig geworden war, – dahin, als ob ich gesagt hätte, unsre Kunst sei in Verfall gerathen, w e i l die Juden sich in sie gemischt hätten. Das ist unredlich und betrügerisch. – Somit habe ich nichts zu erwidern, als die Worte Pontius Pilatus: ,was ich geschrieben habe, habe ich geschrieben‘!“ (Richard Wagner: Sämtliche Briefe. Band III, hrsg. von Gertrud Strobel und Werner Wolf, Leipzig 1975, S. 462 f. Hervorhebungen und Sperrung im Original). 6 Ebd., S. 544 f. 7 Vgl. (Johann Christian Lobe): Das Judenthum in der Musik, in: Illustrirte Zeitung. XVI. Bd., Nr. 395. Leipzig, den 25. Januar 1851, S. 54 – 56. 5

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wirrwarr“8 hervorgebracht hätten, weswegen Lobe mit Bestimmtheit annahm, „daß der Verfasser durch seinen erfundenen K. Freigedank eine heutige Sorte musikalischer Schriftsteller hat persifliren wollen“.9 Die Lobesche Begründung einer solchen Persiflage ist allerdings mehr als eigentümlich, weil Wagner ja überhaupt keinen Unterschied zwischen getauften und ungetauften Juden machte und damit die denunzierende Praxis der Nationalsozialisten vorwegnahm, die jüdische Abstammung bzw. jüdische Vorfahren als entscheidendes Kriterium einer Judenverfolgung ansahen: „Denn daß die christliche Taufe dem Juden nichts hilft, zeigt Freigedank ja dadurch, daß er Mendelssohn stets als einen Juden behandelt, der doch als Christ geboren, erzogen und begraben worden ist.“ Wie absurd diese Wagnerschen Überlegungen allesamt seien, gehe eindeutig daraus hervor, daß die Juden sich niemals ruhig abschlachten ließen, wie es in dem Aufsatz scheinbar realitätsblind gefordert würde: „Also weg mit allen Juden. Wenn dann der gegenseitige, selbstvernichtende Kampf vorüber ist, wenn etwa die Juden alle erschlagen vor uns liegen, und wir übriggebliebenen Christen als triumphirende Mörder mit blutigen Fäusten dastehen, dann sind wir wahrhafte Menschen“. Viele deutsche Juden im Dritten Reich konnten sich offenbar nicht vorstellen, daß in einer Kulturnation wie Deutschland ein ganzes Volk ,abgeschlachtet‘ werden sollte und haben deshalb, außer im Warschauer Ghetto, relativ wenig blutigen Widerstand geleistet. Eine solche geist- und leibtötende Absurdität – die im Dritten Reich ja tatsächlich praktiziert wurde – konnte sich Lobe auch nicht vorstellen, weshalb er Freigedank zu einem Hirngespinst erklärte, das einer wilden Phantasie entsprungen sei. Es sei die „Genialität der Freigdank’schen Anschauung“, wurde ironisch angemerkt, zu versuchen, den verschwindenden Judenhaß wieder anzufeuern und zu beweisen, daß die jüdische Musik nicht nur nichts taugt, sondern daß die Juden keine Musikseelen haben könnten. Eine solche Behauptung sei nur arrogant und solche Schriftsteller nicht ernst zu nehmen, die sich brüsteten mit „einer Arroganz, die so weit geht, daß sie Alle, die nicht ihrer Meinung unbedingt beipflichten, für gedanken- und gefühllos erklären“.10 K. Freigedank könne deshalb in Wirklichkeit nicht existieren und sei ein in „abnormer Denk- und Gefühlsweise zusammengesetztes satyrisch-übertriebenes Ideal“, das keiner realen Vorstellung entspreche und lediglich ausdrücken wolle: „Ich hasse die Juden; ich hasse und beneide Mendelssohn und Meyerbeer; ich rathe daher, alle Juden zu vernichten. Wer nicht mit mir ist, der ist ein gedanken- und gefühlloser Schlendrian, der ist auch ein Jude, und muß mit vernichtet werden. – Kann ein solches Raisonnement aus dem Geiste und dem Herzen eines vernünftigen, humanen Menschen unserer Zeit fließen? Nein!“ Dagegen äußerte drei Jahrzehnte später der Musikschriftsteller Ludwig Nohl Verständnis dafür, „daß das Gefühl des crassesten Materialismus und jener schlimm8

Ebd., S. 54. Ebd., S. 55. Dort auch die nächsten Zitate. Auch die Nationalsozialisten haben christlich getaufte Juden, d. h. Christen, als jüdisch verseucht denunziert und umgebracht. 10 Ebd., S. 56 (Hervorhebung im Original). Dort auch die beiden nächsten Zitate. 9

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sten Unheiligkeit der Gesinnung, die von dieser Seite [den Juden, H.K.] in unser reales wie unser idealer Dasein getreten sind, auch zu diesem wahrhaft Rembrandt’schen Bilde der bösen egoistischen Lust [im Judenaufsatz von 1850, H.K.] ihm den Griffel geführt hat.“11 In Die Grenzboten erschien 1851 anonym ein längerer Aufsatz des Leipziger Dirigenten und späteren Kapellmeisters August Ferdinand Riccius (1819 – 1886) nur mit dem Titel „Richard Wagner“,12 der den Judenaufsatz an einer Stelle kurz erwähnte und ihm eine gehässige Polemik unterstellte, die „sich zu einem vollständigen Fanatismus steigert, und die mit der Gewalt einer Monomanie beständig bei ihm wiederkehrt“.13 Riccius behandelte vor allem die damals erschienenen Opern und theoretischen Aufsätze Wagners und bescheinigte ihm eine produktive Natur, aber kein kritisches Talent. „In seinen theoretischen Schriften verräth er so lange den geistreichen und gebildeten Mann, als es sich um bekannte und anderweit bereits besprochene Stoffe handelt, z. B. von dem Verhältniß des Christenthums zum Heidenthum; wenn er aber an diejenigen Punkte kommt, in denen man von ihm die eigentliche Aufklärung erwartet, so wird er so unklar und verworren, daß alle Gedanken aufhören.“14 Wir können deshalb entgegen einer weitverbreiteten Auffassung feststellen, eine intensive Auseinandersetzung mit den Wagnerschen Thesen fand nach der Veröffentlichung 1850 noch nicht statt, auch wenn Wagner 1869 eine anhaltende jüdische Verschwörung gegen ihn seit dem Judenaufsatz konstatierte. Diese Wagnersche Interpretation ist umso unverständlicher, weil er 1869 schon über vier Jahre lang massiv vom Bayernkönig Ludwig II. finanziell unterstützt wurde, also eigentlich keine jüdische Intrigen mehr befürchten mußte. Über 85 Jahre später, 1936, stellte Curt von Westernhagen wegen der Verächtlichmachung der jüdischen Kultur im Judenaufsatz die rhetorische Frage in den Raum: „Ob Wagner gut gezielt hatte?“15 Und er antwortete folgendermaßen: „Aber man höre doch das Wutgeschrei der Juden, es ist bis heute noch nicht verstummt.“ Es ist eigentümlich, warum Wagner selbst und später auch treue Wagnerianer die falsche These verbreiteten, daß Wagners Judenaufsatz von 1850 nicht nur vielfältige Beachtung fand, sondern ursächlich für die negative Einstellung gegenüber Wagners Musik gewesen sei. So schrieb z. B. Arthur Drews noch 1931: „Der Auf11

Ludwig Nohl: Das moderne Musikdrama. Für gebildete Laien (1884). Neudruck Vaduz 1984, S. 258. 12 Vgl. (August Ferdinand Riccius): Richard Wagner, in: Die Grenzboten, 10. Jg., I. Sem., II. Bd., Nr. 24, 1851, S. 401 – 420. Riccius wußte also bereits, wer der anonyme Autor des Judenaufsatzes tatsächlich war! 13 Ebd., S. 405. 14 Ebd., S. 403. 15 Curt von Westernhagen: Nietzsche – Juden – Antijuden, Weimar o. J. (1936), S. 62. Dort auch das nächste Zitat. Eine Seite später formulierte Westernhagen eine weitere Frage: „Wurde Wagner verstanden? Von Juden ja, verstanden und nicht vergessen, bis zu dem wahnsinnigen Haßaufruf der ,Roten Fahne‘: man solle das Erbe und die Erben von Bayreuth in einem großen Scheiterhaufen verbrennen.“ (S. 63).

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satz, der im September 1850 unter dem Decknamen K. Freigedank erschien, und in welchem Wagner den Juden alle schöpferische musikalische Fähigkeit absprach, erregte einen ungeheuren Sturm der Entrüstung, besonders auch wegen seines absprechenden Urteils über Mendelssohn und Meyerbeer, die beiden beliebtesten Komponisten ihrer Zeit. Sein Stil verriet alsbald den Verfasser, und nun ging ein Sturzbad von Schmähungen, besonders aus dem Lager der jüdischen Presse, auf diesen herab, und seine Auslassungen brachten ihn nicht nur um manchen Anhänger, sondern bewirkten auch, daß von jetzt an die Zeitungen ihm gegenüber jene grundsätzlich feindselige Stimmung annahmen, die alles herunterriß, was von ihm ausging, und zu einem schweren Hemmnis seiner gesamten künstlerischen Bestrebungen werden sollte.“16 Davon kann überhaupt nicht die Rede sein, da Wagner in seinem schweizerischen Exil zwar eine Publikation nach der anderen verfaßte, aber von seinen Opern nur wenige aufgeführt wurden, ohne eine große Publikumswirkung zu erzielen. Während Wagner mit dieser Stilisierung als verkanntes Genie lediglich eine antijüdische Selbststilisierung bezweckt haben dürfte, wollten seine Epigonen idealisierende Märchen verbreiten, um Wagner von den gravierenden Vorwurf eines unmenschlichen Antisemitismus reinzuwaschen. Wir haben ja bereits gehört, daß Wagners Pseudonym bald nach Erscheinen des Aufsatzes gelüftet worden ist, aber Wagner war 1850 in der musikalischen Welt keineswegs bekannt genug, um zu bewirken, daß diesem eigentümlichen Pamphlet größere Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Diese unbestreitbare Tatsache muß ihn später – nachdem König Ludwig II. ihn in den musikalischen Götterhimmel emporgehoben hatte – so geärgert haben, daß er 1869 die realen Verhältnisse auf den Kopf stellte. Der richtige Name des Aufsatzschreibers, behauptete Wagner dann, sei bald allgemein bekannt geworden, was ja nicht ganz wahr war, obwohl der verstorbene Freund Franz Brendel den Namen des Autors nicht preisgegeben habe, doch eine geistvolle Entgegnung sei nicht erfolgt: „Gröbliche Anfälle, und schimpfende Abwehr der dem Verfasser des Aufsatzes untergelegten, für unsre aufgeklärten Zeiten so schmachvollen, mittelalterlichen Judenhaß-Tendenz waren das Einzige, was neben absurden Verdrehungen und Fälschungen des Gesagten zum Vorschein kam. Jedenfalls nahm sich das höhere Judenthum der Sache an.“17 Wir konnten uns ja selbst davon überzeugen, welcher Wahrheitsgehalt dieser ideologischen Selbstrechtfertigung innewohnte und werden noch sehen, wie Wagners ,Judenhaß-Tendenz‘ vor den übelsten Verdrehungen und konstruiertesten Verfälschungen nicht zurückschreckte. Seine frühe Fixierung auf Juden als seine unausrottbaren Feinde nahm solche Formen an, daß man geneigt ist, von Schizophrenie zu sprechen.

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Arthur Drews: Der Ideengehalt von Richard Wagners dramatischen Dichtungen im Zusammenhange mit seinem Leben und seiner Weltanschauung, Leipzig 1931, S. 96 (Hervorhebung von mir). 17 Richard Wagner: Das Judenthum in der Musik, Leipzig 1869, S. 35.

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Dagegen schlug die an Marie Muchanoff, geborene Gräfin Nesselrode (1822 – 1874), gerichtete Neuveröffentlichung von 1869 wie eine politische Bombe ein, denn Wagner war inzwischen zum vom bayerischen König Ludwig II. hofierten und finanzierten Starkomponisten am deutschen Musikhimmel emporgestiegen. Noch 1933 behauptete ein Freund und Weggefährte Siegfried Wagners, diese Schrift habe Wagner „den unauslöschlichen Haß der literarischen Beherrscher des Kunstmarktes zugezogen, der bis auf den heutigen Tag nachwirkt“.18 Muchanoff-Kalergis, wie sie auch genannt wurde, nachdem sie 1863 den russischen Grafen Sergei Muchanoff geheiratet hatte, war nicht nur Tochter eines rechtsextremen Russen, sondern auch Pianistin. In Paris, wo sie Wagner 1860 10.000 Francs geliehen hatte, war sie Schülerin des polnischen Komponisten Frédéric (Fryderyk) Chopin, und Wagner wollte sich 1869 offenbar mit dieser Widmung für ihre finanzielle Unterstützung bedanken, die ihm damals aus finanziellen Kalamitäten heraushalf. Zweifellos war diese Veröffentlichung ein gezielter Affront gegen alle jüdischen Mitbürger, der durch nichts gerechtfertigt werden kann, denn inzwischen war Wagner ja ein ,gemachter Mann‘, dem keine finanzielle Notlage mehr drohte und der deswegen auch auf reiche Juden nicht mehr neidisch zu sein brauchte. Mit welchem unbändigen Stolz Wagner dieses Pamphlet seinen jüdischen Landsleuten entgegenschleuderte, geht aus einem Brief vom 11. Januar 1869 an Ludwig Nohl hervor: „Heute versendete ich das Manuscript zu einer neuen Broschüre an J. J. Weber nach Leipzig. Wenn diese erscheint, werden Sie aus ihr ersehen, wie vollständig hoffnungslos ich bin, – in Allem und für Alles!“19 Wagner gaukelte in dieser Broschüre, die trotz gleichem Titel mindestens doppelt so umfangreich war wie der Judenaufsatz von 1850, seinen Lesern die unhaltbare Ansicht vor, daß die „so ersichtlich auf Herabsetzung ausgehende Feinseligkeit“20 gegen seine Musik und die „von Seiten der Juden mir widerfahrene Verfolgung“21 sowie der „vollständige Sieg des Judenthums“22 auf den Judenaufsatz von 18 Alexander Spring: Richard Wagners Weg und Wirken. 2. Aufl., Stuttgart/Berlin/Leipzig 1933, S. 68. 19 Zitiert von L. Nohl: Das moderne Musikdrama (wie Anm. 11), S. 248. 20 Richard Wagner: Das Judenthum in der Musik, Leipzig 1869, S. 7. 21 Ebd., S. 43 f. Seine früheren Arbeiten, d. h. vor 1850, seien vom Publikum wohlwollend aufgenommen worden, aber seit dem Judenaufsatz hätte die Presse ihn „als Lästerer der größten Componisten ihres Judenthums“ (S. 43) verunglimpft und seine neueren Werke seien auf feindselige Ablehnung gestoßen: „Wie nun das ganze Judenthum nur durch die Benutzung der Schwächen und der Fehlerhaftigkeit unsrer Zustände Wurzel unter uns fassen konnte, so fand die Agitation auch hier sehr leicht den Boden, auf welchem – unrühmlich genug für uns! – Alles zu ihrem endlichen Erfolge vorgebildet liegt.“ (S. 44). 22 Ebd., S. 54. Wagner vertrat dort die Ansicht, daß die geistigen Belastungen des deutschen Wesens „in noch viel schrecklicherem Maße auf dem geist- und herzvollen Juden selbst lastet“ (S. 55). Allerdings sei die Abhängigkeit der Juden untereinander „ein knechtisches Elend von alleräußersten Härte“ (ebd.), obwohl von aufgeklärten Stammesgenossen vieles akzeptiert würde: „Aber einen vom Stamme Geächteten [d. h. Wagner, H.K.] in Schutz zu nehmen, das muß jedenfalls den Juden als geradeweges todeswürdiges Verbrechen gelten.“ (Ebd.). Später war er noch radikaler, denn in einer kurzen Abhandlung mit dem Titel „Mo-

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1850 zurückzuführen sei. Denn die europäische jüdische Gesellschaft, „dessen unversöhnlichen Haß ich mir durch die Besprechung seiner so schwer vertilgbaren, unsrer Cultur nachtheiligen Eigenthümlichkeiten zugezogen habe“,23 sei ihm mit unversöhnlicher Feindschaft entgegengetreten; aber dies war ein leicht durchschaubares Argument der Selbstrechtfertigung. Selbst in seiner Biographie Mein Leben, die Wagner Cosima von Bülow seit dem 17. Juli 1865 für Ludwig II. diktierte, scheute er nicht vor groben Verfälschungen über seinen Judenaufsatz von 1850 zurück: „Das Aufsehen, welches dieser Artikel machte, ja der wahre Schrecken, den er verbreitete, dürften kaum mit einer ähnlichen Erscheinung zu vergleichen sein. Die unerhörte Anfeindung, welche ich bis auf den heutigen Tag von der sämtlichen Zeitungspresse Europas erfahren habe, können einzig demjenigen verständlich werden, welcher jenen Artikel und sein schreckliches Aufsehen zu seiner Zeit beachtet hat und nun sich vergegenwärtigt, daß alle Zeitungen Europas fast ausschließlich in den Händen der Juden sind, wogegen diejenigen nie klarsehen werden, welche den Grund dieser ununterbrochenen gehässigen Verfolgung etwa nur in einer theoretischen oder praktischen Abneigung gegen meine Ansichten oder künstlerischen Arbeiten suchen zu müssen glaubten.“24 Dieser zunehmende Judenhaß trug ja keineswegs „Züge eines Verfolgungswahns“,25 sondern stiftete vielmehr zur rigorosen Verfolgung von Juden an, wie sie aus der antisemitischen Geschichte des Bayreuther Kreises entnommen werden kann.26 Friedrich Nietzsches These, daß Wagners Stiefvater Ludwig Geyer diesen gezeugt haben könnte und selbst Jude gewesen sei, weswegen bei Wagner ein jüdischer Selbsthaß vorherrschte, entbehrt jeder nachvollziehbaren Begründung und ist durch die hidern“ schrieb er: „Aufrichtig gesagt, es fällt schwer, sich von dem Siege der modernen Judenwelt viel Heil für uns zu erwarten.“ (Richard Wagner: Gesammelte Schriften und Dichtungen (1888). Band 10. Neudruck Hildesheim 1976, S. 58). 23 R. Wagner: Das Judenthum in der Musik (wie Anm. 20), S. 8. Für Dieter Borchmeyer: Heinrich Heine – Richard Wagner. Analyse einer Affinität, in: Richard Wagner und die Juden, hrsg. von Dieter Borchmeyer, Ami Maayani und Susanne Vill, Stuttgart/Weimar 2000, ist das Judentum für Wagner „ein Synonym für Modernität“ (S. 31), weshalb man fragen müßte, ob auch die moderne Welt nach Wagner untergehen sollte. 24 Richard Wagner: Mein Leben, hrsg. von Martin Gregor-Dellin. Band II, München 1963, S. 479 f. 25 Dieter Borchmeyer: Richard Wagner. Werk – Leben – Zeit, Stuttgart 2013, S. 160. Borchmeyer äußert sich über die antisemitischen Ausfälle Wagners in diesem Aufsatz recht beschönigend: „Das ,Judenthum in der Musik‘ ist für Wagner mithin nur das Paradigma einer depravierten, kunstfernen, bloß noch von Marktgesetzen bestimmten Zivilisation.“ (S. 163). 26 Ernst Hanisch: Die politisch-ideologische Wirkung und „Verwendung“ Wagners, in: Richard-Wagner-Handbuch, hrsg. von Ulrich Müller und Peter Wapnewski, Stuttgart 1986, S. 633, glaubt, daß das im Bayreuther Kreis praktizierte Modell Meister-Schüler, FührerGefolgschaft, den Faschismus vorwegnahm: „Weniger in der nationalen Ideologie, weniger in den rassistischen Ideen – die gab es auch anderswo, sondern in der Exklusivität des Gralsrittertums, in der ausschließlichen und kritiklosen Hingabe an den Meister, in der totalen Unterwerfung wurden sozialpsychologische Mechanismen vorbereitet und eingeübt, die im 20. Jahrhundert politisch ausbeutungsfähig waren.“ Darauf wird im 8., 9. und 10. Kapitel näher eingegangen.

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storischen Fakten eindeutig widerlegt, auch wenn die jüdische Abstammung immer wieder thematisiert wird.27 In der Verfassung des Norddeutschen Bundes vom 3. Juli 1869 wurde ausdrücklich die rechtliche Gleichstellung der Juden festgelegt, auch wenn jüdische Ghettos erst nach der Reichsgründung geschlossen wurden, aber diese erfolgreiche Tendenz einer jüdischen Assimilation muß Wagner völlig inhuman erschienen sein und schizophrene Züge ausgelöst haben. Wohl auch deswegen schrieb der Wiener Hofkapellmeister Heinrich Esser (1818 – 1872) bereits am 18. März 1869 an den Verleger Franz Schott in Wiesbaden: „Ich begreife nicht, wie Wagner einen solchen Wahnsinn begehen konnte, eine vor vielen Jahren begangene und seither in Vergessenheit geratene Dummheit wieder aufzuwärmen und sich dadurch neuerdings unsterblich zu blamieren.“28 Der Gedanke einer jüdischen Verschwörung gegen Wagner seit 1850 wurde wiederholt von Houston Stewart Chamberlain, „den intellektuellen Wundermann, überragend weitblickenden Weltdeuter, den gesinnungsfesten Germanen“,29 in seiner Wagner-Biographie von 1895, in der er entdecken zu können glaubte, „dass diese ganze Hetze gegen Wagner nur bei den schlechteren Elementen des eigentlichen Judentums Unterstützung fand und in Wahrheit nichts anderes als eine Verschwörung der Talentlosen und Mittelmässigen“30 gegen dieses unerreichte Genie gewesen sei. Ähnlich argumentierte 65 Jahre später der erste Enkel Wagners, Franz Wilhelm Beidler (1901 – 1981), der 1934, wegen seiner marxistischen Ansichten und seiner jüdischen Frau (Ellen Gottschalk) von den Nazis verfolgt, die Ansicht äußerte, „Wagners Antisemitismus war ästhetischer, philosophischer, ökonomischer und sozialer Natur – nur kein konsequenter 27 Lotte Warburg berichtete in ihrem Tagebuch vom 13. April 1933, daß man an Bayreuther Stammtischen erzählte: „Richard Wagner stamme auch von Juden ab, und die Cosima sei die Tochter einer Jüdin; der Fürst Wrede hat eine geborene Gutmann von Gutmannsthal zur Frau, seine Mutter war eine Jüdin, und so geht es fort.“ (Eine vollkommene Närrin durch meine ewigen Gefühle, hrsg. von Wulf Rüskamp, Bayreuth 1989, S. 144. Hervorhebungen im Original). 28 Briefwechsel mit seinen Verlegern. II. Briefwechsel mit B. Schott’s Söhne, hrsg. von Wilhelm Altmann, Mainz 1911, S. 121, Anm. 2. Cosima Wagner berichtete in ihrem Tagebuch vom 17. Juni 1869 von dem Besuch Catulle und Judith Mendès‘ aus Paris, die ihnen erzählt haben, „daß der Verleger R.[ichard]’s, Schott, am Tag der ersten Aufführung von Rienzi die übersetzte Judenbroschüre in Paris anzeigte, der erschrockene [Jules Etienne] Pasdeloup stürzt hin und kauft nach seiner Meinung alles auf. Tags darauf bietet ihm Schott zum selben Preis tausend Exemplare, die er noch vorrätig habe, an!“ (Cosima Wagner: Die Tagebücher. Band I: 1869 – 1877. Ediert und kommentiert von Martin Gregor-Dellin und Dietrich Mack, München/ Zürich 1976, S. 129). 29 Hans von Wolzogen: Lebensbilder, Regensburg 1923, S. 100. 30 Houston Stewart Chamberlain: Richard Wagner. [7. Aufl. 1923.] Ungekürzte Volksausgabe zum Richard Wagner-Jahr 1933, München 1933, S. 227. Fälschlicherweise behauptete Chamberlain, Wagner habe allein den deutschen Kunstgeschmack und die deutsche Sittlichkeit gegen die Juden verteidigt: „Nirgends wird das ökonomische Interesse von ihm berührt, und nirgends artet diese prinzipielle Erörterung in persönliche Gehässigkeit aus.“ (S. 227 f.).

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Rassen-Antisemitismus“.31 Und noch fast 70 Jahre danach wird Wagners Antisemitismus umhüllt von einer theoretischen Gloriole, die mit Theorie im wissenschaftlichen Sinn nicht das Geringste zu tun hat und deshalb besser stürbe als zu leben: „Wagners Ausfälle leben von einer unmittelbaren Anwendung seiner Theorie auf sein Feindbild.“32 Zweifellos hat die große Resonanz auf die Judenbroschüre 1869 – vergleiche dazu das 6. Kapitel – Wagner darin bestärkt, seine frühen antisemitischen Überzeugungen, die zwischen 1850 und 1869 eher in den Hintergrund getreten waren, durch entsprechende Lektüre zu verfestigen, was dann vor allem in Bayreuth verstärkt durchgeführt wurde, worauf wir noch zu sprechen kommen. In den letzten Lebensjahren Wagners nahmen diese antisemitisch-rassistischen Anklagen allerdings abstruse und irrationale Formen an. So zeigte er etwa Cosima am 5. März 1882 Bilder von Alexander und Konstantin aus einem Buch des Schriftstellers August Wilhelm Grube (1816 – 1884), das sein Sohn Siegfried durchgesehen hatte, und gab dazu folgenden Kommentar ab: „‘Das ist die jetzige jüdische Kunst, keine Wahrhaftigkeit mehr, alles übertüncht.‘ – ,In zehn Jahren‘, sagt er noch, ,wird man es nur noch mit Juden zu tun haben‘, wie er erfährt, daß der Übersetzer des Parsifal’s ein Jude sei.“33 Statt dankbar darüber zu sein, daß selbst Juden seine Dichtungen übersetzten, entwickelte er eine paranoische Angsthysterie vor einer Überflutung des gesellschaftlichen Lebens durch Juden, die zu seiner Zeit nicht einmal ein Prozent der deutschen Bevölkerung stellten. Zwei Tage später, am 7. März, kam Wagner beim Frühstück auf die Rassenfrage zu sprechen und vertrat die absurde These, „durch die Frauen würden sie [die Juden, H.K.] verändert, z. B. wenn ein Arier eine Semitin heirate, käme diese kreolische Race zum Vorschein“. Der nationalsozialistische Lebensborn mit seiner Ideologie der reinrassischen arischen Abstammung hat deutsche Frauen und Männer dazu gezwungen, rein deutsche Ehepartner zu wählen und sie im gegenteiligen Fall mit der Todesstrafe bedroht, um die ,Reinheit des Blutes‘ zu erhalten.

31 Franz Wilhelm Beidler: Wagner-Verfälschung in Hitler-Deutschland (1934), in: ders., Cosima Wagner. Ein Porträt, Würzburg 2011, S. 289. Ein nationalsozialistischer Rassismus war auch gar nicht nötig, um für Hitlers Rassenwahn anziehend zu sein. Auch der massive Einfluß der Hegelschen Machtstaatstheorie auf den Nationalsozialismus beruhte auf interpretatorischen Variationen und nicht auf einer identischen Kopie. Vgl. dazu Hubert Kiesewetter: Von Hegel zu Hitler. Die politische Verwirklichung einer totalitären Machtstaatstheorie in Deutschland (1815 – 1945) – (1974). 2., völlig veränd. und erw. Aufl., Frankfurt am Main 1995, S. 231 ff. 32 Peter Hofmann: Richard Wagners politische Theologie. Kunst zwischen Revolution und Religion, Paderborn 2003, S. 169. 33 Cosima Wagner: Die Tagebücher. Band II: 1878 – 1883. Ediert und kommentiert von Martin Gregor-Dellin und Dietrich Mack, München/Zürich 1977, S. 905. Eintrag vom 6. März 1882. Dort auch das nächste Zitat.

5. Kapitel

Die verstärkende antisemitische Rolle des Bayernkönigs Ludwig II. Die antisemitische und rassistische Explosion in den beiden letzten Lebensjahrzehnten Wagners ist ohne den bayerischen König Ludwig II. nicht zu verstehen und zu erklären, obwohl dieser Wagners Antisemitismus gar nicht teilte. Mit knapp 19 Jahren bestieg Ludwig II. den bayerischen Thron und war der Wagnerschen Musik – er hatte 15jährig die Aufführung des Lohengrin miterlebt und seitdem Wagner begeistert in sich aufgesogen – so verfallen, daß er selbst seinen Thron bzw. die Monarchie aufgegeben hätte, um nur mit Wagner vereint zu sein. Richard Wagner und Cosima von Bülow haben diese verblendete Abhängigkeit nicht nur schamlos ausgenutzt, indem sie den König auf übelste Weise hinters Licht führten, um reichlich sprudelndes Geld aus ihm herauszupressen, sondern sie haben den Herrscher mit speichelleckerischen Schmeicheleien umgarnt, die für einen normalen Menschen eigentlich unvorstellbar sind. In der unentdeckten Stille des Tagebuchs vom 16. Juli 1869 gab Cosima ihre wahre Ansicht über den Monarchen kund, nämlich „wie seltsam das Schicksal, das gerade diesen unfähigen König so begeistert für R.‘s Werke macht, wie seltsam schrecklich!“1 Wagner war sich vollständig darüber im Klaren, daß ohne die üppige königliche Finanzierung seine gesamte Lebenssituation äußerst düster ausgesehen hätte, wie er in einem Brief vom 1. Mai 1871 an den Hofsekretär Lorenz von Düfflipp freimütig einräumte: „Ohne die von seiner Majestät so reichlich mir erwiesenen Wohlthaten, würde ich nie auch nur an die Ausführung meines Werkes haben denken können: nur durch Ihn wird es jetzt und für alle Zeiten vorhanden sein.“2 Doch ebenso war er von der Überzeugung durchdrungen, daß seine geniale und unübertroffene Meisterschaft diese finanzielle Unterstützung vollauf verdiene und er sich wegen dieser Ausbeutermentalität kein schlechtes Gewissen machen müsse. Wagners verschiedene Versuche, ideelle und finanzielle Unterstützung von deutschen Fürsten und Königen zu erhalten, reichen bis in die 1840er Jahre zurück, weswegen seine spätere gegnerische Haltung gegenüber Bismarck und das deutsche Kaiserreich nicht auf objektiven Gründen beruhte, sondern mit seiner verletzten Eitelkeit erklärt werden kann. So schrieb er z. B. am 20. November 1841 aus Paris 1

Cosima Wagner: Die Tagebücher. Band I: 1869 – 1877. Ediert und kommentiert von Martin Gregor-Dellin und Dietrich Mack, München/Zürich 1976, S. 129. 2 Zitiert in: König Ludwig II. und Richard Wagner. Briefwechsel, bearbeitet von Otto Strobel. III. Band, Karlsruhe i. B. 1936, S. XIV (Hervorhebung im Original).

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5. Kap.: Die Rolle des Bayernkönigs Ludwig II.

an den Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV. wegen der Aufführung des Fliegenden Holländer u. a.: „Und so mußte es sein; Preußens erhabener König mußte es sein, der die Losung gab, Preußens an Kunstmitteln so überreiche Hauptstadt mußte der Brennpunkt sein, in welchem sich die Blüte der deutschen Civilisation vereinigen sollte!“3 Friedrich Wilhelm IV. (1795 – 1861) hatte gerade im vorhergehenden Jahr den preußischen Thron bstiegen und vertrat neben einem christlich-germanischen Staatsideal romantische Vorstellungen von einem Gottesgnadentum, das in einer ständischen Gesellschaft eingebettet werden sollte, doch er war auch wissenschaftlich und künstlerisch sehr interessiert. An Franz Liszt appellierte Wagner mehrmals vergeblich, ob dieser nicht seine guten Beziehungen zum Hof des Großherzogs von Sachsen-Weimar-Eisenach dazu benützen könnte, Wagner zu finanzieren, d. h. ihm entweder eine lebenslange Pension „oder doch für 3 Jahre, bis zur Vollendung der Nibelungen mir eine jährliche, und zwar genügende Subvention aussetze“.4 Als der Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg-Gotha Liszt anbot, 500 bis 800 Taler für die Instrumentierung von dessen Oper Santa Chiara zu zahlen und außerdem die gut bezahlte Kapellmeisterstelle in Gotha zu übernehmen, schrieb Wagner an Liszt am 5. März 1853: „Gesteh‘, diese Herren sind alle Juden geworden!!“5 Noch konnte Wagner finanziell einigermaßen auskommen, da eine Dresdner Gönnerin, Julie Ritter, ihm bis 1858 jährlich 800 Gulden zukommen ließ. Mit Beginn der 1860er Jahre wurden Wagners Schulden jedoch so drückend, daß er selbst in Wien, wo er die Uraufführung von Tristan und Isolde vorbereiten und sich dort auf Dauer niederlassen wollte, trotz einer vornehm ausgestatteten Wohnung Gefahr lief, polizeilich verfolgt und als Betrüger zu einer Gefängnisstrafe verurteilt zu werden. Der ,waschechte Wagnerianer‘ Ludwig Karpath teilte 1934 seinen Lesern mit, daß damals ein österreichischer Gläubiger einen Schuldenarrest gesetzlich erwirken konnte, was den überschuldeten Wagner 1864 bewog, Wien so schnell wie möglich zu verlassen. „Ein Bruder des späteren Kriegsministers Freiherrn von Schönaich brachte Wagner in einem Wagen nach dem nahegelegenen Hütteldorf, wo er die Eisenbahn bestieg.“6 Offenbar war der wachsende Schulden3

Richard Wagner: Sämtliche Briefe. Band I, hrsg. von Gertrud Strobel und Werner Wolf, Leipzig 1967, S. 538. 4 Richard Wagner: Sämtliche Briefe. Band VIII, hrsg. von Hans-Joachim Bauer und Johannes Forner, Leipzig 1991, S. 244. Brief vom 6. Januar 1857. 5 Richard Wagner: Sämtliche Briefe. Band V, hrsg. von Gertrud Strobel und Werner Wolf, Leipzig 1993, S. 215 (Hervorhebung im Original). 6 Ludwig Karpath: Begegnung mit dem Genius (1934). 2. Aufl., Wien/Leipzig 1934, S. 210 (Hervorhebung im Original). Die Bezeichnung „waschechter Wagnerianer“ findet sich auf S. 226. Der spätere Schauspieler Felix Schweighofer war Lehrling im Kommissionsladen Kramer und Schaller auf dem Wiener Haarmarkt und berichtete Karpath 1910 über einen Wechsel in Höhe von 4.000 Gulden an Wagner. Sein Chef, Herr Kramer, sprang bei einer Besprechung plötzlich auf und sagte: „Was machen wir mit dem Musikanten in Penzing? Der Wechsel ist nicht einzutreiben. Wir haben bereits den gerichtlichen Beschluß, daß wir Richard Wagner pfänden dürfen. Und wenn die Exekution nichts ergeben sollte, so werden wir ihn in den Schuldarrest stecken lassen.“ (Zitiert in ebd., S. 212). Noch Jahre später, als Wagner ein ,gemachter Mann‘ war, scheint ihn seine damalige Schuldenlage selbst im Traum verfolgt zu

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berg ein Grund, warum er im 1862 geschriebenen Vorwort der veröffentlichten Dichtung seines Bühnenfestspiels Der Ring des Nibelungen zwei wirkungsvolle Trümpfe ausspielte, nämlich 1. den Nationalismus und 2. das Mäzenatentum der Fürsten. 1. „Die deutsche Nation rühmt sich so viel Ernst, Tiefe und Ursprünglichkeit nach, daß ihr nach dieser einen Seite hin, wo sie, wie eben in Musik und Poesie, sich wirklich an die Spitze des europäischen Völkerreigens gestellt hat, nur eine formgebende Institution zu geben nöthig erscheint, um zu erkennen, ob sie wirklich diesen Ruhm verdiene.“7 Es ist wieder der deutsche Geist, der ja schon gegenüber dem Judentum beschworen worden ist, der für die gelungene Eigentümlichkeit eines neuen und höchst bedeutungsvollen Kunstwerkes herangezogen wird, um das Nationalgefühl der Deutschen anzustacheln. Außerdem forderte Wagner, daß sich kunstliebende und wohlhabende Menschen vereinigen, um für die Aufführung seines Werkes die nötigen und reichlichen Geldmittel zu beschaffen. 2. „Sehr leicht fiele es dagegen einem deutschen Fürsten, die hierfür keinen neuen Satz [d. h. keinen neuen Beschluß, H.K.] aus seinem Budget zu beschaffen, sondern einfach nur denjenigen zu verwenden hätte, welchen er bisher zur Unterhaltung des schlechtesten öffentlichen Kunstinstitutes, seines, dem Musiksinn der Deutschen so tief bloßstellenden und verderbenden, Operntheaters bestimmte.“8 Wagner, dem es offenbar gleichgültig war, woher die Gelder zu seiner üppigen Finanzierung stammten, auch wenn ein regierender Monarch natürlich über größere finanzielle Ressourcen verfügte, glaubte einen solchen großzügigen Mäzen – obwohl er nicht mehr hoffte, „die Aufführung meines Bühnenfestspieles zu erleben“9 und die Verwirklichung eines solchen finanziellen Kraftaktes „leider nicht in meiner Macht“ stünde – mit dem nationalen Köder zu locken, daß er dadurch einen ungeheuren Einfluß auf die weitere Entwicklung der deutschen Kunst gewinnen würde, „auf die Bildung eines wahrhaften, nicht dünkelhaften nationalen Geistes, seinem Namen aber unvergänglichen Ruhm gewinnen müßte. – Wird dieser Fürst sich finden?“. Er fand sich, auch wenn ein solches Ansinnen in der Musik- und Geistesgeschichte wohl einmalig ist, denn als der wagnerbegeisterte Sohn König Maximilians II. Joseph nach dem plötzlichen Tod seines Vaters mit 18 Jahren am 10. März 1864 den bayerischen Thron bestieg, war es für ihn ein lebensbeglückendes Herzensanliegen, Wagner diese finanziellen haben, wie Cosima in einem Tagebucheintrag vom 28. März 1875 mitteilte: „Er brauchte 4.000 Th. und suchte sie bei Juden, wovon einer ihm inmitten des Geschäfts die Arie aus der ,Weißen Dame‘ vorsang und R. nicht umhin konnte zu bemerken: Er hat eigentlich eine gute Tenor-Stimme!“ (C. Wagner: Die Tagebücher, Bd. I (wie Anm. 1), S. 905). 7 Richard Wagner: Gesammelte Schriften und Dichtungen. Band 6 (1888). Nachdruck Hildesheim 1976, S. 279. 8 Ebd., S. 280. 9 Ebd., S. 281. Dort auch die beiden nächsten Zitate. In dem für seinen königlichen Freund im Sommer 1864 geschriebenen Aufsatz „Über Staat und Religion“ glorifizierte Wagner Ludwigs II. Gunstbezeugungen: „Unbeugsame Gerechtigkeit, stets bereite Gnade – hier ist das Mysterium des königlichen Ideals!“ (Richard Wagner: Gesammelte Schriften und Dichtungen (1888). Band 8. Nachdruck Hildesheim 1976, S. 27, Hervorhebung im Original).

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Wünsche zu erfüllen. Er hatte den Text vom Ring des Nibelungen gelesen und fühlte sich davon zutiefst angerührt, weshalb er bereit war, diesen Musiker ausfindig zu machen und ihn zu unterstützen. Der Musikschriftsteller Ludwig Nohl (1831 – 1885), dem wir einfühlsame Biographien von Wolfgang Amadeus Mozart (1863), eine dreibändige Lebensbeschreibung von Ludwig van Beethoven (1864 – 1877) sowie andere biographische Studien über Christoph Willibald Gluck, Franz Liszt und Richard Wagner verdanken, schilderte die mißliche Lage Wagners im Frühjahr 1864 in Wien. (Nohl hatte Wagner am 4. Mai 1864 nach dessen Besuch beim König in München seine Beethoven-Biographie überreicht, zum gleichen Zeitpunkt, als auch der Hofkapellmeister Franz Lachner (1803 – 1890) Wagner beglückwünschte).10 Nohl hatte in Wien die Frau seines Verlegers, die Sängerin Luise Dustmann, kennengelernt, die die Hauptrolle in Tristan und Isolde spielen sollte und schon vorher zu einem Gastspiel in München eingeladen worden war. Wegen der tödlichen Erkrankung des Bayernkönigs Maximilian II. mußte die Münchener Vorstellung, in der Luise Dustmann mitwirken sollte, abgesagt werden, doch in diesem Zusammenhang erfuhr Nohl von einem sehr musikalischen Wiener Arzt etwas über die persönliche Situation Wagners in Wien: „Er war nicht lange Zeit vorher aus Petersburg zurückgekommen. Seine Conzerte hatten ihm 35.000 Rubel, d. h. etwa 100.000 Mark, eingebracht, eine Summe, die er noch nie gesehen, viel weniger besessen hatte. Er hielt sich jetzt für einen Crösus. Sein Sammetsopha sollte 3.000 fl. gekostet haben und die eigens für seine Villa fabricirten Tapeten standen am Graben zur Bewunderung ihrer Pracht aus. Seine Unfähigkeit, für sich persönlich mit dem Gelde umzugehen, ließ jedoch die russischen Rubel rasch genug zerrinnen und mein ärztlicher Bekannter entschuldigte eines Morgens seine Eile, er müsse bei seinen hohen Patienten noch heute 10.000 fl. zusammenbringen, widrigenfalls seinem berühmten Freunde das Schlimmste bevorstehe.“11 Es ist aus heutiger Sicht unverständlich, wie Wagner die in Rußland erhaltene riesige Geldsumme so schnell verschleudert hat, doch wir werden noch einige Beispiele unerhörter Verschwendungssucht kennenlernen. Ebenso unverständlich ist das untertänige Gehabe eines der mächtigsten deutschen Monarchen gegenüber einem Musiker, dessen eigentliche Karriere noch gar nicht richtig begonnen hatte, was eventuell mit Ludwigs homosexuellen Neigungen zu tun gehabt hat. Dazu ein bezeichnendes Beispiel: Etwas mehr als zwei Jahre nach ihrem ersten Zusammentreffen, am 15. Mai 1866, sandte der König ein Tele10

Cosima Wagner berichtete am 20. Dezember 1871 in ihrem Tagebuch, daß bei den Proben zu einem Konzert in Mannheim Lachner, „der sonst sein Leben in Intrigen gegen R. zubringt, es verlangt, R. den Orchestern vorzustellen; dabei hielt er die absurdeste Rede; R. erhaben ruhig dastehend, er sich windend, ihn einmal mit dem deutschen Kaiser vergleichend, dann von seiner künstlerischen wie literarischen Tätigkeit sprechend, die seit Jahrzehnten die Welt in Spannung erhielt“. (C. Wagner: Die Tagebücher, Bd. I (wie Anm. 1), S. 40, Hervorhebung im Original). 11 Ludwig Nohl: Das moderne Musikdrama. Für gebildete Laien (1884). Neudruck Vaduz 1984, S. 231.

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gramm an Wagner in Tribschen, in dem er seine stets „steigende Sehnsucht nach dem Theuern“12 bekundete und anfragte: „Wenn es des Theuren Wunsch und Wille ist, so verzichte ich mit Freuden auf die Krone und den öden Glanz, komme zu ihm, um nimmer mich von ihm zu trennen.“13 Dies sei das einzige Mittel, „mich vor Verzweiflung und Tod zu bewahren. Dieß ist nicht die Eingebung flüchtiger Aufwallung, es ist fürchterlich qualvolle Wahrheit!“ Wagner schrieb daraufhin am gleichen Tag einen langen Brief an den König – in dem er energisch den Rücktritt Ludwig Frh. von der Pfordtens forderte –, der damit beginnt: „Edler, geliebter, wundervoller Freund! Ein halbes Jahr Geduld!!…“.14 Denn ein plötzlicher Rücktritt des Königs hätte Wagner ja nicht nur seines finanziellen Rückhalts beraubt, was er unbedingt verhindern wollte und mußte, sondern auch seines politischen Einflusses. Und tatsächlich, als die bayerische Armee am 10. Juli 1866 den preußischen Truppen bei Kissingen unterlag, richtete Ludwig II. am 21. Juli einen Brief an Cosima von Bülow, in dem er seine Abdankung ankündigte und die teuerste Freundin bat, „bereiten Sie den Geliebten auf meinen Entschluß vor, die Krone niederzulegen“,15 um mit ihm ewig vereint sein zu können. Der aufgeschreckte Wagner antwortete darauf drei Tage später mit einem sechsseitigen Brief,16 in dem er dem Monarchen folgenden Vorschlag machte: „Erklären Sie offen, dass Sie auch nicht König heissen wollen, wo Sie es nicht wirklich sein können, so haben Sie einen zweiten Grund für Ihren Entschluss angegeben, der Ihrem Lande Heil, und Ihnen Ruhm wird… Während Deutschland politisch sich vielleicht in einen langen Winterschlaf unter preussischer Obhut begiebt, bereiten Wir wohl und ruhig und still den edlen Herd, an den sich einst die deutsche Sonne wieder anzünden soll.“17 Diese bayerische Geldsonne strahlte vor allem über Wagner, der seine ganze Phantasie bemühen mußte, um den amtsmüden König umstimmen zu können! Um nur einige Beispiele des sprudelnden königlichen Geldflusses an Wagner anzuführen, der ja schließlich zu seiner Ausweisung aus München führte. Am 10. August 1866 teilte Johann Frh. von Lutz Wagner im Auftrag von Ludwig II. mit: „Ich that, wie befohlen, und erhielt nunmehr den Bescheid, daß Seine Majestät Ihnen den Betrag von 5.000 Franken außer dem Jahresgehalt [das waren inzwischen 8.000 Gulden, H.K.] bewilligen, um damit die Miethe für die für jetzt ausgewählte Wohnung [nämlich das Haus in Tribschen, H.K.] zu entrichten.“18 In 12 König Ludwig II. und Richard Wagner. Briefwechsel, bearbeitet von Otto Strobel. II. Band, Karlsruhe i. B. 1936, S. 34. 13 Ebd., S. 35. Dort auch das nächste Zitat. 14 Ebd., S. 37. 15 Ebd., S. 74. 16 Vgl. ebd., S. 76 – 81. 17 Ebd., S. 81 (Hervorhebung im Original). 18 König Ludwig II. und Richard Wagner. Briefwechsel, hrsg. von Otto Strobel. V. Band, Karlsruhe i. B. 1939, S. 27 (Hervorhebung im Original). Am 22. Dezember 1867 wurde folgendes angeordnet: „Ludwig II. verfügt, daß die ab 1. Nov. 1867 vorgesehene Minderung von Wagners Jahresgehalt um 1.000 Gulden (auf 7.000 Gulden!) nicht eintreten und Wagners

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einem ,Bericht‘ an den König vom August 1865 schlug Wagner trotz des ungewöhnlich hohen Jahresgehalts folgende Übereinkunft vor: „1. Seine Majestät der König überlässt mir für die Dauer meines Lebens, das ihm gehörige Grundstück No. 21 Briennerstrasse, zur miethfreien Benutzung. 2. Die Benutzung eines Vermögens von zweimal hunderttausend Gulden wird mir, gleichfalls für die Dauer meines Lebens, in der Weise zugewiesen, dass 40.000 fl. hiervon sofort meiner eigenen gutdünkenden Verwaltung baar übergeben, 160.000 fl. jedoch durch die königliche Cabinetskasse verwaltet, und mir nur die Zinsen mit fünf Procent in vierteljährlichen Raten von fl. 2.000 zugestellt werden, wogegen alle bisher von Seiner Majestät mir gewährten Gnadengehalte und Subventionen, sowie die sie betreffenden Stipulationen, als zurückgezogen und aufgelöst betrachtet sein würden.“19 Auch wenn diese Zahlungen so nicht zustande kamen, wie wir noch hören werden, kann man diese Forderungen schon als ziemlich dreist ansehen, denn sie überstiegen die Gehälter der bayerischen Minister bei weitem. Den finanziellen Wert aller Zuwendungen Ludwigs II. an Wagner genau zu berechnen, ist schwierig, da der König neben den Geldzahlungen vielfältige Geschenke Richard und Cosima Wagner übersandt und gegeben hat, die nicht erfaßt wurden. Insgesamt erhielt Richard Wagner aus der königlichen Zivilliste nach internen Berechnungen an Gehältern, Mieten und Sachgeschenken in den 19 Jahren der spannungsreichen ,Freundschaft‘ 562.914 Mark und 987.609 Mark wandte der König für Separatvorstellungen auf, was umgerechnet auf heutige Werte mehrere Millionen Euro ausmachte. Diese wenig aussagekräftigen Zahlen – da in ihnen ja keineswegs die königlichen Ausgaben für Reisen nach Tribschen oder Bayreuth bzw. Empfänge oder Geschenkzuwendungen, wie Bilder, Wandbehänge, Blumengrüße etc., enthalten sind –, können die eigentliche Bedeutung Ludwig II. für Wagner nicht widerspiegeln. Sie müßten etwa verglichen werden mit den Löhnen von Arbeitern – so erhielt Wagner 1860 für das Rheingold 10.000 Francs vom Musikverlag B. Schott’s Söhne in Mainz, während ein Arbeiter 1,5 Franc pro Tag und ein Gymnasiallehrer 5.300 Francs im Jahr verdiente –, doch solche Vergleiche sind nicht nur statistisch schwer aussagekräftig durchzuführen. Erst recht ist die Aussagekraft gering, wenn diesen Zahlen die 32,4 Mio. Mark für den Bau der Königsschlösser entgegengehalten werden und damit unterstellt wird, Wagner habe den König nicht „schamlos ausgebeutet“.20 Der Sänger Emil Scaria (1838 – 1886)21 regelmäßiger jährlicher Bezug weiterhin 8.000 Gulden betragen sollte.“ (Ebd., S. 204. Hervorhebungen im Original). 19 König Ludwig II. und Richard Wagner. Briefwechsel, hrsg. von Otto Strobel. I. Band, Karlsruhe i. B. 1936, S. 148. Der Techniker Wilhelm Bauer (1822 – 1875), der ein unterseeisches Minenboot gebaut hatte und am 23. November 1865 Wagner besuchte, bekam von Ludwig II. einen jährlichen Ehrensold von 400 Talern! (Vgl. ebd., S. 225, Anm. 1). 20 Manfred Eger: Richard Wagner und König Ludwig II., in: Richard-Wagner-Handbuch, hrsg. von Ulrich Müller und Peter Wapnewski, Stuttgart 1986, S. 171. Eger rechnete noch andere Ausgaben damit auf, zum Beispiel: „Allein für die Einrichtung des Schlafzimmers in Herrenchiemsee wandte der König rund 652.000 Mark auf – 90.000 Mark mehr als für Wagner

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erhielt für die Partie des Gurnemanz bei den Festspielen 1882 eine Gage von 3.400 Mark, eine Näherin verdiente damals pro Tag dreieinhalb Mark.22 Wagner und Cosima von Bülow hintergingen von Anfang an den König in betrügerischer Absicht, nicht nur, weil Cosima in ihren vielen Briefen an den König bis zu ihrer Vermählung mit Wagner ihn immer nur als ihren ,Freund‘ bezeichnete. Es ist außerdem moralisch höchst bedenklich, daß sie den König bedrängten, sich mit einem Brief vom 11. Juni 1866 an Hans von Bülow – der zu diesem Zeitpunkt in Tribschen weilte und danach nach Basel ging, ehe er am 18. April 1867 nach München zurückkehrte, um sein Amt als Hofkapellmeister fortzuführen – für die verlorene Ehre von Cosima einzusetzen, als bereits die erste uneheliche Tochter Isolde geboren und sie mit der zweiten Tochter Eva schwanger war. Wagner hatte nach heftigen Angriffen der Münchener Presse wegen seines sexuellen Verhältnisses mit Cosima diesen Brief an Bülow selbst entworfen, in dem es u. a. hieß: „Da Mir Ihr uneigennützigstes, ehrenwerthestes Verhalten, ebenso wie dem musikalischen Publikum Münchens Ihre unvergleichlichen künstlerischen Leistungen, bekannt geworden; – da Ich ferner die genaueste Kenntniss des edlen und hochherzigen Charakters Ihrer geehrten Gemahlin, welche dem Freunde ihres Vaters, dem Vorbilde ihres Gatten mit theilnahmvollster Sorge tröstend zur Seite stand, Mir verschaffen konnte, so bleibt Mir das Unerklärliche jener verbrecherischen öffentlichen Verunglimpfungen zu erforschen übrig, um, zur klaren Einsicht des schmachvollen Treibens gelangt, mit schonungslosester Strenge gegen die Uebelthäter Gerechtigkeit üben zu lassen.“23 Der König fügte der Abschrift dieses Briefentwurfs noch die Zeilen an: „Tausend herzliche Grüße aus treuer Freundesseele den theuren Bewohnern des trauten Tribschen. Stets bleibe ich, Mein lieber Herr von Bülow, Ihr sehr geneigter Ludwig.“24 Hans von Bülow ließ in falscher Einschätzung das ganze königliche Schreiben an ihn – von dem er wohl nicht wußte, daß es eigentlich von Richard Wagner stammte und von seiner Frau Cosima am 7. Juni gegenüber dem König, ihrem Freund, wärmstens empfohlen wurde, denn „ich habe drei Kinder, denen ich es

insgesamt, und die Brautkutsche für die königliche Hochzeit, die dann nicht stattfand, kostete 1,7 Millionen Mark.“ (Ebd.). 21 Am 22. Dezember 1875 hatte Cosima noch in ihr Tagebuch geschrieben: „Herr [Adolf von] Groß kommt des Abends mit einem Schreiben des Herrn Scaria, derselbe fordert für den Monat August 2.700 Thaler und für jeden Probe-Abend 250 Mark – R. verzichtet auf die Mitwirkung dieses Herrn. Nun muß er sich nach einem neuen Hagen umsehen!“ (C. Wagner: Die Tagebücher, Bd. I (wie Anm. 1), S. 954). 22 Vgl. Rainer Trübsbach: Geschichte der Stadt Bayreuth 1194 – 1994, Bayreuth 1993, S. 238. Im Jahr 1876 sahen die Lohnverhältnisse in Bayreuth folgendermaßen aus: „Für Arbeiter, deren Schicht 10 – 12 Stunden betrug, und die keine Sonn- und Feiertagszuschläge erhielten, wurden damals Tagelöhne zwischen 2 und 6 Mark gezahlt.“ (S. 239). 23 König Ludwig II. und Richard Wagner. Briefwechsel, II. Bd. (wie Anm. 12), S. 54. 24 Zitiert ebd., S. 55, Anm. 1.

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schulde, ihnen den ehrenwerthen Namen ihres Vaters fleckenlos zu übertragen“25 – am 19. Juni 1866 in den Münchener Neuesten Nachrichten und einen Tag später in der Augsburger Abendzeitung abdrucken. Er wollte wohl damit bezwecken, daß seine Frau Cosima, die ja noch zwischen München und Tribschen hin und her pendelte und sich vielleicht noch nicht endgültig für eine Scheidung entschieden hatte, zu ihm zurückkehrte. Und wie reagierte Ludwig II.? Die zeitweilige Verstimmung des Königs, als er erfuhr, daß sowohl sein unsterblicher Freund Wagner als auch Cosima von Bülow ihn hintergangen hatten, ist durchaus nachvollziehbar, aber sie hielt gegenüber dem geliebten und angebeteten teuersten Freund und Cosima nicht lange an, denn am 10. Februar 1869, d. h. noch vor der Hochzeit der beiden, teilte er ihnen mit, „daß es von Ihnen und von der Freundin etwa als ein Erkalten der Freundschaft angesehen wird, habe ich, ich hoffe es zu Gott, nicht von Euch treu Geliebten zu besorgen, von Euch, die Ihr wißt, mit welch nie erlöschender, heiliger Liebesgluth ich an Euch hänge; und diese Liebe und Freundschaft überdauert das Grab, durch ihre Macht öffnen sich die Thore des Paradieses“.26 Ein solcher Monarch des zweitgrößten deutschen Staates stand im politischen Rampenlicht, als Otto von Bismarck die Reichseinigung vorbereitete, aber er war seiner königlichen Aufgabe in keiner Weise gewachsen! Diese wiederholten Zumutungen gegenüber dem König hatten am 3. Mai 1864 begonnen, als ein Abgesandter Ludwigs II., Kabinettsekretär Franz Seraph von Pfistermeister (1820 – 1912), Wagner, der im vornehmen Stuttgarter Hotel Marquardt residierte, mitteilte, daß der König ihn in München sehen und sprechen wolle. Wagner, der die nahe Erfüllung seiner geheimsten Träume in greifbarer Nähe wähnte, schrieb am gleichen Tag: „Theurer huldvoller König! Diese Thränen himmlischester Rührung sende ich Ihnen, um Ihnen zu sagen, dass nun die Wunder der Poesie wie eine göttliche Wirklichkeit in mein armes, liebesbedürftiges Leben getreten sind! – Und dieses Leben, sein letztes Dichten und Tönen gehört nun Ihnen, mein gnadenreicher junger König: verfügen Sie darüber, als über Ihr Eigenthum! Im höchsten Entzücken, treu und wahr Ihr Unterthan Richard Wagner.“27 Können wir diese ungewöhnliche Liaison einigermaßen sachgerercht beurteilen? Der Maler Friedrich Pecht (1814 – 1903), der nicht nur ein Bild Wagners für den König gemalt hatte, sondern auch seit 1885 die Zeitschrift Kunst für Alle herausgab, kennzeichnete dieses Verhältnis 1894 m. E. recht treffend, wenn er in der Schwärmerei des jungen Königs etwas Kindliches, Schutzbedürftiges sah, während Wagner „die väterlichste Zärtlichkeit für ihn zur Schau trug, aber zugleich auch in Gedanken gleich das ganze Königreich mitregierte“28 und seinen finanziellen Nut25

Zitiert ebd., S. 56, Anm. 1. Ebd., S. 255. 27 König Ludwig II. und Richard Wagner. Briefwechsel, I. Bd. (wie Anm. 19), S. 11. 28 Friedrich Pecht: Aus meiner Zeit. Lebenserinnerungen. II. Band, München 1894, S. 134. „Wagner hat daher ganz sicher keinen guten Einfluß auf den jungen König ausgeübt, jedenfalls dessen Neigung, sich in eine phantastische Traumwelt einzuspinnen, nur gesteigert.“ (S. 135). 26

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zen daraus zog. Noch am 4. Mai 1882 schrieb Ludwig II. an Wagner, der nach einem sechsmonatigen Italienaufenthalt nach Bayreuth zurückgekehrt war: „Heute vor 18 Jahren ward mir das nie genug zu preisende Glück zutheil, Sie, hochgeliebter Freund, zum ersten Male zu sehen, mit dem ich mich längst in Liebe und Verehrung verbunden fühlte! Gelobt für immer sei dieser heilige, wonneverleihende Tag!“29 Der König beauftragte gleich nach der ersten Begegnung mit Wagner seinen Hofrat Pfistermeister, diesem das Pelletsche Landhaus bei Kempfenhausen am Starnberger See zur Verfügung zu stellen, das in der Nähe von Schloß Berg lag, wo sich der König gerne aufhielt und sich nun mit seinem Angebeteten vereinigen konnte. Nichts in der Lebensart und Lebensphilosophie Wagners spricht dafür, daß diese überschwänglich ekstatischen Äußerungen „anfangs zweifellos ehrlich“30 gemeint waren, sondern Wagner wußte, daß der König von seiner Musik besessen und der Einzige war, der ihn aus seiner existentiellen Finanzkatastrophe erretten konnte. Deshalb scheint es auch der damaligen Situation unangemessen zu glauben, es klafften 1864 „unüberwindbare Widersprüche zwischen dem einstigen Materialisten und revolutionären Demokraten Wagner und dem nunmehrigen Essayisten“,31 denn Wagners raffinierte, aber auch waghalsige Taktik ging vollständig auf. Nach der zerrütteten finanziellen Lage, in der sich Wagner noch Ende April 1864 befand, war er am 23. März wegen drohender Schuldhaft aus Wien über München zu dem befreundeten Ehepaar François und Eliza Wille in Mariafeld bei Zürich geflohen, wo er unentdeckt bleiben konnte. Eliza Wille schilderte den dortigen Aufenthalt mit erstaunlichem Einfühlungsvermögen und gab eine bezeichnende Aussage Wagners wieder: „Die Welt ist mir schuldig, was ich brauche! Ich kann nicht leben auf einer elenden Organistenstelle, wie Ihr Meister Bach!“32 Aber natürlich konnte er nicht länger in Mariafeld bleiben, ohne entdeckt zu werden. Als Wagner von Mariafeld nach Stuttgart abgereist war, erschien dort Pfistermeister, die vermittelnde Instanz, daß Ludwig nach der schicksalhaften Begegnung der beiden zum offenbar un(be) leerbaren Goldesel wurde, und fragte vergeblich nach dem finanziell bankrotten Flüchtigen. Wagner war sich seiner selbstverschuldeten Schuldenmacherei durchaus bewußt, denn er schrieb am 17. Oktober 1865 an den Oberappelationsgerichtsrat Johann Frh. von Lutz nicht ganz wahrheitsgetreu, daß die ihm „zur Ver29

König Ludwig II. und Richard Wagner. Briefwechsel, III. Bd. (wie Anm. 2), S. 237. M. Eger: Richard Wagner (wie Anm. 20), S. 164. 31 Hans Mayer: Richard Wagner. Mitwelt und Nachwelt, Stuttgart/Zürich 1978, S. 132. An diesem schicksalhaften 3. Mai wurde Wagner, der mit Freunden ein Mittagsmahl einnahm, von Karl Eckart über den Tod Giacomo Meyerbeers in Paris informiert, was er so kommentierte: „Weißheimer fuhr mit bäurischem Lachen auf über diesen wunderbaren Zufall, daß der mir so schädlich gewordene Opernmeister gerade diesen Tag nicht mehr hatte erleben sollen.“ (Richard Wagner: Mein Leben, hrsg. von Martin Gregor-Dellin. Band II, München 1963, S. 755, Hervorhebung im Original). 32 Zitiert von Eliza Wille: Erinnerungen an Richard Wagner (1894). 4. Aufl., Zürich 1982, S. 64. In einem Brief aus München vom 4. Mai 1864 bedankte sich Wagner bei Frau Wille und teilte ihr den Entschluß des Königs mit: „Alle Not soll von mir genommen sein, ich soll haben was ich brauche – nur bei ihm soll ich bleiben.“ (Zitiert ebd., S. 75). 30

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fügung gestellten Geldmittel zur Befreiung aus einer unmittelbar vorangehenden Katastrophe, welche sich auf eine versuchte aber verunglückte Niederlassung bei Wien bezog, bestimmt u. verwendet waren“.33 Seine Schulden waren nämlich viel älter und Wien nur der gescheiterte Versuch, vielleicht doch noch etwas Geld zu verdienen oder aufzutreiben, was ja bekanntlich mißlang. Im ersten Jahr der ,Königsfreundschaft‘, mit Rückwirkung vom 1. Mai 1864, erhielt Wagner 4.000 Gulden (fl.) Gehalt – in heutigem Geldwert umgerechnet etwa 52.000 E, deren Empfang er am 9. Mai 1864 schriftlich bestätigte34 –, was am 1. November 1864 für drei Jahre auf 6.000 fl. erhöht, aber wegen anderer Zuwendungen in den folgenden Jahren mehrmals reduziert bzw. wieder vermehrt wurde. Ein solches ,Gehalt‘ war für die damaligen Verhältnisse schon außergewöhnlich, aber noch ungewöhnlicher war, daß es vor allem ein nicht rückzahlbarer Wechsel auf zukünftige Opern war. Außerdem ließ der König am 10. Juni 1864 einen Barbetrag von 16.000 fl. an Wagner auszahlen und zusätzlich 4.000 fl., um die Kosten des Umzugs von Wien nach Kempfenhausen zu finanzieren. Am 26. November 1865, mit Wirkung vom 1. Oktober, wurde das jährliche Gehalt bis vorerst 31. Oktober 1867 auf 8.000 fl. festgesetzt, eine ungeheure Summe, ganz abgesehen von dem „königlichen Gnadengeschenk“ von 40.000 fl. zur Begleichung dringender Schulden.35 Die königliche Kabinettskasse schloß am 18. Oktober 1864 mit Wagner einen Vertrag, daß er für die Komposition des Ring des Nibelungen, dessen baldige Vollendung er dem König zugesagt hatte, ein Honorar von insgesamt 30.000 fl. erhielt, von denen 16.500 fl. sofort ausbezahlt wurden. In etwas mehr als einem Jahr wurden Wagner nach unserer Berechnung vom König also finanzielle Zuwendungen von mindestens 1.046.500 Euro gewährt, was verständlicherweise den geharnischten Unmut vieler Bayern auf Wagner und den später so vielumjubelten Monarchen hervorrief! Am 2. März 1869 bekam Wagner außerdem ein Darlehen von 10.000 fl., von dem er zwischen April 1869 und Dezember 1870 33 König Ludwig II. und Richard Wagner. Briefwechsel, hrsg. von Otto Strobel. IV. Band, Karlsruhe i. B. 1937, S. 92. 34 Vgl. König Ludwig II. und Richard Wagner. Briefwechsel, V. Bd. (wie Anm. 18), S. 6. Als Anmerkung zu einem Schreiben von Wagner an Hofrat Lorenz von Düfflipp vom 13. September 1867, daß der König als Entschädigung für das Münchener Haus ihm einen sechsjährigen Mietzins zugesagt habe, ergänzte Otto Strobel: „Der König hatte am 17. März 1867 durch Handschreiben verfügt, daß er Wagner für die Jahre 1867 bis einschließlich 1872 zur Schadloshaltung für den Entgang freier Wohnung 18.000 fl. bewillige und zwei Drittel dieser Summe, also 12.000 fl., sofort auszubezahlen seien.“ (Ebd., S. 67, Anm. 2). 35 Vgl. König Ludwig II. und Richard Wagner. Briefwechsel, I. Bd. (wie Anm. 19), S. 148. Die Kabinettskasse wurde von Ludwig II. am 18. Oktober 1865 angewiesen, diesen Betrag an Wagner auszubezahlen. Eine detaillierte Aufstellung der einzelnen Zahlungen von 1864 bis 1883, auch in tabellarischer Form, präsentierte Otto Strobel: Richard Wagner und die Königlich Bayerische Kabinettskasse, in: Neue Wagner-Forschungen, hrsg. von Otto Strobel, Karlsruhe i. B. 1943, S. 103 ff., in der es abschließend heißt: „Ludwig II. hat in der Zeit vom 1. Mai 1864 bis 13. Februar 1883 für Wagner 521.063,01 Mark in bar und – so weit feststellbar – 41.851,00 Mark in Form von Geschenken aufgewendet, für ihn also im Verlaufe von 18 3/4 Jahren insgesamt 562.914,01 Mark verausgabt.“ (S. 145).

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monatlich 166 fl. 40 kr. (Kreuzer), d. h. insgesamt 3.500 Gulden, zurückzahlte, ehe der König ihm am 31. August 1871 die Rückzahlung erließ.36 Es ist heute schwer nachzuvollziehen – selbst wenn man homosexuelle Neigungen unterstellt –, welche Gefühlsaufwallungen der König bei der Anwesenheit seines geliebten Musikers empfunden haben muß. Nach der ersten Begegnung der beiden am 4. Mai schrieb Ludwig II. an seine Kusine Herzogin Sophie Charlotte in Bayern: „Hättest Du Zeuge sein können, wie sein Dank mich beschämte, als ich ihm mit der Versicherung die Hand reichte, daß sein großes Nibelungenwerk nicht nur seine Vollendung, sondern auch eine Aufführung nach seinem Sinne finden werde, daß ich dafür treu Sorge tragen würde… Ich hatte die Empfindung, als hätten wir die Rollen getauscht. Ich bückte mich zu ihm nieder und zog ihn mit dem Gefühl ans Herz, als spräche ich für mich die Eidesformel: ihm in Treue allzeit verbunden zu bleiben.“37 Wagner war sich dieser emotionalen Abhängigkeit wohl bewußt, denn er komponierte zum 19. Geburtstag des Königs am 25. August 1864 den Huldigungsmarsch, nachdem dieser ihm einen Tag nach dem ersten Zusammentreffen geschrieben hatte: „Die niedern Sorgen des Alltagslebens will ich von Ihrem Haupte auf immer verscheuchen, die ersehnte Ruhe will ich Ihnen bereiten, damit Sie im reinen Aether Ihrer wonnevollen Kunst die mächtigen Schwingen Ihres Genius ungestört entfalten können!“38 Wagner begab sich einen Tag vor dem Geburtstag mit 80 Militärmusikern nach Füssen, doch wegen der Anwesenheit der Königin-Mutter Marie in Hohenschwangau konnte der Marsch nicht aufgeführt werden und Wagner mußte dem spendablen König seine Glückwünsche mündlich übermitteln. Erst am 5. Oktober 1864 wurde der „Huldigungsmarsch“ im Hof der Münchener Residenz unter Leitung Wagners und in Anwesenheit Ludwigs II. uraufgeführt. Im monarchischen Geist verwandelten nicht nur der König und Wagner, sondern auch wagnerbegeisterte Schriftsteller diese merkwürdige Begegnung zweier ungleicher Charaktere zu einem himmlischen Fest ewiger Glückseligkeit: „Aus Ludwigs glückstrahlenden Augen, deren märchenhafter Glanz jeden in ihren Bann schlug, spricht ein so hoher sittlicher Ernst, sein ganzes Wesen atmet solchen Seelenadel und echte Königswürde, daß Wagner sich der Erfüllung eines Wunders gegenübersieht.“39

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Vgl. König Ludwig II. und Richard Wagner. Briefwechsel, III. Bd. (wie Anm. 2), S. 51, Anm. 2. 37 Zitiert von Eberhard Kretschmar: Richard Wagner. Sein Leben in Selbstzeugnissen, Briefen und Berichten, Berlin 1939, S. 204. 38 König Ludwig II. und Richard Wagner. Briefwechsel, I. Bd. (wie Anm. 19), S. 11. Brief vom 5. Mai 1864. Und er fügte hinzu: „Unbewußt waren Sie der einzige Quell meiner Freuden von meinem zarten Jünglingsalter an, mein Freund, der mir wie keiner zum Herzen sprach, mein bester Lehrer und Erzieher. – Ich will Ihnen Alles nach Kräften vergelten!“ (Hervorhebungen im Original). 39 Julius Kapp: Richard Wagner. Eine Biographie (1910). 32. Aufl., Berlin-Schöneberg 1929, S. 123.

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Wagner nutzte die königliche Besessenheit nicht nur für sein finanzielles Wohlergehen, sondern er versuchte noch andere Pläne zu verwirklichen, die aus der Kabinettskasse finanziert werden sollten. Am 27. Dezember 1864 kam Gottfried Semper (1803 – 1879), der ja im Mai 1849 in Dresden mit Wagner auf den Barrikaden gekämpft hatte, auf Drängen Wagners von Zürich nach München, wurde zwei Tage später vom König empfangen, der ihm den mehrjährigen Auftrag zum Bau eines großen Festspielhauses in München erteilte, in dem der Ring uraufgeführt werden sollte. Als schließlich Sempers Berufung nach München und der Bau des Festspielhauses gescheitert war, verlangte dieser am 25. März 1868 durch seinen Rechtsanwalt Friedrich von Schauß eine Entschädigung bzw. das Resthonorar, die ihm allerdings erst am 20. Januar 1869 in Höhe von 37.305 fl. von der Kabinettskasse ausgezahlt wurde. Ludwig II. schrieb Ende dieses Jahres 1864 an Wagner, daß das verflossene Jahr das schönste und glücklichste seines ganzen Lebens gewesen sei, obwohl sein Vater Maximilian II. Joseph gestorben war und er eigentlich Trauer zeigen sollte. „Dank, heißen Dank für die wonnigen Freuden, die Sie mir bereitet haben, für alle Mühen, die Sie in diesem Jahre auf sich genommen. – O so viel, so viel möchte ich Ihnen sagen; wie sehnt sich meine Seele nach Ihnen! … Ewig, ewig Ihr treuer Ludwig.“40 150 Jahre nach der Thronbesteigung Ludwigs gibt es vor allem in Bayern demokratische Bürger, die von diesem ,heißen Dank‘ an ihren König immer noch erfüllt sind und vor wonniger Freude über dessen Regierungszeit überfließen. Wagner, der den König zuletzt am 7. Oktober 1864 gesehen hatte, antwortete an Silvester 1864: „Letztes! Höchstes! Schönstes meines Lebens! Wundervoller König!… O mein König! Mein Erlöser!! Nun wanderte ich durch die Hölle, – das Jahr des Purgatorio’s ging zu Ende: aus den heiligen Flammen des Fegefeuers trete ich neu und verjüngt in die himmlischen Paradies-Jahre! Was ich singe und schaffe, es kann nur noch eine Hymne sein: Selig der da glaubt! Das Himmelreich ist unser! O König, wir werden siegen!! Heil, Heil! Zum neuen Jahre neuen Lebens Heil! Dank und ewige Liebe! Aus tiefstem Herzen unterthan – Richard Wagner.“41

Wagners Intentionen bezogen sich keineswegs ausschließlich auf ,siegreiche‘ Kompositionen, sondern er nutzte diese königliche Abhängigkeit auch dazu, sich unbefugt in die bayerische Politik einzumischen und den Monarchen nach seinen 40 König Ludwig II. und Richard Wagner. Briefwechsel, I. Bd. (wie Anm. 19), S. 44. Brief vom 31. Dezember 1864. 41 Ebd., S. 44 f. (Hervorhebungen im Original). Am 20. Oktober 1866 bat Ludwig II. Cosima von Bülow, ihrem ,Freund‘ Wagner herzlich und dringend nahezulegen, seine Briefe nicht mehr mit ,Unterthan‘ zu unterschreiben: „Er ist ein Gott, der von des Himmels Höhen herabstieg, die neue, beseligende Lehre den Menschen zu verkünden, die Welt zu erlösen! ich bin von Ihm erkoren, Seinen Willen den Mitmenschen kund zu thun und bin glücklich, Sein Freund zu heissen, ich, der ich Sein Diener bin; wie aber kann ein Gott wie Er eines Menschen Unterthan sein, nimmer kann dies sein.“ (Cosima Wagner und Ludwig II. von Bayern. Briefe, hrsg. von Martha Schad, Bergisch Gladbach 1996, S. 271).

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Vorstellungen zu beeinflussen. Das kurze Zwischenspiel von Ludwig Frh. von der Pfordten (1811 – 1880) als bayerischer Außenminister und Vorsitzender des Ministerrats, der am 4. Dezember 1864 von Ludwig II. berufen wurde, hat z. B. die königliche Stellung Wagners eher befördert als ihr geschadet, obwohl Wagner in Form einer politischen Einmischung energisch auf dessen Ablösung drängte. Pfordten hatte bereits 1848 als sächsischer Kultusminister die außermusikalischen bzw. revolutionären Aktivitäten des Dresdner Hofkapellmeisters mißtrauisch verfolgt und sich auch gegen die Wagnerschen Musik offen ausgesprochen. Zwar konnte Pfordten mit viel taktischem Geschick erreichen, daß Wagner am 10. Dezember 1865 aus München ausgewiesen wurde, aber damit hatte er sich die Gunst des Königs vollständig verspielt. Es ist ja ohnehin merkwürdig, daß der angeblich unpolitische Wagner sich massiv in die politischen Angelegenheiten des bayerischen Königs und der bayerischen Regierung einmischte, ohne daß ihm dies von seinen Verehrern, die meistens großen Wert auf aufrechtes und standhaftes Verhalten legen, angekreidet oder vorgehalten wurde. Folgende peinliche Situation zu Beginn des Jahres 1865 war der Ausweisung Wagners vorausgegangen, nachdem er dem König ein Bild von sich selbst des Malers August Friedrich Pecht (1814 – 1903) überreicht hatte und dafür 1.000 Gulden aus der Kabinettskasse verlangte, obwohl Pecht nur die Hälfte dieses Betrages gefordert und erhalten hatte.42 Pfordten war es wohl auch, der veranlaßte, als Cosima von Bülow mit ihrer ältesten Tochter Daniela und dem Kindermädchen am 20. Oktober 1865 das königliche Geschenk von 40.000 Gulden an der Hofkasse abholte, daß ein Großteil davon in Münzgeld ausbezahlt wurde, weswegen die fast tonnenschwere Fracht in Fuhrwerken abtransportiert werden mußte. Natürlich gab es auch Phasen der verärgerten Abkühlung zwischen Wagner und Ludwig II., z. B. als der König erfuhr, wie wir bereits gehört haben, daß er hintergangen worden war, doch dieser Unmut war aufgrund seiner irrationalen Schwärmerei und vielleicht auch seiner homosexuellen Neigungen bald wieder verraucht. So schrieb etwa der König am 14. August 1865 aus Hohenschwangau: „Grund meines Daseins, Entzücken des Lebens, innig geliebter Freund!… Ja, mein Geliebter, wir wollen uns stets vertrauen, der feste Glaube an unsre Sendung wird Uns nie verlassen; das weiß ich; die That trete in’s Leben!“43 Knapp zwei Jahre später teilte Wagner, der von seiner eigenen ,Sendung‘ vollkommen überzeugt war, in einer wenig realitätsbezogenen Weise dem geliebten, wundervollen Freund vor seiner Abreise nach Paris am 12. Juli 1867 mit, daß er diese Stadt, „den Sitz der Herrschaft der Materie“,44 hasse und als edles Gegengewicht zu diesem verfluchten Sodom und Gomorrha eine Geistesherrschaft aufrichten wolle; „und in Ihnen, mein heißgeliebter Freund, verehre ich den Priester dieses reinen Cultus, den König 42

Vgl. dazu Eduard Stemplinger: Richard Wagner in München (1864 – 1870). Legende und Wirklichkeit, München 1933, S. 24 ff. 43 König Ludwig II. und Richard Wagner. Briefwechsel, I. Bd. (wie Anm. 19), S. 152 f. 44 König Ludwig II. und Richard Wagner. Briefwechsel, II. Bd. (wie Anm. 12), S. 185. Dort auch das nächste Zitat.

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dieses idealen Reiches, das Wir gründen wollen auf dieser Welt der Bosheit und des Hasses“. Und so ähnlich ging es in den nächsten Jahren weiter, was die Frage aufwirft, wer von Beiden stärker an Realitätsverlust oder geistiger Verwirrung gelitten hat, obwohl ich glaube, daß Wagner eine kalkulierte Strategie verfolgte, die der König gar nicht verstand. Als Wagner dem König die Münchener Uraufführung des Rheingold verweigerte, schrieb Ludwig II. wie ein aufmüpfiges Kind, das seinen gekränkten Willen durchsetzen will, am 30. August 1869 an seinen Hofrat Lorenz von Düfflipp: „Wahrhaft verbrecherisch und schamlos ist das Gebahren von ,Wagner‘ und dem Theatergesindel; es ist dieß eine offenbare Revolte gegen Meine Befehle, und dieses kann Ich nicht dulden“.45 Er setzte nicht nur den Namen seines geliebten Freundes jedesmal in Anführungszeichen, sondern er scheint diesen Brief und das Telegramm nach einem plötzlichen Wutanfall diktiert zu haben, weshalb er auch den Dirigenten Hans Richter als ein Bauernopfer absetzen ließ. Der düpierte König war jedoch in all den stürmischen Jahren eindeutig derjenige, der Wagner sehnsüchtig nachtrauerte und unter seiner Abwesenheit litt, bei ihm Abbitte leistete und um Vergebung bat, wie dies etwa aus einem Brief vom 28. Januar 1866 deutlich hervorgeht, der mit der verzweiflungsvollen Anrede beginnt: „Mein einziger Freund! Wonne des Lebens! Höchstes Gut! Alles! – Heiland, der mich beseligt!“46 In diesem Zusammenhang bedauerte Ludwig II. zwar den Tod von Wagners erster Frau Minna, die am 25. Januar 1866 in Dresden an einem Herzleiden gestorben war, doch vor allem wünschte er sich die baldige Rückkehr seines göttlichen Freundes und versicherte ihm, daß er mit seinem Minister von der Pfordten endgültig gebrochen hat: „Glauben Sie ja nicht, daß ich von jenem Pf.[ordten] Ihre Rückkehr erbetteln will, nein, nein!“ Erst einige Zeit nach der schmachvollen Niederlage Bayerns in der Schlacht bei Kissingen im preußischösterreichischen Krieg trat Pfordten am 19. Dezember 1866 zurück, was von Wagner wohl als große Genugtuung empfunden wurde. Bereits etwa ein Jahr vorher, am 19. Januar 1866, schrieb Wagner ziemlich unwirsch und lapidar, da nur der König in der Lage sei, der bedürftigen Welt Wagners künstlerisches Werk zu schenken: „Ich kehre nicht nach München zurück! Sagen Sie diess den Elenden, die

45 König Ludwig II. und Richard Wagner. Briefwechsel, V. Bd. (wie Anm. 18), S. 101. Einen Tag später richtete Ludwig ein Telegramm an Düfflipp, in dem es heißt: „Den nichtswürdigen und ganz unverzeihlichen Intriguen von ,Wagner‘ und Consorten muß schleunigst ein Ende gemacht werden… Wagt W.[agner] sich neuerdings zu widersetzen, so ist ihm der Gehalt für immer zu entziehen, und nie mehr ein Werk von ihm auf der Münchener Bühne aufzuführen.“ (Ebd., S. 102). 46 König Ludwig II. und Richard Wagner. Briefwechsel, I. Bd. (wie Anm. 19), S. 290. Dort das nächste Zitat. Der König schrieb ihm auch: „Geben Sie die Niederlassungsgedanken im fremden Lande auf, ach es können nur Irrfahrten sein! – Hieher, theurer, einziger Freund!“ (S. 291). Schon am 15. Januar 1866 hatte der König an Wagner geschrieben: „Ich beschwöre Sie, lassen Sie noch ein paar Monate ruhig vorüberziehen, dann kann Vieles anders werden; o die Zeit hat eine sichre Heilkraft! dann wird, wie ich glauben darf und hoffen, Ihre Rückkehr kein politischer Akt mehr sein!“ (Ebd., S. 285).

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Sie betrügen und verrathen: Sagen Sie ihnen aber auch, dass Sie – König von Bayern sind und – bleiben werden!“47 In einem vom König finanzierten, vornehmen Haus im schweizerischen Tribschen – am 4. April 1866 hatte Wagner an Cosima von Bülow in München telegraphiert, daß er ein großes Landhaus über dem Vierwaldstätter See bei Luzern gemietet habe, d. h. von Genf nach dorthin am 15. April umzog – widmete sich Wagner verstärkt seinen Opernwerken. Zwar hatte der König Cosima an diesem 4. April angeboten, Wagner „mein Jagdhäuschen in der Riß [in der Nähe von München, H.K.] als vorläufigen Wohnsitz anzubieten“48 – doch Wagner war fest entschlossen, dieses Schweizer Refugium vorerst nicht mehr zu verlassen. Trotzdem wies Ludwig II. seinen zweiten Kabinettssekretär, Oberappellationsgerichtsrat Johann Frh. von Lutz, am 10. April 1866 an, Wagner 5.000 Schweizer Franken als Vorauszahlung einer Jahresmiete für das Tribschener Domizil zu überweisen. Dieses taktische und eigentlich brüskierende Verhalten Wagners widerlegt eindeutig die vielfältigen Lobeshymnen auf die angeblich tiefe Freundschaft zwischen diesen beiden ungleichen Charakteren, die eher ein künstlerisch-privates Zweckbündnis war. Wagners künstliche Gespreiztheit gegenüber dem König geht auch aus einem Tagebucheintrag Cosimas vom 20. Dezember 1880 hervor: „Er schreibt seinen Brief an [Arnold] Frege ab und zeigt mir, wie er ihn fehlerlos geschrieben, während er an den König immer sich verschriebe. Hier sei es ihm aber eine liebe, wichtige Aufgabe, die ihm ganz natürlich falle.“49 In Tribschen überarbeitete Wagner auch seinen Judenaufsatz, der 1869 der Gräfin Muchanoff gewidmet war, und blieb dort bis zu seiner Übersiedelung nach Bayreuth am 24. April 1872, während Cosima am 30. April mit ihren fünf Kindern und dem Hund Ruß in Bayreuth eintraf. Eine baldige Rückkehr nach München schloß er weiterhin kategorisch aus, auch wenn sein Gönner ihn anflehte: „Heiß Geliebter, Angebeteter, Herr meines Lebens! Sagen Sie nur ihr Kommen zu! Glauben Sie mir, sonst sterbe ich!“50 In dieser unzerstörbaren Gewißheit, daß der judenfreundliche König seine Seele an ihn verkauft hatte, konnte Wagner in Tribschen seine antisemitischen Gefühle ausleben und niederschreiben. In einem „Tagebuch“, das später Cosima von Bülow für Ludwig II. abgeschrieben hat, wurde ab 21. September 1865 diese sonderbare Erscheinung „eines allerfremdartigsten Elementes“51 ausführlich behandelt und verurteilt: „Polen u. Ungarn wissen, dass sie am Juden zu Grunde gehen werden, 47

Ebd., S. 286 (Hervorhebungen im Original). König Ludwig II. und Richard Wagner. Briefwechsel, hrsg. von Otto Strobel. IV. Band, Karlsruhe i. B. 1937, S. 140. 49 Cosima Wagner: Die Tagebücher. Band II: 1878 – 1883. Ediert und kommentiert von Martin Gregor-Dellin und Dietrich Mack, München/Zürich 1977, S. 643. 50 König Ludwig II. und Richard Wagner. Briefwechsel, I. Bd. (wie Anm. 19), S. 290 (Hervorhebung im Original). 51 C. Wagner: Die Tagebücher, Bd. II (wie Anm. 49), S. 19. Dort auch das nächste Zitat. Oder: „Das widerwärtige Zerrbild des deutschen Geistes sehen wir heute von der jüdischen Speculation dem deutschen Volke als seinen vermeintlichen Spiegel vorgehalten.“ (S. 21). 48

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und einst nur dieser übrig bleiben wird. Der Deutsche, fleissig und gewerbthätig, bürgerlich im rechten vollen Sinne des Wortes, dazu erfindungsreich, sinnend und künstlerisch, sieht sich auf dem eigensten Felde seiner heimischen Thätigkeit zwischen dem Junker und dem Juden eingeklemmt, wie sich diess namentlich in dem preussischen Staatswesen bis zur unläugbarsten Ersichtlichkeit darstellt.“ Die Juden werden wie im Judenaufsatz von 1850 für alle scheinbar verabscheuungswürdigen Erscheinungen im deutschen Sprachraum verantwortlich gemacht: „Die thätigsten und renomirtesten politischen Agitatoren der preussischen u. oesterreichischen Volksvertretung sind Juden; die grossen politischen Journale sind grösstentheils comerziell-politische Unternehmungen jüdischer Banquiers und Literaten: selbst deutsche Zeitungsredactionen können nur Juden zu Correspondenten gewinnen; das Bedürfniss der häuslichen Lectüre, die Gemüthsbildung des Bürgers u. Landmanns wird durch besonders wohlfeile literarisch-industrielle Unternehmungen von Juden besorgt; der eigenste Gedanke des deutschen Geistes, seine innigste musikalische Empfindung, wird dem Volke in der Entstellung des speculativen Judenjargon’s vorgetragen; jüdische Stück- und Musikmacher versehen das Theater mit ihren Neuigkeiten, und jüdische Rezensenten liefern die Kritik unserer Kunstleistungen.“52 Ludwig II. scheinen diese antisemitischen Ausfälle Wagners nicht berührt zu haben, denn der König reiste vom 22. bis 24. Mai 1866 inkognito von der Bahnstation Bießenhofen mit dem Lindauer Schnellzug nach Luzern zu Wagners Geburtstag, verkleidet als Walther von Stolzing, was allerdings in München zu Rücktrittsdrohungen von Ministern führte, weil der König ja am 27. Mai 1866 die bayerische Kammer eröffnen sollte und die Presse seinen Besuch in Tribschen scharf verurteilte.53 Noch ein Wort zum ungeliebten bayerischen Außenminister, der natürlich Wagners antisemitische Einstellung kannte, aber wohl vor allem die bayerische Politik vor schädlichem Einfluß freihalten wollte. Pfordten hielt trotz seiner prekären Lage mit seiner unverblümten Meinung über Wagner nicht zurück, denn als Ludwig II. am 23. Dezember 1866 seinen Staatsminister aufforderte zu erklären, ob er nichts gegen eine Rückberufung Richard Wagners habe, antwortete Pfordten dem König: „Ich halte Wagner für den schlechtesten Menschen unter der Sonne, der den jungen König an Leib und Seele verderben würde. Aus diesem Grunde kann ich nur bleiben, wenn Seine Majestät versprechen, definitiv und ganz und gar von Wagner abzulassen. Dieser Mann und ich können nicht nebeneinander bestehen.“54 Der tapfere Minister wurde daraufhin ziemlich rabiat entlassen und an seine Stelle trat 52

Ebd., S. 20. Zur Täuschung seiner Adlaten schickte er zum Geburtstag an Wagner ein Telegramm: „Heil dem Wonnetage, der den Gottgesandten uns gebracht! Als Himmelssohn stieg der Heilige, Angebetete herab zur Erdenmacht, um zum Lichte sie zu führen. Glück und Segen zum Geburtstage; auf’s neue schwöre ich dem Einzigen ewige Liebe und Treue bis in den Tod. Ludwig.“ (König Ludwig II. und Richard Wagner. Briefwechsel, II. Bd. (wie Anm. 12), S. 42). 54 Zitiert von Egon Caesar Conte Corti: Ludwig I. von Bayern. Ein Ringen um Freiheit, Schönheit und Liebe, München 1937, S. 654 f. 53

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am 31. Dezember 1866 Fürst Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst (1819 – 1901) – von 1894 bis 1900 deutscher Reichskanzler –, der keine Einwände gegen Wagner hegte, während Ludwig II. am 5. Januar 1867 gegenüber Pfordten die undankbaren Worte an Cosima von Bülow richtete: „Pfordten’s dummes Geschrei betrachte ich als die letzten Zuckungen des nichtswürdigen, in den Staub getretenen Wurmes.“55 Der König versicherte außerdem in einem Brief vom 21. November 1867 aus Hohenschwangau seinem geliebten Freund, daß er fest entschlossen sei, „diesen Augiasstall“56 der Stadt München zu reinigen, damit Wagner sich wieder gerne in Münchens Mauern aufhalten möchte, sobald man unter den „böswilligen Krähen und Dohlen aufgeräumt, sie tüchtig gerupft haben, so daß sie es nicht mehr wagen sollen, Unseren Kampfgesang und siegbewußte Hymne durch ihr Gekrächze zu unterbrechen“.57 Aber Wagner verweigerte sich hartnäckig, nach München zurückzukehren, denn er wußte, daß nicht nur von der Pfordten gegen sein Intrigantentum eingestellt war! Ludwig II. scheinen alle diese politischen Verwicklungen von seiner unverbrüchlichen Zuneigung gegenüber Wagner nicht abgebracht, sondern sie im Gegenteil noch verstärkt zu haben. Zur Uraufführung der Meistersinger – nach Marc Weiner „eines der am stärksten antisemitisch geprägten Dramen“,58 die je auf einer Bühne gespielt wurden – in München am 21. Juni 1868 nahm Wagner nämlich an der Seite seines königlichen Mäzens in der Loge Platz. Dies bedeutete nicht nur einen unerhörten Etikettenverstoß, sondern die öffentliche Rehabilitierung des vor zweieinhalb Jahren noch verketzerten und verbannten Wagners, wie die Kemptener Zeitung schrieb, als ihn des „Königs Huld nicht zu schützen vermochte vor der Gehässigkeit des hohen und niederen Pöbels unserer Kunstmetropole“.59 Nachts um 1 Uhr bekannte der schlaflose König Wagner seine außerordentliche Verzückung über die Meistersinger, so als habe er „in das Allerheiligste des Himmels selbst 55 Zitiert in: König Ludwig II. und Richard Wagner. Briefwechsel, II. Bd. (wie Anm. 12), S. 127, Anm. 2. 56 Ebd., S. 204. 57 Ebd., S. 205. Ludwig II. wünschte die Gelegenheit herbei, für Wagner „sterben zu dürfen!“, aber er möchte ihn auch unbedingt wieder sehen, weshalb der Brief mit der emotionalen Hymne endete: „So seien Sie gepriesen, Angebeteter, dem einzig mein Leben geweiht ist, dem mein Herz schlägt bis zum letzten Augenblicke; seien Sie gesegnet für all das Edle, das Sie schufen, o Stern in Sturmesnächten, Gott, der sich der Erdenwelt genaht, um alles Elend zu lindern, um Schmerzen und Tod daraus zu bannen. Selig in Ihrer Liebe, mächtig durch Ihren Willen, kenne ich meine Sendung, halt‘ in Treu‘ ich Dein Gebot.“ (S. 206). Ist es da noch verwunderlich, daß Wagner in Größenwahn und Übermenschentum verfiel? 58 Marc A. Weiner: Antisemitische Fantasien. Die Musikdramen Richard Wagners, Berlin 2000, S. 258. Wagners patriotischer Nationalismus käme in dieser Oper besonders deutlich zum Ausdruck: „Der Jude als fremdartiges, abstoßendes, hinterhältiges Element, das die homogene Unversehrtheit des deutschen Volkes und seiner Kunst bedroht, wird durch Gerüche der Andersartigkeit charakterisiert: Schwefel, Fürze, verbranntes Leder, Pech.“ (Ebd.). 59 Zitiert in: König Ludwig II. und Richard Wagner. Briefwechsel, II. Bd. (wie Anm. 12), S. 233, Anm. 4.

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geschaut“.60 Auf den Briefumschlag schrieb er freudetrunken: „Dem unsterblichen deutschen Meister Richard Wagner.“61 Wagner antwortete am gleichen Tag in „erhabenster Glorie anbetungsvoller Demuth“ zum lange geplanten Abschied: „Jemand rief heute aus, Ihre königliche That mache Sie grösser als drei gewonnene Schlachten. So erkenne ich das Urtheil Ihres Volkes. Dass nichts je Sie selbst möge hierin beirren, werde ich den Neidern, die ihnen ja so nahe treten müssen, jeden erdenklichen Vorwand zur Belästigung für Sie entziehen.“62 Umso erstaunlicher und unverständlicher ist, daß Wagner wenige Monate später, am 11. Januar 1869, an Ludwig Nohl die Zeilen richtete: „Ich sage Ihnen aufrichtig, verehrter Freund, daß ich auf mein ferneres Wirken in München, und zwar durch die Gunst des Königs, auch nicht die mindeste Hoffnung mehr setze, ja daß ich mich selbst sehr ernstlich darauf gefaßt mache, eines Tages jeden Schutzes und jeder Wohlthat von dort beraubt zu sein.“63 Wagner äußerte seinen „allerbestimmtesten Zweifel“, Nohl behilflich sein zu können, denn es sei „eben Alles so niederträchtig“,64 und verwies in diesem Brief auf seine angeblich vollständig hoffnungslose Judenbroschüre. Ob es wirklich eine zutreffende Beschreibung Ludwigs II. ist, daß „dessen höchster Ruhmestitel es ewig bleiben wird, Wagners Genie voll und ganz erkannt und durch seine wunderbare Liebe und nie versagende und versiegende Großmut in den Stand gesetzt zu haben seine staunenerregende Schöpferkraft zur Beseligung der Menschheit zu entfalten“,65 mag dahingestellt sein. Zweifellos ermöglichten jedoch die der mißtrauischen bayerischen Ministerialbürokratie und dem Hofadel unverhältnismäßigen Zuwendungen des Königs Wagner ein sorgloses Leben, auf das er zukünftig nicht mehr verzichten wollte, ganz abgesehen davon, daß sein Antisemitismus sich später zu einer rassistischen Ideologie entfalten konnte. Am 16. Oktober 1865 schrieb Wagner an Ludwig II., daß er sich nicht dem Vorwurf unnötiger Erpressung aussetzen möchte, aber sein zukünftiges künstlerisches Schaffen von einer grundsätzlichen Verbesserung seiner Lebensverhältnisse abhänge: „Von meinem Könige habe ich nur den Glauben auszusprechen, ohne welchen ich Ihm nichts sein kann. Daher nur noch die Versicherung, dass gerade die sofortige Zustellung des erbetenen Capitales der Punkt ist, der mir die Freiheit giebt, ohne welche ich nicht die Würde finden kann, als der Freund meines Königs zu bestehen … Lassen Sie mir widerwärtige und unpassende Contractweitläufig60

Ebd., S. 233. Brief vom 22. Juni 1868. Zitiert ebd., S. 232, Anm. 3. 62 Ebd., S. 234. Beide Zitate. 63 Zitiert von L. Nohl: Das moderne Musikdrama (wie Anm. 11), S. 248. Dort auch das nächste Zitat. 64 Ebd., S. 249. 65 Sebastian Röckl: Ludwig II. und Richard Wagner. 1864 – 1865 (1903). Nachdruck München 1986, S. 160. Auch F. Pecht: Aus meiner Zeit, II. Bd. (wie Anm. 28), S. 141, schrieb 1894: „Denn wird es nicht ewig der größte und vielleicht einzige Ruhmestitel des unglücklichen Ludwigs II. bleiben, daß er diesen großen Künstler richtig erkannte und ihm erst Gelegenheit verschaffte, seine ganze riesige Schöpferkraft zu entfalten?“. 61

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keiten ersparen: Schenken Sie königlich, und überlassen Sie es meinem Gewissen, wie ich dereinst diess königliche Vertrauen erwidere!“66 Man muß schon über ein seltenes und ausgeprägtes Selbstbewußtsein verfügen, dem Monarchen des zweitgrößten Bundestaates im Deutschen Zollverein solche Forderungen stellen zu können, die ihm ja auch gewährt wurden. Wir haben schon gehört, daß der König vieles zu finanzieren bereit war, was sich im Umkreis des Wagnerschen Opernwerkes ansiedeln ließ. Gottfried Sempers Festtheater-Projekt für München, an dem der König sehr interessiert war und das er ebenfalls finanziert hätte, sollte fünf Mio. Gulden kosten, aber die Ministerialbürokratie verhinderte den Bau und Wagner war, wie wir gehört haben, ohnehin nicht mehr daran interessiert, dauerhaft in München zu bleiben. Ludwig II. trieb daraufhin den Bau des Schlosses Neuschwanstein voran und teilte dies zuerst am 13. Mai 1868 seinem einzigen Freund aus Schloß Berg mit: „Ich habe die Absicht, die alte Burgruine Hohenschwangau bei der Pöllatschlucht neu aufbauen zu lassen im echten Styl der alten deutschen Ritterburgen, und muß Ihnen gestehen, daß ich mich sehr darauf freue, dort einst (in 3 Jahren) zu hausen“.67 Nach der ersten Münchener Lohengrin-Inszenierung wurden dort Zimmer und Säle nachgebaut – allerdings wurde das Schloß erst 1886 fertiggestellt, also in dem Jahr, als Ludwig II. am 13. Juni im Starnberger See ertrank –, ganz abgesehen vom Schloß Linderhof, wo in der riesigen Venusgrotte der König den Klängen Wagners nach dessen Tod lauschte. Vielleicht kommt einmal ein echter Wagnerianer auf die Idee, daß diese in der ganzen Welt berühmten Königsschlösser eigentlich Wagner zu verdanken seien, weil der König ohne dessen Opern gar keine Vorbilder gehabt hätte. Was allerdings jeden distanzierten Betrachter erstaunen muß, ist die Tatsache, daß Wagners ansteigernder Antisemitismus überhaupt nicht auf den König abfärbte oder ihn auch nur intensiv beschäftigte. Erst in Bayreuth entwickelte Wagner ausführlicher rassistische Vorstellungen eines judenvernichtenden Antisemitismus, weswegen es notwendig erscheint, die königlichen Ansichten zu diesem Projekt etwas zu erörtern. Nachdem der vom König finanzierte Bau des riesigen Semperschen Festspielhauses in München gescheitert war, besuchte Wagner vom 16. bis 20. April 1871 nach 35 Jahren wieder privat Bayreuth, um seine Pläne für ein eigenes Theater zu verwirklichen, weil ihm nach anfänglich zusagenden Überlegungen das markgräfliche Opernhaus dann doch zu klein war, um seine hochfliegenden Festspielpläne umsetzen zu können. In dieser unbestimmten Entscheidungsphase schrieb er noch am 1. März 1871 an den König, daß er etwa seit einem Jahr die Möglichkeit, den Ring des Nibelungen68 im 66

König Ludwig II. und Richard Wagner. Briefwechsel, I. Bd. (wie Anm. 19), S. 199 f. König Ludwig II. und Richard Wagner. Briefwechsel, II. Bd. (wie Anm. 12), S. 224 f. 68 Allerdings hatte Wagner bereits am 5. November 1855 an Eduard Devrient in Karlsruhe wegen einer möglichen Aufführung des Ring geschrieben: „Wenn alles gut geht, muss ich das Ganze im Sommer 1858 irgendwo aufführen, wobei Sie mir unbedingt helfen müssen. Semper construirt mir mein Theater.“ (Richard Wagner: Sämtliche Briefe. Band VI, hrsg. von HansJoachim Bauer und Johannes Forner, Leipzig 1986, S. 343. Hervorhebung im Original). 67

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Bayreuther Opernhaus aufzuführen, in Erwägung gezogen habe: „Der Ort, den ich im Sinne habe, entspricht in jeder Hinsicht den Anforderungen, welche ich in jenem Vorwort hierfür aufgestellt: er liegt in Bayern und hat somit meinen erhabenen Freund zum Herren. Vorzüglich günstig ist es, daß man dort nicht erst ein Theater zu erbauen hätte.“69 Diese Idee einer Nutzung des Bayreuther Opernhauses hatte allerdings nicht lange Bestand, denn vom 14. bis 16. Dezember des gleichen Jahres reiste der Komponist mit dem Bayreuther Bankier Friedrich von Feustel (1824 – 1891) von München aus offiziell nach Bayreuth, um das Grundstück für sein neues Festspielhaus zu erwerben. An seine inzwischen angetraute Frau Cosima schrieb Wagner am 24. Januar 1872: „Ich bin des besten Muthes, Theure! Sei es Du auch! Trennung und Abschied verschwinde in Nichts vor dem Bewusstsein, gemeinschaftlich für das Ungemeine einzustehen.“70 Ludwig II. war von diesen Bayreuther Plänen nicht besonders begeistert, nicht nur, weil Wagner, der ja die bayerische Ortswahl nur besänftigend erwähnt hatte, dadurch zu weit von ihm entfernt wäre, sondern weil er die Wagnerschen Werke dann kaum noch regelmäßig hören könnte noch selbst miterleben dürfte, wenn sie nicht in München aufgeführt wurden. Gegenüber seinem Hofrat Düfflipp vertrat er am 19. April 1871 sogar die Ansicht, „die Aufführung des ganzen Nibelungenzyklus nächstes Jahr in Bayreuth zu bewerkstelligen [Wagner war davon ausgegangen, daß man im Sommer 1873 den gesamten Ring in einem neuen Bayreuther Theater aufführen könnte, H.K.], ist glatterdings unmöglich; das gebe ich Ihnen schriftlich“.71 Es ist eine der seltenen Äußerungen Ludwigs, in denen er seine eigenen Vorstellungen gegenüber Wagner betont, ohne sich allerdings durchsetzen zu können. Die angeblich preußische Gesinnung der Bayreuther Bürger im österreichischpreußischen Krieg 1866 war dagegen für den bayerischen König ebenso nebensächlich wie seine störrische Reaktion gegenüber dem mit Wagner etwa gleichaltrigen Dichter Emanuel Geibel (1815 – 1884): „Weil dieser in der Begeisterung des Jahres 1870/71 eine Hymne auf den Deutschen Kaiser gedichtet hatte, wurde ihm sein Ruhegehalt entzogen.“72 Der König war sogar bereit, auf die von ihm finanzierten Bühnenbilder und Trachten der Münchner Rheingold- und Walküren-Aufführungen zugunsten Bayreuths zu verzichten und stiftete sofort 25.000 Taler für

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König Ludwig II. und Richard Wagner. Briefwechsel, II. Bd. (wie Anm. 12), S. 320. Otto Strobel zitierte einen Brief Wagners aus Bayreuth vom 20. April 1871 an den Münchener Hofrat Lorenz von Düfflipp, in dem er den ausdrücklichen Wunsch betonte, sich in Bayreuth niederzulassen, aber hinzufügte: „Da dieses Theater andrerseits aber meinem Zwecke durchaus nicht entsprechen kann, habe ich sofort den Wunsch seiner Benutzung zu meinem Bühnenfestspiel vollständig aufgegeben.“ (Ebd., Anm. 2). 70 König Ludwig II. und Richard Wagner. Briefwechsel, IV. Bd. (wie Anm. 33), S. 205. 71 Zitiert in: König Ludwig II. und Richard Wagner. Briefwechsel, II. Bd. (wie Anm. 12), S. 324, Anm. 2. 72 Friedrich Herzfeld: Königsfreundschaft. Ludwig II. und Richard Wagner (1939), Leipzig 1941, S. 278.

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die Kosten des Bayreuther Projekts, d. h. für den Bau des Hauses Wahnfried.73 Erst bei der unten behandelten Anstellung des Juden Hermann Levi als Dirigent in Bayreuth blieb Ludwig II. unnachgiebig, was die Frage aufwirft, was wohl geschehen wäre, wenn der König seine finanziellen Zusagen zurückgenommen bzw. verweigert hätte, wenn Wagner nicht bereit gewesen wäre, seinen Antisemitismus aufzugeben? Die Grundsteinlegung des Bayreuther Festspielhauses erfolgte am 22. Mai 1872 – dem 59. Geburtstag Wagners und nur einen Monat nach dem endgültigen Verlassen von Tribschen – zwar ohne den König, aber dieser sandte ein Telegramm aus Kochel an den Dichterkomponisten: „Aus tiefstem Grunde der Seele spreche ich Ihnen, theuerster Freund, zu dem [für] ganz Deutschland so bedeutungsvollen Tage meinen wärmsten und aufrichtigsten Glückwunsch aus. Heil und Segen zu dem großen Unternehmen im nächsten Jahre! Ich bin heute mehr denn je im Geiste mit ihnen vereint. Ludwig.“74 Die teilweise vertretene Ansicht, daß der Monarch aus einer ärgerlichen Laune heraus oder weil er Wagner nicht mehr wohlgesonnen war, diesem Festakt ferngeblieben sei, scheint mir unbegründet. Ein Weihegruß Ludwigs II. wurde ebenso in einer Kapsel in den Grundstein verschlossen wie der folgende Vers Wagners. In einer Ansprache richtete er sich zuvor an die versammelten Teilnehmer, wobei er seinen Freunden und Gönnern für die finanzielle Unterstützung dankte: „Sie glauben meiner Verheißung, den Deutschen ein ihnen eigenes Theater zu gründen, und geben mir die Mittel, dieses Theater in deutlichem Entwurfe vor Ihnen aufzurichten.“75 Der Vers lautet: „Hier schließ‘ ich ein Geheimniß ein, da ruh‘ es viele hundert Jahr‘: so lange es verwahrt der Stein, macht es der Welt sich offenbar.“

Das anhaltende Wohlwollen des Königs geht auch daraus hervor, daß dieser dem Bayreuther Unternehmen 100.000 Taler Bürgschaft bzw. Vorschuß gewährte, die die königliche Kabinettskasse am 20. Februar 1874 vertraglich zusicherte, wenn dieses Geld von den Einnahmen aus den Patronatsscheinen zurückgezahlt würde, doch erst nach 30jähriger zinsloser Laufzeit erhielt die Münchener Hoftheaterkasse 1906 die letzte Schuldenrate.76 Der II. Artikel dieses Vertrages lautete: „Dieser Betrag wird zu diesem Zwecke [d. h. dem Kauf von Dekorationen, Maschinen und 73 Der Bayreuther Stadtrat faßte am 2. Januar 1872 den Beschluß für den Ankauf von „18 Tgw. 46 Dez. für die Stadtgemeinde Bayreuth um die Summe von 14,540 fl. incl. der den gegenwärtigen Pächtern der fraglichen Grundstücke zu leistenden Entschädigung“, damit Wagners Festspiel- und Wohnhaus dort errichtet werden konnten. (Zitiert in: König Ludwig II. und Richard Wagner. Briefwechsel, II. Bd. (wie Anm. 12), S. XXI). 74 König Ludwig II. und Richard Wagner. Briefwechsel, III. Bd. (wie Anm. 2), S. 3. 75 Richard Wagner: Bayreuth, in: ders., Gesammelte Schriften und Dichtungen (1888). Band 9. Nachdruck Hildesheim 1976, S. 326. Dort auch der folgende Vers. 76 Vgl. Michael Karbaum: Studien zur Geschichte der Bayreuther Festspiele (1876 – 1976), Regensburg 1976, S. 26.

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der Gasbeleuchtung, H.K.] dem Verwaltungsrate von der Kabinettskasse Seiner Majestät Ludwigs II. vorgeschossen und zwar in der Art, daß die Zahlung je nach Bedarf innerhalb des Zeitraumes von eineinhalb Jahren an denselben geleistet wird.“77 Die mehrmalige Weigerung des Monarchen, eine solche Bürgschaft zu übernehmen, war deshalb hinfällig, weil Wagner den König bedrängte, sein durch ihn gefördertes Lebenswerk nicht zu gefährden. Eigentlich sollte das benötigte Geld durch 1.000 Patronatsscheine von je 300 Talern erwirtschaftet werden, aber so viele Freunde und Förderer kamen nicht zusammen – nach zwei Jahren waren es gerade einmal 240 –, auch wenn der Musikalienhändler Emil Heckel (1831 – 1908) in Mannheim dafür einen Deutschen Richard-Wagner-Verein gründete. Die Patrone sollten kostenlos die drei Ringzyklen besuchen können, sonst niemand, es sei denn, daß die Patronatsscheine unter drei Personen aufgeteilt würden, aber der König sprang wieder einmal ein. „Ludwig II. schuf damit die Voraussetzung zu einer der größten Kunsttaten im Leben Wagners wie im Leben unseres Volkes.“78 Was noch viel bedeutender für unsere Überlegungen ist, besteht darin, daß damit gleichzeitig die wichtigsten materiellen Grundlagen für die antisemitische Ideologie eines völkischen Rassismus bis zum Dritten Reich gelegt wurden, die in in dem halben Jahrhundert nach Wagners Tod ausreiften. Wir müssen uns jedoch noch mit der äußerst eigentümlichen Tatsache beschäftigen, daß der bayerische Monarch offenbar den extremen Antisemitismus Wagners nicht sehen wollte oder wissentlich übersah und diesen auch noch davon überzeugen zu können glaubte, jüdische Musiker klaglos zu beschäftigen und anzuerkennen. Wagner akzeptierte die überwiegende Zahl jüdischer Freunde und Bekannten nur dann, wenn sie ihm völlig ergeben waren und seine antisemitischen Ausfälle seelenruhig über sich ergehen ließen, was an einigen Beispielen gezeigt werden soll. Diese oft geleugnete Haltung Wagners macht ein Tagebucheintrag Cosimas vom 12. September 1880 überdeutlich: „Wie wir von der Anhänglichkeit gewisser Juden an R. sprechen, sagt er: ,Ja, sie sind wie die Fliegen, je mehr man sie verscheucht, um so mehr sind sie da‘.“79 Ein besonders krasses Beispiel dafür ist der am 8. Februar 1847 im ukrainischen Starokonstantinow geborene Klaviervirtuose Joseph Rubinstein, der in einem Brief vom 12./24. März 1872 an Wagner in Trib77 Zitiert in: König Ludwig II. und Richard Wagner. Briefwechsel, III. Bd. (wie Anm. 2), S. 32, Anm. 1. 78 F. Herzfeld: Königsfreundschaft (wie Anm. 72), S. 291. „Am 29. Juni [1876] wurde vereinbart, daß der Vorschuß, der unterdessen mit 216.152 Mark und 42 Pfennigen in Anspruch genommen war, erst von dem Geld zurückgezahlt werden mußte, das vom achthundertsten Patronatsschein an einging.“ (S. 299). Außerdem übersandte der König am 16. Juni 1880 dem Hofsekretariat die Verfügung: „Um dem Meister Richard Wagner den seiner Gesundheit nützlichen Aufenthalt in Italien zu verlängern, bewillige ich demselben für die fünf Monate Juni mit Oktober lfd. Jrs. einen Mietbetrag von zusammen 5.200 Lire, welche aus Meiner Kabinettskasse in monatlichen Raten von je 1.000 Lire, bezw. 1.200 Lire im Oktober, an Bankier Feustel in Bayreuth zu bezahlen sind.“ (Zitiert in: König Ludwig II. und Richard Wagner. Briefwechsel, III. Bd. (wie Anm. 2), S. 175, Anm. 2). 79 C. Wagner: Die Tagebücher, Bd. II (wie Anm. 49), S. 599.

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schen freimütig bekannte, daß er zwar ein reicher Jude sei, aber Wagner dennoch bei der Aufführung der Oper Der Ring des Nibelungen nützlich sein könnte, worauf Wagner ihn nach Tribschen einlud.80 Seitdem bewegte sich Rubinstein ständig im Umkreis von Bayreuth, erledigte musikalische Schreibarbeiten oder diente Wagner als Hauspianist – ja er wurde sogar zu Wagners „geliebten jüdischen Hauspianisten“81 ernannt –, auch bei den Aufenthalten in Venedig. „Diesem am Rande des Wahnsinns wandelnden Wesen war nicht zu helfen; als Wagner gestorben war, blieb ihm nur der Selbstmord,“82 war das Urteil eines der engsten Bayreuther Vertrauten Wagners. Wagners gegenüber Cosima geäußerte Meinung über diesen jüdischen Adlatus, der seine ganze Arbeitskraft unentgeltlich für das unerreichte Weltgenie einsetzte, ist im wahrsten Sinne des Wortes verheerend: „Wie wir über das Spiel Josef Rubinstein’s sprechen, sagt R., es sei merkwürdig, wie die Juden eigentlich kein Thema heraushören noch spielen, er erinnere sich, daß Levy in Dresden (nicht der Wiener) den ganzen Holländer durchgespielt habe, ohne das Thema des Holländers zu erkennen.“83 Und über sechs Jahre später, am 28. Dezember 1878, schrieb Cosima in ihr Tagebuch: „R. hatte eine schlimme Nacht, das erregte Gespräch über die Juden hat ihn angegriffen, er rühmt Rubinstein’s Art und Ernst, aber er soll’s Maul halten über die Juden, wie ich von [Richard] Pohl sagte, über seine Frau‘.“84 Wir wissen nicht genau, was in privaten Gesprächen zwischen Wagner und Rubinstein ausgetauscht wurde, da Letzterer keine Aufzeichnungen hinterlassen hat, doch als Rubinstein am 22. Oktober 1882 zu seinen Eltern nach Charkow fuhr und dort von dem Tod Wagners Nachricht erhielt, schickte er Cosima Wagner ein Telegramm: „Gott verleihe Ihnen Kraft, die schwere Prüfung zu ertragen, gewiß Trost ist unmöglich, aber bedeutet, ein Richard Wagner stirbt nicht, nur seine sterbliche Hülle ist abgestreift, sein himmlischer Genius strahlt in desto hellerem Glanze für ewige Zeiten, Ihr inniger mitfühlender Rubinstein.“85 Deutlicher kann man ein indivi80 In dem Brief hieß es u. a.: „Mein Zustand wird immer schlimmer, denn ich erkenne, daß die Juden untergehen müssen; wie sollte ich aber nicht untergehen, da ich selbst Jude bin? Durch die Taufe kann ich nicht untergehen. Mir bliebe nur der Tod! … Aber könnte ich Ihnen nicht bei der Aufführung der Nibelungen nützlich sein? Ich glaube, ich verstehe dies Werk, wenn auch noch nicht vollkommen. – Von Ihnen also erwarte ich Hülfe, und Hülfe, die dringend ist. Meine Eltern sind reich. Die Mittel, um zu ihnen zu fahren, würde ich sogleich haben. Ich erwarte eine Antwort so bald als möglich.“ (Zitiert in: König Ludwig II. und Richard Wagner. Briefwechsel, III. Bd. (wie Anm. 2), S. 229, Anm. 1). 81 Marcel Prawy: „Nun sei bedankt …“. Mein Richard-Wagner-Buch, München 1983, S. 57. 82 Hans von Wolzogen: Lebensbilder, Regensburg 1923, S. 96. 83 C. Wagner: Die Tagebücher, Bd. I (wie Anm. 1), S. 561. Eintrag vom 14. August 1872. 84 C. Wagner: Die Tagebücher, Bd. II (wie Anm. 49), S. 273. 85 Nach Rubinsteins Tod schrieb Cosima am 24. Mai 1885 an ihre Tochter Daniela in Berlin: „Ich konnte nicht umhin an den guten Joseph Rubinstein, dessen durchgelesenen Bände mir jetzt fast nicht aus den Händen kommen, zu denken. [Am 13. Juli 1876 hatte sie nach einem heftigen Streit zwischen Wagner und Rubinstein in ihr Tagebuch geschrieben:

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dualitätsverleugnendes Untertänigkeitsgefühl wohl nicht ausdrücken; am 22. August 1884 erschoß sich Rubinstein in der Nähe von Tribschen und sein Leichnam wurde auf dem Israelitischen Friedhof in Bayreuth beigesetzt, wo sein Vater einen schwarzen Obelisken auf dem Grab errichten ließ! Ist es unter diesen Umständen eine glaubwürdige Aussage, die Geduld der Wagners gegenüber Rubinstein habe „länger als zehn Jahre, bis zu seinem eigenem Tode“,86 angehalten? Soweit einige kritische Bemerkungen zu Wagners menschlicher Einstellung gegenüber einigen angeblich jüdischen Freunden und zurück zu seinem vom König tolerierten Antisemitismus seiner letzten Lebensjahre. Als die erste Parsifal-Aufführung im Bayreuther Festspielhaus am 26. Juli 1882 stattfand, konnte sie allerdings nicht ohne das große Münchener Orchester mit seinem jüdischen Dirigenten Hermann Levi (1839 – 1900) – den Sohn eines jüdischen Oberrabbiners in Gießen, Dr. Benedikt Samuel Levi – aufgeführt werden, über den Wagner am 19. September 1881 an den König geschrieben hatte: „Seinem vorzüglichen Eifer und seiner fast leidenschaftlichen Ergebenheit glaube ich vollständig vertrauen zu können, und suche ihn desshalb gern über sein Judenthum zu beruhigen“.87 Etwa zwei Jahre nach der ersten Parsifal-Aufführung äußerte sich Ludwig Nohl – den Wagner 1877 als Theatersekretär für den Präsidenten des Deutschen Richard-Wagner-Vereins in Mannheim, Emil Heckel, vorgeschlagen hatte, obwohl dieser seit 1875 als Dozent für Geschichte und Ästhetik der Tonkunst am Polytechnikum in Karlsruhe lehrte und 1880 zum Professor an der Universität Heidelberg ernannt wurde – verwundert darüber, daß einem Israeliten die musikalische Leitung dieser Oper übertragen worden sei: „Schärfer kann wohl nicht hervortreten, wie sehr unser Jahrhundert an dem Problem der Ausgleichung zweier grundverschiedener Welt- und Zeitanschauungen angelangt ist und daß es heute mehr als je gilt, aus den Tiefen unserer rein menschlichen Natur heraus dasselbe endlich auch zu lösen.“88 In dieser Einschätzung täuschte sich Nohl auf ähnliche Weise wie Ludwig II. gegenüber Wag-

„Die Klavierproben endigten mit vollständiger Entlassung von Herrn Rubinstein, welcher die traurigsten Eigenschaften seines Stammes hier wiederum bewährt.“ C. Wagner: Die Tagebücher, Bd. I (wie Anm. 1), S. 994.] Hier ist es freilich ein Andres, hier bewundre ich beinahe den Selbstmord; denn zum Christen kann man sich nicht machen; mit der sinnlichen Verkörperung des Ideales verging ihm das Ideal selbst, und ohne Ideal nicht leben zu wollen, ist groß…“. (Cosima Wagners Briefe an ihre Tochter Daniela von Bülow 1866 – 1885, hrsg. von Max Frh. von Waldberg, Stuttgart/Berlin 1933, S. 323). 86 Curt von Westernhagen: Wagner (1968). 2., überarb. Aufl., Zürich 1979, S. 564. 87 König Ludwig II. und Richard Wagner. Briefwechsel, III. Bd. (wie Anm. 2), S. 223. Die demütigende Behandlung Levis in Bayreuth wird ausführlich geschildert von Hannes Heer: „Wir wollen doch die Juden aussen lassen.“ Antisemitische Besetzungspolitik bei den Bayreuther Festspielen 1876 bis 1945, in: Verstummte Stimmen. Die Bayreuther Festspiele und die „Juden“ 1876 bis 1945, Berlin 2012, S. 257 – 280. 88 L. Nohl: Das moderne Musikdrama (wie Anm. 11), S. 236.

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ners Antisemitismus, doch auch Levi beteuerte in einem Brief an seinen Vater vom 14. April 1881: „Daß ich das Werk leite, ist nun kein Geheimnis mehr.“89 Für Wagner bedeutete die unfreiwillige Akzeptanz von Hermann Levi als Dirigent des Münchener Orchesters in Bayreuth ein doppeltes Problem, denn außer der großzügigen Gunst des judenfreundlichen Ludwigs II., ihm Orchester und Dirigenten zur Verfügung zu stellen, waren verleumdende Gerüchte aufgetaucht, daß Levi in einer intimen Beziehung zu Cosima stand, denn sonst hätte ein so christliches Werk Wagners nicht von einem Juden dirigiert werden dürfen. Als Levi von diesen Gerüchten erfuhr, verließ er sofort Bayreuth, aber Wagner forderte ihn in einem eindringlichen Brief auf, zurückzukehren, was Cosima am 2. Juli 1881, offenbar etwas peinlich berührt, so wiedergab: „Um 1 Uhr Zurückkunft unseres armen Freundes Levi auf R.‘s herrliche Erwiderung seines Briefes. Unbefangenste, ja selbst sehr heitre Stimmung bei Tisch. R. fordert hebräischen Wein! Er erzählt viel von den Elefanten aus dem Buche von [Louis] Jacolliot, und vieles wird von Richard mitgeteilt. Am Nachmittag schreibe ich Lusch, in welchem Sinne ich ihr ja zur Begegnung sagte, und teile dies R. mit. Abends erzählt R. vieles aus seinem Leben, die Proben zu Rienzi, und daß nichts Ähnliches ihm widerfahren sei. Da Freund Levi uns erzählt, er sei in dem Dom von Bamberg gewesen und er seine Neigung zum Katholizismus uns zu erkennen gibt, so spricht R. von den kirchlichen Akten bei uns [den Protestanten, H.K.] und rühmt die Einfachheit und Innigkeit derselben. Er gibt Levi zu verstehen, daß er daran gedacht habe, ihn taufen zu lassen und mit ihm zum Abendmahl zu gehen.“90 Noch viele Jahre nach Wagners Tod, am 21. September 1891, schrieb Cosima in einem Brief an Hermann Levi, der sich offenbar darüber beklagt hatte, daß ihm kein freundliches Wort gesagt wurde, aus der Nähe von Luzern: „Ich will Ihnen sagen, was zwischen uns beiden ist; die Eigenschaften, die bei Ihnen mich verletzen, gehören Ihrem Stamme an, und alles Gute und Vortreffliche ist Ihr Eigen und kann daher nicht hoch genug gerühmt werden.“91 Der Nationalsozialist Friedrich Herzfeld, der Wagners antisemitische Schriften ganz genau kannte, schrieb zu Beginn des Zweiten Weltkriegs über Hermann Levi: „Daß Wagners allerchristliches Werk von einem Juden dirigiert werden sollte, stand 89 Zitiert in Richard Wagner: Im Spiegel seiner Zeit, hrsg. von Sven Friedrich, Frankfurt am Main 2013, S. 240. Etwa ein Jahr später, am 13. April 1882, äußerte er sich gegenüber seinem skeptischen Vater über Wagners Antisemitismus: „Auch sein Kampf gegen das, was er ,Judentum‘ in der Musik und der modernen Literatur nennt, entspringt den edelsten Motiven, und daß er kein kleinliches Risches hegt, wie etwa ein Landjunker oder ein protestantischer Mucker, beweist sein Verhalten zu mir, zu Joseph Rubinstein und seine frühere intime Beziehung zu Tausig, den er zärtlich geliebt hat.“ (Zitiert ebd., S. 241). 90 C. Wagner: Die Tagebücher, Bd. II (wie Anm. 49), S. 755 (Hervorhebung im Original). 91 Cosima Wagner: Das zweite Leben. Briefe und Aufzeichnungen 1883 – 1930, hrsg. von Dietrich Mack, München/Zürich 1980, S. 261. Und über die Gesichtszüge Levis auf einem Bild des Malers Fritz Boehle urteilte sie, „das Zersetzte und Zersetzende des Judentumes ist in breiter Form und mit Einfachheit wiedergegeben“ (ebd., S. 396 f. Brief an Hugo von Tschudi vom 24. Mai 1895).

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zu allem in krassem Widerspruch, was er seit je leidenschaftlich bekannt hatte.“92 Doch dieser Widerspruch war nur ein scheinbarer, denn Wagner hatte ja bis dahin sowohl öffentlich als auch gegenüber dem König deutlich gemacht, welche Einstellung er gegenüber Juden einnahm – in dem oben erwähnten Brief schrieb er sogar, daß er den königlichen Wunsch, einen jüdischen Kapellmeister Parsifal dirigieren zu lassen, „dankbar annehme, ohne zu fragen, ob der eine ein Jude ist, der andere ein Christ sei“93 – und wenn sie ihm ihre speichelleckerische Untertänigkeit demonstrierten, war er sogar bereit, sie zu empfangen und mit ihnen zu sprechen sowie mit ihnen zu musizieren. Nach dem Erhalt eines Briefes von Levi am 28. April 1880 sagte Wagner allerdings zu Cosima: „Ungetauft darf er Parsifal nicht dirigieren, ich taufe aber die beiden [außer Levi noch Henry von Rothschild, H.K.], und wir nehmen das Abendmahl alle zusammen.“94 Gleichgültig, ob man diese Äußerung ernst nimmt oder nicht, es kann wohl kaum noch geleugnet werden, daß Wagner seine jüdischen ,Freunde‘ nicht als gleichberechtigt angesehen hat. Selbst im angeblich so kapitalistischen 19. Jahrhundert gab es andere Vorstellungen davon, wie man Freunde menschlich behandelt, d. h. die immer wieder hervorgekramte Entschuldigung von Wagners Antisemitismus, er habe ja jüdische Freunde gehabt, erweist sich als reine Schutzbehauptung. Der wichtigste und entscheidende Grund für Wagner, Hermann Levi zu akzeptieren, war jedoch – obwohl er vorher der Intendanz des Münchener Hoftheaters mitgeteilt hatte, daß er Levi nicht wünsche –, nicht auf diese Aufführung seiner letzten großen Oper verzichten zu müssen, die bis zum 29. August 1882 noch fünfzehnmal wiederholt wurde. Weil ihm das Münchener Hoforchester und Sänger entweder mit Levi oder gar nicht überlassen worden wäre, fügte er sich dieser königlichen Anordnung, denn er glaubte, „durch diese sehr einfache Berufung aller Ungehörigkeit zuvorzukommen“,95 denn eine Weigerung hätte möglicherweise den unersetzlichen Verlust der königlichen Geldzuweisungen bedeutet. Reinhold Frh. von Lichtenberg berichtete, daß Alexander Ritter anwesend war, als Wagner den ultimativen Brief der Münchener Intendanz erhielt, entweder mit Levi oder gar nicht. „Der in höchste Aufregung versetzte Meister stand erst lange schweigend, mit den Fingern an die Scheiben trommelnd, am Fenster, dann drehte er sich um und stieß die Worte hervor: ,So, jetzt öffne ich mein schönes Festspielhaus den

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F. Herzfeld: Königsfreundschaft (wie Anm. 72), S. 332. In dem Vertrag zwischen Ludwig II. und Wagner von 1878 war festgelegt worden, daß die Münchener Musiker und Sänger während der Festspiele von Bayreuth bezahlt werden sollten, doch nach der Fertigstellung der Parsifal-Oper änderte der König diese Bestimmung: „Für vierundvierzig Choristen und dreiundsiebzig Musiker zahlte er rund fünfzigtausend Mark für Reisen nach Bayreuth und den dortigen Aufenthalt.“ (S. 334). 93 König Ludwig II. und Richard Wagner. Briefwechsel, III. Bd. (wie Anm. 2), S. 223. 94 C. Wagner: Die Tagebücher, Bd. II (wie Anm. 49), S. 526. 95 König Ludwig II. und Richard Wagner. Briefwechsel, III. Bd. (wie Anm. 2), S. 223 f.

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Juden‘!“96 Man kann es als geistige Naivität oder verzauberte Blindheit ansehen, daß der König auf Wagners ambivalente Einstellung zu Juden antwortete: „Daß Sie, geliebter Freund, keinen Unterschied zwischen Christen und Juden bei der Aufführung Ihres großen, heiligen Werkes machen, ist sehr gut; nichts ist widerlicher, unerquicklicher, als solche Streitigkeiten; die Menschen sind ja im Grunde doch alle Brüder, trotz der confessionellen Unterschiede.“97 Mit aller rassistischen Rigorosität lehnte Wagner jedoch diesen humanen, aber nach den antisemitischen Beteuerungen Wagners reichlich einfältigen Standpunkt ab, weil er sich ziemlich sicher sein konnte, keine Nachteile von seinem ,geliebten Freund‘ befürchten zu müssen, wenn er in diesem einen Fall einlenkte. Der antisemitische ,Meister‘ hatte in den vorhergehenden Jahren seinen königlichen Gönner nicht im Unklaren darüber gelassen, wie er den jüdischen Einfluß auf die deutsche Kunst und die deutsche Nation einschätzte. Am 26. Januar 1876, also in dem Jahr, als die vom König vorfinanzierten ersten Festspiele – die mit einem finanziellen Defizit von 150.000 Mark endeten98 –, stattfanden, bei denen die Kaiser Wilhelm I. und Don Pedro II. von Brasilien anwesend waren, aber nicht der bayerische König, hatte Wagner bereits an Ludwig II. geschrieben: „Wir wollen niederträchtig sein: diess ist die Losung, seitdem die Jesuiten den Juden unsere Welt in die Hände geliefert haben. Hier ist Alles verloren! Kaiser und Reich mögen sich noch so sehr in ihren Heeresordnungen gefallen: was sie beschützen, ist nicht einen Schuss Pulver werth!“99 Am 22. November 1881 offenbarte Wagner aus Palermo, wo er mit seiner Familie den Winter verbrachte – Ludwig II. hatte einen Salonwagen für die Zugreise nach Neapel zur Verfügung gestellt und seinen Gesandten in 96 Einleitung von: Der Kampf zweier Welten um das Bayreuther Erbe. Julius Knieses Tagebuchblätter aus dem Jahre 1883, hrsg. von Julie Kniese. 2. Aufl., Leipzig 1931, S. 17. In Richard Wagner: Das Braune Buch. Tagebuchaufzeichnungen 1865 bis 1882, hrsg. von Joachim Bergfeld (1975), München/Zürich 1988, wird Levi nicht ein einziges Mal erwähnt. 97 König Ludwig II. und Richard Wagner. Briefwechsel, III. Bd. (wie Anm. 2), S. 226. Brief vom 11. Oktober 1881. Otto Strobel erwähnte in einer Fußnote (ebd., Anm. 2), daß Ludwig II. bei einem Besuch der Fürther Synagoge am 4. Dezember 1866 dem Rabbiner der israelitischen Kultusgemeinde, Dr. Löwy, dazu ermächtigt habe, zu erklären, daß er wie sein Vater Maximilian II. Joseph für die Emanzipation der Juden eintrete. 98 Am 24. September 1878 faßte Friedrich Feustel in Bayreuth in einer Tabelle die Einund Ausgaben bis 30. August 1878 zusammen, die zur Revision an Emil Heckel in Mannheim geschickt wurde. Danach betrugen die Baukosten, Einrichtungen und Kostüme 1.095.052,10 Mark (M.) sowie die Künstlergagen 177.823,99 M. Die Einnahmen beliefen sich auf 724.775,32 M. Patronatsscheine, 233.912, 10 M. Spenden, 216.152,44 M. aus der Kabinettskasse, 95.000 M. Hoftheater-Intendanz und 5.096,32 M. Zinsen, sodaß ein Überschuß von 2.060,09 verblieb. (Vgl. König Ludwig II. und Richard Wagner. Briefwechsel, III. Bd. (wie Anm. 2), S. XXVII). 99 Ebd., S. 74. Joachim Köhler: Wagners Hitler. Der Prophet und sein Vollstrecker. 2. Aufl., München 1997, S. 144, schreibt über das Zusammentreffen des Königs mit dem Meister verharmlosend: „Der alte Revolutionär und der junge Schwärmer lagen sich wie verliebt in den Armen, erklärten sich gegenseitig zu gottgesandten Kunstheiligen, die selbst der Gattenliebe hochherzig abschwören wollten, um sich noch auf dem Wege des ästhetischen Genusses Erlösung zu verschaffen.“

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Rom angewiesen, „auf Wagners zuverlässigsten Schutz während seines Aufenthaltes in Italien bedacht zu sein“100 –, seinem König mit der Anrede: „Mein holder, herrlicher, stäts neu mir aufgehender Königs-Stern!“,101 daß ihm der gottgesandte Monarch nicht böse sein solle, daß er so lautlos und ohne Lebewohl verschwand, aber er wollte wegen seines Unterleibs- bzw. Nervenleidens in frischer Luft und einem milden Klima die Partitur von Parsifal vollenden, was bis zum 13. Januar 1882 gelang. Doch trotz des berauschenden und erquickenden Wetters mit unbewölktem blauem Himmel beschwerte er sich über den in Palermo Klavierauszüge anfertigenden Joseph Rubinstein und Hermann Levi, die ihm „große Noth gemacht“102 hätten. „Diesen Unglücklichen fehlt eben alle die Grundlage einer christlichen Erziehung, welche uns Andere, mögen wir noch so verschieden sein, unwillkürlich sich gleich geartet erscheinen lässt, was zu den peinlichsten Seelenquälereien veranlasst.“ Wagner unterstellte Juden eine Neigung zum Selbstmord, aber er habe große Geduld dafür aufgebracht, ja sogar „wenn von Humanität gegen die Juden die Rede ist, darf ich getrost Anspruch auf Lob erheben“, versicherte er in siegessicherem Selbstbewußtsein seinem judenfreundlichen König, der geblendet den hintergründigen Antisemitismus nicht erkannte. In den internen Gesprächen zwischen Cosima und Richard Wagner liest sich dies allerdings ganz anders, denn als Wagner den judenfreundlichen Brief Ludwigs II. erhielt, schrieb Cosima am 14. Oktober 1881 in ihr Tagebuch, daß „nur ein Passus zu Gunsten der Toleranz gegen die Juden ihm etwas unangenehm ist, wogegen es mir dünkt, als ob Fürsten nicht anders empfinden könnten“.103 Geschickt verstand es Wagner, seinen königlichen Gönner einzulullen, denn daß er selbst gegenüber seinen angeblich jüdischen Freunden keinerlei humanitäres Pardon kannte, mag ein längeres Zitat über die Juden aus demselben Brief an Ludwig II. belegen: „Auch werde ich sie gar nicht mehr los: der Director Angelo Neumann hält sich für berufen, meine Anerkennung durch die ganze Welt durchzusetzen.104 Ich kann gar nichts mehr dazu sagen, und muss mir die Energie 100 Zitiert von Sebastian Röckl: Ludwig II. und Richard Wagner. II. Teil: Die Jahre 1866 bis 1883, München 1920, S. 201. 101 König Ludwig II. und Richard Wagner. Briefwechsel, III. Bd. (wie Anm. 2), S. 227. 102 Ebd., S. 229. Dort auch die beiden nächsten Zitate. Vielleicht schrieb sein Sohn Siegfried deshalb 1923 über Hermann Levi: „Die Kundrynatur stak auch in diesem wie in Joseph Rubinstein. Er war einer der interessantesten und bedeutendsten Juden, die mir je begegnet sind.“ (Siegfried Wagner: Erinnerungen (1923), Stuttgart o. J. (1943), S. 30). 103 C. Wagner: Die Tagebücher, Bd. II (wie Anm. 49), S. 807. Diese Idee, daß es den fürstlichen bzw. königlichen Häuptern bei ihrem fehlenden Judenhaß an bitterer Erfahrung mit Juden mangele, nahm Elisabeth Weller: Richard Wagner und der völkische Gedanke (Diss. Uni. Tübingen 1926), Tübingen 1927, S. 47, auf: „Aber die praktischen Erfahrungen, die Wagner mit den Juden im allgemeinen machte, gestaltete die andere Seite seiner Anschauungen, die völkische, den Juden gegenüber zur unbedingt vorherrschenden.“ 104 Wagner fügte an dieser Stelle in einer Anmerkung hinzu: „Die Juden haben eben – vom Bilder-Juwelen-Meuble-Handel her – einen Instinkt für das Aechte, dauernd zu Verwertende, welcher den Deutschen so ganz verloren gegangen ist, dass sie von den Juden sich das Unächte

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der jüdischen Protektion gefallen lassen, so wunderlich mir dabei zu Muthe wird, denn – das gewogene Urtheil meines erhabenen Freundes [das ist der König, H.K.] über die Juden kann ich mir doch nur daraus erklären, dass diese Leute nie Seine königliche Sphäre streifen: sie bleiben dann ein Begriff, während sie für uns eine Erfahrung sind. Der ich mit mehreren dieser Leute freundlich mitleidvoll und theilnehmend verkehre, konnte diess doch nur auf die Erklärung hin ermöglichen, dass ich die jüdische Race für den geborenen Feind der reinen Menschheit und alles Edlen in ihr halte: dass namentlich wir Deutschen an ihnen zu Grunde gehen werden, ist gewiss, und vielleicht bin ich der letzte Deutsche, der sich gegen den bereits alles beherrschenden Judaismus als künstlerischer Mensch aufrecht zu erhalten wusste.“105 Eine solche fadenscheinige ,Erklärung‘ Wagners, von der er wissen mußte, daß sie jeder realen Basis ermangelte, kann den Monarchen wenig überzeugt haben, denn nicht nur sein königlicher Generalmusikdirektor Levi — mit dem Johannes Brahms wegen seiner Kontakte zu Wagner einen unheilbaren Bruch vollzogen hatte –, sondern auch Ludwigs Lieblingsschauspieler Ernst Possart waren Juden. Nicht einmal die wohlwollende, aber gleichwohl antisemitische, Ansicht eines guten Freundes: „Die Anklage gegen Levi ist unbegründet … Levi sieht unanständiger aus, als er ist und war von jeher… Wagnerianer“,106 konnte Wagners verächtliche Behandlung Levis abmildern. Aber nach solchen haßerfüllten Tiraden gegen die Juden zu behaupten, daß Wagner nach 1869 „seine antijüdischen Ressentiments zunehmend abgebaut“107 habe und seine späteren Äußerungen dazu versöhnlich gewesen seien, machen aus realen Verhältnissen eine ideologische Kopfgeburt. Die unmißverständliche Aussage, ein Volk ,für den geborenen Feind der reinen Menschheit‘ zu halten, ist totalitärer Rassismus und sollte nicht hinwegerklärt werden. Vielleicht schätzte Ludwig II. Wagners Judenhaß ganz richtig ein, wenn er in seiner Antwort vom 24. Januar 1882 auf Wagners Brief aus Palermo die Ansicht vertrat und eine treffende Feststellung machte, die uns bis heute zu denken gibt: „Recht eigenthümlich ist es, daß die Ihnen, geliebter Freund, so gründlich zuwideren Juden mit so zäher, Sie so oft belästigender, durch nichts irrezumachender Anhänglichkeit Ihnen zugethan bleiben.“108 Bis zu seinem letzten Brief an den eintauschen.“ (König Ludwig II. und Richard Wagner. Briefwechsel, III. Bd. (wie Anm. 2), S. 229, *). 105 Ebd., S. 229 f. (Hervorhebung von mir). Kann man diese rassistische Aussage dadurch relativieren, daß Wagner zu dieser Zeit „unter fürchterlichen Schmerzen und Alpträumen“ litt? So Rudolf Reiser: König Ludwig II., Cosima und Richard Wagner, München 2006, S. 105. Aus dem langen Brief Wagners an König Ludwig II. (S. 227 – 231) ist aber das genaue Gegenteil zu entnehmen, denn er sprach damals vom „Zauber, den mein neuer Aufenthalt auf mich ausübt“ (S. 230). 106 Hans von Bülow: Neue Briefe, hrsg. von Richard Graf Du Moulin Eckart, München o. J. (1927), S. 463. Brief vom 8. April 1869. 107 Dieter David Scholz: Ein deutsches Mißverständnis. Richard Wagner zwischen Barrikade und Walhalla, Berlin 1997, S. 161. 108 König Ludwig II. und Richard Wagner. Briefwechsel, III. Bd. (wie Anm. 2), S. 233.

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König vom Palazzo Vendramin in Venedig vom 10. Januar 1883, etwas mehr als einen Monat vor seinem Tod, kam Wagner nicht mehr auf diese königliche Einstellung zu sprechen, wenn man nicht die Bemerkung, daß sein huldreicher Wohltäter „mir seit lange so fern entrückt“109 sei, daß „Er mir fast nur wie ein göttliches Traumbild vorschweben kann!“, darauf beziehen möchte. Wagner erwähnte am 1. März 1882 lediglich die unangenehmen, aufdringlichen Erfahrungen mit italienischen Zeitungsjournalisten, „was dann immer in der bekannten jüdisch-frechen Weise geschieht“.110 Der Mohr, König Ludwig II., hatte seine ,Schuldigkeit‘ getan und konnte gehen, denn Wagners rassistische Ideologie hatte längst in Bayreuth tiefe Wurzeln geschlagen, doch ehe wir uns intensiver damit beschäftigen wollen, sollen die unmittelbar Betroffenen der Judenbroschüre von 1869 zu Gehör gebracht werden, wie sie Wagners Antisemitismus einschätzten.

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Ebd., S. 237. Dort auch das nächste Zitat. Brief vom 1. März 1882 aus Palermo. Ebd., S. 235. Er kam jedoch wieder auf die Aufführungen seiner Werke durch Angelo Neumann zu sprechen, vor allem in Paris, doch Wagner glaubte zu wissen, „dass zwanzig deutsche Juden, welche dort für französische Patrioten genommen werden, genügen, um nie eine Vorstellung eines meiner Werke ruhig vor sich gehen zu lassen“ (S. 236). Auch noch im Dritten Reich wurde dem österreichischen Theaterdirektor Neumann (1838 – 1910) unterstellt, daß er sich als Jude „durch die in Deutschland, Italien, Rußland und Amerika veranstalteten Vorstellungen seines ,Nibelungen-Theaters‘“ bereichert habe. (So Alfred Lorenz in Richard Wagner: Ausgewählte Schriften und Briefe. 2. Band, Berlin 1938, S. 320). 110

6. Kapitel

Die heftige Kritik an und die Verteidigung von Wagners Judenthum 1869 Während auf den Judenaufsatz von 1850 nicht viel mehr als die erwähnten Artikel erschienen sind, löste die unter Wagners Namen veröffentlichte Schrift von 1869 sogleich eine ständig anschwellende Flut von etwa 170, zum Teil umfangreichen Abhandlungen aus, von denen hier lediglich einige aus dem Jahr 1869 in alphabetischer Reihenfolge betrachtet werden sollen. Sie werden etwas ausführlicher zitiert, weil sie in der entsprechenden Literatur kaum zur Kenntnis genommen wurden, aber verdeutlichen können, daß viele antisemitische Vorwürfe, die Wagner nach dem Dritten Reich gemacht worden sind, hier bereits angesprochen wurden.1 Wagner hat 1869 bereits vorbeugend auf diese Angriffe mit der eigentümlichen Unterstellung reagiert: „Bisher war jedenfalls nur das gröbere Geschütze des Judenthums gegen den Aufsatz in das Gefecht geführt worden: es zeigte sich kein Versuch, in irgend geistvoller, ja nur geschickter Weise eine Entgegnung zu Stande zu bringen. Gröbliche Anfälle und schimpfende Abwehr der dem Verfasser des Aufsatzes unterlegten, für unsere aufgeklärten Zeiten so schmachvollen, mittelalterlichen Judenhaß-Tendenz, waren das Einzige, was neben absurden Verdrehungen und Fälschungen des Gesagten zum Vorschein kam. Nun aber ward es anders. Jedenfalls nahm sich das höhere Judenthum der Sache an. Das Ärgerliche war diesem überhaupt das erregte Aufsehen: sobald man meinen Namen erfuhr, war durch ein Hineinziehen desselben nur noch die Vermehrung dieses Aufsehens zu befürchten.“2 Das Sprichwort „Angriff ist die beste Verteidigung“ scheint Wagner 1 Jens Malte Fischer: Richard Wagners „Das Judentum in der Musik“. Eine kritische Dokumentation als Beitrag zur Geschichte des Antisemitismus, Frankfurt am Main/Leipzig 2000, S. 197 ff., hat einige dieser Texte, teilweise verkürzt, wieder abgedruckt. 2 Richard Wagner: Aufklärungen über das Judenthum in der Musik, in: ders., Gesammelte Schriften und Dichtungen (1888). Band 8. Nachdruck Hildesheim 1976, S. 241. Noch in der 49. Auflage des Antisemiten-Catechismus von 1887, d. h. im Jahr 1944, hieß es über Wagners Judenaufsatz: „Richard Wagner eröffnete in seiner Schrift von 1850 ,Das Judentum in der Musik‘, den Kampf gegen das Judentum; die arischen Wagner-Feinde seiner Zeit wußten nicht, wie sie mit ihrer Kampfstellung gegen Wagner die jüdische Front stärkten. Man muß Wagners großartige, in der Kennzeichnung des deutschen Liberalismus, deutscher Mentalität und des gefährlichen ,gelassenen Selbstvertrauens‘, dann der Kritik an Mendelssohn, Meyerbeer, am späten Schumann heute noch begeisternde Schrift lesen mit dem pro domo-Nachtrag von 1869“. (Theodor Fritsch: Handbuch der Judenfrage. Die wichtigsten Tatsachen zur Be-

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verinnerlicht zu haben, denn er war es ja, der durch grobe Verfälschungen und hanebüchene Verleumdungen einen antiaufklärerischen Antisemitismus vertreten hatte, den er später zu einem Rassismus ausbaute. Die gewagte These, daß Cosima von Bülow, die ja erst wenige Monate dauerhaft in Tribschen weilte, „der verborgene Motor der neuerlichen antisemitischen Veröffentlichungen Richard Wagners“3 gewesen sei, scheint mir aus verschiedenen Gründen, die unten erörtert werden, höchst fraglich. Den königlichen Geldströmen, die Wagner in einer unangreifbaren Sicherheit wiegen mußten, scheint erheblich größeres Gewicht beizumessen zu sein, denn Wagner konnte nun davon ausgehen, daß seine elende Existenz, die er ja den Juden anlastete, endgültig vorüber war und vergessen (gemacht) werden konnte. Selbst die Annahme, „dass Wagners antisemitische Schriften während des Zeitraumes ihres Zusammenlebens mit Cosima auf ihre Initiative hin und durchaus in ihrem Sinne verfasst und veröffentlicht wurden“, vernachlässigt die gänzlich unterwürfige Haltung dieser Frau, die erst nach Wagners Tod ihre eigene antisemitische Rolle fand. Ilse Lotz kolportierte ein Gerücht aus Breslau, wonach sich nach der Veröffentlichung der Judenbroschüre „7.000 Juden gegen Wagner zusammenschließen“,4 was schon deshalb unwahrscheinlich ist, weil damals im ganzen Bezirk Breslau nicht so viel Juden ansässig waren. Doch eine erhebliche Verbitterung unter Juden über diese Broschüre von 1869 äußerte sich nicht nur in einer Flut von Gegenschriften, sondern ein Leitartikel im CentralOrgan für das orthodoxe Judenthum verdeutlichte diese ablehnende Haltung, in dem es hieß: „Die ekelerregende Selbstvergötterung des ehemaligen Dresdener Barrikadenhelden muß ihm ohnehin alle Welt zu Gegnern machen.“5 Welche Einwände und welches Verständnis ist Wagners Judenbroschüre im Jahr ihres Erscheinens 1869 entgegengebracht worden? Ein angeblich Unparteiischer, dessen Schrift in diesem Jahr bereits in einer 2. Auflage erschien, begann seine Kritik dieser „seltsam phantastisch aufgethürmten Phraseologie“6 damit: „Das giftgetränkte Pamphlet, welches der weltbekannte Dichter-Componist gegen eine ganze religiös-nationale Genossenschaft geschleudert hat, kann unparteiisch schwerlich von irgend Jemanden besprochen werden, welcher durch einen, äußerurteilung des jüdischen Volkes. 49. Aufl. (279.–330. Tsd.), Leipzig 1944, S. 348. Hervorhebungen im Original). 3 Dieter David Scholz: Wagners Antisemitismus. Jahrhundertgenie im Zwielicht – Eine Korrektur (2000), Darmstadt 2013, S. 76. Dort auch das nächste Zitat. 4 Ilse Lotz: Cosima Wagner, die Hüterin des Grals. Der Lebensroman einer deutschen Frau, Görlitz o. J. (1935), S. 107. 5 Das Judenthum in der Musik, in: Der Israelit, X. Jg., Nr. 16. Mittwoch, den 21. April 5629 (1869), S. 297. Auf ironische Weise wurden die antisemitischen Schmähungen Wagners als „nichts als die Ausgeburten ohnmächtigen Hasses, giftigen Neides“ (S. 298, Hervorhebung im Original) eines begeisterten Lobredners der großartigen Fähigkeiten des jüdischen Volkes bezeichnet. 6 Richard Wagner und das Judenthum. Ein Beitrag zur Culturgeschichte unserer Zeit von einem Unparteiischen. Zweite Auflage, Elberfeld 1869, S. 5. 16 Seiten. Druck und Verlag von Sam. Lucas.

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lich noch so losen und unscheinbaren Zusammenhang mit jener Genossenschaft verbunden ist.“7 Er möchte die eigentliche Wahrheit dieses literarischen Pendants zur Prügelszene in den Meistersingern „aus der stacheligen, bitteren Schale, in welche ihn der gereizte, excentrische Geist des Verfassers gehüllt“8 hat, herausschälen und damit vergleichen. Denn Wagner stelle seine ganze Argumentation auf eine schiefe Ebene, „indem er aus der Oberherrschaft der Juden auf musikalischem Gebiete den Beweis für die Lebensunfähigkeit der Musik als Sonderkunst herzuleiten sucht“.9 Doch die jüdische Physiognomie, Sprech- und Singweise mache es diesem Volksstamm tatsächlich schwer, als darstellende Künstler zu wirken, denn ein Kunstwerk sei „wie kein anderes Erzeugniß ein Produkt der gesammten, eigentlichsten Individualität und trägt mit unerbittlicher Nothwendigkeit deren geistige Signatur. Eines Juden Kind wird immer ein Jude sein, eines künstlerischen Juden Produkt wird, wenn es nicht als lebensunfähiger homunculus aus einer künstlerischen Retorte hervorgegangen ist, einen jüdischen Charakter haben.“10 In diesem Punkt näherte sich der Autor dem späteren Wagner, indem er eine biologische Analogie auf die jüdische Kunst übertrug, aber gleichzeitig die einseitige Auffassung Wagners über die Lebensunfähigkeit jüdischen Musikschaffens kritisierte. Was allerdings die Wagnersche Polemik gegenüber dem Synagogengesang angehe, so zweifelte der Autor nicht nur an Wagners Verstand, sondern sah sich an dem Punkt, „wo die eigenthümlichen Kunstanschauungen Wagner’s ihren Spuk zu treiben beginnen und ihn zuvörderst dem berühmten Wiener Musik-Aesthetiker so rücksichtslos in die Haare fahren lassen.“11 Gemeint war damit Wagners Bezeichnung (1869) von Eduard Hanslick (1825 – 1904) als ,Musikjuden‘, der zwar die Wagnerschen Opern und Schriften heftig angegriffen hatte, sich aber bemühte, mit Wagner einen einvernehmlichen Umgang zu pflegen und sich für Aufführungen von dessen Opern in Wien einzusetzen.12 Hanslick soll sogar beantragt haben, daß 1870, 7

Ebd., S. 3. Ebd., S. 4. Die 1869 hinzugefügten Bemerkungen Wagners über eine ,Judenverschwörung‘ gegen sein Werk falle „durch seinen larmoyanten Ton und die in nacktester Gestalt hervortretende Verblendung und Selbstvergötterung des Verfassers so rettungslos dem Fluche des Lächerlichen anheim, daß es genügen muß, mit stillschweigendem Bedauern ihm den tendenziösen Gegnern Wagners als Objekt wohlfeilen Spottes zu überlassen“ (ebd.). 9 Ebd., S. 4 f. 10 Ebd., S. 6 (Hervorhebung im Original). 11 Ebd., S. 8. Nach Ansicht des unbekannten Autors könnten die Wagnerschen Jeremiaden über eine große Judenverschwörung „die ganze bodenlose Eitelkeit, Selbstverblendung und phantastische Verranntheit des Mannes in ihren ganzen Blöße aufdecken“ (S. 16). 12 Eduard Hanslick: Aus meinem Leben, hrsg. von Peter Wapnewski, Kassel/Basel 1987, S. 220 f., hat heftig irgendwelche familiären jüdischen Wurzeln bestritten, obwohl seine Mutter, die Tochter von Salomon Abraham Kisch, 1823 vom jüdischen zum katholischen Glauben konvertiert war. „Daß mich Wagner später, 1869, in sein ,Judentum‘ eingeschmuggelt hat, das konnte mich noch weniger kränken. Wagner mochte keine Juden leiden; darum hielt er jeden, den er nicht leiden konnte, gern für einen Juden. Es würde mir nur schmeichelhaft 8

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also ein Jahr nach der Veröffentlichung der Judenbroschüre, im Foyer des Wiener Opernhauses eine überlebensgroße Büste Wagners aufgestellt wurde, eine außergewöhnliche Ehrung, die keinem lebenden Komponisten vorher zuteil wurde.13 Wenn die Behauptungen Wagners nicht aus der Luft gegriffen erscheinen sollen, dann hätte sich Wagner nach Ansicht unseres Kritikers auf den Nachweis der ,Verderblichkeit der Judenmusik‘ Meyerbeers und Mendelssohns konzentrieren sollen: „Aber die Klage über den Ungeschmack des Theaterpublikums ist fast so alt, wie dieses selbst, und wenn die jüdische Industrie und Speculation auf diesem Felde den Sieg errungen hat über deutsche Ehrlichkeit und Ungelenkigkeit, so hat sie lediglich ein bestehendes Mißverhältnis ausgebeutet, kein neues eingeführt, noch weniger aber es dem gottbegnadigten Genie unmöglich gemacht, durch das Licht der Wahrheit und Schönheit die Finsterniß des Betruges und der übertünchten Lüge zu zerstören.“14 Was allerdings mit ,jüdischer Industrie und Speculation‘ gemeint sein soll, bleibt unklar, denn es kann sich ebenso auf das Theater als auf jüdische Geldgeschäfte beziehen. Wagner wurde von diesem Rezensenten, der viele antisemitische Vorurteile Wagners teilte, dennoch dringend empfohlen, bessere Opern zu schaffen, die seinem Idealbild vom Kunstwerk der Zukunft entsprächen, dann wäre auch seine Kritik überflüssig. Wenn ihm dies gelänge, dann würde auch der stärkste jüdische Einfluß nicht in der Lage sein, deren Popularität einzuschränken oder zu beeinträchtigen. Eine solche Aufforderung muß Wagner, der 1869 die meisten seiner sein, auf ein und demselben Holzstoß mit Mendelssohn und Meyerbeer von Pater Arbuez Wagner [der Augustiner-Chorherr Peter de Arbues wurde 1484 zum ersten Inquisitor Aragoniens berufen und machte sich so verhaßt durch seine rigorose Ketzerverfolgungen, daß er am 17. September 1485 vor dem Kirchenaltar einem Attentat zum Opfer fiel, H.K.] verbrannt zu werden; leider muß ich diese Auszeichnung ablehnen, denn mein Vater und seine sämtlichen Vorfahren, soweit man sie verfolgen kann, waren erzkatholische Bauernsöhne, obendrein aus einer Gegend, welche das Judentum nur in Gestalt eines wandernden Hausierers gekannt hat.“ 13 Vgl. J. E. de Sinoja: Das Antisemitentum in der Musik, Zürich/Leipzig/Wien 1933, S. 144. Gegenüber der hämischen und herabsetzenden Behauptung von Karl Friedrich Glasenapp (1847 – 1915), dem Monumentalbiographen Wagners – dessen sechsbändiger WagnerBiographie von Sinoja eine „vollständige Wertlosigkeit, Lügenhaftigkeit und Unverläßlichkeit“ (S. 282) unterstellt wird –, daß Hanslicks Mutter die Enkelin eines jüdischen Bankiers aus Prag war, setzte Sinoja das ironische Gegenbeispiel: „Die Mutter der Frau Cosima Wagner ist gleichfalls das Enkelkind des jüdischen Bankiers Bethmann aus Frankfurt und dem ungeachtet Wagners Gattin geworden.“ (S. 243, Hervorhebung im Original). 14 Richard Wagner und das Judenthum (wie Anm. 6), S. 9. Bei Mendelssohn gebe es, neben Partien von wunderbarer Schönheit auch welche von fataler Ursprünglichkeit und bei anderen jüdischen Komponisten wirke ihre Musik wie zu stark gewürzte Speisen, weswegen man „mit erschreckender Deutlichkeit den jüdischen Componisten heraushört“ (S. 12). Nur aus einem tiefen, lauteren Gefühl wahrer Leidenschaft, dem nur „der germanische Stamm mit seinem besten Erbtheil“ (S. 14) fähig sei, könne klassische Musik geschaffen werden, denn „nur aus dem goldenen Grunde des deutschen Gemüthes kann die reinste, edelste Blüthe der musikalischen Kunst hervortreiben“ (ebd.). Nicht viel weniger antisemitisch als Wagner stellte der Autor die rhetorische Frage: „Hat je ein Jude ein Händel‘sches ,Halleluja‘ geschaffen?“ (S. 13).

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Opern bereits geschrieben oder konzipiert hatte, in rasende Wut versetzt und seinen Antisemitismus angestachelt haben, obwohl der Autor wahrscheinlich einen ausgleichenden Standpunkt vertreten wollte. Zwar war es nicht seine Absicht, eine Apotheose Wagners zu präsentieren, aber es sei zu bedauern, „daß deutsche Indolenz und Trägheit den unermüdlich strebsamen Söhnen Israels die bevorzugtesten und einflußreichsten Stellen in die Hände gespielt hat“.15 Die rücksichtslose Herabsetzung Mendelssohns könnte nämlich dazu beitragen, daß die Werke Wagners durch das Publikum und die Kritik der gleichen, strengen Beurteilung unterzogen würden, damit „der gleißende Nimbus eines ebenso sinnlosen als sinnbethörenden Wort- und Tonschwalles, mit welcher er seine poetische und musikalische Impotenz zu verbergen sucht“,16 auf eine nüchterne Art und Weise aufgedeckt und durchschaut würde. Einen solchen kritischen Vergleich mit jüdischen Komponisten wollte Wagner ja unter allen Umständen vermeiden, denn seine unsachlichen Angriffe auf Mendelssohn und Meyerbeer richteten sich vor allem darauf, daß diesen Musikern jegliches dem deutschen Geschmack gefühlsmäßig entsprechendes Kunstverständnis fehle und sie deshalb abzulehnen seien. Der jüdische Komponist Emil Breslauer (1836 – 1899) stellte seiner Broschüre ein Motto des römischen Redners und Dichters Juvenal (60 – 140 n. Chr.) voran: Difficile est satiram non scribere, was so viel bedeutet, daß es schwer falle, keine Satire zu schreiben.17 Er kritisierte es als „ein literarischer Kunstgriff nicht der lautersten Art“,18 wenn Wagner nach 19 Jahren „eine armselige Geistesschöpfung“, eine „Requisite eines schriftstellerischen Humbugs“, wieder unter dem gleichen Titel hervorkramte, um ein sensationshungriges Publikum anzulocken, ein „in Bälde der wohlverdienten Vergessenheit anheimfallenden Werkchen“ erneut zu präsentieren. Wir haben ja bereits gehört, daß Wagner genau die gegenteilige Ansicht vertrat, nämlich daß er wegen seines Judenaufsatzes seit 1850 unter einer jüdischen Verfolgung und Nichtanerkennung zu leiden hatte, die gegen alle seine Werke gerichtet gewesen seien. Vor einem solchen Versuch hätte sich selbst der „verschwenderischste Krösus wohlweislich in Acht genommen“,19 denn es sei unwahrscheinlich, „daß ein pseudonym in einer wenig gelesenen Zeitschrift erschienener Aufsatz den Musikverständigen der ganzen civilisirten Welt durch zwei Decennien hindurch die Parole zu einem unermüdlichen Vernichtungskampfe“20 dargeboten habe. Es sei nicht zu verwundern, daß die Verkümmerung von Wagners künstlerischer Laufbahn das Ergebnis von diesem „fanatischen, judenblutdürstigen 15

Ebd., S. 15. Ebd., S. 16. „Der Prophet des Kunstwerkes der Zukunft erscheint uns nur in einem Punkte groß: in der Naivität und Consequenz, mit welcher er seinen literarischen, poetischen und musikalischen Humbug betreibt, wie kein Dichter und Componist vor ihm.“ (S. 15). 17 Vgl. (Emil Breslauer): Herr Richard Wagner und seine neueste Schrift: „Das Judenthum in der Musik“, Breslau 1869. 13 Seiten. Verlag von Bruno Heidenfeld. 18 Ebd., S. 3. Dort auch die nächsten Zitate. 19 Ebd., S. 4. 20 Ebd., S. 5. Dort auch die nächsten Zitate. 16

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Aufsatz“ bzw. des allen Juden erklärten Krieges sei sowie „dem krassen Uebermuthe und den rücksichtslosen Schmähungen, die er in jeder Zeile des Artikels gegen eine ganze Religionsgesellschaft schleudert, unbekümmert um Wahrheit und Kritik“. Breslauer war erstaunt darüber, daß Wagner es noch Anfang 1869 wagte, „mit jener in die finstersten Zeiten des Mittelalter gehörigen, von den widerlichsten Leidenschaften: Haß und Neid gleichmäßig diktirten Schrift an das Tageslicht zu treten“, wo doch die Judenemanzipation in vollem Gange sei. Abgesehen von den Judenhetzen im 17. Jahrhundert, als die Emanzipation der Juden in keinem westeuropäischen Staat vorangetrieben wurde, sei niemals eine so gehässige und feindselige Polemik gegen Juden veröffentlicht worden als die Wagners: „Er scheint nichts Anderes zu erwarten, als daß die von ihm Gemißhandelten nunmehr hündisch-demüthig ihn umkriechen und um die gnädige Erlaubniß ihrer Fortexistenz anflehen würden; daß seine Opfer die abwehrende Hand gegen seine Vernichtungsschläge erheben, ihn ob der ihnen zugefügten Verunglimpfung bestrafen konnten, däucht ihm noch heute eine unerhörte Kühnheit.“ Diese kritische Kennzeichnung einer antiaufklärererischen Verleumdung war vorausschauend, denn Wagner hat ja später von vielen seiner jüdischen ,Freunde‘ eine solche demütige Haltung gegenüber ihm erwartet und verlangt, auch wenn er manchmal, wie gegenüber Cosima am 19. November 1878, seine offensichtliche Unsicherheit nicht verbergen konnte und seinen Antisemitismus herausschreien möchte: „,Über die Juden kann ich auch nichts mehr sagen (es frug ein Mitarbeiter, ob er Levi angreifen dürfe, was auch nicht gut geht), die Musiker wie Schumann etc., die sind mir offen gestanden zu gering, ich kann nichts mehr sagen, denn der einzige Wert meiner Sprache ist die rücksichtslose Wahrheit, und diese kann ich nicht sagen‘.“21 Die ,rücksichtslose Wahrheit‘ wäre eine wahrheitswidrige Wiederholung der denunziatorischen Angriffe auf Juden und jüdische Musiker wie in der Broschüre von 1869 gewesen. Diese Schrift, so glaubte Emil Breslauer, enthalte eine ähnliche Aufforderung wie die des römischen Kaisers, nämlich alle Juden auf einmal zu vernichten, „und es ist nur eine seiner Unerfüllbarkeit gemachte Konzession, wenn sich Herr Wagner begnügt, auf eine unblutigere Weise der Juden sich zu entledigen und ihnen die Gründung eines Jerusalemischen Reiches dringend an das Herz zu legen“.22 Das eigentliche Anliegen Wagners bestand nach Breslauer darin, seinen blinden und vernichtungswütigen Haß gegen das Judentum allen Lesern einzuimpfen, wobei er sich weder scheue, „baaren Unsinn noch die drastischsten Widersprüche“23 zu verbreiten bzw. Aussagen der „barockesten Lächerlichkeit“ vorzubringen. Nach der wunderschönen Kaiserrede des jüdischen Rechtsanwalts und Politikers Gabriel Rießer (1806 – 1863) in der Frankfurter Paulskirche seien die Haßtiraden 21 Cosima Wagner: Die Tagebücher. Band II: 1878 – 1883. Ediert und kommentiert von Martin Gregor-Dellin und Dietrich Mack, München/Zürich 1977, S. 235. 22 (E. Breslauer): Herr Richard Wagner (wie Anm. 17), S. 6 (Hervorhebung im Original). 23 Ebd., S. 7. Dort auch das nächste Zitat.

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Wagners „die Ausgeburt eines verbrannten Hirnes. Oder kann es ein sinniger Mensch gewesen sein, welcher den deutschen Juden baar jeder Muttersprache erklärt, blos weil er Jude ist, und leuchtet eine Spur von Geistesbewußtsein aus den Worten, welche dem deutschen Juden die Fähigkeit absprechen, seine Ueberzeugung in deutscher Rede zum würdigen Ausdruck zu bringen?“24 Nein, das könne nun wirklich nicht sein, weswegen man einem solchen haßgeprägten Unsinn heftig entgegentreten müsse, damit er sich nicht in den verwirrten Gehirnen von christlichen Deutschen einniste. Wir werden in dem Kapitel über Houston Stewart Chamberlains Rassismus noch genauer darauf eingehen, daß diese Ideologie viele Anhänger fand. Nur um seine verletzte Eitelkeit zu frönen, würde Wagner die anstehende Versöhnung zwischen Christen und Juden zu untergraben versuchen und „die Brandfackel des Hasses und des Fanatismus in diejenigen Gemüther hineinschleudern, in welchen vielleicht noch nicht alle religiösen Vorurtheile erstorben sind“.25 Wir werden noch hören, daß es Wagner später nicht nur um ,verletzte Eitelkeit‘, sondern um eine schwierige Spurensuche nach einem Rassismus ging, den auszuarbeiten er jedoch befähigteren Denkern wie Graf de Gobineau überließ. In einer mit Dr. C…… bedruckten Broschüre26 wurde ebenfalls beklagt, daß der Tonkünstler Wagner in seiner „theologischen Allweisheit“27 es für nötig erachtet habe, eine Schrift aus dem Jahr 1850 „aus dem Beinhause wohl verdienter Vergessenheit hervorzuholen, um hieraus einen Galgen zu errichten für jene Nationalität, deren Koryphäen ihm die wächsernen Flügel zerstörten“.28 Dieser gegen Juden entzündete Brand „von rohen Schmähungen, boshaften Verläumdungen und unverschämter Unwissenheit“ habe zwar von vielen Seiten eine gerechtfertigte Erwiderung erfahren, doch der Autor fühlte sich „als Sachwalter der verunglimpften Wahrheit“29 berechtigt, zu behaupten, „man müsse dieser Natter, diesem Hep-HepGerücht des alten Lügendrachens finsterer mittelalterlicher Schule, selbst wenn sie im himmlischstrahlenden Gewande der sonst so friedlichen Musik den Kopf erhebt, den Letztern bis auf’s Atom zertreten“.30 Dieser intolerante Angriff konnte offenbar auch nur anonym erfolgen, weswegen der Autor sich berechtigt fühlte, Wagner zu denunzieren. Er möchte gegenüber Wagner keinen speziellen Standpunkt einnehmen, den er den Fachkritikern überlassen würde, sondern die ursprünglichen Fä24

Ebd., S. 9. Ebd., S. 12. Breslauer richtete an Wagner die Frage: „Schmeichelt er sich etwa, vermöge seiner boshaften Dialektik selbst nur einen jener hunderttausend Christen, die mit großem Vergnügen die ganze Wagner’sche Musik für ein Mendelssohn’sches Lied dahingäben, von ihrer Neigung abbringen und in sein Feldlager hinüberbugsiren zu können?“ (Ebd., Hervorhebungen im Original). 26 Vgl. Unmusikalische Noten zu Richard Wagner’s „Judenthum in der Musik“, München 1869. 15 Seiten. Verlag von Neuburger & Kolb. 27 Ebd., S. 4. 28 Ebd., S. 3. Dort auch das nächste Zitat. 29 Ebd., S. 6. 30 Ebd., S. 3 f. 25

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higkeiten seinen Lesern mit „unbestochenen Urtheile vorführen“31 und die unbestreitbaren Tatsachen sprechen lassen, anstatt „der Welt Sand in die Augen [zu] streuen mit einem philosophisch klingenden Gesalbader, das, so hohl wie eine Seifenblase, dem hämischen Spinngewebe in lichtscheuen Schlupfwinkeln gleicht“. Dr. C. griff bis auf Abraham im Alten Testament zurück, um „ein untrügliches Prognosticon für die culturhistorische Bedeutung Israels“32 abgeben zu können und um Wagners Aussage zu widerlegen, daß das jüdische Volk keine Entwicklung aufweise. Das Judentum habe schließlich auch Jesus Christus hervorgebracht, weswegen der Autor an Wagner die Frage richtete: „Herr W., wer war denn jener Heiland, der Ihnen und einer Welt mit Ihnen aus seiner innersten Ueberzeugung heraus ein ,Evangelium‘, jene frohe, beglückende Botschaft gebracht, deren Wahrheit all jene Erleuchtung, all jene Civilisation, all jene, leider nur später verkünstelte, verkehrte und entwerthete Menschenliebe, zugleich aber auch all jenen Fortschritt der Wissenschaft ermöglichte, beförderte? wer war er, jener große Christus, der Nazaräer, ein Jude; an welcher Quelle hat er die Wahrheit erforscht und gefunden?“ (Es ist ja von einer gewissen Ironie, daß Wagner, vielleicht unter dem Einfluß von Cosima, in seinen letzten Lebensjahren wieder zu seinen christlichen Wurzeln zurückkehrte, auch wenn er die jüdische Abstammmung Christus leugnete). Das Judentum sei für Wagner eine terra incognita (dies wird anhand mehrerer historischer Beispiele erörtert, ohne überzeugen zu können), was schon daraus hervorginge, daß Wagner „den bis zum Ekel verbrauchten Vorwurf des Wuchers als Argument für die Untüchtigkeit der Juden in der Musik aus alten Rüstkammern“ hervorkrame. Dieser Vorwurf des angeborenen Wuchergeistes ist über Chamberlain und Werner Sombart in die nationalsozialistische Ideologie eingedrungen und wurde im Dritten Reich massenwirksam in Filmen wie Jud Süß verbreitet. Es ist in diesem Zusammenhang vielleicht noch erwähnenswert, weil es die menschenverachtende Wirkungsgeschichte des Antisemitismus verdeutlichen kann, daß der Wagnerfaschist Houston Stewart Chamberlain, der leugnete, daß Jesus ein Jude gewesen sei und damit einen ähnlichen Gedanken Wagners auf die demokratische Weimarer Republik übertrug, als Antwort von Kaiser Wilhelm II. am 12. März 1923 die vielsagende Aufforderung erhielt, mit der völkischen Jawevorstellung der Juden gänzlich und endgültig Schluß zu machen: „Vor allem muß endlich gründlich gebrochen werden mit dem Glauben, der Jawe der Juden sei unser Herrgott.“33 Im 18. Jahrhundert, so argumentierte der anonyme Dr. C. weiter, hätten die Juden selbst „die liebe Gottessonne“34 als ,Schutzjude‘, ,Kammerknecht‘ oder 31

Ebd., S. 4. Dort auch das nächste Zitat. Ebd., S. 5. Dort auch die beiden nächsten Zitate (Hervorhebung im Original). 33 Houston Stewart Chamberlain: Briefe 1882 – 1924 und Briefwechsel mit Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band, München 1928, S. 267 (Hervorhebung im Original). 34 Unmusikalische Noten (wie Anm. 26), S. 6. Dort auch das nächste Zitat (Hervorhebung im Original). 32

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,Gemeindebürger‘ kaufen müssen und Lasten sowie Steuern auferlegt bekommen, um einige allgemeine Rechte zu erlangen. Diese erniedrigenden Restbestände eines mittelalterlichen Berufsverbots – ganz abgesehen von dem Zinsverbot für Christen, das Juden in die Geldleihe hineindrängte – für Juden zwang diese geradezu, geldverleihenden Tätigkeiten nachzugehen, für die es keine zünftigen Regeln wie in den Handwerken gab: „Mußte doch der Jude in der zweiten Hälfte des abgelaufenen Jahrhunderts in einem deutschen Staate [nämlich Preußen, H.K.], sobald er heirathen wollte, für Erlangung des Heiraths-Consenses aus der neu etablirten ,Königl. Porzellanmanufactur‘, zur Hebung derselben, für mehre hundert Thaler Geschirr entnehmen. Hier verzinste der Jude – und zu welchem Prozentsatze oft – ein Capital, das außer dem lieben Gotte keinen andern Herrn hatte; war dies aber nicht ein Wucher, der Mark und Hirn des Juden sog?“ Der Autor wollte damit sagen, daß die einseitige Ausrichtung vieler Juden auf bestimmte Berufe nicht von ihnen selbst gewählt werden konnte, sondern daß sie von den gesellschaftlich-ökonomischen Verhältnissen gezwungen wurden, sich beruflich in einer Weise zu betätigen, die vielleicht gar nicht ihren Neigungen oder Präferenzen entsprach, auch wenn sie dadurch zu großem Wohlstand aufstiegen. Allerdings muß ebenfalls berücksichtigt werden, daß Juden als Bankiers oder Geldverleiher immer eine Minderheit unter den Juden in allen europäischen Staaten waren. Die Wagnerschen Aussagen über die Wucherjuden, die ihre deutschen Volksgenossen ausgebeutet hätten und noch ausbeuteten, sind deshalb nach Ansicht des Rezensenten realitätsblind und mit den historischen Fakten völlig unvereinbar. Die nationalsozialistische Verunglimpfung der Geld- und Wucherjuden, z. B. in dem Film Jud Süß von Veit Harlan aus dem Jahr 1940, der von dem Wagnerbewunderer und Reichspropagandaminister Joseph Goebbels in Auftrag gegeben und von 20 Millionen Deutschen gesehen wurde, wird von Wagner nicht nur in der Person des reichen und einflußreichen Bankiers Rothschild, der, um wörtlich zu zitieren, „zu geistreich war, um König der Juden werden zu wollen, wogegen er bekanntlich vorzog, der Jude der Könige zu bleiben“,35 vorweggenommen, sondern auch auf den reichen, gebildeten Juden seiner Zeit übertragen: „Von der Wendung unserer gesellschaftlichen Entwickelung an, wo, mit immer unumwundener Anerkennung, das Geld zum wirklich Macht gebenden Adel erhoben wurde, konnte den Juden, denen Geldgewinn ohne Arbeit, d. h. der Wucher, als einziges Gewerbe überlassen worden war, das Adelsdiplom der neueren, nur noch geldbedürftigen Gesellschaft, nicht nur nicht mehr vorenthalten werden, sondern sie brachten es ganz von selbst dahin mit.“36 Nationalsozialistische Wagnerianer konnten diesen Judenaufsatz leicht für ihre Zwecke instrumentalisieren, ohne ihn inhaltlich zu verfälschen oder zu mißbrauchen, wie dies so oft behauptet und zur Entlastung Wagners angeführt wurde. So schrieb Erich Valentin über Wagners Schrift: „Er hatte entdeckt, was das Volk ist und was ihm not tut. Diese Feststellung ermächtigte 35 K. Freigedank: Das Judenthum in der Musik, in: Neue Zeitschrift für Musik, 33. Bd., Nr. 19. 3. September 1850, S. 101. 36 Ebd., S. 104 (Hervorhebung im Original).

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und verpflichtete ihn, rücksichtslos die Schäden und die Schädlinge an diesem Volk aufzuscheuchen und zu bekämpfen. Da zeigt sich ihm: der eigentliche Träger der Macht ist das Judentum, weil das Geld die Macht ist, das die Schuldigen, die das Judentum groß machten, ihm selbst in die Hände gaben… Diesen Dämon, den wir selbst großzogen, zu vernichten und uns von ihm zu befreien, ist das Gebot, das wir aber erst erfüllen können, wenn wir unsere Kräfte damit prüfen, daß wir uns über das Wesen des Judentums und über unsere eigene Empfindung klar werden.“37 Der Autor der Unmusikalischen Noten äußerte die rationale und nachvollziehbare Vermutung, daß Wagners Judenschrift „auf hochgestülpten Coturnen eines phrasenreichen Geklingels von philosophisch blühendem Unsinn nichts anders als der intendirte Rahmen zu einer Apotheose für den Heiland der Musik“38 abgeben sollte, auch wenn sie übertrieben erscheint. Denn Wagner fühlte sich 1869 trotz königlicher Lobhudeleien offenbar immer noch nicht als Musiker und Dramatiker von seinen Kollegen und der deutschen Öffentlichkeit so anerkannt, wie er es in seinen kühnsten Träumen erwartete. Wagner sehe selbst, daß seine Haßtiraden gegen den „großen Operndichter Meyerbeer“39 (1791 – 1864), dessen eigentlicher Name Jakob Liebermann Meyer Beer war, den er jedoch nicht einmal erwähnte – den Wagner aber in einem Artikel von Anfang 1842 den „Sohn Deutschlands“ nannte40 –, lediglich das armselige Resultat seines wütenden Schmerzes über seine eigene geringe Anerkennung sei.41 Aber warum, fragte der Autor Wagner, könne er 37 Erich Valentin: Richard Wagner. Sinndeutung von Zeit und Werk, Regensburg 1937, S. 130. 38 Unmusikalische Noten (wie Anm. 26), S. 11. 39 Ebd., S. 12. 40 Ein Jahrzehnt später ist von dieser angeblichen Verehrung Meyerbeers nicht mehr viel übrig, denn Wagner schrieb am 25. September 1852 von Zürich aus an seine Nichte Franziska Wagner in Schwerin: „Durch Meyerbeer’s Dummheit, der neuerdings ein heer pariser Skribenten gedungen hat, mich dort herunterzureißen, bin ich in Paris plötzlich berühmt, oder mindestens doch sehr interessant geworden“ und „die aussicht auf einen furchtbaren, aber wichtigen und ungemein erfolgreichen Kampf mit Meierbeer [!] stachelt meine – nenne es: bosheit“ an. (Richard Wagner: Sämtliche Briefe. Band V, hrsg. von Gertrud Strobel und Werner Wolf, Leipzig 1993, S. 58 und S. 59). 41 Giacomo Meyerbeer hatte am 18. März 1841 aus Baden-Baden an August Frh. von Lüttichau in Dresden geschrieben: „Herr Richard Wagner aus Leipzig ist ein junger Komponist, der nicht allein eine tüchtige musikalische Bildung, sondern auch viel Phantasie hat und außerdem auch eine allgemeine literarische Bildung besitzt und dessen Lage wohl überhaupt die Teilnahme in seinem Vaterlande in jeder Beziehung verdient.“ (Das ganze Empfehlungsschreiben ist abgedruckt in Richard Wagner: Im Spiegel seiner Zeit, hrsg. von Sven Friedrich, Frankfurt am Main 2013, S. 34). Auch an den Generalintendanten Friedrich Wilhelm Graf von Redern in Berlin schrieb Meyerbeer am 9. Dezember 1841 einen Brief, in dem er Wagners Oper Der fliegende Holländer empfahl und diesen als interessanten Tondichter bezeichnete, „der durch sein Talent und seine äußerst beschränkte Lage doppelt verdient, daß die großen Hoftheater als offizielle Beschützer deutscher Kunst ihm nicht ihre Szenen verschließen“. (Giacomo Meyerbeer: Briefwechsel und Tagebücher. Band 3: 1837 – 1845, hrsg. von Heinz Becker und Gudrun Becker, Berlin 1975, S. 341 und S. 386 f. Hervorhebung im Original). Wagners Äußerung über Meyerbeer ebd., S. 398.

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nicht warten, „daß man auch Ihnen möglich erst nach dem Tode Monumente setze“,42 da er ja die Zukunft der Musik im Auge habe, und warum „wollen Sie Ihre Berserkerwuth an den Juden austoben lassen? warum dieser Nation, deren Spinoza, Moses Mendelssohn zur Bildung, zur Wissenschaft mitgeschaffen, alle Mitwirkung zur Hebung der Civilisation und Kunst bestreiten, in deren Gefolge doch erst die Musik als zarteste Blume der Vollendung auf jene Höhe gelangen konnte, die Sie ihr angewiesen wissen wollten?“43 Diese bohrende Frage einer allgemeinen Anerkennung der vollbrachten Leistungen während der eigenen Lebenszeit hat viele große Denker umgetrieben, von Arthur Schopenhauer bis Karl R. Popper. In einer Rezension von Wagners Schrift beschrieb einer der „eifrigsten Verehrer des Componisten Wagner’s“,44 nämlich der Pianist und Komponist Heinrich Ehrlich (1822 – 1899), seine Eindrücke über diese Broschüre, die ihn „amüsirte“, weil Wagner angeblich „ein Muster des Juden ist, den er so wüthend bekämpft“, d. h. eine Selbstreflexion der eigenen Schwächen sei. Er habe die sonstigen Kunstschriften Wagners, aber nicht den Judenaufsatz von 1850 gelesen und vermutet, die neue Schrift enthalte „altbekannte Wahrheiten in das Gewand höchst geistreicher Wendungen gehüllt, die so geschickt drapirt sind, dass nur das geübte Auge die falsche Richtung erkennt; neue überraschende Thesen, im apokalyptischen Tone jener Revalationen vorgebracht, die nur unbedingtes Glauben und kein Denken zulassen, Klagen über den Luxus, und luxuriöse Forderungen für die volksthümliche Kunst, Zurückseufzen nach einer Reinheit der Gefühle, die von jeher nur im Ideale existirt hat, Predigen über den Kunstverderb in der Musik, wie sie vor Jahrtausenden in den Komödien des Pherekrates und Schriften Ammonius‘ (Plutarch’s Lehrer) gepredigt worden sind, mitunter politische Ausfälle, ultrademokratische Sätze, wie sie noch schärfer und geistreicher in den Schriften von de Maistre, Burke, Genz, Lassalle und einer Masse von Schriftstellern zu finden sind, die nach dem Nichterreichen ihres Freiheitsideals in Hofämtern und Hofkreise oder in sybaritischem Wohlleben und in den Armen schöner Frauen Entschädigung fanden für die nicht erreichbare Freiheit und für die schnöden Aufforderungen jener dummen Philister, die da glauben, dass geistiger Adel zu sittlichem Streben, zum Bekämpfen materieller und luxuriöser Neigungen verpflichte“. So schrieben ,eifrigste Verehrer‘ Wagners im 19. Jahrhundert! Ehrlich paraphrasierte hier in verklausulierter Form alle oft kritisierten menschlichen Eigenschaften Wagners, nämlich überschäumende Gefühlswallungen, wechselnde Liebesbeziehungen, ein ausgeprägtes Luxusleben, berechnendes Hofschranzentum oder intolerante Überheblichkeit, von denen einige auch im Judenaufsatz anklingen. Wir werden später noch hören, wie Houston Stewart Cham42

Unmusikalische Noten (wie Anm. 26), S. 13 (Hervorhebungen im Original). Ebd., S. 12 f. 44 Heinrich Ehrlich: Rezension von Richard Wagner: Das Judenthum in der Musik (1869), in: Neue Berliner Musikzeitung, XXIII. Jg., Nr. 11. 17. März 1869, S. 85. Dort auch die nächsten Zitate (Hervorhebung im Original). 43

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berlain eine solche, allerdings präzise Kritik an Wagners menschlichen Schwächen durch Ferdinand Praeger – am 22. Januar 1815 in Leipzig geboren, seit 1831 Musiklehrer in Den Haag und seit 1834 in London sowie seit 1842 Korrespondent der Neuen Zeitschrift für Musik in der britischen Hauptstadt – dazu benutzte, seinen denunzierenden Rassismus zu untermauern und jede sachliche Kritik am unsterblichen ,Meister‘ ins Lächerliche zu ziehen. Wagner wurde 1855 während seiner Konzerttournee wie ein Familienmitglied bei den Praegers in London aufgenommen, ja er wurde sogar Patenonkel des Sohnes der Praegers, die ihn Richard tauften, und Praeger verfaßte einen ausgezeichneten Bericht über das Londoner Gastspiel Wagners in der Neuen Zeitschrift. Solche ehrlichen Freundschaftsbekundungen scheinen bei Wagner wenig anhaltende Dankbarkeit oder auch nur menschliche Anerkennung erzeugt zu haben, obwohl es für ihn nicht ganz gleichgültig war, ob sie von jüdischen oder deutschen Freunden stammten. Nach einem solchen überschwänglichen Bekenntnis Wagners gegen alles Jüdische mußte der Rezensent Ehrlich allerdings aussprechen, nachdem er den antisemitischen Inhalt der Schrift aufgenommen habe, daß Wagner die historischen Tatsachen nicht verstanden hat, denn eine solche jüdische Volksabneigung habe nie bestanden, weshalb man sagen müsse, daß „dessen Hass und Wuth nur von oben her durch Gewalthaber, Pfaffen, spanische Inquisition, Geissler, christlich germanische Schriftsteller und NeoAesthetiker angestachelt worden ist“.45 Über die von Wagner „gleich einem hohlen polirten Kessel prächtig schimmernden und laut tönenden Sätze“ empfand der Rezensent weder Beruf noch Lust, einzeln und ausführlich einzugehen, denn sie hätten von einem Mecklenburgischen Landedelmann – damit ist wahrscheinlich der Lügenbaron Karl Friedrich Frh. von Münchhausen (1720 – 1797) gemeint – nicht besser erfunden werden können und man müsse vermuten, „dass der kunstfeindliche Dämon erst gewichen sei, seitdem die Juden sich mit Musik befassen“, was so viel bedeuten kann, daß Juden bzw. jüdische Komponisten musikalischen Kunstgeschmack erst hervorbrachten. Was allerdings Wagners Verunglimpfung der Volkssynagogen betreffe, so stellte Ehrlich die Frage in den Raum: „Wir möchten Wagner fragen, ob er schon eine katholische Procession am Frohnleichnamstage gesehen, an dem Tage, wo das heiligste Mysterium gefeiert wird, ob er die 500 Kinder alle Minute die Phrase hat papageyenartig wiederholen hören: ,Gegrüsst seist Du, Maria, Du bist gebenedeit unter den Weibern und gebenedeit ist die Frucht Deines Leibes‘.“ Ehrlich hieb damit einen groben Keil in einen groben Klotz, vermochte jedoch Wagners antisemitische Vorurteile nicht um einen Jota zu verändern, die sich vielmehr zu einem Rassismus steigerten. Und was die Moralpredigten gegenüber Ludwig Börne und Heinrich Heine betreffe, so sollte gerade derjenige sie vermeiden, dessen künstlerische Leistungen besonders beachtet werden wollen. Es gäbe schon genug „Katzenjammeriaden über die sündige, luxuriöse Welt, Klagen über die Steigerung der künstlichen Bedürfnisse“, wie auch gegen jüdische Musik, weshalb Wagner auf seinen 45

Ebd., S. 86. Dort auch die nächsten Zitate.

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„christlichen Kniff“ verzichten könne, Juden für alle Übel verantwortlich zu machen. Die bildhaften Schilderungen des Malers Friedrich Pecht (1814 – 1903) über sein häufiges Zusammentreffen mit Wagner während dessen erstem Parisaufenthalt, aus dem „die Worte wie ein Schneegestöber heruntersprudelnden Art“46 herausquollen, und Heinrich Heine können diesen Eindruck einer in geistiger Lebendigkeit über sämtliche Grenzen hinausschießenden Tondichters nur bestätigen. Pecht berichtete in seinen Lebenserinnerungen, wie er Heinrich Laube, der mit Heine befreundet war, und dessen Frau im Louvre herumführte, die Wagner und Frau mitbrachten und sie ihm vorstellten: „Bald kam denn auch der trotz seiner viel zu kurzen Beine auffallend elegant, ja vornehm erscheinende junge Mann mit einer so wunderhübschen Frau am Arm, daß sie allein schon ausgereicht hätte, das Ehepaar interessant zu machen, auch wenn Wagner selber nicht einen so bedeutenden Kopf gehabt hätte, daß er unwillkürlich fesselte.“ Zwischen Pecht und Wagner entwickelte sich ein vertrauensvolles Verhältnis, so daß er ihn öfter in der Rue du Helder besuchte, wo sich Wagner wie in den meisten Stationen seines Lebens vor der Übersiedelung nach Bayreuth auf Kredit vornehm einmöbliert hatte. „Denn auch zum Schuldenmachen hatte er mit seinem alten Schauspielerblut offenbar eine angeborene Begabung.“47 Doch Wagners jugendliche Leidenschaftlichkeit und sein sprudelnder Witz fesselten den Maler, der ihn mit einem wohlhabenden Kaufmann und einem guten Flötenspieler, Brix, bekannt machte, auch um Wagner aus seinen permanenten finanziellen Engpässen zu helfen. Es bleibt also äußerst zweifelhaft, ob Wagners Antisemitismus auf seine negativen Erfahrungen in Paris zurückgeführt werden können, denn er fand ja immer wieder Geldgeber in befreundeten Kreisen. Vor der Rückreise nach Deutschland im Herbst 1840 hatte Pecht in freundschaftlicher Verbundenheit Wagner sogar sein Reisegeld geliehen, „der wieder einmal ganz abgebrannt gewesen und auch jetzt nicht imstande war, es mir zurückzuzahlen“,48 worauf Brix Pecht mit einem finanziellen Vorschuß aushalf, damit dieser die Heimreise antreten konnte. Dennoch „mußte ich die Unerschöpflichkeit und Willenskraft dieses Mannes bewundern, den keine Not anders als vorübergehend zu entmutigen, kein Mißgeschick im Vertrauen auf sein Talent wankend zu machen vermochten!“49 Hätte Wagner auch nur einen kleinen Teil dieser Willenskraft im vollen Vertrauen auf sein musikalisches Talent dazu benutzt, seine gehäs46 Friedrich Pecht: Aus meiner Zeit. Lebenserinnerungen. I. Band, München 1894, S. 181. Dort auch das nächste Zitat. 47 Ebd., S. 182. „Da er es aber nicht vermochte, sich irgend zu beschränken, so geriet er bereits nicht minder in beständige finanzielle Verlegenheiten und hatte, als das Jahr 48 [1848] ausbrach, bereits eine Schuldenlast von angeblich mehr als 20.000 Thalern aufgetürmt.“ (S. 293). 48 Ebd., S. 213. „Ja, er schien sich sogar mit Selbstmordgedanken zu tragen [was Wagner öfter vorgab, H.K.], da es ihm in Verzweiflung brachte, auch seine gute Frau so leiden zu sehen.“ (Ebd.). 49 Ebd., S. 183.

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sigen Tiraden gegen Juden zu unterlassen, dann wäre uns eine unheilvolle Entwicklung von Judenhaß gegen jüdische Musiker erspart geblieben, der sich im Dritten Reich zu einer Vernichtungsstrategie steigerte. Die Bewunderung Pechts für den energischen Wagner wurde aber auch nicht dadurch getrübt, daß dessen im Herbst 1840 aufgeführten Musikstücke beim Pariser Publikum durchfielen, sondern er versuchte ihn zu trösten, auch wenn er nicht entscheiden konnte, „ob diese Musik nur neu oder auch gut sei“.50 Trotz menschlicher Naivität und unverständlichem Vortrag habe Wagner „mit seinen sechsundzwanzig Jahren schon einen solch‘ unermeßlichen Reichtum des Geistes angehäuft, daß er damit selbst Heine imponierte“! Kann ein derart exzentrischer Charakter auch lange nach dem Tod dieses großen jüdischen Dichters Heinrich Heine nicht die mindeste Toleranz aufbringen? Müssen wir uns nicht fragen, ob eine kritischere Einstellung von guten Freunden gegenüber Wagners antisemitischen Ausfällen vielleicht dazu beigetragen hätte, seinen Antisemitismus zumindest etwas zu reduzieren? Zu der These, daß Wagner ein Muster der von ihm bekämpften Juden sei, führte Ehrlich folgendes Argument ins Feld: „Denn wenn man unter ,moderner Jude‘ im schlechten Sinne des Wortes einen Menschen bezeichnet, der aus kleinem Kapital grosse Zinsen zieht, aus einer geistreichen Bemerkung ein System schmiedet, die Wahrheit zu verdecken sucht unter witzigen Pointen, der übermüthig und aufbegehrlich im Glücke, jede Verfolgung und Angriff den Philistern und ihrem Neide zuschreibt, und mit Unglück prunkt, der zwar sehr demagogisch thut, aber am liebsten mit grossen Herren und Damen verkehrt, der weltschmerzlich reflectirt und luxuriös lebt, erscheint da nicht Wagner gerade in der Schrift gegen die Juden als ein Prototyp der ,modernen Verjüder‘?“51 Diese Assoziation mit angeblich jüdischen Eigenschaften, die Wagner selbst zur Schau trage, die allerdings mit Judentum nichts zu tun haben, kann nur wenig von Wagners Antisemitismus erklären und ist eigentlich nur eine metaphorische Sackgasse, die die negativen Kennzeichnungen Wagners lediglich übernimmt. Der bedeutende Künstler kämpft nach Ehrlich mit Taten und nicht mit Worten, weshalb sich Wagner ein Beispiel an Immanuel Kant, Wilhelm von Kaulbach oder Ludwig van Beethoven nehmen könne, die ihre Gegner mit neuen Werken und nicht mit einem Schwall an Worten ,bekämpften‘. Hier entglitt Ehrlich eine aufrichtige und sachgerechte Argumentation, denn die einseitige Verunglimpfung von Juden durch Wagner rechtfertigt keineswegs eine Parallelisierung mit Philosophen wie Immanuel Kant, deren eigentliche Intentionen eine emanzipatorische Aufklärung durch erkennendes Wissen darstellte, selbst wenn Kant von antisemitischen Gefühlen nicht ganz frei war. In menschlicher Bescheidenheit, die Wagner ausgesprochen fremd war, weil er seine musikalische und dichterische Meisterschaft nicht genügend gewürdigt fand, lag nach Ehrlich die wahre Größe eines Künstlers oder Musikers, gleichgültig, wie andere über ihn herfallen oder ihn kritisieren. „Aber wenn Einer in die Welt schreit: 50 51

Ebd., S. 204. Dort auch das nächste Zitat. H. Ehrlich: Rezension (wie Anm. 44), S. 87. Dort auch die nächsten Zitate.

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Wenn Ihr nicht so verderbt wäret, würdet Ihr mich als den einzig Wahren erkennen, so ist das eine Lächerlichkeit“, wie sie eines bedeutenden Künstlers unwürdig sei. Gegen diese „komischesten Fastenpredigten, die je in die Welt gesetzt wurden“, stellte der Rezensent seine dezidierte rechtsstaatlich-künstlerische Auffassung: „Verhasst ist mir jene ästhetische Sittenpolizei, die oft das Gute und das Grosse vermengt, die Hypokrisie in der Kunst, die Beschützerin jener Impotenz, die sich hinter dem Tugendgesetz verkriecht, und die bei Beurtheilung von Kunstleistungen gar oft eine Masse von Dingen des Privatlebens hineinzieht, die in keinem directen Zusammenhange zu jenen stehen… Aber ebenso verhasst ist mir die Hypokrisie des Cynismus, der alle Thorheiten und Excentricitäten, die tausend Meilen entfernt sind vom Kunstleben, mit einem inneren künstlerischen Drange identifiziren will und im Handumdrehen die Angriffe auf Excentricität als auf die Kunstleistung gerichtet, einen Angriff auf die Kunstleistung als nicht dieser, sondern der excentrischen Persönlichkeit geltend, darstellt.“ Aber können wir denn aus einem exzentrischen und haßerfüllten Charakter, hieße er nun Wagner oder gar Hitler, eine friedliebende und menschenfreundliche Persönlichkeit formen, wenn eine rassistische Ideologie jeden geringsten Ansatz eines völkerverbindenden Denkens vernichtet? Auch der Kulturhistoriker und Schriftsteller Gustav Freytag (1816 – 1895) hat sich in Die Grenzboten52 in die Auseinandersetzung über das Wagnersche Pamphlet eingemischt, obwohl er selbst früher antisemitische Äußerungen veröffentlicht hatte und diese Zeitschrift es vermieden habe, Wagners Schrift sowie „die zahlreichen Entgegnungen seiner gekränkten Bewunderer und Gegner zu besprechen“.53 Er halte nämlich einen ernsten Angriff auf das „jüdische Wesen“ weder in der Politik, der Gesellschaft, der Wissenschaft oder der Kunst für zeitgemäß, „denn auf allen diesen Gebieten sind unsere Mitbürger israelischen Glaubens werthe Bundesgenossen“, die allerdings in der deutschen Bevölkerung noch keineswegs vollständig emanzipiert bzw. integriert waren. Die emanzipatorischen Bemühungen vieler deutscher Regierungen im Kaiserreich, den Juden gleiche Bürgerrechte zu gewähren, konnten die antisemitischen Strömungen innerhalb der Gesellschaft nicht beseitigen, die bei jeder ökonomischen oder politischen Krise hochgespült wurden. Nach Freytag hat es Jahre gegeben – gemeint war wahrscheinlich die Revolutionszeit –, in denen Juden „die Stimmführer einer wüsten Demokratie“ gewesen seien, jetzt aber rekrutiere sich die äußerste Linke „aus den arbeitenden Classen der christlichen Bevölkerung“, d. h. sie stehe dem Kommunismus nahe, was 1869 nur in schwachen Ansätzen vorhanden war. Auch im Handel und Verkehr, wo Juden lange Zeit durch gewagte Börsengeschäfte und Geldwucher hervorgetreten seien – damit waren wohl vor allem die jüdischen Privatbankiers gemeint, die seit Mitte der 1850er Jahre von großen Bankinstituten, wie die Darmstädter Bank, die Dresdner Bank oder die Deutsche Bank, mehr und mehr verdrängt wurden –, hätten Christen ihren Platz eingenommen, „die Rothschilde sind beinahe auf das Niveau altfränki52 Vgl. Gustav Freytag: Der Streit über das Judenthum in der Musik, in: Die Grenzboten, 28. Jg., Nr. 22, 1869, S. 333 – 336. 53 Ebd., S. 333. Dort auch die nächsten Zitate.

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scher Geschäftsleute zurückgedrängt und angesehene jüdische Firmen unserer Hauptstädte gehören zu den ehrbarsten Gegnern des modernen Actienschwindels“.54 Man könnte fast glauben, als sei Gustav Freytag zu einem liberalen Verfechter der jüdischen Emanzipation mutiert, der einen einsamen Kampf gegen Wagners Antisemitismus führe. In den letzten hundert Jahren, so Freytag, hätten die jüdischen Mitbürger nicht nur die befreiende Wirkung moderner Bildung genossen – eine lange Reihe großer wissenschaftlicher Talente seit Baruch Spinoza sei dafür schlagender Beweis – und nur noch die letzten Überreste von Intoleranz seien zu überwinden, „um die Herzen und Geister der deutschen Juden völlig in unser Volksthum einzuschließen“. Manche Schwächen und Eigentümlichkeiten aus der Zeit ihrer großen Unfreiheit seien zwar noch vorhanden, d. h. sie „fühlen immer noch die Nachwehen des harten Druckes, welcher zur Zeit unserer Großväter auf ihnen lag“, aber es könne nicht mehr lange dauern, bis sie vollkommen frei seien. Es ist bezeichnend für viele historische Prognosen, daß auch Freytag nicht vorhersehen konnte, mit welcher Rigorosität der jüdischen Bevölkerung im ,germanischen‘ Dritten Reich ihre Bürgerrechte wieder entzogen und sie zu Freiwild erklärt wurden, nachdem erst zwei Drittel der folgenden hundert Jahre verflossen war. Zwar sei das Besondere der jüdischen Art gegenüber der germanischen bei einer vorurteilsfreien Betrachtung nahezu unmöglich, genau zu erfassen, doch „was dem Wesen der Juden an sich, immer und für alle Zeit von Vorzügen und Schwächen zugetheilt ist“,55 könne man schon deshalb nicht genau bestimmen, weil sie sich aus einer unsicheren politischen und sozialen Existenz erst allmählich emporzuarbeiten begonnen haben. Der Wagnerclan sah 30 Jahre später diese Situation gerade umgekehrt, denn noch am 11. Oktober 1892 schrieb Cosima Wagner an Fürst Ernst zu Hohenlohe: „Unser armes Germanenthum wird Noth haben sich zu behaupten. Wenn wir nur Unserer recht bewußt würden und unter allen Vermummungen und Verkappungen das uns Fremde und Feindliche erkennten und von uns wiesen! Wir haben aber zu lange mit der Brille auf der Nase stubengehockt, dann sind wir durch Siege geblendet worden und endlich haben Humanitäts-Redensarten uns für die unerbittliche Wahrhaftigkeit der Natur ganz blöde gemacht.“56 Diese antijüdische Einstel54 Ebd., S. 334. Dort auch die beiden nächsten Zitate. „Es sind jetzt ungefähr hundert Jahre her, seit Moses Mendelssohn in Berlin nur darum geduldet wurde, weil er im Manufacturgeschäft des reichen Schutzjuden und Seidenfabrikanten Abraham Bernhard beschäftigt wurde, und wo Abba Glozk, der jüdische Philosoph aus Polen, auf der Landstraße vor Hunger umkam, weil ihn die orthodoxen Juden verflucht, gebannt, gegeißelt und seiner geschriebenen Werke beraubt hatten.“ (Ebd.). 55 Ebd., S. 335. 56 Briefwechsel zwischen Cosima Wagner und Fürst Ernst zu Hohenlohe-Langenburg, Stuttgart 1937, S. 26 f. Am 22. Dezember 1892 berichtete Cosima von einem Bauern aus Mistelgau, dessen Dorf „von Juden vollständig ausgesogen und elend sei“ (S. 31) und schloß daran die judenfeindliche Überlegung an, die wir von Gobineau kennen, „daß Kulturen das Werk der Rassen sind, welches wohl fremde Elemente vernichten, nicht aber weiterentwickeln können“ (ebd.).

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lung war während dieser Zeit weitverbreitet, denn auch die Deutsche Konservative Partei äußerte in ihrem revidierten Parteiprogramm vom 8. Dezember 1892 den innigen Wunsch, daß die Monarchie von Gottes Gnaden erhalten und die vaterlandslosen Sozialdemokraten als Feinde der staatlichen Ordnung bekämpft werden sollten: „Wir bekämpfen den vielfach sich vordrängenden und zersetzenden jüdischen Einfluß auf unser Volksleben. Wir verlangen für das christliche Volk eine christliche Obrigkeit und christliche Lehrer für christliche Schüler.“57 Es ist offensichtlich, daß der Wagnersche Antisemitismus bei seinen Bayreuther Nachfahren immer intensiver sich mit dem völkisch-germanischen Strom des extremen Judenhasses vermischte und gegenseitig verstärkte. Diese übersteigerte Form des Germanentums, die von Wagner mit seinem Antisemitismus verknüpft wurde, scheint von Gustav Freytag nicht als kritikwürdig empfunden worden zu sein. Vielmehr argumentierte er in seinem Beitrag, eine sophistische Beweisführung und eine spitzfindige Dialektik von Religionslehrern in den letzten 1000 Jahren über die Juden sei wenig überzeugend, denn „die scholastische Weisheit des Talmud ist keineswegs eine Blüthe specifisch jüdischen Wesens, die Pedanterie der Byzantiner und die hölzerne Scholastik mittelalterlicher Klöster haben fast genau dieselbe Methode der Erörterung, der Beweisführung, der Definitionen hervorgebracht und diese wunderliche Bildung dauerte bei den Juden nur länger und einflußreicher; sie wurde ebenso sehr durch den Haß der Christen conservirt, als durch ihre enge Verbindung mit dem jüdischen Cultus.“58 Der abgrundtiefe Haß der Christen auf die Juden speiste sich vor allem auf den von der katholischen Kirche erhobenen Vorwurf, daß Jesus Christus von Juden zum Tod verurteilt worden sei, weshalb man es auch für angemessen erachtete, Kreuzzüge in das Heilige Land zu organisieren, damit Jerusalem aus den Händen der ,Ungläubigen‘ befreit würde. Diesen interpretatorischen Pfad wollte Freytag offenbar nicht beschreiten, da er eine historische Parallele der scholastischen Argumentation seit dem Mittelalter mit Wagners ,Beweisführung‘ ziehen wollte. Erst danach ging Freytag auf eine Reihe von charakterlichen Mängeln bei jüdischen Landsleuten ein – die er damit entschuldigte, daß „ihr hartes Erdenschicksal sie bis zur Gegenwart zwang, ihr ganzes kräftiges Gemüthsleben vor Haß und Spott heimlich im verschlossenen Hause zu bergen“ –, wie Mangel an warmem und ehrlichem Gefühl, an „inniger und schöngewogener Empfindung“, an „plastischem Ausdruck“ etc., die sie durch „störenden Witz“ und eine „kalte Reflexion“ zu überspielen suchten. Selbst Heinrich Heine, „der so meisterhaft verstand, die herzinnigen Klänge des deutschen Volksliedes in moderne Empfindungsweise umzusetzen, verdarb sich oft die reinen Wirkungen durch die abgeschmackten Dissonanzen, welche ihm für originell galten“, womit sich Freytag der erheblich schärferen Kritik Wagners an 57

Zitiert von Felix Salomon: Die deutschen Parteiprogramme vom Erwachen des politischen Lebens in Deutschland bis zur Gegenwart. Heft 2. 3. Aufl., Leipzig/Berlin 1924, S. 65. 58 G. Freytag: Der Streit über das Judenthum (wie Anm. 52), S. 335. Dort auch die nächsten Zitate.

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den protestantisch getauften Heine annäherte. Denn Wagners unsachliche Heinekritik hatte gewiß auch damit zu tun, daß dieser in seinen Nachtgedanken (1843) nationalistische Gefühle halb satirisch karikierte: „Denk ich an Deutschland in der Nacht,/Dann bin ich um den Schlaf gebracht,/Ich kann nicht mehr die Augen schließen,/Und meine heißen Tränen fließen.“ Freytag hielt es jedoch für ehrlicher und christlicher, die positiven Seiten des jüdischen Wesens nach einem Jahrtausend der Unfreiheit und Isolation zu beleuchten und hervorzuheben, obwohl er seinen unterdrückten Antisemitismus gar nicht verleugnen konnte. Die Nichtjuden hätten das Recht verloren, jüdischen Künstlern Einseitigkeiten vorzuwerfen und es sei zu befürchten, „daß gerade Herr Wagner in seinen eigenen Werken die Eigenthümlichkeiten und Schwächen, welche nicht selten an jüdischen Künstlern getadelt worden sind, in höchst ausgezeichneter Weise an den Tag gelegt hat, wenn er dieselben auch ein wenig anders drapirt zeigt, als seine Vorgänger. Im Sinne seiner Broschüre erscheint er selbst als der größte Jude.“59 Dieser Vorwurf einer Judenähnlichkeit, der als eine wirksame Waffe gegen Wagner öfter erhoben wurde, erscheint nach den zwiespältigen Aussagen als eine ziemlich willkürliche Konstruktion Freytags, die eher einen gegnerischen Kontrapunkt setzen wollte als rational zu argumentieren versuchte. Die Deutschtümelei Wagners und sein antikosmopolitischer Nationalismus waren lediglich das politische Spiegelbild seines musikalischen Antisemitismus und eine judenfreundliche Haltung hat Wagner ja wiederholt energisch von sich gewiesen. Wagners Werke, so fuhr Freytag fort, zeichneten sich „neben Fragmenten von wahrhaft schöner, zuweilen wahrhaft hinreißender Erfindung“ durch Effekthascherei aus, durch „unerzogene Prätension eines eigenwilligen Dilettanten“ – hier werden die vielzitierten Invektiven von Friedrich Nietzsche und Thomas Mann vorweggenommen –, sie ermangelten einer melodischen und harmonischen musikalischen Empfindung und sie enthielten „die übergroße, nervöse Unruhe, Freude am Seltsamen und Gesuchten, das Bestreben, durch witzigen Einfall und äußerliche Kunstmittel die gelegentliche Schwäche seiner musikalischen Erfindung zu dekken“. Der dilettantische Vorwurf wurde von Freytag jedoch durch effekthascherische sprachliche Redewendungen überspielt, die wenig inhaltliche Präzisierungen enthalten und denen deshalb etwas Gekünsteltes anhaftet, wie z. B. Wagners Judenähnlichkeit, die Wagner in seinen Gesprächen mit Cosima nicht nur energisch geleugnet und zurückgewiesen hat, sondern die seinem übersteigerten Nationalismus und seinem operettenhaften Germanentum gar nicht gerecht wird. Dazu zählt auch die Unterstellung Freytags, die merkwürdige und eigentümliche Beschaffenheit von Wagners verhängnisvollem Talent müsse als eine dem Judentum entsprechende aufgefaßt werden, weil er nicht eingestehen würde, „daß er selbst zu dem Judenthum in der Musik gehöre, so haben wir Andern zuverlässig alles Recht verloren, von Beschränktheiten der jüdischen Musiker zu sprechen“. Freytags Kritik vermittelt den unterschwelligen Eindruck, als habe er sich selbst noch nicht ganz 59

Ebd., S. 336. Dort auch die nächsten Zitate.

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von seiner antisemitischen Einstellung befreit und wolle seinem schriftstellerischen Rivalen eine nationalistische Interpretation des bürgerlichen Lebens nicht allein überlassen. Trotz der vielfältigen Reaktionen auf Wagners Schrift, so ein anderer, gegenüber Wagner sehr positiv eingestellter Kritiker, fehle „eine ruhige, leidenschaftslose Entgegnung“,60 ein Eingehen auf den wirklichen Sinn und die wahre Bedeutung dieser Abhandlung, während oft ein großer Haß, „vermischt mit Arroganz und Verläumdung“ Wagner von seinen Gegnern entgegengeschleudert worden sei. Fuchs glaubte, „sogar sehr gebildete, vorurtheilsfreie Juden sprechen sich mißbilligend über so manche Entgegnung aus und wünschen das Ende dieser literarischen Fehde herbei“, weil sie nur die Gemüter erregte und Zwietracht stifte, aber er nannte keine Namen. Vielmehr möchte er für Wagners Judenschrift von „ganz partheilosem Standpunkte“ eine Lanze brechen, obwohl er Wagner weder gesehen noch gesprochen habe und niemals in eine persönliche Beziehung zu ihm getreten sei. Der ,parteilose‘ Standpunkt ist meistens von unterschwelligen Vorurteilen geprägt, weil wir uns bei solchen moralischen Fragen für ein pro oder contra entscheiden müssen und uns nicht auf eine scheinbar neutrale Position zurückziehen können. Hans von Bülow vertrat in einem Brief an Wagner vom 8. April 1869 eine ähnliche, aber leicht zu widerlegende Ansicht wie Fuchs, daß die jüdischen und deutschen Befürworter von Wagners Judenschrift zahlenmäßig ausgeglichen seien: „Wie die Sachen stehen, d. h. wie weit die Verjüdelung der Deutschen (ohne Blutvermischung) bereits vorgeschritten ist, möchte ich behaupten, daß die Zahl der Juden, welche mit Deiner Broschüre einverstanden sind, der Zahl der Gleichgesinnten Nichtjuden völlig gleich kommt. Ich sehe ziemlich trübe – ich glaube nicht mehr an die Möglichkeit einer Rettung vor der allgemeinen Verlumpung i. e. Verjüdelung. Die Krankheit hat zu weit um sich gegriffen.“61 Max Fuchs bekannte dagegen freimütig und ohne antisemitische Vorurteile, daß er nicht zu den glänzenden Koryphäen der Literatur und Kunst gehöre, aber dies störe ihn nicht, auch wenn man mitleidig auf ihn herabblicken sollte. „Dieses mitleidige Lächeln kümmert mich aber nichts, auch wenn es am Ende zur Satyre ausarten sollte.“62 Fuchs wandte sich ausführlich gegen die Schriften von Edmund Friedemann und Eduard Maria Oettinger – auf die ich unten noch zu sprechen komme –, die nicht berücksichtigt hätten, daß die Kunst mit der Menschheit innig verwoben sei und eigentlich die Seele der Menschheit bilde, d. h. wenn die Völker arm seien, müsse auch die Kunst betteln gehen. Die angeblich leidenschaftslose und vorurteilsfreie Betrachtung mündete bei Fuchs dann in einen Wagnerschen Pessimismus und Weltschmerz, die in einer antikapitalistischen Ideologie den Schuldigen gefunden 60 Max Fuchs: Noch ein Wort über Richard Wagners Judenthum in der Musik, München 1869, S. V (Vorwort). Dort auch die nächsten Zitate (Hervorhebung im Original). 32 Seiten, Im Selbstverlage des Verfassers. Druck von Josef Deschler. 61 Hans von Bülow: Neue Briefe, hrsg. von Richard Graf Du Moulin Eckart, München o. J. (1927), S. 463. 62 M. Fuchs: Noch ein Wort (wie Anm. 60), S. VI.

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zu haben glaubte: „Daß an dem Verfalle der Völker die politisch partheiische Zerrissenheit, der Egoismus, mit Schuld trägt, wer möchte es bezweifeln? Allein nicht diese beiden Faktoren tragen dazu bei, hauptsächlich ist es die massenhafte Verarmung unserer Zeit und die Anhäufung des Geldes, wenn ich mich so ausdrücken darf, in den Händen einer gewissen, dazu bevorzugten Klasse von Menschen.“63 Und schon sind wir wieder beim Antisemitismus über jüdische Geldhaie und Wucherer, die es ja nach Ansicht anderer Interpreten bei Wagner gar nicht gegeben haben soll, doch von vielen Wagnerforschern klar identifiziert wurden. Die Identifikation von Kapitalismus mit geist- und kunstfeindlichem Egoismus zieht sich wie ein roter Faden durch eine realitätsverleugnende Geistesgeschichte, obwohl ein künstlerisches Mäzenatentum ohne die Anhäufung von kapitalistischen Reichtümern und eine spendable Bereitschaft von Kapitalisten undenkbar wäre. Niemand kann nach Fuchs bezweifeln – und dies sei der eigentliche Sinn von Wagners Schrift, wie wahr –, daß die Juden im Besitz des Kapitals seien, was schon vor 1869 nicht den ökonomischen Tatsachen entsprach. „Geld aber ist Macht, und wer davon am Meisten besitzt, ist Herrscher.“ Fehlte nur noch, daß Fuchs behauptete, auch Wagner habe das jüdische ,Unwesen‘ vorurteilsfrei und unparteiisch betrachtet, weil er die angebliche Ausbeutermentalität der Juden aufs Korn nahm. Fuchs stimmte also mit Wagner vollständig darin überein, daß ein wesentliches Merkmal der Juden der Wucher mit Geld sei, das Anhäufen von Reichtum, d. h. der offensichtliche Gegensatz von Kunst, was jedoch niemals zum Wohlstand der Nationen beitragen könne: „Nein, gewiß nicht, denn es ist, offen gesagt, der Ruin der Völker!“64 Im 19. und auch im 20. Jahrhundert ist die reichtumsvermehrende Funktion der kapitalistischen Industrialisierung, die Europa und den USA einen Wohlstand bescherten, der nicht mehr auf wenige Menschen beschränkt war, nur allzuoft von den negativen Begleiterscheinungen der industriellen Fabrikarbeit in den Anfangsjahrzehnten dieses sozialen, ökonomischen wie politischen Umwälzungsprozesses überschattet worden.65 Diese auch heute noch weitverbreitete Kritik am Kapitalismus, von der Wagner ganz durchdrungen war, verkennt jedoch die fehlende Gegensätzlichkeit von Kunst und Kommerz, denn erst der allgemeine Wohlstand hat es breiteren Bevölkerungsschichten ermöglicht, an künstlerischen Genüssen zu partizieren. Für Fuchs dagegen ist nichts natürlicher als gegen einen solchen Eindringling zu kämpfen, vor allem dann, wenn er mit allen Mitteln die Geldmacht an sich reiße, was ja auch schon Karl Marx zur verlogenen Rechtferti63 Ebd., S. 9. Dort auch das nächste Zitat (Hervorhebungen im Original). Fuchs verbreitete die unhaltbare Unterstellung: „Unter Judenthum versteht Wagner lediglich nur die Geldherrschaft, unbekümmert um Confession.“ (S. 10). 64 Ebd., S. 10 (Hervorhebung im Original). Später hieß es: „Das Heidenthum mußte dem Christenthum weichen, das Judenthum erhielt sich vermöge seines zähen Organismus, und weil sich gegen eine Verschmelzung sein inneres Wesen und die eigene Form sträubte.“ (S. 15). 65 Vgl. dazu Hubert Kiesewetter: Das einzigartige Europa. Wie ein Kontinent reich wurde, Stuttgart 2006, S. 106 ff.

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gung seiner sozialen Revolution beschworen hat.66 Und warum ist das Geld, das wir in unserem täglichen Leben so schätzen, in den Augen extremer Antisemiten so ruinös, abgesehen davon, daß Reiche oft beneidet und bewundert werden? Lediglich darum, weil einige Juden, die nichts als „Sinn für das Erwerben, Vermehren und Zusammenhalten“67 ihrer Macht haben sollen, dazu gedrängt wurden, Geld an christliche Fürsten und Könige zu verleihen, um ihren Lebensunterhalt fristen zu können: „Hier aber ist der Scheidepunkt, wo Christ und Jude sich trennt, wo die feindlichen Elemente sich berühren, wo der Kampf mit den Lebensbedürfnissen eines wahrhaft edelgesinnten Menschen gegen die Macht – das Geld – beginnt.“ Zu dem Zeitpunkt, als diese antijüdischen Gedanken publiziert wurden, hatten sich in Deutschland schon Tausende von deutschen Unternehmern zu wohlhabenden Geldund Kapitalbesitzern emporgeschwungen, die den finanziellen Vergleich mit jüdischen Mitbürgern nicht mehr zu scheuen brauchten. Mit dieser eingängigen, aber einseitigen Charakterisierung jüdischer Finanzgeschäfte, die in der unwürdigen Geschichte des Katholizismus und Protestantismus eine lange Tradition aufweist, hat man den geldscheffelnden Juden festgenagelt, ihn zu einer praktischen, also unkünstlerischen Figur, heruntergestuft, von denen es als „eine anerkennenswerthe Thatsache“ zwar einige Ausnahmen gäbe, was jedoch der allgemeinen Regel nicht widerspreche. „Der Jude hat für die Kunst nur dann Geld, wenn er daraus Vortheil zu ziehen weiß; aus Achtung vor derselben, aus Wohlwollen unterstützt er dieselbe nicht.“68 Man könnte eine lange Reihe von jüdischen Mäzenaten anführen, die diese Ansicht widerlegen, aber darum soll es hier nicht gehen, weil wir ja vor allem kritische oder wohlwollende Bewertungen von Wagners Judenbroschüre auf dem holprigen Weg zu einer rassistischen Ideologie beleuchten wollen. Aus der jüdischen Raffgier folgte nach Fuchs mit zwingender Logik, daß man Wagner und seine Kunst gegen alle Anfeindungen verteidigen müsse, selbst wenn seine Musik, wie die Meistersinger in Mannheim, vom Publikum ausgepfiffen wurde: „Hat Mannheim nicht gerade dem von Wagner behaupteten Drucke, den die Geldaristokratie auf die Künste übt, eine unauslöschliche Blamage zu verdanken; hat es sich nicht ein großes Armuthszeugniß ausgestellt, weil er erst die vierte Vorstellung wegen Wagners Broschüre auspfiff, nachdem es dreimal zugejubelt hatte?“69 Hier wird einfach wahrheitswidrig unterstellt, wie wir dies in Verschwörungstheorien häufig antreffen, als seien die gleichen badischen Besucher in allen vier Vorstellungen anwesend gewesen und Wagners Antisemitismus habe gar keine Rolle gespielt. Die Gegner Wagners seien besonders dadurch beleidigt gewesen, daß er das Äußere der Juden angegriffen und damit deren Eitelkeit verletzt habe, aber: „Daß 66

Vgl. Hubert Kiesewetter: Karl Marx und die Menschlichkeit, Berlin 2011. M. Fuchs: Noch ein Wort (wie Anm. 60), S. 11. Dort auch die beiden nächsten Zitate (Hervorhebungen im Original). 68 Ebd., S. 12. 69 Ebd., S. 14 (Hervorhebung im Original). 67

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die Juden den südlich orientalischen Zug besitzen, ist Folge ihrer Abstammung und ist die Ursache, daß des Juden Gesicht unter Hunderten von Christen sogleich herausgefunden wird.“70 Die jüdische Physionomie war bei Wagners haßerfüllten Attacken auf die Juden jedoch nur eine, m. E. unbedeutende, Seite seines verabscheuungswürdigen Rundumschlages, der von Fuchs ungewöhnlich stark ausgewalzt wurde, um Wagner vor allzu heftiger Kritik in Schutz zu nehmen. Zwar gebe es auch unter Juden hin und wieder ein paar schöne und interessante Gesichter, aber diese Schönheit gehe mit einem bestimmten Alter verloren. „Im raschen Vergehen werden des Juden Züge um so charakteristischer, ich möchte sagen unästhetischer, je höher das Alter steigt.“71 Daß christliche Gesichter ebenfalls altern und ihre ursprüngliche Schönheit verlieren, scheint in Fuchs‘ blindem agitatatorischen Angriff ausgeschlossen zu sein. Was Wagner außerdem über die Sprache der Juden schreibe, habe „in vieler Beziehung seine Richtigkeit“,72 denn sobald der Jude seinen Mund aufmache, „ist man nicht mehr im Unklaren, mit wem man spricht“!73 Dem Christen widerstrebe dieses Idiom selbst bei gebildeten Juden, die sich bemühten, akzentfrei zu sprechen, denn es gelinge ihnen nicht ganz. „Immer findet sich eine Accentuirung von Sylben, eine unwillkürliche Fragestellung, welche an ihnen zum Verräther wird.“ Nationalsozialistische Wagnerianer, die einen völkischen Rassismus aus Wagners Schriften herausdestillierten, haben ähnlich argumentiert, wie wir später noch hören werden. Beim jüdischen Gesang während der religiösen Feierlichkeiten in den Synagogen fehlte nach Fuchs wie nach Wagner das Erbauende und Erhabene, weil „jedes musikalische Ohr damit beleidigt wird“,74 mit anderen Worten, der christliche Kultus stehe dagegen auf einer hohen Stufe: „Der Gesang und die InstrumentalMusik bei feierlichen Handlungen wirkt auf das religiöse Gemüth wunderbar ein. Das christliche Gefühl erhebt sich bei den freudigen Tönen eines Gloria, es schaudert zusammen bei dem mahnenden Dies irae dies illa, und frohlockt bei den Tönen eines Benedictus. Es ist die Allgewalt der Musik, welche sich der Herzen bemächtigt und sogar im Stande ist, den rohesten Menschen zu rühren.“75 Nicht viel anders verhielt es sich nach Fuchs bei der jüdischen und deutschen Presselandschaft, die himmelweit auseinanderdrifteten, womit er ein oft behandeltes Thema Wagners anschnitt, ohne mit dessen Intensität darauf einzugehen. Wagners Verhältnis zur Presse war auch deshalb so negativ besetzt, weil er sie von Juden dominiert glaubte, die in einem verschwörerischen Akt seine Zukunftsmusik zerstören 70

Ebd., S. 16. Ebd., S. 16 f. Es gäbe keinen Maler, der einen Judenkopf porträtieren würde, wenn ihm das Alter widerstrebe. „Und wenn die Physiognomie des Juden dem Christen unangenehm ist, so ist die alleinige Ursache, weil dieselbe vor dem kalten, berechnenden Uebergewichte desselben warnt.“ (S. 17). 72 Ebd., S. 19. 73 Ebd., S. 20. Dort auch das nächste Zitat. 74 Ebd., S. 24. 75 Ebd., S. 23 (Hervorhebungen im Original). 71

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wollten. Zwar gibt es nach Fuchs noch eine Presselandschaft, die nicht von jüdischem Kapital beherrscht würde – vor allem in Rußland, weil sich die Presse dort „noch frei von jener Geldmacht erhalten hat und daher ohne Partheilichkeit sich äußern kann“76 –, aber es werde nicht mehr lange dauern, dann werde die Presse „als alleiniges Eigenthum der Juden zu betrachten sein“. Fuchs verteidigte Wagner also in fast jeder Hinsicht, obwohl er den Juden vordergründig gleiche Rechte zubilligte und sie angeblich wegen ihres Reichtums nicht beneidete, aber wer mit Glücksgütern gesegnet sei, „möge sich hüten, sie als Macht zu betrachten, welcher Alles unterthan sein muß“.77 Es werden zum Schluß des Artikels einige haßerfüllte Äußerungen gegen Wagners Judenaufsatz zitiert und gefolgert: „Es ist also die Geldmacht der Juden, gegen welche Richard Wagner zu kämpfen hat, denn nummerisch ist der Jude zu schwach, um auf Erfolg rechnen zu können.“78 Eine überaus polemische Attacke ritt ein M. Gutmann gegen Wagner, den Judenfresser,79 obwohl sie gar nicht so furios und angriffslustig endet: „Wir bemerken mit Bedauern die Spuren eines traurigen Uebels, das um so mehr Platz greift, um so stürmischer hervorbricht, je mehr Haß und Verblendung die edleren Gefühle verdrängen.“80 Gutmann warf Wagner wie andere Kritiker und sogar Weggefährten eine selbstverliebte Eitelkeit, maßlose Selbstvergötterung vor und vermutete, daß seine beanspruchten Nerven einer lärmenden Zukunftsmusik nicht standgehalten hätten: „Schöne Phrasen sollen dabei seinem leeren Gewäsche ein gewisses Ansehen bei der großen Menge verschaffen“.81 Er sei zu einer gewissen Zeit ,Demokrat‘ gewesen – wahrscheinlich während der Revolutionszeit 1848/49 oder kurze Zeit danach –, aber dieses politische Bekenntnis habe seinen hypokritischen Erwartungen nichts genutzt, weshalb er opportunistisch eingeschwenkt sei: „Als die Verhältnisse es erheischten, ward er aber Renegat; er verwandelte sich in einen Deutschthümler und ächten Christen.“82 Die opportunistische Haltung Wagners haben wir bereits kennengelernt, doch seine Deutschtümelei war in seinem ganzen Denken tief verwurzelt und keineswegs eine abtrünnige Überzeugung. Der tiefere Grund für diese eigentümliche Wandlung Wagners sei gewesen, daß sein Judenaufsatz von 1850 keine große Wirkung erzielt habe, weswegen er schon damals hätte „Trauer anlegen und ein ,de profundis‘ componiren sollen, statt nach 18 Jahren wiederzukommen und das längst verstorbene Kind seiner kranken Phantasie zu zeigen und uns von der märchenhaften Wirkung zu erzählen, die es hervor gebracht 76

Ebd., S. 28. Dort auch das nächste Zitat. Ebd., S. 30. 78 Ebd., S. 31. „Richard Wagner war sich und seinen Freunden die Veröffentlichung dieser Broschüre schuldig, damit endlich Klarheit in die Sache kam.“ (Ebd.). 79 Vgl. M. Gutmann: Richard Wagner, der Judenfresser. Entgegnung auf Wagner’s Schrift: „Das Judenthum in der Musik“, Dresden 1869. 17 Seiten, Verlag von Conrad Weiske. 80 Ebd., S. 17. 81 Ebd., S. 3. 82 Ebd., S. 12. 77

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habe“.83 In gewollter Ironie und einem leichten Sarkasmus äußerte Gutmann die Ansicht, daß es ein großer und bedeutender Mann sein müsse, „gegen den eine ganze Welt seit zwei Decennien ankämpft“.84 Wagners Judenhaß bemühe als geistige Quelle „das christlich-germanische Naturell“,85 aber tatsächlich sei dies nur Mittel zum Zweck, um seine persönliche Abneigung gegenüber allen jüdischen Formen auszudrücken, was sich bei seinen antisemitischen Nachfolgern noch steigerte. Dabei bediene er sich der allererbärmlichsten Dialektik, um seine scheinbare Beweisführung dem deutschen Volk schmackhaft zu machen. Das eigentliche Anliegen Wagners bestünde in dem Aufschrei: „O, diese Juden, warum emancipirte man sie, statt sie dem Untergange zu weihen?“86 In diesem Zusammenhang warf Gutmann Wagner außerdem vor, daß er einen lächerlichen und größenwahnsinnigen Kampf gegen das Judentum führe, dem ja inzwischen die volle Rechtsgleichheit mit den Christen gewährt worden sei. Das war zwar historisch nicht ganz korrekt, aber im Vergleich zur Mitte des 19. Jahrhunderts hatten sich in verschiedenen deutschen Staaten bereits große emanzipatorische Erfolge eingestellt, gegen die Wagner ebenfalls ankämpfte: „Noch sonderbarer, ja geradezu albern finden wir es, wenn Jemand im 19. Jahrhundert es noch auszusprechen wagt: auf dem Volke Israels laste ein Fluch (jedenfalls doch wegen der Schuld am Tode Christi).“87 Nach dieser reichlich naiven Interpretation holte Gutmann zum entscheidenden Schlag gegen Wagner aus, um ihn endgültig mundtot zu machen: „Wir halten Herrn Wagner offen gestanden für keinen so großen Narren, als es uns durch so ungereimte Bemerkungen erscheinen muß“,88 daß er in ewiger Selbstvergötterung gegen alle und jeden, der seine huldreiche Gunst verscherzt hat, sich das Recht herausnehmen dürfte, sie „berserkerwüthig mit Koth bewerfen zu können“. Allerdings hat Wagner dies weiterhin getan, wie wir später noch hören werden. Der Weggefährte Wagners und im 19. Jahrhundert bekannte Schriftsteller Karl Gutzkow (1811 – 1878), der von 1846 bis 1849 Dramaturg am Dresdner Hoftheater war – und damals ähnlich revolutionär gesinnt war wie Wagner –, äußerte sich in der illustrierten Wochenzeitschrift Die Gartenlaube kurz zur Judenschrift.89 Gutzkow bezeichnete seine Ausführungen als Resultat einer leidenschaftlich flammenden Aufforderung seiner offenbar fingierten Briefpartnerin, die er als zweite Jungfrau von Orleans anspricht, „das Schwert zu ergreifen und auch meinerseits gegen

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Ebd., S. 15. Ebd., S. 16. 85 Ebd., S. 6. 86 Ebd., S. 7. 87 Ebd., S. 13. 88 Ebd., S. 16. Dort auch das nächste Zitat. 89 Vgl. Karl Gutzkow: Literarische Briefe. An eine deutsche Frau in Paris, in: Die Gartenlaube, Bd. 20, 1869, S. 310 – 312. 84

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Richard Wagner’s ,Verunglimpfung der Juden‘ zu kämpfen!“90 Gegen den angeblich leidenschaftlichen Zorn der Pariserin, die vermutete, daß der Vatikan dem Autor ,den Orden vom goldenen Sporn‘ überreichen würde, riet Gutzkow zur Gelassenheit, da Wagners Schrift „innerhalb des gesammten weiland römisch-deutschen Reiches“ bereits auf heftigen Wiederstand gestoßen sei. „Kreuzigt ihn! steht in allen Blättern zu lesen und ,die Meistersinger von Nürnberg‘ werden bei ihrem Rundgang über die deutschen Bühnen gut thun, jüdische Plätze, z. B. Frankfurt am Main, zu vermeiden, sonst würde der Schuster Hans Sachs viel Pech zu besehen haben.“ Von einem ,blonden‘ Standpunkt aus könnte man wohl einige Kritikpunkte Wagners akzeptieren – obwohl „Wagner’s Beweisführung grundfalsch“ sei –, z. B. „Gesangsmanier?! Stimme?!… Und Compositionsweise?!“ Wagners Kritik am schlechten Geschmack seiner jüdischen Gegner an einem Artikel aus dem Jahr 1850 sei jedoch absurd: „Das ist in der That die Selbsttäuschung einer Befangenheit, die etwa mit dem logischen Calcül eines Shakespearschen Narren sagen wollte: Die Sonne geht im Westen unter, weil der Löwe ein reißendes Thier ist! Nichts paßt von den Eingebungen seines Zorns auf seine Lage.“91 Wagnerianer haben diese Kritiken entweder nicht gekannt oder sie ignoriert, denn bis zum Ende des Dritten Reiches ist mir keine Analyse der logischen Unstimmigkeiten von Wagners Antisemitismus begegnet. Nach Gutzkow erklärten die Invektiven Wagners gegen jüdische Charakteristika überhaupt nichts über das Schicksal seiner Muse, der Musik, denn gerade die gebildeten Juden verehrten mit großer Leidenschaft die deutsche Musiktradition, z. B. Mozart, Beethoven oder Schubert. Die konsequente Opposition der Juden gegen Wagner könne einen ganz anderen Grund haben, nämlich: „Weil die Juden mehr als wir Christen einen bei ihnen tiefeingewurzelten religiösen Zug haben, genannt die Pietät. Das jeweilige Regiren der Juden hebt bei ihnen ihr tiefes Bedürfniß der Anerkennung nicht auf.“92 Die Pietät oder der Pietist bedeuten ja auch eine schwärmerische Frömmigkeit oder einen Frömmler, eine Charakterisierung, die eher auf Wagners Frau Cosima als auf die meisten Juden zutraf, wie wir noch hören werden. Dagegen schätzten nach Gutzkow jüdische Bankiers, jüdische Makler oder jüdische Professoren, „kurz hervorragende Erscheinungen aus allen Stämmen des auserwählten Volks!“, nicht nur klassische Musik, sondern würden sie selbst aufführen. Dies ist ja bis heute der Fall und erklärt wohl auch die heftige Auseinandersetzung über den Versuch des israelischen Dirigenten Daniel Barenboim, Wagners Musik in Israel zu spielen. Es sei deshalb auf Wagners künstlerische Blindheit zurückzuführen, „daß er das Motiv der ihn verfolgenden Gegnerschaft im mangelnden Sinn – für germanisches Leben, Volkslied, in Rachen- und Gutturaltönen, in einer steten zappelnden Furcht vor Langeweile“ statt „in dem treuen Sinn der Juden für alles Anerkannte und Bewährte“ sehe. Wagner müsse sich fragen lassen, 90 91 92

Ebd., S. 310 (Hervorhebung im Original). Dort auch die nächsten Zitate. Ebd., S. 310 f. Ebd., S. 311 (Hervorhebung im Original). Dort auch die nächsten Zitate.

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ob er an der musikalischen Realität in Dresden, Frankfurt am Main, Hamburg, Prag oder Wien mit Scheuklappen vorübergehe: „Oder hat Wagner nie diese musikalischen Puristen, diese Rabbinen classischer Musik kennen lernen, die z. B. in Berlin in Quartett- oder Symphoniesoiréen den Ton angeben und die dann gewöhnlich – wer wohl sind?“ – Juden! Natürlich war dies Wagner wohlvertraut, aber es berührte ihn nicht, da er sich in antisemitische Vorstellungen so hineingesteigert hatte, daß die widerspenstige Realität an ihm abprallte. Und was Felix Mendelssohn Bartholdy anginge, so hätte sich Wagner völlig verrannt in einen „Popanzbegriff von ,Judenschönheit mit Knoblauchsduft‘“, denn seit Generationen gehörten die Mendelssohns der deutschen Kultur an und auch Felix‘ Kompositionen drückten eine großartige Virtuosität und wunderbare Kunst eines „hochgebildeten, poetisch nachfühlenden Kopfes“ ebenso wie seltene Bildung aus. „Es ist geradezu sträflicher Leichtsinn, der Nation eine so edle Gestalt verzerren und ihr Schandnamen andichten zu wollen, die sie nicht verdient.“ Bis zum Ausbruch des vernichtungswütigen Rassismus 1933 hatte sich die jüdische Kultur und jüdische Wissenschaft in Deutschland noch auf höhere Stufen emporgearbeitet, was nationalsozialistische Rassisten nicht daran hinderte, ihre gänzliche Ausrottung zu betreiben. Nachdem Gutzkow über die Stärken und Schwächen der Literatur im 19. Jahrhundert einige Gedanken geäußert hat, kam er zum Schluß noch einmal in einem versöhnlichen Ton auf Wagner zu sprechen, indem er ihm empfahl, nach anderen Ursachen Ausschau zu halten, wenn er glaubte, daß seine Musik nicht die ihr gebührende Aufmerksamkeit erhalte: „Vielleicht gewinnt Richard Wagner einen neuen Standpunkt für die Aufklärung und Ergründung der Quellen seiner von ihm vorausgesetzten Unpopularität, einen Standpunkt, der dann zu gleicher Zeit auch der Literatur und all‘ unserer sonstigen Culturgeschichte zu Gute käme und auf welchem man vollkommen seiner Richtung einen leidlich siegreichen Durchbruch und manchen Triumph wünschen könnte wenigstens über die vulgäre Traditionsmusik und – die Vornehmthuerei. Möge ihm dann seine diesmal falsch gewählte Spur, die Abirrung in’s Ghetto, vergeben und vergessen sein!“93 Die kritischen Bemerkungen von Gutzkow machen den eklatanten Widerspruch zwischen einer realistischen und irrationalen Betrachtungsweise überdeutlich, da nicht die unterschwelligen Absichten Wagners kritisiert werden, sondern ihm die aktuelle Situation der Juden gegenübergehalten wird, die von Wagner bewußt ausgeblendet wurde. Die umfangreichste Abhandlung über Wagners Schrift aus dem Jahr 1869, die hier kursorisch beschrieben und inhaltlich lediglich angedeutet werden soll, stammte von dem bekennenden Katholiken Julius Lang,94 kein blonder Indogermane, „sondern einer Kreuzung der Racen entsprossen die Frucht der Verbindung 93

Ebd., S. 312. Vgl. Julius Lang: Zur Versöhnung des Judenthums mit Richard Wagner. Mit Benutzung zweier noch nicht veröffentlichter auf diese Angelegenheit Bezug habenden Briefe Richard Wagners. Ein unpartheiisches Votum, Berlin 1869. 47 Seiten, Stilke und van Muyden. 94

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einer Deutsch-Oesterreicherin und einem Ungarn“,95 was ja nicht automatisch eine antisemitische Haltung ausschloß. Der Zweck dieser Schrift sei weder eine zusätzliche Abhandlung zu den vielen bereits vorhandenen über diesen Gegenstand noch eine ,Weißwaschung‘ Wagners gegenüber dem Judentum, sondern der Wahrheit zum Durchbruch zu verhelfen und die vielen Mißverständnisse, die „der große Haufe der gedankenlosen, oberflächlichen Nachbeter“96 produziert habe, zu beseitigen. So uneigennützig uns diese heeren Ziele erscheinen mögen, so können sie doch nicht in kritischer Erkenntnisabsicht verwirklicht werden, denn Wahrheit ist lediglich ein anzustrebendes Ideal, das in der Wissenschaft niemals unbezweifelbar zu erreichen ist, weil wir kein Kriterium dafür aufstellen können. Aber ganz offensichtlich wollte Lang keine wissenschaftliche Abhandlung vorlegen, sondern seine Position aus einer katholischen Sicht ausbreiten. Außerdem war es dem Autor ein großes Anliegen, „zur Versöhnung der beiden in einem heftigen und höchst bedauerlichen Kampfe begriffenen Partheien“97 beizutragen, was unter den entsprechenden Vorzeichen nicht gelingen konnte. Lang bezeichnete sich als langjährigen treuen Freund und begeisterten Verehrer der Kunst Wagners, woraus er den „unwiderleglichen Beweis“ ableiten zu können glaubte, „daß Wagner nichts ferner lag, als eine gehässige Brandschrift gegen das Judenthum als Confession oder als Nation zu schleudern“,98 vielmehr sei er über die Reaktion auf seine Schrift überrascht und betroffen gewesen. Doch die meisten wissenschaftlichen ,Beweise‘ in der Millionen Jahre alten Menschheitsgeschichte sind wie heiße Luft verdampft oder wie zu stark aufgeblasene Luftballons zerplatzt, weil sie durch neue Erkenntnisse widerlegt wurden. Als Freund Wagners wies Lang darauf hin, daß er ja in der „Vorrede seines vielgeschmähten und ganz und gar mißverstandenen Buches“99 jüdische Freunde erwähnt habe, und Lang erwähnte nicht nur Carl Tausig und Julius Stern: „An solchen aufrichtig ergebenen Freunden und Bewunderern unter den Juden fehlt es auch in Berlin nicht. Ich könnte einen hochgeachteten kunstsinnigen Banquier nennen, dem Wagner einen Theil seiner kleinen Ersparnisse zur Verwaltung überlassen hat – ein Beweis, daß es Wagner an ganz besonderem Vertrauen zu den Juden als solchen nicht fehlt“, was ja in dieser Allgemeinheit unzutreffend ist, wie wir gesehen haben. An dieser zwiespältigen Haltung änderte sich bis zum Tod Wagners nichts Wesentliches, aber diese jüdischen ,Freunde‘ müssen sich wohl die moralische Frage gefallen lassen, ob man die von einem Menschen ausgeübte Kunst (Musik) und Politik (Antisemitismus) derart trennen kann, daß das eine mit dem anderen keine Berührungspunkte aufweist. Wagner betrachtete ,seine‘ Berliner Juden offenbar ganz anders, denn Cosima teilte uns in einem Tagebucheintrag vom 95 96 97 98 99

Ebd., S. 5. Ebd., S. 2. Ebd., S. 1 (Hervorhebung im Original). Dort auch das nächste Zitat. Ebd., S. 1 f. (Hervorhebung im Original). Ebd., S. 2. Dort auch das nächste Zitat (Hervorhebungen im Original).

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5. Februar 1872 mit, daß Wagner „einen tiefen Ekel vor Berlin“100 empfinde und daß er bei seinem dortigen Besuch „viel Jüdisches erlebt“ habe, wie zum Beispiel: „Wagneriana hat ihre Zeichnungen zurückgenommen, weil Tausig bei dem Bankett in Berlin die Mitglieder derselben nicht vorstellte, sie also gleichsam verleugnete. Judenempfindlichkeit und Judenrache.“ Was allerdings über Wagners Broschüre bisher von Juden geschrieben worden sei, war nach Lang „leidenschaftlich, ordinär, gehässig, das Feuer schürend und entschieden gegen Wagner“,101 doch dies habe ihm sowohl bei Christen wie bei Juden eher genützt als geschadet. Die gebildeten Juden, wie etwa Berthold Auerbach, Moriz Hartmann, J. J. Jacobi oder Alfred Meißner, aber hätten – wenigstens in der Öffentlichkeit – geschwiegen, auch wenn sie das Wagnersche Buch gar nicht so schlecht fanden, „und haben das Wort der ,Ausschußwaare‘ Israels, den geist- und einflußlosen Journal-Juden, den um ZeilenHonorar schreibenden, in Literatur machenden Skribenten überlassen“.102 In der beschönigenden Wagnerliteratur wird ja öfter Carl Tausig (1841 – 1871) angeführt, um Wagners Judenfeindschaft in einem günstigeren Licht erscheinen zu lassen, da er angeblich eine Reihe jüdischer Freunde hatte. Auch Lang zitierte einen Brief Wagners an Tausig, der diesem mitgeteilt hatte, daß der Lohengrin-Abend „die Judenschaft Berlins wieder versöhnt habe“. Darauf antwortete Wagner auf seine gewohnt ambivalente Weise: „… Deine Versicherung: alle Juden seien mir versöhnt, hat natürlich auch ihre Wirkung auf mich gemacht. Es wäre wirklich nicht übel, wenn von gescheidten und geistvollen Juden meine Broschüre nur eigentlich ordentlich gelesen würde, aber lesen scheint jetzt kein Mensch mehr zu können. Einzig aus Wien bekam ich von einem jungen Literaten einen Brief, der mir bezeugte, daß überhaupt noch gelesen werden kann. Dieser fand das charakteristische meiner Schrift in deren contemplativer Eigenthümlichkeit ausgedrückt. Selbst ich muß mir, wenn ich sie wieder durchlese, das Zeugniß geben, daß mit mehr 100 Cosima Wagner: Die Tagebücher. Band I: 1869 – 1877. Ediert und kommentiert von Martin Gregor-Dellin und Dietrich Mack, München/Zürich 1976, S. 486. Dort auch die beiden nächsten Zitate. Am 25. Mai 1872 schrieb Cosima, daß sie sich erneut über die „jüdische Frage“ unterhalten hätten, „da die israelische Vertretung des Berliner Wagner-Vereines uns sehr unangenehm berührt hat; R. sagt: Er hoffe doch noch, daß diese ganze Erscheinung eine Krankheit sei, die auch verschwinden werde, da die Amalgamierung etwas Unmögliches sei und wir doch nicht denken könnten, daß die Deutschen von den Juden unterjocht würden, unsre Waffentaten zeigten uns zu stark“ (ebd., S. 524 f.). 101 J. Lang: Zur Versöhnung des Judenthums (wie Anm. 94), S. 4 (Hervorhebung im Original). Lang ging auf seine Schul- und Studienzeit zusammen mit jüdischen Mitschülern ausführlich ein, um zu zeigen: „Die Majorität der Juden, die ich also in meiner Jugend kennen lernte, war geeignet nur Achtung einzuflößen, und ich erwähnte diese an sich unbedeutenden Einzelnheiten nur deshalb, um mich von vornherein gegen den Verdacht zu sichern, daß ich auch nur von dem allergeringsten Vorurtheil gegen das Judenthum befangen sein könnte.“ (S. 6). 102 Ebd., S. 5. Diese „obscure(n) Scribenten“ hätten das Judentum kompromittiert, „denn davon darf man innerhalb des Judenthums überzeugt sein, daß die anti-Wagner-Broschüren vielmehr dem Judenthum Schaden gebracht haben, als die mit dem Banne des Synedriums belegte Broschüre des Dichter-Componisten selbst“ (ebd., Hervorhebungen im Original).

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objectiver Ruhe wohl nie Jemand noch die Geschichte einer so unerhörten Verfolgung und ebenso ausgebeuteten als unablässigen Herabsetzung, wie sie mir widerfahren ist, dargestellt und besprochen hat. Natürlich hätte ich Alles über mich ergehen und stets schweigen müssen, wenn ich den Grund jener Verfolgung nicht aufdeckte. Dies war durch keinerlei Umschreibung zu thun, mit welcher ich oben gegenwärtig meine Gesinnungen über das Judenthum (was ich oben so nenne) als nur eigen auszusprechen gehabt hätte, was ich nun gar nicht im Sinne hatte, da ich es auf einen Kampf hingegen (als durchaus unnütz) gar nicht absehen konnte. Ich mußte also einfach das (für mich so verjährte) corpus delicti abdrucken lassen, um die ganze unerhörte Geschichte darstellen und erklären zu können… Ich habe nun aber einen wirklich geistvollen Juden Alles an die Hand gegeben, dieser ganzen Frage eine große und gewiß segensreiche Wendung, sich selbst aber eine höchst bedeutende Stellung zu unsrer wichtigsten Culturangelegenheit zu geben. Ich weiß, es muß ein solcher da sein; wagt er nun nicht zu thun, was seine Sache ist, so muß doch ich wieder über alle Maaßen traurig Recht haben, wenn ich das Judenthum – namentlich aber das moderne deutsche Judenthum – so bezeichne, und so bezeichnet lasse, als daß von mir geschehen ist. Aber Muth muß man haben, nicht blos Frechheit, denn mir ist’s Ernst um die Sache…“.103

Neutralität, Objektivität und Wahrheitsliebe scheint besonders häufig von denen in den Mund genommen bzw. aufs Papier gebracht zu werden, die ihre Lügen und Verleumdungen damit kaschieren wollen, denn es ist ja wesentlich einfacher, Mut zu predigen als Toleranz auszuüben. Lang erörterte in den folgenden Abschnitten eine historische „Charakteristik des Judenthums“,104 um Wagner einerseits gegenüber den heftigen Angriffen von jüdischer wie christlicher Seite zu rechtfertigen, andererseits ein Resümee der inhaltlichen Anschuldigungen zu versuchen. Denn selten habe eine relativ kurze Abhandlung, die „fast in jeder Beziehung ihrem Werthe nach tief unter des Verfassers früheren kunstwissenschaftlichen Schriften“105 stehe, so großes Aufsehen erregt wie die Judenschrift Wagners,106 die allerdings weit mehr sei als „ein antijüdisches Libell, oder eine unfruchtbare doctrinärästhetische theoretische Abhandlung“.107 Man habe sich jedoch nicht die Mühe gemacht, Wagners Broschüre aufmerksam und gründlich zu lesen, was ja Wagners Ansicht vollständig entsprach, sondern habe sie „nach Hörensagen oder nach tendenziösen partheiischen Zeitungsberichten“108 beurteilt und als „eine Brandschrift gegen die jüdische Nation denunciirt“.109 Nach den vielfältigen Reaktionen auf Wagners Judenbroschüre von 1869 können solche Behauptungen wohl nicht ganz 103

Zitiert ebd., S. 2 – 4 (Hervorhebungen im Original). Ebd., S. 6. 105 Ebd., S. 7. 106 „Eine Fluth von Broschüren aus den verschiedensten deutschen und nichtdeutschen Vaterländern, ja selbst aus dem heiligen Czaarenreiche, liegt vor uns, und während wir diese Zeilen niederschreiben, sollen in Berlin allein nicht weniger als drei im Druck befindlich sein, während man uns aus anderen Städten gleichfalls neue Emanationen gegen die Wagner’sche Schrift ankündigt.“ (S. 7, Hervorhebung im Original). 107 Ebd., S. 8. 108 Ebd., S. 8 f. 109 Ebd., S. 9 (Hervorhebung im Original). 104

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ernst genommen werden, denn die Autoren der 170 Gegenschriften haben gewiß das Wagnersche Machwerk ganz gelesen. Diese Schrift behandelt nach Lang eine politische, religiöse und soziale Nationalitätenfrage der damaligen Gegenwart, die als ein „halb materialistisches halb cäsaristisches Zeitalter“110 angesehen werden könne, und deshalb sei ihr so große Aufmerksamkeit zuteil geworden. „Für ästhetische Klopffechtereien, für rein kunstwissenschaftliche Debatten zankt man sich heute höchstens noch in den paar wenig gelesenen Fachblättern.“ Es folgte eine ausführliche Beschreibung der Geschichte der jüdischen Nation, die jahrtausendelang, fern ihrer Heimat und ohne Tempel, Leiden und Gefangenschaft erdulden und sich unter fremden Nationen ansiedeln mußte. Lang vertrat die noch heute umstrittene Auffassung: „Mehr noch als die geringe Neigung der anderen Völker, das ihnen fremde und in vieler Beziehung in der That feindselige Element in sich aufzunehmen, war es die eigene subjective Exclusivität, die ihnen die Amalgamirungsprocesse mit anderen Nationen erschwerte.“111 Zwar seien die Juden, vor allem in Spanien, fähig gewesen, sich fremde Elemente aus der arabischen und griechischen Welt anzueignen, aber unter den germanischen Volksstämmen seien sie Fremdlinge geblieben, auch weil sie sich nicht von ihrer Religion ,emanzipieren‘ wollten. Es sei nicht richtig, „daß die Kirche des Mittelalters die Haupturheberin der Judenhetzen“112 gewesen sei, denn die geistlichen Fürsten hätten die Juden unter ihren Schutz gestellt und Martin Luther sei in heftigerer und leidenschaftlicherer Weise gegen die Juden aufgetreten als irgendein Papst oder Bischof. Es sei weniger das religiöse als das nationale Element gewesen, das eine Annäherung zwischen Christen und Juden in Deutschland verhindert habe: „Der Germane war dem semitischen Abkömmling abgeneigt, der semitische Stamm haßte geradezu den Germanen, in dessem Hause er mehr gezwungen als freiwillig Wohnung nehmen und sich mit einem Keller- oder Dachboden-Gewölbe begnügen mußte.“ Lang führte weder Beispiele eines solchen jüdischen Hasses auf Deutsche an noch ging er auf die Verketzerungen und Tötungen der Juden nach Hunger- und Seuchenplagen ein, die von Christen während des ganzen späten Mittelalters und der frühen Neuzeit praktiziert wurden. Wir wissen zwar nicht genau, wie viele Juden sich in den Jahrhunderten vor Erscheinen der Wagnerschen Judenbroschüre taufen ließen, aber zu behaupten, daß selbst Angehörige des jüdischen Glaubens die deutsche Kultur abgelehnt hätten, hält einer kritischen Nachprüfung nicht stand. Lang behandelte dagegen ausführlich den Aspekt, daß diese „NationalitätsSchrullen“ trotz jüdischer Emanzipation und gleichberechtigter Selbständigkeit nicht gänzlich verschwunden seien und der „Wagner-Juden-Streit“ gezeigt habe, daß von jüdischer Seite selbstgefällig und eitel gegen die „christlich germanische Dummheit“ losgezogen würde. Damit müsse jetzt Schluß sein, denn seit in England und Frankreich Juden Minister seien, ihnen in Deutschland fast alle Ämter offen 110 111 112

Ebd., S. 8. Dort auch das nächste Zitat. Ebd., S. 10. Ebd., S. 11. Dort auch die nächsten Zitate (Hervorhebung im Original).

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stünden, „wo in Oesterreich fast kein jüdischer Banquier mehr aufzutreiben ist, der nicht Baron, oder wenigstens Ritter der eisernen Krone, oder Großkreuz eines andern hervorragenden Ordens wäre, sollten – meinen wir – die Klagen des Judenthums über das Vergangene endlich einmal verstummen“,113 d. h. die Juden sollten wie gehörnte Lämmer zur Schlachtbank gehen oder sich verbrennen lassen. Warum die angeblich emanzipierten Juden sich die antisemitische Denunziation Wagners stillschweigend gefallen lassen sollten, schien Lang nicht zu beunruhigen, sondern diese Haßtirade müßten sie über sich ergehen lassen, da sie ihre Eitelkeit und Selbstgefälligkeit nicht ablegen könnten. Der eigentliche Grund, warum sie nicht schwiegen, könne nicht auf konfessionelle Verschiedenheit zurückgeführt werden, sondern auf den nationalen Grundcharakter der Juden, weil man nämlich auf jüdischer Seite „gerne Controversen gegen das germanische Element fortspinnt“ und trotz Emanzipation „der Kampf zwischen jüdisch-orientalischem und christlich-germanischem Element fortdauert“. Ähnlich wie bei Thomas Mann 1933 konnten Wagnerianer es nicht hinnehmen, daß irgendwelche Kritik an dem germanistischten aller Germanen geübt würde, weil damit auch die ehernen Grundfesten der nationalen Ehre angegriffen würden. Das jüdische Festhalten an ihrer Nationalität – wobei es bei der zunehmenden weltweiten industriellen Verschränkung paradox erscheint, daß die Nation bzw. das nationale Kapital einer Internationalität als unversöhnlich gegenüber gestellt wurde –, selbst wenn man sich aus Karrieregründen taufen ließ, war nach Lang dem Judentum eingeboren und äußere sich in einer permanenten Opposition gegen das deutsche Staats- und Kulturleben. „Das ist allerdings die Ahasverische Erscheinung im Judenthum, daß es bis jetzt wenigstens nicht leben und nicht sterben kann, nicht aussterben als ein fremdartiger, uns in vieler Beziehung antipodischer Stamm, nicht leben als uns geistes- und gesinnungsverwandte mit uns gleichdenkende und fühlende Staatsbürger. Es giebt in dieser Beziehung nichts zäheres als das Judenthum.“114 Die von Wagner so heftig angegriffenen Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy und Giacomo Meyerbeer verkörperten zwar das offensichtliche Gegenteil, aber was kümmert denn einen Ideologen die widersprüchliche Realität, wenn sie uminterpretiert werden kann. Lang überging stillschweigend die widerlegende Tatsache, daß viele Juden die europäische Kunst- und Musiktradition internalisiert hatten und sowohl in der Musik als auch auf dem Theater zu führenden Repräsen113

Ebd., S. 12. Dort auch die beiden nächsten Zitate. Die Zeiten in Österreich seien Gott sei Dank vorbei, „wo tüchtige ausgezeichnete und musterhafte Judenjünglinge sich der christlichen Taufe unterziehen mußten“ (S. 40), um angesehene und wohldotierte Stellen zu bekommen. „Heute gewahren wir gerade das Gegentheil. Wir sehen in dem als ConcordatStaat verschrieenen Oesterreich zahllose Getaufte wieder in das Judenthum zurückkehren, das sie vor vielen Jahren aus Opportunitätsgründen oder entschuldigenswerthen Ehrgeiz verlassen haben.“ (Ebd., Hervorhebung im Original). Aber dies sei nur die äußere Seite, denn die Juden seien eine Nation, „allerdings eine in alle Welt zerstreute, vertriebene, aber nichts desto weniger eine zähe, ausdauernde, die unter Umständen auch noch eine beträchtliche Dosis Fanatismus für ihre Nationalität aufzubieten im Stande wäre“ (S. 13). 114 Ebd., S. 14.

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tanten des deutschen Kultur- und Geisteslebens aufgestiegen waren. Da wahre Kunst nur national und nicht kosmopolitisch sein könne, d. h. den Grundanschauungen des Volkes entsprechen müsse, bliebe der eigentliche Beitrag eines dem Deutschtum fremden Judentums marginal: „Wie aber kann der Jude, dem das Geschick seiner eigenen Nation näher am Herzen liegt als das des Volkes, unter und mit welchem er durch Zufall und Geschick aufgewachsen ist, sich begeistern für die großen Thaten der Söhne desselben, für die Siege und Errungenschaften, an welchen er (als Jude) keinen Antheil hat, welche ihm daher im allerbesten Fall vollkommen gleichgiltig lassen?“115 Der Volksmund sagt: „Lügen haben kurze Beine“, aber sie waren offenbar noch lang genug, um sich bis ins Dritte Reich auszustrecken. Der Jude kann nach Lang auch kein Verständnis für die deutsche Kaiserzeit, das mittelalterliche Städteleben oder die germanischen Rittersagen aufbringen, für die er vielleicht aufgrund seines scharfen Verstandes und seiner vielseitigen Bildung Bewunderung aufbrächte, aber nicht tiefer eindringen würde. „Er müßte erst sich seines Judenthums entäußern, wollte er in sang réal, der auf Montsalvat von einer frommen Ritterschaar bewacht wird, etwas Anderes als ein einer Barbierschüssel ähnliches Gefäß erblicken, das in jedem Jahre einmal mit einem rothen Saft getränkt wird.“116 Auf diese armselige Weise parodierte Lang Wagner, der den Juden ja ebenfalls weder gefühlsbetonten Kunstgeschmack noch völkische Verbundenheit mit dem wahren Deutschtum zubilligte und weshalb sie unfähig seien, herzergreifende Musik zu komponieren. Was man nach Lang allerdings dem Judentum zubilligen könne, weil ja im Alten Testament ein Bilderverbot ausgesprochen ist, bestünde darin, daß es „wie kein zweiter semitischer Volksstamm, einen reichen Schatz lyrischer und epischer Poesie besitze“,117 obwohl Wagner selbst Heinrich Heine anklagte, daß er zu einer Zeit zum dichterischen Juden mutiert sei, „wo das Dichten bei uns zur Lüge wurde“118 d. h. wo kein wahrer Dichter dem deutschen Boden mehr entsprießen wollte, sondern nur noch diese „jesuitisch-nüchterne Heuchelei“ vorherrschte. Lang kritisierte zwar ein paar Einseitigkeiten und Über115

Ebd., S. 15. Lang durchstreifte die ganze Kunstgeschichte der christlichen Malerei, die klassischen Werke der bildenden Künste, um zu zeigen, daß sie „dem Judenthum eine völlig unverständliche Größe“ (ebd.) bleibe. „Eine fremde Welt sind sie dem Juden, der Jude hat aber eine eigene Welt und zwar auch heute noch, obwohl er keinen Fleck Landes seine eigentliche jüdische Urheimat nennen kann.“ (S. 18). 116 Ebd., S. 17. 117 Ebd., S. 20. „Daß Richard Wagner über die Poesie des alten Judenthums nicht spricht, läßt seine Broschüre gewissermaßen einseitig, unvollständig und daher gehässig erscheinen. Freilich wollte Wagner nichts weniger als eine historisch-kritische Skizze der Kunst des jüdischen Alterthums liefern; ihm war es nur darum zu thun, die Stellung des modernen Judenthums zur Kunst und namentlich zur Musik nachzuweisen, und wenn er zu diesem Zwecke hie und da ein wenig ausgeholt hat, so lag dies in seinem Streben, seine Ansicht zu motiviren und nicht bloß apodictische Behauptungen aufzustellen.“ (S. 21, Hervorhebungen im Original). 118 K. Freigedank: Das Judenthum in der Musik, in: Neue Zeitschrift für Musik, 33. Bd., Nr. 20. 6. September 1850, S. 111. Dort auch das nächste Zitat.

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treibungen in Wagners Buch, seines „hochverehrten Freundes“,119 aber er führte sie entweder auf den frühen Zeitpunkt der Erstveröffentlichung, 1850, zurück oder darauf, daß Wagner „diese herbe Wahrheit durchaus nicht in gehässiger Absicht“120 ausgesprochen habe. Wir haben ja schon zur Genüge gehört, was wir von solchen Beschönigungen des Wagnerschen Antisemitismus zu halten haben. Am Ende seines Pamphlets schoß Lang noch ein paar tödliche Salven auf die äußerliche Erscheinung von Juden ab, die seinen eigentlichen Charakter offenbaren und nationalsozialistische Widerwärtigkeiten von tierähnlichen Untermenschen in ihrem ekelerregenden Ausmaß vorwegnehmen. Die unsympathische Erscheinung einzelner Juden, so pflichtete Lang Wagner bei, sei viel abstoßender und ekelerregender als alle positiven Anzeichen einiger emanzipierter Juden: „Zu diesen zähle ich namentlich die zudringlichen, widerwärtigen Commis voyageurs, die reisenden Handels-, Cigarren- und Wein-Juden, die sich gleich den Filzläusen in den Hotels einnisten, mit Jedermann ein Gespräch anbinden und eine allgemeine Landplage in unserem Eisenbahn-reisenden Zeitalter geworden sind.“121 Dazu gehörten nach Lang ebenso „die halbreifen angehenden jüdischen Journalisten“, aber natürlich distanzierte sich der Autor davon, „mit diesen Auswüchsen des Judenthums die Juden im Allgemeinen zu charakterisiren“, was ja die übliche fadenscheinliche Entschuldigung vieler Antisemiten darstellt. Wagner dagegen habe dem Judentum dreimal den Rat erteilt, sich zu emanzipieren, aber „diese versöhnenden Worte hat man wohlweislich verschwiegen, ignorirt, unterdrückt und das ist das Unehrliche in dem Kampfe des Judenthums und der musikalischen und Zeitungs-Polemik überhaupt gegen Richard Wagner. Die offene, rückhaltlose – unter Umständen fast unklug zu nennende – Ehrlichkeit Wagner’s hätte mindestens von den Gegnern und Betroffenen gegenseitige Ehrlichkeit beanspruchen dürfen.“122 Auf diese Weise wurde versucht, aus einem maßlos gehässigen Pamphlet versöhnliche Töne herauszufiltern, die man auf ehrliche Weise wirklich nicht darin finden kann, da das ganze 19. Jahrhundert als ein zerrissenes Zeitalter der Judenemanzipation angesehen werden kann. Das von Lang erwähnte Offenes Billet-doux123 des Schriftstellers Eduard Maria Oettinger (1808 – 1872) erschien 1869 bereits in einer 2. Auflage und redete Wagner durchgängig mit „Mein Herr“ bzw. „Sie“ an, womit wohl eine absichtliche Distanz geschaffen werden sollte. Oettinger bekannte gleich zu Beginn, daß er „von Geburt ein Jude, nur darum katholischer Christ geworden war, um das Recht zu 119

J. Lang: Zur Versöhnung des Judenthums (wie Anm. 94), S. 22. Ebd., S. 25. 121 Ebd., S. 26 (Hervorhebung im Original). Dort auch die beiden nächsten Zitate. 122 Ebd., S. 37 (Hervorhebungen im Original). Wagner habe rückhaltlos und ehrlich in den Wald hineingerufen, aber der Rückschall sei „maßlos grob, schonungslos, verdammend und im Superlativ: unehrlich!“ (ebd.) gewesen. 123 Vgl. Eduard Maria Oettinger: Offenes Billet-doux an den berühmten Hepp-HeppSchreier und Juden-Fresser Herrn Wilhelm Richard Wagner, Dresden 1869. 22 Seiten, Verlag von L. Wolf’s Buchhandlung. 120

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haben, ungefährdet Jude sein zu dürfen“,124 was man aus heutiger Sicht schwer nachvollziehen kann. Deshalb habe er auch den Mut aufgebracht, „den usurpirten Nimbus Ihrer Selbstvergötterung schonungslos in Fetzen zu zerreißen“, den ja sowohl Juden als Nichtjuden aufbrachten. Diese Abhandlung ist ganz im Gegensatz zu der Langs ein überwiegend ironisches und teilweise sarkastisches Pamphlet, was gleich aus der am Anfang stehenden Empfehlung hervorgeht: „Herr Wagner wird ersucht, sich das Mysterium dieser lateinischen Worte von irgend einem christlichen Tertianer übersetzen zu lassen.“125 Wagner wurde vorgehalten, „mit wahrhaft rührender Verläugnung aller gesunden Vernunft und jeglichen Anstands“126 und einer „maaßlose(n) Selbstüberschätzung“ Jagd auf die Juden zu machen, aber herausgekommen sei lediglich ein „hirnverbranntes Pamphlet“, das „nur Pöbelhaftigkeit der Gesinnung“127 offenbare, wenn man es wagen sollte, einer so großen und intelligenten Nation wie der jüdischen „gassenbübisch ins Gesicht zu schlagen“. In einer wütenden Ironie hielt Oettinger Wagner vor: „Auf welches Gebiet Sie, unübertroffener Denker, Ihre Augen richten, auf allen Gipfeln erblicken Sie mindestens Einen Juden, welcher den Ruhm eines Wagners überstrahlt.“128 Die Dame, an die Wagners Schrift gerichtet sei, Marie Muchanoff (1822 – 1874), sei nicht nur die Frau des Polizeimeisters in Warschau, sondern „die Tochter des ehemaligen russischen Reichskanzlers Karl Robert Grafen v. Nesselrode, der bekanntlich auch ein großer Judenfeind war“,129 d. h. Oettinger unterstellte eine Art Sippenhaft der Tochter mit dem Vater. Marie Muchanoff selbst haßte laut Oettinger die Juden vielleicht schon deshalb, „weil sie eine gesetzliche Abneigung gegen das Schweinefleisch haben“,130 aber ein solches Argument kann ja wirklich nicht ernst genommen werden, denn Wagner wurde ja in seinen letzten Lebensjahren ein fanatisierter Vegetarier. Wenn Wagner jedoch auf die Musik zu sprechen komme, dann klinge alles zwar recht hübsch, doch es sei in Wirklichkeit nichts „als Messerschmidt’scher Unsinn im Maskenkostüme sokratischer Afterweisheit“,131 womit der psychisch erkrankte Franz Xaver Messerschmidt (1736 – 1783) gemeint sein könnte, der ein holzgeschnitztes Modell eines menschlichen Skeletts anfertigte. 124

Ebd., S. 5 (Hervorhebungen im Original). Dort auch das nächste Zitat. Ebd., S. 6, *). Es handelt sich um „pro domo“! 126 Ebd., S. 6. Dort auch die beiden nächsten Zitate. 127 Ebd., S. 21. Dort auch das nächste Zitat. 128 Ebd., S. 16. 129 Ebd., S. 6. 130 Ebd., S. 7. In einem französischen Brief an ihre Tochter Marie schrieb die Gräfin, daß sie sich über die Widmung der Wagnerschen Schrift sehr gefreut habe und alles, was Wagner über Mendelssohn und Meyerbeer sage, „ist mir aus dem Herzen geschrieben“ (Marie von Mouchanoff-Kalergis geb. Gräfin Nesselrode in Briefen an ihre Tochter. Ein Lebens- und Charakterbild herausgegeben von La Mara, Leipzig 1907, S. 215. Deutschschreibung und Hervorhebung im Original). 131 E. M. Oettinger: Offenes Billet-doux (wie Anm. 123), S. 15. Dort auch das nächste Zitat. 125

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Wagners scheinbar haarscharfe Argumentation gegenüber jüdischer Musik würde in der „Entenpfütze trüber Logik“ versinken: „Hier kämpft sich das Blech und die Makulatur, die Sie schwatzen, zu so schwindelnder Höhe empor, daß einem vernünftigen Menschen geradezu angst und bang um Ihren Gesundheitszustand werden muß.“132 Ob Wagner diese niederträchtigen Ausführungen Oettingers gelesen hat, wissen wir nicht, aber wenn dies der Fall gewesen ist, worauf vieles hindeutet, dann kann man sich vorstellen, daß seine grenzenlose Wut und sein noch grenzenloser Haß auf die Juden – seien sie nun getauft oder ungetauft – sich ins Unermeßliche steigern konnte und er sich bestätigt fühlte in seinen rassistischen Vorurteilen. Während seiner Zeit in Bayreuth hat Wagner sich intensiv mit antisemitischer Literatur beschäftigt und seine späten Schriften deuten darauf hin, daß er zumindest einige der kritischen Urteile über ihn registrierte. Wagner, so Oettinger, versuche mit einer die üblichen Grenzen des Anstandes überschreitenden Heftigkeit weltberühmte Musiker, wie Giacomo Meyerbeer – dem Wagner am 15. Februar 1840 aus Paris noch einen begeisterten, langen Brief geschrieben hatte, der damit endete: „In ehrfurchtsvollster Verehrung verharre ich Ihr mit Herz und Blut ewig verpflichteter Untertan Richard Wagner“ – und Felix Mendelssohn Bartholdy, „mit wahrhafter Berserkerwuth zu sich in den Staub zu ziehen aus dem ganz einfachen Grunde, weil diese Herren der Musik nebenbei auch Juden und zwar reiche Juden gewesen sind. Sie schreien Hepphepp wie ein Straßenjunge. Wie ein eitler Poltron träumen und faseln und fantasiren Sie von einer angeblichen Verschwörung, welche die Juden gegen Ihre geheiligte Person und gegen die von Ihnen zu Tage geförderten Opern angezettelt haben sollen“.133 Oettinger konnte sich diesen grenzenlosen Groll mit einem spöttischen Unterton und seinen historischen Unkorrektheiten, denn die Hep-Hep-Bewegung 1819 wurde vom Bürgertum getragen und nicht von Straßenjungen, angeblich nur dadurch erklären, „daß Sie, hochehrwürdiger Christ, bisher nur Umgang mit solchen Juden gehabt haben müssen, die auch uns unausstehlich erscheinen: wir verstehen darunter das fahrende Heer der Klavierpauker und anderer Virtuosen, der jüdischen Drehorgelspieler, die mit ihren Tänzen oder Liedern von Messe zu Messe ziehen und überall durch ihre gußeiserne Zudringlichkeit sich verhaßt machen“.134 Daß es auch anziehende und sympathische Juden gegeben hat, könne ein „entêtirter Judenfresser“ wie Wagner nicht eingestehen, auch wenn man einen „weit größern Blödsinn“ kaum noch antreffen könne. Es wird bei Wagners Antisemitismus öfter der falsche Eindruck erweckt, als habe er eine bestimmte Gruppe von Juden, z. B. die Ostjuden, im Blick, aber dafür gibt es nicht den geringsten Beleg, denn er spricht allgemein vom Juden und unterscheidet lediglich zwischen gebildeten und ungebildeten Juden.

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Ebd., S. 14 f. Ebd., S. 7 (Hervorhebungen im Original). Ebd., S. 10 (Hervorhebung im Original). Dort auch die beiden nächsten Zitate.

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Nach Oettinger lebt der unerreichbare Meister in „höchst verderblicher Einbildung“,135 wenn er glaube, daß seit 19 Jahren die Juden seine Tonschöpfungen boykottierten, denn unter 40 Mio. Deutschen „haben kaum 1000 die Brendel’sche Zeitung gekannt, unter diesen 1000 kaum 300 die Brendel’sche Zeitung gelesen und unter diesen 300 kaum 5 gewußt, daß sich hinter dem Namen Karl Freydank [richtig: Freigedank, H.K.] der damals große Unbekannte, Richard Wagner, verkrochen hatte, um an den Juden ungestraft sein kindisches Müthchen abzukühlen“. Selbst wenn wir diese Annahmen nicht überprüfen können und einiges dafür spricht, daß Oettinger sie konstruiert hat, so scheint es doch plausibel anzunehmen, daß ein Boykott Wagnerscher Opern zwischen 1850 und 1869 an keinem deutschen Theater stattfand und Wagners Verfolgungswahn tatsächlich ein Hirngespinst gewesen ist. Oettinger hielt Wagner in richtiger Einschätzung eine bis zu dessen Tod 1883 in Venedig sich steigernde Verblendung vor: „Sie hassen, sie verabscheuen die Juden!“ Der eigentliche Grund für diesen ungezähmten Haß auf die Juden bestünde darin, daß diese bessere Musik machten, ein ursprünglicheres Talent und naturwüchsiges Genie besäßen und außerdem mehr Geld verdienten. Wagners Beschimpfungen jüdischer Komponisten „wie ein halbübergeschnappter Dompfaff“ rühre daher, daß diese nicht nur in Deutschland, England, Frankreich und Italien, sondern in der ganzen Welt zehnmal glänzendere Erfolge aufweisen könnten „als Ihre christlich-germanischen Tonschöpfungen, die sich fast überall nur einen äußerst armseligen succès d’estime errungen“ hätten. Gott und alle Welt hätten bisher geglaubt, daß München eine erzkatholische Stadt im erzkatholischen Bayern sei, aber Wagner, der ja Ende 1865 München verlassen mußte, bestreite dies stillschweigend, „weil Sie die Ueberzeugung haben, daß auch ganz München jüdisch gesinnt sei und daß nur die Juden, die vermaledeiten Juden, Sie aus dem letzten Ihrer Paradiese vertrieben haben“.136 Diese polemische Unterstellung entbehrte jeder sachlichen Begründung, denn Ludwig Frh. von der Pfordten und die bayerischen Minsterialbeamten waren keineswegs erzkatholische Befürworter einer Judenemanzipation und gerade in Bayern war zu dieser Zeit gerade in den ländlich-katholischen Gegenden ein unterschwelliger Antisemitismus noch lebendig. Die prosemitische Einstellung des Bayernkönigs Ludwig II. hat Wagner allerdings nicht nur nicht von seiner Judenfeindschaft abbringen können, sondern sie eher verstärkt, weil er fast unangreifbar geworden war. Als „großer unsterblicher Christ und Mann“, so Oettinger, habe Wagner sich zu den abgeschmacktesten Äußerungen hinreißen lassen und zwar deshalb, weil „selbst ein geistreicher Mann durch verletzte Eitelkeit und Verbissenheit“ den realistischen Boden unter den Füßen verliere. Es sei tiefster Neid gegen das ganze jüdische Volk, weil es Juden gäbe, wie etwa den Bankier Rothschild, die mehr Geld besäßen als Wagner: „Es erzürnt Ihr Bewußtsein, daß Sie nicht so reich wie jene Juden sind, um wie diese herrschen zu können; aber ich frage Sie, was können die armen reichen 135 136

Ebd., S. 8. Dort auch die nächsten Zitate (Hervorhebungen im Original). Ebd., S. 9. Dort auch die beiden nächsten Zitate.

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Juden dafür, daß Sie zufällig kein Geld haben.“137 Durch die Liaison mit König Ludwig II. stimmte dieser Hinweis auf Wagners finanzielle Kalamitäten ja keineswegs mehr, denn 1869 kann Wagner wegen des hohen königlichen Gehalts als wohlhabend angesehen werden. Auch darin, was Wagner über die theatralische Laufbahn von Juden zu sagen habe, erreichte nach Oettinger der kritische Blödsinn und der blinde Judenhaß „seinen Zündgipfel… Dies, liebster Herr Hepp-Heppschreier, ist der glänzendste Beweis, daß Sie allerdings kein gewöhnlicher Ignorant, sondern ein Ignorant par excellence sind.“138 Ebenso sarkastisch wurde von Oettinger beurteilt, was Wagner über die jüdische Sprache geschrieben hat, denn die jüdische Prosa eines Auerbach, Börne, Heine oder Saphir und Hunderten von anderen jüdischen Schriftstellern könne „mit jedem christlichen Prosaiker dreist in die Schranken treten“,139 d. h. sie sei keinesfalls minderwertig oder verlogen bzw. heuchlerisch. Und weiter heißt es dort in bewußter, verletzender Polemik: „Sie schwatzen da, liebster Wagner, mit der geistreichsten Miene der Welt, deren die Beschränktheit Ihres Geistes fähig ist, einen üppig blühenden Unsinn“. Mancher Christ habe erst von Juden ein richtiges und elegantes Deutsch zu schreiben gelernt, weil Juden sich viel intensiver mit den grammatischen Feinheiten der deutschen Sprache auseinandergesetzt haben, wenn sie sie erlernen mußten. „So fließend und stupend-geistreich, wie Sie, herrlicher Mann, schreibt jetzt jeder jüdische Nachtwächter; denn, unter vier Augen, auf jeder Seite Ihres Schreibebriefes an Marie Muchanoff wollen wir Ihnen mindestens zwei urchristliche Sprachschnitzer nachweisen.“140 Nachdem Oettinger viele Juden aus Kunst und Literatur in ganz Europa aufgeführt hat und auf die Kritik von Eduard Hanslick an Wagners Judenbroschüre zu sprechen gekommen ist, schrieb er gegen Ende seiner Abhandlung: „Aber möchten die Juden Ihnen auch immerhin verzeihen, daß Sie ungerecht und boshaft sind, so muß man Ihnen doch einen andern und damit weit härtern Vorwurf daraus machen, daß Ihnen vor Allem das Gedächtniß eines guten Herzens fehlt: die Dankbarkeit!“141 137

Ebd., S. 10 (Hervorhebung im Original). Ebd., S. 11 (Hervorhebung im Original). Oettinger führte eine Reihe jüdischer Schauspieler an, wie Bogumil Dawison, Ludwig Dessoir, Theodor Döring, Pauline Lucca oder Moritz Rott, die die Ansicht von Wagner, den „unerbittlichen Judenschnapper“ (S. 12), es gäbe keine begabten jüdischen Schauspieler, widerlegen. Cosima Wagner berichtete am 17. September 1881 von Richard, er käme „auf das Thema der Juden als Schauspieler, daß er noch im Jahre [18]53 schreiben konnte, es gebe keine, und nun! Und wie sie mit der Sprache umgingen!“ (C. Wagner: Die Tagebücher. Bd. II (wie Anm. 21), S. 795). 139 E. M. Oettinger: Offenes Billet-doux (wie Anm. 123), S. 13. Dort auch das nächste Zitat. 140 Ebd., S. 14 (Hervorhebung im Original). 141 Ebd., S. 20. Damit ist wohl die große ideelle und finanzielle Unterstützung gemeint, die Giacomo Meyerbeer Wagner über viele Jahre angedeihen ließ. Oettinger gab Wagner folgenden Rat: „Fahren Sie fort, Musik zu componiren; aber hören Sie zu schreiben auf, denn Sie machen sich unnütze Feinde und schaden Ihren Opern dadurch mehr, als sie ihnen nützen.“ (S. 21. Hervorhebungen im Original). Kann man Wagners Judenfeindschaft, hier gegenüber Meyerbeer, auch nur halbwegs erklären durch einen Konkurrenzneid oder durch fehlende 138

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Auch Arthur von Truhart aus St. Petersburg, der einräumte, „weder theoretischer, noch praktischer Musiker, nicht einmal musikalischer Dilettant zu sein“,142 richtete einen offenen Brief an Richard Wagner, der mit der Aussage beginnt, daß Wagner mit offenem Visier kämpfe, was früher als Ausdruck der Ritterlichkeit galt: „Unser industrielles Zeitalter ist nun aber leicht geneigt, die Ritterlichkeit mit dem Industrieritterthum, den Kampf bei offenem Visir mit dem Cynismus schamloser Reklame zu verwechseln.“143 Vielleicht wollte er damit auf den agitatorischen, jüdischen Arbeiterführer Ferdinand Lassalle anspielen, der sich wenige Jahre vorher, am 28. August 1864, wegen der hübschen Helene von Dönniges auf ein ,ritterliches‘ Pistolenduell mit deren Verlobten Janko von Rakowitz einließ und von einer Kugel getroffen drei Tage später in Genf im Alter von 39 Jahren starb. Lassalle wurde etwa ein Jahr vor seinem plötzlichen Tod zum Präsidenten des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins gewählt und setzte sich für die materielle Verbesserung von Arbeitern ein, deren Lage im Industriesystem zu dieser Zeit erbärmlich war. Trotzdem wollte Truhart, obwohl er „keinen historisch nachweisbaren Tropfen jüdischen Blutes“144 in sich trage, auf Wagners Schrift eine Entgegnung schreiben, weil ja auch Wagner alle möglichen Themen außerhalb der Musik behandelt und auf verschiedene Weise sich mit charakterlichen Eigenschaften von Juden auseinandergesetzt habe. Zum Beispiel habe er in einer Schrift behauptet, daß seine Kompositionen und musikalischen Theorien in St. Petersburg und Moskau von dem russischen Publikum und der Presse anerkannt worden seien. „Es ist das eine Fälschung der Wahrheit, und eine Schönfärberei, die Sie nicht einmal mit der Unkenntniß dieser russischen Presse, auf die Sie sich berufen, entschuldigen können.“145 Wagner habe mit seinem tendenziösen Schreiben an eine Dame der russischen Aristokratie einen taktischen und unverzeihlichen Fehler begangen: „Eine Taktlosigkeit, indem Sie den Namen einer Frau in den Staub eines häßlichen Kampfes hereinzogen, einer Frau, der Sie noch immer, wie Ihnen bekannt ist, zu großem Dank verpflichtet sind, – im blank- und baarsten Sinne des Wortes.“ Truhart warf Wagner vor, in seinem „wiederaufgewärmten Aufsatz“146 mit „halb ekelhaften, halb unverständlichen Urtheilssprüchen“ eine Verschwörung des Judentums gegen ihn nachweisen zu können, was völlig aus der Luft gegriffen sei. Wagner falle jedoch im 2. Teil seines Pamphlets „mit einer Rohheit des Ausdrucks, mit einem FanatisAnerkennung, aus „Scham wegen der Protektion durch den Großkomponisten, den er wiederholt auch um Geld angeschnorrt hat“? (So Dieter Borchmeyer: Richard Wagner. Werk – Leben – Zeit, Stuttgart 2013, S. 54). 142 Arthur von Truhart: Offener Brief an Herrn Richard Wagner, den Verfasser der Broschüre „Das Judenthum in der Musik“, St. Petersburg 1869, S. 3 f. 15 Seiten, Commissionsverlag von Alex. Wilcken. 143 Ebd., S. 3. 144 Ebd., S. 4. 145 Ebd., S. 5. Dort auch das nächste Zitat (Hervorhebungen im Original). 146 Ebd., S. 8. Dort auch das nächste Zitat.

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mus der Verfolgungssucht, mit einer Bosheit persönlicher Leidenschaft“147 über diejenigen Juden her, die nicht zu seinen Bewunderern gehören, daß man glauben könne, in die „finsteren Zeiten der mittelalterlichen Hexenverbrennungen und Judenhetzen“148 zurückversetzt zu sein. Es ist nicht klar, ob Truhart Hexenverbrennungen und Judenhetzen auf eine Stufe stellen wollte oder ob er sich bewußt war, daß auch Juden im Mittelalter verbrannt wurden, nicht weil sie Hexen waren, sondern weil sie etwa der seuchenverursachenden Brunnenvergiftung angeklagt wurden. Die ganze Abhandlung sei nicht nur eine unerhörte Denunziation von bedeutenden Männern wie Berthold Auerbach, Robert Franz, Eduard Hanslick, Adolph Stahr u. a., sondern: „Sie denunciren die deutsche, französische und englische Journalistik als gewissenlos und von dem Judenthum bestochen und unterworfen.“149 Zwar gehe Wagner in einer Anmerkung auf den jüdischen Schauspieler Bogumil Dawison ein, aber wie viele andere müßten sich von ihm denunziert fühlen, die er unbenannt lasse, aber doch in einem allgemeinen Judenhaß herabwürdige: „Ich könnte Ihnen endlich noch die Frage vorlegen, weshalb Sie nicht gegen jüdische Escamotage protestirt haben, als das künstlerische Gottesgnadenthum einer Bettelheim, Csillag, Lucca, eines Sontheim bei der Aufführung Ihrer Opern auch Ihnen zum Triumph verhalf, als sämmtliche singenden und kämpfenden Minnesänger bei der Aufführung des ,Tannhäuser‘ in Weimar, dem Weimar Ihres Liszt, Männer jüdischer Herkunft waren“.150 Diese Taschenspielertricks könne man aber nicht einem Komponisten durchgehen lassen, der in opportunistischer Manier sich jüdischer Wohlgeneigtheit bediene, wenn es ihm passe. Schon vor 22 Jahren, also 1847, habe sich Wagner nach einem König umgesehen, der ihm zu Macht und Einfluß verhelfe, damit sein „fanatischer Aufruf zum Kampf“151 gegen das Judentum wirkungsvoller gestaltet werden könne – darin bestünde sein unauflöslicher Widerspruch. Es ist nur einer der vielen Widersprüche, die wir im Lebenswerk Wagners konstatieren können, die uns jedoch nicht dazu verleiten dürfen, diese einfach hinzunehmen, sondern so gut wie möglich aufzulösen. Für Truhart stellte sich zum Schluß die wirklich interessierende Frage: „Zu welchem Endzweck haben Sie überhaupt Ihre Tendenzschrift geschrieben?“152 Diese Frage läßt sich wohl erst dann beantworten, wenn wir wissen, wie Wagners Nachfahren, die Mitglieder des Bayreuther Kreises und Adolf Hitler Wagners Antisemitismus aufgesogen und zu einer rassistischen Ideologie verarbeitet haben. Dieses bunte Kaleidoskop von negativen und positiven Urteilen über Wagners Judenbroschüre hätte bei vorurteilsfreier Betrachtung beim Autor eigentlich zu 147 148 149 150 151 152

Ebd., S. 8 f. Ebd., S. 9. Ebd., S. 10. Ebd., S. 13. Ebd., S. 14. Ebd., S. 15.

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einer Revision wenigstens einiger Vorwürfe führen müssen, aber Wagner war offenbar dazu nicht in der Lage. Zehn Jahre nach der Zweitveröffentlichung von Wagners Judenaufsatz, 1879, also ein Jahr nach der Gründung der Bayreuther Blätter, deren jahrzehntelanger Herausgeber Hans Paul Frh. von Wolzogen (1848 – 1938) war, „der älteste und treueste Jünger des Meisters von Bayreuth“,153 ereignete sich folgendes. Nach der selbstbeweihräuchernden Auffassung von Wolzogen bildeten die Blätter „ein eigenes litterarisches Denkmal des Wagnerthums, das von weit grösserer Bedeutung und Dauer sein wird als alle einzelnen Zeitungen, Zeitungsblätter und deren Sammlungen in broschirter Form auf dem gegenwärtigen deutschen Journal- und Bücher-Markte“.154 Im Jahr 1879 führte nämlich der Berliner Antisemit Wilhelm Marr – der einen Bayreuther Patronatsschein von 300 Talern erworben hatte und in diesem Jahr Wagner sein Opus zusandte – angeblich den Begriff ,Antisemitismus‘ ein, der allerdings schon seit 1860 im Gebrauch war, und es tauchten die ersten antisemitischen Parteien auf.155 Dieser Begriff ,Antisemitismus‘ war für die judenfeindliche Bewegung ohne Bedeutung, er diente lediglich als willkommene, griffige Bezeichnung für einen propagandistischen Kampf 153 Leopold von Schroeder: Die Vollendung des arischen Mysteriums in Bayreuth, München 1911, S. 1. 154 Hans von Wolzogen: Wagneriana. Gesammelte Aufsätze über R. Wagner’s Werke vom Ring bis zum Gral (1888). Neudruck Walluf/Nendeln 1977, S. V. Die kulturelle Aufgabe der Bayreuther Blätter sah Wolzogen in der Nachfolge Wagners, Heinrich von Steins, Carl Friedrich Glasenapps und Bernhard Försters, der im paraguayischen Urwald ein Neu-Germania aufbauen wollte – „Der Germane ist Colonisator“ (S. 260). Der antisemitische und völkische Bayreuther Geist wollte ernst genommen werden und beschwor dennoch ein unehrliches Ideal: „Wir arbeiten nicht journalistisch für Tagesinteressen, wobei das Morgen vergessen mag, was das Heute gethan. Wie verschieden wir arbeiten, wir sollen eine Gesammtheit bilden, von Einem Geiste beseelt, der über die Zeiten hinaus als unendliche Wahrheit des Guten wirkt.“ (S. 263). 155 Vgl. Wilhelm Marr: Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum, Bern 1879. Mit einer Gegenschrift. Und einer Antwort: „Wucher und Intoleranz“, Bremen 2009. Marr war am Anfang seiner Schriftstellerlaufbahn offenbar tatsächlich davon überzeugt: „Dem Semitismus gehört die Weltherrschaft!“ (S. 46, Hervorhebung im Original). In späteren Auflagen seines Buches veränderte er jedoch den Titel, um dem Germanentum eine bedeutendere Rolle zuzuweisen. 1879 glaubte er noch: „Es ist der Schmerz eines unterdrückten Volkes, der aus meiner Feder spricht, eines Volkes, welches unter Eurer Herrschaft heute seufzt.“ (S. 48). Die Juden hätten alles erobert und die Germanen seien dieser Herrschaft wehrlos ausgeliefert: „Wir sind so festgefahren in der Verjudung, dass uns nichts mehr retten kann und dass eine brutale antijüdische Explosion den Zusammenfall der verjudeten Gesellschaft nur verzögert, nicht aber hindert.“ (S. 44). Die Ursache dieser vollständigen Abhängigkeit liege darin, daß der ,Schachergeist‘ der Juden in den deutschen Handel und die deutsche Industrie eingedrungen sei: „In dieses wirre, täppisch-germanische Element drang das glatte, listige, elastische Judenthum ein; mit seiner ganzen realistischen Begabung intellectuell, d. h. was die Intelligenz der Schlauheit betrifft, wohl geeignet, auf das Germanenthum hinabzublicken, den monarchischen, ritterlichen, deutschen Tolpatsch zähmend, indem es seinen schlechten Leidenschaften behülflich war.“ (S. 13, Hervorhebung im Original). Cosima Wagners Eintrag in ihr Tagebuch vom 26. Februar 1879 lautete: „Ankunft einer Broschüre von Herrn Marr, ,Der Sieg des Judentums‘, welche Ansichten enthält, die ach! R.’s Meinung sehr nahe stehen.“ (C. Wagner: Die Tagebücher, Bd. II (wie Anm. 21), S. 309).

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gegen nichtdeutsche Mitbürger. Neben Marr waren es Felix Dahn, Eugen Dühring, Bernhard Förster, Paul de Lagarde, Constantin Frantz,156 August Rohling oder der Hofprediger Adolf Stoecker, die mehr oder weniger stark in die antisemitischen Fußstapfen Wagners traten, obwohl Wagner sich Anfang der 1880er Jahre weigerte, eine ,Massenpetition gegen das Überhandnehmen des Judenthums‘ der Berliner antisemitischen Bewegung zu unterzeichnen, die am 13. April 1881 mit 267.000 Unterschriften an Otto von Bismarck übersandt wurde.157 Häufig wurde aus dieser Weigerung Wagners der Schluß gezogen, daß er diesen Antisemitismus gar nicht (mehr) teilte und in ein liberaleres Fahrwasser eingetaucht sei,158 doch aus einem Brief an Bernhard Förster geht eindeutig hervor, „daß seit dem Schicksal der Petition wegen der Vivisektion er sich vorgenommen habe, nie mehr eine Petition zu unterschreiben“.159 Ganz offensichtlich wollte Wagner sich in Bayreuth nicht mehr in das politische Tagesgeschehen einmischen, entweder weil er sich auf sein Festspielwerk konzentrieren wollte und sein Gesundheitszustand zu wünschen übrig ließ oder weil er mit den antisemitischen Tendenzen dieser politischen Akteure nicht einverstanden war. Außerdem berichtete der Herausgeber der Bayreuther Blätter, Hans von Wolzogen, der die Antisemitenpetition seines Freundes Bernhard Förster unbedenklich unterschrieben hatte, daß Wagner, der angeblich deren Aussichtslosigkeit einsah, ihn zweifelnd frug: „Habt Ihr Bis156 Erich Valentin: Richard Wagners politische Erkenntnis, in: Bayreuther Festspielführer 1939, hrsg. von Otto Strobel, Bayreuth o. J. (1939), bestritt heftig, daß Wagner ein unpolitischer Mensch gewesen sei, sondern er habe „die Schande der deutschen Zerrissenheit“ (S. 35), die „durch Parlamentarismus und Judentum hervorgerufen war“ (S. 36), erkannt. „Wagners Werk und Schriften beweisen, daß dieser Mann, der Bayreuth schuf, der Anschluß an politische Persönlichkeiten wie Constantin Frantz und Paul de Lagarde suchte, nicht bereit war, sich ins Schlepptau seiner Zeit nehmen zu lassen.“ (S. 35, Hervorhebung im Original). 157 Vgl. Erich F. Podach: Gestalten um Nietzsche. Mit unveröffentlichten Dokumenten zur Geschichte seines Lebens und seines Werks, Weimar 1932, der die Rolle von Nietzsches Schwager Förster nicht gebührend gewürdigt sah, der diese Resolution angeregt und organisiert habe: „Bernhard Förster hatte bedeutenden Anteil an der Begründung der Ideologie und Phraseologie des politischen Antisemitismus. Er kam zu ihm [Friedrich Nietzsche, H.K.] als Adept Richard Wagners und spielte seit dem Jahre 1879 in dieser Beziehung eine führende Rolle.“ (S. 125). Robert Gutman: Richard Wagner. Der Mensch, sein Werk, seine Musik (1970). Deutsche Übersetzung von Horst Leuchtmann. 7. Aufl., München 1989, schreibt dazu: „Wie Hitler, ein anderer und etwas späterer Leser der Wagnerschen Prosa, war auch Förster [Bernhard Förster, der Ehemann von Friedrich Nietzsches Schwester Elisabeth, H.K.] zu einem fanatischen Vegetarier geworden. Und wenn auch Wagners Kampf gegen die Vivisektion weder in Südamerika noch in Deutschland unter Ludwig oder dem Kaiser Erfolg beschieden war, so folgte doch Hitler, wie Walter Kaufmann feststellt, Wagners Idee und verbot die Vivisektion durch Gesetz.“ (S. 455). 158 Manchmal wird Richard Wagner damit entschuldigt, daß seine Frau Cosima in einem Tagebucheintrag vom 20. Dezember 1880 von Friedrich Feustel erfuhr, daß ihr erster Ehemann Hans von Bülow sich über Bayreuth und vor allem über Hans von Wolzogen beschwerte, „welcher ihn verleitet habe, die Juden-Petition zu unterschreiben, während er sähe, daß R. sich zurückzöge, gut mit den Juden stünde. Er, Hans, brächte die Opfer und würde dann ausgezischt u.s.w.“ (C. Wagner: Die Tagebücher, Bd. II (wie Anm. 21), S. 643). 159 Ebd., S. 564. Eintrag vom 6. Juli 1880.

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marck?“160 Wir werden später noch auf die Bayreuther Blätter zu sprechen kommen, deren nationalsozialistische Vorläuferschaft arischen und völkischen Gedankengutes ja im Dritten Reich anerkannt wurde: „Die ,Bayreuther Blätter‘ traten mannhaft für die Verbreitung des völkischen bzw. nationalsozialistischen Schrifttums ein zu einer Zeit, als die übrige Presse in Deutschland zum überwiegenden Teile diese Ereignisse totschwieg oder mit grimmigem Spott verlästerte… Seit dem Tage aber, da Siegfried Wagner sich zu Adolf Hitlers Freiheitskampfe bekannte, war ein unauflöslicher Treubund zwischen einer der edelsten Kulturstätten Deutschlands und dem künftigen Kanzler des Reiches geschlossen.“161 Bismarck blieb für Wagner bis zu seinem Tod eine verachtenswerte Persönlichkeit, nicht nur wegen seines kühlen Empfangs beim Reichskanzler 1871, sondern weil er Bismarck unterstellte, daß dieser in einem deutschlandschädigenden Pakt mit den Juden stand. Ludwig Schemann, der Gobineau-Übersetzer, war im Dezember 1877 Zeuge, „wie eine der bittersten Beschwerden, die Wagner gegen Bismarck auf dem Herzen hatte, die nämlich, daß dieser der Großzüchtung des Judentums im deutschen Volksleibe, zum mindesten gesagt, nicht gewehrt habe, sich in elementarer Weise aus seinem Inneren hervorrang“.162 Bismarck hatte ja nicht nur kompromißlos und gegen bayerische Einsprüche die Reichsgründung vorbereitet, sondern der jüdische Bankier Gerson von Bleichröder (1822 – 1893) hatte Kriegsfinanzen für den preußisch-österreichischen Krieg 1866 bereitgestellt und verwaltete vertrauensvoll Bismarcks Kapitalvermögen, wofür er als erster preußischer Jude 1872 in den erblichen Adelsstand erhoben wurde. Für einen solchen ,Judengenossen‘ konnte Wagner nur abgrundtiefe Verachtung empfinden. Schemann hatte aber auch guten Kontakt zu Paul de Lagarde (1827 – 1891), dem er 1919 eine umfangreiche Biographie widmete; und als Wagner in seinem Aufsatz „Was ist deutsch?“ Constantin Frantz und Lagarde zur Mitarbeit in den Bayreuther Blättern aufforderte, fungierte Schemann als vermittelnde Instanz: „Während der erstere darauf mit einem offenen Brief erwiderte, blieb Lagarde stumm, und so fiel mir, als Vertrauensmanne Wagners, die Aufgabe zu, jenes Ansinnen mündlich zu erneuern.“163 Die Weigerung Lagardes, mit Wagner zusammenzuarbeiten, obwohl sie so viele gemeinsame An160

Hans von Wolzogen: Lebensbilder, Regensburg 1923, S. 96. Paul Bülow: Adolf Hitler und der Bayreuther Kulturkreis, Leipzig/Hamburg o. J. (1933), S. 14 (Hervorhebung im Original). „Ein selbstlos treues Dienen um Deutschlands heiligste Kulturgüter – das ist – in echtem Hitlergeiste – Bayreuths Sendung für das Dritte Reich!“ (S. 15). Udo Bermbach: Richard Wagner in Deutschland. Rezeption – Verfälschungen, Stuttgart/Weimar 2011, S. 67 – 293, hat eine detaillierte Inhaltsanalyse der Bayreuther Blätter verfaßt. 162 Ludwig Schemann: Meine Erinnerungen an Richard Wagner (1902), Leipzig/Hartenstein 1924, S. 30. Wagner habe „in heiligem Zorne“ gesagt, die Juden hätten unsägliches Elend über das deutsche Volk gebracht und die deutschen Bauern besäßen bald keine Scholle eigenen Bodens mehr: „Und das alles geschieht unter den Augen des Germanen Bismarck!“ (Zitiert ebd., Hervorhebung im Original). Vgl. dazu auch Text zu Anm. 193. 163 Ludwig Schemann: Paul de Lagarde (1919). 3. Aufl., Leipzig/Hartenstein o. J. (1944), S. 349. 161

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sichten über eine notwendige deutsche Wiedergeburt teilten – nicht nur die vielfach betonte Gegnerschaft gegen Otto von Bismarck164 –, sah Schemann darin begründet, daß Lagarde zu stark fixiert gewesen sei auf das Mystisch-Asketische in Wagners späteren Schriften: „Weil Lagarde Wagner nicht kannte, hatte er auch keine Ahnung davon, wie vielen dieser die heldische, die deutsche Ader gestärkt hat; und so mußte sich ihm die vielberufene Überschätzung der Kunst durch Wagner, sein künstlerischer ,Imperialismus‘, als ein Gespenst darstellen, daß sich ihm in dem Maße vergrößerte, als er seine Deutschen, die er in erster Linie politischreligiös, dann erst künstlerisch-wissenschaftlich gebrauchen konnte, dadurch in talentlose Ästheten gewandelt zu sehen fürchtete.“165 Mit einem charakterisierenden Satz wertete Schemann die distanzierte Haltung Lagardes gegenüber Wagner ab: „Von Wagners unermeßlichem Genie ist ihm [Paul de Lagarde, H.K.] so nie eine Ahnung aufgegangen.“166 Schemann berücksichtigte viel zu wenig, daß Lagarde Wagners Kunst- und Musikauffassung ablehnte und sich auch mit dessen Opernkompositionen gar nicht anfreunden konnte. Der „Offene Brief“167 von Constantin Frantz (1817 – 1891) wollte Wagners Frage „Was ist deutsch?“ von der politischen Seite her beantworten, um die großen militärischen Erfolge der beiden Kriege 1866 und 1870/71 nicht zu gefährden, die die tatsächlichen Machtmittel Deutschlands, seinen deutschen „Nationalberuf“,168 gezeigt hätten. „Das ist auch eine Konsequenz solcher realistischen Politik, dass sie Deutschland zur Basis des europäischen Militarismus gemacht hat, statt dessen es die Basis eines europäischen Friedenssystems sein sollte.“ Weil Deutschland durch die politische Schule des Heiligen Römischen Reiches hindurchgegangen sei – und nicht wie die Franzosen oder Engländer einen abgeschlossenen Nationalstaat errichtet habe –, könne es durch eine „Metamorphose des alten Imperatorenthums“,169 durch ein „Kaiserthum des deutschen Geistes“,170 erkennen, was wahre deutsche Politik ausmache. Frantz durchstreifte die ganze deutsche und europäische Geschichte, um der Reichsidee einen deutschen Anstrich zu verleihen: „Waren es nun die germanischen Völker gewesen, durch welche das Christenthum in der That erst seine welterneuernde Kraft bewähren konnte, während die antike Welt trotz ihrer Christianisirung unaufhaltsam in sich selbst abstarb, so machte es sich wieder ganz natürlich, dass das Kernland des Germanenthums zur besonderen Stütze der Kirche 164 Curt von Westernhagen: Richard Wagner. Sein Werk – Sein Wesen – Seine Welt, Zürich 1956, S. 333, glaubte, daß Wagners Erbitterung gegenüber Bismarck wegen dessen ausgebliebener Unterstützung „in jeder Beziehung widerlegt“ sei, doch nicht nur die Äußerung Schemanns belehrt uns eines Besseren. 165 L. Schemann: Paul de Lagarde (wie Anm. 163), S. 348. 166 Ebd., S. 350. 167 Vgl. Constantin Frantz: Offener Brief an Richard Wagner, in: Bayreuther Blätter, I. Jg., Juni 1878, S. 150 – 170. 168 Ebd., S. 151. Dort auch das nächste Zitat (Hervorhebungen im Original). 169 Ebd., S. 153. 170 Ebd., S. 166 (Hervorhebung im Original).

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wurde, an deren Herrschaft, nach damaliger Lage der Dinge, die christliche Entwicklung gebunden war.“171 Die nationale Idee sei durch die deutsche Hanse oder den Deutschen Orden befördert worden, mit anderen Worten, im späten Mittelalter sei die deutsche Nation „die lebensvollste, die wohlhabendste, die bildsamste und erfindungsreichste des ganzen Kontinents“172 gewesen. Doch seit der Lutherischen Reformation habe ein „deutsches Reich jüdischer Nation“173 zu entstehen begonnen und in Berlin stünde das kommunale, wirtschaftliche und geistige Leben schon ganz „unter jüdischem Einfluss“. Dieser Befürworter einer großen mitteleuropäischen Föderation unter deutscher Vorherrschaft gab Wagner antisemitische Steilvorlagen, wenn er es als ekelhaft bezeichnete, wenn Juden sich als die berufensten Stimmführer des deutschen Nationalgeistes gebärdeten. Frantz‘ deutschnationaler Vorschlag, sich dieser „Missgeburt des heutigen deutschen Reiches“174 zu entledigen, bestand darin: „Stossen wir doch zuvörderst das Judenthum aus, welches sich wie ein Bandwurm in unsrem Nationalkörper eingenistet, die innersten Lebenskeime deutschen Volksthums verderbend und aussaugend“.175 Trotz der scheinbaren Distanz Wagners zur Antisemitenpartei wurden ununterbrochen antisemitische Broschüren ins Haus Wahnfried geschickt – denn nach seinen eigenen Worten stellte ja sein Judenaufsatz die Initialzündung für diese Bewegung dar –, die Wagner eifrig studierte und die ihn in seinem rassistischen Vorurteil bestärkten. Aber zu einer antisemitischen Agitation wollte ihn niemand überreden, weil man sich denken konnte, daß Wagner in Bayreuth, der langersehnten Erfüllung aller seiner künstlerischen Träume, sich nicht parteipolitisch betätigen wollte. Dennoch veränderten sich seine antisemitischen Anschauungen unter dem Einfluß verschiedener Denker ganz erheblich hin zu einem völkischen Rassismus: „Sein Antisemitismus war in seiner Regenerationslehre auf eine neue Qualitätsstufe, ins Allgemeinere, Grundsätzlichere und Philosophische gehoben worden; mit den vulgären Bierkneipen-Antisemiten, die er weit unter seinen Niveau stehend hielt, wollte er nichts zu tun haben.“176 Deshalb reagierte er wohl in einem Brief vom 23. Februar 1881 an den Berliner Theaterdirektor Angelo Neumann (1838 – 1910) reserviert gegenüber einer judenfeindlichen Bewegung. In diesem Brief versuchte Wagner anzudeuten, daß er dieser Bewegung vollständig fern stehe und ein Aufsatz von ihm in den Bayreuther Blättern bekunden würde, „daß Geistvollen es sogar unmöglich werden dürfte, mich mit jener Bewegung in Beziehung zu bringen“.177 Gründe für diese distanzierte Haltung können darin gefunden wer171

Ebd., S. 156 (Hervorhebung im Original). Ebd., S. 154. 173 Ebd., S. 157. Dort auch das nächste Zitat (Hervorhebung im Original). 174 Ebd., S. 158. 175 Ebd., S. 161. 176 Jens Malte Fischer: Richard Wagners Das Judentum in der Musik. Entstehung – Kontext – Wirkung, in: Richard Wagner und die Juden, hrsg. von Dieter Borchmeyer, Ami Maayani und Susanne Vill, Stuttgart/Weimar 2000, S. 50. 177 Zitiert in Angelo Neumann: Erinnerungen an Richard Wagner, Leipzig 1907, S. 139. 172

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den, daß es nicht nur eine Reihe von jüdischen Unterstützern des Bayreuther Festspielbetriebs gab, sondern daß Wagner auch befürchten mußte, daß Ludwig II. ihm seine Gunst entziehen könnte, wenn er sich zu intensiv mit den antisemitischen Aktivitäten dieser ,preußischen‘ Bewegung einließe. Außerdem wird viel zu wenig berücksichtigt, daß sich diese Bewegung antisemitischer Parteipolitik verschrieben hatte, der Wagner inzwischen als ,Meister von Bayreuth‘ vollkommen abgeschworen hatte, weil ein Teil seines Lebenswerkes auch in der Etablierung eines Bühnenweihefestspiels lag, das seinen Weltruhm als dramatischer Opernkomponist begründete. Aus dem Brief an Neumann schließen zu wollen, daß Wagner den „Platitüden reaktionärer Eiferer“178 ablehnend gegenüberstand oder die rassistischen Angriffe auf Hermann Levi „als antisemitische Hetze“179 verurteilt habe, verkennt, ja verdreht die eigentliche Intention von Wagners Antisemitismus. Wir haben ja genügend Beispiele dafür kennengelernt, welche abwertenden Ansichten Wagner über seine angeblichen jüdischen Freunde, abgesehen von seinem verächtlichen Antisemitismus, vertreten hat. Der vertrackten Situation am nächsten kommt wohl die vorsichtige Aussage des überzeugten Wagnerianers Ludwig Karpath: „Das Pikanteste an der ganzen Sache ist ja, daß Neumann, freilich als Bühnenleiter und nicht als Sänger, der getreueste Bannerträger, also immerhin doch ein ,Träger‘ der Wagnerischen Kunst wurde.“180 Selbst mit dem preußischen Hofprediger Adolf Stoecker, der ja 1880 an der Berliner Bewegung maßgeblich beteiligt war und aus der fast alle antisemitischen Parteien bis zur NSDAP hervorgingen, hat Wagner vollständig sympathisiert.181 Wagner war zutiefst bewußt, daß seine einflußreichste Position als antisemitischer Vordenker nicht in einer politischen Agitation lag, sondern in dem alles überragenden Musikthron Bayreuth. „In der Tat wurde Wagners Judenfeindschaft bereits um 1880 paradigmatisch für einen Großteil der konservativ orientierten Deutschen und diente den Hardlinern als Rechtfertigung.“182 Cosima Wagner vertraute am 11. Oktober 1879 ihrem Tagebuch an, daß sie selbst eine sehr gute Rede über das Judentum des Pfarrers Adolf Stoecker gelesen 178

Rudolf Reiser: König Ludwig II., Cosima und Richard Wagner, München 2006, S. 102. Ebd., S. 104. 180 Ludwig Karpath: Begegnung mit dem Genius (1934). 2. Aufl., Wien/Leipzig 1934, S. 411 f. 181 In T. Fritsch: Handbuch der Judenfrage (wie Anm. 2), S. 552, hieß es über diesen vorzüglichen Redner und Organisator: „Er war kein ,Antisemit‘ im üblichen Sinne des Wortes und wurde doch gewissermaßen zum Vater des deutschen ,Antisemitismus‘… In seinem Kampfe gegen Sozialdemokratie und Anarchismus für Christentum und Monarchie mußte Stoecker erkennen, daß breite Schichten des Judentums, besonders aber die jüdische Großstadtpresse, innerlich auf der Seite des Marxismus standen und ihren bitteren Haß gegen Christentum, Deutschtum und Monarchie kaum verhehlten.“ In der Ausgabe Handbuch der Judenfrage, 1931, S. 447 f., der gleiche Text, lediglich die Ausdrücke „Antisemit“ und „Antisemitismus“ ohne Anführungszeichen. 182 Ulrich Drüner: Schöpfer und Zerstörer. Richard Wagner als Künstler, Köln/Weimar/ Wien 2003, S. 135. 179

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habe: „R.[ichard] ist für völlige Ausweisung. Wir lachen darüber, daß wirklich, wie es scheint, sein Aufsatz über die Juden den Anfang dieses Kampfes gemacht hat.“183 Und am 14. November des gleichen Jahres schrieb sie noch einmal: „Eine zweite Rede vom Pfarrer Stoecker bringt R. darauf, auszurufen: Ach! Nicht die Juden sind es, ein jedes Wesen sucht sein Interesse zu fördern, wir sind es; wir der Staat, die wir solches gestatten. So auch die Börse, anfänglich eine freie, gute Institution, was haben wir daraus werden lassen. Und er erzählt von der jetzigen Anleihe, welche der Staat macht und die wiederum nur ein Vorschub diesem bösen spekulativen Geiste [der Juden, H.K.] leistet!“184 Äußert sich so jemand, der der antisemitischen Bewegung distanziert oder gar ablehnend gegenüberstand? Es erscheint mir höchst fraglich und fragwürdig, „daß Wagner durch die rabiate Zuspitzung der politischen und rassistischen Agitation gegen die Juden bedenklich gestimmt und zumindest zu öffentlicher Zurückhaltung veranlaßt wurde“,185 sondern er wollte wohl eher sein Bayreuther Festspielwerk nicht gefährden, da er genau wußte, daß Ludwig II. seine antisemitischen Ansichten nicht teilte. Außerdem hatte er dem politischen Kampf der Revolutionsjahre vollständig abgeschworen und begnügte sich mit der anerkannten Rolle des genialen musikalischen und dramatischen ,Meisters von Bayreuth‘, der mit gewöhnlichen Juden nicht mehr viel zu tun haben wollte. Ebensowenig aussagekräftig für die bedeutende Rolle von Cosima und Richard Wagners Antisemitismus ist die Auffassung, er sei „repräsentativ für die Haltung des deutschen Bürgertums dieser Zeit zur Judenfrage“186 gewesen, denn abgesehen davon, daß sich eine repräsentative Statistik des Judenhasses der damaligen Zeit nicht ermitteln läßt, muß jeder vernünftige Mensch selbst dafür zur Rechenschaft gezogen werden, wenn er unmenschliche Handlungen propagiert. Gegen Wagners angebliche Zurückhaltung spricht eindeutig sein 1878 in den Bayreuther Blättern zuerst veröffentlichter Aufsatz „Was ist deutsch?“, in dem er nicht nur den deutschen Geist von den englischen und französischen Einflüssen zu befreien suchte, sondern deutsche Dichtkunst, deutsche Musik und deutsche Philosophie von allem Jüdischen ablösen möchte. Das deutsche Wesen ziehe sich vor dem undeutschen jüdischen Geist zurück und nur durch Abwehr „dieser sonderbaren Erscheinung des Eindringens eines allerfremdartigsten Elementes“187 vermögen 183

C. Wagner: Die Tagebücher, Bd. II (wie Anm. 21), S. 424. Ebd., S. 442. 185 Dieter Borchmeyer: Richard Wagner und der Antisemitismus, in: Richard-WagnerHandbuch, hrsg. von Ulrich Müller und Peter Wapnewski, Stuttgart 1986, S. 139. 186 D. D. Scholz: Wagners Antisemitismus (wie Anm. 3), S. 66. Der Präsident der von Joseph Goebbels geleiteten Reichsmusikkammer, Peter Raabe (1872 – 1945), hat in einem Aufsatz über Wagners Meistersinger 1935 einen ähnlichen Gedanken geäußert: „Wagner trat für die Ehre des deutschen Bürgertums ein und hielt es für so stark, daß er ihm nicht Hilfskräfte aus anderen Ständen zu verschreiben für nötig erachtete.“ (Peter Raabe: Die Musik im dritten Reich. Kulturpolitische Reden und Aufsätze. 1. Band (1935). 67. bis 74. Tsd., Regensburg 1943, S. 71). 187 Richard Wagner: Gesammelte Schriften und Dichtungen (1888). Band 10. Nachdruck Hildesheim 1976, S. 43. 184

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wir nach Wagner einem „schmachvollen Untergange“188 zu entgehen. Nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa habe versäumt zu erkennen, daß ausbeuterische Juden das öffentliche Leben zu ihren eigenen Vorteilen ausgenutzt haben: „Der Jude scheint den Völkern des neueren Europa’s überall zeigen zu sollen, wo es einen Vortheil gab, welche jene unerkannt und unausgenutzt ließen. Der Pole und Ungar verstand nicht den Werth, welche eine volksthümliche Entwickelung der Gewerbethätigkeit und des Handels für das eigene Volk haben würde: der Jude zeigte es, indem er sich den verkannten Vortheil aneignete. Sämmtliche europäischen Völker ließen die unermeßlichen Vortheile unerkannt, welche eine dem bürgerlichen Unternehmungsgeiste der neueren Zeit entsprechende Ordnung des Verhältnisses zur Arbeit zum Kapital für die allgemeine Nationalökonomie haben mußte: die Juden bemächtigten sich dieser Vortheile, und am gehinderten und verkommenen Nationalwohlstande nährt der jüdische Banquier seinen enormen Vermögensstand.“189 In diesem Jahr befand sich die Gründerkrise auf dem Höhepunkt und die Aktienkurse und der Börsenschwindel, die nach dem siegreichen Krieg gegen Frankreich mit den fünf Milliarden Mark Kriegskontributionen in unvorstellbare Höhen emporgeschossen waren, erlebten ein unvostellbares Desaster.190 Es ist dieses lange Zitat Wagners angeführt worden, um zu zeigen, daß Wagner eine ganz moderne marxistische Kapitalismuskritik191 und die antisemitischen Unterstellungen Werner Sombarts vorwegnahm, der sich ja vom überzeugten Marxisten zum Nationalsozialisten wandelte, ohne sich selbst darüber Rechenschaft abzulegen. Sombart, um nur einen heute noch weltbekannten Ökonomen zu erwähnen, der ein Teil dieses riesigen antisemitischen Stromes Ende des 19. Jahrhunderts war, dichtete den Juden eine spezifische Eigenart an, nämlich daß sie die Begründer des modernen Kapitalismus seien, denn der Kapitalismus sei aus der Geldleihe heraus geboren. Gerade im Ghettoleben der Juden, wie es in der damaligen Finanzmetropole Frankfurt am Main noch in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts anzutreffen war, habe sich diese bestimmte Haltung ausgeprägt: „Es sind zum Teil die Gewohnheiten der sozial niedrig Stehenden überhaupt, die aber natürlich im jüdischen Blute ein ganz merkwürdiges Gepräge annehmen: Neigung zu kleinen Betrügereien, Aufdringlichkeit, Würdelosigkeit, Taktlosigkeit usw. Sie haben sicher eine Rolle gespielt, als die Juden daran gingen, die Feste der alten handwerksmä-

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Ebd., S. 44. Ebd., S. 43. Wagner malte ein äußerst düsteres Bild, geradezu „ein widerwärtiges Zerrbild des deutschen Geistes“ (S. 44), das den Deutschen vorgehalten werden müsse, damit ihre schönsten Anlagen nicht für immer ausgerottet würden. „Es ist, als ob sich der Jude verwunderte, warum hier so viel Geist und Genie zu nichts anderem diente, als Erfolglosigkeit und Armuth einzubringen.“ (Ebd.). 190 Vgl. Hubert Kiesewetter: Industrielle Revolution in Deutschland. Regionen als Wachstumsmotoren, Stuttgart 2004, S. 79 ff. 191 Vgl. Hubert Kiesewetter: Karl Marx und die Menschlichkeit, Berlin 2011. 189

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6. Kap.: Kritik und Verteidigung von Wagners Judenthum 1869

ßig-feudalen Wirtschaftsordnung zu erobern“.192 Und natürlich sind diese wahnwitzigen Gedankenkonstruktionen in die nationalsozialistische Blut und BodenIdeologie eingegangen, die ein von Juden gereinigtes Deutschtum durch den schaffenden Nährstand zu ersetzen versuchte, der nichts mehr mit ,kapitalistischer Ausbeutung‘ gemein haben sollte. Kapitalismus, der seit der Antike die unterschiedlichsten und widersprüchlichsten Formen angenommen hat, mußte dafür herhalten, alle Übel dieser Welt verursacht zu haben und an dessen Stelle wurde eine rassistische Ideologie gesetzt. Wie sehr Wagner dieser völkischen Bodenmythologie vorgearbeitet hat, geht aus einer ,Einführung‘ für das Jahr 1880 in den Bayreuther Blättern, geschrieben an Weihnachten 1879, hervor, dem Jahr, in dem die Gründerkrise und die Börsenzusammenbrüche, die fast wie eine nachträgliche Rache des gewonnenen Krieges gegen Frankreich und dessen Milliardenzahlungen an das Deutsche Reich wirken konnten, allmählich überwunden wurden. Zwar konnte man noch nicht ahnen, daß Deutschland in den folgenden Jahrzehnten zur führenden Industrienation Europas aufsteigen würde, doch die militärische Etablierung eines Nationalstaates erregte Machtgefühle in allen Schichten der Gesellschaft. Den deutschen Landwirten wurde damals durch eine Erhöhung der Zollsätze für landwirtschaftliche Produkte entgegengekommen, weswegen die gleichzeitigen Ausfälle Wagners gegen Juden umso absurder erscheinen: „Unser mit Acker und Ackergeräth an den Juden verpfändeter Bauer soll wirklich erst mit dem Eintritt in den Militärdienst zu gedeihlicher Nahrung und erträglichem Aussehen gelangen; vielleicht thun wir gut, mit Sack und Pack, Weib und Kind, Kunst und Wissenschaft, sowie allem sonst Erdenklichen in die Armee einzutreten; so retten wir am Ende noch Etwas von dem Juden, an den wir leider Hopfen und Malz bereits verloren haben.“193 Dies war unverkennbar militaristisches Denken im büßerischen Gewand eines Kunstschaffenden, dem in der Wirtschaftskrise die finanziellen Pfründe verlustig zu gehen drohten. Wagner garnierte seine diesbezüglichen Überlegungen mit einem kräftigen Schuß Sarkasmus, vielleicht um von der Absurdität dieser Gedanken ablenken zu können: „Wenn uns heute ein neuer amerikanischer Krösus, oder ein mesopotanischer Krassus Millionen vermachte, sicher würden diese unter Kuratel des Reiches gestellt, und auf meinem Grabe würde bald Ballet getanzt werden.“194 Kein Baletttanz, sondern die judenfeindliche Ausgestaltung einer rassistischen Ideologie wurde in den nächsten fünfzig Jahren in die Ahnengallerie von Bayreuth aufgenommen, statt zu Grabe getragen.

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Werner Sombart: Die Juden und das Wirtschaftsleben (1911), München/Leipzig 1928, S. 432. Vgl. zu dem ganzen Komplex H. Kiesewetter: Das einzigartige Europa (wie Anm. 65), S. 106 ff. 193 R. Wagner: Gesammelte Schriften, Bd. 10 (wie Anm. 187), S. 29. 194 Ebd., S. 29 f.

7. Kapitel

Die zwiespältige Rolle von Cosima Wagners Antisemitismus Ich möchte hier etwas auf Cosima Wagner (1837 – 1930) eingehen, weil sie in Bayreuth jahrzehntelang den ohnehin schon ausgeprägten Antisemitismus Wagners mit extremen antisemitischen Ansichten angereichert und fast keine Gelegenheit versäumt hat, ihren unheilvollen Einfluß auf die künstlerischen und geistigen Mitstreiter sowie den ,Sumpf‘ von Bayreuth auszuüben, der „das Festspielhaus schließlich zu Hitlers Hoftheater erniedrigte“,1 um Thomas Mann zu zitieren. Auch Theodor W. Adorno war 1947 davon überzeugt, daß Cosimas „mind more than anticipates the Fascist mentality“,2 was allerdings die Frage aufwirft, wie die vorweggenommene Übertragung von Geist auf Mentalität ausgesehen haben könnte. Sie war das uneheliche Kind von Franz Liszt und der sechs Jahre älteren Comtesse d’Agoult und wurde am 25. Dezember 1837 am Comer See geboren, wuchs in Paris auf, wo sie mit sechs Jahren legitimiert wurde und den Namen ihres Vaters erhielt.3 Am 18. August 1857 heiratete Cosima in Berlin den 27jährigen Hans von Bülow, ein begabter Pianist und bewundernder Freund von Richard Wagner, nachdem Bülow Cosima auf Wunsch ihres Vaters jahrelang Klavierunterricht erteilt hatte. Auf ihrer Hochzeitsreise besuchten sie Wagner in seinem Wesendonckschen ,Asyl‘ in Zürich, in dem Minna und Richard Wagner vom 28. April 1857 bis 17. August 1858 in einem von Otto Wesendonck gebauten Haus wohnten, wo sie ihre Flitterwochen verbrachten, weil Wagner Bülow ,braucht‘. Hans von Bülow machte schon am 5. Februar 1859 von Berlin aus über seine Frau in einem Brief an Wagner die vieldeutige Aussage: „Das gute Kind war so glücklich über den Lohengrin. Du verstehst, die liebt Dich auch. Wir haben zusammen geweint!“4 So nahm das ,Schicksal‘ seinen Lauf, auch wenn man darüber spekulieren kann, wer wem dabei die einzuschlagende Richtung vorgab, denn am 28. November 1863 1 Thomas Mann: Schriften und Reden zur Literatur, Kunst und Philosophie (1960). 3. Band, Frankfurt am Main 1968, S. 243. Rezension von Briefe Richard Wagners, in: Neue Schweizerische Rundschau, 18. Jg., Heft 9, 1951. 2 Theodor W. Adorno: Wagner, Nietzsche, and Hitler, in: ders., Musikalische Schriften VI, hrsg. von Rolf Tiedemann und Klaus Schultz, Frankfurt am Main 1984, S. 405. 3 In aller Ausführlichkeit und mit einer Vielzahl von archivalischen Dokumenten wird ihr Leben geschildert von Oliver Hilmes: Herrin des Hügels. Das Leben der Cosima Wagner. 3. Aufl., München 2007, S. 19 ff. 4 Hans von Bülow: Neue Briefe, hrsg. von Richard Graf Du Moulin Eckart, Müchen o. J. (1927), S. 427.

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verliebten sich Richard Wagner und Cosima von Bülow in Berlin und nachdem Wagner am 4. Mai 1864 in München mit Ludwig II. zusammengetroffen war, erhielt die scheinbare Bestimmung von Cosima eine neue Wendung, weil der König Wagner eine kleine Villa am Starnberger See zur Verfügung stellte. Dort traf Cosima am 29. Juni 1864 mit ihren beiden Töchtern ein, Hans von Bülow, der auf drängende Empfehlung Wagners vom König nach München berufen worden war, folgte etwa acht Tage später, doch am 10. April 1865 kam Isolde zur Welt, die Wagner gezeugt hatte, ohne daß Bülow dies wußte oder wissen wollte, da er der versicherten Ehrenhaftigkeit seiner Frau vertraute. Ganz im Gegenteil, Bülow verkündete glücklich die Geburt seines dritten Kindes und seine angetraute, untreue Frau ließ ihn in diesem getäuschten Glauben, wahrscheinlich, um einen Skandal zu verhindern. Cosima, so hat es den Anschein, schien nach und nach ihre ganze innere Selbstbestimmung aufgegeben zu haben, nur um ausschließlich für Wagner zu wirken und ihm untertänig zu sein. Dabei entwickelte sie jedoch eine rücksichtslose Energie, wie etwa bei dem Wunsch Ludwigs II., der gerne auch die im Buchhandel nicht leicht zugänglichen Wagnerschen Schriften haben wollte: „Dieses Sammeln von verstreuten Arbeiten oder schwer nur zu beschaffenden, vergriffenen Druckschriften übernahm Cosima, die hierbei energisch und offensichtlich nicht immer sehr taktvoll verfuhr, denn überall erntete Wagner durch das Auftreten der Freundin bei seinen alten und jungen Kampfgenossen eine Abkehr in teils melancholischer, teils entrüsteter Art.“5 Das vorgetäuschte Freundschaftsbündnis zugunsten von Wagners musikalischer Schaffenskraft wurde weiterhin aufrechterhalten. In der Zwischenzeit war Wagner in das vom König bereitgestellte Haus in der Brienner Straße 21 in München gezogen (am 15. Oktober 1864) – das noble Bürgerhaus kostete den König jährlich 3.000 Gulden (fl.) Miete, doch als der Mietvertrag mit Wagner gekündigt werden sollte, erwarb die königlich-bayerische Kabinettskasse für 50.000 fl. am 2. Mai 1865 dieses Haus und ließ es Wagner als erbliches Eigentum überschreiben, der es am 1. September 1866 an die Kabinettskasse rückübertrug, die es am 20. Januar 1868 an Julius Knorr verkaufte! – und die Bülows wohnten in der Nachbarschaft, so daß diese geheimgehaltene Liebesschnulze mit Duldung des gehörnten Ehemannes fortgesetzt werden konnte. Der ebenfalls gehörnte König, dessen homosexuelle Neigungen zu Wagner offenkundig waren, hätte wohl zu diesem frühen Zeitpunkt seine finanzielle Unterstützung abgebrochen, wenn er gewußt hätte, daß seine beiden ,Freunde‘ ihn schmählich hintergingen, doch in seiner schlichten Einfalt schrieb er am 14. November 1865 an Cosima von Bülow – Wagner weilte vom 11. bis 18. November als Gast Ludwigs II. auf Schloß Hohenschwangau –, daß Gott ihre Kinder segnen möge und über den ewig geliebten Wagner: „O Er ist göttlich! Göttlich. – Mein Beruf ist, für Ihn zu leben, zu kämpfen, zu leiden, wenn Er es zu Seiner völligen Erlösung bedarf… Nun muß doch endlich die profane Welt die Augen öffnen. Unser Verhältniß verstehen,

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Hans Tessmer: Richard Wagner. Sein Leben und sein Werk, Berlin 1930, S. 221.

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trotz allen schändlichen Intriguenspiels.“6 Er ahnte in seiner grenzenlosen Naivität noch nichts von diesem offenkundigen Liebesverhältnis, das die Spatzen von den Münchener Dächern sangen, doch die prekäre Angelegenheit wurde zu einem späteren Zeitpunkt noch dadurch kompliziert, daß Hans von Bülow nur in eine Scheidung einwilligen wollte, wenn Cosima für längere Zeit zu ihrem damals in Rom lebenden Vater, Franz Liszt, zog – die lächerliche Idee eines seelisch Verzweifelten. Diese komplizierte Situation erhielt eine dramatische Wendung wegen der ministerialen Widerstände gegen die außerordentliche finanzielle Alimentierung Wagners aus der königlichen Kabinettskasse. Am 6. Dezember 1865 wurde Wagner die vom König genehmigte Anweisung überbracht, Bayern verlassen zu müssen, worauf er wenige Tage später erneut eine ungewisse Flucht antrat und zuerst nach Bern reiste und sich später im Landhaus Les Artichauts bei Genf aufhielt. Danach zog er in ein Haus am Luzerner See, in Tribschen, in das Cosima ihm folgte und alles für ihn erledigte, einschließlich der Geburt der Tochter Eva am 17. Februar 1867 und der Geburt des Sohnes Siegfried am 6. Juni 1869. Wie sehr er von dort seinen ihm ewig wohlgesonnenen, aber unwissenden König mit Hilfe von Cosima weiter umgarnte, haben wir teilweise schon gehört, es läßt sich jedoch genauer in dem seit 1936 vollständig publizierten Briefwechsel zwischen Wagner und König Ludwig II. detailliert nachlesen. Am 16. November 1868 siedelte Cosima von Bülow endgültig nach Tribschen über – nachdem sie am 3. Oktober ihrem Mann aus dem oberitalienischen Faido, wo sie sich mit Wagner aufhielt, mitgeteilt hatte, daß sie sich von ihm trennen würde – und die Heirat mit Richard Wagner wurde am 25. August 1870, dem 25. Geburtstag König Ludwigs II., in der protestantischen Kapelle in Luzern vollzogen. Allerdings trat Cosima erst am 31. Oktober 1872 in Bayreuth vom Katholizismus zum Protestantismus über, wohl vor allem deswegen, weil sie im katholischen Bayern ihren protestantischen Glauben zusammen mit ihrem Ehegatten in gleicher Weise ausüben konnte wie in der Schweiz. Wagner scheint in Tribschen die psychologisch schwierige Lage von Cosima verstanden zu haben, denn wenn wir Willi Schuh glauben dürfen, dann machte Catulle Mendès, als er mit seiner damaligen Frau Judith Gauthier im September 1869 Wagner in Tribschen besuchte, den Vorschlag, Konzerte unter Wagners Leitung in Frankreich zu organisieren, doch Wagner lehnte ab, „weil Cosima ihn nicht begleiten wollte, solange die Scheidung von Bülow und die Heirat mit Wagner nicht vollzogen war“.7 Anfang Januar 1869 begann Cosima ein jede belanglose Einzelheit enthaltenes Tagebuch zu schreiben, das allerdings auch voll von antisemitischen Ausfällen von ihr und Richard Wagner ist, die von französischen und deutschen Autoren umge6

Cosima Wagner und Ludwig II. von Bayern. Briefe, hrsg, von Martha Schad, Bergisch Gladbach 1996, S. 55. Die ,profane Welt‘ hatte längst erkannt, daß der König hinters Licht geführt wurde. 7 Willi Schuh: Die Freundschaft Richard Wagners mit Judith Gauthier, in: Die Briefe Richard Wagners an Judith Gauthier, hrsg. von Willi Schuh, Erlenbach-Zürich/Leipzig o. J. (1936), S. 63, Anm. 1.

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deutet wurden in die unhaltbare Behauptung, „daß sie Wagner nachplappert“,8 oder daß es eine „Orgie der Harmonie“9 zwischen zwei aufeinander angewiesene Menschen gewesen sei. Aber zu einem späteren Zeitpunkt, nämlich um das Jahr 1878, muß Françoise Giroud bei Cosima einräumen: „Was die Juden angeht, übertrifft sie sich selbst, liest den Talmud und schließt sich auch hier Wagner an, nach dem man sich aller Juden entledigen müsse“.10 Das war, wie wir bereits bei dem judenfreundlichen Ludwig II. gesehen haben, leichter gesagt als getan, denn Wagner war in Bayreuth immer noch auf jüdische Dirigenten und jüdische Förderer angewiesen, um sein ,Bühnenweihefestspiel‘ so aufführen und finanzieren zu können, wie er es sich vorstellte und wünschte. Cosima wurde offenbar von Anfang an in Wagners Antisemitismus, der ja von ihrem Nochehemann Bülow vollständig geteilt wurde, einbezogen, denn am 9. Januar 1869 schrieb sie in ihr Tagebuch: „Zu Mittag besprach Richard mit mir die Opportunität der augenblicklichen Publikation des Juden-Aufsatzes, ich sagte ihm, ich sei unfähig, das mindeste ihm hierüber sagen zu können, denn wenn man mir sagte: Es bringt ihm die größten Widerwärtigkeiten ein, oder es wird gänzlich ignoriert, oder es macht eine gute Wirkung, ich würde alles glauben.“11 Es scheint so, als ob Cosima die antisemitischen Ausfälle ihres (noch) Geliebten erst in sich aufnehmen mußte, ehe sie ihren eigenen Standpunkt gegenüber Juden vertreten konnte, was auch aus der entbehrungsbereiten Selbsteinschätzung im Tagebuch deutlich wird: „Ich könnte mir leicht denken, daß eine andere Zeit mich als religiöse Schwärmerin gesehen hätte – nun hat die Liebe mich erfaßt und ganz erfüllt und weiß ich nichts andres und will ich gern darin und darum leiden.“12 Die historische Prädestination einer bayerischen Kleinstadt für eine rassistische Ideologie kann ausgeschlossen werden, doch Bayreuth wurde geradezu zur international verehrten Kultstätte des völkischen Antisemitismus, nicht nur im ergebenden Bewußtsein Cosimas, sondern vieler Wagnerianer noch vor dem nationalsozialistischen Totalitarismus. Der Indologe und Mythenforscher Leopold von 8 So Françoise Giroud: Cosima Wagner. Mit Macht und Liebe. Eine Biographie (1998). Aus dem Französischen von Martina Georg. 2. Aufl., München 1998, S. 78. 9 Peter Wapnewski: Richard Wagner. Die Szene und ihr Meister (1978). 2., verb. Aufl., München 1983, S. 126. Später äußert Wapnewski: „Ohne Hitler wäre Wagners Judenhaß eine peinliche Belanglosigkeit“ (S. 134). So einfach sollten es sich auch einfühlsame Germanisten nicht mit diesem ernsten Problem machen. 10 F. Giroud: Cosima Wagner (wie Anm. 8), S. 131 f. Dagegen schreibt Jonathan Carr: Der Wagner-Clan. Aus dem Englischen von Hermann Küsterer. 2. Aufl., Hamburg 2008, S. 125: „Wegen Zwiespältigkeit auf Cosimas Seite brauchten sich die Antisemiten keine Sorgen zu machen… Ihr graute vor den jüdischen Gesichtern und Judenbärten, die sie zu ihrer besonderen Verärgerung oftmals bei Vorstellungen von Wagnerwerken im Publikum entdeckte.“ 11 Cosima Wagner: Die Tagebücher. Band I: 1869 – 1877. Ediert und kommentiert von Martin Gregor-Dellin und Dietrich Mack, München/Zürich 1976, S. 28 f. 12 Ebd., S. 51. Eintrag vom 7. Februar 1869. Was sie ja wegen der vielen Liebesaffären ihres Mannes reichlich getan hat.

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Schroeder (1851 – 1920), der eine historische Kontinuität deutscher Kultur von der indogermanischen Zeit bis zu seiner Epoche nachweisen zu können glaubte, veröffentlichte 1913 nicht nur ein Buch Richard Wagner als Nationaler Dramatiker und 1918 eine Biographie Houston Stewart Chamberlain, sondern glorifizierte Bayreuth in märchenhafter Weise als die ideale Weihestätte deutscher Kunst: „Seit der Trennung der arischen Völkerstämme vor mehr als 5000 Jahren können dieselben jetzt zum ersten Male wieder an einem bestimmten Orte sich zusammenfinden, um ihre uralten Mysterien – nun aber in unerhörter Vollendung neugestaltet – vor sich zu sehen. Durch Wagner ist Bayreuth zum idealen Mittelpunkt aller arischen Völker geschaffen worden und damit Deutschland und den Deutschen ein unschätzbarer Vorrang gesichert, als den berufenen Hütern dieser geweihten Stätte, wo des Grales Wunder sich enthüllen, der Drache dem Schwert des furchtlosen reinen Helden fällt und über dem dunklen Grunde urzeitlicher Gedanken sich strahlend die rettende Idee der Erlösung erhebt, des kostbarsten Gewinnes der ganzen Menschheitswanderung durch jene Jahrtausende: ,Erlösung durch die Liebe! Erlösung durch das Mitleid!‘“13 Mußten Cosima Wagner und Houston Stewart Chamberlain sich durch die sagenhafte Beweihräucherung dieses ethnischen Gelehrten aus Wien in ihrem völkischen Rassismus, der so gar nichts von brüderlicher Liebe und barmherzigem Mitleid enthielt, nicht vollständig bestätigt fühlen? Die besagte Leidensfähigkeit der scheinbar liebeserlösten Ehefrau änderte sich jedoch in den nächsten Jahren, denn Cosima wurde immer antisemitischer und schien ihren Richard darin noch übertreffen zu wollen, weshalb es vielleicht im übertragenden Sinn zutreffend ist zu sagen: „Cosima lebte, um für das Werk Wagners zu wirken.“14 Am 21. November 1878 z. B. berichtete sie von dem Juden Joseph Rubinstein, der ja als einer der engsten Freunde Wagners durch die beschönigende Literatur geistert, „welcher sich als ganz derselbe wie vor einigen Jahren erweist, d. h. entschieden krank!“15 Einen Tag später schrieb sie trotz schlechter Nacht über viel Heiterkeit und israelitische Nöte und fügte hinzu: „(R. sagte gestern: Wenn ich noch einmal über die Juden schriebe, würde ich sagen, es sei nichts gegen sie einzuwenden, nur seien sie zu früh zu uns Deutschen getreten, wir seien 13

Leopold von Schroeder: Die Vollendung des arischen Mysteriums in Bayreuth, München 1911, S. 211 f. (Hervorhebung im Original). 14 Friedrich Herzfeld: Königsfreundschaft. Ludwig II. und Richard Wagner (1939), Leipzig 1941, S. 339. Herzfeld meinte es natürlich nicht im Sinne eines verstärkenden Judenhasses. 15 Cosima Wagner: Die Tagebücher. Band II: 1878 – 1883. Ediert und kommentiert von Martin Gregor-Dellin und Dietrich Mack, Müchen/Zürich 1977, S. 236. Am 10. Januar 1881 äußerte sie sich über den „armen Schelm“ Rubinstein: „Er schmuggelt sich in die Conferenz des Patronat-Ausschusses gestern in meinem Salon ein, und verschwindet beschämt, um dann zu [Paul von] Joukowsky vom Heiland und von seiner Hoffnung des Unterganges der jüdischen Race seufzend und rührend zu sprechen.“ (Cosima Wagners Briefe an ihre Tochter Daniela von Bülow 1866 bis 1885, hrsg. von Max Frh. von Waldberg, Stuttgart/Berlin 1933, S. 113). Oder Cosima hatte das Gefühl, „dass an keinen Wesen wie an diesen, unsern Israelitischen Brüdern, und ganz besonders an Rubinstein wir so zu Christen werden können“ (Brief vom 3. Februar 1881, S. 128).

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nicht fest genug gewesen, um dieses Element in uns aufnehmen zu können).“16 Diese Aussage ist oft zur Ehrenrettung Wagners zitiert worden, doch wir werden noch erfahren, daß sie eigentlich ganz anders gemeint war als Wagneradepten sie interpretieren. Die unhaltbare Auffassung von Wagners toleranter Haltung gegenüber angeblich jüdischen Freunden scheint trotz vielfältiger Gegenbeispiele unausrottbar, weil nicht sein kann, was nicht sein dürfte. „Viele sonderbare Nöte“, heißt es etwa in Cosimas Tagebucheintrag vom 8. März 1870, „wegen der jüdischen Abstammung Porges‘ [1837 – 1900], jeder Augenblick bringt den Herrn Jesus auf unsere Lippen!“17 Und am 1. Dezember 1878 gab Cosima die Aussage ihres Mannes wieder: „Daß die Juden mindestens 50 Jahre zu frühe uns amalgamiert worden sind, betont R., ,wir mußten erst etwas sein. Nun ist der Schaden furchtbar‘.“18 Zehn Tage später wurde Cosima deutlicher und beseitigt damit alle Zweifel, daß Wagner vor einem völkischen Rassismus zurückschreckte, der eine Judenvernichtung propagiert: „R. will alle Juden von sich abfallen lassen ,wie die Warzen‘, gegen welche kein Mittel hilft; nicht mehr unterbinden, nichts mehr mit ihnen tun.“19 Und diese judenfeindlichen Äußerungen über die schnelle Beseitigung einer überflüssigen

16 C. Wagner: Die Tagebücher, Bd. II (wie Anm. 15), S. 236 f. Es ist viel darüber spekuliert worden, ob diese Aussage nicht zugunsten Wagners ausgelegt werden müsse, doch Wagners spätere antisemitische Äußerungen sprechen eindeutig dagegen. Wie diese Aussage eigentlich gemeint war, zeigte Cosimas Tagebucheintrag vom 13. Januar 1879: „Wie die andren Freunde sich entfernt, bleibt Freund Levi, und wie er uns meldet, daß sein Vater Rabbiner ist, so kommt das Gespräch wieder auf die Israeliten, darauf, daß sie zu früh in unsere Kulturzustände eingegriffen haben, daß das allgemein Menschliche, welches aus dem deutschen Wesen sich hätte entwickeln sollen, um dann auch dem Jüdischen zugute zu kommen, daß dies in seiner Entfaltung aufgehalten worden ist durch die frühzeitige Einmischung in unsere Angelegenheiten, bevor noch daß wir gewußt, wer wir seien.“ (Ebd., S. 290). 17 C. Wagner: Die Tagebücher, Bd. I (wie Anm. 11), S. 206. Und in einem Brief an Richard Strauss vom 26. März 1890 bezeichnete Cosima Porges als „eine große, lautere Seele und mir immer der rührende Beweis, daß das Judentum sehr wohl durch das Christentum vernichtet werden kann“. (Cosima Wagner: Das zweite Leben. Briefe und Aufzeichnungen 1883 – 1930, hrsg. von Dietrich Mack, München/Zürich 1980, S. 214). 18 C. Wagner: Die Tagebücher, Bd. II (wie Anm. 15), S. 247 (Hervorhebung von mir). Am 27. Dezember 1878 schrieb Cosima: „Das Gespräch schließt mit einer sehr erregten Darstellung des Übels, welches die Juden über uns Deutsche gebracht; R. sagt: Persönlich habe [er] die besten Freunde unter den Juden gehabt, aber ihre Emanzipation und Gleichstellung, bevor wir Deutschen etwas waren, sei verderblich gewesen. Er halte Deutschland für vernichtet. Und ihn bekümmere es, weil Anlagen da gewesen seien, die wohl dies zu bedeuten gehabt hätten. Der Deutsche wurde von den Juden ausgebeutet und verlacht, dabei sei er im Ausland verhaßt. Er würde nun träge, trunken, wolle es auch so machen wie die Juden. Treu und Glauben seien bei ihm unterwühlt. Freilich träfe eine Hauptschuld die Regierungen. Aber es sei alles Schicksal! Nur Hoffnung habe er, R., nicht mehr.“ (Ebd., S. 273). 19 Ebd., S. 460. Es ist deshalb kaum plausibel zu begründen, daß mit Wagners ParsifalOper, deren Vorspiel zu Cosimas Geburtstag am 25. Dezember 1878 zuerst aufgeführt wurde, „die Zielvorstellung einer Überwindung aller feindlichen Trennungen zwischen den Bevölkerungsgruppen, zumal der Rassengegensätze unablösbar verbunden“ sei. (So Dieter Borchmeyer: Richard Wagner. Werk – Leben – Zeit, Stuttgart 2013, S. 346).

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Wucherung sollen nichts weiter als verbale Attacken „seiner vielen unüberlegten, später revidierten Aussprüche gewesen“20 sein? Es deutet vieles darauf hin, daß Cosimas Antisemitismus in den letzten Lebensjahren Wagners auch dadurch zu einem völkischen Rassismus gesteigert wurde – wie sie ihrer Tochter Daniela von Bülow am 29. März 1881 schrieb –, „dass ich das Werk des Grafen Gobineau mit wachsendem Interesse lese“.21 Wagner hatte ja schon 1878 dem französischen Rassenforscher Gobineau in den Bayreuther Blättern die Möglichkeit eingeräumt, dort einen Aufsatz zu veröffentlichen und er stellte ihm einen Prolog „Zur Einführung der Arbeit des Grafen Gobineau“ voran; außerdem hat er den Wagnerianer Ludwig Schemann (1852 – 1938) dazu ermuntert, das Hauptwerk Gobineaus zu übersetzen.22 Dies war ja wirklich keine leichte Aufgabe, denn das französische Orignal umfaßte vier voluminöse Bände in einer reichlich komplizierten Diktion, weswegen Schemann daran fast zwei Jahrzehnte arbeitete, doch Wagner erkannte in Gobineau einen kongenialen antisemitischen Partner. Gobineaus Schriften – Cosimas Französisch- sollen besser gewesen sein als ihre Deutschkenntnisse – bildeten bis zu Wagners Tod am 13. Februar 1883 in Venedig reichlich Gesprächsstoff zwischen Cosima und Richard Wagner. Am 1. Juni 1882 z. B. vertraute Cosima ihrem Tagebuch an: „Beim Abendbrot spricht er von den Ansichten des Grafen über die Sprachen, ihren Zusammenhang mit den Racen, und wie gemischte Sprachen keinen Wert hätten; und er rühmt es, welche Klarheit er auf diesem Gebiete Gobineau verdanke. Sie sollen leben, ruft er dem

20 Dieter David Scholz: Wagners Antisemitismus. Jahrhundertgenie im Zwielicht – Eine Korrektur (2000), Darmstadt 2013, S. 82. Scholz überhöht an anderer Stelle die Unterschiede zwischen Cosima und Richard Wagners Antisemitismus; ersterer sei borniert und starr gewesen, letzterer selbstkritisch und distanziert. Cosimas Antisemitismus erweise sich als „unbeugsam, ja militant und nicht zuletzt stark christlich-religiös eingefärbt; das Erbteil ihrer streng katholischen Erzieherin Madame Patersi de Fossombroni“. (Dieter David Scholz: Ein deutsches Mißverständnis. Richard Wagner zwischen Barrikade und Walhalla, Berlin 1997, S. 154 f.). 21 Cosima Wagners Briefe (wie Anm. 15), S. 180. Am 25. Februar 1881 hatte sie ihrer Tochter mitgeteilt: „Der Kopf brummt mir ein wenig vor Juden“ (ebd., S. 154), nämlich nach dem Besuch von Angelo Neumann, Botho von Hülsen und dem italienischen Sänger Pepino. Selbst König Ludwig II. schrieb am 25. August 1881 an Wagner, nachdem ihm dieser am 19. Juni mitgeteilt hatte, daß der französische Graf sie vor einer Woche verlassen mußte, über seinen Freund Gobineau: „Wohl kann ich es mir denken, wie schwer es ihm geworden sein muß, aus Ihrem ihm mit Recht so lieb gewordenen Kreise zu scheiden und Ihren anregenden Umgang nun wieder entbehren zu müssen.“ (König Ludwig II. und Richard Wagner. Briefwechsel, bearbeitet von Otto Strobel. III. Band, Karlsruhe i. B. 1936, S. 220). 22 Vgl. Grafen Gobineau: Versuch über die Ungleichheit der Menschenracen. Deutsche Ausgabe von Ludwig Schemann. I. bis IV. Band. 2. Aufl., Stuttgart 1902 – 1904. In Ludwig Schemann: Meine Erinnerungen an Richard Wagner (1902), Leipzig/Hartenstein 1924, S. 18, beklagte Schemann, daß er wegen Wagners Abneigung gegen Kränze bei dessen Beerdigung keinen Kranz gekauft habe, aber daß er dies „viele Jahre später durch die Widmung meiner größten Lebensarbeit, der Verdeutschung des Gobineau’schen Rassenwerkes, an die Manen Wagners gesühnt habe!“.

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Müden zu!“23 Noch am 22. Oktober 1901 schrieb Cosima an Ludwig Schemann, der 1893 eine deutsche Gobineau-Vereinigung gegründet hatte: „Und der Gedanke der Rassen ist vielleicht heute (wenn auch ungleich verständlicher) der Menschheit noch unwillkommener als zur Zeit, wo ihn Gobineau aussprach.“24 Gobineaus Rassenlehre bedeutete für Wagner zweifellos eine ,wissenschaftliche‘ Bestätigung nicht nur seines Antisemitismus, sondern sie hat seine rassistischen Vorurteile befestigt und verschärft, weshalb er ihm bis zu dessen Tod in Turin am 13. Oktober 1882 freundschaftlich verbunden war. Cosima Wagner kann deshalb als nahezu ideale Partnerin in einem vertiefenden Antisemitismus zu ihrem Ehemann angesehen werden. Ihre fast hündische Unterwürfigkeit gegenüber Wagner – oder im nationalsozialistischen Jargon, „um dem Ideal zu dienen, dem ihre feurige Seele in begeistertem Glauben ergeben war“25 – hat sie gelegentlich dazu verleitet, seine antisemitischen Aussagen nachzusprechen, aber der nahegelegte Gedanke, daß sie selbst nicht judenfeindlich war und Wagner in seinem Rassismus nicht massiv bestärkt hat, läßt sich aus der Lektüre ihrer exakt geführten Tagebücher, die mit dem Tod Wagner abgebrochen werden, überhaupt nicht entnehmen und ist eine reine Beschönigung. Ganz im Gegenteil sind diese Tagebücher eine wahre Fundgrube für einen wechselseitig verstärkenden Antisemitismus, der Cosimas Selbstbewußtsein, besonders nach Wagners Tod, nachdrücklich bestärkt hat. Ihr ganzes Äußeres strahlte eine aristokratische Würde aus, die sie durch ein erhabenes Auftreten und einer geschickten Diplomatie unterstrich, was allerdings erst in der Zeit, als sie zur ,Herrin von Bayreuth‘ aufstieg, richtig zum Ausdruck gebracht wurde. „Vor allem aber war Cosima, die sich gerne schwarz verschleiert gab, Antisemitin.“26 Über ihr enges Verhältnis zu ihrem Schwiegersohn Houston Stewart Chamberlain, den wir als den eigentlichen rassistischen Vordenker der nationalsozialistischen Ideologie kennenlernen werden, schrieb Max von Millenkovich-Morold: „Die Lücke, die Nietzsche und Stein hinterlassen, wurde durch Chamberlain aufgefüllt. Und mit ihm ist etwas Neues, höchst Bedeutungsvolles hinzugekommen: die grundsätzliche und weitschauende Verknüpfung des Gedankens von Bayreuth mit der gesamten völkischen Erneuerung.“27 Der Briefwechsel 23

C. Wagner: Die Tagebücher, Bd. II (wie Anm. 15), S. 951. Cosima Wagner: Briefe an Ludwig Schemann, hrsg. von Bertha Schemann, Regensburg 1937, S. 82. 25 So Ernst Fürst zu Hohenlohe: Einleitung zu: Briefwechsel zwischen Cosima Wagner und Fürst Ernst zu Hohenlohe-Langenburg, Stuttgart 1937, S. V. 26 Joachim Köhler: Wagners Hitler. Der Prophet und sein Vollstrecker. 2. Aufl., München 1997, S. 159. „Aus dem Judenhaß wurde Verfolgungswahn; man vermied es sogar, wie beim Gottseibeiuns, den Namen der grauenerregenden Rasse auszusprechen.“ (S. 160). 27 Max von Millenkovich-Morold: Cosima Wagner. Ein Lebensbild, Leipzig 1937, S. 410. Über die eigentümliche Zusammenarbeit des Juden Hermann Levis mit Bayreuth heißt es dort: „Der Jude fühlt sich immer schuldbewußt; er leidet an der Schuld seines Stammes, auch wenn sie ihm gar nicht vorgehalten wird oder im bestimmten Falle keine entscheidende Rolle spielt. Das trübt seine Erkenntnis und vergiftet seine menschlichen Beziehungen.“ (S. 433). Dagegen vertritt Klaus J. Herrmann: Richard Wagner and Hermann Levi: Cooperation or 24

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der beiden sei Ausdruck eines Seelenbündnisses zwischen zwei Persönlichkeiten, aus dem man entnehmen könne, „wie mannigfach der allmählich werdende Geschichtsdeuter und Verkünder eines neuen völkischen Glaubens, einer von allen jüdischen Schlacken gereinigten, wahrhaft deutschen Denkweise, von Cosima gelenkt und bereichert wurde.“28 Wir werden darauf noch zurückkommen, denn die geistige Verbindung von Wagner zu Hitler verkörperte sich in dem in England geborenen Chamberlain in einem Ausmaß, das jeden erstaunen muß, der sich mit wirkungsgeschichtlichen Problemen beschäftigt. Um den gleichnamigen Antisemitismus von Cosima und Richard Wagner noch etwas zu verdeutlichen, der ja von einigen Autoren geleugnet wird, mag es erst einmal ausreichen zu erwähnen, daß die beiden darin übereingekommen waren, „daß diese fremdartige Race nie ganz in uns aufgehen kann“.29 Um allerdings die konkrete Einstellung zu jüdischen ,Freunden‘ kenntlich zu machen, seien einige Zitate aus den Tagebüchern Cosimas über den jüdischen Kapellmeister und Dirigenten Hermann Levi angeführt, der ausdrücklich nicht auf seine jüdische Religion verzichten wollte. Trotzdem glaubte Wagner über die anmaßende ,Formel‘ zu verfügen, „,um so einen armen Menschen wie Levi zu taufen – ich glaube, ich könnte sie finden‘.“30 Am 15. Mai 1870 finden wir in Cosimas Tagebuch noch einen versöhnlichen Eintrag über Levi: „Sehr anständiger Brief vom Kapellmeister Levi, welcher abgeschlagen hat, die Walküre zu dirigieren.“31 Bei einem Konzert in Mannheim am 20. Dezember 1871 unterhielt sich Wagner mit der badischen Großherzogin und dem Großherzog, aber er registrierte ganz nebenbei auch „sonst viele Juden“.32 Weiterhin ist er jedoch der Ansicht, daß er Levi „schon deshalb respektiere, weil er sich kurzweg Levi nenne, nicht Löwe oder Lewin u.s.w.“,33 Resentment?, in: Wagner in Retrospect, hrsg. von Leroy R. Shaw, Nancy R. Cirillo, Marion S. Miller, Amsterdam 1987, S. 191, die dezidierte Auffassung: „The learned son of Rabbi Benedikt Samuel Levi ought to have arisen fearlessly in defense of Judaism as a religion and of Jews as the standard bearers of that heritage.“ 28 M. Millenkovich-Morold: Cosima Wagner (wie Anm. 27), S. 411. 29 C. Wagner: Die Tagebücher, Bd. II (wie Anm. 15), S. 669. Eintrag vom 19. Januar 1881. Und nachdem Cosima die rassentrennende Reaktion Wagners geschildet hat, sagte sie abschließend: „Und so ist den guten Juden unter uns immer ein wehmütiges Los beschieden.“ (S. 670). 30 Ebd., S. 659. Eintrag vom 6. Januar 1881. Nachdem Richard Wagner am 19. April 1881 mit Cosima in der Kirche war, sagte er: „Er wünscht, Levi zu taufen und keine Juden zum Abendmahl zuzulassen.“ (Ebd., S. 728 f.). 31 C. Wagner: Die Tagebücher, Bd. I (wie Anm. 11), S. 230. 32 Ebd., S. 469. Dieser haßerfüllte Verfolgungswahn Wagners äußerte sich auch in banalen Kleinlichkeiten, wie ein Tagebucheintrag Cosimas vom 28. Mai 1870 belegt: „Von Berthold Auerbach (kein solcher!) stand in der Zeitung ein Aufsatz über den Wald; R. sagt, er habe ihn vor Ekel über die affektierte Naturwüchsigkeit nicht lesen können, ,diese Kerle sind eine wahre Pest‘ (die Juden).“ (Ebd., S. 235. Hervorhebung im Original). 33 Ebd., S. 470. Eintrag vom 21. Dezember 1871. Schon am 28. April 1870 hatte Wagner laut Cosima nach dem Erhalt eines Briefes von Levi gesagt: „(,Ich achte ihn‘, sagt R., ,weil er

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obwohl dies alles jüdische Namen sind, was Wagner offensichtlich nicht wußte. Als Levi am 17. August 1872 zum Abendessen bei den Wagners eingeladen war, erwähnte er, „daß, wenn er in allem mit Bismarck gegangen wäre, er mit dem Jesuitengesetz nicht mit könnte, worauf R. sehr außer sich geriet und den Schaden, den die k.[atholische] Kirche Deutschland zugefügt, in lebhaften Worten darstellt“.34 Diese innere Distanzierung Wagners gegenüber Levi verstärkte sich in den nächsten Jahren, noch ehe dieser 1882 den Parsifal in Bayreuth dirigierte, was wohl eindeutig seinen zunehmenden Antisemitismus belegt. Als Levi am 1. Juli 1879 nach Bayreuth kam und erklärte, daß keine gute Aufführung des Rings außerhalb von Bayreuth möglich sei, reflektierte Wagner später über diese Aussage: „Wie sonderbar, heute an Levi’s Besuch denkend, fiel mir der Vers ein: ,s ist heute Simons und Judä, da rast der See und will sein Opfer haben.‘ Wir lachen.“35 Je näher die von Hermann Levi dirigierte Aufführung der Parsifal-Oper rückte – wir haben ja bereits gesehen, daß sich Wagner in dieses unvermeidbare, vom König Ludwig II. initiierte Schicksal bzw. Anordnung fügte –, umso heftiger entluden sich Wagners antisemitische Blitze gegenüber diesem devoten Sklaven. Als Franz Lenbach (1836 – 1904), der neben einem Dutzend Porträts von Wagner ja auch etwa 80 von Bismarck gemalt hat, darüber mit Wagner am 12. November 1880 zu sprechen versuchte, „bricht R. in Wut aus gegen das Bulldogg-Gesicht, welches immer wieder gemalt würde“.36 Die wenig schmeichelhaften Äußerungen Bismarcks über das übersteigerte Selbstbewußtsein Wagners nach ihrem Zusammentreffen am 3. Mai 1871 und dessen Weigerung, finanzielle Mittel für Bayreuth zur Verfügung zu stellen, haben Wagner offenbar so tief verletzt, daß er Bismarck wie einen jüdischen Feind betrachtete,37 doch den wehrlosen Levi verachtete er als jüdischen Lakai. Und in dieser aufgeregten Situation nach der Diskussion mit Lenbach äußerte sich Wagner und sagte „in einem Gespräch zu Levi, er – als Jude – habe nur zu lernen zu sterben, was aber Levi gut versteht“.38 Was muß in einem 41jährigen sich wirklich Levi nennt wie in der Bibel, nicht Löwe, Lewy etc.‘)“. (Ebd., S. 225. Hervorhebung im Original). 34 Ebd., S. 562. 35 C. Wagner: Die Tagebücher, Bd. II (wie Anm. 15), S. 129. Einen Tag später, am 2. Juli, schrieb Cosima in ihr Tagebuch: „Besuch von Km. [Kapellmeister] Levi (welcher R. dadurch rührt, daß er sich als Jude für einen wandelnden Anachronismus ausgibt). R. sagt ihm, daß wenn schon die Katholiken sich für vornehmer hielten als wie die Protestanten, die Juden doch die allervornehmsten, ältesten wären.“ (Ebd., Hervorhebung im Original). 36 Ebd., S. 620. Dort auch das nächste Zitat. 37 Am 18. Juli 1882 bemerkte Wagner gegenüber Franz Liszt, „was man vor 20 Jahren über die Israeliten sagen durfte (wie in der ersten Auflage der ,Bohémiens‘), das darf man beileibe jetzt nicht mehr, seitdem eine Zeitlang H. v. Bismarck sie gegen die Konservative Partei gebraucht hat“ (ebd., S. 981). 38 Als während eines Tischgesprächs am 20. Dezember 1880 die Ansicht von Heinrich Vogl zur Sprache kam, Levi würde wahnsinnig, sagte Wagner, „ich wäre daran schuld, aus einem Juif errant machte ich einen Juif concentré, was uns in ein helles Lachen versetzt“ (ebd., S. 643. Hervorhebungen im Original).

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künstlerischen Menschen vorgehen, als Dirigent vielgerühmt und anerkannt, der seinem ,Meister‘ eine untertänige Treue entgegenbrachte, wenn er erlernbares Verständnis dafür aufbringen soll, nichts anderes zu machen als zu sterben? Wenige Tage später, am 16. November 1880, ging Wagner mit Levi Lohengrin durch und sprach beim Abendessen „über den traurigen Einfluß der Juden auf unsere Zustände und warnt Levi vor seinem Zusammenhang, was dieser sehr gutmütig, wenn auch wehmütig aufnimmt“.39 Behandelt man auf diese Weise einen jüdischen Freund, auch wenn er noch so gutmütig ist? Als Levi im Juli 1882 in Bayreuth die Probeaufführungen zu Parsifal leitete, sagte Wagner zu Cosima mit großer Eindeutigkeit, „er möchte nicht als OrchesterMitglied von einem Juden dirigiert werden!“40 Wagner wußte natürlich, daß Levi der leitende Dirigent des Münchener Orchesters war, das ihn außerordentlich verehrte und schätzte, d. h. diese Äußerung verdeutlicht noch einmal Wagners abgrundtiefe Verachtung von Juden. Bis zu seinem bitteren Ende verfolgten Cosima und Richard Juden mit Häme und Haßgefühlen, obwohl Wagner in den letzten Wochen in Venedig unter schweren Herzanfällen litt, die Cosima sehr beunruhigten, weil sie sich ein Leben ohne ihren geliebten Gatten nicht vorstellen konnte und wollte. Sie berichtete am 7. Januar 1883, daß Wagner nachmittags schweigsam und verstimmt war, wahrscheinlich, weil er sein baldiges Ende verspürte und eigentlich nicht darauf vorbereitet war. „Doch abends ist er wieder heiter, er sprudelt von Witzen; wie man von den Juden spricht, sagt er: ,Ja, unsere deutsche Bildung würde in Eis erstarren, wenn nicht dieser Schmierocco wäre‘! Und gar viel ähnliches.“41 Als Cosima und Richard Wagner drei Tage vor seinem Tod über den Gesundheitszustand von Hermann Levi sprachen, der sich in Venedig aufhielt, sagte Richard in einem selbstgerechten Anfall: „Das Judentum sei ein furchtbarer Fluch; z. B. nicht die Möglichkeit eine Christin zu ehelichen“.42 Am 11. Februar 1883 verzeichnen wir den letzten Eintrag Cosimas zu Levi in ihr Tagebuch, das mit dem zwei Tage später erfolgten Tod Wagners nicht mehr weitergeführt wurde, wegen des angeschlagenen Gesundheitszustandes von Levi: „Unser armer K[apell]meister macht viel Sorge. Bei R. geht das bis zum Unmut, er meint, man dürfe mit den Israeliten eigentlich nicht umgehen! Entweder würden sie gemütskrank darüber, oder es drücke sich durch Hochmut wie bei J. Rub.[instein] aus. Dieses Thema wird bei Tisch besprochen, R. beinahe ganz verstimmt darüber.“43 Der ,furchtbare Fluch‘ des

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Ebd., S. 622. Ebd., S. 983. Eintrag vom 24. Juli 1882. 41 Ebd., S. 1088. 42 Ebd., S. 1110. 43 Ebd., S. 1111. Nachdem Hermann Levi am 13. Mai 1900 gestorben war, schrieb Fürst Ernst zu Hohenlohe am 1. Juni an Cosima Wagner: „Über Levi haben wir ja so manches Mal gesprochen! Wenn er auch seine Abstammung nicht verleugnen konnte und zahlreiche Fehler seines Stammes bei ihm grell hervortraten, so zeichnete er sich doch durch eine große Anhänglichkeit an Bayreuth aus, und ich gestehe, daß das Jüdische an ihm mich stets mehr zum 40

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Judentums wurde zur penetranten Formel der Nationalsozialisten in ihrer rassistischen Ideologie, den sie nur dadurch überwinden zu können glaubten, daß sie Juden wie Warzen beseitigten. In Das zweite Leben, den Briefen und Aufzeichnungen seit dem Tod Wagners bis zu ihrem eigenen Tod, kommt Cosima Wagner häufig auf das Judenthema zu sprechen. So schrieb sie an Heinrich von Stein, daß sie teilweise die Epistel des heiligen Paulus gelesen habe, ihr dabei lutherisch zumute wurde und sie daran dachte: „Wiederholen wird sich das eine nicht, daß das Christentum in einem Herzen das Judentum vernichte, aber das könnte dafür kommen, daß unsere Gemeinde so wahrhaft christlich wurde, daß die Juden darin aufhörten, solche zu sein.“44 Diese kryptische Aussage soll gar nicht weiter kommentiert werden, weil ihr nicht eindeutig zu entnehmen ist, ob die Juden aus der christlichen Gemeinde ausgeschlossen oder von ihr vernichtet werden sollen. Im Deutschen Theater, berichtete sie Felix Mottl am 31. Oktober 1889, habe sie „Faust’s Tod“ gesehen, aber die Darsteller „alles Juden der verschiedensten Arten, rundliche, knöcherne, lange, kleine, stotternde, lispelnde, fließend-redende, schlanke, krumme, alles, was je Palästina ausgeworfen“,45 und die Deutschen begafften dieses betrügerische Schauspiel wie Esel oder wie Kaspar Hauser. Dieser ,Auswurf‘ aller abstoßenden Künstler fand wohl in Berlin statt, aber auch in Frankfurt am Main entdeckte Cosima „trotz aufgestülptem Judentum und angetünchtem Brahmsianismus“46 einige gute Menschen, die aber dem „Weg der Verrottung“ nicht entfliehen könnten. Carl Friedrich Glasenapp, dem Biographen Wagners, klagte sie am 24. März 1889 ihr Leid, daß sie 40 Mio. Mark benötigte, um den Deutschen die Festspiele geben zu können, „vielleicht schenkt sie mir einmal eine gute Seele; ein Jude, der das Unheil seines Stammes sühnen will“.47 Bei der Lektüre Meyerbeerscher Erinnerungen gedachte Cosima der heroischen Geschichte Preußens und fragte sich, warum diese Geschichte „von dem Judentum überflutet werden konnte“,48 aber es bliebe ihr ein ungelöstes Rätsel. Noch mitten im Ersten Weltkrieg, am 22. Dezember 1916, schrieb Cosima an Fürst Ernst zu Hohenlohe-Langenburg, der offenbar in Polen und Galizien kämpfte, von den „unheimlichen, ewig fremd bleibenden Juden“,49 die er neben der zivilierten Stadt Lemberg geschildert hatte: „Ja, man weiß, wofür man kämpft, und dieses moralische Bewußtsein ist auch eine Kraft, mögen sie unsere Feinde noch so sehr verkennen. Um ihrem Zynismus zum Siege zu verhelfen, bedürften sie eines Napoleon I., und der ist halt nicht immer zur Hand.“ Lachen, als zum Ärger reizte, weil es mit einer erheiternden Unmittelbarkeit zum Vorschein kam.“ (Briefwechsel zwischen Cosima Wagner (wie Anm. 25), S. 203). 44 Cosima Wagner: Das zweite Leben. Briefe und Aufzeichnungen 1883 – 1930, hrsg. von Dietrich Mack, München/Zürich 1980, S. 91. Brief vom 18. Februar 1887. 45 Ebd., S. 200. 46 Ebd., S. 204. Brief an Richard Strauss vom 7. Januar 1890. Dort auch das nächste Zitat. 47 Ebd., S. 176. 48 Ebd., S. 199. Brief an Felix Mottl vom 31. Oktober 1889. 49 Ebd., S. 735. Dort auch das nächste Zitat.

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Diese antisemitischen Zitate sind hier lediglich weitgehend unkommentiert aneinandergereiht worden, um zu verdeutlichen, daß der Bayreuther ,Geist‘ einer rassistischen Ideologie ungebrochen das deutsche Kaiserreich überlebte und von nationalsozialistischen Wagnerianern, an vorderster Front Adolf Hitler, aufgesogen werden konnte. Cosima Wagner wollte nach dem Tod ihres Mannes eigentlich nicht mehr weiterleben, doch als ,Herrin von Bayreuth‘ überlebte sie ihn um 47 Jahre, d. h. um mehr als das Doppelte ihres Alters bei seinem Tod. Als Wieland Wagner als erster Sohn aus der Ehe von Siegfried und Winifred Wagner am 5. Januar 1917 geboren wurde, war Cosima allerdings eine alte Frau, die bald darauf eine Herzattacke erlitt und sich mit Bronchitis herumplagte. Von den Besuchen Hitlers und der Begeisterung Winifreds für diesen angeblichen Retter Deutschlands bekam sie wohl nur noch wenig mit, da sie so gut wie erblindet war. Den Deutschen Tag, der seit 1922 in Coburg – dort fand der erste Deutsche Tag am 14. und 15. Oktober 1922 statt50 –, Nürnberg, Hof, Bamberg und Bayreuth mit einem Hakenkreuzfahnenmeer, mit Gottesdiensten, Predigten und Festmärschen als charismatische Massenveranstaltung gefeiert wurde – Bayern war zu dieser Zeit die propagandistische Hochburg der Nationalsozialisten, da die NSDAP nicht nur in Preußen verboten war –, hat Cosima wohl nur noch als nächtlichen Lichtschein miterlebt und deswegen den Heilserlöser Hitler nicht mehr bewußt kennengelernt. Es sind zwar noch einige Äußerungen aus ihren letzten Lebensjahren übermittelt, doch in ihrem hohen Alter lebte sie wahrscheinlich vor allem in der ,glorreichen‘ Erinnerung an ihr Bayreuther Werk in der Nachfolge des ,Meisters‘. Sie lebte in den letzten Jahren „zurückgezogen in ihrem Salon mit der Büste Wagners vor sich, und starb am 1. April 1930 in ihrem Bett im Schlaf, siebenundvierzig Jahre nach Wagner“.51 Zwei Jahre vor ihrem Tod schrieb Bernhard Diebold, der gegenüber den nationalsozialistischen ,Entstellungen‘ Wagners dessen angebliche Liberalität ins Feld führte, aber vor allem die ästhetische Fragwürdigkeit des Werkes hinweginterpretieren möchte: „Noch lebt im Haus des Meisters – einundneunzigjährig, erblindet und das Ende erwartend – Cosima Wagner, die Tochter Liszts, die Gattin Hans von Bülows, bevor sie die Gefährtin Richard Wagners wurde.“52 Es ist hier gar nicht notwendig, intensiver auf die antisemitischen und rassistischen Vorstellungen Cosima Wagners einzugehen, nicht nur deshalb, weil über sie sehr viel geschrieben worden ist, sondern weil sie persönlich zu dem Spannungsverhältnis Wagner – Hitler außer ihrem ungebrochenen Glauben an die völkische Sendung ihres Mannes und der möglichen Einfädelung der Heirat Chamberlains mit ihrer Tochter Eva wenig beigetragen hat. Noch fast ein Jahrzehnt nach Wagners Tod, am 22. August 1891, bedauerte sie gegenüber Fürst zu Hohenlohe, daß die 50 Vgl. Martin Schramm: „Im Zeichen des Hakenkreuzes“ – Der Deutsche Tag in Bayreuth am 30. September 1923, in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung, Bd. 65, 2005, S. 254. 51 J. Köhler: Wagners Hitler (wie Anm. 26), S. 188. 52 Bernhard Diebold: Der Fall Wagner. Eine Revision, Frankfurt am Main 1928, S. 45 (Hervorhebung von mir).

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deutschen Fürsten nicht genug für die Wagnersche Kunst getan hätten und bezeichnete Juden als „Fremdlinge“ und „Dalmatiner“.53 Von unkritischen Wagnerianern ist sie häufig als bewundernswerte Gattin des unvergleichlichen Meisters überhöht worden, doch sie hat wohl vor allem Wagner dadurch imponieren wollen, daß sie auf ihre frömmelnd-einfältige Art seinen viel älteren Antisemitismus in gewisser Weise zu übertreffen versuchte. Eine solche unkritische Gloriole spendete z. B. Richard Graf Du Moulin Eckart nicht nur ihr selbst, sondern auch dem Verhältnis von Cosima Wagner zu ihrem Schwiegersohn Houston Chamberlain, denn als „er gelähmt war, suchte sie ihn in dem benachbarten Hause auf, und da saßen die beiden stundenlang, um sich das Treppensteigen gegenseitig zu ersparen, auf den Stufen der unteren Treppe, und da Chamberlain schließlich die Lippen kaum mehr bewegen konnte und Frau Eva die Dolmetscherin machen mußte, da war es die wunderbar schöne Stimme der hohen Frau, die zu ihm sprach, gütig wie eine Mutter und tröstend und erhebend wie ein Engel“.54 Es scheint mir aufgrund der gesundheitlichen Probleme der fast 86 Jährigen wenig wahrscheinlich, daß sie Hitlers Aufmarsch beim Deutschen Tag in Bayreuth am 30. September 1923 bewußt miterlebte oder sogar mit ihm sprach. Zwar wurde noch 2007 von Oliver Hilmes ohne konkreten Beleg behauptet: „Die greise Cosima und ihr an den Rollstuhl gefesselter Schwiegersohn nahmen Hitlers Parade gewissermaßen ab“,55 doch dagegen sprach eindeutig ihre gesundheitliche Verfassung. Wir werden gleich mehr darüber erfahren, wie der bei Hitlers erstem Besuch im Haus Wahnfried ebenfalls schwerkranke Chamberlain den Wagnerschen Antisemitismus zu einem völkischen Rassismus weiterentwickelte, der nicht nur auf Hitler, sondern auf fast alle führenden Nationalsozialisten eine große Anziehungskraft ausübte.

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Vgl. Briefwechsel zwischen Cosima Wagner (wie Anm. 25), S. 2, Anm. 3. Richard Graf Du Moulin Eckart: Cosima Wagner. Ein Lebens- und Charakterbild. Band II: Die Herrin von Bayreuth 1883 – 1930, Berlin 1931, S. 888. 55 O. Hilmes: Herrin des Hügels (wie Anm. 3), S. 419. Auch Konrad Heiden: Adolf Hitler. Das Zeitalter der Verantwortungslosigkeit. Eine Biographie, Zürich 1936, S. 114, vertrat eine überholte und falsche Auffassung, die allerdings wegen des frühen Zeitpunktes dieser Veröffentlichung verständlich ist: „Geringere Sympathie findet Hitler bei Frau Cosima Wagner, der Witwe des Meisters und eigentlichen ,Herrin von Bayreuth‘: die alte Dame, die noch Lassalle erlebt hat, legt die Maßstäbe einer vergangenen Zeit an und begreift weder Hitler noch ihre Schwiegertochter Winifred, die für einen solchen Menschen Sympathie haben kann. Uebrigens ist auch Siegfried Wagner von dem Gast wenig entzückt und niemals Mitglied der NSDAP geworden.“ Das Zitat in meinem Vorwort steht auf S. 342. 54

8. Kapitel

Houston Stewart Chamberlains Rassismus Der Engländer Houston Stewart Chamberlain – ein „unmittelbarer geistiger Vorläufer Alfred Rosenbergs, Moeller van den Brucks und Hitlers“1 –, der nach der Scheidung von seiner ersten Frau Anna am 26. Dezember 1908 mit 53 Jahren Wagners Tochter Eva geheiratet hatte, war Cosima nicht nur deshalb als Schwiegersohn willkommen, weil er ein ausgesprochener Judenhasser war, sondern weil er die Ideologie von Wagners Antisemitismus auf verschiedene Untersuchungsbereiche ausdehnte. Hier begegnet uns erneut ein denkwürdiges Beispiel historischer Zufällig- bzw. Widersprüchlichkeit, denn Wagners künstlerische Aversion gegen Briten hinderte Chamberlain nicht daran, sich als der eigentliche Nachfolger von dessen rassistischer Ideologie anzusehen und zu stilisieren. In seinem zuerst 1895 erschienenen Wagner-Buch, das 1933 als Volksausgabe neu aufgelegt wurde, schrieb er ganz im Sinne des ,Meisters‘: „Der Verderb des Blutes und der demoralisierende Einfluss des Judentumes, das sind also nach Wagner die tiefsten Ursachen unseres Verfalles. Zugrunde liegt der Verderb des Blutes; der Einfluss des Judentums beschleunigt aber ungeheuer den Vorgang der progressiven Entartung und wirkt namentlich dadurch unheilvoll, dass er den modernen Menschen in einem rastlosen Wirbel herumtreibt, der ihm keine Zeit zur Besinnung und zu der Erkenntnis seines jämmerlich verfallenen Zustandes sowie des Verlustes seiner Eigenart lässt. Der Verderb des Blutes wird in der Hauptsache durch die Nahrung bewirkt, ausserdem durch die Vermischung edlerer Rassen mit weniger edlen.“2 Diese antisemitische Mischung aus Wagner, Gobineau und völkischer Rassenideologie muß Adolf Hitler bei seiner diesbezüglichen Lektüre besonders beeindruckt haben, auch wenn sie fast vier Jahrzehnte vor dem Beginn des Dritten Reiches niedergeschrieben wurde. Edgar Feuchtwanger gibt eine Äußerung seines Vaters aus dem Jahr 1938 wieder, daß seine jüdische Familie keineswegs leichten Herzens nach Frankreich oder Großbritannien hätte fliehen können, denn einerseits 1 Wolfgang Hallgarten: „Fremdheitskomplex“ und Übernationalismus. Beiträge zur Sozialgeschichte der deutschen Rassenideologie, in: Zeitschrift für eine freie Forschung, Juni 1938, S. 102. Chamberlain sei „der Prototyp eines psychopathischen Renegaten“ (ebd.) gewesen. 2 Houston Stewart Chamberlain: Richard Wagner. Ungekürzte Volksausgabe zum Richard Wagner-Jahr 1933, München 1933, S. 220. Im Jahr 1900 hatte Houston Stewart Chamberlain: Richard Wagner der Deutsche als Künstler, Denker und Politiker (1900). Mit einem Vorwort von Paul Pretzsch, Leipzig o. J. (1939), S. 90, über Wagner geschrieben: „Zunächst legt er noch einmal (in ,Erkenne dich selbst‘) den absolut mörderischen Einfluß des Judentums in unserer Mitte dar.“

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8. Kap.: Houston Stewart Chamberlains Rassismus

entstand der moderne Antisemitismus aus dem kranken Gehirn des Franzosen Arthur de Gobineau, andererseits stammte der Rassismus von dem aus England stammenden und ebenfalls verrückten Chamberlain: „Er war es, der die arische Rassentheorie erfunden hat. Hitler hat das übernommen, wobei er vergaß, dass nach Ansicht seines guten Herrn Chamberlain die Deutschen gar nicht dazugehören.“3 Das Wagner-Buch Chamberlains ist in großen Teilen eine unkritische Verherrlichung Wagners als Märtyrer und als Erlöser, d. h. Chamberlain stellte Wagner auf die gleiche Stufe wie Jesus Christus, denn Wagners Lebensaufgabe habe angeblich darin bestanden, menschliche Heuchelei und legalisierten Mord zu bekämpfen, die vom entmoralisierten Judentum in die Welt gesetzt worden seien. Wagner, von seinem eigenen Volk verkannt, sei der edle, uneigennützige, nur seiner heiligen Kunst ergebene Mensch gewesen, dem nichts mehr am Herzen gelegen habe als die reinsten nationalen Gefühle der Deutschen zu wecken, die durch die jüdische Rasse verschüttet worden seien. Diese verlogene Einseitigkeit muß von Wagnerianern, die die Juden für alle Übel verantwortlich machten, wie eine erlösende Heilsbotschaft aufgenommen worden sein und Chamberlains Weltruhm begründet haben. „So tradierte der Bayreuth-Evangelist die Legende, und der Linzer Theaterfreund, vom Meldegänger außer Diensten zum Erwählten des Herrn avanciert, hatte mit dem Vermächtnis zugleich die Rolle seines Lebens gefunden.“4 Alles an Chamberlain war extrem einseitig und er gefiel sich in dieser Rolle so sehr, daß er bald nach Beginn des Ersten Weltkrieges in einem Brief an Prinz Max von Baden vom 22. September 1914 seinem eigenen Vaterland nur eine vernichtende Niederlage wünschte: „In treuem Anschluß an ein starkes Deutschland könnte gewiß aus England noch etwas werden; so halte ich es für ganz verloren: dem Mammon, der Roheit, der gänzlichen Entsittlichung anheimgegeben.“5 Der Ursprungsnation des 3

Edgar Feuchtwanger: Als Hitler unser Nachbar war. Erinnerungen an meine Kindheit im Nationalsozialismus, München 2014, S. 183. 4 Joachim Köhler: Wagners Hitler. Der Prophet und sein Vollstrecker. 2. Aufl., München 1997, S. 29. Nach der Heirat mit Eva Wagner habe Chamberlain durch weitgehende Vollmachten eine rassische Gleichschaltung eingeleitet: „Chamberlains Machtergreifung führte auch zu einer Verschärfung der schwelenden Konflikte innerhalb des Clans, der im Jahr seiner Einheirat über ein Barvermögen von über vier Millionen Mark verfügte. Als Folge der Querelen ließ sich Henry Thode von Daniela scheiden, wurde Wagner-Tochter Isolde nach einem, angeblich von Chamberlain angeheizten, Erbschaftsprozeß aus Bayreuth verbannt … Vor dem Führer [Adolf Hitler, H.K.] war Chamberlain Bayreuths ,Führerpersönlichkeit‘ gewesen.“ (S. 181). 5 Houston Stewart Chamberlain: Briefe 1882 – 1924 und Briefwechsel mit Kaiser Wilhelm II. Erster Band, München 1928, S. 250. Nach der Niederlage Deutschlands schrieb Chamberlain am 24. Dezember 1918 an Albert Frh. von Seckendorff ganz im Geiste Wagners und mit unerschütterlicher Überzeugung: „Der Glaube an deutsches Wesen, an das, was wir den Deutschgedanken nennen wollen, gehört für mich als ein Bestandteil zu meinem Gottesglauben.“ Und an Maler Croeber am 6. Januar 1919: „Es könnte ja sein, daß die Deutschen bereits ihr Höchstes geleistet haben und daß die Vorsehung mit Absicht jetzt ein Gefäß zerschlägt, das unfähig ist, Höheres hervorzubringen. Der Triumph der westländischen Barbaren hat nichts zu bedeuten; diese Nationen richten sich zugrunde.“ (Houston Stewart Chamber-

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demokratischen Parlamentarismus wurde von einem früheren Landsmann und zu dieser Zeit noch britischer Staatsbürger empfohlen, die militärischen Expansionsgelüste eines kapitalistischen Machtstaates wie Deutschland nachzuahmen, um ein wahres sittliches Leben führen zu können! Seit den frühen 1890er Jahren bis zu seinem Tod am 9. Januar 1927 – an der Beisetzung in Bayreuth nahm Adolf Hitler als Vertreter der Nationalsozialisten mit SA-Männern teil und der Völkische Beobachter veröffentlichte einen Nachruf, in dem Chamberlain als einer der Waffenschmiede bezeichnet wurde, „deren Waffen nicht im Augenblick die letzte Verwendung finden, sondern die das Rüstzeug abgeben für Lebenskämpfe, wie sie Völker erst nach Jahrhunderten zu bestehen haben“6 – zählte er zu den einflußreichsten Apologeten Wagners, der durch seine umfangreichen und bestsellerischen Schriften die Wagner-Bewegung im In- und Ausland verbreitete. Dieser Wagner-Missionar, Sohn eines britischen Generals, der die ersten zehn Lebensjahre in Frankreich verbrachte, in England zur Schule gegangen war und in der Schweiz, in Genf, seit 1879 Naturwissenschaften studiert hatte, war ebenso fasziniert vom Deutschtum wie von Wagner – 1916 erwarb er die deutsche Staatsbürgerschaft und trat dem antisemitischen Alldeutschen Verband bei – und entwickelte auf diesen beiden schwankenden Säulen seine Rassenlehre bzw. Rassenideologie. Selbst nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg schrieb er am 9. Januar 1919 an den Baron J. von Uexküll: „Man darf gewiß ohne Übertreibung behaupten, was wir heute in Deutschland erleben, ist die Herrschaft der Juden; wenn die Zeitungen erzählen von 80 bis 100 Juden unter den sogenannten Regierenden, so langt das noch nicht, da unter den übrigen 20 sehr viele Mischlinge sich befinden.“7 Es ist deshalb m. E. zu einfach, die moralischen Verfehlungen des Wagner-Clans mit den Zeitumständen oder mit psychologischen Bedingungen erklären zu wollen, wie dies Jonathan Carr versucht: „Chamberlain und Winifred waren zwei entwurzelte Engländer, die ihr frühes, verzweifeltes Unglücklichsein durch eine besonders glühende Liebe zu einem Vaterland – und einem Führer – wettzumachen versuchten.“8 Beide hatten sich ja ganz bewußt dafür entschieden, ihrer angestammten Heimat den Rücken zu kehren und eine tolerante Gesellschaft für ein armseliges Ideal eines völkischen Rassismus und eines totalitären Diktators einzutauschen. lain: Briefe 1882 – 1924 und Briefwechsel mit Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band, München 1928, S. 62 und S. 67 f.). 6 Der Völkische Beobachter vom 11. Januar 1927. Im gleichen Jahr veröffentlichte der spätere Reichsleiter des Außenpolitischen Amtes der NSDAP (ab 1933) und Beauftragter des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP (ab 1934) das Buch Alfred Rosenberg: Houston Stewart Chamberlain als Verkünder und Begründer einer deutschen Zukunft, München 1927. 7 H. S. Chamberlain: Briefe, 2. Bd. (wie Anm. 5), S. 71. 8 Jonathan Carr: Der Wagner-Clan. Aus dem Englischen von Hermann Küsterer. 2. Aufl., Hamburg 2008, S. 459. Daß es auch anders ging, zeigen Friedelind Wagner und Franz Wilhelm Beidler in aller Deutlichkeit.

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Chamberlain, dieser scheinbar entwurzelte Engländer, besuchte Ende Juli 1882 erstmals Bayreuth, um die Uraufführung des Parsifal mitzuerleben und sah Wagner bei einer Festtafel im Festspielhaus, der „einem stolzen Schiffe glich, alle Segel aufgespannt, das die Wellen durchschneidet und dem erwählten Hafen, den Elementen zum Trotze, sicher zusteuert“.9 Aber es kam trotz dieser sehnsüchtigen Wagnerbegeisterung zu keiner persönlichen Begegnung und da Wagner nach etwas mehr als einem halben Jahr in Venedig verstarb, blieb Chamberlain nur diese idealisierte Erinnerung an den ,Meister‘. Nach seiner Übersiedelung in das Elbflorenz Dresden 1884 pilgerte er regelmäßig nach Bayreuth und lernte 1888 Wagners Witwe Cosima kennen, in deren Kreis ergebener Wagner-Schüler er aufgenommen wurde, obwohl er sich inzwischen als freier Schriftsteller in Wien niedergelassen hatte und dort bis 1908 lebte, wo er zum Ehrenmitglied des Neuen Richard WagnerVereins zu Wien ernannt wurde. Seit dieser Zeit wandte er sich immer stärker der politischen und rassistischen Interpretation großer Kunstwerke zu bzw. deren rassischer Verwurzelung in der Nation oder dem Stamm. „Der englische Wagnerianer war zwar von der Rassenfrage noch nicht besessen, hatte aber die ersten Schritte auf dem Weg eingeschlagen, der ihm zu seiner merkwürdigen Karriere als Prophet des wahrhaft Deutschen verhelfen sollte.“10 Merkwürdig vor allem deshalb, weil er in Ländern erzogen worden war und studiert hatte, deren demokratische Tradition seit Jahrhunderten fest etabliert, aber die offenbar gar nicht in ihn eingedrungen war. Seine pragmatische und taktische Vorgehensweise, die künstlerische und wirtschaftliche Lebensfähigkeit der Bayreuther Festspiele durch allzu rassistische Äußerungen nicht zu gefährden, entwickelte er zu einer vielbewunderten Methode. Dazu ein Beispiel, das so gar nicht zum angeblich ,verzweifelten Unglücklichsein‘ passen will. Nach dem Tod des jüdischen Pianisten Ferdinand Praeger (1815 – 1891), der im Frühsommer 1855 – vom 12. März bis zum 25. Juni – Wagner bei seinem Londonaufenthalt, wo er acht Konzerte für die Philharmonische Gesellschaft (Philharmonic Society) dirigierte, so herzlich aufnahm und ihn als Familienmitglied behandelte, daß Wagner ihn später als „Liebster Freund!“ und „Mein guter Ferdinand“ anredete, wurde 1892 zuerst in englischer Sprache und im gleichen Jahr in Deutsch ein Buch mit dem Titel Wagner, wie ich ihn kannte11 veröffentlicht. In diesem Buch von 366 Seiten wird ausführlich das Leben Wagners beschrieben, viele Briefe wiedergegeben und auch die wenig mitfühlende Behand9 Houston Stewart Chamberlain: Lebenswege meines Denkens (1919). Reprint Saarbrücken 2006, S. 237. 10 David Clay Large: Ein Spiegelbild des Meisters? Die Rassenlehre von Houston Stewart Chamberlain, in: Richard Wagner und die Juden, hrsg. von Dieter Borchmeyer, Ami Maayani und Susanne Vill, Stuttgart/Weimar 2000, S. 147. 11 Vgl. Ferdinand Praeger: Wagner, wie ich ihn kannte, Leipzig 1892. Chamberlains Attacke gegen Praeger hängt wohl auch damit zusammen, daß dieser über den Judenaufsatz u. a. schrieb: „Auf welche Weise man auch immer Wagner’s Ausfall gegen die Juden entschuldigen oder beschönigen will, so wird es doch nicht gelingen, den beleidigenden und peinlichen Eindruck, den der Angriff bei den Betroffenen machen musste, und den Stachel, der er zurückliess, ganz zu beseitigen.“ (S. 221).

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lung seiner ersten Frau Minna, sein finanzielles Raubrittertum am König Ludwig II. und sein ausschweifendes Luxusleben trotz ständiger Geldnot geschildert, aber es heißt dort auch, Wagners Werk „kann keine Gewalt der Zeit zerstören, er selbst, der Schöpfer des grossen Werkes, könnte das nicht“.12 Chamberlain reagierte auf diese Veröffentlichung mit einer ausführlichen antisemitischen Kampagne gegen Praeger, wobei diesem unterstellt wurde, schäbiger Teil einer internationalen jüdischen Verschwörung gegen Wagner zu sein, die ja schon Wagner 1869 angeprangert hatte.13 Chamberlain warf Praeger nicht nur vor, „ein gänzlich wertloses und geradezu lächerliches Pamphlet geschrieben“14 zu haben, das voller „plumper Ungeschicklichkeit“15 sei, sondern „daß jeder anständige Mensch von dem Anblick eines solchen Sumpfes von dummer Bosheit“16 angeekelt werde. Chamberlain bezichtigte Praeger der Lügen, Fälschungen und Verdrehungen und vermutete, „daß der Hebräer, wie der Germane, eine Versündigung gegen die Eitelkeit seiner eigenen kleinen Person weit schmerzlicher empfindet als die gegen den Stolz seiner Nation“.17 Aus der griechischen Antike ist uns der Spruch überliefert: „De mortuis nil nisi bene“, was soviel heißt, daß man über Tote nichts Schlechtes sagen soll. Chamberlain begnügte sich keineswegs mit Veröffentlichungen über Wagner, vielmehr trat seine massive Parteinahme für Bayreuth und den Wagnerschen Nationalismus in seinem zweibändigen Hauptwerk Die Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts18 gar nicht offen zutage, was neben Cosima Wagner auch ihr anderer Schwiegersohn Henry Thode bedauerte, der das Versäumnis bemängelte, daß Chamberlain nicht auf seine wichtigste Informationsquelle, nämlich Wagner, genügend eingegangen sei. Der publizistische Erfolg dieses die ganze abendländische Geschichte umfassenden Buches war jedoch unerwartet groß und bei der rücksichtslosen Verunglimpfung der jüdischen Rasse als kulturellem und politischem Feind der Deutschen kamen sich Wagner und Chamberlain sehr nahe. Ein täu12

Ebd., S. 365. Vgl. Richard Wagner an Ferdinand Praeger, hrsg. von Houston Stewart Chamberlain, Berlin/Leipzig 1908, S. 49 – 183: Chamberlains erste und zweite Kritik. 14 Ebd., S. 151. 15 Ebd., S. 152. 16 Ebd., S. 171. 17 Ebd., S. 181 f. Chamberlain wollte angeblich das ganze Problem den Psychiatern und den Juristen überlassen: „Was das große Publikum in Deutschland aber laut verlangen und fordern sollte, das ist, daß ein so skandalöses Machwerk, dessen Feilbietung dem deutschen Buchhandel eine Unehre bedeutet, aus der Öffentlichkeit zurückgezogen werde.“ (S. 182). Der Verlag stellte daraufhin die Auslieferung der deutschen Ausgabe ein. Josef Engel de Jánosi richtete Anfang 1933 einen Offenen Brief an die Firma Breitkopf & Härtel in Leipzig, in dem er darauf hinwies, daß der Verlag „durch die Chamberlainsche Kritik irregeführt“ wurde und forderte eine Wiederveröffentlichung des Praegerschen Buches (J. E. de Sinoja: Das Antisemitentum in der Musik, Zürich/Leipzig/Wien 1933, S. 9). Ausführlich dazu ebd., S. 57 – 68, wo er Chamberlain einen „Übereifer, Praeger zu vernichten“ (S. 68) vorwarf. 18 Vgl. Houston Stewart Chamberlain: Die Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts (1899). 29. Auflage, München 1944. 13

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schender Anschein von souveräner Gelehrsamkeit und naturwissenschaftlicher Expertise führte nach Einschätzung Oliver Hilmes zu dem Resultat: „Raffinierte Küchenpsychologie ging einher mit glanzvollen Literaturzitaten, naturwissenschaftlichen Halbwahrheiten und einer gehörigen Portion Pseudophilosophie.“19 Dazu lediglich ein entlarvendes Beispiel dieses berühmt gewordenen Vertreters einer ,wissenschaftlichen‘ Rassenlehre, dessen Grundlagen ein Massenpublikum erreichte und in viele Sprachen übersetzt wurde. Das Jahwesche Judentum als Ursprung oder Vorläufer des Christentums hielt Chamberlain für eine Absurdität, die dazu geführt hätte, daß die Juden die ganze Welt beherrschen wollten: „Diese eine Grundlage jüdischer Religion schliesst also ein direktes verbrecherisches Attentat auf alle Völker der Erde ein, und zwar kann das Verbrechen nicht darum in Abrede gestellt werden, weil die Macht zur Ausführung fehlte; denn die Hoffnung selbst ist es, die verbrecherisch ist und die das Herz der Juden vergiftet.“20 Man müsse die Juden trotzdem bewundern, daß sie mit absoluter Sicherheit ,das Gesetz des Blutes‘ für ihre ausgebreitete Herrschaft benutzten und wenn dies noch ein paar Jahrhunderte andauere, dann gäbe es „in Europa nur noch ein einziges rassenreines Volk, das der Juden, alles Übrige wäre eine Herde pseudohebräischer Mestizen, und zwar ein unzweifelhaft physisch, geistig und moralisch degeneriertes Volk“.21 Diese schon über drei Jahrzehnte vor der Hitlerschen Machtergreifung niedergeschriebene rassistisch-nationalsozialistische Weltanschauung Chamberlains trug wesentlich dazu bei, daß er Berater und Vertrauter Kaiser Wilhelms II. wurde, der sich geschmeichelt fühlen mußte, daß ein Landsmann seiner englischen Verwandten das Germanentum über alles stellte.22 Am 1. Januar 1912 teilte Chamberlain dem Kaiser seine Anschauung über das parlamentarische System mit, was er auch dem Verleger Eugen Diederichs wegen seiner geplanten Schrift über die Erziehung des deutschen Volkes zur Politik geschrieben habe: „Bitte fangen Sie damit an, daß Sie sämtliche Mitglieder aller Parteien des Reichstags zusammenberufen, und dann sprengen Sie das ganze sogenannte Hohe Haus mit Dynamit in die Luft; nachher

19 Oliver Hilmes: Cosimas Kinder. Triumph und Tragödie der Wagner-Dynastie. 2. Aufl., München 2009, S. 99. 20 Houston Stewart Chamberlain: Die Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts. 1. Band. 29. Aufl., München 1944, S. 533. Da ein humaner Jude nach Chamberlain kein richtiger Jude mehr ist, weil er angeblich der Idee des Judentums abgeschworen hat, kann die große Gefahr nur von der jüdischen Rasse ausgehen: „Wenn der jüdische Einfluss auf geistigem und kulturellem Gebiete in Europa die Oberhand gewänne, so wären wir um ein weiteres Beispiel negativer, zerstörender Wirkung reicher.“ (S. 545). 21 Ebd., S. 383. 22 Vgl. Geoffrey G. Field: Evangelist of Race. The Germanic Vision of Houston Stewart Chamberlain, New York 1981, S. 248 ff. „Under Chamberlain’s guidance Wilhelm’s opinions gradually shifted from Lutheranism to a racist Germanic Christianity“ (S. 259). Der ganze Briefwechsel zwischen Chamberlain und Wilhelm II. vom 18. Januar 1901 bis 19. Dezember 1923 ist abgedruckt in H. S. Chamberlain: Briefe, 2. Bd. (wie Anm. 5), S. 129 – 275, Zitat S. 238.

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wollen wir sehen, was sich machen läßt.“23 Soweit ist nicht einmal Hitler gegangen, der 1933 die demokratischen Parteien einfach verbot. Auch während des Ersten Weltkriegs, in dem es keine Festspiele in Bayreuth mehr gab, übertraf sich Chamberlain in den Bayreuther Blättern mit chauvinistischen Eskapaden gegenüber seinem Heimatland England, das er als die imperialistische Ausgeburt aller Weltübel beschimpfte, bei denen Juden die Hauptrolle spielten. Der bedeutendste Ökonom des 20. Jahrhunderts, der Brite John M. Keynes (1883 – 1946), äußerte sich dazu nach dem Ersten Weltkrieg folgendermaßen: „Manchmal mag man glauben, daß kein einziger Mann so viel Verantwortung für den Krieg trägt als Wagner. Offenbar war des Kaisers Vorstellung von sich selbst nach ihm geformt. Und war nicht eigentlich Hindenburg nur der Baß und Ludendorff der fette Tenor einer drittklassigen Wagner-Oper?“24 Auf den ersten Nachkriegsfestspielen 1924 wurde zum Kampfappell „aller Antidemokraten, Sozialistengegner und Militärschwärmer“25 geblasen und im Festspielhaus das Deutschlandlied ,Deutschland, Deutschland, über alles‘ gesungen. Es ist recht einfach, ohne sich mit den Auffassungen Chamberlains gründlich auseinanderzusetzen, zu behaupten, er sei zwar Vorkämpfer nationalsozialistischer Ideen gewesen, die aber „kaum mehr etwas mit Wagners Gedanken gemein hatte(n), umso mehr mit denen der völkischen Wagner-Erben und -Exegeten in Bayreuth“.26 Es waren der Schriftsteller Michael Georg Conrad und der Musikkritiker Joseph Stolzing-Cerny, die den Wagner-Clan 1919 auf Hitler hingewiesen hatten; später war es auch der Bayreuther Handwerksmeister Christian Ebersberger, der auf dessen Antisemitismus und seine Deutschtümelei aufmerksam machte, die sich so leicht mit Wagners Vorstellungen vereinbaren ließen. Der dem deutschnationalen Lager nahestehende Stolzing-Cerny – NSDAP-Mitglied Nr. 699 und späterer Mitarbeiter des Völkischen Beobachter – schrieb am 1. Januar 1921 an Houston Stewart Chamberlain: „Sehr erfreulich ist auch das stetige und starke Anwachsen der Nationalsozialistischen deutschen Arbeiterpartei, an deren Spitze der österreichische 23 Zitiert von Hartmut Zelinsky: Sieg oder Untergang: Sieg und Untergang. Kaiser Wilhelm II., die Werk-Idee Richard Wagners und der „Weltkampf“, München 1990, S. 108, Anm. 176. 24 John Maynard Keynes: Politik und Wirtschaft. Männer und Probleme, Tübingen 1956, S. 112. 25 Hans Mayer: Richard Wagner in Bayreuth 1876 – 1976 (1976), Frankfurt am Main 1978, S. 81. Mayer schreibt an anderer Stelle: „Da Bayreuth ohnehin das Vermächtnis Richard Wagners als Verpflichtung auf eine nationaldeutsche und judenfeindliche Ideologie verstand, brauchte man keine Kulturbolschewisten und jüdische Untermenschen aus der Leitung zu entfernen.“ (S. 105). 26 Dieter David Scholz: Wagners Antisemitismus. Jahrhundertgenie im Zwielicht – Eine Korrektur (2000), Darmstadt 2013, S. 157. Scholz vertritt die Ansicht, daß Wagner in seinen letzten Lebensjahren mit dem Parsifal eine christliche Ethik der Versöhnung propagierte, die Rassenunterschiede überbrücken wollte. Chamberlain dagegen habe „vor allem Wagners antijüdische Haltung ins kämpferisch unversöhnliche Extrem verkehrt [als sei dies nicht schon bei Wagner ausgeprägt gewesen, H.K.] und mit seiner eigenen ,arischen‘ Blutideologie unterlegt, die die Assimilation der Juden von vornherein ausschließt“ (S. 158).

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Arbeiter Adolf Hitler steht, ein Mann von außerordentlicher rednerischer Begabung und einem erstaunlich reichen politischen Wissen, der die Massen wundervoll zu packen weiß.“27 Chamberlain war also darauf vorbereitet, daß ein noch weitgehend unbekannter ,Politiker‘ in Deutschland massenwirksam gegen die Juden auftrat. Am 30. September 1923 besuchte Adolf Hitler zum zweiten Mal Bayreuth im Anschluß an eine Massenveranstaltung, die der Deutsche Kampfbund, ein Zusammenschluß rechtsradikaler Wehrverbände, darunter auch die NSDAP, organisiert hatte und an der 10.000 Menschen teilnahmen. Diese zweitägige Veranstaltung wurde bezeichnenderweise „Deutscher Tag in Bayreuth“ genannt und Hitler traf einen Tag später den bereits gelähmten Propheten des Deutschtums, den er als Deutschlands Erretter vor den Juden würdigte, im Haus Wahnfried.28 Bruno Brehm schildert das angeblich lange Gespräch zwischen Chamberlain und Hitler, dem Chamberlain zum Abschied ergriffen beide Hände geschüttelt habe: „Die Tränen traten in Hitlers Augen: ,Bitte, lassen Sie mich schweigen, ich kann es nicht ausdrücken, was ich empfinde; die Gefühle sind zu stark‘… Frau Winifred und Frau Eva ersuchten den Gast, im Frühling wieder nach Bayreuth zu kommen und der Eröffnung der Festspiele beizuwohnen.“29 Über ein halbes Jahrhundert später, als bereits die millionenfache Judenvernichtung im Dritten Reich detailliert erforscht war, hat Winifred Wagner 1975 in dem Filminterview Hans Jürgen Syberberg anvertraut, daß sie und ihr Mann Siegfried nicht zum Deutschen Tag gegangen sind, aber sie selbst eine Einladung nach dieser Versammlung im Bayreuther Hotel Anker angenommen habe und durch das Ehepaar Bechstein Hitler vorgestellt worden sei, der einen großen und tiefen Eindruck auf sie gemacht habe: „Als Persönlichkeit, das Auge war vor allen Dingen ungeheuer anziehend, ganz blau und ein großes ausdrucksvolles Auge und ich forderte ihn auf, nach Wahnfried zu kommen, weil er sich natürlich ungeheuer dafür interessierte, für Wagners Wohnhaus, für Wagners Ruhestätte, er wollte das sehen.“30 Also lud sie Hitler am nächsten Morgen zum Frühstück ein und Hitler 27

Zitiert von O. Hilmes: Cosimas Kinder (wie Anm. 19), S. 184. Ernst Hanfstaengl: 15 Jahre mit Hitler. Zwischen Weißem und Braunem Haus (1970). 2. Aufl., München/Zürich 1980, S. 77, berichtet, daß Hitler auf der Rückfahrt von Berlin nach München bereits Mitte April 1923 im Bayreuther Hotel zur Post übernachtete. „Hitlers Wunsch, am nächsten Tag Siegfried und Winifred Wagner, die er durch Dietrich Eckart kannte, einen Besuch abzustatten, erfüllte sich nicht, da beide verreist waren.“ 29 Bruno Brehm: Das zwölfjährige Reich: Der Trommler (1960). 3. Aufl., Graz/Wien/ Köln 1961, S. 267. Nicht nur wegen der schweren Krankheit Chamberlains ist es fraglich, ob sich diese historische Begegnung so abgespielt hat. Die ersten Nachkriegsfestspiele fanden ja erst im Sommer 1924 statt. 30 Syberbergs Filmbuch, München 1976, S. 274. Winifred erwähnte Chamberlain in diesem Zusammenhang mit keinem Wort, sondern sie ging danach auf Banalitäten ein, daß Hitler bei seinem Besuch viel mit ihren Kindern gespielt habe. „Im übrigen kam er eigentlich her, um, ich möchte beinahe sagen, Familienleben zu genießen. Er hatte es ja nirgends, keine Gemütlichkeit, keine Bleibe eigentlich… Das war eine rein menschliche, persönliche und vertrauliche Bindung zwischen uns, die auf der Grundlage der Verehrung und Liebe zu Richard Wagner beruhte.“ (S. 275). 28

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kam, sprach nach einer Besichtigung des Hauses, des alten Steinway-Flügels, der Bibliothek und des Grabs Wagners intensiv mit Chamberlain, dem Hitler seit dem Briefwechsel mit Stolzing-Cerny schon so gut vertraut war, daß er ihm offen sein antisemitsches Herz aussschütten konnte. Die angebliche Hellsichtigkeit von Chamberlain, „der die Begegnung mit dem damals vierunddreißigjährigen Adolf Hitler als Lichtstrahl in seinem von schweren Sorgen und Leiden umdüsterten Alter empfinden muß“,31 sollte als kultureller Weckruf der nationalen Revolution verstanden werden. Eine Woche später, am 7. Oktober 1923, richtete Chamberlain einen Brief an Hitler, den dieser in seiner Wagnerbegeisterung sofort im Stürmer veröffentlichte, in dem er ihn als einen Menschen rühmte, dessen unwiderstehliche Gewalt den Kosmos verändern werde: „Sehr geehrter und lieber Herr Hitler. Sie haben alles Recht, diesen Überfall nicht zu erwarten, haben Sie doch mit eigenen Augen erlebt, wie schwer ich Worte auszusprechen vermag. Jedoch ich vermag dem Drange, einige Worte mit Ihnen zu sprechen, nicht zu widerstehen. Ich denke es mir aber ganz einseitig – d. h. ich erwarte keine Antwort von Ihnen. Es hat meine Gedanken beschäftigt, wieso gerade Sie, der Sie in so seltenem Grade ein Erwecker der Seelen aus Schlaf und Schlendrian sind, mir einen so langen erquickenden Schlaf neulich schenkten, wie ich einen ähnlichen nicht erlebt habe seit dem verhängnisvollen Augusttag 1914, wo das tückische Leiden mich befiel. Jetzt glaube ich einzusehen, daß dies grade Ihr Wesen bezeichnet und sozusagen umschließt: der wahre Erwecker ist zugleich Spender der Ruhe. Sie sind ja gar nicht, wir Sie mir geschildert worden sind, ein Fanatiker, vielmehr möchte ich Sie als den unmittelbaren Gegensatz eines Fanatikers bezeichnen. Der Fanatiker erhitzt die Köpfe, Sie erwärmen die Herzen. Der Fanatiker will überreden, Sie wollen überzeugen, nur überzeugen, – und darum gelingt es Ihnen auch; ja, ich möchte Sie ebenfalls für das Gegenteil eines Politikers – dieses Wort im landläufigen Sinne aufgefaßt – erklären, denn die Achse aller Politik ist die Parteiangehörigkeit, während bei Ihnen alle Parteien verschwinden, aufgezehrt von der Glut der Vaterlandsliebe. Es war, meine ich, das Unglück unseres großen Bismarck, daß er durch den Gang seines Schicksals – beileibe nicht durch angeborene Anlagen – ein bißchen zu sehr mit dem politischen Leben verwickelt ward. Möchte Ihnen dieses Los erspart bleiben! Sie haben Gewaltiges zu leisten vor sich, aber trotz Ihrer Willenskraft halte ich Sie nicht für einen Gewaltmenschen. Sie kennen Goethes Unterscheidung von Gewalt und Gewalt! Es gibt eine Gewalt, die aus Chaos stammt und zu Chaos hinführt, und es gibt eine Gewalt, deren Wesen es ist, Kosmos zu gestalten, und von dieser sagte er: ,Sie bildet regelnd jegliche Gestalt – und selbst im Großen ist es nicht Gewalt.‘ In solchem kosmosbildenden Sinne meine ich es, wenn ich Sie zu den auferbauenden, nicht zu den gewaltsamen Menschen gezählt wissen will. Ich frage mich immer, ob der Mangel an politischem Instinkt, der an den Deutschen so allgemein gerügt wird, nicht ein Symptom für eine viel tiefere staatsbildende Anlage ist. Des Deutschen Organisationstalent ist jedenfalls unübertroffen (siehe Kiautschou!), und 31

S. 9.

Paul Bülow: Adolf Hitler und der Bayreuther Kulturkreis, Leipzig/Hamburg o. J. (1933),

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seine wissenschaftliche Befähigung bleibt unerreicht: darauf habe ich meine Hoffnungen aufgebaut in meiner Schrift ,Politische Ideale‘. Das Ideal der Politik wäre, keine zu haben. Aber diese Nicht-Politik müßte freimütig bekannt und mit Macht der Welt aufgedrungen werden. Nichts wird erreicht, solange das parlamentarische System herrscht; für dieses haben die Deutschen, weiß Gott, keinen Funken Talent! Sein Obwalten halte ich für das größte Unglück, es kann immer nur wieder und wieder in den Sumpf führen und alle Pläne für Gesundung und Hebung des Vaterlandes zu Fall bringen. Aber, ich weiche ab von meinem Thema, denn ich wollte nur von Ihnen sprechen. Daß Sie mir Ruhe gaben, liegt sehr viel an Ihrem Auge und an Ihren Handgebärden. Ihr Auge ist gleichsam mit Händen begabt, es erfaßt den Menschen und hält ihn fest, und es ist Ihnen eigentümlich, in jedem Augenblicke die Rede an einen Besonderen unter Ihren Zuhörern zu richten, – das bemerkte ich als durchaus charakteristisch. Und was die Hände anbetrifft, sie sind so ausdrucksvoll in ihren Bewegungen, daß sie hierin mit Augen wetteifern. Solch ein Mann kann schon einem armen geplagten Geist Ruhe spenden! Und nun gar, wenn er dem Dienste des Vaterlandes gewidmet ist. Mein Glauben an das Deutschtum hat nicht einen Augenblick gewankt, jedoch hatte mein Hoffen – ich gestehe es – eine tiefe Ebbe erreicht. Sie haben den Zustand meiner Seele mit einem Schlage umgewandelt. Daß Deutschland in der Stunde seiner höchsten Not sich einen Hitler gebiert, das bezeugt sein Lebendigsein; desgleichen die Wirkungen, die von ihm ausgehen; denn diese zwei Dinge – die Persönlichkeit und ihre Wirkung – gehören zusammen. Daß der großartige Ludendorff sich offen Ihnen anschließt und sich zu der Bewegung bekennt, die von Ihnen ausgeht: welche herrliche Bestätigung! Ich durfte billig einschlafen und hätte auch nicht nötig gehabt, wieder zu erwachen. Gottes Schutz sei bei Ihnen! Houston Stewart Chamberlain.“32

Hitler hätte sich in der von internen Auseinandersetzungen geprägten Entstehungsphase der NSDAP keinen würdigeren Lobredner aussuchen können – und daß es ein Wagnerianer war, muß ihn in seinen rassistischen Ansichten bestätigt und mit tiefer Denkbarkeit erfüllt haben. Am 19. Oktober 1923, also ungefähr zwei Wochen nach dem Brieferhalt, schrieb Joseph Stolzing-Cerny an Eva Chamberlain: „Herr Adolf Hitler hat sich über das Schreiben Ihres Herrn Gemahls wie ein Kind gefreut. Noch immer schwärmt Herr Hitler von Bayreuth und nicht zuletzt von der Familie Wagner und deren reizenden Kindern.“33 Diese schwärmerische Freude war durchaus berechtigt, denn daß der noch wenig bekannte österreichische ,Arbeiter‘ von dem damals bekanntesten Mitglied der Wagnerfamilie auf diese Weise ins grelle Rampenlicht gestellt wurde, mußte sein Selbstbewußtsein erheblich vergrößern. Hilmes zitiert einen weiteren Brief von Eva und Houston Chamberlain vom 1. Dezember 1923 an Hitler, der auf den gescheiterten Putschversuch vor der 32

H. S. Chamberlain: Briefe, 2. Bd. (wie Anm. 5), S. 124 – 126 (Hervorhebungen im Original). Ilse Lotz: Cosima Wagner, die Hüterin des Grals. Der Lebensroman einer deutschen Frau, Görlitz o. J. (1935), S. 282, äußerte dazu: „Chamberlain wird gemäß seiner ganzen heroisch-germanischen Lebenseinstellung, seinen tiefschürfenden Rassenforschungen schon frühzeitig einer der getreuesten Anhänger Hitlers, dessen Aufstieg er prophetisch vorausahnt.“ 33 Zitiert von O. Hilmes: Cosimas Kinder (wie Anm. 19), S. 187.

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Münchener Feldherrnhalle Bezug nimmt: „Die Liebe zu Ihnen, das Vertrauen auf die Reinheit Ihres Wesens und den Glauben an die Siegesgewalt Ihrer Sache empfinden u. hegen wir heute lebhafter als je; und wir erkennen ein Gotteszeichen darin, daß Sie am 9ten November, sowie unser anderer Führer, der edle Held Ludendorff unversehrt durch das auf Sie gezielte Feuer hindurchschritten; mit diesem ans Wunderbare grenzenden Schutz hat die Vorsehung deutlich gezeigt, daß sie Sie Beide noch nöthig hat für große Dinge!“34 Der Brief vom 7. Oktober 1923 war jedoch das unbezahlbare Eintrittsbillett für den selbsternannten Führer der Rettung Deutschlands vor Juden und Marxisten, weil er für Hitler auch nach seinem gescheiterten Putschversuch wirkungsvolle Bestätigung von einem Erzwagnerianer bedeutete, weswegen er diese ,Schuld‘ nach 1933 mit reichlicher finanzieller Unterstützung wiedergutmachte bzw. abtrug. „Mit diesem Brief wurde Chamberlain die erste Persönlichkeit von nationalem und sogar internationalem Ruf als ein Schriftsteller, der sich der nationalsozialistischen Bewegung anschloß: er löste Begeisterung in der Parteizentrale in München aus.“35 Ein weiterer Brief vom 1. Januar 1924 in das Gefängnis in Landsberg am Lech, wo Hitler sich auf seinen Prozeß wegen des Marsches auf die Münchener Feldherrnhalle vom 9. November 1923 vorbereitete und an Mein Kampf schrieb, drückte die Verbundenheit Wahnfrieds mit dem Inhaftierten aus und erschien in der Neujahrsausgabe 1924 der Großdeutschen Zeitung als Beilage. Darin schrieb Chamberlain, wohl um die negativen Eindrücke des gescheiterten Putschversuches an der Münchener Feldherrnhalle zu verwischen, u. a.: „Man behauptet, Hitler wäre ein Träumer, der den Kopf voller Unmöglichkeiten habe, und doch sagt ein höchst beachtenswerter neuerer Historiker von ihm, er sei ,seit Bismarck der schöpferischste Kopf auf dem Gebiete der Staatskunst‘. Ich glaube, jenes Vorurteil leitet sich daher, daß wir alle geneigt sind, die Dinge für unausführlich zu halten, die wir nicht schon als vollbracht vor uns sehen. Es ist ihm z. B. unmöglich, unser aller Überzeugung über den verderblichen, ja über den todbringenden Einfluß des Judentums auf das Leben des deutschen Volkes zu teilen und nicht danach zu handeln; erkennt man die Gefahr, so müssen schleunigst Maßregeln gegen sie ergriffen werden, das sieht wohl jeder ein, aber keiner wagt’s auszusprechen, keiner wagt die Konsequenz von seinem Denken auf sein Handeln zu ziehen; keiner außer Adolf Hitler.“36 Hitler, der ja die antisemitischen und rassistischen Schriften von Wagner und Chamberlain genau kannte, antwortete darauf am 5. Mai 1924 aus Landsberg 34

Zitiert ebd., S. 189. G. G. Field: Evangelist of Race (wie Anm. 22), S. 438 (Meine Übersetzung). Oder anders ausgedrückt: „Die Villa Wahnfried und die Bayreuther Kreise wurden von da an eine äußerst aktive Zentrale der jungen nationalsozialistischen Partei.“ (So Éric Michaud: 1933: Der Triumph Richard Wagners. Die Destruktion der Politik, in: Das „Dritte Reich“ und die Musik, Berlin 2006, S. 57). 36 Zitiert von P. Bülow: Adolf Hitler (wie Anm. 31), S. 12. Chamberlain äußerte sich dort außerdem über Hitler: „Ebenso in seinem Verhältnis zu den Marxisten; da kennt er nur Vernichtungskrieg, während ihre politischen Gegner im Reichstage ,Koalition‘ mit ihnen bilden.“ 35

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mit einem Brief an Siegfried Wagner, in dem er sich auch bei dessen Frau Winifred und Chamberlain für die tatkräftige Unterstützung bedankte – einen Tag vorher hatte die Tarnorganisation der NSDAP, der Völkische Block, mit 40,5 % der abgegebenen Reichstagswahlstimmen in Bayreuth einen haushohen Triumph erzielt37 –, obwohl er gehofft habe, „daß das Schicksal mir gestatten würde als erster Zeuge und Bote dieser kommenden Erhebung, nach Bayreuth kommen zu können, um dem schwer leidenden Manne das beste Heilmittel zu bringen“.38 Bis zur ,kommenden Erhebung‘ verstrichen ja fast noch neun Jahre, in denen das Wagner-Bayreuth ihm psychische und ideelle Unterstützung gewährte, auch wenn Chamberlain Hitlers Reichskanzlerschaft nicht mehr miterlebte. In seinem Brief aus Landsberg sprach die felsenfeste Überzeugung Hitlers, daß er siegreich sein würde, aber jetzt sitze er im Gefängnis und könne die Stadt Wagners nicht besuchen, worüber er sehr traurig sei, was man ihm durchaus glauben konnte, denn Bayreuth war ja für seine politische Karriere von außergewöhnlicher Wichtigkeit, auch was die Vernichtungsgedanken gegenüber dem jüdischen Volk anging. In großer Dankbarkeit sei er ihnen jedoch verbunden, weil sie der völkischen Bewegung gerade zu dieser Zeit ein Opfer brächten, „dessen Größe ich um so mehr zu würdigen weiß, da ich doch selbst eine Flut von Haß und Verleumdung steigend seit 4 Jahren über mich ergehen lassen muß. Daß Sie endlich mir selber so viel Liebe zuwendeten, will ich nicht vergessen.“ Dies war ja tatsächlich der Fall, denn nach der Machtergreifung am 30. Januar 1933 fast bis zum Kriegsende wurde Bayreuth aus der Staatskasse beinahe vollständig finanziert, wie wir noch hören werden, und Winifred nutzte ihre freundschaftlichen Verbindungen zu Hitler selbst zum Schutze von jüdischen Freunden. Doch 1924 war noch nicht ganz sicher, daß Hitler schon nach neun Monaten aus dem Gefängnis entlassen würde, weshalb er alle moralische Unterstützung willkommen hieß, um die Zeit seiner politischen Untätigkeit zu überbrücken. Er denke in glücklicher Dankbarkeit, so hieß es in dem Brief weiter, an Siegfried und Winifred Wagner, die während der Abstimmung in Bayreuth soviel Einsatz gezeigt hätten und mit ihm der Meinung seien, „Haupt- und Todfeind ist und bleibt der Marxismus“. Hitler war vollkommen davon überzeugt, daß die deutsche Frage nicht im Reichstag entschieden werden könne, doch das Bayreuther Wahlresultat vom April 1924 habe ihm den Mut zurückgegeben: „Stolze Freude faßte mich, als ich den völkischen Sieg gerade in der Stadt sah, in der, erst durch den 37

Die SPD erreichte in Bayreuth bei dieser Wahl 35,4 %, die DNVP 12,0 %, die BVP 4,8 %, die KPD 3,1 %, die DDP 2,2 % und die DVP 0,6 % der abgegebenen Stimmen. (Vgl. Rainer Trübsbach: Geschichte der Stadt Bayreuth 1194 – 1994, Bayreuth 1993, S. 270). 38 Hitler: Sämtliche Aufzeichnungen 1905 – 1924, hrsg. von Eberhard Jäckel zusammen mit Axel Kuhn, Stuttgart 1980, S. 1232. Dort auch die nächsten Zitate. In der Nacht vom 28. Februar auf den 1. März 1942 äußerte sich Hitler über die Opern des am 4. August 1930 gestorbenen Siegfried Wagner: „Persönlich war er mir befreundet, politisch war er passiv. Die Juden hätten ihm das Genick abgedreht, er konnte nicht anders. Jetzt ist der Bann gebrochen: Es wird mehr von ihm aufgeführt. Diese Drecks-Juden haben es fertiggebracht, ihn kaputtzumachen.“ (Henry Picker: Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier (1951), München 2003, S. 161).

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Meister und dann durch Chamberlain, das geistige Schwert geschmiedet wurde mit dem wir heute fechten.“39 Die Bedeutung des Wagnerianers Chamberlain für die nationalsozialistische Rassenpolitik war gerade in den Krisenphasen der NSDAP so ungeheuer groß, daß man erstaunt ist, warum diese ideologischen Beziehungen nicht gründlicher erforscht worden sind. Wie werden im nächsten Kapitel auf die Wagnerbegeisterung Hitlers noch etwas näher eingehen, doch eine Äußerung dieses verhinderten Diktators während seines Gefängnisaufenthalts verdeutlicht bereits seine enge Bindung an Wagner und den Wagnerianismus. Bei der gerichtlichen Verhandlung am 27. März 1924 vor dem Volksgericht in München wegen des erfolglosen Putschversuchs vom 9./10. November 1923 gab Hitler folgendes Bekenntnis ab: „Meine hohen Herren! Nehmen sie die Überzeugung hin, daß ich die Erringung eines Ministerpostens als nicht erstrebenswert ansehe. Ich halte es eines großen Mannes nicht für würdig, erst noch nach Vortiteln zu suchen. Wer seinen Namen der Weltgeschichte nur dadurch zu überliefern vermag, daß er Minister wird, könnte auch Gefahr laufen, eines Tages neben anderen Ministern begraben zu werden, sagen wir Herrn Scheidemann, Herrn Wutzlhofer. Ich wollte mich nicht in eine Grube gemeinsam mit diesen legen. Was mir als Ziel vor Augen stand, was vom ersten Tage an tausendmal größer, als ein Minister zu werden. Minister können Tausende werden. Was ich werden wollte, das war der Zerbrecher des Marxismus. Das ist meine Aufgabe, und ich weiß, wenn ich diese Aufgabe löse – und ich werde sie lösen –, dann wäre der Titel eines Ministers eine Lächerlichkeit. Und ich kann Ihnen noch etwas sagen, meine hohen Herren! Als ich zum ersten Male am Grabe Richard Wagners stand, da quoll mir das Herz über vor Stolz, daß da unter dieser Steinplatte ein Mann ruht, der sich verbeten hat, hinaufzuschreiben vielleicht: ,Hier ruht der Geheime Musikdirektor Exzellenz Baron Richard von Wagner‘. Schon da wurde ich stolz vor Glück darüber, daß auch dieser Mann und so und so viele der deutschen Geschichte verzichtet haben, Titel für sich zu nehmen, sondern daß sie sich begnügten, nur ihren Namen der Nachwelt zu überliefern. Nicht aus Bescheidenheit wollte ich damals Trommler sein, sondern das ist das Höchste. Das andere ist eine Kleinigkeit.“40 Im skandalösen Gerichtsurteil vom 1. April 1924 sprachen die Richter sich für fünf Jahre Festungshaft aus, doch wurden Hitler Bewährungsfristen gewährt, weswegen er schon Ende 1924 wegen guter Führung entlassen wurde und seine rassistischen Agitationen fortsetzen konnte. Nach seiner Haftentlassung hat Hitler den schwerkranken und weiter dahinsiechenden Houston Stewart Chamberlain im Jahr 1925 mehrmals besucht, wie dessen 39 Unmittelbar nach Hitlers Regierungsantritt schrieb Alfred Rosenberg: Weltanschauung und Wissenschaft, München o. J. (1933), S. 10. „Wir haben 1919 bis 1933 einen erbitterten politischen Kampf auf Leben und Tod mit Marxismus, Judentum und Liberalismus geführt.“ 40 Der Hitler-Prozeß 1924. Wortlaut der Hauptverhandlung vor dem Volksgericht München I. Teil 4: 19. bis 25. Verhandlungstag, hrsg. und kommentiert von Lothar Gruchmann und Reinhard Weber unter Mitarbeit von Otto Gritschneder, München 1999, S. 1585 (24. Verhandlungstag).

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Tagebucheinträge vom 27. Juli und 12. November dieses Jahres belegen,41 denn einen solchen weltberühmten Förderer der nationalsozialistischen Bewegung hätte sich der Gefreite aus Braunau nicht erträumen oder mit Millionenbeträgen erkaufen können. Was hätte ein gesunder Chamberlain, der sein englisches Vaterland für ein paar Silberlinge verkauft hatte, im Drittten Reich nicht alles werden können! Doch der an einen Rollstuhl gefesselte Verkünder der rassistischen Errettung Deutschlands, der nur noch selten das Haus verlassen konnte und meistens im Bett lag, bereitete sich wohl im folgenden Jahr auf seinen Tod vor, da die Lähmung der Atemwege voranschritt und er qualvoll zu ersticken drohte. Das im November 1923 eingeleitete Ende der Hyperinflation, durch die viele Kleinsparer fast ihr gesamtes Einlagekapital verloren, trieb viele Menschen in das Lager der Nationalsozialisten, die die Juden für das Schlamassel verantwortlich machten. Nun, nach der finanziellen und ökonomischen Stabilisierung Mitte der 1920er Jahre galt es, in allen politischen Lagern nach Verbündeten zu suchen. Die Kandidatur und Wahl des greisen Paul von Hindenburg (1847 – 1934) im April 1925 zum deutschen Reichspräsidenten war ein deutliches Signal für eine militaristische und monarchistische Abkehr von der parlamentarischen Demokratie, wie sie Chamberlain wiederholt gefordert hatte. Nachdem der 28jährige Joseph Goebbels als Gründer der NSDAPOrtsgruppe Mönchengladbach und späterer Gauleiter Groß-Berlins Anfang Mai 1926 seinen Antrittsbesuch in Bayreuth machte, suchte er auch Chamberlain auf und schrieb am 8. Mai 1926 in sein Tagebuch: „Seine Frau, eine Tochter Wagners, bittet mich herauf. Erschütternde Szene: Chamberlain auf einem Ruhebett. Gebrochen, lallend, die Tränen stehen ihm in den Augen. Er hält meine Hand und will mich nicht lassen. Wie Feuer brennen seine großen Augen. Vater unseres Geistes, sei gegrüßt. Bahnbrecher, Wegbereiter! Ich bin im Tiefsten aufgewühlt. Abschied. Er lallt, will sprechen, es geht nicht – und dann weint er wie ein Kind! Langer, langer Händedruck! Leb wohl! Du bist bei uns, wenn wir verzweifeln wollen.“42 Der ,Seher des Dritten Reiches‘ starb am 9. Januar 1927 mit 71 Jahren an seiner im Ersten Weltkrieg ausgebrochenen Nervenkrankheit; Gerüchte sprechen auch von Syphilis. Wir haben schon gehört, daß NS-Größen den nationalsozialistischen Vordenker Chamberlain mehrmals besuchten und an dessen Beerdigung teilnahmen, aber auch die vom Wagnerclan unterstützte Bayreuther NSDAP-Ortsgruppe feierte den Toten als rücksichtslosen Kämpfer gegen „alle Mörder der deutschen Seele, in erster Linie gegen das Judentum“,43 was ganz Wagner und Chamberlain nachempfunden war. NSDAP und Adolf Hitler fühlten sich diesem Vordenker des Dritten Reiches, Chamberlain, offenbar zutiefst verpflichtet, auch nachdem sie die totalitäre Macht 41

Vgl. dazu O. Hilmes: Cosimas Kinder (wie Anm. 19), S. 202 f. Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Sämtliche Fragmente, hrsg. von Elke Fröhlich. Teil I, Band 1, München 1987, S. 178. 43 Zitiert von O. Hilmes: Cosimas Kinder (wie Anm. 19), S. 205. Nachruf in Oberfränkische Zeitung und Bayreuther Anzeiger vom 12. Januar 1927. Hilmes schildert diese Vorgänge ausführlich auf S. 204 ff. 42

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an sich gerissen hatten, nicht nur, weil sie sich der ideologischen Nähe der führenden Wagnerianer sicher sein konnten. In der ersten Bayreuther Festspielsaison im Dritten Reich schrieb Wolfgang Golther am 13. August 1933: „Ein Machtspruch des Führers würde dem Bühnenweihfestspiel die ihm einzig gebührende Stellung in der Welt: die ausschließliche und überlieferungsgetreue Aufführung im Bayreuther Festspielhaus zurückgewinnen.“44 Es scheint mir deshalb eine durchsichtige Ablenkungsstrategie vom nationalsozialistischen Einfluß auf die Bayreuther Festspiele zu sein, wenn Hans Mayer, ohne Chamberlain zu erwähnen, listig behauptet: „Bayreuth im Dritten Reich: das war Heinz Tietjens Werk.“45 Noch zum 10jährigen Todestag von Houston Stewart Chamberlain verkündete Alfred Baeumler (1887 – 1968), der am 10. Mai 1933 bei der Bücherverbrennung in Berlin eine ätzende Flammenrede gegen die ,Giftstoffe‘ der deutschen Literatur gehalten hatte und ab 1941 Leiter des Aufbauamts der Hohen Schule, der Parteiuniversität der NSDAP, und ein Jahr später des Amtes Wissenschaft im Ostminsterium wurde, daß Chamberlain „auf den ersten Blick in einem unbekannten Manne, der Adolf Hitler hieß, den Führer und Befreier erkannte“.46 Den nationalsozialistischen Strategen war also durchaus bewußt, welche unschätzbare Bedeutung dieser Wagnerianer in der frühen Phase der NS-Bewegung beim kometenhaften Aufstieg Hitlers hatte. Nationalsozialistische Gedanken waren also bereits lange vor Beginn des Dritten Reiches unter Bezugnahme auf Richard Wagner in Deutschland ausgebreitet worden und zirkulierten nicht nur im exklusiven Bayreuther Kreis, der ja während des gesamten Deutschen Kaiserreiches an dem Aufbau einer rassistischen Ideologie gearbeitet hatte. Die gerne lancierte Vorstellung, der Wagnerkult zwischen 1933 und 1945 sei ausschließlich oder auch nur überwiegend auf die Wagnerbegeisterung Hitlers zurückzuführen, entbehrt deshalb jeglicher Plausibilität. Selbst der Generaloberst Hans von Seeckt (1866 – 1936), der im Ersten Weltkrieg führende militärische Leitungsposten übernommen hatte und 1919 die deutsche Delegation bei den alliierten Friedensverhandlungen in Versailles beriet und danach Chef der deutschen Heeresleitung (1920 – 1926) wurde, äußerte sich am 18. Juni 1932 bei der Sonnenwendfeier des Stahlhelms auf dem Peißenberg bei Weilheim zu dem neu zu 44

Bayreuth im Dritten Reich. Ein Buch des Dankes und der Erinnerung, Hamburg 1933, S. 9. Siegfried Scheffler beschwor dort den nationalsozialistischen Gehorsam vor dem Willen Wagners: „Es bleibt das unermeßliche Verdienst unserer Regierung, die historische Tat unseres Reichskanzlers Adolf Hitler, in den Bayreuther Festspielen Wagner vor seinem Volk erneuert zu haben.“ (S. 33). Die nach England emigrierte Enkelin Richard Wagners, Friedelind Wagner: Nacht über Bayreuth. Die Geschichte der Enkelin Richard Wagners (1945), Köln 1994, S. 144, gibt eine angebliche Aussage Hitlers bei den 1. Dritte Reich-Festspielen in Bayreuth 1933 gegenüber Winifred Wagner wieder: „Hier haben Sie mich vor zehn Jahren zum ersten Mal empfangen. Damals hatte ich nicht geahnt, daß es noch so lange dauern würde, bis ich an die Macht komme. Wäre der Putsch nicht mißlungen, wäre alles anders; ich stand damals im richtigen Alter, jetzt bin ich zu alt, ich habe zuviel Zeit verloren und muß nun mit doppelter Geschwindigkeit arbeiten.“ Von allem, was wir über Hitler wissen, scheint eine solche Aussage nicht sehr glaubwürdig. 45 Hans Mayer: Richard Wagner. Mitwelt und Nachwelt, Stuttgart/Zürich 1978, S. 147. 46 Alfred Baeumler: Politik und Erziehung. Reden und Aufsätze, Berlin 1937, S. 30.

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begründenden Soldatengeist und Wehrwillen: „Hier in diesen bayerischen Bergen liegt es wohl nah, an die Szene zu erinnern, die den Anfang von Wagners Siegfried bildet. Da flammt auf einem Herd eine Flamme, und auf diesem Herd liegt ein zerbrochenes Schwert. Über diesem Schwert das Wort: Nur wer das Fürchten nie gelernt, schmiedet Notung neu. Das Schwert, das zerbrochene deutsche Schwert schmiedet nicht der hinkende Parteizwerg; kein Zaubersaft, keine Friedenssalbe bringt das Feuer zum Lodern. Auf diesem Herd müssen wir vielerlei opfern, vielerlei Kostbares, damit die Flamme sprühe: Vaterlandsliebe, Tapferkeit, Entsagung, Geduld, heiliges Wollen und ein gut Haß. Dann wird der junge Siegfried den Stahl aus der Glut holen, und sich das Schwert hämmern; die deutsche Jugend, die das Fürchten nicht kennt. So sei in diesem schicksalsschweren Jahr das Johannifeuer, das Ihr heute entzündet, kein Feuer der Liebe, sondern das Feuer, an dem das Schwert geschmiedet wird.“47 Diese militaristischen Anklänge an eine Wagneroper sollten den Zuhörern das Gefühl vermitteln, daß die deutsche Jugend Kunst und Krieg als verbindende Werte in sich aufnehmen müsse. Und Lotte Warburg veranschaulichte diese nationaldeutschen Gefühle in ihrem Tagebucheintrag vom 17. Juli 1933 in einem Satz: „Alle wollen in diesem Jahr Wagner hören und Hitler sehen, die beiden Nationalhelden des heutigen Deutschland.“48 Sobald die Bayreuther Festspiele zehn Jahre nach Ausbruch des verlorenen Weltkrieges 1924 wieder begannen – nach der ersten Vorstellung wurde das Deutschlandlied „Deutschland, Deutschland über alles…“ angestimmt –, konnten sich die ideologischen Truppen, die sich mit dem schmerzlichen Verlust deutscher Kolonien und der Weltgeltung Deutschlands nicht abfinden wollten, neu formieren. Der Versailler Vertrag und die unbarmherzige Einforderung der Alliierten von Reparationen in Milliardenhöhe wegen des verlorenen Krieges – die ,Dolchstoßlegende‘ von einem unbesiegten deutschen Heer und von den sozialdemokratischen ,Novemberverbrechern‘, die durch eine Revolution die Staatsmacht an sich gerissen hatten, war weitverbreitet – empfanden Millionen von Deutschen als unberechtigte nationale Schmach, die sie der westlichen Demokratie anlasteten. Der Wagnerclan um Eva und Houston Stewart Chamberlain, Siegfried und Winifred Wagner, Helene und Edwin Bechstein, Elsa und Hugo Bruckmann sowie Dietrich Eckart spielten dabei eine außerordentlich einflußreiche Rolle, wie wir bereits gehört haben. In diesem Zusammenhang muß auch die ahistorische Auffassung zurückgewiesen werden: „Wagners Leben und Werk sind nur aus seinem Jahrhundert heraus zu begreifen.“49 Wenn eine solche Ansicht zuträfe, dann müßten wir auf jede wissenschaftliche Erklärung verzichten, denn nur die gelungene, wirklichkeitsnahe Re47 Zitiert von Friedrich von Rabenau: Seeckt. Aus seinem Leben 1918 – 1936, Leipzig 1941, S. 667. 48 Eine vollkommene Närrin durch meine ewigen Gefühle, hrsg. von Wulf Rüskamp, Bayreuth 1989, S. 173. 49 Werner Wolf: Probleme der geistigen und künstlerischen Entwicklung Richard Wagners, in: Internationales musik- und theaterwissenschaftliches Kolloquium, Beucha-Markkleeberg 2010, S. 15.

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konstruktion vergangener Handlungen ermöglicht uns ein nachträgliches Verstehen von Leben und Werk. Und diese Auffassung unterstellt ganz nebenbei, daß das 19. Jahrhundert wie ein monolithischer Block angesehen werden kann, obwohl es gerade für Deutschland vielfältige soziale, wirtschaftliche und politische Verwerfungen aufweist, die man nicht mit einer begrifflichen Sentenz weginterpretieren kann. Die zahlreichen zustimmenden Publikationen zu Wagners Antisemitismus zwischen 1919 und 1932 widerlegen eindeutig die Ansicht, die totale ideologische Durchdringung der deutschen Bevölkerung mit Wagnerscher Musik sei eine erwünschte Folge von Hitlers Wagnerwahn: „Der Wagner-Kult im Dritten Reich war das Ergebnis von Hitlers Wagner-Manie und nicht etwa das Resultat einer WagnerManie des Nationalsozialismus.“50 Solche Ansichten versuchen die rassistische Ideologie auf wenige führende Nationalsozialisten oder möglichst auf Hitler allein zu reduzieren, doch außer Chamberlain gab es Hunderte von fanatischen Nationalsozialisten, die unter Rückgriff auf Wagners Antisemitismus den völkischen Rassismus verbreiteten. Der Bayreuther Stadtarchivar und langjähriger (1932 – 1953) Direktor des RichardWagner-Archivs, Otto Strobel (1895 – 1953) z. B., eröffnete den Bayreuther Festspielführer 1933 im 50. Todesjahr von Richard Wagner mit der nationalsozialistischen Hymne: „Der Herausgeber vermag den ,Bayreuther Festspielführer 1933‘ nicht hinauszusenden, ohne gleichzeitig nicht auch jenes anderen ,Deutschesten der Deutschen‘ zu gedenken, der nach Kämpfen ohnegleichen heute die Geschicke unseres Volkes lenkt und wie noch kein leitender Staatsmann vor ihm seine fördernde und schützende Hand auch über die deutsche Kunst hält: unseres großen Kanzlers Adolf Hitler. Verbindet doch den Schöpfer des neuen Deutschland gerade auch mit der Persönlichkeit und dem Werke Richard Wagners ein festestes Band, eine Schicksalsgemeinschaft, der er selbst vor wenigen Monaten mit den schönen Worten Ausdruck verliehen hat: ,Ich begreife heute, weshalb mir in meiner Jugend gerade Wagner und sein Schicksal mehr sagten als so viele andere Deutsche. Es ist wohl die gleiche Not eines ewigen Kampfes gegen Haß, Neid und Unverstand. Es sind dieselben Sorgen‘.“51 Ein solches Zitat eines der besten Wagnerkenner überhaupt mag erst einmal ausreichen, um der häufig vertretenen Ansicht entgegenzutreten, Wagner oder sein rassischer Antisemitismus sei von Nationalsozialisten mißbraucht oder verfälscht worden. Nach 1945 ist von nationalsozialistischen Mitläufern oft argumentiert worden, daß ihnen unter dem massiven Druck eines totalitären Regimes nichts anderes möglich gewesen wäre als politische Anpassung, damit sie überleben konnten. Mitte 1933 war die NS-Diktatur jedoch noch keineswegs so fest etabliert, um nicht abweichende Meinungen ohne direkte Verfolgung äußern zu können, auch wenn dazu etwas Mut gehörte. Der Parlamentarismus bzw. die demokratischen Parteien waren zwar bereits abgeschafft und die ersten Kon50

Matthias Duncker: Zu einigen Aspekten der Wagner-Rezeption in der SBZ/DDR, in: Kolloquium zum 125. Todestag Richard Wagners, Beucha 2008, S. 92. 51 Otto Strobel: Zum Geleit, in: Bayreuther Festspielführer 1933, hrsg. von Otto Strobel, Bayreuth 1933, S. 4 (Hervorhebungen im Original).

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zentrationslager schon errichtet, aber kritische Meinungsäußerungen waren durchaus möglich, wenn sie nicht die nationalsozialistische Führung betrafen. Wagnerianer haben jedoch den ideologischen Gleichklang mit dem völkischen Rassismus dazu benutzt, um Wagners verbissenen Kampf gegen Demokratie und Internationalismus unter veränderten politischen Verhältnissen weiterzuführen, d. h. einen besseren ideologischen Schulterschluß als aus Bayreuth hätte sich Hitler kaum wünschen können. Es ist bezeichnend für die verzweifelte und haßerfüllte Stimmung nach dem verlorenen Krieg, daß man gerade die Volksgruppe für die von der militärischen Führung selbstverschuldete Niederlage verantwortlich machte, von der viele für ,Volk und Vaterland‘ gestorben waren – die Juden. Um hier noch eine Stimme dieses extremen Antisemitismus und Rassismus, der von Houston Stewart Chamberlain vorbereitet worden war, nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg zu Wort kommen zu lassen. Dieser judenfeindliche Chor steigerte sich zu einem wahren Vernichtungsfeldzug gegen alle Juden – obwohl Hunderte jüdische Frontkämpfer mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet worden waren –, die für die schmachvolle Niederlage die alleinige Schuld aufgebürdet bekamen. Unter dem Pseudonym Otto Armin verfaßte Alfred Roth eine Schrift Die Juden in den Kriegs-Gesellschaften und in der Kriegs-Wirtschaft, in der er „die restlose Ausscheidung des jüdischen Zersetzungsstoffes aus unsrem Volkskörper“52 forderte. Er kam zwei Jahre nach dem Ende des Weltkrieges zu dem für das deutsche Volks- und Staatsleben niederschmetternden Ergebnis: „Der schlimmste Feind nicht nur für uns Deutsche, sondern für alle schaffenden Völker ist der Jude.“53 Damit konnte man natürlich geschickt davon ablenken, daß die militärische deutsche Reichsleitung und der Kaiser Wilhelm II. diesen Krieg von langer Hand vorbereitet hatten und auch der österreichischen Regierung eine Blankovollmacht für deren militärisches Vorgehen gegen Serbien gegeben hatte, d. h. niemand anderer war deshalb für die schmachvolle Niederlage verantwortlich als die Militärkamarilla um den deutschen Monarchen. Die einzige Rettung aus dieser Misere sah Roth in der vollständigen Vernichtung des Judentums, ohne die Deutschland niemals mehr zu einstiger Macht und Größe aufsteigen könne: „Noch aber gibt es Männer in Deutschland, die den Kampf aufzunehmen wagen; Männer, die auch vor Judas Rachsucht nicht zurückschrecken; noch gibt es Bünde in Deutschland, die für den Bestand des deutschen Volkstums gegen jüdische Herrschsucht und Leben und Tod zu kämpfen gesonnen sind“. Adolf Hitler und seine aufsteigende NSDAP konnten sich keine besseren geistigen Verbündeten wünschen, die das deutsche Volk zwölf Jahre vor der Machtergreifung darauf einstimmten, was die Nationalsozialisten schließlich in die mörderische Tat umsetzten. 52

Otto Armin: Die Juden in den Kriegs-Gesellschaften und in der Kriegs-Wirtschaft. Unter Benutzung amtlicher und anderer Quellen dargestellt, München 1921, S. 5 (Hervorhebung im Original). 53 Ebd., S. 156 (Hervorhebung im Original). Dort auch das nächste Zitat.

9. Kapitel

Hitler als Wagnerianer Es bleibt eine verstörende Provokation, die ich ja nicht teile, Richard Wagner als den ideologischen Vordenker Adolf Hitlers anzusehen, weil zwei antisemitische Menschen sich in ihrem Judenhaß über Generationen hinweg verbündet hätten und Wagner die verbalen Vorlagen geliefert habe, die Hitler in die mörderische Tat umsetzte. So wenig in kritisch-rationaler Sachlichkeit geleugnet werden kann, daß bestimmte Ideen unter veränderten politischen Umständen anders rezipiert werden, als sie eigentlich gemeint waren – d. h. streng genommen niemals von Mißbrauch, sondern im Grunde nur von Verfälschung die Rede sein kann –, so wenig kann der ursprüngliche Schöpfer dieser Ideen von der moralischen Verantwortung freigesprochen werden, daß er solche Ideen der Nachwelt zur Verfügung stellte. Selbst wenn Hitler seinen judenvernichtenden Wahn aus den Schriften Wagners entnommen hätte, was wir nicht belegen können, scheint mir eine ideologische Gleichsetzung von Wagner mit Hitler jeder historischen Konkretisierung zu widersprechen. Wir sollten nach dem mörderischen Holocaust, der durchsetzt war von WagnerSymbolen und -Klängen, allerdings auch nicht mehr auf die primitive Verharmlosung hereinfallen, der nationalsozialistische Wagnerianismus müsse „als das schwerste Verbrechen bezeichnet werden, das je gegen Wagner verübt wurde“.1 Ob Hitler seinen Rassismus ausschließlich aus Wagners Musik und dessen Schriften entnahm oder andere antisemitische Vorbilder hatte, ist relativ unbedeutend gegenüber dem historischen Faktum, daß Wagner eine wirkungsgeschichtliche Spirale in Gang gesetzt hat, die sich unmittelbar in den Nationalsozialismus hineinfraß. Diese historische Traditionskette wird entweder verkannt oder geleugnet, wenn man behauptet, Hitler habe wesentliche Aspekte Wagners ausgeblendet oder ignoriert. Und es ist eine biologisch falsche Assoziation, die nichts erklärt: „Ein Vorgeborener wird in die Ideologie eines größenwahnsinnigen Nachgeborenen einver-

1 Wilhelm Matthes: Was geschah in Bayreuth von Cosima bis Wieland Wagner? Ein Rechenschaftsbericht, Augsburg 1996, S. 65. Das Manuskript dieses Buches eines bekannten Musikkritikers wurde 1966 abgeschlossen, aber erst posthum veröffentlicht. Später schreibt Matthes: „Richard Wagner zum Idol eines solchen weltzerstörenden Gesinnungsfrevels erhoben zu sehen, das war die größte Denkmalschändung, die ein Volk je hat über sich ergehen lassen müssen.“ (S. 75, Hervorhebung im Original). Matthes, der das Dritte Reich hautnah miterlebt hat, will offenbar den verharmlosenden Eindruck vermitteln, als seien weder viele Nazigrößen und auch Millionen Deutsche von Hitler und Wagner nicht gleichermaßen begeistert gewesen.

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leibt.“2 Um es auf einen einfachen Nenner zu bringen: Ohne irgendwelche antisemitischen Schriften oder Äußerungen Wagners hätte kein vernünftiger Mensch jemals behaupten können, daß der völkische Rassismus auf Wagners (nicht vorhandene) judenfeindliche Ideen zurückgegriffen hat. Einen oder einige Aspekte aus dem komplexen Werk eines Denkers herauszugreifen oder unter einer sachlichen Fragestellung zu analysieren, ist keine unwissenschaftliche Mißachtung des Gesamtwerks, sondern die einzige Möglichkeit, rationale Erklärungen zu erarbeiten. Es sollte weder in der Wissenschaft noch in der Politik darum gehen, alle Aspekte berücksichtigen zu wollen, weil dadurch Fehlsteuerungen von einzelnen Aspekten nicht rückgängig gemacht werden können, sondern wissenschaftliche Erklärungen besitzen eine um so größere Relevanz, wenn man sich auf das eine oder andere Problem konzentriert, weil man es als wichtig ansieht und es nur so in seinen vielfältigen Verästelungen untersuchen kann. Es kann uns niemals gelingen, sämtliche möglichen Verästelungen eines wissenschaftlichen Problems freizulegen, sondern es ist für einen Erkenntnisfortschritt viel wichtiger, einige von ihnen in ihren gegenseitigen Wirkungen zu analysieren und zu erklären. Der Holismus als Ganzheitsphilosophie ist in seinem erkenntnistheoretischen Anspruch, der Wahrheit gerechter zu werden, gescheitert, wie Karl Popper in vielen seiner Schriften gezeigt hat.3 Es kommt nämlich überhaupt nicht darauf an, ob aus „Hitlers Aussagen zu Wagner ein authentisches Wagner-Verständnis herausgelesen werden kann“4 oder ob der „radikale Rassismus Hitlers wie auch sein autoritärer Anspruch, Kunst und Politik steuern zu wollen“,5 dem Denken Wagners völlig entspricht, wenn man zeigen kann, daß bei den antisemitischen Ausfällen beider ähnliche Gedankengänge vorhanden sind. Solche Ähnlichkeiten sind ja in den vorhergehenden Kapiteln benannt worden und brauchen hier nicht wiederholt zu werden. In einer Rezension des in England veröffentlichten 3. Bandes von Ernest Newmans monumentaler Biographie über das Leben Richard Wagners von 1941, dem Jahr, als deutsche Bomben englische Städte zerstörten, schrieb Carl Engel den nachdenklichen Satz, der diese analytische Uneindeutigkeit auf den 2

Dieter David Scholz: Wagners Antisemitismus. Jahrhundertgenie im Zwielicht – Eine Korrektur (2000), Darmstadt 2013, S. 19. Scholz begründet seine wenig plausible Ansicht folgendermaßen: „Da die ,Judenfrage‘ eine zentrale Frage, der Antisemitismus eine tragende Säule der nationalsozialistischen Ideologie darstellte, war den Ideologen des Dritten Reiches alles willkommen, was sich in den Dienst der herrschenden Weltanschauung stellen ließ, und sei es durch bewusst verfälschende Auslegung.“ (S. 29, Hervorhebung von mir). Auch die Kapitalismuskritik war eine tragende Säule der NS-Ideologie, ohne daß man auf die Ideen von Karl Marx oder auf Marxisten zurückgriff; in Gegenteil, sie wurden ermordet! 3 Vgl. etwa Karl R. Popper: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde. Band II: Falsche Propheten. Hegel, Marx und die Folgen (1958). 8. Aufl., hrsg. von Hubert Kiesewetter, Tübingen 2003, S. 82 ff. 4 Udo Bermbach: Richard Wagner in Deutschland. Rezeption – Verfälschungen, Stuttgart/ Weimar 2011, S. 443 (Hervorhebung von mir). Alle unsere Interpretationen von vergangenen Ereignissen sind mehr oder minder subjektive Variationen der nie ganz zu erfassenden Realität. 5 Ebd., S. 450.

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Punkt brachte: „Wenn Hitler Wagners Musik verehrt, dann ist dies noch kein Grund dafür, warum Nicht-Nazis sie vermeiden und verabscheuen sollten.“6 Um nur ein Beispiel dieser m. E. unzulässigen Vermengung von einzelnen Aspekten und einer Gesamtschau anzuführen, das sich auf unser Thema bezieht. Joachim Fest, der sich ausführlich mit Wagner und Hitler beschäftigt hat, versuchte über den rassistischen Antisemitismus hinauszudenken und die Gesamtpersönlichkeit des Diktators zu erfassen. So schrieb er in einer Aufsatzsammlung über die Gegenwart des Gewesenen: „Die Beziehung Hitlers zu Richard Wagner ist fast durchweg im Zeichen des Antisemitismus gesehen und damit unzulässig verengt worden. Tatsächlich war Wagner auf weit umfassendere Weise das Lebensvorbild des Linzer Zollbeamtensohns, und noch in späteren Jahren, auf dem Höhepunkt seiner Macht, hat Hitler versichert, er habe mit der einen Ausnahme Richard Wagner, keine Vorläufer gehabt.“7 Doch was können wir aus einer solchen vagen Behauptung entnehmen, die offenbar alles Weltanschauliche bei Hitler auf Wagner zurückführte, wenn wir z. B. keine konkreten Anhaltspunkte für eine intensivere Beschäftigung Hitlers mit Wagners antisemitischen Schriften haben? Reicht es aus zu behaupten, Wagner habe im Jüdischen weniger die Rasse, sondern „ein Krankheitssymptom der materiellen Zivilisation“8 gesehen, dessen Überwindung die Menschheit ,erlösen‘ könne? Das mag ja sein, aber das kapitalistische System haben auch führende Nationalsozialisten als ,krank‘ angesehen, das durch eine völkische Ideologie ,erlöst‘ werden sollte. Und Wagner neigte ja in seinen letzten Lebensjahren zu einer rassistischen Ideologie Gobineauscher Prägung, wie wir an vielen seiner Äußerungen gesehen haben, die allerdings vom nationalsozialistischen Rassismus himmelweit entfernt war. Es kann also nicht vollkommen überzeugen, daß Hitler bei seinem Antisemitismus alles ganz anders gesehen haben soll als Wagner, selbst wenn es gravierende Unterschiede gibt: „Er betrachtete alles Jüdische als ein unverlierbar an Herkunft und Blut gebundenes Stigma, von dem es kein Loskommen gab.“ Fests Stärke liegt deshalb im differenzierenden Beschreiben, aber nicht im rationalen Erklären, warum der Hitlerismus auf Wagner zurückgriff. Andere unmittelbare Zeitzeugen des Hitlerschen Regimes vertraten ähnliche Standpunkte, auch wenn sie sich aus der nationalsozialistischen Verklammerung schon nach wenigen Jahren des Dritten Reiches gelöst haben. Der als nicht mehr sehr glaubwürdig angesehene Politiker und Publizist Hermann Rauschning (1887 – 1982), nationalsozialistischer Senatspräsident von Danzig, der einige Zeit mit Hitler verbracht hat, gab folgende, oft wiederholte Einschätzung: „Hitler erkannte

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The Musical Quarterly, Bd. 27, 1941, S. 244 (Meine Übersetzung). Joachim Fest: Fremdheit und Nähe. Von der Gegenwart des Gewesenen, Stuttgart 1996, S. 288. 8 Ebd., S. 292. Dort auch das nächste Zitat. 7

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keine Vorläufer an. Mit einer Ausnahme: Richard Wagner.“9 Adolf Hitler behauptete nämlich im Rückblick, daß er als junger, fünfzehnjähriger Mann 1905 in einer Linzer Rienzi-Aufführung die mitreißende revolutionäre Energie der Wagnerschen Musik in sich aufgenommen habe und darin den entscheidenden Beginn seiner Sendung sah, von einem einfachen Gefreiten zu einem „klassenlosen messianischen Retter des deutschen Volkes“10 in die Geschichte einzugehen. Ist diese Aussage nicht nur wirkungsvolle retrospektive Stilisierung und kann man denn für Hitlers Karriere, im Gegensatz zu Bayreuth, dem unbedeutenden Linz, „das innerhalb des k.u.k. Vielvölkerstaats eine der Hochburgen völkischer Errettungsideologie“11 gewesen sein soll, wirklich eine solch maßgebliche Bedeutung zumessen? Selbst wenn man einräumt, daß Wagner für Hitlers Selbsteinschätzung von besonderer Bedeutung gewesen ist, kann dies ja keineswegs implizieren, daß es für Hitler keine anderen ideologischen und politischen Vorbilder gegeben habe. Hitler schrieb zwar über die Linzer Aufführung auch in Mein Kampf: „Mit einem Schlage war ich gefesselt. Die jugendliche Begeisterung für den Bayreuther Meister kannte keine Grenzen. Immer wieder zog es mich zu seinen Werken, und ich empfinde es heute als besonderes Glück, daß mir durch die Bescheidenheit der provinzialen Aufführung die Möglichkeit einer späteren Steigerung erhalten blieb.“12 Doch eine solche rückwärtsgewandte und gefühlsbetonte Selbstinszenierung sagt relativ wenig über den lebensbestimmenden Einfluß Wagners auf Hitler. (Cola di Rienzo (1313 – 1354), der letzte römische Volkstribun, begeisterte auch den Führer des italienischen Faschismus, Benito Mussolini). Auch Hitlers Jugendfreund seit 1904 und späterer Kapellmeister August Kubizek schilderte 1953 diese Faszination des jugendbewegten Hitler ähnlich dramatisch, wie überhaupt die nachträglichen Einschätzungen Kubizeks mit kritischer Distanz gelesen werden müssen: „Von der Stunde an, da Richard Wagner in sein Leben trat, ließ ihn der Genius dieses Mannes nicht mehr los. In Richard Wagners Leben und Werk sah er nicht nur eine Bestätigung des Weges, den er selbst mit seiner geistigen ,Übersiedlung‘ in die deutsche Vorzeit eingeschlagen hatte, vielmehr bestärkte ihn das Wirken Wagners in der Ansicht, daß diese längst verflossene Epoche für die Gegenwart nutzbar zu machen sei, ja daß sie, wie sie für Richard Wagner zur Heimat seiner Kunst, für ihn zur Heimat seines Wollens werden

9 Hermann Rauschning: Gespräche mit Hitler (1940), Wien 1973, S. 215. „Wagner habe wirklich unser ewig tragisches Menschenschicksal gekündet. Er sei nicht bloß Musiker und Dichter. Er sei die größte Prophetengestalt, die das deutsche Volk besessen habe.“ (S. 216). 10 Paul Lawrence Rose: Richard Wagner und der Antisemitismus, Zürich/München 1999, S. 47. 11 Joachim Fest: Richard Wagner – Das Werk neben dem Werk. Zur ausstehenden Wirkungsgeschichte eines Großideologen, in: Richard Wagner im Dritten Reich, hrsg. von Saul Friedländer und Jörn Rüsen, München 2000, S. 32. 12 Adolf Hitler: Mein Kampf. I. Band: Eine Abrechnung (1925). 646.–650. Aufl., München 1942, S. 15.

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könne.“13 Selbst wenn man den authentischen Wahrheitsgehalt dieser zu einem viel späteren Zeitpunkt erfolgten und ausgeschmückten Schilderungen Kubizeks anzweifelt, scheint es wenige sachliche Argumente dafür zu geben, daß es lediglich unwahre Phantastereien sind. Dagegen kann man sich durchaus vorstellen, daß der Musiker Kubizek den unmusikalischen Hitler, der vergeblich von ihm lernen wollte, Klavier zu spielen, auf ein heroisches Podest zu stellen versuchte, das dessen eigener politischer Einschätzung nahe kam. Nach der oben erwähnten Rienzi-Aufführung im Linzer Stadttheater stiegen die beiden Freunde um Mitternacht zum Freinberg hinauf, wo die Ergriffenheit Hitler angeblich übermannte: „Wie eine angestaute Flut durch die berstenden Dämme bricht, brachen die Worte aus ihm hervor. In großartigen, mitreißenden Bildern entwickelte er mir seine Zukunft und die seines Volkes.“14 Selbst noch in Wien im Jahr 1908, wo Hitler und Kubizek fast sämtliche Wagneropern in der Wiener Hofoper besuchten, waren beide von dieser Musik verzaubert und begeistert: „Seine Hingabe und Verehrung für Wagner gewann geradezu die Form einer religiösen Verehrung. Wenn Adolf die Musik Wagners hörte, war er wie verwandelt.“15 Kubizeks Schilderungen von den detaillierten Kenntnissen Hitlers über das gesamte Wagnersche Oeuvre unterliegen eigentlich keinen begründeten Zweifeln und deshalb kann die von Dieter Scholz vorgetragene These, Hitler berauschte sich „lediglich an den mythischen Oberflächenreizen des Wagner’schen Werks und seiner Musik“,16 als widerlegt oder zumindest als zweifelhaft angesehen werden. Dieses verinnerlichte Gefühl, einen weltberühmten Künstler als geistigen Verbündeten bewundern zu können, mag Hitlers alldeutsche Phantasien beflügelt haben, es ließ in ihm wohlmöglich den Gedanken reifen, daß er selbst ein ,Volks13

August Kubizek: Adolf Hitler, mein Jugendfreund (1953). 5. Aufl., Graz/Stuttgart 1989, S. 83. „Er las mit fieberhaftem Herzen alles, was er über diesen Meister erlangen konnte, Gutes wie Schlechtes, Zustimmendes wie Ablehnendes. Insbesondere verschaffte er sich, wo er nur konnte, biographische Literatur über Richard Wagner, las seine Aufzeichnungen, Briefe, Tagebücher, seine Selbstdarstellung, seine Bekenntnisse. Immer tiefer drang er in das Leben dieses Mannes ein. Selbst über anscheinend nebensächliche und belanglose Episoden wußte er Bescheid.“ (S. 84). 14 Ebd., S. 117. Und als Kubizek kurz vor dem Zweiten Weltkrieg als Gast des Reichskanzlers nach Bayreuth zu den Festspielen eingeladen war und dort mit Hitler wieder zusammentraf, erzählte er ihm diese Begebenheit, an die sich Hitler nicht nur haargenau erinnerte, sondern sie auch Winifred Wagner wiedergab. Kubikez schreibt dazu: „Unvergeßlich ist mir auch das Wort geblieben, mit dem Hitler seine Erzählung vor Frau Wagner schloß. Er sagte ernst: ,In jener Stunde begann es‘.“ (S. 118). 15 Ebd., S. 199. 16 D. D. Scholz: Wagners Antisemitismus (wie Anm. 2), S. 160. Scholz vertritt die eigentümliche Auffassung, daß wenn die Nationalsozialisten Wagner beim Wort genommen hätten, „dann hätten sie ihn eher verschweigen, wenn nicht gar verbieten müssen“ (S. 165). Nicht nur Kubizek erwähnte, daß Hitlers musikalische Begabung gering war, auch Ludolf Herbst: Hitlers Charisma. Die Erfindung eines deutschen Messias, Frankfurt am Main 2010, S. 88, stützt sich auf Kubizek in seiner Einschätzung, daß Hitler von Musik „wohl nicht sehr viel“ verstand.

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tribun‘ werden könnte. So sieht es auch Hans Rudolf Vaget: „Als der Dreißigjährige beschloß, Politiker zu werden, muß er geahnt haben, daß ihm in der Rolle des politischen Erben Wagners eine besonders aussichtsreiche und in der Mitte des politischen Spektrums Erfolg verheißende Option offen stand.“17 Es war deshalb kein besonderes Wunder, sondern eher ein geschickt inszeniertes Spektakel, daß in der Wagnerstadt die nationalsozialistische Bewegung sich früh engagierte, weil sie dort relativ sicher sein konnte, massiv unterstützt zu werden: „Als sich im November 1922 in Bayreuth eine Ortsgruppe der NSDAP. bildete, traten ihr alsbald Siegfried und Winifred Wagner, Houston Stewart und Eva Chamberlain und Daniela Thode bei.“18 Dieser Beitritt der Wagnerfamilie zur NSDAP, außer Siegfried Wagner, der als Festspielleiter „zumindest nach außen als unabhängig gelten“19 wollte, wird von Oliver Hilmes auf den 26. Januar 1926 datiert.20 Hannes Heer vermutet, daß am 16. Oktober 1923 Eva und Houston Chamberlain sowie andere Mitglieder der Wagner-Familie zunächst ohne Mitgliedsausweis der Partei Adolf Hitlers beitraten, d. h. er grenzt den Parteibeitritt sehr viel genauer ein als selbst Nationalsozialisten einzuräumen bereit waren.21 Nach allem, was wir heute über Hitler und seinen engsten Kreis wissen, kann man kritisch hinterfragen, ob es gerechtfertigt ist, ihnen intellektuelle Fähigkeiten und nüchternes Kalkül absprechen zu wollen, die ihnen den eigentlichen Zugang zum Wagnerclan verschlossen hätten. Sven Friedrich scheint einen ähnlichen Gedanken zu formulieren, auch wenn den Nationalsozialisten gegen jüdische Intellektuelle jedes Argument willkommen war: „Kennzeichnend für das Denken Hitlers wie seiner Vorläufer und Mitstreiter ist 17 Hans Rudolf Vaget: Wieviel ,Hitler‘ ist in Wagner? Anmerkungen zu Hitler, Wagner und Thomas Mann, in: Richard Wagner und die Juden, hrsg. von Dieter Borchmeyer, Ami Maayani und Susanne Vill, Stuttgart/Weimar 2000, S. 186. 18 Herbert Conrad: Bayreuth – festliche Stadt, Bayreuth 1939, ohne Seitenangabe. „Wahnfried folgt unbeirrt von allen Anfechtungen einer feindseligen Welt dem Führer durch Kampf und Not in seinem schweren Ringen um das neue Deutschland der Ehre und Freiheit, auch darin dem Geiste getreu, der dieses Haus in lebendiger Tradition erfüllt. Den 9. November 1923 erleben Siegfried und Winifred Wagner in München.“ 19 Oliver Hilmes: Cosimas Kinder. Triumph und Tragödie der Wagner-Dynastie. 2. Aufl., München 2009, S. 203. 20 Winifred Wagner rechtfertigte 1975 ihre ungebrochene Begeisterung für Hitler damit, daß Hitler in seinen flammenden Reden versprach, Deutschland aus seiner tiefen Schmach zu retten, weshalb sie sich ihm anschließen wollte: „Also das war an sich bei mir, oder, ich meine, ich bin ja verhältnismäßig spät Mitglied geworden [1926 war keineswegs spät, H.K.], da hat er mich gefragt, also Hitler hat mich gefragt, ob ich Mitglied sei, da sag ich, ja wozu denn, da hat er gesagt, ja Gott, das wäre doch sehr schön, wenn ich also das Ehrenzeichen hätte, also die Zahl unter 100.000 usw., und da bin ich ihm damals zuliebe eingetreten, beigetreten als Mitglied, ich bin gar kein frühes Mitglied etwa, nicht. Aber ich habe mich für seine Gedanken und Ideen, hab ich mich schon begeistert und man darf auch nicht vergessen, daß innerhalb unserer Familie ein sehr starkes Deutschbewußtsein [mit anderen Worten: ein sehr starker Antisemitismus, H.K.] vorhanden war.“ (Syberbergs Filmbuch, München 1976), S. 279). 21 Vgl. Verstummte Stimmen. Die Bayreuther Festspiele und die „Juden“ 1876 bis 1945, Berlin 2012, S. 144. „Auch Eva Schwester Daniela und ihre Schwägerin Winifred dürften vor dem Verbot in die Partei eingetreten sein.“ (Ebd.).

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auch ein gegen den etablierten, institutionalisierten Bildungs- und Wissenschaftsbetrieb gerichteter Anti-Intellektualismus, welcher auch in hohem Maße den Wagnerianismus prägte.“22 Zumindest der Wagnerkreis fand bei einem Teil der deutschen Bildungs- und Wissenselite erheblichen Zuspruch und die ansteigende Flut von wissenschaftlichen und halbwissenschaftlichen Veröffentlichungen aller Art im Dritten Reich, die von der Reichsschrifttumskammer gefördert wurden, zeigen das Bemühen um wissenschaftliche Anerkennung, auch wenn sie sich ideologisch in vorgegebenen Rahmen halten mußten. Der engere Wagnerkreis ist von diesem Drang zur Selbstdarstellung nicht ausgenommen, nicht nur, weil der emotionale Einfluß Hitlers auf die Schwiegertochter Wagners erheblich gewesen sein muß, sondern weil in Bayreuth eine wissenschaftliche Forschungsstelle mit Geldern der Reichsregierung finanziert wurde. Winifred Wagner, die sich dafür energisch eingesetzt hatte, blieb bis zu ihrem Tod 1980 die vielleicht größte Bewunderin des Diktators, dessen millionenfache Morde sie nicht einen Jota von ihrer irrationalen Schwärmerei für den ,Führer‘ abbringen konnte. Es wirkt deshalb nur noch peinlich, wenn ihr Sohn im Jahr 1994 über sie als verführte Einfaltsdame schreibt: „Seltsam und paradox, daß meine Mutter, die als geborene Engländerin demokratisch dachte und in keiner Weise autoritätsgläubig war, einem Diktator aufsaß.“23 Es ist ebenfalls eine reine Geschichtsfälschung, die der Sohn seinen Lesern unterjubelt, daß die ,Kriegsfestspiele‘ „eine erhebliche Distanzierung meiner Mutter zu Adolf Hitler“24 bewirkten, wie wir noch hören werden. Solche historischen Merkwürdigkeiten und geschickten Verdrehungen schien auch der Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein seinen unbedarften Lesern auftischen zu wollen, wenn er von Wagners einzigem, sehr behüteten Sohn erklärte: „Siegfried Wagner hatte mit Hitler nichts am Hut.“25 Nur einige kurze Bemerkungen zu dieser Augsteinschen Fehleinschätzung. Anfang November 1923 hatte Wagner an den Generalintendanten Alexander Spring in Köln geschrieben: „Gottlob gibt es noch deutsche Männer! Hitler ist ein prachtvoller Mensch, die echte 22 Sven Friedrich: Der Gral unter dem Hakenkreuz. Zur Bedeutung und Funktion des Gralssymbols für die NS-Ideologie, in: „Wer ist der Gral?“, München/Berlin 2008, S. 37. Friedrich wiederholt die wenig ernst zu nehmende These – nachdem wir wissen, daß Hitler die Chamberlainschen Schriften kannte –, daß die Wagnerschen Werke für sein politisches Weltbild kaum eine Bedeutung gehabt haben sollen: „Vielmehr bestärkte die Erfahrung von Wagners Kunst ihn zu einem hybriden Messianismus und hatte für ihn so allenfalls affirmative Appell- und Impulsfunktion.“ (S. 31). 23 Wolfgang Wagner: Lebens-Akte. Autobiographie, München 1994, S. 47. Angeblich wurde Hitler von den Kindern Winifreds bei seinen Besuchen in Wahnfried 1936 bis 1939 öfter befragt, aber die Antworten sind so absurd, daß man sie nur als konstruiert betrachten kann. Ein Beispiel: „Zur germanisierenden Rassenzucht-Theorie wußte er nur zu sagen, daß er sich ihr nicht anschließen könne, da gerade durch die zentrale Lage Deutschlands auf dem Kontinent eine Völkermischung [einschließlich der Juden?!, H.K.] entstanden sei, die die eigentlichen Zeugnisse unserer Kultur hervorgebracht hätte.“ (S. 77). 24 Ebd., S. 104. 25 Rudolf Augstein: Siegfried, Lohengrin, Parsifal – Hitler?, in: Der Spiegel, Nr. 30 vom 21. Juli 1997, S. 156.

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deutsche Volksseele. Er muß es [damit war wohl die Übernahme der Reichsgewalt nach dem Marsch auf die Münchener Feldherrnhalle gemeint, H.K.] fertig bringen!“26 Siegfried steckte spätestens seit Beginn der Nachkriegsfestspiele 1924 in einem selbstgewählten Dilemma, das durch seinen frühen Tod drei Jahre vor der Machtergreifung aufgelöst wurde: „Einerseits musste er das Vertrauen finanzkräftiger liberaler und jüdischer Wagnerianer zurückgewinnen, andererseits galt es, den Ansichten des eigenen völkischen Lagers zu entsprechen.“27 Und was Chamberlain betrifft, dessen „schwärmerisch-verrückten Antisemitismus“28 es angeblich schon gab, als Hitler als Meldegänger im Ersten Weltkrieg zubrachte, so hätte Augstein sich leicht darüber informieren können, daß Hitler dessen Schriften längst kannte. Der Wagnersche Antisemitismus ist nach Augstein also nichts weiter als eine weit verbreitete, spinnige Marotte des 19. Jahrhunderts: „Der Neid erfolgloser Künstler auf erfolgreiche Juden, getauft oder nicht getauft, zieht sich durch das ganze Jahrhundert.“29 Andere Familienmitglieder wollten offenbar auch rechtzeitig auf den nationalsozialistischen Zug aufspringen, der sich noch gar nicht richtig in Bewegung gesetzt hatte. Etwa einen Monat, nachdem die NSDAP Hitlers am 23. November 1923 verboten wurde, sprach die älteste Tochter von Cosima Wagner, Daniela Thode (von Bülow), am 17. Dezember zu der Parteiersatzgründung des Völkischen Bundes – das war ein Tarnverein der NSDAP-Parteimitglieder, der auch Deutscher Block Bayreuth genannt wurde –, kurz nach ihrem Besuch von Verwundeten des Feldherrnhallenputsches, nämlich den Bayreuthern Max Sesselmann und Ulrich Graf. Die familiäre Verbundenheit mit den Nationalsozialisten lag nahe, waren doch Siegfried und Winifred Wagner in Hitlers Putschpläne eingeweiht und hielten sich am 9. November in München auf unter dem Vorwand, daß Siegfried beim Richard Wagner-Verband deutscher Frauen ein Festkonzert dirigieren sollte.30 In Bayreuth 26 Zitiert von Alexander Spring: Siegfried Wagner. Zur 70. Wiederkehr seines Geburtstages am 6. Juni 1939, in: Bayreuther Festspielführer 1939, hrsg. von Otto Strobel, Bayreuth o. J. (1939), S. 22. Spring fügte hinzu: „Heute, nach der Schaffung des großdeutschen Reiches, erscheint es angemessen, die Wertung des Siegfried Wagner’schen Kunstwerkes, die früher so sehr unter artfremden [d. h. jüdischen, H.K.] Einflüssen zu leiden hatte, einer neuen Prüfung zu unterziehen und seinem Schöpfer eine, wenn auch späte, Rechtfertigung widerfahren zu lassen.“ 27 O. Hilmes: Cosimas Kinder (wie Anm. 19), S. 201 f. Darauf bezieht sich wohl auch Hitlers Aussage, die im Text zu Anm. 55 zitiert wird. 28 R. Augstein: Siegfried, Lohengrin, Parsifal (wie Anm. 25), S. 156. 29 Ebd., S. 160. 30 Der Verband wurde 1909 gegründet, doch fünf Jahre vorher hatte Siegmund Benedict vorgeschlagen, „bis zum 100. Geburtstag Richard Wagners 1913 eine Million Mark als ,National-Dank‘ zu sammeln und der Richard-Wagner-Stipendienstiftung zuzuführen, die die Aufgabe hatte, wenig bemittelten Kunstfreunden den Festspielbesuch zu finanzieren. Das unbefriedigende Ergebnis (1908: 121.800 Mark) ließ Benedict dann einen Vorschlag der Tochter Cosima Wagners Daniela Thode aufgreifen, einen Frauenbund zu gründen, um die Sammelaktion voranzubringen.“ (Veit Veltzke: Der Mythos des Erlösers. Richard Wagners Traumwelten und die deutsche Gesellschaft 1871 – 1918, Stuttgart 2002, S. 106).

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wurden bis Anfang Juli 1924 über 10.000 Unterschriften für eine Eingabe an die bayerische Staatsregierung zur Freilassung Hitlers aus der Festungshaft gesammelt, die das Haus Wahnfried dadurch unterstützte, daß es Hitler eine Wohnung, natürlich bei freier Kost und Logie, anbot. Bereits in einer Rede auf der NSDAP-Versammlung in Nürnberg am 14. Oktober 1923 hatte Hitler gesagt: „Was empfinden wir als die Größe eines Mannes? Das Heldenhafte. Wir kennen drei deutsche Männer, die wahrhaft groß gewesen sind: Martin Luther, Friedrich der Große und Richard Wagner. Luthers Heldentum bestand darin, daß er den Mut hatte, gegen eine Welt zu kämpfen. Friedrich der Große verlor den Mut nicht, als alle um ihn bangten. Das war sein Heldentum. Den Künstler Richard Wagner empfinden wir deshalb so groß, weil er in allen seinen Werken das heldenhafte Volkstum, das Deutschtum darstellte. Das Heldenhafte ist das Große. Das ersehnt unser Volk.“31 Den Wagners muß eine solche Aussage als die Erfüllung ihrer kühnsten Träume erschienen sein, ihren erst vor etwa vierzig Jahren verstorbenen Vorfahren in die heldenhafte Ahnengalerie des Reformators Martin Luther und des Preußenkönigs Friedrich II. eingereiht zu sehen. Im Juli 1925 erlebte Adolf Hitler die Aufführung vom Ring des Nibelungen in Bayreuth und äußerte im kleinen Kreis der Bayreuther Ortsgruppe, da ihm ein öffentliches Redeverbot auferlegt war, „daß die Werke Wagners alles in sich schlössen, was der Nationalsozialismus erstrebt“.32 Im Dritten Reich brauchte man sich keine verbalen Fesseln mehr anzulegen, sondern konnte den Ring als eine Abbildung des mittelalterlichen Frühkapitalismus interpretieren, „als die Juden durch ihre Geldgeschäfte die deutschen Kaiser unter ihre Zwangsherrschaft brachten“.33 Auch ein Theatermann soll bei der Betrachtung des Hitlerschen Wagnerianismus zu Wort kommen, der die Wagnertradition von der Weimarer Republik über das Dritte Reich bis zur Bundesrepublik aktiv miterlebte. Nach einer Aussage dieses 31 Hitler: Sämtliche Aufzeichnungen 1905 – 1924, hrsg. von Eberhard Jäckel zusammen mit Axel Kuhn, Stuttgart 1980, S. 1034. Ernst Hanfstaengl: 15 Jahre mit Hitler. Zwischen Weißem und Braunem Haus (1970). 2. Aufl., München/Zürich 1980, S. 56, behauptete sogar, „daß es zwischen dem Aufbau des Meistersinger-Vorspiels und seinen [Hitlers, H.K.] Reden ausgesprochene Parallelen gab“. 32 Zitiert von H. Conrad: Bayreuth (wie Anm. 18), ohne Seitenangabe. Jonathan Carr: Der Wagner-Clan. Aus dem Englischen von Hermann Küsterer. 2. Aufl., Hamburg 2008, S. 241, schreibt: „Wenn Wagner immer noch weithin als ,Hauskomponist‘ Nazi-Deutschlands gilt, dann ist das in erster Linie Hitlers Manie für den Meister zuzuschreiben, die selbst den wenig Interessierten in bis zum Überdruss gezeigten Filmstreifen offenbar wird, in denen ein strahlender ,Führer‘ während der Bayreuther Festspiele begeisterungsfiebergeschüttelte Massen grüßt.“ 33 Eugen Schmitz: Richard Wagner, wie wir ihn heute sehen, Dresden o. J. (1937), S. 40. Im Todesjahr von Richard Wagner vertrat Moritz Wirth: Bismarck, Wagner, Rodbertus, drei deutsche Meister, Leipzig 1883, S. 154, die Auffassung, daß der Kapitalismus im deutschen Volk erst dann beendet sein würde, wenn dieses Volk vernichtet sei. Der Ring des Alberich, „der fluchbeladen aus einer Hand in die andere geht, was ist er Anderes als die Herrschaft des Kapitalismus, die für uns Angehörige der wirklichen Welt ebenso tödtlich verderblich ist, wie für die Götter und Helden des Dramas der Ring?“.

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damaligen stellvertretenden NSDAP-Gauleiters von Thüringen und im Dritten Reich Staatskommissar für die Landestheater und Generalintendant des Nationaltheaters Weimar, Hans Severus Ziegler (1883 – 1978), soll Hitler im März 1925 nach einem Besuch des Schillerhauses in Weimar gesagt haben: „Wissen Sie, Wagner ist nicht nur der geniale Künstler, sondern eben auch die starke Kämpfernatur, mehr noch, ein revolutionäres Genie, das den Mut hatte, an der Beseitigung von Übelständen auf staatspolitischem, kulturpolitischem und künstlerischem Sektor persönlich mitzuwirken, ohne eigentlich politisch sein zu wollen. Zu diesem Dresdener Revolutionär vom Mai 1849 habe ich mich von jeher hingezogen gefühlt.“34 Man muß allerdings die selbstrechtfertigenden Aussagen Zieglers, der noch 1964 in Hitler einen Staatsmann sah, „der der völkischen Idee und deshalb dem großdeutschen Gedanken verschworen und von dessen lebensträchtigem Gehalt so erfüllt gewesen ist, daß für ihn ein ständiges Neuerleben der deutschen Kultursymbole Weimar und Bayreuth zum elementaren Lebensbedürfnis wurde“,35 mit großer Vorsicht ansehen, denn Ziegler war ja als Staatsrat tief verstrickt in die nationalsozialistische Kulturpolitik. Die von ihm 1938 initiierte Düsseldorfer Ausstellung Entartete Musik, „um die vitalen Schäden auf dem Gebiet der Musik zu beseitigen“,36 war eine haßerfüllte Kampfansage gegen die amerikanische Jazzmusik als auch gegen das Zwölftonsystem des Juden Arnold Schönberg, dem Ziegler noch 1964 „die schöpferisch-konstruktive Kraft zum echten Komponieren“37 aberkannte! Was aber hat Adolf Hitler selbst nach seinem Aufstieg zum totalitären Diktator zu Wagner zu sagen? In den Monologen im Führerhauptquartier – auch wenn es nur Gedächtnisprotokolle eines Ohrenzeugen sind und deshalb als historische Quelle von Hitlerzitaten mit Vorsicht betrachtet werden müssen – kam Hitler immer wieder auf Richard Wagner und seine musikalischen Werke sowie dessen Wirkung auf ihn zu sprechen. In der Nacht vom 24. zum 25. Januar 1942 soll er sich in der Wolfsschanze folgendermaßen geäußert haben: „Wie habe ich nach der Jahrhundertwende jede Wagner-Aufführung genossen! Wir, die wir zu ihm standen, hießen Wagnerianer, die anderen hatten keinen Namen. Als ich dann Wahnfried zum ersten Mal betreten habe, ich war so bewegt! Nicht nur die anderen, auch Siegfried Wagner ist zu mir gestanden in der Zeit, wo es mir am schlechtesten gegangen ist. Chamberlains Brief kam während meiner Haft! Ich war auf du und du mit ihnen, ich liebe diese Menschen und Wahnfried! Als ein besonderes Glück empfinde ich es, daß es mir dann gegeben war, Bayreuth in der Zeit seines wirtschaftlichen Zusammenbruchs zu halten. Und jetzt, während des Krieges, habe ich das verwirkli34 Zitiert von Hans Severus Ziegler: Adolf Hitler aus dem Erleben dargestellt. 2. Aufl., Göttingen 1964, S. 125. 35 Ebd., S. 130. Während die Kritik an Wagners Bayreuth nach 1945 „das Bild nationaler Instinktlosigkeit eines Volkes“ (S. 140) abgebe, zeige die Zuneigung des Diktators gegenüber dieser Weihestätte, „was in Hitlers Augen Nationalstolz bedeutete“ (ebd.). 36 Ebd., S. 242. 37 Ebd., S. 229.

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chen können, was Wagner sich gewünscht hat: Ausgesuchten Menschen aus dem Volk, Soldaten und Arbeitern, den Besuch der Festspiele unentgeltlich zu ermöglichen! Die zehn Tage Bayreuth sind immer meine schönste Zeit gewesen, und wie freu‘ ich mich darauf, wenn wir zum ersten Mal wieder hinkommen!“38 Die Faszination der Wagnerschen Musik war und ist ja keineswegs auf Hitler beschränkt, auch wenn sie uns in einer entscheidenden Phase des Zweiten Weltkrieges vom ,größten Feldherrn aller Zeiten‘ etwas deplaziert anmutet. In der nächsten Nacht faselte Hitler angeblich vom Ende des Krieges wie seines politischen Auftrages und daß er sich in dem Jahrzehnt danach der Kultur widmen wolle, die der kommenden Menschheit den Weg weise: „Wenn ich Wagner höre, ist mir, als seien das Rhythmen der Vorwelt!“39 Mögen diese Aussagen Hitlers auch wörtlich so nicht gefallen sein, sinngemäß entsprechen sie seinen dokumentierten Äußerungen über Wagner und können deshalb als halbwegs authentisch angesehen werden. Mit dem ,wirtschaftlichen Zusammenbruch‘ waren die Festspiele von 1933 gemeint, die am 21. Juli mit den Meistersingern begannen und am 19. August mit Parsifal endeten, aber wegen den schwerwiegenden ökonomischen Folgen der Weltwirtschaftskrise mit über sechs Millionen deutschen Arbeitslosen ohne Arbeitslosenunterstützung oder Sozialhilfe gefährdet waren, weshalb Winifred Wagner am 1. April 1933 zum Reichskanzler nach Berlin fuhr, um von ihm eine Zusage für den Kartenverkauf, d. h. den Ankauf von Eintrittskarten, zu erhalten.40 Hitler hatte ja vor 1933 in seinen vielfältigen Wahlreden in allen größeren deutschen Städten den arbeitslosen Menschen versprochen, daß er ihnen wieder ,Arbeit und Brot‘ verschaffen würde, sobald er an der politischen Macht sei, aber gleichzeitig machte er jüdische Verschwörer für diese Weltwirtschaftskrise verantwortlich. Der 38 Adolf Hitler: Monologe im Führerhauptquartier 1941 – 1944. Die Aufzeichnungen Heinrich Heims herausgegeben von Werner Jochmann (1980), Bindlich 1988, S. 224 f. Vom 20. auf den 21. Februar 1942 äußerte Hitler die Auffassung: „Eigentlich müßte die Menschheit ein Genie wie Richard Wagner auf den Händen haben tragen wollen! Heute ist nur das eine, daß einer nicht mehr verbrannt wird!“ (S. 288). Wagner hatte in einem Schreiben vom 1. Januar 1877 „An die geehrten Vorstände der Richard Wagner-Vereine“ gefordert, daß die Bühnenfestspiele in Bayreuth vom deutschen Staat mit einer reichlichen Geldsumme subventioniert werden sollten: „Diese Dotation hätte sich, um erfolgreich zu sein, auf jährlich hunderttausend Mark zu belaufen, mit welcher Summe die entsprechende Anzahl von Zuschauerplätzen aufgekauft wären, welche als Freiplatz von Reichswegen an die solcher Auszeichnung Würdigen zu vergeben sein würden.“ (Richard Wagner: Gesammelte Schriften und Dichtungen (1888). Band 10. Nachdruck Hildesheim 1976, S. 15). An Arbeiter und Soldaten hat Wagner ganz bestimmt nicht gedacht! 39 Henry Picker: Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier (1951), München 2003, S. 130. 40 Ausführlich anhand von Akten aus dem Bayerischen Hauptstaatsarchiv in München behandelt von Holger R. Stunz: Hitler und die „Gleichschaltung“ der Bayreuther Festspiele, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 55. Jg., 2007, S. 242 ff. Aus dem Vorverkauf der Karten des Jahres 1933 wurden über 700.000 Reichsmark eingenommen, außerdem steuerten staatliche Stellen mindestens 250.000 RM bei. Joseph Goebbels soll gegenüber Winifred Wagner geäußert haben: „Wir nehmen jeden Betrag Karten. 300.000 Mark oder mehr ist für B’th [Bayreuth] ein Nichts.“ (Zitiert ebd., S. 251).

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Führer wurde wahrscheinlich deshalb bei seinem Festspielbesuch im ersten Jahr seiner Kanzlerschaft in Bayreuth zusammen mit dem Propagandaminister Joseph Goebbels stürmisch bejubelt – Bayreuther SA-Mitglieder und eine SS-Leibstandarte bildeten ein Ehrenspalier, während eine Abteilung der bayerischen Landespolizei aus Fürth sich am Eingang des Festspielhauses postierte – und zu seinen Ehren hatte die Familie Wagner auf der Villa Wahnfried eine Hakenkreuzfahne gehißt.41 Das Goebbelssche Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda kaufte nicht nur die noch verfügbaren Festspielkarten auf, die verdiente Parteimitglieder erhielten, sondern die Reichskanzlei zahlte bis 1939 einen jährlichen Zuschuß von 100.000 Reichsmark, der allerdings (noch) nicht für Freikarten an Arbeiter verwendet wurde. „Die Festspiele waren [schon] 1933 keine exklusive Veranstaltung mehr, sondern hatten sich der Ideologie und den Erfordernissen der NSDAP angepasst.“42 Das war der Familie Wagner hochwillkommen, denn außer der finanziellen Unterstützung war der antisemitische Gleichklang rassistischer Ideen ein enges Verbindungsglied zwischen Wagnerianismus und Hitlerismus, das es zu stärken galt. Zur offiziellen Eröffnung der 1. Dritte-Reich-Festspiele hielt Goebbels am 6. August 1933 eine Rundfunkrede „Richard Wagner und das Kunstempfinden unserer Zeit“,43 in der er ganz im Sinne seines Führers Adolf Hitler Wagner als das einmalige künstlerische Genie des deutschen Volkes pries, ohne irgendetwas Konkretes zu sagen: „Er verbindet mit der Kraft des künstlerischen Pathos den Erfindungsreichtum der Melodie, die Klarheit der Linienführung und die Dynamik des dramatischen Aufbaues. Richard Wagner wäre auch ohne Drama einer der größten Musiker aller Zeiten geworden.“44 Die völlige Unbestimmtheit und Unüberprüfbarkeit dieser Aussage entspricht ebenso den panegyrischen Lobhudeleien vieler Wagnerianer wie die „einmalige göttliche Inspiration“45 oder die „erschütternde(n) Momente schöpferischen Wirkens“, von der die geniale Kunst des ,Meisters‘ beseelt gewesen sei. Diese ganze Rede war wohl eher als dramatische Propagandaschlacht eines totalitären Regimes konzipiert, mit der das brutale Vorgehen gegen jüdische Mitbürger verschleiert werden sollte, wobei sich Goebbels wohl an seinen Besuch bei Chamberlain erinnerte. Wagners künstlerische Schaffensfreudigkeit 41 Vgl. Boris von Haken: Geschichte der Festspiele 1933 bis 1944, in: Verstummte Stimmen. Die Bayreuther Festspiele und die „Juden“ 1876 bis 1945, Berlin 2012, S. 168 f. „Als Begleitung Hitlers waren große Teile der Führungsriege des NS-Regimes nach Bayreuth gereist: Außer Goebbels gehörten zu den Besuchern der Festspiele auch Hermann Göring, die preußischen Minister Bernhard Rust und Hanns Kerrl sowie Robert Ley, Rudolf Heß, SA-Chef Ernst Röhm, Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht und Reichspressechef Otto Dietrich.“ (S. 169). 42 H. R. Stunz: Hitler und die „Gleichschaltung“ der Bayreuther Festspiele (wie Anm. 40), S. 258. 43 Vgl. Joseph Goebbels: Signale einer neuen Zeit. 25 ausgewählte Reden (1934). 2. Aufl., München 1934, S. 191 – 196. 44 Ebd., S. 193 f. 45 Ebd., S. 194. Dort auch die beiden nächsten Zitate.

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habe „niemals seine tiefen Wurzeln im Erdreich des Volkstums“ geleugnet und verloren, weshalb sie für das Dritte Reich unverzichtbar sei: „Wenn Richard Wagners Musik die Welt eroberte, dann deshalb, weil sie bewußt und vorbehaltlos deutsch war und nichts anderes sein wollte.“46 Und natürlich muß das deutsche Volk vor andauernder Bewunderung erzittern, während es die Erben Wagners mit großer Genugtuung erfüllen könne, „daß der Meister und sein Werk wohl geborgen sind im Schutze und in der Fürsorge einer Regierung und eines Volkes, deren Führer im ersten Jahre dieser Regierung an der Stätte wagnerischen Wirkens erschienen, um dem größten musikalischen Genius aller Zeiten seine ehrfurchtsvolle Huldigung zu Füßen zu legen“.47 Wagnerianismus und Hitlerismus waren zu einer unauflösbaren Einheit verschmolzen. Anders als Goebbels verweilte Hitler selbst während der gesamten Festspiele in Bayreuth, was von den Wagners als besondere politische Anerkennung gewertet wurde, lediglich am 26. Juli 1933 hielt er um 9 Uhr früh in München eine Ansprache vor 470 italienischen Jungfaschisten, während er am Nachmittag an der Beerdigung des Admirals von Schroeder – dem „Löwen von Flandern“ – in Berlin teilnahm, aber abends war er wieder in Bayreuth. Im Völkischen Beobachter stand am Montag, dem 31. Juli 1933, folgender Bericht über Hitlers Aufwartung von Bayreuth, die dem deutschen Volk einen gehörigen Respekt einflößen sollte: „Am Sonntagvormittag besuchte der Reichskanzler mit seinem Stabe die Gräber Richard und Cosima Wagners im Park des Hauses Wahnfried und das Grab Siegfried Wagners im Städtischen Friedhof. Reichskanzler Adolf Hitler legte zum Gedenken an den Meister, seine Gattin und seinen verstorbenen Sohn prächtige Blumengebinde nieder, die mit schwarz-weiß-roter Seidenschleife geschmückt waren, welche den in Gold gestickten Namenszug des Reichskanzlers trugen.“48 Diese bewußte Ehrerbietung vor Richard Wagner und seiner Familie war natürlich auch eine raffinierte Propagandataktik gegenüber dem deutschen Volk, das damit eingelullt werden sollte, das rabiate Vorgehen gegen Juden nicht als plumpe und brutale Gewalt anzusehen. Auch wenn Hitler bereits am Nachmittag dieses 30. Juli auf dem 16. Deutschen Turnfest in Stuttgart eine Rede hielt und sagte: „Das Leben wird nicht durch Schwäche gewonnen, sondern durch starke Männer!“, so war die demonstrative Kranzniederlegung auf den Wagnergräbern auch beredter Ausdruck der großen Wertschätzung, die Hitler nicht nur gegenüber dem ,Meister‘ empfand, sondern die er der ganzen Familie entgegenbrachte, was ja häufig geleugnet wurde. Der jährliche Besuch des Reichskanzlers in Bayreuth begründete eine politische Tradition, der sich in der Bundesrepublik nach 1951 mehrere politische Repräsentanten und Staatsoberhäupter verpflichtet fühlten und offenbar noch fühlen.

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Ebd., S. 194 f. Ebd., S. 196. 48 Zitiert von Max Domarus: Hitler. Reden und Proklamationen 1932 – 1945. Band I/1, Wiesbaden 1973, S. 291. Dort auch das nächste Zitat. 47

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Je näher der Zweite Weltkrieg rückte, umso intensiver wurde Bayreuth zum Propagandaort Hitlers, der gut beschützt von SS-Wachen während seines dortigen Aufenthaltes von 1934 bis 1940 im Siegfried-Haus der Familie Wagner wohnte, und zu den Festspielen 1939 ein Modell des Westwalls in Wahnfried aufbauen sowie im Reichshof-Kino und zum ersten Mal in Uniform – in den Jahren zuvor war er im Frack erschienen – sich einen Film über die Befestigungsanlagen vorführen ließ. „Etwa 7.000 Wagner-Fans erlebten 1939 mit KdF die Festspiele,“49 d. h. sie mußten oder konnten Hitler zujubeln, der wenige Wochen später, am 1. September, mit der deutschen Wehrmacht den Überfall auf Polen begann. In den folgenden Jahren wurden alle Aktivitäten Hitlers den Kriegsnotwendigkeiten untergeordnet, d. h. er konnte nur noch über Wagner raisonieren bzw. seinen Ministerien Anweisungen erteilen, was in Bayreuth zu geschehen habe. Noch am 3. Mai 1942 ließ sich Hitler in der Wolfsschanze über die Frage aus, ob die Berliner Ministerien eine großzügige Entscheidung z. B. über kulturelle Stätten wie Bayreuth fällen könnten: „Er, der Chef, habe deshalb bei einer Stadt wie Bayreuth die größte Sorge, daß sie nicht einmal darauf angewiesen sein möge, für ihre Kunststätten Gelder der Ministerien in Anspruch zu nehmen und sich damit ministeriellen Weisungen auszuliefern. Er verfolge deshalb mit besonderem Interesse den Werdegang der beiden Söhne der Frau Winifred Wagner und hoffe, daß sie das Lebenswerk ihres Vaters und ihrer Mutter fortsetzen würden. Außerdem werde er aber auch von sich aus alles veranlassen, um noch zu seinen Lebzeiten die Erhaltung der Richard-Wagner-Stadt und ihrer Kunststätten sicherzustellen.“50 Trotz dieser fürsorglichen Äußerungen kann es nicht den geringsten Zweifel darüber geben, daß die weltweite Unterwerfung und Ausbeutung der nichtarischen Völker für Hitler von erheblich größerer Wichtigkeit war als seine Wagnerbegeisterung, die ihn höchstens in trüben Stunden in Kriegsbunkern aufheitern konnte. Die zu Hunderttausenden kämpfenden und sterbenden Soldaten auf den europäischen Schlachtfeldern, von denen nur ein verschwindend geringer Bruchteil die Chance bekam, eine Aufführung in Bayreuth mitzuerleben, mußten natürlich ebenfalls propagandistisch auf ihren ,Heldentod für das Vaterland‘ vorbereitet werden. Die nationalsozialistische Kriegsliteratur versuchte den kämpfenden Truppen ein verlogenes Heldenepos von deutscher Ehre und germanischem Opfertod vorzuspielen, das der blutigen Realität an der mörderischen Front überhaupt nicht entsprach. So berichtete Hermann Opper von dem siegreichen Einmarsch in Paris 1940, wo Germaine Lubin in einer Aufführung von Tristan und Isolde aufgetreten sei; aber auch von Schlachtenlärm an der Ostfront, wo Soldaten „am MG., am Geschütz, mit der geballten Ladung in der Hand vor dem anrollenden Sowjetpanzer“51 auf ihren Tod warteten. Nur im besiegten Frankreich sei eine Wagner49

Peter Reichel: Der schöne Schein des Dritten Reiches. Faszination und Gewalt des Faschismus, München/Wien 1991, S. 253. 50 H. Picker: Hitlers Tischgespräche (wie Anm. 39), S. 370. 51 Hermann Opper: Die Bayreuther Bühnenfestspiele im Kriege, in: Bayreuth, die Stadt Richard Wagners, hrsg. von Otto Strobel und Ludwig Deubner. 2. Aufl., München 1943, S. 60.

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aufführung möglich gewesen, aber nicht „jenseits der sowjetischen Grenzpfähle“52 in einem Land, Rußland, das die deutschen Truppen ja erst ein Jahr später überfallen sollten und das angeblich „wie ein fest verriegeltes Gefängnis vor Europas Toren lag“. Aus Rußland sei vor dem Krieg „höchstens einmal die Kunde von einer Wagner-Aufführung in einer futuristisch verzerrten Bühnengestaltung zu uns gedrungen. Wagner im Bolschewistenland? Unmöglich! Später hörten wir von den Haßgesängen, die die jüdische Kamarilla um Roosevelt in Amerika gegen alles Deutsche anstimmte, und in denen unter anderem auch davon die Rede war, daß alles das, was beispielsweise ein Wagner geschaffen, geschrieben und gepredigt habe, im Bewußtsein der Menschheit ausgelöscht werden müsse“.53 Als diese antisemitische, deutschchauvinistische Hetze gedruckt wurde, hatte Hitler und die deutsche Wehrmacht ihr militärisches Debakel in Stalingrad schon hinter sich, aber Hitlers Wagnerbegeisterung blieb bis zum götterdämmerlichen Untergang ungetrübt. Es ist deshalb eine variantenreiche Ablenkung auf das angeblich menschlichheilige Versöhnungs- und Erlösungswerk Wagners, wenn noch 1962 behauptet wird: „Hätte ein Hitler in seiner schweißtriefenden Gier nach dem Weltuntergang das zu erwägen die Zeit gehabt, er hätte vielleicht rechtzeitig aufgehört, ein Wagnerianer zu sein.“54 Wenn überhaupt ein begründeter Zweifel über Hitlers Wagnerkenntnisse erhoben werden kann, dann kann er sich auf keinen Fall auf das Opernwerk beziehen, denn darüber hat er sich mehrfach geäußert und es liegen viele zeitgeschichtliche Äußerungen vor, daß er das ,menschlich-heilige Versöhnungs- und Erlösungswerk Wagners‘ genau kannte. In der Nacht vom 28. Februar auf den 1. März 1942 erzählte Hitler angeblich, daß er 1925 zur Familie Bechstein, den Ersatzeltern von Winifred Wagner, in Bayreuth eingeladen war: „Ich wollte eigentlich nicht hin, ich sagte mir, die Schwierigkeiten würden für Thode dadurch nur noch größer werden, er war ein bißchen in der Hand der Juden… Daß dieser Jude Schorr den Wotan gesungen hat, das hat mich so geärgert, für mich war das Rassenschande!… Ich bin dann jahrelang nicht mehr hin, was mir an sich sehr leid getan hat. Frau Wagner war ganz unglücklich, hat zwölfmal geschrieben, fünfundzwanzigmal telefoniert! Ich bin so oft durch Bayreuth gekommen, habe dann immer Besuch gemacht. Aber die Frau Wagner hat immerhin Bayreuth – das ist ihr großes historisches Verdienst – mit dem Nationalsozialismus zusammengebracht.“55 Hitlers vorsichtige Beurtei52

Ebd., S. 59. Dort auch das nächste Zitat. Ebd., S. 59 f. 54 Willy Haas: Richard Wagner und das neue Bayreuth, in: Richard Wagner und das neue Bayreuth, hrsg. von Wieland Wagner, München 1962, S. 22. Haas knüpfte daran die merkwürdige Einschätzung, Hitler sei „der typische kleinbürgerliche Wagnerianer von 1910“ (ebd.) gewesen. 55 A. Hitler: Monologe im Führerhauptquartier (wie Anm. 38) , S. 307 f. Am 13. März 1944 soll sich Hitler an Künstler, wie E. T. A. Hoffmann, erinnert haben, die von der Kritik schlecht beurteilt wurden. „Oder denken wir an Richard Wagner, wie haben ihn die Kritiker jahrzehntelang fertiggemacht. Und wenn er nicht einen gefunden hätte [damit war wahrscheinlich Ludwig II. gemeint, H.K.], der für ihn restlos eingetreten wäre, wer weiß, ob er in 53

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lung von Siegfried Wagner hängt möglicherweise damit zusammen, daß er dessen Briefwechsel mit dem Rabbiner Falk Salomon aus Bayreuth kannte, in dem Wagner die ständige Anwesenheit nationalsozialistischer Gefolgsleute nicht mit seiner Einstellung zu vielen Juden in Verbindung gebracht haben wollte, von denen ja einige Bayreuth finanziell unterstützten. Dieser Briefwechsel, in dem Rabbi Salomon Wagner darauf hinwies, daß seine Briefe durchaus antisemitische Vorurteile enthielten – am 26. Juni 1924 schrieb F. Salamon an S. Wagner: „Angehörige ihrer Familie tragen das Hakenkreuz“56 –, wurde im Bayreuther Rabbinat unter der Bezeichnung ,Kampf des Judentums gegen antisemitischen und nationalsozialistischen Einfluß auf das Haus Wahnfried in Bayreuth‘ aufbewahrt.57 Die nationalsozialistische Festkultur war durchwoben von Wagnermusik und Wagnerklängen, weswegen es als unsinnig erscheint, Hitlers tiefinnige Vertrautheit mit Wagneropern anzuzweifeln, auch wenn weniger davon im Dritten Reich aufgeführt wurden. Auf den Nürnberger Parteitagen erklang die Rienzi-Ouvertüre – obwohl die Oper sich an die Meyerbeersche Musik anlehnte und sich „als Huldigung an den herrschenden französisch-italienischen Melismus erwies“58 – regelmäßig als symbolischer Fanfarenstoß der nationalsozialistischen Revolution, gefolgt von der Meistersinger-Ouvertüre.59 Richard Schuster nannte diese Revolutionsoper über einen diktatorischen Menschen 1937 die „Hochblüte des Nachahmungstriebs“60 Wagners, nachdem er den ins Deutsche übersetzte Roman von Lord der Lage gewesen wäre, sein Lebenswerk wirklich so zu vollenden, wie es vor uns liegt.“ (S. 407). 56 Zitiert von Hannes Heer: Geschichte der Festspiele 1924, in: Verstummte Stimmen (wie Anm. 21), S. 145. 57 Vgl. Saul Friedländer: Hitler und Wagner, in: Richard Wagner im Dritten Reich, hrsg. von Saul Friedländer und Jörn Rüsen, München 2000, S. 177, Anm. 8. Es ist deswegen eine verharmlosende Beschönigung, wenn D. D. Scholz: Wagners Antisemitismus (wie Anm. 2), S. 198, Anm. 32, die Auffassung vertritt, Siegfried Wagner habe sich „von der antisemitischen Politik der Nationalsozialisten und jedweder faschistischen Deutschtümelei“ distanziert. 58 Ernst Neuling: Richard Wagner in Wort und Bild, Bremen 1913, ohne Seitenangabe. 59 Als Robert Ley, der Organisationschef der NSDAP, im Sommer 1938 in Bayreuth Hitler davon überzeugen wollte, daß bei den Reichsparteitagen in Nürnberg auch zeitgenössische Komponisten aufgeführt werden sollten, reagierten Hitler und Winifred Wagner gegenüber diesem Vorschlag reserviert. Einige Tage später führte Ley in der Nürnberger Luitpoldhalle Hitler und einigen Funktionären zwei Stunden lang solche Kompositionen durch ein großes Symphonieorchester vor. Hitler soll daraufhin ganz ernst gesagt haben: „Wissen Sie, Ley, ich lasse die Parteitage nicht zufällig mit der Ouvertüre zu ,Rienzi‘ eröffnen. Das ist nicht nur eine musikalische Frage. Dieser Sohn eines kleinen Gastwirts hat mit vierundzwanzig Jahren das römische Volk dazu gebracht, den korrupten Senat zu vertreiben, indem er die großartige Vergangenheit des Imperiums beschwor. Bei dieser gottbegnadeten Musik hatte ich als junger Mensch im Linzer Theater die Eingebung, daß es auch mir gelingen müsse, das deutsche Reich zu einen und groß zu machen.“ (Zitiert von Albert Speer: Spandauer Tagebücher. Stuttgart/Hamburg/München 1975, S. 136). 60 Richard C. Schuster: Richard Wagner und die Welt der Oper. Dramaturgische Studien, München 1937, S. 73 – 110. Wir haben bereits gehört, daß Robert Schumann an Wagner ge-

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Edward George Earle Bulwer-Lytton (1803 – 1873) Rienzi. The Last of the Roman Tribunes 1837 in Blasewitz gelesen hatte. Diese unüberhörbaren Solidarisierungen mit Wagners Musik wurden propagandistisch begleitet von Massenaufmärschen, wehenden Hakenkreuzfahnen, Totenehrungen und Feuerwerken, die Leni Riefenstahl in bombastischen Propagandafilmen, wie Triumph des Willens (1935), überhöhte. Gegenüber dieser Demonstration von Hitlers Wagnerbegeisterung ist der Umstand, daß im Dritten Reich weniger Wagneropern aufgeführt wurden als noch während der Weimarer Republik, von untergeordneter Bedeutung, denn es kam ja nicht auf die statistische Menge an, sondern auf die möglichst intensive Durchdringung der deutschen Gesellschaft mit nationalsozialistischem Geist. In Mein Kampf – dessen Schreibpapier von Winifred Wagner 1924 Hitler in Landsberg zur Verfügung gestellt wurde, die 1926 der NSDAP beitrat, während ihr Mann Siegfried, der 1930 starb, die Weimarer Republik radikal ablehnte, sich aber um die politischen Auseinandersetzungen relativ wenig kümmerte61 – kann man lange vor dem Holocaust eine extremistische und totalitäre Variante von Wagners Rassismus erkennen: „Hätte man zu Kriegsbeginn und während des Krieges einmal zwölfoder fünfzehntausend dieser hebräischen Volksverderber so unter Giftgas gehalten, wie Hunderttausende unserer allerbesten deutschen Arbeiter aus allen Schichten und Berufen es im Felde erdulden mußten, dann wäre das Millionenopfer der Front nicht vergeblich gewesen.“62 Ob Hitler sich dabei unerwähnt auf Wagner beziehen wollte, ist gegenüber der unbestreitbaren Tatsache, daß Wagner einen ähnlichen Gedanken über Vergasung von Juden äußerte, unerheblich. Am Sonntag, den 18. Dezember 1881, schrieb Cosima Wagner in ihr Tagebuch, daß ihr Mann ihr von einer neuen Aufführung eines Bühnenwerkes erzählt habe; im gleichen Jahr hatte das Wiener Ringtheater gebrannt und viele jüdische Besucher starben in den Flammen. Es handelte sich um das Theaterstück Nathan der Weise des Kosmopoliten und Befürworter jüdischer Emanzipation Gotthold Ephraim Lessing (1729 – 1781), dem Pfarrersohn aus Braunschweig, der sich wie Wagner mehrere Jahre zum Studium und zur Schriftstellerei in Sachsen aufgehalten hatte. Wagner berichtete nun Cosima, daß an der Stelle, wo es im Stück heißt, Christus war auch ein Jude, ein Israelit ,Bravo‘ gerufen habe, was Wagner so kommentierte: „Er wirft Lessing diese Fadheit sehr vor, und wie ich ihm erwidere, daß mir schiene ein eigener deutscher Zug der Humanität in dem Stück zu liegen, sagt er: ,Aber gar keine Tiefe‘… ,Man nährt den Hochmut dieser Kerle [den Juden, H.K.] dadurch, daß man mit ihnen umgeht, und z. B. wir schrieben hatte, daß sie Meyerbeer ähnelte, weswegen Wagner sie später in Bayreuth nicht mehr aufführen lassen wollte. 61 Vgl. Syberbergs Filmbuch, München 1976, S. 270, wo Winifred Wagner auf die Frage, was mit Hitler in Landsberg gewesen sei, u. a. antwortete: „Na ja, und ich hatte gefragt, was er brauchte, und da hat er gesagt, ja, Schreibpapier wäre ihm so wichtig, und da hab ich ihm massenhaft Schreibpapier geschickt“. 62 Adolf Hitler: Mein Kampf. II. Band: Die nationalsozialistische Bewegung (1927). 646.–650. Aufl., München 1942, S. 772.

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sprechen vor Rub.[instein] unsere Empfindung über die Juden im Theater nicht aus, 400 ungetaufte und wahrscheinlich 500 getaufte.‘ Er sagt im heftigen Scherz, es sollten alle Juden in einer Aufführung des ,Nathan‘ verbrennen.“63 Selbst wenn diese Aussage als ein böser Scherz Wagners angesehen wird, kann er doch durchaus verdeutlichen, welche ,humanitäre‘ Gesinnung sich dahinter verbirgt, wenn auch nur die Möglichkeit erwogen wird, Juden verbrennen zu lassen, denn Lessing warnt ja in diesem Theaterstück vor der Verfolgung von Juden. Und wir können uns vorstellen, daß Hitler oder andere Nationalsozialisten sich in ihrer brutalen Vorgehensweise gegen das jüdische Volk auf eine solche Aussage berufen oder sie zumindest wohlwollend gutieren konnten, denn für sie waren die Judenmorde ganz bestimmt kein Scherz, um dem deutschen Volk die mörderische Judenverfolgung seit 1933 durch einen weltberühmten Komponisten nahezubringen. Erstaunlich ist trotzdem, daß Adolf Hitler weder in Mein Kampf noch in seinen vielen Reden ein einziges Mal auf die antisemitischen Äußerungen Wagners in schriftlicher oder mündlicher Form einging, obwohl er ganz offensichtlich dessen Schriften gut kannte, nicht einmal bei der Grundsteinlegung des deutschen Richard Wagner-Nationaldenkmals am 6. März 1934 in Leipzig im Beisein Winifred Wagners, wo er ein ,Gelöbnis an Richard Wagner‘ ablegte.64 Der Oberbürgermeister von Leipzig, Carl Friedrich Goerdeler (1884 – 1945), der wegen Beteiligung am Widerstand gegen Hitler und dem von Carl Graf Schenk von Stauffenberg durchgeführten Attentatsversuch am 20. Juli 1944 durch den Freislerschen Volksgerichtshof am 8. September zum Tod verurteilt und am 2. Februar 1945 in Berlin-Plötzensee hingerichtet wurde, sagte nach der feierlichen Begrüßung des Reichskanzlers: „Wir grüßen Frau Winifred Wagner, die Hüterin eines verpflichtenden Familien- und hohen Volkserbtums.“65 Goerdeler war wie viele deutsche Intellektuelle von dem zerstörerischen Durchsetzungswillen Hitlers gegenüber der Weimarer Demokratie und den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen nach 1933 beeindruckt und erst die rücksichtslose Vorgehensweise gegenüber wehrlosen Völkern hat ihm die Augen geöffnet, was er mit seinem kostbaren Leben bezahlen mußte. In Leipzig beschwor Adolf Hitler mit tränenerstickter Stimme nicht nur die nationale deutsche Größe des größten Sohnes dieser Stadt, Richard Wagner, sondern auch die ewige Kraft des

63 Cosima Wagner: Die Tagebücher. Band II: 1878 – 1883. Ediert und kommentiert von Martin Gregor-Dellin und Dietrich Mack, München/Zürich 1976, S. 852 (Erste Hervorhebung im Original, zweite von mir). Schon einen Tag vorher, am 17. Dezember, als Cosima ihrem Mann erzählte, daß sie mit ihrem Sohn Siegfried 1001 Nacht und die Geschichte von Sindbad gelesen habe, war dessen Reaktion: „Daß 416 Israeliten bei dem Brand umkamen, steigert R.‘s Teilnahme für das Unglück nicht.“ (Ebd.). 64 Die schriftlichen Dokumente zum Aufruf, Entwurf und zur Einweihung sowie zur Fertigstellung des Richard-Wagner-Denkmals in Leipzig, einschließlich der Zusage des Reichskanzlers von 10.000 Reichsmark für den Denkmalfonds, sind abgedruckt in: Richard Wagner gepfändet. Ein Leipziger Denkmal in Dokumenten 1931 – 1955, hrsg. von Grit Hartmann, Leipzig 2003, S. 75 – 113. 65 Zitiert ebd., S. 103.

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deutschen Volkes, die im nationalsozialistischen Idealismus seine Vollendung finde: „Denn die heutige deutsche Generation sucht, nach jahrzehntelangem Irren geläutert und erzogen durch grenzenloses Leid, wieder den Weg zu ihrem eigenen großen Meister. Sie will nichts mehr gemein haben mit jener undankbaren Zeit, da man nicht nur symbolisch, sondern auch tatsächlich über den Wunsch und Willen eines der größten Söhne unseres Volkes zur Tagesordnung übergegangen war. Sie schöpft aus der ewigen Kraft unseres Volkes, indem sie wieder zu unseren besten Geistern strebt. So findet sie auch schon im zweiten Jahre der nationalen Erhebung den Weg hierher in diese Stadt, um durch mich, als den Kanzler des Reiches, am Tage der Grundsteinlegung dieses Denkmals erneut den tiefsten Dank der Nation dem unsterblichen Genius dieses ihres großen Sohnes zu Füßen zu legen. Mit dem wahrhaftigen Gelöbnis, dem Wunsch und Willen des großen Meisters zu entsprechen, seine unvergänglichen Werke in ewig lebendiger Schönheit weiter zu pflegen, um so auch die kommenden Generationen unseres Volkes einziehen zu lassen in die Wunderwelt dieses gewaltigen Dichters der Töne, lege ich dessen zum ewigen Zeugnis und zur immerwährenden Mahnung den Grundstein zum deutschen Nationaldenkmal Richard Wagners.“66

Bei anderen Gelegenheiten während des Dritten Reiches hätte Hitler ebenfalls die antisemitischen Schriften Wagners erwähnen können, doch es genügte ihm offenbar, seine ideologischen Gemeinsamkeiten in unzähligen Beschwörungen des außergewöhnlichen musikalischen Genies kundzutun, weil er auch sonst keine Angaben über seine ideologischen Vorläufer machte, über die in der entsprechenden Literatur viel gerätselt wurde. „In den späten zwanziger Jahren erwähnt Hitler Wagners Musik mehrfach als Waffe im Kampf gegen den Marxismus, aber nie als Instrument gegen den jüdischen Marxismus oder den jüdischen Bolschewismus.“67 Aber warum zitierte Hitler nicht eine einzige Passage aus Das Judenthum in der Musik, die seinen eigenen Ansichten so nahe gekommen wäre? Jonathan Carr macht dazu eine m. E. unhaltbare Aussage, nämlich die, dies sei lediglich aus dem einfachen Grund erfolgt, weil Wagner auch Juden zu seinen Freunden zählte, deren herabwürdigende Behandlung wir ja bereits kennengelernt haben: „Die wahrscheinlichste Erklärung für diese Zurückhaltung dürfte sein, dass Hitler mehr als beispielsweise Goebbels begriff, welch schwankenden ideologischen Boden Wagner für ihn abgab … Alles in allem hat es Hitler vielleicht nicht deshalb unterlassen, Wagners Prosa zu zitieren, weil er sie zu wenig, sondern weil er sie zu viel gelesen hatte und es ihm klüger schien, die Dinge auf sich beruhen zu lassen.“68 Auch dieses Argument entbehrt einer logischen Schlüssigkeit, denn die ideologische Bestimmtheit des Wagnerschen Antisemitismus kann selbst, wenn man einräumt, daß 66

Zitiert von M. Domarus: Hitler. Reden und Proklamationen (wie Anm. 48), S. 369. Saul Friedländer: Bayreuth und der Erlösungsantisemitismus, in: Richard Wagner und die Juden (wie Anm. 17), S. 17. 68 Jonathan Carr: Der Wagner-Clan. Aus dem Englischen von Hermann Küsterer. 2. Aufl., Hamburg 2008, S. 254. 67

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ihre Diktion manchmal sprachlich ungenau ist, nicht mehr geleugnet werden, wie wir oben ausführlich dargelegt haben. Später allerdings muß auch Carr einräumen, ohne die enge Bindung Hitlers an Bayreuth seit den 1920er Jahren zu thematisieren: „Viele verschlungene Wege führten zum Dritten Reich; einer davon – ein sicherlich ausgetretener, aber dennoch nur einer –, führte über Bayreuth.“69 Aber ohne Richard Wagner, ohne seine antisemitischen Schriften, die von Bayreuther Wagnerianern zu einer rassistischen Ideologie ausgebaut wurden, hätte es nie ein nationalsozialistisches ,Bayreuth‘ gegeben! Marxismus und Judentum waren für Hitler wie für viele Nationalsozialisten nahezu identisch, was nicht nur an haßerfüllten Ausfällen gegenüber dem jüdischstämmigen Karl Marx leicht nachzuweisen wäre, sondern den nationalsozialistischen Rassismus wie ein roter Faden durchzieht, der sich dabei nicht auf Wagner hätte berufen können, der von den marxistischen Strömungen während seiner Bayreuther Zeit weitgehend unberührt blieb. Als naheliegendste Erklärung für Hitlers Abstinenz, sich auf Wagners Antisemitismus und Rassismus zu beziehen, bemüht Saul Friedländer „dem Hitler unbehaglichen christlichen Traditionsstrang“70 in den Opern Wagners – der sich ja vor allem in seiner letzten Oper Parsifal niederschlägt – und den nicht konsequent durchgehaltenen „christlich-arischen Antisemitismus“, was nicht nur deswegen wenig plausibel ist, weil Hitler selbst sich öfter auf die christliche Tradition berief, auch wenn die kritischen Aussagen einiger protestantischer und katholischer Theologen zu den Judenverfolgungen ihn immer stärker zu einem Feind der Kirchen machte, mit denen er nach dem Krieg abrechnen wollte.71 Wir wissen aus der umfangreichen Literatur über die persönlichen Eigenschaften Hitlers, daß er sich nur sehr zurückhaltend über ideologische Vorgänger seines Rassismus äußerte, weil damit ja auch sein eklatantes Halbwissen offenbart worden wäre. Die lebenslange Wagnerverehrung, die er auch zu den unpassendsten Gelegenheiten zum Ausdruck brachte, scheint ihm ausreichend genug gewesen zu sein, um seiner tiefen Verbundenheit mit diesem Künstler Ausdruck zu verleihen. Außerdem äußerte sich Wagner in einem seiner letzten Aufsätze, „Heldenthum und Christenthum“, ziemlich eindeutig über den historischen Verlust der arischen Rassereinheit, die nur durch eine ,Veredelung des Blutes‘ 69

Ebd., S. 458. S. Friedländer: Bayreuth (wie Anm. 67), S. 18. Dort auch das nächste Zitat. Es ist allerdings von geringer Erklärungskraft, wenn auf der gleichen Seite das genaue Gegenteil behauptet wird, nämlich „daß es zwischen Hitlers und Wagners Ideologie in allen nur denkbaren Bereichen enge und zwingende Anknüpfungspunkte gab, unter anderem auch in ihrem wahnsinnigen Haß auf die Juden“. 71 Dina Porat: „Zum Raum wird hier die Zeit“: Richard Wagners Bedeutung für Adolf Hitler und die nationalsozialistische Führung, in: Richard Wagner und die Juden (wie Anm. 17), S. 217, schreibt, Hitlers Reden waren „schlicht, ihr Vokabular einfach und auf Wiederholungen aufgebaut: Land, Zukunft, Geschichte, Einheit, Reinheit, Kampf, Erlösung, Nation – all dieses Ideen Wagners, von den notwendigen Ergänzungen wie Partei, Krieg und Fronten durchsetzt. Hitler brauchte Wagner natürlich gar nicht zu erwähnen: er war der Prophet und Priester, Deuter der Vergangenheit und Seher der Zukunft.“ 70

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aufgehalten werden könne: „Nirgends treten diese Stammes-Eigenthümlichkeiten der arischen Race mit deutlicherer Erkennbarkeit in der Geschichte auf, als bei der Berührung der letzten rein erhaltenen germanischen Geschlechter mit der verfallenden römischen Welt.“72 Es ist bei der ideologischen Konstellation Wagner – Hitler selten hinreichend beachtet worden, wie intensiv Hitler seit seinem politischen Aufstieg zum unumstrittenen Führer der nationalsozialistischen Bewegung sich an antisemitische Überlegungen anlehnt, die Wagner bereits vorgetragen hat. Schon einige Jahre vor der nationalsozialistischen Machtergreifung, am 3. April 1929, hielt Hitler im Hofbräuhaus-Festsaal in München eine antisemitische Rede auf einer NSDAPVersammlung gegen die geplanten Festspiele im Sommer dieses Jahres unter der Leitung des ,Juden‘ Max Reinhardt, mit dem fadenscheinigen Argument, daß jüdische Kunst dem deutschen Volk aufgezwungen werden sollte. In unmittelbarer Anlehnung an Wagners Judenaufsatz, den er auch hier nicht erwähnt, erörterte Hitler den Gedanken: „Jedenfalls hat das Judentum an sich überhaupt keinen ausgeprägten Kunstwillen, sondern das Judentum sieht in der Kunst genau das, was es in allem sieht, nämlich eine Geschäftsmöglichkeit. (Sehr richtig!) Es trennt sich von unserer Kunstauffassung darin meilenweit.“73 Diese abwertende Mischung von fehlendem Kunstverständnis und vorrangiger Geldgier entsprach Wagners Kritik an den jeden echten Deutschen abstoßenden Juden, wie wir dies oben an vielen Beispielen ausgeführt haben und hier nicht wiederholen müssen. Und schließlich kam Hitler doch noch auf Wagner zu sprechen, der „gegen den ganzen Geschäftsgeist einer Zeit revolutionierte“,74 aber trotz seiner Begünstigung durch Ludwig II. durch den „Irrsinn dieser Stadt“ vertrieben wurde und München dadurch „vielleicht um das größte Kunstwerk brachten [das von Gottfried Semper entworfene Festspielhaus, H.K.], das es überhaupt gegeben haben würde und das heute ein Tempel deutscher Kunst sein könnte“. München, die Hauptstadt der nationalsozialistischen Bewegung, in der Hitler 1923 eine herbe Niederlage erlitten hatte, könnte künstlerisch wieder aufblühen und den Fremdenverkehr beleben, wenn es sich zu dem 72 Richard Wagner: Gesammelte Schriften und Dichtungen (1888). Band 10. Nachdruck Hildesheim 1976, S. 278. 73 Hitler: Reden, Schriften, Anordnungen. Februar 1925 bis Januar 1933. Band III: Zwischen den Reichstagswahlen. Juli 1928 – September 1930. Teil 2: März 1929 – Dezember 1929, hrsg. von Klaus A. Lankheit, München 1994, S. 129. Fritz Merseberg: Richard Wagner als Vorkämpfer des Nationalsozialismus. Nach einem Vortrag auf der Tagung des Bayreuther Bundes 1937, in: Völkische Musikerziehung, 4. Jg., Juli/August 1938, S. 331, behauptete, daß die theoretischen Schriften Wagners, von denen Hitler viele gelesen hat, „geradezu Fundgruben nationalsozialistischer Denkungsweise“ (Hervorhebung im Original) seien. 74 Hitler: Reden, Schriften, Anordnungen (wie Anm. 73), S. 148. Dort auch die beiden nächsten Zitate. Auf einer anderen NSDAP-Versammlung in München am 7. Dezember 1929 sagte Hitler: „München steht im Mittelpunkt des geistigen Kampfes. Die junge deutsche Freiheitsbewegung hat von hier ihren Ausgang genommen. Was Richard Wagner dem deutschen Volke für die Kunst der Zukunft gab, das geben wir als Reich der Kraft und Macht der Zukunft. Was der Meister der Töne einst nicht zu ertragen vermochte, das wollen wir, die wir Kämpfer sind, auskämpfen.“ (S. 528).

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Entschluß durchränge: „Wir wollen sie nicht, die Juden, wir wollen sie nicht, diese Internationale, wir reflektieren ausschließlich nur auf Deutsche!“75 Die Wagnerstadt Bayreuth, der Hitler so viel politische wie moralische Unterstützung verdankte, durfte auf einen ähnlichen Zapfenstreich nicht verzichten und deshalb verlieh am 23. Juli 1933 der Bayreuther Oberbürgermeister, Dr. Karl Schlumprecht, Hitler die Ehrenbürgerwürde der Stadt. Bei der Reichstagseröffnung am 21. März 1933, zwei Tage vor dem Ermächtigungsgesetz, betonte Adolf Hitler den leidenschaftlichen Heroismus, der in der Zukunft das politische Schicksal Deutschlands bestimmen würde: „Es ist Aufgabe der Kunst, Ausdruck dieses bestimmenden Zeitgeistes zu sein.“76 Drei Jahre nach der Machtergreifung, als der in seiner totalitären Macht voll etablierte Hitler in seinem Salonwagen 1936 durch das an Deutschland zurückgegebene entmilitarisierte Rheinland fuhr, sagte er angeblich zu den Klängen des Trauermarsches aus der Götterdämmerung: „Ich habe ihn zuerst in Wien gehört. In der Oper. Und ich weiß noch, wie wenn es heute gewesen wäre, wie ich mich beim Nachhauseweg wahnsinnig erregte über einige mauschelnde Kaftanjuden, an denen ich vorbeigehen mußte. Einen unvereinbareren Gegensatz kann man sich überhaupt nicht denken. Dieses herrliche Mysterium des sterbenden Heros und dieser Judendreck!“77 Es dauerte nur noch etwas mehr als zwei Jahre, ehe vom 9. auf den 10. November 1938 in ganz Deutschland jüdische Synagogen brannten – es sollten noch nicht ,alle Juden verbrennen‘ –, womit die deutsche Bevölkerung auf den Völkermord an den Juden eingestimmt werden sollte. Dieser im Rundfunk gespielte Trauermarsch aus der Götterdämmerung diente dann allerdings auch zur mythischen Selbstüberhöhung im Februar 1943 nach der vollständigen Niederlage der 6. Armee in Stalingrad, um den Durchhaltewillen der Deutschen zu stärken. Zehn Jahre früher war dies noch ganz anders: „Am 20. April 1933, dem 44. Geburtstage des Kanzlers, leitete der gesamte deutsche Rundfunk seine in der ,Stunde der Nation‘ dargebotene Ehrung Adolf Hitlers mit des Helden Schwertgesang aus Wagners ,Siegfried‘-Drama ein: ,Nothung! Nothung! Neidliches Schwert! Was mußtest du zerspringen?‘.“78 75

Ebd., S. 150. Leopold Reichwein: Bayreuth. Werden und Wesen der Bayreuther Bühnenfestspiele, Bielefeld/Leipzig 1934, S. 83, der diese Rede zitiert, gab dazu den Kommentar: „Diesen Heroismus, der nun endlich der Zeitgeist von heute geworden ist, hat Wagner seherisch vorgefühlt und in seine Werke gebannt.“ 77 Zitiert von Hans Frank: Im Angesicht des Galgens. Deutung Hitlers und seiner Zeit auf Grund eigener Erlebnisse und Erkenntnisse (1953). 2. Aufl., Neuhaus bei Schliersee 1955, S. 205. Frank, der diese Aussagen aus seiner Erinnerung wiedergibt, hat angeblich darauf erwidert, daß viele Juden besonderes Interesse an Wagneropern gehabt hätten und Hermann Levi der erste Parsifaldirigent in Bayreuth gewesen sei, worauf Hitler gesagt haben soll: „Der Jude ist feige, knechtisch, materiell, berechnend, völlig ohne Heldenideal, und auf der Bühne kitzelt ihn gerade das, was er selbst niemals erreichen kann. Deshalb nehmen die Kerle auch meist germanische Namen an. Wenn heute einer ,Siegfried‘ heißt, denkt man schon, er ist ein Jud!“ (Zitiert ebd.). 78 Paul Bülow: Adolf Hitler und der Bayreuther Kulturkreis, Leipzig/Hamburg o. J. (1933), S. 15. 76

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Unter diesen politischen Konstellationen war es nicht ungewöhnlich, wenn auch extrem rassistisch, daß der Einfluß des Judentums auf die Musik der 1930er Jahre von einem Vertreter der arischen Ideologie und der nordischen Rasse folgendermaßen beschrieben wurde: „Wie war es denn vor 1933 bei uns; wie ist es noch jetzt in all den Ländern, die sich der ,westlichen Demokratie‘ erfreuen? Jüdische Kapellmeister auf den bedeutungsvollsten Dirigentenposten; jüdische Sänger auf den Brettern der Opern- und Operettenbühne; jüdische Virtuosen in den Konzertsälen; jüdische Kritiker an Zeitungen und Zeitschriften; jüdische Ministerialräte, Professoren und Konservatoriumsleiter bestimmten, mit welcher Musik und Musikauffassung unsere Jugend aufwuchs; jüdische Theater- und Konzertagenturen entschieden, welche Künstler wir hören durften und welche nicht. Wer kann sich wundern, wenn sich dem Geschmack der großen Masse allmählich ein jüdisches Inbild überprägte? Wenn wir uns in der Kunst wie in allem andern mit immer rasenderer Schnelligkeit spätrömischen Verfallszuständen näherten? Es tut gut, sich einmal daran zu erinnern, daß diese Zeit noch keine vier Jahre zurückliegt. Und hier rühren wir an unsere eigene Schuld. Wenn man die Bastardisierung ganzer Völker, ja ganzer Erdteile tatenlos geschehen läßt, kann man dann anderes erwarten, als daß die so entstandenen Kötervölker sich durch eine kleine Schar schlauer vorderasiatischer Händlernaturen willenlos beherrschen lassen? Tausend Jahre lang hat ein rassisch gesundes Europa unter nordischer Führung der jüdischen Gefahr widerstanden; erst als es seine Rasse verkommen ließ, unterlag es dem ,plastischen Dämon des Verfalles der Menschheit‘ (Richard Wagner). Ob Europa diesen Dämon überwinden wird, das ist die Frage, die wir heute an die andern richten müssen.“79

Dieser gewollte Rückgriff auf Wagner, um den völkischen Rassismus zu untermauern, sollte auch die heftigsten Verteidiger seiner Musik dazu bewegen, darüber nachzudenken, warum gerade im Dritten Reich der Wagnersche Antisemitismus eine einmalige Hochblüte erlebte, die keineswegs mehr auf Bayreuth beschränkt war. Ein wichtiger Grund dafür war, daß die nationalsozialistische Weltanschauung auf rassistischer Grundlage die völkische Tonkunst im Dritten Reich befruchten und bereichern sollte, wie es von Richard Eichenauer ausgedückt wurde: „Man darf es für die größte Tat Richard Wagners halten, daß er mit der Schöpfung von Bayreuth seinem Volke gezeigt hat, daß es möglich ist.“80

79 Richard Eichenauer: Musik und Rasse (1932). 2., verb. und verm. Aufl., München 1937, S. 303 (Hervorhebung im Original). Erst der Nationalsozialismus sei dazu berufen gewesen, das dritte abendländische Zeitalter heraufzuführen, das dann eine neue geistige Haltung ausprägen würde: „Im Innersten erfüllt vom Bewußtsein der Bindung an Gott und Volk, daher stark betonend den gotterfüllten und deutschgesinnten Geist in Werk und Übung, in Schaffen und Nachschaffen; fest verwurzelt auf der einen Seite in allen aus solcher Gesinnung geschaffenen Alten, willkommen heißend auf der andern Seite das in diesem Sinne gesunde Neue“ (S. 308, Hervorhebungen im Original). 80 Ebd., S. 316. Und dabei galt für Eichenauer die Einsicht, die allerdings nicht Jahre oder Jahrzehnte, sondern Jahrhunderte beanspruche: „Bei den meisten kulturpolitischen Erwägungen wird meines Erachtens ein Grundgedanke des Nationalsozialismus zu wenig beachtet: der Gedanke der rassischen Aufartung als Vorbedingung aller Erfolge.“ (Ebd.).

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Auch der Komponist und Musikwissenschaftler Karl Michael Blessinger (1888 – 1962), der am 1. Mai 1932 der NSDAP beitrat und seit 1936 Leiter des NS-Dozentenbundes war, beteiligte sich in mehreren Schriften an der antisemitischen Denunziation jüdischer und jüdischstämmiger Musiker in der Nachfolge Wagners. Blessinger schrieb über die musikalische ,Judenherrschaft in Deutschland‘, die sich nach dem Tod Wagners auch in Bayreuth eingeschlichen habe, obwohl mit Cosima Wagner und Houston Stewart Chamberlain zwei mächtige Bollwerke gegen jüdischen Einfluß dort ansässig waren: „Hierin ist eines der raffiniertesten Mittel des Judentums zu erblicken: man tritt für eine Sache ein, nicht um sie zu fördern, sondern um sie innerlich zu verfälschen und damit für das Judentum ungefährlich zu machen.“81 Auf diese denunziatorische Art äußerte sich Gotthold Frotscher noch nach der Entscheidungsschlacht von Stalingrad: „Eine besonders wichtige Teilfrage des Rasse-Musik-Problemkreises ist die Erkenntnis der Kräfte, die vom Judentum in der Musik ausgehen. Schon Richard Wagner hat in seiner Schrift ,Das Judentum in der Musik‘ (Sonderausgabe bei Br) den Juden als ,plastischen Dämon des Verfalls‘ gekennzeichnet und die Periode jüdischer Einflüsse in der Musik als die der ,vollendeten Unproduktivität und verkommenen Stabilität‘ gebrandmarkt. Die zersetzenden Kräfte, die in der Musik des Judentums Platz gegriffen haben und von da die Musik anderer Völker zur Entartung hinführen, werden in Karl Blessingers Schrift ,Mendelssohn, Meyerbeer, Mahler. Drei Kapitel Judentum in der Musik‘ (Hf) eindringlich nachgewiesen.“82 Es sollten hier nur wenige Beispiele der vielfältigen Berufung nationalsozialistischer Rassedenker auf Wagner zitiert werden, um zu zeigen, daß die gängige These, vor allem Hitler und einige führende Nationalsozialisten seien einem verfälschten Wagnerianismus verfallen gewesen, nichts anderes darstellt als eine willkommene Ablenkung von der fünfzigjährigen Wirkungsgeschichte von Wagner zu Hitler. In einer erweiterten und neubearbeiteten Auflage von Blessingers Schrift, die „nach fünf Jahren des zweiten großen von Juden herbeigeführten Weltkrieges“83 im Zeichen des großen politischen Genies Adolf Hitler geschrieben worden sei, wird der bereits in Gang gesetzten Menschen- und Judenvernichtung zugestimmt, denn zwischen ,Rassenjuden und Judengenossen‘ sei keine scharfe Trennung möglich: „Aus diesem Grunde sind im folgenden offenkundige Judengenossen den Juden gleichgesetzt, denn wir bekämpfen ja den jüdischen Geist, wo er sich auch zeigen möge, und am schärfsten, wo er als Giftstoff in unser eigenes Volk eingedrungen ist.“84 Und ehe er den oben zitierten Satz wiederholte, verschärfte Blessinger seine niederträchtige Anklage gegen die Juden: „Ein weiteres Mittel bestand darin, daß 81 Karl Blessinger: Mendelssohn – Meyerbeer – Mahler. Drei Kapitel Judentum in der Musik als Schlüssel zur Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts, Berlin 1939, S. 8. 82 Gotthold Frotscher: Volksbildendes Musikschrifttum, in: Siegfried Goslich, Musikalische Volksbildung, Hamburg o. J. (1943), S. 238 (Hervorhebungen im Original). 83 Karl Blessinger: Judentum und Musik. Ein Beitrag zur Kultur- und Rassenpolitik, Berlin 1944, S. 156. 84 Ebd., S. 9.

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Juden auch dort sich einschlichen, wo ihr Eintreten für eine Sache als Abkehr von den Zielsetzungen des Judentums erscheinen mußte, wie das in der letzten Lebenszeit und nach dem Tode Richard Wagners beim Werke von Bayreuth wiederholt geschehen ist.“85 Damit waren einige jüdische Sänger und Schauspieler gemeint, die in Bayreuth auftraten, weil ihre künstlerischen Leistungen so herausragend waren, daß man auf sie nicht verzichten wollte und konnte. Es ist jedoch kaum denkbar, daß der unter Rückgriff auf Wagner kultivierte Judenhaß im Dritten Reich zu solchen unmenschlichen Ausmaßen angewachsen wäre, wenn Adolf Hitler nicht unablässig seine abgrundtiefe Verehrung des Wagnerschen Werkes hinausgeschrien hätte. Winifred Wagner enthüllte Hans Jürgen Syberberg 1975 eine interne, verräterische Sprachregelung, die offenbar noch lange nach dem Untergang des Tausendjährigen Reiches praktiziert wurde: „Wir alten Nationalsozialisten haben nach dem Krieg einen neuen Decknamen erfunden, da man ja in aller Öffentlichkeit nicht über ihn reden konnte, und wenn man über ihn reden wollte, dann haben wir ihn ,USA‘ genannt, das heißt auf deutsch: unser seliger Adolf.“86 Wir müssen, selbst wenn wir uns als die größten Verehrer der Wagnerschen Musik bekennen, trotzdem zur ernüchternden Kenntnis nehmen, daß im Dritten Reich die ungeistige Verwandtschaft zwischen Wagner und Hitler immer wieder zustimmend variiert wurde, gleichgültig, ob wir damit eine direkte geistige Verbindung zwischen dem Künstler und dem Diktator behaupten oder nicht. Wir brauchen uns ja nur zu fragen, ob etwa die Schriften Immanuel Kants oder die Musik Ludwig van Beethovens Hitler zu ähnlichen Begeisterungsstürmen hingerissen hätte wie das Werk Wagners, um die überragende Bedeutung des Bayreuther ,Meisters‘ zu erkennen. So verkündete Erich Valentin 1937, daß Wagner zum nationalen Wegbereiter einer neuen Ordnung echt deutschen Geistes wurde: „Diese neue Ordnung Wagners, die für seine Zeitgenossen ,Zukunftsmusik‘ war, ist durch Adolf Hitler im Deutschland unserer Tage Wirklichkeit geworden.“87 Und Herbert Gerigk konstatierte im ,Vorwort‘ des Lexikons der Juden in der Musik vom August 1940, daß die „Reinigung unseres Kultur- und damit auch unseres Musiklebens von allen jüdischen Elementen“88 bereits durch klare gesetzliche Regelungen in Großdeutschland erfolgt sei und mit dem Lexikon „eine Handhabe zur schnellsten Ausmerzung aller irrtümlich verbliebenen Reste [jüdischer Erzeugnisse, H.K.] aus unserem Kultur- und Geistesleben“89 gegeben werde. Gerigk schrieb über Wagners Judenpamphlet: „Es dauerte lange, bis Richard Wagners Kampfschrift ,Das Judentum in der Musik‘, die schon Mitte des 19. Jahrhunderts die Blicke auf die Rassenfrage in der Musik nachdrücklich lenkte, Nachfolge im positiven Sinne 85 86 87

S. 5.

Ebd., S. 12. Syberbergs Filmbuch (wie Anm. 20), S. 270. Erich Valentin: Richard Wagner. Sinndeutung von Zeit und Werk, Regensburg 1937,

88 Lexikon der Juden in der Musik. Mit einem Titelverzeichnis jüdischer Werke. Zusammengestellt und bearbeitet von Theo Stengel und Herbert Gerigk, Berlin 1940, S. 5. 89 Ebd., S. 8.

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fand.“90 Es ließen sich viele weitere solcher Aussagen zitieren, aber wir wollen uns nun der engen Verzahnung von Hitler und Bayreuth zuwenden, denn es scheint keine allzu gewagte These zu sein, daß diejenigen, die sich im Dritten Reich öffentlich gegen die Wagnerverehrung Hitlers gewandt hätten, dem gleichen Schicksal wie Millionen Juden anheimgefallen wären – nämlich ermordet worden zu sein.

90

Ebd., S. 7.

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Hitler und Winifred Wagners Bayreuth Winifred Wagner ist m. E. zu Unrecht zur vielbeschossenen Zielscheibe eines nationalsozialistischen Wagnerianismus gemacht worden, obwohl sie natürlich das engste Bindeglied zu Hitler darstellte. Zehn Jahre nach Beginn von Hitlers Reichskanzlerschaft, im vorletzten Jahr der Bayreuther ,Kriegsfestspiele‘, schrieb die in Bayreuth geborene Tochter des bayerischen Generalkriegszahlmeisters und Wagnerverehrers Friedrich Habermann: „Dem neuen Deutschland war es vorbehalten, Bayreuth so zu fördern, daß es nun wirklich eine nationale Weihestätte sein kann.“1 Wagner hätte ja in Bayreuth seine Festspiele am liebsten einem begeisterten, aber auserlesenen Publikum ohne Eintrittsgelder vorgeführt, aber diese Idee konnte erst Hitler im Zweiten Weltkrieg teilweise verwirklichen, auch wenn die Zusammensetzung des Publikums sehr heterogen war und so gar nicht dem elitären Dünkel vieler Wagnerianer entsprach. Im Dritten Reich wurde diese Maßnahme des unentgeltlichen Eintritts keineswegs für alle Theater deutscher Städte durchgeführt, weswegen viele Menschen sich den Konzertbesuch aus finanziellen Gründen nicht leisten konnten, doch der Krieg setzte vor allem für Bayreuth andere Maßstäbe. Nationalsozialistische Ideologen mußten den ,Kulturwillen‘ Adolf Hitlers, der sich ganz einseitig auf die finanzielle und ideelle Förderung der Bayreuther Festspiele festgelegt hatte, so überhöhen, als ob das deutsche Volk zu keiner Zeit darunter leiden müsse oder gar aufbegehrte. Deshalb wurde eine kulturpolitische Konstruktion favorisiert, die der tatsächlichen Realität ins Gesicht schlug, aber Hitler schmeichelte: „Er weiß zu gut, und er hat es oft genug ausgesprochen, daß, was an wertvollem Kulturgut in Deutschland vorhanden ist, geschützt und erhalten werden muß.“2 Diejenigen, die nach Peter Raabe am 30. Januar 1933 ihr nationales Herz entdeckt hätten, könnten ihre vaterländische Gesinnung nun unter Beweis stellen, aber dazu gehörten nicht jüdische Künstler, die seit Generationen mit der deutschen Musik verwurzelt waren und sie als ihr kulturelles Eigentum ansahen. 1 Sophie Rützow: Richard Wagner und Bayreuth. Ausschnitte und Erinnerungen, München 1943, S. 204. Und sie ergänzte diese nationalsozialistische Weihe mit der Aussage: „Der Krieg fügte der Geschichte der Festspiele ein neues Blatt ein: Der Führer dankte dem schaffenden Volk, den Soldaten, indem er sie einlud nach Bayreuth. Es war wohl das geschlossenste Bild, das das Festspielhaus je erlebt hat, als im Sommer 1942 der ,Ring‘ einzig und allein vor einem feldgrauen Publikum von Verwundeten gespielt wurde.“ 2 Peter Raabe: Kulturwille im deutschen Musikleben. Kulturpolitische Reden und Aufsätze. 2. Band, Regensburg 1936, S. 11. „Adolf Hitler hat das gemeinsame Erlebnis als für den deutschen Geist fördernd erkannt, und in der Praxis der Politik des dritten Reiches spielt seine Pflege eine bedeutende Rolle.“ (S. 12).

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Ganz ohne irgendeine Einflußnahme von Bayreuther Seite wurde jüdische Kunst und jüdische Musik unmittelbar nach Beginn der Hitlerschen Kanzlerschaft eingeschränkt bzw. verboten. Der 1933 gegründete Jüdische Kulturbund z. B. durfte nach der Machtergreifung keine Werke Wagners – wie auch Richard Strauss’ – mehr in sein Programm aufnehmen, vier Jahre später auch keine Musik mehr von Beethoven und seit 1938 waren auch Mozart-Werke nur noch der ,kulturellen Welt‘ des arischen Deutschlands vorbehalten, weil nur dies mit der wahren Volksgemeinschaft in Einklang stünde. Saul Friedländer sieht darin einen selbstverständlichen Ausdruck der geistigen und kulturellen Welt der nationalsozialistischen Machthaber: „Für die neuen Herren konnte von Anfang an, wo Wagner war, kein Jude sein.“3 Dagegen wurde zwei Tage vor der Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes, am 21. März 1933, das neue Dritte Reich mit der von Wilhelm Furtwängler dirigierten Aufführung der Meistersinger ,inthronisiert‘, d. h. knapp sechs Wochen nach der nationalsozialistischen Machtergreifung, die von vielen Juden nicht als für sie lebensgefährlich angesehen wurde, obwohl Hitler in Mein Kampf seinen vernichtungswütigen Judenhaß keineswegs verborgen hatte. Das innige Verhältnis harscher Judenfeindschaft zwischen Hitler und Bayreuth hatte ja unter sehr viel widrigeren Verhältnissen ein Jahrzehnt lang Bestand, weshalb man auf dem Festspielhügel nach 1933 auf eine positive Zukunft staatlicher Förderung hoffen durfte, aber auch einen zunehmenden Einfluß nationalsozialistischer Ministerien befürchten mußte. Am 26. Dezember 1934, nachdem Hitler Winifred Wagner ein Bild von ihm zugeschickt hatte, schrieb sie voll glücklicher Dankbarkeit, das Bild sei ein Meisterwerk, das „nun mein Häuschen mit der Weihe Deiner ständigen Gegenwart beschenkt! – Hab‘ unendlichen Dank, Du Spender solch‘ namenloser Freude! – In treuer Freundschaft Deine Winnie.“4 Ein halbes Jahr später, am 9. Juni 1935, 3

Saul Friedländer: Hitler und Wagner, in: Richard Wagner im Dritten Reich, hrsg. von Saul Friedländer und Jörn Rüsen, München 2000, S. 165. 4 Zitiert von Jonathan Carr: Der Wagner-Clan. Aus dem Englischen von Hermann Küsterer. 2. Aufl., Hamburg 2008, S. 257. Das Leben Winifred Wagners und ihre Beziehung zu Adolf Hitler ist bis ins letzte Detail beschrieben in dem fast 700 Seiten starken Buch von Brigitte Hamann: Winifred Wagner oder Hitlers Bayreuth (2002), München/Zürich 2013. Hamann schildert, wie die Familie Wagner Hitlers Aufstieg seit 1919 interessiert verfolgt hat und durch den Vertrauten der Familie, Christian Ebersberger, der seit Ende 1922 Vorsitzender der Bayreuther Ortsgruppe der NSDAP war, informiert worden ist. „Das wichtigste persönliche Bindeglied zwischen den Wagners und Hitler war die Familie Bechstein, also Winifreds einstige Ersatzeltern. Sie finanzierten zunächst Dietrich Eckarts deutschvölkische Zeitschrift Auf gut Deutsch.“ (S. 73, Hervorhebung im Original). Die Pianofabrikanten Bechstein, die in München und Berlin vornehme Salongesellschaften gaben, waren ebenso wie Hugo Bruckmann, der Verleger von Houston Stewart Chamberlain, große Verehrer von Adolf Hitler. „Mit seinen gründlichen Wagnerkenntnissen machte Hitler bei seinen vornehmen Gastgebern gewaltigen Eindruck.“ (So David Clay Large: Wagners Bayreuth und Hitlers München, in: Richard Wagner im Dritten Reich, hrsg. von Saul Friedländer und Jörn Rüsen, München 2000, S. 204). Ziemlich übertreibend vertrat Walter C. Langer: Das Adolf-Hitler-Psychogramm. Eine Analyse seiner Person und seines Verhaltens, verfaßt 1943 für die psychologische Kriegführung der USA, Wien/München/Zürich 1973, S. 104, die These: „Nach dem Tod Siegfried Wagners [1930] glaubten Presseleute in aller Welt, daß Winifred Hitlers Frau werden

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schrieb sie an Richard Strauss: „Sie wissen, daß in Bayreuth nichts geschieht, was nicht der Initiative des Führers oder seiner ausdrücklichen Zustimmung entspricht.“5 Der intellektuelle Kreis der antisemitischen Wagneranhänger um Hitlers ,Sonderbeauftragte‘ Winifred Wagner wurde nicht nur immer zahlreicher, sondern auch immer fanatischer in seinem Judenhaß, je länger das Hitlerregime andauerte, weil alle an dieser nationalsozialistischen Förderung partizipierten. Wie auf allen Ebenen der wissenschaftlichen Forschung – so wurde z. B. die Einsteinsche Relativitätstheorie von den deutschen Nobelpreisträgern für Physik Philipp Lenard und Johannes Stark als jüdisch verseucht abgelehnt –, wurden auch in den Geisteswissenschaften deutsche Universitäten von jüdischen Gelehrten ,gesäubert‘, d. h. sie wurden ohne Pensionsanspruch entlassen.6 Mit fortschreitender Verfestigung diktatorischer Strukturen im Dritten Reich konnten auch die kritischen Deutungen von Wagners Leben und seiner Musik zurückgedrängt und der Komponist in der „neuen Blüte praktischer Wagner-Pflege“7 dem deutschen Volk präsentiert werden. Die gesündesten Kreise des Volkes könnten an dem wahren Erbe weiterbauen, weil „die durch den Nationalsozialismus heraufgeführte Revolution der Geister zum erstenmal die in Richard Wagners Schaffen verkörperten deutschen Kulturkräfte zur allgemeinen völkischen Anerkennung brachte“. Das gedeihliche Zusammenwirken auf künstlerisch-politischem Gebiet zwischen Adolf Hitler und Winifred Wagner konnte nun auf weltanschauliche Fragen ausgeweitet und der angebliche Nachweis geführt werden, daß Wagner zwar nicht der ,erste Nationalsozialist‘ gewesen war, aber „daß er Gedankengut des Nationalsozialismus bedeutungsvoll wie wenige vorgeahnt habe“.8 Der antisemitische Rassengedanke unter dem Einfluß von Arthur de Gobineau und das Deutschtum wurden von Eugen würde. Doch obwohl solch eine Verbindung für beide Seiten ideal zu sein schien, kam sie nicht zustande.“ Siegfried Wagner hatte in seinem Testament festgelegt, daß nach einer Wiederverheiratung Winifreds sie die Leitung der Bayreuther Festspiele verlieren sollte, was sie unbedingt verhindern wollte. 5 Zitiert von Michael H. Kater: Die mißbrauchte Muse. Musiker im Dritten Reich (1998). Aus dem Amerikanischen von Maurus Pacher, München/Zürich 2000, S. 79. Eine verständnisvolle Geschichtsfälschung über Winifred Wagner, der „Widerständlerin“ (S. 184), die eine „Ausblendungstechnik entwickelt“ (S. 189) habe, präsentiert Nike Wagner: „Für uns war er überhaupt nicht der Führer“. Zu Winifred Wagner, in: Richard Wagner im Dritten Reich, hrsg. von Saul Friedländer und Jörn Rüsen, München 2000, S. 183: „Natürlich wußte unsere menschlich fühlende Bayreuth-Chefin, daß Hitler, was die jüdischen Dinge anbetraf, unschuldig war. Julius Streicher war der Drahtzieher.“ Oder: „Sie gerät in ihrer Beziehung zu Hitler in Dimensionen – mystische, religiöse, liebende, kindlich dankbare –, die ihr sonst fremd sind.“ (S. 192). 6 Vgl. Hubert Kiesewetter: Von Hegel zu Hitler. Die politische Verwirklichung einer totalitären Machtstaatstheorie in Deutschland (1815 – 1945) – (1974). 2., völlig veränd. und erw. Aufl., Frankfurt am Main 1995, S. 266 ff. 7 Eugen Schmitz: Richard Wagner, wie wir ihn heute sehen, Dreden o. J. (1937), S. 5. Dort auch das nächste Zitat. 8 Ebd., S. 7. Nach Schmitz verkörperte sich in Wagners Kampfschrift gegen das Judentum „echter altererbter Sachsentrotz“ (S. 9).

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Schmitz bis zu Wagners Regenerationsschriften verfolgt, in denen die Charakterzüge des Ariertums hervorträten, „die in Stolz, Wahrheitsliebe und Heldenkraft gipfeln“.9 Doch die eigentliche Rettungstat für Bayreuth entstand durch „das begeisterte Bekenntnis der nationalsozialistischen Reichsregierung zur Kunst Richard Wagners“,10 wie 70 Jahre früher Ludwig II. Wagner vor dem völligen Ruin gerettet hatte. Ob sich Geschichte unter veränderten Vorzeichen nicht doch wiederholt, mag eine Frage sein, die sich bei unseren Überlegungen aufdrängt, aber hier nicht erörtert werden soll. Wagner, Bayreuth und Hitler verschmolzen allerdings im Dritten Reich zu einer künstlerischen Synthese, die alle liberalen Ansätze unter sich begrub und die keineswegs als ein bewußter Mißbrauch von Wagners Ideen angesehen werden kann, auch wenn die nationalsozialistischen Rassisten Wagners Antisemitismus für ihre Zwecke ausschlachteten. Noch vor dem Zweiten Weltkrieg schrieb Wolfgang Hallgarten über das Haus Wahnfried, „wo nach des Meistern Tode seine Gattin gleich einer Pythia waltete, wurde der Sitz der antirationalen und antiliberalen, sowie ausgesprochen antisemitischen deutschen Erlösungslehre“11 errichtet. Die bereits diskutierte Ansicht, daß lediglich Hitler, Goebbels oder Rosenberg und keine anderen Nationalsozialisten auf Wagners Antisemitismus rekurrierten, ist ein Feigenblatt zur Ehrenrettung von Bayreuth, das ideologisch durchlöchert ist und auch nicht durch ständige Wiederholungen gestopft werden kann. Seit Wagners Tod entwickelte sich Bayreuth tatsächlich zum ideologischen Zentrum von Judenhaß und nationalsozialistischer Weihestätte, die schließlich alle führenden Nationalsozialisten anzog, die im Dunstkreis der Hitlerschen Ära dem Wagnermythos huldigten. Die eigentümliche Rolle des Generalmusikdirektors Kurt Overhoff (1902 – 1986), der begeisterter Hitler-Anhänger war und 1939 wegen einer ,reaktiven Depression‘ in die geschlossene Psychiatrie Kennenburg bei Esslingen eingeliefert wurde, ist eine Bemerkung wert, denn es zeigt, daß Winifred Wagner jedes Mittel willkommen war, um nationalsozialistisches Gedankengut bei ihren Kindern zu verbreiten. Overhoff wandte sich in einem verzweifelten Brief an Winifred, die ihn daraufhin zur musikalischen Erziehung ihres Sohnes Wieland nach Bayreuth holte, weil sie sicher sein konnte, daß Wieland im nationalsozialistischen Geist erzogen würde. „Overhoffs Sprössling Wieland Wagner sah in Hitler bald eine Art Ersatzvater und durfte sich mit dessen Hilfe schon vor dem Krieg in Regie und Bühnenbildnerei üben.“12 Es ist 9

Ebd., S. 86. Ebd., S. 99. 11 Wolfgang Hallgarten: „Fremdheitskomplex“ und Übernationalismus. Beiträge zur Sozialgeschichte der deutschen Rassenideologie, in: Zeitschrift für eine freie Forschung, Juni 1938, S. 102. 12 Ulrich Drüner/Georg Günther: Musik und „Drittes Reich“. Fallbeispiele 1910 bis 1960 zu Herkunft, Höhepunkt und Nachwirkungen des Nationalsozialismus in der Musik, Wien/ Köln/Weimar 2012, S. 83 f. Hitler äußerte sich am 9. Juni 1942 in der Reichskanzlei sehr positiv über die beiden Söhne Winifred Wagners, „der Sohn Wieland solle in besonderer Weise geeignet sein, das Erbe des Großvaters Richard Wagners musikalisch zu betreuen, ebenso wie sein Bruder Wolfgang es in technischer Hinsicht einmal mit Erfolg zu tun ver10

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deshalb eine korrekte Ansicht der nationalsozialistischen Bedeutung dieser oberfränkischen Markgrafenstadt, die ohne den rassistischen Einfluß von Chamberlain nicht möglich gewesen wäre: „Was dem Antisemitismus Bayreuths gleichwohl ein unverkennbar eigenes Gesicht verleiht, ist die Entschiedenheit, mit der der Gegensatz von Germanentum und Judentum nachgerade zum zentralen Thema der Weltgeschichte erhoben wird.“13 Wir können es allerdings nicht als besondere Erkenntnis ansehen, daß sich Hitler, der nicht nur Weltgeschichte machen wollte, sondern unfreiwillig die wohl ungeheuerste Person der Weltgeschichte geworden ist, als künstlerischer Teil von Bayreuth fühlte. Wie war diese Wagnerstadt im Dritten Reich so aufzuwerten, daß sie für alle Zeiten den deutschen Ruhm Wagners verbreiten konnte? Am 22. Mai 1938 – Wagners 125. Geburtstag – erließ Hitler auf Betreiben von Winifred Wagner die Verfügung, daß eine ,Richard Wagner-Forschungsstelle‘ in Bayreuth errichtet wurde, was von Martin Bormann vermittelt worden war, deren Leitung Dr. Otto Strobel übernahm, und deren Kosten von 20.000 RM je zur Hälfte die Stadt Bayreuth und das Reich übernahmen. „Sie war nicht dem Propagandaministerium, sondern der Reichskanzlei unterstellt. Von 1940 bis 1945 gab das Reich jährlich 15.000 RM.“14 Allerdings nahm die Forschungsstelle wegen schwieriger Vorarbeiten erst am 18. Februar 1939 ihre Tätigkeit auf und brachte bis 1943 lediglich einen Band Neuer Wagner-Forschungen15 – „die jährlich zwei bis drei Mal erscheinen“16 sollten – heraus, von dem ein Prachtexemplar Adolf Hitler überreicht wurde. Der organisatorische Einfluß des ,Führers‘ unter ständiger Einflüsterung von Winifred vergrößerte sich tatsächlich, denn ab 1936 fanden die Bayreuther Festspiele auf Anweisung Hitlers, der die meisten Kosten übernahm, nicht mehr alle zwei Jahre, sondern jährlich statt. Nike Wagner, die Enkelin des Meistern, tischt ihren unbedarften Lesern die völlig unglaubhafte Version auf, daß Hitler die Aufführung des Parsifal wegen dessen angeblich christlicher Anklänge verboten habe und einen radikalen Bruch mit dem traditionellen Bayreuth anstrebte: „Für 1941 war nämlich, im Auftrag Hitlers und zur Begeisterung der Festspielleiterin und ihrer Söhne, geplant, das Festspielhaus mit einer gigantischen Überbauung zu versehen, den alten Fachwerkbau in eine Speersche Kolossalarchitektur des Dritten Reiches einzubetspreche“. (Henry Picker: Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier (1951), München 2003, S. 532). 13 Winfried Schüler: Der Bayreuther Kreis von seiner Entstehung bis zum Ausgang der Wilhelminischen Ära. Wagnerkult und Kulturreform im Geiste völkischer Weltanschauung, Münster 1971, S. 256. 14 Bogusław Drewniak: Das Theater im NS-Staat. Szenarium deutscher Zeitgeschichte 1933 – 1945, Düsseldorf 1983, S. 287. 15 Vgl. Neue Wagner-Forschungen. Veröffentlichungen der Richard-Wagner-Forschungsstelle Bayreuth, hrsg. von Otto Strobel, Karlsruhe i. B. 1943. Was zukünftig veröffentlicht werden sollte, wird dort auf S. 9 f. angeführt. 16 Ebd., S. 10. Wieland Wagner hat im Januar 1945 in einem persönlichen Brief an Hitler um eine Genehmigung zur Veröffentlichung von Klavierauszügen aus Wagners Opernwerken gebeten, vielleicht weil er glaubte, daß dies dann nach dem Krieg leichter möglich wäre.

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ten und einzuschachteln. Parsifal als undefinierbares mystisches Spiel in einem die Wagnersche Theaterkirche riesig überkuppelnden Nazi-Säkularbau – dazu ein im Auftrag von Alfred Rosenberg umgeschriebener Text –, so hätte die konsequente Entkirchlichung des ,Bühnenweihfestspiels‘ beinahe ausgesehen.“17 In dem so ernüchternden Kriegsalltag seit 1941 hätten Hitler und Speer bei zunehmendem Realitätsverlust am liebsten in allen größeren deutschen Städten solche monumentalen Bauten errichtet, um sich ein ewiges Denkmal deutscher Größe zu setzen, doch es blieben auf schönes Papier gemalte phantastische Träume ohne jede Verwirklichungschance. Winifred Wagner versuchte weiterhin, ihren künstlerischen Einfluß in Bayreuth auch auf politische Entscheidungen der Hitlerregierung auszudehnen, auch wenn sie dazu keineswegs qualifiziert war. So wollte sie z. B. das Festspielhaus während des Krieges schließen, doch Hitler und Goebbels kamen ihr zuvor und umbenannten das musikalische Spektakel nicht nur zu ,Kriegsfestspielen‘, sondern nutzten diese propagandistisch aus, indem sie Funktionäre, Militärs, Rüstungsarbeiter und Verwundete kostenlos nach Bayreuth, der ,Lieblingsstadt des Führers‘ und dem ,Kraftzentrum des Nationalsozialismus‘, bringen ließen, wobei die Anreise, Eintritt, Essen und Übernachtungen durch die NS-Organisation Kraft durch Freude finanziert wurde; Fahrt ab Goslar, Übernachtung, Verpflegung und der Besuch von drei Vorstellungen kosteten pro Person 65 Reichsmark. Bayreuth war damit zum kulturellen Aushängeschild der nationalsozialistischen Führung geworden, mit dem man die fürchterlichen Kriegsereignisse wenigstens für eine kurze Zeit zudecken konnte, auch wenn nach der Bombardierung deutscher Städte sich zunehmend Ernüchterung in der Bevölkerung breit machte. Was nicht zu verbergen war und auch nicht verborgen bleiben sollte, war die systematische Verfolgung und Tötung von Juden, Sinti und Roma sowohl in Deutschland als auch in den besetzten Ländern, selbst wenn der grauenvolle Anblick der millionenfachen Massenmorde in Konzentrationslagern durch das Nervengas Zyklon B dem deutschen Volk nicht zugemutet werden sollte. Bernd Buchner glaubt zwar, daß man sich bei der Fortsetzung der Festspiele im Krieg an Erfahrungen des Ersten Weltkrieges orientierte, denn damals sei „die Zahl der verbilligten Theateraufführungen für Soldaten, Verwundete und Rüstungsarbeiter deutlich angestiegen, um deren Moral zu heben“,18 doch in der öffentlichen Wahrnehmung stand der propagandistische Effekt im Fokus. Für Hitler persönlich kam noch etwas anderes hinzu, denn seit 1925 hatte er regelmäßig Bayreuth besucht – 1925 wohnte er nicht im Haus Wahnfried, sondern bei Rudolf Bayerlein in der Lisztstraße 16/I, wo er sich als ,Schriftsteller‘ in die Fremdenliste eintrug19 – und wohnte in einem Seitenflügel des Hauses Wahnfried, ja eine Straße 17 Nike Wagner: Wagner Theater (1998). 2. Aufl., Frankfurt am Main/Leipzig 1998, S. 225. 18 Bernd Buchner: Wagners Welttheater. Die Geschichte der Bayreuther Festspiele zwischen Kunst und Politik, Darmstadt 2013, S. 157. 19 Vgl. Sylvia Habermann: Der Auftritt des Publikums. Bayreuth und seine Festspielgäste 1924 bis 1944, Bayreuth 1992, S. 8. Im Jahr 1928 verzeichnen die Fremdenlisten auch Hans

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von der Bayreuther Innenstadt zum Grünen Hügel erhielt sogar den Namen AdolfHitler-Straße. Seit dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in die Sowjetunion und die zunehmende Bombardierung deutscher Städte durch alliierte Luftangriffe versank Bayreuth für Hitler im mythischen Nebel einer arischen Wagneroper. Diese Wirkungsstätte (seit 1804) des in Wunsiedel geborenen Erzählers und Schriftstellers Johann Paul Friedrich Richter (Jean Paul, 1763 – 1825), der in idyllischer Zurückgezogenheit die letzten beiden Lebensjahrzehnte in dieser Stadt am Roten Main verbrachte und dort seine weltberühmten Flegeljahre schrieb, verklärte sich für den ,größten Feldherrn aller Zeiten‘ zu einer gefühlsschwangeren Rückzugsbastion. Tatsächlich war Bayreuth für Hitler bis 1940 ein familiärer Zufluchtsort, ein ideologisches Nirwana seiner Welteroberungsgelüste, doch sobald der mörderische Krieg gegen Rußland begann, ließ sich der völkervernichtende Herrscher über Leben und Tod nicht mehr dort blicken und äußerte seine penetrante Wagnerbegeisterung lediglich in Bunkergesprächen. Stattdessen wurde verwundeten Frontsoldaten und ausgewählten Rüstungsarbeitern – die sich so gar nicht an die bürgerlichen Gepflogenheiten dieser Weihestätte halten wollten und offenbar selbst Bier zu den Aufführungen mitbrachten – die Illusion vorgegaukelt: „Das Ringen der Geister um die Macht dieser Erde spiegelt sich in den Wagnerschen Bildern, und von der Bühne des weltberühmten Hauses schweift der Blick wieder hinaus auf die Schlachtfelder, wo unser Geschlecht den alten Kampf in einer Götter- und Götzendämmerung voll ungeheurer Brände über Völker, Länder, Wüsten, Steppen und Erdteile hinweg einer einmaligen geschichtlichen Entscheidung entgegenführt.“20 Den meisten von ihnen wäre ein früheres entscheidendes Ende dieser mörderischen Krieges wohl lieber gewesen als auf Kosten von Kraft durch Freude den zweifelhaften, wenn auch kostenlosen Genuß von Bayreuth mitzuerleben. Selbst in Österreich übernahm diese nationalsozialistische Arbeiter-Organisation den ablaufenden Spielbetrieb im Zweiten Weltkrieg, doch am 30. Juni 1944 endete die letzte Vorstellung der Wiener Staatsoper mit Wagners Götterdämmerung,21 d. h. 80 Jahre nach Wagners überstürzten Flucht aus Wien wegen einer möglichen Schuldhaft. Vielleicht war diese letzte Aufführung eine ungewollte Prognose der kommenden neun Monate, in denen die russischen und amerikanischen Armeen den endgültigen Sieg über den Wagner-Enthusiasten Hitler mit der Befreiung der wenigen überlebenden Juden in Auschwitz und der Zerstörung vieler deutscher Städte mit Zehntausenden von Toten besiegelten. Winifred Wagner hielt trotz der erfolgreichen Invasion englischer und amerikanischer Truppen in ihre neue Heimat in unverbrüchlicher Nibelungentreue an ihrem Führeridol fest, der sich schon jahrelang in mörderische Kriegsstrategien verstrickt Frank als Rechtsanwalt, Heinrich Himmler als Landwirt und Robert Ley als Chemiker; 1930 Baldur von Schirach als Schriftsteller. (Vgl. ebd., S. 9). 20 Hermann Opper: Die Bayreuther Bühnenfestspiele im Kriege, in: Bayreuth, die Stadt Richard Wagners, hrsg. von Otto Strobel und Ludwig Deubner. 2. Aufl., München 1943, S. 61. 21 Vgl. B. Drewniak: Das Theater im NS-Staat (wie Anm. 14), S. 75.

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hatte. Am 23. Juli 1940 erlebte Hitler zum letztenmal eine Vorstellung im Bayreuther Festspielhaus; ironischerweise für diesen Kriegswahnsinnigen war es die Götterdämmerung, dieses in der nordischen Mythologie als ragnarok bezeichnete Schicksal der Götter, den Weltuntergang. Die vorletzten ,Kriegsfestspiele‘ 1943, die von „30.000 Frontsoldaten und Rüstungsarbeitern als Gäste des Führers“22 besucht wurden, nach der alles entscheidenden Niederlage in Stalingrad – zu der Hermann Göring den Nibelungen-Mythos beschwor –, wurden nicht nur mit voller Unterstützung der Hitler-Jugend, sondern auch der SS-Standarte ,Wicking‘ durchgeführt. Das Dritte Reich finanzierte während des Zweiten Weltkrieges weiterhin die Festspiele, auch wenn ihr oberster Gönner nicht mehr daran teilnahm bzw. teilnehmen konnte: „Die Höhe der Gesamtzuschüsse aus Reichsmitteln betrug zwischen 1940 und 1944 pro Jahr rund eine Million Mark.“23 In den letzten Kriegsjahren wurden die ,Kriegsfestspiele‘ in ,Friedensfestspiele‘ umbenannt – auf dem Spielplan standen 1944 zwölf Aufführungen der Meistersinger von Nürnberg und am 1. September 1944 mußten alle deutschen Bühnen schließen – und französische Zwangsarbeiter mußten rund um das Festspielhaus Schützengräben ausschaufeln und jeder Besucher erhielt mit der Eintrittskarte einen Fluchtplan zur Evakuierung bei einem Luftangriff, weil man befürchtete, daß alliierte Bombenangriffe auf Bayreuth geflogen wurden, was erst im April 1945 stattfand. Es widerspricht deshalb allen konkreten Folgerungen aus der Wagnerverehrung im Dritten Reich, wenn behauptet wird, den meisten Nationalsozialisten diente die ideologische Vereinnahmung Wagners „ausschließlich propagandistischen Zwecken“.24 Nationalsozialistische Führungspersönlichkeiten schmückten sich mit dem kulturellen Lorbeer, treue Verehrer des weltberühmten Komponisten Wagner zu sein, auch wenn nicht sicher gesagt werden kann, ob sie dessen Musik verstanden oder nur ihrem Führer nacheiferten. Der Wagnerclan konnte seit den ersten Tagen der nationalsozialistischen Machtübernahme sicher sein, daß Hitler und seine Schergen soviel staatliche Gelder in das Unternehmen Bayreuth hineinpumpen würden, damit sich zu keiner Zeit zwischen 1933 und 1945 eine finanzielle Krise früherer Art wiederholte. Nach Angaben des Propagandaministeriums wurden 1934 für die Bayreuther Festspiele 22 Richard Wilhelm Stock: Richard Wagner und seine Meistersinger. Eine Erinnerungsgabe zu den Bayreuther Kriegsfestspielen 1943, Nürnberg o. J. (1943), S. 157. Es heißt dort weiter, was man unter den damaligen Verhältnissen nur als sarkastisch bezeichnen kann: „Mit seiner Einladung zu den Kriegsfestspielen hat sich der Führer zum Dolmetsch des ganzen Volkes gemacht, indem er damit eine Dankesschuld an die Besten der Nation erfüllte, die zum Schutze der ewigen Werte deutscher Kultur ihr Leben in die Schanze schlagen.“ 23 Michael Karbaum: Studien zur Geschichte der Bayreuther Festspiele (1876 – 1976), Regensburg 1976, S. 91. 24 Matthias Duncker: Richard-Wagner-Rezeption in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), Hamburg 2009, S. 55. Duncker läßt sich zu der unhaltbaren These hinreißen, „dass jede Betrachtung über die Bedeutung Richard Wagners für das Dritte Reich auf der Einsicht von einer einseitig überzogenen und missbrauchten Werkaussage fußen muss“ (S. 57, Hervorhebung von mir).

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11.310 Eintrittskarten mit einem Erlös von 326.460 Reichsmark (RM) verkauft, doch Einwände anderer Ministerien, daß diese Zahlungen zu hoch seien, wurden mit Hinweis auf eine mögliche Beschwerde Winifred Wagners beim ,Führer‘ zurückgestellt. Die Neuinszenierung des Parsifal wurde vom Propagandaministerium mit 150.000 RM, von der Reichsrundfunkgesellschaft mit 95.000 RM für die Senderechte unterstützt. „Noch 1937 nahmen Winifred Wagner und Heinz Tietjen den Aufenthalt eines Beamten des Propagandaministeriums zum Anlaß, das Ministerium ,daran zu erinnern, daß der Führer Wert auf teilweise Auswahl des Publikums bei den Festaufführungen legt, wie der Führer Frau Wagner wiederholt gesagt hat. Daß daher das Propagandaministerium durch den Erwerb von Karten die Möglichkeit gibt, dem hiernach kommenden Personenkreis, der zumeist minderbemittelt ist, Karten für die Bayreuther Festspiele zu vermitteln. Nach den Worten des Führers sollen vor allen Dingen die Kapellmeister und Intendanten der Opernbühnen Deutschlands, die Schüler der musikwissenschaftlichen Institute, die Musikinspicienten des Heeres und des Arbeitsdienstes und musikverständige Angehörige der HJ‘ an den Festspielen teilnehmen können.“25 Bis einschließlich 1939 waren es über eine halbe Million Reichsmark, die Hitlers Reichskanzlei für Karten und Neuinszenierungen Bayreuth zur Verfügung stellte, weswegen man wohl kaum glaubwürdig behaupten kann, daß Winifred Wagner zwischen Hitler und den Bayreuther Festspielen „eine sonderbare Trennung angestrebt“26 habe bzw. von ihr eine „unerschütterlich festgehaltene Trennung von Festspiel und Außenwelt“27 praktiziert worden sei. Wirkungsvolle Propaganda hätte man sich einfacher und billiger erkaufen können, wie wir gleich sehen, aber die rassistische Ideologie wurde als größter, unbezahlbarer Schatz der nationalsozialistischen Führung angesehen. Ebenso, wie man die moderne Kunst und die moderne Malerei als undeutsch und dem deutschen Wesen artfremd denunzierte und verbot, so rabiat ging man ganz im Sinne Wagners auch gegen jüdische Musik vor. In der NS-Ausstellung ,Entartete Musik‘ während der Reichsmusiktage vom 22. bis 29. Mai 1938 in Düsseldorf wurde Wagners Judenschrift durch den Staatsrat und Generalintendanten des Deutschen Nationaltheaters in Weimar, Klaus Severus Ziegler, der die Ausstellung konzipiert hatte und ein echter Wagnerianer war, besonders hervorgehoben: „Wenn Richard Wagner in seiner Abhandlung ,Das Judentum in der Musik‘ schon auf die Scharlatane und seichten Nachahmer der jüdischen Musikproduktion seiner Zeit 25

B. Drewniak: Das Theater im NS-Staat (wie Anm. 14), S. 286. Hans Mayer: Richard Wagner. Mitwelt und Nachwelt, Stuttgart/Zürich 1978, S, 328. Mayer glaubt, daß man nach der Rückkehr Wilhelm Furtwänglers 1936 nach Bayreuth eine Fortsetzung der semitischen Inszenierung des Lohengrin, wie sie seit 1931 von Winifred Wagner durchgeführt worden sei, angestrebt habe: „Jüdische Künstler hatten als Sänger, wenn nicht in der künstlerischen Leitung, auch unter Siegfried Wagner, dann unter dem Regime von Winifred, nunmehr von Heinz Tietjen, mitwirken dürfen: der unersetzbare Wotan von Friedrich Schorr, Alexander Kipnis und Emanuel List in den großen Baßpartien. Frida Leider war mit einem Juden verheiratet.“ (S. 342). Was dies für den Judenhaß der Wagnerianer bedeutete, haben wir bereits bei Cosima und Richard Wagner gesehen. 27 Ebd., S. 345. 26

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hinweist und nachweist, mit welcher Solidarität das Judentum alle deutsche Musik und deren Schöpfer bekämpft hat zu einer Zeit, da der jüdische Komponist aus guten Gründen immerhin noch ein bestimmtes Stilniveau wahrte, so sollten wir Nachfahren Wagners erst recht gewitzt sein, die viel plumperen Scharlatane der jüngsten Vergangenheit zu entlarven, die jahrzehntelang unser Opern- und Konzertleben beherrscht haben.“28 Es scheint also kaum noch einen Zweifel zu geben, daß Nationalsozialisten im Rückgriff auf Wagners Antisemitismus den extremen Rassismus im Dritten Reich förderten und Bayreuth ihnen dabei willige Dienste anbot, selbst wenn etwa Alfred Baeumler oder Alfred Rosenberg (1893 – 1946) sich gelegentlich kritisch zu Wagner äußerten. Rosenberg war ja während des gesamten Dritten Reiches Leiter des Außenpolitischen Amtes der NSDAP und im Zweiten Weltkrieg plünderte der Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg Kunstschätze aus den besetzten europäischen Staaten – wobei Briefe und Autographen Wagners ganz oben auf der Prioritätenliste standen.29 Für die große Wertschätzung Bayreuths als ideologisch-rassistische Trutzburg spricht nicht nur die ständige finanzielle Förderung der Festspiele durch die Reichskanzlei, sondern auch die mitten im Krieg, 1942, gezahlten 1,6 Mio. RM Zuschüsse durch die NS-Organisation Kraft durch Freude. Winifred Wagner und Adolf Hitler waren symbiotische Zwillinge in ihrem Durchsetzungswillen einer rassistischen Ideologie Wagnerscher Prägung. Wie sehr Hitler seinen ganzen Lebensstil mit Wagner-Reminiszenzen ausstaffierte, geht schon daraus hervor, daß die von Arno Breker geschaffene Büste Wagners den großen Wohnraum Hitlers auf dem Berghof schmückte, den so viele Wagnerianer besuchen durften. Die Sekretärin von Hitler berichtete, daß sich in einer Vitrine im Eßzimmer „besonders schönes Porzellan, ein Geschenk von Winifred Wagner an

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Hans Severus Ziegler: Entartete Musik. Eine Abrechnung, Düsseldorf o. J. (1938), S. 12. In unerträglichem Judenhaß äußerte sich Ziegler dort weiter: „Es packt einen oft ein Grauen, wenn man bedenkt, daß wir uns Dichtung, Musik und Bildnisse von einem Fremdvolk haben schenken lassen, von dem wir ganz genau wissen, daß es allezeit einen infernalischen Haß gegen alles Germanische gehegt hat.“ (Hervorhebungen im Original). Noch fast zwei Jahrzehnte nach Ende des Zweiten Weltkriegs war Ziegler in dem Wahn befangen, wenn Hitler siegreich geblieben wäre, er „heute als Triumphator, Retter und Mehrer des Vaterlandes gepriesen würde“. (Hans Severus Ziegler: Adolf Hitler aus dem Erleben dargestellt. 2. Aufl., Göttingen 1964, S. 74). Nun stellte er seine rassistische Eröffnungsrede auf den Reichsmusiktagen in Düsseldorf 1938 so dar, als habe er ausdrücken wollen, „wie vordringlich die völkische Revolution einer Erneuerung des ganzen Menschen im Auge behalten und nicht nur politische und wirtschaftliche, sondern auch kulturpolitische Fragen lösen müsse“ (ebd., S. 242). 29 In Alfred Rosenberg: Der Mythus des 20. Jahrhunderts. Eine Wertung der seelischgeistigen Gestaltenkämpfe unserer Zeit (1930). 7. Aufl., München 1943, S. 432 f., heißt es, es stehe Wagner, „dessen ganzes Kunstwerk nichts anderes ist als eine einzige ungeheure Willensentladung, sich manchmal selbst im Wege. Die Voraussetzung seiner Größe war auch die Bedingung einiger Schwächen… In keiner Weise wird durch diese Bemerkungen Wagners Tat irgendwie verkleinert.“

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Hitler“,30 befand. Es war die gleiche Frau, die drei Jahrzehnte nach dem schmachvollen Ende der Hitlerdiktatur behauptete: „Dann hat mich natürlich bei Hitler sehr begeistert die Idee der Volksgemeinschaft. Ich meine, diese Idee ist nie so lebendig gewesen wie zu Anfang des Nationalsozialismus, also diese absolute Gemeinschaft der Arbeiter der Faust, der Arbeiter der Stirn… Und die Jahre von 33 bis 39 waren schließlich doch sehr fruchtbare Jahre für Deutschland.“31 Wer sollte ihr diese primitiven Beschönigungen glauben, wo sie doch selbst während des Dritten Reiches die Judenhetze der Nationalsozialisten unterstützte? Winifred Wagner hat die „Erinnerungsgabe zu den Bayreuther Kriegsfestspielen 1943“ ganz sicher gekannt, denn darin ist eine handgeschriebene Widmung von ihr abgedruckt, in der sie den „im gegenwärtigen Ringen der abendländischen Kulturwelt mit dem destruktiven Geist des plutokratisch-bolschewistischen Weltkomplotts [eine nationalsozialistische Umschreibung des Judentums, H.K.] unseren Soldaten die unüberwindliche Kampfkraft und den fanatischen Glauben an den Sieg unsere Waffen verleiht“,32 bejubelte, d. h. zumindest die vollständige Vernichtung der sowjetischen ,Untermenschen‘ wünschte. Der Autor der Erinnerungsgabe, Richard Wilhelm Stock, wies in unverblümtem antisemitischen Jargon darauf hin, daß Wagner gerne die Uraufführung der Meistersinger in Nürnberg abgehalten hätte: „Er wußte, daß das Nürnberg eines Hans Sachs und Albrecht Dürer von jeher ein Hort des Deutschtums und die Stadt der mittelalterlichen Kunsthandwerker und weltberühmten deutschen Kaufleute ein gewaltiges Bollwerk gegen jüdisches Schmarotzertum und jüdischen Händlergeist war.“33 Winifred Wagner, die sich noch 1975 zu ihrem nationalsozialistischen Deutschtum bekannte, gab jedoch drei Jahrzehnte nach dem Selbstmord ihres geliebten Führers vor, weder mit Hitler über die Juden gesprochen noch etwas über die Judenverfolgungen und den massenhaften Judenmorden gehört zu haben. Betrachten wir noch kurz ein Beispiel aus der Zeit, die nach Winifred Wagner „fruchtbare Jahre für Deutschland“ waren, weil geistige und körperliche ,Arbeiter‘ in nationalsozialistischer Verbundenheit eine absolute Volksgemeinschaft bildeten. Ein paar Monate, bevor in der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 jüdische Synagogen in Deutschland durch von Nationalsozialisten gelegte Brände zerstört wurden und von offizieller Seite die Behauptung verbreitet wurde, daß diese Zerstörungen Ausdruck der Wut der deutschen Bevölkerung gegen Juden sei, wurde in einem Volksbuch für jeden Deutschen Adolf Hitlers Verehrung für Wagner in den höchsten Tönen gepriesen, der die Meistersinger von Nürnberg als Festspiel zum 30

Christa Schroeder: Er war mein Chef. Aus dem Nachlaß der Sekretärin von Adolf Hitler. 4. Aufl., München 1985, S. 179. 31 Syberbergs Filmbuch, München 1976, S. 279. 32 Zitiert in R. W. Stock: Richard Wagner und seine Meistersinger (wie Anm. 22), S. 11. Faksimileabdruck. 33 Ebd., S. 6. Stock hielt es sogar in seiner Wagnerbegeisterung für angemessen, die durch den Nürnberger Stadtmagistrat und eines „durch den jüdisch-demokratischen Geist verseuchten Bürgertums“ (S. 7) genehmigte Errichtung des „fremdstiligen Judentempels(s) inmitten der urdeutschen Altstadt“ (ebd.) zu verunglimpfen.

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Reichsparteitag (seit 1935) aufführen ließ: „Es ist eine wundersame Fügung, daß diesem großen Genius im Reiche der Kunst, der von Juden und Judengenossen in der niederträchtigsten Art bekämpften und bespieenen Judengegner gerade in Nürnberg diese Ehre zuteil wurde, in der Stadt, von der aus Julius Streicher seit vielen Jahren seinen schweren Kampf gegen das Weltjudentum führt“.34 Dieser seit 1928 amtierende Gauleiter in Franken, seit 1933 Mitglied des Reichstages und Herausgeber des antisemitischen Hetzblattes Der Stürmer, der Politiker und Publizist Julius Streicher (1885 – 1946), hatte mit „Fanget an!“ aus den Meistersingern den Befehl zur Zerstörung der Nürnberger Synagoge am 9. November 1938 gegeben. Dies war bezeichnend genug für die nationalsozialistische Wagnertradition, aber wir müssen es eigentlich dem Wahnfried-Bayreuth zuschreiben, das in dem halben Jahrhundert seit Wagners Tod erst antijüdische Ressentiments und dann den extremen Judenhaß in allen seinen abscheulichen Schattierungen entwickelt hatte, daß die nationalsozialistische Hefe so wirkungsmächtig wurde. „Der Bayreuther Kreis stellte den Kampf gegen die Juden in das Zentrum der Weltgeschichte und leistete so einen entscheidenden Beitrag zu der apokalyptischen Vision von der Erlösung durch die Beseitigung des jüdischen Feindes.“35 Wir könnten noch eine ganze Reihe führender Nationalsozialisten anführen, die während der Nazizeit unter Rückgriff auf Wagners Antisemitismus den Hitlerschen Rassenwahn salonfähig machen wollten. Karl Richard Ganzer (1909 – 1944) z. B., der schon 1929 der NSDAP beitrat und 1941 Nachfolger Walter Franks als Präsident des Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschlands wurde, sah Wagner zwar nicht als Nationalsozialisten, aber als Vorläufer des nationalsozialistischen Judenhasses, denn er habe die innere Zerspaltung der geistigen und staatlichen Mächte durch das Judentum angeprangert: „Wie der Jude immer dort auftaucht, wo es ein Versäumnis des Gastvolkes in jüdischen Nutzen umzusetzen gilt, wie er etwa in Polen und Ungarn sich des vernachlässigten Handels und Gewerbes bemächtigt, so bemächtigt er sich im deutschen Volk des deutschen Geistes, um den sich kein Träger der öffentlichen Gewalt kümmert.“36 Wagner habe für alle Ewigkeiten gültig 34 Richard Wilhelm Stock: Richard Wagner und die Stadt der Meistersinger, Nürnberg/ Berlin 1938, S. 9 (Hervorhebungen im Original). Dort schrieb er auch: „Daß das Judentum in seinem Kampf gegen Richard Wagner so viele willige Trabanten gerade in den Reihen der deutschen Intelligenz gefunden hat, gehört zum traurigsten Kapitel in der deutschen Kunstgeschichte.“ (S. 146. In R. W. Stock (wie Anm. 22), S. 114). Es ist deshalb schon etwas merkwürdig, wenn 80 Jahre nach der Machtergreifung die Behauptung in die Welt gesetzt wird: „Hitlers Nähe zu Richard Wagner machte ihn zum gefährlichsten Feind des Komponisten.“ (So Sven Oliver Müller: Richard Wagner und die Deutschen. Eine Geschichte von Hass und Hingabe, München 2013, S. 16). 35 S. Friedländer: Hitler und Wagner (wie Anm. 3), S. 170. 36 Karl Richard Ganzer: Richard Wagner und das Judentum, Hamburg 1938, S. 28 (Hervorhebung im Original). Es klänge wie eine Schilderung der Zeit um 1938, wo der deutsche Geist sich behaupten müsse, was Wagner 1865 an Ludwig II. geschrieben habe und Ganzer ergänzte dies durch ein Beispiel: „Es gibt in Wagners Geschichte ein Erlebnis, an dem die verderbende Einnistung des Juden in den Riß zwischen den geistigen und politischen Mächten besonders deutlich sichtbar geworden ist, beispielhaft für die ganze Geistesgeschichte des

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hinausgeschrien, daß der nihilistische jüdische Instinkt die größte Gefahr für den deutschen Geist sei: „Nicht die staatliche Maßnahme allein entscheidet gegen das Judentum, sondern erst die Gesundung des Volkes aus seinen seelischen Kernschichten. Die antisemitischen Bewegungen des neunzehnten Jahrhunderts sind großenteils daran gescheitert, daß sie sich in monomanischer Isoliertheit mit der bloßen Feindschaft gegen den Juden begnügten. Richard Wagner hat demgegenüber gewußt, daß der Antisemitismus nur als organisches Glied eines umfassenden Erneuerungsgedankens voll rüstender und ordnender Kraft Erfolg haben könne.“37 Die ,wissenschaftlichen‘ Forschungsstätten im Dritten Reich versuchten ebenso wie einzelne Nationalsozialisten den unglaublichen Mythos Wagnerscher Musik in ihre irrationalen Kampfgesänge gegen das Judentum umzumünzen, um dadurch das gesamte deutsche Volk von der historischen Überlegenheit völkischen Denkens zu überzeugen. Die militärischen Vernichtungsschlachten des Zweiten Weltkriegs, die nach verläßlichen Schätzungen insgesamt die ungeheure Summe von etwa 60 Millionen endenden Jahrhunderts: die Begegnung Wagners mit dem jüdischen Operndirektor Angelo Neumann.“ (S. 29). Wagner habe die Bemühungen Neumanns, den Ring des Nibelungen außer in Berlin auch in Petersburg, London und den USA aufzuführen, als wunderbar angesehen, aber darin käme lediglich die Verführungskunst jüdischer Zertrümmerer zum Ausdruck: „Die Wundermänner beinahe aller unserer Dichter um die Jahrhundertwende waren die betriebsamen jüdischen Verleger. Was die Geschichte der Zusammenarbeit Bismarcks mit Harden im politischen Raum bewies, hat sich in äußerlich veränderter Form im geistigen Raum des deutschen Volkes immer wieder abgespielt: daß der Jude mit der Witterung der beutesuchenden Hyäne auf jene Deutschen zu stoßen wußte, die zur herrschenden Ordnung aus irgendwelchen Gründen im Abstand verharrten.“ (S. 32, Hervorhebungen im Original). In dem vier Jahre früher erschienenen, aber bereits Ende 1932 als Dissertation bei Karl Alexander von Müller abgeschlossenen, Buch Karl Richard Ganzer: Richard Wagner der Revolutionär gegen das 19. Jahrhundert, München 1934, kritisierte Ganzer Bernhard Diebold, der 1928 in seinem Buch Der Fall Wagner behauptet hat, daß Wagner als größter Kunstrevolutionär gleichzeitig Märtyrer des Liberalismus gewesen sei und dadurch linken, klassenkämpferischen Theorien vorgearbeitet habe: „Die nationalsozialistische Revolution hat nun die Entscheidung gebracht. Ihr Sieg hat die lärmvoll vorgetragenen Ideologien der Linken, die sich lange Zeit modern und zukünftig gaben, nun auch vor der blinden Öffentlichkeit als graue Kulturreaktion, nämlich als Erbstücke einer seit langem toten Geistigkeit entlarvt … Es wäre eine Oberflächlichkeit zu sagen, Richard Wagner sei der ,erste Nationalsozialist‘ gewesen: derartige Aussagen sind naiv. Aber er hätte heute Nationalsozialist werden können, weil er die geistigen, politischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten einer vergangenen Epoche aus der Haltung heraus bewertete, die in unseren Tagen den entscheidenden Antrieb des Nationalsozialismus bildet. Man kann vielleicht sogar feststellen, daß erst von dieser heutigen Haltung aus die eigentümlich antiliberale und kulturkritische Wirkung Wagners erkannt und richtig gewürdigt werden kann.“ (S. 6, Hervorhebungen im Original). Nach Udo Bermbach: Richard Wagner in Deutschland. Rezeption – Verfälschungen, Stuttgart/Weimar 2011, S. 36, biegt Ganzer Wagners Denken in Formen um, „die einerseits eher vage bleiben, die er andererseits aber als Fundamente für die nationalsozialistische Weltanschauung begreift“. 37 K. R. Ganzer: Richard Wagner und das Judentum (wie Anm. 36), S. 33 (Hervorhebung im Original). Wagner habe die Lösung der Judenfrage angesprochen, „die Erneuerung des Volkes, die Verdichtung seiner Energien, die Sorge um eine neue Gesundheit, an der der Parasit stirbt“ (S. 34).

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Menschenleben forderten, hätten von deutschen Soldaten nicht durchgehalten werden können, wenn in ihnen nicht der leiseste Hauch verspürt worden wäre, für eine gerechte Sache, d. h. für die Weltherrschaft des deutschen Geistes, zu kämpfen. Während des Krieges beförderte die Organisation Kraft durch Freude (KdF), wie wir schon gehört haben, Rüstungsindustriearbeiter, Verwundete u. a. nach Bayreuth zur ideologischen Indoktrination; 1943 auf Anordnung des Führers 30.000 Gäste; d. h. die Karten und Rechnungen von über eine Million Reichsmark jährlich wurden von dieser Nazi-Organisation finanziert. „Noch 1944 fuhren Sonderzüge mit Soldaten und Rüstungsarbeitern zu den 5. Kriegsfestspielen nach Bayreuth.“38 Und der Nationalsozialist Hans Lebede schrieb über die von Robert Ley gegründete Deutsche Arbeitsfront und die NS-Organisation des Führers, die so viele Menschen nach Bayreuth brachte, damit sie die fürchterlichen Mordorgien an den Fronten für ein paar Stunden verdrängen oder vergessen konnten: „Als dankbarer Bewunderer Richard Wagners hat Adolf Hitler immer neue Mittel und Wege geschaffen, vielen Tausenden seiner Volksgenossen das ,Wunder von Bayreuth‘ spürbar zu machen. Und nun, mitten im gewaltigsten Ringen um Dasein und Geltung, Anerkennung und Sicherung des deutschen Volkes, ruft der Führer, wie schon 1940 und 1941, so auch in diesem dritten Kriegsjahr 1942 wieder 19.000 von denen, die mit der Waffe oder für die Waffe tagaus, tagein höchsten Dienst am Volk und Reich tun, nach Bayreuth auf den Festspielhügel. Dort will er ihnen das große Erlebnis schenken, das in ihrem Alltag noch lange weiterwirken wird.“39 Es waren die gleichen Männer, die in den letzten Wahnsinnsschlachten für einen ,Endsieg‘ noch zu Hunderttausenden ihr kostbares Leben für ,Volk und Vaterland‘ aufopfern mußten, damit der Hitlerclan seine Götterdämmerung inszenieren konnte. Die ungestillte Vernichtungswut Hitlers ist in menschlichen Kategorien kaum noch zu erfassen, doch was bewog die Wagnerianer in Bayreuth, bis zum bittersten Ende an der Seite dieses brutalen Diktators auszuharren? Man könnte vermuten, daß der immer stärker deprimierte Gründer des Tausendjährigen Reiches tatsächlich den Festspielen einen Ewigkeitswert verleihen wollte, wenn wir dem Brief von Heinz Tietjen – der während des Dritten Reiches künstlerische Leitungsaufgaben übernahm, aber auch Generalintendant der Preußischen Staatstheater war, ohne 38

B. Drewniak: Das Theater im NS-Staat (wie Anm. 14), S. 287. Hans Lebede: Bayreuth, in: Richard Wagner, ein Kämpfer und sein Werk. Festschrift der NS.-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ für die Gäste der Bayreuther Kriegsfestspiele 1942, Bayreuth 1942, S. 10. Auch die Reichsvorsitzende des Richard Wagner-Verbandes Deutscher Frauen e.V., Marianne Lange, verkündete auf der außerordentlichen Hauptversammlung am 24. Juli 1941 in Bayreuth: „Nach dem Wunsche des Führers haben sich die Tore des Festspielhauses auch in diesem Sommer geöffnet, um unseren Helden, Verwundeten und allen denen, die im Schweiße ihrer Arbeit das deutsche Schwert härten, Bayreuth zum Erlebnis werden zu lassen und wir Frauen des Richard-Wagner-Verbandes dürfen dies alles mit erleben. Dank der Güte von Frau Winifred Wagner und in schöner bewußter Volksgemeinschaft und in dem Gefühl, durch unsere Arbeit teilzuhaben an der großen Kulturaufgabe Deutschlands.“ (Die Protokollbücher des Richard Wagner Verbandes Deutscher Frauen e.V. 1909 – 1949, bearbeitet von Günther W. Wilberg, Freiburg 1993, S. 241). 39

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NSDAP-Mitglied zu sein, allerdings das „uneingeschränkte Vertrauen Hermann Görings“40 genoß – an Winifred Wagner vom 17. Dezember 1944, als deutsche Städte unter Dauerbombardierung von alliierten Streitkräften in Schutt und Asche gelegt wurden, Glauben schenken können: „Du wirst erstaunt sein, daß ich die Frage des Führers, ob im Sommer 1945 in Bayreuth gespielt werden kann, was die künstlerische und technische Durchführung anbelangt, ohne Bedenken mit ,Ja‘ beantworten kann. Es wären dazu nicht mehr Führerbefehle nötig als bisher.“41 Der ,Endsieg‘ spukte wohl auch in den Köpfen der Bayreuther Wagnerianer, mochte auch das deutsche Volk zugrunde gehen, wenn nur eine gefühlsdurchtränkte Kunst erhalten bliebe, die dem Meister von Bayreuth so sehr am Herzen lag. Winifred Wagner blieb bis zu ihrem Tod in der wahnhaften Verblendung befangen, daß zwischen dem Menschen und dem Mörder Adolf Hitler unterschieden werden könne, denn als Hans Jürgen Syberberg sie 1975 für den vielumstrittenen Film „Winifred Wagner und die Geschichte des Hauses Wahnfried 1914 – 1975“ interviewte, bekannte sie ungeläutert: „Ja wissen Sie, ich bin imstande, ich meine, vielleicht versteht man das nicht, ich bin imstande, den Hitler, den ich kenne, vollkommen zu trennen von dem, was man heutzutage ihm alles zur Last legt.“42 In der Tat ist es schwer zu verstehen, wie das Wagnerbayreuth sich in den rassistischen Völkermord verstrickte, aber weiterhin eine harmlose Unschuld zur Schau trug. Winifred Wagner hätte Hitler nichts zur ,Last gelegt‘, selbst wenn sie von den von ihm befohlenen Judenvergasungen genaue Kenntnis gehabt hätte, denn noch im Sommer 1943 intervenierte sie beim Organisator der Judenvernichtung und Reichsführer der Waffen-SS, Heinrich Himmler (1900 – 1945), den sie, wenn befragt, wohl auch nur als treusorgenden Familienvater kennengelernt hätte. Nach der Kapitulation der 6. deutschen Armee des Generalfeldmarschalls Friedrich Paulus am 31. Januar 1943 in Stalingrad, die Hitler unbedingt verhindern wollte, und den verstärkt fortgesetzten Massenvernichtungen in Auschwitz, beantragte sie bei Himmler, alle deutschen Veröffentlichungen über Wagner zu verbieten, die nicht von der Bayreuther Forschungsstelle genehmigt worden waren. Nach eingehenden Beratungen verschiedener Ministerien schrieb Joseph Goebbels am 19. November 1943 folgenden erstaunlichen Brief: „Im Rahmen der Reichskulturkammer-Gesetzgebung besteht ohne weiteres die Möglichkeit, eine Zensur für Veröffentlichung über Richard Wagner einzuführen. Ich habe bisher davon abgesehen, die Zensur für außenpolitisches, naturwissenschaftliches und Wehrmachts-Schrifttum, die praktisch durch die Abteilung Schrifttum meines Ministeriums durchgeführt wird, rechtlich festzulegen, um unsere Gegner nicht auf sie aufmerksam zu machen. Außerdem bin ich entschlossen, diese Beschränkung des deutschen Geisteslebens 40

M. Karbaum: Studien zur Geschichte (wie Anm. 23), S. 84. Zitiert von H. Mayer: Richard Wagner (wie Anm. 26), S. 351. 42 Zitiert in: Syberbergs Filmbuch (wie Anm. 31), S. 260. Und sie fuhr später fort: „Und dieser ganze abzulehnende Hitler, der existiert innerlich für mich eigentlich nicht, weil ich ihn so nicht kenne.“ (S. 260 f.). Das Lügengewebe der Familie Wagner hat sich offenbar wie ein Ariadnefaden über ein Jahrhundert fortgesponnen. 41

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nach dem Krieg so bald wie möglich aufzuheben. Jede Zensur durch Beamte gefährdet die freie Entwicklung des kulturellen Lebens. Sie widerspricht auch dem Gedanken der Reichskulturkammer, die die Kulturschaffenden führen, aber nicht ihre Werke kleinlich kontrollieren will. Für völlig ausgeschlossen halte ich es, das Schrifttum über einen großen Deutschen unter die Aufsicht eines Archivars zu stellen. Mit demselben Recht könnte die Goethe-Gesellschaft für Goethe das Gleiche in Anspruch nehmen. Wir würden damit die Arbeiten eines der wichtigsten Schrifttumsgebiete auf das Niveau von Archivräten herabdrücken. Ich bitte Sie deshalb, den an Sie herangetragenen Wunsch abzulehnen. Im übrigen werde ich den interessierten Schriftstellern eine Zusammenarbeit mit der Richard-Wagner-Forschungsstelle empfehlen.“43

Das in massenvernichtenden Zerstörungen von Menschenleben, Städten, Industrieanlagen und Kulturgütern endende Dritte Reich riß die Bayreuther Festspiele, die von 1933 bis 1944 den Erlösungsantisemitismus propagierten, nicht mit in den musikalischen noch in den politischen Abgrund, obwohl am 1. Mai 1945 der Tod Hitlers mit Wagnermusik unterlegt im Reichsrundfunk verkündet wurde. Das ,Tausendjährige Reich‘ war trotz unterstützender Wagnermythen nach etwas mehr als zwölf Jahren in den ewigen Jagdgründen verschwunden, aber wir werden uns noch in 1000 Jahren mit einer nachvollziehbaren Erklärung der Ursachen beschäftigen müssen. Wie sehr auch Hitler von Wagners Opern und Schriften in seinem Handeln beeinflußt gewesen sein mag, die vollständige Ausrottung des europäischen Judentums und beinahe auch des arischen Germanentums können wir nicht Wagner anlasten, sondern sie entsprang den schizophrenen Gehirnen Hitlers und anderer führender Nationalsozialisten. Auch Hitlers Todeskult, der gewiß den feigen Selbstmord an ihm und seiner Frau Eva Braun in einer völlig aussichtslosen Lage beschleunigte, scheint mir keineswegs auf den Einfluß Richard Wagners zurückzuführen zu sein, wie Saul Friedländer glaubt.44 Selbst wenn Hitler keinen einzigen Ton und keine einzige Zeile von Wagner gehört oder gelesen hätte, wären seine Vernichtungsphantasien aus anderen Quellen, wie Jörg Lanz von Liebenfels oder Dietrich Eckart, gespeist worden. Eckart, der erste Redakteur des Völkischen Beobachters, hatte nicht nur am Hitler-Putschversuch 1923 in München teilgenommen, war danach inhaftiert, aber schwerkrank entlassen worden – er starb am 23. Dezember 1923 –, sondern Hitler beendete Mein Kampf mit einer Widmung an 16 Tote der ,Bewegung‘, auch dieses Putsches: „Und unter sie will ich auch jenen Mann rechnen, der als der Besten einer sein Leben dem Erwachen seines, unseres

43 Zitiert von B. Drewniak: Das Theater im NS-Staat (wie Anm. 14), S. 288. Himmler schlug am 24. April 1944 vor, die ganze Angelegenheit dem ,Führer‘ vorzulegen, worauf es in einer Aktennotiz vom 15. Juli 1944 heißt: „Auch der Führer hält die Wünsche von Frau Winifred Wagner nicht für erfüllbar.“ (Zitiert ebd.). 44 S. Friedländer: Hitler und Wagner (wie Anm. 3), S. 177, schreibt: „In Hitlers zwölf Jahre existierendem Reich wurde dieser mythisch-ästhetische, wagnerische Kult von Tod und Erlösung der mörderische Antrieb zur Zerstörung und Auslöschung.“

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Volkes gewidmet hat im Dichten und im Denken und am Ende in der Tat: Dietrich Eckart.“45 Ich möchte am Schluß meiner Überlegungen zu dem Verhältnis Wagner – Hitler noch einmal betonen, daß die zerstörerische Wirkungsgeschichte von Wagners Antisemitismus in Bayreuth und mit Unterstützung Richard Wagners begonnen hat, aber auch darauf insistieren, daß erst die rassistischen Wagnerianer sie zu einem nationalsozialistischen Ideengebäude umgeformt und deshalb dem vernichtungswütigen Hitlerismus eine rechtfertigende Ideologie geliefert haben. Hitler konnte deshalb sicher sein, daß das gehobene Bürgertum und die kulturelle Elite Deutschlands keinen rigorosen Widerstand gegen die primitiven, mörderischen Aktivitäten der Hitlerclique anzetteln oder gar durchführen würden, schon gar nicht in Bayreuth oder durch Bayreuther Wagnerianer. Es bleibt eine drängende Frage, die hier nur angedeutet werden kann, warum nach 1945 so wenig politische und künstlerische Konsequenzen aus dieser Wagnerischen Judenhaßtradition gezogen wurden? Zweifellos spielte die vordergründige Trennung von Musik und Politik, die Wagner in vielen seiner kulturpolitischen Schriften zu überwinden suchte, eine wichtige Rolle, aber sie kann nicht schlüssig erklären, warum das Neu-Bayreuth von Wieland und Wolfgang Wagner diese abscheuliche Tradition fast drei Jahrzehnte verdrängen und fast vergessen machen konnte. Ein verantwortungsvolles Geschichtsbewußtsein in der bundespolitischen Nachkriegsperiode hätte eigentlich darauf drängen und sich damit beschäftigen müssen, welche extremen Folgerungen aus dem Wagnerschen Antisemitismus und Rassismus im Dritten Reich gezogen wurden. Doch wie auf vielen anderen politischen und intellektuellen Feldern war die Adenauerzeit eine überwiegend restaurativ-konservative Periode, in der wirtschaftliche und politische Fortschritte und demokratische Konsolidierung einen größeren Stellenwert und höhere Wertschätzung besaßen als rücksichtslose Aufklärung der größten Verbrechen der deutschen Geschichte. Die einzigartige Singularität des Wagnerschen Festspielerbes und -betriebes, das mit so viel unmenschlichen Gedankengebäuden fünfzig Jahre lang existiert hat und belastet war, sollte m. E. von den politischen Trägern nach fast siebzigjähriger bundesrepublikanischer Demokratie gründlich hinterfragt werden.

45 Adolf Hitler: Mein Kampf. II. Band: Die nationalsozialistische Bewegung (1927). 646.–650. Aufl., München 1942, S. 781.

11. Kapitel

Können wir aus den Wagner-Interpretationen etwas lernen? Es ist vielleicht deutlich geworden, daß das Verhältnis Wagner – Hitler in den letzten Jahrzehnten nicht nur äußerst unterschiedlich bewertet wurde, wenn wir die entsprechende Literatur und die persönlichen Äußerungen vor und nach 1945 betrachten, sondern auch und gerade dann, wenn der Autor von der Musik Wagners begeistert ist oder nicht. Aber nicht nur die gefühlmäßige Hinwendung zur Opernmusik Wagners ist für die mentale Beurteilung von dessen Antisemitismus bedeutend, sondern bei einer wissenschaftlichen Analyse müssen wir rationale Kriterien dafür entwickeln, ob eine interpretative Variante den historischen Tatsachen gerecht wird oder nicht. Solche Kriterien wären etwa der verbale oder inhaltliche Gleichklang antisemitischer Äußerungen unterschiedlicher Denker, die sich lediglich in ihrem historischen Bezug unterscheiden, oder die gewollte Ausblendung antisemitischer Passagen, weil sie das harmonische Gesamtbild stören. Es ist in der fast unüberschaubaren Wagner-Literatur zu wenig berücksichtigt worden, daß Interpretationen immer ein subjektives Element enthalten, ja enthalten müssen, d. h. wir können uns nicht in einen neutralen Raum katapultieren, von dem aus wir wie Marsmenschen objektiv die entsprechenden Sachverhalte beurteilen könnten. Diese kritisch-rationale Vorgehensweise, die Argumente ohne den wissenschaftlichen Anspruch auf Unfehlbarkeit gegeneinander abwägt, ist im vorangehenden Text bereits an wirkungsgeschichtlichen Beispielen in dem knappen Jahrhundert seit 1850 versucht worden, aber nur ansatzweise für Interpretationen nach 1945. Deshalb seien hier zum Schluß noch einige voneinander abweichende Einschätzungen wiedergegeben, um zu zeigen, wie wenig in der aktuellen Literatur seit der ,Vergötterung‘ Wagners im Dritten Reich nachprüfbare Maßstäbe entwickelt wurden, um die wirkungsgeschichtlichen Einflüsse antisemitischer Gedankengebäude genauer ausmessen zu können. In der überwiegenden Literatur zu Wagners Antisemitismus und seinen Folgen geht es um sprachliche Auslegungsvarianten und nicht um konkrete wirkungsgeschichtliche Komponenten eines Proto-Rassismus in ideologiekritischer Absicht.1 Moderne historische Analyse müßte sich nämlich viel stärker an den wissenschaftlichen Erkenntnissen naturwissenschaftlicher Forschung orientieren, um sich 1 Ein theoretisches Modell kritisch-rationaler Problemanalysen wird entwickelt in Hubert Kiesewetter: Irreale oder reale Geschichte? Ein Traktat über Methodenfragen der Geschichtswissenschaft, Herbolzheim 2002.

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aus den erklärungsarmen Fallstricken der historisch-kritischen Methode oder der sprachlichen Hermeneutik zu befreien, indem sie problemorientierte Fragestellungen aussucht und sie mit historischen Fakten konfrontiert, die dadurch bestätigt oder widerlegt werden. In der Musik- und Kulturwissenschaft ebenso wie in der Geschichtsforschung haftet man noch viel zu stark an einer sprachlichen Interpretation von gedruckten bzw. archivalischen Texten anstatt der problemorientierten Hypothesenbildung größeren Einfluß einzuräumen. Wir können eben nicht, wie dies lange Zeit geglaubt und vertreten worden ist, eine plausible Erklärung eines vergangenen Sachverhalts durch eine angeblich unvoreingenommene Einstellung zustande bringen, sondern lediglich durch hypothetische Annahmen und deren möglichst konkrete Untermauerung durch ,Fakten‘ die betreffenden Sachverhalte aufhellen. Kein noch so langer und solider archimedischer Hebel versetzt uns in die erkenntnistheoretische Lage, unsere subjektiven Anschauungen beiseite räumen zu können und ohne persönliche Voreingenommenheiten die kulturgeschichtliche Welt zu betrachten. Wenn wir dies einzuräumen bereit sind, d. h. wenn wir die ständige Fehlerhaftigkeit unserer Erkenntnisbemühungen zugeben, bleibt die Wahrheitssuche zwar ein wissenschaftlicher Forschungsimpuls, aber wir wissen auch, daß die Wahrheit selbst unerreichbar bleibt. Unsere interpretatorischen Bemühungen sind deswegen stets mehr oder weniger gelungene Annäherungen an die Wahrheit, wenn wir Glück und Geduld haben – und Fehler zuzugeben, sie zu entdecken und eventuell auszuräumen ist die wichtigste Forderung moderner Erkenntnistheorie. Betrachten wir einige unterschiedliche Interpretation des Wagnerschen Antisemitismus unter diesen Prämissen. Eine Französin, Françoise Giroud, vertrat z. B. noch 1996 die Ansicht, daß möglicherweise die Unsicherheit über die jüdische Herkunft seines Stiefvaters Ludwig Geyer Wagners perversen Antisemitismus ausgelöst habe und hier eine verborgene Erklärung für einen „unauslöschlichen dunklen Fleck“2 gefunden werden könne. Diese spekulative Idee bringt uns allerdings bei unserem Thema ebenso wenig weiter wie eine andere These Girouds, die mir maßlos übertrieben erscheint, weil sie eine aktuelle Situation als statische Figur in die Zukunft fortschreibt: „Es ist verständlich, daß in Israel Wagners Werke, trotz der Bemühungen von Daniel Barenboim, niemals aufgeführt werden. Wagner ist verfemt. Als hätte er das Blut des Holocaust an seinen Händen.“ Was wir uns viel eher vor Augen führen müssen als solche irrealen und unüberprüfbaren Behauptungen, ist das eigenartige, wirkungsmächtige Phänomen, warum antihumanitäre und antikosmopolitische Gedankengebäude wie die Wagners, die unter anderen historischen Konstellationen entstanden, genug zerstörerische Sprengkraft enthielten, um den nationalsozialistischen Rassenwahn anzufeuern, heute noch Anhänger finden. Das vielverästelte Beziehungsgeflecht Wagner – Hitler kann uns deshalb auch im 21. Jahrhundert keineswegs gleichgültig lassen, weil es in unsere Gegenwart hineinragt und keineswegs 2 Françoise Giroud: Cosima Wagner. Mit Macht und Liebe. Eine Biographie (1998). Aus dem Französischen von Martina Georg. 2. Aufl., München 1998, S. 79. Dort auch das nächste Zitat.

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seit dem verheerenden Untergang des Hitlerreiches im Orkus der Geschichte versenkt worden ist. In ähnlicher Weise, wie Wagners Opern – teilweise unter heftigen Protesten, wie etwa bei der Inszenierung des Tannhäuser als Nazi-Verbrecher in der Düsseldorfer Rheinoper im Mai 2013 – in einer modernen Version bzw. in ungewöhnlichen und überraschenden Deutungen aufgeführt werden, ohne daß man ihnen einen Mißbrauch Wagners unterstellen kann, sollten wir moderne Interpretationen des traditionellen Antisemitismus danach abfragen, ob sie den neuen historisch-politischen Verhältnissen entsprechen oder nur willkürliche Verzerrungen der eigentlichen Absichten sind. Eine der These von Giroud entgegengesetzte Ansicht, die auch von Thomas Mann abgelehnt wurde, vertrat der Philosoph Theodor W. Adorno (1903 – 1969), auf den Giroud merkwürdigerweise gar nicht eingeht, obwohl sich Adorno eingehend mit Wagner auseinandergesetzt hat. In einer englischen Buchrezension „Wagner, Nietzsche, and Hitler“ des 4. Bandes der Wagner-Biographie von Ernest Newman behauptete Adorno 1947 nicht nur, daß sich in Wagners Haltung „in einem erstaunlichen Ausmaß der faschistische Charakter herauskristallisiert, lange bevor man vom Faschismus träumen konnte“.3 Sondern Adorno ging sogar so weit, in den höchst intimen Feinheiten der musikalischen Techniken Wagners nationalsozialistische Propagandagesten zu entdecken, was ja auch nationalsozialistische Wagnerianer behaupteten. Dies hat wenig mit einer nachprüfbaren Interpretation zu tun, denn einen ,faschistischen Charakter‘ hatten Wagnerfreunde wie Wagnerfeinde seit Ende des Ersten Weltkrieges gleichermaßen und ,nationalsozialistische Propagandagesten‘ finden wir noch heute bei rechtsextremen Gruppen, die in Wagner nicht einmal einen Handwerker erkennen können, geschweige denn einen Musiker. Und was die Oper Parsifal betrifft, kam der Atheist und Jude Adorno zu einem beinahe vernichtenden Urteil über die nationalsozialistischen Ähnlichkeiten: „Die Religion von Liebe und Erbarmen, die darin ausgedrückt ist, hat keinen höheren Rang als Görings Schutzmaßnahmen für Wildtiere. Wagners Erlösung ist gleichbedeutend mit Vernichtung: Kundry wird auf die gleiche Art erlöst, wie die Gestapo behaupten kann, die Juden erlöst zu haben.“4 Es sollen hier keine psychoanalytischen Überlegungen angestellt werden, was Adorno zu dieser Einschätzung veranlaßt hat, auch wenn die Judenmorde im Dritten Reich gewiß eine Rolle spielten, aber der geistige

3

Theodor W. Adorno: Wagner, Nietzsche, and Hitler, in: ders., Musikalische Schriften VI, hrsg. von Rolf Tiedemann und Klaus Schultz, Frankfurt am Main 1984, S. 406 (Meine Übersetzung). Auch Joachim Fest: Richard Wagner – Das Werk neben dem Werk. Zur ausstehenden Wirkungsgeschichte eines Großideologen, in: Richard Wagner im Dritten Reich, hrsg. von Saul Friedländer und Jörn Rüsen, München 2000, S. 26, vertritt die Ansicht: „Man kann schwerlich darüber hinwegsehen, daß fast alles, was Wagner zum Hauskomponisten des Dritten Reiches gemacht hat, zumindest rudimentär bei ihm angelegt war.“ Zehn Seiten später äußert Fest allerdings eine Auffassung, die meiner Interpretation sehr viel näher steht: „Kurzum läßt sich ein Verhältnis unmittelbarer Nachfolge zwischen Wagner und Hitler nicht ohne Gewaltsamkeit herstellen.“ (S. 36). 4 T. W. Adorno: Wagner, Nietzsche, and Hitler (wie Anm. 3), S. 411 (Meine Übersetzung).

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Kurzschluß Wagners Erlösung = Hitlers Vernichtung kann als wissenschaftliche Aussage nicht ernst genommen werden. Der Hitlerwahnsinn war und ist so spektakulär, daß nicht nur Wissenschaftler sich an einer möglichen Deutung versuchten. Die Sekretärin von Wilhelm Furtwängler, Dr. Berta Geißmar (1892 – 1949), wollte offenbar auch etwas zu diesem ominösen Verhältnis zwischen Hitler und Wagners Bayreuth beitragen, allerdings ohne allzu große Kenntnis der historischen Zusammenhänge. Sie schrieb in ihrem zuerst 1944 in englischer Sprache erschienenen Buch The Baton and the Jackboot, daß Friedelind Wagner nicht vergessen konnte, wie armselig und verhungert Hitler 1922 bei seinem ersten Besuch in Bayreuth ausgesehen habe: „Sie erinnerte sich genau aller Kämpfe um seine Person. Ihre Großmutter Cosima, welche damals noch lebte, aber schon sehr leidend und fast erblindet war, hatte sich geweigert, ihn zu empfangen. Noch lange nach diesem ersten Besuch konnte Hitler nur bei Nacht und Nebel und durch Hintertüren nach ,Wahnfried‘ kommen; später erhielt er seine eigene prunkvolle Wohnstätte im umgebauten früheren Siegfriedhaus, und dem Besucher konnte es fast scheinen, daß nicht Richard Wagner, sondern Adolf Hitler der dominierende Geist von Bayreuth sei.“5 Vielleicht verwechselte Berta Geissmar Hitler mit Wagner, der in seinen jungen Jahren eine ähnliche materielle und künstlerische Durststrecke überstanden hatte wie der vielbewunderte ,Retter‘ Deutschlands, denn gerade in Bayreuth wurde Hitler seit 1923 hofiert und ausstaffiert, d. h. die Türen standen ihm sperrangelweit offen. Geissmar wollte wohl den vordergründigen Eindruck erwecken, daß Hitler auf dem Höhepunkt der rapiden Inflation – im September 1923 lag der Wechselkurs von einem US-Dollar bei 23,5 Mio. Mark, zwei Monate später bereits bei 522 Mrd. Mark! – ein verarmtes Dasein fristete und dringend Hilfe benötigte, da viele Menschen in Deutschland während dieser Zeit unterversorgt waren, aber ganz bestimmt nicht Hitler. Es ist nicht nötig, diese verquere Argumentation genauer unter die analytische Lupe zu nehmen, weshalb einige wenige Bemerkungen genügen sollen. Ganz abgesehen davon, daß Hitler erst am 1. Oktober 1923 nach dem Deutschen Tag in Bayreuth ins Haus Wahnfried kam und dort wie ein Familienmitglied aufgenommen wurde – im November 1922 wurde in Bayreuth eine Ortsgruppe der NSDAP gegründet und Winifred war nach dem Besuch des 1. Münchener Reichsparteitages am 28. Januar 1923 von den nationalsozialistischen Bewegung begeistert –, scheint der Wagner-Clan in Hitler seinen politischen Meister gefunden zu haben. Winifred veröffentlichte am 9. November 1923 in der Oberfränkischen Zeitung, die in Bayreuth verlegt wurde, einen offenen Brief über ihre freundschaftlichen Beziehungen zu dem Putschisten Hitler, ihr Mann Siegfried schrieb an Weihnachten 1923 an Rosa Eidam: „Wir lernten den herrlichen Mann im Sommer hier bei dem Deutschen Tag kennen und halten treu zu ihm, wenn wir auch dabei ins Zuchthaus kommen sollten. Gesinnungslumpen waren wir ja in Wahnfried nie… Sollte die Deutsche 5 Berta Geißmar: Musik im Schatten der Politik (1945). Vorwort und Anmerkungen von Fred K. Prieberg. 4. Aufl., Zürich 1985, S. 180.

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Sache wirklich erliegen, dann glaube ich an Jehova, den Gott der Rache und des Hasses. Meine Frau kämpft wie eine Löwin für Hitler! Großartig!“6 Mit dem unverbrüchlichen Glauben an den Antisemitismus Wagners wie Hitlers sollte Deutschland ja nach 1933 von den größten ,Gesinnungslumpen der Weltgeschichte‘ gerettet werden, was in Bayreuth willige Helfershelfer fand. Es wäre ehrlicher und dem offenbar unsterblichen Erbe Wagners dienlicher gewesen, wenn Winifred Wagner und ihre Söhne sich ausdrücklich von ihren Verstrickungen mit diesem mörderischen Diktator distanziert hätten. Doch aufrechte Wahrheitsliebe kann man von Menschen, die einem totalitären Regime treu gedient haben, nicht erwarten, vor allem dann, wenn sie wegen der unbegreiflichen Verbrechen der von ihnen unterstützten Nationalsozialisten ,ihre Haut‘ retten wollten. Albert Speer (1905 – 1981), Hitlers Monumentalarchitekt und seit 8. Februar 1942 Rüstungsminister, der 20 Jahre im Spandauer Gefängnis über seine Verstrickungen nachdenken konnte, schilderte das Verhältnis Hitler – Wagner auf eine andere, selbstrechtfertigende Art. Als Hitler 1943 ins österreichische Linz kam, so beweihräucherte Speer dieses Ereignis, wo die neue Nibelungen-Brücke mit Statuen von Brünnhilde und Siegfried geschmückt war, und das Landestheater betrat, in dem er als Zwölfjähriger Lohengrin gesehen und gehört hatte, soll er sich als Romantiker gezeigt haben: „Einige Zeit lang träumte er vor sich hin, sein Blick war abweisend, seine Gesichtszüge erschlafft. Unterdessen standen wir leicht betreten herum, keiner wagte sich zu rühren, und erst nach sicherlich mehr als fünf Minuten kehrte Hitler in die Wirklichkeit zurück.“7 Es hat den Anschein, daß Speer damit von seinen eigenen, unmenschlichen Anordnungen über die Beschäftigung von ausländischen Zwangsarbeitern während der letzten Kriegsjahre ablenken wollte, denn drei Jahre vorher hatte Hitler seine Nibelungentreue zu Wagner unter Beweis gestellt. Am 23. Juli 1940 war Hitler überraschend zur Aufführung der Götterdämmerung nach Bayreuth gekommen; es war sein letzter Besuch: „Hitler brachte ein Geschenk aus Paris mit, das er, wie er sagte, in einer Galerie gekauft hatte: ein Lenbach-Porträt aus der Thode-Villa am Gardasee, die die Italiener 1918 samt Inventar enteignet hatten“.8 Der Maler Franz Lenbach (1836 – 1904) stammte aus 6 Annette Hein: „Es ist viel ,Hitler‘ in Wagner“. Rassismus und antisemitische Deutschtumsideologie in den „Bayreuther Blättern“ (1878 – 1938), Tübingen 1996, die diesen Brief auf S. 175 f. zitiert, äußert sich über das Berufungsurteil der Spruchkammer, die im Dezember 1948 Winifred Wagner als Minderbelastete einstufte: „Nicht Winifred hat Wagner dem Nationalsozialismus ausgeliefert, sondern Wagner hat dem Nationalsozialismus in seinen Schriften und Musikdramen, in denen vieles angelegt ist, was der Nationalsozialismus zur Rechtfertigung seiner menschenvernichtenden Politik braucht, und durch die Verbreitung seines Gedankenguts besonders auch in den ,Bayreuther Blättern‘ die ideologischen Voraussetzungen zur Verfügung gestellt.“ (S. 179). Oder unsachlich übertreibend: „Es ist in hohem Maße Wagners unrühmliches Verdienst, daß Hitler sich auf eine bestehende völkisch-judenverachtende Weltanschauung stützen konnte.“ (S. 186). 7 Albert Speer: Spandauer Tagebücher, Stuttgart/Hamburg/München 1975, S. 260. 8 Brigitte Hamann: Winifred Wagner oder Hitlers Bayreuth (2002), München/Zürich 2013, S. 415. „Unter Frau Winifred“, schrieb Walter Lange: Richard Wagners Sippe. Vom

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einfachen Verhältnissen – sein Vater war Maurermeister im oberbayerischen Schrobenhausen und schickte seinen Sohn auf die Gewerbeschule in Landshut, damit er sein Handwerk erlernte –, aber wie Hitler ging er nach München und besuchte die Kunstakademie, die Hitler die Aufnahme verweigert hatte, doch Lenbach verband im Gegensatz zu Wagner, den er ebenfalls malte, mit Otto von Bismarck, den er ab 1879 mehrmals porträtierte, ein freundschaftliches Verhältnis. Speer berichtete außerdem, ohne es zu belegen, daß Hitler zu Baldur von Schirach gesagt haben soll, „er liebe Bayreuth so sehr, daß er sich gern der Vorstellung hingebe, wie er in der kulturell so hochstehenden, vom Geist Richard Wagners geprägten Kleinstadt seinen Lebensabend verbringe“9 bzw. verbringen könne, wie dies ja Jean Paul lange vor ihm getan hatte. Das wäre ein ,Lebensabend‘ in den ewigen Jagdgründen gewesen, denn das Militärtribunal in Nürnberg hätte wohl keinen Wagner-Bonus für diesen verhinderten Welteroberer und brutalen Massenmörder erteilt und ihn wie viele seiner Mitstreiter zum Tode verurteilt und hingerichtet. Doch die spekulative Phantasie scheint gerade, was Wagner betrifft, jede nüchterne Analyse aus dem historischen Feld zu verjagen. (Es ist ja ein altbekannter Topos aus dem 19. Jahrhundert, daß siegreiche Feldherren oder Könige zu ehrfurchtsgebietenden Heldenfiguren emporstilisiert werden). Es ist auch wenig glaubhaft, daß Hitler Deutschland wirklich in eine Wagner-Oper verwandeln wollte, wie der Hitler-Biograph Robert Payna vermutet. Der seit Jugendjahren fanatische Wagnerenthusiast war vielmehr überwältigt von seinem zwanzigjährigen Aufstieg zum allmächtigen Führer und Diktator, seit er in Bayreuth gewesen war und die vollständige Übereinstimmung mit dem Wagnerkreis erlebt hatte. Als Hitler am 30. April 1945 im Berliner Führerbunker Selbstmord beging, hatte er seine Tresore leeren und die Originalpartituren von Wagneropern bereits verbrennen lassen, die ihm vom Verband der deutschen Industrie zu seinem 50. Geburtstag Urahn zum Enkel (1938), Leipzig 1942, S. 63, „der Mutter Obhut, wuchsen nun die Kinder heran und immer mehr hinein in das Werk des Vaters und Großvaters, an dem mitzuwirken auch ihnen als schönste Pflicht vorbehalten ist. Sie wuchsen hinein auch in das Dritte Reich, dessen Führer Adolf Hitler in innerster Anteilnahme am Werke des Bayreuther Meisters seine Hände segnend über des Ahnen Erbe hält. Und was bedeutet das anderes, als daß der Kanzler des Dritten Reiches dieses Bayreuth als ein nationales Heiligtum der Kunst betrachtet und betrachtet wissen will?“ (Hervorhebungen im Original). Dieses Buch ist nicht nur Winifred Wagner, „der Hüterin des Meistererbes“ gewidmet, sondern es sollte vor allem dem Ruhm Adolf Hitlers dienen, „dem Schutzherrn des Werkes von Bayreuth“ (S. 10, Hervorhebung im Original). Umso erstaunlicher ist, daß der Amerikaner George R. Marek: Cosima Wagner. Ein Leben für ein Genie, Bayreuth 1982, S. 321, die Ansicht vertritt, es sei befremdlich, daß Siegfried „Winifred Williams-Klindworth, eine Engländerin heiratete, die sich später mit Hitler anfreundete. Sie war zweifellos das unangenehmste Mitglied der ganzen Sippe.“ 9 A. Speer: Spandauer Tagebücher (wie Anm. 7), S. 156. Speer notierte am 2. Januar 1962 in sein Tagebuch verharmlosend: „Ich dachte heute wieder einmal, wie Hitler nicht nur den Klassizismus, sondern alles, was er berührte, verdorben hat: ein umgekehrter König Midas, der die Dinge nicht in Gold, sondern in Kadaver verwandelte. Nur eine Ausnahme, so bemerke ich mit Erstaunen, gibt es von dieser Regel: Richard Wagner. Der Enthusiasmus für das Werk des Bayreuther Meisters scheint mir so groß wie eh und je, wenn es wohl auch ein anders präsentierter Wagner sein mag, als wir ihn kannten.“ (S. 549).

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geschenkt worden waren.10 Kann man deshalb folgern, daß Wagner von Skrupeln befallen gewesen wäre, sich als selbsttäuschender Mitläufer im Dritten Reich zu präsentieren? Dies sind alles unsinnige Spekulationen, die sich keinem aufklärerischen Impuls verpflichtet fühlen und zur Erklärung der brisanten Realität nicht das Geringste beitragen. Paul Lawrence Rose hat trotzdem im Jahr 2000 einen solchen absurden Was wäre gewesen-Gedanken über eine mögliche Nähe Richard Wagners zu den Nationalsozialisten ins Gespräch gebracht: „Dem Regime gegenüber hätte er eine gewisse politische Unabhängigkeit gezeigt, in vielerlei Hinsicht jedoch mit der allmählichen Annäherung an die Endlösung der Judenfrage sympathisiert, wobei er auf die Kenntnis genauerer Details ohne weiteres hätte verzichten können.“11 Es ist m. E. jedoch erheblich wichtiger und wissenschaftlich ertragreicher, daß wir die reale Geschichte erforschen statt phantasievolle Was wäre gewesen wenn?-Fragen stellen, die eine aufhellende Analyse der konkreten Realität meistens verstellen und logische Purzelbäume vollziehen. Dabei sind sich die Vertreter einer ungeschehenen Geschichte nicht einmal darüber im Klaren, daß es zwischen einer irrealen und einer kontrafaktischen Geschichtsschreibung erhebliche erkenntnisrelevante Unterschiede gibt, die man nicht einfach einebnen sollte.12 Es bleibt ein bitterer Nachgeschmack, daß wir trotz unüberschaubarer Publikationen von dem übelsten Teil der deutschen Geschichte wohl auch in tausend Jahren nicht loszukommen vermögen, selbst wenn dringende politische Probleme zu analysieren sowie zu lösen sind. Denn es gibt ja wirklich bedeutendere Persönlichkeiten sowohl der Kunst als der Politik, denen wir nachahmen könnten, aber: „Wagner blieb bis zum Ende des Dritten Reichs die wichtigste ästhetische Leitfigur, von Hitler immer wieder als Referenz herangezogen, wenn er auf die bedeutendsten Männer der deutschen Geschichte anspielte.“13 Bleibt nur zu hoffen, daß auch diejenigen, die 10

Joachim Köhler: Wagners Hitler. Der Prophet und sein Vollstrecker. 2. Aufl., München 1997, S. 17, schreibt dazu: „Die Folianten waren nicht lange in den Händen der Großindustriellen gewesen. Ursprünglich gehörten sie zum Nachlaß des Bayernkönigs Ludwig II., der sie vom Meister als Dank für monetäre Nachgiebigkeit erhalten hatte. Später wurde der Schatz vom ,Wittelsbacher Ausgleichsfonds‘ gehütet, bis Winifred ein Auge darauf warf und sich eigener Ansprüche erinnerte. Jedenfalls boten die Unternehmer, zu denen Bayreuth traditionell gute Kontakte unterhält, eine erkleckliche Summe [angeblich 800.000 RM, H.K.], um die Münchener Besitzer zur Aufgabe ihres Hortes zu bewegen.“ 11 Paul Lawrence Rose: Wagner und Hitler – nach dem Holocaust, in: Richard Wagner und die Juden, hrsg. von Dieter Borchmeyer, Ami Maayani und Susanne Vill, Stuttgart/Weimar 2000, S. 229. 12 Vgl. H. Kiesewetter: Irreale oder reale Geschichte? (wie Anm. 1), S. 14 ff. 13 Saul Friedländer: Bayreuth und der Erlösungsantisemitismus, in: Richard Wagner und die Juden (wie Anm. 11), S. 16. Friedländer weist zwar ausdrücklich darauf hin, daß die Nationalsozialisten sowohl die Festspiele in Bayreuth als auch andere Anlässe dazu benutzten, um sich mit Wagner zu identifizieren, ist aber trotzdem der Ansicht: „Diese offensichtliche Tatsache läßt den Stellenwert von Wagners Antisemitismus im Denken Hitlers umso paradoxer erscheinen.“ (S. 17). Bogusław Drewniak: Das Theater im NS-Staat. Szenarien deutscher Zeitgeschichte 1933 – 1945, Düsseldorf 1983, S. 286, schreibt: „Im Gegensatz zu Hitler ver-

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seine Musik weiterhin abgrundtief verehren, zu der allmählichen Ansicht gelangen, daß Wagners Einstellung zu Juden mit einer menschenwürdigen und toleranten Lebensphilosophie nichts gemein hat und nicht nur aus ästhetischen Gründen abgelehnt und verurteilt werden muß, ganz unabhängig davon, wer sich dieses schäbigen Antisemitismus bedient hat. Bis heute halten die haltlosen Versuche einer künstlerischen Reinwaschung Wagners von einer moralischen Schuld an den Exzessen der Nationalsozialisten an, obwohl eigentlich nicht mehr zu leugnen ist, daß der sich steigernde Antisemitismus und schließlich Rassismus Wagners viele Gleichklänge mit der völkischen Ideologie aufweist und ganz bewußt von dem Wagnerclan in Bayreuth vorangetrieben wurde. Wir brauchen uns ja nur einmal die Frage vorzulegen, warum die Nationalsozialisten solche pazifistischen deutschen Denker wie Immanuel Kant, Bertha von Suttner oder Albert Einstein keiner nachahmenswürdigen Verehrung für wert befanden, sondern ihre Werke lieber verbrannten, um zu erkennen, daß der ideologische Stellenwert Wagners für den nationalsozialistischen Rassismus von erheblicher Bedeutung war. Besonders intensiv schlägt sich diese Abwehrhaltung gegen eine Mitverantwortung Wagners in der zuerst 2000 erschienenen und 2013 aktualisierten Neuauflage von Dieter David Scholz‘ Wagners Antisemitismus nieder, ein Buch, in dem angeblich die „sachlich-neutrale Auseinandersetzung“14 hochgehalten wird sowie „historische Gerechtigkeit und sachliche Erkenntnis“15 eine große Rolle spielen sollen. Wenn es allerdings um den nationalsozialistischen Wagnerianismus geht, dann erkennt Scholz nur noch eine mißbräuchliche Verwendung, eine selektive Wahrnehmung oder totales Unverständnis bei kritischen Autoren. Wir haben ja schon erörtert, daß es niemals eine Identität zwischen Vorläufern und Nachfolgern geben kann, weil jede historische Epoche ein eigenes politisches, soziales oder künstlerisches Umfeld aufweist, aber daraus zu folgern, daß es keine geistesgeschichtlichen Einflüsse des einen auf den anderen gibt, verkennt sowohl historische als auch wirkungsgeschichtliche Transmissionszusammenhänge. Wenn Hitler in Wagner tatsächlich „nur den schwülstig-bombastischen Verherrlicher eines Teutonentums, den erhebenden Instrumentator des altgermanischen Mythos, ja den musiktheatralischen Illustrator der mittelalterlichen Sage“16 gesehen hätte, dann wären die meisten seiner oft präzisen Äußerungen über Wagner, die eine hielt sich Goebbels (und sein Propagandaministerium) stets sachlich-distanziert zu den Bayreuther Festspielen. Alfred Rosenberg dagegen zeigte persönlich großes Interesse für die Festspiele in Bayreuth und für die ,Wagner-Bewegung‘. In ,streng-vertraulicher‘ Ungeduld stellte die Dienststelle Rosenberg im Oktober 1936 fest: wir warten ,auf die schon längst überfällige Zusammenfassung der deutschen Richard Wagner-Vereinigungen durch Reichsleiter Rosenberg.‘ Winifred Wagner, die ,Herrin von Bayreuth‘, wehrte derartige Versuche ab.“ 14 Dieter David Scholz: Wagners Antisemitismus. Jahrhundertgenie im Zwielicht – Eine Korrektur (2000), Darmstadt 2013, S. 23. 15 Ebd., S. 24. 16 Ebd., S. 160.

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genaue Kenntnis der Werke voraussetzen, Schall und Rauch sowie belanglos. Diktatorische Politiker, ganz besonders aber Hitler und Stalin, lassen sich von geistigen Vorläufern nur dann beeindrucken, wenn diese auch in ihre politischen Strategien einbezogen werden können und nicht nur vage Erinnerungsfetzen des altgermanischen Mythos oder der mittelalterlichen Sage bereithalten. Wir haben ja an einigen Beispielen verdeutlichen können, wie intensiv Nationalsozialisten auf Wagners Antisemitismus zurückgriffen, um den Rassismus des Dritten Reiches eine künstlerische Gloriole zu verleihen, die Deutschen vortäuschen sollte, daß der Nationalsozialismus gar nicht so menschen- und kulturverachtend sei, wie dies in- und ausländische Kritiker schon vor 1933 behaupteten. Sie haben dies ganz bestimmt nicht getan, weil Wagner ein liberaler und menschenfreundlicher Künstler war, sondern weil er in seinem Judenhaß jegliches menschliche Maß vermissen ließ. Ganz so einfach wie Dieter Scholz sollte man es sich aber mit der nationalsozialistischen Wagner-Vereinnahmung nicht machen, denn trotz vieler anderer Aspekte in Wagners Werk bleibt seine rigorose Judenfeindschaft eine tragende Säule seiner ideellen ,Sendung‘, die man nicht als ästhetisches Herrschaftsmittel der Nationalsozialisten umdeuten kann. Die Ursache-Wirkung-Beziehungen zu erforschen, ist gerade auf dem wirkungsgeschichtlichen Terrain eine schwierige Aufgabe, aber es ist keineswegs wissenschaftlich unhaltbar, Wagner auch noch heute „durch die Optik Hitlers wahrzunehmen“,17 selbst wenn wir einzuräumen bereit sind, daß wir die genauen Schnittstellen wohl niemals mehr ermitteln können. Noch eine letzte Bemerkung zu einer realitätsnahen Interpretation historischer Vorgänge. Es hat sich schon jeher als schwierig erwiesen, aus geschichtlichen Ereignissen oder Vorgehensweisen zu lernen, nicht nur deswegen, weil es unterschiedliche Deutungen gibt, sondern wohl vor allem deshalb, weil wir die genauen Anteile der Vergangenheit an unserer Gegenwart (und Zukunft) selten exakt herausfiltern können. Der Wagnersche Antisemitismus ist jedoch trotz aller seiner Schattierungen ein historisches Faktum – was aus den im 6. Kapitel wiedergegebenen unterschiedlichen Reaktionen eindeutig hervorgeht –, deren negativen Auswirkungen wir uns ebenso zu stellen haben wie den negativen Folgen einer kapitalistischen Industrialisierung. Es ist für eine wissenschaftliche Problemstellung keineswegs ungewöhnlich, sich für einen Aspekt, wie z. B. die harsche Kritik am Kapitalismus, zu entscheiden, doch es ist unwissenschaftlich, wenn wir dabei die Wohlstandsgewinne, die der industrielle Kapitalismus einem großen Teil der arbeitenden Bevölkerung ermöglicht hat, leugnen. Ich habe diesen für manchen ungewöhnlichen Vergleich ganz bewußt gewählt, weil ich als Wirtschaftshistoriker und Katholik betroffen bin von den wiederholten Angriffen von hohen kirchlichen Würdenträgern auf den Kapitalismus, so als habe sich dieser in den letzten 250 Jahren nicht ebenso gewandelt und unterschiedliche Formen angenommen wie der Antisemitismus. Die Aufgabe der wissenschaftlichen Forschung, was einen möglichen Lerneffekt aus historischen Strukturveränderungen betrifft, liegt m. E. darin, 17

Ebd., S. 168.

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mit subjektivem Engagement, aber bei sorgfältiger Abwägung unterschiedlicher Standpunkte, herauszufiltern, was sich als langfristig stabil und einflußreich erwiesen hat oder was nur eine vorübergehende Modeerscheinung war, die möglicherweise zu ihrer Zeit großes Aufsehen erregte, aber ohne politische oder kulturelle Konsequenzen blieb. In diesem Sinne habe ich versucht, den wirkungsgeschichtlichen Verästelungen von Wagners Antisemitismus nachzugehen mit dem erkenntnistheoretischen Resultat, daß es gezielten Strategien, aber auch zufälligen Umständen zuzuschreiben ist, ob ein ideologisches Konstrukt auf menschliche oder unmenschliche Weltanschauungen Einfluß gewinnt oder als heiße Luft verdunstet.

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Personenverzeichnis Richard Wagner wurde nicht in das Personenverzeichnis aufgenommen. Abraham (biblischer Patriarch) 110 Adenauer, Konrad 225 Adorno, Theodor W. 151, 228 Agoult, Marie Catherine Sophie Comtesse d’ 151 Alexander (makedonischer König) 72 Ammonius (antiker Philosoph) 113 Apel, Theodor 44 Arbues, Peter de 106 Armin, Otto (siehe Roth, Alfred) Auerbach, Berthold 130, 139, 141, 159 Augstein, Rudolf 189 f. Bach, Johann Sebastian 13, 81 Baeumler, Alfred 179, 218 Barenboim, Daniel 127, 227 Baruch, Löb (siehe Börne, Ludwig) Baudelaire, Charles 33 Bauer, Hermann 39 Bauer, Wilhelm 78 Bayerlein, Rudolf 214 Bechstein, Edwin 16, 172, 180, 197, 210 Bechstein, Helene 16 f., 172, 180, 197, 210 Beer, Jakob Liebermann (siehe Meyerbeer, Giacomo) Beethoven, Ludwig van 13, 76, 116, 127, 207, 210 Beidler, Franz Wilhelm 41, 71 f., 167 Benedict, Siegmund 190 Berlioz, Louis Hector 55 Bermbach, Udo 14, 144, 184, 221 Bernhard, Abraham 118 Bernsdorf, Eduard 64 f. Bethmann, Johann Philipp 106 Bettelheim, Jakob 141 Bierbaum, Otto Julius 23 Bingham, Alfred M. 41 Bismarck, Otto von 21, 25, 50, 73, 80, 143 – 145, 160, 173, 175, 221, 231

Bleichröder, Gerson von 144 Blessinger, Karl Michael 54, 206 Boehle, Fritz 97 Börne, Ludwig 56 f., 114, 139 Borchmeyer, Dieter 50, 58, 70, 140, 156 Bormann, Martin 213 Brahms, Johannes 101 Braun, Eva 224 Braungart, Richard 42 Brehm, Bruno 172 Breker, Arno 16, 218 Brendel, Franz 49, 51, 65, 68, 138 Breslauer, Emil 107 – 109 Brix (Kaufmann) 115 Brockhaus, Friedrich 47 Bruck, Moeller van den 165 Bruckmann, Elsa 16, 180 Bruckmann, Hugo 16, 180, 210 Buchner, Bernd 214 Bülow, Cosima von (siehe auch Wagner, Cosima) 60, 70, 73, 77, 79 f., 84 f., 87, 89, 104, 151 – 154 Bülow, Daniela von 85, 95, 157, 166, 188, 190 Bülow, Hans von 60, 63, 79, 101, 121, 143, 151 – 154, 163 Bülow, Paul 144, 173, 175, 204 Bulwer-Lytton, Lord Edward George 199 Burke, Edmund 113 Carl Alexander (Großherzog von SachsenWeimar-Eisenach) 65, 74 Carr, Jonathan 13, 154, 167, 201 f., 210 Chamberlain, Anna 165 Chamberlain, Eva (siehe auch Wagner, Eva) 164 f., 172, 174, 180, 188 Chamberlain, Houston Stewart 8, 22, 35, 71, 109 f., 113 f., 155, 158 f., 163 – 182, 188 – 190, 192, 194, 206, 210, 212

254

Personenverzeichnis

Chopin, Frédéric 69 Conrad, Herbert 188 Conrad, Michael Georg 171 Conte Corti, Egon Caesar 88 Croeber, Paul 166 Csillag (Schauspieler) 141 Dahn, Felix 143 Dawison, Bogumil 139, 141 Dessoir, Ludwig 139 Devrient, Eduard 91 Diebold, Bernhard 163, 221 Diederichs, Eugen 170 Dietrich, Otto 194 Dönniges, Helene von 140 Döring, Theodor 139 Dörnhöffer, Friedrich 39 Domarus, Max 195, 201 Don Pedro II. (brasilianischer Kaiser) 99 Drewniak, Bogusław 213, 215, 217, 222, 224, 232 Drews, Arthur 67 f. Drüner, Ulrich 147, 212 Düfflipp, Lorenz von 73, 82, 86, 92 Dühring, Eugen 143 Dürer, Albrecht 219 Du Moulin Eckart, Richard Graf 164 Duncker, Matthias 181, 216 Dustmann, Luise 76 Ebersberger, Christian 171, 210 Eckart, Dietrich 16, 172, 180, 210, 224 f. Eckart, Karl 81 Eger, Manfred 19, 78, 81 Ehrlich, Heinrich 113 f., 116 Eichenauer, Richard 205 Eidam, Rosa 229 Einstein, Albert 211, 233 Engel, Carl 184 Ernst II. (Herzog von Sachsen-CoburgGotha) 74 Esser, Heinrich 71 Fehr, Max 49 Fest, Joachim 14, 185 f., 228 Feuchtwanger, Edgar 165 f. Feustel, Friedrich von 92, 94, 99, 143 Fichte, Johann Gottlieb 27

Fiehler, Karl 39 Field, Geoffrey G. 170, 175 Fischer, Jens Malte 21, 48, 103, 146 Förster, Bernhard 7, 142 f. Förster-Nietzsche, Elisabeth 143 Frank, Hans 204, 214 f. Frank, Walter 220 Frantz, Constantin 143 – 146 Franz, Robert 141 Frege, Arnold 87 Freigedank, K.arl (= Richard Wagner) 18, 21, 50, 52, 54, 56 f., 65 f., 68, 111, 134, 138 Freisler, Roland 200 Freud, Sigmund 34 Freytag, Gustav 117 – 120 Friedemann, Edmund 121 Friedländer, Saul 57, 198, 201 f., 210, 220, 224, 232 Friedrich, Sven 188 f. Friedrich II. (preuß. König) 26, 191 Friedrich Wilhelm III. (preuß. König) 19 Friedrich Wilhelm IV. (preuß. König) 74 Fritsch, Theodor 61, 103, 147 Frotscher, Gotthold 206 Fuchs, Max 121 – 125 Furtwängler, Wilhelm 210, 217, 229 Gambetta, Léon 28 Ganzer, Karl Richard 220 f. Garibaldi, Giuseppe 28 Gauthier, Judith 26, 71, 153 Geibel, Emanuel 92 Geißmar, Berta 229 Genz, Friedrich 113 Gerigk, Herbert 207 Geyer, Ludwig 70, 227 Giroud, Françoise 154, 227 f. Glasenapp, Karl Friedrich 106, 142, 162 Gleïzè (franz. Vegetarier) 58 Glozk, Abba 118 Gluck, Christoph Willibald 76 Gobineau, Joseph Arthur de 22, 58 – 60, 109, 118, 144, 157 f., 165 f., 185, 211 Goebbels, Joseph 8, 17, 111, 148, 178, 193 – 195, 201, 212, 214, 223, 233 Goerdeler, Carl Friedrich 200 Göring, Hermann 20, 194, 216, 223, 228 Goethe, Johann Wolfgang von 24, 173, 224

Personenverzeichnis Golther, Wolfgang 179 Gottschalk, Ellen 71 Graf, Ulrich 190 Gregor-Dellin, Martin 44, 55 Groß, Adolf von 79 Grube, August Wilhelm 72 Grunsky, Hans Alfred 21 Grunsky, Karl 17 Günther, Georg 212 Gutman, Robert 13, 143 Gutmann, M. 125 f. Gutmann von Gutmannnsthal (Jüdin) 71 Gutzkow, Karl 126 – 128 Haas, Willy 197 Habermann, Friedrich 209 Habermann, Sylvia 214 Händel, Georg Friedrich 106 Haken, Boris von 194 Halévy, Jacques François Fromental Élie 45 Hallgarten, Wolfgang 165, 212 Hamann, Brigitte 210, 230 Hanfstaengl, Ernst 16 f., 172, 191 Hanisch, Ernst 70 Hanslick, Eduard 105 f., 139, 141 Harden, Maximilian 221 Harlan, Veit 111 Hartmann, Moriz 130 Hauser, Kaspar 162 Heckel, Emil 94, 96, 99 Heer, Hannes 96, 188, 198 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 7, 31 f., 72 Heiden, Konrad 9, 164 Hein, Annette 230 Heine, Heinrich 52, 56, 114 – 116, 119 f., 134, 139 Heinitz, Anton W. 24 Herbst, Ludolf 187 Herrmann, Klaus J. 158 Herwegh, Georg 56 Herzfeld, Friedrich 92, 94, 97 f., 155 Heß, Rudolf 194 Hilmes, Oliver 151, 164, 170, 172, 174, 178, 188, 190 Himmler, Heinrich 20, 215, 223 f. Hindenburg, Paul von 25, 171, 178 Hitler, Adolf 5, 7 – 10, 13 – 17, 20 f., 23 f., 28, 31 – 39, 41 – 43, 48, 57 – 59, 61, 72, 117,

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141, 143 f., 151, 154, 159, 163 – 167, 170 – 204, 206 – 220, 222 – 234 Hoffmann, Ernst Theodor Amadeus 197 Hofmann, Peter 72 Hohenlohe-Langenburg, Fürst Ernst zu 118, 158, 161 – 163 Hohenlohe-Schillingsfürst, Fürst Chlodwig zu 89 Horawitz, Adalbert 25, 50 Hülsen, Botho von 157 Hugo, Victor 28 Jacobi, J. J. 130 Jacolliot, Louis 97 Jahn, Friedrich Ludwig 27 Jánosi, Josef Engel de 58, 106, 169 Jean Paul 215, 231 Jesus Christus 59 f., 110, 119, 126, 156, 166, 199 Joachim, Joseph 64 Joukowsky, Paul von 155 Juvenal (römischer Dichter) 107 Kant, Immanuel 29, 116, 207, 233 Kapp, Julius 15, 45 f., 58, 83 Karbaum, Michael 93, 216, 223 Karpath, Ludwig 74, 147 Kater, Michael H. 211 Katz, Jacob 13 Kaufmann, Walter 143 Kaulbach, Wilhelm von 116 Kempfler, Fritz 20 Kerrl, Hanns 194 Keynes, John Maynard 171 Kiesewetter, Hubert 10, 30 f., 40, 72, 122 f., 149 f., 211, 226, 232 Kietz, Ernst Benedikt 50 Kipnis, Alexander 217 Kisch, Salomon Abraham 105 Klee, Ernst 17 Knappertsbusch, Hans 39 Knorr, Julius 152 Köhler, Joachim 16, 18, 99, 158, 163, 166, 232 Kolland, Hubert 16 Konstantin I. (römischer Kaiser) 72 Kramer (Wiener Kaufmann) 74 Kretschmar, Eberhard 83

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Personenverzeichnis

Kubizek, August 186 f. Kurzke, Hermann 24 Lachner, Franz 76 Lagarde, Paul de 143 – 145 Lang, Julius 128 – 136 Lange, Marianne 222 Lange, Matthew 22 Lange, Walter 230 Langer, Walter C. 210 Lanz von Liebenfels, Jörg 224 Large, David Clay 168, 210 Lassalle, Ferdinand 113, 140, 164 Laube, Heinrich 45, 47, 115 Lebede, Hans 222 Lehrs, Samuel 46 Leider, Frida 217 Lenard, Philipp 211 Lenbach, Franz 160, 230 f. Lessing, Gotthold Ephraim 199 f. Levi, Benedikt Samuel 96, 159 Levi, Hermann 14, 93, 96 – 101, 108, 147, 156, 158 – 161, 204 Levy (Musiker) 95 Lévy, Élias (siehe Halévy, Jacques Fromental) Ley, Robert 194, 198, 215, 222 Lichtenberg, Reinhold Frh. von 98 List, Emanuel 217 Liszt, Franz 14, 41, 48, 55 f., 65, 74, 76, 141, 151, 153, 160, 163 Lobe, Johann Christian 65 f. Lochmüller, Benedikt 15 Löwy (Rabbiner) 99 Lorenz, Alfred 16, 102 Lotz, Ilse 104, 174 Lubin, Germaine 196 Lucca, Pauline 139, 141 Ludendorff, Erich 171, 174 f. Ludwig II. (bayer. König) 15, 20, 38 f., 48, 54, 67 – 70, 73, 75 – 94, 96 – 102, 138 f., 143, 147 f., 152 – 154, 157, 160, 169, 197, 203, 212, 220, 232 Lüttichau, August Frh. von 112 Luther, Martin 62,132, 146, 191 Lutz, Johann Frh. von 77, 81, 87

Magee, Brian 15 Maistre, Joseph Marie Comte de 113 Mann, Thomas 8, 16, 23 – 43, 120, 133, 151, 228 Marek, George R. 231 Maria (Mutter Jesu) 114 Marie (bayer. Königin) 83 Marr, Wilhelm 142 f. Marwitz, Friedrich von der 19 Marx, Karl 19, 51, 56, 122, 184, 202 Matthes, Wilhelm 18, 32, 183 Max von Baden, Prinz 166 Maximilian II. Joseph (bayer. König) 75 f., 84, 99 Mayer, Hans 81, 171, 179, 217, 223 Meinecke, Friedrich 30 Meißner, Alfred 130 Mendelssohn, Moses 113, 118 Mendelssohn Bartholdy, Felix 45, 47, 49 f., 54 f., 65 f., 68, 103, 106 f., 109, 128, 133, 136 f. Mendès, Catulle 26, 71, 153 Mendès, Judith (siehe Gauthier, Judith) Mengele, Josef 20 Merseberg, Fritz 203 Messerschmidt, Franz Xaver 136 Meyerbeer, Giacomo 45 – 50, 55 f., 65 f., 68, 81, 103, 106 f., 112, 133, 136 f., 139, 162, 198 f. Michaud, Éric 175 Midas (phrygischer König) 231 Millenkovich-Morold, Max von 158 f. Mottl, Felix 162 Mozart, Wolfgang Amadeus 76, 127, 210 Muchanoff, Marie 136 Muchanoff, Sergei 69 Muchanoff-Kalergis, Marie 68, 87, 136, 139 Müller, Karl Alexander von 221 Müller, Sven Oliver 220 Münchhausen, Karl Friedrich Frh. von 114 Mussolini, Benito 186 Napoleon I. (franz. Kaiser) 162 Naumann, Angelo 14, 100, 102, 146 f., 157, 221 Nesselrode, Karl Robert Graf von 136 Neuling, Ernst 198 Newman, Ernest 184, 228

Personenverzeichnis Nietzsche, Friedrich 7, 20, 27, 30, 33, 35, 38, 44, 70, 120, 143, 158 Nohl, Ludwig 66 f., 69, 76, 90, 96 Oberbeck, Alfred Frh. von 36 Oettinger, Eduard Maria 121, 135 – 139 Opper, Hermann 196, 215 Orel, Anton 22 Overhoff, Kurt 212 Panzer, Friedrich 40 Pasdeloup, Jules Etienne 71 Patersi de Fossombroni, Louise Adélaïde 157 Paulus (Apostel) 162 Paulus, Friedrich 223 Payna, Robert 231 Pecht, August Friedrich 80, 85, 90, 115 f. Pepino (ital. Sänger) 157 Pfistermeister, Franz Seraph von 80 f. Pfitzner, Hans 39 Pfordten, Ludwig Frh. von der 77, 85 f., 88 f., 138 Pherekrates (griech. Komödiendichter) 113 Picker, Henry 176, 193, 196, 213 Plutarch (griech. Philosoph) 113 Podach, Erich F. 143 Pohl, Richard 95 Pontius Pilatus 65 Popper, Karl Raimund 113, 184 Porat, Dina 57, 202 Porges, Heinrich 14, 156 Possart, Ernst 101 Pott, August Friedrich 59 Praeger, Ferdinand 114, 168 f. Praeger, Richard 114 Prawy, Marcel 21, 95 Preetorius, Emil 42, 44 Pringsheim, Alfred 23 Proudhon, Pierre Joseph 19 Raabe, Peter 148, 209 Rabenau, Friedrich von 180 Radkau, Joachim 34 Rakowitz, Janko von 140 Rauschning, Hermann 58 f., 185 f. Redern, Friedrich Wilhelm Graf von 112 Reichel, Peter 196 Reichwein, Leopold 50, 204

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Reiner, Rudolf 101, 147 Reinhardt, Max 203 Rembrandt (niederländ. Maler) 67 Riccius, August Ferdinand 67 Richter, Hans 86 Richter, Johann Paul Friedrich (siehe Jean Paul) Riefenstahl, Leni 199 Rienzo, Cola di 186 Rießer, Gabriel 108 Ritter, Alexander 98 Ritter, Julie 74 Ritter, Karl 49 Robespierre, Maximilien de 28 Röckel, August 47 Röckl, Sebastian 90, 100 Röhm, Ernst 194 Rohling, August 143 Roosevelt, Franklin Delano 197 Rose, Paul Lawrence 22, 44, 186, 232 Rosenberg, Alfred 8, 165, 167, 177, 212, 214, 218, 233 Roth, Alfred 182 Rothschild, Albert 56 Rothschild, Amschel Meyer 51, 111 Rothschild, Henry von 98 Rothschild, Meyer Amschel 51, 138 Rott, Moritz 139 Rubinstein, Joseph 14, 94 – 97, 100, 155, 200 Rützow, Sophie 209 Rust, Bernhard 194 Sachs, Hans 127, 219 Salomon, Falk 198 Salomon, Felix 119 Saphir, Moritz 139 Scaria, Emil 78 f. Schacht, Hjalmar 194 Schauß, Friedrich von 84 Scheffler, Siegfried 179 Scheidemann, Philipp 177 Schemann, Ludwig 144 f., 157 f. Schenk von Stauffenberg, Carl Graf 200 Schertz-Parey, Walter 34 Schilling, Hans 60 f. Schindler, Maria 57 Schirach, Baldur von 215, 231 Schlesinger, Moritz 46

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Personenverzeichnis

Schlumprecht, Karl 204 Schmelzle, Franz 39 Schmitz, Eugen 191, 211 f. Schönaich, Franz Frh. von 74 Schönberg, Arnold 192 Scholz, Dieter David 44, 46, 101, 104, 148, 157, 171, 184, 187, 198, 233 f. Schopenhauer, Arthur 30, 36, 47, 51, 113 Schorr, Friedrich 197, 217 Schott, Franz 71 Schramm, Martin 163 Schroeder, Christa 219 Schroeder, Leopold von 142, 154 f. Schroeder, Ludwig von 195 Schubert, Franz 13, 127 Schüler, Winfried 213 Schuh, Willi 153 Schumann, Robert 45 f., 56, 103, 108, 198 Schuster, Richard C. 198 Schweighofer, Felix 74 Seckendorff, Albert Frh. von 166 Seeckt, Hans von 179 Semper, Gottfried 84, 91, 203 Sesselmann, Max 190 Sheffi, Na’ama 50 Sinoja, J. E. de (siehe Jánosi, Josef Engel de Sombart, Werner 110, 149 f. Sontheim, Heinrich 141 Sophie Charlotte (bayer. Herzogin) 83 Speer, Albert 198, 213 f., 230 f. Spengler, Oswald 59 Spinoza, Baruch de 113, 118 Spohr, Ludwig 47 Spring, Alexander 69, 189 f. Stahr, Adolph 141 Stalin, Jossif Wissarionowitsch 234 Stark, Johannes 211 Steding, Christoph 27 Stein, Heinrich von 142, 158, 162 Stemplinger, Eduard 85 Stern, Julius 129 Sternfeld, Richard 27 Stock, Richard Wilhelm 216, 219 f. Stoecker, Adolf 7, 143, 147 f. Stolzing, Walther von 88 Stolzing-Cerny, Joseph 171, 173 f. Strauß, Richard 39, 156, 162, 210 f. Streicher, Julius 211, 220

Strobel, Otto 15, 82, 92, 99, 181, 213 Stunz, Holger R. 17, 193 f. Suttner, Bertha von 233 Syberberg, Hans Jürgen 5, 39, 172, 207, 223 Tausig, Carl 14, 97, 129 f. Tessmer, Hans 49, 152 Thiede, Klaus 19 Thode, Daniela (siehe Bülow, Daniela von) Thode, Henry 166, 169, 197 Tietjen, Heinz 179, 217, 222 Treitschke, Heinrich von 7, 20 Trübsbach, Rainer 79, 176 Truhart, Arthur von 140 f. Tschudi, Hugo von 97 Uexküll, Jakob Johann Baron von 167 Uhlig, Theodor 51 Vaget, Hans Rudolf 23, 42 f., 188 Valentin, Erich 111 f., 143, 207 Veltzke, Veit 48, 62, 190 Viereck, Peter 41 Vogl, Heinrich 160 Wagner, Cosima (siehe auch Bülow, Cosima von) 8, 14, 19, 21 f., 38, 41, 51, 56, 59, 70 – 72, 75 f., 78 f., 87, 92, 94 f., 97 f., 100, 104, 106, 108, 110, 118, 120, 127, 129 f., 139, 142 f., 147 f., 151, 154 – 165, 168 f., 190, 195, 199 f., 206, 217, 229 Wagner, Eva (siehe auch Chamberlain, Eva) 79, 153, 163, 166 Wagner, Franziska 112 Wagner, Friedelind 167, 179, 229 Wagner, Isolde 79, 152, 166 Wagner, Minna 48, 50, 86, 151, 169 Wagner, Nike 211, 213 f. Wagner, Siegfried 35, 69, 72, 100, 144, 153, 163 f., 172, 176, 180, 188 – 190, 192, 195, 198 – 200, 210 f., 217, 229, 231 Wagner, Wieland 163, 212 f., 225 Wagner, Winifred 8, 15, 22, 33 – 35, 39, 163 f., 167, 172, 176, 179 f., 187 – 190, 193, 196 – 200, 207, 209 – 215, 217 – 219, 222 – 224, 229 – 233 Wagner, Wolfgang 189, 212, 225 Wapnewski, Peter 154

Personenverzeichnis Warburg, Lotte 71, 180 Weber, Johann Jakob 69 Weber, Max 33 Weiner, Marc A. 13, 89 Weißheimer, Wendelin 81 Weller, Elisabeth 100 Wesendonck, Mathilde 56 Wesendonck, Otto 56, 151 Wessling, Berndt W. 45 Westernhagen, Curt von 67, 96, 145 Wilhelm I. (deutscher Kaiser) 26, 99 Wilhelm II. (deutscher Kaiser) 110, 170, 182 Wille, Eliza 81 Wille, François 81

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Williams-Klindworth, Winifred (siehe Wagner, Winifred) Wilson, Thomas Woodrow 29 Windell, George G. 21 Wirth, Moritz 191 Wolf, Werner 44, 55, 180 Wolzogen, Hans Paul Frh. von 8, 14, 17, 22, 71, 95, 142 – 144 Wrede, Karl Philipp Joseph Fürst von 71 Wulf, Joseph 17 Wutzlhofer, Johannes 177 Zelinsky, Hartmut 15, 171 Ziegler, Hans Severus 192, 217 f.

Richard Wagners Antisemitismus ist seit über 160 Jahren in aller Welt stark umstritten. Die Einschätzungen reichen von einer humanitären und emanzipatorischen Interpretation, die jüdische Freunde Wagners zu dessen moralischer Entlastung anführen, über eine ausgeprägte Juden­ feindschaft bis zur unmittelbaren Vorläuferschaft von Hitlers Rassismus. Was kann davon bei einer nüchternen Betrachtung als zutreffend an­ gesehen werden? In diesem Buch wird versucht, die Anteile herauszu­ filtern, die die Wagnersehe Judenfeindschaft mit dem nationalsozialisti­ schen Rassismus verbinden, aber vor allem wird die Wirkungsgeschichte eines völkischen Rassismus, der in Bayreuth seit Wagners Tod 1883 bis zur Machtergreifung Hitlers 1933 immer mehr Anhänger fand, kritisch analysiert. Wagner, dessen Musik Hitler bis 1945 begeistert bejubelte, war zwar ein geistiger Initiator einer rassistischen Ideologie, aber das eigentliche Verbindungsglied zwischen Wagner und Hitler sind die Bay­ reuther Wagnerianer Cosima Wagner, Hans von Wolzogen, Houston Stewart Chamberlain, Winifred Wagner und viele andere Wagnerfans, die dem Nationalsozialismus nicht nur als künstlerische Steigbügelhalter dienten.

Hubert Kiesewetter, geboren 1939 in Dessau, Studium der Ökonomie, Philoso­ phie, Geschichte und Wissenschaftstheorie in Frankfurt am Main, Kiel, London und Heidelberg.

1973 Promotion in Philosophie und 1985 Habilitation in Wirt­

schafts- und Sozialgeschichte. Gastprofessuren in Urbana-Champaign (Illinois), Oxford und Paris sowie

1987/88 Konrad-Adenauer-Professur an der George­ 1990 bis 2004 Professor für Wirt­

town University in Washington, D.C. Von

schafts- und Sozialgeschichte an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingol­ stadt. Zahlreiche Buchveröffentlichungen, bei Duncker & Humblot: Kar! Marx und die Menschlichkeit

(2011).