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German Pages [401] Year 2020
Christian Booß
Vom Scheitern der kybernetischen Utopie Die Entwicklung von Überwachung und Informationsverarbeitung im MfS
Analysen und Dokumente Band 56 Wissenschaftliche Reihe des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU)
Christian Booß
Vom Scheitern der kybernetischen Utopie Die Entwicklung von Überwachung und Informationsverarbeitung im MfS Mit 33 Abbildungen und 5 Anlagen
Vandenhoeck & Ruprecht
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2021, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Arbeitsplatz Datenumsetzung in der MfS-Abt. XII (Erfassung von Karteikartendaten für die elektronische Datenverarbeitung); Bild aus einer MfS-Fotoserie für das Traditions kabinett der Abteilung XII/Zentralarchiv, etwa Mitte der 1980er-Jahre Bildrechte: BStU (BStU, MfS, Abt. XII Fo 93, Bild 5)
Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2198-1108 ISBN 978-3-666-35212-6
Inhalt Vorbemerkung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Einleitung.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Forschungsthesen und Fragestellungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Zum Aufbau der Studie.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Ein Blick in die damalige Praxis – die Kreisdienststelle Gransee des MfS.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Die KDfS Gransee. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Die Situation Ende der 1980er-Jahre.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Die Entwicklung seit 1958. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 IM und zusätzliche MfS-Informationsquellen in den 1980erJahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Schwerpunktsetzungen beim IM-Einsatz. . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Die IM-Verteilung in der Fläche. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Überwachungsziele und Überwachungsalltag. . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Repression und Routinen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Die Kreisdienststellen als Symptom der Entwicklung und Probleme im MfS. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Effizienzprobleme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2 Aufgabenzuwachs, Verregelung und Bürokratisierung.. . . 2.4.3 Veränderter Informationsbedarf und Aufwertung der Auswertung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.4 Die Verklärung von Krisensymptomen.. . . . . . . . . . . . . . 3. Die Wurzeln der Sammlung, Speicherung und Aufbereitung von Informationen im MfS. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Erste Akten und Karteien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Aktentypen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Karteien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Frühformen von Informationsnutzung und Informationsauf bereitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Die ersten Statistiken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Informationsaustausch im MfS. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Das Meldesystem. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.4 Aktenaustausch. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
3.3 Zaghafte Versuche der Informationsauswertung im Zeichen des 17. Juni. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Der Objektvorgang – geheimpolizeiliche Bürokratie. . . . . 3.3.2 Der Objektvorgang als Begleiter der Umgestaltung auf dem Lande. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3 Heimliche NS-Überprüfung in Händen des MfS – das NS-Archiv. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Das Zerwürfnis zwischen Ulbricht und MfS-Chef Wollweber 1956/57. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.1 Der Konflikt und die Information der Partei. . . . . . . . . . . . 3.4.2 Die interne Neuausrichtung der MfS-Informationsarbeit. 3.4.3 Defizite der Vorgangsbearbeitung und der Informanten.. 3.4.4 Veraltete Informationsarbeit im MfS. . . . . . . . . . . . . . . 4. Die kybernetische Idee von der systemsteuernden Information.. . . . . 4.1 Die kybernetische Utopie.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Der Präventionsgedanke. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Die Kybernetiker im MfS. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3 Vorstufen des neuen Informations- und Auswertungssystems.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Das Kerblochkarteikarten-System des MfS.. . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Zur Informationstechnologie der Kerblochkarten und Kerblochkartei. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Die KK – das Handwerk der Informationssammlung. . . 4.2.3 Codierungstechnik und statistische Auswertung der KK. 4.2.4 Bewertung von KK-Einsatz und Informationsverarbeitung in der Praxis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.5 Überforderung der Informationsverarbeitung des MfS in den 1970er-Jahren.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Entspannungspolitik, Reisekontakte und deren Folgen für das MfS. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Der Ost-West-Reiseverkehr als Treibsatz für die Entwicklung des MfS. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.1 Der innerdeutsche Reiseverkehr und seine Kontrolle im Überblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.2 MfS-Kontrolle der Einreisen aus dem Westen.. . . . . . . . 5.2 Überprüfung von Dienstreisenden in den Westen – Aktion Leuchtturm. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1 MfS-Sicherheitsüberprüfungen von Inlands- und Reisekadern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Anmerkungen zur Rolle des MfS bei Übersiedlungsersuchen. . .
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Inhalt
5.4 Auswirkungen der Ost-West-Kontakte auf Struktur und Aufgaben des MfS.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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6. Informationsverarbeitung zwischen Systematisierung und Massenüberprüfungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Überforderung der Informationsverarbeitung Anfang der 1970er-Jahre. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Erfolgreiche Improvisation – der VSH-Komplex. . . . . . . . . . . . 6.2.1 Formalien und Grundfunktion der VSH-Kartei. . . . . . . 6.2.2 Datenintegration und Informationsfluss. . . . . . . . . . . . . 6.2.3 Karteigestützte Personen-Schnellprüfungen. . . . . . . . . . 6.2.4 Die niedrigschwellige Erfassung in der VSH.. . . . . . . . . 6.2.5 Quantitative Aspekte des VSH-Komplexes. . . . . . . . . . . 6.3 Differenzierung der Prüfmechanismen im MfS.. . . . . . . . . . . . 6.3.1 Mängel der VSH in der Praxis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.2 Grenzen des VSH-Komplexes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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7. Vorgangsmodernisierung zwischen kybernetischem Ansatz und Zwängen der Massenüberprüfungen.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Zielstellungen der Vorgangsmodernisierung. . . . . . . . . . . . . . . 7.1.1 Das Schwerpunktprinzip.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.2 Differenzierung der Feindbilder. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Die modernisierten Vorgänge.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.1 Die Planungsrichtlinie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.2 Die Operative Personenkontrolle. . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.3 Der Sicherungsvorgang. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.4 Die Sicherheitsüberprüfung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.5 Der Operative Vorgang. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.6 Die IM-Richtlinien.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Kybernetisch verflochtene Vorgänge. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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8. Von der indexierten Einzelinformation zur EDV-Umsetzung. . . . . . . 8.1 Die Dienstanweisung Nr. 1/80 zur Informationsverarbeitung als Neuerung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.1 Der Rahmenkatalog zur Datenindexierung. . . . . . . . . . 8.1.2 SLK-Komplex als Lückenfüller. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.3 Einsatzbeispiele und partielles Scheitern der SLK. . . . . . 8.1.4 Modernisierungsimpulse der SLK-Informationsaufbereitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Planspiele und Anfänge der EDV im MfS. . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.1 Überzogene Erwartungen und verzögerter EDV-Einstieg. 8.2.2 Beginn mit Insellösungen und solitären Datenbanken.. .
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Inhalt
8.3 Die elektronische zentrale Personenkartei SAVO. . . . . . . . . . . . 8.4 Die Zentrale Personendatenbank ZPDB. . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4.1 Herausforderungen bei der Projektumsetzung. . . . . . . . 8.4.2 Anlauf- und Akzeptanzprobleme. . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4.3 Ausbau und Leistungsstand 1988/89. . . . . . . . . . . . . . . 8.4.4 Die spezifische Erfassungsart »V«. . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4.5 Zur inhaltlichen Ausrichtung der Personendatenbank. . . 8.5 Negative Erfahrung mit der SOUD-Datenbank der kommunis tischen Bruderorgane.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Datenzusammenführung in elektronischen Rechnern und externe Datenbankzugriffe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1 Zentrale Großrechenanlagen im MfS. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1.1 Verteilung von Großrechenanlagen über das MfS. . . . . . 9.1.2 Großrechner und EDV in der HA III.. . . . . . . . . . . . . . 9.1.3 EDV in den Abteilungen M und 26.. . . . . . . . . . . . . . . 9.2 Dezentrale Lösungen mit Personal- und Bürocomputern. . . . . . 9.2.1 Dezentrale Datenbankanwendungen. . . . . . . . . . . . . . . 9.3 Zur Auflösung und Vernichtung der EDV des MfS.. . . . . . . . . 9.3.1 Vernichtung von Datenträgern der HA III. . . . . . . . . . . 9.3.2 Vernichtung weiterer Datenträger des MfS. . . . . . . . . . . 9.4 Nutzung von Datenbanken außerhalb des MfS.. . . . . . . . . . . . 9.4.1 Die Personendatenbank des Ministeriums des Innern. . . 9.4.2 Informationsspeicher anderer Institutionen. . . . . . . . . . 9.5 Auf dem Weg zum großen Bruder?.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Strukturelle und resümierende Überlegungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1 Informationsziele. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2 Informationsbeschaffung: die Quellen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3 Informationsverarbeitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4 Informationsnutzung.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.5 Zusammenhang von Informationsverarbeitung und Überwachung.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
226 232 233 235 239 241 244 247 251 252 254 255 261 262 266 269 269 272 279 280 285 289 291 292 308 319 325 334
Anhang.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 Verzeichnis der Abbildungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 Abkürzungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 Literaturverzeichnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 Archivquellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 Dokumentenanlage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 Verzeichnis der Dokumentenanlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373
Vorbemerkung Die Frage, ob die Sammlung von Daten durch Sicherheitsbehörden zu mehr Sicherheit führt, ist seit geraumer Zeit ein wichtiges Thema der bundesdeutschen Innenpolitik. Befeuert wurde die Debatte nicht zuletzt durch Whistleblower wie Edward Snowden, der 2013 Insiderwissen über die elektronische Informationsbeschaffung insbesondere US-amerikanischer Geheimdienste veröffentlichte. Die technischen Fähigkeiten der Nachrichtendienste und der Polizei, massenhaft Daten zu gewinnen, haben sich seit dem Zusammenbruch des von Moskau dominierten kommunistischen Systems und damit auch der Stasi vervielfacht. Die elektronische Kommunikation liefert heute Massendaten, die grundsätzlich zugriffsfähig sind und automatisiert ausgewertet werden können. Trotz anderer technologischer Voraussetzungen und bestehender Unterschiede gegenüber dem vormaligen kommunistischen Überwachungssystem stellt sich die Frage nach strukturellen Ähnlichkeiten. Insofern kann die vorgelegte Studie vielleicht Anregungen über die historische Analyse der Geheimpolizei des SED-Staates hinaus liefern. Ohne zu ignorieren, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen, die öffentliche und halböffentliche Kontrolle und die Ziele von Geheimdiensten in Demokratien und Diktaturen unterschiedlicher Natur sind, gibt es auch vergleichbare Probleme: Datensammlungen bedeuten Kontrolle über Menschen und schränken deren Freiheit ein. Zudem beschreibt die bekannte Metapher von der Nadel im Heuhaufen ein grundsätzliches Dilemma der Informationsverarbeitung. Der zahlenmäßige Zugewinn an Informationen macht es schwieriger, diese zielführend auszuwerten, ja Daten überhaupt aufzufinden und deren Wichtigkeit festzustellen. Schließlich wirft die inflationäre Informationsbeschaffung die Frage auf, ob ein Mehr an Informationen zwangsläufig zu einem Mehr an zielorientierten Erkenntnissen führt. Auf jeden Fall gibt es einen Zusammenhang zwischen polizeilicher und geheimdienstlicher Informationsverarbeitung und der Diskussion über Freiheitsspielräume, Kontrolle, Sicherheit und Überwachung. Beide Komplexe sind, wenn auch widerstreitend, als komplementär anzusehen. Zwei Meldungen aus jüngerer Zeit verdeutlichen das Problem. Am 19. Dezember 2016 fuhr ein Lkw in die Besuchermenge eines Weihnachtsmarktes mitten in Berlin und tötete 12 Menschen. Der Fahrer, der 23 Jahre alte Anis Amri war bekennender Islamist. »Den deutschen Sicherheitsbehörden war Anis Amri schon vor seiner Todesfahrt bestens bekannt. Hätten sie den Anschlag verhindern können?«1 Das fragten bald nicht nur Berliner Medien. Verschiedene Sicherheitsbehörden verfügten nämlich über Hinweise, dass Amri ein islamistischer 1 Die unfassbare Geschichte des Scheiterns im Fall Amri. Berliner Morgenpost v. 18.4.2017.
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Vorbemerkung
Gefährder gewesen sein könnte. Eine zweieinhalbmonatige Überwachung wurde einige Monate vor dem Anschlag eingestellt, weil die Berliner Behörden in ihm inzwischen einen Kleindealer sahen, von dem keine unmittelbare Gefahr ausginge. Nach den Recherchen des Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) und der »Berliner Morgenpost« eine fatale Fehleinschätzung. Während im Fall Amri, wie schon bei anderen Anschlägen, erhebliches Vorwissen der Sicherheitsbehörden nicht in präventive Maßnahmen mündete, führte bei dem G-20-Gipfel in Hamburg ein Zuviel an Wissen zu falschen Entscheidungen und faktischen Eingriffen in die Pressefreiheit. Über 30 Journalisten wurde während des G-20-Gipfels kurzfristig die Akkreditierung entzogen. Die Sicherheitseinschätzungen der Behörden basierten auf zweifelhaften Angaben von Partnerdiensten, Fehleintragungen und längst widerlegten Verdachtsmomenten aus Verbunddateien. Diese waren teilweise wegen fehlender Rechtsgrundlage der Speicherung rechts- und verfassungswidrig angelegt und weitergenutzt worden. Abgesehen von handwerklichen Schlampigkeiten wird im zweiten Fall deutlich, dass die mangelhafte Kontrolle der Datensammlung zu Freiheitsbeschränkungen und sogar zu fehlerhaften Einschätzungen führen kann. Dagegen zeigt das erste Beispiel, dass die Anhäufung von Informationen keine Gewähr für zutreffende Prognosen bietet. Den Ruf, die Überwachung nach derartigen Pannen zu perfektionieren, kontern daher Datenschützer. Sie befürchten, trügerische Hoffnungen auf mehr Sicherheit könnten zulasten der Bürgerfreiheiten gehen.2 Auch das Beispiel DDR wird dazu herangezogen.3 Die Geschichte der Informationsverarbeitung des MfS scheint ein Lehrstück dafür, dass die Sammlung von immer mehr Informationen keineswegs das angestrebte Sicherheitsziel garantiert, in diesem Fall die Stabilität der DDR unter Führung der SED. Allerdings dürfen die Parallelen auch nicht überdehnt werden. Eine ideologisierte Diktatur ist per se anfällig für verzerrte Wahrnehmungen. Zumal wenn sie behauptet, die Interessen einer Mehrheit der Bevölkerung zu vertreten, die sie durch ihr politisches System längst entmündigt hat.
2 Schaar: Trügerische Sicherheit, S. 7 ff. 3 Schaar: Lehren aus der Stasi-Überwachung.
1. Einleitung Die zentrale Aufgabe eines jeden Geheimdienstes besteht in der Nachrichten- und Informationsbeschaffung, in Verarbeitung und Zurichtung dieser Informationen. Diese generalisierbare Aussage trifft systemübergreifend auf alle Geheimdienste zu, gleich wie sie beschaffen sind, gleich in wessen Diensten sie stehen. Sie gilt für Geheimdienste in Demokratien, in Monarchien und in Diktaturen. Jenseits der Informationsbeschaffung beginnen die Unterschiede. Von Belang ist, ob ein Geheimdienst lediglich Informationen beschafft und der Politik zur Verfügung stellt oder ein solcher Dienst zusätzlich über exekutive Befugnisse verfügt oder Personen beispielsweise erpressen, festnehmen, entführen, foltern, der Anklage zuführen oder sogar töten kann. Offenkundig markieren rechtsstaatliche Grenzen und Kontrollen die unterschiedlichen Typen. Der Geheimdienst oder die Geheimpolizei einer Diktatur beschafft zudem spezifisches Wissen zur Herrschaftsabsicherung einer Gruppe oder Elite, in der Regel einer kleinen Clique, und trägt zur Unterdrückung der Bevölkerungsmehrheit im Interesse dieser Herrschenden bei. Das ändert aber nichts daran, dass die zentralen Aufgaben einer Geheimpolizei in der Informationsbeschaffung, Informationsverarbeitung und bei der Politikberatung liegen. Mit Blickrichtung auf das MfS ist es daher verwunderlich, dass dieser zentrale Punkt bislang nicht tiefergehend untersucht wurde. Insofern wird mit dieser Studie der Versuch unternommen, eine entsprechende Forschungslücke zu schließen. Bei der Annäherung an das Thema wurde schnell deutlich, dass ein direkter Zusammenhang zwischen Überwachungsfunktionen und Informationsverarbeitung besteht. Der Grad der Durchdringung einer Gesellschaft durch einen Geheimdienst hängt von seinen Überwachungszielen ab, der Zahl und Qualität seiner Quellen und der Fähigkeit, die gewonnenen Informationen zu bearbeiten und zu nutzen. Es ist also von einer unmittelbaren Beziehung zwischen Überwachungsmächtigkeit und Informationsverarbeitung auszugehen. Diesem Zusammenhang wurde hier nachgegangen. Die zentrale Fragestellung dieser Studie ist die nach der Wirkung kybernetisch beeinflussten Gedankengutes auf Informationsbeschaffung und Informationsverarbeitung im MfS. Die Ausprägung und der Ausbau der Informationstätigkeit im MfS fielen zeitlich mit Bestrebungen zur Verwissenschaftlichung von Prozessen der Leitung und Planung in der DDR zusammen. Den entscheidenden Schub sollte die Informationsverarbeitung im MfS durch eine neue Generation von Auswertern erhalten, die durch die Kybernetik geprägt waren. Ihr Einfluss führte zu einem reflektierten Umgang mit allen Informationsfragen. Die Vision dieser Kybernetiker, den MfS-Apparat und das sozialistische System mittels geheimdienstlicher Informationen besser steuern zu können, blieb bis zum Ende des MfS
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Einleitung
prägend und führte zum Buchtitel von der kybernetischen Utopie. Wichtig für die Untersuchung war auch die Annahme, dass es zu Widersprüchen zwischen Informationstheorien und dem wachsenden Kontrollanspruch des MfS im Kalten Krieg kommen konnte. Hier sollte sich zeigen, dass das Informationsverarbeitungssystem der Kybernetiker nicht erst in der finalen Krise der DDR aufgrund des sich parallel zur Entspannungspolitik herausbildenden Kontrollwahns des MfS oft überfordert war und immer wieder an seine Grenze stieß. Insofern darf vom Ende her der geheimpolizeiliche Ansatz, durch ein Mehr an Informationen über immer mehr Personen Gewissheiten zu erlangen, als gescheitert angesehen werden. Ein weiterer Gegenstand der Untersuchung waren Ursprung und Beschaffung von Informationen des MfS. Gewöhnlich wird bei Geheimdiensten die Auswertung von der (Nachrichten-)Beschaffung unterschieden und auch organisatorisch sind beide Bereiche meist getrennt. Unter Beschaffung versteht man »das gezielte Herbeischaffen von Informationen«.1 Im populären Verständnis, in Agentenfilmen präsentiert, stehen geheim arbeitende menschliche Quellen im Vordergrund der geheimdienstlichen Informationsgewinnung. Auch in der MfS-Rezeption rückte nach der Öffnung der Stasi-Akten in der öffentlichen Wahrnehmung vor allem der Spitzel, der inoffizielle Mitarbeiter (IM), als Hauptquelle in den Mittelpunkt.2 Demgegenüber gilt es in der Geheimdienstforschung als ausgemacht, dass eine Nachrichtenbeschaffung »nicht notwendig«3 unter Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel erfolgt. Expertenschätzungen gehen beispielsweise für den Bundesnachrichtendienst (BND) davon aus, dass dessen Informationsaufkommen Anfang der 1970er-Jahre zu je einem Viertel aus offenen Quellen (wie Massenmedien) oder Berichten diplomatischer Vertretungen stammte. Weitere 30 Prozent bildeten Berichte der Militärattachés und nur 20 Prozent stammten aus der eigentlichen nachrichtendienstlichen Beschaffung des BND. Die Agenten-, Foto- und Gesprächs aufklärung hatten zumindest statistisch gesehen nur eine »ergänzende Funktion«.4 Die Aufgabe der Auswertung eines Nachrichtendienstes besteht darin, die beschafften Informationen zu sichern, zu analysieren und zusammenzufassen. Dadurch soll ein möglichst genaues Lagebild entstehen und der Nachrichtendienst in die Lage versetzt werden, über Personen, Fakten, Vorgänge und Entwicklungen Auskunft zu erteilen und Prognosen über Künftiges und Empfehlungen für Reaktionsmöglichkeiten geben zu können. Zuvor werden die eingehenden Informationen auf Plausibilität und Wahrheitsgehalt überprüft, in der Fachsprache 1 Roewer; Schäfer; Uhl: Lexikon der Geheimdienste. Stichwort: Auswertung, S. 40. 2 Vgl. die MfS-Definition im populärwissenschaftlichen Wikipedia. https://de.wikipedia. org/wiki/Ministerium_f%C3%BCr_Staatssicherheit (letzter Zugriff: 30.6.2020). 3 Roewer; Schäfer; Uhl: Lexikon der Geheimdienste. Stichwort: Beschaffen, S. 59. 4 Schmidt-Eenboom: Schnüffler ohne Nase, S. 277. Von ähnlichen Dimensionen geht auch Hartwig aus und setzt einen Anteil von 32,6 % aus operativen Quellen an der Gesamtheit der Beschaffung des BND über die DDR nach dem Mauerbau an. Vgl. Hartwig: Die Erkenntnisse des Bundesnachrichtendienstes, S. 77.
Forschungsthesen und Fragestellungen
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der Dienste werden Informationen in einem solchen Prozess »verifiziert«.5 Wenn die Auswertung einen Kernbereich geheimpolizeilicher Tätigkeit bildet, kann die Informationsauswertung nicht losgelöst von den Zwecken und Vorgaben betrachtet werden, denen ein Geheimdienst insgesamt folgt. Im MfS wurde diese Beziehung unter dem Begriff »Informationsbedarf« abgehandelt. Die Auswertung ist unmittelbar von den beschafften aufgelaufenen Informationen abhängig. Insofern ist die Entwicklung der Auswertung eingebettet in die geheimdienstpolitischen und institutionellen Rahmenbedingungen zu betrachten. Zu fragen ist auch danach, in welchem Maße die im Apparat vorhandenen Informationen für die jeweiligen Auswertungszwecke nutzbar gemacht werden konnten. Insgesamt waren bei der Analyse der Informationsverarbeitung im MfS also auch angrenzende Themen zu berücksichtigen. Das erstreckte sich insbesondere auf: –– Informationsziele, Informationsbedarf, –– Informationsbeschaffung, –– Speicherung, Mobilisierung, Verifizierung sowie Verteilung von Informationen, –– Informationsverwertung und Politikberatung. Diese Punkte werden nach der Chronologie in den resümierenden Überlegungen noch einmal systematisch aufgegriffen.
1.1 Forschungsthesen und Fragestellungen Bei der Betrachtung des Informationsbedarfs waren die Zwecke zu berücksichtigen, denen das »Schild und Schwert« der SED diente. In den herkömmlichen Kurzbeschreibungen werden als Hauptziele des MfS immer wieder Kontrolle und Überwachung der Bevölkerung, insbesondere von oppositionellen Bestrebungen, im Interesse der herrschenden SED betont. Vor allem ehemalige MfSVerantwortliche stellten heraus, dass der Gesamtapparat dem gegenüber andere Schwerpunkte gesetzt hätte.6 Das wurde zuweilen als bloße Verharmlosung abgetan. Nicht befriedigend berücksichtigt wurden in diesem Zusammenhang insbesondere das Problem der Ressourcenverteilung im MfS und die daraus ableitbaren schwerpunktmäßigen Zielsetzungen. Gängig ist die These von der »flächendeckenden Überwachung«7, die geradezu als Spezifikum des MfS angesehen wird. Der Begriff wird inflationär benutzt und reflektiert zu wenig, ob und inwieweit gerade das Informationsgewinnungspotenzial und die Informationsverarbeitung überhaupt in der Lage gewesen wären, eine solche flächendeckende Überwachung zu gewährleisten. 5 Roewer; Schäfer; Uhl: Lexikon der Geheimdienste. Stichwort: Auswertung, S. 40. 6 So beispielsweise Grimmer: Die Sicherheit. 7 Fricke: MfS intern, S. 39.
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Auffällig ist, wie intensiv in der MfS-Forschung immer wieder auf die inoffi ziellen Mitarbeiter (IM) als Quelle von Informationen fokussiert wurde, während andere Beschaffungsformen eher wenig thematisiert in den Hintergrund treten. Zwar wurden in letzter Zeit Fragen nach Qualität und Differenziertheit der IM und der sehr unterschiedlichen IM-Durchdringung der verschiedenen gesellschaftlichen Bereiche aufgeworfen.8 Aber auch mit diesen modifizierten Fragestellungen wird allenfalls das Terrain der inoffiziellen Mitarbeiter besser ausgeleuchtet, dieses aber nicht verlassen oder ergänzt. Allenfalls an der Postkontrolle der Staatssicherheit war ein größeres, vorrangig an deren Organisation orientiertes Interesse zu verzeichnen.9 Eine gewisse Berücksichtigung fanden in Veröffentlichungen auch die Telefonüberwachung und die Funkaufklärung.10 Doch stand hier die Entwicklung der jeweiligen Apparate im Vordergrund, andererseits spielte das Skandalpotenzial abgehörter Gespräche von prominenten Politikern in der Bundesrepublik eine Rolle.11 In jüngerer Zeit wurde auch dem Zusammenhang von Opposition und Telekommunikationsüberwachung nachgegangen und schlug sich in einer Publikation nieder.12 Das Herzstück nachrichtendienstlicher Tätigkeit, die Auswertung, stieß in den bisherigen Forschungen zum MfS jedoch auf relativ wenig Aufmerksamkeit und Resonanz. Eine verdienstvolle Darstellung beschreibt die organisatorische und die institutionelle Entwicklung der Auswertung vor allem auf der zentralen, ministeriellen Ebene der Staatssicherheit.13 Hier wird sichtbar gemacht, dass sich die Auswertung in Etappen veränderte. Weitgehend unberücksichtigt blieben die jeweiligen Anstöße zur Weiterentwicklung der Auswertung sowie die daraus resultierenden Probleme und zu verzeichnenden Ergebnisse. Diese Lücke soll durch die vorliegende Arbeit weitgehend geschlossen werden. Es soll nicht unberücksichtigt bleiben, dass einzelne Aspekte der Informationsverarbeitung und Informationsspeicherung der Staatssicherheit sich in einer kleinen Anzahl von Publikationen niederschlugen. So zogen die elektronischen Datenbanken der Auslandsspionage ein gewisses Interesse auf sich.14 Auch der zentrale Archivbereich wurde, wenn auch stark auf dessen Leitungspersonal ausgerichtet, dargestellt 8 Kowalczuk: Stasi konkret, vgl. u. a. S. 158 ff, 209 ff.; Gieseke: Mielke-Konzern, S. 148 ff. 9 Dazu publizierten aus unterschiedlichem Blickwinkel beispielsweise Hellström: Die Postkontrolle der Staatssicherheit; Reinicke: Öffnen, Auswerten, Schließen sowie Kallinich; Pasquale: Ein offenes Geheimnis. 10 Jeweils mit dem Schwerpunkt auf der institutionell-strukturellen Entwicklung der MfSDiensteinheiten vgl. Schmole: Abteilung 26; Schmidt: Hauptabteilung III. 11 Der sogenannte »Aktenstreit« um die MfS-Akten zum Altkanzler Helmut Kohl hatte seinen Ursprung in der Kontroverse, ob man die MfS-Abhörprotokolle einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Verfügung stellen könne. 12 Kowalczuk; Polzin: Fasse Dich kurz! 13 Engelmann; Joestel: Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe. 14 Müller-Enbergs: Rosenholz.
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und als »Gedächtnis des MfS« überhöht.15 Im Zusammenhang mit der Bestimmung von Archivlagen wurde auch manch Handwerkszeug der Auswertung in Form von Karteien und Ablagen beschrieben.16 Eine besondere Publikationsreihe widmet sich den Informationen, die das MfS an führende Partei- und Staatsfunktionäre abgab und die oft verkürzt als Partei-Informationen bezeichnet werden.17 Die Veröffentlichung beschränkt sich allerdings auf die Dokumente, die der Unterrichtung der zentralen Ebene der DDR dienten. Das warf nicht zuletzt die Frage danach auf, inwieweit das MfS die Funktion einer Ersatzöffentlichkeit einnahm.18
1.2 Zum Aufbau der Studie Zunächst wird die Entwicklung der Informationsverarbeitung chronologisch abgehandelt. Deren Etappen sind stark von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen geprägt. Der Phase, die durch die sowjetischen Instrukteure beeinflusst ist, folgt im Zeichen der Entstalinisierung die erste kybernetisch geprägte Modernisierung, parallel zum Aufbau des Sozialismus hinter der Mauer und den ersten Anzeichen der Entspannungspolitik. Parallel zu den Folgen der deutsch-deutschen Vertragspolitik kommt es zu einem enormen Aufwuchs der Informationsbeschaffung und Informationsverarbeitung, während die letzte Phase der EDV-Einführung schon im Kontext der ökonomisch und politisch finalen Krise der DDR steht. Im Rahmen der resümierenden Überlegungen soll den Unterthemen der Informationsverarbeitung, ihren Zielen, Quellen, Methoden, ihrer Nutzung und der Frage der Überwachungsmächtigkeit systematisch nachgegangen werden. Um die grundlegenden internen Prozesse im MfS zu analysieren und zu veranschaulichen, wird zunächst die Kreisdienststelle Gransee des MfS behandelt. Weil hier schon allgemeinere Forschungen vorlagen, konnte die Entwicklung der Auswertung in den entsprechenden Kontext gestellt werden.19 An dieser Kreisdienststelle zeichnen sich Entwicklungstendenzen und Probleme ab, die für das MfS insgesamt charakteristisch sind. Es wird verdeutlicht, wie sehr sich die Arbeitsweise des MfS in den 1980er-Jahren von der der Gründungszeit unterschied. Damit wird auch auf das Problem hingewiesen, dass Forschung Gefahr läuft, Veränderungen und Modernisierung des MfS zu unterschätzen, wenn sie ahistorisch Erkenntnisse aus einer Epoche verallgemeinert. 15 Jedlitschka; Springer: Das Gedächtnis der Staatssicherheit. 16 Engelmann: Wert der MfS-Akten, S. 243–296. 17 Die Informationen der Staatssicherheit an die zentrale Partei- und Staatsführung ediert die Abt. Forschung beim BStU derzeit jahrgangsweise. Vgl. Die DDR im Blick der Stasi. Die geheimen Berichte an die SED-Führung. Zur Thematik und zu einer allgemeinen Reflektion dieser Berichte vgl. auch Münkel; Bispinck: Dem Volk auf der Spur. 18 Joestel: Die zentralen ›Parteiinformationen‹, S. 129–156. 19 Bruce: The Firm.
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Noch deutlicher als in bisherigen Arbeiten beschrieben20 kristallisierte sich seit der Mitte der 1970er-Jahre ein Trend zu Massenüberprüfungen heraus, der nicht nur DDR-Bürger betraf. Anstoß waren die deutsch-deutschen Verträge, die gerade beim MfS höchst ambivalente Folgen zeitigten. Parallel zu einer tendenziellen Öffnung der DDR wucherte der Überwachungsapparat. Daher wurde den Auswirkungen der neuen Ost-West-Beziehungen auf das sicherheitspolitische Denken und die Praxis des MfS in dieser Studie ein eigenes Unterkapitel gewidmet und die Auswertung dabei besonders berücksichtigt. In der Phase nach der Gründung des MfS wurde neben der Entwicklung des Kartei- und Vorgangssystems berücksichtigt, wie stark die Arbeit des MfS noch von der Kontrolle der teilweise NS-verstrickten Bevölkerung geprägt war. Das ging so weit, dass das MfS ganze Belegschaften, ganze ländliche Regionen überprüfte. Unter dem kybernetischen Einfluss wurden die Beurteilungs- und Analysemethoden gegenüber den Zeiten, als die sowjetischen Methoden auf das MfS übertragen worden waren, verfeinert. Massenüberprüfungen, die den Folgen der Entspannungspolitik entgegenwirken sollten, rieben sich mit dem Ziel einer gleichmäßigen Weiterentwicklung der Informationsverarbeitung, zwangen zu Improvisationen und Umplanungen und führten das MfS mehrfach an seine Leistungsgrenzen. Die letzte Etappe der Informationsverarbeitung im MfS stand ganz im Zeichen der EDV. Verzögerungen bei ihrer Einführung und die Datensicherheitsphilo sophie des MfS führten dazu, dass parallel zur EDV die Datenverarbeitung in Papierform weiter betrieben und entwickelt wurde. Da viele elektronische Datenträger vernichtet sind, lässt die heute dominierende papierene Überlieferung das MfS altmodischer erscheinen als es gegen Ende 1989 in Wirklichkeit war. Die Analyse der Informationsverarbeitung und insbesondere deren Schwerpunktsetzungen führten zu der grundsätzlichen Frage, ob die Tätigkeit des MfS in der Vergangenheit immer präzise und umfassend genug charakterisiert wurde. Der offen repressive Teil des MfS gegen Andersdenkende ist zweifelsohne wichtig, um die Geheimpolizei, das politische System der DDR insgesamt zu charakterisieren. Die Geltung universaler Freiheitsrechte beziehungsweise deren Beschränkung durch staatliche Eingriffe sind ein Kriterium bei der Bildung von Herrschaftstypologien, wenn auch nicht das einzige. Doch es muss irritieren, dass der Arbeitsbereich zur Bekämpfung der Opposition, auch in der Kultur und den Kirchen keineswegs zu den größten im MfS gehörte. Es stellt sich zudem die Frage, warum das MfS auf anderen gesellschaftlichen Feldern, beispielsweise der Wirtschaft, derart aktiv war. Die Wirtschaft stellt in westlichen Gesellschaften, abgesehen von Industriespionage und Abwehrfragen,21 ein deutlich geringeres Betätigungsgebiet für Geheimdienste dar. Auch griff das MfS in Staat und Wirtschaft erheblich stärker ein, als das für den Zweck der klassischen Abwehr20 Süß: Staatssicherheit im letzten Jahrzehnt. 21 Vgl. Initiative Wirtschaftsschutz.
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aufgaben erforderlich gewesen wäre. Angesichts des immensen Aufwandes, den das MfS in manchen Bereichen jenseits der Bekämpfung von Andersdenkenden betrieb, erscheint es sinnvoll, diese Tatsache stärker bei der Charakterisierung des MfS zu berücksichtigen. Schließlich wird der Versuch unternommen, aus der Informationsverarbeitung Rückschlüsse auf die Überwachung der DDRGesellschaft durch das MfS zu ziehen. Statt des Modells von der flächendeckenden Überwachung scheint dabei das Bild vom Schleppnetz zutreffender.
2. Ein Blick in die damalige Praxis – die Kreisdienststelle Gransee des MfS
2.1 Die KDfS Gransee 2.1.1 Die Situation Ende der 1980er-Jahre1 Im Sommer 1989 wandte sich der Chef der Bezirksverwaltung Potsdam der Staatssicherheit an das »erprobte Partei- und Kampfkollektiv«2 seiner Kreisdienststelle in Gransee. Damals ahnte auf dem flachen Lande nördlich von Berlin noch niemand, dass es mit der Staatssicherheit in drei Monaten vorbei sein könnte. In gewohnter Manier stielte ein hoher Leiter der DDR-Geheimpolizei seine Untergebenen ideologisch ein, um sie für die tägliche Arbeit zu motivieren. Ein Hauch von großer weiter Welt schien die Kreisdienststelle zu durchwehen, als Generalmajor Helmut Schickart3 die geheimpolizeiliche Großwetterlage martialisch aufblähte. Die NATO, die KSZE und der US-amerikanische Präsident Bush persönlich schienen sich gegen den ländlichen Kreis verschworen zu haben, denn angeblich zielten sie darauf ab, »die Völker der sozialistischen Staaten in das kapitalistische Wertesystem zurückzuzerren«4. Der Leiter aus der Bezirksstadt Potsdam schien die Angriffspunkte des Feindes klar erkannt zu haben. Im politischen Untergrund, in der Ökonomie, bei der Spionageabwehr und bei Angriffen auf die Staatsgrenze der DDR sah er daher die Herausforderungen für die staatliche Sicherheit im Kreis Gransee. Ob den einen oder anderen Zuhörer Zweifel beschlichen, dass die beispielsweise aufgeführten Mängel in der Betriebsführung und Produktion des Futtermischwerkes Fürstenberg und die daraus folgenden Schäden in Tierzuchtbetrieben nun wirklich Folge einer NATO-Strategie waren, ist nicht überliefert.5 Widerworte sind nicht bekannt, denn in der Kreisdienststelle schien Ende der 1980er-Jahre noch alles wohlgeordnet. Derartige Vorträge des MfSFührungspersonals zählten zu den festen Ritualen. 1 Der nachfolgende Text ist in Teilen bereits publiziert worden in: Heidemeyer, Helge (Hg.): »Akten-Einsichten«. Beiträge zum historischen Ort der Staatssicherheit. Berlin 2016 (BStU. BF informiert; 36), S. 134–151. 2 BV Pdm/Ltr.: Referat Leiter BV in der KD Gransee, 30.8.1989; BStU, MfS, BVfS Potsdam, AKG Nr. 1054, Bl. 345–378, hier 377 f. 3 Gieseke: Wer war wer, S. 65. 4 BV Pdm/Ltr.: Referat Leiter BV in der KD Gransee, 30.8.1989; BStU, MfS, BVfS Potsdam, AKG Nr. 1054, Bl. 345–378, hier 354. 5 Ebenda, Bl. 368 ff.
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Ein Blick in die damalige Praxis – die Kreisdienststelle Gransee des MfS
Die Kreisdienststelle Gransee war 1989 mit dem Leitungsbereich, vier Referaten und dem Wachschutz klar strukturiert. Der KDfS-Leiter, OSL Hans-Jürgen Töpfer, konnte sich auf einen Stellvertreter, vier Referatsleiter und 16 IM-führende Mitarbeiter, das heißt konkret geheimpolizeilich arbeitendes Personal, stützen. Dieser Stamm wurde von Schreibkräften, Kraftfahrern, Wachpersonal und anderen dienstbaren Größen unterstützt. Insgesamt verfügte die Dienststelle über Planstellen für 38 Mitarbeiter.6 Neben einem Referat mit sechs Mitarbeitern, das sich vorwiegend mit der Außensicherung militärischer Objekte, mit der Spionageabwehr und der Sicherung der Polizei beschäftigte, gab es ein weiteres Referat mit sechs Mitarbeitern, das seinen Schwerpunkt in der Überwachung von Wirtschaft, Landwirtschaft, des grenzüberschreitenden Verkehrs und in der allgemeinen Personenüberprüfung hatte.7 Das dritte Referat war mit vier Mitarbeitern zur Sicherung der lokalen Einrichtungen des Staates, von Kultur und Kirche sowie der Bekämpfung staatsfeindlicher Bestrebungen befasst.8 Hinzu kam ein vier Köpfe umfassendes Referat für Auswertung und Information. Die Mitarbeiter dieser vier Referate waren für die komplette Überwachung eines Kreises vorgesehen, der im Jahr 1989 immerhin 43 495 Einwohner9 zählte. In den 1980er-Jahren war etwa ein Drittel der Mitarbeiter schon länger als zehn Jahre in der Dienststelle tätig und verfügte über entsprechende regionale Kenntnisse. Es standen eine Reihe altersbedingter Wechsel an, aber es war offenbar nicht leicht, geeignetes Personal zu finden.10 Um ihre Aufgaben bewältigen zu können, verfügte die KDfS über Zuträger. Vor allem die 120 inoffiziellen Mitarbeiter (IM) wurden als wertvolle Quellen angesehen. Für abgeschirmte Treffen mit den IM standen den hauptamtlichen Führungsoffizieren 45 konspirative Wohnungen (KW) zur Verfügung.11 Allein die IM lieferten im Jahr 1988 beachtliche 1 068 relevante Informationen.12 Diese Informationen wurden in schriftlicher Form an die Auswerter-Gruppe 6 Laut einer Eigenberechnung nach Gehaltslisten aus dem MfS-Finanzprojekt waren es 36 Mitarbeiter. Kopie im Privatbesitz des Autors. Angaben sonst nach: BV Pdm/Leiter: Stellenplannachweis der BV Potsdam, Kreisdienststelle Gransee, 27.6.1989; BStU, MfS, BVfS Potsdam Nr. 10233, Bl. 485–490. 7 BV Pdm/AKG: Ausgewählte Ergebnisse der durchgeführten Konsultationen und Untersuchungen zum Stand und zur Wirksamkeit der politisch-operativen Sicherung des VEBMikroelektronik ›Bruno Baum‹ Zehdenick durch die KD Gransee, 26.5.1988; BStU, MfS, BVfS Potsdam, AKG Nr. 562, Bl. 76–81, hier 78. 8 BV Pdm/AKG: Untersuchungen in den Sicherungsbereichen Staatsapparat, Justiz, Gesundheitsweisen und Volksbildung in der KD Gransee, 31.8.1988; BStU, MfS, BVfS Potsdam, Abt. XX Nr. 781, Bl. 1–12. 9 Statistisches Jahrbuch der Deutschen Demokratischen Republik, S. 6. 10 BV Pdm/AKG: Informationsbedarf zu ausgewählten Fragen der IM-Arbeit, 1988; BStU, MfS, BVfS Potsdam, AKG Nr. 1054, Bl. 205–217, hier 214. 11 Ebenda, Bl. 205. 12 Ebenda, Bl. 206.
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weitergereicht und dort bearbeitet, nach dem Zuständigkeitsprinzip weitergeleitet oder in Karteien und Akten einfügt. Zu 22 500 Personen, rechnerisch etwa die Hälfte der Einwohnerschaft des Kreises,13 existierten Karteikarten, die auch auf Akteneinträge hinweisen konnten. Die Informationsverarbeitung war in zahlreichen, umständlichen, wie bürokratischen Anleitungen und Formularen geregelt. Der Kreisdienststellenleiter, sein Stellvertreter, die Referatsleiter und auch die übergeordnete Bezirksverwaltung kontrollierten, ob diese Vorschriften eingehalten und die Arbeit effektiv durchgeführt wurden. Die Kreisdienststelle Gransee des Jahres 1988 unterschied sich deutlich von den vorherrschenden Verhältnissen im Jahr 1958, 13 Jahre nach Ende des Krieges, vier Jahre nach Gründung des MfS und sechs Jahre nach Erhebung des Ortes zur Kreisstadt im Gefolge der großen DDR-Territorialverwaltungsreform.14 Damals war der Apparat mit nur sechs geheimpolizeilich tätigen Mitarbeitern nicht einmal halb so groß wie in den 1980er-Jahren. Die Mitarbeiterfluktuation war hoch, weil in Gransee, wie vermutlich in der Anfangszeit generell im MfS, das Personal unterqualifiziert war, in der Regel bestenfalls über Volksschulniveau verfügte und vorwiegend nach den Kriterien einer politischen Zuverlässigkeit und passenden Gesinnung rekrutiert wurde.15 Auch um den »moralische[n] Zustand« stand es ehedem nicht zum Besten, worunter gewöhnlich eine Mischung von mangelnder Arbeitsmoral sowie wenig förderlichen Trink- und Sexualgewohnheiten zu verstehen war. Eine gewisse Stabilisierung brachte erst ein Leiterwechsel mit sich.16 Die Kontrolleure aus Berlin, die die Kreisdienststelle 1958 prüften, waren vom Vorgefundenen wenig angetan. Die Arbeit schien ihnen zu gering strukturiert, wenig professionell und ineffektiv. Nicht nach Themenschwerpunkten war die Tätigkeit der Geheimpolizisten ausgerichtet, sondern nach regionalen Bereichen. Deren Zuschnitt orientierte sich an den territorialen Zuständigkeiten der ländlichen Maschinen-Traktoren-Stationen (MTS). Vordergründig sollten die MTS vorzugsweise neu angesiedelte Klein- und Kollektivbauern mit landwirtschaftlicher Technik und technischen Leistungen versorgen. Sie dienten darüber hinaus unübersehbar der sozialen und politischen Kontrolle. Auch in der Region Gransee lief gerade der politisch forcierte Prozess der Kollektivierung bäuerlicher Einzelgehöfte zu genossenschaftlichen Betrieben. Selbst in Jubelschriften mussten hemmende »Vorurteile und Zwistigkeiten«17 gegen diese Maßnahme der SED 13 Die sogenannte VSH-Kartei der Kreisdienststelle enthielt ca. 22 500 Karten. Allerdings konnten hier auch Personen aus dem Westen oder anderen DDR-Regionen vermerkt werden. BV Pdm/AKG: Erhebungsprogramm, 2.4.1986; BStU, MfS, BVfS Potsdam, AKG Nr. 918, Bl. 53–65, hier 56. 14 Festschrift zur 700-Jahrfeier der Stadt Gransee, S. 81. 15 Gieseke: Die hauptamtlichen Mitarbeiter, S. 180 ff., 185 ff. 16 MfS/AG AuK: Bericht, 24.7.1958; BStU, MfS, BVfS Potsdam, Allg S 9/60, Bd. 1, Bl. 80–96, hier 81. 17 Festschrift zur 700-Jahrfeier der Stadt Gransee, S. 83.
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eingeräumt werden. Gegen solche Widerstände sollten die MTS das Bollwerk der Arbeiterklasse im ländlichen Raum darstellen und mehrere Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPG) und damit bis zu einem Dutzend Dörfer betreuen. Die Kreisdienststelle hatte ihre Arbeit auf diese Strukturen ausgerichtet. Für jede MTS, mit der das MfS eng zusammenarbeitete, war je ein Objektvorgang angelegt. Die stellvertretenden Politleiter der MTS waren regelhaft hauptamtliche Mitarbeiter der örtlichen MfS-Vertretung.18 Als regionale Einheiten sollten die MTS als Basis für die Gewinnung von inoffiziellen Mitarbeitern in den Dörfern dienen, damals Informatoren genannt.19 An solchen mangelte es Ende der 1950erJahre in Gransee. »Die vorhandenen Informatoren, die für die Abwehrarbeit in den Gemeinden und Dörfern eingesetzt sind, entsprechen in ihrer Qualität und Quantität noch nicht den gestellten Anforderungen.«20 Insbesondere in den Kreisen der sogenannten Mittel- und Großbauern war das MfS nicht verankert und wusste nicht, »welche Stellung diese Kreise zur Bildung von LPG haben sowie überhaupt ihre Einstellung zur Arbeiter- und Bauernmacht war«.21 Wegen des territorialen Zuschnitts der Verantwortlichkeiten kümmerten sich die Mitarbeiter vorwiegend um MTS-Bereiche und Landwirtschaft und bearbeiteten alle anderen relevanten Themen nachrangig. Das führte in dem Kreis, der neben der Landwirtschaft auch für die Absicherung großer sowjetischer und NVA-Kasernen zuständig war, zur Vernachlässigung der Abwehraufgaben. Die Kontrolleure beklagten, dass bislang »kein operativer Mitarbeiter [für die Spionageabwehr] verantwortlich eingesetzt« worden sei, sondern diese nur im Rahmen der MTS-Objektvorgänge mit bearbeitet würde, da die Mitarbeiter der Kreisdienststelle anscheinend überwiegend auf ihre lokalen ländlichen Belange konzentriert seien. Manch ein Mitarbeiter hatte daher Informationen, die »nicht zu seinem Zuständigkeitsbereich gehört[en] und durch ihn nicht bearbeitet [wurden …] nicht an die [dafür] zuständige Kreisdienststelle übergeben«. Daher seien ein Anfangsverdacht auf Spionage und das Problem vergifteter Schafe unbeachtet geblieben.22 Die Informationsbeschaffung, -verarbeitung und Informationsweitergabe sowie die Anleitung der Geheimdienstmitarbeiter wurden als unzureichend bewertet. Die Aufsicht aus der Bezirksverwaltung kümmerte sich nur teilweise um die Kreisdienststelle, und der Leiter der Kreisdienststelle war offenbar kein Freund von Aktenlektüre. Er ließ sich nur mündlich über den Stand von Ermittlungen berichten.23
18 Teske: Staatssicherheit auf dem Dorfe, S. 24. 19 Ebenda, S. 97. 20 BV Pdm/AIG: Bericht, 24.7.1958; BStU, MfS, BVfS Potsdam, Allg S 9/60, Bd. 1, Bl. 80–96, hier 82 ff. 21 Ebenda. 22 Ebenda, Bl. 84. 23 Ebenda, Bl. 95.
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Offenbar hatten die einzelnen Mitarbeiter vor allem ihren Bereich und ihre eigenen Fälle im Blick, es gab »keine Koordinierung unter den Mitarbeitern«.24 Sie arbeiteten keineswegs verdeckt, wie man das von einem Geheimdienst wie dem MfS erwartet hätte. Immer wieder wurde kritisiert, dass zu wenig mit inoffiziellen Mitarbeitern gearbeitet würde, zuweilen nur »offizielle Aussprachen mit anderen Personen« stattgefunden hätten.25 Statt im Geheimen zu arbeiten, befragten die MfS-Mitarbeiter, ähnlich wie die Kriminalpolizei, Verantwortliche und Zeugen. »Es gibt nur wenige Beispiele, wo eine wirklich gute Arbeit der [… Informanten] zu verzeichnen ist.«26 Die Kontrolleure führten die Mängel auf eine unzureichend professionelle Arbeitsweise ihrer Kollegen vor Ort zurück. Allerdings wäre es falsch, aus dieser kritischen Betrachtung der vorgesetzten Instanz auf eine gänzliche Ineffektivität der KDfS Gransee Ende der 1950er-Jahre zu schließen. Gleichzeitig bescheinigten die Kontrolleure die Bearbeitung von acht Überprüfungsvorgängen mit fünf Verdachtsfällen auf Spionage oder die Beobachtung ehemaliger Mitglieder einer SS-Reiterstaffel, die eine Pferdegenossenschaft gegründet hatten.27 Schon im ersten Halbjahr 1958 wären in Zusammenarbeit mit der übergeordneten Bezirksverwaltung vier Festnahmen vorgenommen worden, zwei wegen eines Spionageverdachts, eine wegen vorgeblicher »Mordhetze« und eine wegen des Verdachtes staatsgefährdender Propaganda und Hetze.28 2.1.2 Die Entwicklung seit 1958 Auf den ersten Blick liegen die Unterschiede klar auf der Hand: Die Kreisdienststelle befand sich 1958 noch in der Aufbauphase. Wenig geschulte Mitarbeiter agierten eher wie ein Kriminalpolizeidezernat für besondere Delikte, das Fälle meist durch Befragung bearbeitete. Die interne Arbeitsteilung war gering ausgeprägt und vorrangig auf den gesellschaftlichen Umbruch auf dem Lande ausgerichtet. Demgegenüber zeigte sich die deutlich vergrößerte Kreisdienststelle Ende der 1980er-Jahre professioneller, denn die Mitarbeiter arbeiteten nach präzisen Vorgaben. Sie wurden stärker angeleitet und konnten auf eine größere, breiter gestreute Zahl von Informanten zurückgreifen. Für die streng geregelte Informationsverarbeitung stand ein eigener kleiner Stab zur Verfügung. Der Bericht von 1958 nennt noch keine separaten Auswerter. Die Gegenüberstellung beantwortet eine Frage jedoch nicht, die nach einem Wachstum der Effizienz der Arbeit der Kreisdienststelle. Als Erstes fällt auf, 24 25 26 27 28
Ebenda. Ebenda, Bl. 91 f. Ebenda, Bl. 93. Ebenda, Bl. 91 f. Ebenda, Bl. 82.
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dass Festnahmen in den 1980er-Jahren nicht vermeldet werden. Das mag ein Indiz für Schwächen in der Überwachungsarbeit gewesen sein oder auch eine Folge der stärkeren Ausrichtung auf »vorbeugende«, präventive Methoden. So rühmte man sich, »durch gezielte operative Maßnahmen«29 manche Straftat verhindert zu haben. Aber selbst die Zahl der Ermittlungsverfahren in Form der Untersuchungsvorgänge der Staatssicherheit war gering. Im Jahr 1988 gab es keinen, 1986 waren es vier Vorgänge. Davon waren zwei Vorgänge gegen Personen gerichtet, die die DDR bereits verlassen hatten, also nicht mehr greifbar waren.30 Auch die Zahl der operativen Vorgänge (OV), die den Untersuchungsvorgängen oftmals vorgelagerten Bearbeitungen schwerer Verdachtsfälle, war, bei genauer Betrachtung, in den 1980er-Jahren nicht wesentlich gestiegen. Wurde 1958 ein operativer Vorgang geführt,31 sind die Werte in den 1970er- und 1980er-Jahren etwas höher. Jedoch erklären sich die Zahlen auch daraus, dass 1976 beispielsweise sieben Vorgänge offengehalten wurden, ohne wirkliche Erkenntnisfortschritte zu erzielen. Die Mehrzahl der operativen Vorgänge wurde wegen Nichtbestätigung des Verdachtes eingestellt.32 Trotz erheblichen Druckes vonseiten der Kontrolleure aus der Bezirksverwaltung erwies sich die Forderung nach deutlicher Steigerung der Vorgangsbearbeitung als illusionär. Im Jahr 1988 sollten sechs operative Vorgänge eröffnet werden. Angelegt wurde ein Vorgang, da die darüber hinaus vorliegenden Materialien »noch keine Vorgangsreife« zeigten.33 Der statistisch bedeutsamste Anstieg der Leistung der Kreisdienststelle ist bei den Personenkontrollen und Personenüberprüfungen festzustellen. Sind für 1958 nur acht derartige Kontrollen belegt,34 liegt die Zahl der formalisierten Personenkontrollen (OPK) ab 1973 bei über 2035 und gegen Ende der DDR bei 25.36 Noch stärker fällt eine Art der Personenüberprüfung ins Auge, die 1958 noch nicht existierte. Im Jahr 1988 wurden zu 1 170 Personen Ermittlungen durchge29 BV Pdm/AKG: Bericht, 13.12.1979; BStU, MfS, BVfS Potsdam, AKG Nr. 762, Bl. 2–18, hier 7. 30 BV Pdm/AKG: Hinweise zur KD Gransee, 7.1.1987; BStU, MfS, BVfS Potsdam, AKG Nr. 1054, Bl. 232–240, hier 232 sowie ebenda, Bl. 224–229, hier 228. BV Pdm/AKG: Hinweise zur KD Gransee, 11.4.1988; ebenda, Bl. 244–247, hier 244. 31 BV Pdm/AIG: Bericht, 24.7.1958; BStU, MfS, BVfS Potsdam, Allg S 9/60, Bd. 1, Bl. 80–96, hier 82. 32 BV Pdm/AKG: Kontrollbericht, 8.1.1979; BStU, MfS, BVfS Potsdam, AKG Nr. 240, Bl. 2–17, hier 8. Eine ähnliche Bilanz zeigt sich in der KD Nordhausen. Vgl. Labrenz-Weiß: KD Nordhausen, S. 170 ff. 33 BStU, MfS, BVfS Potsdam, AKG Nr. 1054, Bl. 244–247, hier 245. 34 BV Pdm/AIG: Bericht, 24.7.1958; BStU, MfS, BVfS Potsdam, Allg S 9/60, Bd. 1, Bl. 80–96. 35 BV Pdm/Ltg.: Vorlage über die Bestimmung der politisch-operativen Schwerpunkte der KD Gransee, 18.5.1973; BStU, MfS, BVfS Potsdam, BdL Nr. 240, Bl. 75–87, hier 76. 36 BV Pdm/AKG: Hinweise zur KD Gransee, 11.4.1988; BStU, MfS, BVfS Potsdam, AKG Nr. 1054, Bl. 244–247, hier 245.
Die KDfS Gransee
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führt.37 Bezogen auf die Einwohnerzahl wären davon immerhin 3 Prozent aller Kreisbewohner im Jahr betroffen gewesen.38 Diese Ermittlungen, die vor allem in Sicherheitsüberprüfungen und Überprüfungen von Reiseanträgen begründet lagen, stiegen in den Jahren zuvor drastisch, von 737 Ermittlungen im Jahr 198639 auf 1 003 Fälle im Jahr 1987.40 Für die 1970er-Jahre ist keine derartige Statistik nachweisbar. Die Schwerpunkte der Tätigkeit des MfS hatten sich deutlich vom Bearbeiten traditioneller Vorgänge hin zu routinemäßigen Massenüberprüfungen verschoben. Anwachsen und Ausmaß derartiger Überprüfungen führten auch bei den MfS-Mitarbeitern in der Region zu Unzufriedenheit, da man »jeder Oma, die nach drüben wollte«41, nachspüren würde. Die Arbeitsweise der Kreisdienststelle wich in den 1980er-Jahren deutlich von der des Jahres 1958 ab. Während man in den 1950er-Jahren Regionen und Objekte beobachtete, gegen Staatsfeinde ermittelte beziehungsweise gegen Personen, die man für solche hielt, wurden gegen Ende der DDR massenhaft Personen überprüft. Diese Aufgabe band einen nicht geringen Teil der personellen Kapazitäten der Staatssicherheit und zog die Einrichtung eines eigenen Arbeitsbereiches für Ermittlungen nach sich. In der KDfS Gransee waren gegen Ende der 1980er-Jahre zwei Mitarbeiter mit Ermittlungen betraut.42 Da diese mit den Sicherheitsüberprüfungen überlastet waren, mussten immer wieder andere Mitarbeiter, selbst ein Referatsleiter, als Verstärkung einspringen.43 Einen nicht geringen Teil dieser Prüfungen leisteten inoffizielle Mitarbeiter, die als Führungs-IM (FIM) oder hauptamtliche IM (HIM) dafür bezahlt wurden, die erforderlichen Informationen zu beschaffen.44 Der Effekt des Personalzuwachses an geheimpolizeilich arbeitenden Mitarbeitern in den 1980er-Jahren von 13 auf 16 wurde zum Teil dadurch zunichte gemacht, dass diese FIM oder HIM durch hauptamtliche Mitarbeiter ersetzt wurden. Eine zweite zusätzliche Belastung erwuchs aus der Professionalisierung der Auswertung. Verfügte die Kreisdienststelle Gransee im Jahr 1973 nur über einen 37 BV Pdm/Abt. VIII: Bericht, 11.11.1988; BStU, MfS, BVfS Potsdam, Abt. VIII Nr. 345, Bl. 122–124. 38 Auch Westbürger und Bürger aus anderen Regionen konnten überprüft werden. Daher ist die faktische Prozentzahl niedriger. Da aber in der Regel ein Bezug zu einer Person im Kreis Gransee gegeben sein dürfte, ist diese Quote keine rein theoretische Zahl. 39 BV Pdm/Abt. VIII: Protokoll, 15.4.1986; BStU, MfS, BVfS Potsdam, Abt. VIII Nr. 345, Bl. 139–143. 40 BV Pdm/Abt. VIII: Bericht, 11.11.1988; ebenda, Bl. 122–124. 41 Aussage eines Mitarbeiters der KD Perleberg im Bez. Schwerin im Jahr 2006 in einem Interview von Gary Bruce. In: Bruce: Wir haben den Kontakt, S. 379, Fn. 59. 42 BV Pdm/Abt. VIII: Bericht, 2.5.1989; BStU, MfS, BVfS Potsdam, Abt. VIII Nr. 345, Bl. 117–120. 43 BV Pdm/Abt. VIII: Bericht, 11.11.1988; ebenda, Bl. 122 f., hier 122. 44 BV Pdm/Ltg.: Vorlage über die Bestimmung der politisch-operativen Schwerpunkte der KD Gransee, 18.5.1973; BStU, MfS, BVfS Potsdam, BdL Nr. 240, Bl. 75–87, hier 85 f.
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Auswerter,45 waren es 1988 bereits vier.46 Während die Auswertung in frühen Jahren nebenbei erledigt wurde, zeugt die Ausdifferenzierung für eine Professionalisierung der Arbeit. Mit der personellen Aufstockung des Auswertungsreferates stiegen die qualitativen und quantitativen Anforderungen an die Berichte in Papierform. Das mochte die Erkenntnisse verbessern, erhöhte aber auch den bürokratischen Aufwand bei den operativ tätigen Offizieren. Es führten also nicht zuletzt diese beiden Faktoren, die hohe Zahl der Personenüberprüfungen und die Professionalisierung bei der Informationsverarbeitung, dazu, dass der geheimpolizeiliche Output, gemessen an traditionellen Überwachungs- und Untersuchungsvorgängen, nicht in gleichem Maße wuchs, wie das die Zahl des eingesetzten Personals vermuten ließ. Die Arbeitsweise und die Ziele der geheimpolizeilichen Tätigkeit hatten sich entscheidend verändert.
2.2 IM und zusätzliche MfS-Informationsquellen in den 1980er-Jahren Auffällig ist, dass in den 1980er-Jahren die Zahl der inoffiziellen Mitarbeiter trotz des Aufgabenzuwachses und Mitarbeiteranstiegs stagnierte.47 Waren im Jahr 1979 insgesamt 163 IM registriert,48 wurden auch im Jahr 1988 nur 165 gezählt.49 Das verwundert, da laut Vorgaben ein »Drang nach immer mehr IM [als] Schwerpunkt der Stasi-Arbeit«50 vorhanden war. Auch die MfS-Bezirksverwaltung beklagte »unbefriedigende Ergebnisse«51 bei der IM-Rekrutierung. Der Grund für die stagnierende Zahl war, dass ebenso viele IM »abgeschrieben« wurden, wie neue hinzukamen. Das war ein Trend im gesamten MfS.52 Im Rahmen einer allgemeinen Bereinigung mussten in der KDfS Gransee im Jahr 1986 insgesamt 83 und 1987 noch einmal 13 IM aus dem Buchwerk des MfS herausgenommen 45 BV Pdm/Ltg.: Vorlage über die Bestimmung der politisch-operativen Schwerpunkte der KD Gransee, 18.5.1973; BStU, MfS, BVfS Potsdam, BdL Nr. 240, Bl. 75–87, hier 76. 46 BV Pdm/AKG: Erhebungsprogramm, 2.4.1986; BStU, MfS, BVfS Potsdam, AKG Nr. 918, Bl. 53–65, hier 54. 47 Vgl. IM-Statistik 1981–1989 zur KDfS Gransee in: Müller-Enbergs: Inoffizielle Mitarbeiter. Teil 3, S. 791. 48 BV Pdm/AKG: Kontrollbericht, 8.1.1979; BStU, MfS, BVfS Potsdam, AKG Nr. 240, Bl. 2–17, hier 2. 49 BV Pdm/AKG: Informationsbedarf zu ausgewählten Fragen der IM-Arbeit, 1988; BStU, MfS, BVfS Potsdam, AKG Nr. 1054, Bl. 205–217, hier 208. 50 Bruce: Wir haben den Kontakt, S. 378. 51 BV Pdm/AKG: Informationsbedarf zu ausgewählten Fragen der IM-Arbeit, 1988; BStU, MfS, BVfS Potsdam, AKG Nr. 1054, Bl. 205–217, hier 208. 52 Müller-Enbergs: Inoffizielle Mitarbeiter. Teil 3, S. 40 f. Labrenz-Weiß setzt für die KDfS Nordhausen eine höhere Zahl von Karteileichen an, trifft aber keine Aussage dazu, ob das eine Folge des Unterlassens einer regelmäßigen Bereinigung des IM-Bestandes in dieser KD war. Labrenz-Weiß: KD Nordhausen, S. 181.
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werden. Bei immerhin 33 IM geschah das wegen Ablehnung der Zusammenarbeit und in 63 Fällen wegen Nichteignung. Darunter verstand man nach den ab 1979 geltenden strengeren Regeln,53 dass die IM für den angestrebten Zweck keine Informationen liefern konnten, oft weil sich ihre Lebensumstände wegen Verrentung, Umzug, Heirat oder Ähnlichem verändert hatten. Im Jahr 1988 glaubte die Kreisdienststelle Gransee endlich, einen Top-IM im staatskritischen Milieu gefunden zu haben. Aber auch diese Hoffnung zerschlug sich, weil der Kandidat sich in den Augen des MfS strafbar gemacht hatte.54 Dass trotz steigender Zahlen bei den hauptamtlichen Mitarbeitern die IM-Zahlen rund zehn Jahre lang nahezu identisch blieben ist ein Indiz dafür, dass das Potenzial von diesbezüglich kooperationswilligen Personen offenbar ausgeschöpft war. Die Mitarbeiter der Kreisdienststelle benannten ganz offen das Misstrauen, das ihnen gegenüber herrschte. Sie konnten als Stasi-Mitarbeiter in Gesprächen oft nicht die gleiche »Vertraulichkeit und Aufgeschlossenheit«55 erreichen, wie das der Fall war, wenn sie mit plausiblen Legenden ohne MfS-Bezug agierten. Die wenigsten IM, nur 10 bis 15 Prozent, gaben schriftliche Berichte ab, nur 5 Prozent diktierten auf Tonträger, die meisten entzogen sich dem »teilweise aus Schamgefühl«.56 Immerhin 44 Prozent der Treffen fanden nicht, wie vom MfS angestrebt, in konspirativen Wohnungen statt, über die Hälfte der IM wurde in deren Arbeitszeit getroffen. Offenbar brachte eine Mehrheit der IM nicht so viel Begeisterung »für die Sache« auf, dass sie dafür ihre Freizeit opfern und ihre Familie vernachlässigen wollten.57 Die Kreisdienststelle Gransee sah sich vor die Quadratur des Kreises gestellt. Sie sollte mehr Informationen generieren ohne auf mehr inoffizielle Informanten zurückgreifen zu können. Die Geheimpolizei im Kreis Gransee löste diese Aufgabe, indem sie »einen viel größeren Teil der Bevölkerung als Mitarbeiter ins Repressionssystem einbezog, als nur IM und hauptamtliche Mitarbeiter«.58 Sie wich stärker auf andere Informanten, Informationsquellen und Helfer aus. Das waren zum Beispiel: –– offizielle Gesprächspartner in staatlichen Einrichtungen und Betrieben, –– Informationen von anderen Institutionen, insbesondere der Polizei und den Bereichen Inneres der Kreis-, Stadt- und Gemeinderäte, 53 Vgl. IM-Richtlinie Nr. 1/79 in: Müller-Enbergs: Inoffizielle Mitarbeiter. Teil 1, S. 305–373. 54 Überwiegend wurden Inoffizielle Mitarbeiter für Sicherheit (IMS) verpflichtet und eingesetzt. Der einzige IM mit Feind-Kontakten (IMB) musste 1988 wegen »aktiver Handlungen« nach § 220 StGB (öffentliche Herabwürdigung) abgeschrieben werden. BV Pdm/AKG: Informationsbedarf zu ausgewählten Fragen der IM-Arbeit, 1988; BStU, MfS, BVfS Potsdam, AKG Nr. 1054, Bl. 205–217, hier 208, 217. 55 BV Pdm/Abt. VIII: Protokoll, 18.11.1987; BStU, MfS, BVfS Potsdam, Abt. VIII Nr. 345, Bl. 125–127, hier 126 f. 56 BV Pdm/AKG: Informationsbedarf zu ausgewählten Fragen der IM-Arbeit, 1988; BStU, MfS, BVfS Potsdam, AKG Nr. 1054, Bl. 205–217, hier 212 f., 215. 57 Ebenda, Bl. 216 f. 58 Bruce: Wir haben den Kontakt, S. 378.
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–– Informationen aus Datenbanken, vor allem des Ministeriums des Innern (MdI), –– Informationen von legendiert abgeschöpften Auskunftspersonen (AKP), –– Informationen aus der Postkontrolle. Vor allem die Führung der Kreisdienststelle pflegte intensive Kontakte zu Leitern in Staat und Wirtschaft. Man kannte sich als Funktionär und Genosse der örtlichen Nomenklatura und saß zusammen in der SED-Kreisleitung, wo über Hauptpro bleme im Kreisgebiet gesprochen wurde. So bemängelte eine MfS-interne Prüfung, dass die Justiz im Kreis nicht durch IM kontrolliert wurde: »Die Lageerkenntnisse im Bereich Justiz stützen sich auf operative Einzelinformationen bzw. auf Erkenntnisse, die im Rahmen des offiziellen Zusammenwirkens des KD-Leiters mit dem Kreisstaatsanwalt und dem Direktor des Kreisgerichts gewonnen werden.«59 In den übrigen staatlichen Bereichen war die Situation ähnlich gelagert.60 Nach Einschätzung des Leiters der KDfS wurden mehr als 50 Prozent der Informa tionsgewinnung sowie der politisch-operativen Einflussnahme im Staatsapparat über das offizielle Zusammenwirken realisiert.61 Von den 274 Mitarbeitern der Kreisverwaltung waren zwar 13 als inoffizielle Informanten registriert, darunter befanden sich jedoch mehrere Personen in Leitungsfunktionen, sogar mehrere Räte.62 Die Kontrolleure aus Potsdam warfen durchaus nachvollziehbar die Frage auf, ob bei dieser Konzentrierung auf die Leitungskader eine offizielle Zusammenarbeit nicht »den gleichen Nutzeffekt bringen würde«.63 Denn es bestanden offizielle Kontakte zum Ratsvorsitzenden und dessen 1. Stellvertreter, zum Ratsmitglied/Abteilungsleiter für Inneres, zu dem Abteilungsleiter UWE [Umwelt, Wasserwirtschaft, Erholung], Verkehr und Nachrichtenwesen sowie zum Kreisarzt und zum Kreisschulrat jeweils in Verantwortung des Stellvertreters des Leiters der KD. Offizielle und inoffizielle Kontakte bestehen zu den Abteilungsleitern Kultur, Kreisplankommission und ÖVW [örtliche Versorgungswirtschaft].64 59 BV Pdm/AKG: Untersuchungen in den Sicherungsbereichen Staatsapparat, Justiz, Gesundheitswesen und Volksbildung in der KD Gransee, 31.8.1988; BStU, MfS, BVfS Potsdam, Abt. XX Nr. 781, Bl. 1–12, hier 7. 60 Eine Auflistung von offiziellen Kontakten, die die KDfS Freiberg bzw. Nordhausen pflegten, findet sich in: Löser: Stellung der Kreisdienststellen, S. 50 ff. Für die KD Nordhausen vgl. Labrenz-Weiß: KD Nordhausen, S. 200. In den Auflistungen wird aber zu stark auf Statistiken und Sachberichte abgestellt. Ein großer Teil der offiziellen Informationen bezog sich auf Personen und Störungen in den Abläufen. 61 BV Pdm/AKG: Untersuchungen in den Sicherungsbereichen Staatsapparat, Justiz, Gesundheitswesen und Volksbildung in der KD Gransee, 31.8.1988; BStU, MfS, BVfS Potsdam, Abt. XX Nr. 781, Bl. 1–12, hier 2. 62 Eigenberechnung nach der Kartei IM-VAK der KDfS Gransee. 63 BV Pdm/AKG: Untersuchungen in den Sicherungsbereichen Staatsapparat, Justiz, Gesundheitswesen und Volksbildung in der KD Gransee, 31.8.1988; BStU, MfS, BVfS Potsdam, Abt. XX Nr. 781, Bl. 1–12, hier 2. 64 Ebenda, Bl. 5.
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Auf der kommunalen Verwaltungsebene unterhalb des Rates des Kreises gab es nur vier Bürgermeister, die als IM registriert waren. Sie stellten zumeist ihre Wohnungen oder Büros für konspirative Treffs zur Verfügung. Offenbar bestanden zu nicht wenigen Bürgermeistern statt inoffizieller mehr oder minder offizielle Kontakte: »Dieser offizielle Kontakt ist auf allen Leitungsebenen [der Kreisdienststelle] bis zum operativen Mitarbeiter zu allen Bürgermeistern« gegeben.65 Ausdrücklich positiv hervorgehoben wurden die Kontakte zu den Bürgermeistern der Städte im Kreis: Gransee, Zehdenick und Fürstenberg.66 Die Kreisdienststelle Gransee nutzte zu nicht geringen Teilen Informationen aus anderen Bereichen für ihre Arbeit. Von 212 geheimpolizeilich relevanten Informationen, die den Auswertern in einem Monat zugeleitet wurden, stammten 25 (12 %) aus der Postkontrolle der MfS-Bezirksverwaltung (BVfS) Potsdam, 53 (25 %) aus offiziellen Kanälen, davon allein 46 (21 %) von der Deutschen Volkspolizei (DVP).67 Die Bedeutung der Postkontrolle darf keineswegs unterschätzt werden. Vor allem ein Kriterium, das die Geheimpolizei schnell alarmierte, war mithilfe der Brief- und Paketkontrolle68 leicht zu recherchieren: Westkontakte. Diese galten in manchen Bereichen, wie bei der Volkspolizei, zumindest als anrüchig, waren verboten oder mussten gemeldet werden. Wer gegen das Verbot von Westkontakten verstieß, war schnell verdächtig. Das zeigt das Beispiel der Kreisjustiz in Gransee. Um den Makel zu beheben, dass für die Kreisstaatsanwaltschaft und das Kreisgericht keine IM-Informationen vorlagen, schaltete man die BVfS-Postkontrollabteilung ein. Dadurch konnten »postalische Westverbindungen« je einer Sekretärin beim Kreisgerichtsdirektor und beim Kreisstaatsanwalt nachgewiesen werden. Laut Informationen aus der Personendatenbank des Innenministeriums lagen zudem »vielfältige Ein- und Ausreisen zu beziehungsweise von Verwandten ersten Grades zu einer Sekretärin« vor.69 Derartige Reiseabfragen nutzte die KDfS Gransee Ende der 1980er-Jahre in hohem Maße.70 Um die große Menge an einfachen Ermittlungen und Sicherheitsüberprüfungen bewältigen zu können, hatte die Kreisdienststelle ein eigenes Informantensystem aufgebaut. Der Arbeitsbereich für Ermittlungen im Wohngebiet und im 65 BV Pdm/AKG: Untersuchung der KD Gransee zur Durchdringung von Staatsapparat, Justiz, Gesundheitswesen, Volksbildung, Juli 1988; BStU, MfS, BVfS Potsdam, AKG Nr. 801, Bl. 282–417. 66 Ebenda. 67 BV Pdm/AKG: Erhebungsprogramm, 2.4.1986; BStU, MfS, BVfS Potsdam, AKG Nr. 918, Bl. 53–65, hier 56 ff. 68 Goll: Die Kontrolle des deutsch-deutschen Paket- und Päckchenverkehrs, S. 1095–1133. 69 BV Pdm/AKG: Untersuchungen in den Sicherungsbereichen Staatsapparat, Justiz, Gesundheitswesen und Volksbildung in der KD Gransee, 31.8.1988; BStU, MfS, BVfS Potsdam, Abt. XX Nr. 781, Bl. 1–12, hier 7. 70 BV Pdm/AKG: Erhebungsprogramm, 2.4.1986; BStU, MfS, BVfS Potsdam, AKG Nr. 918, Bl. 53–65, hier 59.
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Beschäftigungsumfeld verfügte über einige IM, einzelne hauptamtliche IM oder Führungs-IM. Diese Ermittler-IM (IME) schwärmten in der Region aus, um Nachbarn, kommunalverantwortliche Funktionsträger, Vorgesetzte und Kollegen unter Vorwänden über einzelne Personen auszufragen. Eine beliebte Legendierung der Ermittler, die im Kreis Gransee offenbar problemlos Vorbehalte abbaute, war eine behauptete Zugehörigkeit zur Zollverwaltung.71 Personen, die einmal erfolgreich zu Nachbarn und Kollegen befragt werden konnten, wurden als »Auskunftspersonen« (AKP) bezeichnet und namentlich in einer Kartei festgehalten. Das waren im Kreis Gransee immerhin 1 500 Personen.72 Anteilig waren das rund 3,4 Prozent der Kreisbevölkerung von 1989. Bezogen auf die Erwachsenenbevölkerung wären es deutlich mehr. Als Auskunftspersonen scheinen die Ermittler der KDfS Gransee vor allem SED-Mitglieder und Personen in hervorgehobenen und Leitungsfunktionen angesteuert zu haben. In einer Stichprobe fanden die MfS-eigenen Kontrolleure der BVfS Potsdam »Kaderleiter, Bürgermeister, Lehrmeister, Sicherheitsinspektoren, Mitarbeiter des Rates des Kreises, VP-Angehörige«.73 Das ging aus den AKP-Karteien hervor, die es seinerzeit in jeder Kreisdienststelle gab. Oft sind diese vernichtet oder dezimiert worden. Die AKPKartei in Gransee ist nach Maßgabe eines Vergleichs der heutigen Karteigröße mit damaligen Überprüfungsangaben annähernd vollständig überliefert. Danach waren in der Stadt Gransee 79,3 Prozent der AKP in der SED organisiert und 55 Prozent in Leitungsfunktionen, als Funktionäre, Parteisekretäre oder bei der Volkspolizei beschäftigt. Auch in Löwenberg waren 75 Prozent der AKP SEDMitglieder und zu 85,7 Prozent in Leitungsfunktionen, als Parteisekretäre, in Verwaltungsfunktionen oder als MfS-Mitarbeiter tätig. In Himmelpfort waren sogar 88,9 Prozent der AKP SED-Mitglieder, in Altthymen machten sie 83,3 Prozent aus. AKP in den Orten waren typischerweise Bürgermeister, Lehrer, ABV, freiwillige Polizeihelfer, LPG-Vorsitzende oder LPG-Bereichsleiter. Der Aufbau der AKP-Kartei lässt darauf schließen, dass das MfS systematisch Bürgermeister, Leiter von Betrieben, von staatlichen oder gesellschaftlichen Einrichtungen, Kaderleiter, Parteisekretäre und Mandatsträger sowie Funktionäre von Parteien und Massenorganisationen ansteuerte, allesamt Personen mit einer ausgeprägten Systemnähe. Eine herausgehobene Rolle scheinen dabei Dorfbürgermeister gespielt zu haben. In fast jedem zweiten Dorf im Kreis Gransee sind Ortsbürgermeister in der Kartei als Personen ausgewiesen, die zu Dorfbewohnern Auskunft erteilen würden. Traditionell sah Erich Mielke im Bürgermeister auf dem Lande einen Garanten der Sicherheit, die wie Betriebswachen über das Fernhalten feindlicher
71 BV Pdm/KD Gransee: Einschätzung, 28.6.1989; BStU, MfS, BVfS Potsdam, Abt. VIII Nr. 345, Bl. 112–116, hier 116. 72 BV Pdm/Abt. VIII: Protokoll, 15.4.1986; ebenda, Bl. 139–142, hier 140. 73 BV Pdm/Abt. VIII: Bericht, 11.11.1988; ebenda, Bl. 122 f., hier 122.
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Einflüsse auf dem Lande zu wachen hätten.74 Die Hinweise auf das Bürgermeisterpersonal scheinen die MfS-Mitarbeiter teilweise den Porträts der örtlichen SED-Zeitung entnommen zu haben. Entsprechende Zeitungsausschnitte stellten sie dem jeweiligen Ortsabschnitt in der AKP-Kartei voran. Was sich schon in dem zitierten Bericht zur Überwachung des Staatssektors im Kreis andeutete, belegen auch die AKP. Die Stasi stützte sich bei der Informationsgewinnung stark auf SED-nahe Funktionsträger, letztlich auf offizielle Informationen. Die AKP-Quote im Kreis lag mit 3,4 Prozent deutlich höher als die IMQuote, die sich auf etwa 0,4 Prozent der Kreisbevölkerung belief.75 Auch wenn die Informationsgewinnung mittels AKP mit der durch inoffizielle Mitarbeiter nicht zu vergleichen ist,76 zeigt der Zahlenvergleich doch eine aufschlussreiche Tendenz. Insgesamt war die Informationsgewinnung der Staatssicherheit im Kreis Gransee kurz vor dem Ende der DDR keineswegs vorrangig von der vermeintlichen »Hauptwaffe«77 des MfS, den IM, geprägt. Der Fokus der Informationsbeschaffung richtete sich vielmehr stark auf andere Informanten, die offiziellen Partner in Staat und Wirtschaft und Auskunftspersonen und wurde angereichert durch die MfS-Postkontrolle oder Auskünfte aus der Personendatenbank des MdI. 2.2.1 Schwerpunktsetzungen beim IM-Einsatz In den Kreisdienststellen existieren in den 1980er-Jahren IM-Karteien, die Auskunft über den Wohnort, die Arbeitsstätte, die Einsatzrichtung und weitere Verwendungsmöglichkeiten der IM gaben. Sie gewähren heute einen guten Überblick über die Schwerpunkte des IM-Einsatzes der Kreisdienststelle, was Rückschlüsse auf die Schwerpunktsetzung der Arbeit erlaubt. Eine Auswertung der IM-Kartei der Kreisdienststelle Gransee förderte einen weiteren erstaunlichen Befund zutage. Entgegen den landläufigen Vorstellungen von der Staatssicherheit als der DDR-Institution, die vorrangig Andersdenkende verfolgte, zeigt eine Aufnahme der IM-Einsatzstruktur zum Ende der DDR ein ganz anderes Bild. Die mit Abstand wichtigsten Einsatzfelder für IM lagen im Bereich der Wirtschaft, der Spionageabwehr im Umfeld von militärischen Einrichtungen, bei Volkspolizei und dem Staatsapparat insgesamt.78 Würde man alle gegen Bereiche der Kirche, der Jugend, gegen den politischen Untergrund, im Umweltschutz 74 Hier Mielke noch als KP-ZK-Funktionär in einem Artikel v. 27.4.1946 zur Diebstahlkriminalität auf dem Lande, zit. nach: Lübeck: Wir wollen freie Bauern bleiben, S. 167. 75 Eigenberechnung nach den genannten Kartei-Quellen. 76 Booß: Auskunftspersonen, S. 28–33. 77 IM-Richtlinie Nr. 1/79, in: Müller-Enbergs: Inoffizielle Mitarbeiter. Teil 1, S. 305–373. 78 Ähnlich gestaltete sich die Situation in der KDfS Nordhausen, wo die Schwerpunkte besonders in der Wirtschaft und geografisch bedingt weniger in militärischen Anlagen als im Grenzgebiet lagen. Vgl. Labrenz-Weiß: KD Nordhausen, S. 167 f.
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Ein Blick in die damalige Praxis – die Kreisdienststelle Gransee des MfS
9,4%
Jugend, Kirche, PiD, Umwelt, Kultur
13,7% 38,2%
Volkspolizei, Staat militärische Spionageabwehr
14,6%
Wirtschaft, Landwirtschaft 24,1%
Sonstige
Abb. 1: IM-Einsatzrichtungen in der KDfS Gransee in den 1980er-Jahren
und bei der Kultur eingesetzten IM zusammenrechnen und unterstellen, dass es hier um staatskritische Überwachungsbereiche ginge, käme man dagegen auf nur 9,4 Prozent der IM-Kapazitäten. Das zuweilen als »Ideologiepolizei«79 charakterisierte MfS war also zumindest in Gransee nicht vorrangig mit der Verfolgung von Andersdenkenden befasst, sondern mit Problemen, Schwachstellen, Angriffspunkten und Überwachung der Wirtschaft, der bewaffneten Organe, wie der sowjetischen Streitkräfte, der NVA, der Volkspolizei und des Staatssektors. Die Staatssicherheit agierte vor Ort stärker als zuweilen angenommen abwehrmäßig, auch wenn der Abwehrbegriff sehr weit gefasst war und nicht nur der Spionage im engeren Sinne galt. Auffällig ist die starke Präsenz in der Wirtschaft und Landwirtschaft. Die Probleme hier konnten, anders als noch in den frühen Zeiten der DDR, als Missernten auf Kartoffelkäferattacken aus dem Westen zurückgeführt wurden, kaum feindlichen Angriffen angelastet werden. 2.2.2 Die IM-Verteilung in der Fläche Der Blick auf die Dislozierung der inoffiziellen Informanten des MfS zeigt, dass die Vorstellung von einer flächendeckenden Überwachung durch IM deutlich differenziert werden muss. In den drei Städten Gransee, Zehdenick und Fürstenberg waren 56,7 Prozent der IM des Landkreises ansässig. Dennoch lag die IM-Quote der Kreisdienststelle im Verhältnis zur Einwohnerzahl insgesamt bei nur 0,34 bis 79 So allgemein bei Mampel: Ministerium für Staatssicherheit.
IM und zusätzliche MfS-Informationsquellen in den 1980er-Jahren
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0,53 Prozent. In den ländlicheren Regionen waren die verbleibenden 43,3 Prozent der IM-Kapazitäten der Kreisdienststelle angesiedelt. Im Durchschnitt entsprach das 1,75 IM pro Gemeinde. Allerdings zeigt die Streuung regional klare Unterschiede. Von den 52 in MfS-Karteien oder Statistiken ausgewiesenen Dörfern und Gemeinden im Kreis, wiesen 19 (36,5 %) keine IM auf. Wiederum pro Einwohner gerechnet, war die Streuung in den anderen 33 Gemeinden groß. Während etwa die Hälfte einen IM-Quotienten unter 1 Prozent aufwies (14 unter 0,5 %), kamen sechs Gemeinden auf eine Quote von über 1 Prozent, zwei sogar über 2 Prozent. Die Spitzenwerte nahmen Gemeinden im Umkreis von Badingen ein, wo allein 18 (19,8 %) der ländlichen IM saßen.80 Diese sollten ein ab Mitte der 1980er-Jahre aufgestelltes Boden-Luft-Raketensystem (S-200) der NVA absichern helfen. Dass der kleine Ort Altthymen mit 2,2 Prozent IM-Abdeckung an der Spitze der Überwachungsraten lag, mag dem Zufall, der geringen Größe des Ortes oder der Nähe zu einem Großstandort der sowjetischen Streitkräfte in Fürstenberg geschuldet sein. Andere Orte mit etwas höheren Prozentsätzen, wie Himmelpfort und Menz, bildeten Tourismusschwerpunkte. Bei den IM auf dem Land ist zu bedenken, dass die den IM vom MfS zugedachte primäre Aufgabe keineswegs darin bestand, die Ortschaften, in denen sie wohnten, auszukundschaften. Sie waren vor allem dafür vorgesehen, auf Probleme in ihren Betrieben, mögliche Spionageangriffe auf Militäreinrichtungen oder auf Sicherheitslücken und Probleme im staatlichen Sektor oder in Kirchen- und Umweltgruppen aufmerksam zu machen. Sie wohnten eben nur in den Dörfern. Wenn man allein IM als Informanten in Betracht zöge, blieben in der ländlichen Fläche viele weiße Flecken, die durch IM nicht oder nur unzureichend abgedeckt waren. Wenn das MfS lokalen Informationsbedarf hatte, kompensierte es die Defizite im IM-Netz durch Neurekrutierungen oder nahm Alternativen wie AKP oder offizielle Kontakte insbesondere zu SED-nahen Funktionären wie Ortsbürgermeistern, LPG-Vorsitzenden, Parteisekretären und Angehörigen der Deutschen Volkspolizei und Angehörigen des MfS an ihrer Wohnadresse in Anspruch. Auch in den Städten, in Teilen des Staatsapparates, beispielsweise in der Justiz, konnte es IM-freie Bereiche geben. Selbst auf dem neuralgischen Gebiet der Medizin, das als besonders abwanderungsgefährdet galt, weil insbesondere Ärzte im Westen mehr verdienen konnten, hatte das IM-Netz in Gransee Ende der 1980er-Jahre Lücken. Der »geringe IM-Bestand [ermöglichte] zwangsläufig keine umfassende und tiefgründige Lagekenntnis«, nicht einmal im Kreiskrankenhaus Gransee gab es einen IM.81
80 Das betraf Badingen, Klein-Mutz und Kraatz-Buberow. 81 BV Pdm/AKG: Untersuchungen in den Sicherungsbereichen Staatsapparat, Justiz, Gesundheitswesen und Volksbildung in der KD Gransee, 31.8.1988; BStU, MfS, BVfS Potsdam, Abt. XX Nr. 781, Bl. 1–12, hier 8.
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2.3 Überwachungsziele und Überwachungsalltag Der Bereich, auf den sich die Öffentlichkeit in der Zeit nach der friedlichen Revolution besonders konzentrierte, das aktive staatskritische Potenzial, wurde ehedem wegen der Konzentration der Kreisdienststelle auf die Bereiche Wirtschaft, militärische Spionageabwehr und Staatssektor sogar vernachlässigt. Zeitweilig reichten die Kapazitäten nicht einmal, um über die Stränge schlagende Jugendliche zu kontrollieren. Im Jahr 1973 sollte dieser Bereich »unter dem Gesichtspunkt des vorgesehenen schwerpunktmäßigen Kräfteeinsatzes zur Spionageabwehr überprüft und gegebenenfalls reduziert«82 werden. Im Ergebnis musste man sich fünf Jahre später eingestehen, dass es »erhebliche Sicherungslücken unter Jugendlichen/ Jungerwachsenen sowie klerikalen Kräften« gab, da »der hohe Anteil von SEDMitgliedern am IM-Bestand (31,0 %) die Effektivität der politisch-operativen Arbeit, insbesondere unter feindlich-negativen Personenkreisen hemmt«.83 Trotz aller Bemühungen gab es auch gegen Ende der DDR noch »Sicherungslücken«, also zu wenige Informanten in den Bereichen Jugend, Kirche, Gesundheitswesen, Kunst, Kultur und Volksbildung.84 Auch die Kontrolleure aus der BVfS Potsdam waren unzufrieden, weil Gransee den »höchsten Anteil an Wehrdienstverweigerern im Bezirk«85 aufwies und der Einfluss insbesondere eines Pfarrers auf der Hand lag. Schon bei den Volkskammerwahlen 1986 war der Anteil der Nichtwähler um 50 Prozent höher als erwartet.86 Trotz aller Warnsignale konnte die Kreisdienststelle einen DDR-weit einmaligen Skandal im Vorfeld der Kommunalwahlen 1989 nicht verhindern. In einer Wahlversammlung lösten kritische Bürger Kontroversen aus. Der Ort Neuglobsow war der »einzige Wahlkreis in der Republik, in dem die Kandidatenliste insgesamt nicht bestätigt wurde und damit Schlagzeilen in der [West-]Presse machte«.87 Das weist auf Steuerungsprobleme innerhalb der Staatssicherheit hin. In Gransee lag der Schwerpunkt jahrelang auf der Spionageabwehr im militärischen Sektor. Dann führten dramatische Befürchtungen der Bezirks-SED-Führung, wichtige Investitionsvorhaben und Planvorgaben nicht erfüllen zu können, zum Umsteuern. Die Wirtschaft rückte in den Mittelpunkt, um Schäden für die »Bevölkerungsstimmung im Kreis« abwenden und »gefasste Beschlüsse zur Erreichung 82 BV Pdm/AKG: Hinweise zur KD Gransee, 7.1.1987; BStU, MfS, BVfS Potsdam, AKG Nr. 1054, Bl. 232–240, hier 239 f. 83 BV Pdm/AKG: Kontrollbericht, 8.1.1979; BStU, MfS, BVfS Potsdam, AKG Nr. 240, Bl. 2–17, hier 2. 84 BV Pdm/AKG: Informationsbedarf zu ausgewählten Fragen der IM-Arbeit, 1988; BStU, MfS, BVfS Potsdam, AKG Nr. 1054, Bl. 205–217, hier 214. 85 BV Pdm/AKG: Hinweise zur KD Gransee, 7.1.1987; ebenda, Bl. 232–240, hier 238. 86 Ebenda. 87 BV Pdm/Ltr.: Referat Leiter BV in der KD Gransee, 30.8.1989; BStU, MfS, BVfS Potsdam, AKG Nr. 1054, Bl. 345–378, hier 362.
Überwachungsziele und Überwachungsalltag
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eines hohen Versorgungsniveaus der Bevölkerung« umsetzen zu helfen.88 Die Partei befürchtete, dass das Konzept des Ruhigstellens der Bevölkerung durch sozialpolitische Zugeständnisse an Problemen der Wirtschaft scheitern könnte. In der Folge belastete das die operativen Kapazitäten der Kreisdienststelle. Allein 13 IM waren im VEB Mikroelektronik Zehdenick (MBZ) eingesetzt,89 die meisten beim Leitungspersonal oder unter den Reisekadern. Sieben IM wurden im Spezialbau Fürstenberg geführt, neun IM waren es in den Ziegelwerken Zehdenick. Mithin waren 16,5 Prozent der IM-Kapazitäten der Kreisdienststelle in den drei wichtigsten Betrieben im Kreis konzentriert. Hinzu kamen die IM in der Landwirtschaft. Das waren in Summe deutlich mehr IM als im Bereich der staatskritischen Kreise geführt wurden.90 Während man 1958 auf dem Lande ganz konkret alte NS-Seilschaften, Großund Mittelbauern verdächtigte, den Fortschritt aufzuhalten und sich um die Aufklärung von Bränden als vermeintlicher Sabotage und um die Aufdeckung von angeblicher Untergrundtätigkeit und Einflussnahme der Sozialdemokratie bemühte, waren in den Zustandsschilderungen der 1980er-Jahre kaum Einflüsse des Klassenfeindes auszumachen. An die SED-Kreisleitung wurden vom MfS »Mängel und begünstigende Bedingungen für Störungen und Vorkommnisse in Industrie und Landwirtschaft«91 weitergeleitet. Mal waren über dem Bezirksdurchschnitt liegende Kälberverluste zu beklagen92 oder eine Tierseuche führte zu einer Notschlachtung von 600 Kühen.93 Auch mit den »subjektiven Ursachen für die wiederholt aufgetretenen Förderbandbrände durch Kohleabrieb« in einem Betrieb beschäftigte sich die Geheimpolizei der DDR in Gransee.94 Weil die SED im Bezirk, der Linie Honeckers folgend, das Feld der Ökonomie zum »Hauptkampffeld«95 erklärt hatte, mussten sich die Stasi-Mitarbeiter der Kreisdienststelle Gransee mit den Unzulänglichkeiten des sozialistischen Wirtschaftssystems herumplagen. Man versuchte, die fehlenden Marktmechanismen 88 BV Pdm/vermutl. Ltr.: Aspekte/Erfordernisse der politisch-operativen Arbeit in der KD Gransee, 16.1.1986; BStU, MfS, BVfS Potsdam, AKG Nr. 1054, Bl. 219–223, hier 222. 89 BV Pdm/AKG: Ausgewählte Ergebnisse der durchgeführten Konsultationen und Untersuchungen zum Stand und zur Wirksamkeit der politisch-operativen Sicherung des VEB Mikro elektronik ›Bruno Baum‹ Zehdenick durch die KD Gransee, 26.5.1988; BStU, MfS, BVfS Potsdam, AKG Nr. 562, Bl. 76–81, hier 78. 90 Die Prozentrechnung wurde nach Belegen aus der IM-VAK-Kartei vorgenommen, die für das MBZ 19 IM nennt. BStU, MfS, BVfS Potsdam, KDfS Gransee, IM-VAK. 91 BV Pdm/AKG: Bericht, 13.12.1979; BStU, MfS, BVfS Potsdam, AKG Nr. 762, Bl. 2–18, hier 6. 92 BV Pdm/AKG: Hinweise zur KD Gransee, 1.7.1986; BStU, MfS, BVfS Potsdam, AKG Nr. 1054, Bl. 224–229, hier 228. 93 BStU, MfS, BVfS Potsdam, AKG Nr. 1054, Bl. 244–247, hier 246. 94 BV Pdm/AKG: Bericht, 13.12.1979; BStU, MfS, BVfS Potsdam, AKG Nr. 762, Bl. 2–18, hier 6. 95 BV Pdm/Ltr.: Referat Leiter BV in der KD Gransee, 30.8.1989; BStU, MfS, BVfS Potsdam, AKG Nr. 1054, Bl. 345–378, hier 364 f.
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durch politische Planvorgaben, ergänzt durch Kontrollen und geheimpolizeiliche Schnüffeleien, zu kompensieren. Das MfS verkörperte anscheinend die Ultima Ratio, wenn »wichtige Kennziffern nicht erfüllt«96 wurden. Dass die Mitarbeiter der KDfS für diese multiplen und komplexen Probleme eine hinreichende Ausbildung hatten, darf man bezweifeln. Die Potsdamer Kontrolleure hatten wohl solche Zweifel als sie feststellten, dass wenig verwertbares Material aus dem Bereich Landwirtschaft vorläge.97 Dem zuständigen Mitarbeiter bescheinigten sie, dass er nicht verstehe, »Wesentliches und Unwesentliches zu trennen«.98 Auch in der Kritik an den Informationen der Kreisdienststelle Gransee an das Kreissekretariat der SED schimmerte dieses Problem durch. Die Kreisdienststelle habe in den 1980er-Jahren zwar eine Spitzenposition bei Partei-Informationen99 eingenommen. Aber immer wieder wiesen diese Berichte Qualitätsmängel auf, weil sie »noch zu sehr durch Einzelinformationen geprägt« waren.100 Angesichts dieses Befundes ist nicht auszuschließen, dass das MfS manche Probleme noch verschärfte, indem es den Fokus der Partei auf Einzelmissstände richtete, was Aktionismus zur Folge haben mochte. In Schilderungen zu ersten SED-Regionalsekretären fällt immer wieder deren Betriebsamkeit auf, einzelne Missstände zu beseitigen, während ihnen darüber das Ganze zu entgleiten drohte.101 Auch im Bereich der Volkspolizei (DVP) kümmerte sich das MfS in Gransee um vieles, was kaum der geheimpolizeilichen Sphäre im Engeren zuzurechnen war. In den Einschätzungen der Sicherheitslage wurden martialische Bedrohungen antizipiert, daher jegliche Westkontakte von Volkspolizisten beargwöhnt: »Es ist immer davon auszugehen, dass die Kontakttätigkeit des Gegners in seine subversiven Unternehmungen gegen die DDR einzuordnen ist.«102 Letztlich berichtete die Kreisdienststelle Gransee jedoch immer wieder nach Potsdam, dass ihr noch keine Attacken des Feindes auf das Volkspolizeikreisamt (VPKA) untergekommen seien und keine »politisch-relevante[n] Erscheinungen«103 festzustellen wären. Während der Feind aus dem imperialistischen Ausland die Polizei von Gransee offenbar mied, musste die Staatssicherheit 1981 massenhaft negative Erscheinungen ganz anderer Art vermelden. Die suizidale Neigung eines 96 Ebenda. 97 BV Pdm/AKG: Hinweise zur KD Gransee, 7.1.1987; BStU, MfS, BVfS Potsdam, AKG Nr. 1054, Bl. 232–240. 98 BV Pdm/AKG: Bericht, 13.12.1979; BStU, MfS, BVfS Potsdam, AKG Nr. 762, Bl. 2–18, hier 6. 99 BStU, MfS, BVfS Potsdam, AKG Nr. 1054, Bl. 244–247. 100 BV Pdm/AKG: Hinweise zur KD Gransee, 1.7.1986; BStU, MfS, BVfS Potsdam, AKG Nr. 1054, Bl. 224–229, hier 227. 101 Beispielsweise so in einer literarischen Darstellung, die sich auf Recherchen in einem südlichen DDR-Kreis beruft. Siehe Scherzer: Der Erste. 102 BV Pdm/KD Gransee: Jahresarbeitsplan der Linie VII, 5.1.1981; BStU, MfS, BVfS Potsdam, Abt. VII Nr. 1251, Bl. 11–14, hier 14. 103 BV Pdm/Abt. VII: Kontrollbericht, 24.5.1982; ebenda, Bl. 132–139, hier 136.
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ABV war von dessen Vorgesetzten nicht rechtzeitig erkannt worden. An anderer Stelle sprach ein Gruppenpostenleiter stark dem Alkohol zu. Der Ehemann einer Polizistin war wegen Arbeitsbummelei arbeitslos, verfügte über eine negative Grundeinstellung zur Politik der DDR und im Haus empfinge man regelmäßig Sendungen des Westfernsehens.104 Im VPKA Gransee war eine zugeführte Person durch die Fensterscheibe gesprungen und entkommen, während ein Betrunkener unbefugt in die Räume eines Landpostens eingedrungen war. Verdächtig erschien auch ein Polizist, der auf einem Campingplatz neben einem BRD-Pkw zeltete.105 Regelmäßig tauchten Korruptionsphänomene auf. Ein ABV ließ sich von Handwerkern Vergünstigungen zukommen.106 Die Kfz-Zulassung ließ ihre Kunden statt Verwaltungsgebühren zu erheben für die Sportvereinigung »Dynamo« der DDR-Sicherheitsorgane spenden, wodurch sie selber in den Genuss von Belobigungen und Prämien gelangen wollte.107 Selbstherrliche Praktiken eines ABV wurden angeprangert und immer wieder das Trinkverhalten von Landpolizisten.108 Regelrechte Saufgelage werden geschildert. Anrüchig waren auch Westbesuche bei nahen Verwandten von Polizeiangehörigen.109 Wenn die Kreisdienststelle Derartiges feststellte, informierte sie den Leiter des VPKA, den dortigen Kaderoffizier oder die BVfS Potsdam, damit diese über ihre Kanäle auf der bezirklichen Ebene der Volkspolizei Personalmaßnahmen oder Veränderungen erwirkten.110 An die Bezirksebene wurden immer wieder »Mängel und Schwächen in der Leitungstätigkeit der eingesetzten Leitungskader im VPKA«111 gemeldet. Das war pikant, da die Staatssicherheit damit die Führungskräfte der Volkspolizei anschwärzte, mit denen sie zugleich offiziell partnerschaftlich zusammenarbeiten sollte.112 Auch wenn die KDfS Gransee einen großen Aufwand trieb, das Umfeld der Polizeiwachen und die Freizeit von Polizisten auszuforschen, hinterließ ihre Tätigkeit kaum den Eindruck klassischer Abwehrarbeit eines Geheimdienstes. Der 104 BV Pdm/KD Gransee: Monatsbericht der Linie VII, 30.4.1981; BStU, MfS, BVfS Potsdam, Abt. VII Nr. 1251, Bl. 35–37. 105 BV Pdm/KD Gransee: IM-Bericht, 27.4.1981; ebenda, Bl. 54. 106 BV Pdm/KD Gransee: Bericht zur Vornahme einer KK-Erfassung, 20.9.1983; ebenda, Bl. 141. 107 BV Pdm/Abt. VII: BdVP Pdm, Bericht v. 14.8.1981; BStU, MfS, BVfS Potsdam, Abt. VII Nr. 1251, Bl. 66–68. 108 BV Pdm/KD Gransee: Einleitungsbericht zur OPK ›Sadist‹, 19.10.1982; ebenda, Bl. 119–123, hier 123. 109 BV Pdm/Abt. VII: BdVP Pdm, Bericht v. 14.8.1981; BStU, MfS, BVfS Potsdam, Abt. VII Nr. 1251, Bl. 66–68. 110 BV Pdm/KD Gransee: Monatsberichterstattung an die Linie VII, 27.3.1984; BStU, MfS, BVfS Potsdam, Abt. VII Nr. 1251, Bl. 153 f. sowie BV Pdm/Abt. VII: Bericht, 7.8.1981; ebenda, Bl. 58 f. u. 62. 111 BV Pdm/Abt. VII: Kontrollbericht, 24.5.1982; ebenda, Bl. 132–139, hier 136. 112 Zu Verzerrungen der Kooperation als Folge von MfS-Personalüberprüfungen in der VP vgl. Wunschik: Mechanismen der Herrschaft, S. 83–109.
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Hauptfeind der Polizei im Kreis war nicht der Klassenfeind, es waren vielmehr Korruption, Suff und Westverwandte, hinter denen Feinde gemutmaßt wurden. Die Arbeit der Kreisdienststelle mutete wie die Innenrevision der Polizei an. Offenbar kannte die Neugierde des MfS keine Grenzen. Was als Gefährdung für die staatliche Sicherheit der DDR anzusehen war, definierte vordergründig die Staatssicherheit selbst. Wegen ihrer scheinbaren Omnipräsenz wurde sie gefürchtet, gleichzeitig war die behauptete Allzuständigkeit ihre Schwäche. Denn schwerlich konnten die MfS-Mitarbeiter, das galt vor allem für die unterste Ebene, in allen Bereichen kompetent sein. 2.3.1 Repression und Routinen Trotz der fast karikaturhaft wirkenden Bemühungen, die Landwirtschaft zu fördern oder die Polizei vor den Gefährdungen des Provinzlebens zu bewahren, darf man das vom MfS ehedem ausgehende Unheil nicht unterschätzen. Jährlich wurden über 3 Prozent der Bevölkerung im ländlichen Kreis Gransee auf die eine oder andere Form vom MfS durchleuchtet, weil sie beispielsweise einen Reiseantrag gestellt hatten oder eine Vertrauensposition anstrebten. Mithilfe von Partnern in staatlichen Einrichtungen und Betrieben113 setzte die Geheimpolizei Menschen, die die DDR verlassen wollten, bis zur völligen Resignation unter Druck. Die übergeordneten Instanzen nutzen Überwachungsdossiers der KDfS Gransee offenbar als Entscheidungsgrundlage dafür, ob jemand in den Westen übersiedeln durfte oder nicht.114 Wer ausreisen wollte oder sich in Kirchenkreisen engagierte, wurde ausgekundschaftet und bedrängt, oft genug mit dem Ziel Spitzel zu gewinnen.115 Manch Mitglied der Zeugen Jehovas musste jahrelange Überwachungen erdulden.116 Dies ging so weit, dass einzelne Lehrer ihre Schüler bespitzelten und an die Stasi auslieferten.117 Auffällig viele Unbeteiligte gerieten in den Bannkreis des MfS, weil sie im Zuge von Verdächtigungen miterfasst wurden118 oder weil sie sich durch Hilfestellungen kompromittierten. Die Geheimpolizei in Gransee kundschaftete keineswegs vorrangig explizite Staatsgegner aus, sondern überwiegend Bürger, die in staatlichen Betrieben beschäftigt waren, in der Nähe von Militär-, Polizei- oder MfS-Objekten wohnten oder im Staatsdienst tätig waren. 113 Bruce: Wir haben den Kontakt, S. 365–379, hier 378. 114 Ein Arbeitsbuch der für Ausreisefragen zuständigen Diensteinheit der BVfS Potsdam enthält eine handschriftliche Auflistung aller einschlägigen OV und OPK sowie Personennamen mit handschriftlichen Notizen zu diesen Personen. Zur definitorischen Abgrenzung von IMEinsatzrichtungen von den IM-Funktionen vgl. Müller-Enbergs: Inoffizielle Mitarbeiter. Teil 1. 115 BStU, MfS, BVfS Potsdam, AKG Nr. 1054, Bl. 205–217, hier 208, 217. 116 BV Pdm/AKG: Hinweise zur KD Gransee, 7.1.1987; ebenda, Bl. 232–240, hier 234 f. 117 Bruce: Wir haben den Kontakt, S. 365–379, hier 378, 373 f. 118 Ebenda, S. 365–379, hier 378 f.
Die Kreisdienststellen als Symptom der Entwicklung und Probleme im MfS
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So verhinderte das MfS den Berufseinstieg junger Polizisten119 oder beendete oder verkürzte Karrieren von anderen Staatsdienern. Alles mit dem Ziel, die Politik und Herrschaft der SED auch in diesem Mikrokosmos abzusichern. Das MfS war auf Kreisebene vor allem ein zusätzlicher Kontroll- und Überwachungsstrang, der Hand in Hand mit der SED und Funktionären anderer staatlicher, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Bereiche arbeitete. Von dem Klischeebild einer Institution, die mit inoffiziellen Mitarbeitern vor allem Staatsfeinde überwachte und verfolgte, war die Routinetätigkeit der KDfS Gransee gegen Ende der DDR weit entfernt. Das Aufgabenspektrum war deutlich breiter, Informationsbedarf und Informationsanfall waren umfangreicher, die Quellen waren vielfältiger, die Auswertungsmethoden subtiler, aber auch bürokratischer als in den 1950er-Jahren.
2.4 Die Kreisdienststellen als Symptom der Entwicklung und Probleme im MfS Die Kreisdienststelle Gransee im dünn besiedelten ländlichen Raum mit großen Garnisonen und wichtigen militärischen Anlagen wies regionale Besonderheiten auf. Gleichzeitig waren die dort auftretenden Probleme teilweise typisch für die Entwicklung der Kreisdienststellen des MfS insgesamt.120 Deutlich zeigt sich eine Veränderung der Arbeitsweise, die mit verfeinerten Methoden der Auswertung einherging. Hier kulminierten aber auch die Schwierigkeiten in der Arbeit der KDfS. Im Jahr 1971 stellte Erich Mielke fest, dass sich die »hauptsächlichsten Schwächen der operativen Arbeit am deutlichsten in den KD zeigen«.121 Ein großer Teil der geheimpolizeilichen Arbeit fand vor Ort statt, in den zuletzt 209 Kreis- und 7 Objektdienststellen, letztere am Standort wichtiger Betriebe.122 Die Kreisdienststellen in ihrer Gesamtheit hatten 1989 folgende Anteile an statistischen Gesamtbeständen des MfS: –– der Anteil der IM betrug 51,2 Prozent, –– der Anteil der OV betrug 57 Prozent (1988), –– der Anteil der OPK lag bei 60 Prozent.123
119 BV Pdm/KD Gransee: Monatsberichterstattung an die Linie VII, 27.3.1984; BStU, MfS, BVfS Potsdam, Abt. VII Nr. 1251, Bl. 153 f. 120 Zum Forschungsstand zu den Kreisdienststellen des MfS vgl. Labrenz-Weiß: KD Nordhausen, S. 9 ff. 121 Mielke, Erich: Referat auf dem zentralen Führungsseminar vom 1.–3.3.1971; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 101212, Bl. 601. 122 MfS-Lexikon, S. 399. 123 MfS/ZAIG: Übersicht über Entwicklungstendenzen bei EV, IM, OV und OPK im Jahre 1988, 24.2.1989; BStU, MfS, ZAIG Nr. 13919, Bl. 98 f.
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Das MfS war seit den 1950er-Jahren personell deutlich gewachsen, aber die Regionalvertretungen hatten den Personalzuwachs nicht proportional nachvollziehen können. Das Ministerium insgesamt hatte, abgesehen von den Jahren 1987 bis 1989, seinen Personalbestand mehr oder minder kontinuierlich vergrößert.124 Die Regionen blieben jedoch dahinter zurück. Waren 1954 noch 68,1 Prozent der Mitarbeiter in Bezirks- oder Kreisverwaltungen tätig, waren es 1964 nur noch 49,6 Prozent. Ein Tiefpunkt war 1980 mit einem Anteil von 45,1 Prozent erreicht.125 Die zehn starken Wachstumsjahre ab 1963, nachdem Erich Mielke schon die Leitung innehatte, trugen einen »stark autogenerativen Zug, der vor allem dem ›Überbau‹ der Sicherheitsbürokratie, also den zentralen und rückwärtigen Zweigen zugute kam«.126 Während die Bezirksverwaltungen und Kreisdienststellen ihren Personalbestand damals um »nur« 56 Prozent steigerten, vergrößerte sich die Berliner Zentrale personell um 149 Prozent. Spitzenreiter war die Personalabteilung mit 281 Prozent, die den steten »Kader«-Bedarf zu stillen hatte. Die relative Zentralisierung des Apparates führte zudem dazu, dass »von oben« immer mehr Aufgaben »nach unten«, auf die Kreisebene, durchgedrückt wurden. 2.4.1 Effizienzprobleme Diese Belastung zeigte subjektive Spuren. MfS-interne Mahner in diversen Kreisdienststellen hatten den Eindruck, dass sie sich »immer weiter von den ›eigentlichen tschekistischen Aufgabestellungen‹ entfernen würden«.127 Das Missbehagen vieler MfS-Mitarbeiter war keine reine Einbildung, sondern beruhte auf einem Effektivitäts- und Effizienzproblem, das sich im gesamten MfS-Apparat, vor allem aber in den Kreisdienststellen bemerkbar machte. Natürlich ist es schwierig, Effektivität und Effizienz einer Geheimpolizei objektiv zu bestimmen, vor allem, wenn man qualitative Kriterien anlegen möchte. Einen Anhaltspunkt für das von den MfSMitarbeitern benannte Problem bietet immerhin die Zahl der geheimpolizeilichen, operativen Vorgänge, die ein Mitarbeiter bearbeitete. Im MfS selbst galten solche Vorgangszahlen immer wieder als Maßstab für eine erfolgreiche Arbeit. Vergleicht man also die zahlenmäßige Entwicklung der »klassischen« Vorgänge wie der IM- und operativen Vorgänge mit den Personalzuwächsen zeigt sich, dass die Zahlen keineswegs parallel wuchsen. Legt man beispielsweise die Anzahl der IM auf alle Mitarbeiter um, zeigt sich, dass die Relation mit 4,4 IM je Mitarbeiter im 124 Gieseke: Die hauptamtlichen Mitarbeiter, S. 556 ff. 125 Ebenda. 126 Ebenda, S. 240 f. 127 Mielke, Erich: Referat auf der zentralen Dienstkonferenz zu ausgewählten Fragen der politisch-operativen Arbeit der Kreisdienststellen und deren Führung und Leitung, 26.10.1988; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 7844, Bl. 48.
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Die Kreisdienststellen als Symptom der Entwicklung und Probleme im MfS 4,6 4,4 4,2 4,0 3,8 3,6 3,4 3,2 3,0 2,8 2,6 2,4 2,2 2,0 1,8 1,6 1,4 1,2 1,0 1950
1954
1958
1962
1966
1970
1974
1978
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Abb. 2: IM-Vorgänge pro MfS-Mitarbeiter 1950–1988
Jahr des Mauerbaus 1961 am günstigsten war,128 dann aber kontinuierlich auf ein Verhältnis von unter 2:1 fiel.129 Die statistische Spitze mag etwas überhöht sein, da im Jahr 1960 Vorgänge umregistriert wurden, sodass Doppelzählungen nicht auszuschließen sind. Die Zeit um den Mauerbau fiel zudem mit einer Überwachungs- und Repressionswelle gegen potenzielle Flüchtlinge und kritische Äußerungen zur DDR (»Hetze«) zusammen. Doch der Gesamttrend ist belastbar und deutlich und zeigt sich auch an anderen Vorgangsarten. Eine ähnliche Entwicklung weisen Statistiken zu archivierten Vorgängen in der Berliner Zentrale und Stichproben aus der BVfS Potsdam auf. Auch die Zahl derer, die aus politischen Gründen vom MfS strafrechtlich verfolgt wurden, entwickelte sich ähnlich. Allerdings sind hier auch gegenläufige justizpolitische
128 Zur Expansion des IM-Netzes aufgrund des Bevölkerungsunmuts nach 1961 vgl. Müller-Enbergs: Inoffizielle Mitarbeiter. Teil 3. Statistiken. Berlin 2008, S. 37. Die Vorgänge wurden bewusst auf die Mitarbeiter insgesamt umgerechnet, weil nicht zuletzt Erich Mielke diese Vorgangsarbeit als zentral für das Selbstverständnis seines gesamten Apparates herausstellte. 129 Müller-Enbergs führt diesen Trend allgemeiner auf die Entspannungspolitik zurück. Vgl. Müller-Enbergs: Inoffizielle Mitarbeiter. Teil 3. Statistiken. Berlin 2008, S. 38.
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Ein Blick in die damalige Praxis – die Kreisdienststelle Gransee des MfS
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1988
Abb. 3: Untersuchungsvorgänge im MfS pro 100 Mitarbeiter von 1956 bis 1988
Gründe, wie die Verschärfung des Kurses gegen die wachsende Zahl von Ausreisewilligen Ende der 1980er-Jahre, zu berücksichtigen, die einen leichten Anstieg der Vorgangszahl bewirken. 2.4.2 Aufgabenzuwachs, Verregelung und Bürokratisierung Das Auseinanderfallen von geheimdienstlichem Output nach dem Kriterium der Vorgangszahlen und Wachstum des Personalkörpers hat verschiedene Gründe. Etwa seit der Zeit, als Erich Mielke die Leitung im MfS übernahm, wuchsen die Aufgaben des MfS. Am augenfälligsten war nach dem Mauerbau im Jahr 1962 die Übernahme der Passkontrolle.130 Auf Weisung von Ulbricht wurde die Wirtschaftsüberwachung verstärkt und in wichtigen Betrieben entstanden Objektdienststellen als neue Struktureinheiten in Analogie zu den Kreisdienststellen. Wie stark das MfS damit belastet war, staatliche Bereiche, den militärischen Bereich sowie die Polizei abzusichern, wurde schon in Gransee deutlich. Mit derartigen Aufgaben entfernten sich die MfS-Aktivitäten von der Verfolgung der 130 Tantzscher: Hauptabteilung VI, S. 3.
Die Kreisdienststellen als Symptom der Entwicklung und Probleme im MfS
43
2,5
2,0
1,5
1,0
0,5
0,0 1961
1965
1969
1973
1977
1981
1985
1989
Abb. 4: Vorgangsregistrierungen pro Mitarbeiter in der BVfS Potsdam 1961–1989 Die Grafik zeigt die Relation Mitarbeiter der BVfS zu neu eröffneten und bearbeiteten, registrierpflichtigen Vorgängen (IM, OV, OPK etc.). Die Kurve demonstriert, dass die Zahl der Vorgänge nach dem Mauerbau in der BVfS Potsdam zunächst kurz stieg, danach mehr oder minder kontinuierlich fiel, um sich dann auf einem niedrigeren Niveau relativ zu stabilisieren.
Staatsgegner im engeren Sinne.131 Manche sprechen seit den 1960er-Jahren von der Rolle eines »Generalkontrollbevollmächtigten« der SED132 oder dem »MielkeKonzern«. In den Kreisdienststellen wurden ab 1962 beispielsweise spezielle Sachbearbeiter zur Sicherung der Wehrkreiskommandos etabliert, ab 1966 folgten solche zur Grenzsicherung, ab 1968 Sachbearbeiter zur Überwachung von Kultur und Massenmedien, ab den 1970er-Jahren solche zur Überwachung des Reise-
131 Löser: Stellung der Kreisdienststellen, S. 50 und allgemein Lippmann: Aufbau und Arbeitsweise einer Kreisdienststelle. 132 Suckut: Generalkontrollbeauftragter der SED, S. 158.
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Ein Blick in die damalige Praxis – die Kreisdienststelle Gransee des MfS
und Transitverkehrs und zur Überwachung der Transitwasserstraßen.133 Diese hauptamtlichen Mitarbeiter wurden entsprechend dem »Linienprinzip«, das das »Territorialprinzip« zunehmend überwölbte, von den jeweils fachlich zuständigen Abteilungen in den Bezirksverwaltungen beziehungsweise den entsprechenden Hauptabteilungen in Berlin angeleitet. Diese Verantwortungsdiffusität in den KDfS drohte zu einer »Verzettelung der Kräfte«134 zu führen. Die MfS-Leitung versuchte deswegen, die Gesamtverantwortung nach Schwerpunkten wieder bei den Leitern der Kreisdienststellen zu bündeln. Diese sollten in Abstimmung mit den Leitern der übergeordneten BVfS die Verantwortung für die Sicherheit im Territorium übernehmen und entsprechend der Lage ihr Personal und ihre Ressourcen einsetzen. Die Aufblähung des Apparates ging mit einer Vermehrung von Berichts- und Arbeitsaufträgen einher, die nach »unten« weitergegeben wurden. Erich Mielke musste 1982 einräumen, dass es gelte, diese zu reduzieren.135 Es sollte zu einer Herausforderung für die Auswertung werden, die Berichterstattung effektiver zu gestalten. Nach der Aufbauzeit versuchte man das Niveau der geheimpolizeilichen Arbeit zu heben, das in den 1950er-Jahren oft zur Unzufriedenheit in der MfSFührung geführt hatte. Die Folge waren mehr Kontrollen, mehr Berichte und mehr Regelungen. Jahr für Jahr ergoss sich eine Flut von Schreiben, Richtlinien, Befehlen und Dienstanweisungen, wurden Reden gehalten und Konferenzen zu den jeweils neu geltenden Leitlinien und Arbeitsweisen durchgeführt. In der Ministerablage sind für 1960 fast 230 solcher Dokumente überliefert, für 1970 und 1980 sind es rund 350, für 1988 fast 400. Bei den Leitern der BVfS Potsdam, Chemnitz und Magdeburg waren 1980 zusätzlich 98, 208 beziehungsweise 153 solcher Leitungsdokumente hinterlegt.136 Nicht nur die Zahl dieser Regelungen wuchs, viele wurden auch immer länger und komplexer. Die erste Richtlinie zur Führung von Informanten von 1950 umfasste nur fünf knappe Seiten, die Richtlinie von 1958 insgesamt 19 Blatt, die von 1968 und 1979 schon 24 beziehungsweise 67 Seiten. Nicht mitgezählt sind die teils vielseitigen Durchführungsbestimmungen, die sich im Laufe der Jahre immer wieder änderten.137 Diese Entwicklung wurde meist als Tendenz zur Bürokratisierung wahrgenommen. Allerdings entsprang sie auch dem Bemühen der Modernisierer im MfS, ein aufeinander abgestimmtes Regelsystem zu entwickeln. In der Folge konnte die MfSFührung nicht daran vorbeigehen, dass der »administrative Aufwand in der Arbeit 133 Mielke, Erich: Referat Die weitere Qualifizierung und Vervollkommnung der politischoperativen Arbeit der Kreisdienststelle, August 1973; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 1504/73, Bl. 135. 134 Ebenda, Bl. 74. 135 Mielke, Erich: Referat auf der zentralen Dienstkonferenz zu ausgewählten Fragen der politisch-operativen Arbeit der Kreisdienststellen und deren Führung und Leitung, 26.10.1988; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 7844, Bl. 136. 136 Eigenberechnung nach dem internen Dokumentennachweis (Dosa) des BStU. 137 Müller-Enbergs: Inoffizielle Mitarbeiter. Teil 1, S. 9, 159, 242, 305.
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mit IM, aber auch bezogen auf andere Aufgabenstellungen, in den letzten Jahren enorm angewachsen ist und einen nicht zu unterschätzenden Belastungsfaktor darstellt«.138 Im Widerspruch zu den selbst gesetzten administrativen Forderungen versuchte die MfS-Führung in der Folgezeit diese Begleiterscheinung bürokratischer Herrschaft139 nicht einfach hinzunehmen. Gefordert wurde, die Aktenführung mit weniger Aufwand erledigen zu können, jedoch mit nur geringem Erfolg. Zusätzlich nahmen die auf Einhaltungen der Bestimmungen drängenden Kontrollen zu. Anleitung und Kontrolle wurden in der ZAIG und deren Linie nach unten konzentriert. Nicht nur der Leiter der KDfS Gransee formulierte zuweilen demütigende Selbstkritiken, wenn seine übergeordneten Kollegen aus der AKG der BVfS Potsdam gerade wieder eine Kontrolle durchgeführt hatten. Im Jahre 1988 räumte er ein, dass »trotz ständiger Einflussnahme und Kontrolle noch eine Reihe Mängel und Hemmnisse«140 bestehen würden. Im Jahr darauf musste er wiederum grundlegende Defizite zugeben. Ein Teil des IM-Bestandes sei »für die Realisierung der Grundaufgaben des MfS nicht geeignet«.141 Ursache seien die »unzureichenden Erfahrungen und Fähigkeiten«142 der Mitarbeiter seiner Dienststelle. Vormalige Appelle an die revolutionäre Arbeitsmoral wurden nun zunehmend durch Forderungen ersetzt, Vorgänge »inhaltlich konkreter, abrechenbarer und kontrollfähiger zu machen«.143 Minister Mielke musste 1973 indirekt einräumen, dass die vielen neuen Weisungen manchen seiner Hauptamtlichen überforderten und von der geheimpolizeilichen Arbeit wegführen würden. »Häufig ist das Argument zu hören, dass die dienstlichen Bestimmungen und Weisungen immer mehr Aufgaben stellen und angeblich die Lücke zu den zu ihrer Lösung notwendigen Voraussetzungen dabei immer größer würde.«144
138 Mielke, Erich: Referat auf der zentralen Dienstkonferenz zu ausgewählten Fragen der politisch-operativen Arbeit der Kreisdienststellen und deren Führung und Leitung, 11.10.1982; BStU, MfS, ZAIG Nr. 4810, Bl. 174. 139 Max Weber bezeichnete diese moderne Form der Herrschaft noch als »legitime« Herrschaft, offenbar weil ihm die Indienstnahme der Bürokratie für eine illegitime Herrschaft noch nicht in den Blick kam. Weber: Wirtschaft und Gesellschaft, S. 124 ff. 140 BV Pdm/KD Gransee: Analyse der Wirksamkeit der IM-Arbeit, 30.9.1988; BStU, MfS, BVfS Potsdam, AKG Nr. 1339, Bl. 3–10, hier 6. 141 BV Pdm/KD Gransee: Einschätzung des IM-Bestandes, 29.10.1989; BStU, MfS, BVfS Potsdam, AKG Nr. 1339, Bl. 13–21, hier 14. 142 Ebenda, Bl. 14. 143 Mielke, Erich: Referat auf der zentralen Dienstkonferenz zu ausgewählten Fragen der politisch-operativen Arbeit der Kreisdienststellen und deren Führung und Leitung, 11.10.1982; BStU, MfS, ZAIG Nr. 4810, Bl. 174. 144 Mielke, Erich: Referat, Die weitere Qualifizierung und Vervollkommnung der politischoperativen Arbeit der Kreisdienststelle, August 1973; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 1504/73, Bl. 37.
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2.4.3 Veränderter Informationsbedarf und Aufwertung der Auswertung Aufgabenzuwächse, zunehmende Zahlen der Personenüberprüfungen und insgesamt wachsende Ansprüche steigerten den Bedarf an verlässlichen und hochwertigen Informationen im MfS. Damit wuchsen auch Größe und Bedeutung der Auswertungs- und Informationsgruppen. In nicht einmal zehn Jahren, von 1972 bis 1980, stieg die Zahl der Mitarbeiter in den AIG, dann AKG, aller Bezirksverwaltungen um mehr als das Doppelte von 390 auf 831 Mitarbeiter.145 Die Kreisdienststellen erhielten 1965 regelhaft Auswerter.146 Bis in die 1980er-Jahre wuchsen die AIG in Abhängigkeit von der Größe der Kreisdienststelle auf drei bis neun Mitarbeiter nebst einem Leiter an und hatten gegen Ende der DDR den Status von Referaten Auswertung und Information (A/I).147 Das bedeutete, dass ein »bedeutendes Kräftepotenzial« (11,5–22,5 % des Personals), im Durchschnitt ein Sechstel der Mitarbeiter der Kreisdienststellen, Ende der 1980er-Jahre durch die Verarbeitung von Informationen gebunden war.148 Das trug natürlich dazu bei, das klassische Effizienzkriterium, die Anzahl der Vorgänge pro Mitarbeiter, zu beeinträchtigen. Um den steigenden Informationsbedarf zu decken, wurden die IM-führenden Mitarbeiter immer wieder dazu angehalten, nach ihren Treffen mit den IM mehr schriftliche »Informationen« zu produzieren. Auf diese Weise sollte mit der früheren Praxis gebrochen werden, wichtige Informationen in Vorgängen zu belassen, statt diese herauszuziehen und weiterzuleiten. Dieser Ansporn sollte zur Effektivität geheimpolizeilicher Arbeit beitragen. Die unmittelbare Folge einer solchen Informationsvernetzung jedoch war, dass die für die Speicherung und Verteilung dieser Informationen zuständigen Auswerter in einer »Papierflut [zu] ersticken«149 drohten. Die ersten Versuche, die begrenzten Ressourcen des MfS mit den jeweiligen Forderungen in Übereinstimmung zu bringen, erwiesen sich als schwierig. Die Hoffnung, die Informationsverarbeitung mithilfe der EDV schnell rationalisieren zu können, sollte sich mangels entsprechender Ressourcen als trügerisch erweisen. Auch die unmittelbar geheimpolizeiliche Arbeit in den KDfS war von Verwerfungen gekennzeichnet. Wenn Mielke mit seinem hergebrachten tschekistischen Selbstverständnis an der Wichtigkeit der inoffiziellen Mitarbeiter150 festhielt, 145 Engelmann; Joestel: Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe, S. 79. 146 Mielke, Erich: Referat, Die weitere Qualifizierung und Vervollkommnung der politischoperativen Arbeit der Kreisdienststelle, August 1973; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 1504/73, Bl. 135. 147 Richter, Achim; Phieler, Thomas: Ausgewählte Probleme der weiteren Erhöhung der politisch-operativen Wirksamkeit und der rationellen Gestaltung der Arbeit der Auswertungs- und Informationsorgane der Kreisdienststellen. Potsdam 1988; BStU, MfS, JHS Nr. 22011, Bl. 72. 148 MfS/ZAIG, Irmler, Werner: AKG-Leitertagung, 3./4.12.1987; BStU, MfS, ZAIG Nr. 4696, Bl. 1–243, hier 95. 149 Ebenda, Bl. 105. 150 Mielke, Erich: Referat auf der zentralen Dienstkonferenz zu ausgewählten Fragen der politisch-operativen Arbeit der Kreisdienststellen und deren Führung und Leitung, 26.10.1988; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 7844, Bl. 85.
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speiste sich das Wissen des MfS, wie schon am Beispiel Gransee angedeutet, längst zu großen Teilen aus anderen Quellen. Eine ungeahnte Wirkung entfachte vor allem ein Typ von Aufträgen: einfache Überprüfungen und Ermittlungen zu Einzelpersonen. Diese waren im Auftrag anderer Diensteinheiten in Bezug auf deren Arbeitsplatz und Wohnort von den zuständigen KDfS zu leisten. Schon 1963 klagte ein führender MfS-Mitarbeiter angesichts dieser Anfragen: Die »Kreisdienststellen haben nur bestimmte Kraft, Mitarbeiter arbeiten dadurch nicht an eigentlichen Aufgaben«.151 Die Warnung änderte nichts, zehn Jahre später hieß es, die Überprüfungen und Ermittlungen »belaste[te]n die Kreisdienststellen zum Teil erheblich«.152 Im Jahr 1981 fielen in den zuständigen Referaten der Kreisund Objektdienststellen etwa 150 000 Personenüberprüfungen an. 1986 stieg die Zahl auf schon rund 250 000 Überprüfungen, im gesamten Apparat zeigte sich ähnlich deutlich eine steigende Tendenz.153 Die Stasi-Granden staunten offenbar über den Zauberlehrlingseffekt ihres Überwachungseifers und sprachen immer wieder ehrfürchtig vom »regelrechten Massencharakter«154 der Ermittlungen. Die Ermittlungen nahmen die Kapazitäten mancher Kreisdienststellen zur Hälfte in Anspruch und drohten sie an den Rand des Kollapses zu bringen.155 2.4.4 Die Verklärung von Krisensymptomen Mielke benannte nicht zufällig 1971 als neuralgisches Jahr für seine regionalen Dienststellen. Mit diesem Jahr sollte das ungehemmte Wachstum der »Massenprozesse« beginnen, mit denen die Staatssicherheit auf die Herausforderungen der Entspannungspolitik im Inneren zu reagieren suchte. Diese Prozesse sollten den gesamten MfS-Apparat in der Folge immer wieder an seine Grenzen führen. Nicht genug, dass zunehmende Bürokratisierungstendenzen und Effektivitätsprobleme im MfS Motivationskrisen unter den MfS-Mitarbeitern auslösten. Daneben begann ein weiteres Phänomen, die MfS-Führung mit Sorge zu erfüllen. Vor allem dem nach dem Mauerbau eingetretenen tschekistischen Nachwuchs schien im Zuge der Entspannungspolitik das alte Feindbild abhanden zu kommen, da sich die
151 Mielke, Erich: Protokoll über die Dienstkonferenz des Genossen Ministers, 19.3.1963; BStU, MfS, SdM Nr. 1561, Bl. 20–31, hier 28. 152 Mielke, Erich: Referat, Die weitere Qualifizierung und Vervollkommnung der politischoperativen Arbeit der Kreisdienststelle, August 1973; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 1504/73, Bl. 61. 153 MfS/ZAIG, Irmler, Werner: AKG-Leitertagung, 3./4.12.1987; BStU, MfS, ZAIG Nr. 4696, Bl. 1–243, hier 67 f.; Süß: Staatssicherheit im letzten Jahrzehnt, S. 25. 154 Mielke, Erich: Referat auf der zentralen Dienstkonferenz zu ausgewählten Fragen der politisch-operativen Arbeit der Kreisdienststellen und deren Führung und Leitung, 26.10.1988; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 7844, Bl. 216. 155 Labrenz-Weiß: KD Nordhausen, S. 229.
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Ein Blick in die damalige Praxis – die Kreisdienststelle Gransee des MfS
1,4
1,2
1,0
0,8
0,6
0,4
0,2
0,0 1962
1964
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1968
1970
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1988
Abb. 5: Vorgangsarchivierungen pro MfS-Mitarbeiter in der zentralen Abteilung XII 1962–1988 Die Kurve zeigt am Beispiel ausgewählter operativer Vorgänge (OV, OPK) und von allgemeinen Personenablagen (AP) die Relation MfS-Mitarbeiter am Standort Berlin (ministerieller Bereich und BVfS) zur Zahl der Archivablagen in der Abteilung XII der Zentralstelle. Dabei wird angenommen, dass die AP Ausgliederungen aus registrierten Vorgängen bildeten, die nach endgültiger Bearbeitung im Zentralarchiv des MfS abgegeben wurden. Bis zur Einrichtung eines eigenen Archivs 1986 nahm das Zentralarchiv Berlin auch die Archivablagen der BVfS Berlin komplett auf.
Ost-West-Systemauseinandersetzung nunmehr mit subtileren Mitteln vollzog.156 MfS-interne Erhebungen zeigten, dass manch junger Mitarbeiter sogar Skrupel gegenüber nicht legalen Methoden des MfS hegte.157 Zudem griff auch eine JobMentalität um sich. Nicht nur vereinzelt sahen sich Mitarbeiter nicht länger in der Reihe der Patrioten der Gründerjahre, sondern als »9 bis 17 Uhr Büroangestellte«.158 Erich Mielke versuchte, das Effizienz- und Motivationsproblem mit dauernden Appellen zu mindern. Er mahnte mit Blick auf die Vorgangsarbeit am Feind, dass 156 Nach einer Diplomarbeit von 1979 zit. nach: Gieseke: Die hauptamtlichen Mitarbeiter, S. 376. 157 Ebenda, S. 448. 158 Bruce: The Firm, S. 113.
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die »Tendenz, dass […] nicht immer die notwendige Zeit aufgewandt wird, unbedingt aufgehalten werden« müsse.159 Obwohl die Zeichen im MfS offenkundig in eine andere Richtung deuteten, hielt Mielke am Vorrang der »operativen Grundprozesse« fest. Das waren vor allem die traditionellen Überwachungsvorgänge (OV und OPK), die strafrechtlichen Ermittlungen in Form von Untersuchungsvorgängen sowie die IM-Vorgänge. In Wirklichkeit ging ihre Zahl, gerechnet pro Mitarbeiter, deutlich zurück. Aber die Arbeit war laut Mielke dennoch so zu organisieren, dass »die Arbeit am Feind, am Vorgang und mit den IM vorrangig bleibt«.160 Derartige Parolen, die auf einem sich überholenden Leitbild beruhten, konnten jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Arbeitsweise des »Mielke-Konzerns« über die Jahre deutlich verändert hatte.
159 Mielke, Erich: Referat auf der zentralen Dienstkonferenz zu ausgewählten Fragen der politisch-operativen Arbeit der Kreisdienststellen und deren Führung und Leitung, 11.10.1982; BStU, MfS, ZAIG Nr. 4810, Bl. 95. 160 Ebenda.
3. Die Wurzeln der Sammlung, Speicherung und Aufbereitung von Informationen im MfS
Von dem umfassenden Wandel der Informationsverarbeitung im MfS zeugt schon das Porträt der kleinen Kreisdienststelle Gransee. Der Prozess der Entwicklung im gesamten MfS, von der Aktenbearbeitung zur Massendatenverwaltung mithilfe der EDV, wirkt einerseits dramatisch. Auf der anderen Seite vollzogen sich die Veränderungen in der Informationsverarbeitung erstaunlich langsam. Am Anfang standen vor allem die kartei- und aktenmäßigen Erfassungen von Personen und Objekten im Vordergrund. Daher rückt in diesem Kapitel zunächst das Akten- und Archivierungssystem im MfS in den Blickpunkt. Eine ausdifferenzierte Auswertung bildete sich erst erstaunlich spät und zunächst nur zögerlich in den 1960er-Jahren heraus. Das hängt vermutlich auch damit zusammen, dass sowohl seine Vorläufer als auch das Ministerium für Staatssicherheit selbst ihre Tätigkeit als reine Hilfsorgane der sowjetischen Geheimpolizei begannen.1 Die Führung der Staatssicherheit der Sowjetunion war zunächst nicht davon angetan, dass die DDR einen eigenen Dienst bekommen wollte.2 Auch nach der Gründung des MfS gab es Phasen, in denen dessen Eigenständigkeit durch die instruierenden sowjetischen Geheimpolizeioffiziere des KGB deutlich eingeschränkt wurde. Erst ab Ende der 1950er-Jahre nahmen sich die sowjetischen Anleiter stärker zurück und beschränkten sich auf die Rolle von Verbindungsoffizieren.3 Es ist vermutlich kein Zufall, dass sich die Auswertung des MfS erst ab dieser Zeit auszuprägen begann. In der Phase zuvor dürfte ein großer Teil der Ausgangsinformationen direkt in den sowjetischen Apparat eingeflossen sein, wie das zu späterer Zeit noch bei den Informationen des Auslandsnachrichtendienstes und der Funkaufklärung der Fall war.4 Doch schon vor einer ausdifferenzierten Auswertung wurden Informationen in Form von Statistiken zusammengefasst, Einzelinformationen oder zusammenfassende Berichte auf dem Dienstweg im Rahmen eines Berichtswesens weitergeleitet. Endgültig stellten die Herausforderungen der sich wandelnden Ost-West-Beziehungen und Konflikte im eigenen Lager die bisherige Informationsbeschaffung und -verarbeitung auf den Prüfstand.
1 Engelmann, Roger. Diener zweier Herren, S. 51–72. 2 Foitzik; Petrow: Die sowjetischen Geheimdienste, S. 54; Naimark: Die Russen in Deutschland, S. 53 f. 3 Bailey; Kondratschow; Murphy: Die unsichtbare Front, S. 379 ff. 4 Müller-Enbergs: Hauptverwaltung A, S. 56 f.
52
Wurzeln der Sammlung, Speicherung und Aufbereitung von Informationen
Bevor Ursachen, Ergebnisse und Folgen dieser Entwicklung genauer analysiert werden, soll auf die unterschiedlichen Funktionen der Informationsverarbeitung hingewiesen werden. Einzelnachrichten konnten von hohem Wert sein, besonders wenn sie von einer unmittelbaren Reaktion, wie einer Festnahme, zeugten. Derartige Informationen wurden im MfS meist als »Meldungen« deklariert. Ähnlich verhielt es sich mit Informationen, die der Fahndung dienten. Davon abzugrenzen sind personenbezogene Informationen. Das konnten Einschätzungen beliebiger Personen oder vermeintlicher Feinde sein, die in der Folge dem MfS halfen, Menschen aufzuspüren, zu identifizieren und zu überführen. Zum Vierten konnten Informationen dazu genutzt werden, Lagebilder und Analysen über Sicherheitslagen zu erstellen, die es dem MfS-Apparat erlaubten, Bedrohungen zu erkennen. Relevant sind zudem die Fähigkeiten der Informationsbearbeitung, mit bestimmten Datenmengen umzugehen. Voraussetzung sind ausreichende Informationseingänge, die sinnvolle Speicherung von Daten und ein möglichst gezieltes Abrufen der gespeicherten Daten. Glieder dieser Komponente stellen Faktenbewertung, Ermittlung des Wahrheitsgehaltes, Zuordnungen nach Bedeutung und Wichtigkeit, Auswahl der richtigen Daten dar, um den Apparat nicht an seiner eigenen Datenflut ersticken zu lassen. Nicht zuletzt müssen Daten an andere Stellen übermittelt werden, um beispielsweise bestimmte Folgearbeiten erledigen zu können, um Datenbestände zu ergänzen und auszuwerten oder, um auf deren Grundlage Entscheidungen fällen zu können. Das Ganze soll möglichst effektiv ablaufen und, hier überaus relevant, die geheimen Quellen nicht gefährden. Zunächst soll der Informa tionsverarbeitung in der Aufbauphase nachgegangen werden, die stark von den sowjetischen Beratern geprägt war.
3.1 Erste Akten und Karteien Die Anfänge der Informationsverarbeitung im MfS mit Aktenvorgängen und dazugehörigen Karteien muten kafkaesk an. Bürokratisch durch Büroordnungen und andere Anweisungen geregelt, wurden Karteien geführt, Akten angelegt und weitergeleitet. Die Arbeitsweise unterschied sich kaum von der Aktenführung der preußischen Polizei, die für Verdächtige einen Vorgang anlegte und bearbeitete bis der Delinquent überführt oder sich der Vorwurf als unberechtigt beziehungsweise nicht beweisbar herausstellte. Die erste Generation von MfS-Mitarbeitern war durch die Schule der sowjetischen Instrukteure gegangen, die vermutlich ihre Aktenordnung mitgebracht hatten. Lange war beispielsweise das offenkundig von den Instrukteuren übernommene Wort »Agentur« im MfS gebräuchlich, bis es als eine »Herabwürdigung unserer tätigen inoffiziellen Mitarbeiter« empfunden
Erste Akten und Karteien
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und aus dem Sprachschatz des MfS getilgt wurde.5 Auch das im MfS inflationär gebrauchte Wort »operativ«, das sowohl für geheimpolizeiliche Methoden als auch für bestimmte taktische Manöver stand, entstammte der sowjetischen Tradition. Die erste Geheimpolizei der Bolschewiki nach der Machtübernahme bestand aus drei Abteilungen: der Informations-, der Organisations- und einer Operationsabteilung, die für den Kampf gegen Konterrevolution und Sabotage zuständig war.6 Operativ bedeutete zunächst nichts weiter als geheimpolizeilich tätig, im Unterschied zur Verwaltung und Informationsverarbeitung, weswegen die in Deutschland tätigen sowjetischen Geheimdienstgruppen, schlicht »OperativGruppen« oder »Oper«-Gruppen genannt wurden. Von der bürokratisch anmutenden Informationsspeicherung der Anfangszeit darf man sich nicht täuschen lassen. Einerseits spiegelten die Akten dieser Tage nur unzureichend den vor Ort oft herrschenden Aktionismus wider, der von willkürlichen Überwachungen und Verhaftungen geprägt war.7 Andererseits lagen hier die Anfänge eines Informationsverarbeitungssystems, das gegen Ende der DDR die Mehrheit der DDR-Bürger erfasste. Gerade Karteien, die heute noch oft als reine Findmittel zur Suche von Akten unterschätzt werden, entwickelten sich zu wichtigen, strukturierten Trägern von Informationen und somit zu Vorläufern der modernen, EDV-gestützten Informationsverarbeitung, die für das MfS Ende der 1980er-Jahre kennzeichnend sein sollte.8 Im Aufbaujahr 1950 war man von einer systematischen Informationsverarbeitung noch weit entfernt. Einige Monate lang führten die damaligen Landesämter für Staatssicherheit ihre Akten und Karteien unabhängig voneinander. Erst im September 1950 wurde im Berliner Ministerium eine zentrale Abteilung »Erfassung und Statistik«9 geschaffen. Diese nahm fortan die zentrale Erfassung und Registrierung von Personen und Aktenvorgängen vor. Von nun an sollte jede Person, die für das MfS von Wichtigkeit war oder in Akten bearbeitet wurde, in der zentralen Personenkartei registriert werden. Es war zu überprüfen, ob eine Person schon in einem Vorgang bei einer Staatssicherheitsdienststelle geführt wurde, die damit für diese Person verantwortlich war und entsprechenden Vorrang bei Entscheidungen besaß. Diese grundlegende Erfassungsmodalität sollte bis zum Ende des MfS Bestand haben.
5 MfS/Abt. XII: Protokoll v. 22.12.1956; BStU, MfS, Allg S 189/58, Bd. 1, Bl. 123–128. 6 Courtois: Schwarzbuch, S. 72; Sofinow: Abriß der Geschichte der Allrussischen Außerordentlichen Kommission, S. 26. 7 Engelmann; Joestel: Hauptabteilung IX, S. 37 ff. 8 Booß: Stasi-Karteien, S. 166–168. 9 Befehl Nr. 1/50 v. 20.9.1950; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 1, Bl. 1 f., abgedruckt in: Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 34–36, hier 34.
54
Wurzeln der Sammlung, Speicherung und Aufbereitung von Informationen
3.1.1 Aktentypen Die traditionellen Aktentypen zeigten die grundsätzliche Dreiteilung. Akten präziser Vorgänge wurden einmal zu Personen geführt, »die eine feindliche Tätigkeit durchführen«, zweitens dienten sie der Erfassung »der geheimen Mitarbeiter, der Informatoren und der Personen, die konspirative Wohnungen unterhalten«, also dem Personenkreis, der heimlich mit dem MfS zusammenzuarbeiten bereit war, und drittens galten sie den »verhafteten Personen«.10 Diese Typen von Akten blieben im Grundsatz bis zum Ende des MfS bestehen, auch wenn sich Bezeichnungen im Laufe der Zeit veränderten, die Vorgangstypen stärker ausdifferenziert und Zielstellungen verfeinert wurden. Der wichtigste Überwachungsvorgang war der später sogenannte Operativvorgang (OV), der sich gegen Einzelne oder Gruppen richtete, denen eine »verbrecherische Tätigkeit«11 unterstellt wurde, jedoch strafrechtlich nicht nachgewiesen war. Gleichwohl orientierten sich die OV als geheimpolizeiliche Vorermittlungen stark am jeweils geltenden Strafrecht, das seinerzeit in der sowjetischen Besatzungszone aus einem unsystematischen Mix aus sowjetischem, alliiertem und sowjetischem Besatzungsrecht und Resten des Reichsstrafrechts bestand. Zur Überblickswahrung für die vorgesetzten Stellen sollte zu jedem OV ein Kontrollvorgang mit den wesentlichen Angaben angelegt werden.12 Später konnten in Objektvorgängen ganze Betriebe oder Institutionen überwacht werden, bis diese Konvolute 1976 aufgelöst wurden.13 War der geheimpolizeiliche Anfangsverdacht noch nicht ausreichend, konnte dem OV ein Vorlauf vorgeschaltet werden. Es gab in diesem Sinne den Überprüfungsvorgang, der ab 1960 vom Vorlauf-Operativ abgelöst wurde.14 Ab 1971 übernahm die Operative Personenkontrolle (OPK) eine ähnliche Funktion.15 Möglich war auch das Sammeln Operativer Ausgangsmaterialien (OAM). Nach dem 17. Juni 1953 wurden vorübergehend auch noch Beobachtungsvorgänge gebildet, in denen beispielsweise ehemalige SS- und NSDAP-Mitglieder überwacht wurden, die ideologisch als Wegbereiter des Volksaufstandes galten.16 Wie die Statistik aus dem Bezirk Frankfurt/ Oder zeigt, überwogen bei der Überwachung lange die traditionellen Vorgänge. 10 Ebenda. 11 RL über die Erfassung von Personen, die eine feindliche Tätigkeit durchführen und die von den Organen des MfS der DDR festgestellt wurden v. 20.9.1950. In: Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 38. 12 RL über die operative Erfassung und Statistik in den Organen des SfS des MdI der DDR, 12.12.1953; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 3032. Abgedruckt in: Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 67–86, hier 74. 13 Ebenda, S. 72. 14 Vgl. MfS-Lexikon, Stichwort: Überprüfungsvorgang, S. 336. Ein Beispiel eines solchen Vorganges stellt BStU, MfS, BV Neubrandenburg, AOP 1243/62 dar. 15 Vgl. MfS-Lexikon, Stichwort: Operative Personenkontrolle, S. 253. 16 MfS/Abt. XII: Protokoll über die Besprechung mit den Leitern der Abt. XII am 2.4.1954; BStU, MfS, Allg S 187/58, Bd. 6, Bl. 200–215, hier 205.
Erste Akten und Karteien
55
80
70
60
50
40
30
20
10
0 Vorlauf-Operativ (Vorl. Op.) Operativ-Vorgänge (Op. Vg.)
Objektvorgang (Obj. Vg.) Untersuchungsvorgang (U-Vg.)
Abb. 6: Vorgangstypen 1965 im Bereich der BVfS Frankfurt/Oder Der Überblick über die Vorgänge im Bezirk Frankfurt/Oder zeigt einen hohen Anteil an Überprüfungen möglicher Feindtätigkeit (Vorlauf-Operativ). Eine geheimpolizeiliche Bearbeitung als feindlich angesehener Personen kommt auf eine deutlich geringere Fallzahl (Op. Vg.). Auch die in Objektvorgänge gefasste geheimpolizeiliche Überwachung von Objekten und Organisationen vollzog sich in geringen Zahlen. Die Untersuchungsvorgänge der BVfS/Abt. IX waren nicht an vorhergehende operative Vorgänge gebunden, konnten sich aber an solche anschließen. Oft genug entstand ein geheimpolizeilicher Ermittlungsvorgang gegen Personen (U-Vg.) aus unmittelbarer Verfolgung (z. B. gescheiterter Fluchtversuch) oder durch ein Benennen vorgeblich involvierter Personen in MfS-Verhören bei Untersuchungsvorgängen.
Ähnlich wie die Vorgänge zur operativen Überwachung differenzierten sich die Vorgänge der geheimen Informatoren (GI) und geheimen Mitarbeiter (GM) im Jahr 1979 zu Vorgängen inoffizieller Mitarbeiter (IM) und gesellschaftlicher Mitarbeiter Sicherheit (GMS) mit entsprechenden Akten aus. Die IM wurden dann noch in unterschiedliche Funktionstypen unterteilt.17 Das Grundprinzip der inoffiziellen Informanten aber blieb bestehen.18 Schließlich zählte die Arbeit mit geheimen Informatoren wie die Bearbeitung von Operativvorgängen zu den ge17 Müller-Enbergs: Inoffizielle Mitarbeiter. Teil 1, S. 51 ff. 18 Ebenda.
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Wurzeln der Sammlung, Speicherung und Aufbereitung von Informationen
heimpolizeilichen »Grundprozessen« des MfS. Da das MfS von Anfang an neben den Funktionen als Geheimpolizei und Nachrichtendienst auch die eines »Untersuchungsorgans« für die strafrechtliche Verfolgung besaß, blieben die Untersuchungsvorgänge – in die zu Archivierungszwecken später auch Staatsanwaltsund Gerichtsakten eingehen konnten – eine Konstante der Arbeit im MfS.19 Die überwiegend auftretenden drei Akten- bzw. Vorgangstypen wurden teils in den 1950er-Jahren, teils in den Jahren darauf um weitere Vorgangs- beziehungsweise Aktentypen ergänzt. Die Vorgänge sind auch durch ihre alphanumerisch gebildeten Signaturen voneinander unterscheidbar. Neben den schon erwähnten Objektvorgängen20 dienten beispielsweise –– Fahndungsvorgänge zur Suche nach Personen,21 –– Personalvorgänge (Kaderakten) von hauptamtlichen Mitarbeitern des MfS der Personalverwaltung, –– Sicherungsvorgänge (SiVo) einer Personalüberprüfung. Deren Besonderheit bildeten seit Mitte der 1970er-Jahre Namenslisten, sogenannte Indexbögen, die auf Personen-Handakten in den Diensteinheiten des MfS verwiesen.22 Nicht auf homogenen Vorgängen, sondern auf Archivierungsroutinen basieren darüber hinausgehende Signaturkonstruktionen, wie beispielsweise –– die Geheime Ablage (GH) der Zentralstelle für »Vorgänge und Unterlagen von besonderer und allgemein großer Bedeutung«23 zur gesonderten Archiv aufbewahrung,24 –– die als Z-Vorgänge gesondert gekennzeichnete und separierte Ablage in der Zentralstelle für NS-Akten,25 19 Engelmann; Joestel: Hauptabteilung IX. 20 Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 71 f. 21 Ebenda, S. 71; MfS/Abt. XII: Schreiben an die BV v. 12.1.1953; BStU, MfS, Abt. XII Nr. 3887, Bl. 1–6. 22 Ordnung über die Erfassung von Personen in der Abteilung XII auf der Grundlage von Sicherungsvorgängen v. 1.6.1976. In: Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 299–303, hier 301 f. 23 RL über die operative Erfassung, Entwurf v. 28.7.1959; BStU, MfS, Abt. XII Nr. 3758, Bl. 1–71, hier 57. 24 Die GH waren MfS-intern besonders geheim eingestufte Unterlagen verschiedener Herkunft, vielfach Untersuchungsvorgänge, auch OV und Sonstiges. Die GH existierte nur im Zentralarchiv und bildete dort eine separate Ablage. Obwohl eine eigene Signatur – GH – tragend, verkörpern sie eine interne Geheimhaltungseinstufung und keinen eigenen Vorgangstyp. Die Begründung für die Einstufung lieferten unterschiedlichste Inhalte. In der GH lagern beispielsweise Akten zu den kommunistischen Führern des Prager Frühlings, Manöverakten des Warschauer Paktes und zahlreiche Strafverfolgungsakten gegen MfS-Mitarbeiter. Einen ähnlichen Status wiesen Sonderablagen beim Minister und den einzelnen Leitern auf. Vgl. Booß; Pethe: Der Vorgang »Rote Nelke«, S. 49–69; allgemein Booß: Bestände zur Westarbeit; Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 84 f. 25 Jedlitschka; Springer: Gedächtnis der Staatssicherheit, S. 49.
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–– Materialsammlungen zu Personen konnten in der allgemeine Personalablage (AP) abgelegt werden, –– wie auch die in späteren Jahren eingeführte KK-Erfassung von Personen zur Ablage rudimentärer AKK-Akten führen konnte. Schon in den frühen Jahren der Staatssicherheit entstanden wenig formalisierte personenbezogene Materialsammlungen. Das gilt besonders für Beobachtungsvorgänge, die vielfach in Form von Beobachtungsmappen über Agenten, ehemals leitendes NS-Personal, Großagrarier und Kapitalisten, Sozialdemokraten, Aktivisten des 17. Juni 1953, in Großbetrieben tätige übergesiedelte Westdeutsche überliefert sind. Die beobachteten Personen waren teilweise auch in der zentralen Kartei extra erfasst. Den Beobachteten war gemein, dass ihnen eine »Feindtätigkeit nicht nachgewiesen« war, sie aber als »verdächtig und als unsichere Elemente«26 galten und zu, in den Augen des MfS sinnfälligen, Personengruppen von Verdächtigen zusammengestellt wurden. So wurden sie »unter operative Beobachtung«27 gestellt, in der Praxis eine eher lockere Überprüfung in periodischen Abständen. Später konnten diese Mappen in Objektvorgängen aufgehen.28 In Sachakten spiegelt sich die allgemeine Verwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit vom Kauf des Schreibpapiers über Lohnabrechnungen bis hin zu Planungen und Personalausbildungsprogrammen wider. Die Ablage im Archiv erfolgte als allgemeine Sachablage (AS oder Allg. S). Sachakten gelten im Archivwesen gemeinhin als ein Kernbestand, der die typische Arbeit der jeweiligen Institution dokumentiert. Schon aus konspirativen Gründen hatte das MfS genau daran kein Interesse, ließ also zu bestimmten Sachverhalten keine Akten entstehen. Auch den allgemein üblichen Weg, Abgabe der Akten an einen Dritten, eine Archivverwaltung, die entschied, was aufgehoben und was vernichtet – also kassiert – werden sollte, ging das MfS nicht. In bestimmten Einzelfällen war den jeweiligen Leitern der MfS-Diensteinheit die Entscheidung über eine Archivwürdigkeit überlassen. Überwiegend regelten Archivordnungen, Aktenpläne und Festlegungen über Archivierungsfristen den Umgang mit Archivgut im MfS recht akribisch.29 Selbst wenn in manchen Vorgängen ganze Objekte oder Gruppen abgehandelt wurden und in geringen Mengen Sachakten aufgehoben wurden, zeigt schon die Aktenhinterlassenschaft des MfS dessen starke Personenfixierung. Im Vordergrund standen Personen, die Informationen lieferten und Personen oder Personengruppen, die man überprüfte, überwachte, gegen die ermittelt wurde oder zu denen Infor26 BV Shl/Abt. XII: Stellungnahme v. 3.11.1955; BStU, MfS, Allg S 189/58, Bd. 6, Bl. 8. 27 Zit. nach: Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 74. 28 MfS/Abt. XII: Protokoll v. 22.12.1956; BStU, MfS, Allg S 189/58, Bd. 1, Bl. 123–128, hier 126. 29 Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 85. Ein Beispiel für einen Aktenplan mit zugehörigen Mindestaufbewahrungsfristen beinhaltet BStU, MfS, Abt. Fin Nr. 3447, S. 13 ff.
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mationen gesammelt wurden. Das Problem all dieser Vorgänge beziehungsweise Akten war, dass die Informationen in Papierkonvoluten enthalten waren, die kaum und wenn vor allem über Namen erschlossen waren. Das vorhandene Wissen war also nur schwerfällig zugänglich.30 3.1.2 Karteien Um aus Akten überhaupt Informationen abrufen zu können, mussten Vorgänge in eine bestimmte Ordnung gebracht und deren Wiederauffindbarkeit gesichtet werden. Das gewährleisteten verschiedene Karteien. Die Benennung von Karteien ist überwiegend identisch mit den verwendeten Karteiformaten, die mit einem F, entsprechend einer Formularvorgabe und einer Ziffer bezeichnet wurden. Die namentliche Auffindbarkeit von Personen ermöglichte die »zentrale Auskunftskartei«31, später als Personenkartei (F 16) bezeichnet, in der alle Kartei karten alphabetisch geordnet waren. Eine Besonderheit war, dass die Namen phonetisch transkribiert wurden, um Recherchen vom Hörensagen zu ermöglichen. War auf der Personenkarte zunächst auch die Vorgangsart festgehalten, wurden Personalkartei und Vorgangsnachweis (F 22) aus Konspirationsgründen spätestens ab 1960 strikt getrennt. Die zentrale Erfassung von Personen und Objekten diente hauptsächlich folgenden Zielen: –– der Feststellung, ob eine Person im MfS schon einmal angefallen oder registriert war, –– der Lokalisierung der im MfS zu einer Person vorhandenen Informationen, –– der Klärung der im MfS für eine Person verantwortlichen, zuständigen Dienst einheit. –– Ergänzend konnten mit unterschiedlichem Zeitbezug Hinweise auf ideolo gisch motivierte Einzelmerkmale wie NS-Belastung, Partei- oder Religionszugehörigkeit eine Rolle spielen. –– Überdies sollten statistische Überblicke zum Stand der Arbeit des MfS ermöglicht werden und indirekt Schlüsse über feindliche Tätigkeit zulassen. Weitere Karteien32 neben der Personen- und der Vorgangskartei erlaubten Recherchen nach –– Decknamen, –– Objekten,33 30 MfS-Insider Kierstein bestreitet, dass Methoden wie die Post- und Fernmeldeüberwachung illegal waren. Indem er diese aber nicht aus Gesetzen, sondern aus MfS-internen Regeln herleitet, bestätigt er geradezu die nicht legale Ableitung dieser Eingriffe in Persönlichkeitsrechte. 31 Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 82. 32 Ebenda. 33 Ebenda, S. 68.
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–– Straßen, wo zunächst die konspirativen Treff-Orte, später teilweise auch die Wohnstätten von IM festgehalten wurden.34 In die Zentralkartei wurden ab 1954 auch Erfassungen aus Material mit verschiedenen NS-Kontexten, als sogenannte Z-Materialien, integriert. Neben dem Einstellen von Karteien anhand des Aktenmaterials wurden auch Alt-Karten integriert: aus der NSDAP-Mitgliedskartei, von SS-Originalkarteien, von Karteien zu amnestierten SMT-Verurteilten, Karteikarten zu vorläufigen Festnahmen, Fahndungskarten, Karteikarten zu Festnahmen am 17. Juni 1953 oder zu Personen, die Nutzer des Bunkers im NS-Regierungszentrum am Berliner Anhalter Bahnhof waren. Diese Karteikarten waren offenbar nicht immer mit Akten hinterlegt.35 Vielmehr informierten die Karteikarten über bestimmte Personenmerkmale, Zugehörigkeiten zu einer NS-Organisation oder verwiesen auf bestimmte Verdachtsmomente. Auch dadurch wuchs die zentrale Personenkartei schnell auf rund vier bis fünf Millionen Nachweise Mitte der 1960er-Jahre.36 Dagegen blieb die Zahl der Vorgänge mit 420 000 und einem Zuwachs von geschätzten 20 000 jährlich deutlich dahinter zurück.37 Diese Aufblähung der Zentralkartei erwies sich in späteren Jahren als problematisch. In den 1970erJahren gab es Überlegungen und Anstrengungen, die zentrale Personenkartei wieder auszudünnen, da 12,5 Prozent der nachgewiesenen Personen schon 70 Jahre oder älter und 32,6 Prozent schon 60 Jahre oder älter waren.38 Überprüfungen in diversen Karteien oder Karteikartensystemen mögen kompliziert und mühselig erscheinen, waren jedoch im Vor-Computerzeitalter auch bei anderen Geheimdiensten üblich. Die Berliner CIA ließ in den 1940er-Jahren ihre künftigen Agenten unter anderem mit einem enormen Aufwand in Washington in Karteien manuell überprüfen39, bevor sie Computer einsetzen konnte. Beim MfS wurden für statistische Auswertungen Zweitkarten der Kartei über die einzelnen Vorgänge getrennt nach Vorgangsarten über einen bestimmten 34 MfS-Lexikon, Stichwort: F 78, S. 85. 35 Leitfaden für die Arbeit in der zentralen Auskunftskartei, August 1956; BStU, MfS, Abt. XII Nr. 4535, Bl. 1–26, hier 15 ff. 36 Die jährliche Zuwachsrate betrug ca. 800 000 Karten. MfS/Abt. XII: Umsetzung Zentralkartei v. 9.7.1969; BStU, MfS, Abt. XII Nr. 4535, Bl. 116–118, hier 118; MfS/Abt. XII: Statistik v. 10.3.1965; ebenda, Bl. 40–48, hier 40. 37 MfS/Abt. XI: Anlage 11, o. D. (etwa 1966); BStU, MfS, Abt. XII Nr. 5815, Bl. 88–93, hier 89. 38 Möglicherweise wegen derartiger Ausdünnungen ging der Bestand in der Zentralkartei auf 3,6 Mill. Karteikarten zurück. MfS/Abt. XII: Rationalisierung und Weiterentwicklung des bestehenden Erfassungs- und Auskunftssystems, 8.12.1970; BStU, MfS, Abt. XII Nr. 2049, Bl. 43–51, hier 45. In den 1980er-Jahren schwoll die Kartei wieder auf ca. 6 Mill. Karten an. MfS/ Abt. XII: Notwendigkeit des Erlasses einer Dienstanweisung, 25.6.1981; BStU, MfS, Abt. XII Nr. 3185, Bl. 398–405, hier 405. 39 Sichel: The secrets, S. 202.
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Zeitraum vorgehalten, um die Zahl der unterschiedlichen Vorgangsarten ermitteln zu können. Zu diesem statistischen Zweck wurden auch je eine Zweitkartei der Fahndungskartei, der Kartei der vom MfS Verhafteten und der Kartei vom MfS erfasster Personen, die im NS-Staat bestimmte Beschäftigungsverhältnisse oder Funktionen innehatten, geführt.40 Auch diese Karteien blieben dem MfS in der Verantwortung der Abteilungen XII bis zum Schluss erhalten – waren also grundlegende Bestandteile des zentralen Nervensystems des MfS. Im Laufe der Jahre entwickelten sich zahllose Spezialkarteien, die zuweilen den einzelnen Bereichen und einzelnen Mitarbeitern wie Zettelkästen halfen, den Überblick über ihr Arbeitsgebiet zu wahren. Erst später ging man daran, einzelne dieser Arbeitskarteien zu formalisieren und teilweise in eine einheitliche Ordnung zu überführen. Es gab vor allem in den Anfangsjahren des MfS auch Versuche, Karteien nach Gruppenzugehörigkeiten zu strukturieren. Ob dies außerhalb der Zentralkarteien oder innerhalb geschah, ist nicht ganz klar. Die Kategoriezuweisungen entsprachen zum Teil Verdächtigen-Klischees. Sie dienten unter anderem dazu, beispielsweise Betriebe nach vermeintlichen Risikofaktoren und -gruppen zu durchforsten und listenweise zusammenzustellen: Ausreisesperre, Registrierung im Strafvollzug, Westfahndung, Fahndung DDR, SMT-Verurteilte, vorläufige Festnahme, Verhaftung am 17.6.1953, Desertion, Eingabe beim MfS, Perspektivkader, Kadervorschlag, ehemalige Mitarbeiter des MfS, MfS-Disziplinarfall, ehemaliger Grenzgänger, SS-Mitglied, ehemalige Kontaktpersonen, Zollvergehen.41 Einige der auf einer Karteikarte erfassten Personen wurden in Beobachtungsvorgängen überwacht.42 Die frühen Karteien des MfS, die großenteils bis zum Ende erhalten blieben, dienten primär der formalen Zuordnung von Personen zu den für sie verantwortlichen Diensteinheiten oder dem Auffinden von Akten. Primäres Ordnungsmittel waren Personennamen. Spezialkarteien zeigten, wie sehr man sich damals an klischeehaften Personenmerkmalen orientierten, die nicht zuletzt von den sowjetischen Beratern übernommen waren.
40 Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 83. 41 MfS/Abt. XII: Probleme der Selektierung in der Hinweiskartei, 16.5.1968; BStU, MfS, Abt. XII Nr. 4582, Bl. 8–15. 42 Beispielsweise weist das Vorgangsregistrierbuch aus der BVfS Erfurt für das Jahr 1954 zahlreiche solche Vorgänge zu ehemaligen NSDAP- bzw. SS-Mitgliedern, Westzuwanderern, SPDund KPD-Mitgliedern, die die Vereinigung zur SED abgelehnt hatten oder CDU-Mitgliedern aus.
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3.2 Frühformen von Informationsnutzung und Informationsaufbereitung 3.2.1 Die ersten Statistiken Die Verhafteten, die Informanten und die in Vorgängen überwachten Personen wurden, wie erwähnt, in getrennten, statistisch ausgerichteten Vorgangszweitkarteien geführt. Das erlaubte eine statistische Auswertung nach Fallgruppen. Heute wird die dafür zuständige Abteilung als Archivabteilung des MfS bezeichnet. Ab 1951 nannte man sie Abteilung XII,43 doch ihre anfängliche Bezeichnung Erfassung und Statistik verdeutlicht ihre Grundfunktionen besser. Diese waren lange Zeit deutlich wichtiger, als die Archivierung von abgeschlossenen Aktenvorgängen. Die Art, wie Akten und Karteien geführt wurden, hatte unmittelbaren Einfluss auf den Ertrag möglicher statistischer Auswertungen. Die von der Abteilung XII zu liefernden statistischen Monatsberichte erfassten zunächst nur die Zu- und Abgänge von Vorgängen.44 Das war im Kern eine Vorgangsstatistik, die vor allem Aussagen über die inoffiziellen Kapazitäten des MfS, die Zahl der Festnahmen, der Anklagen und die Zahl der Überwachungsvorgänge und Beobachtungsmappen traf. Auch Aussagen zur sozialen Lage und zur Parteizugehörigkeit wurden gesammelt und ausgewiesen. Es gab auch zehn verschiedene Gründe, warum ein Informant ausgebucht wurde.45 Unbeantwortbar blieben bei dieser Nachweisführung jedoch beispielsweise Fragestellungen nach den Einsatzrichtungen von IM in Kreisdienststellen, der Zahl der mit ihnen abgehaltenen Treffs. Fragen nach Einschätzungen des Wertes ihrer Arbeit waren aus Karteien ebenso wenig ablesbar.46 Es gab immerhin Versuche, die Vorgänge nach »begangenen oder beabsichtigtem Verbrechen«47 zu sortieren, um statistische Auswertungen zu ermöglichen. Bei Überprüfungsvorgängen, Operativvorgängen und Untersuchungsvorgängen wiesen die Monats- und Quartalsstatistiken den Bestand der bearbeiteten Personen nach Delikten aus.48 Das war ein schwieriges Unterfangen, denn die MfS-Archivare beklagten, dass in den großen Vorgängen zahlreiche Personen mit unterschiedlichen Verdachtsmomenten erfasst würden. Diese statistisch korrekt zuzuordnen, sei »gar nicht möglich«.49 Die großen Objektvorgänge, die 43 Jedlitschka; Springer: Gedächtnis der Staatssicherheit, S. 37. 44 RL über die operative Erfassung und Statistik in den Organen des SfS des MdI der DDR, 12.12.1953; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 3032. Abgedruckt in: Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 67–86, hier 86. 45 MfS/Abt. XII: Statistische Berichte, 12.1.1956; BStU, MfS, SdM Nr. 1930, Bl. 59–66, hier 60. 46 Ebenda, Bl. 65. 47 Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 69 f. 48 MfS/Abt. XII: Statistische Berichte, 12.1.1956; BStU, MfS, SdM Nr. 1930, Bl. 59–66. 49 MfS/Abt. XII: Protokoll über die durchgeführte Besprechung mit den Leitern der Abt. XII, 7.4.1957; BStU, MfS, Allg S 187/58, Bd. 6, Bl. 2–22, hier 15.
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als Sammelvorgänge keinem spezifischen Verdacht nachgingen, waren ohnehin nicht deliktspezifisch.50 Da der Vorschlag, die Akten nach Delikten zu sortieren, rund zehn Jahre später noch einmal auftauchte, deutet alles darauf hin, dass die Abteilung die Schwierigkeiten mit dieser Auswertung nicht in den Griff bekam.51 Nicht zuletzt begannen die statistischen Probleme bereits bei der Formierung unterschiedlicher aber unspezifischer, verfolgungswürdiger Personenkreise durch das MfS: Agenten, ehemalige Agenten und Mitarbeiter ehemaliger deutscher Straforgane, »Teilnehmer der rechten sozialdemokratischen Untergrundbewegung und anderer antidemokratischer Organisationen«, »Trotzkisten, Anarchisten und Angehörige anderer Organisationen«, leitende Funktionäre von NSDAP und NS-Staat, potenzielle Terroristen, »Diversanten, Schädlinge, Saboteure«, »Personen, die der antidemokratischen Agitation verdächtigt« waren und Angehörige des Klerus, von Kirchen und Sekten, die in dem »Verdacht antidemokratischer Tätigkeit stehen« sowie von »Personen, die andere Staatsverbrechen begangen haben oder diesbezüglich verdächtig« waren.52 Die Aufzählung mischt Personengruppen, die aus Sicht des MfS qua Zivilberuf oder sonstiger Neigung vorgeblich zu Staatsverbrechen, Terrorismus und Agententätigkeit zu tendieren schienen, mit Personen, die durch politisches oder religiöses Bekenntnis es auf Dauer am Einsatz für den Sozialismus vermissen lassen würden, zu einem ideologischen Pool von Feinden. Diese »feindlichen Elemente« wurden pauschal verdächtigt und verfolgt. Für die Bekämpfung kommunistischer Parteifeinde, die angeblich dem Trotzkismus oder Titoismus anhingen, war eine Zeit lang sogar eine eigene Abteilung in der HA V (Vorläuferin der HA XX) zuständig.53 Da es in Ostdeutschland nie eine wirklich relevante trotzkistische oder anarchistische Bewegung gab, entstammten diese Kategorien offenkundig dem Wörterbuch oder ideologischem Einfluss der sowjetischen Berater. Auch die Bezeichnungen für Kritiker oder ideologische Gegner als angebliche Verbrecher in der Form von »Diversanten, Schädlingen, Saboteuren« stammten aus dem sowjetischen Strafrecht54 und kannten keine Entsprechungen im deutschen Nachkriegsrecht. Die Gruppierungen entsprachen eher Klischeevorstellungen von Gegnern der sowjetischen Gesellschaftsordnung. Da die Arbeit des MfS anfangs von den sowjetischen Besatzungsorganen dominiert wurden, prägten deren Denkkategorien die Arbeit der Untersuchungsabteilungen. Die Strafermittlungsstatistiken reflektieren daher an den genannten Begrifflichkeiten ausgerichtete Verfolgungen. Die bloße Zugehörigkeit zu den 50 MfS/Abt. XII: Statistische Berichte, 12.1.1956; BStU, MfS, SdM Nr. 1930, Bl. 62 f. 51 MfS/Abt. XII, Knoppe: Analyse über Archivunterlagen und Auskunftserteilung, 2.6.1965; BStU, MfS, Abt. XII Nr. 5818, Bl. 25–73, hier 32 ff. 52 Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 69 f. 53 Auerbach: Hauptabteilung XX, S. 15. 54 Vgl. § 58, Strafgesetzbuch der Russ. Soz. Föderativen Sowjet-Republik v. 22.11.1926. In: Strafgesetzbuch. Ugolownyi kodex.
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Zeugen Jehovas wurde beispielsweise in der Statistik der Abteilung IX als Ermittlungstatbestand (respektive Verfolgungsgrund) ausgewiesen.55 Dieses Raster war offenkundig weniger das Ergebnis empirischer Erkenntnisse, sondern entsprach sowjetischen Vorurteilen oder Vorgaben der sowjetischen Berater. Diese orientierten das MfS sogar auf Religionsgemeinschaften und Sekten, die in der DDR nicht existierten.56 Das dahinterstehende Denken entstammte offenkundig dem traditionellen kommunistischen Weltbild, das sich insbesondere von Sozialdemokraten und kommunistischen Abweichlern bedroht sah. Für eine differenzierte Einschätzung der politisch-gesellschaftlichen Entwicklung oder der Entwicklung der politischen Straftaten eigneten sich derartige Statistiken kaum. Erst mit der Ausdifferenzierung eines eigenständigen politischen Strafrechtes in der DDR57 Ende der 1950er-Jahre orientierte sich die MfS-interne Ermittlungsstatistik an den neu definierten Strafnormen.58 Aber auch dieses Zahlenwerk, das die dann folgende Strafermittlung spiegelte, sagt wie alle derartigen Kriminalitätsstatistiken vor allem etwas über die Leistung des Apparates aus, hier über das Untersuchungsorgan des MfS, weniger über Gefährungslagen an sich. Es gab auch Versuche, personenbezogene Hinweiskarteien so zu sortieren, dass ein statistischer Überblick über Personengruppen entstand. Doch auch dann noch mischten sich klar umrissene Merkmale wie Festnahme und Fahndung mit pauschalen Gruppenzugehörigkeiten. Das ist beispielsweise Charakteristikum einer Sonderkartei »über Personen, die in keinen Vorgängen verankert aber von operativem Interesse sind«.59 Die Kartei umfasste unter anderem –– Reisende im Ost-West-Verkehr, –– Republikflüchtlinge, –– Personen, die bei Zollkontrollen auffällig wurden, –– Personen, die dem MfS ihre Mitarbeit angeboten hatten, –– Grenzgänger aus dem Großraum Berlin. Diese Kartei wurde 1963 in die Personen-Zentralkartei (F 16) integriert. Derartige Karteieinträge, die nur auf Einzelmerkmale von Personen beruhten, sind eine Erklärung dafür, dass sich die zentrale Personenkartei aufblähte, während die Zahl der registrierten Aktenvorgänge deutlich niedriger blieb. Ein anderer Grund ist, dass einige Sammelvorgänge eine Vielzahl von Personen enthielten,
55 MfS/BV Lpz: Tätigkeitsbericht der Abt. IX, 1.11.1952; BStU, MfS, BV Leipzig, Ltg. Nr. 297, Bl. 4–12. 56 Jedlitschka; Springer: Gedächtnis der Staatssicherheit, S. 41 f. 57 Der Erlass des Strafrechtsergänzungsgesetzes von 1957 stellte einen wesentlichen Schritt zur systematischen Ausbildung eines politisch motivierten Strafrechts in der DDR dar. Vgl. Raschka: Justizpolitik, S. 37. 58 Die Akte BStU, MfS, Allg S 466/62 enthält derartige Statistiken für das Jahr 1958–1959. 59 Zit. nach: Jedlitschka; Springer: Gedächtnis der Staatssicherheit, S. 61.
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die auch in die Zentralkartei aufgenommen wurden. So gingen von 1960 bis 1966 in die Zentralkartei vermutlich 2,71 Millionen Personen-Karteikarten ein, in die Vorgangs-Kartei nur 171 000 Karten.60 Schon früh war die Leitung im MfS unzufrieden mit der Statistik der Abteilung XII. Einerseits sollten die Diensteinheiten aus Konspirationsgründen keine eigenen Statistiken anfertigen,61 andererseits entsprachen die Leistungen der Abteilung XII nicht den Erwartungen. Die Abteilung wehrte sich, es gäbe einen »Hang zur Überspitzung«62, alles bis aufs Kleinste genau wissen zu wollen. Es wirkte wie ein trotziges Totschlagargument, wenn der Leiter der Abteilung XII vorbrachte, dass der »Erfolg in der operativen Arbeit in letzter Konsequenz in der Anzahl der Verhafteten seinen Ausdruck«63 fände und diese Zahlen würde man schließlich liefern. Doch die Erwartungen darüber hinaus blieben hoch. Der angehende Minister Erich Mielke formulierte die Vorstellung, »dass man nur auf den Knopf [zu] drücken brauchte und die Abteilung XII müsste dann sofort in der Lage sein, bestimmte operative Angaben zu machen«. Beispielsweise erhoffte der Minister Aussagen zur Zahl der in einem Westberliner Bezirk zur Verfügung stehenden Informanten oder zur Qualität von operativen Vorgängen.64 Angesichts derartiger Anforderungen war es nur eine Frage der Zeit, bis das Informationsverarbeitungssystem grundsätzlich auf den Prüfstand kommen sollte und Diensteinheiten neben der Abteilung XII mit Auswertungen betraut würden. Die Schwächen der Statistik der Abteilung XII blieben nämlich weiter bestehen. So konnte beispielsweise 1983 die Zahl der in den Bezirksverwaltungen unmittelbar bearbeiteten OV nicht angegeben werden, weil zwar Zu- und Abgänge erfasst wurden, nicht aber der tatsächliche Bestand. Auch konnte die Abteilung keine Auskunft über die in den OV ermittelten Delikte geben, da sie zwar den Anfangsverdacht bei Eröffnung erfasste, nicht aber, ob sich »das Delikt zwischen Anlegung und Ablage verändert hat«.65 Solche Änderungen waren schlicht nicht meldepflichtig und daher konnte die Abteilung davon keine Kenntnis erlangen. Noch reduzierter war die Aussagefähigkeit der Statistiken zu den 1971 eingeführten operativen Personenkontrollen (OPK). Hier waren offenbar keinerlei inhaltliche Auswertungen möglich. Der jeweilige Bestand zum Monatswechsel, Zu- und Abgänge konnten nachgewiesen werden, nicht jedoch der Grund der 60 Eigenberechnung nach: MfS/Abt. XII: Statistiken; BStU, MfS, Abt. XII Nr. 5815, Bl. 98, 102. 61 MfS/Abt. XII: Statistische Berichte, 12.1.1956; BStU, MfS, SdM Nr. 1930, Bl. 59–66, hier 59 f. 62 Ebenda, Bl. 66. 63 Ebenda, Bl. 64. 64 MfS/Abt. XII: Protokoll v. 5.1.1957; BStU, MfS, Allg S 189/58, Bd. 1, Bl. 110–116, hier 116. 65 MfS/Abt. XII/4: Übersicht über statistische Werte, die in der Abteilung XII/4 des MfS erarbeitet werden können, 9.5.1983; BStU, MfS, Abt. XII Nr. 7304, Bl. 65–70, hier 68.
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Durchführung einer Kontrolle und deren Ergebnisse bei Beendigung. Was die Abteilung XII in späteren Jahren neben den Zahlen der Vorgänge liefern konnte, waren Umregistrierungen. So konnte berechnet werden, wie viele OPK dadurch abgeschlossen wurden, dass die kontrollierte Person als IM geworben, der Vorgang zum OV aufgewertet oder durch Archivierung abgeschlossen wurde. Das ließ gewisse Schlussfolgerungen über die Richtung des Vorganges zu. Aber dieses Raster war sehr grob und nicht wirklich verlässlich. Denn eine Person, die negative Tendenzen zeigte, konnte auch zur IM-Tätigkeit erpresst worden sein. Eine »negative« Person wurde nach der Verpflichtung im Schwarz-Weiß-Denken des MfS dann als »positive« geführt. Ähnlich formal gestalteten sich die Angaben zu den IM. Auch hier konnten lediglich der Bestand und die unterschiedlichen Kategorien ausgeworfen werden sowie die Dauer ihrer Registrierung. Inhaltlich war nur erkennbar, ob der IM aus anderen Vorgängen geworben wurde, ob es zu Übergaben an eine andere Diensteinheit kam, sonstige Änderungen des Vorganges und wie der Vorgang endete.66 Immerhin könne man mithilfe seiner Zahlen feststellen, welcher Offizier keine IM führte, meinte beflissen der seinerzeitige Leiter der Abteilung XII, um die Nützlichkeit seiner Statistik unter Beweis zu stellen.67 Die Statistiken der Abteilung XII waren und blieben so grob wie die Kategorien ihrer Aktentypen und Karteien. Das muss den Leitern der Abteilung bewusst gewesen sein, denn sie machten immer neue Vorschläge, um den Nutzwert ihrer Arbeit für die unmittelbare geheimpolizeiliche Tätigkeit nachzuweisen.68 An vielen Vorschlägen zeigte sich aber, dass differenziertere Aussagen nicht direkt abrufbar waren, sondern mit einem immensen Zusatzaufwand einhergingen. So hätte man Veränderungen in OV durchaus nachweisen können, hätte dazu aber jeden Vorgang in die Hand nehmen müssen, um den Anlagebeschluss des OV mit eventuellen Veränderungsbeschlüssen zu vergleichen. Es liegt auf der Hand, dass derartige Innovationsangebote kaum auf Akzeptanz stießen. Ohnehin scheinen die Erkenntnisse der Abteilungen XII in späteren Jahren für die Lageeinschätzung keine große Bedeutung mehr gehabt zu haben. So beklagte sich die Abteilung beispielsweise noch 1980, dass bisher »keine statistische und analytische Nutzung« der Straßenkartei erfolgt wäre, in der die konspirativen Treffräume des MfS und dadurch teilweise auch die Wohnorte der IM verzeichnet wurden.69 Gerade Vorhalte aus späteren Jahren zeigen, dass die Statistik der Abteilung XII über eine Vorgangsstatistik nicht hinauskam. Sie traf nur Aussagen über die quantitative Leistungsfähigkeit und Ausrichtung des Apparates, wesentlich mehr aber 66 Ebenda, Bl. 65 ff. 67 MfS/Abt. XII, Ltr. Knoppe: »Kennwort Auswertung«, Forschungsarbeit, 7.9.1967; BStU, MfS, Abt. XII Nr. 5815, Bl. 36–109, hier 66 ff. 68 MfS/Abt. XII: Übersicht über die weiteren Möglichkeiten der analytischen Auswertung von Arbeitsunterlagen, 15.12.1980; BStU, MfS, Abt. XII Nr. 7304, Bl. 23–26. 69 MfS/Abt. XII: Möglichkeiten der Abteilung XII zur Erarbeitung von Statistiken und Analysen, 15.3.1980; BStU, MfS, Abt. XII Nr. 3179, Bl. 1–13, hier 7.
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auch nicht. Immerhin leistete die Abteilung damit in frühen Jahren auch eine Art formaler Kontrolle über die operativen Diensteinheiten. Die Abteilung konnte mit ihren Möglichkeiten beispielsweise ermitteln, ob Vorgänge zu lange liefen ohne Ergebnisse zu zeigen.70 Wenn beispielsweise OV weder zu Ermittlungsverfahren führten, noch beendet wurden, konnte das einer Prüfaufforderung an die Leitung des MfS gleichkommen.71 Die Vorgangsstatistiken der Abteilung XII blieben dem MfS bis zu dessen Ende erhalten und leisteten einer gewissen Tonnenideologie Vorschub, da Erfolge an der Zahl der Vorgänge gemessen wurden. Insofern soll man Vorsicht walten lassen, wenn man die Abteilung XII unkritisch zum »Gedächtnis« des MfS idealisiert.72 Dieses Gedächtnis wies erhebliche Lücken auf und verfügte über keine besondere Intelligenz bei der Verwaltung und beim Abruf von Informationen. 3.2.2 Informationsaustausch im MfS Informationen wurden im MfS schon früh und auf verschiedenen Wegen ausgetauscht. Es ist nicht einfach, diese Wege zu rekonstruieren, weil es keine einheitliche Informationsordnung gab.73 Stattdessen existierten überlappende Zuständigkeiten, parallele Stränge und informelle Wege. Das System war offenbar relativ förmlich, grobschlächtig und träge. Zu unterscheiden sind: –– Korrespondenzen zwischen Dienststellen des MfS, mit denen Informationen abgefragt oder angeboten wurden, –– Meldungen über aktuelle Ereignisse von Wichtigkeit und Berichte über Sach verhalte, –– Informationen über Inhalte von Akten und –– ein rudimentäres Informationssystem, in dem Informationen gesammelt und zusammengefasst wurden. Es war üblich, dass Diensteinheiten des MfS, wenn sie etwas über eine Person oder einen Sachverhalt wissen oder mitteilen wollten, mit der lokal oder formalinhaltlich zuständigen Diensteinheit korrespondierten. Dieser Informationsaustausch war stark von der Motivsituation des Absenders geprägt. Ein großer Teil der Korrespondenzen zielte darauf ab, zu bestimmten Personen Zusatzinforma70 MfS/Abt. XII: Protokoll über die Besprechung mit den Leitern der Abt. XII der BV, 7.4.1957; BStU, MfS, Allg S 187/58, Bd. 6, Bl. 2–21, hier 16. 71 Vgl. dazu beispielsweise div. Korrespondenzen der Abt. XII mit Abteilungen zu OV und UV, die schon 1–3 Jahre liefen, ohne Ergebnisse zu bringen in: BStU, MfS, Allg S 230/65. 72 Jedlitschka; Springer: Gedächtnis der Staatssicherheit. 73 Eine Informations-Ordnung wurde Mitte der 1970er-Jahre zwar diskutiert, konnte aber in den gesichteten Akten nicht nachgewiesen werden. MfS: Bemerkungen zum Entwurf, 28.11.1974; BStU, MfS, ZAIG Nr. 18196, Bl. 26–29.
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tionen zu erlangen oder sogar Ermittlungen vor Ort zu veranlassen.74 Seltener gaben Diensteinheiten zunächst Informationen weiter, die sie durch IM oder andere Quellen gewonnen hatten und von denen sie annahmen, dass diese für andere von Interesse sein könnten.75 Das alles erfolgte anfangs nur sehr zögerlich. Insbesondere die SpionageabwehrHauptabteilung klagte, dass sie von den Abteilungen »kaum etwas«76 bekomme. Es bestand offensichtlich eine Furcht vor der Weitergabe von interessanten Sachverhalten, weil das die Quellen dekonspirieren konnte. Am Beispiel von Gransee wurde deutlich, dass über die Kreisgrenzen hinausgehende Erkenntnisse aus Vorgängen oft nicht weitergereicht wurden. Beschränkte man sich anfangs auf Appelle, ging man später dazu über, Regeln aufzustellen und die Weitergabe von Informationen statistisch zu erfassen und damit zu kontrollieren. Das erhöhte zumindest quantitativ die Zahl der weitergeleiteten Informationen. Ohnehin war es nicht einfach, eine Information zu adressieren oder gezielt abzufragen. Zunächst war die für eine konkrete Person im MfS zuständige Diensteinheit zu ermitteln. Man konnte auch vom Wohnort auf eine territoriale Zuständigkeit oder vom Informationsinhalt auf eine thematische schließen. Eine wichtige Information über die Kirche sollte entsprechend an die Kirchenabteilung HA V/4 (Vorgänger der HA XX/4) weitergeleitet werden. Wer es genau wissen wollte, musste in der Zentralkartei anfragen, ob eine Person von Interesse schon irgendwo registriert war. Für derartige Abfragen existierte im MfS ein geregeltes Verfahren, das wesentlich auf dem Einsatz des sogenannten F-10-Suchformulars beruhte. Zur Suche nach Objekten oder zur Abfrage einer Gruppe von Personen gab es gesonderte Formulare. Jede Form der Überprüfung, der Kontrolle und Bearbeitung in einem Vorgang oder der Verpflichtung einer Person im MfS war an eine operative Auskunft des Zentralarchivs gebunden, ob schon und bei wem eine Erfassung vorlag. Eine solche Auskunft folgte auf eine Anfrage auf dem F-10-Suchzettel. Das Formular F 10 im Format eines DIN-A5-Blattes füllte der abfragende Mitarbeiter unter Angabe seines Namens (alternativ der Mitarbeiternummer) und seiner MfS-Diensteinheit mit den ihm bekannten Daten der gesuchten Person aus. Dann musste ein zeichnungsberechtigter Vorgesetzter die Zulässigkeit der Anfrage mit seiner Unterschrift bestätigen. Anschließend konnte die Abfrage an die Zentralkartei übermittelt werden. Die KDfS mussten ihre Anfragen über die jeweilige BVfS/Abt. XII leiten. Abfragen aus den BVfS und den Diensteinheiten der Zentralstelle gingen direkt an das Zentralarchiv. Der Rückweg der Antwort vollzog sich analog. Die Antwort des 74 Beispielsweise spiegelt der Objektvorgang zum HO-Warenhaus Berlin-Alexanderplatz derartige Korrespondenzen. BStU, MfS, Allg S 2492/67, Bd. 1, Bl. 136 ff. 75 Beispiele dafür sind enthalten in: BStU, MfS, Allg S 2492/67, Bd. 1, Bl. 171 ff., 175 ff. u. 190 ff. 76 MfS: Protokoll der Kollegiumssitzung v. 19.10.1954; BStU, MfS, SdM Nr. 1549, Bl. 1–16, hier 10.
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Abb. 7: Ablauf einer Personenabfrage mit F-10-Suchzettel in der Zentralkartei des MfS in den 1980er-Jahren Das idealisierte Schema der MfS/Abt. XII nach dem Stand von 1987 bildet den Lauf einer Personenabfrage aus einer KDfS mit F-10-Suchzettel über die Mittlerstation BVfS/Abt. XII zur MfS/Abt. XII, von dort zur MfS/Abt. XIII und den Rückweg der Antwort an die KDfS ab. Den Weg zum Zentralarchiv
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nimmt die Abfrage noch mit dem Kurier oder schon durch Datenfernübertragung (DFÜ). Die Antwort kann noch 1987 nur im Falle eines »nicht erfasst« durch Datenfernübertragung oder Fernschreiber (FS) übermittelt werden. Andernfalls ist aus Geheimhaltungsgründen der Kurierweg vorgeschrieben. Dem durch Technikeinsatz deutlich verkürzten Umlauf von minimal einem Tag im Jahr 1987 sind die Fristen zwischen 1980 und 1984 gegenübergestellt.
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Minimaldauer für Karteiergebnis "nicht erfasst" Maximaldauer für Karteiergebnis "erfasst"
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Abb. 8: Überprüfungsdauer in der Zentralkartei des MfS in Tagen (1960–1984)
Zentralarchivs bestand in zwei Fallgruppen: Die gesuchte Person war nicht erfasst, dann hatte die anfragende Dienststelle freie Hand. Die gesuchte Person war bereits erfasst und damit für die anfragende Dienststelle zugunsten der erfassenden Diensteinheit gesperrt. Zum Umgang mit derartigen Erfassungsmitteilungen existierten wiederum detaillierte Vorgaben, die hier nicht im Einzelnen ausgeführt werden. Zur Verdeutlichung der Verfahrensgänge nur so viel: Eine Zeit lang gab es eine Regel, dass die Abteilung XII die zuständige Diensteinheit darum bat, die anfragende Seite zu kontaktieren und zu informieren. Das geschah aber wegen des damit verbundenen Aufwandes »in sehr vielen Fällen nicht«.77 Das Verfahren wurde daher vereinfacht: Die registrierende Diensteinheit erhielt über die Abteilung XII Kenntnis von der Anfrage, die anfragende Seite wurde unmittelbar über die zuständige Diensteinheit informiert.78 Danach mussten die zuständigen Diensteinheiten miteinander verhandeln und ihre Interessen abgleichen. Eine F-10-Abfrage nahm bis zum Vorliegen eine Reihe von Tagen in Anspruch. Die Abläufe waren schon wegen der strengen Geheimhaltung vergleichsweise langsam. Von einer Kreisdienststelle, die nicht über Einrichtungen der Linie XII verfügte, ging die Anfrage traditionell zunächst mit eigenem MfS-Kurier an die Abteilung XII der zuständigen BVfS und anschließend ebenfalls per Kurier weiter nach Berlin. Im Zentralarchiv dauerte die manuelle Karteirecherche, wie sie bis Mitte der 1970er-Jahre
77 MfS/Abt. XII: Zum Problem der Auskunftserteilung, 19.3.1965: BStU, MfS, Abt. XII Nr. 5818, Bl. 1–24, hier 11. 78 DA 8/56; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 2124, Bl. 3.
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Standard war, zwölf Tage.79 Im Jahr 1959 musste eine Kreisdienststelle insgesamt etwa drei Wochen warten80 bis sie eine Antwort erhielt. Im Jahr 1968 waren es wegen der deutlich gewachsenen Zahl an Anfragen sogar fünf Wochen.81 Wenn eine Person erstmals registriert wurde, dauerte es demnach etwa doppelt so lange, bevor eine andere Diensteinheit im MfS davon frühestens Kenntnis erlangen konnte. Schon früh zeigten sich die Abteilungen XII in den Bezirksverwaltungen und in der Berliner Zentrale durch die stetig steigenden Überprüfungszahlen überfordert. Als das MfS in den 1960er-Jahren daran ging, Ost-West-Reisende zu überprüfen, war bald von »Massenprozessen« die Rede. Mitte der 1960erJahre hieß es, die Anforderungen seien »nicht mehr zu bewältigen«.82 Die Zahl der Überprüfungen war von 1,3 Millionen im Jahre 1960 auf fast 2 Millionen im Jahr 1966 gestiegen.83 Auf das Konto der Reisen gingen damals zwischen 15 und 20 Prozent der Karteiüberprüfungen.84 Durch den Einsatz von Fernschreibern konnten die Durchlaufzeiten in Dringlichkeitsfällen zwar verkürzt werden, die telegrafischen Kapazitäten waren jedoch begrenzt. Erst durch den Einsatz der EDV konnten die Auskunftszeiten 1977 auf 12 bis 15 Tage gesenkt werden. In den 1980er-Jahren konnte zunächst durch die Datenfernübertragung in die Bezirksverwaltungen und dann durch automatisierte Karteiauskünfte die Umlaufzeit sukzessive weiter reduziert werden. Im Jahr 1987 nahm eine Abfrage je nach Umständen noch immer ein bis sechs Tage in Anspruch.85 3.2.3 Das Meldesystem Von Anfang an existierten im MfS Rudimente eines Melde- und Berichtswesens. Die vorläufige Geschäfts- und Büroordnung des Ministeriums sah schon im Gründungsjahr 1950 vor, dass ein »Offizier vom Dienst« (ODH) vor allem außerhalb der regulären Bürozeiten eingehende wichtige Informationen auswertete
79 MfS/Abt. XII/AKG: Zuarbeit zum Referat für die Dienstversammlung anlässlich des 40. Jahrestages der Gründung der DDR, 23.9.1989; BStU, MfS, Abt. XII Nr. 4055, Bl. 85–88, hier 86. 80 MfS/Abt. XII/AKG: Traditionstafeln; BStU, MfS, Abt. XII Nr. 8408. 81 MfS/Abt. XII/AKG: Zuarbeit zum Referat für die Dienstversammlung anlässlich des 40. Jahrestages der Gründung der DDR, 23.9.1989; BStU, MfS, Abt. XII Nr. 4055, Bl. 85–88, hier 86. 82 Ebenda, Bl. 85. 83 MfS/Abt. XII, Ltr. Knoppe: »Kennwort Auswertung«, Forschungsarbeit, 7.9.1967; BStU, MfS, Abt. XII Nr. 5815, Bl. 36–109, hier 94. 84 Ebenda, Bl. 96. 85 Die Zahlen entstammen MfS/Abt. XII/AKG: Zuarbeit zum Referat für die Dienstversammlung anlässlich des 40. Jahrestages der Gründung der DDR, 23.9.1989; BStU, MfS, Abt. XII Nr. 4055, Bl. 85–88, hier 86 sowie BStU, MfS, Abt. XII Nr. 8408.
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und bei Bedarf als »der verantwortliche Beauftragte des Ministers«86 tätig wurde. Deswegen wurde die Funktion auch »Chefdienst«87 genannt. Bei den eingehenden Meldungen ging es entweder um Informationen von besonderer Wichtigkeit oder um solche, die ein unmittelbares Handeln erforderten. Dieses System des operativ Diensthabenden oder Chefs vom Dienst, das seinen Ursprung erkennbar aus polizeilichen oder militärischen Apparaten herleitete, wurde über die Jahre durch dezentral tätige, operative Leiter in den Diensteinheiten und Diensthabende untermauert und professionalisiert. Im Jahr 1970 ersetzte die eigenständige Diensteinheit Zentraler Operativstab die beim 1. Stellvertreter des Ministers angesiedelte Vorgängerkonstruktion des Ständigen Operativstabes im MfS und koordinierte auch bereichsübergreifende Aktionen im MfS.88 Der ODH sammelte wichtige Meldungen über Handlungen, Vorkommnisse, Gefahren, Erscheinungen aus den Bezirken und den zentralen Diensteinheiten. Auch Meldungen an den ODH der Polizei leitete dieser an den ZOS weiter.89 Wichtiges ging sofort an den Minister, die Stellvertreter und die zuständigen Diensteinheiten weiter. Die einzelnen Linien verfügten teilweise über eigene ausdifferenzierte Meldeund Berichtsordnungen. Die für den grenzüberschreitenden Verkehr zuständige HA VI verfügte beispielsweise über ein eigenes operatives Lagezentrum (OLZ), das bei der Leitung der HA angesiedelt war. Im OLZ wurden die Meldungen gesammelt, die vor allem über die entsprechenden Abteilungen VI der BVfS nach Berlin gelangten. Das OLZ entschied, ob eine Meldung an die Stellvertreterbereiche oder den Leiter der HA weitergereicht wurden. Mit Bildung der AKG in den Bezirksverwaltungen wurden bestehende ODH-Gruppen in die AKG integriert. Die Meldungstätigkeit war damit auf der unteren Ebene mit der Auswertung organisatorisch verknüpft.90 In detaillierten Informationsbedarfskatalogen war festgelegt, was sofort gemeldet werden musste. Interessanterweise war bei besonderen Vorkommnissen vorgesehen, dass die Leiter selbst ihre vorgesetzte Ebene informierten. Andererseits sollten die Meldungen parallel im Auswertungsbereich weiter aufbereitet werden. Das charakterisiert das Meldungswesen als aktuellen Informationsstrang neben der hierarchischen Informationsweitergabe aber auch neben der eher analytischen und weniger aktuellen Arbeit der Auswerter, die im MfS über die Jahre eine immer größere Bedeutung gewannen. Zum Melde- und Berichtswesen zählten auch abschließende Meldungen zu bestimmten Ereignissen und eine statistische Berichterstattung in bestimmten Perioden. Die HA VI 86 Die vorläufige Geschäfts- und Büroordnung des Ministeriums für Staatsicherheit, 18.4.1950. In: Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 22–33, hier 24. 87 Ebenda. 88 Wiedmann: Die Diensteinheiten des MfS, S. 489 ff. 89 Eine Sammlung von Polizeimeldungen aus dem Jahr 1988 beinhaltet: BStU, MfS, ZOS Nr. 2352. 90 MfS: Referat auf der 1. Beratung mit den Leitern der AKG der BV, 18./19.10.1978; BStU, MfS, ZAIG Nr. 18146, Bl. 2–138, hier 19 f.
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musste beispielsweise tagfertig berichten, wenn wichtige Personen die DDR verlassen hatten oder monatlich die Zahl der Passverstöße auflisten.91 Auch andere Diensteinheiten lieferten Voraus-, Sofort-, Abschlussmeldungen. In späteren Jahren wurden Tagesrapporte erstellt, deren inhaltliche Schwerpunkte vorgegeben waren.92 Zu den Vorgaben, die Sofortmeldungen aus dem Bereich der Übersiedlungsersuchen nach sich ziehen sollten, zählten beispielsweise: –– die Androhung von Demonstrativhandlungen, –– das Aufsuchen von diplomatischen Vertretungen, –– die Androhung von Straftaten und Suiziden.93 Die Informationsbedarfsvorgaben variierten. Im Jahr 1977 mussten die vom ZOS zu erarbeitenden Tagesrapporte folgende Punkte enthalten: 1. Grenzprovokationen, 2. Fahndungen, 3. Gewaltverbrechen, 4. Brände, 5. Betriebsstörungen, 6. anonyme Anrufe, 7. Hetze, 8. Demonstrativtäter, 9. ungesetzliches Verlassen der DDR sowie eine Gesamtübersicht über den Anfall der genannten Delikte.94 Zu manchen Delikten wurden auch Statistiken über einen längeren Zeitraum erstellt. Darunter fielen Jahresüberblicksstatistiken zu Bränden, Havarien und Explosionen oder Hetze, die um den Aspekt regionaler Schwerpunkte erweitert wurden. Da sich der ZOS auf wichtige Vorkommnisse beschränkte, spiegelten deren Informationen eher ein Bruchteil der tatsächlichen Vorkommnisse, die vollständig nur in den Fachabteilungen oder bei den Auswertern der ZAIG registriert und ausgewertet wurden.95 Am Beispiel eines Vorfalls an der Berliner Mauer soll die Arbeitsweise des operativen Dienstes im MfS Ende der 1970er-Jahre illustriert werden. Am 2. März 1979 bekam der Offizier vom Dienst in der Zentrale der BVfS Berlin die Mitteilung, dass Jugendliche aus Ostberlin aus einer Wohnung an der Mauer mit einem Luftgewehr Richtung Westberlin geschossen hätten. Der Informationsursprung war ein Fahrkartenschalter der S-Bahn auf dem Westberliner Bahnhof Wollankstraße, der eine entsprechende Beschwerde von einem Fahrgast entgegennahm. Da die auf dem Westberliner Stadtgebiet fahrende S-Bahn nach dem Mauerbau noch bis 1984 zur ostdeutschen Reichsbahn gehörte, gelangte die Beschwerde nach Ostberlin. Die Meldung nahm von der Reichsbahn über 91 MfS: Melde- und Berichtsordnung der Linie VI (MBO), 1.12.1981; BStU, MfS, BdL/ Dok Nr. 7718. 92 MfS/ZOS: Meldetätigkeit der Diensteinheiten des MfS Berlin und der Bezirksverwaltungen an den Zentralen Operativ Stab, o. D. (vermutl. 1986); BStU, MfS, ZAIG Nr. 22509 Bl. 79–87. 93 MfS/BV Mgb: Rapporte zu Übersiedlungsersuchen, o. D. (vermutl. 1984); BStU, MfS, BV Magdeburg, Nr. 1340, Bl. 2 f. 94 MfS/ZOS: Festlegungen, 29.7.1977; BStU, MfS, ZOS Nr. 1179, Bl. 127 f. 95 MfS/ZOS: Übersicht über die Meldetätigkeit der Bezirksverwaltung des MfS an den ZOS sowie erkannte operative Schwerpunkt im Jahr 1983, 30.4.1984; BStU, MfS, ZOS Nr. 3936, Bl. 3–8.
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die Polizei ihren Weg zum MfS. Der ZOS überprüfte zunächst, ob die auch für die Grenztruppen der DDR zuständige HA I vom Geschehen etwas wusste. Die Grenzsoldaten hatten von dem Vorfall jedoch nichts mitbekommen. Zwischenzeitlich ermittelte die VP-Inspektion Pankow die Jugendlichen mit Namen und als Tatort die elterliche Wohnung, von wo aus die Tat aus Freude am Schießen begangen worden war. Ermittler der BVfS Berlin/Abt. IX übernahmen gemeinsam mit der Kriminalpolizei Pankow die weiteren Bearbeitungen. Also wurde der Kenntnisstand schließlich zusammengefasst und vom ZOS an den persönlichen Stab des Ministers für Staatssicherheit, die Stellvertreter und alle zuständigen Diensteinheiten im MfS weitergeleitet und dort von dezentralen Lagezentren oder Auswertern weiterverarbeitet.96 3.2.4 Aktenaustausch In den Anfangsjahren des MfS gestaltete sich der Informationsaustausch nicht selten durch die Weitergabe von Akten an andere Diensteinheiten oder durch Ausleihe aus den Archiven.97 Zuweilen wurden ganze Vorgänge zwischen einzelnen Diensteinheiten weitergereicht, ohne die Zentrale darüber in Kenntnis zu setzen. Dieser Wildwuchs wurde schließlich durch eine eigene Anweisung unterbunden.98 Doch selbst eine geordnete Aktenausleihe aus den Archiven der BVfS/Abt. XII und der MfS/Abt. XII in Berlin erwies sich als problematisch, obwohl sie massenhaft praktiziert wurde. Im Jahr 1963 wurden allein aus der MfS/Abt. XII fast 54 000 Akten ausgeliehen. Das entsprach nahezu zwei Dritteln der seinerzeit im Jahrgang 1963 archivierten Akten.99 Die Postkapazitäten innerhalb des MfS wurden damals zu rund 60 Prozent durch solche Aktentransporte ausgelastet.100 Die Ausleihfrist war auf 21 Tage begrenzt, wurde aber oft genug nicht eingehalten. Akten mit vielen Personen waren »laufend«101 ausgeliehen, das Archiv musste mahnen.102 Faktisch waren die Akten in dieser Phase für andere MfS-Dienststellen nicht zugriffsfähig. Auch die Auswertung der Akten war bisweilen beschwerlich. Es gab Fälle, in denen ein Mitarbeiter nähere Angaben zu nur einer Person benötigte, diese aber in einem 96 MfS/ZOS: Information Nr. 337/79, Beschießen des Territoriums von Berlin (West) durch vier jugendliche Bürger der DDR mit Luftdruckgewehren, o. D. (vermutl. 3.3.1979); BStU, MfS, HA XXI Nr. 871/79, Bl. 13–15. 97 MfS/Abt. XII: Arbeitsbesprechung, 22.5.1957; BStU, MfS, Allg S 189/58, Bd. 1, Bl. 65–69, hier 65. 98 MfS: Anweisung Nr. 2/52 v. 20.3.1952; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 3361. 99 MfS/Abt. XII: Analyse über das Jahr 1963; BStU, MfS, Allg S 82/70, Bl. 24–49, hier 33. 100 MfS/Abt. XII, Ltr. Knoppe: Forschungsarbeit, 11.9.1967; BStU, MfS, Abt. XII Nr. 5815, Bl. 11–35, hier 12. 101 MfS/Abt. XII, Knoppe: Analyse über Archivunterlagen und Auskunftserteilung, 2.6.1965; BStU, MfS, Abt. XII Nr. 5818, Bl. 25–73, hier 44. 102 Ebenda, Bl. 56.
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Abb. 9: Auskunft der zentralen Abteilung XII zu Archivmaterial Das Schema zu den Arbeitsschritten für die Archivauskünfte entstand um 1987 im Zentralarchiv.
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Vorgang mit 100 Personen verstreut enthalten waren. Der Mitarbeiter kam an einem kompletten Durcharbeiten des Vorganges nicht vorbei. Das Verfahren erfuhr eine Steigerung, wenn Informationen zur gesuchten Person über mehrere Vorgänge verteilt waren.103 Der damit verbundene Aufwand wurde keineswegs immer belohnt. Im Bezirk Erfurt wurden in einer Stichprobe 1 615 Informanten-Akten überprüft. Von diesen enthielten 38 Prozent (637) keinerlei Berichte, sondern dokumentierten nur Anwerbungsversuche von geringem Aussagewert.104 Andererseits enthielten gerade Gruppenvorgänge zuweilen Informationen zu Personen, die auf keinem Index oder in keiner Kartei verzeichnet und daher nicht nachweisbar waren. Das war insbesondere dann der Fall, wenn sich in einem Gruppenvorgang ein Anfangsverdacht zu einer Person nicht bestätigte und Vorgangsführer darauf verzichteten diese in der Kartei registrieren zu lassen, obwohl sie Material zu ihnen erarbeitet hatten.105
3.3 Zaghafte Versuche der Informationsauswertung im Zeichen des 17. Juni Die nur rudimentären Auswertungsleistungen und begrenzte Fähigkeiten, beispielsweise Lagebilder zu erstellen, blieben für lange Jahre der Aufbauzeit Schwachstellen des MfS. Dazu ist anzumerken, dass das MfS damals keineswegs die einzige Institution war, die Nachrichten beschaffte. Auch die Partei sammelte Informationen. Das MfS war in jenen Jahren noch stark als »Hilfsorgan der sowjetischen Staatssicherheit«106 an die deutsche KGB-Zentrale in Berlin-Karlshorst angebunden. Es stellt sich die Frage, ob die sowjetischen Geheimdienstoffiziere die Auswertungskapazitäten des MfS vielleicht absichtlich kurz hielten, um selber das Heft in der Hand zu behalten. Erst im August 1953 wurde eine Informationsgruppe beim Staatssekretär für Staatssicherheit eingerichtet, die regelmäßig auch Lageberichte erstellte.107 Damit reagierte die Führung der Staatssicherheit nach dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953 auf die Kritik der SED-Führung, die Unruhen nicht vorhergesagt und damit versagt zu haben.108 Zum Jahreswechsel 1953/54 wurde die für die politischen Gegner zuständige Hauptabteilung V geschaffen. Diese integrierte beispielsweise auch die Aufgabe der Abteilung VI, die sich vorrangig damit beschäftigte, das Eindringen von feindlichen Elementen in den Staatsapparat 103 Ebenda, Bl. 47 f. 104 Ebenda, Bl. 40. 105 SfS: Vervollständigung der zentralen Karteien in den Bezirksverwaltungen, 28.5.1955; BStU, MfS, Abt. XII Nr. 3880, Bl. 1 f. 106 Krieger: Geschichte der Geheimdienste, S. 255. 107 Vgl. Wiedmann: Diensteinheiten des MfS, S. 409. Der Volksaufstand 1953 führte zu einer Rückstufung des MfS zum Staatssekretariat für Staatssicherheit (SfS) im MdI zwischen Juli 1953 und November 1955. 108 Vgl. Engelmann; Joestel: Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe, S. 18.
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zu verhindern. Der neue sowjetische Chefberater drang nach dem Fiasko der JuniEreignisse auch darauf, dass sich die HA V stärker mit den bürgerlichen Parteien (Blockparteien) in der DDR und den angeblich aus dem Westen gesteuerten Untergrundorganisationen beschäftigen sollte.109 Unmittelbar nach dem Volksaufstand begann das MfS, regelmäßig Lage-Informationen herauszugeben, die auf einem »ad hoc« organisierten Berichtswesen basierten. Im Vordergrund standen zunächst Stimmungsberichte aus der Bevölkerung.110 Angereichert wurden diese mit Informationen aus der Tagespresse und durch Polizeiberichte. Bis 1956 wurde die Zahl der Auswerter in der Zentrale von 4 auf 16 Mitarbeiter erhöht, in den Bezirken betrug sie zwei bis drei.111 Der Informationsdienst in der Zentrale wurde mehrfach umorganisiert und musste wegen inhaltlicher Schwächen von der täglichen Ausgabe schließlich auf einen 14-tägigen Rhythmus umgestellt werden und wurde bei Bedarf nur durch aktuelle Einzelmeldungen ergänzt. Die Informationen waren nach heutiger Einschätzung von begrenzter Qualität. Stimmungsberichte waren oft nicht aus der Bevölkerung direkt geschöpft, sondern wurden aus der Postüberwachung herausgefiltert.112 Bei den Berichten zu Vorkommnissen oder Sachverhalten handelte es sich »in der Regel um Aneinanderreihungen mehr oder weniger bedeutsamer Einzelinformationen, die mit der jeweiligen vorgefertigten parteiamtlichen Deutung garniert wurden«.113 Schon damals war die Leitung des MfS unzufrieden, da der »tägliche Informationsbericht noch Mängel«114 habe. Selbst Ortsangaben und Meldungen zeigten sich als ungenau und nicht überprüft. Das war problematisch für die Staatssicherheit, weil der Informationsdienst »in erster Linie für die Partei« gedacht war. Das MfS müsse durch den Informationsbericht erfahren, »wer für welche Sachen verantwortlich ist«.115 Wie gering die Auswertung noch immer bewertet war, zeigt ein Blick
109 Bailey; Kondratschow; Murphy: Die unsichtbare Front, S. 38. 110 Wegen dieses Hintergrundes wurde Stimmungsberichten als möglicher Öffentlichkeitsersatz vergleichsweise große Bedeutung zugemessen. Zu deren Anteil an der Gesamtzahl der Partei-Informationen des MfS hat Engelmann für den Kreis Halberstadt nachgewiesen, dass Stimmungsberichte in der Regel deutlich unter 20 % der Informationsmenge ausmachten. Es gilt jedoch zu beachten, dass neben der Stimmungsberichterstattung des MfS weitere Informationskanäle der SED existierten. Darunter fielen die Berichterstattung der SED-Parteisekretäre, die Berichte der Blockparteien und Massenorganisationen und die der Nationalen Front. Gerade letztere verfügte insbesondere in den Anfangsjahren der DDR über ein engmaschiges Informationss ystem, das fast in jedes Haus hineinreichte. Vgl. dazu Münkel; Bispinck: Dem Volk auf der Spur, S. 9 ff.; Engelmann: Aus nahezu allen Kreisen der Bevölkerung, S. 90; allgemein Booß: Abteilung Kirche; Booß: Vom FDGB-Ferienplatz, S. 103–120. 111 Engelmann; Joestel: Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe, S. 22. 112 Ebenda, S. 17. 113 Ebenda, S. 20. 114 SfS: Vermerk über die Dienstbesprechung mit der Informationsgruppe, 5.1.1955; BStU, MfS, SdM Nr. 1920, Bl. 19 f. 115 Ebenda.
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auf die andere Seite der Mauer. Bei der Berliner CIA kamen auf zwei Agenten führende Falloffiziere ungefähr zwei Auswerter.116 Es spricht einiges dafür, dass der sowjetische Geheimdienst in den Anfangsjahren des MfS einen Gutteil der Auswertung bei sich konzentrierte und das MfS von den Ergebnissen der eigenen Arbeit nicht gleichermaßen Nutzen ziehen ließ. 3.3.1 Der Objektvorgang – geheimpolizeiliche Bürokratie
Unausgereifte Arbeitsvorgänge und wenig geeignetes Personal konnten in der Staatssicherheitsbürokratie zu aufwändigen Informationssammlungen führen, denen kein entsprechender Nutzen gegenüberstand. Für solch eine bürokratische Form der Informationssammlung der 1950er-Jahre steht insbesondere der Objektvorgang. Er wurde nach dem Juni-Volksaufstand in den 1950er-Jahren eingeführt, um ganze Betriebe, Territorien mit mehreren LPG und Organisationen »vor dem Eindringen feindlicher Elemente zu bewahren und mögliche Versuche der Sabotage, der Schädlingsarbeit, der Diversion usw. zu verhindern«. Wahlweise wurde er auch gegen Gruppen eingesetzt wie: »Antidemokratische Parteien, Verbände und Organisationen […,] welche von feindlichen Geheimdiensten zur feindliche[n] Tätigkeit gegen die Deutsche Demokratische Republik genutzt werden.«117 Es galt als »durchaus möglich und auch richtig, einen solchen Vorgang über ein bestimmtes Arbeitsgebiet wie das Ostbüro einer Partei aus der Bundesrepublik anzulegen«.118 Es gab klare Vorgaben und Strukturen dafür, was in der Akte abgebildet werden sollte.119 Entsprechend den Vorgaben waren diese 116 Sichel: The secrets, S. 199. 117 RL über die operative Erfassung und Statistik in den Organen des SfS des MdI der DDR, 12.12.1953; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 3032. Abgedruckt in: Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 67–86, hier 72. 118 SfS: Registrierordnung, o. D. (vermutl. 1955); BStU, MfS, Allg S 187/58, Bd. 6, Bl. 38–47, hier 46. Als Ostbüro wurden Anlaufstellen westlicher Parteien und des DGB für Flüchtlinge aus der SBZ/DDR und für Sympathisanten in der SBZ/DDR bezeichnet. Die Ostbüros sammelten u. a. Informationen aus der SBZ/DDR (z. B. über politische Verfolgungen) und schleusten Informationsmaterial in den Osten. 119 Gefordert waren Aufzeichnungen über Charakter, Aufgaben, Bedeutung, Lage, Struktur, besonders gefährdete und exponierte Schwerpunkte des Objektes, Aufzeichnungen und Aufstellungen zu leitenden Personen und solchen von operativer Bedeutung, zur personellen Zusammensetzung nach politischen, beruflichen und sozialen Gesichtspunkten, weiter Pläne über die Betreuung bzw. Bewachung des Objektes, ferner Aufstellungen über die im Objekt vorhandenen bzw. am Objekt tätigen inoffiziellen Mitarbeiter und über Personen, die aufgrund ihrer ablehnenden Einstellung gegen die Entwicklung in der DDR aus Gründen der Sicherheit zu beachten sind. Durchschriften und Abschriften von Berichten inoffizieller Mitarbeiter und anderes das Objekt betreffende Material sollten ebenfalls in eine solche Akte integriert werden. MfS/Abt. XII: Lektion Die operative Erfassung, Mai 1960; BStU, MfS, Abt. XII Nr. 4592, Bl. 1–68, hier 63.
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Vorgänge teilweise sehr voluminös und behandelten viele Personen. Es existierten Objektvorgänge mit 10 bis 15 Leitz-Ordnern, die Angaben zu 500 Personen oder mehr enthielten.120 Die Qualität der Informationen entsprach freilich nicht immer dem, was sich die MfS-Führung erhoffte. Oft waren Objektvorgänge nur Sammelmappen für offizielles Material und nicht die Grundlage für die operative Arbeit.121 Anders formuliert, spiegelten diese Akten oft nur von Funktionären stammende Informationen, ohne Hinweise auf die gesuchten feindlichen Aktivitäten zu liefern. Gerade an Objektvorgängen zeigt sich, wie pauschale Verdächtigungen ganzer Personengruppen die Arbeit des MfS aufblähten, ohne Auswertungsergebnisse zu erzielen. Wie aus Karteien und auch aus zahlreichen Besprechungen und Weisungen hervorgeht, fokussierte sich das MfS in den 1950er-Jahren auf Personen, die es per se für Gegner des neuen Systems hielt. So listeten manche Objektvorgänge nicht nur alle ehemaligen NSDAP-Funktionäre oder Gemeinderäte aus der Zeit nach 1933 auf, sondern darüber deutlich hinausgehend weitere vermeintliche Risikopersonen wie Sozialdemokraten oder nicht organisierte Mitläufer der Kommunistischen Partei.122 Andere Kollektivverdächtigungen wurden entlang damals aktueller Klassenkampflinien entwickelt. In den verstaatlichten Betrieben galt das Augenmerk fast generell ehemaligen Sozialdemokraten aber auch sogenannten »Konzernangehörigen«, meist Angestellte, die man verdächtigte, die Interessen der früheren Eigner zu vertreten oder deren Ansprechpartner zu sein. Auf dem Lande traf es vor allem die sogenannten Großbauern. »Daneben spielte eine generelle ›Wachsamkeit‹ gegenüber allgemein verdächtigen Personen wie SPD- oder CDU-Anhängern, Angehörigen der Freikirchen, Umsiedlern, Rückkehrern sowie ehemaligen Nazis eine Rolle. In keinem landwirtschaftsbezogenen Objektvorgang fehlte die Rubrik zu diesen Personengruppen.«123 Obwohl die Zusammenstellungen solcher Vorgänge »sehr viel Zeit benötigten, werden sie in der praktischen Arbeit nicht ausgewertet«,124 bemängelte die MfS-Führung. Dieser Aufwand stehe in einem »ungesunde[n] Verhältnis«125 zum Nutzen. Zwei Drittel der Personen in Objektvorgängen würden zudem ohne Erfolg bearbeitet. Minister Wollweber bemängelte, dass Vorgänge eigentlich zu einem Abschluss führen müssten.126 Wegen ihres Umfangs wurden die 120 MfS/Abt. XII, Knoppe: Analyse über Archivunterlagen und Auskunftserteilung, 2.6.1965; BStU, MfS, Abt. XII Nr. 5818, Bl. 25–73, hier 44. 121 MfS: Protokoll über die Dienstbesprechung in der BV Magdeburg am 7.1.1957; BStU, MfS, SdM Nr. 1921, Bl. 13–22, hier 15. 122 SfS: Vermerk über die Dienstbesprechung am 14.6.1955; ebenda, Bl. 91. 123 Teske: Staatssicherheit auf dem Dorfe, S. 4. 124 SfS: Vermerk über die Dienstbesprechung am 14.6.1955; BStU, MfS, SdM Nr. 1921, Bl. 82–103, hier 91. 125 Ebenda, Bl. 88. 126 MfS/Abt. XII: Besprechung am 1.6.1957; BStU, MfS, Allg S 189/58, Bd. 1, Bl. 79–81, hier 81.
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Objektvorgänge auch nicht laufend ergänzt,127 geschweige denn zielführend im Sinne der MfS-Führung abgeschlossen. Informationen zu Einzelpersonen waren in diesen umfangreichen Aktenkonvoluten für Mitarbeiter oft nicht zu finden. In späteren Jahren wurde eine Anweisung erlassen, wonach »alle Personen von operativer Bedeutung« in einem Indexbogen aufzuführen seien.128 Der so fixierte Personenkreis war dann in der zentralen Personenkartei zu erfassen. Wegen des, mit ihrer Umsetzung verbundenen, hohen Aufwandes wurde diese Anordnung offenbar nicht durchgängig befolgt.129 Dann konnten personenbezogene Informationen nicht gefunden werden, wie die MfS-Leitung beklagte. Immerhin waren nach damaliger Auffassung derartige Kontext-Informationen gegebenenfalls ausreichend, Personen zu verhaften. Für Minister Wollweber galt explizit, »wenn ein U-Häftling vier Personen belastet, braucht man nur zu kontrollieren, ob diese Leute negativ sind. Stellen wir fest, dass ihre Einstellung so ist, sind die Voraussetzungen für die Verhaftung da«.130 Aus diesem Grund wurde immer wieder appelliert, dass »alle negativen Personen in Objektvorgängen zentral erfasst« werden.131 Noch in den 1950er-Jahren versuchte man, die Objektvorgänge zu optimieren, obwohl deren Schwächen auf der Hand lagen. Offenbar rieb sich das primär auf Personen abgestellte Interesse der Geheimpolizei schon früh mit der Erfassung von Personengruppen in ganzen Objekten. Das dürfte schließlich ein wesentlicher Grund dafür gewesen sein, den Objektvorgang Mitte der 1970er-Jahre endgültig aufzugeben.132 Zu diesem Zeitpunkt hatte sich diese Vorgangsart bereits aufgespalten. Nur der Zweig mit Akten zu ausdrücklichen Feindobjekten außerhalb des DDR-Territoriums, in denen das MfS einen unmittelbaren Einfluss von geheimdienstähnlichen Organisationen vermutete, wurde weitergeführt.133
127 MfS: Protokoll der Kollegiumssitzung v. 21. u. 22.11.1957; BStU, MfS, SdM Nr. 1553, Bl. 222–252, hier 233. 128 MfS/Abt. XII: Lektion Die operative Erfassung, 16.5.1961; BStU, MfS, Abt. XII Nr. 3890, Bl. 1–78, hier 63. 129 MfS/Abt. XII: Besprechung am 8.12.1956; BStU, MfS, Allg S 189/58, Bd. 1, Bl. 129–131, hier 130. 130 MfS: Dienstreise nach Gera am 21.6.1957; BStU, MfS, SdM Nr. 1921, Bl. 258. 131 MfS: Dienstkonferenz am 31.5.1957; BStU, MfS, SdM Nr. 1921, Bl. 1–9, hier 1. 132 Ordnung über die Erfassung von Personen in der Abteilung XII auf der Grundlage von Sicherungsvorgängen, 1.6.1976. In: Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 299–303, hier 302. 133 MfS-Lexikon, Stichwort: Feindobjektakte, S. 293.
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3.3.2 Der Objektvorgang als Begleiter der Umgestaltung auf dem Lande Dass Informationsgewinnung nicht das maßgebliche Kriterium für die Konzeption von frühen MfS-Vorgängen gewesen sein muss, soll ein Blick auf den Objektvorgang belegen. Dazu wird eine Untergruppe der Vorgänge in Augenschein genommen. Die Objektvorgänge zu den Maschinen-Traktoren-Stationen (MTS) sollten nach dem 17. Juni 1953, in der Phase des Beginns der Genossenschaftsbildung, die »reaktionäre« ländliche Bevölkerung in den Fokus nehmen. Im Jahr 1952 begann die SED die gewaltsame Umgestaltung des ländlichen Raumes, der Landwirtschaft im staatssozialistischen Sinne. Es war der erste und einzige Versuch in der Geschichte des MfS, eine flächendeckende Überwachung zu organisieren. Die MTS wurden mit vielfältiger Zielstellung gegründet. Sie sollten eine Stabilisierung der Nahrungsmittelversorgung in der DDR bewirken. Dazu unterstützten sie die durch die Bodenreform entstandenen Kleinstbauern gegen symbolisches Entgelt mit technisch gestützten landwirtschaftlichen Leistungsverträgen, die landwirtschaftliche Produktionsüberschüsse ermöglichen sollten. Auch die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften profitierten von solchen Leistungen und der Ausleihe von Landwirtschaftstechnik. Die freien Bauern konnten Leistungen der MTS dagegen nicht oder nur zu erhöhten Preisen in Anspruch nehmen, wurden aber mit stetig steigenden Sollabgaben konfrontiert. Damit unterstützten die MTS den politisch gewollten Prozess der Nutzflächenwanderung in Richtung Genossenschaften und Staatsbesitz. Zum anderen sollten die MTS Bastionen eines ländlichen Proletariats werden und, inmitten einer den Kommunisten überwiegend feindlich eingestellten Gesellschaft, die Herrschaft der SED absichern. Schließlich stellten die MTS ein strategisches Element auf dem Weg zur industrialisierten Landwirtschaft dar, in der Bauern keine Funktion mehr besitzen sollten. Insofern waren die MTS hochgradig politisiert. Sie unterstanden dem Rat des Kreises und des Bezirkes, ihr Politleiter und der Parteisekretär unmittelbar der SED-Kreisleitung. Eine paramilitärische Kampfgruppe aus den Kreisen des Betriebspersonals stand mit der Volkspolizei in Verbindung. Der stellvertretende Politleiter war zugleich der Leiter des Bereichs Landwirtschaft beim MfS,134 sein Stellvertreter war ein Gewerkschaftsfunktionär. Eine Stichprobenanalyse von elf Akten zu MTS aus der Region Magdeburg weist eine starke Gleichförmigkeit bei bestimmten regionalen Unterschieden auf.135 Die meisten Vorgänge wurden 1954, also nach dem Volksaufstand von 1953, angelegt, anfangs intensiv bearbeitet, dann sporadisch geführt und in den 134 Teske: Staatssicherheit auf dem Dorfe, S. 42 ff. 135 In die Stichprobe wurden einbezogen: BStU, MfS, BV Magdeburg, AOP 1409/65; BStU, MfS, BV Mgb, AOP 1410/65; BStU, MfS, BV Mgb, AOP 1411/65; BStU, MfS, BV Mgb, AOP 1680/66; BStU, MfS, BV Mgb, AOP 502/67; BStU, MfS, BV Mgb, AOP 505/67; BStU, MfS, BV Mgb, AOP 506/67; BStU, MfS, BV Mgb, AOP 1810/67; BStU, MfS, BV Mgb, AOP 512/68 u. BStU, MfS, BV Mgb, AOP 868/71.
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1960er-Jahren beendet und archiviert, weil die MTS aufgelöst wurden und ihre technische Funktion von den Groß-LPG oder von Kreisbetrieben für Landtechnik übernommen wurden. Dem Objektvorgang war eine strenge inhaltliche Gliederung vorgegeben: allgemeine Angaben zum Objekt, Angaben zum Personal des Objekts, Aufstellung der leitenden Angestellten, grundsätzliche Verfügungen, Einsatzpläne, Anweisungen und Analysen.136 Die Landwirtschaftsspezialisten des MfS sollten IM für ihre Arbeit rekrutieren. In der Stichprobe deutet alles darauf hin, dass ein großer Teil der Informationen ganz offiziell von Leitern der MTS, den Politleitern137 oder den ABV stammte.138 Gegenüber dieser Masse an offiziellen Zuarbeiten mutet die Zahl der inoffiziellen Quellen, die teilweise parallel abgefragt wurden, eher dünn an.139 Das IM-Netz stand in keinem rechten Verhältnis zum Herrschaftsanspruch der SED, den die MTS gegenüber der ländlichen Bevölkerung durchzusetzen helfen sollten. Die unterschiedlichen Berichte in den Objektvorgängen zu den MTS sind farbig und spiegeln das Leben auf dem Lande in der DDR in den 1950er-Jahren wider. In erstaunlich geringem Umfange befassen sie sich mit dem damals als »Klassenkampf von oben« betriebenem Umbruch auf dem Lande und der Kollektivierung.140 Eine der wichtigsten Funktionen des MfS dürfte gewesen sein, die SED in ihrer Personalpolitik zu beraten. Bei Anträgen auf Aufnahme in die Partei forderten die SED-Kreisleitungen Einschätzungen ab, besonders bei erwiesenen oder vermeintlichen Defiziten des Führungspersonals berichte die KDfS an die Partei.141 »Unsere Aufgabe besteht darin, auch der Partei unsere Bedenken mitzuteilen zur Einstellung von Funktionären«,142 gab der Leiter der BVfS Magdeburg einer Kreisdienststelle vor. Abgesehen von Berichten über die MTS, den Zustand des Maschinenparks, die von ihnen versorgten LPG und Dörfer, dominierten Angaben zum Personal. Alle Mitarbeiter der MTS wurden mit ihren Funktionen aufgelistet. Regelhaft wurde vermerkt, ob sie ehemals als Offizier in der Reichswehr oder Mitglieder in der NSDAP, von SA und SS oder der SPD waren, gegebenenfalls der Ort ihrer Kriegsgefangenschaft, ob sie Westverwandtschaft hatten und ihre aktuelle Parteizugehörigkeit.143 Die meisten 136 Teske: Staatssicherheit auf dem Dorfe, S. 70 f. 137 BV Mgb: Politabteilung Schlagenthin, Politleiter, Situationsbericht, 11.8.1954; BStU, MfS, BV Magdeburg, AOP 1810/67, Bd. 1, Bl. 115. 138 BV Mgb: VP Information, o. D. (vermutl. 1956); BStU, MfS, BV Magdeburg, Nr. 829/60, Bd. 1, Bl. 63. 139 BV Mgb/KD Genthin: Abschrift des Berichts des GI Erich v. 1.12.1958; BStU, MfS, BV Magdeburg, AOP 1810/67, Bd. 1, Bl. 127. 140 Schöne: Frühling auf dem Lande. 141 BV Mgb/KD Genthin: Bericht v. 11.7.1959; BStU, MfS, BV Magdeburg, AOP 1810/67, Bd. 1, Bl. 36; Lübeck: Wir wollen freie Bauern bleiben, S. 167 ff. 142 BV Mgb/KD Haldensleben: Vermerk, o. D.; BStU, MfS, BV Magdeburg, Nr. 829/60, Bd. 1, Bl. 28. 143 BV Mgb/KD Gardelegen: Liste MTS Jävenitz, Juni 1960; BStU, MfS, BV Magdeburg, AOP 1409/65, Bd. 1, Bl. 31–33.
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dieser Fragepunkte entsprachen den schematischen Freund-Feind-Klischees, die aus Karteien und Akten dieser Jahre wohlbekannt sind. Regional unterschiedlich wurden mit identischer Motivation auch Personengruppen verzeichnet, die nach einer Flucht in den Westen in die DDR zurückkehrten (Rückkehrer) oder neu Zugezogene und beispielsweise auch Besucher westlicher Landwirtschaftsmessen.144 Das galt vor allem ostdeutschen Besuchern der populären Grünen Woche in Westberlin. Eine solche listenmäßige Erfassung konnte sich in Einzelfällen auch auf Mitglieder von Kirchengemeinderäten,145 geflüchtete Gutsbesitzer nebst möglicher Verbindungen in ihr Dorf,146 aus Internierungslagern Entlassene147 erstrecken. Darüber hinaus wurden DDR-Bürger aufgelistet, die postalisch mit dem Westen in Kontakt standen oder den Zeugen Jehovas zugehörig waren.148 So sehr sich diese Personencharakteristiken an Klischees orientierten, so wenige praktische Belege rechtfertigten die Stigmatisierungen. Ungeachtet der fehlenden Indizien für verdächtiges Verhalten neigte die Staatssicherheit bei sogenannten feindlichen Vorfällen dazu, die Täter im Kreis der so negativ beleumdeten Personen zu verorten. »Da er 1946 Mitglied der SPD wurde, liegt die Vermutung nahe, dass er der Beeinflussung damaliger SPD-Kreise unterlag, zu denen er auch heute noch Kontakt haben dürfte.«149 So lautete die von Misstrauen geladene Spekulation über einen MTS-Kader, der dem MfS nicht genehm war. Berichte und Analysen, die an der Wende von den 1950er- zu den 1960er-Jahren vereinzelt aufzufinden sind, springen von Thema zu Thema, wirken unsystematisch und zeigen sich voll von Spekulationen, die sich nicht selten aus den Vorurteilen speisten, die dem Apparat seit Gründung eingeimpft wurden. Das konnte gut in der folgenden, zeittypischen Feststellung gipfeln: Der feindliche Einfluss von westlichen Sendern »zeigt sich bei dem größten Teil der schlechten Ablieferer«150 des Abgabesolls von Erntegut aus der Landwirtschaft. Klischees verstellten den MfS-Mitarbeitern allzu oft den Blick für die Wirklichkeit und behinderten eine realistische Lageeinschätzung. Wohl halfen listenmäßige Überprüfungen dem MfS, einen gewissen Überblick über ihre jeweilige MTS-Region zu bekommen. 144 BV Mgb/KD Haldensleben: Liste, 1956; BStU, MfS, BV Magdeburg, Nr. 829/60, Bd. 1, Bl. 122 f. 145 BV Mgb/KD Genthin: Aufstellung der Kirchenratsmitglieder, 25.10.1954; BStU, MfS, BV Magdeburg, AOP 1810/67, Bd. 1, Bl. 63. 146 BV Mgb/KD Genthin: Verbindungen der ehemaligen Gutsbesitzer nach ihrem alten Heimatort, 26.7.1957; BStU, MfS, BV Magdeburg, AOP 1810/67, Bd. 1, Bl. 86 f. 147 BV Mgb/KD Gardelegen: Liste, 10.9.1963; BStU, MfS, BV Magdeburg, AOP 1409/65, Bd. 1, Bl. 70–73. 148 BV Mgb/KD Genthin: Gruppe der Zeugen Jehovas, 30.3.1961; BStU, MfS, BV Magdeburg, AOP 1810/67, Bd. 1, Bl. 989. 149 BV Mgb/KD Haldensleben: Vermerk, o. D.; BStU, MfS, BV Magdeburg, Nr. 829/60, Bd. 1, Bl. 28. 150 BV Mgb/KD Genthin: Analyse, 13.9.1955; BStU, MfS, BV Magdeburg, AOP 505/67, Bl. 62–65.
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Von einer wirklich flächendeckenden Überwachung war man jedoch weit entfernt, da die Angaben eher oberflächlich und das Informantennetz vergleichsweise dünn waren. Allenfalls im Zusammenspiel mit anderen Institutionen der politischen und sozialen Kontrolle gelangen dem MfS tiefere Einblicke in die ländliche Gesellschaft. Doch spätestens, als nach dem Ende der Kollektivierung und dem Bau der Mauer eine Art Zwangskonsolidierung der Verhältnisse auf dem Lande eingetreten war, ließ das MfS die Objektvorgänge auslaufen. Zugleich beendete es damit den einzigen administrativen Versuch, durch Sichtung und Kategorisierung des Personals im Zuständigkeitsterritorium eine wirkliche Überwachung in der Fläche zu organisieren. 3.3.3 Heimliche NS-Überprüfung in Händen des MfS – das NS-Archiv Wie im vorhergehenden Abschnitt gezeigt, scheiterte der Versuch des MfS weitgehend, mit einem operativen Vorgangstyp die gewaltsame soziale Umgestaltung auf dem Lande samt Zwangskollektivierung wirksam zu begleiten. Eine andere Unternehmung des MfS, sich frühzeitig als der Garant der SED-Herrschaft zu erweisen, schien erfolgreicher zu verlaufen. Dieser Versuch beruhte auf den Informationen aus einem monopolartigen Archiv. Auf die Wichtigkeit des NS-Themas für das MfS deutet hin, dass die Unterlagen zur NS-Zeit in einem Depot lagen, welches das »Zentralarchiv« genannt wurde. Zur gleichen Zeit wurden die MfSeigenen operativen Materialien noch in der Abteilung »Erfassung und Statistik« abgelegt. Längere Zeit waren die Bestände des Zentralarchivs sogar umfangreicher als die der Eigenablage151 und erst 1955 wurden diese in die Zuständigkeit der MfS-Abteilung XII überführt. Die getrennt voneinander aufbewahrten Bestände unterschieden sich allein schon durch die alphanumerisch aufgebauten Signaturen: »A« stand für die Ablagen des MfS und »Z« für die NS-Unterlagen.152 Der ursprüngliche Bestand des Zentralarchivs speiste sich aus zwei wesentlichen Quellen: aus diversen Materialien der NS-Zeit sowie aus den Unterlagen und Karteien der politischen Polizei des Dezernats K 5, das vor der Gründung des MfS existierte und als »Hilfsorgan der sowjetischen Geheimpolizei«153 operierte. Mit dem Befehl 201 der sowjetischen Militäradministration von 1947 erhielt die K 5 Befugnisse, Wissen zu akkumulieren, um frühere aktive NSDAP-Mitglieder aus der Polizei, den Verwaltungen der Länder sowie der Führung der Wirtschaft und in anderen gesellschaftlichen Bereichen entfernen zu können.154 Nach Gründung des MfS im Jahr 1950 ging der Auftrag, NS-Straftaten aufzuklären
151 152 153 154
Jedlitschka; Springer: Gedächtnis der Staatssicherheit, S. 48 f. Ebenda, S. 49. Foitzik; Petrow: Die sowjetischen Geheimdienste, S. 43. Naimark: Die Russen in Deutschland, S. 451 f., 454.
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und zu verfolgen an den Minister für Staatssicherheit Wilhelm Zaisser über.155 Auch die Verantwortung für die sogenannten Z-Materialien wurde dem MfS übertragen. Der Bestand wurde in den Folgejahren durch Akten und Karteien aus ostdeutschen Verwaltungen und Archiven, durch Abgaben aus den sozialistischen Nachbarländern und Rückgaben von beschlagnahmtem Schriftgut aus der Sowjetunion erheblich ergänzt.156 Im Jahr 1968 wurde die Abteilung IX/11 gegründet, die sich innerhalb der Untersuchungshauptabteilung HA IX mit der Auswertung der Akten beschäftigen sollte.157 Auch wenn Teile der Z-Materialien an das SED-Archiv und das Staatsarchiv abgegeben wurden, verblieben im Archivgebäude in der Freienwalder Straße in Berlin-Höhenschönhausen »riesige Mengen«158 an Unterlagen, sodass die MfS-Archivare öfter an ihre Belastungsgrenze kamen. Die Belastung war insbesondere Folge der Forderung nach Erschließung der Z-Materialien. Schon 1954 erstreckte sich die Auswertung auf 150 000 Akten und 500 000 Karteikarten. Die Verzeichnung der enthaltenen Personen auf MfS-Karteikarten ging offensichtlich nur schleppend voran. »Ungenügend wird die Erfassung reaktionärer und feindlicher Elemente durchgeführt, z. B. [sind] circa 400 Sozialdemokraten erfasst, bei Faschisten etwas mehr.«159 Die neu geschriebenen Hinweiskarten und teilweise originale Karteikarten der K 5 wurden in die zentrale Personenkartei der Abteilung XII integriert.160 So waren 1963 schließlich insgesamt 103 000 Personen und 506 Objekte karteimäßig erfasst.161 Dies führte zu einer starken Aufblähung der Kartei. Und bei Weitem nicht jede Hinweiskarte auf Z-Material führte zu Akten oder gar Vorgängen. Unter den von MfS-Diensteinheiten im Jahr 1963 in der Zentralkartei in Berlin überprüften Personen, waren immerhin 11,1 Prozent im Z-Material nachgewiesen. Sofern Personen »mit Vergangenheit« eine Hinweis-Karte in der zentralen Kartei hatten, wurden sie routinemäßig beauskunftet. Es ist also nicht zutreffend, dass in den MfS-Unterlagen keine Spuren zu größeren Recherchen in NS-Unterlagen zu finden sind.162 In der Vergangenheit ist vor allem die Nutzung der NS-Akten in den Propagandaschlachten des Kalten Krieges herausgestellt worden,163 um führende 155 Leide: NS-Verbrecher, S. 53. 156 Vgl. Unverhau: NS-Archiv, S. 30 f.; Jedlitschka; Springer: Gedächtnis der Staatssicherheit, S. 54. 157 Wiedmann: Die Diensteinheiten des MfS, S. 301. 158 SfS: Protokoll der Kollegiumssitzung v. 14.9.1954; BStU, MfS, SdM Nr. 1901, Bl. 299– 305, hier 301. 159 SfS: Protokoll über die Dienstbesprechung v. 13.8.1954; BStU, MfS, SdM Nr. 1921, Bl. 166–175, hier 170. 160 Jedlitschka; Springer: Gedächtnis der Staatssicherheit, S. 30. 161 MfS/Abt. XII: Analyse über das Jahr 1963; BStU, MfS, Allg S 82/70, Bl. 24–49, hier 34; Unverhau: NS-Archiv, S. 23 f. 162 Jedlitschka; Springer: Gedächtnis der Staatssicherheit, S. 56. 163 Unverhau: NS-Archiv, S. 92; Leide: NS-Verbrecher, S. 75.
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Abb. 10: Vorder- und Rückseite einer Karteikarte F 16 mit einem Eintrag zu einer NS-Belastung
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Beamte und Repräsentanten der Bundesrepublik aufgrund ihrer NS-Vergangenheit bloßzustellen.164 Man wird SED und MfS jedoch zubilligen müssen, dass sie auf ihre Weise versuchten, zumindest bestimmte Funktionen in Staat und Verwaltung und insbesondere im MfS von NS-Belasteten freizuhalten.165 Von Anfang an und auch im Laufe der Jahre war diese, wenn man so will, heimliche Entnazifizierung nicht an fixe Kriterien gebunden und deutlich von Opportunität geprägt. Laut dem ersten MfS-Minister Wilhelm Zaisser galt schon 1950 nicht mehr die Vergangenheit einer Person an sich, sondern die Frage, ob Bürger »ehrlich und loyal und erfolgreich mitgearbeitet«166 hätten. In diesen Kontext kann man auch eine Passage in der ersten systematischen IM-Richtlinie Nr. 1/58 rücken, die »Werbung auf der Grundlage kompromittierenden Materials« vorsah. Statt von Erpressung zu sprechen, wurde diese Variante auch für NS-Belastete als »Werbung zur Förderung des Wiedergutmachungswillens« dargestellt.167 Ob Fakten aus dem Z-Material zu Entlassungen oder gar Prozessen führten, war in der Folge weniger eine Frage von Erkenntnissen, sondern eine Nützlichkeitserwägung. Der mögliche Propagandaerfolg oder umgekehrt, die Angst vor dem Skandal, falls NS-Biografien von Personen in gesellschaftliche Positionen der DDR im Westen bekannt würden, wurde zunehmend handlungsleitend.168 Ein zweites Motiv für die intensive Beschäftigung mit NS-Belastungen war die Angst vor dem »faschistischen Putsch«. Kurzsichtig und unter dem Einfluss der stalinistischen Berater interpretierte man eigenständige Regungen der eigenen Bevölkerung unter Rückgriff auf alte Konstellationen. Der Volksaufstand vom 17. Juni wurde so ideologisch motiviert zum angeblich »faschistischen Putsch« erklärt.169 Das MfS intensivierte die Suche nach vermeintlichen Rädelsführern, die angeblich »zum größten Teil ehemalige aktive Faschisten und Anhänger des Naziregimes«170 gewesen wären. Minister Ernst Wollweber wertete diesen Personenkreis auch weiterhin als Potenzial, das anfällig für die Anwerbung durch westliche Geheimdienste wäre. Als potenzielle Anführer für einen weiteren »Putsch« wurden derartige Personen in Beobachtungsmappen, nach dem 17. Juni 1953 in Beobachtungsvorgängen, periodisch überprüft.171 Stichproben zeigen, dass solche Bobachtungsvorgänge zu Einzelpersonen oder Gruppen angelegt wurden, die im Verdacht standen NS-Organisationen angehört zu haben. Im ReichsbahnBahnhof Grimmenthal in Thüringen registrierte das MfS Erfurt verwundert, 164 Leide: NS-Verbrecher, S. 75. 165 Gieseke: Die hauptamtlichen Mitarbeiter, S. 124 f. 166 Äußerung von Wilhelm Zaisser 1950, hier zit. nach: Leide: NS-Verbrecher, S. 46. 167 Müller-Enbergs: Inoffizielle Mitarbeiter. Teil 1, S. 56. 168 Leide: NS-Verbrecher, S. 86 ff. 169 Kowalczuk: 17. Juni 1953, S. 263 f. 170 SfS/Abt. XII: Richtlinie für die Auswertung der alten Archiv-Unterlagen aus der Nazizeit, 5.5.1954; BStU, MfS, Abt. XII Nr. 3884 Bl. 1–6, hier 1. 171 Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 73.
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dass dort eine »Konzentration« von CDU-Mitgliedern zu finden sei, von denen viele zuvor in der NSDAP Mitglied waren.172 Derartige Beobachtungsvorgänge endeten entweder ohne signifikantes Ergebnis und wurden als AOP archiviert173 oder die Überwachung wurde intensiviert. Für die Kriterienbildung einer Grundüberwachung der Bevölkerung spielten die NS-Belasteten bis in die 1960er-Jahre eine wichtige Rolle, da sie wegen der schematischen Soziologie des MfS, neben noch anderen Gruppen, als besonders verdächtig galten, potenzielle Unruhestifter oder Anlaufstellen für gegnerische Geheimdienste zu sein. Die Z-Materialien boten dem MfS auch Gelegenheit, auf Erkenntnisse der NS-Repressionsorgane zurückzugreifen wenn es sich davon Erkenntnisse über eigene Gegner wie Sozialdemokraten, Trotzkisten und so fort versprach. Obwohl diese Pauschalverdächtigungen schon nach dem 17. Juni 1953 wenig substanzielle Erkenntnisse brachten,174 sind bis in die 1960er-Jahre hinein Aufträge zu listenmäßigen Erfassungen nachweisbar. Noch 1966 gab die für die Kirchen zuständige HA XX/4 die Weisung aus, »alle ehemaligen Faschisten, die heute in kirchlichen Diensten stehen«175 zu erfassen und der HA zu berichten. Hier ging es aber möglicherweise um Fragen eines Erpressungspotenzials. Die Gruppenverdächtigungen wurden durch den Differenzierungsgedanken abgelöst, der die Auswertung seit den 1960er-Jahren zu beherrschen begann. Die NSVergangenheit konnte jedoch bei der Beurteilung von Einzelpersonen eher im Sinne einer Kontrolle als zu Zwecken einer Vergangenheitsbewältigung bis zum Ende des MfS Gewicht behalten.
3.4 Das Zerwürfnis zwischen Ulbricht und MfS-Chef Wollweber 1956/57 3.4.1 Der Konflikt und die Information der Partei In den Jahren 1956/57 entbrannte ein Konflikt zwischen dem 1. Sekretär der SED Walter Ulbricht und seinem Staatssicherheitsminister Ernst Wollweber, an dessen Ende eine strategische Neuausrichtung des MfS und die Ablösung Wollwebers standen. Der Dissens entzündete sich auch an der Informationsarbeit des MfS. Im Hintergrund stand die Frage, wie die SED-Führung auf die Entstalinisierungsinitiative Nikita Chruschtschows auf dem XX. Parteitag der KPdSU reagieren sollte. Ulbricht, der die Folgen von Linienschwenks beim Volksaufstand vom 17. Juni 172 BV Eft: Beschluss, 25.2.1954; BStU, MfS, BV Erfurt, AOP 177/55, Bl. 5–7, hier 5. 173 Ein Beispiel dafür ist BStU, MfS, BV Erfurt, AOP 57/57. 174 Leide: NS-Verbrecher, S. 65 f. 175 MfS/HA XX/4: Analyse über vorhandene ehemalige Faschisten in kirchlichen Ämtern; BStU, MfS, HA XX/4 Nr. 1677.
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1953 noch vor Augen hatte, war gegenüber einer Lockerung skeptischer als andere im Politbüro der SED. Die Unruhen im polnischen Posen und der Ungarnaufstand von 1956 schienen ihm Recht zu geben.176 Ulbricht gelang in der Folgezeit das Kunststück, die von der Sowjetunion angestoßene Entstalinisierung und eine ReStalinisierung in einem Zuge zu bewerkstelligen. So räumte er in einem Atemzug zwar »Überspitzungen« in der geheimpolizeilichen Arbeit ein, plädierte aber gleichzeitig dafür, die Linie »fest und konsequent«177 weiterzuführen. Er rechnete in diesen Jahren mit seinen Widersachern ab, denen er Revisionismus unterstellte. Im MfS zielte er gleichzeitig gegen die Person des Staatssicherheitsministers, wie er nach dem 30. ZK-Plenum auch versuchte, das MfS in den Dienst seiner Linie zu stellen.178 In einer Diskussion mit der MfS-Führung 1957 gab Ulbricht »seiner« Geheimpolizei eine neue Orientierung. Er warnte vor willkürlichen Festnahmen ohne dabei jedoch vergangene Verhaftungswellen zu verdammen. Ulbricht kritisierte den Führungsstil des MfS an verschiedenen Punkten. Der Konflikt war schon zuvor am Umgang mit kritischen Parteiintellektuellen im damals wichtigen Aufbau Verlag entbrannt, die Ulbricht vor Gericht stellen ließ. Der Chef der Staatssicherheit wollte aus ermittlungstaktischen Gründen den Philosophen Wolfgang Harich erst zu einem späteren Zeitpunkt verhaften als es der SED-Chef vorsah.179 Im Gegensatz zur Bedeutung, die dem Janka-Harich-Kreis180 heute zugemessen wird, unterrichtete das MfS die Partei in seinen Berichten dazu kaum.181 Ulbricht prangerte scharf an, dass die Staatssicherheit die Partei nicht frühzeitig über abweichende Intellektuellenkreise informiert hatte.182 Unter Wollweber sah man derartige ideologische Divergenzen weniger als eine geheimpolizeiliche Angelegenheit, denn als eine ideologische Auseinandersetzung an, für die die Partei zuständig war. Intrigen von Wollwebers Stellvertreter Erich Mielke hatten den Dissens verschärft. Denn der hatte der Parteiführung Ermittlungsergebnisse zu Harich zugänglich gemacht, die Wollweber nicht einmal kannte.183 Wollweber monierte, dass ihm nicht rechtzeitig Meldung erstattet worden sei. Der Minister sah nicht zu Unrecht seine Autorität herausgefordert und wies darauf hin, dass es seine ureigene Aufgabe sei, die Parteiführung zu informieren. Wollweber reagierte daher Anfang 1957 mit der Ausgabe einer Meldeordnung, die im Grundsatz ihm das Recht zusprach, wichtige Informationen an die Parteispitze weiterzureichen, da »er dem Politbüro für die Arbeit der Staatssicherheit verantwort-
176 Vgl. Engelmann; Schumann: Kurs auf die entwickelte Diktatur, S. 7. 177 Ebenda, S. 229 ff. 178 Hoffmann: DDR unter Ulbricht, S. 74 ff. 179 Vgl. Engelmann; Schumann: Kurs auf die entwickelte Diktatur, S. 10 f. 180 Walter Janka war zum damaligen Zeitpunkt Leiter des Aufbau Verlages. 181 Bispinck: DDR im Blick, S. 34. 182 Ulbricht-Rede auf einer Dienstkonferenz 1957; BStU, MfS, ZAIG, TB Nr. 33. 183 Engelmann; Schumann: Kurs auf die entwickelte Diktatur, S. 11 ff.; Völklein: Honecker, S. 265 ff.
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lich [sei], nicht die Stellvertreter«.184 Das wiederum interpretierte das im Kollegium versammelte Führungspersonal des MfS als Herabsetzung und setzte nun seinerseits Wollweber unter Druck, seine Anordnung zurückzunehmen.185 Der Machtverfall Wollwebers begann. Es wurde der Eindruck erweckt, dass Wollweber um seiner Stellung willen, sogar Informationsverzögerungen an die Partei in Kauf nehmen würde. Das gipfelte darin, dass er sich über die Partei stellen wolle, was ihm Walter Ulbricht schließlich auch vorwerfen sollte.186 Die SED-Führung ließ die für das MfS zuständige Sicherheitskommission des SED-Politbüros unter Erich Honecker exemplarisch mehrere Bezirksverwaltungen inspizieren. Ulbricht bemängelte daraufhin den »Informationsdienst« des MfS. Er enthalte zu viele Details, die man auch auf offiziellem Wege erhalten könne. Er diene zu wenig der operativen Arbeit, es entstünden Berichte fürs Archiv. Die unteren Stellen würden zu sehr auf Berichtsanforderungen von oben reagieren, nicht nach den Erfordernissen ihrer Region arbeiten. Sie sollten sich mehr um die Sicherheit im Territorium kümmern und weniger Berichte schreiben. Die Kreisdienststellen- und Bezirksverwaltungsleiter müssten »eine Übersicht haben, was im Bezirk vor sich geht«187. Offenbar entwickelte der SED-Chef mit dieser Rede die Formel von dem alles wissenden Bezirkschef, die Mielke dann später in verschiedenen Variationen wiederholen sollte. Aufgrund der Probleme mit der Informationsverarbeitung wurden auch 1957 Brigaden von Berlin aus in die Provinz geschickt, um »Mängel« in der Informationstätigkeit aufzuspüren.188 Der wichtigste Kritikpunkt war, dass Wollweber den Staatssicherheitsapparat zu stark auf die Westarbeit ausgerichtet hätte. Möglicherweise veranlasst durch seine sowjetischen Berater, die vom MfS Informationen zu der von ihnen angenommenen Gefahr eines Krieges erwarteten,189 orientierte man in den 1950er-Jahren stark auf die Aufdeckung von Agenten und die Aufklärung feindlicher Tätigkeit aus dem Westen. Wollweber konstatierte 1955, dass »das Überraschungsmoment bei einem kommenden Krieg eine große Bedeutung hat, das heißt für uns Verstärkung der Aufklärungsarbeit«.190 In der Folge hatte er sogar die Regionalarbeit in den Bezirksverwaltungen entsprechend ausgerichtet und von den Leitern gefordert, zu »50 % das Gesicht dem Westen zu«.191 184 MfS: Protokoll der Kollegiumssitzung v. 29.12.1956; BStU, MfS, SdM Nr. 1901, Bl. 1–13, hier 12. 185 Ebenda, Bl. 1–13. 186 Engelmann; Schumann: Kurs auf die entwickelte Diktatur, S. 13. 187 Ulbricht-Rede auf einer Dienstkonferenz 1957; BStU, MfS, ZAIG, TB Nr. 33. 188 MfS/Informationsgruppe: Informationstätigkeit, 31.1.1958; BStU, MfS, BV Magdeburg, Allg S 14/73, Bd. 1, Bl. 106–111. 189 Engelmann; Schumann: Kurs auf die entwickelte Diktatur, S. 16 f. 190 SfS: Referat des Genossen Staatssekretär auf der Dienstbesprechung v. 5.8.1955; BStU, MfS, SdM Nr. 1921, Bl. 43–81, hier 54. 191 Ebenda, Bl. 57.
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Ulbricht warf dem MfS 1956/57 vor, über diese Orientierung die Stützpunkte und Untergrundgruppen in der DDR vergessen beziehungsweise nicht aufgedeckt und »die ›Taktik des Aufweichens‹ [...] nicht früh genug erkannt«192 zu haben. Laut Ulbrichts Analyse hätten die Entspannungssignale aus Moskau nicht zu einer Entschärfung der internationalen Auseinandersetzung geführt, sondern im Gegenteil dazu, dass der Feind nun mit »neuen Methoden und Formen«193 arbeite, in dem er ideologisch auf Intellektuelle und Parteikreise einwirke. Die Sicherheitskommission des SED-Politbüros gab der Staatssicherheit nun vor: »Schwerpunkt der [Diskussionen …] muss der Kampf gegen die feindlichen Untergrundbewegungen in der DDR sein.«194 In diesem Zusammenhang kritisierte Ulbricht auch die Informationsarbeit der Staatssicherheit als »primitiv«. Die Informationen würden den neuen Erfordernissen des Kampfes nicht gerecht und führten seiner Ansicht nach sogar zu einer »Schädigung der Partei«, denn durch die Meldungen würde »die Hetze des Feindes legal verbreitet«195 und damit Aufweichungstendenzen in den Apparat getragen. Diese Kritik bezog sich nicht zuletzt darauf, dass das MfS in Stimmungsberichten zahlreiche Schmähungen aus der Bevölkerung gegen Ulbricht wortwörtlich kolportierte, die damals mit einem breiten Verteiler in den Partei- und Staatsapparat gingen.196 Der Staatssicherheit warf man ferner vor, sich vorrangig mit dem Verfassen von Berichten zu beschäftigen, worunter die eigentliche, geheimpolizeiliche Arbeit gelitten habe.197 Das MfS sollte sich mehr auf die Schwerpunkte konzentrieren, die für die Entwicklung der sozialistischen Wirtschaft besonders wichtig waren und dadurch potenzielle Unruhen und Störungen in den Betrieben verhindern.198 Das war offenbar eine Reaktion auf die wirtschaftlichen Schwierigkeiten und zahlreiche kleine Streiks, die möglicherweise inspiriert durch das polnische Beispiel in der zweiten Jahreshälfte 1956 in der DDR aufflammten.199 Anknüpfend an die Kritik, dass sich die Staatssicherheit thematisch falsch orientiert hätte, wurden auch Mängel im Informantennetz festgestellt.200
192 Ulbricht paraphrasiert durch Wollweber, MfS: Protokoll der Kollegiumssitzung v. 7.2.1957; BStU, MfS, SdM Nr. 1552, Bl. 27–38, hier 29. 193 Engelmann; Schumann: Kurs auf die entwickelte Diktatur, S. 18. 194 MfS: Protokoll der Kollegiumssitzung v. 16.4.1957; BStU, MfS, SdM Nr. 1553, Bl. 1–10, hier 2. 195 MfS: Protokoll der Kollegiumssitzung v. 7.2.1957; BStU, MfS, SdM Nr. 1552, Bl. 27–38, hier 28. 196 Bispinck: DDR im Blick, S. 25. 197 MfS: Protokoll der Kollegiumssitzung v. 7.2.1957; BStU, MfS, SdM Nr. 1552, Bl. 27–38, hier 29. 198 Engelmann; Schumann: Kurs auf die entwickelte Diktatur, S. 21. 199 Bispinck: DDR im Blick, S. 26 ff. 200 MfS: Protokoll der Kollegiumssitzung v. 7.2.1957; BStU, MfS, SdM Nr. 1552, Bl. 27–38, hier 30.
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Die Kritik kulminierte in den erwähnten Vorwürfen, dass Wollweber sich über die Partei erhoben und mit den Kritikern des Ulbricht’schen Kurses gemeinsame Sache gemacht habe.201 Es war von daher nur noch eine Frage der Zeit, bis der nach einem Herzinfarkt gesundheitlich stark angeschlagene Wollweber,202 der zudem wegen Erholungspausen mehrfach ausfiel, im Oktober 1957 krankheitshalber um seinen Rücktritt bat.203 Er kam damit einer Verdammung durch die Parteispitze zuvor, die Erich Honecker im Namen von Ulbricht im Folgejahr auf dem 35. ZK-Plenum verkündete. In deren Folge wurden Wollweber mit anderen aus dem Politbüro ausgeschlossen.204 Wollweber hatte sich in Detailfragen durchaus selbstbewusst, freimütig und kritisch geäußert und sich dabei lange auf ein gutes Verhältnis zu seinen sowjetischen Beratern gestützt. Als diese Berater aber wegen der neuen Moskauer Linie nicht mehr vertrauenswürdig schienen und ersetzt wurden,205 waren auch Wollwebers Tage gezählt. Erich Mielke hatte es als Wollwebers Stellvertreter verstanden, sich durch sein Finassieren und Intrigieren für die SED-Führung als die folgsame Alternative ins Spiel zu bringen. Während Ulbricht seinen Dissens mit Wollweber austrug, war im KGB schon seit Längerem eine Auseinandersetzung über die Rolle des MfS im Gange. Sie hatte ihren Ursprung in den Nachwehen der Absetzung von Innenminister Berija und dem Aufstand vom 17. Juni, beides Geschehnisse des Jahres 1953. Damals wurde der im KGB einflussreiche Jewgenij Pitowranow nach Deutschland entsandt, um das MfS, das in den Augen des KGB versagt hatte, an die Kandare zu nehmen.206 Pitowranow stützte Wollweber und riet ihm Mitte der 1950er-Jahre auch, dem Verlangen Ulbrichts zu widerstehen.207 Ulbricht hatte gefordert, Verdächtigte deutlich länger festzuhalten als die Strafprozessordnung erlaubte. Auch im Streit um die Meldeordnung unterstützte Pitowranow laut der Darstellung Wollwebers dessen Position in einer heftigen Auseinandersetzung mit Ulbricht.208 Doch in Moskau beförderte der KGB-Chef Iwan Serow, der unmittelbar nach dem Krieg den sowjetischen Geheimdienst in Ostdeutschland geleitet hatte, bereits eine Intrige gegen Pitowranow und Wollweber. Wollweber galt manchem Geheimdienstler als überfordert. Ehemalige KGB-Offiziere wollen sich erinnern, dass KPdSU-Chef Chruschtschow darüber informiert worden sei, dass Wollweber »seinen« Parteichef Ulbricht unverhohlen kritisiert habe. Chruschtschow hätte nichts Besseres zu tun gehabt, als das Ulbricht mitzuteilen. Ulbricht, der Woll-
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Engelmann; Schumann: Kurs auf die entwickelte Diktatur, S. 13. Ebenda, S. 7, 23. Ebenda, S. 25. Völklein: Honecker, S. 263 ff. Engelmann; Schumann: Kurs auf die entwickelte Diktatur, S. 15 ff. Bailey; Kondratschow; Murphy: Die unsichtbare Front, S. 59 ff. Ebenda, S. 387. Engelmann; Schumann: Kurs auf die entwickelte Diktatur, S. 15.
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weber angeblich schon lange loswerden wollte,209 kam das entgegen. Auch auf einem anderen Gebiet trafen sich seine und Serows Interessen. Während Pitowranow die Kompetenzen des MfS weiter beschränkt wissen wollte, war Serow bereit, diese unter Kontrolle der SED zu weiten. Die Zahl der sowjetischen Berater im MfS wurde deutlich reduziert. Die Stelle in Karlshorst, die lange als »Inspektorat«, dann als »Apparat des Chefberaters« agierte, galt nun als »Apparat des KGB-Vertreters in Deutschland«.210 Nur noch wenige KGB-Offiziere waren bei den wichtigsten Hauptabteilung und den Bezirksverwaltungen als Verbindungsoffiziere angesiedelt. Anlässlich einer Reise Serows nach Ostberlin im Jahr 1957 dürfte sich Ulbricht die Zustimmung zur Absetzung des MfS-Chefs geholt haben. Teilnehmer des Treffens war schon der Nachfolger von Pitowranow, der die DDR bald darauf verlassen musste. Angeblich soll Erich Mielke im Hintergrund die Verbindung zu Serow während dessen Ostberlin-Besuches gehalten haben.211 Dieses Szenario erinnerte an die Absetzung der Ulbricht-kritischen Gruppe um den damaligen Geheimdienstchef Wilhelm Zaisser nach dem Volksaufstand von 1953. Auch hier lieferte das Ausbleiben von Warnungen in der Berichterstattung der Staatssicherheit zumindest einen Vorwand für dessen Ablösung.212 Es gibt jedoch kein Indiz dafür, dass der grundloyale Wollweber mit anderen gegen Ulbricht konspiriert und eine gewünschte Neuausrichtung nicht vollzogen hätte. Im Gegenteil versicherte er »Schwächen schnell zu beseitigen«.213 Bei genauer Betrachtung hatte Wollweber der Staatssicherheit jedoch nicht nur in Sachen der Westausrichtung eine bestimmte Linie vorgegeben. Es ging Wollweber auch um die grundsätzliche Aufgabenbestimmung, wie er im Nachhinein in »Wozu ist die Staatssicherheit da?«214 formulierte. Wollweber plädierte eher dafür, dass sich das MfS nicht zu stark von klassisch geheimdienstlichen Aufgaben entfernen sollte. Immer wieder markierte er gegenüber seinen Kollegen die Grenzen ihrer Arbeit. Er sah ideologische Aufweichungen als Sache der Partei an, nur wo sie »organisierte Formen [...] annahmen, dort beginnt die Aufgabe der Staatssicherheit«.215 Wollweber sah die Funktion des MfS auch in der Wirtschaft lediglich darin, »Sabotage« aufzuklären, vor allem solche, die von außen angeregt war.216 In Bezug auf Probleme in der Wirtschaft plädierte er für eine Selbstbeschränkung: »Wir werden nicht den Kampf gegen Schlampereien, Bürokratismus führen, das werden die Stellen 209 Bailey; Kondratschow; Murphy: Die unsichtbare Front, S. 387. 210 Ebenda. 211 Ebenda, S. 388 f. 212 Kowalczuk: 17. Juni 1953, S. 263 f. 213 MfS: Protokoll der Kollegiumssitzung v. 7.2.1957; BStU, MfS, SdM Nr. 1552, Bl. 27–38, hier 31. 214 Zit. nach: Otto: Erich Mielke, S. 231. 215 MfS: Protokoll der Kollegiumssitzung v. 20.3.1957; BStU, MfS, SdM Nr. 1551, Bl. 103– 124, hier 114. 216 SfS: Protokoll über die Dienstbesprechung v. 29.9.1954; BStU, MfS, SdM Nr. 1921, Bl. 501–516, hier 506.
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führen, wie staatliche Kontrolle, Rat des Bezirkes usw. Wir werden von ihnen fordern müssen, dass sich zu bestimmten Zeiten keine Unruhe in den Betrieben zeigt.«217 Während Ulbricht der Staatssicherheit im Krisenfall zudem die Aufgabe zuweisen wollte, einen großen Teil des bewaffneten Potenzials zu befehligen, war Wollweber dafür, ein solches Kommando dem Innenministerium zuzuordnen.218 Auch war der abgesetzte Leiter der Staatssicherheit wohl eher geneigt gewesen, exzessive Verhaftungen zu überprüfen.219 Obwohl Wollweber sicher kein »Liberaler« in der ostdeutschen kommunistischen Führung war, so war sein Denken doch insgesamt eher darauf gerichtet, das Profil der Staatssicherheit auf geheimpolizeiliche und nachrichtendienstliche Belange im engeren Sinne zu konzentrieren. Ulbrichts Denken zielte umgekehrt darauf ab, die Herrschaftsrisiken und Defizite des sozialistischen Systems durch »seine« Staatssicherheit absichern zu lassen. Er forderte beispielsweise vom MfS, die Arbeit in der Wirtschaft »von innen heraus«220 zu organisieren. Als Konsequenz von Lockerungen im Staat verlangte er »zur gleichen Zeit auch Sicherungsmaßnahmen [zu] treffen, damit nicht der Gegner Spalten findet, um von diesen Spalten aus die Arbeiter- und Bauernmacht zu zerstören«.221 In Kombination mit der Einschätzung, dass in Zeiten der »Entspannung« und der »friedlichen Koexistenz«222 die Bekämpfung zersetzender ideologischer Einflüsse wichtiger werden würde, bereitete Ulbricht damit die Weichenstellung für die 1960er-Jahre vor, in denen das MfS nach einer kurzen Wachstumsdelle in Folge des Tauwetters inhaltlich und personell stark expandieren sollte.223 3.4.2 Die interne Neuausrichtung der MfS-Informationsarbeit Die Kritik der SED-Führung war ein entscheidender Anstoß für die Führung der Staatssicherheit, ihre Arbeitsweise zu überdenken. Manches, was in den Monaten danach bei der Staatssicherheit formuliert wurde, klingt wie ein folgsames Echo. Noch Minister Wollweber räumte ein, die Hauptschwäche sei, »dass die Schwerpunkte der Arbeit und die Stützpunkte des Feindes nicht erkannt werden«.224 Auf einer Regionalkonferenz klang es nach kommunistischer Selbstkritik, wenn 217 SfS: Protokoll über die Dienstbesprechung v. 6.5.1954; BStU, MfS, SdM Nr. 1921, Bl. 530–540, hier 536. 218 Engelmann; Schumann: Kurs auf die entwickelte Diktatur, S. 8 f. 219 Ebenda, S. 24. 220 MfS: Diskussionsbeitrag des Genossen Minister Wollweber auf der Dienstkonferenz v. 27.5.1957; BStU, MfS, SdM Nr. 1921, Bl. 282–301, hier 282. 221 Zit. nach: Engelmann; Schumann: Kurs auf die entwickelte Diktatur, S. 20. 222 Zit. nach: Ebenda, S. 66. 223 Engelmann; Schumann: Kurs auf die entwickelte Diktatur, S. 26 f. 224 MfS: Protokoll der Kollegiumssitzung v. 12.6.1957; BStU, MfS, SdM Nr. 1553, Bl. 78–87, hier 81.
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der Minister formulierte, »leider haben die Mitarbeiter der Staatssicherheit den Anfang der ideologischen Aufweichung«225 nicht gesehen. Die Protokolle des Kollegiums, dem beratenden Führungsorgan, in dem die wichtigsten Leiter der Staatssicherheit versammelt waren, spiegeln wider, dass viele Schwächen des Informationssystems durchaus länger bekannt waren: »Über die mangelhafte Qualität der Informationen waren wir uns alle mehr oder weniger klar«,226 räumte der stellvertretende Minister Bruno Beater ein. In einer weiteren Kollegiumssitzung hieß es, »die Arbeit des Informationsdienstes [ist] nicht genügend. Berichte müssen operativen Charakter tragen. Berichte, d. h. gemachte Angaben, müssen überprüft werden«.227 Schon 1955 hatte der damalige Staatssekretär Wollweber kritisiert, dass Meldungen unzureichend überprüft und mit ungenauen Daten weitergereicht würden.228 Noch fünf Jahre später musste eingestanden werden, »dass die Leiter der Bezirksverwaltungen die Leitung des Ministeriums und teilweise auch die 1. Sekretäre der Bezirksleitungen nicht immer richtig informieren«.229 Rückblickend bemängelte der spätere Leiter der Auswertung Werner Irmler, dass »falsche bzw. auch nur bedingt richtige oder aber oberflächliche Einschätzung und Wiedergabe des Inhalts von Informationen«230 zu Desinformation und Desorientierung führen konnten. Nicht nur über die Qualitätsmängel war man sich grundsätzlich im Klaren, sondern auch über ein Bündel von Ursachen. Einerseits würden Informationen nicht genügend gewichtet und führten zu einer »zufälligen Sammlung von bedeutungslosen Materialien«.231 Andererseits würde eine »Vielzahl operativer Mate rialien, die in den Panzerschränken liegen […], nicht bearbeitet«232 und auch nicht an die Leitung der Staatssicherheit weitergemeldet. »Wichtige Meldungen blieben unberücksichtigt.«233 Es mangelte also am Austausch von Informationen. Das im MfS vorherrschende Linienprinzip führte damals dazu, dass manche Meldung auf 225 MfS: Schlusswort des Genossen Minister auf der Dienstkonferenz in Halle am 15.5.1957; BStU, MfS, SdM Nr. 1921, Bl. 364–386, hier 366. 226 MfS: Protokoll der Kollegiumssitzung v. 20.3.1957; BStU, MfS, SdM Nr. 1551, Bl. 103–124, hier 110. 227 MfS/Abt. XII: Protokoll v. 27.4.1957; BStU, MfS, Allg S 189/58, Bd. 1, Bl. 84–94, hier 85. 228 Vgl. Engelmann; Joestel: Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe, S. 21. 229 MfS: Protokoll der Kollegiumssitzung v. 4.7.1960; BStU, MfS, SdM Nr. 1903, Bl. 36–55, hier 51. 230 Irmler, Werner u. a.: Die Analyse des Informationsflusses im einheitlichen System der politisch-operativen Auswertungs- und Informationstätigkeit des MfS. Diplomarbeit, Sept. 1965; BStU, MfS, ZAIG Nr. 14475, Bl. 48. 231 MfS: Protokoll der Kollegiumssitzung v. 20.3.1957; BStU, MfS, SdM Nr. 1551, Bl. 103– 124, hier 104. 232 MfS: Protokoll der Kollegiumssitzung v. 18.11.1960; BStU, MfS, SdM Nr. 1903, Bl. 56–74, hier 67. 233 SfS: Protokoll der Kollegiumssitzung v. 21.10.1955; BStU, MfS, SdM Nr. 1901, Bl. 151–156, hier 156.
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dem jeweiligen Strang nach oben gegeben wurde, dort aber »untergegangen«234 sei, statt mit anderen zusammengeführt zu werden. Auch zeigten Berichte, die an der Spitze des MfS zusammengefasst wurden, deutliche analytische Mängel: »Es handelte sich in der Regel um Aneinanderreihungen mehr oder weniger bedeutsamer Einzelinformationen, die mit der jeweiligen vorgefertigten parteiamtlichen Deutung garniert wurden. Die Fähigkeit zur Synthese war höchst unterentwickelt.«235 Der spätere Leiter der Auswertung Werner Irmler sah rückwirkend die Gefahr »voreilige[r] Einschätzungen« und »unzulässige[r] Verallgemeinerungen«.236 Zu Ereignissen wie LPG-Austritten wurden zwar »genügend«237 Informationsberichte gegeben, aber es fehlte eine Analyse der Ursachen. Auch in Berichten über Streiks wurden die Vorkommnisse »nicht gründlich analysiert«.238 Da sich derartige Ereignisse im Jahr 1956 häuften und man nicht wusste, ob sich daraus ähnliche Unruhen wie in Polen entwickeln würden, war das eine deutliche Schwäche der MfS-Berichterstattung. Am Ort, wo die Informationen anfielen, in den Kreisdienststellen, würde die »Bedeutung«239 einzelner Vorkommnisse nicht erkannt und diese nicht in den Zusammenhang gestellt. Auch seien die Meldungen nicht prognostisch genug, nicht vorbeugend in die Zukunft gerichtet: »Wir müssen in der Lage sein, der Parteiführung alles zu sagen, und nicht wie noch jetzt der Zustand ist, erst berichten bzw. signalisieren, wenn es zu spät ist.«240 Als eine der Ursachen machte die MfS-Führung Leitungsdefizite in der regionalen Arbeit aus, in der sich die Leiter »zu wenig um die Informationen kümmern«241 und die Bezirksverwaltungen und die Kreisdienststellen »mangelhaft«242 anleiten würden. Die Leiter der Bezirksverwaltungen hätten »zu wenig Überblick«243 über die operativen Vorgänge in ihrem Bezirk. Derartige Leitungsdefizite führten in der Konsequenz auch zu einer personell mangelhaften Besetzung der
234 MfS: Protokoll der Kollegiumssitzung v. 20.3.1957; BStU, MfS, SdM Nr. 1551, Bl. 103–124, hier 110. 235 Vgl. Engelmann; Joestel: Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe, S. 20. 236 Irmler, Werner u. a.: Die Analyse des Informationsflusses im einheitlichen System der politisch-operativen Auswertungs- und Informationstätigkeit des MfS. Diplomarbeit, Sept. 1965; BStU, MfS, ZAIG Nr. 14475, Bl. 48. 237 MfS: Protokoll der Kollegiumssitzung v. 4.7.1960; BStU, MfS, SdM Nr. 1903, Bl. 36–55, hier 54. 238 MfS: Protokoll der Kollegiumssitzung v. 9.8.1960; ebenda, Bl. 26–35, hier 28. 239 MfS: Protokoll der Kollegiumssitzung v. 6.12.1955; BStU, MfS, SdM Nr. 1901, Bl. 135–137, hier 137. 240 MfS: Protokoll der Kollegiumssitzung v. 10.12.1957; BStU, MfS, SdM Nr. 1553, Bl. 267–282, hier 277. 241 MfS: Protokoll der Kollegiumssitzung v. 20.3.1957; BStU, MfS, SdM Nr. 1551, Bl. 103–124, hier 105. 242 MfS: Protokoll der Kollegiumssitzung v. 6.12.1955; BStU, MfS, SdM Nr. 1901, Bl. 135–137, hier 137. 243 MfS: Protokoll der Kollegiumssitzung v. 12.6.1957; BStU, MfS, SdM Nr. 1553, Bl. 78–87, hier 81.
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Informationsgruppen, die die Anfänge der Auswertungslinie bildeten.244 Dort würden oft Mitarbeiter eingesetzt, die »schwach und deshalb froh sind, auf die Informationsarbeit ausweichen zu können«.245 3.4.3 Defizite der Vorgangsbearbeitung und der Informanten Auch die Bearbeitung von Personen und Sachverhalten in den Vorgängen blieb unbefriedigend. Das Archiv klagte schon früh, dass »drei Viertel der Verhafteten nicht ausreichend operativ bearbeitet« würden, was so viel hieß, dass Verbindungen zu anderen Personen und Sachverhalten nicht ausreichend ermittelt wurden.246 Ein anderes Mal musste gemahnt werden, »die Ergänzung der Sach- und Objektakten, der Überprüfungs- und Objektvorgänge vorzunehmen«.247 Mal war es schwierig, überhaupt Angaben zu Personen in den Akten wiederzufinden: »So dürfen auf keinen Fall negative Elemente [meinte angebliche Staatsfeinde] in diesen Vorgängen verschwinden.«248 Angesichts solch gravierender Schwächen bei der Bearbeitung von operativen Vorgängen beschloss die MfS-Leitung 1957 zu prüfen, ob diese Vorgänge nicht abgeschlossen werden könnten.249 Eine exemplarische Untersuchung in einer Bezirksverwaltung hatte ergeben, dass die operativen Vorgänge über Jahre »schleppend« und »sehr oberflächlich« bearbeitet und Akten ins Archiv gegeben wurden, »ohne, dass die richtig abgeschlossen sind«.250 Fast drei Viertel der operativen Vorgänge wurden im ersten Quartal 1957 ergebnislos abgebrochen. Dies war indirekt auch eine Folge der schlechten Qualität der MfS-Quellen. Aus der Führung gab es scharfe Kritik an deren Informationsleistungen. Wegen unbefriedigender Leistungen mussten 1956 fast 30 Prozent der IM »abgeschrieben« werden.251 Manches Problem rührte freilich aus zentralen Vorgaben der Leitung her, die unter Wollweber stark auf die Westarbeit orientierte. Das führte offenbar dazu, dass »Mitarbeiter aus einem Feind unbedingt einen Agenten machen sollen, obwohl nicht jeder Feind ein Agent ist. Es wird so lange [an dem Vorgang …] 244 MfS: Protokoll der Kollegiumssitzung v. 20.3.1957; BStU, MfS, SdM Nr. 1551, Bl. 103–124, hier 105. 245 Ebenda, Bl. 114. 246 Protokoll über die Dienstbesprechung am 13.8.1954. BStU, MfS, SdM Nr. 1921, Bl. 166–175, hier 170. 247 MfS: Protokoll der Kollegiumssitzung v. 3.10.1956; BStU, MfS, SdM Nr. 1551, Bl. 73–77, hier 76. 248 MfS: Dienstkonferenz v. 31.5.1957; BStU, MfS, SdM Nr. 1921, Bl. 1–9, hier 8. 249 MfS: Protokoll der Kollegiumssitzung v. 26.2.1957; BStU, MfS, SdM Nr. 1551, Bl. 53–59, hier 58. 250 MfS: Protokoll der Kollegiumssitzung v. 21./22.11.1957; BStU, MfS, SdM Nr. 1553, Bl. 222–252, hier 234 (nach Antritt Mielkes). 251 MfS: Dienstkonferenz, 1957; BStU, MfS, ZAIG, TB Nr. 32 u. TB Nr. 34.
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gearbeitet, bis der Feind sich absetzt«.252 Man war in der MfS-Leitung auch zu der Ansicht gelangt, dass ein großer Teil der Leiter der Bezirksverwaltungen »zu wenig Überblick über die operativen Vorgänge in seinem Bezirk«253 hätte. Laut einer anderen Auswertung der Abteilung XII von 1960 legte die Verwaltung Groß-Berlin/Abt. II in den Jahren 1956 bis 1958 ganze 22 operative Vorgänge an, von denen zwei zu Verhaftungen führten, der Rest jedoch ohne operatives Ergebnis blieb. Auch in der für ideologische Abweichler und Gegner (insbesondere SPD) zuständigen HA V/Abt. 2 gab es 28 Vorgänge, die teils aus dem Jahr 1954 datierten, aber mit einer Ausnahme zu keinem operativen Ergebnis führten.254 Die Zahl der Untersuchungsvorgänge, die überwiegend mit Verhaftungen einhergingen, lagen zwar 1956 und 1957 bei knapp 1 500 beziehungsweise knapp 1 900 Personen. Doch die vorgelagerten geheimpolizeilichen Ermittlungen gegen die vorgeblichen Feinde und Straftäter, die in Vorgängen bearbeitet worden waren, waren aus Sicht der MfS-Führung nicht sonderlich effektiv. Zumindest in den 1950er-Jahren waren Festnahmen nur selten die Folge systematischer geheimpolizeilicher Arbeit. Minister Wollweber bilanzierte 1956, dass nur ein geringer Teil der abgeschlossenen Vorgänge durch Hinweise von geheimen Informanten abgeschlossen würde. Überwogen hätten teils Hinweise aus der Bevölkerung und 50 Prozent hätten sich als Folge von Vernehmungen Festgenommener dargestellt.255 Diese Vorgänge beruhten also auf dem Beifang aus schon laufenden Prozessen und darüber hinaus auf Denunziation, nicht auf den »spezifischen« Mitteln der Geheimpolizei. Wie sehr das MfS auf wenig belastbare Hinweise aus der Bevölkerung setzte, zeige sich darin, dass 80 bis 90 Prozent aller in den Abteilungen XI einsitzenden Personen »aufgrund von Mitteilungen aus der Bevölkerung gegriffen«256 wurden. Im Durchschnitt mussten aber 14,1 Prozent wieder entlassen werden, in einzelnen BVfS sogar 50 Prozent der Verhafteten. Die Mängel in der operativen Vorgangsarbeit waren verknüpft mit Defiziten bei der Informationsbeschaffung. Gebetsmühlenartig verkündete das MfS sein Credo, wonach die inoffiziellen Informanten die »wesentlichsten Informationsträger«257 252 MfS: Protokoll der Kollegiumssitzung v. 12.6.1957; BStU, MfS, SdM Nr. 1553, Bl. 78–87, hier 80. 253 Ebenda. 254 MfS/Abt. XII: Schreiben an den Leiter der Abt. II in der BV Berlin, 5.2.1960; BStU, MfS, Allg S 230/65, Bl. 18–20; MfS/Abt. XII: Schreiben an den Leiter der HA V/2, 17.9.1959; ebenda, Bl. 73–75. 255 MfS: Notiz über eine Dienstreise zur BV Cottbus am 17.2.1956; BStU, MfS, SdM Nr. 1921, Bl. 437–443, hier 443. Die MfS-Vernehmer waren allgemein ganz wesentlich daran interessiert, den Beschuldigten Aussagen zu Mitwissern, Beteiligten, Inspiratoren abzunötigen. 256 SfS: Protokoll über die Dienstbesprechung am 22.4.1954; BStU, MfS, SdM Nr. 1921, Bl. 180–185, hier 183. 257 Irmler, Werner u. a.: Die Analyse des Informationsflusses im einheitlichen System der politisch-operativen Auswertungs- und Informationstätigkeit des MfS. Diplomarbeit, Sept. 1965; BStU, MfS, ZAIG Nr. 14475, Bl. 17.
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im MfS seien. Eine wirklich objektive Einschätzung sei nur mit »in der Kon spiration wirkenden Informationsquellen möglich«.258 Jedoch zeigte gerade das IM-Netz der frühen 1950er-Jahre erhebliche Schwächen. Da eine Reihe von Mitarbeitern wohl die bürokratischen Schritte zur Erfassung von Informanten scheute, rekrutierten sie sogenannte Kontaktpersonen (KP). Diese konnten in der zentralen Kartei eingelegt werden ohne ein kompliziertes Kontrollprozedere zu durchlaufen und dann förmlich als Vorgang erfasst zu werden.259 Zudem meinten diese MfS Mitarbeiter, »nicht so der Kontrolle [zu] unterliegen wie bei den registrierten inoffiziellen Mitarbeitern«.260 Diese informelle Praktik verfolgte man in der Berliner Zentrale mit Missvergnügen.261 Fünf Jahre nach seiner Gründung verfügte das MfS immerhin über 38 200 formal registrierte Informanten.262 Trotz der Vorwürfe nach dem 17. Juni 1953 war das Informantennetz inhaltlich nur schwach aufgestellt. »Der größte Prozentsatz der Informatoren bringt nur allgemeine Berichte und allgemeine Informationen, die fast nicht von den Mitarbeitern für ihre operative Arbeit verwendet werden können.«263 Die Informanten waren zu 42 bis 50 Prozent Mitglieder der SED, die wegen ihrer offenkundigen Systemnähe Schwierigkeiten hatten, in feindliche Milieus einzudringen. Sie lieferten »fast nur Stimmungsberichte«264. Beinahe zynisch meinte ein altgedienter Tschekist angesichts der Mängel der Arbeit mit den Informanten vor Ort: »Es gibt Kreisdienststellen, die durch ihre Arbeit zwar keinen nennenswerten Schaden, aber auch keinen Nutzen für den Staat bringen.«265 Über Jahre zeigte sich eine kritisch verfolgte Tendenz, dass die Informanten vor Ort »nicht nach Notwendigkeit und vorheriger gründlicher Überprüfung der Möglichkeiten«266 ausgewählt würden und es »an der konkreten Auftrags erteilung«267 an die Informanten fehle. Selbst Anfang der 1960er-Jahre bemängelten Vertreter der MfS-Führung, dass bei den beschafften Informationen der »Anteil der aus offiziellen Informationsquellen eingehenden Materialien noch zu 258 Ebenda, Bl. 19. 259 SfS/Abt. XII: Protokoll über die Besprechung mit den Leitern der Abt. XII am 3.5.1954; BStU, MfS, Allg S 187/58, Bd. 6, Bl. 184–199, hier 190. 260 SfS/Abt. XII: Protokoll über die Besprechung mit den Leitern der Abt. XII, 4.11.1955; ebenda, Bd. 6, Bl. 55–63, hier 63. 261 MfS/Abt. XII: Stellungnahme, 10.2.1956; BStU, MfS, Allg S 189/58, Bl. 137–139, hier 138. 262 Müller-Enbergs: Inoffizielle Mitarbeiter. Teil 3, S. 35. 263 SfS: Vermerk über die Dienstbesprechung am 14.6.1955; BStU, MfS, SdM Nr. 1921, Bl. 82–103, hier 93. 264 MfS: Protokoll der Kollegiumssitzung v. 6.12.1955; BStU, MfS, SdM Nr. 1550, Bl. 1–7, hier 6. 265 MfS: Protokoll der Kollegiumssitzung v. 29.12.1956; BStU, MfS, SdM Nr. 1901, Bl. 1–13, hier 8. 266 MfS: Protokoll der Kollegiumssitzung v. 21./22.11.1957; BStU, MfS, SdM Nr. 1553, Bl. 222–252, hier 233. 267 MfS: Protokoll der Kollegiumssitzung v. 12.6.1957; ebenda, Bl. 78–87, hier 81.
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hoch«268 sei. Es sei nicht sinnvoll, dass nur »Analysen und Einschätzungen der staatlichen Organe wiedergegeben«269 würden. Angesichts der Schwächen des eigenen Informantensystems blieb der MfS-Führung aber kaum eine Alternative zu Informationen von Funktionsträgern und Denunziationen aus der Bevölkerung. 3.4.4 Veraltete Informationsarbeit im MfS Gegen Ende des ersten Jahrzehnts der Staatssicherheit erwies sich das Informationsverarbeitungssystem des MfS, neben den anderen aufgezeigten Schwächen, als zu träge. Auf dem Dienstweg wurden Sofortmeldungen, Arbeitsberichte, Akten und Informationen weitergereicht; die Qualität zusammenfassender Informationen war zweifelhaft. Erfassungsabfragen zu Einzelpersonen mussten oft genug im Postkutschentempo nach Berlin und wieder zurückgeschafft werden. Erkenntnisse zu Personen oder Sachverhalten konnten nur mühselig in anderen Abteilungen abgefragt oder, wie geschildert, aus teilweise umfänglichen Akten herausdestilliert werden. Statistiken spiegelten vor allem die Zahl und Art der Vorgänge und damit im Wesentlichen das Arbeitspensum des Apparates, nicht das Geschehen an sich. Ganze Bevölkerungskreise wurden nach schematischen Vorgaben in Karteien überprüft. Zudem wurde eine nicht unbeträchtliche Zahl von Personen in Beobachtungsvorgängen erfasst. Eine Mehrheit betraf das offenbar, weil sie als NS-belastet galt, als ehemalige kommunistische oder sozialdemokratische Parteigänger verdächtig waren, als Übersiedler oder sonstige Personengruppen Risiken zu bergen schienen. Die einfachen Beobachtungsvorgänge erschöpften sich vielfach in simplen Ermittlungen an Wohnort und Arbeitsplatz. Doch erwies sich die schematische Sicht auf angeblich vorbelastete Personengruppen mit wachsendem Abstand zum Kriegsende als immer weniger aussagekräftig. Die Überprüfung von Biografien auf Verstrickungen in der Zeit des Nationalsozialismus war stärker als bislang angenommen eine wichtige Aufgabe des MfS. Aber der Versuch, ganze ländliche Kreise oder Betriebe nach derartigen Vorbelastungen oder anderen Klischees zu überwachen, war aufwendig und dennoch wenig ergiebig. Die Annahme, dass neofaschistische Kreise einen Putsch, ähnlich dem Volksaufstand von 1953, planen könnten, lief ins Leere. Angesichts der relativen Konsolidierung der DDR, des atomaren Patts und der Zentrifugalkräfte innerhalb des kommunistischen Lagers, stellte sich die Frage nach einer grundsätzlichen
268 Irmler, Werner u. a.: Die Analyse des Informationsflusses im einheitlichen System der politisch-operativen Auswertungs- und Informationstätigkeit des MfS. Diplomarbeit, Sept. 1965; BStU, MfS, ZAIG Nr. 14475, Bl. 73. 269 MfS: Protokoll der Kollegiumssitzung v. 1.4.1961; BStU, MfS, SdM Nr. 1957, Bl. 102– 150, hier 127.
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Neuausrichtung der Informationsarbeit im MfS. Was zunächst wie ein Konflikt der Parteiführung der SED mit der alten MfS-Führung unter Ernst Wollweber aussah, wurde zur Herausforderung für den gesamten Apparat.
4. Die kybernetische Idee von der systemsteuernden Information
In den 1960er-Jahren erhielt die Informationsverarbeitung im MfS eine neue Ausrichtung, die ganz im Zeichen der Wissenschaft von der Regelung und Steuerung von Systemen, der Kybernetik stand. Formal galt die neue Orientierung im MfS nur von der Mitte der 1960er-Jahre bis 1980. Jedoch verfügte der Ansatz, die Informationsverarbeitung mit wissenschaftlich-analytischen Methoden zu betreiben, über einen längeren Vorlauf und wurde modifiziert bis zum Ende des MfS verfolgt. Der Ansatz, die Informationsgewinnung, Weiterverarbeitung und Verteilung zu systematisieren, wurde allerdings bereits Mitte der 1970er-Jahre durch die massenhaften Personenüberprüfungen durchkreuzt. An die Stelle der Systematisierung trat zwischenzeitlich die Improvisation. Der unmittelbare kybernetische Schub dauerte daher im Kern nur ein Jahrzehnt, obwohl er durchaus länger wirkende Folgen hatte. Insofern ist hier vom langen kybernetischen Jahrzehnt die Rede. Nach der Ulbricht’schen Kritik Mitte der 1950er-Jahre geriet die Informations arbeit der Staatssicherheit vorübergehend in eine Krise.1 Infolge der personellen Einsparungen im Zuge der Entstalinisierungsdiskussionen nahm auch die Zahl der mit der Auswertung beschäftigten Mitarbeiter eine Zeit lang deutlich ab.2 Das sollte jedoch nur eine vorübergehende Delle bleiben. Nach dem Wechsel von Wollweber zu Mielke im Jahr 1957 konsolidierte sich die Informationstätigkeit. Mit der Festigung der Stellung Erich Mielkes, nunmehr als Minister, und der parteikonformen Neuausrichtung trat das MfS in eine Phase der fast zügellosen Apparateausdehnung. Auch die Auswerter-Bereiche schwollen ab 1958 personell wieder an.3 In der Führung war man sich, um stärker vorbeugend tätig werden zu können, einig, die »Arbeitsweise des MfS auf einigen Gebieten [zu] verändern«4 und zu untersuchen, »wo der Feind arbeitet«.5 Lange hatten die Hauptabteilungen des MfS direkt den jeweiligen Abteilungen der sowjetischen Staatssicherheit in Karlshorst unterstanden, die wiederum auf die Vorgaben aus den Hauptverwaltungen in Moskau hörten. Erst der langjährige Chefberater 1 Vgl. Engelmann; Joestel: Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe, S. 24 ff. 2 Vgl. Ebenda, S. 25. 3 Gieseke: Die hauptamtlichen Mitarbeiter, S. 553 ff.; Engelmann; Schumann: Kurs auf die entwickelte Diktatur, S. 27; Suckut: Generalkontrollbeauftragter der SED, S. 151–167. 4 MfS: Protokoll der Kollegiumssitzung v. 9.8.1960; BStU, MfS, SdM Nr. 1903, Bl. 26–35, hier 29. 5 Ebenda.
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des KGB in Ostberlin, Jewgenij Pitowranow, ging daran, in Karlshorst eine Beraterabteilung aufzubauen.6 Auch wenn damit eine bessere Koordinierung hergestellt wurde, scheint diese zunächst vor allem von den KGB-Beratern wahrgenommen worden zu sein. Im MfS war schon länger die Forderung nach einem eigenen »koordinierende[n] Zentrum«7 für die Informationen diskutiert worden. Erich Mielke forderte »eine zentrale Stelle«8 zur Zusammenfassung von Meldungen. Vieles spricht dafür, dass die Schwäche der Auswertung im MfS der frühen Jahre auch damit zusammenhing, dass Informationen vor allem von sowjetischen Stellen nach deren eigenem Bedarf analytisch aufbereitet wurden. Mielkes Forderung mündete zum einen in einer stärkeren Formalisierung und Strukturierung der Melde- und Berichtsordnung. Zum Zweiten, und in gewisser Hinsicht konkurrierend zum Meldesystem, wurden die Auswertungsbereiche in den Diensteinheiten ausgeweitet und deren Arbeit deutlich aufgewertet. Erstmals wurde 1965 mit dem Befehl Nr. 299/65 ein einheitliches Informationsverarbeitungssystem für das gesamte MfS geschaffen. Es sollte (mit einigen Veränderungen) 15 Jahre lang Bestand haben, bis der Vormarsch der Datenverarbeitung dessen grundlegende Modernisierung erforderlich machte.9 Das 1965 im MfS eingeführte »einheitliche System der politisch-operativen Auswertungs- und Informationstätigkeit« schien die Lösung für alle Probleme im Informationsverarbeitungssystem des MfS zu liefern. Es zielte im Wesentlichen auf folgende Punkte: –– Die Auswertungsbereiche im MfS wurden entscheidend und dauerhaft gestärkt. –– Systematisiert wurde die Art, wie Informationen »nach oben« aber auch zwischen den Bereichen des MfS weiterzugeben waren. Die Informationen wurden nicht nur mobiler, sondern nahmen auch zahlenmäßig zu und verstärkten damit den Informationsfluss. –– Alle wichtigen Informationen zu Personen und Sachverhalten sollten festgehalten und wieder auffindbar registriert und gespeichert werden. –– Die Aufbereitung und »Verdichtung« von Informationen sollten analytische Hinweise für die geheimdienstliche Arbeit geben. –– Statistische Befunde sollten wesentlich differenzierter erhoben werden und Analysen und Lagebilder verbessern.
6 Bailey; Kondratschow; Murphy: Die unsichtbare Front, S. 381 ff. 7 MfS: Protokoll der Kollegiumssitzung v. 20.3.1957; BStU, MfS, SdM Nr. 1551, Bl. 103–124, hier 110. 8 Ebenda, Bl. 120. 9 Befehl Nr. 299/65 v. 24.7.1965, über die Organisierung eines einheitlichen Systems der politisch-operativen Auswertungs- und Informationstätigkeit im Ministerium für Staatssicherheit. In: Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 141–149.
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Das neue Informationssystem bewirkte zudem eine gewisse inhaltliche Neuausrichtung des MfS. Auch wenn die Westarbeit ein wichtiger Zweig des MfS blieb, wurde das Augenmerk nun stärker auf die ganze Bandbreite der DDR-Binnenprobleme gerichtet.
4.1 Die kybernetische Utopie Es wäre verkürzt, das veränderte Informationsverarbeitungssystem des MfS in den 1960er-Jahren allein aus einem Überwachungswahn herzuleiten. Selbstverständlich hatten das Informationsbedürfnis von SED-Führung und das seitens der Leitung des MfS oberste Priorität. Das einheitliche System der Auswertungs- und Informationstätigkeit war jedoch auch von damaligen utopischen Vorstellungen inspiriert, die im sozialistischen System ein enormes Entwicklungspotenzial sahen und darauf setzten, dass sich die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse im Sozialismus harmonischer als in der Umbruchphase der 1950erJahre entwickeln würden. Mit dem V. Parteitag schrieb sich die SED 1958 das Ziel auf die Fahnen, den Westen wirtschaftlich zu überholen.10 Diese überzogene Vorstellung war mit Erwartungen an den wissenschaftlichen und technologischen Fortschritt verknüpft. Entsprechende Phantasien wurden nicht zuletzt dadurch beflügelt, dass es der Sowjetunion als erstem Staat gelungen war, einen Satelliten in die Erdumlaufbahn zu bringen (Sputnik-Schock). Diese Euphorie schloss die Rezeption der einst verpönten US-amerikanischen Kybernetik-Theorien ein. Nachdem sich die »Wissenschaft von den Steuerungsprozessen und den Phänomenen der Signalübertragung«11 mit mathematischen Methoden in der Sowjetunion etabliert hatte, war es nur eine Frage der Zeit, bis sie auch die DDR erreichen sollte. Die Kybernetik fand Eingang in den DDR-Siebenjahresplan von 1957, wurde 1961 als wissenschaftliche Disziplin institutionalisiert und parallel zu den Wirtschaftsreformen von 1963 auf dem VI. Parteitag von Walter Ulbricht persönlich hervorgehoben: »Die Kybernetik ist besonders zu fördern.«12 Gerade in den Aufbau- und Umbaujahren der DDR erwies es sich als schwierig, wirtschaftliche Prozesse zu steuern, ja überhaupt einmal ausreichend statistische Daten beschaffen zu können.13 Insofern nimmt es nicht Wunder, dass eine Steuerungstheorie zunächst wie eine Heilslehre wirken musste. Sie wies auch den Weg, die EDVgestützte Planung wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Prozesse zu unternehmen. 10 Steiner: Von Plan zu Plan, S. 110 ff.; Segal: Einführung der Kybernetik, passim. 11 Poletajew: Kybernetik, S. XXV. 12 Zit. nach: Segal: Einführung der Kybernetik. 13 Für die Phase von 1945 bis ca. 1960 vgl. Boldorf: Planwirtschaft, S. 133–216, hier 163; Fremdling, Rainer: Wirtschaftsstatistik und der Aufbau der Planwirtschaft. In: Ebenda S. 217–248, hier 247 f.
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Sogar die per Hand auswertbaren Lochkarten als Vorstufe der EDV, wie sie beim MfS praktische Anwendung finden sollten, waren von den kybernetischen Theoretikern vorgedacht.14 Die Kybernetik beschreibt dynamische Systeme mathematisch und mittels Modellen. Wesentlich ist das Modell eines Regelkreises, in dem gemessene Werte im Rahmen eines Rückkopplungskreises zu Korrekturen führen.15 Die Zielstellung wird auf diese Weise »regelmäßig geprüft und optimiert«,16 was zu einem Optimierungszirkel oder besser einer Optimierungsspirale führt. Der für die Informationsarbeit des MfS grundlegende Befehl Nr. 299/65 und weitere Anweisungen folgten diesem Grundgedanken in dreierlei Hinsicht: –– Erstens sollte die Informationsverarbeitung selbst kybernetisch optimiert werden. –– Zweitens sollte die gesamte Arbeit des MfS nach diesen Methoden ausgerichtet werden. –– Drittens sollte Leitern in Wirtschaft und Gesellschaft Wissen an die Hand gegeben werden, um eingreifen und damit Misswirtschaft, Missmanagement, sowie gesellschaftliche Unzufriedenheit, Unbotmäßigkeit und feindliche Angriffe möglichst präventiv verhindern zu können. Der wichtigste Exponent der Kybernetik in der DDR, Georg Klaus, hatte die eher naturwissenschaftlich orientierte sowjetische Kybernetik auf »alle gesellschaftlichen Bereiche«17 ausgedehnt. Indem er sie trickreich zu einem bloßen »Hilfsmittel«18 erklärte und damit dem Marxismus-Leninismus eindeutig unterordnete, machte er sie hoffähig. Auf diese Weise stärkte der kybernetische Impuls den Glauben an die Regulierungsfähigkeit gesellschaftlicher Probleme. Der Ansatz von Klaus räumte freilich »Teilsystemen«19 relative Freiheiten ein. Diese Lockerungstendenzen erregten zunehmend das Misstrauen in SED-Führungskreisen, was letztlich auch den kybernetisch inspirierten Wirtschaftsreformen Walter Ulbrichts den Garaus machte.20 Gegenüber der »liberaleren« Lesart der Kybernetik von Klaus und anderen21 verkörperte die des MfS eine eher au14 Poletajew: Kybernetik, S. 171 ff. Das Lochkartensystem zur Datenverarbeitung beruht letztendlich auf einer Erfindung des Deutsch-Amerikaners Herman Hollerith von 1889, der dazu auch Vorgängerlösungen z. B. aus der gewerblichen Weberei adaptierte. 15 Segal: Einführung der Kybernetik; Klaus; Buhr: Philosophisches Wörterbuch, Stichwort Kybernetik. 16 Klaus: Kybernetik und Gesellschaft, S. 212. 17 Ebenda, S. 31. 18 Ebenda, S. 29 f. 19 Ebenda, S. 213. 20 Steiner: DDR-Wirtschaftsreform, S. 116 ff., 183 ff., 409 ff., 558 f.; Klaus: Kybernetik und Gesellschaft, passim. 21 In der rechtstheoretischen Diskussion zum Beispiel wäre zu nennen Heuer: Demokratie und Recht im neuen ökonomischen System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft.
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toritäre Variante. Das Aufkommen kybernetischer Ansätze im MfS ging Hand in Hand mit der beschriebenen Ausdehnung der Überwachungsaufgaben seit Ende der 1950er-Jahre. Nach der Auffassung des gerade zum Minister aufgestiegenen Erich Mielke sollte das MfS zum Sensor für alles werden: »Kein Organ in der DDR hat solche Möglichkeiten, um die Partei zu unterstützen, zu helfen und Hinweise zu geben, wo mit welchen Methoden angepackt werden muss.«22 Beide Ansätze waren Spielarten einer mehr oder minder autoritären Gesellschaftsutopie, die davon ausging, gesellschaftliche Verhältnisse steuern und mittels kybernetisch verarbeiteter Erkenntnisse optimieren zu können. 4.1.1 Der Präventionsgedanke Mit dem Einzug der Kybernetik griff auch der Präventionsgedanke im MfS Raum. Damit folgte man der Auffassung, durch Prävention die gesellschaftlichen Verhältnisse optimieren zu können. So wurde es außerhalb der Geheimpolizei beispielsweise geradezu als Zweck der Strafverfolgung angesehen, »Ursachen und Bedingungen von Straftaten«23 aufzuspüren und zu beseitigen. Dahinter stand die utopische Hoffnung, die Kriminalität beseitigen zu können. Auch im MfS-Kollegium war um 1960 vermehrt die Frage zu hören, wie die »Arbeitsweise verändert werden kann, um mehr vorbeugend tätig zu werden«.24 Wenn schon systemisch gesteuert wurde, dann sollten Pannen oder »negative« Erscheinungen möglichst von vornherein vermieden werden. Es war kein geringerer als der einige Jahre zuvor zum ZAIG-Chef ernannte Werner Irmler, der mit zwei anderen Personen eine Dissertation zur Verbesserung der »prognostischen Tätigkeit als Bestandteil des Systems der Führungs- und Leitungstätigkeit im Ministerium für Staatssicherheit«25 verfasste. Im MfS entstanden in den 1960er- und frühen 1970er-Jahren mehrere Arbeiten, die sich explizit der kybernetischen Methode zur Lösung geheimpolizeilicher Fragen bedienten.26 Es ist nicht verwunderlich, dass sich damals gerade jüngere 22 Erich Mielke 1960, zit. nach: Suckut: Generalkontrollbeauftragter der SED, S. 155 f. 23 Strafprozessordnung der DDR, § 1 (2). 24 MfS: Protokoll der Kollegiumssitzung v. 9.8.1960; BStU, MfS, SdM Nr. 1903, Bl. 26–35, hier 29. 25 Irmler, Werner; Höhne, Manfred; Schäfer, Ewald: Die Weiterentwicklung und Qualifizierung des Systems der Führungs- und Leitungstätigkeit im Ministerium für Staatssicherheit. Potsdam 1970; BStU, MfS, ZAIG Nr. 7694. 26 Schwips, Dieter; Weidner, Norbert: Die algorithmische Darstellung einiger typischer Begehungsweisen von Grenzdurchbrüchen im Bereich der Staatsgrenze-West des Bezirkes Suhl und die Planung ihrer Untersuchung mittels kybernetischer Mittel und Methoden. Potsdam 1968; BStU, MfS, JHS MF Nr. 571; Käseberg, Claus: Die Bedeutung kybernetischer Denkmethoden für die politisch-operative Arbeit. Dargestellt durch die algorithmische Betrachtung von Delikten der schriftlichen Hetze. Potsdam 1970; BStU, MfS, JHS MF VVS 160-11/70; Kleine,
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MfS-Mitarbeiter von diesem neuen Trend inspirieren ließen. Kaum jemand stand konsequenter für die weitere Entwicklung der Auswertung, der EDV und des Regelwerkes des MfS als der 1930 geborene Werner Irmler.27 In dem Jahr, als das neue Informationsverarbeitungssystem im MfS in Kraft trat, erschien von ihm dazu in Ko-Autorenschaft eine erläuternde Arbeit im MfS. Zwar ging er nur am Rande explizit auf die Kybernetik ein. Das Bekenntnis zur »wissenschaftlichen Führungs- und Leitungstätigkeit« im Rahmen eines Informations- und Auswertungs-»Systems«28 verströmt jedoch geradezu kybernetischen Zeitgeist. Deren Kernaufgabe bestand in der wissenschaftlichen Analyse von Steuerungsprozessen. Irmler zitierte denn auch den bekanntesten Verfechter der Kybernetik in der DDR, Georg Klaus, mit einem seiner grundlegenden Aufsätze.29 Auch die Informationsweitergabe, das zentrale Thema der Auswerter, war eine Grundvoraussetzung kybernetischer Steuerungsprozesse. »Die einzelnen Teile [eines] Systems sind so miteinander verbunden, dass sie mithilfe von Signalen einander bestimmte Informationen über Prozesse übermitteln, die sich in ihnen abspielen.«30 Einige Jahre nach der Ausgabe des Befehls Nr. 299/65 forderte eine weitere MfS-Arbeit, den »Informationsbedarf« zu präzisieren.31 In der Theorie entwickelte sich dieser Informationsbedarf vor allem aus dem Regelsystem des MfS und aus den jeweiligen Erkenntnissen über die Lage. Nach Maßgabe des ermittelten Informationsbedarfes sollten die Leiter ihre Ressourcen mobilisieren und die Führungsoffiziere ihre inoffiziellen Mitarbeiter instruieren.32 Entsprechend teilte die ZAIG den Bezirksverwaltungen im Rahmen der Jahresplanung mit, auf welchen Informationsbedarf sie orientieren sollten. Der BVfS Halle wurde beispielsweise für 1973 vorgegeben, Erkenntnisse zum Notaufnahmeverfahren von Übersiedlern und Flüchtlingen in der Bundesrepublik sowie Informationen über die Transitwege zu sammeln und bis zu einem bestimmten Termin auszuwerten.33 Auch in den Kreisdienststellen erhielten die Auswerter Vorgaben, zu welchen Themen sie vorrangig Lageberichte erstellen sollten. In Nauen waren das unter anderem die Probleme bei der Sicherung der Agrarflüge, die Beziehungen zum benachbarten Alfred; Burkert, Wolfgang; Jeschke, Heinz: Das System des Geheimnisschutzes in ausgewählten Bereichen strukturbestimmender Zweige der Volkswirtschaft der Deutschen Demokratischen Republik. Dissertation. Potsdam 1968; BStU, MfS, JHS Nr. 21786. 27 Wer war wer in der DDR?, S. 453. 28 Irmler, Werner; Großer, Karl: Die Analyse des Informationsflusses im einheitlichen System der politisch-operativen Auswertungs- und Informationstätigkeit des MfS. Diplomarbeit. 1965; BStU, MfS, ZAIG Nr. 14475, Bl. 5. 29 Klaus; Schnauß: Kybernetik und sozialistische Leitung, S. 93 ff. 30 Poletajew: Kybernetik, S. 13. 31 MfS/ZAIG, Schwock, Lothar: Analyse über den Stand der Informationsgewinnung im Verhältnis zum Informationsbedarf, 19.7.1972; BStU, MfS, ZAIG Nr. 20770, Bl. 2–85. 32 Ebenda, S. 58 ff. 33 MfS/ZAIG: Planorientierung für das Planjahr 1973 v. 3.1.1973; BStU, MfS, ZAIG Nr. 7842, Bl. 1–75, hier 47.
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Westberliner Bezirk Spandau oder der Themenkreis der Fußballstörer.34 Unabhängig vom jeweils aktuellen Informationsbedarf existierten in späteren Jahren für die einzelnen Bereiche, wie beispielsweise die Strafermittler der HA IX beziehungsweise die HA IX/AKG, umfangreiche Anweisungen zu »inhaltlichen Schwerpunkten«35 der Auswertungstätigkeit. Während den IM die Funktion von Sensoren zugewiesen wurde, sollten die von den Auswertern verarbeiteten Erkenntnisse den Leitern der Diensteinheiten Hilfen an die Hand geben, die Schwerpunkte ihrer Arbeit zu bestimmen und den weiteren Mittel- und Kräfteeinsatz entsprechend planen zu können.36 Diese Vorstellung von »wissenschaftlicher Führungstätigkeit«37 war im Grunde nichts anderes, als die an kybernetischen Prinzipien ausgerichtete Steuerung des MfS-Apparates.38 Voraussetzung sei eine »ständige Analyse«39 des Verantwortungsbereiches. Diese Führungsausrichtung im MfS führte zu einer Flut von Analysen. Insbesondere aus den Jahresanalysen sollten die künftigen Aufgaben abgeleitet werden und nach Zwischenschritten zu Maßnahmeplänen führen, in denen jedem Mitarbeiter, jedem Vorgang und jedem IM jeweils Aufgaben für die nächste Zeit zugewiesen werden sollten.40 Eine explizit systemtheoretische Arbeit zur Bedeutung der Information für die politisch-operativen Leitungstätigkeit verfassten 1968 zwei Offiziere, die eine maßgebliche Rolle in der ZAIG spielen sollten. Ihr Resümee laute, dass das »System der politisch operativen Arbeit nur dann funktionieren [werde], wenn ein Austausch notwendiger Informationen zwischen ihren Teilsystemen und Elementen stattfindet«.41 Bezeichnend für das kybernetische Denken im MfS-Befehl Nr. 299/65 war die Aufforderung, Schwächen und Mängel in der bisherigen Arbeit aufzuzeigen.42 Defizite in der zielgerichteten IM-Arbeit, Lücken in der Sicherung von Schwer34 BV Pdm/KD Nauen: Konzeption v. 13.6.1989; BStU, MfS, ZAIG Nr. 19449, Bl. 6–10, hier 10. 35 MfS/HA IX: Hinweise v. 1.7.1981; BStU, MfS, HA IX Nr. 5462, Bl. 1–268. 36 Irmler, Werner; Großer, Karl: Die Analyse des Informationsflusses im einheitlichen System der politisch-operativen Auswertungs- und Informationstätigkeit des MfS. Diplomarbeit. 1965; BStU, MfS, ZAIG Nr. 14475, Bl. 8. 37 MfS: Befehl Nr. 299/65 v. 24.7.1965, Anlage 1 z. Befehl; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 3904, S. 5. 38 Der DDR-Theoretiker der Kybernetik, Georg Klaus, beschrieb Führung im Sozialismus als einen kybernetischen Prozess. Vgl. Klaus: Kybernetik und Gesellschaft, S. 212 f. 39 Irmler, Werner; Großer, Karl: Die Analyse des Informationsflusses im einheitlichen System der politisch-operativen Auswertungs- und Informationstätigkeit des MfS. Diplomarbeit. 1965; BStU, MfS, ZAIG Nr. 14475, Bl. 9. 40 MfS/ZAIG: Protokoll v. 4.10.1967; BStU, MfS, ZAIG Nr. 17733, Bl. 281–316, hier 295. 41 Bausch, Karl; Bochmann, Harry: Die Information als immanenter Bestandteil der politisch-operativen Arbeit und deren Leitung. Potsdam 1968; BStU, MfS, JHS Nr. 21783, Bd. 1, Bl. 12. Die Obristen K. Bausch und H. Bochmann waren beide promoviert und bis zur Auflösung des MfS jeweils als Abteilungs- und zugleich stellvertretende Leiter der ZAIG tätig. 42 MfS: Befehl Nr. 299/65 v. 24.7.1965 Anlage 2 zum Befehl; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 3905, S. 49 ff.
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punktobjekten oder Versäumnisse bei der Kontrolle bestimmter Personenkreise sollten diagnostiziert werden, um korrigierende Impulse setzen zu können. Die Analyse der eigenen Arbeit war damit Teil eines steten Optimierungsprozesses. In seiner späteren Dissertation beschäftigte sich Werner Irmler mit Fragen der Prognose und Verbeugung. Es ging ihm darum, nicht allein den Ist-Stand zu beschreiben, sondern feindliche Entwicklungen zu antizipieren und dadurch besser bekämpfen zu können.43 Nicht nur Gesetzesverstöße, sondern solche Verstöße »begünstigende Bedingungen«44 wie Bürokratismus, Schlendrian, Diszi plinlosigkeit, Verstöße gegen die Wachsamkeit, Geheimhaltung oder angeblich negative Beeinflussung von Jugendlichen durch ausländische Sender aber auch vermeintliche Mängel der erzieherischen Einwirkung durch Arbeitskollektive und durch familiäre Umstände sollten aufgezeigt werden. Der »Sensor« MfS sollte damit der Impulsgeber zur Behebung nahezu jedweden Missstandes werden. Informationen über »die Entwicklung der [die] sozialistische Gesellschaft hemmenden Einflüsse und Faktoren«45 waren zudem an leitende Partei- und Staatsfunktionäre weiterzuleiten. So wie die Kybernetik die Informationsverarbeitung des MfS durch den Befehl Nr. 299/65 inspirierte, sollten die vom MfS erarbeiteten Informationen den Optimierungszyklus auf gesamtgesellschaftlicher Ebene stimulieren. Wenn das MfS in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft Missstände ausmachte, hatte es den jeweils zuständigen Leiter darüber zu informieren, damit dieser Abhilfe schaffen konnte. Wenn der dem Ratschlag des MfS nicht folgen mochte, blieb dem MfS die Möglichkeit, die Leitung der SED im Kreis, im Bezirk oder, auf DDR-Ebene, die zentrale Parteiführung zu informieren. Die Information an die jeweils höchsten Parteiführer und Staatsvertreter, in Form von sogenannten Partei-Informationen, waren nicht einfach eine Pflicht der Geheimpolizei gegenüber der übergeordneten Partei.46 Sie dienten im Sinne des kybernetischen 43 Höhne, Manfred; Irmler, Werner; Schäfer, Ewald: Die Weiterentwicklung und Qualifizierung der prognostischen Tätigkeit als Bestandteil des Systems der Führungs- und Leitungstätigkeit im Ministerium für Staatssicherheit. Dissertation. Potsdam 1970; BStU, MfS, ZAIG Nr. 7694. 44 MfS: Befehl Nr. 299/65 v. 24.7.1965 Anlage 2 zum Befehl; BStU, MfS, BdL/Dok. Nr. 3905, S. 45 ff. 45 MfS: Befehl über die Informationstätigkeit des MfS an leitende Partei- und Staatsfunktionäre, o. D. (vermutl. 1974); BStU, MfS, ZAIG Nr. 22927, Bl. 1–34, hier 1. Es ist nicht ersichtlich, ob der Befehl erlassen wurde, es liegt lediglich ein Entwurf vor. 46 MfS: Befehl über die Informationstätigkeit des MfS an leitende Partei- und Staatsfunktionäre. o. D. (vermutl. 1974); ebenda. Exemplarisch zeigt eine Statistik der BVfS Karl-MarxStadt, dass Partei-Informationen vor allem an den 1. und den 2. SED-Bezirkssekretär und nur gelegentlich an den Vorsitzenden des Rates des Bezirkes gingen. Im Herbst 1989 wurden die schriftlichen Informationen täglich durch mündliche Berichte zur Lage ergänzt. MfS/ZAIG: Informationstätigkeit an leitende Partei und Staatsfunktionäre, 4.11.1989; BStU, MfS, ZAIG Nr. 16469, Bl. 16–21. Von der BVfS Erfurt wurden 1987 insgesamt 603 Informationen und 1988 insgesamt 682 Informationen schriftlich an die SED-Bezirks- bzw. -Kreisleitungen im Bezirk gegeben. BStU, MfS, ZAIG Nr. 18958, Bl. 3–5, hier 4. In diesem Zusammenhang sei darauf
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Modells der Verbesserung der gesamtstaatlichen Abläufe unter Führung der SED. Die Partei konnte propagandistisch oder mit Weisungen eingreifen, nicht selten reagierte sie mit Kaderveränderungen, der Ab- und Umsetzung von Personal. Da ein entsprechender Regelungszyklus offenbar auf alle gesellschaftlichen Bereiche gleichermaßen angewendet werden sollte, wundert es nicht, dass sich ähnliche Überlegungen in vielen Weisungen und Arbeiten des MfS finden.47 Beispielhaft wird dieser Zyklus in einer Arbeit zur Verbesserung der Arbeit in den Kreisdienststellen beschrieben: »Wo andere Organe und Einrichtungen ihrer Verantwortung nicht oder nicht voll gerecht werden, [ist] durch die Kreisdienststellen de[r] 1. Sekretär der Kreisleitung der SED darüber zu informieren, um so zu konkreten Veränderungen zu kommen.«48 Der Modellvorstellung lag offenbar der Glaube zugrunde, dass die SED auf Basis von MfS-Informationen Probleme aller Art richten könne. Die Übergabe der Informationen an den 1. Sekretär der Kreisleitung der SED muss vor allem mit dem Ziel erfolgen, die zuständigen Parteiorganisationen auf negative Erscheinungen, Hemmnisse, Missstände und Mängel bei der Durchsetzung der Beschlüsse der Partei und der staatlichen Aufgaben in ihrem Bereich aufmerksam zu machen, damit durch die Kraft der Parteiorganisationen auf deren Überwindung und Beseitigung Einfluss genommen werden kann.49
Die hohe Zeit der Kybernetik ging Ende der 1960er-Jahre zeitgleich mit der wirtschaftlichen Reformpolitik Ulbrichts zu Ende.50 Dennoch hinterließ das kybernetische Herangehen in der Informationsarbeit des MfS langfristig Spuren. Der jahrelang tätige Leiter der ZAIG, Werner Irmler, und seine Mitarbeiter waren durch dieses Denk- und Organisationsmodell nachhaltig beeinflusst. Es blieb der Impuls, immer mehr Einzelinformationen zu generieren und weiterzuverarbeiten. Künftige Veränderungen in der Informations- und der Vorgangsarhingewiesen, dass die Forschungsabteilung des BStU ein Projekt der Edition der zentralen MfSPartei-Informationen an die SED-Spitzenfunktionäre betreibt. Die Publikation erfolgt sukzessive nach Berichtsjahr unter dem Titel: Die DDR im Blick der Stasi. Hg. von Münkel, Daniela. 47 Beispielsweise ging die spätere MfS-Anweisung zu Sicherheitsüberprüfungen (RL Nr. 1/82) davon aus, dass zunächst der zuständige Leiter der staatlichen oder wirtschaftlichen Institutionen von Sicherheitsbedenken gegen eine Personalentscheidung zu informieren sei. Wenn dieser, obwohl im Prinzip frei in seiner Entscheidung, den Empfehlungen des MfS nicht folgte, blieb dem MfS die Option, durch übergeordnete Instanzen seinen Willen doch noch durchzusetzen. BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 7418, S. 38. Ähnlich erlaubte die Richtlinie zu operativen Personenkontrollen (OPK-RL Nr. 1/71), präventiv Personalentscheidungen herbeizuführen, wenn Sicherheitsbelange betroffen waren. Abgedruckt in: Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 198–217, hier 216. 48 Gehlert, Siegfried; Janzen, Heinz; Hempel, Manfred; Fischer, Karl: Forschungsgruppe Kreisdienststellen. Die weitere Qualifizierung und Vervollkommnung der politisch-operativen Arbeit der Kreisdienststellen. Potsdam 1973; BStU, MfS, JHS Nr. 21931, Bl. 293 f. 49 Ebenda, Bl. 297 f. 50 Klaus: Kybernetik und Gesellschaft, passim.
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beit sollten stärker als zuvor aufeinander abgestimmt werden und systematisch ineinandergreifen. Es blieb die Hoffnung, durch mehr Information und deren analytische Auswertung die Arbeit des eigenen Apparates zu verbessern und die gesellschaftlichen Verhältnisse steuern, ja beherrschen zu können. Damit ging eine Fortschrittsgläubigkeit einher, die jede Fehlentwicklung auf ausschaltbare Störfaktoren zurückführte, aber durchaus zeitgleich blind für grundlegende Fehler des eigenen Systems machen konnte. Auch wenn explizit kybernetische Begrifflichkeiten verschwanden, blieben Grundansätze des kybernetischen Denkens beispielsweise in der Formulierung von der »wissenschaftlichen« Leitung und Planung erhalten, die die Kopplung von Leitungsentscheidungen an Erkenntnisse aus der Informationsauswertung herstellte. 4.1.2 Die Kybernetiker im MfS Mit exemplarischen Kurzbiografien anhand von Personalunterlagen des MfS sollen einige Vertreter des Führungspersonals der ZAIG aus der Generation der Kybernetiker porträtiert werden: Werner Irmler war von 1965 bis 1989 der Leiter der ZAIG und hatte zum Schluss den Rang eines Generalleutnants inne. Der im Jahr 1930 in Niederschlesien geborene Irmler ersetzte seine durch Krieg und Flucht/Vertreibung nicht abgeschlossene Kaufmannslehre nach dem Krieg im Land Brandenburg durch eine Lehre zum Forstarbeiter. Charakteristisch ist für ihn der nachfolgend durch erfolgreiche Bildungsgänge schnell vollzogene Aufstieg zum Förster und schließlich zum Referenten im Landwirtschaftsministerium des Landes Brandenburg.51 Nach Einstellung in der BVfS Potsdam des MfS 1952 nutzte er Bildungsmöglichkeiten der SED, absolvierte ein Fernstudium an der JHS des MfS und promovierte dort 1970 mit einer einschlägigen kybernetischen Arbeit. Parallel dazu engagierte er sich in der SED, ließ sich im MfS in die Leitung von SED-Grundorganisation (GO) und SED-Kreisleitung (KL) wählen. Von der BVfS Potsdam wurde er zunächst in die HA IX/3 versetzt, die damals für die Anleitung/Kontrolle der BVfS auf der Linie IX zuständig war. Sein erster Vorgesetzter in Potsdam bestätigte ihm früh ein »sehr gutes Auffassungsvermögen«.52 Ab 1957 begann Irmlers Tätigkeit in der Informationslinie des MfS, damals als Abteilung Information des Ministeriums organisiert. Eine Umstrukturierung der HV A ging mit einer Ausgliederung des Bereiches zur Information der SED-Führung einher. Dieser wurde 1959 mit 51 Die biografischen Angaben beruhen auf BStU, MfS, HA KuSch, Kaderkarteikarte; MfS: Minister für Staatssicherheit, Vorlage v. 3.1.1977; BStU, MfS, SdM Nr. 665, Bl. 117–126; MfS/ ZAIG: Beurteilung v. 26.4.1963; BStU, MfS, HA KuSch Nr. 24843/90, Bl. 74 f. 52 MfS/HA KuSch: Attestationsblatt v. 15.11.1952; BStU, MfS, HA KuSch Nr. 24843/90, Bl. 52 f.
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der Abteilung Information des MfS zur Zentralen Informationsgruppe (ZIG) vereinigt und unter die Leitung des vormaligen HV-A-Mannes Oberst Robert Korb gestellt. Irmler musste daher von 1959 bis 1965 in der Position des Stellvertreters der ZIG verharren. Die Belobigungen seines Vorgesetzten lesen sich wie ein Kurzprogramm der Kybernetik. Irmler versuche »Kettenglieder zu finden, die erfasst werden müssen, um die analytische Arbeit, die operative Verwertung und informative Verwertung der Materialien des MfS ständig zu verbessern«.53 Oberst Rudi Taube war zuletzt der 1. Stellvertreter von Werner Irmler und zugleich Leiter des Bereichs 1 der ZAIG. Der ehemalige kaufmännische Angestellte begann, offenbar durch einen Verwandten protegiert, eine Karriere bei der SED in Sachsen. Er galt seither als der »Partei treu ergeben«54 und hatte zeitweilig das Amt des Sekretärs der SED-GO der ZAIG inne. Taube kam über eine IM-Tätigkeit 1957 zum MfS. Nach einem Lehrgang bei der Hauptverwaltung A wurde er für diese getarnt in einem Institut tätig und absolvierte unter anderem Einsätze in der Bundesrepublik. Mit der Übernahme der ZIG durch den vormals stellvertretenden HV-A-Leiter Korb wechselte auch Taube dorthin. Er wurde wegen seines »guten Einschätzungsvermögen[s] und seiner Fähigkeit, das Wesentliche vom Unwesentlichen zu unterscheiden«, geschätzt und qualifizierte sich an der Parteihochschule Karl Marx zum Diplomgesellschaftswissenschaftler. Zu seinen Tätigkeiten zählte, für die Partei- und Staatsführung Informationen zusammenzustellen. Für Minister Mielke arbeitete er für dessen Auftreten nach außen Dokumente, Referate und andere Materialien »mit hoher Qualität« aus.55 Oberst Günter Hackenberg war 1989 der stellvertretende Leiter der Abteilung Auswertung und Information der ZAIG, in der Diensteinheit als Bereich 1 bezeichnet. Hackenberg, 1931 in Schlesien geboren, kam über die Deutsche Grenzpolizei 1952 in die KDfS Haldensleben des MfS, in der er bis zum Kreisdienststellenleiter aufstieg. Obschon er bei Kriegsende nur einen Volksschulabschluss vorzuweisen hatte, nutzte er offenbar mit Erfolg die Lehrgangsmöglichkeiten im MfS, wo ihm »intensiv[e] und aufmerksam[e]« Beteiligung bescheinigt wurden. Nach einem dreijährigen Qualifizierungslehrgang wurde er wegen guter bis sehr guter Leistungen prämiert. Wenn er auch als etwas überheblich galt, bescheinigt man ihm, Schwerpunkte zu erkennen und über die Voraussetzung zu verfügen »leitend zu arbeiten«. Deswegen sollte er erneut mit einer Kreisdienststellenleitung betraut werden, wurde aber durch Intervention eines Ministerreferenten 1967 für die ZAIG rekrutiert, die offenbar 53 MfS/ZAIG: Vorschlag v. 25.3.1964; ebenda, Bl. 76–78, hier 76. 54 MfS/ZAIG: Vorschlag v. 7.7.1964; BStU, MfS, HA KuSch Nr. 18966/90, Bl. 86–89. 55 Die biografischen Angaben beruhen auf MfS/HA KuSch: Charakteristik, o. D. (vermutl. Anfang der 1950er-Jahre); BStU, MfS, HA KuSch Nr. 18966/90, Bl. 60; MfS/Abt. V: Einschätzung v. 9.12.1957; ebenda, Bl. 67; MfS/ZAIG: Vorschläge zur Prämierung, o. D. (vermutl. Juli 1961); ebenda, Bl. 77; MfS/ZAIG: Beurteilung v. 4.4.1963; ebenda, Bl. 82 f.; MfS/ZAIG: Vorschlag v. 7.7.1964; ebenda, Bl. 86–89; MfS/ZAIG: Vorschlag v. 15.12.1973; ebenda, Bl. 106; MfS/ZAIG: Vorschlag v. 11.5.1989; ebenda, Bl. 130–132.
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Interesse an diesem durchsetzungsfähigen Kader fand. In der ZAIG entwickelte Hackenberg das einheitliche System der operativen Statistik fort und machte sich um Informationen für die Partei und das Erarbeiten von Führungsdokumenten verdient. Nach Irmlers Einschätzung hatte er einen wesentlichen Anteil an der Erarbeitung von Materialien, die für »den erfolgreichen Verlauf« der Verhandlungen zwischen dem Stellvertreter des Ministers für Auswärtige Angelegenheiten der DDR und dem Leiter der Ständigen Vertretung der BRD bedeutsam waren.56 Oberst Lothar Schwock war von dessen Gründung im Jahr 1975 an der Leiter des Bereiches 4 der ZAIG. Die Abteilung beschäftigte sich im Wesentlichen mit Grundsatzfragen der »Weiterentwicklung und Qualifizierung« der Tätigkeit der ZAIG, der einschlägigen Anleitung der KDfS und bestritt den MfS-Anteil an Aufbau und Informationszulieferung an die SOUD-Datenbank. Schwock, 1937 in Ostpreußen geboren, trat dem MfS 1956 bei. Im Vergleich zum damals vorherrschenden Bildungsniveau in der Staatssicherheit, war er mit abgeschlossenem Abitur und einem zweijährigen Studium an der JHS im MfS schon fast ein Intellektueller. In Beurteilungen wurden sein Allgemeinwissen und seine überdurchschnittliche Intelligenz hervorgehoben. Das waren wohl die Gründe dafür, dass Schwock, der zunächst in einer Kreisdienststelle geheimpolizeilich arbeitete, 1960 in die neu gegründete Informationsgruppe in der BVfS Frankfurt/Oder wechseln konnte und dort bis zum Leiter dann der AIG aufstieg. Seine analytischen Fähigkeiten und seine Zuarbeiten für die SED-Bezirksleitung wurden hervorgehoben. Im Jahr 1972 wurde er in die ZAIG in Berlin versetzt. Schwock war bildungsbeflissen. Er nahm 1964 ein Fernstudium im Fach Kriminalistik an der HUB auf und absolvierte es erfolgreich. 1980 promovierte er mit einer Arbeit über die geheimdienstliche Analytik.57 Bei seinem Aufstieg nützte ihm sicher seine Fähigkeit, sich leicht in neue Inhalte einarbeiten zu können. Dienlich war vermutlich auch, dass Gerhard Neiber, ehemals Frankfurter BVfS-Leiter, später zu einem der Stellvertreter Mielkes aufstieg.58 Alle geschilderten Fälle betreffen Vertreter einer Generation, die in die DDR hineinwuchs und auf die alte Garde der Aufbaugeneration folgte. Sie wussten die ihnen in den ersten Jahren der DDR gebotenen Bildungs- und Aufstiegschancen zu nutzen. Einige wiesen Flüchtlingsbiografien auf, einige engagierten sich früh 56 Die biografischen Angaben beruhen auf Personalfragebogen v. 18.1.1956; BStU, MfS, HA KuSch Nr. 21182/90, Bl. 156–163; MfS/BV Mgb: Beurteilung v. 6.11.1956; ebenda, Bl. 78; BV Magdeburg/KD Haldensleben: Beurteilung v. 30.3.1962; ebenda, Bl. 90; MfS/JHS: Vorschlag v. April 1967; ebenda, Bl. 100 f.; MfS/ZAIG: Vorschlag v. 30.8.1968; ebenda, Bl. 107; MfS/HA KuSch: Qualifizierungsnachweis v. 15.5.1976; ebenda, Bl. 126; MfS/ZAIG: Vorschlag v. 14.11.1978; ebenda, Bl. 132; MfS/HA Kusch: Vermerk v. 11.8.1967; ebenda, Bl. 267. 57 Schwock, Lothar, u. a.: Die weitere Entwicklung und Vervollkommnung der analytischen Arbeit als Bestandteil der politisch-operativen Arbeit und deren Leitung im MfS. Dissertation. Potsdam 1980; BStU, MfS, JHS Nr. 21903. 58 Die biografischen Angaben beruhen auf BV FfO/Abt. KuSch: Beurteilung v. 17.2.1964; BStU, MfS, HA Kusch Nr. 21479/90, Bl. 48 f.; MfS/BV FfO: Vorschlag zur Ernennung v. 10.3.1966; ebenda, Bl. 50 f.
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in der SED. Gemein scheinen ihnen für MfS-Verhältnisse überdurchschnittliche intellektuelle Fähigkeiten. Sie waren erkennbar bildungsbereit und offenbar durchaus selbstbewusst und durchsetzungsfähig. In der Konsequenz wurden aus ihnen zwar keine ausgebildeten Mathematiker, Kybernetiker oder Ähnliches, aber sie waren für Neuerungen und Veränderungen aufgeschlossen und wollten das Informationssystem der Staatssicherheit optimieren. 4.1.3 Vorstufen des neuen Informations- und Auswertungssystems Den »erste[n] Schritt«59 zur Systematisierung der Informations- und Auswertungstätigkeit vollzog das MfS um das Jahr 1960. Die Abteilung Information im Ministerium wurde schon 1959 zur Zentralen Informationsgruppe (ZIG) aufgewertet und unterstand dem Minister direkt. Sie sammelte nicht nur Informationen, sondern koordinierte (seinerzeit für die Abwehr und die Aufklärung) die gesamte Informationsarbeit im MfS. Mit dem Befehl Nr. 584/60 zur Verbesserung der Informationsarbeit im MfS wurden grundlegende strukturelle und inhaltliche Regelungen getroffen. Nicht zuletzt wurden in den geheimpolizei lichen Diensteinheiten der Zentrale und in den Bezirksverwaltungen gesonderte Informationsgruppen eingerichtet oder gestärkt.60 Auch die Kreis- und Objektdienststellen sollten ab 1965 mit mindestens einem Auswerter ausgestattet sein.61 Dieses Informationssystem war auf regionaler wie zentraler Ebene stark mit der Berichterstattung an die jeweilige SED-Ebene verzahnt, um den Vorwurf der Verselbstständigung des MfS gar nicht erst aufkommen zu lassen.62 Parallel dazu wurde seit 1960 in manchen Bereichen des MfS, vor allem bei der klassischen Abwehr (HA II) und bei der für den inneren Feind zuständigen Linie V (später XX), mit neuen Formen der Informationsverarbeitung experimentiert, die 1965 auf das MfS insgesamt übertragen werden sollten. Zu den Innovationen zählte die Stärkung der Informationsarbeit, die mit der von der SED geforderten Hinwendung des MfS zur inneren Feindbekämpfung einherging. Ein dazu neu eingesetztes Kerblochkarteisystem wurde zunächst bei der »Verbesserung der Abwehrarbeit gegen die politisch-ideologische Diversion und Untergrundtätigkeit«63 erprobt. 59 Engelmann; Joestel: Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe, S. 26. 60 MfS: Befehl Nr. 584/60 v. 7.12.1960, abgedruckt in: Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 132–136. 61 MfS: Befehl Nr. 299/65 v. 24.7.1965 über die Organisierung eines einheitlichen Systems der politisch-operativen Auswertungs- und Informationstätigkeit im Ministerium für Staatssicherheit, abgedruckt in: Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 141–149, hier 144. 62 MfS: Befehl Nr. 584/60; ebenda, S. 135. 63 MfS: Direktive zur Verbesserung der Abwehrarbeit gegen die politisch-ideologische Diversion und Untergrundtätigkeit v. 3.2.1960, abgedruckt in: Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 126–128.
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Diese Schwerpunktsetzung erfolgte im Kontext mit der Bekämpfung mutmaßlich ideologischer Aufweichungen nach 1956 und der sich zuspitzenden Unzufriedenheit der Bevölkerung in der Zeit vor dem Mauerbau. Zu »Hetz«-Losungen, -Schmierereien und -Schreiben sowie Terrorhandlungen sollten Sofortmeldungen erfolgen. Für jedes Quartal sollten aus den Regionen Lageberichte zu komplexen Gruppenbildungen von ehemaligen SPD- und SED-Mitgliedern, NS-Belasteten, zur Zersetzungstätigkeit und zum Widerstand, der staatsgefährdenden »Hetze« und zu Waffenfunden zusammengestellt werden. Damit unternahm die Linie V »große Anstrengungen, um die feindliche[n] Einflüsse sichtbar zu machen«.64 Bezeichnend für die Akzentverschiebung war, dass die »feindlichen Verbindungen« in den Westen, die in den 1950er-Jahren noch als vorrangig angesehen wurden, jetzt auf Platz fünf des Informationsbedarfes rückten. Es war wichtiger, dass die jeweils zuständige Abteilung V in den Bezirken nunmehr »ständig einen genauen Überblick über die Feindtätigkeit«65 hatte.
4.2 Das Kerblochkarteikarten-System des MfS 4.2.1 Zur Informationstechnologie der Kerblochkarten und Kerblochkartei Der Befehl Nr. 584/60 zur Verbesserung der Informationsarbeit im MfS bot offensichtlich Raum für eigenständige und neuartige Lösungsansätze zur Informationsverarbeitung einzelner Hauptabteilungen. So richtete die Hauptabteilung V des MfS 1960 zur Stärkung der analytischen Arbeit eine Auswertergruppe ein, die »alle«66 Akten der politisch-ideologischen Diversion und Untergrundhandlungen in einem Kerblochkarteisystem erfassen und analysieren sollte. Dazu sollten entsprechende Vorfälle von den Bezirksverwaltungen gemeldet werden.67 Derartige Kerblochkarteisysteme hatten sich aus frühen mechanischen, lochkartengesteuerten Automaten wie Drehorgeln oder bestimmten Webstühlen entwickelt und waren seit den 1920er-Jahren in der Bürodatenverarbeitung gebräuchlich.68 Die Kerblochkarten erlauben durch eine Kombination von geschriebenen Daten zu Personen oder Sachverhalten auf der Karte und Lochungen der Karte eine Codierung von Informationen.
64 MfS: Protokoll der Kollegiumssitzung v. 13.1.1961; BStU, MfS, SdM Nr. 1557, Bl. 1–39, hier 23. 65 MfS: Direktive zur Verbesserung der Abwehrarbeit gegen die politisch-ideologische Diversion und Untergrundtätigkeit v. 3.2.1960. In: Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 128. 66 MfS: Schreiben an die Leiter der Bezirksverwaltungen v. 21.11.1960; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 2626, Bl. 11–13, hier 11. 67 Ebenda. 68 Booß: Stasi-Karteien, S. 166–168.
Das Kerblochkarteikarten-System des MfS
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Die Ränder der im MfS eingesetzten Randlochkarten trugen umlaufend auf allen vier Seiten eine Doppellochreihe, deren Lochpaare jeweils gemeinsam (tief) oder nur außen (flach) zum Kartenrand hin mit einer Kerbung eröffnet werden konnten. Die Lochpaare waren durch Aufdrucke zu alphanumerisch gekennzeichneten Gruppen unterschiedlichen Umfanges zusammengefasst und gleichzeitig konkret adressiert. Zur Codierung einer Information musste nun die Adresse (Position) eines jeden Lochpaares in Kombination mit den zwei aktiven Kerbungsmöglichkeiten sowie der Kerbungsunterlassung mit einer entsprechenden Vereinbarung aufgefüllt werden. Die geltenden Codierungsvereinbarungen mussten für alle Anwender verbindlich in einem Katalog oder Handbuch (Schlüsselplan) hinterlegt und in entsprechender Auflage allen Nutzern für Codierung (Kerbung) und Recherche zur Verfügung gestellt werden. Diese Kerbungen ermöglichten die zwar manuelle aber dennoch quasi-automatisierte Auswertung. Dazu wurden die Kerblochkarten im Block in ein dazu vorgesehenes Gestell gegeben und Nadeln durch die Lochung der jeweils relevanten Merkmalsstelle geschoben. Ein Ausheben oder Stürzen des so genadelten Kartenblocks bewirkte ein Trennen der gekerbten und der nicht gekerbten Karten voneinander. Die Informationstrennung vollzog sich, indem die gekerbten, relevanten Karten einfach aus dem Stapel herausfielen, da deren Lochung zum Rand hin aufgebrochen war. Der Prozess des Nadelns ließ sich je nach Suchkriterien mehrfach wiederholen. »Damit soll erreicht werden, dass durch bessere Analysierung und neue Methoden schneller die Angriffspunkte des Feindes erkannt werden.«69 Das Auswertungsverfahren erlaubte, einzelne Phänomene oder Ereignisse quantitativ besser zu gewichten. Im MfS hoffte man, dadurch die »Schwerpunkte der Hetz- und Zersetzungstätigkeit des Gegners« und die »vom Klassengegner angewandten Mittel und Methoden«70 herausfinden zu können. Der damalige Leiter der ZIG, Robert Korb, sah nicht nur eine Verbesserung der Informationstätigkeit, sondern »eine Wende von der Berichterstattung zur analytischen Tätigkeit« hin.71 Angestrebt war, differenzierter als mithilfe der bisherigen Vorgangsstatistiken, die sich an den klassischen Straftatbeständen oder Vorgangsarten orientierten, Häufungen bestimmter staatsfeindlichen Bestrebungen analytisch identifizieren zu können. Die Experimentalphase des neuen Informationssystems verlief Anfang der 1960er-Jahre nicht ohne Probleme und bewirkte teilweise das Gegenteil des Beabsichtigten. Die Berichterstattungspflichten gingen von den Bedürfnissen der Zentrale aus, absorbierten aber beträchtliche Kapazitäten auf der regionalen 69 MfS: Protokoll der Kollegiumssitzung v. 13.1.1961; BStU, MfS, SdM Nr. 1557, Bl. 1–39, hier 23. 70 MfS: Schreiben an die Leiter der Bezirksverwaltungen v. 21.11.1960; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 2626, Bl. 11–13, hier 12. 71 Zit. nach: Engelmann; Joestel: Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe, S. 29.
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Die kybernetische Idee von der systemsteuernden Information
Abb. 11/12: Kybernetisches Schema zur Informationsverarbeitung im MfS 1965 Das Schema aus dem Befehl Nr. 299/65 zeigt im oberen Abschnitt die aus verschiedenen Quellen stammenden Informationen eines operativen Mitarbeiters. Die Informationsbearbeitung soll mit einer Bewertung beginnen. Information und Verwertungsvorschlag fließen dann an die Auswerter weiter. Zulässig ist auch der direkte Informationsweg vom Mitarbeiter zum Auswerter. Im unteren Teil sind die Auswertungsleistungen der Auswerter/AIG symbolisiert, daran konnten sich weitere, vertiefende Bearbeitungen von Auswertung/AIG anschließen.
Das Kerblochkarteikarten-System des MfS
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Das zweite Schema aus dem Befehl Nr. 299/65 zeigt die Informationsflüsse zur ZAIG. Die Aufspaltung der Informationsabflüsse der Abteilungen der BVfS/V wahlweise in Richtung AIG der BVfS/V oder der HA/Abt. wird auf interne Regelungen der Berichtspflicht innerhalb der MfS-Linien zurückgeführt. Dargestellt wird, dass ZAIG die AIG der HA/Abt. und BVfS/V anleitete und die Zusammenarbeit auf der Linie Auswertung/Information sicherte. Gleichermaßen werden Informationsauswertung und Verdichtung als Tätigkeiten der ZAIG symbolisiert.
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Ebene.72 Das wirkte sich hinderlich auf den Transport der Informationen aus. Sie gelangten nur schlecht von der Ebene, wo sie gewonnen wurden, dorthin, wo sie von Interesse sein konnten. Der »Informationsfluss« wurde daher Thema und Gegenstand einer ausführlichen Forschungsarbeit, an der der stellvertretende Leiter der ZIG Werner Irmler als Mitautor beteiligt war.73 Das Grundanliegen der Verbesserung des Informationsflusses bestand darin, jeden Mitarbeiter und jede Diensteinheit des MfS zu verpflichten, die eingesammelten geheimpolizeilichen Informa tionen an den Bereich des MfS weiterzuleiten, der die Federführung respektive Zuständigkeit für den jeweiligen Sachverhalt oder die jeweilige Person besaß.74 Parallel zum »Informationsfluss im Pyramidensystem der Leitungstätigkeit«75, bei dem Informationen ständig weiter zusammengefasst »nach oben« gereicht wurden, wurde das Informationsaufkommen der einzelnen Aufgabenbereiche des MfS systematisch miteinander vernetzt. Statt der zufälligen und eher behäbigen hierarchischen Berichterstattung oder des streng hierarchischen Meldesystems sollte nun ein »kontinuierlicher Informationsfluss«76 innerhalb und zwischen den Diensteinheiten erreicht werden. Letztendlich wurden die seit Anfang der 1960er-Jahre von der Linie V (XX) gesammelten Erfahrungen im Jahr 1965 im Befehl Nr. 299/65 gebündelt und als einheitliches System auf das gesamte MfS übertragen.77 Der Befehl schrieb vor, in den Diensteinheiten oder regionalen Vertretungen des MfS alle »auswertbaren Hinweise, Materialien usw. systematisch zu erfassen«. Damit sollten einerseits Informationen, die bislang in den zuweilen umfangreichen Aktenvorgängen versteckt waren, von den Auswertern auf Kerblochkarteien erfasst werden.78 Zum anderen erleichterte und beschleunigte das die Auswertung größerer Datenmengen. Zum Dritten konnten und sollten durch eingehende neue Informationen Kerblochkarten ergänzt werden, selbst wenn die Person noch nicht in den traditionellen Vorgängen erfasst war. Viertens wurden Duplikate der Karteikarten beispielsweise an vorgesetzte Diensteinheiten geschickt. Das half, einen Gesamtüberblick herzustellen und regionale oder deliktbezogene Häufungen aufzuspüren. 72 Ebenda, S. 31. 73 Irmler, Werner; Großer, Karl: Die Analyse des Informationsflusses im einheitlichen System der politisch-operativen Auswertungs- und Informationstätigkeit des MfS. Diplomarbeit. 1965; BStU, MfS, ZAIG Nr. 14475. 74 Ebenda, Bl. 6. 75 Ebenda, Bl. 6 f. 76 In: Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 142. 77 MfS: Befehl Nr. 299/65 v. 24.7.1965 über die Organisierung eines einheitlichen Systems der politisch-operativen Auswertungs- und Informationstätigkeit im Ministerium für Staats sicherheit. In: Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 141–149. 78 MfS: Befehl Nr. 299/65 v. 24.7.1965. In: Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 143 ff.
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Die zu Personen und Sachverhalten anfallenden Materialien, die bislang nicht in formalisierten Vorgängen erfasst waren, konnten nun relativ formlos in der jeweiligen Diensteinheit in deren Zentraler Materialablage (ZMA) abgelegt werden.79 Die Führung des MfS hatte schon länger beklagt, dass Informationen außerhalb von Vorgängen verwahrt, für andere nicht identifizierbar oder nutzbar waren.80 Diese Informationen waren jetzt im Bedarfsfall für andere Diensteinheiten mobilisierbar.81 Auf der Rückseite der Kerblochkarten zu Personen oder Sachverhalten sollten erste und ergänzende Informationen in Kurzform notiert werden. Damit wurden Einzelinformationen auf das Wesentliche »verdichtet«. Durch »Vergleichsarbeit«82 mit schon vorhandenen Informationen konnte zusätzlich der Wahrheitsgehalt von Informationseingängen überprüft werden. In Kurzform bildeten sich in diesen unsystematischen Sammelinformationen auf diese Weise Entwicklungslinien individueller Lebensläufe ab, sofern sie öfter in das Wahrnehmungsraster des MfS gerieten. Der schnelle Blick auf eine Kerblochkarteikarte erlaubte eine Kurzeinschätzung und setzte damit ebenfalls ein Signal. 4.2.2 Die KK – das Handwerk der Informationssammlung Die Kerblochkarteien im MfS wurden als ein System aus Sachverhalts- und Personenkartei angelegt. Ausgangspunkt des Systems war eine Deliktkartei. Für diese existierte ein zentral vorgegebener Schlüsselplan, der die Codierung der Kerbungen der Kerblochkarte vorgab.83 Die Codierung orientierte sich stark an Delikten des Strafrechtes, das mit dem Strafrechtsergänzungsgesetz von 1957 ausdifferenziert wurde.84 So gab es unter anderem Codierungen für Schädlingstätigkeit und Sabotage, Staatsverleumdung, Diversion oder Fahnenflucht. Mit Kerbungen konnten darüber hinaus nähere Tatumstände wie Tatort, Begehungsmethode oder eine Verbindung zu einer sogenannten verbrecherischen Dienststelle und so weiter festgehalten werden. Das erlaubte nicht nur differenziertere statistische Auswertungen. Tatmuster konnten auch Hinweise für eine Fahndung geben. Die Deliktkartei wurde durch zwei Kerblochpersonenkarteien ergänzt, die KKDDR für DDR-Bürger und die KK-West für Personen aus dem westlichen Ausland. 79 MfS: Befehl Nr. 299/65, Anlage 1 zum Befehl; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 3904, Bl. 1–39, hier 35. 80 MfS: Protokoll der Kollegiumssitzung v. 18.11.1960; BStU, MfS, SdM Nr. 1903, Bl. 56–74, hier 65. 81 MfS: Befehl Nr. 299/65, Anlage 1 zum Befehl; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 3904, Bl. 1–39, hier 35. 82 MfS: Ergänzung der Arbeitsrichtlinien zum Befehl 299/65 über die Einführung einer einheitlichen operativen Statistik (EOS) v. 1.6.1970; BStU, MfS, ZAIG Nr. 20777, Bl. 2–43. 83 MfS: Befehl Nr. 299/65, Anlage 3 zum Befehl; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 3906. 84 Gesetz zur Ergänzung des Strafgesetzbuches (Strafrechtsergänzungsgesetz) v. 11.12.1957; DDR-GBl. T. I (1957) 78, S. 643.
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Später kam noch eine Kfz-Kartei hinzu. Diese Karteien waren im Prinzip über Merkmale mit der Deliktkartei verbunden, sodass Rückschlüsse auf Einzelpersonen oder umgekehrt von Personen auf Taten, Tatumstände gezogen werden konnten. Auch für die Personenkarteien lag ein Schlüsselplan vor.85 Die 70-seitige Anleitung für die KK-DDR sah nicht nur die Codierung der Personengrunddaten vor, sondern ermöglichte, mithilfe der Kerbungen weitgehend Personenprofile zu erstellen. Eine Zugehörigkeit zu Gruppen wie den Zeugen Jehovas, ehemaligen NS-Organisationen, Wehrdienstverweigerern, Haftentlassenen oder Mitgliedschaften in Parteien oder Massenorganisationen konnte ebenso gekerbt werden wie Funktionen der Person als Reisekader, freiwilliger Helfer der Polizei oder Mitglied der Kampfgruppen. Nicht zuletzt wurde äußerst ausführlich und differenziert festgehalten, in welchem Betrieb oder in welcher Einrichtung der Betreffende tätig war. Auch wenn die Karteien sich aus einer strafrechtlichen Logik entwickelt hatten, erlaubten sie, Verdächtige und Vorfälle in Kerblochkarteien zu erfassen, die (noch) in keinem Vorgang bearbeitet wurden. Die sogenannte »KK-Erfassung« wurde zu einer eigenen, neuen Erfassungsart. Sie konnte bei beliebigen sowie »alle[n] feindlichen Handlungen, Erscheinungen«86 vorgenommen werden. Die Erfassungsschwelle wurde gegenüber den OV-Erfassungen, die den Einstieg in die Kriminalisierung von Personen markierten, deutlich abgesenkt. So sollten auch aktive Mitglieder von Kirchenleitungen, Studentengemeinden, Sekten, Reisekader oder einfach reisende DDR-Bürger, die durch »schwatzhaftes Auftreten oder negative Äußerungen«87 auffielen, KK-erfasst werden. Diese relativ offene, vorbedingungslose Form der Erfassung bildete den Beginn des Einstieges in die karteimäßige Massenerfassung. Die KK-Erfassung weitete nicht nur den Kreis derer deutlich, die in den Karteien des neuen Informationssystems Aufnahme fanden. Die Angaben wurden zudem durch die Kerbung von einzelnen Merkmalen entsprechend der im MfS jeweils geltenden Klischees schematisch zugespitzt. Im Grundsatz waren die Daten durch die Kerbung indexiert und damit EDVkompatibel, auch wenn es noch über 15 Jahre dauern sollte, bis eine entsprechende Datenbank eingerichtet wurde. Die KK-Erfassung als Verdächtigen-Erfassung hielt sich noch in den 1980er-Jahren, als die Kerblochkarteien schon lange abgeschafft waren, als gesonderte Kategorie in der Zentralen Personenkartei des MfS. Sie blieb ein Hinweis auf »eine Person, die wegen negativen Handlungen oder Verbindungen zu Personen oder feindlichen Gruppierungen in das Blickfeld des MfS gerät«.88 Es muss 1989 ungefähr 700 000 KK-Erfassungen gegeben haben.89 85 MfS: Befehl Nr. 299/65, Anlage 4 zum Befehl; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 3907. 86 MfS: Befehl Nr. 299/65, Anlage 1; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 3904, Bl. 39. 87 MfS: Befehl Nr. 299/65, Anlage 4; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 3907, S. 84. 88 MfS/Abt. XII: Die Registrierung von Vorgängen und ihre Führung in der Vorgangskartei, o. D. (vermutl. 1988); BStU, MfS, Abt. XII Nr. 3052, Bl. 1–17, hier 1. 89 MfS/Abt. XII: Schreiben an ZAIG, 20.10.1989; BStU, MfS, Allg S 398/89, Bl. 16–19, hier 17.
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Abb. 13: Kerbzange und Tischstanze zur Kerblochkarteikartenlochung Beide Geräte dienten der Kerbung der im MfS eingesetzten Randlochkarten. Die Handkerbzange ist mit einer Auffangvorrichtung für die ausgekerbten Pappschnipsel versehen. Die mobile Tischstanze ermöglichte ein gleichzeitiges Stanzen einiger übereinanderliegender Lochkarten und war mit einer Anlagekante und einem über Hebel geführten Kerbzahn ausgerüstet.
Diese Erfassungsart machte damit fast 12 Prozent der insgesamt etwas über 6 Millionen erfassten Personen in der Zentralkartei aus. Die KK-Erfassungen waren nicht mit Vorgängen hinterlegt. Es existierten allenfalls Handakten in den Diensteinheiten, die die Personen hatten erfassen lassen. Aber diese Diensteinheiten mussten gefragt werden, wenn eine KK-erfasste Person beispielsweise durch den Eisernen Vorhang reisen wollte, wegen einer beruflichen Stellung oder aus anderen Gründen überprüft wurde. Die KK-Erfassung wurde so unbemerkt für Hunderttausende Personen zum negativen Stigma. 4.2.3 Codierungstechnik und statistische Auswertung der KK Mittels der Kerblochkarteien erhielt die einzelne Diensteinheit des MfS nicht nur einen besseren Gesamtüberblick über alle wichtigen Personen und Geschehnisse in ihrem Zuständigkeitsbereich, sie konnten Sachverhalte auch merkmalsbezogen auswerten. Die Auswertung wurde dadurch analytisch anspruchsvoller. Im Jahr 1970 wurde der Befehl 299/65 um eine Arbeitsrichtlinie ergänzt, die Vorgaben für die statistische Auswertung der Kerblochkarteisysteme machte. Ein Teil der Statistik sollte Auskunft
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Abb. 14: Tischgerät zur Kerblochkarteikartenauswertung Die im Bild oben liegende Lochkartenseite wurde (hier nicht sichtbar) nach einem Suchmerkmal genadelt. Das Bild zeigt die Auswerteposition, bei der die relevant gekerbten Karten nach dem Kopfstellen des Kartenblocks (durch Umwenden des Geräteoberteils) herausfallen.
über den Stand der Bearbeitung der operativen Vorgänge und Personen geben, ein anderer Teil über Delikte und die beteiligten Personen informieren. Die interessierenden Auswertungsmerkmale entsprachen den Kerbungen der Karteikarten laut Vorgaben des Schlüsselplans und waren beispielsweise: vorbestraft, Rückfalltäter, Anhänger von Kirchen und Sekten, Rückkehrer und Erstzuziehende, Geheimnisträger, Reisekader, Mitglied von Kampfgruppen, Überläufer, Konzernvertreter, Verbindung zu Geheimdiensten.90 Für die Auswertungen waren vorgedruckte Statistikbögen vorgegeben, die die Diensteinheiten regelmäßig auszufüllen und an die zentralen Auswerter weiterzuleiten hatten. Ereignisse, wie die Proteste nach der Ausbürgerung des DDRSängers Wolf Biermann im Jahr 1976 nahm die ZAIG zum Anlass, für verfeinerte Erhebungsmethoden zu werben, um »die Erfassung und Speicherung operativ bedeutsamer Informationen zu Personen und Sachverhalten weiterzuentwickeln
90 MfS: Ergänzung der Arbeitsrichtlinien zum Befehl 299/65 über die Einführung einer einheitlichen operativen Statistik (EOS) v. 1.6.1970; BStU, MfS, ZAIG Nr. 20777, Bl. 35 u. 37.
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und neu zu gestalten«.91 Die bisherige Arbeit mit den Kerblochkarteikarten allein sei nicht ausreichend. Auch zu anderen Einzelphänomenen, wie beispielsweise anonymen Drohungen, konnten Sonderstatistiken erarbeitet werden, die Art, Zielstellung und den Inhalt der Drohung nach diversen Merkmalen auswerteten.92 Die neuen Statistiken waren deutlich differenzierter und beruhten stärker als die herkömmliche Vorgangsstatistik der Abteilung XII auf einer Kenntnis der Vorgangsinhalte. Auch auf dem Feld der operativen Statistik zeichnete sich ab, dass die Auswerter gegenüber dem Archiv an Bedeutung zunahmen. Insgesamt gewann der Informationsstrang der AIG gegenüber den Erkenntnissen aus der Abteilung XII zunehmend an Gewicht.93 Allerdings blieben selbst die differenzierteren Statistiken der Auswerter eng den Kriterien des Strafrechts und der Vorgangsbearbeitung verhaftet.94 Unausgesprochen lagen hier die traditionellen Schwerpunkte der Selbsteinschätzung geheimpolizeilicher Arbeit. Der Erfolg von Kerblochkartei und Kerblochkarte wurde durch den hohen Aufwand bei der Informationscodierung gemindert. Jede Information musste doppelt auf der Karte aufgetragen werden, durch Kerbung und durch maschinenschriftliche Notiz. Die A4-formatige Kerblochkarte war aus dünnem Karton gefertigt, mit einer Karteikarte vergleichbar. Eine oben rechts schräg abgeschnittene Ecke markierte die Vorderseite und die Oberkante der Karte. Die Kartenvorderseite war in unterschiedlichem Maße mit schriftlich auszufüllenden (Pflicht-) Feldern vorgedruckt. Die verbleibenden Räume und Kartenrückseiten konnten mit Freitexten aufgefüllt werden. Die Kerbungstechnologie verlangte große Konzentration und ging mit einigem Zeitaufwand einher. Die am Kartenrand umlaufenden Lochpaare waren durch Aufdrucke in unterschiedlich dimensionierte alphanumerische Gruppen unterteilt. Dadurch entstand eine konkrete Adresse für jedes Lochpaar in Form eines kombinierten Buchstaben-Zahlenfeldes. Jedes Feld respektive Lochpaar konnte mithilfe einer Zange oder eines Gerätes zur Informationsbelegung entweder nicht, flach oder tief gekerbt werden. Kerbungen codierten durch Kombination sowohl Zahlen, Buchstaben als auch Merkmale aus einem umfangreichen Schlüsselplan. Das soll anhand einiger überlieferter Beispiele illustriert werden: –– im Zahlenfeld »G-1« bedeutete eine flache Kerbung »weiblich«, –– keine Kerbung in »G-1« stand für »männlich«,
91 MfS/ZAIG/IV: Referat über die Arbeit mit operativen Statistiken zur Unterstützung der politisch-operativen Lage, 3.2.1977; BStU, MfS, ZAIG Nr. 18260, Bl. 3–85, hier 23. 92 MfS/ZAIG: Einschätzung, o. D. (vermutl. 1975); BStU, MfS, ZAIG Nr. 11702, Bl. 21–40. 93 Jedlitschka; Springer: Gedächtnis der Staatssicherheit, S. 148. 94 MfS/Minister: Neuregelung der Arbeit mit operativen Statistiken, 5.1.1977; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 6538.
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Abb. 15: Informationsverarbeitung und Informationsflüsse auf und aus der Linie IX, Untersuchungsorgan des MfS95
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–– dagegen stand »G-1 tief« zusammen mit »G-2 flach« für den Anfangsbuchstaben »A« im Familiennamen. –– Die Kerbung »K-3 flach« verwies auf einen Eintrag in der Kfz-Kartei und »Y-4 flach« signalisierte eine Verbindung zum Bundesamt für Verfassungsschutz.96 95
Allein um den Anfangsbuchstaben des Familiennamens zu kerben, gab es 30 verschiedene Möglichkeiten von Doppelkerbungen.97 Für die Arbeitsstätten der erfassten Personen waren lange Listen vorgegeben, die als Kerbung zwei Buchstaben und eine Zahl erforderten, die wiederum durch Kerbungskombinationen kodiert waren.98 Das Risiko von Fehlkerbungen war angesichts der Kom95 Die nicht komplett deutbare und im MfS zu unbekanntem Zweck erstellte Skizze zeigt den Fluss von Informationen aus einer BVfS/Abt. IX (Untersuchungsabteilung) in die HA IX, in Diensteinheiten der BVfS sowie Adressaten außerhalb des MfS als ein DreiZonen-Modell. Mit einer Trennlinie ist der Informationsfluss innerhalb der Linie IX auf den Blattbereich rechts unten abgegrenzt. Die Informationen gelangten zunächst zu den Auswertern einer BVfS/Abt. IX. Ein Informationsaustausch fand zwischen den Auswertern und einem hierarchischen System (und innerhalb diesem) aus Untersuchungsführern (UF), Referatsleitern (RL) und Abteilungsleiter (AL) der BVfS/Abt. IX statt. Die BVfS/Abt. IX gab Informationen an die HA IX/Abt. 8 Auswertung (1982 aufgelöst) und eine nicht deutbare Stelle der HA IX ab. Die ersten Empfänger aktiv abgegebener Informationen außerhalb der Linie IX waren Dienststellen der eigenen BVfS. Berücksichtigt wurden die AIG (A/I), der Leiter der BVfS (BVC) und eine operative Diensteinheit (op. DE – mit Spezifizierung vermutl. Vgf für Vorgangsführer) beliefert. Zu weiteren operativen Diensteinheiten der eigenen BVfS waren die Informationsflüsse wegen der gepunkteten Flusslinie vermutlich an Bedingungen geknüpft. Bedingungen war wohl auch ein Informationsfluss von der BVfS/AIG in operative Diensteinheiten der BVfS unterworfen. Von der BVfS/Abt. IX nicht initiierte Informationsflüsse im MfS bestanden von der HA IX zu Minister Mielke (GM), von der AIG zum Leiter der BVfS, vom Leiter der BVfS zu Mielke. Von operativen Diensteinheiten zum Leiter BVfS existierten weitere Informationsflüsse. Die Zone der Informationsempfänger außerhalb des MfS ist auf der linken Blattseite angesiedelt. Mit den Ausnahmen Gericht und Staatsanwaltschaft (StA – beispielsweise für Anklagezwecke) vollzogen sich die Informationsflüsse in dieser Zone unabhängig von der BVfS/Abt. IX. Staatschef Honecker (Gen. Sekr.) wurde sowohl von Mielke als auch vom 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung (1. Sekr. BL) informiert. Der SED-Bezirkschef erhielt seine Information vom Leiter BVfS und gab Informationen an Staats- und Wirtschaftsorgane (Staats, Wirtsch. Organe – nicht vollst. deutbar). Die Staats- und Wirtschaftsorgane bezogen Informationen aus allen vertretenen operativen Dienststellen der BVfS sowie von Gericht und Staatsanwaltschaft. (Spezifisch konnten derartige Informationen beispielsweise auf Erkenntnissen aus Vernehmungen verweisen oder Agitationen oder Überprüfungen im Kontext mit Untersuchungsverfahren zum Gegenstand haben.). All das trug zur Mobilität von Einzelinformationen bei. 96 MfS: Schlüsselplan zur Personenkartei West; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 3909, Bl. 13, 16, 193. 97 MfS: Schlüsselplan zur Personenkartei DDR; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 3907, S. 14. 98 Ebenda, S. 42.
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Abb. 16: Informationsflüsse im staatlichen Geheimnisschutz und auf der Linie ZAGG des MfS In der DDR nahm das MfS, neben dem Ministerrat/Sektor Geheimnisschutz, die Kontrolle und Anleitung des staatlichen Geheimnisschutzes vor. Dazu setzte das MfS unter anderem in den Dienststellen für Geheimnisschutz (sog. VS-Stellen) in den Verwaltungen, Betrieben und ähnlich inoffizielle Mitarbeiter oder OibE ein. Im MfS fachlich zuständig war die Zentrale Arbeitsgruppe Geheimnisschutz (ZAGG), auf der Ebene der BVfS mit Arbeitsgruppen Geheimnisschutz (AGG) vertreten. Auf der Ebene der KDfS existierten keine Diensteinheiten der Linie, die Aufgaben wurden an operative Mitarbeiter übertragen. Das Schema zeigt die zwischen MfS und staatlichen Organen sowie Wirtschaftsbetrieben parallel verlaufenden Stränge der Berichterstattung für einen gesetzlich angeordneten Jahres-Geheimnisschutzbericht. Die ZAGG erreichten zwei MfS-interne Informationsflüsse aus den KDfS und BVfS/AGG sowie aus den MfS-Hauptabteilungen. Der dritte Informationszufluss an die ZAGG kam aus der zivilen Leitbehörde für Geheimnisschutz in der DDR, dem Sektor Geheimnisschutz beim Ministerrat der DDR. Die ZAGG wiederum informierte die ZAIG über den Stand in ihrem Zuständigkeitsbereich. Das MfS sammelte zudem auf verschiedenen Ebenen Informationen von offiziellen Partnern in den staatlichen Institutionen und Betrieben zum Geheimnisschutz. Hier kam dem MfS entgegen, dass es durch Ministerratsbeschluss die Federführung für den Geheimnisschutz besaß.
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pliziertheit des Schlüssels groß, die Korrekturmöglichkeiten bei Fehlkerbungen gering. Nachträgliche Änderungen waren schwierig nachzukerben. 4.2.4 Bewertung von KK-Einsatz und Informationsverarbeitung in der Praxis Die MfS-Führung verzeichnete dennoch dank der neuen Auswertungsmethoden eine »ganze Reihe guter Erfolge«.99 Die Einführung des einheitlichen Systems der Auswertungs- und Informationstätigkeit auf Basis von Kerblochkarteien führte seit 1965 mittelfristig zweifelsohne zur Verbesserung der Auswertungsfähigkeit des MfS. Allerdings traten in der Praxis auch Schwierigkeiten auf, die sich im Laufe der Jahre allenfalls graduell beheben ließen. Das Kerben erforderte von den Mitarbeitern ein hohes Maß an Konzentration und Zeit. Die Karten mussten zusätzlich per Schreibmaschine textlich ausgefüllt werden. Kamen neue Informationen für eine bereits angelegte Karte hinzu, waren diese schriftlich und per Kerbung zu ergänzen. Soweit die Vorschriften, doch im Jahr nach der Einführung des Systems musste man feststellen, dass die Schnelligkeit in der Auswertung und Informationsweiterleitung »ungenügend«100 war. Stichproben ergaben, dass von der Tatzeit bis zum Eingang der gekerbten Karten in Berlin acht Tage und bei der Hälfte der Karten bis zu vier Wochen und bei 50 Prozent sogar länger vergingen. Die BVfS Dresden benötige in der Regel bis zu fünf Wochen und länger.101 Der langwierige Kerbvorgang behinderte nicht nur die Auswertung vor Ort, sondern auch die analytische Zusammenfassung und Auswertung auf der Bezirksund auf der zentralen Ebene. Obwohl das KK-System den Informationsaustausch innerhalb des MfS flexibler machen und beschleunigen sollte, blieb es in der Praxis schwerfällig. Nachträge waren aufwendig umzusetzen oder unterblieben, unerwünschte Doppelerfassungen erhöhten die Unübersichtlichkeit.102 Die Doppelungen konnten erst überwunden werden, als einige Jahre später die Zulässigkeit einer KK-Erfassung von einer Vorprüfung in der Zentralkartei abhängig gemacht wurde. Eine derartige Prüfanfrage konnte noch 1973 eine Vier-Wochen-Frist in Anspruch nehmen.103 Die verbesserte Datenqualität forderte einen hohen zeitlichen Preis. 99 MfS: Protokoll der Kollegiumssitzung v. 13.1.1961; BStU, MfS, SdM Nr. 1557, Bl. 1–39, hier 23. 100 MfS/AG AI b. Stellv. des Ministers f. d. Linien XVIII, XIX, XX: Schreiben an die ZAIG, 12.5.1966; BStU, MfS, ZAIG Nr. 17733, Bl. 169–171, hier 170. 101 MfS/ZAIG/Ref. II: Probleme, die vom Standpunkt der Arbeit mit den Kerblochkarteien behandelt werden müssen, 11.5.1966; BStU, MfS, ZAIG Nr. 17733, Bl. 164–168, hier 164. 102 MfS/Abt. XII: Vortrag zur Einweisung in die Aufgaben der 2. u. 3. Durchführungsbestimmung (DB) zum Befehl Nr. 299/65 des Ministers, 13.5.1974; BStU, MfS, ZAIG Nr. 19427, Bl. 7–20, hier 10 f. 103 MfS/ZAIG: Protokoll der AIG-Leitertagung, 4./5.1.1973; BStU, MfS, ZAIG Nr. 17467, Bl. 6–26, hier 13.
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Um sich die Arbeit zu erleichtern, entwickelten die Auswerter informelle Strategien zur Reduktion des Aufwandes. Manche Kerbungen unterblieben schlicht. Das belegen viele Kerblochkarten in den Beständen des BStU. Klagen über die unvollständigen Datensätze mochte man kurz nach Einführung des KK-Systems noch als Kinderkrankheiten abtun.104 Doch auch elf Jahre später konnte nur festgestellt werden, dass die Karten »oftmals unvollständig« blieben und die Daten nur »teilweise oder gar nicht kerbmäßig sichtbar gemacht«105 wurden. Auch bei der Kontinuität der Informationsverarbeitung haperte es. Entweder gaben die operativen Mitarbeiter Veränderungen einmal gemeldeter Sachverhalte den Auswertern nicht zur Kenntnis oder sie wurden dort nicht aufgeschrieben und nachgekerbt.106 Diese Mängel betrafen meist gerade die differenzierteren und anspruchsvolleren Informationen. Es wurde naturgemäß viel Wert »auf die formalen Seiten«107, die Angaben zur Person gelegt. Weniger beachtet und gekerbt wurden Begehungsmethode und strafrechtliche Bewertung der Auffällig keit. »Fast gänzlich fehlen Angaben über die Tatmotive und begünstigenden Bedingungen.«108 Gerade auf solche Informationen legte man in den 1960erJahren jedoch Wert, um mittels Analytik neue Methoden des Gegners aufspüren und Präventionsstrategien entwickeln zu können. Zu Recht wird darauf verwiesen, dass sich zu jener Zeit ein Wandel in Richtung auf die präventive Repression vollzog.109 Dass die Informationen nicht über die erhoffte Güte verfügten, lag auch daran, dass sich die Informationsbeschaffung über die inoffiziellen Mitarbeiter nicht im ursprünglich angenommenen Maße verbesserte. Zwar galt weiterhin der Grundsatz, dass die geheimen Informanten den »Mittelpunkt«110 der Informationsgewinnung bilden sollten. Doch stimmte »die Relation zwischen inoffiziellem Material und halboffiziellen Hinweisen, bzw. solchen aus anderen Sicherheitsorganen, nach wie vor nicht«.111 Stichproben zeigten 1966, dass bis zu 70 Prozent der ausgewerteten Materialien der Volkspolizei entstammten und nur 30 Prozent aus eigenem Aufkommen.112 104 MfS/AG AI b. Stellv. des Ministers f. d. Linien XVIII, XIX, XX: Schreiben an die ZAIG, 12.5.1966; BStU, MfS, ZAIG Nr. 17733, Bl. 170. 105 MfS/ZAIG: Rede, 29.4.1976; BStU, MfS, ZAIG Nr. 17941, Bl. 69. 106 MfS/ZAIG: Arbeitsberatung mit den Leitern der AIG der BV, 29.9.1966; BStU, MfS, ZAIG Nr. 17733, Bl. 21–40, hier 36. 107 Ebenda. 108 Ebenda, Bl. 39. 109 Engelmann: Funktionswandel der Staatssicherheit, S. 89–97. 110 Höhne, Manfred; Irmler, Werner; Schäfer, Ewald: Weiterentwicklung und Qualifizierung der prognostischen Tätigkeit als Bestandteil des Systems der Führungs- und Leitungstätigkeit im Ministerium für Staatssicherheit. JHS 1970; BStU, MfS, ZAIG Nr. 7694, Bl. 3. 111 MfS/AG AI b. Stellv. des Ministers f. d. Linien XVIII, XIX, XX: Schreiben an die ZAIG, 12.5.1966; BStU, MfS, ZAIG Nr. 17733, Bl. 170. 112 MfS/ZAIG: Arbeitsberatung mit den Leitern der AIG der BV, 29.9.1966; ebenda, Bl. 21–40, hier 38.
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Das neue Informationssystem sollte eigentlich dazu führen, verstärkt mit MfSspezifischen Methoden einen Blick hinter die Fassaden zu gewinnen. Doch schnelle Fortschritte blieben aus. »Es gibt eine Reihe von Beispielen, wo [die Informationsweitergabe aus IM-Berichten an die Auswerter] überhaupt noch nicht läuft bzw. nur in ganz geringem Maße.«113 Noch im siebten Jahr nach der Einführung des Systems krankte es an diesem Punkt. Die Mängel bei der Informationsbeschaffung durch IM wurden als eine »wesentliche Ursache für Informationsverluste«114 angesehen. Die Vorbereitung und Intensität der Treffs mit Informanten wurde kritisiert, ebenso unvollständige Berichte und die »unbefriedigende erste Verarbeitung der von der Quelle erhaltenen Informationen«.115 Es dauerte zwischen sieben Tagen und vier Wochen, bevor Informationen aus einem Informantentreffen den Auswerter erreichten. Zweifelhaft war, ob diese Informationen dann in operative Vorgänge, OPK und ähnlich eingingen und dort nutzbringend wirken konnten.116 Die kritische Bestandsaufnahme verstärkte den Druck, die Arbeit mit den IM stärker zu reglementieren, was sich in den folgenden IM-Richtlinien niederschlagen sollte. Der MfS-interne Kontrolldruck wurde erhöht, damit IMInformationen nach den Treffs zu dem Auswerter gelangten. Solche Informationsweitergaben schlugen sich positiv in den Statistiken der Auswerter nieder. Das war ein Anreiz, begünstigte aber auch eine quantitative Aufblähung des Informationsaufkommens. Dessen Aussagekraft war letztlich nicht gesichert, wie auch aufmerksame Analytiker im MfS bemerkten.117 Die Leitung warnte, man müsse einer »Strichideologie«118 vorbeugen. IM-führende Mitarbeiter reagierten auf den Druck, Informationen für andere produzieren zu müssen mit informellen, Arbeit sparenden Praktiken. Sie reichten einfach die Berichte ihrer Informanten ungewichtet und komplett an die Auswerter weiter. Die Auswerter fanden diese, sie stärker belastende Praxis »nicht in Ordnung«.119 In der Theorie war vorgesehen, dass die Auswerter nach Maßgabe der langfristigen Planungen des MfS und der jeweiligen aktuellen Lage einen »Informationsbedarf« ermittelten. Nach diesen Vorgaben sollten die Leiter ihre operativen Mitarbeiter anweisen, die IM entsprechend zu instruieren und zu befragen. Anders als in der Theorie des kybernetischen Regelkreises funktionierte das in der Praxis offenbar nur 113 MfS: Schwerpunkte der weiteren Durchsetzung des Befehls und der Arbeitsrichtlinie, o. D. (vermutl. 1967); ebenda, Bl. 177–192, hier 178. 114 MfS/ZAIG, Schwock, Lothar: Analyse über den Stand der Informationsgewinnung im Verhältnis zum Informationsbedarf, 19.7.1972; BStU, MfS, ZAIG Nr. 20770, Bl. 2–85, hier 58 ff. 115 Ebenda, Bl. 53. 116 Ebenda, Bl. 58. 117 Ebenda, Bl. 29. 118 MfS/ZAIG/4: Referat, 3.2.1977; BStU, MfS, ZAIG Nr. 18260, Bl. 3–168, hier 43. 119 MfS/ZAIG, Schwock, Lothar: Analyse über den Stand der Informationsgewinnung im Verhältnis zum Informationsbedarf, 19.7.1972; BStU, MfS, ZAIG Nr. 20770, Bl. 58 ff.
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schlecht. Auswerter beklagten, auf ihre Erkenntnisse aus den Kerblochkarteien werde »nicht zurückgegriffen, um die inoffiziellen Mitarbeiter anzuleiten«.120 Auch die mittels der Kerblochkarteien gefertigten Analysen blieben hinter den Erwartungen zurück. Ein Jahr nach der allgemeinen Einführung der Kerb lochkartei musste man sich eingestehen, dass die Informationsgruppen »noch in ungenügendem Maße mit der Kerblochkartei« arbeiteten. Diese könnte deshalb »für komplexe Untersuchungen noch nicht verwertet werden«.121 Die an die ZAIG über mittelten Analysen aus den zentralen oder regionalen Diensteinheiten des MfS blieben stark verbal ausgerichtet, unpräzise und auf Einzelereignisse orientiert.122 Die Wunschziele der Kerblochkarteiauswertungen, verlässliche Zahlen über Schwer punkte, Häufungen von gegnerischen Aktivitäten, Aufschlüsse über neue Metho den, blieben die Schwachpunkte des Informations- und Auswertungssystems. Werner Irmler, Leiter der ZAIG, beklagte die mangelnde objektive Grundlage der Analysten. »Heute wird die politisch-operative Situation meist aufgrund dessen eingeschätzt, was mehr oder weniger zufällig an uns herankommt.«123 Die Diensteinheiten schöpften offenbar lange aus ihrer Erfahrung und Intuition, beeinflusst von Informationen über Tagesereignisse, wenn sie Trends und Tendenzen ausmachen sollten. Die zentralen Auswerter mussten immer wieder vor damit verbundenen Trugschlüssen warnen.124 Um ihre Wahrnehmungen zu objektivieren, wendeten die Diensteinheiten vielfach Hilfsmittel an, die an traditionelle kriminalistische Methoden erinnerten. Sie pinnten Ereignisse auf Karten, führten Strichlisten, legten zusätzliche Hilfskarteien an125 oder führten aufwendige Sondererhebungen durch. Nach einem Hinweis aus den Kreisdienststellen regte eine BVfS eine Studie zu den Westradio-Hörgewohnheiten in ihrem Territorium an. Als deren Ergebnis vorlag, musste die BVfS feststellen, es sei »erschreckend: ein erheblicher Teil der Bevölkerung hört diese Sender, auch Parteimitglieder«.126 Innerhalb der analytischen Routinen des Informationsverarbeitungssystems war ein solcher Befund nicht entstanden. Weil die Routineberichterstattung der Auswertungsbereiche, beispielsweise in den neuen Halbjahresberichten, Defizite aufwies, forderten die Bezirksverwaltungen ständig ergänzende Einzelberichte von den Kreisdienststellen an, die aufwendige Zusatzarbeiten erforderten. Die hohe Zahl dieser Berichte (ca. 160 bis 200 pro Jahr) blockierte die Kapazität der Auswerter weitgehend und absorbierte 120 MfS: Protokoll, 4.10.1967; BStU, MfS, ZAIG Nr. 17733, Bl. 281–316, hier 295. 121 MfS/AG AI b. Stellv. des Ministers f. d. Linien XVIII, XIX, XX: Schreiben an die ZAIG,12.5.1966; ebenda, Bl. 170. 122 MfS: Protokoll, 4.10.1967; BStU, MfS, ZAIG Nr. 17733, Bl. 296. 123 Ebenda, Bl. 304. 124 MfS: Bemerkungen zur halbjährigen Berichterstattung, o. D. (vermutl. 1967); BStU, MfS, ZAIG Nr. 17733, Bl. 356–370. 125 MfS: Protokoll, 4.10.1967; ebenda, Bl. 302 f. 126 Ebenda, Bl. 291.
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rechnerisch bis zu einem Drittel der Arbeitskraft der Leiter der Kreisdienststellen. Das hemmte die Routinetätigkeit der Analytiker und behinderte ihre Analysefähigkeit.127 Auf der anderen Seite war es nicht nur Selbstlob, wenn die ZAIG immer wieder feststellte, dass sich »die Qualität der Informationen wesentlich verbessert« habe.128 Offenbar wirkten sich dabei indirekte Faktoren stärker auf die Qualität der Auswertung im MfS aus, als alle formal-inhaltlichen Korrekturversuche. Die Zahl und der Ausbildungsstand der Auswerter wuchsen. Und die Sensibilisierung der Leiter für Auswertungsfragen stieg. Zunächst hieß es, viele Leiter »sehen diesen Nutzen noch nicht«.129 Da sie aber ständig angehalten wurden, ihre Arbeitsplanung und den Einsatz ihrer Ressourcen auf analytische Erkenntnisse zu stützen, mussten sie Schritt für Schritt ihre Haltung verändern. »Es gab eine Periode, wo die AIG überschätzt und eine Periode, in der sie unterschätzt wurde. Heute sagt der Leiter, ohne AIG geht es nicht mehr«130, resümierte ein Auswerter aus Dresden Anfang der 1970er-Jahre die Entwicklung. Schwierig nachzuvollziehen ist der Einfluss der verbesserten Informationsverarbeitung auf die »Erfolgsrate« bei Untersuchungs- und Fahndungsvorgängen des MfS. Aufgrund gesellschafts- und strafpolitischer Entwicklungen nahm die Zahl der MfS-gesteuerten Untersuchungsverfahren in den zehn Jahren nach Einführung des neuen Informationsverarbeitungssystems eher ab oder stagnierte.131 Das war eine Folge der geänderten Strafrechtspolitik nach dem Mauerbau. Auswerter, die den Ertrag ihrer Arbeit ins rechte Licht setzen wollten, berichteten von vereinzelten Festnahmen, weil sie operativ wichtige Informationen aus den Kerblochkarteien gewonnen und an die Diensteinheiten gegeben hätten.132 Andere hatten alle »Hetze«-Delikte mithilfe einer Kerblochkartei herausgezogen, weil überregionale Vergleiche Ähnlichkeiten bei Formulierungen von Parolen zeigten. Kopien der Karten wurden daraufhin der Abteilung XX der zuständigen Bezirksverwaltung für weitere Recherchen zugeleitet.133 In der BVfS Potsdam führten Zusammenführung und Zusammenfassung von Informationen (Verdichtung) und der Vergleich mit anderen (Vergleichsarbeit) dazu, dass »aus 127 Studie zu den grundlegenden Erfordernissen und Wegen für die Vervollkommnung und Vereinfachung des Melde- und Berichtswesens der Kreisdienststellen. JHS. In: Studien zu ausgewählten Problemen der weiteren Erhöhung der Wirksamkeit der politisch-operativen Arbeit der Kreisdienststellen. Potsdam, 1972; BStU, MfS, MF, GVS Nr. 291/72, S. 46–113, hier 49 ff. 128 MfS/ZAIG, Schwock, Lothar: Analyse über den Stand der Informationsgewinnung im Verhältnis zum Informationsbedarf, 19.7.1972; BStU, MfS, ZAIG Nr. 20770, Bl. 35. 129 MfS: Protokoll, 4.10.1967; BStU, MfS, ZAIG Nr. 17733, Bl. 291. 130 MfS/ZAIG: Protokoll der AIG-Leitertagung, 4./5.1.1973; BStU, MfS, ZAIG Nr. 17467, Bl. 8. 131 Engelmann; Joestel: Hauptabteilung IX, S. 225 f. 132 MfS: Protokoll, 4.10.1967; BStU, MfS, ZAIG Nr. 17733, Bl. 293. 133 Ebenda, Bl. 295.
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der Kerblochkartei 18 operative Vorläufe entwickelt«134 wurden. Über deren Bearbeitungsergebnisse wurde freilich nicht berichtet. Neben der quantitativen Ausweitung der Auswertungsbereiche dürfte die Bearbeitung der Informationen nach definierten Kriterien zu deren genauerer Bewertung geführt haben. Die Schlüsselpläne für die Kerbung zwangen die Auswerter, Personen, Ereignisse und Informationen vorgegebenen Merkmalen zuzuordnen. Auch Analysen sollten einem bestimmten Schema folgen. In der Anlage 2 zum Befehl 299/65135 waren detailliert inhaltliche Schwerpunkte der Auswertungs- und Informationstätigkeit vorgegeben. Auch wenn die Qualität der gelieferten Informationen nicht immer den Anforderungen entsprechen mochte, wurden selbige nun systematischer zugeordnet. Bei einem Informationsanfall zu einem Vorfall, Delikt oder einer missliebigen Person wurde zudem von den Auswertern geprüft, wer im MfS noch Bedarf an einer Information haben könnte. Sofern eine Person von einer anderen Dienst einheit erfasst war, war dies auf der Kerblochkarte vermerkt. Kam eine neue Information hinzu, konnte diese entsprechend weitergeleitet werden. Wurde ein Delikt anhängig, das systematisch von einer anderen Diensteinheit bearbeitet wurde, war auch diese zu benachrichtigen. Das KK-System gestaltete den Informationsfluss in vielen Fällen verbindlicher, wogegen er vorher eher nach Gutdünken praktiziert worden war. Die Überprüfung des Informationszuflusses führte auch zu einer stärkeren Kontrolle der Vorgangsarbeit. Manche Informationsgruppe hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, nachzuprüfen, ob sie regelmäßig Ergänzungen zu operativen Vorgängen oder operativen Vorläufen erhielt. Blieben solche länger als zwei Monate aus, wurde die Diensteinheit gemahnt. Nach jeweils sechs Monaten wurden dann Vorschläge erarbeitet, ob beispielsweise ein Operativ-Vorlauf weiter bestehen, umgewandelt oder zur Ablage kommen sollte.136 Die Vorgangsbearbeitung anhand von Informationseingängen zu beurteilen, war feinnerviger als die bisherige Kontrolle durch die periodische Vorgangsstatistik der Abteilung XII. Diese registrierte nur, ob Vorgänge über längere Zeit nicht umgewandelt wurden. Die neuen operativen Statistiken der AIG137 erlaubten seit 1970, den Stand der Vorgangsbearbeitung genauer zu verfolgen. Es war insofern nur konsequent, dass den Auswertungs- und Informationsgruppen (AIG) 1978 Kontrollaufgaben zugewiesen und diese zu Auswertungs- und Kontrollgruppen (AKG) weiterentwickelt wurden.138 Dieser 134 Ebenda, Bl. 292. 135 MfS: Befehl 299/65, Anlage 2 zum Befehl; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 3905. 136 MfS: Protokoll, 4.10.1967; BStU, MfS, ZAIG Nr. 17733, Bl. 299 f. 137 MfS: Ergänzung der Arbeitsrichtlinien zum Befehl Nr. 299/65 über die Einführung einer einheitlichen operativen Statistik (EOS), 1.6.1970; BStU, MfS, ZAIG Nr. 20777, Bl. 2–43. 138 Befehl 6/78 über Bildung und Aufgaben der Auswertungs- und Koordinierungsgruppen in den Bezirksverwaltungen, abgedruckt in: Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 304–319.
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Entwicklungsprozess begann in den AKG der Bezirksverwaltungen und erstreckte sich umgehend auf die Hauptabteilungen und selbstständigen Abteilungen im Ministerialbereich des MfS. Mit der Kontrollfunktion wurden die AKG zu einer Stabsstelle des BVfS- oder Dienststellenleiters aufgewertet, die den Stellenwert der Informationsverarbeitung erheblich erhöhte, indem sie beispielsweise auch Einfluss auf Planungen des Leiters nahm. Von den AKG konnte, wie am Beispiel der Kontrollen der Kreisdienststelle Gransee durch die AKG der BVfS Potsdam dargestellt, nunmehr ein erheblicher Kontroll- und Korrekturdruck ausgehen. Zwei Abbildungen zu Informationsflüssen im MfS zeigen den hohen Stellenwert, den Informationen etwa zehn Jahre nach der Vereinheitlichung und Systematisierung der Informationsarbeit im MfS durch den Befehl Nr. 299/65 genossen. Das zeigt sich einmal an der Linie IX, in der einerseits die Informationsaufbereitung Einfluss auf die Ausrichtung der Untersuchungsvorgänge nimmt und andererseits Untersuchungsvorgänge den Inhalt von Informationen beeinflussen können. Zugleich wird deutlich, dass weniger hierarchisch, als vielmehr durch die erste Bearbeitung der Auswerter präjudiziert wird, welchen Nutzern im und außerhalb des MfS diese Informationen zur Verfügung gestellt werden. An den Vorgaben für die Informationsflüsse der Linie ZAGG des MfS ist ablesbar, welcher Verwaltungsebene im MfS die Informationen dienen sollten und welche Informationen von staatlicher oder Wirtschaftsverwaltung verfasst sein müssten. Dass beide Berichtsstränge in der ZAIG mündeten, bestätigt deren Funktion als eine kybernetisch geprägte Stabsstelle des Ministers. 4.2.5 Überforderung der Informationsverarbeitung des MfS in den 1970er-Jahren Die Einführung des ersten einheitlichen Systems der Information und Auswertung fiel in eine Zeit des institutionellen Wachstums des MfS. Von 1960 bis 1970 verdoppelte sich der Personalbestand nahezu.139 Mit der steigenden Zahl der Mitarbeiter wuchs zwangsläufig die Zahl von umgewälzten Informationen und Anfragen in der Zentralkartei. Die AIG, die in den unterschiedlichen Bereichen des MfS die Informationen bearbeiten sollten und die zentrale Abteilung XII, die Überprüfungsanfragen beantworten musste, wurden zum Nadelöhr der Informationsverarbeitung des MfS. Immer wieder wurden Klagen über deren Überforderung laut. Die 1960er-Jahre bildeten auch die Periode, in der das MfS, teils getrieben durch die eigene Überwachungsdynamik und teils auf Anforderungen der SED-Führung, seine Kompetenzen laufend ausweitete. Dies betraf nicht nur Aufgabenzuwächse durch die Passkontrolle, bei der Personenüberprüfung und bei klassischen Abwehrfragen. Das MfS wurde auch vermehrt in der Wirt139 Vgl. Gieseke: Die hauptamtlichen Mitarbeiter, S. 553 f.
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schaft aktiv und entwickelte sich zu einer Art »Generalkontrollbeauftragte[m] der SED«140 weiter. In den Jahren nach dem Mauerbau verdreifachten sich die Personenüberprüfungen bis Mitte der 1960er-Jahre und wurden in den Augen der Karteimitarbeiter zu »Massenprozesse[n]«. Die Anforderungen seien »nicht mehr zu bewältigen«141 gewesen, erinnerte man sich später. Die Forderung nach einer Effektivierung der Arbeit brachte in der Abteilung XII jedoch zunächst nur bescheidene Innovationen hervor. So sollten spezielle Auskunftsgruppen gebildet und zu archivierten Akten Auskunftsberichte gefertigt und mikroverfilmt werden. Auf diese Weise hoffte man, künftig statt der Akte Zusammenfassungen oder Mikrofiches versenden zu können und eine sofortige Auskunftsfähigkeit zu sichern.142 Auch hinsichtlich der AIG musste selbst Minister Mielke Mitte der 1970erJahre einräumen, dass diese durch zu viele Aufgaben »überfordert werden«143 und darunter die Qualität der analytischen Arbeit leide. Das traf nicht zuletzt auf die Informationsgruppen in den Kreisdienststellen zu. Wieder einmal hatte die Zentrale in Berlin Aufgaben nach unten durchgedrückt, da sich die Abteilung XII Anfang der 1970er-Jahre nicht mehr in der Lage sah, die mit den neuen deutschdeutschen Reiseregelungen einhergehende hohe Zahl von Personenüberprüfungen zu bewältigen. Die Hauptlast der Reiseüberprüfungen wurde daher zunächst von den Bezirksverwaltungen und den Kreisdienststellen getragen.144 Das steigerte dort die Zahl der Überprüfungen dramatisch. Offenbar war es strukturell problematisch, hohe Datenmengen mittels Kartei kartensystemen zu bearbeiten. Auch das BKA der Bundesrepublik kämpfte in den 1970er-Jahren mit solchen Schwierigkeiten. Dort gab es 400 000 Informations vorgänge pro Jahr, die das zentrale Kriminalamt der Bundesrepublik mit etwa 5,3 Millionen Karteikarten zu bewältigen suchte. Eine Organisationsuntersuchung wies auch hier erhebliche Überprüfungsrückstände und Überforderungssituatio nen nach.145 Die Kreisdienststellen des MfS zeigten sich überfordert, die zu überprüfenden Ost-West-Kontakte geheimpolizeilich einzustufen: »Was ist verdächtig und was nicht?«146 Wie sollte man mehr oder minder Verdächtige aus dem Westen, die 140 Suckut: Generalkontrollbeauftragter der SED, S. 151–167. 141 MfS/Abt. XII/AKG: Zuarbeit zum Referat für die Dienstversammlung anlässlich des 40. Jahrestages der Gründung der DDR, 23.9.1989; BStU, MfS, Abt. XII Nr. 4055, Bl. 85–88, hier 85. 142 MfS/Abt. XII, Ltr. Knoppe: »Kennwort Auswertung«, Forschungsarbeit, 7.9.1967; BStU, MfS, Abt. XII Nr. 5815, Bl. 36–109, hier 72. 143 MfS/BV Pdm: Referat des Leiters der BV, 27.4.1976; BStU, MfS, ZAIG Nr. 18608, Bl. 22–74, hier 44. 144 MfS, Mielke, Erich: Referat auf der Dienstbesprechung am 24.6.1970; BStU, MfS, ZAIG Nr. 4740, Bl. 1–125, hier 78 u. 99. 145 Bergien: Big Data, S. 277. 146 MfS: Protokoll, 4.10.1967; BStU, MfS, ZAIG Nr. 17733, Bl. 281–316, hier 295.
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mit Personen aus dem Osten zusammentrafen überhaupt verbuchen? Es gab Personen, »deren Erfassung aus politisch-operativen Gründen notwendig, aber mit den vorhandenen Erfassungsarbeiten nicht möglich ist«.147 Die neuen Kontrollaufgaben im Rahmen der Ost-West-Reisetätigkeit führten zu Anlage und Aufblähung von Handakten und Ablagen, die sich schnell zu rein quantitativen »Archivablagen«148 entwickelten. Diese Ablagen blieben informationstechnisch für andere Diensteinheiten im MfS wertlos, weil sie nirgends registriert, inhaltlich nicht spezifiziert und nicht abrufbar waren. Manche Dienststellen griffen zur Alternative der KK-Erfassung von Personen, die sie nicht sonstig einordnen konnten. Die KK-Kartei wurde damit regelwidrig zu einem »Sammelsurium«149 von unterschiedlich motivierten Erfassungen. Es drohte eine »uferlose Ausdehnung«150. Die Kerblochkarteien blähten sich auf. Nach Einschätzung der ZAIG enthielten die KK-Karteien Mitte der 1970er-Jahre zu etwa 30 Prozent Personen, die man sinnvollerweise keineswegs in diese Kategorie hätte aufnehmen sollen.151 Die Aussagefähigkeit der KK wurde durch diese Fehl-Erfassungen und dadurch irreführende und wertlose Datenerfassungen beeinträchtigt. Ihr Wert für Analyseaufgaben sank. Mit der Vergrößerung der Karteien nahm zudem ihre Qualität ab, da die wirklich wichtigen Karteikarten nicht mehr so gut gepflegt werden konnten. Daten veralteten vielfach und wurden nur selten ergänzt, bei Westpersonen nur zu 1,9 Prozent im Jahr.152 Ein weiterer Grund, warum das KK-System nicht die ursprünglich erwartete Schlagkraft entwickelte, lag in den materiellen Ressourcen von MfS und DDRSystem begründet. Ganz vom kybernetischen Denken angesteckt, ging Erich Mielke optimistisch davon aus, das Kerblochsystem zügig durch ein automatisiertes Verfahren ablösen zu können.153 Es war geplant, die computergängig strukturierten Daten bald auf maschinenlesbare Datenträger zu übertragen und eine zentrale Personendatenbank für das MfS aufzubauen. Diese sollte »umfangreiche Vergleichsmöglichkeiten mit anderen Delikten und z. B. die Suche nach unbekannten Tätern [ermöglichen]. Und nicht zuletzt die Klärung der Frage ›Wer 147 MfS/ZAIG: Rede, 29.4.1976; BStU, MfS, ZAIG Nr. 17941, Bl. 87. 148 MfS/ZAIG: Vortrag zur Einweisung der Leiter der AIG in die Aufgaben zur Durchsetzung der 2. u. 3. DB zum Befehl Nr. 299/65, 20.3.1974; BStU, MfS, ZAIG Nr. 18615, Bl. 2–85, hier 45. 149 MfS/Abt. XII: Vortrag zur Einweisung in die Aufgaben der 2. u. 3. DB zum Befehl Nr. 299/65, 13.5.1974; BStU, MfS, ZAIG Nr. 19427, Bl. 7–20, hier 10. 150 MfS/ZAIG: Rede, 29.4.1976; BStU, MfS, ZAIG Nr. 17941, Bl. 87. 151 MfS/ZAIG: Vortrag zur Einweisung der Leiter der AIG in die Aufgaben zur Durchsetzung der 2. u. 3. DB zum Befehl Nr. 299/65, 20.3.1974; BStU, MfS, ZAIG Nr. 18615, Bl. 43. 152 MfS/BV Pdm: Referat des Leiters der BV, 27.4.1976; BStU, MfS, ZAIG Nr. 18608, Bl. 59. 153 MfS, Mielke, Erich: Referat auf der Dienstbesprechung am 24.6.1970; BStU, MfS, ZAIG Nr. 4740, Bl. 1–125, hier 124; Höhne, Manfred; Irmler, Werner; Schäfer, Ewald: Weiterentwicklung und Qualifizierung der prognostischen Tätigkeit als Bestandteil des Systems der Führungs- und Leitungstätigkeit im Ministerium für Staatssicherheit. JHS 1970; BStU, MfS, ZAIG Nr. 7694, Bl. 81.
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ist Wer?‹«,154 also die genaue, qualifizierte Personenüberprüfung beschleunigen. Wie sich zeigen sollte, wurden die sehr begrenzten Kapazitäten an Großrechenanlagen zuerst zur Kontrolle des Ost-West-Reiseverkehrs und in der Dokumentation der Westspionage eingesetzt, während die elektronische Weiterentwicklung des KK-Systems zu einer Personendatenbank lange zurückstehen musste. In letzter Konsequenz hemmten Folgen der dynamischen Entwicklung der Ost-WestBeziehungen die systematische Weiterentwicklung des Informationssystems im MfS, zwangen zu Improvisationen und führten zu Rückschritten.
154 MfS, Mielke, Erich: Referat auf der Dienstbesprechung am 24.6.1970; BStU, MfS, ZAIG Nr. 4740, Bl. 122, 124.
5. Die Entspannungspolitik, Reisekontakte und deren Folgen für das MfS
Dieses Kapitel widmet sich den politischen Rahmenbedingungen, die zur Ergänzung und schließlich Ablösung des bis zur Mitte der 1960er-Jahre entwickelten Informationsmanagements im MfS führten. Eine Reihe von MfS-internen und von außen an das MfS herangetragenen Gründen sind dafür maßgeblich, dass die traditionell und auf überschaubaren Informationszugängen und Informationsabfragen beruhende Informationsverwaltung abgelöst wurde und eine Neuorientierung zur Bewältigung großer Datenströme erfolgte. In erster Linie wurden diese Veränderungen dadurch bewirkt, dass die SED vom zuvor verfolgten strikten Abschottungskurs gegenüber dem Westen seit dem Ende der 1960er-Jahre abwich. Am Spagat zwischen der vorsichtigen Öffnung der Westgrenze und dem Versuch der forcierten ideologischen Abschottung des DDR-Volkes vor westlichen Einflüssen scheiterten SED und Staatssicherheit letztendlich. Insbesondere die geheimpolizeilichen Versuche des MfS, die ideologische Herrschaft der SED unter den Bedingungen der Ost-West-Entspannungspolitik und den wachsenden, nach Westen ausgerichteten, Konsum-, Kommunikations- und Reisebegehrlichkeiten der DDR-Bevölkerung zu sichern, führten zu wachsenden und kaum zu erfüllenden Anforderungen.
5.1 Der Ost-West-Reiseverkehr als Treibsatz für die Entwicklung des MfS Kein Thema prägte das MfS in den letzten zwei Jahrzehnten seiner Existenz so stark wie die wachsenden Ost-West-Kontakte infolge der zweiten Phase der Entspannungspolitik. Die Kontrolle der Reisen und des reisenden Personals, das aus Sicht des MfS durch Westkontakte mannigfaltig gefährdet wurde, führten zu Massenüberprüfungen. Diese Überprüfungen stellten für die Staatssicherheit eine kaum zu bewältigende Herausforderung sowohl hinsichtlich der erforderlichen Informationsbeschaffung als auch der nachfolgenden Informationsverarbeitung dar. Für eine auf den internationalen Klassenkampf eingestellte Institution erschien jeder Kontakt von DDR-Bürgern mit Vertretern des Klassenfeindes primär verdächtig und bot sekundär immerhin eine Chance, begehrte Informationen zu erlangen und Informanten zu gewinnen. Als Folgen eines vermehrten Ost-WestAustausches fürchtete das MfS vor allem Fluchten, Fluchthilfe (den sogenannt staatsfeindlichen Menschenhandel), vermehrte Ausreisewünsche, Abwerbung
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Die Entspannungspolitik, Reisekontakte und deren Folgen für das MfS
insbesondere von Fachpersonal und Spezialisten, unerwünschte ideologische Einflüsse und gegen die DDR gerichtete Spionage. Gern wird beispielsweise suggeriert, dass vor allem die Stasi den Kampf gegen die Bürger führte, die die DDR gen Westen verlassen oder auch nur dorthin reisen wollten.1 Demgegenüber lagen alle rechtlichen Fragen, auch die der ständigen Ausreise aus der DDR, nicht beim MfS, sondern primär in der Kompetenz des Ministeriums des Innern. Alle grundlegenden Regelungen, Gesetze, Anweisungen zu diesen Themen fielen in die Zuständigkeit des Ministerrates beziehungsweise in die Ressortzuständigkeit des MdI. Die wichtigsten internen MfS-Regelungen folgten Impulsen der zentralen SED-Politik, die sich zunächst jedoch im Ministerrat oder im Innenministerium niederschlugen.2 Natürlich waren diese Regelungen interministeriell und damit auch mit dem MfS abgestimmt. Die primäre Verantwortlichkeit lag dennoch beim Ministerium des Innern, den Abteilungen für Inneres der Bezirke, Kreise und Städte beziehungsweise der Volkspolizei, dort vor allem dem Bereich Pass- und Meldewesen. Das MfS, anders als zuweilen dargestellt, war nur sekundär beteiligt. Das MfS-Engagement in Reisefragen war eine Folge der Sichtweise des MfS, westliche Einflüsse mehr oder minder mit feindlichen Einflüssen gleichzusetzen. Ungeachtet zahlreicher Bekenntnisse zur Politik der SED, gehörte das MfS nicht zu den eigentlichen Befürwortern der Entspannungs- und Koexistenz-Politik. Seit der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre durchzog das Wort von der »Diversion«, später der »ideologischen Diversion« Grundsatzreden und Vorschriften des MfS.3 Kaum ein Ereignis machte schon vor Beginn der eigentlichen Vertragspolitik die Gefahren der ideologischen Diversion deutlich, wie das Treffen des bundesrepu blikanischen Kanzlers Willy Brandt mit dem Ministerpräsidenten der DDR, Willi Stoph, in Erfurt. Dass einfache DDR-Bürger am Erfurter Bahnhof den »falschen« Willy mit Willkommensrufen begrüßten, war für Erich Mielke ein Schock. Er musste erkennen, dass die Zahl derer, die zwar »nicht unmittelbar mit feindlichen Handlungen in Erscheinung [treten], aber durch den Gegner ansprechbar und
1 Hürtgen: Ausreise per Antrag, S. 199. Die Dokumentation der geheimen Anweisungen zur Diskriminierung Ausreisewilliger nennt das MfS an erster, das MdI an zweiter Stelle. Lochen; Meyer-Seitz: Die geheimen Anweisungen, S. 9; Lindheim: Bezahlte Freiheit, S. 45; Johannsen: Die rechtliche Behandlung, S. 45. Mit Fokus auf den Kernbereich des Häftlingsfreikaufs sieht Wölbern dessen Durchführung »von Beginn an beim MfS«, das auf Weisung der SED agierte. Er widmet aber auch den Partnern des MfS Aufmerksamkeit. Wölbern: Häftlingsfreikauf, S. 141 f., 150 ff. 2 Lochen; Meyer-Seitz: Die geheimen Anweisungen, S. 9 ff. 3 Mampel setzt die Nutzung dieses Begriffes für Mitte der 1960er-Jahre an, aber schon 1957 wurde die ideologische Aufweichung oder Diversion im MfS-Leitungskollektiv thematisiert. Die Vokabel Diversion ist älter und im hier relevanten Zusammenhang aus dem sowjetischen Strafrechtskontext hergeleitet. MfS: Protokoll der Kollegiumssitzung v. 21. u. 22.11.1957; BStU, MfS, SdM Nr. 1553, Bl. 222–252; Mampel: Ministerium für Staatssicherheit, S. 36 ff.
Der Ost-West-Reiseverkehr als Treibsatz für die Entwicklung des MfS
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auch zu mobilisieren [sind]«, weitaus größer war, als angenommen.4 Es zeigte sich, dass offenbar weit mehr Menschen für diesen Bazillus anfällig waren, als die bis dato vom MfS in den Blick genommenen Personen. Das Ereignis von Erfurt war ein weiterer Ansporn, die Überwachung auszudehnen und stärker präventiv zu wirken. Erich Mielke sah durch die Entspannungspolitik der 1970er-Jahre vor allem »größere Gefahren für die weitere Entwicklung und die innere Ordnung und Sicherheit«5 kommen. Neben der Befürchtung, dass Reisefreiheiten die Fluchtgefahren erhöhen würden, gerieten nun auch die »Kontaktpolitik und Kontakttätigkeit« als Gefahren in den Fokus. Es wuchs der Argwohn, dass feindliche Stellen die Reisemöglichkeiten zielstrebig nutzen könnten, um Personen in sicherheitsrelevanten Positionen auszuhorchen und umzudrehen. Das MfS sah hinter alledem einen perfiden Destabilisierungsversuch, die sozialistische Gesellschaftsordnung aufzuweichen und zu zersetzen, Widerstand gegen die Politik der kommunistischen Parteien und die sozialistische Staatsmacht hervorzurufen, eine politische Untergrundtätigkeit und ›politische Opposition‹ zu entwickeln und damit einen Prozess der Restaurierung imperialistischer Verhältnisse in den Ländern der sozialistischen Staatengemeinschaft in Gang zu setzen.6
Man schlussfolgerte, dass nun auch »höhere Maßstäbe für die Auswahl, die Überprüfung und den Einsatz von Kadern«7 zu gelten hätten. Insgesamt gerieten die Ost-West-Beziehungen generell unter Verdacht und wurden sicherheitspolitisch überhöht. Mielke war letztlich davon überzeugt, dass jede Art der Feindtätigkeit irgendwie mit dem Reiseverkehr zusammenhing.8 In der Folge rückte die Kontrolle der Reisebewegungen und des Personals, das potenziell durch Westkontakte als »gefährdet« angesehen wurde, in das Zentrum der MfS-Tätigkeit und überforderte selbst den großen MfS-Apparat. 5.1.1 Der innerdeutsche Reiseverkehr und seine Kontrolle im Überblick Mit der Abschottung durch den Mauerbau hatte sich die Sicherheitslage aus Sicht des MfS entschieden verbessert. Allerdings währte diese Frist relativer Zufriedenheit für die Sicherheitskreise nur kurz. Die wirtschaftliche Integration 4 MfS: Mielke, Erich: Referat auf der Dienstbesprechung am 24.6.1970; BStU, MfS, ZAIG Nr. 4740, Bl. 1–125, hier 61. 5 MfS: Mielke, Erich: Referat auf der Dienstkonferenz v. 10.3.1972; BStU, MfS, ZAIG Nr. 4760, Bl. 2. 6 Suckut: Wörterbuch der Staatssicherheit. Stichwort: Kontaktpolitik, S. 219. 7 Hähnel u. a.: Die weitere Qualifizierung der Sicherheitsüberprüfungen des MfS im Prozess der politisch-operativen Arbeit entsprechend den wachsenden Sicherheitsbedürfnissen und Erfordernissen des sozialistischen Staates. Potsdam 1980; BStU, MfS, JHS Nr. 21901, Bl. 29. 8 MfS/Abt. XII: Information v. 21.1.1981; BStU, MfS, Abt. XII Nr. 3185, Bl. 435 f.
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Die Entspannungspolitik, Reisekontakte und deren Folgen für das MfS
beider deutscher Staaten führte zwangsläufig zu Reiseerfordernissen, die Zahl der DDR-Reisekader stieg langfristig deutlich an.9 Geradezu erdbebenartig wirkten zwischen 1963 und 1966 die Passierscheinabkommen, in denen der Berliner Senat Feiertagsbesuche für die Westberliner bei ihren Ostberliner Verwandten ausgehandelt hatte. Nach dem ersten Abkommen nutzten 700 000 Westberliner zwischen Weihnachten und Neujahr 1963/64 die Chance, die Grenze zu passieren.10 Der DDR-Staat war mit dieser Situation derart überfordert, dass dem MfS die Aufgabe zukam, alle wichtigen staatlichen Funktionen in diesen Tagen zu kontrollieren und teilweise sogar zu koordinieren. Das Ministerium war vom Ministerrat der DDR »hauptverantwortlich mit der Sicherung der Organisierung und Durchführung sowie der Sicherstellung des gesamten technisch-organisatorischen Ablaufes beauftragt«11 worden. Bis zu 20 Prozent des MfS-Personalbestandes wurden für die Zeit der Passierscheinregelungen bereitgehalten.12 Intern sollten alle Einreise-Antragsteller in den relevanten Karteien der Abteilung Sicherung des Reiseverkehrs (ASR) erfasst und überprüft und gegebenenfalls Einreisesperren von der HA Passkontrolle und Fahndung (HPF) umgesetzt werden.13 Die Passierschein-Aktion von 1972 unter dem Decknamen »Akzent« wurde für das MfS zum Testfall für den Reisenden-Ansturm, der nach dem Abschluss von Viermächteabkommen über Berlin von 1971, Verkehrsvertrag von 1972 sowie Transitabkommen von 1971 und dem Grundlagenvertrag von 1972 mit der Bundesrepublik im Rahmen der Entspannungspolitik auf Ostberlin und die DDR zukommen sollte. Diese Verträge regelten die Zulässigkeit und erleichterten entscheidend Reisen durch und in die DDR und Ostberlin sowie Grenzpassagen von West nach Ost. Die Abkommen beschränkten zudem die Kontrollen für den Transitverkehr zwischen Westberlin und der Bundesrepublik, was zu einem steilen Anstieg der Zahlen solcher Passagen führte. Das MfS befürchtete, dass damit zeitgleich die Zahl der Fluchten ansteigen könnte und verstärkte die Kontrollen im Verlauf der Transitwege. Nicht zuletzt wurden diverse Hilfskräfte mobilisiert, darunter fielen auch Abschnittsbevollmächtigte der Volkspolizei (ABV) und deren freiwillige Helfer (FHDVP), die zur Sicherung des Umfeldes von Transitstrecken gewonnen werden sollten.14 9 Niederhut: Reisekader, S. 41. 10 Amos: Die SED-Deutschlandpolitik, S. 132. 11 Durchführungsanweisung zum Befehl Nr. 754/64 v. 26.9.1964; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 926, S. 4. 12 MfS: Befehl Nr. 754/64 v. 26.9.1964 zum Passierscheinabkommen 1964; ebenda, S. 3. 13 MfS: Verfahren für die Bearbeitung von Anträgen auf Einreise v. 2.6.1972; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 1688, S. 2. ASR, HPF und die Zollabwehr der HA VII wurden 1970 zur HA VI zusammengefasst. Die bürokratische und die praktische Umsetzung der Passierscheinregelung oblag wesentlich der AG XVII (Besucherbüro Westberlin) des MfS. 14 MfS: Mielke, Erich: Referat auf der Dienstkonferenz v. 10.3.1972; BStU, MfS, ZAIG Nr. 4760, Bl. 2, Aspekt der »wirksamen Tiefenwirkung«, Bl. 52.
Der Ost-West-Reiseverkehr als Treibsatz für die Entwicklung des MfS
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25 000 000
20 000 000
15 000 000
10 000 000
5 000 000
0
1970
1971
1973
1975
1977
1979
1981
1983
1985
1986
Abb. 17: Entwicklung des Transitverkehrs zwischen der Bundesrepublik und der DDR 1970–1986
Mit der Vertragspolitik stieg auch die Zahl der privat motivierten Einreisen aus dem Westen. Im Grunde genommen verstetigte sich, was das MfS in den Perioden des Geltens der Passierscheinabkommen noch als Ausnahmezustand wahrgenommen hatte. Die Personenüberprüfungen in diesem Ausnahmefall sollten zum Normalfall werden. MfS-Chef Erich Mielke setzte vornehmlich auf präventive Kontrollen. Wurden Westdeutsche oder Ausländer von DDR-Bürgern eingeladen, bildete das beispielsweise einen Ansatzpunkt, im Zusammenspiel mit der Volkspolizei diesen Kontakt in der DDR zu überprüfen. Das ging mit einem enormen Aufwand einher und erhöhte den Informationsbedarf. Eine neue Herausforderung erwuchs für das MfS, als die DDR-Regierung sich gezwungen sah, im Zuge von UNO-Beitritt 1973 und KSZE-Prozess 1975/76 Bekenntnisse zu den Menschenrechten abzugeben.15 Das animierte DDR-Bürger, unter Berufung auf das Prinzip der Freizügigkeit nun bei DDR-Ämtern auf legale Ausreise zu drängen und für dieses Recht in diversen Formen auch zu demonstrieren. Die Reihen der ausreisewilligen DDR-Bürger wuchsen deutlich.16 Das war insbesondere der Fall, nachdem der bayerische Politiker Franz Joseph Strauß der finanziell 15 Zum Thema erschien jüngst eine Studie von Selvage; Süß: Staatssicherheit und KSZE-Prozess. 16 Raschka: Justizpolitik, S. 91.
144
Die Entspannungspolitik, Reisekontakte und deren Folgen für das MfS
4 000 000 BRD-Bürger nach DDR u. Ostberlin West-Berliner nach DDR u. Ostberlin
3 500 000
Rentnerreisen 3 000 000
2 500 000
2 000 000
1 500 000
1 000 000
86
85
19
84
19
83
19
82
19
81
19
80
19
79
19
78
19
77
19
76
19
75
19
19
70 19
64 19
19
60
500 000
Abb. 18: Innerdeutsche private Reisebewegungen 1960–1986
maroden DDR einen Milliardenkredit vermittelte und die DDR die Schleusen für die Familienzusammenführung 1983/84 weit öffnen musste. Was als innenpolitische Entlastung der DDR gedacht war, entpuppte sich schnell als Ermutigung für weitere Ausreisewillige, Anträge zu stellen; die Zahl stieg »fast explosionsartig«.17 Neue Dynamik gewann die Reisefrage durch die Pläne des Staatsratsvorsitzenden und SED-Parteichefs Honecker, die Bundesrepublik besuchen zu wollen. Im Vorfeld seiner offiziellen Reise im Jahr 1987 ließ er deutlich mehr DDR-Bürger zu touristischen und privaten Besuchen in den Westen fahren. Im Jahr 1987 waren es letztendlich fast 1,3 Millionen Personen.18 Analysen des MfS offenbarten bei der Polizei »Mängel und Schwächen bei der Reiseentscheidung«, die »Missbrauchshandlung zumindest begünstigt«19 hätten. Das in den 1970er-Jahren gewählte Verfahren, einen Großteil der Überprüfungen 17 Ebenda, S. 220. 18 MfS/HA VII: Information v. 7.11.1988; BStU, MfS, HA VII Nr. 2650, Bl. 1–26, hier 15. Die Zahlen der HA VII liegen deutlich über den Zahlen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland. 19 MfS/HA VII: Einschätzung v. 29.7.1989; ebenda, Bl. 83–99, hier 90.
Der Ost-West-Reiseverkehr als Treibsatz für die Entwicklung des MfS
145
250 000 Reisen von Reisekadern Flüchtlinge Übersiedler Reisen in dringenden Familienangelegenheiten
200 000
150 000
100 000
50 000
0
60
19
64
19
70
19
75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 19 19 19 19 19 19 19 19 19 19 19 19
Abb. 19: Innerdeutsche Grenzpassagen Ost-West (ohne Rentner) 1964–1986
auf die Betriebe und vor allem auf die Volkspolizei abzuwälzen, versagte angesichts der enormen Zahl der Anträge, dem zeitlichen Genehmigungsdruck und den politischen Erwartungen der SED-Spitze. Die zuständige Hauptabteilung VII des MfS mahnte an, dass Entscheidungen der SED-Spitze »überreif« seien.20 Derartige Kritik aus der Fachebene des MfS an der Politik der Parteispitze war eher ungewöhnlich. Erich Mielke musste sein Personal immer wieder darauf einschwören, dass es dem Interesse der Partei zu folgen hätte.21 Teilweise gegen die Interessen des eigenen Sicherheitsapparates sorgte er dafür, dass die SEDVorgabe, die Reisefragen zeitweilig sehr liberal zu handhaben, im außenpolitischen Interesse umgesetzt wurde.
20 MfS/HA VII: Zuarbeit zur Einschätzung v. 14.7.1989; ebenda, Bl. 118–132, hier 130. 21 Mielke, Erich: Referat des Ministers am 2. Beratungstag der zentralen Dienstkonferenz zum 3. Strafrechtsänderungsgesetz zum StGB v. 1968, 6.7.1979; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 6616, Bl. 1–176, hier 22.
146
Die Entspannungspolitik, Reisekontakte und deren Folgen für das MfS
5.1.2 MfS-Kontrolle der Einreisen aus dem Westen Mit der DA 3/75 wurde erstmals eine grundsätzliche Anordnung von Minister Mielke erlassen, die rein MfS-intern Regelungen zu den Aufgaben des MfSApparates bei Einreisen und Aufenthalten in der DDR von Personen aus dem Westen traf. Im gleichen Zuge sollte einer, aus MfS-Sicht vorgeblich missbräuchlichen, Nutzung der vertraglich eingeräumten Reisemöglichkeiten entgegengewirkt werden. Letztlich erklärte diese Regelung den Ausnahmezustand, der für die Geheimpolizei während der Passierscheinphasen jeweils gegolten hatte, nun zum Dauerzustand. Nahezu alle wichtigen operativen Diensteinheiten, inklusive der eher als Dienstleister wirkenden Einheiten zur Post- und Briefkontrolle, wurden auf dieses Ziel ausgerichtet. Wenn es im Gemischtwarenladen des Erich Mielke überhaupt Sinn macht von Hauptaufgaben zu sprechen, dann regelte die DA Nr. 3/75 sicher eine der maßgeblichen Obliegenheiten.22 Das MfS befürchtete, dass die privaten Einreisen aus dem Westen von westlichen Dienststellen, Unternehmen und sonstiger Interessenten zur Destabilisierung, Störung und Ausforschung besonders der östlichen Rüstungsanstrengungen, der DDR-Wirtschaft und ganz allgemein der SED-Herrschaft genutzt werden könnten. Daher waren die vom MfS unterstellten Pläne des Gegners aufzuspüren und zu entlarven. Zweitens sollten DDR-Bürger präventiv vor westlicher Anstiftung zu Feindeinwirkungen wie Diversion, Spionage und sonstigen Störversuchen gegen Wirtschaft und Herrschaftssystem in der DDR geschützt werden. Damit gerieten nicht allein die einreisenden Westbürger ins Visier des MfS, im gleichen Maße wurden ihre Kontakte in der DDR verdächtigt. Der Kontroll- und Überwachungsdruck gegenüber der eigenen Bevölkerung wurde in der Folge wesentlich intensiviert. Insbesondere Personen in verantwortlichen Positionen oder Geheimnisträger, die nicht selten zu den systemtragenden Schichten gehörten, waren nunmehr »vorbeugend« zu sichern. Drittens, und das führte zu Widersprüchen in der abweisenden Strategie, sollten die operativen Diensteinheiten immer bedenken, auch Möglichkeiten der Informationsgewinnung »in und nach dem Operationsgebiet«23 zu sichern und auszuschöpfen. Auf gut deutsch sollten aktiv Zugangsmöglichkeiten zu potenziellen westlichen Abschöpfkontakten, Zuträgern oder gar Agenten erarbeitet und gesichert werden. Statt Reisen zu verhindern, sollten sie genutzt werden. In den Unterlagen der Kreisdienststelle Gransee fanden sich mühelos Beispiele dafür, dass eine ursprüngliche Reise-Ablehnung der Volkspolizei durch den Leiter der Kreisdienststelle aus eben solchen »operativen« Gründen aufgehoben wurde.24 22 MfS: Dienstanweisung Nr. 3/75 v. 6.8.1975, über die politisch-operative Sicherung der Einreisen von Personen aus nichtsozialistischen Staaten und Westberlin und während ihres Aufenthaltes in der DDR; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 3756. 23 Ebenda, S. 9. 24 BV Pdm/KD Gransee, ZMA; BStU, MfS, BV Potsdam, KD Gransee, ZMA Nr. 2469.
Überprüfung von Dienstreisenden in den Westen – Aktion Leuchtturm
147
5.2 Überprüfung von Dienstreisenden in den Westen – Aktion Leuchtturm Nach dem Mauerbau sollte DDR-Personal, das für Dienstreisen in Richtung Westen vorgesehen wurde, speziell überprüft werden. Den Testfall für Sicherheitsüberprüfungen solcher West-Dienstreisenden bildete die Aktion »Leuchtturm«. Überwiegend wirtschaftliche Notwendigkeiten bewirkten, dass sich die DDR gegenüber dem Westen nicht vollkommen abschotten konnte. Wer also als sogenannter Reisekader im dienstlichen Auftrag die Grenze überqueren sollte, geriet nach 1961 schnell in das systematische Blickfeld des MfS. Weil die Flüchtlingszahlen der Seeleute, einer politisch ohnehin heterogenen Gruppe, trotz Kontrollen von Reedereien und Innenverwaltung sichtlich stiegen, wurde das MfS aktiv. Im Jahr 1964 erließ Mielke eine Dienstanweisung, die DA Nr. 1/64, eigens zur Überprüfung des seefahrenden Personals. Die Abteilung Hafen der BVfS Rostock, am Standort des DDR-Überseehafens, wurde exklusiv mit der Umsetzung der Dienstanweisung beauftragt.25 In der praktischen Handhabung traten jedoch verschiedene Schwierigkeiten auf, die teilweise noch in späteren Jahren ein Problem bei den Sicherheitsüberprüfungen im Reiseverkehr darstellten. Die maßgeblichen Entscheidungskompetenzen verblieben bei der Deutschen Seereederei und dem Innenministerium beziehungsweise der Volkspolizei. Dem MfS waren nur kurze Fristen für ein ergänzendes Votum eingeräumt. Binnen zehn Tagen war der Vorgang in der jeweils zuständigen Kreisdienststelle am Wohnsitz oder am Sitz des Beschäftigungsbetriebes des Bewerbers zu bearbeiten.26 Der Gesamtvorgang sollte nach Einbeziehung weiterer MfS-Dienststellen, darunter die MfS-Zentralkartei, innerhalb von zwei Monaten abgearbeitet und der Rücklauf bei der Abteilung Hafen in Rostock eingetroffen sein.27 Die Terminsetzung war aus rein arbeitsorganisatorischen Gründen oft kaum zu halten. Das Nadelöhr bildete die überforderte Zentralkartei. Schon früh tat sich das mit den Massenüberprüfungen verbundene Dilemma auf. Entweder musste man das Niveau der Überprüfung senken oder es trat das Problem der nicht fristgemäßen Bearbeitung auf. Noch 1985 sank die Zahl der Mahnungen kaum, sodass die Bearbeitungsfristen gelockert werden mussten.28 Auch ein zweites Merkmal dieser Überprüfungen wird deutlich. Es waren vor allem die Dienststellen der Reedereien, Inneres und die der Volkspolizei, auf denen die Hauptlast der Überprüfungen lag. Die betriebliche Zustimmung 25 MfS: Dienstanweisung Nr. 1/64 v. 1.4.1964, zu Überprüfungsmaßnahmen zwecks Ausstellung eines Seefahrtsbuches für alle Bewerber zur Handels- und Fischereiflotte; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 2448, Bl. 2. 26 MfS: DA 1/64 v. 1.4.1964; ebenda. 27 Cammin: Die Deutsche Seereederei, S. 205. 28 Stirn: Traumschiffe des Sozialismus, S. 211.
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Die Entspannungspolitik, Reisekontakte und deren Folgen für das MfS
war keine reine Formalie. Leiter, die zu »sorglos«29 einem ihrer Mitarbeiter ihr Placet zur Reise gaben, mussten befürchten, bei der Kreis- oder Stadtleitung der SED gemeldet zu werden. Von den zwischen 1977 und 1988 beinahe 150 000 eingereichten Anträgen auf ein Seefahrtsbuch wurden denn auch 56,2 Prozent von den Betrieben selbst abgelehnt. Vor Ort war eine Reihe von Beteiligten in das Überprüfungsverfahren einbezogen.30 Die Volkspolizei, die die zum Grenzübertritt notwendigen Sichtvermerke erteilte, betrieb einen nicht unerheblichen Überprüfungsaufwand. Der bestand im Wesentlichen aus Karteiüberprüfungen und den Vor-Ort-Einschätzungen der lokal zuständigen ABV für jeden Bewerber.31 Diese Personeneinschätzungen der ABV sind nicht einfach aufzufinden. Offenbar wurden sie in der Umbruchzeit 1989/90 überwiegend vernichtet.32 Jedoch können personenbezogene MfS-Unterlagen verstreut ähnlich motivierte Berichte von ABV über Personen beinhalten.33 Diese vermitteln eine Vorstellung davon, dass die Kurzcharakteristiken der Volkspolizei politisiert waren, die Beurteilungskriterien denen des MfS ähnelten und Aussagen zu politischen Einstellungen und gegebenenfalls Einschätzungen zum Umgang mit »negativen« (meint meist ideologisch negativ beleumdete) Personen einschlossen.34 Nicht zuletzt zeugen die Berichte davon, dass in Einzelfällen ABV sogar private Beziehungen ausnutzten, um im Interesse des MfS (und ohne als IM verpflichtet zu sein) das Leben von Überprüfungspersonen auszuforschen.35 Das MfS war an den Überprüfungsverfahren zur Bestimmung politisch hinreichend zuverlässiger DDR-Seefahrer beteiligt. Die Hauptlast der Verfahren lag überwiegend jedoch in den Händen von anderen Institutionen. Trotzdem soll das Gewicht des unabdingbar beizuziehenden Votums der Staatssicherheit nicht unterschätzt werden. 5.2.1 MfS-Sicherheitsüberprüfungen von Inlands- und Reisekadern Die Befürchtungen des MfS gegenüber systemabträglichen Auswirkungen der »Kontaktpolitik« des Westens blieben nicht auf die Reisekader beschränkt. Nicht minder schwere Gefährdungen erkannte das MfS allgemein auch für das systemstützende Personal. Wegen dieses Bedrohungsszenarios sollten gewichtige 29 Vgl. Budde: Reisen in die Bundesrepublik, S. 39. 30 Cammin: Die Deutsche Seereederei, S. 209–211. 31 Stirn: Traumschiffe des Sozialismus, S. 206. 32 Budde: Spitzelapparat der Deutschen Volkspolizei, S. 123–126. 33 Interessante, durchaus intime Zitate über Personen, deren Urheberschaft bei ABV der DVP liegen, belegt Lerke. Er beschränkt sich allerdings auf als IM verpflichtete ABV. Lerke weist darauf hin, dass die meisten dieser ABV-Berichte im Zusammenhang mit Reisefragen entstanden. Lerke: Die Rolle des Abschnittsbevollmächtigten, passim. 34 Zur Funktion der DVP als Informationsbeschafferin vgl. auch Herbstritt: Volkspolizei als Geheimpolizei?, S. 389–414; Herbstritt: Volkspolizei, S. 16–21. 35 Booß; Müller-Enbergs: Die indiskrete Gesellschaft, S. 40.
Überprüfung von Dienstreisenden in den Westen – Aktion Leuchtturm
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Kompetenzen für die Kaderpolitik in die »spezifische Verantwortung des MfS« verlagert werden. Für die Reisekader und auch für Inlandskader wurden daher in der Folge systematische Sicherheitsüberprüfungen eingeführt und dazu eine detailliert regelnde MfS-Richtlinie erlassen.36 Aus der speziellen MfS-Sicht galten alle Kader als gefährdet, »auf die sich der Gegner im Inneren der DDR im besonderen Maße konzentriert«, wie Geheimnisträger, Grenzkader, Kader für NVA-Spezialeinheiten, Angehörige der DVP, für leitende Funktionen vorgesehene Kader.37 Damit standen nicht mehr allein die potenziellen Staatsfeinde im primären Überwachungsfokus des MfS. In beträchtlichem Maße rückten auch Personen ins Blickfeld, die zumindest qua Funktion eher als Systemträger einzustufen waren. Von dieser Fokussierung blieb auch die vielfach als operativer Partner des MfS dienende DVP nicht verschont. Beispielsweise umfasste der Informationsbedarf der MfS-Linie VII zum Personal der örtlichen Volkspolizei in Gransee rund 30 verschiedene Positionen.38 Durch die Forschung und Publizistik ist die Bedeutung der Sicherheitsüberprüfungen als Aufgabe des MfS bislang eher unterschätzt worden,39 obwohl diese und die Reiseüberprüfungen die Arbeit des MfS in den 1970er- und 1980er-Jahren dominierten. Nach dem Vorbild der Überprüfung der Seeleute erließen der Ministerrat der DDR und vor allem das Ministerium des Innern Regeln für Reisekader.40 Für manche Berufsgruppen, beispielsweise für Mitarbeiter der Hochseeflotte und das Flugpersonal der Interflug, gab es spezielle Regelungen.41 Parallel entwickelte das MfS interne Anweisungen zur Überprüfung von Personen, die die Staatsgrenze überqueren wollten oder sollten. Diese konnten, wie im Fall der staatlichen Fluggesellschaft Interflug, zum Teil auf Absprachen mit anderen Institutionen, vor allem mit dem Ministerium des Innern, beruhen. Zum Teil waren es MfSAnweisungen, die auf informellem Wege über Vertrauenspersonen in Betrieben, staatlichen Einrichtungen und gesellschaftlichen Institutionen durchgesetzt wurden. So entstand über die Jahre ein nur noch schwer zu durchschauendes 36 MfS: RL Nr. 1/82 v. 17.11.1982, zur Durchführung von Sicherheitsüberprüfungen; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 7418, Bl. 2–40, abgedruckt in: Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 397–421. 37 Mielke, Erich: Die weitere Qualifizierung und Vervollkommnung der politisch-operativen Arbeit der Kreisdienststelle, Referat v. August 1973; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 1504/73, Bl. 240. 38 BV Pdm/KD Gransee: Informationsbedarf, 9.3.1981; BStU, MfS, BV Potsdam, Abt. VII Nr. 1251, Bl. 16–18. 39 Das Thema findet in verschiedenen Darstellungen durchaus Berücksichtigung, jedoch existiert bislang keine eigenständige Monografie zum Thema Sicherheitsüberprüfungen und Geheimschutz. 40 Lochen; Meyer-Seitz: Die geheimen Anweisungen. 41 Darunter fiele beispielsweise die Anweisung Nr. 05/79 der Interflug. Vgl. ferner Hähnel, u. a.: Die weitere Qualifizierung der Sicherheitsüberprüfungen des MfS im Prozess der politischoperativen Arbeit entsprechend den wachsenden Sicherheitsbedürfnissen und -erfordernissen des sozialistischen Staates. Potsdam 1980; BStU, MfS, JHS Nr. 21901, Bl. 346.
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Die Entspannungspolitik, Reisekontakte und deren Folgen für das MfS
Wirrwarr von Gesetzen und Anweisungen. Einer MfS-Übersicht zufolge existieren Anfang der 1980er-Jahre beim MdI, dem MfS und weiteren zentralen staatlichen Stellen allein 15 Regelungen zu Reisefragen, die jeweils eine »Zustimmung« des MfS zur Einzelfallentscheidung beinhalteten. Das betraf beispielsweise Reisekader aus dem Bereich Kultur, Leistungssportler oder Reichsbahnmitarbeiter. Im Zuge einer Überarbeitung der wichtigsten Arbeitsrichtlinien des MfS wurden 1982 die MfS-Anweisungen zur Sicherheitsüberprüfung zusammengefasst und systematisiert.42
5.3 Anmerkungen zur Rolle des MfS bei Übersiedlungsersuchen Mit dem Abschluss der KSZE-Verträge begann für die DDR ein Zickzacklauf zwischen Nachgiebigkeit und repressiver Verengung der Spielräume in Reisefragen, die bis zum Untergang der DDR anhalten und diesen letztlich beschleunigen sollte. Von allen staatlichen Stellen wurden in Abstimmung mit der SED verstärkt Initiativen ergriffen, um die Zahl der Antragsteller einzudämmen. Im gleichen Zuge entstand dem MfS hier ein neuer Schwerpunkt der Informationsbeschaffung. Die Ausreiseproblematik war jedoch nicht allein und nicht einmal vorrangig beim MfS angesiedelt. Schon 1973 wurden in den Kreisen und Städten Arbeitsgruppen mit Vertretern von mehreren Institutionen gegründet, die Sondergenehmigungen zur Ausreise bescheiden sollten. Später wurde dieses Gremium intern auch als AG 0118 bezeichnet.43 Mitglieder der AG waren im Kreis Halberstadt, der aber hinsichtlich der Teilnehmer typisch gewesen sein dürfte, der Bereich Pass- und Meldewesen, die Kriminalpolizei und die Kreisstaatsanwaltschaft. Bei Bedarf wurden Vertreter auch anderer Fachorgane der Räte, ABV oder Betriebsleiter beigezogen. Die lokale Dienststelle des MfS war in Ausreisefragen zunächst nur ein Organ neben anderen.44 Überwogen die zulässigen humanitären Gründe für eine Ausreisegenehmigung aus der Sicht dieses Gremiums nicht, konnten Aktivitäten mit dem Ziel der Rückgewinnung durch eine Mischung von Anreizen und Repressionen eingeleitet werden. Solche Strategien zum Umstimmen von Ausreise-Interessenten lagen nicht vorrangig in den Händen des MfS, sondern in der Regie der Abteilungen Inneres beziehungsweise der SED im Kreis oder Bezirk. In den Bereichen für Inneres 42 Die RL Nr. 1/82 zur Durchführung von Sicherheitsüberprüfungen erstreckte sich ausdrücklich auch auf Reisekader. Der MfS-Ansatz zur Vereinheitlichung trug nicht lange, im Dez. 1985 erließ Mielke den Befehl Nr. 20/85 über die Durchführung von Sicherheitsüberprüfungen zu Bewerbern auf ein Seefahrtsbuch; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 5205. 43 Hürtgen: Ausreise per Antrag, S. 199. Die AG wurde nach der Ordnung Nr. 0118/77 des MdI zur Regelung von Übersiedlungen benannt. 44 Warum Hürtgen das MfS als maßgeblich herausstreicht, ist nicht ersichtlich. Hürtgen: Ausreise per Antrag, S. 199.
Anmerkungen zur Rolle des MfS bei Übersiedlungsersuchen
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etablierte das MfS zur Durchsetzung eigener und Interessen der SED-Führung zwar getarnte hauptamtliche Mitarbeiter in Form von sogenannten Offizieren im besonderen Einsatz (OibE).45 Es blieb aber bei der allgemeinen Zuständigkeit der Abteilungen Inneres. Auch das MfS postulierte, die Zurückdrängung von Übersiedlungsabsichten müsse »auf breiterer Front, unter Einbeziehung aller geeigneten Kräfte, geführt werden«.46 In Ausreisefragen hatten das VPKA wie die KDfS ein Einspruchsrecht, allerdings war es asymmetrisch ausgestaltet. Die Polizei musste, wenn gefordert, ihre Entscheidungsgründe gegenüber dem MfS offenlegen, umgekehrt galt das nicht. Auf diese Weise ging das Wissen der beteiligten Institutionen manchmal unmittelbar in das Informationssystem des MfS ein. Das mag in der Forschung dazu verleitet haben, die Funktion des MfS in der Übersiedlungsproblematik zu stark zu gewichten. Abgesehen von der allgemeinen Informationsbeschaffung beschäftigte sich das MfS zunächst »nur« mit den besonders »hartnäckigen« Ausreiseantragstellern. Darunter konnten beispielsweise Mediziner und andere Spezialisten fallen, an denen das MfS schon aus Gründen des mangelnden Ersatzes und der Wahrung der Versorgungssicherheit der Bevölkerung ein besonderes Interesse haben musste. Nach Stichproben in einzelnen Kreisen dürfte dieser Personenkreis jeweils um 12 Prozent der Antragsteller ausgemacht haben.47 Solcherart Betroffene wurden in den untersuchten Kreisen meist in operativen Personenkontrollen (OPK) des MfS erfasst und bearbeitet. Je weniger effektiv Ausreisebegehren zurückgedrängt werden konnten, umso stärker griff das MfS als Korrektiv gegenüber den beteiligten Vertretern von Wirtschaft und Verwaltung ein und warf ihnen vor, ihre Rolle nicht ausreichend auszufüllen.48
45 MfS: Befehl Nr. 6/77 v. 18.3.1977, zur Vorbeugung, Verhinderung und Bekämpfung feindlich-negativer Handlungen im Zusammenhang mit rechtswidrigen Versuchen von Bürgern der DDR, die Übersiedlung … zu erlangen …; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 4791; Lochen; MeyerSeitz: Die geheimen Anweisungen, S. 34. 46 MfS/ZAIG, Irmler, Werner: Referat auf der Mitgliederversammlung der WPO, 20.1.1986; BStU, MfS, ZAIG Nr. 4374, Bl. 67. 47 BV Mgb/KD Schönebeck: Liste, 15.11.1974; BStU, MfS, BV Magdeburg, KD Schönebeck Nr. 22820, Bl. 97–100. 48 Das MfS richtete 1976 eine zentrale Diensteinheit (ZKG) und bezirkliche Strukturen (BKG) ein, um Fluchtanstrengungen und Ausreisebegehren der DDR-Bevölkerung entgegenzutreten. Vgl. allgemein Eisenfeld: Zentrale Koordinierungsgruppe.
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Die Entspannungspolitik, Reisekontakte und deren Folgen für das MfS
18 000
16 000
14 000
12 000
10 000
8 000
6 000
4 000
2 000
0
62 63 64 65 66 19 19 19 19 19
68
19
71
19
75
19
79 80 81 19 19 19
86
19
88 89 19 19
Abb. 20: Überprüfungsfälle in der Zentralkartei des MfS 1962–1989 Die deutliche Zunahme der Überprüfungen seit der Mitte der 1970er-Jahre geht auf die ausgeweiteten Ost-West-Kontakte zurück, die vermehrt auch Sicherheitsüberprüfungen in der DDR nach sich zogen. Die Ursachen der Zuwächse gegen Ende der DDR dürften in den wachsenden Reise- und Ausreisewünschen, in Problemen mit widerständigen Kreisen, aber auch in technischen Innovationen (Einführung von Datenbanken) mit Vorab-Überprüfungen in der Kartei zu suchen sein.
5.4 Auswirkungen der Ost-West-Kontakte auf Struktur und Aufgaben des MfS Im Zuge der sich entwickelnden Ost-West-Beziehungen und der Anstrengungen zu deren Überwachung kam es zu einem deutlichen Aufgabenzuwachs und Personalschub bei der DDR-Geheimpolizei mit veränderten Herausforderungen für die Informationsverarbeitung. Etwa ein Drittel der Diensteinheiten des MfS wurde nach 1970 gegründet.49 49 Gill; Schröter: Ministerium für Staatssicherheit, S. 36.
Auswirkungen der Ost-West-Kontakte auf Struktur und Aufgaben des MfS
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Mit dem Mauerbau 1961 richtete das MfS erste Einheiten zur Passkontrolle und Fahndung an den damaligen Kontrollpassierpunkten (später Grenzübergangsstellen) ein. Im Ergebnis einer Reihe von strukturellen Wandlungen infolge der steigenden Zahl der Grenzpassagen entstanden daraus schließlich die Passkontrolleinheiten innerhalb der 1970 gegründeten HA VI. Die HA VI sollte sich wegen der Reiseexpansion bald zur mitarbeiterstärksten Linie des MfS mit 7 123 Mitarbeitern im Jahr 1982 und rund 12 000 Mitarbeitern im Jahr 1989 entwickeln.50 Die MfS-AG XVII, als Besucherbüro für die Westberliner eingerichtet, wickelte für diese Personengruppe die Einreiseformalitäten (Genehmigung und Versagung der Einreise eingeschlossen) nach Ostberlin und die DDR ab.51 Zum Ende des Jahres 1975 konzentrierte das MfS die Bekämpfung der Fluchthilfe und die rapide an Bedeutung gewinnende Aufgabe des Zurückdrängens der Antragsteller auf Ausreise in einer neuen Diensteinheit, der Zentralen Koordinierungsgruppe (ZKG). Faktisch etablierte das MfS damit ein zentrales und zudem bezirkliche Gremien (BKG) zur Mitentscheidung von Fragen, die vorher überwiegend dem MdI vorbehalten waren.52 Daneben schuf sich das MfS unterschiedliche Dienstbereiche, um zugunsten von Personen entscheiden zu können, die aus sogenannt politisch-operativen Gründen, beispielsweise zur Ausübung einer IM-Tätigkeit ausreisen sollten.53 Nicht zuletzt nahm das MfS mit unterschiedlichen Diensteinheiten maßgeblichen Einfluss auf Ausbürgerungen von DDR-Bürgern. Das traf insbesondere diejenigen Personen, die als vorgeblich kriminell oder asozial der DDR zur Last fielen und die diffamierend als »Feinde […] bzw. kriminelle […] Elemente […]«54 bezeichnet wurden oder ideologisch unbeirrbare Personen, die die DDR ebenfalls verlassen sollten. Mehr oder minder mit der Belebung der Ost-West-Beziehungen verbunden waren die Konzentration der elektronischen Funkaufklärung in der HA III, die Neugründung des Bereichs Kommerzielle Koordinierung (BKK) zur Kontrolle der Devisenbeschaffungen Schalck-Golodkowskis oder die Einrichtung einer Terrorabwehr (Linie XXII). Als neuralgisch erwies sich ein zentrales Element der ausufernden Bevölkerungsüberwachung und Überprüfung infolge der zunehmenden Ost-West-Kontakte; das waren die geheimpolizeilichen Informationserhebungen zu Personen in deren Arbeitsumfeld und vor Ort in ihrem Wohngebiet. Im Berliner Ministerium sollten 50 Gieseke: Die hauptamtlichen Mitarbeiter, S. 319; Wiedmann: Die Diensteinheiten des MfS, S. 216–218, 276 f., 338 f.; Tantzscher: Hauptabteilung VI, S. 3; Gill; Schröter: Ministerium für Staatssicherheit, S. 37. 51 Gill; Schröter: Ministerium für Staatssicherheit, S. 36. 52 Raschka: Justizpolitik, S. 100; Stoye: Zur Rolle und zum Vorgehen der Bezirksverwaltung, S. 37–50. 53 MfS: Anforderungen und Aufgaben in Auswertung der Dienstbesprechung des Genossen Minister zur Unterbindung und Zurückdrängung von Übersiedlungsersuchen, 12.2.1987; BStU, MfS, ZAIG Nr. 16283, Bl. 1–62, hier 44–46. 54 MfS/BV Mgb: Schreiben an alle Diensteinheiten, 26.3.1984; BStU, MfS, BV Magdeburg Nr. 1586, Bl. 1–5, hier 3.
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Die Entspannungspolitik, Reisekontakte und deren Folgen für das MfS
die Ermittlungen von der auch für Observationen zuständigen HA VIII durchgeführt werden. Diese Hauptabteilung wuchs daher in den 1970er- und 1980er-Jahren deutlich und war mit 4 447 Mitarbeitern im Jahr 1988 die drittgrößte HA nach der HA VI und der Hauptverwaltung A.55 Auch in den Kreisdienststellen, die den Hauptteil der Personenüberprüfungen leisteten, wurde schon früh daran gedacht, eigene Sachgebiete VIII zu schaffen.56 Doch erst 1983 wurde eine Anordnung zur Bildung von separaten Sachgebieten für »Sicherheitsüberprüfungen/Ermittlungstätigkeit« erlassen.57 Weder der Kreisdienststelle Gransee noch dem MfS insgesamt gelang es, die Personenermittlungen gänzlich in der Linie VIII zu konzentrieren.58 Die Reise- und Sicherheitsüberprüfungen belasteten das MfS daher erheblich und blockierten andere Aktivitäten. Um die hauptamtlichen Kräfte zu entlasten, ging das MfS in den 1970er-Jahren daran, Gruppen von inoffiziellen Mitarbeitern für Ermittlungsarbeit zu bilden.59 IM für einen besonderen Einsatz (IME, hier Ermittler) wurden zwischen den eigentlichen MfS-Apparat und die Gesellschaft geschaltet. Diese 1968 geschaffene IM-Kategorie wurde in den Folgejahren für Zwecke der Sicherheitsüberprüfungen weiterentwickelt.60 Die Ermittler-IM wurden teils von Führungs-IM (FIM) instruiert und zu IM-Netzen zusammengefasst. Komplexe Überprüfungen wurden nicht selten von hauptamtlichen IM (HIM) für Ermittlungen vorgenommen. Die Zahl der HIM erreichte 1982 mit etwa 4 000 Personen ein Maximum und sank kurz danach mit dem Einbruch der Etatzuwächse und der Eindämmung der indirekten Planstellenerweiterung radikal.61 Die Zunahme an Aufgaben und die steigende Zahl von Reise- und Sicherheitsüberprüfungen erhöhte auch die Anforderungen an die Informationsverarbeitung. Die Auswerter-Linie zählte mit personellen Zuwächsen von 161 Prozent in den 1970er- und 1980er-Jahren zu den Bereichen im MfS mit einer deutlichen Ausweitung.62 Sie umfasste 1989 fast 1 300 Personen.63 Doch machten Personal zuwachs und spätere Erleichterungen durch die EDV die Belastungen durch die Massenüberprüfungen nicht wett. Diese führten die Auswerter und das MfS insgesamt immer wieder an ihre Grenzen. 55 Gieseke: Die hauptamtlichen Mitarbeiter, S. 396. 56 Mielke, Erich: Referat auf dem zentralen Führungsseminar v. 1.–3.3.1971; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 101212, Bl. 617. 57 MfS: Bildung von Sachgebieten Sicherheitsüberprüfungen/Ermittlungstätigkeit in den Kreisdienststellen, 25.5.1983; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 7417. 58 Mielke, Erich: Referat auf der zentralen Dienstkonferenz zu ausgewählten Fragen der politisch-operativen Arbeit der Kreisdienststellen und deren Führung und Leitung, 26.10.1988; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 7844, Bl. 62. 59 Mielke, Erich: Referat auf dem zentralen Führungsseminar v. 1.–3.3.1971; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 101212, Bl. 615 ff.; Müller-Enbergs: Inoffizielle Mitarbeiter. Teil 1, S. 72 ff. 60 Müller-Enbergs: Inoffizielle Mitarbeiter. Teil 1, S. 74 ff. 61 Ebenda, S. 89 ff. 62 Eigenberechnung nach Gieseke: Die hauptamtlichen Mitarbeiter, S. 554 ff. 63 Gill; Schröter: Ministerium für Staatssicherheit, S. 37.
6. Informationsverarbeitung zwischen Systematisierung und Massenüberprüfungen
6.1 Überforderung der Informationsverarbeitung Anfang der 1970er-Jahre Der Begriff von der Massenüberprüfung steht hier für die Reaktionen des MfS auf die sich mehrenden Ost-West-Kontakte ab den 1970er-Jahren. Hinzu kamen die Aufgaben im Rahmen der bereits mit dem Mauerbau 1961 übertragenen Personen-Einreisekontrolle (Passkontrolle) an den Grenzübergangsstellen der DDR. Der Strom der einreisenden und im Transit reisenden Personen aus dem Westen wuchs ab 1972 um ein Vielfaches an. Im gleichen Maße steigerte sich das Kontrollbedürfnis des MfS und damit die Zahl der in Karteien neu aufzunehmenden und zu kontrollierenden Personen. Da es im Wesentlichen um Besuchsreisen ging, gerieten auch die DDR-Bürger mit Westbesuch ins Visier des MfS. Wenn auch anfangs nur in geringem Umfang, reisten auch DDR-Bürger in den Westen. Allein wegen der Fluchtgefahr wurden auch sie, zumeist Rentner und Berufsreisende, Vorprüfungen und Kontrollen unterzogen. Alle Reise-Kontrollen mussten innerhalb von festen Fristen bearbeitet sein. Die zentrale Kartei der Abteilung XII war jedoch auf eine derartig hohe Inanspruchnahme nicht ausgelegt. Sie bewältigte die Anfrageflut nicht. Nach einer chaotischen Übergangsphase wurde der Weg für ein weitgehend dezentral, vor Ort organisiertes Prüfprozedere frei. Die Massenüberprüfungen lassen sich auch als reflexhafte Reaktion der Staats sicherheit auf die neue Ostpolitik interpretieren. Aus dem überzogenen Misstrauen gegenüber der Ost-West-Annäherung entstand das Bedürfnis, diese umfassend zu kontrollieren und möglichst jedweden westlichen ideologischen Einfluss von der DDR-Bevölkerung fernzuhalten, um die neuen Beziehungen zu neutralisieren. Das Informationsverarbeitungssystem des MfS war den Anforderungen der Massenüberprüfungen anfangs jedoch keineswegs gewachsen. Lange verfügte es nur über ein relativ grob konfiguriertes Karteisystem. Im Gegensatz zu der Vorstellung von einer omnipräsenten Geheimpolizei waren darin vergleichsweise wenige Menschen mit aktuellen Daten erfasst. Im Jahr 1970 waren in der zentralen Personenkartei nur 3,6 Millionen Personen gespeichert, Altfälle und Bürger aus westlichen Staaten eingeschlossen.1 Viele Einträge waren schlicht veraltet. Nur ein Bruchteil der nunmehr in den Fokus rückenden Personen war erfasst. Die 1 MfS/Abt. XII: Rationalisierung und Weiterentwicklung des bestehenden Erfassungs- und Auskunftssystems, 2.1970; BStU, MfS, Abt. XII Nr. 2049, Bl. 43–51, hier 45.
156 Informationsverarbeitung zwischen Systematisierung und Massenüberprüfungen
Anfragen wuchsen jedoch bald auf mehrere 100 000 Überprüfungen pro Jahr an. Von den Personen die einreisen wollten, samt der einladenden DDR-Bürger, die 1976 an einem Tag überprüft wurden, waren in der Zentralkartei nur 17 Prozent überhaupt enthalten, davon wiederum nur gut die Hälfte mit aktuellen Erfassungen.2 Das gab zwar Anhaltspunkte für Entscheidungen, war aber von einer umfassenden Überprüfung weit entfernt. Zudem war es rein zeitlich nicht möglich, die Überprüfungen innerhalb der Einspruchsfristen abzuarbeiten, die mit dem Innenministerium vereinbart waren. Schon 1972 musste Mielke intern einräumen, dass das MfS 1972 schlicht nicht in der Lage war, alle Aus- und Einreisenden und deren Bezugspersonen in der DDR rechtzeitig in der Zentralkartei der Abteilung XII des MfS durchzuprüfen. Dies sei, so Mielke vor seinem versammelten Führungspersonal »zzt. nicht möglich«.3 Aus diesem Eingeständnis geht hervor, dass es eigentlich sehr wohl das Ziel des MfS war, alle Ein- und Ausreisenden vollständig zu überprüfen. »Wer hält sich wo, warum auf«,4 formulierte ein Leiter einer Bezirksverwaltung einige Jahre später die Aufgabenstellung. Aber auch dieser Leiter musste zugeben, dass seine BVfS »gegenwärtig und auch künftig nicht in der Lage [sein werde …], jede einreisende bzw. Besuch empfangende Person mit gleicher Intensität aufzuklären bzw. zu bearbeiten«.5 Möglicherweise waren sich Mielke und seine MfSFührungsmitglieder anfangs nicht bewusst, worauf sie sich einließen und welche Größenordnungen auf sie zukommen sollten, als sie noch davon ausgingen, jeden Westkontakt unter Kontrolle halten zu können. Das Eingeständnis Mielkes, dass das Ziel, vorab eine »lückenlose«6 Überprüfung aller Reisenden und Kontakte zu organisieren, an personelle und technische Grenzen stieß, sollte zu bedeutsamen Weichenstellungen im Informationssystem des MfS führen. Mielkes Offenbarungseid bedeutete nichts weniger, als dass die wichtigste interne Personenabfrage des MfS, die Erfassungsabfrage mit dem F-10-Suchformular, in der zentralen F-16-Personenkartei nicht bewältigt werden konnte. Das gaben deren Kapazitäten auch zehn Jahre nach dem Mauerbau nicht her. Mielke blieb 1972 nichts anderes übrig, als die Prüfungen überwiegend in seinen untersten Regionalvertretungen anzusiedeln. Den KDfS käme bei der Sicherung der Einreisen »eine besonders hohe Verantwortung«7 zu, da sie für die Kontrolle im 2 MfS/Abt. XII: Erste Ergebnisse der statistischen Erfassung zu den Einreiseüberprüfungen für den 13.8.1976, 23.8.1976; ebenda, Bl. 11–23, hier 11. 3 Mielke, Erich: Referat auf der Dienstkonferenz, 10.3.1972; BStU, MfS, ZAIG Nr. 4760, Bl. 99. 4 BV Pdm/Leiter: Referat, 27.4.1976; BStU, MfS, ZAIG Nr. 18608, Bl. 22–74, hier 23. 5 Ebenda. 6 MfS/Kollegium: Thesen für die Kollegiumssitzung am 22.2.1971; BStU, MfS, ZAIG Nr. 4743, Bl. 49. 7 MfS/Wilke; Paulsen: Gliederungskonzeption zum Untersuchungsthema, 2.6.1976; BStU, MfS, ZAIG Nr. 19825, Bl. 52–251, hier 118.
Erfolgreiche Improvisation – der VSH-Komplex
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unmittelbaren Aufenthaltsbereich der Besucher zuständig seien, lautet das Ergebnis einer MfS-internen Studie. Genau dadurch entstand (vorübergehend) eine Lücke in dem System, das seit Anfang der 1950er-Jahre etabliert war und ein ehernes Gesetz im MfS darstellte. Eigentlich sollte von den Diensteinheiten des MfS, die eine Person in der Zentralkartei hatten erfassen lassen, ein Votum eingeholt werden, wenn eine Entscheidung zu dieser Person anstand. Angesichts der anfänglich extrem kurzen Ablehnungsfristen, weniger als sechs Tage bei Anträgen von Ostberlinern im Rahmen der Aktion Akzent,8 war es schier unmöglich, rechtzeitig überhaupt eine entsprechende Auskunft aus der Zentralkartei über mögliche Zuständigkeiten zu erhalten. Das stellte im arbeitsteiligen System des MfS eine durchaus dramatische Sicherheitslücke dar.
6.2 Erfolgreiche Improvisation – der VSH-Komplex Da das MfS die sich intensivierenden Ost-West-Beziehungen kontrollieren wollte, musste es Mitte der 1970er-Jahre zur Improvisation greifen. Die aus den Kontrollen resultierenden Datenmengen wurden zunächst aufgeteilt: Parallel zur traditionellen Überprüfung in der Zentralkartei des MfS und der Kerblochkartei wurde eine neue Karteikartenprüfung dezentral in den operativen Diensteinheiten, sowie den Kreis- und Objektdienststellen eingeführt. Die unterste Ebene des MfS sollte damit eine »höhere Selbständigkeit in der Speicherung«9 erhalten. Das Herzstück der dezentralen Lösung bildete die sogenannte Vorverdichtungs-, Such- und Hinweiskartei (VSH-Kartei).10 Die VSH diente der Verbesserung von Personenüberprüfungen, die »vor allem im Zusammenhang mit der Sicherung des weiter anwachsenden Reise- und Touristenverkehrs und der Aufklärung der feindlichen Kontaktpolitik/Kontakttätigkeit«11 standen. Bei der Einführung der VSH machte man sich informelle Praktiken zunutze, die sich in den Jahren zuvor im MfS stillschweigend herausgebildet hatten. Im Zuge von Überprüfungen wuchs die Menge von Materialien zu diversen Personen. Dieses Wissen war jedoch nur schwer oder nicht abrufbar. Das MfS sah sich vielfach gezwungen, zu aktuell nicht erfassten Personen ständig (wiederkehrend) neue Informationen zu erarbeiten. Um die Antragsflut bewältigen zu können, schufen 8 Verfahren für die Bearbeitung von Anträgen auf Einreise, 2.6.1972; BStU, MfS, BdL/ Dok Nr. 1761, S. 6. 9 Lucht: Karteien, Speicher, Datenbanken, S. 183. 10 Stasi-Karteien, S. 166–168; Booß: Der Sonnenstaat, S. 441–457. Die formale Einführung der VSH im MfS beruht auf der 3. DB v. 20.5.1974 zum Bef. Nr. 299/65 zu Aufbau und Arbeit mit der Vorverdichtungs-, Such- und Hinweiskartei in den operativen Diensteinheiten des MfS; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 3903. 11 MfS/ZAIG: Vortrag zur Einweisung der Leiter der AIG in die Aufgaben zur Durchsetzung der 2. und 3. DB zum Bef. Nr. 299/65 v. 20.5.1974; BStU, MfS, ZAIG Nr. 18615, Bl. 2–85, hier 9.
158 Informationsverarbeitung zwischen Systematisierung und Massenüberprüfungen
sich Mitarbeiter in den Auswertungsbereichen zur Arbeitserleichterung verschiedene Hilfskarteien.12 Aus der Überforderungssituation Mitte der 1970er-Jahre heraus wurde nicht viel mehr getan, als solche wild gewachsenen Karteien und Materialien etwas zu systematisieren. In den Kreisdienststellen und den geheimpolizeilich tätigen Diensteinheiten des MfS wurden 1974 einheitliche Vorverdichtungs-, Such- und Hinweis-Karteien geschaffen.13 Streng genommen war die VSH jedoch keine einheitliche Kartei, sondern ein mehrgliedriges Speichersystem. Eine Personengruppe, die in der VSH erfasst war, sollte zusätzlich auch in der Zentralen Personenkartei (F 16) der Abteilung XII erfasst werden. Das betraf Ausländer, die dezentral vor allem durch Reiseaktivitäten aufgefallen waren.14 Da beispielsweise in die VSH der HA XVIII alle Dienstreisenden aufzunehmen waren,15 erhöhte sich die Zahl der zentral erfassten Ausländer angesichts der dynamischen Reisezahlen schnell. Wenn eine solche Person über eine beliebige Grenzübergangsstelle der DDR einreiste, war dieser Sachverhalt an diverse andere Diensteinheiten zu melden.16 Die zu den Personen vorhandenen Detailinformationen lagen in der Zentralen Materialablage (ZMA) der jeweiligen Diensteinheit. Die Einführung der VSH wurde zum Anlass genommen, diese Ablagen, die sich zu veritablen »Archivablagen entwickelt«17 hatten, auf wichtige Unterlagen zu beschränken und sie zu verschlanken. Konterkariert wurde das Ansinnen, weil die ZMA-Ablagen mit der Zahl der erfassten Personen neuerlich stark anwuchsen. Eine Teilregelung sah daher vor, archivierwürdiges Material sogar zentral registrieren zu lassen.18 Auch diese Regelung zeigt, wie man mit dem VSH-Komplex versuchte, dezentral gesammelte Erkenntnisse mit den zentral abrufbaren stärker zu verflechten und den gesamten Datenbestand innerhalb des MfS besser nutzbar zu machen.
12 Einzelne Informationsgruppen forderten schon in der Vergangenheit: »Es muss eine Suchkartei für alle Speicher, die vorhanden sind, geschaffen werden.« MfS/ZAIG: Protokoll der AIG-Leitertagung, 4./5.1.1973; BStU, MfS, ZAIG 17467, Bl. 6–26, hier 10. Auch mit Hinweiskarteikarten war schon gearbeitet worden. Sie verwiesen für einzelne Personen darauf, dass diese durch andere Diensteinheiten erfasst waren, die über neue Entwicklungen zu informieren waren. MfS/ZAIG, Schwock, Lothar: Analyse über den Stand der Informationsgewinnung im Verhältnis zum Informationsbedarf, 19.7.1972; BStU, MfS, ZAIG Nr. 20770, Bl. 2–85, hier 63. 13 MfS: Bef. Nr. 299/65, 3. DB zum Befehl; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 3903. 14 Ebenda, Bl. 6. 15 MfS: Dienstanweisung Nr. 3/75 v. 6.8.1975, über die politisch-operative Sicherung der Einreisen von Personen aus nichtsozialistischen Staaten und Westberlin und während ihres Auf enthaltes in der DDR; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 3756, S. 29. 16 Der Autor reiste am 7.10.1989 über den Grenzübergang Drewitz als Privatperson von Westberlin nach Potsdam ein. Mehrere Diensteinheiten des MfS in Berlin und Potsdam wurden daraufhin informiert, dass ein ›Journalist‹ in die DDR eingereist sei. Kopien im Besitz des Autors. 17 MfS/ZAIG: Vortrag zur Einweisung der Leiter der AIG in die Aufgaben zur Durchsetzung der 2. und 3. DB zum Bef. Nr. 299/65; BStU, MfS, ZAIG Nr. 18615, Bl. 2–85, hier 45. 18 MfS: Bef. Nr. 299/65, 3. DB zum Befehl; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 3903, S. 8.
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Erfolgreiche Improvisation – der VSH-Komplex
4,72%
Vorgänge ZMA
95,28%
Abb. 21: Verhältnis von Personendossiers zu Aktenvorgängen der BVfS Magdeburg 1983 Die Grafik zeigt die deutliche Dominanz der ZMA-Informationen gegenüber den Erfassungen in Sicherungsvorgängen (SiVo) sowie Erfassungen in traditionellen Vorgängen (wie OPK, OV oder IM-Vorgänge).
6.2.1 Formalien und Grundfunktion der VSH-Kartei Den Kern des VSH-Speichersystems bildeten spezifische Personen- und Hinweiskarten. Ergänzungen schufen zentral vorgegebene Nachweise für besondere Fallgruppen. Ausgangspunkt einer jeden VSH-Kartei war eine rot eingefärbte Personenkarte (Suchkarte, F 401) im A5-Format mit den jeweiligen Personengrunddaten und Hinweisen auf die in der Diensteinheit zur Person aufgelaufenen Informationen. Solche Hinweise konnten in Form einer ZMA einen Verweis auf weitere Ablagen enthalten. Zusätzlich konnten auf der Rückseite der F 401 markante Einzelfakten vermerkt werden. Die Kartenbezeichnung resultiert aus dem Formular »Form 401« für diesen Typ der Suchkarte. Die F 401 war hinsichtlich ihres formalen Aufbaus nicht MfS-einheitlich genormt, und die Konventionen ergänzender Datenauftragungen konnte jede Diensteinheit separat festlegen. Die weiße Hinweiskarte (F 402), ebenfalls im A5-Format, war jeweils zur Information anderer Diensteinheiten vorgesehen. Neben Grunddaten zur Person enthielt sie vor allem einen Hinweis auf die Diensteinheit, die über zusätzliche Informationen zur Person verfügte oder solche gegebenenfalls erhalten wollte. Auf diese Weise sollte ein minimaler Informationsfluss gesichert werden.
160 Informationsverarbeitung zwischen Systematisierung und Massenüberprüfungen
Die VSH-Kartei wird heutzutage in der Archivsprache als »dezentrale Kartei« neben diversen anderen Karteien abgehandelt19 und damit in ihrer Bedeutung eher unterschätzt. Die VSH war nicht nur die erste rein dezentrale Kartei des MfS, die einheitlich geregelt wurde. Streng genommen wäre sie daher als die dezentrale Kartei schlechthin anzusehen. Frank Joestel hat jüngst, sehr sinnvoll, für die wichtigsten dezentralen Karteien, so auch für die VSH, den Begriff Hauptspeicher eingeführt.20 Da eine VSH-Kartei zu führen für alle geheimpolizeilich tätigen Dienststellen des MfS verbindlich vorgegeben war, schuf sie ein einheitliches Informationsverarbeitungssystem. Das gilt selbst mit der Einschränkung, dass die einzelnen Karteien nur teilweise miteinander verbunden waren. Jede Diensteinheit wusste nach der Etablierung der VSH, wie jede andere Diensteinheit im Grundsatz ihre Daten verwaltete. Sie konnte bei der für den Wohnort oder die Arbeitsstelle verantwortlichen Diensteinheit entsprechende Auskünfte anfordern, sich dort über Aktualisierungen informieren lassen oder umgekehrt, Informationen an sie weiterleiten. Die VSH ermöglichte, was die KK-Erfassung bereits andeutete, einen Einstieg in die systematische und massenhafte Erfassung von Personen durch das MfS. 6.2.2 Datenintegration und Informationsfluss Die neue Kartei sollte personenbezogene Informationen »lückenlos, mit rationellem Zeit- und Kraftaufwand erfassen und zugriffsfähig speichern«.21 Alle Personen, die bislang in verschiedenen Arbeitskarteien einer Diensteinheit im MfS gespeichert waren, sollten künftig in einer Kartei dieser Diensteinheit aufzufinden sein (Suchkartei). Weil das Verfahren relativ einfach zu handhaben war, erhoffte man sich, durch ständige »aktive Arbeit«22 (Aktualisierungen) den Speicher auf dem neuesten Stand auskunftsbereit zu halten und eine »schnelle Auskunftsbereitschaft« zu sichern.23 Sofern neue Erkenntnisse zu einer Person anfielen, konnten diese mit Quellenhinweis auf der Karte vermerkt werden. Die VSH sollte alle »Hinweise, Informationen und Auswertungsergebnisse mit dem Ziel der weiteren Verdichtung«24 des Informationsgehaltes enthalten. Häuften sich Einträge, die in der Summe eine Person aus MfS-Sicht verdächtig erscheinen ließen, konnte ein 19 So beispielsweise im Karteiverzeichnis des BStU, einer Übersicht über alle personenbezogenen Karteien des MfS in der Zentralstelle Berlin, Januar 2015. Internes Netz des BStU. 20 Joestel zählt dazu auch die ZMA, SLK-, und DOK-Karteien bzw. Ablagen. Joestel: Vernichtung von Karteien. 21 MfS: Bef. Nr. 299/65, 3. DB zum Befehl; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 3903, S. 1. 22 MfS/ZAIG: Vortrag zur Einweisung der Leiter der AIG in die Aufgaben zur Durchsetzung der 2. und 3. DB zum Bef. Nr. 299/65; BStU, MfS, ZAIG Nr. 18615, Bl. 2–85, hier 5. 23 Ebenda, Bl. 51. 24 MfS: Bef. Nr. 299/65, 3. DB zum Befehl; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 3903, S. 14.
Erfolgreiche Improvisation – der VSH-Komplex
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derartiger Gesamteindruck (»Vorverdichtung«) an operative Mitarbeiter weitergeleitet werden. Diese hatte dann zu entscheiden, ob der Anfangsverdacht nunmehr eine systematische Überprüfung, Überwachung oder gar Festnahme rechtfertigte. Eine solche Vorgehensweise ist nach einer Handreichung zur Identifizierung von potenziellen Flüchtlingen aus diversen Informationsquellen gut rekonstruierbar. Ein derartiger Aufwand dürfte allerdings kaum die Regel gewesen sein.25 Eine Informationsweiterleitung (»Hinweiskarte«) war obligatorisch, wenn eine Person in einem förmlichen Vorgang erfasst war, weswegen darauf in der VSH hingewiesen werden sollte.26 Umgekehrt war jeder operative Mitarbeiter im MfS verpflichtet, wichtige Informationen zu einer Person an die Diensteinheit zu senden, die für den Wohnort oder Arbeitsplatz dieser Person verantwortlich war, um sie in die dortige VSH einspeisen zu lassen.27 Mit derartigen Regelungen wurde der Informationsaustausch, der Informationsfluss zwischen den Diensteinheiten dynamisiert. Es ging um die »Vernetzung der Diensteinheiten untereinander«.28 Einzelinformationen wurden damit nicht nur vertikal, sondern auch horizontal mobiler. Mithilfe des VSH-Komplexess sollten nun alle Informationen in einem einheitlichen System vorgehalten werden. »Die lückenlose Erfassung aller operativ bedeutsamen Informationen im MfS«29 entsprach einer alten Forderung von Erich Mielke, der spätestens seit dem Schock von Erfurt, als einfache Bürger Willy Brandt zugejubelt hatten, eine Intensivierung der Überwachung als notwendig ansah. Die Dezentralisierung der Informationsspeicherung ging auf den ersten Blick mit dem Nachteil des fehlenden zentralen Nachweises einher. Allerdings konnte jede Diensteinheit, die den Wohn- oder Arbeitsort einer sie interessierenden Person kannte, begründet annehmen, dass an diesem Ort nähere Informationen zu dieser Person vorhanden sein müssten. Die regionale Verantwortung lag im Grundsatz bei den Kreisdienststellen.30 Gab es einen deutlichen thematischen Bezug zu der Person, beispielsweise einen großen Beschäftigungsbetrieb oder eine Angelegenheit in Kirchenfragen, konnten die thematisch zuständigen Diensteinheiten, hier der Linien XVIII beziehungsweise XX/4, befragt werden, die ebenfalls über VSHKarteien verfügten. Auch ohne zentralen Nachweis trugen die VSH-Karteien also deutlich zur Informationsvernetzung im MfS bei. Im gleichen Atemzuge suchte die ZAIG-Führung das Bedürfnis der Diensteinheiten zu dämpfen, die VSH anderer Bereiche zu intensiv für eigene Interessen zu nutzen. Solche Anfragen sollten »nicht die Regel sein«. Man befürchtete, dass »eine
25 MfS/ZAIG: Übersichts- und Verdichtungsbogen, o. D. (vermutl. 1980er-Jahre); BStU, MfS, ZAIG Nr. 17727, Bl. 291–296. 26 MfS: Bef. Nr. 299/65, 3. DB zum Befehl; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 3903, S. 5. 27 Ebenda, S. 4. 28 Lucht: Karteien, Speicher, Datenbanken, S. 183. 29 Zit. nach: MfS/ZAIG: Rede, 29.4.1976; BStU, MfS, ZAIG Nr. 17941, Bl. 46–55, hier 49. 30 MfS: Bef. Nr. 299/65, 3. DB zum Befehl; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 3903, S. 15 f.
162 Informationsverarbeitung zwischen Systematisierung und Massenüberprüfungen
große Lawine von Überprüfungsersuchen«31 insbesondere auf die Kreisdienststellen zurollen könnte. Genau das sollte in den Folgejahren jedoch geschehen. In den 1980er-Jahren stieg die Zahl von einschlägigen Anfragen anderer Diensteinheiten »sprunghaft«32 an. Die Warnung vor der Überforderung des Systems zeigt, dass eine karteigestützte Verwaltung von Massendaten an Grenzen stoßen musste. Offenbar waren die Auswerter trotz der Arbeitserleichterung durch das VSHSystem mit den erheblich gestiegenen Zahlen und Anforderungen »überfordert«.33 Die stete Klage über »echte Massenprozesse«34 spricht für sich und für sie konnte bis zur Einführung der EDV keine wirkliche Lösung gefunden werden. 6.2.3 Karteigestützte Personen-Schnellprüfungen Die Folgen der Nutzung von VSH-Karteien erwiesen sich für das MfS als zwiespältig. Weil Auswerter und Nutzer in jeder Diensteinheit nunmehr auf den ersten Blick einen schnellen Überblick darüber erlangen konnten, wo zu einer Person im MfS Informationen vorlagen und zudem deren inhaltliche Ausrichtung ersichtlich war, konnten die Personenüberprüfungen vor Ort rationell und beschleunigt durchgeführt werden. Das Verfahren vereinfachte sich immens, »indem nur in einer Kartei überprüft werden braucht, um festzustellen, ob Informationen zu einer namentlich benannten Person vorhanden sind und wenn ja, wo«.35 Auf diese Weise wurden Schnellüberprüfungen ermöglicht, die ohne langwieriges Abwarten auf Antworten aus der Zentralkartei auskamen. Ziel von Nutzung und Pflege der VSH war erklärtermaßen, die »unverzügliche (tagfertige) Erfassung und Ergänzung«36 der Kartei zu gewährleisten. Es liegt auf der Hand, dass es wenigstens in der Zeit unmittelbar nach der Einführung der VSH nicht möglich war, alle Dritterfassungen nachzuweisen. Das MfS riskierte zumindest in dieser Phase Entscheidungen ohne vorher die Meinung der Diensteinheit abzufragen, die eine zu überprüfende Person möglicherweise erfasst hatte. Eine solcherart unterlassene Abfrage stellte im MfS eigentlich eine veritable Regelwidrigkeit dar. Angesichts der Überforderung weichte man nolens volens jedoch das Prinzip der Primärverantwortlichkeit auf. Das zeigt, dass das 31 MfS/ZAIG: Vortrag zur Einweisung der Leiter der AIG in die Aufgaben zur Durchsetzung der 2. und 3. DB zum Bef. Nr. 299/65; BStU, MfS, ZAIG Nr. 18615, Bl. 2–85, hier 52. 32 MfS/Irmler, Werner: Vortrag zur Weiterbildung von Leitern der Kreisdienststellen, 28.11.1986; BStU, MfS, ZAIG Nr. 4374, Bl. 154. 33 BV Pdm/Leiter: Referat, 27.4.1976; BStU, MfS, ZAIG Nr. 18608, Bl. 22–74, hier 44. 34 MfS/ZAIG/Irmler, Werner: AKG-Leitertagung, 3./4.12.1987; BStU, MfS, ZAIG Nr. 4696, Bl. 1–243, hier 68. 35 MfS/ZAIG: Vortrag zur Einweisung der Leiter der AIG in die Aufgaben zur Durchsetzung der 2. und 3. DB zum Bef. Nr. 299/65; BStU, MfS, ZAIG Nr. 18615, Bl. 2–85, hier 55. 36 MfS: VSH-Kartei, Rolle und Funktion der VSH-Kartei, o. D. (vermutl. Ende der 1980erJahre); BStU, MfS, AG XVII Nr. 835, Bl. 1–6, hier 2.
Erfolgreiche Improvisation – der VSH-Komplex
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MfS in den 1970er-Jahren den Entwicklungen deutlich hinterherlief. Wegen des Anspruches, die Ost-West-Kontakte durch massenhafte Überprüfungen unter Kontrolle zu halten, setzte das MfS seine Standards aufs Spiel. Das zeigt sich auch bei einem Blick auf die Informationstiefe, die Entscheidungen auf Basis der VSH zugrunde lag. Die ergänzenden Informationen zu den einzelnen Personen wurden gerade auf den Such- und Hinweiskarten stark komprimiert. Der Überprüfungsprozess sollte dadurch »rationeller gestaltet«37 werden. Neben den Personengrunddaten wurden die Gründe der Informationsablage oder einer Erfassung durch Kürzel vermerkt. Der Einfachheit halber waren solche Kürzel zentral vorgegeben.38 AR stand beispielsweise für Ausreise, UGÜ für den Versuch oder die Vollendung eines ungesetzlichen Grenzübertritts, GHT für Geheimnisträger und so fort. Diese Schlagworte sollten einen ersten Eindruck von einer Person gewährleisten und mit neu hinzugekommenen Informationen abgeglichen werden.39 Das förderte eine klischeehafte Wahrnehmung. Der Blick auf die Personenkarte (F 401) konnte auf diese Weise eine Kurzeinschätzung zu einer Person generieren. Das soll an einzelnen Beispielen aus einer Analyse der VSH der Kreisdienststelle Gransee demonstriert werden. Die Abfolge der Kürzel auf typischen Karteikarten zeigt beispielsweise Entwicklungen, die eine zunehmend DDR-kritische Haltung einzelner Personen nahelegen konnten: ASTA (Ausreiseantragsteller), Ablehnung, UGÜ (ungesetzlicher Grenzübertritt); in einem anderen Beispiel: AR DFA (Ausreise in dringenden Familienangelegenheiten), offene Streichung von Wahlkandidaten 1989. Umgekehrt konnte der Eintrag auf einer anderen Karteikarte darauf schließen lassen, dass eine einst als auffällig notierte Person nunmehr ein normales DDR-Leben führte: Tramper WB-Pkw (als Anhalter in Westberliner Pkw mitgereist), VR Polen (Reise in die Volksrepublik Polen), Kandidat KL (Kreisleitung der SED). Wieder andere Karteikarten gaben nüchterne Hinweise auf die Funktion der Person, die eine besondere Aufmerksamkeit seitens des MfS erforderte: GHT (Geheimnisträger), pers. Jagdwaffe (dauernder Besitz einer Jagdwaffe). Derartige Informationsmosaiksteine auf den Karteikarten wurden mit dem Ziel einer Schnellauskunft zu groben geheimpolizeilichen Bildern »verdichtet«.40 Aus den Hinweisen der Schnellauskunft nach Karteilage konnten Schlüsse gezogen werden, ob eine genauere Prüfung angezeigt war. Manchmal führte schon der erste Blick auf die Karteikarte zu einem Veto, weil beispielsweise eine Reisesperre verzeichnet war. Ohne Karteieintrag lag es dagegen nahe, die Geneh37 MfS/ZAIG: Vortrag zur Einweisung der Leiter der AIG in die Aufgaben zur Durchsetzung der 2. und 3. DB zum Bef. Nr. 299/65; BStU, MfS, ZAIG Nr. 18615, Bl. 2–85, hier 9. 38 Schlagwortverzeichnis für die Arbeit mit den VSH-Karteien, Anlage 3 zur DA 1/80, 20.5.1989; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 5346. 39 MfS/ZAIG: Vortrag zur Einweisung der Leiter der AIG in die Aufgaben zur Durchsetzung der 2. und 3. DB zum Bef. Nr. 299/65; BStU, MfS, ZAIG Nr. 18615, Bl. 2–85, hier 79. 40 BStU, MfS, BV Potsdam, KD Gransee, VSH.
164 Informationsverarbeitung zwischen Systematisierung und Massenüberprüfungen
migung einer Rentnerreise durch die Volkspolizei einfach passieren zu lassen. Schließlich lag dort die primäre Prüfungskompetenz. Gerade die Massenhaftigkeit der Überprüfungsvorgänge und die begrenzten Überprüfungskapazitäten zwangen das MfS, sich in vielen Fällen auf eine reine Karteiprüfung zu beschränken. Auch wenn nicht offen formuliert, half die Schnelleinschätzung per VSH insbesondere den Kreisdienststellen, die kurzen Bearbeitungsfristen einzuhalten, die das Innenministerium für Einsprüche in Reisefragen dem MfS vorgab. 6.2.4 Die niedrigschwellige Erfassung in der VSH In die VSH-Kartei sollten auch Personen Eingang finden, die bisher weder in den traditionellen, registrierpflichtigen Vorgängen vom MfS bearbeitet wurden noch in der Kerblochkartei (KK) erfasst waren. »Informationen, die eine solche Erfassung nicht rechtfertigen, gehören zum Zwecke der Vorverdichtung in diese VSH-Kartei.«41 Auch Informationen, »die noch keine größere operative Bedeutsamkeit«42 erlangt hatten, konnten nun systematisch gesammelt werden. Mit der VSH-Kartei rückte das MfS von normierten Erfassungsgründen ab. Für die Aufnahme einer Person in die VSH-Kartei existierten keine Vorbedingungen und es gab keine Registrierpflichten, denen nachgegangen werden musste. Nicht einmal ein besonderes Interesse des MfS an der in die Kartei aufgenommenen Person war erforderlich. Die Erfassung in einer VSH kannte keine definitorische Grenze. Jede Person, auch Unverdächtige, konnten erfasst werden. Der Kreis derer, auf die das MfS seine Aufmerksamkeit richtete, weitete sich dadurch erheblich aus. Man ersparte sich jedes mit Aufwand verbundene Zustimmungs- und Registrierungsprozedere, wie es für traditionelle Vorgänge und Erfassungen gegolten hätte. Die Erfassungsschwelle, die schon für das KK-System abgesenkt wurde, sank weiter. Es wurden immer mehr Informationen gesammelt und abgelegt. Deren Qualität musste dabei nicht von erheblichem Wert sein. Mitte der 1980er-Jahre ging man dazu über, »alle Personen, zu denen operative Ermittlungen in den Wohngebieten geführt werden, in der VSH-Kartei der für den Wohnort zuständigen Kreisdienststelle zu erfassen«.43 Solche Wohnort-Ermittlungen beruhten im schlimmsten Falle auf Kolportagen oder reinem Hörensagen und erwiesen sich vielfach als höchst ungenau und unzuverlässig. Doch auch mit diesen Informationen fütterte das MfS nun massenweise sein Informationsverarbeitungssystem. Der ZAIG war durchaus bewusst, dass es sich bei den in der VSH gesammelten Informationen oftmals um solche handelte, »die noch keine größere operative Bedeutsamkeit 41 MfS/Abt. XII: Hauptreferat auf der Tagung mit den Leitern der selbstständigen Referate XII, 22./23.5.1974; BStU, MfS, ZAIG Nr. 19427, Bl. 23–60, hier 58. 42 MfS/ZAIG: Vortrag zur Einweisung der Leiter der AIG in die Aufgaben zur Durchsetzung der 2. und 3. DB zum Bef. Nr. 299/65; BStU, MfS, ZAIG Nr. 18615, Bl. 2–85, hier 57. 43 MfS: Schreiben an die Leiter der Diensteinheiten, 12.4.1984; BStU, MfS, Abt. XII Nr. 3681, Bl. 1 f.
Erfolgreiche Improvisation – der VSH-Komplex
165
haben«. Die Hoffnung der kybernetisch geprägten Auswerter bestand darin, durch immer mehr Daten im Wege der »Vorverdichtung« letztlich »operativ bedeutsame Informationen zu erarbeiten, die eine aktive Aufklärung/Bearbeitung und damit die aktive Erfassung der Personen in der Abt. XII (in der Regel als KK-Erfassung) erforderlich machen«.44 Zumindest der Theorie nach war die VSH damit eine Präventivkartei. Vorbeugend wurden so auch zu Personen, die zunächst in keiner Weise verdächtig waren, Informationen gesammelt, die sich in der Summe zu einem Spiegel vermeintlich »feindlichen« Verhaltens verdichten konnten, welches die Staatssicherheit zuvor noch nicht im Blick gehabt hatte. Damit entfernte sich das MfS davon, Personen nach einer geheimpolizeilichen Rasterung, wegen eines Verdachtes oder sonstigen fixierten Gründen in den Fokus zu nehmen. Die Folge war eine geradezu inflationäre Erfassung von Personen und Daten. 6.2.5 Quantitative Aspekte des VSH-Komplexes Der Einsatz der VSH-Karteien für Zwecke der Massenüberprüfungen des MfS ging mit drei Entwicklungen einher: –– Die Zahl der in zugriffsfähigen Karteien erfassten Personen stieg deutlich. –– Mit der Anzahl der Überprüfungen wuchs auch die gespeicherte personenbezogene Datenmenge. –– Der Standard der Überprüfung sank und verschiedene Überprüfungsgruppen wurden nur noch per Kartei durchleuchtet. Die VSH-Karteien wuchsen nach ihrer Einführung fast explosionsartig. Die Kartei war wesentlich einfacher handhabbar als das Kerblochsystem. Ihre Einfachheit, aber auch die quantitativen Überprüfungsanforderungen jener Zeit führten dazu, dass die Zahl der Karteikarten binnen weniger Jahre die Zahl der bisherigen Erfassungen um ein Vielfaches überstieg. Das Ausmaß des Wachstums soll an einigen Beispielen demonstriert werden. In der MfS-Diensteinheit »Wismut« zur Kontrolle des Uranbergbaugebietes standen 990 KK-Erfassungen rund 10 700 VSH-Erfassungen gegenüber, die Erfassungsrate war also um das 10-Fache höher.45 Der Kreis Rathenow im Bezirk Potsdam, westlich von Berlin gelegen, wies Mitte der 1970er-Jahre etwa 66 000 Einwohner auf. Von diesen Einwohnern waren 1975 um 35 000, damals rund 53 Prozent der Bevölkerung des Kreises, in der VSH erfasst. Nur 4 500 DDR-Bürger im Kreis, also 6,8 Prozent waren demgegenüber KK-erfasst. Alle übrigen, traditionellen MfS-Vorgänge betrafen 44 MfS/ZAIG: Vortrag zur Einweisung der Leiter der AIG in die Aufgaben zur Durchsetzung der 2. und 3. DB zum Bef. Nr. 299/65; BStU, MfS, ZAIG Nr. 18615, Bl. 2–85, hier 57. 45 BStU, MfS, ZAIG Nr. 17730, Bl. 154.
166 Informationsverarbeitung zwischen Systematisierung und Massenüberprüfungen
39,17%
VSH KK-DDR
53,03%
IM (0,42%)/ OV-Vorlauf (0,01%)/ OPK (0,08%)/ OAM (0,46%) nicht erfasst
6,82%
0,98%
Abb. 22: MfS-Personenerfassungen im Kreis Rathenow Mitte der 1970er-Jahre nach Vorgängen und VSH-Anteil Erfassung meint hier Aufnahme einer Person in eine zentrale und/oder dezentrale Hauptkartei, z. B. eine VSH-Kartei. Das MfS verstand unter Erfassung in der Regel nur ein Registrieren in der Zentralkartei. Die Zahlen zu den IM-Vorgängen stammen abweichend aus dem Jahr 1979. In die Werte für die operativen Vorgänge (OV) sind auch Akten Vorlauf Operativ eingegangen; die Daten für dieses Segment stammen aus dem Jahr 1973. Die KK-DDR (Personen) nimmt auch die erforderliche Abgrenzung zu einer anderen Kartei vor, der KK-West (Personen).
statistisch gesehen nicht einmal 10 Prozent der Einwohner im Kreis. Wiederum fast die Hälfte davon, um 43 Prozent, machten IM-Vorgänge aus. Auch wenn diese Überschlagsrechnungen einige Schwächen aufweisen,46 lag die Zahl der klassischen Überprüfungs- und Überwachungsvorgänge zweifelsfrei deutlich unter der Zahl der VSH-Erfassungen.47 Die Abbildung belegt, wie stark die Zahl der vom MfS nicht erfassten Bürger nach Einführung der VSH-Kartei zurückging. Dass diese Kartei bereits 1975, ein Jahr nach Einführung, so viele Bürger verzeichnete, lag offenbar daran, dass die meisten Dienststellen bereits zuvor stillschweigend mit Hilfskarteien gearbeitet hatten, die 46 In den vergleichsweise wenigen OPK und OV konnten mehrere Personen erfasst sein. Die Laufzeit der Vorgänge ist nicht berücksichtigt. Auch Nicht-Kreisangehörige waren in den Karteien verzeichnet, sodass die Zahl der erfassten Kreisbewohner geringer sein dürfte. Es handelt sich um einen rein statistischen Vergleich. Die Werte für die OPK/OV-Vorgänge stammen von 1973, die für IM-Vorgänge von 1979. Die seltenen Zahlen zu den VSH- und KK-Erfassungen von 1975 enthält eine Übersicht über statistische Erhebung in ausgewählten Kreisdienststellen; BStU, MfS, ZAIG Nr. 17730, Bl. 153. 47 Ebenda.
167
Erfolgreiche Improvisation – der VSH-Komplex 70 000
60 000
50 000
40 000
30 000
20 000
10 000
0
nicht erfasst Anfang 1974
erfasst Anfang 1974
nicht erfasst Ende 1975
erfasst Ende 1975
Abb. 23: MfS-Personenerfassungen im Kreis Rathenow Mitte der 1970er-Jahre vor und nach Einführung der VSH-Kartei
nun als VSH zutage traten. Der Beginn von massenhaften Erfassungen ist also nicht mit der Innovation von 1974 identisch, sondern setzte mit den Überprüfungen ein, die infolge der neuen Ost-West-Beziehungen und des grenzüberschreitenden Reiseverkehrs schon zuvor erhebliche Dimensionen angenommen hatten. Nach einer 15 Kreise erfassenden Stichprobe im MfS waren 1975 im Durchschnitt je 21,6 Prozent der Kreiseinwohnerschaft in VSH erfasst. Dem standen nur 3,5 Prozent gegenüber, die in KK erfasst waren.48 Die Zahl der VSH-Erfassungen im Beispiel Rathenow war insgesamt relativ hoch, aber der Trend zur Massen erfassung von DDR-Bürgen in der VSH vollzog sich auch andernorts und hielt an.49 Ab 1975 stieg die VSH-Erfassungsrate in den Kreisstellen von gut einem Fünftel auf durchschnittlich über 50 Prozent. Je nach Kreisdienststelle variierte die Erfassungsrate der VSH, bezogen auf die aktuelle Einwohnerzahl, zwischen 30 und 125 Prozent.50 Ende der 1980er-Jahre konnten die Auswerter als Wachs48 BStU, MfS, ZAIG Nr. 17730, Bl. 153. 49 Die AIG der BVfS Berlin meldete für 1977 allein im 1. Halbjahr 6 218 VSH-Einspeicherungen, davon gingen 24,9 % auf Informationen aus Berichten von inoffiziellen Mitarbeitern zurück. MfS/BV Bln/AIG: Einschätzung zu den im 1. Halbj. 1977 erfolgten Einspeicherungen in die VSH-Kartei, 3.8.1977; BStU, MfS, ZAIG Nr. 18266, Bl. 4–6. 50 Richter, Achim; Phieler, Thomas: Ausgewählte Probleme der weiteren Erhöhung der politisch-operativen Wirksamkeit und der rationellen Gestaltung der Arbeit der Auswertungs- und
168 Informationsverarbeitung zwischen Systematisierung und Massenüberprüfungen
tumsmarke feststellen: »Zu jeder zweiten Person liegen gespeicherte Informationen vor.«51 Im Vergleich zu den Erfassungszahlen in der Zentralkartei des MfS und den laufenden registrierpflichtigen Vorgängen im Jahr 1970 stellte das einen Quantensprung dar.
6.3 Differenzierung der Prüfmechanismen im MfS Die Anforderungen an die Staatssicherheit durch die Massenüberprüfungen führten dazu, dass infolge von komplexer Überforderung gerade der personellen und der zentralen karteitechnischen Ressourcen des MfS das Überprüfungsniveau teilweise erheblich abgesenkt wurde. Erich Mielke warf schon 1973, ein Jahr nach dem Grundlagenvertrag, ketzerisch die Frage auf, ob es denn so tragisch sei, wenn »eine Rentnerin, deren Verbleib in der BRD uns keinerlei gesellschaftliche[n] Schaden zufügt, von einer Rentnerreise nicht zurückkehrt«.52 Vor Honeckers Besuch in Bonn senkte das MfS mit einer internen Regelung von 1985 das eigene Überprüfungsniveau allgemein und systematisch ab. Überprüfungen im Vorfeld von Ausreisen wurden im Normalfall nur noch in zwei Karteisystemen im Hinblick darauf vorgenommen, ob die jeweilige Person erfasst war und gegebenenfalls weitergehende Informationen vorlagen. Rentner sollten nur noch vor ihrer ersten Ausreise vom MfS überprüft werden.53 Dem lag die Auffassung zugrunde, dass »unser Anteil in der Regel in der Abfrage der Speicher des MfS beschränkt bleiben sollte«.54 Die Speicherabfrage, nicht die systematische Kontrolle der Person gewann damit erheblich an Bedeutung. Gleichzeitig verlagerte man damit die Verantwortung auf andere Institutionen, primär auf die Volkspolizei. Von den Lockerungen ausgenommen blieben die Anforderungen an die verschiedenen Formen von Auslands- und Reisekadern, also den Personen, die im Interesse der DDR das Ausland bereisen sollten. Erich Mielke war sich durchaus bewusst, dass trotz aller Einflussnahme keineswegs jeder dieser Kader ein hundertprozentiger Parteigänger der SED war. Über 40 Prozent der Reisekader waren ohnehin parteilos und nur gut die Hälfte gehörte der SED an.55 Ein noch wesentlich kleinerer Teil war dem MfS als IM besonders verpflichtet. Selbst Informationsorgane der Kreisdienststellen. Potsdam 1988; BStU, MfS, JHS Nr. 22011, Bl. 83 f. 51 Ebenda, Bl. 93. 52 MfS/Mielke, Erich: Die weitere Qualifizierung und Vervollkommnung der politisch-operativen Arbeit der Kreisdienststelle, Referat, August 1973: BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 1504/73, Bl. 245. 53 MfS: DA 4/85 v. 12.8.1985, 3. DB zur DA zur Lageeinschätzung unter RAK und zur Sicherung des GÜV; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 5297, Bl. 10 ff., 15. 54 MfS/Mielke, Erich: Referat auf der zentralen Dienstkonferenz zu ausgewählten Fragen der politisch-operativen Arbeit der Kreisdienststellen und deren Führung und Leitung, 11.10.1982; BStU, MfS, ZAIG Nr. 4810, Bl. 128. 55 Niederhut: Reisekader, S. 43.
Differenzierung der Prüfmechanismen im MfS
169
in volkswirtschaftlich bedeutenden und unter Sicherheitsaspekten sensiblen Institutionen bewegte sich der Anteil der IM unter den Reisekadern bei lediglich 4 bis 7 Prozent.56 Nicht selten waren sie zudem Geheimnisträger in Staat, Wirtschaft, Verteidigung und Wissenschaft. Vor diesem Hintergrund stellten die Auslands- und Reisekader laut Mielke ein »hohe[s] Sicherheitsrisiko für den sozialistischen Staat«57 dar. Überdies galten sie als »Botschafter« der DDR, von denen man ein »würdiges Vertreten der DDR im Ausland«58 erwartete. Ihnen galt also ein besonderes Augenmerk des MfS. In den VSH-Karteien der HA XVIII und der Linie XVIII wurden jedoch auch alle aus dienstlichen Gründen einreisenden Personen erfasst.59 Wichtige Informationen zu Reisefragen sollten zwischen den Diensteinheiten zudem ausgetauscht werden. Die schiere Größe der VSH und die hohe Zahl der Bearbeitungsvorgänge bewirkten, dass einzelne Personen immer öfter in den Fokus des MfS gerieten. Monatlich gingen bei den Auswertern auf je 1 000 Einwohner bezogen 9,2 Informationen ein. Diverse Personenüberprüfungen auf Kreisebene betrafen in den 1980er-Jahren im Kalendermonat etwa 40 von 1 000 Einwohnern. Hätte es nie identische Personen betroffen, wären rein rechnerisch 48 Prozent von 1 000 Einwohnern einmal im Jahr einem Prüfvorgang unterzogen worden. Zu 11 Prozent der Einwohner wären nach einer analogen Rechnung jährlich neue Informationen gesammelt worden.60 Eine Analyse der MfS-Kreisdienststelle in Berlin-Friedrichshain Anfang der 1980er-Jahre bestätigte diesen Trend, wenn auch auf einem deutlich niedrigeren Niveau. In der VSH wurden 1982 insgesamt 24 600 Personen überprüft. Unterstellt, die Kontrolle hätte jeweils unterschiedlichen Personen der 127 755 Einwohner von Berlin-Friedrichshain gegolten, wäre immerhin fast ein Fünftel der Bewohner einmal im Jahr überprüft worden. Bei all den Schwächen, die der Auswertung in Abbildung 24 anhaften mögen, zeigt sich insgesamt ein Bild, das durchaus plausibel wirkt.61 Danach lieferten Reisefragen die häufigsten Impulse, Personen in der wichtigsten Arbeitskartei der 56 Niederhut, Jens: Die Reisekader (Netzquelle). 57 MfS/Mielke, Erich: Die weitere Qualifizierung und Vervollkommnung der politisch-operativen Arbeit der Kreisdienststelle, Referat, August 1973; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 1504/73, Bl. 241. 58 MfS: RL Nr. 1/82 zur Durchführung von Sicherheitsüberprüfungen; BStU, MfS, BdL/ Dok Nr. 7418, Bl. 14. 59 MfS: DA 3/75 über die politisch-operative Sicherung der Einreisen von Personen aus nichtsozialistischen Staaten und Westberlin und während ihres Aufenthaltes in der DDR; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 3756, S. 29. 60 Richter, Achim; Phieler, Thomas: Ausgewählte Probleme der weiteren Erhöhung der politisch-operativen Wirksamkeit und der rationellen Gestaltung der Arbeit der Auswertungsund Informationsorgane der Kreisdienststellen. Potsdam 1988; BStU, MfS, JHS Nr. 22011, Bl. 65 f., 83 f. 61 Da einige Personen mit hoher Wahrscheinlichkeit mehrfach von MfS-Prüfaktivitäten betroffen sein konnten und die Kartei auch kreisfremde Personen enthielt, dürfte die reale
170 Informationsverarbeitung zwischen Systematisierung und Massenüberprüfungen 1,66% 2,51%
0,55%
19,42% Reisefragen Strafermittlungen IM-Berichte 61,63%
14,22%
Überprüfungen ZPDB Vorgänge
Abb. 24: Anlässe für VSH-Überprüfungen in der KDfS Berlin-Friedrichshain 1982 Unter Vorgänge wurden die 1982 aktuellen OPK-, OV- und IM-Vorgänge zusammengefasst. Unter Überprüfungen finden sich SiVo mit der halben Jahresrate und Ermittlungen mit der halben Jahresrate (jeweils wegen möglicher Doppelungen halbiert) und Sicherheitsüberprüfungen. Die Rubrik Reisefragen vereinigt MfS-Aktivitäten zu Ein- und Ausreisen.
Kreisdienststelle zu überprüfen. An zweiter Stelle lagen Personenüberprüfungen wegen einer hervorgehobenen Stellung der Person (meist) im Berufsleben. An dritter Stelle stand der Abgleich von abgespeichertem Wissen mit neu eingehenden Informationen von IM. Demzufolge wären die Impulse aus der traditionellen Vorgangsarbeit des MfS eher als nachrangig anzusehen. Durch die VSH wurden massenhaft Personen auf die eine oder andere Art vom MfS »bearbeitet«, weil sie zu reisen wünschten, West-Besuch empfangen wollten, wegen ihrer beruflichen Stellung oder, weil ein IM über sie berichtete. Einmal in die Kartei aufgenommen, konnten Daten zu einer Person allein deswegen akkumuliert werden, weil diese Person schon in der Kartei enthalten war. Ein ehemals hochrangiger MfS-Verantwortlicher behauptete, die Sicherheitsüberprüfungen hätten sich nicht gegen Personen gerichtet. Das würde schon daran deutlich, dass »ca. 99 Prozent dieser Überprüfungen positiv ausgingen, d. h. keine Einwände aus sicherheitspolitischen Gründen erhoben wurden«.62 Zwar wird Bearbeitungsrate (deutlich) niedriger gelegen haben. Manche Kategorien wie Sicherheitsüberprüfungen und SiVo überlappen sich zudem. 62 Opitz: Akten, Karteien und eine Behörde, S. 568 f.
Differenzierung der Prüfmechanismen im MfS
171
man zustimmen können, dass der von dem Hauptamtlichen in diesem Zusammenhang kritisierte »Opfer«-Begriff die Folgen der Sicherheitsüberprüfungen in den meisten Fällen nicht wirklich trifft. Andererseits wurde, wenn die Zahl belastbar ist, noch immer etwa ein Prozent der Überprüften in ihrem beruflichen Fortkommen oder ihrer Freizügigkeit eingeschränkt, Reisen wurden ihnen versagt, bestimmte Positionen blieben versperrt. Sogar die »Herauslösung der Person aus einer bereits innegehabten Position«63 war eine vom MfS nicht selten angeregte Folge. Auch konnten Genehmigungen regelmäßige Wiederholungsprüfungen,64 weitere Kontrollen zur »vorbeugende Verhinderung feindlich negativer Aktivitäten« und intensivere Überwachungsmaßnahmen in förmlichen Vorgängen nach sich ziehen. Wegen der großen Zahl der Überprüfungen wären insgesamt zahlreiche Personen in den Fokus des MfS geraten und hätten unterschiedliche Nachteile erleiden müssen. 6.3.1 Mängel der VSH in der Praxis Von den Praktikern im MfS wurde die Einführung des VSH-Komplexes zunächst durchaus begrüßt. Insbesondere wurde anerkannt, dass »vereinfachte Speicherformen gefunden wurden, die zur weiteren Entlastung der Auswerter geführt haben«.65 Jedoch führten Vereinfachung und die geringe Regelungsdichte in der Praxis zu zahlreichen Problemen. Immer wieder musste die ZAIG Mängel bei der Pflege der Karteien beklagen. Einen Hauptkritikpunkt bildeten wesentliche Schwächen bei der Erfassung und Speicherung von Informationen. Selbst ein so wichtiges Merkmal wie der Erfassungsgrund wurde zuweilen nicht auf der Karteikarte vermerkt. Stichproben in verschiedenen Diensteinheiten zwei Jahre nach der Einführung der VSH ergaben, dass viele Informationen über Westkontakte, Zusammenhänge zu OPK, aus Brief- und Telefonkontrollen stammende Hinweise auf verdächtige Verbindungen, Verbindungen von IM in den Westen oder zu Personen, zu denen IM intensiv berichtet hatten, nicht in der Kartei enthalten waren. Bis zu 60 Prozent der Informationen zu DDR-Bürgern und etwa 70 Prozent der Informationen mit Bezug zu Personen aus dem Westen fehlten in der VSH.66 Als Gründe solcher Fehlentwicklungen wurden eine »Unterschätzung« der Arbeit der Auswerter und
63 Hähnel u. a.: Die weitere Qualifizierung der Sicherheitsüberprüfungen des MfS im Prozess der politisch-operativen Arbeit entsprechend den wachsenden Sicherheitsbedürfnissen und -erfordernissen des sozialistischen Staates. Potsdam 1980; BStU, MfS, JHS Nr. 21901, Bl. 31. 64 Ebenda, Bl. 21 f. 65 MfS/BV Pdm: Referat des Leiters der BV Potsdam, 27.4.1976; BStU, MfS, ZAIG Nr. 18608, Bl. 22–74, hier 62. 66 MfS/ZAIG: Bericht über die Überprüfung des Standes der Durchsetzung der 3. DB zum Befehl Nr. 299/65; BStU, MfS, ZAIG Nr. 17730, Bl. 3–22, hier 9.
172 Informationsverarbeitung zwischen Systematisierung und Massenüberprüfungen
ein »Fehlen der personellen Voraussetzungen«67 angesehen. Offenbar setzten wenigstens anfangs viele Leiter ihre schwächeren Mitarbeiter in den AIG ein. Selbst aus Auswertung resultierendes Wissen über Erkenntnisfortschritte gelangte zu selten an das Ohr der operativ tätigen Offiziere. Auch das Versenden der F-402-Hinweiskarten, mit der die Diensteinheiten einander auf Erfassungen oder Materialablagen aufmerksam machen sollten, unterblieb oft.68 Das führte zur Klage über Informationsverluste. In der Tat zeigt eine kleine Stichprobe in der VSH der KDfS Oranienburg, dass es nur wenige derartige Hinweise gab. Selbst in einem so augenfälligen Sachverhalt wie dem des Westberliner Abgeordneten K., der sich als angeblicher Agent des Verfassungsschutzes dekonspirierte, wurden nicht alle seine DDR-Kontaktpersonen mit Hinweiskarten an ihren jeweiligen Wohnorten vernetzt. Dagegen lag ein zur See fahrender Funkoffizier in der Kreisdienststelle an seinem Wohnort mit einer Hinweiskarte ein. Diese verwies auf seine Registrierung bei der Abteilung Hafen der BVfS Rostock, die für sein Seefahrtsbuch zuständig war.69 Derart unterschiedliche Praktiken wurden dem Anspruch, Informationen »lückenlos« zu verwalten keineswegs gerecht. Die VSH-Karteien wurden in den verschiedenen Diensteinheiten des MfS trotz zentraler Vorgaben bei insgesamt geringer Regelungsdichte durchaus unterschiedlich gehandhabt. Teilweise wurden solche Abweichungen von der Zentrale toleriert. Teilweise wendeten die Auswerter vor Ort aber auch den Konsens strapazierende informelle Praktiken an, um sich angesichts des massenhaften Arbeitsanfalls das Leben zu erleichtern. Beunruhigt stellte eine Arbeit aus der JHS des MfS fest, dass es erhebliche Unterschiede bei textlichen Auftragungen und »stark voneinander abweichenden Verfahrensweisen bei Auskunftserteilungen zu Personen«70 auf Basis der VSH gäbe. Eine andere, sogar regelwidrige Praxis bestand ehedem darin, auf einer Karteikarte, auf der ein Klarname stand, einen IM-Status festzuhalten. Der große Aufwand, der in der Zentrale betrieben wurde, um die Identität der Informanten selbst intern weitgehend geheimzuhalten, wurde auf der untersten Ebene dadurch aufgehoben. Der ZAIG-Führung missfielen solche Entwicklungen, ohne dass sie diese wieder vollkommen abstellen konnte.71 Ebenso hilflos musste sie feststellen, dass die Protagonisten vor Ort eine weitere eherne Regel umgingen. Manche AIG unterließ den mühseligen Weg der Abfrage einer Person mit F-10-Suchzettel in
67 Ebenda, Bl. 11. 68 Ebenda, Bl. 5 ff. 69 BStU, MfS, BV Potsdam, KD Oranienburg Kartei, VSH. 70 Richter, Achim; Phieler, Thomas: Ausgewählte Probleme der weiteren Erhöhung der politisch-operativen Wirksamkeit und der rationellen Gestaltung der Arbeit der Auswertungs- und Informationsorgane der Kreisdienststellen. Potsdam 1988; BStU, MfS, JHS Nr. 22011, Bl. 94. 71 MfS/ZAIG: Bericht über die Überprüfung des Standes der Durchsetzung der 3. DB zum Befehl Nr. 299/65; BStU, MfS, ZAIG Nr. 17730, Bl. 3–22, hier 13.
Differenzierung der Prüfmechanismen im MfS
173
der zentralen Abteilung XII und erfasste Personen nur in der VSH, wozu keine Vorprüfung auf Erfassung durch eine andere MfS-Diensteinheit in der Zentrale notwendig war.72 Bei anderen Handhabungen des VSH-Systems ließ die ZAIG den Dienst einheiten offenbar freie Hand. In der Kreisdienststelle Oranienburg waren auf den Rückseiten der VSH-Karteikarten alle Ausreiseanträge der jeweiligen Person ins westliche Ausland aufgelistet.73 Diese VSH war in ihrer Funktion auf eine fast reine Reisedokumentation reduziert. Hier wurden die geheimdienstlichen Erkenntnisse in wenigen Zeilen auf einer sehr umfangreichen Dokumentenkartei festgehalten.74 In der KDfS Gransee wurden dagegen die wichtigsten Erfassungsgründe mit Abkürzung auf der Vorderseite festgehalten, die Rückseite blieb frei. Manche Karteikarte suggerierte auf den ersten Blick eine eher geheimpolizeiliche Charakteristik, wenn beispielsweise in Kurzform Hauptmerkmale genannt waren wie: Freiwilliger Helfer der Volkspolizei (Kriminalpolizei), IM in der OPK ›Inspirator‹ und so fort. Andere Karten beschreiben in Kurzform eher Persönlichkeitsentwicklungen aus der Sicht des MfS, wenn beispielsweise von der ›Verbindung ins nichtsozialistische Ausland, zum Reiseantrag in dringenden Familienangelegenheiten‹ die Rede ist.75 Hier wurden sogar nur die Reiseantragskarten, die von der Polizei übermittelt wurden und zufällig dasselbe Format wie die F-401 besaßen, einfach in die VSH-Kartei eingestellt. Fehlten problematische Anhaltspunkte, konnte der Reisewunsch eines DDR-Bürgers auf diese Weise dokumentiert werden. Die Krönung der Auswerter-Tätigkeit war der Beleg einer »operativen Wirksamkeit« der analytischen Arbeit. Mit operativ möglichst verwertbaren Hinweisen traten die AIG den Nachweis an, dass sie nicht nur Daten sammelten und damit den bürokratischen Aufwand erhöhten, sondern mit ihren Informationen aus den Karteien eine OPK, eine Sicherheitsüberprüfung oder wenigstens eine KKErfassung anregen konnten. Ebenso erwünscht waren Hinweise auf Fragestellungen, die einem IM-führenden MfS-Mitarbeiter dabei helfen konnten, seine Informanten gezielt zu instruieren, um verdächtige Sachverhalte aufzuklären. So belegt die Kreisdienststelle Rathenow im Jahr 1986 pro Monat 104 derartige Hinweise für den IM/GMS-Einsatz.76 Die Auswerter der BVfS Berlin vermeldeten 1977 offenbar nicht ohne Stolz, dass sie in einem halben Jahr 965 Einzelleistungen 72 Insbesondere eine Erfassung als KK wurde dadurch umgangen. Erfassungen in registrier pflichtigen Vorgängen wären auf diesem Wege nicht möglich gewesen. 73 BStU, MfS, BV Potsdam, KD Oranienburg Kartei, VSH. 74 Ausführungen zur Funktion der Dokumentenkartei enthält das Unterkapitel zum SLK-Komplex. 75 BStU, MfS, BV Potsdam, KD Gransee Kartei, VSH. 76 MfS/BV Pdm: Erhebungsprogramm zu ausgewählten Problemen der Arbeit des Auswertungs- und Informationsorgans der KD Rathenow, 2.4.1986; BStU, MfS, BV Potsdam, AKG Nr. 918, Bl. 14–26, hier 16.
174 Informationsverarbeitung zwischen Systematisierung und Massenüberprüfungen
zur Koordinierung von Informationen beitrugen. Mit Koordinierung war die Kombination von alten und neuen Erkenntnissen gemeint. Von den verdichteten Informationen flossen 27 in OV ein, weitere 314 in KK-Erfassungen.77 Dass derartige Angaben nahezu regelhaft in den Statistiken der Auswertung zu finden sind, unterstreicht deren Bedeutung für die Legitimation der AIG. Die ZAIG mit ihren komplizierten Vorschriften und hohen Ansprüchen an Informationsflüsse, Informationsspeicherung und Informationszusammenführung rechtfertigte sich einerseits immer wieder vor den Traditionalisten im MfS, die vom Nutzen der Informationsarbeit überzeugt werden mussten. Andererseits dienten solche Zahlen der Leistungskontrolle und zum Ansporn der Mitarbeiter. Die Auswerter mussten sich zwar oft verteidigen, durch »Schreibtischarbeit«78 die operative Arbeit in den Hintergrund zu drängen. Andererseits ist unverkennbar, dass ihre Tätigkeit gerade durch die massenhaft genutzte VSH-Kartei immer stärker an Bedeutung gewann. Die AIG in den Kreisdienststellen wurden daher zu strukturellen Arbeitsgruppen oder Referaten aufgewertet, in den AIG der BVfS war der Wandel in Richtung AKG bereits ein Jahr früher begonnen worden.79 Die Einführung der VSH verminderte auch die missbäuchliche Nutzung der KK-Erfassung, die Mitte der 1970er-Jahre kritisiert worden war. Mit Befriedigung nahmen die Analytiker die Chance wahr, mithilfe der neu eingeführten VSHKartei die analytisch orientierte KK-Kartei wieder entschlacken zu können. Da das KK-System durch zu viele unspezifische Registrierungen an Wert verloren hatte, sollte deren Zahl nun deutlich reduziert werden, um die »volle Nutzung der Kerb lochkarteien für die systematische analytische Arbeit«80 wiederherzustellen. Die KK-Erfassung wurde damit aufgewertet und stand nun für die »niedrigste Stufe« einer »negativen« Erfassung im MfS. Nach einer systematischen »Bereinigung«81 sollte sie nicht mehr alphabetisch sortiert werden, was notwendig war, als sie noch für Überprüfungszwecke missbraucht worden war. Jetzt sollte sie nach rein formal-inhaltlichen Gesichtspunkten aufgestellt werden. Das stellte »höhere Anforderung an die zu erfassenden Informationen«, die nach den vorgegebenen Kriterien gewichtet werden mussten. Es sollten nur noch Personen erfasst werden, »die ständig in der politisch-operativen Arbeit zu beachten sind«.82 Gleichzeitig 77 MfS/BV Bln/AIG: Einschätzung zu den im 1. Halbjahr 1977 erfolgten Einspeicherungen in die VSH-Kartei, 3.8.1977; BStU, MfS, ZAIG Nr. 18266, Bl. 4–6(k), hier 6. 78 MfS/BV Pdm: Referat des Leiters der BV, 3.8.1977; BStU, MfS, ZAIG Nr. 18608, Bl. 22–74, hier 47. 79 MfS: Befehl Nr. 299/65, 2. Änderung v. 3.4.1979 zum Befehl; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 3919. Die grundsätzliche Strukturveränderung bewirkte bereits MfS-Befehl Nr. 6/78 v. 3.4.1978 zu Bildung und Aufgaben der AKG in den MfS-Bezirksverwaltungen. Vgl. Abdruck in: Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 304–319. 80 MfS/ZAIG: Vortrag zur Einweisung der Leiter der AIG in die Aufgaben zur Durchsetzung der 2. und 3. DB zum Bef. Nr. 299/65; BStU, MfS, ZAIG Nr. 18615, Bl. 2–85, hier 7. 81 Ebenda, Bl. 11. 82 Ebenda, Bl. 12.
Differenzierung der Prüfmechanismen im MfS
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wurde noch einmal verdeutlicht, dass die erfassende Diensteinheit die Verantwortung hatte, sich um diese Personen »aktiv zu kümmern«.83 Die erfassende Diensteinheit war nicht nur dafür verantwortlich, eventuelle Feindeinflüsse zu beobachten oder die Person vorbeugend zu sichern, sondern musste auch ein Votum bei Sicherheitsüberprüfungen, möglichen Erfassungswünschen anderer Diensteinheiten und Reiseanträgen abgeben. Diese Diensteinheit war vor einer derartigen Entscheidung in jedem Fall zu konsultieren. Es zeichnete sich bald ab, dass durch die Einführung der VSH bei der KK »positive Veränderungen«84 eintraten und Aussagekraft, Übersichtlichkeit und Zugriffsbereitschaft der KK wieder wuchsen. Die Erwartungen an die analytische Arbeit mit den KK-Informationen waren hoch. Sie waren insbesondere für Unterstützungsleistungen bei Lageeinschätzungen, der Bewertung neuer Materialien, bei der Formulierung von Aufträgen für IM und bei der vorbeugenden Arbeit vorgesehen.85 Die Analytik der 1960er-Jahre lief mithilfe des KK-Systems nebenher einfach weiter. Fraglich ist, ob den Auswertern genügend Zeit blieb, parallel das VSHSystem und das KK-System ausreichend zu pflegen. Die mit der Einführung der Kerblochkarteisysteme entstandenen Schwierigkeiten wurden faktisch nicht behoben. Eine Stichprobe im Bezirk Potsdam erbrachte, dass 40 Prozent der KK-Erfassungen für einen Sechs-Monatszeitraum ohne Fortschreibungen blieben. Selbst der Bezug einer Person zu einer OPK führte selten zu Ergänzungen. Auch die separate Personen-KK West wurde kaum aktualisiert, es gab im Quartal nur bei 1,5 Prozent der Karten Ergänzungen, manche KDfS unterließ jede Fortschreibung.86 Nicht zuletzt wegen des hohen Aufwandes bei der Datenerfassung waren die Einträge oft nicht aktuell, nicht zielgerichtet erarbeitet und nicht präzise bewertet. 6.3.2 Grenzen des VSH-Komplexes Immer wieder musste die ZAIG der Versuchung entgegentreten, die VSH für analytische Zwecke zu missbrauchen.87 Die eher zufällige Datensammlung der VSH mit ihren ungewichteten Informationen war dafür nicht geeignet. Gerade dieses Verbot zeigt, wie wenig der VSH-Komplex als Fortentwicklung der systematischen kybernetischen Informationsaufbereitung anzusehen war. Vielmehr wurde die VSH aus einem Gebot der Stunde heraus einfach ›dazwischengeschoben‹. Die 83 Ebenda, Bl. 24. 84 BV Pdm/Leiter: Referat, 27.4.1976; BStU, MfS, ZAIG Nr. 18608, Bl. 22–74, hier 59. 85 MfS/ZAIG: Vortrag zur Einweisung der Leiter der AIG in die Aufgaben zur Durchsetzung der 2. und 3. DB zum Bef. Nr. 299/65; BStU, MfS, ZAIG Nr. 18615, Bl. 2–85, hier 23 f. 86 BV Pdm/Leiter: Referat, 27.4.1976; BStU, MfS, ZAIG Nr. 18608, Bl. 22–74, hier 59. 87 MfS/ZAIG: Bericht über die Überprüfung des Standes der Durchsetzung der 3. DB v. 12.1.1976 zum Befehl Nr. 299/65; BStU, MfS, ZAIG Nr. 17730, Bl. 3–22, hier 8.
176 Informationsverarbeitung zwischen Systematisierung und Massenüberprüfungen
ZAIG-Führung räumte in internen Schulungen unumwunden ein, dass das VSHSystem keineswegs zur Modernisierung des ehrgeizigen analytischen Systems der 1960er-Jahre gedacht war, sondern eine reine Notmaßnahme darstellte, um das Massenüberprüfungsgeschäft infolge des Reiseverkehrs bewältigen zu können.88 Die Einführung des improvisierten VSH-Systems versetzte das MfS ansatzweise in die Lage, jede Person zu kontrollieren, die mit Bürgern aus dem Westen in Kontakt kam. Der Preis des selbst erhobenen Anspruchs war eine gewisse Oberflächlichkeit vieler Informationen und neue Schematismen, die sich nunmehr stark an den möglichen Westbeziehungen oder deren vorgeblichen Auswirkungen orientierten. Weil die unterstellten feindlichen Aktivitäten nach Auffassung des MfS kaum noch offenkundig zutage traten, mussten neue Wege gefunden werden, »um den raffinierter und getarnter, also konspirativer vorgehenden Feind aufspüren zu können«.89 Es war Mitte der 1970er-Jahre jedoch nicht möglich, derart große Datenmassen dezentral oder zentral mittels Karteikarten ständig zugriffsfähig und auswertbar zu halten. Hierzu bedurfte es einer elektronischen Datenverarbeitung, die gerade im Auswertungsbereich des MfS noch nicht ausreichend entwickelt war. Der VSH kam daher die Funktion eines Überbrückungssystems zu. Das VSH-System half dem MfS, die anfallenden Datenmassen in der Ära zwischen dem KK-System und den elektronischen Personendatenbanken mit Karteikarten zu bearbeiten. Jedoch gab es bald Forderungen »nach einem Informationsspeicher, der die analytische Arbeit zu in der VSH-Kartei gespeicherten Informationen«90 ermöglichen sollte.
88 MfS/ZAIG: Vortrag zur Einweisung der Leiter der AIG in die Aufgaben zur Durchsetzung der 2. und 3. DB zum Bef. Nr. 299/65; BStU, MfS, ZAIG Nr. 18615, Bl. 2–85, hier 9. 89 Ebenda. 90 MfS/ZAIG: Bericht über die Überprüfung des Standes der Durchsetzung der 3. DB v. 12.1.1976 zum Befehl Nr. 299/65; BStU, MfS, ZAIG Nr. 17730, Bl. 9.
7. Vorgangsmodernisierung zwischen kybernetischem Ansatz und Zwängen der Massenüberprüfungen
7.1 Zielstellungen der Vorgangsmodernisierung Die kybernetischen Denkansätze beschränkten sich nicht auf den engen Bereich der Informationsverarbeitung, sie schlugen auch auf die geheimpolizeiliche Arbeit insgesamt durch. Deren Zielstellungen lagen einerseits darin, die Verfügbarkeit von Informationen aus Vorgängen und für die Vorgangsarbeit zu verbessern. Andererseits sollten geheimpolizeiliche Prozesse effektiver und effizienter gesteuert werden. Zahlreiche traditionelle Vorgänge wurden daher nach und nach im Sinne kybernetischer Überlegungen modernisiert. Ab 1970 erneuerte das MfS binnen zehn Jahren eine Reihe von Grundsatzregelungen und formulierte damit das zum Teil aus den 1950er-Jahren stammende geheimpolizeiliche Handwerkszeug neu. Dieser Trend zur Revision von Handwerkszeugen der geheimpolizeilichen Arbeit reagierte auf verschiedene Forderungen. Ein Teil der neuen Vorgangstypen, wie die operative Personenkontrolle (OPK), der Sicherungsvorgang (SiVo) und die Sicherheitsüberprüfung (SÜP), stellte den Versuch dar, den aus den veränderten internationalen Beziehungen resultierenden Massenüberprüfungen von Personen einen formalen Rahmen zu verleihen. Zugleich wurde auf das Bedürfnis nach Differenzierung und Individualisierung der geheimpolizeilichen Arbeit reagiert. In der DDR war zwar nach 1969 ein »spürbarer Rückgang«1 des Ansehens der Kybernetik zu verzeichnen, der sich in etwa parallel zum Niedergang der Ulbricht’schen Reformpolitik vollzog. Doch lebte kybernetisches Gedankengut etwa in den Forderungen nach einer »Vervollkommnung der Planung der Arbeits-, Leitungs- und Informationsprozesse« und in der nach der Erhöhung des Niveaus »der Wissenschaftlichkeit in der gesamten Planungsarbeit«,2 in faktischen Synonymen kybernetischer Begrifflichkeiten, fort. Leitungsentscheidungen sollten nicht mehr intuitiv, sondern »wissenschaftlich«, auf der Basis von Analysen, gefällt werden und zu verbindlichen Plänen führen. Stetig neue Analyseergebnisse sollten zu »Plankorrekturen und Planergänzungen«3 führen, die, so war die Annahme, eine ständige Optimierungsspirale initiieren und am Laufen halten würden. 1 Segal: Einführung der Kybernetik; Klaus: Kybernetik und Gesellschaft, passim. 2 MfS: RL Nr. 1/70 Richtlinie für die Planung der politisch-operativen Arbeit in den Organen des MfS (Planungsrichtlinie) v. Juni 1970; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 2550, Bl. 1–53, hier 3 ff. 3 Ebenda, Bl. 47 f.
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Vorgangsmodernisierungen zwischen Kybernetik und Massenüberprüfungen
Dem stand das hartnäckige Vorurteil gegenüber, dass ein Übermaß an Auswertung, Analytik und Kontrolle von den eigentlichen geheimdienstlichen Aufgaben abhalte. Mit den Fragen »was wird bei der ZAIG gemacht, was wird dort überprüft«, wurden noch 1986 MfS-interne Befindlichkeiten in einer Versammlung aufgegriffen.4 Die Kybernetiker erhielten trotz der Vorbehalte der Traditionalisten dennoch eine Chance, weil sich die Zeiten gegenüber der Nachkriegswelt deutlich geändert hatten. Auf die klassenkämpferischen Jahre, in denen die »antifaschistisch-demokratische Ordnung« und die Grundlagen des Sozialismus »erkämpft« wurden, folgte die Konsolidierung im »entwickelten Sozialismus«.5 Den Jahren vorgeblichen Ausblutens und der störenden äußeren Einflüsse bei relativ offener Grenze folgten zunächst als sicherer empfundene erste Jahre hinter dem »Antifaschistischen Schutzwall«, der Mauer. Doch mit Beginn der »friedlichen Koexistenz«6 wurde die Mauer durchlässiger, kam der Klassenfeind mit subtilen Methoden vermeintlich wieder zum Zuge. Mielke soll diesen Wandel folgendermaßen zusammengefasst haben: »Früher warf der Gegner Bomben gegen uns, während er jetzt raffinierter arbeitet.«7 Wo dieser Klassenfeind jetzt angriff, war schwierig auszumachen, zumal in der DDR längst eine neue Generation von Bürgern heranwuchs. Man war beunruhigt wegen der »neuen Methoden« des Feindes, die man bisweilen zu »hinterhältigen Methoden«8 stilisierte. Deren Resultate konnten sich aus Sicht der Staatssicherheit im Jubel über den Besuch eines prominenten Sozialdemokraten in Erfurt ebenso zeigen, wie in der Abwerbung von Fachkräften oder in provozierender Beatmusik, die brave DDR-Jugendliche 1965 zum Aufstand gegen die Obrigkeit von Leipzig anstachelte.9 Subtile Angriffe des Feindes erforderten ein feinnerviges Sensorium auf der Gegenseite. So war man im MfS trotz aller Vorbehalte auf ein kybernetisch orientiertes Personal angewiesen, dessen Einfluss sogar noch wuchs.
4 MfS: Handschriftl. Bemerkungen/Äußerungen zu EDV/ZPDB, o. D. (vermutl. 1986); BStU, MfS, ZAIG Nr. 50168, Bl. 113–115. 5 Der entwickelte Sozialismus war eine kommunistische Selbstbezeichnung in der BreschnewÄra, während Kritiker wie Rudolf Bahro vom real-existierenden Sozialismus sprachen. Hildermeier: Die Sowjetunion, S. 147 ff.; Bahro: Die Alternative, passim. 6 Hildermeier: Die Sowjetunion, S. 144 ff. 7 Zit. nach: Suckut: Generalkontrollbeauftragter der SED, S. 155. 8 MfS/Kollegium: Protokoll der Sitzung v. 12.1.1959; BStU, MfS, SdM Nr. 1903, Bl. 161–167, hier 162. 9 Wolle: Aufbruch nach Utopia, S. 203 ff.; Lange: Mauer, passim.
Zielstellungen der Vorgangsmodernisierung
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7.1.1 Das Schwerpunktprinzip Auch wenn die Entwicklung der 1960er-Jahre zunächst Anderes nahelegte, erwiesen sich die Ressourcen des MfS doch als endlich. Zwar brachte dieser Zeitabschnitt ein starkes Wachstum und das MfS-Personal verdoppelte sich zwischen 1960 und 1970 auf 43 311 Mitarbeiter nahezu.10 Dennoch reichte das keineswegs, jeden und alles permanent zu kontrollieren. Um diesem Dilemma zu entrinnen, erklärte Minister Mielke 1973 auf einer Dienstbesprechung zur Arbeit der Kreisdienststellen das Schwerpunktprinzip »zum entscheidenden Organisationsprinzip«.11 Das Schwerpunktprinzip integrierten erst die Kybernetiker als systematischen Bestandteil in die geheimpolizeiliche Arbeit und es ist per definitionem das Gegenteil des flächendeckenden Überwachungsanspruches. Die Schere zwischen den wachsenden Möglichkeiten, die der »Gegner im Sinne seiner Konzeption für die subversive Tätigkeit zu nutzen versucht[e]« und den endlichen Möglichkeiten des MfS zwangen dazu, die »Wirksamkeit der vorbeugenden Arbeit« zu erhöhen.12 Die Effizienz der eigenen Arbeit steigern zu müssen, bot den Kybernetikern eine Chance. Ihre Philosophie lief darauf hinaus, durch Analyse einerseits die neuen Methoden und Angriffspunkte des Feindes aus dem geheimdienstlichen Material herauszufiltern. Sie wollten andererseits antizipieren, »wo der Feind mit hoher Wahrscheinlichkeit glaubt, den größten Schaden anrichten zu können«, »wo die größten Gefahren für die innere Sicherheit hervorgerufen werden können« und »wo feindliche Handlungen und Einflüsse, Gefahren, Schäden offensiv zu bekämpfen sind«.13 Gedacht war beispielsweise an »bedeutende Industriebetriebe, Forschungseinrichtungen oder militärische Objekte, gefährdete Abschnitte der Staatsgrenze, der Transitstrecken oder an Zentren des Tourismus, der Jugend und der Kirche«.14 Und selbst hier sollte nicht der ganze Bereich, sondern nur der jeweilige »politisch-operative Schwerpunkt« in den Blick genommen werden, wo es Ansatzpunkte für feindliche Aktivitäten geben könnte.15 Analytisch erarbeitete und prognostizierte Schwerpunkte sollten die Reaktionen des MfS bestimmen und »wissenschaftlich« ermittelte Leitungsvorgaben zur Effektivitätssteigerung der Arbeit des Geheimdienstapparates führen. Die Kybernetiker schienen hinsichtlich des effizienten Einsatzes der begrenzten Mittel über eine Antwort auf die Frage nach der Quadratur des Kreises zu verfügen. Daher wurde den keineswegs allgemein geschätzten Analytikern der 10 Gieseke: Die hauptamtlichen Mitarbeiter, S. 554 f. 11 Mielke, Erich: Die weitere Qualifizierung und Vervollkommnung der politisch-operativen Arbeit der Kreisdienststelle, Referat, August 1973; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 1504/73, Bl. 29. 12 Ebenda, Bl. 15, 18. 13 Ebenda, Bl. 18. 14 Ebenda, Bl. 43. 15 Ebenda, Bl. 71.
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Vorgangsmodernisierungen zwischen Kybernetik und Massenüberprüfungen
ZAIG um Werner Irmler immer mehr Macht eingeräumt. So fiel ihnen auch die Zuständigkeit zu, alle dienstlichen Bestimmungen und Grundsatzregelungen mit den Diensteinheiten abzustimmen und dafür zu sorgen, dass die bestehenden und neu hinzukommenden Arbeitsanweisungen harmonierten und sich in ein Gesamtregelwerk einfügten.16 Durch den Einfluss der kybernetisch geprägten Auswerter entstand ein Regelwerk, bei dem, zumindest theoretisch, von der Informationsbeschaffung über die Informationsverarbeitung bis hin zu Maßnahmen alles ineinandergriff. Analytik und planvolle Leitungstätigkeit wurden damit zum Leitbild im MfS erhoben, obwohl sich die alten Haudegen der MfS-Gründergeneration mit solchen Methoden oft genug nicht nur mental, sondern auch intellektuell schwer taten und sie konterkarierten. Erich Mielke versuchte, die beiden Lager miteinander zu versöhnen, indem er behauptete, dass sich »Vorbeugung und Bekämpfung des Feindes nicht voneinander trennen lassen«.17 Zumindest bei der Zuteilung von personellen Ressourcen brach der Konflikt jedoch immer wieder auf. Die Auswertungs- und die operativen Diensteinheiten zur angeblich »wirklichen Aufdeckung der Feinde«18 konkurrierten ständig um ausreichendes und gut qualifiziertes Personal. 7.1.2 Differenzierung der Feindbilder Den Zusammenhang zwischen einem sich im Laufe der Jahre wandelnden Feind bild und der sich damit verändernden Arbeitsweise des MfS brachte ein ehemaliger MfS-Offizier treffend auf den Punkt. Als er vor dem Mauerbau in das MfS eintrat, bekam er »ein umfassendes Feindbild vorgesetzt: Jeder, der in der einen oder anderen Weise nicht mit der DDR und ihrem Weg zum Sozialismus einverstanden war, lief Gefahr, als potenzieller Feind eingeordnet zu werden«.19 Dieses undifferenzierte »Freund-Feind-Denken« führte er auf eine sowjetisch geprägte Ideologie zurück. Nach dem Mauerbau »setzte sich jedoch allmählich eine differenzierte Betrachtungsweise durch«.20 Im MfS setzte sich diese Arbeitsweise offenbar mit Verspätung durch, denn Walter Ulbricht hatte schon 1957 gegenüber dem MfS die Forderung nach »Differenzierung« aufgestellt, um stärker zwischen wirklichen Feinden und solchen Personen, die man für die DDR gewinnen
16 Wiedmann: Die Diensteinheiten des MfS, S. 475; vgl. auch Engelmann; Joestel: Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe, S. 61. 17 Mielke, Erich: Die weitere Qualifizierung und Vervollkommnung der politisch-operativen Arbeit der Kreisdienststelle, Referat, August 1973; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 1504/73, Bl. 25. 18 Wolf, Markus: Bemerkungen v. 2.3.1957; BStU, MfS, SdM Nr. 1552, Bl. 40 f. 19 Roßberg; Richter: Das Kreuz, S. 140. 20 Ebenda, S. 142.
Zielstellungen der Vorgangsmodernisierung
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konnte, zu unterscheiden.21 In den 1940er- und 1950er-Jahren wurden, gemäß einer sowjetisch-stalinistischen Feindsoziologie, die Feinde des Sozialismus, wenn man sie nicht in flagranti überführte, gleichsam a priori ausgemacht. Das waren insbesondere faschistische Elemente, Sozialdemokraten, Trotzkisten. Anhänger des bürgerlichen Systems, kirchliche Amtsinhaber, Großbauern und Konzernvertreter als Gruppenverdächtige. Diese wurden auf schematische Art und Weise als potenziell Verdächtige in Objektvorgängen verfolgt. Nunmehr wurden die Vorgänge in gewissem Sinne individueller und differenzierter. Ulbricht formulierte sehr plastisch, es gäbe sogar »alte aktive Faschisten, die [in der DDR] ausgezeichnet«22 arbeiten würden, dagegen wären nur wenige Personen für westliche Geheimdienste tätig. Es galt nunmehr der Grundsatz der »Differenzierung«. Der Objektvorgang, der Einzelpersonen eher schematisch vorgegebenen Personengruppen zuordnete, konnte dieser Anforderung kaum gerecht werden. Er wurde daher durch Überprüfungsvorgänge abgelöst, die sich auf Einzelpersonen und deren Entwicklung bezogen. Auch innerhalb der Vorgänge kam es zu Abstufungen. Deren Bearbeitung sollte sich an den jeweiligen geheimpolizeilichen Erkenntnissen und weniger an Klischees orientieren. Die »Differenzierung« beim Feindbild führte zwangsläufig zu subtileren Arbeitsmethoden. Die dienstlichen Weisungen der 1950er-Jahre waren stark von den sowjetischen Beratern inspiriert. Während die alten Vorgänge eher von einem SchwarzWeiß-Schema geprägt waren und hauptsächlich zwischen Unterstützern der Geheimpolizei und zu Überwachenden der Geheimpolizei unterschieden, waren die neuen Vorgangstypen fließender angelegt. Die Überprüfung einer Person konnte in einem operativen Vorgang (OV) oder einem Ermittlungsverfahren mit Haft oder mit einer Werbung als inoffizieller Mitarbeiter oder mit einer sanktionslosen Vorgangseinstellung enden.23 Andererseits konnte ein abgelegter IM ebenso unter Kontrolle gehalten werden, wie eine Kontrolle der aktiven IM eine »ständige planmäßige Aufgabe«24 darstellen sollte. Insofern war jeder Vorgang im Prinzip kybernetisch geprägt: Jeder Informa tionseingang führte zu einer Neubewertung des jeweiligen Vorganges. Die Vorgänge wurden zu einem großen geheimpolizeilichen System verbunden. Alle Vorgänge hatten sich in den Rahmen der analytisch geprägten Planungen einzufügen, last but not least sollten alle Vorgänge wiederum Informationen abwerfen. Diese Informationen sollten in die kybernetisch geprägte Informationsverarbeitung einfließen, um genutzt zu werden, wo sie benötigt wurden, unabhängig davon, wie und wo sie ursprünglich entstanden. 21 MfS: Rede v. W. Ulbricht auf Dienstkonferenz, 1957; BStU, MfS, ZAIG, TB Nr. 32. 22 Ebenda. 23 MfS: RL Nr. 1/81 über die operative Personenkontrolle v. 25.2.1981. Abgedruckt in: Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 362–383, hier 376. 24 MfS: RL Nr. 1/79 für die Arbeit mit IM und GMS v. 8.12.1979. Abgedruckt in: MüllerEnbergs: Inoffizielle Mitarbeiter. Teil 1, S. 305–373, hier 330.
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Vorgangsmodernisierung zwischen Kybernetik und Massenüberprüfungen
7.2 Die modernisierten Vorgänge 7.2.1 Die Planungsrichtlinie Der Reigen der Richtlinien neuen Typs wurde bezeichnenderweise mit einer Planungsrichtlinie eröffnet. Pläne sollten die Ziele geheimpolizeilicher Arbeit vorgeben. Die Diensteinheiten erhielten »Planorientierungen«, an denen sie sich auszurichten hatten.25 Während »Perspektivpläne« eher auf Prognosen beruhten, sollten »Jahrespläne« pragmatische Ziele festhalten. »Operationspläne« schrieben schließlich auf den unteren Ebenen die Mittel und Methoden fest und planten den schwerpunktmäßigen Einsatz der zur Verfügung stehenden Kräfte. Die Planungs-Richtlinie Nr. 1/70 sollte sowohl Kontrollaufgaben als auch planmäßiges Vorgehen verpflichtend in das Bewusstsein der MfS-Leiter heben.26 Die neue Arbeitsweise führte alsbald zu einer Planungskaskade und in der Folge zu den oft blutlos wirkenden Arbeits- und Maßnahmeplänen, mit deren Hilfe vorgeschrieben wurde, welcher OV oder welche OPK weiterentwickelt werden sollten und welche IM zu rekrutieren seien.27 Die einzelnen Mitarbeiter mussten sich sogar Wochenpläne, in denen ihre Treffs mit IM und anderen Informanten und Zeiten zur Auswertung terminiert waren, vom Vorgesetzten abzeichnen lassen.28 Solche Pläne blieben illusionär, wenn beispielsweise der operative Mitarbeiter des MfS krank oder ein IM nicht verfügbar war. Dennoch kommt man nicht umhin, den kybernetischen Steuerungsansatz hinter diesen Plänen wahrzunehmen. Neue Informationen und Erkenntnisse konnten durchaus zu einer Modifizierung der Pläne führen. Schwerpunkte der Arbeit konnten sich ändern. Eines der bekanntesten Beispiele ist die PUTRichtlinie von 1985,29 mit der das MfS auf das Anschwellen der Kirchenopposition reagierte und Schwerpunktsetzungen und Kompetenzen im MfS neu verteilte.30 Statt auf Überwachung von Kunst und Kultur und die Bekämpfung 25 MfS/HA XX: diverse Planorientierungen der HA XX für verschiedene BVfS; BStU, MfS, HA XX Nr. 24379. 26 MfS: RL Nr. 1/70 über die Planung der politisch-operativen Arbeit in den Organen des MfS (Planungsrichtlinie), 1.7.1970; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 2550, Bl. 1–53, hier 29 ff. 27 MfS/HA XX/1: Arbeitsplan für das Jahr 1981, 10.12.1980; BStU, MfS, HA XX Nr. 421, Bl. 1–23. 28 Vgl. beispielsweise MfS/HA XX/1: Wochenpläne des Referatsleiters Maj. Jürgen Hardtmann, HA XX/1/3, für die Zeit v. 30.1.–9.4.1989; BStU, MfS, HA XX Nr. 7358, Bl. 10–50; Booß: Im goldenen Käfig, S. 191. 29 MfS: DA 2/85 zur vorbeugenden Verhinderung, Aufdeckung und Bekämpfung politischer Untergrundtätigkeit, 20.2.1985; BStU, MfS, BdL/Dok. Nr. 5083. 30 Henke; Engelmann: Aktenlage, S. 141 ff. Nach Aussagen von MfS-Insidern erhielt die HA XX/9 damit eine Leitkompetenz gegenüber anderen Abteilungen, was zu einer Verschärfung des Kurses gegenüber oppositionellen Strömungen führte. Vgl. Roßberg; Richter: Das Kreuz, S. 219.
Die modernisierten Vorgänge
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der politisch-ideologischen Diversion richtete man das Augenmerk jetzt stärker auf politisch-oppositionelle, pazifistische oder emanzipatorische Gruppen im Inland. Die internen Arbeitsanweisungen des MfS aus der Aufbauphase wirkten im Verhältnis zu den späteren schlicht, bisweilen grobschlächtig. Die neue Generation der Anweisungen stellte sich ausgefeilter, manchmal langatmig und geradezu detailversessen formuliert dar. Eine Ursache dafür war sicher der geradezu naturwüchsige »Grundzug bürokratischer Herrschaft«31, jedes und alles vorschreiben und regeln zu wollen. Das »operative« Getriebe sollte nach dem Prinzip von Befehl und Gehorsam geregelt werden. Es galt eine »militärische Disziplin«.32 Nicht zufällig versuchte man auch die unübersichtliche Flut der formgebundenen dienstlichen Bestimmungen und deren Herausgabe in diesen Jahren zu systematisieren. Danach durfte –– Richtlinien und Direktiven nur der Minister erlassen. –– Dienstanweisungen konnten vom Minister und von den Hauptabteilungsleitern erlassen werden. –– Ordnungen und Anweisungen konnten auch von den Leitern unterer Diensteinheiten bis hin zur Kreisdienststelle herausgegeben werden. Ergänzt wurden diese dienstlichen Bestimmungen vielfach durch zuweilen lange und filigrane Durchführungsbestimmungen oder Änderungsverfügungen.33 Es wäre eine Verkürzung, diese Regelungen allein als bürokratisches Regelwerk abtun zu wollen.34 Es steckte mehr in ihnen. Die eng gefassten dienstlichen Regelungen dienten der Steuerung und Kontrolle der MfS-Mitarbeiter, richteten die geheimpolizeilichen Eingriffe und Konsequenzen über das gesamte MfS hinweg an einheitlichen Mustern aus und banden das MfS in Kombination mit dem militärischen Gehorsam an die politischen Ziele der SED. Zunächst und unmittelbar sollten die dienstlichen Regeln die Arbeitsqualität der Mitarbeiter (Komponente der Qualifizierung) verbessern und ihnen klare Vorgaben erteilen. Die Detailliertheit mancher Regel erklärt sich teilweise daraus, dass sie als Handreichung für ganz bestimmte Arbeitsbereiche diente, die sich mit der vorgegebenen Arbeitsweise in das große Ganze oder politische sensible Konstruk tionen einfügen sollten (z. B. Wahren der diplomatischen Gepflogenheiten bei der Passkontrolle). Weiter ermöglichten die konkreten Vorgaben eine bessere Kontrolle der Umsetzung. 31 Weber: Wirtschaft und Gesellschaft, S. 124 ff. 32 MfS: Grundsätze für den Dienst im MfS (Dienstordnung) v. 13. Juli 1972. Abgedruckt in: Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 238–244, hier 239. 33 Von einer gewissen bürokratischen Neigung zeugt der Erlass einer formalen Ordnung zur Spezifizierung formaler Ordnungen, hier eben der Ordnung Nr. 1/80 über die formgebundenen dienstlichen Bestimmungen im Ministerium für Staatssicherheit (Bestimmungsordnung) v. 5.2.1980. Abgedruckt in: Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 320 ff. 34 Kowalczuk: Stasi konkret, S. 10.
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Nicht zufällig wurde in dieser Periode auch das Aufgabenspektrum der AIG um die Kontrollfunktion erweitert. Sie richteten fortan Kontrollgruppen ein.35 Damit verbunden war die Umbildung der AIG in AKG (Auswertungs- und Kontrollgruppen). Die Kontrollgruppen konnten durch Aktenvorlage, Anfragen oder Kontrolleinsätze die Einhaltung der Vorschriften bis hinunter zum einzelnen Vorgang oder Mitarbeiter überprüfen. Damit wurde eine interne Kontrollbürokratie eingeführt, an deren Spitze wiederum die ZAIG stand. Um die gesamte Arbeit des MfS planvoller zu gestalten, wurde 1970 die erwähnte Vorgabe erlassen, die das MfS einem Zyklus von Plänen unterwarf.36 Man könnte die Planungs-Richtlinie mit einiger Berechtigung als eine ins Absurde gesteigerte Übertragung der DDR-Planwirtschaft in die Sphäre der Geheimpolizei karikieren. Zugleich unterwarf dieses Planungsräderwerk jedoch den gesamten Apparat der kybernetischen Philosophie und sollte garantieren, dass die geheimpolizeiliche Arbeit, gleich einem Uhrwerk, nach kybernetischen Prinzipien funktionierte. Jedoch existierte eine prinzipielle Schranke für alle Planung, die theoretisch auf akribischen Lage-Analysen beruhen sollte. Planungen hatten sich grundsätzlich an Parteibeschlüssen der SED auszurichten. Das führte zur Unterordnung der geheimpolizeilichen Empirie unter politische Einschätzungen der internationalen Großwetterlage. Das zeigen die meisten Reden von Minister Mielke. Sie begannen zumeist mit einer dramatischen Schilderung des internationalen Klassenkampfes, den in der Regel mehr oder minder aggressiven Versuchen des Imperialismus, das sozialistische Lager zu destabilisieren. Erst viel später kam er auf die DDR zu sprechen. So leitete Mielke seine Überlegungen zum verschärften Kurs gegen das »Rowdytum« damit ein, dass der Gegner »ganz zielgerichtet feindlich-negative, aber auch politisch nicht gefestigte, labile und schwankende Personen bis hin zu kriminellen und demoralisierten Elementen, insbesondere unter Jugendlichen, zur Begehung von antisozialistischen und kriminellen Handlungen«37 inspiriere. Ähnlich beharrte die Staatssicherheit entgegen der Expertise aus dem Innenministerium darauf, dass das Skinhead-Phänomen eine primär außengesteuerte Jugendbewegung sei.38 Die kybernetische Analyse stand unter einem ideologischen Vorbehalt. Das minderte ihren Erkenntniswert und verkehrte Konsequenzen teils in ihr Gegenteil. Das Ideologem von der »ideologischen Diversion« machte die Feindsteuerung gesellschaftlicher Phänomene zur alleinigen Erklärung. Nicht nur die Steuerung 35 MfS: Befehl Nr. 6/78 über Bildung von Auswertungs- und Kontrollgruppen (AKG) in den Bezirksverwaltungen/Verwaltungen und deren Aufgaben v. 3.4.1978. Abgedruckt in: Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 304–319. 36 MfS: RL Nr. 1/70 für die Planung der politisch-operativen Arbeit in den Organen des MfS (Planungsrichtlinie), Juni 1970; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 2550, Bl. 1–53, zu den Planungszyklen vgl. Bl. 29 ff. 37 Mielke, Erich: Referat am 2. Beratungstag der zentralen Dienstkonferenz zum 3. Strafrechtsänderungsgesetz zum StGB v. 1968, 6.7.1979; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 6616, Bl. 1–176, hier 78. 38 Süß: Wahrnehmung und Interpretation des Rechtsextremismus, passim.
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des eigenen Apparates, sondern auch die Hinweise an die Parteiführung wurden ideologisch gefiltert. Als in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre eine Faszination für die Reformbestrebungen in der Sowjetunion einen Großteil der DDR-Bevölkerung und Teile der SED-Mitglieder ergriff, war das dem MfS keinen separaten Bericht an die SED-Führung wert. Aus Forschung und einem Editionsprojekt beim BStU ist bekannt, dass derartige Berichte intern zwar erstellt, aber nicht an die Parteiführung weitergeleitet wurden. Das Gleiche gilt für Reaktionen auf das Auslieferungsverbot der sowjetischen Zeitschrift »Sputnik«.39 Interne Berichte der ZAIG zeigen, dass man sich über Spannungen und Kritikpotenzial in der DDR-Bevölkerung sehr wohl bewusst war.40 7.2.2 Die Operative Personenkontrolle Wohl nicht zufällig wurde ein Jahr vor der Unterzeichnung des Grundlagenvertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR vom MfS eine neue Vorgangsart geschaffen, die Operative Personenkontrolle (OPK). Personenkontrollvorgänge gab es im MfS immer, phasenweise als Überprüfungsvorgänge oder als Operativ-Vorlauf organisiert.41 Aber die MfS-Richtlinie Nr. 1/71 über die Operative Personenkontrolle war strenger, präziser und ausführlicher gefasst und wurde 1981 noch einmal überarbeitet und in gewisser Hinsicht verschärft.42 Mit den 1970er-Jahren vermehrten sich die Kontakte zwischen Ost und West. Mielke hatte schon nach dem Schock über den Jubel für Willy Brandt bei dessen Besuch in Erfurt verstärkt operative Personenkontrollen gefordert.43 Nicht nur in Richtung Westen, auch in Richtung Polen und ČSSR wurden in diesen Jahren die Grenzen durch den visafreien Verkehr durchlässiger und boten aus Sicht des MfS dem »Gegner« immer neue Möglichkeiten, subversiv mittels »ideologischer 39 Das auf das Ausland ausgerichtete Magazin »Sputnik«, ein Digest sowjetischer Printmedien, widmete 1988 nicht nur den Reformbestrebungen in der Sowjetunion breiten Raum. Mit Beiträgen über den Hitler-Stalin-Pakt oder Stalins Herrschaftspraktiken wurden indirekt zentrale Thesen der geschichts- und realitätsfernen SED-Ideologie angegriffen und führten zum Entzug der Vertriebslizenz in der DDR. Vgl. dazu Bericht O/205 zum XIX. Parteitag der KPDSU, 11.7.1988, sowie Bericht O/211 zur Streichung des »Sputniks« von der DDRPostzeitungsvertriebsliste, 30.11.1988. In: Die DDR im Blick der Stasi. Bd. 1988, S. 203–207, 284–288; Süß: Staatssicherheit am Ende, S. 100 ff. 40 Dafür mag exemplarisch stehen MfS/ZAIG: Hinweise auf die Reaktion der Bevölkerung im Zusammenhang mit der ständigen Ausreise von Bürgern aus der DDR bzw. dem ungesetzlichen Verlassen der DDR, 13.9.1989; BStU, MfS, ZAIG Nr. 5351, Bl. 32–61. 41 Lucht: Archiv der Stasi, Stichwort: OPK, S. 163. 42 MfS: RL Nr. 1/71 über die operative Personenkontrolle v. Januar 1971 sowie MfS: RL Nr. 1/81 über die operative Personenkontrolle (OPK) v. 25.2.1981. Jeweils abgedruckt in: Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 198–217, 362–383. 43 Mielke, Erich: Referat auf der Dienstbesprechung v. 24.6.1970; BStU, MfS, ZAIG Nr. 4740, Bl. 1–125, hier 65.
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Diversion« und nun auch durch »Kontaktpolitik« zu wirken. Mit der relativen Normalisierung der innerdeutschen Beziehungen fielen auch die Restriktionen der Hallstein-Doktrin.44 Für die westlichen Staaten gab es keinen Grund mehr, von der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur DDR Abstand zu nehmen. Mit der Anerkennung der DDR wuchs die Zahl der diplomatischen Vertretungen und deren Personal in Ostberlin enorm. Auch die Zahl der in der DDR akkreditierten Journalisten stieg deutlich.45 Damit hatte sich die DDR Vertreter jener Berufsgruppen massenhaft ins Land geholt, die das MfS geradezu automatisch verdächtigte im Auftrag westlicher Mächte zu agieren. Über diplomatische, journalistische, wirtschaftliche, kulturelle und sportliche Kontakte konnten diese Personen, ohne zunächst Argwohn zu erregen, Kontakte zum Spitzenpersonal der DDR pflegen. Die Botschaftsempfänge und die Empfänge der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in Ostberlin wuchsen zu einer gegenseitigen Kontakt- und Informationsbörse an.46 Die Liste der verdächtigen Einflüsse war lang und reichte bis zu Versuchen westlicher Sender, Kontakte zu DDR-Bürgern aufzubauen. Solche aus SED- und MfS-Sicht unerwünschten Kontaktanbahnungen galt es nun aufzuspüren und vor allem in Schwerpunktbereichen feindliche Einflüsse möglichst im Ansatz »vorbeugend«47 zu verhindern oder zu beseitigen. Die OPK hatte unter anderem zum Ziel, »vorbeugend zu sichernde Personen« und andererseits »operativ interessante Personen« aufzuspüren und zu überprüfen.48 Streng genommen waren das zwei völlig unterschiedliche Personengruppen. Die letzteren waren exponiert, weil sie lediglich in bedeutsamen Positionen oder zur Lösung bedeutsamer Aufgaben eingesetzt waren und von ihnen »unbedingte Zuverlässigkeit«49 erwartet wurde. Sie galten zumindest objektiv als Stützen des Systems. Derartige Personen konnten auch als Informanten für das MfS nutzbar 44 Die zwischen 1955 und 1969/70 verfolgte Hallstein-Doktrin war eine außenpolitische Maxime der Bundesrepublik, die jede diplomatische Anerkennung der DDR durch Drittstaaten als unfreundlichen Akt gegenüber der Bundesrepublik wertete. Erst W. Brandt nahm mit der neuen Ostpolitik von diesem Politikansatz Abstand. 45 Müller-Enbergs: Hofberichterstatter der SED, S. 54–63. 46 Boysen: Das »weiße Haus«, S. 141 ff. 47 MfS: RL Nr. 1/71 über die operative Personenkontrolle. In: Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 199. 48 Diese Kategorien finden sich schließlich im Rahmenkatalog zur ZPDB-Erfassung wieder, Rahmenkatalog 1988, Teil III, Kap. 3. u. 4. Hier sind zusammengefasst: verbeugend zu sichernde DDR-Bürger in Funktionen, auf die sich Angriffe des Feindes richten könnten, Personen mit operativ interessanten Merkmalen, Ausländer in exponierten Stellungen in der DDR, die eine Haltung gegen die DDR erwarten ließen und DDR-Bürger, die durch Wehrdienstverweigerung oder Ausreiseanträge aufgefallen waren etc. Dabei scheint es sich um eine Weiterentwicklung dieser Kategorien zu handeln. Rahmenkatalog, Anlage 1 zur MfS-DA Nr. 1/80 über Grundsätze der Aufbereitung, Erfassung und Speicherung operativ bedeutsamer Informationen ... i.d.F. v. 14.11.1988; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 155/88. 49 MfS: RL Nr. 1/71 über die operative Personenkontrolle. In: Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 199.
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gemacht werden. So wurde die OPK mit ihren verschärften Sicherheitsanforderungen und Kontrollen, nicht auf den ersten Blick erkennbar, auch zur Vorstufe der Werbung von Informanten für die Westspionage der HV A.50 Die andere Gruppe der »vorbeugend zu sichernden Personen« wurde dagegen eher als Schwachstelle im System angesehen. Das betraf Menschen, »die der Gegner für seine Ziele ausnutzen könnte«51 und die wegen ihrer Position oder wegen ihrer negativen Einstellung zum Einfallstor feindlicher Aktivitäten werden konnten. Im Hintergrund stand für Altkommunisten wie Erich Mielke die Frage nach dem »Wer ist Wer?«52 Wem konnten die Kommunisten trauen, wem mussten sie misstrauen und wen bekämpfen? Die als neue »Klassenkampfsituation« interpretierte stärkere Öffnung nach dem Westen stellte die Geheimpolizei der SED vor die Aufgabe, diese alte Frage neu zu stellen. Die nochmalige Überarbeitung der OPK-Richtlinie im Jahr 198153 steht im Kontext mit Modernisierungen anderer Grundlagendokumente im MfS, besonders der OV-Richtlinie Nr. 1/76 und der IM-Richtlinie Nr. 1/79. Die Vorprüfung von besonders zuverlässigen IM entfiel beispielsweise zugunsten von Regelungen in der RL Nr. 1/79, die Überprüfung von DDR-Personal wurde drängender. Drei Zielstellungen von OPK wurden in der Richtlinie von 1981 herausgestellt: –– Prüfen von Verdachtsgründen, die auf Staatsverbrechen, auf Verbrechen und Straftaten mit besonderer Gesellschaftsgefährdung oder Verbrechen und Straftaten, für deren Bearbeitung das MfS üblicherweise zuständig war, hindeuteten und/oder zu operativen Vorgängen entwickelt werden konnten. –– Suche nach einzelnen ideologischen Abweichlern oder solchen Gruppierungen, und deren möglicherweise nicht systemkonformen Aktivitäten, denen im Vorfeld und präventiv entgegengetreten werden sollte. –– Präventive Sicherung sicherheitspolitisch besonders relevanter Einzelpersonen wegen deren besonderer Stellung oder Betätigung vor gegnerischen Angriffen beziehungsweise vor möglicherweise nicht systemkonformen Aktivitäten solcher Personen.54 Gegenüber der zuvor vorherrschenden Fixierung auf bestimmte Personengruppen, war die Richtlinie von 1981 offener gehalten. Sie folgte noch stärker dem neuen analytischen Trend im MfS. Was einen »operativ bedeutsamen Anhaltspunkt«55 darstellte, der die OPK auslösen sollte, war nicht a priori vorgegeben. Viel50 Müller-Enbergs: Inoffizielle Mitarbeiter. Teil 2, S. 115. 51 MfS: RL Nr. 1/71 über die operative Personenkontrolle. In: Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 198. 52 Ebenda, S. 200. 53 MfS: RL Nr. 1/81 über die operative Personenkontrolle v. 25.2.1981. Abgedruckt in: Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 362–383. 54 Ebenda, S. 363 f. 55 Ebenda, S. 365.
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mehr sollten aus der Menge der eingehenden Informationen, durch Informationsverdichtung, relevante Anhaltspunkte zur Einstellung, zu Verbindungen, Persönlichkeitsmerkmalen und Handlungen einer Person erst herausdestilliert werden.56 In der Vergangenheit wurde als Funktion der OPK herausgestellt, Anhaltspunkte für »feindlich-negative« Einstellungen oder gar Anhaltspunkte für politische Straftaten zu liefern.57 Das ist nicht ganz falsch, aber man sollte nicht übersehen, dass sich das MfS bei den OPK unverkennbar zunehmend Personen in systemtragenden Positionen zuwendete, von denen nicht wenige zu den Eliten zählten. Allein sieben Merkmale mit Unterpunkten widmen sich in der Fassung von 1971 solchen Personenkreisen.58 7.2.3 Der Sicherungsvorgang Der 1976 eingeführte Sicherungsvorgang (SiVo) erreichte nicht die Hierarchiestufe einer Richtlinie und wurde lediglich als Ordnung etabliert.59 Der SiVo sollte die Erfassung solcher Personen ermöglichen, die weder in einer OPK oder OV, nicht als IM, nicht KK oder sonst registriert waren. Er war als aktive Erfassung (mit entsprechender Verantwortlichkeit der reklamierenden Diensteinheit) für Personengruppen angelegt, die wegen ihrer gesellschaftlichen Position, ihrer Tätigkeit, ihrer Kenntnisse, ihrer beruflichen Fähigkeiten, besonderer Vorrechte, einer Beschäftigung in bestimmten Objekten oder sonstigen Gründen vorbeugend überwacht werden sollten. Neben diesen überwiegend formal begründeten Fallgruppen waren Leiter von AIG/AKG faktisch aller Strukturebenen von der Hauptabteilung bis zur Kreisdienststelle zum Führen je eines SiVo und die Leiter von MfS-Diensteinheiten zum Führen weiterer SiVo ohne erkennbare oder vorgegebene personelle Spezifizierung ermächtigt.60 Die neue Regelung löste alte Vorgangskonstruktionen ab oder ermöglichte in Einzelfällen deren Integration als SiVo. Das betraf Sondervorgänge und Objektvorgänge (OVO), die aufgelöst wurden (mit der Ausnahme von Vorgängen der HV A und Linie XV).61 Die oft sperrigen OVO-Vorgänge überwachten, wie dargestellt, ein »Objekt« nach schematischen Vorgaben. Die besonders zu beachtenden Personen waren in Indexbögen erfasst. Jede Diensteinheit sollte 56 Ebenda, S. 364 f. 57 Fricke: MfS intern, S. 51; MfS-Lexikon, Stichwort: OPK, S. 253. 58 MfS: RL Nr. 1/71 über die operative Personenkontrolle. In: Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 204 ff., 210. 59 MfS: Ordnung über die Erfassung von Personen in der Abteilung XII auf der Grundlage von Sicherungsvorgängen v. 1.6.1976. Abgedruckt in: Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 299–303. 60 Ebenda, S. 301. 61 Ebenda, S. 302.
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nun nach Abschaffung der OVO für sich entscheiden, ob die Personen aus dem Indexblatt eines OVO in einem Vorgang nicht mehr oder in dem neu geschaffenen Sicherungsvorgang erfasst werden. Der Übergang zum SiVo ist charakteristisch für eine stärkere Personalisierung der Überwachung im Zuge des Voranschreitens der Massenüberprüfungen. Statt einer Akte zum Objekt »Amt für Jugendfragen« beim Vorsitzenden des Ministerrates der DDR wurden nun beispielsweise verschiedene Dossiers zu 32 Personen geführt. Vier Personen waren auf einem SiVo erfasst, drei Personen waren KK erfasst. Zu den verbleibenden 25 Personen gab es Handakten.62 Die im SiVo »zu sichernden« Personen wurden auf Indexbögen aufgelistet und deren Namen in der Zentralkartei erfasst. Faktisch jede Diensteinheit verfügte jetzt über ihren SiVo mit entsprechenden Erfassungsbögen. SiVo-Erfassungen orientierten sich an den sachlichen Zuständigkeiten der jeweiligen Diensteinheit. Diese trug für die auf den Indexbögen verzeichneten Personen die Verantwortung für deren »vorbeugende politisch-operative Sicherung«.63 Wie Diensteinheiten Informationen zu SiVo-erfassten Personen speicherten, war ihnen offenbar weitgehend selbst überlassen. Vielfach beschränkten sich Nachweise auf Karteien oder Handakten, die von den für den jeweiligen Sicherungsbereich zuständigen Mitarbeitern geführt wurden.64 Wurde eine Person aus einem SiVo herausgenommen, sollte eventuell entstandenes Material als Allgemeine Personenablage (Allg. P/AP) bei der Abteilung XII archiviert werden.65 Die Objektakte, der OVO, wurde aufgegeben. Möglicherweise, das ist schwer nachvollziehbar, floss ein Teil des Materials in die Handakten des weiterhin für das Objekt zuständigen Sicherungsoffiziers ein. Beispielsweise erstellte die HA XX/1, als die Objektvorgänge, so auch der zum Justizministerium, aufgelöst wurden, über das Ministerium ersatzweise eine rund 100 Seiten starke »Analyse zur politisch-operativen Situation«.66 Diese basierte offenbar auf einem aus dem MdJ stammenden Organigramm. Zu den meisten der 173 Mitarbeiter existierten stichwortartige Kurzcharakteristiken, die neben politischen Parametern in Einzelfällen sehr persönliche Angaben, wie »herzkrank« oder »findet leicht Kontakte
62 Die Zuständigkeit lag im konkreten Fall zunächst in der HA XX/2, später in der XX/1. MfS/HA XX/1: Übergabeprotokoll, 19.8.1983; BStU, MfS, HA XX Nr. 7476, Bl. 16 f. 63 MfS: Ordnung über die Erfassung von Personen in der Abteilung XII auf der Grundlage von Sicherungsvorgängen, 1.6.1976. In: Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 299. 64 Der BStU gibt bei SiVo gelegentlich die Auskunft, dass keine Akten vorhanden seien. Dass ist zuweilen nicht ganz richtig, da auch eine SiVo-Erfassung zu Personeninformationen führte. Nur ist der Zusammenhang zwischen SiVo-Erfassung und Aktenfragmenten heute oft nur schwer rekonstruierbar. 65 MfS: Ordnung über die Erfassung von Personen in der Abteilung XII auf der Grundlage von Sicherungsvorgängen, 1.6.1976. In: Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 302. 66 BStU, MfS, HA XX Nr. 7358, Bl. 96–198.
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zu Frauen«67, enthalten konnten. Für das MfS waren als übergreifende Kategorien jetzt Geheimnisträger, Reisekader, KK-Erfasste oder Westverbindungen von Interesse.68 Die SiVo-Erfassung überschnitt sich hinsichtlich ihrer Zielstellungen mit denen von Sicherungsüberprüfungen. Sicherheitsüberprüfungen unterworfene Personen mussten nicht nur in den VSH-Karteien der befassten Diensteinheiten vermerkt werden, sondern konnten auch zusätzlich auf einem SiVo und damit in der Zentralkartei der Abteilung XII registriert werden. Der Sinn dieser verwirrenden Doppelerfassung lag offensichtlich darin, Zuständigkeiten zu definieren. Einfache Überprüfungen im Rahmen von Rentnerreisen konnten beispielsweise von der Kreisdienststelle am Wohnort des Rentners eigenständig erledigt werden. Wenn jedoch ein Geheimnisträger in seinem Heimatkreis eine Reise ins westliche Ausland beantragte, musste die von der Volkspolizei informierte Kreisdienststelle das Votum von der Diensteinheit holen, in der die Person im SiVo oder anders erfasst war. Die verschiedenen Erfassungen unterschieden sich also durch den Grad der Verantwortung und damit der Kontrolle, die einzelne Diensteinheiten gegenüber den registrierten Personen wahrnahmen. Trotz der wenig förmlichen und verhältnismäßig einfachen Art und Weise, Personen zu kontrollieren, sollte die SiVo-Registrierung in ihrer Bedeutung nicht unterschätzt werden. Nicht zuletzt war die Zahl der in SiVo registrierten Personen relativ hoch. Durch die Ablösung der Objektvorgänge dürfte sich die Zahl der erfassten Personen zunächst vorübergehend verringert haben. Es sollten ehedem Personen nur bei »begründeter«69 Notwendigkeit in SiVo übernommen werden. Langfristig füllten die Diensteinheiten die SiVo jedoch immer weiter auf. Im Bezirk Magdeburg waren 1983 insgesamt 8 190 Personen in traditionellen Vorgängen (eingeschlossen IM-Vorgänge) registriert. Dem standen aber 10 069 auf Sicherungsvorgängen aufgetragene Personen gegenüber.70 Eine größere Stichprobe in der zentralen Personenkartei F 16 nach dem Stand der heutigen Überlieferung ergab, dass 26,6 Prozent der einliegenden Karteikarten aus einer SiVo-Erfassung resultieren. Auf den Gesamtbestand der überlieferten F-16-Kartei hochgerechnet, wären ehemals rund 1,4 Mill. Personen auf Sicherungsvorgängen aufgetragen gewesen. Da ferner eine unbekannte Zahl von AP-Ablagen 67 MfS/HA XX/1: Analyse zur politisch-operativen Situation, 24.5.1976; BStU, MfS, HA XX Nr. 7358, Bl. 96–198, hier 136. 68 Ebenda, Bl. 100 ff. Das MdJ zählte zum Sicherungsbereich der HA XX/1. Daher enthält die zit. Akte weitere Sicherheitsanalysen, Protokolle von offiziellen Kontakten zum MdJ. In anderen Akten wurden Korrespondenzen und einer Klärung unterliegende Einzelfragen, auch Personalien, abgelegt. 69 MfS: Ordnung über die Erfassung von Personen in der Abteilung XII auf der Grundlage von Sicherungsvorgängen, 1.6.1976. In: Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 299. 70 Die berücksichtigten Erfassungen schließen OPK ein, grenzen jedoch KK-Erfassungen aus. Die Daten basieren auf einer Recherche von Jörg Stoye, ASt Magdeburg sowie BStU, MfS, BV Magdeburg, AKG Nr. 448 u. 449.
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Die modernisierten Vorgänge 2,28%
2,54%
ZMA SIVO
95,18%
OPK (0,1 %)/ OV (0,01 %)/ IM (2,17 %)
Abb. 25: Erfassungen im Bezirk Magdeburg 1983
im Archiv aus gelöschten SiVo-Registrierungen resultiert, lag der absolute Wert der einschlägigen Erfassungen noch über diesem Hochrechnungsergebnis.71 Aus der Vorgangsverantwortung72 für diese Personen wuchs der MfS-interne Druck, sich rechtfertigen zu müssen, wenn eine Person nicht erwartungsgemäß handelte und beispielsweise von einer Westreise nicht zurückkehrte. Es sei ein Unterschied, schärfte Erich Mielke seinem Personal ein, »ob es dem Feind gelingt, einen international bekannten erfolgreichen Spitzensportler oder Wissenschaftler zum Verrat an unserer Republik zu verleiten«73 oder nur eine Rentnerin im Westen verbleibt. Zur Erfassung in Sicherungsvorgängen war überwiegend tenden ziell staatsnahes Personal vorgesehen: Geheimnisträger, Reisekader, Mitarbeiter diplomatischer Vertretungen, höhere Funktionäre in Politik, Wirtschaft und in den bewaffneten Organen, permanente Waffenträger, Dienstleister beim MfS
71 Archivakten aus der Allgemeinen Personenablage (AP) des MfS resultieren zu gewissen Teilen aus Dossiers, die im Rahmen von Objektvorgängen oder SiVo entstanden. Vgl. Lucht: Archiv der Stasi, Stichwort: Allgemeines Material über Personen, S. 35. 72 MfS: Ordnung über die Erfassung von Personen in der Abteilung XII auf der Grundlage von Sicherungsvorgängen, 1.6.1976. In: Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 299. 73 Mielke, Erich: Die weitere Qualifizierung und Vervollkommnung der politisch-operativen Arbeit der Kreisdienststellen, Referat, August 1973; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 1504/73, Bl. 245.
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und anderen bewaffneten Organen sowie Informanten und geheimpolizeilich anderweitig genutztes Personal ohne IM-Status.74 Das soll an einem charakteristischen Beispiel verdeutlicht werden. Für das Justizministerium war die HA XX/1 zuständig und legte im Rahmen dessen den SiVo mit der Registriernummer XV 766/73 an. Die vom Vorgang formal zu berücksichtigende Gruppe bildete das Personal des DDR-Justizministeriums. Von den 73 auf dem SiVo aufgetragenen Personen gehörten 78 Prozent der SED an. Zum einbezogenen Personal zählte ein stellvertretender Minister; Mitte der 1980er-Jahre waren 50 Prozent aller Hauptabteilungsleiter sowie alle Abteilungsleiter eingeschlossen. Vom Personal abwärts bis zum Referenten waren zwischen 33 und 45 Prozent, bei den wissenschaftlichen Mitarbeitern 51 Prozent im Vorgang vermerkt. Es waren also überwiegend Personen, die man eher als Stützen des Systems ansehen muss. Insgesamt symbolisiert die Ablösung von Objekt- und Sondervorgängen durch den SiVo den Wandel der Informationsverarbeitung im MfS. Statt schematisch auf Objekte und Personen zu sehen, sollten Einzelpersonen nunmehr differenziert wahrgenommen werden. Die stete Analyse von Gesamtsituation und Person entschied nun über Ausmaß und Methode der Aktivitäten des MfS. Der Status einer Person im MfS-Kontrollsystem unterlag permanenter Überprüfung, und erregte sie einen geheimpolizeilichen Verdacht, war »ständig zu gewährleisten, dass die Veränderung der Erfassungsart vorgenommen wird«.75 7.2.4 Die Sicherheitsüberprüfung Um dem enormen Zuwachs bei Personen-Überprüfungen und der verwirrenden Vielfalt von Regelungen Herr zu werden, erließ Mielke nach jahrelangen Vorarbeiten und dem Erarbeiten einer umfangreichen Dissertation76 im Jahr 1982 die Richtlinie Nr. 1/82 zur Durchführung von Sicherheitsüberprüfungen (SÜP). Ausweislich der Einleitung zur Richtlinie sollte deren Anwendung die Gewähr dafür bieten, dass nur zuverlässiges Personal in sicherheitspolitisch bedeutsame Positionen gelangen oder auf sicherheitspolitisch bedeutsame Genehmigungen Zugriff erhalten sollte. Während, wie dargestellt, jahrelang ein Wildwuchs von Kriterienkatalogen geherrscht hatte, wurden ab 1982 als grundlegende sicherheitspolitische Anforderungen beispielsweise Loyalität zum sozialistischen Staat, Abgrenzung gegenüber feindlichen
74 MfS: Ordnung über die Erfassung von Personen in der Abteilung XII auf der Grundlage von Sicherungsvorgängen, 1.6.1976. In: Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 300 f. 75 Ebenda, S. 299. 76 Hähnel u. a.: Die weitere Qualifizierung der Sicherheitsüberprüfungen des MfS im Prozess der politisch-operativen Arbeit entsprechend den wachsenden Sicherheitsbedürfnissen und -erfordernissen des sozialistischen Staates. Potsdam 1980; BStU, MfS, JHS Nr. 21901.
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und negativen Einflüssen und Personen, strikte Einhaltung des sozialistischen Rechts und eine unauffällige Verhaltens- und Lebensweise gefordert.77 Die zu überprüfenden Personen wurden allgemein geltenden Kriterien unterworfen und darüber hinaus in Fallgruppen mit jeweils spezifischen Anforderungen unterteilt. Über eine »Bindung an die gesellschaftlichen Verhältnisse der DDR« sollte beispielsweise verfügen, wer aus dienstlichen oder privaten Gründen in den Westen reisen wollte. Erforderlich waren teilweise auch Bindungen an Familie und Verwandte sowie Sicherheiten in Form von Grundstücken, Fahrzeugen oder sonstigen materiellen und ideellen Werten. Dies minderte aus MfS-Sicht das Risiko eines dauerhaften Verlassens der DDR.78 Die erwähnten Fallgruppen mit ihren jeweils differenzierten Sicherheitsanforderungen bildeten Personen, –– die für sicherheitspolitisch bedeutsame staatliche und gesellschaftliche Funktionen vorgesehen waren, –– die in nichtsozialistische Staaten reisen, die Grenze passieren oder im Grenzschutzstreifen tätig werden sollten, –– die mit Staatsgeheimnissen oder anderen geheim zu haltenden Informationen betraut werden sollten, –– die beruflich bedingten Umgang mit Waffen, Sprengmitteln, Giften pflegen sollten, –– die in anderen Sicherheitsorganen sicherheitspolitisch bedeutsame Aufgaben übernehmen sollten, –– die die DDR auf dem Gebiet des Leistungssports international repräsentieren sollten.79 Ermittlungen zu Einzelpersonen waren an sich nicht neu und zählten zu den »operativen Grundprozessen« im MfS.80 Die Sicherheitsüberprüfungen dienten aber vorrangig dem die Ziel, einen »Missbrauch staatlicher Funktionen« und das »ungesetzliche Verlassen« der DDR zu verhindern.81 Das waren rein präventive Zielstellungen, die aus der Funktion und der Aufgabe des Betreffenden, unabhängig von seinem Verhalten, resultierten. Damit rückten immer neue Personengruppen in den Blick des MfS, die sich auch aus der Sicht der Geheimpolizei
77 MfS: RL Nr. 1/82 zur Durchführung von Sicherheitsüberprüfungen v. 17.11.1982; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 7418, Bl. 1–41 u. Anlage zur RL Nr. 1/82; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 7419, Bl. 3–28. RL ohne Anlage abgedruckt in: Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 397–421. 78 MfS: RL Nr. 1/82 zu Sicherheitsüberprüfungen, Anlage zur RL; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 7419, Bl. 10 f. 79 Ebenda, Bl. 12 ff. 80 Coburger; Rauscher: Operative Ermittlung, S. 384–413. 81 MfS: RL Nr. 1/82 zu Sicherheitsüberprüfungen, Anlage zur RL; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 7419, Bl. 8.
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nichts zuschulden hatten kommen lassen, außer dass sie bestimmte sicherheitspolitisch relevante Tätigkeiten ausüben sollten. Die Analyse der Überprüfungspraxis steht erst in den Anfängen. Die recht engen Vorgaben zum Erarbeiten, Zusammenführen und Einschätzen der maßgeblichen Informationen in der RL Nr. 1/82 eröffneten einerseits keine allzu großen Handlungsspielräume.82 Andererseits gab es vermutlich kein zentral vorgegebenes festes Prüfungsraster oder Prüfschema. Aus Untersuchungen zu Juristen sind zumindest grobe Fragemuster bekannt.83 In einem anderen Praxisfall kreisten die maßgeblichen Fragestellungen um Themen wie: –– die politische Zuverlässigkeit, –– Westverbindungen, –– Republikflucht im Familienkreis, –– negative Hinweise beim MfS oder der Volkspolizei, –– Leumund, Charaktereigenschaften, Neigungen, Familienverhältnisse.84 Die Einstellung zum MfS und zur inoffiziellen Zusammenarbeit stellte keinen expliziten Punkt dieser Überprüfungsroutinen dar. Indirekt prägte es doch die Gesamtbeurteilung, ob eine Person auch in dieser Hinsicht kooperationsbereit war oder nicht.85 Diese Form der Sicherheitsüberprüfung als Massenüberprüfung wurde von Vertretern des ehemaligen Führungspersonals des MfS nach dessen Ende immer wieder bagatellisiert. Es hätte sich um Überprüfungen gehandelt, die »ähnlich wie in der Bundesrepublik« motiviert und vorgenommen wurden.86 Zweifelsohne gibt es Sicherheitsüberprüfungen des Staates in der Bundesrepublik.87 Aber das MfS-Argument lenkt erstens von der großen Zahl der DDR-Prüfungen ab und zweitens von der Willkür, die der Stasi-Praxis anhaftete. Privatestes, ja Intimstes, im Grunde genommen alles, was die jeweilige MfS-Einheit als relevant einstufte, konnte bei der Beurteilung eine Rolle spielen.88 Es zeigt sich, dass das MfS hier dazu tendierte, sich erkennbar am Kanon der sozialistischen Moral zu 82 MfS: RL Nr. 1/82 zur Durchführung von Sicherheitsüberprüfungen v. 17.11.1982. In: Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 399, 401 f., vgl. insbes. Pkt. 5 der RL Nr. 1/82, ebenda, S. 409–413. 83 Booß: Im goldenen Käfig, S. 439 ff. 84 Booß; Pethe: Der Vorgang »Rote Nelke«, S. 49–69. 85 Diverse Einschätzungen im Kontext mit derart Überprüfungen enthält BStU, MfS, HA XX Nr. 6888. Vgl. auch Judt: DDR-Geschichte, S. 374 u. Weber: Die DDR 1945–1986, S. 79. 86 Kierstein; Schramm: Freischützen des Rechtsstaats, S. 29. 87 Gesetz über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen des Bundes und den Schutz von Verschlusssachen (SÜG) v. 20.4.1994. 88 Womit nicht gesagt ist, dass es solche Probleme bei der Überwachungstätigkeit westlicher Dienste und analoger Einrichtungen nicht gibt. In der Bundesrepublik stehen dafür beispielsweise die Namen des Atom-Managers Klaus Traube und des Generals Günter Kießling. Krieger: Geschichte der Geheimdienste, S. 335; Jacobi: 1984. Der General, der an Selbstmord dachte.
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orientieren,89 wodurch Aussagen zu Trinkverhalten, zur Sexualmoral aber auch zu persönlicher Ordnung und Sauberkeit in die Überprüfungen einflossen. Die politische Einstellung sollte möglichst ermittelt, war das nicht möglich, dann durch indirekte Hinweise, wie die Einstellung zu gesellschaftlichen Aktivitäten und so fort erschlossen werden. Maßgebliche Kriterien einer Sicherheitsüberprüfung waren Belege eines »negativen« Umgangs (mit systemkritischen Personen), gegebenenfalls Hinweise auf Verletzungen von Geheimnisschutzbestimmungen und vor allem Anhaltspunkte für (verschwiegene oder verdeckte) Westkontakte. Je nach Bedeutung der Person beziehungsweise der vorgesehenen Funktion oder Berechtigung existierten im Wesentlichen zwei Überprüfungsformen, die kleine und die große Speicherprüfung. Die kleine Speicherprüfung umfasste eine Abfrage in den VSH-Karteien der Diensteinheiten und Kreisdienststellen sowie in der zentralen Personenkartei der Abteilung XII des MfS. Das sollte sicherstellen, dass Diensteinheiten, die die zu überprüfenden Personen als IM, in einer OPK oder einem OV oder sonstig erfasst hatten, in die Entscheidung einbezogen und gegebenenfalls ältere Unterlagen beigezogen werden konnten. Die große Speicherprüfung war zunächst mit der kleinen Überprüfung identisch, ging aber darüber hinaus, indem der Reisedatenspeicher der HA VI (enthielt Daten zu Aus- und Einreisen, verzögerter Rückkehr, Reisesperren etc.), die Speicher der Postkontrolle (Abteilung M) und der Postzollfahndung (PZF) abgefragt wurden. Ergänzend konnten Speicher der Deutschen Volkspolizei, der Zollverwaltung und Karteien der Ämter für Arbeit einbezogen werden. Darüber hinausgehende Prüfungshandlungen konnten letztlich das ganze Arsenal der MfS-Möglichkeiten und den Zugriff auf weitere zahlreiche Datenbanken und Karteikartensysteme außerhalb des MfS umfassen. Das MfS setzte inoffizielle Mitarbeiter ein und führte operative Ermittlungen im Wohn- und Arbeitsbereich durch. Das aktivierbare Arsenal von Möglichkeiten außerhalb des MfS bildeten inoffizielle Kräfte des Arbeitsgebietes I der Volkspolizei, Arbeitsergebnisse der ABV, Erkenntnisse der Abteilungen Inneres, Auskünfte der Leiter von staatlichen und wirtschaftlichen Institutionen und des Innenministeriums.90 Zur Routine bildete sich in den 1980er-Jahren die Nutzung der zentralisierten Personendatenbank des MdI (PDB) heraus. Anders als in der Bundesrepublik erfasste diese Datenbank die Einwohnermeldedaten aller Bürger der DDR zentral statt in den einzelnen Kommunen. In die PDB waren das Strafregister, die Wehrüberwachung, die Datenbank zu Reiseanträgen sowie die Rentendatenbank integriert. 89 Auf dem V. SED-Parteitag 1958 verkündete Walter Ulbricht 10 Gebote der sozialistischen Moral und Ethik und versuchte damit seinen Genossen und der DDR-Bevölkerung eine politisch-moralische Orientierung vorzugeben. Vgl. Judt: DDR-Geschichte, S. 374 f. 90 Die Überprüfungsmodalitäten waren Gegenstand der RL Nr. 1/82 zur Durchführung von Sicherheitsüberprüfungen; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 7418, Bl. 24 ff.
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Darüber hinaus war sie mit Datenbeständen über Straftaten, Fahr- und anderen Erlaubnissen verknüpft. Die Nutzung durch das MfS diente nicht nur dem Abgleich von Personengrunddaten.91 Die personelle und strukturelle Verflechtung von MfS und MdI beim Betrieb der PDB begünstigte den inhaltlichen Zugriff des MfS. Die Überprüfungsalgorithmen sollten Verfahrenssicherheit herstellen. Sie bereiteten in der Praxis angesichts der einzuhaltenden Fristen und der quantitativen Überforderungssituation jedoch erhebliche Schwierigkeiten. Selbst Sicherheitsüberprüfungen mit einem »hohen Stellenwert«92 waren nicht wunschgemäß zu realisieren. Das betraf beispielsweise die Berechtigung für einen Passierschein zum Aufenthalt in der 5-km-Sperrzone an der innerdeutschen Grenze. »Probleme betreffen die Einhaltung der Bearbeitungsfristen infolge des Umfangs der von den Kreisdienststellen durchzuführenden Überprüfungsmaßnahmen«93, musste der stellvertretende Minister Gerhard Neiber einräumen. Wegen der tendenziellen Überforderung bei den Massenüberprüfungen eröffnete die Sicherheitsüberprüfung vielfach ein vereinfachtes Verfahren der Personenüberprüfung, das vom aufwendigen Vorgehen wie beispielsweise der OPK abwich. 7.2.5 Der Operative Vorgang Auch die Modifizierung des Regelwerkes zu den Operativen Vorgängen durch die MfS-RL Nr. 1/76 im Jahr 1976 trug deutlich die Zeichen der Zeit.94 In den 1950er-Jahren wurden zunächst Einzel- und Gruppenvorgänge als Vorläufer des Operativen Vorganges genutzt und bildeten vielfach die geheimpolizeiliche Vorstufe zum politischen Prozess. Derartige Vorgänge konnten den förmlichen strafprozessualen oder den MfS-Untersuchungsvorgängen vorgelagert werden. Der Operative Vorgang samt Vorläufern konnte und sollte all jene geheimpolizeilichen Mittel und Methoden ausschöpfen, die nicht in der Verfassung, im Straf- und Strafprozessrecht der DDR vorgesehen, ja teilweise explizit verboten waren.95 Es waren gerade die willkürlichen, drakonischen politischen Prozesse, die in den 1950er- und 1960er-Jahren die ideologischen Kontroversen zwischen Ost und West immer wieder befeuerten. Exemplarisch zu nennen sind die Informationen des 91 Vgl. Jahresbericht. Der Berliner Datenschutzbeauftragte. Im Bereich 3 der MfS/ZAIG waren zum Betrieb der MdI-PDB zwei relevante AG angesiedelt: Die AG 9 als Auskunftsdienst in der PDB für das MfS mit einer Stärke von 16 MfS-Mitarbeitern. Die AG 11 zur Systembetreuung der MdI-PDB bestand aus ca. 7 OibE des MfS. Vgl. Wiedmann: Die Organisationsstruktur, S. 146. 92 MfS/Abt. XII: Schreiben von BVfS, 7.5.1982; BStU, MfS, Abt. XII Nr. 3185, Bl. 305–307. 93 MfS/Abt. XII: Auszug aus dem Schlusswort des stellv. Ministers, Gerhard Neiber, auf der Zentralen Dienstkonferenz, 15.4.1982; BStU, MfS, Abt. XII Nr. 3185, Bl. 309–318, hier 315. 94 MfS: RL Nr. 1/76 zur Entwicklung und Bearbeitung Operativer Vorgänge (OV) v. Januar 1976. Abgedruckt in: Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 245–298. 95 Engelmann; Joestel: Hauptabteilung IX, S. 178.
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Untersuchungsausschusses freiheitlicher Juristen (UfJ) über die politische Justiz der DDR, die immer wieder von den westlichen Medien, besonders dem in die DDR einstrahlenden Rundfunksender RIAS, aufgegriffen wurden.96 Der Preis der internationalen Anerkennung der DDR war, dass sie seit den 1970er-Jahren zunehmend Verträge unterzeichnete, die sich an westlichen Menschenrechtsstandards orientierten. Am bekanntesten sind die UN-Menschenrechtscharta, zu der sich die DDR anlässlich des UNO-Beitritts beider deutscher Staaten 1973 bekennen musste und die Vereinbarungen der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), vor allem die Schlussakte von Helsinki 1975, die sich mit Menschenrechten beschäftigte.97 Die DDR-Führung musste nun damit rechnen, von ihrer Bevölkerung und von der internationalen Öffentlichkeit an diesen Normen gemessen zu werden. In den Jahren zwischen den KSZE-Konferenzen wurden von Kommissionen Verstöße gegen die Abkommen registriert. Die DDR wollte andere Staaten, allen voran die Bundesrepublik, für die Nichteinhaltung der Abkommen an den Pranger stellen. Ein gern vorgebrachter Vorwurf gegenüber Drittstaaten war der der Einmischung in die inneren Angelegenheiten der DDR, wenn jene Abkommensverstöße der DDR monierten. Die DDR sollte als mustergültig dastehen, um die Überlegenheit des Sozialismus zu demonstrieren. Da die SED-Führung nicht von ihrem totalitären Herrschaftsanspruch ablassen wollte, löste sie den Widerspruch mit einer Doppelmoral, einer Taktik der Heuchelei.98 Die politische Unterdrückung sollte nicht mehr demonstrativ wirken, sondern verdeckt durchgeführt werden und vorbeugend feindliche Regungen erkennen und ersticken. Die den damals aktuellen Bedingungen angepassten Methoden zur Feindbekämpfung wurden in der RL Nr. 1/76 zu den OV niedergelegt und zusammengeführt. In den Vorbemerkungen der Richtlinie wird der Bezug der OV-RL zu anderen Grundsatzdokumenten wie IM-RL Nr. 1/68, Planungs-RL Nr. 1/70 oder OPK-RL Nr. 1/71 herausgestellt. Darüber hinaus bot die Richtlinie eine detaillierte Handlungsanleitung zum Einsatz des geheimpolizeilichen Geheimdienstinstrumentariums, zur Kooperation von MfS-Diensteinheiten, bis hin zur Auflistung der bei OV-Aufnahme auszufüllenden Formblätter. Breiten Raum nehmen darin Anleitungen zu Einsatz und Entwicklung der operativen Mittel gegen die zu bekämpfenden »feindlich-negativen Kräfte« ein.99 Darunter fielen auch die Zersetzungsmethoden, durch die Personengruppen oder Einzelpersonen
96 Vgl. dazu beispielsweise Hagemann: Untersuchungsausschuss Freiheitlicher Juristen; Mampel: Staatssicherheit gegen den Untersuchungsausschuss. 97 Booß: Haarrisse, S. 109–114; Schlotter: Die KSZE im Ost-West-Konflikt; Altrichter; Wentker: Der KSZE-Prozess; Eisenfeld: Reaktionen der DDR-Staatssicherheit, S. 1000–1008. 98 Hertle: Fall der Mauer, S. 87 f. 99 RL Nr. 1/76 des MfS zur Entwicklung und Bearbeitung Operativer Vorgänge (OV). In: Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 246, 269 ff.
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beispielsweise durch Verleumdungen politisch neutralisiert werden sollten.100 Zwar traten spätestens ab Mitte der 1976-Jahre verstärkt andere, verdeckte Formen der Repression neben die politische Strafverfolgung,101 doch sollten die MfSÜberwacher nach wie vor die Kriminalisierung von staatsfeindlichen Handlungen als Option im Blick behalten.102 Insofern muss einem in der Literatur zuweilen geäußerten Irrtum entgegengetreten werden: Die Zersetzungsmaßnahmen ersetzten nicht die Verhaftungen und Mittel der politischen Justiz.103 Die Zahl der Verhafteten nahm mit Schwankungen über die Jahre nicht ab, sondern blieb erstaunlich konstant. Für das Jahr 1988 war sogar eine steigende Tendenz zu verzeichnen.104 Das umfangreiche Arsenal der geheimpolizeilichen Methoden aus der OV-Richtlinie trat vielmehr neben die Verhaftungen und ergänzte die Palette geheimpolizeilicher Aktivitäten, ersetzte sie jedoch nicht. Die neue OV-Richtlinie war vor allem durch die Flexibilität ihrer Methoden und Abschlüsse gekennzeichnet und glich damit der OPK-Regelung von 1971. Ob sich an den OV ein Strafverfahren, eine Werbung als IM anschlossen, weitere Überwachungsmaßnahmen oder der Abschluss des Verfahrens folgten, das sollte im Ergebnis der Einschätzung von Personen, Personengruppen und der Situation insgesamt festgelegt werden.105 Wie die Informationen aus einem OV bei dessen Abschluss vielfältig verwertet werden sollten, waren OV schlechthin durch systematische Informationsarbeit, vor allem in den analytisch ermittelten Schwerpunktbereichen zu entwickeln, in denen »durch feindliche Angriffe die größten Gefahren für die innere Sicherheit der DDR hervorgerufen werden können«.106 Der OV unterlag zumindest der Theorie nach, ganz im Sinne der Kybernetiker, einem Funktionswandel. Statt wie früher primär der strafrechtlichen Verfolgung mit geheimpolizeilichen Mitteln zu dienen, sollte der modernisierte Operative Vorgang Gefährdungen der Sicherheit in Schwerpunktbereichen präventiv vermeiden und dabei wertvolle Informationen über Personen und Sachverhalte gewinnen helfen.
100 MfS-Lexikon, Stichwort: Zersetzung, S. 390. 101 Dazu sind besonders Anstrengungen zur Diskreditierung, zur Beförderung von Streitigkeiten, zur falschen Beleumdung usw. zu rechnen, durch die Personengruppen und Individuen politisch neutralisiert werden sollten. Vgl. MfS-Lexikon, Stichwort: Zersetzung, S. 390. 102 Mielke, Erich: Vortrag vor Mitarbeitern für Justizfragen der Bezirks- und Kreisleitungen und den Parteisekretären der Bezirksstaatsanwaltschaften und der Bezirksgerichte, 27.11.1981; BStU, MfS, HA IX MF 1172, S. 33 f. 103 Diesen Eindruck erweckt Passens: MfS-Untersuchungshaft, S. 135 ff. 104 Engelmann; Joestel: Hauptabteilung IX, S. 226. 105 Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 290. 106 Ebenda, S. 246.
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7.2.6 Die IM-Richtlinien Die Traditionalisten und die Modernisierer im MfS einte die Kritik an operativen Grundprozessen wie beispielsweise die an den Schwächen des IM-Netzes. Gerade durch den Einsatz inoffizieller Mitarbeiter hoben sich die Geheimdienste von anderen Informationssystemen in der SED-Diktatur ab. Angeblich ermöglichten erst die IM einen Blick hinter die Kulissen und füllten die Informationslücken der Funktionäre von Staat und Partei auf. Dieses Argument war eine der wichtigsten Legitimationsquellen für das MfS. Damit konnte Erich Mielke Krisen überstehen und neue Ressourcen akquirieren. Aber gerade diese Quelle geheimdienstlicher Informationen sprudelte weit weniger als erhofft. Die internen Klagen über die Schwächen des IM-Systems ziehen sich als Konstante durch die Stellungnahmen der MfS-Führung. In den frühen Jahren zielten die meisten Beschwerden auf die geringe Qualität der IM und ihrer gesammelten Informationen ab. Die Qualifizierung, die Verbesserung der IM-Arbeit, stellten lange Zeit ein regelmäßiges Thema auf den MfS-Leitungssitzungen dar.107 In den 1960er-Jahren ging es überwiegend um Fragen der effektiven Auswahl und des effektiven Einsatzes von IM. Das MfS regelte Zielstellung und Einsatz seiner inoffiziellen Quellen seit 1952. So waren in der RL Nr. 21 von 1952 zunächst Auswahl, Rekrutierung und Einsatz von geheimen Mitarbeitern, Informatoren und Inhabern konspirativer Wohnungen Gegenstand. Die umfangreichen Anleitungen zu Aktenanlage, Führung, Einsatz der IM und Verbindungshaltung zu den IM sind sehr bildhaft und mit Beispielen durchsetzt. Die RL Nr. 1/58 fächert bereits vier Kategorien inoffizieller Mitarbeiter und die Inhaber konspirativer Wohnungen auf. Den Kategorien sind nun differenzierte Anforderungs- und Einsatzbilder zugeordnet. Der Richtlinientext wird durch Anleitungen zu Auswahl, Überprüfung, Werbung, detaillierte Aktenanlage, Aktenführung, Führung, Führungsprinzipien, Konspiration, Treffgestaltung, Berichterstattung, Belohnung und Verbindungshaltung zu den IM dominiert. Mit den Fassungen von 1968 und 1979 wollte das MfS sichtlich Differenzierung und Professionalisierung der Arbeit mit den IM verbessern. Zugleich begannen sich um die Richtlinie eine Fülle von Durchführungsbestimmungen als Regeln beispielsweise für Aktenführung oder für Sonder- und Spezialfälle zu ranken. Die RL Nr. 1/68 differenziert zwischen dem neu eingeführten Gesellschaftlichen Mitarbeiter für Sicherheit (GMS), fünf verschiedenen Kategorien von inoffiziellen Mitarbeitern sowie drei Grundfunktionen von IM zur Sicherung der Konspiration. Den Richtlinientext dominieren nicht mehr unmittelbar handlungsanleitende Momente, sondern differenzierte Anforderungs- und Einsatzbilder der einzelnen IM-Kategorien und Ausführungen zu Auswahl, Werbung und Überprüfung von IM. In der RL Nr. 1/79 ist der Prozess der Professionalisierung erkennbar auch 107 MfS/Kollegium: Protokoll der Kollegiumssitzung v. 29.12.1956; BStU, MfS, SdM 1901, Bl. 1–13, hier 8.
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in Sprache und Systematisierung vorangetrieben. Sowohl in der Präambel als auch im Text bezieht sich die RL auf die modernisierten Planungs-RL Nr. 1/70, die OPK-RL Nr. 1/71 oder OV-RL Nr. 1/76. Fünf IM-Kategorien stehen neben dem GMS und fünf Funktionen von IM zur Sicherung der Konspiration. Den Richtlinientext dominieren Ausführungen zu IM-Kategorien und deren Funktionen, Gewinnung und Werbung von IM sowie gesondert GMS. Erkennbar sind der herausgehobene Stellenwert von Informationsgewinnung, Einsatz- und Nutzwert aus IM-Aktivitäten. Insofern reagierte die neue IM-Richtlinie von 1979 auf die langwährende Kritik an der Qualität der Informationsbeschaffung. Sie widmete sich ganz im Sinne der Auswerter der »Gewinnung von Informationen mit hoher Qualität und Aussagekraft« und war in das System der Vorgänge und der Informationsverarbeitung integriert.108 Schon vermittels der Richtlinie von 1968 hatte man versucht, die Qualität der Informanten zu verbessern. Sie regelte, wie geeignete IM auszusuchen und zu führen seien. Allein dieser Teil umfasst in der Druckfassung der RL Nr. 1/68 insgesamt 23 Seiten. Man hoffte, den Qualitätsdefiziten beizukommen, indem die IM sorgfältiger ausgewählt, besser angeleitet und ihre Informationen genauer ausgewertet würden. Differenzierte, durch die Analytiker abgegrenzte IM-Kategorien sollten ab 1968 unterschiedliche Arten des »Informationsbedarfs« bedienen: So wurden beispielsweise IM, die lediglich der »Sicherung« von Bereichen oder Objekten dienten, als IMS eingestuft und auf vorgeblich feindlichen Aktivitäten nachgehenden Personen ausgerichtete IM als IMV bezeichnet.109 Das MfS sollte sich auf die »Zentren und Hintermänner« der »Globalstrategie des USA-Imperialismus« und die entsprechend aktiven Geheimdienste konzentrieren.110 Um Schwerpunkte in der Arbeit setzen zu können, strebte das MfS eine arbeitsteilige Überwachung und Kontrolle an. SED-Parteimitglieder sollten »nicht oder nur in begründeten Ausnahmefällen«111 als IM geworben werden. Von Nichtparteimitgliedern erhoffte man eher, in die negativen für die Partei unzugänglichen und unbekannten Kreise eindringen zu können. Der bis 108 MfS: RL Nr. 21 über die Suche, Anwerbung und Arbeit mit Informatoren, geheimen Mitarbeitern und Personen, die konspirative Wohnungen unterhalten v. 20.11.1952. Abgedruckt in: Müller-Enbergs: Inoffizielle Mitarbeiter. Teil 1, S. 164–191; MfS: RL Nr. 1/58 für die Arbeit mit inoffiziellen Mitarbeitern im Gebiet der DDR v. 1.10.1958. Abgedruckt in: ebenda, S. 195–239; MfS: RL Nr. 1/68 für die Zusammenarbeit mit Gesellschaftlichen Mitarbeitern für Sicherheit und Inoffiziellen Mitarbeitern im Gesamtsystem der Sicherung der DDR v. Januar 1968. Abgedruckt in: ebenda, S. 242–282; MfS: RL Nr. 1/79 für die Arbeit mit Inoffiziellen Mitarbeitern (IM) und Gesellschaftlichen Mitarbeitern für Sicherheit (GMS) v. 8.12.1979. Abgedruckt in: ebenda, S. 305–373. Zur Ausrichtung der RL 1/79 auf die Informationsbeschaffung vgl. beispielsweise Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 307. 109 MfS: RL Nr. 1/68. In: Müller-Enbergs: Inoffizielle Mitarbeiter. Teil 1, S. 258 f.; zum IMV ebenda, S. 76. 110 Ebenda, S. 245 f. 111 Ebenda, S. 261.
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dahin gängigen Praxis der leichten Werbungen durch Verpflichtung von SEDMitgliedern sollte daher ein Riegel vorgeschoben werden, was aber nicht wirklich nachhaltig gelang.112 Trotzdem wollte die Staatssicherheit keineswegs auf das SED-Reservoir an Informanten verzichten. Man ging davon aus, »dass diese nach dem Parteistatut verpflichtet sind, den sozialistischen Staat zu schützen, und aufgrund ihrer politischen Einstellung in der Regel bereitwillig helfen, die politisch-operative Aufgabe zu erfüllen«.113 Mit der neu eingeführten Informantengruppe, den Gesellschaftlichen Mitarbeitern für Sicherheit (GMS), sollten gerade systemnahe Personen für eine regelmäßige und formalisierte Zusammenarbeit mit dem MfS gewonnen werden.114 Durch Öffentlichkeitsarbeit wollte das MfS die »Zusammenarbeit mit den Werktätigen zum Schutz des entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus«115 ausbauen. Der »neue Mensch«, den Parteichef Walter Ulbricht im Sozialismus vor Augen hatte, war in der Erwartung des MfS auch ein Staatssicherheitskollabora teur.116 Von systemnahen Informanten, zumeist SED-Genossen, erwartete man, dass sie ihren eigenständigen Beitrag zur revolutionären Wachsamkeit leisteten und so das MfS entlasten würden. Seine Partner unter den Werktätigen und Funktionsträgern sollten weitgehend eigenständig in ihren Bereichen wirken. Der vorbeugenden und eher großflächigen Überwachung dienten auch die Führungs-IM (FIM) und die von ihnen gesteuerten IM-Netze. Die zuerst Geheime Hauptinformatoren (GHI) genannten FIM sollten (wie am Beispiel der KDfS Gransee gezeigt) neuralgische Punkte im Blickfeld halten, das konnte die Umgebung von Kasernen aber auch Jugendtreffpunkte an öffentlichen Orten oder Betriebe oder wichtige Objekte sein. FIM wurden vom MfS gesteuert und führten ihnen übergebene IM des MfS, die wiederum in der Region oder im Betrieb Personen abschöpften. Mielke forderte, dass FIM-Gruppen 112 Ebenda, S. 51. Dem MfS gelang es nie, seinen Informationshunger in parteilosen Kreisen ausreichend zu stillen. Auch in den 1970er- und 1980er-Jahren deckte es seinen IM-Bedarf etwa zur Hälfte aus SED-Mitgliedern. Müller-Enbergs: Inoffizielle Mitarbeiter. Teil 3, S. 101 ff. 113 MfS: RL Nr. 1/68. In: Müller-Enbergs: Inoffizielle Mitarbeiter. Teil 1, S. 261. 114 Deswegen wurden GMS keiner längeren Prüfung unterzogen und mussten auch keine Verpflichtungserklärung unterzeichnen, sondern wurden lediglich durch eine Bereitschaftserklärung, die auch mündlich gegeben werden konnte, von der Notwendigkeit der Zusammenarbeit überzeugt. Oft war der vorläufige Deckname der GMS mit deren Vornamen identisch, weil man sich offenbar von Genosse zu Genosse angenähert hatte. Vgl. Müller-Enbergs: Inoffizielle Mitarbeiter. Teil 1, S. 245, 248 ff. So wurde Gregor Gysi in den MfS-Akten zunächst als Vorlauf ›Gregor‹ geführt, da man sich offenbar von ihm eine Kooperation auf Basis der Parteizugehörigkeiten versprach. MfS/HA XX/OG: Beschluss über das Anlegen eines IM-Vorlaufes, 18.9.1980; BStU, MfS, AIM 9564/86, Bl. 4 f. 115 Müller-Enbergs: Inoffizielle Mitarbeiter. Teil 1, S. 245. 116 Die Nr. 2 der 10 Ulbricht’schen Gebote lautete: Du sollst Dein Vaterland lieben und stets bereit sein, Deine ganze Kraft und Fähigkeit für die Verteidigung der Arbeiter-und-Bauern-Macht einzusetzen. Ulbricht präsentierte die Gebote 1958 auf dem V. SED-Parteitag. Vgl. Geschichte der sozialen Ideen in Deutschland, S. 519 f.
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gerade die Bereiche eines Kreises abdecken sollten, »die nicht schwerpunktmäßig bearbeitet werden«.117 Hier löst sich der Widerspruch zwischen der Forderung nach Allwissenheit des MfS und der gleichzeitigen Notwendigkeit, Personal ressourcen effektiv und gezielt einzusetzen, zumindest theoretisch auf. Das MfS setzte spätestens seit den 1970er-Jahren auf eine Überwachung im Vorfeld, in dem Partner und FIM-Systeme die Sicherheitsbelange gewährleisten sollten. Der Direktor eines Betriebes oder der Vorsitzende einer LPG, die eine sorgsame Kaderpolitik betrieben, ihre Reisekader sorgfältig im Sinne des MfS auswählten und Reisewünsche ihrer Angestellten kritisch bewerteten, sollten dem MfS Arbeit abnehmen. Gegebenenfalls sollten sie Hinweise in Richtung des MfS senden, um genauere Recherchen und Überprüfungen auszulösen, dem MfS aber dauernde Präsenz in diesen Bereichen ersparen. Das MfS hoffte auf diese Weise, im Bild zu bleiben, wenn in einem der weniger wichtigen Bereiche etwas »hochkochte«. »Die Hauptkräfte«,118 also auch die IM, wollte man auf die Schwerpunkte konzentrieren, die die Analytiker ermittelt und die Leitung in den Plänen festgelegt hatten. Die IM-Richtlinie von 1979 orientierte zweifelsfrei auf eine verbesserte Informationsbeschaffung. Allein die Auswahl geeigneter IM, die den »Ziel- und Aufgabenstellungen objektiv und subjektiv«119 genügen konnten, wurde zu einem fast wissenschaftlichen Vorgang. Den Leitern wurde abverlangt, die IM »in enger Beziehung zu den Schwerpunktbereichen und politisch-operativen Schwerpunkten, insbesondere zur Entwicklung und Bearbeitung operativer Vorgänge und OPK«120, einzusetzen, also in jenen Bereichen, die mithilfe der Analytik bestimmt wurden. Jedoch wuchs mit den vermehrten Ost-West-Kontakten der Informationsbedarf stetig. Um allen Ansprüchen gerecht werden zu können drang man darauf, die IM flexibler einzusetzen. Sollten sie früher vor allem über den Einsatzbereich berichten, für den sie ausgewählt und geworben wurden, sollten sie nun »konsequenter und allseitiger ausgeschöpft werden«,121 um den jeweiligen Interessen des MfS zu nutzen. Die IM hätten beispielsweise »in ihrem Wohnbereich unterschiedlichste Verbindungen und Beziehungen«122 und kämen in ihrer Freizeit wiederum mit anderen Personen in Kontakt. Die IM sollten an ihren Arbeitsplätzen oder gesellschaftlichen Wirkungsstätten ihren originären Aufgaben nachgehen und in 117 Mielke, Erich: Die weitere Qualifizierung und Vervollkommnung der politisch-operativen Arbeit der Kreisdienststelle, Referat, August 1973; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 1504/73, Bl. 194. 118 Ebenda, Bl. 179. 119 Ebenda, Bl. 340. 120 Ebenda, Bl. 361. 121 MfS/BV Pdm/Leiter: Referat, 27.4.1976; BStU, MfS, ZAIG Nr. 18608, Bl. 22–74, hier 39. 122 Ebenda. Mielke, Erich: Die weitere Qualifizierung und Vervollkommnung der politischoperativen Arbeit der Kreisdienststelle, Referat, August 1973; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 1504/73, Bl. 180.
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ihrer Freizeit dazu beitragen, die drastisch steigenden Zahlen der Personenüberprüfungen abzudecken. Daher ging man dazu über, in den Dienstbereichen nach Wohnorten und Straßen der IM sortierte, dezentrale IM-Nachweise anzulegen. Damit konnten zügig IM aus dem eigenen Bestand ermittelt und beauftragt werden, wenn Informationen aus einer Straße oder einem Wohnumfeld benötigt wurden. Mit der Richtlinie von 1979 wurde gefordert. in den wichtigsten Bereichen des MfS zusätzlich IM-Vorauswahlkarteien (IM-VAK) einzurichten,123 die in der Praxis vielfach als Kerblochkartei umgesetzt wurden.124 Ab 1983 waren in die IM-Nachweise auch »bedeutsame Verbindungen in der DDR« sowie »spezielle Kenntnisse, Hobbys« aufzunehmen.125 Dazu waren umfangreiche Codierungsanweisungen, sogenannte Schlüsselpläne, vorgegeben. In der BVfS Potsdam umfasste der Schlüsselplan allein zu beruflichen Angaben fast 700 unterschiedliche Positionen.126 So hoffte das MfS, seine IM für diverse Zwecke nutzen zu können. Dadurch sollten beispielsweise auf dem Land wohnende IM aus der Verwaltung zu potenziellen Informanten aus der Landwirtschaft werden, organisiert Sport treibende IM auch nach ihren Vereinen befragt werden können. Die Geheimpolizei ging nun von einer umfassenden Nutzbarkeit ihrer IM aus. Alles schien nur von einem zutreffend ermittelten Informationsbedarf, einer richtige Schulung und Anleitung der IM abzuhängen. Das dahinterstehende Menschenbild reduzierte den Einzelnen auf eine bestimmte Funktion in der Gesellschaft, hier eben auf Ordnung und Staatssicherheit. Dass das MfS dabei den Willen des Einzelnen, seine Bereitschaft und seine intellektuellen Möglichkeiten völlig ignorierte beziehungsweise überforderte, stieß der damaligen MfS-Leitung nicht auf. Vor Ort scheinen die MfS-Mitarbeiter skeptischer gewesen zu sein. Eine inhaltliche Sichtung von IM-VAK-Karteien der BVfS Potsdam zeigt, dass nur vereinzelt Merkmale über die ursprünglichen Werbungsabsichten hinausreichten. Warum, darüber kann man nur spekulieren. Sei es, dass die Auswerter mit dem Ausfüllen der Karteikarten nicht hinterherkamen, sei es, dass sich die IM-führenden Mitarbeiter schwer taten, Themen zu benennen, für die ihre jeweiligen IM zusätzlich einsetzbar sein sollten. Eine Ausnahme jedoch gab es: Westkontakte. Die MfS-Leitung war in jenen Jahren sehr an kooperationsbereiten DDR-Bürgern mit Westkontakten interessiert, die bei Bedarf geheimdienstlich genutzt werden konnten. Derartige Nachweise schienen sich zu einem der wichtigsten Ziele der IM-VAK überhaupt zu entwickeln. Im Jahr 1983 wurde festgelegt, dass die IM-VAK 123 MfS: RL Nr. 1/79. In: Müller-Enbergs: Inoffizielle Mitarbeiter. Teil 1, S. 398, 401; zur Ausführung der IM-VAK als Kerblochkarteien vgl. MfS-Lexikon, Stichwort: IM-Vorauswahlkartei, S. 169. 124 MfS/Abt. XII: Nutzungshinweis, 7.4.1989; BStU, MfS, BV Rostock, Abt. XII GS 311. 125 MfS: RL Nr. 1/79, 3. DB zur RL. In: Müller-Enbergs: Inoffizielle Mitarbeiter. Teil 1, S. 477–486, hier 479 ff. 126 BStU, MfS, BV Potsdam, Abt. XII Nr. 32.
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sämtliche Verbindungen der IM/GMS in das Operationsgebiet, also in westliche Staaten, nachzuweisen hätten.127 In der Potsdamer IM-VAK sind auffällig viele IM vermerkt, die entweder selbst in den Westen zu Bekannten oder Verwandten reisten oder von dort Besuch erhielten. Das MfS hoffte eben darauf, nahezu jeden IM bei Bedarf auch in Richtung Westen einsetzen zu können. Manch einer sollte dabei behilflich sein, einen Verwandten bei einem Besuch in der DDR zu werben und dann darüber zu schweigen. Der IM »Jürgen Ratzek« wurde auf diese Weise von der Abwehrlinie II verpflichtet. »Jürgen Ratzek« war so etwas wie eine Spitzenquelle. Laut MfS-Vermerken versorgte er als kleiner Senatsangestellter die HA II mehrfach mit der listenmäßigen Aufstellung aller Mitarbeiter des Westberliner Landesamtes für Verfassungsschutz.128 In einem anderen Fall half ein Jurist, laut Aktenlage als Kontaktperson eingestuft, ein Agentenpärchen zu werben. Über die familiären Beziehungen des Anwaltes konnte die HA II den Kontakt herstellen und das Paar schließlich für das MfS zur inoffiziellen Zusammenarbeit werben.129 Der Informant »Kroll« wiederum wurde auf seinen Schwager angesetzt, der in Pullach wohnte und nach dem dort beheimateten BND befragt werden sollte.130 Durch dieses Reservoir war das MfS offenbar auch schnell in der Lage, erforderlichenfalls für Ersatz zu sorgen. Das war beispielsweise der Fall, als bei dem als IM verpflichteten Westberliner Polizisten Klaus Kurras ein neuer Kurier gefunden werden musste, weil der alte unter Verdacht geraten war.131 Wenn das MfS akuten Informationsbedarf im Westen hatte, konnte es alle Karteien zu DDR-Bürgern durchforsten, die in der jeweilig interessierenden Region in der Bundesrepublik briefliche oder persön liche Kontakte pflegten. Nachdem sich beispielsweise der Fußballspieler Norbert Nachtweih während eines Spiels in der Türkei in die Bundesrepublik abgesetzt hatte, bat die HA XX alle Diensteinheiten des MfS über die Abteilung XII sozusagen um Amtshilfe und fragte an, ob sie Kontakte zum Verein oder der Wohnstraße des Fußballers hätten. Mithilfe von IM im Westen und der DDR sollte Nachtweih ausgekundschaftet werden.132 Solche MfS-weiten Recherchen waren nicht so selten, aber dem Minister und seinen Stellvertretern vorbehalten, da die Diensteinheiten bei derartiger Gelegenheit einen Teil ihres IM-Netzes offenlegen mussten.133 127 MfS: RL Nr. 1/79, 3. DB zur RL. In: Müller-Enbergs: Inoffizielle Mitarbeiter. Teil 1, S. 482. 128 Vgl. handschriftliche Verpflichtung des IM v. 19.1.1963; BStU, MfS, AIM 1614/91, T. I/1, Bl. 111. Die Akte umfasst 13 Bände, darunter eine Teilablagen-Archivierung; BStU, MfS, A 369/80; MfS/HA II: Information, 30.6.1981; BStU, MfS, HA II Nr. 27677, Bl. 15–26. 129 MfS: Bericht, 15.8.1975; BStU, MfS, AIM 7049/91, Bl. 13; MfS/HA II: Auskunftsbericht, 16.7.1980; BStU, MfS, AIM 3065/83, T. I/2, Bl. 4–14, hier 7; Booß: Im goldenen Käfig, S. 400 f. 130 BStU, MfS, AIM 2911/70, Teil A. 131 Kellerhoff; Müller-Enbergs; Jabs: Der 2. Juni 1967, S. 396; Fuhrer: Wer erschoss Benno Ohnesorg. 132 MfS: Zusammenarbeit bei der Bearbeitung des Verräters Nachtweih, 27.11.1986; BStU, MfS, Abt. XII Nr. 992, Bl. 112; Booß: Bestände zur Westarbeit. 133 Zusammenarbeit bei der Bearbeitung des Verräters Nachtweih, 27.11.1986; BStU, MfS, Abt. XII Nr. 992, Bl. 112.
Kybernetisch verflochtene Vorgänge
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Der Wunsch, die IM vorrangig schwerpunktmäßig einzusetzen, aber allseitig auszunutzen, offenbart den Zielkonflikt zwischen planvoller Informationsbeschaffung, wie von den Kybernetikern angestrebt, und den Erfordernissen des Massenüberprüfungsgeschäftes, das aus der überzogenen Westangst resultierte. Weil Bestrebungen zur allseitigen Nutzung der IM oft ins Leere liefen, musste sich das MfS mit anderen Informationsquellen behelfen. Das konnten Informationen der Volkspolizei und von Auskunftspersonen (AKP) sein, die insbesondere von der Linie VIII und den Kreisdienststellen genutzt wurden, das konnten aber auch Auskünfte ihrer offiziellen Gesprächspartner sein.134
7.3 Kybernetisch verflochtene Vorgänge Mit der Modernisierung und Systematisierung von OV und OPK (1981), mit der Einführung von OPK (1971), des SiVo, der Sicherheitsüberprüfungen sowie der Neuregelung des Einsatzes von inoffiziellen Mitarbeitern wurden in den Jahren 1970 bis 1982 die operativen Grundprozesse geheimpolizeilicher Arbeit entsprechend den kybernetisch inspirierten Methoden neu geregelt und mitein ander verzahnt. Innerhalb der vielfältigen Zielstellungen dieser umfassenden Vorgangsmodernisierungen bildeten auch die Neubewertung von Information und Informationsgewinnung sowie das breite durchlässige Spektrum geheimpolizeilicher Reaktionsraster wesentliche Kernpunkte. Die zueinander abgestuften und aufeinander abgestimmten Vorgänge folgten einer gedanklichen Gesamtkonstruktion. Jede aus einem beliebigen Vorgang resultierende Information sollte im Prinzip für jede andere Aufgabe zur Verfügung stehen. Vorgänge konnten nun leichter mutieren, neue Erkenntnisse zu neuen Bewertungen und damit zur Registrierung in einem anderen Vorgangstyp führen. Die unter maßgeblicher Beteiligung der ZAIG entstandene neue Generation von Regelungen war zudem von einem analytischen Instrumentarium, Statistiken und Plänen flankiert. Das Vordringen der Auswerter, deren Verantwortungsbereich deutlich wuchs, beförderte zugleich den Informationsaustausch (Informationsfluss) innerhalb des MfS. Das war eine entscheidende Voraussetzung für die Einführung einer EDV-gestützten Informationsverarbeitung, die in den 1960er-Jahren langsam begann, aber erst in den 1980er-Jahren zur Entfaltung kommen sollte. Gleichzeitig schufen diese Regelungen die Voraussetzungen für eine abgestufte, differenzierte, aber massenhafte Überprüfung und Erfassung von Bürgern der DDR und anderen Staaten. Unterhalb der modernisierten förmlichen oder formgebundenen und registrier pflichtigen Vorgänge entstanden infolge der Einführung des VSH-Karteikartenkomplexes Abertausende Dossiers zu Personen. Diese personenbezogenen 134 MfS: RL Nr. 1/71. In: Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 198–217.
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Informationssammlungen bildeten eine Voraussetzung dafür, das Massenüberprüfungsgeschäft überhaupt bewältigen zu können. Die Dossiers, oft als ZMAMaterialien bezeichnet, stellten, abweichend von den traditionellen Vorgängen, gering bis nicht formalisierte Sammlungen von Informationen diverser Qualität dar. Sie waren überwiegend nach Personennamen abgelegt und zunächst nur nach solchen auffindbar. Dennoch waren diese ZMA-Ablagen etwas geordneter als vormalige »wilde« Handablagen, die zudem in keinem System nachgewiesen wurden. Mit dem VSH-System verband sich die Erwartung, durch stete Informationssammlung und Informationsverdichtung zu Verdachtshinweisen gelangen zu können. Insofern wurde auch diese Informationssammlung als Vorstufe zu höherwertigen und stärker formalisierten Vorgängen begriffen. In der kybernetisch inspirierten Geheimpolizeimaschinerie sollte ein Rädchen in das andere greifen, den Informationsfluss sichern und die Abläufe optimieren.
8. Von der indexierten Einzelinformation zur EDV-Umsetzung
8.1 Die Dienstanweisung Nr. 1/80 zur Informationsverarbeitung als Neuerung Ab 1980 wurden mehrere Anweisungen zu Datenbanken (Speichern) erlassen, die in einem einheitlichen Zusammenhang standen. Sie zielten auf die systematische Integration einer perspektivisch EDV-gestützten Datensammlung und Datenabfrage. Diese Strategie schloss sowohl Daten, die vom MfS ermittelt waren, wie solche Dritter ein. Eine Sicherheitsphilosophie, die der elektronischen Datenverarbeitung misstraute, technologische Rückstände, begrenzte technische Möglichkeiten und Mittel bewirkten dennoch, dass bis zum Ende der DDR auf Papier- und Karteigestützte Datensammlungen zurückgegriffen wurde. Allerdings sollten diese in wachsendem Maße EDV-kompatibel strukturiert werden, um eine bessere Datenverarbeitung und eine kontinuierliche Migration der Daten in EDV-gestützte Systeme zu gewährleisten. Schon seit den 1960er-Jahren hatte man im MfS von einer Effizienzsteigerung durch den Einsatz der elektronischen Datenverarbeitung geträumt. Doch gerade für die Auswerter sollte es weitere 20 Jahre dauern, bevor ihr erstes, größeres Datenprojekt starten konnte. Den nächsten wichtigen Schritt in Richtung elektronischer Informationsverarbeitung ging das MfS im Jahr 1980. Er wird in der Literatur als »Ausbau und Perfektionierung«1 des Systems der Auswertung und Information im MfS bezeichnet, damit aber etwas zu niedrig bewertet. Diese relative Unterschätzung mag auf den Titel der maßgeblichen Dienstanweisung Nr. 1/80 über Grundsätze der Aufbereitung, Erfassung und Speicherung operativ bedeutsamer Informationen durch die operativen Diensteinheiten des MfS zurückzuführen sein.2 Das klang eher bürokratisch und unscheinbar. In Wirklichkeit war es ein neues System, das wesentliche Teile der bisherigen Informationsverarbeitung ablöste, die 1965 durch Befehl Nr. 299/65 als einheitliches System der politisch-operativen Auswertungs- und Informationstätigkeit etabliert worden waren. Eingeführt wurde stattdessen ein aufeinander abgestimmtes und im Detail geregeltes einheitliches System der Informationsaufbereitung und -erfassung, Informationsspeicherung und Informationsbereitstellung, das für das gesamte 1 Engelmann; Joestel: Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe, S. 78. 2 MfS: DA 1/80 über Grundsätze der Aufbereitung, Erfassung und Speicherung operativ bedeutsamer Informationen durch die operativen Diensteinheiten des MfS v. 20.5.1980; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 5221. Abgedruckt in: Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 328–343.
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Von der indexierten Einzelinformation zur EDV-Umsetzung
MfS gelten sollte. Die für einzelne Teilschritte oder technische Spezialfälle erforderlichen Technologievorgaben der Informationsverarbeitung wurden integriert geplant und als Anweisungen in Anlagen oder Durchführungsbestimmungen zur DA 1/80 bereitgestellt. Im Jahr 1980 wurden ferner die Weichen dafür gestellt, dass nunmehr jegliche Information, egal ob sie aus der Presseauswertung, von inoffi ziellen oder offiziellen Quellen, aus Abhörmaßnahmen oder der Briefkontrolle stammte, nach einheitlichen Kriterien mittels der EDV im MfS weiterverarbeitet werden konnte. Bisherige Computeranwendungen stellten Einzellösungen dar, die noch nicht einheitlich strukturiert waren. Das sollte sich mit der Zielstellung der kompletten Datenintegration ändern. Die Gestaltung der neuen Etappe der Informationsverarbeitung blieb organisatorisch in den Händen der Auswerter. Sie bezogen immer mehr Informationen in ihr Informationssystem ein und sicherten deren grundsätzliche Datenbankkompatibilität. Die Daten erhielten prinzipiell die Struktur, die für die ein Jahr später eingeführte Datenbank der ZAIG erforderlich war. Diese, in der ZAIG/ Bereich 3 betriebene, Zentrale Personendatenbank (ZPDB) des MfS, die nach lang gehegten Plänen die Kerblochkartei von 1965 automatisieren sollte, wurde 1981 endlich in Betrieb genommen. Das inzwischen überholte Kerblochkarteisystem setzte die DA 1/80 außer Kraft. Die VSH-Kartei mit der Zentralen Materialablage wurde nicht abgeschafft. Im Gegenteil, der VSH-Komplex wurde ausgebaut und mit dem neuen System verzahnt. Man kam damit der Forderung nach einer analytischen Nutzung der VSH-Massendaten entgegen. Als weitere Komponente der Informationsaufbereitung wurden neue Formen von Sichtlochkarteien in das System der DA 1/80 integriert.3 In den VSH-Karteien konnten bislang nur Informationen verwaltet werden, die nach Personennamen abgelegt waren. Vielfach war im MfS bedauert worden, dass diese Informationen nicht nach Sachkriterien auswertbar waren. Ab 1980 musste der VSH-Komplex schon im Interesse der Massenüberprüfungen arbeitsfähig erhalten bleiben. Aber die Personeninformationen wurden nun stärker mit Karteien verbunden, die nach Themenkomplexen strukturiert waren. Das leisteten die Sichtlochkarteien. Die SLK entsprach wieder stärker der Tradition des Informationsverarbeitungssystems der Kybernetiker, die das Kerblochkarteisystem entwickelt hatten. Die Zeit des reinen Improvisierens, die noch die VSH geprägt hatte, ging vorbei. Allerdings konnte man auch 1980 noch nicht alle Daten in eine Datenbank eingeben. Die Entwicklung der ZPDB kam nur langsam voran. Diese zeitliche Lücke sollte auch durch den SLK-Komplex in Papierform überbrückt werden. 3 MfS/ZAIG: Bericht über die Überprüfung des Standes der Durchsetzung der 3. DB v. 12.1.1976 zum Befehl Nr. 299/65; BStU, MfS, ZAIG Nr. 17730, Bl. 3–22, hier 9. Zu Aufgabe u. Funktion der VSH vgl. Pkt. 2.1 der DA 1/80, zur SLK vgl. Pkt. 2.2 der DA 1/80. In: Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 331 bzw. 332 f.
Die Dienstanweisung Nr. 1/80 zur Informationsverarbeitung
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8.1.1 Der Rahmenkatalog zur Datenindexierung Das Kernstück der neuen Etappe der Informationsverarbeitung im MfS auf Basis der DA Nr. 1/80 bildete ein Rahmenkatalog. Er half geheimpolizeilich bedeutsame Informationen nach Inhalten zu klassifizieren und regelte die Informationsflüsse in Richtung der zuständigen Ebenen und Diensteinheiten innerhalb des MfS. Der Rahmenkatalog gab auch Personenkategorien vor und bestand im Wesentlichen aus drei Großrubriken zur Informationserschließung, den Sachverhaltskomplexen (SVK), den Hinweis- und Merkmalskategorien (HK) und den Informationskomplexen (IK):4 –– Die Sachverhaltskomplexe charakterisierten Informationen nach inhaltlichen Aspekten. Den SVK 1 bildeten im MfS aufgelaufene operativ bedeutsame Informationen über »mündliche und schriftliche feindlich-negative Äußerungen sowie passive Widerstandshandlungen«. Dem SVK 2 wurden Informationen über »landesverräterische Handlungen, Verbindungen zu gegnerischen Stellen sowie bedeutsame Verletzungen des Geheimschutzes« zugewiesen. Der SVK 3 war Informationen über »operativ bedeutsame Angriffe auf Leben oder Gesundheit von Bürgern der DDR oder Angehörigen anderer Staaten oder Völker« vorbehalten. In dem SVK 4 sollten Informationen zu »operativ bedeutsamen Gewalteinwirkungen gegen Objekte« gebündelt werden. Dem SVK 5 wurden unter anderem Informationen zu »feindlich-negativen Handlungen desorganisierenden bzw. desorientierenden Charakters sowie andere die gesellschaftliche Entwicklung störende und hemmende Erscheinungen« zugewiesen. Dem SVK 6 waren Informationen zu »Angriffen gegen die territoriale Integrität, Souveränität, Staatsgrenze der DDR sowie Handlungen des staatsfeindlichen Menschenhandels und des ungesetzlichen Verlassens der DDR« zuzuordnen. Den SVK 7 bildeten dagegen Hinweise auf den unberechtigten Besitz von Waffen, Munition, Sprengmitteln, militärischen Ausrüstungen, Giften, Suchtmitteln, biologischen Kulturen, radioaktiven Materialien, Funk- und Nachrichtentechnik. –– Die Hinweis- und Merkmalskategorien (HK) wurden aus der Art des Begehens von Handlungen oder Merkmalen von Tätern abgeleitet. Die HK 1 verwies beispielsweise auf »operativ bedeutsame Kontakte«, die HK 2 dagegen auf »Vereinigungen oder sonstige Zusammenschlüsse von Personen, die sich eine verfassungsfeindliche Tätigkeit zum Ziel setzen oder andere gesetzeswidrige Ziele verfolgen sowie sonst im Rahmen der Bekämpfung der politischen Untergrundtätigkeit, des Rowdytums und feindlich-negativen Zusammenschlüsse und Konzentrationen von Personen« bekannt wurden.
4 MfS: DA 1/80, Anlage 1: Rahmenkatalog zur Erfassung und Speicherung operativ bedeutsamer Informationen; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 5225, hier zit. als Rahmenkatalog zur DA 1/80.
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–– Zu Informationskomplexen (IK) wurden »Informationen zu operativ bedeutsamen Handlungen, Vorkommnissen und Erscheinungen« gebündelt. Das konnte sich beispielsweise auf Merkmale zur Person, Ortsangaben, Verbindungen zu DDR- und ausländischen Stellen erstrecken.5 Der Rahmenkatalog in der überarbeiteten Fassung von 1988 umfasste eine Loseblattsammlung von mehreren 100 Seiten mit Deskriptoren, konnte also laufend ergänzt werden. Dieser Rahmenkatalog sollte durch Thesauri in den einzelnen Diensteinheiten noch verfeinert werden.6 Für jeden Sachverhalt beziehungsweise jedes Merkmal war festgelegt, wem im MfS eine entsprechende Information zugeleitet werden musste oder wer berechtigt war, auf diese Information zuzugreifen. Erstmalig war damit ein Informationsfluss-Katalog geschaffen, der für die einzelne Information vorschrieb, wer wie zu benachrichtigen war. Das war ein weiterer Schritt zur Mobilisierung von Einzelinformationen. Bei der Kerblochkartei sollten die Informationen noch an Bereiche gesendet werden, die laut Geschäftsordnung oder Weisung zuständig waren. In der VSH verwies die Hinweiskarte auf den Informationsbedarf anderer Diensteinheiten für eine registrierte Person. Mit dem Rahmenkatalog von 1980 wurde der Informationsfluss insgesamt detaillierter und maßgeblich vom Charakter der Einzelinformation bestimmt. Beispielsweise mussten Informationen über Funde oder die Verbreitung kritischer Flugblätter der übergeordneten Auswertergruppe (AKG) zugeleitet werden. Die Information war zudem der Linie XX (u. a. für die Oppositionsbekämpfung zuständig), bei unspezifischer Gewaltandrohungen der Linie XXII (Terrorabwehr) oder bei Gewaltandrohung gegen führende Funktionäre der DDR der Linie Personenschutz (PS) zuzuleiten.7 Durch den Rahmenkatalog wurde nicht nur festgelegt, wohin im MfS die Information weiterzuleiten war, sondern auch deren Speicherort und die Art des Abspeicherns. Es waren Karteien vorgegeben, in denen die Information festzuhalten war und es existierten Festlegungen darüber, welche Informationen in die ZPDB einzugeben waren. Beispielsweise mussten Informationen zu »schriftlichnegativen Äußerungen« sämtlich in der neuen Personendatenbank erfasst werden.8 Der Rahmenkatalog wurde seit 1980 kontinuierlich überarbeitet, verfeinert und ergänzt. Immer mehr Informationen sollten einfließen beziehungsweise den Regelungen des Rahmenkataloges unterworfen werden. Ab 1983 wurden zum Beispiel die Daten der Kartei für seefahrendes Personal aus der BVfS Rostock in den 5 Ebenda. 6 MfS: DA 1/80, Anlage 1: Rahmenkatalog zur Erfassung und Speicherung operativ bedeutsamer Informationen, überarb. Fassung v. 1988; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 264/88, hier zit. als Rahmenkatalog zur DA 1/80 (Fass. 1988). 7 Rahmenkatalog zur DA 1/80, S. 25. 8 Ebenda, S. 19.
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Rahmenkatalog integriert.9 Auch die Vorschriften zum Informationsfluss wurden aktualisiert. Ganz offenkundig bereitete der Rahmenkatalog den MfS-Apparat auf die EDV-gestützte Informationsverarbeitung vor. Die Mitarbeiter und Auswerter wurden kontinuierlich darauf ausgerichtet, eingehende Informationen genau einzuschätzen und einzuordnen. Da sich die Einführung der ZPDB aber verzögerte und stockend verlief, bedurfte es zunächst eines weiteren Karteikartensystems, um die Daten strukturiert auswerten und zugriffsfähig machen zu können. 8.1.2 SLK-Komplex als Lückenfüller Wie zuvor die VSH eine Brücke schlug, um Massenüberprüfungen ohne EDV zu sichern, kam jetzt dem SLK-Komplex die Funktion zu, eine analytische Bearbeitung der Informationen zu gewährleisten, bis die elektronisch gestützte ZPDB einsatzfähig wurde.10 Vereinfacht formuliert, versuchte der SLK-Komplex, die künftige Datenverarbeitung mittels mehrerer miteinander verschränkter Karteien zu simulieren. Technologisch stellte das im EDV-Zeitalter einen Rückschritt dar, für den zudem ein hoher Preis zu zahlen war. Denn die Auswertungsbereiche im MfS blähten sich personell enorm auf und machten Ende der 1980er-Jahre in den Kreisdienststellen 11,5 bis 22,5 Prozent des Personals aus, in den geheimpolizeilich arbeitenden Bereichen stellte das ein »bedeutendes Kräftepotenzial« dar.11 Allein diese personelle Ausweitung legt nahe, dass die Grenze der karteimäßigen Informationsbearbeitung erreicht war. Allerdings redete man sich das Problem im MfS teilweise schön. Da der Minister der EDV misstraute, forderte er, dass alle Informationen aus elektronischen Datenbanken für den Kriegs- und Spannungsfall zugleich in physischer Form vorgehalten werden. Dieses Gebot erfüllte der SLK-Komplex. Anders als eine Kerblochkarte, die jeweils einer Person oder einem Ereignis galt, konnte eine Sichtlochkartei eine Vielzahl von Personen oder von Vorfällen speichern. Sie sortierte also Informationen und sollte auf diese Weise bei der Einschätzung der politisch-operativen Lage helfen. Die speicherwürdigen Sachverhalte waren dem Rahmenkatalog als Deskriptoren zu entnehmen. Manche Deskriptoren waren für alle Diensteinheiten obligatorisch, andere fakultativ zu 9 Rahmenkatalog zur DA 1/80 (Fass. 1988), S. 313. 10 In der DA 1/80 ist an mehreren Stellen ersichtlich, dass die SLK die noch nicht einsatzbereite ZPDB substituieren sollte. Vgl. DA 1/80; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 5221, S. 12 ff. Die SLK als gewöhnliches Dokumentenverwaltungsmittel wurde bereits durch Bef. Nr. 299/65, Anlage 7 v. 20.3.1975 eingeführt. Vgl. Engelmann; Joestel: Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe, S. 74. Mit der hier geschilderten Funktion der EDV-analogen Datenstrukturierung wurde die SLK aber erst durch die DA 1/80 belegt und der Bef. Nr. 299/65, Anl. 7 zugleich aufgehoben. 11 MfS/ZAIG, Werner Irmler: AKG-Leitertagung, 3./4.12.1987; BStU, MfS, ZAIG Nr. 4696, Bl. 1–243, hier 95.
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nutzen oder konnten nach Bedarf ergänzt werden. Sichtlochkarteien konnten Hunderte von Karteikarten umfassen. Die SLK der BVfS Rostock hatte beispielsweise einen Umfang von etwa 1,4 lfm. Das entspräche einem Äquivalent von etwa 5 600 Karteikarten.12 Die im MfS verwendete Sichtlochkarte weist ein A4-Querformat auf. Im Kopf der Karte ist als zusätzliches Ordnungshilfsmittel für die Kartei ein Alphabet von A bis Z einzeilig aufgedruckt. Die lochbaren Zahlenwerte einer Karte bilden jeweils ganze natürliche Zahlen zwischen 1 und 6 999. Dazu trägt jede Karte ein aufgedrucktes Zahlenraster. Das Raster wird durch die Zahlen von (0) 1 bis 9 je als Gruppen von 1 bis 99 in der Horizontalen und 1 bis 900 je in Hundertergruppen von 1 bis 6 900 in der Vertikalen gebildet. Durch Heraushebung bieten in der Horizontalen 10 Quadrate und in der Vertikalen 7 Quadrate Orientierung. Um beispielsweise den fiktiven Wert 3 442 zu lochen, fällt man vom Wert 42 in der obersten Horizontal-Zeile das Lot bis auf die Zeile 3 400 und gelangt so zum Zielpunkt. Die Zahlengruppierungen weisen Analogien zum Aufbau eines Lottoscheins auf (vgl. Abb. 23, Seite 167). Die Sichtlochkarten waren ein allgemein verfügbares Organisationsmittel und wurden wohl überwiegend von der DDR-Firma Robotron vertrieben. Jeder gelochten Feldnummer wurde je nach Rubrizierung der Karteikarte ein Ereignis oder eine Person zugeordnet. Der gelochten Nummer konnte gleichzeitig die Funktion einer Ordnungszahl zugewiesen und dadurch ein Querverweis auf weitere Materialien gebildet werden. Bei Recherchen muss das verschlüsselte Merkmal in Form der gelochten Ziffer im Rasterfeld der SLK durch Sicht (Durchsicht) ermittelt werden. Eine SLK-Karteikarte erlaubte binnen kurzer Frist, alle Personen oder Vorfälle zusammenzutragen, die beispielsweise durch staatsfeindliche Äußerungen, durch Rowdytum oder durch Gruppenbildungen aufgefallen waren. Die Zahl der Lochungen gewährte zugleich einen statistischen Überblick. Auf diesem Wege war beispielsweise schnell zu ermitteln welche Partnergemeinden aus dem Westen evangelische Gemeinden im Bezirk besuchten, die Anzahl von Bränden, die Anzahl aufgefundener Flugschriften oder die Zahl von erfolgreichen Grenzdurchbrüchen. Die SLK stellte technisch ein Dokumentenverwaltungssystem dar. Als solches waren im MfS Sichtlochkarten schon länger geläufig. Sie bildeten in den 1970erJahren ein gebräuchliches Mittel, um Dokumente, Reden von leitenden MfSMitarbeitern, Gesetze oder MfS-interne Richtlinien inhaltlich zu erschließen. Diese älteren Dokumenten-SLK ermöglichten Recherchen in diesen Schriftstücken nach Schlagworten, die jeweils einer Karteikarte entsprachen.13 Weil Sichtloch12 Auskunft des Archivbereiches der ASt Rostock des BStU aus der 1. Jahreshälfte 2017. Es gab in der BVfS Rostock noch weitere spezielle Sichtlochkarteien. Das belegt, dass es sich hier im Grundsatz um ein Dokumenten- und Informationsverwaltungssystem handelte. 13 MfS/ZAIG: Analyse zum Stand der politisch-operativen Dokumentation, 4.10.1976; BStU, MfS, ZAIG Nr. 27514, Bl. 5–13. Leider wird das technische Speichermittel SLK oft auf die spezifischen Anwendungen im Rahmen der DA 1/80 reduziert. Die frühe Anwendung der
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karteien damals en vogue waren, wurden sie auch für weitere Zwecke genutzt; beispielsweise um die Zahl der aktiven IM zu ermitteln, ihre Einsatzrichtung festzustellen oder um festzustellen, ob sie Westkontakte hatten.14 Die rein technische Verwandtschaft darf jedoch nicht dazu verführen, alle diese Karteien als Einheit zu sehen. Der eigentliche SLK-Komplex diente dazu, die Verarbeitung von geheimdienstlich beschafften Informationen zu modernisieren. Die 1980 mit neuer Funktion versehene SLK löste das Kerblochsystem von 1965 völlig ab. Nunmehr waren, um eine einzelne Person oder einen Sachverhalt abzuspeichern, deutlich weniger Markierungen erforderlich als in der KK. Die Arbeit wurde also vereinfacht. Andererseits sollten zuverlässig alle Informationen zu wichtigen Themen auf einer SLK gesammelt werden. Dadurch standen im Prinzip deutlich mehr Informationen für die Lageeinschätzung zur Verfügung und ließen sich ergänzende Daten schnell auffinden. Die AKG behielten dennoch oft Kerblochkarten als Arbeitsmittel bei, unterzogen sich freilich nicht mehr der mühseligen Kerbarbeit. Sie wurde somit zur einfachen Arbeitskartei. In anderen Fällen wurden die Kerblochkarteien aufgelöst und die Karteiblätter einfach den Personendossiers beigefügt. Die KK-Erfassung blieb auch nach Wegfall der Kartei als Erfassungskategorie für Verdachtsmomente unterhalb der traditionellen Überprüfungs- und Überwachungsvorgänge bestehen. Daher finden sich in der zentralen Personenkartei Hinweise auf KK-Erfassungen und auch KK-Dossiers in den Diensteinheiten beziehungsweise archivierte KKVorgänge (AKK) in den Archiven. Um der besseren Verständlichkeit willen sollen einige Beispiele für die Funktions- und Speichermuster des SLK-Systems aufgeführt werden: Erhielt ein MfS-Mitarbeiter von einem IM eine Information über eine Flugblattaktion, wurde diese an die AKG geschickt. Der dortige Auswerter musste die Information einschätzen und festlegen, um welche Art von Information es sich handelte. Um welchen Sachverhalt ging es? Bei der Beantwortung dieser Frage half ihm der Rahmenkatalog, der unterschiedliche Sachverhalte oder Hinweiskategorien vorgab, beispielsweise »mündliche negative Äußerungen« oder »passive Widerstandshandlungen«.15 Für jeden Sachverhalt wurde eine Sichtlochkarte angelegt, im vorliegenden Beispiel eine Karte zu «schriftlich-negativen Äußerungen«. Diese Karte war der Indexnummer 1.4 des Rahmenkataloges zugeordnet.16 Jede einschlägig neu bekannt gewordene Person beziehungsweise jeder neue Vorfall wurde auf dieser Karte auf einem der insgesamt 6 999 zur Verfügung stehenden Felder gelocht. Jedes gelochte Feld stand für Erfassung und Speicherung eines SLK diente der reinen Dokumentenverwaltung, nicht der Analytik. Vgl. Lucht: Archiv der Stasi, Stichwort: Sichtlochkartei, S. 204. 14 BStU, MfS, BV Potsdam, KD Nauen Nr. 638. 15 Rahmenkatalog zur DA 1/80, S. 21 f. 16 Ebenda, S. 25.
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Vorfalles oder einer Person. Auf diese Weise sollten alle einschlägigen Aktivitäten registriert werden, die in einer Region (Verantwortungsbereich) angefallen und einer Dienststelle des MfS bekannt wurden. Mit einem Blick auf die Karteikarte war ablesbar, ob es viele oder wenige negative schriftlichen Äußerungen in der Region oder im Verantwortungsbereich einer MfS-Dienststelle innerhalb einer definierten Zeitspanne gab. Eventuelle Häufungen bestimmter Vorkommnisse konnten zu schnellen Einschätzungen der Lage führen. Da die Karteikarten nach Laufzeiten geordnet wurden, etwa nach Jahresabschnitten oder Kalenderjahren, ermöglichten Vergleiche, in gewissem Maße auch Trends zu diagnostizieren. Die jeweilige Lochnummer einer Sichtlochkarte ermöglichte nicht zuletzt den Zugang zu Materialhinterlegungen zum jeweiligen Einzelereignis. Diese konnte mit der Ablagenummer einer Materialablage (analog einer ZMA) identisch sein oder mit der Nummer einer Dokumentenkarte in der Dokumentenkartei. Diese Dokumentenkartei bildete den zweiten, neuen Bestandteil des SLKSystems. Sie enthielt Hinweise auf ergänzende Informationen und deren Ablageort. Die Karteikarten waren personenbezogen und vermutlich nach den SLK-Nummern sortiert.17 Der Personenname auf der Karte konnte wiederum eine Recherche in der alten VSH-Kartei nahelegen. Vor allem verwies die VSH-Kartei auf die kleinen Informationssammlungen der Zentralen Materialablage (ZMA).18 Insofern bildete die Dokumentenkartei die Brücke zwischen der SLK und der VSH. Die Dokumentenkarte verfügte über ein A4-Format, war damit größer und strukturierter als die VSH-Karten und erlaubte so einen differenzierteren Überblick über die gesammelten Informationen zur Person. Zusätzlich trugen Aufdrucke auf der Dokumentenkarte dazu bei, grundlegende Informationen einheitlich zu Blöcken zusammenzufassen. Die Ausgangsinformation (den Erfassungsgrund) ordnete sie zudem entsprechend dem Rahmenkatalog zu. Ergänzende Informationseingänge konnten wie seinerzeit bei der KK chronologisch auf der Kartenrückseite festgehalten werden. Die Dokumentenkarten trugen die MfS-Formblattnummer F 404. Zusätzlich konnten im SLK-Komplex auch Dokumentensammelkarteikarten (F 405) zu bestimmten Sachverhalten oder Personengruppen angelegt werden. Dann wurden dort alle Informationseingänge zu diesen Sachverhalten, Gruppen in Kurzform schriftlich notiert. Das konnte beispielsweise Fälle von Wehrdienstverweigerung, Rowdytum, Angriffe gegen die Jugendpolitik betreffen oder Fortschreibungen zur Lageeinschätzung beim sogenannt politischen Untergrund, zur Lage der Kirche oder zur Analyse von Hetze darstellen.19 Auf diese Weise entstanden Kurzlagebilder in Form eines textlichen Überblicks.20 Beispielsweise 17 Die Aufstellungsprinzipien wurden teilweise nach 1990 verändert. Aber die auf dem Kartenkopf aufgetragene SLK-Nummer lässt auf dieses Ordnungsprinzip schließen. 18 Booß: Bestände zur Westarbeit; MfS-Lexikon, Stichwort: F 404, S. 87. 19 MfS/HA XX/AKG: Kriterien für die Einspeicherung von Sachverhalten und Personen in den Sichtlochkarteien u. a. Karteien, 1.11.1983; BStU, MfS, HA XX Nr. 19684, Bl. 200–235, hier 220. 20 Booß: Bestände zur Westarbeit; MfS-Lexikon, Stichwort: F 405, S. 87.
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enthielt die Karte »Polittourismus« aus der SLK der BVfS Rostock Angaben über die Einreise von Politikern beziehungsweise politisch agierenden Personen aus dem Westen. Die Sachverhaltsschilderungen für 1986/87 beginnen mit einem Quellenhinweis; zumeist sind es Informationen an die jeweiligen Leiter.21 Die Innovation des SLK-Speicher-Komplexes bestand darin, dass man von Personen und Vorfällen zu normierten Sachverhaltskomplexen und Merkmalen gelangte. Auf der alten VSH-Kartei wurden nun auch die neuen SLK-Nummern notiert. Umgekehrt konnte man zu bestimmten Vorkommnissen oder Merkmalen alle Personen ermitteln, auf die diese Merkmale zutrafen. Legte man zwei Sichtlochkarteikarten übereinander, zeigte sich, welche Personen beide Kriterien erfüllten. Beide Karteikarten waren dann an zwei identischen Stellen gelocht, sodass man durch beide Karteikarten hindurchsehen konnte. Insofern konnte die SLK auch eine Fahndungshilfe sein. Was mit dem improvisierten VSH-Komplex nicht machbar war, sollte der SLK-Komplex ermöglichen: Im Prinzip war der gesamte Informationsbestand einer Diensteinheit nach Personen, nach Persönlichkeits- und Tatmerkmalen sowie nach unterschiedlichen Sachverhalten erfasst und erschlossen und konnte nach all diesen Merkmalen relativ schnell abgerufen werden. Das entsprach der Erwartung an eine analytisch auswertbare Zurichtung aller Daten. Es ist offenkundig, dass damit Datenabfragen und Auswertungen simuliert werden konnten, die in der modernen Datenverarbeitung die EDV ermöglicht. 8.1.3 Einsatzbeispiele und partielles Scheitern der SLK Die Vorgaben des Rahmenkataloges bestimmten die Funktion der Sichtlochkartei und gaben ein strenges Erfassungsschema vor. Bestimmte Informationen waren verbindlich zu erfassen. Das bedeutet, dass es bei bestimmten, definierten Sachverhalten und Personenkreisen zwingend vorgeschrieben war, eine Sichtlochkarte anzulegen. Damit sollte es möglich werden, in der Berliner Zentrale Informationen aus der gesamten DDR einheitlich auszuwerten. Hinweise auf folgende Konstellationen und Geschehnisse waren beispielsweise in jedem Fall in der SLK abzuspeichern: alle OV, alle OPK gegen Ärzte und Wissenschaftler, OPK gegen politische oder kirchliche Amtsträger, Künstler, Mitarbeiter von Parteien und von Massenorganisationen sowie Sportkader. Diese Erfassungspflicht erstreckte sich darüber hinaus beispielsweise auf alle OV und UV wegen sogenannt negativer Äußerungen in mündlicher oder schriftlicher Form, auf Delikte wie Zusammenrottung oder Rowdytum. Auch Hinweise auf Personen mit interessanten operativen Merkmalen, auf Ausreiseantragsteller, Personen mit Gewaltneigung, Hinweise auf PUT und PID waren 21 BV Rst/AKG: Sammelkarte zum Stichwort: Polittourismus, 6.1.1987; BStU, MfS, BVfS Rostock, AKG, SLK.
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zu speichern wie solche auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit. 22 Eine analog umzusetzende Speicherpflicht23 erstreckte sich auf vorbeugend zu sichernde Personen wie leitende Mitarbeiter und Reisekader der Räte der Bezirke oder kirchliche Amtsträger. Trotz dieser Festlegungen gestaltete sich die Handhabung der SLK in den Kreisdienststellen für Staatssicherheit sehr unterschiedlich. Wie ein Blick in die gut erhaltenen Karteien im Bezirk Erfurt zeigt, bot das SLK-System den MfS-Diensteinheiten jede Menge Möglichkeiten, die Kartei ihren jeweiligen Interessen anzupassen. In der KDfS Gotha wurde beispielsweise jedes Jahr eine Lochkarte angelegt, die für jedes wichtige Ereignis im Kreis eine Lochung erhielt. Andere jährlich angelegte Sichtlochkarten hielten Geschehnisse fest, die jeweils den Sachverhaltskomplexen SVK 1.1 bis 1.4 (darunter negative Äußerungen und schriftlich-negative Äußerungen) oder dem SVK 2 (landesverräterische Handlungen) zugerechnet wurden. Wiederum andere Karten speicherten jeweils Hinweise auf Rubriken wie »Personen, die Unsicherheitsfaktoren darstellen«, »Kontaktpolitik/Kontakttätigkeit«, Übersiedlungsersuchende, Spionageabwehr, politisch-ideologische Diversion, Lage unter der Jugend, grenzüberschreitender Verkehr. Wichtig war der KDfS, mittels einzelner SLK festzuhalten, ob als Wohnort angefallener Personen oder als Ort eines Geschehnisses eine Gemeinde in der DDR oder eine Stadt im Kreisgebiet wie Gotha, Friedrichroda oder Ohrdruf angegeben war. So erhielten die Auswerter eine Übersicht über die Zahl der Vorfälle im Jahr, über eventuelle lokale Schwerpunkte und konnten eventuelle Trends ausmachen.24 Mit einem bestimmten Themenbezug konnten auch Karteikarten für einzelne Ortschaften oder Objekte angelegt werden. So war über die Sichtlochkartei der KDfS Erfurt beispielsweise nachvollziehbar, welche Anwohner in den Straßen rund um eine Kaserne der sowjetischen Armee geheimpolizeilich auffällig waren. Auch Außenwirtschaftskontakte des Kombinats Oberbekleidung Erfurt, des VEB Optima Erfurt, des Mälzerei- und Speicherbaus oder des VEG Saatzucht und Zierpflanzen wurden je mit einer eigenen Lochkarte bedacht. Diese Betriebe bildeten Schwerpunkte der Überwachung durch die KDfS. Auch Aktivitäten in anderen Schwerpunkten wie Jugend, feindlich-negativen Kirchenkreisen, dem katholische Krankenhaus, dem VPKA Erfurt, den kriminalpolizeilichen Dezernate der K 1 wurden mit Sichtlochkarten begleitet. Die bei Weitem meisten Fallzahlen (Lochungen) wies die SLK zu den feindlich-negativen ÜS-Ersuchen (Übersiedlungsersuchen) auf. Da die SLK die Entwicklung der DDR in den 1980er-Jahren spiegelt, ist das nicht verwunderlich.25
22 MfS/HA XX/AKG: Kriterien für die Einspeicherung von Sachverhalten und Personen in den Sichtlochkarteien u. a. Karteien, 1.11.1983; BStU, MfS, HA XX Nr. 19684, Bl. 200–235, hier 201. 23 MfS/HA XX/AKG: Verbesserung der nutzungsorientierten Erfassung und Speicherung von Personen und Sachverhalten aus dem Verantwortungsbereich der Linie XX, 17.6.1985; BStU, MfS, HA XX Nr. 19684, Bl. 236–251, hier 237. 24 BStU, MfS, BVfS Erfurt, KD Gotha Nr. 879. 25 BStU, MfS, BVfS Erfurt, KD Erfurt Nr. 1146.
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Deutlich differenzierter als die oft pragmatisch aufgebauten SLK der KDfS zeigt sich beispielsweise die SLK der Spionageabwehr (Abteilung II) der BVfS Erfurt. Hier war jedem Unterpunkt des SVK 1 eine separate Karte zugewiesen. Diese Unterpunkte oder Sachverhaltsarten (SVA) konnten die schon bekannten negativen Äußerungen (SVA 1.1) oder passive Widerstandshandlungen (SVA 1.3) sein. Auch Leistungsbilanzen der Vorgangsarbeit wurden in unterschiedlichen SLK-Karteien dokumentiert. Das konnte die Zahl der Verhaftungen, das Einstellen von OPK und OV, dass »Herauslösen von Personen aus Objekten, Bereichen, Positionen« und so weiter betreffen. Diese Rubriken entsprachen den Weisungen zur Vorgangsbearbeitung beziehungsweise den Vorgaben zur operativen Statistik der ZAIG. Sie bildeten offenkundig Vorstufen zur Vorgangsstatistik der Auswerterlinie.26 In den Diensteinheiten vor Ort war die Neigung, mit Sichtlochkarteien zu arbeiten sehr unterschiedlich ausgeprägt. Im Jahr 1987 waren in den Kreisdienststellen im statistischen Durchschnitt 336 Sichtlochkarten angelegt und im Gebrauch. Dabei variierten die Zahlen mit 90 bis zu 700 Sichtlochkarten aber von KDfS zu KDfS deutlich.27 Es herrschten zudem große Niveauunterschiede. Die Kontrolleure im MfS mussten feststellen, dass eine Nutzung des Instrumentes SLK »für die Lösung von analytischen Aufgaben wenig ausgeprägt«28 war. Der Aufwand der Herstellung war im Verhältnis zum Nutzen enorm groß. Er wurde auf 12:1 geschätzt.29 Keineswegs leichten Herzens plädierten die Experten in der ZAIG daher dafür, die SLK in den kleinen Diensteinheiten aufzugeben und dort stattdessen mit verbalen operativen Übersichten zu arbeiten. Dieses Zugeständnis nahmen immerhin 65 Prozent aller KDfS in Anspruch.30 Das Eingeständnis, dass ihr SLK-System dort gescheitert war, bedeutete eine herbe Niederlage für die kybernetisch inspirierten Analytiker. Der seit 1965 beschrittene Weg, mit strukturierten Daten auf Kerb- oder Lochkarten halb automatisiert zu analytischen Auswertungen zu gelangen, führte teilweise ins Abseits. Die Summe der zu bearbeitenden Daten war für das auf Karteikarten gestützte Informationsverarbeitungssystem zu hoch, zumal das MfS immer neue Aufgaben an sich zog und besonders alle Ost-West-Kontakte kontrollieren wollte. Zudem konnten die Widerstände im Apparat gegen eine so akademisch anmutende geheimpolizeiliche Arbeitsweise nicht ausgeräumt werden und formierten sich immer wieder neu. Das teilweise Scheitern des SLK-Systems in der Praxis wurde jedoch gemildert, weil in den 1980er-Jahren die Zentrale Personendatenbank (ZPDB) zum Einsatz kam und Schritt für Schritt ausgebaut wurde. Da die SLK vielfach die Struktu26 BStU, MfS, BVfS Erfurt, Abt. II Nr. 1860. 27 Richter, Achim; Phieler, Thomas: Ausgewählte Probleme der weiteren Erhöhung der politisch-operativen Wirksamkeit und der rationellen Gestaltung der Arbeit der Auswertungs- und Informationsorgane der Kreisdienststellen. Potsdam 1988; BStU, MfS, JHS Nr. 22011, Bl. 98. 28 Ebenda, Bl. 27. 29 Ebenda, Bl. 100. 30 Ebenda, Bl. 27, 102.
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rierung von Informationen bewirkt hatte, ließen diese sich leichter für die EDV aufbereiten. Die SLK erfüllte damit die Funktion eines Zwischenträgers in Papierform. Die Daten aus dem SLK-System konnten so zumindest theoretisch sukzessive in die ZPDB überführt werden. Den nächsten Engpass bildeten die erforderlichen Kapazitäten für die Datenmigration, die oft genug fehlten. Es stellt sich die Frage, ob eine erfolgreiche, komplette Migration bis zum Ende des MfS überhaupt gelang. 8.1.4 Modernisierungsimpulse der SLK-Informationsaufbereitung Das Jahr 1980 markierte für das MfS insgesamt nicht unbedingt eine einschneidende Zäsur, führte aber mit der Umsetzung von systematischer und einheitlicher Bewertung von Informationen zu einer erheblichen Veränderung der geheimpolizeilichen Praxis. Der subtilere Umgang mit operativ wertvollen Informationen ging weder an den IM-führenden Mitarbeitern noch an den Leitern von MfS-Diensteinheiten vorbei. Gänzlich neue Impulse gaben die Auswerter der AKG, die über Zuordnung, Systematisierung und Bewertung von Informationen verstärkt Einfluss auf die Ausrichtung der geheimpolizeilichen Arbeit nahmen. Anders als die traditionellen Registrier-, Kartei- und Archivbereiche der Linie XII gewannen die AKG und die ZAIG durch ihre modernere und detailliertere Informationsverarbeitung eine wachsende hierarchische Bedeutung und einen stärker steuernden Einfluss im gesamten MfS. Der Aufwertung der systematisierten Einzelinformation, die sich durch methodisch einheitliche Zuordnung zu interpretierbaren Bildern verdichten ließ, folgten zudem der Forderungen nach Effizienz, Planbarkeit und Abrechenbarkeit geheimdienstlicher Arbeit. Was sich schon 1965 mit dem KK-System andeutete, wurde durch den Einsatz der SLK zum durchgängigen Prinzip: das systematische Erfassen, Zuordnen und Wiederbereitstellen von Einzelinformationen. Die traditionell registrierten Vorgänge spielten noch immer eine wichtige Rolle, um die Kontinuität eines Überwachungs- oder IM-Vorganges zu dokumentieren. Aber zu den wichtigsten Trägern von Informationen wurden zunehmend die durch IM, offizielle Quellen, durch Post- oder Telefonkontrolle und so weiter erhobenen Einzelinformationen. Auch die Mobilisierung der Einzelinformationen schritt voran. Die Einzelinformationen (Daten) sollten noch umfassender und konsequenter als im Kerblochsystem nach Merkmalen systematisiert und geordnet werden. Die Entwicklung der elektronischen Datenverarbeitung selbst vollzog sich dagegen nur langsam. Weite Teile des MfS zeigten sich immer wieder von der manuellen Bearbeitung der Datenflut im Sichtlochkarteisystem überfordert. Immerhin zielte das SLKSystem von vornherein auf EDV-Kompatibilität ab. Endgültig überwunden wurde die Praxis der Anfangsjahre des MfS, als unter sowjetischem Einfluss ganze Personengruppen wegen vorgeblich verdächtiger sozialer, politischer oder strafrechtlicher Merkmale erfasst und teilweise beob-
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Abb. 26: Sichtlochkarte aus der BVfS Rostock
achtet wurden. In den neuen Karteien und Ablagen konnten Auffälligkeiten und Merkmale von Ereignissen und Personen breit gefächert abgespeichert werden und damit zu relativ differenzierten Bildern über Personen und Lagen führen. Allerdings litt die Qualität der Daten (Datenaufbereitung) unter der Massenhaftigkeit von Datenaufnahme und Datenbearbeitung. Die Möglichkeiten einer verfeinerten Analytik wurden dadurch tendenziell zunichte gemacht. Das Gedächtnis des MfS war also nicht mehr, wie behauptet, die Linie XII, das Zentralarchiv des MfS. Diese war ein anteilsmäßig kleiner werdender Teil eines Informationsspeichers aus Karteien und Archivablagen, konnte also laufend ergänzt werden. Die Bedeutung der Auswerter mit ihren Speichern nahm dagegen kontinuierlich zu. Die Linie der ZAIG konnte nach der ZKG, der Auslandsspionage, der Spionageabwehr und der Observation zwischen 1972 und 1989 die größten Personalzuwächse erzielen.31 Mit einer verfeinerten operativen Statistik kontrollierte sie nun auch die Effektivität der Vorgangsbearbeitung und die geheimpolizeiliche Arbeit ihrer operativ tätigen Kollegen. Über Zuarbeiten an vorgesetzte Stellen innerhalb der jeweiligen Linien und innerhalb der ZAIG-Linie, mit Analysen und Zuarbeiten zu Plänen nahmen die AKG und die ZAIG immer stärkeren Einfluss auf die Schwerpunktsetzung in den einzelnen Bereichen und auf die strategische Ausrichtung des Apparates auf allen Ebenen. Selbstbewusst hieß es Anfang der 1980er-Jahre, dass die jeweiligen Leiter zwar nach wie vor voll ver31 Eigenberechnung nach Gieseke: Die hauptamtlichen Mitarbeiter, S. 319, 396.
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antwortlich seien, doch die »Auswertungs- und Informationsorgane müssen Motor sein bei der Lösung konkreter Aufgaben«.32 Da die ZAIG nicht nur Statistiken erstellte, Lage-Übersichten, thematische Analysen und Informationen an die SED verfasste, sondern gemeinsam mit den Diensteinheiten auch Jahrespläne, zentrale Dienstvorschriften entwarf und deren Einhaltung mithilfe der Kontrollgruppen auch noch überprüfte, entwickelte sie sich zu einem mächtigen Instrument im Leitungsbereich des MfS. Diesen Einfluss sollte die ZAIG mit dem Ausbau von Computereinsatz und EDV in der Arbeit des MfS noch verstärken.
8.2 Planspiele und Anfänge der EDV im MfS Die Gedanken zu kybernetischen Utopien waren im Staatssozialismus eng verbunden mit den Erwartungen an die Einführung der EDV, die bei der Steuerung wirtschaftlicher, technischer und gesellschaftlicher Prozesse helfen sollte. Man mag aus heutiger Sicht die Konzepte von MfS-Verantwortlichen aus den 1960erJahren belächeln, die ohne fachliche Vorkenntnisse Pläne zur Einführung der automatischen Datenverarbeitung für ihren Arbeitsbereich zu Papier brachten. Der damalige Leiter der MfS-Abteilung XII, Reinhold Knoppe, plante schon 1966, durch »Umstellung des gegenwärtigen Karteiwesens auf Lochkartenbasis bzw. Datenverarbeitungsanlage«33 schneller Auskünfte aus der Kartei geben zu können. Ohne jede Vorstellung davon zu haben, wie viel Hardware und Manpower in die EDV investiert werden müssten, um eine Verbesserung der Arbeitsleistung oder gar Rationalisierungen erreichen zu können, träumte Knoppe davon, mithilfe der EDV den »Anforderungen der jetzigen und künftigen Arbeit vom Faktor Kräfte, Zeit, Quantität, Qualität und Kosten gerecht«34 werden zu können. Offenbar hegte man im MfS nach dem »Sputnik«-Erfolg der Sowjetunion die Illusion, binnen Kurzem eine EDV-Einführung durchsetzen zu können. In Konzepten der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre ist von der EDV-gestützten Erfassung von zentralen Karteien wie den Personen- und Vorgangskarteien F 16 und F 22 die Rede. Man konnte sich vorstellen, die IM-Kartei auf EDV-lesbare Karteikarten zu übertragen, um auf diesem Wege eine »bessere Ausnutzung des IM-Fonds«35 zu erreichen. Von der elektronischen Fassung der gerade erst eingeführten Kerblochkartei erhoffte man
32 MfS/ZAIG: Einige Hinweise zur weiteren Durchsetzung der DA 1/80 (vermutl. 1980); BStU, MfS, ZAIG Nr. 1981, Bl. 18–47, hier 18. 33 MfS/Abt. XII, Ltr. Knoppe: Forschungsarbeit, 11.9.1967; BStU, MfS, Abt. XII Nr. 5815, Bl. 11–35, hier 11. 34 Ebenda. 35 MfS/Abt. XII: Konzeption für die Einführung der Datenverarbeitung, Januar 1966; BStU, MfS, Abt. XII Nr. 5815, Bl. 2–10, hier 2.
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sich beispielsweise Fahndungsfortschritte.36 Nichts deutet darauf hin, dass dem EDV-euphorischen Leiter der Abteilung XII, der damals gerade einen KybernetikKurs absolvierte,37 auch nur der Gedanke daran gekommen wäre, dass es noch weitere acht bis elf Jahre dauern sollte, bis solche Vorhaben zumindest in Ansätzen umgesetzt werden konnten. Zum erhofften direkten Datenaustausch38 kam es erst schrittweise in den 1980er-Jahren und er gelang nie vollständig. Wegen des starken, mehr oder minder kontinuierlichen Wachstums des MfS und seiner Jahresetats39 entstand zuweilen der Eindruck, dass das MfS über schier endlose Ressourcen verfügen würde. Gerade die EDV-Einführung zeigt jedoch, wie sehr der technische Fortschritt durch begrenzte finanzielle, technische und personelle Ressourcen gehemmt wurde. Hinzu kam, dass sich die MfS-Führungsetage dem Modernisierungskurs der SED zwar nicht verweigern wollte, aber qua Ausbildung und Mentalität lange Zeit eher von einer Haudegen-Denkweise und weniger durch die filigranen Methoden der modernen Informationsverarbeitung geprägt war.40 Die diesbezüglichen Unterschiede in der »Abteilungskultur«41 konnten durch die Rekrutierung von EDV-Spezialisten nur wachsen. 8.2.1 Überzogene Erwartungen und verzögerter EDV-Einstieg Den eigentlichen Startschuss für den EDV-Einsatz im MfS gab Minister Mielke im Jahr 1969.42 Damit bewegte sich das MfS in einem ähnlichen Zeitrahmen wie das Bundeskriminalamt in der Bundesrepublik Deutschland, hinkte aber der US-amerikanischen Entwicklung bereits deutlich hinterher. Das FBI nahm bereits im Jahr 1967 ein Rechenzentrum und einen Datenverbund in Betrieb.43 Im Jahr 1969 wurde im MfS die Hauptverantwortung für die EDV-Strategie der damals noch kleinen Diensteinheit ZAIG übertragen.44 Die ZAIG wurde mit dieser Funktionszuweisung deutlich aufgewertet. In diversen Diensteinheiten wurden weitere Grundsteine für EDV-Entwicklungen gelegt. Diese Bereiche sollten gemeinsam mit der ZAIG bereichsspezifische Projekte vorantreiben. Sie 36 MfS/Abt. XII, Ltr. Knoppe: Kennwort Auswertung, Forschungsarbeit, 7.9.1967; BStU, MfS, Abt. XII Nr. 5815, Bl. 36–109, hier 61. 37 Jedlitschka; Springer: Gedächtnis der Staatssicherheit, S. 147. 38 MfS/Abt. XII: Konzeption für die Einführung der Datenverarbeitung, Januar 1966; BStU, MfS, Abt. XII Nr. 5815, Bl. 2–10, hier 2; MfS/Abt. XII, Ltr. Knoppe: Kennwort Auswertung, Forschungsarbeit, 7.9.1967; BStU, MfS, Abt. XII Nr. 5815, Bl. 36–109, hier 65. 39 Gieseke: Die hauptamtlichen Mitarbeiter, S. 558. 40 Ebenda, S. 126; Kowalczuk: Stasi konkret, S. 79 ff. 41 Begriff nach Veronica Tacke. In: Bergien: Big Data, S. 258–285, hier 274 ff. 42 Jedlitschka; Springer: Gedächtnis der Staatssicherheit, S. 186. 43 Bergien: Big Data, S. 262, 264 f. 44 MfS: Einleitung o. D. (vermutl. 1980er-Jahre); BStU, MfS, Abt. XIII Nr. 2544, Bl. 65–81, hier 65.
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entwickelten offenbar auch eine Eigendynamik, als sie in den 1980er-Jahren mit Kleinrechnern ausgestattet wurden und diverse Einzellösungen entstanden. Gewisse Parallelentwicklungen waren somit vorprogrammiert und damit auch ein interner Wettbewerb um Ressourcen. Eine beschleunigte Einführung der Datenverarbeitung hatte schon SEDParteichef Ulbricht auf dem VI. Parteitag der SED 1963 gefordert. Im Jahr 1963 beschaffte sich das MfS einen französischen Rechner auf Lochkartenbasis, 1968 kam ein Großrechner mit Magnetband und Plattenperipherie hinzu. Es folgte ein Siemens-Großrechner mit dem Dokumentationssystem GOLEM. Diese Beschaffung schuf die Grundlage für eine zentrale Datenverarbeitung in einem Rechenzentrum des MfS.45 Die Wahl fiel vermutlich deswegen auf Technik von Siemens, weil die auf dem Weltmarkt führende amerikanische Computer-Firma IBM stark auf das Einhalten der Embargo-Bestimmungen gegen die kommunistische Welt kontrolliert wurde.46 Erich Mielke erwartete 1970 die baldige »planmäßige Einsatzvorbereitung und Nutzung der EDV«47 im MfS. Es stellten sich bald weitgespannte Vorstellungen ein, die unter dem Begriff ZEVAS (Zentrales Erfassungs-, Informationsverarbeitungs- und Auskunftssystem zu operativ interessierenden Personen und operativ relevanten Sachverhalten) verschiedene Datenbanken, wie Reisedatenbank, Datenbank der Postkontrolle mit operativen Hinweisen und Personendaten integrieren wollten.48 Zu dieser Wunschliste zählte auch die maschinenlesbare Kerblochkarte. Von einer zentralen Personendatenbank, diesen Begriff nannte der Minister erstmals Anfang der 1970er-Jahre, erhoffte sich Mielke umfangreiche Vergleichsmöglichkeiten bei Delikten und eine erleichterte Suche nach unbekannten Tätern sowie eine Beschleunigung der Personenüberprüfung.49 Trotz des optimistischen Anfangs muss manchem Verantwortlichen bald klar geworden sein, dass sich selbst im mächtigen MfS nicht alle EDV-Wünsche schnell erfüllen würden. Schon 1971 wurde den AIG-Leitern verkündet, dass realistisch wegen der Geheimhaltungsprobleme sowie aus technischen und nicht zuletzt aus finanziellen Gründen »lange Zeit keine entsprechenden Möglichkeiten der Direktnutzung« der Datenverarbeitung in den Objekt- und Kreisdienststellen geschaffen werden könnten.50 Das EDV-Konzept beschränkte sich bis zum 45 Konopatzky: Dokumentation BStU, S. 8 ff. 46 Ebenda, S. 9; Macrakis: Die Stasi-Geheimnisse, S. 163 f.; Mielke, Erich: Referat auf der zentralen Aktivtagung, 15.5.1981; BStU, MfS, ZAIG Nr. 4792, Bd. b–c, Bl. 1–16. 47 Mielke, Erich: Referat auf der Dienstbesprechung am 24.6.1970; BStU, MfS, ZAIG Nr. 4740, Bl. 1–125, hier 112. 48 MfS: Thesen für die Kollegiumssitzung am 22.2.1971; BStU, MfS, ZAIG Nr. 4743, Bl. 51 ff. 49 Mielke, Erich: Referat auf der Dienstbesprechung am 24.6.1970; BStU, MfS, ZAIG Nr. 4740, Bl. 122. 50 MfS/ZAIG: Referat AIG-Leiter-Tagung, 1.6.1971; BStU, MfS, ZAIG Nr. 1820, Bl. 8–105, hier 37.
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Ende des MfS darauf, nur die Zentrale mit ihren Diensteinheiten, die BVfS und einige Grenzübergangsstellen in einen Online-Datenverbund einzubeziehen. Die unterste Ebene, die MfS-Kreisdienststellen, musste sich nach wie vor mit Kurier-, Telexverbindungen oder telefonischen Auskünften begnügen. Um den Anforderungen der Massenüberprüfungen dennoch effektiv zu begegnen, sollten KDfS und Objektdienststellen zumindest sukzessive mit dezentraler Datentechnik, also Stand-Alone-PC, ausgestattet werden. Deren Daten sollten aber auf Basis der herkömmlichen manuellen Datenverarbeitung vorgehalten werden. Denn erstens stand außer Frage, dass es Jahre benötigen würde, die über 200 KDfS und MfS-OD mit genügend Rechnern auszustatten und zweitens war die von Erich Mielke vorgegebene Sicherheitsphilosophie zu beachten. Mielke misstraute der Elektronik und machte sich Gedanken darüber, was bei einem Stromausfall geschähe. Jedenfalls gab er seinen Kartei- und Archivbereichen auf, die manuelle Karteiführung als nach wie vor entscheidende Voraussetzung zur Lösung der übertragenen Aufgaben zu gewährleisten.51 Diese Vorgabe erfreute die Verantwortlichen keineswegs, denn sie ging mit einer immensen Doppelarbeit einher. Die in den 1960er-Jahren erhofften Einsparungseffekte verkehrten sich dadurch ins Gegenteil. Es klang eher gequält, als der ZAIG-Chef 1987 appellierte, »auf EDV-unabhängige und schlimmstenfalls sogar stromunabhängige Mittel«52 nicht zu verzichten. Die Angst vor dem Systemabsturz, die wie die Schrulle eines alten Mannes wirken mochte, war nicht so irrational wie es auf den ersten Blick scheint. Mielke musste auch einen Kriegs- und Spannungsfall bedenken. Ostberlin und die DDR waren an der Systemgrenze zwischen Ost und West sehr exponiert gelegen. In dieser Situation lebten beide Seiten langjährig in der latenten Furcht, von der jeweils anderen Seite überrollt zu werden. Mit Gorbatschow veränderte sich die strategische Lage der DDR. Der KPdSU-Chef verzichtete auf die alte Offensivstrategie, mit der die sowjetischen Kräfte aus der DDR in einem Präventivschlag bis zur französischen Atlantikküsten durchbrechen wollten. Nachdem Gorbatschow als Geste gegenüber dem Westen diese Strategie zurückzog, wäre die DDR im Falle einer kriegerischen Auseinandersetzung zum Kampfgebiet geworden. Mielke hatte also Gründe, Vorsorgemaßnahmen zu treffen, um seinen Apparat nicht gänzlich und unwiderruflich von Strom und EDV abhängig zu machen. Vielmehr wollte er sich bei einem möglichen oder nach einem zeitweiligen Rückzug noch auf seine traditionellen Erkenntnisquellen stützen können und so weiterhin arbeitsfähig bleiben.53 51 MfS/Abt. XII: Referat des Leiters in der DE, 18.6.1981; BStU, MfS, Abt. XII Nr. 2598, Bl. 1–62. 52 Zit. nach: Süß: Staatssicherheit im letzten Jahrzehnt, S. 45. 53 In diesem Kontext wurden auch die sog. Krebse im MfS entwickelt. Das waren Behältnisse, in denen Mikrofilme und Mikrofiches von MfS-Karteien und MfS-Akten wasserdicht verpackt und anschließend vergraben oder in Gewässern versenkt werden konnten. http://www.
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Obwohl die kybernetische EDV-Euphorie Anfang der 1970er-Jahre durch die wirtschaftliche Krise der DDR deutlich gedämpft wurde, trafen die Verantwortlichen Entscheidungen, die zu einer schrittweisen Automatisierung der Auswertungs- und Informationstätigkeit des MfS führen sollten. Obwohl das Computerzeitalter im MfS schon lange angebrochen war, mussten aufgrund von Ressourcenknappheit und Entwicklungsverzögerungen zunächst Karteikartensysteme wie die VSH oder die SLK eingeführt werden. Aber es wurde schon 1971 festgelegt, dass zwischen den Systemen der herkömmlichen papierbasierten Speicher und der EDV »weitgehende Passfähigkeit«54 herzustellen sei. Das heißt, beide Systeme sollten einander gegenseitig ergänzen und im Notfall ersetzen können. Daten aus den papierenen Arbeitsspeichern sollten in die EDV übertragbar sein, sobald die MfS-Kapazitäten eine solche Transformation zuließen. Dennoch stellt sich die Fragen, inwieweit es dem MfS bis zum Ende seiner Tage überhaupt gelang, eine computergestützte Informationsverarbeitung zu realisieren. Die Indizien sind durchaus widersprüchlich, was auch der unvollständigen Überlieferungslage geschuldet ist. 8.2.2 Beginn mit Insellösungen und solitären Datenbanken Obwohl Anfang der 1970er-Jahre das Projekt der Zentralen Personendatenbank des MfS (ZPDB) durch den Minister persönlich auf die Agenda gesetzt wurde, musste die ZAIG fast zehn Jahre auf deren Einführung warten. Dies kann man nicht allein auf die organisationsinterne Konkurrenz unterschiedlicher Bereiche schieben,55 sondern muss deren Aufgaben berücksichtigen. Das größte Wachstum der EDV-Verarbeitung im MfS war weder im Archivbereich noch bei den Analytikern zu finden, sondern in den Bereichen, die sich in den 1960er-Jahren um die neue Reisewelle zu kümmern hatten. Nach dem ersten Passierscheinabkommen für Westberliner und der einsetzenden Praxis der staatlichen Genehmigung von Rentnerreisen gründete das MfS 1964 die Arbeitsgruppe Sicherung des Reiseverkehrs (ASR),56 die 1970 in der neu gegründeten HA VI aufging. Die ASR erfasste, speicherte und analysierte verschiedene Daten der innerdeutschen und ausländischen Reisenden und von Transitreisenden sowie der besuchten DDR-Personen. Sie erfasste die ihr zugeleiteten Reiseanträge und Einreise-, Reisebegleitdokumente zunächst nur in Karteikartensystemen. Zu den komplexen Zielstellungen dieser Datenanhäufung bstu.bund.de/DE/InDerRegion/Erfurt/Veranstaltungen/Dokumentationszentrum/_node.html (letzter Zugriff: 4.6.2020). 54 MfS/ZAIG: Referat AIG-Leiter-Tagung, 1.6.1971; BStU, MfS, ZAIG Nr. 1820, Bl. 34. 55 Bergien: Big Data, S. 269. 56 Wiedmann: Die Diensteinheiten des MfS, S. 220.
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zum grenzüberschreitenden Reiseverkehr zählten auch sogenannte Fahndungen im Reiseverkehr (insbesondere zum Zweck von Einreise- und Transitsperren). Berücksichtigung fand in diesem Kontext vermutlich auch der MfS-Fahndungsspeicher der Abteilung XII.57 Es bestand von Anfang an der Anspruch, den gesamten Reiseverkehr zu erfassen und zu speichern. Um derartige Datenmengen bewältigen zu können, wurden hier ab 1966 die ersten Magnetdatenspeicher eingesetzt. Innerhalb der ASR erwuchs eine spezialisierte Arbeitsgruppe für den EDV-Einsatz, die 1969 zunächst zur AG XIII und 1972 zur Abteilung XIII umgeformt und als zentrales Rechenzentrum des MfS verselbstständigt wurde. Die Abteilung XIII war schließlich unter der dienstrechtlichen Anleitung der ZAIG für Hardware und Softwarefragen, Datenverarbeitung zuständig, betrieb mehrere Rechenzentren und verarbeitete Massendaten aus allen MfS-Diensteinheiten.58 Anders, als zuweilen behauptet, waren nicht die spätere ZPDB oder die SAVO, die elektronische zentrale Personenkartei, die größten Datenbanken des MfS. Diese beiden Datenbanken umfassten gegen Ende des MfS nur etwa 1,3 beziehungsweise rund 5 Millionen Datensätze.59 Die größte Datenbank war bezeichnenderweise die Reisedatenbank (RdB) der HA VI. Sie enthielt Ende 1985 etwa 30 Millionen60 und gegen Ende der DDR um 66 Millionen Datensätze.61 Diese hohen Zahlen bedingten nicht nur die Reisenden, sondern ergaben sich überwiegend aus der Struktur der Datenbank. Es wurde eben nicht nur jeder Reisende, der die Grenzen der DDR passierte, erfasst, sondern auch die in der DDR besuchten Personen. Die DDR-Bürger wurden zudem mit Adresse und Arbeitsstätte aufgenommen.62 Ein Westbesuch führte also zur Aufnahme in einer operativen Datenbank des MfS. Das konnte in der Folge unter Umständen zum Ansatzpunkt geheimpolizeilicher Aktivitäten werden. Keineswegs so umfangreich wie die Reisedatenbank war die Fahndungsdatei, eine der ältesten Dateien des MfS.63 Diese Daten wurden zunächst ausgedruckt und in späterer Zeit einzelnen Grenzübergangsstellen der DDR in elektronischer Form zur Verfügung gestellt. Zusätzlich gelang es dem 57 Im Fahndungsspeicher XII/02 waren überdies Fahndungen westlicher Länder nachgewiesen, deren Daten operativ beschafft waren. Die Kartei enthielt zwischen 1966 und 1974 ca. 350 000 Belege. Vgl. Lucht: Archiv der Stasi, Stichwort: Speicher XII/02, S. 216. 58 Lucht: Archiv der Stasi, S. 260 f. Konopatzky geht letztlich von vier Rechenzentren des MfS in Berlin aus. Vgl. Engelmann; Halbrock; Joestel: Vernichtung von Stasi-Akten, S. 68. 59 Lucht: Archiv der Stasi, S. 260; Bürgerkomitee Berlin, AG-4-Informatik: Dokumentation zur Kontrolle der Auflösung des MfS, o. D. (vermutl. Anf. Februar 1990); RHG, Bestand Gill, BK, Hefter 2. 60 Tantzscher: Hauptabteilung VI, S. 75–77. 61 Konopatzky: Maschinenlesbare Daten, S. 39. 62 BStU, MfS, HA VI MD 3. 63 Lucht: Archiv der Stasi, S. 260; Bürgerkomitee Berlin, AG-4-Informatik: Dokumentation zur Kontrolle der Auflösung des MfS, o. D. (vermutl. Anf. Februar 1990); RHG, Bestand Gill, BK, Hefter 2.; Tantzscher: Hauptabteilung VI, S. 75–77; Konopatzky: Maschinenlesbare Daten, S. 37 u. 39; BStU, MfS, HA VI MD 3.
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MfS, zu großen Teilen Kenntnis von den Fahndungsbüchern im Westen zu erlangen und diese Informationen auch elektronisch zu speichern, sodass es über Ermittlungen der westlichen Seite gut informiert war.64 Die anfänglich einfache Datenbank zum Antrags- und Genehmigungsverfahren in der HA VI wurde kontinuierlich ausgebaut und speicherte ab 1972 Daten. Ab 1976 wurde das komplexe Auskunftssystem Reiseverkehr (ASRV) entwickelt, in dem antrags- und genehmigungspflichtige Einreisen aus dem nichtsozialistischen Ausland erfasst wurden. Dieses wurde sukzessive auf EDV-Basis umgestellt. Parallel dazu begann man mit der Aufbereitung von elektronischen Daten für Fahndungen zu Festnahmen, Reisesperren und für operative Hinweise. Ein weiteres Projekt war die Datenbank Ungesetzlicher Grenzübertritt (DUG). In ihr wurden alle Informationen zu Personen- und Sachverhalten über Fluchtbestrebungen, einschließlich Schleusungen, erfasst. Später kamen auch sogenannte »widerrechtliche Ersuchen auf Übersiedlung« in den Westen hinzu, sofern es dabei Hinweise auf Fluchtvorhaben beziehungsweise Schleusungspläne gab.65 Anfang bis Mitte der 1970er-Jahre intensivierte auch die Auslandsaufklärung der Hauptverwaltung A ihre EDV-Aktivitäten.
8.3 Die elektronische zentrale Personenkartei SAVO Da der Karteibereich in der Abteilung VII des MfS durch die deutlich erhöhte Zahl an Anfragen überfordert war, musste dieser dringend modernisiert werden. Traditionell war es im MfS grundsätzlich nicht zulässig, eine Person als Informanten anzuwerben oder mit geheimdienstlichen Mitteln systematisch auszukundschaften, ohne diese Aktivitäten in der Zentralkartei anzumelden beziehungsweise ohne dort geklärt zu haben, ob eine andere Diensteinheit im MfS diese Person schon bearbeitete. Dieses Prinzip war für einfache Überprüfungen in Reiseangelegenheiten im Zusammenhang mit der VSH zwar gelockert worden, galt aber nach wie vor konsequent für alle intensiveren, formalisierten Vorgänge. Hier erwies sich die Zentralkartei als Nadelöhr. Die langen Reaktionszeiten behinderten die operative Informationsverarbeitung. Die folgende Darstellung konzentriert sich auf die Kernpunkte der elektronischen Komponente der zentralen Personenkartei. Schon ab dem Jahr 1968 sollten die Grunddaten aus der zentralen Personenkartei (F 16) auf Datenträger übertragen werden. Die Umsetzung dieser Aktion war unter dem Stichwort Informationssystem für Personendatenbanken (ISPER) 64 MfS/HA III: Abschlussbericht zum Datenverarbeitungsprojekt Fahndung West, 21.7.1982; BStU, MfS, HA III Nr. 514, Bl. 12. Die Kenntnis von Fahndungen im Westen war insbesondere für die Westspionage des MfS von Belang. So konnte man beispielsweise im Hinblick auf eigene Spione oder Kuriere auf Fahndungslagen reagieren oder deren (im MfS produzierte u. auf Real- u. Fiktivpersonen lautende) Falschdokumente anpassen. 65 Tantzscher: Hauptabteilung VI, S. 75 f.
Die elektronische zentrale Personenkartei SAVO
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vorgesehen. In der Abteilung XII wurde zu diesem Zweck eigens ein Referat 4 installiert.66 Ab 1971 erfolgte die Erprobung des Programms, das schließlich unter der Abkürzung SAVO (System der automatischen Vorauswahl) eingeführt wurde. Im Jahr 1973 erteilte Erich Mielke die endgültige Zustimmung zum Bereitstellen der erforderlichen Soft- und Hardware.67 Bezeichnend für die technischen Engpässe war, dass die Bereitstellung eines Wechselplattenspeichers von 100 MB, der seinerzeit im MfS als große Speicherkapazität angesehen wurde, erhebliche Sorgen bereitete. Dass dieses Erwerbsvorhaben von Mielke abgezeichnet werden musste, zeugt von den Schwierigkeiten im RGW, solch einen Plattenspeicher aufzutreiben und spricht dafür, dass man das Objekt vermutlich ersatzweise im Westen beschaffen wollte. Innerhalb des Projektes SAVO wurden die Personendaten der zentralen Perso nenkartei des MfS (F 16) gespeichert. Ende 1973 waren 210 000 Personen (Karteikarten) elektronisch erfasst, täglich kamen 10 000 hinzu, da nun im Mehrschichtsystem gearbeitet wurde.68 Da die F-16-Kartei wesentlich mehr Personen umfasste, war die SAVO zunächst nur eingeschränkt auskunftsfähig. Ohnehin hielt die Datenbank anfangs neben den Grunddaten zur Person nur die Angabe fest, ob die gesuchte Person in einem Vorgang im MfS erfasst war oder nicht. Aber allein die Negativ-Auskunft »nicht erfasst« ersparte zeitraubende Karteirecherchen, beschleunigte die Arbeit deutlich und verkürzte die Antwortzeiten.69 Wenn keine Erfassung vorlag, konnte umgehend und ohne Nachrecherche in der Zentralkartei eine entsprechende Auskunft gegeben werden. Die angefragte Person war dann für die anfragende Diensteinheit sozusagen frei. Wenn für die Person »erfasst« signalisiert wurde, musste zunächst die Kartei konsultiert werden, um dann entsprechend detaillierte Auskunft geben zu können. Das konnte die Mitteilung um Tage, in manchen Phasen sogar um Wochen verzögern. Doch die Datenbank entwickelte sich weiter. Im Jahr 1977 konnten nach Verbesserungen nunmehr unter dem Stichwort SAVONKA (System der automatischen Vorauswahl und Nutzung von Kennzeichen zur Auskunftsbereitstellung) zusätzlich Kfz-Kennzeichen in die Datenbank aufgenommen werden, die zu Fahndungs- und Recherchezwecken in der Zentralkartei des MfS gespeichert waren. Zusätzlich entwickelte die Archiv-Abteilung XII den Ehrgeiz, inhaltliche Kurz auskünfte aus bereits abgeschlossenen und archivierten IM-, Überprüfungs- und Überwachungsvorgängen geben zu können. Ein gesonderter Bereich der Abteilung XII wertete die Akten möglichst zügig aus und verfasste kurze schriftliche 66 Jedlitschka; Springer: Gedächtnis der Staatssicherheit, S. 184 f.; Lucht: Archiv der Stasi, Stichwort: Informationssystem für Personendatenbanken, S. 132. 67 MfS/ZAIG: Zu Maßnahmen, die im Zusammenhang mit der Bereitstellung der für das Datenverarbeitungsprojekt ZEVAS erforderlichen Soft- oder Hardware einzuleiten sind, 16.11.1973; BStU, MfS, ZAIG Nr. 50168, Bl. 1–18. 68 Ebenda, Bl. 2. 69 Jedlitschka; Springer: Gedächtnis der Staatssicherheit, S. 185.
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Archivauskünfte (SAA), die zunehmend auch auf Mikrofiches jeweils aktuell vorgehalten wurden.70 Damit sollten die Diensteinheiten zügig auf archiviertes Wissen aus Vorgängen zurückgreifen können, ohne, wie in den 1960er-Jahren, aufwendig voluminöse Akten anfordern und sichten zu müssen. So gelang es ansatzweise, auch aus klassischen Vorgängen mobile Einzelinformationen heraus zuziehen beziehungsweise den Inhalt des Vorganges so zu komprimieren, dass er von anderen Diensteinheiten zur Beurteilung von Personen genutzt werden konnte, ohne die Gesamtakte einsehen zu müssen. Bis zum Jahr 1987 waren in der Abteilung XII in Berlin immerhin rund 100 000 SAA angelegt. Diese Ablage wurde für einen schnellen Zugriff in der Zentralkartei (F 16, F 22) und in der elektronischen SAVO nachgewiesen.71 Die SAVO-Datenbank ersparte vor allem den Rechercheuren im Berliner Zentralarchiv des MfS Zeit und Arbeit. Die Datenbank hatte sich nach Auffassung des Archivleiters schon im Jahr 1981 »voll bewährt«.72 Allerdings waren zu diesem Zeitpunkt noch immer nicht alle Daten aus der Personenkartei migriert. Erst Anfang der 1980er-Jahre begann man, auch die Z-Vorgänge aus der NS-Zeit und die SIVORegistrierungen in die EDV zu übertragen. Im Jahr 1986 waren dann fast alle Daten der Zentralkartei F 16 in die Datenbank eingespeist. Anfang der 1980er-Jahre begann der »Kampf um Tagfertigkeit«73 der jeweils eingegangenen Überprüfungsanfragen. Im Archiv hegte man immer wieder berechtigte Zweifel, ob ein solches Bearbeitungstempo zu erreichen wäre, denn die Rechneranlage war »nicht mehr die jüngste« und mit Ersatz war frühestens ab 1985/86 zu rechnen.74 Der Leiter der Abteilung befürchtete wegen der immer wieder auftretenden Überforderungssituationen »alles wieder manuell bewältigen«75 zu müssen. Hinzu kam das Thema Datensicherheit. Die massenhafte Auskunft zu operativen Daten stellte ein neues Sicherheitsrisiko dar. Solcherart Daten wurden zur Geheimhaltung den Verschlusssachen (VS-Einstufung) gleichgestellt und den Datenbearbeitern zusätzliche Verschwiegenheitserklärungen abverlangt.76 Das MfS hatte offenbar Angst vor Lecks oder Überläufern unter dem technischen Personal. Erst ab 1986 sollte ein Programm zur Datenverschlüsselung erprobt und umgesetzt werden.77 Der MfS-Chiffrierdienst (Abt. XI) war beauftragt, die Abteilung XII in dieser Angelegenheit zu unterstützen. 70 MfS/Abt. XII, Roth, Heinz: Der Platz und die Stellung sowie die Hauptaufgaben der Linie XII im MfS, Vortrag in Gransee 1981 (Neufass. 1988); BStU, MfS, Abt. XII Nr. 2601, Bl. 1–49, hier 29. 71 Lucht: Archiv der Stasi, S. 59 f. 72 MfS/Abt. XII: Referat des Leiters in der DE, 18.6.1981; BStU, MfS, Abt. XII Nr. 2598, Bl. 1–62, hier 38. 73 Ebenda, Bl. 31. 74 Ebenda, Bl. 37. 75 Ebenda, Bl. 31. 76 MfS/Abt. XII: Anweisung Nr. XII/1/87, 22.2.1987; BStU, MfS, Abt. XII Nr. 2265, Bl. 121–124. 77 MfS/Abt. XII: Anweisung Nr. XII/4/86, 29.1.1986; ebenda, Bl. 147–153.
Die elektronische zentrale Personenkartei SAVO
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Im Jahr 1984 konnte endlich die automatische Auskunftserteilung (AAE) eingeführt werden.78 Damit wurde die Recherche in der Zentralstelle auf eine Computer-gestützte Terminalrecherche reduziert. Die Daten zu einer gesuchten Person mussten lediglich eingegeben werden. Der Rechner warf das Ergebnis aus und aufwendige Suchen in den Karteien entfielen überwiegend. Der Automatisierungsgrad lag bei den Abfragen im Jahr 1986 bei über 50 Prozent,79 im Jahr 1988 sollten 80 Prozent erreicht werden.80 Allerdings mussten die einzelnen Bereiche nach wie vor Anfragen stellen. Mit dem Folgeprojekt SAVO 2.0 sollten ab 1986 »manuelle Recherchen nahezu unnötig«81 werden. In den Folgejahren wurde eine weitere Lücke geschlossen, weil auch die Digitalisierung der Vorgangskartei (F 22) weitgehend abgeschlossen werden konnte. Diese Datei wies nach, welche Person wie und bei welcher Diensteinheit erfasst war. Erst durch die Verbindung mit der elektronischen Fassung der F 22 konnten die in der zentralen Personenkartei (F 16) nachgewiesenen Personen auch mittels der EDV auf der qualitativen Ebene mit der Karteirecherche konkurrieren. Anfang 1987 waren schon 60 Prozent der etwa eine Million Datensätze der F 22 zugriffsfähig und bis zum Jahresende sollte die Datenüberführung abgeschlossen sein.82 Erst ab diesem Zeitpunkt kann von einer wirklichen automatisierten Abfrage gesprochen worden. Allerdings waren Recherchen aus den Dienststellen heraus nicht im Dialogverfahren möglich. Selbst nachdem entsprechende Leitungen für die Datenfernübertragung (DFÜ) gelegt oder geschaltet waren, mussten Anfragen physisch, dann sukzessive auf Disketten nach Berlin geschickt werden, wurden dort im Rechenzentrum abgearbeitet und dann die »maschinenlesbaren Daten als Sammelinformation zu konkreten, festgelegten Zeiten«83 an die Anfragenden übertragen. Die Daten konnten dann an Computerarbeitsplätzen in den BVfS beziehungsweise in den Diensteinheiten der Berliner Zentrale am Bildschirm abgerufen oder in Form von Einzeldatensätzen oder Listen ausgedruckt werden. Zum Zeitpunkt der Abwicklung des MfS 1989/90 sollen die entsprechenden Standleitungen zu den BVfS Schwerin und Neubrandenburg noch immer nicht eingerichtet gewesen sein. Mit der Digitalisierung von Zentralkarteien, insbesondere der Personenkartei, der Möglichkeit zur automatisierten Abfrage und zum Datenabgleich war ein Quantensprung in der zentralen Recherche des MfS erreicht. Nunmehr konnten ganze Datensatzlisten abgeglichen werden. Erst dieser technologische Standard 78 Jedlitschka; Springer: Gedächtnis der Staatssicherheit, S. 185. 79 MfS: Schreiben an ZAIG, 22.12.1986; BStU, MfS, AS 398/89, Bl. 554–556, hier 554. 80 MfS/Abt. XII: Schreiben an ZAIG, 14.11.1986; BStU, MfS, AS 398/89, Bl. 565 f. 81 Jedlitschka; Springer: Gedächtnis der Staatssicherheit, S. 186. 82 MfS/Abt. XII: Schreiben an ZAIG, Information über den Abschluss einer bedeutsamen Planaufgabe, 2.3.1987; BStU, MfS, AS 398/89, Bl. 550 ff. 83 MfS/Abt. XII: Rede (vermutl. Leiter der DE), o. D. (vermutl. 1987); BStU, MfS, ZAIG Nr. 17468, Bl. 70–118, hier 79.
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erlaubte die massenhafte Überprüfung, ob Personen erfasst waren, wie sie die Leitung des MfS seit Ende der 1960er-Jahre angestrebt hatte. Der Kurierweg verlangsamte den Datenaustausch nur noch zwischen den Bezirksverwaltungen und Kreisdienststellen des MfS, sonst vollzog sich der Datentransfer weitgehend online. Der damit einhergehende Wandel zeigte sich im Bereich der Reiseüberprüfungen deutlich. Ab 1976 existierten nach längerer Vorbereitung durch die HA VI maschinenlesbare Datenträger zu Reisenden, die im Prinzip automatisch mit Daten der Abteilung XII abgeglichen werden konnten. Seither begann man, die »bis dahin nur dezentrale Überprüfung von Einreisen zu zentralisieren«.84 Zwar musste noch 1979 eingeräumt werden, dass es »bisher noch nicht gelungen«85 war, eine weitgehend lückenlose Überprüfung für den Reiseverkehr und die Aufklärung von Kontakten zu organisieren. Daher wurde eine weitere »Vervollkommnung aller Bestandteile des Informationssystems«86 gefordert. Nach weiteren Entwicklungen konnten die Reisedaten dann per Rechner automatisch mit den MfS-Daten der SAVO abglichen werden. Ab April 1988 wurden dem MfS vom MdI Tag für Tag Datenträger mit Reiseanträgen übersandt. Sie wurden in den Zentraldatenbanken des MfS überprüft. Wichtige Informationen gingen danach an die BVfS beziehungsweise die KDfS.87 Sie wurden beispielsweise vorgewarnt, wenn Reisende aus dem Westen Personen besuchen wollten, die in einem OV erfasst waren und daher als verdächtig galten. Die lokal zuständige Kreisdienststelle sollte dann geeignete Vorsorgemaßnahmen treffen. Die Beschleunigung und Effektivierung der Personenüberprüfungen mittels der SAVO wurde durch die Dynamik der politischen Entwicklung und unzureichende Personalkapazitäten gehemmt. Honeckers Entscheidung, im Vorfeld seines offiziellen Besuchs 1987 in der Bundesrepublik, die Zahl der Reisen in dringenden Familienangelegenheiten (DFA) in den Westen zu erhöhen, führte zwischen 1985 und 1988 sprunghaft zu einer Verneunfachung der Reiseanträge und Genehmigungen durch den Bereich Inneres auf fast 1,3 Millionen Fälle pro Jahr.88 Das zog ein erhebliches Anschwellen der Überprüfungen in der Abteilung XII nach sich. Die Personalkapazitäten wurden eng. Der Leiter der Abteilung XII stellte alle Verbesserungen an der SAVO unter seinen ausdrücklichen Genehmigungsvorbehalt, »da zwischenzeitlich zusätzliche Anforderungen zu erheblichen Störungen der planmäßigen Sicherstellung der Hauptaufgaben füh84 MfS/Abt. XII/AKG: Zuarbeit zum Referat für die Dienstversammlung anlässlich des 40. Jahrestages der Gründung der DDR, 23.9.1989; BStU, MfS, Abt. XII Nr. 4055, Bl. 85–88, hier 86. 85 MfS: Thesen für die Kollegiumssitzung am 22.2.1971; BStU, MfS, ZAIG Nr. 4743, Bl. 49. 86 Ebenda. 87 MfS/Abt. XII: Information über den Zeitpunkt des Beginns der zentralisierten DFAÜberprüfungen in der Abt. XII, 22.3.1988; BStU, MfS, Abt. XII Nr. 4968, Bl. 3 f. 88 MdI: Einschätzung über Ausreisen in dringenden Familienangelegenheiten, 1.2.1988; BStU, MfS, HA VII Nr. 2650, Bl. 15–26 hier 15.
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ren« könnten.89 Zusätzliche Datenaufnahmen aus Karteien und Akten hätten das laufende Überprüfungsgeschäft behindert. Der Leiter der Abteilung XII nahm notgedrungen in Kauf, dass seine SAVO-Datenbank nicht vollständig war, statt den Durchlauf der Massendaten zu gefährden. Das oberste Ziel bestand zu jener Zeit darin, fristgerecht die Reisegenehmigungen des Innenministeriums zu bearbeiten, um die von Honecker gewünschten Reiseerleichterungen zu sichern. Streng genommen, befand sich das MfS wieder einmal in einem Zielkonflikt. Einerseits sollten Sicherheitsrisiken bei den Reisen ausgeschlossen und daher die Personen überprüft werden, andererseits waren die vom Innenministerium vorgegebenen Bearbeitungsfristen für Reiseanträge einzuhalten. Selbstkritisch räumte das MfS ein, dass das insbesondere dann nicht gelänge, wenn ergänzende Auskünfte von anderen Diensteinheiten erforderlich waren.90 Priorität genoss ein möglichst zügiges Abarbeiten dieser Überprüfungen, damit es keine Beschwerden im politischen Raum gab. Zusätzlich schränkten die geringen finanziellen und personellen Spielräume die Möglichkeiten der digitalen Personenüberprüfung ein. Gerade Ende der 1980er-Jahre musste sogar das MfS wegen der finanziellen und ökonomischen Krise der DDR Etatkürzungen beziehungsweise geschmälerte Haushaltszuwächse hinnehmen.91 Der Leiter der Abteilung XII beklagte 1988, dass »uns Grenzen gesetzt [sind] durch die Ökonomie, es sind sehr teure Geräte und Einrichtungen erforderlich, die zzt. noch nicht ausreichend zur Verfügung stehen«.92 Wegen der starken Arbeitsbelastung wurde zwischenzeitlich sogar wieder eine verstärkte manuelle Überprüfung in Erwägung gezogen.93 Angesichts der Massenüberprüfungsprozesse zu Beginn der finalen Krise von Honeckers DDR hieß es Mitte 1989, dass die »Anforderungen so nicht mehr zu bewältigen«94 seien. Sozusagen in der Stunde der Bewährung, als der Staat in seine letzte Systemkrise rutschte und die Zahl der Ausreisewilligen und die Regungen der kritischen Bevölkerung zunahmen, stieß die MfS-EDV einmal mehr an ihre Leistungsgrenzen.
89 MfS/Abt. XII: Anweisung Nr. XII/1/89, 28.12.1988; BStU, MfS, Abt. XII Nr. 2265, Bl. 12–14, hier 12. 90 MfS/HA VII: Information über die Entwicklung des Missbrauchs von Reisen in dringenden Familienangelegenheiten, Mai 1985; BStU, MfS, HA VII Nr. 2652, Bl. 2–21, hier 15. 91 Gieseke: Die hauptamtlichen Mitarbeiter, S. 558. 92 MfS/Abt. XII, Roth, Heinz: Der Platz und die Stellung sowie die Hauptaufgaben der Linie XII im MfS, Vortrag in Gransee 1981 (Neufass. 1988); BStU, MfS, Abt. XII Nr. 2601, Bl. 1–49, hier 27. 93 Jedlitschka; Springer: Gedächtnis der Staatssicherheit, S. 116 f. 94 MfS/Abt. XII/AKG: Zuarbeit zum Referat für die Dienstversammlung anlässlich des 40. Jahrestages der Gründung der DDR, 23.9.1989; BStU, MfS, Abt. XII Nr. 4055, Bl. 85–88, hier 85.
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8.4 Die Zentrale Personendatenbank ZPDB Die ab 1980/81 eingeführte ZPDB (Zentrale Personendatenbank) unterschied sich grundsätzlich von der elektronisch gestützten zentralen Personenkartei SAVO des MfS. Die SAVO speicherte nur Personengrunddaten und Hinweise auf MfS-interne Registrierungen oder/und Materialarchivierungen insbesondere in traditionellen Vorgängen. Die ZPDB enthielt dagegen wichtige personen-, sachund objektbezogene Informationen. Das Spezifikum der Datenbank bildete die indexierte, operativ gewonnene Einzelinformation. Diese wurde entsprechend den Rahmenkatalogvorgaben nach Hinweis- und Merkmalskategorien systematisiert. Recherchen in der ZPDB konnten entsprechend zu personen- oder sachverhaltsbezogenen und diesbezüglich gemischten Treffern führen, darüber hinaus zu Lagebildern mit Personenbezug oder zu Sachverhalten und bei Fahndungen helfen. Anfang der 1980er-Jahre war es endlich soweit und die Kybernetiker der ZAIG konnten über die Datenbank verfügen, auf die sie seit den 1960er-Jahren gesetzt hatten. Bereits mit der Einführung des Kerbloch- und des Sichtlochkartensystems orientierten sie darauf, die Daten grundsätzlich datenbankkompatibel zu strukturieren. Der Rahmenkatalog organisierte SLK und ZPDB nach identischen Kriterien. Die ZPDB wurde 1981 in Betrieb genommen, 16 Jahre nach Einführung der KK. Das erstaunt, denn die ZAIG und der Vorläufer der Abteilung XIII wurden schon 1969 von Erich Mielke mit der Steuerung der EDV-Einführung im MfS betraut.95 Es kann kaum am fehlenden Einfluss der ZAIG gelegen haben, dass sie ihr Lieblingsprojekt ZPDB nicht früher umsetzen konnten. Offenbar genossen EDV-Projekte Vorrang, die mit den Ost-West-Kontakten verbunden waren oder den Interessen des KGB oder denen der Auslandsaufklärung dienten. Im Jahre 1973 bestätigte Mielke die Vorlage zur ZPDB und löste damit den eigentlichen Startschuss für dieses EDV-Projekt aus.96 Doch noch 1975 konnte die ZPDB nicht geplant werden. Die vorliegenden theoretischen Ergebnisse mussten einer »kritischen Beurteilung«97 unterzogen werden. Auch der Prozess der Einführung anderer Datenbanklösungen gestaltete sich technologisch aufwendiger als vorgesehen und band Kapazitäten in der ZAIG. Schon bei der Einführung der Datenbank ungesetzlicher Grenzübertritt (DUG) zeigten sich typische Schwierigkeiten, die sich an anderer Stelle wiederholen sollten. Nicht zuletzt war es problematisch, den über Jahre im MfS gepflegten Berichtsstil zu überwinden und das MfS-Personal dazu zu bringen, sich diszipliniert an die vorgegebenen Deskriptoren zu halten, mit 95 MfS: Einleitung, o. D. (vermutl. 1980er-Jahre); BStU, MfS, Abt. XIII Nr. 2544, Bl. 65–81, hier 65. 96 MfS: Vorlage über den Aufbau und die Nutzung einer zentralen Personendatenbank des MfS (ZPDB), 19.5.1980 (von Mielke abgezeichnet); BStU, MfS, ZAIG Nr. 50168, Bl. 37–80, hier 39. 97 MfS/ZAIG: Vortrag zur Einweisung in die Aufgaben zur Durchsetzung der 2. und 3. DB zum Befehl Nr. 299/65, 20.3.1974; BStU, MfS, ZAIG Nr. 17736, Bl. 25–181, hier 169.
Die Zentrale Personendatenbank ZPDB
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denen Sachverhalte zugespitzt erfasst werden sollten. Die Datenerfasser erhielten oft unvollständige Datensätze oder »noch zu umfangreiche und wenig aussagefähige Textteile«.98 Offenbar lösten sich verschiedene Mitarbeiter nur schwer von tradierten Mustern und gaben lange Texte in Lochstreifen ein, statt sich auf das Wesentliche zu beschränken. Die Erfassungsprobleme, die sich schon bei den Kerblochkarteien gezeigt hatten, wiederholten sich bei der Einführung der operativen EDV. Vermutlich der Leiter der ZAIG persönlich äußerte sich gegenüber seinen Kollegen in einem Stoßseufzer: »Die Anwendung der EDV für die politisch-operativen Aufgaben des MfS war, ist und bleibt ein komplizierter Prozess.«99 8.4.1 Herausforderungen bei der Projektumsetzung Die ZPDB kam erst ein Jahr nach dem SLK-System technisch zum Einsatz, obwohl die Dienstanweisung Nr. 1/80 ihre Verfügbarkeit zum 5. Mai 1980 angekündigt hatte.100 Das Kerblochkarteisystem wurde zum 1. Januar 1981 außer Kraft gesetzt. Dessen Funktion musste zunächst vom Sichtlochkartensystem übernommen werden, da sich die ZPDB noch immer im Aufbau befand. Zwar zählte die ZPDB ab 1981 zu den »absoluten Schwerpunktaufgaben«101 des EDV-Ausbaus im MfS. Die Idealvorstellung bestand darin, alle Daten zu wichtigen Sachverhalten und Personen zu erfassen. Das war jedoch vollkommen unrealistisch und überschritt die technischen und personellen Möglichkeiten des MfS erheblich. Die Datenbankentwicklung kam viel langsamer als erwartet voran. Als wesentliche theoretische und programmiertechnische Arbeiten für die ZPDB abgeschlossen waren, zeigten sich noch gravierende Hardware-Probleme des MfS. Sie werfen ein Schlaglicht auf die symptomatischen Schwierigkeiten, mit denen das MfS zu kämpfen hatte. Ende der 1970er-Jahre durfte das MfS nicht mehr auf die unter Umgehung von Embargo-Bestimmungen des Westens heimlich beschafften Siemens-Rechner zurückgreifen. Vielmehr mussten nach den damals bestehenden RGW-Ab machungen ESER-Rechner geordert werden. Das waren mehr oder minder legale Nachbauten von IBM-Rechnern im Ostblock. Entsprechend der Arbeitsteilung des RGW wurden deren Komponenten in verschiedenen Ländern von unterschiedlichen Produzenten gebaut. Immerhin rechnete das MfS für Ende der 1970erJahre mit den Sichtgeräten (Display-System) des Typs ESER ES-7920 Modell 2. Entgegen dem Volkswirtschaftsplan gab es in der Realität aber Probleme mit 98 Ebenda, Bl. 154. 99 Ebenda. 100 MfS: DA 1/80; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 5221. 101 Mielke, Erich: Auszug aus dem Referat auf der zentralen Aktivtagung zur Auswertung des X. Parteitages der SED im MfS, 15.5.1981; BStU, MfS, ZAIG Nr. 4792, Bd. b–c, Bl. 1–16, hier 16.
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der Verfügbarkeit dieser Datensichtstationen.102 Die Terminals waren jedoch die Voraussetzung dafür, dass die Rechner mit Daten aufgefüllt und Daten wieder abgefragt werden konnten. Um keine unnötigen Verzögerungen aufkommen zu lassen, schlug man im MfS vor, auf den Testbetrieb zu verzichten und die Anlage erst nach Lieferung der Terminals unter Echt-Bedingungen zu testen. Das barg natürlich Risiken, da Fehler im laufenden Betrieb schwerer zu korrigieren waren. Die EDV-Techniker plagte ein weiteres Problem. Es fehlte an Wechselplattenspeichertechnik für 100 Megabyte Datenvolumen. Dieses Speichervolumen wird heute von jedem USB-Stick übertroffen und kann für ein paar Euro im Laden erstanden werden. Auch international stellte eine solche Kapazität seinerzeit keine Rarität mehr dar. Aber das MfS musste seine Speichertechnik damals in Bulgarien erwerben, das im RGW für die Produktion dieser Komponente zuständig war. Die Wirtschaftsorgane der DDR hatten dem MfS jedoch mitgeteilt, dass die Lieferung zum gewünschten Zeitpunkt nicht möglich sei. Damit schien die ZPDB-Einführung vorerst zu scheitern, weil der Datenspeicher eine »notwendige Voraussetzung«103 für die ZPDB bildete. Um einen weiteren Aufschub zu verhindern, kontaktierte das MfS sein bulgarisches Bruderorgan, das dortige Innenministerium. Der bulgarische Innenminister und der Minister für Staatssicherheit Erich Mielke unterzeichneten im Mai 1980 einen Leistungsvertrag.104 Das bulgarische Innenministerium besorgte diesem Vertrag zufolge, vermutlich als Eigenbedarf getarnt, den Datenspeicher und übermittelte ihn auf unbekannten, geheimdienstlichen Wegen an das MfS. Derartige Widrigkeiten führten dazu, dass die ZPDB technisch erst ein Jahr nach ihrer Ankündigung in der DA 1/80 startete. Die neue Datenbank war auch keineswegs sofort vollumfänglich einsetzbar. Die EDV-Techniker des MfS orientierten darauf, sich zunächst auf eine Teilmenge von Daten aus dem Rahmenkatalog zu beschränken.105 Erst später, vorgesehen waren Schritte bis 1984/85, sollten weitere Daten zu den anderen Komplexen eingegeben werden.106 Auch andere praktische Herausforderungen erwiesen sich als äußerst schwierig zu lösen. Für den Echtbetrieb der ZPDB wurden insgesamt 233 Planstellen benötigt.107 Das entsprach der Größenordnung manch kompletter Hauptabteilung in der MfS-Zentrale. Sowohl aus personellen, wie technischen Gründen konnten die Datenerfassung und Datenabfrage zunächst nur in Berlin durchgeführt werden, auch weil die Datenfernübertragung noch nicht gesichert war. Nach den Plänen des MfS sollten 1981 vier ausgewählte Berliner Diensteinheiten online gehen und 102 MfS: Vorlage über den Aufbau und die Nutzung einer zentralen Personendatenbank des MfS (ZPDB), 19.5.1980; BStU, MfS, ZAIG Nr. 50168, Bl. 37–80, hier 40. 103 Ebenda, Bl. 41. 104 Ebenda, Bl. 42. 105 Ebenda, Bl. 44. 106 Ebenda. 107 Ebenda, Bl. 55.
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1982/83 weitere neun BVfS folgen. Die verbleibenden BVfS anzuschließen war erst für Mitte der 1980er-Jahre vorgesehen.108 Allerdings war die ZPDB in den Bezirksverwaltungen lediglich lesbar. Die Erfassungsbögen mussten weiterhin per Kurier nach Berlin gebracht werden.109 Dort wurden die Daten in der ZAIG eingelesen und dann per Standleitung an den eigentlichen Rechner der Abteilung XIII übermittelt.110 Obwohl die ZPDB ab 1981 oberste Priorität genoss, war der technische Ausbau der ZPDB 1988 noch immer nicht abgeschlossen. Es sollten Ende 1988 die BVfS Erfurt, Gera und Cottbus online gehen, für weitere DE konnte noch keine Aussage getroffen werden.111 Der Vorteil der ZPDB bestand für das MfS darin, beliebig viele Informationen zu einem bestimmten Gesichtspunkt schnell abrufen zu können. Der alte Traum Mielkes, per Knopfdruck zu komplexen geheimdienstlichen Erkenntnissen zu gelangen, schien endlich Realität.112 Zudem, und das war ein wirkliches Novum für das MfS, wurden nun zunehmend Daten zentralisiert, die zuvor über das ganze MfS verteilt in Karteien, Dossiers und Vorgängen abgelegt waren. Das betraf auch Daten, die nicht aus förmlich registrierten Vorgängen, wie beispielsweise OPK-, OV-, IM-, KK- oder sonstigen Vorgängen stammten. 8.4.2 Anlauf- und Akzeptanzprobleme Das ZPDB-Programm entwickelten die ZAIG und die Abteilung XIII eigenständig, weil sie sich nicht wie die HV A auf das vergleichsweise einfache SiemensProgramm GOLEM stützen wollten. Auch das war ein Grund für die nur schleppend voranschreitende Einführung der Datenbank.113 Nicht zuletzt war die Datenbank wegen fehlender Hardware-Komponenten zunächst nur bedingt einsatzfähig. Die erste »Ausbaustufe« diente vor allem dazu, die Datenbank »unter echten Bedingungen allseitig zu testen und zu nutzen«.114 In den Folgejahren stand
108 Ebenda. 109 Bürgerkomitee Berlin, AG-4-Informatik: Dokumentation zur Kontrolle der Auflösung des MfS, o. D. (vermutl. Anf. Februar 1990); RHG, Bestand Gill, Hefter BK 2, S. 9. 110 Bürgerkomitee Berlin, AG-4-Informatik: Protokoll der Informationsberatung am 24.1.1990; RHG, Bestand Gill, BK, Bd. 2. 111 MfS/ZAIG, Werner Irmler: AKG-Leitertagung, 3./4.12.1987; BStU, MfS, ZAIG Nr. 4696, Bl. 1–243, hier 150. 112 Mielke erhoffte damals beispielsweise IM-Übersichten auf Knopfdruck. Wohl aus Kapazitäts- oder Geheimhaltungsgründen wurde eine zentrale IM-Datenbank nicht geschaffen, vielmehr blieb es bei regionalen Karteien, die im Extremfall alle abgefragt wurden. MfS/Abt. XII: Protokoll, 5.1.1957; BStU, MfS, AS 189/58, Bd. 1, Bl. 110–116, hier 116. 113 Lucht: Archiv der Stasi, S. 260. 114 Mielke, Erich: Auszug aus dem Referat auf der Zentralen Aktivtagung zur Auswertung des X. Parteitages der SED im MfS, 15.5.1981; BStU, MfS, ZAIG Nr. 4792, Bd. b–c, Bl. 1–16, hier 14.
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zunächst der »Aufbau, d. h. die Einspeicherung in die ZPDB im Vordergrund«.115 Weil die Rechner unvollkommen und die Programme nicht ausgereift waren sowie die Zahl der Datenerfasser (sog. Indexierer) den Bedarf nicht deckte, startete die ZPDB lediglich mit den Themen (Sachverhaltskomplexen) SVK 1 bis SVK 3. Diese umfassten Informationen zu »feindlich negative[n] Äußerungen«, zu »landesverräterischen Handlungen« und zu »Angriffen auf Leben oder Gesundheit«, sofern sie die Zuständigkeit der Staatssicherheit betrafen. Die Datenerfassung zu anderen wichtigen Komplexen wurde zunächst unterlassen und verhinderte dadurch Datenbank-Recherchen beispielsweise zu folgenden Themen: Havarien, Brände, Störungen, Gewalteinwirkungen auf Objekte, die ökonomischen und gesellschaftlichen Prozesse störende oder hemmende feindlich negative Handlungen, Angriffe gegen die territoriale Integrität, staatsfeindlicher Menschenhandel (meint Fluchthilfe), bedeutsame Vorkommnisse mit Radioaktivität, Sprengmitteln, Munition, Waffen oder ähnlich.116 Die Weiterentwicklung des ZPDB-Programms DORIS117 stieß immer wieder auf Probleme. Im Jahr 1986 erwirkten die EDVEntwickler die Zustimmung von Erich Mielke für die Beschaffung zweier Personalcomputer, um die Erweiterungen fortsetzen zu können. Die begehrten Computer Marke XT/370, ein IBM-Produkt, lassen darauf schließen, dass diese Hardware am Volkswirtschaftsplan vorbei, irregulär im Westen beschafft werden sollte.118 Die zeitliche Lücke zwischen dem vollen Ausbau und der vorgesehenen Arbeitsfähigkeit der ZPDB wurde mittels des SLK-Komplexes und anderer Karteikarten überbrückt. Im Jahr 1981 und teils noch 1989 wurde auf Speicher im MfS verwiesen, die eine generelle Bedeutung hatten, aber bislang dezentral als Karteien geführt wurden.119 Dazu zählten die Messedatenbank in Leipzig oder der Speicher der BVfS Rostock zu den Hochseeschiffern (Aktion Leuchtturm). Nur Schritt für Schritt konnten deren Daten in die zentrale Datenbank der HA VI integriert werden.120 Der überarbeitete Rahmenkatalog zur Erfassung und Speicherung operativ bedeutsamer Informationen von 1988 verweist darauf, dass die volle Ausbaustufe noch nicht erreicht war.121 So war der Hinweiskomplex (Komplex) H2 noch nicht in die ZPDB integriert. Entsprechende Informationen waren weiterhin in der 115 Ebenda, Bl. 16. 116 MfS: Vorlage über den Aufbau und die Nutzung einer zentralen Personendatenbank des MfS (ZPDB), 19.5.1980; BStU, MfS, ZAIG Nr. 50168, Bl. 37–80, hier 44. 117 Dialogorientiertes Recherche- und Informationssystem, vgl. Lucht: Archiv der Stasi, Stichwort: Zentrale Personendatenbank, S. 260. 118 MfS/ZAIG: Bereitstellung von zwei Personalcomputern des Typs XT/370 als Voraussetzung für die weitere Programmentwicklung des Programmiersystems DORIS der ZPDB des MfS, 17.1.1986; BStU, MfS, ZAIG Nr. 50168, Bl. 94 f. 119 MfS: Ordnung Nr. 3/89 zur Nutzung ausgewählter Informationsspeicher des MfS durch die operativen Diensteinheiten des MfS, Speichernutzungsordnung, 16.8.1989; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 5391. 120 Lucht: Archiv der Stasi, S. 77 f. 121 BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 264/88.
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Abb. 27: ZPDB-Erfassungsbeleg Im MfS wurden vereinheitlichte ZPDB-Erfassungsbelege genutzt. Der Beleg im vorliegenden Beispiel stammt vom Februar 1985 aus der KDfS Grevesmühlen (Bez. Rostock) und hat den Privatkontakt eines Bewohners des Kreises Grevesmühlen in die Bundesrepublik zum Gegenstand.
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Sichtlochkartei der zuständigen Diensteinheit festzuhalten. Der Komplex H2 hatte das Thema »Vereinigung oder sonstige Zusammenschlüsse von Personen, die sich eine verfassungsfeindliche Tätigkeit zum Ziel setzen oder die andere gesetzeswidrige Ziele verfolgen, sowie sonstige im Rahmen der Bekämpfung der politischen Untergrundtätigkeit, des Rowdytums und anderer die gesellschaftliche Entwicklung störender und hemmender Erscheinungen festgestellte feindlich-negative Zusammenschlüsse und Konzentrationen von Personen« zum Gegenstand. Mithin waren alle Personenzusammenschlüsse, die man heute mehr oder minder der Opposition und Ausreisebewegung zurechnet, noch 1988 nicht Gegenstand der systematischen Datenbankerfassung der ZPDB. Das galt jedoch nicht für den Personenkreis, der in förmlichen Vorgängen (OPK, OV, UV) registriert war. Selbst dort erfasste Personen waren offenbar nicht entsprechend den Rahmenkatalogkriterien indiziert, da der ganze Komplex H2 nicht freigeschaltet war. Die Personen waren unter diesem Kriterium allenfalls in dezentralen Karteisystemen und im SLK-Komplex entsprechend katalogisiert, die aber kompliziert abzufragen waren. Je mehr sich die widerständigen Gruppen vernetzten und überregional agierten, was vor der friedlichen Revolution der Fall war,122 desto größer waren die Schwierigkeiten, diese mit der bestehenden Informationsverarbeitung des MfS automatisiert zu erfassen und zu diagnostizieren.123 Ein Jahr vor der friedlichen Revolution, als derartige Vereinigungen und Zusammenschlüsse eine unerhörte Dynamik entwickelten, ist das ein durchaus bemerkenswertes Defizit. Es demon striert, dass sich das MfS bei der Entwicklung seines Informationssystems offenbar auf andere Punkte konzentrierte. Gerade die Massenüberprüfungen banden zu viele Kapazitäten. Es verweist nicht zuletzt auf die Schwächen eines auf festen Merkmalen beruhenden Informationsverarbeitungssystems. Der GorbatschowVirus, die Faszination für die Öffnung des sowjetischen Staatssozialismus, der ab 1987 zunehmend auch SED-Mitglieder befiel, wurde nach den für diese Arbeit gesichteten Akten nie zu einem Parameter in der Informationsverarbeitung des MfS. Neuartige Phänomene außerhalb des festgelegten Merkmalkataloges waren nur schwer, nicht, allenfalls indirekt zu fassen und zu analysieren. Doch gerade die anfänglichen Diskrepanzen zwischen Aufwand und Ertrag der Datenbank führten 1985/86 zu deutlichem Unmut gerade bei den mittleren Verantwortungsträgern unter den Auswertern im MfS: Die »eigene Software (ZPDB) überzeug[e …] nicht, solange wir nicht aktuell nachkommen«, die Reisedaten von Kadern zu ermitteln, die die Grenze überqueren durften.124 Die Massenüberprüfungen in den Karteien vor Ort und die Pflege von VSH122 Neubert: Geschichte der Opposition, S. 463 ff.; Kowalczuk: Endspiel, S. 232 ff. 123 So wertet auch Springer mit Bezug auf die Recherche der Zentralkartei der Abt. XII. Vgl. Jedlitschka; Springer: Gedächtnis der Staatssicherheit, S. 150. 124 Handschriftliche Bemerkungen/Äußerungen zu EDV/ZPDB, o. D. (vermutl. 1986); BStU, MfS, ZAIG Nr. 50168, Bl. 113–115, hier 113.
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Karteien und dem SLK-Komplex verschlangen erhebliche Arbeitskapazitäten. Für Ärger sorgte bereits die Zusatzbelastung durch SOUD, der von den sowjetischen Partnern eingeführte Datenverbund der kommunistischen Geheimdienste. Nun sollten parallel zur Erfassung von Daten in den jeweils eigenen Speichern auch noch die Informationen für die ZPDB aufbereitet werden. Man war gezwungen, »die gleichen Informationen verschieden zu indexieren«.125 Es waren nicht nur die detaillierten Erfassungsbögen auszufüllen. Die dort verzeichneten Daten mussten auch mit schon vorhandenen Informationen zu Sachverhalten oder Personen verknüpft werden. Die Bögen wurden dann an die eigentlichen Datenerfasser weitergeleitet. Für den Aufbau einer jeden großen Datenbank ist der anfänglich hohe Aufwand für die Informationsanhäufung typisch. Erst wenn eine gewisse Datenmenge erreicht ist, lohnen sich Abfragen. Zunächst waren nur die gerade eingegebenen Daten abfragbar. Im Extremfall bekam eine Diensteinheit nach einer Anfrage im Zentralrechner genau das aus Berlin zurück, was sie an Informationen zuvor dort hingeschickt hatte, allenfalls ergänzt durch allgemeine Personenangaben und eine Verwandtenaufstellung aus der Einwohnermeldedatenbank des Innenministeriums. Erst nach geraumer Zeit fielen so viele Informationen an, dass aus Datenverknüpfungen neue Erkenntnisse entstanden, was man im MfS »Verdichtung« von Informationen nannte. Wegen des zunächst problematischen Kosten-Nutzen-Verhältnisses hagelte es Mitte der 1980er-Jahre in den Sitzungen der ZAIG mit ihren AKG-Kollegen herbe Kritik.126 Die »ZPDB hat keinen Nutzen«, hieß es, denn sie komme der eigentlichen operativen Arbeit in zu geringem Maße zugute und die Aufbereitung der Informationen sei »ein zu großer unvertretbarer Aufwand«. Manch ein AKG-Leiter scheute sich nicht zu fordern, den EDV-Bereich in der Auswertung »am besten auf[zu]lösen, [weil er …] die geringste Bedeutung« für die eigent liche geheimpolizeiliche Arbeit hätte. Die EDV wurde 1986 von den Praktikern eher als ein Projekt des nächsten Jahrhunderts angesehen, das für die damalige Gegenwart noch nicht taugte.127 8.4.3 Ausbau und Leistungsstand 1988/89 Trotz aller Widrigkeiten und Kritiken schritten Ausbau und Datensammlung der ZPDB voran. In der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre wurde die ZPDB zunehmend »zum festen Bestandteil der politisch-operativen Arbeit«, wenn auch noch 125 MfS/ZAIG, Irmler, Werner: AKG-Leitertagung, 3./4.12.1987; BStU, MfS, ZAIG Nr. 4696, Bl. 1–243, hier 151. 126 MfS: Handschriftliche Bemerkungen/Äußerungen zu EDV/ZPDB, o. D. (vermutl. 1986); BStU, MfS, ZAIG Nr. 50168, Bl. 113–115. 127 Ebenda, Bl. 113, 115.
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»große Reserven« bestünden.128 Das Informationsaufkommen hatte sich 1987 weiter erhöht, die Recherchenutzung in einem Jahr verdoppelt. Die Qualität der Indexierung blieb teilweise hinter den Erwartungen zurück und die Korrektur von Fehlern dauerte drei bis vier Monate.129 Ende November 1989 enthielt die ZPDB immerhin 1,32 Millionen Personendatensätze, 417 000 Informationen zu Sachverhalten, 392 000 Kontakthinweise,130 101 000 Kfz-Daten, 458 000 Objekte, 60 000 Personenbeschreibungen sowie 23 000 Angaben aus Ermittlungsverfahren.131 Die Zahlen lassen sich nicht aufaddieren, da sie teilweise identische Sachverhalte betrafen, die unter unterschiedlichen Schlagworten ausgewertet waren. Die Datenmenge ist außerdem zu relativieren und in ein Verhältnis zu den im MfS vorhandenen sonstigen Datenmengen zu setzen. Unterstellt, die 23 000 Angaben zu Ermittlungsverfahren wären Informationen zu unterschiedlichen Personen, entspräche die Zahl der ZPDB-Eintragungen lediglich ungefähr der Zahl der Ermittlungsverfahren von 1977 bis 1988.132 Nicht einmal die zeitlich davor liegenden Ermittlungsverfahren waren erfasst.133 Den 1,32 Millionen Personendatensätzen in der ZPDB standen rund 6 Millionen Einträge allein in der zentralen Personenkartei und in der mit ihr korrespondierenden SAVO gegenüber, ganz zu schweigen von den Millionen Personendaten im VSH-Komplex. Diese Vergleiche belegen, dass die ZPDB keineswegs alle geheimpolizeilich wichtigen Informationen enthielt. Es fand vermutlich auch aus Personalmangel keine systematische Altdatenmigration statt, um die in den Karteien vorgehaltenen Daten sämtlich digital zu erfassen. Daten wurden offenbar im Wesentlichen im laufenden Arbeitsprozess eingegeben. Das war arbeitsökonomisch sinnvoll und stellte ein bereits bei der SAVO 2 erprobtes Verfahren dar. Diese Technik der Datenakkumulation ging freilich mit dem Mangel einher, dass man sich auf die Ergebnisse einer Datenbankrecherche nur bedingt verlassen konnte. In wichtigen Fällen musste parallel die traditionelle Recherche in den Karteien durchgeführt, also ein vergleichsweise hoher Aufwand betrieben werden. Allerdings wurde im MfS daran gearbeitet, ganze Datenkomplexe nachträglich in die ZPDB einzufüttern. Das bekannteste Beispiel ist die Feindobjektdatei. Die alte F-17-FeindobjektKartei wurde 1989 eingestellt, weil sie durch eine neue ZPDB-Teildatenbank 128 MfS/ZAIG, Irmler, Werner: Rede zur Weiterbildung von Leitern der Kreisdienststellen, 28.11.1986; BStU, MfS, ZAIG Nr. 4374, Bl. 165. 129 MfS/ZAIG, Irmler, Werner: AKG-Leitertagung, 3./4.12.1987; BStU, MfS, ZAIG Nr. 4696, Bl. 1–243, hier 134 f. 130 Das meinte mutmaßlich vorgeblich verdächtige Kontakte zu anderen Personen oder Westkontakte. 131 Lucht: Archiv der Stasi, S. 260. 132 Zwischen 1977 und 1988 ermittelte das MfS gegen 23 790 Personen, Eigenberechnung nach Engelmann; Joestel: Hauptabteilung IX, S. 237 f. 133 Die Zählung orientiert sich an den Datensätzen. Falls zu einer Person mehrere Datensätze in der Datenbank enthalten waren, mindert das die Zahl der erfassten Personen noch.
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ersetzt wurde. Die Daten aus der F-17-Kartei wurden nur insoweit übertragen, wie sie noch aktuell und nützlich waren. Die heute überlieferte F-17-Kartei umfasst 42 500 Karteikarten.134 8.4.4 Die spezifische Erfassungsart »V« Die ZPDB ließ die niedrigschwellige Aufnahme auch von Informationen in die Datenbank zu, die die Qualität vager Verdächtigungen nicht wesentlich überschritten oder lediglich als interessant eingestuft wurden, aber nicht die Schwelle zur förmlichen Erfassung in der Zentralkartei erreichten. Das zielte natürlich vor allem auf die Übernahme von entsprechenden Daten aus dem VSH-Komplex. Derartige Daten wurden nun unter dem Rubrum einer eigenen Erfassungsart in die ZPDB integriert.135 Zusätzlich wurde speziell für die ZPDB die Erfassungsart »V« eingeführt. Eine Herleitung des »V« konnte in den gesichteten Unterlagen nicht vorgenommen werden. Möglicherweise ist es schlicht in Analogie zur VSH zu sehen. Fakten, die an sich noch keine große Bedeutung hatten, sollten durch Ansammlung zu einem geheimpolizeilich bedeutungsvollen Inhalt verdichtet werden. VSH und »V« waren Erfassungen, die eindeutig unterhalb eines strafrechtlichen Verdachtes oder der Bearbeitung in operativen Vorgängen lagen. Die passive Erfassungsart »V« in der ZPDB ordnete eine Person objektbezogenen und/oder territorial einer konkreten MfS-Diensteinheit zu136, meist dort, wo die Person lebte oder arbeitete. Anders als bei der dezentralen VSH waren die »V«-Erfassungen für das gesamte MfS aber nunmehr nicht nur vor Ort, sondern datenbankgestützt unmittelbar über die Zentrale abrufbar, während die VSH nur eine Ablage in einer einzelnen Diensteinheit war. Die Erfassungsschwelle senkte das MfS damit noch einmal deutlich ab. Es reichte beispielsweise ein Argwohn erregender Kontakt zu einem Ausländer, um in die ZPDB aufgenommen zu werden.137 Ein abgelehnter Antrag auf eine Fami-
134 Lucht: Archiv der Stasi, S. 99 f. Die F 17 ist nicht identisch mit der Objektdatenbank mit knapp 500 000 Objekten. Es wurden zunächst großenteils nur Grunddaten wie Adressen und Telefonnummern eingespeist. 135 MfS: DA 1/80, Anlage 1: Rahmenkatalog i. d. Fass. v. 14.11.1988, Teil III/4,1; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 155/88. 136 MfS: DA 1/80 v. 20.5.1980; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 5221, S. 17. Die Erfassung V war an einen formlosen Antrag eben dieser Diensteinheit gebunden. Als Veranlassung für die Erfassung war eine zurückliegende, nicht registrierungspflichtige Informationssammlung zu der betreffenden Person bereits ausreichend. Die Konsequenz der Erfassung war ein Zusammenlaufen aller im MfS aufkommenden Informationen zur Person in der zuständigen Diensteinheit. 137 MfS: DA 1/80, 1. DB, Anlage 4 zur 1. DB; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 5222, S. 45–54, hier 49.
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lienreise in den Westen führte in der Praxis zu einer »V«-Erfassung.138 Indiziert wurden laut Dienstanweisung Angehörige verbotener Religionsgemeinschaften, Wehrdienstverweigerer, Westkorrespondenten, Geheimdienstmitarbeiter, Ausreiseantragsteller, Kontaktpersonen von ausgereisten, vormaligen DDR-Bürgern, Nichtwähler, Mitunterzeichner von staatsfeindlichen Unterschriftensammlungen, Personen aus Ermittlungsverfahren, Fahnenflüchtige und so fort.139 Das heißt nicht, dass all die genannten Personen von vornherein in der ZPDB gespeichert wurden, deutet aber auf den Personenkreis, an dem das MfS bei der Erstellung der ZPDB ein besonderes Interesse zeigte. Im Laufe der Zeit wurden diese Personengruppen offenbar nacherfasst.140 Die niedrigschwellige Erfassungsart »V« musste zu einem Anschwellen der ZPDB mit Daten zu Personen, Kfz, Sachverhalten und Hinweisen führen. Aus vergleichsweise nichtigem Anlass wurde beispielsweise ein Bürger aus dem Bezirk Rostock in der ZPDB erfasst, weil der im Rahmen einer genehmigten Reise einen »op.-int. [operativ-interessanten] Kontakt nach NSA/BRD«, also einen Kontakt mit nachrichtendienstlichem Potenzial in die Bundesrepublik unterhielt. Im Rahmen einer Postkontrolle fand eine Kreisdienststelle heraus, dass der Mann einen Briefkontakt zu einem Reserveoffizier der Bundeswehr unterhielt und jener anlässlich eines Besuches des Mannes in der Bundesrepublik diesem sogar die Armbanduhr reparieren ließ.141 Eine Indexierung der Informationen war die Voraussetzung für eine Eingabe in die Datenbank. Dazu gab es fachspezifische Thesauri mit Stichworten, die sich am Rahmenkatalog von 1980 orientierten.142 Dieser Rahmenkatalog wurde, wie dargestellt, in Form einer Lose-Blatt-Sammlung über die Jahre erweitert und ausdifferenziert. Dessen Ordnungsprinzipien und Termini orientierten sich streng an den Dienstanweisungen, Ordnungen und Richtlinien des MfS. Zu den laut Rahmenkatalog in der Fassung von 1988 »vorbeugend zu sichernden Personen«, die in die ZPDB aufzunehmen waren, zählten unter anderem Auslandskader und Geheimnisträger. Das waren die gleichen Personen, die laut der Richtlinie zu Sicherheitsüberprüfungen von 1982143 ursprünglich listenmäßig in Indexbögen von Sicherungsvorgängen (SiVo) zu erfassen waren. Die Funktion der Indexbögen übernahm sukzessive die ZPDB und machte daher die SiVo tendenziell entbehrlich. Auch die zu speichernden Bearbeitungsergebnisse von 138 BV Swn/KD Perleberg: Vermerk, 11.12.1984; BStU, MfS, BV Schwerin, KD Perleberg Nr. 7311, Bl. 38; MfS: ZPDB-Erfassungsbeleg, 11.12.1984; ebenda, Bl. 37. 139 MfS: DA 1/80, 1. DB, Anlage 6 zur 1. DB; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 5222, S. 45–54, hier 47 f. 140 MfS/BV Pdm: Schreiben an die Leiter der Diensteinheiten, 1.7.1985; BStU, MfS, ZAIG Nr. 19981, Bl. 47–51, hier 49. 141 MfS: ZPDB-Erfassungsbeleg, 11.2.1985; BStU, MfS, BV Rostock, ZPDB-Beleg Nr. 85140911. 142 MfS: DA 1/80 v. 20.5.1980; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 5221, S. 17, 19. 143 MfS: RL Nr. 1/82 zur Durchführung von Sicherheitsüberprüfungen; BStU, MfS, BdL/ Dok Nr. 7418, Bl. 12 ff.; MfS: DA 1/80, Anlage 1: Rahmenkatalog i. d. Fass. v. 14.11.1988, Teil III/4; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 155/88.
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OPK oder OV orientierten sich an den entsprechenden Richtlinien zu OPK von 1981 beziehungsweise an denen zu OV von 1976.144 Die modernisierten Vorgänge fügten sich in die Ordnungsprinzipien der EDV ein. Die Aufbereitung der Daten war die Aufgabe der Indexierer in den AKG der BVfS und der großen Bereiche in Berlin. Dafür geeignete Leute zu finden, war nicht einfach, wie immer wieder geklagt wurde.145 Sie sollten idealerweise über geheimpolizeiliche Erfahrung verfügen und diszipliniert und konzentriert die Informationen nach den Kriterien der Thesauri bewerten. Die Daten waren auf wenig übersichtlich anmutende, doppelseitige DIN-A4Bögen aufzutragen. Zu einer Person konnten bei der Ersterfassung maximal 68 Angaben und ein Textfeld ausgefüllt werden, bei Sachverhalten waren es 69 und ein Textfeld, bei Kfz-Hinweisen zwölf Angaben.146 In extremen Fällen war eine detaillierte Personenbeschreibung (F 463) auf einem sechsseitigen Erfassungsraster in einer Art Multiple-Choice-Abfrage mit Dutzenden anzukreuzenden Merkmalen auszufüllen. Beispielsweise sollte bei der Art des Gehens differenziert werden zwischen »Stock, Krücken, hinkend, schlenkernd, breitbeinig, Fußspitzen einwärts, Fußspitzen auswärts«.147 Die Datensätze enthielten neben Pflichtfeldern für deliktspezifische Informationen Angaben zur Informationsquelle, zur Person, zum Kfz und zur »Sekundarbeziehung«, also zu persönlichen Kontakten des Betreffenden. Zu solchen Kontaktdaten konnten schon bei relativ banalen Sachverhalten geradezu im Schneeballsystem weitere Datensätze zu Kontaktpersonen der Primärperson angelegt werden. War eine Person einmal in der ZPDB erfasst, konnten mit Ergänzungsbögen beliebig sogenannte ergänzende Erfassungsangaben nachgemeldet werden. Ein Beispiel dafür liefert die OPK Fahrlehrer, angelegt zu einer Person, die in den Westen übersiedeln wollte. Hier ergänzte die KDfS Perleberg kontinuierlich die Einzelerfassung in der ZPDB mit Erkenntnissen, die vom IMS Hans Schneider oder vom GMS Paul, aus der Abteilung für Inneres, der Postkontrolle und anderen MfS-Abteilungen stammten. Für die Zeit von 1984 bis 1989 sind insgesamt 21 Einträge nachweisbar. Die Einträge zur Person aus der OPK verwiesen zudem auf ZMA-Material, die OPK und die Lochungsziffer der Sichtlochkarte. Jede eingehende Information war darüber hinaus über eine spezielle Dokumentennummer auffindbar. Die gespeicherten Informationen waren nicht nur im Anlagekontext mit der konkreten Person, sondern darüber hinaus auch für andere Zwecke abruffähig und verfügbar.148 Das Ausfüllen der Erfassungsbögen konnte mit Vorgaben zur Verteilung der Information im MfS verbunden werden. Der Informationsfluss, der den Verantwortungsträgern bei der Auswertung zuvor immer Sorgen bereitet hatte, wurde 144 145 146 147 148
MfS: DA 1/80, Anlage 1: Rahmenkatalog i. d. Fass. v. 14.11.1988, Teil III/3; ebenda. MfS: DA 1/80 v. 20.5.1980; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 5221, S. 17. MfS: DA 1/80, 1. DB, Anlagen; ebenda, S. 43 ff. Ebenda, S. 51 ff. BStU, BV Schwerin, KD Perleberg, ZMA Nr. N16, Bl. 33, 44, 46, 73 u. a.
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auf diese Weise mehr oder minder zur automatisierten Routine. War ein Verteiler eingespeichert, ordnete der Computer und nicht mehr der Mensch die Weiterleitung der Information beziehungsweise die Zugriffsrechte an.149 Das trug zur Mobilisierung der Einzelinformation bei. Solange jedoch Diensteinheiten und BVfS noch nicht online geschaltet werden konnten, mussten die interessierenden Daten entweder als Einzeldatensätze oder als Listen ausgedruckt auf Papier bereitgestellt werden. Auch der Datenaustausch vermittels Disketten oder Magnetbändern war möglich.150 All diese Verfahren verlangsamten den Datenfluss gegenüber der angestrebten Datenfernübertragung jedoch. 8.4.5 Zur inhaltlichen Ausrichtung der Personendatenbank Erst in den letzten Jahren des MfS scheint sich die ZPDB zu einem Instrument entwickelt zu haben, auf das operativ tätige MfS-Mitarbeiter zurückgriffen, um schnell möglichst viele und relevante Informationen einsammeln zu können. Diesen Eindruck vermitteln jedenfalls fragmentarisch überlieferte ZPDB-Ausdrucke. Die Ergebnisse solcher Abfragen sollen anhand einiger Fallbeispiele etwas näher beleuchtet werden. Die für die Überwachung von NVA und Grenztruppen zuständige HA I wollte beispielsweise den Westkontakt (MfS-Begrifflichkeit für insbes. persönliche und/oder postalische Verbindungen in die Bundesrepublik) eines Armeeangehörigen aufklären. Der Rücklauf bestand aus einem 16-seitigen Computerausdruck. Der erbrachte nichts Substanzielles über eine Bekannte aus Lübeck, wohl aber aus Sicht des MfS anrüchige Aktivitäten und Kontakte der angefragten Person in der DDR. Der Überprüfte war mehrfach durch vorgeblich »schriftlich-negative Äußerungen« aufgefallen. Das meinte unter anderem eine Karikatur, in der Autofahrer dazu aufgefordert wurden, ihre Kfz vor zu viel Sauerstoff zu schützen. Dem mehrere Seiten umfassenden »Sündenregister« folgte die Aufzählung seiner Bezugspersonen an seinem Heimatort Arnstadt, die teils Anträge auf Übersiedlung in die Bundesrepublik gestellt hatten oder gleich der überprüften Person der Umweltbewegung zugeordnet wurden.151 Den Anlass einer anderen Abfrage bildete ein offenbar anonymer Anruf auf dem Gelände mehrerer Ostberliner Rundfunkanstalten in der Nalepastraße. Das Abfrage-Ergebnis dokumentiert ein ZPDB-Ausdruck zur Sachverhaltsart »mündlich-negative Äußerung«. Darin finden sich unter anderem aufgelistet: eine Androhung physischer Gewalt, eine Hakenkreuzschmiererei, ein obszöner Anruf, 149 MfS: DA 1/80, 1. DB, Anlagen; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 5221, S. 63 ff. 150 MfS/Abt. XII: Anweisung Nr. XII/5/86, 3.6.1986; BStU, MfS, Abt. XII Nr. 2265, Bl. 196–200. 151 MfS: ZPDB, Personeninformation, 14.4.1988; BStU, MfS, HA I Nr. 15322, Bl. 9–25, hier 13.
Die Zentrale Personendatenbank ZPDB
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drei Bombendrohungen gegen das Jugendradio DT64 und eine, die Rundfunkleute als hirnlose »Wiederkäuer, Dilettanten« beschimpfende Eingabe.152 Diese Aufstellung verdeutlicht die Problematik derartiger Datensammlungen. Keiner der aufgezählten Vorfälle wies Gemeinsamkeiten mit den anderen auf. Manche Äußerungen stammten von Mitarbeitern des Rundfunks, andere von Externen, zuweilen fielen die Äußerungen im Suff. Der scheinbare Informationszugewinn führte zu keiner neuen Erkenntnis, ausgenommen vielleicht die, Serienanrufe ausschließen zu können. Die Wirkung der Programmierung der ZPDB, geradezu inflationär Zusammenhänge zu generieren, die sich bei genauer Betrachtung als Scheinzusammenhänge erwiesen, wird besonders bei der Ausgabe von Kontaktdaten deutlich. Die ZPDB warf auch Daten zu Dritten aus, die teils nur diffuse Beziehungen zur Primärperson unterhielten. Durch den EDV-Ausdruck wurde unter Umständen ein großes Personennetzwerk suggeriert, das in dieser Form vielleicht nie existierte. So waren in einem anderen Fall auf einem 15-seitigen Ausdruck elf Personen erfasst, denen vorgeworfen wurde, in einer Stralsunder Kneipe rechtsradikale Parolen und Lieder verbreitet zu haben. Und gleich ein ganzer Angriff auf die »sozialistische Ideologie und Moral« wurde in der nachstehenden Äußerung erkannt: »An jeder Ecke stehen Kommunisten u[nd] Spitzel u[nd] bei kleinster Äußerung ist man weg vom Fenster.« Die Zusammenhänge in diesem Vorfall beruhten immerhin auf einer umfangreichen geheimpolizeilichen und strafrechtlichen Ermittlung.153 Schon anders sah es bei einer Anzahl von Jugendlichen aus, denen durch Computerausdruck ein »Kontakt zu negativen kirchlichen Kräften«, hier zu dem bekannten oppositionellen Pfarrer Heiko Lietz aus Güstrow, angelastet wurde. Das war ein blankes Informationskonstrukt. Manch einem von ihnen war nichts weiter vorzuwerfen als eine gemeinsam verbrachte Ferienzeit, denunziert als sogenannte »Kontaktmethode: gemeinsames Zelten in Ungarn«.154 In der Vorstellungswelt des MfS mochte das bereits einen Anfangsverdacht begründen. Das Beispiel demonstriert jedoch, dass Daten aus einer nahezu grenzenlos geweiteten Kriterien-Palette von Erfassungen zu immer belangloseren Hinweisen führten. Als diesbezüglich beispielgebend mag die gänzlich verwirrend wirkende 30-seitige Auflistung von Kontakten eines Bundesbürgers in die DDR gelten, die als problematische »Rückverbindungen« eingeschätzt wurden. An Indizien war laut Ausdruck bei den erfassten Personen zunächst nichts weiter auffällig als eine Aktivität im Privatverhalten: »Absenden Post nach BRD, empfangen Post aus BRD.«155
152 MfS: ZPDB, Sachverhaltsinformation, 16.8.1986; BStU, MfS, HA XXII Nr. 18444, Bl. 1–9. 153 MfS: ZPDB, Sachverhaltsinformation, 7.9.1989; BStU, MfS, HA I Nr. 15427, Bl. 244–258. 154 MfS: ZPDB, Sachverhaltsinformation, 30.7.1987; BStU, MfS, AOPK Diakon 5446/88, Bl. 201–217. 155 MfS: ZPDB, Personeninformation, 9.5.1987; BStU, MfS, Abt. XII Nr. 1694, Bl. 399–439. Mit Rückverbindungen bezeichnete das MfS insbes. postalische, aber auch persönliche Beziehungen ehemaliger DDR-Bürger in die DDR. Deren Gefährlichkeit lag in den Augen des MfS
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Das MfS geriet mit dem Anwachsen der technischen Möglichkeiten zunehmend in die Gefahr, Scheinrelationen zu konstruieren, die zu wochenlangen Recherchen führen konnten, aber schließlich ergebnislos endeten. Die Zunahme gesammelter Daten führte keineswegs zu einem entsprechenden Zuwachs an Erkenntnissen. Nichtsdestotrotz führte gerade die Beliebigkeit der Datensammlung zu einer neuen Art der Bevölkerungskontrolle. Sie konnte jeden treffen, der im Kontakt zu einer Person stand, die das Interesse des MfS, aus welchem Grund auch immer, geweckt hatte. Auch gänzlich Unbeteiligte konnten so in den Dunstkreis operativer Maßnahmen des MfS geraten. Die Machart der ZPDB brachte es mit sich, dass eine erwiesenermaßen unbescholtene Person mit all ihren Daten im System verblieb. Löschanweisungen, oder gar Datenschutzregeln zugunsten der Bürger existierten nicht. Personeneinträge, wie »unterhält Kontakt zu [einem] Übersiedler in [das] NSA«,156 die in einer dezentralen, handschriftlichen VSH-Kartei einer Kreisdienststelle noch relativ harmlos wirkten, gewannen in der zentralen Datenbank eines Geheimdienstes automatisch ein geheimpolizeiliches Gewicht, das oft in keiner Weise ihrer wirklichen Bedeutung entsprach. Überspitzt ausgedrückt, kam tendenziell die gesamte Bevölkerung unter Verdacht. Was das MfS einmal an Informationen hatte, wollte es ohne Weiteres nicht wieder hergeben. Es könnten sich ja künftig noch immer interessante »operative Ansatzpunkte« ergeben. Jenseits vom Verdacht einer staatsfeindlichen Haltung oder Handlung blieb noch eine andere Perspektive. Schon in der vor-elektronischen Zeit war es keine seltene Praxis, eine einmal überwachte Person, deren Harmlosigkeit sich erwiesen hatte, als IM anzuwerben.157 Eine stichprobenartige Analyse zur ZPDB in der BVfS Rostock verweist auf ein anderes Phänomen. Die berücksichtigten Datensätze enthielten einen hohen Anteil von Westerfassungen und einen erstaunlich hohen Anteil von Erfassungen mit einem Bezug zur MfS-Westarbeit. Die Auszählung einer Stichprobe von 218 Datensätzen aus dem Jahr 1985 ergab, dass 19 Prozent der Datensätze Westberlinern und Westdeutschen zuzuordnen waren. Eine Stichprobe von 220 Datensätzen aus dem Jahr 1987 zeigt, dass 85 Prozent der Erfassungen in unterschiedlichem Maße einen Westbezug aufwiesen. Überwiegend waren Westkontakte in Form von Briefkontakten oder Besuchen vermerkt.158 Anlässlich des Honecker-Besuches in Bonn nahmen die innerdeutschen Reisebewegungen erheblich zu und so haftet diesem Befund auch etwas Absurdes an. Denn das MfS wohl insbes. in der angenommenen Sogwirkung, die in verstärkten Ausreisebegehrlichkeiten münden konnte. 156 MfS: ZPDB, Erfassungsbeleg, ZPDB-Ablage; BStU, MfS, BV Rostock, ZPDB-Beleg Nr. 89046594. 157 MfS: RL Nr. 1/81 über die Operative Personenkontrolle (OPK), in: Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 362–383, hier 376 f. Vgl. weiter Der Fall Hendrik Poller. In: Booß: Schwierigkeiten mit der Wahrheit. 158 Booß: Bestände zur Westarbeit.
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speicherte eine Folge der offiziellen SED-Außen- und Reisepolitik elektronisch als auffällig ab. Im Grunde genommen hätte man die Schlussfolgerung ziehen müssen, dass Westkontakte in der späten DDR um so mehr zur Normalität des Systems gehörten, der sich selbst Mitglieder der SED und der bewaffneten Organe nicht vollkommen entziehen würden. Doch produzierten die Westkontakte im Gegenteil ein wachsendes Unbehagen im MfS und mancher hoffte dort, das Rad noch einmal zurückdrehen und diese Kontakte reduzieren zu können. Über diesen Widersinnigkeiten darf man nicht vergessen, dass die ZPDB die wichtigsten Diensteinheiten in Berlin und die meisten BVfS im Dialogverfahren online über wesentliche gespeicherte Erkenntnisse zu Personen informierte. Aktualisierungen aus dem Herbst 1989 zeigen, wie flexibel die ZPDB genutzt werden konnte. Noch zwei Wochen vor der Maueröffnung wurden spezielle Datenfelder für Personen ausgewiesen, die über Ungarn die DDR verlassen hatten, auf Demonstrationen aufgefallen waren oder durch Unterschriftensammlung eine politische Gruppe unterstützten oder solche gegründet hatten.159 Die ZPDB-Einträge wirken allerdings oft klischeehaft. Aber das war gewollt, um Massendaten analytisch leichter auswerten und bewerten zu können. Darüber hinaus sollte das die massenhaft abgeforderten Schnelleinschätzungen zu Personen unterstützen. Für die vielen Schnelldiagnosen im Rahmen von Karriere- und Reiseentscheidungen boten derartige Angaben dem MfS jahrelang die erforderliche Entscheidungssicherheit. Darüber hinaus dienten die in der ZPDB zweifellos enthaltenen elementaren Fakten als Anhaltspunkte für weitere Recherchen. Das MfS lief mit dem System trotzdem latent Gefahr, in zunehmendem Maße Gefangener seines eigenen operativen Menschenbildes zu werden. Insofern gefährdeten »erfolgreiche« Massendatensammlungen und Massenüberprüfungen und die zu Prüfalgorithmen gewordenen Klischees die Staatssicherheit vielleicht eher, als aufwendig aufgespürte Westkontakte und Reisewünsche von DDR-Normalbürgern.
8.5 Negative Erfahrung mit der SOUD-Datenbank der kommunistischen Bruderorgane Die Skepsis vieler MfS-Verantwortlicher bei der Einführung von operativen Datenbanken rührte nicht zuletzt aus der Erfahrung mit der SOUD-Datenbank. Die Führung des KGB hielt das MfS und die Bruderorgane im Ostblock in den 1970er-Jahren mit diesem Großprojekt in Atem. Der Aufwand war enorm, die Ausbeute zumindest für das MfS wohl eher gering. Aus Moskauer Sicht war die damalige Entspannungspolitik eine subversive Offensive des Westens und ging für alle östlichen Geheimdienste mit Furcht vor ideologischer Aufweichung 159 MfS/ZAIG: Informationsdienst ZPDB, 27.10.1989; BStU, MfS, HA XVIII Nr. 3942, Bl. 48–55.
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(Diversion) und unmittelbaren Feindkontakten über durchlässigere Grenzen einher. Das forderte neue Maßnahmen. Als Reaktion auf die KSZE-Schlussakte von Helsinki 1975 wurde 1977 der auf Initiative des KGB-Chefs Andropow vorgelegte Vertrag über die Datenbank SOUD (Sistema Objedinnjonowo Utschota Dannych o protiwnike – System der vereinigten Erfassung von Daten über den Gegner) von verschiedenen Ostblock-Geheimdiensten unterzeichnet. Ihm lag der Wunsch zugrunde, Einreisen westlicher Agenten abwehren zu können, nach dem Attentat während der Münchener Olympiade von 1972 Terror zu verhindern und überhaupt unerwünschte Einreisen zurückzuhalten. Die zeitlichen Abläufe, das System sollte eigentlich 1979 arbeiten, lassen vermuten, dass die sowjetische Seite vor der Moskauer Olympiade von 1980 ein besonderes Interesse an Daten von befreundeten Diensten hatte. Aber auch die Reiseerleichterungen infolge des KSZE-Prozesses waren ein Motiv. SOUD war jedenfalls stark von Moskauer Interessen geprägt.160 Die DDR kam den Ansinnen nach und verhängte beispielsweise 1980 zahlreiche Einreisesperren von Terror-verdächtigen Personen im Interesse der Absicherung der Moskauer Olympiade.161 Das 1977 beschlossene und seither unter sowjetischer Ägide stehende SOUD begann als eine, nach zunächst zehn Personenkategorien aufgeschlüsselte Datensammlung. Dazu wurden in SOUD Grunddaten, insbesondere zu Mitarbeitern westlicher Nachrichtendienste, zu mutmaßlichen Terroristen, zu sogenannten Staatsverbrechern, zu aus politischen Gründen des Landes verwiesenen Bürgern und zu Personen gespeichert, die angeblich »politisch ideologische Diversion« oder »subversive Tätigkeiten gegen die Staaten der sozialistischen Gemeinschaft«162 betrieben. Diese Personenkategorien waren wesentlich grobschlächtiger als die Kriterien, die bei der ZAIG zur selben Zeit für Rahmenkataloge von Karteien und Datenbanken entwickelt wurden. Besonders die religiöse Gruppierungen betreffenden Kategorien erinnern an Vorgaben der sowjetischen Verbindungsoffiziere gegenüber dem MfS in den 1950er-Jahren. Erkennbar ist eine Orientierung an den Kategorien des sowjetischen Strafrechtes.163 Die Datenbank und die Zentrale für die Datenerfassung und -abfrage befanden sich in Moskau und markierten deutlich die Hierarchie im Ostblock. Die Bruderorgane mussten Auskünfte dort umständlich anfragen, sollten aber das System mit Daten füttern. Auf die kompletten SOUD-Daten hatten nur sowjetische Stellen unmittelbaren Zugriff. Die Datenlieferung absorbierten die Auswerter in den AKG des MfS im Zeitraum der Wende von den 1970er- zu den 1980er-Jahren beträchtlich. Laut Minister-Befehl Nr. 11/79 hatten sämtliche MfS-Bereiche 160 Wegmann; Tantzscher: SOUD, S. 14. 161 MfS/ZAIG: Schreiben an die Diensteinheiten, 10.3.1980; BStU, MfS, BV Erfurt, Leiter Nr. 773, Bl. 196–198. 162 Tantzscher: Hauptabteilung VI, S. 77. 163 Strafgesetzbuch. Ugolownnyi kodex.
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rückwirkend Informationen zu den rubrizierten Personenkreisen aufzubereiten und zu erfassen und daneben kontinuierlich neu gewonnene Informationen für SOUD einzuspeichern.164 Angesichts des damaligen Zustandes der Informationssysteme im MfS war das nur manuell möglich und sehr zeitaufwendig. SOUD war zudem nicht kompatibel mit der zur gleichen Zeit konzipierten ZPDB. So wurden zwei Datensätze zu sich teilweise überlappenden Personengruppen für zwei Datenbanken aufgebaut, ohne dass die Daten unmittelbar transferiert werden konnten. Das war natürlich mit einem erheblichen und ineffizienten Ressourcenverbrauch verbunden. In der ZAIG/Bereich 4 wurde eine eigene Arbeitsgruppe zur Umsetzung des MfS-Anteils an SOUD gegründet. Die in der letzten Ausbaustufe (in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre) drei Referate umfassende Arbeitsgruppe 4 war für den technischen Datenaustausch mit Moskau ebenso zuständig, wie für die Bereitstellung der relevanten Daten durch die dazu verpflichteten MfSDiensteinheiten und Verwaltungen, wie für den Nachweis der in das SOUD abgegebenen Daten. Dazu wuchs das Personal auf 25 Mitarbeiter an. Weil eine Zeit lang geplant war, dieser Gruppe einen eigenen Status zu verleihen, wurde sie intern als ZAIG 5 bezeichnet.165 Daher findet sich die Abkürzung ZAIG 5 auch auf den VSH-Karten der dezentralen Diensteinheiten des MfS. Denn es reichte der MfS-Führung nicht, dass die SOUD-Erfassung in einer Kartei der ZAIG fixiert war. Sie war außerdem in den dezentralen Karteien zu verzeichnen. Auf diese Weise sollte wohl vermieden werden, dass gegenüber dem Partnerdienst als negativ eingestufte Personen unbemerkt in die DDR einreisen konnten. Dieser Aufwand, der dem MfS angesichts seiner nicht nur ideellen Abhängigkeit vom KGB eine innere Verpflichtung war, blieb umstritten. Im Jahr 1988 waren erst 170 000 Datensätze eingegeben. Davon stammten vom MfS der DDR immerhin etwa 44 Prozent, insgesamt 74 884 Erfassungen.166 Die meisten Einträge in SOUD betrafen Personen mit einem mutmaßlich geheimdienstlichen Hintergrund, gefolgt von Personen, die des Terrorismus verdächtig waren oder deren Einreise in den Ostblock unerwünscht war.167 Das waren Angaben, die wohl für die klassische Spionageabwehr der HA II oder die Terrorabwehr der HA XXII interessant waren. Die von den meisten Diensteinheiten des MfS zu bewältigenden Massenverfahren betrafen weit harmlosere Personen. Selbst Personen, die in einen Zusammenhang mit der ideologischen Diversion gerückt waren, fanden sich in SOUD in nur geringer Zahl. Das legt den Schluss nahe, dass sich das Arbeitsprofil des, unmittelbar an einer speziellen Nahtstelle der Systeme tätigen, MfS vom Profil kommunistischer Geheimdienste anderer Staaten unterschied. Während 164 165 166 167
Tantzscher: Hauptabteilung VI, S. 77. Engelmann; Joestel: Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe, S. 12. Jedlitschka; Springer: Gedächtnis der Staatssicherheit, S. 188. Wegmann; Tantzscher: SOUD, S. 31.
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den sowjetischen Interessen mit den SOUD-Kategorien offenbar gedient war, war die DDR-Seite deutlich unzufriedener. Die Trefferquote von MfS-Anfragen bei SOUD lag bei unter einem Prozent. Der Aufwand zur Beschickung und Dokumentation der Datenbank stand für das MfS in keinem Verhältnis zum Nutzen aus den Informationsrückläufen. Der Leiter der ZAIG, Werner Irmler, beklagte denn auch, dass der relativ großen Anzahl von Auskunftsersuchen eine relativ geringe Anzahl von positiven Auskunftsergebnissen gegenüberstehen würde.168 Nicht zuletzt galten einschränkende Nutzungsbedingungen und nicht alle Bruderorgane konnten auf alle Informationen zugreifen. Jedem Datensatz war das Spektrum zulässiger Nutzer der Information beigegeben. Diese Nutzereinschränkung praktizierte auch das MfS, um sich vor einem unkontrollierbaren Datenabfluss zu schützen, wenn es Daten in dieses System einspeiste.169 Es war wohl vor allem die geringe Ausbeute aus der SOUD-Datenbank, die Vorurteile beim MfS-Leitungspersonal gegen den Einsatz der EDV für operative Aufgaben bestärkte. Hier paarten sich mentale Vorbehalte mit der durchaus realistischen Wahrnehmung, dass die Einführung der elektronischen Datenverarbeitung im MfS keineswegs problemlos verlief und nicht zwangsläufig zu Fortschritten bei der Kontrolle der eigenen Bevölkerung und schon gar nicht zu schnellen Erfolgen führen musste.
168 Ebenda, S. 59. 169 MfS/ZAIG/Bereich 4/AG ZAIG/5: Schreiben an die Leiter der Abt. XII, 7.12.1984; BStU, MfS, HA XX Nr. 5066, Bl. 99.
9. Datenzusammenführung in elektronischen Rechnern und externe Datenbankzugriffe
Die schleppende Einführung der computergestützten Auswertung im MfS hatte nicht nur mit Vorbehalten gegenüber der EDV, sondern auch mit der Ressourcenverteilung im MfS zu tun. Selbst diese Institution mit nahezu immer wachsenden Geheimetats stieß an ihre Grenzen. EDV-Technik war zudem im RGW nur begrenzt verfügbar. Der Kauf aus dem Ausland war durch Devisenknappheit und westliche Exportverbote beschränkt. Diese Begrenzungen wurden wettgemacht, indem sich das MfS in den 1980er-Jahren immer stärker an Datenquellen aus anderen Institutionen bediente. Das war zwar schon immer der Fall. Aber das steigende Volumen automatisierter Datenbestände in anderen Institutionen, die durch staatliche Planungen, auch durch Einwirkung des MfS, vereinheitlicht und passfähig gemacht wurden, erleichterten den Zugang zu Massendaten. Ferner erlaubte die Weiterentwicklung der zunächst als Insellösungen geplanten großen elektronischen Datensammlungen im MfS potenziell eine stärkere Datenintegration. Diese Verflechtung wird vor allem bei den Reisedaten deutlich. Hinweise auf Einreisen aus den Speichern des MdI konnten auf dem Weg des Abgleiches mit Operativdaten in der SAVO, quasi über Nacht, zu Hinweisen an operative Diensteinheiten führen, sich vor Ort um Besucher und Besuchte zu kümmern. Neben den großen Datenbanken ermöglichten die Weiterentwicklung der Bürocomputer und die wachsende Bereitstellung von Personalcomputern auch kleinere, dezentrale Datenbanken. Wegen der Zerstörung der elektronischen Datenträger im Zuge der Auflösung im Jahr 1990 ist die Rekonstruktion der EDV-gestützten Arbeit des MfS bis heute nicht möglich. Aber Dokumente aus der Auflösungszeit und andere Belege zeigen, dass dieser Prozess weiter fortgeschritten war, als Karteikarten und Aktenhinterlassenschaft auf den ersten Blick vermuten lassen. Insbesondere Diensteinheiten, die ohnehin mit Technik arbeiteten, wie beispielsweise Abhöreinheiten, waren hier weit entwickelt. Bevor jedoch gerade die größeren Datenbankprojekte des MfS den automatisierten Datenfluss befördern konnten, konkurrierten sie zunächst um die Verteilung der hausinternen Ressourcen.
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Datenzusammenführung in Rechnern und externe Datenbankzugriffe
9.1 Zentrale Großrechenanlagen im MfS Die Prioritäten der EDV-Planung und EDV-Nutzung im MfS lassen sich an der Verteilung beziehungsweise Nutzung der raren Großrechenanlagen nachvollziehen, mit denen große Datenmassen komplex verarbeitet werden konnten. Der Ostblock hinkte bei Entwicklung und Produktion von solchen Rechnern und den zugehörigen Betriebssystemen dem Westen deutlich hinterher. Den Anschluss an die damals von den USA mit IBM beherrschte internationale Entwicklung herzustellen, wurde zunächst primär durch Technologietransfer beziehungsweise Technologiespionage unternommen.1 Ab 1968 konzentrierten sich mehrere RGW-Staaten auf Initiative der Sowjetunion dann darauf, IBM-Rechner unter der Bezeichnung Einheitliches System Elektronischer Rechentechnik (ESER) nachzubauen.2 Die Herstellung solcher IBM-Klone war nur durch erhebliche Wirtschaftsspionageaktivitäten möglich und betraf insbesondere IBM aber auch Siemens. Die unterschiedlichen Komponenten, wie Rechner, Speicher, Datensichtgeräte, Drucker wurden in verschiedenen Mitgliedsstaaten des Ostblocks hergestellt, was die Abhängigkeit untereinander erhöhte, einen immensen Abstimmungsaufwand bedeutete und den Prozess der EDV-Einführung insgesamt eher verlangsamte.3 Allein in der DDR waren 70 verschiedene Betriebsteile und Fabriken an dem Projekt beteiligt.4 Vor allem die diversen Betriebsteile des Kombinats Robotron waren mit der Nachentwicklung oder Adaption von IBM-Hard- und Software befasst. Trotz der geltenden generellen Orientierung auf ESER-Technik im RGW, griff gerade das MfS zur Beschleunigung seiner eigenen EDV-Projekte immer wieder auf Originalhardware aus dem Westen zurück. Um in den Besitz dieser Geräte zu gelangen, musste die Staatssicherheit westliche Embargobestimmungen umgehen und konnte diese Technik nur mithilfe der Auslandsspionage (HV A) beschaffen. Damit verhalf sich das MfS offenbar zu Entwicklungsvorsprüngen gegenüber seinen Bruderorganen und auch gegenüber anderen staatlichen Organen der DDR. Ein Beispiel dafür stellte die Beschaffung eines Großrechners von Siemens im Jahr 1969 dar. Die Siemens-Anlage orientierte sich am IBM-Standard.5 Nachdem die weitere »Vervollkommnung des einheitlichen Systems der politisch-operativen Auswertungs- und Informationstätigkeit«6 beschlossen war, wurden Beschaffung und Einsatz einer das damalige Weltniveau bestimmenden Anlage notwendig. Deswegen wurde entschieden, diese Anlage 1 Macrakis: Die Stasi-Geheimnisse, S. 160 ff. 2 Konopatzky: Dokumentation BStU, S. 8. 3 Macrakis: Die Stasi-Geheimnisse, S. 166 ff. 4 Ebenda. 5 Jedlitschka; Springer: Gedächtnis der Staatssicherheit, S. 82; Müller-Enbergs: Hauptverwaltung A, S. 5. 6 MfS: Einleitung o. D. (vermutl. 1980er-Jahre); BStU, MfS, Abt. XIII Nr. 2544, Bl. 65–81, hier 65.
Zentrale Großrechenanlagen im MfS
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vom Siemens-Konzern aus der Bundesrepublik zu importieren. »Bedingt durch den Einfluss der Machthaber in den USA und ihrer Embargopolitik war der Import der EDVA an eine bestimmte Größenkonfiguration gebunden sowie an die Verpflichtung, diese Anlage nicht für militärische und politische Zwecke zu nutzen.«7 Die Anlage musste daher legendiert erworben und getarnt als wissenschaftlich-technisches Dokumentationszentrum in der Berliner Wuhlheide betrieben werden. Das erhöhte den Aufwand nicht nur in der Phase des Erwerbs, sondern auch während des laufenden Betriebes. Die Abschirmung des Rechenzentrums erwies sich als schwierig, da auch DDR-Firmen Komponenten liefern und nicht erfahren sollten, dass sie mit dem MfS zusammenarbeiteten. Zudem blieben anhaltende Berührungspunkte mit dem sogenannten Klassenfeind bestehen, da es über Jahre hinweg erforderlich war, »direkte Kontakte der Diensteinheit des MfS und ihrer Mitarbeiter zum Siemens-Konzern bzw. Vertretern dieses Konzerns«8 zu unterhalten. Um den Großrechner des Konzerns zum Laufen zu bringen, mussten sich zudem MfS-Mitarbeiter bei Siemens mit entsprechender Legende getarnt ausbilden lassen. Dass dem bundesrepublikanischen Konzern und den dortigen Diensten deren Herkunft vollkommen verborgen blieb, ist unwahrscheinlich. Wegen der Entwicklungsverzögerungen im RGW begann das MfS erst in den 1980er-Jahren, die Beschaffung von Siemens-Technik konsequent durch die ESER-Technik abzulösen.9 Neben dem Rechenzentrum der Abteilung XIII in der Wuhlheide entstanden weitere Ableger. Zu nennen wäre vor allem das Rechenzentrum der Hauptverwaltung A in der Freienwalder Straße in BerlinHohenschönhausen. Die HV A hatte aus Gründen der besonderen Geheimhaltung ihrer Daten auf die Bereitstellung einer separaten Anlage gedrängt. Zudem war sie mit der EDV-Strategie der ZAIG beziehungsweise der Abteilung XIII nicht zufrieden. Die HV A entwickelte ihre Teildatenbanken auf Basis des GOLEMDatenbanksystems von Siemens, was der ZAIG für ihre Zwecke nicht ausreichend erschien. Die ZAIG entwickelte für ihr Zentrales Erfassungs-, Informationsverarbeitungs- und Auskunftssystem-Projekt (ZEVAS) vielmehr ein eigenes »Informationssystem für Personendatenbanken« (ISPER). Vermutlich rührten die Differenzen mit der ZAIG auch daher, dass die HV A schnell mit der EDV arbeiten wollte. Die HV A hatte schon Ende 1972 ihre Informationen unter dem Einsatz von 25 000 Sichtlochkarteikarten systematisiert, und jährlich kamen 7 000 bis 10 000 weitere Datensätze hinzu. Das führte zu einer Datenmenge, die kaum mehr manuell vermittels Karteikarten zu bewältigen war. Deswegen hielt die HV A schon 1973 rund 35 000 Datensätze auf Lochstreifen vor. Weitere
7 Ebenda. 8 Ebenda. 9 Konopatzky: Dokumentation BStU, S. 16.
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Datenzusammenführung in Rechnern und externe Datenbankzugriffe
Teildatenbanken wurden in den 1970er-Jahren eingerichtet.10 Während die HV A also ihre Datenbanklösungen energisch und offenbar erfolgreich vorantrieb, schleppten sich die Arbeiten für die zentrale Personendatenbank in der ZAIG jahrelang dahin. 9.1.1 Verteilung von Großrechenanlagen über das MfS Auch wenn Entwicklung und Einsatz der elektronischen Datenverarbeitungstechnik im MfS bisher nur ansatzweise aufgearbeitet sind, lässt sich die Verteilung der Computer aus Aufstellungen rekonstruieren, die in der Phase der Auflösung des MfS im Gefolge der friedlichen Revolution 1989/90 entstanden sind. Die Aufstellungen sind zeitbedingt nicht ganz widerspruchsfrei.11 Auch änderte sich die Definition dessen, was als Großrechner anzusehen sei, wegen der technologischen Entwicklung laufend. Dennoch kann man davon ausgehen, dass vom MfS 1989 in Ostberlin 12 bis 15 Großrechenanlagen betrieben wurden. Außerdem gab es sechs VAX-Anlagen, die kleiner aber technologisch weiter entwickelt waren als die alten Großrechner.12 Je nach Quelle nur ein Großrechner, nach anderen Angaben fünf derartige Aggregate, standen der ZAIG zur Verfügung. Dazu zählte der Rechner für die Personendatenbank ZPDB, der über etwa 15 Datenerfassungsplätze verfügte. Die zahlenmäßigen Unterschiede mögen ein Resultat dessen sein, dass üblicherweise mehrere Großrechner zu einem Rechenzentrum zusammengeschlossen wurden, um deren Kapazitäten zu erhöhen und mehrere Datenteilbestände parallel abarbeiten zu können. Vermutlich sieben Großrechenanlagen standen in dem getarnten Rechenzentrum der Abteilung XIII, die der ZAIG unterstellt war.13 10 Konopatzky: Dokumentation BStU, S. 14 ff.; Bergien: Big Data, S. 266. 11 Offenbar wurden in einigen Fällen abgeschriebene Computer aufgelistet, in anderen Fällen tauchen diese in den Listen nicht auf. Auch wurden Rechner an andere DE ausgeliehen und dann wieder zurückgeführt. Manche Rechner wurden auch gekoppelt und dann als eine Einheit geführt. Die Definitionsgröße für Großrechner in Rechenzentren variierte zudem. Erfüllten zunächst nur raumfüllende Anlagen das Kriterium, galten später auch Rechner in Schrankgröße (ab 0,5 t Mindestgewicht) als Großrechner. 12 Es handelte sich dabei um Robotron-Großrechner der Typen R4000, R4201, EC8404 (ident. m. R4201), K1840 sowie entsprechende ESER-Großrechner, die 1990 von Experten des Af NS als moralisch verschlissen eingestuft wurden. Das betraf ESER-II-Geräte wie EC1055, EC1056, EC1057. Nicht anders wurde der VAX750 beurteilt. Staatliches Komitee zur Auflösung des AfNS (vermutl.), Bereich Akten/Schriftgut/Informatik: Informatik, o. D. (vermutl. Juli 1990); RHG, Bestand Gill, BK, Bd. 16, Anlage 2, Blatt 1; Af NS/Abt. XII/5: Bestandsnachweis EDVGeräte nach Standort, 22.1.1990; RHG, Bestand Gill, BK, Bd. 16; Nachweis Maschinenlesbare Daten des MfS; BStU, AR, internes Findmittel. Mit Rechercheunterstützung von Nils Theinert. Zu den Rechnern vgl. auch www.robotrontechnik.de (letzter Zugriff: 4.6.2020). 13 Konopatzky geht von insgesamt vier Rechenzentren des MfS in Berlin aus. Engelmann; Halbrock; Joestel: Vernichtung von Stasi-Akten, S. 68.
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Hier wurden auch Dienstleistungen für andere Abteilungen erbracht. So ließ die Abteilung Finanzen hier beispielsweise die Gehälter und Renten der MfSMitarbeiter sowie die Konten der MfS-eigenen Sparkasse verwalten. Von der Abteilung XIII wurden auch Datenüberspielungen auf Datenträger oder OnlineÜbertragungen organisiert. Zum Zeitpunkt der Auflösung der Staatssicherheit 1989/90 verfügte die Großanlage in der Wuhlheide über Standleitungen nach Leipzig (Messedatenbank), vier nach Berlin-Hohenschönhausen, drei in die MfSZentrale nach Berlin-Lichtenberg, eine nach Berlin-Mitte zum Bereich Pass- und Meldewesen des Polizeipräsidiums, zwei nach Berlin-Treptow zur Fahndungs- und Reisedatenbank der HA VI und vier weitere zu Grenzübergangsstellen, die sich möglicherweise erst im Pilotverfahren befanden.14 Ein weiterer Großrechner stand für die Reisedatenbanken in der HA VI zur Verfügung. Auch dieser verfügte offenbar über Onlineverbindungen zu einzelnen Grenzübergangsstellen, darunter auch dem Bahnhof Berlin-Friedrichstraße. Auch dieses Leitungsnetz ist ein Indiz dafür, dass die Datenintegration im MfS voranschritt. Ein Rechner stand dem Chiffrierdienst im MfS (Abt. XI) zur Verfügung. Die Datenfernübertragung (DFÜ) in die Bezirksverwaltungen und in andere Dienst einheiten sollte beispielsweise verschlüsselt durchgeführt werden. Die Archiv abteilung XII wickelte deswegen ihre automatisierten Überprüfungsanfragen zwischen der elektronischen Fassung der Zentralkartei und den Diensteinheiten beziehungsweise den Bezirksverwaltungen über die Abteilung XI ab.15 Etwas rätselhaft, jedenfalls nicht selbst erklärend, ist bislang die Existenz von zwei Großrechnern beim Wachregiment Feliks Dzierzynski und einer weiteren Anlage beim Fußballclub FC Dynamo. 9.1.2 Großrechner und EDV in der HA III Bislang wenig bekannt sind Existenz und Funktion von zwei Großrechnern in der Abteilung 26 sowie drei weiteren Großrechnern in der HA III. Letztere verfügte zusätzlich noch über vier der moderneren VAX-Rechner. Sowohl die Abteilung 26 als auch die HA III waren als interne Dienstleister des MfS für Abhörmaßnahmen und Telefonüberwachungen in der DDR und die Telefon-, Telefax- und Funküberwachung im Westen zuständig. Die Aufgaben der HA III lagen wesentlicher jedoch im sogenannten funkelektronischen Kampf, in Funkaufklärung und Funkabwehr.16 Hier besteht weiterer Forschungsbedarf, denn die damalige Kapazität der Großrechenanlagen spricht dafür, dass das MfS in 14 Rechenzentrum Wuhlheide, 21.12.1989; RHG, Bestand Gill, BK, Bd. 6. 15 MfS/Abt. XII: Anweisung Nr. XII/4/86, 29.1.1986; BStU, MfS, Abt. XII Nr. 2265, Bl. 147–153. 16 Wiedmann: Die Diensteinheiten des MfS, S. 104 ff., 264 ff.
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erheblichem Maße über Metadaten von Abhörmaßnahmen, Telefonaten und Funksprüchen in und außerhalb der DDR hinaus, spezifische Daten gespeichert und ausgewertet hat. Eine relevante Einsatzrichtung der Großtechnik könnte beispielsweise die satellitengestützte Kommunikation westlicher Geheimdienste und Militärs dargestellt haben. Die nachfolgende Darstellung konzentriert sich auf die Aktivitäten der HA III zur Informationsgewinnung aus Abhörmaßnahmen in Telefon-, Datenübertragungs- und Mobilfunknetzen. Dieser Teil der Aktivitäten der HA III dominiert die Überlieferungen und zog seit 1990 ein besonderes Interesse der Allgemeinheit auf sich. Darüber hinaus scheint er auch von der HA III benutzt worden zu sein, um Auseinandersetzungen um Interessenlagen und Ressourcenflüsse im MfS im Sinne der HA III zu beeinflussen und den Stellenwert der HA III zu festigen. Die Informationen, die die HA III aus Abhörmaßnahmen gewann, wurden als Ausgangsmaterialien bezeichnet.17 Das waren Rohinformationen, die in der HA III aufbereitet und dann gezielt an zuständige MfS-Diensteinheiten verteilt wurden, um in den operativen Diensteinheiten für deren jeweilige Interessen genutzt werden zu können. Um das Jahr 1988 konnten etwa 100 000 solcher Ausgangsmaterialien zu damals anhängigen Personen-, Objekt- und Sachverhaltsüberprüfungen sowie Fahndungen herausdestilliert werden.18 Auch ein Anzapfen von diversen westlichen Datenfernleitungen gelang in gewissen Grenzen. Täglich konnten bis zu 1 500 personenbezogene Informationen auf diese Weise realisiert werden.19 Die Ausgangsmaterialien waren mit einem Buchstaben-Ziffern-Code versehen. Dieser gab Auskunft zur Art der Quelle und differenzierte danach, ob diese eine spezielle technische Quelle, ein Telefon, eine menschliche oder sonstige Quelle war, welche Dienstelle sie erhoben hatte und enthielt das Entstehungsjahr.20 Die Berichte waren teilweise schon auf Computer-Nadeldruckern ausgedruckt, ein Indiz dafür, dass die HA III ihre Informationen schon mit Komponenten der elektronischen Datenverarbeitung bearbeitete.21 Mithilfe des Codes konnte jede einzelne Information identifiziert und wiedergefunden werden. Zunächst wurden die Informationen, ähnlich wie in den ZMA anderer MfS-Diensteinheiten, in Papierform oder als Magnetkonserve vorgehalten. Verschriftete Originalmaterialien waren dort zehn Jahre lang aufzuheben, Magnetkonserven zu wichtigen Informationen für einen 17 MfS/HA III: Festlegungen für die EDV-mäßige Erfassung von Ausgangsmaterialien und Informationen in den Diensteinheiten der Linie III, 11.1.1989; BStU, MfS, HA III Nr. 617, Bl. 80–97, hier 81. 18 Schmidt: Hauptabteilung III, S. 127 ff. 19 MfS/HA III: Einzelstrategie Labyrinth, 9.11.1989; BStU, MfS, HA III Nr. 698, Bl. 22–24, hier 22. 20 Schmidt: Hauptabteilung III, S. 102 ff.; MfS/HA III: Festlegungen für die EDV-mäßige Erfassung von Ausgangsmaterialien und Informationen in den Diensteinheiten der Linie III, 11.1.1989; BStU, MfS, HA III Nr. 617, Bl. 80–97, hier 81. 21 MfS: Information, 8.9.1988; BStU, MfS, HA II Nr. 47618, Bl. 23 f.
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Monat.22 Offenbar ging man später dazu über, Inhaltszusammenfassungen elek tronisch festzuhalten. Das wurde durch einen frühzeitigen Einsatz von dezentraler Rechentechnik in der HA III begünstigt. Mit Personal- und Bürocomputern wurden insbesondere in den 1980er-Jahren »Erstellung, Korrektur, Vervielfältigung und Erfassung von operativ bedeutsamen Informationen« beschleunigt.23 Für dieses Ziel galt in der HA III das Prinzip der »Einmaligkeit der Aufbereitung und EDVmäßigen Erfassung/schreibtechnischen Umsetzung«.24 Mit anderen Worten sollten die aufgefangenen Informationen entweder mithilfe von Computern gespeichert oder gleich so verschriftlicht werden, dass sie ohne großen Zusatzaufwand weiterverarbeitet oder weitergeleitet werden konnten. Etwas verklausuliert war von »effektiven Schreibsystemen zur wirksamen Unterstützung bei der Erstellung der Ausgangsmaterialien/Informationen«25 die Rede. Das mag aus heutiger Sicht banal wirken, war aber im Vergleich zu den IM-führenden Diensteinheiten, die ihre IM-Berichte, Treffberichte, Auswertungsinformationen bis zum Ende des MfS per Hand schrieben oder auf Tonbändern aufzeichneten, von Sekretärinnen zuweilen in mehreren Fassungen abschreiben ließen, ausschnitten und als Zusammenfassungen zusammenklebten, wesentlich effizienter. Einmal digitalisiert ließen sich Texte speichern, nach Schlüsselwörtern durchsuchen, kürzen oder komprimieren. Sofern eine Eilbedürftigkeit nicht eine fernmündliche oder Telex-Übermittlung erforderte, konnten in späten Jahren die Informationen per Diskette an die Zentrale geleitet und dort verarbeitet werden. In einer weiteren Entwicklungsstufe waren Übertragungen mittels verschlüsselter DFÜ geplant.26 Zumindest in den Planungen der HA III bis 1990 war vorgesehen, mittels eines zentralen Speichers die Texte automatisch beziehungsweise halbautomatisch mit Deskriptoren zu markieren. Damit sollte ein »sachverhaltsbezogener bzw. universeller Zugriff zu dem in der Hauptabteilung erstellten Informationsfonds« ermöglicht werden.27 In den gesichteten offiziellen MfS-Anweisungen war nicht vermerkt, was offenbar gängige Praxis in der HA III war. Die von der HA III an andere Diensteinheiten weitergegebenen Informationen gingen nach Aussagen eines ehemaligen, hochrangigen HA-III-Mitarbeiters auch an die »Freunde«, also den KGB.28 Die HA III war in ihren verschiedenen Funktionen in das sowjetisch dominierte Ver22 MfS/HA III: Rahmenordnung der Linie III zur DA 1/80, 25.2.1986; BStU, MfS, HA III Nr. 732, Bl. 1–24, hier 8 f. 23 MfS/Sekr. Schwanitz/AG beim stellv. Minister Schwanitz: Bericht, 23.4.1987; BStU, MfS, Sekr. Schwanitz Nr. 348, Bl. 6–143, hier 68. 24 MfS/HA III: Feinprojekt für den schwerpunktorientierten Einsatz und die Nutzung dezentraler Rechentechnik in den Informationen gewinnenden Diensteinheiten der Linie III, 3.10.1988; BStU, MfS, HA III Nr. 5343, Bl. 62–97, hier 68. 25 Ebenda. 26 Ebenda, Bl. 73. 27 MfS/HA III: Grundkonzeption der EDV-Anwendung in der HA III in den Jahren 1985–1990, 27.2.1984; BStU, MfS, HA III Nr. 514, Bl. 8–69, hier 19. 28 Thomas Tumovec im Gespräch mit dem Autor am 20.7.2017.
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teidigungsbündnis Warschauer Pakt und in den ebenso organisierten Apparat der Koordination der Funkaufklärungsdienste des Ostblocks fest integriert. Die mit dieser Einbindung im Zusammenhang stehenden Zielvorgaben und technischen Ausstattungen flossen bei der Auflösung der HA III umfassend an sowjetische Dienststellen auf ostdeutschem Gebiet zurück. Mittels der verschiedenen stationären Abhöreinrichtungen aber auch der mobilen Anlagen gewann die HA III zahlreiche Ausgangsmaterialien. Diese wurden von der Auswertungsabteilung III/1 mit knapp 90 Mitarbeitern erschlossen. Die tägliche Aufgabe lautete, »wie mache ich aus 30 000 Informationen 100 und wer braucht sie«, erinnert sich der ehemalige Leiter der Abteilung Thomas Tumovec. Die Abteilung arbeitete als Dienstleister für andere Diensteinheiten, die ihren Informationsbedarf beispielsweise durch üblicherweise zeitlich befristete »Zielkontrollaufträge« für bestimmte Telefonanschlüsse angemeldet hatten. Die von der HA III dann weitergeleiteten Informationen wurden zunächst in einem Auswertungsnetzwerk erstellt und auf einem Großrechner abgespeichert.29 Aus den erhobenen Daten stellte die HA III im Rahmen ihrer sogenannten DossierArbeit Berichte zusammen. Angeblich fertigte sie Ende der 1980er-Jahre jährlich rund 15 000 Einzelinformationen, Analysen und Berichte.30 Ein thematisches Dossier der HA III behandelte beispielsweise Ausreiseanträge und illegale Versuche, die DDR zu verlassen, und demonstriert die Verdichtung derartiger Informationen. Verschiedene Telefonate aus dem Ministerium für innerdeutsche Angelegenheiten, dem Büro des SPD-Fraktionsvorsitzenden HansJochen Vogel, dem DDR-Anwalt Wolfgang Vogel, Anwälten im Westen, die alle mit Ausreisefragen zu tun hatten, und Privatpersonen waren kompiliert. Wenn beispielsweise ein prominenter Besucher aus dem Westen Erich Honecker Listen mit humanitären Anliegen übergeben wollte, konnte das MfS in bestimmtem Umfang aufgrund seiner Abhörmaßnahmen und deren Auswertung schon Bescheid wissen und gegebenenfalls vorab sogar einzelne Namen überprüfen, die sich auf den Vorschlagslisten befanden.31 Vorausgesetzt diese Informationen wurden weitergereicht und gelesen, waren damit wenigstens diplomatische Vorteile verbunden. Es waren vor allem drei Gründe, warum die HA III Informationen an operative MfS-Diensteinheiten weitergab: die territoriale, objektbezogene oder thematische Zuständigkeit einer Diensteinheit, die Erfassung einer Person in der zentralen Personenkartei (F 16) für eine Diensteinheit,32 das Vorliegen eines Zielkon trollauftrages seitens einer MfS-Diensteinheit.33 Diese Auflistung belegt den 29 Thomas Tumovec im Gespräch mit dem Autor am 20.7.2017. 30 Schmidt: Hauptabteilung III, S. 127 f. 31 MfS: Hinweise zur Übergabe eine Liste, 12.5.1989; BStU, MfS, HA III Nr. 581, Bl. 89–93. 32 MfS/HA III: 2. DB zur Rahmenordnung der Linie III zur DA 1/80, 25.2.1986; BStU, MfS, HA III Nr. 732, Bl. 25–32, hier 28. 33 Die Zielkontrolle wurde grundsätzlich durch die 1. DB zur DA 1/80 v. 25.2.1986 geregelt (Zielkontroll-Ordnung); BStU, MfS, HA III Nr. 522, Bl. 25–41. Eine Modifizierung leistete die
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potenziellen Einfluss der Datenverarbeitung auf die Arbeitsprozesse im MfS. War in früheren Jahren ein derartiger Informationsaustausch wegen der langen Anfragezeiten in der Zentralkartei problematisch, war nun daran gedacht, den Informationsfluss durch einen teilweise automatisierten Datenaustausch zu sichern. Allerdings wurde jede abgehende Information vom Leiter der Abteilung III/1 vorab überprüft. Informationen, die zu deutliche Rückschlüsse auf die Abhörfähigkeiten der HA III zuließen, wurden eher zurückgehalten.34 In einer weiteren Ausbaustufe war angedacht, die aus Abhörmaßnahmen gewonnenen Datenströme im Wege einer »online Selektion«35 auszuwerten. Der Informationsfluss, der den kybernetisch orientierten Analytik-Experten seit den 1960er-Jahren so großes Kopfzerbrechen bereitet hatte, wäre damit teilautomatisiert worden. Aus den zugriffsfähigen Telefonaten und anderen elektronischen Informationen sollten nach einer im Zentralrechner der HA III abgespeicherten Prioritätenliste die interessierenden Inhalte herausgefiltert werden. Ob die aufzeichnenden Tonbandgeräte 1989 bereits, wie geplant, von einem zentralen Großrechner gesteuert wurden, konnte am gesichteten Material nicht ausgemacht werden.36 Ende der 1980er-Jahre ging man in der HA III daran, Merkmale entsprechend der Vorgaben des Rahmenkataloges aus der DA 1/80 zu entwickeln, mit deren Hilfe die Informationen hätten indexiert werden können. In einem ersten Schritt sollte die VSH-Kartei der HA III nach Personen und Sachverhalten differenziert werden, um die »zentrale Erfassung und Speicherung politisch-operativ bedeutsamer Informationen, vor allem zu bekannt gewordenen Personen und Objekten« zu sichern.37 Schließlich verfeinerte die HA III die Kriterien des Rahmenkataloges in einem eigenen Thesaurus, der auf 21 Seiten Klassifikationspunkte für Informationen auflistete.38 Offiziell war das die Umsetzung der Anforderungen nach der DA 1/80. Intern wurde der Thesaurus als Arbeitsmittel gesehen, zukünftig abgefangene digitale Massendaten durchsuchen zu können.39 Die in den technischen Anlagen der HA III auflaufenden Informationen sollten in der Zukunft nach bestimmten Merkmalen und Stichworten elektronisch verschlagwortet (indexiert) werden.
1. DB zur Ordnung 5/87 (Informations-Ordnung der Linie III); BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 8751. 34 Thomas Tumovec im Gespräch mit dem Autor am 20.7.2017. 35 MfS/HA III: Feinprojekt für den schwerpunktorientierten Einsatz und die Nutzung dezentraler Rechentechnik in den informationsgewinnenden DE der Linie III, 3.10.1988; BStU, MfS, HA III Nr. 5343, Bl. 62–97, hier 67. 36 MfS/Abt. III: Konzeption zu Einsatzvorbereitung der EDV, 20.2.1974; BStU, MfS, HA III Nr. 1544, Bl. 203–215, hier 206 f., 213 ff. 37 MfS/HA III: Rahmenordnung der Linie III zur DA 1/80, 25.2.1986; BStU, MfS, HA III Nr. 732, Bl. 1–24, hier 3. 38 MfS/HA III: Rahmenthesaurus für einheitliche EDV- und karteimäßige Nachweise und Speicherführung von Sachverhaltsangaben aus Ausgangsmaterialien und Informationen in den Diensteinheiten der Linie III, 6.6.1988; BStU, MfS, HA III Nr. 617, Bl. 1–79. 39 Thomas Tumovec im Gespräch mit dem Autor am 20.7.2017.
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Auf diese Weise hätte man sie nach Sachverhaltsmerkmalen, Hinweisen, Personen oder Personenmerkmalen durchforsten und auch zusammenstellen können. Im Fokus der HA III stand nicht zuletzt ein umfangreicher Kreis von Personen aus der Bundesrepublik und aus Westberlin: führende Vertreter von Parteien, Bundes- und Landesminister, Bundestags- und Landtagsabgeordnete, Vorstände und Redakteure der Presse und Medienanstalten, im Umfeld von Politikern und Geheimdienstmitarbeitern agierende Sekretärinnen, Schreibkräfte, Kraftfahrer, persönliche Referenten, Haushaltshilfen, Freundinnen, Freunde oder Servicepersonen, Offiziere der Bundeswehr und der US-Armee, Aktivisten der Friedensbewegung, Mitarbeiter von Radio Free Europe, Radio Liberty, der Deutschen Welle oder des RIAS, Sympathisanten der »Solidarność«-Bewegung in Polen oder Mitarbeiter von Detekteien.40 Welches Interesse an diesen Personen bestand, deuten Merkmale im Thesaurus von 1988 an. Auch Erpressungspotenzial zu Personen im Westen sollte registriert und an andere Diensteinheiten weitergereicht werden. Die Mitarbeiter von der Spionageabwehr konnten auf diese Weise Anknüpfungspunkte für mögliche Werbungen finden oder sie erhielten Hinweise auf möglicherweise erpressbare Informanten.41 Als »echte operative Anhaltspunkte« in dieser Hinsicht galten beispielsweise »außereheliche Liebesund Intimverhältnisse verheirateter Personen«. Markanten Begleitumständen wie finanziellen Abhängigkeiten oder sexuellen Praktiken wurde ein besonderes Augenmerk geschenkt. Alkoholmissbrauch und Drogensucht, Geltungsbedürfnis und Schwatzhaftigkeit, ausgeprägte Leidenschaften und die Unzufriedenheit mit der Arbeit bildeten weitere Punkte des Interesses.42 Solche potenziell kompromittierenden Merkmale waren Bestandteil des Thesaurus der HA III und integraler Teil des Informationsbedarfs des MfS. Derartige Informationen wurden offenbar auch an den KGB weitergegeben. Unter Punkt 10 »Informationen zur Diplomatie« sah der HA-III-Thesaurus vor, festzuhalten, ob konkrete Diplomaten Wissenswertes zu krisengefährdeten Gebieten der Welt beisteuerten. Unterpunkte zielten auf Zuordnungen von Informationen zu kriminellen Handlungen, Schmuggel, Schleusungen, Zusammenarbeit mit Geheimdiensten und Ähnliches. Auch bei Emigranten, also ExilOppositionellen, interessierten Informationen über Schmuggel, mutmaßlich begangene Straftaten und der Missbrauch bevorrechteter Personen (Diplomaten und Journalisten) offenbar mehr als ihre Kontakte in die »Sowjetunion und andere sozialistische Staaten«.43 Dass bei Exilanten die Sowjetunion noch vor der DDR 40 Schmidt: Hauptabteilung III, S. 127 ff. 41 Ebenda, S. 103 ff. 42 Ebenda. 43 MfS/HA III: Rahmenthesaurus für einheitliche EDV- und karteimäßige Nachweise und Speicherführung von Sachverhaltsangaben aus Ausgangsmaterialien und Informationen in den Diensteinheiten der Linie III, 6.6.1988; BStU, MfS, HA III Nr. 617, Bl. 1–79, hier 14 f. Der Missbrauch bevorrechteter Personen ist eine MfS-Begrifflichkeit beispielsweise für Hilfestel-
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genannt wurde, ist ein Indiz dafür, wie sehr sich die Funkaufklärung des MfS als Dienstleister für die »Freunde« begriff. Es ist beim derzeitigen Forschungsstand nicht vollständig nachvollziehbar ob, seit wann und in welchem Umfang die HA III in der Lage war, elektronisch komplexe thematische Auswertungen zu erarbeiten, wie mächtig ihre Datenbank war und wie viele Daten sie enthielt. Allein im Jahr 1980 sollen Daten zu 200 000 Personen, 30 000 Kraftfahrzeugen und 1 000 Objekten in die neue Westdatenbank der HA III übertragen worden sein.44 Damit waren aus Abhörmaßnahmen oder anderen Quellen im Prinzip nicht nur Einzelinformationen zu gewinnen, sondern potenziell auch ein Zusammenstellen elektronischer Profile zu Personen oder von Informationssammlungen zu Sachverhalten möglich. Die EDV-gestützte elektronische Spionage in der HA III dürfte 1989 eines der am weitesten entwickelten Informationsverarbeitungssysteme im MfS gewesen sein. Die Speichernutzungsordnung von 1989 legt nahe, dass die HA III aggregierte Ausdrucke zu Objekten und Personen erstellen konnte. 9.1.3 EDV in den Abteilungen M und 26 Der Aufgabenschwerpunkt der Abteilung 26 des MfS lag in der Überwachung und dem Abhören von Fernsprech- und Fernschreibanschlüssen im Zuständigkeitsbereich der Deutschen Post der DDR. Die aus den Abhöraktionen resultierenden Informationen wurden hauptsächlich verschriftlicht und den auftraggebenden MfS-Diensteinheiten zugeleitet. Zur Einsatzausrichtung des Großrechners der Abteilung 26 liegen keine Erkenntnisse noch richtungsweisende Indizien vor. Die interne Informationsverarbeitung einzelner MfS-Abteilungen ist bislang nicht ausreichend erforscht. Die Abteilung 26 soll zumindest in den späteren 1980er-Jahren Zugriff auf die ZPDB des MfS gehabt haben.45 In der Abteilung arbeitete man wie in der HA III erwiesenermaßen an Verfahren zur computergestützten Stimmanalyse. Es ist davon auszugehen, dass diese Verfahren auch mangels ausreichender Rechnerkapazitäten bis 1989 keine Praxisreife erlangten.46 Die Abteilung M kontrollierte und wertete den nationalen und internationalen Post-, Telegramm- und Kleingutverkehr im Zuständigkeitsbereich der Deutschen Post der DDR aus. Meist waren es Aufträge der operativen Diensteinheiten, die diese Aktivitäten auslösten. Es gab aber auch eigenständige Kontrollen, insbesondere im Ost-West-Postverkehr. Bei ihrer Tätigkeit konnte sich die Abteilung M offenbar noch nicht auf einen eigenen Großrechner stützen, verfügte aber über lungen und Gefälligkeiten, verborgene Kurierdienste oder Materialtransporte für ostdeutsche Friedenskreise oder Kirchgemeinden. 44 Schmidt: Hauptabteilung III, S. 127 f. 45 Schmole: Abteilung 26, S. 12. 46 Schmidt: Hauptabteilung III, S. 125 ff.
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die Peripherie, um Daten in einen Großrechner einzuspeisen und dort abrufen zu können.47 Auch hier müsste untersucht werden, ob Ende der 1980er-Jahre nicht schon Informationen, ähnlich wie bei der HA III, in Datenbanken vorgehalten wurden. Die routinemäßige Postkontrolle gehörte von Anfang an zu den wichtigsten Informationsquellen des MfS. Insofern wäre es plausibel, dass auf die Weiterentwicklung der Informationsverarbeitung Wert gelegt wurde. Strukturell belegt eine mit vier Planstellen versehene AG zur Einsatzvorbereitung und Nutzung der EDV diesbezügliche Anstrengungen der Abteilung M. Bei der Auflösung des MfS zeigte sich, dass die Abteilung zumindest über eine Schriftprobenkartei für 200 000 Objekte (meinte wohl Personen) verfügte, deren Daten jeweils von der Polizei beziehungsweise der DVP/Pass- und Meldewesen abgefordert wurden. Diese Datensammlung existierte auch in einer maschinenlesbaren Fassung.48 Es ist davon auszugehen, dass sowohl die Datenbanken der HA III, der Abteilungen M und 26 als auch die Datenbanken, die in irgendeiner Weise mit dem Reiseverkehr zu tun hatten, größtenteils Informationen über Westbürger oder Westkontakte von DDR-Bürgern festhielten und auswerteten, wenn sie nicht primär der elektronischen Aufklärung im Westen, der Westspionage dienten. Auf dem Ost-West-Gebiet lag jedenfalls ganz offensichtlich lange Zeit der Schwerpunkt der Hardware-Ausstattung im MfS und hatte zur Folge, dass andere Bereiche hintanstehen mussten.
9.2 Dezentrale Lösungen mit Personal- und Bürocomputern Großrechner oder Rechenzentren standen Diensteinheiten der Berliner Zentrale des MfS oder insgesamt der Zentrale gemeinhin zur Verfügung und arbeiteten neben spezifischen Projekten einzelner Diensteinheiten spezifisch geheimdienstliche sowie allgemeine Datenprojekte (z. B. Haushaltsplan, Besoldung oder MfS-Sparkasse) für das gesamte MfS ab. Daneben verfügten sowohl die Dienst einheiten des MfS in der Berliner Zentrale als auch die Bezirksverwaltungen in den 1980er-Jahren über nicht wenige Personalcomputer (PC) und Bürocomputer (BC). Für Aussagen zur Ausstattung der Kreis- und Objektdienststellen mit BC und PC fehlen bislang Belege beziehungsweise eine hinreichende Forschung. Auch hier waren die MfS-internen Prognosen zunächst optimistisch. Anfang der 1970er-Jahren ging man davon aus, in dezentralen Datenerfassungsstationen in den Diensteinheiten bei der Indexierung von Kerblochkarten beispielsweise EDV-kompatible Datenträger erstellen und diese dann auch im zentralen 47 Af NS/Abt. XII/5: Bestandsnachweis EDV-Geräte nach Standort, 22.1.1990; RHG, Bestand Gill, BK, Bd. 16. 48 Wiedmann: Die Organisationsstruktur, S. 40; Protokoll der Begehung des Hauses 43, 29.1.1990; RHG, Bestand Gill, Bürgerkomitee, BK, Hefter 2.
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Informationsverarbeitungssystem verarbeiten zu können.49 Es ist aus einzelnen Bereichen des MfS bekannt, dass Informationen an Bürocomputern auf Lochstreifen übertragen und dann auf einen Zentralrechner überspielt wurden.50 Das zeigt, dass zwischen zentralen und dezentralen Lösungen nicht zwingend und in jedem Fall Gegensätze bestehen müssen.51 Vielmehr versuchte die ZAIG, durch Abstimmungen und verbindliche Vorgaben, wie dem Rahmenkatalog von 1980 mit den entsprechenden Thesauri, zu sichern, dass dezentrale Datensammlungen mit denen der Zentralen kompatibel aufgebaut werden. Wie sich am Beispiel der HA III zeigte, lieferten die dezentralen Abhörposten ihre Informationen präkonfektioniert auf Diskette an. Bei der Abwicklungsinventur im Frühjahr 1990 sollen sich in der Berliner Zentrale 289 veraltete (moralisch verschlissene) 8-Bit-Rechner befunden haben und 329 weitere 16-bit-Rechner.52 Die Bezirksverwaltungen verfügten in der Regel über je einen Robotron-BC A 5120 und einen BC A 5130. Einzelne BVfS konnten auf ein bis zwei weitere Computer zurückgreifen, teilweise sogar auf einen der moderneren Robotron PC 1715. Aber selbst letzterer war noch mit zwei Diskettenlaufwerken ausgestattet, was darauf schließen lässt, dass die meisten BC und PC nur über kleine Speicherkapazitäten und überwiegend nicht über Festplatten verfügten. Diese Konfiguration verlangsamte das Arbeiten stark. Die Ausstattung der KDfS und ODfS muss derzeit offenbleiben. Es ist aber davon auszugehen, dass zumindest geplant war, wenigstens die dortigen AKG mit einem Rechner auszustatten.53 Da die Dateien 1990 im Zuge der endgültigen Auflösung des MfS vernichtet wurden, ist die EDV-Ausstattung bislang nur unzureichend rekonstruiert. Die Zahl von geschätzten über 800 Kleincomputern in den verschiedenen Dienst einheiten lässt die Vermutung zu, dass dort Karteien schon parallel auf PC liefen.54 Auch konnten Daten zwischen der Berliner Zentrale und den dezentralen Bereichen per Diskette ausgetauscht werden, noch bevor diese online waren.55 Bei den dezentralen Stand-Alone-Rechnern dürfte es sich Ende der 1980er-Jahre oft um Geräte zu EDV-Fassungen der Personenkarteien (F 16) der Abteilungen XII der Bezirksverwaltungen (SAVO) gehandelt haben. Sogar zu Zwecken des IMNachweises existierten trotz des hohen Geheimhaltungsbedürfnisses offenbar 49 MfS: Thesen für die Kollegiumssitzung am 22.2.1971; BStU, MfS, ZAIG Nr. 4743, Bl. 52. 50 Konopatzky: Dokumentation BStU, S. 28 f. 51 Bergien: Big Data, S. 269. 52 Staatliches Komitee zur Auflösung des Af NS (vermutl.). Bereich Akten/Schriftgut/ Informatik: Informatik, o. D. (vermutl. Juli 1990); RHG, Bestand Gill, BK, Bd. 16. 53 MfS/ZAIG: Referat AIG-Leiter-Tagung, 1.6.1971; BStU, MfS, ZAIG Nr. 1820, Bl. 8–105, hier 37. 54 Konopatzky geht von weit mehr als 1 000 Kleincomputern aus. Engelmann; Halbrock; Joestel: Vernichtung von Stasi-Akten, S. 68. 55 Konopatzky: Dokumentation BStU, S. 29.
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Dateien. Die 1992 veröffentlichte sogenannte Hallenser IM-Liste entsprach mit der Angabe der jeweiligen Adresse im Kreisgebiet dem Aufbau einer regionalen IM-Nachweiskartei.56 Erstaunlicherweise enthielt diese Datei auch die Klarnamen der IM. Entweder führten Betreiber und Daten-Erfasser hier eine im damaligen MfS nicht zulässige Datenkombination ein oder es handelte sich um eine Datei für den Fall einer Systemkrise. Auf diese Weise hätte man den gesamten IM-Bestand einer KDfS auf wenigen Disketten verstecken oder transportieren oder an befreundete Dienste weiterleiten können. Auch mit elektronischen VSH-Datenbanken scheinen einzelne AKG in den Berliner Abteilungen und Hauptabteilungen bereits gearbeitet zu haben.57 Die offizielle Erprobung einer EDV-gestützten VSH war für das Jahr 1989 vorgesehen. Jedoch galt auch in diesem Falle, dass auf die manuelle VSH nicht verzichtet werden durfte.58 Die überlieferte Dateiversion einer VSH-Kartei der HA XVIII demonstriert die Leistungsfähigkeit der damals eingesetzten dezentralen Rechner. Die kleine Datenbank war mit dbase oder einem analogen Programm programmiert und enthielt rund 13 500 Datensätze. Offenbar wurden die VSH-Daten mit inhaltlichen Details kombiniert, die für eine Dokumentenkartei üblich waren. Die Indexierungen entsprachen denen einer Sichtlochkartei (SLK) und wurden übernommen. Der Datensatz 4694 beinhaltete beispielsweise die Daten des Leiters der Verkaufsstelle eines Kombinats in Ostberlin. Neben den Personen-Grunddaten waren über einen Suchbefehl ergänzend mehrzeilige Informationen zur jeweiligen Person aufrufbar. Bei diesem Datensatz waren das vier Informationen, drei stammten von einem IM Olaf und eine weitere aus einer anderen Diensteinheit der HA XVIII. Die Informationen waren recht vielgestaltig. Eine handelte von einer Quelle des BND, die über die Berliner Verkaufsstelle berichtete; laut einer anderen sei in einem Telefonat versucht worden, den Westberliner Wirtschaftssenator im Interesse des Kombinates zu beeinflussen; eine weitere zeugt von dem Versuch, einen israelischen Geschäftspartner für Spionagezwecke zu missbrauchen.59 In der Summe war das ein vielschichtiger Datensatz. Quasi auf Knopfdruck stellte er mehr Informationen zur Verfügung als eine klassische VSH, da hier auch Informationen aus anderen Speichern enthalten waren. 56 Die sogenannte Hallenser IM-Liste, deren Veröffentlichung nach 1990 Furore machte, dürfte vom Aufbau her einer IM-Territorialkartei F 78 entsprochen haben; Listenkopie im Privatbesitz des Autors. Vgl. auch Meldung über Erste Urteile wegen Veröffentlichung der Stasi-Listen in Halle. Die MfS-Straßenkartei F 78 informierte über die regionale Verteilung der IM einer MfS-Diensteinheit und verzeichnete dazu u. a. jeweils deren Anschrift, Decknamen, Kategorie und Decknamen auf einer Karteikarte. Eine solche F 78 bildete vermutlich die Grundlage der Veröffentlichung. 57 Einzelne elektronische VSH- und SAVO-Daten sind bis heute überliefert. Vgl. Nachweis Maschinenlesbare Daten des MfS; BStU, AR, internes Findmittel. 58 MfS/ZAIG, Werner Irmler: AKG-Leitertagung, 3./4.12.1987; BStU, MfS, ZAIG Nr. 4696, Bl. 1–243, hier 146. 59 BStU, MfS, Abt. XIII MD1, VSH, DS 4694.
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Die EDV-Ambitionen der HA IX aus der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre zeigen zweierlei. Einerseits setzten die MfS-Diensteinheiten sehr auf dezentrale Rechentechnik, andererseits lagen Entwicklung und Ausstattung weit auseinander. So war eine der ältesten Linien des MfS, das Untersuchungsorgan, diesbezüglich ärmlich ausgestattet. Sie hoffte, ihre Abteilungen in den Bezirksverwaltungen bis 1995 mit insgesamt 38 Rechnern ausstatten zu können.60 Die BeschuldigtenKartei mit 3 000 bis 5 000 neuen Datensätzen pro Jahr und die VSH mit insgesamt 300 000 Datensätzen, die neben den Beschuldigten auch deren Kontakte festhielt, gehörten zu den Prioritäten dieser Hauptabteilung. Außerdem wollte sie ihre Untersuchungsarbeit besser mit der ZPDB vernetzen.61 Schon 1987 wurden diese Wunschvorstellungen erheblich gedämpft, da die Beschaffungswünsche im MfS die staatswirtschaftlichen Kapazitäten um 100 Prozent überschritten hätten.62 Daher hoffte man in der HA IX darauf, im Jahr 1989 wenigstens einen PC für den vorgangsführenden Bereich der HA IX zur Verfügung zu haben.63 Die Unterschiede in der Arbeitsweise der HA III im Vergleich zu jener der Untersuchungshauptabteilung IX verdeutlichen, wie stark sich die Informationsverarbeitung des MfS, damit aber auch die Gewichte, innerhalb des MfS verschoben hatten. Wurde die strafrechtliche Verfolgung anfangs als einer der Hauptzwecke, wenn nicht schlechthin als der Hauptzweck der geheimpolizeilichen Arbeit angesehen, wurden nun primär Informationen beschafft, ausgewertet und aggregiert, um möglichst präventiv intervenieren zu können. Auch die HA IX musste neben der klassischen Kriminalitätsstatistik regelmäßig nachweisen, wie viele Informationen zu Personen aus den Untersuchungen sie anderen Diensteinheiten des MfS für die geheimpolizeiliche Arbeit zur Verfügung gestellt hatte.64 Die Informationsweitergabe, nicht nur die Festnahme-Statistik, war ein Leistungskriterium für die HA IX, auch wenn die Arbeit noch weitgehend konventionell durchgeführt wurde.
60 MfS/HA IX: Vorstellungen für die Entwicklung der materiell-technischen Basis rechentechnischer Mittel in den Jahren 1991–1995, o. D. (vermutl. 1988); BStU, MfS, HA IX Nr. 8895, Bl. 36. 61 MfS/HA IX/AKG/AW: Konzeption zum Einsatz und zur Nutzung dezentraler Rechentechnik in der HA IX/AKG, 26.10.1988; BStU, MfS, HA IX Nr. 8699, Bl. 80–96. hier 82 ff. 62 MfS/HA IX/AKG: Information, 7.9.1987; BStU, MfS, HA IX Nr. 8895, Bl. 49–52, hier 49. 63 MfS/HA IX/AG Dezentrale Rechentechnik: Konzeption, 6.4.1987; BStU, MfS, HA IX Nr. 8699, Bl. 75 f., hier 76. 64 MfS/HA IX: Informationsbedarf. o. D. (vermutl. 1988); BStU, MfS, HA IX Nr. 5008, Bl. 12–16.
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Datenzusammenführung in Rechnern und externe Datenbankzugriffe
9.2.1 Dezentrale Datenbankanwendungen Einige wichtige Spezialkarteien mit einer Bedeutung für das gesamte MfS wurden schon frühzeitig als dezentrale Dateien geführt. Einzelne dieser Informationsspeicher sollten später sogar mit zentralen Datenbanken zusammengeführt werden. Ein Beispiel dafür stellt der Messespeicher aus Leipzig dar: 1988 ging man dann daran, diese dezentralen Daten als Datenverarbeitungsprojekt Leipziger Messen und damit ausländische Besucher und deren private Quartiergeber in die zentrale Datenbank der HA VI zu integrieren.65 Die Eingabe von dezentralen Informationssammlungen in PC/BC hatte ambivalente Folgen. Zum einen brachte sie den AKG angesichts der informationellen Massenabfertigung eine deutliche Arbeitserleichterung. Es wurden damit auch Kapazitäten frei, sodass die AKG schneller mehr Auskünfte an andere Diensteinheiten geben konnten. Ende der 1980er waren alle Diensteinheiten im MfS angehalten, die Daten aus der VSH und anderen Speichern zu nutzen. Bei der Einführung der VSH hatte die ZAIG-Leitung noch gewarnt, dass zu viele Anfragen die AKG vor Ort lahmlegen würden. Die Kleinrechner trugen offenkundig entscheidend dazu bei, die Informationsverarbeitung stärker zu vernetzen. Auf der anderen Seite legt die Aufforderung, sich der VSH zu bedienen die Schlussfolgerung nahe, dass immer mehr Daten herangezogen wurden, die auf einer groben Verschlagwortung und teilweise auf wenig geprüften Informationen beruhten, wie es Gerüchte aus Wohnumfeld-Ermittlungen, vage Anhaltspunkte aus Briefkontrollen und so fort darstellten. Die EDV ermöglichte, mehr Daten zu mehr Personen schneller zu bearbeiten. Sie beförderte aber auch die Tendenz, massenhaft mit unpräzisen Daten zu arbeiten und klischeehafte Wahrnehmungen zu transportieren. Ein auch nur ansatzweise kompletter Überblick über die dezentralen Programme in den Diensteinheiten des MfS fehlt. Angesichts der Zerstörung vieler Datenträger im Frühjahr 1990 ist nicht ausgemacht, ob eine solche Übersicht jemals vollständig rekonstruiert werden kann. Die wenigen vorhandenen Programmdokumentationen, Programmkonzepte und die verhältnismäßig geringe Zahl an überlieferten Datensätzen erlauben nur ein vorsichtiges Urteil. Sofern einfache Karteien mit relativ überschaubarem Aufwand in einfache PC-Datenbanklösungen migriert werden konnten, wurden solche Lösungen zweifelsohne dazu genutzt, die Arbeiten in den Diensteinheiten insbesondere der AKG zu beschleunigen. Im Jahr 1981 dauerte die Bearbeitung von Anfragen in den wichtigsten dezen tralen Speichern, also den Karteien, die für bestimmte Zwecke zu Spezialrecherchen empfohlen wurden, zwischen sieben und vierzehn Tagen. Zwei Wochen dauerte es, bis in der Abteilung XXII (Terrorbekämpfung) Anfragen im VSH-Speicher 65 Lucht: Karteien, Speicher, Datenbanken, S. 167–198.
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über Personen, ausgewählte Objekte und Organe im Westen beantwortet werden konnten. Zehn Tage benötigten Recherchen in der Arbeitskartei ›Leuchtturm‹ über die Seeleute in der BVfS Rostock, sieben Tage waren es bei Anfragen zu Mitgliedern der Zeugen Jehovas im Informationsspeicher der für die Kirchen und Religionsgemeinschaften zuständigen HA XX/4.66 Es ist plausibel, dass sich die Bearbeitungszeiten für solch überschaubaren Karteien deutlich reduzieren ließen, sofern die erforderlichen Kapazitäten für eine Übertragung der Daten in die EDV bereitgestellt werden konnten. Ohne mit konkreten Zeitangaben operieren zu können, ist jedoch glaubhaft nachvollziehbar, dass kleinteilige EDV-Lösungen zu deutlichen Verringerungen der Bearbeitungszeiten führten. Eine ähnlich kleine Lösung nutzte beispielsweise die HA III, um einen ersten Überblick über abgehörte Telefonate zur Waffenbeschaffung der Bundeswehr zu erlangen. Hinterlegt waren beispielsweise Erkenntnisse zu Namen der Bundeswehrbeschaffer, Telefonnummer, Dienststelle, die von Telefonpartnern, der Gegenstand der Beschaffung (möglichst spezifisch Rakete, Zünder oder Patronen), der Hersteller. Festgehalten wurden auch technische Spezifikationen, soweit Gegenstand des Telefonats oder im MfS bekannt.67 Eine andere kleine Datenbank mit überlieferten 2 375 Datensätzen diente der ZAIG zur Dokumentation von westlichen Organisationen und Einrichtungen, für die keine ausdrücklichen Zuständigkeiten anderer MfS-Diensteinheiten festgelegt waren sowie der Verwaltung von Bibliothekstiteln.68 Wie beispielsweise am Datensatz Nr. 1197 ersichtlich, konnte zu einzelnen Objekten, hier die »Initiative Freiheit für Andersdenkende«, ein mehrseitiges Textdossier hinterlegt sein. Darin war vermerkt, wie die Initiative 1988 in Westberlin unter Beteiligung von ehemaligen DDR-Bürgern gegründet wurde, dass sie sich der blockübergreifenden Friedensbewegung verbunden fühlte und zu welchen Kräften des politischen Untergrundes in der DDR Kontakt gesucht wurde. Soweit erkennbar, waren die Inhalte auch differenziert indexiert erfasst, sodass eine datensatzübergreifende Recherche nach bestimmten Kriterien möglich war. Eine andere überlieferte Datenbank zeigt, dass die ZAIG ihre Presseinformationen zu bestimmten Themen und ihre medienwirksamen Maßnahmen in einer kleinen PC-Datenbank dokumentiert hatte, die eine schnelle Übersicht und einen Schnellzugriff ermöglichen sollte.69 Auch wenn die MfS-Führung immer wieder auf einer parallelen EDV-unabhängigen Datendokumentation in Papierform bestand, zeigt die vorstehende Auswahl, dass das MfS in den Jahren 1988/89 erkennbare Anstrengungen unternahm, die Informationsverarbeitung mittels Karteikartensystemen zu verlassen. 66 MfS: Speichernutzungsmöglichkeiten, 25.2.1981; BStU, MfS, BdL Nr. 2458, o. Pag. (Bl. 1–6). 67 BStU, MfS, HA III MD 1. 68 Konopatzky: Maschinenlesbare Daten, S. 55. 69 Ebenda.
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Datenzusammenführung in Rechnern und externe Datenbankzugriffe
Das Bild eines in Akten, Dossiers und Karteikarteninformationen versinkenden DDR-Geheimdienstes beruht auf einer Fehlwahrnehmung, die die heutige Papier-Überlieferung provoziert. Weil es den MfS-Strippenziehern in der Auflösungsphase der Staatssicherheit gelang, die Bürgerbewegung zu überzeugen, die elektronischen Datenträger zu vernichten, entstand der Eindruck, es handelte sich beim MfS um eine altmodische kafkaeske Institution. Demgegenüber war das MfS durchaus in der Moderne der Informationsverarbeitung angekommen. Allerdings bemängelte eine Arbeitsgruppe beim stellvertretenden Minister Wolfgang Schwanitz, die sich mit der Modernisierungsstrategie des MfS bis zum Jahr 2000 beschäftigte, dass es im »Hause eine Vielzahl von nationalen und internationalen Hard- und Software-Lösungen« gäbe, die untereinander nicht immer kompatibel und damit »nicht austausch- und nachnutzbar sind«.70 Daher wurde eine AG Dezentrale Rechentechnik gegründet. Sie bezifferte den Wert der dezentralen Technik allein in dem Bereich des Ministerstellvertreters Schwanitz auf 21,1 Millionen Mark der DDR und 6,8 Millionen Valuta-Mark (D-Mark). Der Ersatz- und Erweiterungsbedarf von 1987 bis 1990 wurde auf 12,4 Millionen Mark der DDR und 750 Tausend Valuta-Mark geschätzt.71 Das zeigt, dass man vorwiegend auf die Technologie des Ostblocks setzte. Auch der KGB verwies anlässlich eines Arbeitsbesuches einer MfS-Delegation in Moskau drängend darauf, dass die »Rolle und Bedeutung der Technik im Kampf gegen den Feind weiter anwachsen wird«.72 Die Pläne waren hochfliegend. Benannt wurde ein Tiefseecontainer zur Abschöpfung eines Kommunikations-Unterseekabels. Die HA III stellte sich auf die Abschöpfung von digitaler Richtfunk- und Glasfaserkabel- sowie die von Satellitenkommunikation ein. Zusammen mit dem KGB sollte bis 1991/92 die Technik für die Bearbeitung der Satelliten Intelsat und ECS bereitstehen.73 Zu deren Einsatz sollte es in der DDR wegen der politischen Ereignisse im Revolutionsjahr 1989/90 nicht mehr kommen.
70 MfS/Sekr. Schwanitz/AG beim stellv. Minister Schwanitz: Bericht, 23.4.1987; BStU, MfS, Sekr. Schwanitz Nr. 348, Bl. 6–143, hier 68. Die AG unter der Leitung von OSL Kahnt war im Sekretariat des Stellv. Schwanitz angesiedelt. Vgl. Wiedmann: Die Organisationsstruktur, S. 275. 71 Ebenda, Bl. 69. Das betraf die im Anleitungsbereich Schwanitz angesiedelten MfS-DE: HA III, OTS, Abt. 26, Abt. N, Abt. XI, Abt. BCD. 72 MfS: Einleitende Bemerkungen, o. D. (vermutl. 1988/89); BStU, MfS, Sekr. Schwanitz Nr. 339, Bl. 234–249, hier 234. 73 MfS/HA III: Sicherstellung des operativ-technischen Bedarfs der HA III im Perspektivzeitraum 1991–1995, 2.5.1989; BStU, MfS, Sekr. Schwanitz Nr. 337, Bl. 340–350.
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9.3 Zur Auflösung und Vernichtung der EDV des MfS Der nachfolgende Exkurs zur Vernichtung der elektronischen Datenträger der HA III und anderer Diensteinheiten im MfS im Jahr 1990 soll Rückschlüsse auf die EDV-Ausstattung des MfS ermöglichen. Bekanntermaßen wurde ein Großteil der elektronischen Datenträger des MfS im Zusammenhang mit dessen Auflösung im Jahr 1990 zerstört. Die Papiere und Protokolle des staatlichen Auflösungskomitees, des Runden Tisches und der Bürgerkomitees, die jeweils versuchten, das Geschehen zu kontrollieren, lassen gewisse Rückschlüsse auf den Stand der EDV von 1989 zu. 9.3.1 Vernichtung von Datenträgern der HA III In den Monaten vor der deutschen Einheit galt die vormalige Überwachung der elektronischen Kommunikation des Westens durch die Staatssicherheit als besonders brisant. Die Zahl der Datenträger der für die Funküberwachung Richtung Westen zuständigen HA III zum Zeitpunkt der Auflösung des MfS 1989/90 ist anhand der gesichteten Unterlagen nicht abschließend nachvollziehbar. Zu MfSZeiten muss eine Kartei existiert haben, in der alle Datenträger nachgewiesen wurden. Diese Kartei ist in den heute erschlossenen Unterlagen des BStU bislang nicht nachgewiesen.74 Eine ungefähre Vorstellung über den Umfang der ehemals verfügbaren Daten der HA III liefert die Menge der in Papierform gespeicherten Funksprüche, die so groß war, dass sie im Jahr 1990 in Lkw-Ladungen quantifiziert wurde. Relativ spät scheinen die Bürgerkontrolleure auf den Gedanken gekommen zu sein, die papiergebundenen Hinterlassenschaften der Funkaufklärung in den Blick zu nehmen. Diese Unterlassung erklärt sich auch dadurch, dass sich derartige Unterlagen nur in Teilen auf dem zentralen Gelände des Ministeriums befanden. In den ersten Aufstellungen der zu archivierenden Bestände fehlt diese Hauptabteilung sogar gänzlich. Im Februar ging es dann schon um die Vernichtung von Unterlagen. Der Regierungsbeauftragte zur Auflösung des ehemaligen Amtes für Nationale Sicherheit schlug vor, 93 Lkw-Ladungen mit Funksprüchen in Papierform vernichten zu lassen. Das entsprach nach damaliger Rechnung immerhin 9,3 km laufenden Akten.75 Dem stimmte dann auch das Bürgerkomitee Anfang März zu. Mehrere Verkollerungsmaschinen wurden danach in Gang gesetzt.76 74 BStU: Übersicht aller personenbezogenen Karteien des MfS der Zentralstelle. Archivabteilung des BStU. Internes Internetinventar. 75 Berechnungsgrundlagen, o. D. (vermutl. 1990); BArch, DO 1/104, Bl. 258. 76 Regierungsbeauftragter zur Auflösung des ehem. Af NS: Schreiben an das Bürgerkomitee Berlin, 28.2.1990; RHG, Bestand Gill, BK 6; Bürgerkomitee Normannenstraße: Mitteilung, 5.3.1990; RHG, Bestand Gill, BK 6.
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Probleme bei der Rekonstruktion der EDV der HA III bereitet nicht nur das vernichtete Schriftgut, sondern auch die Fülle der Aufgaben. Als Funkspruch bezeichnete man in der HA III auch die Sendung beispielsweise von Telegramm und Seefunktelegramm, von Fernschreiben bis hin zum Ausdruck von chiffrierten geheimdienstlichen Funksendungen. Abzugrenzen ist die Funkaufklärung jedoch von Lauschangriffen in Telefonnetzen und daraus resultierenden Informationssammlungen. Die Fülle der Tätigkeiten der HA III, von der nach innen gerichteten nationalen Funküberwachung, den nach außen gerichteten Aktivitäten in der Funkaufklärung, Funkspionage, Abwehr gegnerischer Funkaufklärung bedingte eine Vielzahl an technischen Lösungen und an Steuerungskommunikation innerhalb der HA III. Diese Nähe zu technischen Prozessen beförderte die Entwicklung der EDV-gestützten Datenauswertung und -weiterleitung. Doch dem 1990 verbliebenen Personal der HA III gelang es offensichtlich, die Bürgerkomitees in die Irre zu leiten. Die überlieferten Daten zur Vernichtung von Datenträgern können deren ursprüngliche Funktionen innerhalb des Systems der HA III kaum mehr abbilden. Sie geben eher abstrakte Hinweise auf ein einstmals technologisch hoch gerüstetes Instrument. Dieses Instrumentarium diente aus Moskau gesteuerten Interessen ebenso, wie es für Schnüffeleien der DDR-Geheimpolizei dienstbar war. Über die elektronischen Datenträger der HA III scheint auch das im Januar 1990 gegründete Bürgerkomitee Normannenstraße in Berlin, das die staatlich gesteuerte Auflösung der Staatssicherheit zu kontrollieren versuchte, keinen wirklichen Überblick besessen zu haben. Bei einer ersten Einführung von ehemaligen MfS-Mitarbeitern für die Bürgerkontrolleure spielten die Funküberwachung wie auch die Telefon- und Briefkontrolle fast keine Rolle.77 Anlässlich einer Begehung des Ministeriumsgeländes in Berlin-Lichtenberg wurde eine Nebenstelle der HA III entdeckt. Dort waren zuvor von Ost- nach Westberlin verlaufende Telefonleitungen abgehört worden.78 Die am Ort angetroffenen ehemaligen MfS-Mitarbeiter behaupteten, dort hätte es eine »Personendatenbank mit Daten ausschließlich über Bürger Westberlins/BRD«79 gegeben. Diese sei im November 1989 gelöscht worden. Die Kontrolleure argwöhnten, dass zuvor noch eine Sicherungskopie angelegt worden sei. Bei einer Besichtigung des Rechenzentrums der HA III in der Wuhlheide fand man sieben Tage später immerhin 15 000 Disketten und 15 Plattenspeicher.80 Auch in der Wuhlheide wurden die Bürgerkomitees offenbar genarrt. Nach Aussagen eines ehemaligen hohen Mitarbeiters der HA III 77 Bürgerkomitee Berlin, AG Informatik: Protokoll der Informationsberatung am 19.1.1990; RHG, Bestand Gill, BK, Bd. 2. 78 Thomas Tumovec im Gespräch mit dem Autor am 20.7.2017. 79 Bürgerkomitee Berlin, AG Informatik: Protokoll eines spontanen Informationsbesuchs in Haus 47, 29.1.1990; RHG, Bestand Gill, BK, Bd. 2. 80 Bürgerkomitee Berlin, AG Informatik: Protokoll Begehung Rechnerräume der HA III, Objekt Wuhlheide, 7.2.1990; RHG, Bestand Gill, BK 2.
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herrschte dort tagelang eine Open-Door-Situation. Mitarbeiter von westlichen Geheimdiensten hätten abgehörte Informationen über ihre Organisationen herausgeholt.81 Das wäre dann freilich auch Mitarbeitern östlicher Dienste und des ehemaligen MfS möglich gewesen. Anfang März wurde schließlich eine von ehemaligen MfS-Mitarbeitern zusammengestellte, vermeintliche Gesamtaufstellung vorgelegt. Diese zeigte gravierende Abweichungen gegenüber dem Befund der Bürgerkontrolleure wenige Wochen zuvor. Nunmehr war von nur noch 3 479 Disketten die Rede; enthalten waren immerhin 102 Wechselplatten und 1 759 Magnetbänder, die den Bürgerkontrolleuren vorher offenbar vollkommen entgangen waren.82 Diese Liste diente dann als Basis für die Vernichtung der Datenträger. Die Diskrepanz von mehreren Tausend Disketten wurde anscheinend nicht aufgeklärt. Ob mit den offiziellen Aufstellungen von ehemaligen MfS-Mitarbeitern über Papiermengen und Datenträger überhaupt alle Informationsträger erfasst waren, konnte in den Wirren von 1990 nur schwer überprüft werden. Denn insbesondere die Gebäude des ausgeuferten HA-III-Apparates lagen breit verstreut. Neben dem zentralen Dienstobjekt der HA III in der Wuhlheide existierten noch eine große Dependance in Gosen bei Berlin, 24 größere und kleinere Außenstellen und eine Vielzahl konspirativer Stützpunkte in der DDR.83 Als ein Kontrollteam aus Berlin zu einem dieser Stützpunkte, einer mit Elektronik ausgestatteten Abhörstation bei Hohen-Luckow im Kreis Bad Doberan, kam, war fast alles schon abgebaut und vom Rat des Kreises an örtliche Einrichtungen und einen VEB abgegeben worden, angeblich mit Zustimmung der örtlichen Bürgerkomitees.84 Erschwert wurde die Aufklärung auch in Gosen, da hier schon früh Immobilien an Seilschaften gingen.85 Das Wissen über die Anlage war gering. Die Besichtigung der Rechentechnik einer Teilanlage war nicht möglich, weil angeblich kein Schlüssel vorhanden war. Dennoch wurde sie im Februar 1990 nebst fünf Standleitungen zu Peilfunkstellen inklusive 450 Disketten an die Post übergeben.86 In Gosen sollen zudem zwischenzeitlich 35 Lkw-Ladungen an Akten umgelagert worden sein.87 Das Bürgerkomitee Normannenstraße musste nach dem Beschluss zur Vernichtung der elektronischen Datenträger einräumen, dass überall schon andere 81 Thomas Tumovec im Gespräch mit dem Autor am 20.7.2017. 82 Datenträger der ehemaligen Diensteinheiten des MfS/AfNS, o. D. (vermutl. Februar 1990); BArch, DO 104/14, Bl. 983. 83 Kurzauskunft über die ehemalige HA III, o. D. (vermutl. Januar 1990); RHG, Bestand Gill, BK Bd. 6. 84 Information zur Dienstreise am 14.3.1990 nach Hohen Luckow (Kreis Doberan); BArch, DO 104/14, Bl. 1007–1010. 85 Worst: Das Ende, S. 173 ff. 86 Bürgerkomitee Berlin: Protokoll der Beratung Regierungsvertreter, Af NS i. A., Post, Bürgerkomitee. Gosen HA III, 7.2.1990; RHG, Bestand Gill, BK, Bd. 2. 87 Regierungsbeauftragter zur Auflösung des ehem. Af NS: Schreiben an das Bürgerkomitee Berlin, 28.2.1990; RHG, Bestand Gill, BK, Bd. 6.
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Bürgerkomitees Einrichtungen der HA III gestürmt hätten. Deshalb werde man für die Datenträger eine »Aufstellung nie vollständig erbringen«88 können. Dennoch stimmte auch das Bürgerkomitee Normannenstraße mit »überwiegender Mehrheit« der Vernichtung der Funkprotokolle zu.89 Die Inhalte von Abhörprotokollen waren einer der wichtigsten Gründe, warum die Bundesregierung unter Helmut Kohl verfassungsrechtliche Vorbehalte gegen die Öffnung der MfS-Unterlagen hatte. Immerhin basierten sie aus bundesrepublikanischer Sicht auf einem Grundrechtsverstoß, dem Verstoß gegen das Fernmeldegeheimnis. Daher beschloss die Innenministerkonferenz im Juli 1990 schon vor der deutschen Einheit, möglichst vieler Abhörprotokolle habhaft zu werden und diese ungelesen zu vernichten, was auch geschah.90 Die den papierenen Abschriften von abgehörten Telefonaten im Osten wie im Westen Deutschlands zugemessene Brisanz steht in merkwürdigem Kontrast zur geringen Sorgfalt, die man dem Verbleib der elektronischen Datenträger widmete. Entweder war man sich nicht ausreichend bewusst, dass diese Auskunft über die Abhörinhalte geben könnten oder man wollte umgekehrt den verfassungswidrigen Zustand möglichst schnell beenden. Der damalige Aktionismus hat letztlich dazu geführt, dass heute keine Gewissheit darüber herrschen kann, ob die elektronischen Datenträger der HA III wirklich sämtlich vernichtet wurden. Möglicherweise diente die Vernichtungsaktion sogar der Verschleierung von Datenentwendungen. 9.3.2 Vernichtung weiterer Datenträger des MfS Die Rekonstruktion von Umfang und Ausrichtung der elektronischen Datenverarbeitung des MfS ist problematisch, da die diesbezügliche Überlieferung aufgrund der Vernichtungsaktionen von Datenträgern extrem ausgedünnt ist. Manche MfS-Einrichtungen, in denen sich Rechenanlagen befanden, wurden nach einem Vorschlag der Regierung Modrow frühzeitig privatisiert. Schon am 22. Januar 1990 beschwerte sich deswegen das Neue Forum am DDR-zentralen Runden Tisch. Aus dem Rechenzentrum des MfS in der Wuhlheide sollte das Rechenzentrum Wissenschaftlich-technische Informationstätigkeiten (RZ WTI) werden. Da bis auf die Führungsspitze das ehemalige MfS-Personal beibehalten wurde, könnten »beide Einrichtungen jederzeit für ihre alten Aufgaben reaktiviert werden«.91 Doch die Initiative des NF, die Privatisierungen zu stoppen, wurde zer88 Protokoll der AGs des Bürgerkomitees Berlin, 22.2.1990; Bestand BK Berlin. 89 Protokoll der AGs des Bürgerkomitees Berlin, 23.2.1990; Bestand BK Berlin. 90 Booß: Von der Stasi-Erstürmung zur Aktenöffnung, S. 79–87. 91 Sebastian Pflugbeil vom Neuen Forum. In: Thaysen: Der Zentrale Runde Tisch, Bd. 2, S. 521. Ferner wurde damals berichtet, dass sich aus einem Bereich für Telefonüberwachungsanlagen in Hohenschönhausen ein Ingenieurbetrieb für Wissenschaftlichen Gerätebau (IWG) gegründet hätte. Bereits im Januar 1990 waren der Operativ-Technische Sektor (OTS) des ehem.
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redet und die brisante Angelegenheit um die Zukunft der elektronischen Zentren des MfS in die Hände des Berliner Runden Tisches und der AG Sicherheit gelegt.92 Schon eineinhalb Monate nach der Besetzung des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit in Ostberlin am 15. Januar 1990 ging man mit Zeitdruck daran, möglichst alle elektronischen Datenträger zu zerstören. Die ersten Überlegungen dazu stammten aus der Leitung der ehemaligen Staatssicherheit,93 die zum Jahreswechsel 1989/90 von der Regierung des letzten SED-Ministerpräsidenten Hans Modrow beauftragt wurde, das alte Ministerium in einen Verfassungsschutz plus Auslands-Nachrichtendienst umzuwandeln.94 Die neue Führungsschicht, die zur zweiten und dritten Führungsriege des vormaligen MfS gehörte, zeigte wenig Distanz zu ihren früheren Mitteln und Methoden. Von daher wollte sie erstens einen Teil der Informationen des ehemaligen MfS weiterverwenden und zum Zweiten ein Übermaß an Aufklärung über die alten Praktiken verhindern. Vor allem wollte sie ihre Quellen schützen. Das zunächst verfolgte Konzept, Quellen durch heimliche Aktenzerstörungen zu schützen, wurde im Dezember 1989 mit einer Besetzungswelle in den Einrichtungen des MfS durch aufgebrachte Bürger gestoppt. Strategen an der Spitze des ehemaligen Geheimpolizeiapparates ersannen um die Jahreswende 1989/90 Alternativen. Man setzte daher darauf, die Akten langfristig unter Verschluss nehmen oder aus Datenschutzgründen offiziell vernichten lassen zu können. Es wurde das Argument erfunden, dass eine Aktenöffnung zu »Mord und Terror« führen würde. Diese Suggestion sollte die Öffentlichkeit vor den vermeintlichen Folgen einer Aktenöffnung zurückschrecken lassen. In der Konsequenz schlug man in der Leitung der ehemaligen Staatssicherheit schon Anfang Januar die Zerstörung bestimmter Akten, Karteien und der elektronischer Datenträger vor.95 Diese von ehemaligen hohen Stasi-Verantwortlichen erdachte Argumentation sickerte auf verschiedenen und im Einzelnen schwer nachvollziehbaren Wegen in die öffentliche Debatte ein und fand sogar Eingang in Bekundungen der Bürgerbewegung und von Bürgerkomitee-Kreisen. So mahnte ein Papier aus dem Neuen Forum Schwerin Aktenvernichtungen zum Schutz von »Patrioten«96 an, was schon rein sprachlich auf einen MfS-Einfluss schließen lässt. MfS und das verdeckt als Zulieferbetrieb arbeitende Institut für wissenschaftlichen Gerätebau (ITU, dem ehem. MfS nachgeordneter Betrieb) als volkseigener Betrieb unter dem Signet IWG vereint worden, ein sicherer Unterschlupf für mehrere hundert ehemalige Stasi-Offiziere. Vgl. dazu Wir stehen im Vorhof der Hölle. In: Der Spiegel (1990) 48. 92 Die AG Sicherheit war eine Unterarbeitsgruppe des Zentralen Runden Tisches, die die Auflösung der Staatssicherheit begleitete. Thaysen: Der Zentrale Runde Tisch, Bd. 2, S. 522 ff. 93 RHG, Bestand Gill, Bd. 9. 94 Süß: Staatssicherheit am Ende, S. 674 ff. 95 Vorschlag zum weiteren Umgang mit Archivgut und dienstlichem Schriftgut des ehemaligen MfS/Af NS, 8.1.1990; RHG, Bestand Gill, BK, Bd. 8. 96 Klähn: Die Auflösung, S. 71. Mit Patrioten bezeichnete das MfS gern insbesondere seine Agenten im Westen. Im öffentlichen Sprachgebrauch war diese Vokabel damals nicht sonderlich geläufig oder gebräuchlich.
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Die eigentliche Initiative zur Vernichtung der elektronischen Datenträger ging von einer Unterarbeitsgruppe des Zentralen Runden Tisches aus, dem Gremium, das im Ergebnis der friedlichen Revolution einen neuen Kompromiss zwischen den alten und neuen politischen und sozialen Gruppierungen aushandeln sollte. Dementsprechend waren in den Untergruppen auch Vertreter der alten Blockparteien vertreten, die zuvor mit der SED paktiert hatten. Man kann aus den Beratungsprotokollen den Eindruck gewinnen, dass insbesondere Vertreter der ehemaligen Blockparteien umso konsequenter für die Vernichtung personenbezogener Daten eintraten, je deutlicher eine politische Entwicklung in Richtung deutscher Einheit absehbar war. Auch waren hochrangige ehemalige MfS-Mitarbeiter beispielsweise in der Funktion des Verbindungsoffiziers der Staatssicherheitsführung zum Runden Tisch immer wieder in Sitzungen der AG Sicherheit und anderer Gremien vertreten.97 Ohnehin lag nach dem Willen der letzten SED-Regierung unter Modrow die Auflösung des MfS primär in den Händen eines staatlichen Regierungskomitees, in das zahlreiche ehemalige MfSMitarbeiter eingebunden waren.98 Da nimmt es nicht Wunder, dass schon im Februar 1990 die Vernichtung der elektronischen Datenträger des MfS gefordert wurde. Nunmehr argumentierte man stärker mit Persönlichkeitsrechtsverletzungen. Einer anderen Behauptung zufolge wollte man drohenden nationalen Konflikten vorbeugen.99 Das war ein Gedankengang, der sich allzu deutlich an die These von der Mord und Terror befördernden Aktenöffnung aus der ehemaligen Staatssicherheitsführung anlehnte. Ein Vorschlag aus Schwerin zur Vernichtung der Datenträger wurde am 12. Februar 1990 von der AG Recht des Runden Tisches unangemeldet in die Plenumssitzung eingebracht, obwohl eigentlich die AG (Staats-)Sicherheit für solche Auflösungsfragen zuständig war. Ein Vertreter des Schweriner Komitees erhielt Rederecht. Er forderte die »sofortige physische Vernichtung aller elektronischen Speichermedien, insbesondere der zentralen Personendatenbank und der Extraspeicher in der Hauptabteilung XIII«.100 Er begründete den Vorstoß vor allem mit der Gefahr, dass nach der deutschen Einheit bundesrepublikanische Geheimdienste auf die Daten zugreifen könnten. Man hat den Eindruck, dass die Angelegenheit dann von einigen Anwesenden, vor allem der Vertreterin des FDGB am Runden Tisch, durchgepeitscht werden sollte. Verschiedene Bürgerrechtsgruppen widersprachen dem deutlich, fühlten sich überfahren und warnten vor Kompetenzüberschreitungen. Als Zwischenfazit wurde festgehalten, dass 97 Festlegungsprotokoll der Beratung der AG-Sicherheit, 6.2.1990; Bestand BK Berlin. 98 Worst: Das Ende, S. 83 ff. 99 AG Sicherheit: Beschlussentwurf, 20.2.1990; Bestand BK Berlin. 100 Klaus Behnke auf der 12. Sitzung des Runden Tisches am 12.2.1990, Thaysen: Der Zentrale Runde Tisch, Bd. 3, S. 752. Statt der fälschlich angenommenen MfS-HA XIII war die Abt. XIII, das MfS-Rechenzentrum und zugleich technischer Host der ZPDB gemeint.
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der Runde Tisch zu der Auffassung »keine Vernichtung der Akten, sondern [zu] Sicherstellung, Versiegelung«101 tendiere. Die Angelegenheit wurde vertagt, die AG Sicherheit sollte einbezogen werden. Trotz der Warnungen vor überhasteten Entscheidungen im Plenum des Runden Tisches wurde schnell zur Tat geschritten. Der AG Sicherheit blieb kaum Zeit, sich intensiver mit der Materie zu befassen.102 Auch bei den Begehungen des Bürgerkomitees Ende Januar, Anfang Februar 1990 konnte nur ein grober Überblick über die EDV erlangt werden. Erst am 5. März 1990 wollte man sich die zentrale Personendatenbank des MfS das erste Mal in der Praxis vorführen lassen.103 Doch schon am 19. Februar entschied der Runde Tisch auf der Basis einer gemeinsamen Beschlussvorlage von AG Recht und AG Sicherheit. Nach vergleichsweise kurzer Diskussion erfolgte die Abstimmung einstimmig.104 Die Datenträger inklusive der elektronisch gespeicherten Programme sollten nun innerhalb von 16 Tagen aufgelistet und physisch vernichtet werden. Selbst wenn Daten diese Aktion überlebt hätten, wären sie mangels Software kaum noch lesbar gewesen. Argumentiert wurde mit der »verfassungswidrige[n] Verletzung von Bürgerrechten«.105 Der Vorschlag wurde schließlich durch einen förmlichen Beschluss des Ministerrates in Kraft gesetzt.106 Bedenken gegen die Vernichtung wurden am Runden Tisch mit dem Argument ausgeräumt, dass lediglich der schnelle Zugriff verhindert werden sollte, da ja alle Informationen noch zweimal in Papierform vorhanden seien.107 Ganz falsch war die Beschwichtigung nicht, dass die Aufarbeitung durch die Vernichtung wegen der Doppelüberlieferungen nicht gefährdet sei. Wegen der Sicherheitsphilosophie von Erich Mielke waren grundsätzlich alle Informationen auch in Papierform vorgehalten. Aber der Verweis auf die vorhandenen Akten verniedlichte den Qualitätssprung, der mit dem Einsatz der EDV im MfS einherging. Es ist ein großer Unterschied, ob man Erfassungsbögen mit Detailinformationen liest oder nachvollziehen kann, wie quasi per Knopfdruck ein Sachbericht oder ein Personenbild entstehen, die sich aus dutzenden Informationen zusammensetzen, die an verschiedenen Stellen, zu verschiedenen Zeiten aus unterschiedlichen Quellen gewonnen wurden. 101 Moderator Martin Ziegler auf der 12. Sitzung des Runden Tisches am 12.2.1990, Thaysen: Der Zentrale Runde Tisch, Bd. 3, S. 754. 102 Angeblich votierte die AG Sicherheit schon am Tag ihrer Aufgabenübertragung für die Vernichtung der Datenträger. Protokoll der Sitzung der AG-Leiter des Bürgerkomitees Berlin, 12.2.1990; Bestand BK Berlin. 103 Protokoll der Sitzung der AG-Leiter des Bürgerkomitees Berlin, 5.3.1990; Bestand BK Berlin. 104 Thaysen: Der Zentrale Runde Tisch, Bd. 3, S. 874. 105 Ebenda, Bd. 3, S. 872. 106 Konopatzky: Dokumentation BStU, S. 4. 107 So argumentierte beispielsweise Dankwart Brinksmeier (SDP) von der AG Sicherheit. Thaysen: Der Zentrale Runde Tisch, Bd. 3, S. 873.
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Als 1990 die Entscheidung überhastetet gefallen war, begann manchem Beteiligten zu dämmern, möglicherweise unter falschen Voraussetzungen zugestimmt zu haben. »Da jetzt bekannt ist, dass bereits zahlreiche Akten vernichtet sind und wahrscheinlich vollständige Informationen nur noch elektronisch gespeichert vorliegen, schlägt die Arbeitsgruppe vor, alle nicht abgesichert schriftlich vorhandenen Dateien und Informationen vor der physischen Vernichtung der elektronischen Datenträger auszudrucken.«108 Das war jedoch nicht allein ein Eingeständnis, ohne hinreichende Kenntnis geurteilt zu haben, sondern auch ein offenkundig nicht zu realisierender Vorschlag. Es ist auch nicht erkennbar, dass eine Einzelprüfung der Datenträger erfolgte und entsprechend Dateien ausgedruckt worden wären. Eher gegenteilig wurde die Vernichtung von Datenträgern in den meisten Fällen nicht inhaltlich aufgeschlüsselt und genau protokolliert. Vielmehr kam man überein, die Datenträger vor Ort unleserlich zu machen und die Disketten sogar in den Diensteinheiten physisch zu zerstören. Im Prinzip sollte das unter den Augen der Bürgerkomitees erfolgen. Die kamen aber mit den vielen Terminen nicht hinterher, sodass oft ohne deren Anwesenheit vernichtet wurde. »Hier wurden aus unserer Sicht Motivationsprobleme deutlich«,109 schrieben die amtlichen Auflöser süffisant in ihre Berichte. Es ist höchst zweifelhaft, dass die Auflöser überhaupt je einen Überblick über den Datenbestand des MfS besaßen. Die offizielle Auflistung für die Vernichtungsaktion stammt vom 2. März 1990. Von ehemaligen MfS-Mitarbeitern erstellt, entstand sie erst Monate nach Beginn des Rückbaus der Staatssicherheit und des Beginns der Aktenvernichtungen, kurz vor der Vernichtungsa ktion.110 In der Zwischenzeit fanden massive Datentransfers statt.111 Die meisten Daten waren durch backups gesichert, existierten also mehrfach. Es war daher im Prinzip nicht sonderlich schwierig, in der Umbruchphase Datensammlungen zu entwenden, ohne dass solche Entnahmen bei der Inventur Anfang März 1990 zu Buche geschlagen hätten. Die Vollständigkeit sollte nicht durch Altinventare geprüft werden. Die Bürgerkontrolleure mussten feststellen, dass es keine zentrale Beschaffung im ehemaligen MfS gab und daher keine Nachweise zur EDV-Beschaffung vorlagen. Die vorliegende Auflistung war von nur »geringem Aussagewert«.112
108 Festlegungsprotokoll der AG-Sicherheit, 20.2.1990; Bestand BK Berlin. 109 Staatliches Komitee zur Auflösung des AfNS: Aktennotiz, 21.2.1990; BArch, DO 104/14, Bl. 991. 110 Komitee zur Auflösung des MfS: Abschlussbericht zur Vernichtung der magnetischen Datenträger zu personengebundenen EDV-Projekten des ehemaligen Af NS, 19.3.1990; ebenda, Bl. 886–992, hier 987. 111 Bürgerkomitee Berlin, AG Informatik: Protokoll der Informationsberatung am 24.1.1990; RHG, Bestand Gill, BK, Bd. 2. 112 Bürgerkomitee Berlin, Bereich Akten, Schriftgut, Informatik: Notiz, o. D. (vermutl. Februar 1990); RHG, Bestand Gill, BK, Bd. 18.
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Hilfsweise musste man sich mit eidesstattlichen Versicherungen von ehemaligen MfS-Mitarbeitern begnügen, dass die Bestände vollständig wären.113 Auf der Grundlage solch einer Erklärung verbrannte beispielsweise ein Regierungsbeauftragter im Beisein von Militärstaatsanwaltschaft und Volkspolizei in Halle 23 Disketten der dortigen Spionageabteilung. Sie waren mit der eidesstattlichen Erklärung des ehemaligen BVfS-Stellvertreters zufrieden, dass das alles sei.114 Um die Kooperationsbereitschaft der ehemaligen MfS-Mitarbeiter war es freilich unterschiedlich bestellt. Die Verantwortlichen der HA VIII, darunter deren Leiter Generalmajor Carli Coburger, die für Observationen aber auch für Entführungen verantwortlich waren, versicherten einer Kontrollgruppe des Bürgerkomitees, dass »keine Rechentechnik« existiert hätte.115 Demgegenüber ist einer späteren Aufstellung für das staatliche Auflösungskomitee zu entnehmen, dass die HA VIII über vier Bürocomputer mit Lochstreifen- bzw. Magnetbandtechnik verfügte.116 Es war für die Kontrolleure angesichts der vielen und teilweise versprengt angesiedelten MfS-Immobilien nahezu unmöglich, einen wirklichen Überblick zu bekommen. Mehr oder minder zufällig entdeckte man beispielsweise in einer konspirativen Privatwohnung mitten in Berlin Elektronik nebst 15 Disketten.117 Die Bürgervertreter fühlten sich oft für dumm verkauft, sahen sich »vollkommen überfordert« und vielfach in eine »Alibirolle gedrängt«.118 Die offizielle Bilanz des staatlichen Auflösungskomitees über die Vernichtung der Datenträger weist wohl aus diesem Grunde Ungereimtheiten auf. Danach wären im März 1990 insgesamt 10 611 Magnetbänder des MfS vernichtet worden. Allein in der MfS-Abteilung XIII waren aber schon 10 091 Datenbänder vorhanden.119 In Berlin-Hoppegarten und in Dresden wurden zusätzlich 5 267 Disketten und 544 Magnetdatenspeicher physisch vernichtet, in einem Fall sogar spektakulär unter den Objektiven der Kameras des ARD-Fernsehteams von »Kontraste«. Dabei fiel offenbar keinem der Beteiligten auf, dass zwar 5 267 Disketten vernichtet, demgegenüber jedoch 6 447 Stück inventarisiert waren; das macht eine Differenz von 1 180 Disketten aus.120 Es ist also höchst fraglich, dass damals wirklich alle 113 Vorlage 13/34 des Runden Tisches zur physischen Vernichtung magnetischer Datenträger des MfS/Af NS, Thaysen: Der Zentrale Runde Tisch, Bd. 3, S. 872. 114 Terminlicher Ablauf zur Überprüfung und Löschung der magnetischen Datenträger, o. D. (vermutl. März 1990); BArch, DO 104/14, Bl. 1038. 115 Vgl. Schmole: Hauptabteilung VIII, S. 13 u. Bürgerkomitee Berlin, AG Informatik: Protokoll der Begehung, 31.10.1990; RHG, Bestand Gill, BK, Bd. 2. 116 Bestandsnachweis EDV-Geräte nach Standort, 28.2.1990; BArch, DO 104/14. 117 Bürgerkomitee Berlin: Übernahmeprotokoll, 28.3.1990; ebenda, Bl. 1046. 118 Bürgerkomitee Berlin, AG 4-Informatik, 1.1.1990; RHG, Bestand Gill, BK, Bd. 2. 119 Die von Stephan Konopatzky neu erschlossene Datenbank BStU, MfS, XIII/MD/1 MDV listet die zum Anfang des Jahres 1990 vorhanden Datenträger der Abt. XII auf. Demnach gab es dort 262 Magnetplatten und 4 272 Disketten. 120 Komitee zur Auflösung des MfS: Abschlussbericht zur Vernichtung der magnetischen Datenträger zu personengebundenen EDV-Projekten des ehemaligen Af NS, 19.3.1990; BArch,
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Datenträger unschädlich gemacht wurden. Die am Runden Tisch entscheidenden Bürgerrechtler und die Bürgerkomitees zur praktischen Kontrolle der Auflösung der Staatssicherheit scheinen von der schnellen Entscheidung überrollt worden zu sein. Die Datenträgervernichtung hätte man aus heutiger Sicht ohne Not auf einen späteren Zeitpunkt verschieben können. Hinter den Vernichtungsplänen steckten zweifelsohne ehemalige MfS-Strategen. Die andere Seite ging wohlmeinend darauf ein, um die verfassungsmäßigen Rechte der Bürger wiederherzustellen. Allerdings herrschte auch ein erstaunliches Misstrauen vor, dass westliche Dienste im Falle der sich anbahnenden deutschen Einheit die Daten missbrauchen könnten. In diesem Punkt schienen sich beide Seiten am Runden Tisch merkwürdig einig. Letztendlich griff die Überrumpelungsstrategie und begünstigte eine Entscheidung, noch bevor die Kontrollkräfte genügend Sachkompetenz erwerben konnten, verständig zu beurteilen, worüber genau sie eigentlich entscheiden sollten. Die Vernichtung der elektronischen Datenträger zeitigt mehrere problematische Folgen. Sie verstellt den Blick auf die reale Leistungsfähigkeit des MfS im Jahr 1989. Die Hinterlassenschaften in Papierform stehen für einen Arbeitszustand, der für das MfS technologisch etwa zwischen Mitte bis Ende der 1970er-Jahre charakteristisch war. Die dynamische Entwicklung der elektronischen Datenverarbeitung der 1980er-Jahre bleibt durch den Coup des MfS während der Auflösungsphase in heutigen Darstellungen des MfS oft außen vor. Darüber hinaus ist nicht nachvollziehbar, ob alle Daten unschädlich gemacht wurden. Die Diskrepanzen bei Zahlenangaben sprechen eher gegen eine völlige Vernichtung. Zudem erleichterte die Datenzerstörung eine Verschleierung möglicher Entwendungen von Datenträgern. Die Vernichtung steht auch einer Klärung entgegen, welche Informationen an fremde Dienste, insbesondere den KGB, weitergeleitet wurden. Zu berücksichtigen bliebe ferner, dass insbesondere die Datenträger der HA III teilweise über das Jahr 1989 hinaus wirksames Erpressungspotenzial enthielten. So spielten bei der Aufklärung der Vorgänge um den Rücktritt des ehemaligen Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein, Björn Engholm, noch 1995 Informationen der HA III über das Wissen Engholms in der sogenannten Barschel-Affäre eine wichtige Rolle.121
DO 104/14, Bl. 886–992; Konopatzky: Dokumentation BStU, S. 5. Wie fragwürdig die damaligen Zahlen waren, zeigt, dass nach der Vernichtung noch immer über 21 000 Datenträger in die Archive des BStU gelangten, wenn sich auch die Hälfte davon als gelöscht oder leer erwies. Konopatzky: Dokumentation BStU, S. 6. 121 Der Focus befragte eine ehemalige Auswerterin der HA III, Marion Herrmann genannt. Vgl. Diskrete Treffen in Privatwohnung.
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9.4 Nutzung von Datenbanken außerhalb des MfS Das MfS hatte schon immer auf Informationen aus anderen DDR-Institutionen durchgegriffen. Meist waren es sogenannte offizielle Partner, meist Funktionäre oder auch IM, die derartige Daten beschafften. Der wachsende Einsatz der elektronischen Datenverarbeitung in der staatlichen Verwaltung, im Dienstleistungssektor und in der Wirtschaft der DDR weckte im MfS Begehrlichkeiten, auf Datensätze, Datenreihen entsprechend den technischen Möglichkeiten zuzugreifen. Auch Datenbankabgleiche rückten in den Bereich des technisch Möglichen. Erleichtert wurden diese Zugriffe durch eine gesamtstaatliche Strategie, die Datenbanklösungen im Interesse der Planwirtschaft zu vereinheitlichen versuchte. Zudem herrschte eine Datenschutzphilosophie vor, die staatliche Daten, nicht aber Bürgerdaten vor dem Zugriff schützte. All das spielte dem Sicherheitsapparat mit seinen dominanten Eingriffsrechten in die Karten und erlaubte, potenziell die eigenen Datenbestände automatisiert durch die anderer Institutionen zu ergänzen. Insgesamt war der Zugriff auf Daten aus Staat, Verwaltung und Wirtschaft für das MfS nicht neu. Das war ein traditionelles Resultat des operativen partnerschaft lichen Zusammenwirkens von MfS und beispielsweise Verwaltungseinrichtungen. Die neue Qualität bestand in der schnellen Verfügbarkeit einer Fülle von Daten, die in der Kombination mit den im MfS schon vorhandenen Informationen meist relativ komplexe Aussagen zu einer Zielperson ermöglichten. Die Zugriffe auf fremde Datensammlungen nahmen zumindest bei Daten des Ministeriums des Innern routinemäßigen Charakter an. Insgesamt konnte die Staatssicherheit systematisch Zugang auf Daten aus anderen DDR-Institutionen erhalten. Dadurch erweiterte sich die vom MfS für Zwecke der Überprüfung, Überwachung oder Unterdrückung von Personen nutzbare Datenbasis um ein Vielfaches. Die DA 1/80 regelte primär die Aufbereitung und die Weitergabe von Daten, die vom MfS mit eigenen Mitteln erhoben wurden. Wie sich in den Jahren nach 1980 die Informationsverarbeitung verändern sollte, zeigen die danach erlassenen Speichernutzungsordnungen des MfS. Keineswegs zufällig regeln diese Zugriffe von Diensteinheiten des MfS auf die Informationsspeicher von anderen staat lichen und gesellschaftlichen Organisationen.122 Nunmehr sollten diese Zugänge systematisiert und quasi automatisiert werden. Das MfS sollte aus Gründen der Effizienz ressourcensparend nur die Spezialdaten verwalten, die es mit seinen spezifischen Mitteln selbst geschöpft hatte. Ergänzend dazu sollte es systematisch Zugang auf Daten aus anderen DDR-Institutionen erhalten. Man war offenbar auf dem Weg zu einem großen Datenverbund, in dem das MfS seine spezifischen Interessen der einheitlichen Datenintegration einzubringen versuchte.
122 Vgl. Lucht: Archiv der Stasi, S. 218 u. Jedlitschka; Springer: Gedächtnis der Staatssicherheit, S. 177.
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9.4.1 Die Personendatenbank des Ministeriums des Innern Im Rahmen der Neuordnung der Informationsverarbeitung griff das MfS auch auf externe Speicher oder Datenbanken zu. Die Vokabel Outsourcing123 ist in diesem Zusammenhang irreführend. Vielmehr wollte und sollte sich das MfS bei der eigenen Datensammlung präziser auf seine spezifischen Aufgaben konzentrieren. Das belegen die zwischen 1980 und 1989 erlassenen MfS-internen Speichernutzungsordnungen.124 Der wichtigste Speicher von Institutionen außerhalb des MfS war die Personendatenbank der DDR (PDB), die in Verantwortung des Ministeriums des Innern (MdI) aufgebaut und geführt wurde. Diese sollte plakativ die »Arbeit der Volkspolizei und der anderen Organe des MdI sowie der anderen Schutz- und Sicherungsorgane sowie andere staatlicher Organe wirkungsvoll unterstützen«.125 Auf der Basis einer Vereinbarung zwischen den beiden Ministern aus dem Jahr 1977 wurde im MdI beim Büro für Personendaten eine zentrale Auskunftsstelle aufgebaut, die je zur Hälfte mit Personal des MdI und Personal des MfS betrieben werden sollte. Die beteiligten MfS-Mitarbeiter waren an den Bereich 3 der ZAIG angebunden und sollten nach den Planungen von 1981 im MdI als getarnte MfS-Offiziere mit OibE-Status arbeiten.126 Es wurden zunächst vier OibE des MfS in der MdI-Auskunftsstelle eingesetzt. Dazu ergänzend wurde zum 1. Januar 1985, nach einer weiteren Vereinbarung zwischen MdI und MfS, in der ZAIG/3 eine mit 16 Planstellen unterlegte Arbeitsgruppe PDB gebildet. Die AG sollte im Zusammenwirken mit den zuständigen Stellen des MdI alle Aufgaben zur Nutzung dieser Datenbank durch die Diensteinheiten des MfS realisieren.127 Man kann davon ausgehen, dass spätestens Mitte der 1980er-Jahre der Datentransfer vom MdI zum MfS reine Routine war. Die MfS-Mitarbeiter verfügten über Hausausweise des MdI und im Rechenzentrum in Berlin-Biesdorf über eigene Räume, wo sie über Terminals Datenzugriff auf die PDB hatten. 123 Süß: Staatssicherheit im letzten Jahrzehnt, S. 46. 124 Das MfS erließ seit 1980 eine Reihe von Speichernutzungsordnungen, die 1989 teilweise neu gefasst wurden: Ordnung Nr. 9/80 (zu MfS-Speichern), Ordnung Nr. 9/83 (zu Speichern anderer Organe), Ordnung Nr. 18/85 (zu MdI-Speicher), Ordnung Nr. 3/89 (zu MfS-Speichern), Ordnung Nr. 4/89 (zu Speichern anderer Institutionen). Vgl. exemplarisch MfS: Ordnung Nr. 9/80, Speichernutzungsordnung; BStU, MfS, BdL/Dok. Nr. 5745 u. MfS: Ordnung Nr. 4/89; BStU, MfS, HA KuSch Nr. 360, Bl. 78–86; die Thematik behandeln beispielsweise Jedlitschka; Springer: Gedächtnis der Staatssicherheit, S. 177. 125 MdI: Ordnung Nr. 121/83 über die Führung der Personendatenbank der DDR. Die Nutzung der gespeicherten Daten und die Gewährleistung des Datenschutzes, 10.6.1983: BArch DO 1/61583, Bl. 3 ff. 126 1989 bildete das Personal die ZAIG/Bereich 3/AG 11 und war auf 7 Planstellen angewachsen. Vgl. Wiedmann: Die Organisationsstruktur, S. 146. OibE waren hauptamtliche Mitarbeiter des MfS, die das MfS zur Wahrung eigener und spezifischer staatlicher Sicherheitsinteressen in Wirtschaft und Verwaltung der DDR einsetzte und deren Status und Biografie es verschleierte. 127 Auch 1989 verfügte das Personal über 16 Planstellen und bildete die ZAIG/Bereich 3/ AG 9. Vgl. Wiedmann: Die Organisationsstruktur, S. 146.
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Dass Daten online ins MfS übertragen werden konnten, wurde von den Verantwortlichen zum Zeitpunkt der Auflösung der Staatssicherheit bestritten. Der Austausch habe nur über Telefon- und Fernschreibverbindungen und schriftlich stattgefunden.128 Demgegenüber erinnert sich ein an der Auflösung Beteiligter, dass später mehrere Übertragungsleitungen entdeckt wurden.129 Diese Version findet sich gelegentlich auch in der Literatur.130 Von den Möglichkeiten des Ausdruckens oder fernschriftlichen Übertragungen zeugen zahllose PDB-Ausdrucke, die in MfS-Personendossiers abgeheftet sind. Neben diesen Ausdrucken zu je konkreten Einzelpersonen gab es vor allem im Reisebereich Massendatentransfers zumindest auf Datenträgern. So übermittelte das MdI 1988 Anträge von DDR-Bürgern auf Reisen in dringenden Familienangelegenheiten (DFA) auf Datenträgern an das MfS. Dort wurden die Daten mit der Datenbank der Zentralkarteien (SAVO) abgeglichen und die Bezirksverwaltungen über wichtige Befunde informiert.131 Im Jahr 1985 waren die MdI-Datenbank und die Vereinbarungen zwischen MfS und MdI soweit gediehen, dass die Geheimpolizei eine eigene Ordnung zur Nutzung der Personendaten durch die Diensteinheiten des MfS erlassen konnte.132 Demnach verfügten alle operativen Diensteinheiten grundsätzlich »über die Zugangsberechtigung zum gesamten Datenbestand der PDB«133 des MdI. Damit war der Datenzugang des MfS deutlich privilegierter als der vieler Diensteinheiten des MdI, der Volkspolizei oder anderer Kooperationspartner des MdI. Für jene war die Zugangsberechtigung für jedes einzelne Datenfeld streng reglementiert.134 Auch das ist ein Hinweis auf die schon öfter erwähnte asymmetrische Kooperation von MdI und MfS. Das Kernstück der PDB bildeten die Grunddaten aller DDR-Bürger und der in der DDR wohnenden Ausländer. Die Datenbank wurde in den 1970erJahren aufgebaut, weil die veralteten Methoden der Kreismeldekarteien und die örtlichen Meldestellen keinen automatisierten Datenzugriff ermöglichten.135 Die Datenbank war an den Maßstäben der Bundesrepublik gemessen datenschutzrechtlich sehr bedenklich ausgestaltet. Sie basierte nicht auf einer kommunalen 128 Bürgerkomitee Berlin, AG 4-Informatik: Protokoll der Begehung in Biesdorf Kornmandelweg, 30.1.1990; RHG, Bestand Gill, BK, Hefter 2. 129 So äußerte sich Harry Ewert im Telefonat mit dem Autor im März 2017. 130 Das transportieren beispielsweise ohne einen näheren Beleg anzuführen Herbst; Ranke; Winkler: So funktionierte die DDR, S. 1202. 131 MfS/Abt. XII: Information über den Zeitpunkt des Beginns der zentralisierten DFAÜberprüfungen in der Abt. XII, 22.3.1988; BStU, MfS, Abt. XII Nr. 4968, Bl. 3 f. 132 MfS: Ordnung Nr. 18/85 zur Nutzung der Personendatenbank der DDR durch die Dienst einheiten des Ministeriums für Staatssicherheit, 4.9.1985; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 11701, S. 1. 133 Ebenda. 134 MdI: Ordnung Nr. 121/83, Anlage zur Zugriffsberechtigung im Auskunftsdienst; BArch DO 1/61583, Bl. 64, 69. 135 Vgl. beispielsweise Schrankenlos gesammelt. In: Der Spiegel (1991) 8.
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Speicherung von Teildatenmengen, sondern stellte eine zentralisierte Speicherung aller Einwohnerdaten dar. Zudem war wenigstens jeder DDR-Bürger über eine 12-stellige Personenkennziffer (PKZ) identifizierbar, die zum 1. Januar 1970 in der DDR eingeführt wurde.136 Eine Vergabe von PKZ wurde im sogenannten Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichtes von 1983 für die Bundesrepublik als verfassungswidrig eingestuft. Eine solche Kennziffer verstoße gegen das Persönlichkeitsrecht, weil sie Personen nach Persönlichkeitsmerkmalen katalogisiere.137 Genau das war Sinn und Zweck der in der DDR eingeführten PKZ. Sie bestand nicht nur aus dem kompletten Geburtsdatum, sondern chiffrierte auch das Geschlecht und einen territorialen Schlüssel der Vergabestelle.138 Die PKZ erlaubte oder erleichterte Abfragen in den zahlreichen DDR-Datenbanken, die die PKZ jeweils als Datenpflichtfeld enthielten. Ergänzend zu den Grunddaten waren in der PDB Daten gespeichert, die weit über das hinausgingen, was man sich unter einer Einwohnermeldedatei für gewöhnlich vorstellt. Die erst im Zuge der Auflösung der DDR aufgekommene Bezeichnung Zentrales Einwohner-Register (ZER) verharmlost diesen Hintergrund.139 Die PDB enthielt neben den Grunddaten zur Person auch die Angaben zu den Angehörigen: Mutter, Vater, Kinder, Ehegatten, Geschwister, Schwager, Großeltern, Enkel, Schwiegereltern, Schwiegersöhne, Schwiegertöchter, Kind des Ehegatten, des Elternteils.140 Insgesamt konnten in der Fassung von 1983 zu einer Person 74 Datenfelder hinterlegt und diese wiederum mit mehreren Datenfeldinhalten angereichert werden. Mit dieser schon ausufernden Datensammlung war es aber noch nicht getan. Beispielsweise konnten im Feld Führerschein auch dessen eventueller Entzug jeweils mit Beginn und Beendigung sowie die Veranlassung des Entzugs hinterlegt werden. Bei Umzügen sollte angegeben werden, ob das »Wanderungsmotiv« durch Beschäftigung oder Ausbildung bedingt war, aus familiären oder gesundheitlichen Gründen erfolgte. Bei Reisen sollte die Art der Reise, ob im beruflichen Auftrag, als Tourist und so fort aufgeschlüsselt werden.141 Die Datenbank konnte Informationen darüber enthalten, ob jemand einen Waffenberechtigungsschein besaß, bereits ins Ausland reiste oder als kriminell gefährdete Person eingestuft war. Gleich mehrere Hinweise zielten auf Fluchtgefährdung, auffällige Ausreiseanträge, Ausweisungen aus dem Grenzgebiet oder insistierende 136 Herbst; Ranke; Winkler: So funktionierte die DDR, S. 1201 f. 137 Vgl. Jahresbericht. Der Berliner Datenschutzbeauftragte, S. 22 f. 138 Die letzte und zwölfte Zahl ist eine Prüfziffer. Sie konnte über einen Prüfalgorithmus sowie über einen komplexen Rechenweg (multiplizieren, addieren und dann dividieren) geprüft bzw. vergeben werden. Herbst; Ranke; Winkler: So funktionierte die DDR, S. 801 f.; Ewert, Harry, Ms. 2016. 139 Herbst; Ranke; Winkler: So funktionierte die DDR, S. 1201 f. 140 MfS: Ordnung Nr. 18/85, Arbeitshinweise, 4.9.1985; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 11701, S. 53. 141 MdI: Ordnung Nr. 121/83, Anlage, Aufstellung der zu speichernden bzw. aufzuzeichnenden Datenfelder; BArch DO 1/61583, Bl. 24 ff. u. 64.
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Versuche, die Übersiedlung in den Westen durchzusetzen. Ob jemand freiwilliger Helfer der Polizei oder mit Bewährungsauflagen und Aufenthaltsbeschränkungen belegt war, konnte ebenso eingespeichert werden. Selbstverständlich fehlten nicht Speichermöglichkeiten für Hinweise auf Haft, Vorstrafen, Tätermerkmale, die in einem siebenstelligen Täterindex verschlüsselt waren.142 Etwas überakzentuiert, aber im Grundsatz zutreffend wurde 1990 von Datenschutzseite festgehalten: »Mit der PDB war der umfassende Zugriff des Staates durch die Polizei auf den Bürger, der in allen Lebenslagen registriert wurde, gesichert.«143 Ob das MdI aus dieser Datenbank die Daten beispielsweise zur Kriminalität aufzurufen in der Lage war, ist ungewiss.144 Zweifelsohne existierten im Innenministerium diverse weitere Datensammlungen. Allein in dem Dialogorientierten Recherche- und Auskunftssystem über Personen und Sachen (DORA) waren seit 1984 Daten zu Straftaten, Ermittlungen, gerichtlichen Entscheidungen und Haftaufenthalten von etwa 500 000 Bürgern gespeichert.145 Erfasst wurde in den polizeilichen Datensammlungen ein wildes Gemenge von »Personen mit häufig wechselnden Geschlechtsverkehrspartnern«, Steuerfahndungsfälle, »registrierte Vereinigungen und durchgeführte Versammlungen« bis hin zu Fällen von Edelmetallverkäufen oder die Einfuhr von Hunden. Beschwerdeführer wurden im »Informationsspeicher der Eingabestelle des Staatsrates« oder nachgeordneter Behörden registriert. Im Zuge der deutschen Einheit wurden der neuen Polizei Gesamtberlins 40 Datensammlungen übergeben. Verdachtsmomente hinsichtlich deren nur bedingten Vollständigkeit konnten wohl nie völlig ausgeräumt werden.146 Im Bedarfsfall konnte also über die PDB hinaus in weiteren Datenbanken des MdI recherchiert werden. Aus manchen der Datenbanken von Polizei und MdI wurden zumindest einzelne Datenfelder in die PDB übernommen und ständig aktualisiert. Darunter fiel der K-Vermerk, der signalisierte, dass die Person bei der Kriminalpolizei als verdächtig eingestuft wurde.147 Auch wenn die PDB nicht alle im Bereich des MdI verfügbaren Daten umfasste, wurde sie doch kontinuierlich weiterentwickelt. Es wurden weitere Datenprojekte und Datenfelder aus dem Bereich des MdI und zunehmend auch Daten von externen Verwaltungen, wie dem Zoll, dem Staatssekretariat für Arbeit und Löhne, dem 142 MdI: Ordnung Nr. 121/83, Anlage, Aufstellung der zu speichernden bzw. aufzuzeichnenden Datenfelder; ebenda; MfS: Ordnung Nr. 18/85 zur Nutzung der Personendatenbank der DDR durch die Diensteinheiten des Ministeriums für Staatssicherheit, 4.9.1985; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 11701, S. 9 ff. 143 Jahresbericht. Der Berliner Datenschutzbeauftragte, S. 24. 144 Harry Ewert, der an der Auflösung der Datenbank beteiligt war, äußerte sich entsprechend in einem Telefonat gegenüber dem Autor im März 2017. In den im Rahmen dieser Arbeit gesichteten Unterlagen konnten keine diesbezüglich erhellenden Hinweise gefunden werden. 145 Herbst; Ranke; Winkler: So funktionierte die DDR, S. 1202. 146 Vgl. Schrankenlos gesammelt. In: Der Spiegel (1991) 8. 147 MdI: Ordnung Nr. 121/83, Anlage, Aufstellung der zu speichernden bzw. aufzuzeichnenden Datenfelder; BArch DO 1/61583, Bl. 24 ff.
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Seefahrtsamt eingelesen. Täglich wurden Daten aus dem Strafregister der Generalstaatsanwaltschaft ergänzt, 14-tägig Daten zu den Kadern der Zollverwaltung, monatlich solche zu Seeleuten, zu Ausländern und Mitgliedern der staatlichen Versicherung aktualisiert.148 Ende der 1980er-Jahre waren auch Informationen aus dem Datenprojekt der Generaldirektion der Reisebüros der DDR,149 dem Datenspeicher Wohnungspolitik (Wopol) und dem Arbeitsspeicher gesellschaftliches Arbeitsvermögen (GAV) über das Innenministerium abrufbar. Daten zum GAV beruhten auf Karteien, die ursprünglich bei den Räten der Kreise beziehungsweise beim Staatssekretariat für Arbeit und Löhne angelegt wurden. Allein die Datenbank GAV umfasste etwa 8,5 von 10 Millionen Werktätigen.150 Die Daten zur GAV gaben differenziert Auskunft über den Betrieb, die Arbeitsaufnahme, den Bildungsgang, die Tätigkeit, die wöchentliche Arbeitszeit, den Schichteinsatz eines Beschäftigten, zusätzlich Arbeitsunfälle mit Diagnoseschlüssel, die Anzahl von Geburten, Körperbeschädigungen, pflegebedürftige Familienangehörige und so fort. In der PDB waren davon zumindest die Betriebsnummer, die Teilbetriebsnummer, die Schulbildung und die ausgeübte Tätigkeit nachweisbar.151 Der Speicher Wopol umfasste die genaue Anschrift mit Wohnungsnummer, die es für jede Wohnung gab, darüber hinaus Zahl und Größe der Zimmer und die Ausstattung der Wohnung. Das MfS befürchtete in diesem Fall, das MdI könne mit diesem Instrument die konspirativen Wohnungen des MfS enttarnen.152 Bestimmte Genehmigungen, darunter alle Formen der Reiseentscheidungen, konnten auf Basis dieser Datenbankangaben im MdI oft schon entschieden werden, bevor das MfS mit seinen spezifischen Informationsquellen überhaupt zum Zuge kam. Durch den Zugang zu den Daten im MdI erlangte das MfS zudem Zugriff auf Informationen, die solide und zuverlässig aus offiziellem Verwaltungshandeln entsprangen. Auf jeden Fall bekam das MfS gegen Ende der DDR zahlreiche Hinweise in die Hand, ohne selbst ermitteln zu müssen. Allein im 1. Halbjahr 1987 wurden 4,7 Millionen Datensätze vom MfS beim MdI abgerufen.153 In Kombination mit den in den zentralen Speichern des MfS gesammelten Daten ergab sich daraus überwiegend ein facettenreiches Bild von einer Person. 148 MdI: Ordnung Nr. 121/83, Anlage, Datenübernahme von den Integrationspartnern in die PDB; BArch DO 1/61583, Bl. 24 ff. 149 In dieser Datenbank waren Informationen zu touristischen Auslandsreisen von DDRBürgern gespeichert. 150 Die Diskrepanz erklärt sich dadurch, dass Mitarbeiter der staatlichen Organe, von Parteien und Massenorganisationen, Angehörige der bewaffneten Organe, Direktstudenten (offenbar überwiegend) aus Geheimhaltungsgründen ausgeklammert waren. Das galt auch für die Mitarbeiter der Kirchen und Religionsgemeinschaften, weil die nicht der staatlichen Planung unterlagen. Ewert, Harry, Ms. 2016. 151 MdI: Ordnung Nr. 121/83, Anlage 2 zur 4. Änderung v. 27.6.1988; BArch DO 1/61583, Bl. 26 ff. 152 MfS/stellv. Minister Rudolf Mittig: Personenbezogene Datenspeicher, 6.2.1989; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 8800, Bl. 1–3. 153 Süß: Staatssicherheit im letzten Jahrzehnt, S. 46.
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Abb. 28: Auskunft aus der PDB des MdI
9.4.2 Informationsspeicher anderer Institutionen In einer der im MfS zuletzt erlassenen Speichernutzungsordnungen hieß es: »Die Informationsspeicher staatlicher und wirtschaftsleitender Organe, Kombinate, Betriebe und Einrichtungen sowie gesellschaftliche Organisationen sind zielgerichtet zur Lösung der politisch-operativen Aufgaben zu nutzen.«154 Das kann man so interpretieren, dass das MfS seinen Überwachungszugriff auf die Gesellschaft ausdehnte und sich dazu auch verschiedener Informationssammlungen in der Gesellschaft zu bemächtigen suchte. Allerdings war der Zugriff 154 MfS: Ordnung Nr. 4/89 zur Nutzung von Informationsspeichern anderer Institutionen; BStU, MfS, BV Potsdam, BdL Nr. 712.
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auf Datenbestände Dritter eine schon lange zuvor geübte Praxis. So wurden Informationen zu zahllosen Strafverfahren, die die Generalstaatsanwaltschaft aus Resozialisationsgründen löschte, seit den 1960er-Jahren vom MfS übernommen. Diese sogenannten Strafnachrichten wurden gesondert gesammelt und umfassten schließlich 4,5 Millionen Personeneinträge.155 Mit der Ordnung Nr. 9/80 von 1980 wurde den Diensteinheiten indirekt mitgeteilt, wer in der DDR primär dafür zuständig war, welche Datensammlungen anzulegen. Damit wurde indirekt der Datenhunger des MfS begrenzt, selbst Speicher, Karteien oder Datenbänke anzulegen, die man bei Dritten nutzen konnte. Das MfS verfügte zwar grundsätzlich über einen breiten Datenzugang, aber es ist keineswegs ausgemacht, dass es selbst über den größten Datenbestand verfügte. Der Datentransfer von externen Institutionen zum MfS ist bisher nicht erforscht. Die MfS-Ordnung Nr. 4/89 zur Nutzung von Informationsspeichern von Organisationen und Institutionen außerhalb des MfS, die mit der MfS-Speichernutzungsordnung Nr. 3/89 korrespondiert, nennt über 90 Informationsspeicher bei staatlichen und wirtschaftsleitenden Stellen, bei Kombinaten und Betrieben sowie bei gesellschaftlichen Einrichtungen, auf die die Diensteinheiten des MfS bei Bedarf zugreifen sollten. Darunter fielen unter anderem die Datensammlungen des staatlichen Versicherungswesens, die von diversen Eingabestellen, des Bank- und Sparkassenwesens, die Datenbank Rowdytum der Polizei, die Sammlung HWG-Personen, die Tätowiertenkartei, die Datensammlungen der staatlichen Notariate, Informationsspeicher der Kreisstaatsanwaltschaft, der Handwerkskammer, der Urania, der Krankenhäuser, der FDGB-Sozialversicherung, von ADN, der Deutschen Bücherei Leipzig, der Wehrkreiskommandos, des Genex-Geschenkdienstes.156 Die Datenabfragen in diesen Informationssammlungen vollzogen sich nicht so routiniert wie in der PDB des MdI, sondern waren im Einzelfall im MfS zu genehmigen. Meist reichte die Mitzeichnung eines Referatsleiters. Waren besonders sensible Daten wie beispielsweise Steuer-, Bank- oder Krankenhausdaten von Interesse, musste der Leiter der jeweiligen Hauptabteilung zustimmen. Zuständig für die Datenbeschaffung waren die Diensteinheiten, in deren Zuständigkeit die jeweilige Institution fiel, die über die jeweils interessierende Datensammlung verfügte. Ferner konnten über die jeweiligen Kreisdienststellen Anfragen an die lokalen Speicher der Abteilungen für Inneres oder der örtlichen Kriminalpolizei
155 MfS/Abt. XII: Information zum Sonderspeicher XII/01, 9.5.1989; BStU, MfS, HA IX Nr. 11394, Bl. 2 ff. 156 MfS: Ordnung Nr. 4/89; BStU, MfS, BV Potsdam, BdL Nr. 712, Anhang. Der GenexGeschenkdienst vermittelte Produkte als Geschenke an Privatpersonen in der DDR, die im Ausland von Privatpersonen in Devisen bezahlt wurden. Die Gaben entstammten vielfach der regulären DDR-Produktion und westlichen Gestattungsproduktionen in der DDR, konnten sich aber auch auf westliche Produkte erstrecken. Das Geschäftsmodell diente der DDR als Mittel der Devisenbeschaffung.
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gestellt werden.157 Die HA XX/10 erhielt von der Genex Geschenkdienst GmbH beispielsweise jährlich rund 100 000 Hinweise. Die Informationen wurden in einer DIN-A6-Kartei erschlossen, aus der andere MfS-Diensteinheiten Auskünfte über Genex-Geschenke an DDR-Bürger erhalten konnten.158 Noch mehr Recherchemöglichkeiten hatte die für Strafermittlungen zuständige HA IX zusammengetragen.159 Die Praktiken des MfS legen nahe, dass die jeweiligen Diensteinheiten OibE, IM oder offizielle Partner in Schlüsselstellungen in diesen Institutionen kontaktierten, um die interessierenden Informationen jeweils abfragen zu können. Zuweilen sind die Anlaufstellen und Personen relativ präzise benannt, wie beispielsweise im Falle der Kreisgeschäftsstelle der Handwerkskammer, des Bezirksvorstandes der Urania, der Bezirksredaktion der Tagespresse, die Post- und Eingangsstelle der Redaktion der Magazinsendung »Prisma« beim DDR-Fernsehen. Auch Reisestellen, VS-Stellen oder der FDGB-Kreisvorstand für die Sozialversicherung waren konkret benannt. Zu berücksichtigen ist, dass sich in der DDR der Datenschutz auf das staatliche Geheimhaltungsinteresse beschränkte und keine gesetzlichen Regelungen im Sinne eines Individualschutzes existierten. Daher war ein nahezu bedenkenloser Datenaustausch zwischen offiziellen Institutionen gang und gäbe und nicht ungesetzlich.160 Das noch relativ komplizierte Verfahren mit Einzelgenehmigung von Vorgesetzten und die Bezeichnung des Informationsspeichers lassen darauf schließen, dass 1989 keineswegs alle diese Speicher digitalisiert waren, sondern vielfach noch aus Karteien und ähnlichen Datenträgern bestanden. So ist fraglich, ob ganze Datenkolonnen überspielt oder ausgedruckt oder eher Einzelauskünfte eingeholt wurden. Nicht nur hier existiert noch Forschungsbedarf. Gegen Ende der DDR gab es mehrere sogenannte Datenverbundprojekte, die vermutlich über die PKZ kompatibel und verknüpfbar waren. In den 1980er-Jahren waren alle wichtigen Informationsspeicher der DDR in einer Nomenklatur mit Ordnungskennziffern festgehalten, die später auch den sich entwickelnden elektronischen Datenbanken zugewiesen wurden. So stand A für den Staatsapparat, F für das Gesundheitswesen. In A 09 wurden beispielsweise die Informationen zu Übersiedlungsersuchen der Räte der Kreise gespeichert, in F 06 Angaben zu Geschlechtskrankheiten, in F 05 Informationen aus dem Blutspendewesen.161 Das primäre Interesse an einer zentral systematisierten Struktur aller wichtigen Datenbanken dürfte letztendlich der Planungsbürokratie der DDR geschuldet 157 MfS: Überprüfungsmöglichkeiten in Speichern staatlicher und wirtschaftsleitender Organe sowie gesellschaftlichen Organisationen, o. D. (vermutl. 1988); BStU, MfS, HA IX Nr. 5008, Bl. 66–69. 158 MfS/Abt. XII: Schreiben an ZAIG, 29.12.1987; BStU, MfS, Abt. XII Nr. 637, Bl. 33–36. 159 MfS/HA IX: Katalog über Erfassungsmittel, Material, Sammlungen und Auskunftsmöglichkeiten, o. D.; BStU, MfS, HA IX Nr. 662, Bl. 1–140. 160 Jahresbericht. Der Berliner Datenschutzbeauftragte, S. 23. 161 Aufstellung durch Harry Ewert, im Besitz des Autors.
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gewesen sein, die stets genügend Daten für ihre Planungen benötigte. Die Datensammlungen standen dem autoritären Staat selbstverständlich und offenbar grenzenlos auch zur Verfügung, um beispielsweise Kriminalität zu bekämpfen und die Gesellschaft zu kontrollieren. Im Bereich der öffentlichen Sicherheit waren die Datenbanken als Integrationspartner durch periodische Datenaktualisierungen mit der PDB verbunden. Angeblich waren gegen Ende der DDR etwa 30 Projekte in diese Integration einbezogen.162 Soweit ersichtlich, erfolgten die Aktualisierungen noch nicht online. Die Daten wurden periodisch auf Magnetbändern oder in Form von schriftlichen Erfassungsbelegen überbracht. Ob das MdI über alle Daten der jeweiligen Partnerprojekte verfügte oder nur über eine Selektion auf den erwähnten 74 Datenfeldern zu einer Person, ist nicht gesichert überliefert.163 Plausibel dürfte sein, dass das MdI bei den aus dem eigenen Bereich erhobenen Daten Zusatzinformationen aus dem voluminösen Magnetträgerarchiv heranziehen konnte. Das betraf beispielsweise Angaben zu Straftaten oder zu Reisefragen. Offenbar war nicht das MfS der Knoten für diese Datenverbindungen, sondern das MdI.164 Das MfS zog allerdings vielfältigen Nutzen aus dieser Datenzusammenführung und bediente sich quasi parasitär mit Daten daraus. Das MfS war bei der weiteren Integration von DDR-Datenbanken nur einer der Akteure. Bei manchen Datenbankentwicklungen war es anderen Institutionen offenbar voraus. Dies galt insbesondere für den Kontext der Entwicklung der Personendatenbank der ZAIG. Deswegen konnte das MfS-EDV-Personal seinen Kollegen in der Zollverwaltung oder bei der Kriminalpolizei Programmier-, Service- und Einweisungshilfen anbieten. Dazu unterschrieben die jeweiligen Leiter Kooperationsvereinbarungen, die von Minister Mielke abgezeichnet wurden.165 Auch wenn das in den Vereinbarungen nicht explizit vorgesehen sein mochte, war doch die mittelbare Folge dieser Hilfe, dass die Datenbanken der anderen Organe analog zur ZPDB konstruiert wurden. Rein technisch gesehen war es dadurch relativ problemlos, kriminalpolizeiliche oder Zollfahndungsdaten zum MfS zu transferieren beziehungsweise mit MfS-Daten abzugleichen. Und genau das war offenbar das Ziel des MfS: Man wollte massenhaft und komplikationslos auf externe Speicher zugreifen, seien es alte Karteien oder moderne Dateien.
162 Ewert, Harry, Ms. 2016. 163 Harry Ewert behauptet, dass die Felder jeweils mit weitgehenden Zusatzinformationen hinterlegt waren. Im Rahmen der gesichteten Akten wurde dafür kein Beleg gefunden. 164 Ewert, Harry, Ms. 2016. 165 MfS: Vereinbarung über die Zusammenarbeit zwischen der ZAIG des MfS und dem Rechenzentrum der Zollverwaltung, 28.4.1988; BStU, MfS, ZAIG Nr. 50168, Bl. 96–102; MfS/ ZAIG: Zur Unterstützung des MdI bei der Schaffung einer zentralen Datenbanklösung für den Dienstzweig Kriminalpolizei, 2.3.1987; ebenda, Bl. 110–112.
Auf dem Weg zum großen Bruder?
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9.5 Auf dem Weg zum großen Bruder? Angesichts des massenhaften Zugriffes des MfS auf Daten drängen sich Bilder vom gläsernen Menschen oder dem Großen Bruder von Orwell auf. In Anbetracht der zur Verfügung stehenden Großdatensammlungen stellt sich auch die Frage, ob das MfS und/oder das MdI zu vergleichbaren Datenfahndungen in der Lage waren, wie sie unter dem Stichwort Rasterfahndung in der Bundesrepublik bekannt wurden. Ein Vergleich der Informationsverarbeitung des MfS mit der Methodik des Bundeskriminalamtes (BKA) bei der Terroristenfahndung im sogenannten Deutschen Herbst seit Ende der 1970er-Jahre kam zu dem Schluss, dass das MfS zu derartigen Fahndungen nicht in der Lage war.166 Die EDV-Verarbeitung in der DDR war zu der Zeit noch nicht weit genug entwickelt, vielfach dominierten Karteikartensysteme. Doch muss die damalige Antwort mit Blick auf die späten 1980er-Jahre relativiert werden. Abfragen, in denen verschiedene Personen- oder Sachverhaltsmerkmale vorgegeben und kombiniert wurden, um damit einen bestimmten Personenkreis herausdestillieren zu können, waren sowohl MfS-intern als auch auf dem Großrechner des MdI möglich. Ein MfS-internes Demonstrationsbeispiel lautete: »Es sollen Daten von Ausländern bereitgestellt werden, die in der DDR gemeldet sind und mit Haupt- oder Nebenwohnung oder Gemeinschaftsunterkunft in Löbau, Bahnhofsstraße gemeldet sind oder gemeldet waren.«167 Angegeben waren die abzufragenden Datenfelder. Dieses Beispiel basiert freilich auf nur einer umfangreichen Datenbank. Ob das MfS auch auf anderen Datenbanken derartige Abfragen durchführte beziehungsweise externe mit eigenen Datenbanken abglich, muss beim derzeitigen Stand weitgehend offenbleiben. Die einzigen bekannten Beispiele sind die erwähnten Informationen über Reisen, die das MfS in Form von Datenträgern übermittelt bekam. Die wurden dann mit der elektronischen Fassung der Zentralkartei SAVO abgeglichen, um herauszufiltern, ob Kontakte zu registrierten Verdachtspersonen zu erwarten waren. Dieser Datenabgleich bezog sich aber vermutlich nur auf die Personenprimärdaten und nicht auf differenzierte Personenmerkmale. Ohnehin scheint man sich im MfS als Geheimpolizei bei seinen Datenbankrecherchen geradezu klassisch und in der Regel eher an Verdachtsmomenten orientiert zu haben. Das BKA wurde für eine andere Methode bekannt, die sich unter dessen legendärem Präsidenten Horst Herold methodisch an die amerikanische Soziologie anlehnte. Herold versuchte, aus an sich belanglosen Sekundärphänomenen wie dem Stromverbrauch, der Art der Mietzahlung und so weiter beispielsweise Erkenntnisse zu Täteraufenthaltsorten zu ziehen. Eine derartige, eher intellektuelle Herangehensweise scheint den Mitarbeitern des MfS methodisch fremd geblieben zu sein. Die Datensammelei des MfS wurde formaljuristisch dadurch begünstigt, dass es in der DDR einen auf Bürger orientierten Datenschutz nicht gab. Der Daten166 Booß: Der Sonnenstaat, S. 441–457. 167 MfS: Ordnung Nr. 18/85 Arbeitshinweise, 4.9.1985; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 11701, S. 28.
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schutz sollte allein den Schutz der staatlich vorgehaltenen Daten bewirken. Das erleichterte es dem MfS, überall Daten für seine Zwecke einzusammeln. Dennoch bleibt ein erheblicher und qualitativer Unterschied zu Orwells Dystopie 1984. Mit dem »Big brother is watching you« verbindet sich die Vorstellung, dass der Diktator von Ozeanien technisch in der Lage sei, nahezu alle und alles zu sehen. Er verfügt über Televisoren, die als Bildschirm sowohl Propaganda vertreiben, als auch als Kamera in der Lage sind zu sehen, selbst wenn der Televisor ausgeschaltet ist. Der Televisor war gleichzeitig Empfangs- und Sendegerät. Wie oft und nach welchem System die Gedankenpolizei sich in einen Privatapparat einschaltete, blieb der Mutmaßung überlassen. Es war sogar möglich, dass jeder Einzelne ständig überwacht wurde. Auf alle Fälle aber konnten sie sich, wenn sie es wollten, jederzeit in den einen Apparat einschalten. Man musste in der Annahme leben – man stellte sich instinktiv darauf ein – dass jedes Geräusch, was man machte, gehört und, außer in der Dunkelheit, jede Bewegung beobachtet würde.168
Zu einer solchen technischen Überwachung waren weder das MfS noch das MdI in der Lage. Interessant ist allerdings die in diesem Zusammenhang von Orwell eingebrachte psychologische Komponente. Das Gefühl, überwacht zu werden, erscheint ihm mindestens so wichtig wie die rein technischen Möglichkeiten dazu. Auch wenn zu diesem Aspekt systematische Forschungen ausstehen, scheint es plausibel, dass gerade das MfS die Methode der psychologischen Abschreckung und Einschüchterung zu nutzen wusste. Obgleich das MfS von der Überwachungsfähigkeit in der Fiktion 1984 noch weit entfernt war, verfügte es gegen Ende der 1980er-Jahre über bemerkenswerte Fähigkeiten, Informationen zu Personen und zu Sachverhalten, die irgendwo im Apparat angefallen waren, in verhältnismäßig kurzer Zeit abrufen und integrieren zu können. Hinzu kamen technologisch ständig optimierte Fähigkeiten, auf Daten anderer Institutionen, vor allem des MdI, zugreifen und diese in den eigenen Datenbestand aufnehmen zu können. Allein die MdI-Daten lieferten jenseits klassischer Meldedaten Auskünfte über Bildung, Alkoholkonsum, gesundheitliche Defizite, sexuelle Prioritäten, Verkehrsverhalten und so fort. Erstaunlich wenig Bedeutung scheint demgegenüber die elektronische Informationsverarbeitung in jenen Bereichen des MfS besessen zu haben, die sich menschlicher Quellen, offizieller oder inoffizieller Art, bedienten. Hier überwogen traditionelle Arbeitsweisen, sofern die Informationen nicht in die ZPDB einflossen. Alle Pläne zur Entwicklung der elektronischen Datenverarbeitung im MfS wurden mit dem Ablauf des Jahres 1989 gegenstandslos. Spätestens ab Sommer 1989 war die EDV der Abteilung XII kaum noch in der Lage, den anfallenden Überprüfungen nachzukommen. An eine systematische Weiterentwicklung der elektronischen Datenverarbeitung im MfS war nicht mehr zu denken. 168 Orwell: 1984, S. 6.
10.
Strukturelle und resümierende Überlegungen
Vergleicht man die Befunde dieser Arbeit zu Aktivitäten des MfS mit herkömmlichen Definitionen zur Staatssicherheit, fallen einige Abweichungen auf. Geradezu klassisch beschrieb Karl Wilhelm Fricke die Aufgaben des MfS als »politische Geheimpolizei, als Untersuchungsbehörde bei sogenannten Staatsverbrechen und anderen politischen Delikten sowie als geheime[n] Nachrichtendienst«.1 Im Kern sind hier, wie durch viele andere Definitionen, nur drei Grundfunktionen beschrieben: –– die Funktion eines Geheimdienstes als Nachrichtenbeschaffer, –– exekutive geheimpolizeiliche Befugnisse gegen Staatsgegner, –– der starke Einfluss auf die politische Strafverfolgung. Diese Definition charakterisiert im Wesentlichen das MfS in seinen Anfangsjahren beziehungsweise in dessen damaliger Wahrnehmung. Formal knüpft sie an die Aufgabenbeschreibung in den Statuten der Staatssicherheit von 1953 an, eine der wenigen Normierungen deren geheimpolizeilicher Tätigkeit. Danach sollte das damalige Staatssekretariat »die Sicherheit des Staates, die Festigung der Staatsmacht und die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung gewährleisten«.2 Im Vordergrund standen damals neben einer Beschreibung der Methoden der Nachrichtenbeschaffung die Ermittlungen im Rahmen der politischen Justiz und die Zusammenarbeit mit der Polizei. In aktuelleren Beschreibungen wird auf Veränderungen in der Arbeitsweise des MfS hingewiesen, womit meist eine Erweiterung des geheimpolizeilichen Arsenals um die lautloseren Methoden der Zersetzung gemeint ist.3 Zudem wird auf Kompetenzerweiterungen aufmerksam gemacht, die das MfS »im Laufe der Jahre zu einer Großbürokratie mit einer Vielzahl weiterer Aufgaben«4 weiterent wickelte. Doch bleibt die Beschreibung des Mielke-Konzerns5 eher diffus, und dem MfS werden vielfach »nahezu uneingeschränkte Kontrollbefugnisse und Informationsmöglichkeiten«6 zugeschrieben.
1 Fricke: MfS intern, S. 8. 2 Statut des Staatssekretariates für Staatssicherheit v. 6.10.1953. In: Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 61 ff. 3 Reiprich: Eroberung und Konsolidierung der Macht, S. 15–21; Gieseke: Mielke-Konzern, S. 133. 4 Gieseke: DDR-Staatssicherheit, S. 5. 5 Gieseke: Mielke-Konzern, passim. 6 Janowitz: Ministerium für Staatssicherheit, S. 300–305, hier 302.
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Strukturelle und resümierende Überlegungen
Demgegenüber verweist die vorliegende Darstellung mehrfach auf Befunde, die der bisherigen Betonung eines allein repressiven Charakters des MfS entgegenstehen. So nahm sich das MfS stark der Wirtschaft und des Verkehrswesens an, kontrollierte den Staats- und vor allem den Sicherheitsapparat, überprüfte Tausende Personen im Zuge von Einstellungen oder Funktionsveränderungen und war phasenweise von der Kontrolle des grenzüberschreitenden Reiseverkehrs nahezu absorbiert. Das wirft die Frage auf, ob die Aufgaben des MfS und dessen Informationsziele nicht weiter zu fassen wären, als das bisher der Fall war. Wenig Aufmerksamkeit genoss bisher auch die Dynamik der Veränderungen in der Informationsverarbeitung. Das gilt insbesondere für solche Veränderungen, die mit der Kybernetik und der Kontrolle von Ost-West-Beziehungen und Reisebewegungen einhergingen und das gesamte Gefüge des MfS grundlegend veränderten.7 Ein weiterer Schwachpunkt bisheriger Beschreibungen des MfS ist die starke Fokussierung auf die inoffiziellen Mitarbeiter als Haupt-Quelle von Informationen, die sonstige Informationsgewinnungsmöglichkeiten deutlich unterschätzt. Ein gängiger Topos in vielen MfS-Kurzbeschreibungen ist auch der von der »flächendeckenden Überwachung«, der sich trotz kritischer Einwände weitgehend halten konnte.8 Diesen Fragen und Problemstellungen soll im Folgenden nachgegangen werden. Dazu werden die eingangs genannten wichtigsten Bereiche der Informationsverarbeitung getrennt und eher systematisch betrachtet: die Ziele, die Beschaffung, die Auswertung und Speicherung, die Nutzung von Informationen sowie resümierend der Zusammenhang von Überwachung und Informationsverarbeitung.
10.1 Informationsziele Eine genaue Analyse der von der SED und der MfS-Führung vorgegebenen Informationsziele des MfS steht noch aus. Sie würde sicher erhebliche Veränderungen der jeweiligen Schwerpunktsetzungen belegen. Dafür soll eine Reihe von Stichworten beispielhaft stehen: Da war zunächst die Furcht der SED vor einem rückwärtsgewandten Putsch, dann ging es um die Eingrenzung der Massenfluchten,9 nach dem Mauerbau um die Bekämpfung der Fluchthilfe. Nach den Protesten gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings rückte eine Zeit lang das Thema Hetze in den Vordergrund,10
7 Andeutungsweise berücksichtigte das bereits Süß: Staatssicherheit im letzten Jahrzehnt. 8 Kowalczuk: Stasi konkret, S. 209 ff.; Gieseke: Mielke-Konzern, S. 108 ff. 9 MfS: AW Nr. 1/60 über politisch-operative Maßnahmen zur Einengung der Republik fluchten; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 3499. 10 MfS: DA 2/71 zu Leitung und Organisierung der politisch-operativen Bekämpfung der staatsfeindlichen Hetze v. 26.6.1971; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 2341, abgedruckt in: Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 218–237.
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dem folgten das Zurückdrängen der Ausreisebewegung11 und schließlich der Oppositionsbewegung.12 All diese Ziele wurden im Apparat durch Befehle und Richtlinien und ähnlich definiert und in den Fokus genommen. Die sogenannte PUT-Richtlinie DA 5/85 ordnete 1985 eine bereichsübergreifende Konzentration auf den politischen Untergrund gegen oppositionelle Gruppierungen an. Unter dem Einfluss der Kybernetik sollten auch Jahresplanungen jeweils Grundorientierungen liefern. Sie verästelten sich in den einzelnen Fachlinien und sollten der Theorie nach, im Rahmen einer wissenschaftlichen Leitung und Planung, Impulse aus der analytischen Auswertung aufnehmen. Eine ähnliche Funktion kam Weisungen zu MfS-Aktionen (z. B. Berliner Passierscheinabkommen) zu, die das geheimpolizeiliche Agieren ausrichteten und den spezifischen Informationsbedarf formulierten. Informationsziele konnten auch mündlich, in Dienst- oder Parteiversammlungen, vom Leitungspersonal, angefangen beim Minister, vorgegeben werden. In den Reden von Mielke fallen vor allem Stereotype und ein ideologisch schwarz-weiß gezeichnetes Weltbild auf. In seiner Wahrnehmung waren alle negativen Entwicklungen und Resultate in der DDR letztlich Folgen eines gegnerischen Einflusses und der globalen Auseinandersetzung zwischen Sozialismus und Imperialismus.13 Das prägte und verzerrte jede Information, weil deren Interpretation damit vorgegeben war und wenig Spielraum für die Suche nach deren jeweils realem, inhaltlichem Gehalt blieb. Abgesehen von den politischen Zielen und eher an Zeitperioden gebundenen Vorgaben gab es im MfS strukturelle Hauptaufgaben. Diese lassen sich etwa an organisatorischen Veränderungen, den Personalkapazitäten und der Zahl der Vorgänge festmachen. Schon am Beispiel der Schwerpunkte des IM-Einsatzes in der KDfS Gransee zeigte sich, wie sehr sich das MfS für Bereiche interessierte, die zunächst nicht unbedingt der Sphäre geheimdienstlicher Aufgaben zuzurechnen wären. Auffällig war neben der Sicherung militärischer Anlagen und des Staatsapparates der für die Themen Wirtschaft und Landwirtschaft getriebene Aufwand. Im MfS war 1989 die Linie XVIII für die Überwachung der Volkswirtschaft mit rund 1 620 Mitarbeitern insgesamt stärker ausgestattet als die Linie XX für die Überwachung von Staat, Kirchen und Opposition mit 1 420 Mitarbeitern. Betrachtet man die Linie XVIII gemeinsam mit der Linie XIX zur Überwachung des Verkehrswesens, wäre dieser Bereich personell mit rund 2 580 Mitarbeitern sogar größer als die klassische Abwehrlinie II mit rund 2 250 Mitarbeitern.14 Auch Stichproben zu den Informationen des MfS an die Führung von Partei und 11 MfS: Bef. Nr. 6/77 zu Vorbeugung, Verhinderung und Bekämpfung feindlich-negativer Handlungen im Zusammenhang mit rechtswidrigen Versuchen von Bürgern der DDR, die Übersiedlung nach nichtsozialistischen Staaten und Westberlin zu erreichen, sowie zur Unterbindung dieser rechtswidrigen Versuche v. 18.3.1977; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 4791. 12 MfS: DA 2/85 zur vorbeugenden Verhinderung, Aufdeckung und Bekämpfung politischer Untergrundtätigkeit, 20.2.1985; BStU, MfS, BdL/Dok. Nr. 5083. 13 Booß: Im goldenen Käfig, S. 199. 14 Gieseke: Die hauptamtlichen Mitarbeiter, S. 396.
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Staat belegen, wie sehr deren Inhalte von Wirtschaftsfragen neben Reise- und Kaderfragen dominiert wurden.15 In Berlin machten Wirtschaftsthemen im Jahr 1984 beispielsweise 42 Prozent solcher Informationen aus.16 Der Beginn des starken geheimpolizeilichen Engagements in Wirtschaftsfragen wird gelegentlich in die 1960er-Jahre verlegt, als die Wirtschaft zu einer Hauptaufgabe17 des MfS wurde. Doch schon der Blick auf eines der ersten Organigramme des MfS von 1952 weist einen durch die Wirtschaft dominierten Anleitungsstrang mit einem eigenen Ministerstellvertreter aus.18 Die Ursprünge der Beschäftigung mit der Wirtschaft liegen sogar in der Vorgeschichte der ostdeutschen Geheimpolizei begründet. Schon die Polizei-Kommissariate K 5, eine Vorläuferorganisation des MfS, lieferten Gründe, um Guts- oder Fabrikbesitzern die Betriebe zugunsten der SED-Wirtschaft zu entziehen. Die Arbeitsgruppe K5c2 beschäftigte sich beispielsweise explizit mit »Sabotage am Aufbau«.19 Vor Gründung der Staatssicherheit geschaffen (1948) und eine Zeit lang parallel zu dieser existierend, nahm auch die Zentrale Kommission für Staatliche Kontrolle (ZKK) Einfluss auf den damals noch verbreitet existierenden bürgerlichen, privaten Wirtschaftssektor. Die ZKK bereitete auch Wirtschaftsstrafverfahren vor und diente damit unmittelbar als »Enteignungsinstrument der SED-Parteiführung«.20 In den Jahren 1952/53 verlor die ZKK ihre Strafverfolgungskompetenz faktisch an das MfS.21 Als begleitendes Instrument der gewaltsamen Eigentumsveränderungen in der Wirtschaft der SBZ 15 Eigene Auswertung und Berechnung nach BStU, MfS, BV Magdeburg, KD Zerbst Nr. 2802 und BStU, MfS, BV Magdeburg, KD Havelberg Nr. 3560. Ähnliche Belege für den Kreis Brandenburg fand Andrea Bahr. Vgl. Bahr: Parteiherrschaft vor Ort, S. 56 ff. 16 Prozentberechnung nach BV Berlin/AKG: Einschätzung der Informationstätigkeit, 2.1.1985; BStU, MfS, ZAIG Nr. 20222, Bl. 1–16, hier 8. 17 Haupt: Einfluss des Ministeriums, S. 79; Gieseke: Mielke-Konzern, S. 139. 18 1952 befanden sich die HA III (Wirtschaft), Abt. XIII (Verkehr) und Abt. XII im Anleitungsbereich von StM Otto Last. Die Zuordnung von HA und Abt. zu den Anleitungsbereichen war gerade in den 1950er-Jahren einem steten Wandel unterworfen. Vgl. Wiedmann: Die Diensteinheiten des MfS, S. 496 ff. 19 Plan der Arbeitsgruppenbildung der Kriminalpolizei in der sowjetischen Besatzungszone, o. D.; BArch, DO 1/07/16, S. 8. Die ideologisch aufgeladene Kommissariats-Bezeichnung Sabotage am Aufbau kann ohne Kenntnis von Fallbeispielen nicht inhaltlich konkretisiert werden, deutet aber auf rüde Formen der Verfolgung von Gegnern und Skeptikern des sozialistischen Gesellschaftsumbaus durch eine geheimpolizeiliche Struktur, die nur der SED gegenüber rechenschaftspflichtig war. Die Auffächerung erschöpfte sich nicht in der K5c2, die K5c3 verfolgte z. B. Fälle von antidemokratischer Hetze, während die K5c4 in der Funk- und Telefonkontrolle aktiv war. 20 Horstmann: Logik der Willkür, S. 198 ff., 435. Die ZKK als SED-Schattenstruktur unterlief die der SED damals nur begrenzt botmäßige oder von ihr ideologisch als untauglich angesehene Justiz und besorgte z. B. durch arrangierte Schauprozesse Betriebsentziehungen aus der damaligen Privatwirtschaft der SBZ/DDR zugunsten des staatlichen Wirtschaftssektors. Die ZKK fällt nicht unter die institutionellen Vorläufer des MfS. 21 Horstmann: Logik der Willkür, S. 436 f., 439; Braun: Justizkorrektur in der Gründungsund Frühphase der DDR, S. 115–132, hier 130 ff.
Informationsziele
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wurde im September 1948 zur Sicherung und Verwaltung des verstaatlichten Vermögens der Ausschuss zum Schutz des Volkseigentums bei der Deutschen Wirtschaftskommission (DWK) gebildet und mit der Gründung der DDR als Hauptabteilung Amt zum Schutz des Volkseigentums in das Ministerium des Innern eingegliedert.22 Dieses Amt befasste sich mit der Klärung der rechtlichen Sicherung des Volkseigentums und mit der Abwehr »politischer, wirtschaftlicher und verwaltungsmäßiger Angriffe gegen das Volkseigentum und Bekämpfung aller gegen das Volkseigentum gerichteten Bestrebungen«, unter anderem verbal verbrämt als Abwehr von Sabotage und Korruption.23 Neben den der Polizeisphäre zuzurechnenden Aufgaben war das Amt/die Hauptabteilung auch mit der organisatorischen Eingliederung der Betriebe und der »Kontrolle der Produktivitätsund Rentabilitätsverhältnisse für das Volkseigentum« befasst.24 Im Februar 1953 ging die Hauptabteilung/das Amt mit der Bezeichnung »Abteilung Staatliches Eigentum« als Teil des Staatssekretariates für Innere Angelegenheiten im MdI auf. Der unmittelbare institutionelle Vorläufer des MfS mit irritierend ähnlicher Bezeichnung, die »Hauptverwaltung zum Schutze der Volkswirtschaft« (HVzSV), war formal ebenfalls als Struktureinheit des MdI organisiert. Der Apparat wurde zuvor im Rahmen der Deutschen Verwaltung des Innern von deren damaligem Vizepräsidenten Erich Mielke unter der Bezeichnung »Arbeitsbereich D« aufgebaut.25 Der »Schutz der Volkswirtschaft« fand sich nicht nur im Namen dieses neuen Apparates, sondern bildete auch das spezifische Aufgabengebiet eines seiner größeren Dienststränge (Linie III), der sich von der Zentrale über die Länderverwaltungen bis in Kreisdienststellen erstreckte. Das starke Engagement des MfS in wirtschaftlichen Fragen hatte einerseits ideologische und andererseits strukturelle Gründe. Nach der Enteignung der Großindustrie lag der Anteil der verstaatlichten Wirtschaft schon 1946 bei 30 Prozent. Durch die weitgehende Enteignung mittelständischer Betriebe oder staatliche Beteiligungen an solchen Betrieben stieg die Staatsquote im sekundären Sektor bis zum Ende der 1940er-Jahre auf über 60 Prozent und erreichte Ende der 1950er-Jahre über 80 Prozent.26 Die Staatswirtschaft war für die junge DDR eine existenzielle Frage. Dass viele volkseigene Betriebe anfangs noch stark mit ihren Mutterbetrieben verflochten waren, die ihren Sitz beim sogenannten Klas22 Zur Entwicklung dieser Institution vgl. Einleitung im Online-Findmittel des Bundes archivs (ARGUS) zum Bestand DO 3; http://www.argus.bstu.bundesarchiv.de/DO3-24411/ index.htm?kid=e1c6eefd-f347-43bf-937a-ed989e4d058d (letzter Zugriff: 4.6.2020). 23 Aktennotiz, 24.9.1948; BArch, DO 1/07/17. 24 Aktenvermerk, 24.9.1948; ebenda. 25 Federführend war das sowjetische MGB, das dazu im Sommer 1949 eigens 115 Offiziere in die SBZ entsandte. Die HVzSV war nicht in die Weisungsstruktur des MdI eingebunden und fungierte, sofern sie überhaupt arbeitsfähig war, als Hilfsgeheimpolizei der sowjetischen Besatzungsorgane. 26 Henning: Das industrialisierte Deutschland, S. 251 f.
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senfeind im Westen hatten, machte die Sache aus Sicht der Kommunisten nur prekärer. »Schutz dem Volkseigentum«, hieß denn auch ein Artikel, den Erich Mielke 1946 verfasst hatte.27 Auch aus der leninistischen Prägung heraus war der Schutz der Wirtschaft den Mitarbeitern des MfS nichts Fremdes. Lenin persönlich hatte am 6. Dezember 1917, am Tag vor der Gründung der Tscheka (7.12.1917) Feliks E. Dzierzynski folgende Orientierung gegeben: »Die Bourgeois, die Gutsbesitzer und alle reichen Klassen machen verzweifelte Anstrengungen, um die Revolution zu untergraben […], zum Kampf gegen Konterrevolutionäre und Saboteure sind außerordentliche Maßnahmen notwendig.«28 Lenin machte feindliche Klassen und Schichten für die Machtgefährdung und die Versorgungsschwierigkeiten in dem kriegs- und bürgerkriegsgeschüttelten Land verantwortlich. Aus dieser Warte war es nicht abwegig, die Bekämpfung der Wirtschaftsmisere auch in die Hände des künftigen Geheimdienstes zu legen. Lenins Wirtschaftsauffassung war im Kern eher simpel, denn sie unterstellte, dass primär ein radikaler Elitenaustausch zu einer sozialen Umverteilung und erfolgreicher Wirtschaftsentwicklung führen würde. Zuweilen werden die ausgreifenden Aktivitäten des MfS in der Wirtschaft dem Ehrgeiz Mielkes zugeschrieben.29 Doch wurzeln die eher in der leninistischen Prägung der kommunistischen Führung der DDR, wirtschaftliche Probleme zu politisieren. Man griff angesichts der Wirtschaftsschwierigkeiten in der DDR auf die Lehren der Bolschewiki als erlerntes und naheliegendes, ideologisches Schema zurück. Symptomatisch diesem Muster verhaftet ist die Analyse des damaligen Leiters der Staatssicherheit, Ernst Wollweber, nach dem Besuch eines Suhler Schreibmaschinenwerkes. Nach seiner Auffassung produzierte es früher die besten Schreibmaschinen, »heute produzieren sie Schund [und] man erkennt, dass das nur Sabotage sein kann«.30 Der Minister forderte dazu auf, die verantwortlichen Agenten zu suchen. Auch bei Tierseuchen und Saatgutverlusten galt Wirtschaftssabotage als Ursache.31 Die Überwachung der Wirtschaft war also von Anfang an eine sich dynamisierende Aufgabe des MfS. Nach dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953 befürchtete man Wirtschaftssabotage und Desorganisation im Binnen- und Außenhandel »als Voraussetzung der feindlichen Tätigkeit«.32 Im Jahr 1957 forderte SED-Chef Walter Ulbricht das MfS bei einer Dienst27 Lübeck: Wir wollen freie Bauern bleiben, S. 167. 28 Zit. nach: Sofinow: Abriß der Geschichte der Allrussischen Außerordentlichen Kommission, S. 23. 29 Haendke-Hoppe-Arndt: Hauptabteilung XVIII, S. 123. 30 SfS: Protokoll über die Dienstbesprechung v. 29.9.1954; BStU, MfS, SdM Nr. 1921, Bl. 501–516, hier 506. 31 SfS: Protokoll über die Dienststellenleiterbesprechung v. 3.11.1954; BStU, MfS, SdM Nr. 1921, Bl. 482–500, hier 493 ff. 32 SfS: Disposition für die Ausarbeitung eines Referates über die feindliche Tätigkeit in der DDR, o. D. (vermutl. zweite Jahreshälfte 1953); BStU, MfS, SdM Nr. 1200, Bl. 284–289, hier 284.
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Abb. 29: Mitarbeiter operativer Linien des MfS, Oktober 1989 Die Grafik verdeutlicht die personell wichtige Position der MfS-Linie XVIII zur Wirtschaftsüberwachung.
konferenz dazu auf, noch stärker in den wichtigen Betrieben Fuß zu fassen, »in den leitenden Stellen drin [zu] sitzen«.33 In der Konsequenz wurden inoffizielle Mitarbeiter in Schlüsselstellungen der Wirtschaft eingeschleust beziehungsweise in solchen geworben. In den 1960er-Jahren wurden in Schwerpunktbetrieben MfSObjektdienststellen aufgebaut und dem MfS verpflichtete Sicherheitsbeauftragte installiert. Ein Ursachenbündel aus Entstalinisierungskrise, Fluchtbewegung und krisenhafter Wirtschaftsentwicklung zum Ende der 1950er-Jahre führte zu einem verstärkten Engagement des MfS in der Wirtschaft. Obwohl oder weil die SED-Führung im Rahmen des sogenannten Neuen ökonomischen Systems der Planung und Leitung (NÖS) den Leitungen der volkseigenen Betriebe ab 1963 größere Freiheiten zugestand, wurde die informelle Kontrolle durch das MfS ausgeweitet, damit die Partei die Entwicklung unter Kontrolle halten konnte.34 Mit dem Machtantritt Honeckers wurde, nicht zuletzt wegen seiner sozialpolitischen Versprechungen, die Entwicklung der Wirtschaft zur Hauptaufgabe.35 33 BStU, MfS, ZAIG, TB Nr. 33. 34 Haendke-Hoppe-Arndt: Hauptabteilung XVIII, S. 26 ff. 35 Steiner: Planwirtschaft, S. 71 f.
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Echohaft forderte Mielke Ende der 1980er-Jahre, die »ökonomische Strategie«36 zu fördern, also den Versuch zu stützen, die Wirtschaft effizienter zu gestalten. In Zeiten des fortgesetzten wirtschaftlichen Niederganges versuchte das MfS, von der SED getrieben, dieser negativen Entwicklung durch immer stärkere Wirtschaftskontrollen entgegenzuwirken. Je stärker die DDR mit wirtschaftlichen Unzulänglichkeiten und dem Verschleiß ihrer Anlagen zu kämpfen hatte, umso stärker wuchsen nach neueren Erkenntnissen Regulierungs- und Kontrollversuche und damit die Handlungsmöglichkeiten des MfS.37 In seiner Frühzeit orientierte sich das MfS stark an den Kategorien des politischen, sowjetisch geprägten Strafrechts. Verfolgungsrechtfertigende Vorwürfe, wie Sabotage oder Hetze, so diffus sie auch angewendet werden mochten, ließen zumindest den Anspruch einer Feindbekämpfung erkennen. Doch gegen Ende der DDR fehlten beispielsweise in einem Bericht von 1987 zum »stabile[n] Warenangebot«38 von Fleisch und Wurstwaren in Ostberlin Hinweise auf das Wirken eines Feindes gänzlich. In zahlreichen MfS-Wirtschaftsanalysen jener Zeit schimmert durch, dass wirtschaftliche Missstände nicht auf unmittelbare Feindeinflüsse,39 sondern auf komplexere Probleme zurückzuführen waren. Das MfS widmete sich im Laufe der Jahre zunehmend dem Versuch, wirtschaftliche Probleme zu überwinden. Im Extremfall, beispielsweise 1960, musste das MfSPersonal sogar selbst Hand anlegen, um die Getreide- und Hackfruchternte zu bergen.40 Auch in der kleinen KDfS Gransee wurde man sich schließlich bewusst, dass viele Probleme in der Landwirtschaft nicht auf Sabotage oder ähnliche Aktivitäten zurückzuführen waren.41 Von den landwirtschaftlich relevanten operativen Vorgängen der Jahre 1986/87 beschäftigten sich 82 Prozent beziehungsweise 62,5 Prozent mit der Aufklärung von Bränden, Havarien sowie Tier- und Pflanzenverlusten. Als deren Ursache wurden vorrangig Pflichtverletzungen von Leitern42 und nicht Einflüsse des Gegners ermittelt. An der MfS-Spitze wusste man, dass ein Gutteil der Störungen in der Wirtschaft technischen Gründen geschuldet waren, »die häufig mit überalterten Grundfonds im Zusammenhang« standen.43 36 Mielke, Erich: Referat auf der zentralen Dienstkonferenz zu ausgewählten Fragen der politisch-operativen Arbeit der Kreisdienststellen und deren Führung und Leitung, 26.10.1988; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 7844, Bl. 141. 37 Schiefer: Profiteur der Krise, S. 458 ff. 38 MfS: Einschätzung der Lage zur Versorgung der Bevölkerung der Hauptstadt, 23.2.1984; BStU, MfS, BV Berlin, AKG Nr. 40, TB 1, Bl. 43–52, hier 43. 39 Gieseke: Mielke-Konzern, S. 141. 40 MfS: Information über den Stand der Erfüllung der Beschlüsse der Kollegiumssitzung v. 9.8.1960; BStU, MfS, SdM Nr. 1903, Bl. 24 f., hier 25. 41 Zit. nach: Bruce: The Firm, S. 54. 42 Reinl, Erich; Hausmann, Fritz, u. a.: Die politisch-operative Sicherung der Landwirtschaft der DDR. Potsdam 1989; BStU, MfS, JHS Nr. 22018, Bl. 81. 43 Mielke, Erich: Referat auf der zentralen Dienstkonferenz zu ausgewählten Fragen der politisch-operativen Arbeit der Kreisdienststellen und deren Führung und Leitung, 26.10.1988;
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Die Frage, warum eine ursprünglich der Feindabwehr dienende Organisation sich mit primär ökonomischen und technologischen Fragen befasste, wurde MfSintern mit der Beschwörung der »Einheit von Feindbekämpfung, vorbeugender, schadensabwendender Art und Unterstützung bzw. Stabilisierung volkswirtschaftlicher Prozesse«44 übertüncht. Die MfS-Kontrolle der Wirtschaft präsentierte sich schließlich als eine merkwürdige Mixtur aus dem Aufspüren mutmaßlicher Feinde, Kaderprüfungen, allgemeiner Schadensbekämpfung und Versuchen, technische und wirtschaftliche Abläufe zu optimieren. Eine Gemengelage aus leninistischem Denken und kybernetischen Ansätzen bewog das MfS zu einem Engagement in der Wirtschaft mit hohem Einsatz, in der Hoffnung, durch geheimdienstliche Informationen die wirtschaftlichen Abläufe optimieren zu können. Wie schon durch das Statut von 1953 vorgegeben, zählte vor allem »die Festi gung der Staatsmacht«45 zu den Aufgaben und damit Informationszielen der Staatssicherheit. Das erstreckte sich auch auf den Staatsapparat im engeren Sinne und zielte vor allem auf »die staatliche Sicherheit in der Nationalen Volksarmee und den bewaffneten Organen« ab.46 So kontrollierte das MfS die Machtorgane, auf die sich die SED bei ihrer Machtausübung stützte. Da war es nur konsequent, dass ein großer Teil des Informationsbeschaffungspotenzials hier angesiedelt und die IM-Quoten in der Armee und in der Volkspolizei besonders hoch waren.47 Gerade im Staatssektor nahm im Zuge der Entspannungspolitik die Bekämpfung der sogenannten Kontaktpolitik des Westens zu und wuchs der Aufwand für den Geheimnisschutz deutlich. Beide Aufgaben könnte man noch als klassische Abwehrfragen ansehen, auch wenn die DDR den Sicherheitsbegriff sehr weit fasste. Doch ging das Engagement der DDR-Geheimpolizei deutlich darüber hinaus. Die KDfS Gransee beschäftigte sich mit Themen wie Alkoholismus und Korruption in der Volkspolizei, die man in der Zuständigkeit einer internen Ermittlung oder Innenrevision der Polizei erwartet hätte. Auch hier zeigt sich, wie bei der Wirtschaft, entsprechend dem kybernetischen Grundgedanken die Erwartung, durch die Gewinnung von Informationen Apparate letztlich optimieren zu können. Nicht anders dienten die Interventionen des MfS bei den Reiseentscheidungen dazu, sicherheitspolitische Defizite im Handeln staatlicher Institutionen oder von Betrieben auszumachen oder zu korrigieren. Dazu wurden eigens getarnte MfS-Mitarbeiter in die Abteilungen Inneres der staatlichen Verwaltungsgremien, Rat des Bezirkes/Rat der Stadt, eingebaut. In gravierenden Fällen griff die Staatssicherheit mit Überwachungsvorgängen oder Verhaftungen ein. Sie wirkte in direkter Aussprache mit der Abteilung Inneres oder über die SED-Kreisleitung BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 7844, Bl. 143. 44 Ebenda. 45 SfS: Statut des Staatssekretariates für Staatssicherheit v. 6.10.1953. In: Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 61 ff. 46 MfS: Statut des Ministeriums für Staatssicherheit v. 30.7.1969. In: ebenda, S. 184. 47 Gieseke: Mielke-Konzern, S. 136 ff.
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Abb. 30: Mitarbeiter operativer und nicht-operativer Linien des MfS, Oktober 1989 Im Jahr 1989 blähten die Passkontrolleure die Linie VI (Passkontrolle und Tourismusüberwachung) zur personalstärksten Arbeitsrichtung im MfS auf. In der Rangliste der acht personalintensivsten Linien zeigen sich fünf Linien eher auf nicht geheimpolizeilich-operative Zwecke ausgerichtet. Das waren zunächst die für materielle Versorgung und Immobilienbetreuung zuständigen Rückwärtigen Dienste, die auftragnehmende Linie VIII für Observationen und Festnahmen,
darauf hin, dass die Verwaltung entsprechend der Linie der SED agierte. Dass es schon ideologisch dem Grundverständnis des MfS entsprach, sich derart in staatliche Belange einzumischen, lässt sich analog zur Wirtschaft historisch aus leninistischen Vorbildern entwickeln. Die russischen Bolschewiki unterwarfen sich 1917 den ehemals zaristischen Staatsapparat, um mit dieser »Maschine«,48 wie Lenin formulierte, die Gesellschaft zu beherrschen. Anfangs waren die kommunistischen Bolschewiki nur eine kleine Minderheit, die trotzdem dem Apparat ihren Willen aufzwingen wollte. Der Terror einer geheimen Polizei sollte helfen, jegliche Opposition auszulöschen. Eine vorgebliche Unbotmäßigkeit im Staatsapparat, der Petrograder Beamtenstreik, bildete nach einer kommunistischen
48 Lenin: Über den Staat. 1919, S. 305 f.
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die Linie III für Funkkontrolle und Funkaufklärung, die Linie Nachrichtenverbindungen N für MfS, Partei- und Staatsapparat und die auftragsabarbeitend ausgerichtete Postkontrolle M. Die Personalausstattung von ZAIG und bezirklichen AKG reichte fast an die der Linie XX (Überwachung von Staatsapparat, Kirche, Kultur, Opposition) heran und übertraf die der Linie IX für politische Strafuntersuchungen. Die Personalausstattung der Wach-, Sicherungs- und Personenschutzdienste des MfS wurde aus der Betrachtung ausgeklammert.
Legende geradezu den Anlass für die Bildung der Tscheka.49 Nach dem Zweiten Weltkrieg versuchte die sowjetische Besatzungsmacht, auf dem Territorium ihrer Besatzungszone im Deutschen Reich ein Staatsgebilde zu formen, von dem keine Kriegsgefahr mehr ausgehen konnte und das am sowjetischen Herrschaftstypus orientiert war. Schon die MfS-Vorläuferorganisation K 5 beteiligte sich im Auftrag der sowjetischen Administration an der Personalüberprüfung für den neuen Staat, insbesondere im Sicherheits- und Justizapparat. Auch nach der MfS-Gründung lag hier ein Aktivitätsschwerpunkt. Im Jahr 1954 waren rund 50 Prozent der Informanten im Staatssektor tätig.50 Das MfS sah es als seine Aufgabe an, dafür 49 Sofinow: Abriß der Geschichte der Allrussischen Außerordentlichen Kommission, S. 23; Werth: Ein Staat gegen sein Volk, S. 70. 50 SfS: Protokoll über die Dienstbesprechung v. 13.8.1954; BStU, MfS, SdM Nr. 1921, Bl. 166–175, hier 170.
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zu sorgen, »dass bestimmte Personen aus dem Staatsapparat entfernt und Personen, die wir empfehlen bzw. vorschlagen, eingebaut werden«.51 Hierbei ging es nicht nur darum, Sicherheitsrisiken oder feindliche Angriffe im Engeren auszuschließen. Das MfS betrachtete sich zunehmend als Garanten dafür, dass Beschlüsse der Partei in den staatlichen Stellen umgesetzt wurden. Symptomatisch für dieses Denken war in den 1950er-Jahren der Umgang mit Problemen in der Landwirtschaft, sei es beim Vollzug der Kollektivierung, sei es bei den fehlenden landwirtschaftlichen Erträgen. Für Fehlentwicklungen wurden beispielsweise die Verwaltungen der Land-, Forst- und Nahrungsmittelwirtschaft auf Bezirks- und Kreisebene verantwortlich gemacht und in der Folge stärker überwacht. Zu einem weiteren Kontrollschub führte 1958 das Gesetz über die Vervollkommnung und Vereinfachung der Arbeit des Staatsapparates, mit dem die SED ihre Wirtschaftsbürokratie ausbaute.52 Für das MfS galt, dass »auch die Besetzung der Schlüsselpositionen mit zuverlässigen Menschen eine vorbeugende Tätigkeit ist«.53 Der Vorbeugungsgedanke war hier wie in der Wirtschaft das Einfallstor, den Auftrag Staatssicherheit über die Feindbekämpfung im Engeren hinaus zu weiten. Wie in anderen Bezirken bildete sich in Potsdam 1960 eine Arbeitsgruppe. Die »Kommission Staatsapparat« analysierte die Funktionsfähigkeit, insbesondere des Rates des Bezirkes auf so unterschiedlichen Gebieten wie dem Gesundheitswesen, der Volkswirtschaft, der Landwirtschaft, dem Handel und dem Handwerk.54 Die Herausgabe einer MfS-Richtlinie über die operative Bearbeitung des Staatsapparates war vorgesehen, konnte aber in den gesichteten Unterlagen nicht nachgewiesen werden. Doch auch ohne diese Normative wird deutlich, dass das MfS bereits um 1960 den Sicherheitsbegriff deutlich geweitet hatte. Im Kollegium, dem kollektiven Leitungsgremium des MfS, hieß es, es müsse »geprüft und gesichert werden, dass die staatlichen Organe ihre Aufgaben in ihrem Bereich richtig erfüllen«.55 In der Rückschau hat ein Geheimdienstforscher aus der Altbundesrepublik das MfS mitleidvoll als »Lückenbüßer und Opfer«56 der SED-Politik bezeichnet. Diese Beurteilung verweist zwar richtig auf die Breite des geheimpolizeilichen Engagements in der DDR, offenbart aber zugleich, wie sehr sich das westliche Geheimdienstverständnis von dem des MfS unterscheidet.
51 MfS: Protokoll der Kollegiumssitzung v. 10.12.1957; BStU, MfS, SdM Nr. 1553, Bl. 1–15, hier 11. 52 Gesetz vom 11.2.1958, DDR-GBl. I (1958) 11. 53 SfS: Protokoll der Kollegiumssitzung v. 21./22.11.1957; BStU, MfS, SdM Nr. 1553, Bl. 222–252, hier 224. 54 MfS: Protokoll über die Sitzung der Kommission Staatsapparat v. 14.3.1960; BStU, MfS, BV Potsdam, AS 3/61, Bl. 5–15. 55 MfS: Protokoll der Kollegiumssitzung v. 4.7.1960; BStU, MfS, SdM Nr. 1903 Bl. 36–55, hier 42. 56 Schmidt-Eenboom: Ungebrochene Selbst-Sicherheit. Rezension, 2002.
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Sowohl hinsichtlich der Kontrolle von Wirtschaft und Staat und nicht minder bei den Massenüberprüfungen seit den 1970er-Jahren war die Arbeit des MfS auf Personenüberprüfungen fixiert. Sicherheitsüberprüfungen zählen auch in der Bundesrepublik zum Standardrepertoire geheimdienstlicher Abwehr.57 Beim MfS erfuhren sie eine besonders starke Ausprägung: Zunächst sollte nach dem Nationalsozialismus ein neues, nun kommunistisches System abgesichert werden, später eine Systemgefährdungen nach der Lockerung der Abschottung ausgeschlossen sein. Grundsätzlich haben die Sicherheitsüberprüfungen ihren Ursprung in der kommunistischen Kaderauffassung. Diese wurzelt im Avantgardekonzept Lenins, der nur in entschlossenen Berufsrevolutionären die Fertigkeiten verkörpert sah, das Proletariat politisch anzuleiten.58 Er forderte eine »wahre Führerorganisation«.59 Diese Überlegung aus der Bürgerkriegszeit wurde letztlich auf Staat und Wirtschaft der etablierten Sowjetunion übertragen. Unter Stalin entwickelte sich das Avantgarde- zum Nomenklatursystem.60 Das Prinzip kulminierte in Stalins Satz: »Kader sind das Allerwichtigste.«61 Aus der Rolle der Parteifunktionäre, die die Institutionen anleiten, folgerte der Kontrollanspruch der Partei gegenüber ihren Kadern. Ab 1952 begann der zentrale Parteiapparat der SED mit dem Aufbau eines Nomenklatur-Systems nach sowjetischem Vorbild.62 Die SED-interne Überprüfung der Kader wurde durch MfS-Prüfungen ergänzt. Es konnte bisher keine explizite Anweisung zur Überprüfung der ParteiNomenklatur durch das MfS gefunden werden. Aus einzelnen Personen-Dossiers lässt sich jedoch ableiten, dass die Kaderabteilung des ZK dem MfS Überprüfungsaufträge erteilte, die zuletzt von der Abteilung XX/10 bearbeitet wurden. Diese war für die Absicherung des zentralen Parteiapparates, die Institutionen und Druckereien der Partei zuständig.63 Deren Hauptkartei mit den zu beachtenden Personen umfasst im heutigen Zustand rund 4 lfm (entspricht etwa 15 500 Personenkarten).64 Nachweislich wurden in den 1970er- und 1980er-Jahren höhere Nomenklaturkader und vor Parteitagen die zu wählenden Mitglieder sowie Kandidaten des ZK-Plenums überprüft.65 Auf der Ebene der BVfS waren 57 Gesetz über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen v. 20.4.1994. 58 Fetscher: Von Marx zur Sowjetideologie, S. 64 ff. 59 Lenin: Bd. 4, S. 480 f. 60 Voslensky: Nomenklatura, passim. 61 Zit. nach: Vergau: Aufarbeitung von Vergangenheit, S. 113. 62 Foitzik; Petrow: Die sowjetischen Geheimdienste, S. 52. 63 Die etwa 1955 in der MfS-HA V/6 angesiedelte Zuständigkeit für SED-Einrichtungen und die zentralen SED-Gremien wurde um 1957 als Sonderaufgabe in Form einer AG S beim Leiter der HA V abgespalten. Die Form der AG wurde mit wechselnder Bezeichnung (bes. AG 1, AG RV) bis zur Aufwertung zur HA XX/Abt. 10 im Jahr 1981 beibehalten. Vgl. Wiedmann: Die Diensteinheiten des MfS, S. 321 f., 273 f.; Auerbach: Handbuch XX, S. 24, 29 f. 64 Auskunft des Archivbereiches des BStU. 65 Booß; Pethe: Der Vorgang »Rote Nelke«, S. 49–69.
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offenbar keine analogen Strukturen zur Hauptabteilung XX/10 eingerichtet.66 Ähnlich motivierte Überprüfungen sind jedoch beispielsweise in der BVfS Leipzig nachweisbar. Dort waren sie bei der Leitung der Bezirksverwaltung angesiedelt.67 Auch die Partei-Informationen maßen Kaderfragen einen hohen Stellenwert zu. Die Kontrolle und Überwachung missliebiger Personen durch das MfS sind in der Literatur ausgiebig dargestellt. Weniger im Blick war bisher, wie stark sich Personen-Überprüfungen des MfS gegen jene richteten, auf die sich die Partei vorrangig stützte. Listenweise wurden vor Wahlen Kandidaten geprüft. Das MfS sorgte in vielen Fällen erfolgreich für das Streichen von Personen, die der Partei möglicherweise hätten schaden können.68 Auch bei Schöffen, die in der Justiz auch der Kontrolle der Richterschaft dienten, sind MfS-Überprüfungen nachweisbar.69 Noch umfangreicher war die Gruppe der Geheimnisträger, vor deren Verpflichtung die »Zustimmung der zuständigen Dienststelle des Ministeriums für Staatssicherheit«70 einzuholen war. Anders als bei anderen Sicherheitsüberprüfungen hatte das MfS hier eine Art Vetorecht.71 Geheimnisträger wurden später vorbeugend in Sicherungsvorgängen (SiVo) erfasst.72 In Verdachtsfällen waren das Anlegen einer OPK oder eines OV mit entsprechend aktiven Überprüfungen und Überwachungen vorgesehen.73 Geheimnisschutzfragen spielten bei subalternen Personen (Sekretärinnen, Boten oder Registratur-Mitarbeiter) eine Rolle, aber ebenso bei einem großen Teil des Führungspersonals der DDR. Dieses Personal wurde oft in regelmäßigen Abständen einer MfS-Sicherheitsnachprüfung unterzogen. Manche Personen zählten darüber hinaus zur sogenannten B-Struktur, die im Kriegs- oder Spannungsfall sicherheitsempfindliche Positionen besetzen sollten oder waren Reserveoffiziere. In beiden Fällen unterlagen sie MfSSonderprüfungen.74 Das deutet auf ein generelles Merkmal der Personalpolitik 66 Auerbach: Hauptabteilung XX, S. 9. 67 BV Lpz/Leiter/Pers. Referent; BStU, MfS, BV Leipzig, Kartei, Kartei zu Sicherheitsüberprüfungen der SED-BL und zu Eingaben an die SED-BL. 68 MfS/BV Pdm: Allgemeine Einschätzung der Vorbereitung und Durchführung der Wahlen im Bezirk Potsdam 1961, o. D. (vermutl. 1961); BStU, MfS, AS 5/61, Bl. 2–56. 69 Vgl. beispielsweise Liste v. 11.4.1984; BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt Nr. 88, Bl. 92–103, eine ähnliche Liste ebenda, Bl. 29–32. 70 Ministerrat der DDR: Beschluss über die Grundsätze zum Schutz der Staatsgeheimnisse der DDR, 15.1.1987; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 5276, S. 12, 14, 17. 71 MfS: Zur Durchsetzung der Grundsätze zum Schutz der Staatsgeheimnisse der DDR, 9.2.1987; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 5276, Bl. 1–21, hier 17. 72 BV Pdm/Leiter/1. Stellvertreter: Schreiben an die Diensteinheiten, 27.12.1989; BStU, MfS, BV Potsdam, BdL Nr. 401173, Bl. 4. 73 MfS: DA 6/85 zur weiteren Qualifizierung der pol.-op. Arbeit zur Gewährleistung des Geheimnisschutzes in allen gesellschaftl. Bereichen der DDR v. 6.6.1985; BStU, MfS, BdL/ Dok Nr. 5148, Bl. 1–35, hier 7 f. 74 Für die Mobilmachung wurden seit Ende der 1960er-Jahre bestimmte Vertrauenspersonen im zentralen Staatsapparat vorgesehen, nach Raschka handelte es sich um rund 2 000 bis 3 000 Personen. Vgl. Raschka: Justizpolitik, S. 130. Die einschlägige Überprüfungsanordnung des MfS
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im SED-Staat. Diejenigen, auf die sich die Parteiführung stützte, wurden genauer und nicht selten öfter überprüft als andere, die ein eher unauffälliges Leben jenseits von verantwortlichen Posten führten. Es ist kaum möglich, das Ausmaß dieser Überprüfungen exakt zu ermitteln. Nicht wenige Verantwortungsträger hatten gleichzeitig mehrere überprüfungspflichtige Funktionen inne. Daher kann man die jeweiligen Überprüfungen nicht einfach aufaddieren. Doch schon die Dimensionen der einzelnen Gruppen sind beachtlich. Die Zahl der Kandidaten und Nachrücker bei den Kommunalwahlen 1984 betrug 260 000 Personen,75 die der Schöffen 50 000.76 Die Zahl der Geheimnisträger im Staatssektor ohne Militär und Wirtschaft belief sich auf rund 194 500 Personen.77 Demnach dürften in den 1980er-Jahren mehrere 100 000 Personen in tendenziell staats- und parteinahen Positionen vom MfS überprüft worden sein. Diese Zahl liegt deutlich über der Zahl derer, die das MfS der Opposition zurechnete und überwachte. Das Reservoir der Opposition wurde vom MfS zu dieser Zeit auf 2 500 Personen plus »Sympathisanten oder politisch Irregeleitete«78 geschätzt. Die Zahl der im eigentlichen Sinne geheimpolizeilich als Feinde verfolgten errechnete Eisenfeld mit 30 000 Personen pro Jahr.79 Bei allen Schwächen solcher Überschlagsrechnungen80 zeigt sich jedoch, dass die Zahl der tendenziell wiederholt überprüften systemnahen Personen die Zahl der potenziellen Feinde sichtlich überwog.81 Dieses eher syswar MfS-Befehl Nr. 22/76 über die Bestätigung und operat. Sicherung von Berechnungskadern und zum Schutz der Staats- und Dienstgeheimnisse der Vorbereitungsarbeit v. 22.12.1976; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 6134, Bl. 1–4; MfS/Abt. XII: Schreiben an HA I, Listenprüfungen, 10.11.1982; BStU, MfS, Abt. XII Nr. 3185, Bl. 268–410 (k). 75 Kloth: Vom »Zettelfalten«, S. 94. 76 Im Jahr 1981 gab es 49 700 Schöffen bei den Kreisgerichten und 2 073 bei den Bezirksgerichten. Vgl. DDR-Handbuch, S. 1110. 77 Die nicht immer eindeutigen Zahlen der ZAGG beziehen sich vor allem auf die zentralen Ministerien und die Räte der Bezirke, die offenbar auch die Räte der Kreise einschlossen. MfS/ ZAGG/Leiter: Referat, 2./3.3.1988; BStU, MfS, ZAGG Nr. 378, Bl. 147–223, hier 199. 78 Zit. nach: Neubert: Geschichte der Opposition, S. 707. 79 Eisenfeld geht für 1985–1988 von jährlich 4 500 bis 5 000 MfS-OV mit durchschnittlich 3 erfassten Personen je OV aus. Bei den rund 8 000 MfS-OPK pro Jahr rechnet er im Durchschnitt mit 1,4 erfassten Personen je OPK. Einen Teil der OPK nimmt er als Vorstufe eines OV an. Er geht außerdem von rund 2 600 MfS-Untersuchungsvorgängen im Jahr aus. Eisenfeld: Widerständiges Verhalten, S. 157–176. 80 Anzumerken wäre, dass nicht jede OPK eine MfS-Reaktion auf widerständiges Verhalten darstellte, die instrumentelle Funktion der OPK reichte für das MfS darüber hinaus. Auch ist die Gesamtrechnung Eisenfelds von 19 000 in Vorgängen pro Jahr intensiv verfolgten Personen nicht ohne Weiteres nachvollziehbar. Eisenfelds erweiterte Gesamtzahl von rund 29 000 im Jahr (zwischen 1985–1988) in Vorgängen verfolgten Personen dürfte zu hoch sein, grenzt aber die Vorgänge von den Dimensionen der Reise- und Kaderüberprüfungen des MfS im Jahr deutlich ab. Ebenda. 81 Zusätzlich zu berücksichtigen wären die KK-Erfassungen, die sich 1989 auf ungefähr 700 000 Fälle summierten. Da diese Erfassungen sich aber seit 1965 akkumuliert hatten, keine Überwachungsmaßnahmen nach sich zogen und systemkritische wie systemnahe Personen
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Strukturelle und resümierende Überlegungen
temnahe Personal wurde nicht nur überprüft, es war zudem oft identisch mit der Personengruppe, von der das MfS eine Bereitschaft zur Zusammenarbeit erwartete. Bei der Überprüfung von Wirtschafts- und Staatsapparat wie den Personenüberprüfungen fällt auf, dass die Staatssicherheit ihren Sicherheitsbegriff stetig entgrenzte. Im ersten Statut von 1953 war er noch relativ eng gefasst, wurde in der Folgezeit aber immer mehr geweitet. Das Statut von 1969 hebt die Feindbekämpfung hervor, nennt jedoch als »Hauptaufgabe«, die »Souveränität« und den »allseitigen politischen, militärischen, ökonomischen und kulturellen« Zustand der DDR zu stärken und die »sozialistischen Errungenschaften«82 und die Staatsgrenze zu sichern. Mit der These von der drohenden »politisch-ideologischen Diversion« schuf sich das MfS seit der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre eine ideologische Unterfütterung seiner Arbeit »zum vorbeugenden Verhindern, Zurückdrängen bzw. Überwinden«83 eben dieser Gefahr. Da nach Auffassung des MfS Mängel im System und der Moral der Kader zum Einfallstor feindlicher Aktivitäten werden konnten, sollte präventiv eingegriffen werden, »damit es dem Feind nicht möglich ist, dass er sich hinter dem Deckmantel der Fahrlässigkeit einniste[t]«.84 Phasen, wie die nach dem XXII. Parteitag der KPdSU, als die SED-Führung es im Zuge der Entstalinisierung als kritisch ansah, wenn sich das MfS zu stark »in die Kompetenz und Verantwortung anderer Staats- und Wirtschaftsorgane einmisch[t]e«, waren von nur kurzer Dauer.85 Die Expansion des MfS in der Wirtschaft begann genau in den Jahren, die auf die halbherzige Entstalinisierung der SED folgten. Im Jahr 1987 postulierte Mielke unwidersprochen eine Pflicht, als »Genossen und Tschekisten« sich in alles einzumischen, »wo wir meinen, dass andere Organe ihre Verantwortung nicht mit aller Konsequenz wahrnehmen«.86 Diese Weitung entsprach einem Interesse der SED-Führung, wonach das MfS auch die Erfüllung der Parteibeschlüsse im Allgemeinen zu kontrollieren und darüber die zuständigen Parteiorgane zu informieren habe.87 Die treffen konnten, sprengen sie das Raster. Zur KK-Zahl vgl. MfS/Abt. XII: Schreiben an ZAIG, 20.10.1989; BStU, MfS, AS 398/89, Bl. 16–19, hier 17. 82 MfS: Statut des Ministeriums für Staatssicherheit v. 30.7.1969; Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 183–188, hier 184. 83 Die politisch-ideologische Diversion gegen die DDR, Lehrbuch (Potsdam, JHS, 1988); BStU, MfS, Abt. M Nr. 1283, Bl. 1–272, hier 270. 84 SfS: Vermerk über die Dienstbesprechung am 21.2.1955; BStU, MfS, SdM Nr. 1921, Bl. 112–129, hier 112. 85 Anonymes ZK-Papier; SAPMO, DY 30/3675, S. 13. Es wurde 1962 von Hermann Matern in einer Parteiversammlung des MfS diskutiert. Suckut: Generalkontrollbeauftragter der SED, S. 152. 86 Erich Mielke: Rede an der Parteihochschule ›Karl Marx‹ beim ZK der SED, 27.3.1987; BStU, MfS, SED-KL Nr. 1427, Bl. 24. 87 Der Leiter der Sicherheitsabteilung des ZK der SED Wolfgang Herger an der Hochschule des MfS am 26.3.1987, paraphrasiert in Göhler, Bernd; Pfau, Volker; Thiede, Reiner: Die wachsenden Anforderungen an die Tätigkeit des MfS im Prozess der weiteren Entfaltung und Vervollkommnung der sozialistischen Demokratie. Potsdam 1989; BStU, MfS, JHS Nr. 22029, Bl. 96.
Informationsziele
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Partei- und Staatsführung sollte nicht nur über Staatssicherheitsbelange, sondern generell über »Mängel und Ungesetzlichkeiten«88 informiert werden. Das erinnert an das Optimierungskonzept der Kybernetiker, führte aber zu einer geradezu grenzenlosen thematischen Ausweitung der Informationsbeschaffung ohne jede datenschutzrechtliche Beschränkung. Bei Personenüberprüfungen wurden nicht nur sicherheitsrelevante, sondern auch Daten zur »sozialistischen Moral«, also auch Privates, Intimes und Bewertungen des gesellschaftlichen und politischen Verhaltens, einbezogen.89 Diese doppelte Entgrenzung des Sicherheitsbegriffes verbreiterte und vertiefte einerseits die geheimpolizeiliche Durchdringung der Gesellschaft, die zudem von einem Zuwachs des operativen Personals begleitet war. Andererseits drohte dieser ausufernde Anspruch, den MfS-Apparat immer wieder zu überfordern. Gegenüber den herkömmlichen Definitionen, die primär die Repressionen vornehmlich gegen Gegner des politischen Systems hervorheben, sollte also künftig stärker auch auf die anderen Funktionen verwiesen werden. Die repressive Funktion des MfS wird damit in keiner Weise bagatellisiert. Fakt bleibt, dass nach einem Rückgang der Strafverfolgung in den 1960er-Jahren das MfS pro Jahr weiterhin zwischen 1 260 und 3 670 Untersuchungsverfahren durchführte.90 Nach schon älteren Hochrechnungen wurden zudem jährlich schätzungsweise 30 000 Personen aus politischen Gründen in geheimpolizeilichen Vorgängen mehr oder minder systematisch überwacht.91 Angesichts der schieren Größe des MfS-Apparates sollten jedoch die anderen Zielrichtungen nicht übersehen werden, die dessen Tätigkeit ebenfalls prägten. Das MfS sollte auch die Funktionalität im Staatsapparat und in der Wirtschaft im Interesse der Partei sichern. Mit der Überprüfung tendenziell systemnaher Kader wuchs ihm auch als Personalberater der SED eine gewichtige Rolle zu. Die in den späteren Jahren hinzukommenden Massenüberprüfungen banden schließlich einen großen Teil der personellen Kapazitäten des MfS. Der doppelt entgrenzte Sicherheitsbegriff des MfS weitete seinen Informationsbedarf über die Jahre erheblich aus.
88 MfS: Statut des Ministeriums für Staatssicherheit v. 30.7.1969. In: Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 183–188, hier 184. 89 Belege dafür entstammen beispielsweise der Überprüfung von Anwälten. Booß: Im goldenen Käfig, S. 435 ff. Dieses Vorgehen entsprach den 1958 von Walter Ulbricht verkündeten und 1963 in die Parteistatuten aufgenommenen 10 Geboten der neuen sozialistischen Sittlichkeit. Vgl. Schroeder: Der SED-Staat, S. 722 ff. 90 Passens: MfS-Untersuchungshaft, S. 286 ff. 91 Eisenfeld geht für 1985–1988 von jährlich 4 500 bis 5 000 MfS-OV mit durchschnittlich 3 erfassten Personen je OV aus. Bei den rund 8 000 MfS-OPK pro Jahr rechnet er im Durchschnitt mit 1,4 erfassten Personen je OPK. Einen Teil der OPK nimmt er als Vorstufe eines OV an. Er geht außerdem von rund 2 600 MfS-Untersuchungsvorgängen im Jahr aus. Einen Teil der OPK rechnet er als Vorstufe eines OV, einen Teil zu widerständigem Verhalten unterhalb dieser Schwelle. Eisenfeld: Widerständiges Verhalten, S. 157–176.
308
Strukturelle und resümierende Überlegungen
10.2 Informationsbeschaffung: die Quellen Die Informationsbeschaffung des MfS stützte sich auf eine deutlich breiter aufgestellte Quellenbasis, als es die intensive Beschäftigung mit den inoffiziellen Mitarbeitern in den letzten drei Jahrzehnten suggeriert. In gewisser Hinsicht scheint hier die Stilisierung des MfS selbst nachzuwirken, welche in Vorschriften und in Reden seines Führungspersonals die IM zur Hauptwaffe schlechthin machte. Darüber erscheinen andere Quellen ungerechtfertigt vernachlässigt. In der KDfS Gransee stammten beispielsweise in den 1980er-Jahren 37 Prozent der von den KDfS-Auswertern berücksichtigten Informationen aus der Postkontrolle oder aus offiziellen Kanälen.92 Von den Informationen, die andere Diensteinheiten des MfS ohne gesonderten Auftrag an die Kreisdienststellen weiterleiteten, stammten 40 Prozent aus der Postkontrolle.93 Bei der Kontrolle des Staatsapparates stützte sich die KDfS dort in einem Maße auf offizielle Informationen von Funktionären, dass diese Praxis zu deutlicher Kritik durch die kontrollierende AKG aus der BVfS Potsdam führte. Selbst die Ursprünge der Ausgangsimpulse von Untersuchungsvorgängen, ursprünglich eine der wichtigsten geheimpolizeilichen Aktivitäten des MfS, zeigen diese Quellenvielfalt. Im Jahr 1988 beruhte nahezu jede zweite Inhaftierung durch das MfS auf Hinweisen aus Ostblockstaaten oder auf solchen anderer Organe der DDR, hier überwiegend von der Volkspolizei. Viele Personen wurden bei dem Versuch aufgegriffen, die DDR über Ostblock-Drittstaaten zu verlassen. Nur 19,8 Prozent der MfS-Untersuchungsvorgänge basierten auf konspirativ, also klassisch geheimdienstlich ermittelten Erkenntnissen. Die Konzentration der Forschung auf die IM als vermeintlicher Hauptwaffe des MfS führte dazu, dass andere Formen der Informationsbeschaffung vergleichsweise wenig untersucht wurden. Zu den berücksichtigenswerten Quellen zählten auch öffentlich zugängliche Materialien. Darunter fielen sowohl Publikationen aus der DDR als auch aus westlichen Staaten. Die AG 4 der ZAIG 1 wertete beispielsweise westliche Massenmedien aus.94 In der für die Kirchenüberwachung zuständigen HA XX/4 begann der Arbeitstag unter anderem mit Zeitungslektüre. Die HA XX/4 unterhielt zwei externe Experten-Objekte, in denen die offen zugänglichen Kirchenpublikationen aus dem Westen und der DDR und nicht aus dem MfS stammende Alt-Akten zu den Kirchen gesammelt und ausgewertet wurden, um insbesondere das kirchenleitende Personal kirchenpolitisch und theologisch besser einschätzen oder im Extremfall sogar erpressen zu können.95 Für die Informationsbeschaffung aus der Breite der Gesellschaft waren die Post92 BV Pdm/AKG: Erhebungsprogramm, 2.4.1986; BStU, MfS, BV Potsdam, AKG Nr. 918, Bl. 53–65, hier 56 ff. 93 MfS/ZAIG, Werner Irmler: AKG-Leitertagung, 3./4.12.1987; BStU, MfS, ZAIG Nr. 4696, Bl. 1–243, hier 107. 94 Engelmann; Joestel: Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe, S. 13 f. 95 Roßberg; Richter: Das Kreuz, S. 55, 61 ff.
Informationsbeschaffung: die Quellen
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und Paketkontrolle, die Telefonüberwachung, Denunziation, offizielle Quellen, abgeschöpften Kontaktpersonen und in späteren Jahren auch die Funküberwachung von Bedeutung. Über die gesamte Laufzeit des MfS gab es nach einer Hochrechnung rund 620 000 Personen, die als inoffiziellen Mitarbeiter unterschiedlicher Art registriert waren.96 Gegen Ende der DDR waren es statistisch um 189 000 aktive IM.97 Über die IM ist so viel geschrieben worden, dass das hier nicht wiederholt werden soll. Infolge der publizistischen Enthüllungen und der Überprüfungen im öffentlichen Dienst nach 1990 ist der Fokus wohl oft unbewusst zu einseitig auf die negativen Erfolge, die Indiskretionen und den menschlichen Verrat der IM gelegt worden. Zu Recht wird inzwischen auf die unterschiedliche Verwendung und den unterschiedlichen Informationswert der IM verwiesen.98 Die Klagen der MfS-Führung und MfS-Kontrolleure über die mangelnde Quantität und Qualität des IM-Netzes durchziehen von Beginn an die Akten. So hieß es 1955, dass die Mehrheit der Informanten »nur allgemeine Berichte und allgemeine Informationen [bringe], die fast nicht von den Mitarbeitern für ihre operative Arbeit verwendet werden können«.99 Einige Jahre darauf wurde kritisiert, dass die Informanten-Werbung »nicht nach Notwendigkeit und vorheriger gründlicher Überprüfung der Möglichkeiten«100 erfolgen würde. Die Zahl der IM wuchs parallel zum Apparat. Zu bestimmten Höhepunkten geheimpolizeilicher Aktivitäten (nach dem Volksaufstand von 1953, vor dem Mauerbau) gab es besondere Wachstumsphasen. Mitte der 1970er-Jahre, als mit der Entspannungspolitik das Informationsinteresse stieg, erreichte die Zahl mit hochgerechnet über 200 000 96 MfS-Lexikon, Stichwort: inoffizieller Mitarbeiter, S. 170. Die Zahl setzt sich aus den vom MfS bis 1989 bereits archivierten und den 1989 noch aktiven IM zusammen. 97 Im Jahr 2013 gab es eine öffentliche Diskussion um die Höhe der IM-Zahlen. Kowalczuk, Ilko-Sascha: Stasi konkret. Der IM, der keiner war, Streit um Stasi-Forschung. Tagesspiegelonline. 13.3.2013: https://www.tagesspiegel.de/politik/streit-um-stasi-forschung-der-im-der-keinerwar/7921198.html (letzter Zugriff: 3.6.2020); https://www.fr.de/politik/stark-staatssicherheit11341693.html (letzter Zugriff: 3.6.2020). Die Diskussion führte zu dem Schluss, dass bei den statistischen Zahlen keine relevanten Korrekturen erforderlich seien. Der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen legte sich gegenüber dem Bundestag 2015 fest: »In einer Expertise wurde die Größenordnung von inoffiziellen Mitarbeitern der Stasi (zuletzt 180 000) erneut überprüft und kann nun als stärker empirisch abgesichert gelten.« Zwölfter Tätigkeitsbericht. In: Bundestagsdrucksache 18/4200 v. 17.3.2015, S. 13. Statistisch lag die Zahl der IM eher über 190 000, weil die IM-Kategorie IMK/KW jeweils lediglich als eine Person gezählt wurde, obwohl oft Ehepaare für die Bereitstellung konspirativer Wohnungen verpflichtet wurden. Die statistische Größe sagt nur wenig über die Qualität der für das MfS geleisteten Dienste aus. Insofern hat die damalige Diskussion noch einmal das Augenmerk auf die differenzierte Interpretation von IM-Akten gelegt. 98 Vgl. u. a. Kowalczuk: Stasi konkret, S. 209. 99 SfS: Vermerk über die Dienstbesprechung am 14.6.1955; BStU, MfS, SdM Nr. 1921, Bl. 82–103, hier 93. 100 MfS: Protokoll der Kollegiumssitzung v. 21./22.11.1957; BStU, MfS, SdM Nr. 1553, Bl. 222–252, hier 233.
310
Strukturelle und resümierende Überlegungen
aktiven IM einen vorübergehenden Höhepunkt.101 Obwohl viel Zeit und Energie investiert wurden, durch Schulungen, detaillierte Anleitungen und permanente Kontrollen das Niveau und die Zahl der inoffiziellen Informationen zu erhöhen, blieb sie immer hinter dem Informationsbedarf des Apparates zurück. In den 1980er-Jahren war die Zahl der IM zudem leicht rückläufig. Nach Einführung strengerer Regeln mussten jährlich rund 10 Prozent der IM wegen Qualitätsmängeln ausgemustert werden.102 Das belegen auch Beispiele aus Kreisdienststellen wie Gransee oder Nordhausen.103 Der ZAIG-Leiter Werner Irmler bemängelte 1987, dass bei Personenüberprüfungen der Anteil der IM-Informationen »häufig nicht den Erfordernissen«104 entspräche. Nur 15 Prozent der Informationen in den OPK basiere auf inoffiziellen Kontakten, das sei »relativ gering«.105 Nicht nur die Zahl der Informanten und Informationen wurde als zu gering angesehen. Auch wenn eine systematische Analyse der Qualität geheimdienstlicher Informationen aussteht,106 sei an dieser Stelle auf das Problem der Übermittlungsfehler hingewiesen. MfS-Minister Mielke beklagte 1988, die IM würden überwiegend mündlich berichten und »die IM-führenden Mitarbeiter [würden] diese Informationen häufig erst zu einem späteren Zeitpunkt schriftlich aufbereiten und damit gewissermaßen Gedächtnisprotokolle anfertigen«. Dieser Hinweis belegt nicht nur die mangelnde Motivation der IM, sich den apparativen Erwartungen zu unterwerfen. Er verweist auch auf das Problem der fehlerhaften Übermittlung und Weiterverarbeitung, nach Mielke »die Gefahr, dass die Informationen der IM nicht mehr objektiv wiedergegeben werden und subjektiv gefärbte Wertungen entstehen«.107 Durch immer umfangreichere Richtlinien, Ermunterungen und Kontrollen versuchte das MfS, dass IM-Netz auszuweiten sowie Quantität und Qualität der Informationen zu erhöhen. Gerade unter dem Einfluss der Kybernetiker sollten die von IM stammenden Einzelinformationen möglichst für alle geheimdienstlichen Aufgaben zur Verfügung gestellt werden. Eine der von Anbeginn an wichtigen Ressourcen der Staatssicherheit war die Postkontrolle, die sogenannte M-Kontrolle. 101 MfS-Lexikon, Stichwort: inoffizieller Mitarbeiter, S. 170. 102 Müller-Enbergs: Inoffizielle Mitarbeiter. Teil 3, S. 40 f. 103 Labrenz-Weiß geht für Nordhausen von 50 % Karteileichen aus, untersucht aber nicht, ob das nicht eine Folge unterlassener regelmäßiger Bereinigungen des IM-Bestandes in dieser KDfS gewesen sein könnte. Labrenz-Weiß: KD Nordhausen, S. 181. 104 MfS/ZAIG, Irmler, Werner: AKG-Leitertagung, 3./4.12.1987; BStU, MfS, ZAIG Nr. 4696, Bl. 1–243, hier 34. 105 Ebenda, Bl. 43. 106 Weil stellt IM-Akten von Ärzten deren heutiger Sicht gegenüber. Allein Gründe der Selbstlegitimation dürften jedoch schon zu Differenzen gegenüber den damaligen Positionen führen. Weil: Zielgruppe Ärzteschaft, passim. 107 Mielke, Erich: Referat auf der zentralen Dienstkonferenz zu ausgewählten Fragen der politisch-operativen Arbeit der Kreisdienststellen und deren Führung und Leitung, 26.10.1988; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 7844, Bl. 190.
Informationsbeschaffung: die Quellen
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Über Spitzel verfügten auch andere Institutionen. So arbeitete beispielsweise das Arbeitsgebiet I der Kriminalpolizei (K I) für politische Delikte analog zum MfS mit Informanten.108 Auch die Helfer der Volkspolizei hatten ZuträgerFunktionen. Ebenso verfügten die Parteien und Massenorganisationen über Informanten, wenn man darunter Zuträger im weiteren Sinne versteht.109 Aber die Postkontrolle (auch die Telefon- und Funkkontrolle) jenseits der Regelungen der DDR-Strafprozessordnung110 war ein spezifisches Mittel der Staatssicherheit. In den Anfangsjahren hieß es sogar, »einige Abteilungen nutzten die ›M‹ zu viel, sie arbeiten nicht mit GI, sondern nur mit Postüberwachung«.111 So basierten die Berichte über die Stimmung in der Bevölkerung in den 1950er-Jahren überwiegend auf der illegalen Lektüre von Briefen. Im Jahr 1988 bildeten die Linien der jeweils eigenständigen Diensteinheiten für Postkontrolle (Abt. M) und die der Telefonkontrolle (Abt. 26) mit gemeinsamen 3 434 Mitarbeitern rein rechnerisch einen der personalstärksten Bereiche im MfS.112 Laut Statistik prüften die Postkontrolleure nach eigenen Angaben bis zu 100 000 Briefe täglich.113 Es ist angesichts derartig hoher Zahlen der Auswertungsinformationen gemutmaßt worden, dass solche Erfolgsbilanzen geschönt seien. Die Zahl der Mitarbeiter der Linie M hätte nicht gereicht, die Post auszuwerten.114 Bei aller angeratenen Vorsicht gegenüber Selbsteinschätzungen des MfS beruht die Skepsis in diesem Fall jedoch auf einem Missverständnis. Die M-Kontrolleure werteten selbst nur einen Teil der Post aus. Sie waren, wie die analog arbeitenden Zollfahnder für die Paketpost, Dienstleister, die überwiegend auf Anforderung der sogenannt operativen Diensteinheiten tätig wurden. Etwa 7 500 solcher Überwachungsaufträge oder Auftragsfahndungen gingen 1984/85 im Bezirk Gera an die Abteilung M der BVfS.115 Im Rahmen von operativen Vorgängen oder von Personenüberprüfungen wurde die Abteilung M beauftragt, einen bezeichneten Teil oder jegliche Postsendungen an eine benannte Person abzufangen, zu kopieren und der auftraggebenden Diensteinheit zu übermitteln. Die eigentliche Auswertung übernahm dann der Fall-Bearbeiter in der auftraggebenden Diensteinheit. Zuweilen bedurfte es keiner aufwendigen Auswertung. In manchen Fällen verkörperte schon die falsche, eine westliche Briefmarke, ein hinreichendes Indiz. Denn in sicherheitsrelevanten Bereichen 108 Vgl. Arbeitsgebiet I der Kriminalpolizei, passim. 109 Herbstritt: Volkspolizei als Geheimpolizei?, S. 389–414. 110 Die reguläre Postbeschlagnahme zu Untersuchungszwecken regelte § 215 der StPO. Vgl. Strafprozessordnung der DDR. 111 SfS: Vermerk über die Dienstbesprechung am 21.2.1955; BStU, MfS, SdM Nr. 1921, Bl. 112–129, hier 123. 112 Personell noch stärker ausgebaut waren die Auslandsspionage und die Linie VI zur Tourismusüberwachung und Passkontrolle an den DDR-GÜSt. Gieseke: Die hauptamtlichen Mitarbeiter, S. 396. 113 Hellström: Postkontrolle der Staatssicherheit, S. 118. 114 Kowalczuk: Stasi konkret, S. 130. 115 Hellström: Postkontrolle der Staatssicherheit, S. 315.
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Strukturelle und resümierende Überlegungen
konnten die untersagten Westkontakte Karrieren beenden. Bei Staatsanwälten beispielsweise bildeten nicht genehmigte oder nicht gemeldete Westkontakte einen der häufigsten Anhaltspunkte für Disziplinarmaßnahmen.116 In Gera reklamierten die Postkontrolleure 1984/85 für sich, rund 29 000 operativ-relevante Hinweise gegeben zu haben. Dabei überwogen mit 30,2 Prozent sogenannte postalische »Rückverbindungen« von ehemaligen DDR-Bürgern aus dem Westen zu Bürgern in der DDR. Allein in einem Monat will die Abteilung mit ihren Informationen vier Untersuchungsvorgänge angestoßen haben, zu weiteren Personen seien OPK und OV eingeleitet worden.117 Die Telefonkontrolle des MfS folgte ähnlichen Prämissen wie die Brief- und Paketkontrolle. Angesichts des verhältnismäßig wenig ausgebauten Telefonnetzes und der nur in geringer Zahl vorhandenen privaten Telefonanschlüsse in der DDR kam der Telefonkontrolle im Inneren keine flächendeckende Bedeutung zu. Nur bei wichtigen Vorgängen dürften die Abhörprotokolle komplett ausgewertet worden sein.118 Auch bei der Telefonkontrolle lag ein besonderes Augenmerk auf der bewusst klein gehaltenen und damit überschaubaren grenzüberschreitenden Telekommunikation. Wie stark sich im Bereich der Auslandsspionage die Funküberwachung entwickelte, bei der oft auch DDR-Inlandsinformationen abfielen, ist an anderer Stelle ausführlich dargestellt. Abgesehen von der gezielten Überwachung von Anschlüssen einzelner DDR-Bürger war die Kontrolle der Telekommunikation eine wachsende Informationsquelle und stellte ein weiteres Netz dar, in dem sich Auffälligkeiten verfangen sollten. Zuweilen wird behauptet, dass die Denunziation in der DDR im Verhältnis zur NS-Zeit eine nur geringe Rolle gespielt hätte. Daraus wird abgeleitet, dass der SEDStaat aus Mangel an Unterstützung einen Informantenapparat aufbauen musste.119 Inzwischen sind Zweifel angebracht, ob diese Annahmen in ihrer Absolutheit noch über eine Berechtigung verfügen. Eine systematische Studie zum Thema steht aus. In den Unterlagen der Staatssicherheit gibt es nicht wenige Hinweise darauf, dass Denunziation im weiteren Sinne durchgängig eine wichtige Rolle im Informationspool des MfS spielte.120 Minister Wollweber bilanzierte 1956, dass nur 20 Prozent der geheimpolizeilichen Vorgänge durch Hinweise von geheimen Informanten, aber 30 Prozent »durch Hinweise der Bevölkerung«121 abgeschlossen würden. Obwohl der MfS-Führung schon damals die geringe Verlässlichkeit derartiger Informationen bewusst war, blieb diese Form des Informationszugan116 Diverse Vorgänge in BArch, DP 3/846. 117 Hellström: Postkontrolle der Staatssicherheit, S. 316 ff. 118 Kowalczuk; Polzin: Fasse Dich kurz, passim. 119 Gieseke: Mielke-Konzern, S. 115 ff. 120 Zu Definition und für Literaturüberblick siehe Booß; Müller-Enbergs: Die indiskrete Gesellschaft. 121 MfS: Notiz über Dienstreise in BV Cottbus am 17.2.1956; BStU, MfS, SdM Nr. 1921, Bl. 437–443, hier 443.
Informationsbeschaffung: die Quellen
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ges unverzichtbar, weil sie auch als Vertrauensbeweis seitens der Bevölkerung interpretiert wurde. Im Jahr 1956 wurde festgelegt, dass Verantwortliche aus der Staatssicherheit »eine breite Versammlungskampagne in allen wichtigen Betrieben, Institutionen und zahlreichen Dörfern unserer Republik«122 durchzuführen hätten. Je stärker die DDR wegen der forcierten Kollektivierung auf dem Lande und der anhaltenden Republikflucht in die Krise trieb, suchte der neu ernannte Minister Mielke eine »noch bessere Unterstützung der Organe der Staatssicherheit«123 durch loyale Teile der Bevölkerung. Aus Scheu vor Parallelen zur NS-Zeit wurde das Wort Denunziation vermieden. Es hieß beschönigend, »die Bevölkerung muss Vertrauen zur Staatssicherheit haben«.124 Faktisch wurde die Denunziationsbereitschaft dadurch gefördert, dass auf Betriebsversammlungen drastisch (vorgebliche) Verbrechen von (vermeintlichen) Feinden der DDR ideologisch inszeniert dargestellt wurden. »Zur Abwehr der feindlichen Provokationen muss unter der Bevölkerung eine Atmosphäre der Wachsamkeit geschaffen werden.«125 Auch in den 1970er-Jahren, als die Strafverfolgung nicht mehr ganz so willkürlich verlief wie in den Anfangsjahren, blieben Hinweise aus der Bevölkerung eine wichtige Quelle des MfS. Bei Untersuchungsvorgängen machen sie 1971 etwa 3 Prozent der Ersthinweise aus, 1984 waren es immer noch 2,4 Prozent.126 In den 1980erJahren gingen diese Bevölkerungshinweise zurück. Denunziationen, die lediglich in die geheimpolizeiliche Arbeit eingingen, ohne zu Strafverfahren zu führen, sind hier nicht berücksichtigt. Deren Zahl ist bislang nicht erforscht. Das MfS warb jedoch geradezu für eine derartige Zusammenarbeit, um eine »Verstärkung des Vertrauensverhältnisses zwischen Bevölkerung und Staatssicherheitsdienst«127 zu bewirken. Mitarbeiter und Untersuchungsführer der HA IX nutzten beispielsweise Strafverfahren, um die Arbeitskollektive von Beschuldigten aufzusuchen. Einerseits sollte auf die Belegschaften strafpräventiv eingewirkt werden und andererseits bot sich das MfS bei dieser Gelegenheit als Ansprechpartner an. Allein im Berichtsjahr 1970 seien auf diese Weise 10 718 Bürger in 578 kollektiven Beratungen erreicht worden. Nach MfS-eigener Einschätzung zeigten sich Teilnehmer bereit, »die Organe des MfS gegen die imperialistischen Geheimdienste sowie die Zentren 122 MfS: Protokoll der Kollegiumssitzung v. 29.12.1956; BStU, MfS, SdM Nr. 1901, Bl. 1–13, hier 4. 123 MfS: Protokoll der Kollegiumssitzung v. 12.1.1959; BStU, MfS, SdM Nr. 1903, Bl. 161–167, hier 162. 124 MfS/Abt. XII: Protokoll v. 12.1.1957; BStU, MfS, AS 189/58, Bd. I, Bl. 106. 125 MfS: Protokoll der Kollegiumssitzung v. 18.11.1960; BStU, MfS, SdM Nr. 1903, Bl. 56–74, hier 61. 126 MfS/HA IX: Jahresbericht 1970, 15.2.1971; BStU, MfS, HA IX Nr. 5208, Bl. 1–54, hier 40; MfS/HA IX: Jahresbericht 1984, Januar 1985; BStU, MfS, HA IX Nr. 3711, Bl. 1–165, hier 8. 127 MfS/HA IX: Jahresbericht 1970, 15.2.1971; BStU, MfS, HA IX Nr. 5208, Bl. 1–54, hier 42.
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Strukturelle und resümierende Überlegungen
durch andere Staaten
19,82% 27,24%
DVP u. a. Hinweise der Bevölkerung 14,04%
Selbststellung Ermittlungen
22,14% 14,45%
Festnahmen operatives Material
0,6%
1,72%
Abb. 31: Anstoß zu Untersuchungsvorgängen des MfS 1988
der politisch-ideologischen Diversion zu unterstützen«.128 Auch das Leitungspersonal des MfS, der Minister eingeschlossen, warb vor Führungskadern für die Zusammenarbeit. Im MfS waren die Bemühungen, die Bevölkerung für die eigenen Belange einzuspannen, unter dem Stichwort Öffentlichkeitsarbeit ein fester Bestandteil der Routinen. Faktisch ging es darum, Personen aus der Bevölkerung auch ohne förmliche Bindung zu einer Informationsweitergabe an das MfS zu motivieren. Letztmalig im November 1989, in der VolkskammerRede, kam Mielke in einem (belachten) Satz zum Thema, als er sagte: »Wir haben, Genossen, liebe Abgeordnete, einen außerordentlich hohen Kontakt zu allen werktätigen Menschen.« Mielke meinte hier nicht, wie die Lacher annahmen, die Bespitzelung, sondern im Gegenteil die Bereitschaft der Bevölkerung, dem MfS Informationen zuzuleiten. Denn einige Passagen später hieß es in der besagten Rede: »Viele Menschen, einfache und andere, bis zu Direktoren, haben uns Vieles mitgeteilt über Unzulänglichkeiten …«129 Es gab in der DDR Phänomene der Kooperation mit dem Staat oder gerade mit seinen repressiven Organen, die nicht der klassischen Denunziation entsprachen, aber durchaus diesbezügliche Teilmerkmale aufweisen und damit im Rahmen des Denunziationskomplexes zu diskutieren sind. Darunter fallen die Auskunftspersonen (AKP) des MfS. Die Wohngebietsüberwachung war die Schwachstelle des MfS, weil diese, anders als die wichtigsten Arbeitsstätten, nicht systematisch
128 Ebenda, Bl. 42. 129 Mielke, Erich: Rede in der Volkskammer, 13.11.1989.
Informationsbeschaffung: die Quellen
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mit IM-Netzen kontrolliert wurde.130 Es gab auch keine explizit für Wohngebiete zuständige Diensteinheit im MfS. Da die Staatssicherheit gerade im Kontext mit Massenüberprüfungen Erkenntnisse über das private Verhalten der Bürger erlangen wollte, versuchte man, Informationen von normalen Bürgern zu gewinnen. Solche, nur in Ausnahmen häufiger angelaufenen Personen, waren von der Staatssicherheit nicht gesondert verpflichtet oder eingewiesen, sondern sollten als sogenannte Auskunftspersonen aus dem Nahbereich der jeweils interessierenden Person zu deren offenkundigem Verhalten und Umgangskreis abgeschöpft werden. In der maßgeblichen Fachabteilung hieß es: »Die AKP’s sind in der Ermittlungstätigkeit die wichtigsten Informationsquellen.«131 Gegenüber den AKP gab sich das MfS als Institution nicht zu erkennen. In der Regel wurden die AKP durch spezielle inoffizielle Mitarbeiter, Ermittler-IM (IME), angelaufen, die häufig hauptamtliche IM (HIM) waren. Diese IM wurden deutlich überwiegend nur zu Personenermittlungen eingesetzt, verfügten über spezielle Legendierungen, die beispielsweise verfälschte Dokumente einschließen konnten. Für solche Legenden wurde empfohlen, Berufsgruppen zu wählen, die ohne Verdacht zu erregen mit amtsbezogener oder naheliegender Legitimität personenbezogene Informationen erheben konnten. Daher wurden gern Identitäten als Angestellte der Kreise, Stadtbezirke, Gemeinden, staatlicher Organe oder gesellschaftlicher Organisationen (Volkssolidarität, BHG, Versicherungsanstalten, Nationale Front) vorgegeben.132 Wer als geeigneter Ansprechpartner angesehen wurde, scheint je nach Region und Diensteinheit unterschiedlich gewesen zu sein. In der Boxhagener Straße in Berlin-Friedrichshain stellten Rentner wegen der Verweildauer am Wohnort die größte soziale Gruppe. Die MfS-Ermittler sprachen regelmäßig die Hausgemeinschaftsleitungen (HGL) an, die zur untersten Ebene der Wohngebietsstruktur der Nationalen Front zu rechnen waren. Offenbar unterstellte man Kooperationsbereitschaft, wie gutes Wissen über die Bewohner des Hauses. Fast in jedem Haus wurden die jeweiligen Hausbuchführer angesprochen, die im Auftrag der Abteilung Inneres, angeleitet durch die Nationale Front,133 in einem Hausbuch nach melderechtlichen Kriterien vermerken sollten, wer im Haus wohnte oder sich über längere Zeit besuchsweise im Haus aufhielt. Auf dem Lande, im Kreis Gransee, wurden dagegen zu 67,9 Prozent die Ortsbürgermeister als AKP genutzt.134 Qua Amt und weil in Dörfern unter 130 So äußerte sich Erich Mielke beispielsweise 1988. Vgl. Süß: Staatssicherheit im letzten Jahrzehnt, S. 48 f. 131 MfS/JHS: Einige Grundfragen der Durchführung von Ermittlungen, insbesondere der Gesprächsführung mit Auskunftspersonen. Selbststudienmaterial für hauptamtliche Mitarbeiter, 1984. 2 Bde. Bd. 1, Bl. 16 (in BStU-Bibliothek unter SR 349/I–II). 132 MfS: Instruktion Nr. 1/81 zur Ermittlungstätigkeit der Kreisdienststellen/Objektdienststellen des MfS, 20.5.1974; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 1850, Bl. 13 f. 133 MdI: Dienstvorschrift Nr. 38/83 über das polizeiliche Meldewesen v. 10.6.1983; BArch DO 1/60424, Abs. 1.4.2.18. 134 Eigenberechnung nach AKP-Kartei; Adresskartei leitender Angestellter, Funktionäre und Auskunftspersonen der Kreisdienststelle in Gemeinden und Ortschaften des Kreises Gransee;
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Strukturelle und resümierende Überlegungen
1 000 Einwohnern das Hausbuch für mehrere Häuser oder das ganze Dorf durch den Ortsbürgermeister geführt werden durfte,135 wurde er offenbar als ergiebigste Quelle für Personenüberprüfungen angesehen, gefolgt von LPG-Vorsitzenden und anderen, wie Mitgliedern der Verwaltung oder der bewaffneten Organe, inklusive der ABV. Aufgrund des wenig formalen Charakters der Gespräche und, weil die MfS-Ermittler das Gehörte summarisch aus dem Gedächtnis niederschreiben,136 war dem MfS bewusst, dass die Berichte »Mängel und Lücken«137 aufwiesen. Abgesehen von einzelnen Ausnahmen, weisen die Auskünfte auch eine Tendenz auf, über die Nachbarn überwiegend freundlich zu berichten. Dennoch waren diese AKP-Berichte in der Summe indiskret.138 Die Informanten offenbarten den legendierten staatlichen Vertretern erstaunlich viele Informationen über das Privat- und Arbeitsleben der Mitbürger. Das am häufigsten genannte verfängliche Merkmal war nach Erkenntnissen des MfS mit 33 Prozent der West-Kontakt zu Verwandten.139 Manches in den Ermittlungsberichten dürfte eher dem Bereich von Klatsch und Tratsch zuzuordnen sein, doch auch das gab einen Hinweis auf den Leumund und konnte gegebenenfalls einen Anhaltspunkt für weitere Recherchen bilden. Auch wenn nur wenige der AKP mehrmals berichteten, ist die Zahl der Personen, die in den erhalten gebliebenen AKP-Karteien enthalten sind, beachtlich. Die Bevölkerungsquote, die dort erfasst wurde, liegt zwischen einem und rund 10 Prozent.140 In den Massenüberprüfungen ab Mitte der 1970er-Jahre bildeten die Auskünfte von AKP in den Wohngebietsermittlungen neben der Arbeitsplatz-, Post- und Karteiüberprüfung ein Standard-Element der Informationsbeschaffung, das der Informationsbeschaffung über IM quantitativ keineswegs nachstand. Mangels in ausreichender Zahl zur Verfügung stehender IM beschränkten sich Sicherheitsüberprüfungen oft auf Überprüfungen in den MfS-Karteien und offizielle Ermittlungen.141 Die sogenannten offiziellen Kontakte waren dauerhaft eine der wichtigsten Quellen für das MfS. Bisher wurde vor allem die Volkspolizei BStU, MfS, BV Potsdam, KD Gransee Nr. 272. 135 MdI: Dienstvorschrift Nr. 38/83 über das polizeiliche Meldewesen v. 10.6.1983; BArch, DO 1/60425, Abs. 1.4.2.4. 136 MfS: Einige Grundfragen der Durchführung von Ermittlungen, insbesondere der Gesprächsführung mit Auskunftspersonen. Selbststudienmaterial für hauptamtliche Mitarbeiter, o. D. (vermutl. 1984); BStU, MfS, AGM Nr. 128, Bl. 2–59, hier 56 f. 137 MfS/ZAIG, Werner Irmler: AKG-Leitertagung, 3./4.12.1987; BStU, MfS, ZAIG Nr. 4696, Bl. 1–243, hier 134. 138 Booß; Müller-Enbergs: Die indiskrete Gesellschaft, S. 38 f. 139 Schmeißer, Martin: Zur Qualifizierung der Einschätzung der sicherheitspolitischen Eignung von Personen. Potsdam, 26.4.1989; BStU, MfS, JHS Nr. 22025. 140 In der Berliner Boxhagener Str. betrug die Quote 1 %, in Gransee waren es 3,4 %, in Rostock ca. 10 %. Vgl. Booß: Auskunftspersonen, S. 28–33. In Saalfeld belief sich die Rate auf 5,7 %. Booß; Müller-Enbergs: Die indiskrete Gesellschaft, S. 185 ff. 141 BV Pdm/AKG: Bericht v. 10.4.1985; BStU, MfS, BV Potsdam, AKG Nr. 392, Bl. 18–34, hier 27, Bl. 132–139.
Informationsbeschaffung: die Quellen
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als offizieller Partner des MfS beschrieben.142 Das unterschätzt den Informationsaustausch mit Kadern anderer gesellschaftlicher Bereiche. Immer wieder warb die MfS-Führung vor hohen Funktionären für eine solche Zusammenarbeit. Erich Mielke artikulierte in Frankfurt/Oder seine Erwartungen: »Es ist die Pflicht der zuständigen Leiter, im engen Zusammenwirken mit den Sicherheitsorganen sehr gewissenhaft zu prüfen, ob als Geheimnisträger, Reise- oder Auslandskader bzw. für den Einsatz in andere spezifische Funktionen vorgesehene Personen auch wirklich dafür geeignet sind.«143 Das ist eine der seltenen Fundstellen als Beleg dafür, dass das MfS eine enge Zusammenarbeit von SED-Leitungskadern unverblümt einforderte. Das Beispiel der Seereederei zeigt, dass nicht wenige Personen in diesem Betrieb in solche Überprüfungsverfahren einbezogen wurden.144 Die noch heute sichtbaren Belege dieser Kooperationspraxis stellen beispielsweise die Auszüge aus den Personalakten (Kaderakten) in Überprüfungsdossiers der Staatssicherheit dar.145 In Ostberlin herrschte in dieser Hinsicht die Praxis vor, dass »die Kaderleiter der Räte der Stadtbezirke den ihnen bekannten zuständigen Mitarbeitern der KD bzw. der BV in zweifacher Ausfertigung ›Mitteilungen‹ mit den notwendigen Angaben solcher Personen übergeben, deren Einstellung, Einsatz oder Bestätigung der Überprüfung durch das MfS bedürfen«.146 Eine solche Zusammenarbeit wurde auch durch die mittlere MfS-Ebene stimuliert. Die Verbindungsoffiziere des MfS sollten das Leitungspersonal in den von ihnen kontrollierten Institutionen bewegen, ein »parteiliches und kameradschaftliches Verhältnis«147 herzustellen. Immer wieder wurde Lenin zitiert, wonach »[je]der gute Kommunist gleichzeitig ein guter Tschekist«148 sei. Das Statut der SED verpflichtete die Parteimitglieder ausdrücklich zu »politische[r] Wachsamkeit«.149 Das Manifest des VII. SED-Parteitages forderte von den eigenen Anhängern, »alles gemeinsam zu schützen, was gemeinsam geschaffen wurde«.150 In der Realität dürften solche Appelle einen sehr unterschiedlichen Widerhall gehabt haben. Aber vonseiten des MfS und der SED gab es eine deutliche Erwartung, dass, wer an der 142 Gieseke: Mielke-Konzern, S. 156 f. 143 Mielke, Erich: Vortrag vor Mitgliedern der Bezirkseinsatzleitung und Kreiseinsatzleitung des Bezirkes Frankfurt/Oder, 30.11.1978; BStU, MfS, SdM Nr. 1301, Bl. 5–131, hier 93. 144 Cammin: Die Deutsche Seereederei, S. 209–211. 145 Erkenntnis aus eigener Anschauung in gesichteten Unterlagen, darunter fällt auch ein MfS-Kontrollbericht aus Potsdam. BV Pdm/Abt. VIII: Bericht v. 2.5.1989; BStU, BV Potsdam, Abt. VIII Nr. 345, Bl. 117–120. 146 MfS: Kaderüberprüfungen im Magistrat von Berlin, 1982; BStU, BV Berlin, Abt. XIX Nr. 11319, Bl. 17 ff. 147 Gehlert, Siegfried; Janzen, Heinz; Hempel, Manfred; Fischer, Karl: Die weitere Qualifizierung und Vervollkommnung der politisch-operativen Arbeit der Kreisdienststellen. Potsdam 1983; BStU, MfS, JHS Nr. 21931, Bl. 293. 148 Lenin: Genossenschaftsfrage, Bd. 30, S. 475. 149 Statut der Sozialistischen Einheitspartei, S. 13 f. 150 Zit. nach: Müller-Engbergs: Inoffizielle Mitarbeiter. Teil 1, S. 241.
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sozialistischen Macht teilhatte, auch mit Informationen zur Absicherung dieser Macht beitragen sollte. Dieses Personal zählte zu den kontrollierten Kontrolleuren, da es sowohl Ziel der Informationsgewinnung, wie auch eine ihrer wichtigsten Quellen war. Da dieser Personenkreis oft zur Nomenklatura der SED gehörte, durfte laut Weisung Mielkes kein Druck ausgeübt werden.151 Der Einfluss des MfS bewirkte immerhin, dass eine nennenswerte Zahl von Leitern, um sich abzusichern »mehr Personen zur Überprüfung mitteilen, als wirklich zum Einsatz kommen sollen«.152 Wegen der Aufgabenausweitung des MfS kam der offiziellen Zusammenarbeit ab Ende der 1960er-Jahre »ständig zunehmende Bedeutung« zu.153 Angesichts des Masseninformationsbedarfs in den 1980er-Jahren sah man in der Nutzung offizieller Kontakte »eine echte Reserve, um die Wirksamkeit der politisch-operativen Arbeit zu erhöhen«.154 Die Zahl der offiziellen Kontakte ist schwer zu quantifizieren. Wenn man die Größe der Nomenklatura mit rund 300 000 Personen155 ansetzt und den Informationsbedarf in den Arbeitsstätten angesichts der Massenüberprüfungen bedenkt, dürfte die Zahl der offiziellen Kontaktpartner kaum unter der Zahl der inoffiziellen Mitarbeiter gelegen haben. Die Behauptung, die Volkspolizei sei der wichtigste Partner des MfS156 gewesen, ist angesichts dieses breiten Informantenfeldes jedenfalls zu relativieren. Trotz der Mängel im IM-Netz und obwohl jeder operative Mitarbeiter die Vielfalt der Informationsquellen kannte, hielt insbesondere der greise MfS-Minister am Mythos vom IM als der Hauptwaffe des MfS fest. Immer wieder beschwor er in internen Reden, die Arbeit mit den inoffiziellen Mitarbeitern dürfe »unter keinen Umständen in den Hintergrund gedrängt oder vernachlässigt werden«.157 Für Mielkes diesbezügliche Beharrlichkeit gab es gute Gründe. Die Arbeit mit den inoffiziellen Mitarbeitern gehörte neben der Post- und Fernmeldekontrolle zu den sogenannten »spezifischen Mitteln und Methoden«158 des MfS. Mielke leitete aus diesem Arsenal die Berechtigung des MfS ab, sich in fast alles einmischen 151 Hähnel u. a.: Die weitere Qualifizierung der Sicherheitsüberprüfungen des MfS im Prozess der politisch-operativen Arbeit entsprechend den wachsenden Sicherheitsbedürfnissen und -erfordernissen des sozialistischen Staates. Potsdam 1980; BStU, MfS, JHS Nr. 21901, Bl. 374. 152 Ebenda, Bl. 359. 153 MfS: RL Nr. 1/68 über die Zusammenarbeit mit GMS und IM ... Zit. nach: MüllerEnbergs: Inoffizielle Mitarbeiter. Teil 1, S. 246. 154 Gehlert, Siegfried; Janzen, Heinz; Hempel, Manfred; Fischer, Karl: Die weitere Qualifizierung und Vervollkommnung der politisch-operativen Arbeit der Kreisdienststellen. Potsdam 1983. BStU, MfS, JHS Nr. 21931, Bl. 287. 155 Schroeder: Der SED-Staat, S. 411. 156 Gieseke: Mielke-Konzern, S. 156 f. 157 Mielke, Erich: Referat auf der zentralen Dienstkonferenz zu ausgewählten Fragen der politisch-operativen Arbeit der Kreisdienststellen und deren Führung und Leitung, 26.10.1988; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 7844, Bl. 166. 158 MfS: Statut des Ministeriums für Staatssicherheit v. 30.7.1969. In: Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 183–188, hier 184.
Informationsverarbeitung
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zu dürfen. Nur mit »offiziellen Informationen über die vermutliche politische Einstellung von Personen [komme man nicht weiter, es gelte], das reale Persönlichkeitsbild aufzuklären und eventuell vorgetäuschte positive Eigenschaften und eventuell vorgetäuschte Verhaltensweisen aufzudecken«.159 Dazu sei jedoch »kein anderes staatliches Organ in der Lage, denn nur das MfS besitze dazu die erforderlichen spezifischen Mittel, Methoden und operativen Möglichkeiten«.160 Diese Eigen-Legitimation und die Überzeugung, die Einzigen zu sein, die der Partei einen Blick auch hinter die Kulissen verschaffen könnten, bescherten Mielke fast endlos wachsende Etats sowie ein nahezu stetes Wachstum von Apparat und Einfluss. Es war also nicht nur eine gewisse Alterssturheit, die ihn am IM-Nimbus festhalten ließ. Zudem steuerte er mit dem IM-Mythos zumindest rhetorisch gegen die psychologischen Folgen der Bürokratisierung an. Er versuchte, seinen Apparat, dessen Praxis längst von administrativen Abläufen geprägt war, mit einer Agenten- und Klassenkampfromantik zu motivieren und zu legitimieren. Mit der Realität der Informationsbeschaffung und Informationsverarbeitung im späten MfS hatte sein romantischer Informationsbegriff wenig gemein. Insofern sollten die These von IM als Hauptwaffe des MfS hinterfragt und die Bedeutung der übrigen Quellen stärker berücksichtigt werden.
10.3 Informationsverarbeitung Die vorliegende Arbeit belegt, dass die Entwicklung der Informationsverarbeitung im MfS dynamischer verlief, als es den Anschein hat. Diese Entwicklung wies im Wesentlichen vier Etappen auf: die sowjetisch geprägte Aufbauzeit, den kybernetisch geprägten Modernisierungsschub seit den 1960er-Jahren, den Weg in die Massenüberprüfung in den 1970er-Jahren und den Beginn der EDVgestützten Auswertung in den 1980er-Jahren. Die Aufbaujahre waren stark von den sowjetischen Instrukteuren und deren Methoden geprägt. Freund wie Feind wurden in speziellen Aktenvorgängen bearbeitet. Einfache Karteikartensysteme sollten die Übersicht über diese Vorgänge gewährleisten. Die Kybernetik nahm ab Anfang der 1960er-Jahre auf die geheimpolizeilichen Methoden Einfluss und bewirkte vor allem dreierlei: –– Erstens eine Differenzierung der bislang vorherrschenden klischeehaften Sicht auf die Bevölkerung. Neben ertappten Feinden standen in den Jahren zuvor schematisch ganze Gruppen unter Verdacht und wurden, teils in speziellen Karteien, entsprechend ausgewiesen: NS-Belastete, vormalige SS- und SAAngehörige, ehemaligen Sozialdemokraten, Trotzkisten und so weiter, letztlich alles Personengruppen, die dem stalinistischen Feindbild entsprachen. Sie 159 Mielke 1981, zit. nach: Süß: Staatssicherheit im letzten Jahrzehnt, S. 24. 160 Ebenda.
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waren verdächtig, gemeinsam mit dem imperialistischen Gegner die DDR durch einen Putsch oder Krieg eliminieren zu wollen. In den 1960er-Jahren dagegen, nachdem sich die SED-Führung durch den sogenannt antifaschistischen Schutzwall abgeschirmt hatte, sollten die Menschen und ihre Einstellung zum SED-Staat differenzierter eingeschätzt werden, um auch die Mehrheit der Skeptischen für den Sozialismus gewinnen zu können. –– Zweitens gewann die Einzelformation gegenüber den traditionellen Aktenvorgängen entscheidend an Bedeutung, da in den traditionellen Vorgängen Detailinformationen oft schwierig wieder- oder aufzufinden waren. Die analytisch bewertete Einzelinformation sollte fortan verschiedenen Zwecken nutzen: der Statistik, unterschiedlichen Lage-Analysen, für Personenprofile und als Fahndungsmerkmale. Grundsätzlich war damit der Weg in die automatisierte Massendatenverarbeitung geebnet, auch wenn sich die Einführung der EDV als langwierig und schwierig erwies und das MfS bis zum Schluss in erheblichem Maße mit Karteikartensystemen und Akten arbeitete. –– Drittens gewannen Auswertung und Auswerter im MfS erheblich an Stellenwert. Im Schnitt machten sie in den KDfS schließlich ein Sechstel aller geheimpolizeilich tätigen Mitarbeiter aus. Die Auswerter-Linie zählte auch in den 1970er- und 1980er-Jahren zu den Bereichen mit einem deutlichen Personalzuwachs,161 erfuhr eine Aufgabenausweitung und gewann wachsende Kontrollbefugnisse. Die ZAIG steuerte schließlich über die Auswertung hinaus auch die Berichte an den zentralen Partei- und Staatsapparat, die mittelund langfristigen Planungen und war maßgeblich an der Ausarbeitung von dienstlichen Bestimmungen im MfS beteiligt. Mit operativen Statistiken und Revisionen vor Ort kontrollierten die Auswertungs- und Kontrollgruppen von ZAIG und AKG schließlich auch praktisch die geheimpolizeiliche Arbeit. Das kybernetisch auf geregelte Systeme ausgerichtete Denken provozierte das Entstehen eines Regelwerkkomplexes im MfS, das Vorgänge, Informations gewinnung und Informationsnutzung miteinander verzahnte und die geheimpolizeilichen Vorgänge je nach aktuellem Informationsstand variabel neu auszurichten gestattete. Prinzipiell konnte jede Information einen Vorgang verändern, jeder Vorgang für andere Vorgänge Informationen liefern. Dieses Denken war von der Erwartung getragen, durch Informationen und entsprechendes Nachsteuern den eigenen Apparat wie auch die Realität des Sozialismus optimieren zu können. Auch wenn das kybernetische Denken offiziell ab Ende der 1960erJahre nicht mehr en vogue war, blieben der Einfluss der Kybernetiker und ihr Denkansatz für die Weiterentwicklung der Informationsverarbeitung und des Regelwerks im MfS prägend.
161 Eigenberechnung nach Gieseke: Die hauptamtlichen Mitarbeiter, S. 554 ff.
Informationsverarbeitung
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Die Entwicklung der Informationsverarbeitung verlief keineswegs gradlinig. Die Hoffnung, den Sozialismus hinter der Mauer, quasi in einer Retortensitua tion, entwickeln zu können, erwies sich als unrealistisch. Die wirtschaftliche Verflechtung der DDR mit dem westlichen Ausland, finanzielle und politische Zwänge ließen die Grenze zunehmend durchlässiger werden. Insbesondere seit den vertraglichen Regelungen im Rahmen der Entspannungspolitik wurden Reisen und Begegnungen zwischen Ost und West zur Normalität und zu einem Massenphänomen. Das MfS misstraute dieser Entwicklung. Es sah darin das Einfallstor für Spionage, Fluchthilfe und ideologische Diversion, die zur Aufweichung des Sozialismus führen konnten. Ferner befürchtete man, dass durch die Kontaktpolitik des Gegners Personal in sicherheitsempfindlichen Funktionen abgeschöpft, umgedreht und abgeworben werden könnte. Diese Sicherheitseinschätzung führte in eine Massenüberwachung von Reise- und Personalvorgängen. Dies überforderte schließlich das kybernetisch geprägte Informationssystem des MfS. Statt kybernetisch-analytische Methoden weiter entwickeln zu können, musste in den 1970er-Jahren improvisiert werden. Mit einem neuen, dezentralen Karteikartensystem in den Diensteinheiten versuchte man, den neuen Anforderungen gerecht zu werden. Mehr als die Hälfte der DDR-Bürger war gegen Ende der DDR in derartigen dezentralen Karteien und Dossiers erfasst. Nicht traditionelle Aktenvorgänge, sondern Massen-Speicher prägten fortan das aktive Gedächtnis des MfS. Die Einführung der EDV erwies sich wegen der technologischen Rückständigkeit, der Abhängigkeit vom RGW und begrenzter Ressourcen als schwierig. Andere Themen und Diensteinheiten hatten gegenüber der ZAIG Vorrang. Die Auswertung erhielt erst relativ spät (1981) eine zentrale Personendatenbank (ZPDB), die anfangs zudem wenig effektiv war. Aber gegen Ende der DDR lieferte die ZPDB aus verschiedenen Anlässen, an unterschiedlichen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten erhobene Daten, ermöglichte elektronische Personenprofile und Sachverhaltsbefunde. Diese Daten konnten auch für Fahndungszwecke genutzt werden. Dezentrale EDV-Lösungen und Karteikartensysteme ergänzten die Großdatenbank. Diese waren im Prinzip schon so konzipiert, dass man deren Daten in einer Großdatenbank hätte integrieren können. Das MfS konnte ferner auf die Personendatenbank des Innenministeriums zurückgreifen, die über ein breites Datenspektrum wie Melde-, Straf-, Verkehrsdelikts-, Arbeitsstätten-, Wohnungsinformationen und so fort verfügte. Damit hatte das MfS zum Auflösungszeitpunkt faktisch für jede Person in der DDR einen aussagekräftigen Datensatz in der Hand, der durch Erkenntnisse aus den eigenen Speichern meist ergänzt werden konnte. Damit war das MfS 1989 schon weit auf dem Weg zum gläsernen Menschen vorangeschritten. Die Orwellsche Dystopie im Roman 1984, die eine permanente, allseitige elektronische Überwachung unterstellt, war damit freilich noch nicht erreicht. Die latente Gefahr der Überschätzung des MfS sollte jedoch nicht dazu führen, deren Stand der elektronischen Datenverarbeitung zu
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Strukturelle und resümierende Überlegungen
unterschätzen. Die Vernichtung der elektronischen Datenträger im Zuge der Auflösung des MfS führte dazu, dass deren veraltete Informationsverarbeitung in Papierform, wie sie bis in die 1970er-Jahre üblich war, für die Aufarbeitung nach 1989 genutzt werden musste. Die Informationsverarbeitung des MfS im Jahr 1989 war deutlich moderner. Trotz der gesammelten erheblichen Datenmengen verlor das MfS nicht den Überblick. Stets ging es darum, die Informationen, Vorgänge, Personen, Objekte oder Sachverhalte so zu ordnen, zu klassifizieren oder zu indexieren, dass sie auswertbar und wieder auffindbar blieben. Eine andere Frage ist, wie relevant diese Informationen waren und ob sie wirklich zu Abwehr- und Fahndungserfolgen führten oder zu realistischen Lagebildern zusammengefügt werden konnten. Das Ziel der Kybernetiker im MfS bestand darin, mittels Informationen ihr eigenes System und durch Einflussnahme auf Staatsfunktionäre beziehungsweise durch die Abgabe von Information an die Partei das sozialistische System der DDR zu optimieren. Es lassen sich recht einfach Beispiele dafür finden, dass der Apparat beim Vorliegen von Indizien für eine schwerpunktmäßige feindliche Tätigkeit erfolgreich nachsteuerte. In den 1960er-Jahre kulminierten beispielsweise Probleme mit der in der DDR aufgewachsenen Jugendgeneration. Diese präsentierten sich als an das Halbstarken-Phänomen erinnernde Subkulturen, traten aber auch in Form von Fans der Beatmusik, Wehrdienstverweigerern und als Jugendliche zutage, die an staatsgelenkten Kulturrichtungen kein Interesse zeigten.162 Deren Überwachung und Unterdrückung mündeten beim MfS in einer eigenen Dienstanweisung, die zugleich einen neuen Schwerpunkt der geheimpolizeilichen Alltagsarbeit begründete.163 Ob diese Akzentsetzung primär das Resultat filigraner Analytik oder doch eher eine Folge grobschlächtigen Einflusses der SED war, ist schwierig auszumachen. Nach der Leipziger Beatdemonstration von 1965 wurde der westliche Musikeinfluss zur Machenschaft des politischen Gegners erklärt, der die DDR-Jugend zu verderben suchte. Mit dem 11. ZK-Plenum der SED wurde 1965 jeder Kulturnonkonformismus verdammt. Das Parteitreffen stand ganz im Zeichen eines Umschwungs auf breiter Front, der in der staatskommunistischen Welt auf die Ablösung von Chruschtschow durch Breschnew im Jahr zuvor folgte. Die Analytik im MfS hatte sich diesem Trend unterzuordnen. Ein anderes Beispiel ist die berühmt-berüchtigte PUT-Richtlinie von 1985, die sich gegen den sogenannten politischen Untergrund richtete.164 Sie ist zweifelsohne ein Reflex auf das Erstarken der kirchlichen Basisbewegung und anderer 162 Neubert: Geschichte der Opposition, S. 144 f., 183 ff., 191 ff. 163 MfS: DA 4/66 zur politisch-operativen Bekämpfung der politisch-ideologischen Diversion und Untergrundtätigkeit unter jugendlichen Personenkreisen der DDR; BStU, MfS, BdL/ Dok Nr. 1083, abgedruckt in: Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 174 f. 164 MfS: DA 2/85 zur vorbeugenden Verhinderung, Aufdeckung und Bekämpfung politischer Untergrundtätigkeit, 20.2.1985; BStU, MfS, BdL/Dok. Nr. 5083.
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oppositioneller Verbindungen seit dem Ende der 1970er-Jahre.165 Es ist allerdings erstaunlich, wie spät diese Neuorientierung erfolgte. In den Jahren zuvor ging es vorrangig um die Absicherung der ökonomischen Strategie der von Honecker propagierten Rationalisierung der Ökonomie. Die PUT-Richtlinie führte Mitte der 1980er-Jahre zu einer deutlichen Umsteuerung im Apparat. Die Oppositionsbekämpfung zählte nun zu den prioritären Zielen. Die HA XX/9, die sich vorher nur mit Spezialfällen herausragender Opponenten beschäftigt hatte, erhielt eine Leitfunktion, die MfS-Maßnahmen wurden härter und es fanden auch wieder mehr Verhaftungen statt.166 Aber dieser Strategiewechsel kam sehr spät, erst knapp vor Toresschluss, und man fragt sich, ob nicht gerade dieses das erratische Vorgehen des MfS in den letzten Jahren der SED-Herrschaft erklärt. Die abrupte Umorientierung brachte Friktionen mit sich. Manche Vertreter im MfS, die bislang eher auf subtilere Repressions- und Beeinflussungsmethoden gesetzt hatten, empfanden die neue Linie als eine »Entmündigung« und als ein Durchkreuzen ihrer Bemühungen, da nunmehr stärker mit »militanten Lösungen«167 gearbeitet werden sollte. Bei der Herangehensweise wurden zudem die veränderten politischen Rahmenbedingen unzureichend reflektiert. Das MfS unterschätzte offenbar grundlegend die möglichen Folgen eigener Aktionen, wie die Geschehnisse nach den Verhaftungen in der Berliner Umweltbibliothek 1987 oder anlässlich der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration 1988168 zeigen. Das Agieren des MfS erinnert an die sprichwörtliche Springprozession. Auf Festnahmen folgten Proteste, dann Freilassungen oder andere Zugeständnisse, die sich letztlich konfliktverschärfend auswirkten. Das Vorgehen der Staatssicherheit wirkte hektisch und inkonsistent. MfS-Mitarbeiter machten für die Widersprüche sprunghafte ZK-Entscheidungen verantwortlich.169 Die Beispiele von 1965 und 1985 verweisen auf ein generelles Problem. Die Auswertung arbeitete nicht im luftleeren Raum, in dem sich etwaige Erkenntnisse in Reinform umsetzen ließen. Die Handlungsrichtung des MfS wurde durch Vorgaben der SED und der MfS-Führung bestimmt. Solche Vorschriften konnten intern erarbeiteten Erkenntnissen und Prinzipien völlig entgegenstehen. Das zeigt sich gut am Beispiel der Aufweichung des Schwerpunktprinzips. Das Prinzip wurde eingeführt, um die begrenzten Ressourcen des MfS auf die wesentlichen Aufgaben auszurichten. Das steht auf den ersten Blick im Widerspruch zu der 165 Neubert: Geschichte der Opposition, S. 335. 166 Roßberg; Richter: Das Kreuz, S. 117. Gegenüber den strukturellen Reaktionen im MfS auf die sich ausweitende Oppositionsbewegung in der DDR, für die die Umgruppierung und inhaltliche Neuausrichtung der HA XX/OG zur HA XX/9 im Jahr 1981 stellvertretend steht, ließ die schriftliche Regelung in Form der DA 2/85 vergleichsweise auf sich warten. 167 Roßberg; Richter: Das Kreuz, S. 119. 168 Neubert: Geschichte der Opposition, S. 694 ff. 169 Gill; Schröter: Ministerium für Staatssicherheit, S. 22. Dieses Buch wurde maßgeblich von ehemaligen MfS-Mitarbeitern vorbereitet.
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immer wieder zitierten Sentenz von Mielke: »Die Leiter der Kreisdienststelle müssen alles wissen.«170 Der Mielke-Satz wird allerdings häufig entstellend aus dem Kontext gelöst. Die Äußerung fiel, nachdem der Minister in einem internen Vortrag minutenlang das Schwerpunktprinzip zum »entscheidenden Organisationsprinzip«171 erhoben hatte, um Resourcen geziehlt einzusetzen. In diesem Kontext warnte Erich Mielke ausdrücklich vor der Gefahr einer »extensiven Erweiterung des IM-System[s, das] möglichst gleichmäßig über den gesamten Kreis verteilt« sei,172 also vor einer IM-Arbeit nach dem Gießkannenprinzip. Gleichzeitig trieb Mielke aber die Furcht um, dass sich seine Leiter zu konsequent auf Schwerpunkte konzentrieren und dabei Dinge übersehen könnten, die der Partei vielleicht auch wichtig waren. Zweimal, zunächst nach dem 17. Juni 1953173 und dann im Zuge der Entstalinisierungskonflikte 1956/57, hatte er unmittelbar erleben müssen, dass ein Chef der Staatssicherheit auch unter dem Vorwurf, die Partei nicht ausreichend über die Feindlage informiert zu haben, abgesetzt wurde. Geradezu reflexartig wollte sich Mielke daher im November 1989 in seiner umstrittenen Rede vor der DDR-Volkskammer damit verteidigen, dass sein MfS immer »alle Unzulänglichkeiten, manchmal von ganz kleinen Dingen nur bis zu den größten, gemeldet [habe]. Wir haben die ganzen Schwierigkeiten aufgezeigt, wir haben berichtet über diese ganzen Fragen«.174 Beherrscht vom Trauma der Amtsenthebung seiner Vorgänger wollte Mielke nie in eine Situation geraten, in der ein SED-Sekretär etwas an den zentralen Parteiapparat in Berlin meldete und er auf entsprechende Rückfragen nicht reagieren konnte. In diesem Zusammenhang ist sein Alles-wissen-Petitum zu interpretieren, denn es kam ihm darauf an, »Überraschungen weitgehend auszuschließen«.175 Solcherart Forderungen, gepaart mit unmittelbaren Aufträgen aus der Partei und die paranoide Furcht vor Westkontakten führten dazu, dass das Schwerpunktprinzip immer wieder durchkreuzt und aufgeweicht wurde. Die Ausrichtung auf Schwerpunkte und die Furcht, nicht vor der Partei bestehen zu können, standen in einem Spannungsverhältnis zueinander und stellten eine Steuerungsparadoxie bei der Informationsbeschaffung und Informationsverarbeitung dar. Zusätzlich entstanden immer wieder Spannungen zwischen den von den Auswertern gepredigten quasi wissenschaftlichen Methoden der Leitung und den von der groben alten Haudegenmentalität geprägten Leitern. Dass die operativ tätigen MfS-Mitarbeiter
170 Mielke, Erich: Referat, Die weitere Qualifizierung und Vervollkommnung der politischoperativen Arbeit der Kreisdienststelle, August 1973; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 1504/73, Bl. 137. 171 Ebenda, Bl. 29. 172 Ebenda, Bl. 38. 173 Engelmann; Fricke: Der Tag »X« und die Staatssicherheit, S. 147 f., 151, 159, 161. 174 Mielke: Rede in der Volkskammer. 175 Mielke, Erich: Referat, Die weitere Qualifizierung und Vervollkommnung der politischoperativen Arbeit der Kreisdienststelle, August 1973; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 1504/73, Bl. 137.
Informationsnutzung
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die »Anleitungsfunktion durch die Leiter der AKG«176 immer beherzigten, wie es vom Leiter der ZAIG proklamiert wurde, mag bezweifelt werden.
10.4 Informationsnutzung Politikberatung zählt, wie anfangs dargestellt, zu den wichtigsten Aufgaben eines jeden Geheimdienstes.177 Auch das MfS fasste mit diesem Ziel eigene Erkenntnisse zu Berichten zusammen. Entsprechend den Hierarchie-Ebenen Kreis, Bezirk, Zentralstaat unterrichtete die Staatssicherheit in Form sogenannter Partei-Informationen die jeweiligen 1. Sekretäre der SED und gegebenenfalls einen kleinen ergänzenden Personenkreis. Erstellt wurden die Berichte auf der Linie ZAIG. Die KDfS erstattete also dem 1. Sekretär der SED-Kreisleitung, die BVfS entsprechend dem 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Bericht. Auf der zentralen Ebene entschied der Minister selbst über Inhalt und Verteiler der Informationen an ausgewählte Personen der Partei- und Staatsführung. Die geheimen ParteiInformationen waren zweifelsohne »ein wichtiges Element«178 der MfS-Arbeit. Wie hoch der Quellenwert179 im Vergleich zu anderen Informationssystemen war, ist bislang nicht hinreichend untersucht. Zu berücksichtigen ist, dass die jeweils eigenen Berichterstattungssysteme von Staat, Wirtschaft, Massenorganisationen sowie der SED sehr dicht und vielfältig ausgestaltet waren.180 Allein wegen der kadermäßigen Verzahnung konnte die Partei bei Bedarf auf diese Quellen zugreifen. Der Parteiapparat konnte sich auf die Berichterstattung von rund 44 000 hauptamtlichen SED-Funktionären stützen. Der Geheimdienst verfügte also »keineswegs über ein sicherheitspolitisches Informationsmonopol«.181 Das galt auch für vermeintlich geheimpolizeiliche Schwerpunkte. Über Kirchenaktivitäten vor Ort berichteten beispielsweise routinemäßig die Abteilungen Inneres der jeweiligen Räte des Bezirkes oder des Kreises, die CDU und die Arbeitsgruppe Christliche Kreise der Nationalen Front schon lange bevor das MfS überhaupt effektive Strukturen in diesem Bereich aufgebaut hatte.182 In den Wohngebieten, in denen das MfS nie zu einer systematischen Überwachungsstruktur gelangte, waren die Berichterstattungen von Polizei und ABV sowie von der Nationa176 MfS/ZAIG, Werner Irmler: AKG-Leitertagung, 3./4.12.1987; BStU, MfS, ZAIG Nr. 4696, Bl. 1–243, hier 196. 177 Roewer; Schäfer; Uhl: Lexikon der Geheimdienste. Stichwort: Auswertung, S. 40. 178 Erich Mielke. Die weitere Qualifizierung und Vervollkommnung der politisch-operativen Arbeit der Kreisdienststelle. Referat. August 1973; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 1504/73, Bl. 58. 179 Münkel, Daniela: Vorwort. In: DDR im Blick der Stasi 1976, S. 8–12, hier 8; Münkel; Bispinck: Dem Volk auf der Spur. 180 Booß: Vom FDGB-Ferienplatz, S. 103–120. 181 Suckut: Generalkontrollbeauftragter der SED, S. 161. 182 Booß: War die CDU die Abteilung Kirche.
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Strukturelle und resümierende Überlegungen
len Front, die aus Haus- und Ortsversammlungen informierte,183 vor allem in den 1950er- und 1960er-Jahren deutlich reichhaltiger als die heute vorhandene MfS-Überlieferung. Aus einem solchen Bericht geht hervor, dass im Bezirk KarlMarx-Stadt beispielsweise Hausgemeinschaften festgestellt wurden, die RIAS hörten und solche, in denen Westliteratur verteilt wurde. »Mehrere Exemplare [wurden] beschlagnahmt und der Staatssicherheit zugestellt.«184 Im MfS liefen auch derartige Informationen auf, die es nicht selbst geschöpft hatte und die parallel direkt über die Nationale Front an die lokale SED gingen. Ohnehin deutet die Zahl der MfS-Partei-Informationen auf eine verhältnis mäßig geringe Kommunikationsdichte hin. Nach Stichproben setzte das MfS in der Zentrale nicht einmal täglich eine Meldung an die Partei ab,185 in den KDfS waren es noch deutlich weniger Informationen. Beim Gros der Texte handelt es sich nach bisherigen Erkenntnissen um »Meldungen von Einzelvorkommnissen und deren Analyse«186 oder um Mitteilungen zu einzelnen Personen. Ein wirklicher Gesamtüberblick wurde auf diese Weise nicht vermittelt oder gewährleistet. Aus Gründen der Parteiergebenheit waren die Berichte zudem durch einen »spezifischen Tunnelblick und die ideologisch bedingten Wahrnehmungsverzerrungen der Staatssicherheit«187 geprägt. Erste stichprobenartige Analysen von Partei-Informationen zeigen, dass diese regional deutliche Unterschiede bezüglich ihrer Themen, Zahl und Qualität aufweisen. Dies mag der Eigenheit der jeweils berichtenden MfS-Diensteinheit oder den Anforderungen der 1. SED-Sekretäre geschuldet sein. Offen ist auch, inwieweit die SED-Sekretäre wirklich darauf reagierten. In Brandenburg-Stadt konnte festgestellt werden, dass entgegen der steigenden Zahl von Informationen »die tatsächliche Einflussnahme des MfS aber nachließ«.188 In der Provinz dominierten laut den Stichproben Wirtschaftsfragen die Inhalte, dann folgten Kader- und Ausreisefragen. Während Kirche und Kultur offenbar selten thematisiert wurden, fällt in den Kreisen eine starke Personalisierung auf, seien es Kader oder vom MfS kritisch beäugte Personen. In der MfS-Zentrale standen 1976 beispielsweise eher Fragen von allgemein politischer Bedeutung im Vordergrund: Reise, Flucht, Übersiedlung, Wirtschaft und Kirche. Die reinen Zahlen oder Themenhäufungen treffen keine Aussagen zum Gehalt der 183 SAPMO, DY 6, vgl. darin z. B. DY 6/1942 Informationsberichte der Nationalen Front im Bez. Leipzig v. Juli bis Dez. 1953. 184 Bezirksausschuss Karl-Marx-Stadt der Nationalen Front: Abschlussbericht zum Großeinsatz, 12.12.1953; BArch, SAPMO, DY 6/1942. 185 Die Meldungen der Auslandsaufklärung HV A sind hierbei nicht berücksichtigt. Münkel geht von 350 Berichten im Jahr aus. Allerdings ging von den erwähnten 3 Reihen nur ein Teil an die Staats- und Parteiführung, die übrigen an MfS-Leitungspersonal. Insbesondere das Weiterleiten von realistischen Stimmungsberichten schien zu riskant. Münkel, Daniela: Vorwort. In: DDR im Blick der Stasi 1976, S. 8–12, hier 11. 186 Ebenda, S. 9. 187 Ebenda, S. 8. 188 Bahr: Parteiherrschaft vor Ort, S. 300.
Informationsnutzung
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Informationen oder zum Grad der Abgrenzung von den Berichtsformen anderer Institutionen. In Kreisdienststellen wurde, um nicht durch kritische Berichte bei der SED anzuecken, ein Hang zur Schönfärberei ausgemacht.189 MfS-interne Klagen über Mängel in der Parteiberichterstattung ziehen sich durch die gesamte MfS-Geschichte. Nicht nur in den Anfangsjahren führte Kritik an den Informationen zur Dynamisierung der Informationsverarbeitung. Doch noch 1987 kritisierte Chefauswerter Irmler, es sei »nicht gelungen, Informationen komplexeren Charakters zu erarbeiten«.190 Es fehlten oft die »Ursachen von begünstigenden Bedingungen« von Missständen.191 Irmler, kybernetisch geprägt, mahnte Hinweise in einer Qualität an, die es erlauben sollte, Missstände auch zu beseitigen. Nach der Öffnung der Stasi-Akten ist die Frage gestellt worden, ob nicht durch die Staatssicherheit in den 1970er- und 1980er-Jahren eine »historisch neue Form von Herrschaftsausübung« mit einer bis dato unbekannten, »umfassenden verdeckten Steuerungs- und Manipulationsfunktion«192 eingeführt wurde. Ob dem MfS wirklich »Steuerungsfunktionen«193 zukamen oder es sich zu einer wirklichen »Parallelinstitution zu den regulären Instanzen«194 entwickelte, scheint angesichts der vielen aufgezeigten Schwächen der MfS-Überprüfungen zweifelhaft. Bei den Reisen lag die Primärkompetenz für Überprüfungen beispielsweise bei der Volkspolizei, bei der »ständigen Ausreise«, der Übersiedlung in das Ausland, fand sich diese bei den Abteilungen Inneres, während das MfS den selbst gesetzten Überprüfungsanspruch oft nicht erfüllen konnte. Die Steuerungsmächtigkeit wäre in jedem konkreten Fall genau zu überprüfen, statt eine solche einfach zu behaupten. Zweifelsohne bestand der ursprünglich kybernetische Anspruch des MfS darin, steuernd in das Gefüge der DDR einzugreifen. Es gibt sicher eindeutige Belege dafür, dass MfS-Interventionen ihre Wirkung nicht verfehlten. Mit Zersetzungsmethoden gelang es, in dem einen oder anderen Fall, oppositionelle Gruppenzusammenhänge in der Entwicklung zur behindern, lahmzulegen oder gar zu zerstören.195 An dem Erstarken der oppositionellen Bewegungen, die zum Untergang der DDR führten, änderte das jedoch letztlich nichts. Ob man daher von einer generellen Steuerungsmächtigkeit des MfS sprechen kann, ist schon früher bezweifelt worden.196 Eine kybernetische Untersuchung des MfS müsste mehrere Ebenen berücksichtigen, auf denen durch MfS-Informationen Einfluss genommen werden sollte: 189 Labrenz-Weiß: KD Nordhausen, S. 207. 190 MfS/ZAIG, Werner Irmler: AKG-Leitertagung, 3./4.12.1987; BStU, MfS, ZAIG Nr. 4696, Bl. 1–243, hier 71. 191 Ebenda, Bl. 72. 192 Henke; Engelmann: Aktenlage, S. 19 f. 193 Wagner: Auf der Suche nach der sichersten DDR, S. 292. 194 Gieseke: Geschichte der DDR-Staatssicherheit, S. 313. 195 Pingel-Schliemann: Zersetzen, passim. 196 Gieseke: Mielke-Konzern, S. 151.
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Strukturelle und resümierende Überlegungen
–– Bereiche, in denen wie bei den Ermittlungen, im Rahmen der politischen Justiz, dem Geheimnisschutz oder der Grenzverkehrssicherung, das MfS über eigene Kompetenzen verfügte. –– Die Sicherungsbereiche des MfS, in denen die Verbindungsoffiziere auf die jeweiligen staatlichen, wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Institutionen einzuwirken suchten. –– Auf der mittleren Ebene konnten die Leiter über die jeweilige SED-Kreisleitung oder SED-Bezirksleitung durch Partei-Informationen oder mündliche Beratung Einfluss auf die Geschehnisse im Territorium zu nehmen versuchen. Auf Kreis ebene sah es das MfS als seine Aufgaben an, bei »alle[n] Erscheinungen, wo andere Organe und Einrichtungen ihrer Verantwortung nicht oder nicht voll gerecht werden, durch die Kreisdienststellen den 1. Sekretär der Kreisleitung der SED darüber zu informieren, um so zu konkreten Veränderungen zu kommen«.197 –– Auf der zentralen Ebene konnte das Leitungspersonal versuchen, mit Informationen auf den zentralen Parteiapparat einzuwirken, allen voran der Minister, der als Mitglied des Politbüros der Parteiführung angehörte. Allein die Vielfältigkeit der Kanäle lässt Zweifel an der generellen Steuerungsmächtigkeit aufkommen, die oft den Weg über die Partei nahm und daher allenfalls mittelbar wirkte. Abgesehen von ureigenen Kompetenzbereichen, dürfte das MfS, wie geschildert, am erfolgreichsten in Personalfragen gewesen sein. Bei der Generalstaatsanwaltschaft der DDR konnte der Sicherungsoffizier des MfS beispielsweise sein Wissen über politische, moralische oder andere Auffälligkeiten einer Personalie beim Generalstaatsanwalt, dessen Stellvertretern, bei der Kaderabteilung, beim Parteisekretär oder über seinen Vorgesetzten beim ZK einfließen lassen, um Personalveränderungen zu erwirken.198 Da die Sicherheitsvorstellungen seiner Gesprächspartner dort oft denen des MfS ähnelten, verstärkte das MfS in manchen Fällen die Tendenz zu repressiven Personalentscheidungen. Auch auf Kreisebene spielten Kaderfragen in der Kommunikation mit den SED-Kreisleitungen eine wichtige Rolle.199 Im Kreis Gransee wurde über das Trinkverhalten einer Bürgermeisterin drastisch berichtet. Sie sei mit blauem Auge und halb nackt am Kiosk angetrunken erschienen. Die Berichte häuften sich derart, dass das MfS einen Handlungsdruck zu ihrer Ablösung aufbaute.200 Auf der zentra197 Gehlert, Siegfried; Janzen, Heinz; Hempel, Manfred; Fischer, Karl: Die weitere Qualifizierung und Vervollkommnung der politisch-operativen Arbeit der Kreisdienststellen. Potsdam 1983; BStU, MfS, JHS Nr. 21931, Bl. 294 f. 198 MfS: Treff bericht mit GI Strauch, 20.7.1959; BStU, MfS, AIM 21988/80, Teil II/1, Bl. 80 f., hier 81; Treff bericht mit GI Strauch, 7.9.1961; ebenda, T. II/1, Bl. 111 f., hier 112; Treff bericht mit GI Strauch, 15.2.1962; ebenda, T. II/1, Bl. 127–130, hier 130. 199 Bahr: Parteiherrschaft vor Ort, S. 297. 200 BStU, MfS, BV Potsdam, KD Gransee, ZMA Nr. 2469.
Informationsnutzung
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len Ebene lässt sich an Partei-Informationen nachvollziehen, wie beispielsweise über Jahre Berichte zum Dissidenten Robert Havemann und dessen Anhänger eine Kriminalisierung mit Billigung der Parteiführung geradezu vorbereiteten.201 Es ist kein Zufall, dass die These von der Steuerungsmacht etwa zu dem Zeitpunkt aufkam, als in der Öffentlichkeit intensiv über den MfS-Einfluss auf die evangelische Kirche in der DDR diskutiert wurde.202 Die Beziehungen zur Kirche in der Fläche waren eigentlich Angelegenheit der Abteilungen Inneres der Räte der Bezirke oder Kreise. Auf DDR-Regierungsebene war das Staatssekretariat für Kirchenfragen zuständig.203 Die Leitungen und Pfarrer der Kirchen standen dem Ideologiemonopol des SED-Staates entgegen, waren relativ frei, weil von ihren jeweiligen Kirchengremien gewählt. Die Kirchen waren in der DDR die einzige Institution von Bedeutung, deren Leiter nicht als SED-Nomenklaturkader der Anleitung durch die Partei unterlagen. Die Kirche kam überhaupt nur selten mit der Partei unmittelbar in Berührung.204 Als man die Kirche staatlicherseits nicht mehr pauschal bekämpfte, sondern Teile im Rahmen eines »Differenzierungsprozesses«205 zu gewinnen suchte, war es die MfS-HA XX/4, die auf dem Gebiet der Kirchenpolitik einen ungewöhnlich großen Aktionsraum erhielt. Die zahlreichen Kirchenvertreter, die die HA XX/4 als inoffizielle Mitarbeiter führte, waren weniger als Spitzel, vielmehr als Gesprächspartner hinter den Kulissen interessant. »Ausgleich mit den Vertretern der Kirchen – natürlich in erster Linie zu unseren Bedingungen«206 –, nannten frühere MfS-Mitarbeiter rückblickend diese Methode. Im Grunde versuchte die Staatssicherheit mit ihrer Vorgehensweise das Fehlen von Nomenklaturkader-Beziehungen im kirchlichen Bereich zu kompensieren. Ehemalige MfS-Verantwortungsträger sprechen von einer Sonderrolle des MfS in Fragen der Kirchenpolitik. In der Wissenschaft wird dem MfS heute in Kirchenfragen eine »spezifische Kompetenz, die über das Niveau der auf Staats- und Parteiebene zuständigen Stellen hinausging«207, oder »eine ganz besondere Oberaufsicht«208 attestiert. Bei Berücksichtigung einer breiteren Aktenbasis schält sich jedoch heraus, dass die SED »gewöhnlich das letzte Wort in der Politik, natürlich auch in der Kirchenpolitik«209, hatte. Über die Arbeitsgruppe für Kirchenfragen beim ZK und analoge Abstimmungsgre201 Booß: Im goldenen Käfig, S. 650. 202 Henke, Klaus-Dieter: Einleitung. In: Henke; Engelmann: Aktenlage, S. 9–20, hier 19 f.; Reuth: IM-Sekretär. 203 Goeckel: Die evangelische Kirche, S. 53. 204 Ebenda, S. 52. 205 Versuche des Gegners, unter Missbrauch der Kirchen eine politische Untergrundtätigkeit zu inspirieren und zu organisieren. Lektion für die zentrale politisch-fachliche Schulung. BStU, MfS, 015-905/85, S. 15. 206 Roßberg; Richter: Das Kreuz, S. 68. 207 Henke; Engelmann: Aktenlage, S. 9–20, hier 15. 208 Goeckel: Die evangelische Kirche, S. 53. 209 Ebenda, S. 52.
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Strukturelle und resümierende Überlegungen
mien auf Bezirks- und Kreisebene behielt die Partei das Heft in der Hand. Das relativiert den ungewöhnlich starken Einfluss des MfS auch auf diesem Gebiet. Der Anspruch des MfS, zu intervenieren, ging in einigen Bereichen jedoch soweit, dass das MfS, wie beispielsweise bei den Reisefragen, geradezu kompensatorisch wirkte. Nach dem Mauerbau gab das, die Waren- und Personenkontrolle an den innerdeutschen Kontrollpassierpunkten (Grenzübergangsstellen) leistende, Amt für Zoll und Kontrolle des Warenverkehrs (AZKW) ab dem 13.8.1961 sukzessive die Passkontrolle an das MfS ab. Im Jahr 1962 strukturierte das MfS die zunächst gebildete AG OPF für Passkontrolle und Fahndung in die Abteilung APF mit identischen Aufgaben um und wertete diese 1964 zur Hauptabteilung für Passkontrolle und Fahndung (HPF) auf.210 Eine Reihe von Fluchten, auch Fahnenfluchten der ostdeutschen Grenzpolizisten, mag ein Beweggrund dieser institutionellen Veränderungen gewesen sein. Auch im Dezember 1963 war es das MfS, das, wie geschildert, den staatlichen Einsatz bei der unerwarteten Flut von Besuchern infolge des 1. Passierscheinabkommens koordinierte. Bei der Beurteilung und Beeinflussung von Reise- und Ausreiseentscheidungen wirkte das MfS zunächst nur ergänzend mit. Die Reaktionen wurden jedoch zunehmend interventionistisch, als sich herausstellte, dass die primär Zuständigen keinen durchschlagenden Erfolg bei dem Zurückdrängen von Ausreiseantragstellern hatten oder nicht ausreichend motiviert schienen. Mielke wies an, dass die Chefs der BVfS legendierte MfS-Mitarbeiter (OibE) in den Abteilungen Inneres der Räte der Bezirke und, wo erforderlich, auch auf Stadt- und Kreisebene zu etablieren hätten.211 Über IM und OibE in Schlüsselpositionen sollte darauf Einfluss genommen werden, dass Institutionen und Betriebe ihrer Verantwortung nachkamen.212 Die Interventionen des MfS nahmen zu. In Berlin drängte die BVfS darauf, dass die »richtigen Kader«213 in den Abteilungen Inneres der Stadtbezirke eingesetzt würden. Das Protokoll eines Zusammentreffens in der Abteilung Inneres in Genthin 1986 vermerkt ein Tadeln des Genossen M. (der Stellvertreter für Inneres des Rates des Kreises). Jener sei »darauf verwiesen [worden], dass die steigende Entwicklung der Übersiedlungsersuchen weitere Anstrengungen erfordert, um eine größere Zahl an Rückgewinnungen zu erzielen und vorbeugend zu wirken, dass es nicht erst zu Übersiedlungsersuchen kommt«.214 Dass nachge210 Gieseke: Mielke-Konzern, S. 396; Wiedmann: Die Diensteinheiten des MfS, S. 216–218, 338 f. 211 MfS: Bef. Nr. 6/77 zu Vorbeugung, Verhinderung und Bekämpfung feindlich-negativer Handlungen im Zusammenhang mit rechtswidrigen Versuchen von Bürgern der DDR, die Übersiedlung nach nichtsozialistischen Staaten und Westberlin zu erreichen … v. 18.3.1977; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 4791; Lochen; Meyer-Seitz: Die geheimen Anweisungen, S. 34. 212 Beispiele solcher IM-Berichte aus Abteilungen Inneres sind überliefert. Vgl. BStU, MfS, BV Magdeburg, KD Haldensleben Nr. 787, Bl. 13. 213 MfS/BV Bln: Protokoll zur Dienstbesprechung beim Leiter der BV, 16.3.1984; BStU, MfS, BV Berlin, AKG Nr. 40, Bd. 1, Bl. 65–67, hier 67. 214 BV Mgb/KD Genthin: Bericht, 6.12.1986; BStU, MfS, BV Magdeburg, KD Genthin Nr. 3803, Bl. 81–85, hier 81.
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Abb. 32 a: MfS-Partei-Informationen aus den KDfS Havelberg und Zerbst 1982–1984
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Kultur, Kirche
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Abb. 32 b: MfS-Partei-Informationen aus der KDfS Leipzig 1987/88
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50 45 40 35 30 25 20 15 10 5 0
Stimmung
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Reise, Übersiedlung, Flucht
neg. Pers., Jugend
Kultur, Kirche
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Abb. 32 c: MfS-Partei-Informationen aus der Zentralstelle des MfS 1976
ordnete MfS-Mitarbeiter den zweiten Mann im Rat des Kreises auf diese Weise schurigeln konnten, verweist auf die Rückendeckung durch die Partei. Das MfS wurde im Auftrag der SED in der Frage der Zurückdrängung von Ausreisewilligen immer mehr zum Verwaltungskontrolleur, der Defizite aufspüren, wenn nicht sogar kompensieren sollte. Die Resultate von MfS-Interventionen auf dem Feld der Wirtschaft, die einen großen Teil der Ressourcen des MfS banden, werden von Wirtschaftshistorikern eher skeptisch beurteilt. Lindenberger hat am Beispiel einer Kraftwerkshavarie im Jahr 1959, in einer vormals schwer kriegsgeschädigten und dann bis 1954 als SAG-Betrieb der Kriegssiegermacht dienenden Anlage, den Interpretationszyklus des MfS zum Geschehen rekonstruiert. Zunächst wurde, nach am Ort vorherrschenden Stimmungen und Gerüchten, Sabotage vermutet. Als das wahre, komplizierte Ursachengeflecht in den Blick kam, tendierte das MfS dazu, den Konflikt zu personalisieren und nach Schuldigen zu suchen. In der dritten Phase mussten schließlich Zugeständnisse an die Belegschaft gemacht werden, um die Arbeitsmotivation notdürftig aufrecht erhalten zu können.215 Interpretationsschwankun215 Lindenberger: Havarie. In: Lindenberger; Sabrow: German Zeitgeschichte, S. 242–264, hier 252 ff. Ort des damaligen Havarie-Geschehens war das Braunkohlenkombinat Espenhain.
Informationsnutzung
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gen derartigen Ausmaßes, die sich eher an politischen Vorgaben, denn an den ermittelten Erkenntnissen orientierten, standen sachgerechten Schlussfolgerungen völlig entgegen. Ohnehin fiel es dem MfS wegen des fehlenden personellen Sachverstandes schwer, komplexe wirtschaftliche Sachverhalte zu durchdringen, zudem war es primär auf Ereignisse und Personen fixiert. Von daher setzte die Führung früh auf »Residenten, die uns Hinweise geben und beraten, da unsere Genossen selbst noch nicht genügend spezialisiert sind«.216 Das begründete eine Unsitte, in deren Folge sich das MfS in schwierigeren Fragen von Wirtschaftsexperten in den Institutionen und Betrieben mit teils subjektiven Informationen versorgen ließ. In der Konsequenz »duplizierte«217 das MfS in seinen Berichten damit in der Wirtschaftsbürokratie ohnehin vorhandene Informationen. Das entwertete seine Expertise von vornherein. Wirtschaftliche Analysen liefen zudem oft ins Leere, da das MfS keine Entscheidungskompetenz in Wirtschaftsfragen hatte218 und meist nicht gehört wurde.219 In Einzelfragen und bei gravierenden Missständen konnten durch MfS-Interventionen hin und wieder Lücken geschlossenen oder Ergebnisse verbessert werden. In den Bereich derartiger Interventionen wären auch Beiträge und Beutestücke aus der Wirtschaftsspionage und aus dem (illegalen) TechnologieImport einzuordnen.220 Doch lief dieser Interventionismus ständig Gefahr, andere volkswirtschaftliche Löcher aufzureißen.221 Insgesamt wird nach kritischer Sichtung heute der Beitrag des MfS zum »Abwehrkampf«222 gegen die Folgen der Mangel- und Kommandowirtschaft der DDR eher skeptisch bewertet und insgesamt dessen »Wirkungslosigkeit«223 herausgestellt. Manche Forscher meinen, Mielkes Bürokratie hätte die Funktionsmängel sogar »potenziert«.224 Auch im Falle der Wirtschaft zog sich die Staatssicherheit einfach auf eines ihrer besser beherrschten Kerngeschäfte zurück, die Einschätzung von Personen. »Wir müssen auch noch mehr als bisher bestimmte ›Kaderfragen‹ einschätzen und rechtzeitig über solche Kader Signale geben, die ungeeignet sind, Kommandostellen in der Volkswirtschaft einzunehmen.«225 Heutige Wirtschaftsstudien zeigen, wie sehr das MfS bei Reisekaderfragen oder Karriereentscheidungen von angeblich 216 MfS: Protokoll der Kollegiumssitzung v. 10.12.1957; BStU, MfS, SdM Nr. 1553, Bl. 267–282, hier 277. 217 Materialien der Enquetekommission ›Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland‹. Bd. I/1, S. 136. 218 Hertle; Gilles: Stasi in der Produktion, S. 137. 219 Haupt: Einfluss des Ministeriums, S. 566. 220 Macrakis: Die Stasi-Geheimnisse, passim. 221 Zwei Beispiele dafür aus der Chemieindustrie zeigen Hertle; Gilles: Stasi in der Produktion, S. 132 ff. 222 Hertle; Gilles: Stasi in der Produktion, S. 131 f. 223 Schiefer: Profiteur der Krise, S. 450 ff. 224 Haendke-Hoppe-Arndt: Hauptabteilung XVIII, S. 124. 225 MfS: Protokoll der Kollegiumssitzung v. 13./20.12.1961; BStU, MfS, SdM Nr. 1958, Bl. 2–43, hier 42.
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Strukturelle und resümierende Überlegungen
oder wirklich unzuverlässigen oder inkompetenten Personen mitwirkte.226 Es bestand eine »Personalisierungstendenz von Sachproblemen«.227 Es herrschte ein »konservative[s]« Misstrauen gegenüber wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Austauschbeziehungen mit dem Westen vor, was für die weitere wirtschaftliche Entwicklung eher hinderlich war.228 Das war nicht nur eine Folge des leninistischen Erbes, sondern auch eines Informationsverarbeitungssystems im MfS, das primär auf unterschiedlich motivierte geheimpolizeiliche Personenkontrollen ausgerichtet war. Insgesamt ist also die Steuerungskompetenz des MfS eher zurückhaltend zu beurteilen.
10.5 Zusammenhang von Informationsverarbeitung und Überwachung Die DDR wird recht häufig als »Überwachungsstaat«229 bezeichnet. Das MfS erscheint dann als Überwachungs- und Unterdrückungsapparat, der vorrangig als Geheimpolizei »gegen die [...] eigene Gesellschaft«230 gearbeitet hätte. »Die Stasi agierte dabei gegen alle vermeintlichen Feinde im Inneren, aber auch außerhalb der DDR.«231 Fricke meint, dass das MfS schon 1958 »zur totalen flächen deckenden Überwachung tendierte«.232 Diesen Aussagen stehen gleich mehrere Befunde entgegen. Zum einen der vergleichsweise geringe Umfang des Apparates in den Anfangsjahren. Sodann richtete sich die massenhafte Überprüfung in späteren Zeiten keineswegs ausschließlich gegen feindliche Personen. Wegen des Präventionsgedankens kehrte sich die Logik der Überwachung nahezu um. Es wurden zunehmend Personen überprüft, die durch Reise- oder andere Kontakte der Gefahr der »politisch-ideologischen Diversion« von außen ausgesetzt waren. Damit unterlagen zunehmend Personen in systemnahen Positionen teils mehrfachen Überprüfungen durch die Staatssicherheit. Einer Überakzentuierung der Vorstellung vom Überwachungsstaat ließe sich daher eine Reihe von Überlegungen entgegenhalten: –– Rein statistisch dürfte tendenziell mehr systemnahes Personal vom MfS überprüft worden sein als mehr oder minder aktive Systemgegner. –– Zweitens ist fraglich, ob der Begriff der Überwachung wirklich treffend gewählt ist. 226 Hertle; Gilles: Stasi in der Produktion. 227 Schiefer: Profiteur der Krise, S. 449 ff. 228 Ebenda, S. 457. 229 Goeckel: Die evangelische Kirche, S. 52. MDR Zeitreise. https://www.mdr.de/zeitreise/ ueberwachungsstaat-ddr100.html (letzter Zugriff: 3.6.2020); Bästlein: Der Fall Mielke, S. 82 ff. 230 Kowalczuk: Stasi konkret, S. 13. 231 Dümmel: Was war die Stasi, S. 13. 232 Fricke: MfS intern, S. 41.
Zusammenhang von Informationsverarbeitung und Überwachung
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–– Drittens beschäftigte sich das MfS auch intensiv mit Themen wie der Wirtschaft, die feindliche Einwirkungen im engeren Sinne zumindest in späteren Jahren eher nicht erkennen ließen. –– Viertens wurde schon mehrfach festgestellt, dass eine flächendeckende Überwachung der DDR-Bevölkerung nicht zu den primären Zielen des MfS zählte. Der deutsche Duden gibt als Synonyma für Überwachung, Überwachen unter anderem an: »genau verfolgen, was jemand (der verdächtig ist) tut; jemanden, etwas durch ständiges Beobachten kontrollieren«.233 Der Duden hebt also im Unterschied zu einem punktuellen beziehungsweise relativ kurzzeitig erfolgenden Überprüfen eine kontinuierliche Tätigkeit heraus. Auch der Brockhaus definiert Überwachung als eine »fortgesetzte Überprüfung von Personen, Sachen und Vorgängen«.234 Für Michel Foucault wird die neuzeitliche Disziplinierung durch die »hierarchisierte, stetige und funktionelle Überwachung«235 hergestellt. Einige der MfS-Aktivitäten entsprechen diesen Definitionen: Dauerobservationen, längerfristige Brief- und Telefonkontrollen, das Umstellen einzelner Personen oder Gruppen mit inoffiziellen Mitarbeitern und anderen Informanten und Ähnliches. Für die zahlreichen punktuellen Kontrollen bei Reise- oder Karriereentscheidungen trifft das Kriterium des Dauerhaften eher nicht zu, selbst wenn diese nicht rechtsstaatlich geregelt und kontrolliert waren und bar jeden Datenschutzes polizeistaatlichen Charakter trugen. Bei der Begriffsgeschichte von der flächendeckenden Überwachung wird auch übersehen, dass der Begriff von ehemaligen MfS-Verantwortlichen in Umlauf gebracht wurde. Der Begriff ist in dem Bericht enthalten, den die Regierung Modrow am 15. Januar 1990 dem Runden Tisch vorlegen musste, weil sie in der Geheimdienstfrage sehr unter Druck stand. Hier wurde behauptet, der ehemalige Minister für Staatssicherheit hätte gefordert, »den wachsenden Einfluss sogenannter Andersdenkender zurückzudrängen. Deshalb wurde angeblich seit 1985 eine totale flächendeckende Überwachungsarbeit angestrebt«.236 Diese Behauptung wurde offenkundig eingeführt, damit sich die noch verbliebenen Geheimpolizeigeneräle als Reformer von der »falschen Sicherheitsdoktrin«237 Mielkes absetzen konnten. Als der Begriff in Umlauf gebracht wurde, waren die Staatssicherheitspräsenz in der Fläche schon deutlich abgebaut und die KDfS beispielsweise aufgelöst.238 Ver233 Duden. http://www.duden.de/rechtschreibung/ueberwachen (letzter Zugriff: 3.6.2020). 234 Der Brockhaus geht vom Schutz Einzelner bzw. der Allgemeinheit aus, hat also den Rechtsstaat und nicht den Überwachungsstaat im Blick, Brockhaus, 2006. Das in der DDR erschienene Meyers Neues Lexikon spart die heikle gesellschaftliche Dimension des Begriffes aus und definiert rein medizinisch Überwachung als »fortlaufende Kontrolle«. Meyers Neues Lexikon, Leipzig 1976. 235 Foucault: Überwachen und Strafen, S. 228. 236 Thaysen: Der Zentrale Runde Tisch, Bd. 2, S. 364. 237 Ebenda. 238 Süß: Staatssicherheit am Ende, S. 560.
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Strukturelle und resümierende Überlegungen
fälschend wurde der Beginn der Intensivüberwachung mit 1985 auf einen späten Zeitpunkt verlegt. Dagegen wurden die Weichen zur Massenüberprüfung eben bereits Mitte der 1970er-Jahre gestellt. Im Januar 1990 waren die meisten VSHEinträge mit den entsprechend hinterlegten Materialien wegen der Maueröffnung im November 1989 überflüssig. Daher wurde Ende 1989 in großem Umfang mit deren Vernichtung begonnen. In kaum einem Bestand, von der Auslandsspionage abgesehen, wurden so viele Unterlagen vernichtet. Nach einer größeren Stichprobe sind bei 39 Prozent der Karteien und 41 Prozent der dezentralen Ablagen (ZMA) Totalverluste festzustellen.239 Hier bestand offenbar ein großes Vertuschungsinteresse. Die alten Stellvertreter Mielkes, Wolfgang Schwanitz und Rudolf Mittig, warnten den Ministerpräsidenten Hans Modrow noch am 16. Februar 1990 eindringlich davor, die massenhafte Überwachung der Bevölkerung zuzu geben und damit aufzudecken.240 Allein dieser Entstehungszusammenhang sollte zu Skepsis gegenüber dem Begriff von der flächendeckenden Überwachung führen. Fricke hielt der Stasilegende, wonach die Überwachung erst Mitte der 1980erJahre intensiviert worden sei, entgegen, es habe schon jahrzehntelang eine flächendeckende Überwachung gegeben.241 Das ist zutreffend, wenn man unter flächendeckend die breit gefächerte Regionalstruktur aus über 200 Kreis- und Objektdienststellen des MfS versteht.242 Damit unterschied es sich beispielsweise von den nur auf Bundes- oder Länderebene agierenden Verfassungsschutzämtern in der Bundesrepublik. Demgegenüber war die Struktur des MfS wesentlich kleinteiliger. In einem Kreis oder Stadtbezirk in der DDR lebten im Durchschnitt gut 70 000 Personen.243 Bezogen auf die netzartige Verwaltungsstruktur des MfS war eine Flächenpräsenz dadurch zweifelsfrei gegeben. Allerdings nivelliert die Behauptung einer schon immer währenden breiten Überwachung die Veränderungen und Unterschiede im DDR-Sicherheitsapparat. Nach dem Kriterium der Durchdringung mit IM war der Grad der Kontrolle in den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen der DDR sehr unterschiedlich. Zwischen der Durchsetzung in der Volkspolizei mit einer bereichsabhängigen IM-Rate von 10 bis 20 Prozent244 und der Rate in den ländlichen Gebieten im Kreis Gransee mit durchschnittlich 0,4 Prozent IM besteht ein erhebliches Gefälle. Erstaunlich gering war die IM-Rate selbst in wichtigen Industriebetrieben. Sie reichte meist nicht über den Durchschnittswert in der Bevölkerung von einem Prozent hin239 Joestel: Vernichtung von Karteien und Aktenablagen. Joestel hat die Verluste bei 154 Diensteinheiten zusammengestellt. Die Karteien umfassen nicht nur die vormaligen VSH, sondern auch Hauptspeicher von HA III, VIII, IX sowie der Abt. M und XIV. 240 Kowalczuk: Stasi konkret, S. 351. 241 Fricke: MfS intern, S. 39. 242 Gieseke: Mielke-Konzern, S. 133. 243 Im Jahr 1989 gab es 227 Landkreise bzw. Stadtkreise bei ca. 16,4 Millionen Einwohnern. Statistisches Jahrbuch der DDR, S. 1. 244 Gieseke: Mielke-Konzern, S. 138.
Zusammenhang von Informationsverarbeitung und Überwachung
337
aus.245 Im Halbleiterwerk Frankfurt/Oder, einem Schlüsselbetrieb mit hohem Anteil polnischer Arbeiter, lag der Wert bei 1,3 Prozent.246 Wie dargestellt, zielte das MfS insbesondere nach der kybernetischen Ausrichtung gerade nicht auf eine flächendeckende Überwachung, sondern auf eine Schwerpunktsetzung der geheimpolizeilichen Arbeit ab. Ein besonderes Augenmerk galt immer den Machtorganen, auf die sich Partei und Staat stützten. Bisher weitgehend ignoriert blieb außerdem, dass die Staatssicherheit einen großen gesellschaftlichen Bereich nicht systematisch durchdrungen hat. Abgesehen von der Phase der Objektvorgänge in den 1950er- und 1960er-Jahren auf dem Lande strebte das MfS keine systematische Kontrolle der Wohngebiete an. Von dieser Praxis wichen lokal begründete Ausnahmen ab. Das betraf einmal das Grenzgebiet247, an wichtige Militärobjekte angrenzende Areale, das Umfeld von MfS-Gebäuden und ferner Wohngebiete von MfS-Mitarbeitern. So wurde für jedes Haus im Umfeld des Ministeriums für Staatssicherheit in Berlin eine Akte mit Angaben über seine Bewohner angelegt.248 Zwar existierten lokale HIM- und FIM-Netze, diese widerlegen die Abstinenz der Stasi im Wohngebiet aber nicht. Diese Informanten-Netzwerke dienten vor allem der gezielten Ermittlung von Informationen zu oder der Überprüfung von Einzelpersonen. Ihre Aufgabe war nicht die Überwachung des gesamten Wohngebietes. Auch die vielen konspirativen Wohnungen überzogen Wohngebiete zwar wie ein Raster, ohne diese an sich zu überwachen. Allein in Ostberlin soll es mindestens 3 000 solcher Domizile gegeben haben. Die Zahl der Wohnungsüberlasser entspräche etwa 0,23 Prozent der Gesamtbevölkerung.249 Trotz gelegentlicher staatssicherheitsdienlicher Hin245 Ebenda. 246 Eigenberechnung nach MfS/BV FfO: Auskunftsbericht über einige Fragen des Standes und der Wirksamkeit der politisch-operativen Arbeit, 17.4.1983; BStU, MfS, BV Frankf./O., AKG Nr. 981, Bl. 1–17. 247 Hinweis von Roger Engelmann, der demnächst eine Studie zum Grenzkreis Halberstadt vorlegen wird. 248 So verhielt es sich beispielsweise auch bei der Ostberliner Ruschestr. Nr. 18, die Akte ist überliefert. BStU, MfS, HA II Nr. 39470. 249 Die Bezugsgröße stellen 1,28 Mill. Einwohner Ostberlins dar, Statistisches Jahrbuch der DDR. Af NS-Angaben im Zuge der Auflösung der Bezirksverwaltung Berlin. Protokoll, 8.10.1990; Landesarchiv Berlin, C Rep-830-01 Nr. 29. Es ist nicht zweifelsfrei ersichtlich, ob es sich um Zahlen der BVfS und der KDfS oder eine Zahl unter Einschluss des Ministeriums und anderer BVs handelt. Laut MfS-Statistiken wurden 1988 von den Hauptabteilungen des Ministeriums 4 438, von der Berliner BVfS 773 und den KDfS 764 insgesamt also 5 975 IMK/ KW/KO geführt. Diese waren vermutlich jedoch nicht alle in Berlin angesiedelt. Vgl. MüllerEnbergs: Inoffizielle Mitarbeiter. Teil 3, S. 380, 372, 242. Laut der F-78-Territorialkartei von Berlin waren allein im Ostberliner Bezirk Prenzlauer Berg 1 328 IMK/KW (das waren rund 0,9 % der Einwohner) aufgeführt, in Lichtenberg waren es 1 307 IMK/KW (0,8 % der Einwohner). BStU, MfS, BV Berlin, Kartei F 78. Die Kartei enthält offenbar eine größere Anzahl an anderen Objekten des MfS und vom MfS bereits archivierte also ehemalige IMK/KW. Vgl. auch Kowalczuk: Stasi konkret, S. 226 f.
338
Strukturelle und resümierende Überlegungen
weise aus dem Wohnumfeld war die Hauptfunktion dieser IM für konspirative Wohnungen (IMK/KW) jedoch eindeutig logistischer Art. Sie stellten Räume für die Treffen der MfS-Führungsoffiziere mit ihren jeweiligen inoffiziellen Mitarbeitern zur Verfügung. Die Treffen hatten in der Regel nicht das Wohnumfeld der konspirativen Wohnung zum Thema. Die Überwachung der Wohngebiete überließ das MfS im Wesentlichen der Polizei, vor allem den 6 200 ABV und deren ungefähr 170 000 freiwilligen Helfern.250 Letztere waren auch an der Aufdeckung von Delikten wie Asozialität und Hetze beteiligt.251 Besonders in den Grenzkreisen knüpften freiwillige Helfer der Grenztruppen das staatliche Kontrollnetz eng. Im Kreis Sonneberg arbeiteten 1984 etwa 1 000 Bürger in 88 sogenannten Grenzsicherheitsaktiven mit.252 Als politische Mobilisierer und Kontrollinstanzen im Wohngebiet wirkten zudem die Wohngebietsparteiorganisation der SED und die Nationale Front.253 Der von der SED dominierte Zusammenschluss der Blockparteien und Massenorganisationen, die Nationale Front, verfügte über eine eigene Struktur in der Fläche. Unterhalb des Kreissekretariats gab es Wohngebietsausschüsse (WBA) für Häuserblöcke größerer Ortschaften und Städte, in den Dörfern Orts- und Dorfausschüsse. Die WBA umfassten in der Regel 1 000 bis 3 000 Wahlberechtigte.254 Für Sicherheitsfragen existierten Kommissionen und Aktivs für Sicherheit und Ordnung. Die Hausgemeinschaften blieben fragile Gebilde, die immer wieder zerfielen. Aber zu bestimmten Kampagnen, wie vor Wahlen, erreichten sie einen Großteil der DDR-Bürger. Ergänzt um die Schöffen und Mitglieder in der Laiengerichtsbarkeit, der sogenannten gesellschaftlichen Gerichte, war in Sonneberg nach Einschätzung der Nationalen Front immerhin ein Sechstel der Bürger in die Bemühungen um eine Erhöhung der Ordnung und Sicherheit eingebunden.255 Wollte man überhaupt von flächendeckender Überwachung sprechen, darf man diese nicht auf das MfS reduzieren, sondern muss die anderen Formen und Protagonisten der sozialen und politischen Kontrolle in der DDR mit einbeziehen. Die verschiedenen gesellschaftlichen Bereiche wurden vom MfS nicht nur unterschiedlich intensiv in den Blick genommen. Auch die Zahl der Personen, die ins Visier und damit in das Getriebe der Informationsverarbeitung des MfS gerieten, veränderte sich dynamisch. Die Aktenlage dazu ist schwierig und es bedarf weiterer Forschungen. Es dürften Mitte der 1960er-Jahre etwa gut 2 Millionen
250 Die Zahlen für 1988 entstammen einer Recherche von Tobias Wunschik, BStU. 251 Merkbuch für freiwillige Helfer der Schutzpolizei, S. 13, 24, 70. 252 Kreissekretariat Sonneberg der Nationalen Front: Bericht, 17.10.1984; BArch, SAPMO, DY 6/vorl. 6168. 253 Appelius: Die rote Meile. T. I, S. 113–124, Teil II, S. 65–76. 254 Passens: Der Zugriff des SED-Herrschaftsapparates, S. 37. 255 Kreissekretariat Sonneberg der Nationalen Front: Bericht, 17.10.1984; BArch, SAPMO, DY 6/vorl. 6168.
Zusammenhang von Informationsverarbeitung und Überwachung
339
20 000
15 000 trad. Erfassung KK
10 000
VSH ZPDB Gesamtbevölkerung
5 000
1950
1965
1975
1980
1989
Abb. 33: Entwicklung der Erfassung der DDR-Gesellschaft durch das MfS (Skizze mit angenäherten Werten)
DDR-Bürger in der Zentralkartei erfasst gewesen sein.256 Vielleicht war die Zahl wegen der Objektvorgänge, die ganze Dörfer und Belegschaften auflisteten, eine Zeit lang höher. Aber diese Vorgänge waren, wie dargestellt, in der Handhabung problematisch, enthaltene Personeninformationen waren oft kaum aufzufinden und deren Informationstiefe verhältnismäßig gering. Das Auflösen der Objektvorgänge war das Eingeständnis, dass eine flächendeckende Überwachung nicht möglich war. Erst mit Einführung der KK-Erfassung ab 1965 und insbesondere der VSH-Erfassung ab 1975 ging der Trend in Richtung einer Massenerfassung, sodass gegen Ende der DDR mehr als jeder zweite DDR-Bürger im VSH-System nachgewiesen war. Jede neue Informationsverarbeitungsetappe führte zu einer Absenkung der Erfassungsschwelle. Eine KK-Erfassung beruhte auf geringfügigeren Anlässen als die traditionellen, registrierpflichtigen Vorgänge. Eine Verkartung in der VSH war an noch geringere Voraussetzungen geknüpft. Die extrem niedrigschwellige V-Erfassung der elektronischen ZPDB hätte tendenziell, wenn auch mit sehr unterschiedlichen Datensätzen, zu einer Totalerfassung der Bevölkerung führen können. Zunehmend wurden nun Daten gespeichert, die zunächst kaum eine operative Bedeutung besaßen. Je besser es dem MfS gelang, Einzelinformationen 256 MfS/Abt. XII: Statistik; BStU, MfS, Abt. XII Nr. 5815, Bl. 98.
340
Strukturelle und resümierende Überlegungen
aus unterschiedlichsten Quellen zu immer mehr Personen und Sachverhalten zu sammeln, umso wirkungsvoller akkumulierte es Daten zu diesen Personen. Damit wurde auf den ersten Blick das Überwachungsniveau flacher. Allerdings konnten damit auch zunächst unwichtig erscheinende Detailinformationen gesammelt und über die Jahre zu Persönlichkeitsmosaiken verdichtet werden. Aus pragmatischen Gründen, gerade aus Platzmangel, kassierte das MfS zwar gelegentlich Akten. Aber reguläre Löschfristen oder gar ein hemmender Datenschutz gegen die jahrelange Sammelei von Daten existierten nicht. Sogar nach den Gesetzen der DDR zu streichende Daten aus dem Kriminalstrafregister wurden vom MfS, wenn es ihm opportun erschien, dauerhaft aufbewahrt.257 Der Datenteppich wurde durch die Sammelei von Einzelinformationen immer dichter geknüpft. Die Vorstellung von einer flächendeckenden Überwachung kann dennoch nicht aufrechterhalten werden. Zu unterschiedlich war der Überwachungsgrad in den unterschiedlichen sozialen Bereichen. Wenn auch nicht widerspruchsfrei und durchgängig beachtet, galt im MfS das Schwerpunktprinzip, das beispielsweise Wohngebiete nicht einschloss. Nicht zuletzt wurde der Begriff der Überwachung in der Vergangenheit oft zu undifferenziert und inflationär verwendet. Einer systematischen Überwachung im Sinne einer kontinuierlichen Kontrolle unterlagen zwar nicht wenige Personen, aber im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung handelte es sich um eine nur verhältnismäßig kleine Gruppe. Allerdings wurden viel mehr Personen unbemerkt, zuweilen sogar über einen längeren Zeitraum und wiederholt vom MfS überprüft. Der Begriff von der flächendeckenden Überwachung beschreibt dieses Tun des MfS nicht wirklich treffend. Allerdings mehrte sich die Zahl der Kon trollimpulse des MfS als Folge der Ausdehnung des Apparates und der hohen Zahl an Überprüfungen deutlich. Das erhöhte in der Summe die Kontrollintensität und Kontrolldichte derart, dass der Eindruck des Flächendeckenden entstehen konnte. Um dieses Geschehen in ein Bild zu kleiden: Wollte man eine Bucht oder einen Binnensee systematisch leer fischen, müsste man gezielt eine Flotte von Schiffen mit Netzen, die keine Lücke lassen, das Wasser von dem einen zum anderen Ufer durchfahren lassen. Das entspräche einer systematischen flächendeckenden Überwachung. Ginge es nur darum, Andersdenkende im engeren Sinne zu verfolgen, wäre man mit Fischkuttern gezielt zu Lieblingsplätzen der Schwärme gefahren oder hätte diese mittels Sonar geortet. Was das MfS in den 1980er-Jahren tat, war etwas anderes. Es ließ verschiedene Schiffe mit unterschiedlichen Netzen kreuz und quer durch das Gewässer ziehen. Zusätzlich wurden immer wieder kleinere Netze ausgeworfen, was den kleinen Überprüfungen entspricht. Der Gesamteffekt ähnelt dem im ersten Beispiel. Kaum ein Fisch hat die Chance dieser Flotte zu entrinnen. Übersetzt heißt das: Was heute als flächendeckende Überwachung des MfS erscheint, entsprach nicht unbedingt der Intention des MfS. Es ist vielmehr der retrospektive Eindruck einer Überwachung, die sich aus damals immer zahlreicher werdenden 257 Tätigkeitsbericht des BStU, S. 58 f.
Zusammenhang von Informationsverarbeitung und Überwachung
341
aber unterschiedlich motivierten Kontrollimpulsen speist. Kontrollimpulsen, die ehemals zur Absicherung von Schwerpunkten durch IM, zur Kontrolle von Reisen oder sicherheitsrelevanten Tätigkeiten, zur systematischen oder gezielten Kontrolle von Westkontakten und so weiter dienen sollten. Die Überwachung von Oppositionellen war dabei ein eher kleiner Bereich. Offen ist, wie sich derartige Kontrollimpulse auf die Gesellschaft auswirkten. Der Kulturphilosoph Michel Foucault hat für die Neuzeit, neben der Strömung der Aufklärung und der Idee des Gesellschaftsvertrages von unten, die Tendenz zur stärkeren Kontrolle und zur Disziplinierung ausgemacht.258 Die unterschiedlichen Kontrollimpulse des MfS hatten zweifelsohne eine disziplinierende Wirkung, selbst wenn sie oft im Verborgenen blieben. Das gilt umso mehr, wenn man sie im Zusammenspiel mit anderen Instrumenten der sozialen Kontrolle sieht. Angesichts des abrupten Endes des Überwachungsstaates DDR und der Stasi stellt sich jedoch die Frage, ob das Übermaß an Kontrolle nicht auch im Sinne von Foucault Gegenreaktionen, das Bedürfnis nach mehr Transparenz, rechtsstaatlicher Verbindlichkeit und Zivilität geweckt hat. Auffällig ist, dass sich die Umbruchbewegung in keinem anderen europäischen Ostblockstaat derart gegen die Staatssicherheit richtete wie 1989 in der DDR. Und es ist erstaunlich, wie wenig die SED unternahm, ihre Staatssicherheit zu verteidigen. Vielmehr gab sie diese Schritt für Schritt preis.259 Das sind Indizien für einen allgemeinen Überdruss am Stasi-Staat, der deutlich über das Oppositionsspektrum in Engeren hinausging. Die Kontrollimpulse des MfS waren also keineswegs widerspruchsfrei und wirkten teilweise konfliktverschärfend. Irgendwann scheinen die repressiven Steuerungs- und Disziplinierungsversuche nicht mehr gegriffen zu haben. Die Wirklichkeit kehrte sich gegen die utopischen Erwartungen von der Steuerbarkeit eines Systems inklusive seiner Menschen.260 Trotz oder gerade wegen der angestrebt hohen Kontrolldichte sind die Kybernetiker mit ihrer Steuerungsutopie letztlich gescheitert. Hier soll die grundsätzliche Frage dahingestellt bleiben, ob es überhaupt möglich ist, wie die Kybernetiker meinten, ein komplexes wirtschaftliches und gesellschaftliches System erfolgreich durch eine politisierte Elite zu steuern, ohne der Mehrheit der Bevölkerung ausreichend Möglichkeiten der eigenen Betätigung und Partizipation einzuräumen. Durch den Untergang der DDR hat sich die Frage in gewisser Hinsicht beantwortet. Und ob die Staatssicherheit mit ihren Hinweisen zur Optimierung von Staat und Wirtschaft jeweils effektiv wirkte oder diese nur zu hektischen und sogar Chaos befördernden Reaktionen führten, ließe sich nur am konkreten Gegenstand untersuchen und beantworten. Systemintern ließen zwei Hauptgründe die kybernetische Utopie der Auswerter letztlich scheitern:
258 Foucault: Überwachen und Strafen, S. 173 ff. 259 Süß: Staatssicherheit am Ende; Booß: Mythos, S. 44–52. 260 Pannen: Wo ein Genosse ist; Bahr: Parteiherrschaft vor Ort.
342
Strukturelle und resümierende Überlegungen
–– Zum einen wurde das MfS bei diversen Steuerungsdefiziten in Staat und Wirtschaft immer stärker in Anspruch genommen. Der Informationsbedarf wurde in die Breite gezogen und band beträchtliche Ressourcen. Daraus erwuchsen Aufgaben, auf die das primär auf Personen und Ereignisse ausgerichtete Informationsverarbeitungssystem nur bedingt eingestellt war. –– Zum Zweiten gingen die massenhaften Überprüfungen von Personen mit privaten oder beruflichen Westkontakten zulasten gezielter, schwerpunktmäßig ausgerichteter, qualitativ hochwertiger Informationsbeschaffungen und Auswertungen. So gesehen führte die Entspannungspolitik das Informationssystem der Staatssicherheit in einen tödlichen Wettstreit. Nach der Absetzung von Erich Mielke behauptete die neue Führung der Staatssicherheit, man sei nur gezwungenermaßen einer falschen Sicherheitsdoktrin gefolgt. Das sollte wohl den Eindruck erwecken, die DDR hätte mit einer besseren Staatssicherheit überleben können. Dem steht entgegen, dass die Entwicklung von Sicherheitsparanoia an der Schnittstelle von einem offenkundig erfolgreichen westlichen Gesellschaftsmodell zu einem System mit einer sich mit allen Mitteln verteidigenden Elite in bedrängter Minderheitenposition eine gewisse Zwangsläufigkeit hatte. Dass die Systemgrenze mitten durch eine Nation verlief, verschärfte die Lage der DDR zusätzlich. Zur Beantwortung der Frage, wie sich die Relation von polizeilichem und nachrichtendienstlichem Wissen zur allgemeinen Sicherheitssituation in einem Staat verhält, können die anhand der zum MfS gewonnenen Erkenntnisse nicht unmittelbar auf andere Verhältnisse übertragen werden. Es ist dennoch ein nachdenklich stimmendes historisches Beispiel dafür, dass ein Mehr an geheimdienstlichem Wissen allein keine Garantie für eine größere Stabilität der Verhältnisse bietet.
Anhang
344
Anhang
Verzeichnis der Abbildungen 1
IM-Einsatzrichtungen in der KDfS Gransee in den 1980er-Jahren Eigenberechnung auf Basis der IM-Nachweiskartei der KDfS Gransee
32
2
IM-Vorgänge pro MfS-Mitarbeiter 1950–1988 (Grafik: Booß) Eigenberechnung nach IM-Zahlen von Müller-Enbergs: Inoffizielle Mitarbeiter. Teil 3, S. 35 und Personaldaten nach Gieseke: Die hauptamtlichen Mitarbeiter, S. 552 ff.
41
3
Untersuchungsvorgänge im MfS pro 100 Mitarbeiter von 1956–1988 (Grafik: Booß) Eigenberechnung nach Vorgangszahlen von Untersuchungsvorgängen (Ermittlungsvorgänge) im MfS nach Engelmann; Joestel: Hauptabteilung IX, S. 225 ff. und Personaldaten nach Gieseke: Die hauptamtlichen Mitarbeiter, S. 552 ff.
42
4
Vorgangsregistrierungen pro Mitarbeiter in der BVfS Potsdam 1961–1989 (Grafik: Booß) Engelmann; Halbrock; Joestel: Vernichtung von Stasi-Akten, S. 38 ff.
43
5
Vorgangsarchivierungen pro MfS-Mitarbeiter in der zentralen Abteilung XII 1962–1988 (Datenreihung und Grafik: Booß)
48
6
Vorgangstypen 1965 im Bereich der BVfS Frankfurt/Oder BStU, MfS, BV Frankf./O., Abt. XII Nr. 842, 926, 927, 935 u. 939
55
7
Ablauf einer Personenabfrage mit F-10-Suchzettel in der Zentralkartei des MfS in den 1980er Jahren MfS/Abt. XII: Traditionstafel; BStU, MfS, Abt. XII Nr. 8408. Abgedruckt in: Jedlitschka; Springer: Gedächtnis der Staatssicherheit, S. 112
68
8
Überprüfungsdauer in der Zentralkartei des MfS zwischen 1960 und 1984 in Tagen MfS/Abt. XII: Traditionstafel; BStU, MfS, Abt. XII Nr. 8408. Abgedruckt in: Jedlitschka; Springer: Gedächtnis der Staatssicherheit, S. 112
70
9
Auskunft der zentralen Abteilung XII zu Archivmaterial MfS/Abt. XII: Traditionstafel; BStU, MfS, Abt. XII Nr. 8408
75
10
Karteikarte F 16 (alt) BStU, MfS, BV Erfurt, Abt. XII, Kartei
86
11
Kybernetisches Schema zur Informationsverarbeitung im MfS 1965, Teil I Abb. aus Befehl Nr. 299/65, Anlage 1 zum Befehl; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 3900, S. 28
118
12
Kybernetisches Schema zur Informationsverarbeitung im MfS 1965, Teil II Abb. aus Befehl Nr. 299/65, Anlage 1 zum Befehl; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 3900, S. 22
118
13
Kerbzange und Tischstanze zur Kerblochkarteikartenlochung
123
14
Tischgerät zur Kerblochkarteikartenauswertung
124
Verzeichnis der Abbildungen
345
15
Informationsverarbeitung und Informationsflüsse auf und aus der Linie IX, Untersuchungsorgan des MfS Arbeitsskizze o. D. (vermutl. zw. Ende 1970er-Jahre u. 1980) aus BStU, MfS, HA IX Nr. 16318, Bl. 207
126
16
Informationsflüsse im staatlichen Geheimnisschutz und auf der Linie ZAGG des MfS Undatiertes Schema zur jährlichen Geheimnisschutzberichterstattung aus BStU, MfS, ZAGG Nr. 1644, Bl. 59
128
17
Entwicklung des Transitverkehrs zwischen der Bundesrepublik und der DDR 1970–1986 (Grafik: Booß) Die Grafik basiert auf der Publikation Zahlenspiegel Bundesrepublik Deutschland, S. 128
143
18
Innerdeutsche private Reisebewegungen 1960–1986 (Grafik: Booß) Die Daten entstammen den Quellen Nawrocki: Beziehungen, S. 120–123 sowie Zahlenspiegel Bundesrepublik Deutschland, S. 124
144
19
Innerdeutsche Grenzpassagen Ost-West (ohne Rentner) 1964–1986 (Grafik: Booß) Quellen der Daten sind Niederhut: Reisekader, S. 40 f.; Nawrocki: Beziehungen, S. 120–123 und Zahlenspiegel Bundesrepublik Deutschland, S. 124
145
20
Überprüfungsfälle in der Zentralkartei des MfS 1962–1989 (Grafik: Booß) Der Grafik liegen die folgenden Quellen zugrunde MfS/Abt. XII: Analyse über das Jahr 1963; BStU, MfS, Allg S 82/70, Bl. 24–26; MfS/Abt. XII: Statis tik zu F-10-Überprüfungen, 10.10.1975; BStU, MfS, Abt. XII Nr. 2049, Bl. 25–27, hier 25; MfS/Abt. XII: Schreiben an ZAIG, 20.10.1989; BStU, MfS, Allg S 398/89, Bl. 16–19; Jedlitschka; Springer: Gedächtnis der Staatssicherheit, S. 113 ff.
152
21
Verhältnis von Personendossiers zu Aktenvorgängen im Bereich der BVfS Magdeburg 1983 (Grafik: Booß) Die Grafik beruht auf einer Recherche von Jörg Stoye, ASt Magdeburg des BStU, auf einer Eigenberechnung des Autors sowie auf BStU, MfS, BV Magdeburg, AKG Nr. 448 u. 449
159
22
MfS-Personenerfassungen im Kreis Rathenow Mitte der 1970er-Jahre nach Vorgängen und VSH-Anteil Statistische Angaben nach BStU, MfS, ZAIG Nr. 17730, Bl. 153
166
23
MfS-Personenerfassungen im Kreis Rathenow Mitte der 1970er-Jahre vor und nach Einführung der VSH Kartei BStU, MfS, ZAIG Nr. 17730, Bl. 153
167
24
Anlässe für VSH-Überprüfungen in der KDfS-Berlin Friedrichshain 1982 BStU, MfS, ZAIG Nr. 13919, Bl. 1–44
170
25
Erfassungen im Bezirk Magdeburg 1983 (Grafik: Booß) BStU, MfS, BV Magdeburg, AKG Nr. 448 u. 449
191
346
Anhang
26
Sichtlochkarte aus der BVfS Rostock BStU, MfS, BVfS Rostock, Abt. XII, Kartei
219
27
ZPDB-Erfassungsbeleg BStU, MfS, BV Rostock, AKG
237
28
Auskunft aus der PDB des MdI
285
29
Mitarbeiter operative Linien des MfS, Oktober/1989 (Grafik: Booß, Müller) Gieseke: Die Hauptamtlichen Mitarbeiter, S. 396; BStU, MfS, HA KuSch Nr. 19986
297
30
Mitarbeiter operative und nicht-operative Linien des MfS, Oktober/1989 (Grafik: Booß, Müller) BStU, MfS, HA KuSch Nr. 19986
300
31
Anstoß zu Untersuchungsvorgängen des MfS 1988 (Grafik: Booß) Eigenberechnung nach Zahlen zu MfS-Untersuchungsvorgängen 1988 aus MfS/HA IX: Jahresanalyse 1988, 30.1.1989; BStU, MfS, HA IX Nr. 519, Bl. 32–40; vgl. darüber hinaus Engelmann; Joestel: Hauptabteilung IX, S. 238. Anmerkungen zu den einzelnen Grafikelementen: Festnahmen erfolgten auf frischer Tat, in die Zahl der Ermittlungen flossen auch Fahndungserfolge ein, das Element DVP u. a. integriert Staatsanwaltschaft, Zoll und DVP
314
32
Partei-Informationen aus KDfS und Zentralstelle des MfS, Abb. 32 a–32 c (Grafik: Booß) BStU, MfS, BV Magdeburg, KD Havelberg Nr. 3560; BStU, MfS, BV Magdeburg, KD Zerbst Nr. 2802; BStU, MfS, BV Leipzig, Ltg. Nr. 297; Die DDR im Blick der Stasi. Bd. 1976
331
33
Entwicklung der Erfassung der DDR-Gesellschaft durch das MfS (Grafik: Booß) Die Grafik ist eher ein Modell, da Zahlenangaben über Erfassungen sehr heterogen und insgesamt vage sind. Erfassungen in der Zentralkartei sind über die Jahre erstaunlicherweise nicht detailliert nachvollziehbar. Von den nachweisbaren Zahlen wären ca. 20 % abzuziehen, die BStU-intern als Schätzwert für Westerfassungen gelten. Zu Zahlenangaben sei an die entsprechenden thematischen Stellen in den Kapiteln 4.2 (KK) und 9.2 (ZPDB) sowie auf den Tätigkeitsbericht des BStU, S. 62 (VSH), S. 63 (KK) verwiesen.
339
Abkürzungen A/I Auswertung/Information AAE Automatische Auskunftserteilung ABI Arbeiter-und-Bauern-Inspektion Abt. Abteilung ABV Abschnittsbevollmächtigter der Volkspolizei ADN Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst Af NS Amt für Nationale Sicherheit AG Arbeitsgruppe AGG Arbeitsgruppe Geheimnisschutz AGM Arbeitsgruppe des Ministers AI Auswertung und Information AIG Auswertungs- und Informationsgruppe AIM Archivierter IM-Vorgang AKG Auswertungs- und Kontrollgruppe AKK Archivierte Kerblochkartei (Materialablage) AKP Auskunftsperson AL Abteilungsleiter Allg. P Allgemeine Personenablage AOP Archivierter Operativer Vorgang (auch Feindobjektvorgang) AOPK Archivierte Operative Personenkontrolle AP Allgemeine Personenablage/Archivierte Personenakte AR Ausreise AR DFA Ausreise in dringenden Familienangelegenheiten AS Allgemeine Sachablage/Allgemeine Sachakte ASR Arbeitsgruppe Sicherung des Reiseverkehrs ASRV Auskunftssystem Reiseverkehr ASt. Außenstelle AStA Antragsteller auf ständige Ausreise AW Anweisung BArch Bundesarchiv BC Bürocomputer BCD Bewaffnung und Chemischer Dienst BdL Büro der Leitung BDM Bund Deutscher Mädel Bef. Befehl BF Bildung und Forschung BHG Bäuerliche Handelsgenossenschaft BK Bürgerkomitee BKA Bundeskriminalamt BKG Bezirkskoordinierungsgruppe BKK Bereich kommerzielle Koordinierung BL Bezirksleitung Bln Berlin BND Bundesnachrichtendienst BStU Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes BV/BVfS Bezirksverwaltung des MfS BV B Bezirksverwaltung Berlin
348
Anhang
BVC Bezirksverwaltungs-Chef BVL Bezirksverwaltungsleiter CDU CIA CSSR CSU
Christlich Demokratische Union Deutschlands Central Intelligence Agency Tschechoslowakische Sozialistische Republik Christlich-Soziale Union
DA Dienstanweisung DB Durchführungsbestimmung DDN Dresden DE Diensteinheit DFA Dringende Familienangelegenheit DfB Durchführungsbestimmung DFD Demokratischer Frauenbund Deutschlands DFÜ Datenfernübertragung DIN Deutsche Industrienorm Dok./DOK Dokument/Dokumentenkartei DORA Dialogorientiertes Recherche- und Auskunftssystem DRK Deutsches Rotes Kreuz DTSB Deutscher Turn- und Sportbund DUG Datenbank Ungesetzliche Grenzübertritte DV Dienstvorschrift DVdI Deutsche Verwaltung des Innern DVP Deutsche Volkspolizei DWK Deutsche Wirtschaftskommission EB Ermittlungsbericht EDV Elektronische Datenverarbeitung EDVA Elektronische Datenverarbeitungsanlage EOS Einheitliche Operative Statistik ESER Einheitliches System Elektronischer Rechentechnik EV Ermittlungsverfahren F Formular F 10 Überprüfungsanfrage/Suchzettel F 16 Personenkartei(karte) F 22 Vorgangsnachweis(karte) F 401 Vorverdichtungs- und Suchkarte (Personen) F 402 Hinweiskarte FBI Federal Bureau of Investigation FDGB Freier Deutscher Gewerkschaftsbund FDJ Freie Deutsche Jugend FfO Frankfurt/Oder FH Fachhochschule FHVP Freiwilliger Helfer der Volkspolizei FIM Führungs-IM FS Fernschreiber, Fernschreiben GAV
Gesellschaftliches Arbeitsvermögen
Abkürzungen Gbl. Gesetzblatt Gen. Genosse GH Geheime Ablage GHI Geheimer Hauptinformator GHT Geheimnisträger GI Geheimer Informator GM Geheimer Mitarbeiter/Generalmajor/Genosse Minister GMS Gesellschaftlicher Mitarbeiter für Sicherheit GO Grundorganisation GOLEM Großspeicherorientierte listenorganisierte Eingabemethode GSE Gransee GST Gesellschaft für Sport und Technik GÜSt Grenzübergangsstelle GÜV Grenzüberschreitender Verkehr GVS Geheime Verschlusssache HA Hauptabteilung HG Hausgemeinschaft HGL Hausgemeinschaftsleitung HIM Hauptamtlicher IM HJ Hitlerjugend HK Hinweismerkmal/Hinweiskomplex HO Handelsorganisation HUB Humboldt-Universität Berlin HuG Zeitschrift Horch und Guck HV A Hauptverwaltung A (Aufklärung) HVzSV Hauptverwaltung zum Schutze der Volkswirtschaft HWG Häufig wechselnde Geschlechtsverkehrspartner IBM International Business Machines IK Informationskomplex IM Inoffizieller Mitarbeiter IMB Inoffizieller Mitarbeiter mit Feind-Kontakt IME Inoffizieller Mitarbeiter für Ermittlungen IMK Inoffizieller Mitarbeiter für Konspiration IMS Inoffizielle Mitarbeiter für Sicherheit IMV Inoffizieller Mitarbeiter mit vertraulichen Beziehungen IM-VAK Inoffizielle Mitarbeiter-Vorauswahlkartei ISPER Informationssystem für Personendatenbanken ITU Institut für technische Untersuchungen IWG Ingenieurbetrieb für Wissenschaftlichen Gerätebau JHS
Juristische Hochschule des MfS
K Kriminalpolizei K I K eins, Arbeitsrichtung der Kriminalpolizei f. politische Delikte K 5 Kommissariat 5 der Kriminalpolizei, ein Vorläufer des MfS KD/KDfS Kreisdienststelle des MfS KE Kaderermittlung Kfz Kraftfahrzeug KGB Komitee für Staatssicherheit beim Ministerrat der UdSSR (russ.)
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350
Anhang
KgU Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit KK Kerblochkartei/Kerblochkarteikarte KL Kreisleitung KMSt Karl-Marx-Stadt KO Konspiratives Objekt KPD Kommunistische Partei Deutschlands KPdSU Kommunistische Partei der Sowjetunion Kripo Kriminalpolizei KSZE Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa KuSch Kader und Schulung KW Konspirative Wohnung LArch Landesarchiv lfm Laufende Meter LPG Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft Lpz Leipzig Ltg Leitung M Postkontrollabteilung (des MfS) MBO Melde- und Berichtsordnung MBZ Mikroelektronik ›Bruno Baum‹ Zehdenick MD Magnetdatenträger MdI Ministerium des Innern MdJ Ministerium der Justiz MDR Mitteldeutscher Rundfunk MF Mikrofiche, Mikrofilm MfS Ministerium für Staatssicherheit MGB Ministerium für Staatssicherheit der UdSSR (russ.) Mgb. Magdeburg Ms. Manuskript MTS Maschinen-Traktor-Station MWD Innenministerium der UdSSR (russ.) N Nachrichtenabteilung (des MfS) NATO Organisation des Nordatlantikvertrags ND Neues Deutschland NF Nationale Front/Neues Forum NKGB Volkskommissariat für Staatssicherheit (russ.) NKWD Volkskommissariat für innere Angelegenheiten (russ.) NÖS/NÖSPL Neues ökonomisches System der Planung und Leitung NS Nationalsozialismus/nationalsozialistisch NSA Nichtsozialistisches Ausland NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei NVA Nationale Volksarmee o. D. ohne Datierung o. P. ohne Personenangabe OAM Operatives Ausgangsmaterial OD/ODfS Objektdienststelle des MfS ODH Operativ-Diensthabender OG Operationsgebiet/Operativgruppe
Abkürzungen
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OibE Offizier im besonderen Einsatz OLZ Operatives Lagezentrum op. operativ op.-int. operativ-interessierend OPF Operative Passkontrolle und Fahndung OPK Operative Personenkontrolle OTS Operativ-technischer Sektor OV Operativer Vorgang OVA Operativ-Vorlauf-Akte OvD Offizier vom Dienst OVO Objektvorgang ÖVW Örtliche Versorgungswirtschaft PC Personalcomputer PDB Personendatenbank Pdm Potsdam PI Parteiinformation PiD Politisch-ideologische Diversion Pkw Personenkraftwagen PKZ Personenkennziffer PM Pass- und Meldewesen PS Personenschutz PUT Politische Untergrundtätigkeit PZF Postzollfahndung RAK Reise- und Auslandskader RdB Rat des Bezirkes/Reisedatenbank RdK Rat des Kreises RGW Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe RHG Robert-Havemann-Gesellschaft RIAS Rundfunk im amerikanischen Sektor RL Referatsleiter/Richtlinie RHA Robert-Havemann-Archiv RHG Robert-Havemann-Gesellschaft RSFSR Russische Sozialistische Föderative Sowjet-Republik Rst Rostock RV Reiseverkehr RZ Rechenzentrum SA SAA SAPMO
Sturmabteilung der NSDAP Schriftliche Archivauskunft Stiftung Archive der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv SAVO System der automatischen Vorauswahl SAVONKA System der automatischen Vorauswahl und Nutzung von Kennzeichen zur Auskunftsbereitstellung SBZ Sowjetische Besatzungszone SD Sicherheitsdienst SdM Sekretariat des Ministers für Staatssicherheit SDP Sozialdemokratische Partei SED Sozialistische Einheitspartei Deutschlands
352
Anhang
SfS Staatssekretariat für Staatssicherheit SIRA System der Informationsrecherche der HV A SIVO Sicherungsvorgang SLK Sichtlochkartei SMAD Sowjetische Militäradministration in Deutschland SMT Sowjetisches Militärtribunal SOUD System der vereinigten Erfassung von Daten über den Gegner (russ.) SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands SS Schutzstaffel StA Staatsanwalt/Staatsanwaltschaft StGB Strafgesetzbuch StM stellvertretender Minister StPO Strafprozessordnung SÜG Sicherheitsüberprüfungsgesetz SÜP Sicherheitsüberprüfung SVA Sachverhaltsart SVK Sachverhaltskomplex Swn Schwerin TB Teilband/Treff bericht/Tonband UF Untersuchungsführer UfJ Untersuchungsausschuss freiheitlicher Juristen UGÜ Ungesetzlicher Grenzübertritt UN Vereinte Nationen UNO Organisation der Vereinten Nationen Unters. Untersuchung USA United States of America ÜS Übersiedlung ÜSE Übersiedlungsersuchen(der) ÜV Überwachungsvorgang UV Untersuchungsvorgang UWE Umwelt, Wasserwirtschaft, Erholung V Verantwortung(sbereich)/Verwaltung VAK Vorauswahlkartei VAX Virtual Address Extension VEB Volkseigener Betrieb VEG Volkseigenes Gut VP Volkspolizei VPI Volkspolizeiinspektion VPKA Volkspolizei-Kreisamt VR Volksrepublik VS Verschlusssache VSH Vorverdichtungs-, Such- und Hinweiskartei VVB Vereinigung Volkseigener Betriebe VVS Vertrauliche Verschlusssache WB Westberlin WBA Wohnbezirksausschuss WKK Wehrkreiskommando
Abkürzungen Wopol Wohnungspolitik WPO Wohngebietsparteiorganisation WTI Wissenschaftlich-technische Information Z-Vorgang ZAGG ZAIG ZER ZEVAS
Signaturengruppe (Bezug zu Archivmaterial 1933–1945) Zentrale Arbeitsgruppe Geheimnisschutz Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe Zentrales Einwohnerregister Zentrales Erfassungs-, Informationsverarbeitungs- und Auskunftssystem zu operativ interessierenden Personen und operativ relevanten Sachverhalten ZfG Zeitschrift für Geschichtswissenschaft ZIG Zentrale Informationsgruppe ZK Zentralkomitee ZKG Zentrale Koordinierungsgruppe/Zentrale Kontrollgruppe ZKK Zentrale Kontrollkommission ZMA Zentrale Materialablage ZOS Zentraler Operativstab ZPDB Zentrale Personendatenbank ZPKK Zentrale Parteikontrollkommission ZVSA Zentrale Verschlusssachen-Abteilung
MfS-HA/Abt./Aktivitätsschwerpunkt I Überwachung NVA, Grenztruppen II Spionageabwehr III (1952–64) Überwachung der Volkswirtschaft III (ab 1971) Funkaufklärung V Ostbüros, Abweichler, Untergrund, Kirchen VI Passkontrolle, Tourismusüberwachung VII Überwachung Ministerium des Innern, Volkspolizei VIII Ermittlung, Bobachtung IX Untersuchungsorgan XI Chiffrierdienst XII Zentralkartei, Archiv XIII Rechenzentrum XVII Besucherbüros Westberlin XVIII Überwachung der Volkswirtschaft XX Staatsapparat, Kultur, Kirchen, Untergrund XXI Innere Abwehr im MfS XXII Terrorabwehr 26 Telefonüberwachung AGM Arbeitsgruppe des Ministers BCD Bewaffnung, Chemischer Dienst BdL Büro der Leitung HV A Auslandsaufklärung KuSch Kader und Schulung JHS Juristische Hochschule M Postkontrolle N Nachrichten, Nachrichtentechnik
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354 OTS SdM ZAGG ZAIG ZOS
Anhang Operativ-technischer Sektor Sekretariat des Ministers Zentrale Arbeitsgruppe Geheimnisschutz Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe Zentraler Operativstab
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Wolle, Stefan: Die heile Welt der Diktatur. Alltag und Herrschaft in der DDR 1971–1989. Berlin 1998. Worst, Anne: Das Ende eines Geheimdienstes oder: Wie lebendig ist die Stasi? Berlin 1991. Wunschik, Tobias: Hauptabteilung VII. Ministerium des Innern, Deutsche Volkspolizei. Berlin 2007 (BStU. MfS-Handbuch; III/15). Wunschik, Tobias: Mechanismen der Herrschaft im Staat der SED: Staatssicherheit und Volkspolizei in der DDR In: Zimmermann, Volker; Pullmann, Michal (Hg.): Ordnung und Sicherheit, Devianz und Kriminalität im Staatssozialismus. Tschechoslowakei und DDR 1948/49–1989. Göttingen 2014, S. 83–109. Zahlenspiegel Bundesrepublik Deutschland – Deutsche Demokratische Republik. Ein Vergleich. Hg. v. Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen. Bonn 1988. Zimmermann, Volker; Pullmann, Michal (Hg.): Ordnung und Sicherheit, Devianz und Kriminalität im Staatssozialismus. Tschechoslowakei und DDR 1948/49–1989. Göttingen 2014.
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Anhang
Archivquellenverzeichnis BStU BStU, MfS, AIM 2911/70 BStU, MfS, AIM 21988/80 BStU, MfS, AIM 3065/83 BStU, MfS, AIM 9564/86 BStU, MfS, AIM 1614/91 BStU, MfS, AIM 7049/91 BStU, MfS, A 369/80 BStU, MfS, AOP 5446/88 BStU, MfS, Allg. S 187/58 BStU, MfS, Allg. S 189/58 BStU, MfS, Allg. S 5/61 BStU, MfS, Allg. S 466/62 BStU, MfS, Allg. S 230/65 BStU, MfS, Allg. S 2492/67 BStU, MfS, Allg. S 82/70 BStU, MfS, Allg. S 398/89 BStU, MfS, HA I Nr. 15322 BStU, MfS, HA I Nr. 15427 BStU, MfS, HA II Nr. 514 BStU, MfS, HA II Nr. 27677 BStU, MfS, HA II Nr. 39470 BStU, MfS, HA II Nr. 47618 BStU, MfS, HA III MD 1 BStU, MfS, HA III Nr. 514 BStU, MfS, HA III Nr. 522 BStU, MfS, HA III Nr. 522 BStU, MfS, HA III Nr. 581 BStU, MfS, HA III Nr. 617 BStU, MfS, HA III Nr. 698 BStU, MfS, HA III Nr. 732 BStU, MfS, HA III Nr. 1544 BStU, MfS, HA III Nr. 5343 BStU, MfS, HA VI MD 3 BStU, MfS, HA VII Nr. 2650 BStU, MfS, HA VII Nr. 2652 BStU, MfS, HA IX Nr. 519 BStU, MfS, HA IX Nr. 662 BStU, MfS, HA IX Nr. 3711 BStU, MfS, HA IX Nr. 5008 BStU, MfS, HA IX Nr. 5208 BStU, MfS, HA IX Nr. 5462 BStU, MfS, HA IX Nr. 8699 BStU, MfS, HA IX Nr. 8895
BStU, MfS, HA IX Nr. 11394 BStU, MfS, HA IX Nr. 16318 BStU, MfS, HA IX MF 1172 BStU, MfS, Abt. XII Nr. 637 BStU, MfS, Abt. XII Nr. 992 BStU, MfS, Abt. XII Nr. 1694 BStU, MfS, Abt. XII Nr. 2049 BStU, MfS, Abt. XII Nr. 2265 BStU, MfS, Abt. XII Nr. 2598 BStU, MfS, Abt. XII Nr. 2601 BStU, MfS, Abt. XII Nr. 3052 BStU, MfS, Abt. XII Nr. 3179 BStU, MfS, Abt. XII Nr. 3185 BStU, MfS, Abt. XII Nr. 3681 BStU, MfS, Abt. XII Nr. 3758 BStU, MfS, Abt. XII Nr. 3880 BStU, MfS, Abt. XII Nr. 3884 BStU, MfS, Abt. XII Nr. 3887 BStU, MfS, Abt. XII Nr. 3890 BStU, MfS, Abt. XII Nr. 4055 BStU, MfS, Abt. XII Nr. 4535 BStU, MfS, Abt. XII Nr. 4582 BStU, MfS, Abt. XII Nr. 4592 BStU, MfS, Abt. XII Nr. 4968 BStU, MfS, Abt. XII Nr. 5815 BStU, MfS, Abt. XII Nr. 5818 BStU, MfS, Abt. XII Nr. 7304 BStU, MfS, Abt. XII Nr. 8408 BStU, MfS, Abt. XIII MD 1, VSH, DS 4649 BStU, MfS, Abt. XIII Nr. 2544 BStU, MfS, AG XVII Nr. 835 BStU, MfS, HA XVIII Nr. 3942 BStU, MfS, HA XX Nr. 421 BStU, MfS, HA XX Nr. 5066 BStU, MfS, HA XX Nr. 6888 BStU, MfS, HA XX Nr. 7358 BStU, MfS, HA XX Nr. 7476 BStU, MfS, HA XX Nr. 15113 BStU, MfS, HA XX Nr. 19684 BStU, MfS, HA XX Nr. 24379 BStU, MfS, HA XX/4 Nr. 1677 BStU, MfS, HA XXI 871/79 BStU, MfS, HA XXII Nr. 18444 BStU, MfS, AGM Nr. 128 BStU, MfS, BdL Nr. 2458
Archivquellenverzeichnis BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 926 BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 1083 BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 1688 BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 1761 BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 1850 BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 2124 BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 2341 BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 2448 BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 2550 BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 2626 BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 3032 BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 3185 BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 3361 BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 3499 BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 3756 BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 3900 BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 3903 BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 3904 BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 3905 BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 3906 BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 3907 BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 3909 BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 3919 BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 4791 BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 5083 BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 5148 BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 5221 BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 5222 BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 5225 BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 5276 BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 5297 BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 5346 BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 5391 BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 5554 BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 5745 BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 6134 BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 6538 BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 6616 BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 7417 BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 7418 BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 7718 BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 7844 BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 8751 BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 8800 BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 11701 BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 101212 BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 1504/73 BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 155/88 BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 264/88 BStU, MfS, BdL/Dok MF 78/193
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BStU, MfS, Abt. Fin Nr. 3447 BStU, MfS, HA KuSch, KS 18966/90 BStU, MfS, HA KuSch, KS 21182/90 BStU, MfS, HA KuSch, KS 21479/90 BStU, MfS, HA KuSch, KS 24843/90 BStU, MfS, HA KuSch Nr. 360 BStU, MfS, HA KuSch Nr. 19986 BStU, MfS, JHS Nr. 21783 BStU, MfS, JHS Nr. 21786 BStU, MfS, JHS Nr. 21901 BStU, MfS, JHS Nr. 21903 BStU, MfS, JHS Nr. 21931 BStU, MfS, JHS Nr. 22011 BStU, MfS, JHS Nr. 22018 BStU, MfS, JHS Nr. 22025 BStU, MfS, JHS Nr. 22029 BStU, MfS, JHS, MF 571 BStU, MfS, Abt. M Nr. 1283 BStU, MfS, SdM Nr. 1901 BStU, MfS, SdM Nr. 665 BStU, MfS, SdM Nr. 1200 BStU, MfS, SdM Nr. 1301 BStU, MfS, SdM Nr. 1549 BStU, MfS, SdM Nr. 1550 BStU, MfS, SdM Nr. 1551 BStU, MfS, SdM Nr. 1552 BStU, MfS, SdM Nr. 1553 BStU, MfS, SdM Nr. 1557 BStU, MfS, SdM Nr. 1561 BStU, MfS, SdM Nr. 1901 BStU, MfS, SdM Nr. 1903 BStU, MfS, SdM Nr. 1920 BStU, MfS, SdM Nr. 1921 BStU, MfS, SdM Nr. 1930 BStU, MfS, SdM Nr. 1957 BStU, MfS, SdM Nr. 1958 BStU, MfS, SED-KL Nr. 1427 BStU, MfS, Sekretariat Schwanitz Nr. 337 BStU, MfS, Sekretariat Schwanitz Nr. 339 BStU, MfS, Sekretariat Schwanitz Nr. 348 BStU, MfS, ZAGG Nr. 378 BStU, MfS, ZAGG Nr. 1644
370 BStU, MfS, ZAIG Nr. 1820 BStU, MfS, ZAIG Nr. 1981 BStU, MfS, ZAIG Nr. 4374 BStU, MfS, ZAIG Nr. 4696 BStU, MfS, ZAIG Nr. 4740 BStU, MfS, ZAIG Nr. 4743 BStU, MfS, ZAIG Nr. 4760 BStU, MfS, ZAIG Nr. 4792 BStU, MfS, ZAIG Nr. 4810 BStU, MfS, ZAIG Nr. 5351 BStU, MfS, ZAIG Nr. 7694 BStU, MfS, ZAIG Nr. 7842 BStU, MfS, ZAIG Nr. 11702 BStU, MfS, ZAIG Nr. 13752 BStU, MfS, ZAIG Nr. 13919 BStU, MfS, ZAIG Nr. 14475 BStU, MfS, ZAIG Nr. 16283 BStU, MfS, ZAIG Nr. 16469 BStU, MfS, ZAIG Nr. 17467 BStU, MfS, ZAIG Nr. 17468 BStU, MfS, ZAIG Nr. 17727 BStU, MfS, ZAIG Nr. 17730 BStU, MfS, ZAIG Nr. 17733 BStU, MfS, ZAIG Nr. 17736 BStU, MfS, ZAIG Nr. 17941 BStU, MfS, ZAIG Nr. 18146 BStU, MfS, ZAIG Nr. 18196 BStU, MfS, ZAIG Nr. 18260 BStU, MfS, ZAIG Nr. 18266 BStU, MfS, ZAIG Nr. 18608 BStU, MfS, ZAIG Nr. 18615 BStU, MfS, ZAIG Nr. 18958 BStU, MfS, ZAIG Nr. 19427 BStU, MfS, ZAIG Nr. 19449 BStU, MfS, ZAIG Nr. 19825 BStU, MfS, ZAIG Nr. 19981 BStU, MfS, ZAIG Nr. 20222 BStU, MfS, ZAIG Nr. 20770 BStU, MfS, ZAIG Nr. 20777 BStU, MfS, ZAIG Nr. 22509 BStU, MfS, ZAIG Nr. 22927 BStU, MfS, ZAIG Nr. 27514 BStU, MfS, ZAIG Nr. 50168 BStU, MfS, ZAIG, TB Nr. 32 BStU, MfS, ZAIG, TB Nr. 33 BStU, MfS, ZAIG, TB Nr. 34 BStU, MfS, ZOS Nr. 1179 BStU, MfS, ZOS Nr. 2352 BStU, MfS, ZOS Nr. 3936
Anhang BStU, MfS, BV Berlin, AKG Nr. 40 BStU, MfS, BV Berlin, Abt. XIX Nr. 11319 BStU, MfS, BV Erfurt, AOP 177/55 BStU, MfS, BV Erfurt, AOP 57/57 BStU, MfS, BV Erfurt, Leiter Nr. 773 BStU, MfS, BV Erfurt, Abt. II Nr. 1860 BStU, MfS, BV Erfurt, KD Erfurt Nr. 1146 BStU, MfS, BV Erfurt, KD Gotha Nr. 879 BStU, MfS, BV Frankf./O., Abt. XII Nr. 842 BStU, MfS, BV Frankf./O., Abt. XII Nr. 926 BStU, MfS, BV Frankf./O., Abt. XII Nr. 927 BStU, MfS, BV Frankf./O., Abt. XII Nr. 935 BStU, MfS, BV Frankf./O., Abt. XII Nr. 939 BStU, MfS, BV Frankf./O., AKG Nr. 981 BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, KD Karl-Marx-Stadt Nr. 88 BStU, MfS, BV Leipzig, Ltg. Nr. 297 BStU, MfS, BV Magdeburg, AOP 1409/65 BStU, MfS, BV Magdeburg, AOP 1410/65 BStU, MfS, BV Magdeburg, AOP 1411/65 BStU, MfS, BV Magdeburg, AOP 1680/66 BStU, MfS, BV Magdeburg, AOP 502/67 BStU, MfS, BV Magdeburg, AOP 505/67 BStU, MfS, BV Magdeburg, AOP 506/67 BStU, MfS, BV Magdeburg, AOP 1810/67 BStU, MfS, BV Magdeburg, AOP 512/68 BStU, MfS, BV Magdeburg, AOP 868/71 BStU, MfS, BV Magdeburg 829/60 BStU, MfS, BV Magdeburg AS 14/73 BStU, MfS, BV Magdeburg Nr. 1340 BStU, MfS, BV Magdeburg Nr. 1586 BStU, MfS, BV Magdeburg, AKG Nr. 448 BStU, MfS, BV Magdeburg, AKG Nr. 449 BStU, MfS, BV Magdeburg, KD Genthin Nr. 3803 BStU, MfS, BV Magdeburg, KD Havelberg Nr. 3560 BStU, MfS, BV Magdeburg, KD Haldensleben Nr. 787 BStU, MfS, BV Magdeburg, KD Schönebeck Nr. 22820 BStU, MfS, BV Magdeburg, KD Zerbst Nr. 2802 BStU, MfS, BV Neubrandenburg, AOP 1243/62
Archivquellenverzeichnis BStU, MfS, BV Potsdam, Allg. S. 9/60 BStU, MfS, BV Potsdam, Allg. S. 3/61 BStU, MfS, BV Potsdam Nr. 10233 BStU, MfS, BV Potsdam, Abt. VII Nr. 1251 BStU, MfS, BV Potsdam, Abt. VIII Nr. 345 BStU, MfS, BV Potsdam, Abt. XII Nr. 32 BStU, MfS, BV Potsdam, Abt. XX Nr. 781 BStU, MfS, BV Potsdam, AKG Nr. 240 BStU, MfS, BV Potsdam, AKG Nr. 392 BStU, MfS, BV Potsdam, AKG Nr. 562 BStU, MfS, BV Potsdam, AKG Nr. 762 BStU, MfS, BV Potsdam, AKG Nr. 801 BStU, MfS, BV Potsdam, AKG Nr. 918 BStU, MfS, BV Potsdam, AKG Nr. 1054 BStU, MfS, BV Potsdam, AKG Nr. 1339 BStU, MfS, BV Potsdam, BdL Nr. 240 BStU, MfS, BV Potsdam, BdL Nr. 712 BStU, MfS, BV Potsdam, BdL Nr. 401173 BStU, MfS, BV Potsdam, BKG Nr. 105 BStU, MfS, BV Potsdam, KD Gransee Nr. 272 BStU, MfS, BV Potsdam, KD Gransee, ZMA Nr. 2469 BStU, MfS, BV Potsdam, KD Nauen Nr. 638 BStU, MfS, BV Rostock, Abt. XII GS 311 BStU, MfS, BV Rostock, ZPDB-Beleg Nr. 85140911 BStU, MfS, BV Rostock, ZPDB-Beleg Nr. 89046594 BStU, MfS, BV Schwerin, KD Perleberg Nr. 7311 BStU, MfS, BV Schwerin, KD Perleberg, ZMA Nr. N16
Bundesarchiv BArch, DO 1/104 BArch, DO 1/60424 BArch, DO 1/60425 BArch, DO 1/61583 BArch, DO 1/61587 BArch, DO 1/07/16 BArch, DO 1/07/17 BArch, DO 104/14 BArch, DP 3/846 SAPMO, DY 6/1942 SAPMO, DY 6/6168 SAPMO, DY 30/3675
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Landesarchiv Berlin LArch, C Rep-830-01 Nr. 29
RHG – Robert Havemann-Gesellschaft RHG, Bestand Gill, Bd. 9 RHG, Bestand Gill, BK Hefter 2 RHG, Bestand Gill, BK Bd. 2 RHG, Bestand Gill, BK Bd. 6 RHG, Bestand Gill, BK Bd. 8 RHG, Bestand Gill, BK Bd. 16 RHG, Bestand Gill, BK Bd. 18 Bestand Bürgerkomitee Berlin
Dokumentenanlage
Verzeichnis der Dokumentenanlagen 1 Übersichts- und Verdichtungsbogen
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2 Schlagwortverzeichnis für die Arbeit mit den VSH-Karteien
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3 Erfassungsvorgang in der VSH-Kartei
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4 Ermittlungsbericht nach AKP-Beitrag
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5 Konspirative Wohnungen in zwei Ostberliner Bezirken
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Anhang
Anlage 1 Übersichts- und Verdichtungsbogen BStU, MfS, ZAIG Nr. 17727, Bl. 291–297 Der Übersichts- und Verdichtungsbogen belegt beispielhaft eine Anleitung zur Informationsverarbeitung in den geheimpolizeilich arbeitenden Diensteinheiten im MfS in den 1980er-Jahren. Der Bogen ist gleichermaßen Handlungsanleitung wie Arbeitspapier für die damaligen Mitarbeiter. In der Praxis konnten mehrere Hinweise aufgelistet werden, die, verdichtet, zu einem Verdacht auf ungesetzliches Verlassen (der DDR) führen konnten. Die entsprechenden Informationen konnten sowohl aus inoffiziellen Informationen einer MfS-Diensteinheit oder der Postkontrolle wie aus der Informationsarbeit der Auswerter und aus externen Quellen stammen. Bemerkenswert ist der vorgesehene hohe Anteil von Karteiabfragen innerhalb und außerhalb des MfS, um bereits vorhandene Informationen zur Zielperson zusammenzutragen. Im Ergebnis einer Informationsverdichtung war eine Bewertung in Form einer politisch-operativen Festlegung vorgesehen. Eine solche Bewertung konnte darin bestehen, dass die vorhandenen Informationen lediglich in der Materialablage der Diensteinheit gespeichert wurden. Im Verdachtsfall wurde ein förmlicher Überwachungs- oder Ermittlungsvorgang angelegt. Der kybernetische Einfluss der systematischen Informationsverarbeitung zeigt sich auch darin, dass die hier genannte Verdachtsgruppe ungesetzliches Verlassen (der DDR) mit dem entsprechenden Teilinhalt des Rahmenkatalogs (SVK 6) korrespondiert, der seit 1980 im gesamten MfS verbindlich wurde. Die unter Nr. IV. (Festgestellte Kriterien) zu notierenden Informationen zum Grund der Verdächtigung sind ebenso in diesem Rahmenkatalog unter Hinweis- und Merkmalskategorien (HK) geregelt.
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Anlage 2 Schlagwortverzeichnis für die Arbeit mit den VSH-Karteien in den operativen Diensteinheiten BStU, MfS, BCD Nr. 3180, Bl. 31–43 (hier abgedruckt Bl. 31–36) Um die Informationen auf den VSH-Karten schneller einschätzen zu können, entwickelten die Auswerter Schlagwörter und Abkürzungen, die auf die Karteikarte aufgetragen oder aufgestempelt wurden. Sie sollten die einheitliche Informationsverarbeitung im MfS sichern, wie sie sie mit der DA 1/80 angestrebt wurde. Aus dem Anschreiben der ZAIG geht hervor, dass derartige Vereinheitlichungen ebenso dem bruchlosen Übergang zur elektronischen Informationsverarbeitung dienen sollten. Die Schlagwörter waren auch identisch mit den Sichtlochkarteien, die einen Überblick über alle Informationen oder Personen einer bestimmten Merkmalsgruppe liefern sollten. Insofern waren diese Schlagwörter mittelbar auch eine Hilfe für Statistiken oder Lageübersichten. Die ZAIG aktualisierte das Schlagwortverzeichnis für die VSH-Karteien offenbar in regel mäßigen Abständen. Hier liegt ein Exemplar vom 17.7.1989 vor.
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Anlage 3 Erfassungsvorgang bei der Aufnahme von Informationen zu Personen in die VSH-Kartei BStU, MfS, HA XX Nr. 19405, Bl. 156 (Das Schema wurde zum Zweck des Abdrucks nachgebildet.) Das Schema verdeutlicht im Sinne einer Handlungsanleitung die Alternativen einer operativen Diensteinheit im Umgang mit der VSH-Kartei bei neu aufkommenden personenbezogenen Informationen. Zeitlich einzuordnen ist das Entstehen des Schemas in einen Zeitraum zwischen Mitte und Ende der 1970erJahre, in den Kontext der Einführung der VSH. Der erste Schritt vor dem Zuordnen personenbezogener Informationen bestand in der Kontrolle der Erfassung der relevanten Person. War eine Person noch nicht erfasst, stand die Frage nach der zweckmäßigen Art der Erfassung. Die zur Verfügung stehenden Alternativen (VSH, Arbeitskartei, KK) zeigen, dass es sich bei dem Neuzugang nur um operativ niederrangige Informationen handeln konnte, die nicht zu einem registrierpflichtigen Vorgang oder unmittelbar zu geheimpolizeilichen Aktivitäten führen sollten. Konnte die Information einer bereits erfassten Person zugeordnet werden, sollte über das Integrieren der neuen Information in den bisherigen Bestand entschieden werden (Informationsverdichtung). Das vorgegebene Spektrum der Möglichkeiten bildeten VSH, Arbeitskartei, Aufwerten einer VSH-Erfassung durch den Informationszuwachs zu einer KK-Erfassung. War die Person nicht durch die eigene, sondern eine fremde Diensteinheit erfasst (Vorliegen einer F-402-Hinweiskarte), musste dieser die Information zugeleitet werden. Die Abkürzungen ZA und MA in den Schlusspositionen Materialablage des Schemas werden hier als Zentrale Ablage (der Diensteinheit) beziehungsweise Mitarbeiter-Ablage gedeutet. Der Erfassungsbegriff reduziert sich hier auf das Einordnen einer Karteikarte (F 401) in eine dezentrale Hinweiskartei. Er weicht damit vom Anlegen eines, Erfassen einer Person in einem regis trierpflichtigen Vorgang der Zentralkartei ab.
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Anlage 4 Ermittlungsbericht nach AKP-Beitrag BStU, MfS, AIM 5812/86, T. I/1, S. 55 f. Der MfS-Ermittlungsbericht vom Juli 1984 beruht auf den Angaben einer Auskunftsperson (AKP), hier einer Hausbuchführerin. Es ist selten, dass die Information einer Person zugeordnet werden kann, denn in der Regel wurden mehrere Personen befragt und das Ergebnis in einem Bericht festgehalten. Anders als bei inoffiziellen Mitarbeitern mussten die Quellen auch nicht in jedem Fall im Bericht ausgewiesen werden. Die Quellen sollten in der Regel über den Zweck der Fragen getäuscht werden, wie auch das MfS selbst unter einer Legende auftrat. Obwohl aus unterschiedlichem Anlass verfasst, ähnelten diese Auskunftsberichte einander. Im vorliegenden Beispiel stehen die Ermittlungen im Zusammenhang mit der beabsichtigten Anwerbung eines inoffiziellen Mitarbeiters durch die Abteilung XXII (Terrorabwehr). Aber die Ermittlungsberichte für Sicherheits- und andere Massenüberprüfungen waren ebenso aufgebaut. Charakteristisch sind Aussagen über offensichtliche Verhaltensweisen und Eigenschaften aus dem unmittelbaren Wohn- und Lebensumfeld der angefragten Person, die meist der eigenen Wahrnehmung entsprangen, aber auch durch vage Angaben (vom Hörensagen) und politisch klischeehaften Formeln (hier: 1945 in der VR Polen gelebt) ergänzt werden konnten. Grundinformationen zur abgefragten Person konnten bei diesen AKP zudem aus den Eintragungen im Hausbuch (Kontrollinstrument aus dem polizeilichen Melderecht) entnommen oder bei der Polizei abgefragt werden.
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Anlage 5 Konspirative Wohnungen im Ostberliner Bezirk Prenzlauer Berg BStU, MfS, Abt. XII, F 78 (Straßenkartei) Name der Straße
Dunckerstr.
Zahl der Wohnungen
22
Eberwalder Str.
5
Aalesunderstr.
1
Einsteinstr.
5
Ahlbeckerstr.
1
Erich-Boltze-Str.
Am Falkplatz
1
Erich-Weinert-Str.
Am Friedrichshain
9
Ernst-Fürsternberg-Str.
1
Angermünder Str.
1
Esmarchstr.
1
Anton-Saefkow-Str.
6
Eugen-Schönhaar-Str.
6
Arthur-Becker-Str.
1
Fehrbelliner Str.
7
Artur-Becker-Str.
17
Finnländische Str.
1
Gaudystr.
6
1 28
Belforter Str.
5
Berliner Str.
18
Georg-Blank-Str.
4
3
Gethsemanestr.
3
Bornholmer Str.
14
Glasbrennerstr.
Buchholzer Str.
4
Gleimstr.
Cantian Str.
3
Gneiststr.
3
Chodwieckstr.
7
Goethestr.
13
Choriner Str.
9
Göhrener Str.
8
Christburger Str.
7
Gotlandstr.
3
Christinenstr.
1
Greifenhagener Str.
4
Chrysanthemenstr.
3
Greifswalderstr.
Cohnstr.
1
Grellstr.
20
Gubitzstr.
20
Bernhard-L.Berg-Str.
Conrad-Blenkle-Str.
10
2 12
3
Cotheniusstr.
4
Gudvangerstr.
Czarnikauerstr.
5
Hagenauer Str.
Dänenstr.
4
Hanns-Eisler-Str.
20
Diedenhoferstr.
1
Hans-Beimler-Str.
26
Diesterwegstr.
1
Hans-Otto-Str.
10
Dietrich-Bonhoeffer-Str.
4
Heinz-Bartsch-Str.
4
Dimitroffstr.
48
Heinz-Kapelle-Str.
1
Driesener Str.
10
Hiddenseer Str.
5
3 3
396
Anhang
Hosemannstr.
7
Oderberger Str.
8
Hufelandstr.
10
Oderbruchstr.
2
Husemannstr.
4
Oleanderstr.
4
Immanuelkirchstr.
4
Olga-Benario-Str.
1
Isländische Str.
5
Ostseestr.
15
Jablonskistr.
2
Pappelallee
6
12
Pasteurstr.
3
Paul-Grasse-Str.
4
John-Schehr-Str. Kanzowstr. Kastanienallee
4 21
Paul-Robeson-Str.
8
Käthe-Niederkirchner-Str.
6
Pieskower Weg
Knaackstr.
6
Prenzlauer Allee
49
Kollwitzstr.
5
Prenzlauer Berg
12
Kolmarer Str.
1
Raabestr.
Kopenhagener Str.
18
Raumerstr.
Korsörer Str.
4
Rhinower Str.
Krügerstr.
8
Rietzstr.
Kuglerstr.
7
Rodenbergstr.
4
Rudi-Arndt-Str.
Küselstr. Leninallee
129
Rudolf-Schwarzer-Str.
11
2 10 3 8 13 2 11
Lettestr.
1
Rykestr.
5
Lewaldstr.
1
Scherenbergstr.
2
Liselotte-Hermann-Str.
4
Schieritzstr.
6
Lottumstr.
1
Schliemannstr.
8
Lychener Str.
6
Schneeglöckchenstr.
20
Maiglöckchenstr.
2
Schönhauser Allee
53
Malmöer Str.
2
Schwedter Str.
10
Mandelstr.
6
Seelower Str.
6
Margarete-Walter-Str.
1
Senefelderstr.
6
Marienburgerstr.
3
Sodtkestr.
7
Mendelssohnstr.
3
Sonnenburgerstr.
4
Metzerstr.
7
Sredskistr.
5
3
Stahlheimer Str.
Meyerheimstr. Michelangelostr.
18
Stargarder Str.
Mollstr.
7 12
62
Stedinger Weg
1
Mühlhauser Str.
1
Storkower Str.
31
Naugarder Str.
11
Straßburger Str.
3
Dokumentenanlage Stubbenkammerstr.
3
Sültstr.
8
Syringenweg
3
Tegnerstr.
1
Thaerstr. Thomas-Mann-Str.
3 26
Topsstr.
2
Trachtenbrodtstr.
5
Ückermünderstr.
2
Varnhagenstr.
8
Werner-Kube-Str. Wichertstr.
3 10
Winsstr.
10
Wisbyer Str.
24
Wörtherstr.
7
Ystader Str.
1
Zehdenicker Str.
2
Zelter Str.
6
Zionskirchstr.
8
1328
397
398
Anhang
Konspirative Wohnungen im Ostberliner Bezirk Lichtenberg Name der Straße Albert-Hößler-Str.
Zahl der Wohnungen 11
Eberhardstr.
2
Eduardstr.
2
Eggersdorfer Str.
6
Alfred-Jung-Str.
3
Eginhardstr.
1
Alfred-Kowalke-Str.
3
Egmontstr.
2
Alfredstr.
2
Ehrenfelsstr.
4
45
Ehrlichstraße
4
Am Stadtpark
2
Einbecker Str.
13
Am Tierpark
32
Allee der Kosmonauten
Andernacher Str. Anton-Saefkow-Platz
1 12
Eitelstr.
1
Elfriede-Tygör-Str.
4
Elli-Voigt-Str.
20
Arberstraße
2
Emanuelstr.
Archenholdstraße
5
Erich-Kurz-Str.
18
Archibaldweg
5
Erich-Kuttner-Str.
18
Arthur-Weisbrodt-Str.
9
Ernst-Reinke-Str.
5
Atzpodienstraße
2
Fanningerstr.
4
1
Baikalstraße
13
Frankfurter Allee
102
Balatonstraße
16
Franz-Jacob-Str.
13
Bernhard-Bästlein-Str.
14
Franz-Mett-Str.
16
Bopparder Str.
1
Friedenhorster Str.
1
Bornitzstr.
5
Friedrichsteiner Str.
4
Brehmstraße
5
Georg-Lehnig-Str.
7
Buggenhagenstraße
3
Gernotstr.
2
Bürgerheimstraße
7
Giselastr.
6
Cäsarstr.
4
Glaschkestr.
1
Charlottenstr.
5
Gotlindestr.
2
Coppistr.
4
Gregoroviusweg
3
Delbrückstraße
1
Grimnitzstr.
2
Deutschmeisterstr.
1
Gundelfingerstr.
9
Dietlinde Str.
2
Guntherstr.
2
Dolgenseestr.
48
Güntherstr.
1
Dorotheastr.
4
Gürtelstr.
16
Dottistr.
1
Hagenstr.
6
Drachenfelsstr.
2
Harnackstr.
14
Dokumentenanlage Hauptstr.
Loreleystr.
4
Hegemeisterweg
1
Löwenberger Str.
8
Heiligenberger Str.
1
Lückstr.
1
Heinrichstr.
7
Margaretenstr.
3
Hendrichplatz Hentigstr. Herbert-Tschäpe-Str. Herzbergstr.
16
399
11
Marie-Curie-Allee
13
5
Marksburgstr.
10
8
Marktstr.
1
Marzahner Chaussee
3
12
Hirschberger Str.
3
Massower Str.
8
Hohenschönhauser Str.
7
Maximilianstr.
8
Hoher Wallgraben
1
Mellenseestr.
Hönower Wiesenweg
1
Metastr.
Hönowerstr.
7
Moldaustr.
Hubertusstr.
6
Münsterlandstr.
3
Ilsestr.
6
Neuwieder Str.
3
Ingelheimerstr.
3
Nöldner Str.
2
Irenenstr.
4
Normannenstr.
3
Josef-Orlopp-Str.
2
Oderbruchstr.
2
Judith-Auer-Str.
8
Odinstr.
2
Junker-Jörg-Str.
1
Ortliebstr.
4
Karl-Lade-Str.
4
Oskarstr.
1
Karl-Vesper-Str.
6
Otto-Schmirgal-Str.
1
Kielblockstr.
1
Parkaue
1
Königswinterstr.
2
Paul-Gesche-Str.
11
Köpenicker Allee
4
Paul-Junius-Str.
17
Köpenicker Chaussee
1
Paul-Zobel-Str.
9
Köpitzer Str.
2
Pfarrstr.
1
Kötzingerstr.
1
Rathausstr.
Kriemhildstr.
3
Rheingoldstr.
Kubornstr.
2
Rhenser Weg
Kunzeweg
1
Rhinstr.
Kurze Str.
4
Riastr.
1
Leopoldstr.
5
Ribbecker Str.
3
Liepnitzstr.
1
Rienzistr.
1
Lincolnstr.
14
Robert-Siewert-Str.
1
2
Robert-Uhrig-Str.
8
Lisztstr.
39 3 16
19 5 2 20
400
Anhang
Rödelstr.
1
Tannhäuserstr.
2
Rolandseck
1
Traberweg
1
Rosenfelder Ring
35
Trautenauerstr.
2
Rosenfelder Str.
2
Üderseestr.
1
Roßmäßler Str.
5
Ursula-Götze-Str.
1
Rüdigerstr.
2
Volkerstr.
1
Rudolf-Grosse-Str.
5
Volkradstr.
29
Rudolf-Reusch-Str
2
Vulkanstr.
5
Rudolf-Seiffert-Str.
28
Waldowallee
9
Rummelsburger Str.
14
Walkürenstr.
2
Rupprechtstr.
10
Wallensteinstr.
1
Rutnikstr.
3
Wandlitzstr.
1
Sadowastr.
2
Weitlingstr.
20
Scheffelstr.
7
Wildensteiner Str.
1
Schottstr.
1
Wilhelm-Guddorf-Str.
9
Schulze-Boysen-Str.
25
Wönnichstr.
Schwarzmeerstr.
24
Wotanstr.
Siegfriedstr.
12
Zachertstr.
Skandinavische Str.
2
Sophienstr.
4
Spittastr.
1
Splanemannstr.
1
Stolzenfelsstr.
3
Storkower Str.
30
Stühlingerstr.
2
11 2 5 1307
Schreibweisen und Doppelungen von Straßennamen folgen der Karteilogik und unterlagen keiner nachträglichen Korrektur.