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German Pages 290 Year 2015
Schriften zum Völkerrecht Band 213
Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure gegenüber Binnenvertriebenen Der Fall Darfur
Von
Viola Teubert
Duncker & Humblot · Berlin
VIOLA TEUBERT
Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure gegenüber Binnenvertriebenen
Schriften zum Völkerrecht Band 213
Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure gegenüber Binnenvertriebenen Der Fall Darfur
Von
Viola Teubert
Duncker & Humblot · Berlin
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Der Fachbereich Rechtswissenschaft der Philipps-Universität Marburg hat diese Arbeit im Jahre 2013 als Dissertation angenommen.
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Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2013/2014 vom Fachbereich Rechtswissenschaften der Philipps-Universität Marburg als Dissertation angenommen. Am 23. April 2014 endete das Promotionsverfahren mit einer Disputation. Für die Veröffentlichung nahm ich geringfügige Änderungen vor und eine englische Zusammenfassung auf. Ereignisse in Darfur wurden bis Oktober 2013, Gesetzgebung, Rechtsprechung und Literatur wurden bis November 2013 berücksichtigt. Längst ist das Völkerrecht nicht mehr nur zwischenstaatliches Recht. Unter dem Eindruck des Weltgeschehens wandelte es sich vom eng staatenzentrierten, zum auch Individualgüter schützenden System. So sind heute rein nationale Sachverhalte wie durch interne bewaffnete Konflikte, allgemeine Gewalt und Menschenrechtsverletzungen herbeigeführte Binnenvertriebenensituationen Gegenstand des internationalen Rechts. Viele Menschen trugen zum Gelingen meiner Dissertation bei. Einigen möchte ich hier besonders danken. Herzlichster Dank gebührt zunächst meiner Doktormutter Frau Prof. Dr. Monika Böhm, die mich seit dem Studium begleitet und auf vielfältige Weise unterstützte. Offen und neugierig nahm sie die Betreuung meiner Dissertation an. Ihr Vertrauen in mich und mein Vorhaben gab mir alle Freiheiten. Auch die Zeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl von Frau Prof. Dr. Böhm werde ich als äußerst lehrreich und anregend in Erinnerung behalten. Für die Bereitschaft zur Übernahme und schnelle Anfertigung des Zweitgutachtens sowie einige wertvolle Hinweise danke ich Herrn Prof. Dr. Christoph Safferling. Mit Stipendien der Grund- und Graduiertenförderung ermöglichte mir die Friedrich-Ebert-Stiftung nicht nur einen raschen Studiums- und Promotionsabschluss, sondern auch diverse Auslandsaufenthalte. Vielen Dank. Erst durch Feldforschung in Uganda und im Südsudan bekam ich „ein Gefühl“ für meine Arbeit. Ich bedanke mich bei meinen Gesprächspartnern für ihre Offenheit und Ehrlichkeit und bei allen, die diese Reise sonst ermöglichten. Besonderer Dank gilt auch meinen Freunden; für ihre Korrekturarbeiten, vor allem aber ihre Kordialität. Schließlich sind meine Eltern und meine Schwester immer für mich da. Für ihre bedingungslose Unterstützung, ihr Vertrauen und Verständnis danke ich ihnen von Herzen. Frankfurt a.M., im Januar 2015
Viola Teubert
Inhaltsverzeichnis Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Stand der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Erstes Kapitel Begriffsbestimmungen A. Nichtstaatliche Gewaltakteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Definition: nichtstaatliche Gewaltakteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Völkerrechtssubjektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Internationale Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 3. Individuen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 4. Nichtstaatliche Gewaltakteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 a) Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 b) Nationale Befreiungsbewegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 c) Anerkennung als Kriegführende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 d) Anerkennung als Insurgenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 e) Anerkennung als legitime Repräsentanten eines Staates bzw. eines Volkes . 5. Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vom zwischenstaatlichen Krieg zur innerstaatlichen Gewalteskalation . . . . . . . . 1. Klassische Staatenkriege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Heutige Konflikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 a) Konfliktparteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 b) Konfliktursachen und -ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 c) Kampfmittel und -methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 aa) Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 bb) Vertreibungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 d) Konfliktbeendigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 3. Heutige Konflikte in Afrika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 B. Binnenvertriebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 I. Abgrenzung Binnenvertriebene – Flüchtlinge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 1. Flüchtlinge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 2. Binnenvertriebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
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Inhaltsverzeichnis II. Binnenvertriebene als Beschäftigungsgegenstand der Völkerrechtsgemeinschaft . 56 1. Anstieg der Binnenvertriebenenzahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 2. Wandel des Souveränitätsverständnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 III. Binnenvertriebene als eigenständige Kategorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 IV. Bereits existierende Binnenvertriebenendefinitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 1. Die Guiding Principles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 a) Entstehungsgeschichte und Grundkonzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 b) (Rechts-)Natur der Guiding Principles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 c) (Rechts-)Natur der Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 2. Die Kampala Convention und der Great Lakes Pact . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 a) Die Kampala Convention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 b) Der Great Lakes Pact . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 c) (Rechts-)Natur der Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 V. Die einzelnen Kriterien der Binnenvertriebenendefinition . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 1. Aufenthalt innerhalb nationaler Staatsgrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 2. Zwangselement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 a) Zwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 b) Urheber des Zwangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 3. Ursachen des Heimatverlassens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 a) Bewaffnete Konflikte, Situationen allgemeiner Gewalt, Menschenrechtsverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 aa) Internationale bewaffnete Konflikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 bb) Nichtinternationale bewaffnete Konflikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 cc) Innere Unruhen und Spannungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 dd) Situationen allgemeiner Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 ee) Menschenrechtsverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 b) Natürliche oder vom Menschen verursachte Katastrophen und Infrastrukturprojekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 c) Ökonomische Ursachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 4. Modalitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80
5. Beendigung und Ausschluss der Binnenvertriebeneneigenschaft . . . . . . . . . . . VI. Definition: Binnenvertriebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Die Beziehung zwischen nichtstaatlichen Gewaltakteuren und Binnenvertriebenen . . I. Gründe nichtstaatlicher Gewaltakteure für einen humanen Umgang mit der Zivilbevölkerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gründe nichtstaatlicher Gewaltakteure gegen einen humanen Umgang mit der Zivilbevölkerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
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Zweites Kapitel Der Darfur-Konflikt A. Darfur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Konfliktursachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ressourcenkonflikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Marginalisierung Darfurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Antagonismus zwischen Arabern und Afrikanern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Bürgerkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Genese des Konflikts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Konfliktparteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Regierungsseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 2. Opposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 a) Sudan Liberation Movement/Army . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 b) Justice and Equality Movement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 3. Sudan Liberation Movement/Army und Justice and Equality Movement als nichtstaatliche Gewaltakteure und Völkerrechtssubjekte . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 III. Beginn und Verlauf des Darfur-Konflikts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 IV. Handeln der Völkerrechtsgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 1. Friedensverhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 2. Die Vereinten Nationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 V. Der Darfur-Konflikt als typischer Konflikt heutiger Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 VI. Der Darfur-Konflikt als nichtinternationaler bewaffneter Konflikt . . . . . . . . . . . . 115 1. Flüchtlinge und Friedensverhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 2. Friedenstruppen der Vereinten Nationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 3. Unterstützung der Konfliktparteien durch dritte Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 4. Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 VII. Kampfführung der Konfliktparteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 1. Grundregeln des humanitären Völkerrechts zum Umgang mit der Zivilbevölkerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 2. Kampfführung der Regierungsseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 3. Kampfführung der Opposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 4. Binnenvertriebenensituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 a) Vertreibungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 b) Binnenvertriebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 c) Gründe der nichtstaatlichen Gewaltakteure für einen relativ humanen Umgang mit der Zivilbevölkerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 D. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127
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Inhaltsverzeichnis Drittes Kapitel Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure gegenüber Binnenvertriebenen
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A. Humanitäres Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 I. Vertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 1. Normativer Schutzrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 a) Vertreibungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 b) Rechte der Binnenvertriebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 2. Sudan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 3. Bindung nichtstaatlicher Gewaltakteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 a) Unmöglichkeit der Mitgestaltung von und des Beitritts zu Weltordnungsverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 b) Wortlaut des gemeinsamen Art. 3 Genfer Konventionen . . . . . . . . . . . . . . . 134 c) Bindung nach dem Prinzip der legislative jurisdiction . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 aa) Das Prinzip der legislative jurisdiction . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 bb) Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 (1) Keine Zustimmung der nichtstaatlichen Gewaltakteure erforderlich 136 (2) Bindung durch nationales Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 (3) Keine hierarchische Struktur zwischen Staaten und nichtstaatlichen Gewaltakteuren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 cc) Sudan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 d) Bindung kraft der Regeln Verträge Dritte betreffend . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 aa) Anwendbarkeit der Regeln Verträge Dritte betreffend auf nichtstaatliche Gewaltakteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 (1) Intention der Vertragsparteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 (2) Annahme der nichtstaatlichen Gewaltakteure . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 bb) Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 cc) Sudan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 e) Bindung kraft Regierungsübernahme, Sezession oder der Ausübung von de facto-Herrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 aa) Regierungsübernahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 bb) Sezession . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 cc) De facto-Herrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 dd) Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 (1) Unterschied zwischen Regierungsübernahme bzw. Sezession und de facto-Herrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 (2) Territorialkontrolle und Wille zur Staatsrepräsentation . . . . . . . . . . 145 (3) De facto-Herrschaft und humanitäres Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . 146 ee) Sudan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 f) Gesamtwürdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146
Inhaltsverzeichnis
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II. Völkergewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 1. Normativer Schutzrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 a) Vertreibungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 b) Rechte der Binnenvertriebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 2. Bindung nichtstaatlicher Gewaltakteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 3. Beitrag nichtstaatlicher Gewaltakteure zur Entstehung von Völkergewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 a) Entstehung von Völkergewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 b) Bisherige Berücksichtigung nichtstaatlicher Gewaltakteure bei der Untersuchung des Völkergewohnheitsrechtsbestands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 c) Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 4. Sudan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 B. Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 I. Normativer Schutzrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 1. Vertreibungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechte der Binnenvertriebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Notwendigkeit der Anwendung von Menschenrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beschränkter Anwendungsbereich des humanitären Völkerrechts . . . . . . . . . .
157 159 163 163
2. Eigener Regelungsbereich der Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 3. Überwachungs- und Durchsetzungsmechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Beschränkter Anwendungsbereich des Völkerstrafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verhältnis Menschenrechte und humanitäres Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Sudan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Bindung nichtstaatlicher Gewaltakteure an die Menschenrechte . . . . . . . . . . . . .
164 166 166 169 170
1. Menschenrechte als natürliche bzw. moralische Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 a) Überpositive und positive Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 b) Negative und positive Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 c) Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 2. Menschenrechte als Regelungsinstrument von Über-Unterordnungsverhältnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 a) Menschenrechte als Rechte des Bürgers gegenüber dem Staat . . . . . . . . . . 174 b) Nichtstaatliche Gewaltakteure als de facto-Regime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 c) Regierungsübernahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 d) Sudan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 e) Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 3. Nichtstaatliche Gewaltakteure in Menschenrechtsabkommen . . . . . . . . . . . . . 179 a) Klassische Menschenrechtsabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179
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Inhaltsverzeichnis b) Neuere Menschenrechtsabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 aa) Art. 4 Zusatzprotokoll Kinderrechtskonvention betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 (1) Keine unmittelbaren rechtlichen Verpflichtungen . . . . . . . . . . . . . . 184 (a) Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 (b) Art. 4 Abs. 2 Zusatzprotokoll Kinderrechtskonvention betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten . 185 (2) Unmittelbare rechtliche Verpflichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 (a) Art. 4 Abs. 3 Zusatzprotokoll Kinderrechtskonvention betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten . 185 (b) Gegenseitigkeit von Rechten und Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . 186 (c) Humanität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 (d) Praxis der Vereinten Nationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 bb) Die Guiding Principles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 (1) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 (2) Bindung nichtstaatlicher Gewaltakteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 cc) Die Kampala Convention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 (1) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 (2) Keine unmittelbaren rechtlichen Verpflichtungen . . . . . . . . . . . . . . 192 (3) Unmittelbare rechtliche Verpflichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 dd) Der Great Lakes Pact . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 c) Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 4. Praxis Internationaler Organisationen, Nichtregierungsorganisationen etc. . . . 195 a) Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 b) Sudan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 aa) Die Vereinten Nationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 bb) Sonstige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199
c) Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Gesamtwürdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Bi- bzw. multilaterale Abkommen und unilaterale Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Bi- und multilaterale Abkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
200 201 202 203
1. (Rechts-)Natur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 2. Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 a) Parteiautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 b) Wiener Vertragsrechtskonvention und Wiener Vertragsrechtskonvention betreffend Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen oder zwischen internationalen Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 c) Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 II. Unilaterale Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208
Inhaltsverzeichnis
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III. Sudan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 1. Bi- und multilaterale Abkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 a) Abkommen zwischen der sudanesischen Regierung und nichtstaatlichen Gewaltgruppierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 aa) Agreement on Humanitarian Ceasefire on the Conflict in Darfur und Protocol on the Establishment of Humanitarian Assistance . . . . . . . . . 210 bb) Protocol on the Enhancement of the Security Situation in Darfur und Protocol on the Improvement of the Humanitarian Situation . . . . . . . . 210 cc) Darfur Peace Agreement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 dd) Goodwill and Confidence-Building Agreement und Framework Agreement for the Resolution of the Conflict in Darfur . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 ee) Doha Document for Peace in Darfur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 b) Abkommen zwischen Internationalen Organisationen bzw. Nichtregierungsorganisationen und nichtstaatlichen Gewaltgruppierungen . . . . . . . . . 213 aa) Aktionspläne betreffend Kinder in bewaffneten Konflikten . . . . . . . . . 213 bb) Momorendum of Understanding Regarding the Protection of Children in Darfur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 cc) Deed of Commitment for Adherence to a Total Ban of Anti-Personnel Mines and for Cooperation in Mine Action . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 2. Unilaterale Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 a) Statement by the Opposition Movements . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 b) Joint Political Statement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 3. Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Gesamtwürdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Völkerstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs ratione materiae und ratione loci . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs ratione personae . . . . . . . . .
215 215 216 220 221
1. Völkerstrafrechtliche Verantwortung natürlicher Personen . . . . . . . . . . . . . . . . 221 a) Täterschaft und Teilnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 b) Vorgesetztenverantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 2. Völkerstrafrechtliche Verantwortung von Kollektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Binnenvertriebenensituationen und Völkerstrafrechtsverbrechen . . . . . . . . . . . . . 1. Völkermord . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
224 228 228 229
a) Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 b) Vertreibungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 2. Verbrechen gegen die Menschlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 a) Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 b) Vertreibungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 c) Andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die im Zusammenhang mit Binnenvertriebenensituationen eine Rolle spielen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238
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Inhaltsverzeichnis 3. Kriegsverbrechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 a) Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 b) Vertreibungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Andere Kriegsverbrechen, die im Zusammenhang mit Binnenvertriebenensituationen eine Rolle spielen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Sudan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Regierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
240 241 242 244
a) Prosecutor v. Kushayb and Harun . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 b) Prosecutor v. al-Bashir . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 c) Prosecutor v. Hussein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 2. Opposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 a) Prosecutor v. Abu Garda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 b) Prosecutor v. Nourein and Jerbo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 Viertes Kapitel Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick
250
A. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 B. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 Summary . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 I. Allgemeine Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 II. Auswahl an Berichten der Vereinten Nationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 1. Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 2. Binnenvertriebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 III. Darfur-Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 1. International Commission of Inquiry on Darfur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 2. Sicherheitsrat der Vereinten Nationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 3. Panel of Experts on the Sudan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 4. Bericht des Sonderbeauftragten der Vereinten Nationen für die Menschenrechte Binnenvertriebener . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 IV. Interviews . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288
Abkürzungsverzeichnis AEMR Afr. Aff. AI AMIS Am. J. Int’l L. Am. Soc’y Int’l L. insights Am. Soc’y Int’l L. Proc. Am. U. J. Int’l L. Am. U. J. Int’l L. & Pol’y Am. U. L. Rev. AöR APuZ ARSP AU AUPD Austrian Rev. Int’l & Europ. L. AVR Banjul-Charta BdiP BGBl. British Yb. Int’l L. Buffalo Hum. Rts. L. Rev. Case Western Reserve J. Int’l L. CCPR CESCR Crim. L. For. CRP DDPD Denver J. Int’l L. & Pol’y DPA Europ. J. Crime, Crim. L. & Crim. Just. Europ. J. Int’l Rel. FMR Fordham Int’l L. J. Georgetown Immigr. L. J. Georgia J. Int’l & Comp. L. German Yb. Int’l L.
Allgemeine Erklärung der Menschenrechte African Affairs Amnesty International African Union Mission in Sudan American Journal of International Law American Society of International Law insights American Society of International Law Proceedings American University Journal of International Law American University Journal of International Law and Policy American University Law Review Archiv des öffentlichen Rechts Aus Politik und Zeitgeschichte Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie African Union African Union High-Level Panel on Darfur Austrian Review of International and European Law Archiv für Völkerrecht Afrikanische Charta der Menschenrechte und der Rechte der Völker Blätter für deutsche und internationale Politik Bundesgesetzblatt British Yearbook of International Law Buffalo Human Rights Law Review Case Western Reserve Journal of International Law Covenant on Civil and Political Rights Committee on Economic, Social and Cultural Rights Criminal Law Forum Central Reserve Police Doha Document for Peace in Darfur Denver Journal of International Law and Policy Darfur Peace Agreement European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice European Journal of International Relations Forced Migration Review Fordham International Law Journal Georgetown Immigration Law Journal Georgia Journal of International and Comparative Law German Yearbook of International Law
16 GFK GK GoS Göttingen J. Int’l L. Great Lakes Pact Guiding Principles HAC Harv. Int’l L. J. HIIK HRC HRW HSBA Hum. Rts. & Int’l Legal Discourse Hum. Rts. Brief Hum. Rts. Q. HuV IACHR IASC ICGLR ICISS ICRC ICTR ICTY IDMC IDP IGH IKRK ILA ILC INC Int’l & Comp. L. Q. Int’l Aff. Int’l Community L. Rev. Int’l J. Hum. Rts. Int’l J. Refugee L. Int’l Legal Materials Int’l Peacekeeping Int’l Refugee Stud. IO IPbpR IPG IPwskR IRRC IStGH IWF
Abkürzungsverzeichnis Genfer Flüchtlingskonvention Genfer Konvention(en) Government of Sudan Göttingen Journal of International Law Pact on Security, Stability and Development in the Great Lakes Region Guiding Principles on Internal Displacement Humanitarian Aid Commission Harvard International Law Journal Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung Human Rights Committee Human Rights Watch Human Security Baseline Assessment Human Rights and International Legal Discourse Human Rights Brief Human Rights Quarterly Humanitäres Völkerrecht Inter-American Commission on Human Rights Inter-Agency Standing Committee International Conference of the Great Lakes Region International Commission on Intervention and State Sovereignty International Committee of the Red Cross International Criminal Tribunal for Rwanda International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia Internal Displacement Monitoring Centre Internally Displaced Person(s) Internationaler Gerichtshof Internationales Komitee vom Roten Kreuz International Law Association International Law Commission Interim National Constitution International and Comparative Law Quarterly International Affairs International Community Law Review International Journal of Human Rights International Journal of Refugee Law International Legal Materials International Peacekeeping International Refugee Studies Internationale Organisation(en) Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte Internationale Politik und Gesellschaft Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte International Review of the Red Cross Internationaler Strafgerichtshof Internationaler Währungsfond
Abkürzungsverzeichnis JA J. Afr. L. J. Confl. & Security L. JEM J. Hum. Rts. J. Int’l & Comp. L. J. Int’l Crim. Just. J. Internal Displ. JZ KAS-AI KritV Leiden J. Int’l L. LJM Manitoba L. J. MüKo NCP Netherl. Hum. Rts. Q. NIF NISS NRC NRO NStZ OAU PDF Philippine L. J. PVS R2P Refugee Surv. Q. SAF SCSL SIPRI Yb. SLM/A SPLM/A SPLM-North SRF StIGH TI UN UNAMID UNCHR UNHCR UNHRC UNICEF UNOCHA UNOHCHR
17
Juristische Ausbildung Journal of African Law Journal of Conflict and Security Law Justice and Equality Movement Journal of Human Rights Journal of International and Comparative Law Journal of International Criminal Justice Journal of Internal Displacement JuristenZeitung Konrad-Adenauer-Stiftung Auslandsinformationen Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft Leiden Journal of International Law Liberation and Justice Movement Manitoba Law Journal Münchener Kommentar National Congress Party Netherlands Human Rights Quarterly National Islamic Front National Intelligence and Security Services Norwegian Refugee Centre Nichtregierungsorganisation(en) Neue Zeitschrift für Strafrecht Organisation of African Unity Popular Defence Forces Philippine Law Journal Politische Vierteljahresschrift Responsibility to Protect Refugee Survey Quarterly Sudan Armed Forces Special Court for Sierra Leone Stockholm International Peace Research Institute Yearbook Sudan Liberation Movement/Army Sudan People’s Liberation Movement/Army Sudan People’s Liberation Movement-North Sudan Revolutionary Front Ständiger Internationaler Gerichtshof Transparency International United Nations United Nations African Mission in Darfur United Nations Commission on Human Rights United Nations High Commissioner for Refugees United Nations Human Rights Council United Nations Children’s Fund United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs United Nations Office of the High Commissioner for Human Rights
18 UNTS Vand. J. Transnat’l L. Virginia J. Int’l L. VN VN-Charta VRÜ VVDStRL Washington J. L. & Pol’y WVK WVKIO Yb. ILC Yb. Int’l Humanitarian L. ZaöRV ZfP ZIS ZP ZRP ZSE ZStW
Abkürzungsverzeichnis United Nations Treaty Series Vanderbilt Journal of Transnational Law Virginia Journal of International Law Vereinte Nationen Charta der Vereinten Nationen Verfassung und Recht in Übersee Veröffentlichungen der Vereinigungen der Deutschen Staatsrechtslehrer Washington Journal of Law and Policy Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen oder zwischen internationalen Organisationen Yearbook of the International Law Commission Yearbook of International Humanitarian Law Zeitschrift für ausländisches öffentliches und Völkerrecht Zeitschrift für Politik Zeitschrift für internationale Strafrechtsdogmatik Zusatzprotokoll Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für Staats- und Europawissenschaften Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft
Einführung I. Problemstellung In den vergangenen Jahren, Jahrzehnten lösten verschiedenste Formen nationaler Gewalt zwischenstaatliche Kriege weitgehend ab. Gekennzeichnet sind heutige Konflikte durch eine zunehmende Privatisierung, Kriminalisierung, den Anstieg ökonomischer Motive und Exklusion. Man streitet um Macht und Einfluss, die Verteilung von Land und Ressourcen innerhalb bestehender Staaten.1 Ansprüche werden auf Basis partikularer Interessen, insbesondere ethnischer2, religiöser oder sprachlicher Zugehörigkeit, erhoben, Gefolgschaften auf diese Weise begründet.3 Rückführbar ist diese „Politik der Identität“4 vor allem auf die geringe Effektivität und Legitimität mancher Regierungen. Dabei bedingt die zentrale und immer zentralere Bedeutung homogener Gruppen den Niedergang des Staates weiter5 : Ein circulus vitiosus entsteht. Heute geht wohl die größere Bedrohung für den Weltfrieden, die internationale Sicherheit und Stabilität von der Schwäche, nicht der Stärke vieler Staaten aus.6 Statt finden die Auseinandersetzungen überwiegend auf dem Territorium nur eines Staates.7 Sie werden zwischen regulären Streitkräften und substaatlichen Be1 Hippler, in: ders. et al. (Hrsg.), Friedensgutachten 2009, S. 32 (38); siehe auch Lehmler, Die Strafbarkeit von Vertreibungen aus ethnischen Gründen im bewaffneten nicht-internationalen Konflikt, S. 18. 2 Ethnien sind nach dem Afrika-Lexikon „familienübergreifende Gruppen, die sich selbst eine kollektive Identität zuschreiben und/oder von außen als Gruppe definiert werden“, Lentz, in: Mabe (Hrsg.), Afrika-Lexikon, S. 161. 3 Kaldor, Neue und alte Kriege, S. 23 f. 4 Kaldor, Neue und alte Kriege, S. 23 f.; ausführlich S. 131 ff. 5 Brechen die staatlichen Strukturen gänzlich zusammen, spricht man auch von failed state, gescheitertem Staat, also einem Staat, dessen Regierungs-, Verwaltungs- und Justizstrukturen weitgehend funktionsunfähig sind. Die Staatseigenschaft ist aber so lange anzunehmen, wie Aussicht auf Wiedererlangung von Staatsgewalt besteht, Schweisfurth, Völkerrecht, S. 22 f., Rn. 72 f. 6 Gunkel, Herstellung geordneter Staatlichkeit in Nachkonfliktsituationen, S. 1. 7 Das Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung (HIIK) zählte 2012 weltweit 396 Konflikte. Hiervon wurden 314 innerstaatlich ausgetragen. Definiert wird der „political conflict“ vom HIIK als „a positional difference, regarding values relevant to a society (the conflict items), between at least two decisive and directly involved actors, which is being carried out using observable and interrelated conflict measures that lie outside established regulatory procedures and threaten core state functions, the international order or hold out the prospect to do so“, HIIK, Conflict Barometer 2012, S. 121.
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wegungen oder Letzteren untereinander ausgetragen. Das Opfer ist jedoch meist die Zivilbevölkerung. 80 bis 90 % der Getöteten und Verletzten sind heute Zivilisten.8 In ihrer Mitte, um und gegen sie werden die Gefechte geführt. Angriffe richten sich entweder primär gegen den Kampfgegner, treffen das gemeine Volk aber mittelbar, oder zielen gar unmittelbar auf Zivilpersonen. Um der Gewalt zu entgehen, sind die Menschen oft zur Flucht aus ihrer Heimat gezwungen. Vertreibungen werden auch als Kampfstrategie eingesetzt.9 Heimat bedeutet Familie und Gemeinschaft, Sicherheit und Geborgenheit.10 Mit ihr fühlt sich der Einzelne verbunden, sei es, weil er hier geboren wurde, für einige Zeit lebte, prägende Erfahrungen machte. Gleich, wo jemand unterkommt, hat die Vertreibung verheerende Auswirkungen auf sein Leben: Er ist seines Milieus, seiner Lebensgrundlage und häufig auch seiner Würde beraubt. Essenz jeder Vertreibung ist die Zerstörung des zwischen Mensch und Heimat bestehenden Bandes.11 Die vorliegende Arbeit versteht den Begriff „Vertreibung“ weit. Er umfasst hier alle mit Zwang (sandrohung) erwirkten Verbringungen natürlicher Personen oder Personengruppen aus ihrer Heimat.12 Etwa die Flucht, Deportationen, Umsiedlungen und Räumungen fallen hierunter.13 Wer innerhalb der Grenzen seines Nationalstaats bleibt, wird als Binnenvertriebener oder -flüchtling14 bezeichnet. Dagegen verlassen Flüchtlinge ihr Heimatland und suchen Zuflucht in einem anderen Staat. Während ihr Ausmaß seit Mitte der 90er Jahre konstant zwischen 13 und 17 Millionen lag, stieg die Zahl der aufgrund be8 Münkler, Die neuen Kriege, S. 28; zu Konflikten in Afrika Kidane, in: Vand. J. Transnat’l L. 2011, S. 1 (10); siehe auch S/RES/1894, 1. November 2009. Jan Egeland, ehemaliger Vizegeneralsekretär für humanitäre Angelegenheiten und Koordinator für Nothilfe bei den Vereinten Nationen (VN), 2005 über (afrikanische) Konflikte: „It’s much more dangerous to be a civilian in these wars than to be a soldier“, zitiert nach Hoge, U.N. Relief Official Condems Use of Rape in African Wars. 9 Gillard, in: Refugee Surv. Q. 3/2005, S. 37 (37); Mooney, in: Refugee Surv. Q. 3/2005, S. 9 (15); vgl. Lavoyer, in: Bayefsky/Fitzpatrick (Hrsg.), Human Rights and Forced Displacement, S. 50 (58). 10 Vgl. Nuscheler, Internationale Migration, S. 45; zum Heimatbegriff siehe auch Blumenwitz, in: ders. (Hrsg.), Flucht und Vertreibung, S. 3 (5 ff.). 11 Lehmler, Die Strafbarkeit von Vertreibungen aus ethnischen Gründen im bewaffneten nicht-internationalen Konflikt, S. 57. 12 Ähnlich Triffterer, in: Blumenwitz (Hrsg.), Flucht und Vertreibung, S. 259 (264); Stavropoulou, in: Am. U. J. Int’l L. & Pol’y 1994, S. 689 (691, 742). 13 Allgemeine rechtliche Definitionen dieser Begriffe existieren nicht, exakte Zuordnungen einzelner Maßnahmen sind kaum möglich, Lehmler, Die Strafbarkeit von Vertreibungen aus ethnischen Gründen im bewaffneten nicht-internationalen Konflikt, S. 66; Münch, in: Blumenwitz (Hrsg.), Flucht und Vertreibung, S. 113 (129 f.); und zu einzelnen Begriffen Blumenwitz, in: ders. (Hrsg.), Flucht und Vertreibung, S. 3 (10 ff.); Lehmler, Die Strafbarkeit von Vertreibungen aus ethnischen Gründen im bewaffneten nicht-internationalen Konflikt, S. 59 ff.; Münch, in: Blumenwitz (Hrsg.), Flucht und Vertreibung, S. 113 ff.; Krülle, in: Zieger/ Meissner/Blumenwitz (Hrsg.), FS Czaja, S. 43 (44 ff.). 14 Im Englischen: Internally Displaced Persons (IDPs).
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waffneter Konflikte, allgemeiner Gewalt oder Menschenrechtsverletzungen intern Vertriebenen in diesem Zeitraum von etwa 17 auf 28,8 Millionen Ende 2012.15 Allein in Afrika südlich der Sahara leben fast elf Millionen Menschen fern ihrer Heimat, jedoch innerhalb der nationalen Landesgrenzen.16 Hiervon beheimatet der Sudan 2,2 Millionen Binnenvertriebene. Der Großteil von ihnen floh vor kriegerischen Auseinandersetzungen in den Darfur-Staaten, in Süd-Kordofan, Blauer Nil und der Grenzregion zum Südsudan, Abyei.17 Außerdem führten extreme Wetterverhältnisse wie Überschwemmungen, lange Trockenperioden und Dürren, aber auch Erdbeben und Wirbelstürme zu weltweiten Wanderbewegungen. 2012 flohen 32,4 Millionen Menschen vor Naturkatastrophen und deren Folgen.18 Die tatsächliche, die humanitäre Lage von Flüchtlingen und Binnenvertriebenen mag vergleichbar sein. Doch bedürfen Erstere wegen des Aufenthalts außerhalb ihres Landes eines besonderen (rechtlichen) Schutzes und Status. Indes unterfallen intern Vertriebene aufgrund ihres Verbleibs im Herkunftsstaat weiterhin dessen Rechts- und damit auch Schutz- und Hilfssystem, sodass entsprechend des Souveränitätsprinzips primär dieser für sie verantwortlich ist.19 Souveränität, die Fähigkeit zum autonomen Handeln, wirkt nach außen wie innen: Sie bestimmt die Eigenständigkeit des Staates im Verhältnis zu anderen Staaten und Internationalen Organisationen (IO) sowie die Unantastbarkeit seines nationalen Bereichs.20 Die domain réservé eines Staates umfasst seine politische, wirtschaftliche und soziale Ausrichtung sowie das Verhältnis zu seinen Bürgern.21 15 Internal Displacement Monitoring Centre (IDMC)/Norwegian Refugee Centre (NRC), Global Overview 2012. People Internally Displaced by Conflict and Violence, Schaubild S. 11; allgemein zu den aktuellen IDP-Zahlen IDMC/NRC, Global Overview 2012. People Internally Displaced by Conflict and Violence. 16 IDMC/NRC, Global Overview 2012. People Internally Displaced by Conflict and Violence, S. 9, 15. 17 IDMC/NRC, Global Overview 2012. People Internally Displaced by Conflict and Violence, S. 31. 18 IDMC/NRC, Global Estimates 2012. People Displaced by Diaster, S. 6. Erfasst ist „disaster-induced displacement associated with hazards that rapidly impact communities or are experienced as sudden triggers to forced movement. These include both weather hazards, such as floods, storms and wildfires, and geophysical hazards, such as earthquakes and volcanic eruptions“, IDMC/NRC, Global Estimates 2012. People Displaced by Diaster, S. 9. 19 Geißler, Der völkerrechtliche Schutz der Internally Displaced Persons, S. 165; Phuong, The International Protection of Internally Displaced Persons, S. 13 ff. und 208 ff. 20 Oeter, in: Cremer et al. (Hrsg.), FS Steinberger, S. 259 (263 f.); vgl. Hobe, Völkerrecht, S. 39 f. 21 Internationaler Gerichtshof (IGH), Military and Paramilitary Activities In and Against Nicaragua (Nicaragua v. United States of America), Merits, 27. Juni 1986, ICJ Reports 1986, 14, Rn. 205; Declaration of Principles of International Law Concerning Friendly Relations and Co-operation Among States in Accordance With the Charter of the United Nations (im Folgenden: Friendly Relations Deklaration), A/RES/2625 (XXV), 24. Oktober 1970. Die Einmischung eines Völkerrechtssubjekts in die inneren Angelegenheiten eines Staates kann dessen Souveränität verletzen. Im Verhältnis der Staaten untereinander ist das Interventionsverbot,
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Wenn so zwar jedem Staat ein eigener Wirkkreis verbleibt, gibt der Raison d’Être des Staates doch zumindest die Richtung dessen Ausfüllung vor: Dem Volk sind Freiheit und Frieden zu sichern. Jedem muss ein Freiraum verbleiben, aber ebenso muss jeder Sicherheit, Schutz und Hilfe erhalten.22 Seit einiger Zeit wird dieser grundlegende Gedanke unter der Losung Responsibility to Protect (R2P) diskutiert.23 Hiernach soll ein – auch militärisches – Vorgehen internationaler Akteure gegen den sich als unfähig oder unwillens zur Schutzund Hilfsgewähr erweisenden Staat bei Vorliegen von „serious harm, as a result of wenn auch mit unscharfen Konturen, völkergewohnheitsrechtlich anerkannt, Schweisfurth, Völkerrecht, S. 354 ff., Rn. 259 ff.; IGH, Military and Paramilitary Activities In and Against Nicaragua (Nicaragua v. United States of America), Merits, 27. Juni 1986, ICJ Reports 1986, 14, Rn. 202 ff. Positiv rechtlich ist es etwa Art. 2 Abs. 1 Charta der Vereinten Nationen (VNCharta) vom 26. Juni 1945, in der Fassung des Beschlusses der VN-Generalversammlung vom 20. Dezember 1963, in Kraft getreten am 12. Juni 1968, BGBl. 1973 II 431, BGBl. 1974 II 769, UNTS Vol. 557, 143, Prinzip der souveränen Gleichheit aller Staaten, und der Friendly Relations Deklaration zu entnehmen. Im Verhältnis der VN zu ihren Mitgliedstaaten regelt Art. 2 Abs. 7 VN-Charta das Nichteinmischungsgebot. 22 Siehe Deng et al. (Hrsg.), Sovereignty as Responsibility, S. xviii ff.; Glanville, in: Europ. J. In’l Rel. 2011, S. 233 (insbes. 237 ff.); Kirchhof, Der Staat als Garant und Gegner der Freiheit, S. 47 f.; Randelzhofer, in: ZfP 1971, S. 237 (240); ausführlich zu den Aufgaben des Staates Herzog, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. IV, § 72, S. 81 ff.; und Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. IV, § 73, S. 117 ff.; der ehemalige VN-Generalsekretär Kofi Annan in einer Rede vor der Generalversammlung: „The State is now widely understood to be the servant of its people, and not vice versa“, Press Release SG/SM/7136, GA/9596, 20. September 1999. Schon nach Hobbes übertragen die Menschen einen Teil ihrer Freiheit mittels Gesellschaftsvertrag auf den Staat, damit dieser den Einzelnen vor den anderen schützt. Der das Gewaltmonopol besitzende Staat habe den Naturzustand des Kampfes aller gegen alle (bellum omnium contra omnes) zu beenden, für Sicherheit und Ordnung innerhalb seines Herrschaftsgebiets zu sorgen, Hobbes, Leviathan, Kapitel XVII. Locke verlangte darüber hinaus, dass der Staat seine Bürger auch vor staatlicher Willkür schützt, Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung, S. 207 f., 278 ff., 286 ff. 23 Siehe Annan, The Question of Intervention; Deng et al. (Hrsg.), Sovereignty as Responsibility; International Commission on Intervention and State Sovereignty (ICISS), The Responsibility to Protect. Die Idee der Responsibility to Protect wurde im September 2005 vom VN-Weltgipfel aufgenommen, VN, 2005 World Summit Outcome (im Folgenden: World Summit 2005), A/RES/60/1, 24. Oktober 2005, Rn. 138 f.; vgl. auch S/RES/1674, 28. April 2006. Bereits 2000 fand die Idee Eingang in die Verfassung der Afrikanischen Union (AU Verfassung) vom 7. November 2000, in Kraft getreten am 26. Mai 2001: gemäß Art. 4 lit. h) AU Verfassung besteht „the right of the Union to intervene in a Member State pursuant to a decision of the Assembly in respect of grave circumstances, namely: war crimes, genocide and crimes against humanity.“ Die AU löste 2001 die Organization for African Unity (OAU, Organisation für Afrikanische Einheit) als Nachfolgeeinrichtung ab. Siehe auch Art. 8 Abs. 1 African Union Convention for the Protection and Assistance of Internally Displaced Persons in Africa (nach ihrem Verabschiedungsort als Kampala Convention bezeichnet) vom 23. Oktober 2009, in Kraft getreten am 6. Dezember 2012, der auf Art. 4 lit. h) AU Verfassung verweist. Zum Zusammenhang zwischen Binnenvertriebenen und der R2P siehe Hollenbach, in: ders. (Hrsg.), Refugee Rights, Ethics, Advocacy, and Africa, S. 177 ff.
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internal war, insurgency, repression or state failure“24 bzw. völkerstrafrechtlichen Verbrechen25 möglich sein, die Souveränität gerade unversehrt lassen.26 Das StaatBürgerverhältnis wird dann von der nationalen auf die internationale Ebene gehoben. Verletzt der Staat seine genuinen Pflichten, muss die Völkerrechtsgemeinschaft, namentlich dritte Staaten, Einrichtungen wie die Vereinten Nationen (VN), das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) und Nichtregierungsorganisationen (NRO), einschreiten. Der Begriff „Völkerrechtsgemeinschaft“ ist für die vorliegende Arbeit, wie der der „internationalen Gemeinschaft“, weit zu verstehen. Umfasst ist die Gesamtheit aller staatlichen und nichtstaatlichen, auf internationaler Ebene aktiven Akteure. Dabei meint „Gemeinschaft“, dass das Völkerrecht keine allein aus einzelnen Rechtsbeziehungen bestehende, sondern vielmehr eine auch gemeinsame transnationale Interessen verfolgende Ordnung ist.27 Gerade wenn es zu Fluchtbewegungen kommt, will bzw. kann der Staat seiner Verantwortung gegenüber dem Volk oftmals nicht in ausreichendem Maß nachkommen. Bisweilen ist er (Mit-)Verursacher der Menschenwanderungen, verfügt über unzureichende Kapazitäten, kämpft gar selbst ums Überleben oder erreicht die Bedürftigen nicht, weil sie sich in von der Opposition besetzten Gebieten befinden.28 So erhalten viele Binnenflüchtlinge tatsächlich kaum Unterstützung von ihrem Staat. Von den etwa 27 Millionen Binnenvertriebenen weltweit erhielten 2007 etwa 11,3 Millionen Menschen keine (ausreichende) Unterstützung von ihrem Heimatstaat. 9,3 Millionen Menschen lebten in einem Staat, der ihren Bedürfnissen gleichgültig oder gar feindlich gegenüber steht.29 Zur Verhinderung von Schutzlücken sind dann weitere Akteure der internationalen Gemeinschaft in die Verantwortung zu nehmen.30 Gleichwohl wird der Hei24 ICISS, The Responsibility to Protect, S. XI; zu den weiteren Voraussetzungen ICISS, The Responsibility to Protect, S. XI ff. 25 VN, World Summit 2005, Rn. 139; Art. 4 lit. h) AU Verfassung und Art. 8 Abs. 1 Kampala Convention. 26 Brock, in: Fischer-Lescano et al. (Hrsg.), FS Bode, S. 19 (27); Stein/von Buttlar, Völkerrecht, S. 184, Rn. 519a, S. 298, Rn. 823a. 27 Siehe Schweisfurth, Völkerrecht, S. 52 f., Rn. 173. 28 Vgl. Lee, in: J. Int’l & Comp. L. 1997, S. 529 (529 f.); Zeender, in: Refugee Surv. Q. 3/ 2005, S. 96 (97). 29 IDMC/NRC, Internal Displacement. Global Overview of Trends and Developments in 2007, S. 6. 30 Aber gerade in Konfliktsituationen sind viele Staaten nicht bereit, fremde Staaten, Internationale Organisationen (IO) oder Nichtregierungsorganisationen (NRO) zur Schutz- und Hilfeleistung in ihr Land zu lassen, befürchten sie doch, dass hierdurch ihre eigene Autorität untergraben und der Gegner gestärkt würde, Cohen/Deng, Masses in Flight, S. 7. Und gerade wenn die Vertriebenen die Opposition unterstützen oder als deren Unterstützer wahrgenommen werden, hat der Heimatstaat kein Interesse daran, dass die Menschen Schutz und Hilfe erhalten, Phuong, The International Protection of Internally Displaced Persons, S. 211. Fraglich ist dann, ob die Völkerrechtsgemeinschaft gleichwohl ein Recht, gar die Pflicht zur Schutz- und Hilfeleistung hat, ausführlich hierzu Barber, in: IRRC 2009, S. 371 ff.; Luopajärvi, in: Int’l J. Refugee L. 2003, S. 678 ff.
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matstaat hierdurch nicht von seinen Aufgaben entlassen. Anderes wäre aus rechtlichen, politischen, praktischen wie auch moralischen Gründen inakzeptabel.31 Die vorliegende Arbeit konzentriert sich auf nichtstaatliche Gewaltakteure32 als Verpflichtete des Völkerrechts. Ihre Rolle im Rahmen von Auseinandersetzungen ist dabei ambivalenter als es auf den ersten Blick scheint. Illustriert wird dies hier am Beispiel des Darfur-Konflikts. Als sein Beginn gelten Überfälle bewaffneter Gruppierungen auf Einrichtungen und Bedienstete des sudanesischen Staates im Frühjahr 2003. Seitdem kämpfen staatliche und substaatliche Verbände in den westsudanesischen Darfur-Provinzen um die Verteilung von Macht und Ressourcen. Hiervon betroffen sind aber vor allem Zivilpersonen. Immer wieder richten sich die Angriffe der Armee und ihrer Milizen statt gegen die Aufständischen gegen das gemeine Volk, außerdem leiden die Zivilisten allgemein unter den Feindseligkeiten. Um der Gewalt zu entgehen flohen bisher über drei Millionen Menschen aus ihrer Heimat.33 Ende 2012 sind noch immer 1,7 Millionen intern vertrieben.34 Unterstützung von der Regierung Sudans erhalten sie kaum. Stattdessen bemühen sich gerade die nichtstaatlichen Bewegungen um die Menschen.
II. Stand der Forschung Völkerrecht muss wie jede Rechtsordnung tatsächliche Entwicklungen an- und aufnehmen, will es weiter universal gelten; misst sich die Effektivität und Legitimität von Recht doch stets an der Wirklichkeit.35 So dient das traditionell staatenfixierte Völkerrecht heute auch Individual- und Gruppeninteressen. Dass natürliche Personen und Personengruppen mit eigenen internationalen Rechten ausgestattet sind, wird namentlich im Bereich der Menschenrechte, des humanitären Völkerrechts und des Fremden-, speziell des Flüchtlingsrechts deutlich. Die den Binnenvertriebenen zustehenden Rechte entstammen den genannten Normkomplexen. Natürliche Personen(gruppen) sind aber nicht nur Berechtigte, sondern ebenso Verpflichtete internationalen Rechts. Heute regelt das Völkerrecht dann auch rein nationale Sachlagen wie Binnenflüchtlingssituationen, die durch staateninterne Auseinandersetzungen zwischen staatlichen und/oder nichtstaatlichen Akteuren verursacht werden. 31
Phuong, The International Protection of Internally Displaced Persons, S. 208. Im Englischen meist: Armed Non-State Actors (ANSA) oder Armed Non-State Groups (ANSG). 33 IDMC/NRC, Global Overview 2012. People Internally Displaced by Conflict and Violence, S. 31; United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (UNOCHA) (Hrsg.), Sudan. UN and Partners Work Plan 2013, S. 8. 34 UNOCHA (Hrsg.), Sudan. UN and Partners Work Plan 2013, S. 8; 1,4 Millionen Binnenvertriebene erhielten 2012 Unterstützung von UNOCHA, UNOCHA (Hrsg.), Sudan. UN and Partners Work Plan 2013, S. 9; für Binnenvertriebenenzahlen siehe auch IDMC/NRC, Global Overview 2012. People Internally Displaced by Conflict and Violence, S. 31. 35 Lange, Der Status der Aufständischen im modernen humanitären Völkerrecht, S. 6. 32
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Zwar existieren Abhandlungen über die völkerrechtlichen Pflichten bewaffneter Gruppierungen36, das Vertreibungsverbot37 und die Rechte der Binnenflüchtlinge.38 Aber obwohl substaatliche Konfliktparteien regelmäßig (Mit-)Auslöser von Fluchtbewegungen sind und auf die Menschen während ihres Aufenthalts fern der Heimat einwirken, wurden ihre Beziehungen zueinander bisher nur oberflächlich erörtert.39 Durch die umfassende Untersuchung der Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure gegenüber Binnenvertriebenen mit Blick auf das internationale und regionale, afrikanische Recht wird eine Lücke in der rechtswissenschaftlichen Literatur geschlossen und zugleich ein Beitrag zur Fortentwicklung des Völkerrechts geleistet. Verschiedene Wissenschaftsdisziplinen beschäftigten sich mit dem DarfurKonflikt. Im Mittelpunkt der rechtlichen Diskussion stehen das Engagement und die Handlungsmöglichkeiten der Völkerrechtsgemeinschaft40, speziell die Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH)41, und Probleme des Staats(wieder) aufbaus in einer Postkonfliktsituation.42 Dabei liegt der Schwerpunkt auf den von staatlicher Seite begangenen Gräueltaten. Das Verhalten der bewaffneten Oppositionsbewegungen wird nur am Rande behandelt. Hier steht es im Vordergrund.
36 Siehe etwa de Beco, in: HuV 2005, S. 190 ff.; Clapham, The Rights and Responsibilities of Armed Non-State Actors; ders., Human Rights Obligations of Non-State Actors; ders., in: IRRC 2006, S. 491 ff.; Kleffner, in: IRRC 2011, S. 443 ff.; Ryngaert, in: Noortmann/Ryngaert (Hrsg.), Non-State Actor Dynamics in International Law, S. 69 ff.; ders., in: Revue Belge de Droit International 2008, S. 355 ff.; Schoiswohl, Status and (Human Rights) Obligations of Non-Recognized De Facto Regimes in International Law; Tomuschat, in: Fischer et al. (Hrsg.), FS Fleck, S. 573 ff.; Zegveld, Accountability of Armed Opposition Groups in International Law; dies., in: College of Europe/International Committee of the Red Cross (ICRC) (Hrsg.), Relevance of International Humanitarian Law to Non-State Actors, S. 153 ff. 37 Siehe etwa Lehmler, Die Strafbarkeit von Vertreibungen aus ethnischen Gründen im bewaffneten nicht-internationalen Konflikt; Stavropoulou, in: Am. U. J. Int’l L. & Pol’y 1994, S. 689 ff. 38 Siehe etwa Cohen/Deng, Masses in Flight, S. 73 ff.; Geißler, Der völkerrechtliche Schutz der Internally Displaced Persons, S. 59 ff.; Phuong, The International Protection of Internally Displaced Persons, S. 39 ff. 39 Siehe etwa Bellal/Giacca/Casey-Maslen, in: FMR 37/2011, S. 4 ff.; Zeender, in: Refugee Surv. Q. 3/2005, S. 96 ff. 40 Siehe etwa Grzyb (Hrsg.), The World and Darfur; Posor, Der Darfur-Konflikt und seine Auswirkungen auf die internationale Staatengemeinschaft. 41 Zur Sicherheitsratüberweisung des Darfur-Konflikts an den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) siehe etwa Cryer, in: Leiden J. Int’l L. 2006, S. 195 ff.; Happold, in: Int’l & Comp. L. Q. 2006, S. 226 ff.; zum Haftbefehl gegen den amtierenden sudanesischen Präsidenten al-Bashir siehe etwa Blommestijn/Ryngaert, in: ZIS 2010, S. 428 ff.; Burghardt/Geneuss, in: ZIS 2009, S. 126 ff.; Kreicker, in: HuV 2008, S. 157 ff.; siehe auch die Sonderausgabe des J. Int’l Crim. Just. 2008, S. 829 ff. 42 Siehe etwa Gunkel, Herstellung geordneter Staatlichkeit in Nachkonfliktsituationen.
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III. Gang der Untersuchung In einem ersten Schritt werden die Begriffe „nichtstaatliche Gewaltakteure“ und „Binnenvertriebene“ für die vorliegende Arbeit festgelegt. Zunächst machen die vielfältigen Erscheinungsformen gewaltsamer Gruppen eine Arbeitsdefinition nötig. Außerdem wird die Frage nach der Völkerrechtssubjektivität nichtstaatlicher Gewaltakteure beantwortet und ihre Rolle im Rahmen heutiger Konflikte beleuchtet. Allein zu klären, welche Voraussetzungen vorliegen müssen, damit eine Person als Binnenflüchtling gilt, besagt dann noch nichts darüber, ob intern Vertriebene überhaupt Gegenstand internationaler Regeln sein und eine eigenständige, gar rechtliche Kategorie bilden können oder sollen. Auch dem wird nachgegangen. Es schließt sich eine Darstellung des hier als Beispielfall behandelten DarfurKonflikts, vor allem seiner Ursachen und Genese, schließlich seines Verlaufs, der Kampfparteien und deren Verhältnis zur Zivilbevölkerung, an. Auch im Weiteren wird immer wieder Bezug auf diesen Bürgerkrieg genommen. Umfassend untersucht werden dann die Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure gegenüber Binnenflüchtlingen wie sie sich aus internationalem und regionalem, speziell afrikanischem Recht ergeben. Im Rahmen dieser Arbeit meint „internationales Recht“ dasjenige Recht, das auf eine universale Verbreitung gerichtet ist, und „regionales Recht“ dasjenige Recht, dessen Verbreitung auf eine bestimmte Region, regelmäßig einen Kontinent, gerichtet ist. Das humanitäre Völkerrecht, die Menschenrechte und das Völkerstrafrecht sind diejenigen Rechtsordnungen, deren Verletzungen Fluchtbewegungen auslösen und die für die Geflohenen eine Rolle spielen. Zudem untersagen die Regelwerke grundsätzlich Vertreibungen als solche. Gerade dieser multiple normative Schutzrahmen macht die Binnenvertriebenen zu einem spannenden Beschäftigungsgegenstand. Das humanitäre Völkerrecht, auch als Kriegs(völker)recht bezeichnet, regelt die Mittel und Methoden der Kampfführung, insbesondere den Schutz der nicht (mehr) an den Feindseligkeiten Teilnehmenden43, sog. ius in bello. Es erstrebt einen Ausgleich zwischen militärischen und humanitären Interessen.44 Grundlage der Menschenrechte ist die naturrechtliche Konzeption, dass jeder Person, allein ob ihres Menschseins, gleiche, unteilbare und unveräußerliche Rechte zum Schutze ihrer Würde und Freiheit sowie zur Erfüllung ihrer Basisbedürfnisse zustehen.45 Die 43
Gasser/Melzer, Humanitäres Völkerrecht, S. 3; vgl. Doswald-Beck/Vité, in: IRRC 1993, S. 94 (105). Wegbereiter für das heutige, auf dem Humanitätsgedanken basierende Kriegsrecht war die 1801 erlassene Rousseau-Portalis-Doktrin, welche den Krieg als ausschließliche Rechtsbeziehung zwischen Staaten bestimmte, siehe Gasser/Melzer, Humanitäres Völkerrecht, S. 37. 44 Doswald-Beck/Vité, in: IRRC 1993, S. 94 (98); Kellenberger, Humanitäres Völkerrecht, S. 9. 45 Nach der Naturrechtslehre ist Recht durch Gott, die Natur oder menschliche Vernunft vorgegeben und gilt allein wegen seines materiellen Inhalts. Dem Rechtspositivismus liegt hingegen die Annahme zugrunde, Recht gelte, weil es eine Instanz für den Raum einer be-
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strafrechtliche Verantwortung für Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und künftig das Verbrechen der Aggression ist Gegenstand des Völkerstrafrechts, vgl. Art. 5 IStGH-Statut.46 Da die hier interessierenden Auseinandersetzungen überwiegend innerstaatlich ausgetragen werden, stehen diejenigen Vorschriften des humanitären Völkerrechts im Vordergrund, die auf nichtinternationale, auch: interne bewaffnete Konflikte Anwendung finden. Dies sind vor allem der gemeinsame Art. 3 GK47 und das ZP II.48 Im Rahmen der Menschenrechte wird hauptsächlich auf die allgemeinen Abkommen, also die AEMR49, den IPbpR50 und den IPwskR51 sowie die speziell zum Schutz
stimmten Gemeinschaft gesetzt habe, Hobe, Völkerrecht, S. 10; Ipsen, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 6, Rn. 18; siehe auch Gosepath, in: Sandkühler (Hrsg.), Menschenrechte in die Zukunft denken, S. 35 (38 ff.). 46 Römisches Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH-Statut, nach seinem Verabschiedungsort auch als Römisches Statut bezeichnet) vom 17. Juli 1998, in Kraft getreten am 1. Juli 2002, BGBl. 2000 II 1394, UNTS Vol. 2187, 3. 47 Genfer Abkommen zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der bewaffneten Kräfte im Felde (GK I) vom 12. August 1949, in Kraft getreten am 21. Oktober 1950, BGBl. 1954 II 783, UNTS Vol. 75, 31; Genfer Abkommen zur Verbesserung des Loses der Verwundeten, Kranken und Schiffbrüchigen der bewaffneten Kräfte zur See (GK II) vom 12. August 1949, in Kraft getreten am 21. Oktober 1950, BGBl. 1954 II 813, UNTS Vol. 75, 85; Genfer Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen (GK III) vom 12. August 1949, in Kraft getreten am 21. Oktober 1950, BGBl. 1954 II 838, UNTS Vol. 75, 135; Genfer Abkommen über den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten (GK IV) vom 12. August 1949, in Kraft getreten am 21. Oktober 1950, BGBl. 1954 II 917, UNTS Vol. 75, 287. 48 Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte (ZP II) vom 8. Juni 1977, in Kraft getreten am 17. August 1982, BGBl. 1990 II 1637, UNTS Vol. 1125, 609. Obgleich nichtinternationale bewaffnete Konflikte heute die Regel sind, existiert für sie noch immer nur ein Mindestbestand an positivrechtlichen Bestimmungen. 49 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR), A/RES/217 (III), 10. Dezember 1948. Die AEMR ist das erste Dokument, in dem ein universal akzeptierter Bestand an Menschenrechten festgehalten wurde, vgl. Abs. 7 Präambel AEMR, der die AEMR als „das von allen Völkern und Nationen zu erreichende gemeinsame Ideal“ verkündet. Als Resolution der VN-Generalversammlung ist die AEMR zwar rechtlich unverbindlich, vgl. Art. 10 VN-Charta. Allerdings wird ihre Rechtskraft unterschiedlich eingeordnet: Überwiegend erkennt man zumindest einen Großteil der Regeln der AEMR als Völkergewohnheitsrecht an, Hobe, Völkerrecht, S. 408; Kau, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 203, Rn. 235; andere akzeptieren gar die gesamte AEMR als Völkergewohnheitsrecht, Sohn, in: Am. U. L. Rev. 1982, S. 1 (17); und wieder andere meinen, einige Normen der AEMR seien als allgemeine Rechtsgrundsätze etabliert, Brownlie, Principles of Public Internatioal Law, S. 636. 50 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) vom 19. Dezember 1966, in Kraft getreten am 23. März 1976, BGBl. 1973 II 1534, UNTS Vol. 999, 171. 51 Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPwskR) vom 19. Dezember 1966, in Kraft getreten am 3. Januar 1976, BGBl. 1973 II 1570, UNTS Vol. 993, 3.
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Einführung
und zur Hilfe intern vertriebener Menschen erlassenen Guiding Principles52 eingegangen. Der Fokus im Völkerstrafrecht liegt auf dem Römischen Statut. Außerdem finden die völkergewohnheitsrechtlich anerkannten Regeln Beachtung. Schwerpunktmäßig beschäftigt sich die vorliegende Arbeit mit dem afrikanischen Kontinent. Gemeint sind hier die Staaten südlich der Sahara, da sich diese geschichtlich und kulturell deutlich von den nordafrikanischen Maghreb-Staaten und Ägypten abgrenzen. Die Einordnung des in Nord-Ostafrika gelegenen Sudan, den vor allem arabische Einflüsse präg(t)en, wird nicht einheitlich vorgenommen. Für diese Arbeit wird er den Staaten Subsahara-Afrikas zugeordnet.53 Afrika ist Austragungsort zahlreicher nationaler Konflikte, an denen nichtstaatliche Gruppierungen beteiligt sind, und beheimatet, vor allem wegen dieser Bürgerkriege, einen großen Teil der weltweiten Binnenflüchtlinge.54 Doch ist Afrika auch Vorreiter bei der Entwicklung regionaler Binnenvertriebenenregelwerke. Zu nennen sind der 2006 im Rahmen der International Conference of the Great Lakes Region (ICGLR) von elf afrikanischen Staaten55 verfasste und im Juni 2008 in Kraft getretene Great Lakes Pact56, von dem sich zwei der zehn Protokolle mit den Binnenvertriebenen befassen57, und die gesamtafrikanische Kampala Convention. Sofern auf allgemeine regionale Menschenrechtsabkommen eingegangen wird, steht die Banjul-Charta58 im Vordergrund. Die Arbeit schließt mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse und einem Ausblick.
52 Guiding Principles on Internal Displacement (Guiding Principles), E/CN.4/1998/53/ Add.2, 11. Februar 1998. Eine deutsche Übersetzung ist abrufbar unter: http://www.brookings. edu/about/projects/idp/gp-page. Diese und alle weiteren Internetseiten wurden zuletzt besucht am 28. Juli 2014. 53 So etwa auch die VN Statistics Division, Composition of Macro Geographical (Continental) Regions, Geographical Sub-regions, and Selected Economic and Other Groupings. 54 Kießling, in: Friedenswarte 2010, S. 13 (16). 55 Teilnehmerstaaten der International Conference of the Great Lakes Region (ICGLR) sind Angola, Burundi, die Demokratische Republik Kongo, Kenia, die Republik Kongo, Ruanda, Sambia, der Sudan, Tansania, der Tschad und Uganda. 56 Pact on Security, Stability and Development in the Great Lakes Region (Great Lakes Pact) vom 14. und 15. Dezember 2006. 57 Protocol on the Protection and Assistance to Internally Displaced Persons (Protocol on the Protection and Assistance to IDPs) und Protocol on the Property Rights of Returning Persons, jeweils vom 30. November 2006. 58 Afrikanische Charta der Menschenrechte und der Rechte der Völker (nach einem ihrer Verhandlungsorte als Banjul-Charta bezeichnet) vom 27. Juni 1981, in Kraft getreten am 21. Oktober 1986, UNTS Vol. 1520, 217.
Erstes Kapitel
Begriffsbestimmungen Eine Analyse der völkerrechtlichen Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure gegenüber Binnenvertriebenen erfordert zunächst eine nähere Bestimmung der Personen(gruppen). Die Begriffe „nichtstaatliche Gewaltakteure“ und „Binnenvertriebene“ sind für die vorliegende Arbeit zu definieren. Dies dient der Festlegung und Eingrenzung des Beschäftigungsgegenstands. Dargestellt wird schließlich die Beziehung der beiden Personen(gruppen) zueinander.
A. Nichtstaatliche Gewaltakteure I. Definition: nichtstaatliche Gewaltakteure Nichtstaatliche Gewaltakteure treten in vielfältiger Form in Erscheinung. Als Kollektiv stellen sie nicht nur die Summe ihrer Einzelmitglieder1, sondern einen gemeinsamen Zweck verfolgenden Verbund dar.2 Anwendbar ist die Formulierung zunächst auf alle außerhalb unmittelbar staatlicher Strukturen stehenden, gewaltsam agierenden Gruppierungen. Dabei ist Gewalt hier die physische oder psychische Zwangsausübung gegenüber einer anderen Person, durch die deren freie Willensentschließung und -betätigung beeinträchtigt oder ausgeschaltet wird.3 Hierunter fallen dann Oppositionelle wie Rebellen, Warlords und Terroristen. Rebellen streben regelmäßig die Eroberung von Territorium und Sicherung ihrer Herrschaft hierüber, in letzter Instanz eine Regierungsbeteiligung, -übernahme oder Sezession, also primär politische Ziele an.4 Hingegen nutzen Warlords, auch: Kriegsherren, die in schwachen oder zerfallenden Staaten entstehenden staatsgewaltoffenen Räume zur Selbstbereicherung. Ihre Ziele sind vornehmlich ökono-
1 Kleffner, in: IRRC 2011, S. 443 (450); Zegveld, Accountability of Armed Opposition Groups in International Law, S. 3. 2 Siehe Kleffner, in: Noellkaemper/van der Wilt (Hrsg.), System Criminality in International Law, S. 238 (242 ff.). 3 Zur Diskussion des Gewaltbegriffs im deutschen Strafrecht siehe Eser/Eisele, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, Vorbem. §§ 234 ff., Rn. 6 ff.; Sinn, in: MüKo StGB, § 240, Rn. 31 ff. 4 Mair, in: IPG 2/2003, S. 11 (12, 14 ff.).
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1. Kap.: Begriffsbestimmungen
mischer Art.5 Terroristen sind politisch oder religiös motiviert. Zur Erwirkung eines politischen, religiösen und/oder gesellschaftlichen Wandels setzen sie vor allem auf die psychische, denn die physische Kraft ihrer Taten. Mittels Gewalt üben sie Druck auf die Bevölkerung und die Regierenden aus.6 Und auch der Staat greift bisweilen (zusätzlich) auf semiprivate Einheiten wie paramilitärische Truppen, Militär- und Sicherheitsagenturen zurück. Paramilitärs oder auch Milizen sind von der regulären Armee und Polizei getrennt organisierte, also eigenständige, aber dem Staat nahe stehende, vom Staat mobilisierte, unterstützte, gar befehligte Verbände.7 Militär- und Sicherheitsfirmen werden hauptsächlich von Staaten gegen die Zahlung eines Entgelts anstatt oder zur Verstärkung der regulären Streitkräfte in Krisen- und Kriegsgebieten eingesetzt.8 Letztlich stellen auch kriminelle Banden und die organisierte Kriminalität nichtstaatliche Gewaltakteure im Sinne eines solch weiten Begriffsverständnisses dar. Die Aufzählung ist aber weder abschließend, noch kann jede Gruppierung eindeutig verortet werden, die Grenzen sind fließend. Vorliegend interessieren jedenfalls allein Akteure, die im Kontext von Binnenvertreibungen, also in Fällen von Menschenrechtsverletzungen, Situationen allgemeiner Gewalt und bewaffneten Konflikten, also Auseinandersetzungen, auftreten. Rein kriminelle Organisationen scheiden folglich als Beschäftigungsgegenstand aus. Als nichtstaatliche Gewaltakteure kommen nur Konfliktparteien in Betracht. Nun ist primär der Heimatstaat für Schutz und Hilfe seiner Binnenflüchtlinge zuständig. Hier werden aber gerade die völkerrechtlichen Verpflichtungen substaatlicher Einheiten untersucht, deren Verhalten dem Staat nicht zuzurechnen ist. Dies sind Verbände, die das Gewaltmonopol des Staates, auf dessen Territorium sie operieren, negieren. Verbände, die sich gegen die Regierenden auflehnen, ihnen Macht und Ressourcen abtrotzen wollen, sie gar beseitigen und ersetzen wollen. Nichtstaatliche Gewaltakteure sind hier allein oppositionelle Konfliktparteien. Denkbar wäre eine weitere Einschränkung durch eine Anlehnung an die Voraussetzungen für bewaffnete Gruppen im Rahmen des humanitären Völkerrechts. Bewaffnete Gruppen müssen zunächst einen gewissen Organisationsgrad aufweisen.9 Nur dann sind sie zur Teilnahme an Auseinandersetzungen gewissen Ausmaßes 5 Lange, Der Status der Aufständischen im modernen humanitären Völkerrecht, S. 59 f.; Mair, in: IPG 2/2003, S. 11 (12 ff.). 6 Münkler, Die neuen Kriege, S. 177 ff.; siehe auch Mair, in: IPG 2/2003, S. 11 (12, 17 ff.). 7 Kaldor, Neue und alte Kriege, S. 158 ff. 8 Siehe Eppacher, Private Sicherheits- und Militärfirmen. 9 Moir, The Law of Internal Armed Conflict, S. 36; Vité, in: IRRC 2009, S. 69 (76 f.); aus dem Völkerstrafrecht siehe IStGH, Prosecutor v. Bemba, ICC-01/05 – 01/08, Pre Trial Chamber II, 15. Juni 2009, Rn. 233; IStGH, Prosecutor v. Lubanga Dyilo, ICC-01/04 – 01/06803, Pre Trial Chamber I, 29. Januar 2007, Rn. 233; Internationaler Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia, ICTY), Prosecutor v. Tadic´, IT-94-1, 2. Oktober 1995, Rn. 70; Internationaler Strafgerichtshof für
A. Nichtstaatliche Gewaltakteure
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und zur Einhaltung des Kriegsrechts fähig.10 Schließlich darf Recht keine unmöglichen, sondern muss den Verpflichteten mögliche Regeln stellen. Das ZP II setzt bereits seinem Wortlaut nach eine Situation voraus, in der organisierte bewaffnete Gruppen, die unter einer verantwortlichen Führung stehen und solche Kontrolle über einen Teil des Staatsgebiets der Vertragspartei ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen können und das Protokoll anzuwenden vermögen, gegen eine staatliche Partei kämpfen. Eine verantwortliche Führung herrscht über einen geordneten und disziplinierten Verbund.11 Die Anforderungen an die Organisation sind im Rahmen des ZP II insofern höher, als auch die Regeln des ZP II umfangreicher und detaillierter als die des Art. 3 GK sind.12 Schließlich muss Recht realisierbar sein. Für die Herrschaftsausübung fordert das IKRK mindestens eine gewisse Kontrollstabilität über ein bescheidenes Gebiet.13 Die Kontrolle muss den Truppen gerade die Durchführung anhaltender, koordinierter Kampftätigkeiten und die Anwendung des Protokolls ermöglichen.14 Anzunehmen ist dies, wenn die Partei zur fortwährenden Ausübung Ruanda (International Criminal Tribunal for Rwanda, ICTR), Prosecutor v. Akayesu, ICTR-964-T, 2. September 1998, Rn. 625. Indikatoren für ein ausreichendes Maß an Organisation sind etwa „the existence of a command structure and disciplinary rules and mechanisms within the group; the existence of a headquarters; the fact that the group controls a certain territory; the ability of the group to gain access to weapons, other military equipment, recruits and military training; its ability to plan, coordinate and carry out military operations, including troop movements and logistics; its ability to define a unified military strategy and use military tactics; and its ability to speak with one voice and negotiate and conclude agreements such as cease-fire or peace accords“, ICTY, Prosecutor v. Haradinaj et al., IT-04-84-T, 3. April 2008, Rn. 60; vgl. auch ICTY, Prosecutor v. Bosˇkoski and Tarcˇulovski, IT-04-82-T, 10. Juli 2008, Rn. 199 ff.; siehe auch Cullen, The Concept of Non-International Armed Conflict in International Humanitarian Law, S. 123 ff. 10 Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 177 f. 11 Cullen, The Concept of Non-International Armed Conflict in International Humanitarian Law, S. 103; Junod, in: Sandoz/Swinarski/Zimmermann (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, S. 1352, Rn. 4463; vgl. ICTR, Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T, 2. September 1998, Rn. 626. 12 Gasser/Melzer, Humanitäres Völkerrecht, S. 69; Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 185; vgl. ICTY, Prosecutor v. Bosˇkoski and Tarcˇulovski, IT-04-82T, 10. Juli 2008, Rn. 197. 13 Junod, in: Sandoz/Swinarski/Zimmermann (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, S. 1353, Rn. 4467; andere verlangen „control over a sizeable part of the territory“, Sivakumaran, The Law of NonInternational Armed Conflict, S. 185. 14 Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 186 f.; vgl. ICTR, Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T, 2. September 1998, Rn. 626: Die bewaffnete Gruppe „must be able to dominate a sufficient part of the territory so as to maintain sustained and concerted military operations and to apply the Additional Protocol“, Hervorhebung durch die Autorin.
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1. Kap.: Begriffsbestimmungen
geplanter, systematischer Militäroperationen in der Lage ist.15 Letztlich entscheidend ist die Fähigkeit zur Anwendung des ZP II.16 Dass die bewaffnete Gruppe die Regeln befolgen kann, genügt, auf eine tatsächliche Rechtswahrung kommt es nicht an.17 Aber nicht alle Oppositionsbewegungen erfüllen diese Voraussetzungen oder zumindest nicht während der gesamten Auseinandersetzung.18 Außerdem werden im Folgenden nicht allein die sich aus dem humanitären Völkerrecht ergebenden Verpflichtungen außerstaatlicher Gruppierungen gegenüber Binnenvertriebenen untersucht, sondern auch die Menschenrechte und das Völkerstrafrecht einbezogen. Eine solch umfassende Untersuchung verlangt aber die Zugrundelegung eines weiten Begriffsverständnisses. Nichtstaatliche Gewaltakteure sind hier vor allem aus ihrem Verhältnis zum Staat zu bestimmen. Unerheblich sind die Macht und der Aufbau des Verbands. Die Definition für die vorliegende Arbeit lautet daher: Nichtstaatliche Gewaltakteure sind Gruppierungen, die außerhalb des Staates, auf dessen Territorium sie operieren, stehen, deren Verhalten dem Staat nicht zuzurechnen ist und die im Rahmen von Auseinandersetzungen Gewalt einsetzen.
II. Völkerrechtssubjektivität Seit je müssen die Beziehungen der auf dem internationalen Parkett auftretenden Akteure zueinander organisiert werden. Dies geschieht mittels Völkerrecht. Hierbei handelt es sich um ein überwiegend auf Freiwilligkeit basierendes System.19 Wie jede Normenordnung setzt auch das Völkerrecht das Vorhandensein von Rechtssubjekten voraus, die die Regeln erlassen und an die sich die Regeln richten, die Rechte- und/oder Pflichtenpositionen inne haben.20 Völkerrechtssubjekt ist also, wer Träger völkerrechtlicher Rechte und/oder Pflichten ist, wessen Handeln und Un-
15 Junod, in: Sandoz/Swinarski/Zimmermann (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, S. 1353, Rn. 4469; Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 188; vgl. ICTR, Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T, 2. September 1998, Rn. 626. 16 Junod, in: Sandoz/Swinarski/Zimmermann (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, S. 1353, Rn. 4470; vgl. Cassese, in: Int’l & Comp. L. Q. 1981, S. 416 (424). 17 Moir, The Law of Internal Armed Conflicts, S. 97 f.; Sivakumaran, The Law of NonInternational Armed Conflict, S. 189. 18 Siehe Zeender, in: Refugee Surv. Q. 3/2005, S. 96 (97). 19 Hobe, Völkerrecht, S. 15. 20 Frowein, Das de facto-Regime im Völkerrecht, S. 4; vgl. auch Köster, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit privater (multinationaler) Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen, S. 24.
A. Nichtstaatliche Gewaltakteure
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terlassen dem Völkerrecht unterliegt.21 Die Begriffe „Rechtssubjektivität“, „Rechtsfähigkeit“ und „Rechtspersönlichkeit“ sind synonym verwendbar.22 Ursprünglich besaßen im Wesentlichen die souveränen Staaten Völkerrechtsfähigkeit.23 Tatsächlich und rechtlich waren die Staaten lange Zeit (fast) die einzigen Spieler auf der Weltbühne. Doch hat sich das (internationale) Recht der wandelnden Wirklichkeit anzupassen. Es bedarf eines Konnexes zwischen Recht und Realität.24 So ist das Völkerrecht neuen Entwicklungen, gerade auch neuen Akteuren als Rechtssubjekten, gegenüber offen. „Throughout its history the development of international law has been influenced by the requirements of international life.“25
Die Bedürfnisse der internationalen Gemeinschaft als Ausgangs-, Dreh- und Angelpunkt des Völkerrechts entscheiden dann auch über die Eigenschaft einer Entität als ihr Mitglied – ändern sich die Bedürfnisse, ändern sich die Mitglieder.26 Aber nicht alle Völkerrechtspersonen besitzen auch die gleichen Rechte und Pflichte. Die Art und Weise bestimmen sich nach der Beschaffenheit und Rolle der Person (engruppe) in der Welt27 und damit wieder den Bedürfnissen der Völkerrechtsgemeinschaft.28 Dann kann aber ein Akteur nicht erst und nur Völkerrechtssubjektivität erlangen, wenn Staaten als die traditionellen Völkerrechtssubjekte ihm (einzelne) Rechte und
21
Kau, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 139, Rn. 2. Siehe Mosler, in: ZaöRV 22 (1962), S. 1 (18 ff.). 23 Aus historischen Gründen unumstritten ist zudem die Völkerrechtssubjektivität des Heiligen Stuhls, des Souveränen Malteserordens und des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), Kau, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 147, Rn. 39 ff. 24 Lange, Der Status der Aufständischen im modernen humanitären Völkerrecht, S. 6; vgl. Mosler, in: ZaöRV 22 (1962), S. 1 (17 f.); Nowrot, in: Philippine L. J. 2006, S. 563 (570); ders., in: Friedenswarte 2004, S. 119 (123, 142). 25 IGH, Reparation for Injuries Suffered in the Service of the United Nations, Advisory Opinion, 11. April 1949, ICJ Reports 1949, 174, 178. 26 Clapham, Human Rights Obligations of Non-State Actors, S. 64; Nowrot, in: Philippine L. J. 2006, S. 563 (568 f.); IGH, Reparation for Injuries Suffered in the Service of the United Nations, Advisory Opinion, 11. April 1949, ICJ Reports 1949, 174, 178; vgl. Kooijmans, in: Wellens (Hrsg.), Essays in Honour of Eric Suy, S. 333 (338 f.); Noortmann, in: Heintze/Ipsen (Hrsg.), Heutige bewaffnete Konflikte als Herausforderungen an das humanitäre Völkerrecht, S. 187 (199, 211); siehe auch Roberts/Sivakumaran, in: Yale J. Int’l L. 2012, S. 107 ff. „The ,needs of the community‘ stand out as the overarching principle“, Schoiswohl, Status and (Human Rights) Obligations of Non-Recognized De Facto Regimes in International Law, S. 201. 27 Kau, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 139, Rn. 2. 28 Schoiswohl, in: Austrian Rev. Int’l & Europ. L. 2001, S. 45 (48); IGH, Reparation for Injuries Suffered in the Service of the United Nations, Advisory Opinion, 11. April 1949, ICJ Reports 1949, 174, 178. 22
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1. Kap.: Begriffsbestimmungen
Pflichten zuweisen.29 Schon wenn er auf internationaler Ebene tatsächlich eine machtvolle Position inne hat, er einen Beitrag zum internationalen Miteinander, ob positiv oder negativ, erbringt, muss ihm eine gewisse Völkerrechtspersönlichkeit zukommen.30 Knüpft Recht doch an soziologische Umstände an.31 Vor allem die Wirklichkeit, nicht die bereits vorhandenen Mitglieder oder das bereits vorhandene Regelregime, bringt dann neue Völkerrechtssubjekte hervor. Dies gebietet die Befriedungsfunktion inklusive des Menschenrechtsschutzes als mittlerweile anerkannter Geltungsgrund des Völkerrechts.32 Nur unter Einbeziehung aller tatsächlich Agierenden ist die Herstellung und Aufrechterhaltung des Weltfriedens, der internationalen Sicherheit und Stabilität, schließlich die Wahrung elementarer Rechte des Einzelnen denkbar. Gleichwohl schließt dies die Möglichkeit, nichtstaatlichen Akteuren durch die Gewährung von Rechten und/oder Auferlegung von Pflichten in internationalen Regelwerken einen völkerrechtlichen Status zu verleihen, nicht aus. 1. Staaten Das klassische Völkerrecht vom Westfälischen Frieden 1648 bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts galt in erster Linie zwischen den Staaten.33 Natürlich nimmt der souveräne Personen- und Gebietsverband Staat am zwischen- und überstaatlichen 29 So aber Hessbruegge, in: Buffalo Hum. Rts. L. Rev. 2005, S. 21 (28 f.); Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, Vol. I, S. 16; Zegveld, Accountability of Armed Opposition Groups in International Law, S. 151; IGH, Reparation for Injuries Suffered in the Service of the United Nations, Advisory Opinion, 11. April 1949, ICJ Reports 1949, 174, 179. „[S]tates operate as stage managers in the theatre of international law, deciding who is and who is not given a role (persona) to play and what such role should concretely consist of“, Bílková, in: Hum. Rts. & Int’l Legal Discourse 2010, S. 111 (117). 30 So auch Nijman, in: Noortmann/Ryngaert (Hrsg.), Non-State Actor Dynamics in International Law, S. 91 (insbesondere 93, 118); Noortmann, in: Heintze/Ipsen (Hrsg.), Heutige bewaffnete Konflikte als Herausforderungen an das humanitäre Völkerrecht, S. 187 (191 f., 199); Nowrot, in: Friedenswarte 2004, S. 119 (140 ff.); Ryngaert, in: Noortmann/Ryngaert (Hrsg.), Non-State Actor Dynamics in International Law, S. 69 (86); Schoiswohl, Status and (Human Rights) Obligations of Non-Recognized De Facto Regimes in International Law, S. 211; VN, Report of the International Commission of Inquiry on Darfur to the United Nations Secretary-General, pursuant to Security Council resolution 1564 of 18 September 2004, Genf, 25. Januar 2005 (im Folgenden: International Commission of Inquiry on Darfur), Rn. 172; Wedgwood, in: Hofmann/Geissler (Hrsg.), Non-State Actors as New Subjects of International Law, S. 21 (36). 31 Hobe, Völkerrecht, S. 67; Nowrot, in: Philippine L. J. 2006, S. 563 (570); ders., in: Friedenswarte 2004, S. 119 (141); Rudolf, in: Hum. Rts. & Int’l Legal Discourse 2010, S. 127 (128). 32 Siehe Nowrot, in: Friedenswarte 2004, S. 119 (140 f.); vgl. ders., in: Philippine L. J. 2006, S. 563 (568 f.). Zur Befriedungsfunktion als Geltungsgrund des Völkerrechts Klein, Menschenrechte, S. 11; Mosler, in: ZaöRV 22 (1962), S. 1 ff. 33 Siehe noch 1927 den Ständigen Internationalen Gerichtshof (StIGH), The Case of the S.S. Lotus (France v. Turkey), 10. September 1927, PCIJ, Series A, No 10, Rn. 44.
A. Nichtstaatliche Gewaltakteure
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Verkehr teil. Staaten sind originäre, also geborene Völkerrechtssubjekte. Als Träger sämtlicher Rechte und Pflichten kommt ihnen volle Völkerrechtsfähigkeit zu.34 Und auch heute noch dominieren die Staaten die internationale (Rechts-)Ordnung.35 2. Internationale Organisationen Der seit der Mitte des 19. Jahrhunderts und verstärkt nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs vorgenommenen institutionalisierten Staatenkooperation lag die Einsicht zugrunde, dass sich viele transnationale Aufgaben und Probleme unmöglich von einzelnen Ländern allein bewältigen lassen.36 Schließen sich zwei oder mehr Staaten mittels völkerrechtlichen Vertrags für eine bestimmte Zeit oder auf Dauer zur Verfolgung eines gemeinsamen, regelmäßig eines politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Zwecks37 derart zusammen, dass sie selbst geschaffene Organe mit einer eigenständigen Rolle betrauen, spricht man von einer IO.38 Diese besitzt eine aus ihrem Gründungsdokument folgende und damit derivative Völkerrechtspersönlichkeit.39 IO sind nur beschränkt völkerrechtsfähig; ihre Rechte und Pflichten bestimmen sich nach den ihnen übertragenen Aufgaben und ihren Zielen.40 3. Individuen Die Freiheit und das Wohlergehen des Individuums sind heute wichtige Ziele des Völkerrechts. Zunächst kommen natürlichen Personen Menschenrechte zu. Diese sind naturrechtlich bzw. moralisch begründet, werden den Menschen nicht erst vom Staat oder einer anderen Instanz verliehen. Auf internationaler Ebene kodifiziert man sie vor allem seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Gewisse Rechte gewährt auch das Kriegsrecht. Der Einzelne ist mithin Träger völkerrechtlicher Rechte und kann diese, sofern vom Vertrag vorgesehen, auch prozedural durchsetzen.41 Völker34
Zum Ganzen Epping, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 47 f., Rn. 7. Epping, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 49, vor Rn. 1; Schiedermair, in: JA 1984, S. 638 (639); eher kritisch Reinhard, in: ZSE 2007, S. 8 ff. 36 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/2, S. 212; Hobe, Völkerrecht, S. 124. 37 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/2, S. 212. 38 Epping, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 198, Rn. 2. NRO setzen sich hingegen aus natürlichen und/oder juristischen Personen, häufig verschiedener Staaten, zur Verfolgung eines gemeinsamen, meist gesellschaftlichen Zwecks wie dem Schutz der Menschenrechte, der Umwelt oder von Tieren zusammen, siehe Klein/Schmahl, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 249 f., Rn. 18. 39 Siehe Kau, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 140, Rn. 9. 40 Doehring, Völkerrecht, S. 86, Rn. 197; siehe auch IGH, Reparation for Injuries Suffered in the Service of the United Nations, Advisory Opinion, 11. April 1949, ICJ Reports 1949, 174, 174 ff. 41 Die Möglichkeit der prozeduralen Durchsetzung von Rechten ist aber keine Voraussetzung für die Bejahung der Inhaberschaft völkerrechtlicher Rechte, Brugger, in: AöR 27 (1989), 35
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1. Kap.: Begriffsbestimmungen
rechtliche Pflichten ergeben sich zumindest aus dem Völkerstrafrecht. Mittlerweile wird das Individuum dann auch überwiegend als partielles Völkerrechtssubjekt anerkannt, nicht länger auf die Rolle des mediatisierten Objekts beschränkt.42 4. Nichtstaatliche Gewaltakteure a) Allgemein Heute werden Konflikte überwiegend zwischen Staaten und nichtstaatlichen Gewaltakteuren oder zwischen Letzteren untereinander geführt. Regelmäßig kommt es während und im Umfeld der Streitigkeiten zu Menschenrechtsverstößen. Erreichen die Auseinandersetzungen eine gewisse Intensität und nehmen hieran organisierte Gruppierungen teil, handelt es sich um einen nichtinternationalen bewaffneten Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts. In diesen Fällen ist die Angelegenheit nicht länger eine nationale. Internationales Recht ist einschlägig. Außerdem ist die Völkerrechtsgemeinschaft Streitschlichter, Schutz- und Hilfsakteur. Als Konfliktteilnehmer, oft gar -initiator, sind die Aufständischen nicht nur Teil des Problems, sondern ebenso Teil der Lösung, gleich, ob es um die Beendigung der Feindseligkeiten, den Schutz von und die Hilfe an die Zivilisten geht. (Informelle) Gespräche und Friedensverhandlungen werden geführt, Vereinbarungen getroffen. Gelingt es den Oppositionsbewegungen, für eine gewisse Zeit effektiv Herrschaftsgewalt über ein besiedeltes Gebiet auszuüben, gelten sie als de facto-Regime.43 Bei auch nur rudimentärer Erfüllung der drei Staatsmerkmale Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt44 handelt es sich gar faktisch um einen Staat. Aber jeS. 537 (553); Doehring, Völkerrecht, S. 112, Rn. 247; Hobe, Völkerrecht, S. 167 f.; differenzierter Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/2, S. 261. 42 So Hobe, Völkerrecht, S. 167 f.; Stein/von Buttlar, Völkerrecht, S. 171 ff., Rn. 493 ff. Ursprünglich nahm man an, der Staat vertrete seine Bürger auf der internationalen Ebene, Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/2, S. 259. 43 Frowein, Das de facto-Regime im Völkerrecht, S. 7. Gruppen, die diese Voraussetzungen in jüngster Zeit erfüllten, waren etwa die Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) in Sri Lanka, die kolumbianische Revolutionary Armed Forces of Colombia-People’s Army (FARC) sowie die (süd-)sudanesische Sudan People’s Liberation Movement/Army (SPLM/A), Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 98. Ursprünglich eine Rebellenorganisation, die sich gegen die Marginalisierung des christlich-afrikanisch geprägten Süden Sudans durch den islamisch-arabisch geprägten Norden des Landes auflehnte, stellt die SPLM/A seit der Sezession des Südens vom Norden am 9. Juli 2011 im neu geschaffenen Südsudan die Regierung. 44 Nach der Dreielementelehre Jellineks gilt ein Gebilde als Staat, wenn die Elemente Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt zusammen bestehen, Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 394 ff.; vgl. Art. 1 Montevideo-Konvention vom 26. Dezember 1993, LNTS 165, 19: „The State as a person of international law should possess the following qualifications: a) a permanent population; b) a defined territory;
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denfalls fehlt ihm eine entscheidende Eigenschaft: die Souveränität.45 Das de factoRegime kann nicht autonom handeln. Offenbar spielen nichtstaatliche Gewaltakteure im internationalen Verkehr tatsächlich eine wichtige Rolle. Sie wirken auf der Weltbühne, sie wirken auf Staaten, natürliche Personen, IO und NRO ein. Wenn man die Oppositionellen aber nicht ignorieren kann, muss man sie einbinden. Schließlich regelt das Völkerrecht die Beziehungen der tatsächlich auf internationaler Ebene Wirkenden.46 Nichtstaatliche Gewaltakteure stellen, sofern sie eine gewisse Organisation, militärische und/oder politische Macht, und damit die Fähigkeit zur Erfüllung völkerrechtlicher Verbindlichkeiten besitzen47, internationale Akteure dar. Regelmäßig werden dann auch die an bewaffnete Gruppen im Sinne des humanitären Völkerrechts gestellten Anforderungen erfüllt sein. Um das Gewicht der Verbände ausreichend zu würdigen, aber auch zu nutzen, müssen sie als Völkerrechtssubjekte ins Völkerrecht aufgenommen werden.48 Ihre völkerrechtlichen Rechte und Pflichten sind aber, entsprechend den Bedürfnissen der internationalen Gemeinschaft, lediglich beschränkt.49 Vor allem befinden sich die Aufständischen in einem „Dazwischen-Stadium“ – sie existieren nur bis zu ihrem Sieg oder ihrer Niederschlagung.50 Und zumindest nach nationalem Recht sind sie rechtswidrig.
c) government, and d) capacity to enter into relations with the other States.“ Letzteres wird heute als Konkretisierung des Elements Staatsgewalt, nicht als zusätzliches Staatsmerkmal verstanden, Stein/von Buttlar, Völkerrecht, S. 79, Rn. 251. 45 Köster, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit privater (multinationaler) Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen, S. 29, 34; Olivier, in: Hum. Rts. & Int’l Legal Discourse 2010, S. 15 (18). 46 Nowrot, in: Friedenswarte 2004, S. 119 (142); siehe auch Mosler, in: ZaöRV 22 (1962), S. 1 (17). 47 Siehe Schiedermair, in: JA 1984, S. 638 (640). 48 Vgl. Bílková, in: Hum. Rts. & Int’l Legal Discourse 2010, S. 111 (115 ff.); Noortmann, in: Heintze/Ipsen (Hrsg.), Heutige bewaffnete Konflikte als Herausforderungen an das humanitäre Völkerrecht, S. 187 (190 ff.); Sivakumaran, in: Int’l & Comp. L. Q. 2006, S. 369 (373 ff.). 49 So auch Schoiswohl, Status and (Human Rights) Obligations of Non-Recognized De Facto Regimes in International Law, S. 212; ders., in: Austrian Rev. Int’l & Europ. L. 2001, S. 445 (454). 50 Schoiswohl, Status and (Human Rights) Obligations of Non-Recognized De Facto Regimes in International Law, S. 204; Zegveld, Accountability of Armed Opposition Groups in International Law, S. 152; zum de facto-Regime Frowein, Das de facto-Regime im Völkerrecht, S. 33.
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1. Kap.: Begriffsbestimmungen
b) Nationale Befreiungsbewegungen Von „normalen“ nichtstaatlichen Gewaltakteuren zu unterscheiden sind nationale Befreiungsbewegungen. In Ausübung ihres Rechts auf Selbstbestimmung51 kämpfen sie gegen Kolonialherrschaften, Fremdbesetzungen und rassistische Regime, Art. 1 Abs. 4 ZP I.52 Es handelt sich hier um internationale bewaffnete Konflikte. Nationale Befreiungsbewegungen sind zumindest insoweit Völkerrechtssubjekte, als ihr Selbstbestimmungsrecht reicht.53 Gemäß Art. 96 Abs. 3 ZP I können sie sich durch Abgabe einer Erklärung an die Schweiz als Depositar zur Anwendung des Protokolls und der Genfer Abkommen verpflichten.54 Mit Ende der Entkolonisierung verschwanden diese Freiheitskämpfer aber weitgehend. c) Anerkennung als Kriegführende Seit dem 19. Jahrhundert erlang(t)en nichtstaatliche Gewaltakteure durch die Anerkennung als Kriegführende partielle, relative und provisorische Völkerrechtspersönlichkeit: auf das Kriegsrecht beschränkt, gegenüber dem anerkennenden Staat und bis zu ihrem Sieg bzw. ihrer Niederschlagung.55 Allgemein handelt es sich bei der Anerkennung um eine einseitige, ausdrücklich oder konkludent abgegebene Wil-
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Das Selbstbestimmungsrecht der Völker besagt, dass jedes Volk innerhalb seines Staates seine Identität und Eigenheiten wahren können sowie die Möglichkeit zur Teilnahme am staatlichen Handeln besitzen muss, Stein/von Buttlar, Völkerrecht, S. 248, Rn. 690 f. Das dem äußeren Selbstbestimmungsrecht vor allem zur Zeit der Dekolonialisierung zu entnehmende Recht auf Änderung des Territorialstatus, also jetzt besonders auf Sezession, muss stets ultima ratio sein und gilt heute namentlich in Situationen massiver Diskriminierungen und Menschenrechtsverletzungen, wenn dem Volk der Verbleib im Staat unzumutbar ist, Kau, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 179, Rn. 129; Oeter, in: ZaöRV 52 (1992), S. 741 (772 f.); Stein/von Buttlar, Völkerrecht, S. 246 f., Rn. 685 f. Niedergelegt ist das Selbstbestimmungsrecht der Völker etwa jeweils in Art. 1 IPbpR und IPwskR. Zu entnehmen ist es außerdem der Erklärung über die Gewährung der Unabhängigkeit an koloniale Länder und Völker (Dekolonarisierungsdeklaration), Res. 1514 (XV), 14. Dezember 1960, und der Friendly Relations Deklaration. Mittlerweile ist das Selbstbestimmungsrecht der Völker gewohnheitsrechtlich anerkannt, Doehring, Völkerrecht, S. 337, Rn. 778. 52 Zusatzprotokoll vom 8. Juni 1977 zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (ZP I) vom 8. Juni 1977, in Kraft getreten am 7. Dezember 1979, BGBl. 1990 II 1551, UNTS Vol. 1125, 3. 53 Vgl. Doehring, Völkerrecht, S. 119, Rn. 265; siehe auch Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/2, S. 313. 54 Dies taten etwa der African National Congress (ANC), die Eritrean People’s Liberation Front (EPLF), Palestine Liberation Organization (PLO) und South West Africa People’s Organization (SWAPO), Clapham, in: IRRC 2006, S. 491 (494, Fn. 11). 55 Hess, Die Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts insbesondere in gemischten Konflikten, S. 79; siehe auch Lange, Der Status der Aufständischen im modernen Völkerrecht, S. 15.
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lensäußerung eines Völkerrechtssubjekts, mit der eine tatsächliche oder rechtliche Lage als existierend oder rechtmäßig akzeptiert wird.56 Erkennt der bekämpfte Staat, dem dies als Souverän jederzeit möglich ist57, seinen außerstaatlichen Gegner als Kriegführenden an, gelangt zwischen den Parteien das gesamte humanitäre Völkerrecht zur Anwendung.58 Auch Drittstaaten können eine solche Anerkennung kundtun. Aber erst wenn die Kämpfe von kriegsähnlicher Intensität sind, der substaatliche Verband organisiert ist, ein nicht unbedeutendes Gebiet beherrscht und das Kriegsrecht anzuwenden vermag, ist diese völkerrechtsmäßig.59 Dann gilt zwischen dem ausländischen Staat und den Streitteilnehmern der Grundsatz der Neutralität.60 Die Anerkennung hat hier konstitutive Wirkung.61 Doch waren die Fälle, in denen Oppositionelle als Kriegführende anerkannt wurden, immer schon gering.62 Mittlerweile ist eine solche Praxis gänzlich unüblich. 56
Kau, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 190, Rn. 179. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/2, S. 297; Lange, Der Status der Aufständischen im modernen Völkerrecht, S. 13; Lauterpacht, Recognition in International Law, S. 243 f. Die Regierung des bekämpften Staates ist auch nicht verpflichtet, eine Gruppe bei Vorliegen bestimmter Bedingungen als kriegführende Partei anzuerkennen, Lehmler, Die Strafbarkeit von Vertreibungen aus ethnischen Gründen im bewaffneten nicht-internationalen Konflikt, S. 21. 58 Hess, Die Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts insbesondere in gemischten Konflikten, S. 78; Junod, in: Sandoz/Swinarski/Zimmermann (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, S. 1320 f., Rn. 4345. 59 Draper, in: Georgia J. Int’l & Comp. L. 1983, S. 253 (257); Lauterpacht, Recognition in International Law, S. 176; Schindler, in: Recueil des Cours 1979 II, S. 121 (145). Umstritten ist, ob Drittstaaten bei Vorliegen dieser Voraussetzungen auch zur Anerkennung der bewaffneten Gruppe als kriegführende Partei verpflichtet sind, ablehnend Castrén, Civil War, S. 173 ff.; bejahend Falk, in: Rosenau (Hrsg.), International Aspects of Civil Strife, S. 185 (206). Und auch wenn die genannten Voraussetzungen nicht vorliegen, der bekämpfte Staat die Aufständischen gleichwohl als kriegführende Partei anerkannte, können Drittstaaten ebenfalls eine Anerkennung kundtun, Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/2, S. 297. 60 Junod, in: Sandoz/Swinarski/Zimmermann (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, S. 1321, Rn. 4346. 61 Castrén, Civil War, S. 138. 62 Zur Anerkennungspraxis Castrén, Civil War, S. 38 ff.; Sivakumaran, The Law of NonInternational Armed Conflict, S. 17 ff. So wertet die Anerkennung als kriegführende Partei die substaatliche Gruppe rechtlich wie politisch auf, Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/ 2, S. 296; Stein/von Buttlar, Völkerrecht, S. 457, Rn. 1271. Außerdem würde der bekämpfte Staat mit einer Anerkennung das Vorliegen eines Bürgerkriegs auf seinem Staatsgebiet und damit zugleich seine eigene Schwäche, seinen Kontrollverlust, eingestehen, Castrén, Civil War, S. 145. Schließlich soll das nationale Recht, insbesondere das Polizei- und Ordnungs- sowie das Strafrecht, weiterhin zur Anwendung kommen, Stein/von Buttlar, Völkerrecht, S. 457, Rn. 1271. Doch führt die Anwendung des Kriegsrechts auch zur Humanisierung des Konflikts, was der Zivilbevölkerung, aber ebenso den regulären Streitkräften, insbesondere den Verwundeten und Kriegsgefangenen, zu Gute kommt, vgl. Castrén, Civil War, S. 145 f.; Randelzhofer, in: ZfP 1971, S. 237 (246). Drittstaaten wollen ihre Beziehung zur amtierenden 57
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1. Kap.: Begriffsbestimmungen
Das humanitäre Völkerrecht ist heute aber auch bei Vorliegen nur objektiver Kriterien auf staateninterne Auseinandersetzungen anwendbar; einer Kriegserklärung oder Annahme der außerstaatlichen Gruppe als kriegführende Partei bedarf es nicht. Im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt lösten der Art. 3 GK und Art. 1 ZP II das Institut der Anerkennung weitgehend ab.63 d) Anerkennung als Insurgenten Eine Anerkennung als Insurgent kommt in Betracht, wenn zwar die genannten Voraussetzungen nicht erfüllt sind, der in den Konflikt verwickelte Staat oder Drittstaaten aus politischen, militärischen oder humanitären Gründen dennoch Beziehungen mit dem nichtstaatlichen Konfliktteilnehmer eingehen möchten.64 Da hierfür aber keine festen Kriterien existieren, bestimmt der anerkennende Staat nicht nur allgemein über die Völkerrechtssubjektivität der Aufständischen, sondern zugleich über den Umfang ihrer Rechte und Pflichten.65 Diese Gewohnheit findet heute aber ebenso wenig Übung wie die der Anerkennung als kriegführende Partei. e) Anerkennung als legitime Repräsentanten eines Staates bzw. eines Volkes Im Zusammenhang mit den Rebellionen in Libyen 2011 und in Syrien seit dem selben Jahr erkannten vor allem westliche Staaten, aber auch Staatenverbindungen, Oppositionsbündnisse wie den Lybian National Transitional Council (NTC)66 und Regierung nicht gefährden; diese sowie das Verhältnis zu den Aufständischen aber zugleich unter den aktuellen Gegebenheiten definieren, Cullen, The Concept of Non-International Armed Conflict in International Humanitarian Law, S. 18. Zudem können die Drittstaaten an Beziehungen mit den nichtstaatlichen Gewaltakteuren interessiert sein, um ihre in von den Oppositionellen kontrollierten Gebieten befindlichen Staatsangehörigen und deren Güter zu schützen, Wirtschaftsangelegenheiten zu regeln und Hilfsaktionen anzugehen, vgl. Epping, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 383, Rn. 14. 63 Hess, Die Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts insbesondere in gemischten Konflikten, S. 83 f. Zur Frage, ob eine Anerkennung als kriegführende Partei heute überhaupt noch möglich ist, Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 19 f. 64 Castrén, Civil War, S. 207; Lange, Der Status der Aufständischen im modernen humanitären Völkerrecht, S. 15. 65 Vgl. Castrén, Civil War, S. 212 f.; Falk, in: Rosenau (Hrsg.), International Aspects of Civil Strife, S. 185 (199); Hess, Die Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts insbesondere in gemischten Konflikten, S. 84. „Flexibility was paramount“, Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 10. 66 Der NTC war eine am 27. Februar 2011 von libyschen Aufständischen gegründete Gruppierung mit Sitz in Bengasi, später in Tripolis, jeweils Libyen. Bevor er am 8. August 2012 die Macht auf den am 7. Juli 2012 gewählten Nationalkongress abgab, wurde er von über 100 VN-Mitgliedstaaten und einigen Nicht-VN-Mitgliedstaaten als (alleiniger) Repräsentant des libyschen Volkes/des Staates Libyen anerkannt. Außerdem erhielt der NTC Zuspruch von der Europäischen Union (EU) und der Arabischen Liga. Formelle wie informelle Kontakte wurden aufgenommen. Schließlich votierte die VN-Generalversammlung am 16. September 2011 mit
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den Syrian National Council (SNC)67, die sich mit Gewalt gegen die in ihrem Land autoritär herrschenden Machthaber erhoben, als legitimate representative of the Lybian/Syrian people68 oder legitimate representative of Lybia/Syria an. Während Ersteres vor allem zur Legitimierung der Gruppe auf internationaler Ebene führt und ihr politische, militärische, finanzielle oder sonstige materielle Unterstützung durch das Ausland beschert, die de jure- dann neben der de factoRegierung besteht, bedeutet die Anerkennung als Repräsentant eines Staates, dass die (ehemalige) Oppositionsbewegung fortan als alleinige Macht akzeptiert wird.69 Wer legitimer Repräsentant seines Staates ist, kann etwa für diesen mit anderen Staaten formell diplomatische Beziehungen führen, frei über den Staatshaushalt, die Armee und Polizei verfügen.70 Mitunter ist der Grad zwischen völkerrechtmäßiger Anerkennung und völkerrechtswidrigem Eingriff in die inneren Angelegenheiten des bekämpften Staates aber äußerst schmal.71 Jedenfalls hat die Anerkennung hier nur deklaratorische, keine konstitutive Wirkung.72 Aber ganz gleich, ob ein Verband als Repräsentant des Staates oder des Volkes akzeptiert wird, dokumentiert dies seine faktische Bedeutung auf der Weltbühne. Die volle bzw. beschränkte Völkerrechtssubjektivität resultiert dann aus seiner Eigenschaft als Teil der Staatsgewalt und damit letztlich als Staat73 oder als nichtstaatlicher Gewaltakteur.
114 Positiv-, 17 Negativstimmen und 15 Enthaltungen für die Übergabe des libyschen Sitzes bei den VN an den NTC, GA/11137, 16. September 2011, Annex II. Als militärischer Arm war die National Liberation Army (NLA), früher die Free Lybian Army (FLA), tätig. 67 Der SNC mit Sitz im türkischen Istanbul wurde am 23. August 2011 gegründet. Einige VN-Mitgliedstaaten, VN-Nichtmitgliedstaaten und die EU erkannten ihn als legitimate representative of the Syrian people oder legitimate representative of Syria an und nahmen offiziellen oder inoffiziellen Kontakt mit ihm auf. Am 6. März 2013 bot die Arabische Liga dem SNC den Sitz Syriens in der Liga an. Als militärischer Arm fungiert die Free Syrian Army (FSA). 68 In ähnlicher Weise wurden schon die PLO und nationale Befreiungsbewegungen in den 70er Jahren als sole legitimate representative der unter ihrer Herrschaft stehenden Menschen anerkannt, Talmon, in: Am. Soc’y Int’l L. insights 2011, Vol. 15. 69 Talmon, in: Am. Soc’y Int’l L. insights 2011, Vol. 15; vgl. auch Schuit, in: Int’l Community L. Rev. 2012, S. 381 (395). 70 Talmon, in: Am. Soc’y Int’l L. insights 2011, Vol. 15; vgl. Doehring, Völkerrecht, S. 417, Rn. 949. 71 Hierzu Schuit, in: Int’l Community L. Rev. 2012, S. 381 (385, 388 ff.). 72 Schuit, in: Int’l Community L. Rev. 2012, S. 381 (388). 73 Völkerrechtssubjektivität besitzt aber allein der Staat – bestehend aus Staatsgewalt, -volk und -territorium, Zegveld, Accountability of Armed Opposition Groups in International Law, S. 165. Ein Regierungswechsel wirkt sich dann auch grundsätzlich nicht auf die Eigenschaft eines Gebildes als Staat aus, gleich wie die neue Regierung an die Macht kam, Doehring, Völkerrecht, S. 416 f., Rn. 947.
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5. Würdigung Neben Staaten nimmt heute eine Vielzahl weiterer Akteure, etwa IO, natürliche Personen und nichtstaatliche Gewaltakteure, am internationalen Verkehr teil. Gerade im Fall bewaffneter Oppositionsbewegungen zeigt sich, dass nicht allein die klassischen Völkerrechtssubjekte, namentlich die Staaten, oder klassischen Regelregime über die Völkerrechtssubjektivität anderer Entitäten entscheiden dürfen. So sind Staaten, aus Angst eigene Prärogativen einzubüßen, doch kaum gewillt, andere Spieler auf ihrer Bühne zu akzeptieren.74 Dies umso weniger, als die Neuen sie herausfordern, mit ihnen in direkter Konkurrenz stehen. Siehe insofern auch die Art. 3 Abs. 2 S. 4 GK, Art. 4 Abs. 3 ZP Kinderrechtskonvention betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten75, Leitlinie 2 Abs. 1 Guiding Principles und Art. 7 Abs. 1, 15 Abs. 2 Kampala Convention, wonach die substaatlichen Akteuren im jeweiligen Abkommen zugestandenen Rechte und auferlegten Pflichten nicht zur Änderung ihres Status (und zu ihrer Legitimation) führen sollen.76 Den Interessen der internationalen Gemeinschaft als Ganzes dient dies gleichwohl nicht.77
III. Vom zwischenstaatlichen Krieg zur innerstaatlichen Gewalteskalation Stets wandelte sich das Bild bewaffneter Auseinandersetzungen. Gleich ob die heute ausgetragenen Konflikte als „neue“78, „wilde“79 oder „kleine“80 (Bürger-) Kriege bezeichnet werden81, sind es vor allem ihre Gewaltakteure, -motive und
74 Roberts/Sivakumaran, in: Yale J. Int’l L. 2012, S. 107 (133); vgl. Noortmann, in: Heintze/ Ipsen (Hrsg.), Heutige bewaffnete Konflikte als Herausforderungen an das humanitäre Völkerrecht, S. 187 (192). 75 Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten (ZP Kinderrechtskonvention betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten) vom 2. Mai 2000, in Kraft getreten am 12. Februar 2002, BGBl. 2004 II 1355, UNTS Vol. 2173, 222. 76 Weitere im Rahmen nichtinternationaler bewaffneter Konflikte anwendbaren humanitär völkerrechtlichen Abkommen enthalten Versicherungen dieser Art, siehe Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 208, für die einzelnen Abkommen siehe Fn. 417. 77 Siehe Roberts/Sivakumaran, in: Yale J. Int’l L. 2012, S. 107 ff. 78 Kaldor, Neue und alte Kriege; Münkler, Die neuen Kriege. Die Umschreibung „neu“ bezieht sich vor allem auf den Gestaltwandel feindlicher Auseinandersetzungen seit dem Ende des Kalten Krieges. 79 Sofsky, Zeiten des Schreckens, insbesondere S. 147 ff. 80 Daase, Kleine Kriege – Große Wirkung; ders., in: Hasse/Müller/Schneider (Hrsg.), Humanitäres Völkerrecht, S. 132 ff. 81 Zur Bezeichnung heutiger Konflikte Hippler, in: ders. et al. (Hrsg.), Friedensgutachten 2009, S. 32 (36 f.); Münkler, Die neuen Kriege, S. 43 ff.
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-methoden, die sie von zwischenstaatlichen Kriegen früherer Zeit unterscheiden. Im Folgenden wird meist die neutrale Formulierung „heutige Konflikte“ verwendet. 1. Klassische Staatenkriege Das Kriegsgeschehen (in der westlichen Welt), der klassische Staatenkrieg, und die Bildung des modernen, souveränen Staates, wie wir ihn seit dem Westfälischen Frieden 1648 kennen und wie er das Völkerrecht prägt(e), sind kaum zu trennen.82 Im internationalen Recht gelten alle Staaten, unabhängig von der Größe ihres Territoriums und ihrer Bevölkerungszahl, als gleich.83 Sie sind nach außen wie innen souverän, handeln autonom. Daraus folgte, dass allein Staaten Krieg führen durften und, wegen der immer steigenden Kosten84, konnten. Den Staaten allein kam das ius ad bellum zu.85 Doch waren die Kampfparteien etwa ab dem 19. Jahrhundert bei der Kriegsführung an das ius in bello gebunden. Lange Zeit war der Krieg als Instrument der Politik- und Weltgestaltung anerkannt. Bewaffnete Konflikte wurden dann ganz überwiegend zwischen Staaten geführt. Sie begannen mit einer förmlichen Kriegserklärung oder dem kriegsführungswilligen Auftreten mindestens eines Staates und endeten mit einem Friedensvertrag oder -diktat. Es gab einen erkennbaren Anfang und ein ebenso erkennbares Ende. Kriegsund Friedenszeiten waren so klar getrennt.86 Grotius schloss daraus, dass es kein Drittes zwischen Krieg und Frieden gebe.87 Staaten führten Kriege, um ihre Macht und ihren Einfluss auszuweiten, die Macht und den Einfluss anderer Staaten einzudämmen. Reguläre Armeen trugen die Feindseligkeiten auf dem Feld aus; das gemeine Volk und seine Güter waren kaum berührt. Man spricht insofern auch vom Kabinettskrieg. Erst im Laufe der Jahre, besonders seit der Französischen Revolution 1789, wurden Zivilpersonen mit Einführung der Wehrpflicht, der Einstellung von Politik, Wirtschaft, Medien und allgemein der Bevölkerung auf Kriegszwecke, schließlich auch als Opfer einbezogen.88
82
Vgl. Kaldor, Neue und alte Kriege, S. 34. Brownlie, Principles of Public International Law, S. 289. 84 Lange, Der Status der Aufständischen im modernen humanitären Völkerrecht, S. 7, 9; Münkler, Die neuen Kriege, S. 109. 85 Zum Ganzen Hobe, Völkerrecht, S. 39 f.; Oeter, in: Cremer et al. (Hrsg.), FS Steinberger, S. 259 (263 f.; 272). 86 Hierzu Hippler, in: ders. et al. (Hrsg.), Friedensgutachten 2009, S. 32 (32); Münkler, Die neuen Kriege, S. 24. 87 Grotius, De iure belli ac pacis libris tres, S. 578; siehe auch Lange, Der Status der Aufständischen im modernen humanitären Völkerrecht, S. 32. 88 Hippler, in: ders. et al. (Hrsg.), Friedensgutachten 2009, S. 32 (33); vgl. auch Münkler, Die neuen Kriege, S. 24. 83
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1. Kap.: Begriffsbestimmungen
Unter diesen Voraussetzungen89 und auf diese Art und Weise90 führte man (in Europa) Auseinandersetzungen bis Ende des Zweiten Weltkriegs. 2. Heutige Konflikte Aufstände und andere Formen innerstaatlicher Gewaltanwendung lösten die zwischenstaatlichen Kriege in den vergangenen Jahrzehnten weitestgehend ab. Anders als in den Konflikten seit dem 17. Jahrhundert geht es heute weniger um die Entstehung und Konsolidierung von Staaten, eines Staatensystems, sondern mehr um deren Wandel und Auflösung.91 Der Bürgerkrieg bringt die Säulen des Staates ins Wanken, gar zum Umstürzen – es droht ein Rollback vom status civilis in den status naturalis.92 Zum Selbsterhalt kämpft im Naturzustand jeder gegen jeden. In den entstehenden Hohlräumen richten sich dann neue Verbände ein. So wird, zwar oft in rudimentärer Form und durch andere Akteure, weiter eine gewisse Staatlichkeit 89 Bereits nach dem Ende des Ersten Weltkriegs gab man mit Art. 11 Abs. 1 S. 1 Völkerbundsatzung vom 28. Juni 1919, RGBl. 1919, 717, der bestimmt, „dass jeder Krieg und jede Bedrohung mit Krieg, mag davon unmittelbar ein Bundesmitglied betroffen werden oder nicht, eine Angelegenheit des ganzen Bundes ist, und dass dieser die zum wirksamen Schutz des Völkerfriedens geeigneten Maßnahmen zu ergreifen hat“, den Krieg als allgemeines Politikmittel auf. Fortan war der Krieg nicht mehr nur eine Sache der kriegführenden Staaten, sondern des Völkerbundes. Ein generelles Kriegsverbot wurde erstmals im Vertrag über die Ächtung des Krieges (nach den damaligen Außenministern der USA und Frankreichs auch als Briand-Kellogg-Pakt bezeichnet) vom 27. August 1928, in Kraft getreten am 24. Juli 1929, RGBl. 1929 II 97, LNTS Bd. 94, 57, niedergelegt. Die Vertragsstaaten erklärten in Art. 1 Briand-Kellogg-Pakt, „dass sie den Krieg als Mittel zur Lösung internationaler Streitfälle verurteilen und auf ihn als Werkzeug nationaler Politik in ihren gegenseitigen Beziehungen verzichten.“ Mit Art. 2 Abs. 4 VN-Charta wurde das Kriegsverbot dann zum allgemeinen Gewaltverbot ausgeweitet: „Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.“ Die VN-Charta kennt zwei Ausnahmen: die individuelle oder kollektive Selbstverteidigung gegen einen bewaffneten Angriff, Art. 51 VN-Charta, und die vom Sicherheitsrat gemäß Kap. VII VN-Charta autorisierte Gewalt. Das Gewaltverbot und seine Ausnahmen sind heute auch völkergewohnheitsrechtlich anerkannt, Doehring, Völkerrecht, S. 84, Rn. 190. Da das Völkerrecht keine Aussage über die Androhung und Anwendung von Gewalt durch oder gegen nichtstaatliche Akteure trifft, überlässt es die Frage deren Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit dem nationalen Recht, Castrén, Civil War, S. 19; Randelzhofer, in: ZfP 1971, S. 237 (245). 90 Gleichwohl wurden auch immer Bürgerkriege geführt, siehe Randelzhofer, in: ZfP 1971, S. 237 (239 ff.). 91 Vgl. Daase, Kleine Kriege – Große Wirkung, S. 11; Kaldor, Neue und alte Kriege, S. 133 f.; anders aber Schlichte, in: PVS 2006, S. 547 (549 f., 564). 92 Randelzhofer, in: ZfP 1971, S. 237 (241).
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ausgeübt.93 Man nutzt die vorhandenen Strukturen, baut ähnliche Strukturen auf und aus. Mithin zirkulieren die Kämpfe um den Staat als Regierungs- und Verwaltungskonstrukt.94 Von den Bürgern gefordert werden schließlich Institutionen, die ihre Rechte und Freiheiten wahren und vor Eingriffen Dritter schützen. Daher kann man auch nur vorsichtig von Staatszerfallkriegen95 sprechen. Bisweilen folgen die neuen Machthaber aber mehr eigenen Interessen, als denen des Volkes.96 a) Konfliktparteien Nur noch selten werden Konflikte zwischen regulären Streitkräften ausgetragen. Die Akteurspalette ist heute bunter. Neben der Armee kämpfen Milizen, Paramilitärs, Kriegs- und Sicherheitsunternehmen für den Staat. Rebellen, Kriegsherren, Terroristen etc. stehen auf gegnerischer Seite oder befehden sich gegenseitig. Von den einen werden sie als Aufständische, von den anderen als Freiheitskämpfer bezeichnet. Hinsichtlich ihrer (End-)Ziele, Organisation, Finanzierung, Kampfmittel und -methoden differieren die Gruppen teils erheblich. Das Spektrum reicht von lose verbundenen Verbänden, die nur sporadisch Gewalt einsetzen, bis zu hierarchisch strukturierten, militärisch starken Verbänden, die de facto-Herrschaft über Staatsgebiet und -volk ausüben. Und während einige klare politische Absichten verfolgen, steht bei anderen die Selbstbereicherung im Vordergrund. Ersteren geht es um langfristige Projekte, Letzteren um zeitweilige finanzielle und materielle Gewinne. Zur Erlangung ihrer jeweiligen Ziele, aber auch allgemein zur Konfliktfinanzierung97, setzen die Gruppierungen Gewalt gegen den Gegner und gegen Zivilpersonen ein. Einige kämpfen für, andere gegen die bzw. einen Teil der Bevölkerung, häufig ist beides zugleich der Fall.98 93
Schlichte, in: PVS 2006, S. 547 (566); siehe auch Mampilly, Rebel Rulers. Vgl. Schlichte, in: PVS 2006, S. 547 (549). 95 Von Staatszerfallkriegen sprechen etwa Münkler, Die neuen Kriege, S. 135; und Lange, Der Status der Aufständischen im modernen humanitären Völkerrecht, S. 24 ff. 96 Mair, in: Ferdowsi (Hrsg.), Afrika – ein verlorener Kontinent?, S. 100 (106); vgl. Lange, Der Status der Aufständischen im modernen humanitären Völkerrecht, S. 59. 97 Die Finanzierung bewaffneter Auseinandersetzungen erfuhr mit dem Ende des Kalten Krieges eine starke Zäsur. Gewaltökonomien entstanden insbesondere wegen der ausbleibenden finanziellen Unterstützung durch die Großmächte und die Deregulierung der Märkte weltweit, vgl. Schlichte, in: medico international (Hrsg.), Zur Ökonomie der „neuen“ Kriege, S. 8 (14). Vor allem substaatliche Konfliktteilnehmer beuten die Bevölkerung, Bodenschätze und Rohstoffe aus, handeln mit Drogen, schmuggeln und plündern, vgl. Heupel, in: APuZ 46/ 2009, S. 9 (9); Schlichte, in: medico international (Hrsg.), Zur Ökonomie der „neuen“ Kriege, S. 8 (11, 13). Durch Schattenwirtschaft und -globalisierung nehmen sie an der Weltwirtschaft teil. Die Grenzen zwischen Konflikt, organisierter Kriminalität und Erwerbsleben verschwimmen zusehends, Münkler, Die neuen Kriege, S. 131 ff. 98 Vgl. Daase, in: Hasse/Müller/Schneider (Hrsg.), Humanitäres Völkerrecht, S. 132 (141 f.); Mehler, in: Nord-Süd aktuell 2004, S. 539 (542); Sofsky, Zeiten des Schrecken, S. 148 f.; Vigny/Thompson, in: Netherl. Hum. Rts. Q. 2002, S. 185. 94
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1. Kap.: Begriffsbestimmungen
b) Konfliktursachen und -ziele Gewalt(androhung) in der Herrschaftsausübung, insbesondere beim Umgang mit Oppositionellen, eine ungerechte Verteilung von Macht und Ressourcen, die Ausgrenzung, Benachteiligung und Unterdrückung ganzer Bevölkerungsgruppen, insbesondere der Minderheiten und derjenigen, die in der Peripherie leben, Korruption und Vetternwirtschaft führen vielerorts zu Unzufriedenheit, zu physischem wie psychischem Leid und materieller Not. Allzu oft kommt der Staat seinen Hauptaufgaben, der Gewährung von Freiheit, der Leistung von Schutz und Hilfe für das gesamte Volk, nicht oder nur ungenügend nach, geht gar selbst gegen die Menschen vor. Dann verlieren die Bürger ihr Vertrauen in die Regierenden.99 Damit ist der Nährboden für außerstaatliche Verbände, die in das Vakuum vorstoßen, bereitet.100 Nichtstaatliche (Gewalt-)Akteure geben den Ausgegrenzten, Benachteiligten und Unterdrückten eine Stimme, treten politisch und militärisch für ihre Interessen und Rechte ein. Angestrebt werden eine gerechtere Macht- und Ressourcenverteilung, die Regierungsübernahme oder zumindest -beteiligung, Autonomierechte, seltener die Sezession.101 Heutige Konflikte gestalten sich so oft als Reflex der Bevölkerung gegen Gewaltherrschaften, Ungerechtigkeiten und Nepotismus. Je mehr Macht nun die außerstaatliche Opposition erlangt, desto mehr Effektivität und Legitimität verliert der Staat. Letzteres erfolgt direkt wie indirekt: Oft kann oder will der Staat in Konfliktzeiten sein Schutzversprechen gegenüber den Bürgern, gegenüber allen Bürgern, nicht einhalten. Und greift der Staat, provoziert von den Aufständischen, selbst zu unkonventionellen Mitteln und Methoden, umgeht und verletzt er Recht.102 Ein Teufelskreis entsteht. Teils bricht die staatliche Ordnung gänzlich zusammen, übernehmen neue Akteure deren Funktion.103 De facto-Regime und parastaatliche Strukturen entstehen. Noch bis 1990/91 führte man Bürgerkriege vor dem Hintergrund einer bipolaren Welt.104 Mit Ende des Ost-West-Konflikts löste dann die partikulare Interessenvertretung ideologisch, weltpolitisch und geostrategisch motivierte oder zumindest beeinflusste Konflikte ab. Macht- und Ressourcenansprüche werden nun auf Basis ethnischer, religiöser oder sprachlicher Identität begründet, Anhänger auf diese 99
Vgl. Mehler, in: Nord-Süd aktuell 2004, S. 539 (542). Mehler, in: Nord-Süd aktuell 2004, S. 539 (542); siehe auch Lange, Der Status der Aufständischen im modernen humanitären Völkerrecht, S. 57, 59. 101 Vgl. Lehmler, Die Strafbarkeit von Vertreibungen aus ethnischen Gründen im bewaffneten nicht-internationalen Konflikt, S. 18. 102 Zum Legitimationsverlust insgesamt Daase, Kleine Kriege – Große Wirkung, S. 222 ff.; zum indirekten Legitimationsverlust siehe auch Sofsky, Zeiten des Schreckens, S. 149. 103 Policzer, in: J. Hum. Rts. 2006, S. 215 (218); Schlichte, in: PVS 2006, S. 547 (566); auf Afrika bezogen Mehler, in: Nord-Süd aktuell 2004, S. 539 ff. 104 Siehe Randelzhofer, in: ZfP 1971, S. 237 (244). 100
A. Nichtstaatliche Gewaltakteure
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Weise mobilisiert und gebunden.105 Statt der Zugehörigkeit zu einem Staat zählt heute die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie, Religions- oder Sprachgemeinschaft. Kritisch ist dabei nicht schon das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft in einem Staat oder einer Provinz, sondern die Dominanz einer bzw. mehrerer Gruppen zum Ausschluss der anderen.106 Wird die Situation unerträglich, erheben sich die Außenvorgelassenen gegen diese Ordnung. Anders als die Staatenentstehungs- und Staatenkonsolidierungskriege vom 17. bis zum 20. Jahrhundert, die Entkolonialisierungsbewegungen und der Systemstreit des Kalten Krieges sind Auseinandersetzungen heute nicht integrativ, sondern auf Exklusion gerichtet.107 Wegen ihrer enormen Dynamik werden die ethnisch oder religiös aufgeladenen Konflikte gegen sozioökonomische Ungleichheit, Klientelismus und Staatsdespotismus mit der Zeit aber häufig um eigennützige macht- und wirtschaftspolitische Motive ergänzt oder gar von diesen verdrängt.108 c) Kampfmittel und -methoden aa) Allgemein Das Gewaltniveau der Bürgerkriege reicht von kurzen Scharmützeln bis zu lang andauernden, brutal ausgetragenen Feindseligkeiten. Häufig schwankt es, der Konflikt köchelt, flammt immer wieder auf. Nichtstaatliche Gruppen führen die Gefechte vor allem mit Amateurkämpfern, billigen, leichten, von jedermann – auch von Kindern – zu bedienenden Waffen, und alten Pick-ups als Transport- und Kampffahrzeug.109 Mittel des Guerillakrieges und andere unkonventionelle Methoden werden angewandt – von substaatlichen ebenso wie von staatlichen Truppen. Immer wieder artet die Gewalt aus, regiert die Disziplinlosigkeit.110 Kämpfe finden überall und zwischen (fast) jedem statt.111 Ziel und Zielscheibe der durch Einzelbzw. Gruppenrepräsentation gekennzeichneten Auseinandersetzungen ist das Volk.
105
Kaldor, Neue und alte Kriege, S. 23, 131 ff. Lange, Der Status der Aufständischen im modernen humanitären Völkerrecht, S. 22; Tetzlaff, in: Ferdowsi (Hrsg.), Afrika – ein verlorener Kontinent?, S. 33 (58); Tull, in: Ferdowsi (Hrsg.), Afrika – ein verlorener Kontinent?, S. 126 (135); siehe auch Cohen/Deng, Masses in Flight, S. 21. 107 Siehe Kaldor, Neue und alte Kriege, S. 24, 133 f. 108 Lange, Der Status der Aufständischen im modernen humanitären Völkerrecht, S. 22 f. 109 Kaldor, Neue und alte Kriege, S. 163; Münkler, Die neuen Kriege, S. 10, 131 ff. 110 Münkler, Die neuen Kriege, S. 36 ff., 138 f.; Sofsky, Zeiten des Schrecken, S. 147 ff. 111 Daase, in: Hasse/Müller/Schneider (Hrsg.), Humanitäres Völkerrecht, S. 132 (141 f.); Mehler, in: Nord-Süd aktuell 2004, S. 539 (542); Sofsky, Zeiten des Schrecken, S. 148 f. 106
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1. Kap.: Begriffsbestimmungen
bb) Vertreibungen Typisch sind dann (interne) Vertreibungen. Die Menschen fliehen vor Angriffen auf ihre Person, ihr Haus, ihre Siedlung oder allgemein der Gewalt. Sie fliehen vor Rechtsverletzungen oder um gar nicht erst Opfer von Rechtsverletzungen zu werden. Mittels Vertreibung von Zivilpersonen will man den Gegner schwächen, ihm seine (vermeintliche) Basis, regelmäßig Zugehörige einer bestimmten Ethnie, Religionsoder Sprachgemeinschaft, entziehen.112 Und viele meinen, die Erlangung bzw. Erhaltung von Macht und Ressourcen erfordere die Beseitigung von Menschen einer anderen Herkunft als der der eigenen Gruppe, also potentieller Opponenten.113 Stellten Vertreibungen früher einen (un-)erwünschten Nebeneffekt des (Bürger-) Kriegs dar, werden sie heute oft strategisch eingesetzt.114 Dies kann gar zu ethnischen Säuberungen und Völkermord führen. Während Erstere auf eine Änderung der nationalen, ethnischen, rassischen oder religiösen Zusammensetzung der Bevölkerung, die Schaffung homogener Gebiete, zielen115, sollen Mitglieder nationaler, ethnischer, rassischer oder religiöser Gruppen116 beim Völkermord zerstört, also getötet, Opfer schwerer körperlicher oder seelischer Schäden, der vorsätzlichen Auferlegung von Lebensbedingungen, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen, oder der Verhängung von auf die Geburtenverhinderung gerichteten Maßnahmen werden; zudem gilt die gewaltsame Überführung von Kindern einer Gruppe in eine andere Gruppe als Genozid, siehe Art. II Genozidkonvention.117 Das Tatziel ist jeweils ein anderes118, gleichwohl sind Überschneidungen möglich.119 112
Vgl. Zeender, in: Refugee Surv. Q. 3/2005, S. 96 (102). Siehe Cohen/Deng, Masses in Flight, S. 5; Hippler, in: APuZ 46/2009, S. 3 (4); Hofmann, in: Beyerlin et al. (Hrsg.), FS Bernhardt, S. 417 (422); Kaldor, Neue und alte Kriege, S. 26, 166 f.; Phuong, The International Protection of Internally Displaced Persons, S. 210 f. 114 Gillard, in: Refugee Surv. Q. 3/2005, S. 37 (37); Hofmann, in: Beyerlin et al. (Hrsg.), FS Bernhardt, S. 417 (422); Mooney, in: Refugee Surv. Q. 3/2005, S. 9 (15); vgl. Lavoyer, in: Bayefsky/Fitzpatrick (Hrsg.), Human Rights and Forced Displacement, S. 50 (58). 115 Ambos, Internationales Strafrecht, S. 209, Rn. 144; Lehmler, Die Strafbarkeit von Vertreibungen aus ethnischen Gründen im bewaffneten nicht-internationalen Konflikt, S. 216; IGH, Case Concerning the Application of the Convention on the Prevention and Punishment of Genocide (Bosnia and Herzegovina v. Serbia and Montenegro), Judgment, 26. Februar 2007, ICJ Reports 2007, 43, Rn. 190; E/CN.4/1994/110, 21. Februar 1994, Rn. 283. 116 Diese Aufzählung ist abschließend, Werle, Völkerstrafrecht, S. 337, Rn. 762; vgl. auch S. 343 f., Rn. 777 ff. Den Merkmalen ist gemein, dass sie (ganz überwiegend) durch Geburt vermittelt werden und relativ stabil sind, Safferling, Internationales Strafrecht, S. 165, Rn. 17 f. Bei der Zuordnung von Personen zu einer Gruppe kommt es auf objektive Kriterien, aber auch auf die Selbstwahrnehmung der Gruppe(nmitglieder) sowie die Fremdwahrnehmung der Gruppe durch Dritte an, Safferling, Internationales Strafrecht, S. 167, Rn. 21; siehe auch International Commission of Inquiry on Darfur, Rn. 509 ff.; ICTR, Prosecutor v. Akayesu, ICTR96-4-T, 2. September 1998, Rn. 702. 117 Die Definition des Völkermords ist in Art. II Übereinkommen über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes (Genozidkonvention) vom 9. Dezember 1948, in Kraft getreten am 12. Januar 1951, BGBl. 1954 II 730, UNTS Vol. 78, 277, niedergelegt und wurde in Art. 4 Abs. 2 Statut des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien (ICTY113
A. Nichtstaatliche Gewaltakteure
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So handelt es sich bei der ethnischen Säuberung nicht um einen rechtlichen Terminus, sondern einen Verbrechenskomplex, in dessen Rahmen schwere Menschenrechtsverletzungen wie Mord, Folter, sexuelle Gewalt und vor allem Vertreibungen verübt werden.120 Diese Menschenrechtsverletzungen können aber auch den Völkermordtatbestand erfüllen. Heutige Konflikte sind ausschlussorientiert. Vertreibungen stellen so die physische Manifestation politischer und militärischer Kämpfe um Kontrolle zwischen dem Staat und nichtstaatlichen Gewaltakteuren dar.121 d) Konfliktbeendigung Als erfolgreich gilt eine Partei heute, wenn sie Macht und Ressourcen gewinnt bzw. verteidigt und gerecht verteilt.122 Frieden und Sicherheit sind nötig, ebenso der Auf- und Ausbau staatlicher Strukturen. Die (neue) Regierung muss von der gesamten Bevölkerung anerkannt, zumindest aber toleriert werden. Schließlich ist das Vertrauen der Menschen zueinander und zu ihrem Staat (wieder-)herzustellen.123 Es bedarf eines inklusiven Staaten- und Nationenbildungsprozesses.
Statut), S/RES/827/1998, 25. Mai 1993, Art. 2 Abs. 2 Statut des Internationalen Strafgerichtshofs für Ruanda (ICTR-Statut), S/RES/955/1994, 8. November 1994, und Art. 6 IStGHStatut übernommen. 118 Ambos, Internationales Strafrecht, S. 230, Rn. 139. 119 Der Internationale Gerichtshof (IGH): „Wether a particular operation described as ,ethnic cleansing‘ amounts to genocide depends on the presence or absence of acts listed in Article II of the Genocide Convention, and of the intent to destroy the group as such. In fact, in the context of the Convention, the termin ,ethnic cleansing‘ has no legal significance of its own. That said, it is clear that acts of ,ethnic cleansing‘ may occur in parallel to acts prohibited by Article II of the Convention, and may be significant as indicative of the presence of a specific intent (dolus specialis) inspiring those acts“, IGH, Case Concerning Application of the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide (Bosnia and Herzegovina v. Serbia and Montenegro), Judgment 26. Februar 2007, ICJ Reports 2007, 43, Rn. 190. 120 Werle, Völkerstrafrecht, S. 352, Rn. 797; vgl. Lüders, Die Strafbarkeit von Völkermord nach dem Römischen Statut für den Internationalen Strafgerichtshof, S. 221 ff. Nach dem ICTY sind Vertreibungen „the essence“ der ethnischen Säuberung, ICTY, Prosecutor v. Stakic´, IT-9724-T, 31. Juli 2003, Rn. 664. 121 Phuong, The International Protection of Internally Displaced Persons, S. 210. 122 Hippler, in: ders. et al. (Hrsg.), Friedensgutachten 2009, S. 32 (39). 123 Zur Beendigung heutiger Konflikte Hippler, in: ders. et al. (Hrsg.), Friedensgutachten 2009, S. 32 (45 ff.); ders., in: APuZ 46/2009, S. 3 ff.
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1. Kap.: Begriffsbestimmungen
3. Heutige Konflikte in Afrika Heutige Konflikte in Afrika passen in dieses Bild, weisen daneben jedoch einige Besonderheiten auf. Zwar wurde die in den 1950er Jahren einsetzende Dekolonialisierung afrikanischer Staaten von Auseinandersetzungen zwischen Befreiungsbewegungen und den Kolonialmächten begleitet, doch verlief sie insgesamt relativ friedlich.124 Überwiegend folgte eine ruhige, recht stabile Phase, in der die nun freien Staaten von nützlichen Überbleibseln der Kolonialzeit, etwa der geschaffenen Infrastruktur, der bürokratischen Organisation sowie geistigen Innovationen, profitierten.125 Doch erwiesen sich viele der neuen Machthaber als außerwillens und außerstande zur Staatsbildung und -führung. Freiheiten und Rechte der Bürger werden unterdrückt. Die politische, militärische und ökonomische Macht ist zentralisiert, Posten und Güter sind auf Wenige, meist Angehörige bestimmter Volksgruppen, verteilt, Klientelismus und Korruption sind allgegenwärtig.126 Zusätzlich führen der rasante Bevölkerungsanstieg127 und die durch Dürren, Überschwemmungen und andere Wetterkapriolen verursachte Ressourcenknappheit zu Verteilungsproblemen. Am schwersten wiegt aber wohl, dass es die meisten Staaten Afrikas nach Erlangung ihrer Unabhängigkeit versäumten, die durch willkürliche koloniale Grenzziehung vermischten Ethnien, Religionen und Sprachen zu integrieren und ein gemeinsames Nationalbewusstsein herzustellen. Allein zur Vermeidung von Grenzstreitigkeiten einigten sich die Gründungsstaaten der OAU in der OAUGründungscharta vom 25. Mai 1963 auf das Prinzip der Unverletzlichkeit bestehender Grenzen. So prägte sich nur selten eine Identität als Bürger eines bestimmten Staates aus.128 Viele Menschen nehmen den Staat kaum oder primär als Gewalt- und Willkürapparat wahr. Sie orientieren sich dann (weiter) an ihrem Stamm, an Kulturund Glaubenssätzen.129 Gerade in Afrika, wo der heterogene Gruppen umfassende Staat als Ordnungsform erst spät und „von oben“ eingeführt wurde130, sitzen der Tribalismus, die Achtung und zentrale Bedeutung von Familie und Gemeinschaft tief.131 Daher entstanden nur vereinzelt Staaten, die mittels effektiven und legitimen
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Schlichte, in: PVS 2006, S. 547 (554); Speitkamp, Kleine Geschichte Afrikas, S. 371. Tetzlaff, in: Hofmeier/Jakobeit (Hrsg.), Afrika-Jahrbuch 1999, S. 34 (34); ders./Jakobeit, Das nachkoloniale Afrika, S. 51. 126 Siehe Deng et al., Sovereignty as Responsibility, S. 21; Tetzlaff, in: Hofmeier/Jakobeit (Hrsg.), Afrika-Jahrbuch 1999, S. 34 (43). 127 Siehe hierzu die Statistik der Weltbank, Population Growth. 128 Tetzlaff/Jakobeit, Das nachkoloniale Afrika, S. 118. 129 Cohen/Deng, Masses in Flight, S. 21; Deng et al. (Hrsg.), Sovereignty as Responsibility S. 62 ff. 130 Vgl. Tetzlaff, in: Ferdowsi (Hrsg.), Afrika – ein verlorener Kontinent?, S. 33 (42). 131 Tetzlaff, in: Hofmeier/Jakobeit (Hrsg.), Afrika-Jahrbuch 1999, S. 34 (37); vgl. ders./ Jakobeit, Das nachkoloniale Afrika, S. 64. 125
A. Nichtstaatliche Gewaltakteure
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Systems ein Gebiet verwalten, dessen gesamte Bewohner sie dienen und repräsentieren.132 Mehr Länder sind fragile, zersplitterte, gar zerfallende Gebilde. Lange Zeit blieben die internen Probleme afrikanischer Staaten jedoch hinter dem das Weltgeschehen prägenden Kalten Krieg verborgen. Finanzielle, militärische und logistische Hilfe sicherte West wie Ost die Loyalität von Regierungen und Oppositionsgruppen.133 Kaum überlebensfähige postkoloniale Konstrukte hielt man so am Leben. Aber seit 1990/91 zählt die Treue ausländischer Partner im Kampf gegen die kommunistische bzw. kapitalistische Gefahr nicht länger. Gelder und sonstige Unterstützung der ehemaligen Blockmächte gingen zurück134 bzw. die Geber verlangten nun im Gegenzug good governance135, womit der Demokratisierungsdruck stieg.136 Dies sowie neoliberale Reformen, insbesondere auf Vorgaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank hin, innervierten in vielen Ländern eine Neuordnung staatlicher Strukturen und der Wirtschaft.137 Aber mancher der ohnehin schwachen Staaten war den Veränderungen und Erwartungen der Völkerrechtsgemeinschaft nicht gewachsen. Die hohe Zahl in Afrika ausgetragener Konflikte138 und die Tatsache, dass viele hiervon eine ethnische oder religiöse Komponente aufweisen, führen dann auch dazu, dass über ein Drittel der weltweiten Binnenflüchtlinge hier lebt.139
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Tetzlaff, in: Hofmeier/Jakobeit (Hrsg.), Afrika-Jahrbuch 1999, S. 34 (41). Tetzlaff/Jakobeit, Das nachkoloniale Afrika, S. 200; siehe auch Deng et al. (Hrsg.), Sovereignty as Responsibility, S. 21. Auch dienten zur Zeit des Kalten Krieges in Afrika ausgetragene Konflikte oft als Katalysator für Streitigkeiten zwischen den Großmächten. Man drängte den Ost-West-Konflikt so an die Peripherie, Daase, Kleine Kriege – Große Wirkung, S. 13. 134 Das strategische Interesse an Ländern der sog. Dritten Welt verringerte sich, Sofsky, Zeiten des Schreckens, S. 147. Zudem minderten neue Aufstände und Bürgerkriege in Afrika das wirtschaftliche Interesse westlicher Staaten an dem Kontinent, Tetzlaff/Jakobeit, Das nachkoloniale Afrika, S. 201. 135 Im Deutschen: gute bzw. verantwortungsvolle Staatsführung. 136 Kaldor, Neue und alte Kriege, S. 140; Tetzlaff/Jakobeit, Das nachkoloniale Afrika, S. 207; Tetzlaff, in: Hofmeier/Jakobeit (Hrsg.), Afrika-Jahrbuch 1999, S. 34 (35); vgl. von Trotha, in: Leviathan 2000, S. 251 (261 f.). 137 Tetzlaff, in: Ferdowsi (Hrsg.), Afrika – ein verlorener Kontinent?, S. 33 (38 f.); ders., in: Hofmeier/Jakobeit (Hrsg.), Afrika-Jahrbuch 1999, S. 34 (35); siehe auch Bassil, The PostColonial State and Civil War in Sudan, S. 23. Anfang der 90er Jahre entwarfen der Internationale Währungsfond (IWF) und die Weltbank den sog. „Washingtoner Konsens“ zur Regelung des Umgangs mit den Schuldnerstaaten. Kernpunkte sind die Liberalisierung und Deregulierung der Märkte, die Privatisierung der Wirtschaft sowie die Entbürokratisierung. 138 Das HIIK zählte für 2012 90 Konflikte unterschiedlichen Ausmaßes in SubsaharaAfrika, HIIK, Conflict Barometer 2012, S. 4, 27 ff. 139 Siehe Kießling, in: Friedenswarte 2010, S. 13 (16). 133
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1. Kap.: Begriffsbestimmungen
B. Binnenvertriebene Fluchtbewegungen innerhalb und über Staatsgrenzen hinaus sind kein Phänomen neuerer Zeit, sondern existieren seit alters her.140 Aktuell leben viele Millionen fern ihrer Heimat. In rechtlicher Hinsicht ist zwischen Flüchtlingen und Binnenvertriebenen zu differenzieren. Auch wenn Letztere die Grenzen ihres Herkunftsstaates nicht überschreiten, sind sie mittlerweile als eigenständige Gruppe Gegenstand globaler Debatten und des Völkerrechts. Aus vielfältigen Gründen verlassen Menschen ihre Heimat und lassen sich an einem anderen Ort innerhalb ihres Landes nieder. Aber nicht alle sind auch Binnenflüchtlinge im Sinne der vorliegenden Arbeit.
I. Abgrenzung Binnenvertriebene – Flüchtlinge Die tatsächlichen Bedürfnisse und Nöte aller, die aus ihrer Heimat fliehen, sind ähnlich. Rechtlich macht es indes einen Unterschied, ob eine Person die Grenze ihres Landes übertritt.141 Während Flüchtlinge ihren Staat verlassen142, verbleiben Binnenvertriebene innerhalb dessen Hoheitsbereich.143 140
Einen Überblick über Fluchtbewegungen in der Vergangenheit findet sich bei Lehmler, Die Strafbarkeit von Vertreibungen aus ethnischen Gründen im bewaffneten nicht-internationalen Konflikt, S. 49 ff. 141 Kidane, in: Vand. J. Transnat’l L. 2011, S. 1 (5); Phuong, The International Protection of Internally Displaced Persons, S. 13. 142 Darüber, dass Flüchtlinge die Grenze ihres Heimatstaats überschreiten müssen, besteht heute weitgehend Einigkeit, Goodwin-Gill/McAdam, The Refugee in International Law, S. 63; Simpson, Refugees, S. 1, 3; ders., in: Int’l Aff. 1938, S. 607 (609); Weis, in: British Yb. Int’l L. 1953, S. 478 (480). Hathaway und Shacknove erkennen aber das Fremdsein nicht als konstitutives Element der Flüchtlingseigenschaft an, sondern sehen hierin vielmehr nur eine praktische Voraussetzung, um die Geflohenen in die Reichweite der internationalen Gemeinschaft zu rücken, Hathaway, The Law of Refugee Status, S. 31 f.; Shacknove, in: Ethics 1985, S. 274 (277). Zum Grenzübertritt siehe auch Art. 1 A Abs. 2 Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (nach dem Ort ihrer Verabschiedung: Genfer Flüchtlingskonvention, GFK) vom 28. Juli 1951, in Kraft getreten am 22. April 1954, BGBl. 1953 II 560, UNTS Vol. 189, 150, wonach Flüchtling insbesondere ist, wer „infolge von Ereignissen, die vor dem 1. Januar 1951 eingetreten sind, und aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz des Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will“, Hervorhebung durch die Autorin. Aufgehoben wurde die zeitliche Beschränkung durch Art. 1 Abs. 2 Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge von 1967 (Protokoll von 1967 oder nach dem Ort seiner Verabschiedung: New Yorker Protokoll) vom 31. Januar 1967, in Kraft getreten am 4. Oktober 1967, BGBl. 1969 II 1294, UNTS Vol. 606, 267. Nachdem bereits Art. 1 B Abs. 1 lit. b) GFK eine geographische Erweiterung des Anwendungsbereichs über Europa hinaus ermöglichte, hob man mit Art. 1 Abs. 3 Protokoll von 1967 die räumliche Begrenzung endgültig auf. Zum Grenzübertritt siehe auch die Flüchtlingsdefinitionen regio-
B. Binnenvertriebene
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1. Flüchtlinge Wird der Einzelne wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung verfolgt oder hat er eine solche Verfolgung zu befürchten und erhält er von seinem Heimatland keinen Schutz bzw. möchte diesen aufgrund der Furcht nicht erhalten144, vgl. Art. 1 A Abs. 2 GFK, zerbricht der Staat-Bürger-Bund, verletzt der Staat doch seine ureigenste(n) Aufgabe(n). Der Grenzübertritt des Bürgers dokumentiert diesen Bruch.145 Dabei kann es keinen Unterschied machen, ob die Verfolgung von staatlicher oder nichtstaatlicher Seite ausgeht. Bei Tätigwerden außerstaatlicher Akteure muss deren Verhalten jedoch dem Staat zuzurechnen sein oder dieser muss sonst unfähig oder unwillens sein, den Betroffenen zu schützen.146 naler Abkommen: Art. 1 Abs. 1 Konvention zur Regelung der Probleme von Flüchtlingen in Afrika von 1969 (OAU-Flüchtlingskonvention) vom 10. September 1969, in Kraft getreten am 20. Juni 1974, UNTS Vol. 1001, 45: „For the purposes of this Convention, the term ,refugee‘ shall mean every person who, owing to well-founded fear of being persecuted for reasons of race, religion, nationality, membership of a particular social group or political opinion, is outside the country of his nationality and is unable or, owing to such fear, is unwilling to avail himself of the protection of that country, or who, not having a nationality and being outside the country of his former habitual residence as a result of such events is unable or, owing to such fear, is unwilling to return to it“, Hervorhebungen durch die Autorin. Auch Art. 3 Abs. 3 Cartagena-Deklaration über Flüchtlinge (Cartagena-Deklaration) vom 22. November 1984, in Kraft getreten am 11. Oktober 1986, OAS/Ser.L/V/II.66, Doc. 10, Rev. 1 (1985), 190, nimmt auf die Flüchtlingsdefinition der GFK Bezug. Trotz ihrer rechtlichen Unverbindlichkeit besitzt die Cartagena-Deklaration in Zentralamerika eine hohe Akzeptanz, de Andrade, in: Int’l J. Refugee L. 1998, S. 389 (402 f.); Arboleda, in: Int’l J. Refugee L. 1991, S. 185 (189 f.). 143 VN, Analytical Report of the Secretary-General on internally displaced persons (im Folgenden: Analytical Report), E/CN.4/1992/23, 14. Februar 1992, Rn. 12. Den Grenzübertritt als maßgebliches Unterscheidungsmerkmal zwischen Flüchtlingen und Binnenvertriebenen jedoch in Frage stellend Lee, in: J. Int’l & Comp. L. 1997, S. 529 (531 ff.); ders., in: J. Refugee Stud. 1996, S. 27 (30 ff.). 144 Umstritten ist, wie die Formulierung „Schutz“ im Sinne des Art. 1 A Abs. 2 GFK zu verstehen ist. Während einige auf den vom Heimatstaat innerhalb dessen Territoriums gewährten Schutz abstellen, Hathaway, The Law of Refugee Status, S. 125; Shacknove, in: Ethics 1985, S. 274 (277 ff.), meinen andere, es komme auf die Gewährung diplomatischen bzw. konsularischen Schutzes an, Fortin, in: Int’l J. Refugee L. 2001, S. 570 ff.; Kälin, in: Georgetown Immigr. L. J. 2001, S. 415 (425 f.); Weis, in: British Yb. Int’l L. 1953, S. 478 (480). 145 Phuong, The International Protection of Internally Displaced Persons, S. 21, siehe auch die folgenden Seiten. Freilich bleibt der Flüchtling (zunächst) formal weiterhin Staatsangehöriger seines Heimatstaates. Zum Staat-Bürger-Bund siehe Policzer, in: J. Hum. Rts. 2006, S. 215 (217). 146 Fortin, in: Int’l J. Refugee L. 2001, S. 570 (574 f.); Hathaway, The Law of Refugee Status, S. 125 ff.; Kälin, in: Georgetown Immigr. L. J. 2001, S. 415 (418 ff.); Canada (Attorney General) v. Ward, 2 S.C.R. 689 (1993); siehe auch Art. 6 lit. c) Richtlinie über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den
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1. Kap.: Begriffsbestimmungen
Im Aufnahmestaat ist der Verfolgte ein Fremder. Flüchtlinge unterscheiden sich dabei insofern von gewöhnlichen Fremden wie Touristen oder Menschen, die, etwa berufsbedingt, einige Zeit im Ausland leben, als dass sie weder in ihren Herkunftsstaat zurückkehren können noch von diesem Unterstützung erhalten.147 Sie sind schutz- und hilflos. Nun hat jeder Staat Fremden gegenüber jedenfalls einen Mindestbestand an Rechten zu beachten.148 Wie alle Menschen sind zwar auch Flüchtlinge Berechtigte der allgemeinen Menschenrechte149, doch haben sie allein aufgrund der Vertreibung über die Staatsgrenze spezielle Bedürfnisse und Nöte und weniger Menschenrechte als die Bürger des jeweiligen Zufluchtsstaates.150 Mit der Einrichtung des United Nations High Commissioner für Refugees (UNHCR, Hochkommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge) und der Verabschiedung der GFK erhielten die Flüchtlinge nach dem Zweiten Weltkrieg ein eigenes Hilfs-, Schutz- und Rechtsregime auf internationaler Ebene. Der Grenz-
Inhalt des zu gewährenden Schutzes, RL 2004/83/EG vom 29. April 2004, L 304/12 ff., 30. September 2004; und § 60 Abs. 1 lit. c) Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (AufenthG) vom 30. Juli 2004, in Kraft getreten am 1. Januar 2005, BGBl. 2004 I 1950. Wie der Begriff „Schutz“ im Sinne des Art. 1 A Abs. 2 GFK zu verstehen ist, spielt für die Beantwortung der Frage, ob die Verfolgung auch von substaatlichen Akteuren ausgehen kann, keine Rolle, Fortin, in: Int’l J. Refugee L. 2001, S. 570 (576). 147 Grahl-Madsen, The Status of Refugees in International Law, S. 75; Grassi, Die Rechtsstellung des Individuums im Völkerrecht, S. 301 f.; Krülle, in: Zieger/Meissner/Blumenwitz (Hrsg.), FS Czaja, S. 43 (47). Insofern sind Flüchtlinge mit Staatenlosen vergleichbar. Weis spricht auch von „de jure unprotected person“, Staatenlosen, und „de facto unprotected person“, Flüchtlingen, Weis, in: British Yb. Int’l L. 1953, S. 478 (480). 148 Grassi, Die Rechtsstellung des Individuums im Völkerrecht, S. 302; Ipsen, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 856, Rn. 5; vgl. auch schon Root, in: Am. J. Int’l L. 1910, S. 517 (521); umfassend Roth, The Minimum Standard of International Law Applied to Aliens. 149 Lee, in: J. Refugee Stud. 1996, S. 27 (36 f.); vgl. auch Art. 1 AEMR „alle“ und Art. 2 AEMR „jeder“. Zur Anwendung des IPbpR auf Fremde Human Rights Committee (HRC, Menschenrechtsausschuss), General Comment No. 15, 11. April 1986. 150 Hathaway, The Rights of Refugees Under International Law, S. 121 f., 147, 154 ff.; ders., in: J. Refugee Stud. 2007, S. 349 (358); siehe auch Grassi, Die Rechtsstellung des Individuums im Völkerrecht, S. 303; vgl. etwa Art. 12 Abs. 1 und 4, 13, 25 IPbpR, Art. 2 Abs. 3 IPwskR, Art. 13 Abs. 1 und 2, 16 Abs. 2 Banjul-Charta, Art. 1 Abs. 2 Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (Rassendiskriminierungskonvention) vom 7. März 1966, in Kraft getreten am 4. Januar 1969, BGBl. 1969 II 962, UNTS Vol. 660, 195. Zudem können zahlreiche Menschenrechte von Flüchtlingen in Zeiten öffentlichen Notstands eingeschränkt oder außer Kraft gesetzt werden. Dies darf jedoch nicht den sonstigen völkerrechtlichen Verpflichtungen des Aufnahmestaates zuwiderlaufen und muss diskriminierungslos geschehen, vgl. Art. 4 Abs. 1 IPbpR. Anders als Art. 2 Abs. 1 IPbpR verbietet Art. 4 Abs. 1 IPbpR keine unterschiedliche Behandlung aufgrund der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen Herkunft, des Vermögens, der Geburt oder des sonstigen Status, siehe hierzu Hathaway, The Rights of Refugees Under International Law, S. 121.
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übertritt der Flüchtlinge macht ein Tätigwerden der Völkerrechtsgemeinschaft ohne Weiteres möglich, aber auch gerade nötig.151 2. Binnenvertriebene Aufgrund des Verbleibs im Heimatland ist primär dieser für die innerhalb seiner Grenzen, seines Wirkkreises, Vertriebenen verantwortlich, siehe Leitlinie 3 Abs. 1 Guiding Principles: „National authorities have the primary duty and responsibiliy to provide protection and humanitarian assistance to internally displaced persons within their jurisdiction.“
Als nationale Angelegenheit ist das Staat-Bürgerverhältnis grundsätzlich nicht von Belang für die internationale Gemeinschaft. Grundpfeiler des Völkerrechts wie die Staatensouveränität und das Interventionsverbot sind es, die den Grenzübertritt als Unterscheidungskriterium zwischen Flüchtlingen und Binnenvertriebenen gebieten.152 Prinzipiell erhält der Bürger im Herkunftsstaat Schutz und Hilfe. Aber immer wieder kommen Staaten ihrer Verantwortung nicht oder nur ungenügend nach – sei es weil sie hierzu außerwillens oder außerstande sind. So können Menschen trotz ihres Aufenthalts im Heimatland tatsächlich schutz- und hilflos sein. Dass intern Vertriebene keine Unterstützung erhalten, ist gar wahrscheinlicher als bei Flüchtlingen.153 Dies besonders, wenn sie vor bewaffneten Konflikten, Situationen allgemeiner Gewalt oder Menschenrechtsverletzungen fliehen, ist der Staat doch regelmäßig hierin verwickelt und so (mit-)verantwortlich für die Wanderbewegungen.154 Zudem bleiben viele in oder nahe der Gefahrenzone.155 Trotz Verbleibs im Herkunftsstaat müssen Binnenflüchtlinge der Völkerrechtsgemeinschaft zugänglich sein, müssen weitere, gerade internationale Schutz- und Hilfsakteure anerkannt werden. Entsprechend vermindert sich die domain réservé. Aber während die Flüchtlingen gewährte Unterstützung der internationalen Gemeinschaft ein Surrogat für die vom eigenen Staat nicht geleistete Unterstützung
151 Phuong, The International Protection of Internally Displaced Persons, S. 22 ff. Die Aufnahmestaaten sind auch, sofern sie selbst ihren Pflichten gegenüber den Flüchtlingen nicht nachkommen können oder wollen, regelmäßig bereit, internationalen und nationalen Hilfsorganisationen Zugang zu gewähren, Phuong, The International Protection of Internally Displaced Persons, S. 212. 152 Hathaway, The Law of Refugee Status, S. 31; Phuong, The International Protection of Internally Displaced Persons, S. 24; so auch schon Mr. Rochefort, der Vertreter Frankreichs bei den Verhandlungen zur GFK, E/AC.7/SR.172, 12. August 1950, Rn. 4. 153 Deng, in: Bayefsky/Fitzpatrick (Hrsg.), Human Rights and Forced Displacement, S. 229 (230). 154 Vgl. Deng, in: Washington J. L. & Pol’y 2001, S. 141 (145). 155 Deng, in: Bayefsky/Fitzpatrick (Hrsg.), Human Rights and Forced Displacement, S. 229 (230); O’Neil, in: Refugee Surv. Q. 1/2009, S. 151 (153).
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1. Kap.: Begriffsbestimmungen
darstellt156, tritt die Binnenvertriebenen gewährte Unterstützung der internationalen Gemeinschaft nur ergänzend neben die des Heimatlandes.157 Eine unterschiedliche rechtliche Einordnung der beiden Personen(gruppen) ist folglich nötig. Auch die Idee, eine allgemeine Kategorie der Vertriebenen zu bilden, welche intern und extern Vertriebene umfassen würde158, ist mithin abzulehnen.159
II. Binnenvertriebene als Beschäftigungsgegenstand der Völkerrechtsgemeinschaft Während man das Flüchtlingsproblem besonders seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts umfassend auf internationaler Ebene anging160, fanden intern Vertriebene, eine grundsätzlich rein nationale Angelegenheit, erst Ende der 1980er Jahre langsam ihren Weg auf die Weltbühne, wurden Gegenstand internationaler Debatten, Abkommen und Institutionen. Rückführbar ist dies vor allem auf einen zahlenmäßigen Anstieg der Betroffenen und einen Wandel des Souveränitätsverständnisses. 1. Anstieg der Binnenvertriebenenzahl Inter-tribale Streitigkeiten, Bürgerkriege und Völkermord im und rund ums ostafrikanische Zwischenseengebiet führen seit den 90er Jahren zu Millionen Heimatlosen innerhalb (und außerhalb) ihrer Staatsgrenzen.161 In Europa wurde man insbesondere durch den Zerfall Jugoslawiens, verursacht durch die Balkankriege Ende des 20. Jahrhunderts, und der damit einhergehenden Fluchtbewegungen auf Binnenvertriebene aufmerksam. Statt dass sich der Wunsch, Frieden, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit würden sich mit Ende des Kalten Krieges auf der ganzen Welt durchsetzen, verwirklichte, nahm die Zahl der (innerstaatlichen) Konflikte und
156 Goodwin-Gill/McAdam, The Refugee in International Law, S. 421; Canada (Attorney General) v. Ward, 2 S.C.R. 689 (1993). 157 Geißler, Der völkerrechtliche Schutz der Internally Displaced Persons, S. 158; Phuong, The International Protection of Internally Displaced Persons, S. 25. 158 Siehe Lee, in: Int’l J. Refugee L. 1996, S. 27 ff.; vgl. auch The Lawyers Committee for Human Rights (LCHR, heute: Human Rights First, HRF) und die International Organization for Migration (IOM), hierzu VN, Comprehensive Study prepared by Mr. Francis M. Deng, Representative of the Secretary-General on the human rights issues related to internally displaced persons (im Folgenden: Comprehensive Study), E/CN.4/1993/35, 21. Januar 1993, Rn. 40 f. 159 So auch Phuong, The International Protection of Internally Displaced Persons, S. 24 f. 160 Siehe Grahl-Madsen, The Status of Refugees in International Law, S. 9 ff. 161 Hierzu Kamanga, in: Hollenbach (Hrsg.), Refugee Rights, Ethics, Advocacy and Africa, S. 163 ff.
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damit auch der hiervor Weglaufenden nur noch zu.162 Weitere Millionen fliehen vor den immer häufigeren Naturkatastrophen163 und Infrastrukturvorhaben in der Stadt und auf dem Land.164 Zudem änderten sich die Rahmenbedingungen. Als die rote Gefahr gebannt war, ging die Bereitschaft vor allem westlicher, aber auch afrikanischer Staaten zur Aufnahme von Flüchtlingen deutlich zurück.165 Man stellte immer schärfere Einreise-, Duldungs- und Asylbedingungen auf, schloss die Grenzen. Und viele (Nachbar-)Länder forderten und fordern, die Menschen noch innerhalb des Krisenstaates zu unterstützen, damit sie gar nicht erst zu Flüchtlingen werden.166 2. Wandel des Souveränitätsverständnisses Entscheidend für eine umfassendere Beschäftigung mit den Binnenflüchtlingen auf internationaler Ebene war außerdem ein allmählicher Wandel des Souveränitätsverständnisses.167 Das Völkerrecht, besser: die Staaten öffneten sich. Mit dem Beitritt zu völkerrechtlichen Verträgen, besonders Menschen- und Kriegsrechtskonventionen, unter Berücksichtigung des ständig wachsenden Gewohnheitsrechts und durch die Mitgliedschaft in IO schmälert sich die domain réservé168, muss sich staatliches Handeln doch im Rahmen des Völkerrechts halten. Die Mitte des 20. Jahrhunderts aufgekommene Menschenrechtsbewegung erhob die Menschen(rechte) zum Gegenstand der internationalen Politik und des internationalen Rechts. Diese Entwicklung wirkte auch ins Kriegsrecht hinein169, führte
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Zu den innerstaatlichen Konflikten HIIK, Conflict Barometer 2012, S. 2, und zum Anstieg der IDP-Zahlen IDMC/NRC, Global Overview 2012. People Internally Displaced by Conflict and Violence, S. 11. 163 IDMC/NRC, Global Estimates 2012. People Displaced by Diaster. 164 International Federation of Red Cross and Red Crescent Societies (IFRC), World Disasters Report 2012, S. 145 ff. 165 Cohen, in: J. Refugee Stud. 2007, S. 370 (372); dies./Deng, Masses in Flight, S. 4. 166 Cohen/Deng, Masses in Flight, S. 29 f.; Hathaway, in: J. Refugee Stud. 2007, S. 349 (356 f.). Durch diese Praxis könnte aber das Recht auf Asyl beschnitten werden, siehe Fitzpatrick, in: Bayefsky/Fitzpatrick (Hrsg.), Human Rights and Forced Displacement, S. 3 (13); Phuong, The International Protection of Internally Displaced Persons, S. 4 f. 167 Cohen, in: Global Governance 2004, S. 459 (461); Hollenbach, in: ders. (Hrsg.), Refugee Rights, Ethics, Advocacy and Africa, S. 177 ff. Allgemein zur Staatensouveränität und ihrem Wandel Deng et al., Sovereignty as Responsibility; Quaritsch, Staat und Souveränität; Reismann, in: Am. U. J. Int’l L. 1990, S. 866 ff. 168 Geißler, Der völkerrechtliche Schutz der Internally Displaced Persons, S. 164, 166 ff.; ders., in: Int’l J. Refugee L. 1999, S. 451 (468); siehe auch Hobe, Völkerrecht, S. 61 f.; Oeter, in: Cremer et al. (Hrsg.), FS Steinberger, S. 259 (284 ff.). 169 Hess, Die Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts insbesondere in gemischten Konflikten, S. 7. Nach Beendigung der beiden Weltkriege passte man das Kriegsrecht mit Erlass der Genfer Abkommen 1949 und der beiden Zusatzprotokolle 1977 der Kriegsrealität an. Die
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etwa dazu, dass heute vom „humanitären Völkerrecht“ die Rede ist. Vermehrt gelangten in das ursprünglich staatenzentrierte und neutrale Völkerrecht Werte.170 Regelmäßig fliehen die Menschen vor Verletzungen ihrer fundamentalsten Rechte und/oder sind derartigen Verletzungen am Zufluchtsort ausgesetzt. Binnenflüchtlingssituationen kann nicht allein mit Zelten, Nahrungsmitteln und Medikamenten begegnet werden. Binnenflüchtlinge sind nicht nur ein humanitäres, sondern zugleich ein menschen- und häufig auch ein kriegsrechtliches Problem.171 Die Beendung des Ost-West-Konflikts 1990/91 gab der beschriebenen Entwicklung einen weiteren Schub. Menschen- und humanitär völkerrechtliche Ideale gelten seitdem, zumindest theoretisch, universal, tradierten Souveränitätsvorstellungen kam man zu ihren Gunsten bei.172 Diese neue Offenheit erweiterte das Tätigkeitsfeld der Völkerrechtsgemeinschaft. Massive Menschenrechtsverstöße, die Unterdrückung oder gar Vernichtung ganzer Bevölkerungsgruppen und den Zerfall staatlicher Strukturen – Situationen, die regelmäßig zu Fluchtbewegungen führen – wertet der VN-Sicherheitsrat trotz ihrer (vornehmlichen) Innerstaatlichkeit heute als Bedrohung oder Bruch des Weltfriedens oder der internationalen Sicherheit gemäß Kap. VII VN-Charta.173 Vertragswerke dienen vornehmlich dem Schutz der unter dem Konflikt Leidenden, Gasser/ Melzer, Humanitäres Völkerrecht, S. 3. 170 Thürer, in: ZaöRV 60 (2000), S. 557 (558, siehe auch 598), bezogen auf die Zeit nach dem Kalten Krieg. 171 Cohen/Deng, Masses in Flight, S. 9 f.; ausführlich zu den Binnenvertriebenen als Menschenrechtsproblem Phuong, The International Protection of Internally Displaced Persons. Lange Zeit stand die Gewährung humanitärer (Not-)Hilfe für intern Vertriebene im Vordergrund, Menschenrechtsaspekte spielten kaum eine Rolle, VN, Report of the Representative of the Secretary-General, Mr. Francis M. Deng, submitted pursuant to Commission on Human Rights resolutions 1993/95 and 1994/68 (im Folgenden: Deng Report 1995), E/CN.4/1995/50, 2. Februar 1995, Rn. 17. Dies änderte sich Anfang der 90er Jahre, siehe die VN-Berichte zum Thema Vertreibung, VN, Report on Refugees, Displaced Persons and Returnees, prepared by Mr. Jacques Cuénod, Consultant (im Folgenden: Cuénod-Report), E/1991/109/Add.1, 27. Juni 1991; VN, Analytical Report, und VN, Comprehensive Study. Der United Nations High Commissioner für Refugees (UNHCR, Hochkommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge) unterstützt Binnenflüchtlinge bereits seit 1972, Goodwin-Gill/McAdam, The Refugee in International Law, S. 32 ff. 2005 verständigten sich die VN mit anderen Einrichtungen im Rahmen des Inter-Agency Standing Committee (IASC) auf eine umfassendere und besser koordinierte Unterstützung der Binnenvertriebenen, sog. Cluster Approach. Ein weiterer wichtiger Akteur ist das IKRK. Es wird allgemein zugunsten ziviler Opfer bewaffneter Konflikte tätig. 172 Deng et al. (Hrsg.), Sovereignty as Responsibility, S. 8; siehe auch Kokett, in: ZaöRV 64 (2004), S. 517 (521); Thürer, in: ZaöRV 60 (2000), S. 557 ff. 173 Siehe etwa S/RES/794, 3. Dezember 1992 (Somalia); S/RES/836, 4. Juni 1993 (Bosnien und Herzegowina); S/RES/929, 22. Juni 1994 (Ruanda); S/RES/940, 31. Juli 1994 (Haiti) und jüngst S/RES/1973, 17. März 2011 (Libyen). Im Fall Libyen nahm der Sicherheitsrat ausdrücklich Bezug auf das Prinzip der Schutzverantwortung. Siehe auch Brock, in: FischerLescano et al. (Hrsg.), FS Bode, S. 19 (23); Phuong, The International Protection of Internally Displaced Persons, S. 219 f.
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Zunehmend Akzeptanz findet auch die humanitäre Intervention174, also der ohne Zustimmung des betroffenen Staates oder Sicherheitsratsmandat durchgeführte militärische Eingriff in den Hoheitsbereich eines Staates, der dem Schutz und der Hilfe dort befindlicher Menschen in einer Notlage dient.175 Hier wie beim Prinzip der Schutzverantwortung stehen sich Maxime des Völkerrechts gegenüber: der Schutz elementarer Rechte einerseits, das Interventions- und Gewaltverbot andererseits. Die R2P verlangt aber stets ein Tätigwerden der internationalen Gemeinschaft „through the United Nations“ und „in accordance with Chapters VI and VII of the Charter.“176 Die fortschreitende Relativierung der Staatensouveränität eröffnet der internationalen Gemeinschaft immer weitreichendere Befugnisse zum Einschreiten in Ländern aus menschenrechtlichen und humanitären Gründen.
III. Binnenvertriebene als eigenständige Kategorie Aber seitdem Binnenvertriebene Beschäftigungsgegenstand der internationalen Gemeinschaft sind, wird auch diskutiert, ob sie als solche überhaupt besondere Beachtung finden sollten. So sei es praktisch kaum möglich und moralisch fragwürdig, eine Unterscheidung zwischen Vertriebenen und nicht Vertriebenen zu machen.177 Binnenflüchtlinge seien vielmehr mit anderen Krisenopfern innerhalb ihres Staates vergleichbar.178 Hilfe und Schutz dürfe nicht allein aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kategorie gewährt werden, berge dies doch die Gefahr, andere Bedürftige zu vernachlässigen, zu diskriminieren. Ungerechtigkeiten und neue Konflikte wären wohl die Folge.179 Indes stellt die spezielle Behandlung von Personen(mehrheiten) im Völkerrecht keine Seltenheit dar. Kinder, Frauen oder Menschen mit Behinderung erhalten so 174 Doehring, Völkerrecht, S. 446 ff., Rn. 1012 ff.; Reisman, in: Fordham Int’l L. J. 1995, S. 794 ff.; ablehnend Brownlie, Principles of Public International Law, S. 742 ff.; Isensee, in: JZ 1995, S. 421 ff. 175 Doehring, Völkerrecht, S. 444, Rn. 1008; Kimminich, in: AVR 33 (1995), S. 430 (433). Häufig bezeichnet man ein Tätigwerden von Staaten ohne Zustimmung des betroffenen Staates oder Sicherheitsratsmandat auch als humanitäre Intervention im engeren Sinne und spricht bei Vorliegen einer Zustimmung des betroffenen Staates oder Sicherheitsratsmandats von humanitärer Intervention im weiteren Sinne. Andere verwenden den Begriff der humanitären Intervention im engeren Sinne für Fälle, in denen Fremde im Ausland unterstützt werden und den Begriff der humanitären Intervention im weiteren Sinne für Fälle, in denen eigene Staatsangehörige im Ausland unterstützt werden. 176 VN, World Summit 2005, Rn. 139, vgl. auch ICISS, The Responsibility to Protect, XII f. Hierzu siehe Stein/von Buttlar, Völkerrecht, S. 298, Rn. 823a. 177 Phuong, The International Protection of Internally Displaced Persons, S. 26, im Zusammenhang mit der Frage, ob Binnenvertriebene einen rechtlichen Status erhalten sollten. 178 Hathaway, in: J. Refugee Stud. 2007, S. 349 (359 f.). 179 Siehe Cohen/Deng, Masses in Flight, S. 27; siehe auch Hickel, in: IRRC 2001, S. 699 (708 f.).
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gezielt Unterstützung180, werden aber nicht allgemein bevorzugt. Im Vergleich zum Rest der Bevölkerung sind sie verletzbarer. Sie haben eigene Bedürfnisse und Nöte, welche auszumachen und zu befriedigen sind.181 Dies erreicht man etwa durch den Erlass von Regelwerken, die Einrichtung spezieller Organisationen, Ernennung von Repräsentanten und Berichterstattern im VN-System. Schon 1935 entschied der Ständige Internationale Gerichtshof (StIGH): „Equality in law precludes discrimination of any kind; whereas equality in fact may involve the necessity of different treatment in order to attain a result which establishes an equilibrium between different situations.“182
Das Gleichheitsprinzip schließt die besondere Behandlung von Personen(gruppen) danach nicht aus, sondern kann sie gerade erforderlich machen.183 Zunächst sind willkürliche Vertreibungen, unabhängig von den regelmäßig mit ihnen einhergehenden Rechtsverletzungen, untersagt.184 Und allein durch die Vertreibung sind zahlreiche Rechte berührt.185 Offensichtlich haben Binnenvertriebene, selbst wenn sie Teil einer größeren Opfergemeinschaft sind, einige Probleme und Sorgen mit allen teilen, allein aufgrund ihrer Verbringung noch ganz eigene Bedürfnisse und Nöte.186 Diesen muss begegnet werden; wenn dies auch bedeutet, die
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Siehe Cohen, in: Global Governance 2004, S. 459 (463); dies., in: Bayefsky/Fitzpatrick (Hrsg.), Human Rights and Forced Displacement, S. 76 (79). 181 Cohen, in: Global Governance 2004, S. 459 (463); Maru, in: J. Internal Displ. 2011, S. 91 (94). 182 StIGH, Advisory Opinion on Minority Schools in Albania, 6. April 1935, PCIJ, Series A/ B, No 64, Rn. 64. 183 Siehe Kälin, Guiding Principles, S. 13; Mooney, in: Refugee Surv. Q. 3/2005, S. 9 (19). „[F]ocusing on the particular problems of specific groups at risk often will be the best way to ensure that the group is afforded the same protection as others“, Mooney, in: Refugee Surv. Q. 3/ 2005, S. 9 (19). 184 Siehe VN, Report of the Representative of the Secretary-General, Mr. Francis Deng, submitted pursuant to Commission on Human Rights resolution 1997/39, Addendum, Compilation and Analysis of Legal Norms, Part II: Legal Aspects Relating to the Protection against Arbitrary Displacement (im Folgenden: Compilation and Analysis of Legal Norms, Part II), E/ CN.4/1998/53/Add.1, 11. Februar 1998. 185 Siehe Cohen/Deng, Masses in Flight, S. 92 ff.; Mooney, in: Refugee Surv. Q. 3/2005, S. 9 (14 ff.); VN, Report of the Representative of the Secretary-General, Mr. Francis M. Deng, submitted pursuant to Commission on Human Rights resolution 1995/57, Compilation and Analysis of Legal Norms (im Folgenden: Compilation and Analysis of Legal Norms), E/CN.4/ 1996/52/Add.2, 5. Dezember 1995. 186 Birkeland, in: IRRC 2009, S. 491 (498 f.); Mooney, in: Refugee Surv. Q. 3/2005, S. 9 (18); O’Neil, in: Refugee Surv. Q. 1/2009, S. 151 (153); VN, Report of the Representative of the Secretary-General on the human rights of internally displaced persons, Walter Kälin, submitted pursuant to Commission on Human Rights resolution 2004/55 (im Folgenden: Kälin-Report 2004), E/CN.4/2005/84, 31. Dezember 2004, Rn. 40 ff.; VN, Analytical Report, Rn. 40 ff., 91. Unter den intern Vertriebenen haben dann wieder Frauen, Mütter, Kinder, Alte und Menschen mit Behinderung besondere Bedürfnisse und Nöte, Deng, in: Washington J. L. & Pol’y 2001,
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Geflohenen anders als den Rest des Volkes zu behandeln. Schutz und Hilfe müssen auf die jeweilige Person(enmehrheit) zugeschnitten werden. So hat sich Unterstützung stets nach der Bedürftigkeit zu richten.187 Und gerade Binnenflüchtlinge gehören regelmäßig zu den Bedürftigsten.188 Jedenfalls muss die Schutz- und Hilfeleistung an sie nicht mit der Schutz- und Hilfeleistung an die übrige Bevölkerung konfligieren.189 Die besonderen Verlangen intern vertriebener Menschen und ihre Verwundbarkeit rechtfertigen es, sie als eigene Gruppe im internationalen und regionalen Recht anzuerkennen.
IV. Bereits existierende Binnenvertriebenendefinitionen Eine intensivere Beschäftigung mit den Binnenflüchtlingen seit Ende der 80er Jahre verlangte dann auch nach einer genaueren Bestimmung dieser Gruppe.190 Erste Anstrengungen, den IDP-Begriff festzulegen, wurden auf internationalen Konferenzen 1988 und 1989 unternommen.191 In den Jahren darauf bemühten sich weitere S. 141 (143); Phuong, The International Protection of Internally Displaced Persons, S. 142 ff.; siehe auch Leitlinie 4 Abs. 2 Guiding Principles und Art. 9 Abs. 2 lit. c) Kampala Convention. 187 Viele Hilfsorganisationen legen ihrer Arbeit einen needs approach zugrunde, Cohen/ Deng, Masses in Flight, S. 27; zum IKRK Kellenberger, in: IRRC 2009, S. 475 (476). Scheinbar wurde in Darfur Unterstützung aber vor allem auf Grundlage von Registrierungen als displaced person oder person, affected by displacement, nicht der tatsächlichen Bedürftigkeit gewährt, Young/Maxwell, Targeting in Complex Emergencies, insbesondere S. 34; siehe auch Barltrop, Darfur and the International Community, S. 99. 188 “Internally Displaced Persons are the largest ‘at risk’ population in the world“, Cohen/ Deng, Masses in Flight, S. 15; siehe auch Kellenberger, in: IRRC 2009, S. 475 (476, 489); VN, Comprehensive Study, Rn. 143; VN, Analytical Report, Rn. 40. 189 Mooney, in: Refugee Surv. Q. 3/2005, S. 9 (20). 190 Hierzu Geißler, Der völkerrechtliche Schutz der Internally Displaced Persons, S. 35 ff. 191 Auf der Conference on the Plight of Refugees, Returnees and Displaced Persons in Southern Africa (SARRED), abgehalten im Dezember 1988 im norwegischen Oslo, entwickelte man folgende Binnenvertriebenendefinition: „For the purposes of the present report, internally displaced persons are considered to be persons who have been forced to abandon their homes or their normal economic activities, while remaining inside their countries of origin, because their lives, security or freedom have been threatened by generalized violence, armed conflicts, internal upheavals, or similar events seriously disturbing the public order,“ SARRED, Report of the Secretary-General, 19. Oktober 1988, Rn. 72. Die im Mai 1989 auf der International Conference on Central American Refugees (CIREFCA), abgehalten in Guatemala Stadt, Guatemala, verfasste Definition entspricht weitgehend derjenigen der SARRED. Displaced persons sind hiernach „those who have been obliged to abandon their homes or usual economic activities, while remaining within their countries, because their lives, security or liberty have been threatened by widespread violence or prevailing conflict,“
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1. Kap.: Begriffsbestimmungen
staatliche, überstaatliche und private Einrichtungen um eine Definition.192 Vor allem die VN widmeten sich seit Anfang der 90er Jahre verstärkt dem Problemfeld (Binnen-)Vertreibung.193 Der 1992 vom damaligen VN-Generalsekretär BoutrosGhali auf Anfrage der Menschenrechtskommission (United Nations Commission on Human Rights, UNCHR)194 erarbeitete Analytical Report stellt die erste wirklich ausführliche Aufbereitung der Binnenvertriebenenthematik dar und bildete die Grundlage für die weitere Beschäftigung mit den Binnenvertriebenen. Binnenflüchtlinge definierte man für den Bericht als „persons or groups who have been forced to flee their homes suddenly or unexpectedly in large numbers; as a result of armed conflict, internal strife, systematic violations of human
CIREFCA, Principles and Criteria for the Protection of and Assistance to Central American Refugees, Returnees, and Displaced Persons in Latin America, Januar 1990, Rn. 67. Die Definitionen orientieren sich an den weiten Flüchtlingsbegriffen der OAU-Flüchtlingskonvention und der Cartagena-Deklaration. Während Art. 1 Abs. 1 OAU-Flüchtlingskonvention den Flüchtlingsbegriff des Art. 1 A Abs. 2 GFK in seiner Fassung durch das Protokoll von 1967 erfasst, erfolgt die entscheidende Erweiterung durch Art. 1 Abs. 2 OAU-Flüchtlingskonvention, wonach auch Flüchtling ist, wer „owing to external aggression, occupation, foreign domination or events seriously disturbing public order in either part or the whole of his country of origin or nationality, is compelled to leave his place of habitual residence in order to seek refuge in another place outside his country of origin or nationality.“ Nach der Cartagena-Deklaration fallen, über die Flüchtlingsdefinition der GFK hinaus, auch all jene Menschen unter den Flüchtlingsbegriff, „who have fled their country because their lives, safety or freedom have been threatened by generalized violence, foreign aggression, internal conflicts, massive violation of human rights or other circumstances which have seriously disturbed public order.“ Anders als bei der GFK genügen im Rahmen der OAU-Flüchtlingskonvention und der Cartagena-Deklaration bereits objektive Gründe für die Bejahung der Flüchtlingseigenschaft, eine individuelle Betroffenheit bedarf es nicht, Arboleda, Int’l J. Refugee L. 1991, S. 185 ff. Diese Flüchtlingsabkommen tragen, vor allem auch mit ihrer jeweils eigenen Flüchtlingsdefinition, den besonderen regionalen Verhältnissen Rechnung, Arboleda, in: Int’l J. Refugee L. 1991, S. 185 (186 f.); Hathaway, The Law of Refugee Status, S. 17. 192 Siehe VN, Report of the Representative of the Secretary-General, Mr. Francis M. Deng, submitted pursuant to Commission on Human Rights resolutions 1993/95 and 1994/68 (im Folgenden: Deng-Report 1995), E/CN.4/1995/50, 2. Februar 1995 (im Folgenden: Deng-Report 1995); dies., Comprehensive Study, Rn. 33 ff. 193 Siehe E/RES/1990/78, 27. Juli 1990; vgl. auch den hierauf folgenden Cuénod-Report; den Analytical Report und die Comprehensive Study. 194 CHR/Res/1991/25, 5. März 1991. Die VN-Menschenrechtskommission (United Nations Commission on Human Rights, UNCHR) war eine 1946 eingesetzte Einrichtung der VN zur Förderung und zum Schutz der Menschenrechte. Sie arbeitete neue Menschenrechtsabkommen aus und beobachtete die Menschenrechtslage weltweit. Im Juni 2006 wurde sie vom VNMenschenrechtsrat (United Nations Human Rights Council, UNHRC) abgelöst, A/RES/60/251, 3. April 2006; E/CN.4/2006/L2, 24. März 2006; E/RES/2006/2, 22. März 2006.
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rights or natural or man-made disasters; and who are within the territory of their own country.“195
Die hieran anknüpfende, heute am weitesten verbreitete, anerkannte und auch von den VN übernommene Binnenvertriebenendefinition ist in Nr. 2 Introduction Guiding Principles niedergelegt: „internally displaced persons are persons or groups of persons who have been forced or obliged to flee or to leave their homes or places of habitual residence, in particular as a result of or in order to avoid the effects of armed conflict, situations of generalized violence, violations of human rights or natural or human-made disasters, and who have not crossed an internally recognized State border.“
Dass auch Menschen, die groß angelegten Infrastrukturprojekten weichen müssen, Binnenflüchtlinge im Sinne der Guiding Principles sind, ist Leitlinie 6 Abs. 2 lit. c) Guiding Principles zu entnehmen. 1. Die Guiding Principles a) Entstehungsgeschichte und Grundkonzeption Die Guiding Principles, das erste Regelwerk allein zum Schutz vor Vertreibungen sowie zum Schutz und zur Hilfe der Binnenvertriebenen, entstanden über einen mehrjährigen Zeitraum. Als Reaktion auf den Analytical Report wurde der Sudanese Francis M. Deng als erster Representative of the UN Secretary-General on Internally Displaced Persons (später: Special Rapporteur on the Human Rights of Internally Displaced Persons) zur weiteren Untersuchung und Verbesserung der Lage intern vertriebener Menschen weltweit eingesetzt.196 Zunächst ermittelte Deng den bereits bestehenden rechtlichen Rahmen.197 Die von ihm erarbeitete Comprehensive Study und die darauf aufbauenden Compilations and 195 VN, Analytical Report, Rn. 17. Auch in den folgenden Jahren arbeiteten die VN mit dieser Definition, siehe VN, Compilation and Analysis of Legal Norms, Rn. 8; VN, Comprehensive Study, Rn. 34, 53; vgl. auch VN, Deng-Report 1995, Rn. 116. 196 Phuong, The International Protection of Internally Displaced Persons, S. 8. Siehe E/ 1992/243, 20. Juli 1992; E/CN.4/RES/1992/73, 5. März 1992, Rn. 2. Zur Vereinheitlichung von Titeln innerhalb des VN-Systems und zur Betonung des Menschenrechtsaspekts wurde der Nachfolger Dengs, Walter Kälin, als Special Rapporteur on the Human Rights of Internally Displaced Persons berufen, Abebe, in: Int’l J. Hum. Rts. 2011, S. 286 (288); siehe auch E/CN.4/ RES/2004/55, 20. April 2004. 2010 verlängerte der Menschenrechtsrat das Mandat des Sonderberichterstatters wieder um drei Jahre, A/HRC/14/L.18, 14. Juni 2010, Rn. 11. Seit 2010 hat der Sambianer Chaloka Beyani den Posten inne. 197 Siehe E/CN.4/RES/1992/73, 5. März 1992, Rn. 2. Weitere Aufgaben des Sonderbeauftragten/-berichterstatters umfassen etwa die Koordinierung verschiedener (VN-)Einrichtungen bzgl. der Binnenvertriebenenunterstützung, den Besuch besonders von Binnenvertreibung betroffener Staaten und die Verbreitung der Guiding Principles. In der Öffentlichkeit und bei Regierungsvertretern schafft er Verständnis für die IDP-Problematik und Bereitschaft für
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1. Kap.: Begriffsbestimmungen
Analysis of Legal Norms198, von denen sich der erste Teil auf die Vertriebenenrechte und der zweite Teil auf das Vertreibungsverbot konzentriert, offenbarten, dass das Völkerrecht zwar generell Bestimmungen für Binnenflüchtlingssituationen enthält, diese aber ungenügend sind, das Recht Lücken und Graubereiche birgt: Normative Lücken und Grauzonen (normative gap) waren insbesondere im Bereich des Eigentumsschutzes, speziell bzgl. Entschädigungs- und Rückerstattungsansprüchen, auszumachen. Daneben fehlten etwa Regelungen bzgl. des Verlusts und der Ersetzung persönlicher Dokumente. Zudem existierten zwar häufig generelle Normen, Vorschriften, die aber auf die spezielle Situation der Binnenvertriebenen zugeschnitten wären, fehlten (consensus gap). Dies betraf etwa das Verbot der Vertreibung und des non-refoulement, das Recht auf Rückkehr und Familienzusammenführung. Weitere Lücken und Grauzonen bestanden aufgrund des Anwendungsbereichs der einschlägigen Normen (applicability gap): Der Menschenrechtsschutz ist durch Notstandsklauseln bis auf einen Mindestbestand einschränkbar und eine Bindung nichtstaatlicher Gewaltakteure hieran ist höchst umstritten. Humanitäres Völkerrecht ist seinem sachlichen Anwendungsbereich nach auf bewaffnete Konflikte begrenzt. Letztlich führt die Tatsache, dass nicht alle Staaten den maßgeblichen Abkommen beigetreten sind, zu Schutzlücken (ratification gap).199 Erschwert wurde die praktische Anwendung des Völkerrechts, weil die einschlägigen Vorschriften in zahlreichen Instrumenten verstreut waren.200 Ein eigener Normenkomplex für die Binnenvertriebenen musste her. Auf Vorlage der Ausarbeitungen hin bat die UNCHR, unterstützt vom VN-Generalsekretär, Deng schließlich einen „appropriate framework […] for the protection of internally displaced persons“201 zu entwickeln. Dem Sonderbeauftragten blieb die Formwahl überlassen. Er entschied sich für die Aufstellung rechtlich unverbindlicher Richtlinien. Immerhin basieren die Guiding Principles auf den Menschenrechten, dem humanitären Völkerrecht und dem Flüchtlingsrecht (in analoger Anwendung), sodass sie zumindest insofern bindend sind, als Staaten diesen Konventionen beitreten bzw. die Leitlinien Völkergeihre Lösung, Abebe, in: Int’l J. Hum. Rts. 2011, S. 286 (288); Deng, in: Washington J. L. & Pol’y 2001, S. 141 (146); siehe auch A/HRC/RES/14/6, 23. Juni 2010, Rn. 12. 198 Der zweiteiligen Compilation and Analysis of Legal Norms lag ein needs based approach zugrunde, d. h. ausgehend von den Bedürfnissen der Vertriebenen wurde untersucht, inwiefern bestehendes internationales Recht diese erfasst, Bagshaw, Developing a Normative Framework for the Protection of Internally Displaced Persons, S. 82 f.; Cohen, in: Global Governance 2004, S. 459 (463). 199 Zum Ganzen Cohen, in: Bayefsky/Fitzpatrick (Hrsg.), Human Rights and Forced Displacement, S. 76 (77); dies./Deng, Masses in Flight, S. 74 ff.; vgl. auch VN, Compilation and Analysis of Legal Norms, Part II, IV; VN, Compilation and Analysis of Legal Norms, Rn. 411 ff. 200 Siehe Kießling, in: Friedenswarte 2010, S. 13 (24); VN, Guiding Principles on Internal Displacement, Introductory Note (im Folgenden: Guiding Principles, Introductory Note), E/ CN.4/1998/53/Add.2, 11. Februar 1998, Rn. 9. 201 E/CN.4/RES/1996/52, 19. April 1996, Rn. 9. Zur Unterstützung des VN-Generalsekretärs, A/RES/50/195, 22. Dezember 1995.
B. Binnenvertriebene
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wohnheitsrecht darstellen.202 Auf die Binnenflüchtlinge bezogen geben die Guiding Principles wieder, was zumindest implizit in den genannten Werken enthalten ist.203 Allgemeine Normen werden auf die besonderen Bedürfnisse und Nöte der intern Vertriebenen zugeschnitten, Lücken gefüllt und Grauzonen geklärt.204 Die Binnenflüchtlinge erhalten so gezielt Unterstützung. Auch wenn mittlerweile ein umfangreiches Konvulut an menschen- und kriegsrechtlichen Abkommen existiert, bedarf es immer wieder neuer bzw. angepasster Bestimmungen, die auf die sich ändernden Umstände und neuen Herausforderungen reagieren.205 Deng entwickelte die Guiding Principles gemeinsam mit einzelnen (Rechts-) Experten.206 Anders als bei der Erarbeitung von völkerrechtlichen Verträgen und VNResolutionen waren weder Staaten noch IO als solche involviert.207 Auch die Grundkonzeption der Richtlinien ist ein Novum. In erster Linie sollen sie dem Sonderbeauftragten/-berichterstatter, Staaten, IO, NRO und anderen Akteuren Regeln für den Umgang mit der Binnenvertriebenenproblematik an die Hand geben, vgl. Nr. 3 S. 2 Introduction Guiding Principles.208
202 Lavoyer, in: IRRC 1998, S. 467 (475); vgl. Kälin, in: Recent Commentaries About the Nature and Application of the Guiding Principles on Internal Displacement, S. 3 (9). 203 Cohen, in: Global Governance 2004, S. 459 (467 f.). Teils ist aber die Grenze zwischen der Wiedergabe bereits existierender und der Entwicklung neuer Normen fließend, Phuong, The International Protection of Internally Displaced Persons, S. 60 ff. 204 VN, Guiding Principles, Introductory Note, Rn. 9; siehe aber auch Phuong, The International Protection of Internally Displaced Persons, S. 64: „Some provisions contained in the Guiding Principles result from a creative interpretation of existing norms.“ 205 Bagshaw, Developing a Normative Framework for the Protection of Internally Displaced Persons, S. 7. 206 Ausführlich Bagshaw, Developing a Normative Framework for the Protection of Internally Displaced Persons, S. 125 ff. 207 Gleichwohl haben die Staaten, vor allem als Mitglieder der VN-Menschenrechtskommission und der Generalversammlung, den Entstehungsprozess der Guiding Principles begleitet und Deng immer wieder zur Fortführung seiner Arbeit motiviert, siehe CHR/RES/1997/ 39, 11. April 1997; CHR/RES/1996/52, 19. April 1996; A/RES/50/195, 11. März 1996; vgl. auch Bagshaw, Developing a Normative Framework for the Protetcion of Internally Displaced Persons, S. 132 ff. 208 „Nr. 3 S. 2 Introduction Guiding Principles They provide guidance to (a) The Representative of the Secretary-General on internally displaced persons in carrying out his mandate; (b) States when faced with the phenomenon of internal displacement; (c) All other authorities, groups and persons in their relations with internally displaced persons; and (d) Intergovernmental and non-governmental organizations when addressing internal displacement.“
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1. Kap.: Begriffsbestimmungen
1998 schließlich wurden die Leitlinien der UNCHR bekannt gegeben. Seitdem stießen sie auf große Anerkennung. Die Staatengemeinschaft würdigte sie etwa auf der VN-Generalversammlung 2005 als „important international framework for the protection of IDPs.“209 b) (Rechts-)Natur der Guiding Principles Die Guiding Principles stellen damit sog. soft law dar.210 Als solches bezeichnet man Prinzipienerklärungen, Empfehlungen, Verhaltenskodizes etc., erlassen von Staaten, IO und/oder NRO. Soft law gibt Auskunft über bestehendes Recht, Rechtsentwicklungen und -ansichten.211 Die so gemeinsam festgesteckten Ziele sind aber kaum, schon gar nicht mit Zwang durchsetzbar. Weder kann die Verletzung von soft law vor internationalen oder nationalen Gerichten geltend gemacht werden noch begründet sie eine Staaten- oder sonstige Haftung.212 Doch legt soft law den Verfassern als gemeinsames Werk gesellschaftlicher Akteure moralische und politische Verhaltensgebote auf. Auch wenn das „weiche Recht“ keine Völkerrechtsquelle im Sinne des Art. 38 IGH-Statut213 darstellt214, kann es gleichwohl Völkervertragsrecht, Völkergewohnheitsrecht und allgemein anerkannte Rechtsgrundsätze wiedergeben oder sich hierzu entwickeln.215 Zudem wirkt es sich auf das nationale Recht aus.216 Soft law entfaltet so auf vielfältige Weise normative Geltung. 209
VN, World Summit 2005, Rn. 132. Da die Guiding Principles nicht mal auf einem Staatenkonsens beruhen, sondern von einzelnen Sachverständigen ausgearbeitet wurden, könnte man ihnen gar den Charakter als soft law absprechen, Kälin, in: Refugee Surv. Q. 3/2005, S. 27 (29); ders., in: Recent Commentaries About the Nature and Application of the Guiding Principles on Internal Displacement, S. 3 (7 f.); Luopajärvi spricht dann bei den Guiding Principles auch von „secondary soft law“, Luopajärvi, in: Int’l J. Refugee L. 2003, S. 678 (708). 211 Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 12, Rn. 10, S. 25, Rn. 68. 212 Boyle, in: Int’l & Comp. L. Q. 1999, S. 901 (909 ff.); Hobe, Völkerrecht, S. 229; Kirton/ Trebilcock, Hard Choices, Soft Law, S. 6. Aber auch die Durchsetzungsmöglichkeiten des Völkerrechts sind begrenzt. Insbesondere gibt es hier, anders als auf der nationalen Ebene, wo die Verwaltung, die Polizei und Gerichte für die Durchsetzung des Rechts verantwortlich sind, keinen allgemeinen Rechtsdurchsetzungsapparat, Bell, in: Am. J. Int’l L. 2006, S. 373 (384); siehe auch Tomuschat, in: ZaöRV 36 (1976), S. 444 (476). 213 Statut des Internationalen Gerichtshofs (IGH-Statut) vom 26. Juni 1945, in Kraft getreten am 24. Oktober 1945, BGBl. 1973 II 505, UNTS Vol. 33, 993. 214 Art. 38 IGH-Statut enthält eine Auflistung der Völkerrechtsquellen. Zwar geht es hier ausdrücklich nur um die vom IGH anzuwendenden Quellen, doch entscheidet das Gericht über Streitigkeiten seiner Mitgliedsstaaten, also gemäß Art. 93 VN-Charta aller VN-Mitglieder, vgl. Shaw, International Law, S. 70 f. 215 Boyle, in: Int’l & Comp. L. Q. 1999, S. 901 (902 ff.); Hobe, Völkerrecht, S. 229; Shaw, International Law, S. 118; Szasz, in: Schachter/Joyner (Hrsg.), United Nations Legal Order, Vol. I, S. 35 (47). 216 Zum Einfluss der Guiding Principles auf die nationale Binnenvertriebenenesetzgebung Carr, in: Int’l J. Refugee L. 2009, S. 34 ff.; Wyndham, in: Hum. Rts. Brief 2006, S. 7 ff.; die nationalen Binnenvertriebenengesetze sind abrufbar unter: Brookings-LSE Project on Internal 210
B. Binnenvertriebene
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Für den Erlass rechtlich unverbindlicher Leitlinien zum Schutz und zur Hilfe der intern Vertriebenen statt eines multilateralen völkerrechtlichen Vertrags sprachen Mitte der 90er Jahre viele Gründe. Sie sind vor allem auf die Zurückhaltung der Staaten, sich auf internationaler Ebene mit nationalen Angelegenheiten zu befassen, zurück zu führen. So ist der Entwicklungs- und Ratifizierungsprozess universaler Konventionen äußerst komplex und zeitintensiv.217 Die Ernsthaftigkeit und das Ausmaß der Binnenflüchtlingsproblematik verlangten jedoch ein schnelles Resultat.218 Wegen der Sensibilität des Themas, besonders hinsichtlich der Souveränität, war eine breite Unterstützung der Angelegenheit durch die Staaten aber kaum zu erwarten.219 Schließlich berührt die Thematik mehrere Rechtsgebiete. Eine Vermengung menschen- und kriegsrechtlicher Regeln in einem Rechtstext, gar einer Norm war unvermeidbar.220 Dies, womöglich noch unter dem Dach nur einer Institution, den VN oder dem IKRK, wäre kaum durchzusetzen gewesen.221 c) (Rechts-)Natur der Definition Bei der Binnenvertriebenenbegriffsbestimmung der Guiding Principles handelt es sich nicht um eine rechtliche, sondern um eine rein beschreibende Definition.222 Während ein völkerrechtlicher Status – wie beim Flüchtling – dazu dient, einer fest umrissenen Person(engruppe) allein aufgrund dieser Zugehörigkeit besondere Rechte zu gewähren und ein eigenes Rechts-, Hilfs- und Schutzsystem auf internationaler Ebene zu etablieren, legt eine deskriptive Definition nur funktionale Kriterien zur Eingrenzung der Berechtigten fest.223 Bereits mit der Positionierung der Begriffsbestimmung in der Einführung zu den Guiding Principles wollte man ihren normativen Gehalt abmildern.224
Displacement, IDP Laws and Policies Index, http://www.brookings.edu/about/projects/idp/re sources/idp-policies-index. 217 Kirton/Trebilcock, Hard Choices, Soft Law, S. 5, 23. 218 Abebe, in: Int’l J. Hum. Rts. 2011, S. 286 (290); Cohen, in: Global Governance 2004, S. 459 (464); Kälin, in: Recent Commentaries About the Nature and Application of the Guiding Principles on Internal Displacement, S. 3 (4). 219 Abebe, in: Int’l J. Hum. Rts. 2011, S. 286 (288); Cohen, in: Global Governance 2004, S. 459 (464). 220 Abebe, in: Int’l J. Hum. Rts. 2011, S. 286 (290). 221 Kälin, in: Recent Commentaries About the Nature and Application of the Guiding Principles on Internal Displacement, S. 3 (6); Lavoyer, in: IRRC 1998, S. 467 (478). 222 Cohen, in: Bayefsky/Fitzpatrick (Hrsg.), Human Rights and Forced Displacement, S. 76 (82); dies./Deng, Masses in Flight, S. 18; Kälin, Guiding Principles, S. 3; Mooney, in: Refugee Surv. Q. 3/2005, S. 9 (13); O’Neil, in: Refugee Surv. Q. 1/2009, S. 151 (153). 223 Phuong, The International Protection of Internally Displaced Persons, S. 28. 224 Kälin, Guiding Principles, S. 5.
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1. Kap.: Begriffsbestimmungen
Vor allem stehen den Binnenvertriebenen als natürlichen Personen und Bürgern des Staates, in dem sie ja weiterhin leben, wie der übrigen Bevölkerung, aber anders als Flüchtlingen, das gesamte nationale Recht, die Menschenrechte und, bei Vorliegen eines bewaffneten Konflikts, das humanitäre Völkerrecht zu.225 Sie sind umfassend rechtlich geschützt. Binnenflüchtlinge unterscheiden sich nur insofern vom Rest des Volkes, als dass sie sich fern ihrer Heimat befinden. Intern vertrieben zu sein, ist etwas rein Faktisches.226 Die Binnenvertriebenen als eigene Kategorie zu fassen und zu ihrem Schutz und ihrer Hilfe spezielle Abkommen zu erlassen, schließt dies aber nicht aus. Ein durch das Völkerrecht gewährter rechtlicher Status für Binnenflüchtlinge würde dann auch die Staatensouveränität empfindlich berühren.227 Intern Vertriebene sind im Gegensatz zu Flüchtlingen keine Fremden und bedürfen daher nicht automatisch internationaler Unterstützung. Diese tritt lediglich ergänzend neben die des Herkunftsstaates, sofern der seinen Bürgern nicht (ausreichend) Schutz und Hilfe gewähren kann oder will. Eine Rechtsgarantie kann aber nur gegenüber Personen abgegeben werden, die sich außerhalb ihres Landes befinden.228 2. Die Kampala Convention und der Great Lakes Pact In den letzten Jahren schritt die Entwicklung spezieller Binnenvertriebenenabkommen weiter voran. Vor allem in Afrika, das über ein Drittel aller Binnenflüchtlinge weltweit beheimatet, erkannte man, dass die Thematik gemeinsam angegangen werden muss. a) Die Kampala Convention Als Meilenstein hinsichtlich des rechtlichen Schutzes und der Hilfe intern vertriebener Menschen gilt die von afrikanischen Staaten unter Mitwirkung zivilgesellschaftlicher Einrichtungen entwickelte, am 23. Oktober 2009 von der AU angenommene und am 6. Dezember 2012 in Kraft getretene Kampala Convention.229 225
Bagshaw, Developing a Normative Framework for the Protection of Internally Displaced Persons, S. 82; Kälin, Guiding Prnciples, S. 3 ff. Auch der Binnenvertriebenen in einigen nationalen Rechtsordnungen gewährte rechtliche Status ändert jedenfalls nichts an den ihnen auf internationaler Ebene zustehenden Rechten. Einen Binnenvertriebenenstatus gewähren Binnenvertriebenengesetze etwa in Bosnien und Herzegowina, Georgien, Kolumbien, Kroatien und Russland, siehe hierzu Beau, in: FMR 2003, S. 16 ff. 226 Wyndham, in: Hum. Rts. Brief 2006, S. 7 (9). 227 Phuong, The International Protection of Internally Displaced Persons, S. 27. 228 Hathaway, in: Int’l Refugee Stud. 2007, S. 349 (353). Die Aussage „being a refugee […] means being a person who deserves protection and being a person who can, in practical terms, be guaranteed the substitute or surrogate protection of the international community“, Hatahway, in: Int’l Refugee Stud. 2007, S. 349 (353), trifft auf Binnenvertriebene gerade nicht zu. 229 Zugrunde liegt der Kampala Convention die Bitte des AU Executive Council an die AU Commission „to collaborate with relevant cooperating partners and other stakeholders to ensure that Internally Displaced Persons are provided with an appropriate legal framework to ensure
B. Binnenvertriebene
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Unter Anerkennung der Guiding Principles stellt sie ein eigenständiges, regionales Werk dar. Den Unterzeichnerstaaten werden Pflichten auferlegt; die Binnenflüchtlinge erhalten speziell auf sie zugeschnittene Rechte.230 Die Kampala Convention basiert wie die Leitlinien auf den Menschenrechten, dem Kriegsvölkerrecht und dem Flüchtlingsrecht (in analoger Anwendung). Art. 1 lit. k) Kampala Convention greift auf die Binnenvertriebenendefinition der Guiding Principles zurück. Die Norm ist im Zusammenhang mit Art. 5 Abs. 4, 10 Kampala Convention zu lesen, welche natürliche und vom Menschen verursachte Katastrophen sowie Infrastrukturprojekte in Bezug nehmen. b) Der Great Lakes Pact Auch die Art. 1 Abs. 4 Protocol on the Protection and Assistance to IDPs und Art. 1 Abs. 3 Protocol on the Property Rights of Returning Persons des 2008 in Kraft getretenen Great Lakes Pacts verwenden diese Begriffsbestimmung. Art. 1 Abs. 5 Protocol on the Protection and Assistance to IDPs und Art. 1 Abs. 4 Protocol on the Property Rights of Returning Persons des Great Lakes Pacts bestimmen darüber hinaus, dass auch all jene als Binnenvertriebene anzusehen sind, die ihre Heimat aufgrund „large scale development projects“ bzw. „development induced displacement“ verlassen. Für die Unterzeichnerstaaten ist der Pakt rechtlich bindend. Insbesondere verpflichten sie sich in Art. 6 Abs. 1 Protocol on the Protection and Assistance to IDPs zur Implementierung der Guiding Principles auf nationaler Ebene.231 Das Übereinkommen trägt so zur Umwandlung der Leitlinien von soft law in hard law bei.232
their adequate protection and assistance“, EX/CL/Dec.127 (V), Rn. 8. Zur Entstehungsgeschichte der Kampala Convention siehe Maru, in: J. Internal Displ. 2011, S. 91 (94 f.); siehe auch AU, Explanatory Note on the African Union Convention for the Protection and Assistance of Internally Displaced Persons in Africa (Kampala Convention), S. 1. 230 Kidane, in: Vand. J. Transnat’l L. 2011, S. 1 (6). Die Kampala Convention benennt aber, anders als die Guiding Principles, kaum Rechte, sondern Pflichten, setzt also das Bestehen der entsprechenden Rechte voraus, Kidane, in: Vand. J. Transnat’l L. 2011, S. 1 (56 f.). 231 „Art. 6 Abs. 1 Protocol on the Protection and Assistance to IDPs Member States undertake to adopt and implement the Guiding Principles as a regional framework for providing protection and assistance to internally displaced persons in the Great Lakes Region.“ Siehe auch S. 3 Abs. 1 Model Legislation on the Implementation of the Protocol on Protection and Assistance to IDPs „The Protocol and the Guiding Principles annexed thereto shall have legal efect and shall be implemented within, and throughout, the Republic.“ 232 Siehe IDMC/NRC/The International Refugee Rights Initiative (IRRI), The Great Lakes Pact and the Rights of Displaced People, S. 11 ff.
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1. Kap.: Begriffsbestimmungen
c) (Rechts-)Natur der Definition Fraglich ist, ob die in den regionalen Abkommen enthaltenen Begriffsbestimmungen, wie diejenige der Richtlinien, lediglich deskriptiver Natur sind. Hiergegen spricht jedenfalls ihr Standort. Anders als die Binnenflüchtlingsdefinition der Guiding Principles stehen sie nicht in einer Einführung, sondern jeweils in dem mit „Definitions“ betitelten ersten Artikel. Außerdem sind die Übereinkommen für ihre Unterzeichner rechtsverbindlich. Zumindest die Kampala Convention fülle nicht nur Lücken, kläre nicht nur Graubereiche und gebe nicht nur bereits bestehende Rechte und Pflichten wieder, sondern schaffe diese gerade. Damit wandele sich die beschreibende Definition der Guiding Principles in eine rechtliche.233 Doch selbst wo der Beitritt zu den regionalen Regelwerken tatsächlich neue Rechte und Pflichten begründet234, wird den Berechtigten nicht automatisch ein besonderer rechtlicher Status gewährt, ist dies doch bei sonstigen, bestimmte Opfergruppen betreffenden Völkerrechtsverträgen wie der Frauen-, Kinder- und Behindertenrechtskonvention235 auch nicht der Fall. Und auch die in der Kampala Convention und den Protokollen enthaltenen Rechte stehen den Binnenvertriebenen bereits aufgrund ihrer Eigenschaft als Menschen und Bürger zu.236 Zudem spricht wieder die Staatensouveränität gegen die Einräumung eines völkerrechtlichen Status. Beyani, der maßgeblich an der Gestaltung der Kampala Convention und des Protocol on the Protection and Assistance to IDPs beteiligt war, hielt dann auch im Laufe des Entstehungsprozesses der gesamtafrikanischen Konvention fest, dass die Begriffsbestimmung den Betroffenen keinen rechtlichen Status garantiere, sondern lediglich beschreibender Natur sei.237 233
Zur Kampala Convention Kidane, in: Vand. J. Transnat’l L. 2011, S. 1 (6, 8, 58). Auch Groth geht, ohne weitere Begründung, davon aus, dass der Great Lakes Pact und die Kampala Convention Binnenvertriebenen einen rechtlichen Status gewähren, Groth, in: Int’l J. Refugee L. 2011, S. 221 (226, siehe auch Fn. 23). 234 Die afrikanischen Abkommen basieren zwar auf den Menschenrechten, dem humanitären Völkerrecht und dem Flüchtlingsrecht (analog), sie füllen aber auch Lücken und Grauzonen. Aber vor allem begründet der Beitritt zur Kampala Convention und dem Great Lakes Pact neue Rechte und Pflichten, wenn der Unterzeichnerstaat nicht bereits Vertragspartei derjenigen Abkommen ist, die den afrikanischen IDP-Werken zugrunde liegen und soweit die Bestimmungen nicht Völkergewohnheitsrecht darstellen. 235 Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (Frauenrechtskonvention) vom 18. Dezember 1979, in Kraft getreten am 3. September 1981, BGBl. 1985 II 648, UNTS Vol. 1249, 13; das Übereinkommen über die Rechte des Kindes (Kinderrechtskonvention) vom 20. November 1989, in Kraft getreten am 2. September 1990, BGBl. 1992 II 122, UNTS Vol. 1577, 3, und das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Behindertenrechtskonvention) vom 13. Dezember 2006, in Kraft getreten am 3. Mai 2008, BGBl. 2008 II 1419, UNTS Vol. 2515, 3. 236 Zur Kampala Convention Giustiniani, in: Denver J. Int’l L. & Pol’y 2011, S. 347 (354). 237 Beyani, in: J. Afr. L. 2006, S. 187 (194). Auch auf einer Konferenz zivilgesellschaftlicher Organisationen 2009 in Kampala, Uganda, wurde die Binnenvertriebenendefinition der Kampala Convention ohne weitere Begründung als lediglich beschreibend bezeichnet, Citizenship Rights in Africa Initiative/International Refugee Rights Initiative/Open Society Justice
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V. Die einzelnen Kriterien der Binnenvertriebenendefinition Zu klären ist schließlich, ob alle Menschen, die ihre Heimat zurück lassen, für die vorliegende Arbeit als Binnenflüchtlinge anzusehen sind oder inwiefern eine Eingrenzung vorzunehmen ist. Bereits die in den vergangenen Jahren entwickelten Definitionen zeigen, dass der Binnenvertriebenenbegriff mehr oder weniger weit gefasst werden kann. 1. Aufenthalt innerhalb nationaler Staatsgrenzen Die Unterschiede zwischen Flüchtlingen und anderen Menschen, die ihr Land verlassen, einerseits und Binnenvertriebenen andererseits, wurden oben aufgezeigt. Letztere befinden sich zwar fern ihrer Heimat, jedoch innerhalb der nationalen Staatsgrenzen, sind keine Fremden. Ihnen stehen das gesamte nationale Recht, die Menschenrechte und evtl. das humanitäre Völkerrecht zu. Sie müssen und können grundsätzlich von ihrem Heimatstaat Schutz und Hilfe erhalten. Der (unterbliebene) Grenzübertritt stellt insofern das maßgebliche Unterscheidungsmerkmal dar. Nachdem aber die Auflösungen der Sowjetunion und Jugoslawiens in den 90er Jahren zeigten, wie schnell es zu Grenzänderungen und der Entstehung neuer Staaten kommen kann, führte man das Institut der Anerkennung ein238: Es darf keine „internationally recognised State border“ überquert werden. Die Menschen müssen ihre Heimat, nach neueren Formulierungen ihr „home“ oder ihren „place of habitual residence“, verlassen. Nicht jeder besitzt eine feste Wohnstätte. Die Vertreibung vom gewöhnlichen Aufenthaltsort kann aber ähnlich gravierend sein. Auch hier lassen die Menschen ihre Familie, ihre Gemeinschaft, ihr Eigentum und ihren Alltag zurück. Um alle einzuschließen, die ihren Lebensort aufgeben müssen, ist der Begriff weit zu fassen. Dann sind etwa auch Nomaden, die das Umherziehen zu ihrem Lebensstil machten239, bei Verbringungen aus ihrem aktuellen Aufenthaltsort oder ihrem Wanderungsgebiet als Binnenflüchtlinge anzusehen.240
Initiative/Africa Governance Monitoring and Advocacy Project, Forced Displacement, Citizenship and Statelessness in Africa, S. 13. 238 Mooney, in: Refugee Surv. Q. 3/2005, S. 9 (11); Phuong, The International Protection of Internally Displaced Persons, S. 35. 239 Mobile peoples sind nach der Dana Declaration on Mobile Peoples and Conservation (Dana Deklaration) vom April 2002 „a subset of indigenous and traditional peoples whose livelihoods depend on extensive common property use of natural resources over an area, who use mobility as a management strategy for dealing with sustainable use and conservation, and who possess a distinctive cultural identity and natural resource management system.“ 240 Vgl. Maru, in: J. Internal Displ. 2011, S. 91 (108 f.); siehe auch Leitlinie 9 Guiding Principles, Art. 4 Abs. 5 Kampala Convention und Art. 4 Abs. 1 lit. c) Protocol on the Pro-
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Irrelevant ist, ob die Vertriebenen in formellen oder informellen Camps, bei Familienangehörigen, Freunden oder Fremden, in ländlichen Regionen oder Städten Zuflucht finden. 2. Zwangselement Weiterhin gehört das Zwangsmoment zu den unumstrittenen Bestandteilen des Binnenvertriebenenbegriffs. Die Menschen müssen aus ihrer Heimat vertrieben werden. Vertreibung im Sinne der vorliegenden Arbeit meint Maßnahmen oder Ereignisse, die eine Person oder Personengruppe zum Fortgehen zwingen. Im Gegensatz hierzu steht das freiwillige Zurücklassen der Heimat, stehen die Migration und Emigration.241 Viele streben die Verbesserung ihrer aktuellen Situation an, hoffen auf bessere ökonomische und ökologische Bedingungen, eine glücklichere Zukunft anderswo. Sie haben die Wahl in ihrer Heimat zu verbleiben oder diese zu verlassen und entscheiden sich für letztere Alternative. Sie treffen einen freien Entschluss. Die Bedürfnisse und Nöte von Migranten und Emigranten sind mit denen der (intern) Vertriebenen nicht vergleichbar.242 Doch ist es mitunter schwierig zu beurteilen, ob ein Zwangsmoment vorliegt. Hilfreich kann die Einteilung der Verlassensgründe in push- und pull-Faktoren sein.243 Erstere sind in der Heimat bestehende Umstände, die Menschen zum Fortgehen bewegen.244 Hierzu zählen Gewalt und Unruhen, Diskriminierungen, Katastrophen etc.245 Als pull-Faktoren, also anziehende Kräfte am Zielort246, eingeordnet werden etwa Sicherheit, Freiheit, bessere Lebensbedingungen und gute Arbeitsmöglichkeiten.247 Oft vermischen sich Schub- und Sogfaktoren.248 Überwiegen die tection and Assistance to IDPs zum besonderen Schutz von Nomaden und anderen, in ähnlicher Weise von ihrem Land abhängigen und mit ihrem Boden verbundenen Gruppierungen. 241 Nuscheler, in: Imbusch/Zoll (Hrsg.), Friedens- und Konfliktforschung, S. 275 (275). 242 Siehe Nuscheler, Internationale Migration. 243 Es handelte sich hierbei ursprünglich um ein Modell der Migrationsforschung. Das push and pull-Modell gehört zu den deterministischen Wanderungsmodellen und beschreibt, dass in der Herkunfs- und Zielregion bestimmte Faktoren existieren, die für oder gegen einen Wegzug sprechen. Neben objektiven Kriterien seien auch individuelle Gründe zu berücksichtigen, grundlegend Lee, in: Demography 1966, S. 47 ff.; siehe auch Nuscheler, Internationale Migration, S. 51 f., 102 ff.; das System auch auf Binnenvertriebene anwendend Geißler, Der völkerrechtliche Schutz der Internally Displaced Persons, S. 129 f.; Maru, in: J. Internal Displ. 2011, S. 91 (92). 244 Nuscheler, Internationale Migration, S. 102. 245 Maru, in: J. Internal Displ. 2011, S. 91 (92); Nuscheler, Internationale Migration, S. 102. In dem ursprünglichen Modell von Lee sind dies auch niedrige Löhne und Arbeitslosigkeit. Zunehmend Bedeutung gewinnen die soziale und technische Ausstattung, Bildungsund Kulturprogramme sowie Umweltaspekte, Engeldhardt, in: Mueller/Nauck/Diekmann, Handbuch der Demographie, Bd. I, S. 452 f. 246 Nuscheler, Internationale Migration, S. 102. 247 Maru, in: J. Internal Displ. 2011, S. 91 (92); vgl. Nuscheler, Internationale Migration, S. 102.
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push-Faktoren, ist eine Vertreibung anzunehmen. Die Menschen lassen ihre Heimat dann vor allem zurück, um den Risiken, die mit einem Verbleib einhergehen würden, zu entgehen, weniger, weil sie die sich ihnen andernorts bietenden Chancen wahrnehmen möchten. Fragen kann man außerdem, ob sich der Betroffene im konkreten Fall auf sein Freizügigkeitsrecht in der positiven oder negativen Form berufen würde.249 Führte er sein Recht, sich frei bewegen zu können, an, ist das Zwangsmoment zu verneinen; machte er sein Recht, nicht vertrieben zu werden, geltend, ist das Zwangsmoment zu bejahen. a) Zwang Zwang wird in Form der vis absoluta und der vis compulsiva ausgeübt. Ersteres verlangt, dass dem Opfer die Willensbildung oder -betätigung gänzlich unmöglich ist.250 Erwirkt schon der Druck einer Übelszufügung ein bestimmtes Verhalten, liegt vis compulsiva vor.251 Zunächst kommt Zwang bei Räumungen und Umsiedlungen zum Einsatz.252 Diesen Maßnahmen liegen politische, ökonomische, militärische oder auch humanitäre Motive zugrunde.253 Sie finden in Friedens- wie in Kampfzeiten statt. Im Rahmen von Auseinandersetzungen wird Zwang gegenüber Zivilisten aber vor allem ausgeübt, indem man die Menschen angreift oder ihnen einen Angriff tatsächlich in Aussicht stellt. Dann liegt eine konkrete Gefahr vor. Doch auch Menschen, die weder attackiert noch direkt bedroht werden, können bei einer nur abstrakten Gefahr zum Verlassen ihrer Heimat bewegt sein.254 Sie gehen, um der erwarteten Gewalt unversehrt zu entkommen. Niemand muss sich erst einer Rechtsverletzung ergeben, um dann vor folgenden Rechtsverletzungen zu fliehen. Auch in diesen Fällen besteht eine Wechselwirkung zwischen Auseinandersetzung und Fortgehen.255 Eine freie Entscheidung zum Verlassen der Heimat ist
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Nuscheler, Internationale Migration, S. 103, 107 ff. Stavropoulou, in: Am. U. J. Int’l L. & Pol’y 1994, S. 689 (744). 250 Eser/Eisele, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, Vorbem. §§ 234 ff., Rn. 13. 251 Eser/Eisele, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, Vorbem. §§ 234 ff., Rn. 15. 252 Geißler, Der völkerrechtliche Schutz der Internally Displaced Persons, S. 51; Phuong, The International Protection of Internally Displaced Persons, S. 31 f. Im Englischen wird hierfür meist der Begriff forced eviction verwendet, siehe hierzu Basic Principles and Guidelines on Development-Based Evictions and Displacement, A/HRC/4/18, Annex I, 5. Februar 2007, Rn. 5; Committee on Economic, Social and Cultural Rights (CESCR), General Comment No. 7, 20. Mai 1997, Rn. 3. 253 Geißler, Der völkerrechtliche Schutz der Internally Displaced Persons, S. 115; E/CN.4/ Sub.2/1997/23, 27. Juni 1997. 254 Geißler, Der völkerrechtliche Schutz der Internally Displaced Persons, S. 52. 255 Vgl. Geißler, Der völkerrechtliche Schutz der Internally Displaced Persons, S. 52 ff. 249
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kaum anzunehmen. Ersichtlich überwiegen die push-Faktoren.256 Und die Menschen würden wohl das Freizügigkeitsrecht in seiner negativen Form, also das Recht auf Verbleib in ihrer Heimat, anführen. Das Zwangsmoment ist hier zu bejahen. Auch nach den Guiding Principles genügt das Vorliegen objektiver Gründe für die Binnenvertriebeneneigenschaft, insbesondere bedarf es keiner individuellen Verfolgung.257 b) Urheber des Zwangs Für den Einzelnen macht es kaum einen Unterschied, ob er von staatlichen oder außerstaatlichen Gruppen vertrieben wird.258 Zwar mag die Wahrscheinlichkeit, dass er im letzteren Fall vom Heimatstaat Unterstützung erfährt, höher sein, gleichwohl bedeutet es nicht, dass er diese auch tatsächlich erhält, mithin ein Rückgriff auf weitere Hilfs- und Schutzeinheiten unnötig ist. Verursacher der Vertreibungsgründe und damit des Zwangs können folglich auch nichtstaatliche Akteure sein. Hiermit ist jedoch noch nichts über die Verpflichteten der Schutzvorschriften gesagt.259 3. Ursachen des Heimatverlassens a) Bewaffnete Konflikte, Situationen allgemeiner Gewalt, Menschenrechtsverletzungen Hauptgründe interner Fluchtbewegungen sind bewaffnete Konflikte, Situationen allgemeiner Gewalt und Menschenrechtsverletzungen. Die Bevölkerung wird umgesiedelt, bringt sich vor Angriffen oder der allgegenwärtigen Gewalt in Sicherheit. aa) Internationale bewaffnete Konflikte Nach dem gemeinsamen Art. 2 Abs. 1 GK bringen der Ausspruch einer Kriegserklärung und das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts zwischen zwei oder mehreren Hohen Vertragsparteien, also Staaten, das humanitäre Völkerrecht zur Anwendung.260 Aber erstere Alternative ist heute praktisch obsolet. Um alle mo256
Vgl. Nuscheler, Internationale Migration, S. 102. Anders als nach der GFK kann auch gemäß Art. 1 Abs. 2 OAU-Flüchtlingskonvention und der Cartagena-Deklaration schon das Vorliegen objektiver Gründe zur Bejahung der Flüchtlingseigenschaft genügen. 258 Geißler, Der völkerrechtliche Schutz der Internally Displaced Persons, S. 53. 259 Siehe Geißler, Der völkerrechtliche Schutz der Internally Displaced Persons, S. 53 f. 260 Der gemeinsame Art. 2 Abs. 1 GK lautet: „Außer den Bestimmungen, die bereits in Friedenszeiten durchzuführen sind, findet das vorliegende Abkommen Anwendung in allen Fällen eines erklärten Krieges oder eines anderen bewaffneten Konflikts, der zwischen zwei oder mehreren der Hohen Vertragsparteien entsteht, auch wenn der Kriegszustand von einer dieser Parteien nicht anerkannt wird.“ 257
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dernen Streitarten aufzufangen, führte man 1949 den Begriff des bewaffneten Konflikts ein.261 Entscheidend für dessen Bejahung sind allein objektive Kriterien. Unerheblich ist, ob die Parteien eine solche Auseinandersetzung führen und an das Kriegsrecht gebunden sein wollen.262 Ein internationaler bewaffneter Konflikt liegt dann vor, sobald ein Staat mit Waffengewalt in den Hoheitsbereich eines anderen Staates eindringt.263 Auf Umfang und Dauer des Gewalteinsatzes kommt es nicht an.264 Auch als internationale bewaffnete Konflikte einzuordnen sind die in Ausübung des Selbstbestimmungsrechts der Völker geführten Kämpfe gegen Kolonialherrschaften, Fremdbesetzungen oder rassistische Regime, Art. 1 Abs. 4 ZP I. bb) Nichtinternationale bewaffnete Konflikte Tatsächlich werden heute kaum mehr zwischenstaatliche Kriege geführt, sondern die Auseinandersetzungen meist zwischen regulären Streitkräften und/oder bewaffneten Gruppen auf dem Gebiet des bekämpften/eines Staates geführt. Man spricht hier von nichtinternationalen, auch: internen bewaffneten Konflikten. Aber weniger der Austragungsort der Kämpfe innerhalb der Grenzen eines Staates als vielmehr die beteiligten Parteien machen den bewaffneten Konflikt zu einem internationalen oder nichtinternationalen.265 Geregelt ist der interne bewaffnete 261 Die Formulierung „bewaffneter Konflikt“ wurde 1949 mit Aufnahme in die GK erstmals in einem humanitär völkerrechtlichen Vertragswerk niedergelegt. Aufgrund der Kriegsächtung und schließlich des allgemeinen Gewaltverbots wagte kein Staat mehr die Abgabe einer Kriegserklärung oder Offenbarung seines Kriegsführungswillens. Es bedurfte der Einführung neuer Kriterien, nach denen das Kriegsrecht gleichwohl Anwendung findet, Hess, Die Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts insbesondere in gemischten Konflikten, S. 11 f., siehe auch 85; Schindler, in: Kipp/Mayer/Steinkamm (Hrsg.), FS Freiherr von der Heydte, S. 555 (555 f.). Zur Definition des armed conflict siehe ICTY, Prosecutor v. Tadic´, IT-94 – 1, 2. Oktober 1995, Rn. 70: „we find that an armed conflict exists whenever there is resort to armed forces between States or protracted armed violence between governmental authorities and organized armed groups or between such groups within a State.“ Und der ICTR: „The term, ,armed conflict‘ in itself suggests the existence of hostilities between armed forces organized to a greater or lesser extent. This consequently rules out situations of internal disturbances and tensions,“ ICTR, Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96 – 4-T, 2. September 1998, Rn. 625. 262 Vité, in: IRRC 2009, S. 69 (71). 263 Stein/von Buttlar, Völkerrecht, S. 441, Rn. 1216 f. 264 Vité, in: IRRC 2009, S. 69 (72). 265 Zegveld, Accountability of Armed Opposition Groups in International Law, S. 136. Die Unterscheidung zwischen internationalem und nichtinternationalem bewaffneten Konflikt ist zur Bestimmung der anwendbaren Vorschriften erforderlich. Lange Zeit ging man aufgrund der Staatensouveränität davon aus, interne Auseinandersetzungen seien einer völkerrechtlichen Regelung unzugänglich, Hess, Die Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts insbesondere
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Konflikt vor allem im gemeinsamen Art. 3 GK und im ZP II.266 Dabei entwickelt das Zusatzprotokoll den Art. 3 GK weiter und ergänzt ihn, ohne seine Anwendungsvoraussetzungen zu modifizieren, Art. 1 Abs. 1 S. 1 ZP II. Das ZP II ist eigenständig.267 Eine allgemeingültige Definition des nichtinternationalen bewaffneten Konflikts existiert nicht. Doch entwickelte man einige Orientierungskriterien. Jedenfalls müssen die Kämpfe auf dem Staatsgebiet einer Vertragspartei der Genfer Abkommen bzw. des ZP II geführt werden. Und nur Auseinandersetzungen, die sich qualitativ von Situationen, in denen die Polizei üblichen Kriminellen gegenüber steht, unterscheiden, die vielmehr Kriegen ähneln, sind dem Völkerrecht zugänglich.268 Die Feindseligkeiten müssen ein gewisses Ausmaß erreichen, von gewisser Dauer und, in gemischten Konflikten, S. 86 ff.; siehe auch Fleck, in: ders. (Hrsg.), The Handbook of International Humanitarian Law, S. 590, Rn. 1202. Allein der Staat war für die Aufrechterhaltung und Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung innerhalb seines Territoriums zuständig, nationales Polizei- und Ordnungs- sowie Strafrecht fand Anwendung, Hess, Die Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts, insbesondere in gemischten Konflikten, S. 77. Mit der Zeit verbreitete sich jedoch die Einsicht, dass ein gänzliches außer Acht lassen interner Konflikte auf internationaler Ebene dem Humanitätsgedanken zuwiderlaufe und auch diese Auseinandersetzungen Auswirkungen über die Staatsgrenze hinaus haben können, Moir, The Law of Internal Armed Conflict, S. 2. Zunehmend weicht die Dichotomie zwischen internationalem und nichtinternationalem bewaffneten Konflik auf. Die Rechtsprechung und Statute internationaler Gerichte sowie die Fortentwicklung des Völkergewohnheitsrechts offenbaren eine Angleichung, vgl. Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law; ICTY, Prosecutor v. Tadic´, IT-94-1, 2. Oktober 1995, Rn. 96 ff.; siehe auch die Art. 8 Abs. 2 lit. c) und e) IStGH-Statut; hierzu auch Stewart, in: IRRC 2003, S. 313 ff. Zu einer gänzlichen Verschmelzung kam es bisher aber nicht. Insbesondere kennt das humanitäre Völkerrecht für interne bewaffnete Konflikte keine Kombattanten- und Kriegsgefangenenprivilegien. Die Staatengemeinschaft war bisher nicht bereit, diese bewaffneten Gruppen zu gewähren, Hobe, in: Heintze/Ipsen (Hrsg.), Heutige bewaffnete Konflikte als Herausforderungen an das humanitäre Völkerrecht, S. 69 (75); ausführlich Crawford, The Treatment of Combatants and Insurgents Under the Law of Armed Conflict. 266 Für interne bewaffnete Konflikte galt vor der Einführung des gemeinsamen Art. 3 GK auf internationaler Ebene allein die sog. Marten’sche Klausel, die bereits Eingang in die Präambel der Haager Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs von 1899 und 1907 fand. Zivilisten und Kombatanten, die nicht unter die Haager Landkriegsordnung fielen, verblieben hiernach „unter dem Schutze und der Herrschaft der Grundsätze des Völkerrechts […], wie sie sich ergeben aus den unter gesitteten Völkern feststehenden Gebräuchen, aus den Gesetzen der Menschlichkeit und aus den Forderungen des öffentlichen Gewissens“, IV. Haager Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs vom 18. Oktober 1907, in Kraft getreten am 26. Januar 1910, RGBl. 1910, 107; 2nd Hague Peace Conference, June 15-October 18 1907, Acts and Doc., The Hague, 1907, Vol. I, 626; vgl. Art. 63 Abs. 4 GK I, Art. 62 Abs. 4 GK II, Art. 142 Abs. 4 GK III, Art. 158 Abs. 4 GK IV, Art. 1 Abs. 2 ZP I und Präambel ZP II. 267 Junod, in: Sandoz/Swinarski/Zimmermann (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, S. 1350, Rn. 4454, 4457. 268 Bothe, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 655 f., Rn. 121.
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noch wichtiger, von gewisser Intensität sein269, sodass die üblichen Maßnahmen zur Aufrechterhaltung und Wiederherstellung des Friedens nicht mehr genügen.270 Verlangt wird, dass der Staat zur Ergreifung außerordentlicher Mittel und Methoden, etwa dem Einsatz seiner Streikräfte, gezwungen ist.271 Aber ihre Armee setzen Staaten unterschiedlich schnell ein. Schließlich muss der nichtstaatliche Konfliktteilnehmer organisiert sein. Bereits nach dem Wortlaut des Art. 1 Abs. 1 ZP II hat der Hohen Vertragspartei eine organisierte bewaffnete Gruppe gegenüber zu treten, die unter verantwortlicher Führung steht und solche Kontrolle über einen Teil des Staatsgebiets der Vertragspartei ausübt, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen kann und das Protokoll anzuwenden vermag. Damit sind die Anwendungsbereiche des gemeinsamen Art. 3 GK und des ZP II nicht identisch.272 Auch ob ein nichtinternationaler bewaffneter Konflikt vorliegt, wird anhand von Fakten, nicht von den Parteien entschieden.273 cc) Innere Unruhen und Spannungen Indem Art. 1 Abs. 2 ZP II innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Situationen – die Aufzählung des Art. 1 Abs. 2 ZP II ist nicht abschließend: „wie“ – aus dem Anwendungsbereich des Zusatzprotokolls und des humanitären Völkerrechts insgesamt ausnimmt, bestimmt er die Höhe deren Eingangsstufe. Dabei gilt die Anwendungsschwelle des Art. 1 Abs. 2 ZP II sowohl für das ZP als auch für den gemeinsamen Art. 3 GK.274 Als innere Unruhen und Spannungen bezeichnet man Zusammenstöße zwischen dem Staat und/oder privaten Akteuren, die zwar von gewisser Ernsthaftigkeit sind, 269 Cullen, The Concept of Non-International Armed Conflict in International Humanitarian Law, S. 127 ff.; Gasser/Melzer, Humanitäres Völkerrecht, S. 67; vgl. auch die ICTYDefinition wo von „protracted“ die Rede ist, oben Fn. 261. Nach ICTY, Prosecutor v. Haradinaj et al., IT-04-84-T, 3. April 2008, Rn. 49, bezieht sich „protracted“ mehr auf die Intensität, denn die Dauer des Konflikts. Auch die Inter-American Commission on Human Rights (IACHR) qualifizierte eine nur 30 Stunden andauernde bewaffnete Auseinandersetzung zwischen argentinischen Streitkräften und substaatlichen Akteuren aufgrund ihrer Intensität als internen bewaffneten Konflikt gemäß Art. 3 GK, IACHR, CASE 11.137, Juan Carlos Abella v. Argentina, 18. November 1997, OEA/Ser.L/V/II.98, Doc. 6 rev., 13. April 1998, Rn. 156. Jedenfalls liegt die Intensitätsschwelle beim nichtinternationalen bewaffneten Konflikt höher als diejenige beim internationalen bewaffneten Konflikt, Vité, in: IRRC 2009, S. 69 (76). 270 Gasser/Melzer, Humanitäres Völkerrecht, S. 68 f. 271 Gasser/Melzer, Humanitäres Völkerrecht, S. 68 f.; Schindler, in: Recueil des Cours 1979 II, S. 121 (147); Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 169. 272 Gasser/Melzer, Humanitäres Völkerrecht, S. 70; Moir, The Law of Internal Armed Conflict, S. 102. 273 Vité, in: IRRC 2009, S. 69 (71). 274 IKRK, How is the Term „Armed Conflict“ Defined in International Law, Opinion Paper, März 2008, S. 3.
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die Dauer und Intensität des internen bewaffneten Konflikts aber nicht erreichen.275 Gewaltsam ausgetragene oder niedergeschlagene Demonstrationen und vereinzelte Terroranschläge fallen ebenso wenig unter das Kriegsvölkerrecht wie die Inhaftierung Oppositioneller, Folter und Misshandlungen politischer Gefangener.276 Während bewaffnete Konflikte durch eine offene Gegnerschaft und offene Kämpfe gekennzeichnet sind, steht bei inneren Unruhen und Spannungen, selbst wenn es zum Einsatz militärischer Kräfte kommt, die Wahrung der nationalen Sicherheit und Ordnung im Vordergrund.277 Grundsätzlich sind letztere Fälle Teil der domain réservé und nicht von Belang für die Völkerrechtsgemeinschaft. Anders ist dies nur, wenn zugleich Menschenrechte verletzt werden. dd) Situationen allgemeiner Gewalt Situationen allgemeiner Gewalt lassen sich kaum in die Kategorien des humanitären Völkerrechts einordnen, die Grenzen sind fließend. Verwendet wird der Begriff in verschiedenen internationalen und regionalen Abkommen, etwa den Guiding Principles und der Kampala Convention, sowie von IO.278 Auch wenn eine allgemeine Definition fehlt, sind doch einige Charakteristika auszumachen. So beschränken sich auch hier die zwischen staatlichen und/oder substaatlichen Akteuren ausgetragenen Streitigkeiten geographisch meist auf ein Staatsgebiet. Situationen allgemeiner Gewalt zeichnen sich durch eine schlechte Sicherheitslage im Land und die Fragilität, gar den Zerfall des politischen, sozialen und ökonomischen Systems aus. Die Gewalt ist strukturell, immer wieder kommt es zu Kämpfen und Menschenrechtsverstößen. Die Zeitschwelle zum nichtinternationalen bewaffneten Konflikt muss, die Intensitätsschwelle zum nichtinternationalen bewaffneten Konflikt muss nicht notwendig überschritten sein. Gleichwohl dürften Situationen allgemeiner Gewalt häufig zugleich die Anwendungsvoraussetzungen des Kriegsvölkerrechts erfüllen.279 Ein Ausschließlichkeitsverhältnis besteht nicht. 275
IKRK, The ICRC, the League and the Report on the Re-Appraisal of the Role of the Red Cross, S. 24 f. 276 Siehe IKRK, in: IRRC 1988, S. 9 (12 f.); Junod, in: Sandoz/Swinarski/Zimmermann (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, S. 1354 f., Rn. 4474, 4476. 277 Junod, in: Sandoz/Swinarski/Zimmermann (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, S. 1319, Rn. 4341. 278 Die Formulierung „situations of generalized violence“ findet sich auch in der CartagenaDeklaration als einer von fünf Fluchtgründen. Und das UNHCR spricht im Zusammenhang mit Menschen, die nicht unter den engen Flüchtlingsbegriff der GFK fallen, von Opfern der „generalized violence“, A/AC.96/830, 7. September 1994, Rn. 32. 279 Anders das IDMC und NRC, welche „situations of violence“ als „situations of internal tensions or disturbances“ qualifizieren, IDMC/NRC, Who is an Internally Displaced Person?, S. 1 f.; siehe auch Phuong und Zeender, die „generalised violence“ bzw. „general violence“ ebenfalls unterhalb der Schwelle des Art. 3 GK und des ZP II einordnen, Phuong, The Inter-
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ee) Menschenrechtsverletzungen Menschenrechtsverletzungen sind eine weitere Fluchtursache. Sie werden während bewaffneten Konflikten, Situationen allgemeiner Gewalt, inneren Unruhen und Spannungen wie auch in Friedenszeiten verübt. Die Menschen wollen insbesondere Tötungen, Körperverletzungen, Folter, sexueller Gewalt, speziell Vergewaltigungen, Zwangsrekrutierungen durch eine der Kampfparteien und Plünderungen ent- bzw. zuvorkommen. Die zur Flucht führenden Menschenrechtsverletzungen sind von den Menschenrechtsverletzungen zu unterscheiden, denen viele am Zufluchtsort ausgesetzt sind. b) Natürliche oder vom Menschen verursachte Katastrophen und Infrastrukturprojekte Daneben fliehen Millionen vor natürlichen oder vom Menschen verursachten Katastrophen wie Erdbeben, Überschwemmungen, Tsunamis oder Chemieunfällen. Die Wahl, in der Heimat zu bleiben oder fortzugehen, stellt sich den Menschen kaum. Das Zwangsmoment ist also auch hier zu bejahen, selbst wenn es keinen menschlichen Urheber hat.280 Schwieriger zu beurteilen ist dies bei sog. slow-onset disasters wie langen Trockenzeiten, Desertifikationen und dem stetigen Anstieg von Wasserpegeln. Zudem weichen viele Infrastrukturprojekten.281 Bevor die Bauvorhaben Realität werden, müssen die dort lebenden Menschen ihre Heimat verlassen. Als (Neben-) Folge der Projektverwirklichung kommt es zu Umsiedlungen und Räumungen. Vorliegend sollen die völkerrechtlichen Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure gegenüber Binnenvertriebenen untersucht werden. Verlassen Personen ihre Heimat wegen natürlicher bzw. vom Menschen verursachter Katastrophen oder Infrastrukturvorhaben, spielen bewaffnete Oppositionelle selten eine Rolle. Jedenfalls würde sich die Situation mit dem Vorliegen eines bewaffneten Konflikts, allgemeiner Gewalt oder Menschenrechtsverletzungen überschneiden, treten nichtstaatliche Gewaltakteure doch nur in diesen Fällen auf. Es kann hier folglich da-
national Protection of Internally Displaced Persons, S. 48; Zeender, in: Refugee Surv. Q. 3/ 2005, S. 96 (102). 280 Vgl. Kälin, Climate Change, Natural Disaster, and Internal Displacement; andere meinen, Zwang müsse notwendigerweise einen menschlichen Urheber haben, sodass Naturkatastrophen keine Binnenvertreibungsursache sein könnten, Bankobeza, in: Am. Soc’y Int’l L. Proc. 1996, S. 558 (559); Stavropoulou, in: Hum. Rts. Q. 1998, S. 515 (519 f.). 281 Zum development-induced displacement etwa Oleschak, The International Law of Development-Induced Displacement.
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1. Kap.: Begriffsbestimmungen
hinstehen, ob im Übrigen als Binnenvertriebener gilt, wer allein vor Katastrophen flieht oder größeren Bauprojekten weichen muss.282 c) Ökonomische Ursachen Darüber hinaus verlassen Menschen ihre Heimat aus wirtschaftlichen Gründen. Meist überwiegen hier die pull-Faktoren und die Wegziehenden würden das Freizügigkeitsrecht in seiner positiven Form geltend machen. Dann liegt bereits kein Zwang vor.283 Auch sind die Verlangen andere als die der Konfliktopfer und auch derjenigen, die ihre Heimat wegen Katastrophen oder Infrastrukturprojekten zurück lassen müssen. Eine Gleichbehandlung würde den Betroffenen insgesamt nicht gerecht, der Fokus auf die speziellen Bedürfnisse und Nöte der jeweiligen Gruppe würde verloren gehen.284 Während Binnenvertriebene humanitäre (Not-)Hilfe und Schutz benötigen, ist Wirtschaftsmigration vor allem durch breit angelegte Entwicklungshilfe zu begegnen.285 Häufig liegen dem Fortgehen aber mehrere Ursachen zugrunde. So gibt es Fälle, in denen Menschen wegen der allgegenwärtigen Gewalt ihre Beschäftigung aufgeben müssen, ihr Land oder Vieh verlieren und damit von Geldeinnahme- und Nahrungsmittelquellen abgeschnitten sind. Dann überwiegen wohl die push-Faktoren und das Zwangsmoment ist zu bejahen. Auch die Bedürfnisse und Nöte ähneln denen der übrigen durch bewaffnete Konflikte, Situationen allgemeiner Gewalt und Menschenrechtsverletzungen Vertriebenen. Sofern Auseinandersetzungen das Heimatverlassen jedenfalls mit auslösen, sind die Betroffenen hier als Binnenflüchtlinge anzusehen. 4. Modalitäten Während noch die 1992er VN-Arbeitsdefinition die „suddenly or unexpectedly“ Flucht einer „large number“ an Personen verlangte286, sind diese oder andere Modalitäten zu Recht in neueren Begriffsbestimmungen nicht mehr zu finden. Binnenvertriebene zeichnen sich durch spezielle Nöte und Bedürfnisse aus. Vor allem 282 Hierzu Geißler, Der völkerrechtliche Schutz der Internally Displaced Persons, S. 44, 46 ff.; Mooney, in: Refugee Surv. Q. 3/2005, S. 9 (12 f.); Phuong, The International Protection of Internally Displaced Persons, S. 30 f. 283 Siehe Cohen, in: Bayefsky/Fitzpatrick (Hrsg.), Human Rights and Forced Displacement, S. 76 (82). 284 Mooney, in: Refugee Surv. Q. 3/2005, S. 9 (13); vgl. VN, Comprehensive Study, Rn. 42. 285 Cohen, in: Bayefsky/Fitzpatrick (Hrsg.), Human Rights and Forced Displacement, S. 76 (82). 286 Die dem Analytical Report zugrunde liegende Resolution 1990/78 des VN Wirtschaftsund Sozialrats spricht von „mass population movements“, E/RES/1990/78, 27. Juli 1990. Man ging davon aus, dass „mass displacement“ spezielle Problemfelder berühre und daher nicht in den Anwendungsbereich des Analytical Report falle, VN, Analytical Report, Rn. 17; siehe auch Phuong, The International Protection of Internally Displaced Persons, S. 33.
B. Binnenvertriebene
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die Ursache des Fortgehens bestimmt die Verlangen der Menschen. Offenbar wird dies bei einem Vergleich von reinen Wirtschaftsbinnenmigranten mit Personen, die vor Auseinandersetzungen fliehen. Auf die Art und Weise des Heimatverlassens kommt es indes kaum an.287 5. Beendigung und Ausschluss der Binnenvertriebeneneigenschaft Zu klären ist schließlich, wann die Binnenflüchtlingseigenschaft endet. Genügen der Wegfall der Vertreibungsursache oder die Rückkehr in die Heimat? Oder müssen erst Bedingungen geschaffen werden, damit der Einzelne an das von ihm zurück gelassene Leben anknüpfen kann; muss er etwa sein Heim, seine Haushaltsgüter, sein Land, Vieh etc. wiedererhalten oder ersetzt bekommen? Abzulehnen ist jedenfalls die Aufnahme einer Beendigungsklausel, bei Vorliegen deren Voraussetzungen Rechte des Betroffenen wegfallen, vgl. Art. 1 C GFK und Art. 4 OAU-Flüchtlingskonvention für das Flüchtlingsrecht.288 Nun entstammen die Rechte der Binnenflüchtlinge den Menschenrechten und gegebenenfalls dem humanitären Völkerrecht. Beiden Rechtsordnungen unterfallen die Vertriebenen bereits wegen ihrer Eigenschaft als Menschen und Bürger, nicht wegen eines speziellen Status.289 Den Menschenrechten sind Beendigungsregeln aber fremd. Zwar können einige Menschenrechte bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen eingeschränkt oder außer Kraft gesetzt werden, im Übrigen gelten sie immerfort, enden nicht mit einem bestimmten Verhalten oder Ereignis. Und das Kriegsrecht gilt von vorneherein 287
So auch Phuong, The International Protection of Internally Displaced Persons, S. 35. Nach Art. 1 C GFK fällt eine Person nicht länger unter das Abkommen, „1. wenn sie sich freiwillig erneut dem Schutz des Landes, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, unterstellt; oder 2. wenn sie nach dem Verlust ihrer Staatsangehörigkeit diese freiwillig wiedererlangt hat; oder 3. wenn sie eine neue Staatsangehörigkeit erworben hat und den Schutz des Landes, dessen Staatsangehörigkeit sie erworben hat, genießt; oder 4. wenn sie freiwillig in das Land, das sie aus Furcht vor Verfolgung verlassen hat oder außerhalb dessen sie sich befindet, zurückgekehrt ist und sich dort niedergelassen hat; oder 5. wenn sie nach Wegfall der Umstände, auf Grund derer sie als Flüchtling anerkannt worden ist, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt.“ Ähnlich ist Art. 1 Abs. 4 lit. a)–e) OAU-Flüchtlingskonvention formuliert. Weiter regelt Art. 1 Abs. 4 lit. f) und g) OAU-Flüchtlingskonventiuon, dass der Flüchtlingsstatus endet, wenn der Flüchtling „f) […] has committed a serious nonpolitical crime outside his country of refuge after his admission to that country as a refugee, or g) […] has seriously infringed the purposes and objectives of this Convention.“ 289 Kälin, in: FMR 17/2003, S. 15 (15); Mooney, in: Refugee Surv. Q. 3/2005, S. 9 (22); ders., in: FMR 17/2003, S. 4 (5); IASC, Benchmarks for Determining Durable Solutions for Internally Displaced Persons, WO/0703/2072/7, S. 3. 288
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1. Kap.: Begriffsbestimmungen
nur im Rahmen bewaffneter Konflikte. Schließlich bleiben beide Normenkomplexe für den Einzelnen anwendbar, wenn er heim kehrt oder sich an einem neuen Ort niederlässt.290 Nichts anderes kann für Ausschlussklauseln, etwa in Anlehnung an Art. 1 F GFK oder Art. 1 Abs. 5 OAU-Flüchtlingskonvention, gelten.291 So finden sich auch in den Guiding Principles und der Kampala Convention keine Beendigungs- oder Ausschlussbedingungen.292 Die Leitlinien 28, 29 Guiding Principles und Art. 11 Abs. 1 und 2 Kampala Convention sehen dann verschiedene Lösungsmöglichkeiten für Binnenflüchtlingssituationen vor: die Rückkehr der Vertriebenen in ihre ursprüngliche Heimat und die Niederlassung am Zufluchts- oder einem dritten Ort. Vor allem wegen ihrer speziellen Bedürfnisse und Nöte bilden Binnenvertriebene eine eigene Kategorie. Dann muss es auch bei Beendigung der Binnenflüchtlingseigenschaft auf die Schutzund Hilfsbedürftigkeit der Menschen ankommen.293 Wer keine Vertriebenenbedürfnisse und -nöte mehr hat, ist aber nicht zwangsläufig von Unterstützung ausgeschlossen. Diese folgt dann jedoch einem allgemeinen, mehr entwicklungsorientierten Ansatz.294
290
Zum Ganzen Kälin, in: FMR 17/2003, S. 15 (15). Vgl. Wyndham, in: Hum. Rts. Brief 2006, S. 7 (9 f.); anders Geißler, Der völkerrechtliche Schutz der Internally Displaced Persons, S. 56 f. Gemäß Art. 1 F GFK finden die Normen des Abkommens „keine Anwendung auf Personen, in Bezug auf die aus schwer wiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist a) dass sie ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen haben, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen; b) dass sie ein schweres nichtpolitisches Verbrechen außerhalb des Aufnahmelandes begangen haben, bevor sie dort als Flüchtling aufgenommen wurden; c) dass sie sich Handlungen zu Schulden kommen ließen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen.“ Art. 1 Abs. 5 OAU-Flüchtlingskonvention enthält eine ähnliche Formulierung. 292 Aber einige nationale Binnenvertriebenengesetze enthalten Klauseln, bei Vorliegen deren Voraussetzungen der nationale Binnenvertriebenenstatus endet, ausführlich hierzu Beau, in: FMR 17/2003, S. 16 ff. 293 Geißler, in: Int’l J. Refugee L. 1999, S. 451 (456); ders., Der völkerrechtliche Schutz der Internally Displaced Persons, S. 58; Kälin, in: FMR 17/2003, S. 15 (16); Mooney, in: Refugee Surv. Q. 3/2005, S. 9 (23); Phuong, The International Protection of Internally Displaced Persons, S. 37. Geißler spricht sich gleichwohl für die Aufnahme einer cessation clause aus, Geißler, in: Int’l J. Refugee L. 1999, S. 451 (456); vgl. ders., Der völkerrechtliche Schutz der Internally Displaced Persons, S. 57 f. 294 Mooney, in: FMR 17/2003, S. 4 (4, 7). 291
C. Beziehung zwischen nichtstaatlichen Gewaltakteuren und Binnenvertriebenen
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VI. Definition: Binnenvertriebene Basierend auf dem Vorhergehenden ist eine Binnenvertriebenendefinition für die vorliegende Arbeit festzulegen. Es gilt: Binnenvertriebene sind Personen oder Personengruppen, die in Folge oder zur Vermeidung der Auswirkungen eines bewaffneten Konflikts, Situationen allgemeiner Gewalt oder Menschenrechtsverletzungen zum Verlassen ihres Heims oder gewöhnlichen Aufenthaltsorts gezwungen sind, und die keine international anerkannte Staatsgrenze überschritten haben.
C. Die Beziehung zwischen nichtstaatlichen Gewaltakteuren und Binnenvertriebenen Hauptursache interner Fluchtbewegungen sind Auseinandersetzungen: Menschenrechtsverletzungen, Situationen allgemeiner Gewalt und bewaffnete Konflikte. Maßgeblich hieran beteiligt sind nichtstaatliche Gewaltakteure. Außerdem wirken sie häufig auf die Binnenflüchtlinge ein. Ihre Rolle ist dabei ambivalenter, als es auf den ersten Blick scheint. Regelmäßig greifen bewaffnete Gruppierungen (auch) Zivilpersonen an und allein ihre Existenz bringt den Staat ins wanken, führt dazu, dass der Staat seinen Aufgaben nicht mehr nachkommen kann oder will, gar selbst gegen seine Bürger, die Aufständischen und (mutmaßliche) Unterstützer der Aufständischen, vorgeht. Und gerade nichtstaatliche Gewaltakteure können ein Interesse daran haben, die Menschen vor Vertreibungen zu bewahren und den Vertriebenen Schutz und Hilfe zu gewähren. Entscheidend für den Umgang mit der Bevölkerung sind insbesondere die dem Konflikt zugrunde liegenden Motive der Oppositionsbewegungen.
I. Gründe nichtstaatlicher Gewaltakteure für einen humanen Umgang mit der Zivilbevölkerung Nichtstaatliche Gewaltakteure haben vielerlei Gründe, sich Zivilpersonen, speziell den Binnenvertriebenen gegenüber human zu verhalten. Zunächst bringt die (weitgehende) Aussparung ziviler und die Konzentration auf militärische Ziele wie gegnerische Soldaten, deren Ausrüstung und Infrastruktur Kampfvorteile, wird die andere Partei so doch direkt geschwächt.295
295
Bangerter, in: IRRC 2011, S. 353 (361).
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1. Kap.: Begriffsbestimmungen
Aber vor allem teilen die Kämpfer Homogenitätsmerkmale wie die Ethnie, Religion und Sprache mit dem Volk bzw. einem Teil hiervon. Ihre Familien, Freunde und Gemeinschaften sind Teil der Zivilbevölkerung. Rückhalt und Unterstützung erhalten die Aufständischen bzw. Freiheitsbewegungen, indem sie sich politisch wie auch militärisch für die Interessen und Rechte ihrer Ethnie, Religions- und Sprachgruppe einsetzen und Zivilsten von der Gewalt aussparen und gegen Angriffe Dritter schützen, selbst Hilfe leisten, mit internationalen und nationalen Hilfseinrichtungen zusammen arbeiten.296 Und einige Gruppen sind ihrem Selbstverständnis nach von Nächstenliebe bestimmt. Entsprechend ihrem eigenen Wertekanon halten sie sich an menschen- und kriegsrechtliche Normen, aus dem Glauben an die Regelung heraus.297 Viele Verbände streben die Abspaltung einer Region und Etablierung eines neuen Staates, Autonomierechte, die Regierungsübernahme oder zumindest eine Beteiligung auf Exekutiv-, Legislativ- und Judikativebene, also konventionelle politische Ziele an. Aber nur wenn sich die bewaffneten Gruppierungen der Staatengemeinschaft als legitime und zuverlässige Volksvertreter, denn als wüste Randalierer präsentieren, werden sie auf dem internationalen Parkett akzeptiert.298 Weiterhin sind nichtstaatliche Gewaltakteure zur Führung der Kämpfe regelmäßig auf externe Finanzierungsquellen angewiesen. Geld und materielle Güter wie Waffen, Transport-, Kommunikations- und Nahrungsmittel erhalten sie von der Zivilbevölkerung, von in der Diaspora lebenden Menschen, Drittstaaten, anderen Oppositionellen, Hilfsorganisationen oder privaten Unternehmen. Je besser sich die Aufständischen gegenüber den genannten Akteuren verhalten, desto bereitwilliger unterstützen diese sie, und je mehr Unterstützung die Aufständischen so erhalten, desto weniger setzen sie Gewalt zur Finanzierung des Konflikts, sondern mehr zur Endzielerlangung, also gegen ihren Gegner, den Staat oder andere substaatliche Gruppen, ein. 296 Siehe hierzu Bangerter, in: FMR 37/2011, S. 7 (9); ders., in: IRRC 2011, S. 353 (358, 360, 363, 366); Bellal/Giacca/Casey-Maslen, in: FMR 37/2011, S. 4 (4); siehe auch Henckaerts, in: College of Europe/ICRC (Hrsg.), Relevance of International Humanitarian Law to Non-State Actors, S. 123 (133); Herr, Vom Regelbruch zu politischer Verantwortung, S. 8; Kellenberger, Humanitäres Völkerrecht, S. 168, 260; Mampilly, Rebel Rulers, S. 53 ff. 297 Herr, Vom Regelbruch zu politischer Verantwortung, S. 8; vgl. Bangerter, in: IRRC 2011, S. 353 (359); Capie, in: Geneva Call/The Program for the Study of International Organization(s) (PSIO)/The United Nations Institute for Disarmament Research (UNIDIR) (Hrsg.), Exploring Criteria & Conditions for Engaging Armed Non-State Actors to Respect Humanitarian Law & Human Rights, S. 86 (88). 298 Siehe Bangerter, in: FMR 37/2011, S. 7 (9); ders., in: IRRC 2011, S. 353 (360); de Beco, in: HuV 2005, S. 190 (194 f.); Bellal/Giacca/Casey-Maslen, in: FMR 37/2011, S. 4 (4 f.); Bellal/Casey-Maslen, in: Göttingen J. Int’l L. 2011, S. 175 (194); Henckaerts, in: College of Europe/ICRC (Hrsg.), Relevance of International Humanitarian Law to Non-State Actors, S. 123 (133); Lee, in: J. Int’l & Comp. L. 1997, S. 529 (531); Ryngaert/Van de Meulebroucke, in: J. Confl. & Security L. 2011, S. 443 (444); Weissbrodt, in: Castermans-Holleman/van Hoof/ Smith (Hrsg.), Essays in Honour of Peter Baehr, S. 175 (192 f.).
C. Beziehung zwischen nichtstaatlichen Gewaltakteuren und Binnenvertriebenen
85
Die Wahrung gewisser Humanitätsstandards erhöht schließlich die Truppendisziplin und damit die Erfolgsaussichten der Oppositionsbewegungen. Andernfalls werden die ursprünglichen Ziele schnell von Allmachtsphantasien, Habgier und sexuellen Verlangen verdrängt.299 Daneben mag auch die Tatsache, dass die Verletzung von (Völker-)Strafrecht zur individuellen strafrechtlichen Verantwortung der Kämpfer führt, abschrecken.300 Taten einzelner Gruppenmitglieder können überdies zur Strafbarkeit der Hintermänner führen. Außerdem will man Sanktionen der internationalen Gemeinschaft wie Waffenembargos, Reiseverbote und das Einfrieren von Konten verhindern.301
II. Gründe nichtstaatlicher Gewaltakteure gegen einen humanen Umgang mit der Zivilbevölkerung Gleichwohl ist nicht zu leugnen, dass nichtstaatliche Gewaltakteure immer wieder gegen die Bevölkerung vorgehen und die Bevölkerung allgemein unter den Auseinandersetzungen leidet. Zurück zu führen ist dies zunächst auf eine weit verbreitete Unkenntnis substaatlicher Einheiten von ihren Verpflichtungen.302 Zwar haben die Gruppenanführer oft noch einen relativ guten Bildungsstand, doch verfügt ein großer Teil der Kämpfer nur über eine rudimentäre Schulbildung, einige sind Analphabeten. Völkerrechtliches Wissen ist meist entsprechend gering. Und allein der Zugang zu den Menschenund Kriegsrechtsabkommen gestaltet sich vor allem in ländlichen Regionen als äußerst schwierig. Gewalttaten gegenüber Zivilisten und Vertreibungen sind aber auch immer wieder Teil der Kampfstrategie. Es geht den Parteien dann gerade um die Herstellung von Homogenität innerhalb eines bestimmten Gebiets. Außerdem will man dem Gegner auf diese Weise die (vermeintliche) Basis entziehen. Und regelmäßig sind die nichtstaatlichen Gewaltakteure den regulären Streitkräften hinsichtlich Ausstattung und Ausbildung weit unterlegen. Die Guerilla299 Lange, Der Status der Aufständischen im modernen humanitären Völkerrecht, S. 82; siehe auch Münkler, Die neuen Kriege, S. 139 ff. 300 Bellal/Giacca/Casey-Maslen, in: FMR 37/2011, S. 4 (5); Bellal/Casey-Maslen, in: Göttingen J. Int’l L. 2011, S. 175 (195); Kellenberger, Humanitäres Völkerrecht, S. 252 ff.; Werle, Völkerstrafrecht, S. 43 ff., Rn. 104 ff.; vgl. Abs. 5 Präambel IStGH-Statut. 301 Bangerter, in: FMR 37/2011, S. 7 (9); Bellal/Giacca/Casey-Maslen, in: FMR 37/2011, S. 4 (5); Bellal/Casey-Maslen, in: Göttingen J. Int’l L. 2011, S. 175 (195). 302 Bangerter, in: IRRC 2011, S. 353 (369 f.); de Beco, in: HuV 2005, S. 190 (196 f.); Bellal/Giacca/Casey-Maslen, in: FMR 37/2011, S. 4 (4). Der damalige VN-Generalsekretär Kofi Annan 2002 in seinem Bericht an den Sicherheitsrat über den Schutz von Zivilisten in bewaffneten Konflikten: „All parties to a conflict, including non-state actors, must understand their obligations and responsibilities to civilians“, S/2002/1300, 26. November 2002, Rn. 30.
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1. Kap.: Begriffsbestimmungen
kriegführung ist dann ihre einzige Möglichkeit zur Erlangung von Kampfvorteilen.303 Mobil, flexibel und aus dem Volk heraus agieren die Oppositionellen. Während sie im direkten Gefecht mit der Armee verlieren würden, gewinnen sie gegen die schwache, wehrlose Zivilbevölkerung. So demonstrieren die Aufständischen ihre Stärke und offenbaren, dass der Staat seine Bürger nicht schützen kann oder will.304 Einigen geht es auch kaum um politische Ziele, sondern primär um Selbstbereicherung. Zu leiden haben hierunter besonders die Zivilisten. Sie werden ausgebeutet, ihre Dörfer werden geplündert und die für sie gedachten Hilfslieferungen werden gestohlen.305 Insgesamt gilt: Je weniger finanzielle und materielle Unterstützung ein Verband erhält, desto mehr muss er Gewalt zur Mittelerlangung einsetzen. Letztlich steht den Mitgliedern bewaffneter Gruppen im internen bewaffneten Konflikt kein Kombatantenstatus zu. Sie können dann, allein weil sie gewaltsam gegen den Staat vorgehen, nach nationalem Recht, etwa wegen Hochverrats, bestraft werden.306 Gleich, ob sie das humanitäre Völkerrecht wahren. Bisweilen wird den Kampfteilnehmern nach Beendung des Konflikts aber eine Amnestie (für kriegsrechtskonformes Verhalten) eingeräumt, vgl. Art. 6 Abs. 5 ZP II.307 Zwar nimmt die Vorschrift Kriegsrechtsverletzungen nicht ausdrücklich von der Amnestie aus, dass diese aber stets zu bestrafen sind, ist gewohnheitsrechtlich anerkannt.308 Straffrei bleibt dann, wer zwar rechtswidrig zu den Waffen greift, aber beim Waffeneinsatz die
303 Vgl. Hess, Die Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts insbesondere in gemischten Konflikten, S. 92; Lange, Der Status der Aufständischen im modernen humanitären Völkerrecht, S. 31; siehe auch Bangerter, in: IRRC 2011, S. 353 (371 f.). 304 Bangerter, in: IRRC 2011, S. 353 (376). 305 Zeender, in: Refugee Surv. Q. 3/2005, S. 96 (102 f.); siehe auch Münkler, Die neuen Kriege, S. 153 ff. 306 Bellal/Casey-Maslen, in: Göttingen J. Int’l L. 2011, S. 175 (192); Randelzhofer, in: ZfP 1971, S. 237 (245); Sassòli, in: Geneva Call/PSIO/UNIDIR (Hrsg.), Exploring Criteria & Conditions for Engaging Armed Non-State Actors to Respect Humanitarian Law & Human Rights, S. 8 (10). Henckaerts: „What incentive is there to abide by IHL [International Humanitarian Law] if they are criminals anyway, whether they violate IHL or not“, Henckaerts, in: College of Europe/ICRC (Hrsg.), Relevance of International Humanitarian Law to Non-State Actors, S. 123 (133). Im Rahmen internationaler bewaffneter Konflikte bringt der Kombatantenstatus den Kämpfern Privilegien. Vor allem können sie nicht allein für die Teilnahme an den Feindseligkeiten strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. 307 Art. 6 Abs. 5 ZP II lautet: „Bei Beendigung der Feindseligkeiten bemühen sich die an der Macht befindlichen Stellen, denjenigen Personen eine möglichst weitgehende Amnestie zu gewähren, die am bewaffneten Konflikt teilgenommen haben oder denen aus Gründen im Zusammenhang mit dem Konflikt die Freiheit entzogen wurde, gleichviel ob sie interniert oder in Haft gehalten sind.“ 308 von Arnauld, Völkerrecht, S. 496, Rn. 1246; ICTY, Prosecutor v. Tadic´, IT-94-1, 2. Oktober 1995, Rn. 128 ff.; siehe auch Sivakumaran, The Law of Non-International ArmedConflict, S. 507 f.
C. Beziehung zwischen nichtstaatlichen Gewaltakteuren und Binnenvertriebenen
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Regeln des humanitären Völkerrechts befolgt.309 Doch enthält Art. 6 Abs. 5 ZP II nur einen Aufruf, keine Pflicht zur Amnestiegewährung.310 Zur Zeit der Kämpfe wissen die Beteiligten daher meist noch nicht, ob ihnen später Amnestie gewährt wird. Problematisch ist zudem eine, immer wieder gewährte Amnestie für völkerstrafrechtliches Verhalten, also die Begehung von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen.311
309
Amnestie wurde den Kämpfern etwa in Sierra Leone und Uganda gewährt, siehe Art. IX Peace Agreement Between the Government of Sierra Leone and the Revolutionary United Front of Sierra Leone (Lomé Agreement) unterzeichnet in Lomé, Togo, zwischen der Regierung Sierra Leones und der Revolutionary United Front (RUF), 7. Juli 1999, und den ugandischen Amnesty Act von 2000 (nach einigen Änderungen wurde der Amnesty Act im Mai 2012 größtenteils außer Kraft gesetzt). 310 Geiß, in: Heintze/Ipsen (Hrsg.), Heutige bewaffnete Konflikte als Herausforderungen an das humanitäre Völkerrecht, S. 45 (62). 311 Henckaerts, in: College of Europe/ICRC (Hrsg.), Relevance of International Humanitarian Law to Non-State Actors, S. 123 (132 f.); Schabas, in: Fordham Int’l L. J. 2003, S. 907 (921 f.). Art. 10 Statute of the Special Court for Sierra Leone (SCSL-Statut) hält fest: „An amnesty granted to any person falling within the jurisdiction of the Special Court in respect of the crimes referred to in articles 2 to 4 of the present Statute shall not be a bar to prosecution.“ Strafbar sind nach Art. 2 – 4 SCSL-Statut Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Verstöße gegen den gemeinsamen Art. 3 GK und das ZP II sowie andere schwerwiegende Verstöße gegen internationales humanitäres Völkerrecht.
Zweites Kapitel
Der Darfur-Konflikt Auch wenn die Politik und die Medien den Auseinandersetzungen in der westsudanesischen Region Darfur nur noch wenig Aufmerksamkeit schenken, gehen die Kämpfe dort weiter. Zwar verlor der im Frühjahr 2003 eskalierende Konflikt an Intensität. Doch schwelt er noch, flammt immer wieder auf. Etwa 300.000 Menschen ließen seither ihr Leben1, Unzählige wurden verletzt, misshandelt und vergewaltigt, ganze Siedlungen wurden geplündert und niedergebrannt.2 Bisher flohen über drei Millionen vor der Gewalt aus ihrer Heimat.3 Während sich der Großteil von ihnen, Ende 2012 etwa 1,7 Millionen Menschen, innerhalb der nationalen Staatsgrenzen aufhält, suchten weitere Hunderttausende Zuflucht im benachbarten Tschad und Südsudan.4 Zerstörte, menschenleere Landstriche blieben zurück, während die Vertriebenencamps weiter wachsen. Mindestens die Hälfte der über sieben Millionen Einwohner Darfurs ist von internationaler Hilfe abhängig5; alle sind in irgendeiner Form von den Auseinandersetzungen betroffen. Die Situation wurde 2004 von den VN als „the world’s worst humanitarian crisis“6 bezeichnet. Seit nunmehr zehn Jahren ist Darfur Schauplatz eines äußerst brutalen, opferreichen und leidbringenden Konfliks. Zum besseren Verständnis der Auseinandersetzungen wird zunächst ein landeskundlicher Überblick gegeben. Es schließt sich eine Darstellung der Konfliktursachen und -teilnehmer sowie der Ereignisse seit der Eskalation 2003 an. Genauer in den Blick genommen werden die Strategien der Kampfparteien, insbesondere ihre Beziehungen zur Zivilbevölkerung. Am Ende steht ein Ausblick. 1 United Nations Office of the Resident and Humanitarian Coordinator, Beyond Emergency Relief, S. 18. Dabei kam der Großteil nicht unmittelbar durch die Gewalttaten der Konfliktparteien ums Leben, sondern starb aufgrund der schlechten Versorgung an Unterernährung oder Krankheiten, Degomme/Guha-Sapir, in: Lancet 375/2010, S. 294 ff. 2 Siehe etwa International Commission of Inquiry on Darfur, insbesondere Rn. 237 ff., 631 ff.; die Berichte des Panel of Experts on the Sudan; Jahresberichte von Amnesty International (AI) aus den Jahren 2003 – 2012; und Berichte von Human Rights Watch (HRW) über den Darfur-Konflikt. 3 IDMC/NRC, Global Overview 2012. People Internally Displaced by Conflict and Violence, S. 31; UNOCHA (Hrsg.), Sudan. UN and Partners Work Plan 2013, S. 8. 4 Siehe UNHCR, Global Reports 2012 für den Tschad und den Südsudan. 5 UNOCHA (Hrsg.), Sudan. UN and Partners Work Plan 2013, S. 7, 9. Zur Bevölkerungszahl in Darfur Geohive, Sudan; siehe auch UNOCHA (Hrsg.), Sudan. UN and Partners Work Plan 2013, S. 8. 6 Siehe Wald, Security Council Endorses Resolution on Sudan.
A. Darfur
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A. Darfur Die Binnenregion Darfur (dar Fur, Land der Fur) erstreckt sich im Westen Sudans7 über eine relativ ebene Fläche von 503.180 km2.8 Obschon erhebt sich im zentralen Gürtel das 3.042 m hohe Bergmassiv Dschebel Marra9, eines der höchsten des Sudan. Im Norden grenzt Darfur an Libyen, im Westen an den Tschad und die Zentralafrikanische Republik, im Süden an den Südsudan und innerhalb des Sudans im Osten an die Bundesstaaten (auch: Provinzen) die Nördliche, Nord- und SüdKordofan. Seit Anfang 2012 ist der Sudan in 17 von Gouverneuren (wali) regierte Bundesstaaten (wilayat) unterteilt. Nachgeordnet bestehen Verwaltungsdistrikte (mahaliyat). Die Region Darfur ist in fünf Provinzen untergliedert: Nord-Darfur (mit der Hauptstadt al-Faschir)10, West-Darfur (al-Dschunaina), Ost-Darfur (ad-Du’ain), Zentral-Darfur (Zalingei) und Süd-Darfur (Nyala). Durch die Föderalismusreform 1994 wurde die Darfur-Region erstmals untergliedert. Die Bundesstaaten Nord-, West- und Süd-Darfur entstanden. Zur Schaffung der neuen Staaten Zentral- und OstDarfur im Januar 2012 wurden die Staaten West- und Süd-Darfur jeweils verkleinert.11 7
Der Sudan (Bilad as-Sudan, Land der Schwarzen) mit seiner Hauptstadt Khartum liegt in Nord-Ostafrika. Bis zur Abspaltung des Südsudan nach einem Referendum im Juli 2011 war das Land am Nil das flächenmäßig größte Afrikas und noch heute erstreckt sich der nach einer Volkszählung 2008 etwa 30 Millionen Einwohner zählende Staat über mehr als 1.840.000 km2 und ist damit immerhin das drittgrößte Land Afrikas, Geohive, Sudan, zu den Daten siehe auch UNOCHA (Hrsg.), Sudan. UN and Partners Work Plan 2013, S. 8. Auch wenn der Sudan zwischen 1899 und 1956 offiziell als anglo-ägyptisches Kondominium verwaltet wurde, war er aufgrund des geringen Einflusses der Ägypter faktisch eine britische Kolonie. 1956 erlangte er seine Unabhängigkeit. Zur Geschichte des Sudans Natsios, Sudan, South Sudan & Darfur, S. 14 ff. Seit seinem Putsch 1989, unterstützt von der islamistisch-fundamentalistischen National Islamic Front (NIF, Nationale Islamische Front, seit 1999 National Congress Party, NCP, Nationale Kongresspartei) Hassan al-Turabis, gegen Sadiq al-Mahdi ist Generalleutnant Omar Hassan Ahmad al-Bashir in Khartum an der Macht. Zumindest laut Verfassung ist der Sudan eine demokratische und föderale Republik, Art. 1 Abs. 1 Interim National Constitution (INC). Die im Rahmen der Beilegung des Nord-Süd-Konflikts entwickelte INC von 2005 bleibt trotz Sezession des Südens bis zur Annahme einer neuen Verfassung weitgehend in Kraft. Gemäß Art. 226 Abs. 10 INC traten aber die sich auf den Südsudan beziehenden Teile der Verfassung mit dessen Unabhängigkeit außer Kraft. Im April 2010 fanden die letzten Wahlen im Sudan statt. Gewählt wurden der Präsident und das Parlament des Gesamtstaats sowie Gouverneure und Parlamentsmitglieder in den Bundesstaaten. Die Gouverneure wurden bis dahin von Staatschef al-Bashir ernannt. Das Foreign Policy-Magazin stufte den Sudan 2012 auf Platz drei seines Failed State-Index ein, Foreign Policy, Failed States; zum Sudan als failed state siehe auch Gunkel, Herstellung geordneter Staatlichkeit in Nachkonfliktsituationen, S. 2; Posor, Der Darfur-Konflikt und seine Auswirkungen auf die internationale Staatengemeinschaft, S. 69 ff. 8 Geohive, Sudan. Dies entspricht etwa der Größe Frankreichs. 9 Francis, Volcanoes, S. 26. 10 Al-Faschir ist nicht nur die Hauptstadt Nord-Darfurs, sondern auch die historische Hauptstadt der gesamten Darfur-Region, Prunier, Darfur, S. 28. 11 Die Aufgliederung Darfurs ist Gegenstand jeder Friedensverhandlung. Schon lange ist ein Referendum hierüber geplant.
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2. Kap.: Der Darfur-Konflikt
Die weite Steppe Nord-Darfurs geht nach Süden hin in Trocken- und Feuchtsavannen über.12 Sommer sind hier lang und heiß, Winter kurz und mild; Regenzeit ist etwa von Juni bis Oktober.13 Doch sinkt die Niederschlagsmenge seit Jahren.14 Dies sowie anthropogene Faktoren, vor allem der Bevölkerungsanstieg15, das Abholzen der Wälder und die Übernutzung landwirtschaftlicher Flächen, führten zur Desertifikation.16 Die Geologie und das Wetter bestimmen das Leben der Menschen in Darfur, sie geben Siedlungsgebiete und Nomadenrouten vor, bestimmen die Einnahme- und Ausgabenmöglichkeiten. So basiert die Ökonomie der Region auf Subsistenzwirtschaft, also dem Anbau von Getreide, Obst, Gemüse und der Viehhaltung für den Eigenbedarf; teils auch für den Verkauf oder Tausch auf lokalen Märkten.17 Industrie ist kaum vorhanden. Noch im Vergleich zum Rest des Landes ist der Westen Sudans extrem unterentwickelt: Straßen, Schienen und Kommunikationswege existieren kaum bzw. sind in marodem Zustand, die Versorgung mit Wasser und Energie ist ungenügend, nur wenige Gesundheits- und Bildungseinrichtungen sind vorhanden und diese schlecht ausgestattet.18 Schon immer war Darfur ethnisch heterogen und waren die Ethnien dynamisch.19 Grob unterscheidet man zwischen Arabern und Afrikanern. Der Darfur-Experte Tubiana zu dieser für Außenstehende kaum nachvollziehbaren Differenzierung: „The divide is not based on skin colour. It is not based on religion […]. Nor is it based on culture […]. It is not based on language […]. Nor does the cleavage really represent a difference in way of life. […] Rather, the basis for the cleavage is the claim to an Arab identity that has less to do with the above criteria than it does with often-fictional patrilineal lineages that lead back to mythical Arab forbearers.“20
12 O’Fahey, State and Society in Da¯r Fu¯r, S. 1; ausführlich Abdul-Jalil, in: Orientwissenschaftliche Hefte 2008, S. 1 (4 ff.). 13 Abdul-Jalil, in: Orientwissenschaftliche Hefte 2008, S. 1 (4). 14 United Nations Office of the Resident and Humanitarian Coordinator, Beyond Emergency Relief, S. 10; und schon 1980 O’Fahey, State and Society in Da¯r Fu¯r, S. 1. 15 Geohive, Sudan; zum Bevölkerungswachstum im Sudan und speziell in Darfur siehe auch UNOCHA (Hrsg.), Sudan. UN and Partners Work Plan 2013, S. 30. 16 Abdul-Jalil, in: Orientwissenschaftliche Hefte 2008, S. 1 (2); Braukämper, Migration und ethnischer Wandel, S. 147; siehe auch United Nations Office of the Resident and Humanitarian Coordinator, Beyond Emergency Relief, S. 11 ff.; Welzer, Klimakriege, S. 23. 17 Siehe El-Battahani, in: Zeitschrift für Genozidforschung 2/2004, S. 8 (12); Prunier, Darfur, S. 16. 18 Ausführlich zur Ökonomie und der schlechten Versorgungslage in Darfur El-Battahani, in: Zeitschrift für Genozidforschung 2/2004, S. 8 (12 ff.); vgl. Flint/de Waal, Darfur, S. 12 ff.; UNOCHA (Hrsg.), Sudan. UN and Partners Work Plan 2013, S. 28. 19 Köndgen, in: KAS-AI 10/2004, S. 4 (8); O’Fahey, State and Society in Da¯r Fu¯r, S. 1. 20 Tubiana, in: de Waal (Hrsg.), War in Darfur and the Search for Peace, S. 68 (70); ähnlich auch Brosché/Rothbart, Violent Conflict and Peacebuilding, S. 56.
A. Darfur
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Der überwiegende Teil der Sudanesen, so auch der Darfuris, ist muslimisch21 und Arabisch sprechend.22 Und auch wenn Araber meist nomadisch und Afrikaner meist sesshaft leben, lassen sich doch manche Araber auf Dauer nieder und ziehen manche Afrikaner umher.23 Weit verbreitet sind zudem gemischte Lebensformen.24 So findet die Differenzierung vor allem in den Köpfen der Menschen statt und nur wenig Bestätigung in der Realität. Im Folgenden werden die Begriffe „Araber“ und „Afrikaner“ bzw. „arabisch“ und „afrikanisch“ dann auch sehr vorsichtig verwendet. Während im Norden Darfurs hauptsächlich pastorale Viehwirtschaft betrieben wird, viele Kamelhirten (Abbala), vor allem Araber, aber auch afrikanische Zaghawa, leben, ließen sich mehrheitlich bäuerliche, nichtarabische Stämme wie die größte Bevölkerungsgruppe der Region, die Fur, sowie Masalit, Daju, Berti und Tunjur rund um den Dschebel Marra in Zentraldarfur nieder. Neben sesshaften und halbnomadischen afrikanischen Stämmen findet man im Süden der Region vor allem arabische Rindernomaden (Baggara)25 wie die Rizeigat, Habbania, Bani Halba und Taaischa.26 Im 17. Jahrhundert gründete Suleiman Solong das Sultanat Darfur.27 Er schuf ein Regierungs-, Verwaltungs- und Gerichtssystem, trieb die Durchsetzung des Islam als Staatsreligion und den Handel voran.28 Lange Zeit war Darfur ein souveränes, politisch und wirtschaftlich einflussreiches Königreich, dessen Einwohner sich mit dem Herrschaftskonstrukt identifizierten.29 Es war nach innen wie außen stark. Noch immer sind die Darfuris stolz auf ihre Region und fühlen sich ihr verbunden. Erst
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Naturreligiöse Riten und Kulte sind aber weiterhin stark verbreitet, Collins, Civil Wars and Revolution in Sudan, S. 149; ausführlich Streck, Sudan, S. 19 ff. Auch das sudanesische Rechtssystem basiert auf islamischem Recht, der sharia. 1983 führte sie der damalige Präsident Dschafar Muhammad an-Numeiri per Präsidialdekret ein. 22 Auch wenn vielerorts weiter lokale Sprachen gesprochen werden, ist Arabisch lingua franca in Darfur, Böcker, Darfur, S. 37 ff.; Elliesie, in: VRÜ 2007, S. 199 (201, Fn. 12). 23 Tubiana, in: de Waal (Hrsg.), War in Darfur and the Search for Peace, S. 68 (70). 24 % der Bevölkerung Süd-Darfurs, 19 % der Bevölkerung Nord-Darfurs und 18 % der Bevölkerung West-Darfurs lebten 2009 nomadisch, UNOCHA (Hrsg.), Sudan. UN and Partners Work Plan 2011, S. 35. Die Staaten Ost- und Zentral-Darfur bestanden zur Zeit der Erhebungen noch nicht. 24 Abdul-Jalil, in: Orientwissenschaftliche Hefte 2008, S. 1 (1, 12); Braukämper, Migration und ethnischer Wandel, S. 62 ff., 71 ff. 25 Die Begriffe Baggara und Abbala sind keine Ethnika, sondern bezeichnen zwei unterschiedliche Wirtschafts- und Lebensformen, ausführlich Braukämper, Migration und ethnischer Wandel, S. 155 ff. 26 Zum Ganzen Khalafalla, in: APuZ 4/2005, S. 40 (42). Eine gute Übersicht zu den Volksgruppen findet sich bei de Waal, in: Afr. Aff. 2005, S. 181 (186 f.). 27 O’Fahey, State and Society in Da¯r Fu¯r, S. 9 f. Der erste Sultan Darfurs war Sohn eines arabischen Vaters und einer afrikanischen Fur, Khalafalla, in: APuZ 4/2005, S. 40 (42). 28 Vgl. Prunier, Darfur, S. 21; zur Islamisierung Bassil, The Post-Colonial State and Civil War in Sudan, S. 33 ff. 29 Prunier, Darfur, S. 38 f.; de Waal, in: Afr. Aff. 2005, S. 181 (203).
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2. Kap.: Der Darfur-Konflikt
1916, nach der militärischen Niederlage Ali Dinars gegen London und Kairo, wurde Darfur in das britisch-ägyptische Kondominium Sudan eingebunden.30 Bereits damals herrschten die aulad al-bahar (die arabischen Söhne der Flüsse, auch: Flussaraber) in Khartum.31 An ihrer Hegemonie und Missachtung Darfurs änderte auch die Unabhängigkeit des Sudans 1956 nichts. Die westliche Provinz, heute: Provinzen, wurde(n) nie als gleichrangig akzeptiert, stets marginalisiert. Ziel der Machthaber, ob als Demokratie oder Diktatur, ist seit je die Schaffung eines homogenen arabisch-islamischen Staates. Die erste demokratische Phase im Sudan wurde bereits 1958 durch einen Staatsstreich Ibrahim Abbuds beendet. Nach sechs Jahren Militärherrschaft regierte von 1964 bis 1969 ein parlamentarisches System. Das folgende Militärregime unter an-Numeiri führte den Sudan bis zu den Wahlen 1986. Diese gewann al-Mahdi. 1989 schließlich putschte sich der amtierende Präsident al-Bashir an die Macht. Mittels Arabisierung32 und Islamisierung wollte und will man das Land einen.33 Tatsächlich führt(e) diese Politik aber zu seiner Spaltung.34
B. Konfliktursachen Verteilungskonflikte um Wasser und Land, die politische wie ökonomische Marginalisierung Darfurs, die Verbreitung von Kleinwaffen durch in- und ausländische Akteure sowie eine zunehmende Ethnisierung trugen dazu bei, dass die schon immer in Darfur ausgetragenen Streitigkeiten 2003 nicht gekannte Ausmaße erreichten.
I. Ressourcenkonflikte Stets waren Hirten und Landwirte in Darfur aufeinander angewiesen: Pastoralisten nutzen das Land der Bauern zum Aufstellen ihrer Zelte, zum Weiden, Tränken und Durchtreiben ihrer Tiere. Lebensmittel und andere Güter werden ver- bzw. gekauft, getauscht. Ökonomisch und soziokulturell profitieren beide von den Be-
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Jok, Sudan, Race, Religion and Violence, S. 121; Köndgen, in: KAS-AI 10/2004, S. 4 (8 f.); Natsios, Sudan, South Sudan & Darfur, S. 27. Bereits 1874 wurde Darfur von den Ägyptern erobert und war bis 1898 in den Staat am Nil integriert. Von 1883 bis 1898 regierte Muhammed Ahmad, der selbst ernannte Mahdi, Bassil, The Post-Colonial State and Civil War in Sudan, S. 48 ff. 31 Hierzu zählen drei arabische Stämme: die Ja’aliyiin, die Shaiqiya und die Danagla, Natsios, Sudan, South Sudan & Darfur, S. 11. 32 Dies umfasst neben der Verbreitung der arabischen Sprache auch die Generierung einer arabischen Identität, Sharkey, in: Afr. Aff. 2008, S. 21 (22 f.). 33 Sharkey, in: Afr. Aff. 2008, S. 21 (28 ff.). 34 Jok, Sudan, Race, Religion and Violence, S. 51 ff.; Natsios, Sudan, South Sudan & Darfur, S. 12 f., 204.
B. Konfliktursachen
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gegnungen.35 Doch aus der unterschiedlichen Lebens- und Wirtschaftsart resultieren zwangsläufig Probleme: Das Nomadenvieh benötigt Wasser und Gras, verwüstet Weiden und Felder. Bauern ihrerseits verlegen und vergrößern die Anbauflächen, ändern die kultivierte Getreide-, Obst- oder Gemüsesorte.36 Diese labile, anfällige Bindung wurde in den vergangenen Jahren, Jahrzehnten herausgefordert. Seit den 70er Jahren und besonders während der Dürren Anfang und Mitte der 80er Jahre kam es als Folge langer Trockenzeiten und der Desertifikation vermehrt zu Nord-Süd-Wanderungen arabischer wie auch afrikanischer Hirten.37 Der nutzbare Naturraum schwand. Aber anders als früher blieben die Zugezogenen.38 Zeitgleich stieg die Bevölkerungszahl im Sudan und Zehntausende flohen vor den despotischen Herrschern aus dem benachbarten Tschad nach Darfur.39 Immer mehr Menschen auf immer weniger Fläche mussten sich die Ressourcen teilen. Dies birgt Konfliktstoff. So nahmen die Viehdiebstähle und deren Vergeltung, Reibungen wegen Flurschäden, dem Zugang zu Wiesen und Wasser in der Folge stark zu.40 Früher kam man Streitigkeiten um Landbesitz und -nutzung mit tradierten Schlichtungsverfahren41 und primitiven Waffen bei. Die britischen Kolonialherren schufen mit der Native Administration, übersetzt als Stammes- oder Lokalverwaltung, eine weitgehend selbstständige Administration, die den Darfuris viele Freiräume beließ.42 Vorhandene Ordnungsstrukturen wurden genutzt. Man teilte den Stämmen Land (dar) zu, über das die Stammesoberen (shaikh) walteten.43 Die shaikh erhoben Steuern, waren Streitschlichter und Sicherheitsakteure, teilten Wasser, Weiden und Felder zu.44 Land bzw. Zugang hierzu erhielt, wer den Stammesfürsten als Autorität anerkannte und sich auf hergebrachte, regelmäßig auf Abstammung 35
Siehe Schmidinger, in: BdiP 2/2005, S. 194 (196); ausführlich zum Verhältnis von Nomaden und Landwirten in Darfur Abdul-Jalil, in: Orientwissenschaftliche Hefte 2008, S. 1 ff. 36 Siehe Braukämper, Migration und ethnischer Wandel, S. 73. 37 Beck, in: Zeitschrift für Genozidforschung 2/2004, S. 52 (62 f., 75); Braukämper, Migration und ethnischer Wandel, S. 154; Brosché/Rothbart, Violent Conflict and Peacebuilding, S. 48. 38 El-Battahani, in: Zeitschrift für Genozidforschung 2/2004, S. 8 (38). 39 Beck, in: Zeitschrift für Genozidforschung 2/2004, S. 52 (75); vgl. Brosché/Rothbart, Violent Conflict and Peacebuilding, S. 47. 40 Vgl. Abdul-Jalil, in: Orientwissenschaftliche Hefte 2008, S. 1 (13 ff.). 41 Beck, in: Wissenschaft & Frieden 4/2007. 42 Zur Native Administration Abdul-Jalil/Mohammed/Yousuf, in: de Waal (Hrsg.), War in Darfur and the Search for Peace, S. 39 (43 ff.). Diese indirect rule kann „entweder als ein Paradebeispiel für Rassismus oder aber als kulturell respektvollste Art kolonialer Politik“ betrachtet werden, Prunier, Darfur, S. 44. 43 El-Battahani, in: Zeitschrift für Genozidforschung 2/2004, S. 8 (38). Das dar-System basiert auf dem traditionellen hakura-Landsystem, hierzu Abdul-Jalil, in: Orientwissenschaftliche Hefte 2008, S. 1 (7 f.); ausführlich O’Fahey, State and Society in Da¯r Fu¯r, S. 49 ff. 44 Abdul-Jalil/Mohammed/Yousuf, in: de Waal (Hrsg.), War in Darfur and the Search for Peace, S. 39 (44 ff.).
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2. Kap.: Der Darfur-Konflikt
rückführbare Ansprüche berufen konnte oder Nutzungsrechte erwarb.45 Der unabhängige Sudan behielt diese Ordnung zunächst bei. Die formelle Beendigung der dar-Regelungen mit dem Abolition of Native Administration Act und dem People’s Local Government Act 1971 brachte dann einen Machtverlust der Stämme, besonders der shaikh. Statt ihrer waren nun staatliche Einrichtungen zuständig. Der Bevölkerung fern, wurden die Staatsinstitutionen nur widerwillig angenommen. Durchsetzen konnte sich der Staat in Darfur kaum, bis heute ist er schwach.46 Und während sich viele Afrikaner, denen als Landwirten der Großteil des dar zustand, weiter auf die traditionellen Bestimmungen beriefen, forderten die Nomaden ein allen gleichermaßen zugängliches System.47 Faktisch hoben diese wie folgende Verwaltungs- und Landrechtsreformen48 die alten Vorschriften dann auch nicht auf. Rechtsunsicherheit und Intransparenz waren die Folge.49 Ausgerechnet wurde die Native Administration mit ihren etablierten Verteilungsund Einigungsmechanismen in einer Zeit zunehmender Auseinandersetzungen, gerade auch um Ressourcen, aufgegeben. Der Provinzgouverneur, die Verwaltung, Polizei und Gerichte konnten die entstandene Lücke nicht füllen, den Streitigkeiten kaum Einhalt gebieten. Statt der hergebrachten Ordnung oder rechtsstaatlichen Elementen kamen nun leicht verfügbare Feuerwaffen zum Einsatz.50 Das Gewaltmonopol des Staates bestand nur in der Theorie. Praktisch herrschte Selbstjustiz. Der langjährige Bürgerkrieg im Tschad brachte neuartige Waffen sowie eine gewisse Kriegs- und Kampfkultur über die Grenze nach Darfur.51 Seit Mitte der 80er Jahre rüstete erst der demokratisch legitimierte al-Mahdi und später der Militärdiktator al-Bashir arabische Nomaden auf.52 Gleich, wer in Khartum regiert, er kann sich auf die darfurischen Araber als natürliche Verbündete stützen. Als parastaatliche 45 Böcker, Darfur, S. 53; El-Battahani, in: Zeitschrift für Genozidforschung 2/2004, S. 8 (38); Tubiana, in: de Waal (Hrsg.), War in Darfur and the Search for Peace, S. 68 (79). 46 Ludermann, in: Ratsch et al. (Hrsg.), Friedensgutachten 2005, S. 88 (90). 47 Beck, in: Wissenschaft & Frieden 4/2007; ders., in: Zeitschrift für Genozidforschung 2/ 2004, S. 52 (77); Tubiana, in: de Waal (Hrsg.), War in Darfur and the Search for Peace, S. 68 (78 ff.). 48 Insbesondere wurden 1994 die Bundesstaaten neu gegliedert und die Stammesverwaltung wieder eingeführt, Prunier, Darfur, S. 102. 49 Siehe Abdul-Jalil, in: Orientwissenschaftliche Hefte 2008, S. 1 (10 f.); Beck, in: Zeitschrift für Genozidforschung 2/2004, S. 52 (76 f.); Prunier, Darfur, S. 79; Tubiana, in: de Waal (Hrsg.), War in Darfur and the Search for Peace, S. 68 (78). 50 Hierzu Böcker, Darfur, S. 55, 57, 106. 51 El-Battahani, in: Zeitschrift für Genozidforschung 2/2004, S. 8 (18); vgl. auch Barltrop, Darfur and the International Community, S. 31. Darfur diente lange Jahre als Ausgangspunkt militärischer Operationen und als Rückzugsgebiet für Armeen und Rebellen Libyens, Sudans und des Tschad, Bassil, The Post-Colonial State and Civil War in Sudan, S. 147 ff.; Prunier, Darfur, S. 61 ff., 81 ff. 52 Schmidinger, in: BdiP 2/2005, S. 194 (196).
B. Konfliktursachen
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Truppen kämpften sie zunächst im Zweiten Sudanesischen Bürgerkrieg gegen das/ die Sudan People’s Liberation Movement/Army (SPLM/A, Sudanesische Volksbefreiungsbewegung/-armee) des afrikanisch-christlich geprägten Südens.53 Aber schon damals richteten sie die Waffen auch gegen ihre afrikanischen Nachbarn.54
II. Marginalisierung Darfurs Schon immer wurde die ländliche Region im Westen Sudans vernachlässigt und wurden die Darfuris missachtet.55 Afrikaner und Araber sind hiervon ähnlich betroffen.56 Wie das britisch-ägyptische Kondominium kümmert sich auch der unabhängige Sudan kaum um die periphere Gegend. Das politische und wirtschaftliche Leben spielt sich am Nil ab. Von hier stammt die Elite, hier wird regiert, gehandelt und investiert.57 Westsudanesen hingegen erhalten außerhalb ihrer eigenen Provinzen kaum bedeutende Posten in Regierung und Verwaltung, im Parlament, dem Justizwesen und Militär. Die Ökonomie ihrer Region ist subsistenzorientiert. Es mangelt an Infrastruktur, grundlegenden administrativen und sozialen Diensten. Statt als Schutz- und Leistungsakteur tritt der sudanesische Staat in Darfur vor allem mit repressiven Mitteln auf: Die Meinungs- und Pressefreiheit wird einge53 Schmidinger, in: BdiP 2/2005, S. 194 (196). Ab 1983 kämpfte die südsudanesische Rebellengruppe SPLM/A im Zweiten Sudanesischen Bürgerkrieg gegen die Regierung in Khartum. Der afrikanisch-christlich geprägte Süden setzte sich gegen die muslimisch-arabische Dominanz des Nordens zur Wehr. Der Erste Sudanesische Bürgerkrieg endete nach 23 Jahren im März 1972 mit einem Friedensvertrag zwischen der Regierung an-Numeiris und der sezessionistischen Bewegung Anyanya I. Zu den Bürgerkriegen Barltrop, Darfur and the International Community, S. 15 ff. 54 El-Battahani, in: Zeitschrift für Genozidforschung 2/2004, S. 8 (39). So kam es etwa 1987 zu Massakern der arabischen Rizeigat an hunderten afrikanischen Dinka, Khalafalla, in: APuZ 4/2005, S. 40 (42), sowie zu Kämpfen zwischen einem Zusammenschluss aus 27 arabischen Stämmen und Fur-Angehörigen, zu diesem „Krieg der Stämme“ Böcker, Darfur, S. 76 ff. Auch in den Folgejahren führte man Auseinandersetzungen zunehmend entlang ethnischer Linien. „It is this arming of certain civilians to act as lords over others, instead of the regular defense forces enforcing the law, that has led to the chaos that has been unfolding in Darfur throughout the 1990s and reached catastrophic proportions in 2003“, Jok, Sudan, Race, Religion and Violence, S. 217. 55 Aber nicht nur Darfur, sondern sämtliche periphere Regionen Sudans wurden und werden marginalisiert, Flint/de Waal, Darfur, S. 16. Dies ist einer der Gründe, weshalb es seit 2011 in den Provinzen Süd-Kordofan und Blauer Nil verstärkt zu Kämpfen zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren kommt, siehe hierzu HRW, Under Siege. 56 Böcker, Darfur, S. 60; Schmidinger, in: BdiP 2/2005, S. 194 (196). So beklagte die „Arabische Versammlung“ (al-tajamaa al-arabi, Arab Gathering), eine Gruppe arabischer Intellektueller, Beamter und Stammesfürsten aus Darfur, in einem Schreiben 1989 an den damaligen Premierminister al-Mahdi eine zu geringe Repräsentation in den Exekutiveinrichtungen des Staates, El-Battahani, in: Zeitschrift für Genozidforschung 2/2004, S. 8 (39 ff.). 57 Beck, in: Zeitschrift für Genozidforschung 2/2004, S. 52 (59); siehe auch Collins, Civil Wars and Revolution in Sudan, S. 150; Öhm, in: IPG 2/2005, S. 150 (152).
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schränkt, Menschen, insbesondere Oppositionelle, werden gefoltert, ohne Anklage und Möglichkeit auf Verteidigung eingesperrt, Frauen und Mädchen werden vergewaltigt, misshandelt.58 Repression schützt zwar die Regierenden, doch schwächt sie den Staat insgesamt.59 Exekutive, Legislative und Judikative waren den Menschen ohnehin fremd und machten sich dann noch durch ihr wüstes Auftreten unbeliebt. Entsprechend machtlos sind die Staatsgewalten auf dem Land, gering ist ihre Effektivität und Legitimation unter der dortigen Bevölkerung. Bis heute konnte sich das postkoloniale Konstrukt Sudan, das bis 2011 in den Grenzen der Kolonialzeit bestand, bei der Masse nicht durchsetzen.60 Gerade die Menschen in der Peripherie verpflichten sich noch immer mehr ihrem Stamm, ihrer Ethnie und Religion, denn dem sudanesischen Staat.61 Doch wurden auch kaum Anstrengungen eines integrativen Nationswerdungsprozesses unternommen – stets herrschte eine kleine, kaum zugängliche Gruppe, während der Großteil ausgegrenzt, vernachlässigt, gar unterdrückt wurde.62 Wohin eine solche Politik führen kann, zeigte der Jahrzehnte andauernde NordSüd-Bürgerkrieg, der erst mit der Abspaltung des Südens endgültig endete. Ebenfalls seit je marginalisiert, stimmten etwa 99 % der Wahlberechtigten im Januar 2011 für die Sezession. Am 9. Juli 2011 erlangte der Südsudan seine Unabhängigkeit.
III. Antagonismus zwischen Arabern und Afrikanern In der Vergangenheit war der Darfur-Konflikt vor allem ein ethnischer Konflikt zwischen Arabern und Afrikanern bzw. wurde als solcher wahrgenommen. Ethnisch sind Konflikte, wenn ethnische Gruppen um Ressourcen oder Macht kämpfen sowie diejenigen, bei denen der Streitgegenstand selbst ethnisch ist, es also um Sprache, Religion, Traditionen und Ähnliches geht.63 Ursprünglich unterschied man Ethnien in Darfur kaum.64 Aber gerade in den letzten Jahren, Jahrzehnten wurde polarisiert, wurden Identitäten konstituiert und konsolidiert.65 Hierfür bemühte man Ahnenli58 VN-Berichte über die Menschenrechtslage im Sudan sind abrufbar unter: United Nations Office of the High Commissioner for Human Rights (UNOHCHR), Sudan; siehe auch die Jahresberichte von AI der vergangenen Jahre; zum sudanesischen Staat als Gewaltherrscher siehe auch Schmidinger, in: BdiP 2/2005, S. 194 (194). 59 Öhm, in: IPG 2/2005, S. 150 (151). 60 Hierzu Öhm, in: IPG 2/2005, S. 150 (151); vgl. Jok, Sudan, Race, Religion and Violence, S. 3, 113 f.; Streck, Sudan, S. 73, 139 f. 61 Jok, Sudan, Race, Religion and Violence, S. 114. 62 Natsios, Sudan, South Sudan & Darfur, S. 9; Öhm, in: IPG 2/2005, S. 150 (152). Im Bericht des AUPD ist dann auch vom Darfur-Konflikt als einer „Sudanese crises in Darfur“ die Rede, AUPD, S. 3, Rn. 9, siehe auch xiii, Rn. 2 ff. und S. 9 ff., Rn. 36 ff. 63 Khalafalla, in: APuZ 4/2005, S. 40 (41). 64 AUPD, S. 11, Rn. 45. 65 Prunier, Darfur, S. 18; ausführlich Böcker, Darfur, insbesondere S. 96 ff.
B. Konfliktursachen
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nien, jahrhundertealte Mythen und Traditionen. de Waal spricht von einer „polarized ,Arab versus African‘ dichotomy that is historically bogus, but disturbingly powerful.“66 Das rassistische Gedankengut säte bereits der ehemalige libysche Präsident Muammar al-Gaddafi in den 80er Jahren mit seinem Panarabismus (al-hizam alarabi), dem Traum von einer arabischen Großmacht vom Atlantik, entlang des Mittelmeers, bis zum Persischen Golf.67 Unter der seit 1989 regierenden islamistischarabozentrischen NIF, später in NCP unbenannt, wurde es weiter gepflegt68 und gedieh, vor allem aufgrund der schon bestehenden Ressourcen- und Machtkonflikte, prächtig. Aber seit je schauen Araber außerhalb des Sudans und innerhalb des Landes die Flussaraber, auf die darfurischen Araber herab. Ihr Ansehen in der arabischen Welt und ihr Selbstbewusstsein versuchen sie durch ein übertriebenes Arabertum und Aufspielen gegenüber anderen, namentlich den Afrikanern, zu steigern.69 Afrikanischer Fremdenhass wurde nie derart systematisch verbreitet. Gewisse Antipathien entstanden aber als Gegenreaktion der Afrikaner auf das offensive Vorgehen der Araber.70 Auch John Garang, verstorbener Anführer der SPLM/A, trieb sie im gesamten Sudan mit seiner Rede von einer „african majority“ voran.71 Bereits in den 70er und 80er Jahren geriet das Verhältnis zwischen den meist nomadischen Arabern und den meist sesshaften Afrikanern durch äußere wie innere Einflusse unter Druck. Die Pastoralisten, von der Natur benachteiligt und den Bauern abgewiesen, sorgten sich um ihren Lebens- und Wirtschaftsstil. Sie standen nicht nur vor „verschlossenen“ Weiden und Wasserstellen72, sondern auch vor einer scheinbar „verschlossenen“ Administration, gelangte mit dem Regional Government Act von 1979 doch manch afrikanischer Darfuri in die Provinzverwaltung.73 In Folge der 66
de Waal, in: Afr. Aff. 2005, S. 181 (197). Jok, Sudan, Race, Religion and Violence, S. 138 f.; Posor, Der Darfur-Konflikt und seine Auswirkungen auf die internationale Staatengemeinschaft, S. 25 ff.; Sharkey, in: Afr. Aff. 2008, S. 21 (38). 68 Siehe Beck, in: Zeitschrift für Genozidforschung 2/2004, S. 52 (77); Dominguez, The Conflict in Darfur, S. 30; El-Battahani, in: Zeitschrift für Genozidforschung 2/2004, S. 8 (44). 69 Siehe Böcker, Darfur, S. 98; Natsios, Sudan, South Sudan & Darfur, S. 11; Prunier, Darfur, S. 58, 105 ff.; Sharkey, in: Afr. Aff. 2008, S. 21 (39 f.). 70 Vgl. El-Battahani, in: Zeitschrift für Genozidforschung 2/2004, S. 8 (42); Flint/de Waal, Darfur, S. 71; Jok, Sudan, Race, Religion and Violence, S. 7 f. 71 Böcker, Darfur, S. 99; de Waal, in: Afr. Aff. 2005, S. 181 (199); siehe auch El-Battahani, in: Zeitschrift für Genozidforschung 2/2004, S. 8 (49). 72 Die Rede war von zara’ib al-hawa’ (Luftzäunen), Prunier, Darfur, S. 78. 73 Beck, in: Zeitschrift für Genozidforschung 2/2004, S. 52 (64, 75); vgl. ders., in: Wissenschaft & Frieden 4/2007. Ziel des Gesetzes war vor allem, Staat und Bürger näher zusammen zu bringen. Hierfür sollten etwa verstärkt lokale Staatsbedienstete eingesetzt werden. Zunächst ernannte Khartum aber einen Militär vom Nil als Gouverneur für das damals administrativ noch eine Provinz darstellende Darfur. Erst nach Demonstrationen und Unruhen wurde der Fur 67
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Machtergreifung durch die NIF 1989 setzten die Behörden, die Gerichte und das Militär aber wieder mehr Araber ein.74 Zur Konkurrenz um Raum und Ressourcen trat nun die um politischen Einfluss.75 Statt die Probleme gemeinsam anzugehen, schuf man mit dem neuen Araber-Afrikaner-Antagonismus zusätzliche Probleme. Durch ökologische Ursachen, Bevölkerungswachstum und veränderte Verwaltungsstrukturen hervorgerufene bzw. verschärfte Streitigkeiten wurden ethnisch aufgeladen. Die Kontrahenten, nicht der Gegenstand des Konflikts sind hier ethnisch bzw. ethnisiert.76
C. Bürgerkrieg Diese Ursachen trugen in unterschiedlichem Maß zur Eskalation der Situation im Westen Sudans bei. Anfang 2003 gewannen die schon lange existierenden Streitigkeiten eine neue Qualität und Quantität.77 Seitdem kam Darfur nicht mehr zur Ruhe.
I. Genese des Konflikts Auseinandersetzungen, insbesondere zwischen arabischen Nomaden und afrikanischen Bauern, um Weiden und Wasser, aber auch um politische Macht, nahmen in den vergangenen Jahrzehnten aufgrund steigender Nord-Süd-Wanderungen und Bevölkerungszahlen zu. Angeheizt durch den Panarabismus Gaddafis und die araboislamistische Regierung al-Bashirs verbreitete sich Rassismus. Die Menschen radikalisierten sich. So führten die Abschaffung der Lokalverwaltung, schwache staatliche Institutionen und die Militarisierung Darfurs dazu, dass Konflikte um Land und Posten nicht mehr mit Worten, sondern mit Schusswaffen ausgetragen wurden. Für Unmut auf der einen oder anderen Seite sorgten zudem die traditionelle Unterstützung der Umma-Partei und anderer oppositioneller Parteien durch die Darfuris78, neoliberale Strukturveränderungen in den 90er Jahren79, die Boden- und Ahmed al Diraige 1981 als Gouverneur eingesetzt, Prunier, Darfur, S. 67 f. Beck spricht von einer „Renaissance der Fur“ in den 80er Jahren, Beck, in: Wissenschaft & Frieden 4/2007; ders., in: Zeitschrift für Genozidforschung 2/2004, S. 52 (75). 74 El-Battahani, in: Zeitschrift für Genozidforschung 2/2004, S. 8 (44); Natsios, Sudan, South Sudan & Darfur, S. 87 ff. 75 Siehe Beck, Wissenschaft & Frieden 4/2007; ders., in: Zeitschrift für Genozidforschung 2/2004, S. 52 (64, 75 ff.). 76 Siehe auch Khalafalla, in: APuZ 4/2005, S. 40 (46); Posor, Der Darfur-Konflikt und seine Auswirkungen auf die internationale Staatengemeinschaft, S. 30. 77 Böcker, Darfur, S. 80. 78 Zur Umma-Partei Böcker, Darfur, S. 59 ff. 79 Schmidinger, in: BdiP 2/2005, S. 194 (196). Staatsbetriebe wurden privatisiert, staatliche Investitionen und Subventionen fielen weg, Öhm, in: IPG 2/2005, S. 150 (158, siehe auch Fn. 8); Schmidinger, in: BdiP 2/2005, S. 194 (197).
C. Bürgerkrieg
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Verwaltungsreform 199480 sowie der Bruch zwischen Präsident al-Bashir und seinem früheren Gefährten, dem Politiker und Muslimbruder Hassan al-Turabi, 1999.81
II. Konfliktparteien Beteiligt am Darfur-Konflikt sind staatliche wie nichtstaatliche Gruppen: Die sudanesische Armee und ihre Milizen kämpfen gegen bewaffnete Oppositionsbewegungen. 1. Regierungsseite Auf Regierungsseite stehen neben den regulären Streitkräften, der Sudan Armed Forces (SAF, Sudanesische Armee), insbesondere die paramilitärischen Popular Defence Forces (PDF, Volksverteidigungsarmee), die Central Reserve Police (CRP, Zentrale Reservepolizei) und die Dschandschawid.82 Die Übergänge sind fließend. Bereits 1989 von der NIF mit dem Popular Defence Forces Act namentlich zur Durchsetzung ihres arabisch-islamistischen Programms gegründet83, wurde die unter Khartums Kommando stehende PDF zunächst vor allem im Kampf gegen den Süden eingesetzt.84 Heute kämpft sie in Darfur und den an der Grenze zum Südsudan gelegenen Staaten Süd-Kordofan und Blauer Nil. Auch die CRP, trotz ihrer Bezeichnung als Polizei tatsächlich eine weitere Kampftruppe, bekannt als police soldiers, ist in diesen Provinzen tätig.85
80 Insbesondere wurde die Position der Fur durch die Teilung Darfurs in drei Bundesstaaten geschwächt, waren sie doch fortan in allen Staaten nurmehr eine Minderheit, Barltrop, Darfur and the International Community, S. 31; Brosché/Rothbart, Violent Conflict and Peacebuilding, S. 54. 81 Zu den Auswirkungen des Bruchs zwischen al-Bashir und al-Turabi auf die DarfurProvinzen Prunier, Darfur, S. 112 ff. Hassan al-Turabi ist ein den Muslimbrüdern angehörender politischer und religiöser Führer. Maßgeblich war er 1989 am Coup d’État und der dann eingeleiteten Islamisierung des Landes beteiligt. Doch überwarfen sich al-Turabi und al-Bashir 1999 endgültig, nachdem Ersterer in einem Gesetzesentwurf für eine Machtminderung des Präsidenten eintrat. Al-Bashir kündigte al-Turabi als Parlamentssprecher, löste die Nationalversammlung auf und verkündete den Notstand. Später gründete al-Turabi die Popular Congress Party (PCP), ausführlich Natsios, Sudan, South Sudan & Darfur, S. 80 ff. 82 Der Begriff Dschandschawid, englisch: Janjaweed, setzt sich zusammen aus den arabischen Wörtern jan (Geist) und jaweed, einer Abwandlung von jawad (Pferd), Khalafalla, in: APuZ 4/2005, S. 40 (41). 83 Siehe Collins, Civil Wars and Revolution in Sudan, S. 152 f.; ausführlich zur PDF Salmon, A Paramilitary Revolution. 84 Gramizzi/Tubiana, Forgotten Darfur, S. 23; Salmon, A Paramilitary Revolution, S. 14 f. 85 Small Arms Survey, Human Security Baseline Assessment (HSBA), Central Reserve Police (al Ittihad al Merkazi).
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2. Kap.: Der Darfur-Konflikt
Bei den Dschandschawid handelt es sich um meist arabische Kämpfer zu Pferd oder Kamel86, die gerade in der Anfangsphase des Darfur-Konflikts brutal gegen afrikanische Zivilisten vorgingen. Aber schon früher richteten (arabische) Reiter ihre Waffen gegen die (afrikanische) Bevölkerung.87 Dass die sudanesische Regierung bzw. Armee die Milizen mobilisierte, ausbildete, aufrüstete und befehligte, gilt als sicher.88 Sein Gewaltmonopol lockerte der Staat damit.89 Doch profitierten beide Seiten von dem seit 2003 noch vertieftem Bund: Mit Hilfe der Dschandschawid konnten die Aufstände in Darfur zurück geschlagen, konnten die Islamisierung und Arabisierung des Landes voran getrieben90 sowie Ölfelder kontrolliert werden.91 Die Reiter ihrerseits erhielten Geld, Waffen und sonstige materielle Güter von Khartum92; sahen ihre Chance auf Anerkennung, Aufstieg, vor allem aber zur unumkehrbaren Lösung der Verteilungs- und Machtkonflikte gekommen.93 Wenn dies
86 Die Dschandschawid als solche stellen keine Ethnie dar. Der Großteil ihrer Mitglieder entstammt arabischen Gruppen aus dem Norden Darfurs, die als Nomaden nie eigenes dar besaßen, Brosché/Rothbart, Violent Conflict and Peacebuilding, S. 56 ff.; Tubiana, in: de Waal (Hrsg.), War in Darfur and the Search for Peace, S. 68 (73 ff.). Gleichwohl stehen nicht alle darfurischen Araber auf Seiten der Regierung, viele verhalten sich neutral oder schlossen sich gar den Aufständischen an, Brosché/Rothbart, Violent Conflict and Peacebuilding, S. 61 f.; Interview mit einem sudanesischen, gerade arabischen Rebellen, 4. Juli 2013, Kampala, Uganda. 87 Prunier, Darfur, S. 129 f. 88 Siehe International Commission of Inquiry on Darfur, Rn. 67 f., 98 f., 119, ausführlich 111 ff. 89 Beck, in: Wissenschaft & Frieden 4/2007. 90 Schmidinger, in: BdiP 2/2005, S. 194 (198). 91 Köndgen, in: KAS-AI 10/2004, S. 4 (14). 92 Brosché/Rothbart, Violent Conflict and Peacebuilding, S. 60; International Commission of Inquiry on Darfur, Rn. 68. 93 Vgl. El-Battahani, in: Zeitschrift für Genozidforschung 2/2004, S. 8 (46, 50); Khalafalla, in: APuZ 2005, S. 40 (44); Posor, Der Darfur-Konflikt und seine Auswirkungen auf die internationale Staatengemeinschaft, S. 47. Tatsächlich besiedelten Araber das Land der Vertriebenen und Ermordeten, Dominguez, The Conflict in Darfur, S. 19 f.; International Commission of Inquiry on Darfur, Rn. 329. Die sudanesische Regierung förderte gar den Zuzug von Arabern aus (Nachbar-)Ländern wie Mali, Niger und dem Tschad, Natsios, Sudan, South Sudan & Darfur, S. 120, 187, 191. Zu den sich hierdurch bei der Rückkehr der Vertriebenen ergebenen Problemen Tubiana, in: de Waal (Hrsg.), War in Darfur and the Search for Peace, S. 68 (86 ff.). Brosché und Rothbart zu den Dschandschawid: „So, in Darfur the powerful elite in Khartoum enticed the native Arab groups to collaborate in a campaign of ethnic cleansing by exploiting the intertribal rivalries that emerged from the marginality of groups, both Arab and non-Arab, living at the periphery of power. Those in power recruited those motivated by the shame, humiliation and guilt associated with their degraded status into the Janjaweed militia, offering opportunities for comparative elevation by stigmatizing Darfurian Africans as inauthentic Sudanese and racial inferiors“, Brosché/Rothbart, Violent Conflict and Peacebuilding, S. 60.
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überhaupt je möglich war, kann jedenfalls heute kaum mehr von einer einheitlichen Gruppe der Dschanschawid gesprochen werden.94 Das Muster Khartums ist offensichtlich: Um nicht selbst allzu sehr im Rahmen der Aufstandsunterdrückung in Erscheinung zu treten und die Kämpfe weiterhin als Stammesfehden abtun zu können, greifen die Machthaber auf paramilitärische Truppen zurück und instrumentalisieren seit langem bestehende Unstimmigkeiten. 2. Opposition Mittlerweile existiert eine fast unüberschaubare Anzahl oppositioneller bewaffneter Gruppen in Darfur.95 Einheiten spalten sich ab oder schließen sich zu neuen militärischen und/oder politischen Bündnissen zusammen. Innerhalb und zwischen den Verbänden bestehen teils Rivalitäten. Streitereien, oft entlang Stammeszugehörigkeiten, sind üblich.96 Dabei geht es hauptsächlich um den Weg zum Ziel, nicht das Ziel an sich. Die bedeutendsten Bewegungen sind noch immer die Sudan Liberation Movement (SLM, Sudanesische Befreiungsbewegung) mit der Sudan Liberation Army (SLA, Sudanesische Befreiungsarmee) als ihrem militärischen Arm und die Justice and Equality Movement (JEM, Bewegung für Gerechtigkeit und Gleichheit). Beide begannen Anfang 2003 ihren aktiven Kampf gegen den sudanesischen Staat. Sie prangern die politische und ökonomische Marginalisierung Darfurs durch die herrschende Elite an97, treten für eine gerechtere Teilhabe aller und die Wahrung ihrer 94 Siehe El-Battahani, in: Zeitschrift für Genozidforschung 2/2004, S. 8 (50); Elliesie, in: VRÜ 2007, S. 199 (203). 95 Eine Übersicht der einzelnen Oppositionsbewegungen und nähere Informationen zu ihnen sind abrufbar unter: Small Arms Survey, HSBA, Darfur Armed Opposition Groups, http:// www.smallarmssurveysudan.org/facts-figures/sudan/darfur/darfurs-armed-groups/darfursarmed-opposition-groups.html. Aufgeführt werden hier zur Zeit folgende Rebellen(splitter) gruppen (Stand: 8. Oktober 2012): Justice and Equality Movement (JEM) and splinters: Justice and Equality Movement (JEM), Democratic JEM, United Resistance Front (URF), SLM-General Leadership; Sudan Liberation Army-Abdul Wahid (SLA-AW) and splinters: Sudan Liberation Army-Abdul Wahid (SLA-AW), SLA-Historical Leadership/Command, SLA-Khamis Abaker (SLAKA), SLA-Juba, SLA Mainstream (,Genaral Line‘); Sudan Liberation Army-Minni Minawi (SLA-MM) and splinters: SLA-Minni Minawi (SLA-MM), Democratic Sudan Liberation Move ment (DSLM) (,SLA-Kerubino‘), SLA-Unity; other: Freedom and Reform Movement (FRM), Libe ration and Justice Movement (LJM). 96 Dominguez, The Conflict in Darfur, S. 12 ff.; Gramizzi/Tubiana, Forgotten Darfur, S. 14; Grawert, in: Johannsen et al. (Hrsg.), Friedensgutachten 2011, S. 235 (241). 97 Dabei wird die Marginalisierung Darfurs insgesamt, nicht nur der Afrikaner, angeprangert. „The Arab tribes and groups are an integral and indivisible component of Darfur social fabric that have been equally marginalized and deprived of their rights to development and genuine political participation“, Presseerklärung der SLM/A vom 14. März 2003 (Text abrufbar unter: www.mathaba.net/sudan/SLM.htm); siehe auch JEM, Proposal for Change: Towards a Sudan of Justice and Equality (Updated Version), Compiled by Training and Planning Office, JEM, Juni 2008 (im Folgenden: Proposal for Change; Text abrufbar unter: http://www.cmi.no/
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2. Kap.: Der Darfur-Konflikt
Eigenarten, nicht aber die Unabhängigkeit der Region Darfur ein.98 Schnell gewannen die überwiegend afrikanischen Kämpfer den Zuspruch und die Unterstützung der zuruq99 in Darfur100, hatte doch die Bevölkerung zu diesem Zeitpunkt bereits jede Hoffnung, der Staat würde sie unterstützen, aufgegeben. a) Sudan Liberation Movement/Army Dass die offiziell 2001 von dem Fur Abdel Wahid Mohammed al-Nur gegründete SLM/A gesamtstaatliche, statt nur regionale Ambitionen hat, machte sie kurz nach ihren ersten großen Angriffen im März 2003 mit der Umbenennung von Darfur Liberation Front (DLF, Befreiungsfront Darfur) in SLM/A, der Aufnahme des Sudan in ihren Namen, deutlich.101 Ursprünglich rekrutierte sie aus, bereits Ende der 80er und in den 90er Jahren zur Abwehr von Angriffen arabischer Milizen gegründeten, lokalen Bürgerwehren.102 Erklärtes Ziel ist die Schaffung eines demokratischen, säkularen, föderalen und freien Sudans.103 Hierfür erachtet die SLM/A den Einsatz von Waffengewalt als legitim.104 Mittlerweile ist die Gruppierung in zahlreiche Fraktionen gespalten. Zum Teil ist dies auf inter-tribale Unstimmigkeiten, besonders zwischen den Fur und den Zaghawa, zurückzuführen.105 Schon zu Beginn des Konflikts ging es Letzteren mehr um die Sicherung ihrer Weiden und Wasserstellen im Norden Darfurs, als eine Rebellion gegen Khartum.106 Außerdem existierten seit je Spannungen zwischen einzelnen Führungspersönlichkeiten107 sowie zwischen den shaihks und den Feldherren.108 sudan/doc/?id=1017); und Sudan Liberation Movement/Army (SLM/A), Justice and Equality Movement (JEM), Joint Political Statement, 24. März 2011. 98 JEM, Proposal for Change, S. 2 f.; Presseerklärung der SLM/A vom 14. März 2003. Damit berufen sich die Gruppierungen auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker in seiner nach innen gerichteten Form, hierzu Elliesie, in: VRÜ 2007, S. 199 (204); Gunkel, Herstellung geordneter Staatlichkeit in Nachkonfliktsituationen, S. 27. 99 Zuruq bedeutet im klassischen Arabisch „blau“ (azraq) wird im Sudan-Arabischen aber für „schwarz“, also „afrikanisch“, verwendet, Prunier, Darfur, S. 17, Fn. 14. 100 El-Battahani, in: Zeitschrift für Genozidforschung 2/2004, S. 8 (45); vgl. Tanner/ Tubiani, Divided They Fall, S. 37. 101 Schmidinger, in: BdiP 2/2005, S. 194 (198); Presseerklärung der SLM/A vom 14. März 2003. 102 Brosché/Rothbart, Violent Conflict and Peacebuilding, S. 53; Flint/de Waal, Darfur, S. 73; Prunier, Darfur, S. 124 f.; Tanner/Tubiani, Divided They Fall, S. 17 f. 103 Interview mit Abdel Wahid, 6. Juli 2013, Kampala, Uganda; Interview mit Minni Minnawi, 20. Juli 2013, Kampala, Uganda. Schon 2003 erklärte die SLM/A, sie wolle einen „united democratic Sudan on a new basis of equality, complete restructuring and devolution of power, even development, cultural and political pluralism and moral and material prosperity for all Sudanese“ schaffen, Presseerklärung der SLM/A vom 14. März 2003. 104 Presseerklärung der SLM/A vom 14. März 2003. 105 Tanner/Tubiani, Divided They Fall, S. 26 ff.; vgl. Flint/de Waal, Darfur, S. 94 ff., 162 ff. 106 Vgl. Tubiana, in: de Waal (Hrsg.), War in Darfur and the Search for Peace, S. 68 (75).
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Die Zersplitterung erfolgte vor allem, nachdem die Zentralregierung am 5. Mai 2006 mit dem damaligen SLM/A-Generalsekretär Minni Arcua Minnawi, Angehöriger der Zaghawa, im nigerianischen Abuja das Darfur Peace Agreement (DPA, auch Abuja Agreement)109 abschloss.110 Minni Minnawi wurde in der Folge Sonderberater al-Bashirs für die Darfur-Provinzen, Vorsitzender der neu geschaffenen Transitional Darfur Regional Authority (TDRA, Regionale Übergangsbehörde in Darfur)111 und stand nun mit seiner Truppe auf der Regierungsseite. Viele Kämpfer und Zivilisten wandten sich indes von ihm ab.112 Aber Minni Minnawi: „Even when I was in the government, I remained a rebel.“113 Nie richtig in der Regierung angekommen, brach Minni Minnawi Ende 2010, nach wiederholter Weigerung seine Fraktion in der sudanesischen Armee oder anderen staatlichen Einheiten aufgehen zu lassen, endgültig mit Khartum.114 Seitdem ist Minni Minnawi wieder Teil der bewaffneten Opposition. Finanzielle, materielle, logistische und ideologische Unterstützung erhält die SLM/A von der südsudanesischen SPLM/A, anderen ausländischen Regierungen115, Sudanesen innerhalb und außerhalb des Landes. Vor allem Abdel Wahid verfügt noch 107
Siehe Tanner/Tubiani, Divided They Fall, S. 30. Brosché/Rothbart, Violent Conflict and Peacebuilding, S. 72; Tanner/Tubiani, Divided They Fall, S. 29; Tubiana, in: de Waal (Hrsg.), War in Darfur and the Search for Peace, S. 68 (72). 109 Darfur Peace Agreement (DPA), 5. Mai 2006, Abuja, Nigeria. Später unterzeichneten einige kleinere Verbände und Einzelpersonen Declarations of Committment, in denen sie sich zum DPA bekannten. Dies führte aber zu weiteren Zersplitterungen unter den aufständischen Gruppen, Flint, Rhetoric and Reality, S. 16. Zum DPA Prunier, Darfur, S. 228 ff.; ders., in: Der Überblick 2006, S. 26 ff. Das Abkommen enthält unter anderem folgende Punkte: einen Waffenstillstand, die Entwaffnung der Dschandschawid (noch vor Entwaffnung der Aufständischen), die Eingliederung von 4.000 Rebellen in die Armee und von 1.000 Rebellen in lokale Polizeieinheiten, die Aus- bzw. Fortbildung von 3.000 Rebellen, die Beteiligung von Darfuris in staatlichen Institutionen auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene, die Schaffung des Postens „Sonderberater des Präsidenten für Darfur“ (vierter Rang innerhalb der Regierung), eine Zusage über die Abhaltung eines Referendums zur endgültigen Klärung des Administrativstatus Darfurs, Kompensationszahlungen sowie die Einrichtung eines Wiederaufbau- und Entwicklungsfonds für die Opfer der Gewalttaten. 110 Fadul/Tanner, in: de Waal (Hrsg.), War in Darfur and the Search for Peace, S. 284 (288); Tanner/Tubiani, Divided They Fall, S. 40 ff. 111 Die im April 2007 errichtete TDRA wurde Ende Dezember 2011 von der Darfur Regional Authority (DRA, Regionalbehörde Darfur) abgelöst. 112 Fadul/Tanner, in: de Waal (Hrsg.), War in Darfur and the Search for Peace, S. 284 (288 f.); Gramizzi/Tubiana, Forgotten Darfur, S. 87. 113 Interview mit Minni Minnawi, 20. Juli 2013, Kampala, Uganda. 114 Gramizzi/Tubiana, Forgotten Darfur, S. 19. Am 8. Dezember 2010 wurde Minni Minnawi aus der Regierung entlassen. Im Februar 2011 gab er seinen Austritt aus dem DPA bekannt. 115 Neben der südsudanesischen Regierung unterstütz(t)en vor allem die libyschen und tschadischen Machthaber die bewaffneten Gruppierungen in Darfur Brosché/Rothbart, Violent Conflict and Peacebuilding, S. 85 ff., 100; Natsios, Sudan, South Sudan & Darfur, S. 145; siehe auch International Commission of Inquiry on Darfur, Rn. 131, 257, 388 f. 108
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2. Kap.: Der Darfur-Konflikt
immer über starken Rückhalt unter der darfurischen Bevölkerung, insbesondere den Binnenvertriebenen.116 Waffen, Munition, Fahrzeuge, Benzin und weiteres Kriegsgerät erbeuten sie außerdem bei Kämpfen gegen die SAF und deren Milizen.117 Durch Überfälle auf Hilfstransporter erlangen sie schließlich Lebensmittel, Medikamente etc.118 Seit Beginn der Auseinandersetzungen erobern die Truppen Abdel Wahids und Minni Minnawis Dörfer, Städte und Land in Darfur, verlieren diese(s) dann aber häufig wieder an Khartum oder ziehen aus taktischen Gründen weiter. Zur Verwaltung der eroberten Territorien greifen die Aufständischen dann überwiegend auf bereits vorhandene, traditionelle Strukturen zurück.119 So verändern sich ihre Herrschaftsgebiete stets.120 Im August 2012 hielten sie etwa Territorium rund um den Dschebel Mara, der Hochburg Abdel Wahids, bzw. im Osten und Norden Darfurs nahe Shangil Tobays und Khor Abeches (SLM/A-MM) unter ihrer Kontrolle.121 Die Kämpfer selbst sprechen hier von „liberated areas.“122 In jüngerer Zeit näherten sich Abdel Wahid und Minni Minnawi wieder an. Im November 2011 schlossen sich ihre Fraktionen SLM/A-AW und SLM/A-MM mit der JEM und der Sudan People’s Liberation Movement-North (SPLM-North, Sudanesische Volksbefreiungsbewegung Nord)123 zur Sudan Revolutionary Front (SRF, 116 Interviews mit darfurischen Flüchtlingen, Juni und Juli 2013, Kampala, Uganda, und Juba, Südsudan. 117 Siehe etwa International Commission of Inquiry on Darfur, Rn. 131, 256, 388 f.; Panel of Experts on the Sudan 2013, Rn. 135, siehe auch 105; Panel of Experts on the Sudan 2011, Rn. 166 ff. 118 Siehe Panel of Experts on the Sudan 2011, Rn. 166, siehe auch 179 ff. Der Panel of Experts on the Sudan zu den Finanzierungsquellen der bewaffneten Oppositionsbewegungen in Darfur: „While the Panel currently has no cogent evidence pointing to any recent purchases or financial support, it considers that the revenue streams of armed opposition groups can be categorized as follows: (a) Checkpoints, extortion and illegal taxation, carjacking and looting of Government equipment and supply; (b) Commerce, trade and contraband; (c) Local or national support; (d) Diaspora support; (e) External support; (f) Potential exploitation of natural resources, such as gold in the Hashaba area“, Panel of Experts on the Sudan 2013, Rn. 137. 119 Interviews mit sudanesischen Rebellen, Juli 2013, Kampala, Uganda, und Juba, Südsudan. 120 International Commission of Inquiry on Darfur, Rn. 132: „While certain rural areas are said to be under the group’s control, given its operation as a mobile guerilla group, these areas of control are not fixed.“ 121 Siehe Panel of Experts on the Sudan 2013, Rn. 39, 86. 122 Interviews mit sudanesischen Rebellen, Juni und Juli 2013, Kampala, Uganda, und Juba, Südsudan. 123 Die SPLM-North spaltete sich im Vorfeld der Unabhängigkeitserlangung des Südsudan 2011 von der SPLM/A ab und ist vor allem in den sudanesischen Provinzen Süd-Kordofan und Blauer Nil aktiv, HIIK, Conflict Barometer 2012, S. 48 f.
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Sudanesische Revolutionsfront) zusammen.124 Der national ausgerichteten SRF gelang es, vor allem wegen der Beteiligung der SPLM-North, den Konflikt über die Grenzen Darfurs hinaus zu tragen125 und Kämpfer unterschiedlicher Ethnien zu vereinen. Gemeinsam streben sie die Regierungsübernahme in Khartum und die Etablierung eines demokratischen, säkularen, föderalen, auf der Gleichheit aller Bürger basierenden Sudan an; dies mit politischen und militärischen Mitteln.126 Mit Verabschiedung der New Dawn Charta am 5. Januar 2013, gemeinsam vereinbart zwischen der SRF, sudanesischen politischen Parteien sowie Vertretern von Kinder-, Frauen- und allgemein zivilgesellschaftlichen Organisationen, legte man dann die Basis für eine breite militärisch-politisch-zivile Oppositionskoalition.127 Abzuwarten bleibt, ob diese, im übertragenen Sinne, auch künftig mit einer Waffe kämpfen und mit einer Stimme sprechen wird, sich so neue Chancen für eine Beendigung des Konflikts ergeben. b) Justice and Equality Movement Auch die um die Jahrtausendwende von überwiegend gebildeten und politisch erfahrenen Sudanesen gegründete JEM nahm 2003, nach vergeblichen Versuchen der Staatsreformierung von innen, den bewaffneten Kampf auf.128 Dabei versteht sich die Gruppe noch immer mehr als politischer, denn als militärischer Akteur.129 Nichtsdestotrotz ist sie auch eine der stärksten Kampftruppen in Darfur.130 Im Mai 2008
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Die Führung der SRF setzt sich dann auch aus Mitgliedern der vier Rebellenbewegungen zusammen. Ausführlich zur Führungsstruktur der SRF, The Statute of the Sudan Revolutionary Front of 2012 (im Folgenden: Statute of the SRF; der Text ist abrufbar unter: http://theirwords. org/media/transfer/doc/ut_sd_srf_2012_27_eng-3a5dcae4a8d4ebe3cdc9fc28f5536d44.pdf). 125 Vgl. Panel of Experts on the Sudan 2013, Rn. 87. 126 Siehe insbesondere Chapter II Principles, Objectives and Means, Statute of the SRF; siehe auch die New Dawn Charta, 5. Januar 2013, Kampala, Uganda (eine englische Übersetzung ist abrufbar unter: http://www.sudantribune.com/spip.php?article45151). 127 Anstoß für diese Koalition war vor allem die große Enttäuschung zivilgesellschaftlicher Einrichtungen und politischer Parteien nach den von Fälschungen gekennzeichneten Wahlen 2010, Interview mit dem Mitarbeiter einer zivilgesellschaftlichen Organisation, 2. Juli 2013, Kampala, Uganda. 128 Böcker, Darfur, S. 82; Flint/de Waal, Darfur, S. 102; Posor, Der Darfur-Konflikt und seine Auswirkungen auf die internationale Staatengemeinschaft, S. 39. Ausführlich zur Entstehung der JEM El-Tom, Darfur, JEM and the Khalil Ibrahim Story, S. 203 ff.; und zur Organisation der JEM El-Tom, Study War No More, S. 21 ff. El-Tom ist Mitglied der JEM. Vermutlich waren es Mitglieder der JEM, die um die Jahrtausendwende das kitab al-aswad (Schwarzbuch) veröffentlichten. Das in zwei Teilen erschienene Werk belegt mittels Statistiken die jahrzehntelange Vormachtstellung der arabischen Elite vom Niltal. 129 Elliesie, in: VRÜ 2007, S. 199 (204); vgl. auch Tanner/Tubiani, Divided They Fall, S. 31, 33; und Interview mit einem sudanesischen Rebellen, 5. Juli 2013, Kampala, Uganda. 130 Gramizzi/Tubiana, Forgotten Darfur, S. 73, 84 f.
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gelang ihr etwa ein Angriff auf Omdurman bei Khartum. Als Guerillabewegung hat die JEM, wie die SLM/A, keine feste Basis, sondern ist mobil.131 Anführer war bis zu seinem Tod im Dezember 2011 Khalil Ibrahim, Angehöriger der Kobe, einer Zaghawa-Untergruppe.132 Kurz darauf wurde sein Bruder Jibril Ibrahim als Nachfolger gewählt.133 Auch die JEM setzt sich für eine gerechtere Ressourcen- und Machtverteilung, die Schaffung eines vereinten, demokratischen, föderalen und freien Sudans ein.134 Anders als die überwiegende Zahl der bewaffneten Bewegungen verfolgt sie aber ein religiöses, islamistisches Programm und lehnt einen säkularen Staat grundsätzlich ab.135 Angeblich bestehen enge Verbindungen zu dem Muslimbruder al-Turabi.136 Seit die JEM, als Folge der Unterzeichnung des Accord on Normalization of Relations Anfang 2010 zwischen der sudanesischen und der tschadischen Regierung137 sowie dem Zusammenbruch des Gadaffi-Regimes in Libyen 2011, die Unterstützung durch die Nachbarstaaten Tschad und Libyen weitgehend verlor138, muss sie sich an andere Quellen wie die lokale Bevölkerung, Menschen in der Diaspora und andere ausländische Regierungen halten.139 Kriegsmaterial und Alltagsgüter erbeutet sie zudem bei Gefechten mit und Überfällen auf staatliche(n) Akteure(n)
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El-Tom, Study War No More, S. 39 ff. Khalil Ibrahim war Anhänger der NIF und hatte in den 90er Jahren mehrere Regierungsposten inne, ausführlich El-Tom, Darfur, JEM and the Khalil Ibrahim Story. Am 23. Dezember 2011 kam er bei einem Luftschlag ums Leben, El-Tom, Study War No More, S. xiv. 133 Zur Wahl des Nachfolgers Khalil Ibrahims El-Tom, Study War No More, S. xviii ff. 134 JEM, Proposal for Change, S. 2 f. 135 Prunier, Darfur, S. 125. Daher zögerte die JEM, bis sie sich schließlich der SRF anschloss, Gramizzi/Tubiana, Forgotten Darfur, S. 64. 136 Tanner/Tubiani, Divided They Fall, S. 31. Jedenfalls besteht ein Großteil der JEMFührung aus ehemaligen Gefolgsleuten al-Turabis, Ludermann, in: Ratsch et al. (Hrsg.), Friedensgutachten 2005, S. 88 (90); Tanner/Tubiani, Divided They Fall, S. 31 ff. 137 Zwischen den Regierungen des Sudans und des Tschads kam es vor allem nach Ausbruch des Darfur-Konflikts 2003 zu Auseinandersetzungen, da sich die Staaten gegenseitig vorwarfen, die Oppositionsbewegungen der jeweils anderen Seite zu unterstützen. Seit Unterzeichnung des Accord on Normalization of Relations Anfang 2010 verbesserte sich die Lage in der Grenzregion deutlich. 138 Gramizzi/Tubiana, Forgotten Darfur, S. 9 f., 44, 50, 52 f., 84; zur Unterstützung der bewaffneten Gruppierungen durch die libysche und die tschadische Regierung Brosché/ Rothbart, Violent Conflict and Peacebuilding, S. 85 ff., 100; Natsios, Sudan, South Sudan & Darfur, S. 145; insbesondere der Südsudan dient der JEM als Rückzugsgebiet, Panel of Experts on the Sudan 2013, Rn. 58. 139 Siehe Panel of Experts on the Sudan 2013, Rn. 137; zur Unterstützung der JEM durch die lokale Bevölkerung El-Tom, Study War No More, S. 37, siehe auch 92, 173 ff. 132
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und Einrichtungen.140 Khalil Ibrahim: „JEM shares the budget of Sudan’s Ministry of Defence with the SAF.“141 Am 6. April 2013 unterzeichnete die JEM-Fraktion Mohamed Bashars nach zähen Verhandlungen mit der Regierung Sudans in Doha, Katar, einen Friedensvertrag auf Basis des Doha Document for Peace in Darfur (DDPD, auch: DohaAgreement)142, einem am 14. Juli 2011 zwischen der NCP und der Liberation and Justice Movement (LJM, Bewegung für Freiheit und Gerechtigkeit), einer relativ jungen Dachorganisation kleinerer Gruppierungen unter dem Fur Tijani Sese143, geschlossenen Abkommen. Aber nur wenige Wochen später, Mitte Mai 2013, kamen Bashar und sein Stellvertreter Suleiman Arko bei Kämpfen zwischen ihrer Splitterbewegung und der JEM-Hauptgruppe an der sudanesisch-tschadischen Grenze ums Leben.144
140 Siehe etwa International Commission of Inquiry on Darfur, Rn. 256 f., 388 f.; Panel of Experts on the Sudan 2013, Rn. 105, 135; Panel of Experts on the Sudan 2011, Rn. 166 f., 169 f.; siehe auch 179 ff. 141 Nach El-Tom, Study War No More, S. 37. 142 Doha Document for Peace in Darfur (DDPD), 14. Juli 2011, Doha, Katar. Das Abkommen ist in sieben Kapitel unterteilt: Human Rights and Fundamental Freedoms, PowerSharing and the Administrative Status of Darfur, Wealth Sharing, Compensation and the Return of IDPs and Refugees, Justice and Reconciliation, Permanent Ceasefire and Final Security Arrangements, Internal Dialogue and Consultation and Implementation Modalities. Es enthält unter anderem folgende Punkte: einen Waffenstillstand, die Beteiligung von Darfuris in staatlichen Institutionen auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene, die Entwaffnung der Milizen, eine finanzielle Entschädigung und allgemein die Unterstützung der Gewaltopfer, eine Zusage über die Abhaltung eines Referendums zur endgültigen Klärung des Verwaltungsstatus Darfurs, die Schaffung der DRA. Zur Aufarbeitung der in Darfur begangenen Verbrechen werden eine Truth, Justice and Reconciliation Commission (TJRC) sowie ein Special Court for Darfur errichtet. Das Gericht soll Verbrechen nach den nationalen Strafvorschriften sowie dem internationalen Strafrecht, dem humanitären Völkerrecht und den Menschenrechten verfolgen und verurteilen. Den Kampfteilnehmern kann zwar Amnestie gewährt werden, ausgenommen sind aber Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord, sexuelle Gewaltverbrechen sowie grobe Verletzungen der Menschenrechte und des humanitären Rechts. Das DDPD widmet ein ganzes Kapitel, Kap. IV, den Binnenvertriebenen und Flüchtlingen. Ende 2011 löste die DRA die TDRA ab. Bei der DRA handelt es sich um eine mit Administrativund Justizbefugnissen ausgestattete Einrichtung mit Sitz in al-Faschir, deren Aufgabe vornehmlich in der Umsetzung des DDPD liegt. Außerdem soll sie einen Beitrag zur Versöhnung, Befriedung und zum Wiederaufbau der Darfur-Region leisten, im Einzelnen siehe Art. 10 DDPD. Vorsitzender ist seit September 2012 Tijani Sese, Anführer der LJM. Die DRA stellt eine Art Brücke zwischen der Regierung in Khartum und den Darfur-Staaten dar. Zur Umsetzung des DDPD, Panel of Experts on the Sudan 2013, Rn. 167 ff.; S/RES/2013/22, 10. Januar 2013, Rn. 2 ff., 65 ff. Obwohl dies für die darfurische Bevölkerung wichtig wäre, enthält das DDPD keine Regeln eines transitional justice-Prozesses, Interview mit dem Mitarbeiter einer zivilgesellschaftlichen Organisation, 2. Juli 2013, Kampala, Uganda; siehe auch AUPD, xvii, Rn. 20: „the underlying demand for justice comes principally from the victims of the conflict.“ 143 Zu den einzelnen Gruppen HIIK, Conflict Barometer 2010, S. 39. 144 Al Jazeera, Darfur Rebel-Faction Leader Killed in Chad.
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2. Kap.: Der Darfur-Konflikt
3. Sudan Liberation Movement/Army und Justice and Equality Movement als nichtstaatliche Gewaltakteure und Völkerrechtssubjekte Die SAF wie auch die auf Seiten der Zentralregierung kämpfenden PDF, CRP und Dschandschawid scheiden vorliegend als Beschäftigungsgegenstand aus. Ebenso die seit der Unterzeichnung des Doha-Agreements formell mit Khartum kooperierenden LJM und JEM-Bashar. Aber die oppositionellen Gruppen JEM, SLM/A-AW, SLM/ A-MM und deren Splitterfraktionen stehen außerhalb des sudanesischen Staates, stehen den herrschenden Autoritäten feindlich gegenüber. Zur Durchsetzung einer gerechteren Ressourcen- und Machtverteilung streben sie die grundlegende Änderung staatlicher Strukturen, letztlich die Regierungsübernahme an. So heißt es zwar schon jetzt in Art. 1 Abs. 1 INC: „The Republic of the Sudan is an independent, sovereign State. It is a democratic, decentralized, multi-cultural, multilingual, multi-racial, multi-ethnic, and multi-religious country where such diversities co-exist.“
Tatsächlich regiert aber Generalleutnant al-Bashir das Land autoritär und zentralistisch, er verfolgt eine streng arabisch-islamistische Agenda. Ihre politischen Ziele wollen die Oppositionsbewegungen (auch) mit militärischen Mitteln, mit Gewalt erreichen. Damit stellen sie nichtstaatliche Gewaltakteure im Sinne der obigen Definition, genauer: Rebellen dar. Ein Kämpfer: „We prefer freedom fighters instead of rebels.“145 Außerdem besitzen die Gruppen bereits vermittels ihrer militärischen und politischen Macht tatsächlich Bedeutung auf der internationalen Bühne. Die JEM, SLM/ A-AW und SLM/A-MM verfügen innerhalb ihres militärischen als auch ihres politischen Flügels über gut ausgebildete Strukturen. Dies ermöglicht ihnen die Einnahme und Kontrolle von Staatsterritorium sowie die Durchführung größerer Militäraktionen. Und da eine Beendung des Konflikts ohne ihre Beteiligung undenkbar ist, sind sie am Friedensprozess beteiligt. Die International Commission of Inquire on Darfur konstatierte schlicht, dass die SLM/A und die JEM, wie andere Aufständische, die über ein gewisses Maß an Organisation, Stabilität und effektiver Gebietskontrolle verfügen, eine internationale Rechtspersönlichkeit besitzen.146 Damit sind die darfurischen Rebellenbewegungen (beschränkte) Völkerrechtssubjekte. Indes fand weder eine Anerkennung als kriegführende Partei noch als Insurgent statt.147 Auch wurde keine der Gruppierungen von dritten Staaten oder IO als legitimer Repräsentant des Sudan oder zumindest des sudanesischen Volkes bezeichnet.
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Interview mit einem sudanesischen Rebellen, 6. Juli 2013, Kampala, Uganda. International Commission of Inquire on Darfur, Rn. 172. 147 Zur SLM/A-MM Gunkel, Herstellung geordneter Staatlichkeit in Nachkonfliktsituationen, S. 74 ff. 146
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III. Beginn und Verlauf des Darfur-Konflikts Zu Beginn des 21. Jahrhunderts waren die Darfur-Staaten politisch wie ökonomisch von der Nilregion abgehangen, hochgerüstet und mit Stereotypen aufgeladen. Während die Bevölkerungszahl stieg, wurde das nutzbare Land immer knapper. Obendrein machte die Beilegung des Nord-Süd-Konflikts erhebliche Fortschritte.148 Dies zeigte den Darfuris, dass ein gewaltsames Eintreten für die eigenen Interessen erfolgreich sein kann, einem zumindest Gehör verschafft.149 Im Frühjahr 2003 wurden die schon lange im Westen Sudans schwelenden Streitereien schließlich zu einem offenen Bürgerkrieg entfacht: Die Kämpfe und die Brutalität ihrer Austragung nahmen zu, neue Repressionspraxen tauchten auf.150 Den Beginn des Darfur-Konflikts markierten Rebellenangriffe auf staatliche Einrichtungen und Bedienstete in der Stadt Golo im Dschebel Marra-Massiv am 26. Februar151 sowie zwei Monate später in den Provinzhauptstädten Nyala und al-Faschir.152 Anders als bei früheren Auseinandersetzungen ging es hier nicht um Landund Wassernutzung, Viehraub bzw. dessen Rächung oder das übliche Banditentum, sondern einen Aufstand gegen die sudanesische Regierung.153 Flint und de Waal: „Indeed the attack did change everything: this was the pivotal moment that transformed Darfur’s war from provincial discontent into a front-rank military danger to Khartoum.“154 Die angegriffenen Machthaber schlugen mit Härte zurück. Äußerst brutal werden seitdem die Kämpfe zwischen den Rebellen einerseits, der sudanesischen Armee und 148 Die friedliche Beilegung des Zweiten Sudanesischen Bürgerkriegs wurde mit Abschluss eines Rahmenprogramms am 20. Juli 2002 im kenianischen Machakos durch die regierende NCP und die SPLM/A eingeläutet. Nach mehrjährigen Verhandlungen kam es am 9. Januar 2005 in Nairobi, Kenia, zur Unterzeichnung des Comprehensive Peace Agreement (CPA). Dieses legte die Bedingungen für den Friedensprozess fest: Es sah insbesondere eine Übergangszeit von sechs Jahren, demokratische Wahlen der Präsidenten und Parlamente sowie ein Referendum über die Unabhängigkeit des Südens vor. Ausführlich zu den einzelnen Protokollen, aus denen sich der Friedensvertrag zusammensetzt, Öhm, in: IPG 2/2005, S. 150 (153 ff.); insgesamt zum Friedensprozess Barltrop, Darfur and the International Community, S. 36 ff. Die Wahlen fanden im April 2010, das Unabhängigkeitsvotum fand im Januar 2011 statt. Fast 99 % der Bevölkerung entschieden sich für die Abspaltung des Südens. Am 9. Juli 2011 wurde der Südsudan mit seiner Hauptstadt Juba als 54. Staat Afrikas unabhängig. Bereits am 14. Juli 2011 nahmen die VN den Südsudan als 193. Staat auf. 149 Grawert, in: Johannsen et al. (Hrsg.), Friedensgutachten 2011, S. 235 (238); Elliesie, in: VRÜ 2007, S. 199 (206); Öhm, in: IPG 2/2005, S. 150 (160); Patrick, in: J. Refugee Stud. 2005, S. 410 (410 f.). 150 Prunier, Darfur, S. 132. 151 An die 200 Soldaten wurden getötet, der Rest floh, Prunier, Darfur, S. 122. 152 Die Aufständischen überfielen den Flughafen und Polizeistationen al-Faschirs. Sie töteten Soldaten, zerstörten Militärhubschrauber, Antonov-Bomber und nahmen den General der Luftwaffe als Geisel, Prunier, Darfur, S. 127 f. 153 Siehe Beck, in: Zeitschrift für Genozidforschung 2/2004, S. 52 (54). 154 Flint/de Waal, Darfur, S. 121.
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2. Kap.: Der Darfur-Konflikt
ihren Milizen andererseits, geführt. Beide Seiten tragen Gewinne davon und müssen Verluste hinnehmen. Zu den größten Opfern kommt es jedoch unterm gemeinen Volk: Menschen werden getötet, physisch wie psychisch verletzt, vergewaltigt, ihr Eigentum wird zerstört und gestohlen, ganze Siedlungen werden verwüstet und niedergebrannt. Im Frühjahr 2013, zehn Jahre nach der Eskalation des Konflikts, hielt Amnesty International (AI) fest, dass die Zivilbevölkerung nach wie vor Angriffen aller Konfliktparteien ausgesetzt ist. Allein zu Beginn des Jahres sollen Regierungstruppen etwa 500 Menschen getötet und 100.000 vertrieben haben. Statt fanden die jüngsten Gefechte rund um den Dschebel Mara sowie im Osten und Süden Darfurs. Die Zusammenstöße zwischen den Truppen und die Überfälle auf Zivilisten erreichen zwar längst nicht mehr das Ausmaß von 2003/2004 und 2006 nach Abschluss des DPA. Doch herrscht weiter die Gewalt.155 Außerdem ist ein Anstieg an lokalen, durchaus aggressiv ausgetragenen, intertribalen, besonders inter-arabischen Streitigkeiten festzustellen.156 Wie eh und je geht es um die gerechte Verteilung natürlicher Ressourcen und die (vermeintliche) Bevorzugung einzelner Stämme durch die sudanesische Regierung oder die Aufständischen. Die gerade zu Beginn des Konflikts von Khartum genutzte und weiter geschürte Dichotomie zwischen Arabern und Afrikanern löst sich indes langsam auf.157
IV. Handeln der Völkerrechtsgemeinschaft Nur zögerlich reagierte die internationale Gemeinschaft auf die Gewalttaten in Darfur, stand doch 2003 der Beginn des Irakkriegs im Mittelpunkt der Weltöffentlichkeit und im Sudan konzentrierte man sich auf die Friedensverhandlungen zwischen dem Norden und Süden zur Beilegung des Zweiten Sudanesischen Bürgerkriegs.158 Aber auch in den Folgejahren waren die Bemühungen zwar „more than whispering but less than roaring.“159
155 Zur Lage in Darfur zehn Jahre nach der Eskalation des Konflikts siehe AI, 10 Years on; siehe außerdem HIIK, Conflict Barometer 2012, S. 48; und die Berichte des Panel of Experts on the Sudan vom März 2011 und Februar 2013. 156 Panel of Experts on the Sudan 2013, Rn. 88, 102; UNOCHA (Hrsg.), Sudan. UN and Partners Work Plan 2013, S. 14; S/RES/2113, 30. Juli 2013, Rn. 23; ausführlich Gramizzi/ Tubiani, Forgotten Darfur. 157 Siehe Gramizzi/Tubiani, Forgotten Darfur. 158 Siehe Elliesie, in: VRÜ 2007, S. 199 (211 f.). 159 Islam, in: Int’l J. Refugee L. 2006, S. 354 (357); siehe auch Elliesie, in: VRÜ 2007, S. 199 (212); Posor, Der Darfur-Konflikt und seine Auswirkungen auf die internationale Staatengemeinschaft, S. 79 ff.
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1. Friedensverhandlungen Immer wieder unternahmen externe Akteure wie (Nachbar-)Staaten, die VN, AU, Arabische Liga und NRO Schlichtungsanstrengungen. Man traf unter ihrer Mitwirkung Waffenstillstände und andere Friedensvereinbarungen.160 Im Mai 2006 einigten sich die regierende NCP und die SLM/A-Fraktion Minni Minnawis unter enormem internationalen Druck auf den Abschluss des DPA.161 Die SLM/A-AW und die JEM lehnten das Akommen indes als ungenügend ab.162 Damit war der Friedensvertrag bereits zum Zeitpunkt seiner Unterzeichnung zum Scheitern verurteilt. Die Kämpfe endeten dann auch nicht, sondern nahmen in der Folgezeit gar dramatische Ausmaße an.163 Dies lag auch daran, dass es vermehrt zu Streitereien der Rebellen untereinander kam. Von 2008 an bemühte sich das Emirat Katar gemeinsam mit dem AU-UN Joint Mediation Team um eine friedliche Beilegung des Bürgerkriegs. Abwechselnd nahmen die Konfliktparteien an den Friedensgesprächen teil und Militäroffensiven vor. Schließlich kam es am 14. Juli 2011 in Doha, Katar, zwischen der Zentralregierung und der noch jungen LJM zum Abschluss des DDPD. Erst kürzlich traf eine JEM-Splitterfraktion mit Khartum ein auf dem Doha Agreement basierendes Abkommen. Aber wichtige Bewegungen wie die SLM/A-AW, SLM/A-MM und JEMHauptgruppe halten das DDPD weiterhin für nicht tragbar.164 So brachte der Friedensvertrag tatsächlich bisher keinen Frieden. 160
Humanitarian Ceasefire Agreement on the Conflict in Darfur und Protocol on the Establishment of Humanitarian Assistance in Darfur, 8. April 2004, N’Djamena, Tschad; Agreement With the Sudanese Parties on the Modalities for the Establishment of the Ceasefire Commission and the Deployment of Observers in Darfur, 28. Mai 2004, Addis Abeba, Äthiopien; Protocol Between the Government of Sudan, the Sudan Liberation Movement/Army and the Justice and Equality Movement on the Improvement of the Humanitarian Situation in Darfur, 9. November 2004, Abuja, Nigeria; Protocol Between the Government of Sudan, the Sudan Liberation Movement/Army and the Justice and Equality Movement on the Enhancement of the Security Situation in Darfur in Accordance With the N’Djamena Agreement, 9. November 2004, Abuja, Nigeria; Declaration of Principles for the Resolution of the Sudanese Conflict in Darfur, 5. Juli 2005, Abuja, Nigeria; Goodwill Agreement Between the Government of Sudan and the Justice and Equality Movement, 17. Februar 2009, Doha, Katar; Framework Agreement for the Resolution of the Conflict in Darfur Between the Government of Sudan and the Justice and Equality Movement, 23. Februar 2010, Doha, Katar; Framework Agreement to Resolve the Conflict in Darfur Between the Government of Sudan and the Liberation and Justice Movement, 18. März 2010, Doha, Katar. 161 Prunier, Darfur, S. 226 ff. 162 Vgl. Barltrop, Darfur and the International Community, S. 63 f. Auch die Binnenflüchtlinge lehnten das DPA mangels Aussichten auf eine sichere Rückkehr und Wiedergutmachung überwiegend ab, Prunier, Darfur, S. 232; vgl. Flint, Rhetoric and Reality, S. 16; Khan, Conflict, Arms, and Militarization, S. 35. 163 Flint, Rhetoric and Reality, S. 16; ausführlich Fadul/Tanner, in: de Waal (Hrsg.), War in Darfur and the Search for Peace, S. 284 ff. 164 Interviews mit sudanesischen Rebellen, Juni und Juli 2013, Kampala, Uganda, und Juba, Südsudan.
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2. Kap.: Der Darfur-Konflikt
2. Die Vereinten Nationen Seit Sommer 2004 befasste sich der Sicherheitsrat wiederholt mit der Situation in Darfur.165 Er handelt hierbei unter Kap. VII VN-Charta, bejaht die Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit gemäß Art. 39 VN-Charta. Mit der Resolution 1556 bekräftigte der Rat, dass es zunächst und zuvörderst Aufgabe der Regierung des Sudans sei, das Volk zu schützen.166 Die begangenen Verletzungen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts wurden verurteilt und alle Konfliktparteien wurden aufgefordert, die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um den Rechtsverstößen ein Ende zu setzen und um künftige Rechtsverstöße zu verhindern. Besonders besorgniserregend sei die Binnenvertriebenen- und Flüchtlingssituation.167 Ähnlich äußerte sich der Rat auch in seinen folgenden Resolutionen zum Darfur-Konflikt. Da die Streitparteien ihren Verpflichtungen und den Forderungen des Sicherheitsrats etwa zur Beendigung der Rechtsverletzungen, friedlichen Konfliktbeilegung, Einhaltung der vereinbarten Waffenruhen und Schaffung sicherer Bedingungen für die Leistung humanitärer Hilfe168, nicht nachkamen, berief der Rat im Juli 2005 einen aus seinen fünf Mitgliedern bestehenden Ausschuss (Committee of the Security Council) und einen Sachverständigenstab (Panel of Experts) ein, deren Aufgabe namentlich in der Benennung der von den vereinbarten Sanktionen betroffenen staatlichen wie substaatlichen Akteuren und der Überwachung der Maßnahmen besteht.169 Ein allgemeines Waffenembargo wurde verhängt. Zudem besteht
165 Eine Liste der VN-Sicherheitsratspapiere zum Sudan und speziell zum Darfur-Konflikt ist abrufbar unter: http://www.unric.org/de/frieden-und-sicherheit/62; zum Tätigwerden des VN-Sicherheitsrats siehe auch Elliesie, in: VRÜ 2007, S. 199 (218 ff.). 166 „Recalling in this regard that the Government of Sudan bears the primary responsibility to respect human rights while maintaining law and order and protecting its population within its territory“, S/RES/1556, 30. Juli 2004, Präambel. Ausführlich zur Schutzverantwortung im Fall Darfur Beardsley, in: Grzyb (Hrsg.), The World and Darfur, S. 40 ff.; Glanville, in: Int’l J. Hum. Rts. 2011, S. 462 ff.; Williams/Bellamy, in: Security Dialogue 2005, S. 27 ff. 167 „Condemning all acts of violence and violations of human rights and international humanitarian law by all parties to the crises […] and expressing its utmost concern at the consequences of the conflict in Darfur on the civilian population, including […] internally displaced persons, and refugees. […] Urging all the parties to take the necessary steps to prevent and put an end to violations of human rights and international humanitarian law and underlying that there will be no impunity for violators“, S/RES/1556, 30. Juli 2004, Präambel. 168 Siehe S/RES/1574, 19. November 2004; S/RES/1564, 18. September 2004; S/RES/ 1556, 30. Juli 2004. 169 S/RES/1591, 29. März 2005, Rn. 3. Das Committee of the Security Council wurde ohne zeitliche Beschränkung eingesetzt. Das Mandat des Panel of Experts ist zeitlich begrenzt. In den vergangenen Jahren wurde es regelmäßig verlängert, siehe S/RES/2091, 14. Februar 2013; S/ RES/2035, 17. Februar 2012; S/RES/1982, 17. Mai 2011; S/RES/1945, 14. Oktober 2010; S/ RES/1891, 13. Oktober 2009; S/RES/1841, 15. Oktober 2008; S/RES/1779, 28. September 2007; S/RES/1713, 29. September 2006; S/RES/1665, 29. März 2006; S/RES/1651, 21. De-
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die Möglichkeit, Reisebeschränkungen festzulegen und Gelder, finanzielle Vermögenswerte und sonstige wirtschaftliche Ressourcen Einzelner einzufrieren.170 Zur Untersuchung der zwischen Februar 2003 und Januar 2005 in Darfur begangenen Verbrechen und zum Auffinden der hierfür Verantwortlichen setzte der Generalsekretär auf die Aufforderung des Sicherheitsrats im Oktober 2004 die unabhängige International Commission of Inquiry on Darfur ein.171 Diese befand staatliche bzw. staatsnahe Einheiten verantwortlich für die Begehung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen sowie Rebellengruppen verantwortlich für die Begehung von Kriegsverbrechen.172 Ihrer Empfehlung, die Situation Darfur an den IStGH weiterzuleiten, kam der Rat mit Resolution 1593 nach. Hiermit wurde erstmalig eine Situation gemäß Art. 13 lit. b) IStGH-Statut an das internationale Strafgericht verwiesen.173 Und da die 2004 eingesetzte Beobachtermission African Union Mission in Sudan (AMIS)174 Zivilpersonen und Hilfskonvois keinen ausreichenden Schutz vor den zember 2005. Kritisch hinsichtlich des VN-Sanktionensystems Gramizzi/Tubiana, Forgotten Darfur, S. 41 ff. 170 S/RES/2035, 17. Februar 2012, Rn. 4; S/RES/1945, 14. Oktober 2010, Rn. 9; S/RES/ 1591, 29. März 2005, Rn. 3, 7; S/RES/1556, 30. Juli 2004, Rn. 7 ff. 171 „Requests that the Secretary-General rapidly establish an international commission of inquiry in order to investigate reports of violations of international humanitarian law and human rights law in Darfur by all parties, to determine also whether or not acts of genocide have occurred, and to identify the perpetrators of such violations with a view to ensuring that those responsible are held accountable“, S/RES/1564, 18. September 2004, Rn. 12. Zur International Commission of Inquiry Alston, in: J. Int’l Crim. Just. 2005, S. 600 ff.; siehe auch Elliesie, in: VRÜ 2007, S. 199 (221 f.). 172 International Commission of Inquiry on Darfur, Rn. 3 f., Rn. 630 ff., ausführlich zu den einzelnen Taten, Rn. 237 ff. Die Völkermordsbegehung verneinte die International Commission of Inquiry on Darfur da „the Government of Sudan has not pursued a policy of genocide“, International Commission of Inquiry on Darfur, Rn. 518; siehe hierzu auch Fletcher/Ohlin, in: J. Int’l Crim. Just. 2005, S. 539 ff.; Kreß, in: J. Int’l Crim. Just. 2005, S. 562 ff. 173 Zur Empfehlung International Commission of Inquiry on Darfur, S. 3. Zur Sicherheitsratsüberweisung S/RES/1593, 31. März 2005. Die Resolution wurde mit elf von 15 Stimmen angenommen; Algerien, Brasilien, China und die USA enthielten sich. Zur Sicherheitsratsüberweisung des Darfur-Konflikts an den IStGH Cryer, in: Leiden J. Int’l L. 2006, S. 195 ff.; Happold, in: Int’l & Comp. L. Q. 2006, S. 226 ff. 174 Aufgaben der Beobachtermission waren die Überwachung des am 25. April 2004 zwischen der regierenden NCP, der SLM/A und der JEM im tschadischen N’Djamena geschlossenen Waffenstillstands, der Schutz der Zivilbevölkerung und die Sicherung von Hilfsmaßnahmen. Der Mission lagen das am 28. Mai 2004 in Addis Abeba zwischen der sudanesischen Regierung, den beteiligten nichtstaatlichen Gruppierungen und der AU geschlossene Agreement With the Sudanese Parties on the Modalities for the Establishment of the Ceasefire Commission and the Deployment of Observers in Darfur und die Sicherheitsratsresolutionen 1556 und 1574, S/RES/1556, 30. Juli 2004; S/RES/1574, 19. November 2004, zugrunde. Die Mission gilt aber insgesamt als erfolglos: das Mandat wurde als unzureichend bemängelt, es fehlte an finanzieller Unterstützung und materieller Ausstattung, schließlich erschwerte die sudanesische Regierung eine Durchsetzung der Mission, Prunier, Darfur, S. 207 f.
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2. Kap.: Der Darfur-Konflikt
Feindseligkeiten der Kämpfer bieten konnte, entschied sich der Sicherheitsrat im August 2006 für die Ablösung der AU-Truppe durch eine deutlich größere und mit umfangreicheren Mandat ausgestattete VN-AU-Hybridmission.175 Nachdem die sudanesische Regierung dem Vorhaben ein Jahr später zustimmte, beschloss der Rat die Einsetzung der African Union/United Nations Hybrid Operation in Darfur (UNAMID).176 Seit Ende 2007 ist die peacekeeping mission in den Unruheprovinzen tätig.177 Doch bisher gelang es auch einer der größten Blauhelmmissionen weltweit kaum, die Gewalt in Darfur einzudämmen und die Sicherheitslage zu bessern. Dies liegt vor allem am unkooperativen Verhalten der regierenden NCP, dem, zwar im Vergleich zur AMIS stärkeren, aber insgesamt noch recht schwachen Mandat UNAMIDs, der schlechten Truppenausstattung und der Sicherheitslage.178
V. Der Darfur-Konflikt als typischer Konflikt heutiger Zeit Der Bürgerkrieg in Darfur passt in das Bild heutiger (afrikanischer) Konflikte. Seit seiner Unabhängigkeit 1956 versäumte es der Sudan, einen inklusiven Staaten175
S/RES/1706, 31. August 2006. S/RES/1769, 31. Juli 2007. Das African Union/United Nations Hybrid Operation in Darfur (UNAMID)-Mandat wurde seitdem immer wieder verlängert, S/RES/2113, 30. Juli 2013; S/RES/2063, 31. Juli 2012; S/RES/2003, 29. Juli 2011; S/RES/1935, 30. Juli 2010; S/ RES/1881, 30. Juli 2009; und S/RES/1828, 31. Juli 2008. Ziele der Friedensmission sind insbesondere der Schutz von Zivilisten, humanitären Maßnahmen und eigenem Personal, die Überwachung der geschlossenen Waffenstillstandsabkommen und der Friedensverträge, der Einhaltung der Menschenrechte und eines rechtsstaatlichen Verhaltens, der Rückkehr der Binnenvertriebenen und Flüchtlinge sowie die Beobachtung der gesamten Region. Gewalt dürfen die UNAMID-Soldaten und -Polizisten zur Selbstverteidigung, zum Schutz der Zivilbevölkerung und humanitärer Operationen einsetzen. Zudem beschloss der Sicherheitsrat im September 2007 zur Verbesserung der Sicherheitslage im Grenzgebiet unter Kap. VII VNCharta handelnd die Friedensmission United Nations Mission in the Central African Republic and Chad (MINURCAT) im Tschad und in der Zentralafrikanischen Republik einzusetzen, S/ RES/1778, 25. September 2007. Die Mission wurde in der Folgezeit erweitert und verlängert, S/ RES/1923, 25. Mai 2010; S/RES/1861, 14. Januar 2009; S/RES/1834, 25. September 2008, und lief am 31. Dezember 2010 aus. Zudem setzte die EU die European Union Force Chad/ Central African Republic (EUFOR Chad/CAR) im Tschad und in der zentralafrikanischen Republik im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) ein, siehe das Agreement Between the European Union and the Republic of Chad on the Status of the European Union-led Forces in the Republic of Chad, L 83/40 vom 26. März 2008, und das Agreement Between the European Union and the Central African Republic on the Status of the European Union-led Forces in the Central African Republic, L 136/45 vom 24. Mai 2008. Die EUFOR Chad/CAR endete im März 2009. 177 Aktuell befinden sich 14.839 Soldaten und Militärbeobachter sowie 4.955 Polizisten im Einsatz in Darfur (Stand: 31. Juli 2013). Die maximale Einsatzstärke der Mission betrug ursprünglich 19.555 Soldaten, 6.432 Polizisten und eine angemessene Zahl an Zivilisten. Mit Resolution 2063 wurde sie auf maximal 16.200 Personen militärischen Personals und 4.690 Polizisten reduziert, S/RES/2063, 31. Juli 2012; siehe hierzu UNAMID, Facts and Figures. 178 Siehe Brosché/Rothbart, Violent Conflict and Peacebuilding, S. 118 ff.; Grawert, in: Johannsen et al. (Hrsg.), Friedensgutachten 2011, S. 235 (241 f.). 176
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und Nationenbildungsprozess einzuleiten, welcher die ethnische, religiöse, kulturelle wie sprachliche Vielfalt des Landes berücksichtigt und alle gleichermaßen in die Entwicklung des Landes einbindet. Periphere Gegenden wie Darfur wurden seit je zugunsten der arabischen Niltal-Elite marginalisiert. Wenn überhaupt, trat Khartum mit repressiven Elementen in Erscheinung. Von ihrem Staat vernachlässigt und unterdrückt waren die Menschen sich selbst überlassen. Nichtstaatliche Gruppierungen füllten dieses Machtvakuum. Anfang 2003 erhoben sich die JEM und die SLM/A in Darfur gegen die sudanesische Regierung, um die bestehenden Missstände, die ungerechte Verteilung von Macht und Ressourcen, anzuprangern und um eine Änderung dieser Situation zu erreichen. Damit geben sie den Vernachlässigten und Unterdrückten eine Stimme. Vor allem in der Anfangsphase des Konflikts spielten (konstruierte) rassische Ideologien, die Dichotomie Araber vs. Afrikaner, eine große Rolle. Nun seit über zehn Jahren kämpfen nichtstaatliche Gewaltakteure in den DarfurStaaten gegen die sudanesische Armee und Paramilitärs bzw. gegen andere nichtstaatlichen Gewaltakteure. Leidtragende sind aber vor allem die Zivilisten. Angriffe richten sich direkt gegen das Volk, die Gewalt ist allgegenwärtig und die Sicherheitslage ist prekär. Millionen flohen vor den Gräueltaten. Der Konflikt wird in der Mitte der Menschen, um und gegen sie geführt.
VI. Der Darfur-Konflikt als nichtinternationaler bewaffneter Konflikt Ob in Darfur ein nichtinternationaler bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts ausgetragen wird, hängt allein von den tatsächlichen Gegebenheiten ab. Außerstaatliche Verbände wie die SLM/A-AW, SLM/A-MM und JEM kämpfen im Westen Sudans, in den Darfur-Provinzen, gegen die regulären sudanesischen Streitkräfte und deren Milizen. Die Auseinandersetzung dauert bereits seit über zehn Jahren an. Ihre Intensität ist trotz einer merklichen Abschwächung und länger andauernden ruhigeren Phasen noch immer hoch.179 Zugleich werden auf einer niedrigeren Stufe lokale, häufig inter-tribale Streitigkeiten ausgetragen. Die Grenzen sind fließend. Jedenfalls die JEM und die SLM/A-Fraktionen Abdel Wahids und Minni Minnawis besitzen hierarchische Strukturen, stehen unter einer verantwortlichen Führung und kontrollieren nicht unwesentliche Gebiete Darfurs. Wegen ihrer Eigenschaft als mobile Guerillabewegungen ändern sich diese aber geografisch. Den Rebellen 179 Vgl. das HIIK, das den Darfur-Konflikt aufgrund seiner Intensität 2012 weiterhin als war einstufte, HIIK, Conflict Barometer 2012, S. 48. Zur Methodik HIIK, Conflict Barometer 2012, S. 120 ff.
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2. Kap.: Der Darfur-Konflikt
dienen sie als Logistik-, Aufmarsch- und Rückzugsgebiet. Die eroberten Gebiete ermöglichen den Oppositionellen die Planung und Durchführung größerer konzentrierter Militäroperationen gegen den sudanesischen Staat. Die JEM, SLM/A-AW und SLM/A-MM sind mithin als ausreichend organisiert zur Erfüllung der an bewaffnete Gruppen gestellten Anforderungen des Art. 3 GK und des ZP II anzusehen. Die sich auf die Stabilität der Nachbarländer und damit der gesamten Region auswirkenden Flüchtlingsströme, das Tätigwerden internationaler Akteure im Rahmen des Friedensprozesses oder die Rebellenunterstützung durch dritte Staaten könnten den territorial auf das sudanesische Staatsgebiet begrenzten Konflikt aber internationalisiert haben. 1. Flüchtlinge und Friedensverhandlungen Allein transnationale Reflexe wie Flüchtlinge und die Bemühungen ausländischer Einheiten zur Streitbeilegung durch Friedensverhandlungen genügen hierfür jedenfalls nicht. 2. Friedenstruppen der Vereinten Nationen Doch können militärische Friedensmaßnahmen der VN eine Konfliktinternationalisierung bewirken. Angenommen wird dies, wenn die nationalen Streitkräfte der Mission weiterhin von ihrem jeweiligen Heimatstaat befehligt werden, die VNKontrolle also lediglich operativ ist, und wenn das nationale Militär mittels Organleihe unter der Gewalt der VN, einem Völkerrechtssubjekt, steht.180 Eine Internationalisierung ist aber abzulehnen, wenn der Friedenseinsatz keine Zwangsmaßnahme gemäß Kap. VII VN-Charta darstellt, sondern mit der Zustimmung des betroffenen Staates durchgeführt wird und sich vornehmlich auf die Truppenpräsenz beschränkt.181 Dann sind die Friedenskräfte Nebenorgane der Generalversammlung, vgl. Art. 22 VN-Charta, oder des Sicherheitsrats, vgl. Art. 29 VN-Charta.182 Den Einsatz der VN-AU-Friedensmission UNAMID beschloss der Rat erst nach ausdrücklicher Zustimmung des Sudans im Juli 2007. Gewalt dürfen die UNAMIDSoldaten und -Polizisten zudem nur in begrenztem Umfang anwenden. Folglich internationalisierte die peacekeeping mission in Darfur den Konflikt nicht.
180
Ambos, in: MüKo StGB, Bd. 6/2, Vorbem. §§ 8 ff. VStGB, Rn. 32. Ambos, in: MüKo StGB, Bd. 6/2, Vorbem. §§ 8 ff. VStGB, Rn. 32; La Haye, War Crimes in Internal Armed Conflicts, S. 19 f.; siehe auch den Einstellungsvermerk des Generalbundesanwalts im Fall Kunduz, 3 BJs 6/10-4, 16. April 2010, S. 42. 182 Ambos, in: MüKo StGB, Bd. 6/2, Vorbem. §§ 8 ff. VStGB, Rn. 34. 181
C. Bürgerkrieg
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3. Unterstützung der Konfliktparteien durch dritte Staaten Die Beteiligung eines fremden Staates führt zur Internationalisierung des bewaffneten Konflikts, sofern dem Staat das Verhalten der unterstützten Konfliktpartei zuzurechnen ist.183 Sind die substaatlichen Akteure de facto-Organe des ausländischen Staates oder sonst unter dessen Kontrolle, ist dies zu bejahen.184 „Kontrolle“ setzt nach dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia, ICTY) und jetzt auch dem IStGH bei (para-)militärischen Gruppen voraus, dass der fremde Staat die Verbände nicht lediglich finanziell, materiell oder logistisch fördert, sondern auch ihre Militäroperationen organisiert, koordiniert oder plant, also eine overall control ausübt.185 Der Internationale Gerichtshof (IGH) verlangt indes weiter eine effective control des Drittstaates über die Oppositionellen, d. h. der fremde Staat muss wirksam Kontrolle über die Aktivitäten der Aufständischen ausüben, etwa Anordnungen erteilen.186 Die Rebellenunterstützung durch Nachbarländer wie Libyen, den Tschad und aktuell vor allem den Südsudan umfasst im Fall Darfur zwar ideelle, finanzielle und materielle Beiträge sowie die Zurverfügungstellung von Territorium. Ihre Kampfhandlungen planen die JEM und SLM/A aber selbst, führen sie eigenständig aus, werden insofern nicht von einem fremden Staat kontrolliert. Damit ist die Hilfe
183
Ambos, Internationales Strafrecht, S. 280, Rn. 241; Werle, Völkerstrafrecht, S. 482, Rn. 1084. Ob das Verhalten ausländischer Staaten, wie die Intervention in einen internen bewaffneten Konflikt, mit dem allgemeinen Völkerrecht, insbesondere dem Gewalt- und Einmischungsverbot in Einklang steht, wird nicht vom humanitären Völkerrecht beantwortet. 184 ICTY, Prosecutor v. Aleksovski, IT-95-14/1-A, 24. März 2000, Rn. 129 ff.; ICTY, Prosecutor v. Tadic´, IT-94-1-A, 15. Juli 1999, Rn. 83 ff.; vgl. Ambos, Internationales Strafrecht, S. 280, Rn. 241. 185 IStGH, Prosecutor v. Lubanga Dyilo, ICC-01/04 – 01/06, Pre-Trial Chamber I, 29. Januar 2007, Rn. 210 f.; ICTY, Prosecutor v. Aleksovski, IT-95-14/1-A, 24. März 2000, Rn. 129 ff.; ICTY, Prosecutor v. Tadic´, IT-94-1-A, 15. Juli 1999, Rn. 124 ff.; siehe auch Ambos, in: MüKo StGB, Bd. 6/2, Vorbem. §§ 8 ff. VStGB, Rn. 31; ders., in: NStZ 2000, S. 71 (71); International Commission of Inquiry on Darfur, Rn. 123; La Haye, War Crimes in Internal Armed Conflicts, S. 18 f.; Werle, Völkerstrafrecht, S. 483, Rn. 1086. 186 IGH, Application of the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide (Bosnia and Herzegovina v. Serbia and Montenegro), 26. Februar 2007, ICJ Reports 2007, 43, Rn. 403 ff.; IGH, Military and Paramilitary Activities in and Against Nicaragua (Nicaragua v. United States of America), Merits, 27. Juni 1986, ICJ Reports 1986, 14, Rn. 115. Als ungeeignet für die Überprüfung der individuellen Strafbarkeit verwarf die ICTY-Berufungskammer im Fall Tadic´ die Kriterien des IGH, ICTY, Prosecutor v. Tadic´, IT-94-1-A, 15. Juli 1999, Rn. 103. Die Verfahrenskammer wendete diese noch an, ICTY, Prosecutor v. Tadic´, IT-94-1-T, 7. Mai 1997, Rn. 582 ff. Ursprünglich zur Klärung der Staatenverantwortung entwickelt, dient die control-Probe heute auch zur Beantwortung der Frage, ob ein bewaffneter Konflikt nichtinternationaler oder internationaler Natur ist, siehe ICTY, Prosecutor v. Tadic´, IT94-1-A, 15. Juli 1999, Rn. 104.
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2. Kap.: Der Darfur-Konflikt
ausländischer Staaten in Darfur nicht derart, dass man ihnen das Rebellenverhalten zurechnen kann.187 4. Würdigung Seit über zehn Jahren kämpfen organisierte und Gebietskontrolle innehabende substaatliche Gruppierungen in Darfur gegen die sudanesische Armee und deren Milizen. Eine Internationalisierung des Konflikts führten weder die Fluchtbewegungen der Menschen in Nachbarländer wie den Tschad und den Südsudan, noch das diplomatische und militärische Einschreiten der Völkerrechtsgemeinschaft oder die Förderung der Aufständischen durch dritte Staaten herbei. Mithin ereignet sich in Darfur ein nichtinternationaler bewaffneter Konflikt im Sinne des gemeinsamen Art. 3 GK und des ZP II.188 Auch die beiden Friedensverträge, die formellen Beendigungen des Bürgerkriegs, ändern hieran nichts, führten sie doch tatsächlich nicht zur Befriedung.189 Außerdem traten wichtige Rebellenbewegungen den Abkommen nicht bei.190
187 Siehe Panel of Experts on the Sudan 2013, Rn. 87. Die Charakterisierung des DarfurKonflikts trotz der Rebellenunterstützung durch den Tschad ebenfalls als international ablehnend, Barber, in: IRRC 2009, S. 371 (382 f.). 188 Die Voraussetzungen des gemeinsamen Art. 3 GK in Darfur annehmend Barber, in: IRRC 2009, S. 371 (387); International Commission of Inquiry on Darfur, Rn. 75; Islam, in: Int’l J. Refugee L. 2006, S. 354 (354, 372); Panel of Experts on the Sudan 2011, Rn. 99. Indem die International Commission of Inquiry on Darfur und der Panel of Experts on the Sudan 2011 aber schlossen, dass der gemeinsame Art. 3 GK einschlägig sei, da folgende Voraussetzungen in Darfur erfüllt seien: „(i) existence of organized armed groups fighting against the central authorities, (ii) control by rebels over part of the territory and (iii) protracted fighting“, legten sie die Anwendungsvoraussetzungen dieser Vorschrift höher als die herrschende Meinung, Hervorhebung durch die Autorin. Darüber hinaus die Voraussetzungen des ZP II in Darfur annehmend Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 191. Siehe auch der Panel of Experts on the Sudan 2013, Rn. 86: „The Darfur armed conflict is characterized by the protracted hostilities between the Government of the Sudan and Darfurian armed opposition groups which are distinguished by their organized structure and leadership and which continue to fight against the central Government authorities. The protracted nature of the conflict, the organized structure of the armed opposition groups and the control that they continue to exert over parts of the territory in Darfur meet the necessary requirements to qualify the Darfur conflict as a non-international armed conflict“, Hervorhebung durch die Autorin. Der IStGH geht jedenfalls vom Vorliegen eines nichtinternationalen bewaffneten Konflikts im Sinne des Art. 8 Abs. 2 lit. c) und e) IStGH-Statut in Darfur aus. 189 Vgl. Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 253. 190 Zu beiden Aspekten, speziell das DPA betreffend, Gunkel, Herstellung geordneter Staatlichkeit in Nachkonfliktsituationen, S. 216 f.
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VII. Kampfführung der Konfliktparteien 1. Grundregeln des humanitären Völkerrechts zum Umgang mit der Zivilbevölkerung Vor allem Zivilpersonen sind Opfer der Auseinandersetzungen in Darfur. Dabei ist Grundaussage des humanitären Völkerrechts, dass die Konfliktparteien ihre Kriegsmethoden und -mittel nicht frei wählen dürfen. Schon in der Sankt Petersburger Erklärung über das Verbot bestimmter Geschosse von 1868 heißt es, „dass der einzige rechtmäßige Zweck, den die Staaten während des Krieges sich vorzusetzen haben, die Schwächung der Militärkräfte des Feindes ist.“
Nach dem Grundsatz militärischer Notwendigkeit darf nur diejenige Gewalt eingesetzt werden, die zur Zielerreichung erforderlich ist.191 Hiernach sind Operationen gegen militärische Ziele erlaubt, Operationen gegen Zivilisten, zivile Güter und Einrichtungen indes verboten. Im Rahmen nichtinternationaler bewaffneter Konflikte wird geschützt, wer nicht (mehr) unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnimmt, so der gemeinsame Art. 3 GK und Art. 4 ZP II. Nach den vom IKRK entwickelten Interpretative Guidance on the Notion of Direct Participation in Hostilities under International Humanitarian Law müssen folgende Voraussetzungen zur Bejahung der unmittelbaren Teilnahme an den Feindseligkeiten kumulativ vorliegen: „1. The act must be likely to adversely affect the military operations or military capacity of a party to an armed conflict or, alternatively, to inflict death, injury, or destruction on persons or objects protected against direct attack (threshold of harm); 2. there must be a direct causal link between the act and the harm likely to result either from that act, or from a coordinated military operation of which that act constitutes an integral part (direct causation); 3. the act must be specifically designed to directly cause the required threshold of harm in support of a party to the conflict and to the detriment of another (belligerent nexus).“192
Außerdem enthalten die Art. 13 – 18 ZP II Vorschriften zum Schutz der Zivilbevölkerung. Allein für den internationalen bewaffneten Konflikt enthält Art. 50 ZP I Negativdefinitionen der Begriffe Zivilpersonen und -bevölkerung.193 Regel 5 der Studie des IKRK zum Gewohnheitsrecht im humanitären Völkerrecht definiert Zivilpersonen als „persons who are not members of the armed forces“; und die Zivilbevölkerung „comprises all persons who are civilians.“
191
Gasser/Melzer, Humanitäres Völkerrecht, S. 157 f. IKRK, in: IRRC 2008, S. 991 (995 f.). 193 Diese im Rahmen eines internen bewaffneten Konflikts berücksichtigend, ICTR, Prosecutor v. Kayishema and Ruzindana, ICTR-95-1-T, 21. Mai 1999, Rn. 179 f. 192
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2. Kap.: Der Darfur-Konflikt
Folglich sind Binnenflüchtlinge grundsätzlich schützenswerte Personen.194 Mitunter kann die Abgrenzung zu den Konfliktbeteiligten aber schwierig sein. So leben manche Kämpfer in Darfur immer mal wieder bei ihrer Familie und ihren Freunden in den Vertriebenencamps. Außerdem erhalten die bewaffneten Gruppen finanzielle, materielle und ideologische Unterstützung von den Binnenflüchtlingen. Dies gilt aber wohl noch nicht als unmittelbare Kampfteilnahme.195 Und bereits „blinde“ Angriffe, also insbesondere Maßnahmen, die nicht allein auf ein militärisches Ziel gerichtet sind, sondern unterschiedslos militärische wie auch zivile Personen und Objekte treffen können, sind vom humanitären Völkerrecht verboten; ebenso Methoden und Mittel, die gar nicht erst gegen ein bestimmtes militärisches Ziel gerichtet werden können, siehe Art. 51 Abs. 4 lit. a) und b) ZP I. Immer wieder ist ein Treffen der Zivilbevölkerung, ziviler Güter und Einrichtungen jedoch nicht gänzlich auszuschließen. Dann gilt das Verhältnismäßigkeitsprinzip.196 Hiernach ist ein Angriff verboten, „bei dem damit zu rechnen ist, dass er auch Verluste an Menschenleben unter der Zivilbevölkerung, die Verwundung von Zivilpersonen, die Beschädigung ziviler Objekte oder mehrere derartige Folgen zusammen verursacht, die in keinem Verhältnis zum erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil stehen“,
Art. 51 Abs. 5 lit. b) ZP I. Gewohnheitsrechtlich gelten diese Grundregeln des Kriegsrechts auch im Rahmen nichtinternationaler bewaffneter Konflikte.197 2. Kampfführung der Regierungsseite Mit Unterstützung insbesondere der Dschandschawid, PDF und CRP schlug die sudanesische Regierung die Rebellion in Darfur gnadenlos zurück. Die regulären Streitkräfte hielten sich im Hintergrund. Die Brutalität des Staates lässt sich zunächst damit erklären, dass man 2003, durch die Friedensverhandlungen mit der SPLM/A zur Beilegung des Zweiten Sudanesischen Bürgerkriegs die Sezession des Südens 194 So auch Lavoyer, in: IRRC 1998, S. 467 (470); Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 289. 195 Geißler, Der völkerrechtliche Schutz der Internally Displaced Persons, S. 79, 83. 196 Crawford, The Treatment of Combatants and Insurgents Under the Law of Armed Conflict, S. 34 f.; Oeter, in: Fleck (Hrsg.), The Handbook of International Humanitarian Law, S. 196 ff., Rn. 459. 197 Fleck, in: ders. (Hrsg.), The Handbook of International Humanitarian Law, S. 591, Rn. 1203; Holland, in: Yb. Int’l Humanitarian L. 2004, S. 35 (51 f.); International Commission of Inquiry on Darfur, Rn. 166; IGH, Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, Advisory Opinion, 8. Juli 1996, ICJ Reports 1996, 226, Rn. 20; ICTY, Prosecutor v. Kordic´ and Cˇerkez, IT-95-14/2-PT, 2. März 1999, Rn. 31; IACHR, OAE/Ser.L/V/II.102, Doc. 9 rev. 1, 26. Februar 1999, Chapter IV, C. 2, Rn. 82; siehe außerdem Teil I der Studie des IKRK zum Gewohnheitsrecht im humanitären Völkerrecht.
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vor Augen, eine weitere Abspaltung befürchtete.198 Zugleich bot sich Khartum ein Anlass, die gewohnte Arabisierungspolitik auf eine neue Ebene zu führen – mit dramatischen Folgen, wie sich bald zeigte. Schließlich hat der Rückgriff auf militärische Mittel zur Bezwingung von Aufständen im Sudan Methode.199 Gerade in der Anfangsphase des Konflikts richtete sich die Gewalt der (Para-) Militärs aber mehr gegen das sudanesische Volk denn die bewaffneten Oppositionsgruppen. Mittlerweile sind kaum mehr zivile Ziele vorhanden. Hütten, ganze Dörfer werden überfallen und geplündert, deren Bewohner werden getötet, verletzt, gefoltert und vertrieben, Frauen werden vergewaltigt und misshandelt, Kinder und andere Wehrlose werden (zwangs-)rekrutiert. Schließlich töten und stehlen die regulären Streitkräfte und ihre Milizen Vieh, sie zerstören Felder und vergiften Brunnen.200 Von Khartum pauschal als Basis der Rebellen wahrgenommen, sind überwiegend Angehörige afrikanischer Stämme, wie die Fur, Masalit und Zaghawa, Opfer der Gräueltaten201 und die Angriffe von rassistischen Äußerungen begleitet.202 Die zuruq werden verhöhnt, erniedrigt, Frauen werden durch öffentliche Vergewaltigungen und Misshandlungen, unter Zwang erwirkten Schwangerschaften und Brandmarkungen gesellschaftlich denunziert.203 Damit geht aber die Gewalt über „normale“ Grausamkeiten hinaus, ist ethnisch aufgeladen.204
198 Siehe Natsios, Sudan, South Sudan & Darfur, S. 139, 203; Patrick, in: J. Refugee Stud. 2005, S. 410 (411); Rodman, in: Hum. Rts. Q. 2008, S. 529 (541); Thielke, Krieg im Lande des Mahdi, S. 34 f. 199 Jok, Sudan, Race, Religion and Violence, S. 219. 200 Zum Vorgehen der sudanesischen Armee und Paramilitärs siehe etwa International Commission of Inquiry on Darfur, Rn. 191, im Einzelnen Rn. 241 ff., 269 ff., 297, 301 ff., 325, 335, 337 ff., 362, 364 ff., 381, 383, 386 f., 395 ff., und aktuell etwa die Berichte des Panel of Experts on the Sudan vom März 2011, Rn. 98 ff., und vom Februar 2013, Rn. 86 ff.; AI, 10 Years on; sowie die Jahresberichte von AI aus den Jahren 2003 – 2012; so auch darfurische Flüchtlinge und sudanesische Rebellen in Interviews im Juni und Juli 2013 in Kampala, Uganda, und Juba, Südsudan. Zwischen Januar 2003 und September 2005 gingen 97 % der Angriffe gegen die Zivilbevölkerung von staatlicher Seite und nur 3 % von bewaffneten Oppositionsbewegungen aus, Petersen/Tullin, The Scorched Earth of Darfur, S. 3. 201 Brosché/Rothbart, Violent Conflict and Peacebuilding, S. 11; Jok, Sudan, Race, Religion and Violence, S. 20 f., 127, 175. 202 International Commission of Inquiry on Darfur, Rn. 192 f., 245, 267, 271, 328, 382, 511; Prunier, Darfur, S. 134 ff. 203 Beck, in: Zeitschrift für Genozidforschung 2/2004, S. 52 (78); Patrick, in: J. Refugee Stud. 2005, S. 410 (413); vgl. auch International Commission of Inquiry on Darfur, Rn. 334, 337 ff. 204 Siehe Beck, in: Zeitschrift für Genozidforschung 2/2004, S. 52 (78).
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2. Kap.: Der Darfur-Konflikt
3. Kampfführung der Opposition Zumindest die größeren Oppositionsbewegungen unterrichten ihre Kämpfer in internationalem Recht, also den Menschenrechten und dem humanitären Völkerrecht, weisen die Kämpfer an, dieses einzuhalten.205 Die SRF integrierte dann die GK mitsamt ihren Protokollen in ihr Statute SRF.206 Aber wohl wichtiger als formelle Regeln sind den Kämpfern ihre moralischen Verpflichtungen gegenüber der Zivilbevölkerung, also ihrer Familie, Gemeinschaft, ihres Stammes.207 Tatsächlich richten die JEM, SLM/A-AW und SLM/A-MM ihre Angriffe in erster Linie gegen staatliche Ziele wie Militär-, Polizei-, Verwaltungs- und Regierungsgebäude, Beamte und Infrastruktureinrichtungen.208 Ihren Gegner, den Staat, gegen dessen Unterdrückungs- und Marginalisierungspolitik sie sich wenden, wollen sie so schwächen. Zugleich erlangen die Rebellen durch die Überfälle Waffen, Munition, Transport- und Kommunikationsmittel etc. zur Fortführung ihrer Kämpfe. Gleichwohl ist auch das gemeine Volk regelmäßig Opfer der nichtstaatlichen Gewaltakteure. Oft ist es den Oppositionellen unmöglich, die Zivilbevölkerung gänzlich auszusparen, werden die Kämpfe doch in mehr oder weniger bewohnten Gebieten ausgetragen. Hin und wieder richten sich die Rebellenmaßnahmen aber auch direkt gegen Zivilisten. Die Aufständischen greifen Leib und Leben an, zerstören Hütten und stehlen Haushaltsgüter.209 Außerdem scheinen sie noch immer
205
Interviews mit sudanesischen Rebellen, Juni und Juli 2013, Kampala, Uganda, und Juba, Südsudan. „Militärgerichte“ dienen der Regeldurchsetzung, Interviews mit sudanesischen Rebellen, Juli 2013, Kampala, Uganda, und Juba, Südsudan. 206 „Art. 29 Statute SRF The Geneva Conventions of 1949 and its additional protocols, as well as the rules of the International Humanitarian Laws, shall constitute an integral part of the present statute.“ 207 Interviews mit sudanesischen Rebellen, Juni und Juli 2013, Kampala, Uganda, und Juba, Südsudan. 208 Siehe etwa International Commission of Inquiry on Darfur, Rn. 65, 240, 254; Panel of Experts on the Sudan 2013, Rn. 86 ff.; und die Jahresberichte von AI aus den Jahren 2003 – 2012. Die International Commission of Inquiry on Darfur beobachtete: „A crowd of people witnessed the incident and followed the attackers. They were apparently unafraid because the rebels had announced that they were not going to hurt anyone other than the targets that they had chosen, including certain officials“, International Commission of Inquiry on Darfur, Rn. 257. Selbst bei ihrem Angriff auf Omdurman bei Khartum ordnete die JEM an, dass keine unschuldigen Zivilisten zu Schaden kommen sollen, El-Tom, Darfur, JEM and the Khalil Ibrahim Story, S. 219, 221. 209 Zum Vorgehen der Rebellen siehe International Commission of Inquiry on Darfur, Rn. 190, im Einzelnen Rn. 254 ff., 285 ff., 297, 316 f., 335, 354, 362, 374, 381, 388 f., 395, 402, 414 ff.; und aktuell die Berichte des Panel of Experts on the Sudan vom März 2011, Rn. 98 ff., und vom Februar 2013, Rn. 86 ff., und die Jahresberichte von AI aus den vergangenen Jahren. Der JEM sind dabei die wenigsten Taten vorzuwerfen.
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Kinder (zwangsweise) in ihre Truppen einzugliedern und an den Kämpfen teilnehmen zu lassen.210 So macht es bereits die Natur bewaffneter Konflikte schwer, sich stets den humanitären Grundsätzen entsprechend zu verhalten. Bisweilen gewinnen Habgier, Rache und Machtphantasien einzelner Kämpfer oder Gruppierungen die Überhand. 4. Binnenvertriebenensituation a) Vertreibungen Insgesamt flohen bisher über drei Millionen Menschen, hauptsächlich Angehörige afrikanischer Stämme, vor dem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt, der allgemeinen Gewalt und den Menschenrechtsverletzungen in Darfur. Der Großteil blieb innerhalb des sudanesischen Staatsgebiets. Ende 2012 lebten noch um die 1,7 Millionen Darfuris im Sudan fern ihrer Heimat. Und erst Anfang 2013 kam es zu einer der größten (Binnen-)Flüchtlingswelle seit Ausbruch des Darfur-Konflikts: Fast 300.000 Menschen flohen (erneut) vor den Auseinandersetzungen.211 Doch 210
Ein Großteil der am Darfur-Konflikt beteiligten bewaffneten Oppositionsbewegungen wird im Annex des Annual Report of the Secretary-General betreffend Children and Armed Conflict aufgeführt: List of parties that recruit or use children in situations of armed conflict on the agenda of the Security Council, bearing in mind other violations and abuses committed against children: JEM, SLM/A, A/59/695 S/2005/72, Annex I, 9. Februar 2005; SLA-MM, A/ 61/529–S/2006/826, Annex I, 26. Oktober 2006; JEM-Peace Wing, SLA-Abu Gasim, SLA-Free Will, SLA-MM, SLA-AW, SLA-Shafi, A/62/609–S/2007/757, Annex I, 21. Dezember 2007; JEM-Peace Wing, SLA-Abu Gasim-Mother Wing, SLA-Free Will, SLA-MM, SLA-Peace Wing, JEM, SLA-AW, SLA-Unity, A/63/785–S/2009/158, Annex I, 26. März 2009. List of parties that recruit or use children, kill or maim children and/or commit rape and other forms of sexual violence against children in situations of armed conflict on the agenda of the Security Council, bearing in mind other violations and abuses committed against children: JEM-Peace Wing, Movement of Popular Force for Rights and Democracy, SLA-Abu Gasim-Mother Wing, SLAFree Will, SLA-MM, SLA-Peace Wing, JEM, SLM/A-AW, SLA-Unity, A/64/742–S/2010/181, Annex I, 13. April 2010; JEM-Peace Wing, Movement of Popular Force for Rights and Democracy, SLA-Abu Gasim-Mother Wing, SLA-Free Will, SLA-MM, SLA-Peace Wing, JEM, SLAAW, SLA-Unity, SLA-Historical Leadership, A/65/820-S/2011/250, Annex I, 11. Mai 2011. List of parties that recruit or use children, kill or maim children, commit rape and other forms of sexual violence against children, or engage in attacks on schools and/or hospitals in situations of armed conflict on the agenda of the Security Council, bearing in mind other violations and abuses committed against children: JEM, JEM-Peace Wing, SLA-AW, SLA-Free Will, SLAHistorical Leadership, SLA-MM, SLA-Mother Wing-Abu Gasim, SLA-Peace Wing, SLA-Unity, SPLM-North, A/66/782–S/2012/261, Annex I, 26. April 2012; JEM, SLA-AW, SLA-Historical Leadership, SLA-MM, SLA-Abu Gasim-Mother Wing, SLA-Unity und SPLM-North, A/67/845S/2013/245, Annex I, 15. Mai 2013. Und weiterhin beobachtet der IStGH die Situation in Darfur, prüft insbesondere, ob die Kampfparteien Art. 8 Abs. 2 lit. e) (vii) (Zwangsverpflichtung oder Eingliederung von Kindern unter fünfzehn Jahren in die Streitkräfte oder bewaffneter Gruppen oder ihre Verwendung zur aktiven Teilnahme an den Feindseligkeiten) verletzten, IStGH, Seventeenth Report of the Prosecutor of the International Criminal Court to the UN Security Council Pursuant to UNSCR 1593 (2005), 5. Juni 2013, Rn. 15. 211 Siehe UNOCHA, Sudan: Darfur Humanitarian Overview, 8 May 2013.
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konnten 2012 immerhin fast 100.000 Menschen, insbesondere zur Bestellung und Ernte ihrer Felder, zumindest zeitweise zurück kehren.212 Die Menschen in Darfur bringen sich vor Angriffen auf ihre Person, ihre Hütten und Dörfer, aber auch allgemein der Gewalt, verursacht durch Auseinandersetzungen um Land, Wasser- und Weidestellen, inter-tribale Streitigkeiten und insbesondere den bewaffneten Konflikt zwischen der sudanesischen Regierung und bewaffneten Gruppen, in Sicherheit. Dabei stellt sich ihnen kaum die Wahl, in der Heimat zu bleiben oder diese zu verlassen. Urheber der Gewalt sind primär die Armee und ihre Milizen. Statt gegen die Rebellen gehen sie meist gegen die (afrikanische) Zivilbevölkerung vor. Die Menschen sind hierdurch zum Verlassen ihrer Heimat und Fortbleiben gezwungen.213 Nicht zufällig Teil, sondern integraler Bestand der Gewalt in Darfur ist die ethnische Differenzierung. Den Rebellen will man so die (vermeintliche) Basis entziehen.214 Tatsächlich trat das Gegenteil ein: Die Gewalttaten brachten die Menschen den Aufständischen näher.215 Mit der Aufstandsbekämpfung wird die islamistisch-arabische Agenda voran getrieben, werden Hochburgen politischer Oppositionsparteien zum Verstummen gebracht und Ressourcenkonflikte gelöst. Die Vertreibungen stellen damit nicht lediglich Nebenerscheinungen des Konflikts dar, sondern sind Teil der Strategie Khartums.216 Aber auch die Rebellen tragen mit Gewaltakten gegenüber Zivilpersonen und allein indem sie ihre Waffen erhoben und an den Kämpfen teilnehmen, zu den Fluchtbewegungen bei. b) Binnenvertriebene Ihrer gewohnten Lebensstrukturen beraubt, sind die Menschen fern ihrer Heimat auf die Hilfe anderer angewiesen. Neben einer Unterkunft benötigen sie vor allem Nahrung, sauberes Trinkwasser, eine medizinische und ärztliche Versorgung. Familien müssen zusammengeführt, Dokumente müssen ersetzt oder neu ausgestellt, Arbeitsmöglichkeiten und Bildungseinrichtungen müssen geschaffen werden. Au-
212 IDMC/NRC, Global Overview 2012. People Internally Displaced by Conflict and Violence, S. 31. Von den drei in den Guiding Principles genannten Lösungsmöglichkeiten liegt der Schwerpunkt im Sudan offensichtlich auf der Rückkehr der Vertriebenen in ihre Heimat. Dieser stehen aber einige Hindernisse entgegen: Die Sicherheitslage ist weiterhin in vielen Regionen Darfurs prekär, Häuser, ganze Dörfer und Felder wurden in den vergangenen Jahren zerstört, grundlegende Infrastruktureinrichtungen wie Brunnen und sanitäre Anlagen fehlen, in einigen Regionen besetzten Fremde, häufig Nomaden, das frei gewordene Land, siehe hierzu A/ HRC/22/44/Add.2, 27. Mai 2013, Rn. 42 ff. 213 Siehe Patrick, in: J. Refugee Stud. 2005, S. 410 (413). 214 El-Battahani, in: Zeitschrift für Genozidforschung 2/2004, S. 8 (47); Köndgen, in: KASAI 10/2004, S. 4 (14); Schmidinger, in: BdiP 2/2005, S. 194 (198); Streck, Sudan, S. 80. 215 Streck, Sudan, S. 80; vgl. Jok, Sudan, Race, Religion and Violence, S. 220, 237. 216 Vgl. El-Battahani, in: Zeitschrift für Genozidforschung 2/2004, S. 8 (47).
C. Bürgerkrieg
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ßerdem besteht ein großes Sicherheitsbedürfnis. Gerade in und nahe der Vertriebenencamps kommt es häufig zu Überfällen, insbesondere Vergewaltigungen.217 Der primär für die innerhalb seiner Staatsgrenzen Vertriebenen verantwortliche sudanesische Staat tritt selbst kaum als Schutz- und Hilfsakteur in Erscheinung. Und humanitäre Unterstützung durch Externe ist aufgrund der angespannten Sicherheitslage, aber vor allem der restriktiven Politik Khartums gegenüber Hilfseinrichtungen in Darfur, nur eingeschränkt möglich. Immer wieder kommt es zu Überfällen auf Hilfskonvois, Entführungen und der Ermordung von Hilfspersonal durch die Konfliktteilnehmer und übliche Kriminelle. Zudem baute die Regierung Sudans bürokratische Hürden auf, die den Organisationen die Arbeit im Land erschwert, teils unmöglich macht.218 Prunier spricht hier von einem „Genozid durch Zermürbung.“219 Offensichtlich kommen die herrschenden Autoritäten ihren Verpflichtungen nur ungenügend nach. Ihre Motivation zur Schutz- und Hilfsgewährung ist, da sie selbst maßgeblich an den Vertreibungen beteiligt sind, die Vertriebenen kollektiv als Gegner wahrnehmen, entsprechend gering. Vor den Feindseligkeiten fliehend finden sich auch in den rebellenkontrollierten Territorien Menschen zusammen, lassen sich Menschen gemeinsam nieder. Die Zivilbevölkerung wähnt sich hier sicher vor der Armee und ihren Milizen, doch stellen die „liberated areas“ häufig gerade das Ziel staatlicher Angriffe dar. Die JEM, SLM/A-AW und SLM/A-MM können die Binnenflüchtlinge dann kaum schützen. Und auch wenn sie den Bedürfnissen und Nöten der Vertriebenen gerne begegnen würden, haben sie hierfür längst nicht die nötigen Strukturen220 und Kapazitäten221; sind gar selbst auf Unterstützung von den Zivilisten angewiesen. Auch eine Zusammenarbeit mit internationalen und nationalen Hilfsakteuren ist den Oppositionsgruppen wegen 217 Siehe etwa AI, 10 Years on, S. 6; IDMC/NRC, Global Overview 2012. People Internally Displaced by Conflict and Violence, S. 31; International Commission of Inquiry on Darfur, Rn. 269, 284, 327, 334, 346 ff., 380, 396, 637; Panel of Experts on the Sudan 2013, Rn. 97 f.; A/ HRC/22/44/Add.2, 27. Mai 2013, Rn. 37 f.; so auch darfurische Flüchtlinge während Interviews im Juni und Juli 2013 in Kampala, Uganda, und Juba, Südsudan. 218 IDMC/NRC, Global Overview 2012. People Internally Displaced by Conflict and Violence, S. 31; Panel of Experts on the Sudan 2013, Rn. 103 ff.; UNOCHA (Hrsg.), Sudan. UN and Partners Work Plan 2013, S. 14 f.; S/RES/2113, 30. Juli 2013, Rn. 16; A/HRC/22/44/ Add.2, 27. Mai 2013, Rn. 36. In Folge des IStGH-Haftbefehlerlasses gegen Präsident al-Bashir wurden im März 2009 13 internationale Hilfsorganisationen wegen des Vorwurfs, das internationale Gericht bei seinen Ermittlungen unterstützt zu haben, aus dem Land verwiesen und drei sudanesischen NRO die Zulassung entzogen, Grawert, in: Johannsen et al. (Hrsg.), Friedensgutachten 2011, S. 235 (242). 219 Prunier, Darfur, S. 155. 220 Insbesondere bleiben die JEM, SLM/A-AW und SLM/A-MM als mobile Gruppierungen kaum länger als mehrere Wochen oder Monate an einem Ort. 221 Interviews mit sudanesischen Rebellen, Juni und Juli 2013, Kampala, Uganda, und Juba, Südsudan; berichtet wurde etwa von Rebellenmitgliedern, die selbst zeitweise als Lehrer arbeiten.
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2. Kap.: Der Darfur-Konflikt
der strengen Vorgaben Khartums kaum möglich, verbietet die Regierung, oft unter dem Vorwand mangelnder Sicherheit, IO und NRO doch grundsätzlich ein Tätigwerden in den Rebellengebieten.222 c) Gründe der nichtstaatlichen Gewaltakteure für einen relativ humanen Umgang mit der Zivilbevölkerung Nach der Beziehung zwischen den bewaffneten Oppositionellen und den Zivilisten befragt, antworteten zwei darfurische Flüchtlinge: „It’s a friendship.“223 Der oben beschriebene, relativ humane Umgang der nichtstaatlichen Gewaltakteure mit der Bevölkerung Darfurs, auch den Binnenvertriebenen, lässt sich auf mehrere Ursachen zurück führen. So erhoben die JEM und SLM/A Anfang 2003 ihre Waffen doch gerade gegen den sudanesischen Staat, um die Unterdrückung und Marginalisierung der darfurischen Bevölkerung, ihrer Familien und Freunde, zu beenden, um eine gerechtere Machtund Ressourcenverteilung zu erreichen.224 Die Rebellen setzen sich für die Interessen und Rechte der Menschen ein, begründen und mobilisieren auf diese Weise auch ihre Anhängerschaft. Außerdem besteht für die Aufständischen auf lokaler und nationaler Ebene ein großes Legitimationsbedürfnis, schließlich streben sie die Regierungsübernahme in Khartum an.225 Abdel Wahid: „Tomorrow we gonna rule this country.“ Die SLM/ A-AW, SLM/A-MM und JEM haben eine politische Agenda – die aber (auch) mit Gewalt durchgesetzt werden soll. Auf lange Sicht bedürfen sie der Zustimmung oder doch zumindest Tolerierung der gesamten Bevölkerung: der Afrikaner wie der Araber, der Darfuris wie der übrigen Sudanesen. Und nicht nur das sudanesische Volk, sondern ebenso die internationale Gemeinschaft muss die nichtstaatlichen Gewaltakteure als legitime Repräsentanten Darfurs und des gesamten Sudan akzeptieren.
222 In seinem Bericht über die Binnenvertriebenensituation im Sudan vom Mai 2013 wendet sich der Special Rapporteur on the Human Rights of Internally Displaced Persons auch an die nichtstaatlichen Konfliktparteien: „Take all practical measures to prevent forced displacement and protect and assist IDPs, including by providing safe and unrestricted access to humanitarian actors, and ensuring respect for the rights of IDPs under international human rights law, international humanitarian law, and the Guiding Principles on Internal Displacement. Redouble efforts towards a peaceful political solution to the conflict and durable solutions to displacement“, A/HRC/22/44/Add.2, 27. Mai 2013, Rn. 64. 223 Interviews mit darfurischen Flüchtlingen, 5. Juli 2013, Kampala, Uganda. 224 Dies betonten alle Interviewpartner, also darfurische Flüchtlinge und sudanesische Rebellen, Juni und Juli 2013, Kampala, Uganda, und Juba, Südsudan. 225 Abdel Wahid, 6. Juli 2013, Kampala, Uganda; so auch ein anderer Rebell, Interview vom 5. Juli 2013, Kampala, Uganda.
D. Ausblick
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D. Ausblick Im westsudanesischen Darfur tobt heute ein bellum omnium contra omnes, ein Vielfrontenkrieg. Vorrangig geht es um Macht – innerhalb der eigenen Gruppe, des eigenen Stammes, der Bevölkerung insgesamt – sowie den Zugang zu Ressourcen. Zersplitterungen und Zusammenschlüsse unter den Rebellenbewegungenn sorgen ebenso für Unübersichtlichkeit wie die zunehmenden Stammesfehden. Einige nutzen die entstandenen staatsgewaltoffenen Räume, um, oft straflos, Diebestouren zu unternehmen; die gewöhnliche Kriminalität steigt.226 So gehen in Darfur ein bewaffneter Konflikt, inter-tribale Streitereien und kriminelle Akte fließend ineinander über, bedingen sich gegenseitig. Noch immer leben fast zwei Millionen Menschen in Darfur fern ihrer Heimat, der Großteil von ihnen bereits seit vielen Jahren. An ihre (sichere und freiwillige) Rückkehr ist momentan kaum zu denken. Viele werden sich wohl dauerhaft am Zufluchtsort niederlassen227 und noch lange von fremder Hilfe abhängig sein. Die Situation der Zivilbevölkerung hat sich seit der VN-Aussage 2004, es handele sich in Darfur um „the worlds worst humanitarian crisis“ nicht merklich verbessert. Rückführbar ist dies insbesondere auf die restriktive Politik Sudans gegenüber Hilfsakteuren und die noch immer prekäre Sicherheitssituation in Darfur. Dass die Maßnahmen der Völkerrechtsgemeinschaft, all die Friedensgespräche, -abkommen, -missionen und Sanktionen bisher keine nennenswerte Besserung der Situation brachten, ist nicht verwunderlich, fragt sich doch, wie man in einem Land auf Dauer Frieden und Gerechtigkeit erreichen kann, in dem der amtierende Präsident weiterhin einen Teil seiner Bevölkerung vertreibt, gar vernichtet.228
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UNOCHA (Hrsg.), Sudan. UN and Partners Work Plan 2013, S. 14. UNOCHA (Hrsg.), Sudan. UN and Partners Work Plan 2013, S. 78. Der Fokus bisheriger Bemühungen lag gleichwohl auf der Rückkehr der Vertriebenen. 228 „The Panel believes that the settlement of the Darfur conflict has proved to be dependent on many factors, including: Internal political considerations; The warring parties’ confrontational strategies; The escalation of violence, in particular in Northern Darfur, between armed groups and the Sudanese armed forces; The increasing number of intertribal clashes; The failure to disarm the Janjaweed; The stalled implementation of the Doha Document for Peace in Darfur; Emerging signs indicating potential distrust between the Doha Document signatories; The geographic expansion of the conflict in Southern Kordofan and Blue Nile States, South Sudan, potentially leading to a pan-Sudanese conflict; The regional environment“, Panel of Experts on the Sudan 2013, Rn. 34. 227
Drittes Kapitel
Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure gegenüber Binnenvertriebenen Zwar untersagen weder die VN-Charta noch andere internationale oder regionale Regelwerke die Androhung oder Anwendung von Gewalt durch nichtstaatliche Akteure innerhalb von Staaten als solche, doch enthält das Völkerrecht Regeln zum Schutz ziviler Personen – allgemein und speziell im Rahmen bewaffneter Konflikte.1 Das humanitäre Völkerrecht, die Menschenrechte und das Völkerstrafrecht verbieten willkürliche Vertreibungen. Zudem lösen Verletzungen der genannten Normkomplexe Fluchtbewegungen aus. Endlich enthalten die Normkomplexe Bestimmungen für die Vertriebenen und Rückkehrer. Zunächst ist es Aufgabe eines jeden Staates, für die Einhaltung des internationalen Rechts in seinem Hoheitsbereich zu sorgen. Er muss die Vorschriften selbst achten, seinem Volk Freiheit, Hilfe und Schutz gewähren. Dies umfasst auch die Abwendung, Abstellung und Ahndung von Rechtsverstößen Privater.2 Aber gerade in Konfliktzeiten kommt der Staat seinen Aufgaben nicht immer nach, sei es weil er nicht kann oder nicht will. Zur Verhinderung von Schutzlücken sind dann weitere Akteure, hier nichtstaatliche Gewaltakteure, in den Blick zu nehmen. Als Verpflichtete der Menschenrechte, des Kriegsrechts und des Völkerstrafrechts kommen einzelne Gruppenmitglieder, der Gruppenanführer und die Gruppe in Betracht. Ein Blick auf die Teilnehmer, die Art und Weise der Austragung heutiger Konflikte offenbart ein dringendes Bedürfnis für ihre Bindung: Nichtstaatliche Gewaltakteure vertreiben Menschen aus ihrer Heimat und wirken auf die Menschen fern ihrer Heimat ein. Allein das Dasein nichtstaatlicher Gewaltakteure verletzt das staatliche Gewaltmonopol, bringt die Grundmauern des Staates ins Wanken, gar zum Einstürzen. Anarchie ist die Folge. Doch viele Oppositionsbewegungen erheben ihre Waffen gerade für die bzw. einen Teil der Bevölkerung und gegen Willkür- und Gewaltregime.
1 Siehe Zegveld, Accountability of Armed Opposition Groups in International Law, S. 2; vgl. auch Bílková, in: Hum. Rts. & Int’l Legal Discourse 2010, S. 111 (120). 2 Ausführlich zu den Aufgaben des Staates Herzog, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. IV, § 72, S. 81 ff.; und Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. IV, § 73, S. 117 ff.
A. Humanitäres Völkerrecht
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Fraglich ist aber, ob, und wenn ja inwiefern, nichtstaatliche Gewaltakteure überhaupt an Völkerrecht gebunden sind. Schwierigkeiten ergeben sich vor allem, weil sie traditionell weder an der Normentstehung3 noch der Unterzeichnung oder Implementierung menschen- und kriegsrechtlicher Verträge beteiligt sind. Völkerrechtliche Verpflichtungen können aber nicht nur aus den universalen Konventionen, sondern auch aus Gewohnheitsrecht, aus unilateralen Erklärungen und aus bi- bzw. multilateralen Vereinbarungen folgen.
A. Humanitäres Völkerrecht Humanitäres Völkerrecht regelt das Verhalten der einen internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt austragenden Parteien. Anders als das ius ad bellum untersagt es Gewalt nicht, sondern begrenzt sie, ius in bello. Festgelegt werden die Mittel und Methoden der Kampfführung, geschützt die nicht (mehr) an den Feindseligkeiten Beteiligten4, namentlich die Zivilbevölkerung, Verwundete, Kranke, militärische und zivile Gefangene. Menschliches Leid soll gemindert und zivile Schäden sollen weitgehend verhindert werden.5 Das Kriegsrecht versucht eine Balance zwischen militärisch Notwendigem und humanitären Interessen zu schaffen.6 Die Literatur und Praxis sind sich heute über die Bindung bewaffneter Gruppen, also nichtstaatlicher Gewaltakteure, als Teilnehmer interner bewaffneter Konflikte an das humanitäre Völkerrecht weitgehend einig. Der Special Court for Sierra Leone (SCSL) hielt 2004 mit Blick auf den gemeinsamen Art. 3 GK schlicht fest: „[T]here is now no doubt that this article is binding on States and insurgents alike and that insurgents are subject to international humanitarian law.“7
3 Eine Ausnahme stellte die Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law Applicable in Conflicts in Genf 1974 bis 1977 dar. An der Konferenz nahmen elf nichtstaatliche Bewegungen als Beobachter teil: ANC, African National Council of Zimbabwe (ANCZ), National Liberation Front of Angola (FNLA), Mozambique Liberation Front (FRELIMO), PLO, Panafricanist Congress (PAC), MPLA, Seychelles People’s United Party (SPUP), SWAPO, Zimbabwe African National Union (ZANU) und Zimbabwe African People’s Union (ZAPU). Drei Gruppierungen, PLO, PAC und SWAPO, unterzeichneten auch den Final Act of the Diplomatic Conference, Henckaerts, in: College of Europe/ICRC (Hrsg.), Relevance of International Humanitarian Law to Non-State Actors, S. 123 (127 f.). 4 Hierzu Gasser/Melzer, Humanitäres Völkerrecht, S. 3. 5 Gasser/Melzer, Humanitäres Völkerrecht, S. 22. 6 Kellenberger, Humanitäres Völkerrecht, S. 9; siehe auch Doswald-Beck/Vité, in: IRRC 1993, S. 94 ff. 7 SCSL, Prosecutor v. Kallon and Kamara, SCSL-04-15-AR72(E) und SCSL-04-16-AR72 (E), 13. März 2004, Rn. 45; siehe auch SCSL, Prosecutor v. Norman et al., SCSL-04-14-AR72 (E), 31. Mai 2004, Rn. 22.
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3. Kap.: Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure
I. Vertragsrecht Da die hier relevanten Auseinandersetzungen, wie der Darfur-Konflikt, zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Parteien bzw. zwischen Letzteren untereinander ausgetragen werden, kommen als kriegsrechtliche Schutzbestimmungen vor allem der gemeinsame Art. 3 GK und das ZP II in Betracht.8 Internationale und regionale Regelwerke, die wie das ZP Kinderrechtskonvention betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten, die Guiding Principles und die Kampala Convention sowohl kriegs- als auch menschenrechtliche Vorschriften enthalten, werden ausführlich unten im Kapitel B) Menschenrechte behandelt. Obwohl nach dem eindeutigen Wortlaut des Art. 3 GK „jede der am Konflikt beteiligten Parteien“ an die Vorschrift gebunden ist, herrscht Uneinigkeit über die Begründung dieser Bindung, können bewaffnete Gruppe, anders als Staaten, den humanitär völkerrechtlichen Abkommen doch nicht beitreten. 1. Normativer Schutzrahmen In erster Linie haben Art. 3 GK und das ZP II einen humanitären Inhalt; sie dienen vornehmlich dem Schutz der Konfliktbetroffenen. Nur wenige Normen regeln die Kriegsführung als solche. Das humanitäre Völkerrecht verbietet grundsätzlich Vertreibungen ziviler Personen und enthält einige Vorschriften zum Umgang mit den Vertriebenen. Ansonsten adressiert es Binnenflüchtlinge nicht. Aber die Normen zum Schutz der Zivilbevölkerung beugen Fluchtbewegungen vor und gelten für die Binnenvertriebenen. a) Vertreibungsverbot Für nichtinternationale bewaffnete Konflikte untersagt Art. 17 Abs. 1 S. 1 ZP II die Anordnung der Verlegung der Zivilbevölkerung aus Gründen im Zusammenhang mit dem Konflikt9, sofern sie nicht zur Sicherheit der Zivilbevölkerung oder aus zwingenden militärischen Gründen erforderlich ist.10 Trotz des Wortlauts ist aber 8 Zu weiteren im Rahmen interner bewaffneter Konflikte anwendbaren Vorschriften des Kriegsrechts siehe Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 61 ff. 9 Die Verlegung der Zivilbevölkerung etwa wegen Naturkatastrophen oder Epidemien fällt nicht in den Anwendungsbereich des Art. 17 Abs. 1 ZP II, Solf, in: Bothe/Partsch/Solf (Hrsg.), New Rules for Victims of Armed Conflict, Art. 17, S. 692. 10 Im internationalen bewaffneten Konflikt verbietet Art. 49 Abs. 1 GK IV grundsätzlich Einzel- oder Massenverschickungen und Verschleppungen von geschützten Personen aus besetztem Gebiet nach dem Gebiet der Besatzungsmacht oder dem irgendeines anderen besetzten oder unbesetzten Staates. Außerdem darf die Besatzungsmacht nicht Teile ihrer eigenen Zivilbevölkerung in das von ihr besetzte Gebiet verschleppen oder verschicken, Art. 49 Abs. 6 GK IV. Nach Art. 147 GK IV stellen rechtswidrige Verschickungen und Verschleppungen schwere Verletzungen des humanitären Völkerrechts dar. Gemäß Art. 51 Abs. 7 ZP I darf die Bewegung der Zivilbevölkerung oder Einzelner nicht dazu benutzt werden, Kriegshandlungen von bestimmten Punkten oder Gebieten fernzuhalten, oder dahingehend gelenkt werden, mi-
A. Humanitäres Völkerrecht
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eine tatsächliche Vertreibungsanordnung mit Blick auf Resolutionen des Sicherheitsrats und der Generalversammlung sowie im nationalen Recht implementierte Regeln nicht erforderlich.11 Allein freiwillige Wanderbewegungen sind vom Anwendungsbereich ausgenommen.12 Außerdem dürfen Zivilpersonen nicht aus Gründen, die mit dem Konflikt im Zusammenhang stehen, gezwungen werden, ihr (Staats-)Gebiet zu verlassen, Art. 17 Abs. 2 ZP II.13 Dieses Verbot ist absolut, eine Rechtfertigung nach Abs. 1 ist nicht möglich.14 In diesem Punkt weichen das Völkergewohnheitsrecht und Art. 8 Abs. 2 lit. e (viii) IStGH-Statut offensichtlich vom Kriegsvertragsrecht ab. Art. 4 Abs. 3 lit. e) ZP II gestattet schließlich, wenn möglich mit Zustimmung der Eltern oder des sonstigen Sorgeberechtigten, vorübergehende Evakuierungen von Kindern in ein sicheres Gebiet. b) Rechte der Binnenvertriebenen Zunächst verlangt Art. 17 Abs. 1 S. 2 ZP II, dass diejenigen, deren Verlegung notwendig ist, am Aufnahmeort befriedigende Bedingungen hinsichtlich Unterbringung, Hygiene, Gesundheit, Sicherheit und Ernährung vorfinden. Im Übrigen verbietet der gemeinsame Art. 3 GK etwa Angriffe auf das Leben und die Person, namentlich Tötungen, Verstümmelungen, grausame Behandlungen, Folterungen sowie Beeinträchtigungen der persönlichen Würde, namentlich erniedrigende und entwürdigende Behandlungen. Diskriminierungen aufgrund der Rasse, Farbe, Religion, des Glaubens, Geschlechts, der Geburt, des Vermögens oder litärische Ziele vor Angriffen abzuschirmen oder Kriegshandlungen zu decken. Aber Art. 58 lit. a) ZP I besagt, dass sich die Konfliktparteien unbeschadet des Art. 49 GK IV bemühen, die unter ihrer Herrschaft stehende Zivilbevölkerung, einzelne Zivilisten und zivile Objekte aus der Umgebung militärischer Ziele zu entfernen. Letztlich verbietet Art. 78 Abs. 1 ZP I am Konflikt beteiligten Parteien grundsätzlich die Evakuierung von Kindern, die nicht ihre eigenen Staatsangehörigen sind, in ein fremdes Land. Gemäß Art. 85 Abs. 4 lit. a) ZP I gilt die von der Besatzungsmacht durchgeführte Überführung eines Teiles ihrer eigenen Zivilbevölkerung in das von ihr besetzte Gebiet oder die Verschleppung oder Überführung der Gesamtheit oder eines Teiles der Bevölkerung des besetzten Gebiets innerhalb desselben oder aus demselben unter Verletzung des Art. 49 GK IV als schwere Verletzung des ZP I. 11 Ausführlich Willms, in: IRRC 2009, S. 547 (550 ff.). 12 Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 285 f. 13 Art. 17 Abs. 2 ZP II verbietet Vertreibungen der Zivilbevölkerung über die Staatsgrenze hinweg, Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 286; Solf, in: Bothe/ Partsch/Solf (Hrsg.), New Rules for Victims of Armed Conflict, Art. 17, S. 692; ICTY, Prosecutor v. Milosˇevic´, IT-95-16-T, 16. Juni 2004, Rn. 56; siehe auch ICTY, Prosecutor v. Stakic´, IT-97-24-A, 22. März 2006, Rn. 294. Für eine weite Auslegung des Begriffs „territory“ im Sinne des Art. 17 Abs. 2 ZP II Junod, in: Sandoz/Swinarski/Zimmermann (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, S. 1474, Rn. 4859; insbesondere seien auch Fälle umfasst, in denen Aufständische Territorium unter ihrer Kontrolle haben und Menschen hieraus vertreiben. 14 Siehe Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 287 f.
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3. Kap.: Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure
einem anderen ähnlichen Unterscheidungsmerkmal sind nach Art. 3 Abs. 1 S. 1 GK, und darüber hinaus ausdrücklich aufgrund der Sprache, politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft oder Geburt gemäß Art. 2 Abs. 1 ZP II untersagt. Art. 4 ZP II enthält dann grundlegende Garantien für die nicht (mehr) an den Feindseligkeiten Beteiligten. Verboten sind hiernach unter anderem die Vornahme und Anordnung von Angriffen auf das Leben, die Gesundheit und das körperliche oder geistige Wohlbefinden, insbesondere vorsätzliche Tötungen und grausame Behandlungen wie Folter, Verstümmelungen oder jede Art von körperlicher Züchtigung, Beeinträchtigungen der persönlichen Würde, insbesondere entwürdigende und erniedrigende Behandlungen, Vergewaltigungen, Nötigungen zur Prostitution und unzüchtige Handlungen jeder Art sowie Plünderungen. Außerdem soll Kindern die Pflege und Hilfe zuteilwerden, derer sie bedürfen. Und Personen unter 15 Jahren dürfen weder in die regulären Streitkräfte und bewaffneten Gruppen eingegliedert werden noch darf ihnen die Teilnahme an den Feindseligkeiten gestattet werden. Weiter sind in Art. 13, 14 ZP II allgemeine Vorschriften zum Schutz der Zivilbevölkerung vor den Gefahren der Kampfhandlungen und der für die Menschen lebensnotwendigen Objekte niedergelegt. Endlich enthält das Kriegsvölkerrecht Regeln für das Einschreiten von und den Umgang mit humanitärem Hilfspersonal, Art. 3 Abs. 2 S. 2 GK, Art. 9, 11, 18 ZP II. 2. Sudan 1957 trat der Sudan den Genfer Abkommen und 2006, also drei Jahre nach Ausbruch des Darfur-Konflikts, den Zusatzprotokollen von 1977 bei. Auch liegen in Darfur die Anwendungsvoraussetzungen des Art. 3 GK und ZP II vor. 3. Bindung nichtstaatlicher Gewaltakteure a) Unmöglichkeit der Mitgestaltung von und des Beitritts zu Weltordnungsverträgen Ein völkerrechtlicher Vertrag besteht aus mindestens zwei in Bezug aufeinander abgegebene, übereinstimmende Willenserklärungen von Staaten oder anderen vertragsschlussfähigen Völkerrechtspersonen, die auf die Begründung, Änderung oder Aufhebung völkerrechtlicher Beziehungen gerichtet sind.15 Da auf internationaler Ebene eine Instanz fehlt, die für alle Gemeinschaftsmitglieder Recht setzen kann, müssen die Völkerrechtssubjekte dieses selbst erzeugen. Völkerrechtsverträge sind so nicht allein Rechtsgeschäfte zwischen den Parteien, sondern zugleich Völkerrechtsquellen; sie schaffen nicht nur ein Rechtsverhältnis zwischen den Unter15 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, S. 514 f.; Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 43, Rn. 115.
A. Humanitäres Völkerrecht
133
zeichnern, subjektive Rechte und Pflichten, sondern auch Recht im objektiven Sinn.16 Das Recht hat mehrere Funktionen. Eine strenge Einteilung in rechtsgeschäftliche und rechtsetzende Verträge ist unmöglich. So stellt doch jeder völkerrechtliche Vertrag ein Rechtsgeschäft dar und enthält zumindest für die Vertragsparteien rechtsetzende Elemente.17 Aber nicht immer geht es um der internationalen Gemeinschaft allgemein dienende Normen, die Schaffung von Werken, mit denen weltweit oder regional ein übergeordnetes Interesse verfolgt wird, sog. Regelungs- bzw. Weltordnungsverträge wie die Genfer Abkommen mitsamt ihren Protokollen und die Menschenrechtskonventionen.18 Ein numerus clausus der vertragsschlussfähigen Völkerrechtssubjekte besteht nicht. Der Umfang der Handlungsfähigkeit eines jeden Akteurs ist unter Berücksichtigung seiner Rolle und seines Wirkbereichs zu ermitteln.19 Nun basiert das Völkerrecht auf relativ stabilen, souveränen Gebilden, insbesondere Staaten und IO.20 Dann können aber allein diese und nicht auch nur vorrübergehend existierende und zumindest national rechtswidrige Gruppen wie nichtstaatliche Gewaltakteure Völkerrecht in Form von Regelungsverträgen mitgestalten21 und diesen beitreten. Schließlich geht es hier um die Schaffung allgemeiner und durabeler Ordnungsregime. Eine formelle Rolle bewaffneter Oppositionsbewegungen im internationalen Normsetzungs- und Normbeitretungsverfahren würde von den souveränen Staaten auch kaum akzeptiert, ginge hiermit doch zumindest faktisch eine Aufwertung der sie bekämpfenden, für sie schlicht als Kriminelle geltenden Verbände einher.22 Außerdem handelt es sich bei den bestehenden Menschen- und Kriegsrechtsabkommen um Verträge im Sinne der WVK23, also Verträge zwischen Staaten, vgl. 16
Hobe, Völkerrecht, S. 182. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, S. 520 f.; Hobe, Völkerrecht, S. 182. 18 Ausführlich zu den Regelungs- bzw. Weltordnungsverträgen Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, S. 521 f. 19 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, S. 530; Stein/von Buttlar, Völkerrecht, S. 11, Rn. 29. 20 Vgl. Frowein, Das de facto-Regime im Völkerrecht, S. 4 f. 21 Aber andere nichtstaatliche Akteure wie NRO und (transnationale) Unternehmen nehmen heute bei der Gestaltung multilateraler Völkerrechtsverträge eine wichtige Rolle ein, hierzu International Law Association (ILA), The Sofia Conference 2012, S. 6 ff. Gleichwohl können auch sie den Abkommen nicht formell beitreten. Zu den Beteiligungsmöglichkeiten auch nichtstaatlicher Gewaltakteure am Normsetzungsverfahren von Regelungsverträgen Roberts/Sivakumaran, in: Yale J. Int’l L. 2012, S. 107 (146). 22 Vgl. Roberts/Sivakumaran, in: Yale J. Int’l L. 2012, S. 107 (insbes. 132 ff.). 23 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (WVK) vom 23. Mai 1969, in Kraft getreten am 27. Januar 1980, BGBl. 1985 II 926, UNTS Vol. 1155, 331. 17
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3. Kap.: Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure
Art. 1 WVK. Siehe auch Art. 48 IPbpR und Art. 26 IPwskR24, die die möglichen Vertragsparteien der Menschenrechtspakte benennen.25 Entsprechend ist das gesamte Menschen- und Kriegsrechtsvertragsregime auf Staaten ausgerichtet. Wenn nichtstaatliche Gewaltakteure internationale und regionale Weltordnungsverträge folglich weder mitformulieren noch ihnen beitreten können26, schließt dies aber noch nicht allgemein ihre Fähigkeit zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge aus. b) Wortlaut des gemeinsamen Art. 3 Genfer Konventionen Dem Wortlaut des gemeinsamen Art. 3 GK nach ist „jede der am Konflikt beteiligten Parteien“ an die Vorschrift gebunden. Diese bzw. fast identische Formulierungen finden sich an weiteren Stellen der Genfer Abkommen. Jedenfalls außerhalb des Art. 3 GK beziehen sie sich allein auf staatliche Konfliktteilnehmer, werden internationale bewaffnete Konflikte, welche Regelungsobjekt der übrigen GK-Normen sind, doch gerade zwischen zwei oder mehreren der Hohen Vertragsparteien, also Staaten, ausgetragen, siehe den gemeinsamen Art. 2 Abs. 1 GK.27 Weitere Unsicherheiten schafft der englische Vertragstext: „In the case of armed conflict not of an international character occurring in the territory of one of the High Contracting Parties, each Party to the conflict […].“
Die Formulierung „each Party“, mit einem großen „P“, könnte allein die „High Contracting Parties“, also Staaten, umfassen. Es könnte lediglich eine Wortwiederholung vermieden werden wollen.28 24
„Art. 48 Abs. 1 und 3 IPbpR (1) Dieser Pakt liegt für alle Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen, für alle Mitglieder einer ihrer Sonderorganisationen, für alle Vertragsstaaten der Satzung des Internationalen Gerichtshofs und für jeden anderen Staat, den die Generalversammlung der Vereinten Nationen einlädt, Vertragspartei dieses Paktes zu werden, zur Unterzeichnung auf. (3) Dieser Pakt liegt für jeden in Absatz 1 bezeichneten Staat zum Beitritt auf“, Hervorhebungen durch die Autorin. Der Wortlaut von Art. 26 Abs. 1 und 3 IPwskR ist identisch. Die Art. 56, 60 GK I, Art. 55, 59 GK II, Art. 136, 139 GK III, Art. 151, 155 GK IV und Art. 22 ZP II in Verbindung mit den GK zur Unterzeichnung der Genfer Abkommen und zum Beitritt zu den Genfer Abkommen sind weniger eindeutig. 25 Hierzu Tomuschat, in: Fischer et al. (Hrsg.), FS Fleck, S. 573 (574). 26 So im Ergebnis auch Rudolf, in: Hum. Rts. & Int’l Legal Discourse 2010, S. 127 (136); Schoiswohl, Status and (Human Rights) Obligations of Non-Recognized De Facto Regimes in International Law, S. 227; Tomuschat, in: Fischer et al. (Hrsg.), FS Fleck, S. 573 (573). Die Gesuche einiger nichtstaatlicher Gruppen den GK (und dem ZP II) formell beizutreten wurden dann auch abgelehnt, Rondeau, in: IRRC 2011, S. 649 (665). Aber Roberts und Sivakumaran: „they [the armed groups] could be given the right to accede to, ratify, or unilaterally accept multilateral treaties“, Roberts/Sivakumaran, in: Yale J. Int’l L. 2012, S. 107 (148). 27 Vgl. Elder, in: Case Western Reserve J. Int’l L. 1979, S. 37 (54); siehe auch Sivakumaran, in: Int’l & Comp. L. Q. 2006, S. 369 (383); zum Wortlaut des Art. 2 Abs. 1 GK oben Fn. 318. 28 Zegveld, Accountability of Armed Opposition Groups in International Law, S. 10, 61.
A. Humanitäres Völkerrecht
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Wenn aber Art. 3 GK von den „am Konflikt beteiligten Parteien“ spricht, sind hiermit logischerweise staatliche wie außerstaatliche Verbände gemeint, nehmen doch diese beiden am internen bewaffneten Konflikt teil, machen ihn gerade aus.29 Und der letzte Satz des Art. 3 Abs. 2 GK beschließt, dass die Anwendung der vorherstehenden Bestimmungen „shall not affect the legal status of the Parties to the conflict.“ Der Begriff „Parties“, ebenfalls mit einem großen „P“, macht hier aber nur Sinn, wenn er sich auf nichtstaatliche Gruppen bezieht, ist doch die Rechtsstellung des staatlichen Akteurs unproblematisch.30 Damit richtet sich Art. 3 GK ausdrücklich an sämtliche Teilnehmer nichtinternationaler bewaffneter Konflikte, also staatliche wie substaatliche Parteien. Dies erklärt aber noch nicht die Bindung bewaffneter Gruppen an diese Vorschrift (und das ZP II). c) Bindung nach dem Prinzip der legislative jurisdiction aa) Das Prinzip der legislative jurisdiction Allgemein beschreibt das Prinzip der legislative jurisdiction die Kompetenz des Staates, seine Bürger bindendes Recht zu setzen.31 So wird dann vertreten, dass bewaffnete Gruppen(mitglieder) als Einwohner des Staates, innerhalb dessen Hoheitsbereichs und gegen den sie kämpfen, an die von diesem Staat ratifizierten völkerrechtlichen Verträge gebunden sind, weil sie „subject to the state’s law“32 sind.33 Die internationalen Abkommen verpflichten dann nicht nur die Staatsgewalten, sondern durch diese alle Staatsangehörigen, also alle natürlichen Personen und Personengesamtheiten34 ; ganz gleich, wie sie zur aktuellen Regierung35 und den Regelwerken stehen. 29
Sivakumaran, in: Int’l & Comp. L. Q. 2006, S. 369 (383). Sivakumaran, in: Int’l & Comp. L. Q. 2006, S. 369 (383). 31 Elder, in: Case Western Reserve J. Int’l L. 1979, S. 37 (55); Sivakumaran, in: Int’l & Comp. L. Q. 2006, S. 369 (381). 32 Henckaerts, in: College of Europe/ICRC (Hrsg.), Relevance of International Humanitarian Law to Non-State Actors, S. 123 (126). 33 So etwa de Beco, in: HuV 2005, S. 190 (191); Greenspan, The Modern Law of Land Warfare, S. 623 f.; Junod, in: Sandoz/Swinarski/Zimmermann (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, S. 1347, Rn. 4444; Lysaght, in: Am. U. L. Rev. 1983, S. 9 (12); Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 240 ff.; ders., in: Int’l & Comp. L. Q. 2006, S. 369 (381 ff.); A/ 7720, 20. November 1969, Rn. 171; vgl. auch Baxter, in: Moore (Hrsg.), Law and Civil War in the Modern World, S. 518 (527); Elder, in: Case Western Reserve J. Int’l L. 1979, S. 37 (55). Dieser Erklärungsverusch geht noch auf den griechischen Vertreter bei den Vertragsverhandlungen zu den Genfer Abkommen zurück: „Insurgents and even bandits were obviously nationals of some State, and where thereby bound by the obligations undertaken by the latter“, Final Records of the Diplomatic Conference of Geneva 1949, Vol. II-B, S. 94. 34 Sivakumaran, in: Int’l & Comp. L. Q. 2006, S. 369 (382). 35 Greenspan, The Modern Law of Land Warfare, S. 623 f.; Lysaght, in: Am. U. L. Rev. 1983, S. 9 (12). 30
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3. Kap.: Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure
Die legislative jurisdiction geht von einem hierarchischen System, einem ÜberUnterordnungsverhältnis auch zwischen Staat und nichtstaatlichen Gewaltakteuren aus.36 Bewaffnete Gruppen sind hier der Staatsmacht, die die Rechte und Pflichten allein, „von oben“, bestimmt, nachgeordnet. bb) Würdigung (1) Keine Zustimmung der nichtstaatlichen Gewaltakteure erforderlich Vorteil dieser Auffassung ist offenbar, dass alle Verbände an die kriegsrechtlichen Regeln gebunden sind, wenn nur der Staat, auf dessem Territorium die Kämpfe stattfinden, die entsprechenden Völkerrechtsverträge ratifiziert hat.37 Einer Zustimmung der bewaffneten Gruppe bedarf es nicht. Während die Genfer Abkommen nahezu universell gelten (195 Unterzeichnerstaaten), traten dem ZP II bisher immerhin 167 Staaten bei.38 (2) Bindung durch nationales Recht Kritisiert wird allerdings, dass die legislative jurisdiction-Theorie das Problem auf der falschen Ebene löst. In Frage stehe doch nicht, ob bewaffnete Gruppen Gegenstand nationalen Rechts sind, sondern ihr Stand im Völkerrecht39, genauer: ob sie unmittelbar an das humanitäre Völkerrecht gebunden sind.40 Es macht auch einen Unterschied, ob jemand Berechtigter und Verpflichteter des internationalen oder des nationalen Rechts ist.41 So sind Oppositionsbewegungen eher zur Einhaltung internationaler denn zur Einhaltung nationaler Regeln bereit.42 Schließlich richtet sich ihr Kampf regelmäßig gegen die heimatlichen Staatsgewalten. Während nationale Normen, selbst wenn sie ihren Ursprung im Völkerrecht haben, immer auf den sie erlassenden Staat zurück gehen, können internationale Normen der Völkerrechts- oder doch zumindest der Staatengemeinschaft zugeordnet werden.43 Das Völkerrecht ist nicht mit nationalen Befindlichkeiten behaftet. Heute besteht ein allgemeiner Konsens über die inter-
36 37
(393). 38 39
(446). 40
Sivakumaran, in: Int’l & Comp. L. Q. 2006, S. 369 (393 f.). Kleffner, in: IRRC 2011, S. 443 (445); Sivakumaran, in: Int’l & Comp. L. Q. 2006, S. 369 ICRC, Treaties and States Parties to Such Treaties. Cassese, in: Int’l & Comp. L. Q. 1981, S. 416 (429); Kleffner, in: IRRC 2011, S. 443
Vgl. Bellal/Giacca/Casey-Maslen, in: IRRC 2011, S. 47 (55 f.). Siehe Moir, The Law of Internal Armed Conflict, S. 54. 42 Bangerter, in: IRRC 2011, S. 353 (367); Clapham, Human Rights Obligations of NonState Actors, S. 288; Moir, The Law of Internal Armed Conflict, S. 54; International Council on Human Rights Policy, Ends & Means, S. 59. 43 International Council on Human Rights Policy, Ends & Means, S. 59. 41
A. Humanitäres Völkerrecht
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nationalen Humanitätsstandards.44 Dies auch außerhalb der Staatenwelt, wie zahlreiche, auch Kriegsvölkerrecht beinhaltende, Selbstverpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure zeigen.45 Ähnliche Erklärungen oder Abkommen mit Bezug auf nationales Recht existieren nicht. Jeder Staat bestimmt selbst über die Wirkung des Völkerrechts innerhalb seines Hoheitsbereichs.46 Probleme können sich dann in Staaten ergeben, in denen Völkerrechtsvorschriften nicht automatisch Anwendung finden, sondern zunächst einer Transformation in nationales Recht bedürfen. Die Umsetzung wird hinausgezögert, Aussagen werden verwässert oder gehen „verloren.“47 Möglicherweise erklären bewaffnete Gruppen die vorgefundene Rechtsordnung in von ihnen besetzten Gebieten gar für null und nichtig.48 Sivakumaran tut diese Bedenken ab, indem er darauf hinweist, dass bestimmte Abkommen, wie die des humanitären Völkerrechts, dem Einzelnen bereits mittels Ratifikation durch den Heimatstaat direkt auf internationaler Ebene Rechte und Pflichten auferlegen, gleich ob sie schon in das nationale Recht aufgenommen sind.49
44
International Council on Human Rights Policy, Ends & Means, S. 60. Siehe Sivakumaran, in: Int’l & Comp. L. Q. 2006, S. 369 (386 ff.). 46 Völkerrechtsvorschriften werden je nach Vorgabe des nationalen Rechts, das das Verhältnis zum Völkerrecht bestimmt, auf dreierlei Wegen im Staat anwendbar. Zunächst können die internationalen Regeln in nationales Recht transformiert werden. Hierbei nimmt der Staat das Völkerrecht mittels innerstaatlichem Normsetzungsakt in das nationale Recht auf. Das Ergebnis ist eine nationale Vorschrift. Zudem werden die Bestimmungen des Völkerrechts in nationales Recht inkorporiert. Dies geschieht, indem ein nationaler Anwendungsbefehl internationale Normen insgesamt oder bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen für anwendbar erklärt. Hier erlangt das Völkerrecht unmittelbar Geltung im nationalen Rechtsraum; der Völkerrechtscharakter des inkorporierten Rechts bleibt erhalten. Letztlich kommt internationales Recht nach der Lehre vom Vollzug durch einen innerstaatlichen Anwendungsbefehl, der die Anwendung der völkerrechtlichen Normen dem nationalen Rechtsanwender auferlegt, auf nationaler Ebene zur Wirkung. Auch hier bleibt der völkerrechtliche Charakter der Norm erhalten. Zum Ganzen Kunig, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 80 f., Rn. 38 ff.; Partsch, Die Anwendung des Völkerrechts im innerstaatlichen Recht, S. 18 ff. 47 Siehe Sivakumaran, in: Int’l & Comp. L. Q. 2006, S. 369 (384); vgl. auch Kleffner, in: IRRC 2011, S. 443 (446 f.); Meron, Human Rights in Internal Strife, S. 39. 48 Cassese, in: Int’l & Comp. L. Q. 1981, S. 416 (429 f.); La Haye, War Crimes in International Armed Conflicts, S. 120; Moir, The Law of Internal Armed Conflict, S. 54. 49 Sivakumaran, in: Int’l & Comp. L. Q. 2006, S. 369 (384 f.). Sivakumaran spricht dann heute auch nicht mehr von legislative jurisdiction, Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 241, Fn. 43. Zur unmittelbaren Bindung des Einzelnen an völkerrechtliche Rechte und Pflichten siehe auch Meron, Human Rights in Internal Strife, S. 34; StIGH, Jurisdiction of the Courts of Danzig, 3. März 1928, PCIJ, Series B, Advisory Opinion No. 15, Rn. 37. 45
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3. Kap.: Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure
(3) Keine hierarchische Struktur zwischen Staaten und nichtstaatlichen Gewaltakteuren Auch die dieser Theorie zugrundeliegende hierarchische Struktur passt nicht auf das tatsächliche Verhältnis zwischen Staaten und bewaffneten Gruppen.50 Bewaffnete Gruppen besitzen ein gewisses Maß an Organisation, häufig Kontrolle über Staatsgebiet und damit die dort lebende Bevölkerung. Sie haben eine Machtposition inne, sind selbst eher Regierende denn normale Bürger. cc) Sudan Die sudanesische INC trifft zwar keine allgemeine Aussage über das Verhältnis von Völkerrecht und nationalem Recht, in Art. 27 Abs. 3 INC heißt es aber: „All rights and freedoms enshrined in international human rights treaties, covenants and instruments ratified by the Republic of the Sudan shall be an integral part of this Bill.“51
Die vom Sudan ratifizierten Menschenrechtsverträge finden hiernach direkt Anwendung auf nationaler Ebene und besitzen Verfassungsrang. Man könnte nun annehmen, dies müsse erst Recht für das Kriegsvölkerrecht, als einer humanitäre Standards beinhaltenden und dem Schutz fundamentaler Rechte dienenden Rechtsordnung gelten.52 Dann wären die Rebellengruppen(mitglieder) als sudanesische Staatsbürger durch Art. 27 Abs. 3 INC an den gemeinsamen Art. 3 GK und das ZP II gebunden. d) Bindung kraft der Regeln Verträge Dritte betreffend aa) Anwendbarkeit der Regeln Verträge Dritte betreffend auf nichtstaatliche Gewaltakteure Grundsätzlich berechtigt und verpflichtet ein Vertrag allein seine Parteien: Pacta tertiis nec nocent nec prosunt. Nur ausnahmsweise ist eine Bindung Dritter möglich,
50 Kleffner, in: IRRC 2011, S. 443 (446); Zegveld, Accountability of Armed Opposition Groups in International Law, S. 16; siehe auch Sivakumaran, in: Int’l & Comp. L. Q. 2006, S. 369 (393 f.). 51 Die Völkerrechtsfreundlichkeit dieser Regel ist nur unter Einbeziehung der INC-Entstehungsgeschichte zu verstehen. Die Übergangsverfassung kam im Rahmen der Beilegung des Zweiten Sudanesischen Bürgerkriegs mit internationaler Unterstützung zustande. Abzuwarten bleibt, ob die künftige Verfassung des Sudan eine Norm gleichen oder ähnlichen Inhalts enthalten wird. Unklar ist auch, wie Widersprüche zwischen nationalem (Verfassungs-)Recht und Völkerrecht zu behandeln sind. 52 So auch Gruss, Max-Planck-Stiftung für Internationalen Frieden und Rechtsstaatlichkeit, Telefonat am 15. März 2013.
A. Humanitäres Völkerrecht
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siehe Art. 34 – 36 WVK53 und die annähernd wortgleichen Art. 34 – 36 WVKIO.54 Hiernach können aber nur Staaten und IO von Verträgen betroffene Dritte sein. Problematisch ist vorliegend aber gerade die Einbeziehung nichtstaatlicher Gewaltakteure als Dritte.55 Die den Abkommen zugrundeliegenden völkergewohnheitsrechtlichen Regeln Verträge Dritte betreffend56 erkennen aber über Staaten und IO hinaus weitere internationale Rechtspersönlichkeiten wie bewaffnete Gruppen als Dritte an.57 Das Kriegsvölkerrecht enthält Rechte und Pflichten, sodass eine Bindung nichtstaatlicher Gewaltakteure hieran voraussetzt, dass die Vertragsparteien eine solche intendierten und die betroffenen Dritten diese annehmen, vgl. Art. 35, 36 WVK.
53
„Art. 34 WVK Ein Vertrag begründet für einen Drittstaat ohne dessen Zustimmung weder Pflichten noch Rechte.“ Außnahmen hiervon enthalten die folgenden Vorschriften: „Art. 35 WVK Ein Drittstaat wird durch eine Vertragsbestimmung verpflichtet, wenn die Vertragsparteien beabsichtigen, durch die Vertragsbestimmung eine Verpflichtung zu begründen, und den Drittstaat diese Verpflichtung ausdrücklich in Schriftform annimmt.“ Es geht hier nicht um faktische Belastungen für Drittstaaten, sondern die Auferlegung rechtlicher Verpflichtungen, Doehring, Völkerrecht, S. 154 f., Rn. 347; siehe auch Proelss, in: Dörr/ Schmalenbach (Hrsg.), Vienne Convention on the Law of Treaties, A Commentary, Art. 34, S. 612 ff., Rn. 13 ff. „Art. 36 Abs. 1 WVK (1) Ein Drittstaat wird durch eine Vertragsbestimmung berechtigt, wenn die Vertragsparteien beabsichtigen, durch die Vertragsbestimmung dem Drittstaat oder einer Staatengruppe, zu der er gehört, oder allen Staaten ein Recht einzuräumen, und der Drittstaat dem zustimmt. Sofern der Vertrag nichts anderes vorsieht, wird die Zustimmung vermutet, solange nicht das Gegenteil erkennbar wird.“ 54 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen oder zwischen internationalen Organisationen (WVKIO) vom 21. März 1986, BGBl. 1990 II 1414, ILM 25 (1986) 543. Mangels ausreichend Ratifizierungen ist das Abkommen bisher noch nicht in Kraft. 55 Die Einbeziehung nichtstaatlicher Gewaltakteure als Dritte annehmend Bothe, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 658 f., Rn. 123; Cassese, in: Int’l & Comp. L. Q. 1981, S. 416 (423 ff.); die Einbeziehung nichtstaatlicher Gewaltakteure als Dritte zumindest für das ZP II annehmend Moir, The Law of Internal Armed Conflict, S. 97 ff.; zu Art. 3 GK siehe dies., The Law of Internal Armed Conflict, S. 52 f. 56 Den völkergewohnheitsrechtlichen Charakter der Regeln Verträge Dritte betreffend annehmend Daase, in: Hasse/Müller/Schneider (Hrsg.), Humanitäres Völkerrecht, S. 132 (155); zumindest den völkergewohnheitsrechtlichen Charakter des Art. 34 WVK annehmend Proelss, in: Dörr/Schmalenbach (Hrsg.), Vienna Convention on the Law of Treaties, Art. 34, S. 607, Rn. 4; kritisch aber Sivakumaran, in: Int’l & Comp. L. Q. 2006, S. 369 (377). 57 Siehe Cassese, in: Int’l & Comp. L. Q. 1981, S. 416 (423); so auch Moir, The Law of Internal Armed Conflict, S. 52 f.; vgl. auch Ryngaert, in: Noortmann/Ryngaert (Hrsg.), NonState Actor Dynamics in International Law, S. 69 (75).
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3. Kap.: Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure
(1) Intention der Vertragsparteien Hinsichtlich der Verfasserintention kann es nicht auf die während der Vertragsverhandlungen vertretenen Ansichten, sondern allein auf die dem endgültigen Vertragstext zu entnehmende Ansicht ankommen58 ; „a clearer expression of the State parties’ intentions cannot be found than the actual text.“59 Siehe auch Art. 31 Abs. 1 WVK, wonach ein Vertrag nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen ist. Nach dem Wortlaut des gemeinsamen Art. 3 GK sind sämtliche Konfliktparteien, beim nichtinternationalen bewaffneten Konflikt also die staatliche und die nichtstaatliche, an die Norm gebunden. Das vom Wortlaut her weniger eindeutige ZP II weicht hiervon nicht ab, will es Art. 3 GK doch lediglich weiterentwickeln und ergänzen.60 Gemäß Art. 1 Abs. 1 ZP II findet das Protokoll auch erst Anwendung, sobald die bewaffnete Gruppe es anzuwenden vermag. Es wäre nun widersinnig, würde man für die Einschlägigkeit des ZP II verlangen, der substaatliche Konfliktteilnehmer müsse zu dessen Anwendung in der Lage sein, ihm dann hieraus aber keine Rechte einzuräumen und Pflichten aufzuerlegen.61 Der von einigen weiter zur Bejahung der intendierten Bindung bewaffneter Gruppen auch an das ZP II angeführte Verweis auf Art. 6 Abs. 5 ZP II62 überzeugt indes nicht. Zweifelsohne bezieht sich die Formulierung „an der Macht befindliche Stellen“ sowohl auf die zum Zeitpunkt des Konfliktausbruchs an der Macht befindliche Regierung, als auch den dann erfolgreichen Oppositionsverband. Anderes würde bedeuten, die staatliche Partei gewinne stets.63 Doch kann man hieraus kaum ableiten, dass die außerstaatliche Gruppierung schon vor Erlangung der Staatsmacht, also von Beginn der Kämpfe an, an die Vorschriften des ZP II gebunden sein soll.64 Insgesamt ist aber dem gemeinsamen Art. 3 GK und dem ZP II die Intention zur Verplichtung bewaffneter Gruppen als den Verträgen als Dritte gegenüberstehende Parteien zu entnehmen. 58 Cassese, in: Int’l & Comp. L. Q. 1981, S. 416 (424); Sivakumaran, in: Int’l & Comp. L. Q. 2006, S. 369 (378); siehe auch Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 47, Rn. 123. Zu den Vertragsverhandlungen und den unterschiedlichen Ansichten die dort bzgl. der Bindung bewaffneter Gruppen vertreten wurden Cassese, in: Int’l & Comp. L. Q. 1981, S. 416 (420 ff.). 59 Moir, The Law of Internal Armed Conflict, S. 53. 60 Cassese, in: Int’l & Comp. L. Q. 1981, S. 416 (424); vgl. auch Junod, in: Sandoz/ Swinarski/Zimmermann (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, S. 1324, Rn. 4359. 61 Cassese, in: Int’l & Comp. L. Q. 1981, S. 416 (424 f.); Moir, The Law of Internal Armed Conflict, S. 97 f. 62 Zum Wortlaut des Art. 6 Abs. 5 ZP II oben Fn. 367. 63 Moir, The Law of Internal Armed Conflict, S. 99. 64 So aber Cassese, in: Int’l & Comp. L. Q. 1981, S. 416 (427); Moir, The Law of Internal Armed Conflict, S. 99.
A. Humanitäres Völkerrecht
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(2) Annahme der nichtstaatlichen Gewaltakteure Außerdem müssen die nichtstaatlichen Gewaltakteure als betroffene Dritte die Bindung annehmen. Bei den ihnen aus den Verträgen zukommenden Rechten wird dies wiederlegbar vermutet, vgl. Art. 36 Abs. 1 S. 2 WVR. Verpflichtungen muss gemäß Art. 35 WVK schriftlich zugestimmt werden, verlangen sie dem Betroffenen doch ein bestimmtes Tun oder Unterlassen ab. Doch könnte das Schriftformerfordernis nie in Gewohnheitsrecht erwachsen sein oder sich eine gewohnheitsrechtliche Regelung dahingehend entwickelt haben, dass ein mündliches Einverständnis oder gar ein konkludentes Verhalten genügt.65 Dann wäre eine Annahme etwa durch schriftliche unilaterale Erklärungen oder Vereinbarungen mit der amtierenden Regierung, Drittstaaten, IO, NRO und vor allem dem IKRK, mündliche Bekundungen oder schlicht die Einhaltung der Vorschriften möglich.66 bb) Würdigung Nur im Einzelfall sind nach den Regeln Verträge Dritte betreffend nichtstaatliche Gewaltakteure an das Kriegsvölkerrecht gebunden: Wenn die Gruppe hiermit einverstanden ist und ihr Einverständnis auch zum Ausdruck bringt. Aber möglicherweise ist die Gruppe nie einverstanden bzw. tut dies nie, erst in einem fortgeschrittenen Stadium des Konflikts oder nur bzgl. einiger Bestimmungen kund.67 Wer nun meint, dieser offensichtliche Makel der Theorie sei zu vernachlässigen, da eine Vorschrift ohnehin nur eingehalten werde, wenn der Verpflichtete ihr zustimmt68, verkennt, dass es bei der Frage nach den Rechten und Pflichten von Personen(gesamtheiten) nicht so sehr darauf ankommen kann, ob diese auch zur Normwahrung bereit sind. Wichtiger ist die tatsächliche Möglichkeit zur Rechtsbefolgung. Beispielhaft sei nur auf das Strafrecht verwiesen. cc) Sudan Im Sudan erklärten sich die JEM und SLM/A (mehrfach) zur Einhaltung des humanitären Völkerrechts bzw. einiger kriegsrechtlicher Regeln bereit. Erst 2012 integrierte die Rebellenkoalition SRF die GK mitsamt ihren Zusatzprotokollen in ihr Statute SRF. Mithin liegen hier ausdrückliche, auch schriftliche Zustimmungen vor. Nach den Regeln Verträge Dritte betreffend sind die Aufständischen an das Kriegsrecht gebunden. 65 Proelss, in: Dörr/Schmalenbach (Hrsg.), Vienna Convention on the Law of Treaties, Art. 35, S. 653, Rn. 19; Sivakumaran, in: Int’l & Comp. L. Q. 2006, S. 369 (379); anders aber ICTY, Prosecutor v. Blasˇkic´, IT-95-14-A, 29. Oktober 1997, Rn. 26. 66 Vgl. Cassese, in: Int’l & Comp. L. Q. 1981, S. 416 (427); Moir, The Law of Internal Armed Conflict, S. 99. 67 Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 240; ders., in: Int’l & Comp. L. Q. 2006, S. 369 (378 f., 392 f.). 68 So Bothe, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 658, Rn. 123.
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3. Kap.: Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure
e) Bindung kraft Regierungsübernahme, Sezession oder der Ausübung von de facto-Herrschaft aa) Regierungsübernahme Besiegen nichtstaatliche Gewaltakteure die Staatsmacht, stellen sie fortan die Regierung. Unberührt hiervon bleibt der Staat als solches69, also das aus Staatsgewalt, -volk und -gebiet bestehende Gebilde. Die Regierung ist Teil der Exekutive und damit Teil der Staatsgewalt. Als neue Regierung ist die ehemals bewaffnete Gruppe an alle von den Vorgängerregierungen geschlossenen völkerrechtlichen Abkommen gebunden. Nach dem Kontinuitätsprinzip gilt nämlich, dass ein Vertrag den Staat als solchen, und damit nicht nur die bei seinem Abschluss an der Macht befindliche, sondern auch die folgenden Regierungen bindet.70 Ganz gleich, wie diese Staatsherrschaft erlangen und zu den Vereinbarungen stehen.71 Gleichwohl kann sich die neue Regierung jederzeit von den Verträgen lösen. Jedenfalls hat sich der dann Staatsgewalt ausübende Verband für sein Verhalten vor der Machterlangung zu verantworten72 ; siehe Art. 10 Abs. 1 Regeln über die Verantwortlichkeit der Staaten für völkerrechtswidrige Handlungen: „Das Verhalten einer aufständischen Bewegung, die zur neuen Regierung eines Staates wird, ist als Handlung des Staates im Sinne des Völkerrechts zu werten.“73
69 Doehring, Völkerrecht, S. 416, Rn. 947; Moir, The Law of Internal Armed Conflict, S. 55; vgl. Epping, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 148, Rn. 198. 70 Sivakumaran, in: Int’l & Comp. L. Q. 2006, S. 369 (379). 71 Schindler, in: Recueil des Cours 1979 II, S. 121 (151); Sivakumaran, in: Int’l & Comp. L. Q. 2006, S. 369 (379). 72 Matas, in: Manitoba L. J. 1997, S. 621 (629); Moir, The Law of Internal Armed Conflict, S. 55. 73 Die Regeln über die Verantwortlichkeit der Staaten für völkerrechtswidrige Handlungen wurden von der International Law Commission (ILC) entworfen und 2001 von der VN-Generalversammlung angenommen, A/RES/56/83, 28. Januar 2002. Da es aber bisher nicht zum Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrags kam, sind die Regeln weiterhin rechtlich unverbindlich. Doch geben sie größtenteils Völkergewohnheitsrecht wieder, Ryngaert, in: Revue Belge de Droit International 2008, S. 355 (360). Einschränkend heißt es in der Kommentierung zu den Regeln über die Verantwortlichkeit der Staaten für völkerrechtswidrige Handlungen: „However, the rule in paragraph 1 should not be pressed too far in the case of Governments of national reconciliation, formed following an agreement between the existing authorities and the leaders of an insurrectional movement. The State should not be made responsible for the conduct of a violent opposition movement merely because, in the interest of an overall peace settlement, elements of the opposition are drawn into a reconstructed Government. Thus, the criterion of application of paragraph 1 is that of a real and substantial continuity between the former insurrectional movement and the new Government it has succeeded in forming“, ILC, in: Yb. ILC, 2001, Vol. II, Part Two, S. 20 (51); kritisch hierzu d’Aspremont, in: Int’l & Comp. L. Q. 2009, S. 427 (436 f.).
A. Humanitäres Völkerrecht
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Das Betragen der Aufständischen74 wird, sobald sie an die Regierung kommen, rückwirkend dem Staat zugerechnet. Man behandelt die Gruppe, als wäre sie schon zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung an der Macht gewesen.75 Tabula rasa ist ausgeschlossen. Pflichten folgen dann aus dem humanitären Völkerrecht und anderen internationalen Vertragswerken.76 bb) Sezession Bei einer Sezession, also der Abspaltung eines Gebiets von einem künftig als Rumpf fortexistierenden Staat und der Etablierung eines oder mehrerer neuer souveräner Staaten77, ist die Weitergeltung völkerrechtlicher Verträge des Schrumpfstaates im neuen Staat umstritten. Man könnte hier entsprechend der Art. 34 ff. WKSV78, die nicht zwischen Sezession und Dismembration, also der Auflösung eines Staats und der Bildung mindestens zweier neuer Staaten79, unterscheiden, eine Weitergeltung der Verträge annehmen.80 Bei der Sezession besteht hierfür aber, anders als bei der Dismembration, gar kein Bedürfnis, da der Vorgängerstaat als ursprünglicher Vertragspartner bestehen bleibt. Es geht lediglich darum, ob ein weiterer Berechtigter und Verpflichteter, der neue Staat, hinzukommt. Insofern divergieren die Fälle.81 Jedenfalls wirkt sich die Staatensukzession nicht auf radizierte, also Gebietsnutzungs- und gebietsbezogene Verträge aus.82 Ferner werden Regelungsverträge wie die Menschen- und Kriegsrechtsabkommen zunehmend zumindest für eine 74 Der englische Text spricht von „insurrectional movement.“ Man kann sich hier an den Anforderungen für bewaffnete Gruppen im Sinne des ZP II orientieren, ILC, in: Yb. ILC, 2001, Vol. II, Part Two, S. 20 (51). 75 d’Aspremont, in: Int’l & Comp. L. Q. 2009, S. 427 (429); Clapham, Human Rights Obligations of Non-State Actors, S. 285. 76 Clapham, Human Rights Obligations of Non-State Actors, S. 285; ders., in: IRRC 2006, S. 491 (508); Matas, in: Manitoba L. J. 1997, S. 621 (629 f.); kritisch hinsichtlich der Verantwortung für Verletzungen des gesamten internationalen Rechts Zegveld, Accountability of Armed Opposition Groups in International Law, S. 157. 77 Stein/von Buttlar, Völkerrecht, S. 99, Rn. 314. 78 Wiener Konvention über die Staatennachfolge in Verträge (WKSV) vom 22. August 1978, in Kraft getreten am 6. November 1996, UNTS Vol. 1946, 3. Art. 2 Abs. 1 lit. b) WKSV definiert die Staatennachfolge als „the replacement of one State by another in the responsibility for the international relations of territory.“ Nach Art. 6 WKSV ist aber der Anwendungsbereich des Abkommens auf Sukzessionsfälle beschränkt, die in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht erfolgten. 79 Kau, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 189, Rn. 176. 80 Hierzu Randelzhofer, in: VVDStRL 1990, S. 101 (109). 81 Zum Ganzen siehe Zimmermann, Staatennachfolge in völkerrechtlichen Verträgen, insbesondere S. 20 ff., 66 ff.; zur Staatennachfolge bei Dismembration S. 303 ff; und zur Staatennachfolge bei Fortbestehen eines subjektidentischen Vorgängerstaates S. 369 ff. 82 Stein/von Buttlar, Völkerrecht, S. 110, Rn. 346; vgl. auch Art. 11, 12 WKSV.
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3. Kap.: Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure
Übergangszeit, bis der neue Staat seine Nachfolge in die Verträge oder seinen Rücktritt von den Verträgen erklärt hat, als fortgeltend betrachtet.83 Schließlich enthalten sie die fundamentalsten Regeln. Und die universellen Konventionen betreffen, anders als die überwiegende Zahl bi- und multilateraler Vereinbarungen, nicht einzelne Staatenbeziehungen, sondern allgemeine, die gesamte Völkerrechtsgemeinschaft angehende Themen. Endlich müssen erfolgreiche Gruppen Verantwortung für ihre vor der Staatsgründung als Aufständische begangenen Rechtsverletzungen übernehmen84, siehe Art. 10 Abs. 2 Regeln über die Verantwortlichkeit der Staaten für völkerrechtswidrige Handlungen: „Das Verhalten einer aufständischen oder sonstigen Bewegung, der es gelingt, in einem Teil des Hoheitsgebiets eines bestehenden Staates oder in einem seiner Verwaltung unterstehenden Gebiet einen neuen Staat zu gründen, ist als Handlung des neuen Staates im Sinne des Völkerrechts zu werten.“
cc) De facto-Herrschaft In Weiterführung des Prinzips der Bindung ehemaliger nichtstaatlicher Gewaltakteure an Völkerrechtsverträge des eroberten Staates sobald sie Regierungsmacht erlangen, wird vertreten, dass bewaffnete Gruppen die vom bekämpften Staat ratifizierten Konventionen bereits befolgen müssen, sobald sie innerhalb dessen Hoheitsbereich Gebietskontrolle besitzen und den Staat repräsentieren wollen.85 Es handelt sich hier um de facto-Regime. Ihre Bindung an das Völkerrecht gebiete das Effektivitätsprinzip.86
83
Stein/von Buttlar, Völkerrecht, S. 110, Rn. 346; vgl. Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, Vol. I, S. 222; Zimmermann, Staatennachfolge in völkerrechtlichen Verträgen, S. 543 ff., 578 ff.; E/CN.4/1995/80, 28. November 1994; siehe auch Abs. 5 der Präambel und Art. 1 der Resolution der VN-Menschenrechtskommission zur Succession of States in Respect of International Human Rights Treaties, E/1993/23, E/CN.4/1993/122, 4. März 1993, Rn. 106 f. Der Südsudan, 2011 durch Sezession vom Sudan entstanden, trat jedenfalls bereits im November 2011 dem Übereinkommen über das Verbot des Einsatzes, der Lagerung, der Herstellung und der Weitergabe von Antipersonenminen und über deren Vernichtung (Antipersonenminenübereinkommen) vom 18. September 1997, in Kraft getreten am 1. März 1999, BGBl. 1998 II 779, ILM 36 (1997) 1503, und im Januar 2013 den GK inklusive ihren Zusatzprotokollen bei, ICRC, Treaties and Parties to Such Treaties, South Sudan. 84 Ryngaert/Van de Meulebroucke, in: J. Confl. & Security L. 2011, S. 443 (464). 85 Siehe Matas, in: Manitoba L. J. 1997, S. 621 (629 f.); Moir, The Law of Internal Armed Conflict, S. 55; Sivakumaran, in: Int’l & Comp. L. Q. 2006, S. 369 (379). In der Kommentierung zu den GK heißt es: „If the responsible authority at their head exercise effective sovereignty, it is bound by the very fact that it claims to represent the country, or part of the country“, Pictet, The Geneva Conventions of 12 August 1949, Commentary, III Geneva Convention Relative to the Treatment of Prisoners of War, S. 37; siehe auch Baxter, in: Moore (Hrsg.), Law and Civil War in the Modern World, S. 518 (528); Schindler, in: Recueil des Cours 1979 II, S. 121 (151). 86 Kleffner, in: IRRC 2011, S. 443 (451).
A. Humanitäres Völkerrecht
145
Die Aufständischen werden hier, der Realität nichtinternationaler bewaffneter Konflikte entsprechend, aus ihrer Position als gewöhnliche Bürger in die Position von Mitgliedern eines Seite an Seite mit der (noch) amtierenden Regierung bestehenden Machtverbandes erhoben.87 dd) Würdigung (1) Unterschied zwischen Regierungsübernahme bzw. Sezession und de facto-Herrschaft Gruppierungen, die tatsächlich Staatsmacht erlangen, sei es im ursprünglichen oder in einem neu geschaffenen Staat, sind dann aufgrund ihrer neuen Rolle als Teil der Staatsgewalt und nicht in ihrer Eigenschaft als aufständische Bewegung an das Völkerrecht gebunden.88 Das Prinzip der Staatenverantwortung findet Anwendung. Dies gilt auch für die rückwirkende Zurechnung von vor der Machterlangung begangener Taten. Begründen lässt sich dies wieder mit dem völkerrechtlichen Kontinuitätsgrundsatz. So besteht doch Kontinuität zwischen dem ehemaligen Oppositionsverband und der neuen Regierung.89 Auf nichtstaatliche Gewaltakteure kann aber der Grundsatz der Staatenverantwortung nicht übertragen werden.90 (2) Territorialkontrolle und Wille zur Staatsrepräsentation Nach dieser Theorie ist die substaatliche Konfliktpartei erst und nur an das humanitäre Völkerrecht gebunden, wenn sie tatsächlich Macht über Staatsgebiet ausübt und die Staatsrepräsentation beansprucht. Dies schafft aber nicht jede Truppe.91 Außerdem fordert der gemeinsame Art. 3 GK keine Territorialkontrolle.92 Würde man nun die Bindung nichtstaatlicher Gewaltakteure an das Kriegsrecht von der Gebietsherrschaft abhängig machen, führte man dieses Erfordernis quasi durch die Hintertür ein. Und nicht alle, die tatsächlich Gebietskontrolle ausüben, treten für den 87 Vgl. Kleffner, in: IRRC 2011, S. 443 (452); Zegveld, Accountability of Armed Opposition Groups in International Law, S. 15. 88 Sivakumaran, in: Int’l & Comp. L. Q. 2006, S. 369 (380). 89 „The ruling organization of the insurrectional movement becomes the ruling organization of that State“, ILC, in: Yb. ILC 2001, Vol. II, Part Two, S. 20 (50); vgl. auch Hessbruegge, in: Buffalo Hum. Rts. L. Rev. 2005, S. 21 (64); Ryngaert, in: Revue Belge de Droit International 2008, S. 355 (362). 90 Siehe auch in der Kommentierung zu Art. 10 Regeln über die Verantwortlichkeit der Staaten für völkerrechtswidrige Handlungen: „The topic of the international responsibility of unsuccessful insurrectional or other movements, however, falls outside the scope of the present Articles, which are concerned only with the responsibility of States“, ILC, in: Yb. ILC 2001, Vol. II, Part Two, S. 20 (52). 91 Kleffner, in: IRRC 2011, S. 443 (453); Moir, The Law of Internal Armed Conflict, S. 55 f.; Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 239; Zegveld, Accountability of Armed Opposition Groups in International Law, S. 15. 92 Siehe Bellal/Giacca/Casey-Maslen, in: IRRC 2011, S. 47 (56); Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 239 f.
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3. Kap.: Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure
Staat auf.93 So kommt es letztlich auch hier auf das Einverständnis der bewaffneten Gruppe an. (3) De facto-Herrschaft und humanitäres Völkerrecht Schließlich wird das Argument der Bindung nichtstaatlicher Gewaltakteure an internationales Recht aufgrund der Ausübung von de facto-Herrschaft zunächst zur Begründung menschenrechtlicher Pflichten angeführt, da dann zwischen der Oppositionsbewegung und dem Volk ein ähnliches Über-Unterordnungsverhältnis wie zwischen der Staatsmacht und dem Volk besteht.94 Während aber den Menschenrechten traditionell eine vertikale Struktur derart zugrunde liegt, dass eine Partei, der Bürger, Begünstigter ist und die andere Partei, der Staat, zur Wahrung des Bürgers Freiheiten und Rechten verpflichtet ist, basiert das horizontale Kriegsrecht auf dem Prinzip gleicher Rechte und Pflichten aller Konfliktteilnehmer.95 Die Grundstruktur ist offensichtlich eine andere. ee) Sudan Die JEM, SLM/A-AW und SLM/A-MM üben in den sudanesischen Darfur-Provinzen zwar seit Jahren Kontrolle über wesentliches Staatsterritorium aus, sie verfügen über Räume, in denen sie sich frei bewegen, von denen sie aus Angriffe starten und in die sie sich zurück ziehen können. Aufgrund der Konfliktdynamik ändern sich die rebellenkontrollierten Gebiete aber stets geografisch. So erobern staatliche bzw. staatsnahe Akteure das von den Rebellen eingenommene Land nach einigen Tagen, Wochen oder Monaten zurück. Eine feste Basis würde auch ein leichtes Angriffsziel darstellen. Mobilität ist Teil der Taktik von der JEM, SLM/A-AW und SLM/A-MM. Folglich kann in Darfur kaum von einer stabilen, dauerhaften Herrschaftsgewalt der nichtstaatlichen Gewaltakteure, von einem de facto-Regime, die Rede sein. Anderes mag höchstens für die SLM/A-AW-Hochburg rund um den Dschebel Marra gelten. Zweifelhaft ist zudem, ob die bewaffneten Gruppen in den von ihnen kontrollierten Territorien, wenn auch konkludent, die Staatsrepräsentation beanspruchen. f) Gesamtwürdigung Nichtstaatlichen Gewaltakteuren ist es zumindest momentan nicht möglich, die kriegsrechtlichen Abkommen mitzugestalten und ihnen formell beizutreten. Gleichwohl ist man sich über ihre Bindung an das Kriegsrecht einig. Verschiedene Theorien versuchen dies zu begründen. Die dargestellten Ansichten schließen ein-
93
Kleffner, in: IRRC 2011, S. 443 (453); Moir, The Law of Internal Armed Conflict, S. 55 f.; Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 239; ders., in: Int’l & Comp. L. Q. 2006, S. 369 (380). 94 Siehe Ryngaert, in: Revue Belge de Droit International 2008, S. 355 (358). 95 Siehe Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 85, siehe auch 95.
A. Humanitäres Völkerrecht
147
ander nicht aus, können parallel angewendet werden. Doch besitzt jede Ansicht Schwachpunkte, keine befriedigt gänzlich. Aber bereits das dem humanitären Völkerrecht zugrundeliegende Prinzip gegenseitiger Rechte und Pflichten96 verlangt, dass die sich gegenüber stehenden Kampfparteien, gleich ob sie staatlich oder nichtstaatlich sind, dieselben Regeln befolgen. Auch im Rahmen heutiger asymmetrischer Konflikte gilt Reziprozität. So legt das Kriegsrecht als Anwendungsschwelle für nichtinternationale bewaffnete Konflikte doch gerade eine gewisse Gewaltintensität und Gruppenorganisation fest; Letzteres, weil nur von organisierten Truppen die Einhaltung des humanitären Völkerrechts erwartet und verlangt werden kann. Und nicht nur bewaffnete Gruppen, sondern auch Staaten verstoßen gegen geltendes Recht, wenden etwa Guerillamethoden an. Letztlich gebietet der Geltungsgrund des Kriegsrechts, der Humanitätsgedanke97, dass jeder an den Feindseligkeiten Teilnehmende jedenfalls einen Mindestbestand an Rechten zu wahren hat.98 Da zumindest die Theorie der legislative jurisdiction gänzlich auf eine Zustimmung der bewaffneten Gruppen zu den humanitär völkerrechtlichen Verpflichtungen verzichtet, hängt dann auch die Normeinhaltung von der Begründung der Bindung ab.99 Denn wer sich zu einer Vorschrift bekennt, dies gar ausdrücklich, wird die Vorschrift eher wahren, als derjenige, der kein Einvernehmen kundtut.100
II. Völkergewohnheitsrecht Unabhängig hiervon könnten bewaffnete Gruppen Berechtigte und Verpflichtete der gewohnheitsrechtlich anerkannten Normen des humanitären Völkerrechts sein.101 Ist dies anzunehmen, muss weiter gefragt werden, ob das Verhalten und die Ansichten nichtstaatlicher Gewaltakteure bei der Fortentwicklung des Völkergewohnheitsrechts ebenso unberücksichtigt bleiben müssen, wie die nichtstaatlichen 96 Ausführlich zum Prinzip der Gegenseitigkeit im humanitären Völkerrecht Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 242 ff. 97 „[I]n the context of armed conflicts, considerations of humanity are at the basis of all regulations“, Abi-Saab, in: Warner (Hrsg.), Human Rights and Humanitarian Law, S. 107 (120). 98 Vgl. Greenspan, The Modern Law of Land Warfare, S. 624; Tomuschat, in: Fischer et al. (Hrsg.), FS Fleck, S. 573 (576); siehe auch Abi-Saab, in: Warner (Hrsg.), Human Rights and Humanitarian Law, S. 107 (120). 99 Siehe Sivakumaran, in: Int’l & Comp. L. Q. 2006, S. 369 (370, 394). 100 Baxter, in: Moore (Hrsg.), Law and Civil War in the Modern World, S. 518 (528). 101 Dies annehmend International Commission of Inquiry on Darfur, Rn. 172; Moir, The Law of Internal Armed Conflict, S. 57 f.; SCSL, Prosecutor v. Kallon and Kamara, SCSL2004-15-AR72(E) und SCSL-2004-16-AR72(E), 13. März 2004, Rn. 47; siehe auch SCSL, Prosecutor v. Norman et al., SCSL-04-14-AR72(E), 31. Mai 2004, Rn. 22; vgl. auch Castrén, Civil War, S. 86; Greenspan, The Modern Law of Land Warfare, S. 624; Schindler, in: Recueil des Cours 1979 II, S. 121 (151 f.).
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3. Kap.: Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure
Gewaltakteure keinen Beitrag zur Entstehung der Weltordnungsverträge leisten können. 1. Normativer Schutzrahmen Der gemeinsame Art. 3 GK als humanitärer Mindeststandard zählt unumstritten zum Gewohnheitsrecht102, gilt teilweise gar als zwingende Norm des Völkerrechts.103 Auch für einige Bestimmungen des ZP II wird mittlerweile die Eigenschaft als Völkergewohnheitsrecht angenommen.104 Darüber hinaus sind heute zahlreiche weitere Regeln der Genfer Abkommen und des ZP I im Rahmen interner bewaffneter Konflikte gewohnheitsrechtlich anwendbar. Zunehmend verwischt die Grenze zwischen internationalen und nichtinternationalen bewaffneten Konflikten. Maßgeblich zu dieser Entwicklung trug der, 1993 zur Ahndung der in den Jugoslawienkriegen begangenen Verbrechen vom VN-Sicherheitsrat eingesetzte, ICTY bei. Gemäß Art. 2, 3 ICTY-Statut umfasst die Jurisdiktion des ICTY die Ermittlung, Verfolgung und Verurteilung von Kriegsverbrechen, begangen im internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt. Der nullum crimen sine lege-Grundsatz verlangte aber, dass die Straftatbestände, bevor auf ihrer Grundlage eine individuelle Strafbarkeit begründet werden kann, zunächst als Gewohnheitsrecht auszumachen sind. 105 Bei der Schaffung des ad hoc-Strafgerichts forderte der damalige Generalsekretär Boutros-Ghali, „that the international tribunal should 102 Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 105; IGH, Military and Paramilitary Activities In and Against Nicaragua (Nicaragua v. United States of America), Merits, 27. Juni 1986, ICJ Reports 1986, 14, Rn. 218; ICTY, Prosecutor v. Tadic´, IT-94-1, 2. Oktober 1995, Rn. 102; ICTR, Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T, 2. September 1998, Rn. 608. 103 So Moir, The Law of Internal Armed Conflict, S. 57; und schon 1979 Schindler, in: Recueil des Cours 1979 II, S. 121 (151). 104 Hierzu International Commission of Inquiry on Darfur, Rn. 158; Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 105; ICTY, Prosecutor v. Tadic´, IT-94-1, 2. Oktober 1995, Rn. 117. Jedenfalls seien die Art. 4 Abs. 2, 13 Abs. 2 Teil des Völkergewohnheitsrechts, La Haye, War Crimes in Internal Armed Conflicts, S. 54; Zegveld, Accountability of Armed Opposition Groups in International Law, S. 20 ff.; ICTY, Prosecutor v. Kordic´ and Cˇerkez, IT95-14/2-T, 2. März 1999, Rn. 31; ICTR, Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T, 2. September 1998, Rn. 609 f.; vgl. auch IACHR, OAE/Ser.L/V/II.102, Doc. 9 rev. 1, 26. Februar 1999, Chapter IV, C. 2, Rn. 82. 105 ICTY, Prosecutor v. Tadic´, IT-94-1, 2. Oktober 1995, Rn. 94 ff.; siehe auch Clapham, The Rights and Responsibilities of Armed Non-State Actors, S. 10 f. Der ICTY stützte seine Untersuchungen zum Völkergewohnheitsrecht im Kriegsrecht auf Art. 3 ICTY-Statut, der ihm Gerichtsbarkeit über „Verstöße gegen die Gesetze oder Gebräuche des Krieges“ gibt, siehe ICTY, Prosecutor v. Tadic´, IT-94-1, 2. Oktober 1995, Rn. 86 ff. Diese können im internationalen wie auch im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt begangen werden. Gemäß Art. 2 ICTY-Statut fallen zudem schwere Verletzungen der GK in den Zuständigkeitsbereich des ICTY. Diese Vorschrift ist aber auf internationale bewaffnete Konflikte beschränkt. Nach Art. 4 ICTR-Statut besitzt der ICTR Jurisdiktion über Verstöße gegen den gemeinsamen Art. 3 GK und das ZP II, also im Rahmen nichtinternationaler bewaffneter Konflikte begangene Taten.
A. Humanitäres Völkerrecht
149
apply rules of international humanitarian law which are beyond any doubt part of customary law.“106 Auch die Studie des IKRK zum Gewohnheitsrecht im humanitären Völkerrecht befand, dass ein Großteil der 161 gewohnheitsrechtlich anerkannten Regeln in internationalen wie auch in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten anwendbar ist. a) Vertreibungsverbot Zunächst ist die Anordnung von Vertreibungen innerhalb des Staatsgebiets wie auch über die Staatsgrenze hinaus aus Gründen im Zusammenhang mit dem Konflikt im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt gewohnheitsrechtlich untersagt, es sei denn, sie ist zur Sicherheit der Zivilpersonen oder aus zwingenden militärischen Gründen geboten.107 Anders als nach Art. 17 Abs. 2 ZP II sind Vertreibungen in einen anderen Staat nicht absolut verboten.108 b) Rechte der Binnenvertriebenen Kommt es aber zur Menschenverbringung, sind Maßnahmen zu ergreifen, dass die Betroffenen am Aufnahmeort befriedigende Bedingungen hinsichtlich Unterbringung, Hygiene, Gesundheit, Sicherheit und Ernährung vorfinden und Familienmitglieder nicht voneinander getrennt werden.109 Die Eigentumsrechte der Vertriebenen
106 S/25704, 3. Mai 1993, Rn. 34. Zum Ganzen Meron, in: Am. J. Int’l L. 1996, S. 238 ff.; siehe auch Lange, Der Status der Aufständischen im modernen humanitären Völkerrecht, S. 118 ff.; Moir, The Law of Internal Armed Conflict, S. 133 ff. 107 Regel 129 B Studie des IKRK zum Gewohnheitsrecht im humanitären Völkerrecht. Um möglichst dicht am Wortlaut des Art. 17 Abs. 1 ZP II zu bleiben, greift Regel 129 B Studie des IKRK zum Gewohnheitsrecht im humanitären Völkerrecht auf die Formulierung „Verlegung“ zurück. Die in der Überschrift und den weiteren Regeln verwendeten Begriffe „Vertreibung“ und „vertriebene Personen“ sind weit und erfassen alle in den Regeln 129 und 130 aufgeführten Fälle, Deutsches Rotes Kreuz (DRK), Übersetzung der gewohnheitsrechtlichen Regeln des humanitären Völkerrechts, Fn. 8. Zum gewohnheitsrechtlichen Vertreibungsverbot siehe auch Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Vol. I, S. 459 ff.; IACHR, OAE/Ser.L/V/II.102, Doc. 9 rev. 1, 26. Februar 1999, Chapter IV, C. 2, Rn. 82; VN, Compilation and Analysis of Legal Norms, Part II; die International Commission of Inquiry on Darfur spricht allgemein von „the prohibition on the forcible transfer of civilians“, International Commission of Inquiry on Darfur, Rn. 166 (xiii). 108 So auch Art. 8 Abs. 2 lit. e) (viii) IStGH-Statut. Siehe aber auch Henckaerts/DoswaldBeck, Customary International Humanitarian Law, Vol. I, S. 461: „evacuations may never involve displacement outside the national territory.“ 109 Regel 131 Studie des IKRK zum Gewohnheitsrecht im humanitären Völkerrecht; Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Vol. I, S. 464 ff. Bzgl. des letzten Punkts geht das Völkergewohnheitsrecht gar über Art. 17 Abs. 1 S. 2 ZP II hinaus, siehe aber Art. 4 Abs. 3 lit. b) ZP II.
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3. Kap.: Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure
sind zu respektieren.110 Erst recht muss dies für rechtswidrige Vertreibungen gelten.111 Sobald der Fluchtgrund wegfällt, haben die Menschen ein Recht auf freiwillige und sichere Rückkehr in ihr Heim oder den Ort ihres gewöhnlichen Aufenthalts.112 Ein Recht auf Rückkehr nach vorhergehender unrechtmäßiger Verbringung folgt schon daraus, dass andernfalls der rechtswidrige Zustand dauerhaft aufrecht erhalten würde.113 Außerdem interessieren hier weitere Regeln zum Schutz ziviler Personen; Regeln, die Menschenbewegungen vorbeugen und für die Binnenvertriebenen eine Rolle spielen. Im Einzelnen sind völkergewohnheitsrechtlich untersagt: willkürliche, unterschiedslose und unverhältnismäßige Angriffe auf Zivilpersonen114, zivile Objekte und Gegenstände115, vorsätzliche Tötungen116, körperliche Bestrafungen, Folter und sonstige grausame oder unmenschliche Behandlungen und Beeinträchtigungen der persönlichen Würde, namentlich erniedrigende Behandlungen, Verstümmelungen117 und sexuelle Gewalt wie Vergewaltigungen118, die Rekrutierung von Kindern in die regulären Streitkräfte oder bewaffneten Gruppen sowie die Er110
Regel 133 Studie des IKRK zum Gewohnheitsrecht im humanitären Völkerrecht; Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Vol. I, S. 472 ff. 111 Gillard, in: Refugee Surv. Q. 3/2005, S. 37 (41); vgl. Regel 131 Studie des IKRK zum Gewohnheitsrecht im humanitären Völkerrecht, die allgemein von „Vertreibung“ spricht; kritisch Piotrowicz, in: Wilsmurst/Breau, Perspectives on the ICRC Study on Customary International Law, S. 337 (349). 112 Regel 132 Studie des IKRK zum Gewohnheitsrecht im humanitären Völkerrecht; Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Vol. I, S. 468 ff.; Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 291 f. 113 Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 291. 114 Kapitel I, III-V Studie des IKRK zum Gewohnheitsrecht im humanitären Völkerrecht; Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Vol. I, S. 3 ff., 37 ff.; IACHR, OAE/Ser.L/V/II.102, Doc. 9 rev. 1, 26. Februar 1999, Chapter IV, C. 2, Rn. 82; International Commission of Inquiry on Darfur, Rn. 166 (i)-(iii); ICTY, Prosecutor v. Kordic´ and Cˇerkez, IT-95-14/2-T, 2. März 1999, Rn. 31; ICTY, Prosecutor v. Tadic´, 2. Oktober 1995, IT-941, Rn. 100 ff. 115 Kapitel II-VI und Regel 54 Studie des IKRK zum Gewohnheitsrecht im humanitären Völkerrecht; Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Vol. I, S. 25 ff., 189 ff.; IACHR, OAE/Ser.L/V/II.102, Doc. 9 rev. 1, 26. Februar 1999, Chapter IV, C. 2, Rn. 82; International Commission of Inquiry on Darfur, Rn. 166 (vi) und (x); ICTY, Prosecutor v. Kordic´ and Cˇerkez, IT-95-14/2-T, 2. März 1999, Rn. 31. 116 Regel 89 Studie des IKRK zum Gewohnheitsrecht im humanitären Völkerrecht; Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Vol. I, S. 311 ff.; IACHR, OAE/Ser.L/V/II.102, Doc. 9 rev. 1, 26. Februar 1999, Chapter IV, C. 2, Rn. 82. 117 Regeln 90 – 92 Studie des IKRK zum Gewohnheitsrecht im humanitären Völkerrecht; Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Vol. I, S. 315 ff.; IACHR, OAE/Ser.L/V/II.102, Doc. 9 rev. 1, 26. Februar 1999, Chapter IV, C. 2, Rn. 82; International Commission of Inquiry on Darfur, Rn. 166 (xiv) und (xv). 118 Regel 93 Studie des IKRK zum Gewohnheitsrecht im humanitären Völkerrecht; Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Vol. I, S. 323 ff.; IACHR, OAE/Ser.L/V/II.102, Doc. 9 rev. 1, 26. Februar 1999, Chapter IV, C. 2, Rn. 82; International Commission of Inquiry on Darfur, Rn. 166 (xv).
A. Humanitäres Völkerrecht
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laubnis der Teilnahme von Kindern an den Feindseligkeiten119, die Zerstörung oder Wegnahme gegnerischen Eigentums, sofern diese nicht aus zwingenden militärischen Gründen nötig sind, und Plünderungen.120 Zu schützen und respektieren sind das Sanitäts- und Seelsorgepersonal, medizinische Einheiten und Transportmittel; humanitären Hilfskräften muss schneller und ungehinderter Zugang zu den Bedürftigen gewährt werden.121 Schließlich darf niemand aufgrund seiner Rasse, Hautfarbe, seines Geschlechts, seiner Sprache, Religion oder seines Glaubens, seiner politischen oder sonstigen Anschauungen, nationalen oder sozialen Herkunft, seines Vermögens, seiner Geburt oder sonstigen Stellung oder eines anderen ähnlichen Unterscheidungsmerkmals diskriminiert werden.122 Hierunter fallen dann wohl auch Diskriminierungen allein aufgrund der Vertriebeneneigenschaft. Als Völkergewohnheitsrecht sind die Regeln universell anerkannt, unabhängig vom bekämpften Staat, und besitzen daher unter den bewaffneten Oppositionsbewegungen eine hohe Akzeptanz.123 2. Bindung nichtstaatlicher Gewaltakteure Völkergewohnheitsrecht als Quelle internationalen Rechts gemäß Art. 38 Abs. 1 lit. b) IGH-Statut bindet alle Völkerrechtssubjekte.124 Besitzen nichtstaatliche Gewaltakteure eine gewisse politische und/oder militärische Relevanz, kann ihnen eine zumindest partielle Völkerrechtspersönlichkeit nicht mehr abgesprochen werden. Sie haben sich daher an das Gewohnheitsrecht, als die einen „common standard of
119 Regeln 136 und 137 Studie des IKRK zum Gewohnheitsrecht im humanitären Völkerrecht; Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Vol. I, S. 482 ff.; IACHR, OAE/Ser.L/V/II.102, Doc. 9 rev. 1, 26. Februar 1999, Chapter IV, C. 2, Rn. 82; International Commission of Inquiry on Darfur, Rn. 166 (xxiv). Während die Regeln der Studie des IKRK zum Gewohnheitsrecht im humanitären Völkerrecht keine Altersgrenze festlegen, liegt die der International Commission of Inquiry on Darfur und der IACHR bei 15 Jahren. 120 Regeln 50 und 52 Studie des IKRK zum Gewohnheitsrecht im humanitären Völkerrecht; Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Vol. I, S. 175 ff., 182 ff.; IACHR, OAE/Ser.L/V/II.102, Doc. 9 rev. 1, 26. Februar 1999, Chapter IV, C. 2, Rn. 82; International Commission of Inquiry on Darfur, Rn. 166 (xxii). 121 Regeln 25 – 32, 55, 56 und 109 Studie des IKRK zum Gewohnheitsrecht im humanitären Völkerrecht; Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Vol. I, S. 79 ff., 193 ff., 396; vgl. International Commission of Inquiry on Darfur, Rn. 166 (v). 122 Regel 88 der Studie des IKRK zum Gewohnheitsrecht im humanitären Völkerrecht; Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Vol. I, S. 308 ff. 123 Vgl. Henckaerts, in: College of Europe/ICRC (Hrsg.), Relevance of International Humanitarian Law to Non-State Actors, S. 123 (128); Kleffner, in: IRRC 2011, S. 443 (454). 124 International Commission of Inquiry on Darfur, Rn. 172; Sivakumaran, in: Int’l & Comp. L. Q. 2006, S. 369 (373).
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3. Kap.: Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure
behaviour within the international community“125 darstellenden Normen, zu halten.126 Dies erst Recht, wenn sie die Regierungsbeteiligung, -übernahme oder Schaffung eines neuen Staates anstreben.127 Wer auf der internationalen Bühne spielt bzw. spielen möchte, hat sich an die dort geltenden Regeln zu halten. 3. Beitrag nichtstaatlicher Gewaltakteure zur Entstehung von Völkergewohnheitsrecht Typisch für das Völkerrecht, dem ein eigenes Rechtssetzungsorgan fehlt, ist die Kongruenz desjenigen, der Recht setzt, mit demjenigen, der das Recht zu befolgen hat. Eine Ausnahme hiervon stellt bereits die Bindung bewaffneter Gruppen an das kriegsrechtliche Vertragsrecht dar. Fraglich ist, ob nichtstaatliche Gewaltakteure dann zumindest einen Beitrag zur Entstehung des Völkergewohnheitsrechts leisten können. a) Entstehung von Völkergewohnheitsrecht Generell entsteht Gewohnheitsrecht durch eine über einen gewissen Zeitraum vorgenommene Übung der Gemeinschaftsmitglieder, die diese als rechtmäßig befinden.128 Völkergewohnheitsrecht folgt danach jedenfalls aus der, auf eine entsprechende opinio juris gestützte, Staatenpraxis.129 Umfasst sind etwa der Verkehr der Völkerrechtssubjekte untereinander, aber auch gleichgerichtetes nationales Verwaltungs- und Gerichtshandeln sowie konkludentes Verhalten, jeweils die Regelung internationaler Beziehungen betreffend.130 Zwar nicht alle, aber doch der Großteil der Rechtsträger hat sich an dieser Praxis zu beteiligen.131 Allerdings ist 125 Henckaerts, in: College of Europe/ICRC (Hrsg.), Relevance of International Humanitarian Law to Non-State Actors, S. 123 (128); SCSL, Prosecutor v. Norman et al., SCSL-04-14AR72(E), 31. Mai 2004, Rn. 22. 126 Siehe Henckaerts, in: College of Europe/ICRC (Hrsg.), Relevance of International Humanitarian Law to Non-State Actors, S. 123 (128); International Commission of Inquiry on Darfur, Rn. 172; Sivakumaran, in: Int’l & Comp. L. Q. 2006, S. 369 (373); SCSL, Prosecutor v. Norman et al., SCSL-04-14-AR72(E), 31. Mai 2004, Rn. 22; siehe auch Roberts/Sivakumaran, in: Yale J. Int’l L. 2012, S. 107 (151). 127 Henckaerts, in: College of Europe/ICRC (Hrsg.), Relevance of International Humanitarian Law to Non-State Actors, S. 123 (128). 128 Doehring, Völkerrecht, S. 126, Rn. 286. 129 Der IGH: „It is of course axiomatic that the material of customary international law is to be looked for primarily in the actual practice and opinio iuris of States,“ IGH, Continental Shelf (Lybia v. Malta), Judgment, 3. Juni 1985, ICJ Reports 1985, 13, Rn. 27, erste Hervorhebung durch die Autorin. 130 Doehring, Völkerrecht, S. 126, Rn. 287; Gunning, in: Virginia J. Int’l L. 1990/1991, S. 211 (215); Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Vol. I, xl; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, Vol. I, S. 26. 131 Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 51, Rn. 133.
A. Humanitäres Völkerrecht
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zumindest im humanitären Völkerrecht ein Trend dahingehend erkennbar, der Überzeugung mehr Beachtung als der Übung zu schenken.132 Die Wissenschaft, (internationale) Gerichte, Organisationen wie die VN und das IKRK untersuchen dann den genauen Bestand des Völkergewohnheitsrechts und wenden das Völkergewohnheitsrecht an. Insofern muss zwischen der Entstehung von Gewohnheitsrecht einerseits, seiner Dokumentation und Anwendung andererseits, unterschieden werden. b) Bisherige Berücksichtigung nichtstaatlicher Gewaltakteure bei der Untersuchung des Völkergewohnheitsrechtsbestands Bei seinen Untersuchungen zum gewohnheitsrechtlichen Charakter völkerrechtlicher Normen ging der ICTY einen progressiven Weg. Neben offiziellen Erklärungen, Gerichtsentscheidungen und Militärhandbüchern von Staaten berücksichtigte er auch Resolutionen des Sicherheitsrats und der Generalversammlung sowie Aktivitäten des IKRK.133 Darüber hinaus bezog er das Verhalten Aufständischer, insbesondere von Aufständischen abgegebene Erklärungen und Abkommen ein.134 Letzteres fand ebenso als „other“-Quelle Eingang in die Studie des IKRK zum Völkergewohnheitsrecht im humanitären Völkerrecht.135 Ansonsten übt man sich aber weiter in Zurückhaltung hinsichtlich der Berücksichtigung von Praxis und opinio juris bewaffneter Bewegungen bei der Zusam132 Meron, in: Am. J. Int’l L. 1996, S. 238 (239 ff.); Rondeau, in: IRRC 2011, S. 649 (669). Der ICTY erklärt dies damit, dass der Zugang zu den Kriegsschauplätzen für unabhängige Akteure kaum möglich sei, ICTY, Prosecutor v. Tadic´, IT-94-1, 2. Oktober 1995, Rn. 99; siehe auch La Haye, War Crimes in Internal Armed Conflicts, S. 56. Außerdem kommt es wegen der Verletzungsanfälligkeit des Kriegsrechts tatsächlich immer wieder zu anerkanntermaßen nicht hinnehmbarem Verhalten. Der Opferschutz gebiete dann aber, sich bei der Fortentwicklung des Völkergewohnheitsrechts vornehmlich daran zu orientieren, was als Recht gelten soll, Fleck, in: HuV 2009, S. 120 (121 f.); vgl. Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 102. 133 ICTY, Prosecutor v. Tadic´, IT-94-1, 2. Oktober 1995, Rn. 99 ff.; siehe auch ICTY, Prosecutor v. Kupresˇkic´ et al., IT-95-16-T, 14. Januar 2000, Rn. 532 f. Die Einbeziehung von Beschlüssen IO, die für ihre Mitglieder nur empfehlenden Charakter haben, bei der Entstehung von Völkergewohnheitsrecht auch jenseits des Statuts der IO ist umstritten, hierzu Doehring, Völkerrecht, S. 136 f., Rn. 308 ff. 134 „[T]he behaviour of belligerent States, Governments and insurgents […] have been instrumental in bringing about the formation of the customary rules.“ ICTY, Prosecutor v. Tadic´, IT-94-1, 2. Oktober 1995, Rn. 108, Hervorheung durch die Autorin. 135 „The practice of armed opposition groups, such as codes of conduct, commitments made to observe certain rules of international humanitarian law and other statements, does not constitute State practice as such. While such practice may contain evidence of the acceptance of certain rules in non-international armed conflicts, its legal significance is unclear and it has therefore been listed under ,Other Practice‘ in Volume II“, Henckaerts/Doswald-Beck (Hrsg.), Customary International Humanitarian Law, Vol. I, xlii; für die Berücksichtung einzelner Äußerungen und Abkommen bewaffneter Gruppen siehe etwa Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Vol. II, S. 589, 605 f., 870 f.
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3. Kap.: Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure
menstellung des Völkergewohnheitsrechtsbestands. So sind Aufständische noch immer „mainly seen as law-takers rather than law-makers.“136 c) Würdigung Wenn nichtstaatliche Gewaltakteure aufgrund ihrer Völkerrechtssubjektivität an das Völkergewohnheitsrecht gebunden sind, ist es nur konsequent, sie dieses mitgestalten zu lassen.137 Gerichte, die VN, das IKRK und die Lehre haben dann bei ihren Analysen des Völkergewohnheitsrechts auch Übung und Überzeugung dieser Verbände einzubeziehen. Alle Rechtsunterworfenen können und müssen ihren Teil zur Entstehung des Gewohnheitsrechts beitragen.138 Dies erhöht zugleich ihre Bereitschaft zu dessen Einhaltung.139 Art. 38 Abs. 1 lit. b) IGH-Statut steht dem nicht entgegen, spricht er doch allgemein von internationalem Gewohnheitsrecht als dem „Ausdruck einer allgemeinen, als Recht anerkannten Übung.“ Ein Bezug auf Staaten fehlt.140 Und während Völkerrechtsverträge, besonders Regelungsverträge, das staatenzentrierte, auf Souveränität basierende, traditionelle Völkerrecht reflektieren, ist Völkergewohnheitsrecht flexibler, neuen Entwicklungen und Einflüssen – gerade auch partieller Völkerrechtspersonen gegenüber – offener.141 Die Einbindung nichtstaatlicher Gewaltakteure darf auch nicht damit abgelehnt werden, dass dies zu einer Minderung des normativen Schutzes führen würde.142 So verstoßen bewaffnete Gruppen zwar immer wieder gegen das humanitäre Völkerrecht, aber gleiches trifft auf viele Vertragsstaaten der Genfer Abkommen (und deren Zusatzprotokollen) zu; und gerade Oppositionsverbände halten die Regeln bisweilen tatsächlich ein143, bekennen sich in Erklärungen und Vereinbarungen zum internationalen Recht. Zudem muss (Gewohnheits-)Recht doch stets den aktuellen Begebenheiten, dem Erreichbaren angepasst werden.144 136
Ryngaert/Van de Meulebroucke, in: J Confl. & Security L. 2011, S. 443 (443). Für eine Mitgestaltungsmöglichkeit nichtstaatlicher Gewaltakteure (zumindest in sie betreffenden Bereichen) auch Noortmann, in: Heintze/Ipsen (Hrsg.), Heutige bewaffnete Konflikte als Herausforderungen an das humanitäre Völkerrecht, S. 187 (193); Rondeau, in: IRRC 2011, S. 649 (669); Sivakumaran, in: Int’l & Comp. L. Q. 2006, S. 369 (375); vgl. auch de Beco, in: HuV 2005, S. 190 (192); Gunning, in: Virginia J. Int’l L. 1990/1991, S. 211 (221); La Haye, War Crimes in Internal Armed Conflicts, S. 58 ff.; International Law Association (ILA), The Sofia Conference 2010, S. 6. 138 Ochoa, in: Virginia J. Int’l L. 2007, S. 119 (122); siehe auch Roberts/Sivakumaran, in: Yale J. Int’l L. 2012, S. 107 (122). 139 Sivakumaran, in: Int’l & Comp. L. Q. 2006, S. 369 (375). 140 Noortmann, in: Heintze/Ipsen (Hrsg.), Heutige bewaffnete Konflikte als Herausforderungen an das humanitäre Völkerrecht, S. 187 (193); ILA, The Sofia Conference 2010, S. 5. 141 Vgl. Olivier, in: Hum. Rts. & Int’l Legal Discourse 2010, S. 15 (18 ff.); siehe auch La Haye, War Crimes in Internal Armed Conflicts, S. 49. 142 Vgl. Roberts/Sivakumaran, in: Yale J. Int’l L. 2012, S. 107 (150 f., siehe auch 138 f.). 143 Bangerter, in: IRRC 2011, S. 353 (356). 144 Siehe Roberts/Sivakumaran, in: Yale J. Int’l L. 2012, S. 107 (139). 137
B. Menschenrechte
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4. Sudan Dann sind auch die sudanesischen Rebellengruppen als nichtstaatliche Gewaltakteure und bewaffnete Gruppen an die gewohnheitsrechtlich anerkannten Regeln des humanitären Völkerrechts gebunden.145
B. Menschenrechte Traditionell gelten (nur) Staaten als Verpflichtete der Menschenrechte. Aufgrund der zunehmenden Bedeutung nichtstaatlicher (Gewalt-)Akteure, insbesondere der auch von ihnen ausgehenden Bedrohungen für die fundamentalsten Rechte, wird seit einiger Zeit über eine Menschenrechtsbindung auch dieser Entitäten diskutiert. Clapham konstatiert gar, dass „the assumption that human rights law only applies to governments and not to insurgents is no longer a universally shared assumption.“146 Menschenrechte, das sind alle für die eigenständige Lebensführung in Gemeinschaft unentbehrlichen bürgerlichen und politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte. Mit ihnen korrespondieren negative und positive Pflichten (des Staates). Als Abwehrrechte, also klassische Freiheitsrechte, beinhalten sie eine Achtungspflicht; bewahren sie jedem einen gewissen Freiraum.147 Weiter dienen die Menschenrechte der Stillung elementarer Grundbegierden, sog. Erfüllungspflicht.148 145
So auch International Commission of Inquiry on Darfur, Rn. 172. Clapham, Human Rights Obligations of Non-State Actors, S. 280; ähnlich ders., in: IRRC 2006, S. 491 (508). Und schon 1995 hieß es in der VN, Compilation and Analysis of Legal Norms, Rn. 38: „However, the notion that non-governmental actors should be internationally responsible for human rights abuses has gained ground in recent years.“ 147 Diese bürgerlichen und politischen Abwehrrechte gelten als Menschenrechte der „ersten Generation“, Brugger, in: AöR 27 (1989), S. 537 (539). Durch die Einteilung der Menschenrechte in „Generationen“ oder „Dimensionen“ wird aber weder eine strikte Trennung noch eine Gewichtung vorgenommen. 148 Diese wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leistungsrechte bezeichnet man auch als Menschenrechte der „zweiten Generation.“ Sie gewähren jedem ein Leben unter menschenwürdigen Bedingungen. Der Staat ist hieran insofern gebunden, als er seine Arbeit zumindest auf die Erfüllung dieser Ziele zu richten hat. Es handelt sich mehr um Programmsätze, denn konkrete, durchsetzbare Rechte des Einzelnen, Stein/von Buttlar, Völkerrecht, S. 365, Rn. 1002, S. 369, Rn. 1014; vgl. Sohn, in: Am. U. L. Rev. 1982, S. 1 (19 f., 39 ff.); siehe auch Art. 2 Abs. 1 IPwskR „Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, einzeln und durch internationale Hilfe und Zusammenarbeit, insbesondere wirtschaftlicher und technischer Art, unter Ausschöpfung aller seiner Möglichkeiten Maßnahmen zu treffen, um nach und nach mit allen geeigneten Mitteln, vor allem durch gesetzgeberische Maßnahmen, die volle Verwirklichung der in diesem Pakt anerkannten Rechte zu erreichen“, und hierzu CESCR, General Comment No. 3, 14. Dezember 1990, Rn. 9. Die Leistungsrechte sind vor allem durch ein positives Freiheitsverständnis, Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 458 ff.; Tugendhat, Vorlesungen über Ethik, S. 359 f.; siehe auch BVerfGE 33, 303 (331), 146
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3. Kap.: Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure
Endlich ist den Menschenrechten eine Schutzpflicht zu entnehmen. Der Staat muss die Menschenrechte nicht nur selbst wahren, sondern ebenso Rechtsverletzungen Dritter verhindern, beenden und ahnden.149 Für die Binnenvertriebenenthematik bedeutet das: Grundsätzlich darf der Staat sein Volk weder vertreiben noch es derart behandeln, dass es in Folge der Behandlung flieht. Positiv hat er den Menschen fern ihrer Heimat ein Leben unter angemessenen Umständen zu gewähren, namentlich für Wohnraum, Nahrung, ärztliche und medizinische Versorgung, sanitäre Einrichtungen, Bildung und die Möglichkeit, einer Arbeit nachzugehen, zu sorgen. Schützen muss der Staat die Menschen schließlich vor Vertreibungen und anderen Rechtsverstößen durch Dritte.150 Kommt der Staat all dem nach, bedarf es keines Rückgriffs auf weitere Akteure. Tatsächlich ist der Staat aber gerade in Konfliktsituationen häufig außerstande oder außerwillens seine Aufgaben zu erfüllen. Und häufig löst das Auftreten staatlicher Organe die Auseinandersetzungen überhaupt erst aus. Die Staatsgewalt ist dann schwach, zerfällt, kann nicht mehr (im gesamten Hoheitsbereich) ausgeübt werden.151 Das beschriebene System läuft leer152: Die Menschen sind in besonderem Maße Verletzungen ihrer fundamentalen Rechte durch nichtstaatliche und/oder staatliche Einheiten ausgesetzt. Zugleich kann oder will der Staat seine Bürger kaum vor Eingriffen Dritter schützen.
I. Normativer Schutzrahmen Die Menschenrechte untersagen willkürliche Vertreibungen, schützen vor Fluchtbewegungen auslösenden Maßnahmen und enthalten wichtige Bestimmungen für die Vertriebenen. Mit den Guiding Principles und der Kampala Convention und Gerechtigkeitserwägungen, Lohmann, in: Gosepath/Lohmann (Hrsg.), Philosophie der Menschenrechte, S. 62 (93), begründet. Als Menschenrechte der „dritten Generation“ gelten dann Kollektivrechte wie das Recht auf (nachhaltige) Entwicklung, Frieden und eine saubere Umwelt, Brugger, in: AöR 27 (1989), S. 537 (541). 149 Ryngaert, in: Revue Belge de Droit International 2008, S. 355 (359); siehe auch Herzog, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. IV, S. 97, Rn. 38 ff.; HRC, General Comment No. 31, 29. März 2004, Rn. 8. 150 Zu den Binnenvertriebenen Phuong, The International Protection of Internally Displaced Persons, S. 44, 214; siehe auch Hollenbach, in: ders. (Hrsg.), Refugee Rights, Ethics, Advocacy, and Africa, S. 177 (186 ff.). 151 Zegveld entlässt den Staat dann aus seinen Verpflichtungen, Zegveld, Accountability of Armed Opposition Groups in International Law, S. 208. 152 Siehe Constantinides, in: Hum. Rts. & Int’l Legal Discourse 2010, S. 89 (93 f.); Rudolf, in: Hum. Rts. & Int’l Legal Discourse 2010, S. 127 (128, siehe auch 131); und Tomuschat: „The general scheme is predicated on the expectation that anywhere on this globe there exists a governmental organization which, in fact, controls the relevant territory. In many instances, however, governmental authority is simply lacking“, Tomuschat, in: Fischer et al. (Hrsg.), FS Fleck, S. 573 (574).
B. Menschenrechte
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existieren heute zwei speziell auf die Bedürfnisse und Nöte von Binnenflüchtlingen zugeschnittene Werke. 1. Vertreibungsverbot Zunächst verstoßen Vertreibungen, also mit Zwang erwirkte Verbringungen von Menschen aus ihrer Heimat, unabhängig von den regelmäßig mit ihnen einhergehenden Rechtsverletzungen, grundsätzlich gegen das Völkerrecht. Dass Verbringungen bloß ausnahmsweise, und dann nur bei diskriminerungsfreier Ausführung, bei Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit, zulässig sind, ergibt sich aus einer Vielzahl menschenrechtlicher Vorschriften.153 Schlüsselnorm ist Art. 12 IPbpR.154 Hiernach hat jeder, der sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Staates aufhält, das Recht, sich dort frei zu bewegen und seinen Wohnsitz frei zu wählen. An einem frei gewählten Ort zu verweilen, nicht vertrieben zu werden, ist dann die negative Seite des Freizügigkeitsrechts.155 Art. 12 Abs. 3 IPbpR ermöglicht aber Einschränkungen zum Schutz der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, der Volksgesundheit, der öffentlichen Sittlichkeit, der Rechte und Freiheiten anderer.156 Implizit ist das Vertreibungsverbot außerdem Normen zu entnehmen, die die Bewegungsfreiheit, die Wahl des Wohn- und Aufenthaltsorts, das Privatleben, die Familie und die Wohnung schützen157: insbesondere Art. 13 Abs. 1 AEMR, 17 IPbpR und Art. 12 Abs. 1 Banjul-Charta. Ausdrücklich niedergelegt sind allgemeine Vertreibungsverbote nun in den speziellen Binnenvertriebenenregelwerken.158 Nach Leitlinie 6 Abs. 1 Guiding 153 VN, Report of the Representative of the Secretary-General, Mr. Francis M. Deng (im Folgenden: Deng-Report 1998), E/CN.4/1998/53, 11. Februar 1998, Rn. 10; siehe auch Kälin, Guiding Principles, S. 27; VN, Compilation and Analysis of Legal Norms, Part II. 154 Kälin, Guiding Principles, S. 28. 155 Geißler, Der völkerrechtliche Schutz der Internally Displaced Persons, S. 117, 141; vgl. Köhler, Das Massenvertreibungsverbot im Völkerrecht, S. 58. 156 „Art. 12 Abs. 3 IPbpR Die oben erwähnten Rechte dürfen nur eingeschränkt werden, wenn dies gesetzlich vorgesehen und zum Schutz der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung (ordre public), der Volksgesundheit, der öffentlichen Sittlichkeit oder der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist und die Einschränkungen mit den übrigen in diesem Pakt anerkannten Rechten vereinbar sind.“ Hierzu Cohen/Deng, Masses in Flight, S. 87 f. Zur Umsiedlung der nicaraguanischen Miskito als erforderlicher Notstandsmaßnahme, IACHR, Report on the Situation of Human Rights of a Segment of the Nicaraguan Population of Miskito Origin, OEA/Ser.L/V/II.62, Doc. 10 rev. 3, 29. November 1983. 157 VN, Deng-Report 1998, Rn. 10. 158 Siehe aber bereits Art. 7 Abs. 1 Declaration of Minimum Humanitarian Standards (Turku-Deklaration) vom 2. Dezember 1990, E/CN.4/1995/116. Außerdem enthielten bereits Art. 16 Abs. 1 Übereinkommen 169 über eingeborene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO Übereinkommen 169) vom 27. Juni 1989, in Kraft getreten am 5. September 1991, und Art. 10 S. 1 Deklaration der
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3. Kap.: Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure
Principles steht allen Menschen Schutz vor willkürlichen Vertreibungen zu159, vgl. Art. 3 Abs. 1 lit. a), 4 Abs. 1 und 4, 7 Abs. 5 lit. a) Kampala Convention, Art. 3 Abs. 1 Protocol on the Protection and Assistance to IDPs und S. 3 Abs. 4 Model Legislation on the Implementation of the Protocol on Protection and Assistance to IDPs. Leitlinie 6 Abs. 2 Guiding Principles nennt Fallgruppen. Kommt es dennoch zu Verbringungen, sind die Leitlinien 6 Abs. 3, 7, 8 Guiding Principles einzuhalten. Insbesondere sind die Menschenwürde, das Recht auf Leben und die Sicherheit zu wahren, Leitlinie 8 Guiding Principles. In Art. 10 Kampala Convention, Art. 5 Protocol on the Protection and Assistance to IDPs und S. 3 Abs. 4 Model Legislation on the Implementation of the Protocol on Protection and Assistance to IDPs finden sich lediglich Bestimmungen, nach denen „development-induced displacement“ gestattet ist. Anders motivierte Vertreibungen sind absolut untersagt. Schließlich ist das Verbot willkürlicher Vertreibungen mittlerweile Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts.160 Erfolgt die Vertreibung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Rasse, der Hautfarbe, Religion, Kultur, Abstammung, des nationalen oder ethnischen Ursprungs oder eines ähnlichen Merkmals, stellt sie eine Diskriminierung dar. Systematische Formen der Vertreibung können dann zu Politiken der Apartheid161, zu ethnischer Säuberung Rechte indigener Völker, A/RES/61/295, 13. September 2007, ein Aus- und Umsiedlungsverbot speziell eingeborene Stämme und in Stämmen lebende Völker bzw. indigene Völker betreffend. 159 „Leitlinie 6 Guiding Principles 1. Every human being shall have the right to be protected against being arbitrarily displaced from his or her home or place of habitual residence. 2. The prohibition of arbitrary displacement includes displacement: a) When it is based on policies of apartheid, ,ethnic cleansing‘ or similar practices aimed at or resulting in alteration of the ethnic, religious or racial composition of the affected population; b) In situations of armed conflict, unless the security of the civilians involved or imperative military reasons so demand; c) In cases of large-scale development projects that are not justified by compelling and overriding public interests; d) In cases of disasters, unless the safety and health of those affected requires their evacuation; and e) When it is used as a collective punishment. 3. Displacement shall last no longer than required by the circumstances.“ 160 Kimminich, in: Blumenwitz (Hrsg.), Flucht und Vertreibung, S. 95 (111); Tomuschat, in: ZaöRV 56 (1996), S. 1 (34); siehe auch die VN, Compilation and Analysis of Legal Norms, Part II. 161 Apartheid (Afrikaans für „Getrenntheit“) meint eine Politik der Rassentrennung und -diskriminierung, ausgeübt von einer rassischen Gruppe gegenüber einer oder mehrerer anderer rassischen Gruppen zur Aufrechterhaltung des Regimes, vgl. Art. 7 Abs. 2 lit. h) IStGH-Statut. Ausführlich zu Vertreibungen als Apartheidsverbrechen Lehmler, Die Strafbarkeit von Vertreibungen aus ethnischen Gründen im bewaffneten nicht-internationalen Konflikt, S. 240 ff.
B. Menschenrechte
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oder gar zu Völkermord führen.162 Schutz hiervor gewähren insbesondere die Apartheids-163, die Rassendiskriminierungs- und die Genozidkonvention, siehe außerdem Leitlinie 4 Guiding Principles, Art. 2, 7 AEMR, Art. 2 Abs. 1, 26 IPbpR, Art. 2 Abs. 2 IPwskR, Art. 2, 3 Banjul-Charta und das Völkergewohnheitsrecht.164 2. Rechte der Binnenvertriebenen Allein durch die Vertreibung sind zahlreiche Rechte berührt.165 So können die Menschen auf der Flucht nur das Nötigste mitnehmen. Ihr Hab und Gut müssen sie größtenteils zurück- und Plünderern überlassen, die es zerstören oder stehlen. Eigentumsschutz gewähren Leitlinie 21 Guiding Principles, Art. 9 Abs. 2 lit. i) Kampala Convention, Art. 17 AEMR, Art. 14, 21 Banjul-Charta und in gewissem Umfang das Völkergewohnheitsrecht.166 Siehe auch Leitlinie 29 Abs. 2 Guiding Principles und Art. 11 Abs. 4, 12 Kampala Convention zur Wiedererlangung von von Binnenflüchtlingen zurück gelassenem Eigentum bzw. dessen Ersetzung oder hierfür gewährte Entschädigung. Doch die Menschen lassen nicht nur materielle Dinge, sondern auch ihre Familie, Freunde und Gemeinschaft zurück oder verlieren diese auf der Flucht. Leitlinie 17 Guiding Principles, Art. 9 Abs. 2 lit. h) Kampala Convention sowie den Art. 12, 16 Abs. 3 AEMR, Art. 17 Abs. 1, 23 IPbpR, Art. 10 Abs. 1 IPwskR, Art. 18 Abs. 1 und 2 Banjul-Charta sowie zahlreichen Normen der Kinderrechtskonvention und der Afrikanischen Kinderrechtscharta167 ist die zentrale Bedeutung von Ehe und Familie168 als Fundament der Gesellschaft zu entnehmen. Auch gewohnheitsrechtlich 162
Lehmler, Die Strafbarkeit von Vertreibungen aus ethnischen Gründen im bewaffneten nicht-internationalen Konflikt, S. 215 ff., 240 ff.; Triffterer, in: Blumenwitz (Hrsg.), Flucht und Vertreibung, S. 259 (281 ff.). 163 Internationale Konvention über die Bekämpfung und Bestrafung des Verbrechens der Apartheid (Apartheidskonvention) vom 30. November 1973, in Kraft getreten am 18. Juli 1976, UNTS Vol. 1015, 243. 164 Völkergewohnheitsrechtlich untersagt sind zumindest Diskriminierungen aufgrund der Rasse, der Religion, des Geschlechts und der politischen Meinung, Doehring, Völkerrecht, S. 434, Rn. 987. Einige meinen, die gesamte AEMR und somit auch das dort niedergelegte umfassende Diskriminierungsverbot sei Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts, siehe Sohn, in: Am. U. L. Rev. 1982, S. 1 (17). Sohn erkennt außerdem den gesamten IPbpR als Gewohnheitsrecht an, Sohn, in: Am. U. L. Rev. 1982, S. 1 (32). 165 Siehe Cohen/Deng, Masses in Flight, S. 92 ff.; Mooney, in: Refugee Surv. Q. 3/2005, S. 9 (14 ff.); VN, Compilation and Analysis of Legal Norms. 166 Nach von Carlowitz ist das Eigentumsrecht von Flüchtlingen und (Binnen-)Vertriebenen zumindest in seiner Form als Abwehrrecht mittlerweile völkergewohnheitsrechtlich anerkannt, von Carlowitz, Das Menschenrecht auf Eigentum von Flüchtlingen und Vertriebenen. 167 Afrikanische Charta der Rechte und des Wohlergehens des Kindes (Afrikanische Kinderrechtscharta) vom 11. Juli 1990, in Kraft getreten am 29. November 1999, OAU Doc. CAB/LEG/24.9/49 (1990). 168 Eine einheitliche Definition des Begriffs „Familie“ existiert nicht: „all those comprising the family as understood in the society of the State party concerned“, Covenant on Civil and
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3. Kap.: Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure
ist sie anerkannt.169 Werden Familien durch die Vertreibung oder sonst wie getrennt, ist ihre Zusammenführung anzustreben. Offensichtlich brauchen die Vertriebenen einen neuen Aufenthaltsort und eine neue Unterkunft. Auch wenn das mediale Bild eine andere Wirklichkeit vermittelt, lebt der Großteil nicht in vom Heimatstaat oder Drittstaaten, von IO oder NRO errichteten und betriebenen Flüchtlingscamps, sondern kommt bei Familienangehörigen, Freunden oder sonst aufnahmebereiten Gemeinschaften unter. Die Menschen bauen sich primitive Unterkünfte, finden Unterschlupf in Barracken oder Slums. Häufig lassen sie sich nahe des Krisenorts nieder, was die Gefahr erhöht, wiederholt Opfer von Vertreibungen und anderen Rechtsverletzungen zu werden. Weitere Grundbedürfnisse sind Nahrung und Trinkwasser. Viele müssen ihr Vieh, Feld, ihre Arbeitsstelle bzw. Schule zurücklassen und sind damit von eigenen Nahrungsmittelund Geldeinnahmequellen abgeschnitten. Am Zufluchtsort ist der Erwerb neuer Tiere, neuen Ackerlands und die Aufnahme einer neuen Arbeit nur selten möglich. Hunger, Durst und Armut sind die Folge. In den seltensten Fällen können Ersparnisse für die Zukunft, die Rückkehr oder Niederlassung an einem neuen Ort angehäuft werden. Außerdem ist die Bewegungsfreiheit der Vertriebenen am Zufluchtsort häufig eingeschränkt. Ein Leben unter angemessenen Bedingungen sichern Leitlinie 18 Guiding Principles, Art. 7 Abs. 5 lit. c), 9 Abs. 2 lit. a) und b) Kampala Convention, Art. 25 AEMR und Art. 11 Abs. 1 IPwskR. Ein Recht auf Arbeit (unter gerechten, befriedigenden Bedingungen und gleicher Entlohnung für gleiche Arbeit) ist Leitlinie 22 lit. b) Guiding Principles, Art. 23 Abs. 1 – 3 AEMR, Art. 6 Abs. 1, 7 IPwskR, Art. 15 Banjul-Charta; ein Recht auf Bildung ist Leitlinie 23 Guiding Principles, Art. 9 Abs. 2 lit. b) Kampala Convention, Art. 26 AEMR, Art. 13 IPwskR, Art. 28 Abs. 1 Kinderrechtskonvention, Art. 17 Abs. 1 Banjul-Charta und Art. 11 Afrikanische Kinderrechtscharta zu entnehmen. Uneinheitlich wird der Bestand an Gewohnheitsrecht gerade im Bereich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte beurteilt. Der IGH erkennt jedenfalls die „basic rights of the human person“ als Gewohnheitsrecht an.170
Political Rights (CCPR), General Comment No. 16, 8. April 1988, Rn. 5; vgl. CCPR, General Comment No. 19, 27. Juli 1990, Rn. 2. 169 Doehring, Völkerrecht, S. 434, Rn. 987. 170 IGH, Case Concerning the Barcelona Traction, Light and Power Company, Limited (Belgium v. Spain), Judgment, 5. Februar 1970, ICJ Reports 1970, 3, 32, Rn. 34; auch nach der CESCR soll die internationale Gemeinschaft „do everything possible to protect at least the core content of the economic, social and cultural rights of the affected peoples“, CESCR, General Comment No. 8, 12. Dezember 1997, Rn. 7; vgl. auch CESCR, General Comment No. 3, Dezember 1990, Rn. 10. Nach Clapham ist der Anspruch auf einen angemessenen Lebensstandard Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts, Clapham, Human Rights Obligations of Non-State Actors, S. 86. Als „at least potential candidates for rights recognized under customary international law“ bezeichnet Hannum etwa die freie Arbeitsplatzwahl und das Recht auf Bildung, Hannum, in: Georgia J. Int’l & Comp. L. 1995/1996, S. 287 (349).
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Den Leitlinien 14, 15 lit. a) Guiding Principles, Art. 7 Abs. 5 lit. d), 9 Abs. 2 lit. e) und f) Kampala Convention, Art. 13 Abs. 1 AEMR, Art. 12 Abs. 1 IPbpR und Art. 12 Abs. 1 Banjul-Charta ist dann das Recht auf Freizügigkeit, teils speziell auch innerhalb Vertriebenencamps, zu entnehmen; zum Schutz der persönlichen Freiheit siehe außerdem Leitlinie 12 Abs. 1 Guiding Principles, Art. 3 AEMR, Art. 9 Abs. 1 IPbpR und Art. 6 Banjul-Charta. Zudem vergessen oder verlieren viele ihre persönlichen Dokumente bei der Flucht oder müssen sie abgeben. Dies kann zur Versagung des Arbeitsmarkt- oder Schulzugangs, medizinischer und ärztlicher Versorgung oder anderer (staatlicher) Leistungen führen. Einschlägig sind hier viele der bereits genannten Bestimmungen, außerdem das Recht auf Anerkennung als Rechtsperson, Leitlinie 20 Abs. 1 Guiding Principles, Art. 6 AEMR, Art. 16 IPbpR und Völkergewohnheitsrecht.171 Zudem ist eine aktive Teilnahme am öffentlichen, insbesondere am politischen Leben ohne persönliche Dokumente kaum möglich. Geschützt ist diese von Leitlinie 22 lit. c) und d) Guiding Principles, Art. 9 Abs. 2 lit. l) Kampala Convention, Art. 21 AEMR, Art. 25 IPbpR und Art. 13 Banjul-Charta.172 Leitlinie 20 Abs. 2 Guiding Principles und Art. 13 Abs. 2 und 3 Kampala Convention geben Binnenflüchtlingen dann einen Anspruch auf Ersetzung alter und Ausstellung neuer Dokumente. Krankheiten können sich gerade in Gegenden, in denen viele Menschen auf engem Raum, oft unter schlechten hygienischen Bedingungen, zusammen leben, schnell verbreiten. Und manche Binnenvertriebenen wurden vor oder bei ihrer Flucht verletzt. Zugang zu medizinischer wie ärztlicher Versorgung und sanitären Anlagen muss nach Leitlinie 18 Abs. 2 lit. d), 19 Guiding Principles, Art. 7 Abs. 5 lit. c), 9 Abs. 2 lit. b) Kampala Convention, Art. 25 Abs. 1 AEMR, Art. 12 Abs. 2 lit. d) IPwskR und Art. 16 Banjul-Charta für jederman gewährleistet sein. Zudem sind das Hilfspersonal, dessen Equipment und Transportmittel zu achten und zu schützen, Leitlinie 26 Guiding Principles, Art. 3 Abs. 1 lit. j), 5 Abs. 7 und 10, 7 Abs. 5 lit. h) und g) Kampala Convention. Am Zufluchtsort sind viele (weiter) Angriffen, allgemein Feindseligkeiten und Diskriminierungen der Armee und ihrer Milizen, der nichtstaatlichen Gewaltakteure oder der gastgebenden Gemeinschaft ausgesetzt. Mitunter ist die physische oder psychische Unversehrtheit der Vertriebenen, gar ihr Leben gefährdet. Solche Verhaltensweisen sind insbesondere von den Leitlinien 10, 11 Guiding Principles, von Art. 9 Abs. 1 lit. c) Kampala Convention, Art. 3, 5 AEMR, Art. 6 Abs. 1, 7 IPbpR sowie Art. 4, 5 Banjul-Charta verboten. Untersagt sind Diskriminierungen etwa aufgrund der Rasse, Hautfarbe, des Geschlechts, der Sprache, Religion, politischen oder sonstigen Anschauung, nationalen oder sozialen Herkunft, des Vermögens und der Geburt, Leitlinie 4 Abs. 1 Guiding Principles, Art. 2 Abs. 1, 7 AEMR, Art. 2 Abs. 1, 26 IPbpR, Art. 2 Abs. 2 IPwskR, Art. 2, 3 Banjul-Charta, vgl. auch die 171
Klein, Menschenrechte, S. 15. Wohl (noch) nicht völkergewohnheitsrechtlich anerkannt ist das Recht auf Demokratie, Cassese, International Law, S. 395. 172
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3. Kap.: Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure
Apartheids-, die Rassendiskriminierungs- und die Genozidkonvention, die Art. 3 Abs. 1 lit. d), 5 Abs. 1 Kampala Convention, und allein aufgrund der Binnenvertriebeneneigenschaft nach Leitlinie 1 Abs. 1 Guiding Principles und Art. 9 Abs. 1 lit. a) Kampala Convention; im Übrigen ist der in den allgemeinen Diskriminierungsverboten niedergelegte Auffangtatbestand des „other status“ weit und umfasst auch Diskriminierungen allein aufgrund der Vertriebeneneigenschaft.173 Der Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit und das (Rassen-)Diskriminierungsverbot stellen zudem, wohl gar zwingendes, Völkergewohnheitsrecht dar.174 Eine zwingende Norm des Völkerrechts, eine ius cogens, ist nach Art. 53 S. 2 WVK „eine Norm, die von der internationalen Staatengemeinschaft in ihrer Gesamtheit angenommen und anerkannt wird als eine Norm, von der nicht abgewichen werden darf und die nur durch eine spätere Norm des allgemeinen Völkerrechts derselben Rechtsnatur geändert werden kann.“
(Vertriebene) Frauen und Mädchen werden übermäßig häufig Opfer sexueller Gewalt, insbesondere von Vergewaltigungen.175 Verboten ist dies insbesondere gemäß Leitlinie 11 Abs. 2 lit. a) Guiding Principles176, Art. 7 Abs. 5 lit. f), 9 Abs. 1 lit. d) Kampala Convention. (Zwangs-)Rekrutierungen, insbesondere von Kindern177, sind nach Leitlinie 13 Guiding Principles, Art. 7 Abs. 5 lit. e) und f), 9 Abs. 1 lit. d) Kampala Convention, Art. 38 Kinderrechtskonvention, dem ZP Kinderrechtskonvention betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten und Art. 22 Abs. 2 Afrikanische Kinderrechtscharta untersagt. Auch das Verbot der Ausübung sexueller Gewalt, der Rekrutierung und Kampfeinsetzung zumindest von Kindern sind heute Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts.178
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Cohen/Deng, Masses in Flight, S. 93; Kälin, Guiding Principles, S. 12. Siehe Doehring, Völkerrecht, S. 434, Rn. 986 f.; Stein/von Buttlar, Völkerrecht, S. 47, Rn. 150; § 702 Restatement (Third) of the Foreign Relations Law of the United States, insbesondere lit. c), d) und f), American Law Institute (ALI) (Hrsg.), Restatement of the Law, The Foreign Relations Law of the United States, Bd. II, S. 161. 175 Nowrojee, in: Hollenbach (Hrsg.), Refugee Rights, Ethics, Advocacy, and Africa, S. 125 ff. 176 Auch wenn tatsächlich überwiegend Mädchen und Frauen Opfer sexueller Gewalt werden, ist die Vorschrift geschlechtsneutral, umfasst auch sexuelle Gewalt gegenüber Jungen und Männern, Kälin, Guiding Principles, S. 55. 177 Zur Altersgrenze Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 320 ff. 178 Jedenfalls seien Vergewaltigungen als Folter oder zumindest als erniedrigende oder grausame Behandlung einzuordnen und daher auch völkergewohnheitsrechtlich untersagt, Geißler, Der völkerrechtliche Schutz der Internally Displaced Persons, S. 91 f. Zum völkergewohnheitsrechtlichen Verbot der Rekrutierung und Einsetzung von Kindern zur Teilnahme an den Feindseligkeiten Werle, Völkerstrafrecht, S. 535 f., Rn. 1233; vgl. auch SCSL, Prosecutor v. Norman, SCSL-2004-14-AR72 (E), 31. Mai 2004, Rn. 53; unklar ist aber, ob die in neueren Abkommen vorgenommene Altersanhebung bereits in Völkergewohnheitsrecht erwachsen ist, Werle, Völkerstrafrecht, S. 536, Rn. 1234. 174
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In der Regel dauert der Aufenthalt fern der Heimat mehrere Jahre.179 Die Lage der intern Vertriebenen verbessert sich in dieser Zeit selten.180 Für viele besteht außerdem die Gefahr, gegen ihren Willen an einen (unsicheren) Ort (zurück) geschickt zu werden. Schutz hiervor besteht nach Leitlinie 15 lit. d) Guiding Principles und Art. 9 Abs. 2 lit. e) Kampala Convention, vgl. auch Art. 33 Abs. 1 GFK analog, Prinzip des non-refoulement.
II. Notwendigkeit der Anwendung von Menschenrechten Das humanitäre Völkerrecht mit seinem auf bewaffnete Konflikte beschränkten Anwendungsbereich erfasst weder sämtliche hier interessierenden Binnenflüchtlingssituationen noch wird es den besonderen Bedürfnissen und Nöten intern vertriebener Menschen gerecht. Ein weiterer Schwachpunkt ist der Mangel an Durchsetzungsmechanismen gerade im Rahmen nichtinternationaler bewaffneter Konflikte. Und auch das Völkerstrafrecht erfasst nicht alle Menschenrechtsverstöße. 1. Beschränkter Anwendungsbereich des humanitären Völkerrechts Nicht in allen Fällen von Binnenvertriebenensituationen, also Auseinandersetzungen, liegen zugleich die Anwendungsvoraussetzungen des gemeinsamen Art. 3 GK (und ZP II) vor181: Die Streitigkeiten haben entweder nicht die für einen internen bewaffneten Konflikt nötige Intensität oder die außerstaatliche Partei erfüllt nicht die an bewaffnete Gruppen gestellten Anforderungen, sprich sie ist nicht ausreichend organisiert oder übt nicht derart Herrschaftsgewalt über Staatsgebiet aus, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen ausführen kann. Und häufig bestreitet der bekämpfte Staat die Einschlägigkeit des Kriegsrechts.182 Ob ein bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts vorliegt, bestimmt sich aber allein nach Fakten.
179 Auf einem Expertenseminar einigte man sich auf folgende Definition für Situationen langanhaltender Vertreibung: „Protracted IDP situations are those in which the process for finding durable solutions is stalled, and/or IDPs are marginalized as a consequence of violations or a lack of protection of human rights, including economic, social and cultural rights“, Brookings-LSE Project on Internal Displacement, Expert Seminar on Protracted IDP Situations, Genf, 21. bis 22. Juni 2007, S. 2. 180 Mooney, in: Refugee Surv. Q. 3/2005, S. 9 (17). 181 Vgl. Droege, in: IRRC 2008, S. 501 (521). 182 Crawford, The Treatment of Combatants and Insurgents Under the Law of Armed Conflict, S. 119.
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3. Kap.: Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure
2. Eigener Regelungsbereich der Menschenrechte Und selbst wenn das Kriegsrecht zugleich mit den Menschenrechten anwendbar ist, haben die Rechtsordnungen einen je eigenen Regelungsbereich. Während Ersteres den anormalen Zustand des bewaffneten Konflikts183, das Verhalten der Konfliktteilnehmer regelt, gewähren Letztere dem Einzelnen für sein tägliches Leben, also insbesondere für Friedenszeiten184, fundamentale Rechte und Freiheiten.185 Für Binnenvertriebensituationen ergibt sich folgendes Bild: Zwar sichern beide Rechtsdisziplinen die Menschen fast gleichermaßen vor willkürlichen Vertreibungen und Flucht auslösendem Verhalten. Doch erfasst das humanitäre Völkerrecht die Bedürfnisse und Nöte intern Vertriebener während ihres Aufenthalts fern der Heimat und hinsichtlich ihrer Rückkehr nur unzureichend. Es enthält etwa kein Recht auf Bewegungsfreiheit, auf Arbeit bzw. darauf, einer wirtschaftlichen Betätigung nachzugehen, auf Anerkennung als Rechtsperson und Teilhabe am öffentlichen, speziell am politischen Leben, auf Identifikation, Dokumentation und Registrierung, auf Verlassen des Herkunftsstaates und Asylsuche in einem anderen Staat, sowie keine Regeln zum Schutz vor einer unfreiwilligen Rückführung in die (un-)sichere Heimat oder einen anderen (un-)sicheren Ort.186 Zudem schützt es die Familie, Gemeinschaft und speziell Frauen ungenügend. Letztlich ist weder die Religionsnoch die Meinungs-, Versammlungs- oder Informationsfreiheit im Kriegsrecht niedergelegt.187 Gleichwohl sind selbst die klassischen Menschenrechtsabkommen hinsichtlich der genannten Rechte meist sehr allgemein gehalten. Erst die Guiding Principles und die Kampala Convention schneiden sie auf die speziellen Bedürfnisse und Nöte der Binnenvertriebenen zu. 3. Überwachungs- und Durchsetzungsmechanismen Im Vergleich zum humanitären Völkerrecht verfügt das Menschenrechtssystem zudem über andere, durchaus bessere Überwachungs- und Durchsetzungsmecha-
183 Kleffner, in: Fleck (Hrsg.), The Handbook of International Humanitarian Law, S. 72, Rn. 251; vgl. Phuong, The International Protection of Internally Displaced Persons, S. 44. 184 Kleffner, in: Fleck (Hrsg.), The Handbook of International Humanitarian Law, S. 72, Rn. 251. Aber auch in Konfliktzeiten „normalisiert“ sich die Lage meist nach einiger Zeit, sodass auch der Kriegsalltag geregelt werden muss, siehe Bellal/Giacca/Casey-Maslen, in: IRRC 2011, S. 47 (74). 185 Siehe Droege, in: IRRC 2008, S. 501 (insbesondere 503); Meurant, in: IRRC 1993, S. 89 (91). 186 Siehe Zeender, in: Refugee Surv. Q. 3/2005, S. 96 (101 f.). 187 Siehe auch Bellal/Giacca/Casey-Maslen, in: IRRC 2011, S. 47 (63); Constantinides, in: Hum. Rts. & Int’l Legal Discourse 2010, S. 89 (94).
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nismen.188 Es gibt periodisch zu erfüllende Berichtspflichten189, Staaten-190 und Individualbeschwerdeverfahren191, endlich regionale Menschenrechtsgerichtshöfe.192 Die Instrumente richten sich aber ausdrücklich oder zumindest implizit an Staaten bzw. deren Organe, knüpfen an staatliche Strukturen an. Insgesamt sind sie recht starr. Eine Anwendung auf nichtstaatliche Akteure ist kaum vorstellbar.193 Über die Verfahren der Menschenrechtskonventionen hinaus besitzen die VN weitere Mechanismen zur Beobachtung der (Menschen-)Rechtslage in ihren Mitgliedsstaaten und zur Sanktionierung von (Menschen-)Rechtsverstößen. Offen und flexibel können die VN auf neue Entwicklungen reagieren, diese gar selbst anstoßen. Als Organe zu nennen sind zunächst der Sicherheitsrat, die Generalversammlung und der Wirtschafts- und Sozialrat, dann speziell der VN Hochkommissar für Menschenrechte (UN High Commissioner for Human Rights, UNHCHR), die Menschenrechtskommission bzw. heute der Menschenrechtsrat (UN Human Rights Council, UNHRC) und die für diesen tätigen Special Rapporteur, die sich mit einzelnen Menschenrechtsthemen und Ländern beschäftigen. Sanktionen kann aber allein der Sicherheitsrat festlegen. Er verhängt Wirtschaftsund Waffenembargo, legt Reisebeschränkungen fest und friert Vermögenswerte ein bzw. lässt diese von den VN-Mitgliedern einfrieren.194 Zunehmend werden diese Strafen auch auf nichtstaatliche Gewaltakteure angewandt. Ziel der vom Sicherheitsrat im Rahmen des Kap. VII VN-Charta festgelegten Sanktionen ist aber nicht allein die Durchsetzung der Menschenrechte, sondern allgemein der in den Rats-
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Clapham, Human Rights Obligations of Non-State Actors, S. 285; Geißler, Der völkerrechtliche Schutz der Internally Displaced Persons, S. 65 f.; Heintze, in: ders./Ipsen (Hrsg.), Heutige bewaffnete Konflikte als Herausforderungen an das humanitäre Völkerrecht, S. 163 (173); ders., in: IRRC 2004, S. 789 (798, siehe auch 800 ff.); vgl. auch Meurant, in: IRRC 1993, S. 89 (91). 189 Siehe etwa Art. 40 IPbpR, Art. 16, 17 IPwskR und Art. 62 Banjul-Charta. Die Berichte des Sudan sind abrufbar unter UNHCHR, Report Status by Country, Sudan. 190 Gemäß Art. 41 IPbpR können die Vertragsstaaten die Staatenbeschwerde mittels ausdrücklicher Annahmeerklärung akzeptieren; siehe auch Art. 47 ff. Banjul-Charta. 191 Siehe etwa das erste Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (ZP IPbpR) vom 16. Dezember 1966, in Kraft getreten am 23. März 1976, BGBl. 1992 II 1247, UNTS Vol. 999, 171; siehe außerdem das Zusatzprotokoll zum Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (ZP IPwskR) vom 10. Dezember 2008, A/RES/63/117, 5. März 2009, in Kraft getreten am 5. Mai 2013. 192 Auf regionaler Ebene existieren der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), der Inter-American Court of Human Right (IACHPR, Interamerikanischer Gerichtshof für Menschenrechte) und der African Court on Human and Peoples’ Rights (ACHPR, Afrikanischer Gerichtshof für die Rechte der Menschen und der Völker). 193 Siehe Constantinides, in: Hum. Rts. & Int’l Legal Discourse 2010, S. 89 (105); Tomuschat, in: Fischer et al. (Hrsg.), FS Fleck, S. 573 (589 f.); VN, Compilation and Analysis of Legal Norms, Rn. 38. 194 Siehe Constantinides, in: Hum. Rts. & Int’l Legal Discourse 2010, S. 89 (106 ff.).
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3. Kap.: Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure
resolutionen festgelegten Maßnahmen zur Wahrung und Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit.195 Die wenigen im Kriegsrecht bestehenden Kontrollelemente sind dann weitgehend auf internationale bewaffnete Konflikte beschränkt. Nur Art. 19 ZP II verlangt die weitest mögliche Verbreitung des Protokolls. Insbesondere kennt das Recht nichtinternationaler bewaffneter Konflikte keine schweren Verletzungen des humanitären Völkerrechts, deren Anordnung und Begehung auf nationaler Ebene zu kriminalisieren ist.196 Allerdings werden heute bestimmte im internen bewaffneten Konflikt begangene Taten als Kriegsverbrechen eingestuft, siehe Art. 8 Abs. 2 lit. c) und e) IStGH-Statut und das Völkergewohnheitsrecht.197 So verhilft das Völkerstrafrecht dem Kriegsvölkerrecht zur Durchsetzung. 4. Beschränkter Anwendungsbereich des Völkerstrafrechts Schließlich stellt nicht jede Menschenrechtsverletzung zugleich ein Völkerrechtsverbrechen dar. Insbesondere verlangt Art. 7 Abs. 1 IStGH-Statut, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, dass die Einzeltat im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung verübt wird. Erst dann gilt sie als Bedrohung des Friedens, der Sicherheit und des Wohls der Welt, siehe Abs. 3 Präambel IStGH-Statut. Unklar ist zudem, ob man auch Kollektive mittels internationalen Strafrechts zur Verantwortung ziehen kann.
III. Verhältnis Menschenrechte und humanitäres Völkerrecht Anerkanntermaßen sind die Menschenrechte heute jederzeit, folglich auch in Zeiten bewaffneter Konflikte, ob international oder nichtinternational, anwendbar.198 Dies gewährleistet einen möglichst umfassenden Schutz der natürlichen Person. 195
Hierzu Kleffner, in: Noellkaemper/van der Wilt (Hrsg.), System Criminality in International Law, S. 238 (252 ff.). 196 Siehe Gasser/Melzer, Humanitäres Völkerrecht, S. 203, 218. 197 Siehe ICTY, Prosecutor v. Tadic´, IT-94-I, 2. Oktober 1995, Rn. 128 ff.; siehe auch Gasser/Melzer, Humanitäres Völkerrecht, S. 203, 232 ff. 198 Doswald-Beck/Vité, in: IRRC 1993, S. 94 (106); Droege, in: IRRC 2008, S. 501 ff.; Heintze, in: IRRC 2004, S. 789 ff.; VN, Compilation and Analysis of Legal Norms, Rn. 38; IGH, Case Concerning Armed Activities on the Territory of the Congo (Congo v. Uganda), Judgment, 19. Dezember 2005, ICJ Reports 2005, 168, Rn. 180, 216 f.; IGH, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, Advisory Opinion, 9. Juli 2004, ICJ Reports 2004, 136, Rn. 105 f.; IGH, Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, Advisory Opinion, 8. Juli 1996, ICJ Reports 1996, 226, Rn. 25. Aber vor allem die USA und Israel vertreten weiterhin, dass bei Vorliegen eines bewaffneten Konflikts allein das humanitäre Völkerrecht Anwendung findet; zur Position der USA siehe E/CN.4/2006/120, Annex II, 15. Februar 2006; CCPR/C/USA/3, Annex I, 28. November 2005; zur Position Israels siehe CCPR/C/ISR/2001/2, 4. Dezember 2011, Rn. 8.
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Überholt ist die strenge ideologische und institutionelle Trennung der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts, also auch die Aufteilung in Friedens- und in Kriegsrecht.199 Jetzt stehen die beiden Systemen gleichermaßen zugrundeliegenden Ideen, der Schutz physischer und psychischer Unversehrtheit, menschlichen Lebens und menschlicher Würde200, der Schutz des Einzelnen vor denjenigen, die ihn verletzen (könnten)201, im Vordergrund. Die VN und das IKRK sind im Rahmen kriegerischer Auseinandersetzungen zugunsten der Konfliktbetroffenen tätig. Trotz der verschiedenen Strukturen – die Menschenrechte als grundsätzlich vertikale und das humanitäre Völkerrecht als horizontale Ordnung – verfolgen beide Rechtsgebiete die gleichen Ziele. Vor allem wegen dieser Strukturunterschiede ist aber eine Verschmelzung, auch in Zukunft, kaum vorstellbar. Überwiegend wird dann angenommen, die Menschenrechte und das Kriegsrecht seien komplementär, d. h. sie gelten weiter als eigenständige, aber sich teils überschneidende und ergänzende Rechtssysteme.202 Regelmäßig sei aber das humanitäre Völkerrecht im bewaffneten Konflikt lex specialis.203 Liegt nun ein öffentlicher Notstand vor, der das Leben der Nation bedroht und amtlich verkündet wurde, können zahlreiche Menschenrechte außer Kraft gesetzt werden, siehe den eine allgemeine Suspendierungsklausel enthaltenden Art. 4 Abs. 1
199 Heintze, in: ders./Ipsen (Hrsg.), Heutige bewaffnete Konflikte als Herausforderungen an das humanitäre Völkerrecht, S. 163 (164 f.); Meron, Human Rights in Internal Strife, S. 10 f.; siehe auch Doswald-Beck/Vité, in: IRRC 1993, S. 94 ff.; Droege, in: IRRC 2008, S. 501 ff. Während die Menschenrechte traditionell innerstaatliche Angelegenheiten, das Staat-Bürgerverhältnis betreffen, regelt das humanitäre Völkerrecht die Austragung bewaffneter Konflikte, also ursprünglich zwischenstaatlicher Kriege, Droege, in: IRRC 2008, S. 501 (503). Und während die Kodifizierung des humanitären Völkerrechts nach dem Zweiten Weltkrieg durch eine vom IKRK einberufene Expertenkonferenz geschah, fand die Ausarbeitung der Menschenrechtskonventionen im Rahmen der VN statt. Die VN konnten bzw. wollten sich auch gar nicht mit dem Kriegsrecht befassen, hätte dies doch ausgesehen, als vertrauten sie ihren Kriegsverhütungsmechanismen nicht, Kolb, in: IRRC 1998, S. 409 ff.; Heintze, in: ders./Ipsen (Hrsg.), Heutige bewaffnete Konflikte als Herausforderungen an das humanitäre Völkerrecht, S. 163 (164 f.); siehe auch ILC, Yb. ILC 1949, S. 52, Rn. 55 ff. 200 Meurant, in: IRRC 1993, S. 89. 201 Abi-Saab, in: Warner (Hrsg.), Human Rights and Humanitarian Law, S. 107 (122); Kleffner, in: Fleck (Hrsg.), The Handbook of International Humanitarian Law, S. 72, Rn. 251; Moir, The Law of Internal Armed Conflict, S. 194. 202 Droege, in: IRRC 2008, S. 501 (521); Kleffner, in: Fleck (Hrsg.), The Handbook of International Humanitarian Law, S. 72 ff., Rn. 252; siehe auch Sivakumaran, The Law of NonInternational Armed Conflict, S. 84 f.; HRC, General Comment No. 31, 29. März 2004, Rn. 11. Aber einige sehen die Menschenrechte und das Kriegsrecht bereits als einheitlichen Komplex unter zwei institutionellen Dächern an, so Meron, Human Rights in Internal Strife, S. 28. 203 Fleck, in: Frowein et al. (Hrsg.), Verhandeln für den Frieden, S. 69 (78); Heintze, in: IRRC 2004, S. 789 (797); IGH, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, Advisory Opinion, 9. Juli 2004, ICJ Reports 2004, 136, Rn. 105 f.; IGH, Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, Advisory Opinion, 8. Juli 1996, ICJ Reports 1996, 226, Rn. 25.
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3. Kap.: Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure
IPbpR.204 Und gerade bewaffnete Konflikte sind häufig zugleich Notstandssituationen. Außerdem sind einige Menschenrechte mit limitation clauses versehen, siehe etwa Art. 9 Abs. 1 S. 1, 12 Abs. 3, 18 Abs. 3, 19 Abs. 3 S. 2, 21 S. 2, 22 Abs. 2 IPbpR und den generellen Gesetzesvorbehalt des Art. 4 IPwskR; siehe auch die umfangreichen Einschränkungsmöglichkeiten der Banjul-Charta. Der IPwskR und die Banjul-Charta enthalten indes keine ausdrückliche Derogationsmöglichkeit. Den unantastbaren Kern der Menschenrechte enthält Art. 4 Abs. 2 IPbpR. Hierzu zählen: das Recht auf Leben, das Verbot der Folter und der grausamen, unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung, das Verbot der Sklaverei und Leibeigenschaft, weiter die Gedanken-, die Gewissens- und die Religionsfreiheit. Anerkanntermaßen dürfen auch das Geiselnahme- und Entführungsverbot sowie das Verbot willkürlicher Festnahmen nicht suspendiert werden. Aufgrund des Minderheitenschutzes jederzeit untersagt sind Völkermord und Diskriminierungen. Endlich verboten sind rechtswidrige (Massen-)Vertreibungen innerhalb von Staaten und über die Staatsgrenze hinweg. Auch die Einschränkungsmöglichkeiten des Art. 12 Abs. 3 IPbpR können solche Praktiken nicht rechtfertigen.205 Da das humanitäre Völkerrecht kaum Suspendierungsmöglichkeiten kennt206, dürfen auch diejenigen Menschenrechte nicht außer Kraft gesetzt werden, die hier Eingang fanden.207 Ebenso wenig ist eine Derogation völkerstrafrechtlicher Normen möglich.208 So verstärken andere Rechtsordnungen den Schutz der Menschenrechte. In Notstandszeiten kann also ein Teil der für Binnenvertriebene bedeutsamen Rechte außer Kraft gesetzt werden. Man spricht von applicability gap, d. h. es existiert zwar eine einschlägige Regel, diese gilt aber nicht immer. Ein Grund für den Erlass der Guiding Principles und der Kampala Convention war es dann auch, diese Lücke zu schließen.209 Beide Abkommen gelten in Friedens- und in Konfliktzeiten, die einzelnen dort niedergelegten Rechte sind nicht suspendierbar.
204 Der jeweilige Staat hat dann die Staatengemeinschaft durch Vermittlung des VN-Generalsekretärs über die Außerkraftsetzung und die dieser zugrundeliegenden Gründe zu informieren, Art. 4 Abs. 3 IPbpR. 205 Zu den über Art. 4 Abs. 2 IPbpR hinaus gehenden Suspendierungsverboten HRC, General Comment No. 29, 31. August 2001, Rn. 13. 206 Normen des Kriegsvölkerrechts können nur im engen Rahmen des Art. 5 GK IV und Art. 45 Abs. 3 ZP I suspendiert werden. 207 Meron, Human Rights in Internal Strife, S. 23 ff.; Moir, The Law of Internal Armed Conflict, S. 196; vgl. auch Art. 4 Abs. 1 IPbpR „vorausgesetzt, dass diese Maßnahmen ihren sonstigen Verpflichtungen nicht zuwiderlaufen“; siehe auch HRC, General Comment No. 29, 31. August 2001, Rn. 9. 208 Vigny/Thompson, in: Netherl. Hum. Rts. Q. 2002, S. 185 (194 f.). 209 Kälin, Guiding Principles, S. xii.
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IV. Sudan Der Sudan ratifizierte den IPbpR und IPwskR (jeweils 1986), die Genozid(2003), die Apartheids- (1977), die Rassendiskriminierungs- (1977) und die Kinderrechtskonvention (1990) inklusive des ZP Kinderrechtskonvention betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten (2005).210 Zudem ist er Partei einiger regionaler Menschenrechtsabkommen wie der Banjul-Charta (1986) und der Afrikanischen Kinderrechtscharta (2008).211 Dem Great Lakes Pact trat der Sudan bei, nicht aber der Kampala Convention.212 Nach Art. 27 Abs. 3 INC finden vom sudanesischen Staat ratifizierte Menschenrechtsabkommen direkt Anwendung im nationalen Recht und stehen auf gleicher Stufe wie die Verfassung. Aktuell besteht im Sudan Notstand213 zumindest in den Darfur-Provinzen.214 Doch unternahm Khartum bisher keine formellen Schritte, Regeln des IPbpR außer Kraft zu setzen. Die INC sieht in Art. 211 lit. a) aber selbst vor: „The President of the Republic, with the consent of the First Vice President, may during the state of emergency take, by virtue of law or exceptional order, any measures that shall not derogate from the provisions of this Constitution and the Comprehensive Peace Agreement except as may be provided herein: (a) to suspend part of the Bill of Rights. However, there shall be no infringement on the right to life, sanctity from slavery, sanctity from torture, the right of non-discrimination on the basis of race, sex, religious creed, the right in litigation or the right to fair trial.“
210
Siehe VN, Treaty Collection. Der Sudan trat außerdem der Arabischen Charta der Menschenrechte (ACHR) vom 22. Mai 2004, in Kraft getreten am 15. März 2008, und der Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam (CDHRI) vom 15. August 1990 bei. 212 2009 erließ der Sudan aber die National Policy on Internally Displaced Persons (IDPs) (Text abrufbar unter: http://www.brookings.edu/~/media/Projects/idp/Sudan_IDPPolicy.PDF); hierzu siehe auch A/HRC/22/44/Add.2, 27. Mai 2013, Rn. 19. 213 Zu den Voraussetzungen für die Erklärung eines State of Emergency im Sudan siehe „Art. 210 INC (1) The President of the Republic, with the consent of the First Vice President, may upon the occurrence of an imminent danger, whether it is war, invasion, blockade, natural disaster or epidemics, as may threaten the country, or any part thereof or the safety or economy of the same, declare a state of emergency in the country, or in any part thereof, in accordance with this Constitution and the law. (2) The declaration of a state of emergency shall be submitted to the National Legislature within fifteen days of the issuance of the declaration. When the National Legislature is not in session, an emergency session shall be convoked. (3) When the National Legislature approves the declaration of a state of emergency, all laws, exceptional orders or measures issued or taken by the President of the Republic pursuant to the state of emergency shall continue to remain in force.“ Siehe auch Art. 58 Abs. 1 lit. g), Abs. 2 lit. a), 91 Abs. 2 lit. g) INC. 214 Siehe S/RES/2113, 30. Juli 2013, Rn. 17. Verlässliche, gar offizielle Informationen über die aktuelle Notstandslage im Sudan sind nicht erhältlich. 211
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3. Kap.: Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure
Mohamed Chande Othman, ehemaliger Independent Expert on the Situation of Human Rights in the Sudan, hielt 2010 fest, dass es durch die Notstandssituation in Darfur und der damit einhergehenden Anwendung des National Security Act (NSS) und des Emergency and Public Safety Protection Act weiter zur Einschränkung fundamentaler Rechte und Freiheiten kommt.215
V. Bindung nichtstaatlicher Gewaltakteure an die Menschenrechte Wegen ihrer Eigenschaft als rechtswidrige, nur vorrübergehend existierende Einheiten ist nichtstaatlichen Gewaltakteuren die Mitgestaltung von und der Beitritt zu den existierenden Regelungsverträgen, besonders den Menschenrechtskonventionen, unmöglich. Siehe auch Art. 48 IPbpR und Art. 26 IPwskR, die die möglichen Vertragsparteien der Menschenrechtspakte benennen.216 Zur Beantwortung der Frage nach der Bindung bewaffneter Oppositionsbewegungen an die Menschenrechte können dann zunächst beide Rechtfertigungserklärungen der Menschenrechte – ihre Eigenschaft als natürliche bzw. moralische Rechte und ihre Eigenschaft als Regulationsinstrument von Über-Unterordnungsverhälnissen – fruchtbar gemacht werden. Daneben zeigen neuere Entwicklungen im Völkervertragsrecht und in der praktischen Arbeit internationaler Einrichtungen, dass man die von nichtstaatlichen Gewaltakteuren ausgehende Gefahr für die grundlegenden Werte der Völkerrechtsgemeinschaft, namentlich den Weltfrieden, die internationale Sicherheit und Stabilität sowie fundamentale Rechte des Einzelnen, erkannte und versucht einzudämmen. 1. Menschenrechte als natürliche bzw. moralische Rechte a) Überpositive und positive Menschenrechte Die Rechtsphilosophie fragt etwa nach dem Wesen des Rechts, allgemein und speziell der Menschenrechte, nach der Begründung und Geltung von Recht, wieder: allgemein und speziell der Menschenrechte. Schon die Bibel, die Stoa und seit dem 17. Jahrhundert auch Philosophen und Staatstheoretiker erkannten die Menschenrechte als jeder Person allein aufgrund ihres Menschseins, ihrer Würde bzw. grundlegenden Bedürfnisse217, zustehende,
215
A/HRC/18/40, 22. August 2011, Rn. 54. Zum Wortlaut von Art. 48 IPbpR und Art. 26 IPwskR oben S. 134. 217 Kirste, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. X, S. 6, Rn. 6; siehe auch Brugger, in: Jahrbuch für Recht und Ethik 3 (1995), S. 121 ff. 216
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ahistorische und natürliche Rechte an.218 Der Mensch muss für den Erwerb der Menschenrechte nichts tun. So auch die AEMR, wenn es im ersten Satz der Präambel heißt: „Da die Anerkennung der angeborenen Würde und der gleichen und unveräußerlichen Rechte aller Mitglieder der Gemeinschaft der Menschen die Grundlage von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt bildet.“219
In ähnlicher Weise werden Menschenrechte als moralische Rechte, ihr Geltungsgrund als ein rein moralischer verstanden.220 Die Rechtsverbindlichkeit folgt dann schon aus ihrem Inhalt, nicht erst aus einem bestimmten Verhalten, einer Einwilligung, besonderen Eigenschaften oder Beziehungen.221 Nun korreliert mit den allen zustehenden Menschenrechten die (Selbst-)Verpflichtung aller, diese Rechte auch zu wahren.222 Wegen ihrer Wechselseitigkeit sind den Menschenrechten Pflichten inhärent.223 Unsere elementarsten Güter besitzen aus sich heraus je eine Rechte- und eine Pflichtenseite. So kann jeder von allen anderen verlangen, seine Rechte zu berücksichtigen; zugleich hat jeder die Pflicht, die Rechte aller anderen zu wahren. Die Menschenrechte der anderen beschränken die eigenen Entfaltungsmöglichkeiten. Der Philosoph Gosepath: „Die Adressaten der Menschenrechte sind zunächst einmal wir alle als Mitglieder der umfassenden Gemeinschaft aller Menschen – und zwar jeweils einzeln und alle zusammen, in der ganzen Welt –, die primär aufgefordert sind, das Recht zu achten und sich entsprechend zu verhalten.“224
218 Siehe Kirste, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. X, S. 6 ff., Rn. 7 ff.; ausführlich zu den Menschenrechten als Naturrecht Thuck, Natural Rights Theories. 219 Siehe auch Art. 1 AEMR sowie Abs. 2 Präambel der Menschenrechtspakte; vgl. auch Sohn, in: Am. U. L. Rev. 1982, S. 1 (17 f.). 220 So etwa Alexy, in: Gosepath/Lohmann (Hrsg.), Philosophie der Menschenrechte, S. 244 (249); Borowski, in: ARSP-Beiheift 2007, S. 37 (37); ders., in: German Yb. Int’l L. 2001, S. 38 (46); Gosepath, in: ders./Lohmann, (Hrsg.), Philosophie der Menschenrechte, S. 146 (148 f.); Lohmann, in: Gosepath/Lohmann (Hrsg.), Philosophie der Menschenrechte, S. 62 (89); Tugendhat, Vorlesungen über Ethik, S. 336 ff. Zur Unterscheidung naturrechtlicher und moralischer Rechte Kirste, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. X, S. 11, Rn. 11. Andere verstehen die Menschenrechte als politische Konzeption, so etwa Habermas, Faktizität und Geltung, insbesondere Kap. III und IV; Rawls, Recht der Völker. 221 Gosepath, in: Sandkühler (Hrsg.), Menschenrechte in die Zukunft denken, S. 35 (38); ders., in: ders./Lohmann, (Hrsg.), Philosophie der Menschenrechte, S. 146 (148 f.); Tugendhat, Vorlesungen über Ethik, S. 336 ff.; vgl. auch Brugger, in: AöR 27 (1989), S. 537 (556, 559). 222 Gosepath, in: Sandkühler (Hrsg.), Menschenrechte in die Zukunft denken, S. 35 (38). 223 Sandkühler, in: ders. (Hrsg.), Menschenrechte in die Zukunft denken, S. 15 (18); vgl. auch Lohmann, in: Gosepath/Lohmann (Hrsg.), Philosophie der Menschenrechte, S. 62 (85). 224 Gosepath, in: ders./Lohmann, (Hrsg.), Philosophie der Menschenrechte, S. 146 (152). Siehe auch Clapham: Menschenrechte „are rights which belong to the individual in recognition of each persons’ inherent dignity. The implication is that these natural rights should be respected by everyone and every entity“, Clapham, The Rights and Responsibilities of Armed Non-State Actors, S. 24; siehe auch Bellal/Casey-Maslen, in: Göttingen J. Int’l L. 2011, S. 175 (186 f.).
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3. Kap.: Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure
Menschenrechte besitzt das Individuum also auch, wenn es sich nicht in einem, wie auch immer gearteten, politischen System, heute dem Staat, befindet. Ebenso wenig kann das System sie dann negieren: Die Menschenrechte gehen jedem Gemeinwesen voraus225 und bleiben auch innerhalb diesem bestehen. Anders als bei der Drittwirkung, die bereits dem Begriff nach ein Dreiecksverhältnis – Staat, ein Bürger und ein zweiter Bürger, der dem ersten Bürger als Dritter gegenüber steht226 – voraussetzt, geht es hier um Situationen, in denen der Staat noch nicht oder nicht mehr als handlungsfähiger Akteur existiert.227 Wenn so zwar jede Person(engruppe) an die Menschenrechte gebunden ist, nützt dies aber nur wenig. Erst durch ihre Positivierung können die Menschenrechte effektiv gesichert, durchgesetzt werden228 ; andernfalls bleiben sie „nackt.“229 Es bedarf einer über den Menschen stehenden Instanz, die für Frieden und Freiheit sorgt – es bedarf des Staates. Die zunächst an alle adressierten Menschenrechte wandeln sich dann in an den Staat adressierte Menschenrechte.230 Die primäre wird um eine sekundäre Ebene ergänzt. So treten Menschenrechte überpositiv als naturrechtliche bzw. moralische Rechte sowie positiv als Völker- und Verfassungsrecht auf. Wen sie 225
Vgl. Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, S. 467. Auf Seiten der Bürger können auch jeweils mehrere Personen stehen. 227 Zu den verschiedenen Konstellatioen siehe das Schaubild bei Hessbruegge, in: Buffalo Hum. Rts. L. Rev. 2005, S. 21 (25). 228 Gosepath, in: Sandkühler (Hrsg.), Menschenrechte in die Zukunft denken, S. 35 (39); ders., in: ders./Lohmann, (Hrsg.), Philosophie der Menschenrechte, S. 146 (153); vgl. Lohmann, in: Gosepath/Lohmann (Hrsg.), Philosophie der Menschenrechte, S. 62 (66, 70, 90 f.). So sind Sanktionen bei der Verletzung moralischer Rechte auch allein moralische Empfindungen, während die Verletzung positiven Rechts von „außen“ sanktioniert wird. Die Rechtsdurchsetzung erfolgt beim gesetzten Recht dann insbesondere durch eine Klageinstanz, regelmäßig ein Gericht. Eine solche Instanz fehlt bei den natürlichen und moralischen Rechten, was zu der grundlegenden Frage führt, inwiefern diese überhaupt Recht darstellen, hierzu Lohmann, in: Gosepath/Lohmann (Hrsg.), Philosophie der Menschenrechte, S. 62 (66 f.); siehe auch Brugger, in: AöR 27 (1989), S. 537 (541 ff.); Wildt, in: Gosepath/Lohmann (Hrsg.), Philosophie der Menschenrechte, S. 124 (125 ff.). Für Habermas ist Recht dann auch nur „das moderne gesatzte Recht, das mit dem Anspruch auf systematische Begründung sowie verbindliche Interpretation und Durchsetzung auftritt“, Habermas, Faktizität und Geltung, S. 106. Nach Tugendhat sind die Durchsetzungsmechanismen moralischer Rechte „aus einem sehr ätherischen Material“, Tugendhat, Vorlesungen über Ethik, S. 349. Fraglich ist weiter, ob nun eine (moralische) Verpflichtung zur Positivierung der Menschenrechte besteht, so Alexy, in: Gosepath/Lohmann (Hrsg.), Philosophie der Menschenrechte, S. 244 (255); Gosepath, in: Sandkühler (Hrsg.), Menschenrechte in die Zukunft denken, S. 35 (39, 44); Tugendhat, Vorlesungen über Ethik, S. 349 f.; vgl. auch Borowski., in: ARSP-Beiheift 2007, S. 37 (38); ders., in: German Yb. Int’l L. 2001, S. 38 (46); anders aber etwa Pogge, in: Gosepath/Lohmann (Hrsg.), Philosophie der Menschenrechte, S. 378 (382). 229 Gosepath, in: Sandkühler (Hrsg.), Menschenrechte in die Zukunft denken, S. 35 (39); siehe auch Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, S. 480 ff. 230 Borowski, in: ARSP-Beiheift 2007, S. 37 (41); ders., in: German Yb. Int’l L. 2001, S. 38 (46); Gosepath, in: ders./Lohmann (Hrsg.), Philosophie der Menschenrechte, S. 146 (153); vgl. Kirste, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. X, S. 4, Rn. 1, 3, siehe auch S. 24, Rn. 37. 226
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binden, ob die natürliche Person oder den Staat, hängt dann von eben dieser Form ab.231 Mithin macht nicht allein die Person des Rechtsverletzers die Rechtsverletzung zu einer Menschenrechtsverletzung. Besteht ein Regime, das durch den Erlass von Regeln und die Einrichtung einer funktionierenden Verwaltung, Polizei und Justiz Bedingungen für die (Menschen-)Rechtswahrung schafft, verletzt der Einzelne, wenn er einen Menschen tötet, zwar dessen Menschenrecht auf Leben, ist aber in erster Linie Totschläger bzw. Mörder im Sinne des nationalen Rechts, weil er die entsprechende Strafnorm, ein positives Recht, verletzt hat. Der vor- und überstaatlichen Menschenrechtsebene bedarf es dann nicht. Ein Rückgriff hierauf ist indes wieder nötig, wenn der Staat kaum oder gar nicht mehr handlungsfähig ist, zerfällt. b) Negative und positive Pflichten Dabei mag die Bindung aller an die Menschenrechte plausibler erscheinen, je einfacher sie zu erfüllen ist. Die Menschenrechte enthalten aber nicht nur Verbote, sondern legen den Verpflichteten in besonderem Maße auch positive Aufgaben auf.232 Anders als die Abwehrrechte untersagen die Leistungsrechte, die für Vertriebene besonders wichtig sind, ein bestimmtes Verhalten nicht, sondern fordern es gerade. Positive Pflichten verlangen ihrem Adressaten so meist mehr ab als negative Pflichten. Ihre Einhaltung hängt von seiner Leistungsfähigkeit, seinen finanziellen und materiellen Mitteln sowie sonstigen Fähigkeiten ab.233 Gerade nichtstaatlichen Gewaltakteuren fehlt es hieran aber häufig.234 Schon immer sicherten die Familie und andere Solidarverbindungen wie Stammes- oder Religionsgemeinschaften die basalen Bedürfnisse.235 Die Menschen unterstützen sich gegenseitig. Aber selbst Staaten, ebenfalls Solidarverbindungen, haben die Umsetzung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte lediglich unter Ausschöpfung ihrer Möglichkeiten, auch mit Hilfe anderer anzustreben, Art. 2 Abs. 1 IPwskR.236 Dies muss für alle gelten. Jede natürliche Person hat einen Teil zur Förderung des Gemeinwohls beizutragen – je ressourcenreicher, vor
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Vgl. Kirste, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. X, S. 4 f., Rn. 1 ff. 232 Aber auch dem humanitären Völkerrecht sind einige positive Pflichten zu entnehmen, siehe für nichtinternationale bewaffnete Konflikte etwa Art. 3 Abs. 2 S. 1 GK, Art. 4 Abs. 3 ZP II, und speziell die Binnenvertriebenen betreffend Art. 17 Abs. 1 S. 2 ZP II. 233 Vgl. Beck/Vité, in: IRRC 1993, S. 94 (103 f.). 234 Moir, The Law of Internal Armed Conflict, S. 194; vgl. auch International Council on Human Rights Policy, Ends & Means, S. 60. 235 Siehe Alexy, in: Gosepath/Lohmann (Hrsg.), Philosophie der Menschenrechte, S. 244 (256); Tugendhat, Vorlesungen über Ethik, S. 355 f. 236 Siehe Clapham, in: IRRC 2006, S. 491 (502).
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3. Kap.: Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure
allem aber je beziehungsabhängiger und verantwortungstragender, desto mehr.237 Koller spricht von einer „Abstufung der gegenseitigen Rechte und Pflichten.“238 So sind zwar alle auch Adressat positiver Pflichten, doch gelten diese nicht mit gleichem Umfang und Gewicht für alle.239 c) Würdigung Jedem stehen, unabhängig davon, wo und wie er lebt, kraft seines Menschseins elementare Rechte, Menschenrechte zu. Und jeder hat diese zunächst naturrechtlich bzw. moralisch begründeten Menschenrechte aller zu wahren. Ist doch nur so ein friedliches Miteinander denkbar. Aber welche Rechte sind das, welche Rechte besitzt jeder und welche Rechte sind von jedem einzuhalten? Nach Gosepath sind Menschenrechte diejenigen Rechte, die „die Bedingungen für eine friedliche und minimal gerechte Koexistenz von Menschen sowie die Bedingungen der Möglichkeit guten Lebens“ sichern.240 Menschenrechte schützen das Individuum und geben ihm Perspektiven. Quell ist die Würde des Menschen.241 Umfasst ist dann zunächst und zuvörderst die physische und psychische Integrität. Ferner der Gleichheitssatz, mit dem ein Diskriminierungsverbot einhergeht, und der Freiheitssatz, begrenzt allein durch die Rechte der anderen. Befriedigt werden müssen schließlich Grundbedürfnisse wie Nahrung, Gesundheit, Obdach und Bildung. Die Menschen haben einander zu achten und füreinander Sorge zu tragen. 2. Menschenrechte als Regelungsinstrument von Über-Unterordnungsverhältnissen a) Menschenrechte als Rechte des Bürgers gegenüber dem Staat Die Idee der Menschenrechte, gerade in ihrer Form als Freiheits-, als Abwehrrechte, geht vor allem auf die Zeit der Aufklärung zurück. Staatstheoretiker und Philosophen wie Hobbes, Locke und Kant nahmen, freilich in unterschiedlichem 237
Zum „Modell der beziehungsabhängigen Verantwortlichkeit“, Koller, in: Gosepath/ Lohmann (Hrsg.), Philosophie der Menschenrechte, S. 96 (106 f.). 238 Koller, in: Gosepath/Lohmann (Hrsg.), Philosophie der Menschenrechte, S. 96 (104). „Jede Person besitzt innerhalb und gegenüber ihrer eigenen Gesellschaft alle drei Arten von Menschenrechten, also die liberalen, politischen und sozialen Rechte. Ich nehme also an, dass jede Person wenigstens gegenüber der Gesellschaft, der sie selber angehört, nicht nur ein Recht auf die bürgerlichen Grundfreiheiten und auf politische Mitsprache hat, sondern auch auf die grundlegenden Bedingungen ihrer Existenz, so vor allem einen Anspruch auf Bildung, auf Gesundheitsversorgung und auf ein Existenzminimum“, Koller, in: Gosepath/Lohmann (Hrsg.), Philosophie der Menschenrechte, S. 96 (112), Hervorhebung durch die Autorin. 239 Siehe Alexy, in: Gosepath/Lohmann (Hrsg.), Philosophie der Menschenrechte, S. 244 (256 ff.); Koller, in: Gosepath/Lohmann (Hrsg.), Philosophie der Menschenrechte, S. 96 (103 ff.); Tugendhat, Vorlesungen über Ethik, S. 355 ff. 240 Gosepath, in: Sandkühler (Hrsg.), Menschenrechte in die Zukunft denken, S. 35 (38). 241 Kirste, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. X, S. 5, Rn. 3.
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Umfang, die Würde, die Freiheit, das Leben und das Eigentum des Einzelnen sowie die Gleichheit aller als naturgegebene Rechte an.242 Da aber der Naturzustand aufgrund der Unvollkommenheit des Menschen zwangsläufig zu Unwägbarkeiten, zu Gewalt, gar zu Bürgerkrieg führen würde – „Homo homini lupus – ,Der Mensch ist ein Wolf für den Menschen‘“243 – schließen sich natürliche Personen im Gesellschaftsvertrag zusammen und übertragen mit dem Herrschaftsvertrag die Macht einer höheren Autorität, die sie stellvertretend für die Gemeinschaft verwaltet.244 Auf der ganzen Welt bildet heute der Staat dieses Ordnungsregime. Er hat Frieden und die Wahrung und den Schutz der Rechte seiner Bürger zu garantieren. Nun kann der das Gewaltmonopol innehabende Staat dem widersässigen Volk seinen Willen auch mittels Exekutive, Legislative und Judikative aufzwingen.245 Zur Aufrechterhaltung und Wiederherstellung von Sicherheit und Ordnung ist dies gestattet. Aber immer wieder exzediert der Staat. Er selbst ist wegen seiner Machtfülle zugleich eine große, vielleicht die größte Gefahr für die Menschenrechte; er hütet und gefährdet die Menschenrechte gleichermaßen.246 James Madison 1788: „If men were angels, no government would be necessary. If angels were to govern men, neither external nor internal control on government would be necessary. In framing a government which is to be administered by men over men, the great difficulty lies in this: you must first enable the government to control the governed; and in the next place oblige it to control itself.“247
Traditionell befassen sich die Menschenrechte mit dem Über-Unterordnungsverhältnis Staat-Bürger. Sie gebieten und beschränken staatliches Handeln. Dem Schutz der Bürger vor ihrem Staat dienten zunächst nur die seit der französischen Déclaration des droits de l’homme et du citoyen vom 26. August 1789 und den amerikanischen Bill of Rights vom 25. September 1789 in weiteren Verfassungen westlicher Staaten aufgenommenen Grundrechte.248 Im Mittelpunkt standen noch, 242 Siehe etwa Hobbes, Der Leviathan, S. 96, 102; Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, S. 47; Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung, S. 201 f.; siehe auch Brugger, in: AöR 27 (1989), S. 537 (570 f.). 243 Hobbes, Vom Menschen/Vom Bürger, S. 59. 244 Frotscher/Pieroth, Verfassungsgeschichte, S. 61, Rn. 129; siehe auch Hobbes, Der Leviathan, S. 77, 98 f. 133 ff.; Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, S. 125 f.; Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung, S. 278 ff. 245 Brugger, in: AöR 27 (1989), S. 537 (538). 246 Andreopoulos, in: ders./Arat/Juviler (Hrsg.), Non-State Actors in the Human Rights Universe, S. 141 (144); Brugger, in: AöR 27 (1989), S. 537 (538, 557); Kirchhof, Der Staat als Garant und Gegner der Freiheit, S. 9; Tomuschat, in: AVR 21 (1983), S. 289 (306). 247 Madison, Federalist No. 51, The Structure of the Government Must Furnish the Proper Checks and Balances Between the Different Departments, For the Independent Journal, Mittwoch, 6. Februar 1788, http://www.constitution.org/fed/federa51.htm. 248 Siehe Weissbrodt, in: Castermans-Holleman/van Hoof/Smith (Hrsg.), Essays in Honour of Peter Baehr, S. 175 (176 f.); vgl. auch Sandkühler, in: ders. (Hrsg.), Menschenrechte in die Zukunft denken, S. 15 (18 f.). Grundrechte verbürgen elementare Rechte der Bürger auf nationaler, verfassungsrechtlicher Ebene. Die Grundrechtswirkung zwischen Privaten kann jeder
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3. Kap.: Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure
entsprechend der damals eingeleiteten Befreiung des gemeinen Volkes von seinen Herrschern, die klassischen Freiheitsrechte.249 Unter dem Eindruck zunehmender Grundrechtsverletzungen, vieler totalitärer Systeme und den beiden Weltkriegen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, des damit einhergehenden Leids und Unrechts, offenbarte sich ein immer stärkeres Schutzbedürfnis der Menschen vor Gewalt- und Willkürherrschaften.250 Da es dem Staat frei steht, ob und inwieweit er die angenommenen Grundrechte tatsächlich verwirklicht, genügt das nationale Schutzregime nicht.251 Geht der Staat gegen sein eigenes Volk vor, verkehrt er seine genuinen Aufgaben ins Gegenteil. Die Souveränität bewahrt dem Staat eine unantastbare domain réservé, zu der grundsätzlich auch das Staat-Bürgerverhältnis zählt; zumindest verpflichtet durch die überpositiven Menschenrechte. Nun machen die Fehlbarkeit und die Schwächen
Staat selbst ausgestalten. Nach der Verabschiedung des Grundgesetzes 1949 standen sich in Deutschland die Vertreter einer unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte, also der direkten Geltung der Grundrechte im horizontalen Verhältnis der Privaten untereinander, und die Verfechter einer mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte gegenüber. Letztere gehen von einer Ausstrahlungswirkung der Grundrechte aus: die Grundrechte gelten zwar nicht direkt zwischen den Bürgern, doch binde das in ihnen enthaltene Wertesystem alle Staatsgewalt, also die Legislative, die Exekutive und die Judikative, bei der Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nahm in seiner Lüth-Entscheidung eine mittelbare Drittwirkung der Grundrechte an, BVerfGE 7, 198 ff., seitdem ständige Rechtsprechung. Zur Diskussion siehe Dürig, in: Maunz (Hrsg.), FS Nawiasky, S. 157 ff.; Nipperdey, in: ders. (Hrsg.), FS Molitor, S. 17 ff. 249 Aber schon Ende des 20. Jahrhunderts teilte Jellinek die Grundrechte in liberale Freiheits- (status negativus), in politische (status activus) und in soziale (status positivus) Teilhaberechte ein, siehe Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte. Wenn auch Überschneidungen existieren, darf diese Einteilung nicht mit derjenigen der Menschenrechte in „Generationen“ und „Dimensionen“ verwechselt werden. 250 Siehe Grassi, Die Rechtsstellung des Individuums im Völkerrecht, S. 122; siehe auch Menke/Pollmann, Philosophie der Menschenrechte zur Einführung, S. 16 ff.; Sandkühler, in: ders. (Hrsg.), Menschenrechte in die Zukunft denken, S. 15 (17, 25); Tomuschat, in: AVR 21 (1983), S. 289 (307); Weissbrodt, in: Castermans-Holleman/van Hoof/Smith (Hrsg.), Essays in Honour of Peter Baehr, S. 175 (187); vgl. auch die IACHR: „The situations that arose in Europe between the two world wars dramatically demonstrate the need to develop a system that contemplates those situations in which the State, whose function is to protect the individual, becomes his assailant. When it comes to the State, the individual is defenseless because he lacks the means to protect himself. This is where the rights of the individual acquire an added dimension that puts them above the rights of States and makes the individual a subject under international law. Thus, his individual rights can be protected by the international community, organized and juridically regulated by means of treaties. This is the substance of the legal contract between the individual and the State that is formalized in the concept of human rights,“ IACHR, OEA/Ser.L/V/II.79., Doc. 12 rev. 1, 22. Februar 1991, Rn. 2; siehe auch Abs. 2 Präambel AEMR „da die Nichtanerkennung und Verachtung der Menschenrechte zu Akten der Barberei geführt haben, die das Gewissen der Menschheit mit Empörung erfüllen.“ 251 Grassi, Die Rechtsstellung des Individuums im Völkerrecht, S. 122 f.
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des Staates eine überstaatliche Ordnung erforderlich.252 In der Folge vermindert sich der Kernbereich nationaler Angelegenheiten. Bereits der Völkerbund, als Antwort auf die Grauen des Ersten Weltkriegs geschaffen, sollte den Frieden auf der Welt sichern und Minderheiten schützen. Seit der Entstehung der VN 1945 gehört der Menschenrechtsschutz zu den Hauptzielen der IO, siehe Präambel, Art. 1 Nr. 3, 13, 55 lit. c), 56, 76 lit. c) VN-Charta. Schließlich verkündete die Generalversammlung im Dezember 1948 die AEMR, das erste allgemeine Menschenrechtswerk. Mittlerweile sind die Menschenrechte auf internationaler und regionaler Ebene in zahlreichen Abkommen verbürgt, sie gelten universal, siehe Abs. 7 Präambel AEMR.253 b) Nichtstaatliche Gewaltakteure als de facto-Regime Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass der mächtige Staat noch Mitte des 20. Jahrhunderts als Menschenrechtsverletzer par excellence galt. Doch tauchten in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend potente nichtstaatliche (Gewalt-)Akteure auf, die die Menschenrechte in vergleichbarer Weise gefährden und verletzen. Zunächst ist es aber Aufgabe des Staates, sein Volk vor den nichtstaatlichen (Gewalt-)Akteuren zu schützen. Und regelmäßig stehen die außerstaatlichen Verbände dem übrigen Volk auch nicht wie die Staatsmacht ihren Bürgern in einem ÜberUnterordnungsverhältnis gegenüber.254 Immer wieder kommt es aber zu Situationen, in denen nichtstaatliche Gewaltakteure de facto-Herrschaft erlangen, also für eine gewisse Zeit effektiv Kontrolle über Staatsgebiet und die dort lebenden Menschen ausüben. Dann kann oder will der Staat seinen Pflichten gegenüber der dort lebenden Bevölkerung kaum nachkommen. Ein Rückgriff auf die Oppositionsbewegung, gerade mit völkerrechtlichen Mitteln, ist nötig. Dem außerstaatlichen Verband ist es hier wohl auch tatsächlich möglich, die umfänglichen Menschenrechtsverpflichtungen zu erfüllen. De facto-Regime sind regelmäßig staatsähnlich strukturiert, besitzen ein, wenn auch rudimentäres, Regierungs-, Verwaltungs- und Gerichtssystem, und verfügen über finanzielle Mittel. Schließlich muss Recht realisierbar sein. Ist der Staat an die Menschenrechte gebunden, weil er Macht über die Bürger ausübt, müssen konsequenterweise auch andere Entitäten, die den Bürgern in gleicher oder ähnlicher machtvoller Weise begegnen, an die Menschenrechte gebunden
252 Gosepath, in: Sandkühler (Hrsg.), Menschenrechte in die Zukunft denken, S. 35 (40, 45); Klein, Menschenrechte, S. 11; Tomuschat, in: AVR 21 (1983), S. 289 (307); siehe auch IACHR, OEA/Ser.L/V/II.79., Doc. 12 rev. 1, 22. Februar 1991, Rn. 2. Tatsächlich hatte schon Kant 1795 die Idee eines „Völkerbundes“, Kant, Zum ewigen Frieden, S. 59 ff. 253 Zum Wortlaut oben Fn. 49. 254 Zegveld, Accountabilty of Armed Opposition Groups in International Law, S. 54.
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sein255 – der tatsächliche Machthaber muss nicht notwendigerweise die Staatsgewalt sein.256 Jedenfalls spielt es keine Rolle, ob der Herrscher demokratisch legitimiert ist. Etwa nichtstaatliche Gewaltakteure können als tatsächliche Machthaber auftreten. Auch hier besteht ein Ungleichgewicht, hier zwischen den Oppositionellen und den Bürgern, auch hier geht es um die Regulierung eines Über-Unterordnungsverhältnisses.257 So sind Menschenrechtsverpflichtungen auf all jene auszuweiten, die staatsähnliche Gewalt über natürliche Personen ausüben. Entsprechend erweiterte Rodley seine Menschenrechtsdefinition: „Human rights are those rules that mediate the relationship between, on the one hand, governments or other entities exercising effective power analogous to that of governments and, on the other hand, those who are subject to that power.“258
Während humanitäres Völkerrecht nichtstaatliche Gewaltakteure als Kampfparteien, als militärische Autoritäten, verpflichtet, binden die Menschenrechte sie hier als Macht innehabende, als (auch) politische Autoritäten.259 c) Regierungsübernahme Sobald nichtstaatliche Gewaltakteure Regierungsmacht erlangen, sind sie an die von den Vorgängerregierungenen geschlossenen völkerrechtlichen Verträge gebunden. Außerdem tragen sie Verantwortung für ihre als Oppositionsbewegung
255 So auch Rodley, in: Mahoney/Mahoney (Hrsg.), Human Rights in the Twenty-First Century, S. 297 (300); Ryngaert, in: Revue Belge de Droit International 2008, S. 355 (356); Tomuschat, in: Fischer et al. (Hrsg.), FS Fleck, S. 573 (588); Zegveld, Accountabilty of Armed Opposition Groups in International Law, S. 54; siehe auch die VN-Berichte: A/HRC/17/44, 1. Juni 2011, Rn. 72; Report of the Secretary-General’s Panel of Experts on Accountability in Sri Lanka, 31. März 2011, Rn. 188; A/HRC/12/48, 25. September 2009, Rn. 305; A/HRC/2/7, 2. Oktober 2006, Rn. 19; A/HRC/10/22, 20. März 2009, Rn. 22; E/CN.4/2006/53/Add.5, 27. März 2006, Rn. 26; E/CN.4/2005/7, 22. Dezember 2004, Rn. 76. Bellal, Giacca und CaseyMaslen meinen, dass dann der Inhalt menschenrechtlicher Pflichten vom Grad der Kontrolle, die die außerstaatliche Gruppe inne hat, abhänge, Bellal/Giacca/Casey-Maslen, in: IRRC 2011, S. 47 (71 f.). Einige meinen gar, die Bindung nichtstaatlicher Gewaltakteure an die Menschenrechte bei Ausübung von de facto-Herrschaft sei mittlerweile gewohnheitsrechtlich anerkannt, Constantinides, in: Hum. Rts. & Int’l Legal Discourse 2010, S. 89 (102 f.); vgl. auch Hessbruegge, in: Buffalo Hum. Rts. L. Rev. 2005, S. 21 (39 ff., 88). 256 Ryngaert/Van de Meulebroucke, in: J Confl. & Security L. 2011, S. 434 (440); Ryngaert/ Noortmann, in: Hum. Rts. & Int’l Legal Discourse 2010, S. 5 (6). 257 Vgl. Bellal/Casey-Maslen, in: Göttingen J. Int’l L. 2011, S. 175 (187); Bellal/Giacca/ Casey-Maslen, in: IRRC 2011, S. 47 (69); IACHR, OEA/Ser.L/V/II.79., Doc. 12 rev. 1, 22. Februar 1991, Rn. 2; Kolb, in: IRRC 1998, S. 409 (410); Sivakumaran, The Law of NonInternational Armed Conflict, S. 85. 258 Rodley, in: Mahoney/Mahoney (Hrsg.), Human Rights in the Twenty-First Century, S. 297 (300), Hervorhebung durch die Autorin. 259 Schoiswohl, in: Austrian Rev. Int’l & Europ. L. 2001, S. 45 (63); vgl. Zegveld, Accountability of Armed Opposition Groups in International Law, S. 149.
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begangenen Taten. Jedenfalls Letzteres gilt auch für Verbände, die einen neuen Staat etablieren. Das Prinzip der Staatenverantwortlichkeit ist anzuwenden. d) Sudan Eine Bindung der sudanesischen Rebellengruppen JEM, SLM/A-AW und SLM/ A-MM an die Menschenrechte scheidet hiernach aus, sind sie doch keine de factoRegime. e) Würdigung Die gesamte Welt ist heute in Staaten unterteilt. Als Herrschaftsgebilde üben die Staaten Macht über ein bestimmtes Gebiet und die dort lebenden Menschen aus. Die Beziehung zwischen Staat und Volk regeln die Grund- und Menschenrechte. Diese Rechte gewähren dem Einzelnen einen gewissen Freiraum, aber auch Ansprüche auf ein Tun und Unterlassen. Verbürgt sind sie national in zahlreichen Verfassungen, international und regional in völkerrechtlichen Abkommen. Hieran binden sich die Staaten. Endlich gelten manche Menschenrechte unbedingt, sog. ius cogens. Ius cogens ist von jedem gegenüber jedem zu wahren. Die Menschenrechtsbewegung trug entscheidend zur Umorientierung des Völkerrechts, weg von einer staatenzentrierten, hin zu einer auch Individualgüter schützenden Ordnung bei260, und bewirkte damit eine Abwendung vom strengen Positivismus.261 Übt nun nicht der Staat mittels seiner Gewalten, sondern eine andere Entität Macht aus, muss diese in gleicher Weise gebunden sein wie der Staat. 3. Nichtstaatliche Gewaltakteure in Menschenrechtsabkommen a) Klassische Menschenrechtsabkommen Klassische universelle Menschenrechtswerke wie die AEMR und den IPbpR formulierte man überwiegend aus der Sicht des Rechtsträgers, also der natürlichen Person bzw. des Volkes: „Jedermann hat ein Recht auf“, „Niemand darf […] unterworfen/entzogen werden“ etc. Die Vorschriften des IPwskR und weiterer Menschenrechtskonventionen wie der Rassendiskriminierungs-, der Apartheids- und der Kinderrechtskonvention sind indes aus Sicht der Pflichteninhaber verfasst, adressieren die Vertragsstaaten: „Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich“, „Die Vertragsstaaten erkennen das Recht […] an“, „Die von den Vertragsstaaten zu unternehmenden Schritte“ etc.262 Und auch für den IPbpR verpflichtet dann Art. 2 IPbpR die Vertragsstaaten zur Achtung und diskriminierungsfreien Gewährleistung der im Pakt 260
Vgl. ICTY, Prosecutor v. Tadic´, IT-94-1, 2. Oktober 1995, Rn. 97. Vgl. Olivier, in: Hum. Rts. & Int’l Legal Discourse 2010, S. 15 (19). 262 Zum Ganzen siehe Köster, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit privater (multinationaler) Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen, S. 98 f. 261
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anerkannten Rechte.263 Die Staaten haben die erforderlichen gesetzgeberischen und sonstigen Vorkehrungen zu treffen, um den in der Konvention niedergelegten Rechten zur Wirksamkeit zu verhelfen. Gleichwohl ergibt sich hieraus noch keine ausschließliche Bindung staatlicher Organe.264 Zusätzlich könnten andere Akteure in die Pflicht genommen werden. Jedenfalls wenden sich dann auch einige Bestimmungen direkt an natürliche Personen bzw. Personengruppen. So wird die AEMR in Abs. 7 ihrer Präambel als das von allen Völkern und Nationen zu erreichende gemeinesame Ideal verkündet, „damit jeder einzelne und alle Organe der Gesellschaft sich diese Erklärung stets gegenwärtig halten und sich bemühen, durch Unterrichtung und Erziehung die Achtung vor diesen Rechten und Freiheiten zu fördern und durch fortschreitende nationale und internationale Maßnahmen ihre allgemeine und tatsächliche Anerkennung und Einhaltung durch die Bevölkerung der Mitgliedstaaten selbst wie auch durch die Bevölkerung der ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Gebiete zu gewährleisten.“
Weiter aufzuzählen sind die Art. 1, 29, 30 AEMR, der jeweils letzte Absatz der Präambeln beider Menschenrechtspakte und Art. 5 Abs. 1 IPbpR.265 Doch sind diese 263
„Art. 2 IPbpR: (1) Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, die in diesem Pakt anerkannten Rechte zu achten und sie allen in seinem Gebiet befindlichen und seiner Herrschaftsgewalt unterstehenden Personen ohne Unterschied wie insbesondere der Rasse, der Hautfarbe, des Geschlechts, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, des Vermo¨ gens, der Geburt oder des sonstigen Status zu gewa¨ hrleisten. (2) Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, im Einklang mit seinem verfassungsma¨ ßigen Verfahren und mit den Bestimmungen dieses Paktes die erforderlichen Schritte zu unternehmen, um die gesetzgeberischen oder sonstigen Vorkehrungen zu treffen, die notwendig sind, um den in diesem Pakt anerkannten Rechten Wirksamkeit zu verleihen, soweit solche Vorkehrungen nicht bereits getroffen worden sind. (3) Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, a) dafu¨ r Sorge zu tragen, dass jeder, der in seinen in diesem Pakt anerkannten Rechten oder Freiheiten verletzt worden ist, das Recht hat, eine wirksame Beschwerde einzulegen, selbst wenn die Verletzung von Personen begangen worden ist, die in amtlicher Eigenschaft gehandelt haben; b) dafu¨ r Sorge zu tragen, dass jeder, der eine solche Beschwerde erhebt, sein Recht durch das zusta¨ ndige Gerichts-, Verwaltungs- oder Gesetzgebungsorgan oder durch eine andere, nach den Rechtsvorschriften des Staates zusta¨ ndige Stelle feststellen lassen kann, und den gerichtlichen Rechtsschutz auszubauen; c) dafu¨ r Sorge zu tragen, dass die zusta¨ ndigen Stellen Beschwerden, denen stattgegeben wurde, Geltung verschaffen.“ 264 Vgl. Köster, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit privater (multinationaler) Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen, S. 69; Wiesbrock, Internationaler Schutz der Menschenrechte vor Verletzungen durch Private, S. 33. 265 „Art. 1 AEMR Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.
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Normen bereits relativ vage formuliert.266 Art. 30 AEMR stellt zudem nur eine Auslegungsregel dar.267 Der fast wortgleiche Art. 5 IPbpR kann insofern nicht weiter gehen.268 Und weder der Menschenrechtserklärung noch den Präambeln insgesamt sind materielle Regeln zu entnehmen.269 Immerhin geben die genannten Vorschriften gemeinsame Ziele und Motive wieder. Sie sprechen den Einzelnen als Mitglied der Weltgemeinschaft an, sind allgemein auf ein harmonisches Miteinander gerichtet. Verbindliche, gar international durchsetzbare Pflichten sind ihnen wohl nicht zu entnehmen. Adressaten der
Art. 29 Abs. 1 und 2 AEMR (1) Jeder Mensch hat Pflichten gegenüber der Gemeinschaft, in der allein die freie und volle Entwicklung seiner Persönlichkeit möglich ist. (2) Jeder Mensch ist in Ausübung seiner Rechte und Freiheiten nur den Beschränkungen unterworfen, die das Gesetz ausschließlich zu dem Zwecke vorsieht, um die Anerkennung und Achtung der Rechte und Freiheiten der anderen zu gewährleisten und den gerechten Anforderungen der Moral, der öffentlichen Ordnung und der allgemeinen Wohlfahrt in einer demokratischen Gesellschaft zu genügen. Art. 30 AEMR Keine Bestimmung der vorliegenden Erklärung darf so ausgelegt werden, dass sich daraus für einen Staat, eine Gruppe oder eine Person irgendein Recht ergibt, eine Tätigkeit auszuüben oder eine Handlung vorzunehmen, welche auf die Vernichtung der in dieser Erklärung angeführten Rechte und Freiheiten abzielen.“ Im jeweils letzten Absatz der Präambel der Menschenrechtspakte heißt es, dass „der einzelne gegenüber seinen Mitmenschen und der Gemeinschaft, der er angehört, Pflichten hat und gehalten ist, für die Förderung und Achtung der in diesem Pakt anerkannten Rechte einzutreten. Art. 5 IPbpR Keine Bestimmung dieses Paktes darf dahin ausgelegt werden, dass sie für einen Staat, eine Gruppe oder eine Person das Recht begründet, eine Tätigkeit auszuüben oder eine Handlung zu begehen, die auf die Abschaffung der in diesem Pakt anerkannten Rechte und Freiheiten oder auf weitergehende Beschränkungen dieser Rechte und Freiheiten, als in dem Pakt vorgesehen, hinzielt.“ 266 Köster, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit privater (multinationaler) Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen, S. 95; Rodley, in: Mahoney/Mahoney (Hrsg.), Human Rights in the Twenty-First Century, S. 297 (305 ff.); Wiesbrock, Internationaler Schutz der Menschenrechte vor Verletzungen durch Private, S. 43; Zegveld, Accountability of Armed Opposition Groups in International Law, S. 43. 267 Rodley, in: Mahoney/Mahoney (Hrsg.), Human Rights in the Twenty-First Century, S. 297 (307); Ryngaert, in: Revue Belge de Droit International 2008, S. 355 (364); vgl. Köster, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit privater (multinationaler) Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen, S. 98. 268 Rodley, in: Mahoney/Mahoney (Hrsg.), Human Rights in the Twenty-First Century, S. 297 (307 f.). 269 Köster, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit privater (multinationaler) Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen, S. 94; Präambeln dienen aber als Auslegungshilfe für den völkerrechtlichen Text, Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, S. 516.
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3. Kap.: Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure
klassischen Menschenrechtsabkommen sind so vor allem die vertragsschließenden Staaten. Konkreter und ausführlicher als in den internationalen Regelwerken formuliert aber die regionale Banjul-Charta Verpflichtungen des Individuums. Schon in Abs. 7 Präambel Banjul-Charta heißt es: In der Erwägung, dass der Genuss von Rechten und Freiheiten auch die Übernahme von Pflichten mit sich bringt.
Siehe außerdem die Art. 27 – 29 Banjul-Charta.270 Die prominente Rolle von Pflichten gegenüber der Familie und der Gemeinschaft ist kulturell bedingt, auf die 270
„Art. 27 Banjul-Charta (1) Jedermann hat Pflichten gegenüber seiner Familie und der Gesellschaft, gegenüber dem Staat und anderen gesetzlich anerkannten Gemeinschaften sowie gegenüber der internationalen Gemeinschaft. (2) Jedermann übt seine Rechte und Freiheiten unter angemessener Berücksichtigung der Rechte anderer, der kollektiven Sicherheit, der Sittlichkeit und der gemeinsamen Interessen aus. Art. 28 Banjul-Charta Jedermann ist verpflichtet, seine Mitmenschen zu achten, sie ohne Diskriminierung zu betrachten und mit ihnen auf die Förderung, Bewahrung und Stärkung der gegenseitigen Achtung und Toleranz gerichtete Beziehungen zu unterhalten. Art. 29 Banjul-Charta Jedermann hat darüber hinaus die Pflicht: 1. die harmonische Entwicklung der Familie zu schützen und für den Zusammenhalt und die Achtung der Familie zu arbeiten; seine Eltern jederzeit zu achten und sie zu unterhalten, wenn sie bedürftig sind; 2. seiner nationalen Gemeinschaft dadurch zu dienen, dass er ihr seine körperlichen und geistigen Kräfte zu Verfügung stellt; 3. die Sicherheit des Landes, dessen Staatsangehöriger er ist oder in dem er sich aufhält, nicht zu gefährden; 4. die soziale und nationale Solidarität zu bewahren und zu stärken, insbesondere, wenn letztere bedroht ist; 5. die nationale Unabhängigkeit und die territoriale Integrität seines Landes zu bewahren und zu stärken und im Rahmen der Gesetze einen Beitrag zur Verteidigung zu leisten; 6. unter vollem Einsatz der Kräfte und Fähigkeiten zu arbeiten und die im Interesse der Gesellschaft auferlegten Steuern zu bezahlen; 7. im Verhältnis zu anderen Mitgliedern der Gesellschaft positive afrikanische kulturelle Werte im Geiste der Toleranz, des Dialogs und der Zusammenarbeit zu bewahren und zu stärken und, allgemein ausgedrückt, zur Förderung des sittlichen Wohlbefindens der Gesellschaft beizutragen; 8. sein Bestes zu tun zur Förderung und Erlangung der afrikanischen Einheit, jederzeit und auf allen Ebenen.“ Siehe hierzu Okere, in: Hum. Rts. Q. 1984, S. 141 (149); Ryngaert, in: Revue Belge de Droit International 2008, S. 355 (364); Tomuschat, in: AVR 21 (1983), S. 289 (291 f., siehe aber auch 309 f.).
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Geschichte Afrikas zurück zu führen. Traditionell kommt den Solidarverbindungen hier eine zentrale Bedeutung zu.271 b) Neuere Menschenrechtsabkommen Seit einiger Zeit werden auf internationaler und regionaler Ebene aber zunehmend Regelwerke verabschiedet, die nichtstaatliche (Gewalt-)Akteure ausdrücklich in Bezug nehmen. Die Wortwahl der Abkommen ist unterschiedlich: „armed groups“, Art. 4 Abs. 1 ZP Kinderrechtskonvention betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten; „groups and persons“, Leitlinie 2 Abs. 1 Guiding Principles; „international actors“, Leitlinie 5 Guiding Principles; „armed groups“, Art. 2 lit. e) Kampala Convention, und „members of armed groups“, Art. 7 Abs. 5 Kampala Convention. Offensichtlich reagiert das Völkervertragsrecht damit auf aktuelle Entwicklungen wie die tatsächlich veränderte Art und Weise der Konfliktaustragung.272 aa) Art. 4 Zusatzprotokoll Kinderrechtskonvention betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten „Artikel 4 ZP Kinderrechtskonvention betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten 1. Bewaffnete Gruppen, die nicht Streitkräfte eines Staates sind, sollen unter keinen Umständen Personen unter 18 Jahren einziehen oder in Feindseligkeiten einsetzen. 2. Die Vertragsstaaten ergreifen alle durchführbaren Maßnahmen, um eine solche Einziehung und einen solchen Einsatz zu verhindern, namentlich auch die notwendigen rechtlichen Maßnahmen für das Verbot und die Kriminalisierung solcher Praktiken. 3. Die Anwendung dieses Artikels nach diesem Protokoll berührt nicht die Rechtsstellung einer an einem bewaffneten Konflikt beteiligten Partei.“
Auch wenn das Zusatzprotokoll zur Kinderrechtskonvention die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten zum Gegenstand hat, also eine Nähe zum humanitären Völkerrecht besteht, handelt es sich bei ihm um einen Menschenrechtsvertrag.273 Seine Anwendung setzt dann auch nicht die Beteiligung einer bewaffneten Gruppe im Sinne des Kriegsrechts voraus.274 Aber enthält Art. 4 Abs. 1 ZP Kin-
271 Sandkühler, in: ders. (Hrsg.), Menschenrechte in die Zukunft denken, S. 15 (30); vgl. Brugger, in: AöR 27 (1989), S. 537 (561). 272 Siehe Bellal/Giacca/Casey-Maslen, in: IRRC 2011, S. 47 (67). 273 Happold, in: Yb. Int’l Humanitarian L. 2000, S. 226 (236); Vandewiele, in: Alen et al. (Hrsg.), A Commentary on the United Nations Convention on the Rights of the Child, Optional Protocol 1, S. 20, Rn. 26. 274 Vgl. Clapham, The Rights and Responsibilities of Armed Non-State Actors, S. 26; einige orientieren sich aber hinsichtlich der Definition bewaffneter Gruppen im Sinne des ZP Kinderrechtskonvention betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten an der Begriffsbestimmung des humanitären Völkerrechts, so Vandewiele, in: Alen et al. (Hrsg.), A
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3. Kap.: Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure
derrechtskonvention betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten tatsächlich eine rechtliche oder lediglich eine moralische Verpflichtung nichtstaatlicher Gewaltakteure, Personen unter 18 Jahren nicht in ihre Truppen einzuziehen und bei Feindseligkeiten nicht einzusetzen? (1) Keine unmittelbaren rechtlichen Verpflichtungen (a) Wortlaut Für eine nur moralische Bindung nichtstaatlicher Gewaltakteure kann zunächst der Normwortlaut angeführt werden. Während in Abs. 1 hinsichtlich der Pflichten bewaffneter Gruppen von „should“ bzw. „sollen“ die Rede ist, heißt es in Abs. 2 hinsichtlich der Staatenpflichten „shall“ bzw. im Deutschen wird der Indikativ verwendet („ergreifen“). Daraus könnte man folgern, dass bewaffnete Gruppen lediglich „soft moral obligation[s]“275 besitzen, Staaten hingegen „hard legal dut[ies].“276 Schon im gewöhnlichen Sprachgebrauch gilt ersterer Begriff als eher unverbindlich. Entsprechend wird er in Rechtstexten vor allem zur Festlegung „weicher“ Pflichten verwendet.277 Doch weist die Formulierung „unter keinen Umständen“ in Art. 4 Abs. 1 ZP Kinderrechtskonvention betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten wieder auf eine festere Bindung der nichtstaatlichen Gewaltakteure hin.278 Ein Blick auf die Entstehungsgeschichte des Zusatzprotokolls zeigt, dass die Norm einen Kompromiss darstellt.279 Man war sich der Rolle von Oppositionsbewegungen bei der Rekrutierung und Einsetzung von Kindersoldaten bewusst, wollte die Gruppen direkt ansprechen, konnte sich allerdings nicht auf eine eindeutige Commentary on the United Nations Convention on the Rights of the Child, Optional Protocol 1, S. 40, Rn. 59. 275 Ryngaert, in: Revue Belge de Droit International 2008, S. 355 (364). 276 Ryngaert, in: Revue Belge de Droit International 2008, S. 355 (364); siehe Vandewiele, in: Alen et al. (Hrsg.), A Commentary on the United Nations Convention on the Rights of the Child, Optional Protocol 1, S. 42, Rn. 61; United Nations Children’s Fund (UNICEF)/Coalition to Stop the Use of Child Soldiers, Guide to the Optional Protocol on the Involvement of Children in Armed Conflict, S. 17. 277 Clapham, Human Rights Obligations of Non-State Actors, S. 75; Ryngaert, in: Revue Belge de Droit International 2008, S. 355 (364); Tomuschat, in: ZaöRV 36 (1976), S. 444 (460, siehe auch 464 f.); Szasz, in: Schachter/Joyner (Hrsg.), United Nations Legal Order, Vol. 1, S. 35 (46). 278 Clapham, The Rights and Responsibilities of Armed Non-State Actors, S. 25; ders., Human Rights Obligations of Non-State Actors, S. 75; vgl. auch United Nations Office of the Representative of the Secretary-General for Children in Armed Conflict, The Six Grave Violations Against Children During Armed Conflict, S. 8. 279 Ryngaert, in: Revue Belge de Droit International 2008, S. 355 (365); Vandewiele, in: Alen et al. (Hrsg.), A Commentary on the United Nations Convention on the Rights of the Child, Optional Protocol 1, S. 39, Rn. 56. Zu den verschiedenen Ansichten der Delegierten siehe E/ CN.4/1998/102, 23. März 1998; siehe auch E/CN.4/2000/74, 27. März 2000, Rn. 37 f.
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Wortwahl einigen. So überließ man der Wissenschaft und den Gerichten die Auslegung. (b) Art. 4 Abs. 2 Zusatzprotokoll Kinderrechtskonvention betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten Die Vertragsstaaten haben gemäß Art. 4 Abs. 2 ZP Kinderrechtskonvention betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten alle durchführbaren Maßnahmen zu ergreifen, um die Einziehung und den Einsatz von Kindern durch bewaffnete Gruppen zu verhindern. Vor allem haben sie für eine Kriminalisierung solcher Praktiken im nationalen Recht und dann für die Rechtswahrung innerhalb ihres Hoheitsbereichs zu sorgen. Folglich könnten die Staaten direkte, und die außerstaatlichen Verbände indirekte, dann nationale rechtliche Pflichten treffen. Indes schließt die Verpflichtung der Staaten, die Regeleinhaltung bewaffneter Gruppen auf nationaler Ebene sicherzustellen, eine daneben auf internationaler Ebene bestehende Verantwortlichkeit der nichtstaatlichen Gewaltakteure selbst, nicht aus. Weist doch bereits die Formulierung „alle durchführbaren Maßnahmen“280 darauf hin, dass die Staaten in Anwendungsfällen des Abkommens nicht immer voll handlungsfähig sind.281 Dann muss direkt, international, auf die Aufständischen zugegriffen werden können. (2) Unmittelbare rechtliche Verpflichtungen (a) Art. 4 Abs. 3 Zusatzprotokoll Kinderrechtskonvention betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten Für eine unmittelbare rechtliche Verpflichtung nichtstaatlicher Gewaltakteure spricht zunächst Art. 4 Abs. 3 ZP Kinderrechtskonvention betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten.282 Man könnte meinen, einer solchen Versicherung bedürfe es nicht, würde die Norm für bewaffnete Gruppen keine rechtliche Bindung begründen. Ändert doch jedenfalls die Auferlegung völkerrechtlicher Pflichten (und die Gewährung völkerrechtlicher Rechte) die Rechtsstellung eines Akteurs. Erklärungen wie die des Art. 4 Abs. 3 ZP Kinderrechtskonvention betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten finden sich in allen rechtlich verbindlichen wie rechtlich unverbindlichen internationalen und regionalen Regelwerken, die nichtstaatliche Gewaltakteure in Bezug nehmen, siehe Art. 3 Abs. 2 S. 4 GK, Leitlinie 2 Abs. 1 Guiding Principles, Art. 7 Abs. 1, 15 Abs. 2 Kampala Con-
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Hervorhebung durch die Autorin. Siehe Dennis, in: Am. J. Int’l L. 2000, S. 789 (793); Vandewiele, in: Alen et al. (Hrsg.), A Commentary on the United Nations Convention on the Rights of the Child, Optional Protocol 1, S. 43, Rn. 64. 282 Siehe Clapham, The Rights and Responsibilities of Armed Non-State Actors, S. 26. 281
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3. Kap.: Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure
vention.283 Sie gehen regelmäßig auf eine politische Entscheidung zurück.284 Sichergestellt werden soll so, dass die Gruppierungen keine politische und schon gar keine rechtliche Aufwertung erfahren. Da aber die Völkerrechtssubjektivität einer Einheit nicht allein von ihren, in völkerrechtlichen Verträgen niedergelegten Rechten und Pflichten, sondern einer Gesamtschau, die auch ihre tatsächliche politische und militärische Bedeutung auf der internationalen Bühne berücksichtigt, abhängt, besitzen diese Versicherungen letztlich kaum rechtliche Kraft. Nichtsdestotrotz geben sie einen Hinweis darauf, dass die vertragsschließenden Staaten eine gewisse Bindung der substaatlichen Gruppen annahmen285, wären solche Klauseln doch sonst gänzlich überflüssig. (b) Gegenseitigkeit von Rechten und Pflichten Das Prinzip der Gegenseitigkeit ist ein Grundpfeiler des humanitären Völkerrechts. Im Kriegsrecht besitzen alle Konfliktteilnehmer die gleichen Rechte und Pflichten. Dies könnte man auch hier verlangen286: Werden einer Partei rechtliche Verpflichtungen auferlegt, müssen gleiche für die andere gelten.287 Tatsächlich besteht eine Nähe zwischen Art. 4 ZP Kinderrechtskonvention betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten und dem Kriegsrecht. Konflikte, in denen Kindersoldaten rekrutiert und eingesetzt werden, sind regelmäßig zugleich bewaffnete Konflikte im Sinne des Kriegsrechts oder diesen zumindest ähnlich. Doch enthält das Zusatzprotokoll zur Kinderrechtskonvention bereits selbst eine Ungleichbehandlung staatlicher und nichtstaatlicher Akteure. Während es Letzteren absolut untersagt ist, Personen unter 18 Jahren zwangsweise oder freiwillig einzuziehen und einzusetzen, dürfen Staaten unter bestimmten Bedingungen Freiwillige unter 18 Jahren zumindest in die nationalen Streitkräfte einziehen, Art. 2 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 3 ZP Kinderrechtskonvention betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten. Staaten können folglich Kinder in ihre Armee aufnehmen.288
283 Für weitere Regelungen siehe Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 208, insbesondere Fn. 418 ff. 284 Siehe Clapham, The Rights and Responsibilities of Armed Non-State Actors, S. 26; Kälin, Guiding Principles, S. 17; zu Art. 3 Abs. 2 S. 4 GK Pictet, The Geneva Conventions of 12 August 1949, Commentary, III Geneva Convention, S. 43. 285 Vgl. Clapham, The Rights and Responsibilities of Armed Non-State Actors, S. 26. 286 Vgl. Dennis, in: Am. J. Int’l L. 2000, S. 789 (792). 287 Allgemein zu den Menschenrechten Tomuschat, in: Fischer et al. (Hrsg.), FS Fleck, S. 573 (576). 288 Siehe Happold, in: Yb. Int’l Humanitarian L. 2000, S. 226 (239); Vandewiele, in: Alen et al. (Hrsg.), A Commentary on the United Nations Convention on the Rights of the Child, Optional Protocol 1, S. 28 ff., Rn. 37 ff. und S. 41 f., Rn. 59 f.
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(c) Humanität Außerdem würde eine unmittelbare rechtliche Bindung bewaffneter Gruppen an Art. 4 Abs. 1 ZP Kinderrechtskonvention betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten zum humanitären Grundgedanken des Abkommens passen.289 Das Humanitäts- ist neben dem Gegenseitigkeitsprinzip der zweite Pfeiler des Kriegsrechts. Gerade diese Maxime rechtfertigen eine direkte Bindung bewaffneter Gruppen an das humanitäre Völkerrecht. (d) Praxis der Vereinten Nationen Aber vor allem die Praxis der VN lässt darauf schließen, dass Art. 4 Abs. 1 ZP Kinderrechtskonvention betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten mehr als nur eine moralische Verpflichtung bewaffneter Gruppen enthält.290 Seit 2002 werden staatliche wie nichtstaatliche Verbände, die Kinder rekrutieren oder bei Kämpfen einsetzen, in einem Annex des Annual Report of the Secretary-General betreffend Children and Armed Conflict gelistet291, sog. naming and shaming. Dabei müssen die nichtstaatlichen Konfliktteilnehmer weder die an bewaffnete Gruppen im Sinne des humanitären Völkerrechts gestellten Anforderungen erfüllen, noch muss ein bewaffneter Konflikt im Sinne des Kriegsrecht vorliegen.292 2005 führte der Sicherheitsrat die Monitoring and Reporting Mechanism on Children and Armed Conflict und die Security Council Working Group on Children and Armed Conflict zur Beobachtung der Situation von Kindern in kriegerischen Auseinandersetzungen und zur Frontberichterstattung, schließlich zur Ermittlung der Regelverletzer ein.293 Beobachtet werden und berichtet wird heute über von allen Konfliktteilnehmern begangene sechs schwere Verletzungen: a) Tötung oder Verstümmelung von Kindern, b) Rekrutierung oder Einsetzung von Kindersoldaten, c) Angriffe gegen Schulen oder Krankenhäuser, d) Vergewaltigung oder andere Formen sexueller Gewalt gegen Kinder, e) Entführung von Kindern, f) Zugangsverweigerung von humanitärer Hilfe für Kinder.294 Eine Auflistung im Annex des Generalsekretärsberichts und eine Sanktionierung erfolgt bereits bei Verstoß gegen eines dieser
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Hessbruegge, in: Buffalo Hum. Rts. L. Rev. 2005, S. 21 (31). Siehe Bellal/Giacca/Casey-Maslen, in: IRRC 2011, S. 47 (65 f.). 291 Erstmals S/RES/1299, 26. November 2002, Annex; siehe auch die Aufforderung des Sicherheitsrats S/RES/1379, 20. November 2001, Rn. 16. 292 S/RES/1612, 26. Juli 2005, Präambel. 293 S/RES/1612, 26. Juli 2005; siehe auch A/59/695-S/2005/72, 9. Februar 2005, Rn. 58 ff. 294 A/59/695-S/2005/72, 9. Februar 2005, Rn. 68, 74; siehe auch United Nations Office of the Representative of the Secretary-General for Children in Armed Conflict, The Six Grave Violations Against Children During Armed Conflict. 290
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3. Kap.: Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure
Verbote.295 Bei Abschluss und Einhaltung eines Aktionsplans wird die jeweilige Gruppierung aber wieder von der Liste entfernt.296 Clapham zu dieser VN-Praxis: „Although the reports are hazy (to put it gently) on which norms of international law are actually being violated, and make very little reference to international criminal law, the prospect of follow-up sanctions by the Security Council is premised on the idea that these groups have violated international law, and not simply a set of moral imperatives.“297
bb) Die Guiding Principles „Principle 2 Abs. 1 Guiding Principles These Principles shall be observed by all authorities, groups and persons irrespective of their legal status and applied without any adverse distinction. The observance of these Principles shall not affect the legal status of any authorities, groups or persons involved. Principle 5 Guiding Principles All authorities and international actors shall respect and ensure respect for their obligations under international law, including human rights and humanitarian law, in all circumstances, so as to prevent and avoid conditions that might lead to displacement of persons.“
(1) Inhalt Die rechtlich unverbindlichen Guiding Principles enthalten Bestimmungen speziell Binnenvertriebene betreffend, insbesondere: ein Verbot willkürlicher Vertreibungen; die Verpflichtung zur gleichen Behandlung aller ohne Unterscheidung basierend auf Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, sozialer Herkunft und allein der Vertriebeneneigenschaft, insbesondere darf kein Binnenflüchtling bei der Ausübung seiner Meinungs-, Vereinigungs-, Gedanken-, Gewissens-, Weltanschaungs- und Religionsfreiheit diskriminiert werden; das Recht auf Leben, Würde, 295 Seit 2010 werden nicht mehr allein Akteure, die Kinder rekrutieren oder bei Kämpfen einsetzen, im Annex des Report of the Secretary-General on Children and Armed Conflict aufgenommen, sondern auch diejenigen, die Kinder töten, verstümmeln, ihnen sexuelle Gewalt zufügen oder sie vergewaltigen, A/65/820-S/2011/250, 23. April 2011, Annex I und II; A/64/ 742-S/2010/181, 13. April 2010, Annex I und II; siehe auch S/RES/1882, 4. August 2009, Rn. 3. Zusätzlich werden seit 2012 Akteure gelistet, die Schulen und Krankenhäuser angreifen, A/66/782-S/2012/261, Annex I und II, 26. April 2012; siehe auch S/RES/1998, 12. Juli 2011, Rn. 3. Zur Sanktionierung S/RES/1539, 22. April 2004, Rn. 5 lit. c). 296 Das Aktionsplänesystem wurde 2003 eingeführt, siehe S/RES/1460, 30. Januar 2003, Rn. 4. Folgende darfurische Rebellenbewegungen vereinbarten bisher einen Aktionsplan: SLAMM (2007), A/62/609-S/2007/757, 21. Dezember 2007, Rn. 105; siehe auch S/2007/520, 29. August 2007, Rn. 41; SLA-Free Will (2010), A/65/820-S/2011/250, 23. April 2011, Rn. 6, 11, 215; SLA-Abu Gasim-Mother Wing (2010), A/65/820-S/2011/250, 23. April 2011, Rn. 6, 10, 215; und JEM (2012), JEM, Action Plan – Operational Mechanism to Prevent and End Recruitment and Use of Child Soldiers, 25. September 2012. Die Aktionspläne können rechtsverbindliche internationale bi- oder multilaterale Abkommen darstellen. 297 Clapham, in: J. Int’l Crim. Just. 2008, S. 899 (923).
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körperliche, geistige und seelische Unversehrtheit sowie persönliche Freiheit und Sicherheit; die Untersagung von Angriffen oder anderen Gewalthandlungen gegen Binnenvertriebene (die nicht oder nicht mehr an den Feindseligkeiten teilnehmen); ein Verbot der Rekrutierung von Kindern unter 15 Jahren und der Einsetzung von Kindern unter 15 Jahren in den Kampfhandlungen; den Schutz und die Achtung der an humanitären Hilfsmaßnahmen beteiligten Personen, ihrer Ausrüstung und der von ihnen transportierten Versorgungsgüter; die Achtung der Familie und Gemeinschaft, vor allem das Recht auf Informationserteilung über das Schicksal und den Verbleib vermisster Angehöriger sowie die Zusammenführung durch Vertreibung getrennter Familien; das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard; die Versorgung der Kranken, Verwundeten und Behinderten mit medizinischer Hilfe, mit psychologischen und sozialen Diensten; das Recht auf Anerkennung als Rechtsperson und damit auch auf Ersetzung alter und Ausstellung neuer Dokumente; das Recht zur Teilnahme am öffentlichen, auch am politischen Leben inklusive des Wahlrechts; das Recht einer wirtschaftlichen Betätigung nachzugehen und Bildung zu erhalten; der Eigentumsschutz, insbesondere das Recht auf Wiedererlangung zurück gelassenen oder entzogenen Eigentums bzw. auf Entschädigung oder sonstige Wiedergutmachung; das Recht sich überall, auch über die Staatsgrenze hinweg, frei zu bewegen und seinen Wohnsitz frei zu wählen sowie im Ausland Asyl zu suchen; ein Verbot der zwangsweisen Rückschickung oder Neuansiedlung in Gebieten, in denen das Leben, die Sicherheit, die Freiheit oder die Gesundheit gefährdet sind. (2) Bindung nichtstaatlicher Gewaltakteure Gemäß Leitlinie 2 Abs. 1 Guiding Principles sind „all authorities, groups and persons“ an die Richtlinien gebunden. Weiter verlangt Leitlinie 5 Guiding Principles von „All authorities and international actors“ die Einhaltung ihrer internationalen Verpflichtungen, dass es gar nicht erst zu Fluchtbewegungen kommt. Die Guiding Principles, insbesondere Leitlinie 6 Guiding Principles, die ein Verbot willkürlicher Vertreibungen enthält, und dann die Leitlinien 10 – 23 Guiding Principles, die den Schutz und die Behandlung der Binnenvertriebenen regeln, sind dann weitgehend aus Sicht der Berechtigten formuliert: „Every human being has/shall have the right to“, „Internally displaced persons have the right to“ etc. Nur einige Regeln adressieren die „authorities concerned.“ Und selbst hier sind die Menschenrechte im ersten Absatz noch allgemein benannt. Bei den „authorities concerned“ muss es sich auch nicht zwingend um staatliche Organe handeln. Leitlinie 3 Abs. 1 Guiding Principles spricht von „national authorities.“ Dies meint „the official authorities of the state.“298 Leitlinie 5 Guiding Principles spricht allgemein von „authorities.“ Dieser Begriff ist weit, umfasst staatliche und nichtstaatliche Entitäten, etwa de facto-Regime.299 Dann erscheint es nur logisch, die Formulierung „authorities concerned“ ebenfalls weit zu fassen. Eine solche Auslegung wird von 298 299
Kälin, Guiding Principles, S. 19. Kälin, Guiding Principles, S. 19, 25.
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3. Kap.: Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure
Abs. 3 Einleitung der Guiding Principles unterstützt, wo „All other authorities“ in lit. c) alternativ zu den Staaten in lit. b) aufgeführt werden. Folglich können nichtstaatliche Gewaltakteure unter alle in den Leitlinien 2 Abs. 1, 5 Guiding Principles genannten Akteurskategorien subsumiert werden. Die Guiding Principles sind insofern sehr weit. Leitlinie 3 Guiding Principles sichert zwar den staatlichen Behörden die „primary duty and responsibility to provide protection and humanitarian assistance to internally displaced persons within their jurisdiction.“300
Aber gerade wenn der Staat hierzu außerstande oder außerwillens ist, haben alle weiteren nationalen und internationalen Einheiten die Richtlinien zu befolgen, den Binnenflüchtlingen Schutz und Hilfe zu gewähren.301 Zwar besitzen die Guiding Principles keine Rechtsverbindlichkeit. Doch stellen sie zumindest ein „morally binding statement“302 dar. Sie enthalten Verhaltensge- und -verbote für alle an Binnenvertriebenensituationen Beteiligten und unterwerfen deren Betragen einem prüfenden Blick der internationalen Gemeinschaft.303 cc) Die Kampala Convention „Art. 7 Kampala Convention – Protection and Assistance to Internally Displaced Persons in Situations of Armed Conflict 1. The provisions of this Article shall not, in any way whatsoever, be construed as affording legal status or legitimizing or recognizing armed groups and are without prejudice to the individual criminal responsibility of the members of such groups under domestic or international criminal law.304 2. Nothing in this Convention shall be invoked for the purpose of affecting the sovereignty of a State or the responsibility of the Government, by all legitimate means, to maintain or reestablish law and order in the State or to defend the national unity and territorial integrity of the State. 3. The protection and assistance to internally displaced persons under this Article shall be governed by international law and in particular international humanitarian law.
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Vgl. auch Leitlinie 25 Guiding Principles, wonach die vorrangige Pflicht und Verantwortung, Binnenvertriebenen humanitäre Hilfe zu gewähren, bei den „national authorities“ liegt. 301 Die Leitlinien „set forth the rights of internally displaced persons and the obligations of governments, insurgent groups, and other actors towards these populations in all phases of displacement“, Deng, in: Washington J. L. & Pol’y 2001, S. 141 (147); fast wortgleich Cohen, in: Bayefsky/Fitzpatrick (Hrsg.), Human Rights and Forced Displacement, S. 76 (76, 81); vgl. auch dies./Deng, Masses in Flight, S. 7 f.; Kälin, Guiding Principles, S. 16, vgl. auch 19, 25. 302 Kälin, Guiding Principles, S. xiii. 303 Siehe Cohen, in: Bayefsky/Fitzpatrick (Hrsg.), Human Rights and Forced Displacement, S. 76 (82); dies./Deng, Masses in Flight, S. 7. 304 So auch Art. 15 Abs. 2 Kampala Convention mit Bezug auf die gesamte Konvention.
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4. Members of Armed Groups shall be held criminally responsible for their acts which violate the rights of internally displaced persons under international law and national law.305 5. Members of armed groups shall be prohibited from: a. Carrying out arbitrary displacement; b. Hampering the provision of protection and assistance to internally displaced persons under any circumstances; c. Denying internally displaced persons the right to live in satisfactory conditions of dignity, security, sanitation, food, water, health and shelter; and seperating members of the same familiy; d. Restricting the freedom of movement of internally displaced persons within and outside their areas of residence; e. Recruiting children or requiring or permitting them to take part in hostilities under any circumstances; f. Forcibly recruiting persons, kidnapping, abduction or hostage taking, engaging in sexual slavery and trafficking in persons especially women and children; g. Impeding humanitarian assistance and passage of all relief consihnments, equipment and personnel to internally displaced persons h. Attacking or otherwise harming humanitarian personnel and resources or other materials deployed for the assistance or benefit of internally displaced persons and shall not destroy, confiscate or divert such materials; and i. Violating the civilian and humanitarian character of the places where internally displaced persons are sheltered and shall not infiltrate such places.“
(1) Inhalt Im einzelnen verbietet Art. 7 Abs. 5 Kampala Convention willkürliche Vertreibungen; die Behinderung von Schutz- und Hilfeleistungen an Binnenflüchtlinge; die Vorenthaltung eines Lebens unter angemessenen Umständen in Bezug auf Würde, Sicherheit, Hygiene, Nahrung, Wasser, Gesundheit und Unterkunft; die Trennung von Familienmitgliedern; Einschränkungen der Bewegungsfreiheit Binnenvertriebener innerhalb und außerhalb ihres neuen Aufenthaltsorts; die Rekrutierung von Kindern und die Erlaubniserteilung an Kinder zur Teilnahme an den Feindseligkeiten; Zwangsrekrutierungen, Entführungen, Geiselnahmen, sexuelle Sklaverei und Menschenhandel; die Vereitelung humanitärer Hilfe und die Behinderung des Zugangs von Hilfslieferungen und -personal; Angriffe auf und andere Behinderungen humanitäres/n Personal/s und humanitäre/r Ausstattung; die Zerstörung und Einbehaltung von Hilfsgütern; letztlich die Verletzung des zivilen Charakters und die Infiltrierung von Binnenvertriebenenunterkünften. Diese Regeln gehen teilweise
305
Siehe auch Art. 5 Abs. 11 Kampala Convention: „States Parties shall take measures aimed at ensuring that armed groups act in conformity with their obligations under Article 7.“
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3. Kap.: Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure
über diejenigen des humanitären Völkerrechts hinaus, vgl. insbesondere Art. 7 Abs. 3 Kampala Convention.306 Und obwohl mit „Protection and Assistance to Internally Displaced Persons in Situations of Armed Conflict“307 überschrieben, ist der Anwendungsbereich von Art. 7 Kampala Convention wohl nicht auf bewaffnete Konflikte im Sinne des humanitären Völkerrechts beschränkt.308 Armed groups sind in Art. 1 lit. e) Kampala Convention definiert als „dissident armed forces or other organized groups that are distinct from the armed forces of the state.“
Fraglich ist aber, ob die Vorschrift bewaffnete Gruppen bzw. deren Mitglieder direkt rechtlich verpflichtet oder lediglich einen Auftrag an die Vertragsstaaten enthält, die Täter auf nationaler Ebene zur Verantwortung zu ziehen. (2) Keine unmittelbaren rechtlichen Verpflichtungen Die Art. 3 – 5 und 9 – 13 Kampala Convention adressieren jedenfalls die „States Parties“, Art. 6 Kampala Convention adressiert die „International Organization and Humanitarian Agencies“ und Art. 8 Kampala Convention die AU. Die genannten Einrichtungen sollen, „shall“, bestimmte Handlungen vornehmen bzw. unterlassen. Ebenso sind Art. 5 Abs. 11 Kampala Convention und, zwar nicht ausdrücklich, Art. 7 Abs. 4 Kampala Convention an die Unterzeichnerstaaten gerichtet. Die Staaten haben hiernach entsprechende Maßnahmen zu treffen, dass die bewaffneten Gruppierungen ihre Konventionspflichten einhalten und die Gruppenmitglieder bei einer Verletzung der Binnenvertriebenenregeln strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden.309 Hieraus könnte man folgern, die Kampala Convention verpflichte bewaffnete Gruppen(mitglieder) nur mittelbar durch den Staat.310 Unterstützt würde diese Ansicht vom Wortlaut des Art. 7 Abs. 5 Kampala Convention, wo es, anders als in anderen Normen, andere Akteure betreffend, nicht heißt „armed groups shall“ oder „members of armed groups shall“, sondern „Members of armed groups shall be prohibited from.“311 306
Siehe Bellal/Giacca/Casey-Maslen, in: IRRC 2011, S. 47 (66). Hervorhebung durch die Autorin. 308 Ridderbos, in: FMR 37/2011, S. 36 (36); siehe auch Groth, in: Int’l J. Refugee L. 2011, S. 221 (248 f.); anders wohl Ojeda, in: Refugee Surv. Q. 3/2010, S. 58 (65). 309 Vgl. auch Art. 3 Abs. 1 lit. h) und i) Kampala Convention bzgl. „non-state actors.“ Gemäß Art. 1 lit. n) Guiding Principles sind „non-state actors“ „private actors who are not public officials of the State, including other armed groups not referred to article 1(e) above, and whose acts cannot be officially attributed to the State.“ 310 Siehe Kidane, in: Vand. J. Transnat’l L. 2011, S. 1 (72); vgl. Giustiniani, in: Denver J. Int’l L. & Pol’y 2011, S. 347 (360); Kießling, in: Friedenswarte 2010, S. 13 (30). 311 Hervorhebung durch die Autorin. Anders aber noch Art. 6 Draft Kampala Convention, abgedruckt bei Giustiniani, in: Denver J. Int’l L. & Pol’y 2011, S. 347 (360 f. Fn. 73): 307
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Jedenfalls ist auch im Rahmen der Kampala Convention primär der Staat für Schutz und Hilfe der intern Vertriebenen, seiner Bürger, verantwortlich.312 (3) Unmittelbare rechtliche Verpflichtungen Gleichwohl geht der Großteil in der Literatur von einer direkten Bindung nichtstaatlicher Gewaltakteure an die Kampala Convention aus.313 So schließt die völkerrechtliche Verpflichtung der Vertragsstaaten, nichtstaatliche Gewaltakeure „The draft text provides as follows: 1. Armed groups shall, in accordance with international law, refrain from arbitrary displacement and bear responsibility for providing protection and assistance to internally displaced persons in areas under their effective control, without discrimination of any kind. 2. Armed groups shall respect and ensure respect for international humanitarian law and refrain from committing acts that impair the enjoyment of human rights of internally displaced persons. 3. Armed groups shall take necessary measures to ensure that internally displaced persons are received without discrimination of any kind and live in satisfactory conditions of dignity, security, sanitation, food, water, health, and shelter; [and that members of the same family are not separated.] 4. Armed groups shall not restrict the freedom of movement of internally displaced persons within and outside areas under their effective control. 5. Armed groups shall in no circumstances recruit children or require or permit them to take part in hostilities. 6. Armed groups shall also allow and facilitate passage of all relief consignments, equipment and personnel to internally displaced persons in areas under their effective control. 7. Armed groups shall respect, protect, and not attack or otherwise harm humanitarian personnel and resources or other materials deployed for the assistance or benefit of internally displaced persons; and not destroy, confiscate or divert such material. 8. Armed groups shall respect and ensure the civilian and humanitarian character of the places where internally displaced persons are sheltered and shall not infiltrate such locations. 9. Nothing in the present Convention shall be construed as affording legal status or legitimizing or recognizing armed groups and its provisions are without prejudice to the individual responsibility of their members under domestic or international criminal law.“ Kritisch zu diesem Entwurf AI, Fédération Internationale des Droits de L’Homme, I.D.P. Action, Institute for Human Rights and Development in Africa, Lawyers for Human Rights, South Africa, Refugees International, The African Union Convention for the Prevention of Internal Displacement and the Protection of Assistance to Internally Displaced Persons in Africa, N.G.O. Commentary, Rn. 3. 312 Vgl. Maru, in: J. Internal Displ. 2011, S. 92 (120 f.); Solomon, in: Int’l Legal Materials 2010, S. 83 (83 f.). 313 „[T]he Kampala Convention takes the approach of attempting to obligate the non-state actors themselves“, Groth, in: Int’l J. Refugee L. 2011, S. 221 (248); so auch Maru, in: J. Internal Displ. 2011, S. 92 (120); Ojeda, in: Refugee Surv. Q. 3/2010, S. 58 (64 f.); Ridderbos, in: FMR 37/2011, S. 36 (36); vgl. auch Beyani, in: J. Afr. L. 2006, S. 187 (195); Solomon, in: Int’l Legal Materials 2010, S. 83 (84); anders aber Kidane, in: Vand. J. Transnat’l L. 2011, S. 1 (72); Kießling, in: Friedenswarte 2010, S. 13 (30).
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3. Kap.: Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure
national in die Verantwortung zu nehmen, daneben auf internationaler Ebene bestehende direkte Verpflichtungen der Aufständischen doch nicht aus. Und bereits Art. 5 Abs. 11 Kampala Convention spricht von „their [armed groups] obligations under Article 7.“ Dieser Verweis kann sich nur auf die Absätze 3 und insbesondere 5 beziehen. Auch Art. 2 lit. e) Kampala Convention benennt als fünftes Ziel des Vertrags: „Provide for the respective obligations, responsibilities and roles of armed groups, non-state actors and other relevant actors, including civil societey organizations, with respect to the prevention of internal displacement and protection of, and assistance to, internally displaced persons.“314
Schließlich wird betont, dass die Konvention insgesamt und speziell Art. 7 Kampala Convention weder den rechtlichen Status bewaffneter Gruppen berühren noch bewaffnete Gruppen hierdurch eine Legitimation oder Anerkennung erfahren. So nahmen die Vertragsautoren wohl eine gewisse Bindung der substaatlichen Akteure an.315 Aber jedenfalls ist in Art. 7 Abs. 5 Kampala Convention nur von „Members of armed groups“316 die Rede, d. h. nur die einzelnen Gruppenmitglieder wären gebunden, nicht aber die Gruppierung als solche.317 Die Nähe zum Völkerstrafrecht ist offensichtlich. dd) Der Great Lakes Pact Das Protocol on the Protection and Assistance to IDPs adressiert, ebenso wie das Protocol on the Property Rights of Returning Persons, allein die „Member States.“ Nichtstaatliche Gewaltakeure finden keine Erwähnung.318 Doch verpflichten sich die Mitgliedstaaten in Art. 6 Abs. 1 Protocol on the Protection and Assistance to IDPs zur Implementierung der Guiding Principles auf nationaler Ebene.
314 Siehe außerdem AU, Explanatory Note on the African Union Convention for the Protection and Assistance of Internally Displaced Persons in Africa (Kampala Convention), S. 3. 315 Siehe Kidane, in: Vand. J. Transnat’l L. 2011, S. 1 (72). 316 Hervorhebung durch die Autorin. 317 Siehe Bellal/Giacca/Casey-Maslen, in: IRRC 2011, S. 47 (66 f.). 318 Siehe aber S. 3 Abs. 3 Model Legislation on the Implementation of the Protocol on Protection and Assistance to IDPs „Notwithstanding that it is the primary duty and responsibility of the Minister to provide protection and assistance to internally displaced persons under S.4 (1) of this Act, all public officials, bodies or persons, public or private actors concerned with protecting and assisting internally displaced persons in the Republic shall act in accordance with the Protocol and the Guiding Principles.“
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c) Würdigung Wurden Private in älteren Abkommen wie der AEMR und den beiden Menschenrechtspakten noch kaum als Verpflichtete in Bezug genommen, wenden sich neuere Regelwerke, allen vorran die Guiding Principles und die Kampala Convention, bestimmt und direkt an nichtstaatliche (Gewalt-)Akteure. Aber nicht ganz klar ist, inwiefern diese Akteure hierdurch gebunden werden, können sie doch, anders als Staaten, Weltordnungsverträge weder mitgestalten noch ihnen formell beitreten. Verpflichtungen bewaffneter Gruppen aus dem gemeinsamen Art. 3 GK und dem ZP II lassen sich jedenfalls mit einem Verweis auf den Humanitätsgrundsatz rechtfertigen. Auch bei den Binnenvertriebenenregelwerken kann dieser Gedanke fruchtbar gemacht werden, sind es doch dieselben oder zumindest ähnliche Situationen, in denen nichtstaatliche Gewaltakteure an Binnenflüchtlingssituationen beteiligt sind. Außerdem weisen Art. 4 ZP Kinderrechtskonvention betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten und Art. 7 Kampala Convention offensichtlich eine Nähe zum Völkerstrafrecht auf. Beide Vorschriften enthalten Verbote, die so und vergleichbar im Römischen Statut niedergelegt sind. 4. Praxis Internationaler Organisationen, Nichtregierungsorganisationen etc. a) Allgemein VN-Organe wie der Sicherheitsrat319, der Generalsekretär320, die Generalversammlung321 und spezielle Menschenrechtseinrichtungen, etwa das Hochkommis319
Erstmals rief der Sicherheitsrat 1995 nichtstaatliche Gewaltakteure in Liberia nicht nur zur Einhaltung ihrer kriegsvölkerrechtlichen Pflichten, sondern auch zur Einhaltung der Menschenrechte auf, S/RES/1001, 30. Juni 1995, Präambel: „Calling on the Liberian factions, especially the combatants, to respect the human rights of the civilian population and to respect international humanitarian law“; siehe aber noch S/RES/788, 19. November 1992, Rn. 5. Der Rat beschäftigt sich seit den 90er Jahren nicht nur verstärkt mit bewaffneten Bewegungen, sondern auch mit der Lage ziviler Personen in Konfliktsituationen. In der Präambel und im operativen Teil seiner teilweise unter Kap. VII VN-Charta erlassenen Resolutionen fordert der Sicherheitsrat einzelne Verbände oder allgemein alle Konfliktbeteiligten dazu auf, die Menschenrechte zu wahren und zu schützen. Er verwendet hierfür anspornende („urges,“ „requests“) wie dringliche („demands“) Formulierungen. Mal ist die Rede von „human rights abuses“, mal von „human rights violations.“ Siehe etwa S/RES/2009, 16. September 2011, Rn. 7; S/RES/1894, 11. November 2009, Rn. 1; S/RES/1804, 13. März 2008, Präambel; S/ RES/1649, 21. Dezember 2005, Präambel; S/RES/1564, 18. September 2004, Präambel; S/ RES/1529, 29. Februar 2004, Rn. 7; S/RES/1464, 4. Februar 2003, Rn. 7; S/RES/1445, 4. Dezember 2002, Rn. 15; S/RES/1291, 24. Februar 2000, Rn. 15; S/RES/1270, 22. Oktober 1999, Rn. 22; S/RES/1214, 8. Dezember 1998, Rn. 12; S/RES/1181, 13. Juli 1998, Rn. 12; S/ RES/1001, 30. Juni 1995, Präambel. Immer wieder sanktioniert der Sicherheitsrat (Mitglieder) substaatliche(r) Gruppen für ihre Verletzungen des internationalen Rechts, S/RES/1807, 31. März 2008, Rn. 1, 9, 11, 13 f.; S/RES/1572, 15. November 2004, Rn. 7, 9, 11; S/RES/1173,
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3. Kap.: Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure
sariat für Menschenrechte322, der Menschenrechtsrat und insbesondere die für diesen tätigen Special Rapporteur323 beobachten, untersuchen und berichten über Menschen- und Kriegsrechtsverletzungen auch nichtstaatlicher Gewaltakteure, drücken ihre Sorge über begangene Regelverstöße aus, verurteilen und sanktionieren diese324, rufen zur künftigen Einhaltung des internationalen Rechts auf. Auch wenn die VNCharta selbst keinen Menschenrechtskatalog enthält, sind die VN-Organe doch zur Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte aufgerufen, siehe Art. 13 Abs. 1 lit. b) VN-Charta für die Generalversammlung und Art. 55 lit. c) in Verbindung mit Art. 62 Abs. 2 VN-Charta für den Wirtschafts- und Sozialrat. Als Hüter des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit, Art. 24 VN-Charta, kann der Sicherheitsrat dann auch bei Menschenrechtsverstößen Maßnahmen ergreifen.325 Schließlich spielt das humanitäre Völkerrecht aufgrund seiner Prominenz auch bei den VN eine wichtige Rolle. Neben den VN setzen sich Einrichtungen wie das IKRK326, NRO wie Human Rights Watch (HRW)327 und AI328 sowie Wahrheitskommissionen, etwa die Truth and 12. Juni 1998, Rn. 11 f.; S/RES/1171, 5. Juni 1998, Rn. 2, 5; S/RES/1127, 28. August 1997, Rn. 4. Zu den Resolutionen Constantinides, in: Hum. Rts. & Int’l Legal Discourse 2010, S. 89 (97 ff.); siehe auch Tomuschat, in: Fischer et al. (Hrsg.), FS Fleck, S. 573 (577 ff.). Zum Tätigwerden des Sicherheitsrats und anderer VN-Organe im Rahmen bewaffneter Konflikte Droege, in: IRRC 2008, S. 501 (506). 320 Siehe etwa S/2012/376, 22. Mai 2012, Rn. 4 ff.; Report of the Secretary-General’s Panel of Experts on Accountability in Sri Lanka, 31. März 2011, Rn. 188. 321 Siehe etwa A/RES/59/207, 17. März 2005, Rn. 4 f.; A/RES/57/230, 27. Februar 2003, Rn. 2 f.; A/RES/54/185, 29. Februar 2000, Rn. 4 f., 8, 10; A/RES/54/182, 29. Februar 2000, Rn. 2 f.; siehe auch Tomuschat, in: Fischer et al. (Hrsg.), FS Fleck, S. 573 (577 ff.). 322 Siehe etwa A/HRC/17/45, 7. Juni 2011; A/HRC/13/64, 28. Januar 2010; E/CN.4/RES/ 1997/42, 11. April 1997, Präambel, Rn. 2. 323 Zunächst noch vage: „Human rights norms operate on three levels – as the rights of individuals, as obligations assumed by States, and as legitimate expectations of the international community. […] As a non-State actor, the LTTE does not have legal obligations under ICCPR, but it remains subject to the demand of the international community, first expressed in the Universal Declaration of Human Rights, that every organ of society respect and promote human rights. […] [I]t is especially appropriate and feasible to call for an armed group to respect human rights norms when it ,exercises significant control over territory and population and has an identifiable political structure‘“, E/CN.4/2006/53/Add.5, 27. März 2006, Rn. 25 f., zitiert E/ CN.4/2005/7, 22. Dezember 2004, Rn. 76; so auch bzgl. der Hisbollah im Libanon, A/HRC/2/7, 2. Oktober 2006, Rn. 19; und bzgl. aufständischer Bewegungen auf den Philippinen, A/HRC/8/ 3/Add.2, 16. April 2008, Rn. 5; siehe auch E/CN.4/1997/3, 30. September 1996, Rn. 46 f. Deutlicher jetzt bzgl. im Gazastreifen und in Palästina aktiver Gruppierungen: „it is clear that non-State actors that exercise government-like functions over a territory have a duty to respect human rights“, A/HRC/12/48, 25. September 2009, Rn. 305; und bereits im März 2009 bzgl. der Hamas, A/HRC/10/22, 20. März 2009, Rn. 22; so auch im Fall Libyen, A/HRC/17/44, 1. Juni 2011, Rn. 72. Zu den Special Rapporteur siehe auch Clapham, in: IRRC 2006, S. 491 (505 ff.). 324 Allein der VN-Sicherheitsrat kann Sanktionen aussprechen. 325 Zum Ganzen Stein/von Buttlar, Völkerrecht, S. 366, Rn. 1004. 326 Siehe die Annual Reports des IKRK der vergangenen Jahre.
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Reconciliation Commission of Sierra Leone (TRC)329 gegen nichtstaatliche Gewaltakteure als Menschenrechts- und Kriegsrechtsverletzer ein. Diese Entwicklung begann bereits in den 1990er Jahren. Ohne größere öffentliche Diskussionen weiteten die genannten Akteure ihr Tätigskeitsfeld aus bzw. nahmen überhaupt erst ihre Arbeit auf. Man reagierte damit auf das veränderte Bild kriegerischer Auseinandersetzungen. Konflikte werden heute zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Truppen oder zwischen Letzteren untereinander ausgetragen. Ziel und Zielscheibe ist aber meist das gemeine Volk. Der Einzelne rückte ins Blickfeld. Schließlich eröffnete der, durch das Ende des Kalten Krieges weiter beförderte, Wandel des Souveränitätsverständnisses der internationalen Gemeinschaft neue Handlungsmöglichkeiten. Die Einrichtungen schaffen aber kein neues Recht, sondern wenden vorhandene Regeln des Völkervertrags- und Völkergewohnheitsrechts an.330 Scheinbar nehmen sie eine Bindung auch bewaffneter Bewegungen an die Menschenrechte an. Unklar ist jedoch, wie die IO, NRO und Wahrheitskommissionen dies begründen. Wenn überhaupt, wird ganz allgemein auf die tatsächliche Bedeutung nichtstaatlicher Gewaltakteure verwiesen. Jedenfalls sind sich die Institutionen der Macht ihrer Worte bewusst.331 Offensichtlich bestehen ein Bedürfnis und der Wille, das Verhalten Aufständischer an internationalen Regeln zu messen und sie für deren Verletzung in die Verantwortung zu nehmen.332 Man möchte und muss nichtstaatliche Gewaltakteure in das bestehende System einbinden. Dem ohnehin wenig dogmatischen Völkerrecht ist das Ergebnis häufig wichtiger als der Weg dorthin. 327 328 329
Siehe die World Reports von HRW der vergangenen Jahre. Siehe die AI-Jahresberichte der vergangenen Jahre. Zum Mandat der TRC siehe Art. 6 Abs. 1 The Truth and Reconciliation Commission Act
2000 „The object for which the Commission is established is to create an impartial historical record of violations and abuses of human rights and international humanitarian law related to the armed conflict in Sierra Leone, from the beginning of the Conflict in 1991 to the signing of the Lomé Peace Agreement; to address impunity, to respond to the needs of the victims, to promote healing and reconciliation and to prevent a repetition of the violations and abuses suffered“, abgedruckt in: Supplement of the Sierra Leone Gazette Vol. Cxxxi, No. 9, 10. Februar 2000. Der Kommissionsreport enthält detaillierte Berichte über Menschenrechtsverletzungen staatlicher wie substaatlicher Akteure, siehe TRC, Witness the Truth, Vol. I, Rn. 16; TRC, Witness the Truth, Vol. II, Rn. 26, 28 ff.; siehe hierzu auch Clapham, in: IRRC 2006, S. 491 (504). 330 Vgl. Clapham, Human Rights Obligations of Non-State Actors, S. 283; ders. in: IRRC 2006, S. 491 (501); Tomuschat, in: Fischer et al. (Hrsg.), FS Fleck, S. 573 (586). 331 Vgl. Ryngaert, in: Revue Belge de Droit International 2008, S. 355 (367); Tomuschat, in: Fischer et al. (Hrsg.), FS Fleck, S. 573 (585). 332 Siehe Bellal/Casey-Maslen, in: Göttingen J. Int’l L. 2011, S. 175 (188); Kleffner, in: Noellkaemper/van der Wilt (Hrsg.), System Criminality in International Law, S. 238 (250); Ryngaert/Noortmann, in: Hum. Rts. & Int’l Legal Discourse 2010, S. 5 (12).
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3. Kap.: Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure
b) Sudan aa) Die Vereinten Nationen Die VN befassten sich seit 2004 auch mit der Menschenrechtslage im westsudanesischen Darfur. Einrichtungen wie das Hochkommissariat für Menschenrechte, der Menschenrechtsrat und sein Special Rapporteur on the Situation of Human Rights in Sudan bzw. sein Independent Expert on the Situation of Human Rights in Sudan berichten von Menschenrechtsverstößen aller Konfliktbeteiligten, verurteilen diese und rufen zu ihrer Beendigung auf333 ; ähnlich der Sicherheitsrat.334 Schon in der Präambel zu Resolution 1574 ruft der Rat in Erinnerung, dass alle Parteien, ausdrücklich auch die sudanesischen Rebellen, die Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht zu wahren haben.335 Da die Verbände aber den Ratsforderungen nicht nachkamen, entwickelte der Sicherheitsrat 2005 ein Sanktionssystem.336 Zur Überwachung und zur Sicherstellung der Einhaltung der getroffenen Maßnahmen wurden das Committee of the Security Council und der Panel of Experts on the Sudan gebildet. Der Expertenausschuss überwacht die Durchsetzung des Waffenembargos sowie der Finanz- und Reisesanktionen, entwickelt Empfehlungen, die der Rat erwägen könnte, und übermittelt dem Komitee etwa Informationen über Verletzungen des internationalen Rechts337, also der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts. Der Panel of Experts on the Sudan sieht die Menschenrechte als Rechte jeder natürlichen Person, zu deren Wahrung und Schutz Staaten, aber auch andere Akteure verpflichtet sind. Er nimmt daher an, dass alle Konfliktparteien in Darfur hieran gebunden sind; die Regierung Sudans auf Grund der von ihr unterzeichneten Menschenrechtsverträge aber in besonderem Maße.338 Ausführlich untersucht und 333
Einzelne Berichte und Resolutionen sind abrufbar unter: UNOCHCR, Sudan. Siehe S/RES/2113, 30. Juli 2013, Präambel, Rn. 14, 15, 25, 26; S/RES/2063, 31. Juli 2012, Präambel, Rn. 12 f., 15, 22; S/RES/2035, 17. Februar 2012, Präambel, Rn. 8; S/RES/ 2003, 29. Juli 2011, Präambel, Rn. 13 f., 16, 23; S/RES/1945, 14. Oktober 2010, Rn. 4; S/RES/ 1935, 30. Juli 2010, Präambel, Rn. 9; S/RES/1881, 30. Juli 2009, Präambel, Rn. 7; S/RES/ 1828, 31. Juli 2008, Präambel; S/RES/1769, 31. Juli 2007, Präambel; S/RES/1591, 29. März 2005, Präambel, Rn. 1, 3; S/RES/1574, 19. November 2004, Präambel; S/RES/1564, 17. September 2004, Präambel, Rn. 7; S/RES/1556, 30. Juli 2004, Präambel. 335 „Recalling in this regard that all parties, including the Sudanese rebel groups such as the Justice and Equality Movement and the Sudanese Liberation Army, must respect human rights and international humanitarian law“, S/RES/1574, 19. November 2004, Präambel. 336 Siehe insbesondere S/RES/1591, 29. März 2005. 337 Panel of Experts on the Sudan 2006/1, Rn. 3. 338 „The Panel considers human rights as the rights of individuals, with States and other parties (under treaty-based international human rights law) bearing responsibility to protect and fulfil those rights. In this regard, the Panel adopted the approach that all parties to the conflict in Darfur have a responsibility to safeguard and protect human rights, while the Government of the Sudan has an added responsibility under the relevant human rights treaties“, Panel of Experts on 334
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berichtet der Panel of Experts on the Sudan über Menschenrechtsverletzungen staatlicher und nichtstaatlicher Einheiten.339 Außerdem kam der Generalsekretär der Ratsaufforderung, eine Kommission zur Untersuchung der in den Darfur-Staaten von den Konfliktbeteiligten begangenen Kriegs- und Menschenrechtsverstößen einzusetzen340, mit Etablierung der International Commission of Inquiry on Darfur Ende 2005 nach. Diese fand unter anderem glaubhafte Hinweise dafür, dass Mitglieder der SLM/A und der JEM schwere Verletzungen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts zu verantworten haben, die wohl als Kriegsverbrechen zu werten seien.341 bb) Sonstige Auch internationale NRO wie AI und HRW untersuchen und berichten über Verletzungen der Menschenrechte, begangen von sämtlichen Akteuren in Darfur.342
the Sudan 2007, Rn. 325; siehe auch Panel of Experts on the Sudan 2011, Rn. 100; Panel of Experts on the Sudan 2009, Rn. 222; Panel of Experts on the Sudan 2008, Rn. 282. 339 Panel of Experts on the Sudan 2013, Rn. 85 ff.; Panel of Experts on the Sudan 2011, Rn. 141 ff.; Panel of Experts on the Sudan 2009, Rn. 223 ff.; Panel of Experts on the Sudan 2008, Rn. 281 f.; Panel of Experts on the Sudan 2007, Rn. 329 ff.; Panel of Experts on the Sudan 2006/3, Rn. 135 ff.; Panel of Experts on the Sudan 2006/2, Rn. 151; Panel of Experts on the Sudan 2006/1, Rn. 254. Aber selten wird sauber zwischen Verletzungen des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte getrennt. 340 S/RES/1564, 18. September 2004, Rn. 12. 341 „[F]ound credible evidence that rebel forces, namely members of the SLA and JEM, […] are responsible for serious violations of international human rights and humanitarian law which may amount to war crimes“, International Commission of Inquiry on Darfur, S. 4. Ausführlich heißt es zu den die Rebellengruppen bindenden Normen: „The SLM/A and JEM, like all insurgents that have reached a certain threshold of organization, stability and effective control of territory, possess international legal personality and are therefore bound by the relevant rules of customary international law on international humanitarian law referred to above. The same is probably also true for the NMRD. Furthermore, as with the implied acceptance of general international principles and rules on humanitarian law by the Government of the Sudan, such acceptance by rebel groups similarly can be inferred from the provisions of some of the Agreements mentioned above. In addition, the SLM/A and the JEM possess under customary international law the power to enter into binding international agreements (called jus contrahendum), have entered various internationally binding Agreements with the Government. In these Agreements, the rebels have undertaken, among other things, to comply with humanitarian law. The NMRD concluded two Agreements with the Government of the Sudan on 17 December 2004, one on humanitarian access and the other on security issues in the war zone. In these Agreements the parties pledged to release prisoners and organize the voluntary repatriation of internally displaced persons and refugees“, International Commission of Inquiry on Darfur, Rn. 172 ff. 342 Siehe etwa die AI-Jahresberichte aus den Jahren 2003 bis 2012 und Sudan-Berichte von HRW aus den Jahren 2003 bis 2012.
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3. Kap.: Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure
c) Würdigung In den vergangenen Jahren wandelte sich der Umgang der Völkerrechtsgemeinschaft, insbesondere der VN und des IKRK, mit nichtstaatlichen Gewaltakteuren. Aber stets muss die internationale Gemeinschaft befürchten, ihre Aufrufe zur Einhaltung der Menschenrechte auch an bewaffnete Verbände und die Aufdeckung und Anprangerung von bewaffneten Verbänden begangener Menschenrechtsverstöße könnte als Aufwertung oder Legitimationszuspruch (miss-)verstanden werden.343 Da wohl noch überwiegend angenommen wird, dass allein Staaten Verpflichtete der Menschenrechte sind, impliziere die Behauptung, eine nichtstaatliche Gruppe habe Menschenrechte verletzt, dass diese Gruppe zumindest staatsähnlich ist.344 Problematisch sind insofern auch tatsächliche Interaktionen nationaler und internationaler Einrichtungen mit den Aufständischen.345 Dies können etwa Absprachen über die Lieferung von Hilfsmitteln, die Sicherung von Transportwegen, Verhandlungen mit Entführern und Workshops über die rechtlichen Verpflichtungen der nichtstaatlichen Gewaltakteure sein. Einen größeren Spielraum als Staaten und IO haben hier wohl noch NRO.346 Nehmen Dritte bewaffnete Bewegungen als Gesprächs- und Aktionspartner wahr, helfen sie ihnen aus der Isolation, ebnen ihnen den 343
Schoiswohl, in: Austrian Rev. Int’l & Europ. L. 2001, S. 45 (70). Siehe Clapham, The Rights and Responsibilities of Armed Non-State Actors, S. 22; siehe auch Crawford, The Treatment of Combatants and Insurgents Under the Law of Armed Conflict, S. 126. 345 Hofmann, in: Int’l Peacekeeping 2006, S. 396 (397 f.); Sivakumaran, The Law of NonInternational Armed Conflict, S. 209, 546 ff.; vgl. auch Clapham, Human Rights Obligations of Non-State Actors, S. 28; Weissbrodt, in: Castermans-Holleman/van Hoof/Smith (Hrsg.), Essays in Honour of Peter Baehr, S. 175 (190 f.). 346 Hofmann, in: Int’l Peacekeeping 2006, S. 396 (399, 403, 405 f.); siehe aber auch die US Supreme Court-Entscheidung Holder, Attorney General et al. v. Humanitarian Law Project et al., Decision of 21 June 2010. In diesem Fall wollte die US-amerikanische NRO The Humanitarian Law Project Mitglieder der Kurdistan Workers Party (PKK) und der LTTE in internationalem Recht unterrichten. Die Richter fanden, dies „would provide that group with information and techniques that it could use as part of a broader strategy to promote terrorism, and to threaten, manipulate, and disrupt“, sodass das geplante Training unter den Anti-Terrorism and Effective Death Penalty Act von 1996, welcher die Unterstützung von Terroristengruppen unter Strafe stellt, falle: „18 USC § 2339B(a)(1) Whoever knowingly provides material support or resources to a foreign terrorist organization, or attempts or conspires to do so, shall be fined under this title or imprisoned not more than 15 years, or both, and, if the death of any person results, shall be imprisoned for any term of years or for life. To violate this paragraph, a person must have knowledge that the organization is a designated terrorist organization (as defined in subsection (g)(6)), that the organization has engaged or engages in terrorist activity (as defined in section 212(a)(3)(B) of the Immigration and Nationality Act), or that the organization has engaged or engages in terrorism (as defined in section 140(d)(2) of the Foreign Relations Authorization Act, Fiscal Years 1988 and 1989).“ 344
B. Menschenrechte
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Weg auf die internationale Bühne. Die faktische Bedeutung der Gruppen ist dann unbestreitbar.347 Aber schon rein humanitäre Gesichtspunkte verlangen eine gewisse Zusammenarbeit der Völkerrechtsgemeinschaft mit den ebenfalls zur Gemeinschaft gehörenden nichtstaatlichen Gewaltakteuren.348 5. Gesamtwürdigung Die Umorientierung des Völkerrechts vom Staat hin zum Individuum wird vor allem im Bereich der Menschenrechte offenbar. Ein umfassender und effektiver Schutz dieser fundamentalsten Rechte aller verlangt aber, dass auch alle hieran gebunden sind, werden die Menschenrechte doch nicht nur von staatlichen, sondern auch von nichtstaatlichen (Gewalt-)Akteuren bedroht und verletzt. Das klassische Menschenrechtssystem, welches vom Vorhandensein handlungsfähiger und -williger Staaten ausgeht, läuft aber leer, wenn der Staat schwach ist, zerfällt, Territorium an Oppositionsgruppen verliert. Er scheidet dann als Schutz- und Hilfsinstanz für seine Bürger aus. Da aber der Zustand des Staates nicht über die Gewährleistung der Menschenrechte entscheiden darf, gilt es die beschriebene Lücke zu schließen. Etwa sind völkerrechtliche Verträge nach dem effet utile-Grundsatz, dem Effektivitätsgrundsatz, angelegt in Art. 33 Abs. 4 WVK, so auszulegen, dass sie den Zweck und das Ziel, für die sie geschaffen wurden, bestmöglich erfüllen.349 Neuere Menschenrechtsabkommen adressieren dann auch nichtstaatliche (Gewalt-)Verbände direkt; IO und NRO beschäftigen sich theoretisch und praktisch mit den Verbänden. Damit reagiert die internationale Gemeinschaft auf die Wirklichkeit. Gleichwohl werden menschenrechtliche Verpflichtungen hierdurch nicht erst begründet, sondern wird allein die bestehende Rechtslage, wonach nichtstaatliche Gewaltakteure bereits an die Menschenrechte als natürliche bzw. moralische Rechte und gegebenenfalls aufgrund ihrer Eigenschaft als de facto-Regime gebunden sind, nachvollzogen. Endlich orientieren sich Art. 4 Abs. 1 ZP Kinderrechtskonvention betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten und Art. 7 Kampala Convention am Kriegs- und am Völkerstrafrecht. Auch wenn die Maßnahmen noch recht zaghaft sind, Unwägbarkeiten bestehen, ist die Tendenz doch eindeutig: Die Völkerrechtsgemeinschaft misst das Verhalten nichtstaatlicher Gewaltakteure heute auch an den Menschenrechten. Sie nimmt von 347
Vgl. Clapham, The Rights and Responsibilities of Armed Non-State Actors, S. 28. Generalsekretär Ban Ki-Moon mit Blick auf das humanitäre Völkerrecht: „We must also focus more attention on compliance with international humanitarian law by non-State armed groups. Unpalatable as it may be for some States, engagement with such groups is critical. The United Nations must be able to talk to all warring parties, including armed groups. Failure to do so is always likely to mean more, not fewer, civilians killed and wounded. I urge Member States to accept this necessity“, SG/SM/12494, 26. September 2009; ähnlich der Sicherheitsrat, S/ 2009/277, 29. Mai 2009, Rn. 40, 45. 349 Stein/von Buttlar, Völkerrecht, S. 25, Rn. 84. 348
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3. Kap.: Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure
Oppositionsgruppen begangene Verstöße dieser elementarsten Rechte nicht länger hin, benennt, verfolgt und ahndet sie auf internationaler Ebene.
C. Bi- bzw. multilaterale Abkommen und unilaterale Erklärungen Immer häufiger erklären sich nichtstaatliche Gewaltakteure in Vereinbarungen oder unilateralen Erklärungen zur Einhaltung des internationalen Rechts bereit.350 Dies ändert aber nichts an der oben dargestellten Rechtslage, insbesondere daran, dass ein formeller Beitritt bewaffneter Bewegungen zu den Regelungsverträgen, also den Konventionen des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte, nicht möglich ist.351 In der Abgabe von Erklärungen und Eingehung von Abkommen sind die Gruppen frei. Sie tun dies aus eigenem Antrieb, weil Dritte sie hierzu ermuntern oder auffordern.352 Ausdrücklich hält Art. 3 Abs. 2 S. 3 GK die Konfliktteilnehmer dazu an, „sich [zu] bemühen, durch besondere Vereinbarungen auch die andern Bestimmungen des vorliegenden Abkommens ganz oder teilweise in Kraft zu setzen.“
Der englische Wortlaut lautet: „should […] endeavour.“353 Dies macht deutlich, dass es sich lediglich um einen Aufruf, eine moralische denn eine rechtliche Verpflichtung handelt.354 Auch wenn Art. 3 Abs. 2 S. 4 GK bekräftigt, dass die vorherstehenden Bestimmungen keinerlei Einfluss auf die Rechtsstellung der am Konflikt beteiligten Parteien, also gerade der substaatlichen Partei, haben, wertet der 350 Eine „List of commitments“ findet sich bei Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 144 ff.; für zwischen 1990 und 2000 abgeschlossene Friedensverträge siehe Bell, Peace Agreements and Human Rights, S. 323 ff. Sivakumaran behandelt „ad hoc commitments“ wie unilaterale Erklärungen, bi- und multilaterale Vereinbarungen, Codes of Conduct und Gesetze nichtstaatlicher Gewaltakteure wegen ihres normativen Charakters und ihrer tatsächlichen Bedeutung im Kapitel „The Sources of the Law of Non-International Armed Conflict“ als „The less traditional ,sources‘“, Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 107 ff. 351 Vgl. de Beco, in: HuV 2005, S. 190 (193); Henckaerts, in: College of Europe/ICRC (Hrsg.), Relevance of International Humanitarian Law to Non-State Actors, S. 123 (127). 352 Zu unilateralen Erklärungen Ryngaert/Van de Meulebroucke, in: J. Confl. & Security L. 2011, S. 443 (445). 353 Hervorhebung durch die Autorin. 354 Moir, The Law of Internal Armed Conflict, S. 64; Pictet, The Geneva Conventions of 12 August 1949, Commentary, III Geneva Convention Relative to the Treatment of Prisoners of War, S. 42; vgl. auch Draper, in: Georgia J. Int’l & Comp. L. 1983, S. 253 (265); Szasz, in: Schachter/Joyner (Hrsg.), United Nations Legal Order, Vol. 1, S. 35 (46); siehe aber auch Art. 19 Abs. 2 Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten (Kulturschutzkonvention) vom 14. Mai 1954, in Kraft getreten am 7. August 1956, BGBl. 1967 II 1235, UNTS Vol. 249, 215, wo es heißt „shall endeavour to bring into force“, Hervorhebung durch die Autorin. Der deutsche Wortlaut lautet: „werden bestrebt sein.“
C. Bi- bzw. multilaterale Abkommen und unilaterale Erklärungen
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Abschluss einer solchen Vereinbarung die bewaffnete Gruppe tatsächlich auf.355 Spätestens dann kann ihre Existenz, Bedeutung und Rolle auch als politischer Akteur nicht länger geleugnet werden. Wer es schafft, einen Platz am Tisch der Staatsmächte zu ergattern, besitzt selbst Macht. Die nichtstaatlichen Gewaltakteure binden sich an den gemeinsamen Art. 3 GK, das ZP II und hierüber hinausgehende kriegsrechtliche Vorschriften. Und häufig beinhalten die Selbstverpflichtungen Menschenrechte. Sie können aber auch hinter den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Oppositionellen zurück bleiben.356 Teilweise finden sich besondere Regeln Binnenvertriebene betreffend: Verboten werden allgemein die Anwendung von Gewalt gegenüber Zivilpersonen und speziell willkürliche Vertreibungen, weiter werden Bestimmungen zum Schutz und zur Hilfe von Binnenflüchtlingen, zu ihrer Rückkehr und Entschädigung festgelegt.357 Art. 3 Abs. 2 lit. e) Kampala Convention ruft die Vertragsparteien ausdrücklich dazu auf, sich zu bemühen „to incorporate the relevant principles contained in this Convention into peace negotiations and agreements for the purpose of finding sustainable solutions to the problem of internal displacement.“
I. Bi- und multilaterale Abkommen In Vereinbarungen mit dem bekämpften Staat, mit Drittstaaten, IO, nationalen und internationalen NRO bekennen sich nichtstaatliche Gewaltakteure ausdrücklich zur Einhaltung des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte.358 Es handelt sich um Friedens-, Waffenstillstands-, Konfliktregelungs- und sonstige Abkommen. 355 Rondeau, in: IRRC 2011, S. 649 (664); Ryngaert/Van de Meulebroucke, in: J. Confl. & Security Law 2011, S. 443 (454 f.); vgl. Baxter, in: Moore (Hrsg.), Law and Civil War in the Modern World, S. 518 (528). 356 Sivakumaran, in: IRRC 2011, S. 463 (473 f.). 357 Siehe die Übersicht von Sivakumaran, Armed Groups and Internally Displaced Persons; siehe auch die Beispiele bei Fagen, in: Refugee S. Q. 1/2009, S. 31 (40 ff.), und bei Henckaerts/ Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Vol. I, S. 464 Fn. 49, S. 470 Fn. 84, S. 472 Fn. 97, S. 473 Fn. 103, 105. 358 Beispiele für Abkommen zwischen nichtstaatlichen Gewaltakteuren und dem sie bekämpfenden Staat sind etwa das San José Agreement on Human Rights unterzeichnet in San José, Mexiko, zwischen der Regierung El Salvadors und der Farabundo Martí National Liberation Front (FMLN), 26. Juli 1990, A/44/971-S/21541, das Comprehensive Agreement on Respect for Human Rights and International Humanitarian Law unterzeichnet in Den Haag, Niederlande, zwischen der philippinischen Regierung und der National Democratic Front of the Philippines (NDFP), 16. März 1998, sowie das zwischen der Regierung Sierra Leones und der RUF geschlossene Lomé Agreement. Der SCSL sprach der RUF aber die Möglichkeit zum Abschluss eines internationalen Vertrags mit der amtierenden Regierung ab: „The RUF had no treaty-making capacity so as to make the Lomé Agreement an international agreement“,
204
3. Kap.: Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure
In den Abkommen verpflichten sich regelmäßig alle Seiten. Die Vereinbarungen kommen durch aushandeln, einen Interessenausgleich359, seltener ein Diktat zustande. Gespräche werden schließlich nur geführt, wenn keine Partei militärisch derart stark ist, dass sie die Auseinandersetzung mit Waffengewalt entscheiden könnte. So stellt sich der Großteil heutiger Konflikte dar. Dann setzen sich die Beteiligten an einen Tisch. Wenn auch nicht formal, handeln die nichtstaatlichen Akteure hier zumindest faktisch auf Augenhöhe mit den staatlichen Akteuren.360 Zwar finden die WVK und die WVKIO wegen ihres auf Staaten und IO begrenzten Anwendungsbereichs, vgl. jeweils Art. 1361, auf die hier interessierenden biund multilateralen Abkommen keine Anwendung; gleichwohl können die Werke völkerrechtliche Verträge darstellen. 1. (Rechts-)Natur Den Parteien kriegerischer Auseinandersetzungen und anderen am Friedensprozess Beteiligten muss es möglich sein, ihre Anliegen in rechtlich bindender Form auszudrücken.362 Anders als Absichtserklärungen, Empfehlungen und Gentlemen’s Agreement begründen Verträge durchsetzbare Rechte und Pflichten.363 Entscheidend ist der Wille zum Abschluss einer rechtsverbindlichen Übereinkunft.364 Dieser kann besonders der Sprache des Abkommens, seinem Inhalt, der
SCSL, Prosecutor v. Kallon and Kamara, SCSL-04 – 15-AR72(E) und SCSL-04 – 16-AR72(E), 13. März 2004, Rn. 48; kritisch hierzu Cassese, in: J. Int’l Crim. Just. 2004, S. 1130 (1134 f.). Beispiele für Abkommen zwischen nichtstaatlichen Gewaltakteuren und IO sind das Operation Lifeline Sudan Agreement on Ground Rules, im Mai 1996 geschlossen zwischen der SPLM/A und UNICEF, abgedruckt in Levine, in: RRN Network Paper 21, 1997, S. 26 ff.; und das Memorandum of Understanding zwischen der JEM und UNICEF vom 21. Juli 2010. Beispiele für Abkommen zwischen nichtstaatlichen Gewaltakteuren und NRO, hier der schweizer Organisation Geneva Call, sind das Deed of Commitment for Adherence to a Total Ban on Anti-Per sonnel Mines and for Cooperation in Mine Action (Deed of Commitment APM) und das Deed of Commitment under Geneva Call for the Protection of Children from the Effects of Armed Conflict (Deed of Commitment Children Armed Conflict); siehe auch die Liste bei Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 144 ff. 359 Gunkel, Herstellung geordneter Staatlichkeit in Nachkonfliktsituationen, S. 72 f. 360 Bell, in: Am. J. Int’l L. 2006, S. 373 (373). 361 Art. 1 WVK begrenzt den Anwendungsbereich des Übereinkommens auf Verträge zwischen Staaten. Die WVKIO ist gemäß Art. 1 WVKIO anwendbar auf Verträge zwischen einem oder mehreren Staaten und einer oder mehrerer IO sowie Verträge zwischen IO. 362 Siehe Roberts/Sivakumaran, in: Yale J. Int’l L. 2012, S. 107 (145 f.). 363 Bell, in: Am. J. Int’l L. 2006, S. 373 (384); Stein/von Buttlar, Völkerrecht, S. 11, Rn. 31. 364 Cassese, in: J. Int’l Crim. Just. 2004, S. 1130 (1135); Stein/von Buttlar, Völkerrecht, S. 11, Rn. 31; vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, S. 515.
C. Bi- bzw. multilaterale Abkommen und unilaterale Erklärungen
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Festlegung von Durchsetzungsmechanismen und den Umständen seines Zustandekommens entnommen werden.365 2. Rechtsordnung In einem zweiten Schritt ist zu klären, in welche Rechtsordnung die Verträge einzuordnen sind, ob also aus ihnen internationale oder nationale Rechte und Pflichten folgen; dies vor allem, wenn sie zwischen den Aufständischen und dem bekämpften Staat, also zwei dem gleichen nationalen System angehörenden Akteuren getroffen wird. Der SCSL unterschied danach, ob mit der Vereinbarung ein internationaler oder ein nichtinternationaler bewaffneter Konflikt beigelegt werden soll. Im ersteren Fall handele es sich um ein internationales, im letzteren Fall um ein nationales Instrument.366 Andere meinen, jedenfalls Verträge zwischen den Konfliktparteien stellten sich (zunächst) als innerstaatlicher Akt dar.367 Weiter wird vertreten, dass zumindest ein internationalized peace-agreement, also ein Friedensvertrag, an dem IO wie die VN mitwirken, als internationaler Vertrag einzordnen sei, verpflichte sich die Oppositionsbewegung hier doch nicht nur gegenüber dem Vertragspartner, sondern auch gegenüber der gesamten Staatengemeinschaft.368 a) Parteiautonomie Aufgrund der Parteiautonomie sind die Vertragsschließenden grundsätzlich frei in ihrer Rechtswahl: Sie können insbesondere eine oder mehrere nationale oder die internationale Rechtsordnung(en) für anwendbar erklären.369 Dass die Parteiauto365
Bell, in: Am. J. Int’l L. 2006, S. 373 (386); Cassese, in: J. Int’l Crim. Just. 2004, S. 1130 (1135); Heintschel von Heinegg, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 392, Rn. 3. 366 SCSL, Prosecutor v. Kallon and Kamara, SCSL-04-15-AR72(E) und SCSL-04-16AR72(E), 13. März 2004, Rn. 42. 367 Gunkel, Herstellung geordneter Staatlichkeit in Nachkonfliktsituationen, S. 39. 368 Kooijmans, in: Wellens (Hrsg.), Essays in Honour of Eric Suy, S. 333 (338); vgl. auch Clapham, Human Rights Obligations of Non-State Actors, S. 272 f. 369 Doehring, Völkerrecht, S. 173 f., Rn. 399; vgl. Velten, Die Anwendung des Völkerrechts auf State Contracts in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, S. 24; siehe auch The Proper Law of the Contracts in Agreements Between a State and a Foreign Private Person vom 11. September 1979, Res. D. Institut de Droit International, Annuaire, Bd. 58, II, 1979, S. 193: „Art. 1 Contracts between a Sate and a foreign private person shall be subjected to the rules of law chosen by the parties. Art. 2 The parties may in particular choose as the proper law of the contract either one or several domestic legal systems or the principles common to such systems, or the general principles
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3. Kap.: Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure
nomie nur im Rahmen des nationalen Rechts gilt, ist insofern unproblematisch, als sie in Form der Rechtsordnungswahl offenbar in der Mehrzahl der nationalen Rechtssysteme verankert ist.370 Man kann beinahe von einem allgemeinen Rechtsgrundsatz sprechen. Doch darf die Wahl nicht willkürlich, sondern muss aus vernünftigen Gründen erfolgen.371 Vor allem die Struktur und der Inhalt des Rechts müssen passen.372 Bejaht werden kann dies etwa, wenn eine der Parteien Mitglied der ausgewählten Rechtsordnung ist.373 Das Völkerrecht ist heute nicht länger ein auf Staaten und IO beschränktes System. Auch nichtstaatliche Gewaltakteure können Völkerrechtssubjektivität besitzen. Und im Rahmen von Auseinandersetzungen, gerade deren Beilegung, findet ein Austausch zwischen den bewaffneten Gruppierungen, Staaten, IO, dem IKRK und NRO statt. Es besteht ein Bedürfnis für den Abschluss internationaler Friedens-, Waffenstillstands-, Regelungs- und sonstiger, kriegs- und menschenrechtliche Standards beinhaltender Abkommen. Folglich passen die Struktur und der Inhalt der hier interessierenden Übereinkünfte zum Völkerrecht. Maßgeblich ist dann wieder der Wille der Vertragsparteien, hier gerichtet auf den Abschluss eines internationalen Vertrags.374 Bei Vereinbarungen zwischen nichtstaatlichen Gewaltakteuren und dritten Staaten, IO, dem IKRK oder ausländischen NRO wird dieser meist gegeben sein. Andernfalls fehlt schon ein Rechtssystem, in das man den Vertrag einordnen kann.375 Denn die Aufständischen wollen wohl kaum das nationale Recht des Staates, auf dessen Territorium die Kämpfe ausgetragen werden, oder ihres Vertragspartners, sofern dieser überhaupt einer nationalen Rechtsordnung angehört, gelten lassen.376 Beides würde eine Unterwerfung bedeuten. Dabei geht es den substaatlichen Grippierungen gerade darum, ihre Macht zu demonstration.
of law, or the principles applied in international economic relations, or international law, or a combination of these sources of law.“ 370 Mann, in: FS Gutzwiller, S. 465 (481); Velten, Die Anwendung des Völkerrechts auf State Contracts in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, S. 26. 371 Velten, Die Anwendung des Völkerrechts auf State Contracts in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, S. 27. 372 Böckstiegel, Der Staat als Vertragspartner ausländischer Privatunternehmen, S. 123. 373 Böckstiegel, Der Staat als Vertragspartner ausländischer Privatunternehmen, S. 99; Mann, in: FS Gutzwiller, S. 465 (481); Velten, Die Anwendung des Völkerrechts auf State Contracts in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, S. 28. 374 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, S. 518; Mann, in: FS Gutzwiller, S. 465 (485); Schoiswohl, Status and (Human Rights) Obligations of Non-Recognized De Facto Regimes in International Law, S. 225 f.; Sivakumaran, in: Int’l & Comp. L. Q. 2006, S. 369 (390). 375 Siehe Frowein, Das de facto-Regime im Völkerrecht, S. 111, 114; vgl. auch Mann, in: FS Gutzwiller, S. 465 (482). 376 Vgl. Mann, in: FS Gutzwiller, S. 465 (482).
C. Bi- bzw. multilaterale Abkommen und unilaterale Erklärungen
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Der bekämpfte Staat hat aber sicher wenig Interesse daran, die Beziehung zu den bewaffneten Gruppierungen durch den Abschluss eines internationalen Vertrags als völkerrechtlich aufzuwerten, sondern will sie eher als rein nationale Angelegenheit abtun.377 Für den Staat sind die Oppositionellen schlicht Kriminelle. Möglicherweise implizieren aber die Aufnahme internationaler Regeln, etwa des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte, oder die Mitwirkung internationaler Akteure den Willen zur Schaffung eines Völkerrechtsvertrags. b) Wiener Vertragsrechtskonvention und Wiener Vertragsrechtskonvention betreffend Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen oder zwischen internationalen Organisationen Auch die WVK steht der Begründung völkerrechtlicher Verträge zwischen nichtstaatlichen Gewaltakteuren auf der einen und Staaten, IO, dem IKRK oder NRO auf der anderen Seite nicht entgegen.378 Im Gegenteil stellt Art. 3 WVK379 gerade sicher, dass die Konzentration der WVK auf Verträge zwischen Staaten keine Auswirkungen auf die rechtliche Einordnung von Abkommen anderer Völkerrechtssubjekte hat. Weiter zeigt die Existenz der WVKIO, dass nicht allein Staaten die Fähigkeit zum Abschluss von Völkerrechtsverträgen besitzen.380 Gleiches ergibt ein Blick auf die Draft Articles on the Law of Treaties381: Gemäß Art. 1 Abs. 1 lit. a) Draft Articles on the Law of Treaties erfasste der Begriff „treaty“ „any international agreement in written form […] concluded between two or more States or other subjects of international law and governed by international law.“382
377 Siehe Frowein, Das de facto-Regime im Völkerrecht, S. 114; Schmalenbach, in: Dörr/ Schmalenbach (Hrsg.), Vienna Convention on the Law of Treaties, A Commentary, Art. 3, S. 71, Rn. 56; Sivakumaran, in: Int’l & Comp. L. Q. 2006, S. 369 (391). 378 Siehe Ryngaert/Van de Meulebroucke, in: J. Confl. & Security L. 2011, S. 443 (454). 379 „Art. 3 WVK Der Umstand, dass dieses Übereinkommen weder auf die zwischen Staaten und anderen Völkerrechtssubjekten oder zwischen solchen anderen Völkerrechtssubjekten geschlossenen internationalen Übereinkünfte noch auf nicht schriftliche internationale Übereinkünfte Anwendung findet, berührt nicht a) die rechtliche Gültigkeit solcher Übereinkünfte; b) die Anwendung einer der in diesem Übereinkommen niedergelegten Regeln auf sie, denen sie auch unabhängig von diesem Übereinkommen auf Grund des Völkerrechts unterworfen wären; c) die Anwendung des Übereinkommens auf die Beziehungen zwischen Staaten auf Grund internationaler Übereinkünfte, denen auch andere Völkerrechtssubjekte als Vertragsparteien angehören.“ 380 Ryngaert/Van de Meulebroucke, in: J. Confl. & Security L. 2011, S. 443 (454). 381 Ryngaert/Van de Meulebroucke, in: J. Confl. & Security L. 2011, S. 443 (454). 382 ILC, Yb. ILC 1962, Vol. II, S. 161, Hervorhebung durch die Autorin; siehe auch schon ILC, Yb. ILC 1958, Vol. II, S. 24, 32.
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3. Kap.: Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure
Auch Vereinbarungen, an denen Aufständische beteiligt sind, sollten hierunter fallen. Die Formulierung „other subjects of international law“ sollte neben IO und dem Heiligen Stuhl auch „other international entities, such as insurgents“ umfassen.383 c) Würdigung Nichtstaatliche Gewaltakteure besitzen als beschränkte Völkerrechtssubjekte die Handlungsfähigkeit zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge, sofern dies zur Befriedigung der Bedürfnisse der internationalen Gemeinschaft nötig ist.384 Umfasst sind hiervon jedenfalls das humanitäre Völkerrecht und die Menschenrechte beinhaltende Waffenstillstands-, Friedens- und ähnliche Abkommen. Anders als bei den Weltordnungsverträgen werden hier keine allgemeinen und durabelen Ordnungsregime geschaffen, sondern lediglich konkrete Auseinandersetzungen, konkrete Sachverhalte geregelt bzw. beigelegt.
II. Unilaterale Erklärungen Zudem geben nichtstaatliche Gewaltakteure unilaterale Erklärungen ab, in denen sie sich an kriegs- und/oder menschenrechtliche Normen binden.385 Die Erklärungen werden allgemein an die Öffentlichkeit oder an Dritte, etwa Staaten, IO, das IKRK, NRO gerichtet.386 Ihre Kundgabe erfolgt ad hoc oder im Rahmen eines formellen Verfahrens.387 Die Oppositionsbewegungen bedeuten hiermit, dass sie die Regeln des Völkerrechts kennen und akzeptieren. Ähnlich wie bi- und multilaterale Vereinbarungen sind unilaterale Erklärungen ein Surrogat für den Ausschluss der Aufständischen vom formellen völkerrechtlichen Normsetzungs- und Normbeitretungsverfahren. Mangels Aufzählung in Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut ist die Einordnung einseitiger Erklärungen in das traditionelle Völkerrechtsquellensystem schwierig. In Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut genannt werden internationale Verträge, das Völkergewohnheitsrecht und die allgemeinen Rechtsgrundsätze als Quellen des Völkerrechts;
383
32. 384
ILC, Yearbook 1962, Vol. II, S. 162; siehe auch schon ILC, Yb. ILC 1958, Vol. II, S. 24,
Rudolf, in: Hum. Rts. & Int’l Legal Discourse 2010, S. 127 (136); vgl. auch Schoiswohl, Status and (Human Rights) Obligations of Non-Recognized De Facto Regimes in International Law, S. 224 f.; siehe auch Roberts/Sivakumaran, in: Yale J. Int’l L. 2012, S. 107 ff., zu den Abkomen S. 143 ff. 385 Für einige Beispiele siehe Ryngaert/Van de Meulebroucke, in: J. Confl. & Security L. 2011, S. 443 (445 Fn. 5 ff.); Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 144 ff. 386 Ryngaert/Van de Meulebroucke, in: J. Confl. & Security L. 2011, S. 443 (445). 387 Roberts/Sivakumaran, in: Yale J. Int’l L. 2012, S. 107 (142).
C. Bi- bzw. multilaterale Abkommen und unilaterale Erklärungen
209
schließlich die Gerichte und die Wissenschaft als Hilfsmittel. Hiermit ist aber kein numerus clausus der Völkerrechtsquellen statuiert.388 Dass zumindest von Staaten abgegebene unilaterale Erklärungen internationales Recht darstellen können, entschied der IGH: „It is well recognized that declarations made by way of unilateral acts, concerning legal or factual situations, may have the effect of creating legal obligations. […] When it is the intention of the State making the declaration that it should become bound according to its terms, that intention confers on the declaration the character of a legal undertaking, the State being thenceforth legally required to follow a course of conduct consistent with the declaration. An undertaking of this kind, if given publicly, and with an intent to be bound, even though not made within the context of international negotiations, is binding.“389
Die Bindungswirkung unilateraler Erklärungen folgt einer Ansicht nach aus dem Estoppel-Prinzip390, welchem der Vertrauensschutz sowie der Grundsatz von Treu und Glaube zugrunde liegen.391 Andere führen sie auf Gewohnheitsrecht zurück.392 Bei entsprechendem Willen und Schutzbedürftigkeit des Empfängers entsteht so eine einseitige internationale Verpflichtung des erklärenden Staates. Gleiches muss für unilaterale Erklärungen anderer Völkerrechtssubjekte, etwa nichtstaatlicher Gewaltakteure gelten.393 Dies erst Recht, wenn hierin das Kriegsrecht und die Menschenrechte als typische Regelungsbereiche des Völkerrechts in Bezug genommen werden.
III. Sudan Auch die Parteien des Darfur-Konflikts banden sich in bi- und multilateralen Vereinbarungen sowie unilateralen Erklärungen an das humanitäre Völkerrecht und die Menschenrechte; regelten in den Selbstverpflichtungen etwa speziell den Umgang mit den Binnenvertriebenen.
388
Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 56 f., Rn. 148. IGH, Nuclear Test Case (Australia v. France), Advisory Opinion, 20. Dezember 1974, ICJ Reports 1974, 253, Rn. 43; IGH, Nuclear Test Case (New Zealand v. France), Advisory Opinion, 20. Dezember 1974, ICJ Reports 1974, 457, Rn. 46. 390 Doehring, Völkerrecht, S. 143, Rn. 323; Schuit, in: International Community Law Review 2012, S. 381 (384 Fn. 18); Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 57, Rn. 149. 391 Doehring, Völkerrecht, S. 143 Fn. 69. 392 Doehring, Völkerrecht, S. 143, Rn. 324 f. 393 So auch Clapham, The Rights and Responsibilities of Armed Non-State Actors, S. 19; ILA, The Sofia Conference 2012, S. 5; Roberts/Sivakumaran, in: Yale J. Int’l L. 2012, S. 107 (141 f.); Rudolf, in: Hum. Rts. & Int’l Legal Discourse 2010, S. 127 (137); Ryngaert/Van de Meulebroucke, in: J. Confl. & Security L. 2011, S. 443 (446); vgl. auch ICTR, Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T, 2. September 1998, Rn. 627; E/CN.4/2006/53/Add.5, 27. März 2006, Rn. 30; E/CN.4/2000/71, 9. Februar 2000, Rn. 20. 389
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3. Kap.: Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure
1. Bi- und multilaterale Abkommen a) Abkommen zwischen der sudanesischen Regierung und nichtstaatlichen Gewaltgruppierungen aa) Agreement on Humanitarian Ceasefire on the Conflict in Darfur und Protocol on the Establishment of Humanitarian Assistance Den ersten Waffenstillstand trafen die regierende NCP, die JEM und die SLM/A etwa ein Jahr nach der Eskalation des Konflikts im Westen Sudans am 4. April 2004 mit dem Agreement on Humanitarian Ceasefire on the Conflict in Darfur. In Art. 10 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 1 Präambel des am selbigen Tag verabschiedeten Protocol on the Establishment of Humanitarian Assistance verpflichteten sich die Konfliktparteien zur Respektierung der Genfer Abkommen inklusive ihrer zwei Zusatzprotokolle von 1977, der AEMR, des IPbpR, der GFK und der Guiding Principles. Art. 4 Protocol on the Establishment of Humanitarian Assistance gewährt jedem ein Leben in Sicherheit und Würde. Ein Angriffsverbot wurde vereinbart und die Notwendigkeit einer diskriminierungsfreien Gewährleistung von Schutz und Hilfe für die von den Kampfhandlungen Betroffenen betont, Art. 1, 2, 4, 9 Protocol on the Establishment of Humanitarian Assistance. Humanitäres Personal soll Zugang zu den Bedürftigen erhalten und muss, ebenso wie sein Equipment, geschützt werden, Art. 7, 8 Protocol on the Establishment of Humanitarian Assistance; ähnlich auch Art. 8 Agreement on Humanitarian Ceasefire on the Conflict in Darfur. Art. 10 Abs. 1 Protocol on the Establishment of Humanitarian Assistance regelt dann das Schicksal der Vertriebenen. Die freiwillige Rückkehr von Flüchtlingen und (Binnen-)Vertriebenen unter sicheren und würdevollen Bedingungen in ihre ursprüngliche Gemeinschaft sei zu fördern. Verlorenes und zerstörtes Eigentum solle den Menschen ersetzt bzw. sie sollten hierfür entschädigt werden. bb) Protocol on the Enhancement of the Security Situation in Darfur und Protocol on the Improvement of the Humanitarian Situation In Abs. 3 Präambel Protocol on the Enhancement of the Security Situation in Darfur vom 9. November 2004 verurteilten die Vertragsschließenden, die sudanesische Regierung, die JEM und die SLM/A, alle Gewaltakte sowie Menschen- und Kriegsrechtsverletzungen. Die bisher geschlossenen Vereinbarungen wurden in Bezug genommen, insbesondere der Waffenstillstand erneuert, Art. 1 – 5 Protocol on the Enhancement of the Security Situation in Darfur. Eine spezielle Regelung erfuhr wieder die Gewährung humanitärer Hilfe (durch die internationale Gemeinschaft), Art. 6, 7 Protocol on the Enhancement of the Security Situation in Darfur. In Art. 8 Protocol on the Enhancement of the Security Situation in Darfur ist, mit Verweis auf die Afrikanische Kinderrechtscharta, die Kinderrechtskonvention und das ZP Kinderrechtskonvention betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten, ein Kinderrekrutierungsverbot niedergelegt.
C. Bi- bzw. multilaterale Abkommen und unilaterale Erklärungen
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Der Wortlaut des Abs. 3 Präambel Protocol on the Improvement of the Humanitarian Situation, ebenfalls am 9. November 2004 zwischen der NCP und den Rebellengruppen JEM und SLM/A geschlossen, entspricht dem des Protocol on the Enhancement of the Security Situation in Darfur. Zusätzlich bekannten sich die Parteien in Abs. 10 Präambel Protocol on the Improvement of the Humanitarian Situation zu den humanitären Prinzipien der VN Charta und anderer internationaler Regelwerke. Detaillierte Bestimmungen wurden dann zur freien Bewegung aller und zum freien Zugang des Hilfspersonals, zum Schutz ziviler Personen, speziell auch der Binnenvetriebenen, und zum Umgang mit (VN-)Menschenrechtseinrichtungen getroffen. Mit Art. 4 Protocol on the Improvement of the Humanitarian Situation richteten die Parteien die Joint Humanitarian Facilitation and Monitoring Unit zur regelmäßigen Berichterstattung über Fortschritte und Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Abkommens ein. cc) Darfur Peace Agreement Auch in Abs. 3 Präambel DPA verurteilten die regierende NCP und die SLM/AMM alle gegenüber Zivilisten verübten Gewaltakte und Menschenrechtsverletzungen und betonten ihre „full and unconditional acceptance of their obligations under international humanitarian law, international human rights law, and relevant UN Security Council Resolutions.“
Einzelne Menschenrechte legte man dann unter Art. 3 DPA Human Rights and Fundamental Freedoms nieder. Detaillierte Vorschriften insbesondere zur Schutzund Hilfsgewährung an die Zivilbevölkerung, zur diskriminierungsfreien Behandlung der Vertriebenen, zur freiwilligen und sicheren Rückkehr, Familienzusammenführung, Registrierung, Ausstellung von Dokumenten, Rückgabe von bzw. Entschädigung für verlorenes Eigentum und Kompensation für Menschen, die aufgrund des Konflikts einen physischen oder psychischen Schaden, menschlichen oder ökonomischen Verlust erlitten, finden sich in Art. 21 DPA Urgent Programs for Internally Displaced Persons, Refugees and other War-Affected Persons and Compensation for War-Affected Persons. In Art. 22, 23 DPA wurde dann erneut ein Waffenstillstand festgeschrieben. Die in dessen Rahmen untersagten Verhaltensweisen nennt Art. 24 DPA. Es handelt sich vor allem um kriegsrechtliche Bestimmungen. Außerdem enthält Art. 26 DPA Protecting Internally Displaced Persons and Humanitarian Supply Routes Regeln über demilitarisierte Zonen und Hilfsgüterrouten, die Sicherheit in Vertriebenencamps, den besonderen Schutz für Frauen und Kinder. Zur Durchsetzung der Vorschriften werden verschiedene Mechanismen eingerichtet.
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3. Kap.: Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure
dd) Goodwill and Confidence-Building Agreement und Framework Agreement for the Resolution of the Conflict in Darfur Im Goodwill and Confidence-Building Agreement der sudanesischen Regierung und der JEM wurde im Februar 2009 der Rahmen für den Abschluss eines neuen Friedensvertrags festgelegt. Erneut betonte man die Notwendigkeit ungehinderter Hilfsgewährung für die Bedürftigen und die dringend nötige Lösung des Binnenvertriebenenproblems. Etwa ein Jahr später vereinbarten die Zentralregierung und die JEM dann einen Waffenstillstand sowie weitere Verhandlungen zu führen, Art. 1 Framework Agreement for the Resolution of the Conflict in Darfur. In Bezug auf Binnenvertriebene, Flüchtlinge und alle anderen, vom Konflikt betroffenen Personen verlangt Art. 8 Framework Agreement for the Resolution of the Conflict in Darfur, dass diese in angemessener Weise zu entschädigen seien, ihnen die freiwillige Rückkehr in ihre Heimat ermöglicht werde und dort Bedingungen für ein annehmbares Leben geschaffen würden. Zum Friedensvertragsschluss zwischen den beiden Parteien kam es bisher jedoch nicht.394 ee) Doha Document for Peace in Darfur Aber das zwischen der Zentralregierung und der LJM am 18. März 2010 vereinbarte Framework Agreement to Resolve the Conflict in Darfur führte im Juli 2011 zum Abschluss des Doha Document for Peace. Schon die Abs. 6 – 10 Präambel nehmen die Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht in Bezug. In Art. 1 – 2 DDPD heißt es: „All Parties shall fulfill their obligations under international human rights and international humanitarian law and ensure a conducive environment for the effective exercise of civil and political rights as well as the full and equal enjoyment of economic, social and cultural rights.“
Art. 1 DDPD Promotion and Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms nennt die einzelnen Menschenrechtsgewährungen. Kap. IV widmet sich dann ausführlich der Sicherheit, der Hilfe und dem Schutz von Binnenvertriebenen, Flüchtlingen und anderen Konfliktopfern. Zunächst verbietet das DDPD Diskriminierungen aufgrund dieser Eigenschaften. Die genannten Personengruppen seien dann auch an der Bewältigung der menschenrechtlichen und humanitären Konfliktauswirkungen sowie der Regelung des Rückkehrprozesses zu beteiligen. Im Einzelnen wurden etwa der Zugang von Hilfsorganisationen zu von der Gewalt Betroffenen, die Familienzusammenführung, die Ausstellung von Dokumenten und 394 Siehe aber das Agreement Between the Government of Sudan and the Justice and Equality Movement-Sudan on the Basis of the Doha Document for Peace in Darfur, welches eine JEM-Splittergruppierung im April 2013 mit der sudanesischen Regierung auf Basis des DDPD abschloss.
C. Bi- bzw. multilaterale Abkommen und unilaterale Erklärungen
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das Freizügigkeitsrecht geregelt. Entschädigung erhalte, wer durch den Konflikt einen Schaden oder Verlust physischer, psychischer oder wirtschaftlicher Art erlitt. Detailliert sind die Bedingungen für eine freiwillige Rückkehr in Sicherheit und Würde, auch Eigentumsangelegenheiten, niedergelegt. Im folgenden Kapitel wurde ein Waffenstillstand festgeschrieben. Art. 63 DDPD nennt schließlich einzelne, vor allem dem Kriegsrecht entnommene, verbotene und gebotene Verhaltensweisen. Auch das DDPD enthält Verfahren zur Durchsetzung der Vereinbarungen. b) Abkommen zwischen Internationalen Organisationen bzw. Nichtregierungsorganisationen und nichtstaatlichen Gewaltgruppierungen aa) Aktionspläne betreffend Kinder in bewaffneten Konflikten In Aktionsplänen betreffend Kinder in bewaffneten Konflikten verpflichteten sich die SLM/A-MM (2007), SLM/A-Free Will (2010), SLM/A-Abu Gasim-Mother Wing (2010) und JEM (2012) gegenüber den VN namentlich zur Beendigung der Rekrutierung und Kampfeinsetzung von Kindern, zur Freilassung und Übergabe bereits eingezogener Kinder. bb) Momorendum of Understanding Regarding the Protection of Children in Darfur Außerdem schloss die JEM im Juli 2010 mit dem United Nations Children’s Fund (UNICEF) das Momorendum of Understanding Regarding the Protection of Children in Darfur. Abs. 2 Präambel Momorendum of Understanding Regarding the Protection of Children in Darfur nimmt unter anderem vom Sudan ratifizierte internationale und regionale Vertragswerke wie die Potokolle der GK und speziell Kinder betreffende Abkommen, die Kinderrechtskonvention mitsamt ZP Kinderrechtskonvention betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten und die Afrikanische Kinderrechtscharta, in Bezug. In Abs. 5 der Präambel bekannten sich die Rebellen zu früheren Aussagen hinsichtlich der Unterstützung von Hilfsorganisationen. Im Folgenden legten die Parteien insbesondere fest: ein Verbot der Rekrutierung von Kindern unter 18 Jahren und deren Einsetzung in den Kämpfen, ein Verbot der Tötung und Verstümmelung von Kindern und sexueller Gewalt Kindern gegenüber. Aktuelle Rechtsverletzungen sollen beendet, künftigen Rechtsverletzungen soll vorgebeugt werden. Die Regelwahrung unterliegt einer regelmäßigen Kontrolle. Hierfür reicht die JEM zunächst selbst Berichte über den Stand der Vertragsumsetzung ein. Außerdem gewährt sie UNICEF und anderen VN-Beobachtern sicheren und ungehinderten Zugang zu allen relevanten Plätzen, Personen und Dokumenten. Die Verpflichtungen von UNICEF enthält dann Art. 1.5 Momorendum of Understanding Regarding the Protection of Children in Darfur. Art. 4.5 Momorendum of Understanding Regarding the Protection of Children in Darfur versichert schließlich, dass das Abkommen keine Auswirkungen auf den rechtlichen Status einer der Konfliktparteien habe.
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3. Kap.: Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure
cc) Deed of Commitment for Adherence to a Total Ban of Anti-Personnel Mines and for Cooperation in Mine Action Im April 2012 unterzeichnete die JEM und im August 2013 unterzeichnete auch die SPLM-N das Deed of Commitment for Adherence to a Total Ban of Anti-Personnel Mines and for Cooperation in Mine Action (Deed of Commitment APM) der NRO Geneva Call. Im vierten Absatz der Präambel akzeptieren die Rebellen die Bindung aller Parteien eines bewaffneten Konflikts an das humanitäre Völkerrecht und die Menschenrechte. Kernpunkt des Abkommens ist der Verzicht auf den Einsatz von Antipersonenminen. Darüber hinaus verpflichten sich die Unterzeichner zur Mitwirkung an der Vernichtung von Minenlagerbeständen, an der Minenräumungen, Opferhilfe, Aufklärungsarbeit und anderen Minenaktionen.395 Geneva Call und andere Organisationen führen dann Besuche und Inspektionen zur Überwachung der Erklärungseinhaltung durch. Schließlich legt Art. 6 Deed of Commitment APM fest, dass die Vereinbarung entsprechend Art. 3 Abs. 2 S. 4 GK die Rechtsstellung der unterzeichnenden nichtstaatlichen Konfliktpartei unberührt lasse. 2. Unilaterale Erklärungen a) Statement by the Opposition Movements Die JEM und SLM/A-Unity gaben 2008 in Genf gemeinsam das Statement by the Opposition Movements ab. Ein Jahr später bestätigte die JEM diese Erklärung. Im Statement by the Opposition Movements sichern die Rebellen Hilfsorganisationen ihre Unterstützung zu und geben ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit kund. Angriffe auf humanitäres Personal werden verurteilt. Weiter garantieren die Aufständischen den Schutz der Zivilbevölkerung, insbesondere von Kindern, in Übereinstimmung mit den Menschenrechten und dem humanitären Völkerrecht. Die Bewegungsfreiheit sei zu gewährleisten, Angriffe auf Zivilisten, speziell deren Vertreibung, die Zerstörung ziviler Infrastruktur und Rekrutierung von Kindern für militärische Operationen seien zu unterlassen, außerdem müssten Vergewaltiger zur Verantwortung gezogen werden. Zudem wollen die Oppositionsbewegungen eine deutliche Trennung von Zivilem und Militärischem, vor allem in Vertriebenencamps, durchsetzen. Letztlich verpflichten sich die JEM und die SLM/A-Unity zur Unterrichtung der Kämpfer hinsichtlich ihrer menschen- und kriegsrechtlichen Verantwortungen. b) Joint Political Statement In ihrer gemeinsamen Erklärung vom 24. November 2011 missbilligen die SLM/A und JEM erneut alle Formen von Gewalt gegenüber zivilen Personen, Menschenrechtsverletzungen und das gegen internationales Recht verstoßende Verhalten der 395
Interessant sind insofern auch Abs. 6 Präambel und Art. 5 Deed of Commitment APM.
C. Bi- bzw. multilaterale Abkommen und unilaterale Erklärungen
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sudanesischen Regierung. Die Rebellen zeigen sich besorgt über die Ausweisung von IO und die sich hieraus für die vom Bürgerkrieg Betroffenen ergebenden Auswirkungen. Alle Konfliktparteien, insbesondere die Zentralregierung, werden dazu aufgerufen, Hilfspersonal im Einklang mit den entsprechenden völkerrechtlichen Konventionen Zugang zu gewähren. Aufmerksamkeit lenken die SLM/A und JEM auf die sich weiter verschlechternde humanitäre Lage, hervorgerufen durch die Vertreibungs- und Vernichtungsstrategie Khartums. 3. Würdigung Die Abkommen, gleich ob die Rebellen sie mit der Regierung in Khartum, IO oder NRO schlossen, und unilateralen Erklärungen nehmen Vorschriften des humanitären Völkerrechts und Menschenrechte in Bezug. Eine besondere Regelung erfahren die Schutz- und Hilfeleistung an die Zivilbevölkerung, speziell die Binnenflüchtlinge, und die Rückkehr der Vertriebenen. Überwiegend enthalten die Selbstverpflichtungen Mechanismen zu ihrer Um- und Durchsetzung; häufig ist eine Zusammenarbeit mit den VN festgeschrieben. Die Parteien, die Sprache und der Inhalt der Regelwerke lassen schlussfolgern, dass es sich jeweils um völkerrechtliche Verträge und Erklärungen handelt.
IV. Gesamtwürdigung Bi- und multilaterale Abkommen an denen nichtstaatliche Gewaltakteure beteiligt sind sowie von nichtstaatlichen Gewaltakteuren verkündete unilaterale Erklärungen spielen im Rahmen der Regulierung und Beilegung bewaffneter Auseinandersetzungen tatsächlich eine große Rolle. Ein Vorteil der Selbstverpflichtungen ist zunächst ihre Individualität. Mit ihnen kann auf die Besonderheiten des jeweiligen Konflikts eingegangen werden.396 Konkrete Probleme finden so konkrete Lösungen. Außerdem ist eine Bindung über die bestehenden menschen- und humanitär völkerrechtlichen Verpflichtungen hinaus möglich. Die einschlägigen Bestimmungen werden klarifiziert.397 Wichtig ist dies gerade bei den Menschenrechten. Anknüpfend an die Verhandlungen und Abkommen zur Konfliktregulierung kann sich ein Dialog entspinnen398, der schließlich zum Friedensvertrag führt. Einige Übereinkünfte und Erklärungen enthalten spezielle Überwachungs- und Durchsetzungsmechanismen. Auch diese sind dem jeweiligen Fall angepasst. Nach dem ICTY können die Bekundungen gar Basis strafrechtlicher Verantwortung sein.399 Schließlich steigt die 396 Clapham, Human Rights Obligations of Non-State Actors, S. 289; ders., in: IRRC 2006, S. 491 (511 f.); vgl. Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 123. 397 de Beco, in: HuV 2005, S. 190 (194). 398 Sivakumaran, in: IRRC 2011, S. 463 (464); vgl. Hofmann, in: Int’l Peacekeeping 2006, S. 396 (399); S/2009/277, 29. Mai 2009, Rn. 45. 399 ICTY, Prosecutor v. Tadic´, IT-94-1, 2. Oktober 1995, Rn. 143 ff.; siehe auch Zegveld, Accountability of Armed Opposition Groups in International Law, S. 28 f.
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3. Kap.: Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure
Bereitschaft bewaffneter Verbände zur Rechtsbeachtung, wenn sie sich selbst zu den Regeln bekennen und so am Normsetzungsprozess beteiligen.400 Insgesamt steigern die Selbstverpflichtungen das Ansehen der nichtstaatlichen Gewaltakteure in der Weltgemeinschaft. So setzen viele Gruppen die Erklärungen und Vereinbarungen vor allem als public relations-Maßnahme zur Aufpolierung ihres Images ein401, können oder wollen sie tatsächlich aber gar nicht befolgen. Um politische, finanzielle und militärische Unterstützung für ihr Endziel oder zunächst die Kämpfe zu erhalten, oder auch nur um Zeit zu schinden, inszenieren sich die Oppositionsverbände als friedfertige, nachgiebige Akteure.
D. Völkerstrafrecht Das Völkerstrafrecht umfasst diejenigen Regeln des Völkerrechts, die ein bestimmtes Verhalten unter Strafandrohung verbieten und unmittelbar für jeden gelten.402 Obwohl formell im Völkerrecht verankert, stellt es materiell Strafrecht, eine eigenständige Strafrechtsordnung dar.403 Satzger bezeichnet das Völkerstrafrecht auch als „Strafrecht der Völkergemeinschaft.“404 Kerndelikte sind der Völkermord, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und das Verbrechen der Aggression – die schwersten Verbrechen, welche die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren, Art. 5 IStGH-Statut, vgl. auch Abs. 4 und 9 Präambel IStGHStatut. Es handelt sich beim Völkerstrafrecht um Makrokriminalität, also Einzeltaten, die im Kontext kollektiver und systemischer Gewalt gegen Gemeinschaftswerte verübt werden.405 Dabei ist das Kontextelement je nach Verbrechen als objektives (Ver400 Geiß, in: Heintze/Ipsen (Hrsg.), Heutige bewaffnete Konflikte als Herausforderungen an das humanitäre Völkerrecht, S. 45 (61); Roberts/Sivakumaran, in: Yale J. Int’l L. 2012, S. 107 (126 ff.); Ryngaert/Van de Meulebroucke, in: J. Confl. & Security L. 2011, S. 443 (444, 446, 451, 453 f.); Ryngaert, in: Noortmann/Ryngaert (Hrsg.), Non-State Actor Dynamics in International Law, S. 69 (78). Sivakumaran aber realistisch: „Commitments and compliance are linked, but the former does not always lead to the later“, Sivakumaran, in: IRRC 2011, S. 463 (464). 401 Ryngaert/Van de Meulebroucke, in: J. Confl. & Security L. 2011, S. 443 (446); Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 108; ders., in: IRRC 2011, S. 463 (472 f.). Gleiches gilt aber auch für einige Staaten, Bangerter, in: IRRC 2011, S. 353 (355 und dort auch Fn. 9); Ryngaert/Van de Meulebroucke, in: J. Confl. & Security L. 2011, S. 443 (447); Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, S. 444; ders., in: IRRC 2011, S. 463 (473). 402 Safferling, Internationales Strafrecht, S. 38, Rn. 3. 403 Ambos, Internationales Strafrecht, S. 92, Rn. 1; Triffterer, in: Gössler/Triffterer (Hrsg.), GS Zipf, S. 493 (501). 404 Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, S. 250, Rn. 1. 405 Werle, Völkerstrafrecht, S. 188, Rn. 403; siehe auch Triffterer, in: Politische Studien, Sonderheft 1/1995, S. 32 (35 ff.).
D. Völkerstrafrecht
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brechen gegen die Menschlichkeit – ausgedehnter oder systematischer Angriff gegen die Zivilbevölkerung, Kriegsverbrechen – bewaffneter Konflikt) oder subjektives (Völkermord – Zerstörungsabsicht bzgl. einer nationalen, ethnischen, rassischen oder religiösen Gruppe) Tatbestandsmerkmal ausgestaltet.406 Urheber können staatliche und nichtstaatliche Entitäten sein. Aber erst vor einigen Jahren, vor allem mit der Schaffung des IStGH, nahm die Verfolgung von Mitgliedern bewaffneter Oppositionsbewegungen Fahrt auf. Noch vorm Internationalen Militärgericht in Nürnberg, vorm ICTY und ICTR hatten sich primär staatliche Akteure zu verantworten. Die vorliegende Arbeit konzentriert sich hauptsächlich auf den IStGH und das am 1. Juli 2002 in Kraft getretene IStGH-Statut, da der IStGH das einzige auf Dauer eingerichtete und prinzipiell für alle Staaten zuständige internationale Völkerstrafgericht ist.407 Indem das Völkerstrafrecht bestimmte Verstöße gegen die Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht kriminalisiert, dient es auch deren Durchsetzung. Besitzt doch das Völkerstrafrecht, anders als das Völkerrecht sonst, welchem vor allem horizontal durch seine Mitglieder zur Wirksamkeit verholfen wird, eine vertikale Durchsetzungsstruktur.408 Es ist damit äußerst effektiv. Aber nicht jede Menschenoder Kriegsrechtsverletzung stellt zugleich ein Völkerrechtsverbrechen dar – stets muss das (Völker-)Strafrecht ultima ratio sein.409 Schließlich hält es die intensievsten
406 Gierhake, in: ZIS 2010, S. 676 (677); Werle, Völkerstrafrecht, S. 41 f., Rn. 98 ff., S. 188, Rn. 403. 407 Gleichwohl wird immer wieder auf die Statute und Entscheidungen von ad hoc-Einrichtungen wie insbesondere dem Internationalen Militärgericht Nürnberg, dem ICTYund dem ICTR eingegangen. Das Internationale Militärgericht Nürnberg wurde 1945 von den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs, Großbritannien, Frankreich, der Sowjetunion und den USA, zur Aburteilung der unter der Nazi-Herrschaft begangenen Gräueltaten eingerichtet. Fast ein halbes Jahrhundert später, 1993, rief der Sicherheitsrat, als Maßnahme im Rahmen des Kap. VII VN-Charta, den ICTY als VN-Nebenorgan ins Leben, S/RES/808, 22. Februar 1993; vgl. auch S/RES/827, 25. Mai 1993. Vor dem Gericht in Den Haag verantworten müssen sich Täter der in den Jugoslawienkriegen der 90er Jahre begangenen Verbrechen. Kurz darauf gründete der Sicherheitsrat, ebenfalls unter Kap. VII VN-Charta handelnd, mit der Resolution 955 den ICTR mit Sitz in Arusha, Tansania, als VN-Nebenorgan, S/RES/955, 6. November 1994; vgl auch S/ RES/977, 22. Februar 1995. Eingerichtet wurde der ICTR zur strafrechtlichen Aufarbeitung des 1994 vor allem von Angehörigen der Volksgruppe Hutu an Angehörigen der Volksgruppe Tutsi und mäßigen Hutu verübten Völkermordes. Im Juli 2012 nahm der mit der Sicherheitsratsresolution 1966 als gemeinsame Nachfolgeeinrichtung des ICTY und ICTR gegründete Internationale Residualmechanismus für die Ad-hoc-Strafgerichtshöfe (Mechanism for International Criminal Tribunals, MICT) seine Arbeit in Den Haag und Arusha auf, S/RES/1966, 22. Dezember 2010. Er übernimmt die Zuständigkeiten der beiden ad hoc-Gerichte, die ihre Arbeit demnächst einstellen werden. 408 Siehe Sassòli, in: Geneva Call/PSIO/UNIDIR (Hrsg.), Exploring Criteria & Conditions for Engaging Armed Non-State Actors to Respect Humanitarian Law & Human Rights, S. 8 (9). 409 Triffterer, in: Politische Studien, Sonderheft 1/1995, S. 32 (40); Werle, Völkerstrafrecht, S. 64, Rn. 141.
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3. Kap.: Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure
Sanktionen. Erst der entsprechende Rahmen macht den einzelnen Rechtsverstoß zum internationalen Delikt. Eine der Hauptaufgaben des Staates ist der Schutz seiner Bürger voreinander. Als Mittel hierfür dient ihm unter anderem das Strafrecht. Der Staat erlässt Recht und zieht die hiergegen Verstoßenden zur Verantwortung. Er ermittelt, verfolgt und verurteilt die Rechtsbrecher. Generell ist jeder Staat frei in der Gestaltung des (strafrechtlichen) Rechtsgüterschutzes innerhalb seines Territoriums.410 Auch das Völkerstrafrecht ändert hieran prinzipiell nichts. Es wirkt nicht unmittelbar in die nationalen Rechtsordnungen hinein. Auch Vertragsstaaten des Römischen Statuts sind nicht verpflichtet, die im Statut niedergelegten Straftatbestände in nationales Recht umzuwandeln. Aber ist ein Staat zur Ermittlung und Verfolgung der IStGHStatuts-Delikte nicht in der Lage, geht die Zuständigkeit hierfür auf den IStGH über, Grundsatz der Komplementarität.411 Ungeachtet dessen kann sich der Einzelne auf internationaler Ebene der Begehung völkerrechtlicher Verbrechen strafbar machen. Denn mit der Begehung eines völkerrechtlichen Verbrechens greift der Einzelne die fundamentalen Interessen der Völkerrechtsgemeinschaft, also Frieden, Sicherheit und Wohl der Welt, Abs. 3 Präambel IStGH-Statut, an.412 Jede Ordnung, auch das Völkerrecht, kann sich des Strafrechts zum Schutze seiner Interessen und Güter bedienen.413
410
Lange, Der Status der Aufständischen im modernen humanitären Völkerrecht, S. 103; Werle, Völkerstrafrecht, S. 91, Rn. 214. 411 Ambos, Internationales Strafrecht, S. 126, Rn. 34. Siehe aber auch die Art. 49 Abs. 1 und 2 GK I, Art. 50 Abs. 1 und 2 GK II, Art. 129 Abs. 1 und 2 GK III, Art. 146 Abs. 1 und 2 GK IV, wonach sich die Vertragsstaaten der GK verpflichten, alle notwendigen gesetzgeberischen Maßnahmen zur Festsetzung von Strafbestimmungen für solche Personen zu treffen, die schweren Verletzungen im Sinne des humanitären Völkerrechts begehen oder Befehl hierzu erteilen. Die Täter sind zu ermitteln und vor Gericht zu stellen bzw. auszuliefern. Schwere Verletzungen des humanitären Völkerrechts sind gemäß Art. 50 GK I, Art. 51 GK II, Art. 130 GK III, Art. 147 GK IV bestimmte gegen Leib und Leben, die Freiheit und das Eigentum gerichtete Verhaltensweisen; ausdrücklich auch rechtswidrige Verschleppungen und Verschickungen. Außerdem haben die Unterzeichnerstaaten gemäß Art. 49 Abs. 3 GK I, Art. 50 Abs. 3 GK II, 129 Abs. 3 GK III, Art. 146 Abs. 3 GK IV die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um andere Zuwiderhandlungen gegen die GK zu unterbinden. Die im Rahmen nichtinternationaler bewaffneter Konflikte anwendbaren Vorschriften enthalten indes keine „schweren Verletzungen.“ Siehe zudem Art. V Genozidkonvention, Art. IV Apartheidskonvention und Art. 4 Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (Folterkonvention) vom 10. Dezember 1984, in Kraft getreten am 26. Juni 1987, BGBl. 1990 II 246, UNTS Vol. 1465, 85, die jeweils verlangen, dass die Vertragsstaaten die notwendigen Maßnahmen zur Kriminalisierung und (gerichtlichen) Verantwortung der Täter ergreifen. 412 Zum Rechtsgüterschutz mittels Völkerstrafrecht siehe Safferling, Internationales Strafrecht, S. 68 f., Rn. 66 f. 413 Triffterer, in: Gössler/Triffterer (Hrsg.), GS Zipf, S. 493 (501, 503); ders., in: Politische Studien, Sonderheft 1/1995, S. 32 (34, 38); ders., in: Blumenwitz (Hrsg.), Flucht und Vertreibung, S. 259 (261 f.); Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, S. 250, Rn. 2.
D. Völkerstrafrecht
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Adressat des Völkerstrafrechts ist also – anders als sonst üblich im Völkerrecht – nicht der Staat, sondern das Individuum; unmittelbar strafrechtlich verantwortlich ist die natürliche Person. Der Grundsatz individueller völkerstrafrechtlicher Verantwortlichkeit ist heute allgemein anerkannt.414 Die individuelle völkerstrafrechtliche Verantwortlichkeit des Einzelnen ist aber von der völkerrechtlichen Staatenverantwortung, die ebenfalls durch das Verhalten natürlicher Personen ausgelöst wird, zu unterscheiden. Beide bestehen „nebeneinander und unabhängig voneinander.“415 Auch Völkerstrafrecht ist damit zunächst und zuvörderst Individualstrafrecht.416 Schon das Internationale Militärgericht in Nürnberg urteilte: „That international law imposes duties and liabilities upon individuals as well as upon States has long been recognized. […] Crimes against international law are committed by men, not by abstract entities, and only by punishing individuals who commit such crimes can the provisions of International Law be enforced.“417
Menschen aus Fleisch und Blut sind es, die gegen andere Menschen vorgehen und Kriege führen, die Völkerrechtsdelikte begehen. Den Durchgriff auf den einzelnen Täter, auch mittels internationalen Rechts, rechtfertigt die Grausamkeit seiner Tat (en). Die Verbrecher gelten als hostes humani generis, als Feind der Menschheit, und ihre Bestrafung gilt als moralische Pflicht.418 Lauterpacht: „[T]here is cogency in the view that unless responsibility is imputed and attached to persons of flesh and blood, it rests with no one.“419
414 Ambos, in: Triffterer (Hrsg.), Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 25, S. 744 f., Rn. 1; Bassiouni, International Criminal Law, Vol. I, S. 42, 46. 415 Vogel, in: ZStW 2002, S. 403 (432); vgl. Fletcher/Ohlin, in: J. Int’l Crim. Just. 2005, S. 539 (543); van Sliedgret, Individual Criminal Responsibility in International Law, S. 5 f.; ausführlich hierzu Noellkaemper, in: Int’l & Comp. L. Q. 2003, S. 615 ff.; siehe auch Art. 25 Abs. 4 IStGH-Statut, wonach die Bestimmungen des IStGH betreffend die individuelle strafrechtliche Verantwortung nicht die Verantwortung der Staaten nach dem Völkerrecht berühren. 416 Vest, in: ZStW 2001, S. 457 (462); vgl. Jäger, in: KritV 1993, S. 259 (262); Triffterer, in: Gössler/Triffterer (Hrsg.), GS Zipf, S. 493 (505). 417 Internationales Militärgericht Nürnberg, Judgment and Sentences, in: Am. J. Int’l L. 1947, S. 172 (220 f.). Im Londoner Viermächte-Abkommen vom 8. August 1945, abgedruckt in: Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof, Nürnberg 14. November 1945 – 1. Oktober 1946, Bd. 1, S. 7 ff., ist das Statut für den Internationalen Militärgerichtshof (Nürnberg-Charta) enthalten, Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof, Nürnberg 14. November 1945 – 1. Oktober 1946, Bd. 1, S. 10 ff. 418 Ryngaert, in: Noortmann/Ryngaert (Hrsg.), Non-State Actor Dynamics in International Law, S. 69 (72). 419 Lauterpacht, International Law and Human Rights, S. 40.
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3. Kap.: Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure
I. Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs ratione materiae und ratione loci Gemäß Art. 5 IStGH-Statut übt der IStGH im niederländischen Den Haag Jurisdiktion über die schwersten Verbrechen, welche die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren, aus: Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und künftig das Verbrechen der Aggression. In den Art. 6 – 8bis IStGH-Statut sind die Straftatbestände im Einzelnen ausgestaltet. Örtlich zuständig ist das Völkerstrafgericht, wenn die Tat auf dem Gebiet eines seiner Vertragsstaaten begangen wurde (Territorialprinzip) oder der Täter Staatsangehöriger eines solchen Vertragsstaats ist (aktives Personalitätsprinzip), Art. 12 – 14 IStGH-Statut.420 Schließlich kann die Situation, unabhängig vom Tatort, der Täterstaatsangehörigkeit und der Römischen Statuts-Mitgliedschaft des betroffenen Staates, dem IStGH vom VN-Sicherheitsrat als Maßnahme im Rahmen des Kap. VII VN-Charta überwiesen werden, Art. 13 lit. b) IStGH-Statut. Aber nach dem in der Präambel, in Art. 1 S. 2 HS. 2, 17 IStGH-Statut niedergelegten Komplementaritätsgrundsatz ist der IStGH erst zuständig, wenn und soweit der zunächst verantwortliche Staat außerwillens und außerstande zur Strafermittlung und -verfolgung ist. Der nationalen kommt Vorrang vor der internationalen Strafahndung zu. Das Gericht in Den Haag ergänzt die staatliche Gerichtsbarkeit nur als effektive und neutrale Instanz.421 Zwar liegt es gewöhnlich im Interesse des Staates, die auf seinem Hoheitsgebiet agierenden nichtstaatlichen Gewaltakteure (auch) hinsichtlich der Verletzung internationalen Strafrechts in die Pflicht zu nehmen. Da Völkerrechtsverbrechen aber häufig im Kontext schwacher, gar zerfallender Staaten begangen werden, sind die staatlichen Institutionen häufig kaum in der Lage, die Täter zu ermitteln und die Taten zu bestrafen.
420 Es genügt jeweils die Anerkennung der IStGH-Gerichtsbarkeit ad hoc. Dann kann ein Mitgliedsstaat dem Ankläger des IStGH gemäß Art. 13 lit. a), 14 IStGH-Statut eine Situation unterbreiten. Die Situation umfasst dabei alle rechtlichen wie tatsächlichen Ereignisse, die den Verdacht der Begehung eines IStGH-Statuts-Verbrechens begründen. Hieraus können sich dann ein oder mehrere, auf konkrete Personen und Taten bezogene Fälle ergeben, Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, S. 275, Rn. 12. Außerdem kann der Chefankläger des IStGH von Amts wegen Ermittlungen einleiten (proprio-motu-Ermittlungen), Art. 13 lit. c), 15 IStGH-Statut. Dann muss die Vorverfahrenskammer, die Pre-Trial Chamber, die Ermittlungseinleitung zunächst bestätigen, Art. 15 Abs. 3 und 4 IStGH-Statut. Es folgt das Zwischenverfahren. Wird der Verdächtige an den IStGH überstellt oder erscheint er freiwillig vor Gericht, führt die Pre-Trial Chamber zur Überprüfung der Vorwürfe eine Verhandlung durch, Art. 61 IStGH-Statut. Bestätigt die Pre-Trial Chamber die Anklage, geht die Zuständigkeit gemäß Art. 61 Abs. 11 IStGH-Statut auf die Hauptverfahrenskammer, die Trial Chamber, über. Ausführlich zum Ganzen Safferling, International Criminal Procedure. 421 Werle, Völkerstrafrecht, S. 116, Rn. 263.
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II. Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs ratione personae Hinter den Völkerstraftaten als Makroverbrechen steht regelmäßig ein Kollektiv. Völkerstraftaten können kaum von Einzelnen allein verwirklicht werden. Die Struktur völkerstrafrechtlicher Delikte gestaltet sich dann folgendermaßen: vertikal besteht ein gestuftes Machtsystem und horizontal wirkt eine Personenmehrheit.422 Aus diesem Komplex sind dann einzelne strafbare Elemente, also Taten und Täter, zu separieren.423 Das Strafrecht kennt hierfür mehrere Wege: Die natürliche Person kann Täter oder Teilnehmer eines Verbrechens sein, außerdem als Vorgesetzter zur Verantwortung gezogen werden. Zu klären ist, ob darüber hinaus die Gruppe als solche völkerstrafrechtsverpflichtet ist. 1. Völkerstrafrechtliche Verantwortung natürlicher Personen Die individuelle völkerstrafrechtliche Verantwortung natürlicher Personen unter dem Römischen Statut ergibt sich aus Art. 25 IStGH-Statut.424 Ergänzt wird sie um die Vorgesetztenverantwortlichkeit, Art. 28 IStGH-Statut.425 a) Täterschaft und Teilnahme Zunächst macht sich strafbar, wer das völkerstrafrechtliche Verbrechen selbst begeht und Vorsatz, also Wissen und Wollen bzgl. des objektiven Tatbestands sowie evtl. erforderlicher weiterer subjektiver Merkmale, besitzt, Art. 25 Abs. 3 lit. a) Var. 1 IStGH-Statut, unmittelbare Täterschaft.
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Safferling, Internationales Strafrecht, S. 126, Rn. 67; siehe auch van Sliedgret, Individual Criminal Responsibility in International Law, S. 20 ff.; Werle, Völkerstrafrecht, S. 216, Rn. 471; und den ICTY: „Most of the time these crimes do not result from the criminal propensity of single individuals but constitute manifestations of collective criminality: the crimes are often carried out by groups of individuals acting in pursuance of a common criminal design. Although only some members of the group may physically perpetrate the criminal act (murder, extermination, wanton destruction of cities, towns or villages, etc.), the participation and contribution of the other members of the group is often vital in facilitating the commission of the offence in question. It follows that the moral gravity of such participation is often no less – or indeed no different – from that of those actually carrying out the acts in question“, ICTY, Prosecutor v. Tadic´, IT-94-1-A, 15. Juli 1999, Rn. 191. 423 Jäger, in: KritV 1993, S. 295 (263). 424 Siehe auch Art. 6 S. 1 und 2 Nürnberg-Charta, Art. 6, 7 ICTY-Statut, Art. 5, 6 ICTRStatut. 425 Siehe auch Art. 7 Abs. 3 ICTY-Statut und Art. 6 Abs. 3 ICTR-Statut. Art. 28 IStGHStatut weicht aber erheblich von den bisherigen Regelungen zur Vorgesetztenverantwortlichkeit ab.
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3. Kap.: Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure
Die Mittäterschaft gemäß Art. 25 Abs. 3 lit. a) Var. 2 IStGH-Statut setzt für die wechselseitige Zurechnung objektiver Merkmale einen gemeinsamen Tatplan und wesentlichen Tatbeitrag voraus.426 Wesentlich ist dasjenige Verhalten, von dem die Verbrechensverwirklichung abhängt.427 Jeder Täter muss dann die subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des jeweiligen Delikts in eigener Person erfüllen und zusätzlich Vorsatz bzgl. der mittäterschaftlichen Begehung, also des gemeinsamen Tatplans und der Wesentlichkeit seines Tatbeitrags, haben.428 Ein Rückgriff auf die vom ICTY entwickelte joint-criminal enterprise-Doktrin, mittels welcher Tatbeiträge mehrerer ebenfalls korrelativ zugerechnet werden können429, ist im Rahmen des IStGH-Statuts aufgrund dessen Eigenständigkeit weder möglich noch nötig.430 Wer das Delikt durch einen anderen begeht, ist mittelbarer Täter, Art. 25 Abs. 3 lit. a) Var. 3 IStGH-Statut. Vermittels seiner dominanten Stellung beherrscht und kontrolliert der mittelbare Täter das Geschehen aus dem Hintergrund.431 Auf die strafrechtliche Verantwortung des Tatmittlers kommt es indes nicht an, Art. 25 Abs. 3 lit. a) Var. 3 letzter HS IStGH-Statut. Der Hintermann muss alle subjektiven Merkmale selbst erfüllen und Vorsatz hinsichtlich der die mittelbare Täterschaft begründenden Umstände aufweisen.432 Verantwortlich ist auch, wer einen anderen zur Begehung eines Völkerstraftatbestands veranlasst, also die Verbrechensbegehung anordnet, einen anderen zur Verbrechensbegehung auffordert oder anstiftet, Art. 25 Abs. 3 lit. b) IStGH-Statut.433
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Ambos, Internationales Strafrecht, S. 154, Rn. 20. Safferling, Internationales Strafrecht, S. 130, Abb. 9; zum wesentlichen Tatbeitrag siehe auch IStGH, Prosecutor v. Lubanga Dyilo, ICC-01/04 – 01/06, Pre-Trial Chamber I, 29. Januar 2007, Rn. 332, 346 ff.; anders aber noch der ICTY, der grundsätzlich keine besonderen Anforderungen an den Tatbeitrag stellt, ICTY, Prosecutor v. Kvocˇka et al., IT-98-30/1-A, 28. Februar 2005, Rn. 97, 104, 187; siehe aber auch ICTY, Prosecutor v. Brd¯anin, IT-99-36-A, 3. April 2007, Rn. 430, wo der ICTY immerhin einen „significant“ (aber noch nicht „substantial“, also wesentlichen) Tatbeitrag verlangt. 428 Safferling, Internationales Strafrecht, S. 130, Abb. 9; siehe auch IStGH, Prosecutor v. Lubanga Dyilo, ICC-01/04 – 01/06, Pre-Trial Chamber I, 29. Januar 2007, Rn. 349 ff. 429 Instruktiv ICTY, Prosecutor v. Tadic´, IT-94-1-A, 15. Juli 1999, Rn. 220 ff.; ausführlich zur joint-criminal enterprise etwa Ambos, Internationales Strafrecht, S. 160 ff., Rn. 31 ff. 430 Siehe IStGH, Prosecutor v. Katanga and Ngudjolo Chui, ICC-01/04 – 01/07, Pre-Trial Chamber I, 30. September 2008, Rn. 480 ff., insbesondere 508; IStGH, Prosecutor v. Lubanga Dyilo, ICC-01/04 – 01/06, Pre-Trial Chamber I, 29. Januar 2007, Rn. 326 ff., insbesondere 338. 431 Werle, Völkerstrafrecht, S. 231, Rn. 507, S. 233, Rn. 512; siehe auch IStGH, Prosecutor v. Katanga and Ngudjolo Chui, ICC-01/04 – 01/07, Pre-Trial Chamber I, 30. September 2008, Rn. 497. 432 Werle, Völkerstrafrecht, S. 234 f., Rn. 515; IStGH, Prosecutor v. Katanga and Ngudjolo Chui, ICC-01/04 – 01/07, Pre-Trial Chamber I, 30. September 2008, Rn. 527, 538. 433 Dabei muss für die Anordnung ein Über-Unterordnungsverhältnis zwischen Anordnendem und Anordnungsempfänger bestehen, ICTR, Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T, 2. September 1998, Rn. 483. Eine exakte Differenzierung zwischen Aufforderung und Anstiftung ist kaum möglich. 427
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Der Vorsatz muss die Bestimmungshandlung wie auch die (Grundzüge der) Haupttat umfassen.434 Zudem kennt das Römische Statut die Unterstützung mit der Beihilfe als Unterfall435, Art. 25 Abs. 3 lit. c) IStGH-Statut. Strafbar ist dasjenige Verhalten, das die Tat irgendwie fördert; der Kausalität bedarf es nicht.436 Doch muss gerade die Erleichterung der Deliktsbegehung beabsichtigt sein.437 Im Übrigen genügt Vorsatz hinsichtlich der eigenen Unterstützungshandlung und der wesentlichen Tatmerkmale.438 Letztlich genügt für die Unterstützung eines Gruppenverbrechens, Art. 25 Abs. 3 lit. d) IStGH-Statut, jeder Beitrag zur Verbrechensverwirklichung, der nicht bereits von einer anderen Beteiligungsform erfasst ist, Subsidarität.439 Die Erfüllung des subjektiven Tatbestands erfordert, dass der Täter die Gruppentätigkeit fördern will oder zumindest in Kenntnis des Gruppen(mitglieder)vorsatzes agiert.440 b) Vorgesetztenverantwortlichkeit Wegen der hierarchischen Struktur hinter den Völkerrechtsdelikten kennt das Völkerstrafrecht als „originär völkerstrafrechtliche Rechtsschöpfung“441 noch die Vorgesetztenverantwortlichkeit, Art. 28 IStGH-Statut. In die Pflicht genommen werden vorwerfbar ihre Kontrollfunktion verletzende Vorgesetzte für die Verbrechen ihrer Untergebenen. Strafbar machen können sich militärische und zivile Anführer. Militärischer Vorgesetzter ist, wer innerhalb eines gestuft organisierten Militärverbands, sei er auch nichtstaatlich, Befehlsgewalt besitzt. Wer innerhalb einer nichtmilitärischen Einheit eine gleichwertige Position bekleidet, ist ziviler Vorgesetzter.442 Entscheidend kommt es jeweils auf die tatsächliche Möglichkeit zur Lenkung des Unter434 Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, S. 314, Rn. 61; van Sliedgret, Individual Criminal Responsibility in International Law, S. 103. 435 Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, S. 314, Rn. 62. 436 Werle, Völkerstrafrecht, S. 240, Rn. 532. 437 Ambos, in: Triffterer (Hrsg.), Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 25, S. 757, Rn. 23; Safferling, Internationales Strafrecht, S. 135, Rn. 85; anders aber noch die Rechtsprechung des ICTY und des ICTR, siehe etwa ICTY, Prosecutor v. Tadic´, IT-94-1-T, 7. Mai 1997, Rn. 692; ICTR, Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T, 2. September 1998, Rn. 476 ff. 438 Werle, Völkerstrafrecht, S. 241, Rn. 533. 439 Werle, Völkerstrafrecht, S. 242, Rn. 535; IStGH, Prosecutor v. Lubanga Dyilo, ICC-01/ 04 – 01/06, Pre-Trial Chamber I, 29. Januar 2007, Rn. 337. 440 Siehe IStGH, Prosecutor v. Ruto, Kosgey and Sang, ICC-01/09 – 01/11, Pre-Trial Chamber II, 8. März 2011, Rn. 51. 441 Ambos, Internationales Strafrecht, S. 176, Rn. 55. 442 Werle, Völkerstrafrecht, S. 250, Rn. 550 f.
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3. Kap.: Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure
gebenen an.443 Bewaffnete Oppositionsgruppen verfügen meist über einen militärischen und einen zivilen Flügel, besitzen entsprechend militärische und zivile Anführer. Das Völkerrechtsverbrechen des Nachgeordneten hat sich dann als Folge des Kontrollversäumnisses des Vorgesetzten darzustellen. Gerade die Aufsichtspflichtverletzung muss das Delikt ermöglichen. Der Anführer muss die erforderlichen und angemessenen Maßnahmen zur Tatverhinderung unterlassen haben. Er hat folgende Pflichten: eine Verhinderungs-, eine Unterdrückungs- und eine Meldepflicht.444 Subjektiv wird von militärischen Vorgesetzten verlangt, dass sie von dem Verbrechen wussten bzw. hiervon hätten wissen müssen, Art. 28 lit. a) (i) IStGH-Statut. Zivile Anführer machen sich ebenfalls bei Wissen strafbar. Im Übrigen genügt, dass sie eindeutig auf die Verbrechensbegehung hinweisende Informationen bewusst außer acht ließen, Art. 28 lit. b) (i) IStGH-Statut. Die Vorgesetztenverantwortlichkeit des Art. 28 IStGH-Statut ist gegenüber den Beteiligungsformen des Art. 25 Abs. 3 IStGH-Statut subsidiär.445 2. Völkerstrafrechtliche Verantwortung von Kollektiven Wenn auch vom überindividuellen System ausgehend, ist das Völkerstrafrecht heute Individualstrafrecht – es kennt keine Strafbarkeit von Personenzusammenschlüssen. Gleiches gilt für die schweren Verletzungen des humanitären Völkerrechts. Dabei kann man die Kollektivverantwortung als „responsibility of a group, consisting of two or more persons, for a particular act or acts committed by individual members of the group or by the group as a whole“446 definieren. Die Jurisdiktion des IStGH ratione personae ist dann auch auf natürliche Personen beschränkt, Art. 25 Abs. 1 IStGH-Statut. Eine Strafbarkeit etwa substaatlicher Gruppierungen, (transnationaler) Unternehmen447 oder Staaten sieht das Römische Statut nicht vor. Ebenso wenig die Regelwerke der ad hoc-Gerichte.448 Allein nach Art. 9 Nürnberg-Charta konnten Verbände als kriminelle Organisationen eingestuft 443 van Sliedgret, Individual Criminal Responsibility in International Law, S. 197 f.; IStGH, Prosecutor v. Bemba, ICC-01/05 – 01/08, Pre-Trial Chamber II, 15. Juni 2009, Rn. 40; ICTY, Prosecutor v. Aleksovski, IT-95-14/1-T, 25. Juni 1999, Rn. 103. 444 Safferling, Internationales Strafrecht, S. 140 f., Rn. 97. 445 Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, S. 316, Rn. 64; siehe auch IStGH, Prosecutor v. Bemba, ICC-01/05 – 01/08, Pre-Trial Chamber II, 15. Juni 2009, Rn. 402. 446 Darcy, Collective Responsibility Under International Law, xvi. 447 Die Frage nach der völkerstrafrechtlichen Verantwortung von (transnationalen) Unternehmen bildet den Schwerpunkt der Diskussion über die völkerstrafrechtliche Verantwortung von Kollektiven, hierzu etwa Köster, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit privater (multinationaler) Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen, S. 179 ff.; Stoitchkova, Towards Corporate Liability in International Criminal Law; Weigend, in: J. Int’l Crim. Just. 2008, S. 927 ff. 448 Siehe Art. 6 ICTY-Statut und Art. 5 ICTR-Statut.
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werden.449 Dies diente aber vornehmlich dazu, natürliche Personen in Folgeprozessen für ihre Mitgliedschaft in der kriminellen Organisation zu bestrafen.450 So ist das Kollektive stets „nur“ Hintergrund der Völkerrechtsverbrechen. Aber noch der Entwurf des Art. 23 IStGH-Statut451, heute Art. 25 IStGH-Statut, sprach dem IStGH Jurisdiktion über natürliche wie auch juristische Personen zu.452 Art. 76 Entwurf IStGH-Statut war das Strafregime für Letztere zu entnehmen. Eine Definition der „legal persons“ enthielt das Werk indes nicht. In einer späteren Version wurde der hier stattdessen verwendete Begriff „juridical person“ als „a corporation whose concrete, real or dominant objective is seeking private profit or benefit, and not 449
„Art. 9 Abs. 1 Nürnberg-Charta At the trial of any individual member of any group or organization the Tribunal may declare (in connection with any act of which the individual may be convicted) that the group or organization of which the individual was a member was a criminal organization.“ Auf dieser Grundlage wurden die Führung der Nazi-Partei, die Geheime Staatspolizei (Gestapo), die Schutzstaffel (SS) und der Sicherheitsdienst (SD) als kriminelle Organisationen eingeordnet, Internationales Militärgericht Nürnberg, Judgment and Sentences, in: Am. J. Int’l L. 1947, S. 172 (256, 262, 266). Siehe auch Art. I Abs. 2 Apartheidskonvention „Die Vertragsstaaten dieser Konvention erklären Organisationen, Institutionen und Einzelpersonen, die das Verbrechen der Apartheid begehen, für verbrecherisch“, Hervorhebung durch die Autorin. 450 van Sliedgret, Individual Criminal Responsibility in International Law, S. 28; vgl. Clapham, in: J. Int’l Crim. Just. 2008, S. 899 (919). Siehe „Art. 10 Nürnberg-Charta In cases where a group or organization is declared criminal by the Tribunal, the competent national authority of any Signatory shall have the right to bring individuals to trial for membership therein before national, military or occupation courts. In any such case the criminal nature of the group or organization is considered proved and shall not be questioned.“ 451 „Art. 23 Abs. 5 und 6 Draft IStGH-Statute [5. The Court shall also have jurisdiction over legal persons, with the exception of States, when the crimes committed were committed on behalf of such legal persons or by their agencies or representatives. 6. The criminal responsibility of legal persons shall not exclude the criminal responsibility of natural persons who are perpetrators or accomplices in the same crimes.]“ Report of the Prepatory Committee on the Establishment of an International Criminal Court, A/ CONF.183/2/Add.1, 14. April 1998. In der Originalfußnote nach Abs. 6 heißt es: „There is a deep divergence of views as to the advisability of including criminal responsibility of legal persons in the Statute. Many delegations are strongly opposed, whereas some strongly favour its inclusion. Others have an open mind. Some delegations hold the view that providing for only the civil or administrative responsibility/liability of legal persons could provide a middle ground. This avenue, however, has not been thoroughly discussed. Some delegations, who favour the inclusion of legal persons, hold the view that this expression should be extended to organizations lacking legal status.“ Zur Diskussion im Rahmen des Normsetzungsverfahrens, A/CONF.183/ C.1/SR.1, 16. Juni 1998. 452 Ausführlich hierzu Clapham, in: Kamminga/Zia-Zarifi (Hrsg.), Liability of Multinational Corporations Under International Law, S. 139 ff.
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3. Kap.: Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure
a State or other public body in the exercise of State authority, a public international body or an organization registered under the national law of a State as a non-profit organization“ bestimmt.453 Der wohl überwiegende Teil nichtstaatlicher Gewaltakteure verfolgt aber primär politische, und nur sekundär ökonomische Ziele. Letztere vor allem zur Finanzierung der Kämpfe. Sie sind dann keine juridical persons in diesem Sinne.454 Einigen Gruppen geht es aber tatsächlich nur um finanzielle und materielle Gewinne. Sie nutzen die Schwäche staatlicher Strukturen zur Selbstbereicherung. Aber endlich gelangte auch dieser Text nicht ins IStGH-Statut. Gleichwohl offenbaren die travaux préparatories, dass eine Kollektivverantwortung durchaus möglich ist und von den Vertragsparteien zwar momentan, aber wohl nicht kategorisch für die Zukunft ausgeschlossen wird. Letztlich war das Thema zu komplex und zu kontrovers, als dass man in Rom ein von allen getragenes Ergebnis hätte finden können – und gab es (vorerst) auf.455 Dass sich die Staaten überhaupt auf die
453
Siehe insgesamt Art. 23 Abs. 5 und 6 Draft IStGH-Statute: „5. Without prejudice to any individual criminal responsibility of natural persons under this Statute, the Court may also have jurisdiction over a juridical person for a crime under this Statute. Charges may be filed by the Prosecutor against a juridical person, and the Court may render a judgement over a juridical person for the crime charged, if: (a) The charges filed by the Prosecutor against the natural person and the juridical person allege the matters referred to in subparagraphs (b) and (c); and (b) The natural person charged was in a position of control within the juridical person under the national law of the State where the juridical person was registered at the time the crime was committed; and (c) The crime was committed by the natural person acting on behalf of and with the explicit consent of that juridical person and in the course of its activities; and (d) The natural person has been convicted of the crime charged. For the purpose of this Statute, ,juridical person‘ means a corporation whose concrete, real or dominant objective is seeking private profit or benefit, and not a State or other public body in the exercise of State authority, a public international body or an organization registered under the national law of a State as a non-profit organization. 6. The proceedings with respect to a juridical person under this article shall be in accordance with this Statute and the relevant Rules of Procedure and Evidence. The Prosecutor may file charges against the natural and juridical persons jointly or separately. The natural person and the juridical person may be jointly tried. If convicted, the juridical person may incur the penalties referred to in article 76. These penalties shall be enforced in accordance with the provisions of article 99“, A/Conf.183/C.1/WGGP/L.5/Rev.2, 3. Juli 1998. 454 Vgl. Ambos, in: Triffterer (Hrsg.), Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 25, S. 746, Rn. 4; Zegveld, Accountability of Armed Opposition Groups in International Law, S. 57. 455 Siehe Schabas, International Criminal Court, S. 225; siehe auch A/CONF.183/C.1/ SR.23, 3. Juli 1998.
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Einrichtung eines internationalen Strafgerichts mitsamt Statut einigten, gilt als Meilenstein des Völker(straf)rechts. Wenn auch theoretisch verwirklichbar456, ist eine (völker-)strafrechtliche Verantwortung von Kollektiven heute jedenfalls nicht allgemein anerkannt457; ist die Unvereinbarkeit mit dem Grundsatz der Komplementarität also offensichtlich.458 Ebenso wenig existieren insofern gemeingültige Zurechnungsregeln.459 Schon aus hiesiger Definition der Gruppenverantwortung ergibt sich, dass die Gruppenverantwortung notwendigerweise durch das Verhalten einer natürlichen Person zu begründen ist. Wie müsste also die Gruppe beschaffen sein? Wie ließe sich die Gruppenzugehörigkeit bestimmen? Welche Person könnte die Gruppenverantwortung hervorrufen? Würde jegliches Tun und Unterlassen der Mitglieder oder nur ihr Tätigwerden innerhalb und für den Verband die Gruppenverantwortung begründen? Schließlich: Ist das Recht der Staatenverantwortlichkeit analog anwendbar?460 Be456
Mit Bezug auf eine mögliche völkerstrafrechtliche Verantwortung von Staaten Triffterer, in: Gössler/Triffterer (Hrsg.), GS Zipf, S. 493 (506); ders., in: Politische Studien, Sonderheft 1/ 1995, S. 32 (38); siehe auch Eser, in: Cassese/Gaeta/Jones (Hrsg.), The Rome Statute of the International Criminal Court, Vol. I, S. 767 (770, 779); bzgl. der völkerstrafrechtlichen Verantwortung von (multinationalen) Unternehmen siehe Köster, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit privater (multinationaler) Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen, S. 181 ff. Köster unterscheidet zwischen der primären Verbots- bzw. Gebotsnorm und der sekundären Durchsetzungsnorm. Er bejaht dann zumindest eine materielle Bindung privater juristischer Personen an die Regeln des Völkerstrafrechts. Stoitchkova nimmt eine völkerstrafrechtliche Verantwortung eigener Art der (multinationalen) Unternehmen an, Stoitchkova, Towards Corporate Liability in International Criminal Law. 457 Eser, in: Cassese/Gaeta/Jones (Hrsg.), The Rome Statute of the International Criminal Court, Vol. I, S. 767 (779); Schabas, International Criminal Court, S. 224 f.; siehe aber auch Scholz, in: ZRP 2000, S. 435 (435), und Weigend, in: J. Int’l Crim. Just. 2008, S. 927 (928), zur zunehmenden Anerkennung der corporate criminal responsibility auf nationaler Ebene. In Deutschland wird eine Strafbarkeit von Personengesamtheiten vor allem mangels deren Schuldfähigkeit abgelehnt, Scholz, in: ZRP 2000, S. 435 (436, 438); siehe auch Triffterer, in: Politische Studien, Sonderheft 1/1995, S. 32 (38). 458 Ambos, in: Triffterer (Hrsg.), Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 25, S. 746, Rn. 4; Eser, in: Cassese/Gaeta/Jones (Hrsg.), The Rome Statute of the International Criminal Court, Vol. I, S. 767 (779); Schabas, in: Europ. J. Crime, Crim. L. & Crim. Just. 1998, S. 400 (410). 459 Ambos, Internationales Strafrecht, S. 148, Rn. 10; vgl. Kleffner, in: Noellkaemper/van der Wilt (Hrsg.), System Criminality in International Law, S. 238 (257); Lange, Der Status der Aufständischen im modernen humanitären Völkerrecht, S. 154 f.; Vogel, in: ZStW 2002, S. 403 (416); Zegveld, Accountability of Armed Opposition Groups in International Law, S. 152 ff. 460 Ähnliche Fragen stellt Zegveld, Accountability of Armed Opposition Groups in International Law, S. 153 f.; dies., in: College of Europe/ICRC (Hrsg.), Relevance of International Humanitarian Law to Non-State Actors, S. 153 (158). Ausführlich zur analogen Anwendung der Regeln über die Staatenverantwortlichkeit auf bewaffnete Gruppierungen Kleffner, in: Noellkaemper/van der Wilt (Hrsg.), System Criminality in International Law, S. 238 (260 ff.); siehe auch Lange, Der Status der Aufständischen im modernen humanitären Völkerrecht, S. 154 ff. Jedenfalls seien nichtstaatliche Gewaltakteure – wie Staaten – Kollektive mit einer gewissen Organisationsstruktur, die auch politische Ziele verfolgen, Kleffner, in: Noellkaemper/van der Wilt (Hrsg.), System Criminality in International Law, S. 238 (260); Zegveld,
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3. Kap.: Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure
fürchtet wird auch, dass eine Kollektivbindung von der individuellen Täterverantwortlichkeit ablenken würde.461 Unter der herrschenden Völkerstrafrechtsordnung ist eine Inpflichtnahme von Kollektiven zwar nur schwer vorstellbar. Gänzlich unvereinbar mit der Völkerstrafrechtsordnung ist sie aber nicht. Vor allem bedürfte es hierfür wohl eines erweiterten Zurechnungssystems. 3. Würdigung Obwohl Völkerrechtsverbrechen regelmäßig nur von Personenmehrheiten verwirklicht werden können und tatsächlich verwirklicht werden, ist das Völkerstrafrecht Individualstrafrecht, d. h. nur das einzelne Gruppenmitglied, nicht die Gruppe als solche muss sich verantworten. Insofern kennt das Völkerstrafrecht verschiedene Methoden, natürliche Personen als Täter oder Teilnehmer der Gesamtoperation auszumachen. Die Verpflichtung von Kollektiven sieht das heutige Völkerstrafrechtssystem nicht vor. Gleichwohl ist diese, wenn auch unter einigem Neuregelungsaufwand, theoretisch möglich. Würde man die Gruppe zur Verantwortung ziehen, ließe sich eine weitere Gruppentätigkeit unterbinden oder doch zumindest eindämmen. Und allein die Möglichkeit der strafrechtlichen Inpflichtnahme würde sich wohl auf die Verbandsorganisation auswirken. Schließlich erhielten die Opfer mit dem Apparat eine potente Anlaufstelle für ihre Entschädigungsansprüche.462
III. Binnenvertriebenensituationen und Völkerstrafrechtsverbrechen Das Völkerstrafrecht verbietet grundsätzlich Vertreibungen als solche sowie zahlreiche Verhaltensweisen, die die Menschen zum Verlassen ihrer Heimat bewegen und die auf die Vertriebenen einwirken.
Accountability of Armed Opposition Groups in International Law, S. 154; dies., in: College of Europe/ICRC (Hrsg.), Relevance of International Humanitarian Law to Non-State Actors, S. 153 (158 f.). 461 Ambos, Internationales Strafrecht, S. 148, Rn. 10; ders., in: Triffterer (Hrsg.), Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 25, S. 746, Rn. 4. 462 Zu den Vorteilen einer strafrechtlichen Verantwortung von Kollektiven Clapham, in: Kamminga/Zia-Zarifi (Hrsg.), Liability of Multinational Corporations Under International Law, S. 139 (147); siehe auch Stoitchkova, Towards Corporate Liability in International Criminal Law, S. 14. Vor allem wegen möglicher Entschädigungsansprüche gegen das Kollektiv trat der französische Vertreter bei den Verhandlungen zum Römischen Statut für eine strafrechtliche Verantwortung von Kollektiven ein, siehe Schabas, in: Europ. J. Crime, Crim. L. & Crim. Just. 1998, S. 400 (410).
D. Völkerstrafrecht
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1. Völkermord a) Allgemein Die Verübung eines Völkermords ist nach Art. 6 IStGH-Statut und der Genozidkonvention strafbar.463 Der Genozid gilt als „crime of crimes“, als schlimmstes aller Verbrechen. Untersagt sind bestimmte Maßnahmen, die darauf abzielen, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe464 ganz oder teilweise zu zerstören. Objektiv muss der Täter Mitglieder einer der geschützten Gruppen töten, körperlich oder seelisch schwer verletzen, ihnen Lebensbedingungen auferlegen, die zu ihrer körperlichen Zerstörung geeignet sind, auf die Geburtenverhinderung gerichtete Maßnahmen verhängen oder Kinder gewaltsam von einer Gruppe in eine andere Gruppe überführen. Der Genozid verlangt, über den Vorsatz zur Tatbegehung hinaus, dieAbsicht, die Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören.465 Die Deliktsvollendung setzt dann auch nicht die tatsächliche Zerstörung einer der enumerativ gelisteten Gruppen voraus; entsprechende Absicht und zumindest ein Opfer genügen.466 Geschützt ist nach der hier vertretenen Ansicht neben der physischen und der sozialen Existenz des Verbunds auch die Würde jeder zum Verbund gehörenden Person.467 Gerade der Einzelne macht – zusammen mit den anderen – die Gemeinschaft aus. Die Gruppe lebt in ihm und durch ihn. Zugleich ist die Gruppe mehr als die Summe ihrer Mitglieder. Beim Völkermord soll nun jeder Einzelne und darüber hinaus die Gruppe als solche zerstört werden. 463
Siehe auch Art. 4 ICTY-Statut und Art. 2 ICTR-Statut. Seit Inkrafttreten der Genozidkonvention 1951 gilt der Völkermord als eigenständiger Tatbestand und nicht mehr, wie noch in der Nürnberg-Charta, als Unterfall der Verbrechen gegen die Menschlichkeit (insbesondere: „Ausrottung“ und „Verfolgung“), Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, S. 266, Rn. 26, S. 330, Rn. 27. 464 Zu den geschützten Gruppen oben Fn. 174. 465 Zum subjektiven Tatbestand im Rahmen des Völkermords siehe Safferling, in: ders./ Conze (Hrsg.), The Genocide Convention Sixty Years after ist Adoption, S. 163 (insbesondere 168 ff.); Schabas, Genocide in International Law, S. 241 ff. 466 Werle, Völkerstrafrecht, S. 346, Rn. 781; a.A. Cassese, in: ders./Gaeta/Jones (Hrsg.), The Rome Statute of the International Criminal Court: A Commentary, S. 335 (347 f.). Gemäß § 6 Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) genügt ein Opfer. 467 Siehe Ambos, Internationales Strafrecht, S. 222 f., Rn. 124 f.; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, S. 322, Rn. 7; Werle, Völkerstrafrecht, S. 335 ff., Rn. 754, 757 ff., S. 345, Rn. 780 f.; allein die physisch-biologische Gruppenexistenz als geschützt ansehend Tomuschat, in: ZaöRV 56 (1996), S. 1 (13); ICTY, Prosecutor v. Krstic´, IT-98-33-A, 19. April 2004, Rn. 25; vgl. auch International Commission of Inquiry on Darfur, Rn. 515 ff., und hierzu Kreß, in: J. Int’l Crim. Just. 2005, S. 562 (564). Jedenfalls nicht geschützt ist die kulturelle Gruppenidentität, IGH, Case Concerning the Application of the Convention on the Prevention and Punishment of Genocide (Bosnia and Herzegovina v. Serbia and Montenegro), Judgment, 26. Februar 2007, ICJ Reports 2007, 43, Rn. 344; siehe aber hierzu auch Schabas, International Criminal Court, S. 102. Und den Individualrechtsschutz verneinend BGHSt 45, 64 (80 f.).
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3. Kap.: Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure
Genozid kann in Friedens- und in Konfliktzeiten468, von (einzelnen)469 staatlichen und nichtstaatlichen470 Akteuren begangen werden. b) Vertreibungen Völkermord verursacht Fluchtbewegungen: Die Menschen fliehen vor Mord und Totschlag, den schwere körperliche und seelische Schäden verursachenden Akten, elenden Lebensbedingungen, Geburtenverhinderungsmaßnahmen und Überführungen von Kindern in eine andere Gruppe. Aber kann Völkermord auch durch Vertreibung als solche verwirklicht werden? Nach dem Jugoslawien-Tribunal umfasst Genozid in Form der Auferlegung zerstörerischer Lebensbedingungen, Art. 4 Abs. 2 lit. c) ICTY-Statut, jedenfalls „methods of destruction apart from direct killings such as […] systematic expulsion from homes.“471
Aber nicht jede Vertreibung fällt hierunter: „It does not suffice to deport a group or a part of a group. A clear distinction must be drawn between physical destruction and mere dissolution of a group.“472 468 Siehe Art. I Genozidkonvention „Die Vertragsparteien bestätigen, dass Völkermord, ob im Frieden oder im Krieg begangen, ein Verbrechen gemäß internationalem Recht ist, zu dessen Verhütung und Bestrafung sie sich verpflichten“, Hervorhebung durch die Autorin. 469 Werle, Völkerstrafrecht, S. 353 f., Rn. 799; anders aber Vest, in: ZStW 2001, S. 457 (482). 470 Kleffner, in: Noellkaemper/van der Wilt (Hrsg.), System Criminality in International Law, S. 238 (249 f.); vgl. Zegveld, Accountability of Armed Opposition Groups in International Law, S. 108 ff.; IGH, Case Concerning the Application of the Convention on the Prevention and Punishment of Genocide (Bosnia and Herzegovina v. Serbia and Montenegro), Judgment, 26. Februar 2007, ICJ Reports 2007, 43, Rn. 278 ff.; siehe auch Art. IV Genozidkonvention: siehe Art. IV Genozidkonvention „Personen, die Völkermord oder eine der sonstigen in Artikel III aufgeführten Handlungen begehen, sind zu bestrafen, gleichviel ob sie regierende Personen, öffentliche Beamte oder private Einzelpersonen sind“, Hervorhebung durch die Autorin. Einen staatlichen Täter verlangend Bassiouni, Crimes Against Humanity in International Criminal Law, S. 513, 570. 471 ICTY, Prosecutor v. Stakic´, IT-97-24-T, 31. Juli 2003, Rn. 517; so auch ICTR, Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T, 2. September 1998, Rn. 506; vgl. auch Ambos, Internationales Strafrecht, S. 227, Rn. 134; Safferling, Internationales Strafrecht, S. 169, Rn. 25. 472 ICTY, Prosecutor v. Stakic´, IT-97-24-T, 31. Juli 2003, Rn. 519; bestätigt in ICTY, Prosecutor v. Krstic´, IT-98-22-A, 19. April 2005, Rn. 33: „the forcible transfer does not constitute in and of itself a genocidal act“; zustimmend IGH, Case Concerning the Application of the Convention on the Prevention and Punishment of Genocide (Bosnia and Herzegovina v. Serbia and Montenegro), Judgment, 26. Februar 2007, ICJ Reports 2007, 43, Rn. 190.
D. Völkerstrafrecht
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Da Art. 4 Abs. 2 lit. c) ICTY-Statut – ebenso wie Art. 6 lit. c) IStGH-Statut und Art. II lit. c) Genozidkonvention – allein die physische Integrität der Gruppe (nmitglieder) schützt, wörtlich: „körperliche Zerstörung“, vermögen bloß räumliche Verbringungen der Menschen, die Zerstreuung der Gruppe und die Verletzung des Zusammengehörigkeitsgefühls der Gruppe, also Maßnahmen, die „nur“ den sozialen Bestand berühren, diesen Tatbestand nicht erfüllen.473 Die Verbringung muss dann mit weiteren Maßnahmen einhergehen, die gerade die physische Beschaffenheit der Menschen beeinträchtigen; etwa mit der Vorenthaltung oder dem Entzug von Wasser, Lebensmitteln, Unterkünften oder ärztlicher und medizinischer Versorgung.474 Maßgeblich ist das Gesamtgeschehen. Weiter urteilte der ICTY, dass Vertreibungen mitunter schwere seelische Schäden im Sinne des Art. 4 Abs. 2 lit. b) Alt. 2 ICTY-Statut bewirken, siehe auch Art. 6 lit. b) Alt. 2 IStGH-Statut und Art. II lit. b) Alt. 2 Genozidkonvention.475 Schließlich wird der Einzelne aus seiner Heimat, dem Ort von Sicherheit und Ge473 Vgl. Kreß, in: MüKo StGB, Bd. 6/2, § 6 VStGB, Rn. 55, 57; Lüders, Die Strafbarkeit von Völkermord nach dem Römischen Statut für den Internationalen Strafgerichtshof, S. 192 f.; Werle, Völkerstrafrecht, S. 349, Rn. 789. 474 Kreß, in: MüKo StGB, Bd. 6/2, § 6 VStGB, Rn. 57; Krülle, in: Zieger/Meissner/Blumenwitz (Hrsg.), FS Czaja, S. 43 (66); Werle, Völkerstrafrecht, S. 349, Rn. 789; siehe auch BGH, in: NJW 2001, S. 2732 (2733), wonach die bloße Vertreibung nicht unter § 220a Abs. 1 Nr. 3 StGB a.F. (Völkermord durch die Auferlegung von Lebensbedingungen, die geeignet sind, die körperliche Zerstörung der Gruppe ganz oder teilweise herbeizuführen) fällt. Durch die Gesamttat könne diese Tatbestandsvariante allerdings erfüllt sein. Vgl. auch BGHSt 45, 65 (81 f.); der Gerichtsbarkeit des Bundesgerichtshofs zustimmend, Ambos, in: NStZ 2001, S. 628 (630). 475 ICTY, Prosecutor v. Blagojevic´ and Jokic´, IT-02-60-T, 17. Januar 2005, Rn. 650: „forced displacement of women, children, and elderly people was itself a traumatic experience, which, in the circumstances of this case, reaches the requisite level of causing serious mental harm under Article 4(2)(b) of the Statute“; siehe auch ICTY, Prosecutor v. Blagojevic´ and Jokic´, IT-02-60-T, 17. Januar 2005, Rn. 654 und 671. Dies wurde in der Berufung nicht in Frage gestellt, ICTY, Prosecutor v. Blagojevic´ and Jokic´, IT-02-60-A, 9. Mai 2007. Siehe auch ICTY, Prosecutor v. Krstic´, IT-98-33-T, 2. August 2001, Rn. 513: „the Chamber holds that inhuman treatment […] and deportation are among the acts which may cause serious bodily or mental injury“; siehe auch ICTY, Prosecutor v. Karadzˇic´ and Mladic´, Review of the Indictments Pursuant to Rule 61 of the Rules of Procedure and Evidence, IT-95-5-R61 und IT-95-18-R61, 11. Juli 1996, Rn. 93. Deportation ebenfalls als Akt einordnend, der zu schweren körperlichen und seelischen Schäden führen kann, Jerusalem District Court, The Israeli Government Prosecutor General v. Adolph Eichmann, 12. Dezember 1961, in: International Law Reports 1968, S. 5 (340); siehe auch Kimminich, in: Blumenwitz (Hrsg.), Flucht und Vertreibung, S. 95 (111). Zum Völkermord in Srebrenica siehe auch ICTY, Prosecutor v. Krstic´, IT-98-33-T, 2. August 2001, Rn. 560, 594 ff.; bestätigt in ICTY, Prosecutor v. Krstic´, IT-98-33-A, 19. April 2004, Rn. 37; zustimmend IGH, Case Concerning the Application of the Convention on the Prevention and Punishment of Genocide (Bosnia and Herzegovina v. Serbia and Montenegro), Judgment, 26. Februar 2007, ICJ Reports 2007, 43, Rn. 297. Hier wird aber maßgeblich auf die Massaker der bosnischen Serben an den bosnischen Muslimen, nicht die Vertreibungen abgestellt.
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3. Kap.: Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure
borgenheit, häufig auch von seiner Familie und Gemeinschaft, fort gerissen. Er wird entwurzelt. Vorstellbar sind zudem brutalst durchgeführte Verbringungen, die zu schweren körperlichen Schäden im Sinne des Art. 4 Abs. 2 lit. b) Alt. 1 ICTY, Art. 6 lit. b) Alt. 1 IStGH-Statut bzw. Art. II lit. b) Alt. 1 Genozidkonvention führen.476 Folglich können vor allem die Begleitumstände der Vertreibung das Geschehen zum Genozid machen. Dazu muss stets die entsprechende Zerstörungsabsicht kommen. Diese fehlt, wenn es vordergründig um die Fortschaffung der Menschen geht477, also vor allem in Fällen ethnischer Säuberung, der forcierten Änderung der ethnischen Bevölkerungszusammensetzung innerhalb eines Gebiets. Eine strikte Trennung zwischen Völkermord und ethnischer Säuberung ist aber kaum möglich. Denn entsprechend dem Schutzgut des Völkermords muss es für den Genozid genügen, wenn die Zerstörung des sozialen Bestands der Gruppe beabsichtigt ist. Hierfür sprechen schon der Sinn und Zweck des Völkermords, nämlich die Wahrung einer Vielfalt an Gruppen478, der Wortlaut von Art. 6 IStGH-Statut und Art. II Genozidkonvention: „als solche“479, und ein Umkehrschluss aus Art. 6 lit. a), b) Alt. 1 und c) IStGH-Statut und Art. II lit. a), b) Alt. 1 und c) Genozidkonvention, die gerade die physische Zerstörung der Gruppe erfassen.480 2. Verbrechen gegen die Menschlichkeit a) Allgemein Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemäß Art. 7 IStGH-Statut sind Verletzungen elementarer Individual-, teils auch Gruppeninteressen besonderen Ausmaßes 476 Siehe Krülle, in: Zieger/Meissner/Blumenwitz (Hrsg.), FS Czaja, S. 43 (66); Lehmler, Die Strafbarkeit von Vertreibungen aus ethnischen Gründen im bewaffneten nicht-internationalen Konflikt, S. 216 f.; zur deportation ICTY, Prosecutor v. Krstic´, IT-98-33-T, 2. August 2001, Rn. 513; ICTY, Prosecutor v. Karadzˇic´ and Mladic´, Review of the Indictments Pursuant to Rule 61 of the Rules of Procedure and Evidence, IT-95-5-R61 und IT-95-18-R61, 11. Juli 1996, Rn. 93; Jerusalem District Court, The Israeli Government Prosecutor General v. Adolph Eichmann, 12. Dezember 1961, in: International Law Reports 1968, S. 5 (340). 477 Triffterer, in: Blumenwitz (Hrsg.), Flucht und Vertreibung, S. 259 (283); siehe auch Kamanga, in: Hollenbach (Hrsg.), Refugee Rights, Ethics, Advocacy and Africa, S. 163 (169). 478 Werle, Völkerstrafrecht, S. 363, Rn. 820; siehe auch BGHSt 45, 64 (82), und die, das Strafgericht hinsichtlich der Auslegung des Völkermordtatbestands bestätigende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, BVerfG, in: NJW 2001, S. 1848 ff. 479 Werle, Völkerstrafrecht, S. 363, Rn. 820; BGHSt 45, 64 (81). 480 Vgl. Werle, Völkerstrafrecht, S 363, Rn. 820; im Ergebnis so auch Safferling, Internationales Strafrecht, S. 175, Rn. 38; anders aber vor allem die internationale Rechtsprechung, ICTY, Prosecutor v. Krstic´, IT-98-33-A, 19. April 2004, Rn. 25 f.; ICTR, Prosecutor v. Seromba, ICTR-2001-66-1, 13. Dezember 2006, Rn. 319; siehe auch IStGH, Prosecutor v. alBashir, ICC-02/05 – 01/09, Pre-Trial Chamber I, 4. März 2009, Rn. 143 f.
D. Völkerstrafrecht
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oder besonderer Intensität.481 Sie setzen objektiv die Begehung einer Einzeltat im Kontext eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung, und subjektiv Kenntnis hiervon voraus. Erst im Rahmen der Gesamttat ist das einzelne Delikt eine Bedrohung oder gar schon Zerstörung der Gemeinschaftsgüter. Wenn auch jeder einzelne Menschenrechtsverstoß verachtenswert ist, stellt er für sich noch keine völkerstrafrechtlich relevante Tat dar. Das Rechtsgut der Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist dann ein individuell-überindividuelles.482 Dabei ist ausgedehnt quantitativ im Sinne einer großen Opferzahl, bewirkt durch einen oder mehrere Akte483, zu verstehen.484 Systematisch ist der Angriff, wenn er einem Muster folgt, ihm eine gewisse Organisation und Planmäßigkeit zugrunde liegt; spontane, isolierte Gewaltaktionen genügen nicht.485 Art. 7 Abs. 2 lit. a) IStGH-Statut definiert dann den Angriff gegen die Zivilbevölkerung als „eine Verhaltensweise, die mit der mehrfachen Begehung der in Abs. 1 genannten Handlungen gegen eine Zivilbevölkerung verbunden ist, in Ausführung oder zur Unterstützung der Politik eines Staates oder einer Organisation, die einen solchen Angriff zum Ziel hat.“486 481 Siehe auch Art. 6 lit. c) Nürnberg-Charta, Art. 5 ICTY-Statut und Art. 3 ICTR-Statut. Vor dem Internationalen Militärgericht in Nürnberg stellten die Verbrechen gegen die Menschlichkeit aber noch kein eigenständiges Delik dar, sondern mussten gemeinsam mit einem Kriegsverbrechen oder Angriffskrieg verübt werden. Das Alliierte Kontrollratsgesetz Nr. 10 über die Bestrafung von Personen, die sich Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen den Frieden oder die Menschlichkeit schuldig gemacht haben vom 20. Dezember 1945, Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland, Berlin, Nr. 3 vom 31. Januar 1946, S. 50 ff., beendete diese Akzessorietät. Und auch Art. 5 ICTY-Statut, der eine Tatbegehung „in internationalen oder inneren bewaffneten Konflikten“ verlangt, sollte die Akzessorietät nicht wieder einführen, ständige Rechtsprechung seit ICTY, Prosecutor v. Tadic´, IT-94-1, 2. Oktober 1995, Rn. 141. Heute können Verbrechen gegen die Menschlichkeit anerkanntermaßen in Kriegs- und Friedenszeiten begangen werden, Schabas, in: Fordham Int’l L. J. 2003, S. 907 (922); Vest, in: ZStW 2001, S. 457 (461); so auch schon ILC, Yb ILC 1950, S. 377, Rn. 123. 482 Vest, in: ZStW 2001, S. 457 (464); den Schutz von Individualrechtsgütern betonend Gropengießer, in: Kreicker/Eser (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1, S. 116; den Schutz von Kollektivgütern betonend Safferling, Internationales Strafrecht, S. 185, Rn. 55. 483 Ambos, Internationales Strafrecht, S. 251 f., Rn. 183 f. 484 IStGH, Prosecutor v. Katanga and Ngudjolo Chui, ICC-01/04 – 01/07, Pre-Trial Chamber I, 30. September 2008, Rn. 395; ICTY, Prosecutor v. Stakic´, IT-97-24-T, 31. Juli 2003, Rn. 625; auch die geographische Ausdehnung kann hier von Bedeutung sein, Werle, Völkerstrafrecht, S. 390, Rn. 875; IStGH, ICC-01/04 – 01/07, Prosecutor v. Katanga and Ngudjolo Chui, ICC-01/04 – 01/07, Pre-Trial Chamber I, 30. September 2008, Rn. 395, anders Safferling, Internationales Strafrecht, S. 193, Rn. 67. 485 IStGH, Prosecutor v. Katanga and Ngudjolo Chui, ICC-01/04 – 01/07, Pre-Trial Chamber I, 30. September 2008, Rn. 397; ICTR, Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T, 2 September 1998, Rn. 580. 486 Bis zum Erlass des Römischen Statuts war nicht ganz klar, ob die Begehung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit ein Politikelement voraussetzt. Ein Politikelement verlangend ICTY, Prosecutor v. Tadic´, IT-94-1-A, 7. Mai 1997, Rn. 653; dies dann aber ablehnend ICTY, Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/T-A, 12. Juni 2002, Rn. 98; ablehnend auch ICTR, Prosecutor v. Muvunyi, ICTR-00-55 A-T, 12. September 2006, Rn. 512.
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3. Kap.: Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure
Der Politikbegriff ist insofern weit, als jeder irgendwie organisierte, geplante Angriff für seine Verwirklichung genügt, nur unkoordinierte Einzeltaten scheiden aus.487 Die Politik entspricht so weitgehend dem systematischen Angriff.488 Politikveranlasser muss aber ein Staat oder eine Organisation sein. Nichtstaatliche Gewaltakteure können Organisationen gemäß Art. 7 Abs. 2 lit. a) IStGH-Statut darstellen. Organisation in diesem Sinne ist der strukturierte, einen gewissen Zeitraum existierende Personenverbund.489 Alle Mitglieder der Organisation können außerstaatlich sein.490 Uneinheitlich wird aber beurteilt, wie genau die Organisationsstruktur beschaffen sein muss, insbesondere wie sehr sie der von Staaten ähneln muss.491 Jedenfalls nennt die Vorschrift Staaten und Organisationen alternativ492; Organisationen müssen offensichtlich nicht Staaten sein. Eine zu enge Auslegung würde dann auch einen Wertungswiderspruch zum Völkermord, dem schlimmsten aller Völkerrechtsverbrechen, der, zumindest theoretisch, gar von einem Einzeltäter 487
Safferling, Internationales Strafrecht, S. 190 f., Rn. 63; IStGH, Situation in the Republic of Kenya, ICC-01/09, Pre-Trial Chamber II, 31. März 2010, Rn. 84 ff.; siehe auch ICTY, Prosecutor v. Tadic´, IT-94-1-A, 7. Mai 1997, Rn. 653. 488 Ambos, Internationales Strafrecht, S. 253, Rn. 186; Gierhake, in: ZIS 2010, S. 676 (691 f.); so auch IStGH, Prosecutor v. Bemba, ICC-01/05 – 01/08, Pre-Trial Chamber III, 10. Juni 2008, Rn. 33; IStGH, Prosecutor v. Harun and Kushayb, ICC-02/05 – 01/07, Pre-Trial Chamber I, 27. April 2007, Rn. 62. 489 Werle, Völkerstrafrecht, S. 394, Rn. 884. 490 Heute ist man sich relativ einig, dass auch nichtstaatliche Akteure Verbrechen gegen die Menschlichkeit begehen können, Schabas, International Criminal Court, S. 111. Aber der Supreme Court of Canada hielt noch 1994 fest, dass „,state action or policy‘ was a pre-requisite legal element of crimes against humanity“, Supreme Court of Canada, Regina v. Finta [1994] 1 S.C.R. 701, 760 – 764, Hervorhebung durch die Autorin. Und Bassiouni mit Bezug auf Art. 7 Abs. 2 IStGH-Statut: „The text clearly refers to state policy, and the words ,organisational policy‘ do not refer to the policy of an organization but the policy of a state. It does not refer to non-state actors“, Bassiouni, International Criminal Court, Vol. 1, S. 151 f.; siehe ders., Crimes Against Humanity in International Law, S. 243 ff. Der ICTY aber (mit Bezug auf Art. 5 ICTY-Statut): „In this regard the law in relation to crimes against humanity has developed to take into account forces which, although not those of the legitimate government, have de facto control over, or are able to move freely within, defined territory. The Prosecution in its pre-trial brief argues that under international law crimes against humanity can be committed on behalf of entities exercising de facto control over a particular territory but without international recognition or formal status of a de jure state, or by a terrorist group or organization“, ICTY, Prosecutor v. Tadic´, IT-94-1-T, 7. Mai 1997, Rn. 654. 491 Eine staatsähnliche Struktur der Organisation verlangend Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, S. 332, Rn. 34; siehe auch IStGH, Situation in the Republic of Kenya, ICC-01/09-Corr., Pre-Trial Chamber II, 31. März 2010, Dissenting Opinion Kaul, Rn. 51; die Anforderungen an Organisationen ebenfalls relativ hoch anlegend Kreß, in: Leiden J. Int’l L. 2010, S. 855 (857 ff.); ders., in: J. Confl. & Security L. 2010, S. 245 (271 f.); siehe auch Schabas, in: Fordham Int’l L. J. 2003, S. 907 (928 ff.). 492 Werle, Völkerstrafrecht, S. 395, Rn. 886.
D. Völkerstrafrecht
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verübt werden kann, darstellen.493 Dann sollte es maßgeblich auf die Tatverwirklichung, auf die Fähigkeit des Verbunds zur Begehung eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs auf die Zivilbevölkerung, also Rechtsverletzungen großen Ausmaßes oder großer Intensität, ankommen.494 Der Normwortlaut stützt dies. Die Tat muss gerade in Ausführung oder zur Unterstützung der Staaten- bzw. Organisationspolitik verübt werden. Folglich ist die Zuordnung eines Personenzusammenschlusses als Organisation primär unter dem Eindruck der Gesamttat vorzunehmen. Die Gruppe muss ein gewisses Macht- und Gewaltvermögen besitzen495, von ihr muss eine Gefahr für den Frieden, die Sicherheit und das Wohl der Welt ausgehen. Hierarchische und der Funktionstüchtigkeit des Verbands dienende Strukturen, eine verantwortliche Führung, ein arbeitsteiliges Vorgehen, Gebietskontrolle und Ähnliches indizieren dies.496 Dann sind nichtstaatliche Gewaltakteure als politisch und/oder militärisch bedeutsame Verbände regelmäßig Organisationen im Sinne des Art. 7 Abs. 2 lit. a) IStGHStatut. Schwieriger ist die Einordnung von Terroristen und primär kriminell motivierten Banden. Für das Völkerstrafrecht unerheblich ist, ob die Rechtsverletzungen der Aufständischen im Übrigen Menschenrechtsverletzungen darstellen.497 b) Vertreibungen Art. 7 Abs. 1 lit. d) IStGH-Statut untersagt die Vertreibung („deportation“) und die zwangsweise Überführung („forcible transfer“) der Bevölkerung. Nach der Legaldefinition des Art. 7 Abs. 2 lit. d) IStGH-Statut sind dies
493 Werle, Völkerstrafrecht, S. 395, Rn. 886; siehe auch Kreß, in: Leiden J. Int’l L. 2010, S. 855 (871 f.). 494 So auch Kleffner, in: Noellkaemper/van der Wilt (Hrsg.), System Criminality in International Law, S. 238 (249); Safferling, Internationales Strafrecht, S. 191, Rn. 63; Werle, Völkerstrafrecht, S. 394 f., Rn. 884, 887; IStGH, Situation in the Republic of Kenya, ICC-01/ 09, Pre-Trial Chamber II, 31. März 2010, Rn. 90: „The formal nature of a group and the level of its organization should not be defining criterion. Instead, a distinction should be drawn on whether a group has the capability to perform acts which infringe on basic human values“; siehe auch IStGH, Prosecutor v. Bemba, ICC-01/05 – 01/08, Pre-Trial Chamber II, 15. Juni 2009, Rn. 81; IStGH, Prosecutor v. Katanga and Ngudjolo Chui, ICC-01/04 – 01/07, Pre-Trial Chamber I, 30. September 2008, Rn. 396. 495 Ambos, Internationales Strafrecht, S. 255, Rn. 188. 496 Siehe Ambos, Internationales Strafrecht, S. 255, Rn. 188; Werle, Völkerstrafrecht, S. 395, Rn. 885; IStGH, Situation in the Republic of Kenya, ICC-01/09, Pre-Trial Chamber II, 31. März 2010, Rn. 93. 497 Hierzu Ambos/Wirth, in: Crim. L. For. 2002, S. 1 (30 f.); siehe auch Kreß, in: Leiden J. Int’l L. 2010, S. 855 (860 f.); ders., in: J. Confl. & Security L. 2010, S. 245 (271).
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3. Kap.: Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure
„erzwungene, völkerrechtlich unzulässige Verbringungen der betroffenen Personen durch Ausweisung oder andere Zwangsmaßnahmen aus dem Gebiet, in dem sie sich rechtmäßig aufhalten.“
Im Falle der Vertreibung überschreitet eine Person bzw. überschreiten Personen498 die Staatsgrenze499, bei der zwangsweisen Überführung nicht.500 Verbringungen innerhalb von Staaten waren bisher nicht als eigenständiges völkerstrafrechtliches Delikt anerkannt.501 Das Römische Statut reagierte mit Art. 7 Abs. 1 lit. d) Alt. 2 IStGH-Statut auf die tatsächlich stetig steigende Zahl binnenvertriebener Menschen. Aber beide Tatbestandsalternativen schützen dieselben Güter: das Recht auf Verbleib 498 Schon der Transfer einer einzigen Person genügt, Elements of Crime zum IStGH (im Folgenden: Elements of Crime), ICC-ASP/1/3 (part II-B), in Kraft getreten am 9. September 2002, S. 7, Article 7(1)(d) Nr. 1. Die Elements of Crime zieht der IStGH gemäß Art. 9 Abs. 1 S. 1 IStGH-Statut zur Auslegung und Anwendung der Art. 6 – 8 IStGH-Statut heran. 499 Im Übrigen wird der Begriff „Vertreibung“ für die vorliegende Arbeit weiter gefasst, oben S. 20. 500 Hall, in: Triffterer (Hrsg.), Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Law, Art. 7, S. 194, Rn. 31, S. 198, Rn. 34; siehe auch ICTY, Prosecutor v. Brd¯anin, IT99-36-T, 1. September 2004, Rn. 540; ICTY, Prosecutor v. Milosˇevic´, IT-95-16-T, 16. Juni 2004, Rn. 45, 47 ff., 68; ICTY, Prosecutor v. Stakic´, IT-98-33-T, 31. Juli 2003, Rn. 671; ICTY, Prosecutor v. Krnojelac, IT-97-25-T, 15. März 2002, Rn. 474; ICTY, Prosecutor v. Krstic´, IT98-33-T, 2. August 2001, Rn. 521. Zur Strafbarkeit von deportation siehe auch Art. 6 lit. c) Nürnberg-Charta, Art. 5 lit. d) ICTY-Statut und Art. 3 lit. d) ICTR-Statut. 501 Teilweise wird aber angenommen, dass Art. 6 lit. c) Nürnberg-Charta, „deportation“, auch Menschenverbringungen innerhalb von Staatsgrenzen umfasste, so etwa Lehmler, Die Strafbarkeit von Vetreibungen aus ethnischen Gründen im bewaffneten nicht-internationalen Konflikt, S. 80, vgl. auch 87 ff.; Köhler, Die Massenvertreibung im Völkerrecht, S. 295, vgl. auch 296 ff.; Triffterer, in: Blumenwitz (Hrsg.), Flucht und Vertreibung, S. 259 (272); anders aber ICTY, Prosecutor v. Milosˇevic´, IT-02-54-T, 16. Juni 2004, Rn. 52; siehe auch zum Alliierten Kontrollratsgesetz Nr. 10 United States of America v. Milch, Concurring Judge Philips, Trials of War Criminals before the Nuernberg Military Tribunals Under Control Council Law No. 10 (1952), Vol. 6, S. 865 f., und United States of America v. Krupp et al., Trials of War Criminals before the Nuernberg Military Tribunals Under Control Council Law No. 10 (1952), Vol. 9, Teil 2, S. 1432 f. Art. 5 lit. d) ICTY-Statut, „deportation“, erfasste jedenfalls nur Verbringungen über die Staatsgrenze als Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Verbringungen innerhalb der Staatsgrenzen konnten nur als „persecution“ (Verfolgung), Art. 5 lit. h) ICTYStatut, oder mit Hilfe des Auffangtatbestands der „other inhuman treatment“ (andere unmenschliche Handlungen), Art. 5 lit. i) ICTY-Statut, erfasst werden, siehe ICTY, Prosecutor v. Blagojevic´ und Jokic´, IT-02-60-T, 17. Januar 2005, Rn. 602 („persecution“); ICTY, Prosecutor v. Brd¯anin, IT-99-36-T, 1. September 2004, Rn. 544 („other inhuman treatment“); ICTY, Prosecutor v. Krstic´, IT-98-33-T, 2. August 2001, Rn. 532 („other inhuman treatment“) und Rn. 537 („persecution“); ICTY, Prosecutor v. Kupresˇkic´ et al., IT-95-16-T, 14. Januar 2000, Rn. 566 („other inhuman treatment“). Vor diesem Hintergrund ist auch die weite Auslegung der „deportation“ im Sinne des Art. 5 lit. d) ICTY-Statut im Fall Stakic´ zu verstehen. Hier ließ der ICTY für die „deportation“ Verbringungen über eine international nicht anerkannte de factoGrenze, gar ständig wechselnde Grenzen, genügen, ICTY, Prosecutor v. Stakic´, IT-97-24-T, 31. Juli 2003, Rn. 679; grundsätzlich bestätigend, aber ständig ändernde Frontlinien als unzureichend ablehnend ICTY, Prosecutor v. Stakic´, IT-97-24-A, 22. März 2006, Rn. 278, 300 ff. Siehe außerdem zum gewohnheitsrechtlichen Charakter der zwangsweisen Überführung ICTY, Prosecutor v. Stakic´, IT-97-24-T, 31. Juli 2003, Rn. 673 ff., 684.
D. Völkerstrafrecht
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in der Heimat und den Eigentumserhalt.502 Die übrigen Tatbestandsmerkmale sind dann auch identisch. Verlangt werden eine Ausweisung oder andere Zwangsmaßnahmen. Dabei fasst man Zwang weit. Er muss nicht unmittelbar körperlich wirken, die Inaussichtstellung von Gewalt oder einem ähnlichen Übel genügt.503 Das Täterverhalten muss das Opfer zur Flucht bewegen. Maßgeblich ist die sich aus den Gesamtumständen ergebende Unfreiwilligkeit des Heimatverlassens.504 Art. 7 Abs. 1 lit. d) IStGH-Statut schützt nur Personen, die sich rechtmäßig in dem Gebiet, aus dem sie verbracht werden, aufhielten. Letztlich darf die Vertreibung oder zwangsweise Überführung der Menschen nicht völkerrechtlich zulässig sein. Völkerrechtsmäßig sind zum Schutze der nationalen bzw. öffentlichen Sicherheit und Ordnung, Volksgesundheit oder Sittlichkeit notwendige Verbringungen, siehe Art. 12 Abs. 3 IPbpR und Art. 12 Abs. 2 Banjul-Charta, und im Rahmen bewaffneter Konflikte zur Sicherheit der Zivilbevölkerung oder aus zwingenden militärischen Gründen vorgenommene Gebietsräumungen, siehe Art. 17 Abs. 1 S. 1 ZP II, Art. 8 Abs. 2 lit. e) (viii) IStGH-Statut, Leitlinie 6 Abs. 2 lit. b) Guiding Principles und Art. 4 Abs. 4 lit. b) Kampala Convention. Umstritten ist schließlich, ob, über den Vorsatz hinsichtlich der objektiven Tatbestandsmerkmale hinaus, Absicht gerade zur dauerhaften Verbringung der Person zu fordern ist. Überwiegend wird dies abgelehnt.505 Allein die Vertreibung bzw. die zwangsweise Überführung verletzt die geschützten Güter, nicht erst das Fortbleiben. 502 Siehe ICTY, Prosecutor v. Milosˇevic´, IT-02-54-T, 16. Juni 2004, Rn. 69, zitiert ICTY, Prosecutor v. Simic´ et al., IT-95-9-T, 17. Oktober 2003, Rn. 130; so auch ICTY, Prosecutor v. Stakic´, IT-97-24-A, 22. März 2006, Rn. 277; siehe auch Hall, in: Triffterer (Hrsg.), Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 7, S. 194 f., Rn. 31; und dieTrial Chamber im Fall Stakic´ : „the fact that the Statute of the International Criminal Court has accepted the two terms ,deportation‘ and ,forcible transfer‘ in one and the same category only strengthens the view that what has in the jurisprudence been considered two separate crimes is in reality one and the same“, ICTY, Prosecutor v. Stakic´, IT-97-24-T, 31. Juli 2003, Rn. 680. 503 „The term ,forcibly‘ is not restricted to physical force, but may include threat or force or coercion, such as that caused by fear of violence, duress, detention, psycological oppression or abuse of power against such person or persons or another person, or by taking advantage of a coercive environment“, Elements of Crime, S. 7, Fn. 12; siehe auch ICTY, Prosecutor v. Stakic´, IT-97-24-A, 22. März 2006, Rn. 281; ICTY, Prosecutor v. Krnojelac, IT-97-25-T, 15. März 2002, Rn. 475; ICTY, Prosecutor v. Krstic´, IT-98-33-T, 2. August 2001, Rn. 529. 504 Siehe ICTY, Prosecutor v. Stakic´, IT-97-24-A, 22. März 2006, Rn. 279; ICTY, Prosecutor v. Blagojevic´ and Jokic´, IT-02-60-T, 17. Januar 2005, Rn. 596, 602; ICTY, Prosecutor v. Milosˇevic´, IT-02-54-T, 16. Juni 2004, Rn. 73; ICTY, Prosecutor v. Krnojelac, IT-97-25-T, 15. März 2002, Rn. 475. 505 Ablehnend etwa Ambos, Internationales Strafrecht, S. 263, Rn. 205; Safferling, Internationales Strafrecht, S. 198, Rn. 77; ICTY, Prosecutor v. Stakic´, IT-97-24-A, 22. März 2006, Rn. 278; anders aber ICTY, Prosecutor v. Blagojevic´ and Jokic´, IT-02-60-T, 17. Januar 2005, Rn. 601.
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3. Kap.: Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure
c) Andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die im Zusammenhang mit Binnenvertriebenensituationen eine Rolle spielen Taten, die Menschen zum Verlassen ihrer Heimat bewegen und die gegenüber Binnenvertriebenen begangen werden, sind insbesondere – Art. 7 Abs. 1 lit. a) (vorsätzliche Tötung), – lit. b) (Ausrottung), – lit. f) (Folter), – lit. g) (Vergewaltigung, sexuelle Sklaverei, Nötigung zur Prostitution, erzwungene Schwangerschaft, Zwangssterilisation oder jede andere Form sexueller Gewalt von vergleichbarer Schwere), – lit. h) (Verfolgung einer Gruppe insbesondere aus politischen, rassischen, nationalen, ethnischen, kulturellen oder religiösen Gründen oder wegen des Geschlechts oder aus anderen nach dem Völkerrecht universell als unzulässig anerkannten Gründen) und – lit. j) (Apartheid) IStGH-Statut. Der Katalog des Art. 7 Abs. 1 IStGH-Statut ist nicht abschließend, vgl. Art. 7 Abs. 1 lit. k). 3. Kriegsverbrechen a) Allgemein Kriegsverbrechen sind unter Strafe gestellte Verletzungen humanitär völkerrechtlicher Normen.506 Kriminalisiert wird bestimmtes Tun und Unterlassen im Rahmen bewaffneter Konflikte. Essentiell ist dann der funktionelle Zusammenhang zwischen Einzeltat und bewaffnetem Konflikt. Der (Bürger-)Krieg bildet die Kulisse des Verbrechens. Damit enthält das Kriegsvölkerstrafrecht die sekundären zu den primären Regeln des Kriegsrechts.507 Das humanitäre Völkerrecht legt Ge- und Verbote fest, das Völkerstrafrecht stellt diese unter Strafe. Der ICTY wirkte maßgeblich an der Definition des bewaffneten Konflikts – im Sinne des Völkerstrafrechts und des humanitären Völkerrechts – mit. Instruktiv:
506 Werle, Völkerstrafrecht, S. 453, Rn. 1022. Für das Römische Statut stellt Art. 8 IStGHStatut kriegsrechtliche Verbote unter Strafe; siehe auch Art. 6 lit. b) Nürnberg-Charta, Art. 2 (Schwere Verletzungen der Genfer Abkommen von 1949), 3 (Verstöße gegen die Gesetze oder Gebräuche des Krieges) ICTY-Statut und Art. 4 ICTR-Statut (Verstöße gegen den gemeinsamen Artikel 3 der Genfer Abkommen und gegen deren Zusatzprotokoll II). 507 Bothe, in: Cassese/Gaeta/Jones (Hrsg.), The Rome Statute of the International Criminal Court, Vol. I, S. 379 (381).
D. Völkerstrafrecht
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„we find that an armed conflict exists whenever there is resort to armed forces between States or protracted armed violence between governmental authorities and organized armed groups or between such groups within a State.“508
Und der ICTR: „The term, ,armed conflict‘ in itself suggests the existence of hostilities between armed forces organized to a greater or lesser extent. This consequently rules out situations of internal disturbances and tensions.“509
Dem folgte der IStGH.510 Dabei kann der Konflikt heute internationaler wie auch nichtinternationaler Natur sein.511 So trug auch das Völkerstrafrecht zur Annäherung der beiden Konflikttypen bei. Das Römische Statut kennt: internationale bewaffnete Konflikte, Art. 8 Abs. 2 lit. a) und b); zwischen staatlichen Behörden und organisierten bewaffneten Gruppen oder zwischen solchen Gruppen auf dem Hoheitsgebiet eines Staates stattfindende lang anhaltende bewaffnete Konflikte, Art. 8 Abs. 2 lit. f) IStGH-Statut (vgl. die Tadic´-Rechtsprechung); sonstige bewaffnete Konflikte, die keinen internationalen Charakter haben, Anwendungsfälle des gemeinsamen Art. 3 GK, Art. 8 Abs. 2 lit. d) IStGH-Statut. Gleichwohl verlangt schon Art. 3 GK die Beteiligung einer organisierten bewaffneten Gruppe und Kämpfe gewisser Intensität und Dauer.512 Trotz des unterschiedlichen Wortlauts in Art. 8 Abs. 2 lit. d) und f) IStGH-Statut ist von einer einheitlichen Definition des nichtinternationalen bewaffneten Konflikts im Völkerstrafrecht auszugehen.513
508
ICTY, Prosecutor v. Tadic´, IT-94-1, 2. Oktober 1995, Rn. 70. ICTR, Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T, 2. September 1998, Rn. 620. 510 Siehe IStGH, Prosecutor v. Bemba, ICC-01/05 – 01/08, Pre-Trial Chamber II, 15. Juni 2009, Rn. 229 ff.; IStGH, Prosecutor v. Lubanga Dyilo, ICC-01/04 – 01/06, Pre-Trial Chamber I, 29. Januar 2007, Rn. 233. 511 Zur völkerstrafrechtlichen Verantwortlichkeit für Kriegsverbrechen im Rahmen nichtinternationaler bewaffneter Konflikte nur ICTY, Prosecutor v. Tadic´, IT-94-1, 2. Oktober 1995, Rn. 91 ff., 120 ff. 512 Siehe den IStGH zum insofern unterschiedlichen Wortlaut des Art. 8 Abs. 2 lit. d) und f) IStGH-Statut, IStGH, Prosecutor v. Bemba, ICC-01/05 – 01/08, Pre-Trial Chamber II, 15. Juni 2009, Rn. 235. Da aber im Fall Prosecutor v. Bemba ein protracted armed conflict vorlag, brauchte der IStGH die Fragen nach dem genauen Anwendungsbereich der Vorschriften und dem Verhältnis der Vorschriften zueinander nicht entscheiden. Jedenfalls muss die außerstaatliche Gruppierung keine Kontrolle über Teile des Staatsgebiets ausüben, wie dies Art. 1 Abs. 1 ZP II verlangt, Zegveld, Accountability of Armed Opposition Groups in International Law, S. 142 f.; IStGH, Prosecutor v. Bemba, ICC-01/05 – 01/08, Pre-Trial Chamber II, 15. Juni 2009, Rn. 236; siehe auch IStGH, Prosecutor v. Lubanga Dyilo, ICC-01/04 – 01/06, Pre-Trial Chamber I, 29. Januar 2007, Rn. 233. 513 So auch Cullen, in: J. Confl. & Security L. 2007, S. 419 ff.; La Haye, War Crimes in International Armed Conflicts, S. 142; Schabas, International Criminal Court, S. 143. 509
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3. Kap.: Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure
Der Täterkreis ist nicht auf die Konfliktteilnehmer begrenzt. Jedermann kann Täter eines Kriegsverbrechens sein.514 Wichtiger als die Truppenzugehörigkeit ist die Konnexität von Delikt und bewaffnetem Konflikt.515 Geschützte Personen sind, wie im humanitären Völkerrecht, Art. 3 GK und Art. 4 Abs. 2 ZP II, vor allem die nicht (mehr) unmittelbar an den Feindseligkeiten Teilnehmenden, Art. 8 Abs. 2 lit. c) IStGH-Statut. b) Vertreibungen Art. 8 Abs. 2 lit. e) (viii) IStGH-Statut untersagt im Rahmen nichtinternationaler bewaffneter Konflikte „die Anordnung der Verlegung der Zivilbevölkerung aus Gründen im Zusammenhang mit dem Konflikt, sofern dies nicht im Hinblick auf die Sicherheit der betreffenden Zivilpersonen oder aus zwingenden militärischen Gründen geboten ist.“516
Die Norm ist an Art. 17 Abs. 1 ZP II angelehnt. Art. 17 Abs. 2 ZP II verbietet ferner, Zivilpersonen wegen des bewaffneten Konflikts zum Verlassen ihres Staatsgebiets zu zwingen. Der weite Wortlaut des Art. 8 Abs. 2 lit. e) (viii) IStGHStatut erfasst auch diese Fälle.517 Untersagt ist also die Anordnung der Verlegung innerhalb der Staatsgrenze wie auch über die Staatsgrenze hinaus. Der Begriff „Zivilbevölkerung“ setzt voraus, dass mehrere Personen, nicht lediglich eine, verbracht werden.518 Außerdem ist die Straftatbestandsformulierung insofern eng, als die Anordnung der Verlegung, nicht die Verlegung als solche, unter Strafe steht. Die Elements of Crime betonen dies noch: Nr. 1: „The perpetrator ordered a displacement of a civilian population“; Nr. 3: „The perpetrator was in a position to effect such displacement by giving such order.“519 Doch muss der Befehl
514 La Haye, War Crimes in Internal Armed Conflicts, S. 115 ff.; vgl. ICTR, Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-A, 1. Juni 2001, Rn. 442 f.; kritisch aber Safferling, Internationales Strafrecht, S. 234 f., Rn. 144 f. 515 La Haye, War Crimes in Internal Armed Conflicts, S. 117. 516 Für internationale bewaffnete Konflikte siehe: Art. 8 Abs. 2 lit. a) (vii) (rechtswidrige Vertreibung oder Überführung) und lit. b) (viii) (unmittelbare oder mittelbare Überführung durch die Besatzungsmacht eines Teils ihrer eigenen Zivilbevölkerung in das von ihr besetzte Gebiet oder die Vertreibung oder Überführung der Gesamtheit oder eines Teils der Bevölkerung des besetzten Gebiets innerhalb desselben oder aus diesem Gebiet) IStGH-Statut. 517 Zimmermann, in: Triffterer (Hrsg.), Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 8, S. 497, Rn. 327. Art. 8 Abs. 2 lit. e (viii) IStGH-Statut bleibt aber insofern hinter Art. 17 Abs. 2 ZP II zurück, als das Vertreibungsverbot nach letzterer Norm absolut ist, Vertreibungen also auch nicht mit Verweis auf die Sicherheit der betreffenden Zivilpersonen oder zwingende militärische Gründe gerechtfertigt werden können. 518 Werle, Völkerstrafrecht, S. 532, Rn. 1221; Zimmermann, in: Triffterer (Hrsg.), Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 8, S. 497, Rn. 326. 519 Elements of Crime, S. 42, Article 8(2)(e)(viii) Nr. 1 und 3, Hervorhebungen durch die Autorin. Siehe auch Art. 17 Abs. 1 ZP II und Regel 129 B Studie des IKRK zum Völkergewohnheitsrecht; anders aber § 8 Abs. 1 Nr. 6 VStGB, der auf das Anordnungserfordernis
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nicht direkt gegenüber dem Volk, sondern kann ebenso im Rahmen einer militärischen oder zivilen Befehlskette ausgesprochen werden.520 Ob die Menschen dann tatsächlich vertrieben werden, ist sekundär. Im humanitären Völkerrecht kommt es indes nicht maßgeblich auf einen Vertreibungsbefehl an. Erfolgt die Verbringung aber zur Sicherheit der Zivilisten oder aus zwingenden militärischen Gründen, ist sie gerechtfertigt. Auch die Verbringung in einen anderen Staat scheint hier, wie nach dem Völkergewohnheitsrecht, aber anders als nach Art. 17 Abs. 2 ZP II, nicht absolut untersagt zu sein. c) Andere Kriegsverbrechen, die im Zusammenhang mit Binnenvertriebenensituationen eine Rolle spielen Weitere Kriegsverbrechen, die im Zusammenhang mit Binnenvertriebenensituationen eine Rolle spielen, sind gemäß Art. 8 Abs. 2 lit. c) schwere Verstöße gegen den gemeinsamen Art. 3 GK wie etwa – (i) (Angriffe auf Leib und Leben, insbesondere vorsätzliche Tötung jeder Art, Verstümmelung, grausame Behandlung und Folter) und – (ii) (Beeinträchtigung der persönlichen Würde, insbesondere entwürdigende und erniedrigende Behandlung) IStGH-Statut. Außerdem verbietet Art. 8 Abs. 2 lit. e) IStGH-Statut insbesondere: – (i) (vorsätzliche Angriffe auf die Zivilbevölkerung als solche oder auf einzelne Zivilpersonen, die an den Feindseligkeiten nicht unmittelbar teilnehmen), – (ii) (vorsätzliche Angriffe auf Gebäude, Material, Sanitätseinheiten, Sanitätstransportmittel und Personal, die in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht mit den Schutzzeichen der Genfer Abkommen versehen sind), – (iii) (vorsätzliche Angriffe auf Personal, Einrichtungen, Material, Einheiten oder Fahrzeuge, die an einer humanitären Hilfsmission oder friedenserhaltenden Mission in Übereinstimmung mit der Charta der Vereinten Nationen beteiligt sind, solange sie Anspruch auf den Schutz haben, der Zivilpersonen oder zivilen Objekten nach dem internationalen Recht des bewaffneten Konflikts gewährt wird), – (iv) (vorsätzliche Angriffe auf Gebäude, die dem Gottesdienst, der Erziehung, der Kunst, der Wissenschaft oder der Wohltätigkeit gewidmet sind, auf geschichtliche Denkmäler, Krankenhäuser und Sammelplätze für Kranke und Verwundete, sofern es nicht militärische Ziele sind), – (v) (die Plünderung einer Stadt oder Ansiedlung, selbst wenn sie im Sturm genommen wurde), verzichtet. Ausführlich zum Anordnungserfordernis im Rahmen des Völkerstrafrechts Willms, in: IRRC 2009, S. 547 (561 ff.). 520 Willms, in: IRRC 2009, S. 547 (562, 564).
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3. Kap.: Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure
– (vi) (Vergewaltigung, sexuelle Sklaverei, Nötigung zur Prostitution, erzwungene Schwangerschaft im Sinne des Artikels 7 Absatz 2 Buchstabe f, Zwangssterilisation und jede andere Form sexueller Gewalt, die ebenfalls einen schweren Verstoß gegen den gemeinsamen Artikel 3 der vier Genfer Abkommen darstellt), – (vii) (die Zwangsverpflichtung oder Eingliederung von Kindern unter fünfzehn Jahren in Streitkräfte oder bewaffnete Gruppen oder ihre Verwendung zur aktiven Teilnahme an Feindseligkeiten), – (xi) (die körperliche Verstümmelung von Personen, die sich in der Gewalt einer anderen Konfliktpartei befinden) und – (xii) (die Zerstörung oder Beschlagnahme gegnerischen Eigentums, sofern diese nicht durch die Erfordernisse des Konflikts zwingend geboten ist) IStGH-Statut.
IV. Sudan Der Fall Darfur, genauer: mehrere Fälle, sind aktuell vor dem IStGH anhängig. Erstmalig wurde 2005 mit dem Darfur-Konflikt eine Situation gemäß Art. 13 lit. b) IStGH-Statut vom Sicherheitsrat der VN an den Strafgerichtshof in Den Haag verwiesen.521 Zwar unterzeichnete der Sudan bereits im Jahre 2000 das Römische Statut und ist damit jedenfalls insofern an den Vertrag gebunden, als er dessen Ziele nicht vereiteln darf522, doch unterblieb eine Ratifikation bislang.523 Mit Blick auf die aktuellen Geschehnisse ist eine Ratifikation auch in näherer Zukunft nicht zu erwarten. Trotz des Erlasses des Armed Forces Act in 2007 und der Erweiterung des Criminal Act von 1991 in 2009, wonach Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen jetzt auch nach sudanesischem Recht strafbar sind524, der eigens für den Darfur-Konflikt eingesetzten Gerichte525 und des Special Pro521 S/RES/1593, 31. März 2005. Als Mitgliedsstaat der VN ist der Sudan an deren Resolutionen gebunden; siehe S/RES/1593, 31. März 2005, Rn. 2: „Decides that the Government of Sudan and all other parties to the conflict in Darfur, shall cooperate fully with and provide any necessary assistance to the Court and the Prosecutor pursuant to this resolution“; siehe hierzu auch Condorelli/Ciampi, in: J. Int’l Crim. Just. 2005, S. 590 (592 ff.). Bisher verweigerte die sudanesische Regierung aber jegliche Zusammenarbeit mit dem IStGH. 522 Siehe Doehring, Völkerrecht, S. 150, Rn. 338. 523 Am 26. August 2008 wendete sich der damalige sudanesische Außenminister Deng Alor Koul gar schriftlich an den VN-Generalsekretär als Verwahrer und teilte ihm mit, dass der Sudan nicht beabsichtige, dem Römischen Statut beizutreten und daher auch keine rechtlichen Pflichten aus seiner Unterzeichnung vom 8. September 2000 folgen würden, Rome Statute of the International Criminal Court, Sudan Notification, Reference: C.N.612.2008.TREATIES-6 (Depositary Notification). 524 Zum Rückwirkungsverbot in diesem Zusammenhang AUPD, S. 58 f., Rn. 230 ff. 525 Am 7. Juni 2005, einen Tag nachdem der damalige IStGH-Chefankläger Luis Moreno Ocampo den Sicherheitsrat über die Ermittlungseröffnung in der Situation Darfur informierte, wurde der Special Criminal Court for the Events of Darfur (SCCED) mit Sitz in al-Faschir,
D. Völkerstrafrecht
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secutor for Darfur gilt die Justiz im Sudan als unfähig und vor allem als unwillens zur Ausübung ihrer Gerichtsbarkeit über die völkerstrafrechtlich Verantwortlichen. Im aktuellen Bericht des IStGH zur Situation in Darfur heißt es: „Sudan, as the territorial State, has the primary responsibility and is fully able to implement warrants, consistent with its sovereign authority. It has failed to do so.“526 So ermitteln, verfolgen und verurteilen die speziell eingerichteten sowie alle übrigen sudanesischen Gerichte weniger die tatsächlichen, überwiegend staatlichen bzw. staatsnahen Täter der in Darfur begangenen Verbrechen, sondern mehr Rebellenmitglieder und einfache Kriminelle.527 Zudem finden die Völkerstrafrechtstatbestände kaum Anwendung. Transparency International (TI) allgemein über das sudanesische Rechtssystem: Die Judikative Sudans ist nicht unabhängig, sondern politischem Einfluss ausgesetzt. Ihre Wirksamkeit wird durch einen Mangel an Ressourcen, eine schlechte Ausbildung und Ausstattung, geringe Gehälter und lange Verfahrensdauern untergraben.528
Nord-Darfur, zur Verfolgung und Aburteilung in Darfur begangener Verbrechen per Dekret auf Grundlage von Art. 127 INC eingerichtet. Seit Ende 2005 verfügt er auch über Sitze in alDschunaina, West-Darfur, und Nyala, Süd-Darfur. Der SCCED besitzt gemäß Art. 5 Decree Establishing the Special Criminal Court on the Events in Darfur vom 7. Juni 2005, abgedruckt in S/2005/403, 18. Juni 2005, Gerichtsbarkeit über „(a) Acts which constitute crimes in accordance with the Sudanese Penal Code and other penal codes; (b) Any charges submitted to it by the Committee established pursuant to the decision of the Minister of Justice No. 3/2005 of 19 January 2005 concerning investigations into the violations cited in the report of the [Sudanese government’s] Commission of Inquiry; (c) Any charges pursuant to any other law, as determined by the Chief Justice.“ Im November 2005 wurde die Gerichtsbarkeit um das humanitäre Völkerrecht erweitert, Amendment of the Order of Establishment of Criminal Court for Darfur’s Incidents vom 10. November 2005. Auf die Verfahren anwendbar sind der sudanesische Criminal Procedure Act von 1991 und der Evidence Act von 1994. Ausführlich zum SCCED HRW, Lack of Conviction. 526 IStGH, Seventeenth Report of the Prosecutor of the International Criminal Court to the UN Security Council Pursuant to UNSCR 1593 (2005), 5. Juni 2013, Rn. 43; und im aktuellen Bericht des Panel of Experts on the Sudan heißt es in der Zusammenfassung: „The lack of capacity and will on the part of the judiciary to seriously prosecute perpetrators of international humanitarian law and human rights violations committed in relation to the conflict, and the resulting impunity, contribute to perpetuating a status quo where perpetrators are at large and civilians continue to bear the brunt of a protracted conflict“, Panel of Experts on the Sudan 2013, Summary. 527 AUPD, S. 54 f., Rn. 216; HRW, Lack of Conviction, insbesondere S. 10 ff.; California International Law Center (CILC)/Robert F. Kennedy, Center for Justice and Human Rights (RFK Center), Toward Peace with Justice in Darfur, S. 4; vgl. auch Panel of Experts on the Sudan 2013, Rn. 122 ff.; siehe auch A/HRC/14/41, 26. Mai 2010, Rn. 71 ff. 528 TI, U4 Expert Answer, Corruption and Anti-corruption in Sudan.
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3. Kap.: Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure
Mithin wurde der Komplementaritätsgrundsatz gewahrt. Ob der Komplementaritätsgrundsatz bei Sicherheitsratsüberweisungen überhaupt gilt, muss hier nicht entschieden werden.529 Der IStGH konnte sich der Situation Darfur annehmen. 1. Regierung Aktuell sind Verfahren gegen drei Mitglieder der sudanesischen Regierung und einen mit ihr verbündeten Milizenführer vor dem IStGH anhängig. Wegen ihres gewaltsamen Vorgehens gegen die vor allem afrikanische Zivilbevölkerung in Darfur im Rahmen der Aufstandsbekämpfung erließ Pre-Trial Chamber I530 gemäß Art. 58 IStGH-Statut Haftbefehle wegen des Verdachts der Begehung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und, im Fall al-Bashir, Genozid. Bislang sind alle Verdächtigen auf freiem Fuß, keiner wurde festgenommen und ausgeliefert oder erschien freiwillig vor dem internationalen Strafgericht. a) Prosecutor v. Kushayb and Harun Pre-Trial Chamber I erließ am 27. April 2007 einen Haftbefehl gegen Ali Muhammad Ali Abd-Al-Rahman (Kushayb), Anführer der Janjaweed, PDF-Mitglied und zur Zeit wohl Mitglied der CRP. Kushayb wird verdächtigt, sich in seiner Funktion als Befehlshaber tausender Milizionäre in 50 Anklagepunkten nach Art. 25 Abs. 3 lit. a) und d) IStGH-Statut täterschaftlich und als Unterstützer eines Gruppenverbrechens strafbar gemacht zu haben: 22 Anklagepunkte wegen der Begehung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit: – Art. 7 Abs. 1 lit. a) (vorsätzliche Tötung), – lit. d) (Vertreibung oder zwangsweise Überführung der Bevölkerung), – lit. e) (Freiheitsentzug oder sonstige schwer wiegende Beraubung der körperlichen Freiheit unter Verstoß gegen die Grundregeln des Völkerrechts), – lit. f) (Folter), – lit. h) (Verfolgung einer identifizierbaren Gruppe oder Gemeinschaft aus politischen, rassischen, nationalen, ethnischen, kulturellen oder religiösen Gründen, 529
Die Anwendung des Komplementaritätsgrundsatzes im Falle einer Sicherheitsratsüberweisung ablehnend Philips, in: Crim. L. For. 1999, S. 61 (65); kritisch auch Safferling, Internationales Strafrecht, S. 285, Rn. 26; anders aber Ambos, Internationales Strafrecht, S. 316 f., Rn. 10. Jedenfalls prüfte der IStGH Art. 17 IStGH-Statut in der Situation Darfur, siehe IStGH, Prosecutor v. Harun and Kushayb, ICC-02/05 – 01/07, Pre-Trial Chamber I, 27. April 2007, Rn. 19 ff. 530 Am 15. März 2012 wurden die Verfahren wegen Auflösung der Pre-Trial Chamber III von Pre-Trial Chamber I auf Pre-Trial Chamber II übertragen, ICC-Pres-01-12, 15. März 2012.
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Gründen des Geschlechts im Sinne des Absatzes 3 oder aus anderen nach dem Völkerrecht universell als unzulässig anerkannten Gründen im Zusammenhang mit einer in diesem Absatz genannten Handlung oder einem der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegenden Verbrechen) und – lit. k) (andere unmenschliche Handlungen ähnlicher Art, mit denen vorsätzlich große Leiden oder eine schwere Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der geistigen oder körperlichen Gesundheit verursacht werden) IStGHStatut; 28 Anklagepunkte wegen der Begehung von Kriegsverbrechen: – Art. 8 Abs. 2 lit. c) (i) (Angriffe auf Leib und Leben, insbesondere vorsätzliche Tötung jeder Art, Verstümmelung, grausame Behandlung und Folter), – (ii) (die Beeinträchtigung der persönlichen Würde, insbesondere entwürdigende und erniedrigende Behandlung), – Art. 8 Abs. 2 lit. e) (i) (vorsätzliche Angriffe auf die Zivilbevölkerung als solche oder auf einzelne Zivilpersonen, die an den Feindseligkeiten nicht unmittelbar teilnehmen), – (v) (Plünderung einer Stadt oder Ansiedlung, selbst wenn sie im Sturm genommen wurde), – (vi) (Vergewaltigung, sexuelle Sklaverei, Nötigung zur Prostitution, erzwungene Schwangerschaft im Sinne des Artikels 7 Absatz 2 Buchstabe f, Zwangssterilisation und jede andere Form sexueller Gewalt, die ebenfalls einen schweren Verstoß gegen den gemeinsamen Artikel 3 der vier Genfer Abkommen darstellt) und – (xii) (die Zerstörung oder Beschlagnahme gegnerischen Eigentums, sofern diese nicht durch die Erfordernisse des Konflikts zwingend geboten ist) IStGH-Statut.531 Am selben Tag erging ein Haftbefehl gegen Ahmad Muhammad Harun (Harun), von April 2003 bis September 2005 sudanesischer Innenminister, dann Staatsminister für humanitäre Angelegenheiten, seit 2009 Gouverneur der Provinz SüdKordofan. Harun wird vorgeworfen, nach Art. 25 Abs. 3 lit. b) und d) IStGH-Statut als Veranlasser und als Unterstützer eines Gruppenverbrechens Straftaten in 42 Anklagepunkten begangen zu haben: 20 Anklagepunkte wegen der Begehung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit:
531 IStGH, Prosecutor v. Harun and Kushayb, ICC-02/05 – 01/07, Pre-Trial Chamber I, 27. April 2007. Sudanesische Behörden nahmen Ali Kushayb bereits 2007 und 2008 auf der Grundlage nationaler Haftbefehle fest, entließen ihn jedoch beide Male aus Mangel an Beweisen.
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3. Kap.: Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure
– Art. 7 Abs. 1 lit. a), lit. d), lit. e), lit. f), lit. g) (Vergewaltigung, sexuelle Sklaverei, Nötigung, erzwungene Schwangerschaft, Zwangssterilisation oder jede andere Form sexueller Gewalt von vergleichbarer Schwere), lit. h) und k) IStGH-Statut; 22 Anklagepunkte wegen der Begehung von Kriegsverbrechen: – Art. 8 Abs. 2 lit. c) (i), (ii), lit. e) (i), (v), (vi) und (xii) IStGH-Statut.532 b) Prosecutor v. al-Bashir Den ersten Haftbefehl gegen Präsident al-Bashir erließ die Pre-Trial Chamber I am 4. März 2009 auf Antrag des Anklägers. Erstmals richtete sich die Strafverfolgung des IStGH hiermit gegen einen amtierenden Präsidenten. Der zweite Haftbefehl, der diesmal auch den Verdacht der Völkermordsbegehung umfasste, erging am 12. Juli 2010. Al-Bashir wird vorgeworfen gemäß Art. 25 Abs. 3 lit. a) IStGH-Statut als mittelbarer Täter oder als mittelbarer Mittäter533 in seiner Funktion als Regierungschef und Oberbefehlshaber des Militärs durch die Government of Sudan Forces, bestehend aus der SAF und den mit ihnen verbündeten Dschandschawid, den Sudanese Police Forces, dem National Intelligence and Security Service (NISS, Nationaler Nachrichten- und Sicherheitsdienst) und der Humanitarian Aid Commission (HAC, Humanitäre Hilfskommission), folgende Taten begangen zu haben: drei Anklagepunkte wegen der Begehung von Völkermord: – Art. 6 lit. a) (Tötung von Mitgliedern der Gruppe), – lit. b) (Verursachung von schwerem körperlichem oder seelischem Schaden an Mitgliedern der Gruppe) und – lit. c) (vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen) IStGH-Statut an den Volksgruppen Fur, Massalit und Zaghawa; fünf Anklagepunkte wegen der Begehung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit: – Art. 7 Abs. 1 lit. a), lit. b) (Ausrottung), lit. d), lit. f) und g) IStGH-Statut; zwei Anklagepunkte wegen der Begehung von Kriegsverbrechen: – Art. 8 Abs. 2 lit. e) (i) und (v) IStGH-Statut.534 532 IStGH, Prosecutor v. Harun and Kushayb, ICC-02/05 – 01/07, Pre-Trial Chamber I, 27. April 2007. 533 Ausführlich zur Figur des mittelbaren Mittäters IStGH, Prosecutor v. Katanga and Ngudjolo Chui, ICC-01/04 – 01/07, Pre-Trial Chamber I, 30. September 2008, Rn. 495 ff.; siehe hierzu auch van Sliedgret, Individual Criminal Responsibility in International Law, S. 165 ff. 534 IStGH, Prosecutor v. al-Bashir, ICC-02/05 – 01/09, Pre-Trial Chamber I, 4. März 2009; und IStGH, Prosecutor v. al-Bashir, ICC-02/05 – 01/09, Pre-Trial Chamber I, 12. Juli 2010.
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c) Prosecutor v. Hussein Abdel Raheem Muhammad Hussein (Hussein), seit 2005 Verteidigungsminister in Khartum, gegen den Pre-Trial Chamber I am 1. März 2012 Haftbefehl ausstellte, wird verdächtigt, sich in 13 Anklagepunkten gemäß Art. 25 Abs. 3 lit. a) IStGHStatut als mittelbarer Täter oder als mittelbarer Mittäter strafbar gemacht zu haben: sieben Anklagepunkte wegen der Begehung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit: – Art. 7 Abs. 1 lit. a), lit. d), lit. e), lit. f), lit. g), lit. h) und k) IStGH-Statut; sechs Anklagepunkte wegen der Begehung von Kriegsverbrechen: – Art. 8 Abs. 2 lit. c) (i), (ii), lit. e) (i), (v), (vi) und (xii) IStGH-Statut.535
2. Opposition Die Strafverfahren in Den Haag gegen sudanesische Rebellengruppenmitglieder stehen im Zusammenhang mit einem von etwa 1.000 Aufständischen am 29. September 2007, kurz vor Beginn neuer Friedensgespräche, im norddarfurischen Haskanita durchgeführten bewaffneten Angriff auf AU-Friedenstruppen. Hierbei starben 12 Friedenskräfte, acht wurden verwundet, Oppositionelle nahmen den AMIS-Stützpunkt ein, zerstörten und plünderten ihn, stahlen insbesondere Waffen und Fahrzeuge. Kurz nach dem Anschlag wiesen die Anführer der Hauptbewegungen JEM und SLM/A die Vorwürfe, für den Angriff verantwortlich zu sein, zurück; Ibrahim Jalil verurteilte die Überfälle.536 Zumindest der Großteil der in den Tschad geflohenen Darfuris befürwortet das IStGH-Verfahren gegen al-Bashir, CILC/RFK Center, Toward Peace With Justice in Darfur, S. 3; Hastrup, The War in Darfur, S. 134 ff. Auch die JEM begrüßt das internationale Strafgerichtsverfahren gegen al-Bashir, JEM, A Statement From JEM, 4. März 2009 (Text abrufbar unter: http://sudan tribune.com/spip.php?article30387). Anders die AU-Staaten, die vereinbarten, bzgl. des Haftbefehls gegen al-Bashir nicht mit dem IStGH zu kooperieren. Der Haftbefehl stelle gar eine Gefahr für den Frieden der Region dar, sodass das Verfahren gegen al-Bashir gemäß Art. 16 IStGH-Statut vorrübergehend auszusetzen sei, Decision of the Meeting of African States Parties to the Rome Statute of the International Criminal Court, Doc Assembly/AU/13 (XIII), Addis Abeba, 1. – 3. Juli 2009; Decision on the Progress Report of the Commission on the Implementation of Decision, Assembly/AU/dec.270 (xiv) on the Second Ministerial Meeting of the Rome Statute of the International Criminal Court (ICC), Doc. Assembly/AU/10 (XV), Kampala, 25. – 27. Juli 2010. Der von der AU an den Sicherheitsrat gerichtete Antrag auf Aussetzung des Verfahrens blieb jedoch erfolglos, da der Rat mangels VN-Mitgliedschaft der AU bereits eine formale Befassung mit dem Begehr ablehnte, hierzu Hoven, in: ZIS 2011, S. 230 ff. Zum Haftbefehl gegen al-Bashir, insbesondere zur Frage der Anwendbarkeit des Immunitätsgrundsatzes, Blommestijn/Ryngaert, in: ZIS 2010, S. 428 ff.; Burghardt/Geneuss, in: ZIS 2009, S. 126 ff.; Kreicker, in: HuV 2008, S. 157 ff.; siehe auch die Sonderausgabe des J. Int’l Crim. Just. 2008, S. 829 ff. 535 IStGH, Prosecutor v. Hussein, ICC-02/05 – 01/12, Pre-Trial Chamber I, 1. März 2012. 536 Johnson, Friedenstruppen in Darfur auf der Flucht.
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3. Kap.: Völkerrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Gewaltakteure
a) Prosecutor v. Abu Garda Von Pre-Trial Chamber I des IStGH am 8. Februar 2010 aus Mangel an Beweisen nicht bestätigt wurden die Vorwürfe gegen Bahar Idriss Abu Garda (Abu Garda), Anführer des Bündnisses JEM/Collective Leadership (JEM/Kollektive Führung), Teil der United Resistance Front (URF), und ehemaliges Führungsmitglied der JEM, als mittelbarer Mittäter gemäß Art. 25 Abs. 3 lit. a) IStGH-Statut Kriegsverbrechen in drei Anklagepunkten, – Art. 8 Abs. 2 lit. c) (i), – Art. 8 Abs. 2 lit. e) (iii) (vorsätzliche Angriffe auf Personal, Einrichtungen, Material, Einheiten oder Fahrzeuge, die an einer humanitären Hilfsmission oder friedenserhaltenden Mission in Übereinstimmung mit der Charta der Vereinten Nationen beteiligt sind, solange sie Anspruch auf den Schutz haben, der Zivilpersonen oder zivilen Objekten nach dem internationalen Recht des bewaffneten Konflikts gewährt wird) und – (v) IStGH-Statut, verwirklicht zu haben.537 Am 23. April 2010 wies die Vorverfahrenskammer den Einspruch des Anklägers zurück und lehnte eine Anklagebestätigung erneut ab.538 b) Prosecutor v. Nourein and Jerbo Abdallah Banda Abbaker Nourein (Nourein), Oberbefehlshaber der JEM/Kollektive Führung, und Saleh Mohammed Jerbo Jamus (Jerbo), ehemaliger Generalstabschef der SLM/A-Unity, zur Zeit JEM-Mitglied, werden verdächtigt, in Mittäterschaft oder indirekter Mittäterschaft als hochrangige Mitglieder und Befehlshaber von Rebellensplittergruppierungen gemäß Art. 25 Abs. 3 lit. a) IStGH-Statut Kriegsverbrechen in drei Anklagepunkten begangen zu haben: – Art. 8 Abs. 2 lit. c) (i), lit. e) (iii) und (v) IStGH-Statut. Beide folgten der Ladung des IStGH539 und erschienen am 17. Juni 2010 zur Verkündung der gegen sie erhobenen Vorwürfe vor dem internationalen Strafgericht in Den Haag. Der mündlichen Verhandlung zur Anklagebestätigung am 8. Dezember 2010 blieben sie fern. Die Vorverfahrenskammer bejahte den dringenden Tatverdacht und ließ die Anklage gegen Nourein und Jerbo am 7. März
537 IStGH, Prosecutor v. Abu Garda, ICC-02/05 – 02/09, Pre-Trial Chamber I, 8. Februar 2010. Abu Garda erschien freiwillig zur Anklageverlesung am 18. Mai 2009 vor dem IStGH. Die confirmation of charges hearings fanden vom 19. bis zum 29. Oktober 2009 statt. 538 IStGH, Prosecutor v. Abu Garda, ICC-02/05 – 02/09, Pre-Trial Chamber I, 23. April 2010. 539 IStGH, Prosecutor v. Nourein and Jerbo, ICC-02/05 – 03/09, Pre-Trial Chamber I, 27. August 2009.
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2011 einstimmig zu.540 Schließlich wurde das Verfahren am 16. März 2011 Trial Chamber IV zugeleitet. Der Beginn des Hauptverfahrens gegen Nourein ist für November 2014 terminiert. Das Verfahren gegen Jerbo wurde am 4. Oktober 2013 offiziell eingestellt, nachdem das Gericht Beweise für seinen Tod erlangte.541 Mitte April 2013 kam Jerbo bei Kämpfen zwischen der JEM und einer kleineren Bewegung an der sudanesischtschadischen Grenze ums Leben.
540 IStGH, Prosecutor v. Nourein and Jerbo, ICC-02/05 – 03/09, Pre-Trial Chamber I, 7. März 2011. 541 ICC-CPI-20131004-PR950, 4. Oktober 2013.
Viertes Kapitel
Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick A. Zusammenfassung In neuerer Zeit kämpfen reguläre Streitkräfte und/oder ihre Paramilitärs kaum mehr gegen die Armeen anderer Staaten, sondern überwiegend gegen nichtstaatliche Gewaltakteure bzw. Letztere untereinander. Nichtstaatliche Gewaltakteure sind für die vorliegende Arbeit Gruppierungen, die außerhalb des Staates, auf dessen Territorium sie operieren, stehen, deren Verhalten dem Staat nicht zuzurechnen ist und die im Rahmen von Auseinandersetzungen Gewalt einsetzen. Opfer der Streitereien ist aber meist die Zivilbevölkerung: Die Konflikte um Macht und Ressourcen werden in ihrer Mitte, um und gegen sie geführt. Folge der allgegenwärtigen Gewalt ist auch eine ständig steigende Zahl an (Binnen-)Vertriebenen. Häufig sind Verbringungen, besonders von Angehörigen einer bestimmten Ethnie, Religion oder Sprache, gar Teil der Kampfstrategie. Während Flüchtlinge Zuflucht in einem anderen Staat suchen, sind Binnenvertriebene hier Personen oder Personengruppen, die in Folge oder zur Vermeidung der Auswirkungen eines bewaffneten Konflikts, Situationen allgemeiner Gewalt oder Menschenrechtsverletzungen zum Verlassen ihres Heims oder gewöhnlichen Aufenthaltsorts gezwungen sind, und die gerade keine international anerkannte Staatsgrenze überschritten haben. Da der primär für die innerhalb seines Territoriums Vertriebenen verantwortliche Heimatstaat seinen Verpflichtungen nicht immer nachkommen kann oder will, sind weitere Entitäten wie die andere, die außerstaatliche Konfliktpartei als Schutz- und Hilfsakteur heran zu ziehen. Die Existenz bewaffneter Oppositionsgruppen birgt Risiken und Chancen für die Interessen der Völkerrechtsgemeinschaft, namentlich den Weltfrieden, die internationale Sicherheit und Stabilität sowie den Schutz elementarer Rechte des Einzelnen. Allein indem nichtstaatliche Gewaltakteure zu den Waffen greifen, ob gegen den Staat oder gegen einen anderen substaatlichen Verband, verletzen sie das staatliche Gewaltmonopol und bringen den Staat als klassischen Träger des Völkerrechts ins Wanken, gar zum Umstürzen. Regelmäßig richten die Aufständischen ihre Waffen (auch) gegen Zivilpersonen. Zugleich treten viele Gruppierungen für die Interessen und Rechte ihres Volkes, häufiger ihrer Ethnie, Religions- oder Sprachgemeinschaft ein. Die Gruppierungen
A. Zusammenfassung
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erheben sich im Namen ihres Volkes, ihrer Gemeinschaft gegen ungerechte, unterdrückende, ihre ureigensten Aufgaben missachtende Regime. 2011 geschah dies etwa in Libyen und Syrien. Und auch im westsudanesischen Darfur versuchen Aufständische seit Anfang 2003 mit politischen, vor allem aber mit militärischen Mitteln eine gerechtere Macht- und Ressourcenverteilung gegen den despotischen Präsidenten al-Bashir durchzusetzen. Das klassische, auf stabilen und handlungsfähigen Staaten basierende Völkerrecht läuft hier leer. Will es weiter universal bestehen, hat es sich der Realität anzupassen, besonders alle auf der internationalen Bühne Wirkenden einzubeziehen. So gelten nichtstaatliche Gewaltakteure, unabhängig davon, ob das Völkerrecht ihnen Rechte oder Pflichten verleiht, schon bei tatsächlicher militärischer und/oder politischer Relevanz als Völkerrechtssubjekte. Diese Eigenschaft Aufständischer ist aber wegen ihrer nur zeitweiligen Existenz und ihrer nationalen Rechtswidrigkeit beschränkt, besteht nur, soweit die internationale Gemeinschaft als Basis aller Völkerrechtsentwicklungen hieran ein Interesse hat. Mittlerweile sind dann auch rein nationale Sachverhalte wie durch nichtinternationale bewaffnete Konflikte, allgemeine Gewalt und Menschenrechtsverletzungen herbeigeführte Binnenvertriebenensituationen Gegenstand internationaler Debatten, Institutionen und Regelwerke. Normen, die willkürliche Vertreibungen und insgesamt zu Fluchtbewegungen führendes Verhalten untersagen und die Binnenflüchtlinge schützen, sind dem humanitären Völkerrecht, den Menschenrechten und dem Völkerstrafrecht zu entnehmen. Auch nichtstaatliche Gewaltakteure sind hieran gebunden. Überholt ist eine staatenfixierte Interpretation des, die traditionellen Völkerrechtsquellen nennenden, Art. 38 IGH-Statut. An völkerrechtlichen Verträgen und der Entstehung von Völkergewohnheitsrecht sind heute neben Staaten auch andere Völkerrechtssubjekte beteiligt. Und über Art. 38 IGH-Statut hinaus spielen das soft law sowie die Arbeit von IO und NRO eine zunehmende Rolle in den internationalen Beziehungen. Das humanitäre Völkerrecht regelt die (Bürger-)Kriegsführung, legt Mittel und Methoden der Konfliktparteien fest. Vor den Kampfhandlungen zu schützen sind insbesondere die nichtbeteiligten Zivilisten, also auch die Binnenvertriebenen. Einschlägig im Rahmen der hier interessierenden nichtinternationalen bewaffneten Konflikte sind namentlich der gemeinsame Art. 3 GK, das ZP II und das Völkergewohnheitsrecht. Einig ist man sich über eine Bindung auch bewaffneter Gruppen an diese Vorschriften. Schon der Wortlaut des Art. 3 GK ist insofern eindeutig. Allein die Begründungen gehen auseinander. Nach der legislative jurisdiction-Theorie sind die nichtstaatlichen Gewaltakteure als Staatsangehörige des Staates, auf dessem Gebiet sie kämpfen, an die von diesem Staat ratifizierten Völkerrechtsverträge gebunden. Andere bemühen die gewohnheitsrechtlichen Regeln Verträge Dritte betreffend. Da der gemeinsame Art. 3 GK und das ZP II eine Bindung auch der substaatlichen Partei
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4. Kap.: Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick
intendierten, müsse diese Partei den Verpflichtungen nur noch schriftlich, mündlich oder konkludent zustimmen. Zudem sind Aufständische, sobald sie Regierungsmacht erlangen, zur Einhaltung der von den Vorgängerregierungen geschlossenen völkerrechtlichen Verträge verpflichtet. Diesen Gedanken übertragen einige auf nur Gebietskontrolle innehabende und die Staatsrepräsentation beanspruchende Verbände. Schließlich gebieten das Humanitätsprinzip sowie der kriegsrechtliche Grundsatz gleicher Rechte und Pflichten aller Konfliktteilnehmer eine Bindung auch der bewaffneten Gruppe an das humanitäre Völkerrecht. Jedenfalls haben nichtstaatliche Gewaltakteure als Völkerrechtssubjekte das, die gemeinsamen Grundregeln der internationalen Gemeinschaft beinhaltende, Völkergewohnheitsrecht zu wahren. Hierzu zählt ein Großteil des Kriegsrechts, gerade auch des im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt anwendbaren Kriegsrechts. Konsequenterweise müssen die Übung und Überzeugung der Oppositionsbewegungen zur Gewohnheitsrechtsentstehung beitragen. Menschenrechte sind die fundamentalsten Rechte, die der natürlichen Person ein würdevolles und freies Leben in Gemeinschaft ermöglichen. Es gibt Achtungs-, Erfüllungs- und Schutzansprüche. Die Menschenrechte existieren als überpositive natürliche bzw. moralische und als positive Rechte. Erstere muss jeder gegenüber jedem wahren. Dies gilt für negative wie positive Pflichten, wobei die Leistungspflichten entsprechend der vorhandenen Ressourcen, Beziehungen und Verantwortung abzustufen sind. Lebt das Individuum aber in einem politisch organisiertem System wie dem Staat, ist in erster Linie dieser für die Wahrung von Freiheit und Frieden innerhalb seines Hoheitsbereichs verantwortlich, wird er doch gerade hierfür geschaffen. Aber der mächtige Staat muss die Menschen nicht nur voreinander, sondern auch vor den eigenen Gewalten, der Legislative, Exekutive und Judikative, schützen. Da dies nicht immer gelingt, bedarf es neben der nationalen einer internationalen Menschenrechtsebene. Akteure, die den Bürgern in einem ähnlichen Über-Unterordnungsverhältnis gegenüber stehen wie der Staat, also besonders de facto-Regime, sind dann in gleicher Weise wie der Staat verpflichtet. Anders als die klassischen Menschenrechtskonventionen nehmen jüngere internationale und regionale Regelwerke, insbesondere die Guiding Principles und die Kampala Convention, nichtstaatliche (Gewalt-)Akteure ausdrücklich als Verpflichtete in Bezug. Zudem beschäftigen sich IO, allen voran die VN, und NRO seit einigen Jahren mit Aufständischen. Sie berichten über Verletzungen der Menschenrechte durch substaatliche Verbände und rufen diese zur künftigen Einhaltung der elementaren Rechte auf. Wenn auch dogmatisch in der Luft schwebend, zeigen die Entwicklungen doch, dass man die von bewaffneten Oppositionsgruppen für die Menschenrechte ausgehende Gefahr erkannte und eindämmen möchte. Zwar können nichtstaatliche Gewaltakteure internationale und regionale Regelungsverträge wie die Menschen- und Kriegsrechtskonventionen aufgrund ihres
A. Zusammenfassung
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„Dazwischen-Stadiums“ weder mitgestalten noch diesen formell beitreten. Doch ermöglicht ihnen ihre partielle Völkerrechtsfähigkeit deren oder einen ähnlichen Inhalt in unilateralen Erklärungen und bi- bzw. multilateralen Abkommen mit dem bekämpften Staat, mit Drittstaaten, IO, dem IKRK oder NRO unterzubringen. Die WVK steht dem nicht entgegen. Bei entsprechendem Willen (und Schutzbedürftigkeit Dritter) erwachsen aus den Werken internationale Rechte und Pflichten. Das völkerrechtliche Normsetzungssystem ist insofern inklusiv. Tatsächlich gewannen menschen- und kriegsrechtliche Standards beinhaltende Selbstverpflichtungen außerstaatlicher Verbände bei der Regelung und Beilegung heutiger Konflikte eine große Bedeutung. Anerkanntermaßen können sich Mitglieder bewaffneter Oppositionsgruppen auf internationaler Ebene der Begehung von Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen, also der schwersten Verbrechen, welche die Völkerrechtsgemeinschaft als Ganzes berühren, strafbar machen. Grundsätzlich untersagt sind Vertreibungen als solche und weitere Verhaltensweisen, die Menschen zum Fortgehen zwingen und negativ auf die Vertriebenen einwirken. Die völkerstrafrechtliche Verantwortung von Kollektiven, etwa nichtstaatlichen Gewaltakteuren, ist, wenn auch theoretisch möglich, heute indes nicht anerkannt. Im Westen Sudans, in Darfur, kämpfen die Rebellenorganisation JEM, SLM/AAW, SLM/A-MM und deren Splitterbewegungen seit dem Frühjahr 2003 gegen den sudanesischen Staat, also gegen die regulären Streitkräfte und deren Milizen, um die Verteilung von Macht und Ressourcen. Das Ziel ist eine gerechte Teilhabe aller. Ursächlich für die Auseinandersetzungen sind eine Vielzahl ineinander verworrene und sich gegenseitig beeinflussende Faktoren. Vernachlässigt und unterdrückt von der herrschenden arabischen Elite des Niltals orientierte sich die darfurische Bevölkerung verstärkt an lokalen Akteuren, die das entstandene Machtvakuum füllten. Streitigkeiten um Land, Wasser und politischen Einfluss nahmen in der Vergangenheit zu und wurden, von Khartum unmittelbar und mittelbar befeuert, nun entlang ethnischer, arabisch-afrikanischer Linien und mit Feuerwaffen ausgetragen. Schließlich erhoben Aufständische 2003 ihre Waffen gegen den Staat. Der DarfurKonflikt gestaltet sich so als Reaktion auf die Unfähigkeit und insbesondere den Unwillen der aktuellen und der vorangegangenen sudanesischen Regierung(en), die ethnische, kulturelle wie auch geographische Vielfalt des Sudans anzuerkennen und alle gleichermaßen einzubinden. Statt dann direkt gegen die bewaffneten Bewegungen vorzugehen, strengte Khartum eine Taktik der ethnischen Säuberung an. Als (vermeintliche) Basis der Aufständischen angegriffen und aufgrund der allgegenwärtigen Gewalt flohen Millionen Zivilisten, überwiegend Angehörige afrikanischer Stämme, aus ihrer Heimat und leben seitdem, meist unter erbärmlichen Zuständen, in Vertriebenencamps oder anderen provisorischen Unterkünften. Sie sind Binnenflüchtlinge im Sinne der vorliegenden Arbeit.
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4. Kap.: Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick
Die Oppositionsgruppen JEM, SLM/A-AW und SLM/A-MM erfüllen die vorliegend an nichtstaatliche Gewaltakteure gestellten Anforderungen. Sie sind Rebellen. Schon ihr tatsächliches militärisches und politisches Gewicht macht sie zu partikularen Völkerrechtssubjekten. Zudem stellen die JEM, die SLM/A-AW und die SLM/A-MM bewaffnete Gruppen im Sinne des humanitären Völkerrechts dar. Endlich sind die Kämpfe in Darfur noch immer von solcher Intensität, dass es sich hier um einen nichtinternationalen bewaffneten Konflikt gemäß des gemeinsamen Art. 3 GK und gemäß des ZP II handelt. Dann sind die Aufständischen als sudanesische Staatsbürger nach dem Prinzip der legislative jurisdiction über Art. 27 Abs. 3 INC an das Kriegsrecht gebunden. Und da die Gruppierungen in unilateralen Erklärungen, in bi- und multilateralen Abkommen ihre Zustimmung zur Bindung an humanitär völkerrechtliche Bestimmungen gaben, sind sie auch über die gewohnheitsrechtlichen Regeln Verträge Dritte betreffend verpflichtet. Indes ist kein darfurischer Verband als de facto-Regime einzuordnen. Letztlich haben die SLM/A-AW, die SLM/A-MM und die JEM als Völkerrechtssubjekte das Völkergewohnheitsrecht einzuhalten. Weiterhin sind alle, also auch die Teilnehmer des Konflikts in Darfur, an die Menschenrechte als natürliche bzw. moralische Rechte gebunden. Aber primär muss der sudanesische Staat die Menschenrechte wahren: Er hat seinem Volk Freiheit, Hilfe und Schutz zu gewähren. All dem kommt er aber nicht nach. Auch die Maßnahmen der internationalen Gemeinschaft (zum Schutz der Menschenrechte) führten kaum zur Befriedung. Außerdem beinhalten die von den Rebellen abgegebenen Erklärungen und die von den Rebellen mit der regierenden NCP, mit IO und NRO abgeschlossenen bi- bzw. multilateralen Abkommen internationale Rechte und Pflichten. Schließlich verwies der VN-Sicherheitsrat gemäß Art. 13 lit. b) IStGH-Statut die Situation Darfur im März 2005 an den IStGH. Das Gericht in Den Haag eröffnete seitdem sieben Verfahren: drei gegen nichtstaatliche und vier gegen staatliche bzw. staatsnahe Akteure, hierunter der amtierende Präsident al-Bashir. Aber bis heute erging kein Urteil. Und gerade die sudanesische Regierung verweigert sich jeglicher Kooperation mit dem internationalen Strafgericht.
B. Ausblick Hominum causa omne ius constitutum [est]1 – alles Recht hat dem Wohle der Menschen zu dienen. Ausgangs- und Endpunkt allen Rechts muss die natürliche Person sein – dies gilt besonders für das Völkerrecht.
1
Aurelius Hermogenianus, Digesta, 1.5.2.
B. Ausblick
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Zunächst und zuvörderst dient der Staat der Sicherung von Frieden und Freiheiten seiner Bürger. Fällt der Staat als Schutz- und Hilfsinstanz aus, muss die Völkerrechtsgemeinschaft in Form von Drittstaaten, IO, NRO, aber auch nichtstaatlichen Gewaltakteuren eintreten. Das Völkerrecht wird bunter: Neue Akteure erscheinen auf der internationalen Bühne, manch alter Akteur muss sich dann eine neue Rolle suchen, zur Seite rücken oder abtreten. Wie sich die Realität ändert, ändert sich auch das internationale Recht. Dabei gilt, dass alle tatsächlich Wirkenden einzubeziehen sind. Nur so können die Interessen des Einzelnen gesichert werden. Doch fürchten die Staaten, seit je die Hauptdarsteller auf der internationalen Spielfläche, hierdurch an Bedeutung zu verlieren. Das traditionelle, auf Staaten basierende Völkerrecht funktioniert, solange die Staaten stabile und handlungsfähige Gebilde sind – die sich um ihre Bürger kümmern. Aber auch fragile und zerfallende Staaten sind weiter volle Völkerrechtssubjekte. Ihren Hauptaufgaben können oder wollen sie gleichwohl nicht (mehr) nachkommen. Dann wird all zu oft am Staat, genauer: dem amtierenden Regime, festgehalten. Das Völkerrecht klammert sich noch immer an die Staaten, nimmt sie als Ausgangs- und Endpunkt – nicht die natürliche Person. Wohin dies führt, zeigen die Ereignisse in Darfur, aber auch jüngst in Libyen und Syrien: Millionen Menschen werden getötet, verletzt, aus ihrer Heimat vertrieben, während sich Gewalt- und Willkürregime weiter an der Staatsmacht halten.
Summary International Legal Obligations of Armed Non-State Actors Towards Internally Displaced Persons. The Case Darfur Problem statement Most of today’s conflicts are carried out between state and/or armed non-state actors (ANSAs) within national borders. Matter in dispute is the distribution of power and resources. De facto in the hands of a few, all ethnic, religious and linguistic communities claim participation. Cause of this recourse to particularist interests is the weakness, result further weakening of the states. Thus, civilians bear the brunt of these civil wars. The battles are fought in the midst of, for and against them. Many flee the violence at home. Every more often forced displacement, especially of certain homogeneous groups, is used as a method of warfare. People who remain within the borders of their country of origin continue to fall under that states jurisdiction; hence the primary responsibility to protect and assist the internally displaced persons (IDPs) rests with their national authorities. However, if the government caused the movement, if it’s weak, poor or has lost control over part of its territory to opposition movements, it’s unwilling or unable to live up to its obligations. Another protection and assistant player could then be the other party of the conflict, the non-state party. The very existence of ANSAs holds risks but also chances for the interests of the international community, notably international peace, security and stability as well as the fundamental rights of the individual. Merely picking up the guns, whether against the government, dissidents or civilians, endangers the named goods, violates the state’s monopoly of power, cause the state as pillar of public international law to totter or even to collapse. This is not to say that every state satisfies its role as servant to the nation. Contemporaneously, armed movements advocate for the interests and rights of the people, mostly the marginalized, neglected and oppressed. Course of investigation Initially, the terms “armed non-state actor” and “internally displaced person” are defined, subsequently both (group of) persons are pigeonholed into international law. The Darfur conflict serves as model case for the investigation of the relationship between ANSAs and IDPs. Its causes, its onset and progress, finally its parties and their strategies are depicted in detail. In the following, this civil war is a central point of reference. International legal obligations of ANSAs towards IDPs can follow from international humanitarian law, international human rights law and international criminal law. These rule regimes prohibit forced displacement as such and, more generally, behavior that causes people to flee their homes, pillage, assault, rape, torture and murder. They also protect the displaced.
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Sources of law are universal “Weltordnungsverträge”, customary law, unilateral declarations and bi- respectively multilateral treaties. A state centered interpretation of Article 38 Statute of the International Court of Justice (ICJStatute), which lists the traditional sources of international law, is no longer appropriate. Today not only states, but also other subjects of international law must participate in the international treaty making and development of customary international law. Additionally, soft law as well as the practice of international organizations (IOs) and non-governmental organizations (NGOs) play an increasing role. Definitions For purposes of my dissertation ANSAs are groups of persons who are independent from the state on whose territory they operate and who use force in the context of conflicts. The movements vary greatly in their organization, strength and goals. Because public international law, like all legal orders, has to adapt to reality, ANSAs, regardless whether international law grants them rights and/or obligations, already have to be accepted as subjects of international law, if they possess certain military and/or political power. Their factual importance elevates them on the international level. Eventually, international law governs the relations of all performers acting on the world stage. But since armed movements exist only temporarily – until their defeat or victory – and are illegal, they can only be qualified as partial subjects of international law. And while refugees seek shelter in another country, IDPs are persons or groups of persons who, in particular as a result of or in order to avoid the effects of armed conflict, situations of generalized violence or violations of human rights are forced to leave their homes or place of habitual residence, and who have not crossed an internationally recognized state border. The needs and concerns of all who flee their homes may be alike. However, in legal terms it makes a difference whether a person transgresses the border of its country or not. International humanitarian law International humanitarian law regulates the conduct of warfare, determines the legitimate means and methods of the belligerent parties. It is meant to decrease the savagery of war. Protected are those who do not or no longer participate in the hostilities. But only part of humanitarian treaty law governs non-international armed conflict: common Article 3 of the Geneva Conventions (GC) and Additional Protocol II to the Geneva Conventions (AP II). Customary law applicable in civil wars may go further. Extra norms for internally displaced situations do not exist. The law of armed conflict applies only to armed conflicts. Non-international armed conflicts are those taking place on a signatory states territory and involving either regular forces fighting armed groups or armed groups fighting each other. The hostilities must be of certain intensity and duration; the dissidents must be organized. International humanitarian law does not cover internal tensions or disturbances. And already the wording of AP II requires a situation in which organized armed groups under responsible command and such control over territory so as to carry out sustained and concerted military operations and to implement the protocol fight against a state actor. The interests of the international community not only designate its members, but also the subjects of international law capacity to act. Because of their in-between-nature ANSAs are neither allowed to officially accede to nor to shape universal “Weltordnungsverträge” such as international humanitarian law and international human rights law conventions. However,
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Article 3 GC explicitly binds “each Party to the conflict.” Even otherwise armed groups are to be legal obligors of the law of war. Today it is generally accepted that international humanitarian law binds governmental and non-governmental parties alike. Only the statement of grounds differs. Legislative jurisdiction is the states power to make and interpret law and to determine the laws application area. Thus, some argue, by ratifying an international treaty states not only entitle and obligate their authorities, but through them all their citizens – no matter how they stand by the government. Others apply the customary rules on the binding nature of treaties on third parties. The law of war comprises rights and obligations. Thus, binding third parties to international humanitarian law presupposes that the world of states as contracting party intends to entitle and obligate armed groups and that the aggrieved party agree hereto. The former requirement is met; especially in due consideration of the wording of common Article 3 GC: “each Party to the conflict shall be bound to apply.” The latter requirement is not satisfiable in such generality. A written, oral or implied acceptance of the ANSA is needed in every single case. Furthermore, successful, then governmental groups have to comply with all international treaties concluded by the previous governments. Continuing this principle, some assert that also oppositionists merely controlling territory and claiming state representation are bound to international law. But none of these theories is totally convincing, each has its weakness: It may capture only some armed groups, tackle the problem on the wrong level or with a misguided comparison. Detached from any dogmatics, already the basic principles of the law of war, the principles of humanity and reciprocity, demand to bind state and non-state conflict parties alike. Irrespective of this, as subjects of international law ANSAs are obliged to adhere to the common rules of behavior within the world community as are reflected by customary international law, including the law of war. Consequently, practice and opinion of armed movements must contribute to the development of customary international law. While treaty law typifies the traditional state centered public international law, customary law has always been more progressive. International human rights International human rights are the most fundamental civil and political, economic, social and cultural rights. They are egalitarian, universal and indivisible. As negative and positive rights they grant everybody a free and dignified life. Human rights are applicable at all times, at peace and at (civil) war. The first set of international rules protecting from internal displacement and protecting the internally displaced are the legally non-binding Guiding Principles on Internal Displacement (Guiding Principles), adopted by the United Nations Commission on Human Rights (UNCHR) in 1998. On the regional level the Pact on Security, Stability and Development in the Great Lakes Region (Great Lakes Pact), agreed upon at the International Conference on the Great Lakes Region (ICGLR), and the pan-African African Convention for the Protection and Assistance of Internally Displaced Persons (IDPs) in Africa (Kampala Convention) followed. Both treaties create mandatory rights and obligations on their signatories. It is controversially debated whether international human rights law binds states alone, but also non-state actors. Several justifications of the human rights can be put forth here: their
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character as natural respectively moral rights and as control instrument of superordinatesubordinate-relationships. The former unwritten rights belong to everybody and must be protected by everybody. They precede any political order. This counts for negative as well as positive obligations; whereas positive obligations are staged according to the existing resources, relations and responsibilities. However, natural respectively moral rights are “naked”, unenforceable, so that only little is gained with this statement. However, today everybody lives in a politically organized system called state – originally established to ensure freedom and peace within its boundaries. The states must respect their peoples’ liberty, satisfy their peoples’ basic needs and protect their people from third parties. But since the state’s monopoly on legitimate force can easily change into an oppressive instrument, national basic rights need to be complemented by international human rights. Groups who hold a similar powerful position than states, i. e. de facto-regimes who control territory and population, have to be bound just as states. And while classic human rights conventions such as the Universal Declaration of Human Rights (UDHR), the International Covenant on Civil and Political Rights (ICCPR) and the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights (ICESCR) are very vague on the obligations of non-state actors, more recent acts such as the Guiding Principles and the Kampala Convention refer explicitly to non-state actors as obligors. Furthermore, today IOs and NGOs engage with ANSAs. Organizations report on human rights violations committed by insurgents and push for future law adherence, they talk and even make deals with the oppositionists. The new international and regional legislature as well as the human rights practice of IOs and NGOs may dogmatically be based on shaky ground. But these developments demonstrate that the risks and chances for the interests of the international community emanating from ANSAs were identified and are now minimized respectively used. Unilateral declarations and bi- respectively multilateral treaties ANSAs may not be allowed to officially accede to or shape “Weltordnungsverträge.” But they can place international humanitarian and international human rights standards in unilateral declarations and bi- respectively multilateral treaties concluded with states, IOs, the International Committee of the Red Cross (ICRC) or NGOs. If the parties so wish, rights and obligations under international law can follow from these commitments. Eventually, the declarations and treaties merely govern specific situations, specific conflicts and do not, unlike “Weltordnungsverträge”, create universal rule regimes. International criminal law International criminal law refers to those norms of international law, which tie a certain behavior to criminal prosecution and which are as such directly applicable. Core crimes are genocide, crimes against humanity, war crimes and (soon) the crime of aggression – the most serious crimes of concern to the international community as a whole, Article 5 Statute of the International Criminal Court (ICC-Statute). International criminal law prohibits arbitrary displacement, certain behavior that induces people to leave their homes and that affects the displaced. Also individual members of armed movements can be held responsible for committing these crimes. International criminal law, albeit macro criminal law, is individual law. Criminal elements, single offences and offenders, need to be segregated from the overall complex. Although
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theoretically possibly, a collective responsibility in international criminal law is not (yet) accepted. Sudan Since spring 2003 civil war has raged in the western region of Sudan, Darfur. Marginalized, neglected and oppressed by the ruling Arabic elite of the Nile valley, the Darfurians more and more orientated themselves on local actors, who filled the power vacuum. Disputes about water, land and political influence rose in the past and, directly as well as indirectly fueled by Khartoum, were then carried out along ethnical, Arabic-African lines and with firearms. Finally, the Justice and Equality Movement (JEM) and the Sudan Liberation Movement/Army (SLM/A; today SLM/A-Abdel Wahid and SLM/A-Minni Minnawi) took up their arms against the state. The Darfur conflict thus turns out to be the peoples response to the Sudanese governments’ inability and unwillingness to acknowledge its ethnical, cultural, geographical diversity and involve all alike. But instead of taking action against the insurgents Khartoum initiated an ethnic cleansing tactic. Attacked as Africans and the (alleged) base of the armed movements and because of the pervasive violence, million of civilians flee their homes. But most of them stay in Sudan, even Darfur. They live in displacement camps or other temporary accommodations. The displaced are IDPs in the present work. The opposition movements JEM, SLM/A-Abdel Wahid and SLM/A-Minni Minnawi comply with the requirements herein requested for ANSAs. Already their factual military and politically relevance makes them to subjects of international law. And the groups qualify as organized armed groups in the sense of international humanitarian law. Furthermore, the hostilities in Darfur have now lasted eleven years and are still of such intensity as to constitute a non-international armed conflict of common Article 3 GC and AP II. According to the legislative jurisdiction-theory, Article 27(3) Interim National Constitution (INC), which incorporates all rights and freedoms enshrined in international treaties ratified by the Sudanese government into Sudanese constitutional law, binds JEM, SLM/A-Abdel Wahid and SLM/A-Minni Minnawi to international law. And since the rebels consented to be entitled and obligated by the law of war, the conditions of the theory on the customary rules on the binding nature of treaties on third parties are met, too. However, none of the groups can be classified as de facto-regime. Eventually, as subjects of international law JEM, SLM/A-Abdel Wahid and SLM/A-Minni Minnawi have to comply with (the humanitarian rules of) customary international law. All participants of the Darfur conflict are further bound by the human rights as natural respectively moral rights. But guardian of freedom and peace is first and foremost the Sudanese state. However, Khartoum obviously does not live up to its duties: The authorities and their allies turn on civilians, deny the people help and do not protect the people from third party violence. Also the international communities’ activities (to protect the human rights) are only of little help. Besides, the unilateral declarations issued by JEM and SLM/A as well as the bi- and multilateral treaties concluded between the ANSAs on the one side, the ruling National Congress Party (NCP), IOs and/or NGOs on the other side, comprise international rights and obligations. Finally, the United Nations Security Council (UNSC) referred the situation Darfur to the International Criminal Court (ICC) according to Article 13(b) ICC-Statute. Since then, the court
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in The Hague indicted seven people: three non-state players and four state respectively statelinked players, hereunder the sitting president Omar al-Bashir. Proceedings against two accused have been completed: One rebel had the charges against him dismissed and one rebel died during trial. The proceedings against the third rebel are ongoing. And warrants of arrest have been issued against the four state respectively state-linked actors, but could not have been executed so far. The Sudanese government refuses any cooperation with the ICC.
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IV. Interviews 15. März 2013
Telefoninterview mit Daniel Gruss, Geschäftsführer Max-PlanckStiftung für Internationalen Frieden und Rechtsstaatlichkeit 28. Mai 2013 Skypeinterview mit einem unabhängigen Researcher 7. Juni 2013 Telefoninterview mit einem Mitglied des UN Panel of Experts on the Sudan 2013 22. Juni bis 6. Juli 2013 Gespräche mit einem sudanesischen Journalisten, Kampala, Uganda 22. Juni 2013 Interview mit dem Vizepräsidenten einer sudanesischen politischen Oppositionspartei, Kampala, Uganda 22. Juni 2013 Interview mit dem Vorsitzenden einer sudanesischen Menschenrechtsorganisation, Kampala, Uganda 25. Juni 2013 Interview mit einem sudanesischen Rebellen2, Kampala, Uganda 25. Juni 2013 Interview mit einem darfurischen Flüchtling, Kampala, Uganda 27. Juni 2013 Interview mit einem darfurischen Flüchtling und Menschenrechtsaktivisten, Kampala, Uganda 2. Juli 2013 Interview mit dem Mitarbeiter einer zivilgesellschaftlichen Organisation, Kampala, Uganda 4. Juli 2013 Interview mit einem sudanesischen Rebellen, Kampala, Uganda 4. Juli 2013 Interview mit dem Vorsitzenden einer Organisation für darfurische Flüchtlinge, Kampala, Uganda 5. Juli 2013 Interview mit einem darfurischen Flüchtling, Kampala, Uganda 5. Juli 2013 Interview mit einem darfurischen Flüchtling, Kampala, Uganda 5. Juli 2013 Interview mit einem sudanesischen Rebellen, Kampala, Uganda 6. Juli 2013 Interview mit dem sudanesischen Rebellenführer Abdel Wahid Mohammed al-Nur, Kampala, Uganda 6. Juli 2013 Interview mit einem sudanesischen Rebellen, Kampala, Uganda 11. Juli 2013 Interview mit einem sudanesischen Rebellen, Juba, Südsudan 11. Juli 2013 Interview mit einem sudanesischen Rebellen, Juba, Südsudan 12. Juli 2013 Interview mit einem darfurischen Flüchtling, Juba, Südsudan 12. Juli 2013 Interview mit einem darfurischen Flüchtling, Juba, Südsudan 12. Juli 2013 Interview mit einem Südsudanesen, Juba, Südsudan 14. Juli 2013 Interview mit einem darfurischen Flüchtling, Juba, Südsudan 14. Juli 2013 Interview mit einem darfurischen Flüchtling, Juba, Südsudan 16. Juli 2013 Interview mit einem südsudanesischen Politiker und ehemaligen Rebellen, Juba, Südsudan 2 Einige der interviewten sudanesischen Rebellen sind nicht mehr aktiv für die bewaffneten darfurischen Oppositionsbewegungen tätig. Die Aufständischen gehör(t)en unterschiedlichen Gruppierungen an. Manche wechselten die Fraktion (mehrmals) in den vergangenen Jahren.
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Interview mit dem sudanesischen Rebellenführer Minni Arcua Minnawi, Kampala, Uganda Interview mit einem sudanesischen Rebellen, Kampala, Uganda E-Mailverkehr mit dem Projektleiter einer deutschen Nichtregierungsorganisation in Darfur, Sudan Drei E-Mailinterviews mit unabhängigen Researchern