Vegeta unser Aromat

Der Weg vom Rheintal nach Dalmatien war am kürzesten, also liessen sich die Zahnärzte aus dem Titostaat in Oberriet nied

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Vegeta unser Aromat

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VEGETA - UNSER AROMAT. Als ich in die Schweiz kam, war ich erstaunt niemanden zu treffen, der Pirmin heisst.

NATION (von «nasci», «geboren werden») definiert eine soziale Grossgruppe, die durch die Gemeinsamkeit von TRADITION, SITTEN, BRÄUCHE, SPRACHE, KULTUR, VERHALTEN, ANSCHAUUNGEN, HERKUNFT, ABSTAMMUNG UND GESCHICHTE bestimmt wird. Nicht immer sind alle Merkmale vorhanden; entscheidend ist, dass die Angehörigen einer Nation von deren Anders- und Besonderssein im Vergleich zu allen anderen Nationen überzeugt sind.

TRADITION - SITTEN - BRÄUCHE

HEAVY-METAL TRIFFT OLIVER SCHLAGERSTAR SEITE 14 - 21

Die Folklore Der Pionier Das Väterchen Frost Die Krone Die Robinienfässer Das Händeschütteln Die Grosseltern Die rote Rose Das Schwimmen Die rote Fahne Das Lamm am Spiess Der Mokka Das Kreuz und Rosenkranz Die Ikea SEITE 23 - 56

SPRACHE - KULTUR

DU SELBST BIST JA GANZ ANDERS... SEITE 58 - 67

Das Alphabet Das Wörterbuch Der Beginn und das Ende Die Brücke Die Kinderlieder Die Schlager Der Sevdah Der Songeontest Der Glücksspieler Die indogermanische Sprachfamilie Die Drina Der Alan Ford Der Oscar SEITE 69 - 87

VERHALTEN - WELTANSCHAUUNG

WIESO HAUEN DIE NICHT AB! SEITE 88 - 99

Der Beton Die Nierenentzündung Der Durchzug Die Hirnhautentzündung Die Wollsocken Die Finken Das Eurocrem Die Vegeta Die Suche Die Wohnwand Die Einheit Das Ausziehen Das Ablehnen Der Zusammenhalt Die Pünktlichkeit Das Öl Die Hunde SEITE 101 - 137

HERKUNFT - ABSTAMMUNG - GESCHICHTE

MEIN «JUGOSLAWIEN» SEITE 138 - 145

Die Winterspiele Die Grosseltern Der Familiennachzug Das rollende R Das Telefon Die Offensive Der Pass Der Doppelpass Das -ic SEITE 147 - 161

GLOSSAR SEITE 163 -166

HEAVYMETAL TRIFFT OLIVER SCHLAGERSTAR von Michel Bozikovic

Aufgewachsen in der Schweiz. Der Weg vom Rheintal nach Dalmatien war am kürzesten, also liessen sich die Zahnärzte aus dem Titostaat in Oberriet nieder. Dort begegnete der kroatische Junge mit Schlagerstar Oliver im Ohr Jugendlichen, die Puch Maxis frisierten und AC/DC hörten - so ungefähr klingt auch heute seine Musik.

Nun, wie kam die Musik in mein Leben? Sie kam aus Lautsprecherboxen und war die Musik, die meine Eltern hörten. Eltern, die Ex-Jugoslawen sind und eigentlich schon immer Kroaten waren. Hüstel. Eine der selbstauferlegten Bedingungen für diesen Artikel: keine Politik. Ich werde jetzt also versuchen, die Politik auf ein Minimum zu beschränken und mich aufs Thema zu konzentrieren. Aber dazu muss ich ein wenig ausholen. Folgendermassen: Meine Eltern waren in den Sechzigern aufgrund eines akuten Akademikerüberschusses im damaligen Jugoslawien in die Schweiz immigriert, um als Zahnärzte zu arbeiten und zum gegebenen Zeitpunkt eine eigene Praxis zu eröffnen. Sie waren nicht die einzigen Akademiker, die aus dem zusammengesetzten Jugoslawien in die Schweiz kamen. ZAHNÄRZTE IM ANZUG Im sozialistischen Titostaat betrug die offizielle Schulzeit zwölf Jahre, so dass jede und jeder, insofern er oder sie sich nicht davor drückte, nach der Schule mindestens eine Berufslehre in der Tasche hatte. War diese Berufslehre mit einem Studienfach verwandt, konnten er und sie sogar in dieser Richtung weiterstudieren, das heisst, ein Chemiepraktikant konnte sich für Chemie, ein Zahntechniker für Stomatologie und ein Hochbauzeichner für Architektur einschreiben - daher der Überschuss an akademisch ausgebildeten Arbeitskräften. In der Schweiz war die Situation ein wenig anders. Es gab zu wenig Akademiker und die «Jugos» waren zu der Zeit äusserst willkommen. Allerdings nicht ohne Auflagen: Wer damals eine Zahnarztpraxis eröffnen wollte und kein Schweizer war, musste sich einen weissen Flecken aussuchen. Diese weissen Flecken waren Landstriche, in denen es noch keine oder zu wenige Zahnärzte gab. Man würde nicht glauben, wie viele solcher Flecken es damals im ach so kultivierten, fortschrittlichen Schweinderl Schweiz gab.

Die Form, Leute, ich meine ja nur die Form - honi soit qui mal y pense! Meine Eltern hatten also die Wahl zwischen dem Wallis, dem heutigen Jura oder dem Rheintal. (Keine Angst, ich komme schon noch auf die Musik zu sprechen, aber dieses bisschen Background muss schon sein, will diese Geschichte nachvollziehbar erzählt werden.) Die Wahl fiel aus rein reisetechnischen Gründen aufs Rheintal, von wo aus der Weg nach Dalmatien am kürzesten ist. Sie ersparten mir, natürlich ohne sich solches im Entferntesten überlegt zu haben, den umlautrückständigen Walliserdialekt. Dafür darf ich die feine Kultur einer Gesellschaft die Wiege meiner Kindheit nennen, die es mich schon im zartesten Alter von sechs, sieben Jahren lehrte, kräftig auszuteilen, wann immer von Nöten. Manche Leute sind tatsächlich der Meinung, mein überbordendes Temperament sei lediglich auf meine ex-jugoslawischen, bzw. kroatischen Wurzeln zurückzuführen. AC/DC IN OBERRIET Vor einigen Jahren hab ich mal einen Wiler kennengelernt, und Wiler sind nun auch nicht die Sanftesten, der mir auf mein Bekenntnis, im Rheintal aufgewachsen zu sein, geantwortet hat: «Im Rheital? Meine Fresse. Wenn ich ins Tessin will, gehe ich immer sicher, dass mein Tank voll ist. Damit ich ja nicht aussteigen muss. Gibt nur Lämpe bei euch!». Schlechtes Image scheint offenbar nicht nur ein Problem von Ex-Jugos zu sein. Ich bin da doppelt privilegiert... Anyway, wir waren bei meiner Jugend im Rheintal stehengeblieben. Wenn ich je auf die Idee gekommen wäre, in Mundart zu singen, wäre meine Musikkarriere vermutlich mindestens so harzig verlaufen, wie sie es mit Englisch tut. Denn der Rheintaler-Dialekt ist eine Sache für sich. Ich muss ehrlich gestehen, liebste Carmen Fenk: Mir scheppern die Ohren, wenn ich dir zuhören muss. Berndütsch, ja. Baslerdiitsch, nein. Rheintalerisch - no fucking way. Nun gut. Nebst dem Föhn hatte

das Kaff in dem ich aufgewachsen bin durchaus noch ein, zwei weitere Vorteile. Ich mag den Föhn. Und liebe Oberrieter, nehmt es mir bitte nicht krumm, dass ich den Ort nicht «romantisches Dörfchen» oder ähnlich genannt habe, es ist und bleibt nunmal, was es ist: ein abgelegenes, kleines Kuh Kaff. Da gab es zum Beispiel den Kyoshinkai-Karateklub in nächster Nähe, was es nicht mal in Zürich gibt, und jede Menge Leute, die einem den Puch Maxi frisieren konnten. Und natürlich gabs in unserem Oberriet AC/DC. Wer mit Lederjacke und ärmelloser, Sticker-bespickter Jeansjacke darüber mit 80 km/h - kein Witz, manche der Teile liefen locker über neunzig! - durch die Gegend fräste, hatte Heavy Metal in den Ohren und Heavy Metal im Blut. Auf unserer «Ist-okay-Liste» waren selbstverständlich auch andere Bands vertreten, aber meine Favoriten blieben klar und eindeutig AC/DC. Eine solche Unverblümtheit in Sachen «Leck-mich-amArsch-Rock'n'Roll» hatte ich damals noch nie und bis heute noch selten gehört. Und als ich dann endlich wusste, was «She's got the Jack» bedeutet, war klar: AC/DC gehören in mein «Absolutcoole-Band-Schatüllchen» und werden dort neben Cult, Bowie und meinen anderen Helden für immer und ewig im purpurnen Plüsch aneinander gekuschelt für mich da sein. DER SEELENMUSIKER So viel zum ausserfamiliären musiksoziologischen Gesichtspunkt. Jetzt gehen wir weiter und widmen uns, wenn Rock'n'Roll Musik für Testikel und Fäuste und die Leber zuständig war, einer anderen Sorte Musik, der Musik für die Seele. Meine Musik für die Seele hat einen geographischen Ursprung und trägt den Namen des alleingültigen Superstars. Vergesst Vollenweider, Weltmusik, Chillout und den ganzen Schmaus, der Gott der Seelenmusik heisst Oliver - er kann auch nichts dafür, es ist sein richtiger Name - Dragojevic. Auch wenn ich keine Politik betreiben werde,

muss ich an dieser Stelle doch erwähnen, dass dieser kroatische Barde auch den Serben, Montenegrinern, kurz jedem Ex-Jugoslawen ein Begriff ist. Und diejenigen unter ihnen, die sich nicht auf einen strengen Nationalismus eingeschworen haben, werden zugeben müssen, dass auch sie hie und da nicht umhin kamen, ihn reinzulassen, bis auf den Bottom ihrer Seelen, bis mitten ins Herz. Dass dieser Dalmatiner namens Oliver in ganz Kroatien verehrt wird, ist selbstredend: Wer sich mal die CD «Oliver live u xxxx» besorgen lässt - oder vielleicht sogar persönlich besorgt, Dalmatien ist eine Reise wert! - wird Gänsehauterlebnisse zu Häuf verspüren, wenn das Publikum voller Inbrunst in diese Hymnen mit einstimmt und jedes einzelne Wort kennt. Was Oliver uns darbietet, sind Hymnen, keine Lieder, Gebete zum Gott der Musik für die Seele. Wenn Oliver singt und spielt, Piano sein Instrument, bleibt kein Auge trocken, kein Herz unberührt, kein Härchen uneregiert, keine Seele unterkühlt. DIE WURZELN COVERN Nach diesem kurzen Abriss lässt sich vermutlich nachvollziehen, weshalb die Musik, die ich heute als Erwachsener unter dem Pseudonym Michel Lazara produziere, eine Mischung aus properromantischem «Nostalgie-Pop» und kaputtem «Leck-mich-amArsch-Rock» ist. Musik aus dem Blickwinkel eines Ex-Jugoslawen-Secondos unterscheidet sich nur in dem Punkt von der Musik aus dem Blickwinkel eines jeden anderen, dessen Eltern und Freunde Musik hörten, dass ein Teil des Gesamten aus einem anderen Land kommt und es da noch irgend einen Helden gibt, der vernünftigerweise nichts im musikalischen Portfolio verloren haben dürfte, aus nostaligischen Gründen aber trotzdem nicht wegzudenken ist: Oliver bei mir, Lucio Dalla bei meinen italienischen, Mani Matter bei meinen schweizerischen Freunden. Und wenn ich gefragt

werde, was für mich als Kroaten «die» Musik aus meiner Heimat ist, dann muss ich antworten, dass es nicht kroatische Musik ist, die mich zum Träumen bringt, sondern wenn schon dalmatinische, und in dieser Sparte wiederum die Musik eines einzelnen Protagonisten. Denn es gibt sie nicht, «die» kroatische Musik. Genau so wenig wie die Musik der Ex-Jugoslaven. Denn es gibt ihn nicht, «den» Ex-Jugoslawen. Es gibt Kroaten, Serben, Bosnier und so weiter. Aber es gibt nicht «den» Kroaten, «den» Serben oder «den» Bosnier. Das ist dann wieder Politik, und die interessiert uns jetzt nicht. Drum dieser letzte Abschnitt, der hoffentlich für alle (auch für Nichtmusiker) gilt: Ich werde - das werden Musiker in der Schweiz immer wieder gefragt, ob ich wirklich glaube, jemals von der Musik leben zu können. Ich kann darauf nur eines antworten: ich habe immer schon von der Musik gelebt und ich werde immer von der Musik leben. Denn ohne «meine» Musik wäre ich schon lange vor die Hunde gegangen. Dass diese meine Musik auch einen Teil meiner kroatischen, bzw. dalmatinischen Wurzeln miteinschliesst, ist nicht nur okay, sondern richtig und für mich als Person sehr, sehr wichtig. Zu lange habe ich mich dafür geschämt und darüber geärgert, in den Augen der Schweizer ein Jugo und dann ein Ex-Jugo zu sein. Seit ich Dalmatiner bin und «meinen» Oliver sogar gecovert habe, geht es mir viel besser. Ich kann jeder und jedem nur wünschen, einen ebenso positiven Blick auf die eigenen Wurzeln zu haben und stolz auf sie zu sein. Auch wenn es statt cantautorischem «Lipo Ii je» Power-Folk ä la «Pitbull-Terrier» ist. von Michel Bozikovic, aus «JUGOKIDS»

IN EINEM FOLKLORE ENSEMBLE MITTANZEN.

Jede Schule hatte ihr Folklore Ensemble. Wir trugen die traditionelle Tracht und tanzten Kolo während Tito uns zuschaute.

TITOS PIONIER WERDEN

Das Pionieren-Ehrenwort musste man mit 7 auswendig lernen und dann feierlich ablegen. Die meisten Kinder hatten Mühe «selbstverwaltende sozialistische föderative Republik» auszusprechen, da man keine Ahnung hatte, was dies bedeutete. Auch heute schwört man ironisch mit seinem «Pionieren-Ehrenwort».

VON VÄTERCHEN FROST AM 31. DEZEMBER NEUJAHRSGESCHENKE ZU BEKOMMEN

In dem Unternehmen, wo die Eltern arbeiteten, wurden an die Kinder der Arbeiter am 31. Dezember von Väterchen Frost Päckchen verteilt. Meist verkleidete sich einer der Angestellten (hier im Bild Ambulanzautofahrer Herr Sejo). Von einem Weihnachtsmann erfuhr ich erst mit 10 Jahren als ich in die Schweiz kam.

Sie trägt ein Kopftuch - Muslimin vor einem Schaufenster in Luzern (Blick: 09.12.2004, Seite 2)

AN DER FEIER MEINER ERSTKOMMUNION EINE KRONE ZU TRAGEN

KULEN-SALAMI UND SLIWOWITZ SELBER MACHEN

Keine Feier ohne den traditionell hausgemachten Kulen (Salami gewürzt mit schwarzem Pfeffer, viel rotem Paprika und Knoblauch) und den Pflaumenschnaps Sliwowitz. Meistens wird der Sliwowitz in Eichenfässer gelagert. Meine Familie lagert den Sliwowitz in Robinienfässern, da diese dem Schnaps eine ganz spezielle gelbe Färbung verleihen.

HOCH ZEIT Bonbons fliegen über dem Dach Basilikum streichelt die Uhr Hemd für Brautführer Tuch für Brautmutter Hebt sich die Freude über den morgen Hinaus So beginnt das Leben (Aufgeschnappt) Drehen sich ausgaben Verstecken sich die katzen Bleiben die sätze Länger im hals Um zu singen Wer hat uns veratten haut versalzen auf dem Teller Schaffskinder in allen münde Es wird nicht jeder tag Tag Ein mal im leben Isst man Teller Leer. von Dragica Rajcic, aus «BUCH VOM GLÜCK»

FÜR DIE FEIER EINER HOCHZEIT 1500 KM ZURÜCKLEGEN

Zur Brautschau aus der Schweiz in die alte Heimat. Ein Brautkleidergeschäft in Kosovo. (NZZ am Sonntag: 28.11.2004, Seite 15)

BEGRUSSUNGEN, DIE UNENDLICH LANGE DAUERN

Begrüssungeri sind bei den Kosovaren sehr wichtig. Man fragt immer nach dem Befinden. Dann erkundigt man sich nach der Gesundheit der Mutter, des Vaters, des Sohnes, der Tochter, der Grossmutter, des Grossvaters, des Bruders, der Schwester, der Tante, etc. Das Händeschütteln kann bis zu 5 Minuten dauern.

Berüchtigt in der Heimat und in der Schweiz. Familie Sadik vor dem Familienbesitz in Strelle. (Weltwoche 38.04: r5.09.2004, Seite 15)

EINMAL IM JAHR IN DIE «HEIMAT» FAHREN, UM DIE GROSSELTERN ZU BESUCHEN

im sommer versinkt trauer mit jedem glass ich besuche heimat kinder treffen leute aus dem fotoalbum sagen die sehen aber schlimmer aus meine Wörter begrussen Verbesserungen der mienenausgrabungen dieser sommer wie jene sommer dopellwange selbe lügen oder ist es ernst nur das Ich traumwandlere durch alles ap und zu grusst auch mich jemand weiss nicht mehr von wem ich abstamme ich grüsse zurück ich weiss ebenfalls nicht wer ist wer wo oder doch von Dragica Rajcic, aus «BUCH VOM GLÜCK»

Das SMS vom meinem Grossvater zum 8. März «SRETAN DAN ZENA; PUNO USPIJEHA U RAD UISRECE U ZIVOTU.» (Glücklichen Tag der Frau; viel Erfolg bei der Arbeit und Glück im Leben).

DIE ROTE ROSE ZUM 8. MÄRZ VON MEINEM VATER. DER TAG DER FRAUENRECHTE WIRD IN MEINER FAMILIE TRADITIONELL GEFEIERT

SCHWIMMEN ZU LERNEN SOBALD MAN LAUFEN KANN (ODER MANCHMAL SCHON BEVOR).

Wir fuhren jedes Jahr ans Meer. Mein Vater brachte mir das Schwimmen bei. Als ich in die Schweiz kam, war Schwimmen mein Lieblingsfach.

Wir fuhren jedes Jahr in das gleiche Hotel. Es gehörte «Famos» dem Arbeitgeber meines Vaters. Es hatte unendlich viele Treppen und roch immer nach Bouillon.

AM 1. MAI TRUG MEIN VATER DIE ROTE FAHNE. DANACH TRAFEN WIR UNS MIT FREUNDEN UND ES GAB LAMM AM SPIESS.

Tepsija, die sogennante «Balkanpfanne» ist unersätzlich wenn man Burek macht. Traditionell werden die Teigblätter (Jufka) selbst gemacht. Man kann sie aber auch in jugoslawischen oder türkischen Läden finden.

Traditionelle Kaffeezeremonie weicht der Nespressomaschine.

DEM BESUCH DREI MAL KAFFEE ZU SERVIEREN.

Während eines Besuches wird dreimal ein kleiner starker Mokka serviert. Zur Ankunft des Gastes gibt es den Willkommens-Kaffee, «docekusa». Der zweite ist der «ogovarusa», der als Tratsch-Kaffee bezeichnet wird. Der dritte wird «sikterusa», der Rausschmiss-Kaffee genannt.

Markenzeichen Lederjacke, im Bahnhof Cafe in Zürich Oerlikon (NZZ Folio, März 2005, Seite 19)

Ein Kreuz mit dem Islam - Wer nicht nach moslemischen Recht lebt, ist auch kein Moslem: Moschee in Genf (Weltwoche: 15.09.2004, Seite 9)

Kreuz und Rosenkranz; Für uns Katholiken ist ein Leben ohne Glauben und religiöse Feiertage unerdenklich.

Ostereier färben und Ramadan feiern; beides geht gut zusammen.

Lausanne: Am 8. Oktober 2004 stach ein Extremist einen gemässigten Imam nieder. (Weltwoche 40.04:29.09.2004, Seite 7)

IN DIE SCHWEIZ ZU KOMMEN UND KEINE RELIGION ZU HABEN

Erst als ich in die Schweiz kam, wurde mir klar, dass ich anders war. Ich durfte nicht mit den anderen Kindern zu Schwester Agnes.

HEAVY-MF.TAL TRIFFT OLIVER SCHLAGERSTAR

Mario Batkovic wünschtc vor dem Bundeshaus fotografiert zu werden. (Bund: 15.01.2005, Seite 7)

Nackte Tatsache: Der tiefgreifende Mentalitätswandel wird kommen (Weltwoche 48.04:24.11.2004, Seite 7)

ORIENTALISCHER TEPPICH AUS DER IKEA.

Heklanje (Häkeln); die Handarbeit ist überall in der Wohnung zu finden, auf dem Tisch, auf der Kommode, auf dem Fernseher, in der Vitrine.

DU SELBST BIST JA GANZ ANDERS... von Darko Cetojevic

SPRACHE - KULTUR

In regelmässigen Abständen wird er heute noch, nach 17 Jahren in der Schweiz, zu seinen Deutschkenntnissen beglückwünscht. Dies geschieht allerdings nur dann, wenn er seinen Namen nennt oder erklärt, woher er ursprünglich kommt. Der stellvertretende Redaktionsleiter der Zeitung «Südostschweiz» Darko Cetojevic bestätigt in seinem Text eins: Keins der Klischees über die Einwanderer aus dem ehemaligen Jugoslawien stimmt, und alle sind wahr.

1988, DEN STERNEN NAH «Es tut mir leid», sagt die Bibliothekarin der Zentralbibliothek in Zürich. «Sie können als Saisonnier keine Benutzerkarte bekommen.» «O nein, bitte nicht», schiesst es mir durch den Kopf. Rund eine Stunde habe ich die Kartei der Zentralbibliothek durchforstet. Am Tag davor war ich im schweizerischen Sozialarchiv beim Bahnhof Stadelhofen. Es war unglaublich, was es da alles zum Ausleihen gab - doch nicht für mich. Wie auch hier. Ich nehme meinen Ausländerausweis, murmle «ist also nichts zu machen» und will gehen. «Doch», sagt sie und deutet mir über die Ränder ihrer Brille, ich soll zur Seite treten. Dann senkt sie ihre Stimme verschwörerisch: «Haben Sie Verwandte in der Schweiz, die eine Niederlassung oder eine Jahresbewilligung haben?» «Ja, meine Tante.» «Bringen Sie sie mit. Wir werden einen Benutzerausweis auf ihren Namen ausstellen. Den können Sie dann auch verwenden.» Mittlerweile habe ich meinen eigenen Ausweis für die Zentralbibliothek in Zürich. 1990, KEIN SCHÖNER LAND «Nur noch zwei, höchstens drei Jahre. Dann verlasse ich die Schweiz. Ich kehre zurück, für immer.» Anto, seit gut 20 Jahren im Bündnerland, klammert sich an die Stange Bier, als ob sie ihm jemand entreissen wollte. «Ich werde einen Laden eröffnen. Das Haus habe ich schon, das Auto auch. Fertig Schweiz», sagt er trotzig und guckt sich im Restaurant um, als ob er jemanden suchte, der ihm widersprechen könnte. Die anderen am Tisch schweigen. «Was für einen Laden willst du eröffnen?» frage ich. «Lebensmittel. Essen müssen die Menschen immer, oder? Beim Bau des Hauses habe ich im Erdgeschoss das Lokal schon eingeplant. Ich muss nur noch die Schaufenster einbauen lassen.

Alles andere habe ich schon.» Acht Jahre später, im vergangenen Juli, treffe ich Anto zufällig in Zürich. Er arbeitet und lebt noch immer in der Schweiz. 1993,

KRIEGSERKLÄRUNG

«Sie, Darko, was ist los in Ihrer Heimat?» Ich sitze am Frühstückstisch einer kultivierten, alteingesessenen Zürcher Familie hoch über dem Zürichsee. Der jüngste Sohn, Jeff, ist mein bester Freund, und wenn wir zu lange im Ausgang sind, übernachte ich ab und zu im Zimmer seines Bruders, der schon ausgezogen ist. «Der Fisch stinkt vom Kopf her. Politische Führungen einzelner Landesteile haben Misstrauen, Angst und Aggressionen gegen Minderheiten geschürt und umgekehrt. Das Resultat sehen wir im Fernsehen und lesen es in den Zeitungen.» Ich versuche mich immer kurz zu fassen. Der Krieg in meiner Heimat ist blutig und niederträchtig, und ich bin es leid, mich erklären zu müssen. Die Diskussionen mit meinen Landsleuten über den Krieg enden meistens in heftigem Streit. Deswegen meide ich den Kontakt mit den meisten von ihnen. Jeffs Eltern sind interessierte Menschen, sie stellen Fragen. «Wir wollen eigentlich Snowboarden gehen. Wenn er euch den ganzen Krieg erklären soll, ist der Tag vorbei», wirft Jeff ein und deutet mir mit einer Kopfbewegung: Lass uns verschwinden. Ein paar Jahre später wird er mein Trauzeuge. Heute lebt er in New York, und wir gehen noch immer jedes Jahr zusammen Snowboarden. Was in meiner Heimat los war, habe ich bis heute niemandem erklären können. 1994,

KONTROLLFAHRT

«Hast du's gehört? Damit dein jugoslawischer Fahrausweis in der Schweiz anerkannt wird, musst du jetzt eine Art Fahrprüfung ablegen. Nur praktisch, keine Theorie. Wer es nicht schafft, muss

alles komplett wiederholen.» Jovan weiss immer, was läuft, und er gibt gern damit an. «Früher gab's so was nicht. Der Fahrausweis wurde einfach anerkannt. Jetzt machen die Schweizer mit uns, was sie wollen.» Er kommt richtig in Fahrt. Nach dem Erhalt der ständigen Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz darf ich mit meinem jugoslawischen Fahrausweis in der Schweiz nicht mehr fahren. Um ihn durch einen schweizerischen zu ersetzen, bringe ich die Kontrollfahrt hinter mich. Ich bestehe sie, Jovan auch. Die aktuellen Raserunfälle mit Beteiligten aus dem früheren Jugoslawien werden grösstenteils von 18- bis 25-Jährigen verursacht. Sie haben ihre Fahrausbildung in der Schweiz absolviert. 1996, VERBOTENE FRÜCHTE Ich sitze im Vorzimmer des Chefredaktors und blättere rum in der jüngsten Ausgabe der «Vorstadt». Meine Gedanken schwirren um die süsse Vorstellung, ich könnte den Job bekommen, ich könnte aus dem Glarnerland nach Zürich ziehen, in die Nähe meiner Tanten und meines Cousins. Dorthin, wo ich 1987 auch angekommen bin und wo ich einen (gescheiterten) Versuch unternommen hatte, an der ETH Informatik zu studieren. Dorthin, wo meine Frau bei der UBS als Informatikerin arbeitet. «Kommen Sie herein, bitte!» Ernst E. Büchi thront hinter seinem Pult, sein Alter ist ihm deutlich anzusehen. Er fragt nicht viel, lässt mich reden und blättert scheinbar interessiert in meinen Artikeln, die ich bei den «Glarner Nachrichten» als freier Mitarbeiter seit 1992 veröffentlicht habe. Ich übe mich in Blattkritik und zerpflücke die Frontgeschichte aus der jüngsten Ausgabe der «Vorstadt». Ernst E. Büchi lächelt. Ein paar Tage später lässt er ausrichten, ich hätte den Job bekommen. Ich kündige sofort meine Anstellung in einer Möbelfabrik und lasse die «Glarner Nachrichten» wissen, dass ich für sie nicht mehr schreiben und auch keinen Sonntagsdienst im Foto-

labor mehr übernehmen könne. Doch das Zürcher Arbeitsamt und die Kantonspolizei erlauben mir mit meiner Jahresaufenthaltsbewilligung den bewilligungspflichtigen Kantonswechsel nicht. Der Chefredaktor der «Vorstadt» schreibt daraufhin: «Da wir sofort einen Mitarbeiter in der Redaktion benötigen, sehen wir uns gezwungen, auf Ihre Mitarbeit zu verzichten...» 1997, EINER VON EUCH Ein Jahr später sitze ich dem Chefredaktor der «Glarner Nachrichten», Ruedi Hertach, im Bahnhofrestaurant in Glarus gegenüber. Er hat mich ein paar Tage vorher gefragt, ob ich Zeit für ein Mittagessen mit ihm hätte. So im Vorbeigehen. Beim Essen bietet er mir eine feste ioo-Prozent-Anstellung als Redaktor an. «Der Lohn ist zurzeit etwas bescheiden, aber wenn deine Arbeit stimmt, wird er angepasst. Die ersten drei Monate sind Probezeit, dann setzen wir uns zusammen und sehen weiter.» Ich habe das Gefühl, diese drei Monate seien matchentscheidend für meine weitere berufliche Laufbahn. Am 1. November 1996 beginne ich bei den «Glarner Nachrichten» , werde drei Jahre später zum Dienstchef befördert und arbeite noch heute am selben Ort. Bis heute hat Ruedi Hertach meine Probezeit nicht mit mir besprochen. 17 Jahre habe ich jetzt schon in der Schweiz verbracht, und meine Erfahrungen zeigen: Keins der Klischees über die Einwanderer aus dem ehemaligen Jugoslawien stimmt, und alle sind wahr. Im kleinen Glarnerland, das nach der Abstimmung über die Einbürgerungsinitiatve als rückständig und fremdenfeindlich bezeichnet wurde (über 70 Prozent stimmten mit Nein), kann jemand mit dem Namen Cetojevic Karriere machen. Im selben Kanton wird derselbe Jemand Götti eines Glarner Buben. Im selben Kanton entwendet im vergangenen Jahr ein 16-Jähriger aus Serbien das Auto seiner Mutter und rast mitten in Glarus in

ein Schaufenster. Im selben Kanton prangen schon seit drei Jahren Graffiti «Balkis usä» an den Wänden. 2001,

GANZ ANDERS

So wie diese Realitäten auseinanderklaffen, so verschieden sind auch die Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien in der Schweiz. Sie sind profilierte Hochschulprofessoren und hochgradige Kriminelle, angesehene Ärzte und schamlose Betrüger, erfolgreiche Geschäftsleute und feige Frauenbelästiger, kompetente Ingenieure und Wottsch-Puff-Schläger, einfache Hilfsarbeiter und rücksichtlose Raser. Sie gehören allen möglichen Nationalitäten an, einige stammen auch aus Mischehen. Die meisten von ihnen können sich untereinander sehr gut verständigen, und oft klappt's mit der Verständigung nicht. Der Ausdruck «Jugo» (abgeleitet von Jugoslawen, dt. Südslawen) trifft heute, strenggenommen, auf keinen von ihnen zu, weil es kein Jugoslawien und keine Jugoslawen mehr gibt. Und trotzdem werden alle irgendwie von diesem Ausdruck tangiert - vom Hochschulprofessor bis zum Kriminellen. Dass das so ist, hängt einerseits mit hartnäckiger Ignoranz zusammen und andererseits mit purer Bequemlichkeit. Trotz den zementierten Jugo-Vorurteilen pflegt die grosse Mehrheit von Schweizerinnen und Schweizern bei persönlichen Kontakten einen ganz normalen Umgang mit den Einwanderern, sobald sie die kennen. Die Herkunft spielt nach einer Weile eigentlich gar keine grosse Rolle mehr. Die Beziehungen reduzieren sich aufs Zwischenmenschliche: Mag ich die (oder den) oder nicht. Falls dabei der Jugo-Sündenbock-Mechanismus zur Sprache kommt, heisst es sofort: «Du bist ja ganz anders, aber es gibt...» Und es gibt sie, die Raser, die Drogendealer, die Diebe, die Schläger und die andern, die mehr oder weniger kriminelle Energie an den Tag legen. Sie hart zu bestrafen, ist die Aufgabe der Justiz. Diesen Wunsch äussern die Ausländer aus Slowenien,

Kroatien, Bosnien und Herzegowina, aus Serbien und Montenegro, Kosovo oder Mazedonien gleich vehement wie die Schweizerinnen und Schweizer. Was sie nicht möchten, ist, dass auch sie jedes Mal mitbüssen müssen. Im September des vergangenen Jahres stand in Zürich ein 19-jähriger Kroate vor Gericht, der einen 16-jährigen Schweizer ins Gesicht geschlagen hatte. Die zuständige Richterin rügte ihn, er tue damit seinen Landsleuten keinen Gefallen. Ich bin ebenfalls Kroate. Dass ein anderer, mir völlig unbekannter Mann gleicher Nationalität irgendwo jemanden geschlagen hatte, genügt im Augenblick, mich amtlicherseits und öffentlich auch ein wenig ins schlechte Licht zu rücken. Das ist absurd. Traurig ist, dass diese Sippenhaftung mittlerweile sogar zur Grundlage unternehmerischen Handelns wird. Oder wie lässt es sich erklären, dass Autoversicherungen nun beginnen, eine neue Risikogruppe zu definieren, die allein auf der balkanischen Herkunft basiert. Ich frage mich: Was machen die mit einem Schweizer Bürger, der zum Beispiel Melunovic oder Rama heisst? Sind diese beiden Fussballspieler der Schweizer Nationalmannschaft nun wegen ihrer Herkunft automatisch ein Risiko auf den Schweizer Strassen? Oder sinkt dieses Risiko automatisch nach dem Erhalt des Schweizer Passes? Oder bekommen sie einen Brief, in dem steht: «Sehr geehrter Herr Rama/Melunovic, Sie selbst sind ja ganz anders, aber es gibt...» Das grösste Risiko für die Integration der Zuwanderer aus Kosovo, Kroatien, Serbien, Bosnien oder Mazedonien ist die Situation der jungen Leute mit mangelhafter Bildung. Denn darin liegt die Ursache ihrer schlechten Zukunftsaussichten, ihrer Frustration und ihrer Straffälligkeit. Schuld daran ist nicht die Gesellschaft, schuld sind in erster Linie ihre Eltern, die sich weigern, am Leben in der Schweiz wirklich teilzunehmen. So sind sie für ihre Kinder keine Leuchttürme im stürmischen Meer des

Erwachsenwerdens. Hier gilt es anzusetzen, nüchtern und tatkräftig. Jede Art von Hysterie ist dabei fehl am Platz. Genauso wie Tabus. 2005, SPRACHLOS «Wohin!?» Die Schalterbeamtin der SBB versucht es zum dritten Mal. Diesmal in einer Lautstärke, die an verzweifeltes Schreien grenzt. «Orgge!» schreit der Mann zurück und brummt vor sich hin: «E jesi gluva» (du bist wirklich taub). Ich kann das nicht mehr mit ansehen, und ausserdem brauche ich dringend selbst ein Billett. «Der Mann will nach Horgen», sage ich entnervt und trete näher zum Schalter. «Ja, ja, Orgge!» ruft der Mittfünfziger erleichtert, dem eine mindestens vier zehnstündige Bus- oder Zugfahrt deutlich anzusehen ist. «Einfach oder retour?!» Die Frau hinter dem dicken Glas behält die Lautstärke. Ich übersetze. Am Schluss erklärt sie noch, von welchem Perron und um welche Zeit der nächste Zug nach Horgen Fährt, und schreibt dazu alles noch auf einen Zettel, den sie mit dem Ticket und dem Retourgeld per Drehteller auf die andere Seite schickt. Mein zerknitterter Landsmann steckt alles gehässig in die Seitentasche seines Sakkos, bedankt sich bei mir und sagt mir zum Abschied, dass er seit zwanzig Jahren nach Horgen fahre und selber wisse, wann und von welchem Perron der Zug starte.«Sie sprechen aber gut Deutsch!» sagt die Frau von der SBB, unverändert laut. Ich erwidere: «Sie auch, nur ein wenig zu laut», und lächle. In regelmässigen Abständen werde ich auch heute, nach 17 Jahren in der Schweiz, zu meinen Deutschkenntnissen beglückwünscht. Dies geschieht allerdings nur dann, wenn ich meinen Namen nenne oder erkläre, woher ich ursprünglich komme. von Darko Cetojevic, aus «JUGO - WER SOLL DAS EIGENTLICH SEIN?»

DEN SATZ AUF KROATISCH ANFANGEN UND AUF DEUTSCH BEENDEN

MEIN ERSTES ALPHABET WAR KYRILLISCH.

DIE SCHWEIZERISCHE SPRACHE: BRÜCKE ZWISCHEN DEN WELTEN UND EIN MEDIUM DER ERZIEHUNG.

ICH KENNE KEINE SCHWEIZER KINDERLIEDER.

DIE FRAGE, WIE ICH MEINEM KIND SERBISCH BEIBRINGEN SOLL.

Ich rede mit meiner Tochter im Alltag Schweizerdeutsch. Zusammen singen wir alte kroatische Schlager.

Sevdah Lieder hören - ähnlich dem portugisischen Fado oder dem amerikanischen Blues besingen die bosnischen Sevdah Lieder eine schöne Art Sehsucht - eine Wehmut, die gut tut.

Zu Rockmusik von «Azra» oder «Bijelo Dugme» tanzen, singen, grollen!

DEN EUROVISION SONGCONTEST VERFOLGEN

Keiner unserer Schweizer Freunde kann unsere Leidenschaft für Eurovision nachvollziehen. Seit wir erfahren haben, dass in England diese Sendung ähnlichen Kultcharakter geniesst, organisieren wir mit zwei Freunden aus England jedes Jahr eine «Eurovision Party». Letztes Jahr waren wir eine buntgemischte Gruppe aus mehr als 10 Nationen.

SPRACHE - KULTUR

Mile Kitic ist einer der bekanntesten Turbo-Folk-Sänger des Balkans. Sein grösster Hit heisst «Kockar» (Der Glücksspieler).

Albaner unter sich. Im albanschen Club Ilirija in Winterthur (NZZ Folio: März 2005, Seite 31)

ALBANISCH SPRECHEN

Gehört nicht zu den slawischen Sprachen. Sie bildet einen eigenen Zweig innerhalb der indogermanischen Sprachfamilie.

DU SELBST BIST JA GANZ ANDERS...

IVO ANDRIC ZU LESEN ZUM BEISPIEL «DIE BRÜCKE ÜBER DIE DRINA».

«Alan Ford» - Max Bunkers Geheimagenten-Satire-Comic, war populärer als Asterix und Obelix. Viele Redewendungen aus Alan Ford fanden ihren Weg in die Alltagssprache.

SPRACHE - KULTUR

«No Man's Land» (Nicija zemlja) erhielt weltweit insgesamt 42 Preise unter anderem die Goldene Palme und den Oscar für den besten fremdsprachigen Film.

Aus der Fremde in die Heimat: Flug Zürich-Pristina (NZZ Folio: März 2005, Seite 31)

Jugoslawien gibt es nicht mehr: Flughafen Kloten (NZZ Folio: März 2005, Seite $1)

gemischtes Im Bus redet keiner. Im Fabrik sagt man Salüü In der Pause sagt man «en Guete» In mittags Pause sagt Kollegin Mini ma hat kseit so nüd In der wohnung sagt Frau zum Mann Dobro Vecer Zu kindern sagt man Ako si umoran idi spavati* Zu sich selber kan man Schweigend sagen Egal.

(*wenn du müde bist, gehe schlafen)

von Dragica Rajcic, aus «BUCH VOM GLÜCK»

WIESO HAUEN DIE NICHT AB! von Dubravka Ugresic

Ist eine politisch korrekte Respektierung der unterschiedlichen Kulturen und kulturellen Unterschiede nicht oft nur eine Maske, hinter der sich Chauvinismus verbirgt? Dubravka Ugresic erklärt in ihrem Text wieso wir in eine Sackgasse geraten, wenn wir probieren nur mit Kultur und den kulturellen Unterschieden zu argumientieren. Sie lebt seit über 15 Jahren in Amsterdam und weiss, dass jedes Land ihre «Jugos» hat.

Das Klischee vom Balkan-Macho: enge Jeans, kurze Jacke, meist aus Leder (Warum bloss sind alle diese «Dunkelhaarigen» in Leder vernarrt?). Die Hände tief in den Taschen vergraben, steht er herum, tänzelt auf der Stelle, jagt die Spucke durch die Zähne einem Geschoss gleich in den Wind. Markiert sein Revier wie ein Hund. Er schaut Sie nicht an, wirft hastig nervöse Blicke zur Seite, so wie er spuckt. Seine Augen sind dunkel, ölig, die Pupillen nicht zu erkennen. Da kommt noch einer. Und noch einer. Sie laufen in Rudeln, wie Dorfhunde. Jetzt stehen sie alle drei da, die Hände in den Taschen der kurzen Lederjacken, und spucken in den Wind. Deren Väter sehen Sie anderswo, meist in den Bahnhöfen (Warum bloss lieben diese Leute die Bahnhöfe?) oder davor, bei den Taxiständen (Ja, natürlich, ihre Landsleute arbeiten vorwiegend als Taxifahrer!). Eine Hand in der Tasche der kurzen Jacke, in der anderen die Zigarette. Sie tänzeln auf der Stelle. Stampfen den Asphalt, als würden sie von der Stadtverwaltung dafür bezahlt. Stossen den Qualm in die Luft, ziehen den Sauerstoff ein. Sie sehen düster aus; statt zu lächeln, verziehen sie das Gesicht zu einer Grimasse. Beim Stehen und Gehen schieben sie Hüften und Bauch ein wenig vor. Im Sitzen spreizen sie die Beine und bohren den Hintern fest in den Sitz, als wollten sie für immer in dieser Stellung verharren. Worüber reden sie? Eigentlich über nichts. Sie ziehen über sie her. Anstelle des korrekten «die Schweizer» gebrauchen sie die Einzahl: «der Schweizer». Sie sind - der Schweizer. Anstatt «svicarska» nennen sie die Schweiz «svica». Ich fahre zurück nach «svica», ich bin gerade aus «svica» gekommen... Dort, in ihrer ehemaligen Heimat, loben sie sie. Es gibt kein besseres Land als «svica», sagen sie zu Freunden und Verwandten dort unten, als wäre das ihr persönliches Verdienst. Aber hier ziehen sie über sie her. Wie eine Gebetsmühle wiederholen sie, Sie seien kalt und

berechnend, was natürlich heissen soll, sie selbst seien warmherzig und nicht berechnend. Im Unterschied zu Ihnen haben sie ein Herz, das ist es eben. Sie haben Geld und Ihre geordnete Gesellschaft, sie selbst haben nichts. Die reden schlecht über Sie. Die sagen, sie pfeifen auf das Land, das neutral ist. Die selbst waren nie neutral, die gaben ihr Leben für die Sache, wenn es nötig war - und auch wenn nicht. Die verachten Sie, Sie haben der Welt die Uhren, die Schokolade und den löchrigen Käse beschert. Die selbst besitzen nur, womit sie auf die Welt gekommen sind: ein Gefühl für Ehre und Würde. Mit Ihnen aber kommen die nicht klar, denn Sie sind gefühllos. Die selbst haben nie mit Gefühlen gegeizt, dafür haben sie zu viel gelitten. Alles schmerzt, alles stört die, etwa dass ihre Leute jetzt vor dem Haager Tribunal stehen, als wären sie irgendwelche Verbrecher, oder dass die Amerikaner im Irak sind. Die selbst waren immer Opfer, jahrhundertelang haben alle sie geknebelt: die Türken, die Ungarn, die Italiener, die Faschisten, die Kommunisten, und jetzt auch noch diese Carla del Ponte! So ist das eben, das Glück macht immer einen Bogen um sie. So wie Sie. Sie betrachten sie mit Unbehagen und fragen sich, was die hier eigentlich verloren haben. Warum lungern sie immer an den gleichen Orten herum, warum tauchen sie nicht in der Masse unter, verschwinden nicht aus Ihrem Gesichtskreis? Die stehen da, als wären sie vom Mars gefallen. Warum hauen die nicht ab! Jedes Mal, wenn Sie an ihnen vorbeigehen, greifen Sie automatisch zum Portemonnaie und prüfen, ob es noch da ist. Ist es denn schon so weit gekommen, dass Sie aus dem eigenen Land auswandern müssen! Aber wohin? Auf genau solche Typen stossen Sie in Berlin, Frankfurt, Amsterdam, London, Wien, Paris. Wohin also auswandern? Auf die Insel Faro? Dort, so erzählte Ihnen eine Bekannte, lebt auch schon einer von denen, ein Bulgare. Und Sie können sicher sein, dass es dort inzwischen eine ganze

Kolonie gibt. Die Bulgaren haben die Insel Faro besetzt. So weit ist es gekommen. Als ich unlängst in Zagreb war, brauchte ich eine Schneiderin. Die ist mir dann von der Frau meines Zahnarztes vermittelt worden. Der Zahnarzt ist übrigens - was westeuropäischen Dentaltouristen und allen Migranten vertraut ist - auch ein Grund für meine gelegentlichen Besuche in Zagreb. Die Schneiderin kommt aus einem Dorf im kroatischen Zagorje und fährt jeden Tag nach Zagreb, wo sie in einer Dachstube näht. Dort hat sie keine Heizung, keinen Stuhl für ihre Kunden, nicht einmal den so nötigen Spiegel. Dafür hat sie feste Ansichten. Sie klagt: «Gegen diese Chinesen kommt man nicht mehr an. Sie kriegen leichter einen Gewerbeschein als wir Kroaten. Die chinesischen Geschäfte schiessen wie Pilze aus dem Boden. Dabei schaffen die es nicht einmal, Kroatisch zu lernen!» Jeder hat also sein Problem. Das Problem trägt dann verschiedene Namen (Chinese, Albaner, Marokkaner, Serbe, Kroate, Russe), aber im Grunde geht es immer um dasselbe. Die Bulgaren schimpfen schon lange nicht mehr auf die Russen. Jetzt sind sie auf Belgier, Holländer und Deutsche nicht gut zu sprechen, die in den Bergen und an der Schwarzmeerküste billig Wochenendhäuser erwerben und auf die Mitgliedschaft Bulgariens in der EU warten, damit sich ihre Investition lohnt. Die Ungarn sind aus dem gleichen Grund böse auf Kroaten, Serben und Bosnier, die während ihres letzten Krieges Zeit und Müsse fanden, in Budapest für wenig Geld Wohnungen zu kaufen und ihren Gewinn zu verzehnfachen. Die Kroaten, endlich die verhassten Serben losgeworden, sehen jetzt mit Unmut auf Ungarn, Russen und Tschechen, die, wie es heisst, die halbe Adriaküste aufkaufen. Gegen deutsche und österreichische Käufer haben sie nichts, mit ihnen fühlen sie sich europäischer. Die Deutschen sind verrückt nach schwedischen Blockhütten, und so

kommt es, dass sie ihren Sommerurlaub in (ehemals) schwedischen Dörfern verbringen - umgeben von lauter Deutschen. Die Holländer fliehen vor den Marokkanern und suchen ihr Heil in Portugal, wo sie dann in holländischen Ghettos enden. Die Türken sind überall in Europa anzutreffen, dagegen kann man nichts tun, dafür aber siedeln sich Russen in Istanbul an, ihre Zahl soll sich inzwischen auf etwa hunderttausend belaufen. Noch grösser soll die Anzahl der nach Budapest zugezogenen Chinesen sein. Odessa, heisst es, füllt sich auf geradezu mystische Weise mit Griechen und Türken. Die Spanier beklagen sich, dass die Kolumbianer am helllichten Tag Leute entführen und sie am Bankautomaten zwingen, das eigene Konto zu plündern. Die Kolumbianer wären gut beraten, dem Beispiel der Rumänen zu folgen, die mit Bussen anreisen, um fleissig auf dem Bau zu arbeiten. Aber wenn wir schon bei den Rumänen sind, muss gesagt werden, dass in Spanien zurzeit eine panische Angst vor Moldawiern, genauer vor einem Moldawier, herrscht, denn der Serienmörder hat nichts Besseres zu tun, als den Spaniern die Köpfe abzuschneiden. Und so drängeln alle, alle möchten anderswohin, alle sind sauer aufeinander, alle wandern aus auf der Suche nach Immobilien, nach Rentnerparadiesen, nach risikolosen Abenteuern, nach Broterwerb. Nun sind wir endlich so richtig multikulturell, aber die Freude darüber scheint auszubleiben. Und siehe an, Kultur ist in Europa plötzlich zum Schlüsselwort geworden. Die Kultur ist alles und nichts, ein Feld für Manipulationen, Ausrede und Alibi für alles. Das ist eine Frage von deren Kultur... Das ist ein Problem unserer Kultur... Ach, sie sind so anders als wir, es geht um unüberwindbare kulturelle Unterschiede... Sie betrachten alle diese Serben, Kroaten und Bosnier, die Ihnen das Leben schwermachen, und denken, an allem sei der Machismo in ihrer Kultur schuld. Was also tun? Was soll ich

meinerseits mit einem Türken oder Marokkaner tun, der vor meiner Tür in Amsterdam in den Wind spuckt? Nichts. Nichts? Ja, nichts. Denn solange ich in der Kultur und in den kulturellen Unterschieden, im Anderssein, in der Verschiedenheit, in deren Macho-Kultur (die das alles erlaubt) und in meiner Kultur (die das alles nicht versteht) eine Rechtfertigung suche, liefere ich ein Alibi nicht nur für ihr Spucken, sondern auch für meine Gereiztheit ihnen gegenüber. Eine politisch korrekte Respektierung der unterschiedlichen Kulturen und kulturellen Unterschiede ist oft nur eine Maske, hinter der sich Chauvinismus verbirgt. Wenn also die Kultur und die kulturellen Unterschiede das einzige Argument sind, mit dem wir operieren, geraten wir schnell in eine Sackgasse. Macho-Kultur, also? Als ehemalige Jugoslawin erhielt ich Stimmrecht und Gleichberechtigung sechs Jahre vor meiner Geburt. Das geschah 1943, im Zweiten Weltkrieg, durch ein unverbindliches Dokument, welches nicht nur den Sieg über die Faschisten, sondern auch die Gründung Jugoslawiens verhiess. Ich bekam meine Rechte 27 Jahre bevor die Schweizer Frauen zum ersten Mal an die Wahlurne gingen. Diese Rechte haben für mich wohl Antifaschistinnen, Partisaninnen und Kommunistinnen erkämpft, die gleichberechtigt mit den Männern am Zweiten Weltkrieg teilnahmen, Alphabetisierungskampagnen organisierten, als Ärztinnen oder Krankenschwestern in den Partisanenlazaretten arbeiteten oder als Soldatinnen kämpften. Im Nachkriegsjugoslawien nahmen sie am öffentlichen und politischen Leben teil, gingen später leider in der männlich organisierten Welt unter. Dennoch scheint es, dass in Jugoslawien Frauen stärker am öffentlichen Leben beteiligt waren als in vielen westeuropäischen Ländern. Ich besuchte eine «gemischte» Schule, andere gab es nicht, meine weiblichen Idole waren Marie Curie, Minou Drouet und Valentina Tereschkowa. Als ich mich immatrikulierte, wusste ich nicht, dass die amerikanischen Frauen

erst wenige Jahre zuvor zum Studium an der berühmten Yale University zugelassen worden waren. Meine Ausbildung war kostenlos. Ich bekam eine Stelle und hatte es besser als die Schweizerinnen, die zur gleichen Zeit ein um bis zu 30 Prozent niedrigeres Gehalt erhielten als ihre männlichen Kollegen. Einige meiner feministisch orientierten Freundinnen wollten, inspiriert vom amerikanischen Feminismus, in den 1970er Jahren eine Medienkampagne starten, fanden aber kaum ein Betätigungsfeld. Für die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs konnten sie nicht kämpfen, der war schon legal, ebenso wenig gegen die Diskriminierung in Schule und Beruf, denn das System sicherte die Gleichberechtigung; deshalb befassten sie sich hauptsächlich mit dem weiblichen Körper in der Theorie und der Alltagspraxis. Sie griffen beispielsweise die nicht freie kommunistische Wirtschaft an wegen des allzu bescheidenen Angebots an Damenbinden und Tampons. Oder gaben den Zahnärzten die Schuld dafür, dass man sich in den kommunistischen Ländern selten über ein gesundes Lächeln freuen konnte. Das alles ist heute Vergangenheit. Mit dem Zerfall Jugoslawiens, dem Krieg und der Einführung der Demokratie schrumpfte die Beteiligung der Frauen in den postjugoslawischen Parlamenten. Heute erfreuen sich alle postjugoslawischen Frauen, von den Sloweninnen bis zu den Mazedonierinnen, eines grossen und vielfältigen Angebots an Tampons und Damenbinden. Man registriert an ihren Hälsen eine ebenso grosse Anzahl von Kreuzen katholischen und orthodoxen. In Kroatien erlebt das Tragen von Pelzmänteln, in Bosnien das der Kopftücher einen unerhörten Aufschwung. Das gab es nicht in der Zeit des repressiven Kommunismus, zumindest nicht in dem Ausmass. Heute gehen weitaus mehr Frauen regelmässig in die Kirche, und mehr Frauen sehen sich demokratische Fernsehprogramme an, in denen allgegenwärtige religiöse Väter - katholische, orthodoxe und muslimi-

sehe - zornerfüllt das Abtreibungsverbot fordern, während einige andere öffentliche Denker der Legalisierung der Prostitution das Wort reden. Menschenhandel, lokale Mafia, Prostitution, Kriminalität, Pornographie, Veruntreuungen, Tycoonisierung, Abbau sozialer Rechte, Schwinden von Arbeitnehmerrechten, Schwächung der Gewerkschaften, Religionsunterricht in den Schulen, der zwar kein Pflichtfach ist, sich aber penetranter zeigt als Mathematik und Englisch, korrumpierte Gerichtsbarkeit und allgemeine Korruption gehören zum neuen, demokratischen Alltag. Die Massenkultur hat ihre Ikonen aufgestellt. Das sind schon längst nicht mehr Marie Curie oder Valentina Tereschkowa (heute weiss auch niemand mehr, wer sie waren), sondern Britney Spears und ihre lokalen Klone. Der Feminismus reduziert sich in der Massenkultur auf die Haltung der Anhängerinnen von Eva Ensler, der Verfasserin von «Die Vagina-Monologe», die die befreiende Formel «My vagina that's me» entdeckt haben. Eine junge Rumänin, die an einer amerikanischen Universität Französisch unterrichtet, gestand mir: «Elena Ceausescu war das weibliche Idol meiner Kindheit, nicht als Kommunistin, als Wissenschafterin. Die Wissenschafterin Elena war freilich eine kommunistische Erfindung, aber dennoch ist mir lieber, im Glauben erzogen worden zu sein, eines Tages eine Wissenschafterin zu werden als eine bewusst gewordene Vagina.» Während ich ohnmächtig beobachte, wie ein junger Marokkaner am helllichten Tag vor meinem Haus die Scheibe eines Autos einschlägt und vom Rücksitz eine Tasche entwendet (Sie regen sich in Zürich über einen Serben, Kroaten oder Bosnier auf, der vermutlich dasselbe tut) - denn ich weiss, die Polizei würde meinen Anruf ja ignorieren -, spüre ich in mir Protest wachsen. Ich denke darüber nach, wie diese Welt eingerichtet ist, und möchte diesem Bengel nur eine saftige Ohrfeige verpassen. Was

die Macho-Kultur angeht: Mein einziger schwacher Trost in diesem Augenblick ist ein Foto und die Geschichte darüber, how I got the picture... Vor einigen Jahren wurde ich zu einem zweitägigen Treffen eingeladen. Teilnehmer waren ausser allen EU-Kultusministern und den Veranstaltern auch einige Intellektuelle, die den Ministern ihre Ansichten über die Probleme der europäischen Kultur und der Kultur in Europa darlegen sollten. Einige Monate später fand ich in der Post einen grossen Umschlag mit einem Foto, das man mir zur Erinnerung an das wichtige Ereignis schickte. Darauf waren alle Teilnehmer des Treffens auf der Treppe des Luxushotels zu sehen, in dem wir untergebracht waren. Da fiel mir etwas auf, was mir während des Treffens entgangen war: In der Gruppe von etwa vierzig Teilnehmern gab es nur drei Frauen, die schwedische Kultusministerin, die luxemburgische und mich. That's how I got the picture! Da ist er wieder. Die Hände tief in den Taschen vergraben, steht er herum, tänzelt auf der Stelle, jagt die Spucke durch die Zähne einem Geschoss gleich in den Wind. Und Sie fragen sich, was dieser Serbe, Kroate, Bosnier, Albaner, Türke, Marokkaner, was der Machismo und Ihr Gefühl des Bedrohtseins mit einem Treffen über die europäische Kultur zu tun haben. Auf den ersten Blick gar nichts. Aber vielleicht sollte jedes Gespräch über Kulturen und kulturelle Unterschiede, über Europa, über den anderen und über das Anderssein von diesem einfachen Bild ausgehen. Also von den Zahlenverhältnissen, von der Ordnung dieser Welt - unter den Herrschenden, in Kirche und Staat, in Armee und Polizei, unter Erziehern, in Schulen und Schulbüchern und Lehrprogrammen. Und von jenen, die Tag für Tag unser Bewusstsein und Unterbewusstsein prägen - in den Medien und den Märkten.

Erst dann findet man vielleicht die Antwort auf die Frage, warum «dieser Dunkelhaarige», der meine und der Ihre, herumsteht und in den Wind spuckt. Und eine Erklärung dafür, warum er uns damit auf die Nerven geht. von Dubravka Ugresic, aus «JUGO - WER SOLL DAS EIGENTLICH SEIN?»

NIE AUF KALTEM BETON SITZEN

Davon bekommt man eine Blasenentzündung. Ich höre immer noch die Stimme meiner Grossmutter.

Ohne Unterhemd bekommt man eine Nierenentzündung.

«UBIT CE TE PROPUH»

Der Aberglaube, dass der Durchzug tödlich sein kann - existiert übringens auch bei den Italienern.

Der gebremste Wille zur Anpassung - «Wir müssen diesen Leuten den Sinn unserer Gesetze erklären» (Weltwoche 40.04:29.09.2004, Seite 12)

Nicht mit nassem Haar hinausgehen, man bekommt so eine Hirnhautentzündung - auch heute noch zucke ich zusammen, wenn ich mit nassem Haar rausgehe.

Wollsocken tragen, ja nicht kalt haben

WIESO HAUEN DIE NICHT AB!

«PAPUCE», DAS ERSTE WORT DAS MAN LERNT, WENN MAN IN BOSNIEN AUF BESUCH IST

Als erstes wird dir die Hand geschüttelt und als zweites kriegst du Finken vor die Füsse geworfen, um dich nicht zu erkälten. Phänomen nasse Haare lässt grüssen.

EUROCREM - UNSER NUTELLA, GIBT ES AUCH ALS TAFELSCHOKOLADE ODER KEKS

Eurocrem - unser Nutella; für das Sonntagsfrühstück ein Muss, auf Palatschinken sowieso.

Der muslimische Röstigraben - Die meisten Muslime der Deutschschweiz stammen aus Südosteuropa (NZZ: 22.02.2005, Seite 49)

VEGETA - UNSER AROMAT.

DIE SUCHE NACH DEM GEWÜRZ DER HEIMAX

GROSSE WOHNWAND AUS DUNKLEM HOLZ.

Keine Wohnwand zu haben; auf jeden Fall untypisch jugoslawisch.

«SCHÜFELI UND BESELI» SIND EINE EINHEIT

Sie werden in Bosnien separat verkauft, was ich völligen Unsinn finde.

SCHUHE AUSZIEHEN, WENN MAN IN EIN HAUS REINGEHT

Fernsehen oder Radio laufen immer; egal ob jemand da ist oder nicht.

Der Todesraser von Muri

(Blick: 22.01.2005, Seite 15)

«KANTARIENOVO ULJE» ALS MITTEL FÜR UND GEGEN ALLES ZU GEBRAUCHEN.

Sich ab dem dritten Tag am Strand, anstatt mit UV-Schutz Faktor 25, mit «Kantarienovo ulje» (Johanniskrautöl) einzuschmieren.

Mein Vater fragt mich immer, ob ich Geld brauche, obwohl ich seit mehr als 5 Jahren nicht mehr studiere und mittlerweile mehr verdiene als er. Trotzdem drückt er mir mindestens einen 50er in die Hand, jedes Mal wenn ich sie besuche. Ablehnen geht nicht, sonst endet alles in einem grossen Chaos.

Nicht alle Ex-Jugoslawen sind Kriminelle - Einwanderer unter sich: Sie bekommen zunehmend den Anti-Balkan-Reflex vieler Schweizer zu spüren. (Tages-Anzeiger: 28.09.2004, Seite 2)

Balkanische Verhältnisse auf Schweizer Strassen - «Ich hätte ja fast angehalten» (Weltwoche 39.04:22.09.2004, Seite 8)

PÜNKTLICHKEIT - WEISS NICHT OB FREMD ODER SCHWEIZERISCH.

Warten auf den Bus nach Belgrad: Hinter dem Hauptbahnhof in Zürich (NZZ Folio: März 2005, Seite 16)

Die Kinder meines Bruders. Der Familienzusammenhalt ist ganz wichtig. Wir sind immer füreinander da.

ANGST VOR HUNDEN; KENNE SIE NICHT ALS HAUSTIERE, SONDERN NUR ALS STREUNER.

Wer da? Gut möglich, dass hinter dieser T ü r ein Iraker mit Rastazöpfen und Nasenring wohnt. (Weltwoche 50.04,22.09.2004, Seite 15)

MEIN «JUGOSLAWIEN» von Ilma Rakusa

«Jugoslawien», von den geografischen Karten getilgt, nicht aber von der Geschichte befreit. Und schon gar nicht aus der eigenen Biografie wegzudenken. Die Schweizer Schriftstellerin und Übersetzerin Ilma Rakusa reist oft in die Region ihrer Herkunft und erzählt wohin sich diese übersiedelt hat.

Soweit ich zurückdenken kann, gehörte das Land namens Südslawien - nichts anderes bedeutet Jugoslavija - zu mir. Als Kind lebte ich eine Zeitlang in Ljubljana, und auch als wir nach Triest umzogen, besuchten wir die väterlichen slowenischen Verwandten regelmässig. Ausserdem gab es Geschäftsreisen, die Vater nach Zagreb und Belgrad führten und zu denen er Mutter und mich mitnahm. KOEXISTENZ

DER

GEGENSÄTZE

Das war abenteuerlich, denn wir reisten mit dem Auto, und die Strassen waren schlecht. Einmal, unterwegs nach Zagreb, überfuhren wir nachts einen Hasen und wurden kurz darauf von einem Bauern angehalten, der nach einem flüchtigen Dieb suchte. Diese nächtlichen Aufregungen prägten sich meinem kindlichen Gedächtnis stärker ein als das taghelle Zagreb mit seiner adretten Altstadt. Doch Belgrad erlebte ich, seinem Namen gemäss, als weisse Stadt am Zusammenfluss von Donau und Save, lichtdurchflutet, weitläufig, gastfreundlich. Man fotografierte mich auf der Festung Kalemegdan, und abends durfte ich in eine Folkloreoper. Keine Frage, dass meine Begeisterung für südslawische Volksmusik hier ihren Anfang nahm. Kalkhelle Städte: Dann folgten lange Jahre erzwungener Enthaltsamkeit. Wir lebten in der Schweiz, mit einem Staatenlosenpass. Vater wollte das Risiko einer Jugoslawienreise nicht eingehen. Also warteten wir bis zur Einbürgerung. Ich war achtzehn, als es soweit war. Sofort fuhr ich zu meinen Grosseltern nach Maribor. Und anschliessend mit einer Cousine und einer Wiener Tante nach Dalmatien. Die Küstenstrasse von Rijeka nach Dubrovnik, ebenso kurven- bis abwechslungsreich, war eine Offenbarung an Farben und Licht. Dazu die kalkhellen Städte: Zadar, Sibenik, Split, Trogir, Dubrovnik, mit ihren Kirchen und Stadtmauern und Palazzi und Piazzen. Mir war, als hätte ich ein verlorenes Paradies entdeckt.

Meer und Stein. Von Römern, Venezianern, Kroaten behauener Stein, unter den Sohlen glänzend wie auf dem Stradun von Dubrovnik, dem alten Ragusa. Hier flanierten meine Cousine und ich wie berauscht, wie auf einen Auftritt wartend vor den Kulissen der Paläste. Und ade. Die Rückreise führte uns ins Hinterland. Ins herzegowinische Mostar, wo uns jäh der Orient einholte. Mit Moscheen, Basaren, eleganten osmanischen Brücken, ein Märchen aus tausendundeiner Nacht, scheinbar Welten von Dubrovnik entfernt. Der Kontrast war elektrisierend. Dann ging es durch die Schluchten und über die Berge des Balkans, an Minaretten und Bogumilen-Gräbern vorbei in die bosnische Hauptstadt Sarajevo. Wir stiegen im Hotel Europa ab und eilten gleich zur Bascarsija, ins Herz der Altstadt. Die Augen reichten nicht zum Schauen. Teppiche, Silberschmuck, Teestuben, Burek-Stände, eine alte Karawanserei. Und mitten in diesem fröhlichen Tumult die Rufe der Muezzins. Meine Cousine und ich waren wie betäubt. Befanden wir uns auf einer Zeitreise? Auf einem fernen Kontinent? Die Koexistenz der Gegensätze: Damals ging mir auf, was ich an Jugoslawien so liebte: die Vielfalt, die Koexistenz der Gegensätze. In Sarajevo genügte es, die Strassenseite zu wechseln, so nahe kamen sich Orient und Okzident. Diese unterschiedlichen Klänge, Melodien. Die Ohren reichten nicht zum Hören. DAS EIGENTLICHE ABENTEUER In Mazedonien, wohin es mich Jahre später verschlug, lernte ich nicht nur eine neue Sprache, sondern eine mir unbekannte Musik kennen. Voller Halbtonschritte und ungerader Rhythmen, zu denen kunstvoll getanzt wurde. Ernst schauten mich die Heiligen auf den byzantinischen Kirchenfresken von Ohrid und Sveti Naum an, doch der abendliche Oro-Tanz war von fröhlicher Ausgelassenheit. In den kosovarischen Dörfern klang er anders;

aber wie anders, hätte ich nicht zu sagen gewusst. Auch verstand ich kein Albanisch. Überraschendes, unerforschliches Jugoslawien. Dem ich mich angemessen vielseitig zu nähern versuchte. Slawistische Kontakte führten mich in den frühen achtziger Jahren oft zu Symposien nach Zagreb und Dubrovnik. Ich lernte neben Literaturwissenschaftlern zahlreiche Schriftsteller kennen. Und damit begann mein eigentliches Jugoslawien-Abenteuer, das literarische. Es hat nicht nur meine Wahrnehmung Südslawiens, sondern mein Leben verändert. Wobei Zufälle eine nicht unwesentliche Rolle spielten. Die Revolution, die ihre eigenen Kinder frisst: «Kennen Sie Danilo Kis' Roman Ein Grabmal für Boris Dawidowitsch'?» fragte mich A.F. «Sensationell!» Er hatte nicht übertrieben. Ich kaufte mir das Buch, las es. Später übersetzte ich es ins Deutsche. Bis heute kenne ich keine so grausame und zugleich poetisch-verdichtete Abrechnung mit der Revolution, die ihre eigenen Kinder frisst>. Kis hatte vor allem den Stalinismus im Visier. Doch die Belgrader Kultur-Apparat schiks witterten politische Brisanz und inszenierten - unter dem Vorwand des Plagiats vor wurfs - einen Skandal. Kis wehrte sich mit dem fulminanten Buchessay Anatomiestunde, in welchem er unter anderem auch prophetisch vor Nationalismen warnte. «Nationalismus ist vor allem Paranoia. Eine kollektive und individuelle Paranoia. Nationalismus ist zudem nicht nur seiner etymologischen Bedeutung nach die letzte Ideologie und Demagogie, die sich ans Volk wendet.» DER ZERFALL Anatomiestunde erschien 1978,1980 starb Tito, und wenig später brach zwischen Belgrad und Zagreb ein Sprachenstreit aus, der böse Schatten vorauswarf. Kis' Warnungen verhallten ungehört. Im Herbst 1989 erlag Kis einem Krebsleiden; den Zerfall Jugoslawiens und den in Krieg mündenden nationalistischen Wahnsinn

hat er nicht mehr miterleben müssen. Zum Jugoslawienkrieg fällt mir nur ein Satz ein: eine Katastrophe, deren Folgen Jahrzehnte dauern werden. Noch immer höre ich Schreckliches aus Bosnien; Besorgniserregendes aus der Vojvodina. Meine Zagreber Freunde und Freundinnen haben sich in alle Winde zerstreut. Es ist nichts mehr, wie es war. Aber meine Berührungsangst mit dem, was einst Jugoslawien hiess, hat abgenommen. Nicht zuletzt dank Dzevad Karahasan und seiner Frau, die mich im Herbst 2002