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German Pages 388 [390] Year 2019
Katharina Link Variation im städtischen Raum
Beihefte zur Zeitschrift für romanische Philologie
Herausgegeben von Claudia Polzin-Haumann und Wolfgang Schweickard
Band 431
Katharina Link
Variation im städtischen Raum Eine soziolinguistische Untersuchung zur intraurbanen Koexistenz von «ʒeísmo» und «ʃeísmo» in Buenos Aires
Die vorliegende Untersuchung wurde in leicht abgeänderter Form im Jahr 2017 an der Eberhard Karls Universität Tübingen als Dissertation angenommen.
ISBN 978-3-11-063359-7 e-ISBN (PDF) 978-3-11-063766-3 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-063384-9 ISSN 0084-5396 Library of Congress Control Number: 2019944430 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2019 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Integra Software Services Pvt. Ltd. Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com
Mit besonderem Dank an meine Patin Eva-Maria
Inhalt 1
Einleitung
2 2.1 2.2 2.2.1 2.2.2 2.3
ʒeísmo und ʃeísmo: Forschungsstand 7 Terminologie und mögliche Gründe für den Lautwandel 7 Historische Entwicklung 13 Forschungsdiskussion um die frühe Quellenlage 13 Empirische Untersuchungen ab den 1970er-Jahren 26 Sprachgeographische Verteilung des yeísmo und seiner Varianten innerhalb Argentiniens 33
3 3.1 3.1.1
Methodische Einbettung 51 Urbane Dialektologie 51 Traditionelle Dialektologie und Anfänge der urbanen Soziolinguistik 51 Anforderungen an eine urbane Dialektologie 58 Untersuchungsraum Buenos Aires 69 Stadtentwicklung und Immigration: Historischer Abriss 70er-Jahre und Buenos Aires heute 82 Methodisches Vorgehen 93 Untersuchungsraum 98 Informanten 102 Gruppen der 1. Generation: colegios 104 Gruppen der 2. Generation: centros culturales 105 Gruppen der 3. Generation: centros de jubilados 108 Stilebenen und Strukturierung der Interviews 111 Freie Rede 111 Lesetexte 116
3.1.2 3.2 3.2.1 3.2.2 3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.2.1 3.3.2.2 3.3.2.3 3.3.3 3.3.3.1 3.3.3.2 4 4.1 4.2
1
Auswertung 119 Akustische Auswertung 119 Vorüberlegungen zur Pluralität der Varietätendimensionen 128 4.3 Quantitative Auswertung der diatopischen und diastratischen Dimension 132 4.3.1 Auswertung der colegios 132 4.3.1.1 Variation in Abhängigkeit von Geschlecht und soziokultureller Provenienz 134
70
VIII
4.3.1.2 4.3.1.2.1 4.3.1.3 4.3.1.3.1 4.3.1.3.2 4.3.1.3.3 4.3.1.4 4.3.2 4.3.2.1 4.3.2.2 4.3.3 4.3.3.1 4.3.3.2 4.3.4 4.4 4.4.1 4.4.2 4.4.2.1 4.4.2.2 4.4.2.2.1 4.4.2.2.2 4.4.2.2.3 4.4.2.2.4 4.4.2.2.5 4.4.2.3 4.4.2.3.1 4.5 4.5.1 4.5.2 4.6 4.6.1 4.6.1.1 4.6.1.2
Inhalt
Variation im Raum: Theoretische Vorbemerkungen zur Erstellung der Sprachkarten 137 Kartographische Umsetzung 140 Diatopische Dimension 142 Sozialräumliche Untergliederung der nördlichen Stadtviertel 146 Auswertung der nördlichen Stadtteile 150 Schlussfolgerungen 152 Zwischenfazit: diatopische und diastratische Dynamik 155 Auswertung der centros culturales 157 Variation in Relation zu Alter, Geschlecht und Berufsstand 157 Diatopische Dimension 163 Auswertung der centros de jubilados 169 Vorbemerkungen 169 Auswertung 169 Zusammenführung und Reflexion der verschiedenen Dimensionen 175 Diaphasische Dimension 179 Divergierender Gebrauch der Varianten in Relation zum Alter der Sprecher 182 Lesetexte 184 Literarischer Text 184 Wortliste 189 Qualitative Auswertung: Okkurrenz von [ʒ] und [ʃ] 190 Qualitative Auswertung: Okkurrenz von [ʝ] 194 Qualitative Auswertung: Okkurrenz von /ʎ/ in seiner Realisierung als [lj] 198 Kontext als Auslöser von Variation 203 Qualitative Analyse der Minimalpaare 204 Zungenbrecher 208 Korrekturen stimmloser Realisierungen durch [ʒ] 212 Reflexion zu Sprecherwissen und metasprachlichen Aussagen 214 Metasprachliche Aussagen zu ʒeísmo und ʃeísmo 215 Autorepräsentationen und Einstellungen 222 Varianz im freien Gesprächsteil 225 Phonologischer Bereich 226 Konsonantische Reduktionserscheinungen 226 Konsonantische Stärkungsprozesse 234
Inhalt
4.6.1.3 4.6.2 4.6.2.1 4.6.2.1.1 4.6.2.2 4.6.3 4.6.3.1 4.6.3.2 4.6.4 4.6.4.1 4.6.4.1.1 4.6.4.1.2 4.6.4.2 4.6.5 4.6.6 4.6.7 4.6.7.1 5
Progressive Stimmlosigkeitsassimilation 235 Semantisch-pragmatischer Bereich 236 Ausdruck von Expressivität 236 Ausdruck von Expressivität bei der Formulierung direktiver Sprechakte 237 Indirekte Zustimmung durch Wiederholung 240 Syntaktischer Bereich 242 Thema-Rhema-Abfolge und Kontrastierung 242 Hypotaktische Satzgefüge: Relativsätze 246 Pragmatischer Bereich 248 Stimmhaftigkeit als Mittel der Modalisierung 248 Ausdruck von Subjektivität 248 Abschwächung 253 Ausdruck von Affektivität 254 Referenz 257 Lexikalischer Bereich 259 Themenbedingte Variation 260 Themenwechsel durch turn-Übernahme 262
Zusammenfassung und abschließende Betrachtungen
Bibliographie Anhang
293
275
265
IX
1 Einleitung Y yo tengo esta debilidad: la de creer que el idioma de nuestras calles, el idioma en que conversamos usted y yo en el café, en la oficina, en nuestro trato íntimo, es el verdadero. [. . .] Yo soy un hombre de la calle, de barrio, como usted y como tantos que andan por ahí. [. . .] Yo he andado un poco por la calle, por estas calles de Buenos Aires, y las quiero mucho, y le juro que no creo que nadie pueda rebajarse ni rebajar al idioma usando el lenguaje de la calle. (Roberto Arlt)
Die Stadt als identitätsstiftender Lebens- und Sprachraum – was Roberto Arlt vor allem in Hinblick auf das in Buenos Aires charakteristische Lunfardo äußert, beinhaltet weit mehr als den Bezug auf den Wortschatz. El español de Buenos Aires, die Sprache auf Buenos Aires’ Straßen, ist eine Varietät, die neben lexikalischen auch morphosyntaktische Charakeristika wie den voseo aufweist und sich durch ihren charakteristischen Tonhöhenverlauf überdies prosodisch von anderen kastilischen und amerikanischen Varietäten unterscheidet. Dass das español bonaerense insbesondere auf lautlicher Ebene auffällt und dies dazu führt, dass schon durch die phonischen Merkmale oftmals unmittelbar auf die Provenienz der porteños geschlossen werden kann, liegt aber vor allem an der Koexistenz stimmhafter Präpalatale mit einem stimmlosen ʃeísmo, der in verschiedenste Gesellschaftsschichten und Sprechsituationen Einzug gefunden hat. Die Sonderstellung, die diesem Phänomen seit den ersten sprachwissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit der Thematik innewohnt, gründet nicht zuletzt auf der Dynamik dieser Lautentwicklung: Während sich auch in anderen Teilen der spanischsprachigen Welt der Wandel zum stimmhaften Präpalatal vollzieht oder vollzogen hat, ist das Koexistieren zwischen stimmhafter und stimmloser Variante jedoch einzigartig und sowohl für die Linguisten als auch für die Sprecher auffallend. Neu in eine bis dato fremde Sprachgemeinschaft hinzugekommen, stellte sich mir bereits vor dem Studium während eines Volontariats im La-Plata-Raum wiederholt die Frage, ob eine Orientierung an den stimmhaften Realisierungen der Projektleiter oder an der meist stimmlosen Aussprache Gleichaltriger angebracht war. Die Suche nach einer zu befolgenden Norm lag in der Faszination für diese unterschiedlichen Ausspracherealisierungen begründet und mündete in die Motivation, die Verwendungstendenzen zu hinterfragen und nachvollziehen zu wollen. Dass sich aus soziolinguistischer Sicht durchaus Antworten auf diese Fragen der Laienperspektive finden lassen, die Klärung des Dominanzverhältnisses der beiden Varianten allerdings sehr viel komplexer ist, als es auf https://doi.org/10.1515/9783110637663-001
2
1 Einleitung
den ersten Blick erscheint, wird integraler Bestandteil der vorliegenden Arbeit sein. Der ʒeísmo1 gilt seit seinen frühen Zeugnissen zu Beginn des 18. Jahrhunderts als urbanes Phänomen, dessen Ursprung in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires vermutet wird. Etwa ein Jahrhundert später ließen sich dort auch die ersten Belege für das Aufkommen einer bis heute koexistierenden desonorisierten Variante registrieren. Die hier präsentierte Untersuchung setzt sich zum Ziel, die synchrone Distribution von ʒeísmo und ʃeísmo aus diasystematischer Perspektive zu erfassen und ihre Dynamik in dem ebenfalls von Dynamik und Mobilität geprägten Untersuchungsraum der Ciudad de Buenos Aires aufzuzeigen. In der Analyse und Interpretation synchroner Daten sollen dabei auch Annahmen zu den verschiedenen Phasen des Sprachwandels in Buenos Aires formuliert werden. Der Lautentwicklung, die sich im gewählten Untersuchungsgebiet ereignet hat, liegt zunächst die Aufhebung einer phonemischen Unterscheidung zugrunde, der sog. yeísmo. Mit dem Begriff yeísmo wird in der Hispanistik das Ergebnis einer Dephonologisierung bezeichnet, die sich aus dem Zusammenfall der Phoneme /ʝ/ und /ʎ/ in den palatalen Frikativ /ʝ/ entwickelt hat: Pablo se calló [se ka'ʎo] – Pablo se cayó [se ka'ʝo]➔→ [se ka'ʝo] War die homophone Realisierung solcher Wortpaare in Spanien anfangs noch eine lediglich im Substandard verbreitete Variante, hat sie sich im spanischsprachigen Raum inzwischen so großflächig durchgesetzt, dass mittlerweile im Gegenzug die Distinktion beider Laute als dialektal markiert angesehen werden kann. Begünstigt war die Delateralisierung sicherlich durch die geringe Funktionalität der Opposition der Phoneme /ʝ/ und /ʎ/, die nur in Einzelfällen relevant ist. Auch in Lateinamerika gilt der yeísmo in weiten Teilen als generalisiert und hat sich in seiner Entwicklung in einigen Gebieten noch weiter ausdifferenziert. In der zona litoral-pampeana Argentiniens, inzwischen aber auch in Teilen der nordöstlichen provincias sowie in vielen weiteren Regionen der spanischsprachigen Welt, hat sich /ʝ/ zu der postalveolaren Realisierung [ʒ] entwickelt.
1 In der vorliegenden Arbeit werden zur Schreibung der verschiedenen Varianten des yeísmo die phonetischen Symbole des Systems des IPA verwendet. Bei der Aufführung von Zitaten ist aber zu beachten, dass frühere Arbeiten zu dem Thema zum Teil von der IPA-Lautschrift abweichen und auf die Notation des RFE zurückgreifen. Das in der API/IPA als [ʒ] dargestellte stimmhafte Allophon wird dort als [ž] repräsentiert, die stimmlose Variante [ʃ] als [š] und [ʝ] als [y]. Die in den Originalquellen verwendeten Zeichen der RFE werden im Nachfolgenden bei der Wiedergabe von Zitaten beibehalten.
1 Einleitung
3
Pablo se cayó [se ka'ʝo] – Pablo se calló [se ka'ʝo]➔→➔ [se ka'ʒo] Das Ergebnis dieses Lautwandels wird terminologisch allgemein als ʒeísmo oder žeísmo bezeichnet. Mit der Desonorisierung des stimmhaften Frikativs [ʒ] wird von Buenos Aires und dem La Plata-Raum ausgehend ein weiteres Stadium des Lautwandels eingeleitet: se calló [se ka'ʒo] – se cayó [se ka'ʒo] ➔→➔ [se ka'ʃo] Für den auf der Basis des Allophons [ʃ] realisierten yeísmo haben sich in Fortführung der analogen Begrifflichkeiten die Termini ʃeísmo, šeísmo oder auch ʒeísmo ensordecido etabliert. Im Gegensatz zur Entwicklung zum präpalatalen Laut [ʒ] stellt die desonorisierte Variante [ʃ] eine Etappe dar, die sich in dieser Form in keinem anderen spanischen Lautsystem außerhalb Argentiniens und Uruguays vollzogen hat.2 Das Aufkommen des ʃeísmo bedeutet dabei aber keinesfalls die Aufgabe bzw. das vollständige Ersetzen der stimmhaften Variante [ʒ]. Vielmehr koexistieren beide Laute in Abhängigkeit von phonetischen und soziologischen Variablen. Die zuletzt in den 70er- und 80er-Jahren entstandenen ausführlicheren Arbeiten von Wolf/Jiménez und Kubarth haben offengelegt, dass der Variation der einzelnen Phone offenbar gruppenspezifische Verwendungstendenzen zugrunde liegen. Sicherlich ist die Entwicklung des Desonorisierungsprozesses auch in jüngerer Zeit von der Forschung nicht gänzlich unberücksichtigt geblieben. Eine umfassendere variationslinguistische Aufarbeitung wie sie für die
2 Cf. Rost (2017); Kubarth (2009, 108). Auch Gabriel/Meisenburg/Selig verweisen darauf, dass sich u.a. durch den ʃeísmo in Argentinien eine Varietät herausgebildet habe, die sich «in lautlicher Hinsicht deutlich von anderen Varietäten und insbesondere vom kastilischen Spanisch abhebt» (Gabriel/Meisenburg/Selig 2013, 12s.; cf. auch die Seiten 3 und 66). – Wenn ein Desonorisierungsprozess im Sinne einer lautlichen Weiterentwicklung des yeísmo in anderen Regionen zwar ausbleibt, so sind doch in mehreren Gebieten Spaniens affrikatische Realisierungen des stimmlosen Präpalatals zu verzeichnen. So verortet Rost (2014) die Affrikata [tʃ] u.a. im Norden und Westen der Stadt León sowie im Westen Zamoras und bezeichnet sie darüber hinaus als die dort gebräuchlichste Form affrikatischer Realsierungen. Weniger häufig seien Okkurrenzen in Guadalajara und Toledo. Weitere Vorkommnisse finden sich in der spanischen Extremadura sowie in einigen Gebieten im Norden des Landes wie in San Miguel de Aras oder Villaverde de Trucios. Von besonderem Interesse ist jedoch eine Anmerkung Rosts zur Präsenz der Palatale in Panama: Dort sei der stimmlose Frikativ [ʃ] als Variante in Cerro Punta im Westen des Landes vor allem unter älteren Männern präsent. Damit scheint neben Argentinien und Uruguay ein weiterer Raum zu bestehen, in dem der stimmlose Präpalatal in seiner nicht affrizierten Form Verwendung findet (cf. Rost 2014, 154).
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1 Einleitung
1970er-Jahre von Wolf/Jiménez vorliegt, fand zur Dokumentation des aktuellen Sprachzustands in Buenos Aires jedoch nicht statt. In den genannten Studien wurde ferner auch eine mögliche diaphasische Markierung der Varianten in Erwägung gezogen. Was dort aber ausbleibt, ist der Versuch, innerhalb des spontansprachlichen Diskurses situative Verwendungstendenzen aufzuzeigen und die Rolle der Varianten in Korrelation zu individuellen Ausdrucksfinalitäten zu diskutieren. In meinen eigenen Vorarbeiten kristallisierte sich zudem die Vermutung heraus, dass der in Buenos Aires verankerten Variation nicht nur eine diastratische Markierung anhaftet, sondern dass auch innerstädtische Unterschiede in der räumlichen Extension des Lautwandels angenommen werden können. Die diastratische Relevanz des Phänomens scheint seit seinem Aufkommen offenkundig, die intraurban diatopische Differenzierung dagegen ein notwendiges Desideratum. Um diesen Fragestellungen und Hypothesen Rechnung zu tragen, wurde in den Jahren 2012 und 2013 in der Ciudad Autónoma de Buenos Aires eine empirische Untersuchung durchgeführt, die sich auf Interviews mit 207 Sprechern unterschiedlichen Alters und Geschlechts stützte. Explorationsorte waren dabei ausgewählte Schulen, Kulturzentren und Seniorenclubs in insgesamt sieben Stadtteilen, die durch eine vorangehende sozialgeographische Analyse verschiedenen Arealen zugeordnet wurden. Die vorliegende Arbeit gliedert sich in drei Teile, die die verschiedenen Schwerpunkte, die für eine umfassende Darstellung der Thematik unabdingbar sind, erörtern. Im theoriebasierten ersten Teil erfolgt eine definitorische Auseinandersetzung mit den zur Diskussion stehenden Präpalatalen [ʒ] und [ʃ] sowie mit der Beziehung zwischen dem zugrunde liegenden Phonem und den davon ausgehenden Allophonen. Wann diese erstmals im Sprachraum Buenos Aires erfasst werden konnten und welche unterschiedlichen Interpretationen aus der kontrovers diskutierten Quellenlage hervorgingen, ist Gegenstand einer diachronen Aufarbeitung der Geschichte der Lautentwicklung. In diesem Zusammenhang werden auch die Schlussfolgerungen der bereits erwähnten Untersuchungen von Kubarth und Wolf/Jiménez aufgeführt, da sie an mehreren Stellen der Arbeit sowohl aus diasystematischer Perspektive als auch bezüglich des Sprachwandels in Capital Federal als wichtiger Referenzpunkt dienen können. Argentinien ist mit Blick auf die palatalen Varianten aber auch über die Hauptstadt hinaus ein bemerkenswertes Gebiet: Einerseits besetzt die rioplatensische Region mit der Ausprägung des stimmlosen ʃeísmo im gesamten spanischsprachigen Raum eine Sonderstellung, andererseits umfasst Argentinien selbst aber ein weiträumiges Kontinuum an palatalen und präpalatalen Varianten, die ihrerseits mit jeweils unterschiedlichen diasystematischen Markierungen behaftet sind. Die lokalen sprachlichen Systeme unterliegen dabei einer jeweils eigenen Dynamik; allerdings wird Buenos Aires
1 Einleitung
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als vermuteter Ausgangspunkt von ʒeísmo und ʃeísmo eine gewisse Expansionskraft auf lautlicher Ebene zugeschrieben. Allen voran werden dabei die urbanen Räume der provincias als Innovationszentren eines extensiven ʒeísmo angenommen, sodass sich in diversen Gegenden zunehmend Koexistenzen zu den lokalen Aussprachen ergeben. Dieser Hintergrund bildet das Fundament und die Überleitung zum zweiten, methodisch ausgerichteten Teil der Arbeit. Die Sprecher der Ciudad de Buenos Aires stehen unmittelbar im Zentrum der Untersuchungen. Es ist daher unerlässlich, die Relation von Sprache, urbaner Raumkonzeption und städtischen Gesellschaftsformen zum Gegenstand der Diskussion zu machen, um die aufeinander wirkenden Parameter sowohl in der Untersuchungsplanung als auch in der Bewertung der Ergebnisse adäquat einordnen zu können. Wie sich in der Stadtsprachenforschung mehrfach gezeigt hat, nehmen Städte eine Schlüsselrolle in der gruppenbezogenen Sprachentwicklung und der sprachlichen Perzeption ein; die urbane Dialektologie sieht sich in ihrer Herangehensweise dabei mit der Herausforderung konfrontiert, die komplexe soziologische Gesellschaftsstruktur mit einer lokalen, funktionalen und sozialgeographischen Ebene in Einklang zu bringen. Buenos Aires repräsentiert mit seiner innerstädtischen Differenzierung von Wohn- und Geschäftssiedlungen, Oberschichtvierteln und Hüttenvierteln, die sich ringförmig um den Stadtkern gruppieren, gewissermaßen exemplarisch das Modell der lateinamerikanischen Großstadt. Darüber hinaus zeichnet sich die Metropole aufgrund ihres Status als Einwanderungsziel in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch eine Reihe von intraurbanen vertikalen und horizontalen Mobilitätsprozessen aus.3 Unter Berücksichtigung dieser Aspekte und in Kenntnis der Bedeutung der Wechselwirkung von Sprecher und Raum wird im Anschluss das konkrete methodische Vorgehen der empirischen Studie vorgestellt und diskutiert. Dabei wird in erster Linie ein Korpus von spontansprachlicher, authentischer Rede angestrebt, das durch diverse Lektüresequenzen ergänzt wird. Der Hauptteil der Untersuchung konzentriert sich schließlich auf die soziolinguistische Auswertung der erhobenen Sprachdaten; hierbei ist die Frage, inwiefern den einzelnen Varianten eine diastratische, diaphasische sowie diatopische Markierung anhaftet, für die Analyse und Interpretation leitend. Einen besonderen Schwerpunkt bildet in diesem Zusammenhang die kartographische Darstellung der innerstädtischen Distribution von ʒeísmo und ʃeísmo unter
3 Cf. Heineberg (2006, 299); Bähr/Mertins (1981, 17).
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1 Einleitung
Berücksichtigung soziokultureller Sprechercharakteristika. Neben dem dominierenden quantitativen Analyseverfahren widmet sich der Auswertungsteil zusätzlich der qualitativen Betrachtung ausgewählter Transkriptionen. Diese Vorgehensweise verfolgt das Ziel, mögliche Tendenzen einer diaphasischen und kommunikativ-funktionalen Verwendung der Präpalatale innerhalb einzelner Individualsysteme aufzeigen zu können.
2 ʒeísmo und ʃeísmo: Forschungsstand 2.1 Terminologie und mögliche Gründe für den Lautwandel Das Konsonantensystem der zona bonaerense besteht infolge der Dephonologisierung von /λ/ aus 17 Phonemen im Gegensatz zu den Sprachzonen, die durch die Erhaltung des Laterals noch mit 18 Phonemen ausgestattet sind. Mit der Entwicklung des Frikativs /ʝ/ zum Postalveolar [ʒ] verschiebt sich der Artikulationsort von einer palatalen zu einer präpalatalen bzw. postalveolaren Stelle nach vorn, der Artikulationsmodus stabilisiert sich zu einer stimmhaften, kontinuierlich frikativen Artikulation.1 In seiner 1935 veröffentlichten Abhandlung «El problema de la lengua en América» wagt Amado Alonso einen der ersten phonetischen bzw. artikulatorischen Beschreibungsversuche des Phänomens: Pero en Buenos Aires [el yeísmo] tiene una particularidad: se añade al sonido propio de la y – propio en español, inglés, francés, alemán, etc. – un rehilamiento, un zumbido provocado por las vibraciones de la mucosa lingual. La impresión acústica se aproxima a la j francesa, pero no la iguala: falta a la articulación argentina abocinamiento labial y no se forma tan cerca del ápice lingual como la francesa. (Amado Alonso 1935, 80)
Der Begriff des rehilamiento wurde bereits zehn Jahre zuvor in Zusamme narbeit mit Navarro Tomás geprägt und 1925 im ersten Band der Revue de linguistique romane erstmals von Alonso schriftlich aufgeführt.2 Tatsächlich war es aber Lenz, der das Konzept als «Schleimhautvibration» zur Beschreibung des chilenischen rr ausarbeitete, bevor es Alonso als rehilamiento übersetzt und zur artikulatorischen Charakterisierung einer Reihe von stimmhaften Lauten aufgenommen hat.3 Ab diesem Moment war der Terminus zur Bezeichnung der stimmhaften frikativen Realisierung von /ʝ/ in Buenos Aires in der Forschungsdiskussion fest
1 Die Ausprägung des stimmhaften Präpalatals in der Entwicklung des argentinischen yeísmo stellt mit Blick auf Spanien und Lateinamerika keinen Einzelfall dar. Vorkommnisse des stimmhaften Frikativs [ʒ] sind dabei u.a. in Mittel- und Südmexiko, sowie vereinzelt in der Dominikanischen Republik, in Venezuela und im Norden Kolumbiens belegt. In Spanien ist der Laut im Zentrum der Provincia de Toledo, in Checa (Guadalajara) sowie in Teilen Andalusiens präsent. Daneben gibt es weitere spanische und amerikanische Regionen, in denen die affrizierte Form [dʒ] als allophonische Variante Anwendung findet (cf. Rost 2014). 2 Cf. Alonso (1925, 335); Barbón Rodríguez (1975, 89); Navarro Tomás (1934). 3 Cf. Lenz (1892); Barbón Rodríguez (1975, 88). Lenz zufolge entstehen sonidos rehilados aus der gleichzeitigen Vibration zweier Artikulationsorgane, nämlich sowohl der Stimmlippen als auch der Schleimhaut. https://doi.org/10.1515/9783110637663-002
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2 ʒeísmo und ʃeísmo: Forschungsstand
verankert und wurde dabei anderen Begrifflichkeiten, wie sonido sonoro oder auch ʒeísmo, oftmals noch vorgezogen. In Abgrenzung zu den in anderen Regionen auftretenden Formen von rehilamiento, wie beispielsweise der spanischen Extremadura, wurde das Phänomen in Hinblick auf Buenos Aires als vergleichsweise schwach ausgeprägt, kürzer und weniger intensiv beschrieben.4 Das Konzept des rehilamiento ist dabei jedoch nicht vollkommen homogen und auch keinesfalls unumstritten. So erfüllen der Klassifikation Alonsos folgend insgesamt fünf Laute die Kriterien, die das rehilamiento seinem Verständnis nach definieren. Demnach wohnt den Lautrealisierungen [z], [ž], [ẓ], [ẓ̌], [v] und [l̯] sowie dem stimmhaften /s/ folgende Charakteristik inne: «un zumbido especial que se produce en el punto de articulación de algunas consonantes sonoras, debido a la vibración adicional de las mucosas linguales» (Alonso 1940, 274). Bès nähert sich dem Phänomen von zwei Seiten: Aus akustischer Perspektive definieren sich die dem rehilamiento zuzuordnenden Laute durch ein «zumbido común», über das [z], [ž], [ẓ], [ẓ̌] und [v] verfügen. Artikulatorisch hält er wie schon Alonso die gleichzeitige Vibration von Stimmlippen und Schleimhäuten für die Grundvoraussetzung, dazu komme die Friktion des Luftstroms («fricción enérgica de una corriente de aire»), mit der eine gewisse Artikulationsspannung («articulación tensa») und eine Verstärkung des ausgeatmeten Luftstroms einhergehen (Bès 1964, 29).5 Barbón Rodríguez (1978, 209) nähert sich dem Konzept mit einer kritischeren Haltung als einige seiner Kollegen, wirft Alonso und Navarro Tomás sogar vor, sich nicht umfassend genug mit dem Phänomen auseinandergesetzt zu haben. Als zentrale Definitionskriterien eines sonido rehilado nennt er auf auditiver
4 Cf. Zamora Vicente (1949, 9); Bès (1964, 31). Auch Thun und Elizaicín haben das vielfach diskutierte Konzept des rehilamiento in ihren theoretischen Vorbemerkungen zum ADDU hinterfragt und unter anderem aufgrund der artikulatorisch kaum erfassbaren Eigenschaften für ihre Ausführungen abgelehnt (cf. Thun/Elizaicín 2000, 4). 5 Nicht nur von Bès wird das Konzept auch auf andere Sprachen übertragen: Sowohl dem englischen th (this) als auch dem französischen [v], [z] und [ž] werden aus artikulatorischer Sicht von verschiedener Seite dieselben Merkmale (zumbido und Schwingungen) wie dem argentinischen [ž] zugesichert (cf. Bès 1964, 31). Während Navarro Tomás die anderen Sprachen jedoch vielmehr nur vergleichend heranzieht, dabei aber dennoch die an das Spanische gebundene Exklusivität des Phänomens zu wahren scheint, besteht Bès ganz explizit auf der Gültigkeit des rehilamiento auch für andere Sprachen (cf. Bès 1964, 31; Navarro Tomás 1934). Cf. auch Barbón Rodríguez (1978, 208, 212). – Bei aller Verschiedenheit in Hinblick darauf, welche Laute das Konzept rehilamiento letztendlich umfasst, ist den hier aufgeführten Autoren wie auch Malmberg die Aufnahme des in Buenos Aires dominierenden Lautes [ʒ] bzw. [ž] gemein. Malmberg führt diesen 1965 sogar als einzigen in der die sonidos rehilados umfassenden Klassifizierung auf (cf. Malmberg 1965; Barbón Rodríguez 1978, 186).
2.1 Terminologie und mögliche Gründe für den Lautwandel
9
Ebene Friktion und Stimmhaftigkeit, auf akustischer Ebene die Merkmale «estocasticidad» und Periodizität (Barbón Rodríguez 1978, 189). Aus artikulatorischer Sicht beschränkt er sich jedoch ganz bewusst auf die Konstriktion und Schwingung der Stimmlippen; die parallele Beteiligung der Schleimhaut, die in den vorausgehenden Forschungsbeiträgen hervorgehoben wurde und den Begriff letztlich begründete, erklärt Barbón Rodríguez für vollkommen irrelevant: Ocurre que sonidos del tipo [ž], son así, y no de otra manera. No se añade nada adicional; ese adicional les es propio. Sonidos como [ž] y todos los citados por Alonso y otros, exigen, como se ha visto, no sólo la vibración de las cuerdas vocales, 1ª la constricción, sino además una 2ª, a partir de ellas, en cualquier lugar del tubo, según su clase: labios, dientes, alveolos o paladar. [. . .] cuando en el proceso articulatorio se produce en el tubo una constricción (independiente de la constricción de las cuerdas vocales) las mucosas no tienen nada que ver: no se oye la vibración de las mucosas; se oye una señal acústica [. . .] Como se ha dicho, lo que realmente vibra son las cuerdas vocales cuyo sonido se modifica por la turbulencia de la segunda constricción. (Barbón Rodríguez 1978, 209s.)
Der Versuch von Lenz, mittels des von ihm geprägten Begriffs der Schleimhautvibration den artikulatorischen Eigenschaften des Lauts gerecht zu werden, ist angesichts der Ausführungen von Barbón Rodríguez kritisch zu bewerten und stellt somit auch das auf diesem Begriff basierende Konzept des rehilamiento zumindest teilweise in Frage.6 In der Forschungsdiskussion wurden bisher ganz unterschiedliche Erklärungsmodelle zur Aufarbeitung der lautlichen Entwicklung der Präpalatale geliefert. Gemein ist diesen Erläuterungen, dass sie größtenteils in einer sprachinternen Motiviertheit des Lautwandels übereinstimmen. In diesem Sinne erklärt Guitarte die Etablierung von [ʒ] und [ʃ] auf struktureller Ebene. Durch die den seseo bewirkende Dephonologisierung der vier mittelalterlichen dentalen und alveolaren Sibilanten zugunsten des alveolaren /s/ verschiebt sich der Sibilant /s/ von der palatalen hin zur dentalen Ordnung; damit bildet er mit /t/ und /d/ eine neue, auf Stimmhaftigkeit und Plosion beruhende, korrelative Einheit, hinterlässt jedoch eine Leerstelle in den nun auf die Opposition von /č/ und /y/ beschränkten palatalen Beziehungen (Abbildung 2.1). Um das Kriterium der Stimmhaftigkeit gegenüber /č/ stärker hervorzuheben, entwickelt sich /y/ zu dem stimmhaften Frikativ [ʒ] («dando a /y/ un timbre chicheante», Guitarte 1955, 158), womit der Laut die kontrastive Eigenschaft
6 Einen weiteren Kritikpunkt sieht Barbón Rodríguez in der weitgehenden Beschränkung des Konzepts auf das Spanische. Cf. zur Verbreitung des rehilamiento im Spanischen auch Young (1977).
2 ʒeísmo und ʃeísmo: Forschungsstand
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t │ d s
č │ y Abbildung 2.1: Dentale und palatale Korrelationen nach Guitarte (aus Guitarte 1955, 156).
von Stimmhaftigkeit verstärkt und Guitarte zufolge die palatalen Beziehungen stabilisiert.7 Die später erfolgende Desonorisierung von [ʒ] begründet Guitarte zum einen als artikulatorisch bedingt, zum anderen sei sie gerade bei den Sprechern, die ausschließlich /š/ anstelle von /ž/ artikulieren, ein weiterer Schritt zur Perfektionierung der palatalen Reihe, indem /š/ nun /ž/ ersetze und damit die Korrelation durch das unterscheidende Merkmal Plosion-Friktion erhalte:8 Como al rehilarse un sonido aumenta la energía muscular y el volumen del aire, pero se debilitan proporcionalmente las vibraciones laríngeas, la /ž/ tiende progresivamente a ensordecerse. [. . .] Ésta es la solución que tiende a dar el ensordecimiento del rehilamiento porteño a la inestabilidad del orden palatal, y el que hay adquirido validez fonológica la variante ensordecida /ž/ indica el deseo de seguir manteniendo la distinción con /č/ por medio de una oposición más perfecta [. . .]. (Guitarte 1955, 162s.)
Die Etablierung von [ʃ] bildet damit nach Guitarte die letzte Phase der palatalen Umstrukturierung.9
7 Cf. Guitarte (1955, 158s.). [ʒ] und [ʃ] erlangen bei Guitarte je nach Sprechergruppe Phonemstatus. 8 Kubarth kritisiert diese Argumentation nicht zuletzt aufgrund einer möglichen Neutralisation, herbeigeführt durch Konfusionen in der Verwendung von affriziertem [ʃ] und der Affrikata [tʃ] bei der Realisierung von , womit die Opposition von /ʃ/ und /tʃ/ wieder aufgehoben wäre. Die Kritik kann an dieser Stelle zwar teilweise unterstützt werden, allerdings ist fraglich, ob es in der gesprochenen Sprache vor dem Hintergrund sprachexterner Parameter tatsächlich zu dieser Art Konfusionen kommt: Das von Kubarth angeführte Beispiel yeta (mala suerte) findet unter jüngeren Sprechern eigentlich keinen Gebrauch, wohingegen die Verwendung von cheta sehr häufig anzutreffen ist; ganz abgesehen von der diastratischen Abhängigkeit von [tʃ] als allophone Realisierung von /ʝ/. – Ähnlich verhält es sich mit der möglichen Opposition pucho – puyo (Me encuentro con una persona que me da un pucho/puyo), für die kaum pragmatische Verwendungskontexte bestehen. 9 Mit der Desonorisierung von [ʒ] vollzieht sich zwar ein nahezu einzigartiger Prozess in der bonaerensischen Sprachgemeinschaft, insgesamt werden in der Entwicklung der Palatale bzw. Präpalatale aber Parallelen zur kastilischen Lautentwicklung sichtbar: Im Zuge der phonologischen Umstrukturierung wurde die Opposition von stimmhaftem [ʒ] (fijo [‘fiʒo]) und
2.1 Terminologie und mögliche Gründe für den Lautwandel
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Die erste Verwendung von [ʃ] im bonaerensischen Spanisch ist Fontanella de Weinbergs Überzeugung zufolge allerdings dem Einfluss von sprachlichen Kontaktphänomenen auf die bonaerensische Sprachgemeinschaft geschuldet. Demnach erfolgt die Integration des Phonems /ʃ/ in das bonaerensische Lautinventar im Zuge der Immigrationswelle in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in der sich der Laut über Lehnwörter insbesondere unter den Sprechern der höheren Gesellschaftsschichten der Hauptstadt verankert haben soll. Da es sich in diesem Zusammenhang unabhängig vom Desonorisierungsprozess von [ʒ] um einen an bestimmte Lexeme wie chic, chef oder champagne gebundenen eigenen Laut handelt,10 und sich damit noch keine Kontexte zur Variation mit [ʒ] eröffnen, spricht Fontanella de Weinberg dem stimmlosen Frikativ den Status eines Phonems zu, dessen Aufnahme in das bonaerensische Phoneminventar durch eine Leerstelle in der palatalen Reihe begünstigt worden sei (cf. Fontanella de Weinberg 1987a, 144s.):
p
t
č
k
b
d
ž
g
f
s
š
x
m
n
ñ
l r, ‾r
Abbildung 2.2: Konsonanten des bonaerensischen Spanisch (aus Fontanella de Weinberg 1987a, 145).
Der auf Kontaktphänomenen beruhende externe Erklärungsansatz und ausschließlich lexikal gebundene Prozess ist von der tatsächlichen Desonorisierungsphase auf sprachinterner Ebene allerdings klar zu unterscheiden und fällt vielmehr in einen eigenen Bereich der Lehnwortphonologie; ob man diesen tatsächlich mit einer generellen Modifizierung des Phonemsystems in Verbindung bringen kann, ist sehr fraglich. Den Grund für diese Modifizierung sieht Fontanella de Weinberg bei der Auswertung ihrer 1979 durchgeführten Untersuchung
stimmlosem [ʃ] (fixo [‘fiʃo]) im castellano medial zugunsten der stimmlosen Variante aufgehoben, die sich in einem weiteren Schritt zum velaren Frikativ /x/ wandelte. 10 Die Verbreitung in der Oberschicht resultiert wohl aus dem semantischen Gehalt dieser vor allem aus dem Französischen entlehnten Wörter, für die in anderen Gesellschaftsgruppen schon aus rein pragmatischer Sicht kein Anwendungskontext bestanden haben dürfte.
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2 ʒeísmo und ʃeísmo: Forschungsstand
zum einen in der geringen Funktionalität der Opposition von [ʃ] und [ʒ], zum anderen in den distributionellen Beschränkungen bei der silbischen Strukturierung von [ʒ] und den vergleichsweise nur marginal realisierten allophonischen Varianten zur Stärkung der Konsonantenposition: Con respecto a su distribución, las otras tres sonoras, /b d g/, forman sílaba con las líquid as /l r/, entanto que /ž/ no integra ese tipo de grupos; en cuanto a su representación alofónica /b d g/ presentan regularmente alófonos oclusivos en posición inicial absoluta tras nasal en el habla normal, mientras que en posición inicial absoluta el alófono regular es espirante y sólo se da una africada en casos de énfasis especial. Estas peculiaridades de /ž/ indudablemente debilitan aún más a la serie palatal y quizás [. . .] hayan favorecido el predominio de /š/ mucho mejor integrado en el sistema, por presentar una distribución y una representación alofónica similar a /x/, otra integrante de su serie. (Fontanella de Weinberg 1979, 120)
Im Gegensatz zu den strukturalistischen Theorien von Guitarte und Fontanella de Weinberg zieht Kubarth (1998) als Erklärung für die Desonorisierung von [ʒ] fortitive Prozesse heran, die darauf abzielen, das charakteristische Merkmal eines Lautes in besonderer Weise hervorzuheben. Im Falle des ʒeísmo sei dies laut Kubarth mehr das frikative als das sonore Moment, weshalb die Sonorität zugunsten einer stärkeren Ausprägung des Geräuschcharakters aufgegeben werde.11 Bevor in den nachfolgenden Kapiteln eine intensive Auseinandersetzung mit der historischen, diasystematischen und funktionalen Wertung der in Buenos Aires verankerten Präpalatale stattfinden kann, muss Klarheit hinsichtlich der Frage geschaffen werden, welcher der koexistierenden Laute schließlich als eigentliches Phonem im bonaerensischen Lautsystem gewertet werden soll. Etymologisch gesehen ist /ʝ/ die kleinste bedeutungstragende Einheit, die in distinktiver Opposition zu den anderen Lauten steht. Wie sich im Laufe der vorliegenden Arbeit aber zeigen wird, entspricht /ʝ/ heute nur noch in Abhängigkeit bestimmter stilistischer und lexikalischer Stimuli Realisierungen, die tatsächlich als Einheiten der parole geäußert werden. Sinnvoller scheint vielmehr, dem stimmhaften Präpalatal [ʒ] den Status eines Phonems zuzuschreiben und damit sowohl [ʃ] als auch [ʝ] als Allophone von /ʒ/ zu betrachten, da die Phone nicht miteinander kontrastieren und in fakultativer Variation zueinander stehen.12 Die Frage nach der phonologischen Wertung der Laute im español bonaerense fällt in der Literatur keineswegs
11 Cf. Kubarth (1998, 158). 12 Cf. zur Terminologie Gabriel/Meisenburg/Selig (2013, 94s.). In seinem Phonemstatus liegt sicherlich ein zentraler Unterschied zu den von Rost genannten anderen Regionen, in denen der stimmhafte Frikativ [ʒ] auftritt und als allophonische Variante mit anderen lokalen Aussprachen koexistiert (cf. Rost 2014, 2017).
2.2 Historische Entwicklung
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einheitlich aus und wird unter direktem Rückgriff auf lautschriftliche Darstellungen oftmals gar nicht gestellt. Wie im nachfolgenden Abschnitt nochmals thematisiert werden wird, versieht Fontanella de Weinberg auch den stimmlosen Frikativ [ʃ] mit einer phonematischen Wertung, was sie zum einen mit dessen Integration in das bonaerensische Lautsystem über Lehnwörter wie short oder flash begründet. Zum anderen präsentiert sie in Abhängigkeit des Alters der Sprecher drei verschiedene Systeme palataler Beziehungen, innerhalb derer [ʃ] zusätzlich zu seinem Phonemstatus die Klassifikation eines Allophons von /ʒ/ besetzen kann, oder aber das übergeordnete Phonem der Allophone [ʒ] und [ʃ] repräsentiert.13 Die Möglichkeit der Koexistenz verschiedener Systeme, innerhalb derer [ʒ] und [ʃ] unterschiedlich gewertet werden können, soll an dieser Stelle nicht verworfen werden. Wenig plausibel scheint aber, [ʃ] aufgrund entlehnter Anglizismen fest die Einordung eines Phonems zuzugestehen, da selbst in diesen Fällen prinzipiell die Möglichkeit gegeben ist, die Laute unabhängig von der lautlichen Umgebung miteinander zu vertauschen, ohne Bedeutungsdifferenzierungen hervorzurufen. Im Folgenden wird daher die oben vorgeschlagene Bezeichnung vorerst beibehalten.
2.2 Historische Entwicklung 2.2.1 Forschungsdiskussion um die frühe Quellenlage Wie an den oben genannten Beiträgen zur Terminologie und Motivation des Wandels aufgezeigt wurde, haben sich zahlreiche Forschungsbeiträge im Verlauf des vergangen Jahrhunderts mit der Lautentwicklung der Palatale und Präpalatale des Spanischen im Río-de-la-Plata-Gebiet beschäftigt. Die vorliegende Arbeit verfolgt in erster Linie einen synchronen Schwerpunkt, allerdings soll ein kurzer Blick aus diachroner Perspektive die Dynamik des sich nach wie vor im Wandel befindlichen Phänomens verdeutlichen und die Diskussion um die Datierung der Entwicklungsströmungen, die den heutigen Realisierungsformen vorausgehen, aufarbeiten. Bei der historischen Rekonstruktion der phonologischen Prozesse war und ist man zunächst ausschließlich auf indirektes schriftliches Quellenmaterial angewiesen, was nicht nur in Bezug auf die frühe Ausbreitung des yeísmo in Spanien ab dem 16. Jahrhundert zutrifft, sondern auch noch zwei Jahrhunderte
13 Cf. Fontanella de Weinberg (1987a, 149).
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2 ʒeísmo und ʃeísmo: Forschungsstand
später hinsichtlich der Ausprägung des ʒeísmo der Fall ist. Qualitativ überprüfbare Daten aus erster Hand wie Tonbandaufnahmen, empirische Studien oder Sprecher als unmittelbare Zeugen bzw. Informanten stehen in der frühen Anfangsphase des phonologischen Wandels nicht zur Verfügung. Dass sich der tatsächliche Sprachgebrauch nicht immer im Moment seiner ersten Verwendung in schriftlichen Dokumenten niederschlägt, ist dabei ein unumgängliches Problem, denn eine bestimmte phonetische Realisierung kann natürlich schon über einen gewissen Zeitraum hinweg in einer Sprachgemeinschaft bestehen, bevor sie in Form von graphematischen Verwechslungen schriftlich erfasst wird. Diese Problematik schlägt sich in der umfangreichen Forschungsdiskussion über die zeitliche Einordnung von yeísmo, ʒeísmo und ʃeísmo nieder: Die oftmals spärliche Quellenlage zur Datierung der verschiedenen Entwicklungsstufen sowie die darüber hinaus häufig kontroverse wissenschaftliche Interpretation derselben erschweren eine genaue Nachzeichnung des Sprachwandels. Bei dem Vorhaben, dennoch zu einer möglichst aussagekräftigen Darstellung zu gelangen, sind wir – der Empfehlung Labovs folgend – daher dazu gezwungen, gewisse Einschränkungen in der Abhandlung einzuräumen und das Beste aus den vorhandenen Dokumenten und den bestehenden Divergenzen herauszuarbeiten.14 Obwohl die Opposition von /ʝ/ und /ʎ/ gegen Ende des 17. Jahrhunderts bereits in diversen Teilen Lateinamerikas aufgehoben ist, ist ihre Auflösung im Großraum Buenos Aires nicht vor der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts belegt.15 Guitarte nennt zwar bereits für das Jahr 1528 einen Fall, bei dem in
14 Cf. zur bad data-Problematik Labov (1994) sowie Knooihuizen (2006). 15 Cf. Fontanella de Weinberg (2003, 110; 1985a, 85). Die ersten Belege für die Existenz einer standardisierten Verwendung des yeísmo im lateinamerikanischen Sprachraum ließen sich offenbar nicht vor den 1680er-Jahren finden, wobei Lima 1680 zu den ersten Lokalitäten zählen dürfte, wo die Dephonologisierung als verankert dokumentiert wurde. Mit Verweis auf Amado Alonso (1951) diskutiert Corominas einige Orthographiefehler aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, die auf den ersten Blick sogar einen noch früheren Ursprung nahelegen könnten, dieser wird von Corominas selbst jedoch letztlich verneint (cf. Corominas 1953, 81s.; Alonso 1951; Rosenblat 2002, 164; Guitarte 1971, 185). Die Festlegung auf das Ende des 17. Jahrhunderts blieb aber keinesfalls unumstritten und das Aufkommen des Phänomens wurde vereinzelt bereits für das vorangehende Jahrhundert belegt. Wenn auch noch von keinem generalisierten Gebrauch gesprochen werden kann, so werden erste Konfusionen in Honduras beispielsweise schon im Jahr 1526 registriert (Beispiel: ay für allí; aus Nieto Segovia 1995, 44). Parodi (1977) führt in ihrer Aufarbeitung der Chronologie des amerikanischen yeísmo in Mexiko Schreibfehler u.a. aus den Jahren 1527 (contrayen, 243) und 1532 (papagallos, 243) an, in Honduras ab 1528 (ayá, 243). Weitere Einzelbeispiele, die die aufgehobene Unterscheidung insbesondere in intervokalischer Position offenlegen, dokumentiert sie in Peru für das Jahr 1549 (Cuzco, cogoio, 244), in Cuba 1578 und ‘79 (ayá, papagallo, 244) sowie in Venezuela
2.2 Historische Entwicklung
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einem Brief von Luis Ramírez das Graphem des Gerundiums yendo durch die Schreibung ersetzt worden ist. Da für diese Zeit, in der sich die zweite und endgültige Gründung der Hauptstadt ja auch noch gar nicht vollzogen hatte, aber keine weiteren Quellen gefunden werden konnten, die tatsächlich auf eine so frühe Verankerung des yeísmo im Raum Buenos Aires schließen lassen, wurde das Dokument als Einzelfall behandelt.16 Dennoch vertritt Guitarte die Überzeugung, der yeísmo sei von jeher ein Charakteristikum des Spanischen von Buenos Aires gewesen: «Desde las primeras observaciones sobre el lenguaje de Buenos Aires se denuncia el yeísmo como rasgo general de la pronunciación porteña» (Guitarte 1971, 190).17 Fontanella de Weinberg (1985a, 84s.) führt das späte Auffinden von Schreibfehlern und die damit ausbleibende Gewissheit über eine möglicherweise früher stattgefundene Dephonologisierung nicht zuletzt auf das hohe Bildungsniveau der Autoren von Schriftdokumenten aus dieser Zeit – Bischöfen, Priestern und Politikern – zurück. Ob die Unterscheidung beider Laute auch unter weniger gebildeten Bevölkerungsgruppen oder in der gesprochenen Sprache tatsächlich bis ins 18. Jahrhundert eingehalten wurde, ist daher nicht ausreichend belegt. Die ersten, wenn auch noch wenig konkreten Hinweise macht Fontanella de Weinberg in den Documentos para la historia Argentina in Form fehlerhafter orthographischer Verwendungen von und durch oftmals anonyme Autoren ausfindig: arrollo (1744), gayo (1778), gayardo (1782) oder carbayo (1776).18 Aus einem ähnlichen Schreibfehler des Lehrers Dr. Carlos J. Montero am Real Colegio de San Carlos zieht Fontanella de Weinberg die Schlussfolgerung, dass spätestens um
im Jahr 1594 (aiá, 244). Die Verwendung im 16. Jahrhundert im mexikanischen Sprachraum wird darüber hinaus durch von Boyd-Bowman (1975, 2) präsentiertes Quellenmaterial aus dem Jahr 1574 gestützt (valleta für bayeta, negociayo für negociallo). Auch Quesada Pacheco spricht sich in seinen Ausführungen zur Entwicklung des Spanischen in Costa Rica für die Existenz des yeísmo insbesondere in den Küstengebieten gegen Ende des 16. Jahrhunderts aus (cf. Quesada Pacheco 1990, 45). – Aufgrund dieser frühen Zeugnisse hält Garrido Domínguez es für unbestreitbar, dass der yeísmo bereits in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts in Lateinamerika aktive Verwendung fand (Garrido Domínguez 1992, 172). Damit verlegen die genannten Autoren das von Alonso auf 1680 festgesetzte Entstehungsdatum um eineinhalb Jahrhunderte vor. 16 Cf. Guitarte (1971, 180). Das Beispiel stammt aus den 1941 veröffentlichten Documentos históricos y geográficos relativos a la conquista y colonización rioplatense (Buenos Aires, vol.1, 99). 17 Guitarte bezieht sich mit dieser Aussage auf eine Passage aus Antonio J. Valdés’ Gramática y ortografía de la lengua nacional aus dem Jahr 1817, die Schreibfehler in der Anwendung von und zu Beginn des 19. Jahrhunderts belegen soll. 18 Cf. Fontanella de Weinberg (1985a, 85s). Die von der Autorin zitierten Beispiele sind den Documentos para la historia Argentina (Bände 1914–1955) entnommen.
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2 ʒeísmo und ʃeísmo: Forschungsstand
1775 der yeísmo auch im akademischen Bildungsstand angekommen sein müsse: «que hallan mirado tan poco».19 Die Entwicklung des Phonems /ʝ/ hin zur stimmhaften Affrikate [dʒ] wurde mehrfach auf den Beginn des 19. Jahrhunderts datiert. Wenn man die im gesamtlateinamerikanischen Vergleich doch relativ späte Aufhebung der Unterscheidung von /ʝ/ und /ʎ/ bedenkt, vollzog sich der Lautwandel zur nächsten Phase damit verhältnismäßig schnell. Guitarte liefert mit der Entdeckung des Reiseberichts des Engländers Alexander Caldcleugh, basierend auf dessen Lateinamerikareise in den Jahren 1819 bis 1821, den ersten konkreten Hinweis auf die innovative Variante: The Spanish spoken in Buenos Ayres is colonial, or rather provincial, anything but pure Castilian. Many of the words in most common use are sadly altered from their true pronunciation. Cavallo is pronounced Cavadjo, Calle Cadje, and yo jo. (Caldcleugh 1825, 173)
Da Caldcleugh zur Wiedergabe der von ihm festgestellten Aussprache die Grapheme und verwendet, mit welchen im Englischen der affrikatisch realisierte Präpalatal [dʒ] repräsentiert wird, gelangt Guitarte zu dem Schluss, dass das Phonem Anfang des 19. Jahrhunderts im Sprachraum Buenos Aires bereits fest etabliert gewesen sein muss (cf. Guitarte 1971, 191).20 Eine ähnliche Aussage findet sich fünf Jahre später in einer von Ángel Rosenblat zitierten Theaterkritik, die die Verwendung des stimmhaften Lauts einerseits als eine im Großraum Buenos Aires inzwischen recht häufig zu beobachtende Variante anführt, diese andererseits aber als unpassend und fehlerhaft bewertet: El no dar a la ll su pronunciación verdadera también es bastante frecuente en Buenos Aires, pero no tanto que sirva de excusa a nadie, y mucho menos a los señores del teatro. Alguno hay de ellos que al pronunciar llanto, batalla y otras palabras con ll parece que pronuncia un ch medio líquido pero prolongado, y que dice chchchanto, batachchcha, etc. No hallamos otro modo de escribir esta pronunciación viciosísima.21 (Rosenblat 1960, 12, zitiert aus Mensajero Argentino, 6. Juni 1826)
19 Cf. Fontanella de Weinberg (1985b, 54). Rosenblat ergänzt diesen Hinweis durch eine Reihe prominenter yeístas wie Rivadavia oder Alvear (1960, 12). 20 Im Río de la Plata-Raum Uruguays, wo die Koexistenz von stimmhaften und stimmlosen ʒeísmo ebenso charakteristisch ist wie in der zona litoral-pampeana Argentiniens, finden sich erst zwischen den Jahren 1867–68 die frühesten eindeutigen Zeugnisse für den stimmhaften Frikativ. Orthographische Fehler in älteren Dokumenten lassen aber die Vermutung zu, dass möglicherweise bereits in den 40er-Jahren des 19. Jahrhunderts die ersten Realisierungen des ʒeísmo auftraten (cf. Ramírez Luengo 2007, 329s.). 21 Als Urheber dieser Theaterkritik wird der aus Buenos Aires stammende Schriftsteller und Journalist Juan Cruz Varela (1794–1839) vermutet.
2.2 Historische Entwicklung
17
Neben diesen expliziten metasprachlichen Beschreibungsversuchen existiert auch eine Reihe passiver, d.h. auf graphematischen Konfusionen fußender Zeugnisse für die affrikatische Variante. Besonderes Interesse verdient dabei der vermutlich in den 90er-Jahren des 18. Jahrhunderts entstandene Gauchesco-Schwank El amor de la estanciera, der laut Fontanella de Weinberg klare Anhaltspunkte dafür liefert, das Aufkommen des rehilamiento auf die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts vorverlegen zu können. Mit der Absicht, durch das Einflechten portugiesischer Elemente eine satirische Wirkung zu erzeugen, legt der Dichter einem seiner Hauptcharaktere, dem Portugiesen Marcos Figueria, eine cocoliche-artige und in spanischer Graphie wiedergegebene Sprache in den Mund; ein Beispiel dafür ist filla für filha. Die für Fontanella de Weinberg bedeutungstragenden Formen sind dabei suyecto sowie das zweimal verwendete yente, die offenbar das portugiesische [ʒ] kennzeichnen sollten und somit eine zur Entstehungszeit bereits bestehende stimmhafte Realisierung von vermuten lassen.22 Da das Gedicht dem ländlichen Kontext entnommen ist, bleibt jedoch fraglich, ob es als einziger Anhaltspunkt für eine solch frühe Existenz des ʒeísmo bedenkenlos akzeptiert werden kann, zumal die Ausbildung des Präpalatals [ʒ] als urbanes Phänomen gilt; die ersten Belege für sein Aufkommen wären daher eher im städtischen Raum als Innovationszentrum zu vermuten.23 Trotz der zitierten Quellen ist nicht zweifellos geklärt, wie schnell sich der ʒeísmo im 19. Jahrhundert tatsächlich verbreitet hat und ab wann er als die gängige Aussprache von Buenos Aires angesehen werden kann. Guitarte und Fontanella de Weinberg lieferten sich diesbezüglich einen regelrechten Schlagabtausch an Argumenten.24 Während ersterer den yeísmo rehilado bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts als generalisiert betrachtet,25 plädiert Fontanella de Weinberg mehrfach für eine vielmehr langsame Etablierung des stimmhaften Frikativs, die ihrer Vermutung zufolge in Koexistenz zu /ʝ/ sogar bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts angedauert haben könnte. 22 Cf. Fontanella de Weinberg (1973, 341s). Der konkrete Wortlaut im Gedicht lautet dabei: «So Cabaleiro fidalgo de uha yente muy cumprida,/ teñe una gran viola muito fermosa y lucida vusei tenera un suyecto por su herno de muito nome». – Graphematische Konfusionen des gleichen Typus finden sich ferner in dem Gedicht Cielito Oriental von Bartolomé Hidalgo aus dem Jahr 1816. Auch hier werden zu satirischen Zwecken Charakteristika der portugiesischen Sprache nachgeahmt, wobei abermals das portugiesische /ž/ mit wiedergegeben wird: «A vose principe reyente/ Enviadle pronto á decir/ Que todos vais á morrer/ Y que nao la fica yente» (cf. Elizaincín/Malcouri/Coll 1998, 79). 23 Cf. dazu auch Noll (2002, 180s.). 24 Cf. Fontanella de Weinberg (1989; 1995); Guitarte (1992). 25 Cf. Guitarte (1971; 1992, 561s).
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Belege für diese Position findet sie zum einen in diversen schriftlichen Dokumenten von Juan Manuel de Rosas, die die bis in die 1850er-Jahre anhaltende Tendenz des ehemaligen Regierungschefs der Provincia de Buenos Aires, die Konjunktion y vor mit anlautenden Wörtern durch e zu ersetzen, offenlegen: V é yo nos pronunciemos. . . (26. Mai 1835) Eran Manuelita é yo. . . (4. August 1853)26 Fontanella de Weinberg wertet die Verwendung von e vor initialem /i/ als Indiz dafür, dass es zu Beginn sowie Mitte des 19. Jahrhunderts zumindest unter Sprechern eines gewissen Bildungsgrades durchaus noch üblich war, als Halbkonsonant [ʝ] zu realisieren. Die darüber hinaus in mehreren Briefen Rosasʼ (1831–1840) verwendeten Formen suio, cuio, vaia u.ä., die bereits 1960 von Rosenblat zitiert wurden, können als ein zusätzlicher Beleg für eine sich eher langsam vollziehende Entwicklung in Richtung rehilamiento verstanden werden: «Si la y consonántica la podía [Rosas] reproducir con i es evidente que no la pronunciaba rehilada» (Rosenblat 1960, 13). Während Rosenblat die Realisierungsformen von Rosas mit den im ruralen Raum üblichen Varianten in Verbindung bringt, weist Fontanella de Weinberg diese Interpretation trotz Rosasʼ mehrjährigen Aufenthalts auf dem Land entschieden zurück: «Su empleo de una variedad de /y/ sin rehilamiento parece atribuible más que a un uso rural [. . .] a una variante más conservadora del habla porteña aún coexistente con las variantes rehiladas» (Fontanella de Weinberg 1989, 271s.).27 Den zweiten Anhaltspunkt für eine bis Ende des 19. Jahrhunderts wirkende Koexistenz von yeísmo und yeísmo rehilado entnimmt die Linguistin einem Zeitungsartikel des Anwalts und Journalisten Adolfo Lamarque, der nach einer im Jahr 1885 unternommenen Reise nach Bahía Blanca beunruhigt feststellte: «La gente vulgar la llama Badía; la ilustrada, cuando pronuncia el nombre completo, Báhia Blanca; lo que se aproxima á Baya Blanca. Esto nos preocupa y nos alarma.»28
26 Cf. Fontanella de Weinberg (1989, 271). Die von Fontanella de Weinberg zitierten Briefzeilen sind folgendem Werk entnommen: Ernesto H. Celesia (1968): Rosas, Aportes para su historia, II, Buenos Aires, Peuser-Goncourt. 27 Spätere Präzisierungen dazu finden sich in Fontanella de Weinberg (1995, 4). 28 Cf. Fontanella de Weinberg (1989, 271). Der zitierte Zeitungsartikel erschien 1885 in der Revista Comercial de Bahía Blanca (cf. Adolfo Lamarque: «A orillas del mar», en: Revista Comercial de Bahía Blanca, n°326, 6–11–1909, 16–18).
2.2 Historische Entwicklung
19
Der Umstand, dass Lamarque die von ihm vermutlich als Approximant /j/ wahrgenommene Realisierung von Bahía [báia] in schriftlicher Form anhand des Graphems wiederzugeben versucht, ist für Fontanella de Weinberg ein weiteres Anzeichen für die bis zu diesem Moment noch bestehende Verankerung des stimmhaften Palatals /ʝ/: La proximidad de la realización de [báia] con baya y la posibilidad de confusión entre ambas indica que, para Lamarque esta última palabra no debía tener una pronunciación rehilada del tipo del español bonaerense actual [báža] o de las que a fines del siglo XVIII y principios del XIX eran similares a la [ž] portuguesa [. . .] ya que este sonido es claramente consonántico y no resulta similar a [i ̯]. [. . .] El hecho de que Adolfo Lamarque, un miembro de la clase media alta porteña, poseyera a fines del siglo XIX una realización de este tipo, nos muestra una continuidad en la persistencia de realizaciones no rehiladas, junto a las rehiladas.29
In einem 1992 verfassten kritischen Antwortschreiben verteidigt Guitarte seine zwanzig Jahre zuvor veröffentlichte Überzeugung, der yeísmo rehilado sei bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts die einzig vorherrschende phonetische Realisierung von und im Großraum Buenos Aires gewesen.30 In Opposition zu Fontanella de Weinberg deutet Guitarte die von Rosas verwendete Konjunktion e anstelle von y (Eran Manuelita e yo, cf. Guitarte 1992, 567) nicht als Repräsentation damaliger Aussprachekonventionen, sondern bringt diese vielmehr mit einer ihm eigenen orthographischen Regelhaftigkeit in Verbindung sowie mit dessen persönlicher Tendenz, und in der Orthographie einiger bestimmter Wörter synonym zu verwenden. Ferner stellt er nach intensiver Beschäftigung mit diversen Briefen von Rosas den Einsatz von anstelle von lediglich in Zusammenhang mit bestimmten Lexemen fest, während in anderen Wörtern die mit übliche Orthographie konstant beibehalten wird. So werden beispielsweise die ebenfalls von Rosenblat und Fontanella de Weinberg zitierten Possessivpronomen suyo, cuyo in deklinierter Form ausnahmslos mit geschrieben, Lexeme wie arroyo, ayuda oder das Personalpronomen yo hingegen in keinem analysierten Fall mit , sondern stets mit notiert. Dass Rosas beim Schreiben durch den Gebrauch von indirekt seine eigene Aussprache ähnlich einer phonetischen Lautschrift («ortografía fonética», cf. Guitarte 1992, 549) nachgezeichnet haben soll, was Fontanella de Weinberg zu der Schlussfolgerung («fátidica conclusión», Guitarte 1992, 549) veranlasste, von einer nach
29 Cf. Fontanella de Weinberg (1989, 273s.). Die Lautschrift [báia] zu Báhia entstammt der Interpretation Fontanella de Weinbergs. 30 Cf. Guitarte (1971).
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wie vor bestehenden Verankerung des Frikativs /ʝ/ auszugehen, streitet Guitarte deshalb vehement ab.31 Auch der Kommentar von Lamarque zu Bahía Blanca stellt für Guitarte nicht zuletzt aufgrund seines vagen Charakters keinen Beleg für eine Koexistenz von /ʝ/ und [ʒ] bzw. [dʒ] dar: De nuevo me veo forzado a discrepar con la señora de Weinberg. En cuanto al valor del sonido palatal Báhia, éste ha debido ser [y] [. . .]. Al desaparecer el hiato y producirse la disolación del acento, la i se consonantiza; por ejemplo cuando en las terminaciones del imperfecto se produce la sinéresis y se traslada el acento a la vocal más abierta: -eía > -éia, surgen formas con y consonante como leía > léia [léya] [. . .] De modo que lo que habría escuchado Lamarque en boca de los bahienses ilustrados sería [báya]. (Guitarte 1992, 571s.)
Uneinigkeit herrscht gleichermaßen im Hinblick auf die Auslegung der oben aufgeführten metasprachlichen Zeugnisse. Dass der ʒeísmo nicht die einzig vorherrschende Variante zu Beginn des 19. Jahrhunderts war, belegen der Argumentation Fontanella de Weinbergs zufolge zum einen die in der Theaterkritik des Mensajero Argentino verwendete Formulierung «alguno hay de ellos» (cf. Rosenblat 1960, 12), zum anderen die harsche Kritik an den Schauspielern. Wäre [ʒ] das damals einzig verbreitete Phonem gewesen, so Fontanella de Weinberg, wäre es seitens des Publizisten sicherlich nicht als Ausnahme deklariert worden und dürfte auch kein derartiges Missfallen ausgelöst haben.32 Ihre darüber hinaus schon 1989 geäußerte Auffassung, eine innerhalb einer Sprachgemeinschaft bereits generalisierte Variante ziehe als solche keine derartige Aufmerksamkeit mehr auf sich, überzeugt allerdings nur teilweise.33 Unter anderem an diesem Punkt setzt auch Guitarte mit seiner Kritik an: Zwar sei diese Auslegung vor dem Hintergrund der Sprachwandeltheorien Labovs nachvollziehbar und an sich auch zutreffend, allerdings steht unter Einbeziehung des Kontexts für Guitarte außer Frage, dass insbesondere ein gebildeter Sprecher wie der mutmaßliche Verfasser Juan Cruz Varela auch über Kenntnisse der spanischen Norm verfügt haben dürfte. Guitarte nimmt daher an, dass Cruz Varela 31 Cf. Guitarte (1992, 548–555, 569). Dass es sich um eine individuelle Schreibform Rosasʼ gehandelt haben muss, leitet Guitarte aus dem Vergleich mit Briefmaterial von einigen Korrespondenten Rosasʼ ab, in denen die von Rosas praktizierte Orthographie nicht nachgewiesen werden konnte. Beispiele für die synonyme Verwendung von und finden sich in paysano – paisano, Buenos Ayres – Buenos Aires. 32 Cf. Fontanella de Weinberg (1995, 2). 33 Cf. Fontanella de Weinberg (1989, 273): «[. . .] La denuncia que [. . .] hace Juan Cruz Varela en 1826, [. . .] muestra que la realización [ž] aún no estaba generalizada, ya que cuando una pronunciación se generaliza en una determinada comunidad lingüística, sus hablantes pierden conciencia de la misma».
2.2 Historische Entwicklung
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auch ohne eine noch fortwährende Koexistenz von [ʒ] und /ʝ/ zu einem metasprachlichen Vergleich der in seinem Land praktizierten Varianten in der Lage gewesen sein dürfte.34 Fraglich erscheint überdies auch Fontanella de Weinbergs Einschätzung, der rehilamiento sei aufgrund seiner Verwendung auf einer Theaterbühne in bereits gehobene stilistische Register vorgedrungen (cf. Fontanella de Weinberg 1987a, 99): Der Zeitungskommentar wertet seine Verwendung im dramaturgischen Kontext – wie von Fontanella de Weinberg ja auch dargestellt – als äußerst unpassend ab («pronunciación viciosísima», cf. Rosenblat 1960, 12), was eine bereits etablierte Akzeptanz in dieser Domäne wenig plausibel erscheinen lässt.35 Dass der Gebrauch des stimmhaften [ʒ] auf einer Theaterbühne zu dieser Zeit tatsächlich die Aufmerksamkeit des Rezensenten geweckt haben muss, lässt der nachfolgende Kommentar Guitartes vermuten. Darüber hinaus scheint er eine diaphasische Spezifizierung sowie die Distribution der bestehenden Varianten in bestimmten Domänen offenzulegen; dies gilt selbst mit Blick auf den Lateral /ʎ/, von dem fraglich ist, inwieweit er überhaupt je Bestandteil des Phoneminventars des español bonaerense war: Valor real en la pronunciación todavía lo tenía la ll en Buenos Aires cuando yo iba a la escuela,36 donde los maestros nos la hacían pronunciar en las clases de lectura. Cualquier persona que pasara frente a las aulas podía oír una ll porteña; también podía oírla si iba al teatro, encendía la radio o asistía a un acto oficial en que se pronunciara un discurso. Se habría equivocado de medio a medio quien hubiera deducido de estas experiencias que el yeísmo no estaba todavía impuesto en Buenos Aires: el yeísmo rehilado era general en toda la población, desde las más encopetada sociedad hasta el más humilde atorrante; la ll sólo conservaba el prestigio de pronunciación culta [. . .] Se trata de una repartición de funciones: el yeísmo pertenece al habla cotidiana y la distinción ll-y al habla culta. (Guitarte 1992, 559)
Die Beobachtungen Alexander Caldcleughs sorgten ebenso für Diskussionsstoff zwischen den beiden Philologen. Da in dem zitierten Abschnitt (cf. Caldcleugh
34 Cf. Guitarte (1992, 565s.). Weiter äußert sich Guitarte: «Porque asimismo es un hecho que los hablantes pueden observar su lenguaje. [. . .] Ahora bien, el crítico del Mensajero Argentino se ha colocado en esta posición de observador, no de hablante ingenuo de su lengua [. . .] y esto lo hizo guiado por el deseo de ajustar su habla nacional a la norma del español general» (Guitarte 1992, 566). 35 Sollte es sich bei dem Urheber der Kritik tatsächlich um den seinerzeit hoch angesehenen Schriftsteller Juan Cruz Varela handeln, könnte man darüber hinaus vermuten, dass sowohl in einem gebildeten kulturellen Milieu als auch in der Domäne des Journalismus die diskutierte Sprachform noch nicht als vollständig etabliert gegolten hat; zumindest wurde sie nicht als normalisiert deklariert. 36 Guillermo L. Guitarte wurde am 10. Juni 1923 in Buenos Aires geboren.
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2 ʒeísmo und ʃeísmo: Forschungsstand
1825, 173) lediglich die stimmhafte Affrikate [dʒ] hervorgehoben wird, an keiner Stelle jedoch der parallele Gebrauch des Palatals /ʝ/ erwähnt wird, ist für Guitarte der Beweis für die nicht mehr bestehende Existenz desselben gegeben. Der Formulierung «many of the words», die für Fontanella de Weinberg ein Indiz dafür ist, dass der präpalatale Frikativ zwar in vielen, aber eben nicht in allen Fällen in Erscheinung tritt, misst er dabei keine Bedeutung zu (cf. Guitarte 1992, 562).37 Das erste Aufkommen der stimmlosen Variante [ʃ] im bonaerensischen Spanisch wird zu Beginn des 20. Jahrhunderts vermutet.38 War die Quellenlage hinsichtlich der Etablierung von [ʒ] noch verhältnismäßig rar gewesen, war das linguistische Interesse am palatalen Lautwandel zu dieser Zeit bereits so stark angewachsen, dass im Verlauf der folgenden Jahrzehnte zahlreiche sprachwissenschaftlich fundierte Kommentare und Ausarbeitungen entstanden. So hebt Malmberg 1950 in seinen Ausführungen zur Phonetik des Spanischen in Argentinien die Besonderheit der Desonorisierung von [ʒ] («tendance à l’assourdissement») hervor und attestiert dem Laut damit eine Entfernung von seinem französischen Pendant.39 Zamora Vicente bezeichnet drei Jahre später im Rahmen einer akustischen Analyse des rehilamiento die stimmlose Variante als die quantitativ inzwischen am häufigsten verbreitete, führt die stimmhafte aber als die für Buenos Aires oftmals als charakteristisch eingestufte an.40 Dass ʒeísmo und ʃeísmo Mitte des 20. Jahrhunderts in Koexistenz zueinander stehen, ist aufgrund der reichhaltigen Quellenlage unumstritten und wurde auch zum damaligen Zeitpunkt von der Forschung nicht angezweifelt. Hinsichtlich der Frage, wie schnell die innovative stimmlose Variante gegenüber der stimmhaften an Boden 37 Cf. dazu auch Navarro Tomás ([1918] 282004, 131): «La pronunciación de la [y] como [ž] se ha hecho general en la Argentina: ažer, mažo». – Guitartes Schlussfolgerung, die letztlich nur auf der fehlenden Erwähnung von /j/ durch Caldcleugh beruht, erscheint in Anbetracht der Größe des Sprachraums, der zur Diskussion steht, dennoch voreilig bzw. zu stark verallgemeinernd: Je nachdem, in welchen Teilen der Stadt und unter welchen sozialen Sprechergruppen das Innovationszentrum der stimmhaften Variante [ʒ] gelegen hat, ist es nur wahrscheinlich, dass ein englischer Tourist auf seinen Besichtigungsreisen durch die Stadt nicht Einblick in die in den verschiedenen Stadtvierteln vorherrschenden Varianten gehabt haben kann. 38 Cf. Fontanella de Weinberg (1987, 145). Dabei handelt es sich um [ʃ] als Folge der Desonorisierung von [ʒ]. Wie in Kapitel 2.1 bereits ausgeführt, besteht das Phonem Fontanella de Weinbergs Ansicht zufolge in Form bestimmter Lexeme (cf. chic) bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts im bonaerensischen Sprachraum. 39 Cf. Malmberg (1950, 106s.). Malmbergs nachfolgende Bemerkung «Mes deux sujets argentins prononçaient souvent leurs [ʒ] avec une sonorité imparfaite. Je n’ai pourtant noté un assourdissement complet [. . .]» (Malmberg 1950, 106s.) wird in Bezug auf seine Einstufung einer unvollständigen Sonorität im Nachfolgenden noch zu diskutieren sein. 40 Cf. Zamora Vicente (1949, 9ss., 16).
2.2 Historische Entwicklung
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gewann, herrschen dagegen recht kontroverse Ansichten.41 1954 untersuchte Guitarte mittels teilnehmender Beobachtung den Gebrauch der Allophone von insgesamt 150 Sprechern, die unterschiedlichen sozialen Schichten angehörten und in verschiedenen Vierteln in der Ciudad de Buenos Aires wohnhaft waren. 77 Sprechern konnte er dabei eine ausschließlich stimmhafte Realisierung von /ʝ/ bzw. /ʒ/ bescheinigen, 50 variierten zwischen stimmhafter und stimmloser Variante und lediglich 23 Sprecher zeichneten sich durch eine rein stimmlose Aussprache aus.42 Mit diesem Ergebnis distanzierte sich Guitarte von den Auswertungen seines Kollegen Zamora Vicente und schloss sich stattdessen den Beobachtungen Alonsos aus dem Jahr 1946 an: [. . .] según mi observación y mi experiencia, la pronunciación ž era la general en toda la ciudad, la š era rara y ocasional en muchos; algunos lo pronunciaban ensordecida y hasta sorda con mucha frecuencia, pero eran tan individualizables como en Castilla los (Alonso 1967, 188) ceceosos o poco menos. [. . .] ž es la pronunciación habitual.43
Corominas, der selbst von 1939 bis 1945 in Buenos Aires lebte, bestärkte in einem Beitrag zur Entwicklung des yeísmo und lleísmo Alonsos bzw. Guitartes Wahrnehmung: «La pronunciación š de la ll se oía incomparablemente menos que ž en los años 1939–1945» (Corominas 1953, 87). Die inzwischen bei der Analyse angewandten direkten Methoden, wie teilnehmende Beobachtung, Tests und empirische Untersuchungen, ermöglichten ab der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erstmals auch aus soziolinguistischer Perspektive einen fundierteren Blick auf die Entwicklung der Palatale.
41 Cf. auch Honsa (1965). In seinen Ausführungen zur Phonetik des argentinischen Spanisch bringt Honsa das schnelle Fortschreiten der stimmlosen Variante insbesondere mit dem Einfluss Peróns in dessen erster Amtszeit in Verbindung: «From all indications, a change in the dialect must have ocurred between the years 1946 and 1949 at which time a phonemic mutation, the change of the voiced palatal fricative /ž/ to a voiceless /š/ took root and rapidly spread into the colloquial usage of all classes. The spread was greatly aided by the endlessly broadcast speeches of the Perón era and by the efforts of the higher classes to manifest to the pushing proletariat, the descamisados, that the higher classes were not anti-social» (Honsa 1965, 278). In Abgrenzung dazu deklariert Fontanella de Weinberg Perón eindeutig als ʒeísta, weshalb Da Honsas Einschätzung durchaus kritisch gewertet werden kann (cf. Fontanella de Weinberg 1979, 10). Andererseits ist in seinen Ausführungen nicht von Perón selbst, sondern klar von seinen Reden während seiner Ära die Rede; dass eine Popularisierung des ʃeísmo mit diesen in Verbindung gebracht wird, scheint daher durchaus nicht ungerechtfertigt. 42 Cf. Guitarte (1955, 150s.). 43 Einen kurzen Einblick in die Distribution der Allophone in La Plata gibt Jorge Díaz Vélez. Wenngleich er sich aufgrund von Schwierigkeiten bei der akustischen Differenzierung von [ʃ] und [ʒ] nicht eindeutig für die Dominanz einer der beiden Varianten aussprechen kann, tendiert er zu einer stärkeren Verbreitung der stimmhaften Form (cf. Díaz Vélez 1971, 381).
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Ging es vorher in erster Linie um die Frage, zu welchem Zeitpunkt die innovativen Varianten aufkamen und ab welchem Moment sich diese dauerhaft im Phoneminventar des español bonaerense etablieren konnten, rückten nun auch zunehmend Überlegungen zum sozialen und lokalen Ursprung des Phänomens ins Zentrum des Interesses. In diesem Sinne bringt Zamora Vicente in seiner Untersuchung die Verwendung des Präpalatals [ʃ] u.a. mit den Bewohnern der Arbeiterviertel («barrios populares»), der Sprache in Cafés sowie mit alltagsbasierten Gesprächsthemen in Verbindung: Es el más numeroso [el sonido sordo]. Es el que asedia al oído castellano en cuanto este se introduce por los barrios populares de Buenos Aires. El del tranvía, el café, la calle. Es – importa hacerlo notar – el de la clase de nivel medio cultural de la ciudad y de la zona suburbana. (Zamora Vicente 1949, 9) La consonante sorda se oye constantemente, y, a pesar de su estigma de pronunciación arrabalera o poco culta, va ganando terreno en el habla de los jóvenes, que, al cuidar su expresión, la sustituyen por la sonora con más o menos rehilamiento [. . .]. En las discusiones sobre deportes, cines, carreras, etc., y en cualquier motivo conversacional veloz y despreocupado š es el sonido más característico y significativo. También existe en el ambiente espiritual porteño la idea de que ese sonido š corresponde a determinados barrios de la ciudad: Boca, Avellaneda, Lanús, Nueva Chicago, Nueva Pompeya. Barriadas de obreros, de artesanos, de gentes del mar. (Zamora Vicente 1949, 17)
Die stimmhafte Variante [ʒ] assoziiere man hingegen vor allem mit der gebildeteren Bevölkerungsschicht, wenngleich Zamora Vicente darauf hinweist, dass auch unter diesen Sprechern Koexistenzen beider Varianten ausgemacht werden können.44 Mit seinen Beobachtungen spezifiziert Zamora Vicente den ʃeísmo indirekt sowohl als diastratisch als auch diaphasisch markiertes Phänomen und lässt überdies aus stadtgeographischer Perspektive Schlüsse über die möglichen innerstädtischen Innovationszentren des stimmlosen Allophons zu. Alonsos Analysen bestärken Zamora Vicentes Hinweise und verorten den Ursprung von [ʃ] darüber hinaus ganz konkret unter den Bewohnern der «barrios de los arrabales», den Einwanderungsvierteln der Stadt.45 Legt man den Aussagen Zamora Vicentes den heutigen Umriss der Stadt mit seiner Unterteilung in die verschiedenen barrios zugrunde, könnten die im Folgenden markierten Gebiete als mögliche intraurbane Innovationszonen ausgemacht werden; die Verweise Zamora Vicentes sind
44 Cf. Zamora Vicente (1949, 17). Interessant ist in diesem Zusammenhang auch der Hinweis Zamora Vicentes, dass das stimmhafte Phonem zunehmend im Gesang nationaler populärer Künstler zu hören und auf deren Schallplattenaufnahmen festgehalten ist (Zamora Vicente 1949, 9). 45 Cf. Alonso (1951, 188).
2.2 Historische Entwicklung
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allerdings äußerst vage und werden von ihm selbst auch so dargestellt und hinterfragt, weshalb Karte 2.1 ausdrücklich nur als Darstellung denkbarer Ausgangspunkte verstanden werden darf.
ʃeísmo-Gebiet
La Boca
Nueva Pompeya Nueva Chicago/ Mataderos
Avellaneda Lanús
Karte 2.1: Mögliche innerstädtische Innovationszentren des ʃeísmo in der Ciudad de Buenos Aires nach Zamora Vicente (1949).46
Eine abweichende Darstellung ergibt sich aus der intensiven Beobachtungsphase Guitartes. Von den insgesamt 62 untersuchten Personen der Arbeiterklasse, darunter Bauarbeiter, Verkäufer und Busfahrer, fiel lediglich ein einzelner Sprecher auf, der sich durch seine durchgehend stimmlose Realisierung innerhalb dieser 46 Avellaneda wurde erst 1904 mit diesem Namen versehen, bis dahin war der an Barracas angrenzende Vorstadtteil als «Barracas al Sud» bekannt. Wenn Zamora Vicente also auf die markierten Bereiche referiert, ist es durchaus denkbar, dass Barracas durch seine Verbindung zu Avellaneda mit einbegriffen ist.
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Gruppe abhob. Zwölf variierten im Gebrauch von stimmhafter und stimmloser Variante.47 Corominas’ Einschätzung geht mit diesen Untersuchungsergebnissen einher: La pronunciación š de la ll se oía incomparablemente menos que ž en los años 1939–1945. Tampoco creo que atine Zamora al decir que aquélla es propia de las clases trabajadoras y semicultas y ésta de la gente educada. (Corominas 1953, 87)
Guitarte erklärt das seinen Untersuchungen zufolge fehlende Vorhandensein einer gesellschaftlich bedingten Stratifikation der beiden Varianten durch das mangelnde Bewusstsein für das Phänomen seitens der Sprecher. Demnach werde Stimmhaftigkeit bzw. Stimmlosigkeit von keiner der verschiedenen Gesellschaftsgruppen mit einer bestimmten sozialen Gruppe assoziiert.48
2.2.2 Empirische Untersuchungen ab den 1970er-Jahren Die erste systematisch durchgeführte und soziolinguistisch orientierte Studie lieferte Fontanella de Weinberg 1979 für den Sprachraum Bahía Blanca. Wenngleich sich die Arbeit damit einem anderen als dem hier zur Untersuchung stehendem Untersuchungsort widmet, stellt die Ausführlichkeit der Analyse nicht nur aus diachroner Sicht eine wichtige Grundlage und Vergleichsbasis dar.49 Insgesamt wurden Daten aus sechzig Einzelinterviews gewonnen, wobei die Informanten nach Geschlecht, Alter sowie nach sechs unterschiedlichen – jeweils einer sozialen Gruppe entsprechenden – Berufssektoren ausgewählt wurden. Als für die Verwendung der stimmhaften oder stimmlosen Variante entscheidender Faktor stellt sich der Parameter Alter heraus, was die Beobachtungen Zamora Vicentes, der 1949 für eine rasche Ausbreitung des ʃeísmo insbesondere unter den jugendlichen Sprechern argumentierte, untermauert: In der Altersgruppe der zwischen 51- und 70-Jährigen registriert Fontanella de Weinberg den nahezu ausschließlichen Gebrauch von [ʒ]; je jünger die Informanten aber sind, desto deutlicher wird die Präferenz des stimmlosen Frikativs [ʃ]. Ein weitaus stärkeres Gefälle manifestiert sich im Vergleich beider Geschlechter:
47 Cf. Guitarte (1983, 150s.). 48 Cf. Guitarte (1983, 151). 49 Cf. Fontanella de Weinberg (1979). Die Studie selbst wurde bereits im Jahr 1973 realisiert. Mit ihrer Untergliederung in diastratische und diaphasische Parameter ist die Studie zwar soziolinguistisch ausgerichtet, eine stadtdialektologische Fokussierung findet allerdings nicht statt.
2.2 Historische Entwicklung
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Während die Frauen einen Höchstwert von 14550 erzielen, realisieren die männlichen Sprecher mit Werten zwischen 107 und 103 nahezu ausschließlich den stimmhaften Präpalatal [ʒ], der von Fontanella de Weinberg als die prestigeträchtige Variante deklariert wird. Mit dem Verweis auf das in der Forschung wiederholt festgestellte geschlechtsspezifische Sprachverhalten, wonach weibliche Sprecher häufig als Trägerinnen der als prestigereich erachteten Varianten gelten, liegt für Fontanella de Weinberg in dieser Verteilung und starken Diskrepanz zwischen den Geschlechtern eine bemerkenswerte Abweichung («aparente anomalía», Fontanella de Weinberg 1979, 75). Gleichzeitig ist der Kontrast zu diesem Zeitpunkt aber auch der erste konkrete Hinweis darauf, dass der ʃeísmo über die diagenerationelle Dimension hinaus auch als geschlechtsspezifische Variante eingeordnet werden kann. Tatsächlich ist die von Fontanella de Weinberg dokumentierte Distribution aber gar nicht so verwunderlich, wenn man bedenkt, dass die nur gering ausgeprägte Wiedergabe des stimmhaften Frikativs [ʒ] gleichzeitig die verstärkte weibliche Tendenz zur innovativen stimmlosen Form bedeutet. Nun verläuft die Rolle der Frau bei Sprachwandelprozessen allerdings keinesfalls nach einem homogenen Muster, wie in Kapitel 3.3 noch näher zu diskutieren sein wird; dass weibliche Sprecher aber häufig als treibende Kraft bei der Etablierung innovativer sprachlicher Formen agieren, ist mehrfach belegt und daher auch im vorliegenden Falle nur dann so bemerkenswert wie Fontanella de Weinberg äußert, wenn Innovation an das Vorhandensein von Prestige geknüpft ist.51 Setzt man die Variablen Alter und Geschlecht zu dem jeweiligen Bildungsstand der Informanten in Relation, erweisen sich junge Frauen zwischen 15 und 30 Jahren mit abgeschlossener primaria als Bildungshöchststand mit einem Wert von 223 als am weitaus innovativsten; Sprecherinnen derselben Altersgruppe mit Universitätsabschluss liegen mit etwas über 150 zwar deutlich zurück, überragen den Höchstwert der gleichaltrigen Männer aber noch um mehr als 20 Punkte. In den Altersgruppen ab dreißig wendet sich das Bild: Die universitär Gebildeten artikulieren die stimmhafte Variante weniger häufig als die Informanten anderer Bildungsniveaus (cf. Fontanella de Weinberg 1979, 95s.). Bezüglich der Nivellierung nach stilistischen Registern stellt Fontanella de Weinberg mit zunehmender Formalität des Sprachstils einen leichten Anstieg
50 Zur Häufigkeitsanalyse der verwendeten Varianten entwickelte Fontanella de Weinberg ein System, wonach der Index 100 den ausschließlichen Gebrauch des stimmhaften Allophons darstellt, der Wert 300 hingegen auf das vollständige Fehlen dieser Variante und damit auf die ausschließliche Präsenz von [ʃ] referiert (cf. Fontanella de Weinberg 1979, 33). 51 Cf. Fontanella de Weinberg (1979, 57, 75). Cf. dazu auch Schlieben-Lange (1985).
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der stimmhaften Variante [ʒ] fest. Dass diese insbesondere in den Lektüreteilen verstärkt auftritt, erklärt sie – neben möglichen Prestigegründen – folgendermaßen: «Esto quizá se explique por el hecho de que la forma aprendida escolarmente es una [ž] sonora (cuando no se inisiste en la pronunciación [ʎ] para la grafía ll)» (Fontanella de Weinberg 1979, 57). Dieser als Tatsache deklarierte Umstand legt den Schluss nahe, dass der Bereich Schule bzw. Bildung in den 70er-Jahren noch eine klare Domäne der stimmhaften Realisierung der Palatale war. Von besonderem Interesse ist die ähnlich strukturierte Studie aus dem Jahr 1977 von Clara Wolf und Elena Jiménez, die im Gegensatz zu Fontanella de Weinbergs Erhebungen direkt in Buenos Aires durchgeführt wurde. Die Untersuchung basierte zunächst auf Analysematerial von achtzehn Frauen und achtzehn Männern, wurde aber in einem zweiten Schritt durch eine Fokussierung auf sozial schwach gestellte Gruppen sowie durch ein Sample von insgesamt 250 Schülerbefragungen ergänzt.52 Wie sich schon für Bahía Blanca herauskristallisierte, erweisen sich auch im Falle von Buenos Aires Frauen im Verhältnis von 3 zu 1 als wesentlich innovationsfreudiger als die männlichen Probanden; die Variable Alter offenbart ein ähnliches Ergebnis. Bezieht man die Schülerstudie mit ein, steigt die Verwendung der Variante [ʃ] kontinuierlich antiproportional zum Alter. Dieser Trend setzt sich bei beiden Geschlechtern und in allen Bildungsgruppen fort; erwachsene Sprecher, die keinerlei stimmhafte Realisierungen vorweisen, werden hier noch nicht aufgeführt. Anders als Fontanella de Weinberg, die der stilistischen Variation immerhin eine minimal differenzierende Rolle zugesteht, messen Wolf/Jiménez dieser nur eine geringfügig signifikante Bedeutung zu: La variable estilo mostró ser irrelevante. No se confirmaron las conclusiones de Corominas, Malmberg, Zamora y Guitarte, que atribuían al descuido de las emisiones y la familiaridad de las situaciones el aumento de ensordecimiento. [. . .] El énfasis aludido por A. Alonso, no aparece como determinante de ensordecimiento, pero puede en cambio ser causa importante de otro fenómeno, la africación, como veremos más adelante.53 (Wolf/Jiménez 1977, 300)
52 Cf. dazu auch Wolf/Jiménez (1979). 53 Dieser Auswertung entsprechend beschränkte sich die bei der Schülergruppe durchgeführte Untersuchung lediglich auf einen Lektüreteil und Verbalkonjugationen, da man sich von einer größeren Bandbreite an stilistischen Registern nun keine Modifikationen im Sprachverhalten mehr versprach (cf. Wolf/Jiménez 1977, 301).
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100 90 80 70
mujeres de clase alta y media
60
hombres de clase alta y media
50 40
mujeres de clase baja
30 20
hombres de clase baja
10 0 más de 55a.
36-55a.
24-35a.
17a.
15a.
12a.
9a.
Diagramm 2.1: Verwendung von [ʃ] nach Alter, Geschlecht und Bildungsgrad 1977 in Buenos Aires.
Der Verweis auf die affrikatische Realisierung gibt an dieser Stelle über ein weiteres Entwicklungsstadium des yeísmo Aufschluss, das in der Forschungsdiskussion (s. oben) nur selten Erwähnung findet bzw. in Abgrenzung zur nicht affrizierten Form wenig differenziert dargestellt wird: Verneinte Guitarte 1955 noch die Verankerung stimmloser Affrikata, stellen Wolf/Jiménez mehr als zwanzig Jahre später vor allem in initialer Position einige Fälle stimmloser affrikatischer Realisierungen fest (Wolf/Jiménez 1977, 304): [tʃo]. Zusammenfassend lassen sich die Untersuchungsergebnisse von Wolf/Jiménez wie in Diagramm 2.1 dargestellt veranschaulichen.54 Obwohl sich abzeichnet, dass die Aussprache der sozial schwach gestellten Informanten wesentlich öfter mit stimmlosen Realisierungen durchsetzt ist, schätzen Wolf/Jiménez den sozioökonomischen Stand der Personen als die von allen beteiligten Faktoren am schwächsten wirkende Variable ein. Dies erschwert wiederum die Antwort auf die Frage, in welchem gesellschaftlichen Sektor sich die Variante letztlich entwickelt hat.55 Insgesamt belegen die Studienergebnisse ein deutliches Fortschreiten des stimmlosen Phons, die Einschätzung Zamora Vicentes, wonach dieses bereits 1949 die am häufigsten verwendete Variante gewesen sein soll, bestätigt sich
54 Eigenes Schaubild, basierend auf den Werten aus Wolf/Jiménez (1977, 307, cuadro 5). 55 Cf. Wolf/Jiménez (1977, 302). Wolf/Jiménez schließen sich dennoch der Vermutung an, wonach der Ursprung des ʃeísmo am ehesten in der Gruppe der weiblichen Sprecher der Unterschicht zu suchen ist.
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2 ʒeísmo und ʃeísmo: Forschungsstand
allerdings nicht. Wie sich in der Analyse und Interpretation der eigenen hier vorgestellten Untersuchung zeigen wird, kann diese Divergenz ein Widerspruch sein, sie muss es aber nicht. Buenos Aires als Millionenstadt bietet eine Vielzahl an intraurbanen Explorationsräumen, die kaum alle mit gleicher Sorgfalt erfasst werden können. Da in der Untersuchung von Wolf/Jiménez nicht präzisiert wird, in welchen Teilen der Metropole die Autoren ihre sprachlichen Daten erhoben haben, ist es zumindest möglich, dass die Unterschiede in der Präsenz der Varianten darauf hindeuten, dass in den verschiedenen Stadtvierteln unterschiedliche Phasen des extensiven Sprachwandels vorliegen. Auch die oben erläuterten Widersprüche zwischen Corominas, Guitarte und Zamora Vicente könnten – von der bad data-Problematik abgesehen – auf diachroner Ebene eine frühe intraurbane Differenzierung und ein innerstädtisches lokales Innovationszentrum plausibel erscheinen lassen. Diese Gedanken müssen auf diachroner Ebene allerdings als rein spekulativ eingeordnet werden, bleiben ähnliche Auffassungen in den Beiträgen der genannten Autoren doch vollständig aus. 1983 geht auch Kubarth der Frage nach der Verankerung der stimmhaften und stimmlosen Varianten in den verschiedenen Gesellschaftsschichten und Sprechergruppen in Buenos Aires auf den Grund. In seinen Interviews mit 106 Personen zwischen 13 und 75 Jahren gelangt er zu einer vergleichbaren Einschätzung wie Wolf und Jiménez sechs Jahre zuvor: Je höher die Gesellschaftsschicht, der die Informanten angehören, desto weniger präsent sei das stimmlose Allophon [ʃ]. Dieses dominiere insgesamt unter den weiblichen und den jüngeren Sprechern, wobei seine Vorherrschaft im diasexuellen (cf. Thun 2002) Vergleich innerhalb der clase alta weniger stark ausgeprägt sei als in der clase media und der clase baja.56 Ähnlich wie in dem Auswertungsverfahren von Fontanella de Weinberg, misst Kubarth ebenfalls das individuelle Verhältnis von stimmhaften und stimmlosen Realisierungen eines jeden Sprechers, um zu einer intrasubjektiven Bewertung des Fortschreitens des innovativen [ʃ] der einzelnen Informanten zu gelangen. Unter anderem die Feststellung, dass elf der befragten Jugendlichen während des ganzen Gesprächs keine einzige stimmhafte Realisierung aufwiesen, gibt für Kubarth den Ausschlag für folgende Prognose: El proceso parece perder algo de su ya vaga relación con lo femenenino y empieza y actuar ya no al nivel sintagmático sino al paradigmático. [. . .] Aunque el estudio de Wolf revela que algunas de estas jóvenes, al madurar, recuperan un poco de sonoridad [. . .] el proceso parece demasiado avanzado como para no imponerse definitivamente en el español de Buenos Aires. (Kubarth 1998, 159)
56 Cf. Kubarth (1998).
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Neuere Arbeiten geringeren empirischen Umfangs, die seit der Jahrtausendwende entstanden sind, stellen verstärkt die akustischen und apparativ messbaren Eigenschaften des ʃeísmo und ʒeísmo in den Vordergrund ihrer Betrachtungen. Zu nennen sind hier die Untersuchungen von Chang (2008), Fernández Trinidad (2010) und Rohena-Madrazo (2013). Die Ausführungen von Fernández Trinidad stützen sich auf Sprachmaterial von insgesamt fünf Sprecherinnen aus Montevideo und Buenos Aires und dienen in erster Linie der detaillierten akustischen Analyse der verschiedenen allophonischen Varianten.57 Die Studie von Rohena-Madrazo verfolgt ebenso einen akustischen Schwerpunkt und geht in diesem Zusammenhang der Frage nach, inwiefern bei der Realisierung von [ʒ] verschiedene Intensitäten von Stimmhaftigkeit («los niveles de sonoridad», Rohena-Madrazo 2013, 44) vorliegen. Zu diesem Zweck zieht er vergleichend Werte der Realisierung des stimmlosen Alveolars /s/ heran. Um im Rahmen der akustischen Fokussierung den Ansprüchen soziolinguistischen Vorgehens nachzukommen, stützt sich seine Analyse auf ein Sprechersample von 16 Personen aus Capital Federal sowie dem Conurbano de Buenos Aires, das er hinsichtlich Geschlecht, Alter und sozialem Status differenziert. Das Redematerial resultiert aus der Lektüre einer Wortliste und einer Reihe vorgegebener Sätze. Ähnlich wie in den zuvor genannten Arbeiten gelangt Rohena-Madrazo zu dem Ergebnis, dass der stimmlose Postalveolar sich zunehmend durchzusetzen scheint und der phonologische Wandel insbesondere in der Gruppe der jüngeren Sprecher der Mittelschicht als nahezu abgeschlossen deklariert werden kann. Auffällig sei mit Blick auf das Alter der Informanten eine vergleichsweise erhöhte Präsenz unter den älteren Sprechern der clase alta. Der Größe Geschlecht räumt Rohena-Madrazo dagegen keinen gewichtigen Stellenwert ein, womit sich Parallelen zu den Darlegungen Changs ergeben, der in seiner aus elf Teilnehmern bestehenden Untersuchung den Einfluss dieser Dimension ebenso verneint58: «Thus, although palatal devoicing was found to be correlated with age, it no longer seems to be correlated with gender. Young people today consistently say [ʃ] whether they are male or female.» (Chang 2008, 62). Die zitierten Arbeiten orientieren sich größtenteils an dem von Labov in den 1960er-Jahren vorangetriebenen Prinzip, sprachliche Varietäten unter Einbeziehung soziologischer und stilistischer Variablen zu untersuchen und leisten einen bedeutenden Beitrag für die soziolinguistische Aufarbeitung des bonaerensischen yeísmo; darüber hinaus sind vor allem die Beiträge von Fontanella de
57 Cf. dazu auch Kapitel 4.1. 58 Cf. Rohena-Madrazo (2013, 47, 55s.).
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Weinberg, Wolf/Jiménez und Kubarth auch aus diachroner Sicht in der Bewertung der diskrepanten Beiträge von Guitarte etc richtungsweisend.59 Stadtdialektologisch betrachtet erfüllen sie dagegen nur teilweise die Ansprüche, die an heutiges sprachgeographisches Arbeiten im urbanen Raum gestellt werden. Sowohl für Fontanealla de Weinberg als auch für Wolf/Jiménez war die Ortsfestigkeit der Informanten zwar voraussetzendes Kriterium, eine intraurbane Differenzierung beispielsweise nach Stadtvierteln bleibt in der empirischen Phase selbst aber aus. Insbesondere in letztgenannter Arbeit wäre ein solches Verfahren jedoch äußerst wertvoll gewesen, da man so möglicherweise Aufschluss über die lokalen Innovationszentren innerhalb der Ciudad de Buenos Aires gewinnen könnte und somit in der Lage wäre, den Darstellungen Zamora Vicentes zusätzliches Gewicht zu verleihen oder auch abzusprechen. Ansätze, wonach der innerstädtischen Provenienz eine Rolle in der Informantenauswahl zukommt, finden sich dagegen in der Studie Changs (2008), der zwischen Sprechern aus fünf verschiedenen Stadtvierteln unterscheidet. Obwohl er dabei von unterschiedlich geprägten Gegenden ausgeht – die er anhand der Kategorie «most expensive/less expensive neighborhoods» ausmacht – gelangt er zu dem Schluss, dass die Realisierung der Postalveolare nicht in Zusammenhang mit geographischen Faktoren zu stehen scheint. Dabei sollte abschließend nicht unerwähnt bleiben, dass die geringe Informantenzahl von teilweise nur einem Sprecher pro barrio als nur wenig aussagekräftig gelten kann und Changs Beobachtungen daher in keinem Widerspruch zu einer möglichen innerstädtisch diatopischen Markierung der Varianten stehen.60
59 Dass Fontanella de Weinberg insbesondere unter den universitär gebildeten Frauen zweiter Generation den höchsten Wert an stimmlosen Realisierungen ausmacht, veranlasst sie zu dem Schluss, dass die Desonorisierung in Bahía Blanca offenbar in dieser Bevölkerungsgruppe ihren Anfang genommen haben muss (cf. Fontanella de Weinberg 1979, 96). Dies könnte damit zusammenhängen, dass Frauen, wie bereits erläutert, oftmals zur Verwendung der prestigebesetzten Sprachform tendieren. Fontanella de Weinberg sieht darin zunächst einen Widerspruch, da sich in ihren Untersuchungen [ʒ] als die mit Prestige versehene Variante herausstellt. Es ist aber vorstellbar, dass [ʃ] als ein vermutlich zum ersten Mal in der Hauptstadt Buenos Aires aufgetretenes Phänomen zunächst als prestigevolle Innovation wahrgenommen wurde. Der von Fontanella de Weinberg vermutete soziale Ursprung fußt aber auf einer apparent time-Analyse, sodass ihm nicht zu großes Gewicht beigemessen werden sollte. 60 Cf. Chang (2008, 56, 61). Anders als die älteren Arbeiten nimmt auch Rohena-Madrazo eine grobe Unterteilung des Untersuchungsraums vor, indem er Buenos Aires Ciudad und den Conurbano als einen Raum zusammenfasst und diesen dann in Nord und Süd unterteilt. Diese beiden Areale setzt er infolge mit einem sozioökonomisch hohen bzw. niedrigen Profil seiner Informanten gleich. Dass ein solches Vorgehen allerdings als problematisch und zu pauschal gewertet werden muss, da es sowohl die Heterogenität der Stadt als Ganzes als auch die der einzelnen Stadtteile außer Acht lässt, wird in den Kapiteln 3.1 und 3.2 deutlich werden.
2.3 Sprachgeographische Verteilung des yeísmo und seiner Varianten
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2.3 Sprachgeographische Verteilung des yeísmo und seiner Varianten innerhalb Argentiniens Setzt man sich mit sprachlicher Variation im urbanen Raum auseinander, ist es sinnvoll, diese nicht gänzlich isoliert zu betrachten, sondern als Teil einer großräumigen Variation wahrzunehmen und in Relation zum Umland und anderen städtischen Räumen zu setzen: Als häufiger Ausgangspunkt sprachlicher Varianten können Städte eine wichtige Rolle in der Extension sprachlicher Innovationen übernehmen (cf. Kapitel 3.1). Unter Berücksichtigung dieses Gedankens und mit dem Ziel, die Koexistenz von ʒeísmo und ʃeísmo in Buenos Aires diatopisch zu kontextualisieren, sollen im Nachfolgenden die lautlichen Unterschiede innerhalb Argentiniens aufgezeigt werden. Dabei stellen diese Ausführungen keinen Ansatz zu einer weiteren sprachlichen Klassifikation und Zusammenschließung der einzelnen Regionen dar, wie sie seit der umfangreichen Studie Vidal de Battinis aus dem Jahr 1964 mehrfach ausgearbeitet wurden, sondern zielen auf einen möglichst aktuellen Überblick über die derzeitige Distribution der verschiedenen phonetischen Realisierungen von /ʎ/, /ʝ/ und /ʒ/ in Argentinien.61 Dass sich die Darstellung einer solchen Zusammenführung komplex gestaltet, gründet zum einen auf der diastratisch und diaphasisch markierten Schichtung der zur Untersuchung stehenden Variablen, die über die rein diatopische Verteilung einzelner Varianten hinausgeht, zum anderen aber auf der Schwierigkeit, der mit ihrer Verbreitung einhergehenden Dynamik Rechnung zu tragen. Mit den Zentren Sevilla und Madrid war der yeísmo nicht nur in Spanien seit Beginn ein urbanes Phänomen, sondern auch in Lateinamerika werden seine Anfänge im städtischen Raum situiert: «[. . .] el yeísmo es un fenómeno de las ciudades, que se extiende desde ellas por los campos» (Alonso 1951, 185). Die zur Verfügung stehenden Quellen legten, wie in Kapitel 2.2 bereits erläutert, ebenfalls in Argentinien zu Beginn des 19. Jahrhunderts nahe, das Innovationszentrum für das Aufkommen des ʒeísmo im städtischen Raum zu vermuten. Auch in den nachfolgenden Ausführungen wird ein besonderer Schwerpunkt auf der diasystematischen Verteilung innerhalb einzelner Städte der Provincias liegen, da sich vor allem dort Belege für die nach wie vor im Wandel befindlichen
61 Mögliche sprachgeographische Gliederungen erfolgten dabei auf der Grundlage von verschiedenen sprachlichen Kriterien aus dem Bereich der Phonologie, Lexik und Morphosyntax. Die wohl relevantesten Arbeiten dazu liegen von Vidal de Battini (1964), Rona (1964), Kubarth (1987), Donni de Mirande (2000a) und Fontanella de Weinberg (2000) vor. Weiterhin kann die Dissertation von Colantoni (2001) genannt werden, die sich mit den Palatalen und Vibranten des argentinischen Spanischs befasst.
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2 ʒeísmo und ʃeísmo: Forschungsstand
Präpalatale bzw. Palatale nennen lassen und Koexistenzen mit den lokalen Aussprachen aufgezeigt werden können. Aufgrund der zum Teil nur in geringer Zahl zur Verfügung stehenden Daten und der unterschiedlichen Intensität und Qualität der Forschungsbeiträge ist mit Blick auf Argentinien sicherlich bis heute noch vieles offen geblieben, dennoch können Tendenzen aufgezeigt werden, in welche Gebiete der ʒeísmo und ʃeísmo inzwischen vorgerückt sind. Dabei wird sich zeigen, dass Ländergrenzen bzw. die Grenzen der einzelnen Provinzen nicht unbedingt mit Sprachgrenzen gleichzusetzen sind: Einige der insgesamt 23 provincias lassen sich aus sprachgeographischer Sicht nochmals untergliedern und sind als «regiones de transición» mehreren unterschiedlichen Sprachzonen zugehörig.62 Nimmt man die Ausführungen Donni de Mirandes als Ausgangspunkt, so kann das Land in Abhängigkeit der erfolgten bzw. nicht erfolgten Delateralisierung von /ʎ/ in zwei Bereiche eingeteilt werden: La conservación o no de la oposición /ʎ/ – /y/, por ejemplo, divide al territorio en dos grandes áreas que a su vez, en el caso del área yeísta, lo subdivide en otras dos, de yeísmo y žeísmo. (Donni de Mirande 2000a, 8)
Die gesamte Povincia de Buenos Aires sowie Ciudad Autónoma de Buenos Aires sind ʒeísmo- bzw. ʃeísmo-Gebiet, was durch Untersuchungen in den geographisch an entgegengesetzten Punkten gelegenen Städten Buenos Aires und Bahía Blanca zumindest punktuell belegt ist.63 Ein weiterer Anhaltspunkt ergibt sich aus Díaz VélezʼSchilderungen der verschiedenen phonetischen Realisierungsformen in der Provinzhauptstadt La Plata, die die stimmlose Variante überwiegend bei jungen Frauen betont, wohingegen die stimmhafte Variante aus diaphasischer Sicht insbesondere bei besonders bedachten Redebeiträgen («pronunciación cuidada») zu hören sei (Díaz Vélez 1971, 381). Díaz Vélez unterscheidet dabei eine Art Kontinuum von vier Zwischenstufen, das eine Variante mit reduzierter Sonorität («variante con sonoridad muy reducida»), eine klar stimmlose Variante («variante plenamente sorda») sowie Varianten mit nur schwacher Stimmhaftigkeit umfasst bis hin zu einer leichten Verstärkung
62 Aus administrativer Sicht zählt die in der vorliegenden Arbeit im Fokus stehende Ciudad de Buenos Aires zu keiner der 23 provincias des Landes, sondern löste sich 1880 von der provincia de Buenos Aires, die ihre neue Hauptstadt in La Plata fand. Seit der Verfassungsreform im Jahr 1994 kommt der Stadt ein besonderer rechtlicher und autonomer Status zu, der ihr Befugnisse sowohl auf lokaler als auch auf Landesebene einräumt (cf. Blutman/Estévez/Iturburu 2007, 61). 63 Cf. u.a. Fontanella de Weinberg (1979) (u.a.); Wolf/Jiménez (1977); Kubarth (1998).
2.3 Sprachgeographische Verteilung des yeísmo und seiner Varianten
35
derselben («variante sonora ž con débil sonoridad [. . .] o con sonoridad un poco reforzada», Díaz Vélez 1971, 381). Auch in der westlich angrenzenden Provinz La Pampa sind der yeísmo rehilado und ensordecido dokumentiert, aus phonologischer Sicht u.a. ein Grund dafür, dass die beiden Provinzen gemeinhin in dieselbe Sprachzone zusammengefasst werden.64 Diese als región del litoral (cf. Vidal de Battini 1964) oder región litoral-pampeana (cf. Donni de Mirande 1996) bezeichnete Sprachzone – Kubarth 1987 spricht hier auch von den sogenannten Gaucho-Provinzen – erstreckt sich über die patagonischen provincias Río Negro, Chubut und Santa Cruz bis hinab zu Tierra del Fuego. Außerdem werden Teile der nördlich von Buenos Aires gelegenen Gliedstaaten Santa Fe und Entre Ríos dazugezählt.65 Die Zusammenfassung eines so weiten Gebiets geht nicht zuletzt auf die gemeinsame Bevölkerungsgeschichte zurück, die Ende des 19. Jahrhunderts in der zona pampeana-bonaerense ihren Ausgang nahm und sich unter der Führung desdamaligen Gouverneurs der Provinz Buenos Aires, Rosas, vollzog. Damit hat sich das Spanische Patagoniens zu Beginn auf derselben Basis entwickelt, später ergaben sich aber – u.a. bedingt durch die Kontaktsituation zu Chile und den Einfluss der indigenen Sprachen wie dem Mapuche oder dem Guénaken – durchaus Differenzierungen. Fontanella de Weinberg bezeichnet den yeísmo als die gängige Aussprache für den patagonischen Raum allgemein, stellt aber in Bezug auf die Sprecher in den urbanen Zentren Parallelen zum stimmhaften ʒeísmo der zona bonaerense her. Dagegen sei der Desonorisierungsprozess selbst in den größeren Städten allerdings weit weniger fortgeschritten und eine eher seltene Erscheinungsform (cf. Fontanella de Weinberg 2000). Noch im selben Jahr schließt Donni de Mirande nahezu das gesamte Gebiet Patagoniens in den Sprachraum ein, der u.a. durch die Präsenz des stimmhaften ʒeísmo geprägt ist (cf. Donni de Mirande 2000a, 7). Dass der ʃeísmo in diesem Teil des Landes hingegen nach wie vor nur vereinzelt verankert zu sein scheint, bestätigen die Daten von Fernández, Molinari und Palma Moreno, die zwischen 2006 und 2007 in der in Río Negro gelegenen Stadt Cipolletti eine Untersuchung zur «variedad no estándar»
64 Cf. Fontanella de Weinberg (2000). 65 Cf. Donni de Mirande (2000a, 7). Dass die Provinzen Patagoniens mit aller Selbstverständlichkeit von verschiedener Seite mehrfach als Einheit zusammengefasst werden, mutet bei der bis heute doch insgesamt recht spärlichen Menge an empirischen Untersuchungen, die eine differenzierte Betrachtung des Spanischen in Patagonien erlauben würden, erstaunlich an. Cf. dazu Fontanella de Weinberg (2000, 213): «El territorio patagónico, probablemente por su escasa población y por la tardía instalación de instituciones de enseñanza superior, es el menos estudiado desde el punto de vista lingüístico, entre las distintas regiones del país».
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2 ʒeísmo und ʃeísmo: Forschungsstand
durchführten. Unter den befragten Sprechern zwischen 20 und 55 Jahren wurde zwar die Vorherrschaft des stimmhaften Präpalatals nachgewiesen, stimmlose Okkurrenzen wurden jedoch nicht dokumentiert.66 Ein differenzierteres Bild der Sprachsituation in Chubut erlaubt die ausführliche Untersuchung von Ana E. Virkel de Sandler (2004), die in insgesamt neun comunidades der südlichen Provinz Erhebungen zum Spanischen in Patagonien durchführt, darunter drei im städtischen Raum. Hinsichtlich der Varianten von /ʎ/ und /ʝ/ stellt sie dabei vier verschiedene phonetische Realisierungen fest: «fricativa prepalatal sonora rehilada, fricativa prepalatal sorda lenis, semiconsonante prepalatal sonora con un leve rehilamiento previo» und «fricativa prepalatal sonora rehilada con un breve momento semiconsonántico» (Virkel de Sandler 2004, 200).67 Insbesondere die beiden letztgenannten Varianten sieht sie als Beleg dafür, dass die Ausprägung der unterschiedlichen Phone nicht nur als Produkt einer diatopischen Expansion der im español bonaerense verankerten Formen zu interpretieren sei: Nos encontramos, pues, frente a otro de los rasgos fonológicos que determinan la fragmentación del continuo bonaerense-patagónico; en efecto, las variantes con rehilamiento leve constituyen un rasgo estructural propio de la variedad no estándar, y son, por ende, manifestaciones de la situación de convergencia interdialectal. (Virkel de Sandler 2004, 210)
Mit Blick auf die diastratische Distribution stellt sie im urbanen Kontext unter allen Sprechergruppen eine Koexistenz stimmhafter und stimmloser Realisierungen fest; eine Ausnahme bilden dabei die männlichen Sprecher über dreißig, womit der Desonorisierungsprozess von [ʒ] hier noch nicht in alle Bevölkerungsschichten vorgedrungen ist bzw. sich noch nicht in allen durchgesetzt hat. Anders als es Donni de Mirande für die Sprachgemeinschaft in Rosario eruiert, steigt in Chubut der Grad an Stimmlosigkeit mit zunehmendem Bildungsgrad an, während die stimmhafte Realisierung vor allem unter Bewohnern mit niedrigem Bildungsstand dominiert. Die beiden letztgenannten Varianten – «pronunciaciones levemente rehiladas» – vermischen sich im ländlichen Raum mit [ʒ] und [ʃ]
66 Cf. Fernández/Molinari/Palma Moreno: Rasgos de la variedad no estándar del español cipoleño. 67 Obwohl sie den stimmlosen Frikativ hier als Variante nennt, weist Virkel de Sandler zuvor darauf hin, dass der Grad an Stimmlosigkeit dennoch nicht mit dem, wie er beispielsweise in Bahía Blanca in Erscheinung trete, vergleichbar sei: «Efectivamente, la investigación que hemos realizado corrobora la existencia en el habla chubutense, y en particular en Trelew, de dicho proceso de ensordecimiento, ya que, junto a la variante sonora [z] aparece una articulación ensordecida [z]. Sin embargo, no hemos registrado en ningún sector de la población nativa la pronunciación plenamente ensordecida [s]» (Virkel de Sandler 2004).
2.3 Sprachgeographische Verteilung des yeísmo und seiner Varianten
37
und finden insbesondere unter Sprechern über dreißig Verwendung.68 Ein Merkmal, das auch in der Nachbarprovinz Neuquén lokalisiert wurde (cf. César Fernández 1995, 146), ist die häufig auftretende Elision von intervokalischem [ʒ] ([y]) bei der Bildung des Gerundiums: cayendo [ca’endo], trayendo [tra’endo].69 Da diese Tilgung in Zusammenhang mit keiner anderen Region Argentiniens Erwähnung findet, kann sie unter Verweis auf ihr chilenisches Pendant als eine mit dem Spanischen von Chile zusammenhängende Besonderheit Patagoniens gewertet werden.70 In der Provincia del Neuquén ergibt sich bezüglich der Realisierungsformen von /ʝ/ und /ʎ/ ein recht heterogenes Bild: Im Norden Neuquéns dominiert nach wie vor der Zusammenfall von /ʎ/ und /ʝ/ in den Frikativ /ʝ/, der südliche und östliche Teil der Provinz werden hingegen zum von ʃeísmo bzw. ʒeísmo geprägten Patagonien gerechnet.71 Diese Aufteilung erklärt sich durch die aus drei verschiedenen Richtungen erfolgten Bevölkerungsströme der Provinz – aus Chile Mitte des 19. Jahrhunderts, aus Mendoza und der zona bonaerense –, durch welche das Spanische in Neuquén in Abgrenzung zum übrigen Patagonien unterschiedlichen sprachlichen Einflüssen unterworfen war.72 Besonders aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang eine im Jahr 1995 von Fernández durchgeführte Untersuchung zum «castellano mapuchizado», das sich aus der Sprachkontaktsituation zwischen dem Spanischen und dem Mapuche in den Mapuche-Reservaten im Süden Neuquéns entwickelt hat. Anhand von 35 Einzelinterviews mit Kindern und Jugendlichen gelangt er hinsichtlich der Realisierung von y und ll zu folgender Feststellung: El fonema /y/ se registra como [d] entre consonantes o como [j] entre vocales. En posición inicial de palabra se reconoce como palatal, lateral, sonora.73 [. . .] El fonema /ʎ/ se mantiene en posición inicial de palabra o entre vocales. Hay una tendencia a la variación entre /ʎ/, /y/ y /j/. (Fernández 1995, 144s.)
68 Virkel de Sandler (2004, 201s.). Dies unterstützen auch die Ausführungen Fontanella de Weinbergs, die diese Realisierung durch den chilenischen Einfluss bedingt sieht: «En el ámbito rural y en algunos hablantes urbanos de los niveles más bajos se oyen muchas veces realizaciones débilmente rehiladas de tipo [žy], por influjo de la /y/ no rehilada chilena» (Fontanella de Weinberg 2000, 214). 69 Virkel de Sandler (2004, 213). 70 Cf. Virkel de Sandler (2004, 213); Oroz (1966, 135). Cf. auch die Ausführungen in Fontanella de Weinberg (2000) zu den Realisierungen in Patagonien. 71 Cf. Böck (2007, 62); Fontanella de Weinberg (1987b, 10). 72 Cf. Fontanella de Weinberg (2000, 211). Auch Kubarth (1987) hebt die Sonderstellung Neuquéns hervor und betrachtet sie daher als zu keiner spezifischen Sprachzone zugehörig. 73 Cf. mayor [ma.jó.re] (Fernández 1995, 144).
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2 ʒeísmo und ʃeísmo: Forschungsstand
Inmitten eines großflächigen ʒeísmo- bzw. ʃeísmo-Gebiets gelegen, hebt sich die aktive Verwendung bzw. Beibehaltung von /ʎ/ wie eine kleinflächige Sprachinsel ab, die darüber hinaus insbesondere durch die interkonsonantische Realisierung von /ʝ/ als Dental [d] auffällt: inyección – [in.di.sjón].74 In der als región cuyana bezeichneten Sprachzone, bestehend aus Mendoza sowie dem größten Teil der Provinz San Juan, hat sich der yeísmo, teils in verschiedenen Varianten, nahezu vollständig durchgesetzt.75 In Mendoza ermittelt Brottier in Bezug auf die habla culta vier unterschiedliche Realisierungsformen für /ʝ/, wobei die Artikulation als Approximant [j] als besonders charakteristisch hervorgehoben wird: «tiene un grado menor de estrechamiento del canal supraglótico, de tal manera que deja de percibirse claramente el ruido frotamiento».76 Zwar erwähnt Brottier ebenfalls eine stimmhafte frikative Realisierung des Phonems /ʝ/, grenzt diese aber von der in Buenos Aires verbreiteten Erscheinungsform ab: «[. . .] con un grado de estrechamiento que no llega al rehilamiento ni . . . ensordecimiento . . . como se describe en el habla de Buenos Aires» (zitiert aus Cubo de Severino 2000, 186). In der Stadt San Juan konnte Sanou de los Ríos neben dem yeísmo als lokaler Norm, die okkasionelle Aufrechterhaltung von /ʎ/ sowie den Gebrauch von [ʒ] für /ʝ/ bescheinigen; beide Varianten seien sowohl diaphasisch als auch diastratisch markiert.77 Dass die Provinzen Mendoza, San Juan und auch San Luis oftmals als Einheit betrachtet werden, ist auf ihre von 1783 bis 1810 bestehende Zugehörigkeit zur Intendencia de Córdoba del Tucumán zurückzuführen. Da die Gebiete sich jedoch in ihrer Besiedlungsgeschichte unterscheiden und auch aufgrund ihres heterogenen Immigrantenzuwachses verschiedenen sprachlichen Einflüssen unterlagen, kann man San Luis in sprachlicher Hinsicht den beiden anderen Provinzen kontrastiv gegenüberstellen. Bedauerlicherweise kann diese Verschiedenheit wegen
74 Donni de Mirandes Angabe, /ʎ/ sei in Argentinien lediglich in den durch das Guaraní beeinflussten Regionen im Nordosten sowie in einigen Andengebieten im Norden (la andina del norte) zu finden bzw. erhalten, erweist sich damit als nur eingeschränkt zutreffend (cf. Donni de Mirande 2000a, 11s.). 75 Cf. Donni de Mirande (2000a, 8). Die Sprachzone der región cuyana ist allerdings nicht fest definiert und unterscheidet sich mit der Ausklammerung von San Luis von der rein geographischen Zusammenführung der argentinischen Provinzen. Während Cubo de Severino mit ihrer Referenz auf Mendoza und San Juan den Gliederungsvorschlägen Vidal de Battinis aus dem Jahre 1964 folgt, zählt Donni de Mirande auch den Norden der Provincia del Neuquén dazu (cf. Donni de Mirande 2000a, 8; Cubo de Severino 2000, 181). 76 1980, unveröffentlicht, daher zitiert aus Cubo de Severino (2000, 186). Weitere Realisierungsformen sind /j/ sowie «/ў/ africada palatal sonora» (cf. Cubo de Severino 2000, 186). 77 Cf. Sanou de los Ríos (1982); Cubo de Severino (2000, 186s.). 1964 deklariert Vidal de Battini den Norden San Juans noch als «zona de ll castellana» (Vidal de Battini 1964, 80).
2.3 Sprachgeographische Verteilung des yeísmo und seiner Varianten
39
mangelnden empirischen Materials im Falle des yeísmo nicht aufgearbeitet werden (cf. Cubo de Severino 2000, 182). Besonders ausgeprägt ist in dieser Region die Tendenz zur Abschwächung von /ʝ/, die häufig auch zum Ausfall des Lauts führt: estrea, semía (cf. Hernando Cuadrado 2001, 759). Blickt man auf die nördlich angrenzenden Nachbarprovinzen von Buenos Aires, trifft man auf diverse häufig als «regiones de transición» charakterisierte Gebiete, die den Übergang zu neuen Sprachzonen markieren und aufgrund ihres Kontakts zu denselben auch in sich differenzierte Merkmale aufweisen. In diesem Sinne gehören der zentrale sowie der südliche Teil der Nachbarprovinz Santa Fe zum Einzugsgebiet des ʒeísmo, wohingegen im Norden nach wie vor der Lateral / ʎ/ – in Alternanz zu einem frikativen bzw. affrikatisch und mitunter als stimmhaftes «rehilamiento» realisierten /ʝ/ – verankert ist.78 In der im Süden gelegenen Stadt Rosario ermittelt Donni de Mirande 1992 anhand 74 strukturierter Interviews drei unterschiedliche Realisierungsmöglichkeiten von /ʎ/ und /ʝ/: die stimmhafte, die stimmlose sowie eine Variante, die sie als «parcialmente ensordecida» beschreibt (Donni de Mirande 1992, 173s.). Die auch im Folgenden noch mehrfach auftauchende Benennung sogenannter halbstimmhafter («semisonoras») oder teils stimmloser Varianten («parcialmente ensordecidas») ist aus phonetischer Sicht äußerst kritisch zu betrachten und wird in Kapitel 4.1 ausführlicher diskutiert.79 Folgt man dieser Terminologie, ist die halbstimmhafte Realisierung mit 61% die am häufigsten vertretene Form und wird vor allem von der jungen und mittleren Generationen sowie von den weiblichen Sprecherinnen vorangetrieben. Die vollständige Desonorisierung («ensordecimiento total») macht mit 13,5% die Minderheit aus: Hier erweisen sich Informanten unter 35 und Frauen, die der obersten Bildungsschicht angehören, als am innovativsten. [ʒ] findet mit 25% zwar noch häufiger Verwendung, dennoch hat das Allophon gegenüber den stimmlosen Varianten deutlich an Dominanz eingebüßt, was auf einen relativ weit fortgeschrittenen Sprachwandel schließen lässt.80
78 Cf. Donni de Mirande (2000b, 70): «[. . .] pronunciación africada o africada-fricativa [..] sonoridad vacilante y articulación anterior respecto del fonema linguopalatal /y/, así como otra con un cierto zumbido áspero originado en el estrechamiento de la fricación que se ha dado en llamar rehilamiento». 79 An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass es sich bei den hier angeführten Varianten bzw. bei deren Kategorisierung um Interpretationen seitens der jeweiligen Autoren handelt, deren Benennung zumindest einer genauen Definition bedarf. – Donni de Mirande lieferte verschiedene Arbeiten zur phonologischen Variation in Santa Fe, mit besonderem Schwerpunkt auf der Stadt Rosario. Dabei geht sie sowohl auf synchrone Distributionen als auch auf die historische Aufarbeitung des Spanischen in dieser Region ein. Cf. dazu u.a. Donni de Mirande (1978; 2004). 80 Cf. Donni de Mirande (1992).
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2 ʒeísmo und ʃeísmo: Forschungsstand
Die zwischen Santa und Fe und Uruguay situierte Provinz Entre Ríos folgt als Verlängerung der zona litoral-pampeana dem bonaerensischen Vorbild und ist mit Ausnahme ihres nordöstlichen Terrains ʒeísmo-Gebiet. Der Postalveolar [ʒ] tritt hier auch in seiner affrizierten Form [dʒ] auf. Auch wenn durch die unmittelbare Nähe zu Buenos Aires und durch die Zugehörigkeit zur selben Sprachzone ein alternierend gebrauchter ʃeísmo zwar bestätigt ist, blieben genauere Untersuchungen über die diaphasische wie diastratische Distribution der Varianten und deren Entwicklung bisher jedoch aus.81 In der im Zentrum gelegenen – und aus sprachwissenschaftlicher Sicht vor allem aufgrund ihres auffälligen Intonationsmusters interessanten82 – Provinz Córdoba koexistieren yeísmo und ʒeísmo mit affrikatischen Varianten. Der sich an Santa Fe und die zona litoral-pampeana anschließende Südosten hat die dort dominierende Koexistenz von [ʒ] und [ʃ] übernommen. Soziolinguistische Präzisierungen ermöglichen die Beobachtungen von Viramonte de Ávalos: «[. . .] la variante rehilada no se presenta en el nivel socioeducativo bajo y en el nivel alto hay un porcentaje de 21% que no rehila».83 Der Nordwesten sowie der zentrale Teil der Provinz orientieren sich dagegen an den von yeísmo geprägten Provinzen San Luis, Catamarca und La Rioja.84 In den westlichen Teilen von Catamarca und La Rioja tritt okkasionell noch die Artikulation von /ʎ/ auf. Aufgrund der bestehenden Koexistenz und Fusion unterschiedlicher Systeme können insbesondere die Ciudad de Córdoba, aber auch das Zentrum von Entre Ríos, als Übergangszonen oder Fusionsgebiete («zonas de transición o de sistema fusionado») bezeichnet werden (cf. Hernando Cuadrado 2001, 759). Trotz der überwiegend verankerten Delateralisierung von /ʎ/ sind auch im argentinischen Sprachraum Gebiete vorhanden, in denen die Opposition zwischen Lateral /ʎ/ und stimmhaftem Palatal /ʝ/ beibehalten wird. Ein flächenmäßig bedeutender Anteil fällt dabei auf die nordöstliche Provinz Misiones. Ein
81 Cf. Donni de Mirande (2000b, 71); Colantoni (2001, 7). Da sich in Uruguay der yeísmo ebenfalls hin zu einem koexistierenden ʃeísmo bzw. ʒeísmo entwickelt hat, hat das Spanische in Entre Ríos aus der Kontaktsituation zur westlichen Landesgrenze Uruguays keine lautlichen Interferenzen zu erwarten. 82 Cf. u.a. Kabatek (2004, 265); Malmberg (1950, 219). 83 Viramonte de Ávalos (2000, 165s.). Viramonte de Ávalos erwähnt an dieser Stelle darüber hinaus die bei 25% der Sprecher auftretende Elision von intervokalischem /j/ vor betontem [í]: cuchillo [ku’tʃio], anillo [a’nio]. 84 Cf. Donni de Mirande (1981). Wenn man diese heterogene Lage Córdobas bedenkt, ist es erstaunlich, dass bis auf die ja auch nur skizzierten Ausführungen von Viramonte de Ávalos keine differenzierten Studien zur Distribution des yeísmo in dieser Provinz vorliegen. Die Varianten dürften sich außerdem im Laufe der letzten dreißig Jahre weiterentwickelt haben, sodass eine Untersuchung derselben eigentlich unabdingbar ist.
2.3 Sprachgeographische Verteilung des yeísmo und seiner Varianten
41
distinktives Merkmal liegt dort in der koexistierenden und von ihrem phonologischen Kontext unabhängigen Verwendung der stimmhaften Affrikate [dǰ] bzw. [dʒ] für das konsonantische /ʝ/:85 hacer yo eso – [asérdǰóéso ~ asérǰóéso] cayó – [kadǰó ~ kaǰó] Dank Sanickys Erhebungen zu diesem Phänomen, die sie in einem zeitlichen Abstand von zwanzig Jahren durchführte, können in Misiones sogar auf diachroner Ebene Rückschlüsse auf die Entwicklung der Varianten von /ʝ/ gezogen werden:86 War 1978 die affrikatische Realisierung noch die in allen Gruppen quantitativ klar überlegene Variante, ist sie 1998 zwar nach wie vor in allen Altersklassen die am stärksten präsente, hat aber vor allem unter den weniger gebildeten Sprechergruppen an Dominanz verloren.87 Auch die Informanten unter 55 Jahren zeigen im Vergleich zu 1978 einen Anstieg von bis zu 16% bei der Verwendung der nicht affrikatischen Form von [dʒ]. Lediglich in der ältesten Generation kann [dǰ] bzw. [dʒ] durch eine Steigerung von 15% nach wie vor seine Vorherrschaft behaupten. In der Provinz-Hauptstadt Posadas sind Abadia de Quant zufolge darüber hinaus erste Anzeichen für den gelegentlichen Gebrauch der stimmlosen Variante [ʃ] zu verzeichnen.88 Wie Misiones werden auch die benachbarte Provinz Corrientes sowie Teile des Chacos zu der durch das Guaraní beeinflussten zona guaranítica gezählt.89
85 Cf. u.a. Vidal de Battini (1964, 126). Die nachfolgenden Beispiele und Transkriptionen sind Sanicky (2008) entnommen (cf. Sanicky 2008, 600); die in Sanicky 2008 und oftmals im amerikanischen Raum verwendete Notation [ǰ] entspricht im Transkriptionssystem der API dem affrizierten Präpalatal [dʒ]. Umstritten ist die Frage, ob diese affrikatische Realisierungsform im Raum Misiones möglicherweise eine Interferenzerscheinung des im Guaraní gängigen Phonems /dj/ darstellt (cf. Sanicky 2008, 600). 86 Cf. Sanicky (1984; 2008). 87 Cf. Sanicky (2008, 607). Zwanzig Jahre zuvor konnte man noch keine solch starke Differenz in Hinblick auf die unterschiedlichen sozialen Gruppen ausmachen (Sanicky 2008, 607). Hier hat sich demnach möglicherweise ein Funktionswandel vollzogen: Während in den 1970erJahren das Phonem noch mit keiner bestimmten Gesellschaftsschicht in Verbindung gebracht werden konnte, scheint es mittlerweile eine sozial markierte Komponente erhalten zu haben. 88 Cf. Abadía de Quant (2000, 108). 89 Cf. Vidal de Battini; Donni de Mirande; Kubarth (1987); Vidal de Battini (1964, 124): «la y se pronuncia africada o rehilada». – Abadía de Quant bewertet den tatsächlichen Einflussbereich des Guaraní auf die Varianten der Phoneme /j/ und /ʎ/ äußerst kritisch: «No parece apropiada la observación de Vidal de Battini (1964, 118) en cuanto a que el guaraní haya favorecido la conservación de /ʎ/ en el español de Corrientes, ya que si bien la sociedad correntina se caracterizó hasta muy posiblemente las primeras décadas de este siglo, por el
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2 ʒeísmo und ʃeísmo: Forschungsstand
Entgegen häufiger Darstellungen bedeutet die charakteristische Erhaltung von [ʎ] jedoch keinesfalls zwangsläufig eine stets funktionale Unterscheidung von / ʝ/ und /ʎ/. In der Provinz-Hauptstadt Corrientes bescheinigt Abadía de Quant (1996) insbesondere jungen Akademikern, die ihr Studium in ʒeísmo-Gebieten wie Buenos Aires, Santa Fe oder Rosario absolviert haben, eine mittlerweile verstärkt auftretende Delateralisierung von /ʎ/.90 In Hinblick auf die phonetische Realisierung von /ʝ/ ist eine Entwicklung sowohl von [ʝ] als auch von der ebenfalls in Misiones verwendeten Affrikate [dj] hin zu [ʒ] bzw. [dʒ] zu beobachten. Dass sich der ʒeísmo im Norden Argentiniens zunehmend zu festigen scheint, bestätigen auch die Darlegungen von Hernando Cuadrado: «En la zona nordeste, en Misiones y Corrientes [. . .] la /y/ suele ser africada, como en Paraguay, aunque se advierte una incipiente pronunciación rehilada, tal vez por influjo de Buenos Aires» (Hernando Cuadrado 2016, 13). Während das aufkommende rehilamiento in Corrientes unter Sprechern über 60 keinen Gebrauch findet, sind es auch hier wieder die unter Dreißigjährigen, bei denen die Innovation in allen Bildungsgruppen am schnellsten an Boden gewinnt. Unter den weiblichen Sprechern über vierzig tendiert die Mehrheit zu einer alternierenden Verwendung von [ʒ] und [dʒ], bei den zwischen 40- und 60-jährigen Männern tritt der stimmhafte Präpalatal dagegen nur okkasionell auf und die affrikatische Variante bleibt die am stärksten verbreitete.91 Wendet man den Blick in die Hauptstadt Corrientes, scheint sich abermals der urbane Raum als Ausgangspunkt für einen auf dem yeísmo fußenden Wandel zu bestätigen: Jüngere Sprecher und Bewohner mittleren Alters, die über ein mittleres bis universitäres Bildungsniveau verfügen, zeigen die Tendenz zur Desonorisierung des Präpalatals [ʒ] und damit zum Gebrauch der innovativen Form [ʃ] (cf. Hernando Cuadrado 2001, 759). Auch die Präsenz der Palatale in Resistencia, der Hauptstadt der Provinz Chaco, ist seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einem Wandel unterworfen und entspricht nicht mehr den Darstellungen, die von einer ausschließlichen Verankerung von /ʎ/ und /ʝ/ ausgehen. Auf der Grundlage der heterogenen Bevölkerungsstruktur eruiert Abadía de Quant insgesamt drei Gruppierungen mit jeweils unterschiedlichen phonetischen Realisierungen:
generalizado uso del guaraní, /ʎ/ ingresó en la lengua indígena en algunos préstamos léxicos del español pero no se integró a su sistema como fonema» (Abadía de Quant 1996, 16). 90 Wenngleich die Delateralisierung von /ʎ/ zunehmend an Raum gewinnt, ist laut Abadía de Quant das Stadium einer vollendeten Dephonologisierung noch nicht erreicht (cf. Abadía de Quant 1996, 16). 91 Cf. Abadía de Quant (1996, 18).
2.3 Sprachgeographische Verteilung des yeísmo und seiner Varianten
43
Se distingue así a los hablantes de ascendencia lingüística distinguidores – en adelante ALD –, hijos de correntinos o paraguayos que distinguen la oposición fonema lateral – fonema central sonoro; a los de ascendencia lingüística igualadora – ALI –, descendientes de hablantes del sur žeísta, y por último a los de ascendencia multisistemática – ALM –, nativos cuyos padres son oriundos de la zona central de la provincia y de Resistencia, donde coexistieron ambos sistemas. (Abadía de Quant 1996, 21)
Insgesamt zeichnet sich auch hier ein zunehmender Verlust des Phonems /ʎ/ ab. Bei den aus Corrientes und Paraguay stammenden Sprechern (ALD) scheint seine Präsenz noch am stärksten ausgeprägt, eine vollzogene Dephonologisierung wird hier nur wenigen Sprechern unter 40 Jahren attestiert. Während die Generation der über 60-Jährigen den Lateral noch weitgehend bewahrt, treten mit abnehmendem Alter vermehrt Delateralisierungen auf. In der zweiten von Abadía de Quant genannten Gruppe (ALI) ist die Aufrechterhaltung von /ʎ/ lediglich bei einer Minderheit der Sprecher, die das sechzigste Lebensjahr überschritten haben, dokumentiert, bei der Mehrheit ist die phonologische Opposition in Teilen oder sogar vollständig aufgehoben. Alle Personen jünger als fünfzig zählen inzwischen zu den ʒeístas,92 worunter insbesondere die Jüngsten inzwischen erste Tendenzen zum stimmlosen Pläpalatal aufweisen: «La realización sorda [ʃ] aparece recientemente como variante minoritaria en el isolecto de nativos con ascendencia lingüística sureña o contacto por viaje a esta área» (Abadía de Quant 2000, 107). Aufgrund der komplexen demographischen Zusammensetzung kann man in Resistencia folglich von der Koexistenz nördlich und südlich geprägter Systeme sprechen, zwischen denen sich Alternanzen und Fusionserscheinungen ergeben. Überraschenderweise verneint Abadía de Quant für die heutige Sprachgemeinschaft der Provinzhauptstadt Resistencia nahezu vollständig das Bestehen von [ʝ]. Mit Ausnahme weniger Sprecher im weit fortgeschrittenen Alter («hablantes muy mayores»), die im direkten Kontakt zu Corrientes und Paraguay stehen, musste die einst charakteristische Variante dem affrikatischen und frikativen rehilamiento Platz machen.93 Eine vielfach hervorgehobene Sonderstellung nehmen die phonetischen Varianten in Santiago del Estero ein, wo eine modifizierte Form der ursprünglichen Opposition besteht: Dabei hat sich /ʎ/ zum stimmhaften Frikativ [ʒ] hin entwickelt (halla [‘aʒa]), /ʝ/ wird hingegen ohne rehilamiento als Halbvokal [ʝ] (haya [‘aʝa]) artikuliert. Damit ergibt sich in Santiago del Estero eine Fusion aus dem traditionellem Frikativ /ʝ/ und dem Präpalatal [ʒ], der in Argentinien üblicherweise in vom ʒeísmo geprägten Systemen
92 Cf. Abadía de Quant (1996, 21). 93 Cf. Abadía de Quant (2000, 107; 1996, 22s.).
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2 ʒeísmo und ʃeísmo: Forschungsstand
verankert ist.94 Mit dieser charakteristischen Eigenheit ist die Provinz Santiago del Estero hinsichtlich ihrer Realisierung von /ʝ/ und /ʎ/ keiner anderen Sprachzone zuzuordnen und steht für sich allein. Hernando Cuadrado weist allerdings darauf hin, dass die in diesem Gebiet vorherrschende Opposition inzwischen auch einem Wandel unterliegt: «[. . .] hoy suelen adoptarse los modelos predominantes en el resto de Argentina» (Hernando Cuadrado 2016, 13). Ob mit diesen Modellen die Realisierungsformen in den unmittelbar an Santiago del Estero angrenzenden Regionen gemeint sind, oder ob es sich dabei möglicherweise um einen, wie auch im Falle von Corrientes, Salta und Resistencia vermutet, aus Buenos Aires wirkenden Einfluss handelt, der damit auf eine Entwicklung in Richtung ʒeísmo bzw. ʃeísmo deutet, wird aber nicht weiter präzisiert. Ein nicht einheitliches phonologisches Profil ergibt sich in den Provinzen Salta, Jujuy und Tucumán, die zuweilen auch unter Berücksichtigung von Catamarca in einer Sprachzone zusammengefasst werden. In San Miguel de Tucumán ist die Dephonologisierung zugunsten des ʒeísmo in alle Bevölkerungsschichten vorgedrungen: En el habla de Tucumán se registran j y la ʎ como una palatal fricativa sonora en todos los niveles, aunque entre la gente de escasa cultura y los niños, es frecuente oir una africada, a veces sorda. (Rojas Mayer 1980, 61)
/tʃ/ tritt hier nur okkasionell auf und ist, anders als es Donni de Mirande für Santa Fe dokumentiert, vorrangig bei Sprechern eines niedrigen Bildungsniveaus sowie bei Kindern zu hören. Der Wandel hin zum ʃeísmo befindet sich hier also noch in seiner Anfangsphase. Darüber hinaus wird die Affrizierung [tʒ] diaphasisch auf informale Sprechsituationen weiter eingegrenzt: desayuno [desa’ʒuno] (habla formal) – desatyuno [desa’tʒuno] (habla informal).95 In den an Bolivien angrenzenden Provinzen Salta und Jujuy ist der ʒeísmo ebenfalls bis in die urbanen Zentren vorgerückt. Eine weitere Phase des phonologischen Wandels manifestiert sich in der Stadt Salta, in der Tendenzen zur Desonorisierung des stimmhaften Frikativs auftreten, welche in erster Linie mit den jüngeren Generationen in Verbindung gebracht werden (cf. Martorell de Laconi 2006, 216). Gering gebildete Sprecher, über 45-Jährige sowie sämtliche
94 Cf. Hernando Cuadrado (2016, 13); Vidal de Battini (1964, 130). – Auch wenn er die Begründung selbst skeptisch hinterfragt, erwähnt Guitarte als mögliche Erklärung für die in Santiago del Estero verwendeten Varianten die Kontaktsituation zu dem von einem Großteil der indigenen Bevölkerung gesprochenen quichua (cf. Guitarte 1955, 160s.). 95 Beispiel entnommen aus Rojas (1980, 61).
2.3 Sprachgeographische Verteilung des yeísmo und seiner Varianten
45
Altersgruppen der ländlichen Bevölkerung beharren jedoch – von gelegentlichen Alternanzen zwischen [ʝ] und [ʒ] abgesehen – auf der Beibehaltung des semikonsonantischen [ʝ].96 In den nördlichsten Gebieten der Provinz wird noch vereinzelt an der Artikulation des Laterals /ʎ/ festgehalten (cf. Hernando Cuadrado 2001, 759). Ein ähnliches Verhalten, allerdings weit ausgeprägter, ist in dem aus sprachlicher Sicht konservativen Osten Formosas anzutreffen; der yeísmo ohne rehilamiento hält sich hingegen in den westlichen Teilen der Provinz. Insgesamt zeichnet sich aber auch hier eine Entwicklung in Richtung des stimmhaften Frikativs [ʒ] ab, der in seiner affrizierten Form vor allem unter Jugendlichen der höheren Gesellschafts- und Bildungsschicht Anwendung findet.97 Im Allgemeinen stellt der yeísmo bzw. ʒeísmo im Nordwesten nur bedingt ein differenzierendes phonologisches Charakteristikum zwischen den einzelnen Provinzen dar; als distinktive Merkmale werden hier von der Forschungsliteratur vielmehr die Realisierung des Phonems /s/ sowie die Intonation hervorgehoben.98 Insgesamt zeigt sich, dass die Opposition von /ʎ/ und /ʝ/ zunehmend verschwindet und selbst in Regionen, die einst für ihre Erhaltung als repräsentativ galten – wie Misiones und Corrientes –, zugunsten der Ausbildung neuer Varianten weichen musste bzw. muss. Dass der urbane Raum als Innovationszentrum für das Aufkommen verschiedener Ausprägungen des yeísmo deklariert werden kann, bestätigt sich u.a. mit Blick auf die nördlich gelegenen Städte Salta, Resistencia, Corrientes und Posadas, in denen sich neben dem ʒeísmo auch erste Tendenzen zur Desonorisierung des stimmhaften Frikativs belegen lassen. Damit setzt sich die frühe Annahme, dass sich die Innovationen in erster Linie zwischen den urbanen Zentren entwickeln und die ländlichen Räume zunächst aussparen, fort; auf der anderen Seite darf in einer solchen Betrachtung aber nicht außer Acht gelassen werden, dass die ruralen Zwischenräume auch hinsichtlich der dort durchgeführten sprachlichen Erhebungen die am wenigsten berücksichtigten sind. Der Vergleich neuerer empirischer Untersuchungen, wie der Virkel de
96 Cf. Donni de Mirande (1996, 214); Rojas (2000, 147); diese Zuordnung gilt explizit für Tucumán und Salta. Wie schon für manch andere Provinz muss man auch hier die fehlende Präsenz an aktuellen Daten und Studien bemängeln. Martorell de Laconi beispielsweise bestätigt zwar in ihrer 2006 erschienenen Forschungsarbeit zum Spanischen in Salta die Präsenz von /ʒ/ und von /ʃ/ (cf. Martorell de Laconi 2006, 216), eine nähere Untersuchung zur diasystematischen Distribution der Laute ist jedoch nicht Gegenstand ihrer Analyse. 97 Cf. Hernando Cuadrado (2001, 759); Abadía de Quant (2000, 108). 98 Cf. Rojas (2000, 145).
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2 ʒeísmo und ʃeísmo: Forschungsstand
Sandlers in Patagonien oder Abadía de Quants im Nordwesten, mit den lange Zeit wegweisenden Arbeiten aus den 60er- und 70er-Jahren (cf. u.a. Vidal de Battini) verdeutlicht aber, dass die hohe Dynamik der Entwicklung der argentinischen Palatale und Präpalatale auch außerhalb der städtischen Ballungszentren greift. Der ʒeísmo gewinnt an Boden, wobei die Gründe für diesen Wandel («change in progress») nicht generalisiert, sondern regionsspezifisch und oftmals lediglich spekulativ eingeordnet werden müssen oder können. Am Beispiel von Corrientes und dem Südchaco werden von Abadía de Quant sowohl sprachinterne als auch -externe Aspekte zur Erklärung herangezogen: Zum einen sei die Delateralisierung durch die geringe Funktionalität der Opposition /ʎ/ und /ʝ/ begünstigt, die im Phonemsystem Corrientesʼ durch die Gegenüberstellung von einem lateralen und einem stimmhaft zentralen Laut zudem eine Sonderstellung einnehme. Den wesentlich stärker wirkenden Faktor vermutet sie allerdings in der zunehmenden Kontaktsituation zum bonaerensischen Phonemsystem, die sich sowohl auf direkter persönlicher Ebene, wie zum Beispiel durch den Zustrom von neuen Einwohnern aus dem Süden des Landes, als auch durch den indirekt wirkenden medialen Einfluss aus Buenos Aires ergebe.99 Inwieweit die Hauptstadt als Sprachwandel bewirkende Größe eingeordnet werden kann, kann an dieser Stelle nicht aufgearbeitet werden; dass von den sprachlichen Varietäten, die in Buenos Aires verwendet werden, aber eine gewisse Expansionskraft auf das gesamte Land ausgeht, legen neben Abadía de Quant und Hernando Cuadrado auch Donni de Mirande und Martorell de Laconi nahe: El español hablado en la ciudad de Salta presenta fenómenos ligüísticos irradiados desde Buenos Aires [. . .] La lengua española en la Argentina en todas sus manifestaciones, y variedades (topolectos y sociolectos), aun en las diafásicas, muestra la influencia del español hablado en la metrópoli, fundamentalmente la variedad estandarizada porteña, usada por los comunicadores sociales como también por otros individuos destacados en la farándula, el fútbol y en otras actividades que atraen el interés de los televidentes y radioescuchas. [. . .] Esto indicaría que Salta, como todo el país [. . .] se encontraría
99 Cf. Abadía de Quant (1996, 16–18); Abadía de Quant (2000, 107). Die sprachliche Expansionskraft, die von der Hauptstadt Buenos Aires ausgeht, scheint sich nicht nur auf den argentinischen Sprachraum zu begrenzen, sondern wirkt darüber hinaus auch auf das auf der anderen Seite des Río de la Plata liegende Uruguay: «Después de todo, no será sino otra prueba del carácter conservador que, según diversos autores [. . .], define al español uruguayo, que se muestra siempre fuertemente influido por el habla de Buenos Aires» (Ramírez Luengo 2007, 331). In diesem Einfluss liegt für Ramírez Luengo eine Erklärung für die sich in Uruguay vergleichsweise spät vollziehenden Entwicklungen der Präpalatale (cf. Kapitel 2.2).
2.3 Sprachgeographische Verteilung des yeísmo und seiner Varianten
47
dentro de un proceso general de «nivelación lingüística» con el eje rector proveniente de (Martorell de Laconi 2006, 211) la metrópoli.100
Der aufgeführte Zusammenhang von Sprachwandel und medialem Einfluss ist auf phonologischer Ebene allerdings eher spekulativer Natur und die Bedingtheit beider Parameter mit Blick auf die zunehmende Verankerung von ʒeísmo und ʃeísmo nicht nachgewiesen.101 Die von Donni de Mirande zu Beginn vorgestellte Einteilung Argentiniens in yeísmo- und ʒeísmo-Areale könnte man aufgrund der fortschreitenden Koexistenz von [ʒ] und [ʃ] sowie wegen ihres Eindringens in neue Regionen nun in sich noch weiter unterteilen. Bündelt man die bis zu dieser Stelle ausgeführten Daten, ergibt sich die in Karte 2.2 dargestellte synchrone Verteilung der Realisierungen von /ʝ/ und /ʎ/.102 Trotz der Vielzahl an Arbeiten muss man feststellen, dass zu einigen Arealen wie beispielsweise Entre Ríos, in denen durchaus ein verstärktes Maß an Variation vermutet werden kann, nach wie vor keine Präzisierungen vorliegen; eine Aufarbeitung der diatopischen Verteilung der verschiedenen Varianten ist daher nicht unproblematisch. Ein kritischer und die Aussagekraft erschwerender Punkt ist sicherlich auch die Tatsache, dass sich viele Studien insbesondere der Analyse der Varianten im städtischen Raum widmen. Diese Fokussierung ist nicht allzu verwunderlich, wenn man bedenkt, dass der ʒeísmo und ʃeísmo in erster Linie ein urbanes Phänomen darstellen, was in Karte 2.2 nochmals graphisch nachvollziehbar wird. Dass sich beide Formen zunächst im städtischen Kontext auszuprägen scheinen, hat auch zur Folge, dass vor allem dort Koexistenzen mit den lokalen Aussprachen bestehen, wodurch diesen sprachlichen Räumen eine erhöhte Dynamik innewohnt. Trotz dieser begründeten Konzentration auf die Stadt werden die zwischen den städtischen Zentren liegenden Gebiete zu Unrecht häufig ausgespart und bleiben somit aus sprachlicher Sicht
100 Cf. auch Donni de Mirande (1991; 2000a, 12). 101 Tatsächlich erscheinen die Medien insbesondere auf phonologischer Ebene als Einflussgröße wenig plausibel, sondern eher hinsichtlich der Verbreitung lexikalischer Einheiten wirksam, wie auch Martorell de Laconi anhand des zunehmenden Gebrauchs sogenannter lunfardismos verdeutlicht (cf. Martorell de Laconi 2006, 214). Eine Verbreitung phonologischer Innovationen ist daher äußerstenfalls in Form einer direkten Gebundenheit an bestimmte Lexeme denkbar. Cf. dazu auch Labov (2001, 228): «all of the evidence [. . .] points to the conclusion that language is not systematically affected by the mass media, and is influenced primarily in face-to-face interaction with peers». 102 Die nachfolgende Zusammenstellung wurde stellenweise durch die Vermischung verschiedener phonetischer Systeme und die teils inkonsequente Umsetzung innerhalb der jeweiligen Quellen erschwert.
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2 ʒeísmo und ʃeísmo: Forschungsstand
Karte 2.2: Sprachgeographische Verteilung des yeísmo und seiner Varianten innerhalb Argentiniens.
2.3 Sprachgeographische Verteilung des yeísmo und seiner Varianten
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oftmals unbekanntes Terrain.103 Gerade weil der ʒeísmo aber als urbane Entwicklung deklariert ist, muss natürlich die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, dass sich auf dem Land archaische Formen erhalten haben, wie beispielsweise eine verstärkte Affrizierung von /ʒ/, die von den in den Städten festgestellten Varianten abweichen. Damit stellt die Distribution der verschiedenen phonetischen Realisierungen von /ʒ/, /ʝ/ und /ʎ/ im ruralen Raum ein Forschungsdesiderat dar, dem nachgekommen werden sollte.104
103 Cf. dazu Scheutz (2006): Wurde vorher die Ausblendung des urbanen Raums in der Dialektforschung häufig kritisiert, hat sich allgemein mit der Entwicklung der urbanen Dialektologie, Soziolinguistik etc. das Interesse von den ruralen Dialekten zunehmend abgewendet; Scheutz bemängelt diesen Zustand als Krise der «Erforschung ruraler Dialekte» (Scheutz 2006, 879). Im konkreten Falle Argentiniens muss jedoch auch die besondere Stadt-Land-Verteilung der Bevölkerung insgesamt berücksichtigt werden: Laut der Volkszählung im Jahr 2010 leben weniger als 10% der argentinischen Bürger in ländlichen Gebieten, damit hat die Stadtflucht seit 2001 nochmals zugenommen (cf. INDEC 2010: distribución porcentual de la población total, urbana y rural, según provincia). 104 Darüber hinaus werden durch die graphische Darstellung nochmals die zum Teil frappierenden Unterschiede zwischen den einzelnen provincias evident. Da sich nicht alle Markierungen gleichermaßen aktueller Daten bedienen können, muss zumindest der Spekulation Platz gemacht werden, dass sich in anderen Provinzen ähnliche Entwicklungen wie in Corrientes zugetragen haben können.
3 Methodische Einbettung 3.1 Urbane Dialektologie Nachdem durch die diachrone und räumliche Kontextualisierung der zur Untersuchung stehenden Postalveolare Rahmen und Hintergrund für ein eigenes investigatives Vorhaben gefestigt sind, muss nun bei der konkreten Herangehensweise an ein Projekt, das eine intraurban geographische Differenzierung fokussiert, die Frage gestellt werden, inwieweit sich eine urbane Dialektologie überhaupt umsetzen lässt. Allein die Intention, Sprache im urbanen Raum zu beleuchten, ist ein komplexes Unterfangen, denn Städte setzen sich nicht nur aus dialektologischer, sondern auch aus stadtgeographischer und sozialgeographischer Perspektive aus einer Vielfalt ganz unterschiedlicher Räume zusammen, mit denen eine jeweils spezifische Raumkonzeption einhergeht. «There is hardly an urban complex of any reasonable dimension that is not likely to reveal a multiplicity of varieties of codes» – so beschreiben Van de Craen und Baetens Beardsmore das Nebeneinander der städtischen Vielzahl an sprachlichen Varietäten, dem nur unter Einbeziehung von Kultur- und Bildungsstrukturen, demographischen Entwicklungen, religiösen Traditionen sowie sozialpolitischen Ordnungen Rechnung getragen werden könne.1 Im Folgenden werden die Komponenten des kommunikativen urbanen Raums einer näheren Betrachtung unterzogen, um dann deren Bedeutung für die Ausprägung und das Erfassen sprachlicher Varietäten in der Stadt aufzuzeigen. Im Vordergrund stehen dabei die zu bewältigenden Schwierigkeiten und Anforderungen, mit denen sich eine dialektologisch orientierte Soziolinguistik in der Stadt konfrontiert sieht.
3.1.1 Traditionelle Dialektologie und Anfänge der urbanen Soziolinguistik Motivation der traditionellen Dialektforschung war zunächst die Untersuchung der ursprünglichen Ortsmundart sowie die Aufarbeitung der lautgesetzlichen Entwicklung verschiedener Sprachstufen. Im Fokus stand dabei nicht in erster Linie die synchrone Wirklichkeit eines bestimmten Gebiets, sondern die erfassten sprachlichen Formen wurden insbesondere zur Aufarbeitung der diachronen Perspektive genutzt.2
1 Cf. Van de Craen/Baetens Beardsmore (1988, 579). 2 Cf. Scheutz (2006, 879); Löffler (2003, 20s.). https://doi.org/10.1515/9783110637663-003
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3 Methodische Einbettung
Zu diesem Zweck war man zunächst ausschließlich an ortsfesten, älteren Sprechern interessiert, die durch ihre – im besten Fall seit mehreren Generationen bestehende – Ortstreue die unverfälschte Wiedergabe des Dialekts eines bestimmten Gebietes gewährleisten sollten. Primäre Zielsetzung war dabei die Beschreibung räumlich bedingter Variation, die später mit Hilfe kartographischer Verfahren verdeutlicht werden sollte; konkrete Angaben zu den Informanten selbst oder den Untersuchungsbedingungen waren in der Anfangsphase der Dialektforschung jedoch noch unerheblich.3 Nicht zuletzt wegen dieser auf vermeintlich homogene Varietäten4 ausgerichteten Herangehensweise, aber auch aufgrund ihrer anfangs noch ganz anderen Zielsetzung, wurde das heterogene Konzept Stadt in dieser frühen Forschungsphase der klassischen Dialektologie noch weitgehend gemieden (cf. Dittmar/Schlieben-Lange 1982, 9s.). Die wenigen Arbeiten, die doch den Sprachraum Stadt zum Gegenstand dialektologischer Untersuchungen machten – vornehmlich in der Schweiz und in Italien – ließen die komplexe soziologische wie sprachliche Struktur städtischer Kommunikationsgemeinschaften jedoch außer Acht und übertrugen stattdessen die eindimensionalen, lediglich an der Variablen Raum orientierten Verfahren auf die Stadt.5 Die fehlende Auseinandersetzung mit dem urbanen Raum war aber nicht nur methodisch bedingt, sondern war in erster Linie einem zu Beginn noch mangelnden Interesse gegenüber den noch als neu empfundenen Sprachräumen zuzuschreiben. Dittmar/Schlieben-Lange (1982) sprechen hier von einer als «unrein» wahrgenommenen Stadtsprache oder auch «Mischsprache», in der
3 Cf. Löffler (2003) u.a. 4 Bereits 1916 verneint Wiget die Homogenität von Dialekten selbst im Hinblick auf kleine, sozial relativ einheitliche Ortschaften (cf. Wiget 1916). Faktoren wie die Abwanderung von Arbeitskräften in die Städte, zunehmende Mobilität, ein steigendes Bildungsangebot sowie die kriegsbedingte Integration von Zuwanderern haben zu einem Transformationsprozess der ländlichen Gesellschaft geführt und das Sprachverhalten sowie die dialektale Bandbreite nachhaltig beeinflusst. Ähnliche Faktoren wirken auch in der Stadt, allerdings in größerem Umfang; es zeigt sich aber, dass die Grundelemente auch den ländlichen Raum eingenommen haben (cf. König 1982, 472). 5 Cf. Krefeld (2008, 9). So untersucht beispielsweise David DeCamp zur Distribution der phonologischen Variablen in San Francisco lediglich die Aussprache ihm bekannter Personen und die von deren Bekannten. Das eigene Netzwerk darf allerdings nicht grundlegendes Kriterium für die Informantenauswahl sein, denn diese muss in erster Linie soziologisch und am Untersuchungsziel orientiert begründet sein. Darüber hinaus kann eine solch begrenzte Verfahrensweise das soziologische Spektrum einer Metropole nicht in ausreichender Weise exemplarisch nachbilden (cf. DeCamp 1953).
3.1 Urbane Dialektologie
53
die Dialektologen einen negativen Einfluss auf die Reinheit und Homogenität der ländlichen Dialekte befürchteten.6 Die Berücksichtigung der Stadt als Sprachraum fand ihren Anfang in den 1960er-Jahren in der US-amerikanischen Großstadt, wobei die Arbeiten von Labov bis heute für eine ganz neue Methodik wegweisend geworden sind. Das zunächst auf der Insel Martha’s Vineyard angewandte Prinzip, Sprache unter der Einbeziehung soziologischer Variablen zu untersuchen, wurde wenig später zur Analyse der verschiedenen Varianten von /r/ auf den Sprachraum New York City übertragen.7 Labov gilt damit als Wegbereiter einer primär im urbanen Raum angesiedelten Soziolinguistik, die die Untersuchung von Variation auf der Grundlage soziologischer und stilistischer Parameter betreibt.8 Mehr als zehn Jahre zuvor hatte bereits Labovs Doktorvater Weinreich für eine sprachsoziologische Untersuchung von Stadtgemeinschaften plädiert und die Berücksichtigung struktureller und soziokultureller Faktoren in der Sprachbeschreibung eingefordert (cf. Weinreich 1954). Durch Labovs Arbeiten kam man schließlich von der Auffassung ab, die ältesten in einem Dialekt verwendeten Varianten auch als die tatsächlich typischsten und repräsentativsten einer Region zu betrachten; zudem begann die dialektologische Forschung auch methodisch von den bis dahin bei Befragungen oftmals üblichen Einwort-Antworten abzurücken und sich stattdessen einer möglichst natürlichen und informellen Spracherfassung zuzuwenden: Linguists want to observe the way people speak when they are not being observed. What the linguist is hoping to study in particular in INFORMAL speech, not necessarily because it may be more «normal» – all speakers have both informal and formal styles – but because it is generally more systematic and regular and therefore more interesting than (Chambers 1998, 48) other varieties.9
Verschiedene Sprechsituationen der Nähe und Distanz (cf. dazu auch Koch/ Oesterreicher 1990) wurden bei Labov durch den Einsatz von Wortlisten und Minimalpaaren, durch das Evozieren gewählter und zwangloser Sprechweisen
6 Cf. Dittmar/Schlieben-Lange (1982, 9ss.). Schon Schmeller bewertet 1821 (1969) die in den Städten gesprochene Sprache als «corrupter» als die auf dem Land verbreitete «reine» Sprache (cf. Schmeller 1821[1986], 21). 7 Cf. Labov (1963; 1966). Cf. dazu auch Labov (1972b; 1972c; 1972d;1972g). 8 Cf. Krefeld (2008, 9). Krefeld weist darauf hin, dass in den «klassischen Handbüchern der Sprachwissenschaft» das Thema Stadt kaum Erwähnung findet und damit auch nicht als Problem der Sprachgeographie erkannt und diskutiert wird. 9 Das mit dieser Anforderung verbundene Problem des Beobachter-Paradoxons wird in Kapitel 3.3 eingehender diskutiert.
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3 Methodische Einbettung
in Form strukturierter Interviews sowie durch das Verfahren der teilnehmenden Beobachtung geschaffen.10 Die neuen methodologischen Ansätze Labovs und die daraus resultierende Erkenntniss, dass sprachliche und außersprachliche Parameter in engem Zusammenhang stehen, konnten insbesondere vor dem Hintergrund der wachsenden Urbanisierung im 20. Jahrhundert nicht länger ignoriert werden und zwangen die Dialektologie in vielerlei Hinsicht zu einer methodischen Neuorientierung. Anstatt wie bisher nur die horizontale Ebene des Raumes zu beachten, wurden die Sprecher nun allmählich in ihrer sozialen Variabilität wahrgenommen. Dieses Umdenken und die damit einhergehende neue Zielsetzung schlugen sich allerdings nicht nur in einer veränderten Methodik nieder, sondern erweiterten den Blick der Dialektologie nun vermehrt über den ländlichen Sektor hinaus auf die städtischen Zentren. Durch die wachsende Auseinandersetzung mit gesellschaftlich gebundener Variation von Sprache gewann man zudem Einsicht in die zentrale Rolle der Städte bei Sprachwandelprozessen: Als Raum gesellschaftlicher Heterogenität sind sie oft treibende Kraft für das Aufkommen und die Verbreitung sprachlicher Varietäten oder Varianten. Die mit zunehmender Intensität betriebene Stadtsprachenforschung gibt damit in puncto Sprachwandel Antworten auf einige zentrale soziolinguistische Fragestellungen, die sich auch in der nachfolgenden Studie als gewichtig erweisen werden und von Dittmar/Schlieben-Lange wie folgt zusammengefasst werden: In der städtischen Interaktion bildet sich auch bei ursprünglich sprachhomogenen Gruppen Variation als notwendiges Symbolsystem sozialer Territorien heraus. [. . .] Das komplexe Ineinandergreifen räumlicher und sozialer Dimensionen (Stadtbezirke, Schichten) macht die Stadt zu einem dynamischen Veränderungsgefüge. Sowohl Institutionen als auch Gruppen können Wandel auslösen. [. . .] Städte vereinen Tendenzen der Sprachbewahrung und der Sprachveränderung gleichzeitig. [. . .] Sprachveränderung resultiert dagegen meistens aus bestimmten Konstellationen des sozialen Konflikts zwischen den Gruppen.11 (Dittmar/Schlieben-Lange 1982, 13)
Das den nordamerikanischen Untersuchungen zugrunde liegende Konzept – nicht zu vergessen sind hier auch die Arbeiten Fishmans zur Mehrsprachigkeit in New York – nahm entscheidenden Einfluss auf die soziolinguistisch ausgerichtete
10 Cf. Labov (1966). 11 Van de Craen/Baetens Beardsmore (cf. 1988, 580) weisen in ihrer Abhandlung «Research on City Language» darauf hin, dass sich Standardisierungsprozesse sprachlicher Variablen im städtischen Umfeld wesentlich schneller vollziehen als auf dem Land.
3.1 Urbane Dialektologie
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Erforschung der europäischen Stadt.12 Im italienischen Sprachraum wurde die neue Methodik in ihrer frühesten Phase 1969 von Pautasso angewandt, die in Pettinengo die Kontaktsituation zwischen verschiedenen Varietäten der Einwanderer und dem dortigen lokalen Dialekt untersuchte. In der deutschsprachigen Dialektologie erfolgte eine verhältnismäßig späte Hinwendung zum urbanen Raum: Die ersten Aufzeichnungen bündelten sich in der Schweiz, insbesondere in Bern und Basel, 1987 und 1999 folgten größere Projekte in Berlin (cf. Schlobinski 1987) und München (cf. Stör 1999), die beide in der Tradition Labovs stehen. In Spanien wird der Beginn soziolinguistischer Verfahren im städtischen Raum unter anderem durch die Arbeiten Manuel Alvars (1972) markiert, der u.a. das Zusammenwirken von heterogenen Gesellschaftsschichten, von Stadtgeschichte und sprachlichen Varietäten in Las Palmas de Gran Canaria einer soziolinguistischen Betrachtung unterzog. Bedeutend ist in dieser frühen Phase außerdem die groß angelegte Untersuchung von Badia i Margarit (1969) zur sozial und räumlich variierenden Zweisprachigkeit des Kastilischen und Katalanischen in Barcelona.13 Die lateinamerikanische Stadt besetzte in der Anfangsphase der Stadtsprachenforschung zunächst eine Nebenrolle. Dennoch war auch hier schon bald eine Verdichtung der Thematik zu beobachten, wovon u.a. die Untersuchung von López Morales (1983) zu den phonologischen Variablen in San Juan und die Studie von Cedergren (1973) zur grammatischen Variation in der Hauptstadt Panamas zeugen.14
12 Cf. Kallmeyer (1987, 82); Fishman et al. (1969). 13 Cf. auch Martínez Martín zur phonologischen Variation in Burgos (1983), Etxebarría Aróstegui (1985) zu Bilbao. Besondere Aufmerksamkeit erhielt die Untersuchung von Lynn Williams, die im spanischen Valladolid die Artikulation und Elision von intervokalischem /d/ einer soziolinguistischen Analyse unterzog. Neben einer stilistisch bedingten Variation, ließen vor allem die Unterschiede, die sich zwischen dem männlichen und dem eher konservativen weiblichen Sprachverhalten offenlegten, Williams auf eine soziale Markierung der Varianten schließen (cf. Williams 1987). Cf. für eine ausführlichere zusammenführende Darstellung auch Dittmar/Schlieben-Lange (1982, 59). 14 Cf. auch Lavandera (1974) und den Sammelband von Lope Blanch (1977) zu Studien in lateinamerikanischen Städten. Cf. auch Garvin/Mathiot (1968) zur Koexistenz von Spanisch und Guaraní in den Städten Paraguays, Caravedo (1990) zu charakteristischen phonetischen, morphologischen, lexikalischen und syntaktischen Merkmalen des Spanischen in Lima, Mendoza zur Syntax in der gesprochenen Sprache La Paz’ (1991), Luna Traill (1991) zu den Unterschieden in der Verwendung des Infinitivs, Gerundiums und der Partizipialkonstruktionen in der habla culta in Ciudad de México. Cf. darüber hinaus die umfassende in den Jahren 1990–1992 durchgeführte Studie zum Spanischen in Bogotá (Montes Giraldo 1998), die sowohl eine Differenzierung hinsichtlich der Altersgruppen und sozialen Schichten als auch der verschiedenen Stadtviertel vornimmt.
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3 Methodische Einbettung
In Argentinien ist der Sprachraum Stadt schon kurz nach Labovs bahnbrechenden Untersuchungen Gegenstand diverser, auf soziologischen Parametern fußenden Studien geworden und so enstanden in dieser frühen Anfangsphase im gesamtlateinamerikanischen Vergleich mit die relevantesten soziolinguistisch ausgerichteten Arbeiten. Neben Lavanderas Analyse syntaktischer Variation bei der Bildung von si-Sätzen in Buenos Aires (1975) wurde den in Kapitel 2.2 vorgestellten Untersuchungen zum ʃeísmo in Buenos Aires (cf. Wolf/Jiménez 1977) und Bahía Blanca (cf. Fontanella de Weinberg 1979) besonderes Interesse zuteil; mit ihrer Anwendung auf die sich im eigenen Land entwickelnden sprachlichen Innovationen reagierte die argentinische Sprachwissenschaft damit relativ schnell auf die noch junge Methodik. Die Konzentration auf Varietäten im urbanen Raum bedeutet aber nicht zwangsläufig die Gleichsetzung mit soziolinguistischer, urbaner Dialektologie; so manches blieb in dieser frühen Auseinandersetzung mit dem argentinischen Stadtraum noch unberücksichtigt, beispielsweise eine intraurbane lokale Differenzierung. Zentral ist aber, dass sich die Erkenntnis sozialer Stratifikation als Wirkungsvariable lautlicher Variation in Verbindung mit der Erforschung der hier zur Diskussion stehenden Allophone schon früh bestätigt hat: Estos factores deben de haber coadyuvado a la producción del cambio aunque, sin duda en su realización efectiva – como se ha señalado previamente –, incidieron decisivamente hechos sociolingüísticos [. . .] Este cambio, por su distribución social y estilística actual en la comunidad bahiense, parece encontrarse en una etapa avanazada de su proceso [. . .] se ha cumplido lo que señala Labov (1972, p. 293), como característico de cambios lingüísticos avanzados. (Fontanella de Weinberg 1979, 120s.)
Seit der Jahrtausendwende erfolgt in der romanistischen Dialektologie unter dem Begriff der Perceptual Dialectology eine zunehmende Hinwendung zur Erforschung von diatopisch gebundenen Spracheinstellungen bzw. Sprachwahrnehmungen.15 In der Annahme, dass sich die Eindrücke und Wahrnehmungen, über die Sprecher in Bezug auf sprachliche Varietäten verfügen, auf das konkrete sprachliche Handeln auswirken könnten, sprach sich Dennis R. Preston 1989 für die Verschränkung soziolinguistischer Verfahren mit der Ermittlung sprachlicher Inzwischen gibt es in der lateinamerikanischen Romanistik eine Vielzahl an Studien, die für ihre Untersuchungen sprachlicher Variation, oftmals nach Labovschem Vorbild, die städtischen Räume fokussieren. Cf. dazu Carrillo Guibert (2007) zum Gebrauch von Indikativ und Subjuntivo in La Habana, Dohotaru (2007), ebenfalls in La Habana, Jany (2001) zur Sprachkontaktsituation des Englischen und Spanischen in Puerto Rico und New York. Cf. auch die Reihe von Arbeiten von Lastra und Butragueño zum Spanischen in Ciudad de México: 2010 zu den Unterschieden in der Verwendung des futuro morfológico und futuro perifrástico, 2016 zur Verwendung der Konstruktion lo que es. 15 Cf. Altendorf (2005). Ein kurzer Abriss zu den ersten Arbeiten in diesem Bereich findet sich in Krefeld/Pustka (2010, 9s.).
3.1 Urbane Dialektologie
57
Stereotype, Karikaturen und Klassifikationen aus. Über ein solches Vorgehen würde zum einen der konkrete, synchrone Sprachzustand ermittelt, zum anderen erhielte man aber Zugang zur unmittelbaren Sprecherperspektive, die notwendig sei, um die Stellung und den Wert sprachlicher Varianten innerhalb einer Sprachgemeinschaft zu erschließen und sprachliche Variation nachzuvollziehen. Preston ist damit zu einem bedeutenden Wegbereiter der folk metalinguistics geworden.16 Hundt, Anders und Lasch betonen ebenfalls die besondere Leistung der Perceptual Dialectology, die darin bestehe, über die Kenntnis laienlinguistischen Bewusstseins plausible Prognosen über einzelne Sprachwandelphänomene anstellen zu können. Darüber hinaus halten sie «die identitätsstiftende Funktion der eigenen Sprechweise nach innen (in-group) und die Abgrenzungsfunktion nach außen (outgroup)» sowie die «Verbindung zwischen Sprachmerkmalen [. . .] und assoziierten Eigenschaften der Sprecher [. . .]» für besonders relevant, da so Schlussfolgerungen auf die Korrelation von Einstellungen und Handlungsprozessen gezogen werden könnten.17 In ihrem Sammelband «Perzeptive Varietätenlinguistik» plädieren auch Pustka und Krefeld 2010 für die Dringlichkeit einer Verknüpfung nicht nur von diatopisch, sondern auch von diastratisch und diaphasisch markierten Varietäten mit dem Varietätenbewusstsein der Sprecher, das in Form varietätenbezogener Repräsentationen erfasst werden könne. Dieses sei nicht zuletzt aufgrund seines Einflusses auf das sprachliche Handeln für die Bestimmung der kommunikativen Relevanz einzelner Varianten grundlegend. Pustka/Krefeld sehen daher in der Korrelation von sprachlichen Merkmalen und Perzeption überhaupt erst die Voraussetzung für die sinnvolle Erfassung räumlicher Distributionen von Varietäten und für die Bestimmung von Dialekt-Standard-Schwellen (cf. Krefeld/Pustka 2010, 23). Die Zusammenführung der Laien- und Expertenperspektive fand in Spanien mehrfach in Untersuchungen in den Regionalsprachgebieten Anwendung (cf. Kabatek 1996 in Galicien, Postlep 2010 in Aragón), hat sich aus gesamtromanistischer Perspektive aber mittlerweile auf die Fokussierung einzelner Städte ausgeweitet.18
16 Cf. Preston (1989, xis.). 17 Cf. Anders/Hundt/Lasch (2010, XIV). Zu den zentralen Fragestellungen der Wahrnehmungsdialektologie zählen demnach die Erfassung salienter perzipierter Dialektmerkmale, die Ermittlung von Assoziationen zu bestimmten Dialekten sowie die Erschließung von Dialekträumen aus der Laienperspektive (cf. Anders/Hundt/Lasch 2010, XI–XIII). 18 Für eine europäische Betrachtung cf. Pustka (2008) in Paris, Ille/Vetter (2010) in Wien. – Neben der urbanen Soziolinguistik und der perzeptiven Varietätenlinguistik eröffnet die Stadt aber weitere Möglichkeiten stadtspezifischer sprachlicher Untersuchungen. Eine neuere Disziplin, die sich mit Landry und Bourhis seit Ende der 90er-Jahre (1997) auftut, ist die der Linguistic Landscapes. Gegenstand ist hierbei das Nebeneinander verschiedener Sprachen oder Varietäten, das sich in schriftlicher Form an öffentlichen Orten im Stadtraum widerspiegelt und somit gewissermaßen ein sprachliches urbanes Landschaftsbild erschafft. Da eine solche Fokussierung vor
58
3 Methodische Einbettung
Ein kurzer Exkurs im Anschluss an die quantitative und qualitative Analyse des in dieser Arbeit erhobenen empirischen Materials soll dem von Pustka und Krefeld geforderten Anspruch zumindest in Ansätzen Folge leisten (cf. Kapitel 4.5); primär versteht er sich jedoch als inhaltliche Ergänzung, die den Blickwinkel der bis dahin erbrachten Auswertungen auf weitere Aspekte erweitern und bereits Analysiertes untermauern soll.
3.1.2 Anforderungen an eine urbane Dialektologie Auch wenn die Dialektologie sich zunehmend soziologischer und pragmatischsituationeller Parameter bediente, stand sie nach wie vor vor dem Problem, wie eine räumlich bedingte Variation innerhalb eines solch komplexen und von Dynamik geprägten Gefüges wie der Stadt aufgezeigt werden sollte. Kallmeyer beschreibt diese Problematik folgendermaßen: Die angemessene Berücksichtigung der Stadt stellt bekanntermaßen ein besonderes Problem für die Sprachatlanten dar. Die Schwierigkeit besteht darin, die sozialen Faktoren der Variation im Rahmen der sprachgeographischen Grundanlage zu berücksichtigen und die komplexen sprachlichen Verhältnisse in der Stadt [. . .] auf wesentliche, sprachgeogra(Kallmeyer 1987, 85) phisch darstellbare Merkmale zu reduzieren.19
Für eine dem Faktor Raum in besonderer Weise verpflichteten Disziplin stellt sich hier über die urbane Soziolinguistik hinaus die Frage, inwieweit innerhalb eines urbanen Gefüges Sprachgrenzen überhaupt beschrieben und sprachliche Überlagerungen ausgemacht werden können. Was kann eine Stadtdialektologie konkret leisten? Kann urbane Dialektologie, die in ihren Anfängen als traditionelle Dialektologie insbesondere die sprachgeschichtliche Aufarbeitung sprachlicher Varietäten ins Zentrum des Interesses stellte, auch innerhalb des städtischen Raumes Innovationszentren offenlegen und damit Sprachwandel diatopisch nachvollziehbar machen?
allem in Städten mit Migrationscharakter ergiebig ist, berührt ein solches Verfahren auch Bereiche der Ethnolinguistik. Aus spanischsprachiger Sicht sind dabei besonders die Untersuchungen von Castillo Lluch und Sáez Rivera hervorzuheben, die in Madrid Kategorisierungen und Regularitäten in der stadtgeographischen Verteilung verschiedensprachlicher Schriftzüge und Namen aufdecken konnten (cf. beispielsweise Castillo Lluch/Sáez Rivera 2011). 19 Dieser Aussage folgend bestehen ja bereits hier Einschränkungen, was sprachgeographisch in der Stadt überhaupt festgehalten werden kann; nicht jede Sprachebene ist für eine dialektologisch geleitete Fragestellung unbedingt geeignet und bearbeitbar.
3.1 Urbane Dialektologie
59
Die Möglichkeit diatopisch bedingter Sprachverteilung im urbanen Raum wird schon früh als existent angenommen: Moreover it is becoming ever more apparent that a city is not necessarily an urban melting pot in which code and variety differences get smoothed out into a unique urban vernacular but that a host of language varieties co-exist both in terms of social stratification and in terms of geographical dispersion. (Van de Craen/Baetens Beardsmore 1988, 579)
Hinsichtlich der Frage nach Repräsentativität betonen Chambers und Trudgill die Schwierigkeit, sicherstellen zu können, dass es sich bei dem in Stadtsprachenstudien gesammelten Material tatsächlich um das Abbild einer spezifischen städtischen Varietät handelt und nicht um das Zusammentragen verschiedener, sich nicht gegenseitig bedingender Idiolekte: The problem is that there is no way of knowing if what they are describing is truly the language of the town in question or simply that of an individual the investigator happens to have come across. [. . .] The size and social complexity of urban communities mean that it is very difficult for any individual to have reliable idea of what speech forms are ‹typical›, and personal contacts as a means of selecting and obtaining informations are not very reliable. What works in the village does not work in the town. (Chambers/Trudgill 1998, 46s.)
Auch Stehl (1991) spricht in seiner Diskussion der synchronen Norm innerhalb einer urbanen Dialektologie ein ähnliches Problem an: On doit se poser le problème de la norme dans la dialectologie urbaine. Déjà un seul locuteur peut disposer de plusieurs langues fonctionelles [. . .] contenues dans la gradation du contact convergent entre le dialecte de base et la langue nationale, langues fonctionelles dont il se sert en dépendance de situations différentes de communication. Au niveau des communautés linguistiques d’un quartier, des sociolectes professionnels, l’hétérogénéité des données augmente, et il faut donc identifier à travers des procédés statistiques l’existence et la nature d’une telle norme locale qui autorise l’hypothèse qu’il y aurait au-delà de l’hétérogénéité des données une homogénéité quelconque qui garantit la communication et l’intercompréhension à l’intérieur de la communauté locale. (Stehl 1991, 136)
Die urbane Dialektologie gehe daher im Sinne einer quantitativen Methode zunächst vom einzelnen Sprecher aus, bevor sie über die Zusammenfassung und Klassifikation von Soziolekten auf eine lokale und an ein bestimmtes Stadtviertel gebundene Varietät schließe (cf. Stehl 1991). Tatsächlich bleibt eine intraurbane diatopische Differenzierung auch in neueren Untersuchungen häufig noch aus. 2007 untersucht etwa Dohotaru die verschiedenen Varianten von /R/ in La Habana auf Cuba in Abhängigkeit sozialer und sprachlicher Faktoren, die räumliche Komponente lässt sie jedoch unberücksichtigt. Dass innerhalb eines urbanen Raumes aber durchaus sprachliche Grenzen
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3 Methodische Einbettung
bzw. geographisch gebündelte Distributionsmuster einer bestimmten Variante festgemacht werden können, zeigt die oben genannte Arbeit von Pustka zu Auto- und Heteropräsentationen des Pariser Französisch. Pustka führt konkrete Akzentbezeichnungen auf, die mit den verschiedenen sozialgeographischen Räumen in Paris korrespondieren und sich durch die Unterscheidung gewisser phonologischer Merkmale voneinander abgrenzen. So wird beispielsweise der von der Pariser Oberschicht gesprochene Akzent aufgrund seiner geographischen Verortung im Westen der Stadt als accent du 16ème betitelt, der accent faubourien hingegen mit dem Französischen sozial schwächer gestellter Milieus in den Vororten von Paris in Verbindung gebracht (z. B. in Saint-Antoine).20 Auch wenn Pustka die Frage aufwirft, ob es sich bei den verschiedenen Repräsentationen der accents parisiens wirklich um primär diatopische Varietäten mit sekundärer diastratischer Funktion handelt oder doch vielmehr um diastratische Phänomene, denen aufgrund der Sozialgeographie von Paris eine geographische Komponente zugesprochen werden könne, bestätigt ihre Arbeit doch die innerstädtische Distribution sprachlicher Varietäten (cf. Pustka 2008, 244). Ob mit derartigen geographischen oder diatopischen Bündelungen jedoch feste Isoglossen vorliegen, ist allerdings aus diastratischer wie diaphasischer Sicht äußerst fraglich, spalten Isoglossen doch durch ein distinktives sprachliches Merkmal derselben grammatischen Kategorie einen Raum in zwei Bereiche, innerhalb derer lediglich eine Form in Abgrenzung zur entgegengesetzten Variante Verwendung findet.21 Wie im weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit wiederholt dargestellt werden wird, sind einzelne Stadtteile in ihrer demographischen Zusammensetzung längst nicht so homogen wie angenommen, sodass sich die Kategorisierung diastratisch markierter Varianten nicht unbedingt in klaren geographischen Differenzierungen widerspiegelt, seien diese nun einer primär diatopischen Wertung oder der städtischen Sozialgeographie geschuldet. Die von Bulot für eine urbane Soziolinguistik empfohlene Herangehensweise ist sicherlich auch Grundlage für die Durchführung einer erfolgreichen urbanen Dialektologie: «L’approche de l’urbanité requiert en tout état de cause une démarche transdisciplinaire» (Bulot 2007, 16).22 Um das Raumkonzept
20 Cf. Pustka (2008, 222, 228). 21 Cf. zur Definition Löffler (2003, 118). Generell kann es natürlich immer Tendenzen zur Diatopisierung geben, ohne dass dabei jedoch eine starre durch Isoglossen begrenzte Diatopik angenommen werden muss. Trotz der Größe Raum als hypothetische Stabilität (als Stabilität suggerierende Variable) ist auch die geographische Variation stets eine dynamische, die auch in Verbindung zur allgemeinen Mobilität von Sprechern und Sprechergruppen gesetzt werden sollte. 22 Bulot ist dabei nicht der einzige, der sich für ein interdisziplinäres Vorgehen ausspricht. Cf. dazu auch Van de Craen/Baetens Beardsmore (1988, 580). Ein Beispiel für eine solche
3.1 Urbane Dialektologie
61
Stadt in seiner Gesamtheit zu begreifen, ist es daher notwendig, über eine sprachwissenschaftliche Fokussierung hinaus die Grundlinien der einzelnen wissenschaftlichen Bereiche der Stadtforschung in einer Art dialektischen Verschränkung zusammenzuführen.23 Die verschiedenen Disziplinen nähern sich dem städtischen Raum aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Die ihrerseits mit einer Reihe an weiteren – sich einander ergänzenden, aber auch inhaltlich überlappenden – Fachrichtungen24 verbundene Stadtgeographie widmet sich der «raumbezogenen Erforschung städtischer Strukturen, Prozesse und Probleme» (cf. Heineberg 2006, 13). Je nach Zielsetzung und Untersuchungsgegenstand liefert die Stadtgeographie dabei verschiedene Ansätze zur räumlichen Stadtgliederung. Diese können beispielsweise durch die Abgrenzung historisch einheitlicher Stadtbereiche definiert sein, sich im Sinne einer funktionalen Stadtgliederung durch bestimmte Raumfunktionen voneinander unterscheiden (Bsp. Gewerbegebiet vs. Wohngebiet) oder auch eine sozialräumliche, auf sozialer Segregation beruhende, Unterteilung zugrunde legen (cf. Heineberg 2006, 152–177). Teile dieser Konzepte zur räumlichen Einteilung der Stadt wurden von mehreren sprachwissenschaftlichen Studien aufgegriffen und dienen auch als Richtlinie für die im Nachfolgenden vorgenommene Untergliederung der Stadt Buenos Aires (cf. Kapitel 3.3). Die sozialgeographische Stadtforschung stellt das Zusammenwirken von Raum und Gesellschaft als nicht voneinander zu trennende Einheiten in den Vordergrund. Die oftmals noch als komplementär empfundenen Komponenten physischer und sozialer Raum werden in dieser Konzeption als eine den Raum konstituierende Einheit begriffen, nach der die einzelnen physischen Komponenten der Stadt in wechselseitiger Wirkung mit den in ihnen lebenden und agierenden Individuen stehen.25 Es liegt ein von dem französischen Soziologen Bourdieu maßgeblich geprägtes Verständnis des sozial konstruierten Raums bzw. des sozialen Raums als eine von seinen Akteuren geprägte Realität vor.26
interdisziplinäre Methodik liefert eine auf einen längeren Zeitraum hin angelegte Untersuchung zur Zweisprachigkeit in Brüssel durch das Centre for the Study of the Brussels Language Situation. 23 Für eine solche interdisziplinäre Zusammenführung soziolinguistischer und stadtgeographischer Verfahren plädiert auch Würth (2012) in ihrer Arbeit zu räumlichen Strukturen, Stadtentwicklungsprozessen und sprachlicher Perzeption in Buenos Aires. 24 Cf. Bevölkerungsgeographie zur Analyse gruppenspezifischer Mobilität, Verkehrsgeographie oder Geographie des tertiären Wirtschaftssektors (cf. Heineberg 2006, 13s.). 25 Cf. Heineberg (2006, 19). 26 Cf. Bourdieu (1991): «Soziologie muss zur Kenntnis nehmen, dass menschliche Wesen zugleich biologische Individuen und soziale Akteure sind, die in ihrer und durch ihre Beziehung zu einem sozialen Raum [. . .] konstituiert werden. Der Ort, topos, kann zum einen in absoluten
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3 Methodische Einbettung
Dieses sozialgeographische Raumverständnis ist sicherlich auch aus sprachwissenschaftlicher Sicht relevant, wenn man bedenkt, dass menschliches Handeln meist primär oder sekundär von sprachlichen Handlungen bestimmt, gesteuert oder induziert wird und die Individuen in ihrer Interaktion mit anderen ihren jeweils persönlichen Idiolekt einbringen; damit konstituieren Sprecher über ihr individuelles sprachliches Handeln den sprachlichen Raum, in dem sie interagieren. Eine ähnliche Auffassung präsentiert Krefeld in seiner Erörterung des Konzepts des kommunikativen Raums, der sich nicht – wie von der Dialektologie und Sprachgeographie oftmals praktiziert – als eindimensionale und unmittelbare Größe greifen lässt: Es ist ja auch im Blick auf die Kommunikation in der Tat so, dass jeder Sprecher seinen eigenen kommunikativen Raum durch den aktuellen Einsatz und die Habitualisierung der ihm zu Gebote stehenden sprachlichen Mittel im Sprechen selbst konstruiert: Identische Räume darf man daher grundsätzlich niemals voraussetzen; vielmehr ergeben sich mehr oder weniger große gemeinschaftliche Teilräume aus dem Gebrauch bzw. aus der Entwicklung gemeinsam verfügbarer Idiome und Varietäten – und aus deren analoger Bewertung. (Krefeld 2004, 20)
Sozialer und kommunikativer Raum sind damit unmittelbar miteinander verbundene Größen. Der physische Raum als Teil dieses komplexen Gefüges hat sich inzwischen ebenfalls in vielschichtige Richtungen ausdifferenziert und ist in der US-amerikanischen sowie in der europäischen Stadt soziologisch nicht mehr ohne Weiteres in sozial klar definierte und damit in voneinander abgegrenzte Viertel und Zonen unterteilbar. Vielmehr zeigen sich zunehmend heterogene residenzielle Verteilungsmuster: Für bestimmte Sozialgruppen ist heute nicht mehr die sozial einheitliche Struktur und das Prestige eines gesamten Stadtviertels wichtig, sondern die Qualität des unmittelbaren physisch-materiellen Wohnumfelds. Räumliche Folge der gesellschaftlichen Heterogenisierung in eine Vielzahl von sozioökonomischen Subgruppen ist die Auflösung der klassischen, sozial relativ homogenen Viertelstrukturen der Industriegesellschaft in eine kleinräumige Fragmentierung der Wohnbevölkerung in ein «Mosaik inselhaft verteilter (Eder Sandtner/Schneider-Sliva 2007, 142) sozialer Welten» [. . .].27
Begriffen definiert werden als die Stelle, an der ein Akteur oder ein Gegenstand situiert ist, ‹seinen Platz hat›, existiert, kurz: als Lokalisation, zum anderen in relativer, relationaler Sicht als Position, als Stellung innerhalb einer Rangordnung». Cf. dazu auch die Ausführungen von Deffner (2012, 20). 27 Das Bild des Mosaiks «inselhaft verteilter sozialer Welten» ist den Darstellungen Wirths (1938) in Zusammenhang mit ethnischen Dörfern entnommen.
3.1 Urbane Dialektologie
63
Städtische, sozial fest definierte Zonen lösen sich demnach zusehends auf und rücken so unter Umständen sozial heterogene Gruppen näher zusammen als bisher. Diese Entwicklung stellt für die Dialektologie bei der Festlegung verschiedener Untersuchungsgebiete innerhalb der Stadt eine zusätzliche Hürde dar. Studien der Stadtsprachenforschung, die sprachliche Variablen in Abhängigkeit diastratischer und diatopischer Merkmale analysieren und dabei die Erfassung soziologischer Parameter mit kompletten Stadtvierteln gleichsetzen, müssen daher nicht nur aus sozialgeographischer Perspektive kritisch betrachtet werden. Dennoch, und hier ergeben sich wiederum Möglichkeiten dialektologischen Arbeitens, trifft die flächendeckende Verteilung verschiedener sozialer Schichten auf das gesamte Stadtgebiet nicht auf alle Gruppen in gleich ausgeprägtem Maß zu; wie sich in Kapitel 3.2 auch für den Untersuchungsort Buenos Aires bestätigen wird, leben insbesondere die Oberschicht und bestimmte Subkulturen oftmals in relativ homogenen Stadtgebieten.28 Auch im Hinblick auf das Konzept der städtischen Gesellschaft muss differenziert vorgegangen werden. Die für Großstädte charakteristische gesellschaftliche Heterogenität ist mittels einer simplen Unterscheidung der verschiedenen sozialen Klassen, Einkommens- und Bildungsgruppen nicht mehr vollständig zu fassen, sondern hat sich in neue Gesellschaftsstrukturen, so genannte Lebensstil- oder Milieugruppen, ausdifferenziert.29 In der Soziolinguistik begegnet man dieser Entwicklung etwa mit der Hinwendung zu spezifischen Einwohnergruppen und Milieus. Als an den städtischen Raum gebundene Erscheinungsformen liefern sie nicht nur exemplarische Erkenntnisse für bestimmte Subgruppen, sondern können auch Schlüsse hinsichtlich urbanen Sprachverhaltens im Allgemeinen zulassen. Dabei kann es sich sowohl um makrosoziologisch zusammengefasste Gruppierungen als auch um mikrosoziologische Formen der Soziabilität, wie Familien, Jugendgruppen oder Berufskollegien, handeln. Für Kallmeyer kommt es im Rahmen der Soziolinguistik darauf an, das Zusammenwirken von Gruppe und städtischer Umwelt herauszuarbeiten und Korrespondenzen hinsichtlich des Sprachverhaltens und der 28 Cf. Eder Sandtner/Schneider-Sliwa (2007, 139). In Buenos Aires trifft dies beispielsweise auf das barrio coreano im Stadtteil Flores oder auf die jüdischen Gemeinschaften in Balvanera zu. Dass sich die städtischen Mittelschichten hingegen oftmals relativ gleichmäßig im gesamten Stadtraum verteilen, zeigen Sandtner und Schneider-Sliwa am Beispiel Basel-Stadt auf. 29 Cf. Eder Sandtner/Schneider-Sliva (2007, 140s.). Robert Park, ehemaliger Schüler G. Simmels und Begründer der Chicago School of Sociology sprach in Zusammenhang mit diesen neuen aus dem städtischen Raum hervorgegangenen Lebenswelten und -formen von einem «mosaic of little worlds which touch but do not interpenetrate» (Park 1915, 608) und machte für das Chicago des 20. Jahrhunderts diverse Milieugruppen wie Jugendgangs, hobos (Stadtstreicher), Prostuituierte oder das jüdische Viertel aus.
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3 Methodische Einbettung
Entwicklung und Verwendung bestimmter sprachlicher Variablen gruppenintern wie –extern sichtbar zu machen (cf. Kallmeyer 1987, 92). Die Hinwendung zu mikrosoziologischen Kategorien als Informantengruppe bietet den entscheidenden Vorteil, dass sie die Problematik der Repräsentativität gewissermaßen umgeht, da die ermittelten Ergebnisse nicht den Anspruch erheben, gesamtstädtisches Sprechverhalten wiederzugeben. Sie beschränken sich zunächst ausschließlich auf die Analyse individueller und klar umgrenzter städtischer Lebensformen; ausgehend von diesen können im Fall der Varietätenlinguistik dann Hypothesen zur stilistischen, funktionellen und soziologischen Verwendung bestimmter sprachlicher Variablen und Varianten innerhalb ähnlicher Subgruppen aufgestellt werden.30 Aus stadtdialektologischer Sicht stellt sich wiederum die Frage, ob und inwieweit diese Subkulturen, Lebensstilgruppen und Milieus räumlich gebunden sind. In einigen Fällen, wie in Labovs Untersuchung zum Black English Vernacular Jugendlicher in den New Yorker Ghettos (cf. Labov 1972g), geht mit der sozialen eine klare räumliche Determinierung einher, in anderen hingegen, in denen sich die Subkultur weniger durch soziologische Segmentierungskriterien wie Ethnie und Einkommen als durch kulturelle, interessengeleitete oder berufliche Merkmale definiert, lässt sich die Informantengruppe nicht auf einen bestimmten intraurbanen Raum festlegen.31 Das Verhältnis von Raum und Milieu bzw. sozialer Integration wird in der Stadtsoziologieforschung nicht einheitlich beantwortet und hat sowohl raumgebundene als auch raumlose Konzeptionen des Milieubegriffs hervorgebracht; territoriale Grenzziehungen markieren also nicht zwangsläufig bestimmte innerhalb dieser Grenzen lebende soziale Gemeinschaften. Die traditionellen Vorstellungen der Chicagoer Schule gehen aber von der gegenseitigen Abhängigkeit sozialer Vergemeinschaftung und residenzieller, räumlicher Konstituierung aus.32 Die Zusammenführung von Raum und sozialen Parametern stellt daher nicht nur für die Soziolinguistik eine besondere Herausforderung dar: Gesellschaftsbezogene Raumforschung ist mit dem Problem konfrontiert, dass Untersuchungsgegenstände wie die Region oder die Stadt nicht als «soziale Einheit» definierbar und gegenüber der Gesellschaft abgrenzbar sind und in der Regel auch räumlich nicht eindeutig abgegrenzt werden können. Das ökonomische, soziale, politische und kulturelle
30 Näheres zur Problematik von Repräsentativität in der Dialektologie findet sich u.a. in König (1982). 31 Cf. auch Kabatek (1994) zum Vergleich phonologischer Variablen in der gesprochenen Sprache von Taxifahrern in Mexiko und Madrid. 32 Cf. Manderscheid (2004, 99).
3.1 Urbane Dialektologie
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Wirkungsgebiet einer Region oder einer Stadt endet ja nicht an ihrer administrativen Grenze [. . .], sondern erstreckt sich unter Umständen über das ganze Land und darüber hinaus auf den «globalen» Rahmen. (Krätke 2013, 9)
Innerhalb der genannten städtischen Gesellschaftsformen ergibt sich im urbanen Raum eine Vielzahl von Kontaktsituationen unterschiedlicher Intensität. Soziale Netzwerke stehen dem bloßen Nebeneinander, festen sozialen Kontakten sowie den von Herrmann als «vitales Bürgersteigsleben» bezeichneten Zusammentreffen in Cafés, Bars, Einkaufszentren oder im Supermarkt und auf der Straße gegenüber.33 Diese «zufällig-beiläufigen» Kontakte (cf. Herrmann 2000, 210) sind sicherlich nicht in jedem Teil der Stadt sowie zu jeder Tageszeit gleich stark ausgeprägt und aufgrund der Heterogenität der aufeinandertreffenden Bewohner aus dialektologischer Sicht auch nur schwer greifbar.34 Die Stadt ist also alles andere als statisch und Kontaktsituationen sind nicht nur ein Charakteristikum, sondern natürlich auch das Produkt urbanen Lebens; nicht zuletzt resultieren sie aus den vielseitigen Mobilitätsströmen, die sich täglich auf sozialer, berufsbedingter oder infrastruktureller Ebene vollziehen: Yet, geographical and social mobility and contact between communities is the rule rather than the exception in contemporary cities, and variationists are increasingly addressing the sociolinguistic consequences of mobility and contact. (Milroy 2003, 128)
33 Diese Elemente formieren das Konzept des US-amerikanischen Ansatzes der «social capital»: «Social capital bezeichnet die sozialen Ressourcen (Netzwerke, soziale Beziehungen, Kontakte und soziale Infrastruktur), die einer Gemeinschaft – etwa einer Gemeinschaft des Ortes, einer Nachbarschaft – zur Verfügung stehen [. . .]» (Herrmann 2000, 209). 34 Untersuchungen, die darauf abzielen, dieses Feld unverbindlichen urbanen Lebens sprachwissenschaftlich zu beleuchten, sind beispielsweise die Interaktionsstudien von Hausendorf, der im Jahr 2014 an Kundenschaltern auf verschiedenen Bahnhöfen der Schweiz sowohl verbale als auch nonverbale Formen der Alltagskommunikation analysierte. – Eine zumindest sekundäre Fokussierung spontaner Kontaktsituationen in der Stadt liegt in den von Schlobinski im Stadtprojekt Berlin vorgenommenen Wegbeschreibungen, mit Hilfe derer einzelne Straßen dialektal zu erschließen versucht wurden, sowie in Labovs prägender Kaufhausstudie in New York City, wenngleich in diesem Fall mehr der soziologische als der räumlich orientierte Aspekt von Bedeutung war (cf. Schlobinski 1987; Labov 1966). Kritisch anzumerken ist hier, dass eine Erläuterung hinsichtlich der Sicherung, dass die befragten Personen auch tatsächlich Bewohner des jeweiligen Viertels waren und es sich nicht etwa um Informanten, die sich arbeitsbedingt oder aus anderen Gründen in dieser Gegend aufhielten, leider ausbleibt. – Das Vorgehen, das Schlobinski verfolgte, ist sicherlich aufschlussreich, wenn es darum geht in Vorarbeit einer geographischen Einteilung des Untersuchungsgebiets erste Anhaltspunkte zusammenzutragen. Wirklich verlässliche Aussagen über die Varietät eines bestimmten Viertels liefern sie aus den bereits genannten Gründen aber nur bedingt. Außerdem soll es nicht nur darum gehen, ein Lautinventar zu erschließen, sondern darum die Varianten in einen Zusammenhang zu setzen; dieser ergibt sich bei einer solchen Arbeitsweise nicht.
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3 Methodische Einbettung
In gleicher Weise tragen landesinterne wie externe Migrationsprozesse dazu bei, den Stadtraum und die Vielfalt zwischenmenschlicher Begegnungen zu modifizieren. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, inwieweit diese intraurbanen Mobilitätsprozesse für den jeweiligen kommunikativen Raum im Allgemeinen und die sprachliche Charakteristik ganzer physischer Stadtabschnitte im Besonderen konstituierend sein können.35 Die Zugehörigkeit zu verschiedenen Netzwerken kann unterschiedliche Ausprägungen haben: Anstatt wie in früheren Systematisierungen die Intensität dieser Beziehungen über ein loose-knit–close-knit-Kontinuum darzustellen,36 hat sich in der Soziologie eine Typologie zur Kategorisierung verschiedenster gemeinschaftlicher Sozialformen entwickelt, in der die Schnittpunkte der verschiedenen, den Menschen umgebenden Netzwerke analysiert werden. Die Intensität dieser ineinandergreifenden sozialen Netzwerke reicht dabei von dem mit dem Land assoziierten allgegenwärtigen Nachbarn, der Arbeitskollege, Verwandter und Freund in einem ist, bis hin zum anonym klischeehaften Taxifahrer-KundenVerhältnis im städtischen Kontext, in dem so gut wie keine Berührungspunkte zwischen den einzelnen Netzwerken vorhanden sind.37 Wie städtische Subgruppen sind auch Netzwerke entweder an bestimmte Räume geknüpft oder räumlich ungebunden: «Each of these networks may well have different properties: some may be spatially bounded while others are not» (Knox/Pinch 2010, 154). Bedingt u.a. durch die Bandbreite an heterogenen Bevölkerungsgruppen und die damit einhergehende Vielfalt an individuellen Interessen, Werten etc. können sich im städtischen Kontext über nachbarschaftliche Grenzen hinweg Menschen zu einem neuen, räumlich relativ losgelösten sozialen Netzwerk zusammenschließen, das beispielsweise aufgrund seiner spezifischen Thematik Zuspruch von Einwohnern aus ganz unterschiedlichen Stadtteilen erfährt und infolgedessen eine stärkere geographische Streuung bewirkt.38 Davon zu unterscheiden sind «Gemeinschaften an Orten, wo Menschen mit ähnlicher Herkunft, ähnlichen Einstellungen, ähnlichen Werten und ähnlichen Sitten leben» (Häußermann 2004, 453), wie beispielsweise ethnische Minderheiten oder Zuwanderer aus dem Ausland, die wie eine Art geschlossene Siedlungen in festen
35 Cf. auch Chambers (1995, 52–65). 36 In diesem Zusammenhang spricht man auch von primären bzw. geschlossenen Netzwerken und sekundären Netzwerken. Erstere sind in Bezug auf ihre Netzwerkmitglieder meist homogener und heben sich von den sekundären Netzwerken durch eine größere Verbundenheit zwischen den einzelnen Personen ab. Sekundäre bzw. offene Netzwerke sind dagegen von mehr Distanz und weniger persönlicher Nähe geprägt (cf. Häußermann 2004, 455). 37 Cf. Knox/Pinch (2010, 155). Cf. auch Häußermann (2004, 455). 38 Cf. Häußermann (2004, 454).
3.1 Urbane Dialektologie
67
Bereichen der Stadt verteilt sind. Gerade diese Stadtteile zeichnen sich häufig aufgrund des gemeinsamen kulturellen, historischen sowie sozialen Hintergrunds ihrer Bewohner durch ein stark ausgeprägtes Gemeinschaftsgefühl aus und sind wegen ihres geschlossenen Charakters für Dialektologen leichter greifbar. Die oft ins Zentrum der Kritik gerückte Idee, urbane Lebensformen hätten unweigerlich Anonymität und den Verlust konstanter sozialer Kontakte zur Folge, gehört inzwischen weitgehend der Vergangenheit an und wurde durch diverse Studien ins Wanken gebracht39; es herrscht vielmehr eine immense Breite an Kontaktsituationen, die sich nicht zuletzt durch die oftmals geringe Schnittpunktdichte der verschiedenen Netzwerke, in denen sich Städter bewegen, auszeichnet. Trotz der Fülle an Netzwerken und der resultierenden Kontakte bleiben die engen und nachhaltigen Beziehungen auch in der Großstadt letztlich im überschaubaren Bereich. Empirischen Untersuchungen in den USA zufolge steht ein typischer Großstädter mit etwa 1500 potentiellen Interaktionspartnern in Verbindung, von denen lediglich ca. 400 als aktive Kontaktpersonen einzustufen sind. Aus dieser Menge entwickeln sich wiederum nur wenige Kontakte zu engen persönlichen Verbindungen. Die verschiedenen Netzwerke sind in der Regel nur teilweise miteinander verbunden (cf. Knox/Pinch 2010, 154). Auf sprachwissenschaftliche Sicht übertragen ergibt sich damit die Vermutung, dass es letztlich ein recht eingeschränkter Kreis an Kontakten und Beziehungen ist, der auf das sprachliche Verhalten des Großstädters wirklich entscheidenden Einfluss nimmt, wenn auch auf heterogene und unterschiedlich intensive Weise. So stellt der Sprachkontakt mit dem Idiolekt eines Freundes einen anderen Einfluss dar als das Aufeinandertreffen mit dem möglicherweise diaphasisch konnotierten Idiolekt des beruflichen Vorgesetzten.40
39 Cf. Häußermann (2004, 453); Pappi/Melbeck (1988). Nicht nur die Vorstellung zwangsläufiger Anonymität, sondern auch die Konnotation dieses Begriffs hat sich gewandelt. Heute wird Anonymität nicht mehr als in erster Linie problematische Erfahrung empfunden, sondern auch als Chance, durch die «Minimierung sozialer Kontrolle [. . .] biographische Brüche zu leben, neue Rollen einzunehmen, ohne zugleich von dem vertrauten Umfeld auf die alten Identitäten verpflichtet zu werden» (Bukow/Nikodem/Schulze/Yildiz 2001, 157). 40 Ähnlich wie in der Dialektologie das Konzept eines seit Generationen ortsfesten Informanten nicht mehr repräsentativ für die synchrone Wirklichkeit einer ländlichen Sprachgemeinschaft sein kann, so muss auch von den von Tönnies angeführten Vorstellungen über die Persistenz der auf dem Land vorherrschenden sozialen Beziehungen abgerückt werden. Längst bewegen sich die Bewohner ruraler Gebiete nicht nur noch in einem eng umgrenzten Zirkel, sondern werden mit Blick auf die stadtnahen Zentren zunehmend mobil (cf. Häußermann 2004, 451). Häußermann betrachtet den Stadt-Land-Gegensatz inzwischen sogar als überwunden, was wiederum die Frage aufwirft, ob sich die ländliche Dialektologie inzwischen einer der Stadt vergleichbaren Komplexität gegenübersieht (cf. Häußermann 2004, 457).
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3 Methodische Einbettung
In seinen Betrachtungen zum Black English Vernacular in New York City, stellt Labov bereits 1972 jugendliche Sprecher einander gegenüber, die zum einen einer festen Gruppe angehören, zum anderen jedoch nur peripher einer bestimmten Peergroup zugeordnet sind und infolgedessen mit den dort vorherrschenden Regeln und Normen weniger vertraut sind. Aus seiner Untersuchung ließ sich ableiten, dass sich bei den als lames bezeichneten Einzelpersonen die Distanz zur Vernacular-Kultur sprachlich in dem verstärkten Einfluss anderer Dialekte sowie durch Merkmale des Standard-Englischen der Weißen widerspiegelte. Innerhalb der von den Peergroups gebrauchten Varietät traten hingegen die bezeichnenden Charakteristika des Vernacular verdichtet auf.41 Einen Zusammenhang zwischen einer verschieden stark ausgeprägten Eingebundenheit in sozial organisierte Gemeinschaften und der Verwendung von sprachlichen Variablen konnte auch Milroy nachweisen: The extent of individuals‘ use of vernacular variants was found to be strongly influenced by the level of integration into neighborhood networks. (Milroy 2003, 121)
In drei Vierteln der Stadt Belfast gelangte sie unter Heranziehung der teilnehmenden Beobachtung zu dem Schluss, dass Sprecher, die relativ stark in ein bestimmtes Netzwerk eingebunden sind, durch den Solidaritätsdruck der dortigen Kontaktpersonen vermehrt an konservativen Varianten festhalten; Menschen, die sich hingegen unabhängig von einer bestimmten Gruppe in mehreren, weniger intensiv verankerten Netzwerken bewegen, tendieren zur Verwendung sprachlich innovativer Formen. Außer durch Milroy erfolgten weitere Netzwerkstudien in den 80er- und 90er-Jahren auch durch Russel in Mombasa (1982), Bortoni-Ricardo in Brazlàndia (Bortoni-Ricardo, 1985), Edwards in Detroit (1992) und Maher auf St. Barthélemy (1996).42 Abschließend ist für den Umgang mit in der Stadt gewonnenen sprachlichen Daten zentral, dass Stadtsprache und urbane Varietäten sowohl mit dem sie umgebenden Umland als auch mit anderen urbanen Zentren in Beziehung gesetzt werden müssen: Die Stadt steht nicht für sich alleine, sondern kann als Innovationszentrum sprachlicher Variablen eine enorme Expansionskraft auf ihr Umfeld ausüben.43 Gründe hierfür können eine zunehmende Vernetzung,
41 Cf. Labov (1972a, 255–292). 42 Cf. dazu Milroy (2003, 120). Cf. auch Schlobinski (2005). 43 Cf. auch Van de Craen/Baetens Beardsmore (1988, 580). Cf. darüber hinaus Altendorf (2005, 1317): «Stadtdialektologie muss heute auch das Umland, rural oder urban, einbeziehen, da die neuen Varietäten zunehmend regional Gültigkeit erlangen».
3.2 Untersuchungsraum Buenos Aires
69
die wirtschaftliche und kulturelle Interaktion zwischen den Städten sowie das Prestige sprachlicher Innovationen sein: Speakers from a smaller town or city may adopt features from a larger city because they look up to that city and its urban life style. By adopting a fashionable urban feature, people may aim at sharing the prestige of a large city. [. . .] the differences between the urban and the non-urban as dealt with in this section are always relative, which may explain the dominance of hierarchical diffusion of linguistic innovation, without excluding contagious diffusion. (Vandekerckhove 2010, 322)44
Diese auch von Chambers/Trudgill (1998) hervorgehobene Schlüsselrolle der Stadt bei der Verbreitung sprachlicher Innovationen bestätigt sich wie in Kapitel 2.2 und 2.3 ausgeführt auch für den argentinischen Sprachraum: In den nahe gelegenen Großstädten Rosario und Bahía Blanca fanden sich die ersten durch Studien untermauerten Belege einer fortschreitenden Expansion des zunächst nur in Buenos Aires beobachteten stimmlosen Allophons /ʃ/. Die mittlerweile registrierte Koexistenz von ʃeísmo und ʒeísmo in Misiones und in Teilen Nordwestargentiniens legt außerdem die Vermutung nahe, dass dieser change in progress nach wie vor zunächst in die städtischen Zentren des Landes überzugreifen scheint.
3.2 Untersuchungsraum Buenos Aires Die Entwicklung des ʒeísmo und ʃeísmo wurde, wie in Kapitel 2.2 dargestellt, schon in ihrer Anfangsphase mehrfach als urbanes Phänomen deklariert, das seinen Ausgangspunkt in der Hauptstadt Buenos Aires nahm. Bereits 1982 weisen Dittmar/Schlieben-Lange auf die Notwendigkeit hin, sprachliche Prozesse, die sich im urbanen Kontext vollziehen und entwickeln, nicht losgelöst von ihrer Wirkungsstätte, sondern vielmehr im Zusammenhang mit der jeweiligen Verstädterungsgeschichte zu reflektieren. Wichtige Ansatzpunkte sehen sie dabei insbesondere in der Stadtgeographie und Stadtsoziologie (Dittmar/SchliebenLange 1982, 66).45 Auch Barriga Villanueva und Butragueño appellieren in ihrer
44 Cf. auch Chambers/Trudgill zur Schlüsselrolle der Stadt bei der Verbreitung sprachlicher Innovationen (1998, 170ss.): «the neighbourhood effect [. . .] is complemented here [. . .] by the jumping of the innovation from one large city to another, and from these to smaller towns, and so on» (175). Cf. auch Milroy (2003, 129): «Innovations have been widely observed to skip from city to city, missing out intervening territory». 45 Vor allem Fach- und Sondersprachen wie beispielsweise die Arbeitersprache sind eng an die verschiedenen Transformationsprozesse einer Stadt geknüpft (cf. Dittmar/Schlieben-Lange 1982, 66).
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3 Methodische Einbettung
Aufarbeitung urbaner Soziolinguistik in Mexiko für eine nicht nur auf sprachgeschichtliche Aspekte reduzierte Abhandlung des Untersuchungsraums: De la misma manera, si se examinan las consecuencias de los procesos de urbanización sobre las relaciones lingüísticas entre los hablantes, un análisis completo habrá de hacer referencia al crecimiento de las ciudades a lo largo del siglo XX, a los flujos migratorios, a los procesos de movilidad social, a las situaciones de marginalidad; habrán de describirse después la estratificación lingüística de las ciudades específicas según su tamaño y complejidad, así como su papel irradiador; por fin, se hará referencia, por ejmeplo, a variables fónicas y sintácticas, y a aspectos discursivos vinculados con la estratificación y con la irradiación. (Barriga Villanueva/Butragueño 2010, 46)
Buenos Aires war im Laufe seiner Entwicklung zahlreichen politischen, demographischen und stadtgeographischen Transformationsprozessen unterworfen, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten die Funktion ganzer Stadtteile völlig neu definierten. Das Nachzeichnen der historischen Entwicklung der Stadt bis in die Gegenwart wird sowohl aus diachroner als auch aus synchroner Perspektive in der vorliegenden Arbeit immer wieder einen wichtigen Bezugspunkt darstellen, da in den verschiedenen Urbanisierungsphasen ein beachtlicher Faktor externen Spracheinflusses liegen kann: Sprache und sprachliche Varietäten sind durch externe wie interne Migration, Prestige und Sprachverhalten nicht nur Teil, sondern auch Produkt von Stadtentwicklung und Urbanisierung.46 Wie Fontanella de Weinberg 1987 in ihrer Zusammenführung argentinischer Geschichte und Sprachentwicklung darlegt, wirkten sich in Argentinien Urbanisierung und Industrialisierung nicht nur auf Gesellschaft und Lebensstil aus, sondern trugen wesentlich zur Entwicklung diverser Sprachwandelphänomene bei (cf. Fontanella de Weinberg 1987a, 141).
3.2.1 Stadtentwicklung und Immigration: Historischer Abriss Das argentinische Spanisch und seine Varietäten sind über eine Vielzahl von Faktoren erklärbar. Allen voran stehen dabei die verschiedenen Kolonisationsströme, die sich insgesamt über mehr als vier Jahrhunderte erstrecken und die Ausprägung diverser sprachlicher Entwicklungen zur Folge hatten. Das Land rund um den Río de la Plata war die erste Region auf argentinischem Terrain,
46 Cf. auch Villena Ponsoda (1994, 76s.): «En su misma carencia de homogeneidad [la estructura urbana] recoge y sedimenta sucesivas etapas y tipos sociales que le confieren originalidad. La lengua no es, naturalmente, ajena a tales procesos; lejos de ello, los refleja y participa activamente de los mismos».
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die 1536 durch eine direkt aus Spanien entsandte Expedition unter Pedro de Mendoza bevölkert werden sollte. Dieser erste Siedlungsversuch scheiterte jedoch aufgrund des heftigen Widerstands vonseiten der indigenen Völker in der zona platense und führte zu einem zeitweiligen Rückzug der spanischen Invasoren Richtung Norden.47 Die zweite und endgültige Gründung von Buenos Aires erfolgte von Asunción ausgehend schließlich im Jahr 1580 unter der Führung von Juan de Garay. Anders als beim ersten Kolonisationsversuch des Areals waren offenbar nur zehn der insgesamt 66 erfassten neuen Siedler spanische Einwanderer, der Großteil bestand aus in Amerika geborenen Criollos und Mestizen, weshalb sich das gesprochene Spanisch bereits zu diesem Zeitpunkt durch einen «sello americano» auszeichnete. Diese zweite Gruppe von Eroberern trug durch ihren Aufenthalt in Paraguay zudem die indigene Sprache Guaraní in den Río de la Plata-Raum; es ist aber davon auszugehen, dass sich das Spanische nicht zuletzt wegen des konstanten Zustroms europäischer Siedler dennoch relativ schnell durchsetzte.48 Die ersten Siedlungen der Stadt Buenos Aires entstanden rund um den Hafen bzw. die Plaza Mayor als Ausgangspunkt – heute Plaza de Mayo – und erstreckten sich, eingegrenzt durch die Alleen Independencia im Süden, Viamonte im Norden und Salta bzw. Libertad im Westen, zu einem großen Teil über die heutigen Stadtviertel San Nicolás und Montserrat. Das benachbarte Umland blieb vorerst weitgehend unbebaut und wurde für Weideflächen sowie zur Errichtung von Farmen und privaten Wohnsitzen genutzt.49 In den beiden darauffolgenden Jahrhunderten vervielfachte sich die Bevölkerung von ungefähr 300 Siedlern auf fast 40.000 Bewohner. Ende des 17. Jahrhunderts entstanden nördlich des Stadtkerns die ersten Siedlungen des Viertels Recio, heute bekannt als Retiro oder als Barrio Norte, das
47 Cf. Güida (1993, 15). Die von den damaligen indígenas gesprochenen Sprachen hatten dabei keinen nennenswerten Einfluss auf die Entwicklung des bonaerensischen Spanisch. Dennoch ist zu beachten, dass während der Kolonisation eine Sprachkontaktsituation zwischen dem Spanischen und den lenguas indígenas bestand. Die in Argentinien zuvor ansässigen Völker werden dabei u.a. den Querandíes, Mepenes, Mocoretaes, Guaraníes, Olongastas, Comechigones, Lules, Vilelas, Tonocotés und Huarpes zugeordnet (cf. Güida 1993, 12s.). 48 Cf. Güida (1993, 18s.), cf. Vidal de Battini (1966, 26). Cf. auch Fontanella de Weinberg (1987, 13ss.). 49 Cf. Figueira (1993a, 104). Die hier aufgeführten Stadtviertel, Straßen bzw. Straßennamen entsprechen den heutigen Benennungen und dienen an dieser Stelle auf der Grundlage der aktuellen Stadtstrukturen lediglich als Orientierung. Nicht alle Grenzen waren als solche zum damaligen Zeitpunkt bereits explizit etabliert: Die durch die Av. Independencia und Viamonte festgelegten Grenzmarken beispielsweise waren zur Zeit der Stadtgründung durch ein schmales Bachbett als natürliche Grenze markiert (cf. Figueira 1993a, 104).
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3 Methodische Einbettung
aufgrund seiner Abgeschiedenheit zum damaligen Zeitpunkt noch als wenig prestigeträchtig galt. Die soziale und intellektuelle Elite der Stadt, darunter Anwälte, Geschäftsleute und Politiker, lebte zu Beginn des 18. Jahrhunderts im insgesamt am dichtesten besiedelten Zentrum, da hier öffentliche und administrative Institutionen wie das Cabildo und die Catedral Metropolitana de Buenos Aires errichtet wurden. Im nördlichen Teil der Stadt waren u.a. Rekruten sowie niedere Offiziere stationiert, im Süden hatten Viehtreiber ihre Siedlungen aufgebaut.50 Mit der Aufnahme der Hafenaktivität ließen sich ab der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts auch die ersten Bürger auf dem Areal der an den Riachuelo grenzenden Stadtviertel Boca und Barracas nieder.51 Ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entwickelte sich der Raum rund um die Plaza Mayor, der bis dahin vor allem eine funktional repräsentative Position innehatte, zum Mittelpunkt des öffentlichen Lebens: Cafés, Theater, Clubs, kommerzielle Einrichtungen und plazas verwandelten das Zentrum zu einem Ort sozialer Zusammenkunft und kulturellen Austauschs.52 Im Süden der Stadt konzentrierten sich Anfang des 19. Jahrhunderts die Wohnsitze historischer Persönlichkeiten wie Darregueira, Rivadavia, Díaz Velez oder Casares, was der Gegend, um Calzadillas Worten zu folgen, den Ruf des «Saint-Germain de la aristocracia porteña» einbrachte.53 Die Bebauung weiterer Wohnflächen schritt dreiecksförmig Richtung Süden fort, ohne dabei jedoch in die unmittelbare Nachbarschaft der in den Vierteln Barracas und Boca entstandenen Niederlassungen der Hafenarbeiter vorzudringen.54 Der historische Stadtkern breitete sich schachbrettartig allmählich auf das unmittelbare Umland aus, wobei sich die Expansion schneller Richtung Süden als gen Norden vollzog; die Cuadra-Struktur der Stadt wurde in dieser Art bereits zu Gründungszeiten von Juan de Garay nach den Leyes de Indias angelegt, die u. a. die Städteerschließung und organisatorische wie administrative Bebauung lateinamerikanischen Bodens nach einheitlichen Kriterien und Gesetzmäßigkeiten regeln sollten.55 1810 umfasste der besiedelte Stadtteil das Areal zwischen den heutigen Straßen Venezuela, Lima, Cerrito, Tucumán, Leandro N. Alem und
50 Cf. Johnson/Socolow (1980, 4). 51 Cf. Figueira (1983a, 112s.). 52 Cf. Johnson/Socolow (1980, 115). 53 Zitiert aus Figueria (1983b, 285): «La flor de la canela estábamos todos al sud». 54 Cf. Figueira (1983b, 285). 55 Dementsprechend sollte durch die vorgeschriebene Platzierung religiöser und öffentlicher Gebäude im Zentrum, das sich im Falle von Buenos Aires litoral und nicht im geographischen Zentrum der Stadt befindet, aktiv auf das religiöse und kulturelle Leben der Bewohner eingewirkt werden (cf. Novick/Piccioni 1991, 228s.).
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reichte nördlich bis Viamonte. 1822 erweiterte sich das Wohngebiet bis zum heutigen Parque Lezama und Retiro. Die Avenida Santa Fe sowie kleinere, das Zentrum umfassende Bäche stellten bis Ende der 1820er-Jahre noch ein Hindernis für die weitere Ausdehnung der Stadt gen Norden dar (Karte 3.1).56 Zwischen 1810 und 1815 wurden zusehends neue Wohnsitze im Vorstadtbereich geschaffen, wodurch für zahlreiche vermögende Familien die Möglichkeit geschaffen wurde, der städtischen Enge zu entfliehen; damit konnte der Stadtraum bereits zu dieser Zeit in ein Stadtzentrum und einen Vorstadtbereich untergliedert werden.57
Karte 3.1: Entwicklung des Stadtbaus in Buenos Aires von 1805–1822.58
Buenos Aires machte schon früh seinen Status als Einwanderungsziel geltend: 1810 setzte sich die Bevölkerung zu ca. 36% aus Zugewanderten zusammen, 22% der Einwohner stammten dabei aus Übersee. Spanien, allen voran Galicien, stellte mit nahezu 2300 Personen die deutliche Mehrheit, gefolgt von 56 Cf. García Belsunce/Frías (1976, 43, 63–66); Figueira (1983a, 104). 57 Cf. García Belsunce/Frías (1976, 64). Von den 1810 registrierten 42.872 Bewohnern lebten mehr als 2300 Menschen auf Landgütern im Vorstadtbereich (cf. García Belsunce/Frías 1976, 66). 58 Die Daten zur Stadtexpansion sind García Belsunce/Frías entnommen (cf. 1976, 65). Karte 3.1 wurde auf der Grundlage eines Stadtumrisses aus dem Jahr 1830 selbst erstellt. Die Kartengrundlage ist folgender Quelle entnommen: Buenos Aires Gobierno de la Ciudad/Ministerio de Desarrollo Urbano (2009, 30).
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Portugal und Großbritannien.59 Die Anzahl an Italienern war mit nur 82 Einwohnern zum damaligen Zeitpunkt noch relativ gering und dürfte aus sprachlicher Sicht noch keinen bedeutenden Einfluss ausgeübt haben. Ökonomisch gut gestellte Familien hatten ihren Wohnsitz in unmittelbarer Nähe der Plaza Mayor, während mit zunehmender Entfernung zur Plaza die Qualität der Lebensverhältnisse abnahm; dies machte sich u.a. hinsichtlich der funktionalen Ausstattung wie der Wasser- und Stromversorgung bemerkbar. Einem Zensus im Jahre 1810 zufolge waren knapp 92% der männlichen Familienoberhäupter der im Stadtzentrum ansässigen Familien Spanier oder stammten aus dem europäischen Ausland, was aus Sicht von García Belsunce und Frías den Schluss nahe legt, dass die europäischen Einwanderer zu dieser Zeit besonderes Ansehen genossen und durch eine Heirat mit einer einheimischen Frau dieser zu einem sozialen sowie gesellschaftlichen Aufstieg verhalfen. Die im Vorstadtgebiet lebenden Väter und Ehemänner waren dagegen zu knapp 85% Amerikaner und überwiegend als Handwerker, Händler oder Viehzüchter beschäftigt.60 Der Ausbruch des Gelbfiebers 1871 im Süden von Buenos Aires bedeutete einen signifikanten Einschnitt in die sozialgeographische Entwicklung der Stadt. Zwar hatten zuvor schon wohlhabende Familien, veranlasst durch die Gründung von Clubs und die Erschaffung von gewerblichen Zentren im heutigen San Nicolás, vermehrt ihren festen Wohnsitz oder auch ihr Wochenenddomizil in Gebiete nördlich der Plaza Mayor verlagert («hacia catedral al norte»); die Epidemie trug aber entscheidend zu dieser demographischen Umstrukturierung bei, sodass sich nun der Großteil der traditionellen Oberschicht im Zuge einer intraurbanen Großwanderung in den neu entstehenden Stadtvierteln im Norden niederließ (Sarrailh 1983, 410).61 Dieser Prozess wurde durch den Zustrom von Immigranten zusätzlich beschleunigt, die,
59 Cf. García Belsunce/Frías (1976, 98s.). 60 Cf. García Belsunce/Frías (1976, 141s.). Cf. auch Figueria (1983b, 297s.). Der Einfluss bzw. das recht hohe Ansehen der europäischen Einwanderer und der mit ihnen verbundenen Kultur schlug sich auch in der Übernahme architektonischer und dekorativer Elemente nieder. 61 Die u.a. durch Epidemien bedingte Abwanderung der Oberschicht aus dem Zentrum in bis dahin peripher gelegene und nur als Wochenendziel angesteuerte Gebiete ist keinesfalls auf Buenos Aires beschränkt, sondern vollzog sich aufgrund der prekären sanitären Bedingungen in den 20er- und 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts in einer Vielzahl von lateinamerikanischen Metropolen (cf. Bähr/Mertins 1995, 112). – Die Abwanderungsbewegung Richtung Norden wurde in Buenos Aires von den sozial starken Klassen auch beibehalten und bis in den Conurbano hinaus fortgesetzt, wo sich heute in Martínez, San Isidro sowie diversen countries die exklusivsten Wohngegenden des Großraums Buenos Aires befinden, ein laut Bähr und Mertins typisches Phänomen (cf. Bähr/Mertins 1995, 89).
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begünstigt durch das 1879 verabschiedete Einwanderungsgesetz und den wirtschaftlichen Aufschwung des Landes, in Argentinien eine neue Heimat fanden und ihre Unterkünfte vor allem in den südlichen Arealen in Hafennähe errichteten. Der ehemals prestigeträchtige Süden wurde zur Wohngegend der Arbeiterklasse degradiert und erfuhr damit einen nachhaltigen Funktionswandel.62 Zu den Gebieten, deren Entwicklung durch die Abwanderung aus dem Süden begünstigt war, zählte auch der heutige Stadtteil Belgrano: War die Gegend bis dahin insbesondere Standort mehrerer Quintas und Ausflugsziel der Oberschicht, wurde sie nach der Epidemie weiter ausgebaut und gewann schnell an Größe und Einwohnern.63 1887 setzte sich die Bevölkerung der Hauptstadt schließlich aus folgenden Nationalitäten zusammen (Tabelle 3.1):
Tabelle 3.1: Bevölkerung von Buenos Aires in Relation zur Nationalität 1887 (cf. Fontanella de Weinberg 1987a, 133). nacionalidad argentinos italianos españoles franceses otros extranjeros total de extranjeros total
n° de habitantes
porcentaje
. . . . . .
, , , , , ,
.
Wie oben erwähnt, war der Anteil der italienischstämmigen Bevölkerung im Jahr 1810 noch verhältnismäßig gering; nur knapp 80 Jahre später machte diese Gruppe jedoch mit Abstand den Großteil der aus dem Ausland immigrierten Einwohner aus und repräsentierte damit fast ein Drittel der Gesamtbevölkerung. Die inzwischen recht vielschichtige Bevölkerungsstruktur brachte natürlich auch ein komplexes, multilinguales sprachliches Profil mit sich, das sich nicht nur durch eine Vielfalt von aufeinander einwirkenden Nationalsprachen auszeichnete – Rapoport/Seoane sprechen in diesem Zusammenhang von dem «Babel del Plata»
62 Buenos Aires hatte zu diesem Zeitpunkt durch die von Einwanderern getragene Expansion Rio de Janeiro, Havanna und Mexiko-Stadt zahlenmäßig hinter sich gelassen und sich zur größten Metropole Südamerikas entwickelt (cf. Bähr/Mertins 1995, 42). 63 Cf. Sarrailh (1983, 408, 410).
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3 Methodische Einbettung
(cf. Rapoport/Seoane 2007, 170 u.a.) – sondern darüber hinaus mit einer großen dialektalen Bandbreite einherging: Insbesondere die aus Italien und Spanien eingewanderten Menschen stammten aus ganz unterschiedlichen Regionen ihrer Heimatländer und brachten somit diverse Dialekte und Regionalsprachen, allen voran das Galicische, nach Argentinien (Tabelle 3.2): Tabelle 3.2: Verteilung der italienischen und spanischen Immigranten zwischen 1876 und ca. 1965 in Relation zur regionalen Herkunft (cf. Güida 1993, 24s.)a. Italia Calabria Piamonte Sicilia Lombardía Campania Véneto
España . . . . . .
Galicia Asturias Cataluña Castilla y León País Vasco Madrid Aragón Extremadura Sur y sudeste
. . . . . . . . .
a 1914 war nahezu die Hälfte (49%) der in Buenos Aires lebenden Bevölkerung im Ausland geboren und verlieh der Hauptstadt die Charakteristik einer heterogenen Immigrantengesellschaft (cf. Bähr/Mertins 1995, 42).
Die Kontaktsituation zwischen dem Italienischen und dem Spanischen führte u.a. aufgrund deren struktureller Nähe im phonologischen, syntaktischen, morphologischen und lexikalischen Bereich zur Herausbildung eines komplexen Kontinuums zwischen dem español bonaerense und einer Bandbreite an italienischen Dialekten, in dem sich verschiedene Grade an Interferenzen entwickelten. Diese als cocoliche bezeichnete hybride Varietät konnte in Abhängigkeit der Nationalität des Gesprächspartners, des Bildungsgrades und der Kommunikationssituation in unterschiedlicher Ausprägung zwischen einem durch das Italienisch geprägten Spanisch auf der einen Seite und einem durch das Spanisch beeinflussten Italienisch auf der anderen Seite variieren. Dazwischen existierten zahlreiche Mischformen. Dass es sich bei den Einwanderern zum Großteil um Dialektsprecher ohne aktive Kenntnis des italiano estándar handelte, hat diese Entwicklung insbesondere unter den Sprechern mit niedrigem Bildungsniveau begünstigt.64
64 Cf. u.a. Fontanella de Weinberg (1987a, 138–142). Cf. auch Meo Zilio (1964).
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Die italienischstämmigen Einwanderer ließen sich zunächst in Teilen der zentral und südlich gelegenen heutigen Viertel Balvanera und La Boca nieder, breiteten ihr Siedlungsgebiet Anfang des 20. Jahrhunderts dann aber auch gen Westen in die neu entstandenen Wohngegenden um Caballito, Almagro oder Chacarita aus. Die Spanier konzentrierten sich in den heutigen Stadtteilen Barracas, Constitución, Montserrat und San Telmo, die sich im historischen Zentrum sowie im Süden der Stadt befinden. Ein anderer Trend bezüglich der Wahl des Wohnortes ließ sich bei den Engländern, Deutschen und Franzosen beobachten: Durch ihre häufige Zugehörigkeit zur Berufsgruppe der Händler und Führungskräfte orientierten sie sich zu großen Teilen in Richtung der neuen eleganten Viertel im Norden; insbesondere Belgrano entwickelte sich zu einer beliebten Wohngegend der immigrierten Oberschicht, aber auch in Recoleta und Retiro gruppierten sich vermehrt französische Einwanderer (cf. Rapoport/Seoane 2007, 174s.).65 Der Umzug der traditionellen Oberschicht in die Stadtbezirke nördlich der Plaza Mayor markierte nicht nur eine geographische Veränderung, sondern bedeutete gleichzeitig eine klare Abgrenzung zu den übrigen Bevölkerungsgruppen. Entlang der Avenida Alvear erhoben sich luxuriöse Villen, deren Architektur den Einfluss der immigrierten französischen und englischen Bewohner zur Schau stellte, und in den auf die Epidemie folgenden Jahrzehnten verfestigte sich zunehmend der exklusive Charakter des Barrio Norte: «[. . .] el Barrio Norte adquirió sus características de mundo cerrado y recinto de sociedad exclusiva» (Sarrailh 1983, 410). Nur wenigen Einwohnern, die der clase media alta angehörten, gelang es zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den recht abgeschirmten Kreis dieser Elite vorzudringen, und so blieb es für den Großteil bei dem Versuch, über die Errichtung von kleineren Häusern in den angrenzenden Vierteln einen ähnlichen Lebensstil zu erzielen (cf. Rapoport/Seoane 2007, 186). Ende des 19. Jahrhunderts erfuhr die Stadt ein extremes Wachstum und vergrößerte ihre besiedelte Wohnfläche von noch 3936 ha im Jahr 1866 auf 18.141 ha im Jahr 1887 (cf. Mazzeo 2004, 5).66 Der Ausbau des Schienennetzes spielte dabei eine entscheidende Rolle und ebnete den Weg in neue Areale gen Westen, wo sich die ersten Siedlungen zunächst um die Bahnhöfe zu gruppieren
65 Cf. Rapoport/Seoane zum Französischen (2007, vol. 1, 195): «Por lo que respecta a la lengua ninguna dificultad. Todo el mundo comprende el francés, lo lee, lo habla como el mismo orador, y demuestra, por sus movimientos, que ha cogido al paso todos los matices del discurso. ¿Qué puede desearse más? Por la gracia de la palabra alada, el espíritu de nuestra patria emigra a la parte más allá del océano». 66 In den folgenden zwanzig Jahren hatte sich die Bevölkerung darüber hinaus mehr als verdoppelt und war von 663.000 im Jahr 1895 auf über 1,5 Millionen im Jahr 1914 angestiegen, mehr als die Hälfte der Bewohner stammte aus dem Ausland (cf. Timerman/Dormal 2006, 26s.).
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begannen und dann rasch ausbreiteten. Diese Erschließung betrifft über die bereits bebauten Distrikte wie Flores und Belgrano hinaus u.a. die westlichen Stadtviertel Floresta und Villa Devoto, im Norwesten die barrios Núñez und Saavedra (Rapoport/Seoane 2007, 216).67 Im Zuge der industriellen Expansion Ende des 19. Jahrhunderts wurden Barracas und La Boca zum Hauptstandort industrieller Niederlassungen, was durch ihre mit dem Riachuelo verbundene Nähe zum Hafen und den Anschluss an das Schienennetz (línea férrea Roca) begünstigt wurde (cf. Schwarzer 1983, 224). Dies hatte auch Veränderungen der Einwohnerstruktur der südlichen barrios zur Folge, da die Arbeiter und Handwerker vermutlich direkt in diesen Arealen oder in den nahegelegenen Stadtteilen ihre Wohnräume errichteten.68 Das ehemals prestigeträchtige Barrio Sur unterlag spätestens damit dem endgültigen funktionalen Wandel, während sich der Norden rund um das Barrio Norte zunehmend zum Wohnraum der oberen Gesellschaftsschicht entwickelte.69 Die Zunahme an Transportmitteln förderte nicht nur die geographische Expansion in neue Gebiete, sondern markierte darüber hinaus die Möglichkeit zum Austausch und zu regelmäßigen Kontaktsituationen unter den verschiedenen Gesellschaftsschichten. In den 80er-Jahren des 19. Jahrhunderts war die Nutzung der Transportmittel aufgrund der hohen Fahrscheinpreise zunächst fast nur Händlern und Akademikern der Oberschicht vorbehalten; erst mit den modifizierten Tarifen von 1905 wurden die neuen Transportmöglichkeiten schließlich auch der Arbeiterklasse zugänglich gemacht. Die Menschen waren bezüglich Arbeit, Bildung und Einkauf fortan nicht mehr in gleichem Maße wie früher an ihr jeweiliges Quartier und die dortigen infrastrukturellen Möglichkeiten gebunden, sondern konnten nun auch ferner gelegene Arbeitsplätze wählen und auf Bildungsangebote, kommerzielle Zentren etc. außerhalb ihres heimischen Umfeldes zugreifen.70 Das Transportangebot wurde 1913 durch die erste U-Bahn und 1928
67 Vergleiche zur Orientierung Anhang I.I, Karte der barrios der Ciudad de Buenos Aires. 68 Cf. Schwarzer (1983, 224, 234). So ist zwischen 1895 und 1919 parallel zum industriellen Fortschritt die Bevölkerung im heutigen Avellaneda, dem unmittelbar an Barracas angrenzenden Vorstadtteil, von 19.000 auf 145.000 angestiegen. 69 Cf. Mora y Araujo (1983, 259). 70 Scobie/Ravina de Luzzi (1983, 187s.). Mit der Öffnung der einzelnen Stadtteile geht sicherlich auch eine Modifikation der traditionellen barrio-Konzeption in Buenos Aires einher, spielte sich das Leben der meisten Bewohner bis dahin doch nahezu ausschließlich in ihrer jeweiligen Wohngegend ab; der Wohnsitz wurde in Abhängigkeit des Arbeitsplatzes gewählt. – Dass der Wohnsitz nun nicht mehr zwangsläufig in der Nähe des Arbeitsplatzes liegen musste, gestaltete das Stadtbild noch ein Stück heterogener, da bis dahin eine weitgehende Übereinstimmung zwischen der Charakteristik eines Stadtteils und der sozialen Struktur seiner Bewohner bestand (cf. Schwarzer 1983, 234). Cf. auch Rapoport/Seoane (2007, 386).
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durch die Einführung verschiedener Buslinien erweitert (Scobie/Ravina de Luzzi 1983, 187). Durch die Bereitstellung von Transportmöglichkeiten und deren Zugänglichkeit für nahezu alle Bevölkerungsschichten rückten einzelne Teile der Stadt enger zusammen; ein Blick auf das Schienennetz, das sich vom Zentrum ausgehend gen Westen erstreckte, Verbindungen zwischen Süd und Nord aber weitgehend aussparte, macht jedoch deutlich, dass eine Vermischung von traditionellen und prestigeträchtigen Bevölkerungsgruppen mit Angehörigen der Mittelschicht in diesem frühen Stadium kaum stattzufinden schien. Eine unmittelbare Kontaktsituation war durch den Zugang zu öffentlichen Transportmitteln hier also nur eingeschränkt gegeben (cf. Scobie/Ravina de Luzzi 1983, 195s.). Mora y Araujo hält den großflächigen Busverkehr sogar für einen Faktor, der durch die nun mögliche Verbindung zwischen Stadtkern und Außenbezirken weniger zur geographischen Annäherung der verschiedenen sozialen Gruppen als vielmehr zur «Abschiebung/Verbannung» und somit zu einer Art geographischen Degradierung der Arbeiterklasse in den Vorstadtbereich beitrug.71 Infolge der Weltwirtschaftskrise strömten ab den 1930er-Jahren zahlreiche Arbeitslose aus Santa Fe, Córdoba, Entre Ríos und der Pampa in die Hauptstadt, wo sie sich auf der Suche nach neuen Arbeitsmöglichkeiten in Industrie und Bauwesen mit der aus dem Ausland emigrierten Arbeiterklasse vermischten.72 Durch den hohen nun binnenwanderungsbedingten Bevölkerungszuwachs wurde der Großraum Buenos Aires zusehends ausgebaut.73 Die neuen Einwohner und das sich damit modifizierende Stadtbild wurden von der Oberschicht allerdings negativ aufgenommen und Rapoport und Seoane zufolge als Bedrohung des bestehenden sozialen und politischen Gleichgewichts empfunden: Sin embargo, su presencia era percibida como una invasión que amenazaba con modificar el rostro de la ciudad. A partir de aquella jornada histórica, las clases altas y,
71 Capital Federal verwandelte sich damit zu diesem Zeitpunkt zusehends in ein Domizil für den Mittelstand und die Oberschicht (cf. Mora y Araujo 1983, 259ss.). 72 Durch die Weltwirtschaftskrise im Jahr 1929 erlitt insbesondere die rurale Bevölkerung Rückschläge. Durch die Fokussierung auf Binnenentwicklung und eine erweiterte Industrialisierung wurden vor allem in den städtischen Zentren Arbeitsplätze geschaffen, was wiederum den Beginn der internen Migration Richtung Buenos Aires markierte. Wenig später wurde diese durch einen Zustrom an Einwanderern aus den an Argentinien grenzenden Nachbarländern erweitert (Timerman/Dormal 2006, 29; cf. auch Bähr/Mertins 1995, 40s.). 73 Cf. Romero (1983, 217); Rapoport/Seoane (2007, 562s.). Sich in Argentinien niederzulassen wurde ab 1933 für europäische Einwanderer erschwert, da die Einreisebedingung fortan an einen Arbeitsvertrag oder einen llamado familiar geknüpft war (cf. Rapoport/Seoane 2007, 562). Auch während des Zweiten Weltkrieges war die Zahl der europäischen Einwanderer rückläufig, die seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das extreme Wachstum der Stadt getragen hatten (cf. Rapoport/Seoane 2007, 722; Torres 1993, 3).
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particularmente, las clases medias encubrieron el odio político y clasista hacia los nuevos protagonistas, con un claro matiz racista [. . .] Obligados a compartir espacios con los «advenedizos», trataron de diferenciarse resaltando sus pautas culturales de origen, que consideraban superiores tanto en lo referido a la educación como a las buenas maneras. (Rapoport/Seoane 2007, 563, 731)
Gemäß ihrem Selbsverständnis als exklusiver und geschlossener Einwohnerkern der Stadt suchte die traditionelle Oberschicht ihre interne soziale Homogenität u.a. durch teure Auslandsreisen und entsprechende Konsumbedingungen zu wahren; zudem fand ein Rückzug bzw. eine verstärkte Konzentration in die eigenen Kreise statt.74 Kurz vor der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erfolgten einige weitere tiefgreifende demographische Umstrukturierungen in Buenos Aires, die sich zunächst auf sozialer, später aber auch auf geographischer Ebene niederschlugen. War die Stadt hinsichtlich ihrer Struktur und der Architektur ihrer Gebäude nach europäischem Vorbild bis dahin weitgehend das Produkt der traditionellen Elite von Buenos Aires, kam es nun zu einem beträchtlichen Aufstieg und Wachstum der Mittelschicht.75 Dieser Prozess ergab sich zum einen durch den wirtschaftlichen Aufschwung und die damit einhergehende Vielzahl neuer Arbeitsplätze sowie durch die Einführung der kostenlosen Schulpflicht, welche nun einer breiten Masse den Weg zur universitären Bildung ebnete. Die Ausprägung beider Faktoren wurde darüber hinaus durch eine neue, volksorientierte politische Linie im Land begünstigt. Zum anderen handelte es sich aber auch um eine «von oben» ausgehende Entwicklung, konnten doch einige der einst prestigeträchtigen Familien ihren hohen Lebensstandard nicht länger aufrechterhalten und waren so zum Verkauf ihrer
74 Cf. Mora y Araujo (1983, 262); Del Cueto/Luzzi (2010, 48). 75 In Zahlen war die Mittelschicht von 38% im Jahr 1914 auf bis zu 46% im Jahr 1936 angestiegen (cf. Rapoport/Seoane 2007, 559). In der Literatur wird diese Entwicklung auch als Wandel einer «ciudad de las élites» zu einer «ciudad de masas» bezeichnet (Torres 1993, 10). – Fontanella de Weinberg wertet diese fortschreitenden gesellschaftlichen Tranformationsprozesse als Ausgangspunkt für die Entstehung des lunfardo, das sich vermutlich gegen 1870 als «argot delictivo» im kriminellen Milieu der wachsenden Stadt herausbildete. Als eine Art Hilfssprache zwischen argentinischen und anderen Kriminellen war es zunächst eine spezifisch gruppengebundene Sprachform, die vor allem unter Männern Anwendung fand. Als besonderes Charakteristikum gilt der Einfluss verschiedener Sprachen, insbesondere des Italienischen, der sich aus der Sprachkontaktsituation zwischen den Immigranten unterschiedlicher Länder und den Argentiniern ergab. Bis heute sind diverse Begriffe des lunfardo wie beispielsweise laburar oder morfar fest in der Umgangssprache des español bonaerense verankert (cf. Fontanella de Weinberg 1987a, 142s.).
3.2 Untersuchungsraum Buenos Aires
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Immobilien gezwungen.76 Das öffentliche Schulwesen übte laut Fontanella de Weinberg darüber hinaus Einfluss auf die Entwicklung des bonaerensischen Spanisch aus: Es bewirkte das Zusammenrücken bzw. den Kontakt verschiedener innerstädtischer Gruppierungen und markierte durch das im Bildungswesen verwendete Spanisch einen Schritt in Richtung «asimilación lingüística» (cf. Fontanella de Weinberg 1987a, 141). Im Unterschied zu manch anderen Städten in Lateinamerika war in Buenos Aires mit der Konsolidierung einer stabilen Mittelschicht nicht die Abwanderung in die Vorstadtgebiete verbunden, vielmehr war die Mittelschicht überwiegend im Stadtzentrum beheimatet (cf. Torres 1993, 10). Für das Jahr 1943 stellt Torres folgendes soziogeographisches Verteilungsmuster fest: Die über den durchschnittlichen Lebensverhältnissen lebenden Einwohner waren aus heutiger Sicht in den nördlichen und nordöstlichen Kommunen 1, 2, 3, 13, 14 ansässig, zu Teilen in den zentralen und westlichen Kommunen 4, 5, 6, 7 und 10 sowie im nördlichen Vorstadtbereich.77 Prekäre Bedingungen herrschten dagegen in den Niederlassungen der Arbeiterklasse im Südosten, Süd- und Nordwesten der Stadt sowie in den übrigen besiedelten Vororten. Nur vier Jahre später haben sich diese laut Torres nahezu in den gesamten Süden verschoben und im Hinblick auf das ganze Areal von Capital Federal eine zum Teil bis heute anhaltende Kluft zwischen Nord und Süd geschaffen (cf. Torres 1993, 6s.). Diese soziogeographische Trennung wurde durch eine ausgeprägte Miet- und Grundstückspolitik gefestigt, die durch hohe Preise die Exklusivität des Nordens – allen voran des Barrio Norte – wahren und darüber hinaus gewährleisten sollte, dass diese Gegend auch in Zukunft nur einer bestimmten sozialen Klasse zugänglich blieb.78 Einer Studie des Departamento de Sociología der Universidad de Buenos Aires zufolge waren Ende der 1960er-Jahre 53% der clase alta auf Teile der barrios Retiro und Recoleta verteilt, lediglich 8,5% lebten in Palermo und eine Minderheit in Belgrano. Nur wenige waren in den zentral gelegenen typischen Mittelstandsvierteln wie Almagro, Caballito oder Villa del Parque beheimatet, der südliche Teil blieb von der Oberschicht nahezu vollständig unberührt. Auch die Oberschicht selbst erfuhr in gewissem Maße einen Transformationsprozess: Zu den traditionellen und seit Jahrhunderten bestehenden elitären Familien trat ein während der Industrialisierung sozial aufgestiegenes Großbürgertum. Insbesondere die Frauen dieser neuen Bourgeoisie versuchten durch den Eintritt in
76 Cf. Rapoport/Seoane (2007, 384s., 560). Mit der sozialen Mobilität ging auch eine Erweiterung der infrastrukturellen Erschließung einher, die sich über das historische und kommerzielle Zentrum in alle Richtungen der Stadt ausbreitete (cf. Rapoport/Seoane 2007, 385s.). 77 Cf. zur Lokalisierung der Kommunen Karte 3.2. 78 Cf. Rapoport/Seoane (2007, vol. 2, 120).
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3 Methodische Einbettung
exklusive Clubs und durch die Auswahl prestigeträchtiger Schulen – wie den katholischen Einrichtungen Champagnat für Jungen und dem Jesús María oder Mallinckrodt für Mädchen – Kontakte zu den hohen Gesellschaftskreisen zu knüpfen und deren Lebensstil und Verhaltensweisen auf sich und ihre Familien zu übertragen.79 Anfang der 80er-Jahre schließlich sind Mora y Araujo zufolge die früheren Eliten der Stadt als einflussnehmende Größe so gut wie verschwunden und Teil einer allgemeinen, gut betuchten Oberschicht geworden; ihre eigenen, traditionellen Lebensformen scheinen sie allerdings weiterhin aufrechtzuhalten: «[. . .] la vieja clase alta tradicional argentina vive su vida, mantiene sus hábitos distintivos, cada vez más anónimamente y en buena medida sin ser ya una clase dirigente» (Mora y Araujo 1983, 263). 3.2.2 70er-Jahre und Buenos Aires heute Die 70er-Jahre markierten durch das Ausbleiben von Zuwanderern das Ende der expansiven Phase. Im Zuge der Stadtplanungspolitik der Militärregierung wurde u.a. der Ausbau der Stadt- und Zufahrtsautobahnen vorangetrieben, der nicht nur eine signifikante räumliche Umgestaltung zur Folge hatte – vor allem im südlichen Sektor der Stadt, in dem ganze Viertel von den neuen Schnellstraßen durchzogen wurden – sondern gleichzeitig neue Wege in die Stadt selbst eröffnete. Dadurch nahm die Migration zwischen der Ciudad de Buenos Aires und dem Conurbano zu.80 Mit dem Ende der Militärdiktatur erfuhr die Individualität der einzelnen Stadtviertel und das Konzept des barrios an sich eine Wiederaufwertung, wodurch demokratische Werte erneut auflebten und der damit einhergehende Wunsch nach Dezentralisierung und Partizipation wieder geweckt wurde (cf. Gorelik/Silvestri 2010, 310s.). Mit Puerto Madero entstand im Rahmen der neuen Stadtplanung in den 1990er-Jahren durch das Wiederaufleben und die komplette Neusanierung des Hafens zudem ein ganz neuer Stadtteil, der heute überwiegend Anlaufstelle für Touristen und Sitz zahlreicher Firmen ist.81
79 Cf. Rapoport/Seoane (2007, vol. 2, 121–125). 80 Cf. Gorelik/Silvestri (2010, 301, 306). 81 Wie sich in den nachfolgenden Statistiken zeigen wird, kann Puerto Madero in puncto Exklusivität und Lebensstandard mit den Oberschichtvierteln Belgrano, Recoleta und Palermo verglichen werden, übertrifft diese in mancher Hinsicht sogar. Da es sich aber um ein verhältnismäßig neues Viertel handelt, kann es bei den hier angestellten dialektologischen Betrachtungen aus historischen Gründen dennoch nicht mit diesen Distrikten gleichgesetzt werden. Die erste Gründung des Hafens Puerto Madero fand bereits im Jahr 1898 statt (cf. Figueira 1983a, 106).
3.2 Untersuchungsraum Buenos Aires
83
Die neue Phase der Suburbanisierung in den 90er-Jahren bedeutete nun nicht mehr das Abwandern sozial schwächerer Gesellschaftsgruppen in die Peripherie, sondern ließ neue und exklusive Wohnkonzepte der Oberschicht entstehen, die in den rund um Buenos Aires heranwachsenden geschlossenen Privatvierteln – den country clubs und barrios cerrados – einen Rückzugsort fand; diese Entwicklung wurde durch den Ausbau des Autobahnnetzes zusätzlich begünstigt. Gorelik/Silvestri weisen darauf hin, dass es sich dabei «nicht einfach um einen städtischen Dezentralisierungsprozess [handelte], sondern um einen radikalen Wandel im sozialen Empfinden» (Gorelik/Silvestri 2010, 319). Die Maßnahmen zur Privatisierung von Unternehmen und das Herabsenken von Stellenangeboten im öffentlichen Bereich hatten im Kampf gegen die hohe Inflationsrate einen enormen Anstieg der Arbeitslosenquote zur Folge, wodurch die Armut in den ersten beiden Jahren des 21. Jahrhunderts in einem bis dahin nie dagewesenen Maße anwuchs. Die Folge war ein starkes gesellschaftliches Ungleichgewicht und Argentinien geriet in eine schwere wirtschaftliche und soziale Krise (cf. del Cueto/Luzzi 2010, 36). Mit dem Verlust des Arbeitsplatzes fiel für viele Menschen auch die oben erwähnte berufsbedingte Mobilität weg und bewirkte in nahezu allen Lebensbereichen eine erneute Konzentration auf das barrio: Der Bedeutungsverlust der Arbeit als zentraler Erfahrungsraum der Unterschicht führte zu einem Phänomen, das in den verschiedenen Untersuchungen als «Territorialisierung der Unterschicht» bezeichnet worden ist. Dieser Prozess besteht in einer starken geographischen Begrenzung des Großteils der Aktivitäten der Bewohner von Unterschichtvierteln. Das gesellschaftliche Leben beschränkt sich auf die Grenzen der jeweiligen Wohnviertel [. . .] Nicht mehr Arbeit, sondern eher das Territorium wird zum zentralen Bezugsrahmen für das Leben der Individuen. (del Cueto/Luzzi 2010, 39)
Die wirtschaftlichen Bedingungen bewirkten eine Fragmentierung der Sozialstruktur. Die in Argentinien einst so stabilen Mittelschichtssektoren waren bereits seit dem Ende der Diktatur einem Transformationsprozess unterworfen, indem einige Teile dieser Gruppe einen gesellschaftlichen Aufstieg erringen konnten, große Teile aber aufgrund der wirtschaftlichen Bedingungen und des prekären Arbeitsmarktes der Armut zum Opfer fielen. Die Schere zwischen Arm und Reich wurde damit unerbittlich größer. Gleichzeitig gestaltete sich die Gruppe der sozial schwach gestellten Bewohner dadurch höchst heterogen, sodass zu den einkommensschwachen Bürgern nun Familienstrukturen des gebildeten Bürgertums hinzutraten. Die mittlere Oberschicht konnte nach der Krise 2001 mit dem teuren Konsumverhalten der gesellschaftlichen Elite nur noch bedingt mithalten, wodurch auch der Abstand zwischen diesen gesellschaftlichen Sektoren anwuchs (cf. del Cueto/Luzzi 2010, 43, 48). Diese Kluft erhielt durch die Abschottung der hohen Gesellschaftsschicht in den privaten Vorstadtvierteln
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3 Methodische Einbettung
gegenüber der erneuten Fokussierung auf das barrio eine zusätzliche räumliche Komponente. Infolge dieser Entwicklungen ist heute nicht nur die soziale Einwohnerstruktur, sondern auch das Stadtbild von Kontrasten geprägt: Sozioökonomisch höchst heterogene Stadtviertel sowie weitgehend homogene Stadtteile liegen eng beieinander, durchbrochen von insgesamt 36 offiziell registrierten villas miserias und asentamientos, die sich im Zuge der Krise und hohen Einwanderungswelle in der ganzen Stadt, vermehrt aber in den südlichen Vierteln formiert haben.82 Daneben gibt es diverse Bereiche, die aufgrund der hohen Konzentration an Einwohnern charakteristisch für bestimmte Nationen geworden sind, wie beispielsweise das barrio chino in Belgrano oder das barrio coreano in Flores. Im Nachfolgenden soll anhand verschiedener sozialer und ökonomischer Merkmale die sozialräumliche und funktionale Gliederung der Stadt und ihrer einzelnen Teile nachgezeichnet werden. Die dabei angestrebte Differenzierung zwischen den Kommunen bzw. Stadtvierteln gründet auf der Tatsache, dass die variationslinguistische Untersuchung der vorliegenden Arbeit einen stadtgeographischen Schwerpunkt verfolgt; daher sollen die einzelnen den Sprecher und seine Umgebung determinierenden Faktoren von Anfang an in Abhängigkeit des Raums betrachtet werden. Der 2010 von Seiten des INDEC durchgeführten Volkszählung zufolge lebten in diesem Jahr in der Ciudad Autónoma de Buenos Aires 2.890.151 Menschen, was 7,2% der argentinischen Gesamtbevölkerung entspricht; damit rangiert Buenos Aires selbst als autonome Stadt nach den provincias Santa Fe, Córdoba und der Provincia de Buenos Aires an vierter Stelle hinsichtlich der Gesamteinwohnerzahl.83 Die europäische Wirtschaft stand zu diesem Zeitpunkt in voller Blüte, so dass immer weniger Europäer Argentinien als neues Heimatland ansteuerten; im Gegensatz dazu schlugen Argentinier aufgrund von ökonomischen und politischen Unruhen im eigenen Land vermehrt den Weg nach Europa sowie in die Vereinigten Staaten, nach Kanada und Australien ein. Nichtsdestotrotz behielt 82 Cf. Ministerio de Hacienda GCBA 2015. https://www.estadisticaciudad.gob.ar/eyc/?p=45322. 83 Cf. Censo Nacional de Población, Hogares y Viviendas (2010). Argentiniens Gesamtbevölkerung lag 2010 bei 40.117.096 registrierten Bewohnern, 9.916.715 davon leben im Großraum Buenos Aires (INDEC 2010, 65). – Die in diesem Kapitel aufgeführten Daten sind zu einem Großteil der letzten großen Volkszählung im Jahr 2010 durch das Instituto Nacional de Estadísticas y Censos (INDEC) entnommen. Die Verlässlichkeit der Daten muss als gegeben hingenommen werden. Es soll an dieser Stelle aber darauf hingewiesen werden, dass der INDEC im Jahr 2012 und 2013 aufgrund der Veröffentlichung unglaubwürdiger Angaben in Bezug auf Verbraucherkosten mehrfach in die Kritik geraten war. Die von unabhängigen Instituten abweichenden Informationen waren auch Diskussionsgegenstand in einigen der im Rahmen der vorliegenden Arbeit durchgeführten Interviews.
85
3.2 Untersuchungsraum Buenos Aires
Argentinien – mit Buenos Aires als primärer Anlaufstelle – seinen Status als Einwanderungsland bei, lediglich die Zielgruppe, die nun vorwiegend aus Lateinamerika, aber auch aus Asien stammte, hatte sich verändert.84 Insgesamt wird für das Jahr 2010 ein Anteil von 4,5% an im Ausland geborenen Bewohnern angegeben (cf. INDEC 2010, 98). In Buenos Aires selbst stammen 13,2% der Gesamtbevölkerung aus einem anderen Land Südamerikas, aus Übersee oder aus einer unmittelbar an Argentinien grenzenden Nation, allen voran Paraguay und Bolivien (Tabelle 3.3): Tabelle 3.3: Einwohner der Ciudad de Buenos Aires in Relation zu ihrem Herkunftslanda. País de nacimiento no limítrofe Perú España Italia Corea China Francia Alemania Taiwan Japón Resto Total
Total
%
.
,
. . . . . . . . . .
, , , , , , , , , ,
Total
%
limítrofe
.
,
Paraguay Bolivia Uruguay Brasil Chile
. . . . .
, , , , ,
.
a
Cf. Censo Nacional de Población, Hogares y Viviendas (2010, 171). Die in der Tabelle erfassten Daten stellen eine Auswahl dar.
Nicht zu vergessen ist der hohe Anteil an landesinternen Migranten, der nach Angaben der Encuesta Anual de Hogares 2012 bei etwas mehr als einem Viertel der Gesamtbevölkerung liegt. In Bezug auf die Bevölkerungsstruktur ergibt sich mit einer Quote von 38% außerhalb der Capital Federal Geborener ein höchst heterogenes Bild, welches in Abhängigkeit der einzelnen Stadtviertel und Kommunen einen unterschiedlich starken Grad an Komplexität aufweist (Karte 3.2). Der Vergleich zwischen den städtischen Kommunen zeigt, dass sich die meisten aus den Nachbarländern emigrierten Bewohner im südlichen Teil der Stadt niedergelassen haben: Die comunas 4, 7 und 8 verbuchen jeweils einen Wert von über 11%, lediglich Kommune 9 fällt mit nur 7% aus diesem Muster. 84 Cf. Güida (1993, 27); INDEC (2010, 92).
86
3 Methodische Einbettung
Karte 3.2: Prozentuale Verteilung der Bevölkerung innerhalb der Kommunen in Relation zum Geburtstort.85
Im Norden ist der Anteil an Einwohnern aus diesen Herkunftsländern dagegen insignifikant: Hier sowie im Westen leben die meisten Argentinier, seien sie nun direkt aus Capital Federal, aus der Provincia de Buenos Aires oder aus einer anderen Provinz. Besonders auffällig ist die mit knapp über 50% relativ geringe Anzahl an porteños in den Kommunen 1, 2, 3 und 14. Eine genaue Bewertung der Kommune 1 ist allerdings nicht unproblematisch, da sie neben einem Teil des traditionellen Barrio Norte in Retiro auch den administrativen und kommerziellen Kern der Stadt sowie das Zentrum des Finanzwesens umfasst. Es handelt sich daher nur teilweise um ein primär residenzielles Gebiet.
85 Die Karte wurde auf der Grundlage der in der Encuesta Anual de Hogares veröffentlichten Daten selbst erstellt (cf. 2012, 25).
3.2 Untersuchungsraum Buenos Aires
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Wirft man einen Blick auf die geographische Verteilung der Einkommensklassen und Mietpreise, stellt man abermals das seit Mitte des 20. Jahrhunderts bestehende sozioökonomische Gefälle von Nord nach Süd fest:
Karte 3.3: Monatliches Familieneinkommen in pesos argentinos im Jahr 2012.86
Karte 3.4: Mietpreis für eine 50m2-große Wohnung im Jahr 2010/11.87
Kommune 12 schließt sich an die einkommensstärksten Stadtteile im Norden an, alle anderen Gehälter weisen jedoch eine deutliche Differenz zu den Topverdienern auf. Im Schnitt stehen den Einwohnern nahezu im gesamten Süden weniger als 6800 Pesos pro Monat zur Verfügung; der Statistik aus dem Jahr 2006 zufolge lebten in diesem Gebiet (Kommune 8, 7, 4 und 1) mehr als 15% der Menschen unterhalb der Armutsgrenze und unter prekären Bedingungen (Karte 3.3).88 86 Die Karte wurde auf der Grundlage der in der Encuesta Anual de Hogares veröffentlichten Daten erstellt (cf. Encuesta Anual de Hogares 2012, 29). Die Beträge sind vor dem Hintergrund der bis in die Aktualität reichenden Inflation einzuordnen. 87 Die Karte wurde auf der Grundlage der vom Ministerio de Hacienda 2010 veröffentlichen Daten erstellt (cf. mercado inmobiliario: departamentos en alquiler de 2 ambientes según barrio. Precio promedio de una unidad de 50m2). 88 Cf. Buenos Aires Ciudad/Estadística y Censons, Karte «Porcentaje de población bajo la línea de pobreza (LP) según Comuna. Ciudad de Buenos Aires. Año 2006». – Es ist darauf hinzuweisen, dass die zur Erstellung der Karten verwendeten Daten sich jeweils auf die gesamte Kommune beziehen und bedauerlicherweise keine Differenzierungen zwischen den einzelnen
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3 Methodische Einbettung
Ergänzt man die Information des familiären Grundeinkommens durch den Berufsstand der Einwohner, zeigt sich, dass in allen Kommunen deutlich mehr als die Hälfte der arbeitenden Bevölkerung im Dienstleistungsgewerbe sowie im öffentlichen Dienst beschäftigt ist; in den südlichen Kommunen 4, 8 und 9 sind mit 19 bis 25% darüber hinaus vergleichsweise viele Einwohner in der Industrie oder dem Bauwesen tätig, was auch in der konzentrierten Niederlassung von industriellen Anlagen in diesem Gebiet begründet liegt. Mit Blick auf die Anzahl an Selbstständigen ergeben sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den Stadtteilen, allerdings liegt im Westen und Norden der Stadt der höchste Wert an Arbeitgebern.89 Eine ähnliche Distribution ergibt die Zusammenfassung der Wohnviertel nach monatlichen Mietpreisen, die darüber hinaus deutlich macht, dass das Prinzip, durch hohe Mieten nur bestimmte soziale Gruppen in den prestigeträchtigen Norden zu locken, nach wie vor Gültigkeit besitzt (Karte 3.4). Damit trägt der Immobilienmarkt in entscheidender Weise dazu bei, das durch die Krise entstandene soziale Gefälle zu festigen und auch weiter auszubauen (Gorelik/Silvestri 2010, 324). Ein Distrikt besonderer Exklusivität ist, wie oben erwähnt, der neue Stadtteil Puerto Madero, wo sich die Mietpreise bereits im Jahr 2011 auf mehr als 4900 Pesos pro Monat beliefen.90 Die unmittelbare Nachbarschaft zu den Stadtteilen der Oberschicht ist der Klassifizierung von Bährs und Mertins zufolge dabei ein typisches Merkmal der Mittelschicht- bzw. oberen Mittelschichtviertel (cf. Bährs/Mertins 1995, 121).91 Ein deutliches Bild ergibt sich wiederum in Bezug auf das Bildungsniveau (Karte 3.5). Wie angesichts der Verteilung der Einkommensklassen und Berufsgruppen zu vermuten war, ist die Zahl derjenigen, die eine Hochschule oder Universität
Stadtvierteln enthalten. Sie liefern daher einen Überblick, jedoch keine universalgültige Aussage im Hinblick auf das gesamte die Kommune umschließende Gebiet. Insbesondere in Retiro ist beispielsweise aufgrund der hohen Mietpreise ein bedeutend höherer Einkommenswert anzunehmen. 89 Cf. Encuesta Anual de Hogares (2012, 35, 36). 90 Der Standort der Fakultäten der Universidad Católica Argentina macht Puerto Madero darüber hinaus zur Anlaufstelle zahlreicher Studenten der in verschiedenen Vierteln beheimateten Oberschicht. Auch in der hier durchgeführten Untersuchung gaben mehrere Schüler aus dem Barrio Norte an, später an der UCA und nicht an der öffentlichen UBA studieren zu wollen. 91 Es bleibt aber zu beachten, dass eine genaue Unterscheidung zwischen unterer Mittel- und Unterschicht aufgrund der oft fließenden Übergänge äußerst schwierig ist (cf. Bähr/Mertins 1995, 120).
3.2 Untersuchungsraum Buenos Aires
89
Karte 3.5: Prozentuale Verteilung der über 25-jährigen Bevölkerung in Relation zum maximal erreichten Bildungsstand.92
besucht haben, mit jeweils knapp 50% in den Kommunen 2, 13 und 14 am höchsten. Wenn man bedenkt, dass mit Blick auf die Gesamtbevölkerung von Capital Federal lediglich ein Drittel über einen solch hohen Bildungsstand verfügt, ist das ein beträchtlicher Wert. Die Kommunen 4, 8 und 9 verzeichnen den niedrigsten Bildungsstand: mehr als 19% absolvierten hier nur die Primarstufe, über 6% der dort lebenden Menschen haben diese nicht beendet. Im zentralen und westlichen Bereich der Stadt ist das Verhältnis zwischen abgeschlossener secundario und angefangener bzw. absolvierter Hochschulbildung
92 In Argentinien ist die schulpflichtige Zeit lediglich auf die Primarstufe beschränkt. Die Karte wurde auf der Grundlage der in der Encuesta Anual de Hogares 2012 veröffentlichten Daten erstellt (cf. Encuesta Anual de Hogares 2012, 17, cuadro 17: distribución porcentual de la población de 25 años y más por máximo nivel de instrucción alcanzado según comuna).
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3 Methodische Einbettung
relativ ausgeglichen und zeigt keine so starke Diskrepanz wie in den nördlich und südlich gelegenen Stadtteilen.93 Viele der Punkte, die ein stadtdialektologisches Arbeiten erschweren, sind kartographisch nur bedingt greifbar. Dazu gehören sicherlich das durch verschiedene Faktoren motivierte innerstädtische Wanderungsverhalten sowie die viel diskutierte soziale und geographische Mobilität bzw. Dynamik im urbanen Raum. Diese Dynamik kann zwar nicht vollständig erfasst werden, Daten aus dem 201094 durchgeführten Zensus ermöglichen aber einen wertvollen Überblick darüber, wie viele Menschen sich berufsbedingt täglich in die verschiedenen Bereiche der Stadt begeben und zwischen welchen Gebieten besonders viel bzw. wenig Austausch besteht. Karte 3.6 veranschaulicht die häufigsten beruflich motivierten intraurbanen Bewegungsabläufe. Die stärksten arbeitsbedingten Bewegungsströme orientieren sich mit Blick auf die gesamte Capital Federal in Richtung der innerstädtischen Stadtviertel, die in Bereich B erfasst sind und wo mit 28% die meisten aller berufstätigen porteños ihrer Arbeit nachgehen. Von den Bewohnern der nördlichen Stadtumgebung pendeln nur wenige nach Süden oder Westen: Mehr als 62% der in Zone A lebenden Bevölkerung bewegen sich beruflich ausschließlich im Norden bzw. im Nordwesten (cf. Zonen A und B), der arbeitsbedingte Kontakt zu den Bereichen D und C liegt dagegen insgesamt unter 5%. Mit lediglich 3% meiden auch die Einwohner aus dem historischen Stadtkern, der durch Zone B erfasst wird, die Verbindung zum westlichen Areal D, fast ein Viertel ist aber in den südlichen barrios der Stadt beschäftigt. Auch wenn aus dem Norden nur eine geringfügige Menge im Süden ihrer Arbeit nachgeht (4,1%), so vollzieht sich mit mehr als 9% jedoch durchaus eine durch den Süden initiierte
93 Die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe muss allerdings nicht zwangsläufig eine Homogenität an Merkmalen zwischen den Bewohnern dieser Gruppe bedeuten: Siedelt ihre ökonomische Situation sie beispielsweise im unteren oder mittleren sozialen Bereich an, können sie dennoch, was den Bildungsstand betrifft, mit der Mittel- oder der oberen Mittelschicht gleichziehen (cf. del Cueto/Luzzi 2010, 43). Anschaulich wird dies in Buenos Aires beispielsweise im Fall universitär ausgebildeter Lehrkräfte, die nur über ein geringes Monatseinkommen verfügen. Insgesamt darf trotz der in den Diagrammen evident gewordenen Dominanzverhältnisse keine Verallgemeinerung stattfinden, zeigen sie doch, dass zwar prozentual unterschiedliche Mengen an akademisch Gebildeten, Geringverdienern usw. in den einzelnen Vierteln beheimatet sind, zum anderen verdeutlichen die geringen Anteile aber auch ganz klar, dass eben nahezu alle Gruppen in den verschiedenen Arealen der Stadt anzutreffen sind. Dies hebt trotz einiger klarer Tendenzen den heterogenen Charakter der innerstädtischen Struktur hervor. 94 In der Zählung von 2012 wurde diese Mobilität leider nicht mehr in gleichem Ausmaß erfasst.
3.2 Untersuchungsraum Buenos Aires
91
Karte 3.6: Berufsbedingte Mobilität.95
berufsbedingte Bewegung in nördliche Richtung. Darüber hinaus ist je ein Fünftel der dortigen Bewohner in Zone B und im Westen der Stadt beruflich tätig. Auch die Bürger der mittig gelegenen Stadtviertel der Bereiche D und E gehen nur zu einem geringen Teil einer Beschäftigung in den südlichen Stadtgebieten nach, die stärkste Bewegung richtet sich hier nach Norden und Osten. Insgesamt haben 9,1% der porteños ihren Arbeitsplatz in einem der Partidos des Großraums Buenos Aires außerhalb von Capital Federal. Der Standort des Arbeitsplatzes ist sicherlich einer der zentralen Faktoren, der die Menschen zum Verlassen ihrer direkten Wohngegend motiviert und sie tagtäglich Grenzen zu anderen Bereichen der Stadt überschreiten lässt.96 Mit Hilfe der hier
95 Die Karte wurde auf der Grundlage der in der Encuesta Anual de Hogares 2010 veröffentlichten Daten erstellt und enthält eine Auswahl der wichtigsten berufsbedingten Mobilitätsströme (cf. Encuesta Anual de Hogares 2010, cuadro 41: distribución porcentual de la población ocupada por ubicación del lugar de trabajo según zona). Cf. zu innerstädtischen Migrationsprozessen der lateinamerikanischen Großstadt allgemein auch Heineberg (2006, 285); Würth (2012, 38ss.). 96 Die Grenzüberschreitung liegt dabei jedoch häufig nicht im persönlichen Handlungsspielraum der Menschen, sondern ist oftmals das zwangsläufige Ergebnis externer Bedingungen
92
3 Methodische Einbettung
erstellten Karte (Karte 3.6) können zwar Teile täglicher städtischer Dynamik eingefangen und innerstädtische Wanderungsprozesse geographisch aufgezeigt werden, das Modell bleibt aufgrund der spärlichen Datenlage jedoch eindimensional, da es beispielsweise keinerlei Information über die an der Wanderung beteiligten Sozialgruppen oder über deren Arbeitsbereich und die dortigen Kontaktpersonen liefert. Zahlen zu weiteren Bewegungsmustern, denen eine andere, nicht berufsbedingte Motivation zugrunde liegt, werden im Zensus nicht aufgeführt. Ein Blick auf die Infrastruktur von Buenos Aires lässt aber dennoch Raum für Vermutungen. So befinden sich beispielsweise nahezu alle Universitäten und Fakultäten im historischen Zentrum sowie in Palermo und Belgrano, einzelne Einrichtungen gibt es darüber hinaus in den mittig bzw. westlich gelegenen Vierteln Caballito, Flores und Versalles. Da keine universitären Institutionen südlich der Autobahnen 25 de Mayo und Perito Moreno liegen, kann diesen im Bereich universitärer Bildung die Funktion einer natürlichen Grenze innerhalb des urbanen Raumes zugesprochen werden. Studenten, die in den südlichen und südwestlichen Stadtvierteln aufgewachsen und beheimatet sind, sind daher für eine universitäre Weiterbildung durch externe Faktoren zum Verlassen dieser Gegend gezwungen. Auch was die Freizeitgestaltung in Form von Theater- oder Kinobesuchen angeht, ergibt sich aufgrund der infrastrukturellen Situation ein ähnliches Muster: Im Nordosten konzentrierten sich zahlreiche Schauspielhäuser, auch in der Stadtmitte und im Westen gibt es verschiedene kulturelle Ausgehmöglichkeiten; im Süden befinden sich einige Bühnen in Boca und Barracas, die übrigen Viertel unterhalb der genannten Grenze 25 de Mayo und Perito Moreno bieten im Bereich Kino und Theater jedoch weniger Ausgehmöglichkeiten.97 Damit wird die Bewegung, die schon in
(cf. Bähr 1995, 100). Viele Arbeitnehmer können sich die hohen Mieten in der Ciudad de Buenos Aires nicht leisten und sind gezwungen täglich eine mehrstündige Pendlerstrecke zurückzulegen. 97 Cf. http://www.buenosaires.gob.ar/areas/cultura/mapa-cultural/. In diesem Areal gibt es verschiedene locales de milonga etc. Die intraurbanen Bewegungsabläufe sind sicherlich auch generationsabhängig: Junge Leute strömen in Kinos und Diskotheken in anderen Stadtteilen, ältere Menschen haben möglicherweise kein Bedürfnis nach dieser Art der Freizeitgestaltung und sind mit dem Angebot in ihrem Viertel zufriedenzustellen. – Die hier angestellten Vermutungen leiten sich aus der funktionalen Stadtstruktur ab, sind aber nicht durch Studien belegt. In den für diese Arbeit durchgeführten Interviews mit Schülern der Oberstufe gaben Jugendliche der südlich gelegenen Stadtviertel Barracas und Mataderos wiederholt an, zu Diskobesuchen die in Palermo gelegenen Clubs der Costanera Norte aufzusuchen. Eine Hinwendung im Rahmen verschiedener Aktivitäten zu den infrastrukturell stark ausgebauten Stadtteilen kann daher angenommen werden und wäre eine Überprüfung wert.
3.3 Methodisches Vorgehen
93
Hinsicht auf die geographische Relation von Wohnort und Arbeitsplatz nachgezeichnet wurde, nochmals verstärkt. Insgesamt stellt die Nachvollziehbarkeit innerstädtischer Wanderungsprozesse durch die Komplexität und Vielzahl an miteinander wirkenden Elementen aber ein komplexes und in unserem Rahmen nur unzureichend greifbares Unterfangen dar.
3.3 Methodisches Vorgehen Die Schwierigkeiten einer im urbanen Kontext durchzuführenden Datenerhebung wurden in Kapitel 3.1 eingehend diskutiert. Der Untersuchungszeitraum der hier präsentierten empirischen Studie erstreckt sich über eine Zeitspanne von etwa zehn Monaten in den Jahren 2012 und 2013. Zur Datengewinnung wurde auf die Methode des mündlich durchgeführten Leitfadeninterviews bzw. des teilstrukturierten Interviews mit anschließendem Lektüreteil zurückgegriffen. Insgesamt wurden auf diese Weise in neun ausgewählten Stadtteilen 207 Personen im Alter von 16 bis 94 Jahren befragt.98 Die Gespräche dauerten im Schnitt zwischen 20 und 25 Minuten und waren für den Ablauf mit Einzelpersonen konzipiert, aufgrund der im freien Feld jedoch oftmals nicht präzise voraussagbaren Rahmenbedingungen wurden bei 19 Interviews die Unterhaltungen unter Hinzuziehung eines weiteren Interaktionspartners oder in Dreiergruppen realisiert. Anders als bei einer Befragung, die auf die Erfassung von thematischen Inhalten, wie beispielsweise metasprachlichem Wissen, abzielt, ist das primäre Anliegen der vorliegenden Untersuchung die Erhebung authentischer Sprachdaten, die sich nicht zwangsläufig an einen fest strukturierten Fragenkatalog halten muss, ohne dabei jedoch beliebig zu sein. Das teilstrukturierte Interview bietet dafür den idealen Rahmen, da es neben den geplanten Themenbereichen auch Raum für unvorhergesehene und sich aus dem Gespräch entwickelnde Aspekte schafft, denen der Informant besonderes Interesse zukommen lässt und die ihn daher unter Umständen zu ausführlicheren, teils emotional konnotierten Redebeiträgen motivieren.99 Die Balance zwischen der Einbeziehung
98 Insgesamt wurden während der Erhebungsphase 212 Personen in die Untersuchung aufgenommen, da jedoch nicht alle die zugrunde gelegten Kriterien hinsichtlich Alter und Herkunft erfüllten, mussten fünf Sprecher in der Auswertungsphase ausgeschlossen werden. 99 Cf. Atteslander (1988, 945s.). Dieses Verfahren ist eigentlich typisch für das wenig strukturierte Interview, ist aber aus den genannten Gründen auch in diesem Kontext sinnvoll.
94
3 Methodische Einbettung
theoretischer Vorüberlegungen und der Offenheit der Gesprächssituation ist daher ein entscheidender Vorteil. Ein kritischer Punkt dieser Methode besteht sicherlich darin, dass sie eine höhere Flexibilität in Planung und Durchführung seitens des Befragers erfordert und ihn oftmals dazu zwingt, den sicheren Pfad des vorbereiteten Leitfadens phasenweise zu verlassen. Außerdem ist bei einem solchen, relativ offenen Vorgehen die Vergleichbarkeit der einzelnen Gesprächsabläufe eingeschränkt, was aufgrund des primär pragmatisch orientierten Charakters der hier angestrebten Interviews allerdings nur bedingt von Nachteil ist: «Nicht die Standardisierung von Antworten, sondern das Herausarbeiten des jeweils besonderen Gehalts von Äußerungen der Befragten ist der Zweck des Interviews» (Gläser/Laudel 2009, 115s.). Im Fall der vorliegenden Studie besteht dieser besondere Gehalt in der Relation spezifischer Äußerungen und deren konkreter Lautrealisierung.100 Buenos Aires als Millionenstadt ist sprachlich natürlich nur in Stichproben fassbar. Trotz der Größe des Untersuchungsraumes ist man jedoch nicht auf eine rein willkürliche Auswahl an Probanden angewiesen, sondern muss versuchen ein Sample herauszugreifen, dessen «Struktur von der Struktur der Grundgesamtheit nicht allzu sehr abweicht» (Gabler 1996, 733). Wie in Kapitel 3.2 ersichtlich geworden ist, umfasst die argentinische Hauptstadt eine Vielzahl an nebeneinanderliegenden, sozialgeographisch zum Teil äußerst heterogenen Räumen. Auch innerhalb der administrativen Zusammenführungen in Form der barrios und comunas darf keine allgemein übergreifende Homogenität erwartet werden, da auch hier gruppengebundene Differenzierungen vorliegen, seien sie nationaler, sozialer oder kultureller Natur (cf. Karten 3.2 und 3.5). Wenn also eine Repräsentation oder wie von Gabler formuliert «Struktur der Grundgesamtheit» gefordert wird, so ist dies nur dann sinnvoll und leistbar, wenn diese dem Untersuchungsziel und Gegenstand entsprechend angepasst wird. Auf das hier präsentierte Forschungsprojekt übertragen bedeutet dies, dass durch das Herausgreifen von Informanten lediglich ein Ausschnitt der demographischen Komposition des jeweiligen barrios widergespiegelt werden kann (cf. Abschnitt 3.3.2). Grundlegendes Kriterium war daher, einen gruppenspezifischen (und räumlich gebundenen) Auszug innerhalb der Untersuchungsräume zu identifizieren, und eine stadtviertelcharakteristische Größe zu präsentieren. Für die Wahl verschiedener Gewährspersonen war das Alter der Sprecher grundlegendes Kriterium. Die sozial-biologische Variable Alter gilt in der Sozio-
100 Cf. zum Leitfadeninterview auch Riesmeyer (2011).
3.3 Methodisches Vorgehen
95
linguistik oftmals als der am stärksten wirkende soziale Faktor überhaupt,101 und hat sich auch in den bisherigen Studien zum Thema als entscheidend herausgestellt, waren es doch vor allem die jungen Generationen, die die Verwendung der innovativen stimmlosen Variante [ʃ] vorantrieben (cf. Kapitel 2.2). In der hier vorgestellten empirischen Studie markiert diese Gruppe auch den Schwerpunkt der Untersuchungen. Diese Fokussierung hat zum einen diachronisch, zum anderen methodisch motivierte Gründe. Interpretiert man die verschiedenen Entwicklungsstufen der diskutierten Präpalatale in Buenos Aires nicht als age grading-Phänomen,102 sondern wie hier als Zeichen für einen change in progress, so sind die jungen Sprecher von entscheidender Bedeutung, wenn es darum geht, Voraussagen über die zukünftige Evolution und Extension der verschiedenen Allophone zu treffen. Dass junge Menschen in Gesellschaften wie der hier untersuchten außerdem dazu tendieren, noch eine stärkere lokale Ortsgebundenheit vorzuweisen, stellt gerade im Rahmen einer auf den urbanen Raum angelegten Untersuchung ein signifikantes außersprachliches Argument dar; sie werden in diesem Kontext daher als die Gewährspersonen eingestuft, die noch am ehesten dem Kriterium von Repräsentativität für die Sprache eines bestimmten Stadtviertels entsprechen.103 101 Cf. u.a. Moreno Fernández (1990, 40); Blas Arroyo (2005, 193–207). Wie auch bei der geschlechtsabhängigen Variation schlägt sich dies insbesondere in den Bereichen Lexik und Diskurs nieder. 102 Mit diesem Begriff referiert Labov auf eine individuelle und nicht gruppengebundene Variation, wonach Sprecher im Laufe ihres Lebens ihre Sprachformen verändern; sie ist daher kein Zeichen von Sprachwandel, der sich allgemein in einer Sprachgemeinschaft vollzieht: «If individuals change their linguistic behaviour throughout their lifetimes, but the community as a whole does not change, the pattern can be characterized as one of age grading» (Labov 1994, 84). Chambers verwendet für diese altersbedingte Modifikation der Sprache den Begriff des «maturational change» (cf. Chambers 1995). 103 Natürlich bewegen sich auch Jugendliche beispielsweise freizeitbedingt in verschiedenen Räumen der Stadt, dennoch hat sich während der Interviews die in dieser Generation vermutete ausgeprägte Ortsgebundenheit als überwiegend treffend herausgestellt: Um einen Eindruck von der individuellen, intraurbanen Mobilität der einzelnen Informanten zu gewinnen, wurden diese nach der Ermittlung ihrer persönlichen Daten sowie ihres Wohnortes nach weiteren Stadtzonen befragt, in denen sie sich vorzugsweise aufhielten (cf. Interviewtranskription Anhang VI). Auf der Grundlage dieser Informationen stellte sich heraus, dass der Aktionsradius der Mehrheit der jugendlichen Sprecher aber meist eingeschränkt und temporär begrenzt ist. Der Großteil der Aktivitäten entwickelt sich durch Schule und Wohnsitz meist im barrio selbst, für die Wochenenden wurde aufgrund der dortigen Ausgehmöglichkeiten eine verstärkte Tendenz Richtung Palermo (Costanera) festgestellt. Dass die Schülerinnen und Schüler sich als so gute Informanten bewiesen, hat darüber hinaus damit zu tun, dass sie im Gegensatz zu einem Teil der zweiten Generation kaum Hemmungen oder Verlegenheitsmomente während des Befragungsgesprächs zeigten. Auf diese
96
3 Methodische Einbettung
Auf der Grundlage der Darlegungen von Knox/Pinch wird im Hinblick auf die hier beleuchtete Stadtbevölkerung für erwachsene Berufstätige sowie ältere Personen eine vergleichsweise höhere Tendenz zu Ortswechseln angenommen, die sich im Laufe der Biographie durch Beruf, Familie oder den Immobilienmarkt gewollt oder auch unbeabsichtigt vollziehen können.104 Bei der Analyse der Motivation für innerstädtische Umzüge stellen Knox und Pinch sogenannte «voluntary moves» den «forced moves» gegenüber und nennen für letztere sowohl persönliche Gründe wie Heirat oder Scheidung als auch beruflich bedingte Auslöser. Zusammen mit den freiwilligen Ortswechseln, die sich beispielsweise aufgrund des Wunsches nach einem verbesserten Lebensumfeld oder lukrativer Jobangebote vollziehen, referieren beide Faktoren verstärkt auf jüngere Haushalte.105 Die Sprecher der ältesten Generation wurden in der Erhebung zahlenmäßig am geringsten berücksichtigt. Hinter Reduktionsmaßnahmen einer bestimmten Informantengruppe stehen im Rahmen dieses groß angelegten Projekts sicherlich auch unvermeidliche ökonomische Motive. In erster Linie gründen sie aber auf der reichhaltigen Datenlage, die für diese Generation dank der intensiven Arbeiten gegen Ende der 70-er und zu Beginn der 80er-Jahre zur Verfügung steht; es wird daher vermutet, dass für diese Gruppe auch eine verhältnismäßig kleine Anzahl an Informanten einem relativen Repräsentationsanspruch nachkommen kann, da bereits Kenntnisse zur Distribution der Varianten bestehen, die nutzbar gemacht werden können. Die Berücksichtigung verschiedener Altersgruppen wird klären, ob [ʃ] bzw. [ʒ] nach wie vor als Indikator für die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Generation fungieren; zum anderen erlaubt sie bis zu einem gewissen Grad eine Bewertung der Entwicklung des yeísmo mittels einer apparent timeAnalyse. Darüber hinaus ergeben sich aus der Beurteilung der Größe Alter Rückschlüsse darauf, ob die Verwendung der einzelnen Allophone in den verschiedenen Generationen zudem mit einer spezifischen Funktionalität behaftet ist. Die Variable Geschlecht gilt als soziale, außersprachliche Determinante und wird in soziolinguistische Untersuchungen gemeinhin miteinbezogen.
Weise ergaben sich größtenteils sehr unbefangene und umgangssprachliche Konversationen, die der Definition einer casual speech nach Labov meiner Einschätzung nach sehr nahe kamen (cf. Labov 1966, 99s.). 104 Cf. Knox/Pinch (2010, 254–258). Konkrete Zahlen zu den in der Ciudad de Buenos Aires stattfindenden Wohnortwechseln liegen nicht vor. 105 Cf. Knox/Pinch (2010, 254–258). Konkrete Zahlen zu den in der Ciudad de Buenos Aires stattfindenden Wohnortwechseln liegen nicht vor.
3.3 Methodisches Vorgehen
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Tatsächlich ist das Gewicht dieser Variablen zwar nicht umstritten, jedoch nicht ohne Weiteres zu bestimmen, da oftmals eine starke Korrelation mit anderen offenbar stärker wirkenden Faktoren wie dem Alter, dem sozialen Status oder auch der Integration ins gesellschaftliche Umfeld der Sprecher vermutet wurde, so dass dem Einfluss der Determinante Geschlecht oft eine sekundäre Rolle zugesprochen wird.106 Heftig diskutiert wurde und wird dabei insbesondere die Rolle der Frau, die aufgrund der Ergebnislage diverser älterer dialektologischer Arbeiten als meist konservativ und prestigeorientiert interpretiert wurde.107 Vor diesem Hintergrund scheinen die von Fontanella de Weinberg et al. angestellten Beobachtungen, dass Frauen bei der Etablierung des stimmlosen [ʃ] die Vorreiterrolle einnahmen und die Männer weit hinter sich ließen, also zunächst aus der Norm zu fallen. Neuere soziolinguistisch ausgerichtete Analysen zeigen die weiblichen Akteure allerdings oftmals als äußerst innovationsfreudig und zumindest auf metasprachlicher Ebene den konservativen Sprachformen nicht selten abgeneigt.108 Dem Ausbleiben einer einheitlichen Tendenz in der geschlechtsabhängigen sprachlichen Variation zufolge, versah Ruoff den Faktor Geschlecht im Kontext soziolinguistischer Untersuchungen mit der Wertung «Hauptstörvariable».109 Die Fokussierung der geschlechtsspezifischen Variation dient in der vorliegenden Untersuchung daher der Klärung, welche Rolle diese Variable sowohl
106 Cf. Moreno Fernández (1998, 35). Cf. für eine Zusammenstellung verschiedener Fälle geschlechtsabhängiger Variation auch Blas Arroyo (2005, 157–189). Die Akzentuierung des Parameters Geschlecht ist sicherlich auch stark abhängig von den verschiedenen sprachlichen Bereichen. Signifikante Unterschiede wurden beispielsweise auf pragmatischer Ebene oder im Bereich der Wortbildung festgestellt. López García und Morant (1991) haben im spanischen Sprachraum hier beispielsweise bei der Diminutivbildung und bei der Verwendung von Affektivität kennzeichnenden Lexemen eine starke Dominanz bei den weiblichen Untersuchungspersonen ausgemacht. 107 Cf. u.a. Moreno Fernández (1998, 37); Blas Arroyo (2005, 158). Prestige wird dabei häufig mit Standard oder der variante correcta (Blas Arroyo 2005, 171), also der Präferenz der norma estándar gleichgesetzt. Männer bevorzugen dagegen häufig eine Verwendung der vernáculos und der dialektalen Varianten. Ein Beispiel auf phonetischer Ebene ist die Verwendung der Phoneme /r/ und /l/ in Panamá (cf. Blas Arroyo 2005, 173). 108 Cf. Schlieben-Lange (1985, 487) zur Verwendung des Okzitanischen in Frankreich. Frauen nehmen daher oftmals eine führende Stellung bei Sprachwandelprozessen ein, indem beispielsweise innovative Formen an die Kinder weitergegeben und dadurch gestärkt werden. 109 Cf. Ruoff (1973); Schlieben-Lange (1985, 482).
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3 Methodische Einbettung
in der synchronen Verteilung als auch mit Blick auf den sich vollziehenden Sprachwandel einnimmt und inwiefern sie mit den anderen wirkenden Parametern korreliert. Davon abgesehen kann ein geschlechtsabhängiges Auftreten der einzelnen Varianten möglicherweise auch Vermutungen hinsichtlich der Konnotation einer perzeptiven Wertigkeit erlauben. Unter diesen Fragestellungen kann eine Neubewertung der von Chang und Rohena-Madrazo als nicht signifikant deklarierten Variablen erfolgen.110
3.3.1 Untersuchungsraum Die in Kapitel 2.2 genannten Untersuchungen haben den Schluss einer diastratischen Stratifizierung der Präpalatale nahe gelegt. Stadtgeschichtlich hat sich in der Zusammenfassung in Kapitel 3.2 gezeigt, dass um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert vermehrt sozialgeographische Differenzierungen stattfanden und sich die Ansiedlung unterschiedlicher Gesellschaftsschichten in verschiedenen Arealen der Stadt verfestigte. Nimmt man einen sozial gebundenen Ursprung des ʃeísmo an, scheint es naheliegend, dass die Verwendung der beiden Varianten zumindest in ihrer Anfangsphase mit einer diatopischen Markiertheit einherging. Um der Frage Rechnung zu tragen, ob es sich aus synchroner Sicht bei den Allophonen [ʃ] und [ʒ] um intraurban diatopisch markierte Varianten handelt, wurde die Ciudad Autónoma de Buenos Aires für die Ermittlung der einzelnen Untersuchungsräume in fünf unterschiedlich charakterisierte Zonen untergegliedert. Grundlage für diese Unterteilung bilden die in Kapitel 3.2 erläuterten demographischen und sozioökonomischen Merkmale. Die in Karte 3.7 vorgenommene territoriale Unterteilung berücksichtigt dementsprechend die Kriterien Mietspiegel, durchschnittliches Bildungsniveau, Einkommenshöhe, Berufsstand und Migrationsanteil; mit Ausnahme des Migrationsanteils sind die Areale von A nach E hinsichtlich dieser Faktoren absteigend angeordnet. Da wie in Kapitel 3.2 ausgeführt, die Infrastruktur südlich der Autobahn 25 de Mayo weniger gut ausgebaut ist, wurde in diesem Bereich in Form der Schnellstraße eine natürliche Grenze gezogen und die administrativ bestimmte
110 Cf. Schlieben-Lange (1985, 492). Ein ausführlicher Überblick über aussagekräftige Studien, in denen die qualitative und quantitative Wirkung der Geschlechtsvariable zum Ausdruck kommt, findet sich in Blas Arroyo (2005, 160ss.).
3.3 Methodisches Vorgehen
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Karte 3.7: Sozialgeographisches Referenzsystem der Stadtteile in der Ciudad de Buenos Aires.111
Limitierung der barrios durchbrochen (Karte 3.7).112 Auch die Festlegung des nordöstlichen Untersuchungsgebiets orientiert sich nicht an dem etablierten Umriss der Stadtviertel und Kommunen,113 sondern zeichnet, Teile Recoletas und Retiros umschließend, das Territorium des traditionellen Barrio Norte nach. Dieses genießt heute nicht mehr den Status eines offiziellen Viertels, aufgrund der fehlenden Homogenität des Gesamtviertels Retiro stellt es für die Untersuchung aber eine sinnvollere Auswahl dar. Von den ausgewählten Stadtteilen bedarf
111 Cf. u.a. Ministerio de Hacienda GCBA (2010, 15ss., 25ss., 29s., 35, 37). 112 In diversen Stadtstudien dienen solche natürlichen Grenzen wie beispielsweise Flüsse als einteilendes Kriterium. Administrative Einteilungen müssen nicht unbedingt den soziologischen und sozioökonomischen Kriterien entsprechen. Cf. dazu Bulot/Bierbach (2007, 21). 113 Die Zusammenfassung der barrios in insgesamt 15 Kommunen besteht in ihrer heutigen Form, seit 2005 das Gesetz 1.777, das «Ley Orgánica de Comunas», verabschiedet wurde.
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außerdem das Viertel Barracas einer zusätzlichen Unterteilung: Dort wurden ab der Jahrtausendwende die in den 90er-Jahren von privaten Unternehmen initiierten Transformationsprozesse von staatlicher Seite fortgeführt, welche sich im Bau teils luxuriöser Wohnsiedlungen sowie in weitreichenden Renovierungsund Sanierungsarbeiten niederschlugen. Als Explorationspunkt dient demzufolge nur das Gebiet westlich der Autobahn 9 de Julio, die den modernisierten östlichen Teil rund um die Avenida Montes de Oca vom industrielleren Bereich abtrennt, in dem sich darüber hinaus das Armutsviertel Villa 21–24 befindet.114 Um eine maximale Vergleichbarkeit zu erreichen, wurden pro Zone zwei Stadtteile herausgegriffen, die durch die gegenseitige Divergenz hinsichtlich der Aspekte Zentrum–Peripherie, Gründungszeit, Infrastruktur, Funktionalität und physische Struktur ermittelt wurden. Anders als dies in manch anderen Stadtsprachenstudien gehandhabt wird, scheint diese zusätzliche Aufteilung hier unbedingt notwendig, da mit Blick auf die zu verschiedenen Zeiträumen erfolgte Entstehung der barrios die einzelnen Stadtteile in unterschiedlicher Ausprägung in die Entwicklungsstufen des yeísmo involviert waren. Über die historische Dimension hinaus divergieren die Viertel auch hinsichtlich demographischer und funktionaler Stabilität. Berücksichtigt man erneut die von Bourdieu hervorgehobene Korrelation von Sprecher und Raum, wurden einige dieser Räume damit auch kulturell wiederholt neu konstituiert, während andere in ihrer demographischen Struktur von höherer Kontinuität geprägt sind.115 Setzt man für die Postalveolare [ʃ] und [ʒ] neben der diatopischen auch eine diastratische Markierung
114 Cf. Rodríguez/Di Virgilio (2014). Hinsichtlich der Verschränkung von Stadtgeschichte, Einwohnerstruktur und Sprachentwicklung ist Barracas von besonderem Interesse, da die Gegend rund um das Stadtviertel spätestens nach dem Ausbruch des Gelbfiebers 1871 und der Abwanderung der höheren Gesellschaftsschichten einem Funktionswandel unterlag. 115 Cf. beispielsweise die Untersuchung von Ivanova (2011), die die Stadt Kiev in mehrere Gebiete unterteilt, die dann in ihrer Gesamtheit jedoch als ein einzelner Untersuchungsraum fungieren. Derartige Verallgemeinerungen und Größeneinheiten scheinen hier nicht sinnvoll. Die Stadtteile Belgrano und Recoleta beispielsweise bewegen sich mit Blick auf den Immobilienmarkt, das Bildungsniveau oder das Monatseinkommen ihrer Einwohner zwar im selben Spektrum, was aber ihre historische Entwicklung und ihre Konnotation als Identifikationsraum angeht, sind sie keinesfalls gleichzusetzen. Unabhängig von diesen Kriterien können Stadtteile auch ganz unterschiedliche Funktionen erfüllen, wie beispielsweise die eines vorwiegend industriell oder kommerziell gekennzeichneten Viertels. – Im Rahmen dieser sprachwissenschaftlich angelegten Arbeit kann natürlich kein vollständiges Profil der ausgesuchten Stadtteile erfolgen. Die hier genannten Kriterien sind daher unvermeidbar lückenhaft und stellen lediglich eine Zusammenfassung der Punkte dar, die die Unterschiede zwischen den einzelnen Vierteln am stärksten markieren. Eine detaillierte Zusammenstellung der Entwicklungsgeschichte der einzelnen barrios findet sich in Cutolo (1998): Historia de los barrios de Buenos Aires.
usos del suelo: uso comercial: 12,1%, uso productivo: 0,7%, uso residencial: 56,6% barrio residencial
wird wie die meisten westlich gelegenen Distrikte mit der Ankunft der Eisenbahn 1857 ausgebaut, geographischer Mittelpunkt der Stadt Transport: direkte West-Ost-Verbindung durch 2 subte-Linien, ferrocarril Richtung Westen des Gran Buenos Aires. usos del suelo: uso comercial: 22,8%, uso productivo: 0,8%, uso residencial: 46,8%
Mataderos
Caballito
Balvanera
Barracas
Karte 3.8: Untersuchungsräume.
schließt sich an historisches Zentrum an; erste Besiedlung 1799 usos del suelo: uso comercial: 54,7%, uso productivo: 0,6%, uso residencial: 22,4%
–
–
zu Beginn noch Areal der als Rückzugsort dienenden Estancias namhafter Persönlichkeiten wandelt sich das Gesicht der Gegend Anfang des 17. Jahrhunderts in eine von barrackenähnlichen Behausungen geprägte Landschaft. Später erheben sich hier die ersten großen industriellen Niederlassungen. Transport: bis zum Bau der U-Bahnlinie H bleibt das Gebiet lange Zeit unberücksichtigt.c usos del suelo: uso comercial: 19,1%, uso productivo: 5,7%, uso residencial: 42,5% barrio industrial
Barracas
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Mataderos – – Mit der Föderalisierung der Stadt Buenos Aires im Jahr 1880 wird das peripher gelegene Gebiet um Mataderos als damaliger Teil des Partido de Flores an Capital Federal angeschlossen. Knapp zehn Jahre später entstehen die ersten Schlachthöfe, die durch die Schaffung von Arbeitsplätzen neue Bewohner in die Gegend locken und so zum Ausbau des Viertels führen; vor der eigentlichen Entstehung des Viertels war die Gegend Standort diverser quintas.d – – Transport: kein unmittelbarer Anschluss an subte, ferrocarril und Autobahn – usos del suelo: uso comercial: 13,8%, uso productivo: 3,9%, uso residencial: 50,6%
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Caballito
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Villa Pueyrredón
Belgrano – Gründung 1856 als eigenständiger Vorort; wird erst 1887 als neues Stadtviertel in den Verwaltungsbereich und damit in den Umriss der Stadt Buenos Aires aufgenommen.a – Transport: direkte Ost-Westverbindung durch subte, ferrocarril Richtung Nordwesten des Gran Buenos Aires – usos del suelo: uso comercial: 27,9%, uso productivo: 0,1%, uso residencial: 40,6% b Recoleta (Barrio Norte) – barrio residencial – Gründung Ende des 18. Jahrhunderts, grenzt unmittelbar an historisches Belgrano Zentrum – usos del suelo: uso comercial: 42,2%, uso productivo: 0,0%, uso residencial: 36,3% Recoleta/Retiro – barrio tradicional, residencial Villa Pueyrredón Balvanera
3.3 Methodisches Vorgehen
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3 Methodische Einbettung
voraus, müssen diese intraurbanen Migrationsprozesse bei der Auswahl der Untersuchungsräume unbedingt beachtet werden. Infolge dieser Überlegungen wurden die in Karte 3.8 markierten sieben Stadtteile als Explorationsorte festgelegt.116
3.3.2 Informanten Die Ermittlung geeigneter Informanten erfolgte in zwei Schritten und war in erster Linie von den Parametern Alter und geographische Lage bzw. Stadtviertel geleitet. Wie aus den vorangegangenen Erläuterungen deutlich wurde, ist es ist aus heutiger Sicht gar nicht ohne Weiteres möglich, den idealen Repräsentanten eines Distrikts zu definieren, auch weil die einzelnen Areale in unterschiedlichem Maße Transformationsprozessen unterworfen waren und damit ihre Einwohnerstruktur immer wieder neu formatierten. Als Gewährspersonen dienten daher nicht individuell ausgewählte Einzelpersonen, die aufgrund ihrer sozioökonomischen und biographischen Voraussetzungen dem Idealbild des typischen porteño de Belgrano zu entsprechen schienen.117 Grundlegendes Kriterium war vielmehr verschiedene Gruppen zu identifizieren, die in ihrer Gesamtheit eine barrio-charakteristische mikrosoziologische Größe darstellen. Auf diese Weise sollte ein spezifisches Fragment des jeweiligen Stadtteillebens und damit ein räumlich gebundener Auszug innerhalb der Untersuchungsräume repräsentiert werden.118 Als soziale Gruppe gelten dabei Personen, die «regelmäßig miteinander in Beziehung treten und in diesen Beziehungen gemeinsame Ziele zu realisieren suchen» (Reimann et al. 1991, 248). Wie Kallmeyer in Zusammenhang mit seinem Stadtsprachenprojekt in Mannheim betont, sind die
116 Cf. außerdem zu Barracas Puccia (2010), Mazzei (1990) zu Caballito, Luqui Lagleyze (1990) zu La Recoleta, Piñeiro/Trueba (1996) zu Balvanera und Mayochi (1998) zu Belgrano. 117 Ein solches Vorgehen wird auch durch die von Lope Blanch angestellten Überlegungen zum Atlas lingüístico de México untermauert: «no existe ni ‹el informante ideal› ni el ‹representante medio› de ningún sistema lingüístico» (Lope Blanch 1990, 15). 118 In zahlreichen Stadtsprachenstudien wurden die sozioökonomischen Eigenschaften der Informanten mit denen ganzer Stadtteile gleichgesetzt, womit die Sprecher, die über ein besonders hohes Bildungsniveau verfügen, einer bestimmten lokalen Zone zugeordnet werden. Gleiches gilt für weniger gebildete Sprecher. Wenn man Karte 3.5 aus Kapitel 3.2 heranzieht, wird schnell deutlich, dass ein solches verallgemeinerndes Vorgehen oftmals als zu undifferenziert bewertet werden muss. Natürlich ergeben sich ganz klare Tendenzen: Der Anteil an universitär Gebildeten ist in Belgrano fast dreimal so hoch wie in Mataderos und besitzt daher einen ganz anderen Repräsentationswert. Dennoch macht diese Gruppe auch in Mataderos nahezu ein Fünftel der Gesamtbevölkerung aus und kann daher nicht ignoriert werden.
3.3 Methodisches Vorgehen
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in diesen Konstellationen stattfindenden Interaktionsmuster für die Ergründung der Relation von Sprache und sozialer Umwelt besonders ertragreich: Besonders interessant in dem Rahmen sind städtische Milieus, die einerseits lokal gebunden bzw. organisiert sind und dementsprechend einen sozialen Zusammenhang über personale Netzwerke und eine gemeinsame Interaktionsgeschichte haben, andererseits in ihrer Zusammensetzung aber nicht unbedingt homogen sind, sondern hinsichtlich der sprachlichen und kulturellen Herkunft eine Mischpopulation darstellen. (Kallmeyer 2010, 631)
In Kapitel 3.1 wurde dargelegt, dass sich Menschen im urbanen Kontext in einer Vielzahl von unterschiedlich stark ausgeprägten Netzwerken bewegen; ein vollständiges Sprecherprofil zu erstellen, das all jene Kontakte berücksichtigt, ist im Rahmen der vorliegenden Untersuchung kaum möglich und auch nicht zielführend. Durch die Fokussierung auf einzelne stadtspezifische Gruppen kann aber ein Fragment dieser sprecherindividuellen Wirklichkeit herausgelöst werden, das je nach Gruppe und Alter eine unterschiedlich starke Gewichtung erhält und die phonetische Charakterisierung einiger konkreter urbaner Milieus ermöglicht. Dieses Vorgehen macht damit nicht nur die Erfassung vertikaler, d.h. schichtenspezifischer Variation möglich, sondern es erweitert den Blick auf eine gruppenspezifische horizontale Variation.119 Für Schulze sind die in sozialen Milieus vorherrschenden Binnenkommunikationen zudem ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal, das sie von anderen Subgruppen abgrenzt und Gruppenstabilität stiftende Wirkung besitzt (cf. Schulze 2005, 174). Ein ausschlaggebender Punkt für die Wahl der jeweiligen Gruppen ist die Ortsgebundenheit an das jeweilige Stadtviertel, sowohl in Bezug auf die Gruppe bzw. Institution selbst als auch auf deren Mitglieder; in einer Metropole ist dies angesichts der Größe und der dort herrschenden Dynamik und Mobilität ein nicht ohne Weiteres zu erfüllendes Kriterium, das nur auf wenige soziale Zusammenschlüsse zutrifft.120 Darüber hinaus sind die Beziehungen innerhalb sozialer Gemeinschaften je nach Alter und Häufigkeit der Treffen von ganz unterschiedlicher Intensität. Für die jüngste Sprechergeneration wurden insgesamt 110 Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe im Alter von 16 bis 18 Jahren an zwölf unterschiedlichen 119 Cf. Koch (2003, 103). 120 Berufsbasierte Gruppen – beispielsweise Firmen etc. – die zwar deutliche Vorteile wie einen täglich relativ hohen Wert an Interaktion, Kontaktdichte und gemeinsame Zielsetzungen vorzuweisen haben, scheiden mit Ausnahme einer Gruppe in Caballito aus. Wie Karte 3.6 in Kapitel 3.2 belegt, arbeitet der Großteil der Bevölkerung von Buenos Aires außerhalb seines Wohndistrikts und kann daher nicht oder nur bedingt als Repräsentant des barrios seines Arbeitsplatzes herangezogen werden.
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3 Methodische Einbettung
Schulen befragt. Durch das nahezu tägliche Aufeinandertreffen in den Schulräumen – in einem Großteil der argentinischen Schulen hält dieses aufgrund des Ganztagesunterrichts meist von morgens bis zum späten Nachmittag an – besteht ein sehr hohes Maß an Kontaktdichte, einhergehend mit geringer sozialer Distanz unter den Jugendlichen.121 Anders verhält es sich mit den interviewten Gewährspersonen der zweiten Generation sowie den ältesten Informanten, die in der Regel nur ein- bis zweimal pro Woche für mehrere Stunden zusammenkommen. Die Konzentration auf unterschiedliche urbane Milieus hat zur Folge, dass man keine viertelübergreifende Uniformität in der Wahl der Informanten erwarten darf. Die Anzahl der zur Verfügung stehenden Gesprächspartner sowie der Anteil männlicher und weiblicher Sprecher kann daher im Gegensatz zur Auswahl konkreter Einzelpersonen divergieren. 3.3.2.1 Gruppen der 1. Generation: colegios Schulische Gruppierungen wie Schulklassen werden in der Soziologie als PeerGruppen bezeichnet, die sich durch ähnliche Interessenssphären und die Konfrontation mit denselben schulischen und außerschulischen Anforderungen in gegenseitiger Solidarität zusammenschließen.122 Wenn man den sprachlichen Entwicklungsschritten von Labov folgt, ist die Untersuchung der Gruppe Schüler besonders aufschlussreich, da Sprecher laut Labov in dieser Phase bei der Entwicklung dialektaler Varianten zum einen unter dem Einfluss ihres gleichaltrigen Umfeldes stehen, zum anderen aber ab dem vierzehnten Lebensjahr auch ein erstes sprachliches Perzeptionsbewusstsein entwickeln (cf. Labov 1964). Die unter dem Einfluss des Elternhauses ausgeprägten Varianten können somit in einem neuen generationellen Umfeld weiterentwickelt werden.123 Der Kontakt mit der jüngsten Informantengruppe wurde über die Sekundarstufe der ausgewählten Schulen hergestellt. Dieses Vorgehen erlaubte zum einen einen 121 Cf. Fisch (2005, 426). Mehr zu Gruppenbildungen unter Fisch (2005). In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass viele der befragten Schüler zum Zeitpunkt der Befragung kurz vor ihrer Schulabschlussfahrt standen oder diese bereits unternommen hatten, was zur Stärkung des gruppeninternen Wir-Gefühls beitrug. 122 Cf. Veith (2002, 63). 123 Informanten dieser Generation könnten also evtl. Aufschluss darüber geben, in welcher Phase die Entscheidung für die stimmhafte oder stimmlose Variante erfolgt. Setzt man diese gegenseitige Einflussnahme und Orientierung voraus, so sind die ausgewählten Schüler eines Klassenverbandes ein stark repräsentativer Wert für die Gruppe Schüler im Allgemeinen. Auch Veith weist auf die sich im schulischen Rahmen ergebenden neuen Situationserfahrungen hin, die durch die nun zusätzlich wirkenden Größen der Institution Schule durch Lehrer und Mitschüler eine Modifikation und Erweiterung des Sprachverhaltens zur Folge haben können (cf. Veith 2002, 59).
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klar organisierten Ablauf der Befragungen, sicherte zum anderen durch die Autorität der jeweiligen Institutionen aber auch die rechtliche Lage ab, auf Band aufgezeichnete Befragungen mit Minderjährigen durchführen zu können. Die primäre Motivation lag jedoch darin, dass durch die Selektion einer bestimmten schulischen Einrichtung anhand der Kriterien schulisches Profil, Prestige und finanzielle Anforderungen (cuota mensual) von Anfang an Rückschlüsse auf den sozioökonomischen Hintergrund der dort unterrichteten Schüler gezogen werden konnten. So war es möglich, mit der Entscheidung für eine bestimmte Schule ein relativ homogenes Informantenprofil zu erstellen, das im gruppenexternen Vergleich wiederum heterogene Züge aufweist. Darüber hinaus wurden die in 3.3.1 vorgestellten Erhebungsorte im Falle der Schülerinnen und Schüler durch eine weitere, staatliche und nicht kostenpflichtige Bildungseinrichtung in Villa del Parque ergänzt. Dieses Vorgehen verfolgte die Intention, innerhalb eines definierten Areals beispielhaft Schultypen einander gegenüberzustellen, die sich sowohl hinsichtlich der finanziellen Anforderungen an die Schülerschaft als auch in Bezug auf Bildungsangebot, Profil und Leitbild der Institution voneinander abgrenzen lassen. Die Unterscheidung ist also von umfassender Natur und zielt nicht nur auf erwartbare Differenzen hinsichtlich des Berufsstandes der Eltern, sondern auf einen allgemein divergent gestalteten Gruppenbackground.124 Während der ersten Haupterhebungsphase wurden an acht Schulen insgesamt 76 Schülerinnen und Schüler befragt. Wie in Kapitel 4.3 ausgeführt werden wird, machten es die Ergebnisse dieser Gruppe aber notwendig, eine zweite Explorationsphase anzuschließen, innerhalb derer 34 weitere Jugendliche in die Untersuchungen mit aufgenommen wurden. 3.3.2.2 Gruppen der 2. Generation: centros culturales Aufgrund ihrer ähnlichen Beschaffenheit wurde in den Stadtvierteln Barracas und Mataderos sowie in Balvanera und Villa Pueyrredón nach einem ähnlichen Muster
124 Aufgrund der geographischen Nähe im Westen der Stadt dient das in Villa Pueyrredón ausgewählte colegio PM. als unmittelbarer Vergleichspunkt für Schule JBJ. Zudem bestehen mehrere Parallelen in der Charakteristik der beiden Stadtteile: Ähnlich wie Villa Pueyrredón ist auch Villa del Parque durch seine Eigenschaft als barrio residencial geprägt und ist durch die Errichtung des Bahnhofs im Jahr 1907, der erheblich zum weiteren infrastrukturellen Ausbau und damit zur Entstehung des Quartiers beitrug, ebenfalls eines der jüngeren Stadtviertel (cf. Gobierno de la Ciudad de Buenos Aires 2009, 140). – Da mit der Heranziehung von Schule JBJ. lediglich eine Gegenüberstellung innerhalb der Informantengruppe der Schüler intendiert wurde, wird Villa del Parque im Folgenden nicht als eigener Explorationsort aufgeführt, der alle in der Untersuchung berücksichtigten Generationen umfasst.
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verfahren. Anlaufstelle waren in den drei erstgenannten Vierteln jeweils die ortsfesten centros culturales barriales. Dabei handelt es sich um 1984 vom Ministerio de Cultura der Ciudad de Buenos Aires ins Leben gerufene Kulturräume, die unter dem Motto «cultura para todos» in den verschiedenen Distrikten der Stadt einer breiten Masse an Bewohnern den Zugang zu kulturellen Angeboten und Weiterbildungen ermöglichen sollen:125 El Programa Cultural en Barrios fue creado en 1984 con el objetivo de promover y fomentar de manera efectiva y gratuita, el acceso a bienes y servicios culturales de todos los habitantes de la Ciudad. Brinda un amplio abanico de actividades de iniciación, formación y producción artística y cultural en distintas disciplinas. Estas actividades se realizan de manera descentralizada en 36 centros culturales distribuidos en los barrios porteños. (http://www.buenosaires.gob.ar/areas/cultura/cen_culturales/prog_barrios.php)
Das Selbstverständnis der Zentren spiegelt nachdrücklich den in Kapitel 3.2 beschriebenen und durch die Geschichte der Stadt notwendig gewordenen Dezentralisierungsgedanken in Buenos Aires wider: hinaus aus dem unmittelbaren Stadtzentrum, zurück ins barrio. Obwohl die einzelnen Zentren der staatlichen Obhut unterliegen, ist jedes centro cultural individuell auf die jeweiligen Interessen und Nachfragen der jeweiligen barrios und deren Bewohner ausgerichtet, was von Viertel zu Viertel divergiert.126 Das centro cultural barrial ist damit ein für Buenos Aires äußerst typisches Milieu und ermöglicht den Zugang zu mikrosoziologischen Formen der Soziabilität. Die als talleres bezeichneten Kurse werden in allen Einrichtungen von Montag bis Freitag zwischen 18 und 21 Uhr abgehalten. Einige der Kursteilnehmer nehmen gemeinsam an mehreren Veranstaltungen teil, der Großteil hält aber lediglich über das Kulturzentrum gegenseitigen Kontakt; außerhalb dieses Raums gibt es meist keine Berührungspunkte. Die Kontaktdichte der Untersuchungspersonen ist hier also im Vergleich zu den Schulgruppen wesentlich geringer. Die Wahl gleichgearteter Milieus hat den Vorteil einer hohen Vergleichbarkeit der Untersuchungsräume. Dass Balvanera und Villa Pueyrredón im Gegensatz zu Barracas und Mataderos einer anderen hier etablierten urbanen Zone angehören, stellt dabei keinen Widerspruch dar, da sie derselben Trägerschaft unterstehen und ein ähnlich breit gefächertes Publikum ansprechen.
125 Nähere Infos zu den zum programa cultural en barrios in Buenos Aires finden sich unter: http://www.buenosaires.gob.ar/cultura/promocion/centrosbarriales. 126 Eine Informantin, die Koordinatorin des centro cultural in Mataderos, beschreibt im Interview, dass einige hier angebotene talleres in anderen Gegenden überhaupt keinen Zuspruch finden. Sie erwähnt auch, dass sich die Menschen dort wohlfühlen.
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In Abgrenzung zu den centros culturales barriales wurde im Untersuchungsraum Villa Pueyrredón Kontakt zu einem vom städtischen Kulturverband unabhängigen centro cultural hergestellt.127 Es handelt sich um ein von den Bewohnern dieses Stadtteils gegründetes Zentrum, das sich vor dem Hintergrund ihres von Diktaturen gebeutelten Landes in erster Linie für die Einhaltung der Menschenrechte einsetzt; im barrio selbst schlägt sich dieses Engagement beispielsweise im Erhalt von Arbeitsplätzen nieder, die mittels der Cooperativa de cartoneros geschaffen worden waren. Darüber hinaus werden wie in den centros culturales barriales der Stadtverwaltung diverse talleres, wie Gitarrenstunden, für die im Viertel ansässige Nachbarschaft angeboten. Sind die centros culturales barriales ein charakteristischer Ausschnitt städtischen Lebens in den oben ausgeführten Stadtvierteln, so trifft dies – vermutlich nicht zuletzt aufgrund der in Kapitel 3.2 ausgeführten Kriterien – für die Gebiete Belgrano und Recoleta nicht zu, die Stadt hat dort auf die Errichtung dieser Institutionen verzichtet. In Recoleta bzw. dem Barrio Norte konnten für die Aufnahmen neun Mitglieder eines der prestigeträchtigsten Clubs der Stadt (J.-Club) gewonnen werden. Die Gründung im Jahr 1882 war vor allem von den gesellschaftlich führenden Clubs Frankreichs und Englands inspiriert und so wurde der primär dem Pferdesport verpflichtete Club schon früh Zentrum sozialer Zusammenkünfte für die Elite der Stadt, führende Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft wie Carlos Pellegrini eingeschlossen. Zudem fungierte er als Raum gesellschaftlicher Segregation: «Los lugares de reunión social de la clase alta formaban parte del ritual de diferenciación con que ponía distancia frente a las clases subalternas» (Rapoport/Seoane 2007, 120s.). Es mag sein, dass sich die Grenzen aus heutiger Sicht etwas gelockert haben, der Exklusivitätsgedanke bleibt aber doch bis in die Gegenwart bewahrt, was sich ähnlich der im Viertel vorherrschenden Mietpreispolitik an den Mitgliedschaftsbedingungen des Clubs manifestiert. Natürlich stehen der J.-Club wie auch die anderen hier ausgewählten Gruppen nur für einen bestimmten Teil der Bevölkerung des Barrio Norte und darf nicht für die Bewohner des gesamten Stadtteils generalisiert werden; da seine Räumlichkeiten aber nach wie vor ein in der Tradition elitär geprägtes Publikum anziehen, kann durch ihn ein seit mehr als zwei Jahrhunderten fest verankertes Milieu von Buenos Aires sprachlich beleuchtet werden. Um den anderen gewählten Zusammenschlüssen eine distinktive Gruppe entgegenzusetzen, wurden in Caballito die verschiedenen Arbeitskräfte einer
127 In Villa Pueyrredón befindet sich kein von der Regierung getragenes centro cultural barrial im oben beschriebenen Sinne.
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Schule als Gemeinschaft beleuchtet. Anders als es in den centros culturales der Fall ist, ist die Struktur innerhalb einer beruflichen Institution von verschiedenen Rollen und Hierarchien bestimmt, die durch Gespräche mit Lehrern, preceptores128 und Führungskräften nachzuzeichnen versucht wurden. Im nordwestlichen Gebiet um den Stadtteil Belgrano fanden die Interviews innerhalb zwei verschiedener Gruppen statt: Um an die Charakteristik der in Barracas, Balvanera, Mataderos und Villa Pueyrredón gewählten Einrichtungen anzuschließen, wurden zum einen Mitglieder des centro cultural im unmittelbaren Nachbarviertel Núñez befragt; diese Gruppe wurde zum anderen um die Teilnehmer eines kleinen, privat organisierten Literaturzirkels erweitert, der sich einmal pro Woche versammelt und in erster Linie englischsprachige Werke diskutiert. Die Entscheidung für diese Zweiteilung hat zum einen organisatorische Gründe, zum anderen verfolgt sie das Ziel, dem in dieser Gegend hohen Anteil an universitär Gebildeten gerecht zu werden, was durch eine alleinige Fokussierung auf die centros culturales nicht ausreichend gewährleistet zu sein schien.129 Insgesamt wurden in dieser zweiten Gruppe, die Informanten zwischen 25 und 60 Jahren erfasst, sechzig Personen in die Untersuchung aufgenommen. 3.3.2.3 Gruppen der 3. Generation: centros de jubilados Mit Blick auf die älteste Informantengruppe wurden die von der Stadt Buenos Aires organisierten centros de día bzw. centros de jubilados gewählt, die sich ähnlich den centros culturales durch ihre lokale Gebundenheit auszeichnen und für ihre Mitglieder ein wichtiges Netz sozialer Zusammenkunft und gesellschaftlicher Interaktion bieten.130 Je nach Einrichtung ist das centro de día für viele Bewohner täglicher Treffpunkt und präsentiert dadurch ein hohes Maß an Frequenz und Dichte der dort herrschenden Kontakte. Wurde hinsichtlich der Schüler ihre allgemeinhin hohe Ortsgebundenheit hervorgehoben, so müssen in diesem Bereich in Bezug auf die Informanten der
128 Als preceptores wird in Argentinien eine überwiegend an privaten Schulen tätige Berufsgruppe bezeichnet, die sich um organisatorische Abläufe kümmert und mit der Kontrolle der Einhaltung schulinterner Regeln seitens der Schüler beauftragt ist. 129 Dass sich in Belgrano selbst kein der Stadtverwaltung unterliegendes centro cultural befindet, lässt darauf schließen, dass diese Einrichtung für die Bevölkerungsstruktur der Gegend als nicht ausreichend repräsentativ eingestuft werden kann. 130 Cf. zur Zielsetzung der centros de día http://www.buenosaires.gob.ar/redentodoestasvos/ tercera-edad/centros-de-dia: «El programa brinda una prestación a adultos mayores, ofreciendo propuestas de actividades en las áreas reflexiva, recreativa, cultural, corporal y de la esfera cognitiva».
3.3 Methodisches Vorgehen
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zweiten und dritten Generation Einschränkungen hingenommen werden. Viele Bewohner haben im Laufe ihrer Biographie aus privaten oder beruflichen Gründen ihren Wohnsitz innerhalb der Stadt mehrfach gewechselt. Noch deutlicher als in der zweiten zeigt sich dies in der dritten Generation, aus der diverse Informanten im Zuge der zunehmenden Verstädterung von Buenos Aires während des 20. Jahrhunderts auch aus dem interior in die Hauptstadt zogen (cf. Kapitel 3.2.1). Nun verfolgt die vorliegende Untersuchung das Ziel, mögliche innerstädtische und räumlich gebundene Differenzierungen in der Realisierung der Postalveolare aufzudecken. Der Blick auf die in Kapitel 3.2 ausführlich dargelegte demographische Zusammensetzung der einzelnen Stadtviertel zeigt aber, dass ein Vorgehen, das die Einwohner eines bestimmten Stadtteils bzw. die in einem Stadtteil vorherrschenden phonetischen Varianten möglichst authentisch widerspiegeln möchte, innerstädtische sowie externe Migrationsprozesse nicht außer Acht lassen darf. Butragueño wertet im Rahmen seiner Untersuchungen in Mexiko City die fehlende Berücksichtigung dieser städtischen Realität sogar als Fehler: Error que puede ser muy costoso si la realidad inmigrante no se incorpora con decisión, en términos tanto de la representatividad social de las muestras como del efectivo conocimiento sobre la variación y el cambio lingüístico que se deriva de considerar el contacto dialectal y el contacto lingüístico [. . .] no deberíamos concebir un estudio lingüístico ur(Butragueño 2007, 21) bano sin considerar las realidades inmigrantes.131
Diesen Gedanken berücksichtigend konnte in der Generation der 64- bis 94-Jährigen ein Sample von 37 Informantinnen und Informanten gewonnen werden. Zusammenfassend ergeben sich für die Hauptuntersuchungsphase drei Gruppen pro Untersuchungsraum, deren zahlenmäßige und geographische Distribution in Karte 3.9 erfasst wird.132 Zum Abschluss dieser Betrachtungen stellt sich noch die Frage der statistischen Relevanz der zu erhebenden Daten. Ein Kriterium ist dabei die Bestimmung der Grundgesamtheit, über die Aussagen getroffen werden sollen. Im vorliegenden Untersuchungsprojekt kann dies sicherlich nicht die Einwohnerzahl der Millionenstadt Buenos Aires sein, sondern es sind vielmehr die
131 Cf. dazu auch Postlep (2009), der im Zuge seiner Untersuchung zu Spracheinstellungen im Aragonensischen den Umstand, dass nicht alle Informanten von Beginn an im Untersuchungsraum gelebt haben, nicht als Ausschlusskriterium bewertet, sondern diesen vielmehr «im Sinne eines realistischen Querschnitts durch eine mobile Gesellschaft» als wünschenswert einstuft (cf. Postlep 2009, 99). 132 Die Darstellung bezieht sich auf die Hauptuntersuchungsphase und enthält noch nicht die in einer zweiten Phase hinzugefügten zusätzlichen 34 Jugendlichen (cf. dazu Kapitel 4.3).
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3 Methodische Einbettung
Karte 3.9: Anzahl der Informanten nach Ort und generationsspezifischer Gruppe.
einzelnen Schulen und Zentren, die repräsentativ für bestimmte Räume urbanen Lebens stehen. Wertet man die Befragungen dort jeweils als Stichprobe einer Grundgesamtheit, können die Ergebnisse im Sinne der induktiven Statistik Schlüsse auf stadtteilcharakteristische Gruppenformen erlauben, nicht aber in Bezug auf das gesamte Stadtviertel; es handelt sich bei der empirischen Erhebung daher ausdrücklich nicht um den Versuch einer «exakten» Beschreibung, der das Ziel verfolgt, eine flächendeckende Verwendung der Präpalatale nachzuzeichnen. Die Grundgesamtheit fällt in Abhängigkeit der Gruppe variabel aus und beläuft sich beispielsweise in der gewählten Schule in Barracas auf 750 Jugendliche, wobei der Fokus auf eine konkrete Altersgruppe diese auf 150 Personen reduziert. Die Stichprobe, bestehend aus zehn Personen, ermöglicht dann, bestimmte Häufigkeitsvorkommen hinsichtlich der Realisierung von ʒeísmo und ʃeísmo zu ermitteln.133
133 Cf. zu statistischen Analysen sprachwissenschaftlicher Daten Lemnitzer/Zinsmeister (2006); Schlobinski (1996, 87sss.).
3.3 Methodisches Vorgehen
111
3.3.3 Stilebenen und Strukturierung der Interviews 3.3.3.1 Freie Rede Die im Rahmen der Untersuchung durchgeführten Befragungen bestehen aus zwei übergreifenden Bereichen, die wiederum in mehrere Einzelteile untergliedert sind: Der Hauptteil ist ein von Leitfragen bzw. Leitthemen geführter Gesprächsteil, die zweite Phase umfasst eine Befragung auf der Basis einer Bildergeschichte sowie ein differenziertes Lektüresample.134 Über die Problematik zur Erhebung spontansprachlicher Daten ist bereits viel geschrieben und diskutiert worden. Vorrangig ist dabei, dass es dem Befrager gelingt, das Beobachterparadoxon – das Observer’s Paradox – mittels Gesprächsstrategien und der Schaffung von geeigneten Rahmenbedingungen zu überwinden135; über die Gesprächsführung hinaus spielt dabei der Befrager durch sein Auftreten und durch seine persönliche Nähe bzw. Distanz zur befragten Gruppe eine entscheidende Rolle. Um aussagekräftige Daten der Nähesprache erheben zu können, ist für Labov Folgendes unerlässlich: Now, within the interview, we must go beyond the interview situation, if we can. We must become witness to the every-day speech which the informant will use as soon as the door is closed behind us: the style in which he argues with his friends, scolds his children, or passes the time of day with his friends. (Labov 1966, 99)
So erstrebenswert der Gewinn solcher Daten ist, bleibt die Frage, ob freie Rede wirklich nur unter diesen Umständen erfasst werden kann, handelt es sich dabei doch um stark vom Gesprächspartner abhängige Sprechakte, die das Evozieren der «lenguaje cotidiano» in anderen Situationen nicht ausschließen.136 Mit dem
134 Die ursprüngliche Idee, nach einem festen Fragenkatalog mit vorformulierten Fragen zu verfahren, wurde nach einigen Testdurchläufen revidiert, da sie die Künstlichkeit der Gesprächssituation zusätzlich verschärfte und keine realitätsnahe Gesprächsatmosphäre entstehen ließ. Zudem ließen die Variabilität der Situationen, in denen die Sprecherdaten gewonnen wurden, sowie der relativ lange Untersuchungszeitraum einen nahezu einheitlichen Ablauf im Sinne eines stark strukturierten oder auch standardisierten Interviews wenig sinnvoll erscheinen. 135 Cf. dazu Labov (1972a, 61): «Our goal is to observe the way people use language when they are not being observed». Cf. Labov (1972a, Kapitel 3.3). 136 Plausibler zu erfüllen ist Labovs Definition der casual speech: «By casual speech [. . .] we mean the every-day speech used in informal situations, where no attention is directed to language» (Labov 1966, 100). Diese scheinbar klar abgesteckte Definition einer informellen Alltagssprache kann sich dennoch auf vielseitige Weise äußern, umfasst sie doch gleichzeitig eine Bandbreite täglicher Situationen, in denen ohne auf den sprachlichen Ausdruck zu achten kommuniziert wird. Dazu gehört die Kommunikation zu Hause, im Freizeitbereich mit Freunden oder im Berufsleben, in deren Verlauf Themen diskutiert und erläutert werden.
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3 Methodische Einbettung
Ziel, die Sprecher in einer für sie natürlichen und vertrauten Umgebung zu befragen, wurden die Interviews direkt in den Schulräumen, Seniorenzentren und überwiegend in den Räumlichkeiten der centros culturales durchgeführt.137 Dieses Verfahren gewährte darüber hinaus einen unmittelbarenEinblick in den gewählten Ausschnitt stadtviertelspezifischen Lebens, in dessen Mittelpunkt die jeweiligen Gruppen standen. Zusätzlich ergaben sich phasenweise Möglichkeiten zur sprachzentrierten teilnehmenden Beobachtung.138 Durch die äußere Wahrung des Ortes sollte auch die Einbindung in die jeweilige Gruppe sichtbar bleiben und das in diesem Kontext mögliche Selbstverständnis als Schüler oder Kursteilnehmer spürbar aufrechterhalten werden. Ob sich die Sprecher unter dem Konformitätsdruck ihrer Gruppe hinsichtlich ihrer phonetischen Realisierungen evtl. anders verhalten, wie von Milroy festgestellt, lässt sich unter diesen Umständen aber nicht nachweisen.139 Vielmehr wird ein möglicherweise gruppengebundener Bereich der casual speech erfasst, der sich in diesem Umfeld im Vergleich zu anderen Gesprächssituationen divergent gestalten kann. Die von Labov geforderte Erhebung alltäglicher Sprache bzw. des discurso casual ist also keine statische, sondern eine stark von ihrer Umgebung abhängige Größe. Dass der freie Gesprächsteil den Hauptpart des Interviews einnehmen sollte, gründete u.a. auf der im Vorfeld angestellten Beobachtung, dass selbst Sprecher, die ein konstantes Profil in ihrer Verwendung des stimmlosen [ʃ] aufweisen, vereinzelt doch auf das stimmhafte Allophon [ʒ] zurückgreifen.140 Ziel war folglich, ein möglichst umfassendes Korpus an Gesprächsmaterial zu erheben, um anhand
137 Cf. dazu auch Tójar Hurtado (2006, 249): «La entrevista no puede ser tampoco un interrogatorio. El ambiente ha de ser distendido, aparentemente informal, cómodo para el entrevistado, de confianza». Cf. auch Girtler (1984, 151). – Der Nachteil dieser Vorgehensweise liegt in der zum Teil relativ starken Hintergrundsgeräuschkulisse, die den Musik- und Theaterproben, dem Verkehr und dem schulischen Alltag im Allgemeinen geschuldet waren und sich trotz der Durchführung der Interviews in separaten Räumlichkeiten nur bedingt ausschalten ließen. Aus zeitlichen und organisatorischen Gründen und um den Ablauf der talleres nicht zu stark zu unterbrechen, konnten im Fall der centros culturales einige Gespräche erst nach den Kursen aufgezeichnet werden und wurden daher in privaten oder öffentlichen Räumen abgehalten. 138 Cf. zur teilnehmenden Beobachtung Werlen (1996). Die Phase der teilnehmenden Beobachtung konnte beispielsweise aufgrund der schulinternen Abläufe nicht in allen Informantengruppen durchgeführt werden. Bei den Gruppen jedoch, bei denen die Sozialisierungsphase besonders schwierig war, wie beispielsweise im Falle der centros de jubilados, fand eine längere Kennenlernphase statt, während derer die Forscherin an verschiedenen gemeinsamen Aktivitäten der Zentren teilnahm. 139 Cf. Milroy (2003). Cf. auch Kapitel 3.1. 140 Diese Erkenntnis fußt auf den im Rahmen einer Pilotstudie ermittelten Ergebnissen sowie auf Erfahrungswerten der Forscherin als temporärem Mitglied der bonaerensischen Sprachgemeinschaft (cf. Link 2010).
3.3 Methodisches Vorgehen
113
dessen in einer qualitativen Analyse die möglichen Gründe dieser Variation zu erschließen. Wie in Kapitel 2.2 dargelegt, sind den Untersuchungen von Wolf/Jiménez zufolge die Varianten des yeísmo von stilistischen Ebenen weitgehend unabhängige Variablen, die erkannten Alternanzen wurden als wenig signifikant eingestuft. Eine gegenteilige Beobachtung äußert hingegen Fernández Trinidad, die einen Zusammenhang zwischen dem Anstieg des stimmhaften Frikativs [ʒ] und einem formalen Sprechstil nahelegt.141 Die Ergebnisse von Wolf/Jiménez sollen nicht unberücksichtigt bleiben, dennoch erscheint es wenig ratsam auf eine stilistische Differenzierung gänzlich zu verzichten. Vielmehr sollte man vor diesem Hintergrund reflektieren, ob die Abstufung nach dem Formalitätsgrad einer Situation, die in Labovscher Tradition über die Schaffung verschiedener Textebenen zu erreichen versucht wird (cf. Labov 1966), tatsächlich eine stilistische Stratifikation darstellt, die seitens des Sprechers eine Varianz auf phonetischer Ebene erwarten lässt. Labovs Konzeption unterschiedlicher Stilebenen ist wiederholt bemängelt und als zu eng befunden worden. Auer kritisiert dabei vor allem den Umstand, dass es sich bei einem freien Gespräch und bei der Lektüre von Texten oder Wortlisten um zwei völlig konträre Modalitäten handelt, die man infolgedessen nicht in ein und demselben Stilkontinuum analog gegenüberstellen könne.142 Neuere methodische Ansätze entfernen sich von dieser systemlinguistischen Methodologie und wenden sich einer pragmatisch handlungsorientierten Vorgehensweise zu, die alle an einer sprachlichen Handlung beteiligten Parameter zu berücksichtigen sucht.143 Dieser pragmatische Aspekt wird auch in Dittmars StilKonzept fokussiert: Grundlegend für meine Differenzierung zwischen Register und Stil ist der Unterschied zwischen der Nutzung sprachlicher Mittel für zweckbestimmte Handlungen im Rahmen spezifischer Diskurstypen (oder diskursiver Gattungen) und der Variation in der expressiven Gestaltung einzelner Handlungsschritte oder –muster. In diesem Sinne ist für mich Stil eine vom Handlungstyp (im soziologischen Sinne Register) abhängige Variable; ich spreche daher von ‹Registerstil›. (Dittmar 1997, 223)
Stile konstituieren sich – um Dittmars Ausführungen weiter zu folgen – auf pragmatischer Ebene und entwickeln sich aus einem konkreten Handlungsziel bzw. -zweck heraus. Dieser gestaltet sich dann unter den spezifischen Gebrauchspräferenzen des Sprechers in Abhängigkeit verschiedener
141 Cf. auch Fernández Trinidad (2010, 289). Cf. des Weiteren Rohena-Madrazo, der eine erhöhte Präsenz des stimmhaften Postalveolars bei der Lektüre der vorgegebenen Sätze im Vergleich zu den Wortlisten feststellt (cf. Rohena-Madrazo 2013, 56). 142 Cf. Auer (1990, 192). 143 Cf. Dittmar (1997, 222).
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3 Methodische Einbettung
kontextueller Vorgaben wie Thema, Situation, Register oder auch dem Hörer bzw. Interaktionspartner.144 Dem Sprecher steht dabei je nach Kommunikationsabsicht ein stilistisches Repertoire zur Verfügung, auf das er situationsbedingt zugreifen kann (Pütz 2004, 227). Durch das Evozieren verschiedener kommunikativer Aufgaben können einzelne Ausschnitte dieses Repertoires des Sprechers aktiviert werden, was wiederum Rückschlüsse dahingehend erlaubt, ob das Auftreten der einzelnen Allophone an bestimmte kommunikative Handlungen geknüpft ist. Die kommunikative Situation ist durch das kongruente Zusammenwirken der Parameter Diskursstil, diskursives Sprachgebrauchsfeld und Diskursmodus definiert. Der Diskursstil zeichnet sich wesentlich durch das Beziehungsmuster, das zwischen Befrager und Befragtem besteht, aus: Je nach Situation und Vertrautheitsgrad wirken hier bekannte Rollenbeziehungen, auf die zurückgegriffen wird und die dann zur Ausprägung eines situationsgerechten Stils führen.145 Entscheidend für die Gestaltung des Diskursmodus ist, welche Funktion die Sprache in der konkreten Sprechsituation erfüllen soll: wird etwas instruiert, erzählt, beschrieben, kritisiert etc.146 Um zu beurteilen, ob die Varianz zwischen stimmhaftem Präpalatal [ʒ] und stimmlosem [ʃ] von stilistischen Merkmalen abhängt oder ob, wie in den Vorarbeiten vermutet, dies eben nicht der Fall ist, wurde in der Aufbereitung der stilistischen Dimension nicht primär zwischen formaler und informaler Ebene unterschieden; vielmehr sollten die Informanten in Ergänzung der Labovschen Vorgehensweise durch konkrete Stimuli zu unterschiedlichen kommunikativen Handlungen in divergierenden Situationen hin gelenkt werden. Der Einsatz von Wortlisten hat hier daher nicht das Ziel, einen möglichst hohen Formalitätsgrad zu erwirken, sondern den Fokus auf den Akt des lauten Vorlesens zu legen, der ein erhöhtes Maß an inhaltlicher und artikulatorischer Konzentration erfordert.
144 Cf. Dittmar (1997, 226s., 224s.). Cf. zum Register-Begriff auch Dittmar (2004). Thun verweist in seinen methodischen Überlegungen zum Atlas Lingüístico-Etnográfico del Uruguay auf die immense Bandbreite diaphasischer Variationsmöglichkeiten, die aufgrund ihrer Komplexität bisher noch in keiner zusammenfassenden Typologie erfasst sind (cf. Thun 1986, 279). Auch vor diesem Hintergrund wäre die Ablehnung jeglicher diaphasischen Variation höchst kritisch zu bewerten. 145 Cf. Dittmar (1997, 208s.). Die Rolle des Befragten in einem Forschungsinterview dürfte den meisten Gesprächspartnern eher unbekannt sein. Um sich in dieser unbekannten Situation dennoch «normgerecht» zu verhalten, wird zumindest zu Beginn auf andere bekannte Rollenmuster zurückgegriffen, die zu dieser Lage analog sein könnten (Bsp. Arzt-PatientenBefragung; Behördengespräch). 146 Cf. Dittmar (1997, 209). Dittmar stützt sich in seinen Ausführungen in großen Teilen auf die Konzeption Hallidays (cf. Halliday 1978).
3.3 Methodisches Vorgehen
115
Mit dem Ziel eine Varianz in den kommunikativen Handlungsabläufen zu erwirken bzw. zu unterstützen, wurde eine Modifizierung der Parameter Gesprächsthema, Sprechfunktion und Rollenmuster angestrebt; die Größen Durchführungsort sowie die der Kommunikation zugrunde liegende äußere Situation an sich sind im Gegensatz dazu statisch und nicht veränderbar. Die Gespräche begannen zunächst mit der Erfassung biographischer Angaben, dann folgten Ausführungen zu Beruf und Freizeitverhalten und schließlich eine Diskussion oder persönliche Stellungnahme zu aktuellen gesellschaftlichen oder politischen Themen, wobei Letztere oftmals mit Kritik, Empörung und Affektivität einherging; um diese Gefühlsregungen herbeizuführen, wurden die Themen in Abhängigkeit vom Gesprächsverlauf über offene Meinungsfragen oder Suggestivfragen an die Informanten herangetragen.147 Der Rückgriff auf biographische Lebensbereiche begünstigt den kommunikativen Akt des Erzählens und Berichtens. Offene Fragen zur beruflichen Tätigkeit können hingegen eine Situation des Erklärens evozieren, in der sich der Befrager ehrlich oder scheinbar in die Rolle des Unwissenden begeben und dem Informanten damit die Chance zu einem Perspektivenwechsel mit einhergehendem Kompetenzgewinn eröffnen kann. An den Gesprächsteil schloss sich eine aus 15 Graphiken bestehende Bildergeschichte des argentinischen Cartoon-Zeichners Joaquín Salvador Lavado an (cf. Anhang III), besser bekannt als Quino, die die Sprecher Sequenz für Sequenz beschreiben sollten.148 Die Leistung von Bildergeschichten mit der Absicht, freie Rede zu provozieren, konnte beispielsweise Lembeck nachweisen, die durch den Einsatz textloser Bildimpulse während ihrer Untersuchung in Lothringen eine deutliche Reduktion des Beobachtereffekts erwirkte.149 Im Gegensatz zu Lembeck wird die Bildergeschichte in der hier durchgeführten Studie aber primär als Stimulus zur kommunikativen Aufgabe der Beschreibung anstelle des Erzählens genutzt, das aufgrund biographischer Bezüge vor allem während des ersten Gesprächsteils Anwendung findet. Ein klarer Vorteil dieser Methode liegt in dem Umstand, dass, obwohl die textlose Bildabfolge den Sprecher zur freien Verbalisierung auffordert, sie dem Befrager erlaubt, über die in den Bildern enthaltenen Reize die Untersuchungsperson in eine entsprechende Richtung zu lenken. Anders als dies im vorangehenden Gesprächsteil möglich ist, kann aufgrund der Bildimpulse daher sichergestellt werden, dass der freie
147 Cf. zu verschiedenen Formen der Fragestellung Holm (1976); Hippler (1996, 729). Cf. zur Erhebung von Sozialdaten Reitmajer (1982). 148 Die Präsentation von Bildergeschichten ist ein ausgewähltes Mittel um freie Rede zu evozieren und findet traditionell seit der Bernstein-Soziolinguistik und bis heute Anwendung (cf. Schlieben-Lange 1991, 118). 149 Cf. Lembeck (2012).
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3 Methodische Einbettung
Redeteil Realisierungen der zur Untersuchung stehenden Allophone in Wörtern wie martillo, tornillo oder llave enthalten wird. 3.3.3.2 Lesetexte Passend zum 70. Todesjahr des argentinischen Schriftstellers Roberto Arlt wurde für den Lektüreteil ein Auszug aus seiner Kurzgeschichte Odio desde la otra vida gewählt, in dem die zur Untersuchung stehenden Variablen sowohl quantitativ verdichtet als auch in unterschiedlichen Wortpositionen vorliegen (cf. Anhang II.II).150 Zwei vierzeilige Zungenbrecher, die und zum einen als eine Abfolge von Alliterationen, zum anderen in intervokalischer Position präsentieren, ergänzten den Lektüreteil (cf. Anhang II.III). Zungenbrecher stellen die Sprecher aus artikulatorischer Sicht vor besondere Herausforderungen, da ihre besondere Wortabfolge gewohnte Artikulationsmuster und Sprechrhythmen störend unterbricht.151 Der Sprecher muss daher, um Versprechern vorzubeugen und die Laute wirklich differenziert zu bilden, einen erhöhten Konzentrationsgrad während des Lesens aufbringen, und es erfolgt eine aktive explizite Auseinandersetzung mit der Lektüre; die Häufung der Grapheme und stellt dabei auf graphematischer Ebene einen zusätzlichen visuellen Stimulus dar.152 Anfang und Abschluss des Lektüreteils bildete jeweils das laute Vorlesen einer Wortliste, da sie die höchste Stufe der Konzentration erfordert. Die Zusammensetzung von Wortliste 1 und Wortliste 2 folgt dabei genauen Kriterien. Liste 1 ist eine Zusammenstellung von Wörtern, die die Grapheme und enthalten, sowie von beliebig gewählten Füllwörtern ohne die fraglichen Variablen (cf. Anhang II.I). Die besondere Leistung dieser Komposition liegt in dem auch von Amanda Boomershine in ihrer Untersuchung zur Perzeption dialektaler Variation im Spanischen hervorgehobenen Zweck: «This group of filler words, like all fillers, was used to distract the participants from the task at hand» (Boomershine 2006, 63); die Methode ist aus Informantensicht also weniger transparent und daher auch zu Beginn des Lektüreteils angesiedelt. Liste 2 besteht ausschließlich aus Wörtern mit den relevanten Phonemen (cf. Anhang II.IV). Der mit und erfasste Laut /ʒ/ tritt dabei in wortinitialer sowie in
150 Arlt ist aus literarischer Sicht für seinen informellen Sprachstil bekannt. Die Grundelemente der nachfolgenden Methoden orientieren sich bis auf den Einsatz der Zungenbrecher an dem von Labov 1966 entwickelten Methodenkatalog (cf. Labov 1966). 151 Cf. Grimm/Engelkamp (1981, 138). 152 Die Zungenbrecher decken spätestens an dieser Stelle natürlich auch deutlich das Ziel der Befragung auf und werden daher erst kurz vor Ende der Befragung vorgelegt.
3.3 Methodisches Vorgehen
117
intervokalischer Position auf. Diverse Lexeme finden im täglichen Sprachgebrauch Verwendung (Bsp. lluvia, llave), andere sind im Gegensatz dazu einem bestimmten fachsprachlichen Bereich vorbehalten (Bsp. ahorquillada, eritrocitopoyesis). Dass die Semantik dieser Wörter nicht allen Sprechern geläufig sein dürfte, ist dabei durchaus Absicht und dient zur Klärung der Frage, in welcher Form (in Bezug auf die verschiedenen Realisierungen von /ʒ/) eine Verbindung zwischen graphematischer und lautlicher Information besteht, wenn ein Teil des lexikalischen Wissens, nämlich die Kenntnis von der Bedeutung eines Wortes, nicht abrufbar ist.153 Die Lexeme sind somit gewissermaßen auch visueller Input, durch den indirekt Rückschlüsse auf das sprachliche Wissen der Informanten sowie auf Prozeduren der jeweiligen Variantenverwendung ermöglicht werden. Ähnlich verhält es sich mit dem aus dem Quechua entlehnten Wort lliclla.154 Für das Spanische weist es eine unnatürliche Konsonantenfolge und Silbenstruktur auf und dürfte die Gewährsleute daher zu einer kurzen Reflexion über die genaue Aussprache des ihnen vermutlich unbekannten Begriffs anleiten.155 Analog dazu befinden sich darüber hinaus einige aus dem Englischen entlehnte Lexeme (Bsp. yachting, shopping) auf der Liste; Hintergrundgedanke war dabei u.a., eine mögliche Verwendung des Allophons [ʃ] seitens der ʒeístas aufzudecken.156 Einzelne Wörter wie cigarrillo und orgulloso tauchen hier, wie schon in der Bildergeschichte und dem literarischen Text von Arlt, wiederholt auf. Den Abschluss von Wortliste 2 bilden 5 Minimalpaare, deren Einsatz mit den Worten Labovs folgendermaßen gerechtfertigt werden kann: «The simplest form of controlled inquiry into speech perception is a list of pairs: the speaker is asked to repeat each one, and then say whether they are the same or different» (Labov 1984, 43). Da die hier gewählten Wortpaare (cf. haya – halla) sowohl in ihrer phonologischen Form als auch in ihrer phonetischen Realisierung im bonaerensischen Spanisch homophon sind, handelt es sich in dieser Sprachgemeinschaft nicht um Minimalpaare im eigentlichen Sinn, deren semantische Unterscheidung ja aus der lautlichen Distinktion von und resultiert.
153 Cf. zum lexikalischen Wissen Dietrich (2007, 10). Ähnliche Fragestellungen werden auch in der Psycholinguistik verfolgt, die einen besonderen Schwerpunkt auf die kognitiven Prozesse und Verarbeitungssysteme menschlicher Sprachfähigkeit legt (cf. Dietrich 2007, 9ss.). 154 Cf. lliklla aus dem Quechua. Im Wörterbuch der Real Academia Española findet sich folgende Definition: «Manteleta indígena, vistosa, de color distinto al de la falda, con que las mujeres se cubren los hombros y la espalda». 155 Unbekannte Wörter oder auch Nichtwörter fanden immer wieder Anwendung in der Varietätenlinguistik (cf. auch Boomershine 2006, 63). 156 Interessante Erkenntnisse dazu finden sich in Fontanella de Weinberg (1979).
4 Auswertung Die Anzahl der für die Auswertung zur Verfügung stehenden Daten beläuft sich auf 191 Aufnahmen, die in ihrer Gesamtheit ca. 4476 Redeminuten umfassen. Um die phonologische Korrektheit der ausgewerteten Daten zu gewährleisten, wurde jedes Gespräch in drei bis vier Durchgängen analysiert, wobei der Großteil der Laute mittels einer primär auditiv-perzeptiven Untersuchung erschlossen wurde. Zur Intrasubjektivierung dieses Auswertungsverfahrens wurde im Sinne der Übereintimmungsvalidität eine Vielzahl von Lauten darüber hinaus einer zunächst auditiven und in einem zweiten Schritt einer apparativen Analyse mit Hilfe der Programme Speech Analyzer und Praat unterzogen. Dies erlaubte zum einen die intensivere Auseinandersetzung auf akustischer Ebene und gab damit Aufschluss über die konkrete akustische Beschaffenheit der Laute; zum anderen konnten perzeptive Zweifel apparativ abgeglichen und ausgeräumt werden.1
4.1 Akustische Auswertung Laute, die wir auf der Grundlage kategorialer akustischer und artikulatorischer Merkmale als gleich oder ähnlich wahrnehmen, werden nur in den seltensten Fällen tatsächlich völlig gleich artikuliert. Auch innerhalb der Lautklasse der hier zur Analyse stehenden Präpalatale gibt es sowohl zwischen den verschiedenen Sprechern als auch sprecherintern individuelle artikulatorische Abstufungen, sodass wir es in gewisser Weise (s.u.) mit einem Kontinuum unterschiedlicher Lautrealisierungen zu tun haben. Im Folgenden sollen die Pole dieses Kontinuums akustisch und artikulatorisch definiert und voneinander abgegrenzt werden, da sie die Grundlage für die anschließende diasystematische Auswertung der erhobenen
1 Die präzise akustische Analyse der einzelnen Allophone wäre im Sinne einer möglichst hohen Objektivität der Ergebnisse sicherlich erstrebenswert. Da sich die Mehrheit der phonologischen Realisierungen allerdings ganz klar nach Gehör einordnen lassen, ist ein solches Vorgehen jedoch nur begrenzt notwendig. Nicht zu vergessen ist auch, dass die für diese Arbeit erhobenen Interviews aufgrund der zuvor erläuterten methodischen Überlegungen in Schulen, Clubs und sozialen Zentren durchgeführt wurden, die natürlich nicht die gleichen Bedingungen wie ein Tonstudio bieten. Die oftmals, wenn meist auch nur schwach vorhandene Geräuschkulisse im Hintergrund, wie Straßenverkehr, Klimaanlagen oder in Nebenzimmern abgehaltene Aktivitäten, ließ eine am Computer durchgeführte apparative Auswertung nicht in allen Fällen zu. Nicht klar auswertbare Lautrealisierungen bleiben daher von den Ergebnissen ausgeschlossen. https://doi.org/10.1515/9783110637663-004
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4 Auswertung
Sprachdaten darstellen. Davon ausgehend werden die Sprecher in verschiedene Realisierungsgruppen eingeordnet. Weniger klar fassbar sind die zwischen diesen Polen liegenden lautlichen Zwischenzonen, dennoch sollen sie an dieser Stelle beispielhaft aufgezeigt werden. Die Opposition von Stimmhaftigkeit und Stimmlosigkeit, die grundlegendes Unterscheidungskriterium der Frikative [ʒ] und [ʃ] ist, definiert Quilis folgendermaßen: El rasgo de sonoridad se caracteriza acústicamente por la superposición de una fuente armónica sonora que se refleja en el espectograma como un formante de muy baja frecuencia, situado, lógicamente, en su parte inferior. El rasgo de sordez se manifiesta por la ausencia de ese formante. Articulatoriamente la diferencia entre estos rasgos se debe a la vibración o no vibración de las cuerdas vocales, vibración que origina el formante inferior de sonoridad, o barra de sonoridad. (Quilis 1981, 122)
Bei der Produktion stimmhafter Laute sind die Stimmlippen durch den subglottalen Druck in periodische Schwingungen versetzt und vollziehen rasche Schließ- und Öffnungsbewegungen. Der durch das Vibrieren der Stimmlippen entstehende Ton bzw. Rohschall wird bei der Artikulation des stimmhaften Frikativs [ʒ] in der Form moduliert, dass im Ansatzrohr eine Enge zwischen Zahndamm und Zungenblatt gebildet wird, wodurch eine Behinderung des entweichenden Luftstroms entsteht und ein aperiodisches Friktionsgeräusch erzeugt wird.2 Akustisch wird dieser Prozess, wie von Quilis erläutert, in Abbildung 4.1 nachvollziehbar. Die Stimmbeteiligung bei der Produktion von [ʒ] manifestiert sich im Spektrogramm insbesondere an der grauen, horizontalen voice bar im unteren Frequenzbereich, die die 500-Hz Grenze meist nicht überschreitet und im Grundfrequenzbereich des Sprechers liegt. Hinsichtlich der Grundschallform besteht bei stimmhaften Frikativen allgemein ein Zusammenwirken von Klang und Friktionsrauschen, welches im Spektrogramm an der Schwärzung in den hohen Frequenzbereichen festgemacht werden kann. Stimmhafte Frikative weisen daher sogenannte Mischspektren auf, da die harmonischen Teilschwingungen eines Klangs und aperiodische Schwingungen eines Geräuschs zusammenfallen.3 In Opposition zu [ʒ] steht der stimmlose Frikativ [ʃ]. Artikulatorisch entsteht die Produktion des Lauts ebenfalls über einen subglottalen Druck, im Unterschied zur Produktion von [ʒ] ist bei der Artikulation des stimmlosen Konsonants
2 Cf. Gabriel/Meisenburg/Selig (2013, 22–27). 3 Quellen für die akustische Analyse: u.a. Martínez Celdrán (2007), Mayer (2010), Real Academia Española (2011).
4.1 Akustische Auswertung
121
Abbildung 4.1: Oszillo- und Spektrogramm von [siɣa’riʒo]4
[ʃ] die Glottis aber halb geöffnet und die Adduktion der Stimmlippen bleibt aus, sodass keine Phonation entsteht.5 Die Artikulationsenge am Zahndamm führt beim Durchtritt des hohen Luftstroms abermals zur Ausbildung nichtharmonischer Teilschwingungen und damit zu einem starken Reibungsgeräusch. Für Martínez Celdrán ist dieses unregelmäßige und unharmonische Moment zentrales Charakteristikum in der akustischen Definition frikativer Laute: Las consonantes fricativas se caracterizan por tener ruido turbulento; es decir, inarmónicos. Obsérvese en los espectogramas la armonicidad de las vocales vecinas, que se
4 Das Oszillogramm (oben) und Spektrogramm (unten) wurden mit dem Programm Praat erstellt (Praat: professionelles phonetisches Analyseprogramm: www.praat.org). Die gewählten Beispiele entstammen meinem empirischen Material. Das Wort cigarrillo wird dabei im Zusammenhang einer längeren Wortliste laut vorgelesen (cf. Kapitel 3.3). Für eine detaillierte und ergänzende akustische Analyse der Präpalatale in Buenos Aires cf. auch Chang (2008), Rohena-Madrazo (2013) und Fernández Trinidad (2010). Letztere führte ihre Befragungen unter Studiobedingungen im Laboratorio de Fonética del centro de Estudios Humanos y Sociales del Consejo Superior de Investigaciones Científicas in Madrid durch und liefert über das hier Dargestellte hinaus präzise Werte zu Intensität und Lautdauer. 5 Pompino-Marschall verweist auf die in der Phonetik oftmals vorgenommene Unterscheidung in Fortis- und Lenisartikulation bei der Opposition stimmhafter und stimmloser Konsonanten. Dass diese jeweils mit einem artikulatorisch erhöhten bzw. niedrigeren intraoralen Druck in Verbindung gebracht wird, ist Pompino-Marschall zufolge jedoch eine rein deskriptive Kategorie und phonetisch ungelöst (cf. Pompino-Marschall 2009, 191).
122
4 Auswertung
manifiesta a través de las estrías de los pulsos vocales perfectamente regulares, frente a la amalgama aleatorea que es la inarmonicidad del ruido. Esto es lo que las caracteriza frente a los demás sonidos. (Martínez Celdrán 1998, 69)
In der nachfolgen Darstellung wird der von Martínez Celdrán genannte Kontrast zwischen stimmlosem Frikativ und stimmhafter, intervokalischer Umgebung deutlich: Die Schließbewegungen der Stimmlippen, die sich bei der Artikulation stimmhafter Laute im raschen, kontinuierlichen Wechsel zum Öffnen der Stimmlippen vollziehen, sind im Spektrogramm in Form regelmäßiger vertikaler Striationen erkennbar; an der Stelle des stimmlosen [ʃ] bleiben diese allerdings aus, entsprechend der fehlenden Stimmbeteiligung ist auch keine voice bar abgebildet:6
Abbildung 4.2: Oszillo- und Spektrogramm von [siɣa’riʃo].
Dass bei der Artikulation des stimmlosen Frikativs ein erhöhter Energieaufwand betrieben wird, wird anhand der starken Energiebündelung in den höheren Frequenzbereichen ab etwa 2000 Hz deutlich. Quilis begründet dieses Energiegefälle zwischen stimmhaften und stimmlosen Lauten damit, dass bei der Produktion sonorer Laute die artikulatorische Energie auf zwei Widerstandsorte, die Stimmlippen und den Mundraum, verteilt werde. Der subglottale Druck sei hingegen in beiden Fällen konstant:
6 Cf. Gabriel/Meisenburg/Selig (2013, 22, 36); Pompino-Marschall (2009, 130).
4.1 Akustische Auswertung
123
La diferencia entre las consonantes sordas y sonoras no reside sólo en el comportamiento de las cuerdas vocales, sino [. . .] en la fuerza o la energía con la que articulan los labios o la lengua. La cantidad de energía articulatoria es, en condiciones normales, sensiblemente la misma para todos los sonidos articulados; cuando articulamos una consonante sonora, una parte de esta energía va a parar a la laringe para hacer vibrar las cuerdas vocales y la otra se utiliza para la articulación bucal; si se pronuncia una consonante sorda, toda la energía se concentra en los órganos supraglóticos; por ello, la articulación bucal de las consonantes sordas es más enérgica, y la de las sonoras más débil. (Quilis 1993, 66, 67)
Die Ausführungen von Quilis sowie die im Oszillo- und Spektrogramm evident gewordenen akustischen Eigenschaften von stimmhaftem [ʒ] und stimmlosem [ʃ] sollen an dieser Stelle zu einer kurzen kritischen Auseinandersetzung mit der in der Fachliteratur oftmals genannten Terminologie so genannter «variantes semisonoras» genutzt werden. Wie in Kapitel 2.3 beschrieben, unterscheidet beispielsweise Donni di Mirande zwischen stimmhaften und stimmlosen Realisierungen sowie zwischen «variantes parcialmente ensordecidas», ohne letztgenannte phonetisch jedoch näher zu präzisieren.7 Aus artikulatorischer Sicht ist ein stimmhafter Laut zunächst aber klar durch die Schwingung der Stimmlippen definiert, bleibt diese aus, entsteht auch keine Phonation und das erzeugte Phon ist zweifelsfrei stimmlos. Die auditive Wahrnehmung kann von dieser auch akustisch messbaren Stimmbeteiligung allerdings abweichen, sodass man zumindest der perzeptiven Ebene eine Einteilung stimmhafter Laute in rein stimmhafte und gemischt stimm- bzw. rauschhafte Laute zugestehen könnte.8 Sollte die Kategorisierung in variantes sonoras vs. semisonoras in erster Linie auditiv begründet sein, scheint es plausibler, dass bei den zur Diskussion stehenden Allophonen vielmehr unterschiedliche Intensitätsgrade von Sonorität bzw. Stimmlosigkeit vorliegen. Denkbar ist auch, dass der Anteil der Stimmquantität bei der Artikulation eines phonetischen Segments divergiert bzw. nicht die Realisierung des gesamten Segments einschließt; es handelt sich aber weniger um das Vorhandensein bzw. Nichtvorhandensein von Stimmbeteiligung.9
7 Cf. Donni di Mirande (1992, 173s.). 8 Cf. Pétursson/Neppert (2002, 96). 9 Michel (2016) grenzt zum Beispiel anlautendes deutsches [b], bei dessen Artikulation die Stimmlippen erst kurz nach der Lösung des Glottisverschlusses zu schwingen beginnen, womit eine kurze Phase der Stimmlosigkeit einhergeht, vom stimmhaften italienischen [b] ab (cf. Michel 2016, 81). Allerdings wird anlautendes deutsches [b] mitunter auch mit vorgeschalteter Sonorität realisiert, vergleichbar mit einer Realisierung der Art [mbrot]. – Die unterschiedlich stark ausgeprägte Intensität des wahrnehmbaren Reibelauts kann zudem über den Öffnungsgrad des Verschlusses erklärt werden: Ist die Artikulation des Lauts durch eine
124
4 Auswertung
In diesem Sinne ließen sich bei der Auswertung der erhobenen phonologischen Realisierungen Unterschiede in der Dauer des stimmhaften Segments feststellen:
Abbildung 4.3: Oszillo- und Spektrogramm von [siɣa’riʒo].
In der in 4.3. dargestellten Realisierung umfasst die Dauer des stimmhaften Frikativs ca. 0,11 Sekunden, in Beispiel 4.1 fällt diese mit 0,081 Sekunden etwas kürzer aus. Zu den Realisierungsnuancen, die zwischen den hier definierten Polen ʒeísmo und ʃeísmo beobachtet wurden, zählt die sporadische Tendenz, /ʒ/ als stimmhaften alveolaren Frikativ [z] zu artikulieren.10 Anders als [ʃ] und [ʒ] wird dieser Laut alveolar gebildet, was im Vergleich zu den alveopalatalen Realisierungen eine leichte Verkürzung der Länge des zwischen Engenbildung und Lippen liegenden Teils des Ansatzrohres bedeutet. Mit Blick auf die akustischen Eigenschaften von [z] heißt dies, dass «je länger das der Schallquelle vorgelagerte Ansatzrohr, desto tiefer liegt die unterste Frequenz im Spektrum des entsprechenden Schallsignals – so eben am höchsten bei [s]» bzw. [z] (Pompino-Marschall 2009, 196):
besondere Engenbildung und einen starken Luftdruck gekennzeichnet, tritt der Geräuschcharakter stärker in den Vordergrund (cf. Sievers 1901, 75). 10 Auch Noll verweist in seinen Ausführungen zum ʃeísmo auf diese Variante und bringt sie mit «Jugendlichen aus besseren Kreisen» in Verbindung (Noll 2002, 184).
4.1 Akustische Auswertung
125
Abbildung 4.4: Oszillo- und Spektrogramm von [siɣa’rizo].
Martínez Celdrán sieht die Hauptunterschiede postalveolarer und alveolar laminaler Frikative in erster Linie in den Faktoren Intensität und Frequenz.11 Die Abgrenzung zwischen alveolarer und postalveolarer Artikulation ist in dem vorliegenden Korpus allerdings nur in Ansätzen greifbar, weshalb die Lautrealisierungen in der nachfolgenden diasystematischen Auswertung den stimmhaften Frikativen zugeordnet werden. Insbesondere in wortinitialer Position wurde /ʒ/ wiederholt auch als stimmhafte oder stimmlose Affrikate realisiert. Bei der Produktion der Affrikaten [dʒ] und [tʃ] stehen die Phasen der Artikulation von Plosiv und Frikativ in enger Koordination und folgen zeitlich unmittelbar aufeinander: Mit dem Zungenkranz wird am Zahndamm zunächst ein kurzer Verschluss gebildet, der an derselben Artikulationsstelle unmittelbar in eine Engenbildung übergeht. Passiert der ausströmende Luftstrom diesen Engpass, entsteht das Friktionsrauschen. Im nachfolgenden Spektrogramm der stimmlos affrikatischen Realisierung von yo lässt sich auch erkennen, dass vor Einsetzen des Reibegeräuschs von [ʃ] der Verschlussphase des stimmlosen Plosivs [t] ein kurzer Explosionsschall folgt, der sich aus der Sprengung des oralen Verschlusses ergibt:
11 Cf. Martínez Celdrán (2007, 118): «Las diferencias son de intensidad y sobre todo de frecuencia tanto en el inicio del ruido como en el pico de mayor intensidad». Cf. auch Clark/Yallop (1995, 286s.).
126
4 Auswertung
Abbildung 4.5: Oszillo- und Spektrogramm von [tʃo te’nia] (Ausschnitt der Sequenz yo tenía mucha curiosidad).
Wie schnell diese Verschlussphase zum folgenden Vokal hin aufgelöst wird, hängt von der Kontaktfläche der am Verschluss bzw. Engpass beteiligten Sprechwerkzeuge ab.12 Für die in Buenos Aires verwendeten Affrikata können an dieser Stelle folgende Überlegungen um deren Typisierung als biphonematische oder monophonematische Erscheinungsform angestellt werden: Da der Frikativ [ʃ] im normativen peninsularen Spanisch keinen Phonemstatus besitzt, wird die Realisierung [tʃ] in Wörtern wie mucho gemeinhin nicht als Lautfolge zweier Einzelphoneme, sondern als monophonematische Artikulation gewertet. In diesem Sinne sprechen beispielsweise Gabriel, Meisenburg und Selig in Bezug auf /t͡ʃ/ von «nur eine[r] Affrikate, die zu den Phonemen gezählt wird» und auch Quilis führt in seiner Übersicht vokalischer und konsonantischer spanischer Phoneme /t͡ʃ/ mit dem Stellenwert eines Einzelphonems auf.13 Im Spanischen von Buenos Aires hat /ʒ/ aber den Status eines Einzellauts,
12 Cf. Martínez-Celdrán (2007, 47): «Cuanto mayor superficie de contacto mantenga el órgano activo con el órgano pasivo, mayor será la duración de la relajación [. . .] Si el sonido no es aspirado, entonces la explosión es muy breve y no hay prácticamente separación entre la explosión y el comienzo de la vocal». 13 Gabriel/Meisenburg/Selig (2013, 66). Cf. Quilis (1993, 43). Cf. auch Berschin/Fernández-Sevilla/Felixberger, die aufgrund der dental-alveolaren Artikulation beider Laute ebenfalls für eine monophonematische Wertung plädieren, da der gemeinsame palatale Artikulationsort nicht als das Ergebnis eines Assimilationsvorgangs begründbar sei (2012, 137). Cf. auch Blaser (2011, 48).
4.1 Akustische Auswertung
127
sodass die Lautfolge [dʒ] im Prinzip als biphonematische Verbindung ausgelegt werden könnte. Da [ʒ] und affrikatisch ausgesprochenes [dʒ] (cf. yo [dʒo]) jedoch in keiner Position eine distinktive Opposition bilden, sollen im vorliegenden Kontext die affrikatischen Lautrealisierungen zwar als bisegmentale aber dennoch monophonematische Varianten von /ʒ/ interpretiert werden; das Gleiche gilt für die stimmlos affrizierten Frikative [tʃ], die ebenso wenig mit den anderen Allophonen kontrastieren. Prinzipiell stehen die Allophone in fakultativer Variation zueinander, allerdings können die Affrikata in Abhängigkeit davon, ob die jeweilige Realisierung im Phrasen-, Wort- oder wortinternen Silbenanlaut stattfindet, kontextbedingt mehr oder weniger begünstigt sein.14 Auch bei der mehrfach registrierten lateralen Realisierung des Graphems scheint es sich bei den erhobenen Sprachdaten vielmehr um eine bisegmentale als um die monosegmentale Artikulation [ʎ] zu handeln. Die intervokalische Position des Segments [lj] ist im Spektogramm in erster Linie anhand des niedriger liegenden Frequenzbereichs von F1 nachzuvollziehen, der die Konsonantenfolge von den benachbarten Vokalen [i] und [o] abgrenzt. Während der Wert von F1 beim Übergang des Approximanten zu [o] also ansteigt, sinkt der Wert von F2, da dieser bei Vokalen mit der horizontalen Zungenposition korreliert und [o] als hinterer Vokal weniger weit vorn gebildet wird als [j]:15
Abbildung 4.6: Oszillo- und Spektrogramm von [siɣa’riljo].
14 Cf. dazu Gabriel/Meisenburg/Selig (2013, 95, 140). Cf. auch Kapitel 4.6. 15 Cf. Gabriel/Meisenburg/Selig (2013, 36s.).
128
4 Auswertung
4.2 Vorüberlegungen zur Pluralität der Varietätendimensionen Es hat sich in der soziolinguistischen Erhebung und der funktionellen Analyse und Auswertung von sprachlicher Variation etabliert, das traditionelle Modell der Diasystematik von Coseriu zugrunde zu legen. Demnach gibt es innerhalb einer historischen Sprache drei zu unterscheidende Einheiten, die in einer Art Kontinuum ineinandergreifen. Coseriu erweitert dabei die von Leiv Flydal (1951) eingeführte Terminologie der Diatopie und Diastratie, die die räumlich und sozial-kulturell bedingte Variation berücksichtigen, um den Begriff der Diaphasie zur Beschreibung des situationsabhängigen Sprechstils und plädiert für eine gerichtete Verschränkung dieser Dimensionen:16 Zweitens, weil das Verhältnis zwischen Dialekt, Sprachniveau und Sprachstil ein orientiertes ist: Dialekt→Sprachniveau→Sprachstil. D.h. ein Dialekt kann evtl. als Sprachniveau, und ein Sprachniveau als Sprachstil funktionieren, nicht aber umgekehrt. (Coseriu 1980, 112)
In seiner Planung des ADDU übernimmt Thun die von Coseriu unterschiedenen Variationsarten und insistiert auf einer «realistische[n] punktuell polyvariationelle[n] Dialektologie» (Thun 1986, 279): In der Praxis kann aus der diatopischzentrierten Sprachgeographie wohl kaum die umfassende Dialektologie werden, wie sie Coseriu entwirft, indem er die Dialektologie als diejenige sprachwissenschaftliche Disziplin bestimmt, die jegliche Variation zu erfassen habe. Das verhindert schon die diaphasische Variation, die so umfassend und vielfältig ist, dass noch nicht einmal alle Phasen als Typen zusammengestellt worden sind. Man kann aber verlangen, dass die bisher meist monovariationelle Sprachgeographie sich immer dann zur polyvariationellen erweitert, wenn es Indizien dafür gibt, dass eine andere als die diatopische Variation bedeutend ist. (Thun 1986, 279)
Später fügt er den genannten Dimensionen fünf weitere hinzu, indem er zwischen einer dialingualen, einer diatopisch-kinetischen, einer diagenerationellen, einer diasexuellen sowie einer diareferentiellen Dimension differenziert.17 Die divergierende Anzahl kann an dieser Stelle zu der auch von Dufter und Stark gestellten Frage anregen, wie viele Varietätendimensionen letztlich notwendig und
16 Cf. auch das Varietätenmodell nach Berruto (1993). 17 Cf. Thun (2002, 174s.). Die dialinguale Dimension nimmt dabei Bezug auf das Vorhandensein verschiedener Sprachen, die diatopisch-kinetische Variation nimmt die Mobilität der Sprecher in den Blick. Die diareferentielle Dimension stellt Objektsprache und Metasprache einander gegenüber.
4.2 Vorüberlegungen zur Pluralität der Varietätendimensionen
129
zweckmäßig sind, um sprachliche Variation adäquat zu erfassen.18 Sicherlich ist es sinnvoll, verschiedene Variationstypen zu benennen, um ein möglichst umfassendes Spektrum der Variation bewirkenden Parameter zu berücksichtigen. Ob es sich dabei aber tatsächlich um unterschiedliche Dimensionen handelt oder doch viel eher um Einflussgrößen, die letztlich derselben primär wirkenden Markierung zuzuordnen sind, kann zumindest hinterfragt werden. Auch ist man angesichts einer solchen Vielzahl an Varietätendimensionen, wie Thun sie vorschlägt, mit der Problematik eines noch nachvollziehbaren orientierten Verhältnisses der Dimensionen, worauf ja Coseriu beharrt, konfrontiert. Die Pluralität der Varietätendimensionen sollte daher nicht zu einem unverbundenen Nebeneinander führen, in dem es zu mehr oder minder zufälligen Überschneidungen von sprachlichen Markierungen kommt.19 Vorstellbar ist deshalb auch eine im Vergleich zu Thun drastische Reduktion auf zwei übergeordnete Dimensionen, innerhalb derer in Abhängigkeit der spezifischen Sprachvarietät verschiedene Hierarchisierungs- und Markierungsmöglichkeiten bestehen. Ein solches Verfahren schlägt Halliday vor, indem er Sprachvariation zum einen als eine vom Sprecher abhängige Größe (variety according to the user) betrachtet und diese zum anderen einer durch den situativen Gebrauch (variety according to the use) bestimmten Variation gegenüberstellt. In diesem Sinne führt er die räumlich bedingte sowie die vertikale bzw. horizontale Variation zusammen, da die Person des Sprechers durch ihre Provenienz zu einer bestimmten geographischen und sozialen Gemeinschaft auf diese gewissermaßen festgelegt sei. Anders verhalte es sich, wenn der Sprecher in Abhängigkeit der konkreten Sprechsituation zwischen verschiedenen Registern auswählen könne. Halliday entwirft dabei eine komplexere Gestaltung der diaphasischen Dimension und definiert das Zusammenwirken von field (Handlungstyp, Thema), tenor (Status, Rollen der Gesprächspartner) und mode (Kanal, Medium, Rolle der Sprache) als die Kommunikationssituation prägende Diatypik.20 Geht man davon aus, dass Gruppen, wie beispielsweise Geschlechter- oder Altersgruppen, sprachliche Phänomene herausbilden, könnten sprachliche Fakten, die diatopisch oder sozial gewertet werden können, daher im weitesten Sinne unter dem Begriff einer allgemein gruppenspezifischen Dimension zusammengeführt werden. Gruppenbezogene Variation umfasst demzufolge Phänomene, die nicht nur innerhalb einzelner Individualsysteme wirken, sondern extensiv bei räumlich und sozial geprägten Schichtungen greifen, worunter die von Thun einzeln aufgeführten 18 Cf. Dufter/Stark (2002). 19 Zudem stellt sich die Frage, wo bei einer Vermischung von außer- und innersprachlichen Faktoren die Grenze zu ziehen ist. 20 Cf. Halliday (1978).
130
4 Auswertung
Aspekte der geschlechts- und altersbedingten, aber auch die allgemeine sozialkulturell gebundene Variation gezählt werden können. Die diaphasische, sprich die situationsgebundene Dimension, könnte gewissermaßen als zweite und individuelle Dimension der gruppenspezifischen gegenübergestellt werden.21 Die Diaphasik und die ihr zuzuordnenden Elemente haben wiederholt zu Diskussionen angeregt. Dufter/Stark heben in Abgrenzung zu den anderen Dimensionen den besonderen Charakter der Diaphasik hervor und fordern die Unterscheidung von Makro-Varietäten und Mikro-Varietäten, um der Variation, die durch die Gesprächspartner bedingt ist, und der, die sich aus der Gesprächssituation an sich ergibt, gerecht zu werden.22 Die situativ, räumlich und soziokulturell gebundene Variation versieht Dittmar mit der Bezeichnung sogenannter Ordnungsdimensionen, die «wesentliche Koordinaten für die Lokalisierung/Beschreibung von Variation liefern» (Dittmar 1997, 178). Für die Bestimmung von Varietäten unterscheidet er zwischen der personalen Dimension, die die individuelle Varietät, den Idiolekt, fokussiert, der diatopischen, räumlichen Dimension, der diastratischen, gruppen- und schichtspezifischen Dimension sowie jeweils einer Ordnungsdimension der Kodifizierung, der Situation und des Kontakts. Dieser Differenzierung übergeordnet hält sich Dittmar aber an die von Coseriu etablierte diatopische, diastratische und diaphasische Zuordnung von Variation, die er u.a. aufgrund der Dynamik und gesellschaftlichen Abhängigkeit für das Aufkommen und Verschwinden von Varietäten für besonders zweckmäßig hält (cf. Dittmar 1997, 245). Die Gewichtung und Hierarchisierung im Sinne einer gewissen Linearität von Dimensionen wertet Dittmar u.a. durch die qualitative Verschiedenheit extralinguistischer Faktoren sowie durch die Überlappungen von Dialekt, Soziolekt und Register als kritisch und fordert, auf empirischer Basis Voraussetzungen für die Grundlagen einer Varietätenarchitektur zu formulieren (cf. Dittmar 1997, 247ss.). Ein Vorschlag zur Korrelation der verschiedenen Varietätendimensionen stammt von Koch/Öesterreicher, indem sie, Coserius Modell erweiternd, die Heranziehung einer vierten Dimension diskutieren. In einem kommunikativpragmatischen Ansatz fügen sie dem, was Halliday wohl den varieties according to the use zuordnen würde, ein Kontinuum von Nähe und Distanz hinzu, das die Konzeption von Mündlichkeit und Schriftlichkeit einer Äußerung, die klar von der Frage der medialen Umsetzung zu trennen ist, fokussiert. Diese
21 Cf. zur Diskussion der inhärenten Elemente der einzelnen Dimensionen auch Dufter/Stark (2002, 85–89). 22 Cf. Dufter/Stark (2002, 102).
4.2 Vorüberlegungen zur Pluralität der Varietätendimensionen
131
vierte Dimension ist Koch/Oesterreicher zufolge als eigenständige Dimension unabdingbar und sogar zentral; zum einen, da mit Blick auf die Affinitätenbeziehungen jede Entwicklung von Variation letztlich dort mündet, zum anderen, weil Nähe und Distanz als anthropologische Größen ein «universales Grundprinzip sprachlicher Variation» darstellen, dem sich alle Sprecher bei der Planung ihres Diskures auf universaler Ebene gegenübersehen.23 Ob die auch als Diamesik bezeichnete Ebene der Konzeption (Nähe-Distanz-Bereich) tatsächlich als eigene Varietätendimension gewertet werden soll, hat zu unterschiedlichen Antworten dieser Frage in der Forschung geführt. Während die französische Linguistik u.a. am Beispiel der Verwendung des passé simple und des passé composé tendenziell der Linie von Koch/Osterreicher folgt, sind andere der Auffassung, dass es sich bei der gesprochenen bzw. geschriebenen Konzeption von Sprachvariation letztlich um einen Teil der Diaphasik handelt.24 In diesem Sinne argumentiert Kabatek, dass mit Blick auf die Geschichte der historischen Einzelsprachen einige Varietäten per se mit Schriftlichkeit in Zusammenhang stehen und damit einhergehend diaphasisch höher einzuordnen sind als andere, die mit der gesprochenen Sprache assoziiert werden; letztlich habe diese Zuordnung aber «einen stilistischen Wert» (Kabatek 2003) und falle somit wieder in den Bereich der diaphasischen Variation. Darüber hinaus appelliert Kabatek an das wissenschaftliche Grundprinzip, «die Beschreibungsebene niemals komplexer als die Objektebene zu gestalten».25 Lässt die Beschreibung von sprachlicher Variation folglich durchaus Spielraum für alternative Betrachtungs- und Herangehensweisen, möchte ich der nachfolgenden diasystematischen Auswertung meiner Daten dennoch das von Coseriu geprägte Konzept der drei Varietätendimensionen von Diatopik, Diastratik und Diaphasik zugrunde legen. Zudem sollen insbesondere die von Thun etablierten Begrifflichkeiten der diasexuellen und diagenerationellen Wertung herangezogen werden; dies geschieht nicht, um eventuelle neue Dimensionen zu kennzeichnen, sondern um innerhalb der diastratischen Variation spezifische Markierungen zu benennen und gerichtete Beziehungen aufzudecken.26
23 Koch/Oesterreicher (1990, 105). 24 Cf. auch Albrecht (1990). 25 Kabatek (2003). Die Unterscheidung von Nähe und Distanz sieht Kabatek vielmehr als ein Element der universalen Ebene. 26 Vgl. zu einer Aufstellung der verschiedenen varietätenlinguistischen Modelle Sinner (2014, Kapitel 3).
132
4 Auswertung
4.3 Quantitative Auswertung der diatopischen und diastratischen Dimension Die in den nachfolgenden Diagrammen und Schaubildern festgehaltenen Distributionsverhältnisse der einzelnen Präpalatale basieren auf den Allophonen, die während der etwa zwanzigminütigen freien Gesprächsphase, der Beschreibung der Bildergeschichte sowie der Lektüre des Textes von Roberto Arlt erfasst wurden. Das Vorlesen des Textes nimmt in diesem Fall eine Sonderstellung ein, sind Medium und Konzeption eines literarischen Textes schließlich nicht Teil spontansprachlicher Rede. Auch wenn Auer das Zusammenfassen der Lektüre von Texten und freien Gesprächen aufgrund deren unterschiedlicher Modalitäten kritisiert (cf. Kapitel 3.3), ist eine Verknüpfung an dieser Stelle jedoch durchaus sinnvoll: zum einen wird das Korpus der eruierten Daten dadurch zu einem großen Teil abgebildet, zum andern ist der Prozess des lauten Vorlesens von Texten insbesondere für Schüler ein ganz natürlicher und alltäglicher Artikulationsvorgang, dem nicht die künstliche Konnotation der Wortlisten und Zungenbrecher anhaftet. Darin liegt auch die eigentliche Intention dieser Verfahrensweise, da es in diesem Kapitel zunächst darum gehen soll, die durchschnittliche phonologische Realisierung der Sprecher in situativ alltagsorientierten Redebeiträgen zu ermitteln und in eine Art übergeordnete Grundtendenz zusammenzuführen. Wie in den in Kapitel 2.2 zitierten Vorarbeiten deutlich geworden ist, sind die präpalatalen Varianten stark an das Alter der Sprecher gebunden. Diese diagenerationelle Markierung erwies sich auch in der vorliegenden Untersuchung als primär wirkende Determinante in der stimmhaften oder stimmlosen Realisierung der Postalveolare. Der Vergleich der drei Altersgruppen manifestiert dabei einen zum Alter proportionalen Anstieg der stimmhaften Variante, der mit einer vermehrten Produktion von affrikatischen Realisierungen einhergeht. Um dieser diagenerationellen Markierung Rechnung zu tragen, werden die Ergebnisse im Nachfolgenden zunächst in Abhängigkeit des Alters der Sprecher präsentiert, bevor sie in Abschnitt 4.3.4 generationsübergreifend zusammengeführt werden.
4.3.1 Auswertung der colegios Mit Blick auf die Sprechergruppe der insgesamt 110 interviewten Schülerinnen und Schüler ergibt sich folgende Distribution der verwendeten Allophone:
4.3 Quantitative Auswertung der diatopischen und diastratischen Dimension
133
79.2
100 80 60 40
20.5
20
0.1
0.2
0 ʒ
ʃ
tʃ
dʒ
Diagramm 4.1: Phonetische Realisierung der Schüler.
In der Informantengruppe der 16- bis 18-Jährigen27 überwiegt mit 79,2% ganz deutlich die stimmlose Variante [ʃ]. Der stimmhafte Laut [ʒ] wurde hingegen nur bei 20,5% aller erbrachten Realisierungen festgestellt und repräsentiert damit einen deutlich geringeren Anteil. Das Auftreten von stimmhaften wie stimmlosen affrikatischen Varianten ist mit insgesamt 0,3% sehr gering und kann damit in dieser Sprechergruppe als Ausnahmeerscheinung deklariert werden; zahlenmäßig greifen jedoch immerhin 18 Personen mindestens einmal während des teilstrukturierten Interviews auf diese Realisierung zurück. Dieser erste Blick auf die Präsenz der Postalveolare unter den jugendlichen porteños scheint an dieser Stelle den Schluss nahezulegen, dass in dieser Generation das stimmlose Allophon ganz deutlich die Vorherrschaft gewonnen hat und der ʒeísmo nur noch eine Minderheit besetzt. Dabei muss aber beachtet werden, dass der individuelle Variationsgrad bei der Aussprache der zur Untersuchung stehenden Variablen äußerst hoch ist, so dass zwischen den Sprechern, die relativ konstant realisieren und jenen, die einen hohen Alternationsgrad an stimmhaften wie stimmlosen Varianten aufweisen, unterschieden werden muss. In Diagramm 4.2 werden die Sprecher auf der Grundlage aller quantitativ erfassten phonetischen Realisierungen prozentual einer Grundtendenz zugeteilt, die deren individuellen Variationsgrad offenlegt. Mit 46,4% ist die Zahl derer, die nahezu ausschließlich den stimmlosen Frikativ [ʃ] artikulieren, auffallend hoch, das Auftreten des stimmhaften Allophons [ʒ] beschränkt sich in diesen Fällen auf 0–4 Realisierungen während des gesamten Interviewteils, Bildergeschichte
27 Zehn der hier aufgeführten Personen unterschritten dieses Alter um 1 Jahr, da nicht in allen schulischen Einrichtungen Informanten dieser Altersklasse zur Verfügung gestellt wurden.
134
50
4 Auswertung
46.4
40
30
20 13.6 10 10
7.3
7.3
6.4 2.7
0.9
1.8
0.9
0.9
0.9
0.9
0
Diagramm 4.2: Grad der Variation zwischen [ʃ] und [ʒ].
und Textlektüre eingeschlossen. Deutlich geringer ist der Anteil an konstanten ʒeístas, nur 7,3% verzichten annähernd vollständig auf die Integration der stimmlosen Variante. Wenn damit die klare Tendenz zur Verwendung lediglich einer Variante auch leicht dominiert, so ist es doch knapp die Hälfte aller Jugendlichen, bei denen in unterschiedlicher Ausprägung eine Alternanz zwischen dem stimmhaften und dem stimmlosen Frikativ festgestellt wurde. Darin zeigt sich, dass jeder einzelne Sprecher in seinem Lautinventar über individuell graduelle Abstufungen hinsichtlich der Präsenz der beiden Varianten verfügt.
4.3.1.1 Variation in Abhängigkeit von Geschlecht und soziokultureller Provenienz Werden die Daten dieser Generation geschlechtsspezifisch aufgefächert, ergibt sich für [ʃ] eine Relation von 80,4% auf weiblicher Seite gegenüber 86,9% bei den männlichen Sprechern; die ʃeístas dominieren folglich klar unter beiden Geschlechtern. Fokussiert man erneut die Informanten, die in ihrer Grundtendenz 80–100% aller Realisierungen entweder stimmhaft oder stimmlos artikulieren, ergeben sich zudem deutliche Differenzen bei der Distribution des sonoren Frikativs (Diagramm 4.3). Während der stimmlose Palatal unter beiden Geschlechtern ähnlich starke Anwendung findet, lassen die weiblichen Sprecher bei der Realisierung des stimmhaften Frikativs mit einem Wert von fast 80% die männlichen Informanten, von denen lediglich 20% diese Variante konstant artikulieren, deutlich hinter sich.
4.3 Quantitative Auswertung der diatopischen und diastratischen Dimension
135
80
100 80 60
50.6
49.4
männlich 20
40
weiblich
20 0 ʃeísmo
ʒeísmo
Diagramm 4.3: Verwendung einer Variante mit einem Wert von 80–100% seitens der Schüler in Relation zum Geschlecht.
Daraus resultiert ein signifikanter Bruch mit den von Fontanella de Weinberg, Wolf/Jiménez und auch von Kubarth festgestellten Ergebnissen, die in allen Generationen einen höheren stimmhaften Wert der Männer im Vergleich zu dem der Frauen offen legten.28 Es ergibt sich vielmehr das Bild, das insbesondere die ältere Dialektologie vertreten hatte, nämlich dass die weiblichen Sprecherinnen nicht vorreitend bei der Verwendung sprachlicher Neuerungen seien, sondern in ihren sprachlichen Realisierungen verstärkt zu den konservativen Formen tendieren.29 Mit Blick auf den quantitativ ausgewogenen alternierenden Gebrauch sowohl stimmloser als auch stimmhafter Laute ist den hier befragten männlichen Jugendlichen die konstante Artikulation des ʒeísmo auch nicht gänzlich abzusprechen; in ihrer Gesamtheit sind die Jungen jedoch innovativer als die gleichaltrigen Mädchen. Um diese Differenzen zwischen männlich und weiblich korrekt bewerten zu können und voreilige Schlüsse zu vermeiden, wird dieser Aspekt nach der Berücksichtigung weiterer Variablen an späterer Stelle nochmals vertiefend aufgegriffen. Die nachfolgende Übersicht gibt Aufschluss über die Rolle der soziologischen Variablen Bildung bzw. sozialer Status, indem sie die sprachlichen Realisierungen der Schüler in Relation zum Berufsstand der Eltern setzt:30 28 Cf. Fontanella de Weinberg (1979, 75, 94s.); Wolf/Jiménez (1977, 305s.); Kubarth (1998, 159). 29 Cf. Schlieben-Lange (1985, 484). 30 Die Heranziehung des Berufstandes der Eltern gründet auf der Tatsache, dass die Schüler, obwohl sie ganz unterschiedliche Bildungseinrichtungen besuchen, alles in allem doch einen ähnlichen Bildungsstand aufweisen, dessen schulprofilbedingte Differenzen, beispielsweise zweisprachig ausgerichtete Schulen, die das Internationale Abitur anbieten, nicht tiefgreifend genug für eine Unterscheidung in diesem Bereich scheinen. Sie stehen also an einer ähnlichen Position, ihr Bildungsstand ist, wenn man einer akademischen Bewertung der jeweiligen Schulen aus dem Weg gehen will, vergleichbar und vermutlich nicht entscheidend für ihre sprachlichen Realisierungen. Daher wird als zentraler Bestandteil ihres außerschulischen Bildungshintergrunds der Berufsstand der Eltern zugrunde gelegt.
136
4 Auswertung
100
90.1 80.2
83.6
92.2
92.6
89.4 81
80.3
80 60 40 19.8 20
16.4
19
19.7 9.9
7.8
7.4
10.6
0
ʒeísmo
ʃeísmo
Diagramm 4.4: Phonetische Realisierung der Schüler in Relation zum Berufsstand der Eltern.31
Wie aus Diagramm 4.4 abzulesen ist, sind die Jugendlichen, deren Eltern im Bereich Handwerk, soziale Arbeit oder als ungelernte Arbeitskräfte beschäftigt sind, bis auf wenige Rückgriffe auf das stimmhafte Allophon klar den ʃeístas zuzuordnen. Der ʒeísmo scheint demnach ein Phänomen zu sein, das in dieser Altersgruppe in Familien mit geringerem Bildungsgrad kaum verbreitet ist, auch nicht in konstanter Varianz zum Obstruenten [ʃ]. Wesentlich häufiger ist diese Variante bei Kindern von Akademikern, Selbstständigen und Lehrern anzutreffen, mehr als 16% aller realisierten Postalveolare entfallen in dieser Sprechergruppe auf das sonore [ʒ]. Ebenso stammen die Schülerinnen und Schüler, die /ʒ/ phonetisch überwiegend stimmhaft umsetzen, aus universitär gebildeten oder ökonomisch gut gestellten Elternhäusern. Bildungsgrad und wirtschaftlicher Wohlstand stehen dabei offenbar in einem Großteil der Fälle in einer gerichteten Relation. Damit kann bereits an dieser Stelle den Ausführungen Nolls, wonach [ʃ] als Prestigeform gelte, widersprochen werden, liefert das Verhältnis des sozioökonomischen Standes und der verwendeten Varianten doch ein eher gegenteiliges Bild;32 Abschnitt 4.3.1.3.2 beschäftigt sich nochmals detailliert mit den in dieser Sprechergruppe dominierenden Varianten.
31 Die Kategorie «Sachbearbeiter und Verwaltungsangestellte» umfasst Personen mittleren Bildungsstandes aus dem mittleren Einkommenssektor. 32 Cf. Noll (2001, 29). In diesem Zusammenhang ist allerdings zu beachten, dass der Prestigebegriff teilweise auch in Überschneidung mit der Standardnorm oder der quantitativen Dominanz einer Variante Anwendung findet.
4.3 Quantitative Auswertung der diatopischen und diastratischen Dimension
137
In Bezug auf die Jugendlichen aus Arbeiterfamilien bzw. wirtschaftlich schwächer gestellten Kreisen legen diese Daten nahe, dass eine entscheidende Entwicklungsphase des phonologischen Wandels vermutet werden kann. Bereits dreißig Jahre zuvor war von Wolf/Jiménez sowie von Kubarth eine Dominanz der gebildeten Oberschicht hinsichtlich der Verankerung von [ʒ] gegenüber der letztgenannten Sprechergruppe festgestellt worden, jedoch war mit einem Wert von 52,2% (cf. Wolf/Jiménez 1977, 307) durchaus noch eine konstante Menge an ʒeístas vertreten. Wenn man Buenos Aires als Millionenstadt reflektiert, ist die in diesem Rahmen untersuchte Sprachgemeinschaft natürlich nur eine Auswahl aus einer immensen Gesamtheit, sodass eine Deviation der ermittelten Ergebnisse von der sprachlichen Wirklichkeit nicht ausgeschlossen werden darf. Dass aber unter den interviewten Jugendlichen keine Gewährsperson deutlich von diesem Muster abweicht, verleiht den Daten berechtigterweise eine erhöhte Aussagekraft. Die Größen Bildung bzw. sozialer Hintergrund scheinen im Hinblick auf die phonologischen Realisierungen also bis zu einem gewissen Grad determinierende Parameter zu sein.33 Ruft man sich die in Kapitel 3.2 aufgeführten Darlegungen zur Korrelation von sozioökonomischen Begebenheiten und bestimmten Stadtteilen von Buenos Aires ins Gedächtnis, muss man infolgedessen auch eine gewisse Abhängigkeit der hier ausgewerteten Distribution vom jeweiligen Wohnort der Informanten annehmen. Wie schwer die Dimension Ort bzw. geographische Lage in diesem Zusammenhang gewichtet werden darf, ist Gegenstand der sich anschließenden Analyse. 4.3.1.2 Variation im Raum: Theoretische Vorbemerkungen zur Erstellung der Sprachkarten Zur Erläuterung der diatopischen Dimension wurden diverse Sprachkarten erstellt. Karten kommt wie Diagrammen das Verdienst zu, nahezu ohne erklärenden Textzusatz stichhaltige Informationen zu liefern.34 Die Ausarbeitung von gutem, aussagekräftigem kartographischem Material stellt die Sprachgeographie aber vor eine Reihe von Herausforderungen. Die traditionellen Sprachatlanten waren lediglich auf die Erfassung der diatopischen Ebene fokussiert; die weiteren in entscheidender Weise auf sprachliche Varianten einwirkenden
33 Cf. zu Stellenwert und Wirkung der Variable Bildung und clase social bei Sprachwandelprozessen und in der Soziolinguistik allgemein u.a. Blas Arroyo (2005, 146–154, 255ss.); Moreno Fernández (1998, 45–50); Moreno Fernández (1990, 53). 34 Cf. dazu Upton (2010, 144).
138
4 Auswertung
Dimensionen wie die Diastratik und Diaphasik fanden darin noch keinen Platz.35 Diese monodimensionale Limitierung wird wie in Kapitel 3.1 erläutert aus heutiger Sicht dem Prinzip einer inzwischen stark soziolinguistisch orientierten Dialektologie nicht mehr gerecht. Herausforderung neuer sprachlicher Kartographie ist es daher, die mehrdimensionale Sichtweise methodologisch zu berücksichtigen und in einer zweidimensionalen Darstellung greifbar zu machen. Richtungsweisend war dabei der von Harald Thun im Rahmen des Atlas Lingüístico-Etnográfico del Uruguay entwickelte Entwurf, anhand von acht, teilweise für diesen Zusammenhang ganz neu definierten Dimensionen, eine pluridimensionale Perspektive zu schaffen.36 Die Erfassung dieser Vielzahl von Dimensionen soll hier aber nicht als allgemeingültiges Idealmodell dargestellt werden, da die Frage, welche Parameter in einer sinnvollen und zielführenden Weise zu berücksichtigen sind, natürlich vom individuellen Untersuchungsgegenstand abhängt. Eine präzise Differenzierung ist aber umso wichtiger, wenn man bedenkt, dass ja nicht nur die zu analysierenden sprachlichen Varianten von diesen Parametern abhängen, sondern dass auch die Größe Raum an sich – sprich der Untersuchungsraum, in dem diese Varianten wirken – durch das Ineinandergreifen gesellschaftlicher, perzeptiver und historischer Prozesse konstituiert wird (cf. Kapitel 3.1).37 Eine weitere Hürde, die gerade in einem von Dynamik und Mobilität geprägten Explorationsraum wie der Stadt zum Tragen kommt, ist der schier unvermeidbare und von Ormeling reklamierte statische Charakter von Karten: «Maps lack dynamics; we cannot show movement on maps [. . .] Maps do not show forces, they just show the status quo» (Ormeling 2010, 36s.). Auch hier sucht Thun mit der Etablierung einer diatopisch-kinetischen Dimension, Bewegungsabläufe zwar nicht kartographisch nachzuzeichnen, aber graphisch zu
35 Hinter dieser Beschränkung steckt aber nicht unbedingt die Ignoranz gegenüber den anderen Parametern, sondern oftmals ein empirisches und organisatorisches Problem (cf. Thun 1986, 277). 36 Cf. Thun (2010). Trotz der Etablierung neuer Dimensionen, zusammengefasst in 4.2, plädiert Thun ausdrücklich dafür, dass eine der zusammenführenden Analyse vorangehende separate Anschauung des sprachlichen Materials nach wie vor unverzichtbar ist (cf. Thun 2010, 506; Thun 2002, 175s.). – Weitere Atlanten, die sich in ähnlicher Weise diesem Vorgehen verpflichtet sehen, sind beispielsweise der Mittelrheinische Sprachatlas (cf. dazu auch die Ausführungen in Britain 2010b, 87). 37 Cf. dazu auch die Ausführungen von Britain (2010b) zu Möglichkeiten der Konzeptualisierung von Sprache und Raum, insbesondere S. 87.
4.3 Quantitative Auswertung der diatopischen und diastratischen Dimension
139
berücksichtigen. So differenziert er zwischen topodynamischen Parametern einerseits, die all die Personen umfassen, die erst seit fünf Jahren am Untersuchungsort leben und somit eine verhältnismäßig starke Mobilität hinsichtlich ihres Wohnortes aufweisen, und topostatischen Einheiten andererseits, die auf seit langem im gleichen Areal ansässige Informanten Bezug nehmen.38 Die von Thun und Elizaincín etablierten Dimensionen erfassen damit eine auf relativ lange Zeiträume bezogene Mobilität, was der Zielsetzung eines ganzheitlichen Länderatlasses sicherlich auch gerecht wird; die tägliche Interaktion mit Menschen aus anderer Umgebung, das Überschreiten von Grenzen, wie es in einer Metropole für viele Bewohner an der Tagesordnung ist, wurde bisher jedoch in keinem kartographischen Versuch nachvollziehbar gemacht.39 Unabhängig von der Integration einer Dimension, die sich im Besonderen den Bewegungsabläufen innerhalb des Untersuchungsraums widmet, bestehen aus kartographischer Sicht durchaus Möglichkeiten, auch die Dynamik sprachinterner Prozesse nachzuzeichnen. Grundlegendes Kriterium für die Zusammenführung einzelner, möglicherweise aus unterschiedlichen Untersuchungen und Zeiträumen stammender Daten in so genannte dynamische Karten ist die hohe Vergleichbarkeit des erhobenen sprachlichen Materials sowie die Kongruenz der geographischen Darstellung: Valid dynamic linguistic maps, i.e., series of directly comparable maps based on surveys of linguistic data from different times, make it possible to trace linguistic dynamic processes (stability or language change) precisely across space and time [. . .] The primary principle guiding the creation of a dynamic linguistic map is direct comparability in terms of the topic, the nature and degree of linguistic detail in the data and the association with geographical space. (Schmidt 2010, 399)
38 Cf. Thun (2002, 175s.). 39 Cf. dazu auch Britain (2010b, 87). Die Leistungen eines solchen Vorgehens postuliert Britain in folgender Forderung: «Perhaps most important of all is a desire to see maps which enable us to see how the ongoing life paths of individuals develop over time, interact with those of others, reflect routine and nonroutine routes, and contrast periods of movement with periods in one place. Bundle these together for a whole family, a whole village, a whole town or a whole region and we would be able to see the spatial grooves for a family, a place, a region, spot weaknesses or breaks where the grooves are not very deep, and, very importantly, witness both inequalities and variations in constructed spatialities that would help us to understand constraints on consumption of space as well as changes in local or regional spatialities over time, enabling us to more fully appreciate the ever-becoming spatial diversity of language and dialect» (Britain 2010b, 87s.).
140
4 Auswertung
Für die dialektologische Darstellung stellt sich damit zum einen die Frage nach der geeigneten Darstellungsart und zum anderen, welche Inhalte und Dimensionen letztlich in der Karte berücksichtigt werden sollen.40 4.3.1.2.1 Kartographische Umsetzung Trotz der Intention, möglichst mehrere Dimensionen in der kartographischen Darstellung vereinen zu wollen, ist für die Erstellung der eigenen Sprachkarten vor allem das Prinzip der Deutlichkeit, Übersichtlichkeit und Sinnhaftigkeit leitend: Zu viele Informationen können eine Einschränkung der visuellen Aussagekraft der Karten bewirken, ebenso ist die Gegenüberstellung aller untersuchten Aspekte nicht in jedem Falle zweckmäßig.41 Der synchrone Charakter der vorliegenden Untersuchung zielt zudem nicht auf die Bereitstellung historisch dynamischer Karten; vielmehr strebt er eine differenzierte Momentaufnahme der räumlichen Sprachsituation an, die mittels einer Art statischen Mehrdimensionalität erfasst werden soll. Bei den nachfolgenden Sprachkarten handelt es sich nicht um reine Inventarkarten, sondern um Karten, die die konkrete Distribution und das quantitative Verhältnis der einzelnen Phone zueinander in Relation setzen und anzeigen sollen. Denn anders als bei den traditionellen Sprachatlanten soll es hier ja nicht in erster Linie darum gehen, einzelne Okkurrenzen konservativer Formen aufzudecken: Die geolinguistische Abbildung der tatsächlichen Verwendungshäufigkeiten steht im Vordergrund und soll einer «Diskrepanz zwischen der Synchronie des Atlasses und der Synchronie der kommunikativen Realität» (Stehl 1993, 227) unbedingt entgegenwirken. Zu diesem Zweck wurden in der praktischen Umsetzung chorochromatische Karten, bei denen über gesonderte Farben oder graphische Strukturierungen der unterschiedliche Verbreitungsgrad eines Phänomens gekennzeichnet werden kann, mit Symbolkarten kombiniert. Symbole erlauben die graphische Zusammenfassung und Verallgemeinerung von Daten: «Symbols help us to reduce the enormous amounts of geospatial information so that we can handle it. By symbolizing we exchange individual properties of objects for group properties» (Ormeling 2010, 26). Im Nachfolgenden wird über Symbole die
40 Da in Sprachkarten allgemeinhin lediglich ein bestimmtes sprachliches Merkmal in Relation zu unterschiedlichen außersprachlichen Parametern erfasst wird, wurde mit dem Verfahren der Dialektometrie eine Methode entwickelt, mittels derer verschiedene sprachliche Merkmale nach ihrer Vorkommenshäufigkeit gebündelt, quantitativ zusammengefasst und auf synthetischen Karten lokalisiert werden können. Auf diese Weise wird ermöglicht, feinere Abstufungen an Merkmalskombinationen zwischen einzelnen Gebieten nachzuvollziehen. Cf. zur Dialektometrie als dialektologische Darstellungstechnik in der Romania Goebl (1988–2005). Cf. auch Löffler (2003, 63). 41 Cf. Moreno Fernández (2005, 94).
4.3 Quantitative Auswertung der diatopischen und diastratischen Dimension
141
geschlechtsabhängige Variation der Informanten voneinander abgegrenzt, in Kapitel 4.4 kommen weitere Zeichen zur Differenzierung von Lektüreebene und freiem Gesprächsteil zum Einsatz. Um eine möglichst rasche Erfassung und Interpretation der abgebildeten Sprachdaten zu erreichen, fiel in Anlehnung an die klassischen Gender-Symbole ♀ und ♂ die Wahl auf Dreiecke zur Kennzeichnung der Geschlechter. Wichtig ist dabei, dass der damit ausgewiesene Variationsgrad zwischen ʃeísmo und ʒeísmo nicht bezüglich des Flächeninhalts zu verstehen ist, sondern dass er linear abgebildet ist und dabei den exakten prozentualen Wert veranschaulicht; die allophonischen Varianten werden zusätzlich durch verschiedene Farbgebungen voneinander abgehoben.42 Für die Integration der Symbole in eine Karte stehen schließlich unterschiedliche Verfahren zur Verfügung. Da die Untersuchung einen klaren Schwerpunkt auf die intraurbane Kontrastierung der einzelnen lokalen barrios legt, soll hier eine so genannte equal-area-Projektion verfolgt werden, bei der versucht wird, die Symbole möglichst so zu platzieren, dass es der tatsächlichen geographischen Lokalisierung der ausgewählten Untersuchungsorte nahekommt.43 In Folge dieser Überlegungen wird in der zugrunde liegenden chorochromatischen Karte die durchschnittliche Verwendungstendenz der Informanten, die auf den Werten der phonetischen Realisierung aus freiem Gesprächsteil, Bildergeschichte und literarischem Text basiert, durch die Flächeneinfärbung als vergleichender Bezugspunkt dokumentiert.44 Zusätzlich ist im Sinne einer pluridimensionalen Zusammenführung je nach Fragestellung
42 Alternativ wäre natürlich auch ein ähnliches Vorgehen wie von Thun/Elizaincín möglich, bei dem die unterschiedlichen Verwendungsgrade von stimmhaftem [ʒ] und stimmlosem [ʃ] in Prozentschritten zusammengefasst werden, die dann wiederum durch verschiedene Symbolfüllungen repräsentiert werden (cf. Thun/Elizaincín 2000). Da, wie sich im Nachfolgenden aber zeigen wird, die Abstufungen zwischen den einzelnen Stadtteilen teils relativ gering sind, wurde ein solches Verfahren verworfen und der skalierend prozentualen Darstellung der Vorrang gegeben. Diese ermöglicht, selbst minimale Differenzen in der Präsenz von ʃeísmo und ʒeísmo kenntlich zu machen und die genauen Werte ihres Gebrauchs in den jeweiligen barrios anzuzeigen. 43 Cf. Ormeling (2010, 30). Da die Karten nur begrenzt Fläche bieten, hat diese Methode zur Folge, dass zur Beibehaltung der Übersichtlichkeit Einschränkungen bei der Abbildung möglichst vieler Dimensionen in Kauf genommen werden müssen. Diesem Problem könnte wiederum mit der Methode Thuns und Elizaincíns begegnet werden, die durch die Zusammenfassung der Daten in einzelne prozentuale Gruppen schon auf rein praktischer Ebene mehr Platz zur graphischen Darstellung gewinnen; dieses Vorgehen wurde aus den oben genannten Gründen jedoch abgelehnt. – Gleichzeitig bedeutet eine Repräsentation per equalarea natürlich nicht, dass diese markierten Räume durch andere überlagert werden können. 44 Da zu den anderen Arealen der Stadt keine datenbasierten Aussagen getroffen werden können, bleiben diese Flächen weiß.
142
4 Auswertung
die geschlechtsspezifische oder stilabhängige Artikulation der präpalatalen Varianten in Form von Symbolen prozentual ausgewiesen. 4.3.1.3 Diatopische Dimension Sprachkarte 4.1 zeigt, wie sich die quantitativ erfassten Varianten der jugendlichen Sprecher nach der ersten Erhebungsphase, in der insgesamt 76
Karte 4.1: Phonetische Realisierung der Schüler in Abhängigkeit von Geschlecht und Wohnort.45
45 Cf. für die genauen Werte der Okkurrenzen Anhang IV.
4.3 Quantitative Auswertung der diatopischen und diastratischen Dimension
143
Schülerinnen und Schüler befragt wurden, in den ausgewählten Stadtvierteln prozentual verteilen. In Übereinstimmung mit den in Abhängigkeit von Alter, Geschlecht und gesellschaftlichem Status erhobenen Werten stellt der ʃeísmo in nahezu allen untersuchten Stadtteilen die am stärksten verbreitete Variante dar. Mit einem Vorkommen von mehr als 95 bis 98% weisen die Sprecher aus Belgrano, Balvanera und Barracas den höchsten Grad an stimmlosen Varianten auf, wobei zwischen Jungen und Mädchen ein relativ ausgewogenes Verhältnis besteht. In den an der Stadtgrenze gelegenen Vierteln Mataderos und Villa Pueyrredón ist die Tendenz zur Sonorisierung der Postalveolare mit 8,5% etwas stärker ausgeprägt. Ein geringfügig höherer Prozentsatz (9,6%) zeigt sich im geographisch zentralen Caballito, wo die Sprecher Anteile des stimmhaften Palatals zwischen 7,5% bis hin zu 27% im Falle eines männlichen Informanten aufweisen. Nach diesem ersten Blick auf die geographische Distribution der stimmhaften und stimmlosen Präpalatale scheint eine Koinzidenz zwischen den das Stadtviertel charakterisierenden sozioökonomischen Faktoren und der Präferenz bestimmter Laute kaum gegeben; besonders augenfällig wird dies an den in Kapitel 3.2 und 3.3 als heterogen eingestuften Stadtteilen Belgrano, Barracas und Balvanera, die sozioökonomisch jeweils drei kontrastiven Gebieten zugeordnet wurden. Betrachtet man die Verteilung der Allophone innerhalb der in Kapitel 3.3 etablierten Explorationszonen (cf. Karte 3.7 und folgende), zeichnet sich die Tendenz zu einem verstärkten Vorkommen von [ʒ] in den neueren und peripher gelegenen Distrikten gegenüber den älteren und zentrumsnahen Stadtteilen ab.46 Dass aus der dortigen vermehrten Präsenz der konservativen Variante Rückschlüsse gezogen werden können, die eine mögliche Koexistenz verschiedener Entwicklungsstadien des Sprachwandels innerhalb des eng begrenzten Gebiets Capital Federal nahelegen, scheint zwar möglich, soll aber aufgrund der eher geringen Deviationen an dieser Stelle nicht als primäre Erklärung beansprucht werden. Was diese Hypothese dennoch stützt, ist die Verteilung, die aus der Heranziehung des Berufstandes der Eltern resultiert (Tabelle 4.1). Quantitativ sind die Eltern in den ausgewählten Stadtvierteln in etwa zu gleichen Teilen als Akademiker, Selbstständige, Handwerker beschäftigt oder sind im Verwaltungsbereich und Handel tätig. Der direkte Vergleich legt offen, dass der Anteil stimmhafter Varianten in allen Berufsgruppen in den peripher
46 «Zentrumsnah» meint hier nicht das geographische Zentrum der Capital Federal, sondern den historischen Ausgangspunkt der Stadtgründung und das heutige administrative Zentrum («Microcentro») der Stadt.
144
4 Auswertung
Tabelle 4.1: Präsenz von [ʃ] in Abhängigkeit des Berufstands der Eltern.
Barracas
Mataderos
Balvanera
Villa Pueyrredón
Handwerker
,%
,
,%
%
Sachbearbeiter und Verwaltungsangestellte
,%
%
%
%
%
,%
,%
%
%
%
,%
,%
Akademiker/Selbstständige comercio/venta
gelegenen barrios überwiegt; eine Begründung, wonach sich der Kontrast in der Distribution über den heterogenen sozialen Hintergrund der Informanten ergibt, ist daher auszuschließen. Um die Wirkungsweise der einzelnen Variablen dennoch fundiert zueinander in Beziehung zu setzen, wird im Rahmen der diagenerationellen Zusammenführung in Abschnitt 4.3.4 der Möglichkeit, dass sich die Entwicklung der Präpalatale in den zentrumsnah gelegenen Stadtteilen in einem fortgeschrittenerem Stadium befindet, noch einmal Rechnung getragen. Vergleicht man das Vorkommen des stimmlosen Frikativs in Villa Pueyrredón mit den Verwendungswerten in Villa del Parque, lässt sich eine Differenz von insgesamt 3,2% ermitteln. Auch wenn der Anteil der Eltern, die in ihrem Beruf als Handwerker über ein niedrigeres Bildungs- und Einkommensniveau verfügen, in der Schule in Villa del Parque leicht höher ausfällt, ist der Unterschied in der Gesamtpräsenz von [ʒ] und [ʃ] zu gering, um mit Blick auf die Gruppe als Ganzes eine dahingehende Erklärung plausibel erscheinen zu lassen. Die sprecherindividuelle Variation, die zwischen 83 und 100% liegt, verfestigt diese These, denn die höheren Variationswerte entfallen in gleicher Weise sowohl auf Informanten aus Akademiker- als auch aus Handwerkerhaushalten. Mit 94,6% an stimmlosen Realisierungen ist die Präsenz in dieser Gruppe zudem ähnlich stark ausgeprägt wie im Stadtteil Balvanera, der in der gleichen hier etablierten soziokulturellen Zone liegt und in dem 95,3% aller Okkurrenzen auf den stimmlosen Präpalatal entfielen. Dass das Zusammenspiel von schulischem Profil und individuellem soziokulturellen Background dazu führt, dass in dieser Sprechergemeinschaft insgesamt andere Distributionen vorherrschend sind als in der teureren Privatschule im Nachbarviertel, ist daher nicht der Fall. Der erneute Blick auf Karte 4.1 manifestiert in den zusammengefassten Wohnvierteln Recoleta und Retiro einen signifikanten Bruch in der Vorherrschaft
4.3 Quantitative Auswertung der diatopischen und diastratischen Dimension
145
des ʃeísmo. Die stimmlose Variante wird zwar in 52,9% der Fälle artikuliert, dennoch stellt sie damit nur eine knappe Mehrheit der in diesem Areal ermittelten präpalatalen Phone dar. Mit 47,1% entfällt fast die Hälfte der erfassten Laute auf die stimmhafte konservative Form. Auffällig ist die schon in Diagramm 4.3 ausgeführte Distribution hinsichtlich der Geschlechter, denn unter den männlichen Sprechern wird mit 40% der niedrigste Wert an stimmloser Okkurrenz verzeichnet, wohingegen bei den Schülerinnen drei von vier Informantinnen 0 bis lediglich 8,3% aller Postalveolare stimmlos artikulieren. Recoleta bzw. das Barrio Norte ist damit die einzige Gegend der hier untersuchten intraurbanen Sprachräume, die in der jungen Sprechergeneration konstante ʒeísta-Repräsentanten beheimatet. Diese Distribution scheint auf den ersten Blick die Vermutung nahe zu legen, dass sich das in Kapitel 3.2 erläuterte soziale und ökonomische Ungleichgewicht der Stadt zwischen Nord und Süd bis zu einem gewissen Grad auch sprachlich im Auftreten der verschiedenen Präpalatale niederschlägt, womit infolgedessen den verschiedenen Allophonen die Rolle sozialer Marker zugeschrieben werden könnte. Was diese These trübt, ist allerdings der Blick auf das im Norden situierte Belgrano, dem renommierten Stadtteil der mittleren Oberschicht, in dem kein jugendlicher Sprecher weder mit einer überwiegend stimmhaften Realisierung noch mit einem konstanten Wechsel beider Allophone ausgemacht werden konnte. Damit stellt sich unweigerlich die Frage, welche Faktoren diesen starken Bruch zwischen Recoleta und den übrigen Stadtvierteln im Allgemeinen, sowie Recoleta und den anderen sozial ähnlich hoch gestellten barrios wie Belgrano im Besonderen bedingen. Um diese Divergenzen fundiert beleuchten und begründen zu können, wurde der durch die Viertel Belgrano und Recoleta konstituierte nördliche Untersuchungsraum in einer zweiten empirischen Explorationsphase einer weiteren Differenzierung unterzogen. Dies geschah zum einen durch eine Ausdehnung auf geographischer Ebene und das Heranziehen zusätzlicher Untersuchungsstandorte Wie den Statistiken und kartographischen Daten aus Kapitel 3.2 zu entnehmen ist, besitzt Palermo, das geographisch betrachtet das Verbindungsglied der Stadtteile Belgrano und Recoleta ist, ein ähnliches sozioökonomisches Profil wie seine Nachbarviertel. Damit kann es nahezu bedenkenlos als Vergleichsbasis herangezogen werden. Der Blick auf diese Übergangszone soll offenlegen, ob sich dieser radikale Bruch bei der Bildung des stimmhaften und stimmlosen Allophons bereits in einer verstärkten Präsenz des ʒeísmo in Palermo andeutet oder ob zum Barrio Norte hin tatsächlich eine sprachliche Grenze gezogen werden kann. Zum anderen wurde der nördliche Stadtteil aus soziologischer Sicht zusätzlich einer erneuten Segmentierung unterzogen.
146
4 Auswertung
4.3.1.3.1 Sozialräumliche Untergliederung der nördlichen Stadtviertel Die Bezirke Barrio Norte, Belgrano und Palermo sind wie bereits mehrfach erläutert die prestigeträchtigsten Wohngegenden der Stadt, in denen überwiegend die gehobene Mittelklasse und Oberschicht residieren. Dennoch wäre es bei weitem nicht zutreffend, diesen gesellschaftlichen Sektor zu vereinheitlichen und von einer homogenen Elite der Stadt Buenos Aires zu sprechen.47 Ein einflussreicher Faktor, der zu dieser komplexen Gesamtheit geführt hat, gründet sicherlich in der bis in die 1970er-Jahre anhaltenden gesellschaftlichen Mobilität, durch welche zumindest aus wirtschaftlicher Sicht ganzen Teilen der Mittelschicht der Aufstieg in die elitären Zirkel der Stadt gelang, während andere den gesellschaftlichen Abstieg in Kauf nehmen mussten (cf. Kapitel 3.2). Die vornehmen Kreise der Gesellschaft haben sich im Zuge dieser sozialen Transformationsprozesse in einem Balanceakt zwischen sozialer Stabilität und Veränderlichkeit daher grundlegend neu konstituiert. Der heterogenen Struktur entsprechend besteht in dieser Bevölkerungsschicht auch eine Kluft hinsichtlich persönlicher und sozialer Wertvorstellungen, Haltungen und Tugenden. Diese Divergenzen schlagen sich laut einer Untersuchung von Tiramonti und Ziegler aus dem Jahr 2008 in nicht zu unterschätzender Weise in der Wahl der schulischen Einrichtungen für die Kinder nieder, was wiederum unterstreicht, warum diese einen so wertvollen Anhaltspunkt in der Bestimmung verschiedenartiger Informantengruppen darstellen. Die Entscheidung für eine konkrete Schule wurde von Tiramonti/Ziegler als Strategie zur Erhaltung eines bestimmten gesellschaftlichen Kreises interpretiert.48 Auf der Grundlage der von Tiramonti/Ziegler etablierten Hauptkriterien, die sich bei der Schulwahl als entscheidend herausgestellt haben, konnten innerhalb dieses sozial hohen Gefüges Sektoren unterschiedlicher Charakteristika ausgemacht werden. Mit dem Ziel, diese Segregation greifbar zu machen und möglicherweise erklärend in Relation zu den Artikulationstendenzen der präpalatalen Allophone in den nördlichen Wohnvierteln zu setzen, wurde bei der Auswahl weiterer schulischer Einrichtungen, die in dieser Gegend als Vergleichspunkte herhalten sollten, partiell auf diese Klassifikation zurückgegriffen. Insgesamt wurden damit in Belgrano, Palermo und dem Barrio Norte die Schüler von sechs Bildungsinstituten in die Untersuchungen aufgenommen (Karte 4.2). Institut P. und LC. entsprechen den ursprünglich ausgewählten Explorationsorten. Schule NM. bildet hier mit ihrem Sitz in Palermo die zunächst
47 Cf. Tiramonti/Ziegler (2008, 13). 48 Cf. Tiramonti/Ziegler (2008). Cf. dazu auch Tiramonti (2011).
4.3 Quantitative Auswertung der diatopischen und diastratischen Dimension
147
Karte 4.2: Untersuchungsstandorte in den nördlichen Stadtteilen.49
geographisch angestrebte Ergänzung und besitzt darüber hinaus ein ähnliches schulisches Profil wie P. und LC. Die Vergleichbarkeit der Schulen wurde zum einen durch Parallelen im Bildungscurriculum und zum anderen durch die Höhe der monatlichen Schulgebühren gesichert.50 Bei den genannten Einrichtungen handelt es sich um colegios der gehobenen Mittelklasse. Diese verfolgen durch ihr bilinguales Schulsystem internationale Richtlinien und haben die Absicht, die Schüler durch das Angebot von Auslandsaufenthalten, internationalen Abiturprüfungen etc. auf die Anforderungen einer
49 Zur Wahrung der Anonymität wird auch im Fortlaufenden auf die in Karte 4.2 verwendeten Abkürzungen referiert. 50 Derzeit gibt es keine öffentlich zugänglichen Daten, die über die momentanen Tarife der Privatschulen Auskunft geben. Es wurde daher bei der Vorauswahl auf vom Ministerio de Economía y Producción zur Verfügung gestellten Angaben aus dem Jahr 2008 zurückgegriffen, die dann in einem zweiten Schritt mit schulinternen Informationen abgeglichen wurden (cf. http://www2.mecon.gov.ar/secdef/basehome/colegios.php).
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4 Auswertung
modernen, globalisierten Gesellschaft vorzubereiten und international wettbewerbsfähig zu machen.51 Um den Einfluss der Variablen sozialer Status für die Verwendung der Tendenz zum stimmhaften oder stimmlosen Präpalatal fundierter bewerten zu können, wurden über die Heranziehung von Schule SB. Jugendliche eines sogenannten ʻcolegio de eliteʼ vergleichend in die Beobachtungen mit einbezogen.52 Dieses weltliche Institut mit katholischer Ausrichtung nimmt aus ideologischer Sicht wohl eine Mittelstellung zwischen colegios wie P. und NM. und der im Anschluss thematisierten streng katholischen Bildungseinrichtung in Recoleta ein; Tradition wird dabei mit den internationalen Ansprüchen einer vorwiegend technisch und wirtschaftlich orientierten Ausbildung verbunden. Charakteristisch für diesen Schultyp sind zudem die meist jahrzehntealten hausinternen Rugby- und Hockeyclubs, die bestrebt sind, den Schülern über Sportreisen ins europäische Ausland weitere internationale Anknüpfungspunkte zugänglich zu machen. Einen vergleichbaren elitären Status genießt die in Recoleta situierte Schule C. Hierbei handelt es sich um eine sehr traditionsreiche, zu Beginn des 20. Jahrhunderts gegründete katholische Einrichtung, an der bis vor wenigen Jahren ausschließlich männlichen Schüler unterrichtet wurden. Familien, die für ihre Kinder eine Schule dieses Typs auswählen – von denen es im Gegensatz zu der Vielzahl an bilingualen Einrichtungen übrigens nur wenige in Buenos Aires Stadt gibt – schätzen laut Ziegler und Tiramonti vor allem das auf Disziplin ausgerichtete autoritäre Klima sowie die Bewahrung von traditionellen und christlichen Werten: Según los padres, frente a las amplias transformaciones en la época, la estrategia es salvaguardar las tradiciones y costumbres familiares y religiosas como baluartes que
51 Cf. dazu auch Ziegler (2007). Ursprünglich waren diese Schulen zur Ausbildung der Kinder europäischer Einwanderer gegründet worden. 52 Die Wahl von Schule SB. bildet in erster Linie einen wichtigen soziokulturellen Referenzpunkt innerhalb der fokussierten Altersgruppe. Belgrano ist dabei Teil des nördlichen Untersuchungsgebiets, seine genaue lokale Situierung spielt aber nur eine sekundäre Rolle, da durch die Wahl des Standortes in erster Linie eine sozial ausgerichtete Fokussierung angestrebt wurde. Da in SB. nur fünf der insgesamt zehn befragten Schüler direkt in Belgrano wohnhaft sind, kann die Schule auch nur eingeschränkt und als Teil des großräumigen nördlichen Untersuchungsraums als Ortsindikator herhalten; die anderen Schüler stammen aus den Nachbarvierteln Palermo und Núñez. – Zu den Eltern, die diese Schule für den Bildungsweg ihrer Kinder wählen, gehören u.a. hochrangige Politiker der argentinischen Regierung.
4.3 Quantitative Auswertung der diatopischen und diastratischen Dimension
149
garantizarían la superviviencia en una sociedad cambiante. La apuesta es la conversación de los valores, las pautas y las formas de socialización que resultaron efectivos en algún (Ziegler 2007) momento.53
Die zusätzlich mit einbezogene Bildungsstätte M. liegt, was die ökonomischen Anforderungen bezüglich der monatlichen Schulgebühren angeht, deutlich hinter Schule C. und auch hinter den hier ausgewählten bilingualen Gymnasien zurück; sie ist aber nicht weniger exklusiv, pocht sie doch als eine von nur drei klassischen konfessionellen Mädchenschulen in der Ciudad de Buenos Aires auf dieselben Tugenden wie Schule C., weshalb sie unter den Bewohnern des Barrio Norte seit Generationen hohes Prestige besitzt. Dass die Wahl auf diese Institution als zusätzlichen Erhebungsort fällt, liegt noch in einem weiteren Aspekt begründet: 1984 äußert Clara Wolf unter Bezugnahme auf ihre eigene Untersuchung die Beobachtung, dass die Schülerinnen einer traditionellen Mädchenschule 1970 die einzigen Sprecherinnen gewesen seien, unter denen der ʃeísmo nicht nur keine Verbreitung fände, sondern sogar abgelehnt werde: «el único sector donde parecía haber conciencia y rechazo del ensordecimiento era justamente el grupo de adolescentes, registrado en un colegio femenino de la clase alta tradicional» (Wolf 1984, 176). Ob sich dieser Eindruck auch noch heute, mehr als vierzig Jahre später, abzeichnet, ist daher von besonderem Interesse. Bezeichnend ist, dass der ausgewählte Schultyp und die mit ihm assoziierten Wertvorstellungen insbesondere im Barrio Norte, das seit der Besiedlung des nördlichen Stadtgebiets in den 1870erJahren Domizil der traditionellen Oberschicht der Stadt ist, Wertschätzung erfahren.54 Gesellschaftliches Ansehen und sozialer Stand sind folglich facettenreich und scheinen sich in Buenos Aires nicht nur an ökonomischen Mitteln festzumachen, sondern ferner an einem auf Traditionsbewusstsein bedachten Lebensstil. In Abgrenzung zu den wenigen öffentlichen und universitär gebundenen Elite-Instituten in der Capital Federal, die nur über den Weg anspruchsvoller Aufnahmeverfahren besucht werden können und die daher sozial wesentlich heterogenere Schülerstrukturen ausweisen,55 ist für viele Familien insbesondere das sozial äußerst homogene Umfeld der privaten ʻcolegios de excelenciaʼ von Bedeutung:
53 Cf. auch Tiramonti/Ziegler (2008, 49). 54 Cf. Kapitel 3.2. Dies macht sich zum Beispiel an den zwischen diesen Schulen bestehenden Kooperationen fest. 55 Cf. Tiramonti/Ziegler (2008, 25). Da sie nicht Gegenstand der hier durchgeführten Untersuchung sind, können namentlich das Colegio Nacional de Buenos Aires und die Escuela Superior de Comercio Carlos Pellegrini genannt werden.
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4 Auswertung
Un dato que valoran es que se trata de escuelas de tiempo completo, en donde la socialización y el control de los jóvenes puede delegarsde en la escuela. Al mismo tiempo, se trata de un medio social conocido y previsible, que permite forjar vínculos en una atmós(Ziegler 2007) fera de similaridad social.56
Dieser Umstand darf bei der Auswertung der Dominanzverhältnisse der einzelnen Varianten nicht außer Acht gelasssen werden. Mit dem Ziel, den ʻcolegios de excelenciaʼ eine – selbstverständlich ohne akademische Wertung – etwas modestere Institution entgegenzusetzen, die hinsichtlich ihres Profils in etwa mit den in Barracas und Mataderos ausgewählten Untersuchungsorten vergleichbar ist, war als zusätzlicher Untersuchungsstandort der Rückgriff auf eine weitere Schule in Recoleta (HD.) geplant. Auf diese Weise sollte der Frage Rechnung getragen werden, ob die bis dahin eruierte Häufung der stimmhaften Variante [ʒ] innerhalb Recoletas primär auf soziologischen Parametern fußt oder doch generell diatopisch bedingt ist; folgt man dieser Hypothese, könnte dann auch in Schule HD. ein entsprechend hoher Prozentsatz an stimmhaften Allophonen erwartet werden. Aus schulorganisatorischen Gründen wurde das zugesicherte Interview allerdings kurzfristig abgesagt, ein Ausweichtermin oder der Rekurs auf eine Einrichtung ähnlichen Profils konnte bedauerlicherweise nicht realisiert werden. Es zeigt sich, dass in Anlehnung an Tiramonti und Ziegler in den nördlichen Stadtvierteln zwischen verschiedenen Tendenzen und Richtungen einer clase alta bzw. media alta von Buenos Aires differenziert werden muss. Vor diesem Hintergrund wird die folgende Auswertung vorgenommen. 4.3.1.3.2 Auswertung der nördlichen Stadtteile Die Analyse der in Belgrano, Palermo und Recoleta bzw. Barrio Norte erfassten Präpalatale ergibt die in Karte 4.3 dargestellte geographische Verteilung. Durch die Hinzuziehung des ʻcolegio de eliteʼ gestaltet sich das Bild in Belgrano trotz der nach wie vor bestehenden Dominanz der stimmlosen Variante etwas differenzierter: Die zunächst ermittelte nahezu hundertprozentige Artikulation von [ʃ] (cf. Karte 4.1) erfährt unter den in Schule SB. interviewten Jugendlichen eine Abweichung von 6,7%. Eine Schülerin, die knapp ein Drittel aller in diesem Interviewteil registrierten Postalveolare stimmhaft realisiert (28%),
56 Cf. auch Tiramonti/Ziegler (2008, 49): «La idealización romántica del pasado remite a escuelas que valoran el conocimiento, la disciplina, la moral, en donde cada uno conocía su lugar en una sociedad caracterizada por la estabilidad y el orden».
4.3 Quantitative Auswertung der diatopischen und diastratischen Dimension
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Karte 4.3: Phonetische Realisierung der Schüler in Relation zum Wohnort in den nördlichen barrios.
hebt sich dabei im Besonderen ab. Bei drei männlichen Sprechern wurde mit einer Frequenz von 12 bis 17% aller Fälle ebenfalls das stimmhafte Allophon erfasst. Unter der Informantengruppe in Palermo überwiegt abermals der ʃeísmo, dennoch zeigen hier zwei Schüler eine konstante Varianz von 25% bis 34% zwischen [ʃ] und [ʒ]. Wenn man nun berücksichtigt, dass der soziökonomische Hintergrund der in P. und NM. unterrichteten Schüler deutliche Entsprechungen aufweist,57 so kann an dieser Stelle tatsächlich von einer diatopisch bedingten Varianz ausgegangen werden, die die diastratische Dimension überlagert. Dieser Eindruck wird noch durch den Umstand verstärkt, dass zwei der oben genannten jugendlichen Informanten aus SB., bei denen eine erhöhte Tendenz zum stimmhaften Frikativ aufgezeigt werden konnte, aus Belgrano stammen, während die anderen beiden ihren Wohnsitz in Palermo haben.
57 Cf. Kapitel 3.2, 3.3; diese Entsprechungen beziehen sich darüber hinaus auf die Kriterien Schulgeld, internationale Ausrichtung, Berufsstand der Eltern etc.
152
4 Auswertung
Die Auffächerung in unterschiedlich charakterisierte soziale Gruppen der mittleren Oberschicht in Recoleta bzw. dem Barrio Norte erlaubt nun eine differenziertere Analyse der Mengenverhältnisse der einzelnen Varianten. Mit 88,5% sind die stimmhaften Varianten, zu denen neben dem ʒeísmo auch vereinzelt die in Kapitel 4.1 ausgewiesenen allophonischen Okkurrenzen von [z] zu zählen sind, bei den Mädchen aus sozial hoch gestellten Familien die am stärksten präsente Form. Deren deutliche Dominanz wird nur durch eine Schülerin, die mit 41,8% auch das stimmlose Allophon in ihre Aussprache einfließen lässt, durchbrochen. Im Vergleich dazu fällt der Wert in Schule C. deutlich ab: Mit 49,9% übertreffen die stimmhaften Varianten quantitativ zwar die Anzahl aller anderen Stadtviertel, in denen wie dargelegt kein konstant stimmhaft sprechender Jugendlicher ausgemacht werden konnte, innerhalb Recoletas ist dies insgesamt betrachtet aber nur der zweithöchste Wert. Abgesehen von einem Schüler, der /ʒ/ ausschließlich als [ʃ] realisiert, variierten alle interviewten männlichen Informanten zwischen einer sonoren und stimmlosen Lautbildung. Bei zwei Sprechern erfolgte allerdings nur in einem einzigen Fall die Produktion des stimmlosen Palatals, womit diese mit einer Häufigkeit von 97–99% dem Inbegriff des ʒeístas sehr nahe kommen; die 1– 3-prozentige Abweichung ist dabei nicht der stimmlosen Variante [ʃ], sondern der Integration der affrikatischen Realisierungen [tʃ] und [dʒ] geschuldet. Während erstere in einer Vielzahl von Stadtteilen zumindest singulär in Erscheinung tritt, fiel [dʒ] allein in Schule C. in Recoleta auf. Trotz dieser vergleichsweise niedrigen Zahl an ʒeístas sprechen im Institut C. dennoch mehr Jungen den stimmhaften Postalveolar als in Einrichtung LC. Dort werden wie in Karte 4.3 dargestellt ʒeísmo und ʃeísmo in ähnlich frequenter Form verwendet. Auffallend ist, dass es auch hier, ähnlich wie es schon der Vergleich zwischen der Mädchenschule und dem ehemaligem Jungenkolleg gezeigt hat, ausschließlich die weiblichen Sprecher sind, die sich nach wie vor konsequent für den stimmhaften Palatal entscheiden. Damit kann an dieser Stelle klar den Schilderungen Changs und Rohena-Madrazos widersprochen werden, die in ihren Untersuchungen die Bedeutung des Faktors Geschlecht für die präpalatale Distribution als hinfällig deklarierten.58 4.3.1.3.3 Schlussfolgerungen Durch den internen Vergleich der nördlichen barrios von Buenos Aires kann die Schlussfolgerung gezogen werden, dass die diatopische Dimension ein ganz entscheidender Faktor für die Distribution der einzelnen Palatale zu sein scheint. Die hier untersuchten Dimensionen wirken jedoch nicht isoliert voneinander, sondern es besteht ein gerichtetes Verhältnis zwischen den eine 58 Cf. Chang (2008, 62); Rohena-Madrazo (2013, 49).
4.3 Quantitative Auswertung der diatopischen und diastratischen Dimension
153
Varietät bestimmenden Parametern. Fakten der diatopischen Variation können demnach diastratisch markiert sein, womit sie sich auf das Sprachverhalten einer spezifischen soziokulturellen Gruppe beziehen.59 Die Gegenüberstellung der hier ausgewählten – und auf den ersten Blick sozioökonomisch sehr homogenen – Stadtviertel ergibt, dass der in Absatz 4.3.1.1 gewonnene Ersteindruck, die vielfache Verwendung der stimmhaften Variante [ʒ] gründe auf der Zugehörigkeit der Informanten zu einer sozial hohen bis elitären Gesellschaftsschicht, revidiert oder zumindest präzisiert werden muss. Um dem ʒeísmo als sprachlichem Indikator für die soziale Oberschicht von Buenos Aires tatsächlich Gültigkeit einzuräumen, hätte bei der Untersuchung der Schüler des ʻcolegio de eliteʼ SB. in Belgrano zumindest eine wenn auch kleine, so doch umso eindeutigere Menge an konstant realisierenden ʒeístas ausgemacht werden müssen. Diese These hat sich nicht bestätigt. Nicht abzustreiten ist jedoch eine erhöhte Bereitschaft in der Oberschicht sowie in Teilen der gehobenen Mittelschicht, zwischen dem stimmhaften und dem stimmlosen Allophon zu variieren. Statt einer primär diastratischen Stratifikation ergibt sich in Recoleta bzw. im Barrio Norte eine regelrechte Agglomeration von Sprechern, für die sich nahezu ausschließlich die stimmhafte Variante belegen lässt;60 diese Anhäufung verdichtet sich insbesondere unter den jungen Mädchen. Rekurriert man zum Vergleich erneut auf die in Schule NM. und SB. ermittelte Fülle an Okkurrenzen von [ʒ], muss unter Hinzuziehung der biographischen Daten ergänzt werden, dass die beiden Sprecherinnen, die durch die hohe Präsenz von 18–34% stimmhafter Realisierungen herausragten, zwar die Schule in Belgrano bzw. Palermo besuchen, allerdings am unmittelbar an Recoleta grenzenden Parque Las Heras wohnhaft sind. Damit erhärtet sich die Annahme, dass [ʒ] innerhalb der Ciudad de Buenos Aires tatsächlich diatopisch markiert zu sein scheint und bis zu einem gewissen Grad als eine die Sprecher aus diesem Stadtteil charakterisierende Variante einzuordnen ist. Der nahezu absolute Gebrauch des ʒeísmo kann folglich als Indikator für die Provenienz jugendlicher Sprecher aus dem Barrio Norte interpretiert werden; bei einer nur vereinzelt auftretenden Artikulation des stimmhaften Allophons ist eine vergleichbare und für andere Stadtteile gültige Schlussfolgerung hingegen nicht möglich. Darüber hinaus kann mit erhöhter Gewissheit die in Abschnitt 4.3.1.1 vermutete Hypothese bestätigt werden, wonach die weiblichen Städter dieser Generation hinsichtlich ihrer Realisierungen der Postalveolare verstärkt zu einem konservativen Sprachgebrauch neigen. 59 Cf. Coseriu (2005). 60 Eine hundertprozentige Verwendung der stimmhaften oder der stimmlosen Variante trifft, wie sich in Kapitel 4.3 unter Berücksichtigung der diaphasischen Perspektive zeigen wird, in den wenigsten Fällen zu.
154
4 Auswertung
Ist der ʒeísmo nun zwar kein generell übergreifendes sprachliches Charakteristikum der clase alta in Buenos Aires, so fungiert er offenbar dennoch als Marker für einen anderen konkreten Gesellschaftssektor. Die Schulen M., C. sowie auch LC. stehen wie bereits ausgeführt allesamt für eine Schülerschaft, die der sogenannten traditionellen Elite oder der konservativen Mittelschicht angehört.61 Tiramonti und Ziegler konnten im Rahmen ihrer empirischen Untersuchung anhand von zahlreichen Schüler-, Lehrer- und Elterngesprächen für diese Art von Bildungseinrichtungen folgenden Trend ausfindig machen: Los padres de estos sectores construyen un cerco fuerte alrededor de las escuelas con la finalidad de apuntalar su eficacia regulatoria, ejerciendo un poder de policía con el que se proponen neutralizar cualquier cambio que modifique el habitus que caracteriza al entorno familiar. El esfuerzo está puesto en la homologación del habitus familiar y el escolar. Se trata de familias tradicionales que habitan mundos pensados como órdenes orgánicos estructurados alrededor del respeto de las jerarquías, las tradiciones y la reverencia a los linajes familiares. Estos jóvenes están permeados por el orgullo de la pertenencia a un sector social, que legitima su posición de privilegio en las tradiciones familiares. De allí que sus expectativas de futuro coincidan con las trayectorias ya marcadas. Las carreras universitarias que se proponen seguir están asociadas a desempeños profesionales y tradicionales y, en líneas generales, se registran pocos deseos de construir una vida diferente. (Tiramonto/Ziegler 2008, 153s.)
Die Bewahrung des oftmals seit Generationen bestehenden privilegierten Standes in der Gesellschaft, der sich in der aktiven Fortführung traditioneller Werte und Bräuche festmacht, hat oberste Priorität; der Verlust dieser Ideale und der mit ihnen einhergehenden Privilegien in Form gesellschaftlicher Dekonfigurationen soll möglichst vermieden werden.62 Vor diesem Hintergrund darf es nicht ausbleiben, eine Relation zwischen diesem in der Capital Federal vorwiegend im Barrio Norte angesiedelten gesellschaftlichen Rang und der auffälligen Häufung der stimmhaften Variante [ʒ] in dieser Zone zu vermuten. Wenn man die vorangehenden Ergebnisse bedenkt, erscheint es daher möglich, dass auch die Sprache einen signifikanten Stellenwert einnimmt und einen Platz in der Reihe der diesen Habitus definierenden Elemente besetzt. Das stimmhafte Allophon [ʒ] markiert in der Gruppe der unter Zwanzigjährigen möglicherweise also nicht nur geographisch eine Grenze, sondern impliziert darüber hinaus ein Phänomen der Abgrenzung von anderen sozialen Gruppierungen; ob dies nun unbewusst oder aus einem reflektierenden Prozess heraus geschieht, sei zunächst dahingestellt. Der ʒeísmo scheint demnach weniger ein sprachliches Symbol für ökonomischen
61 Cf. Tiramonti/Ziegler (2008, 152). 62 Cf. Tiramonti/Ziegler (2008, 152).
4.3 Quantitative Auswertung der diatopischen und diastratischen Dimension
155
Wohlstand und soziokulturelle Macht, als vielmehr Ausdruck von traditioneller Exklusivität zu repräsentieren, die sich nicht zwingend an den wirtschaftlichen Verhältnissen der Familien festmacht und nur einem begrenzten Teil der Bevölkerung vorbehalten ist.63 Darüber hinaus unterstreicht auch die Frage nach der Herkunft der Eltern der Schüler die teils tiefe Verankerung der betreffenden Familien im Barrio Norte: 73% der Mütter und Väter wuchsen selbst schon in diesem Teil der Stadt auf. In den anderen Stadtvierteln konnte hingegen aufgrund der über die verschiedenen Generationen hinweg wirkenden intraurbanenen sowie stadtexternen Mobilitätsprozesse keine solch ausgeprägte generationsübergreifende Ortsgebundenheit festgestellt werden.64 4.3.1.4 Zwischenfazit: diatopische und diastratische Dynamik Die im Barrio Norte gewonnenen Daten eröffnen neue Möglichkeiten der Bewertung des offenbar fortschreitenden Sprachwandels. Lässt die Gesamtanschauung aus Absatz 4.3.1 (cf. Diagramm 4.1) mit mehr als 79% an ʃeístas doch auf eine schier indiskutable Dominanz der stimmlosen Form schließen, so muss diese Annahme unter dem Eindruck der diatopischen Dimension relativiert werden: Was auf der Grundlage der hier ermittelten Daten für den Großteil der Untersuchungsstandorte Gültigkeit besitzt, nämlich
63 Cf. dazu auch die metasprachlichen Äußerungen in Kapitel 4.5. 64 Die von Tiramonti und Ziegler festgestellte Tendenz, nicht nur im schulischen Umfeld auf einen gesellschaftlich möglichst homogenen Umgang zu pochen, sondern sich auch außerhalb dieser administrativen Grenzen im selben Milieu aufzuhalten, lässt sich auch an der Art der Freizeitgestaltung festmachen. Tatsächlich nennen auch die im Rahmen der vorliegenden Untersuchung befragten Schüler aus Recoleta bzw. Retiro auf die Frage, an welchen Orten sie sich außerhalb der Schule und ihres Zuhauses aufhalten, überwiegend die Stadtteile Belgrano und Palermo, den nördlichen Vorstadtbereich zona norte, barrios cerrados in der Provincia de Buenos Aires sowie exklusive Ortschaften der Oberschicht wie das im Nordwesten gelegene Pilar; viele sind auch in den schuleigenen Sportmannschaften aktiv. Ein vom Norden ausgehender unmittelbarer Austausch mit der in Zone B, C und D ansässigen Mittelschicht (cf. Karte 3.7) findet daher auf geographischer Ebene kaum statt, wobei natürlich Kontaktsituationen, initiiert seitens der im Süden und in der zentralen Stadtlage lebenden Bürger, durchaus vorkommen. So antworteten diverse Jugendliche aus den südlichen und zentral gelegenen Stadtvierteln auf die Frage nach ihrem Aktionsradius innerhalb der Ciudad de Buenos Aires, dass sie an den Wochenenden bevorzugt die Clubs der Costanera in Palermo besuchen. Folglich kann man in diesem informellen Kontext von Sprachkontaktsituationen unter den Jugendlichen ausgehen. Insgesamt wiederholt sich das in Kapitel 3.2 vorgestellte Bewegungsmuster der berufstätigen Bevölkerungsschicht, die ebenfalls nur wenig Mobilität aus dem Norden in die zentral und südlich gelegenen Mittelstandsviertel erkennen ließ.
156
4 Auswertung
dass die konsequente Artikulation des ʒeísmo in der Gruppe der jugendlichen Sprecher bis zu einem Alter von ca. 18 Jahren durch sein stimmloses Pendant [ʃ] beinahe verdrängt worden ist, kann für die jugendliche Sprachgemeinschaft im Nordosten der Stadt nicht bestätigt werden. Einer generalisierenden Schlussfolgerung, wonach der ʃeísmo die in Buenos Aires inzwischen dominierende Variante darstelle, kann aus stadtdialektologischer Sicht daher nur eingeschränkt zugestimmt werden, auch wenn sie durch ihre quantitative Vorherrschaft auf den überwiegenden Teil der Metropole zutrifft; sie lässt aber mit dem Barrio Norte einen spezifischen innerstädtischen Sektor gänzlich unberücksichtigt. Um mögliche Tendenzen im Hinblick auf seine weitere Entwicklung aufzeigen zu können, ist es fundamental, dass der ʒeísmo nicht nur diatopisch markiert ist, sondern dass seine Präsenz dicht mit einer von Werten getragenen, homogenen Gesellschaftsschicht verwoben zu sein scheint. Dies erlaubt, von einer sekundär diastratischen Markierung des Phänomens zu sprechen. Trotz bestehender Koexistenz beider Varianten deutet sich bei einem Gesamtwert von 62,7% stimmhaft realisierender Jugendlicher zum jetzigen Zeitpunkt nicht an, dass der stimmhafte Palatal zugunsten des stimmlosen [ʃ] in der Sprachgemeinschaft Recoleta aufgegeben werden wird. Coseriu zufolge muss eine solche Entwicklung auch für die Zukunft nicht notwendigerweise angenommen werden, da sich im «Kampf zwischen der alten und der neuen sprachlichen Form» nicht unbedingt das innovative Verfahren durchsetzen muss, sondern dieses zugunsten des älteren auch wieder verworfen werden kann (Coseriu 2005, 119). Noll vermutet den Ursprung des stimmlosen Lauts unter Verweis auf Fontanella de Weinberg (1979) in der Artikulation von «Töchtern aus höherem Hause» (Noll 2002, 182). Ein solcher Ausgangspunkt ließ sich schon vor dem Hintergrund der in Kapitel 2.2 genannten Beobachtungen von Zamora Vicente (1949) zum gesellschaftlichen Aufkommen des Phänomens nicht untermauern und scheint trotz abweichender Einschätzungen von Guitarte (1983) und Corominas (1953) anhand der nun vorliegenden Ergebnisse wenig wahrscheinlich; ein change from below soll dennoch nicht als ausschließliche Möglichkeit vorausgesetzt werden, da es mit Blick auf allgemeine Sprachwandelprozesse natürlich auch denkbar wäre, dass eine innovative obere Gesellschaftsschicht in der Phase der Adoption, das neue stimmlose Element zugunsten des stimmhaften Lauts wieder aufgegeben hat.65 Unabhängig vom tatsächlichen gesellschaftlichen Ursprung der stimmlosen Variante ist zentral, dass sich nicht nur ein Wandel hinsichtlich der quantitativen Präsenz beider Allophone bestätigt, sondern dass sich angesichts der diastratischen Markierung auch ein Wandel in Bezug auf das Prestige des stimmhaften [ʒ]
65 Cf. Coseriu (2005, 119).
4.3 Quantitative Auswertung der diatopischen und diastratischen Dimension
157
andeutet; dieser Gedanke wird unter Berücksichtigung der diagenerationellen und diaphasischen Variation nochmals vertiefend aufgegriffen werden. Inwieweit einem der beiden Frikative jedoch mehr oder weniger Prestige zugesprochen werden kann, lässt sich an dieser Stelle nicht auf so verallgemeinernder Ebene entscheiden, wie es bei Noll oder Fontanella de Weinberg der Fall ist.66 Ob eine Variante prestigebesetzt ist oder nicht, kann nicht durch eine Gleichsetzung von Prestige und Standardvarietät gelöst werden, zumal eine solche in der vorliegenden Sprachgemeinschaft höchstens aus quantitativer Sicht benannt werden könnte. Prestige ist in diesem Zusammenhang daher als stark perspektivische Komponente zu betrachten. Wie bereits an diesem Punkt festgestellt werden kann, vollzieht sich der Sprachwandel vom stimmhaften [ʒ] zum stimmlosen Obstruenten [ʃ] in Buenos Aires nicht in allen Stadtvierteln mit gleicher Geschwindigkeit und befindet sich somit in unterschiedlichen Phasen.
4.3.2 Auswertung der centros culturales 4.3.2.1 Variation in Relation zu Alter, Geschlecht und Berufsstand In Kapitel 2.2 und Absatz 4.3.1 wurde bereits mehrfach der Zusammenhang von Alter und den verschiedenen präpalatalen Varianten angesprochen und nachgewiesen. Wenn man die Zahl der insgesamt festgestellten phonetischen Realisierungen von /ʒ/ seitens der in den centros culturales interviewten Informanten in den Blick nimmt, ergibt sich für diese Sprechergruppe folgendes Verhältnis:
100 65.3
80 60 32.6 40
2.1
20 0 ʒ
ʃ
tʃ / dʒ
Diagramm 4.5: Phonetische Realisierung der Erwachsenen.
66 Cf. Fontanella de Weinberg (1979, 57, 75).
158
4 Auswertung
Knapp zwei Drittel der 25- bis 60-Jährigen verwenden relativ konstant die stimmlose Variante [ʃ], mehr als 32% artikulieren die konservative Form [ʒ]. Damit zeichnet sich in dieser Generation zwar ebenfalls die Vorherrschaft des ʃeísmo ab, dennoch fällt diese, wenn man der Variationsbereitschaft zwischen beiden Varianten Rechnung trägt, vergleichsweise weniger dominant aus als dies bei den jugendlichen Sprechern der Fall ist: Mit 33% tritt bei 13% weniger das stimmlose Allophon in einer Frequenz von 95–100% der registrierten Fälle auf. Wie auch in der ersten Informantengruppe ist der Anteil affrikatischer Realisierungen insgesamt sehr gering, erreicht aber vornehmlich in wortinitialer Position zumindest 2,1%. Zusätzlich zu den in Diagramm 4.5 erfassten Varianten wurde in einem Fall der Palatal /ʝ/ bzw. /j/ sowie das dreimalige Vorkommen der bisegmentalen Abfolge [lj] registriert. Diagramm 4.6 veranschaulicht, welche Rolle der Parameter Geschlecht hinsichtlich der Präsenz der einzelnen Laute in dieser Generation spielt:
72.5 53.5
60 43.6
50 40 30
ʒeísmo 26.1
ʃeísmo dʒ / tʃ
20 10
2.9
1.4
0 Frauen
Männer
Diagramm 4.6: Sprachgebrauch der 25- bis 60-Jährigen nach Geschlecht.
Mit einer Differenz von ca. 10% zugunsten des stimmlosen Präpalatals kann bei den Männern der 25- bis 60-Jährigen ein relativ ausgewogenes Verhältnis zwischen [ʒ] und dem Obstruenten [ʃ] festgestellt werden. Gleichzeitig offenbart diese Relation ein signifikantes Fortschreiten des stimmlosen Lauts in dieser Altersgruppe; Wolf/Jiménezʼ und Kubarths Erhebungen zufolge waren 1977 bzw. 1983 die Männer der zweiten Generation mit maximal 34% stimmloser Varianten noch klar als ʒeístas charakterisierbar (cf. Kubarth 1998, 160).67 67 In der Untersuchung von Wolf/Jiménez liegt der Wert an stimmlosen Realisierungen in der Altersgruppe der 24- bis 35-Jährigen insgesamt noch bei 21,53% und lediglich bei 4,49% im Falle der
4.3 Quantitative Auswertung der diatopischen und diastratischen Dimension
159
Für die oben genannte quantitative Mehrheit des ʃeísmo sind, wie aus Diagramm 4.6 nun ersichtlich wird, überwiegend die weiblichen Sprecherinnen verantwortlich. Der ʒeísmo ist hier insgesamt die am wenigsten häufig gebrauchte Variante. Daraus resultiert ein deutlicher Kontrast zum Sprachverhalten der jüngeren Sprecherinnen, die ihre männlichen Mitschüler bezüglich der Präsenz stimmhafter Realisierungen deutlich überbieten. Für die Schüler der Sekundarstufe konnte eine erhöhte Präsenz der stimmlosen bzw. der stimmhaften Variante nicht ohne Weiteres in Korrelation zu ihrem Bildungsstand oder ihrer sozioökonomischen Herkunft interpretiert werden. Ob die einzelnen Varianten in der zweiten generationellen Gruppe an ein bestimmtes Bildungsniveau bzw. einen bestimmten Berufsstand geknüpft sind, lässt sich den Daten in Diagramm 4.7 entnehmen.68 Auffällig ist zunächst die starke Präsenz des ʃeísmo in allen Berufsfeldern ohne akademische Voraussetzungen, wie die der Verkäufer, Handwerker oder der Beschäftigten in sozialen Einrichtungen. Unter den in diesen Bereichen tätigen Informanten konnten auch keine Einzelfälle konstanter ʒeístas ausgemacht werden. Die stimmhafte Variante dominiert im Gegenzug unter den Akademikern sowie unter den Selbstständigen. Bei einem Drittel der Akademiker wurde bei mehr als 90% aller realisierten Postalveolare das stimmhafte Allophon oder die affrikatisch stimmhafte Variante ermittelt, bei den Selbstständigen trifft dies auf alle in dieser Gruppe geführten Sprecher zu. Darüber hinaus wurde eine verhältnismäßig hohe Rate stimmhafter Frikative unter den Sprechern in einer Anstellung im Verwaltungsbereich nachgewiesen; hier ist allerdings zu berücksichtigen, dass die in dieser Kategorie aufgeführten Informanten jeweils über unterschiedlich qualifizierte Ausbildungsniveaus verfügen. Auch wenn das stimmhafte Allophon [ʒ] mit 37% in der Gruppe der Lehrer, schulinterner Führungskräfte etc. den dritthöchsten Wert unter den gewählten Berufsgruppen repräsentiert, steht ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Bildungsstand und dieser Variante allerdings in Frage. Vielmehr scheint das
36- bis 55-jährigen Sprecher (cf. Wolf/Jiménez 1977, 306). Mittelt man die verwendeten Frikative bei den Mädchen im damaligen Alter von 9 bis 17 Jahren, waren ca. 71,7% aller Okkurrenzen stimmlos. Auch wenn sich anhand dieser Daten 36 Jahre später Übereinstimmungen mit den Zahlen der hier untersuchten Sprecher zwischen 25 und 60 Jahren ergeben, soll ein direkter Vergleich im Sinne einer apparent time-Analyse aufgrund der unterschiedlichen Methoden und Informanten, die der Arbeit von Wolf/Jiménez und der hier vorgestellten Untersuchung zugrunde liegen, nicht näher ausgeführt werden. Dennoch scheint es sinnvoll, in diesem Zusammenhang auf diese Werte hinzuweisen und sie bei der Diskussion der Frage, ob der ʃeísmo als age grading-Phänomen gewertet werden könnte oder nicht, in die Überlegungen mit einzubeziehen. 68 Der Berufs- bzw. Bildungsstand ist dabei nicht notwendigerweise mit einem bestimmten wirtschaftlichen Status gleichzusetzen.
160
4 Auswertung
100
98.1 100
88.1
84.5
97.8 81.9
79.6
80 61.3 60
66.6
62.9
52.5 43.2
40 20
37
34.4
32.2 11.9
15.5
17
15.9 0.6
0
0
ʒeísmo
ʃeísmo
Diagramm 4.7: Sprachgebrauch der 25- bis 60-Jährigen in Relation zum Berufsstand.69
Allophon in Generation über einen gewissen Bildungsgrad hinaus an einen wirtschaftlich soliden Background gebunden zu sein.70 Die Alternanz zwischen beiden Varianten durchzieht in unterschiedlicher Ausprägung nahezu alle Berufsfelder und ist nicht auf ein bestimmtes Bildungsniveau begrenzt. Eine Ausnahme sind unter anderem die zum Untersuchungszeitpunkt als arbeitslos gemeldeten Sprecher sowie die Informanten, die sich neben einer beruflichen Nebentätigkeit noch einem Universitätsstudium verpflichtet haben. Hier ist allerdings zu bemerken, dass bei allen in dieser Gruppierung registrierten Fällen eine enge Korrelation zwischen dem Faktor Berufsstand und dem Alter der Befragten, das jeweils unter 35 Jahren liegt, besteht; aus diagenerationeller Sicht kann dies wiederum, wenn man die Ergebnisse aus Absatz 4.3.1 hinzuzieht, auch als Erklärung für das vollständige Ausbleiben des ʒeísmo bei einigen Sprechern in dieser Gruppe herhalten. 69 Die im centro cultural als Lehrer oder Koordinator beschäftigten Informanten sind im eigentlichen Sinne zwar Angestellte, werden aufgrund der hier durchgeführten Fokussierung der Dynamik innerhalb dieser Institutionen aber als eigenständige Kategorie aufgeführt. Die Gruppe der Akademiker umfasst Juristen, Notare, im Bereich der Wirtschaftswissenschaften Graduierte und Übersetzer. Zur Berufsgruppe «Bildung» zählen Lehrkräfte an Primar- und Sekundarschulen, Universitätsdozenten sowie Schulleiter. 70 Die konkrete finanzielle Situation der Gewährspersonen liegt natürlich nicht vor, lässt sich aber anhand des Berufstandes und begleitender Faktoren wie dem Beruf des Ehepartners, einem eigenständigen Büro etc. in Ansätzen rekonstruieren. Die Berufsgruppe der Lehrer nimmt zur Sicherung des Lebensstandards häufig eine doppelte Unterrichtstätigkeit in Kauf.
161
4.3 Quantitative Auswertung der diatopischen und diastratischen Dimension
Insgesamt sollte eine Korrelation zwischen der stimmhaften und stimmlosen Variante einerseits und den Berufsgruppen mit dem damit einhergehenden Bildungsstand andererseits eher kritisch betrachtet werden. Es zeichnet sich hier zwar eine mehr oder minder deutliche Tendenz ab, dennoch müssen für eine klare Evaluation zusätzlich wirkende Parameter berücksichtigt werden. Eine erneute Unterteilung der zweiten Generation verdeutlicht, dass die in Diagramm 4.7 ermittelte Distribution oftmals anderen korrelierenden Faktoren geschuldet zu sein scheint:
Tabelle 4.2: Sprachgebrauch in Relation zu Alter, Geschlecht und Berufsstand.
Alter: –
Berufsstand
Männer
Alter: –
Frauen
Männer
Frauen
ʒ
ʃ
ʒ
ʃ
ʒ
ʃ
ʒ
ʃ
,%
,%
–
–
,%
,%
,%
,%
–
–
,%
,%
,%
,%
,%
,%
%
,%
,%
,%
,%
,%
–
–
%
%
–
–
,%
,%
–
–
–
–
%
%
–
–
,%
,%
centro cultural
,%
%
,%
,%
,%
,%
,%
,%
Student
,%
,%
–
–
–
–
–
–
trabajo social
–
–
%
%
–
–
–
–
Ungelernte
–
–
%
,%
–
–
–
–
%
%
%
%
–
–
%
,%
–
–
–
–
,%
%
%
%
Akademiker Bildung Sachbearbeiter und Verwaltungsangestellte Handwerker Verkäufer
Keine Arbeit Selbstständige
162
4 Auswertung
Hinsichtlich der Berufe fällt zunächst die Konzentration des stimmlosen [ʃ] in den Bereichen Handwerk und Verkauf auf, das sich dort in allen Generationen durchsetzt. Insgesamt offenbart die generationelle Unterteilung aber sowohl bei den männlichen als auch bei den weiblichen Studienteilnehmern erneut die Prägnanz der Variable Alter. Trotz der zahlenmäßig stärker vertretenen Männer zwischen 25 und 40 Jahren dominiert der ʒeísmo ganz deutlich in der zweiten aufgeführten Generationsgruppe; dagegen grenzen sich nur zwei der insgesamt 19 jüngeren Männer durch eine konstante Realisierung des stimmhaften Palatals (mehr als 90%) von den dominierenden ʃeístas ab. Bei den Frauen bis zweiundvierzig Jahren konnte eine gleichermaßen konstant stimmhafte Artikulation der Präpalatale nicht ausgemacht werden, sie trat aber in der Gruppe der über Vierzigjährigen bei 23% der Informantinnen auf.71 Die Sprecherinnen dieser Generation erwiesen sich zudem als wesentlich variationsfreudiger als ihre männlichen Altersgenossen, die kaum von ihrer entweder stimmhaften oder stimmlosen Grundtendenz abwichen. Alter und Geschlecht sind bezüglich der Distribution der in Buenos Aires koexistierenden Präpalatale also ganz entscheidende und eng miteinander korrelierende Parameter, die in einer gerichteten Relation zueinander zu stehen scheinen und die Determinante Bildung und den damit oftmals einhergehenden sozioökonomischen Status überlagern. Wenn man an dieser Stelle nun den Versuch wagen möchte, dem Wirken der verschiedenen außersprachlichen Faktoren in dieser Sprachgemeinschaft einen gewissen Prioritätsgrad einzuräumen, so ergäbe sich auf der Grundlage der bis hier präsentierten Daten innerhalb der diastratischen Dimension folgende Korrelations- bzw. Prioritätenkette: Alter, Geschlecht, Bildung bzw. Beruf. Das Alter erweist sich aus diastratischer Sicht als die in erster Linie determinierende Variable in der Frage, ob bei einem Sprecher das sonore [ʒ] zu erwarten ist oder nicht. Innerhalb der hier diskutierten generationellen Gruppe greift dann an sekundärer Stelle der Parameter Geschlecht, da dieser in allen Berufsfeldern auf Seiten der Männer eine höhere Präsenz der stimmhaften Variante abbildet als es bei den weiblichen Sprecherinnen gleichen Alters der Fall ist.72 Die dritte Faktorenstufe entfällt schließlich auf die Variable Beruf bzw. Bildung. Der Vergleich des prozentualen Aufkommens von [ʒ] unter den Frauen zwischen 25 bis 42 lässt darauf schließen, dass eine akademisch fundierte Ausbildung ein Indikator für ein erhöhtes Auftreten des sonoren Frikativs sein kann, auch wenn es sich
71 «Konstant stimmhaft» bezieht sich hierbei auf eine stimmhafte Realisierung von mehr als 90% aller ermittelten Präpalatale. 72 Die Abweichung im Falle der Selbstständigen resultiert aus dem Gebrauch der stimmhaften Affrikate [dʒ] und stellt demnach keinen Widerspruch dar.
4.3 Quantitative Auswertung der diatopischen und diastratischen Dimension
163
dabei lediglich um eine Tendenz handelt, die keiner Regelmäßigkeit unterworfen ist. So besetzt der Anteil an stimmhaften Postalveolaren in der Gruppe der im Bereich Bildung Tätigen quantitativ zwar die zweite Position, wird aber von denjenigen, die keiner erlernten Beschäftigung nachgehen, übertroffen, sodass dieser Korrelation nur eingeschränkt Gültigkeit zugesprochen werden kann. Ein etwas differenzierteres Bild ergibt sich für die zweite weibliche Generationsgruppe, in der die registrierten konstanten ʒeístas allesamt den Akademikern und Selbstständigen zuzuordnen sind.73 Dass auch hier die im Bildungssektor tätigen Frauen entweder zwischen sonoren und stimmlosen Varianten variieren oder konstant stimmlos realisieren, erlaubt wie zuvor bereits dargelegt die Hypothese, dass das stimmhafte Allophon nicht notwendigerweise an einen hohen Bildungsstand, sondern darüber hinaus an ein gewisses sozioökonomisches Fundament gebunden ist. Die in den Vorarbeiten unternommene Unterscheidung nach Universitätsabschluss, secundaria etc. ist daher nur bedingt sinnvoll und nicht differenziert genug, da Nuancen wie die Differenzierung nach ökonomischen Mitteln innerhalb dieses Bildungsniveaus nicht nachvollzogen werden können. 4.3.2.2 Diatopische Dimension Für die Sprecher der jüngsten Altersgruppen ließ sich in Korrelation mit spezifischen Faktoren, die aus den innerstädtischen Modifikationsprozessen der Sozialstruktur in Buenos Aires hervorgegangen sind, ein deutliches stadtdialektologisches Bild bezüglich des Auftretens der Postalveolare nachzeichnen. Karte 4.4 zeigt, ob sich dieses Bild auch über die älteren Generationen fortsetzt und schafft darüber hinaus die Voraussetzung, aus diachroner Perspektive Rückschlüsse auf eine mögliche intraurbane und stadtviertelspezifische Lautentwicklung ziehen zu können. Wie es die oben aufgeführten Diagramme erwarten lassen, dominiert in nahezu allen Gruppen, die an verschiedenen geographischen Punkten als Gewährspersonen herangezogen wurden, der ʃeísmo. Dabei ergeben sich in Belgrano sowie in den zentral gelegenen Vierteln Caballito und Balvanera vergleichbare Verwendungstendenzen, wo circa 30% aller Fälle als [ʒ] realisiert wurden. Die prozentual größte Expansion des stimmlosen Obstruenten [ʃ] zeigt sich mit knapp
73 Bei der nicht in dieses Ausbildungsniveau fallenden Sprecherin handelt es sich um die als Hausfrau tätige Ehefrau eines ebenfalls interviewten Bankiers in hoher Position. Das Paar gehört der traditionellen Elite von Buenos Aires an. Der fehlende akademische Bildungsgrad wird hier durch einen hohen sozioökonomischen Background kompensiert.
164
4 Auswertung
Karte 4.4: Phonetische Realisierungen der 25- bis 60-Jährigen in Relation zum Wohnort.
90% aller Realisierungen im centro cultural des im Süden liegenden Barracas. Eine Mittelstellung nehmen die peripheren Stadtteile Mataderos und Villa Pueyrredón ein, hier tritt der stimmhafte Präpalatal bei circa 20% in Erscheinung. Als besonders aufschlussreich erweist sich abermals der Blick auf das zentrumsnahe Barrio Norte, wo wie schon bei den jugendlichen Sprechern auch in dieser
4.3 Quantitative Auswertung der diatopischen und diastratischen Dimension
165
Generation eine deutliche Konzentration des sonoren Frikativs beobachtet werden kann: Über 90% aller erfassten Postalveolare wurden sonor artikuliert. In der Diskussion einer möglichen diatopischen Markierung muss bedacht werden, dass die Informanten zwischen 25 und 60 Jahren auch innerhalb der einzelnen Gruppen eine wesentlich heterogenere und komplexere Zielgruppe darstellen, als es bei den Jugendlichen, die sich innerhalb ihres jeweiligen schulischen Profils recht klar einem bestimmten sozioökonomischen Status zuordnen ließen, der Fall ist. Dies ist nicht zuletzt der individuellen Biographie der einzelnen Sprecher geschuldet, die infolge horizontaler und vertikaler Mobilitätsprozesse einer Vielzahl an unterschiedlichen einflussnehmenden Faktoren ausgesetzt sind. Mittels Karte 4.5 wird der Versuch unternommen, die räumlichen Mobilitätsströme, die auf die untersuchten Stadtviertel wirken, mit den ermittelten Realisierungstendenzen der Postalveolare in Beziehung zu setzen.74 Die in den Karten 4.4 und 4.5 vergleichbaren Werte stimmloser bzw. stimmhafter Realisierungen in den Wohnvierteln Belgrano, Barrio Norte und Barracas lassen sich zum einen dadurch erklären, dass in den dortigen Gruppen die prozentual höchste Dichte an ortsfesten Sprechern ausgemacht wurde.75 Im Gegensatz dazu weisen Caballito und Balvanera eine recht hohe Fluktuationsrate auf, was nicht nur Einfluss auf die demographische Struktur der Gruppen bzw. Stadteile insgesamt nimmt, sondern sich auch in der Distribution der verwendeten Varianten widerspiegelt. Daraus folgt trotz lokaler Verankerung eine gewisse graduelle Abstufung im Hinblick auf die lokale Gebundenheit der einzelnen Gruppen. Rückt man die Zahl der ortsfesten Informanten in den Fokus, zeichnet sich auf den ersten Blick die in Abschnitt 4.3.1.3 formulierte These ab, wonach die erhöhte Präsenz von [ʒ] in den Vierteln Mataderos und Villa Pueyrredón auf ein insgesamt langsameres Fortschreiten der Verbreitung der innovativen Variante [ʃ] am äußeren Standrand hindeute und folglich eine stadtinterne Gradualität ihrer Verbreitung nahelege (Karte 4.5). Ob eine solche Schlussfolgerung unter Ausklammerung der tatsächlichen Demographie wirklich sinnvoll ist, ist allerdings fraglich, wird in Karte 4.5 doch deutlich, dass diese intraurbanen Mobilitätsprozesse konstituierend für den jeweiligen Stadtabschnitt sind und damit auch für den kommunikativen Raum zu wirken scheinen.
74 Cf. dazu auch die Ausführungen zur innerstädtischen Mobilität in Kapitel 3.1 und 3.2. Interior referiert dabei auf Sprecher, die aus einer der 23 provincias Argentiniens in die Ciudad de Buenos Aires gezogen sind. 75 «Ortsfest» bezieht sich an dieser Stelle auf all diejenigen, die in dem Viertel aufgewachsen sind und dort nach wie vor wohnhaft sind oder erst kurz vor dem Untersuchungszeitraum in einen anderen Stadtteil gezogen sind.
166
4 Auswertung
Karte 4.5: Präsenz von [ʃ] unter den ortsfesten Sprechern eines Viertels im Vergleich zu den zugezogenen Sprechern.
4.3 Quantitative Auswertung der diatopischen und diastratischen Dimension
167
Eine sichere Bewertung der ermittelten Datenlage gestaltet sich somit in dieser generationellen Gruppe als besonders schwierig, weshalb hier lediglich Tendenzen aufgezeigt werden können, über welche Vermutungen im Hinblick auf mögliche geographische Verteilungsmuster der postalveolaren Varianten angestellt werden können. Auf Grundlage der in Karte 4.4 und 4.5 veranschaulichten Daten soll an dieser Stelle eine primär diatopisch begründete Variation zwar nicht ausgeschlossen, jedoch angezweifelt werden. Insbesondere die im Stadtzentrum situierten Stadtteile Balvanera und Caballito repräsentieren aufgrund des vergleichsweise hohen Anteils Zugezogener eine Sprachgemeinschaft, anhand derer sich die lokale Expansion von Wandel diachron wie synchron kaum nachvollziehen lässt. Plausibler erscheint daher eine Erklärung, die auf der Charakteristik und Zusammensetzung der einzelnen ausgewählten Gruppen fußt; im Falle der centros culturales und des colegio in Caballito weisen diese bezüglich Berufsbildung und Sozialstruktur eine verhältnismäßig heterogene Struktur auf. Im Gegensatz dazu scheinen das stimmhafte [ʒ] und das stimmlose [ʃ] in den Stadtteilen Barrio Norte und im westlichen Teil von Barracas eine klare diatopische Markierung zu besitzen, die im Sinne Coserius mit einer diastratischen Funktion behaftet ist. Stimmhaftigkeit hat sich schon bei den jugendlichen Sprechern als ein offenbar den Postalveolaren im Barrio Norte inhärentes Merkmal herausgestellt, das nun auch hier sekundär für die Gruppe des J.-Clubs als Charakteristikum fungiert. Aus dieser diastratischen Markierung folgt, dass aber auch innerhalb des Barrio Norte einzelne Sprecher und gruppenartige Zusammenschlüsse angenommen werden können, die die zur Diskussion stehenden Laute stimmlos realisieren. Dass die diastratische Zuordnung im Falle des J.-Clubs so eindeutig ausfällt, gründet sicherlich auf der sozialen Homogenität der Gruppe, die das Nachvollziehen einer solchen Korrelation im Vergleich zu den centros culturales erleichtert. In gleicher Weise erlauben die bis hier erlangten Ergebnisse, [ʃ] in Bezug auf Barracas als diatopisch markiert zu deklarieren, denn von allen centros culturales, sprich von allen Gruppen, die ein ähnliches Profil aufweisen, wurde hier die höchste Präsenz des ʃeísmo ermittelt; dies bedeutet natürlich nicht, dass beispielsweise ein in Barracas lebender Anwalt oder Ingenieur nicht über eine überwiegend stimmhafte Artikulation der Postalveolare verfügen kann. Dass in diesem Teil der Stadt sowohl in der jüngsten als auch in der zweiten Sprechergeneration die höchste Präsenz des stimmlosen Präpalatals nachgewiesen wurde, lässt überdies Vermutungen zur intraurbanen Expansion und zum Ausgangszentrum der innovativen Variante zu. Wie schon in Kapitel 2.2 zitiert, äußert Zamora Vicente 1949 die Annahme, der ʃeísmo sei ein Phänomen, das insbesondere in den Stadtteilen Boca und Nueva Pompeya sowie in den heutigen Conurbano-Arealen Avellaneda und
168
4 Auswertung
Lanús zu hören gewesen sei (cf. Karte 2.1). Barracas wird, die nördliche Grenze ausgenommen, von allen Seiten von genau diesen Stadtteilen umschlossen und dürfte damit mit in den von Zamora Vicente referierten Bereich fallen. Damit ist sicherlich nicht hinreichend nachgewiesen, dass die Innovation der Desonorisierung von [ʒ] tatsächlich in diesem Areal der Stadt ihren Ausgangspunkt genommen haben muss; man kann aber davon ausgehen, dass die Phase der Adoption – um erneut Coserius Terminologie heranzuziehen –, in der die Sprecher das neue Phänomen in ihr sprachliches Repertoire aufnehmen, sich in der dortigen Sprachgemeinschaft schneller bzw. extensiver vollzogen haben muss, als es in den anderen hier untersuchten barrios der Fall war.76 Ebenso kann man in der Phase der Selektion einen früh erfolgten erhöhten Rückgriff auf die neue Form vermuten, im Zuge dessen der stimmhafte Laut zwar weiterhin besteht, aber weit weniger häufig realisiert wird. Insgesamt haben sich die Gruppen der centros culturales sowie die des colegio in Caballito als soziale Zusammenschlüsse erwiesen, in denen alle hier diskutierten Varianten aktiv Verwendung finden. Dass sich auf der Grundlage dieser lokal und sozial heterogenen Gruppenstrukturen allerdings Wirkungen in der Art ergeben, dass der Gebrauch einzelner Varianten konformitätsstiftend auf eine ganze Gruppe wirkt und somit eine klare gruppenspezifische Markierung erhält, konnte mit Ausnahme von Recoleta und unter Einschränkung von Barracas allerdings nicht festgestellt werden. Weder während der Beobachtungsphasen der Interaktionsprozesse in den talleres, noch bei den Gesprächen mit zwei Interviewpartnern, in denen zum Teil ganz bewusst Kontaktsituationen überwiegend stimmlos und stimmhaft Realisierender provoziert wurden, war eine Anpassung eines Sprechers hinsichtlich der Realisierung der Postalveolare an sein Gegenüber bemerkbar; eine Differenzierung dieser Beobachtung wird bei der Analyse des stilistischen Bereichs in Kapitel 4.4 getroffen werden. [ʃ] und [ʒ] haben sich infolgedessen zumindest unter den hier beleuchteten Kontexten nur eingeschränkt als Varianten herausgestellt, die aufgrund einer gruppeninternen Sprachkonvention als angemessen oder unangemessen erachtet werden oder eine Art von Gruppenzugehörigkeit markieren. Es bliebe aber zu untersuchen, ob es bei konkreten Kontaktsituationen innerhalb einer hierarchisch stark geprägten Gruppe – was bei den hier ausgewählten Zusammenschlüssen nicht der Fall ist – trotz bestehender Koexistenz zur Dominanz einer bestimmten Variante und damit zur Reduktion der anderen Variante käme.
76 Cf. Coseriu (2005, 118s.).
4.3 Quantitative Auswertung der diatopischen und diastratischen Dimension
169
4.3.3 Auswertung der centros de jubilados 4.3.3.1 Vorbemerkungen In der Altersstufe der 64- bis 94-Jährigen macht sich in so ausgeprägter Form wie in keiner anderen Gruppierung der migratorische Charakter der Stadt Buenos Aires bemerkbar, sei es auf stadt- und landesinterner wie auf stadt- und landesexterner Ebene. Die in Kapitel 3.2 dargestellte intraurbane Distribution der Migrationsströme erklärt dabei den zwischen den einzelnen Stadtvierteln stark divergierenden Anteil an Sprechern, die nicht seit ihrer Geburt in Buenos Aires wohnhaft sind.77 Sprachgeschichte und Stadtgeschichte greifen hier folglich untrennbar ineinander. Bei der Gesprächsführung mit den Informanten der centros de jubilados mussten im Hinblick auf die strikte Einhaltung der interviewstrukturellen Merkmale vermehrt Abstriche in Kauf genommen werden; dies gründete zum einen auf den altersbedingten Einschränkungen seitens der Informanten, wie der abnehmenden Seh- oder Hörfähigkeit, zum anderen aber auch auf individuellen biographischen Aspekten, wie einer während Kriegszeiten erfolgten Migrationsgeschichte, die beispielsweise das Erlernen der Lesefertigkeit verhindert hatte. Auf dem Lektüreteil fußende Daten liegen daher nicht für alle untersuchten Personen dieser Altersgruppe vor.78 4.3.3.2 Auswertung In den centros de jubilados ergibt sich ein stark von den beiden jüngeren Sprechergruppen divergierendes Dominanzverhältnis zwischen den einzelnen Varianten:
77 Cf. Kapitel 3.2. Den Auffassungen der traditionellen Dialektologie zufolge eignen sich insbesondere die Personen als Gewährsleute, die eine seit mehreren Generationen bestehende lokale Verankerung im Untersuchungsort aufweisen können (cf. Kapitel 3.1). Vor dem Hintergrund des rasanten, insbesondere auf Migrationsprozessen fußenden Wachstums der argentinischen Hauptstadt zu Beginn des 20. Jahrhunderts, zeigt sich erneut, dass eine moderne Stadtdialektologie, die den Anspruch hat, demographischen Wandlungsprozessen zumindest partiell gerecht zu werden, den von der traditionellen Dialektologie formulierten Anforderungen allerdings schon aus praktischen Gründen nicht nachkommen kann. 78 Darüber hinaus wurde während des freien Gesprächsteils wiederholt auf die Thematisierung politischer Aspekte verzichtet, da sich die Informanten dieser Generation insgesamt misstrauischer der Untersuchung gegenüber zeigten und die Kommentierung von Themen, die über den persönlichen Lebensbereich hinausgingen, oftmals ablehnten; dieses Misstrauen fußt sicherlich auch auf den Erfahrungen und dem direkten Miterleben der dictaduras militares in Argentinien.
170
4 Auswertung
74.9 80 ʒ 60 40 20
ʃ dʒ 20.4
tʃ 2.1
0.3
2.3
andere
0 Diagramm 4.8: Phonetische Realisierung der 64- bis 95-Jährigen.79
Der ʒeísmo ist die klar vorherrschende Variante der ältesten Bevölkerungsschicht der Stadt Buenos Aires. Diese Distribution ist wenig überraschend, wenn man die diachrone Entwicklung des rioplatensischen Phonemsystems bedenkt, aus dem das stimmlose [ʃ] erst gegen Ende des 19. bzw. Anfang des 20. Jahrhunderts als innovative Variante hervorging. Dass sich die affrikatischen Realisierungen vermehrt bei den älteren Sprechergenerationen feststellen lassen, kann möglicherweise als ein Hinweis auf eine noch ältere Lautstufe gedeutet werden. Wie in Kapitel 2.2 bereits erläutert, werden die unterschiedlichen Stufen der Lautentwicklung bezüglich affrikatischer Realisierungen in der Literatur nur im Ansatz dargestellt und aus diachroner Sicht leider unzureichend von den präpalatalen Frikativen differenziert. Die ersten Zeugnisse für das Aufkommen des ʒeísmo von Alexander Caldcleugh (1825) und die Theaterkritik des mensajero argentino (1826) legen jedoch eine zunächst affrikatische Verankerung der Laute nahe, die zu diesem frühen Zeitpunkt im Gegensatz zur heutigen Situation auch intervokalisch auftrat und somit nicht von ihrer lautlichen Umgebung determiniert gewesen zu sein scheint:80 Cavallo is pronounced Cavadjo, Calle Cadje, and yo jo.
(Caldcleugh 1825, 173)
[. . .] parece que pronuncia un ch medio líquido pero prolongado, y que dice chchchanto, batachchcha. (Mensajero Argentino, 6. Juni 1826)
79 In die Bewertung gehen im Gegensatz zu der Gruppe der colegios und centros culturales hier lediglich die Sprachdaten aus freiem Gesprächsteil und historieta ein. Zu den Gründen cf. Absatz 4.4.1. 80 Ob die Affrikate dem stimmhaften Frikativ als Basis tatsächlich vorausging oder sich parallel zu dieser entwickelte, wäre durch weiterführende typologische und diachrone Untersuchungen zu klären.
171
4.3 Quantitative Auswertung der diatopischen und diastratischen Dimension
Um mit dieser letzten generationellen Gruppe den sich vollziehenden Wandel einer Bewertung zu unterziehen, erscheint die Gegenüberstellung mit den von Kubarth und Wolf/Jiménez erhobenen Daten besonders lohnenswert. Auch wenn es sich dabei natürlich um andere individuelle Gewährspersonen handelt und den jeweiligen Untersuchungen unterschiedliche Erhebungsverfahren und Methoden zugrunde liegen, sollte mit dem Ziel einer möglichst vollständigen Darstellung der Lautentwicklungan an dieser Stelle dennoch ein vorsichtiger Vergleich angestellt werden. Demzufolge hat sich die Spanne zwischen beiden Varianten unter den über Sechzigjährigen quantitativ inzwischen deutlich verkleinert:
100 96.4 80 84.79 74.9 60 [ʒ] [ʃ]
40 15.21
20.4
20 3.6 0 Wolf/Jiménez 1977
Kubarth 1983
Link 2013
Diagramm 4.9: Präsenz von [ʒ] und [ʃ] unter der ältesten Sprechergeneration in den Jahren 1977, 1983 und 2013.81
Die Extension des ʃeísmo steigt seit 1977 von anfangs nur 3,7% auf bis heute 20,4% kontinuierlich an, was gleichzeitig eine Verringerung der Dominanz des stimmhaften Lauts [ʒ] bedeutet. Die in den Studien unterschiedliche Festlegung der untersuchten Altersgruppen und die allgemein nur bedingte Vergleichbarkeit der Ergebnisse hat unvermeidbar zur Folge, dass bei der Gegenüberstellung der einzelnen Generationen Abstriche in der Präzision der Daten in Kauf genommen werden müssen.82 Dennoch zeichnet sich ein deutlicher Prozess ab, der die Interpretation nahelegt, die Entwicklung der Präpalatale des español de Buenos Aires als einen change in progress zu kennzeichnen und die Möglichkeit
81 Die Angabe 1983 bezieht sich dabei auf das Jahr der Untersuchung Kubarths und entspricht nicht dem der Veröffentlichung seines Aufsatzes (cf. Kubarth 1998). 82 Wolf/Jiménez fassen in die Gruppe des tercera edad Sprecherinnen und Sprecher über 55 (cf. Wolf/Jiménez 1979), Kubarth hingegen Sprecher zwischen 49 und 75 Jahren (cf. Kubarth 1998).
172
4 Auswertung
eines age grading-Phänomens als Begründung weniger plausibel erscheinen zu lassen. Auf alle Sprechergenerationen übertragen heißt das, dass mit fortschreitendem Alter der einzelnen Sprecher nicht mit einer signifikanten und altersbedingten Modifikation ihres Gebrauchs der Varianten zu rechnen ist.83 Wenn man bedenkt, dass die dritte Generation der vorliegenden Untersuchung erst Sprecher ab dem 64. Lebensjahr umfasst, dürfte die tatsächliche Differenz zu den Jahren 1977 und 1983 sogar noch markanter ausfallen und den fortschreitenden Wandel zusätzlich bestätigen. Mit Blick auf die Distribution der Varianten in Relation zum Geschlecht konnte in den centros de jubilados nur im Falle einer Sprecherin die nahezu ausschließliche Wiedergabe der desonorisierten Variante (95–100% aller Realisierungen) festgestellt werden, etwas häufiger fiel die Varianz zwischen dem stimmhaften und dem stimmlosen Allophon aus. In beiden Fällen ergibt sich eine Konzentration seitens der weiblichen Sprecherinnen, denn unter den Männern fand der stimmlose Laut lediglich in 0,1% aller erfassten Realisierungen Anwendung. Damit kann man von einem so gut wie vollständigen Ausbleiben des ʃeísmo unter den ältesten männlichen Teilnehmern sprechen, womit die ohnehin schon schwache Präsenz von 3,56% an variantes ensordecidas und sordas, die Wolf/Jiménez für das Jahr 1977 angegeben hatten, sogar noch unterschritten wird. Der ʒeísmo kann demnach von der zweiten auf die dritte Generation übergreifend als diagenerationell sowie diasexuell markiert gewertet werden und ist bei den Männern unabhängig von intraurbaner Provenienz, Gruppenzugehörigkeit oder Berufsstand (Diagramm 4.10). Allophonische Varianten zum sonoren [ʒ] bestehen seitens der männlichen porteños primär in affrikatisch stimmhaften Realisierungen und im stimmhaften Palatal /ʝ/, sekundär im Phon [z] sowie in den biphonematischen Verbindungen [dj] und [dz]. Diese wurden über die Teilnahme von aus dem Interior immigrierten Einwohnern registriert. Nun drängt die Distribution in Diagramm 4.10 zu dem Schluss, die in Absatz 4.3.2.1 abgeleitete Korrelationskette für die älteste untersuchte Generation zu revidieren bzw. umzukehren: Unter den Sprechern, die das 64. Lebensjahr überschritten haben, wiegt die Variable Geschlecht am stärksten, das Alter greift, wie die zusätzliche Unterteilung der weiblichen Informantinnen offenlegt, erst sekundär (Diagramm 4.11). Die unterschiedlichen Korrelationen und Distributionsverhältnisse dürfen nun nicht als Widerspruch begriffen werden, vielmehr leitet sich daraus ab,
83 Cf. Labov (1994, 46, 84).
4.3 Quantitative Auswertung der diatopischen und diastratischen Dimension
93.5
100 80
173
64.5
ʒ
60
ʃ dʒ
32.5
40
tʃ
20
2.2
0.5
0.1
2.1
0
0 Frauen
Männer
Diagramm 4.10: Phonetische Varianten der 64- bis 95-Jährigen in Relation zum Geschlecht.
100
78.2
80 60
51.19
ʒ
46
ʃ 40
19
20
2.81
andere 2.8
0 Frauen 63-75
Frauen 76-95
Diagramm 4.11: Präsenz von ʃeísmo und ʒeísmo bei den Sprecherinnen in Relation zum Alter.
dass der yeísmo in Buenos Aires nicht nur hinsichtlich seiner Präsenz einer starken Dynamik unterworfen ist, sondern dass man auch von keiner universalen generations- und geschlechtsübergreifenden Markiertheit ausgehen darf. Für die Frage nach einer möglichen diatopischen Gebundenheit rücken folglich nur die weiblichen Sprecherinnen der dritten Generation in den Vordergrund, wobei abermals an die mehrfach dargestellte Problematik der innerstädtischen und externen Migrationsprozesse angeknüpft werden muss. Auf der Grundlage der dort gewonnenen Erkenntnisse wird in der kartographischen Darstellung 4.6 daher auf eine gruppenorientierte Zusammenstellung bewusst verzichtet und in vereinfachter Form lediglich auf die Informantinnen, die in den jeweiligen Stadtteilen aufgewachsen sind, rekurriert; auch wenn es sich damit – zugunsten einer diachronen Aufarbeitung – gewissermaßen um eine artifizielle synchrone Betrachtung handelt:
174
4 Auswertung
Karte 4.6: Phonetische Realisierungen der ortsfesten Sprecherinnen zwischen 64–95 Jahren in Relation zum Wohnort.
In den peripheren barrios Mataderos und Villa Pueyrredón artikuliert eine Mehrheit von knapp 69 bzw. 94% die Postalveolare stimmhaft. Diese Dominanz schwächt sich in Richtung historisches Zentrum ab und wird in Barracas als einzigem Stadtteil sogar eingebüßt, wo wie in den beiden vorangehenden Altersstufen die größte Dichte an ʃeístas beheimatet ist. Dass sich durch die zweithöchste Präsenz an [ʒ] auch im Falle Recoletas die vermutete Ortsgebundenheit von [ʒ] bzw. [ʃ] bis in die dritte Sprechergeneration hin fortsetzt, scheint die Annahme einer diatopischen Markierung in diesen beiden Stadtvierteln zu bestätigen. Trotz allem sei darauf hingewiesen, dass Karte 4.6 unter Ausklammerung der tatsächlich gegebenen Teilnehmerzahl nur ein reduziertes Sample an Sprecherdaten erfasst und daher auch innerhalb der fokussierten Gruppe nur eingeschränkt Anspruch auf Repräsentativität erheben kann.
175
4.3 Quantitative Auswertung der diatopischen und diastratischen Dimension
4.3.4 Zusammenführung und Reflexion der verschiedenen Dimensionen Führt man die bis zu dieser Stelle erläuterten Daten aller Informanten auf diagenerationeller und diasexueller Ebene zusammen, ergibt sich folgendes Gesamtbild der Distribution der in Buenos Aires verwendeten Präpalatale:
100
93.5 86.85 80.38
80
72.47 64.5 53.5
60
43.6 40
32.5 26.1
19.37 20
12.79 0.1
2.1
2.2
0 männlich
weiblich
colegios
männlich
weiblich
centros culturales ʒ
ʃ
dʒ
männlich
weiblich
centros de jubilados
tʃ
Diagramm 4.12: Realisierung von /ʒ/ in Relation zu generationeller Gruppe und Geschlecht.
Während bei den Sprechern, die das 60. Lebensjahr unterschreiten, der ʃeísmo in beiden Geschlechtern die dominierende Variante darstellt, liegt sein Gebrauch bei den über 64-jährigen jubilados deutlich unter dem des stimmhaften Postalveolars [ʒ]. Die Zusammenschau der Untersuchungsergebnisse verdeutlicht darüber hinaus, dass bei den weiblichen Sprechern mit zunehmendem Alter die Differenz zwischen stimmhaften und stimmlosen Realisierungen abnimmt, sodass der Lautwandel in den verschiedenen Generationen als unterschiedlich weit fortgeschritten eingestuft werden kann. Der vermutete Wandel könnte zudem anhand eines apparent time-Vergleichs etappenweise nachvollziehbar werden. Die Gegenüberstellung einzelner Generationen soll im Rahmen dieser Arbeit aber in erster Linie einer synchronen Darstellung der sprachlichen Wirklichkeit dienen, birgt eine apparent time-Analyse laut Siebenhaar doch die Problematik, dass auch «unter den älteren Gewährsleuten ein anhaltender oder ein einer modischen Entwicklung unterliegender kurzfristiger Sprachwandel stattgefunden haben kann, der durch
176
4 Auswertung
den Vergleich gleichzeitig erhobener Daten nicht nachprüfbar ist» (Siebenhaar 2002, 314). Die diagenerationelle Perspektive führt zu dem Schluss, dass keine verallgemeinernde Kategorisierung in konservative Männer und innovatorische Frauen stattfinden kann, wie es sich in den Studien von Fontanella de Weinberg und Wolf/Jiménez abzuzeichnen schien. Vielmehr tritt die u.a. von SchliebenLange formulierte These in Erscheinung, wonach Geschlechter zur Differenzierung der Geschlechtergruppen, unabhängig von Konservatismus und Innovation, jeweils unterschiedliche Sprachformen bevorzugten.84 Wie sich mit Blick auf die unterschiedliche Hierarchisierung der in den verschiedenen Generationen vorgeschlagenen Korrelationsketten zeigt, ist trotz gewisser Tendenzen die Festlegung auf ein allgemeines Kriterium, das charakteristisch für einen spezifischen Variantengebrauch steht, in der untersuchten Sprachgemeinschaft nur bedingt bestimmbar. Auch können generelle Aussagen zur diasystematischen Markiertheit der Phone nur in Abhängigkeit weiterer Faktoren getroffen werden. Insgesamt deutet die Auswertung des Korpus aber darauf hin, dass diastratisch eine enge Korrelation zwischen den Parametern Alter und Geschlecht besteht, die innerhalb der einzelnen Generationsgruppen die Größen Bildung und sozioökonomische Zugehörigkeit zu überlagern scheint. Bei der erneuten Gegenüberstellung der einzelnen Gruppen, d.h. colegios, centros culturales und centros de jubilados, zeichnen sich Paralellen zu dem ab, was u.a. Milroy und Milroy wiederholt beobachtet hatten: «mobile middle-class speakers are particularly likely to contract loose-knit ties and so are likely to be important agents of [language] change – a proposal consistent with Labov’s principle that innovating groups are located centrally in the social hierarchy» (Milroy 2003, 130). Die Mitglieder engmaschigerer Netzwerke würden hingegen stärker an der Verwendung bereits verankerter Elemente festhalten (cf. Milroy 2003, 130). Wenn man den Mobilitätsaspekt im Sinne einer sozialen wie geographischen Mobilitätsbereitschaft begreift und den Gedanken der «close-knit networks» auf einen gesellschaftlichen Sektor abstrahiert, der sich über bestimmte gruppenstabilisierende Elemente definiert, so sind es in Buenos Aires mit dem J.-Club und den colegios C. und M. ebenfalls weniger mobile, gesellschaftlich homogene Gruppen, die eine ausgeprägte Tendenz zum Konservatismus zeigen und bei denen der Wandel hin zum stimmlosen Frikativ am wenigsten extensiv ausfällt. Diese Vermutung scheint auch mit Blick auf die affrikatischen Realisierungen zuzutreffen: Waren unter der Gruppe der Schüler nur vereinzelt affrikatische Realisierungen auszumachen, so wurden die einzigen Okkurrenzen von [dʒ] unter den männlichen Sprechern im colegio C. registriert. Wertet man [dʒ]
84 Cf. Schlieben-Lange (1985, 490).
4.3 Quantitative Auswertung der diatopischen und diastratischen Dimension
177
wie bereits angedeutet als die ältere Variante, manifestiert sich damit durch ein weiteres Faktum die Präsenz konservativer Lautformen im Barrio Norte. Insgesamt hat die Analyse in allen drei untersuchten Generationen den berechtigten Schluss zugelassen, dass innerhalb der Ciudad de Buenos Aires eine diatopische Markiertheit der Präpalatale angenommen werden kann. Diese Darstellung bestätigt sich insbesondere hinsichtlich der Stadtviertel Recoleta und Barracas, wo in allen Altersgruppen die auf der einen Seite stärkste Präsenz an ʒeístas und auf der anderen Seite größte Dichte an ʃeístas ermittelt werden konnte; einzige Einschränkung bildet der etwas niedrigere Wert der Informanten der centros de jubilados in Recoleta, wobei diesem aufgrund der erläuterten Migrationsprozesse diachron kein zu starkes diatopisches Gewicht zugesprochen werden sollte. Insbesondere im Falle der Schülerinnen und Schüler ließ sich die diatopische Markierung des ʒeísmo als so ausgeprägt vermuten, dass sie bis zu einem gewissen Grad Rückschlüsse auf die sozialgeographische Provenienz der Jugendlichen aus Recoleta zulässt. In ihren Ausführungen zum accent parisien stellt Pustka die allgemeinhin vorgenommene «Isolierung der Varietätendimensionen, die Suche nach einer ‹ursprünglichen› diasystematischen Markierung und das Hineinzwängen in eine synchron funktionierende unidirektionale Varietätenkette» in ihrer Allgemeingültigkeit in Frage. Variation, die in erster Linie als diatopisch begriffen werde, könne stattdessen eine primär diastratische Markierung besitzen und lediglich aufgrund der Sozialgeographie des zugrunde liegenden Stadtteils örtlich gebunden sein (cf. Pustka 2008, 244s.). Sicherlich ist eine solche Problematisierung auf den Fall der Ciudad de Buenos Aires übertragbar, wo wie in Kapitel 3.2 erläutert eine Vielzahl von nicht nur sozioökonomisch heterogenen Räumen nebeneinander steht. Ob eine derartige Hierarchisierung auf synchroner Ebene überhaupt nachvollziehbar ist, ist tatsächlich fraglich, da Sprecher über ihr individuelles wie gruppenspezifisches sprachliches Handeln den kommunikativen Raum, in dem sie interagieren, kontinuierlich konstituieren und somit auch in gewisser Weise den physischen Raum prägen (cf. Kapitel 3.1). Aus diachroner Perspektive hingegen kann natürlich auch ein Zusammenhang zur in Kapitel 3.2 dargelegten Stadtgeschichte hergestellt werden: Da das erste Aufkommen von [ʃ] im bonaerensischen Spanisch zu Beginn des 20. Jahrhunderts vermutet wird, ist davon auszugehen, dass die Migrationsprozesse gen Norden, die sich ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vollzogen und eine höhere Siedlungsdichte dieses Gebiets bewirkten, den zu dieser Zeit habitualisierten ʒeísmo in den nördlichen Stadtvierteln verbreiteten. Der Raum wird somit von Grund auf entsprechend geformt und kann infolgedessen prägend für nachfolgende Entwicklungen sein, die nicht zwangsläufig an die ursprünglich sozial höhere Gesellschaftsschicht gebunden sein müssen. Vor allem mit Blick auf das Barrio Norte wäre daher synchron von weitergehendem Interesse, ob Gruppen, die sich nicht nur hinsichtlich ihrer
178
4 Auswertung
sozioökonomischen Zusammensetzung von den hier untersuchten Gruppierungen unterscheiden, ebenfalls stärkere Tendenzen zum ʒeísmo aufweisen, als es in den anderen Untersuchungsgebieten der Fall war. Wenden wir uns erneut dem Prozess des Lautwandels zu, so scheint es, dass – über die diatopische Markierung der Phone hinaus – insbesondere auf lokaler Ebene die von Coseriu genannte «Gradualität seiner Verbreitung [des Wandels] in der Sprachgemeinschaft» sichtbar wird. Orientiert man sich nochmals an Coserius Terminologie, liegt die zuvor geäußerte Vermutung nahe, dass sich die einzelnen Stadtteile, insbesondere aber die barrios Recoleta und Barracas in unterschiedlichen Phasen des Wandels befinden. Die Zuordnung zu unterschiedlichen Phasen bedeutet dabei aber nicht notwendigerweise die Differenzierung zwischen Selektion und Mutation, die Coseriu als Endphase des Sprachwandels betrachtet. Vielmehr scheint der Prozess der Selektion in Barracas und den anderen untersuchten barrios in einem fortgeschritteneren Stadium zu sein, da das alte Faktum zwar nach wie vor besteht, die innovative Variante [ʃ] jedoch inzwischen deutlich stärker verbreitet, sprich extensiver ist und demnach den überwiegenden Teil der Individualsysteme erfasst hat. Dies wird nicht nur an der quantitativen Dominanz des ʃeísmo insgesamt deutlich, sondern auch hinsichtlich des individuellen Variationsgrads der einzelnen Sprecher, der in diesen Stadtteilen eine meist nur gering ausgeprägte Variation zwischen Stimmhaftigkeit und Stimmlosigkeit innerhalb der Individualsysteme offenlegte.85 Dass jedoch auch von den Informanten, deren Grundtendenz nahezu konstant stimmlos ausfällt, vereinzelt stimmhafte Frikative artikuliert werden, zeigt, dass in diesen Individualsystemen gleichermaßen nach wie vor ein Selektionsprozess stattfindet und der Sprachwandel noch nicht komplett abgeschlossen ist. Aufgrund der im Barrio Norte ebenfalls erfassten Dynamik und der festgestellten Koexistenzen kann auch im Falle dieser Sprachgemeinschaft von einer beginnenden Selektionsphase gesprochen werden; allerdings deutet der unter den Jugendlichen teils sehr niedrige individuelle Variationsgrad zugunsten des stimmlosen Frikativs darauf hin, dass die vorangehende Phase der Adoption nicht in gleicher Ausprägung im Sprachwissen und damit im System eines jeden Sprechers erfolgt ist (cf. Coseriu 2005, 119s.). Letztlich sollte auch eine Schlussfolgerung, wonach die in den peripheren Stadtvierteln vergleichsweise leicht erhöhte Präsenz des stimmhaften Präpalatals [ʒ] auf die Diachronie der intraurbanen Verbreitung der Innovation hinweise,
85 Aufgrund des starken Gefälles zwischen jungen und älteren Sprechern sah sich Fontanella de Weinberg, wie in Kapitel 2.1 ausgeführt, daher dazu veranlasst, innerhalb der Sprachgemeinschaft Bahía Blanca unterschiedliche Phonemsysteme zu etablieren, in denen je nach Sprechergruppe [ʃ] entweder den Stellenwert eines Phonems oder Phons einnahm (cf. Fontanella de Weinbeg 1987a, 149).
4.4 Diaphasische Dimension
179
vermieden werden (cf. u.a. Abschnitt 4.3.1.3). Die Differenzen deuten in erster Linie darauf hin, dass der Lautwandel in intensiver Hinsicht hier schlicht langsamer fortschreitet und noch nicht in der gleichen Pluralität in den einzelnen Individualsystemen verankert ist; dass die Adoption zu einem späteren Zeitpunkt erfolgte, geht daraus nicht hervor, denn unabhängig vom Innovationszentrum kann sich eine implementierte Adoption innerhalb der spezifischen Sprachgemeinschaft nach eigenen Mechanismen unterschiedlich extensiv weiterentwickeln. Es darf jedoch auch nicht außer Acht gelassen werden, dass die in der Untersuchung erlangten Ergebnisse zwar im Allgemeinen räumlich gebundene, im Speziellen aber gruppenspezifische Verwendungen aufdecken und nicht ohne Weiteres auf den ganzen Untersuchungsraum übertragbar sind. Welche konkreten Auslösemechanismen und Funktionen die individuelle oder diaphasische Variation zwischen stimmhaften und stimmlosen Realisierungen bedingen können, soll in den nachfolgenden Betrachtungen aufgezeigt werden. Bis zu dieser Stelle kann aber als Fazit formuliert werden, dass innerhalb der gruppenspezifischen Dimension verschiedene Typen von ʒeístas ausgemacht werden können, die entweder aufgrund eines lokalen oder sozialen Kontexts überwiegend den stimmhaften Präpalatal artikulieren. Ein älterer Sprecher, der aufgrund der diagenerationellen Markierung des Phänomens stimmhafte Laute artikuliert, muss in der Bewertung von einem jugendlichen Sprecher, der veranlasst durch eine entsprechende soziale und räumliche Provenienz den ʒeísmo verwendet, unterschieden werden.
4.4 Diaphasische Dimension In Kapitel 4.3 wurden die verschiedenen Varianten auf ihre diagenerationelle, diasexuelle und diastratische Markiertheit hin untersucht. Der Blick auf die sprecherindividuelle Variation hat darüber hinaus gezeigt, dass der individuelle Variationsgrad zwischen den Allophonen äußerst heterogen ist und dass zwischen Sprechern, die vergleichsweise konstant in der Realisierung einer bestimmten Variante sind, und jenen, die in unterschiedlich starker Ausprägung zwischen stimmhaften und stimmlosen Lauten variieren, differenziert werden muss. In Abhängigkeit davon können die Informanten auf der Basis ihrer ermittelten Grundtendenz den ʒeístas, ʃeístas oder einem unterschiedlich frequent alternierenden Sprecherprofil zugeordnet werden. Im vorliegenden Kapitel wird die Variation zwischen den einzelnen lautlichen Realisierungen anhand konkreter Beispiele nachvollzogen. Davon ausgehend werden die Faktoren, die die in Kapitel 4.3 dargestellten Abstufungen begründen, erläutert und diskutiert.
180
4 Auswertung
Folgende Einteilung stellt die Hauptmechanismen der erfassten Variationsarten nochmals kategorisch einander gegenüber; hinzu kommt Typ vier, der aus der Analyse der nachfolgenden Integration aller Lesetexte und Wortlisten resultiert: 1. Die Integration des stimmhaften Allophons [ʒ] seitens der ʃeístas, sprich der Sprecher, die überwiegend stimmlose Realisierungen aufweisen. 2. Die Hinwendung zur innovativen Form [ʃ] durch weitgehend stimmhaft realisierende Sprecher, die ʒeístas. 3. Die Aufnahme affrikatischer Formen wie [tʃ] und [dʒ]. 4. Die Artikulation von den im Spanischen des Río de la Plata nur noch latent vorhandenen Phonemen /ʝ/ und /ʎ/ bzw. der biphonematischen Realisierung [lj]. Den diversen Variationsprozessen liegen, wie im vorliegenden sowie in den Kapiteln 4.5 und 4.6 eingehend erläutert werden wird, ganz unterschiedliche Motivationen zugrunde, die zum einen phonetischer bzw. artikulatorischer Natur sind, zum anderen aber spezifischen Ausdrucksfinalitäten sowie außersprachlichen Faktoren geschuldet zu sein scheinen. Letztere machen sich insbesondere in der Auseinandersetzung mit der Frage bemerkbar, ob und inwieweit die verschiedenen Typen der Variation mit bestimmten stilistischen Parametern korrelieren, die an dieser Stelle über die Hinzuziehung der verschiedenen Lektüresequenzen erweitert werden. Über eine solche Fokussierung wird gleichzeitig geklärt, inwiefern die in Kapitel 4.3 primär bzw. sekundär diastratisch gewerteten Laute [ʒ] und [ʃ] tertiär auch eine gewisse situative, diaphasische Markierung aufweisen oder annehmen können. Diagramm 4.13 führt die einzelnen lautlichen Realisierungsformen aller drei Generationsgruppen in Abhängigkeit der evozierten Stilebenen zusammen; dabei werden die in Kapitel 3.3 erläuterten Phasen des freien Gesprächsteils als Einheit behandelt und den verschiedenen Lektüreebenen sowie den durch die Bildergeschichte angeleiteten freien Beschreibungen gegenübergestellt:86 86 Diagramm 4.13 fasst die Realisierungen der Informanten insgesamt derart zusammen, dass nicht der aus der Menge der interviewten Einzelpersonen resultierende Durchschnittswert erfasst wird, sondern der Mittelwert der Gruppen colegios, centros culturales und der centros de jubilados berechnet wird. Dieses Vorgehen wurde ganz bewusst gewählt, um einer Verfälschung durch die zahlenmäßig überlegene Gruppe der Jugendlichen entgegenzuwirken, die durch ihre quantitative Dominanz zu einem in erster Linie relational bedingten prozentual stärkeren Wert an ʃeístas führen würde. Geht man zum Vergleich von der tatsächlichen Informantenanzahl insgesamt aus und fasst damit alle im Rahmen der Untersuchung erfassten Einzelpersonen als eine Gruppe zusammen, wäre der Wert von [ʒ] derart zu berechnen, dass die relative Häufigkeit (h1, h2, h3), die sich aus
181
4.4 Diaphasische Dimension
80 56.5 60
53.35 41.8
57.6
53.9
43.4
54.4
40.96 33.3
40
26.8 14.1
20 3.3
0.1 0
0
0.5
4.5
1.4
8.8 0.6
0
[ʒ]
[ʃ]
[tʃ] [dʒ]
[lj]
Diagramm 4.13: Variation in Relation zur stilistischen Ebene.
Vergleicht man das Verhältnis stimmhafter und stimmloser Realisierungen während des teilstrukturierten Interviews mit den Werten, die während des Beschreibens der historieta und des lauten Vorlesens der Kurzgeschichte von Arlt gewonnen wurden, so lassen sich minimale Abweichungen von 1,6% bis 3,15% feststellen. Auffällig ist insgesamt, dass die Integration des stimmhaften Palatals [ʒ] bei den frei formulierten Redebeiträgen leicht überwiegt. Die Auseinandersetzung mit den Lektüresequenzen ʻliterarischer Textʼ, ʻZungenbrecherʼ und ʻWortlisteʼ bewirkte im Gegensatz dazu keine gesteigerte Präsenz der stimmhaften Variante, durch die Aufnahme der Realisierungen [lj] und [j] bzw. [ʝ] provozierte sie aber einen höheren Grad an Variation. Eine ausgeprägtere diaphasische Dependenz scheint die Integration affrikatischer Lautrealisierungen zu beanspruchen, da sowohl [tʃ] als auch [dʒ] überwiegend im freien Gesprächsteil zum Einsatz kamen, beim Vorlesen der Wortliste und des literarischen Textes aber kaum artikuliert wurden; dies legt bereits an dieser Stelle die Vermutung nahe, dass die Affrizierung der Laute mit einer gewissen kommunikativen Finalität einhergehen könnte. Damit ähneln die im Rahmen der vorliegenden Untersuchung gemachten Ergebnisse den von Wolf und Jiménez erläuterten Beobachtungen, die der stimmhaften Variante [ʒ] in freien Gesprächsphasen (conversaciones libres) einen minimalen
dem Prozentsatz der Anzahl der einzelnen Gruppenmitglieder in Relation zur Gesamtanzahl der Informanten ergibt (h1=37/207, h2=60/207, h3=110/207), mit der jeweiligen gruppeninternen Ausprägung von [ʒ] (x1, x2, x3) multipliziert wird: Mittelwert = h3*x3+h2*x2+h1*x1 =. Im Falle des freien Gesprächsteils beispielsweise ergäbe die Gewichtung der Anzahl mit dem Prozentsatz damit eine vergleichsweise niedrigere Verwendung des stimmhaften Präpalatals von 33,7%.
182
4 Auswertung
Anstieg im Vergleich zu formalen Gesprächssituationen bescheinigten. Fontanella de Weinberg hingegen legte aufgrund der leichten Zunahme des stimmhaften Phons in ihrer Studie nahe, in schriftlichen Leseimpulsen einen Stimulus zu erkennen, der bei den Sprechern eine höhere Präsenz stimmhafter Realisierungen provoziere. Wolf/Jiménez bewerteten infolge der nur minimalen Abweichungen die Variable Stil dennoch als irrelevant: La variable estilo mostró ser irrelevante. No se confirmaron las conclusiones de Corominas, Malmberg, Zamora y Guitarte, que atribuían al descuido de las emisiones y la fami(Wolf/Jiménez 1977, 300) liaridad de las situaciones el aumento de ensordecimiento.87
Die Frage, die nun auf der Grundlage der in Diagramm 4.13 dargestellten Distribution gestellt werden sollte, scheint aber, ob hier tatsächlich unterschiedliche Stilebenen vorliegen, die mittels steigender oder abnehmender Formalitätsgrade beschrieben werden können. Wie in Kapitel 3.3 bereits diskutiert wurde, ist die Gegenüberstellung unterschiedlicher Gesprächsebenen und Lektüresequenzen in einer Art stilistischem Kontinuum äußerst kritisch zu betrachten, da es sich de facto doch um völlig unterschiedliche Sprechanlässe bzw. kommunikative Handlungen handelt. Möglich erscheint vielmehr, dass beim freien Sprechen mit der Ausdrucksfinalität korrelierende Mechanismen wirken, die bei der Lektüre von Texten oder Wortlisten nicht greifen und die beispielsweise in Form von Modifikationen der Sprechgeschwindigkeit die Sprecher zu bestimmten Varianten greifen lassen. Sicherlich ergeben sich, wie aus Diagramm 4.13 abzulesen ist, durchaus Tendenzen, die eine Abhängigkeit zwischen Sprechanlass, Sprechstil und dem Grad an Divergenzen bzw. dem Auftreten bestimmter Varianten vermuten lassen. Festzuhalten ist bis zu diesem Punkt aber, dass der Akt der laut artikulierten Lektüre generell betrachtet zunächst keinen markierten Stimulus darzustellen scheint, auf den die Sprecher mit einer erhöhten Präsenz an Stimmhaftigkeit reagieren. Um eine mögliche diaphasische Dependenz allerdings fundiert bewerten zu können, ist es notwendig, sie mit den einzelnen Auslösern, die das Switchen zwischen den verschiedenen Varianten bewirken könnten, in Relation zu setzen.
4.4.1 Divergierender Gebrauch der Varianten in Relation zum Alter der Sprecher Bei der Frage, welche Sprecher über den stärksten Grad an diaphasischer Varianz verfügen, fällt mit Blick auf Diagramm 4.13 zunächst auf, dass die Informanten, 87 Cf. auch Wolf/Jiménez (1977, 305); Fontanella de Weinberg (1979, 57).
183
4.4 Diaphasische Dimension
die /ʒ/ überwiegend als stimmloses [ʃ] artikulieren, in dieser Tendenz insgesamt konstanter sind als die den ʒeísmo produzierenden Sprecher. In der nachfolgenden Darstellung wird die in 4.13 präsentierte Distribution in Relation zur durchschnittlichen Präsenz von [ʒ] innerhalb der drei generationellen Sprechergruppen gesetzt: 100 80 73.9
71.8
76
62.5
60 40.9 40
32.6
32.7
32.3 26.7
27.5 20
21.8
18.9
18.8
12
10.8
0 Gespräch
Bildergeschichte
[ʒ] [lj] [ʒ] centros de jubilados
Lit. Text [ʃ] [ʒ] colegios
Zungenbrecher
Wortliste 2
[tʃ] [dʒ] [ʒ] centros culturales
Diagramm 4.14: Präsenz von [ʒ] in Relation zu Stil und Sprechergruppe.
Die Gruppe der in den centros culturales interviewten Sprecher zeigt im Hinblick auf den stimmhaften Präpalatal die höchste Resistenz gegenüber stilistischer Stimuli oder Veränderungen der Gesprächssituation. Auch unter den Schülerinnen und Schülern divergiert der Anteil sonorer Realisierungen zwischen den Ebenen Gespräch, Bildergeschichte, literarischer Text und Zungenbrecher nur geringfügig um 0,1% bis maximal 6,9%. Am stärksten sind offenbar die Informanten der centros de jubilados dem Einfluss unterschiedlicher Sprechsituationen unterworfen, deren stimmhafte Realisierungen zu Beginn der Lektürephase zugunsten einer stärkeren Verwendung von [lj] mit abnehmender Tendenz in Erscheinung treten. Der in Diagramm 4.13 illustrierte ʒeísmo-Abfall von knapp 15% zwischen den Lektüreebenen Text und Zungenbrecher erklärt sich damit zu einem Großteil über die um 30,9% sinkende Präsenz dieser Variante innerhalb der ältesten Informantengruppe. Die geringen Divergenzen zwischen Gespräch, Textlektüre und historieta rechtfertigen erneut das in Kapitel 4.3 durchgeführte Vorgehen, bei dem zur Erfassung der allgemeinen Verwendungstendenz der Sprecher diese drei Ebenen zusammengefasst wurden.88
88 Eine Ausnahme bilden die centros de jubilados, wo aufgrund der stärkeren Abweichungen in Kapitel 4.3 nur die beiden erstgenannten Stile gewertet wurden.
184
4 Auswertung
Inwieweit innerhalb der einzelnen Register und Kommunikationssituationen mögliche diasexuelle, diastratische sowie diatopische Dependenzen bestehen, die die Varianz als diaphasisch markieren können, wird in der nachfolgenden Analyse diskutiert.
4.4.2 Lesetexte 4.4.2.1 Literarischer Text Wie Diagramm 4.13 entnommen werden kann, kommt der stilistischen Dimension des literarischen Textes in puncto Alternanzen und Variation eine eher untergeordnete Rolle zu. Da sich gruppenspezifisch dennoch Divergenzen hinsichtlich der Präsenz der einzelnen Varianten zeigen, soll zu Beginn der Analyse des Lektüreteils ein kurzer Blick auf diese Stilebene geworfen werden. Rückt man die Sprechergruppe der 16- bis 18-Jährigen in den Fokus, lässt sich bezüglich der Lektüre kein auffälliger Bruch zwischen den Realisierungen während des freien Gesprächsteils und der Beschreibung der Bildergeschichte beobachten, denn mit insgesamt 81,2% ist die Okkurrenz der stimmlosen Variante [ʃ] lediglich um 1,3% höher gegenüber der freien Rede (79,9%). Dem Allophon [ʒ] scheint bei geographischer Differenzierung allerdings eine diatopisch gebundene diaphasische Markierung zuzukommen (Karte 4.7). In Kapitel 4.3 wurde das starke Vorkommen des sonoren Postalveolars in Recoleta eingehend diskutiert, interessant ist an dieser Stelle nun jedoch der Blick auf Schule C.: Während sich in colegio M. keine Deviation, die eine schlüssige Deutung zuließe, ergibt, demonstrieren besonders die Schüler des Instituts C., die im Gespräch bzw. im Deskriptionsteil der Bildergeschichte keine oder nur sehr wenige Realisierungen der stimmhaften Variante verlauten ließen, bei der Präsentation des laut vorzulesenden Materials die Integration stimmhafter Laute. Ein solches Verhalten lässt sich für die anderen Stadtsektoren nicht bestätigen; vielmehr fiel in einzelnen Fällen sogar eine konträre Haltung auf, wonach Informanten, die im Gesprächsteil und in der Bildergeschichte durchaus leichte bis starke Alternanzen zwischen beiden Frikativen erkennen ließen, während der Lektüre teils gänzlich auf die konservative stimmhafte Form verzichteten. Insgesamt ist in Institut C. die Präsenz an stimmhaften Realisierungen um 15,47% höher als während des teilstrukturierten Interviews, bei einzelnen Sprechern fällt diese Zunahme noch drastischer aus (Diagramm 4.15). Auf die in colegio C. interviewten Schüler kann folglich Coserius Korrelation der Varietätendimensionen angewandt werden, wonach primär diatopischen Varietäten bzw. Varianten sekundär auch eine diastratische und tertiär eine
4.4 Diaphasische Dimension
Karte 4.7: Phonetische Realisierungen bei Gespräch und Textlektüre in den colegios.
185
186
4 Auswertung
100 90 80 70 60 50 40
ʒeísmo in Gespräch
30 20
ʒeísmo bei Textlektüre
10 0
Diagramm 4.15: Anteil von [ʒ] während Gespräch und literarischem Lektüreteil an Schule C.89
diaphasische Funktion zukommen kann.90 Dabei muss natürlich der Frage Rechnung getragen werden, warum die diaphasische Markierung nur in diesem Areal greift, in den anderen Bezirken aber keine Gültigkeit zu besitzen scheint. Ein Erklärungsansatz besteht in der in Abschnitt 4.3.1.4 formulierten Vermutung, wonach die unterschiedlichen Entwicklungsstadien von [ʒ] nicht nur auf die Präsenz des Lauts referieren, sondern auch die ideologische Haltung und das Prestige, das die Sprecher mit diesem assoziieren, umfassen. Kapitel 4.5 wird unter Einbezug metasprachlicher Aussagen innerhalb dieser Sprechergruppe diesen Gedanken nochmals aufgreifen und den damit verbundenen Prestige-Begriff diskutieren. [ʒ] als Marker sowohl räumlicher als auch sozialer Provenienz entspricht im Barrio Norte damit offenbar der von Coseriu aufgestellten Relationskette, dass «Diatopisches als Diastratisches und Diastratisches als Diaphasisches funktionieren kann» (Koch/Oesterreicher 2011, 16). Infolgedessen bedeutet das aber auch, dass die Sprecher aus Recoleta bzw. dem Barrio Norte im Gegensatz zu den anderen Informanten desselben Alters tatsächlich auf phonologische Mittel in Form der
89 Ein Sprecher wurde nicht in die Statistik aufgenommen, da er den Lektüreteil ausließ. 90 Cf. Coseriu (1980, 111ss.). Dieses Prinzip wurde mehrfach aufgegriffen und von Koch/Oesterreicher mit dem Terminus der Varietätenkette versehen (cf. Koch/Oesterreicher 2011,16).
4.4 Diaphasische Dimension
187
Präpalatale zurückgreifen, um auf unterschiedliche kommunikative Anforderungen zu reagieren.91 In den übrigen Stadtteilen konnte diese diastratische Variation nicht in der Art nachgewiesen werden. Geht man davon aus, dass ein Anteil der stimmhaften Realisierungen unter den Sprechern der clase media alta (cf. colegios SB., NM.) artikulatorischen Prozessen geschuldet sein könnte, die wiederum mit weiteren charakteristischen phonetischen Merkmalen dieser Sprechergruppe korrelieren (cf. allgemeine Lenisierung in Kapitel 4.6), besitzt das stimmhafte Allophon nur eine sekundär diastratische Markierung, die keine diaphasische Differenzierung zur Folge hat. Die Werte in den verschiedenen Stadtteilen belegen überdies, dass der sonore Postalveolar nicht mehr die Artikulation darstellt, die Fontanella de Weinberg zufolge noch 1979 für das laute Vorlesen von Texten in den Klassenzimmern instruiert wurde: La diferencia más marcada es la que se da entre los estilos B y C, lo que parece señalar que el estilo de lectura condiciona la mayor presencia de variantes sonoras. Esto quizás se explique por el hecho de que la forma aprendida escolarmente es una [ž] sonora (cuando no se insiste en la pronunciaicón [ʎ] para la grafía ll). (Fontanella de Weinberg 1979, 57)
Der zwischenzeitlich erfolgte Umbruch hinsichtlich Instruktion und Akzeptanz im schulischen Kontext zeigt sich in der Provincia de Buenos Aires darüber hinaus mit Blick auf den sowohl pronominalen als auch verbalen voseo. Dieser wurde ab den 1980er-Jahren an den Schulen nicht nur toleriert, sondern auch explizit unterrichtet und ersetzte als Personalpronomen das bis dahin bevorzugte tú (cf. Ángulo Rincón 2009, 277). Dass die oben erwähnte und im schulischen Kontext vermittelte Artikulation [ʎ] in gewisser Weise noch verankert und stilistisch markiert ist, offenbart sich im Gegensatz zu [ʒ] bei der ältesten Informantengruppe (Diagramm 4.16). Trat die meist als biphonematische Folge [lj] artikulierte Realisierung während der freien Gesprächsphase in keinem Fall auf, geben knapp 20% der älteren Frauen den stimmhaften sowie den stimmlosen Postalveolar zugunsten dieser Lautrealisierung beim Vorlesen des Textes auf; es greift folglich ein stilistisch konditionierter Mechanismus, der bei anderen Altersklassen nicht wirkt. Bei den Männern entscheiden sich mit 3% weit weniger Sprecher für die alveolar-palatale Verbindung. Man kann also zu dem Schluss kommen, dass die einzelnen phonetischen Realisierungsmöglichkeiten von /ʒ/ bei den Frauen über 63 eine vielfach höhere diaphasische Markierung besitzen als es bei den Männern der Fall ist, die über die verschiedenen stilistischen Register hinweg in ihrer Artikulationstendenz
91 Cf. dazu auch Labov (1972b, 21).
188
4 Auswertung
93.53
100
97.06
80 64.54
ʒ
60
ʃ
50.87
dʒ 40
32.49
tʃ
29.47
lj
19.66 20 2.16
0
0
Gespräch/historieta
Text
2.1 0.08
0
0 0
2.94
0 Frauen
Gespräch/historieta
Text
Männer
Diagramm 4.16: Variation innerhalb der centros de jubilados in Relation zu Gespräch und Textlektüre.
relativ konstant bleiben. Diese erhöhen zwar die Präsenz sonorer Laute, doch ist der Anstieg von nur 3,5% eher über das Ausbleiben der affrikatischen Lautverbindungen als über eine stilistisch motivierte Modifikation erklärbar. Abermals muss folglich eine diaphasische Funktion von [ʒ] in diesem Kontext verneint werden. Diagramm 4.16 lässt noch eine weitere Schlussfolgerung zu: In Kapitel 4.3 wurden die in den centros de jubilados interviewten Gewährspersonen als die Sprecher mit der höchsten Okkurrenz affrikatischer Realisierungen deklariert. Dass sowohl die stimmhaften als auch die stimmlosen Affrikata in beiden Geschlechtern bei der Konfrontation mit dem literarischen Text ausbleiben, spricht wie bereits vermutet [dʒ] und [tʃ] eine offenbar kommunikative Funktion zu, die beim Prozess des Lesens und der damit einhergehenden bloßen Textwiedergabe nicht greift. In Abschnitt 4.4.2.2.3 wird die Hypothese, die Phonemabfolge [lj] werde von den Sprechern etwa bei der Erschließung unbekannter oder schwer zu lesender Wörter angewandt, im Kontext der Wortlisten detailliert erläutert. Sie findet aber bei der Lektüre des literarischen Textes eine erste Bestätigung: Sprecher, die bei der Lektüre nur okkasionell und nicht konsequent als [lj] realisierten, taten dies vor allem bei den Lexemen esterilla und esterillado. Besonders eindrücklich wird dies, wenn die Artikulation der im unmittelbaren Kontext dieser Wörter gelegenen Lexeme mit einbezogen wird, womit Realisierungen wie [‘siʒa esteɾi’ljaðo] zum Vorschein kommen. Ob die Rekurrenz auf [lj] den natürlichen Sprachgebrauch im Kontext laut artikulierter Lektüre abbildet oder der Interviewsituation und damit einhergehenden möglichen Erwartungshaltungen geschuldet ist, ist allerdings unklar.
189
4.4 Diaphasische Dimension
4.4.2.2 Wortliste Im Gegensatz zur Auswertung von freien Gesprächsphasen oder von laut vorgelesenen Texten bietet die Analyse von Wortlisten den Vorteil, Variation losgelöst von einem bestimmten inhaltlichen Kontext zu analysieren und konkrete Auslösestrukturen direkt zu benennen. Wie aus Diagramm 4.13 hervorging stellen die Wortlisten quantitativ betrachtet die Ebene dar, auf der sich der zweithöchste Grad an Variation zwischen präpalatalen, lateralen und palatalen Realisierungsformen manifestiert. Da es sich sowohl beim Frikativ /ʝ/ als auch bei der alveolar-palatalen Abfolge [lj] bzw. /ʎ/ um im Phonemsystem des Spanischen des Río de la Plata im Grunde nicht mehr verankerte Phoneme handelt, liegt mit der Präsentation von Wortlisten offenbar ein ganz spezifischer Stimulus vor, der bei den Sprechern unterschiedliche mentale und artikulatorische Prozesse in Gang setzt. Bei der Frage, welche Sprechergruppen durch Wortliste 2 am stärksten in irgendeiner Form zu Abweichungen von ihrer phonetischen Grundtendenz angeregt werden, ergibt sich folgendes Bild: 100 90.4 83.6 76
80 65.1 55.79
60
48.8 40
32.8
27.3 23.7
20
14.2 6.4 0.02
0.1
3.3 0.3
0.75
0.31
Männer
Frauen
1.5
0 Jungen
Mädchen colegios
ʒ
ʃ
Männer
centros de jubilados
centros culturales dʒ
tʃ
lj
ʝ
Frauen
ʒ Grundtendenz
ʃ Grundtendenz
Diagramm 4.17: Verwendete Allophone bei der Lektüre von Wortliste 2 in Relation zu Alter, Geschlecht und phonetischer Grundtendenz.
Der unmittelbare Vergleich der Laute, die im Gespräch sowie durch das laute Vorlesen des literarischen Texts gewonnen wurden, mit jenen, die sich bei der Lektüre der Wortliste ergaben, belegt für alle drei Generationen eine insgesamt erhöhte Präsenz von [ʒ] in spontaner Rede. Dagegen tritt die stimmlose Realisierung [ʃ]
190
4 Auswertung
sowohl bei den männlichen Informanten als auch bei den Schülerinnen während des Vorlesens der Wörter etwas häufiger auf, lediglich die Frauen der centros culturales und centros de jubilados artikulieren unter diesen Bedingungen nicht mit der gleichen Häufigkeit wie im freien Gesprächsteil die stimmlose Variante. Insgesamt ist bei der Bewertung der registrierten Okkurrenzen und Häufigkeiten natürlich die Korrelation mit den hier auftretenden Artikulationen [ʝ] und [lj] zu beachten. Für die Vielzahl an divergenten Realisierungen, die sich bei der Lektüre der Wortliste ergeben, gibt es verschiedene Erklärungsmöglichkeiten: Zum einen liegen die zur Untersuchung stehenden Laute hier durch die gebündelte Aufführung der entsprechenden Grapheme quantitativ und visuell in stark konzentrierter Form vor. Zum anderen scheint der lexikalische und semantische Gehalt der in der Liste berücksichtigten Worttypen eine aktive mentale Auseinandersetzung bei den Sprechern hervorzurufen, die nun auch zur Integration von Lauten führt, die bis zu dieser Stelle bei einem Großteil der Informanten nicht verwendet wurden.
4.4.2.2.1 Qualitative Auswertung: Okkurrenz von [ʒ] und [ʃ] Nimmt man die Präsenz von [ʒ] und [ʃ] in den Blick, muss in der Analyse der Faktoren ihres Auftretens zwischen Sprechern unterschieden werden, die diese Laute aufgrund einer diatopisch und/oder diastratischen Markierung regelmäßig artikulieren und jenen, bei denen die Realisierung einer der beiden Varianten lediglich okkasionell erfolgt. Bei der letztgenannten Sprechergruppe manifestierte sich die Produktion der konservativen Form /ʒ/ mit einer deutlichen Mehrheit in intervokalischer Position und wurde nur vereinzelt im Wortanlaut gemessen. Die Dominanz der intervokalischen Position ist insbesondere unter den Schülern mit 97,5% stark markiert. Bei den erwachsenen ʃeístas aus den centros culturales, die auch während des freien Gesprächs wiederholt den stimmhaften Laut bildeten, entfielen 75,4% aller bei der Wortliste erfassten Okkurrenzen auf die intervokalische Position, 24,6% auf den Wortanfang. Es kann daher die Schlussfolgerung gezogen werden, dass die aus dem Umschluss zweier Vokale resultierende stimmhafte phonologische Umgebung von /ʒ/ die Produktion der sonoren Form besonders begünstigt bzw. verstärkt. Phonologisch kann ein solcher Sonorisierungsvorgang nach den Prinzipien der artikulatorischen Ökonomie als progressiver Assimilationsprozess erklärt werden. Dabei erfährt das dem Vokal folgende Segment, in diesem Falle eine Realisierung von /ʒ/, eine lautliche Umwandlung, indem es zentrale Merkmale des vorhergehenden Lautes beibehält: «La sonorización es una asimilación de una articulación sorda a una articulación sonora que se encuentra en su vecindad inmediata» (Quilis 1993, 67). Neben der progressiven
4.4 Diaphasische Dimension
191
Assimilation kann auch eine regressive Kontaktwirkung stattfinden, die der Stimmhaftigkeit des nachfolgenden Vokals vorgreift. Artikulatorisch gleichen sich bei der Assimilation die «nervlich gesteuerten, überlappenden Muskelbewegungen des Sprechkontinuums einander an und verursachen damit eine Veränderung der angezielten Laute und Lautgruppen» (Guentherodt 1983,1139). Bei der hier vorliegenden intervokalischen Lenisierung bleiben die Stimmlippen wie auch bei der Artikulation der umschließenden Vokale in Schwingungen versetzt, die Öffnung der Glottis zwischen den einzelnen Lauten bleibt aus und das Merkmal [+stimmhaft] wird auf den Präpalatal übertragen. Fallen progressive und regressive Assimilation zusammen, findet eine Kombination beider Wirkungsmechanismen statt: La consonante sorda está situada entre dos sonidos sonoros, generalmente vocales [. . .] La sonorización se debe a un proceso de lenición o de debilitamiento articulatorio, que origina una sincronización de los movimientos articulatorios: [. . .] En el caso de la asimilación progresiva, cuando cesa la articulación del segmento sonoro, las cuerdas vocales continuán vibrando, y sus vibraciones afectan al sonido sordo: es un retraso en el cese de los movimientos de las cuerdas vocales con relación a los movimientos articulatorios. En el caso de la sonorización regresiva, las cuerdas vocales comienzan a vibrar antes del final de la consonante sorda, anticipando la sonoridad de la articulación siguiente: Es una anticipación del comienzo de la vibración de las cuerdas vocales con relación a los movimiento articulatorios. En el tercer caso, las vibraciones laríngeas invaden por los dos lados de la consonante sorda. (Quilis 1993, 67s.)
Fernández Trinidad steht einem solchen Erklärungsansatz im Falle der Sonorisierung von Frikativen hingegen kritisch gegenüber. 2010 unterzieht sie die postalveolaren Lautrealisierungen einer detaillierten akustischen Analyse und präsentiert anhand von fünf Interviews mit Sprecherinnen aus Buenos Aires und Montevideo akustisch messbare Hinweise auf Friktion, Palatalisierung und Stimmhaftigkeit sowie präzise Werte zu Intensität und Lautdauer. Davon ausgehend kommt sie zu dem Schluss, dass die Variation zwischen den einzelnen Lauten nicht anhand des phonologischen Kontexts begründet werden könne: Al observar la variación intrahablante concluimos que no es posible predecir cuándo aparecerá un alófono u otro, puesto que la variabilidad no parece que venga dada por el contexto fónico. En este sentido, nuestros datos confirman una vez más que las fricativas prepalatales sordas y sonoras son permitidas por todos los contextos, es decir que se encuentran en variación libre [. . .]. (Fernández Trinidad 2010, 279)
Da [ʒ] und [ʃ] als Allophone in fakultativer Variation zueinander stehen, ist ihr Auftreten prinzipiell natürlich in jeder Position möglich; dies schließt aber keinesfalls aus, dass die Variation von verschiedenen Faktoren und phonologischen Kontexten begünstigt wird. Fernández Trinidad schränkt
192
4 Auswertung
aber unter Bezug auf Recasens (1997) Prozesse der Koartikulation als Stimmhaftigkeit bewirkenden Faktor ein, da der hohe Grad an aufzubringender Artikulationsgenauigkeit bei der Realisierung von Palatalen eine gewisse Resistenz gegenüber koartikulatorischer Effekte zur Folge habe; dies erklärt sie über die Tatsache, dass die Laute am gleichen Artikulationsort gebildet werden (cf. Fernández Trinidad 2010, 280).92 Der Bereich der Koartikulation ist allerdings ein vielfach diskutierter, der aufgrund seiner komplexen Vorgänge an dieser Stelle nicht gänzlich ausgeschlossen werden sollte. Außerdem werden Koartikulationseffekte nicht nur von der lautlichen Umgebung bestimmt, sondern können in Abhängigkeit der Kommunikationssituation, der Sprechgeschwindigkeit, des Stils und des einzelnen Sprechers Assimilationen hervorrufen.93 Die vermutete Assimilation ist durch die Fortführung des Vibrierens der Stimmlippen und die geschlossene Glottis zudem eine Assimilation der Artikulationsart und betrifft nicht die am Artikulationsort verlangte Präzision bei der Artikulation der zwischen Zahndamm und hartem Gaumen liegenden Präpalatale. Darüber hinaus kann das Prinzip der artikulatorischen Ökonomie, das principio de economía lingüística, die Häufigkeit stimmhafter Realisierungen in intervokalischer Position derart bekräftigen, dass diese Umgebung einen geringeren artikulatorischen Aufwand bei der Produktion stimmhafter Laute erfordert als die wortinitiale Position. In dieser ist die stimmlose Realisierung offenbar mit weniger Artikulationsaufwand verbunden (cf. konsonantische Stärkungsprozesse, Absatz 4.6.1.2). Mit Blick auf das erhobene Sprachmaterial zeigt sich dies insbesondere daran, dass die stimmlosen Realisierungen all der Sprecher, die in ihrer Grundtendenz überwiegend [ʒ] artikulieren, mit einer knappen Mehrheit von 53% am Wortanfang festgestellt werden konnten. Quilis erläutert die Korrelation von Desonorisierungsvorgängen und phonologischem Kontext folgendermaßen: El ensordecimiento puede producirse por efecto de un refuerzo de la energía articulatoria, por ejemplo, en posición inicial después de pausa; por asimilación a una articulación sorda vecina, o por lenición, cuando el sonido sonoro se encuentra en posición final átona, ante de pausa. (Quilis 1993, 68)
Es geht also nicht nur um die Frage, ob die stimmhaften Postalveolare an sich größerer oder geringerer artikulatorischer Anstrengung bedürfen, sondern es
92 Cf. auch Martínez Celdrán (2007, 100, 102, 104). 93 Cf. Gabriel/Meisenburg/Selig (2013, 28); Pompino-Marschall (2009, 276).
4.4 Diaphasische Dimension
193
ist auch die Position der einzelnen Laute, die bestimmt, was für den Sprecher ökonomisch ist und was nicht.94 Die intervokalische Okkurrenz von [ʒ] lässt sich um eine weitere Regelmäßigkeit ergänzen. Mehr als 34% dieser okkasionell auftretenden stimmhaften Realisierungen wurden nach dem vorderen Vokal /i/ in der Graphemfolge registriert: Beispiel 4.1: martillo [maɾ'tiʒo] amarillo [ama'ɾiʒo] tornillo [tor'niʒo] frutilla [fɾu'tiʒa] cigarrillo [ciɣa'riʒo] Es kann noch ein zweiter – wenn auch seltener – Typ der Integration von [ʒ] genannt werden, der bei der Aussprache der Anglizismen shopping und show (cf. Wortliste 1) festgestellt wurde. Generell zeichnete sich mit 95,4% eine große Bereitschaft zum Gebrauch der stimmlosen Variante [ʃ] ab, was über die direkte Entlehnung und Adaption der englischen Aussprache zu begründen ist. Besonders hervorzuheben ist dabei die stimmlose Artikulation seitens der Sprecher, die während des Gesprächsteils, der Beschreibung der historieta sowie beim Vorlesen des Textes mehr als 95% aller Fälle als stimmhaftes [ʒ] realisierten, womit der stimmlose Obstruent [ʃ] für diese Sprecher auf bestimmte Lexikoneinheiten beschränkt ist. Der Anteil derer, bei denen in diesem Kontext die sonore Variante [ʒ] auftritt, beläuft sich insgesamt zwar nur auf 4,6%, ist aus qualitativer Perspektive aber nicht weniger aussagekräftig. So behielten die in Recoleta und Retiro interviewten Schülerinnen, die zu einem Großteil den ʒeístas zugeordnet werden konnten (cf. Kapitel 4.3), zu 33,3% ihre stimmhafte Aussprache beim Vorlesen der Anglizismen bei. Die auf diese Gegend beschränkte Bündelung macht dies zu einem hochgradig diatopisch und diastratisch markierten Phänomen innerhalb der jüngsten Informantengruppe.95 Darüber hinaus impliziert diese Ausspracheauffälligkeit zum einen eine räumliche Differenzierung
94 Cf. dazu auch Thun/Elizaincín (2000). 95 Dass das Phänomen keine durch meine Interviews evozierte Seltenheit darzustellen scheint, kann man einem Kommentar der an dieser Schule unterrichtenden Englischlehrerin entnehmen, die ohne Nachfrage oder Aufforderung meinerseits von Ausspracheproblemen im Englischunterricht berichtete. Nach ihrer Beobachtung manifestierten sich diese als Interferenz auf lautlicher Ebene, indem die Schülerinnen und Schüler regelmäßig die Artikulation des englischen /ʃ/ durch das Allophon [ʒ] ersetzten.
194
4 Auswertung
innerhalb desselben Stadtviertels, zum anderen eine Differenzierung innerhalb eines relativ homogenen gesellschaftlichen Sektors, konnte diese Form der Variation doch für die anderen als elitär titulierten Jugendgruppen des Barrio Norte nicht nachgewiesen werden. Im español bonaerense ist das Lexem shopping anstelle der Bezeichnung centros comerciales ein fest in der Alltagssprache verankerter Begriff. Es wäre in diesem Zusammenhang also interessant zu überprüfen, ob die Realisierung als [‘ʒopiŋ] mit dem Lesevorgang und der stilistischen Ebene der Wortliste zusammenhängt oder als relativ häufig verwendetes Lexem auch spontansprachlich in Erscheinung tritt. Anhand dieser konkreten lexikalischen Einheiten, die ansonsten überwiegend dem stimmlosen Friktativ vorbehalten zu sein scheinen, erweist sich der stimmhafte Frikativ [ʒ] erneut gewissermaßen als Indikator räumlicher und sozialer Provenienz; in Anbetracht der bisherigen Ergebnisse darf daher die Überlegung formuliert werden, ob der Laut so eng mit diesen spezifischen Sprechergruppen verknüpft ist, dass er dabei möglicherweise in Teilen eine identitätsstiftende Funktion übernimmt. 4.4.2.2.2 Qualitative Auswertung: Okkurrenz von [ʝ] Eine okkasionell auftretende Variante lag im Palatal [ʝ] (cf. Diagramm 4.17), wobei diese mit einer Variationsbreite zwischen dem Approximanten [j] und dem Frikativ [ʝ] einherging.96 Im Zusammenhang mit der stilistischen Ebene der Wortliste ist dies deshalb besonders hervorzuheben, da diese den einzigen Stimulus darstellt, unter dem das Phonem bei den interviewten porteños Anwendung fand. Wann der Palatal auftritt, ist dabei von zwei zu differenzierenden Auslösemechanismen abhängig: Zum einen wurde er vermehrt bei Anglizismen sowie bei aus anderen Sprachen entlehnten und im Spanischen inzwischen integrierten Wörtern artikuliert: Beispiel 4.2: yodo ['ʝoðo] (39,7% aller Realisierungen) yachting ['ʝotiŋ] (29,5% aller Realisierungen) Aufgrund der häufigen Verwendung dieser Artikulation könnte man bei diesen Lexemen phonologisch weitgehend verankerte Lexikalisierungen vermuten, die sich in ihrer Lautung nicht an die entlehnende Sprache bzw. Varietät angeglichen haben. Die Motivation, zu Lauten zu greifen, die im español bonaerense
96 Das Phonem /ʝ/ wurde bis auf wenige Einzelfälle (z. B. ahorquillada) nahezu ausschließlich für die Realisierung des Graphems verwendet.
4.4 Diaphasische Dimension
195
nur noch latent verankert sind, gründet hier folglich auf einem rein lexikalischen Input und wird nicht über phonologische bzw. artikulatorische Vorgänge erwirkt.97 Dass es sich bei diesem vermuteten phonologischen Lexikalisierungsprozess jedoch nicht um ein allgemeingültiges Phänomen handelt, das sich im gesamten Gebiet der Ciudad de Buenos Aires gleichermaßen durchsetzt bzw. durchgesetzt hat, wird ersichtlich, wenn man mit Blick auf die jugendlichen Sprecher die diastratische und diatopische Dimension in die Analyse miteinbezieht (Karte 4.8, 4.9).98 Der Anglizismus yachting trat in seiner Realisierung als Palatal /j/ bzw. /ʝ/ hauptsächlich in den wirtschaftlich starken Stadtvierteln im Norden (bis zu 60%) und Nordosten (44,4%) der Stadt auf, fand in den südlichen Zonen dagegen nur wenig bis gar keine Verwendung (Karte 4.8). Diese Distribution kann sicherlich mit der semantischen und pragmatischen Komponente des Lexems in Verbindung gebracht werden, wenn man bedenkt, dass sich für die ökonomisch schwächer gestellten Bevölkerungsgruppen im Süden in ihrer alltäglichen Lebenswelt nicht unbedingt ein situativer Kontext ergibt, in dem dieses semantische Wortfeld Gebrauch findet. Die gesellschaftliche Oberschicht hingegen dürfte aufgrund der Ausübung exklusiver Freizeitaktivitäten durchaus mit dieser Themenwelt aktiv vertraut sein.99 Die Unterschiede in der geographischen Verteilung von yodo sind weniger stark markiert, untermauern aber auch in diesem Bereich die These, dass die
97 Es soll auch in Betracht gezogen werden, dass es sich bei der Artikulation von yodo statt des Phonems /ʝ/ auch um eine bisegmentale Realisierung [io] handeln könnte, die auf der alternativen Schreibung iodo gründet. 98 In den Karten 4.8 und 4.9 wird die Information anders als in den bisherigen Darstellungen als proportionale Symbolkarte repräsentiert. Dies hängt damit zusammen, dass hier ähnlich wie bei einer Inventarkarte die Verbreitung unterschiedlicher Aussprachevarianten eines konkreten Lexems angezeigt werden soll. Ormeling zufolge werden solche «proportional symbol maps» in Relation zur absoluten Menge an Einzelpersonen bzw. Einzelrealisierungen erstellt. Da ein solches Vorgehen aber unweigerlich zur Folge haben würde, dass in den Gegenden, in denen statt 10 nur 9 oder 8 Informanten befragt wurden, zwangsläufig ein niedrigerer Verwendungsgrad bestimmter Varianten ausgewiesen würde, ist das Verfahren bei den nachfolgenden Karten prozentual umgesetzt. Eine ähnliche Problematik würde sich bei der Entscheidung für eine alternative Darstellungsmethode ergeben, bei der die Anzahl der Symbole analog zur Anzahl an aufgetretenen Okkurrenzen einer Variante steht (beispielsweise 2 Kreise stehen für 4 Artikulationen als [‘ʃoðo]). Daher steht bei den nachfolgenden beiden Karten die Größe des jeweiligen Symbols für sein prozentuales Auftreten innerhalb der untersuchten Sprechergruppen in den jeweiligen Gebieten. Cf. Ormeling (2010, 29s., 35s.). 99 Segelkurse gehören auch zum Sportangebot der Eliteschulen in Buenos Aires und sind gleichermaßen Bestandteil exklusiver Clubs. Cf. Abschnitt 4.3.1.3.1.
196
4 Auswertung
Karte 4.8: Diatopische Verteilung der phonologischen Varianten von yodo.
4.4 Diaphasische Dimension
Karte 4.9: Diatopische Verteilung der phonologischen Varianten von yachting.
197
198
4 Auswertung
Realisierungen als stimmloser Frikativ [ʃ] in den südlichen Stadtteilen die konstantesten sind und überdies weit weniger den Einflüssen lexikalischen Inputs unterworfen sind (Karte 4.9). Zum anderen ließ sich das Auftreten von /j/ bzw. /ʝ/ vermehrt beim Vorlesen der Fachausdrücke und Fremdwörter aus dem Bereich Medizin und Biologie beobachten (cf. Anhang II.IV): Beispiel 4.3: eritropoyesis [eɾitɾopo'ʝesis] yatrógeno [ʝa'tɾoxeno] 8,4% der interviewten Informanten sprachen hier als stimmhaftes [ʝ] aus, allen voran die Sprecher aus den centros culturales, von denen 16,3% eritropoyesis und 6% yatrógeno als Palatal realisierten. Dass sich diese Artikulation gerade im Falle der Fremdwörter häuft, legt eine Relation zwischen semantisch unbekanntem Wortschatz und der Applikation der nur noch latent vorhandenen Phoneme nahe. Auf der anderen Seite muss man sich erneut in Erinnerung rufen, dass die Realisierungen der hier analysierten Lexeme auf dem Vorgang des lauten Vorlesens einer Liste fußen. Dementsprechend stellt auch das Schriftbild der einzelnen Wörter einen spezifischen visuellen Stimulus dar, der auf die lautliche Realisierung Einfluss ausüben kann. Die Idee korrelierender Faktoren zwischen Schriftbild, Semantik und Artikulation wird bei der Analyse der Zungenbrecher nochmals vertiefend aufgegriffen. Zieht man an dieser Stelle eine kurze Zwischenbilanz stellt man fest, dass die einzelnen im Kontinuum /ʝ/ bis [ʃ] liegenden Laute nicht in willkürlicher Manier durch die porteños zum Einsatz kommen, sondern dass sich jede Realisierung an gewissen Gesetzmäßigkeiten zu orientieren scheint bzw. durch bestimmte nachvollziehbare Auslösestrukturen favorisiert wird.
4.4.2.2.3 Qualitative Auswertung: Okkurrenz von /ʎ/ in seiner Realisierung als [lj] Eines der zentralen Phänomene artikulatorischer Variation, das bei der Lektüre von Wortliste 2 zu beobachten war, ist die Verwendung des Laterals /ʎ/ als meist bisegmentale Realisierung [lj]. Ähnlich wie bei der Integration von /ʝ/ lassen sich auch hier verschiedene Auslösestrukturen unterscheiden: auf der einen Seite könnte die Artikulation situativ bedingt, auf der anderen hingegen semantischer bzw. graphematisch-visueller Natur sein, wobei sich stellenweise Überschneidungen beider Wirkungsmechanismen zu ergeben scheinen.
4.4 Diaphasische Dimension
199
Die Gegenüberstellung der einzelnen Generationen bezüglich ihrer Verwendung von [lj] ergibt folgendes Bild:
25
20.7
Generation 1: colegios 16.6
20
Generation 2: centros culturales 15
8.9 8
10 5
0.7
Generation 3: centros de jubilados
0.9
0 Frauen
Männer
Diagramm 4.18: Realisierung als [lj] beim Vorlesen der Wortliste in Relation zu generationeller Gruppe und Geschlecht.
Ob die Tendenz besteht, im Kontext der Wortliste als [lj] auszusprechen oder nicht, steht Diagramm 4.18 zufolge in direkter Abhängigkeit vom Alter der Informanten: Je älter die untersuchten Sprechergruppen sind, desto häufiger integrieren sie die Lautfolge in ihre Lektüre. Jugendliche Sprecher zeigen dieses Verhalten hingegen nur in Ausnahmefällen. Damit liegt – um einmal mehr die Terminologie Thuns aufzugreifen – ein zweifelsohne diagenerationell bedingtes Phänomen vor, das sich bereits beim Vergleich der verschiedenen Artikulationsformen des Textes von Arlt beobachten ließ. Der Stimulus der Wortliste bewirkt aber eine noch stärkere diaphasische Markierung dieses Phänomens. Lässt sich in den ersten beiden Generationen nur ein geringer Unterschied hinsichtlich des geschlechtsspezifischen Sprechverhaltens erkennen, neigen wie schon beim Vorlesen der Kurzgeschichte abermals die weiblichen Sprecherinnen der centros de jubilados stärker zur bisegmentalen Artikulation als ihre männlichen Altersgenossen. Diese altersspezifische Variation wird lediglich im Hinblick auf einige lexikalische Sonderfälle außer Kraft gesetzt, bei denen, in teils unterschiedlicher Ausführung, die einzigen Palatal-Alveolar-Verbindungen bei den unter 18-jährigen porteños registriert wurden: Beispiel 4.4: Lleida ['ljeiða] lliclla ['ljiclja], [il'icla], ['ʃiclja], ['ljicla]
200
4 Auswertung
Zur Erklärung dieser Realisierungen können sowohl lexikalische als auch semantische und graphematische Parameter herangezogen werden: anhand verbaler wie non-verbaler Reaktionen, wie beispielsweise verzögertem, langsameren Lesens, wurde von den Sprechern beim Vorlesen dieser beiden Wörter wiederholt signalisiert, dass ihnen ihr semantischer Gehalt unbekannt war.100 Dies legt die Vermutung nahe, dass die Laute, die nicht mehr bzw. nur noch latent Teil des bonaerensischen Konsonantensystems sind, insbesondere dann bei den interviewten Sprechern Verwendung finden, wenn der semantische Gehalt der zugrunde liegenden Lexeme nicht oder nur teilweise erschlossen werden kann. Ein ähnliches Verhaltensmuster ließ sich auch bei den anderen Generationen beobachten. Die Psycholinguistik oder auch kognitive Linguistik stellt für den phonologischen Umgang mit unbekannten Wörtern oder «unbekannten Pseudowörtern» (cf. Jacobs 2003) verschiedene Erklärungsansätze zur Verfügung. Während des Lesens wirken verschiedene kognitive Mechanismen, die in den Worterkennungsprozess eingreifen. Dabei wird der primäre visuelle Code in einen orthographisch-lexikalischen Code überführt, der abschließend zu einer semantischen Enkodierung führt. Inwieweit diese semantische Aktivierung von einer phonologischen Vermittlung der Wortform abhängt, die sich an den orthographisch-lexikalischen Code anschließt, ist dabei umstritten und laut Müsseler möglicherweise mit der jeweiligen Worthäufigkeit in Verbindung zu bringen.101 Dem Zweiprozessmodell DRCM von Coltheart et al. zufolge sind bekannte Lexeme in einer Art internen Lexikon gespeichert, über das der Sprecher in einem zweiten Schritt Kenntnisse über die phonologische Realisierung der entsprechenden Wörter einholen kann. Bei unbekannten Wörtern kann aufgrund deren fehlender Verankerung im mentalen Lexikon dieser Rückgriff jedoch nicht erfolgen, weshalb sie «über einen zweiten nonlexikalischen Prozess, der Grapheme in Phoneme konvertiert, verarbeitet werden» (Jacobs 2003, 135).102 Ein ähnlicher, aber in seiner Ausführung doch abweichender Ansatz steht hinter dem «phonologischen Rekodieren»: Schriftsprachliche Repräsentationen werden in lautsprachliche umgewandelt, allerdings geschieht dies
100 Beispiele: «No sé como se pronuncia . . . no tiene sentido» (zu lliclla); «Uh, eso no conozco . . . » (zu Lleida), «Ljeida . . . ʃeida, no conozco la palabra» (Lleida). – Natürlich wäre auch denkbar, dass bei Kenntnis dieser katalanischen Stadt die spanische Bezeichnung Lérida herangezogen worden ist; die Reaktionen der Jugendlichen ließen allerdings auf Unkenntnis derselben schließen, weshalb eine solche Adaption hier eher auszuschließen ist. 101 Cf. Müsseler (2003, 601ss.). 102 Cf. auch Coltheart et al. (1993).
4.4 Diaphasische Dimension
201
nicht in Form einer phonemischen Transformation, sondern auf der Ebene silbenähnlicher Gebilde; visuelle und phonologische Erkennung verlaufen dabei parallel.103 Wie kommt eine konkrete phonologische Realisierung dann letztlich zustande? Schindler vermutet, dass bei der Konfrontation mit unbekannten Wörtern der visuelle Code über die Herstellung von Analogien zu graphematisch ähnlichen Formen in einen phonologischen Code überführt wird: Die phonologische Repräsentation eines Wortes wird, zumal die Rezeption öfters nicht störungsfrei verläuft, (wieder)erkannt, indem solche phonologische Gestalten (. . .) durch den Input aktiviert werden, die dem Wahrgenommenen ähneln, solange bis eine Repräsentation einen deutlich höheren Aktivationsgrad als die übrigen erlangt hat.104 (Schindler 1994, 60s.)
Dem Zweiprozessmodell entsprechend kann die segmentale Realisierung von als [lj] in Lleida und lliclla folglich auf die These zurückgeführt werden, dass bei ausbleibender Worterkennungsphase die einzelnen Grapheme in einzelne Phoneme zerlegt werden. wird also nicht als ein einzelner Laut [ʃ] oder [ʒ] umgesetzt, sondern als zwei Einzelphoneme /l/ und /j/. Durch diesen Ansatz unterscheidet sich die lexikalisch gebundene Phonemfolge [lj] von der Verwendung von /j/ insoweit, dass ihr Gebrauch nur in Korrelation zu einem parallel stattfindenden Wortfindungsprozess mit einzelnen Lexikoneinheiten korrespondiert. Auch bei den Informanten aus den centros culturales und den centros de jubilados provozierten die im vorigen Absatz erläuterten Lexeme vermehrt bisegmentale Realisierungen. Dennoch muss noch einmal darauf hingewiesen werden, dass eine Vielzahl bereits bei der Artikulation der vorangehenden Wörter [lj] einsetzte. Damit ist die in diesen Altersgruppen erzielte Variation nicht nur auf semantische Faktoren zurückzuführen, sondern primär durch den Input der Liste an sich erklärbar. Ein weiterer Erklärungsansatz eröffnet sich mit Blick darauf, wie die Präsenz von [lj] in Abhängigkeit der einzelnen Berufsgruppen unter den 25- bis 60-jährigen Sprechern verteilt ist (Diagramm 4.19). Insgesamt zeichnet sich ab, dass Sachbearbeiter und Verwaltungsangestellte sowie Mitarbeiter in den centros culturales beim Vorlesen der Wortliste etwas
103 Cf. Schindler (1994, 360ss.). 104 Cf. zum Zusammenhang von visueller Worterkennung und phonologischer Umsetzung auch Eckstein (2004) und Schründer-Lenzen (2013, 51): «Diese spezifischen Probleme lassen sich dadurch erklären, dass bei diesen Wörtern [Pseudowörtern] ein Zugriff auf mentale lexikalische Einträge nicht möglich und ein Lesen nur über das phonologische Rekodieren leistbar ist».
202
4 Auswertung
Diagramm 4.19: Sprachgebrauch der 25- bis 60-Jährigen in Relation zum Berufsstand.
häufiger auf die Lautverbindung [lj] zurückgreifen als Akademiker und Lehrer auf der einen und Handwerker, Verkäufer sowie ungelernte Arbeitnehmer auf der anderen Seite. Ein solches Verhalten innerhalb dieser Sprechergruppe, die insbesondere Arbeitskräfte mittleren Bildungsgrades umfasst, kommt dem Phänomen nahe, wofür Labov den Begriff der hypercorrection heranzieht: demnach greifen Sprecher der Mittelschicht weit häufiger als die Oberschicht zu sprachlichen Formen, die sie in formalen Kontexten als korrekt und in Assoziation mit sozial höher eingeschätzten Gruppen als besonders prestigevoll erachten.105 Sicherlich ist der Terminus in seiner direkten Anwendung im vorliegenden Fall nur zu einem Teil zutreffend, ist den Sprechern doch durchaus bewusst, dass [lj] innerhalb ihrer Sprachgemeinschaft eigentlich nicht artikuliert wird (cf. dazu Abschnitt 4.5.2). Ihre Referenz auf ein System, das die phonologische Distinktion zwischen /ʝ/ und /ʎ/ wahrt, lässt aber darauf schließen, dass dieses mit einer bestimmten Vorstellung von Korrektheit und Angemessenheit in Verbindung gebracht wird, auch wenn es außerhalb der in ihrer Sprachgemeinschaft bestehenden Normen liegt. Gleichzeitig könnte darin ein Indiz für einen gewissen Grad an sprachlicher Unsicherheit gesehen werden, was abermals mit Labovs Beobachtungen konform ginge: «A great deals of evidence shows that lower-middle-class speakers have the greatest tendency towards linguistic insecurity» (Labov 1972e, 117).
105 Cf. Labov (1972f, 126).
4.4 Diaphasische Dimension
203
4.4.2.2.4 Kontext als Auslöser von Variation Wie in Abschnitt 4.4.2.2 hervorgehoben wurde, bietet die Analyse von Wortlisten den Vorzug, die phonologische Realisierung einzelner Wörter unabhängig von einem bestimmten inhaltlichen oder situativen Rahmen fokussieren zu können. Dennoch besteht natürlich auch innerhalb einer solchen Liste ein kontextueller Zusammenhang, werden die Wörter dem Sprecher schließlich auch hier in einer konkreten Abfolge präsentiert. Der direkte Vergleich der Wortlisten 1 und 2 ermöglicht es nachzuprüfen, ob bestimmte Varianten verstärkt im Kontext gleichartiger Wortgruppen (cf. Wortliste 2) favorisiert auftreten oder ob die Auseinandersetzung mit einer reduzierteren und auf mehrere Laute fokussierten Liste eine größere Wirkung erzielt. Die Kombination mit Fillern hat sich in Wortliste 1 bei den Schülern als nahezu wirkungslos auf die Verwendung anderer Laute als [ʃ] oder [ʒ] herausgestellt. Eine Art phonologischer Kontextualität wurde in unterschiedlicher Ausprägung von einigen Sprechern der centros culturales derart hergestellt, dass die einmal einem Wort zugewiesene Variante – hervorgerufen durch einen der bisher ausgeführten Stimuli – an die Aussprache der unmittelbar nachfolgenden Wörter in Wortliste 2 adaptiert wurde: Beispiel 4.5: Auszug aus Wortliste 2, männlicher 49-jähriger Sprecher aus Caballito cigarrillo [ciɣa'riʒo] lliclla ['ljiclja] llover [ljo'βeɾ] raya ['raʒa] consquillear [consqui'ljeaɾ] Die bisegmentale Realisierung von llover und conquillear fußt hier offenbar nicht auf semantischen, lexikalischen oder phonetischen Faktoren, sondern ist vielmehr eine assimilative Folgeerscheinung, die ihren Ausgangspunkt vermutlich in der unbekannten Semantik von lliclla und der daraus resultierenden Fokussierung auf das Schriftbild findet. Damit stellt auf der Ebene der Lektüre auch der kontextuelle Zusammenhang in gewissem Maße eine der Facetten dar, die bei den Sprechern Variation evozieren kann. Zusammenfassend fällt bei der Konfrontation mit Wortliste 2 die oftmals mangelnde Konstanz in der Beibehaltung einer bestimmten Variante auf, was in dieser Intensität bei keiner anderen Sprechsituation zu beobachten war. Über die genannten Aspekte hinaus lässt dieser hohe Grad an Variation abermals auf eine gewisse Unsicherheit seitens der Sprecher schließen.
204
4 Auswertung
4.4.2.2.5 Qualitative Analyse der Minimalpaare Der Großteil der interviewten Sprecher behielt beim Vorlesen der Minimalpaare seine Grundtendenz bei und zeigte dieser entsprechend eine entweder stimmhaft oder stimmlos ausfallende homophone Realisierung. Dennoch strebten 40,7% der porteños den Versuch an, innerhalb der einzelnen Wortpaare eine lautliche Differenzierung herzustellen.106 Eine Maßnahme, die bei 4,9% der Informanten zur Anwendung kam, war dabei die Integration des Phonems /j/ für die Artikulation von : Beispiel 4.6: poyo ['poʝo] – pollo ['poʃo] Eine andere und mit 24% quantitativ weitaus häufigere Ausführung lag in der Intention, für den in dieser Region nicht vorkommenden Lateral /ʎ/ zu verwenden.107 Die Ausführungen in Kapitel 4.1 haben mittels des Spektrogramms bzw. Oszillogramms gezeigt, dass es sich – wie auch bei den zuvor genannten Okkurrenzen – in den meisten Fällen aber vielmehr um ein bisegmentales [lj] als um den prädorsopalatalen Lateral [ʎ] handelt. Die Realisierung entsteht vermutlich durch die Nachahmung scheinbar bekannter lautlicher Strukturen und durch metasprachliche Kenntnisse. Beispiel 4.7: poyo ['poʃo] – pollo ['poljo] haya ['aʃa] – halla ['alja] se calló [se ca'ljo] – se cayó [se ca'ʃo] Bei dieser Form der Unterscheidung wird eine der diachronen und artikulatorischen Stufen der Reihe ʎ – j – ʒ – ʃ übersprungen. Eine Form der lautlichen Distinktion zwischen den einzelnen Wörtern wurde aber nicht nur über die Integration von im Spanischen des Río de la Plata nur noch latent vorhandenen Phonemen gesucht, sondern auch über den Einsatz der hier zur Untersuchung stehenden Varianten. In diesem Sinne setzten 11,7% der Sprecher den Zusatz von Sonorität als distinktives Merkmal gegenüber [ʃ] ein:
106 Unabhängig von den fokussierten Palatalen stellten einige Sprecher auch eine Unterscheidung über die Bilabiale am Wortanfang von valla – vaya her: [‘baʃa] – [‘ßaʃa]. 107 Die Prozentangabe bezieht sich auf die Anzahl derer, die in Teilen diese Form der Distinktion wählten. Nicht alle Sprecher waren in ihrer Form der Unterscheidung in Bezug auf alle Minimalpaare konstant.
4.4 Diaphasische Dimension
205
Beispiel 4.8: poyo ['poʃo] – pollo ['poʒo] vaya ['baʃa] – valla ['baʒa] Anders als /ʝ/ und /ʎ/ stehen [ʃ] oder [ʒ] zueinander nicht in distinktiver Opposition und sind damit keine Laute, mittels derer im español bonaerense Bedeutungen unterschieden werden. Beispiel 4.8 legt jedoch die Vermutung nahe, dass die beiden Phone über eine mögliche diaphasische Markierung hinaus durch den Stimulus der Minimalpaare von einigen Sprechern auf die Systemebene übertragen werden und in diesem Kontext als distinktive Einheiten begriffen werden. Hier stellt sich die Frage, ob sich die Heranziehung von [ʒ] als unterscheidungsträchtiges Merkmal wirklich aktiv und damit bewusst zur Bedeutungsdifferenzierung vollzieht, oder ob die stimmhafte Realisierung vielmehr in artikulatorisch bedingten Motiven zu suchen ist. Beide Motivationen dürften von einzelnen Sprechern bedient werden. Die These einer bewusst intendierten Verwendung bekräftigt sich anhand des folgenden metasprachlichen Kommentars einer Sprecherin aus Belgrano: La distinción debería hacerse con el sonido y sin embargo no hay, por ejemplo: [‘vaʒa], [‘vaʒa], [se ca’ʒo] – se ca’ʃo] . . . debería ser [se ca’ʒo], [se ca’ʃo] y sin embargo no, a mí me suenan igual. (53-jährige Sprecherin aus Belgrano)
Das Beispiel illustriert, dass die Minimalpaare über die Erfassung phonologischer Variablen hinaus stellenweise als indirekter Indikator für metasprachliche Zeugnisse herangezogen werden können. Dies machte sich außerdem an der häufig von Unsicherheit begleiteten Lektüre fest: oftmals wurde eine zu Beginn artikulierte Realisierung inkonsequent umgesetzt (cf. Beispiel 4.9), nach ein, zwei Wortpaaren wieder verworfen (cf. 4.10) oder aber es wurden verschiedene Arten der Distinktion miteinander vermischt (4.11): Beispiel 4.9: poyo ['poʝo] haya ['aʃa] vaya ['baʃa] se calló [se ca'ʃo] rallar [ra'ʃaɾ]
– – – – –
Beispiel 4.10: poyo ['poʝo] haya ['aʝa]
– pollo ['poʃo] – halla ['aʃa]
pollo ['poʃo] halla ['aʝa] valla ['baʝa] se cayó [se ca'ʃo] rayar [ra'ʝaɾ]
206
4 Auswertung
vaya ['baʝa] – valla ['baʃa] se calló [se ca'ʃo] – se cayó [se ca'ʃo] rallar [ra'ʃaɾ] – rayar [ra'ʃaɾ] Beispiel 4.11: poyo ['poʃo]. . . [poʝo] haya ['aʝa] vaya ['baʃa] se calló [se ca'ʃo] rallar [ra'ʃaɾ]
– – – – –
pollo ['poʒo] halla ['aʃa] valla ['baʒa] se cayó [se ca'ʃo] rayar [ra'ʃaɾ]
Andere Faktoren, die eine gewisse Unsicherheit seitens der Sprecher bei der Konfrontation mit den Minimalpaaren signalisierten, reichten von Momenten des Zögerns über intonatorische Muster, die ein Zweifeln darüber anzeigten, was an dieser Stelle eigentlich verlangt wurde, bis hin zu Abbrüchen und Korrekturen. Zunächst einmal ist es sicherlich der visuelle Stimulus der Minimalpaare, der dazu führt, dass die Sprecher genau an dieser Stelle Elemente einführen, die im Phoneminventar von Buenos Aires eigentlich nicht mehr vorhanden sind (cf. auch Wortliste, Zungenbrecher). Der semantische Unterschied wird mit phonetischen Mitteln darzustellen versucht. Anders als bei der Aussprache von lliclla und Lleida wird bei diesem Verfahren nicht einer semantisch unbekannten Wortfolge eine phonetische Realisierung zugewiesen, sondern mittels einer bestimmten phonetischen Form eine semantische Differenzierung gesucht.108 Dicht damit einhergehen dürfte ein metasprachlicher Reflexionsprozess, der die Sprecher zu genau den Varianten, die sie letztlich verwenden, anleitet. Tabelle 4.3 gibt Aufschluss über die quantitative Verteilung der angewandten Distinktionsmittel in Abhängigkeit von Alter und Wohnort. Mit Ausnahme von Palermo fällt auf, dass in den sozioökonomisch hoch gestellten Stadtteilen im Norden sowie in den Mittelstandsvierteln Balvanera und Villa Pueyrredón eine angestrebte Unterscheidung mittels der Segmentfolge [lj] bei den Schülern
108 Nicht für alle Sprecher wiesen die Minimalpaare einen bedeutungstragenden Unterschied auf. 3,8% lasen jeweils nur das erste Wort. Andere, und dies war verstärkt bei den jugendlichen Sprechern zu beobachten, waren sich des Bedeutungsunterschieds sicherlich bewusst, erkannten aber in der verlangten Aussprache beider Wörter keinen effektiven Sinn, was sich beispielsweise durch Lachen während der Lektüre oder eine bestimmte Intonation offenbarte. Diese Reaktionen deuten auf ein Bewusstsein der Tatsache hin, dass im rioplatensischen Spanisch gemeinhin kein phonetischer Unterschied zwischen den einzelnen Lexemen gemacht wird. Cf. Kommentar eines Schülers aus Recoleta: «¿Esto lo leo?» – «Sí». – «¿Las dos leo? O sea . . . ».
207
4.4 Diaphasische Dimension
Tabelle 4.3: Distribution verschiedener Differenzierungsmittel bei der Lektüre der Minimalpaare in Relation zu generationeller Gruppe und Wohnorta.
keine Unterscheidung
als [lj]
als [ʝ]
[ʃ] und [ʒ]
colegio
centro cultural
colegio
centro cultural
colegio
centro cultural
colegio
centro cultural
Belgrano
%
%
%
,%
%
%
%
,%
Recoleta
,%
,%
%
,%
%
,%
,%
,%
Palermo
,%
Caballito
,%
,%
%
,%
%
%
,%
%
Balvanera
%
,%
%
,%
%
%
%
%
Villa Pueyrredón
%
%
%
%
%
%
%
%
Mataderos
%
%
%
,%
%
%
%
,%
Barracas
%
,%
%
,%
%
%
%
,%
,%
,%
,%
a
In der Tabelle sind ausschließlich die Fälle berücksichtigt, die bei der Lektüre der Minimalpaare ein vom Rest der Wortliste abweichendes Verhalten offenbarten. Informanten, die schon im vorderen Teil laterale Realisierungen (u. ä.) enthielten, sind hier ausgespart, da die phonologische Ausführung der Minimalpaare somit nicht klar als der Differenzierung dienendes Mittel zugeordnet werden kann.
gänzlich ausbleibt, in den südlichen Distrikten diese Form der Unterscheidung allerdings mehr als ein Drittel aller insgesamt registrierten Distinktionsmittel ausmacht. Die in Belgrano, Palermo und Recoleta gewählte Differenzierung findet vielmehr über die nächste Stufe der Lautreihe statt, nämlich durch die Zuordnung von zum Palatal /ʝ/. In Recoleta dominiert aber in erster Linie die Gegenüberstellung von stimmlosem [ʃ] und sonorem [ʒ], die darüber hinaus durch jeweils einen Sprecher in Balvanera und Barracas Anwendung fand. Dieses Verhalten könnte als Hinweis darauf interpretiert werden, dass unter der jungen Sprechergruppe in dieser Gegend die Koexistenz von Stimmhaftigkeit und Stimmlosigkeit stärker im Bewusstsein verankert zu sein und als Gegensatz begriffen zu werden scheint als in den Gegenden, in denen es keine konstant stimmhaft realisierenden Jugendlichen gibt. Die Distribution der in den centros culturales artikulierten Realisierungen fällt homogener aus, interessanterweise trat das Phonem /ʝ/ aber ausschließlich im Barrio Norte auf.
208
4 Auswertung
Insgesamt könnte im Kontext der Minimalpaare abermals das Phänomen der Hyperkorrektur greifen, das bereits in Abschnitt 4.4.2.2.3 als möglicher Erklärungsansatz angeführt wurde. 4.4.2.3 Zungenbrecher Die Zungenbrecher (cf. Anhang II.III) sind neben Wortliste 2 der schriftliche Impuls, der bei den Informanten die meisten Abweichungen von der durchschnittlichen Realisierungstendenz während der freien Gesprächsphase provozierte. Die verschiedenen Variationstypen korrespondieren dabei mit denen, die sich auch bei der Lektüre der Wortliste und Minimalpaare manifestierten. Bei der Wahl der Zungenbrecher-Methode ging es nicht primär darum, potentielle Versprecher zu generieren, sondern sie zielte vielmehr darauf ab, sich die Mechanismen, die um die unter diesen Bedingungen wirkenden Artikulationsschwierigkeiten kreisen, zu Nutze zu machen.109 Lauterbach spricht in diesem Zusammenhang von einem «Wettbewerb um Output zwischen zwei sich minimal unterscheidenden Phonemen», wobei insbesondere «Wettbewerb, Zeitdruck, Überladung des Systems mit limitierten Kapazitäten» eine Rolle spielen (cf. Lauterbach 2009, 36). Ob es im Falle der Sprachgemeinschaft Buenos Aires tatsächlich zu diesem «Wettbewerb um Output» kommt oder ob es sich bei der Lektüre vielmehr um ein durch die von Lauterbach genannten Faktoren erschwertes artikulatorisches Wiederholen des gleichen Lautes handelt, hängt dabei von den konkret verwendeten Varianten ab. Die Analyse der Artikulation eines bestimmten Lautes sollte in diesem Kontext allerdings von der synchronen variationslinguistischen Betrachtung des Sprachzustandes in der Ciudad de Buenos Aires unterschieden werden, da hier kein natürliches Bild sprachlicher Variation erfasst wird, sondern vielmehr, wie Sprecher in einer bestimmten Situation auf verschiedene externe Stimuli reagieren. Es wirken also verstärkt psycholinguistische Prozesse, weshalb an dieser Stelle auf eine nähere soziolinguistische Distribution verzichtet werden soll. Diagramm 4.20 bietet eine Übersicht über die in den verschiedenen Einrichtungen artikulierten Laute. Mit lediglich 12,1% erreicht der stimmhafte Postalveolar seinen zweitniedrigsten Wert in der Gruppe der unter 20-jährigen Informanten; nur während des Vorlesens der Wortliste wurden noch weniger Okkurrenzen erfasst (cf. Diagramm 4.14). Anders als es bei der Konfrontation mit der Wortliste der Fall war, artikuliert bei dieser stilistischen Lesesequenz keiner der interviewten Schüler als
109 Cf. häufiger Versprecher «entabiliʃador».
209
4.4 Diaphasische Dimension
100
87.9
80
65.9 ʒ ʃ
60 40.9 40 20
dʒ / tʃ
36.3
lj
27.5
ʝ
19.2
12.1
5.9
3.4
0.7
0.2
0 colegios
centros culturales
centros de jubilados
Diagramm 4.20: Verwendete Allophone bei der Lektüre der Zungenbrecher in Relation zur generationellen Gruppe.
/ʝ/ oder als [lj]; der Palatal und die bisegmentale Verbindung fanden hier auch unter keiner anderen Laut-Graphem-Relation Anwendung. Eine mögliche Erklärung für dieses Ausbleiben liegt in den unter Absatz 4.4.2.2.2 und 4.4.2.2.3 ermittelten Auslösemechanismen bezüglich der Applikation von /ʝ/ und [lj]. Bei den jugendlichen Informanten wurden diese ausschließlich in Verbindung mit Lehnwörtern (cf. yodo, yachting), der Wissenschaft entnommenen Fremd- bzw. Fachwörtern (cf. yatrógeno) sowie bei unbekanntem (cf. Lleida) oder scheinbar sinnentleertem Wortschatz (cf. lliclla) benutzt. Bei den gewählten Zungenbrechern liegt keine dieser Strukturen vor, der motivierende Stimulus entfällt also. Entscheidend dürfte dabei sein, dass es sich bei beiden Zungenbrechern um weitgehend «syntaktisch, semantisch und pragmatisch korrekte» Verse handelt, lediglich Zungenbrecher 1 ist in Vers 4 «syntaktisch oder semantisch unsinnig» (Dilger 2000, 66). Es ist daher möglich, dass bei der Präsentation sogenannter «Nonsense-Zungenbrecher» abermals ein Rückgriff auf die eigentlich nicht mehr verankerten Formen seitens der Schüler erfolgen könnte, da die einzelnen Propositionen, die dem Satz zugrunde liegen, vom Leser nicht identifiziert werden können, somit auf kein bekanntes Konzept rekurriert werden kann und der Verstehensprozess auf semantischer Ebene ausbleibt.110 Im Unterschied zu Generation 1 kam bei 5,9% der Informanten der 2. Generation die bisegmentale Realisierung [lj] zum Einsatz, der stimmhafte Palatal /ʝ/
110 Cf. zum Verstehensprozess Grimm/Engelkamp (1981, 140ss.).
210
4 Auswertung
blieb vermutlich aus denselben Gründen aber auch hier unberücksichtigt. Für die Integration von [lj] können als Erklärung zwei verschiedene Auslösemotivationen herangezogen werden: Auf der einen Seite stellt die Artikulation dieser Lautfolge das Ergebnis einer ganz bewussten Lektüre dar, die auch darauf abzielt, Versprecher zu vermeiden. Auf der anderen Seite ist diese segmentale Realisierung möglicherweise der Zerlegung nach Silben einzelner Wörter geschuldet, bei der die semantische Erschließung der Lexeme wie schon bei lliclla und Lleida als Graphem-Phonem-Kette erfolgt.111 Der Rückgriff auf die Lautfolge [lj] ist bei der Artikulation der Zungenbrecher oftmals von einer Verlangsamung der Sprechgeschwindigkeit begleitet, was den Schluss nahe legt, dass die semantische Enkodierung selten gebrauchter Lexeme wie desentablille oder entablillador eines vorangehenden phonologischen Codes bedarf. Bei den in den centros de jubilados interviewten Teilnehmern wurde bei der Durchführung dieses Lektüreteils die höchste Präsenz an [lj] festgestellt: Griffen während des Vorlesens des literarischen Textes insgesamt nur 12,9% auf diese Realisierung zurück, konnte sie bei den Zungenbrechern mit 36,3% beinahe ebenso häufig wie die stimmhaft postalveolare Variante, die auf 40,9% der Sprecher entfällt, verzeichnet werden. Ähnlich wie bei der Präsentation der Wortlisten, findet auch hier die an den Lateral angelehnte Lautfolge unter den weiblichen Informantinnen mehr Zuspruch als unter den männlichen Teilnehmern. Dieses Gefälle nimmt mit steigendem Alter zu, wobei die Differenzen mit Werten zwischen 6,5% und 5,2% im Falle der centros culturales und 37,9% zu 33,7% in den centros de jubilados verhältnismäßig gering sind. Dennoch, die Tendenz setzt sich fort und könnte vergleichbar mit den Beobachtungen in 4.4.2.2.3 auf eine erhöhte Bereitschaft seitens der Frauen hindeuten, in diesen Kontexten eine außerhalb des Systems liegende Lautfolge zu realisieren, die von ihnen möglicherweise als situativ angemessen und gewissermaßen korrekt empfunden wird. Die hohe Zahl an bisegmentalen Okkurrenzen ist auch aus artikulatorischer Sicht von besonderem Interesse, da die Heranziehung der Lautfolge [lj] im Kontext der hier verwendeten Zungenbrecher bei erhöhtem Sprechtempo eigentlich ein kontraproduktives Verhalten ist, wenn es darum gehen soll, Artikulationsschwierigkeiten zu reduzieren. [ʃ] und [ʒ] sind postalveolare Frikative, die beide mit Hilfe der Zunge zwischen hartem Gaumen und Zahndamm gebildet werden; artikulatorisch gesehen stellt die häufige Abfolge der beiden Allophone – auch in Varianz beider Varianten – daher kein wirklich
111 Im letztgenannten Fall beschränkt sich der Gebrauch von [lj] folglich auf das jeweilige zu Artikulationsschwierigkeiten führende Wort und wird nicht auf den übrigen Kontext übertragen.
4.4 Diaphasische Dimension
211
zungenbrechendes Hindernis dar. Bei der Verwendung der biphonematischen Folge [lj] hingegen geht der postalveolare Lateral unmittelbar in den palatalen Approximant über, wobei Lateral und Palatal zeitlich eng miteinander koordiniert sind; durch diese rasche Abfolge wird die Artikulationsstörung eigentlich erst aufgebaut. Der häufige Gebrauch von [lj] in dieser Generation könnte natürlich auch auf die visuelle Dichte von im Schriftbild der Zungenbrecher zurückzuführen sein, die die von Fontanella de Weinberg erwähnte schulische Instruktion, als [ʎ] zu artikulieren, stärker als im Falle des literarischen Textes aktiviert.112 Betrachtet man die Gesamtheit der als [ʒ] realisierten Laute, deutet sich abermals – wie schon bei der Lektüre der Wortliste (cf. 4.4.2.2.1) – eine Präferenz der intervokalischen Wortposition an. Der Großteil der sonoren Variante war in Zungenbrecher 2 bei den Wörtern entablillar, desentablille und entablillador zu vernehmen, während auf die Alliterationen aus Zungenbrecher 1 insgesamt die wenigsten Alternanzen entfielen: Beispiel 4.12: Las tablas de mi balcón mal entabliʃadas están. ʃamen al entabliʃador que las desentabliʃe y las vuelva a entabliʒar mejor, que ʃa se le pagará como buen entabliʃador. Damit liegt auch eine Übereinstimmung mit den Ergebnissen aus dem ADDU von Thun und Elizaincín vor, die ebenfalls einen Zuwachs der innovativen Variante am Wortanfang in Abgrenzung zur intervokalischen Position festgestellt hatten.113 Dennoch soll dieser Tendenz keine universelle Gültigkeit zugesprochen werden, da auch genau gegenteilige Realisierungen erfasst wurden, in denen der häufigste Rückgriff auf das stimmhafte Allophon bei der Aussprache von ya erfolgte: Beispiel 4.13: Las tablas de mi balcón mal entabliʃadas están. ʃamen al entabliʃador que las desentabliʃe y las vuelva a entabliʃar mejor, que ʒa se le pagará como buen entabliʃador.
112 Cf. Fontanella de Weinberg (1979, 57). 113 Cf. Thun/Elizaincín (2000, 16s.): «Resulta que todos los grupos aumentan el ʃeísmo en la posición inicial con diferencias pocas llamativas».
212
4 Auswertung
Möglicherweise stehen sich hier zwei konkurrierende Auslösestrukturen gegenüber, wonach das wortinitiale /ʒ/ auf der einen Seite eine anlautende Stellung besetzt und auf der anderen Seite durch Assimilationsprozesse einer intervokalischen Artikulation nahekommt.114 4.4.2.3.1 Korrekturen stimmloser Realisierungen durch [ʒ] Es liegt in der Charakteristik von Zungenbrechern, Versprecher zu evozieren. Versprecher sind wiederum häufig von Abbrüchen und Korrekturmomenten gefolgt und diese sind es auch, die beim Lesen der Zungenbrecher in Ansätzen indirekte Rückschlüsse auf mit [ʃ] und [ʒ] assoziierte Wertungen und Haltungen möglich machen. Dazu sollen beispielhaft die nachfolgenden Realisierungen betrachtet werden: Beispiel 4.14: La ʃanura ʃana. . . ʒana se ʒena de lluvia [. . .] Beispiel 4.15: Las tablas de mi balcón mal entablecidas están. ʒamen al enta. . . entabli. . . tabliʃa. . . ʒador las desenta. . . bliʒe [. . .] Beispiel 4.16: Las tablas de mi balcón están mal entabliʃadas están. . . leí mal, sorry. . . las tablas de mi balcón mal entabliʒadas están. ʃamen al entabliʃador que las desenta. . . que las desentablilje. . . que las desentabliʃe, y las vuelva a entabiʃar mejor. Beispiel 4.14 und 4.15 sind Realisierungen desselben Schülers aus Recoleta. In beiden Fällen wird eine Korrektur der vorher ausgesprochenen Form derart vorgenommen, dass der zunächst stimmlos artikulierte Laut durch das stimmhafte Allophon [ʒ] ersetzt wird. In Beispiel 4.15 spielt dabei offenbar abermals der Worterkennungsprozess eine Rolle: Erst nachdem die einzelnen Segmente von entablillador erschlossen und phonologisch enkodiert sind, gibt der Informant seine finale Fassung ab, die nach zunächst stimmloser Artikulation sonor ausfällt. In Korrekturmomenten bzw. ʻnegativenʼ Realisierungen dieser Art (cf. «entabli . . . tabliʃa», Beispiel 4.15) liegt ein weiterer Schlüssel für die Analyse der hier
114 Neben der Variation von stimmhafter und stimmloser Realisierung wurde in einigen Fällen eine Intensivierung bei der Aussprache von [ʒ] seitens der ʒeístas festgestellt.
4.4 Diaphasische Dimension
213
diskutierten Varianten, denn Kabatek zufolge zeigen «Korrekturen [zeigen] in besonderer Weise Sprachkonflikte im Sprechen, Konflikte zwischen Varietäten».115 Dieses Prinzip kann sicherlich auch auf miteinander konkurrierende Varianten angewandt werden. Sowohl in 4.14 als auch in 4.15 gibt der Sprecher mit der Aufgabe von [ʃ] dem stimmhaften Postalveolar die Präferenz, mit dem Ziel, diesen als situativ angemessen zu markieren. In Beispiel 4.16 dürfte die Lautsubstitution hingegen anderweitig motiviert sein. Der Sprecher realisierte im Laufe des teilstrukturierten Interviews mehr als 96% aller Okkurrenzen stimmlos; dass er nach seinem Versprecher, der ihm eigentlich auf syntaktischer, nicht auf phonetischer Ebene unterläuft, zur stimmhaften Variante [ʒ] greift, ist ein Indiz für seine Intention, die jetzige Fassung mit Nachdruck als korrekt zu kennzeichnen; dafür spricht auch, dass die nachfolgenden Artikulationen der sprecherindividuellen Grundtendenz gemäß stimmlos ausfallen. Alle Beispiele betreffen in gewisser Weise die Ausdrucksform bzw. «Form der Mitteilung» (cf. Kabatek 2005, 169), 4.14 und 4.15 beschränken sich dabei jedoch mehr auf die lexikalisch-phonetische Ebene, wohingegen in 4.16 die Korrektur auf die syntaktisch-semantische Einheit referiert, die eine Verstärkung auf phonetischer Ebene mit einschließt. Wie die Divergenzen in der lautlichen Realisierung zwischen der spontanen Rede und den Lektürephasen (cf. Diagramm 4.14) bereits vermuten ließen, liegt anhand der Korrekturen die Hypothese nahe, dass der Präpalatal [ʒ] situativ mit unterschiedlichen Funktionen, Ausdrucksfinalitäten und Wertungen behaftet sein könnte. Zudem hat sich durch die wiederholte Integration von [lj] herausgestellt, dass sprachliches Wissen die Sprecher aktiv in ihren sprachlichen Handlungen beeinflusst.116 Bevor in Kapitel 4.6 die Rolle, die die Postalveolare aus kommunikativer Sicht spielen könnten, anhand beispielhafter Analysen der freien Gesprächsteile aufgearbeitet wird, scheint es an dieser Stelle sinnvoll, die diastratischen, diatopischen und diaphasischen Erläuterungen um einen knappen Einblick in die metasprachlichen Aussagen der Informanten zu erweitern. Zum einen wurden diese wie auch die Korrekturen und Abbrüche durch die Konfrontation mit den Zungenbrechern und Wortlisten ausgelöst; zum anderen eröffnen sie im Vergleich zu den empirisch ermittelten Sprachdaten die Perspektive, Tendenzen hinsichtlich möglicher Erklärungsmodelle rund um die festgestellte Verteilung der Phone in der Capital Federal zu entwickeln bzw. zu festigen.
115 Cf. Kabatek (2005, 170). 116 Cf. Kabatek (1996, 38). Kabatek diskutiert den Begriff des sprachlichen Wissens sowie dessen Relation zu sprachlichen Handlungen ausführlich (cf. Kabatek 1996, 38ss.).
214
4 Auswertung
4.5 Reflexion zu Sprecherwissen und metasprachlichen Aussagen Die Informanten lieferten während der Untersuchungen immer wieder selbst – ohne dass dies im Voraus durch bestimmte Befragungstechniken o. ä. beabsichtigt gewesen wäre – metasprachliche Aussagen bzw. varietätenbezogene Äußerungen, die nicht außer Acht gelassen werden sollen und daher in Form eines kurzen Exkurses an dieser Stelle präsentiert werden. Da es sich hier um von den Sprechern auf Eigeninitiative geäußerte Wertungen und spontane Gedanken handelt, sind diese zwar nicht systematisch erfasst, dank ihrer Authentizität soll ihnen ihre Daseinsberechtigung im Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht abgesprochen werden. Die Korrelation von Produktionsdaten und Erhebungen zum Sprachbewusstsein hat Eingang in eine Vielzahl von empirischen Untersuchungen gefunden. Die Begriffe Perzeption, sprachliches Wissen, Einstellung etc. sind dabei vielfach diskutiert und in diversen Abhandlungen definitorisch voneinander abgegrenzt worden.117 Krefeld und Pustka plädieren in ihrer Erörterung einer perzeptiven Varietätenlinguistik eindringlich für die Berücksichtigung perzeptiver oder repräsentativer varietätenbezogener Aussagen: Die Markierung sprachlicher Variation als ‹diatopisch›, ‹diastratisch› bzw. ‹diaphasisch› ist nur dann kommunikativ relevant, wenn sie durch Sprecher(gruppen) als solche, d.h. als auffälliger Hinweis auf die regionale und/oder soziale Herkunft bzw. auf die situative (Un)Angemessenheit – bewusst oder unbewusst – wahrgenommen wird. Das gilt für die Ebene der einzelnen Merkmale und ist unentbehrlich für deren Hierarchisierung. (Krefeld/Pustka 2010, 20)
Die diasystematische Erfassung von Varietäten und Varianten mache Krefeld und Pustka zufolge nur dann Sinn, wenn die Sprecher in ihrer Wahrnehmung dieser Variablen mit einbezogen werden. Um die Begrifflichkeiten von K. L. Pike heranzuziehen, gehen emische, also die innere Sicht derer, die in ein bestimmtes Sprachsystem involviert sind, und etische Beschreibungen, welche von außen über jenes System angestellt werden, demnach Hand in Hand und sollten idealerweise gegenseitig abgeglichen werden.118 Unter dieser begrifflichen Opposition darf nach Auffassung Postleps jedoch nicht zwangsläufig die Gegenüberstellung von Laienperspektive und Expertenperspektive verstanden
117 Cf. u.a. Folk Dialectology von Preston/Niedzielski (2000). 118 Cf. Pike (1967, 37s.).
4.5 Reflexion zu Sprecherwissen und metasprachlichen Aussagen
215
werden.119 In ähnlicher Weise ist für Preston, der sich intensiv der «study of folk beliefs about language» widmet (Niedzielski/Preston 2000), die Hinzuziehung von Einstellungen der Nichtlinguisten ein wichtiger Vorgang im Rahmen einer perzeptiven Dialektologie: What linguists believe about standards matters very little; what nonlinguists believe constitutes precisely that cognitive reality which needs to be described – one which takes speech community attitudes and perception [. . .] into account. (Niedzielski/Preston 2000, 43)
Darüber hinaus seien metasprachliche Aussagen und Einstellungen aus der Laienperspektive notwendig, um Sprachwandelprozesse nachvollziehen zu können (cf. Niedzielski/Preston 2000, viii). Wie auch im Zusammenhang der diachronen Aufarbeitung der bonaerensischen Varietät deutlich wurde, sind die hier analysierten Varianten einem äußerst dynamischen Prozess unterworfen und befinden sich in verschiedenen Phasen des Wandels. Kabatek sieht gerade in einer solchen Dynamik einen treibenden Faktor für eine gesteigerte Perzeptionsfähigkeit sprachlicher Variablen: «Somit ist anzunehmen, dass ganz allgemein das explizite Bewusstsein zunimmt, je dynamischer die sprachlichen Welten sind, mit denen ein Sprecher konfrontiert wird» (Kabatek 1996, 42).
4.5.1 Metasprachliche Aussagen zu ʒeísmo und ʃeísmo Die in Abschnitt 4.4.2.3.1 beschriebenen Versprecher und Korrekturmomente zugunsten der stimmhaften Variante [ʒ] ließen – auf expliziterer Ebene, als dies ohnehin durch die diastratisch markierte Distribution der Varianten zu erwarten ist – erahnen, dass die porteños mit den beiden koexistierenden Allophonen offenbar ganz unterschiedliche Auffassungen und Wertungen verbinden. In den nachfolgenden metasprachlichen Aussagen kommt darüber hinaus der von Preston diskutierte Aspekt sprachlicher Einstellungen zum Ausdruck. Folgt man seiner Terminologie, handelt es sich bei den Äußerungen im weitesten Sinne um Kommentare zum dialect image, da mit der Präsentation der Zungenbrecher und Minimalpaare zwar ein Stimulus geboten wird, dieser aber nicht darauf abzielt, sprachbezogene Einstellungen und Bewertungen zu konditionieren; ist dies der Fall, wird Preston zufolge eine dialect evaluation fokussiert (cf. Preston 1999). Die meisten metasprachlichen Kommentare zum Verhältnis von sonorer und stimmloser Aussprache wurden interessanterweise seitens der Sprecher
119 Cf. Postlep (2010, 61).
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4 Auswertung
geäußert, die sich durch die konstante Anwendung von [ʒ] auszeichneten. Motiviert durch den Stimulus der Zungenbrecher stellt ein Schüler des colegio C. in Recoleta die beiden Allophone einander gegenüber:120 Beispiel 4.17: S M S M F S M S F S [ M [ [ S [
¡Ah mirá! (-) es un trabalenguas. ¡Upa! ¿Lo puedo decir grasa o lo digo en serio? (-) ¿En serio? La ʃanura ʃana/ ¿Cómo/ cómo lo querés decir? Porque hay (-) maneras diferentes, por ejemplo, es m/ es más fácil decirlo la ʃanura ʃana se ʃena de ʃuvia.
O si no se puede decir la ʒanura ʒana se ʒena de ʒuvia. Y el ʒanero de la ʒanura ʒena [. . .] ¿Y así como lo dijiste la primera vez? (-) ¿Cómo es? Es grasa, es más de una zona de San Isidro (-) porque la Argentina está llena de regionalismos. Es como (-) Acá se/ se molesta un poco con el tema de la lj o la ʃ (-) Y si no la s y la s. Y/121 Son cosas de fonética que se transmiten de papás a hijos porque [. . .]
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17
Der Aussage können mehrere Aspekte entnommen werden. Zunächst resultiert aus der Gegenüberstellung zweier Varianten, von denen der Sprecher selbst lediglich eine aktiv verwendet, ein Kontrast zwischen Auto- und Heterorepräsentationen, bzw. zwischen In-group und Out-group-Sprecher.122 Der Umstand, die stimmhafte Aussprache als «en serio», also als ernsthafte bzw. ernstzunehmende Variante zu titulieren, kann als Indiz für den Anspruch auf Korrektheit und Angemessenheit des stimmhaften Frikativs [ʒ] verstanden werden. Der stimmlose Frikativ [ʃ] ist im Gegensatz dazu mit einer äußerst negativen und geringschätzigen Einstellung konnotiert: Der Ausdruck «es grasa» (Z. 12) bedeutet im argentinischen Spanisch so viel wie ʻvulgärʼ. Er kann aber auch auf ein Verhalten referieren, das um Exklusivität und Eleganz bemüht ist, diesem Bestreben jedoch durch
120 Cf. zu den in dieser Arbeit verwendeten Transkriptionskriterien Anhang V. Das Gespräch in Beispiel 4.17 wurde mit zwei Schülern geführt. 121 Der Kommentar von Mitschüler M. unterstreicht die Hypothese eines Varietätenbewusstseins und dass der metasprachliche Diskurs über dieses Thema durchaus in der Sprachgemeinschaft stattzufinden scheint. 122 Cf. Krefeld/Pustka (2010, 15). Cf. auch Pustkas Studie zum accent parisien, in der diese Perspektiven ausführlich einander gegenübergestellt werden (Pustka 2008).
4.5 Reflexion zu Sprecherwissen und metasprachlichen Aussagen
217
eine übertriebene Ausführung nicht nachzukommen vermag. Soziokulturelle Referenz sind dabei oftmals sogenannte neureiche Gesellschaftsschichten, die zwar einen gewissen wirtschaftlichen Status aufweisen, diesen aber in geistiger und kultureller Sicht nicht erfüllen.123 Das Attribut grasa wird vom Sprecher zunächst in einer rein sprachbezogenen Äußerung verwendet. Es erhält mit der Referenz auf eine konkrete Lokalität aber auch eine sprecherbezogene Komponente, denn der Informant perzipiert die stimmlose Variante [ʃ] als charakteristisch für die Sprecher eines ganz bestimmten Gebiets im Großraum Buenos Aires. Diese Referenz wird an späterer Stelle bei der Konfrontation mit Wortliste 2 durch denselben Sprecher noch einmal bekräftigt: «Uh mirá, que masa ahí . . . si sos de San Isidro, acá moriste!». Damit findet nicht nur eine lokal, sondern auch eine sozial markierte Abgrenzung bzw. Zuordnung statt, wobei von der sprachwissenschaftlichen Richtigkeit der Aussage abzusehen ist, die möglicherweise eher als pseudo-sprachliches Wissen eingeordnet werden muss.124 In diesem Zusammenhang wäre sicherlich von Interesse gewesen, welches Bild bzw. welche gesellschaftliche Ebene der Informant mit den Bewohnern von San Isidro konkret verbindet. Allgemeinhin aber gelten der Vorort der Ciudad de Buenos Aires sowie große Teile der zona norte als
123 Der Ausdruck kann sich darüber hinaus im umgangssprachlichen Gebrauch auf Autos, Kleidung oder auch Örtlichkeiten wie Restaurants beziehen. 124 Da der Großraum Buenos Aires in die Untersuchungen nicht mit einbezogen wurde und auch außerhalb der hier präsentierten Studie keine Informationen zu diesem Gebiet vorliegen, können an dieser Stelle keine konkreten Aussagen über die dortige Distribution der palatalen Varianten getroffen werden. Ein Hinweis die Einschätzung des Informanten anzuzweifeln, ergibt sich aber aus der dieser Arbeit vorangehenden Pilotstudie aus dem Jahr 2010, in der – wenn auch nur stichprobenartig – ebenfalls Material in San Isidro und dem benachbarten Vorort Martínez erhoben wurde. Im Gegensatz zu den in Capital Federal ausgewerteten Sprachdaten fiel die Region durch den relativ hohen Anteil (50%) an ʒeístas auf, der sich insbesondere auch unter den interviewten jugendlichen Sprecherinnen bemerkbar machte (cf. Link 2010). Interessant ist in diesem Zusammenhang auch ein metasprachlicher Kommentar einer in San Isidro beheimateten 16-jährigen Informantin derselben Studie: «Es que la gente de clases más alta, tal vez pronuncia palabras eh . . . como ʒuvia en vez de ʃuvia [. . .] cuando alguien escucha hablar por ejemplo a una persona de San Isidro, que es un barrio en general, donde vive gente con bastante dinero . . . eh, es muy común escuchar a gente que hable de esta manera». Abermals gekoppelt an einen gesellschaftlich und ökonomisch hohen Status erfolgt hier die Zuordnung des ʒeísmo in den im Norden gelegenen Vorort, die Eigenwahrnehmung eines direkten Einwohners ist hier also eine völlig konträre zu der von Sprecher S. aus Beispiel 4.17. – Die Divergenz an Meinungen und Einschätzungen zeigt, dass das Phänomen durchaus ein Thema ist, das aber dringend der hier durchgeführten Klärung hinsichtlich der tatsächlichen Distribution der Varianten bedarf.
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4 Auswertung
Domizil einer wohlhabenden und exklusiven Gesellschaftsschicht und sind Standort zahlreicher barrios privados, countries und Privatclubs.125 Damit wird der ʃeísmo nicht etwa mit sozial schwächer gestellten Gruppen in Verbindung gebracht, sondern offenbar für eine neuere – und dem traditionsschweren Gesellschaftskern des Barrio Norte entgegengesetzte – Elite typisiert, von der sich der Sprecher deutlich zu distanzieren sucht.126 Aus der Out-group-Perspektive des Informanten wird der stimmlose Laut hier stark stigmatisiert, die In-group- Betrachtungsweise empfindet ihre stimmhafte Variante dagegen als besonders prestigereich. Das Wissen über Sprache, im konkreten Fall, das Wissen von der Koexistenz verschiedener Varianten im eigenen Sprachraum, eröffnet den Sprechern damit einen gewissen Spielraum in der Wahl und Einflussnahme bestimmter phonetischer Formen (cf. Kabatek 1996, 43). Dass der stimmlose Postalveolar seitens des ʒeístas mit einer negativ stigmatisierenden Wertung versehen wird, kann im vorliegenden Sprecherbeispiel die in Abschnitt 4.4.2.2.1 angedeutete Hypothese stützen, wonach die stimmhafte Variante in gewisser Weise als Identifikationsmerkmal zur Abgrenzung von anderen gesellschaftlichen Sektoren betrachtet werden könnte. Kabatek zufolge kann der Rückgriff auf gewisse sprachliche Elemente «nicht ausschließlich zur Mitteilung, sondern auch zum Ausdruck einer bestimmten ideologischen Haltung [erfolgen], wobei die Form der Mitteilung zum Mitteilungsziel wird» (cf. Kabatek 2005, 169). Sollte dies im Falle der jugendlichen ʒeístas im Barrio Norte tatsächlich zutreffend sein, ist auch nachvollziehbar, warum die metasprachlichen Äußerungen zur Distinktion von [ʃ] und [ʒ] überwiegend seitens der stimmhaft Realisierenden erfolgten: Ist ein Element mit einer gewissen ideologischen Haltung behaftet, muss vorausgesetzt werden, dass überhaupt ein Bewusstsein für die Koexistenz beider Lautformen besteht. Die Konsequenz dieser Vermutung ist natürlich nicht, dass das Ausbleiben
125 Wie die Ciudad de Buenos Aires ist aber auch dieses Areal kein homogenes. So leben dem INDEC zufolge im Jahr 2006 mehr als 42.000 Menschen in San Isidro in sogenannten villas oder asentamientos (cf. http://www.estadistica.ec.gba.gov.ar/dpe/). 126 Abermals kann an dieser Stelle ein Verweis auf die vorausgehende Pilotstudie aus dem Jahr 2010 angeführt werden. Eine Sprecherin äußert sich folgendermaßen: «Eh, en muchos barrios, eh, con un, de buen poder adquisitivo, el ʃ lo consideran vulgar y pronuncian la . . . por ejemplo ʒo, o sea, en vez de decir ʃo, la ʃ muy, muy fuerte dicen dʒo. Eh, justamente porque el decir ʃo, como decimos acá, es grasa». Bei diesem Kommentar handelt es sich zwar um eine Wertung Dritter – die Informantin vermittelt die Perzeption einer Sprecher- und Gesellschaftsgruppe, der sie selbst nicht angehört – diese indirekte Wahrnehmung deckt sich aber mit der Assoziation von Sprecher S. aus Beispiel 4.17. Die Verwendung des ʒeísmo wird abermals mit der sozialen Oberschicht in Verbindung gebracht, die stimmlose Form dagegen als weniger wertig empfunden.
4.5 Reflexion zu Sprecherwissen und metasprachlichen Aussagen
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metasprachlicher Aussagen seitens der ʃeístas auf ein fehlendes Bewusstsein für die Distinktion in dieser Sprechergruppe hinweist, auch wenn in der Forschung wiederholt Vermutungen dahingehend formuliert wurden.127 Dass keine spontan geäußerten Vergleiche erfolgen, kann aber ein Indiz dafür sein, dass hier nicht die Intention besteht, durch die Verwendung einer bestimmten Variante eine Abgrenzung zu anderen gesellschaftlichen Gruppen zu verdeutlichen oder eine ideologische Haltung zum Ausdruck zu bringen. Sicherlich sind Schlussfolgerungen dieser Art rein hypothetisch, handelt es sich bei dem genannten Beispiel doch um einen Einzelfall, dem keine allgemeingültige Gewichtung zugesprochen werden kann. Dennoch darf es als Tendenz für eine im Barrio Norte zumindest teilweise vorhandene Wertigkeit verstanden werden, und es ist nicht auszuschließen, dass diese, wenn man den Anstieg stimmhafter Realisierungen beim Vorlesen des literarischen Textes im colegio C. bedenkt (cf. Abschnitt 4.3.1), auch innerhalb der dort ausgewählten Sprechergruppe Gültigkeit besitzt. Die Tendenz, /ʝ/ als stimmhaften alveolaren Frikativ [z] auszusprechen wurde in Kapitel 4.1 und 4.3 erläutert und als vermutlich diatopisch wie diastratisch markierte Variante vereinzelt unter den weiblichen Sprechern im Barrio Norte ausgemacht. Ähnlich wie die postalveolar stimmhaften und stimmlosen Realisierungen scheint ebenso diese Variante in gewisser Form perzeptiv erfasst und mit einer spezifischen Sprechercharakteristik verbunden zu sein. Erneut ist es die Konfrontation mit den Zungenbrechern, die einen 34-jährigen ʒeísta (90% aller Realisierungen) aus dem Barrio Norte zu einer metasprachlichen Aussage bewegt: Beispiel 4.18: B
De esta, te la puedo hablar si querés como un concheto/ entonces si querés te voy 1 a hablar como un concheto ahí. 2 F [ ¿Hm? 3 B [ La dzanura/ porque, u/ un concheto te lo lee d/ diferente. 4 F A ver. 5 B La dzanura dzana (-) eh, lo lee así (--) la dzanura dzana se dzena de dzuvia [. . .] 6 ¿No sé si te hablaron así alguna vez acá? 7 F No, justo así no lo escuché, no. 8 B Dzo, dzo, ¿no? dicen dzo, dzo/ porque dzo/ (-) Eso es concheto/ conchetismo al 9 máximo es. 10
Der Begriff concheto oder das noch gebräuchlichere cheto referiert im argentinischen Spanisch auf sozial höher gestellte Bevölkerungsgruppen. Neben seiner nominalen Verwendung kann er auch attributiv gebraucht werden und ist meist mit
127 Cf. beispielsweise Wolf (1984, 176).
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4 Auswertung
einer negativen Konnotation behaftet.128 Für Sprecher B. fungiert der Laut, ähnlich wie im Falle des stimmhaften [ʒ], demnach als sozial, nicht aber als lokal definierter Indikator und stellt, wie von Krefeld und Pustka gefordert einen auffälligen «Hinweis auf die soziale Herkunft» derer, die diese Variante verwenden, dar (Krefeld/Pustka 2010, 20); damit greifen abermals sprecher- und sprachbezogene Referenz ineinander. Interessant ist die Ausführung als stark betonte Affrikate [dz]. Eine solche Realisierung konnte in keinem der erhobenen Forschungsinterviews festgestellt werden, was die Frage aufwirft, ob es sich hier um eine persönliche Wahrnehmung des Informanten oder um eine zusätzliche und tatsächlich im Raum Buenos Aires verbreitete Variante handelt. Die Verbindung von [z] mit dem Plosiv /d/ könnte möglicherweise aber auch lediglich der Verstärkung des eigentlichen Lauts [z] dienen oder auf einer individuell perzeptiven Leistung fußen. Legt man der Interpretation der genannten Sprecheräußerungen das Modell Pustkas zur Korrelation von Sprachwissen und Sprechhandlungen zugrunde (cf. Pustka 2008, 215), schlagen sich die mentalen Repräsentationen der einzelnen Varianten in beiden Fällen bei der sprachlichen Reproduktion in Form von Imitationen nieder. In Beispiel 4.18 kommt diesen durch die Wechselwirkung von sozial stigmatisierter Zuordnung und Überakzentuierung des charakteristischen Merkmals [z] fast eine karikative Konnotation zu:
128 Das Wörterbuch der Real Academia Española schlägt als Definition den Begriff esnob vor, allerdings mit Referenz auf die Jugendsprache Uruguays. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass der interviewte Sprecher aufgrund seiner Biographie (z. B. Besuch einer privaten Eliteschule, Mitgliedschaft im J.-Club) selbst in das Raster eines allgemein üblichen chetos fallen dürfte. Der Begriff ist jedoch so negativ konnotiert, dass sich die Sprecher stets davon zu distanzieren suchten. Aus den Gesprächen der dieser Arbeit vorausgehenden Pilotstudie ergeben sich nun interessante Parallelen bezüglich der Wertung einer sprachlichen Variante als cheto. Eine 53-jährige Sprecherin aus Palermo (ʃeísta) äußerte sich im Gespräch folgendermaßen: «[. . .] los que llamábamos conchetos [. . .] hablaban, no sé si ahora sigue igual, este, exagerando la ʃ [. . .] eh, adʒer me comí un dʒogur de frutidʒa». Der ʒeísmo wird hier, noch in seiner Vorstufe als affrizierte Form [dʒ], als soziales Charakteristikum für die gesellschaftlich hoch gestellten Bevölkerungsgruppen befunden; die Repräsentation bezieht sich damit auf einen veralteten Stand der Produktion (cf. Krefeld/Pustka 2010, 13). Wie schon der ʃeísmo seitens des stimmhaft realisierenden Jugendlichen aus Recoleta ist – oder war – auch diese Variante mit einer eher negativen Wahrnehmung versehen; sprachliche Realisierungen und gesellschaftliche Bilder greifen hier demnach dicht ineinander. Das Zitat von Informant B aus Beispiel 4.18 zeigt nun auf einer weiteren Ebene, dass die Autorepräsentation im Gegensatz zur Heterorepräsentation in einem völlig anderen Licht steht: Der aktive ʒeísta kategorisiert nicht die von ihm und möglicherweise von einem Großteil seines unmittelbaren gesellschaftlichen Umfelds praktizierte Variante mit der Wertung cheto oder concheto, sondern eine andere Ausprägung des Lauts.
4.5 Reflexion zu Sprecherwissen und metasprachlichen Aussagen
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Mündliche oder schriftliche Imitationen bzw. Karikaturen besitzen den Vorteil, dass sie besonders saliente Merkmale (Schibboleths) zum Vorschein kommen lassen, die die Sprecher in Unkenntnis phonetischen Fachvokabulars meistens nicht verbal zum Ausdruck bringen können. Allerdings sind Reproduktionen in der Regel sehr holzschnitthaft und geben die entsprechende Varietät zu einem gewissen Grad auch verfälscht wieder. (Pustka 2008, 216)
In den Äußerungen zum sprach(en)-und varietätenbezogenen Wissen der Informanten werden also nicht nur Prestige oder gewisse Stigmata der einzelnen Varianten angedeutet, sondern es werden auch feste Schibboleths, d.h. die Typisierung einzelner Varianten als Indikatoren für die soziale oder auch regionale Herkunft von Sprechern, bedient. In Beispiel 4.19 berichtet eine 55-jährige Informantin aus Recoleta, wie sie das Aufkommen des stimmlosen Frikativs [ʃ] in ihrer Jugend wahrgenommen hat: Beispiel 4.19: C Yo estaba más o menos entrando en el colegio secundario cuando se empezó a escuchar en Buenos Aires y en Provincia Buenos Aires el sonido ʃe. Por/ por ejemplo en ʃa ʃueve. Y a mí me molestaba terriblemente. Porque yo decía ʒa ʒueve. Y la gente de clase alta decía ʒa ʒueve, mucho más marcado y todavía hay alguien que lo dice aquí en Recoleta (-) Eh, y bueno, yo ya había estudiado fonética o estaba aprendiendo inglés y me había enseñado el alfabeto internacional, entonces podía oír la diferencia (-) Mis compañeros no la oyeron y no se dieron cuenta cómo cambiaron la ʒ o la ʒ por la ʃ mientras que yo no la cambié, me rehucé a cambiarla y la mantuve. Entonces yo digo ʒa ʒueve mientras que mis amigos y ni hablar mi hija por supuesto su generación dice ʃa ʃueve, bien marcado (-) Y la gente de San Isidro dice dza dzueve (-) eso es ser cheto, eso es ser clase alta. Dza dzueve, patinar la ʒ en lugar de la ʃ.
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Die Distinktion des stimmlosen und stimmhaften Präpalatals ist im Bewusstsein der Sprecherin verwurzelt und wie in 4.17 mit sozialen und geographischen Assoziationen versehen. Dabei spezifiziert sie letztere mit dem konkreten Verweis auf den Stadtteil Recoleta und demonstriert damit ein Bewusstsein für die auch empirisch belegte Bündelung des ʒeísmo in diesem Areal der Stadt. Insgesamt fällt auf, dass die zu [ʒ], [ʃ] oder auch [dz] gemachten metasprachlichen Äußerungen überwiegend auf die diatopische oder diastratische Variation im Sinne einer Variation nach sozialen Gruppen abzielten. Die Sprachdaten aus Kapitel 4.3 belegen aber, dass die stimmhafte und stimmlose Variante ein zweifelsohne stark diagenerationell markiertes Phänomen sind. Interessanterweise findet eine dahingehende Referenz seitens der Sprecher mit Ausnahme von Interviewsequenz 4.19 nicht statt, was ein Hinweis darauf sein könnte, dass der Laut in der Perzeption der Sprecher primär sozial markiert zu sein scheint und in der
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4 Auswertung
Bewertung desselben nicht mit der diagenerationellen Variation in Verbindung gebracht wird. Der erläuterte Kommentar einer ʃeísta (cf. Fußnote 128), der im Rahmen der 2010 durchgeführten Pilotstudie geäußert wurde, unterstreicht diese Interpretationsrichtung: «Eh, en mi época, cuando era más joven, eh, los de zona norte de Capital, Belgrano, Núñez [. . .] eran los que llamábamos conchetos porque hablaban, no sé si ahora sigue igual, este, exagerando la ʃ [. . .] eh, adʒer me comí un dʒogur de frutidʒa». Vergleichbare Bemerkungen wurden wie bereits dargelegt in der vorliegenden Untersuchung nicht getroffen. Die einzige wertende Anmerkung stammt von einem weiblichen Schulleitungsmitglied der Schule NM. in Palermo: Im Vorgespräch der Schülerinterviews, in dem ich sie über mein Forschungsvorhaben und den Ablauf der einzelnen Gespräche aufklärte, kommentierte sie in Bezug auf [ʒ]: «Me da asco ese sonido». Wenn man die metasprachlichen Urteile aus der Pilotstudie sowie die außerhalb des offiziellen Interviewrahmens eingefangenen Kommentare mit einbezieht, offenbart sich, dass innerhalb der bonaerensischen Sprachgemeinschaft Prestige im Sinne einer sozialen Wertigkeit und Stigmata keinesfalls kongruent scheinen, sondern stark an die jeweilige Sprachgemeinschaft bzw. In- und Out-group-Perspektive gebunden sind.
4.5.2 Autorepräsentationen und Einstellungen Während des Vorlesens der Wortlisten und Zungenbrecher sowie im Anschluss an einzelne Interviewphasen machten mehrere Sprecher wiederholt deutlich, dass sie ihre Varietät am Beispiel der Laute [ʃ] und [ʒ] im Sinne einer großräumigen Variation im gesamtspanischsprachigen Zusammenhang diatopisch abzugrenzen wissen:129 Beispiel 4.20: Somos muy ʃeʃeos. (Sprecher aus Barracas, 17 Jahre alt) Beispiel 4.21: Acá los porteños somos muy ʃ ʃ, muy con la ʃ. (Sprecherin aus Barracas, 30 Jahre alt)
129 Einige Sprecher verspürten darüber hinaus ganz offenkundig das Bedürfnis, mich beispielsweise bei der Konfrontation mit den Minimalpaaren über ihr dialektales Wissen eindringlich aufzuklären und auch zu belehren, dass ich hier keinen Unterschied erwarten dürfe.
4.5 Reflexion zu Sprecherwissen und metasprachlichen Aussagen
223
Beispiel 4.22: Bueno acá nosotros pronunciamos igual. (bei MP, Sprecherin aus Caballito, 41 Jahre alt) Beispiel 4.23: Nosotros tenemos la ʒ para la lj, en el porteño directamente no existe la diferencia entre las dos. (Sprecher aus Mataderos, 46 Jahre alt) Beispiel 4.24: En Corrientes se dice la lj, pero acá no. (Sprecher aus Balvanera, 51 Jahre alt) Beispiel 4.25: poʃo, poʃo. . . bah, en realidad, ¿la tengo que decir como a mi me parece o como realmente tendría que ser? (Sprecher aus Barracas, 17 Jahre alt) Beispiel 4.26: [. . .] como se habla, o como teoricamente bien se debería hablar, porque la /lj/ existe. (Sprecher aus Balvanera, 51 Jahre alt) Beispiel 4.27: Bueno acá en realidad, claro, tendría que ser asi: pojo – poʒo, haja – haʒa [. . .] (Sprecher aus Recoleta, 43 Jahre alt) Bei den Beispielen 4.20 bis 4.24 handelt es sich um Autorepräsentationen der porteños, in denen die Sprecher den stimmlosen Präpalatal als Charakteristikum der von ihnen gesprochenen Varietät kennzeichnen, der für sie bis zu einem gewissen Grad auch als Identifikationsmerkmal herzuhalten scheint (cf. Beispiel 4.20 und 4.21). In den Aussagen aus 4.25 bis 4.27 manifestieren sich darüber hinaus sprach- und varietätenbezogene Einstellungen. Durch die Frage «¿la tengo que decir como a mí me parece o como realmente tendría que ser?» impliziert der Sprecher in Beispiel 4.25, dass er die in Buenos Aires verankerten Varianten im Kontext der Minimalpaare als nicht vollkommen korrekt empfindet. Welche spezifische Standardnorm – falls die Informanten überhaupt eine solche heranziehen – als Bezugspunkt für das sprachen- und varietätenbezogene Wissen herhält, wurde von den Sprechern nur vereinzelt konkretisiert (cf. Beispiel 4.24); klar ist jedoch, dass es sich dabei in allen Fällen um eine Varietät handelt, die die phonologische Distinktion in der kastilischen Tradition /ʝ/ und /ʎ/ aufrechterhält. Dadurch, dass diese in der Vorstellung der Sprecher implizit als korrekter bzw. besserer Sprachgebrauch wahrgenommen wird, haftet ihr ein situatives overt prestige an.130 Eine ähnliche Wertung findet sich in folgendem Kommentar: 130 Cf. zur Definition von overt prestige und covert prestige Trudgill (2000).
224
4 Auswertung
Beispiel 4.28: B Bueno en Chile por ejemplo, entonces se dice [. . .] el jo/ se us/ o sea se respeta la y griega digamos como su/ su forma fonética (--) ¿no? este, original. Este/ acá no, acá es como que/ este/ no respetamos esa norma me parece. Es/ es indistinto, ¿no? La/ la y griega y la lj (-) este, ¿no? Bien, creo que/ o no sé, ya estoy, no sé, la verdad que te digo que perdí/ no sé si se tiene que decir el ʒavero o/ no ʒavero está bien dicho, pero (-) pero bueno, este/ no sé/ (-) [ʝ]ace, ¿no? De ʒacer por ejemplo, el/ tiene que ser más [ʝ]ace (-) ¿no? Acá se dice ʃace, o sea no/ no hay casi/ es indistinto eso (-) pero lo que sí me parece (-) que yo teng/ en las provincias del norte (--) y también supongo que también en/ (-) y supongo que también en Cuyo/ este, se respeta más, en el interior de la Argentina me parece que en este sentido hay un respeto/ (-) eh en el interior por/ por esas normas [. . .] Pero acá en la capital (-) en la capital, este, la verdad que se habla bastante como el culo digamos, no sé, se habla medio/ no hay este/ no hay un respeto por (-) qué sé yo.
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
Beispiel 4.27 und 4.28 wurden vom gleichen Sprecher geäußert. In beiden Fällen werden auf basierende Realisierungen als [ʒ] für passend befunden («está bien dicho», Z. 5s.), wohingegen die Artikulation von als [ʝ] im metasprachlichen Diskurs durch eine bestimmte Norm motiviert zu sein scheint. Das Fehlen einer tatsächlichen lokalen Standardnorm hinsichtlich des stimmhaften und stimmlosen Präpalatals erschwert in Buenos Aires zum aktuellen Zeitpunkt die Einordnung in covert- und overt prestige- Phänomene. Mit der Referenz auf Varietäten, in denen die Laute in distinktiver Opposition zueinander stehen (cf. /ʝ/ und /ʎ/), scheint ein System indirekt overt prestige zu beanspruchen, das in dieser Sprachgemeinschaft gar nicht verankert ist. Sicherlich fußt der hier beschriebene Eindruck lediglich auf einigen wenigen beispielhaften Kommentaren und darf keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben. Die diasystematische Distribution der Varianten könnte aber in Korrelation mit den metasprachlichen Äußerungen die Überlegung eines perspektivischen Prestige-Begriffs nahelegen. In diesem Sinne wären sowohl der stimmhafte als auch der stimmlose Postalveolar innerhalb der jeweiligen Sprechergruppen gewissermaßen mit einem covert bzw. overt prestige versehen. Mit Blick auf die gesamte Sprachgemeinschaft scheint es allerdings keinen Konsens in der Bewertung der Varianten zu geben, was sich beispielsweise auch in einer fehlenden normativen Verwendung seitens der Medien manifestiert.131
131 Für eine Studie, die sich der detaillierten Analyse metasprachlicher Zeugnisse und perzeptiver Repräsentationen in der Ciudad de Buenos Aires widmet, wäre es sicherlich wertvoll, diesen Eindruck mit der Verwendung der einzelnen Varianten innerhalb einzelner Domänen abzugleichen, wobei die bis zu dieser Stelle dargelegten Untersuchungsergebnisse eine funktionale Verwendung der Varianten eher nicht erwarten lassen.
4.6 Varianz im freien Gesprächsteil
225
4.6 Varianz im freien Gesprächsteil Die vorangegangene quantitative Analyse der in Buenos Aires verwendeten Varianten zur Realisierung der Präpalatale konnte für die verschiedenen Gruppen eine intraurbane diatopische Verteilung der verschiedenen Laute nachweisen und die nach wie vor anhaltende Dynamik ihrer Distribution sowohl aus diagenerationeller als auch aus allgemein diastratischer Perspektive offenlegen. Im Folgenden soll auf der Mikro- bzw. Mesoebene ein qualitativer Blick auf die während des Gesprächsteils erhobenen Realsierungen geworfen werden, um Schlüsse hinsichtlich möglicher Funktionen der einzelnen Varianten formulieren und individuelle Auslösemechanismen aufzeigen zu können. Wie die Zahlen in Kapitel 4.4 zeigen, fällt die Tendenz zur Bildung des stimmhaften Präpalatals insbesondere in den spontansprachlichen Redebeiträgen stärker aus als es in den anderen evozierten Interviewphasen der Fall war. Daraus lässt sich für den freien Gesprächsteil ein vergleichsweise höherer sprecherindividueller Variationsgrad ableiten (cf. Diagramm 4.13). Die Variation zwischen stimmhaftem [ʒ] und stimmlosem [ʃ] legt infolgedessen eine kommunikative Funktion bzw. die Möglichkeit kommunikativ bedingter Auslöser nahe, die über die formal stilistische Trennung zwischen Lektüre und freier Rede hinausgeht und über den Vergleich verschiedener Lektüresequenzen nicht dokumentiert werden kann. Anders als es die quantitative Auswertung des durch die Lektüre erfassten Materials verlangt, ist deshalb an dieser Stelle eine Verschränkung von allgemeinen Beschreibungsebenen wie der Phonetik, Lexik, Semantik und Syntax mit an der Konversationsanalyse orientierten pragmalinguistischen Parametern unbedingt erforderlich. Dadurch sollen die bei einer Unterhaltung greifenden Mechanismen und Wirkungsfaktoren angemessen zueinander ins Verhältnis gesetzt und Korrelationen zwischen diesen und den Varianten nachvollzogen werden. Zwar sind die auf verschiedenen Themen fußenden Interviews keine natürlichen, spontanen Gespräche im Sinne Sacksʼ, Schegloffs und Jeffersons, die u.a. eine gewisse Ausgewogenheit in Bezug auf die Länge der einzelnen Redebeiträge der Interaktionspartner einfordern. Sie erfüllen jedoch die von Koch/Oesterreicher definierten Instanzen und Faktoren mündlicher Kommunikationssituationen (cf. Nähediskurs), die die analytische Einbeziehung situativer und kommunikativ-funktionaler Aspekte rechtfertigt.132 Obwohl durch die Methode der teilstrukturierten Interviews eine gewisse Systematik in der Erhebungsphase verfolgt wurde (cf. Kapitel 3.3), variieren die einzelnen Gespräche in Verlauf und gradueller Abstufung der Kommunikationsbedingungen. Dies betrifft beispielsweise die Vertrautheit der
132 Cf. Sacks/Schegloff/Jefferson (1974) sowie Koch/Oesterreicher (2011, 6ss.).
226
4 Auswertung
Kommunikationspartner, wodurch sich auch mit Blick auf die unterschiedlichen Kontexttypen mehrere Grade der Nähe und Distanz ergaben. Phonetische Variation kann, wie sich auch in der vorliegenden Arbeit gezeigt hat, historisch, systembedingt, sozial, individuell oder auch artikulatorisch begründet sein. Zielsetzung der hier diskutierten Fragestellung ist nicht, allgemeingültige Kriterien der Variation zwischen stimmhaften, stimmlosen und affrikatischen Lauten aufzudecken, sondern exemplarisch Kontexte aufzuweisen, in denen Variation stattfindet, und diese anhand möglicher Erklärungstendenzen zu erläutern. Entscheidend ist, die dabei wirkenden Sprachebenen und Faktoren nicht isoliert zu betrachten, sondern zueinander in Relation zu setzen, gegenseitige Abhängigkeiten nachzuvollziehen und dementsprechend zu interpretieren: So können beispielsweise pragmatische Faktoren artikulatorische Prozesse auslösen – wenn zum Beispiel bei erhöhter Emotionalität eine Steigerung der Sprechgeschwindigkeit stattfindet, die ihrerseits Koartikulationseffekte begünstigen kann – sodass auch der situative sowie thematische Kontext unbedingt berücksichtigt werden muss. Um unterschiedliche Sprecherkategorien und Gesprächstypen vergleichend gegenüberstellen zu können, stützt sich die qualitative Untersuchung auf die in Tabelle 4.4 aufgeführten Informanten.133 Bei Sprechern, die überwiegend stimmhaft oder stimmlos realisieren, liegt der Fokus auf den Gesprächspassagen, in denen eine Abweichung ihrer ermittelten Grundtendenz auffällt. Um einer willkürlichen Auslegung der Daten entgegenzuwirken, ist es nicht unbedingt notwendig, für jede einzellautliche Erscheinung ein umfassendes Erklärungsmodell zu präsentieren; vielmehr sollen die Fälle diskutiert werden, bei deren Auftreten sich zumindest innerhalb der Realisierungen eines Sprechers bis zu einem gewissen Grad Regelmäßigkeiten ausmachen lassen. 4.6.1 Phonologischer Bereich 4.6.1.1 Konsonantische Reduktionserscheinungen In Kapitel 4.4 (cf. Abschnitt 4.4.2.2.1) wurde die Präferenz intervokalischer Sonorisierung unter den Sprechern, die in ihrer Grundtendenz den ʒeístas zugeordnet 133 Für die qualitative Gesprächsanalyse spielte bei der Auswahl der hier aufgeführten Sprecher die geographische Provenienz nur eine untergeordnete Rolle. Leitend war vielmehr die Erfassung von Sprechern unterschiedlicher Altersgruppen, die im freien Gesprächsteil – auch in Abgrenzung zu den Lektürephasen –einen erhöhten individuellen Variationsgrad aufwiesen. Zur Wahrung der Anonymität werden die ausgewählten Sprecherinnen und Sprecher im Nachfolgenden von 1 bis 8 nummeriert aufgelistet; diese Bezeichnung entspricht nicht der zeitlich chronologischen Durchführung der Interviews und verfolgt rein praktische Zwecke der Orientierung.
4.6 Varianz im freien Gesprächsteil
227
wurden, als Folge einer auf dem Prinzip der Ökonomie fußenden intervokalischen Assimilation begründet. An dieser Stelle soll nun die Varianz der Sprecher, die nur stellenweise auf die stimmhafte Variante zugreifen, einer näheren phonetischen Analyse unterzogen werden. Phonetische Erklärungsmodelle sollen gegenüber den ab 4.6.2 aufgeführten semantischen, syntaktischen, pragmatischen und lexikalischen Deutungen aber nicht als Widerspruch, sondern als einander ergänzend begriffen werden. Mit Blick auf die phonologischen Realisierungen der Plosive liegt im español rioplatense ein Spektrum verschiedener Lautkonstellationen vor, das Correa/Rebollo Couto folgendermaßen beschreiben: Los fonemas /b d g/ en el español rioplatense en posición intervocálica se realizan dentro de un continuum de sonidos: oclusivos sordos [p t k], sonoros [b d g], fricativos [β ð ɣ], aproximantes [w j] o, inclusive, elisión (cero fonético Ø). La articulación más o menos tensa varía según factores sociales, factores pragmáticos informativos o expresivos y factores contextuales (posición intervocálica, tonicidad, sonoridad). (Correa/Rebollo Couto 2012)
Die konsonantischen Stärkungsprozesse seien demzufolge bei Sprechern mit höherem Bildungsniveau ausgeprägt und würden in Gesprächssituationen, in denen eine größere kommunikative Distanz besteht und in denen die Kommunikationsabsicht primär auf der Weitergabe von Informationen liegt, besonders begünstigt. Sind die Aussagen hingegen im informalen Kontext mit positiven Emotionen besetzt, treten bevorzugt die lenisierten Varianten auf. Diese sind darüber hinaus in intervokalischer Position sowie nach stimmhaftem Konsonant geläufig, eine Ausnahme bilden vorangehende Nasale (cf. Correa/Rebollo Couto 2012). Dieser phonetische Trend erscheint für die Bewertung okkasioneller Stimmhaftigkeit der präpalatalen Frikative nun besonders relevant: Im Rahmen der detaillierten Auseinandersetzung mit den erhobenen Sprachaufnahmen manifestierte sich insbesondere unter den Sprechern der jüngsten Generation die Tendenz zu einer allgemeinen konsonantischen Lenisierung. Diese äußert sich dahingehend, dass die stimmlosen Plosive /p/, /t/ und /k/ als stimmhafte Okklusive [b], [d] und [g] oder als Approximanten realisiert werden.134 Im Falle der Artikulation des Fortis-
134 Allgemein verbreitet ist hingegen die Abschwächung bzw. der Ausfall von intervokalischem /d/. Während die Realisierung als stimmhafter Dental [ð] als standardisiert gilt, werden stärkere Ausprägungen der Lenisierung sowie die Elision von /d/ in den Partizipialendungen -ado vor allem mit sozial niedrigeren Gesellschaftsschichten in Verbindung gebracht; diese geht dabei vereinzelt mit einem Verschluss von [o] zu [u] einher: criado [kɾi’aːo], destinado [desti’naːo], autoridad [au̯toɾi’ða]. Allgemein verbreitet ist hingegen der Ausfall des Dentals in wortfinaler Position (cf. Fontanella de Weinberg 2000, 39).
Ort
Belgrano
Palermo
Villa Pueyrre-dón
Belgrano
Caballito
Caballito
Informant
Informantin N°
Informant N°
Informantin N°
Informantin N°
Informant N°
Informantin N°
Alter
[ʒ]: ,% [ʃ]: ,% [tʃ]:: ,%
[ʒ]: ,% [ʃ]: ,%
[ʒ]: ,% [ʃ]: ,% [tʃ]: ,%
[ʒ]: ,% [ʃ]: ,% [tʃ]: ,% [dʒ]: ,%
[ʒ]: % [ʃ]: % [tʃ]: %
[ʒ]: ,% [ʃ]: ,%
Gespräch
[ʒ]: % [ʃ]: %
[ʒ]: % [ʃ]: %
[ʒ]: % [ʃ]: %
[ʒ]: % [ʃ]: %
[ʒ]: % [ʃ]: %
[ʒ]: % [ʃ]: %
historieta
[ʒ]: % [ʃ]: %
[ʒ]: % [ʃ]: %
[ʒ]: % [ʃ]: %
[ʒ]: %
[ʒ]: % [ʃ]: %
[ʒ]: % [ʃ]: %
Text
Verwendete Präpalatale in
Tabelle 4.4: Informantendaten in Relation zu individuellem stilistischem Variationsgrad.
Ort: Büro des colegio; relative Vertrautheit
Ort: Büro des colegio; Sprecher und Forscherin zu Interviewbeginn einander noch unbekannt, dennoch relative Vertrautheit
Ort: Räumlichkeiten des centro cultural
Ort: Räumlichkeiten des centro cultural; erhöhter Grad an Vertrautheit
Ort: Klassenzimmer; Sprecher und Forscherin zu Interviewbeginn einander noch unbekannt
Ort: Gespräch findet in entspannter Atmosphäre in der Privatwohnung statt; erhöhter Grad an Vertrautheit
Anmerkungen zu den Rahmenbedingungen
228 4 Auswertung
Belgrano
Caballito
Informant N°
Informantin N°
[ʒ]: ,% [ʃ]: ,%
[ʒ]: ,% [ʃ]: ,% [tʃ]: ,%
[ʒ]: % [ʃ]: %
[ʒ]: %
[ʒ]: % [ʃ]: %
Text wurde nicht gelesen
Ort: Büro des colegio; Sprecherin und Forscherin zu Interviewbeginn einander noch unbekannt
Gespräch zwischen Forscherin und zwei Informanten (I. und A.), in dem die Forscherin Impulse und Themen lenkend vorgibt, im Gesprächsverlauf aber überwiegend die Rolle der teilnehmenden Beobachterin einnimmt. Ort: Räumlichkeiten des centro cultural
4.6 Varianz im freien Gesprächsteil
229
230
4 Auswertung
Plosivs /k/ wurde zudem nicht nur die Tendenz zur Abschwächung, sondern sogar zum annähernden intervokalischen Ausfall registriert: acostumbrada [aɣostum’braða], poco [‘poɣo].135 Artikulatorisch bleibt in letzterem Fall die vollständige Verschlussphase im Vokaltrakt aus, wobei der Öffnungsgrad der stattdessen produzierten Engenbildung variieren kann.136 Ein ähnlicher Schwächungsprozess scheint darüber hinaus bei der Aussprache des stimmlosen Frikativs /s/ zu greifen, der infolgedessen sporadisch als stimmhaftes [z] realisiert wird:137 Interviewsequenz (1), Informantin N° 8 (Kommentar zu Restriktionen beim Kauf von Dollar-Scheinen) I O sea si lo necesitás lo necesitás porque hay un montón de cosas que/ (-) las 1 ca[z]as se compran en dólares, los viajes se hacen en dólares, a[z]í que/ 2
Auffällig ist dabei, dass insbesondere in Kontexten, in denen sich eine Häufung solcher Abschwächungsphänomene manifestiert, nicht der stimmlose Laut [ʃ] in Erscheinung tritt, sondern der stimmhafte Präpalatal [ʒ]: Interviewsequenz (2), Informantin N° 8 (Angaben zur Freizeitgestaltung) F
¿Y qué te gusta hacer? Si hay tiempo, después de las tareas y todo.
I
Y el hockey (-) que entreno (-) en la semana (-) Y tengo novio así que/ 2
F
También ocupa tiempo
I
Sí (-)Y si no voy al cine y/ (--) no, sino dormir (-) la [z]iesta (-) porque ʒo estoy 4
1 3
[ cansada, así/ F [ Para descansar, ¿no?
5
I [
7
Sí.
6
135 Als Beispiel dafür, dass diese Tendenz nicht unbedingt ausschließlich dem nähesprachlichen Bereich vorbehalten sein muss, sei an dieser Stelle auf einen Coca-Cola-Werbespot aus dem Jahr 2006 verwiesen («la última coca-cola»), in dem vor allem das intervokalische einer Realisierung als velarer Approximant nahekommt: [goγa’γola]. Diese Beobachtungen bilden für die in Kapitel 4.6 diskutierte Wechselwirkung von ʒeísmo und konsonantischen Reduktionserscheinungen einen zentralen Bezugspunkt und werden daher an dieser Stelle nochmals im Detail aufgegriffen werden. 136 Cf. Martínez Celdrán (2007, 54, 104). Die Frage, wann ein Plosiv als stimmlos oder stimmhaft artikuliert identifiziert werden kann, ist nicht ohne Weiteres zu beantworten und vielfach diskutiert worden. Ein Verfahren liegt in der Messung des sogenannten VOT, der voice onset time. Ist die voice bar im Spektrogramm noch vor Einsetzen des Explosionsschalls erkennbar oder fällt sie nahezu simultan mit diesem zusammen, lässt dies eine stimmhafte Realisierung des nachfolgenden Okklusivs vermuten. Cf. dazu Martínez Celdrán (2007, 66s.). 137 Zur Transkription der nachfolgenden Gesprächssequenzen cf. Anhang V.
4.6 Varianz im freien Gesprächsteil
231
Interviewsequenz (3), Informant N° 5 (Kommentar über Straßenhunde) F I F I
[ [ [ [
Hay muchos animales así en la calle acá, ¿no? Muchos Sí, igual (-) sí, sí bastantes. Igual no/ gatos, perros no sé. Claro (-) No tanto como en otros países o otros lugares pero igual, sí hay (--) Es difícil (-) que [z]é ʒo, eh la gente tiende a comprar (-) eh perros de raza o/ es una cuestión estética digamos (-)
Für die Erklärung der stimmhaften Form [ʒ] ist entscheidend, dass sie in Korrelation zu vorausgehenden und nachfolgenden lenisierten Varianten steht, die aus Gründen artikulatorischer Ökonomie in intervokalischer Position die Lenisierung des Frikativs bewirken können. So erfordert beispielsweise in Caballito die stimmlose Realisierung [ʃ] infolge einer Reduktion von [k] und des Approximanten [β] deutlich mehr artikulatorischen Aufwand als nach okklusiv realisierten Konsonanten [k] und [b]. Sprachliche Ökonomie darf dabei aber nicht mit Trägheit seitens der Sprecher in Verbindung gebracht werden, wie es beispielsweise Hock tut, wenn er durch Lenisierung provozierten Lautwandel mit dem Begriff «laziness» versieht (cf. Hock 1991, 80). Folgt man Moreno Cabrera in seiner Darstellung eines allgemeinen Konzepts von Lenisierungsprozessen, scheint sie vielmehr eine Begleiterscheinung erhöhter Sprechgeschwindigkeit zu sein: El resultado último de la lenición es la desaparición o pérdida de un sonido. Creemos que es evidente que el fenómeno de la desaparición de un elemento tiene que ver no tanto con la pereza sino con la rapidez. En el habla rápida hay una tendencia muy marcada a fusionar y hacer que desaparezcan sonidos y el habla rápida, lejos de manifestar pereza o indolencia, manifiesta un esfuerzo mucho mayor del normal. (Moreno Cabrera 2002, 22)
Damit begründet sich auch, warum die Assimilationserscheinung nicht in allen Fällen, in denen Reduktionseffekte vorliegen, registriert wurde. Die Erhöhung der Sprechgeschwindigkeit kann, wie sich zeigt, eine Vereinfachung des artikulatorischen Bewegungsablaufes zur Folge haben. Da der oben beschriebene Effekt bei der Artikulation der Formulierung qué [z]é ʒo wiederholt bei Informanten der colegios registriert wurde, soll die Wirkung von Ökonomie und Assimilation anhand dieser Sequenz aus Beispiel (3) nochmals beispielhaft nachgezeichnet werden (Abbildung 4.7). Die durchgängig vorhandene voice bar im untersten Bereich der Grundfrequenz zeigt, dass ab wortfinalem [e] (qué) alle Lautsegmente stimmhaft realisiert werden. Das Einsetzen von [ʒ] lässt sich durch den hohen Schwärzungsgrad in den höheren Frequenzen und den sinkenden Wert von F1 erkennen, der stimmhafte Alveolar [z] ist in seiner
232
4 Auswertung
Abbildung 4.7: Spektrogramm und Oszillogramm des Satzes qué sé yo.
intervokalischen Umgebung hingegen kaum auszumachen und nur anhand der schmalen Energiebündelung bei ca. 4000 Hz identifizierbar. Abermals wird durch die spektrale Darstellung deutlich, dass die Laute beim Sprechen nicht einzeln aneinandergereiht werden, sondern ineinander übergehen, womit sich eine exakte segmentale Abgrenzung schwierig gestaltet. Schnelleres Sprechen impliziert oftmals eine Verkürzung der Vokaldauer, wodurch sich der zeitliche Abstand zwischen konsonantischen Artikulationsbewegungen verringert. Die Artikulation des stimmhaften [z] erfordert einen geringeren subglottalen Ausatemdruck als der stimmlose Alveolar [s]. Bei geringer werdendem zeitlichem Abstand der Konsonantenartikulation kann [ʃ] in yo über die Wortgrenze von sé hinweg in den Wirkungsbereich der Artikulation von /s/ geraten; dabei würde bei stimmlosem [s] aufgrund des erforderlichen Druckausgleichs zwischen der Luft unter- und oberhalb der Glottis der Beginn der Stimmlippenschwingung und damit eine stimmhafte Realisierung [ʒ] erschwert werden (cf. dazu 4.6.1.2). Für eine stimmlose Artikulation [ʃ] wäre umgekehrt aufgrund des schnellen Sprechens nach [z] in sé eine Druckintensivierung erforderlich, weshalb [ʒ] die für den Sprecher ökonomischere Variante ist. Die stimmhafte Umgebung aus Frikativ und Vokalen wird assimiliert, die Stimmlippenschwingung bleibt erhalten. Auch wenn in dem in Abbildung 4.7 dargestellten Beispiel die Verschlussphase anhand des Explosionsschalls klar erkennbar ist, kann im Falle einer stärkeren Reduktion von [k] der Beginn dieses Prozesses bereits am Anfang der Sequenz ansetzen. Die Bildung von [k] basiert als velarer Laut, der durch einen Verschluss von hinterem Zungenrücken und Velum entsteht, auf einer
4.6 Varianz im freien Gesprächsteil
233
langsameren Artikulationsbewegung als die schnelleren koronalen Zungenbewegungen von [s]; in seiner lenisierten Ausprägung wird dieser Verschluss etwas geöffnet und es wird eine größere Nähe zur Artikulation der umliegenden Vokale geschaffen, da zur Veränderung des Öffnungsgrades Bewegung eingespart wird.138 Aufgrund der langsameren Artikulationsbewegung von /k/ kann [s] bei schnellem Sprechen in den zeitlichen Wirkungsbereich von [k] geraten und die stimmhafte Umgebung wird assimiliert.139 In dem Versuch den hier diskutierten Sprechstil mit einem passenden Terminus zu versehen, könnte man Bezeichnungen wie estilo coloquial relajado oder estilo relajado poco articulado anführen, da sie zum einen die Schwächung der stimmlosen Verschluss- und Reibelaute kennzeichnen, zum anderen aber auch darauf verweisen, dass dieser Stil vor allem in spontaner, informeller Rede Anwendung fand. Vor diesem Hintergrund erklären sich auch die Divergenzen in der Präsenz von [ʒ], die bei Informantin N° 8 und Sprecher N° 5 zwischen freiem Gesprächsteil und den einzelnen Lektürephasen ermittelt wurden (cf. Tabelle 4.4). Die inhaltliche Vorstrukturierung von Lektüreelementen bietet keinen direkten Kontext, der Modifikationen der Sprechgeschwindigkeit oder Ähnliches motiviert. Somit scheint der in gewisser Weise spontane Typ von [ʒ] in Korrelation mit den lenisierten Plosiven und [z] auch mit einer diaphasischen Markierung versehen zu sein. Die Sprecher N° 8 und N° 5 stehen folglich für einen ganz spezifischen Sprechertyp der jüngsten Generation, die eine Form des ʒeísmo präsentiert, der im Gegensatz zum bis zu dieser Stelle diskutierten ʒeísmo nicht historisch bedingt ist, sondern durch Korrelationserscheinungen eines spezifischen Sprechstils konditioniert zu sein scheint. Damit stehen sich gewissermaßen der konservative und ein innovativer ʒeísmo gegenüber. Für diese innovative Reduktionserscheinung lässt sich jedoch keine allgemeingültige, exakte und vorhersagbare Regelhaftigkeit hinsichtlich ihres Auftretens formulieren. Klar nachvollziehbar ist, dass der Präpalatal in bestimmten phonologischen Kontexten besonders häufig assimilierend sonorisiert wird, allerdings lassen die Ergebnisse der Untersuchung nicht den Schluss zu, dass es sich dabei um phonologisierte Koartikulationsphänomene handelt, die in dieser Lautumgebung systematisch artikuliert werden. Gerade aufgrund des häufigen Einhergehens mit einem gesteigerten Sprechtempo ist bis zu diesem Moment deshalb eher von einer (fakultativen) ökonomischen Variation auszugehen: 138 Auch Martínez Celdrán betont die artikulatorische Nähe zwischen Approximanten mit hohem Öffnungsgrad und Vokalen: «aproximantes muy abiertas o cercanas a estructuras vocálicas» (2007, 57). 139 Cf. Pompino-Marschall zu phonetischen Prozessen in fließender Rede (2009, 274ss.).
234
4 Auswertung
motiviert beispielsweise durch die Konversationsmaxime der Relevanz, kann der Sprecher weniger gewichtige Informationen durch schnelles Sprechen anzeigen, wobei er artikulatorische Distanzen minimiert und damit seine Lautproduktion gewissermaßen optimiert (cf. dazu 4.6.3.2). Ob sich diese Assimilationserscheinungen diachronisch zu obligatorischen Prozessen entwickeln werden, die eine regelhafte distributionsbedingte Sonorisierung bedeuten, kann an dieser Stelle nicht beantwortet werden. Am plausibelsten scheint, dass sich ein solcher Wandel für die oben aufgezeigte Sprechergruppe im Kontext eines allgemeinen Lenisierungsprozesses vollziehen, aber keine aus sich heraus motivierte eigenständig Entwicklung darstellen würde. 4.6.1.2 Konsonantische Stärkungsprozesse Dass die Realisierung als postalveolare Affrikate [dʒ] oder [tʃ] in den erhobenen Sprachdaten vermehrt am Wortanfang zu beobachten war, kann auf prosodischer Ebene über die Silbenstruktur erklärt werden und ist damit eigentlich ein systembedingtes Phänomen. Die spanische Silbenstruktur ist in der Regel durch den Verlauf eines geschlossenen bzw. wenig sonoren Segments im Onset, hin zu einer Steigerung von Sonorität im Nukleus charakterisiert und schließt in der Coda mit einem weniger sonoren, geschlossenen Segment. Der Onset im Wortanlaut gilt dabei als starke Konsonantenposition, weshalb Abschwächungsprozesse an dieser Stelle in der Regel nicht greifen. Stattdessen können sich beispielsweise durch die Affrizierung eines Frikativs konsonantische Stärkungsprozesse ergeben. Die Onsetposition begünstigt damit «die Verstärkung der artikulatorischen Obstruktionsbewegungen bzw. die Minimierung der Sonorität» (Gabriel/Meisenburg/Selig 2013, 140):140 [‘dʒo], [‘tʃa]. Der konsonantische Stärkungsprozess kann in seiner Umkehrung auch als Erklärung dafür herangezogen werden, dass die ʒeístas ihre stimmlosen Realisierungen überwiegend am Wortanfang artikulierten (cf. Kapitel 4.4, Abschnitt 4.4.2.2.1).141
140 Über die Sonoritätshierarchie erklärt sich auch die Beobachtung, warum Affrizierungen des Typs [dʃ] nicht möglich sind. Cf. auch Quilis (1993) zum ensordecimiento in initialer Position (Quilis 1993, 68). 141 Diese Tendenz wurde beispielsweise auch im Falle von Informant N° 7 ermittelt, der beim Vorlesen der Wortlisten den stimmlosen Frikativ [ʃ] stets in wortinitialer Position artikulierte.
4.6 Varianz im freien Gesprächsteil
235
4.6.1.3 Progressive Stimmlosigkeitsassimilation Einige der stimmlosen Realisierungen seitens der Sprecher, die durch eine vermehrt stimmhafte Artikulation der Postalveolare auffielen, können phonetisch auf den Prozess der progressiven Stimmlosigkeitsassimilation zurückgeführt werden. Dabei werden die Merkmale eines Lautes auf das nachfolgende Lautsegment übertragen. Bei der Artikulation stimmloser Fortis-Obstruenten wird durch den erhöhten Ausatemdruck ein Druckausgleich zwischen der Luft unter- und oberhalb der Glottis erforderlich. Dieser kann insbesondere bei stimmhaften Lenis-Obstruenten den Beginn der Stimmlippenschwingungen erschweren (cf. Neuhauser 2012, 83): Interviewsequenz (4), Informant N° 5 (Angaben zur Familie) I
Y mis abuelos paternos ʃegaron de España en los (-) más o menos.
Interviewsequenz (5), Informantin N° 8 (berichtet von Privatuniversitäten) I
Eh (--) después/ ha/ hay un montón de/ de privados (--) Después están las que son más caras ʃa, la UTN, la San Andrés, pero son más caras (--)
Interviewsequenz (6), Informant N° 7 (Ausführungen in Zusammenhang mit der Inflation in Argentinien) I
A I
Y en épocas/ ʃo me acuerdo (-) en épocas del gobierno militar, en la época de Martínez de Hoz con las tasas de interés, la época de la plata dulce (--) ʃegó a haber/ en intereses, tʃegaban a darte el treinta mensual, era uno/ uno por ciento, [ eh/ [ Diario. [ por día (-)
Interviewsequenz (7), Informant N° 7 (Kommentar zur wirtschaftlichen Situation) I A I
[ [ [
Era ingreso y además eran fuentes de trabajo porque/(-) Ah, ni hablar. porque estaban/ viste la/ las bodeguitas esas, que hubo en una época que ʒamaban/ que se pusieron de moda, que eran eh/(-) eh, las ʃamaban boutiques (--)
Da bei fließender Rede eine kontinuierliche Reihung einzelner Lautsegmente vorliegt, kann beim Ausbleiben von Pausen und Unterbrechungen der Assimilationsprozess auch über Wortgrenzen hinweg wirken.
236
4 Auswertung
4.6.2 Semantisch-pragmatischer Bereich 4.6.2.1 Ausdruck von Expressivität Die Referenz auf außersprachliche Sachverhalte und Gegenstände kann über eine Vielzahl von sprachlichen Formulierungsmöglichkeiten stattfinden. Der Rückgriff auf bestimmte sprachliche Zeichen kann in der Interaktion zwischen Produzent und Rezipient sowohl über das inhaltliche Konzept, das für den Produzenten hinter einem Begriff steht, als auch über die intendierte Wirkung beim Rezipienten Aufschluss geben. Die Wahl konkreter sprachlicher Formulierungen dient neben der inhaltlichen Komponente, dem propositionalen Gehalt, vor allem in Gesprächssituationen kommunikativer Nähe auch dem Ausdruck von Emotionalität gegenüber dem Gesagten (cf. Koch/Oesterreicher 2011, 121). Ein in den Interviews erfasstes semantisches Mittel zur Verstärkung oder Steigerung ist die «expressive Wiederholung» (cf. Koch/Oesterreicher 2011, 126): Interviewsequenz (8), Informant N° 7 (Gespräch über Inflation in Argentinien) I
Papá guardó dos o tres porque era numismático, no sé cómo consiguió todo eso (--) pero (-) era una caja ʃena, eran miʃones y miʒones y miʒones de marcos alemanes que no valían el papel en que estaban impresos (-) Son los temas de infla/ acá/ sabés que lo que te/ te da bronca que nosotros no tendríamos que tener inflación (--)
Interviewsequenz (9), Informant N° 7 I A I A I
[ [ [ [
Es más, en la verdadera economía de un país descansan las pymes (-) No las grandes industrias (--) Claro, seguro (-) seguro. Porque la pyme es la que le da de morfar a miʃones y miʒones de hormiguitas. Y acá es al revés. Y acá están destruʒendo las pymes (--) se están destruʒendo (-) porque además es más barato importar, ento/ ahora porque le/ le cerraron la/ la importación.
Die mehrfache durch Konjunktionen verbundene Wiederholung des Wortes «millones» stützt die Intention des Sprechers, die Menge des Geldes bzw. der Arbeiter («hormiguitas») auf besonders anschauliche Weise hervorzuheben. Durch diese Steigerung verleiht er seiner Information zudem eine gewisse Drastik, die nicht
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nur auf der Ausdrucksebene von Relevanz ist, sondern die insbesondere darauf abzielt, vom Rezipienten als solche auch wahrgenommen zu werden;142 der Abschnitt in Interviewsequenz (8) ließe sich daher im übertragenen Sinne etwa als «unglaubliche Mengen an Geld» übersetzen (cf. Z. 2). Darüber hinaus koinzidiert die Wiederholung mit einer Steigerung auf lautlicher Ebene, indem der Sprecher «millones» zunächst als stimmloses [ʃ] realisiert, die beiden darauffolgenden Wiederholungen jedoch stimmhaft ausspricht: [mi’ʒones]. Nun wäre es voreilig, aufgrund dieses Beispiels den stimmhaften Frikativ generell als ein von Sprecher N° 7 angewandtes Mittel zur Expressivität oder Verstärkung seiner Äußerungen auszulegen. Das an die Wiederholung geknüpfte Auftreten von [ʒ] könnte man jedoch als Marker betrachten, der den semantischen Wert der Aussage auf lautlicher Ebene stützt. Damit kommt der stimmhaften Realisierung in dieser kontextuellen Verbindung auch ein pragmatischer Effekt zu. Da Sprecher N° 7 in seiner allgemeinen Realisierungstendenz den ʒeístas zugeordnet wurde, ist die stimmhafte Verwendung nicht mit dem politisch gesellschaftlichen Gesprächsthema (cf. Interviewsequenz 9) oder der Diskursform der Erzählung (cf. Interviewsequenz 8) in Verbindung zu bringen; plausibel für den auffälligen Rückfall einer zunächst stimmlosen Umsetzung in die Stimmhaftigkeit erscheint vielmehr, dass der Sprecher seine emotionale Erregtheit angesichts der Situation zum Ausdruck bringen will. Der Zusatz von Stimmhaftigkeit kann also den expressiven Charakter des Sprechaktes zusätzlich unterstreichen. Nicht außer Acht gelassen werden darf auch hier eine mögliche Korrelation von Emotionalität und phonetischen Mechanismen: In Sequenz (8) geht die Phrase der Wiederholung mit einer Erhöhung der Sprechgeschwindigkeit einher, sodass aufgrund der stimmhaften Umgebung von [ʃ], die nicht nur durch die Dichte an Vokalen, sondern auch durch die stimmhaften Nasale [m] und [n] gegeben ist, koartikulatorische Assimilationsprozesse begünstigt werden können. 4.6.2.1.1 Ausdruck von Expressivität bei der Formulierung direktiver Sprechakte In Interviewsequenz (10) greifen bei der stimmhaften Realisierung mehrere Faktoren:
142 Cf. Koch/Oesterreicher zur expressiven Wiederholung (2001, 126): «Sie [die Steigerung oder Drastik] markieren Geltungsansprüche, stützen Argumente, helfen dem Rezipienten, den Wert der Äußerung – Spaß, Ironie, Entschuldigung, Vorwurf etc. – zu erfassen».
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4 Auswertung
Interviewsequenz (10) Informantin N° 6 (Gespräch über mangelndes Umweltbewusstsein in Buenos Aires)
F I F I F I
F I F I
[ [ [ [ [
[ [
Y es una lástima porque la ciudad es linda, pero así con toda la basura/ Sí. Exacto. También con los grafiti. ¿Viste? Sí (-). . . pero la hace/ sí, la hace/ la hace fea. Sí. Sí. La verdad que sí. Sí. Es una lástima (-) Es una lástima y es parte de la cultura de la gente ʃa que no le/ (-) como que no le importa, ¿viste? Como que/ (-) y bueno (-) O vas manejando en el auto y ves que tiran las cosas. Sí. Tenela ahí hasta que ʒegues/ claro, hasta que ʒegues a algún lugar y la (xxx) puedas/ la puedas tirar, no sé (--) pero no. No, no, no.
[ʒ] taucht hier im Kontext eines direktiven Sprechaktes auf, in dem die Sprecherin durch die Verwendung des Imperativs dazu auffordert, den Abfall nicht aus dem Fenster zu werfen, sondern an geeigneter Stelle zu entsorgen. Der konkrete Handlungskontext, in dem diese Anweisung artikuliert wird, ist allerdings ein fiktiver, ebenso der Adressat, an den sie sich richtet, wodurch dem Appell eine generalisierende Komponente zukommt. Durch die Formulierung der Anweisung in direkter Rede – und nicht etwa durch eine allgemein formulierte Forderung wie zum Beispiel «man muss seinen Müll bei sich behalten, bis man ihn entsorgen kann» – erreicht die Sprecherin zusätzlich den Effekt einer Vergegenwärtigung bzw. Verlebendigung der Situation. Die stimmhafte Realisierung von «llegues» verleiht dem Geltungsanspruch der Aufforderung, die Kritik und Missfallen impliziert, weiteren Nachdruck und macht diesen für den Rezipienten klar erkennbar. Wie in Interviewsequenz (8) und (9) liegt damit auch hier eine aus Sprecher- und Hörerperspektive expressiv konnotierte Verstärkung vor. Dass die stimmhafte Artikulation in «llegues» (Z. 11) als Steigerung des propositionalen Gehalts der Äußerung wahrgenommen wird, gründet in Interviewsequenz (10) aber auch in ihrer Verbindung mit prosodischen Elementen: Zum einen steigt die Grundfrequenz in der ersten Silbe nahezu bis zum Intonationsgipfel der Passage an, zum anderen erfolgt eine Dehnung des betonten Segments. Die Kombination aus prosodischer Markierung und stimmhafter Realisierung hebt diesen Teil der Äußerung hervor, fordert gleichzeitig die Aufmerksamkeit des Hörers und setzt gewissermaßen seine Übereinkunft mit dem Missfallen der Sprecherin über das Ausbleiben eines gewünschten und zu
4.6 Varianz im freien Gesprächsteil
239
Abbildung 4.8: Intonationskontur von hasta que llegues.
erwartenden Verhaltens voraus. Zudem ergibt sich aus der Kombination der Merkmale Intonation und Stimmhaftigkeit eine modalisierende Komponente. Als deutsche Entsprechungen wären damit folgende Übersetzungen denkbar: «Man kann ja wohl seinen Müll bei sich behalten, bis . . . » oder «Behalt das [den Müll] gefälligst bei dir, bis du . . . ankommst!». Das Beispiel unterstreicht, warum bei der Analyse der verschiedenen Auslösemechanismen sowie der Funktionalität stimmhafter und stimmloser Postalveolare das Ineinandergreifen diverser Faktoren berücksichtigt werden muss. Erklärungsmodelle, die [ʒ] als generelles Merkmal der Fokussierung oder Akzentuierung deklarieren, können der Komplexität nicht Genüge leisten. Den Kontext der nachfolgenden Sequenz bildet eine Kindheitserinnerung der Informantin N° 1, in der sie von dem als «Masacre de San Patricio» bekannt gewordenen Massaker in der Kirche San Patricio in Belgrano erzählt, das sich im Zuge der Militärdiktatur 1976 ereignet hat: Interviewsequenz (11), Informantin N° 1 I
El padre, Eli, que era el párroco, eh daba unos sermones increíbles, se/ la iglesia se ʒenaba de gente y era justo la época de la di/ dictadura de acá. Entonces una mañana me levanto para ir a misa, ʃo iba a misa los domingos a las (-) y mi hermano entra a mi cuarto y me dice «¿Qué hacés?». «Nada, me estoy vistiendo para ir a/ a la iglesia». «No», me dice «no vaʒas» «¿Cómo que no vaʃa? Si voy siempre a esta hora». «No, no vaʒas, porque pasó algo horrible». «¿Qué pasó?» «Mataron a todos los curas». «¿Cómo?» «Mataron a todos los curas».
>Allgemein betrachtet ist der Akt des Erzählens hinsichtlich der Interaktion zunächst eine monologisch konstituierte Form der Kommunikation, in der der Sprecher bestimmte Informationen, persönliche Erlebnisse und auch Gefühle mitteilt. In Abhängigkeit des Themas und der emotionalen Betroffenheit kann dadurch eine besondere Form der kommunikativen Nähe evoziert werden. In
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Interviewsequenz (11) nutzt die Sprecherin zudem mehrere Verfahren der Versprachlichung, um die Geschehnisse ihrer Erzählung lebendig, präsent und somit auch affektiv nachvollziehbar zu machen: Dies geschieht zum einen durch das narrative Präsens (cf. Z. 4), durch welches «gewissermaßen fiktiv die referentielle Differenz zwischen Vergangenem und Gegenwärtigem zum Verschwinden gebracht und damit Nähe nicht nur in temporaler, sondern auch in erlebnismäßiger Hinsicht» hergestellt wird (cf. Koch/Oesterreicher 2011, 77). Zum anderen entsteht die Situation von Vergegenwärtigung mittels der gewählten wörtlichen Rede. In den Passagen, in denen die Sprecherin auf die Redebeiträge ihres Bruders referiert, verwendet sie den stimmhaften Frikativ [ʒ] (cf. Z. 5, 6). Der inhaltliche Kontext legt auf den ersten Blick die Überlegung nahe, den Einsatz von Stimmhaftigkeit als ein der Imitation oder Polyphonie geschuldetes Phänomen zu erklären.143 Diese These könnte man dadurch stützen, dass die Informantin bei der wörtlichen Wiedergabe ihrer eigenen Position in eine stimmlose Realisierung wechselt, bei der Wiederaufnahme der Perspektive des Bruders jedoch abermals in die stimmhafte Aussprache verfällt. Auch wenn der Bruder vor dem Hintergrund der diastratischen Ergebnisse in Kapitel 4.3 durchaus ʒeísta-Sprecher sein könnte (cf. Alter), scheint diese Erklärung dennoch nicht gänzlich plausibel und überzeugt lediglich auf inhaltlicher wie prosodischer Ebene, auf der die Sprecherin bei Perspektivwechsel Unterschiede in der Tonhöhe markiert. Schlüssiger scheint mir, dass es sich ähnlich wie in Interviewsequenz (10) um eine Intensivierung des direktiven Sprechaktes handelt: Der Bruder fordert seine Schwester mit Bestimmtheit dazu auf, der Kirche aufgrund des Massakers an diesem Tag fernzubleiben. Aus der Interaktion von Stimmhaftigkeit und der direkten Rede resultiert abermals eine gewisse Drastik der Aufforderung, die in Z. 6 mit Nachdruck wiederholt wird. Das stimmlos realisierte «vayas» seitens der Sprecherin (Z. 6) ist zugleich Rückfrage und Wiederholung der vorangehenden Äußerung und steht im Kontrast zum direktiven Sprechakt. Der auf «cómo» liegende Akzent und die fallende Intonation, die sich in einer Abwärtsbewegung der Grundfrequenz äußert, verleihen der Antwort darüber hinaus eine arglose Konnotation, die durch das Ausbleiben von Stimmhaftigkeit im Gegensatz zum sonoren Imperativ unterstrichen wird.144 4.6.2.2 Indirekte Zustimmung durch Wiederholung Eine Form der turn-Übernahme liegt in der direkten Wiederholung der vorangegangenen Äußerung des Gesprächspartners:
143 Cf. dazu Gévaudan (2008). 144 Cf. auch: bei Imperativ liegt Satzakzent auf vayas, bei Frage auf cómo.
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Interviewsequenz (12), Informantin N° 6 (Gespräch über Struktur der Schule) I F I
[ [
Cinco es el kinder (-) Y después pasan a primer grado. Ah, ¿ya los chiquitos de años? ¿Ya pueden/? Sí, tʃa pueden venir.
Interviewsequenz (13), Informantin N° 6 (Gespräch über zweisprachig aufgewachsene Tochter) F [ Claro, sí, capaz que tampoco quiere llamar la atención, ¿no? I [ Sí, no quiere ʃamar la atención, exactamente (-) No quiere ʒamar la atención, entonces/ pero/ (-) pero bueno, ʃo digo algún día (-) algún día lo sacará, supongo que eso debe quedar (-) guardado.
In Sequenz (13) signalisiert die Informantin der Rezipientin durch das Wiederaufgreifen der vorausgehenden syntaktischen Struktur, der Turnbeendigung, dass sie ihre Vermutung bezüglich des Verhaltens ihrer Tochter für richtig hält. Besetzt die erste Wiederholung damit die Funktion, inhaltliche wie emotionale Zustimmung zum Ausdruck zu bringen und gegenseitiges Einverständnis zu unterstreichen, impliziert die erneute nun sprecherinterne Wiedergabe der Sequenz «no quiere llamar la atención» (Z. 3), dass diese Zustimmung auch mit einer wachsenden persönlichen Überzeugung einhergeht. Ferner ist sie mit einer argumentativen Konnotation behaftet, auch wenn diese letztlich nicht weiter ausgeführt wird. In (12) liegt in der grammatikalisch angepassten Wiedergabe der Vorgängeräußerung eine Bestätigung bzw. Antwort. Der Rückgriff auf die affrikatischen oder stimmhaften Postalveolare wurde bei Sprecherin N° 6 auch in allen anderen kommunikativen Sequenzen mit repetitivem Charakter festgestellt: Interviewsequenz (14), Informantin N° 6 (Gespräch über mangelndes Umweltbewusstsein) F I
Pensé que es más un problema de la educación capaz también. Sí, sí (-) tʃo creo que es un problema d/ de educación, cultural, todo, todo.
Bei der affrikatischen und stimmhaften Realisierung handelt es sich in diesem Kontext offenbar um ein Element, das in Koinzidenz zur syntaktischen Struktur
145 Bei Sprecherin N° 6 fiel zudem die insgesamt dreimalige Verwendung der Formulierung «llamar la atención» als stimmhafter Frikativ auf. Ob es sich dabei möglicherweise um ein lexikalisch gebundenes Auftreten handelt, das eng mit dem semantischen Gehalt verwoben ist, kann ergänzend oder alternativ in Erwägung gezogen werden (cf. Abschnitt 4.6.6).
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eine Bekräftigung bzw. Zustimmung signalisierende Funktion ausübt, die von Sprecherseite mit der Nuance ʻGewissheitʼ hinsichtlich des propositionalen Gehalts versehen ist. In gesprächsanalytischen Beiträgen wurde diese Art der Fremdwiederholung mehrfach als Zeichen der Höflichkeit interpretiert;146 ob dieser Deutung zugestimmt werden kann, ist jedoch stark vom jeweiligen Kontext, dem Verlauf der Konversation und den Gesprächspartnern abhängig. Im Hinblick auf Sequenz (13) wurde trotz der genannten Interpretationsmöglichkeiten im Gesprächsverlauf der Eindruck gewonnen, dass das Wiederholen einzelner Äußerungsteile partiell auch die Funktion eines Überbrückungsphänomens zu übernehmen schien; Ziel ist dabei nicht unbedingt ausschließlich, Planungszeit für den fortlaufenden Diskurs zu gewinnen und den eigenen Gedankengang fortzuentwickeln, sondern den etwas schleppenden Gesprächsfluss, der während des Gesprächs in einzelnen Momenten spürbar war, aufrechtzuerhalten.
4.6.3 Syntaktischer Bereich 4.6.3.1 Thema-Rhema-Abfolge und Kontrastierung Wolf und Jiménez weisen in der Auswertung ihrer in Buenos Aires durchgeführten Untersuchung darauf hin, dass bei der phonetischen Realisierung des Personalpronomens «yo» vermehrt affrikatische Varianten auftreten (1977, 304). Schon 1950 äußert auch Malmberg eine ähnliche Beobachtung: «Un mot comme yo – qui se trouve fréquemment en tête de la phrase – est très souvent prononcé [dʒo]» (Malmberg 1950, 106). Stimmhaftigkeit ist diesen Beiträgen zufolge zum einen an die syntaktische Position, zum anderen an das Pronomen selbst geknüpft. In Absatz 4.6.4.1.1 werden diese Feststellungen affirmativ aufgegriffen und einer näheren Betrachtung unterzogen; die folgenden Interviewsequenzen zeigen jedoch, warum sie einer Modifikation bedürfen: Interviewsequenz (15), Informantin N° 1 (persönliche Angaben) I
F I
Su barrio original de papá, sí, es de Recoleta, toda su vida hasta que n/ nos mudamos a Necochea. Mamá de (-) Boedo, San Juan y Boedo, que no sé bien si es/ que barrio es, pero (--) aʒí vivió antes de casarse. ¿Y de qué trabajás? ʃo soy/ eh tengo varios empleos. En este momento trabajo (-) como directora de una escuela bilingüe primaria. (-) de Belgrano, muy tradicional.
146 Cf. u.a. Brown/Levinson (1987, 112); Gumperz (1982, 53).
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Interviewsequenz (16), Informantin N° 1 (Gespräch über Tagesablauf) I F I
Sí, además tenés/ no podría hacer todo lo que hago si tuviera que realmente [ invertir mucho tiempo en el viaje, no podría/ [ Claro, perdés mucho tiempo. Claro, ʃo termino mi laburo en el colegio a las de la tarde y las y media ʒa arranco mis nuevos grupos y en el medio tengo tiempo de tomar una merienda, o sea.
Interviewsequenz (17), Informantin N° 1 (Gespräch über eigene religiöse Biographie) I F I
En realidad/ si te interesa saber mi historia con la cristiandad o el catolicismo te cuento algo. ¡Dale! ʃo/ bueno, me crié con (-) una formación católica. Fui bautizada, tomé la comunión, me casé por iglesia.
Inhaltlich handelt es sich bei allen drei Interviewsequenzen um biographische Angaben, in denen die Sprecherin Informationen über ihren Beruf, berufsbedingte alltägliche Routinen und ihren persönlichen religiösen Werdegang (17) preisgibt. Das stimmlos realisierte «yo» [ʃo] steht jeweils in thematischer Position am Satzanfang. Charakteristisch sind die in Nähediskursen der Spontaneität geschuldeten Überbrückungsphänomene «eh» und «bueno», die der Produzentin mehr Planungszeit einbringen, gleichzeitig aber zu einem Bruch der prospektiven Satzstruktur führen (17). Das Personalpronomen yo besetzt zwar die satzinitiale Position, der Informationsfokus liegt aber nicht auf der Sprecherin selbst, sondern auf den nachfolgenden rhematischen Elementen: «tengo varios empleos» (15, Z. 5), «termino mi laburo en el colegio a las 5» (16, Z. 4), «me crié con una formación católica» (17, Z. 4). Dem Ausbleiben von Stimmhaftigkeit könnte man in diesem Kontext daher die diskurspragmatische Funktion der Markierung des Hintergrunds zusprechen. Anders verhält es sich, wenn Informantin N° 1 sich selbst in die Fokusposition rückt: Interviewsequenz (18), Informantin N° 1 (Gespräch über eigene religiöse Biographie) I
Este, y (-) practiqué la religión, siempre toda mi vida en primaria, en secundaria, sola, porque en realidad tenía padres católicos pero no eran practicantes. Entonces ʒo sola iba (-) a grupos, iba a la iglesia, inclusive me acuerdo, de chica, muy, muy chica, tipo años en Necochea tomaba el colectivo sola para ir a misa porque no me podían ʃevar, y ʒo iba igual.
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In Z. 3 kann man zwar nicht von einem Kontrastfokus sprechen, der eine Korrektur der im Vorgängersatz genannten Entitäten zum Ausdruck bringt, dennoch schafft die Sprecherin einen deutlichen Kontrast zwischen sich und anderen Referenten – ihren Eltern –, indem sie sich durch ihren regelmäßigen Kirchgang von ihnen abhebt; dies geht mit der Sonorisierung des kontrastierten Segments «yo» in Abgrenzung zu «padres católicos» einher. Sicherlich können die in Sequenz 15–17 aufgeführten Realisierungen auch in Korrelation zu den phonetisch bedingten konsonantischen Stärkungsprozessen bewertet werden. Berücksichtigt man aber den Prozess der progressiven Stimmlosigkeitsassimilation, wonach ein vorausgehender stimmloser Obstruent das Einsetzen der Stimmlippenschwingung erschwert, erhält auch die unter Sequenz (18) ausgeführte Kontrastierung bzw. Fokussierung (entonces yo sola iba) eine verstärkende Nuance: Es findet keine Aspiration des finalen /s/ in entonces statt, die Sprecherin nimmt folglich einen gewissen artikulatorischen Aufwand in Kauf, um ihr Handeln von dem der anderen abzuheben. Auch im folgenden Beispiel liegt eine von Stimmhaftigkeit begleitete verstärkte Fokusmarkierung des thematischen Elements vor. Hier wird nun über den Kontrastfokus explizit auf die vorausgehende Information referiert und eine Negierung bzw. Korrektur derselben formuliert. Im Gespräch über verschiedene Stadtviertel der Ciudad de Buenos Aires scheint aus der Perspektive der Produzentin nicht die Frage zentral zu sein, ob es die thematisierten alten herrschaftlichen Häuser («grandes cazonas de campo») gibt oder nicht (cf. Z. 2), sondern dass sie eben genau in Villa Pueyrredón und Villa del Parque nicht vorzufinden sind: Interviewsequenz (19), Informantin N° 3 (Gespräch über Geschichte des Stadtviertels) F I
¿Pero hay todavía esas casas? Sí, en Viʃa Devoto se ven mucho. Lo que pasa es que han ido vendiendo los terrenos aledaños y quedaron los caserones señoriales. Y mucho se fue modificando porque, es cierto, eran casas (-) difíciles de mantener y/ había que cambiarles las cañerías (-) tenían humedad, eran (-) complicadas. La gente/ muchas veces la fue refaccionando, pero mucha gente les conservó una estructura. Las modernizó pero les conservó esta estructura porque son muy hermosas (-) En frente de la plaza, cerca de la plaza de Viʃa Devoto (-) eh se ven mucho esas casas antiguas. F [ No fui a Villa Devoto. Conozco Villa Pueyrredón y Villa del Parque y/ I [ Claro. No, Viʒa Pueyrredón y Viʒa del Parque no tienen esa caracter/ bueno en Viʒa del Parque/ hay algunas casas que han sido señoriales.
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Dass gewissen Äußerungsteilen mehr Gewicht zugesprochen wird, kann mittels spezifischer syntaktischer Positionen und Segmentierungen evident gemacht werden. In Interviewsequenz (19) bleibt ein solches Vorgehen aus, ein ähnliches Verfahren könnte aber in dem betonten Rückfall in die stimmhafte Realisierung [ʒ] liegen, der die Intention der Sprecherin, die Rezipientin vor irrtümlichen Schlussfolgerungen zu bewahren, unterstützt. Interviewsequenz (20) bekräftigt die These, wonach Sprecherin N° 3 bei angestrebter Kontrastierung den stimmhaften Varianten den Vorzug zu geben scheint. Im Gegensatz zu (19) besteht der Kontrast hier in der Gegenüberstellung unterschiedlicher politischer Haltungen, wobei die Informantin ihre eigene Position durch die Distanzierung von anderen Referenten offenbart: Interviewsequenz (20), Informantin N° 3 (Gespräch über Unzufriedenheit der Bevölkerung angesichts der aktuellen politischen Situation im Land) I
Sí, entiendo de qué se tratan y las comparto [las quejas], o sea/ no comparto todo lo que estaban haciendo últimamente, ʃo la verdad es que/ a diferencia de muchos de los compañeros que/ que están en el centro cultural, dʒo entiendo que este gobierno ha tomado muchas medidas favorecedoras de las minorías.
Immer wieder wurde der ʒeísmo als ein Element besonderer Emphase tituliert und aus den vorgestellten Fällen könnte ein generell erhöhtes Auftreten in rhematischen Positionen vermutet werden. Eine solche Verallgemeinerung sollte aber unter Berücksichtigung der sprecherindividuellen und spezifischen kommunikativen Absicht nur mit Einschränkung formuliert werden: Interviewsequenz (21), Informantin N° 4 (leitet taller in centro cultural) F I F I
¿Y acá hay un taller de eso? [ Sí. [ Ah mirá. Sí, lo voy a inaugurar ʃo. E/ es la primera vez que se abre un taʃer de/ de ikebana.
Yo besetzt in Sequenz (21) die Rhema-Position, ist also das Element, das im Satz die neue Information enthält. Duch das nachgestellte Subjekt wird die Information, dass die Sprecherin selbst den innovativen Workshop leiten wird, als primäres und den anderen Elementen übergeordnetes Mitteilungsziel gekennzeichnet und syntaktisch hervorgehoben; eine zusätzliche phonologische Markierung bleibt aber aus. Auf der Grundlage der bisherigen Interpretationsergebnisse wäre durchaus denkbar, dass in einer solchen Thema-Rhema-Abfolge der Rückgriff
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auf eine stimmhafte oder affrizierte Variante erfolgt; es zeigt sich aber, dass es sich bei derartigen Markierungen auch im syntaktischen Bereich um sprecherindividuelle Vorgehensweisen handelt. 4.6.3.2 Hypotaktische Satzgefüge: Relativsätze Alternanzen in der Realisierung von [ʒ] und [ʃ] ergaben sich mehrfach bei der Formulierung meist explikativer Relativsätze. Der explikative bzw. nichtrestriktive Relativsatz ist «eine nur syntaktisch an ein Bezugsnomen des Hauptsatzes angeschlossene eigene Prädikation» (Besch 2003, 2514). Schon erbrachte Formulierungen werden präzisiert, indem thematische Information nachgereicht wird. Der explikative Relativsatz modifiziert damit die außersprachliche Wirklichkeit, auf die im vorangehenden Hauptsatz referiert wird. Koch/Oesterreicher betrachten auf der Grundlage diverser Corpusausschnitte Parataxen als generell nähesprachliche Erscheinungsformen, wohingegen die Formulierung hypotaktischer Satzgefüge bevorzugt unter den Kommunikationsbedingungen des Distanzsprechens in Erscheinung trete. Geschuldet sei dies der in diesem Kontext ausreichend zur Verfügung stehenden Planungszeit und Reflektiertheit des Diskurses (cf. Koch/Oesterreicher 2011, 101). Mit Blick auf eine Reihe von erfassten Zitaten der Informanten stellt sich jedoch die Frage, ob die Artikulation von Nebensätzen nicht auch gerade auf das Gegenteil einer solchen Planbarkeit zurückzuführen sein könnte. Obwohl die syntaktische Integration der Relativsätze in den nachfolgenden Beispielen mehrfach gelingt, demnach also nur vereinzelt Kongruenzschwächen oder Brüche in der Konstruktion (Anakoluthe) auftreten (cf. Interviewsequenz 23, Z. 3), können folgende Aussagen auch als spontane Nachträge, Einschübe oder Präzisierungen verstanden werden: Interviewsequenz (22), Informantin N° 8 (Angaben zu Freizeitgestaltung) I F I
[ [
Eh (-) voy al club. Voy a un club. Al club (-) ¿Acá en Caballito también o/? No, es del colegio San Cirano, que está en Cabaʒito, pero (-) digamos el club queda en Viʃa Celina (--) lejos.
Interviewsequenz (23), Informant N° 5 (Ausführungen zu Schule und Freizeit) I
Sí, aunque los viernes me quedo un poco más, porque hay una actividad del colegio que se ʒama Cas (-) que es un proʃecto solidario, algo por ese estilo (-) en lo que hago/ aʃudo a reciclar el papel para la fundación Garrahan. Está en la caja de (xxx).
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Interviewsequenz (24), Informant N° 2 (Gespräch über schulische Einrichtungen für behinderte Kinder) F I F I
[ ¿Pero hay colegios especiales acá, o escuelas? [ Sí. [ Nunca veo nada. [ Sí, lo que pasa es que son/ (-) no son conocidos porque va la minoría digamos, es para esos chicos. En Cabaʃito, hay una que se ʒama Escuela de la Paz por ejemplo, hay un colegio. Después en Almagro, cerca de la Avenida Estado Israel, eh (-) tenés otro colegio para chicos discapacitados, y acá en Palermo también hay bastantes.
Interviewsequenz (25), Informant N° 2 (politischer Kommentar) I
Eh y bueno y hay un partido político que está entre lo que es Cristina/ eh Kirchner, que se ʒama «la Cámpora» (-) que son todos chicos de mi edad digamos que lo conforman, son jóvenes, y ʃo estoy escuchando las últimas novedades como que eʃa está armando como una especie de ejército, viste.
Dass ein hierarchisch höherer Hauptsatz den untergeordneten Nebensatz einschließt (cf. Sequenz 22, Z. 3) und danach fortgeführt wird, berge, so Koch/Oesterreicher, für diese Formulierungen «Reflexe der Planungsschwierigkeiten» (Koch/Oesterreicher 2011, 104). Bei Sprecherin N° 8 (Interviewsequenz 22) gründet die Deutung einer spontanen Spezifizierung wie erwähnt nicht auf syntaktisch erfassbaren Parametern, sondern resultiert zum einen aus einer Erhöhung des Sprechtempos bei der Realisierung des Relativsatzes, zum anderen aus dem kurzweiligen Absenken der Grundfrequenz. Beide Faktoren legen kontextuell betrachtet die Vermutung nahe, dass der Fokus von der Sprecherin auf die im Hauptsatz vermittelte Information gelegt wird. Dem Auftreten des stimmhaften Lauts [ʒ] scheint in Anbetracht der zuvor erläuterten Fokusmarkierungen damit ein Widerspruch anzuhaften. Setzt man die Variante aber mit dem Begriff des estilo coloquial relajado in Relation, der in 4.6.1.1 in dem Versuch vorgeschlagen wurde, die allgemein konsonantischen Reduktionserscheinungen der jungen Sprechergeneration greifbar zu machen, ist sie als Folge artikulatorischer Ökonomie greifbar. Man könnte somit den hier präsentierten Zusammenhang zu hypotaktischen Satzgefügen als irrelevant bewerten und die Variation auf allein phonetische Wirkungsmechanismen reduzieren. Einer solchen vereinfachten Schlussfolgerung soll hier aber klar widersprochen werden, macht das sprecherinterne Verhältnis von stimmhafter und stimmloser Variante doch deutlich, dass die Assimilationsprozesse nur in bestimmten Fällen greifen (cf. Tabelle 4.4). Wie in (22) bis (25) liegt [ʒ] auch in den Sequenzen (2) und (3) in nachgereichten Informationspassagen oder
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kurzen Einschüben vor, die möglicherweise aufgrund dessen, dass sie nicht den Hauptinformationsfokus beinhalten, schneller artikuliert werden, um dann den eigentlichen Gedankengang fortzusetzen. Es ist daher naheliegend, dass dieser spontane ʒeísmo nicht nur bei der Formulierung von Relativsätzen auftritt, sondern bei Sprechern ähnlichen Profils auch in anderen hypotaktischen Satzgefügen in Erscheinung treten kann, in denen Hintergrundinformation oder untergeordnete Relevanz durch eine Steigerung der Sprechgeschwindigkeit markiert wird. Damit kommt [ʒ] zwar keine kommunikativ-pragmatische Funktion, wohl aber eine kommunikativ- bzw. situativ gebundene Komponente zu. Wieder zeigt sich der individuelle Charakter von Variation, der sich im vorliegenden Fall möglicherweise jedoch auf eine diagenerationelle Ebene ausweiten lässt.
4.6.4 Pragmatischer Bereich 4.6.4.1 Stimmhaftigkeit als Mittel der Modalisierung Im Anschluss an die Auseinandersetzung mit möglichen semantischen, syntaktischen und pragmatischen Faktoren soll an dieser Stelle der Frage nachgegangen werden, ob und inwieweit die Varianz zwischen stimmhaften und stimmlosen Lauten auch als Verfahren zur Kennzeichnung subjektiver Einstellungen und der Modifikation von Illokutionen fungieren kann. Auf die Haltung, die ein Sprecher gegenüber seinen eigenen Aussagen einnimmt, wird mit dem Begriff der Modalität referiert: «La modalidad es un concepto que se refiere a la relación que se establece entre el Locutor y los enunciados que emite» (Calsamiglia Blancafort/Tusón Valls 2001, 174). Ähnlich wie in den zuvor aufgeführten Sequenzen, ist es in den nachfolgenden beispielhaften Redeabschnitten besonders komplex, die gleichzeitig im Diskurs in Interaktion tretenden Parameter zu differenzieren und das tatsächlich Funktion bzw. Wirkung tragende Element zu identifizieren. Es sei daher nochmals auf den interpretatorischen Charakter der Erläuterungen hingewiesen.
4.6.4.1.1 Ausdruck von Subjektivität Die Position eines Sprechers gegenüber Gesagtem kann über eine Reihe von sprachlichen, aber auch parasprachlichen Strategien zum Ausdruck gebracht werden (cf. Intonation, Sprechgeschwindigkeit in Absatz 4.6.3.2). Verfahren der Modalisierung fokussieren dabei unterschiedliche Bereiche und können bei Satzskopus die subjektive Markierung eines ganzen Satzes bedeuten oder aber lediglich auf lexikalische Entitäten Bezug nehmen. Im Folgenden wollen wir uns den Versprachlichungen zuwenden, die die graduelle Markierung des
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Geltungsanspruches in Bezug auf die Korrektheit des propositionalen Gehalts der geäußerten Information betreffen. In den der qualitativen Analyse zugrunde liegenden Interviews ist bei assertiven Sprechakten der Meinungsäußerung wiederholt ein Rückgriff auf den stimmhaften Frikativ [ʒ] und seine affrikatische Realisierung [dʒ] zu beobachten. Die verwendeten Verben der Meinungsäußerung creer, pensar, suponer betonen ihrer Semantik nach zum einen den subjektiven Standpunkt des Sprechers hinsichtlich eines Sachverhalts, zum anderen implizieren sie aber eine Einschränkung der kommunikativen Verantwortung mit Blick auf den propositionalen Gehalt einer Äußerung; eine Korrelation dieser beiden Funktionen darf jedoch nicht vorausgesetzt werden:147 Interviewsequenz (26), Informantin N° 1 (Gespräch über das Ausbleiben des Besuchs des Papsts und die anstehenden Wahlen) F I [ F [ [ I [
F
I
Sí. ¿Y (-) por qué [el Papa] ahora no viene a Argentina? ¿Si está tan cerca? Es una buenísima pregunta Realmente no sé si estará esperando el momento indicado para hacerlo, si tendrá que ver/ son todas movidas políticas. ¿Tiene que ver con las elecciones (-) ahora en octubre? Posiblemente, posiblemente. Además (-) es un momento muy especial de Argentina, donde hay mucha, mucha división entre (-) entre el gobierno y la oposición y realmente/ además hubo controversia con la elección de este papa, ¿lo sabés? [. . .] Vos pensás que cada movida pre electoral es pensada veces para que no impacte de manera negativa, así que si (--) si hay algún riesgo en este sentido, supongo ʒo que el gobierno prefiere postergar. Sí. (--) Hay mucha crítica igual (-) de este gobierno, yo escucho muchas veces a gente que no está contenta, que critican muchas leyes. ¿Vos pensás que/ que consiguen de vuelta la mayoría, ahora en las elecciones de octubre? La verdad no lo sé. ʒo, eh (-) tengo mis dudas, pero (-) pienso que hay un alto porcentaje que sí vuelven a ganar, porque tienen muchísimo apoʒo. Además hay (-) creo ʒo, han armado una red importante de sostén del gobierno con la gente (-) que les apoʃa, que de hecho son muchas y, muchas personas. Y (--)la verdad que ʃo soy una persona bastante alejada de la política, ese es mi punto de vista digamos. No me/ no me puedo involucrar y supongo ʃo que es porque todo lo que hago en el resto de mis actividades (-) tiene que ver con la pasión que me impulsa a hacer la acción (-) cualquiera sea.
Das in Z. 17 verwendete «creo yo» kann man als Beispiel epistemischer Modalität interpretieren: Die Sprecherin äußert hier nicht direkt eine eigene Meinung zum politischen Geschehen, sondern sie markiert ihre Ausführungen rund um die 147 Cf. hierzu De Saeger (2007).
250
4 Auswertung
politische Unterstützung der aktuellen Regierung als Vermutung, die sie zwar für wahrscheinlich hält, auf deren Wahrheitsgehalt sie sich aber nicht festlegen will. Ähnlich verhält es sich in Z. 11: Da der Papst in einem kritischen Verhältnis zur Regierung Kirchner zu stehen scheint, ist sich die Sprecherin relativ sicher, dass sein Besuch in Argentinien aufgrund des Wahlkampfes noch ausbleibt. Im Unterschied zu Z. 20 referieren beide Annahmen auf allgemeine Wissenskontexte. Neben den genannten pragmatischen Erklärungsmodellen darf nicht außer Acht gelassen werden, dass es sich bei den Alternanzen in Interviewsequenz (26) auch um einen diaphasisch markierten Prozess handeln kann: Bei der Hinwendung zu politischen Sachverhalten oder Vermutungen realisiert die Informantin die in diesem Kontext auftretenden Frikative stimmhaft, referiert sie demgegenüber auf sich als Person, artikuliert sie stimmlose Realisierungen (cf. Z. 19).148 Stimmhaftigkeit könnte demnach, um auf die Definition Dittmars zurückzukommen, als sprachliches Mittel für «zweckbestimmte Handlungen im Rahmen spezifischer Diskurstypen» fungieren.149 Im vorliegenden Fall bestünde das Handlungsziel also darin, die Subjektivität der Einschätzung von politischen Angelegenheiten zu unterstreichen, mit der Prämisse, keinen Wahrheitsgehalt auf diese Beurteilung zu beanspruchen. Variation ist demnach, wie bereits mehrfach vermutet, nicht unbedingt durch verschiedene Formalitätsgrade bedingt, sondern scheint vielmehr vom jeweiligen Diskurs- bzw. Handlungstyp und der damit einhergehenden Ausdrucksfinalität des Sprechers abhängig zu sein.150 Ein ähnliches Bild ergibt sich in den folgenden Interviewsequenzen: Interviewsequenz (27), Informantin N° 3 (Gespräch über politische Reformen) I
dʒo soy muy crítica de las cosas que me parecen que están mal, que hay muchas que me parecen que están mal.
Interviewsequenz (28), Informantin N° 3 I
Así que/ o sea en este sentido noto que quedan muchas cosas por hacer y muchas conquistas por conseguir (-) y (--) la verdad es que/ o sea (-) por ejemplo con respecto a la vivienda dʒo creo que todavía no hay una medida que favorezca claramente a/ (-) a las clases más/ más necesitadas, dʒo creo que por el momento está beneficiando a la clase media
148 Auch die Lektürephasen erfolgten fast durchweg unter dem Einsatz stimmhafter Laute; evtl. liegt bei der Sprecherin eine registerabhängige Variantenpräferenz vor. 149 Cf. Dittmar (1997, 223), cf. Kapitel Methodisches Vorgehen. 150 Die Bündelung dieser Faktoren kann wiederum mit einem bestimmten Stil in Verbindung gebracht werden (cf. Dittmar 1997: «Registerstil»).
4.6 Varianz im freien Gesprächsteil
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Interviewsequenz (29), Informantin N° 3 Todo eso hace a la equi/ a la equidad, ʃa no digo a la igualdad pero a la equidad, entonces/ ¿que hacés Aldi?(--) Entonces, eh/ dʒo creo que una forma de e/ equilibrar es darle a la gente aqueʃo que no puede conseguir por sí misma porque [ no es que todos pueden conseguir lo mismo, con el mismo esfuerzo, no es así. F [ No (-) no es así. I Alguien que no tiene calificación profesional va a terminar trabajando en tr/ en trabajos poco/ ma/ mal rentados y no va a poder avanzar. Entonces, tʃo creo que sí es muy importante darles aʃuda, claro que sí. No es un privilegio (-) es una necesidad, es una reparación (-) de algo que les fue robado. I
Anders als in (26) manifestiert sich in den Auszügen (28) sowie (29) keine Einschränkung der kommunikativen Verantwortung gegenüber dem Wahrheitsgehalt der Proposition. Der Formulierung «yo creo» (Sequenz 28, Z. 3; 29, Z. 2, 8) wohnt hier vielmehr eine argumentative Funktion inne, die in erster Linie die persönliche Überzeugung der Sprecherin zum Ausdruck bringt. Im Sinne De Saegers läge hier eine durch die Meinung des Sprechers geschaffene Realität vor: Al presentar el evento de manera subjetiva, cambia el estatuto del contenido: ya no es una realidad, sino una posible realidad. La gran diferencia con los usos evidenciales es que estos últimos no afectan el estatuto del contenido enunciativo: una opinión sigue siendo una opinión, un evento real sigue siendo, en los ojos del hablante, un evento real, etc. (De Saeger 2007, 273)
Der semantische wie pragmatische Unterschied der Sequenzen schlägt sich darüber hinaus auf syntaktischer Ebene nieder: Während bei Sprecherin N° 3 eine weitgehend syntaktisch integrierte Satzform vorliegt, fällt bei Sprecherin N° 1 die durch Rechtsversetzung erwirkte Segmentierung auf (26, Z. 11, 17). Dadurch wird die schon begonnene Formulierung der Proposition («Además hay . . . », Z. 16) nachträglich als wahrscheinliche Vermutung präzisiert, wohingegen in (28) Z. 4 und (29) Z. 8 die syntaktische Struktur weitgehend gewahrt bleibt. Das stimmhaft realisierte creo yo bzw. yo creo korreliert mit diesen pragmatischen, semantischen und syntaktischen Parametern, übernimmt in der Konsequenz des Gedankens aber unterschiedliche Funktionen: Bei Sprecherin N° 1 wirkt das stimmhafte Allophon modalisierend und stützt den subjektiven Charakter der Einschätzung, wodurch diese in ihrem Gültigkeitsanspruch abgeschwächt wird; bei Informantin N° 3 hingegen verstärkt es den Ausdruck an Gewissheit des eigenen Standpunktes. Die Beispiele unterstreichen, dass bei dem zur
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4 Auswertung
Diskussion stehenden Phänomen nur mit Einschränkung eine allgemeingültige Vergleichbarkeit der Variantenverwendung angenommen werden kann, innerhalb eines Sprechers im Sinne einer intrasubjektiven Variation aber Regelmäßigkeiten ausgemacht werden können. Quantitativ wurden bei Sprecherin N° 3 während des Interviewteils insgesamt elf affrikatisch realisierte Varianten dokumentiert. Alle Affrikata traten in Verbindung mit dem Personalpronomen yo auf, wobei in sieben Fällen die eigene Position gegenüber allgemeinen und persönlichen Inhalten gekennzeichnet wurde. Damit scheint im Falle von Sprecherin C. sowohl die stimmhaft als auch die stimmlos realisierte Affrikate [dʒ] bzw. [tʃ] in Abhängigkeit diskurs-pragmatischer Faktoren wie der Illokution, dem referentiellen Kontext und der Ausdrucksfinalität eine sekundär lexikalische Markierung zu besitzen. Auffällig ist die affrikatische Realisierung zum Ausdruck persönlicher Einschätzungen und Haltungen auch bei Sprecherin N° 4:151 Interviewsequenz (30), Informantin N° 4 (Bericht über Demonstrationen in Spanien) I
Entonces ahí me di cuenta que estas personas estaban solas (-) No había una sociedad que las acompañara. No había mucho menos una política que los acompañe (-) Bueno, tʃo creo que en el/ en/ (-) a/ acá eso, es/ es un poco al revés, eh (--) Suele haber bastante (-) adhesión a las manifestaciones y, eh (-) y acompañar, y existen colectivos muy grandes y/ bueno.
Interviewsequenz (31), Informantin N° 4 (persönliche Angaben) F I
Qué lindo. (--) Sí, eh (-)¿cuánto tiempo estuviste en España? En España de/ (-) de grande, ehm viví más o menos/ (-) tʃo creo que cuatro años y medio.
Zur weiteren Diskussion der Frage, inwieweit der Varianz der Postalveolare [ʒ] und [ʃ] eine modalisierende Funktion zugesprochen werden kann, soll die bereits in Absatz 4.6.2.1.1 zitierte Sequenz nochmals aufgegriffen werden:
151 Da die Fälle auf der Grundlage weniger Informanten diskutiert werden, darf eine Verallgemeinerung des ermittelten Vorkommens nicht stattfinden. Auffallend ist aber die ausgeprägte Tendenz affrikatischer Realisierungen in dem beschriebenen Kontext, die darüber hinaus auch bei Informanten, die nicht Gegenstand der qualitativen Gesprächsanalyse sind, registriert wurden.
4.6 Varianz im freien Gesprächsteil
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Interviewsequenz (32), Informantin N° 1 (Gespräch über Pastor der Kirche San Patricio) I
El padre, Eli, que era el párroco, eh daba unos sermones increíbles, se/ la iglesia se ʒenaba de gente y era justo la época de la di/ dictadura de acá.
Im Unterschied zu den vorangehenden Beispielen, in denen sich die jeweiligen Funktionen und Wirkungen aus der Wahl bzw. Abgrenzung einzelner Varianten zueinander ergaben, gründet der modalisierende Effekt hier nicht in der Verwendung des stimmhaften Allophons selbst, sondern vielmehr in dem durch Dauer und Intensität gesteigerten Friktionsgeräusch. Infolgedessen entsteht zum einen der Eindruck einer Verstärkung des semantischen Gehalts des Wortes llenaba, zum anderen offenbart die Sprecherin aber auch ihre subjektive Einstellung gegenüber dieser Begebenheit und die Intention, das Gegenüber auf die Eindrücklichkeit des Ereignisses hinzuweisen. Eine deutsche Entsprechung könnte in etwa «die Kirche hat sich immer so richtig gefüllt» lauten. Anders als es bei Satzadverbien der Fall ist, beschränkt sich die modalisierende Nuance auf das Verb, es besteht daher kein Satzskopus. 4.6.4.1.2 Abschwächung In Abschnitt 4.6.2 wurde die sporadisch auftretende Stimmhaftigkeit mit einer gewissen Hervorhebung bzw. Verstärkung des jeweiligen Segments in Verbindung gebracht. Das vorliegende Beispiel zeigt, dass je nach Kontext auch die Möglichkeit zum Ausdruck von Abschwächung in Betracht gezogen werden kann: Interviewsequenz (33), Informantin N° 1 (Gespräch über anstehende Wahlen) F I
¿Vos pensás que/ que consiguen de vuelta la mayoría, ahora en las elecciones de octubre? La verdad no lo sé. ʒo, eh (-) tengo mis dudas, pero (-) pienso que hay un alto porcentaje que sí vuelven a ganar, porque tienen muchísimo apoʒo.
Wie in Sequenz (32) fällt die Artikulation von yo durch die Intensivierung des stimmhaften Frikativs auf, versehen mit einer lautlichen Dehnung des Endvokals. Der Rezipient kann bereits an dieser Stelle, noch bevor die Sprecherin ihre Zweifel explizit offenlegt, einen gewissen Vorbehalt erahnen; durch das Zusammenspiel von Stimmhaftigkeit, gedehnter lautlicher Realisierung und Intonation wird hier eine Konnotation transportiert, die der deutschen Modalpartikel schon nahekommt und eine Einschränkung bzw. Distanzierung der eigenen Position zu möglichen Gegenargumenten erkennen lässt. Eine Übersetzung
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4 Auswertung
könnte sein: «Ich hab da schon (so) meine Zweifel».152 Trotz dieser Nuance liegt hier weniger ein Fall von Abtönung vor, als vielmehr eine Form von atenuación. Abschwächungsphänomene treten Briz zufolge dann auf, wenn der Sprecher versucht, den Anspruch auf Gültigkeit seiner eigenen Position abzuschwächen und sich von diesem gewissermaßen distanziert: «La atenuación se entiende como minimización del punto de vista cuando existe o puede existir desacuerdo. [. . .] así el hablante se distancia o distancia al tú de lo expresado» (Briz 2005, 63). Dass der Gesprächspartner die Haltung der Sprecherin zum Diskussionsgegenstand unter Vorbehalt aufnehmen soll, deutet sich bei der Artikulation von yo bereits an, und wird durch die Formulierung «tengo mis dudas», die sie der nachfolgenden Argumentation voranstellt, schließlich expliziert. In diesem Sinne können auch die zuvor in 4.6.4.1.1 diskutierten Beispiele aus Interviewsequenz (26) als dem Prinzip der atenuación geschuldete Erscheinungen begründet werden. Sowohl in Fall (32) als auch in Beispiel (33) ist die Artikulation von einer Modulation der Grundfrequenz begleitet.153 Die Frage, ob die modalisierende, abschwächende oder abtönende Komponente tatsächlich auf die Intensivierung des stimmhaften Lauts zurückzuführen ist oder sich letztlich allein aus dem Intonationsverlauf ergibt, kann nicht eindeutig geklärt werden; an dieser Stelle scheint ein Zusammenwirken beider Faktoren plausibel. Diese Deutung kann mit Blick auf Interviewsequenz (10) gestützt werden, in der ebenfalls eine Korrelation zwischen dem Ansteigen der Grundfrequenz und der stimmhaften Variante aufgezeigt und eine zusammengenommen modalisierende Wirkung nahegelegt wurde. 4.6.4.2 Ausdruck von Affektivität Nach Koch/Oesterreicher stehen Sprechern in Situationen starker Emotionalität diverse sprachliche Strategien zur Verfügung, um dem Gegenüber die eigene emotionale Verfassung kenntlich zu machen. Unter Absatz 4.6.2.1 wurde die
152 Cf. zu den Entsprechungen der deutschen Modalpartikel schon im Spanischen Beerbom (1992). Koch/Oesterreicher zählen die lautliche Dehnung zu den Überbrückungsphänomenen, den hesitation phenomena (cf. Koch/Oesterreicher 2011, 54), was an dieser Stelle die Interpretation einer gewissen Distanz bzw. der Notwendigkeit von Zeit, um sich nicht gänzlich festlegen zu müssen, unterstützt. 153 Cf. dazu Kabatek (2004). Insgesamt ist die Intonation des porteño-Spanischen, die durch ihren charakteristischen Tonhöhenverlauf, die Grundfrequenz, deutlich von den anderen kastilischen und amerikanischen Varietäten abzugrenzen ist, in den letzten Jahren zunehmend ins Zentrum des Interesses gerückt. Cf. dazu Gabriel (2006); Colantoni/Gurlekian (2004); Feldhausen/Benet/Pešková (2011).
4.6 Varianz im freien Gesprächsteil
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stimmhaft postalveolare Lautproduktion als ein solches Mittel zur expressiven Steigerung erhöhter Emotionalität in Erwägung gezogen. Im Unterschied dazu wird im Folgenden jedoch nicht nur von einer intendierten Verstärkung von Gefühlen wie Erstaunen, Wut oder Kritik ausgegangen, sondern es kann darüber hinaus ein aus der Emotionalität resultierendes Phänomen vermutet werden: Interviewsequenz (34), Informantin N° 4 (Gespräch über Schwierigkeiten während Auslandsaufenthalt in Madrid) I
Sí, muy lindo (-) Pero/ a mí lo que me costó en/ en Madrid era/ (--) era tener un [ punto de conexión, tʃo tenía/ acababa de cumplir años. Me costaba/ F [ Muy joven. I Sí, sí, era/ (-) era chica, y (-) tʃo o sentía que con la gente de mi edad, no/ no tenía conexión, entonces, eh/ y estaba con gente grande de años, de .
Interviewsequenz (35), Informantin N° 4 No, eran/ eran pensamientos e intereses muy diferentes. Es cierto que ʃo era una chica de/ de años que estaba no solo lejos de su familia (-) sino que estaba a miles de kilómetros de su casa materna. tʃo no/ no tenía la opción de irme en un fin de semana a visitar a/ a/ a mis padres. Eso/ eso cambia, cambia mucho a uno. Pero (--) de todas formas, eh (-) ʃ/ sentía que en las conversaciones, cuando salíamos a/ a bares, eh, todo lo que s/ (-) lo que empezaron a hablar, todos los temas que sacaban, (-) no me interesaban. En absoluto. Y los que ʃo quería comentar y hablar a eʃos no les interesaba (-) Era mutuo, entonces ʒo/ (-) tʃo, no/ no les interesaba y eʒos no me interesaban a mí. Eso fue como el primer/ (-) [ primer golpe. F [ Claro, es difícil. I
Die Sprecherin referiert auf einen vergangenen Zeitraum, wobei sie keine Handlungsabläufe oder Ereignisse beschreibt, sondern konkret ihren Gefühlszustand gegenüber Selbsterlebtem offenlegt und ihre Hilflosigkeit und Enttäuschung angesichts der Schwierigkeiten, Kontakte zu Gleichaltrigen zu knüpfen, formuliert.154 [tʃ] und [ʒ] können hier als Ausdruck und Mittel affektiver Selbstreferenz verstanden werden. Diese koinzidiert in Z. 9 mit einer semantischen Kontrastierung («ellos»), wodurch ihr Gefühl des Alleinseins und der Enttäuschung verstärkend hervorgehoben wird. Damit vollzieht sich die Deviation von der ermittelten Grundtendenz [ʃ] abermals in Zusammenhang mit der Gegenüberstellung 154 Cf. dazu den Beginn des Gesprächs, in dem die Sprecherin von ihrem Studienaufenthalt in Barcelona berichtet. Hier bleibt trotz geschildeter Schwierigkeiten an der Universität eine explizite emotionale Selbstreferenz aus; die Sprecherin verwendet hier ausschließlich das stimmlose Allophon [ʃ].
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4 Auswertung
außerhalb des Handlungskontextes liegender Entitäten. Durch den Kontrast zu ihren spanischen Kommilitonen wird ihre Ernüchterung angesichts fehlender Kontakte und nicht übereinstimmender Interessen verstärkt. Eine ähnliche Wirkung ergibt sich in Z. 3s. durch den Ausschluss von Alternativen. Dass der affrikatischen Realisierung auch eine abtönende Funktion anhaften kann, wird im folgenden Beispiel evident, in dem sich die Sprecherin zu Demonstrationen in Spanien äußert, die aufgrund von Arbeitslohnsenkungen stattfanden: Interviewsequenz (36), Informantin N° 4 (Gespräch über Demonstrationen in Spanien) F I
[ Sí, ¿no? Cada día hay algún corte. [ demasiadas avenidas cortadas, tal vez es/ es lo opuesto, ¿no? Es demasiado, pero/ (-) pero (-) a mí me sorprendía porque tʃo iba en el colectivo y viendo a esa gente y decía «son familias. familias que tʃa no tienen (-) el ingreso que tenían antes, ingreso económico (-) Y solo hay personas y estas personas están relativamente tranquilas» (--)
Abermals steht das affrikatisch realisierte Segment in Kontrast zu einer anderen semantischen Einheit, in diesem Fall zu einem früheren Zeitpunkt, zu dem die Familien über ein höheres Gehalt verfügten (ya no – ingreso de antes). Auffällig ist vielmehr, dass das affrizierte ya hier die Nuancierung einer emphatischen Feststellung erhält, die über den semantischen Gehalt des Wortes hinausgeht. Hinter dem Variantenwechsel der überwiegend stimmlos realisierenden Sprecherin könnte daher die Intention stehen, den Hörer auf die Evidenz und Folgenschwere der Problematik hinzuweisen (im Sinne von es que ya no tienen el ingreso que tenían antes).155 Wie schon bei Sprecherin N° 3 ist auch bei Informantin N° 4 die Affrizierung ausschließlich an die Einsilber yo und ya gebunden. Auffällig ist bei Sprecherin N° 4 zudem, dass die Häufung an affrikatisch realisierten Präpalatalen erst im letzten Drittel des Gesprächs zu Tage tritt. Dies mag zum einen themenspezifische Gründe haben, zum anderen muss aber durchaus die Frage gestellt werden, welche Rolle dem Gesprächsverlauf als solchem bei der Variantenverwendung zukommt. Kommunikationsbedingungen wie Vertrautheit der Gesprächspartner und Emotionalität können sich im Laufe eines Gesprächs im Vergleich zur Ausgangssituation verändern und in Richtung größerer kommunikativer Nähe entwickeln; ebenso ist natürlich eine entgegengesetzte Progression möglich. Mit der fortschreitenden Dauer eines Gesprächs und der im günstigen Fall wachsenden Vertrautheit der an der Kommunikation Beteiligten geht unmittelbar eine Steigerung der gemeinsamen Kommunikationserfahrung einher, die 155 Cf. auch Cárdenes Melián (1996).
4.6 Varianz im freien Gesprächsteil
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nach und nach einen individuellen Wissenskontext der Partner aufbauen kann (cf. Koch/Oesterreicher 2011). Wertet man den Rückgriff auf stimmhafte Varianten in Abgrenzung zu einer ansonsten überwiegend stimmlosen Realisierungstendenz auch als Zeichen von Affektivität – sei es als Verstärkung der Emotionalität, Subjektivität usw. – so muss doch dem Umstand Rechnung getragen werden, dass diese sich oftmals erst nach Bestehen eines bestimmten emotionalen Verhältnisses der Gesprächspartner zueinander offenbart.156 In jedem Fall zeigt das Beispiel von Sprecherin N° 4, dass sowohl die Ermittlung einer Grundtendenz als auch die Erfassung des Variantenspektrums insgesamt durch eine zeitlich nur sehr kurz angesetzte oder stilistisch beschränkte Interviewphase nicht ausreichend definiert werden können.
4.6.5 Referenz In Abschnitt 4.6.2.1.1 wurde die Wahl des stimmlosen bzw. stimmhaften Postalveolars mit dem Kommunikationsziel des jeweiligen Sprechaktes in Verbindung gebracht. Im Folgenden wird dieser Gedanke fortgeführt und darüber hinaus mit dem Referenzbereich der Proposition verknüpft. Im Gespräch mit Informant N° 5 nannte dieser im Zusammenhang mit einem Hund, der ihm erst vor kurzem auf der Straße zuglaufen war, insgesamt fünf Mal das Wort calle, wobei drei Realisierungen als stimmhafter Präpalatal [ʒ] und zwei als stimmloses [ʃ] ausgesprochen wurden. Vermutete Unterschiede hinsichtlich des Sprechtempos, das bei einer Erhöhung der Sprechgeschwindigkeit die für N° 5 ermittelte allgemeine Lenisierungstendenz fortführen und Assimilationsprozesse an die intervokalische stimmhafte Umgebung in Gang setzen kann, konnten zwar auf auditiver Ebene ausgemacht, akustisch aber nicht hinreichend nachgewiesen werden. Der nachfolgende Erklärungsansatz versteht sich daher ausdrücklich als Möglichkeit, die Deutungen auf anderer Ebene nicht ausschließt. Übergeordnetes Thema der drei folgenden Sequenzen sind Straßenhunde in Buenos Aires, Unterschiede ergeben sich jedoch in der konkreten Referenz: Interviewsequenz (37), Informant N° 5 F I
¿Qué perro tenés? Eh no, es mestizo. La encontré en la caʃe hace un mes.
156 Nicht ohne Grund ist das politische Thema, das emotionale Verhaltensweisen provozieren kann, an so später Stelle im Interview angesetzt. Zu einem früheren Zeitpunkt wären manche der hier erfassten Äußerungen von den Sprechern evtl. gar nicht formuliert worden.
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4 Auswertung
Interviewsequenz (38), Informant N° 5 I
Claro, que sepa/ que sepa las horas, que se acostumbre a las horas. Pero igual así (-) es difícil. Por ahora sigue haciéndose pis y (-) quizás ahora, bueno, aʃer, después de la operación, las pirmeras horas m/ hizo pis en lugares diferentes. F Cansa mucho, ¿no? Esa situación. I Encima te cansa, le debés tener mucha paciencia. Porque tenés que entender que no lo hace por malo tampoco con vos, [. . .] F Sí, el gato mía/ mío ya sabía, porque (-) porque ya hacía bastante que estuvo en [ este lugar, entonces ya estaba acostumbrado, ya sabía cómo/ I [ Ah sí No, el mío lo encontré en la caʃe, era/ (-) igual tiene dos o tres años.
Interviewsequenz (39), Informant N° 5 I
Claro, o sea (-) sé que seguramente está mejor que en la caʃe (-) Ahí está abrigado.
In Sequenz (37) bis (39) referiert der Sprecher auf seine persönliche Lebenswelt: Er erzählt von seinem eigenem Haustier, womit er sich auf einen konkreten situativen Kontext bezieht und mit dem Rezipienten damit verbundene individuelle Erfahrungen, Sorgen und Hoffnungen teilt. In den Sequenzen (40) und (41) ist diese Spezifizierung durch eine Verallgemeinerung des Bezugsgegenstandes aufgehoben: Interviewsequenz (40), Informant N° 5 I F I
[ El único problema que tengo es que hace pis adentro de la casa. (-) Es el único [ Claro problema y quizás los gatos se acostumbran más rápidio (-) porque tenés/ no los tenés que sacar a pasear, y tenés la cajita ahí, o sea/ por más de que implica un/ un cuidado el traer un gato, el traer un perro de la caʒe es un poco más complicado.
Interviewsequenz (41), Informant N° 5 I
Una cuestión de/ por lo que se maneja todo, entonces, y/ por más que no estoy de acuerdo con el tema de comprar animales. (--) No/ no me parece correcto si hay/ si ha/ si comprás uno, o sea estás fomentando (-) un criadero, o sea que tiene muchos hijos, y hay/ hay perros en la caʒe que lo necesitan mucho más.
Anders als in (38) und (39) äußert Sprecher N° 5 hier seine Überzeugung hinsichtlich der generellen Problematik bei der Domestizierung frei lebender
4.6 Varianz im freien Gesprächsteil
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Hunde sowie seine kritische Haltung gegenüber Hundezüchtern. Es geht also auch um die Vermittlung allgemeiner Wertevorstellungen, die nicht an eine konkrete Situation, sondern an universale Wissenskontexte geknüpft sind (cf. auch Morphologie tenés, comprás). Anders als in Beispiel (26) liegt hier keine epistemisch konnotierte Form der Meinungsäußerung vor, der Sprecher bringt vielmehr seine persönliche Überzeugung zum Ausdruck und die Intention, ein gewisses Einverständnis seitens des Rezipienten zu erlangen. Sowohl in (40) als auch in (41) manifestiert sich abermals eine gewisse Kontrastierung (gato – perro de la calle, perro de un criadero – perro en la calle); da bei Sprecher N° 5 in Fällen semantischer Gegenüberstellung allerdings auch diverse stimmlose Realisierungen ausgemacht wurden, scheint die stimmhafte Artikulation zur Markierung der referentiellen Differenz zwischen persönlichem, individuellem Kontext und universal, allgemeinem Bezugsgegenstand plausibler.
4.6.6 Lexikalischer Bereich In Kapitel 4.4 wurde der Palatal /ʝ/ insbesondere bei Entlehnungen wie yodo im Sprachraum Buenos Aires als weitgehend lexikalisch gebunden deklariert. Auch der stimmlose Postalveolar [ʃ ] ist zumindest bei der Artikulation von adaptierten Anglizismen wie shopping nahezu gänzlich an diese Lexeme geknüpft und lässt nur in den erwähnten Ausnahmefällen Varianz zu. Im Rahmen der Gespräche stellte sich zudem heraus, dass er in allen Sprechergruppen an den Nachnamen der ehemaligen Präsidentin Cristina Kirchner gebunden ist. Eine Vermutung, wonach ebenfalls das stimmhafte Allophon [ʒ] in Dependenz bestimmter Lexeme vermehrt auftritt, konnte in den vorliegenden Gesprächen lediglich durch die Realisierungen von Sprecher N° 2 bei der Benennung seines Wohnortes Villa Crespo bestätigt werden: Interviewsequenz (42), Informant N° 2 (persönliche Angaben) F I F I F I F I F
¿Dónde vivís? Eh, ¿qué barrio? Sí. Viʒa Crespo. Ah, te queda un poco más lejos. Sí estoy en el barrio de al lado de Palermo digamos. ¿Ah sí? Es barrio así de/ Son limitados, los límites están pegados. Ah, no sabía.
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4 Auswertung
I F I F
[ [
I F I
[ [
Sí, están pegados. Ah claro, ¿queda al lado de Almagro? Viʒa Crespo, Almagro, Palermo, Cabaʃito, todo junto digamos. Ah, ok. ¿Te queda lejos el colegio? No, eh, doce cuadras. Ah, está bien. O sea, es directo. Paso Avenida Córdoba, y ʃa es Viʃa Crespo, ahí comienza Viʒa Crespo, no es tan lejos.
In Abgrenzung zu dem im gleichen Kontext aufgeführten Viertel Caballito lässt die wiederholt stimmhafte Artikulation von Villa Crespo den Schluss zu, dass es sich dabei um eine sprecherintern phonologisch weitgehend verankerte Lexikalisierung handeln könnte, die im Laufe des Gesprächs auch an späterer Stelle mehrfach auftritt. Dass diese unter Bezugnahme auf den Heimatort und nicht etwa auf einen anderen Stadtteil besteht, könnte in der Biographie des Sprechers begründet sein. Auffällig zeigte sich in dieser Hinsicht außerdem Sprecherin N° 8, bei der drei von den insgesamt sieben stimmhaft realisierten Präpalatalen auf die Aussprache ihres Wohnorts Caballito fallen. Plausibler als eine lexikalisch motivierte Erklärung scheint allerdings die auch für Informantin N° 8 bescheinigte allgemeine Lenisierungstendenz junger Sprecher. Derzufolge begünstigen die Reduktion von [k] und [t], der Approximant [β] sowie die intervokalische Umgebung aus Gründen der Ökonomie eine stimmhafte Realisierung [ʒ] (cf. Abschnitt 4.6.1.1). Da Informant N° 2 ebenfalls Tendenzen konsonantischer Reduktion aufwies, könnte seine lautliche Realisierung auch als eine Ausprägung eines spontanen ʒeísmo gewertet werden. Eine solche Interpretation müsste allerdings nicht als Widerspruch zu einem lexikalischen Input begriffen werden, sondern würde die lexikalische Gebundenheit stattdessen auf die gesamten Reduktionserscheinungen in Villa Crespo ausweiten.
4.6.7 Themenbedingte Variation Betrachtet man die textstrukturelle Ebene insgesamt, lässt sich bei einigen Informanten hinsichtlich der Präsenz der präpalatalen Varianten eine Verdichtung bei der Ausführung bestimmter Themen feststellen. Zum Abschluss der Gesprächsanalyse sollen im Folgenden einige exemplarische Sequenzen besprochen werden, wobei es abermals zu bedenken gilt, dass auch hier die Koinzidenz von Thema und kommunikativer Absicht berücksichtigt werden muss:
4.6 Varianz im freien Gesprächsteil
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Interviewsequenz (43), Informantin N° 3 (Gespräch über ihr Hobby als Geschichtenerzählerin) I
F I F I
[ [ [ [ [ [
Y era un cuento en que (-) una mujer/ no, no importa/ eh, estaba/ entraba/ estaba cubierta con un tapado de piel, lo dejaba caer y estaba desnuda. ʃo estaba totalmente vestida y me había puesto un abrigo sobre los hombros y lo dejé caer, se escuchó «Joooooo» Y pensaron que ahora/ Claro. Pero, tʃo dije «qué maraviʃa», como estaban compenetrados de lo que escuchaban. Porque ʒo estaba totalmente vestida. Claro, pero pensaron que/ Y se habían/se habían eh/ compenetrado tanto de la historia que hicieron «joooo» cuando ven que cae el abrigo (--) Así que (-) sí, me gusta, es muy lindo, la verdad que es muy lindo, porque además, contra lo que mucha gente piensa estimula a leer. Porque cuando uno les cuenta un cierto cuento, enseguida vienen los chicos a preguntar de dónde salió ese cuento (--) «¿Puedo leerlo?» Entonces ʒo siempre les advierto «Mirá que no es igual a como ʃo lo conté». Una cosa es lo que está escrito, y otra cosa es lo que se relata (-)Y/ y les hablo mucho también de los relatos de trasmisión oral (-) Me gusta mucho contarles leʃendas, cuentos de los pueblos originarios de acá. (-) Les gusta mucho a eʃos también.
In Sequenz (43) berichtet die Informantin von einem vergangenen Erlebnis, das sie in ihrer Funktion als Geschichtenerzählerin mit einer Gruppe von Kindern hatte. Sie beschreibt ihre positive Verwunderung angesichts der Reaktionen ihres Publikums und informiert über ihre Vorlieben, die mit dieser Tätigkeit zusammenhängen. Der stimmlose Laut [ʃ] dominiert in dieser Sequenz und auch insgesamt überwiegt diese Realisierung mit ca. 78% bei der Ausführung vergangener oder persönlicher Ereignisse durch Informantin N° 3. Beispiel (44) wurde im Zusammenhang mit den von der Regierung verabschiedeten Sozialreformen geäußert: Interviewsequenz (44), Informantin N° 3 F I
Sí, pero no toda la gente tiene un sentimiento/ (-) un sentido social digamos, ¿no? [ A mucha gente le parece mal lo de las asignaciones. [ Claro. Sí, seguro. Es que no les gusta que la ge/ o sea, entienden que/ (-) como eʒos/ o sea/ (-) creo que no hay una mirada (---) ju/ justa, objetiva (-) sincera con respecto al origen de sus propias fortunas. ¿De dónde salió la fortuna familiar? (-) Eʒos no roban porque ʒa robaron sus antepasados. Pero entienden que lo que tienen, y lo tienen por un derecho divino o algo así (-) y no es así (-) Entonces, entienden que eʒos tienen su fortuna y que/ eh el que quiera tener lo mismo tendrá que trabajar.
262
4 Auswertung
Anders als in (43) referiert die Sprecherin hier nicht auf ihre persönliche, individuelle Lebenswelt, sondern auf einen allgemeinen, politisch situierten Wissenskontext, indem sie die Haltung der clase alta zu den Sozialreformen beklagt. Dieser politisch und gesellschaftskritisch geprägte Gesprächsteil entwickelt sich im letzten Gesprächsdrittel und beinhaltet mit circa 27% weit weniger stimmlos artikulierte Allophone gegenüber den 40% verzeichneter stimmhafter Realisierungen. Natürlich kann eine thematisch motivierte Varianz als mögliche Erklärung herangezogen werden, plausibler scheint jedoch die bereits in den vorangegangenen Kapiteln ausgeführte These, wonach ein Zusammenhang zwischen den gesprochenen Varianten und den an bestimmte Diskursformen gebundenen Sprechakten besteht. Sowohl in (43) als auch in (44) manifestiert sich seitens der Sprecherin eine gewisse Affektivität, positiv wie negativ, gegenüber ihren Schilderungen; die kommunikative Finalität, mit der die Sprechhandlungen verknüpft sind, unterscheidet sich aber grundlegend. Angeregt durch den thematischen Stimulus und die Kritik implizierenden Äußerungen der Forscherin formuliert die Sprecherin gesellschaftskritische Gedanken (cf. 44), während sie in (43) erfreut von ihren Erfolgen als Geschichtenerzählerin spricht. Dass es sich bei der Variation der Postalveolare um ein Element zur Markierung unterschiedlicher stilistischer Formalitätsgrade handelt, kann im Rahmen dieser Arbeit daher zwar nicht ausgeschlossen, aber auch nicht mit Überzeugung bestätigt werden.157 4.6.7.1 Themenwechsel durch turn-Übernahme Bei Sprecherin N° 4 vollzieht sich der erste erfasste Wechsel in die Stimmhaftigkeit im Zuge einer inhaltlichen Zäsur: Interviewsequenz (45), Informantin N° 4 (Gespräch über Aufnahmeprüfungen an einer spanischer Universität) I
Eh, muchos de los chicos que estábamos rindiendo ese examen éramos de estudios extranjeros, entonces tienen que haber una adaptación para (-) ʃo, si tomo un examen, un/ (-) un colectivo de/ de inmigrantes no los voy a preguntar las pequeñas cosas de mi localidad.
157 Hier muss sich die Forscherin natürlich kritisch die Frage stellen, inwieweit während der Interviews tatsächlich unterschiedliche Formalitätsgrade mit Blick auf die Gesprächssituation selbst geschaffen wurden. Zwar wurden verschiedenste Themenbereiche erläutert und diskutiert, die auch durchaus eine stilistische Veränderung im Sinne der syntaktischen und lexikalischen Gestaltung des Diskurses mit sich brachten. Dass sich die stilistische Modifikation aber in entscheidender und plausibel nachweisbarer Form auf die phonologische Ebene übertrug, kann nicht bestätigt werden. Insgesamt waren die Gespräche von relativ großer kommunikativer Nähe geprägt.
4.6 Varianz im freien Gesprächsteil
F I
F I
Y no. Porque juego muy, muy a favor mío y muy poco/ (--) pero bueno, así (-) así fue, así que empecé a estudiar en (-) en Barcelona beʃas artes (-) y (-) tampoco la terminé la carrera, me vine para acá. ¿Y acá que enseñas? Y acá ʒo enseño, eh (-) escultura (-) y arreglos florales, diseño floral, Ikebana también, que es un arte floral japonés. (--) Y (-) bueno, estuve con esos dos taʃeres..
263
Bis zu dieser Stelle erfolgten im Laufe des Gesprächs bereits sechs stimmlose Artikulationen des Pronomens «yo». Auffällig ist, dass der erstmalige Rückgriff auf das stimmhafte Allophon [ʒ] mit einem Themenwechsel koinzidiert. Zum einen markiert der sonore Laut unterstützend den inhaltlichen Einschnitt, zum anderen könnte er aber auch eine Art Kennzeichnung von Aktualisierung bewirken, indem die Sprecherin ihre derzeitige Rolle im centro cultural definiert und sich von vergangenen Ereignissen in Spanien distanziert. Dass der Variantenwahl damit auch eine gesprächssteuernde Funktion zukommt, lässt sich aus den analysierten Fällen nur bedingt ableiten, es ist aber durchaus denkbar, dass sie in diesem Kontext kommunikative Absichten abermals unterstützt. In diesem Sinn realisiert Sprecher N° 7 von insgesamt zwei affrikatisch realisierten Frikativen eine Affrikate im Zuge der turnÜbernahme: Interviewsequenz (46), Informant N° 7 (Gespräch über anstehende Wahlen) F [ A [ F [ I [ [ A [ I [ A [ I A [ I [ A [ [ I [
¿Piensan que va a conseguir de vuelta la mayoría en las elecciones? ¿El partido de Cristina (-) ahora en octubre? No, no creo. Porque hay mucha crítica, ¿no? Yo, en las entrevistas, escucho muchas veces/ tʃo te voy a decir (-) otra cosa, eh/ (-) lo de si lo va conseguir o no lo va a conseguir es (-) materia opinable, no sé (-) ʃo/ lo que (-) sí me asusta/
Pero no, de verdad. No, sí, sí, sí, me río porque/ para aʃudar, sí, sí. Eh (--) es que no se van a ir aunque pierdan. Claro (-) van a quedar siempre por ahí boʃando, seguro. No, no, no. Est/ (-) O arriando la rienda decís vos. Estos armaron ejércitos. Eʒos tienen una estructura que nosotros no nos damos cuenta.
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4 Auswertung
Der Sprecherwechsel (Z. 5) vollzieht sich in Form einer Unterbrechung, da Informant N° 7 seine Einschätzung der politischen Lage möglicherweise aus Mangel an Geduld direkt zum Ausdruck bringen will. Denkbar ist aber auch, dass er die Frage für nicht zielführend hält und daher das Gespräch in eine andere Richtung zu steuern beabsichtigt. In beiden Fällen appelliert er an die Aufmerksamkeit des Hörers. Mit Blick auf das gesamte Gespräch zwischen Sprecher A., N° 7 und der Forscherin ist hervorzuheben, dass es sich um eine höchst asymmetrische Gesprächssituation handelt, in der Sprecher N° 7, sowohl was die Redeanteile als auch die Gesprächsgliederung und -steuerung betrifft, klar dominiert; die Rolle der Forscherin ist dabei nur marginal und teilweise quasi nicht existent, wodurch das vielfach diskutierte Beobachter-Paradoxon tatsächlich auf ein Minimum reduziert zu sein scheint.158 Informant A. beschränkt sich über weite Teile lediglich auf die Artikulation von Hörersignalen, über die er Sprecher N° 7 seine Zustimmung signalisiert. Diese Unausgewogenheit in der Sprecher-HörerBeziehung hat allerdings keinen Einfluss auf die bestehende Diskrepanz in der Realisierung der zur Diskussion stehenden Postalveolare, denn es findet zu keiner Zeit eine lautliche Anpassung des circa fünfzehn Jahre jüngeren ʃeísta A. an den überwiegend stimmhaft realisierenden Sprecher N° 7 statt (cf. auch Abschnitt 4.3.2.2).
158 Cf. Labov (1972a).
5 Zusammenfassung und abschließende Betrachtungen Die Interpretation der gewählten Sprecherbeispiele vermag abschließend offenzulegen, dass mit der Variation zwischen ʒeísmo, ʃeísmo sowie den affrikatischen Realisierungen diskurs-pragmatische Effekte und individuelle Ausdrucksfinalitäten einhergehen können. Dabei sind die Sprecher, bei denen diese Mechanismen greifen, auf der einen Seite diejenigen, bei denen aus diatopischen oder diastratischen Gründen der stimmhafte Präpalatal [ʒ] in ihrem Phonemsystem integriert ist, sodass dieser als Mittel der diaphasischen Variation im System zur Verfügung steht. Darüber hinaus geht aus der Auswertung hervor, dass die Variation zwischen den einzelnen Lautrealisierungen sowohl pragmatisch als auch phonologisch keinen festen, zu vereinheitlichenden Regeln zu folgen scheint. Nicht alle Okkurrenzen und Fälle sprecherindividueller Variation können hinreichend geklärt bzw. begründet werden. Auch sind die unterschiedlichen Auslösemechanismen nicht in jedem Fall eindeutig einem bestimmten sprachlichen Teilbereich zuzuordnen, vielmehr sind die Übergänge oftmals fließend und die artikulatorisch und pragmatisch motivierten Prozesse greifen ineinander über. Es besteht demzufolge eine Kombination bzw. Interaktion verschiedener Elemente, innerhalb derer die Variation zwischen stimmhaftem und stimmlosem Postalveolar teils nur eine begleitende Funktion besetzt oder dazu dient, einen verstärkenden Effekt zu erzielen. Auf der anderen Seite stehen die Sprecher, bei denen, wie im Falle der analysierten Schülerbeispiele, der stimmhafte Laut nur okkasionell und in erster Linie aus koartikulatorischen Gründen in Erscheinung zu treten scheint. Die Frage der diaphasischen Markierung ist daher insgesamt betrachtet nicht ohne Weiteres zu beantworten. Während der Variation des oben genannten Sprecherprofils eine sekundäre bzw. tertiäre diaphasische Wertung zugesprochen werden kann, soll für die Schüler die Formulierung einer indirekt vorhandenen diaphasischen Komponente gewählt werden. Das heißt, dass die eigentliche stilistische Dimension in deren Sprachsystem primär in anderen sprachlichen Mitteln Ausdruck findet, wie beispielsweise in einer erhöhten Sprechgeschwindigkeit zur Markierung von inhaltlichen Nebensächlichkeiten. Die stimmhafte Artikulation ergibt sich infolge dieses sprachlichen Verhaltens, sodass sie eher eine abgeschwächte Form der situativen Modalisierung darstellt. Als Konsequenz aus diesen Beobachtungen muss an dieser Stelle allerdings die unter 4.4.2 aufgestellte Schlussfolgerung revidiert bzw. modifiziert werden: Konnte bei den Schülern außerhalb des Barrio Norte keine nennenswerte Deviation zwischen freiem Gesprächsteil und den verschiedenen Lektüreebenen ermittelt werden, die eine stilistische Differenzierung im https://doi.org/10.1515/9783110637663-005
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5 Zusammenfassung und abschließende Betrachtungen
erweiterten Sinne berechtigt erscheinen ließ, zeigt sich nun, dass sich innerhalb einzelner Individualsysteme die Unterschiede zwischen den Modalitäten des freien Sprechens partiell in der Variation der Präpalatale niederschlagen können. In der Beurteilung dieser Beobachtungen, wonach die erfassten Variationen eine gewisse Repräsentativität in Hinsicht auf den Idiolekt beanspruchen, bezüglich des Soziolekts jedoch nur Möglichkeiten aufzeigen, stimme ich mit einer Schlussfolgerung Figueroas überein: «[. . .] according to Labov certain types of speech are less systematic than others and therefore more representative of the idiolect than the sociolect» (Figueroa 1994, 91). In Abschnitt 4.3.4 wurde die präsentierte Distribution der präpalatalen Varianten einer zusammenführenden Reflexion über den sich vollziehenden Lautwandel unterzogen. Mit Kenntnis der Ergebnisse aus den Kapiteln 4.4, 4.5 und 4.6 sollen diese Betrachtungen abschließend nochmals um einige Gesichtspunkte ergänzt werden. Besonderes Interesse liegt dabei auf der Gruppe der Schüler sowie auf der geschlechtsspezifischen Variation, wobei die nachfolgenden Ausführungen, die die Fortführung konkret gewonnener Daten darstellen, sicherlich teilweise hypothetischen Charakter haben. Die Informantinnen und Informanten der colegios wurden mit Ausnahme einiger Sprecher im Barrio Norte als die Gruppe ermittelt, die sich in einer fortgeschrittenen Phase der Selektion befindet und unter der sich der Sprachwandel in seiner extensivsten Ausprägung manifestiert. Vor dem Hintergrund der allgemeinen Tendenz zur Lenisierung in dieser Generation schien die Hypothese möglich, wonach die okkasionell stimmhaft auftretenden Präpalatale weniger Niederschlag eines noch latent verankerten historischen ʒeísmo seien, als eine aus dem Prozess der lautkontextuellen Lenisierung resultierende Koartikulationserscheinung. Ob es sich bei den registrierten Okkurrenzen um den historischen ʒeísmo handelt oder um das, was ich mit dem Begriff eines spontanen, innovativen Typs von ʒeísmo versehen habe, konnte in diesem Zusammenhang nicht voll umfassend geklärt werden und lässt Raum für weitere Untersuchungen; auch eine Koexistenz beider Formen ist denkbar. Würde sich die Hypothese des spontanen ʒeísmo nach erweiterter Datenanalyse als begründet herausstellen, läge der Schluss nahe, dass in den Individualsystemen der genannten Sprechergruppen quasi neue Adoptionen stattfinden. Als besonders aufschlussreich darf das geschlechtsspezifische Sprachverhalten eingestuft werden. In der vorliegenden Untersuchung scheint dieses hinsichtlich seines innovatorischen oder konservativen Charakters keinen Regelmä ßigkeiten zu unterliegen. Dass Frauen oftmals eine führende Rolle bei der Implementierung neuer Sprachformen einnehmen, hat sich im konkreten Fall auf phonologischer Ebene bereits in den 70er-Jahren offenbart, als Fontanella de
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Weinberg den Ursprung des stimmlosen Frikativs [ʃ] unter den Frauen der clase alta festzumachen glaubt.1 Auch die hier präsentierte Studie folgt diesem Trend in Bezug auf die weiblichen Sprecherinnen der centros culturales und centros de jubilados, denn der Anteil stimmloser Artikulationen war hier um 19% (centros culturales) bzw. 32% (centros de jubilados) höher als in den männlichen Redebeiträgen. Wären die Stadtteile Recoleta und Retiro nicht als Untersuchungsort berücksichtigt worden, könnte man das u.a. von Schlieben-Lange diskutierte Prinzip, wonach Männer und Frauen meist unterschiedliche Sprachformen bevorzugen, innerhalb der jüngsten Generation als nahezu unzutreffend erklären, zeigten sich doch keine signifikanten quantitativen Differenzen in der Verwendung oder Präferenz stimmhafter oder stimmloser Varianten. Da im Barrio Norte aber zentrale Unterschiede zu Tage traten und unter den weiblichen Sprecherinnen eine deutlich höhere Präsenz des ʒeísmo festgestellt werden konnte, führt sich diese Tendenz auch in der untersuchten Sprachgemeinschaft fort und lässt den jungen Frauen überdies auf dieser sprachlichen Ebene eine konservative Konnotation anhaften. «Die geschlechtsbezogene Differenzierung der Sprache» ist Schlieben-Lange zufolge jedoch keinesfalls statisch auf die Zuordnung zu einem konservativen oder innovatorischen Sprachgebrauch zurückzuführen, sondern hängt möglicherweise damit zusammen, dass sich Frauen vermehrt an dem in einer Gesellschaft oder Sprachgemeinschaft gültigen Modell orientieren (cf. Schlieben-Lange 1985, 490). Nun ist in Buenos Aires hinsichtlich der Koexistenz von ʒeísmo und ʃeísmo aber kein gültiges Modell im Sinne einer standardisierten Norm auszumachen. Die Frage muss demnach lauten, was die Sprecher für ein solches halten oder was ihrer Wahrnehmung zufolge einem solchen am nächsten kommt.2 Der Exkurs in Kapitel 4.5 führte anhand einiger sprach- und sprecherbezogenen Äußerungen zu dem vorsichtig formulierten Fazit, dass innerhalb der untersuchten Sprachgemeinschaft keine Kongruenz hinsichtlich der Auffassung von Prestige und Stigmata der diskutierten Varianten besteht. Vielmehr scheinen diese an die In- bzw. Out-groupPerspektive der einzelnen Sprecher gebunden zu sein. Innerhalb des Barrio Norte legen sowohl die generationsübergreifende quantitative Dominanz des ʒeísmo als
1 Cf. Fontanella de Weinberg (1979, 96). Da dieser soziale Ausgangspunkt lediglich auf einer apparent time-Analyse fußt ist es fraglich, ob ein solches Fazit tatsächlich plausibel aus ihren Daten abgeleitet werden kann. 2 Dabei ist natürlich auch denkbar, dass die mit dem ʃeísmo verknüpfte Vorstellung von Prestige im Laufe der Lautentwicklung und Extension des Phänomens ebenfalls einen Wandel erfahren hat. So ist es durchaus möglich, dass der stimmlose Frikativ im Moment seiner innovativen Phase in anderen Regionen als prestigeträchtige Variante aus der Hauptstadt wahrgenommen und daher beispielsweise, wie in Bahía Blanca vermutet, zunächst von den Frauen der clase alta adaptiert wurde.
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auch die metasprachlichen Kommentare (cf. Kapitel 4.5) nahe, dass der stimmhaften Realisierung ein gewisser Anspruch auf Korrektheit und Angemessenheit innewohnt. Ferner deutet die Korrelation beider Aspekte mit einem traditio nell-ausgerichteten Gesellschaftssektor darauf hin, dass dem Phänomen, zumindest indirekt, eine identitätsstiftende bzw. gruppenstabilisierende Komponente zukommt. Vor diesem Hintergrund macht das in dieser Sprachgemeinschaft vorherrschende overt prestige des ʒeísmo die weiblichen Akteure zu Trägerinnen einer als positiv gewerteten Sprachform. Diese Sensibilität für scheinbar gültige Modelle könnte auch eine Begründung für die in 4.4.2 ermittelten Differenzen liefern. Wie in Kapitel 4.4 ausführlich beschrieben, wurden in der vorliegenden Studie nicht nur Variationen zwischen stimmhaft, stimmlos oder affrikatischen präpalatalen Realisierungen erfasst, sondern auch diverse palatale und alveolarpalatale Artikulationsformen. Dabei repräsentierten insbesondere die Wortlisten, aber auch die anderen Lesetexte einen spezifischen Stimulus, der über eine visuelle, stilistische und semantische Ebene unterschiedliche mentale Prozesse zu bewirken schien und die Verwendung von [ʝ] und [lj] hervorrief. Beim Vorlesen der Kurzgeschichte von Arlt griffen fast 20% der Frauen in den centros de jubilados auf die bisegmentale Folge [lj] zurück, bei den Männern taten dies nur knappe 3%. Greift man Schlieben-Langes Gedanken nochmals auf, legt auch dieser konkrete Fall offen, dass in diesem Sprachverhalten nicht unbedingt die Präferenz einer konservativen Form zu Tage tritt, sondern die erläuterte weibliche Tendenz, eine positiv und gewissermaßen korrekt konnotierte Lautrealisierung zu befolgen; dies kann auch dem Umstand geschuldet sein, dass /ʎ/ in einem früheren Moment die noch schulisch geforderte Aussprache war. Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch, dass einem Modell, das nicht Teil des Sprachsystems innerhalb der untersuchten Sprachgemeinschaft ist, eine gewisse Form von Gültigkeit zugesprochen wird; dieser Eindruck schien auch bei der Lektüre der Minimalpaare und der Bewertung der Autorepräsentationen naheliegend, in denen die Informanten wiederholt auf die traditionelle Distinktion von /ʝ/ und /ʎ/ verwiesen. Für eine abschließende Bewertung der Koexistenz von ʒeísmo und ʃeísmo sollen an dieser Stelle noch einige Gedanken im Hinblick auf eine mögliche norma bonaerense bzw. norma rioplatense diskutiert werden. Legt man den Ausführungen die Konzeption von Norm nach Coseriu zugrunde, so befindet sich im System des español bonaerense, d.h. auf der Ebene der langue, ein einziges Phonem /ʒ/. In der Norm, sprich der «in einer Sprachgemeinschaft übliche[n], traditionelle[n] Realisierung des Systems»3 gibt es dann jedoch zwei Typen von /ʒ/, «dos variantes típicas» [ʒ] und [ʃ], die nicht durch ihre Lautumgebung determiniert sind und
3 http://www.romling.uni-tuebingen.de/coseriu/snr.html.
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in der parole in unendlich vielen verschiedenen individuellen Realisierungen vorliegen.4 Da innerhalb einer Sprachgemeinschaft verschiedene Normen koexistieren können, können diese Varianten beispielsweise für bestimmte stilistische Register oder in bestimmten Arealen als normativ gelten. Vor dem Hintergrund der präsentierten Ergebnisse kann man in Buenos Aires damit gewissermaßen von einer Pluralität an Normen sprechen, wobei [ʒ] und [ʃ] als prototypische Normen einzuordnen sind, zwischen denen aufgrund der nur selten ausschließlichen Artikulation einer der beiden Varianten gewissermaßen eine hybride Norm besteht. Im Sprachraum der Ciudad de Buenos Aires sind lokal gebundene Sprachgemeinschaften auszumachen, innerhalb derer eine bestimmte Norm vorliegt. Im Falle Recoletas, wo für die untersuchten Gruppen [ʒ] als protoytpische Norm deklariert werden kann, wird dies besonders deutlich. Mit Blick auf die aus der Norm resultierende sprachliche Normalität kann zudem zwischen unterschiedlichen Exemplaritäten unterschieden werden. Dies zeigt sich beispielsweise dann, wenn die Informanten beim Vorlesen der Wortliste auf eine in Misiones bestehende Norm der Unterscheidung zwisc hen /ʝ/ und /ʎ/ rekurrieren oder wenn die älteren Sprecher sich an einer im schulischen Kontext vorherrschenden Norm orientieren, die für bestimmte stilistische Register nach wie vor exeplarisch zu sein scheint. Anders als im Falle des voseo, der spätestens seit Ende des 20. Jahrhunderts in allen gesellschaftlichen Schichten und Registern vorherrschend ist und durch seine 1982 offiziell vollzogene Anerkennung seitens der Academia Argentina de Letras ausdrücklich «auch in der nationalen Norm akzeptiert ist» (Mihatsch 2013, 797),5 ist mit Blick auf die präpalatelen Frikative im español bonaerense damit keine allgemeine oder gesellschaftlich primär akzeptierte Norm auszumachen. Die Sprecher bewegen sich in einer Vielzahl sozialer und geographischer Räume und stehen im Spannungsverhältnis zwischen den dort vorherrschenden und im Gesamten miteinaner konkurriernden Normen. Die Norm an sich ist zwar ein synchronischer Begriff, jedoch keinesfalls eine statische Größe, die nicht auch einer gewissen Dynamik unterliegt. Es ist daher möglich, dass im Zuge des sich vollziehenden Sprachwandels in der Ciudad de Buenos Aires zusätzlich eine Normverschiebung eintritt.
4 Cf. Coseriu (1952, 43). 5 Cf. dazu Academia Argentina de Letras (1982, 294): «Un enfoque tal implica indudablemente la reconsideración del fenómeno del voseo, cuya extensión de uso en nuestro país ha sido ampliamente comprobada en niveles orales y escritos de lengua. Corresponde, en consecuencia, reconocer como legítimo el empleo del voseo siempre y cuando este se conserve dentro de los límites que impone el buen gusto, esto es, huir tanto de la afectación como del vulgarismo».
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Wie ist nun abschließend die intraurbane Koexistenz von ʒeísmo und ʃeísmo zu beurteilen? Abschnitt 4.3.4. stellte die verschiedenen extensiven Phasen des innerstädtischen Lautwandels zur Diskussion und deckte seine sowohl in diastratischer als auch diatopischer Hinsicht graduelle Verbreitung auf. Mit Blick auf seine weitere Entwicklung legt die Vorherrschaft des ʃeísmo in der jüngsten und mittleren Generation zunächst auch künftig ein Fortschreiten seiner Dominanz nahe. Stellt man einen Vergleich zu den in den 70er- und 90er-Jahren durchgeführten Studien an, ist es durchaus wahrscheinlich, dass sich das quantitative Gefälle zwischen ʒeísmo und ʃeísmo noch weiter ausbauen wird; diese Hypothese kann dadurch untermauert werden, dass das Phänomen als Ausprägung eines age grading-Prozesses stark angezweifelt wurde. Die Frage, die in diesem Zusammenhang aber gestellt werden sollte, ist, ob überhaupt die Konsolidierung und damit die Dephonologisierung der beiden Varianten zu erwarten ist. Adaptiert man den von Mattheier herangezogenen Begriff der «Dialektkonsolidierung» auf das Nebeneinander mehrerer Varianten, würde die «Verfestigung und Durchsetzung» einer Norm diejenige sein, die von den «Angehörigen der Dialektgemeinschaft für ‹angemessen› und ‹erwartbar› gehalten wird» (cf. Mattheier 1996, 38). Da der ʒeísmo in Buenos Aires aber nicht nur eine altersbedingte und damit diastratische Markierung aufweist, sondern gleichermaßen ein Faktum diaphasischer wie innerstädtisch diatopischer Variation ist (cf. Jugendliche, Abschnitt 4.4.2.1), scheint zum jetzigen Zeitpunkt eine solche Ausbildung nicht wahrscheinlich. Konsolidierung setze laut Mattheier zudem voraus, dass «ein sich bildendes und verfestigendes regio-soziales Identitätsbewusstsein, eine Ortsloyalität» besteht, «die u.a. über Gemeinsamkeiten der Sprache/des Dialekts symbolisiert wird» (Mattheier 1996, 38). In Buenos Aires konnte ein solches am ehesten unter den Sprechern des Barrio Norte ausgemacht werden, was einem Verschwinden des stimmhaften Präpalatals widerspricht. Ohne Coserius Begriff der abschließenden Mutation heranziehen zu wollen, da er eine gewisse Endlichkeit des sprachlichen Entwicklungsprozesses suggeriert, ist es daher durchaus denkbar, dass auf die Ciudad de Buenos Aires das übertragbar ist, was Coseriu zur Darstellung der Endphase des sprachlichen Wandels erläutert: «Möglich ist auch, dass beide Verfahren sich in verschiedenen Mundarten, Sprachstilen oder verschiedenen Sprachniveaus fixieren» (Coseriu 2005, 119).6 Für eine noch sicherere Bewertung der im Barrio Norte vorgenommenen Zuordnung von primär diatopisch und
6 Sicherlich mutet es insgesamt recht hypothetisch an, im Rahmen einer wie der hier vorliegenden Untersuchung so allgemein greifende Sprachwandelmechanismen einordnen zu wollen. Mit Blick auf die Millionenmetropole Buenos Aires sind der zugrunde liegenden Vorgehensweise natürlich von vornherein klare Grenzen gesetzt und es muss bei der Einordnung der vom Wandel erfassten Präpalatale daher nochmals darauf verwiesen werden, dass
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sekundär distratisch markierter Variation wäre es sinnvoll und sogar notwendig, weitere soziale Schichtungen einzubeziehen, um die Trennung von Diatopik und Sozialgeographie noch fundierter aufzuzeigen. Von weiterem Interesse ist zweifelsohne auch, inwiefern sich die teilweise erst beginnende Koexistenz von ʒeísmo und ʃeísmo in anderen Städten Argentiniens entwickeln wird, welche Mechanismen in den dortigen Sprachgemeinschaften besonders gewichtig greifen und ob sich beispielsweise diastratische Parallelen zum Wandel in Buenos Aires offenbaren. Wie in Kapitel 2.3 erläutert, wurden in den letzten Jahren u.a. in San Miguel de Tucumán, Salta oder im patagonischen Trelew verschieden stark präsente Verwendungen des stimmlosen Präpalatals [ʃ] registriert, sodass sich die Sprachgemeinschaften in unterschiedlichen Stadien der Adoption bzw. Selektion befinden. Da insbesondere in den nördlichen Städten zudem Koexistenzen mit /ʝ/ oder auch /ʎ/ bestehen, dürften die sprachlichen Welten einer ausgeprägten Dynamik unterworfen sein und auch Sprachkonflikte zwischen den einzelnen Varianten entstehen lassen. Nicht nur Abadía de Quant sah diesen Prozess als Folge einer u.a. durch die Medien zunehmend intensiv wirkenden Expansionskraft der Hauptstadt. Auch wenn der mediale Einfluss kritisch gesehen werden sollte, so wird doch ersichtlich, dass eine Untersuchung der in Buenos Aires verankerten Varietät – unter Berücksichtigung ihrer Dynamik in Extension und sprecherbezogener Bewertung – nicht nur in der Fokussierung auf die Stadt selbst bedeutsam ist, sondern in gewisser Weise auch mit Blick auf die sprachlichen Entwicklungen auf Landesebene. Ob hierbei nachzuvollziehen ist, welche Prozesse aus der indirekten Kontaktsituation zu Buenos Aires – beispielsweise durch Migration in und aus der Hauptstadt – resultieren und welche die Folge systemeigener Entwicklungen sind, wird zu beobachten sein. Zusammenfassend lässt sich zeigen, dass das Auftreten stimmloser oder stimmhafter präpalataler Frikative unterschiedliche Formen der gruppenspezifischen und individuellen Variation darstellt. Die Realisierung als stimmhafter Präpalatal [ʒ] kann dabei auf den folgenden Prinzipien beruhen, die jedoch ausdrücklich nicht für sich allein als Auslöser konstituierend sind:
die hier erbrachten Sprachdaten gruppengebundene Ergebnisse liefern, die nicht per se auf den ganzen jeweiligen Stadtteil übertragen werden dürfen. Trotzdem soll ihnen ihre Aussagekraft nicht entzogen werden: Ob eine Untersuchung letztlich repräsentativ ist oder nicht, hängt entscheidend vom Untersuchungsziel ab. Wenn es also wie hier darum geht, stadtviertelintern bestimmte Gruppierungen zu überprüfen, sind die in diesem Rahmen präsentierten Verwendungstendenzen in Bezug auf diese durchaus repräsentativ; eine generalisierende Gleichsetzung sollte jedoch nicht stattfinden (cf. Gabler 1996).
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a) Der ʒeísmo hat aufgrund einer diagenerationellen Markierung in den ältesten Altersgruppen die höchste Präsenz, die mit sinkendem Alter der Sprecher abnimmt. Dies hat in erster Linie mit der diachronen Lautentwicklung zu tun, denn als die stimmlose Variante als Innovation zu Beginn des 20. Jahrhunderts in das bonaerensische Lautsystem aufgenommen wurde, war der stimmhafte Präpalatal die vermutete Standardvarietät. Da die Untersuchungsergebnisse und der Vergleich zu vorangegangenen Studien die Einordnung als age-grading-Phänomen wenig plausibel erscheinen ließ, kann die starke Verankerung von [ʒ] in den älteren Generationen diachronisch erklärt werden. b) Davon zu unterscheiden ist aus diastratischer Perspektive der ʒeísmo, der in Zusammenhang mit sozialen Schichtungen Anwendung finden kann. Dazu zählt zum einen seine Realisierung durch universitär gebildete Berufsgruppen und wirtschaftlich starke Bevölkerungsschichten, zum anderen seine Präsenz bei jugendlichen Sprechern, die einem noch auf traditionellen Werten und Gewohnheiten basierenden Umfeld angehören. c) Dicht damit einhergehen dürfte ein explizit oder auch implizit an bestimmte Prestigevorstellungen geknüpfter ʒeísmo, wie er u.a. bei den Schülern im Barrio Norte angenommen werden darf. d) Der ʒeísmo ist im Sinne einer großräumigen Variation per se diatopisch markiert und ein Faktum, das vor allem das Spanische im Gebiet des Río de la Plata von anderen Arealen innerhalb der spanischsprachigen Welt abgrenzt. Er ist aber darüber hinaus ein Phänomen, das innerhalb dieser Diatopik in kleineren Räumen wie der Stadt Buenos Aires eine diatopische Differenzierung bewirkt und damit die intraurbane Variation einzelner Stadtteile prägt. Da die stimmlosen und stimmhaften Präpalatale in allen Teilen der Stadt, die in die Untersuchung miteinbezogen wurden, koexistieren, können auf allgemeiner Ebene keine innerstädtischen Isoglossen gezogen werden. Es liegen jedoch unterschiedliche Intensitäten der Diatopisierung vor, die für bestimmte Subgruppen wie die Sprecher unter 20 Jahren klarer auszufallen scheinen als für die älteren Generationen. Wie in Kapitel 2.1 erläutert, schlägt Fontanella de Weinberg aufgrund des unterschiedlichen Häufigkeitsverhältnisses zwischen den Generationen verschiedene Systeme palataler Beziehungen vor, innerhalb derer [ʃ] den Status eines Phonems oder einer allophonischen Variante einnehmen kann. Im Rahmen der hier präsentierten Studie könnte man sogar noch weitergehen und die Überlegung anstellen, ob man den Untersuchungsraum aus diagenerationeller Sicht nach der unterschiedlichen Präsenz und Funktion der präpalatalen Varianten in diatopische Teilräume zusammenfassen und dadurch verschiedene intraurbane Teilsystemgrenzen ziehen könnte.
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e) Weiterhin ergeben sich auf diaphasischer Ebene Formen einer stilistisch bedingten Variation. In Abhängigkeit von gruppenspezifischen Variablen wie Alter, Herkunft oder soziokultureller Provenienz war beispielsweise der literarische Textauszug ein Stimulus, der innerhalb der individuellen Variation eine gesteigerte Wiedergabe des stimmhaften Frikativs bewirken konnte. Ergänzt werden kann dieser diaphasische ʒeísmo durch die Okkurrenzen, die aus mit der Ausdrucksfinalität korrelierenden Mechanismen beim freien, spontanen Sprechen resultieren oder die mit diskurspragmatischen Effekten in Verbindung zu bringen sind. f) Es liegt in seiner Definition, dass der ʒeísmo in jedem Falle ein phonologisches Faktum ist. Dennoch soll zusammenfassend auch der Typus aufgeführt werden, wonach sein Auftreten durch den phonologischen Kontext im Besonderen motiviert ist und in Korrelation zu weiteren Lenisierungserscheinungen steht. Für diesen ʒeísmo wurde die Kategorie eines spontanen ʒeísmo vorgeschlagen. In der vorliegenden Arbeit wurde wie in Kapitel 3.3 erläutert von Anfang an auf die Datenerhebung im freien Feld gesetzt, vor allem um die Authentizität des Rahmens, der durch die Wahl stadtviertelspezifischer Gruppierungen fokussiert wurde, zu wahren und möglichst spontane, ungehemmte Beiträge freier Rede bei kommunikativer Nähe zu erlangen. Für die formulierte Zielsetzung erwies sich dieses Verfahren auch als gewinnbringend. Dennoch wäre gerade im Zuge einer näheren Untersuchung des hypothetischen spontanen ʒeísmo die Verfügbarkeit qualitativ reiner Tonaufnahmen besonders wertvoll gewesen, da diese eine noch präzisere akustische Analyse des phonol ogischen Kontexts erlauben würden. Auf diese Weise hätten die artikulatorische Korrelation zwischen den einzelnen Lauten und die vermutete Häufung konsonantischer Lenisierungen, die mit dem sporadischen Auftreten stimmhafter Frikative in Verbindung gebracht wurde, apparativ im Detail aufgezeigt und belegt werden können. Um beiden Fragestellungen gerecht zu werden, wäre möglicherweise eine einander ergänzende Herangehensweise sinnvoll gewesen, die mit ausgewählten Sprechern im Sinne einer qualitativ akustischen Analyse zusätzliche Aufnahmen bei sprachlaborähnlichen Bedingungen durchgeführt hätte. Zwischen diesen ʒeista-Typen können darüber hinaus Schwellenformen ausgemacht werden und verschiedene Mechanismen kombinatorisch ineinandergreifen, beispielsweise wenn ein Sprecher, der aufgrund seines Alters über einen relativ niedrigen individuellen Variationsgrad zwischen den allophonischen Varianten verfügt, [ʒ] im Zuge koartikulatorischer Prozesse realisiert. Zudem haben die in den vorangegangenen Kapiteln präsentierten Korrelations- oder Prioritätenketten offengelegt, dass diese Aspekte natürlich nicht isoliert voneinander betrachtet
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5 Zusammenfassung und abschließende Betrachtungen
werden dürfen. Die angeführten Typologien fassen aber anschaulich die Erkenntnis zusammen, dass der ʒeísmo keinesfalls ein zu vereinheitlichendes Phänomen ist, sondern dass ihm in Abhängigkeit von Alter, sozialem Stand, Ort, Ausdrucksfinalität und artikulatorischen Auslösemechanismen unterschiedliche Markierungen, kommunikative Funktionen und Prestigevorstellungen zugesprochen werden können. Die Frage, wie sich die präpalatalen Laute künftig in der Sprachgemeinschaft Buenos Aires entwickeln werden, ist demnach auch eine kontextspezifische, die in Korrelation zu den entsprechend wirkenden Parametern zu beantworten sein wird. Obwohl die Dynamik von ʒeísmo und ʃeísmo ein so vielfach diskutiertes Thema darstellt, hat nicht nur der Exkurs zu den metasprachlichen Äußerungen und perzeptiven Wertungen offengelegt, dass nach wie vor diverse Möglichkeiten der Vertiefung bestehen, deren Bearbeitung wiederum neue Blickwinkel und Wertungen auf das Phänomen verspricht.
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Anhang I Karten I.I Ciudad de Buenos Aires: barrios
Núñez Saavedra Coghlan
Belgrano
Villa Urquiza Colegiales Villa Ortúzar Parque Chas Chacarita
Villa Pueyrredón
Palermo Retiro Recoleta
Agronomía
Villa Devoto Villa Real Versalles
Villa del Parque
Monte Castro
Villa Santa Rita
Vélez Floresta Sarsfield
Paternal del
Villa Crespo
Almagro
Villa Gral. Mitre
Caballito San Boedo Cristóbal
Flores Parque Chacabuco
Villa Luro
Parque Avellaneda
Liniers
San Nicolás Balvanera
Mataderos Villa Soldati Villa Lugano
Villa Riachuelo
https://doi.org/10.1515/9783110637663-007
San Consti- Telmo tución
Parque Patricios Nueva Pompeya
Puerto Madero
Monserrat
Barracas
Boca
294
Anhang
II Lesetexte II.I Wortliste 1 dirección resultado llamada autoridad quebrar callarse dormir incertidumbre Francia Yugoslavia libro boletería yoyó destornillador llenar caballito mentira artístico show ventanilla festejar shopping premiación playa
historia epopeya aventura rayar disfrazar
II.II Roberto Arlt: Odio desde la otra vida Fernando sentía la incomodidad de la mirada del árabe, que, sentado a sus espaldas a una mesa de esterilla en el otro extremo de la terraza, no apartaba posiblemente la mirada de su nuca. Sin poderse contener se levantó, y, a riesgo de pasar por un demente a los ojos del otro, se detuvo frente a la mesa del marroquí y le dijo: - Yo no lo conozco a usted. ¿Por qué me está mirando? El árabe se puso de pie y, después de saludarlo ritualmente, le dijo: - Señor, usted perdonará. Me he especializado en ciencias ocultas y soy un hombre sumamente sensible. Cuando yo estaba mirándole a la espalda era que estaba viendo sobre su cabeza una gran nube roja. Era el Crimen. Usted en esos momentos estaba pensando en matar a su novia. [. . .] El moro vio cómo el asombro se pintaba en el rostro de Fernando y le dijo: - Siéntese. Me sentiré muy orgulloso de su compañía durante mucho tiempo. Fernando se dejó caer melancólicamente en el sillón esterillado. Desde el bar de la terraza se distinguían, casi
Anhang
295
a sus pies, las murallas almenadas de la vieja dominación portuguesa; más allá de las almenas el espejo azul de agua de la bahía se extendía hasta el horizonte verdoso. Un transatlántico salía hacia Gibraltar por la calle de boyas, mientras que una voz morisca, lenta, acompañándose de un instrumento de cuerda, gañía una melodía sumamente triste y voluptuosa. Fernando sintió que un desaliento tremendo llovía sobre su corazón. A su lado, el caballero árabe, de gran turbante, finísima túnica y modales de señorita, reiteró: - Estaba precisamente sobre su cabeza. Una nube roja de fatalidad. Luego, semejante a una flor venenosa, surgió la cabeza de su novia. Y yo vi repetidamente que usted pensaba matarla. [. . .] Cuando desapareció la nube roja, vi una sala. Junto a una mesa dorada había dos sillones revestidos de terciopelo verde. [. . .] El árabe prosiguió: - Usted estaba sentado en el sillón de terciopelo verde mientras que ella le decía: «Tenemos que separarnos. Terminar esto. No podemos continuar así». Ella le dijo esto y usted no respondió una palabra. ¿Es cierto o no es cierto que ella le dijo eso? Fernando asintió, mecanizado, con la cabeza. El árabe sacó del bolsillo una petaca, extrajo un cigarrillo, y dijo: [. . .] - ¿Quiere usted venir a mi casa? Le mostraré en el pasado el último crimen que medió entre usted y su novia. ¡Ah!, perdón por no haberme presentado. Me llamo Tell Aviv; soy doctor en ciencias ocultas. [. . .] Finalmente llegaron a una casa arrinconada en un ángulo del barrio de Yama el Raisuli. [. . .] Más allá de la marisma se extendía el mar. Un velero, con sus grandes lienzos rojos extendidos al viento, se alejaba insensiblemente. De pronto Fernando se detuvo sorprendido. Ahora estaba vestido al modo oriental, con un holgado albornoz de verticales rayas negras y amarillas. Se llevó la mano al cinto y allí tropezó con un pistolón de chispa. Un pesado yatagán colgaba de su cinturón de cuero. Quelle: Arlt, Roberto (2017): El criador de gorilas. Barcelona: Red ediciones S. L. 82–89.
II.III Zungenbrecher 1.
La llanura llana se llena de lluvia, y el llanero de la llanura llena de lluvia no ve más la llamarada que llameaba en la llanura, ya que la lluvia lluviosa llegó a llagar su llama. Quelle: Eigenerfindung
2.
Las tablas de mi balcón mal entablilladas están. Llamen al entablillador que las desentablille y las vuelva a entablillar mejor, que ya se le pagará como buen entablillador. Quelle: Vilches Acuña, Roberto (1955): Curiosidades literarias y malabarismos de la lengua. Santiago de Chile: Nascimento.
296
Anhang
II.IV Wortliste 2 el martillo la yerba el pollo el yacaré la llave el lavavajillas el yoyó la playa amarillo rallar ahuyentar orgulloso llamar boya Lleida yabirú desternillarse llevadero frutilla tornillo bachillerato cigarrillo
lliclla llover raya cosquillear yachting llanura reyerta yatagán Nueva York yacimiento llantén yonqui gayomba descoyuntamiento uruguayo yodo
poyo haya vaya se calló rallar
pollo halla valla se cayó rayar
yatrógeno eritropoyesis ahorquillada subarbustillo
Anhang
297
III Bildergeschichte
Quelle: https://entrenatuvida.blog/2012/02/25/inventario-de-recursos-y-herramientas/ (25.10.2017)
298
Anhang
IV Datengrundlage der erstellten Sprachkarten Datengrundlage für Karte 4.1: Phonetische Realisierung der Schüler in Abhängigkeit von Geschlecht und Wohnort.
Stadtviertel
[ʃ]
[ʒ]
Belgrano
%
%
Recoleta
,%
,%
Caballito
,%
,%
Balvanera
,%
,%
%
%
Villa Pueyrredón
,%
,%
Villa del Parque
,%
,%
Mataderos
,%
,%
Barracas
Datengrundlage für Karte 4.3: Phonetische Realisierung der Schüler in Relation zum Wohnort in den nördlichen barrios.
Stadtviertel
[ʃ]
[ʒ]
%
%
Belgrano – SB.
,%
,%
,%
Palermo – NM.
,%
,%
,%
Recoleta – C.
,%
,%
,%
Recoleta – M.
,%
,%
Recoleta – LC.
,%
,%
Belgrano – P.
[tʃ]
[dʒ]
,%
Anhang
299
Datengrundlage für Karte 4.4: Phonetische Realisierungen der 25- bis 60-Jährigen in Relation zum Wohnort.
Stadtviertel (insgesamt)
[ʃ]
[ʒ]
Belgrano
,%
,%
Recoleta
%
,%
Caballito
,%
,%
Balvanera
,%
,%
Barracas
,%
,%
Villa Pueyrredón
,%
,%
%
,%
Mataderos
Datengrundlage für Karte 4.5: Präsenz von [ʃ] unter den ortsfesten Sprechern eines Viertels im Vergleich zu den zugezogenen Sprechern.
Stadtviertel: ortsfest Belgrano
Recoleta
Caballito
Balvanera
Barracas
[ʃ] ,
,
,
,
Stadtviertel: zugezogen
[ʃ]
Belgrano intraurban interior
,% %
Recoleta intraurban interior Gran BsAs
% % ,%
Caballito intraurban interior Gran BsAs
,% ,% ,%
Balvanera intraurban interior Gran BsAs
,% ,%
Barracas intraurban: interior (provincia de BsAs)
% ,%
300
Anhang
(fortgesetzt) Stadtviertel: ortsfest
[ʃ] ,
Villa Pueyrredón
,
Mataderos
Stadtviertel: zugezogen
[ʃ]
Villa Pueyrredón intraurban Gran BsAs
,% ,%
Mataderos intraurban interior
% %
Datengrundlage für Karte 4.6: Phonetische Realisierungen der ortsfesten Sprecherinnen zwischen 64-95 Jahren in Relation zum Wohnort.
Stadtviertel
[ʃ]
Belgrano
[ʒ]
[tʃ]
[dʒ]
keine klar ortsfesten Informanten
Recoleta
,%
,%
,%
,%
Caballito
,%
,%
,%
,%
Balvanera
keine klar ortsfesten Informanten
Barracas
,%
,%
,%
,%
Villa Pueyrredón
,%
,%
,%
Mataderos
,%
,%
,%
%
Datengrundlage für Karte 4.7: Realisierungen bei Gespräch und Textlektüre in den colegios. Stadtviertel
Gespräch
Text
[ʒ]
[ʃ]
[ʒ]
[ʃ]
Belgrano – P.
,
,
,
,
Belgrano – SB.
,
,
,
,
Palermo – NM.
,
,
,
,
Recoleta – C.
,
,
,
,
Recoleta – M.
,
,
,
,
Recoleta – LC.
,
,
,
,
Anhang
301
(fortgesetzt) Stadtviertel
Gespräch
Text
[ʒ]
[ʃ]
[ʒ]
[ʃ]
Caballito
,
,
,
,
Balvanera
,
,
,
,
Barracas
,
,
Villa Pueyrredón
,
,
,
,
Villa del Parque
,
,
,
,
,
,
,
,
Mataderos
Datengrundlage für Karte 4.8 und 4.9: diatopische Verteilung der phonologischen Varianten von yodo und yachting.
Stadtviertel
yodo
yachting
[ʝ]
[ʃ]
,%
,%
Belgrano – SB.
%
%
%
%
Palermo – NM.
,%
,%
%
%
Belgrano – P.
[ʒ]
[ʝ]
[ʃ] ,%
Recoleta – M.
%
Recoleta – LC.
,%
,%
Caballito
%
%
Balvanera
%
%
Barracas
%
%
Villa Pueyrredón
%
%
%
%
,%
,%
,%
,%
%
%
,%
,%
Villa del Parque Mataderos
[ʒ]
% ,%
,%
%
%
,%
,%
% %
% %
302
Anhang
V Transkriptionskriterien (-)
kurze Pause
(- - -)
längere Pause
llegues
Dehnung
[
Simultane Gesprächsbeiträge
ich w/ ich möchte
Abbruch im Wort
wegen dem/ weil er
Abbruch in der Konstruktion
(xxx)
unverständliche Passage
((. . .))
Unterbrechung des Gesprächs
[. . .]
Auslassung einer längeren Gesprächspassage
« ... »
Wiedergabe von direkter Rede
‹ ... ›
Wiedergabe eines Namens
¿?
Frage
¡!
Ausruf
F
Forscherin / Frage
I
Informant/in
Mirá . . .
Gesprächsbeiträge der Informanten
Pausen, die den natürlichen Gesprächsfluss unterbrechen, werden in Abhängigkeit ihrer Dauer durch die Zeichen (-), (–) bzw. (—) dargestellt.1 Natürliche, kurze Pausen innerhalb des Gesprächsflusses, die die Funktion einer gesprächsstrukturierenden Pausierung übernehmen, werden der Orthographie entsprechend als einfaches Komma dargestellt. Passagen, in denen die Forscherin durch eigene Erzählungen in den Vordergrund rückt, sind entsprechend gekennzeichnet und nur gekürzt wiedergegeben.
VI Transkriptionen ausgewählter Interviews Bei den nachfolgenden Interviews handelt es sich um Transkriptionen des freien Gesprächsteils, der den Anfang der einzelnen Befragungen bildete und jeder Lektürephase vorausging. Sie sind zum einen bis zu einem gewissen Grad exemplarisch für Aufbau und Gesprächsverlauf der in
1 Die Transkriptionskriterien orientieren sich in Teilen an Koch/Oesterreicher (2011, 34s.).
Anhang
303
der Untersuchung durchgeführten teilstrukturierten Interviews, zum anderen bieten sie den kontextuellen Zusammenhang für die in Kapitel 4.6 erläuterten Beispiele der Gesprächsanalyse.
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