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German Pages [354] Year 1986
Richard Fester: Urwörter der Menschheit
Richard Fester
Urwörier der Menschheit Eine Archäologie der Sprache Vorwort: Joachim lllies
Kösel-Vertag München
Kösel Sachbuch Redaktion: Hermann Hemminger
Das Umschlagbild zeigt eine Elfenbeinplatte aus der Klausenhöhle bei Neuessing (Prähistorische Staatssammlung, München)
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Fester, Richard: Urwörter der Menschheit: e. Archäologie d. Sprache / Richard Fester. Vorw.: Joachim Illies. - München: Kösel, 1981. (Kösel Sachbuch) ISBN 3-466-11014-9
© 1981 Kösel-Verlag GmbH & Co., München Alle Rechte vorbehalten Gesamtherstellung: Kösel, Kempten Umschlag: Design Team, München Printed in Germany ISBN 3-466-11014-9
Inhalt
Vorwort................................................................................................... 7 Archäologie der Sprache..................................................................... 13 Die Archetypen..................................................................................... 33 Der Archetyp KALL............................................................................ 41 KALL und Kopf ....................................... ,........................................... 45 KALL und die Sinnesorgane am Kopf............................................. 55 Die Summe der Sinneseindrücke: Denken...................................... 67 KEHLE, HALS und NACKEN......................................................... 75 Der Mund............................................................................................... 83 Der KÖRper und das GANZE ......................................................... 93 Die HAND.............................................................................................. 107 Der denkbar größte HOHLraum: COELUM .................................121 Die RUNdung und der REIGEN........................................................ 129 Das HELLE KALL................................................................................ 137 Das Feuer .................................................................................................143 KALL und das Lebendige.................................................................... 157 Die FRAU—Lösung vieler Rätsel...................................................... 173 Die Mond und die Schiff ...................................................................... 213 KALL und die Gefäße........................................................................... 227 DieHÖHLE........................................................................................... 231 Schlußwort .............................................................................................. 247 Dokumentation....................................................................................... 251 Sprachenliste............ ........................................................................... 339 Literatur.................................................................................................. 345 Tafeln ....................................................................................................... 347
Vorwort
Richard Fester gehört keiner Universität an, und er leitet kein Institut für Sprachforschung. Aber diesem auf den ersten Blick so nachteiligen und ungewöhnlichen Umstand dürfte es zu danken sein, daß es ihn und seine Archäologie der Sprache in dieser eigenwilligen, unabhängigen und überaus fruchtbaren Form überhaupt gibt, und daß ein Buch wie das hier vorliegende in jahrelanger, ungestörter und zielgerichteter Arbeit entstehen konnte. Unsere Zeit huldigt im allgemeinen einer anderen Vorstellung vom etablierten Wissen schaftler: Er hat nicht nur mit Immatrikulation, Promotion, Habitilation und Ordination die Stufen zum Parnaß akademischer Höhenlage vorschriftsmäßig hinter sich gebracht, sondern er hat dabei in vorsichtiger Absetzung von seinem Lehrmeister ein vorgefundenes Forschungsgebiet unter ehrfurchtsvoller Übernahme der Tradition erweitert, sich selbst dabei auf einen winzigen Teilausschnitt speziali siert und dort durch beständigen Fleiß soviele Fakten gefördert und zusammengebracht, daß er schließlich als unbestrittener Fachmann für sein Spezialgebiet anerkannt ist und dort als Souverän regiert. Eine Planstelle ist ihm ebenso sicher wie die öffentliche Anhörung bei allem, was sein Spezialgebiet betrifft - und was er für richtig hält, das ist dann das letzte Wort der Wissenschaft. Von diesem Schema setzt sich Richard Fester so vollständig ab, daß er auch in unserer von so zahlreichen Wissenschaften und Wissen schaftlern erfüllten (und fast schon überfüllten) Zeit auffällt und sich nach dem gnadenlosen »Alles-oder-Nichts«-Gesetz für Außenseiter beurteilen lassen muß. Alles: Das wäre der geniale Einzelgänger, dem im Alleingang die kostbaren Funde glücken, die im vernetzten Teamwork der Spezialisten allemal durch die Maschen fallen. Nichts: Das wäre der versponnene Sonderling, der seiner fixen Idee nachjagt und von den Fachleuten mit Recht belächelt wird. Ich bin gewillt, die ganze Erfahrung meines jahrzehntelangen Umgangs mit Wissenschaftlern aller Sorten nachdrücklich in die 7
Waagschale des »Alles« zu werfen und Richard Fester zu bescheini gen, daß er der genuine Wissenschaftler eigenen Gepräges ist, der alle akademischen Normen sprengt und dem eben deshalb der Durchbruch in eine neue, in ihrer Ausdehnung heute erst zu erahnende Richtung gelingen konnte. Er ist »Amateur« - aber wem bei diesem Wort der abschätzige Beigeschmack mitklingt, den es im Munde etablierter Fachleute oft hat, der möge dem Wortsinn nachspüren (wozu er nicht einmal Paläolinguistik benötigt) und erkennen, daß gemeint ist: einer, der mit Liebe und Leidenschaft, mit wissenschaftlichem Eros der selbstgewählten Aufgabe hingegeben ist, und wie ein echt Liebender mit vollem Einsatz und unendlichem Fleiß, ja, mit Besessenheit sein Ziel über alle Widerstände hinweg unbeirrbar verfolgt. Nun ist freilich auch das Amateur-Sein allein kein unfehlbares Rezept, um in der Wissenschaft eine wertvolle Entdeckung zu machen. Unendlicher Eifer von Amateuren hat in Sackgassen ge führt, hat sich festgefahren und am Ende nur noch sich selbst genügt. Es gehört neben dem liebenden Eifer noch ein zweites zum Erfolg in der Wissenschaft: das Glück - das allerdings nach einem Sprichwort auf die Dauer nur der Tüchtige hat. Richard Fester kann man auch dieses Glück (und schon allemal diese Tüchtigkeit) bescheinigen. Er hat seine Art von Paläolinguistik als selbstentwickelte Forschungs richtung derart erfolgreich aufgebaut, daß heute bereits ein höchst beachtliches wissenschaftlichesLebenswerkvorliegt.demmandieHerkunft aus einem absoluten Ein-Mann-Betrieb kaum glauben kann. Manche großen wissenschaftlichen Institute könnten zufrieden sein, wenn sie nach intensiver, jahrzehntelanger Beschäftigung eines großen Mitarbeiterstabes schließlich eine solche Fülle von zu einem System gestalteten Ergebnissen vorlegen könnten. Die Entwicklungsschritte der Festerschen Paläolinguistik lassen sich an seinen Büchern seit 1962 verfolgen, zugleich die immer ausgefeiltere und raumgreifendere Methode, mit der er zu seinen Ergebnissen gelangt. War es am Anfang, ausgehend von der Grundüberzeugung der gemeinsamen Wurzel aller Sprachen, zu nächst der Vergleich einiger weniger Kultursprachen, so dehnte sich das Vergleichsmaterial kontinuierlich aus bis zu der heutigen Situation, in der sich in den Karteien von Fester der relevante Wortschatz von rund 200 Sprachen befindet - eine schier gigantische Materialfülle, die zu ihrer geistigen Bewältigung (ohne Computer!) eine gewaltige Disziplin erfordert. Aber es kam noch ein entschei dender methodologischer Schritt hinzu: die Entdeckung der »Flur8
und Ortsnamen-Konserven«, also der weit in die schriftlose Epoche der Kultur zurückreichenden linguistischen Fossilien, wie sie in den lokalen Bezeichnungen für Berge, Gewässer, Wege und Landmarken vorliegen. Fester schildert selbst auf Seite 19 dieses Buches, wie er zu der entscheidenden Erkenntnis kam, hier ein bisher kaum genütztes Feld direkter sprachlicher Ur-Relikte zu erschließen. Er hat auf diesem Felde unter jahrelanger systematischer Durcharbeitung des europäischen, später auch des überseeischen Kartenmaterials die ergiebigsten Funde gemacht bis hin zu der glücklichen Entdeckung seines ganz persönlichen »Steines von Rosette«, nämlich der so überaus aufschlußreichen Trilingue von Berg-Berg-Berg in dem Namen »MONTALBUCCO« (siehe S. 20). Der Kern seiner Entdeckung ist die Liste der sechs Urworte - er nennt sie Archetypen - BA, KALL, TAG, TAL, OS und ACQ, die er für die gemeinsame sprachliche Ausgangssituation aller späteren Entwicklung hält, mithin also für die Ursprache der Menschheit. Wenn es eine Möglichkeit gibt, eine so weitreichende und so kühne Behauptung durch Material plausibel zu machen, so hat Fester sie in den zahlreichen Tafeln erbracht, die er diesem Buche - wie zum Teil auch den früheren - beigibt. Daß er dabei eine staunenswerte Fähigkeit im Erkennen von Wurzel-Elementen und dem Gang der Verschiebungen und der Ablautung entwickelt, ist nicht verwunder lich, wenn sie auch dem Leser wegen ihrer Artistik manchmal den Atem verschlägt. Aber es geht eben auch in dieser Wissenschaft nicht ohne handwerkliche Grundbedingungen, doch gibt er die Legitima tion seiner Ableitungen durch die entsprechenden Hinweise und stellt sich so der Prüfung. Da mag also einer kommen und nachzuweisen suchen, daß es auch anders gehen müsse, daß etwa der KAJAK der Eskimos oder der KARAN (Schwan) der Araber kein KALL-Wort wären! Solange zumindest - also bis zum nachgewiese nen Irrtum - dürfen wir die Festerschen Ableitungen als gültig betrachten, und mehr kann man von keiner wissenschaftlichen Theorie verlangen. Es wird dem Leser aber nicht verborgen bleiben, daß Richard Fester uns in dem »Verwirrspiel der heutigen Sprachen« zur Einsicht in so überzeugende Querverbindungen und linguistische Verwandschaften führt, daß sie in der geballten Fülle und Eindring lichkeit zum Argument ihrer Richtigkeit werden. Ein System, das kreuz und quer gelesen, diagonal und von vorn und von hinten immer noch und immer wieder einen Sinn ergibt, dem darf man sich anvertrauen und von dem darf man sich auch dorthin tragen lassen, wo man als Nicht-Fachmann noch Fragezeichen setzen möchte.
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Ein Hinweis allerdings erscheint mir nötig: Richard Fester versucht aus der Sicherheit seiner linguistischen Überzeugung heraus immer wieder mit den Fakten zugleich den biologischen Unterbau zu liefern, wobei er auf ein sehr evolutionistisches und biologisches Konzept baut. Hier hätte Emst Haeckel seine reine Freude gehabt, die seinen Nachfolgern im Fach der Biologie in den letzten 100 Jahren weitgehend vergangen ist. Wenn also in diesem Zusammen hang auch mein eigenes Buch über die Zoologie des Menschen hier als Einbringung der Art Mensch in das Reich der Säugetiere gefeiert wird, so muß ich mit leichter Beklemmung konstatieren, daß die Ironie, die in dem Titel des Buches liegt, für Fester nicht spürbar war. Für ihn ist nur die biologische, die zoologische Seite des Menschen und seiner Evolution gültig - zumindest verschmäht er es fast völlig, aus der (nicht zuletzt durch die Sprache selbst bewiesenen) Tatsache der Geistigkeit des Menschen irgendwelche stützende Argumente für seine Fakten zu beziehen. Diese materialistische Einseitigkeit kann man bedauern, aber vermutlich gilt: ohne sie hätte Fester die Sicherheit für seinen tapferen und ungeschützten Alleingang nicht gewonnen. Im übrigen sind wir Biologen heute mit der Einbringung unserer Evolutionsvorstellungen sowieso vorsichtig geworden, seit uns der Erkenntnistheoretiker Sir Karl Popper gezeigt hat: Unsere Theorien sind doch zumeist falsch! Doch auf die einwandfreien Beobachtungen der Biologie kann man sich verlassen (solange sie nicht durch bessere überholt sind). Hier hat sich in den letzten Jahren manches gewandelt, und mancher biologistischen Spekulation wird dadurch der Boden knapp. So konnte man wohl einige Zeit lang meinen, wie Fester es auf S. 31 tut, daß Homo-Gruppen, die sich abspalteten und räumlich nahe beieinander blieben, »selbstverständlichen Kontakt zu ihrer unmit telbaren Mutterkolonie« hielten und daß so der kontinuierliche Fluß der Vokabeln sichergestellt war. Aber inzwischen haben die Frei landbeobachtungen von Jane van Lawick-Goodall bereits für die Schimpansen das Gegenteil bewiesen. Ehemals zusammengehörige Tiere führen schon wenige Jahre nach der Trennung und Aufspaltung in Tochtergruppen einen erbarmungslosen und tödlichen Krieg gegeneinander. Der Anschluß an Völkerkunde und Geschichte ist hier leicht: Gerade nahverwandte Gruppen (»Sekten« im Wortsin ne) bekämpfen sich untereinander am erbittertsten und lassen dadurch wenig Raum für eine linguistische Tradition. Die Zerstreu ung der Völker, ihr Nicht-Verstehen durch das Sprachwirrwarr und damit ihre Feindschaft (und so auch die Gefährdung ihrer sprachli
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chen Tradition) stehen eben doch in einem kausalen Zusammenhang, und schon deshalb ist der alte Mythos von der babylonischen Sprachverwirrung vielleicht ein wenig ernster zu nehmen und mehr hinter ihm zu vermuten als nur die Ideologie israelischer Gastarbei ter. Hier muß weitergedacht werden, und Richard Fester wird es tun. Aber solche biologischen Einwände - unvermeidbar bei der Indienstnahme der Biologie als Hilfswissenschaft für Linguistik ändern nichts an der grundsätzlichen Bedeutung der hier von Fester vorgetragenen Grundthesen. Im Gegenteil: Seine zentrale Aussage läßt sich biologisch voll legitimieren. Sie lautet:
- Sprache entstand zu einer (wenn auch fernen) Zeit an nur einem Ort innerhalb einer kleinen Gruppe von Menschen. Diese Aussage ist biologisch völlig berechtigt, denn sie beruht auf einer entsprechenden einhelligen Einsicht der biologischen Anthro pologie: - Der Mensch entstand zu einer (wenn auch fernen) Zeit und nur an einem Ort innerhalb einer kleinen Gruppe von Vormenschen.
Hier sind sich alle Biologen ganz einig - man frage sie nur nicht, warum das so war und welche Faktoren hinter dem Evolutionsprozeß standen. Denn dann kommt es sofort zur babylonischen Verwirrung innerhalb der Wissenschaft, zum Nichtverstehen, zur Feindschaft alles wie gehabt im alten Babel. Nimmt man beide Aussagen - die linguistische von Fester und die anthropologische der Biologie - zusammen, so zeigt sich, daß Richard Fester die biologisch einzig akzeptable Stellung zur Entste hung von Sprache einnimmt, indem er ihr die Monophylie beschei nigt, die jeder Biologe für dieses wichtige Merkmal der Art Mensch ebenso unbedingt fordern muß wie für die Spezies Homo sapiens insgesamt. Die Entdeckung der sechs sprachgeschichtlichen Arche typen bedeutet dann die Erkenntnis, daß die Sprachentstehung bereits am Beginn der Menschwerdung stand und daß sie - wie sollte es anders sein? - aus ihrem Ursprung heraus sich in homologe (und nicht in analoge) Verzweigungen entfaltete, an deren Weg die geduldige und kluge Forschung im Vergleich die geheimnisvolle Ursprungssituation erschließen und rekonstruieren kann. Ich wüßte niemanden, der diesem Geheimnis heute so dicht auf der Spur ist wie Richard Fester. Prof. Dr. Joachim Illies 11
Archäologie der Sprache
Der erste Satz des Vorläufigen Berichts über Paläolinguistik, der 1962 unter dem Titel Sprache der Eiszeit. Die Archetypen der vox humana in Berlin erschien, könnte unverändert auch dieser die neue Forschung zusammenfassenden Arbeit vorangestellt werden: »Diese Schrift unternimmt es, zu beweisen, daß die Sprache des Menschen so alt ist wie er selbst.« Diese Folgerung konnte rechtens aus der damaligen Erkenntnis der Verhaltensforscher gezogen werden, wonach es viele und recht unterschiedliche Tierarten zu einer bewußten gegenseitigen Verstän digung innerhalb der Art gebracht haben, so daß ihnen eigentlich nur noch die Sprache fehlt, um es den Menschen gleich zu tun. Später las man noch griffiger formuliert, die Sprache sei das zoologische Merkmal, das den Menschen aus der Tierwelt herausgehoben habe (Illies). Selbstverständlich war dieses Buch längst geschrieben, ehe das Vorwort von Professor Illies dazugestellt wurde. Sein Satz gegen Schluß desselben (»Die Entdeckung der ... Archetypen bedeutet dann die Erkenntnis, daß die Sprachentstehung bereits am Beginn der Menschwerdung stand...«) bedeutet nun aber eine Herausfor derung, einen Schritt weiterzugehen und die gewissermaßen passiven Feststellungen oben in eine aktive Form umzugießen und zu sagen: Es spricht inzwischen allzuviel dafür, daß es die Sprache war, deren wachsende Verfügbarkeit eine zunächst kleine Gruppe von Vormen schen zu Menschen gemacht hat. Und das vor allem, weil die Sprache als Mittel der wechselseitigen Informatik und als zusätzliches Medium der Speicherung von Wissen die »Vererbung« erworbener Fähig- und Fertigkeiten ermöglicht hat. Denn selbst die höheren Arten der Tierwelt, die Primaten, müssen ihren heranwachsenden Jungen erworbene Fertigkeiten solange vorspielen, bis die Nachwachsenden vom Zuschauen und Nachma chen her zu Gleichem in der Lage sind. Später müssen auch sie dann 13
mit dem eigenen Nachwuchs wieder von vorne anfangen. Die Möglichkeit, sich sprachlich »mitzuteilen«, bildete die Grundlage und Voraussetzung für die einsetzende Beschleunigung der besonde ren menschlichen Entwicklung. Darum konnte und kann der oben wiederholte Satz auch weiterhin unverändert stehen bleiben, obwohl sich die Zeiträume, die wir heute der menschlichen Evolution geben, um ein Mehrfaches erweitert haben. Fast zeitgleich mit der Entdeckung des Pithecanthropus africanus wurde vor 20 Jahren vermutet, daß der Neandertaler gar nicht habe sprechen können, weil ihm die anatomischen Hohlräume als Resonanzboden für eine Lautsprache noch gefehlt hätten. Das wollte zwar überhaupt nicht zu den geistigen und kulturellen Leistungen passen, die die Funde von sorgfältigen, offensichtlich auf Wiedergeburt ausgerichteten Bestattungen bezeugten, aber es wurde zunächst einmal geglaubt. Inzwischen hat man nicht nur weitere Zeugnisse gefunden, die ohne eine sprachliche Überlieferung un denkbar sind, man hat den Erfinder dieser Hypothese auch korrigie ren können. Außerdem hat man jene Hohlräume nicht nur beim Homo erectus mit seiner runden Million, sondern sogar schon am Ramapithecus mit seinen neun Millionen Jahren aufgedeckt. Weiter wissen wir heute, daß die anatomischen Einzelteile des Sprachappa rates ursprünglich gar nicht für diesen Zweck ausgebildet wurden, sondern daß ihr Vorhandensein Sprache ermöglichte, indem sie gewissermaßen zweckentfremdet wurden. Sicher ist, daß in der Folge das Sprechen selbst sich die Instrumente für die einmal gefundene Lautsprache ständig verfeinerte. Wir wissen also, daß Vorläufer des eigentlichen Homo schon Jahrmillionen vor seinem Erscheinen die instrumentale Fähigkeit zu einer Lautsprache besaßen (und von dieser Möglichkeit sehr wahrscheinlich auch einen ihnen angemessenen Gebrauch gemacht haben), wir wissen aber auch, daß relativ noch früher auf der Leiter der Evolution das Hirn von Primaten eine Art Sprachzentrum aufweist, was sie zwar nicht zu einer echten Lautsprache führte, sie aber immerhin als lernfähig erwiesen hat, eine lautlose Sprache, nämlich das System der amerikanischen Taubstummensprache, zu erlernen und zu verwenden. »Verwenden« heißt hier nicht nur die Erlernung von 100 bis 650 Zeichen der American Sign Language (ASL), sondern auch deren selbstständige und vom Lernvorgang unabhängige Anwendung etwa bei der Charakterisierung einer Gurke als »grüne Banane« oder der ungehaltenen Äußerung eines Schimpansenmädchens gegenüber 14
einem jüngeren Artgenossen, dem sie ihrerseits das ASL beibringen wollte: »Du schneller denken!« Zweifellos war der Anteil der Gestik an früher Sprache größer als heute. Lautsprache aber hat gegenüber auch der bestentwickelten Zeichensprache den für das Überleben unter frühen Umweltbedin gungen entscheidenden Vorteil, daß der Empfangende wie der Zeichengeber dem jeweils anderen nicht ihre visuelle Aufmerksam keit zuwenden müssen. Lautsprache erreicht auch ohne Hinwendung zum anderen, ja sogar außer Sichtweite, ihre volle Wirkung. Biologen und Verhaltensforscher haben die vor dem Hinzutreten der Paläolinguistik vorherrschende Art von Sprachforschung oft in Bedrängnis und Verlegenheit gebracht. Denn nur zu natürlich war die Frage nach der Entstehung von Sprache schon seit dem Altertum gestellt worden, einem Altertum übrigens, das sich in seinen Mythen und späteren naturphilosophischen Denkweisen den Menschen als stets von Anbeginn an sprechend vorgestellt hatte. Oft recht phantasievolle Hypothesen führten schließlich in der Mitte des vorigen Jahrhunderts dazu, daß sich die internationale Vereinigung der Sprachwissenschaftler dazu verstand, keine weiteren Arbeiten über den gemeinsamen Ursprung von Sprache mehr zur Veröffentli chung oder Erörterung anzunehmen. Noch 100 Jahre später gehörte es zum guten Ton einer linguisti schen Doktorarbeit, irgendwo zumindest in einem Nebensatz einen gemeinsamen Ursprung menschlicher Sprache als unbeweisbar oder gar als unmöglich abzuqualifizieren. Wer anderer Meinung war, galt als Dilettant und blieb ein Außenseiter. Mit dem Ausweiten der Zeiträume, in denen der Mensch als »Mensch« existiert, und der von Biologen, Anthropologen und Verhaltensforschern an der bisherigen Sprachwissenschaft vorbei gefundenen und formulierten Bedeutung der Lautsprache als Motor der besonderen menschlichen Entwick lung seit dem Homo erectus oder gar schon seit dem Homo habilis, stand die eigentliche Sprachforschung mit ihrer selbstgewöllten Beschränkung auf schriftliche Belege recht armselig da. Da es solche schriftlichen Belege erst seit rund 6000 Jahren gibt, schrumpft dieser Zeitraum zu 0,5 bis 0,1 Prozent derZeit, in der menschliche Sprache heute als möglich gedacht werden kann. Paläolinguistik ist die Erforschung von Sprache in die Urzeit menschlicher Geschichte zurück. Sie dringt durch den Vergleich heutiger Sprachen mit den Archetypen bis zu den Anfängen selbst vor. Mit den neu hinzugewonnenen Erkenntnissen und Funden der
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Biologen, Anthropologen und Urgeschichtsforscher wurde die Aus flucht der Sprachforscher, Sprache sei eben irgendwann einmal zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten und bei unterschiedli chen Arten von Menschen ohne Zusammenhang untereinander entstanden, immer weniger haltbar. Auch die Behauptung, die vorkolumbischen Sprachen Amerikas seien ein Beweis mehr für die Unmöglichkeit eines solchen gemeinsamen Ursprungs, wurde mit der Sprache der Eiszeit und nochmals gezielt mit Die Eiszeit war ganz anders 1973 widerlegt. Ebensowenig sind die Idiome der inzwischen ausgerotteten Ureinwohner von Tasmanien, die, wie wir wissen, vor 100000 Jahren zunächst nach Australien gelangten und vor 30000 Jahren von den nachstoßenden heutigen Aborigines verdrängt wurden, geeignet, diese falsche Annahme zu stützen - im Gegenteil! Die heutigen Erkenntnisse über die Entstehung des Menschenge schlechts zusammengenommen, können wir jetzt sagen: Sprache entstand zu einer (wenn auch fernen) Zeit an nur einem Ort innerhalb einer kleinen Gruppe früher Menschen. Es ist die Absicht dieses Buchs, das für jedermann schlüssig zu beweisen. War es wirklich unumgänglich, sich bei der Erforschung von Sprache in die Vergangenheit zurück auf schriftliche Zeugnisse zu verlassen? Schrift ist eine der jüngsten Errungenschaften der Menschheit, wenn wir inzwischen auch Symbole und Bildzeichnun gen in den Höhlen als frühe Schrift verstehen. Aber das lag ja außerhalb der Reichweite der Etymologen. Das Studium auch der frühesten Inschriften aus ägyptischen, sumerischen und gleich frühen Funden vermittelte doch den Eindruck völlig fertiger, höchst komplizierter und voll grammatikalisierter Sprachen, keineswegs also von frühen. Daraufhin begann man mit der Erforschung der Sprachen sogenannter primitiver Völker in dem Glauben, dadurch früheren Formen näher zu kommen. Enttäuschung auch hier: Sprachen von Naturvölkern erwiesen sich oft als reicher und feingliedriger als die Muttersprachen der Forscher selbst. Von unserer oben gegebenen Definition her verstehen wir jetzt auch leicht, daß die Vorstellung, die Sprache primitiver Völker sei später entstanden und darum den Anfängen näher, in die Irre führen mußte: Da alle Sprache einst zugleich ihren Anfang nahm, sind alle heutigen Sprachen gleich weit von diesem Beginn entfernt oder, anders ausgedrückt, gleich alt. Und sie alle haben eine Entwicklung durchgemacht, die unendliche Zeiträume hindurch völlig parallel verlief und sich erst sehr viel später, bedingt durch die unterschied liche Erlebnisfähigkeit der unterschiedlichen Gruppen in ihrer 16
unterschiedliche Eindrücke vermittelnden Umwelt, auseinanderleb te und die sprachlichen Gewichte abweichend voneinander verteilte. Trotzdem hat die legendäre babylonische Sprachverwirrung nie stattgefunden. Sicherlich hat man beim Bau des damaligen Ziqqurat viele Gastarbeiter aus umliegenden Stämmen und Völkern zur Mitarbeit herangezogen, aber trotz der berichteten sprachlichen Schwierigkeiten ist der Bau vollendet worden - wir haben ihn inzwischen ausgegraben. Aber er galt ja noch in der Antike als eines der sieben Weltwunder. Übrigens bestand für das behauptete göttliche Eingreifen keinerlei Grund, denn kein Babylonier hatte die Absicht, diesen Turm in den Himmel hinein zu bauen. Das mochte israelischen Hilfsarbeitern, deren Bauwerke damals im wesentlichen aus Nomadenzelten bestanden, so vorkommen. Natürlich erscheint dem sprichwörtlichen »Mann von der Straße« die heutige Vielfalt der Sprachen leicht als eine Verwirrung, aber dem Wissenschaftler sind schon immer einmal wort- und buchstabenge treue Entsprechungen begegnet. Sie wurden in der Regel mit Wanderungen der betroffenen Völker oder mit dem einstigen Bestehen von Großreichen begründet, wenn anders die Distanz zwischen ihnen nicht zu erklären war. Doch diese Art der Deutungen läßt sich durch Übertreibungen leicht ad absurdum führen. Da läuft eine Entwicklung von dem englischen, mundartlichen GAL über das schottische QUAIL zu QUEY auf den Shetland-Inseln, alle drei in der Bedeutung »Mädchen«, als GIRL weltweit bekannter. QUEY sagen aber auch viele der 300 Sprachen und Dialekte der australi schen Aborigines. Und das haben sie mit Sicherheit nicht von Shetländern übernommen. Da das -L- am Ende eines Wortes gern zu -N- verweichlicht, gibt es neben dem QUAIL in Schottland auch ein CWEN für »junge Frau«. Das ist nicht nur im Grunde identisch mit der QUEEN und der nordischen KVINN, sondern auch mit unserer frühmittelalterlichen Form, der deutschen KVENNE. »Frau« selbst heißt im Griechischen GYNE, im Baskischen GUNE und im Norwegischen KUNA - das mag noch hingehen. Aber wo bleibt die Erklärung dafür, daß CUNA im Inkareich Perus, in der Sprache der Quechuas, so eindeutig gleichfalls Frau bedeutet wie das GUNA der australischen Aborigines? (Hier Großgedrucktes steht in unmittel barer Nachfolge eines Archetypen. Weitere Erläuterungen zur Schreibweise der Sprachbeispiele finden sich auf S. 42.) Flüsse in Mitteleuropa führen nicht selten den Namen AACH, in Österreich ist jede alpine ACHE ein Bach, in Frankreich haben wir ÄIGUES und AIX. Wenn nun auch der Himalaya von AK-Flüssen
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und -bächen wimmelt, so befremdet das schon ein wenig, aber auch Amerika hat seine AC, ACA und die Umkehrung: CACA-Gewässer in Hülle und Fülle. In Lappland und Alaska treffen wir auf JUKKA, JOKKA und YUKON, in Sibirien auf YUGAN und in Afrika auf NYAKKA — alles Gewässernamen mit der ursprünglichen Bedeu tung: »Wasser«. Die Eskimos kennen UK, die Japaner IK und die australischen Aborigines EAKE wie QUASCHA, auch letzteres nur eine Variante des ACQ-Themas. Auch hier bleibt nur die Erkennt nis, daß solche Namen nicht auf Entlehnungen oder Importe, sondern auf ein von allem Anbeginn gemeinsames Urwort zurück gehen. Die meisten Berge des Himalaya hören auf den Namen TAGH oder TACH. Das setzt sich nach Westen fort über das türkische DAG bis zu unseren TAUERN und dem TAUNUS, dem TJOKK der Lappen und dem TOUC früher Pyrenäen-Anlieger. Doch wiederum kennen das vorkolumbische Amerika und der Ferne Osten eigene TAG-Varianten für ihre Berge! Auch unser GLÜCK haben wir nicht nur mit unseren Nachbarn, den Briten - LUCK - und den nordischen Völkern - LYKKE -, gemeinsam, sondern unter anderem auch mit den Loma in Schwarz afrika und den Ureinwohnern der Philippinen, den Tagalog, die beide solch schönes Erleben GALAK nennen, eine ältere Form des gleichen Wortes. Einst als GAL’GAL eine Doppelung, um die besondere Bedeutung dieses Wortes zu betonen, wurde daraus aus Bequemlichkeit GAL’LAG, weil sich das besser spricht. Weil offenbar die Betonung sich allmählich auf die zweite Silbe verlagerte, wurde der Vokal -A- in der ersten bei uns verdünnt und landete schließlich bei einem schwachen -E-. Mit dadurch hatte sich auch das -A- gewandelt und geschwächt und die vorletzte Form ist daher G’LÜCK. Unsere Nachbarn gaben dann sogar das Anfangs-G auf, das bei uns noch immer die frühere Doppelung andeutet. Auch ansonsten bezeichnet die zu GE-verstümmelte Urform GAL bei uns die innere Mehrzahl eines Wortes an: Schwester/Ge-schwister, Bein/Ge-bein, folgen/Ge-folge, Wetter/Ge-witter, lachen/Ge-lächter usw. Wer aber würde ernstlich behaupten wollen, daß wir unser G’LÜCK aus Afrika oder die Loma das ihre von den Tagalog bezogen hätten? Sicherlich nicht mehr, wenn wir im zentralen Teil dieser Arbeit erfahren, daß Hunderte von Sprachen ihr Wort für diesen angenehmen Zustand aus der gleichen sprachlichen Quelle geschöpft haben. 18
Noch heute ist mir unbegreiflich, daß Linguisten auf ihrer spärlichen Suche nach alten und ältesten Formen der Sprache an der doch so offen zutage liegenden Dokumentation solcher Zeugen einfach vorbeigelaufen sind. Das mag daran liegen, daß man frühen Menschen im Gegensatz zur antiken Philosophie einfach keine Sprache zugetraut hat und daß zu Unrecht ernstgenommene Leute noch in der Mitte unseres Jahrhunderts den Höhlenmalem der Eiszeit bestenfalls ein Lallen zugestehen mochten. Sie konnten noch nicht wissen, daß wir jetzt dem neun Millionen Jahre fernen Vorläufer des Homo bereits mehr als ein solches Lallen zutrauen! Folglich übersahen sie, was die sie umgebende Landschaft ihnen an uraltem Sprachgut bot. Paläolinguistik begann mit dem Durchschauen von Landschafts kennzeichnungen, wie sie sich in Flur-, Orts-, Berg- und allgemeinen Landschaftsnamen darbieten. Ein »Segen der Sackgasse« bewirkt, daß Wörter, die aus einem bestimmten Grunde zu Namen werden, sich nicht mehr verändern. Ein Katzenbuckel oder Feldberg, ein Kilimandscharo oder Kailas (Himalaya) heißt insgesamt oder in Teilen noch heute so wie damals, als diese Berge zum ersten Male benannt wurden. Warum solche Namen nur in der Erinnerung und Überlieferung festgeschriebene Wörter sind, können wir heute besser verstehen wie noch vor 20 Jahren, als die Sprache der Ezszezientstand (die übrigens 1980 in zweiter Auflage erschienen ist). Frühe Menschen lebten genau wie ihre Vor- und Nebenläufer, ja, wie die meisten Säugetiere heute noch, in Gruppen innerhalb fest umgrenzter Wohnreviere. Je nach Fülle des Nahrungsangebots mochte ein solches Revier einen Durchmesser von 20 Kilometern haben - oder von entsprechend mehr oder auch weniger, je nach Größe der Gruppe und je nach Ergiebigkeit an Lebensnotwendigem. Im Kern des Reviers hielten sich die Frauen und Mütter mit Kindern auf, an der Peripherie die Männer. Das Revier mochte an einen Fluß grenzen, von einem oder einigen Bächen durchzogen werden, einen Berg oder Buckel aufweisen. Innerhalb der gruppeneigenen Geographie gab es nur »den Berg«, »den Fluß« oder »Bach«, »das Tal«, »den Wald« und »die Wiese«. Es bedurfte also keiner »Namen« im heutigen Sinne. Das ist in manchen Gegenden sicherlich nicht nur meiner Heimat auch jetzt noch nicht anders: Was da durch Ortschaft oder Dorf fließt, ist einfach »die Bach«, und erst beim Nachfragen erfährt der Ortsfremde etwas von Elz, Enz, Kinzig oder Aach (wobei auch diese Namen einst keine andere Bedeutung hatten als eben »die Bach«),
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Wenn später im Sinne einer Radiation, einer schrittweisen Ausbreitung durch Schaffung neuer Reviere am Rande des ersten und als Folge einer zu zahlreich gewordenen Mutter-Population, neues Gelände erforscht wurde, begann der Vorgang der Bezeich nung der vorgefundenen Oberflächengestaltung von neuem. Mit der fortschreitenden Sprachfähigkeit konnte dann schon mal ein neueres Wort für dieselbe Sache verwendet werden. Ja, es kam sogar vor, daß man an das noch vorhandene Wort das neuere anhängte oder davorstellte - bei Namen wie MONT’ALB’BUCCO in der Toskana oder bei TJAERRE’TUN’TURI in Lappland oder beim GAL’HÖI’PIGGEN Norwegens geschah das gleich dreimal nacheinander. Wahrscheinlich versteht sich der besondere Einstieg des Paläolinguisten in die Erforschung früher Sprache am besten, wenn ich hier kurz schildere, wie das beim ersten Mal geschah. Ein inzwischen verstorbener Freund, der Heidelberger Heimatforscher H. Chr. Schöll, zog mich mit folgender Frage zu Rate: »Es gibt in unserer engeren Heimat eine Fülle von Ortsnamen, die auf -BACH enden, ohne daß ein >Bach< gleichen Namens in der Nachbarschaft erkenn bar wäre. Im Gegenteil, es gibt Bäche, an denen fünf oder sechs -BACH-Ortsnamen aufgereiht sind, ohne daß auch nur ein einziger den Namen des >Baches< trägt. Könnte das nicht eine Verball hornung von -BERG sein, einer ja gleichfalls häufigen Ortsnamen endung?« Meine Antwort: »Es könnte auch eine Parallele zu dem nor dischen BAKK sein, ein Wort das man international zum Beispiel aus >Ski-BAKKEN< oder >Holmenkoll-BAKKEN< kennt. Das Wort bezeichnet einen sanften Hügel, der mit Erde und folglich mit Vegetation bedeckt ist, während das nordische BERG’et auf nacktes Gestein weist.« Uns wurde klar, daß diese Frage nirgendwo leichter zu klären war als gerade in der Gegend um Heidelberg, mit seinem Mittelgebirge im Rücken und der flachen oberrheinischen Tiefebene im Westen, die sich gut 300 Kilometer von Süd nach Nord erstreckt. Ich versprach, alle erreichbaren Karten Quadrat für Quadrat durchzu gehen. Nach drei Tagen und Nächten konnte ich meinem Freunde berichten, daß es in den Mittelgebirgen beiderseits des Rheingrabens von -BAKK-Vorkommen nur so wimmele, daß aber den Tausenden von Vorkommen im Odenwald, im Taunus, im Pfälzer Wald, in der Hardt und den Vogesen und wieder im Schwarzwald ein absolutes Null in der Ebene gegenüberstehe. Zwar habe der Kaiserstuhl wieder 20
solche Namen und auch der auf dem Westufer gegenüber Karlsruhe gelegene Rücken, aber das sei halt nicht Ebene. Es sei also als erstes festzustellen, daß der zu -BACH gewordene Sinngehalt BAKK sich genau an die vom Nordischen her vorgezeich nete Forderung halte und da, wo diese Voraussetzungen fehlen, wegbleibe. Aber nur, weil wir uns nicht scheuten, die Frage nach dem Warum einer solchen, deutlich abgegrenzten Verteilung zu stellen, kamen wir weiter. Diese Verteilung konnte, so unser Versuch, von der Unbewohnbarkeit oder gar Unpassierbarkeit des Rheingrabens nach oder noch während der Eiszeit herrühren, als die weite Ebene offenbar ein vom Fluß her ständig genährtes Sumpfgebiet war. Wenn aber die Kennzeichnung BACH nur während oder noch kurz nach der Eiszeit üblich gewesen sein sollte, dann mußte das auch andernorts und rund um die Alpen herum feststellbar sein. Nach wochenlanger minutiöser Kartenarbeit konnte ich belegen: 1. BAKK und BACH sind eiszeitlich - es gab sie im gesamten während der letzten Eiszeit bewohnbaren Raum, aber nur dort: weder in den Alpen, die während der Eiszeit völlig vergletschert waren, noch nördlich einer Grenze solcher Bewohnbarkeit. 2. BAKK stand nie allein, es war stets begleitet von ACH-, ACund ACQ-Namen - wo der eine aufhörte, blieben auch die anderen weg. Der dritte im Bunde war BUCH, BUC oder BOUC. Er war offensichtlich eine selbständig gewordene Variante von BAKK mit der Bedeutung »Anhöhe«, auf oder an einer Anhöhe. (Später fand ich BUKK in der gleichen Bedeutung in dem BUKIT der Malaien, dem PUKARA der Aymara Perus und dem PUKE der neuseeländi schen Maori...) 3. Das Vorkommen der drei Ortsnamenkonserven deckte sich im eiszeitlichen Frankreich genau mit den damals klimatisch bedingten Grenzen des Höhlenreviers. Nun möchte ich nicht dahin mißverstanden werden, es habe solche Orte schon während der Eiszeit gegeben. Ortsnamen folgen oft aus schon von altersher überlieferten Flurbezeichnungen. Die charakte ristischen Fluren seiner unmittelbaren Umwelt aber bezeichnete der Mensch noch bis in unsere Zeit, bis sie auf den Katasterämtem verewigt wurden und uns heute manches Rätsel aufgeben mit ihren Kühling, Klingenteich, Weidenrot, Schlößchen und so weiter und so fort. Auch Naturvölker kennen nicht nur Weg und Steg, sondern auch jedes Waldstück, jede Lichtung, jede Wiese oder Höhe oder Schlucht gewissermaßen bei Namen. Viele heutige Stadtnamen sind anders gar nicht zu erklären, die Bielefeld, Elberfeld, Aachen, Heidelberg,
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Burgau, aber auch Stockholm, Bergen, Aurignac, Bergerac oder, schon erwähnt: Montalbucco. Hier schnell die Übersetzung: BUCC ist unser oben behandeltes BUCC für Anhöhe, ALP ist das keltische, und MONTE das noch spätere romanische Wort für Berg oder Höhe., Dreimal dasselbe also. Im Laufe des monatelang fortgeführten Kartenstudiums, ausge dehnt auf ganz Europa, konnten weitere Entdeckungen von merk würdigen Übereinstimmungen nicht ausbleiben, wenn der Grundan satz richtig war. So fand sich zum Beispiel in dem Mittelgebirge um den Rhone-Zufluß Ardèche in Südfrankreich die Gebietsbezeich nung »Montagne de BERG«. Natürlich konnte man das im Sinne der Historiker damit abtun, daß etwa während der Völkerwanderungs zeit das Wort BERG hier von germanischen Völkern zurückgelassen wurde. Aber gerade das erweist sich dem, der in den heute noch echt-germanischen Sprachen zu Hause ist, als Fehlschluß. Da, wo es im Norden »Berge« gibt, spricht man je nach der äußeren Form, je nach der Höhe und je nach dem Zustand der Vegetation von ÄSEN, KJÖLEN, SÖLEN oder FJELL, kennt das Wort BERG aber nur für nacktes Felsgestein, unabhängig von äußerer Gestalt oder Höhe. Die bekannte »Bergstraße«, die sich von Heidelberg (dem vorgeschicht lichen Neckarlauf folgend) nach Norden wandte, führte nicht etwa über »Berge«, sondern an der relativ tiefsten Linie an diesen entlang. Uferlinien waren aber früher beliebte Wege, weil das Hochwasser der Flüsse immer wieder einmal für das Freischaffen von störender Vegetation sorgte. In Frankreich heißen daher diese nackten Uferstreifen heute noch »les berges«. In BERG steckt also das Wort BAR für das Nackte (vgl. BAR’fuß, BAR’haupt und sogar noch BAR’geld). Im Süden haben wir ja noch eine Landschaft, die BAAR zwischen Südschwarzwald und Schwäbischer Alb, von der man sich unschwer vorstellen kann, daß sie während und noch lange nach der Eiszeit durch ihre Kahlheit, BAR jeden Pflanzenwuchses, auffiel. BAR aber ist seinerseits nur eine - das Nackte betonende Variante von BAL, einem der frühesten Wörter für Höhen. In den Pyrenäen, der eiszeitlichen Südgrenze des Steinzeit-Reviers, beginnt es mit BAL und BIAL, setzt sich dann als - heute - VIAL und VIEL nach Norden fort, um sich in den nordischen Formen FJÄLL und FJELL erneut bestätigt zu finden. Das Wort FJELL’et bezeichnet zugleich eine baumlose Oberfläche, deren Vegetation Tundra-Cha rakter hat. Die Endung »-et« stellt einen angehängten Artikel dar, den man bei der Umstellung auf vorgesetzte vergaß, so daß man in Schottland heute von FIELD und in Deutschland von FELDbergen
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spricht. BAL/BIAL und später FJÄLL-Gebiete waren in Eiszeiten die bevorzugten Sommer-Weidegebiete für die damaligen Herden von Renen, Elchen, Hirschen und Mammuts, die um der Aufzucht ihrer Jungen willen das besonders eiweißreiche Futter der Fjellregionen suchten. Solche Regionen erstreckten sich weit genug nördlich auch bis ins Flachland, erst nach der Eiszeit beschränkten sie sich auf höheres Bergland, weil Wald die Täler eroberte. Wenn wir heute von »Feld-Zug« sprechen, dann bewahren wir mit diesem Wort- unabhängig von seinem gewandelten Sinngehalt - die Erinnerung an jene großen Jagdzüge in den Fjell (auch sonst ziehen wir noch immer ins Feld!), wie sie vor 10000 und mehr Jahren zum Jahresablauf gehörten. Bei den Lappen noch vor wenigen Jahrhun derten, damals, als es noch Wildrene gab. Der scheinbare Widerspruch zwischen RHEIN und RHÖN gab einen weiteren paläolinguistischen Anstoß. Das offensichtlich glei che Wort für einen Fluß und ein Mittelgebirge forderte eine Erklärung. Nun ist der RHEIN kein Einzelfall, jedes europäische Land hat Entsprechendes: Frankreich RHONE und ROANNE, Italien RENO, England RANNOCH, Norwegen RENA, Schweden und Finnland RÖNNE. Abseits des deutschen RHEINes gibt es eine Fülle von Ortsnamen auf RHEIN-, und: es gibt das märkische RHIN. Letzteres und die Ortsnamen führten zur Lösung: RHEIN-Namen finden sich immer da, wo in niederschlagsreicheren Zeiten Sümpfe, Moore und ganze Seenketten entstehen mußten. Das war am Oberrhein der Fall, ebenso an der Rhone. Das galt erst recht für das Rhin mit seinem Rheinsberg, bis zu seiner Trockenlegung. Damit aber wurde auch der Name Rhön verständlich, sind doch die selbst heute noch kaum geschmälert vorhandenen Hochmoore und die vielen Rinnsale (RINN=RHEIN!) das besondere Merkmal der Hochrhön. Später fand ich nahe Washington die indianische Roanoke und im tiefen Süden des Doppelkontinents zahlreiche Rhinihue. Die dort lebenden Mapuche-Indios haben für unser RINN’en das gleiche Wort: RIN’ün. Importiert? Woher wohl? Aus dem Sanskrit - RINA? Oder aus dem Tibetischen - RAN? Oder aus dem Japanischen - RYUN? Oder gar aus dem Kisuaheli Schwarzafrikas - baha’RINI? Europa wird nicht ausschließlich von indogermanischen Völkern bewohnt. Basken und Lappen gehören nicht dazu. Aber die in ihrem Lebensraum von ihren Vorläufern und Vorfahren hinterlassenen Landschaftskennzeichnungen fügen sich nahtlos in diejenigen in 23
anderen europäischen Räumen. War das ein Hinweis auf die etwaige Allgemeingültigkeit solcher Elemente der Erdbeschreibung? Also mußte auch außerhalb Europas die umfangreiche Dokumentation der Landschaftsnamen-Konserve so genau, wie es das vorhandene Kartenmaterial erlaubte, durchforscht werden. Das geschah in jahrelanger Arbeit. Schon diese Art von Einstieg mußte notwendigerweise zur Freilegung von Urformen führen. Beschleunigt wurde dieser For schungsvorgang jedoch noch von einer anderen, jedermann zugängli chen Einsicht: Die Umwelt der Menschen, und da besonders die Landschaft, ist sprachlich der Tummelplatz menschlicher Körperlich keit. Der Mensch verwendet Begriffe und Wörter, die er zuerst auf seine körperlichen Eigentümlichkeiten münzte, um parallele Er scheinungen in seiner Umgebung zu bezeichnen und so seinen Mitmenschen zu verdeutlichen, wovon gesprochen wird. Schließlich und endlich verfahren wir heute noch genauso, wenn wir von einem Flußarm oder einer Bachmündung, von einer Berghase oder einem Bergrücken, vom Knie eines Stromes oder vom Gipfel eines Felsmassivs sprechen (ist doch der Gipfel eine sehr direkte Ableitung von unserem »Kopf«). Gespenstisch deutlich wird diese Praxis, wenn unsere romanischen Nachbarn von einer GORGE, einer GURGEL oder KEHLE also, sprechen, wann immer sie eine besonders enge Schlucht oder Klamm meinen. Also durfte auch der Umkehrschluß erlaubt sein: Da, wo heutige Namen ursprünglich nur Wörter waren, konnten solche »Namen« Wörter für bestimmte Teile des menschlichen Körpers enthalten oder, noch einfacher, sein. Das hat sich im Laufe paläolinguistischer Forschung tausendfach bewahrheitet. Verwirrend ist im Anfang nur, daß im Laufe von Jahrmillionen nacheinander unterschiedliche Urformen etwa den Kopf und damit die »Namen« der Höhen bestimmten. Wir hatten schon BAR und BAL erwähnt, ihre Folgeformen sind die ältesten, gewissermaßen aus dem Sprach-Altertum stammend. Kahlen- oder Killesberg, der Riese Kailas im Himalaya oder der Kilimandscharo entstanden im Sprach-Mittelalter, als unser Kopf zum Beispiel S’CULL, CAL’va oder po’GAL, wie heute noch im Englischen, Spanischen oder Australischen, hieß. Gleiches widerfuhr allen anderen wichtigen körperlichen und - demzufolge - landschaftlichen Merkmalen. Verwirrend bleibt das aber nur, bis man die zugrundelie genden Urformen freigelegt hat. Es gehört sicherlich keine allzu große Überwindung dazu, sich 24
auch unter Fachleuten zu dem Konsens zu verstehen, daß frühe Sprache aus kurzen Wörtern, aus einsilbigen mit nur zwei, drei oder vier Lauten, bestanden haben dürfte. Das läßt sich aber auch heute noch leicht nachweisen: Wenn man aus einem oder zwei Dutzend beliebigen Sprachen die einsilbigen heraussiebt, dann ergibt sich kein Mischmasch an Sinngehalten solcher Wörter, sondern sie haben vor allem mit dem Menschen selbst und seiner Körperlichkeit zu tun. Genau wie auch im Deutschen: Kopf, Hirn, Stirn, Haar, Ohr, Mund, Zahn, Hals, Brust, Arm, Hand, Herz, Bauch, Darm, Bein, Fuß, Knie, und wenn man die bloßen Wortendungen -e- und -en- nicht rechnet, noch: Auge, Kehle, Backe, Lunge, Galle, Niere, Nacken, Rachen, Magen. Es gibt noch heute Sprachen, die aus lauter einsilbigen Wörtern bestehen, oder solche wie das Mongolische und das Chinesische, die aus lauter einsilbigen Einzelwörtem ihre komplizierteren Begriffe zu mehrsilbigen Wörtern zusammensetzen. Tiefer eindringend, be merkt man, daß auch wir einmal eine solche »chinesische Phase« durchlaufen haben müssen, denn auch unsere Wörter sind Zusam mensetzungen und oft auch Zusammenschliffe aus ursprünglich mehreren einsilbigen. Jenen Zweiflern aber, die sich nicht vorstellen zu können glauben, daß unsere heutige Sprache auch nur die geringste Verbindung zu den Idiomen von Menschen vor 10000 oder 100000 oder noch mehr Jahren haben sollte, ist entgegenzuhalten, daß auch sie, wie jeder von uns, am Ende einer Generationen-Kette stehen, die ohne jede, ohne auch nur eine einzige Unterbrechung, in die Vergangenheit zurück führt - nicht 10000 oder bloße 100000 Jahre, nein, zunächst einmal »nur« runde neun Millionen Jahre bis zum Ramapithecus als Zwischenglied zu noch weiter zurückliegender Evolution. Und wann immer menschliche Vorläufer in dieser Kette eine Lautsprache erwarben und wieder ausstarben, und erst recht, seit der eigentliche Homo erneut Sprache erfand, hat der Faktor, den wir volkstümlich, aber doch wohl allgemeinverständlich »Muttersprache« nennen, dafür gesorgt, daß Erworbenes genau so weitergereicht wurde, wie es erlernt worden war. Da wir selber der lebende Beweis dafür sind, daß es aus fernster menschlicher Vergangenheit eine durchgehende Linie bis zu uns gibt, hat die nie unterbrochene Tradition der Mutterspra che dafür gesorgt, daß wir noch immer besitzen, was vor undenkli chen Zeiten erdacht, geformt und ausgesprochen wurde. Das - und nichts anderes - ist der Grund für die vielen frappanten Entsprechungen und Übereinstimmungen zwischen einander heute 25
entfernten Sprachen wie zum weiteren Beispiel das erwähnte BAR und BERG, das sich bei den Antipoden, bei den australischen Aborigines als BAREE wiederfindet. Wir erklären das nicht mit gewagten Migrationshypothesen, bei deren Erfindung man geradezu schwindelfrei sein muß, sondern mit einfachen Selbstverständlichkei ten, die schon darum mehr Aussicht haben, richtig zu sein, weil sie einfach sind. Paläolinguistik heißt, Urformen oder - wie ich es in meinem »Vorläufigen Bericht« von 1962 genannt habe - Archetypen freizulegen und ihre Nachwirkungen in heutige Sprachen hinein zu verfolgen. Wie und warum Sprache überhaupt entstanden ist, war eine Frage, die wohlweislich beiseite blieb, denn dabei schien es zuvörderst um Spekulation zu gehen. Die Antike, die den Menschen von Anbeginn die Fähigkeit der Sprache zuerkannte, mochte sich damit begnügen, sie als Geschenk der Götter zu sehen. Immer wieder einmal, aber vorrangig im 19. und 20. Jahrhundert, haben sich hervorragende, aufgrund anderweitiger Leistungen berühmt gewor dene Denker mit dem Wie und dem Warum befaßt und Theorien aufgestellt. Im Endeffekt allerdings nur, um ihre Vorstellungen auf dem Hackklotz der Kritik des nächstfolgenden Nachdenkers geop fert zu sehen. Wahrscheinlich bedeutet das 1979 erschienene Buch meiner Mitautoren (von Weib und Macht und Kinder der Höhle) Doris F. und A. David Jonas ein Ende dieser Ära. Dieses Forscherehepaar vereinigt in sich eine Mehrzahl höchst relevanter Disziplinen - Anthropologie (im britischen Sinne einschließlich Völkerkunde und Urgeschichte), Evolutions- und Soziobiologie, Verhaltensfor schung, Primatologie und Psychiatrie. Sie kamen 1979 mit einem bemerkenswerten Buch heraus, dem sie den Titel Das erste Wort gaben und in dem sie schildern, wie die Menschen sprechen lernten. Ich möchte an dieser Stelle die Schilderung eines eigenen Erlebnisses voranstellen dürfen. In der Gesellschaft unserer Familie lebt seit 13 Jahren eine Katze, die vor acht Jahren sterilisiert wurde. Katzen leben laut Höhlenmalerei seit etwa 20 000 Jahren gesellig mit dem Menschen, ohne je ihre Eigenart und selbständige Natur aufgegeben zu haben. Sie vermenschlichten nicht wie der Hund. Im sicheren Schutz menschlicher Geselligkeit, bei der sie vor Feinden keine Sorge mehr zu haben brauchten, entwickelten sie eine vielfach variierte »Sprache« zwischen Mutter und Jungen, die über das bloße Reagieren auf Forderungen letzterer hinausgeht. Unsere Katze nun lebt so einbezogen in unsere Familie mit uns, daß sie begonnen hat, so 26
mit uns zu »sprechen«, wie sie das früher mit den eigenen Jungen getan hat. Sie variiert ein zärtliches Gurren, mit dem sie auf jede Zuwendung wiederholt antwortet, und sie läßt es hören, wenn sie ihrerseits Zuwendung wünscht. Und das ist außerhalb ihrer etwa 20 Stunden täglichen Schlafes sehr oft der Fall. Wir verstehen an Tonfall und Gehabe genau, was sie will, und da wir als Menschen halt ständig miteinander reden, hat sie sich angewöhnt, auch ihrerseits ständig zu »reden«. Und das, wie schon gesagt, immer in der Art, wie sie früher mit den eigenen Jungen umging. Man kann hieraus schließen, daß auch menschliche Sprache erst möglich wurde, als die Mütter nicht mehr fürchten mußten, sich durch ihre Lautgebung gegenüber lauernden Raubtieren zu verraten. Das konnte verschiedenen Umständen zu danken sein, zum Beispiel der sozialen Organisation innerhalb des eigenen Reviers, wie wir sie schon kurz erwähnten. Aber wenn dieser Schutz einmal gegeben war, dann begann auch die frühest denkbare menschliche Mutter, mit ihrem Baby andere Laute auszutauschen als die Antworten auf Forderungen. Jede Mutter, gleich welcher Säugetierart, ist darauf programmiert, auf akustische Auslöser der Jungen automatisch positiv zu reagieren. Nach einigen Monaten aber, dies der Hinweis von Jonas und Jonas, entdeckt das Baby einen gewissen Lustgewinn am Gebrauch seiner stimmlichen Möglichkeiten unabhängig von Not, es beginnt zu lallen. Und das gerade dann, wenn es sich unbeschwert und wohl fühlt. Welche Mutter nimmt eine solche Wahrnehmung nicht ihrerseits mit Genugtuung und Lustgewinn auf. Als Folge wird sie versuchen, das Kind solche Äußerungen des Wohlseins fortsetzen oder wiederholen zu lassen. Das beste Mittel dazu liegt denkbar nahe: Sie wiederholt und imitiert das Lallen des Babys, bis das seinerseits wieder darauf eingeht. So wird also wechselseitig gelallt, und beide fühlen sich sehr glücklich dabei. Gerade letzteres wird sie bewegen, das Spiel möglichst oft zu wiederholen. Es kann nicht ausbleiben, daß irgendwann einmal das Lallspiel von der einen oder der anderen Seite variiert wird, um ein bestimmtes Gefühl, einen Wunsch oder Dankbarkeit auszudrücken. Wie gesagt, das kann sogar meine Katze, die einige Dutzend Jahrmillionen weiter unten auf der Leiter der Evolution steht; und ich verstehe sie. Wieviel leichter muß da das gegenseitige Verstehen zwischen Mutter und Kleinkind gewesen oder noch sein! Und das noch vor dem eigentlichen Miteinander-Sprechen, heute wie damals. Aber das Fortschreiten zu einer Lautsprache ist hernach nur noch ein kleiner Schritt.
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Auf diese Weise haben aber Frauen in ihrer Rolle seit Menschen gedenken immer mehr gesprochen und mehr zu sagen gehabt als Männer. Während die Knaben mit ihrer Pubertät aus der mütterli chen Nestwärme ausschieden, hatten die Mädchen Sprache als Medium so nahen menschlichen Miteinanders nicht nur an sich erfahren, sondern in der Regel noch mehrmals an nachgeborenen Geschwistern und dann wieder, wenn sie selbst Kinder hatten. Jonas und Jonas weisen angesichts dieses quantitativen Unterschieds in der Anwendung von Sprache über möglicherweise Jahrmillionen betont auf die Untersuchungsergebnisse vieler Forscher hin, denen zufolge die Sprachfertigkeit bei kleinen Mädchen deutlich größer ist als bei den Knaben. Letztere holen die Mädchen erst wieder ein, wenn beide so an die 15 Jahre alt geworden sind. Auch Legasthenie, die sogenannte Rechtschreibschwäche, kommt bei Jungen viermal häufi ger vor als bei Mädchen. Aber noch als Erwachsene sind die Frauen überall auf der Welt deutlich redseliger als die Männer - wer wollte das bestreiten? Wie so vieles sonst, ist also auch die Sprache, die Voraussetzung jeder kulturellen Entwicklung, eine Errungenschaft der Frauen. Wenn nun aber schon der Beginn dieses neuen menschlichen Mediums in einer unvorstellbar fernen Vergangenheit auf einer so einfachen Stufe anzusiedeln ist, dann müssen wir bei unserer Erforschung der Anfänge der Tatsache eingedenk bleiben, daß Sprache zu keiner Zeit von Linguisten beeinflußt und weiterentwikkelt worden ist. Sondern von ganz einfachen Menschen, die sich dabei nichts weiter gedacht und dazu bis in frühgeschichtliche Zeit nichts Besonderes überlegt haben. Wie zufällig eine solche Weiterentwicklung vor sich ging, zeigen ein paar typische Beispiele: Das englische MOUTH bedeutet nicht nur »Mund«, es ist erkennbar auch das gleiche Wort. Davon abgeleitet ist nicht nur das englische MUZZLE für »Schnauze«, sondern auch MUTTER für »murmeln«, unser MOTZEN, MO SERN und MAUSCHELN und die romanischen MOT und MOTTO für »Wort«. An den Mund hängten sich bei uns noch schMATZEN und schMAUSEN, MUS und Ge’MÜSE. Eine andere Art Mund, MÖSE, führt weiter zu schMUSEN. Damit nicht genug, führen Flurund Ortsnamen an Quellen und Mündungen gern Namen wie MOS-(MUS- und/oder MIES-)bach, MOSbrunn. Das gleiche Thema variieren Gewässer wie die MOSEL, die MAAS oder die MEUSE. In Frankreich deuten Ortsnamen wie MOUStier gleichfalls auf Quellen, so vor allem das malerisch gelegene Moustier Sainte
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Marie in der Provence, wo der Wassermenge nach fast ein Fluß aus einem steil aufragenden Felsen herausquillt und fast senkrecht abstürzt. Paläolinguistisch folgerichtig hat man trotz des Steilabfalls eine stattliche Kapelle neben den Austritt des Wassers gebaut. Eis ist für die Griechen GALA, für die Romanen GLACE bis HIELO. Auch wir müssen einmal wie die laddinisch sprechenden Bewohner des Engadin dafür ein Wort GLATSCH gehabt haben, denn unsere Sprache enthält einige Ableitungen davon: GLET SCHER, GLITSCHIG, GLATT und GLEITEN, ja, sogar noch das Kinderwort GLENNEN. Aber Eis ist nicht nur glatt oder glitschig, es reflektiert das Sonnenlicht auch in besonderer Weise: es GLÄNZT, GLEISST und GLITZERT! Stellt sich die Frage, wovon das griechische GALA, das sichtlich einer Urform am nächsten steht, abgeleitet ist insbesondere ange sichts der Tatsache, daß ein romanisches Wort, CALOR, Wärme bedeutet! Ersteres muß aus der Zeit stammen, als man Kopf und Bergeshöhe von dem Archetyp KALL ableitete - Kallenberg, Kahler Asten, Galhöipiggen u. a. m. - und zwei besonders spürbare Eigen schaften solcher Höhenlagen assoziierte: nämlich, daß sie KAHL waren und besonders KAL’T. Damals, als diese Wörter geprägt wurden, waren diese Zustände zudem erheblich ausgedehnter und fühlbarer. Eine spätere Tafel wird den Leser überraschen, wieviele Sprachen in dieser Hinsicht gleichermaßen kombiniert haben wie die unseren hier in Europa. Auch die Herkunft von CALOR werden wir noch ausführlich besprechen, sie hat nichts mit dem Kopf zu tun. Einiges wird an diesen paar Beispielen klar. Es war für frühe Menschen selbstverständlich, Sinngehalte auf verwandte Erschei nungen zu übertragen - der Mund war gewissermaßen ein Synonym für jede beliebige Art Öffnung, der Gipfel eines Berges gleichbedeu tend mit »kahl« (weil er keine Vegetation aufwies) und mit »kalt« (meist der Grund für die fehlende Vegetation), da er lange Zeit im Jahre oder gar ständig von Schnee bedeckt war, dem äußeren Zeichen von Kälte. Da eine solche Schneedecke zugleich die Augen blendete, assoziierte man auch die Begriffe vom Gleißen und Glitzern. Der Glätte und dem Gleiten wurden viel später noch das Schlittern und der Schlitten angefügt. Auf solche Längs- und Querverbindungen stößt der Paläolinguist immer wieder, am besten entdeckt er sie natürlich in der eigenen Sprache. Wie primitiv im Grunde die Wortschöpfungen früher Menschen waren, verraten heute noch Beispiele wie das vielzitierte Wort »Begriff« von »begreifen«, bei dem niemand mehr auch nur im 29
Entferntesten an das Anfassen oder Betasten denkt, das dieses Wort einst zum Ausdruck bringen sollte. Ein ähnlicher Hintergrund steckt in unserem »Kennen«, ein Wort, das schon in unseren nordischen Sprachen auch den Sinn von »fühlen, empfinden« hat. Kennen also durch fühlen? Wie weit muß man wohl zurückgehen, um darin einen Sinn zu sehen? Ähnlich ist es mit dem heutigen Wort »Zuneigung«. Kein Zweifel, dieses Wort wurde einst vom Bilde eines dem anderen zu-geneigten Menschen, etwa einer Mutter zu ihrem Kinde, einer Frau zu ihrem Liebhaber, bestimmt. Aber damit nicht genug: Das Wort NEIGEN ist ja auch die Vorform von NICKEN, einem gleichen Vorgang, nur von kürzerer Dauer. Beide aber, NICKEN wie NEIGEN, beschreiben eine Bewegung des NACKENs. Das gleiche im Englischen, NECK, bezeichnet aber nicht nur den Nacken, sondern auch den Hals. Das bringt uns zu einem anderen Element des Verwirrspiels heutiger Sprachen, das es zu durchschauen gilt: Das gleiche Wort kann in zwei verwandten Sprachen schon zwei unterschiedliche Bedeutungen haben: französisch GROS und eng lisch GROSS sind nicht etwa »groß«, sondern »dick«. Und SMALL ist nicht etwa »schmal«, sondern »klein«. In einigen deutschen Ortsnamen, etwa Schmalkalden, oder Wörtern, wie »Schmaltier« für das weibliche Reh, hat es diesen englischen Sinn auch noch. Verständlich ist, wenn unterschiedliche Sprache zwar das erkennbar gleiche Wort verwenden, damit aber einmal »groß«, zum anderen »viel«, ja, auch hoch bezeichnen. Ein großer Berg ist natürlich ein hoher Berg, eine große Menge genau so gut viel. Es deutet an, daß frühe Sprache so feiner Unterschiede nicht bedurfte. Andererseits wiederum ist man verblüfft, wie sich ein Wort für den Begriff »groß«, das mit Sicherheit sehr früh entstanden ist, bis heute in mehreren Sprachen in sprachlich ganz engen Grenzen gehalten hat wie in der Magnus-Guppe: Lateinisch MAGnus, griechisch MAKros und MEGA (vgl. »Makrokosmos« und »Megatonnen«), arabisch MAcH, hindi MAHA, indianisch MAS bezeichnen das Große, englisch MUCH, schwedisch MYKKet und norwegisch MEGet und MANGe, englisch MANy drücken die MENGe, das Viel einer Sache aus. Auch unser MANCH gehört noch etwas abgeschwächt dazu, ebenso das spanische MAS für MEHR. Unmittelbarer Vorläufer der schon erwähnten GYNE, CUNA und GUNA waren überall GUL/ CUL, und das nicht nur für die »Frau«, sondern für »Mensch« überhaupt. Vor wenigen Jahrhunderten war CHIN’D unser Wort für Frau, so daß der Verdacht naheliegt, daß mit KIN’D nur die Mädchen gemeint waren, zumindest sprachursächlich. In dem lateinischen
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MAS’CUL’us haben wir daher eine aufschlußreiche Zusammenfü gung - CUL steht für Menschen allgemein, und MAS für den größeren, nämlich den Mann. Wenn männliche Exemplare bei den meisten Säugetierarten die größeren sind, so hängt das mit den Rangkämpfen und dem Vorrecht des Siegers zusammen, die weib liche Population bevorrechtet besamen zu dürfen. Wenn wir gleichartige, gleichwertige oder gar gleiche Wörter in heute weit voneinander entfernten Idiomen finden, dann ist das ein Beweis, daß sie sehr alt sein müssen. Solche Übereinstimmungen kommen sogar bei praktisch rein erhaltenen Urformen vor und gehen daher auf eine Zeit zurück, als die ersten Homo-Gruppen noch beieinander waren oder so nahe beieinander lebten, daß ein ständiger Austausch räumlich noch möglich war. Nun, das war sicherlich viel länger der Fall, als man gemeinhin annehmen mag. Die Radiation ging sehr langsam vor sich, und die jeweiligen Tochterkolonien hielten einen selbstverständlichen Kontakt zu ihrer unmittelbaren Mutterkolonie, und diese, ihrerseits eine Tochter, hatte weiter weg die eigene Muttergruppe. Bei der Erklärung der weltweiten Verbrei tung des heutigen Cro- Afagnon-Menschen verweisen die Anthropo logen auf die Wahrscheinlichkeit eines auch den Menschen innewoh nenden Wandertriebs, der uns bei Vögeln und Fischen, aber auch bei einer Reihe von Säugetieren bekannt ist. In einer Zeit, bei der eben »Zeit« noch kein Faktor war, spielten und spielen Entfernungen keine Rolle. Als die Eskimos noch nicht in Hütten seßhaft gemacht worden waren, scheuten sie winterliche Wege von 1500 Kilometer nicht, nur um an einer festlichen Zusammenkunft innerhalb ihrer weitläufigen Verwandtschaft teilzunehmen. Es ist sicher nicht abwe gig, solches Verhalten als Zeugen frühmenschlicher Gewohnheiten zu sehen.
Die Archetypen
Die Sprache der Landschaft ist also für den Paläolinguisten das, was Hieroglyphen, Keilschrifttexte, Tontafeln und frühe Papyri oder Lederrollen für den Archäologen sind: Beweismittel und Vergleichs material. Schon sie enthüllen alle Archetypen. Sie haben ihren Niederschlag in deren unmittelbaren Nähe gefunden wie außer dem Körperlichen kaum ein anderer Erlebnisbereich des frühen Men schen. Jedem, der sich nun intensiver mit dieser neuen Forschung befassen will, sei angeraten, sich die Aha-Erlebnisse und die Entdeckerfreude zu verschaffen, die bei einer intensiven Erfor schung von Landschaftsnamen auf ihn warten. Dabei ist es wichtig, neben den formalen Gegebenheiten auch die dynamischen Kräfte aufzuspüren, die von innen her auf die Formen welt der Sprache eingewirkt haben. Welch gewaltige Spannung zwischen der ursprünglichen Formenarmut und der Fülle gedankli cher Vorstellungen, die nach Ausdruck drängten, bestanden haben muß, wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß die Zahl der echten Urformen auf ganze sechs begrenzt ist. Zweifel an dieser Zahl sind nur insoweit berechtigt, als es denkbar und möglich erscheint, daß zwei der nachfolgend genannten doch noch eine gemeinsame Herkunft von einem Dritten verraten könnten, die Gesamtzahl also auf fünf oder vier schrumpft. Vergegenwärtigen wir uns also das schier Unglaubliche: Das für die Evolution der Menschen entscheidende Erlebnis Sprache führte zu ganzen sechs differenzierten Grundformen - alles, was darnach kam, waren nur Variationen dieser sechs Themata! Zwangsläufig mußte jedes dieser Wörter mehreren Sinngehalten Heimstatt sein, Sinngehalten, die zwar untereinander durch die Brücke gedanklicher Assoziationen (z. B. Mund=Öffnung generell) verbunden blieben, die sich aber an den entgegengesetzten Enden erheblich voneinander entfernen können (Höhle - Haus - Schiff, Frau - Quell - Wärme - Feuer). Wenn der nachfolgend als erster besprochene Archetyp BA
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in den Wörtern für Mensch, Geburt, Volk, Geschlecht und Kopf zu finden ist, so mag das noch angehen. Wenn er aber auch in Berg und Tal, in Vulkan, Meer, Baum, Vieh, Bau, Boot, Göttern und Teufeln, in Leben und Tod steckt, dann gilt es, den Gedankengängen jener einfachen Menschen, die hier Urheberrechte wahrnahmen, nachzu spüren. Während so am Anfang der Sinngehalt immer weitergreift als das verwendete Wort, neigt im Nachhinein das Wort dazu, seinen Sinn weiter einzugrenzen. Daraus folgt der Antrieb, immer wieder neue, noch genauere Wortschöpfungen einzusetzen. Oft wird dabei in späterer Zeit auch auf einen anderen Archetyp zurückgegriffen. Fassen wir das Bisherige zusammen: Paläolinguistisch verstanden, bestand ein frühen Menschen gemeinsamer Urwortschatz von sechs Archetypen. Diese sind in zugleich zeitlicher Reihenfolge:
BA KALL TAG TAL OS ACQ
Die Sprache hat von Anbeginn bis zu ihren heutigen Formen einer gleich ununterbrochenen Kontinuität gehorcht wie die Aufeinander folge der Generationen. Trotz der Aufspaltung in über 2000 Sprachen und Dialekte ist das heute noch gültig und sichtbar. Voraussetzung für eine solche Kontinuität war und ist die ununter brochene Generationenfolge zusammen mit der Erscheinung Mut tersprache, die dafür sorgt, daß Erlerntes unverändert weitergereicht wird. Während einerseits Aufspaltungen und Veränderungen Platz griffen, sorgten auf der anderen Seite gewisse, noch nicht voll überschaubare psychologische Wirkungen dafür, daß zu jeder Zeit frühe Wörter nicht weiter variiert, sondern unverändert überliefert wurden. Gerade sie erleichtern die Rückverfolgung zu den Anfän gen. Ob übrigens »Anfang« oder »Beginn«, beide Wörter sind ein typisches Beispiel für frühe Denkweisen: FAVN und FANG sind in unseren Sprachen die weibliche Leibesöffnung, mit deren Verlassen das Leben »an’fängt«. GINNAN ist das Auseinanderklaffen dersel ben beim Geburtsvorgang, mit dem das Sein des Menschen »be’ginnt«. Gleiches gilt für eine Vielzahl anderer heutiger Sprachen, und das nicht etwa nur in Europa. BA findet sich überall dort, wo es um den Menschen geht, um sein 34
körperliches Bild, sein Buhlen um Weib oder Mann, um die Mühe von beiden, Vater wie Mutter, für Bub und Mädel der eigenen Familie, um Füttern und Wärmen, um Bauen und Wohnen, um den Fang von Vieh, Fischen und Vögeln. Es kennzeichnet Freund und Feind, die Verwandten, den Nachbarn. Es findet sich bei Viehnamen, wo Fruchtbarkeit das Wichtigste war, beim Wild und bei Pflanzen, wenn sie nützlich oder eßbar sind oder zur Matte, zum Gewand oder zum Gefäß verarbeitet werden konnten. BA durchdrang besonders dicht alles, was mit Bauen und Wohnen zusämmenhängt, Machen und Wollen sind gesättigt davon. Und wo immer Nähe und Beieinander typisch sind wie beim Weben, Binden, Fügen oder Buhlen, da stellt BA eine Majorität. Anmer kung: Alle Hauptwörter dieser Beschreibung sind heutige BAFormen. Für BA als den ersten Archetyp überhaupt sprechen einige gewichtige Gründe. Das -B- ist der am leichtesten zu sprechende Konsonant, es erfordert nur ein öffnen der Lippen bei geringem Luftdruck. Das gilt auch für das verschwisterte -P-; allein der Luftdruck, der hinter den Lippen zunächst gestaut wird, ist deutlich höher. -B- und -P- sind in fast allen heutigen Sprachen vorhanden, lediglich bei einigen Indio-Dialekten des Amazonas-Gebietes fehlt das eine oder das andere. -A- ist der mit dem geringsten Kraftauf wand sprechbare Vokal. Das ist wohl auch der Grund für seine Häufigkeit. Knapp unter 50 Prozent der für diesen ersten Band gesammelten 30000 Stichwörter primärer Sinngehalte aus weit über 200 Sprachen führen das -A-, der Rest verteilt sich abnehmend auf O, U, E und I samt ihren Zwischentönen. Denken wir an die Theorie mit der größten Wahrscheinlichkeit, zuzutreffen, zurück (Jonas und Jonas), daran, daß Sprache zuerst zwischen Mutter und Kind entstand, dann belegten Hunderte von Sprachen mit ihren BABBA und MAMA für »Mutter«, aber auch mit ihren BA-Abkömmlingen für das »Kind« wie BABY und viele andere -BOY, BARN, BOU, BEN- die an Gewißheit grenzende Wahrscheinlichkeit des BA als erstem Wort der Menschheit. Belege hierfür sind auszugsweise in Täfel 1 zusammengestellt. Wie weit aber kamen frühe Menschen mit einem solchen ZweiLaute-Wort wie BA? Hier ein paar Worte über den Bedarf, über unsere Forderungen an den uns verfügbaren Wortschatz. Der Erfinder des Basic English bescheinigte seinen Londoner Dockarbeitem der zwanziger Jahre, daß sie mit 200 Wörtern auskämen. Im Vergleich dazu erwähnt er Churchill, der über ein Vokabular von
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Tafel 1: Mutter und Kind australisch
romanisch
italienisch
fanti
PAPA
PAPilla
MAMMA
o’BAA
Mutterbrust
Muttermilch
Mutterbrust, Mutter Frau
tagalog
australisch
tagalog
schottisch
BABAE
BABUK
BO’BAYE
POU’t
Frau
Mutter
Weibliches
Mädchen
efik
englisch
englisch
schottisch
E’BA
WOMAN
WOMB
POP
Mutterbrust
Frau
Leib
alles Weibliche
englisch
fanti
loma
tagalog
WOO
A’WO
BOLO’dai
BOLOS
Liebeswerben
Ge’BURT
Kohabitation
BUHLE
efik
loma
BON
WON
Liebe
Liebe
englisch hindi BAB/BABE/BABY BACHCHA BABY Kleinkind
griechisch
indianisch
bäle
giriama
PAIS
PAPU’se
BA
WA
Kind
BABY
Kind
Kind
ukwani
bantu
fanti
hebräisch
NWA
BWA
MBA
BAR
Kleinkind
Kind
Kind
Kind
schottisch
nordisch
australisch
efik
BAIRN
BARN
BAM1
O’WONG
Kind
Kind
Kleinkind
Kind
tagalog
schwedisch
arabisch
schwedisch
BONG’so
POJK
BEN
PIKE
Kleinkind
Junge
Junge
Mädchen
60000 Wörtern verfügte. Das gleiche erreichte der deutsche Goethe. Der Engländer stellte dann die Wörter seiner Sprache zusammen, die notwendig seien, alles auszusprechen, was man von einem durch schnittlich gebildeten Briten erwarten darf. Dabei kam er auf 850 Wörter. Wir fragen uns daher: Bot BA frühen Menschen nach einer gewissen Zeit der Übung und Entwicklung jene 200 Wörter des Dockers oder gar jene 850 des Mannes von der Straße? Rechnen wir nach. Zunächst einmal ließ sich der Vokal variieren, über O bis zu I: 36
BA BOU
BAO BOE
BAU BOI
BAY BU
BAE BY
BAI BE
BO BI
Einige Sprachen bezeugen weitere Variationen als früh möglich BAA BUO
BOA BEO
BUA BIO
BYA BUU
BEA BEU
BIA BIU
BOO
Das sind 27 mögliche Wörter. Die Tafel 1 zeigt schon einige Varianten. Zunächst muß nicht BA, es kann auch PA gesprochen werden. Damit sind wir bei 54. BA kann zu WA, BWA, MBA, NBA, desgleichen zu PA werden. Zwischener gebnis: 2X4X27 = 216. Mit anderen Worten: Den Docker haben wir schon eingeholt. Das P aber verwandelt sich leicht und daher bald zu PF und zu F. Also plus 54 = 270. Auch die BA-Variante MA erlaubt alle oben durchgespielten Möglichkeiten: 297. Damit sind wir aber noch nicht am Ende: Alle Sprachen bezeugen heute noch eine ursprüngliche Neigung zur Verdoppelung, um die besondere Wichtigkeit eines Wortes zu betonen - BABA, MAMA, PAPA aus unserer ersten Tafel sind solche Beispiele. Dieses Prinzip wurde auf alle vorhergehenden Formenmöglichkeiten angewandt und verdop pelt das Ergebnis unserer bisherigen Rechnung auf rund 600 mögliche Wörter. Sprachen aber kennen noch eine Masche - den Abtausch der Laute: BA zu AB (im Arabischen: Kind), Buhlen zu Lieben, Pott zu Topp, Ziege zu Geiß oder Goat, Kahn zu Nachen, Schnee zu Neige im Französischen, das englische Push zu unserem Schub’sen usw. Ein legitimes Spiel einfacher Menschen vor undenkli chen Zeiten schon, um heutige Linguisten zu foppen. Es erhöht unsere Rechnung um weitere rund 300. Und das mindestens noch einmal von der gut vertretenen Variante ABA aus. Sie konnten es mit dem »Mann von der — heutigen — Straße« also aufnehmen. Es hat mit Sicherheit lange gedauert, ehe die BA-Phase der Sprache ausgereizt war. Grob geschätzt, dürfte die Hälfte der Zeit, seit es überhaupt eine Lautsprache beim Homo gibt, von BA bestimmt worden sein. Wenn man ein paar Dutzend heutige Sprachen nebeneinander durchforscht hat, dann ist der Eindruck, BA habe alle Erlebnisbereiche früher Menschen abgedeckt, zwingend. Dieses Ausreizen des Archetyps BA in alle vokalen und konsonan tischen Möglichkeiten hinein und entlang aller denkbaren sinnge haltlichen Assoziationen mag eine halbe Million Jahre gedauert haben. Am Ende wußten die Menschen, die diese Sprache verwende
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ten, natürlicherweise nicht mehr, was etwa der Grund dafür gewesen sein konnte, daß BA sowohl in der VA’gina wie im BAUM, warum gleichermaßen in LEIB, LIEBE und LEBEN steckte, im BAILAR für Tanz, in der BAU’de zum Wohnen oder im BALE für FEU’er und WÄRME. Als der zweite Archetyp, KALL, die Bühne betrat, gab es für die inzwischen Hunderte von unterschiedlichen Vorstellungen starke und schwache BA-Wörter. Die starken behaupteten sich bis heute, andere erduldeten, daß man ihnen ein KÄLL vorsetzte oder anhängte - zum Beispiel VA’GINA, auf Philippinisch genau parallel BA’NGAL, gleichfalls philippinisch MU’LAG und schottisch BOU’CHAILL für Kind. Tibetisch KAL’BA für Frau dreht nur um, was eskimoisch MU’LIAK genannt wird. In wieder anderen hat sich KALL knallhart über Früheres hinweggesetzt, so im Schottischen und Englischen GAL, im Arabischen GAIL, im Irischen QUAIL, im Quiche Mittelamerikas A’KAL, im Samojedischen GAL’GO, im Tibetischen CAL’BA, im Hebräischen KALLAcH - alle mit der Bedeutung Frau. Die Schwachen unter den BA-Wörtern verschmol zen manchmal bis zur Unkenntlichkeit. Das Krasseste bietet wohl unsere F’RAU oder Wörter wie PFLEGE, PFLUG, B’LICK und andere, bei denen von BA gerade noch ein einziger Laut übriggeblie ben ist. Während BA, wie dargelegt, in seinen Sinngehalten alles umfaßte, was im Sprachaltertum menschliches Interesse erregte, beginnt mit KALL die zunehmende Abnahme der möglichen Bedeutungen. Jeder folgende Archetyp hat einen geringeren geistigen Umfang und endet schließlich bei ACQ mit der einzigen Bedeutung: Wasser. Auch an dieser quantitativen Rangfolge erkennt man zweifellos das zeitliche Nacheinander. Der Hauptteil dieses Büches widmet sich dem Archetyp KALL. Ein folgender Band wird sich mit dem Urwort TAG befassen, ein geplantes drittes Buch mit BA. Die verbleibenden drei Urformen (TAL, OS und ACQ) sind in der 1980 neu erschienenen Sprache der Eiszeit erschöpfend dargestellt. KALL ist jede Vertiefung, jede Kuhle, Höhle und Höhlung, jede Wölbung, jeder enge Durchlaß. Ferner Schale, Kehle, Wohnstatt, Kulthöhle und später Tempel und Kirche. In der Landschaft der Quell, Schlucht, Klamm und Tal sowie der Paß, der die Höhe an der niedrigsten Stelle überwindet. Vor allem aber der mütterliche Leib, Geburt und Kind. Folglich auch die Sippe, der Clan und das Volk. Ferner alles Lebendige, viele Tiere allgemein, und erst recht, wenn
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sie wie Schnecken oder Muscheln ihre Wohnhöhle bei sich tragen. Pflanzen mit hohlen Halmen oder Bäume mit hohlen Früchten oder solche, deren Holz sich zum Aushöhlen für Boote und Bütten eignet. Es ist auch Niederung, Senke, Meer, Flußbett, See. Auch Wege bedienen sich seiner. TAG ist der aufrecht stehende Mensch und in der Folge groß, hoch, erhaben, Berg, Spitze, Stein, hart, Waffe, Werkzeug. Es bezeichnet wehrhaftes Wild, das Raubtier, die Schlange, den großen Fisch. Bei Bäumen charakterisiert es den hohen Stamm und die Verwendbar keit beim Bauen. Es bezeichnet den sozial Höherstehenden, Gott und Götter. Am Körper Gliedmaßen, Zunge, Zähne, das männliche Zeugungsorgan und daher Zeugung allgemein. TAL ist unten, ist Einschnitt, ist das Tal der Landschaft, die Ebene, die Erde und manchmal auch Insel. Es steht deutlich auch für Weibliches. Nicht nur seine Sinngehalte, auch seine sprachlichen Formen decken sich oft mit denen von KALL. OS ist Körperöffnung, in der Regel mit Ausnahme der zu KALL tendierenden weiblichen. Es ist Quell und See und Mündung, »Esse« und oft auch Höhleneingang. ACQ ist das trinkbare Wasser.
Der Archetyp KALL
Aus drei Lauten zusammengesetzt, bietet dieser Archetyp wesentlich mehr Formenreichtum als das zwei-lautige BA. Diese Möglichkeit ist von den Sprachen auch weidlich genutzt worden. Wir werden uns hier im allgemeinen an die leichter durchschaubaren Formen halten, da schon so ein Vielfaches von dem an Beispielen zur Verfügung steht, was hier aufgenommen werden kann. Wie bei B A haben wir auch hier zunächst die fast 30 vom Vokal her möglichen Variationen. Die Umkehrung zu LAK erscheint dabei fast gleich oft. Aber auch das Durchmischen der Laute zu KLA und ALK spielt keine ganz unwesentliche Rolle. All diese Optionen kommen auf jeder weiteren Stufe der Lautwandlungen wieder zum Zuge, wenn nämlich Anfangs- und Endlaut ihrerseits Metamorphosen durchmachen. Der Anfangslaut K, G oder C kann sich zum Beispiel von schwedisch KÄLL zu deutsch QUELL und weiter zu englisch WELL wandeln und verliert sich gelegentlich ganz, wie die Gewässernamen ILL und ALLER zeigen. Von K zu CH ist nur ein kleiner Schritt, auch wenn es zu HALL und SCHALL weiterführt. Auch auf diesem Wege kann der Anfangslaut ganz entfallen. ALL oder ALLES ist gleichfalls eine KALL-Form. Das ist ferner auf dem Wege von K über KJ und J möglich. Der Endlaut L wird gleich gern zu R und zu N. Bei R gibt es Sprachen, die es wie in China anscheinend noch nicht kennen, oder solche, die L rundheraus und vollständig durch R ersetzt haben. Friedfertig ist das indianische Guarani, das es dem Sprechenden selbst überläßt, ob er L oder R, etwa Guarani oder Gualani, aussprechen will. Völlige Gleichberechtigung also. Das liegt sicher lich an dem mancherorts gerollten R, das sich von L kaum unterscheidet. Ziemlich selten fällt der Endlaut L einmal ganz weg, eher wird er schon durch einen Vokal ersetzt - GAU oder KAY und KAI sind 41
dann die Folgen. Es gilt jedoch, noch in der Umkehrung, etwa in AUGe, die KALL-Herkunft zu erkennen. Beim AUGe helfen dem Zweifler die zugehörigen Verben LOOK und LUGEN, die es ähnlich in vielen anderen Sprachen gibt. Eine Umkehrung des zu KA verstümmelten Archetyps könnte zu AK (ACQ) für Wasser geführt haben, eine Konsequenz, die sich mir aufdrängte, als ich in mehreren australischen Sprachen eine Reihe sehr KALL-naher Wörter für Wasser fand. Aber dann tauchte doch wieder EAKE und QUASCHA auf und plädierten für ein selbständiges Wasserwort auch in Australien. Es bleibt aber doch der eine der beiden erwähnten Fälle, der die Zahl der Archetypen noch schrumpfen lassen könnte. In den Grenzbereich zu TAL geraten Formen, bei denen sich der Anfangslaut K zu Z gewandelt hat, denn von T zu Z ist ein noch kleinerer Schritt - bekanntestes Beispiel das lateinische CAELUM oder COELUM für Himmel, das in alten Zeiten mit Sicherheit KOELUM, später und heute aber ZOELUM gesprochen wird. Je nach Sprache wird auch ein S statt Z geschrieben und/oder gesprochen. Auf unseren Beispieltafeln sind derartige S mit einem Akzent versehen (S) um ihre Herkunft zu legitimieren. TAL ist der zweite Archetyp, von dem man der Meinung sein könnte, er sei mit KALL identisch. Die Sinngehalte überschneiden sich, und die Folgeformen tun das Gleiche. Dennoch halte ich die beiden noch auseinander, weil ich doch noch wesentliche Unterschiede sehe. Quantitativ erreicht jedoch TAL höchstens zehn Prozent der KALL-Vorkommen. In der Form LAK wandelt sich der Anfangslaut L zu kaum mehr als zu Lj, der dann K-Endlaut jedoch entsprechend der zuvor angegebe nen Möglichkeiten und noch zum Nk/Ng und zu R. Auch in diesem letzteren Stadium -LAR- ist eine Umkehrung zu -RAL- möglich, die RILLE ist ja gleichfalls eine KALL-herausfor dernde Vertiefung. Die Form LANG kann sich zu LAN zurückbil den: In der Form LINIE/LIGNE/LINE wird bewahrt, daß erste Striche und Linien nicht aufgetragen wurden, sondern eingekratzt werden mußten. Es sei nochmals hervorgehoben: Die Lautfärbung des Vokals zwischen A und I spielt für die Zuordnung keinerlei Rolle. In einem Schema, das die lautlichen Variationen übersichtlich zeigen soll, setzen wir daher ein ★ für Vokal und schreiben KALL oder LikK (vgl. »Das KALL-Schema«, S. 43). Legen Sie hier ein Lesezeichen ein und ziehen Sie dieses Schema auch später noch zu Rate. 42
Das KALL-Schema + — W + — H J SCH ----------- / R LAK — CH — H \ Nk — N
Lj
sowie
oder K L
K R
K N
★ ★ ★
★ ★ ★
L K
R K N K
A bezeichnet jeden beliebigen Vokal, + den Verlust eines Konsonanten. Der Lautabtausch wie bei KAL und LAK ist auf jeder weiteren Stufe gleich gut möglich, etwa KAN/NAK, KOR/ROK, LIN/NIL, wobei das -L- am Ende wieder zu -N- werden kann, also zu NAN, NA und AN.
Die Beispiele auf den weiter unten textbegleitenden Tafeln sind zunächst nach den Vokalen in der Reihenfolge A/O/U/E/I geordnet und geben so zugleich auch die zeitliche Abfolge ihrer anzunehmen den Entwicklung. Nach den reinen Formen folgen in der Regel die Doppelungen KALAK und dann die Abwandlungen. GAL’GO im Tibetischen ist eine leicht verschlissene Doppelung (für Ehefrau) wie das schon erwähnte G’LÜCK. Die zweite Zeile zeigt mit großen Buchstaben den jeweiligen Anteil aus der KALL-Herkunft des Wortes, während die Sinn-Angabe der dritten Zeile dann gleichfalls groß gedruckt ist, wenn das deutsche, englische oder spanische Wort seinerseits eine KALL-Ableitung darstellt oder enthält. In Klam mern ist noch angegeben, mit welchem weiteren Archetyp das Stichwort gegebenenfalls kombiniert ist. Beispiel: arabisch
ba’GALA LastKAHN, LOGGER CALAdora (BA)
Da wir die Umkehrformen von KAL und LAK auf ferneren Stufen, nämlich KRA und KN-A, aber auch ALK, ARK und A'NK als gleichwertig betrachten müssen, erfolgt ihre Einordnung in die
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Abfolge der Beispiele entsprechend. Man gewöhnt sich schnell daran und hat einmal mehr den Vorteil, der tatsächlichen Entwicklung am nächsten zu kommen. Die gleichzeitige Übertragung in drei europä ische Sprachen bestimmt die Faszination dieser Tafeln, die mithin keine trockene Ansammlung von Wörtern sind.
KALL und Kopf
Kall steht unter dem kategorischen Imperativ des HOHLEN. Insoweit ist es reizvoll, das zufällige Wort dieser Kapitelüberschrift auseinanderzunehmen und auf seine zwei unterschiedlichen KALLQuellen zurückzuführen. IN ist zwar weit von seiner Ausgangsform entfernt, aber IN ist halt etwas, das irgendwo drin ist — ein solches Etwas muß notwendigerweise HOHL sein, sei es Gefäß oder Raum. Sprachlich ist es ein Schritt, wie man ihn in der Landschaft leicht von der ILL zum INN nachvollziehen kann. HAL’ten steht dagegen dem Archetyp noch sehr nahe. HAL’ten ist eine klare Funktion der HANd, genau wie HOLen oder HELfen. Denn von HAN zu HAL, das ist gerade nur ein einziger Schritt zurück in unserem Playback. IN’HALt ist daher eine Zusammenfügung von zwei Vorstellungen, die getrennt voneinander beide bei KALL einmünden. Viele Sprachen haben mit uns die frühere BA-Form (z. B. MANus) durch KALL abgelöst, weil der Innenraum der Hand und erst recht der beider Hände zusammen leicht hohl ist. Aber das nur nebenbei. Daher bevorzugen »Inhalte« allgemein, besonders flüssige, deutlich KALL-Ableitungen. Es kostet uns Heutige einige Mühe, nachzuempfinden, welche außerordentliche Bedeutung Findung und Erfindung des Hohlen für den frühen Menschen gehabt hat. Wir haben seit der Verwendung von Ton die (BA-benannten) Becher, Becken und Wannen wie auch die (KALL-bedingten) Schalen, Kannen, Krüge und Kellen zur bequemen Verfügung. Einst aber war die Hand das einzig verwend bare Gefäß. Viel später erst lernte man, mit Hilfe von abgeschlage nen Steinen und, wo es sie gab, von Muscheln, Holz zu bearbeiten, das heißt auszuhöhlen. Irgendwann einmal half auch der Zufall, eine einmal nicht verfaulte, sondern ausgetrocknete und daher hartge wordene KALAbasse aufzulesen und ihren Gefäßwert zu erkennen. Von Zeit zu Zeit werden wir immer wieder einmal daran erinnert, wie sehr wir irren, wenn wir die technische Fertigkeit früher
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Menschen abschätzen. Was die um die Jahrhundertwende vollends ausgerotteten Tasmanier an hölzernen Gerätschaften herzustellen verstanden, war für diese, als die primitivsten überhaupt Angesehe nen, erstaunlich. Ein deutscher Geologe zeigte mir einmal in Barcelona seine aus dem innersten Amazonasgebiet mitgebrachten Jagdwaffen und Flechtarbeiten. Imponierend die mannshohen Bo gen, die mit Hilfe eines Beines (!) und daher auf einem Bein stehend gespannt werden mußten, um die anderthalb Meter langen Pfeile voll auszuziehen. Aber das Erstaunlichste waren die knapp zwei Meter langen Blasrohre, die aus zwei zusammengebundenen Hälften bestanden, die man erst zusammenfügte, wenn der Schußkanal fertig war. Der Blick hindurch zeigte eine Genauigkeit der geraden Laufführung, die rundheraus verblüffte - einzig verfügbares Werk zeug bei der Herstellung: kleine Muscheln! Die sehr dünnen Pfeile von etwa 40 Zentimeter Länge wurden an der scharfen Spitze mit einem binnen Bruchteilen von Sekunden wirkenden Gift versehen, das Ende mit einer Art Wattebausch, der nach dem Verlassen des Rohres zurückfiel. Welche Perfektion der Technik mit einfachsten Mitteln und welch Erfindungsgeist offenbart sich in solch einem perfekten Gerät! Wenn diese »auf Steinzeitstufe« lebenden Stämme solche Fertigkeiten und ein solches Denkvermögen besitzen, dann müssen wir nicht nur bescheidener sein, wenn wir uns mit ihnen vergleichen, dann müssen wir erneut unsere Einschätzung des frühen Menschen überdenken. Dazu gehört auch die Frage, was wir denn wirklich von den Menschen der letzten Eiszeit, was vom Neandertaler, ja, was auch vom Homo erectus und seinem Vorgänger, dem Homo habilisv/issen, wenn wir nichts mehr von ihren Holzgerätschaften vor Augen haben und beurteilen können. HOL’Z, ein Wort übrigens, mit dem sie uns heute noch an ihr Material zum HOHLmachen erinnern. Auch in anderen Sprachen, nicht nur zufällig im Deutschen, fällt diese Nachbarschaft auf. Abgesehen von den wundervoll dekorativen Schnitzereien auf ihren Stöcken und Keulen, wer von uns Heutigen wäre denn in der Lage, einen Bumerang zu erfinden?! Wir werden ihn, den Bumerang, auch GALI genannt, mit verschiedenen Wort formen auf unseren Tafeln weiter unten wiederfinden, denn auch er bediente sich des KALL, sei es wegen seiner Krümmung, sei es wegen der mit seinem Wurf ausgelösten Drehung. Doch davon später. Die Verwendung der scharfkantigen Muschel als frühes Schabund Schnitzwerkzeug hat offensichtlich seine Wirkungen bei der Formung von Wörtern für das Messer und das Schneiden gehabt. Da 46
Tafel 2: Muschel und Messer ph-agta mag’GAL’GAL SCHNEIden, cut CORtar (BA)
quechua CALL’chay Sicheln, cut CORtar
arabisch LAcHZ Messer, KNIfe CUCHILLO
finnisch KAL’pa gr. Messer, big KNIfe, CUCHILLO
finnisch KAL’vin Schaber, scraper raspador (BA)
malai-punan ¡’LANG Messer, KNIfe CUCHILLO
lateinisch CAEL’are SCHNITZen, CAR ve, esCULpir
mentawei GAILAU Messer, KNIfe CUCHILLO
ph-binukid1 KALA’d SCHNEIden, cut CORtar
finnisch SAILÄ KLINGE, blade hoja
quechua KALLANA Messer, COLT CUCHILLO
suahili CHALE SCHNEIden, cut CORtar
suahili KALI scharf, sharp cortante
griechisch KAIN’is Messer, COLt CHUCHILLo
baskisch GANI’bet Messer, COLt CUCHILLO (BA)
schottisch COLL SCHNEIden, cut CORtar
schottisch KOL’t Messer, COLt CUCHILLO
kroatisch KOL’jem Messer, KNIfe CUCHILLO
englisch COL’ter Pflugmesser REJA del arado
griechisch KOL’os abschneiden, dock COR-tar
tasmanisch LOGUNE Schneiden, cut CORtar
lateinisch CUL’ter Messer, COLt CUCHILLO
dayak LUNG’GA Messer, KNIfe CUCHILLO
tagalog GULOC Messer, COLt CUCHILLO
mentawei LUGU gr. Messer, COLt CUCHILLO
suahili GELI Messer, COLt CUCHILLO
australisch mug’GIL Messer, KNIfe CUCHILLO
ph-dumagat GIL’GIL SCHNEIden, cut CORtar
1 ph bedeutet philippinische Sprache. Das folgende Wort (binukid) bezeichnet einen philippinischen Dialekt.
aber die Mu’SCHEL, englisch SHELL, ihrer Hohlheit wegen weltweit KALL bevorzugt, sind solche Wörter für ein Gerät und ein Tun überliefert, die sonst nicht unbedingt zu KALL tendieren würden. Tafel 2 zeigt eine kleine, aber repräsentative Auswahl. In diese weltweite Verteilung des KALL für Schneidendes gehört auch noch die deutsche KLINGE. Die KLINGE etwa eines alten Schwertes wird von der Mittellinie zur Schärfe hin hohl geschliffen, um einmal die gewünschte Schärfe zu erreichen, und zum anderen, um sie beim Nachschleifen leicht wiederherstellen zu können. In der 47
Landschaft finden wir die KLINGE als Orts- und Flurnamen immer dann, wenn ein kurzes, tief eingeschnittenes Tal sich quer zum Haupttalzug erstreckt, mancherorts auch noch einfach HOHLE genannt. Der gleiche Grundgedanke also. Übrigens gab es unter den die Atlantikküste bewohnenden Naturvölkern einst eine COL’COL genannte Währung, die aus Muscheln bestand, mit der man Güter aller Art bezahlen konnte. Sicherlich nicht wegen ihrer Schönheit, sondern wegen ihres weithin bekannten Gebrauchswertes als Schab- und Schnitzwerkzeug. Indios am Amazonas fertigen halbmeterlange Pfeilspitzen aus überhartem Eisenholz und verwenden dazu nichts anderes als Muscheln. Doch kehren wir zu der These zurück, wonach der Mensch wesentliche Merkmale zuerst an sich selber entdeckt, ehe er sie auf die Umwelt projiziert. Da stellt sich eine Frage, die auf Anhieb nicht zu beantworten ist: War es der Kopf mit seiner inneren Höhlung, der Körper mit seinen vielen Hohlräumen oder die Hand, die als erste KALL auf sich zogen? Jeder für sich hat gute Argumente. Der KÖR’per als größte Einheit, der Kopf wegen seiner vielen Öffnungen (AUGE, OHR, Mund, KEHLE), die HANd, weil sie so sichtbar ist und gerade auch wegen ihrer Hohlheit als nützlich wahrgenommen wird. Wir lassen uns jedoch von dieser Frage nicht aufhalten und beginnen schlicht oben, beim Kopf. Gegen Ende des vorigen Jahrzehnts wurden Funde aus Südafrika bekannt, welche eine »plötzliche« Vergrößerung des dortigen menschlichen Hirnvolumens vor rund zwei Millionen Jahren zu belegen schienen. Im zeitlichen Abstand von zwei Millionen Jahren ist »plötzlich« ein sehr relativer Begriff - der tatsächliche Vorgang einer solchen Anpassung mag Jahrtausende oder Jahrzehntausende gedauert haben. Die Vergrößerung des frühmenschlichen Hirns ist eines der wesentlichen Merkmale unserer Stammesgeschichte. Weni ger klar schienen zunächst die Gründe dafür. Inzwischen glaubt man, daß sich der soziale Zusammenhalt unter den Homines, eine gesteigerte soziale Interaktion fördernd für die Überlebenschancen der zuerst davon betroffenen Minderheit ausgewirkt und vererbt habe. Eine gesteigerte zwischenmenschliche Aktion wird aber von Sprache, wenn schon nicht ausgelöst, so doch entscheidend begün stigt und gefördert. Es kann also sein, daß sich auch in dieser Hinsicht die Sprache das nötige Instrumentarium schuf. Schließlich gehörte dazu auch ein erweiterter Speicherraum innerhalb der Großhirnrin de. Das könnte also auf ein Mindestalter von Sprache hinweisen, das wir bei gleichfalls zwei Jahrmillionen ansetzen könnten... 48
Der größere Kopf brachte aber auch Probleme. Der Geburtskanal jener 125 bis 140 Zentimeter großen Weibchen ließ keine beliebige Steigerung des Kopfdurchmessers ihrer Babys zu. Das Menschen kind mußte relativ früh geboren werden und kam daher noch hilfloser und noch abhängiger von der ständigen Gegenwart seiner Mutter zur Welt. Das erinnert uns an die These von der Entstehung von Sprache zwischen Mutter und Kleinkind. Der ganze Vorgang verstärkte zwangsläufig die schon seit dem Heraufkommen der Primaten bestehende Tendenz, die Kindheitsphase der Art zu verlängern. Eine solche Verlängerung aber begünstigt Experimentierfreudigkeit und Lerneifer bei den Jungen. Je älter sie werden, um so mehr läßt das nach. Bleiben sie also länger jung, können sie mehr an Erprobtem und Erlerntem aufnehmen. Das kam sicherlich auch der Sprachent wicklung zugute. Der Schädel ist der Sitz wichtiger Sinne, deren Eingänge alle durch die Erscheinung LOCH und HÖHLUNG gekennzeichnet sind. Was Wunder, wenn sie alle auf KALL hören. Das tut auch die HIRN’SCHALE, englisch S’CULL, in der alle durch die peripheren Löcher eindringenden Sinneseindrücke verarbeitet werden. Die besondere Bedeutung der Hirnschale muß den Menschen schon früh bewußt gewesen sein: In einer Höhle Südfrankreichs, bei Tautavel, und noch einmal in einer solchen des Monte Circeo in Mittelitalien fanden sich je ein Schädel, deutlich und bewußt in die Mitte der Haupthöhle gerückt, und im Falle des Monte Circeo mit einem Kreis runder Steine umgeben. Der Schädel von Tautavel ist rund 320000 Jahre, der spätere noch rund 170000 Jahre alt. Könnte man es bei Tautavel noch für ein zufälliges Zusammentreffen halten, in der italienischen Höhle bestätigen die im Kreise angeordneten runden Steine, daß die Menschen jener Zeit von der KALL-Gleichung gewußt haben müssen. Also mußten sie das Wort KALL schon gekannt haben. Denn alles Runde hat gleichfalls diesen Archetyp angezogen - warum, werden wir weiter unten schlüssig erklären. Da schon in ältesten Zeiten ganz offenbar die Hirnmasse von Toten entnommen und sehr wahrscheinlich rituell gegessen wurde, können wir davon ausgehen, daß die Menschen schon früh von der besonderen Wichtigkeit dieses Zentralorgans gewußt haben. Wenn wir also KALL-Wörter für den Kopf, die HIRN’SCHALE und das HIRN in vielen Sprachen antreffen (Tafel 3), dann sind wir berechtigt, auf ein hohes Alter zu schließen, ein Alter, das die Funde Vom Monte Circeo und von Tautavel möglicherweise mit einschließt. 49
Tafel 3: Kopf und HIRN batak ta’KAL Kopf, head (TAG) CALva
spanisch CAL’va (BA) Kopf, head cabeza
laddinisch CAL’vari (BA) Schädelstätte CALvary, CALvario
australisch po’GAL (BA) Kopf, head CALva
laddinisch
thai
VAUL
* KALOOG
HIRN, brain CERE’bro
Schädel, SKULL CALva
ilocan schottisch CALLO’GONG * HARNS Hut, hat HIRN, SKULL sombrero CAL’va
telugu
Kopf, head cabeza
spanisch CALA’morra Schädel, SKULL CAL’va
spanisch CALA’vera (B A) Totenschädel SKULL
griechisch KARA HIRN, HARNS CERE’bro
spanisch CALANtica Kopfschmuck, headOrnament
finnisch KALLO HIRNSCHALE SKULL, Cerebro
samojed KALLO Stirn, forehead frente
baskisch KALOI Schädel, SKULL CAL’va
europäisch KAL’otte Schädeldecke CAL’otta
finnisch pää’KALLO Schädel, SKULL CALA’morra
griechisch KALY’mma HIRNSCHALE SKULL, CAL’va
maori KARU Kopf, head cabeza
baskisch
lateinisch
GARUN
GALEa
HIRN, brain CERE-bro
HELm, HEL’met YEL’mo
lateinisch GALE’rum HAU’be, hood GORRA
lateinisch CALI’ptra Mütze, cap GORRo
tibetisch GLA’d HIRN, brain CERE’bro
tibetisch KLA’d Kopf, head CAL’va
slowakisch HLAVA Kopf, head cabeza
laddinisch CHAV’azza Schädel, SKULL CAL’va
maori
thai
KAWIU
KAN
SKAL’p es’CAL’po
Kopf, head CALA’morra
guarani A’CAN Kopf, head cabeza
baskisch KAN’KAR * HIRNSCHALE SKULL, CALA’mor
quechua
arabisch NAcHA HIRN, HARNS CERE’bro
arhuaco tiu’KANE Stirn, forehead frente
ph-subnun GANGA’S Stirn, forehead frente
maori pa’ANGANGA Schädel, SKULL CAL’va (BA)
maori ANGA’ANGA * Kopf, head cabeza
nheengatu A’CANGA Kopf, head cabeza
Sala
I’NACA Kopftuch, head dress, panuelo ph-bilaan
QANGA’s Stirn, forehead frente
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chinesisch NAO HIRN, brain CERE’bro
griechisch KRAIRa Kopf, head, top cabeza
maori toi’HAU Kopf, head (TAG) cabeza
lateinisch Schädel, SKULL CAL’va
australisch KAO’GA * Kopf, head cabeza
polynesisch HAUO Kopf, head cabeza
quechua LLAU Haupt, head CAL’va
maori KAU’pane Kopf, head (BA) cabeza
japanisch to’GAI SCHALE, SKULL CALA’morra (TAG)
hebräisch GOL Schädel, SKULL CALA’vera
maya HOOL Kopf, head cabeza
polnisch CZOL Stirn, forehead frente
samojed SKOAL’ta Schädel, SKULL(!) CALA’morra
setswana LOGA’ta HIRN, brain CERE’bro (TAG)
spanisch GORRA HAU’be hood
griechisch KORRA SCHLÄ’fe, temple siön
ph-bontok1 QOLO Kopf, head cabeza
spanisch CHOLLo Schädel, SKULL CAL’va
mapuche LONCO Kopf, head cabeza
quiche HOLO Schädel, SKULL CAL’va
quiché cHOLOM Haupt, SKULL cabeza
setswana t’LHOGO Kopf, head cabeza (TAG)
spanisch COLO’drilio Hinterkopf, back of head,cogote
maori KORO’tu Schädel, SKULL CAL’va (TAG)
australisch * ROGOONA Stirn, forehead frente
welsch * CORYN HIRN, brain CERE’bro
griechisch KORYS HELM, HELMET casco
irisch CLOIGEANN * Schädel, SKULL CAL’va
serbokroatisch KLO’buk Hut, hat sombrero (B A)
polnisch GLOWA Kopf, head cabeza
irisch CLOG’ad HELM, HEL’met casco
tibetisch GON oben: KOPF, head cabeza
aynu KON’ci Kappe, cap GORRO
australisch KON’KAER * Kopf, head cabeza
japanisch NO HIRN, Verstand brain, CERE’bro
japanisch NORI HIRN, brain CERE’bro
maori RORO HIRN, brain CERE’bro
tibetisch m’GO Kopf, head cabeza
englisch SKULL HIRNSCHALE CALA’morro
hebräisch GUL’GOLA Schädel, SCULL CAL’va
CRANium
51
laddinisch
hebräisch
CHÜL
GUL’GULLU
Kopf, head CAL’va
Schädel, SCULL CAL’va
australisch CUR’ta Kopf, head cabeza (TAG)
Kopf, head CAL’va
australisch
KUR’LA *
ph-tagabili
ph-kallahan
baskisch
quechua
* KULUQ
* QULUQ
KU’KULA *
CHULLO
Kopf, head CAL’va
Kopf, SKULL CAL’va
Schädel, SKULL CALA’morra
Kappe, cap GORRO
ph-dumagat
ph-mansaka QURU Kopf, head cabeza
* QULOQ Kopf, head cabeza
lateinisch
arhuaco
CU’CULL’us
sa’KUN’di
HAU’be,hood GORRA
HIRN, brain CERE’bro (TAG)
arabisch
australisch
ph-itbayatan
maori
NUQAH
* NULLAR
* RUNGUH
papa’AHU
Hinterkopf, back of Stirn, forehead head, COLOdrillo frente
Stirn, forehead frente
SCHALE, SKULL CERE’bro (BA)
deutsch
slowakisch
duala
suahili
HEL’m
CELO
* KELEKE
WELE’KERU *
HEL’met casco (BA)
Stirn, forehead frente
Schädel, SKULL CAL’va
Verstand, HIRN brain, CERE’bro
thai
irisch
KENG
CEANN
HAU’be,hood GORRA
Kopf, head cabeza
deutsch HIRN brain CERE’bro
ph-manobo * KILAY HIRN, brain CERE’bro
ph-tagbanwa
ph-gaddang
bengalisch
suahili
KI’KILAYIN *
* KIRAY
GHILU
KILELE
Stirn, forehead frente
Stirn, forehead frente
HIRN, brain CERE’bro
Kopf, head CAL’va
tungusisch
quechua
dJILI
* CHILINA
Kopf, head cabeza
HIRN, brain CERE’bro
maori KIRI SCAL’p
türkisch A’LIN Stirn, forehead frente
irisch
ph-manobo * GINAQ Stim, forehead frente
IN’CHINN * HIRN, brain CERE’bro
japanisch
tungusisch
CHINO
IRGA
HIRN, Verstand brain, CERE’bro
HIRN, brain CERE’bro
* In dieser und in den folgenden Tafeln bezeichnet * hinter dem Wort eine Doppelung. 1 Ein philippinischer Dialekt.
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Ich habe in diese Aufstellung auch einige Wörter für Kopfbedekkungen aufgenommen. Solche Bezeichnungen enthalten gern Hin weise auf den Kopf, wie im Englischen etwa mit der Folge HEAD/HAT/HOOD oder im Deutschen mit HAUPT und HAUBE, oder wie bei KAPPE und KAPUZE, die deutlich vom lateinischen CAPUT herstammen. Aus ähnlichem Grunde sind auch Wörter für Stirn und Schläfe aufgenommen, weil von früher Sprache zu vermuten ist, daß sie hier noch keine sonderlichen Unterschiede gemacht hat. Selbst bei dieser Beschränkung auf Schädel, Kopf und Hirn sind alle Kontinente mit KALL-Formen vertreten. Hier sei noch als Anmerkung das »Playback« der letzten drei Beispiele zurück zum Archetyp wiedergegeben: Das tungusische IRGA geht über GIRA und GILa sehr schnell zu KALL, das philippinische GIYA noch schneller über GILYA zu GILa, und das churritische EHLI dürfte seinen Weg über HELI — CHUL — COL/ KALL genommen haben. Um das Verständnis der Lautwandlungen, die hier eingangs besprochen wurden, zu erleichtern, sei an das KALL-Schema auf Seite 43 erinnert.
KALL und die Sinnes organe am Kopf
Ehe wir uns dem Reichtum der Wortformen zuwenden, welche den Wörtern für Schädel, Kopf und Hirn assoziiert sind, weil sie das Denken betreffen - wenn auch eng umrissen —, wollen wir uns mit den am Kopf einmündenden Sinneseindrücken befassen, die zusammen dem Hirn die Eindrücke vermitteln, die es erst zum Denken befähigen, dem, was wir sehen, hören, riechen. Das heute bei uns am geringsten geachtete Sinnesorgan ist, wenn auch sehr zu Unrecht, die NASE. Das Playback dieses Wortes läuft über das spanische NARIZ zu NAL, über die Umkehrung LAN und deren Vervollständigung LANG zu LAG und schließlich GAL. Als solches wird es uns gleich am Anfang der Tafel 4 wieder begegnen. Von unseren höher entwickelten Mitgeschöpfen, den Säugetieren, wissen wir, daß sie noch einen viel weitergehenden Gebrauch von ihrer Nase machen. Die von einem Bären oder einer Wölfin hinterlassenen Duftmarken dienen einem lebhaften Informations austausch und berichten dem nachschnüffelnden Artgenossen mehr über den Verursacher als wir uns mit unserem schlichten Menschen verstände vorstellen können. Aber nicht nur Säugetiere — selbst von den Fischen wissen wir inzwischen, daß sie auf ihren großen Wanderungen - Lachse, Dorsche, Heringe, Thunfische -, von anderen Merkmalen abgesehen, auch »an der Nase herumgeführt« werden. Die Wächterbienen vor der Beute stellen am Geruch fest, ob eine einfliegende Biene zu ihrem Volke gehört oder hinauszuwerfen ist. Ist allerdings eine fremde Biene schwer mit süßer Fracht beladen, läßt man sie schlitzohrig passieren... Bei uns hat sich die Erinnerung an solch »bessere« Zeit nur in einigen heute leeren Redensarten erhalten — »die oder den kann ich nicht riechen«, wobei wir uns allenfalls erinnern, daß einige Völker sich durch das Berühren ihrer Nasen begrüßen. Daß unser NIESSEN mit der NASE zu tun hat, sehen wir ein, auch, daß ein anderes, GE’NIESSEN, damit zu tun haben könnte, daß zum wahren Genuß eben auch der Duft einer
55
Tafel 4: NASE und RIECHEN ph-balangaw
australisch
australisch
GAARN
ALLAR
NASE, NOSE NARIZ
lateinisch HAL’atus Einatmen von Duft INHALING of smell
NASE, NOSE NARIZ
NASE, NOSE NARIZ
maori
spanisch pop.
telugu
zigeunerisch
HAUN’GA *
GANCHO
LAN’pu
NAK
RIECHEN, smell OLORar
NASE, NOSE NARIZ
RIECHEN, smell OLORar (BA)
NASE, NOSE NARIZ
bengalisch
bengalisch NAN’KA * NASE, NOSE NARIZ
QAN’GAL *
NAK NASE, NOSE NARIZ
spanisch slg.
estnisch
NACHo
NANA
NASE, NOSE NARIZ
NASE, NOSE NARIZ
spanisch pop.
lateinisch
laddinisch
aymara
NARI’GAL *
NAR’is
NAS
NASA(!)
NASE, NOSE NARIZ
NÜS’tern, NOSE NARIZ
NASE, NOSE NARIZ
NASE, NOSE NARIZ
lateinisch
deutsch
ph-kalagan
ph-ifugao
NAS’us
NASE
QON’GOL *
* QOLONG
NASE, NOSE NARIZ
NOSE NARIZ
NASE, NOSE NARIZ
NASE, NOSE NARIZ
tagalog
suahili
ph-sambal
aynu
FLONG
U’GOLO
ba’LONGO
EN’KOR
NASE, NOSE NARIZ
SCHNU’pfen, sniff NASE, NOSE GANGO’sear NARIZ(BA)
maori
ilocan australisch A’GONG GOONG’KOONG * NASE, NOSE NASE, NOSE NARIZ NARIZ
RONGO RIECHEN, smell OLOR’ar maori
RIECHEN, smell OLOR’ar russisch
SHON’KA *
NOS
RIECHEN, smell OLOR’ar
NASE, NOSE NARIZ
englisch
setswana
NOSE
NKO
tungusisch NGO
NASE NARIZ
NASE, NOSE NARIZ
NASE, NOSE NARIZ
RIECHEN, smell OLOR’ar polnisch
NOS NASE, NOSE NARIZ
56
polnisch
WON’iek
bengalisch
chinesisch XION RIECHEN, smell OLOR’ar
HON’gi
NASE, NOSE NARIZ
japanisch
australisch
norwegisch
baskisch
bi’KO
KOW
LUK’te
su’GUR
NASE, NOSE NARIZ (BA)
NASE, NOSE NARIZ
RIECHEN, smell OLOR’ar
NASE, NOSE NARIZ (TAG)
aynu
ph-tagbawana
deutsch
quechua
HURA
* QURUNG
RUCH
RUNC’u
GERUCH, smell OLOR
NASE, NOSE NARIZ
smell OLOR
NASE, NOSE NARIZ
ph-agta
ph-atta
ph-samal
quechua
QUI’GUNG
I’GUNG
UUNG
KUN’tuy
NASE, NOSE NARIZ
NASE, NOSE NARIZ
NASE, NOSE NARIZ
GERUCH, smell OLOR (TAG)
tibetisch
baskisch
twi
suahili
SNA’KUN
LURRUN
HUENE nase; nose
NUKA
NÜS’tern.NOS’trils GERUCH, smell NOS’triles OLOR
NARIZ
NASE, NOSE NARIZ
türkisch
lappisch
samojed
pame
bu’RUN
NJUNNE
NJUNNE
si’NYU
NASE, NOSE NARIZ (BA)
NASE, NOSE NARIZ
NASE, NOSE NARIZ
NASE, NOSE NARIZ
deutsch
ph-kallahan
welsch
australisch
NÜS’ter
* QELENG
o’GLEUO
JENI
NOS’trils ventanas nariz
NASE, NOSE NARIZ
RIECHEN, smell OLOR’ar
NASE, NOSE NARIZ
finnisch
nordisch
französisch
ph-itneg
NENÄ
NES
NEZ
QIN’GIL *
NASE, NOSE NARIZ
NASE, NOSE NARIZ
NASE, NOSE NARIZ
NASE, NOSE NARIZ
ph-bontok
ph-mananwa
ph-7 Spr.
ph-manobo
QIN’GIL *
* QIRONG
* QILUNG
* QIRUNG
NASE, NOSE NARIZ
NASE, NOSE NARIZ
NASE, NOSE NARIZ
NASE, NOSE NARIZ
ph-sangil
deutsch
griechisch
japanisch
I’RUNG
RIECH’en
RHIN’os
NIOU
NASE, NOSE NARIZ
smell OLOR’ar
NASE, NOSE NARIZ
RIECHEN, smell OLOR’ar
57
Sache gehört. Aber daß ein Mensch in einem schlechten »Gerüche« steht, daß »Gerüchte« über ihn umlaufen, das plappern wir nach, ohne uns noch etwas dabei zu denken. Die Sprachen und Dialekte der Philippinen (ph-) haben die KALL-formen gut konserviert. Sie sind hier auch vertreten, weil sie die Lautwandlungen zeigen. Außerdem bestehen sie insgesamt aus 50, ursprünglich wohl vom Malayischen herkommenden Sprachen, die untereinander erstaunlich wenig Ähnlichkeiten aufweisen. Wer die Überflüssigkeit unseres SCH schon bei »sch’mausen« und »sch’matzen« durchschaut hatte, könnte versucht sein, der NASE noch das SCH’NEUZ’en, das SCH’NAU’ben und das Sch’NÜ’ffeln zuzuordnen. Man sollte glauben, wenn sich ein so eindrucksvolles und unverwechselbares Erscheinungsbild wie die Nase in so vielen benachbarten Sprachen wie den indoeuropäischen eine fast gleiche Form bewahrt hat, dann müssen diese Sprachen von jeher nahe beieinander geblieben sein. Eine verlockende Folgerung, die nur von der Form NASA der Aymara Perus konterkariert wird - offenbar kommen Lautwandlungen auch unabhängig von der geographischen Nachbarschaft zu gleichen oder ähnlichen End-, das heißt heutigen Formen. Auf der anderen Seite verraten Wörter, die erst in jüngerer Zeit zu bilden notwendig wurde, die fortgeschrittene Unabhängigkeit. Das Wort LEER ist gleichfalls eine KALL-Form und läßt vermuten, daß es einst auf eine andere Art auch nur »hohl« bezeichnete, denn Hohles ist gemeinhin auch »leer«. Aber in unseren Nachbarsprachen gibt es Ähnliches nicht - da sprechen die romanischen Sprachen von »vacuus«, englisch von »empty«, die nordischen von »tomt«. Überhaupt keine Verwandtschaft also. Viele Sprachen drücken es umschreibend aus: »nichts drin«. Wie oft mag man solchen Um schreibungen aufsitzen, die einem Fremden nicht als solche erschei nen können! Trotzdem, es bleibt dem Paläolinguisten genug eindeu tiges Material, das seinen fossilen Wert zweifelsfrei verrät. Der Geruchssinn geht dem Menschen relativ selten verloren. Wenn, dann beklagt der Betroffene, daß ihm das Essen nicht mehr so schmecke wie zuvor. Beim Gehör sind die Folgen schlimmer. Das bezeugt auch die Sprache, die bei uns das »taub« unmittelbar mit »doof« und daher »dumm« auf eine Stufe stellt. Wir haben es in unsere Tafel 5 A mitaufgenommen, wenn auch nur in Einzelfällen. Die Zuordnung von OHR zu KALL wird durch das Verb HÖREN erleichtert, bei dem man nur das -R- gegen das vorrangige -L-
58
Tafel 5 A: HÖREN und LAUSCHEN australisch
ph-gaddang
türkisch
australisch
WAL
LAYAG
* QULAQ
* KALAJAH
OHR/HÖR’en EAR, OREJA?
OHR, EAR OREJA
OHR, EAR OREJA
OHR, EAR OREJA
bengalisch
australisch
japanisch
laddinisch
KALA
GARINNI
RAICHO
U’RAGLIA
taub, deaf mudo
LAUSCHen Listen,escuchar
zuHOREN LISten,escuchar
OHR, EAR OREJA
bengalisch
zigeunerisch
tungusisch
bengalisch
KAN
KAN
SlAN
KAN
OHR, EAR OREJA
OHR, EAR OREJA
OHR, EAR OREJA
OHR, EAR OREJA
japanisch
arhuaco
slowakisch
tibetisch
cho’KAN
KANO’KUAN *
NACU’vat
NANpa
GEHÖR, HEARING, OIR
HÖREN, HEAR OIR
LAUSCHen LISten, escuchar
LAUSCHen Listen, escuchar
australisch
australisch
welsch
tibetisch
bee’NARRA
NARRANA
GWRAN’do
KOL’to
OHR, EAR OREJA (BA)
HÖREN, HEAR OIR
LAUSCHen LISten, escuchar
taub-dumm, deaf mudo, sordo australisch
mealanesisch
maori
ilocan
LOGOI/LOGOR
RONGO
NAN’GOLN’GOL * * COOLEENIE
HÖREN, HEAR OIR
HÖREN, HEAR OIR
taub-dumm, deaf sordo
nordisch
spanisch
ph-bontok
australisch
H0RE
OIR
KOLING
KORINNI
HÖREN, HEAR OIR
HÖREN, HEAR OIR
OHR, EAR OREJA
HÖREN, HEAR OIR
bengalisch
slowakisch
maori
polnisch
SHONA
u’CHO
HOI
SLUCH
HÖREN, HEAR OIR
OHR, EAR OREJA
taub, deaf sordo
GEHÖR, HEARING, OREJA
slowakisch
slowakisch
slowakisch
türkisch
HLUCH
SLUCH
SLYCH
* KULAK
taub, deaf sordo
GEHÖR, HEARING, OIR
HÖREN, HEAR OIR
LAUSCHen LISten, escuchar
türkisch
chaskaszki
finnisch
samojed
* KULAK
* CHULACH
KUULLA
GULLA’t
OHR, EAR OREJA
OHR, EAR OREJA
HÖREN, HEAR OIR
HÖREN, HEAR OIR
HÖREN, HEAR OIR
59
lateinisch os’CUL’tar HORCHEN, HEAR escuchar
australisch GUL’GA * OHR, EAR OREJA
samojed GULLO GEHÖR, HEA RING, OIR
quechua LLUCU OHR.EAR OREJA
am.-spanisch GUALE’ta Ohrenklappe ear-cap
lateinisch CLU’ere sich gerufen hören hear oneself called
welsch CLY’wed HÖREN, HEAR OIR(BA)
griechisch KLY’o HÖREN, HEAR OIR
australisch KUN’GUN * HÖREN, verstehen HEAR, understand
zigeunerisch HUNAUA HÖREN, HEAR OIR
finnisch KUUNEL LAUSCHen Listen,escuchar
pame NUHU HÖREN, HEAR OIR
australisch URE OHR, EAR OREJA
thai HUU OHR, EAR OREJA
telugu CHEVI OHR, EAR OREJA
guarani HEN’du HÖREN, HEAR OIR (TAG)
tungusisch HEN OHR, EAR OREJA
guarani NEENGU taub, deaf sordo
ph-kallahan NGILA OHR, EAR OREJA
ph-tagabili KLINGUH OHR.EAR OREJA
ph-12Spr. ta’LINGA OHR, EAR OREJA
ph-bilaan KLINGI OHR, EAR OREJA
maori ta’RINGA OHR, EAR OREJA
aymara JINCHU OHR, EAR OREJA
auszutauschen braucht, um mitten im Klangbild des Archetyps zu enden. Bei vielen Völkern bedeutet »hören« zugleich auch »verstehen, begreifen«. Nicht von ungefähr, denn es mag viele Situationen geben, in denen hören und verstehen nicht selbstverständlich waren. Erst wenn das Gehörte verstanden war, konnte es als gehört gelten. Wenn im einen oder anderen Falle die Wörter für »taub« und für »hören« fast gleich lauten, dann muß man wohl davon ausgehen, daß Betonung oder Tonhöhe den Unterschied kennzeichneten. Nicht alle Sprachen sind ja so mono-ton wie die unseren. In den mongolischen Sprachen etwa wird die Tonhöhe dreifach variiert, und das gleiche Wort, etwa KHON, bedeutet in anderer Tonhöhe etwas anderes. Im Grunde identisch mit dem LAUSCHen ist das intensivere 60
Tafel 5 B: Der KLANG arabisch
ilocan
QAL’QAL
a’GAL’LANGO’GAN
KLANG, sound son
echoen,echo eco
lappisch RAGG’jat LÄRMen, NOISE ruido
irisch ma’CALLA Echo eco
deutsch HALL/SCHALL sound son
tagalog
polnisch
KALAN’sing
HALAS
KLINGELN, RING HALL/SCHALL sound, son tocarcampanilla
tagalog
arabisch
setswana
slowakisch
LAKA’san
LAGAN
se’GALO
RACHO’t
Laut, tone sonido
KLANG, sound son
KLANG, sound son
KRACH, Noise ruido
tagalog
griechisch
maori
finnisch
LAGUN’LONG *
* KALYKE
HARURU
RAIKUA
KLANG fallen den Wassers
Liedart, type of song, CANZon
dumpfer KLANG dull sound
KLINGELN, RING tocar el timbre
tibetisch KLAN-KA Geräusch, noise ruido
laddinisch
englisch
deutsch
RAGN’ar
CLANK
KLA’tsch
quaken, squeak graznar
KLINGEN, sonar
clap chasquear
deutsch
deutsch
KNACK’en
KNARR’en
Mißklang mal son
deutsch KNALL plötzlicher SCHALL
CRACK CRUJir
CREAK CHILLar
arabisch
thai
malayisch
thai
GANN
LAN
deo’HAN
KANG’waan
KLANG, sound son
KNALLen CRACK, CRUJir
DonnerKLANG thunder, trueno
Echo, Resonance resonancia
griechisch
chinesisch
maori
lateinisch
KANACH
XIANG
NGANAU
CAN’or
Geräusche noise, ruido
SCHALL, sound sonido
KLANG, sound son
Ton, sound son
suahili
arabisch
arabisch
guaraní
GHANI
NAGA
QARA’QAR
CHARARA
Gesang, song CANZon
KLANG, sound son
KRACH, noise ruido
SCHARRendes Geräusch
griechisch LARYN’o GURRen,COO ZUREar
japanisch NARI KLINGEN, sound sonar
hebräisch KOL
irisch
SCHALL, sound son
zirpen, chirp chirriar
englisch
JANGLE
GIOL’cadb
61
irisch COLLOI’d Geräusch, noise ruido
deutsch KOLLERN special noise ruido especial
griechisch KOLO’syrtos Radau, noise ruido
suahili KOKOLEKA gackern und KRÄHen von Hühnern
finnisch HÖLY LÄRm, noise ruido
irisch CLOG GLOCKe, bell campana
irisch GLOR KLANG, sound son
englisch KNOLL Glockengeläute campanas tocandas
thai KONG WiderHALL echo
australisch KOON’GARRA SCHWIRREN auf fliegender Vögel
lappisch ROACCA Rauschen v. Regen aufs Zeltdach
laddinisch ROL GLOCKE/SCHELLE, bell, campana
bengali KUL’KUL GLUCKsen von Wasser
laddinisch RUC’LÖZ GURREN, COO ZUREar
guarani GUALALA GLUCKern, GUR GLE, GLOGLOteo
guarani GUARARA rauschen, ROAR murmurar
guarani GUILILI Murmeln v. flie ßendem Wasser
lateinisch GRYLL’are zirpen, chirp CHILLar
englisch CRUNCH KNIRSCHen RECHINar
malayisch GUN’tur donnern, thunder trunear
tibetisch S’GUN KRACH, noise ruido
quechua KUNUNUY LÄRMen, make noise
irisch CEOL Musik, music musica
finnisch HELKE KLINGen, sound sonar
englisch YEL’p KLÄ’ffen, GANir
irisch CREILL Glockenläuten tocar campanas
suahili KELELE Geschrei, CALLing aloud
suahili KENGELE GLOCKE, bell campana
polnisch HEYNAL KLANG, sound son
japanisch NEIRO KLANG, sound son
griechisch LIG’a laut und klar im Ton
suahili a’LIKA KNACKen CRACK, CRUJir
deutsch SCHRILL sehr laut loud, alto
suahili KILIO Ton, sound son
irisch CLING KLANG, sound son
laddinisch CLING KLANG, sound son
deutsch KLICK’en type of noise menor ruido
deutsch KLIRR’en CLINK tintinar
chinesisch YIN KLANG, sound son
thai KRING KLINGELN, RING tocar el timbre
62
Tafel 6: Das AUGE lappisch
samojed
arabisch
arabisch
CAL’me
CAL’bme
GAL’in
LAcHH
AUGE, EYE OJO
AUGE, EYE
OJO
sehen, LOOK ver
weinen, weep LLOR’ar
arabisch LAcHZ LUGEN, LOOK mirar
quiché
arabisch
arabisch
CAL
HAL
GAR
sichtbar, visible visible
SCHIELEN, SOINT AUGENHÖHLE HOLLOWo.th.EYE bizcar
irisch
suahili
arabisch
arabisch
GLIU’CAIL
an’GAL’ta
KALA
KARA
blinzeln, GLIMpse beobachten, ob GUIÑAR serve, observare
hinsehen, LOOK to, vera
sehen, LOOK ver
arabisch
quiché
hethitisch
tagalog
QARA
CAUILO
* HALUKI
HALU’KAYIN *
lesen, read LEER
sehen, LOOK mirar
erkunden, scout informarse
suchen, LOOK for, inquirir
nahuatl
quiché
griechisch
englisch
LACHIA
* CARIL
GLAUK’ia *
GLANCE
LUGEN, LOOK mirar
gesehen,seen visto
starren, stare mirarfijamente
b’LICKen ver
tibetisch
chinesisch
japanisch
arhuaco
O’GLA’d
KAN
GAN
CUAN
besehen, see at vera
b’LICKen, LOOK mirar
AUGE,B’LICK EYE.GLANCE
sehen, LOOK ver
chinesisch
ph-kallahan
japanisch
arhuaco
YAN
QANG’QANG *
NAI’KAN
wa’KAN
AUGE, EYE OJO
LUGEN, LOOK mirar
SCHAUen.LOOKi. b’LICKen ** veralinterior LOOK, ver
anglosaxon
suahili
arabisch
EAGAN
ANGAA
HANA’dir
LUGEN, LOOK ver
Pupille, pupil pupila
japanisch * NAGURE b’LICKen, LOOK mirar
quechua
benghalisch ANKHI AUGE, EYE, OJO AUGEN, EYEs (Vorform v. EYE) OJOs
maori
telugu
KANO’hi
KANNU
AUGE, EYE OJO
AUGE, EYE
OJO
NAHUI AUGEN, EYEs OJOs
finnisch
australisch
arabisch
australisch
NÄKE
NAKE’LANG *
KAN’in
NAKI
sehen, LOOK ver
sehen, LOOK ver
sehen, LOOK ver
AUGE, EYE OJO
63
australisch NAN’GANA * sehen, LOOK ver
guarani NANGA’RECO * wachen, guard guardar
aymara NAIRA AUGE, EYE OJO
twi ANI AUGE, EYE OJO
lateinisch CAV’ere wachen, guard guardar
hethitisch AU sehen, LOOK ver
etruskisch AU sehen, LOOK READ, ver, leer
chontal AHU AUGE, EYE OJO
quechua QAWAY sehen, LOOK ver
maori KAIKA’mo AUGE, EYE OJO
irisch GOL weinen, weep LLOR’ar
türkisch GÖR’mek sehen, LOOK ver(BA)
bengalisch
lat.-griechisch COR’a Pupille, pupil pupila
australisch HOLANYI * weinen, weep LLOR’ar
griechisch LOG’as AUGEN, EYEs OJOs
laddinisch ÖGL AUGE, EYE OJO
deutsch GLOTZ’en * GOGGLE, esparrancar ojos
aymara AI’KONA weinen, weep LLOR’ar
AUGE, EYE OJO
thai KHON AUGE, EYE OJO
chinesisch KONG LUGEN, LOOK mirar
thai CONG starren, Stare mirar fijamente
bengalisch KHON’ja suchen, seek buscar
suahili LONYO LUGEN, LOOK mirar
ph-inibaloi QON’QAN * LUGEN, LOOK mirar
australisch * NOKUNA sehen, LOOK ver
slowakisch
spanisch OJO AUGE EYE
mazatek
AUGE, EYE OJO
polnisch OKO AUGE,'EYE OJO
AUGE, EYE OJO
hethitisch GULS schauen, LOOK ver
schottisch LUIK suchen, seek buscar
thai LUUG’ta AUGapfel, EYEball globo del ojo
welsch LLYG’ad1 AUGE, EYE OJO
englisch LOOK sehen, schauen blicken, mirar
griechisch KYLA AUGENHÖHLE CUEVA de los ojos
samojed GUOULA’t LUGEN, LOOK ver
lateinisch OCUL’um AUGE, EYE OJO
GOLA b’LICKen.LOOK mirar englisch
GOGGLE GLOTZ’en, esparrancar ojos schwedisch
ÖGON
OKO
64
SKOA
quechua
deutsch
finnisch
KUYRU
LUG’en
LUKEA
Pupille, pupil pupila
LOOK mirar
LESEN, read leer
chinesisch XIUN suchen, seek buscar
ph-kallahan QUN’QAN * LUGEN, LOOK mirar
australisch
australisch
spanisch
KUN’dolo
NGAI’KUNG *
GUlN’ar
AUGE, EYE OJO
AUGE, EYE OJO
b’LINZELN t’WINKLE
aynu NUKAR sehen, LOOK ver
tagalog LIN’GUNIN zurückschauen,see back, ver atras
twi
popoluka
HU
is’KUY
sehen, LOOK ver
AUGE, EYE OJO
twi
mapuche
hethitisch
welsch
HUE
NGUE
sa’KUI
GWEL’d
SCHAU’en LOOK, mirar
AUGE, EYE OJO
AUGE, EYE OJO (TAG)
sehen, LOOK ver
lateinisch
quiché
griechisch
englisch
LEG’ere
QUEILIC
GLENE
KEN
lesen,read leer
gesehen werden, be AUGapfel, EYEball Sehbereich, view LOOKed for extentode vista globo del ojo
thai HEN sehen, LOOK ver
suahili
quechua
luo
KEN’geza
KENLLA
NENO
SCHIELEN SQUINT, bizcar
b’LINZELN, t’WIN sehen, LOOK KLE, GUINar ver
eifik
mapuche
französisch
englisch
ENYEN
NGE
YEUX
EYE
AUGE, EYE OJO
AUGE, EYE OJO
AUGE, EYE
OJO
AUGE OJO
quiché
maya
deutsch
ph-batak
QUIL
CHIL
b’LICK’en
LIQ’GAN *
sehen, LOOK ver
SCHAUen, LOOK SCHAUen, LOOK sehen, LOOK mirar mirar ver
finnisch
australisch
ph-kankaney
ph-manobo
VIL’KAI *
WILL’KILLA *
QILA
* KILAQ
sehen, LOOK ver
b’LICKEN, GLAN CE, mirar
b’LICKEN, G LAN sich umsehen CE, mirar LOOK around
ph-kalinga
deutsch
welsch
schottisch
* QILAN
SCHIEL’en
CHWIL’io
GLIN’t
sehen, LOOK ver
S'QUINT bizcar
suchen,seek buscar
B’LICK, GLANCE mirada
65
australisch
AL’KINGAR * AUGE.EYE QJO
ph-atta ma’SlNGAN * sehen, LOOK ver
lappisch
englisch
QINUL’as
s’QUIN’t
sichtbar, visible visible
SCHIELEN bizcar
** weist auf gleiche Kombination von Archetypen hin. 1 Einige Wörter für »suchen« sind aufgenommen, da auch bei KALL eine ähnlich nahe Beziehung vermutet werden darf wie zwischen unserem SEHEN und SUCHEN (von TAG). Man beachte im Deutschen das Paar LUGEN und b’LICKEN, das gleiche Wort also hinter einem Überrest von BA.
Hören in HORCHen. Die größere Intensität hat in früher Sprache eine Verdoppelung bewirkt - HORCHEN ist davon übriggeblieben. Eine Expansion seines Sinngehalts erfuhr HÖREN mit unserem Worte GEHÖREN. »Der Badeanzug >gehört< mir« ist gegebenen falls eine heute selbstverständliche, im Grunde aber sinnlose Floskel. Welcher Badeanzug, Garten, Hut oder Logenplatz »hört« schon auf uns? Denn diese beiden Dinge »gehören« nun einmal zusammen; am Anfang dieser Wortschöpfung stand zweifellos das Kind, das einer Mutter »ge’hört«, weil es auf seine ihm geltenden Lock- und Warnrufe »hört«, während es die Lautäußerungen anderer Wesen eher unbeachtet läßt. Aber nicht nur, wie und womit man hört, auch was man hört, hat sich in unmittelbarer Nachbarschaft des für das Ohr zuständigen Archetyps angesiedelt. Dabei fällt auf, wie selbst solche Wörter, denen man prima fade die Lautmalerei ansieht, sich dennoch im Machtbereich des KALL zu halten suchen - etwa KNARRen, KNIRSCHen, KRÄHen, KNACKen, KLICKen und viele andere mehr. Hier in Tafel 5 B ein weltweiter Überblick. Mit dem Thema AUGE (vgl. Tafel 6) nähern wir uns dem Sinnesorgan, das beim Menschen - zum Teil auf Kosten der anderen - die größte Bedeutung erlangt hat. Bei der so wichtigen Fortent wicklung zwischenmenschlicher Aktionen war der gegenseitige Blickkontakt ein sehr wesentliches Element gegenseitigen Verste hens. Apropos B’LICK: Ein schönes Beispiel für eine Zusammenset zung und Verschmelzung von BA- und KALL-Formen zu einer einzigen, neuen. 66
Die Summe der Sinnes eindriicke: Denken
Wir übergehen hier fürs erste die Gruppe von Sinneseindrücken, die nicht durch eine Öffnung im Kopf in unser Gehirn eintreten, die aber zweifellos eine wichtige Rolle innehaben: das Gefühl. Es ist kein eindeutiges Phänomen wie das Hören oder Sehen: wir fühlen Berührung, Wärme und Kälte, Schmerz innen wie außen, und haben auch sonst noch Gefühle, die schwer zu beschreiben und noch schwerer zu lokalisieren sind. Wie beim Hören das Verstehen und beim Nicht-Hören das Dumm-Sein eingehängt sind, so zweigt beim Gefühl auch noch etwas ab, was reichlich verwirrt: das nordische KJENNE ist nicht etwa nur identisch mit unserem KENNEN, es bedeutet zunächst »fühlen«. Fühlen in jeder unserer Bedeutungen bis hin zum Tasten. Übrigens führen so weit voneinander entfernte Sprachen wie das Japanische, das Indio-arhuaco, das Suahili und das Tibetische das Wort KAN als Kennzeichnung von Gefühl. Es geht vermutlich zurück auf eine Zeit, da man zwischen Fühlen und Kennen noch gar nicht unterschied. Es lohnt sich, ein paar Augenblicke über die Bedeutung der Sinneseindrücke für das Hirn der Menschen nachzudenken. Das soeben geborene Menschenkind verfügt zwar schon über ein Viertel seines Schädelinhalts und damit über etwa gleich viel seiner endgültigen Gehirnmasse, aber diese Himmasse ist so leer wie ein noch unbeschriebenes Blatt. Aber schon zwei Wochen nach dem Verlassen des Mutterleibes beginnen sich Strukturen zu bilden, und zwar als Reaktion auf die ersten Sinneseindrücke des Schmeckens, Fühlens, Hörens und - sehr viel später - Sehens. Die entscheidende erste Phase des Aufbaues einer »Hardware« kommt noch ohne das Sehen aus. Je mehr Sinneseindrücke das Kleinkind empfängt, um so vielfältiger kann sich seine Grundstruktur aufbauen - und um so leichter kann es später das Hinzuerlernte, die »Software«, darin unterbringen. Sinneseindrücke werden aber in erster Linie von der Mutter vermittelt; das Saugen überträgt Geschmacks-, das Berühren
67
ihrer Haut Gefühlseindrücke vom Tasten und körperlicher Wärme. Auch das Gehör wird von den ersten Tagen an voll eingeschaltet. Je inniger daher der Kontakt zwischen dem Neugeborenen und seiner Mutter, um so besser entfaltet sich die so wichtige Grundstruktur des menschlichen Hirns. Da hat der Mensch einen vielleicht entscheiden den Vorrang vor anderen Primaten und erst recht vor solchen Säugetieren gewonnen, die schon nach wenigen Stunden auf eigenen Beinen stehen und der Mutter in zwar geringem, aber doch eben in einem kontaktärmeren Abstand folgen müssen. Weil die stammesgeschichtliche Entwicklung des Homo obendrein seine Nacktheit genetisch begünstigte, waren die Sinneseindrücke von Menschenkin dern in ihrer ersten Lebensphase nochmals intensiver — und für die Bildung der Hardware entsprechend günstiger. Das gleiche gilt erst recht von der gegenüber Primaten gesteigerten Hilflosigkeit der jungen Menschenkinder, die wegen ihres zunehmenden Schädel durchmessers viel zu früh geboren werden mußten, verglichen etwa mit dem Jungen eines Büffels oder Bisons, das viel fertiger auf die Welt kommt. Da die menschliche Mutter darauf programmiert ist, jede Regung oder Lautäußerung ihres Babys sofort und positiv zu beantworten, vermehren sich die anfänglichen Sinneseindrücke beträchtlich. So war das Him der Menschen nicht nur größer, es wurde auch besser durchstrukturiert. Nebenbei bemerkt eine weitere sehr wichtige Vorbedingung auch für das spätere Beherrschen der Lautsprache. Seit C. G. Jung wissen wir von gewissen Archetypen der gemeinsamen menschlichen Erinnerung, seit Theodor Dolezol haben wir einen konkreten Versuch, die alten Mythen der Menschheit als einstige Tatsachen zu verstehen. In seinem 1979 erschienenen weitausgreifenden Buch über die »Abstammung und Urgeschichte des Menschen« scheut er sich nicht, aus den Drachenmythen vieler Völker die echte Erfahrung menschlicher Vorläufer aus der Saurierzeit herauszulesen und durch Details wie dem feurigen oder stinkenden Atem der Sage aufzuzei gen, daß nur unsere gleichzeitigen tierischen Vorläufer solche Information an die Erinnerung der Art genetisch weitergereicht haben können. Gerade beim Neugeborenen haben sich mehrere Verhaltensweisen erhalten, die in eine ferne, tierische Vergangenheit weisen und sich heute nur deshalb so schnell verlieren, weil sie nicht mehr benötigt werden. Dazu gehört das Auseinanderbreiten der Arme beim Erschrecken oder Fallen, das in unserer arborealen Vergangenheit einmal sinnvoll war, um einen Sturz aufzuhalten oder zu mildern. Dazu gehört ferner der Klammerreflex, sobald das Baby 68
etwas mit den Händen zu fassen vermag, wobei es anfangs eine Kraft entwickelt, die ausreicht, das eigene Gewicht zu halten. Auch das durchaus sinnvoll in einer Zeit, da es für das Überleben entscheidend war, sich am Fell der Mutter auch bei plötzlicher Flucht vor Raubtieren festhalten zu können - wer dabei verlorenging, war verloren. In noch fernere stammesgeschichtliche Vergangenheiten weist die Schwimmbewegung des Neugeborenen, die denen der Fische gewissermaßen nachempfunden ist, und auch der Tauchreflex, der als Sofortmaßnahme auf das Wegbleiben der Luftzufuhr die Herzschläge radikal vermindert, um den gerade vorhandenen Sauer stoffvorrat zu strecken. Heute wissen wir auch besser als vor 20 Jahren, daß die stammesgeschichtliche Entwicklung der Hominiden und der frühe sten Homines nicht gleichmäßig oder geradlinig vor sich ging. Immer wieder unterbrachen geologische Katastrophen oder große Klima schwankungen das perfekte Einpassen in die vorgefundene ökologi sche Nische und dezimierten auf die eine oder andere Weise die Vorläufer und die frühen Exemplare unserer Art. Die Überlebenden solcher Umweltkatastrophen verbreiteten sich danach um so schneller in die freigewordenen Nischen. Bei solchem Überleben spielte die durch Intelligenz erhöhte Anpassungsfähigkeit eine immer wichtigere Rolle. Und da Intelligenz sich erst voll auswirkt, wenn damit ein Informationsaustausch stattfinden und die zwischenmenschliche Aktion begünstigen kann, muß in immer stärkerem Maße auch die Sprache zum Zuge gekommen sein. Neben unserem Wissen darum haben wir auch die Empfindung, das klare Gefühl, daß wir mit und innerhalb unseres Kopfes denken. Das ist beileibe nicht selbstverständlich. Offenbar aber haben das auch unsere frühen Vorläufer schon gewußt, denn auch ohne die nur unsicher deutbaren Schädelkulte haben sie es uns verraten. Aus allen großen Zeitaltern früher Sprachen haben sie den jeweils vorherr schenden Archetypen für Kopf auch für das »Denken« eingesetzt - letzteres aus der Zeit, in der man Kopf und Gipfel mit TAG-Formen ansprach. Ich habe KALL als dominantes Thema für dieses Buch nicht zuletzt darum gewählt, weil es zwischen dem älteren BA und dem jüngeren TAG steht und weil dadurch die Übergänge und Bruchstel len besondere Erkenntnisse anbieten. Tafel 7 beschränkt sich auf die dem Kopf als Gefäß des Hirns unmittelbar zugeordneten Funktionen und Eigenschaften und läßt die Fülle von assoziativen Erscheinungen außer Betracht, obwohl es sehr reizvoll wäre, auch das vorhandene 69
Tafel 7: Das Denken arabisch HAUL sehr KLUG, cun ning, intelligente
arabisch HAL sich denken imagine, imaginar
arabisch LAQN Schnell v. Begriff rápido entendiendo
ilocan LAING Intelligenz, in telligence, -cia
lateinisch CAL’CUL’are RECHnen, RECKon CALCULar
quechua LLAQCHI Illusion, illu sion, illución
tibetisch GAL’mtun Gewissen, con science, consciencia
bengalisch * CHALAK KLUG, CLEVER listo
arabisch * GALAN rege, vivid intelligente
arabisch LAcHAN verstehen, under stand, entender
laddinisch RASCH’lar RECH’nen, CALculate, CALCUL’ar
suahili * KALAMKA KLUG, CLEVER listo
irisch * CIALLAIN meinen, believe pensar
thai KAN’LANGGA * Willen, willpower fuerza de voluntad
arabisch HALAM Traum, dream sueño
ilocan CARA’RAGAN * f’RAG’en, ask inter ROGar
baskisch LAKOAN denken, think pensar
maori wha’KAARO Absicht, intention intención (BA)
japanisch NAGORI Erinnerung, memo ry, memoria
quechua KALLU SCHLAU, cunning sagaz
tungusisch A’LAGU’si LEHREN, teach docer, informar
australisch NYALU Wille, will voluntad
hethi tisch HALUKI * Erkundung, findingout, pesquisa
lateinisch HALLU’cinatio Wahnvorstellung hallucinación
tibetisch LHAGGE verständlich, dear intelligible
lateinisch CALL’ere weise sein, be wise, sagaz
spanisch CALEZ’a * KLUGheit, CLEVERness, inteilig.
tagalog KALI denken, think pensar
suahili KAULI Ansicht, meaning opinión
lateinisch CALI’dus ' KLUG, SCHLAU CLEVER, sagaz
arabisch LAQI erklären, explain explicar
aynu pa’KARI denken, think pensar (BA)
ilocan GA’GAN’GAY * Instinkt, instinct instincto
guarani A’CANGAU * s.d.Kopf zerbrechen break one’s brain
japanisch NAI’KAN * Intuition intuición
zapotee s’KAAN’da Traum, dream sueño (TAG)
tibetisch CAN’ba vermuten, presume creer (BA)
tibetisch CANpo KLUG, CLEVER listo (BA)
englisch HUNCH Vorahnung presentimiento
japanisch chok’KAN Intuition intuición
70
thai
thai
suahili
maori
NAG
KHANA’naa
ba’YANA
ti’KANGA
Erfahrung, expe RECH’nen, CAL’- Wissen, knowrience, experiencia culate, CAL’cular legde, sabiduría
Sinngehalt, mea ning, sentido (TAG)
maori KAIN’GA’KAU * werten, value valuare
maya
thai
suahili
* CCANUUK
KHANYNG
KANI
vermuten, presume Denken, thinking creer pensando
Energie, energy fuerza de voluntad
guarani
polnisch
ilocan
arabisch
ANGUEN
NAUKA
NACAL’LAGip * NAKARA
HALLUzination
LEHRE, Wissen KNOWledge
erinnerlich memorable
polnisch
slowakisch
japanisch
tibetisch
NAUCZ
NAHL’ad
NARAU
GRANba
LEHREN, teach docear
Ansicht, view opinión
LERNEN, LURN apprender
RECHnen, CALcul. CALCAULar(BA)
tibetisch d'RANpa Erinnerung, memo ry, memoria (B A)
bengali
tibetisch
maori
CHAON
COLba
A’KORANGA *
wollen, want querer
vertrauen, con fide, confider
Erfahrung, experi ence, educatiön
japanisch SCHLAU, CUN NING, listo
telugu KORU Wunsch, desire deseo
finnisch
KOULA
KLUGheit, CLEVER’ness, prud.
telugu
griechisch
KORU’ta
LOGEIA
wünschen, want desear
RECHnen, RECKon, CALCULar
baskisch
tibetisch
tibetisch
GO’GOAN
S’GONpa
ZON
unterweisen teach, docear
denken, think pensar
nachdenken, specu Aufmerksamkeit attention late, pensar (BA)
tibetisch
maori
tibetisch
griechisch
R’NOG
A’KONGA
d’GONSba
KONN’eo
ROKAI
Vorahnung, HUNCH LERNEN, LURN apprender presentimiento
beabsichtigen, in wissen, KNOW tend, intentar (BA) saber
finnisch
japanisch
japanisch
maori
* NOKKELA
RON’ri
NORIKI
a’KO
intelligent intelligente
LOGIK
Interesse interés
LERNEN, LURN apprender
nahuatl
tibetisch LUGS Meinung, view opinion
deutsch
arabisch
KLUG CLEVER
QULLAb
yo’KOYA erfinden, invent inventar
listo
SCHLAU, KLUG CLEVER, listo
71
suahili LUJA Meditation
maori KURA LERNEN, LURN apprender
japanisch RYOKAI Verständnis, under stand., comprensión
finnisch LUULLA GLAUben, beLIEVE, creer
japanisch RYOKEN Gedanke, thought pensamiento
japanisch RYOCHI Intuition intuciön
australisch KUN’GULLIN * denken, think pensar
laddinisch (GLÜNA * !) LAUNE, mood antojo
chaszkaski CHYN wollen, want QUERER
tibetisch KUN-m’KYEN allwissend, omni scient, omniscio
suahili KUNGA LEHREN, teach docear
quechua KUNA raten, consult consultar
arabisch HUNUK KLUG, CLEVER listo
norwegisch LYNNE LAUNE, mood antojo
tagalog GUNI’GUNI * Meditation
tagalog GUNI’ta Erinnerung, me mory, memoria
quechua NUNA Geist, Verstand intelligence
thai KHRUN’NYG * nachdenken, think over, pensar bien
maori * RUANUKU Weiser, wise man sagazioso
anglosaxon GELE’fan GLAU’ben, be'LIEVE, creer
deutsch RECH’nen CALCULate CALCULar
irisch CEILLI vernünftig, reason able, racional
japanisch REIKA Vergeistigung spiritualisation
japanisch REIKON Geist, spirit espiritu
deutsch LEHREN teach ensenar
japanisch REICHI Verstand, intelli gence, intelligencia
englisch CLEVER KLUG listo
aynu ONNEKA verstehen, under stand, entender
japanisch NEN Gedanke, thought pensamiento
irisch GLIC KLUG, CLEVER listo
fidschi KILA wissen, KNOW saber
dayak-sentah KIRA denken, think pensar
tibetisch RIGpa wissen, KNOW saber
suahili HILA Geist, Verstand intelligence
japanisch RIKAI Verständnis, under stand., comprensión
japanisch RIKO KLUGheit, CLEVER’ness, prüden.
suahili a’KILI Verstand, intelli gence, razon
quiche CO’cHINA denken, think pensar
quiche QUINAO denken, think pensar
japanisch SHIN Sinn, sense sentido
72
Material über Gemütsverfassungen und Stimmungen mit einzubezie hen - Wut, Ärger, GROLL, Heiterkeit, ULK, Spannung, Sorge um andere und was dergleichen mehr in unseren Köpfen vorgeht. Wenden wir uns mit dieser Tafel also den unmittelbaren Formen des Denkens zu. Von hier und jetzt an werden die Beweistafeln für zweierlei Leser getrennt fortgeführt: - Für solche, die Sprache als Medium der Urgeschichtsforschung erleben wollen, sind sie weiter in den Text eingefügt - und auch im folgenden arabisch numeriert. - Für solche, die noch mehr über das linguistische Element wissen oder ihre Zweifel an der paläolinguistischen Erforschung früher Sprache durch noch mehr Beweise widerlegt wissen wollen. Diese zweite Art Tafeln wird mit römischen Ziffern numeriert und nach Abschluß des Textteiles in einer eigenen »Dokumentation« (ab Seite 251) zusammengestellt. Tafel (römisch) I befaßt sich daher ergänzend zu dem hier Gesagten mit Wörtern und Namen für den Begriff »Berg« einer Zeit, in der man für »Kopf« aus den hier dargestellten Gründen KALL verwendete. Viele der aufgeführten »Namen« waren früher »nur« Wörter, die dann, wenn sie als »Namen« mißverstanden wurden, dem zu anderer Zeit gültigen Terminus für Kopf - und damit für Berg - vorgesetzt oder angehängt wurden. So entstanden reizvolle Bilinguen.
KEHLE, HALS und NACKEN
Im Fortgang unserer Suche nach fossilen Formen wenden wir uns nun der lebenswichtigen Verbindung zwischen Kopf und Körper zu, dem HALse, seinem NACKEN und seinem zentralen Teil, der KEHLE. Die Druckweise deutet schon an, daß alle drei leicht erkennbare KALL-Nachfahren sind. Eng beieinander finden sich hier die überlebenswichtigen Luft- und Speiseröhren, die großen Schlag adern, Sehnen und Muskeln, die verbinden und stützen. Dieser Teil unseres Körpers ist manchen Sprachen so wichtig, daß sie für ein Berühren oder Verletzen dieser Zone eigene Wörter entwickelt haben. Wenn niemand sonst, so hatten schon die großen afrikanischen Raubkatzen seiner afrikanischen Urheimat dem Menschen demon striert, daß HALS und GENICK die verletzbarsten Teile eines Beutetieres sind, darunter damals eingeschlossen: der Mensch. In einer weiten halboffenen Höhle Südafrikas fand man einen Platz, zu dem die Carnivoren ihre Beute schleppten, um sie in Ruhe zu verzehren. Daraus erhellt, wie unsere Vorläufer vor zwei und mehr Millionen Jahren in ihrem individuellen Leben sicherlich mehrfach Zeugen solcher Vorgänge wurden. Nun ist jeder Tod im Grunde ein Erstickungstod, nicht nur der gewaltsam herbeigeführte. Das norwegische KVAELE bietet uns eine Brücke zu der Einsicht, daß gerade das auch der frühe Mensch schon gewußt haben muß: KVAELE bezeichnet das Ersticken, das aktive wie das passive, und da es das gleiche Wort ist, steht unsere QUAL für den »qualvollen« Zustand, bei dem das Atmen be- oder verhindert wird. Die englische Parallele des - aktiv gemeinten - KILL heißt daher vom Grunde her: erwürgen. Noch in unserem QUALM, der ja gleichfalls das Atmen zur QUAL machen kann, steckt diese primäre Charakterisierung von lebensbedrohender Atemnot - und natürlich im GALGEN, englisch GALLOWS, beide Wörter einst KALL-Verdoppelungen. Das seltenere QUELL steht
75
Tafel 8: KEHLE/SCHLUCHT maya
finnisch
arabisch
arabisch
KAL
HAL’KIO
GAR’GAR
HARR
KEHLE, throat CUELLO
SCHLUCHT GLEN, GORGE
GURGeln, GUR GLE, gargarizar
SCHNARCHEN SNORE, RONCAR
arabisch
australisch
KAL’de
RACHEN, throat GARGAN’ta
KEHLE, throat CUELLO
süddeutsch KAR SCHLUCHT GLEN, GORGE
spanisch
HAR’qada
arabisch
hebräisch
arab.-syrisch
HAL’qam
GAR’gerot
GAR’a
SCHLUCKEN GULCH, tragar
GURGEL, throat CUELLo
SCHLUCHt GORGE, GLEN
hebräisch GARON KEHLE, throat CUELLo
griechisch
phönizisch
GAR’GAR
KAL’pe
GURGeln, GUR GLE, gargarizar
Meerenge, straits estrecho
spanisch GAR’GAN’tear jodeln, trillern jodelar
australisch
griechisch
spanisch
australisch
LACH’LANN *
GAR’GAR’eon *
GAR’GERO *
tally’WALKA
SCHLUCHT GLEN, GORGE
Luftröhre, vent pipe, traquea
RACHEN, throat CUELLO
SCHLUCHT GLEN, GORGE
bengali
spanisch CALA’da KEHLE throat
GALA KEHLE, throat CUELLO
GAR’GAN’ta GURGEL, ENGE throat, NARROWS
französisch
GAR’GOUILLE KEHLE,KLAMM GLEN, CUELLO
finnisch
arabisch
KALLAS
* HALAQ
Abgrund, abyss GORGE
KEHLE, throat CUELLO
ph-manobo
finnisch
ilocan
griechisch
ba’KALANG *
ON’KALO *
CARA’bucop
LAUKANIE
KEHLE, throat CUELLO (BA)
KLUFT, GLEN GARGANTA
KEHLE, throat CUELLO (BA)
KEHLE, throat CUELLO
französisch SCHLUCHT GLEN, GORGE
bengali GALA-antKANO ersticken, stifle a. d. Kehle, at throat, al CUELLO ahogar
ph-balangwa
ph-mananwa
Quebec NA
polnisch
KALO’bokob
ti’LAQOK
LACHINE
GAROLO
KEHLE, throat CUELLO
KEHLE, throat CUELLO
SCHLUCHT rapids, GORGE
GURGEL, throat CUELLO
englisch
deutsch
ph-kankaney
S’WALLOW
KLAMM
QALOGO
SCHLUCKEN tragar
GLEN GORGE
KEHLE, throat CUELLO
ph-bontok QALOGO KEHLE, throat CUELLO
CAILLE
76
arabisch
samojed
GALAS
LAEKKE SCHLUCHT GLEN, GORGE
ilocan
laddinisch
ph-itneg
CHAVORGIA
KALOWO’kob
SCHLUCHT GLEN, GORGE
KEHLE, throat CUELLO
ph-inibaloi KALONG’KONG KEHLE, throat CUELLO
ph-ifugao KEHLE, throat CUELLO
ph-kallahan GALUNG’GUNG KEHLE, throat CUELLO
arabisch HANA’dil NIL’SCHLUCHT GORGES del Nil
lateinisch
spanisch
nordisch
deutsch
LARYNX
CAÑA’da
KVAELE
RACHEN
KEHLE, throat CUELLO
SCHLUCHT GLEN, GORGE
ersticken, stifle ahogar
throat GARGAN’ta
spanisch CAÑON SCHLUCHT CANON
spanisch
lappisch
KEHLkopf larynx
tungusisch mon’GAN KEHLE, throat CUELLO
arabisch * HANAO erwürgen, QUELL ahogar
spanisch
spanisch
tibetisch
GAÑO’te
GAÑIL'es
RAL
SCHLUND, throat KEHLE, throat CUELLO CUELLO
arabisch
arabisch
GAÑIZ
NAGA
KEHLE, throat CUELLO
SCHLUCKEN GULCH, tragar
QALU’gug
LARINGE
welsch NAN'T Schrunde, GLEN VAL
RAG’CANG * KLUFT, GLEN GARGANTA
ph-satnbal
bo’KLAW KEHLE, throat CUELLO
RAIGE KLUFT, GLEN VAL
KLUFT, GLEN GORGE
arabisch
NAcHIQ Kehlkopf,LA RYNX, LARINGE
tagalog
ph-isneg
polnisch
mongolisch
I’LAYA
bu’QLAW
d’LAWIC
GOL
SCHLUCHT GARGANTA
KEHLE, throat CUELLO
WÜRGEN, stifle ahogar
tiefes Tal valley, VAL
ph-atta bul’LAW KEHLE, throat CUELLO
quiche
quechua
ph-subnun
RAY
LLOQLLA
ti’LOQ
QU AL, QUELL penas
KLAMM, GLEN GORGE
KEHLE, throat CUELLO
arabisch
tibetisch
L’KOL-mdud
Tal, VALLEY VAL
KEHLE, throat CUELLO
tibetisch LKOG-ma GURGEL, GUR GLE, GARGANTA
tibetisch
GHOR
spanisch
spanisch COLANA SCHLUCK GORGORO
spanisch
suahili
GORGORO
ma’KOROKORO *
GOLA KEHLE, throat CUELLO
GLOG-po Tal, VALLEY VAL(BA)
SCHLUCK,GULCH KEHLE, throat COLANA CUELLO
77
tibetisch
setswana
spanisch
spanisch
HOLE
mogo’GORO
GORGE
GOLLIZO
KEHLE, throat CUELLO
SCHLUN’D.GLEN GURGEL, throat GORGE (BA) GARGANTA
ph-tagabili
chinesisch
ph-sangil
romanisch
bi’KLONG
HOU LONG *
ting’GOANG
GORGE
KEHLE, throat CUELLO
KEHLE, throat CUELLO
KEHLE, throat CUELLO (TAG)
SCHLUCHT GLEN
SCHLUCHT GLEN, GORGE
ph-manobo
englisch
schottisch
ph-bilaan
biko’KONG
NOCK
CORRIE
bka’KONG
KEHLE, throat CUELLO
GURGEL, GUR SCHLUCHT GLE,GARGANTA GLEN, GORGE
guarani NOCOE
slowakisch
suahili
spanisch
* ROKLINA
KOO
HOYUELA
KEHLkopf, LA RYNX, LARINGE
SCHLUCHT GLEN, GORGE
KEHLE, throat CUELLO
KEHLgrube throat, pit
romanisch
ph-agta
tibetisch
deutsch
COM’ba
HUL
RON
SCHLUCK
SCHLUCHT GLEN, GORGE
KEHLE, throat CUELLO
KLUFT, GLEN GARGANTA
GULCH tragón
altenglisch KEHLE, throat CUELLO
US-amerik. GULCH SCHLUCHT GLEN, GORGE
aymara
arabisch
zigeunerisch
KULL’KU *
HUL’qum
SCHLUCH’ta
GULCH
ENGesTal, den estrecho, VAL
KEHLE, throat CUELLO
englisch
ph-kallahan
GUL’P
KUL’KULUNG *
SCHLINGEN ENGULLIR
KEHLE, throat CUELLO
lateinisch GULA Speiseröhre, GUL KEHLE, throat CUELLO LET, esófago
SCHLUCHT GLEN, GORGE
finnisch
deutsch
samojed
arabisch
KULAH
GUR’GEL *
GURRA
* HULAQ
SCHLUCK, GULP throat trago CUELLO
wunde KEHLE, sore SCHLUCHT GULLY, GORGE throat, CUELLO
deutsch
telugu
spanisch
ph-kalinga
WÜRGEN
GURAKA
CUELLO
QUL’ququq
QUELL ahogar
KLUFT, GULLY GARGANTA
KEHLE throat
KEHLE, throat CUELLO
finnisch KUILU KLAMM, GLEN GORGE
78
nheengatu
englisch
finnisch
CURU’CAUA *
GULL’ET
KURU
KEHLE, throat CUELLO
KEHLE, throat CUELLO
CAÑON
tagalog GUWANG SCHLUCHT GULCH, GORGE
quechua KUN’KA KEHLE, GUL LET, CUELLO
australisch KUNGAGNARRA KEHLE, GUL LET, CUELLO
arabisch HUNUQ KLAMM, GLEN GORGE
aymara CUN’CA KEHLE, GUL LET, CUELLO
arabisch HUNAQ KEHLE, GUL LET, CUELLO
hindi NULLAH SCHLUCHT GULCH, GORGE
arabisch NUGNUG KEHLE, GUL LET, CUELLO
deutsch RÜL’psen GUL’P E’RUC’tar
laddinisch t’RÜNA SCHLUCHT GULCH, GORGE
griechisch pha’RYNX KEHLE, GUL LET, CUELLO
australisch RUNYANZ KEHLE, GUL LET, CUELLO
samojed GUOI’KA Stromschnelle rapids,cataract
slowakisch KRY GURGEL, GUR GLE, GARGANTA
englisch QUELL ersticken ahogar
Kongo YELLALA Wasserfall, falls cataracts
ph-sangil LEHEC KEHLE, GUL LET, CUELLO
englisch GLEN KLAMM GARGANTA
spanisch CUELLO KEHLE GULLET
deutsch KEHLE GULLET, throat CUELLO
maori KENA’KENA KEHLkopf, LA RYNX, LARINGE
irisch GLEANN enges Tal GLEN, VAL
finnisch NIELU KEHLE, GUL LET, CUELLO
ph-tausug LIUG KEHLE, GUL LET, CUELLO
chinesisch YEN SCHLUCHT GULCH, GORGE
quiché cHIL sich QUÄLEN QUELL, ahogar
popoluka HILK ersticken QUELL, ahogar
englisch GILL SCHLUCHT GULCH, GORGE
ph-batak ti’KIRAW KEHLE, GUL LET, CUELLO
ph-samal KILLONG KEHLE, GUL LET, CUELLO
mapuche QUIL’GHEN * KLAMM, GILL GORGE
ph-binukid ba’KILLING KEHLE, GUL LET, CUELLO
ph-manobo qabi’LINGAN KEHLE GUL LET, CUELLO
deutsch KIN’zig HOHLweg, ravine torrentera
ph-tausug bi’KIRNIG KEHLE, GUL LET, CUELLO
ph-manobo-I bi’KIRINGAN * KEHLE, GUL LET, CUELLO
quechua QUIJLLU KLUFT, ravines estrechos
australisch KURE KEHLE, GUL LET, CUELLO
thai KLUA’KHOO GURGELN, GUR GLE, gargarizar
79
tungusisch
arabisch
finnisch
finnisch
b’ILGA
HINAQ
NIELLÄ
NIELLU
KEHLE, GULLET, CUELLO
KEHLE, GULLET, CUELLO
Schluck GULP, trago
KEHLE, GULLET, CUELLO
für das Ersticken, das frühmittelalterliche CWELAN noch nicht für KILL (töten), sondern für das Aufhören des Atmens, fürs »Sterben«. Die Übertragung dieser Körperzone in die Landschaft hinaus zeigt dramatische Wirkungen: das landschaftliche Äquivalent der KEHLE ist die Schlucht, die Klamm, die Meeresenge. Auf der Tafel 8 stellen wir diese Merkmale zwischen parallele Beispiele aus dem körperlichen Bereich und überlassen es dem Leser, sich darüber Gedanken zu machen und selbst weitere Beispiele zu finden. Von daher zweigt auch der Themenkreis »Fluß« und »Tal allgemein« ab, dem wir in Tafel III des Anhangs Raum geben. Nun, die KEHLE ist spracharchäologisch so wenig der einzige Aspekt dieser Zone wie die KLAMM draußen in der Landschaft. Gewiß, nicht alle Sprachen machen so deutliche Unterschiede wie wir, schon das englische NECK deckt zwei Seiten ab, den HALS und den NACKEN. Wieder andere dürfen sich mit einem einzigen Wort begnügen. Wenn man aber nun glauben möchte, daß Sprachen heute sogenannter primitiver Völker die Ärmeren im Ausdruck seien, dann liefert man sich unweigerlich herben Enttäuschungen aus. Wo etwa wir nur ein Ren sehen, Ochs, Kuh oder Kalb, da hat der Lappe viele dutzend Wörter für die nach Alter, Geschlecht, Zustand und Verhalten unterschiedlichen Tiere und für deren Geweih noch einmal unabhängig davon. Wo wir von Onkel und Tante sprechen, muß ein Lappenkind über 40 Wörter lernen, um das jeweils richtige für den gemeinten Verwandten zu wählen, der anders genannt wird, je nachdem er über Mutter oder Vater, und je nachdem, in welcher Altersfolge er oder sie innerhalb ihrer eigenen Familie steht. Auf der anderen Seite gibt es auch den Vorgang des Verkümmerns und des Verschleißes, einer sprachlichen Erosion also, der besonders gern Sprachen anheimzufallen scheinen, die lange Zeit Völkern in Hochkulturen gedient haben. So hat das Chinesische eine überra80
Tafel 9: NACKEN/NEIGEN/NICKEN maya
arabisch
hethi tisch
polnisch
KAL
HAL
LAKNU
KARK
NACKEN, NECK NUCA
geNEIGt, incline * inclinarse
NEIGEN, incline inclinar
NACKEN, NECK NUCA
bengali
welsch
arabisch
finnisch
GHAR
GWAR
GALA
KAULA
NACKEN, NECK NUCA
NACKEN, NECK NUCA
sich NEIGEN bend, inclinarse
NACKEN, HALS NECK, CUELLO
ph-ivatan LAGAW
finnisch
HALS, NACKEN NECK, CUELLO
s. NEIGEN, bend inclinarse
slowakisch KLA NEIGEN, bend inclinarse
KALLEL
ph-balangaw
arabisch
ba’GANG
HANA
HALS/NACKEN NECK, CUELLO
NEIGEN, bend inclinarse
lappisch
slowakisch
NJAGAS
NACHYL
GE’NEIG’T bent, inclinado
arhuaco GANE’katte NACKEN, NECK CUELLO (BA)
polnisch
s’KLANIAL NEIGEN, bend inclinarse arabisch
NAcHcH NEIGUNG, ben ding, inclinándose
arabisch
NEIGEN, bend inclinar
arabisch NAUcHA GENICK, NECK CUELLO/NUCA
NACKEN, NECK CUELLO/NUCA
setswana
ph-gaddang
suahili
ph-tagabili
mo’LALA
buq’LAW
KAI
LI’HOL *
NACKEN, NECK CUELLO (BA)
HALS/NACKEN CUELLO/NUCA
NEIGEN, bend inclinarse
HALS/NACKEN CUELLO/NUCA
slowakisch KLON NEIGEN, bend inclinarse
NAQR
thai
thai
twi
KOM’LONG
KHOON
ä’KONETJI
NEIGEN, bend inclinar
GE’NEIGT, bent inclinado
NACKEN, NECK NUCA
finnisch
japanisch
tibetisch
polnisch
NUOKU
NOKKE
M’GUL
CHYLIC
NICKEN, NOD inclinar la cabeza
NEIGEN, bend inclinar
NACKEN, NECK NUCA
NEIGEN, bend inclinar
thai
spanisch
NYG’NYG
NUCA
NICKEN, nod mover la cabeza
GENICK NECK
lateinisch NUCHA NACKEN, NECK NUCA
ph-sangil
englisch
englisch
deutsch
LEHEQ
LEAN
NECK
NEIGEN
NACKEN, NECK NUCA
NEIGEN, bend inclinar
GENICK, NAKKEN.NUCA
LEAN inclinar
finnisch
NUOKKO NICKEN, nod mover la cabeza
81
lappisch
anglosaxon
NIEKKA
HNECCA
NACKEN, NECK NUCA
GENICK NUCA
hethitisch
KILA
ph-agta LIG HALS/NACKEN NECK, NUCA
ph-atta LIOG NACKEN, NECK NUCA
ph-samal
tagalog
ph-batag u. a.
* KILLONG
* HILIG
LIQIG
NACKEN, NECK NUCA
NACKEN, NECK NUCA
NEIGUNG, ben ding, inclinación
NACKEN, NECK NUCA
griechisch
schottisch
chinesisch
maori
KLINO
KINK
JING XIANG
HINGA
LEHNEN.NEIGEN NEIGEN, bend bend, inclinar inclinar
NACKEN, NECK NUCA
NEIGEN, bend inclinar
suahili
zigeunerisch
deutsch
deutsch
SCHINGO
KNICKA
NICKEN
KNICKEN
NACKEN, NECK NUCA
NACKEN, NECK NUCA
nod, mover la cabeza
bend RAJAR
1 »inclinar« zeigt die Hilflosigkeit einer Sprache, die kein unmittelbares Wort hat - inclinar ist eigentlich »sich auf etwas lehnen«, wobei man sich beugt, also auch »NEIGT«.
sehende Fülle von KALL-Derivaten, aber kaum noch reine Formen, ganz im Gegensatz zu den doch so nah verwandten Idiomen wie dem Mongolischen, dem Tibetischen oder dem Thai Siams. Wir verweisen unsere Tafel über den Aspekt HALS als Tafel IV in den Anhang, wo er auf die Sammlung »Fluß und Tal« folgt, zu der er zwingend gehört. Denn KLAMM ist nur eine Seite, Fluß und Tal die großräumigeren Erscheinungsformen dieses gleichen Phänomens. Gönnen wir uns aber die Freude, oben die Tafel 9 mit den Themata »NACKEN/NEIGEN/NICKEN« abzudrucken.
Der Mund
Der Mund ist die letzte große Öffnung am Kopf, von der wir annehmen dürfen, daß auch sie ganz besonders dem kategorischen Imperativ des KALL unterliegt. In unseren eigenen Sprachen sind wir prima facie enttäuscht - MUND, MOUTH und das romanische BOCA sind BA-Formen, die sich nicht vertreiben ließen. Dagegen sind die Funktionen unserer europäischen Münder anscheinend mit fliegenden Fahnen und auf breiter Front zu KALL übergelaufen - LACHEN, LECKEN, SCHLECKEN, KAUEN, SCHLUCKEN, lateinisch LOQUI für sprechen, das sind nur einige wenige Hinweise. Auch Teile des Mundes - wer weiß: vielleicht erst später genauer benannt - wie GAU’men, RACHEN, LARYNX, LINGUA haben sich von KALL her formen lassen. Nur als Anmerkung: Bei dem Paar LECKEN/SCHLECKEN, die sich inhaltlich weitgehend decken, ersehen wir ein weiteres Mal die eigentlich überflüssige Rolle des SCH bei uns. Vielleicht ist es ein bloßes Anzeichen mehr für die nach Osten fortschreitende »VerKonsonantierung« der europäischen Sprachen, bei der gerade die Zischlaute sich häufen. Daher können wir uns beim SCH’LUCKEN den Anlaut gut wegdenken, trifft der Rest für sich allein doch viel genauer das Verschwinden von Nahrung in jener LUKE, die wir Mund nennen. Wie fein spätere Sprache eine im Grunde gleiche Sache zu differenzieren weiß, zeigt auch die Reihe LOCH/LUG/LUKE/ LUNKER/LÜCKE/LECK/LUIK. Für frühe Sprache war das alles und noch viel mehr einfach LOCH! Und das sogar wortwörtlich, wie die vielen Entsprechungen heute noch zeigen. Auch der feine Unterschied, den wir vom lateinischen LOQUI für sprechen und unserem LÜGEN her kennen, bestand einstmals mit Sicherheit nicht, ist doch das Lügen nur ein Aspekt des Sprechens, laut Cato und Talleyrand dazu da, unsere Gedanken zu verbergen. Als Instrument der Nahrungsaufnahme war der Mund im Sprach-
83
Tafel 10: Sprache und Mund deutsch ma.
englisch
arabisch
arabisch
KALL
S’QUALL
LAG’LAG *
QAIL
schwatzen, chatter CHARLAR
aufschreien CHILLAR
stottern, stammer balbucear
sprechen,speak hablar
tibetisch
welsch GALW rufen, CALL llamar
luwisch
Mund, mouth boca
australisch KAL’de Sprache, LAN GUAGE, LENGUA
maya CHAAL sagen, say decir
arabisch GAR Mundhöhle, mouth boca
ph-atta
samojed CAEL’ket sagen,say decir
ZAL
HAL’t rufen, CALL llamar
irisch
aynu
GAIR
CAR
SCHREIen, CRY chillar
Mund, mouth boca
laddinisch
australisch
pi’CAL
KAR’bol’QAR *
Mund, mouth boca (BA)
mund, mouth boca
hethitisch HAL’zai rufen, CALL llamar
finnisch
Geschwätz, chat ter, CHARLAR
samojed NJAL’me Mund, mouth boca (BA)
aymara LAKA Mund, mouth boca
polnisch LAJAC SCHEL’ten SCOL’D, REÑIR
spanisch arabisch CALA’da KALAHA * RÜGE, reprimand Mund, mouth reprensión boca
maga’GAL rufen, CALL llamar (BA)
spanisch GARLA
VAL’he LÜGE, LIE mentida
tasmanisch
lateinisch
arabisch
ph-isneg
CAUALLA
CALA’tor
LAGA
KARRA’wan
rufen, CALL llamar
Rufer, CALLER llamador
sprechen, speak hablar
rufen, CALL llamar (BA)
arabisch
irisch
irisch
KALAM
CALLAIRE
a’GALLAMH
Sprecher, speaker hablador
Dialog, dialogue dialogo
thai
spanisch
KALON
CALO
quechua QALLU Sprache, LAN GUAGE, LENGUA
samojed HALLA’tdas Wort, the word, sprechen, talk la palabra hablar ph-mananwa LAQONQ sagen,say Schwätzer, chat terer, CHILLAdor decir
quechua
is’KALLU Redner, speaker hablador
84
quechua KALLU Mundart, dialect dialecto
Rotwelsch, slang CALO griechisch KALEO rufen, CALL llamar
ph-balangaw
QALE sagen,say decir
altertum also zu BA-Zeiten, sicherlich auch sprachlich besonders eindrucksvoll. In ganz frühen Zeiten nahm er nicht nur Nahrung auf, er gab auch solche von sich: Frühe Mütter mußten ihren kleinen Kindern neben der bis ins vierte Lebensjahr reichenden Muttermilch in zunehmendem Maße auch festere Kost bieten, und das ging nur gut, wenn es gründlich vorgekaut war. Noch die Eskimomütter unserer Zeit verfuhren so, bis ihnen der dänische Wohlfahrtsstaat vorgefertigte Dosennahrung anlieferte. Da Sprache aber zwischen Mutter und Kind begann, wird klar, daß ein einmal dafür geschaffe nes Wort sich besonders zäh verteidigte. Als Mündung in GMÜND, MOUTH, BOUCHE, FOS, BOCA usw. in die Landschaft übertra gen, geriet es gewässeraufwärts weltweit zu späteren Gewässerna men, Main, Mosel, Lippe, Elbe, das sind BA-Formen wie die sardinischen Manno-Bäche oder der Po der norditalienischen Ebene, wie der sibirische Ob und der indianische See Poopoo, die Baga Tibets oder der Sam’besi Afrikas (sam=groß). So wichtig war der Mund den Menschen, daß er sich in späterer Zeit sogar noch einen eigenen Archetyp zulegte: OS. Er gelangte als Wort in dieser Form bis ins Lateinische, fand dagegen als Kennzeich nung von Mündungen eine außerordentliche Verbreitung in Nord europa. Gerade an solchen Parallelen erkennt man gelegentlich, wie irreführend die leicht-fertige Feststellung eingleisiger Linguisten sein kann, die gern einfach alles vom Lateinischen oder Griechischen her leiten und solche Vorkommen zu Fremd- oder Lehnwörtern stem peln. - Unsere Tafel 10 untersucht Mund und Sprache im engeren Sinne, weitere Beispiele finden sich auf Tafel V A im Anhang. Eine Zwischenbemerkung möge mir nachgesehen werden, auch wenn dies mitten in der Abfolge einer Tafel geschieht. Es muß mir darum gehen, dem Leser etwas von der Spannung und der Faszina tion zu übertragen, welche diese Tafeln dem Urheber vermitteln. Da sind jahre-, ja, jahrzehntelang Stichwörter aus immer mehr Sprachen zusammengetragen worden und unter bestimmten KALL-bedingten Themenkreisen zunächst einmal grob eingeordnet worden. Der Karteikasten »Mund« enthielt neben der Anatomie des Mundes wirr durcheinander alle denkbaren Aspekte, sprechen, sagen, erzählen, singen, schelten, raunzen und raunen, essen und trinken, schmecken und schlecken, schreien und murmeln, schlucken und spucken, lachen, klagen und fluchen. Wann immer ich zwischendurch neue Karten in die richtige Reihenfolge schob, erlebte ich meine kleinen Sensationen. Nichts aber läßt sich vergleichen mit dem, was jetzt geschieht. Gezwungen, die einzelnen Aspekte auf ihr Mindestmaß zu 85
(Fortsetzung) lateinisch CAL’ere rufen, CALL llamar
griechisch LAKE’ros gesprächig, LOQUAcious
ph-ifugao QALI sagen, say decir
laddinisch LAUNGIA Mundwerk, LAN GUAGE, LENGUA
hethitisch KALLES rufen, CALL llamar
suahili KAULI Ausdruck, expression, expresión
quechua LLACHI LÜGNER, LIER mentidor
suahili KALI’ma Wort, word palabra (BA)
quechua AN’KAYLLI reden, speak hablar
lateinisch GARR’ire plaudern, chatter CHARLAR
Nepal GOR’KHALI deren Sprache, their LANGUAGE
aymara LAJJ’RA Sprache, LANGU’age, LENGUA
quiché RAC SCHREIen.CRY CHILLar
lappisch RAIKE’stit SCHREIen.CRY CHILLar
thai KHAAN rufen, CALL llamar
thai KAN Ansprache, speech LENGUAJE
chinesisch HAN SCHREIen.CRY CHILLar
quiché ahu’GHAN Redner, speaker hablador
tibetisch R’KAN GAUmen, palate paladar
suahili KAN’wa Mund, mouth boca (BA)
thai KHUJ’KAN anreden, talk to hablar con
chinesisch GIANG HUA sagen, say decir
arabisch HANN LOCKEN, CALL ENGOLOzinar
ph-kallahan QAN sagen, say decir
arabisch GANN sagen,say decir, hablar
englisch NAG NÖRGELN REGAÑar
spanisch re’GAÑ’ar NÖRGELN NAG
tibetisch NAG-dban gesprächig, LOQUAcious
ph-tausug QIAN sagen, say decir
deutsch ma. SCH’NACK Gespräch conversation
tagalog NGANGA off. Mund, open mouth, boca abierta
tungusisch dil’GAN sprechen, speak teil, hablar
griechisch CHAN’don off. Mund, open mouth, boca abierta
irisch CAIN’t sprechen, talk hablar
tibetisch zog’CAN LÜGNER, LIER mentidor (TAG)
motilón KAIN’dabi sprechen, speak hablar
tibetisch KANA mündlich, oral oral
australisch wen’KANA sprechen,speak hablar
polnisch NAGANA * SCHEL’te, SCOL’d REÑar
ilocan INA’GANAN * rufen, CALL llamar
86
ph-bontok
arhuaco
suahili
griechisch
SANAN
A’KANAN
KANO
CHAN’os
sagen,say decir
SCHREIen, CRY CHILLar
LEUGnen, deny NEGar
Mund, mouth boca
suahili
japanisch
tasmanisch
norwegisch
NGANO
NAKU
KANE
S’NAKKE
Sage,saga fama
HEULen,HOWL AHULLar
Mund, Sprache mouth, boca
sprechen, talk hablar
ph-tagbanwa
arabisch
japanisch
ph-tagbawan
QANING
NAQIL
NAKI’GOE *
NGANGAQ
sagen,say decir
Erzähler, NARRA- SCHREI, CRY tor, NARRAdor CHILLA
tibetisch
spanisch
tibetisch
japanisch
LAN
NARRar
R’NAN-tar
NAN’NAN
antworten, reply contestar
erzählen teil
Sage,saga fama (TAG)
gesprächig, LOQUAcious
Mund, mouth boca
japanisch
telugu
fanti
twi
NAN’KO’GAI
ANU’ta
ANO
ANO
GAUmen, palate palado
sagen, say decir
Mund, mouth boca
Mund, mouth boca
australisch
deutsch
australisch
ph-kalagan
wu’RANA
RAUNen
GUR’NJANA *
LAW
sagen, say decir
speaking low murmurar
reden, speak hablar
sagen, say hablar
arabisch
irisch
aynu
tagalog
LAcH’wa
GLAONNA
HAUEAN
LAH’ad
redselig, LOQUAcious, LOCUAZ
rufen, CALL llamar
reden, talk hablar
erzählen, tell contar
sumerisch
dayak
maori
finnisch
SA
NYAUA
* KAUWHAU
LAU’su
Mund, mouth boca
Stimme, voice voce, voz
predigen, preach predicar
sagen, say decir
popoluka
quechua
mapuche
japanisch
HAY
QAYAY
LLAI
ben’KAI
sprechen, talk hablar
rufen, CALL llamar
murmeln, murmur murmurar
erklären, explain explicar
chontal
tibetisch
mapuche
englisch
KOL
COL-CUN
COILA
GOLLAR
sagen, say decir
babbeln, babble balbucear
LÜGE, LIE mentida
sprechen, speak hablar
87
griechisch
polnisch
griechisch
griechisch
LOGAO
WOLAC
KOLO’ao
LOG’os
SCHEL’ten SCOL’d, REÑir
Wort, word palabra
redselig, LOQUA- rufen, CALL cious, LOCUAZ llamar lateinisch
finnisch
guarani
australisch
ROG’are
HOILLO’ttaa
CORORO
LOKULUN
f’RAG’en, ask preGUNtar
laut rufen, GELLen b’RÜLLen, shout CALL, llamar RUGir
HEULen, HOWL AHULLir
maori
maori
zigeunerisch
weanerisch
HORU
KORERO
dau’GOLE
HOLLER
GELLEN, YELL sonido fuerte
sprechen,speak hablar
rufen, CALL llamar (TAG)
Geschwätz, chatter CHARLADO
lateinisch LOQUI sprechen, speak hablar
japanisch
thai
Rezitation, reci ting, recitación
thai ROONG rufen, CALL llamar
deutsch ma.
tungusisch
chinesisch
thai
KLÖN’en
NGÖN
KON
KHON
schwatzen, chatter CHARLar
sagen,say decir
Mund, mouth boca
Dichter, poet poeta
japanisch
maori
türkisch
baskisch
den’GON
NGOEN’GOE *
KONU’smak
itz’KONGA
Wort, word palabra (TAG)
SCHREIen, CRY CHILLar
sprechen,speak hablar (BA)
Sprache, LAN GUAGE, LENGUA
telugu
setswana
bengali
baskisch
NORU
GOA
KOA
A’GOA
Mund, mouth boca
SCHREIen, CRY CHILLar
sprechen, speak hablar
Mund, mouth boca
bengali erzählen, teil contar
ph-inibaloi qi’KOWAN sagen, say decir
tibetisch
S’KUL-ba rufen, CALL llamar
Gebrüll, ROARING lautes Reden, loud sagen, say RUGido speech, habí, fuerte decir
tagalog
spanisch
arabisch
náhuatl
HA’GUL’HOL *
a’HULL’ar
LUGA
LUKA
SCHREI, CRY CHILLado
HEULEN HOWL
Sprache, LAN GUAGE, LENGUA
Sprache, LAN GUAGE, LENGUA
KOWA
88
ROGIN
KHLONG redegewandt, LOQUAcious
australisch
bengali
KUL’pana
GUL
sprechen,speak hablar
LÜGen, LIE mentir
polnisch
lappisch
ph-subnun
RYK
RUOGGJA
mokta’LUO
suahili
lateinisch
am.-spanisch
mapuche
LUGHA
GULA
GUARAGUA
LUCAN
Sprache, LANGUAGE, LENGUA
GAUmen, palate palado
LÜGE, LIE mentida
SCHELten, SCOLd RENir
griechisch
luo
suahili
telugu
GON’GYL’os
LUONGO
mKURO
pa’LUGU
Mund, mouth boca
rufen, CALL llamar
SCHREI, CRY CHILLado
reden, talk hablar(BA)
australisch
guaraní
ph-subnun
australisch
KAI’KULUN *
CHURE
ti’LUQIN
KURRIN
rufen, CALL llamar
LÜGEN, LIE mentir
sagen, say decir
fragen, ask preGUNtar
japanisch
tibetisch
quechua
tungusisch
AN’GURI
KLUI
LLULLA
GUN
off. Mund, open mouth, boca ab.
Sprache, LANGUAGE, LENGUA
LÜGE, LIE mentida
SCHREI, CRY CHILLado
australisch
ph-isneg
quechua
eifik
KUN’demer
bu’GUNG
NUK’NAY *
I’NUA
Mund, mouth boca
Mund, mouth boca(BA)
LÜGE, LIE mentida
Mund, mouth boca
chinesisch
ph-kalamian
SCHUOHUA
GUUY
polynesisch
guaraní
NGU’tu
cuo
Mund, mouth boca
SCHELten, SCOLd sprechen, speak RENir hablar
rufen, CALL llamar
ph-sangil
thai
maori
griechisch
KUI
KHUJ
KUI’HUI *
KEL-
rufen, CALL llamar
schwatzen, chatter RAUNen, murmur ansagen, command cuchichear CHARLar mandar
französisch
deutsch
spanisch
griechisch
GUEUILE
SCHEL’ten
LENGUA
LEGO
Mund, mouth boca
S’COLd RENir
Sp’RACHe LANGUAGE
erzählen, tell con tar
tasmanisch
deutsch
griechisch
suahili
LEGÖNE
LEUG’nen
KELOR’ion
KELELE
singen, sing CAN’tar
deNY NEGar
SCHREIen.CRY CHILLar
GELLEN, CALL CHILLar
guarani
griechisch
mapuche
deutsch
GUELELE
LEX’is
NGENEL
QUENGELN
Wort, word palabra
NÖRGELN, NAG reGANar
stammeln, stammer Rede, speech tartamudear discurso
89
suahili NENA sprechen, speak hablar
guarani NEE sprechen, speak hablar
ph-kallahan QIHIL sagen, say decir
finnisch KIL’jäh GELLEN, HOWL aHULLar
Sanskrit GIR Stimme, voice voz
spanisch CHILL’ar KREISCHen SCREAM
suahili A’LIKA zusammenrufen CALL, llamar
samojed GIELLA Sprache, LAN GUAGE, LENGUA
quechua WILLAY erzählen, tell contar
finnisch KIELAS schwätzen, chatter CHARLar
samojed GIELA LÜGEN, LIE mentir
ph-samal LINGAN rufen, CALL llamar
finnisch KIELI Sprache, LAN GUAGE, LENGUA
ph-sambal a’HILLING * sagen, say hablar
suahili KILI’mi Sprechweise, mode of speech
suahili KILIO SCHREI, CRY CHILLAdo
chakaszki * SULIRXA SCHREIen, CRY CHILLar
chakaszki SÖLIRGE sagen, say hablar
baskisch ELEGIN rufen, CALL llamar
ph-batak QIN’gat rufen, CALL llamar (TAG)
laddinisch QUIN’tar erzählen, tell CONtar
ph-kalagan GINGA rufen, CALL llamar
arabisch GINA Gesang, song CANzón
suahili KINY’wa Mund, mouth boca (BA)
bengali KA’HINI * sprechen, speak hablar
zapotek RINI sprechen, speak hablar
englisch SHRIEK KREISCHen CHILLar
finnisch NIELLU Mund, mouth boca
begrenzen wie jetzt bei »Mund und Sprache«, überwältigt mich immer wieder die schier unfaßbare Dichte der Beweiskette, das scheinbar willkürliche Hin- und Herspringen über den ganzen Globus, die formellen Ähnlichkeiten zwischen Sprachen, die nach bisheriger Lesart gar nichts miteinander zu tun haben können sollten - Übereinstimmungen, die mit Konstruktionen einfach nicht mehr erklärbar sind. Und das kann von jedermann nachvollzogen werden. Wenn ich hier ein Vierteltausend Sprachen und Mundarten heranziehe, so 90
umgreift das gewiß nur ein Achtel oder Zehntel der tatsächlich gesprochenen. Aber sie stammen halt relativ gleichmäßig von allen Kontinenten und sind darum repräsentativ für den Rest; man kann noch jahrzehntelang daran arbeiten und noch viele Lücken füllen. Die Funde aber werden sich zwanglos in das Netz der Archetypen einfügen, man dürfte nichts grundsätzlich Neues mehr dazu ent decken. Die außerordentliche, aber für uns inzwischen verständliche Bandbreite all dessen, was mit dem Munde zusammenhängt, findet weiteren Ausdruck in der Tafel V A (LACHEN, KLAGEN, F’LUCHen) sowie in Tafel V B (Essen, SCHLUCKEN und SCHLECKEN). Was mundet und mündet, hat eben weltweit in beliebigen Sprachen seine enge Nähe bei den Archetypen gefunden, die sich die Menschen je nach Gusto erwählt haben. Dazu Tafel VI (NAHRUNG) der »Dokumentation«.
Der KORper und das GANZE
Auch der Körper des Menschen ist solch eine primäre Wahrneh mung, die nacheinander alle wichtigen Archetypen auf sich gezogen hat. Das englische BO’DY ist noch erkennbar eine BA/TAG-Verbin dung, das lateinische COR’PUS wie auch unser KÖR’PER oder das nordische LEGE’ME eine KALL/BA-Gruppierung, bei der die ursprünglichen Formen noch deutlich nebeneinander stehen. Es hat sicherlich im Sprachaltertum keinen wahrnehmbaren inneren oder äußeren Teil unseres Körpers gegeben, der nicht von BA abgedeckt war. Als KALL mit seinem kategorischen Imperativ des Hohlen die Szene betrat, eroberte es weite Bezirke körperlichen Daseins. Das Aufkommen an KALL-gebundenen Wörtern menschlicher Körperlichkeit ist in allen hier verwendeten Sprachen groß, kaum ein anderer Themenkreis bietet eine gleich große Auswahl. Im Anhang wird das deutlich, wo unsere Tafeln sich mit den wichtigsten Aspekten, mit Hunger und Durst, den Organen und dem Blut, den einzelnen Teilen wie Haut und Knochen und den Muskeln, mit den wichtigsten Haltungen, mit den Gelenken an Knie und Schulter, vor allem aber auch mit dem Bereich Schmerz-Wunde-Krankheit befas sen. Gerade letzterer war nicht nur von überlebensentscheidender Bedeutung für den Einzelmenschen, er hat in ganz besonderem Maße körperliche Vorstellungen »festgeschrieben« - ein natürlich falsch gewähltes Wort, denn geschrieben hat man damals noch nichts. Aber wir haben das Wort »beschreiben« längst für mündliche Berichte zu verwenden uns angewöhnt, sinnwidrig und zweckentfremdet. Wir wollen uns im Textteil mit dem Körper als Ganzem befassen, denn gerade dies, seine GANZHEIT oder auch seine HEILHEIT, war ja für unsere frühen Vorfahren von entscheidender Bedeutung. Verletzungen und Krankheiten auch leichterer Art gingen meist tödlich aus, weil ja die ganze Natur darauf ausgerichtet ist, geschwächte Exemplare auszumerzen. Davon leben die Raubtiere, die Greifvögel und ebenso Haie und andere Raubfische. Für unsere 93
frühen schon sprechenden Menschen muß zwangsläufig die Vorstel lung von ihrem heilen und unversehrten Körper gleichbedeutend gewesen sein mit den Begriffen, die wir heute mit »Sein«, mit »Leben« oder »Dasein« umschreiben. Dieser Körper hatte ein Bündel Kraft zu sein, wenn er bestehen sollte. Körper war zugleich der Inbegriff von Kraft und Stärke und Gesundheit, denn ohne sie war er ein Nichts, das Opfer des nächstbesten Stärkeren. Die außerordentlich starke Verwendung des Archetyps KALL für Tierarten verrät uns, daß schon früheste Menschen die Wesensgleich heit zwischen sich und der sie umgebenden Welt der Säugetiere gesehen haben, dabei aber auch den Unterschied wahrgenommen haben, der sich zunehmend deutlicher zeigte: daß nämlich sie, die Menschen, NACK’t waren. Ihr Körper war nicht mehr unter einem Fellkleid verborgen, er trat offen zutage, zumindest solange, bis sie lernten, sich zu bekleiden. In den Wörtern für »nackt« steckt also auch der Sinn »bloßer Körper«, ebenso wie in vielen späteren Wörtern für KLEI’d oder KIL’t oder - eskimoisch - KULIK’tag (alle drei KALL/TAG-Verbindungen) die Elemente »Körper« und »Deckung« eine sprachliche Ehe eingegangen sind. »Deckung« ist übrigens diesmal ein zufällig richtig gewähltes Wort, denn »DECKendes« setzt sich bei uns noch in TAG-Formen wie ZEUG und TEXtilien fort. Der kategorische Imperativ des Hohlen hat auch den Begriff des GANZEN geprägt. Denn hohl ist ja nur, was von einem anderen Medium ganz oder teilweise umfaßt ist. Das ALL-Umfassende umschließt daher das GANZE, und beide, ALL wie GANZ, sind sehr KALL-nahe Schöpfungen, die sich im griechischen HOLOS, im englischen WHOLE und in den nordischen HEL und HEIL in unmittelbarer Nähe des Archetyps halten. Eine Sonderform im Deutschen gehört gleichfalls hierher: unsere HELLE Freude, der HELLE Haufe des Bauernkriegs, die HELLEN Scharen, die ins Stadium strömen, sind nicht etwa HELL als im Gegensatz zu »dunkel« zu verstehen, sondern gehören zu der nordischen Form des »Ganzen«. Das Grußwort HEIL! oder HEI! oder bloß noch HE! gibt dem Wunsch Ausdruck, der so Begrüßte möge »heil«, ganz und unversehrt sein, ein Sinn und ein Wort, das sich in weitem Abstand wiederfindet, im jüdischen HALLE(lujah), im vorinkanischen Que chua HUAILLI, im tibetischen R’GYAL, im Quiche, einer Maya sprache CALA, im Maori KARANGA und im finnischen ELÄKÖÖN, während HUAILA im Quechua und HIL’sen im Norwegi schen heute einfach »grüßen« zum Inhalt hat. 94
Wie sehr GANZ und HEIL synonyme Inhalte haben, verraten wir uns jedesmal, wenn wir unseren Kindern versprechen, ihr Spielzeug wieder »ganz« zu machen. Bei der außerordentlich überlebenswich tigen Bedeutung des HEILseins nimmt es nicht wunder, daß auch der Begriff des HEILENS, eben des Wieder-GANZ-Machens, gesell schaftlich wie sprachlich einen hohen Rang einnahm. Waren es zuerst sicherlich die Mütter, und da vornehmlich die uralten Mütter aufgrund ihrer längeren Erfahrung, welche beim HEILEN HAL’fen, so muß sich schon früh der besondere Stand des oder der Heilkundi gen entwickelt haben. - Ich meine, ein kleiner Seitensprung in dieser Richtung ist hier zu verantworten, fördert er doch das Verständnis sprachlicher Formen (vgl. Tafel 11). Was wir »Gesundheit« nennen, bezeichnen unsere nordischen Nachbarn als HÄL’se und HEL’se, die Engländer als HEAL’th. Auch das drückt die GANZheit aus, (nordisch HEL, englisch WHOLE), die HEILheit, die wirkliche Grundlage jeder »Gesund heit«. Wenn wir bei heutigen sogenannten Naturvölkern die Heil kunst in großer Blüte sehen und ihr auch wissenschaftlich deutliche Erfolge einräumen müssen, dann fragen wir uns ganz selbstverständ lich, wie stand es damit bei unseren unmittelbaren Vorläufern, die schon vor 5000 oder 10000 oder mehr Jahren auf einer vergleichba ren Stufe standen? Nun, was die chinesische, die indische und die Heilkunst der Naturvölker vor der unsrigen auszeichnet, ist ihr stets auf die GANZheit des leidenden Menschen gerichteter Blick. Sie mobilisieren den ganzen Menschen gegen seine partielle Erkran kung. Wie aber erwarben sie ihre bedeutenden Arznei-Kenntnisse? Ich glaube, wir müssen uns freimachen von der Vorstellung, Afrikaner oder Indios hätten jahrtausendelang alle erreichbaren Blätter, Früchte und Wurzeln der Pflanzen ihrer Umwelt systematisch durchprobiert, um so ihre spezifischen Wirkungen herauszufinden. Wir dürfen uns vielmehr den frühen Menschen noch mit einigen Instinktfunktionen mehr vorstellen, als sie uns überkommen sind. Einige eigene Erlebnisse werden am einfachsten vermitteln, was ich damit meine. Als junger Mann lebte ich mehrere Jahre in einer kleinen norwegischen Hütte zwischen Wald, Wiese und einem forellenrei chen Gebirgsfluß. Als ich in einer herbstlichen und mondhellen Septembernacht noch einmal an die Rückfront der Hütte ging, um einen Arm voll Brennholz hereinzuholen, sah ich mich unvermittelt einem Elchbullen gegenüber. Da ich mich ihm nicht weiter näherte,
95
Tafel 11: KÖRper und Leben samojed
arabisch
quiché
LAEK
HAIL
KA’KAL *
sein, to be estar
Kraft, power fuerza
Kraft, power fuerza
quechua
chakaszki po’LARXA sein, to be estar
polnisch CIAL KOR’per, body CUERpo
quechua CALL’pa Kraft, power fuerza (BA)
tibetisch LAGS-pa sein, to be estar
baskisch KALA’pio Kraft, power strength, fuerza (BA)
spanisch
arabisch
tagalog
CALA’to
* GALAZ
LAKAS
NACKt, NAKed NUdo
stark, strong fuerte
Kraft, strength fuerza
that
arabisch KAIN Leben, life vida
arabisch Dasein, being existencia
arhuaco KUAN Leben, life vida
chinesisch
australisch
tasmanisch
aymara
GIANG
WANGANJO
KRA’KANA *
KAN’KAÑA *
stark, strong fuerte
Leben, life vida
sein, being estar
sein, being estar
mapuche
slowakisch
NAHO’ta
polnisch NAGI
japanisch
ANGA KORper, body CUER’po
NACKTHEIT nudity, sernudo
NACKT, NAKed nudo
KORper, body CUERpo
arhuaco NANAN sein, to be estar
setswana NNA sein, be/live estar
japanisch
NARI
KAN’LANG Kraft, strength fuerza
QALA NACKt, NAKed NUdo
KAUN
NAKA
dayak
isländisch
NYAUA
NAR
Leben, life vida
KÖRper, body CUERpo
quechua
quechua
australisch
CAU’sa -
CAY
GAWU
Gestalt, figure estatura
Leben, life la vida
das Sein, the be ing, la existencia
KÖRper, body CUERpo
suahili
quiche GOL leben, live vivir
chontai
tibetisch COL-ba leben, live vivir
HAI am Leben, alive vivo
96
XOL’GOL * leben, live vivir
quiche
welsch
baskisch
irisch
QOWIL
COR’ff
GOR’putz
* COLAINN
Kraft, strength fuerza
KÖRper, body CUERpo (BA)
KÖRper, body CUERpo (BA)
KÖRper, body CUERpo
loma
samojed
telugu
slowakisch
* KOLOGIE
GORO’d
VOLLU
HOLY
KÖRper, body CUERpo
KÖRper, body CUERpo
KÖRper, body CUERpo
NACKt, NAKed nudo
polnisch
tibetisch
mapuche
thai
GOLY
KLON
pil’LONCO
LONCON
NACKt, NAKed nodo
KÖRper, body cuerpo
NACKt, NAKed nudo
NACKt, NAKed nudo
baskisch
chakaszki
baskisch
irisch
EGON
* CHONYCH
zozo’KON
NOCH’t
Sein, being existencia
Leben, Life vida
KÖRper, body CUERpo (TAG)
NACKt, NAKed nudo
guarani
baskisch
englisch
chinesisch
COVE
LOI
HULK
CUN-zai
Leben, life vida
KÖRper, body CUERpo
KÖRper, body CUERpo
leben, live vivir
lateinisch
mapuche
suahili
norwegisch
NUG’dus
NGUEN
ki’CHELE
LEGE’me
NACKt, NAKed NUdo
Sein, being existencia
NACKt, NAKed NUdo
KÖRper, body CUERpo, (BA)
finnisch KEILI KÖRper, body CUERpo
setswana
thai
chinesisch
bo’LENG
KHENG
SCHEN’ti
Leben, life vida
Kraft, strength fuerza
KÖRper, body CUERpo
chinesisch
slowakisch
hethitisch
thai
SCHENGCUN
pe’CIENKA
NEKU’mant
REENG
Leben, life vida
Leben, life vida (BA)
NACKt, NAKed NUdo
Kraft, strength fuerza
niederländisch
suahili MWILI KÖRper, body CUERpo
maori
suahili
KIRI’KAU *
KINE’NA
NACKt, NAKed NUdo
KÖRper, body CUERpo
LIGGAOM KÖRper, body CUERpo
97
nahm er seine »Tätigkeit« wieder auf: Er stand auf dem seit Jahrhunderten sich immer erneuernden Teppich von verfaulendem Holz um den Hackklotz herum und tat sich an genau diesem verfaulten Holze gütlich. Als ich mein Erlebnis ein paar Tage später bei meinen Freunden, den Bergbauern von Undseth, zum besten gab, erfuhr ich mehr. Nicht nur mein Elch, auch ihre Rinder und Schafe taten im September Gleiches: Um diese letzte Zeit der Tiere auf den zehn bis 70 Kilometer entfernten Setern verließen sie beim täglichen völlig freien Weidegang die baumlose Fjellfläche und wanderten in die obere Randzone der Talwälder, um genau das gleiche zu tun, gestürzte und verfaulte Stämme aufzusuchen und davon zu fressen. Die Bauern meinten, daß die Tiere irgendwie zu wissen scheinen, wie und warum ihnen das gut tue, denn um des Wohlgeschmackes willen könnten sie ja zu jeder beliebigen Zeit faules Holz fressen, aber nein, das täten sie nur im September. Im Juli blühe auf dem Fjell an nur wenigen Plätzen, aber dann in Überfülle, eine Sedum-Art, bei uns als Hauswurz bekannt, und die Herden wanderten oft 20 und mehr Kilometer, um sich den Bauch damit vollzuschlagen. Die Milch und noch die Butter sei dann quittegelb, und die sei es, die sie, die Bauern, sich dann für den Winter aufhöben. Im August wanderten sie gleich zielbewußt in die Trakte, wo besonders gern Stein- und Birkenpilze wachsen, und täten sich daran gütlich. All das ist nur möglich, weil die Rinder und Schafherden in der Sommerzeit der norwegischen Viehhalter für zehn bis zwölf Wochen der Wildnis zurückgegeben werden und die Tiere sich völlig selbst überlassen bleiben. Folglich erleben ihre Instinkte alljährlich eine heilsame Wiederbelebung. Nun muß man diesen Bergbauern zuge stehen, daß sie viel mehr mit ihren Tieren lebten als unsere sogenannten Landwirte, ihre Verhaltensweisen beobachteten und entsprechende Konsequenzen zogen. Da die Rinder den ganzen Winter im Stall verbringen, müssen sie im Frühling regelrecht trainiert werden, ehe man sie Ende Mai wieder auf die Seter (Almen bei uns) treiben kann. Also marschiert man mit ihnen die einzig vorhandene Landstraße entlang, auf der zur gleichen Zeit ein lebhafter Fuhrverkehr mit Pferden zu herrschen pflegte. Dabei beobachteten die Leute, daß ihre Kühe mit befremdlicher Vorliebe die hinterlassenen Pferdeäpfel fraßen. Zu meiner Zeit dort bekamen die Kühe im April und Mai einen aus einer Wacholderart gebrühten Tee, dem Pferdeexkremente beigemischt waren, und der von den Kühen offensichtlich mit Behagen geschlürft wurde; mit Sicherheit
98
nicht aus Durst, denn Wasser war ja immer für sie greifbar. Ich habe später erfahren, warum die Kühe sich so verhielten: Pferdeexkre mente scheiden um diese Zeit in erhöhtem Maße Follikelhormone mit aus. Als Folge blieben die Kühe nie güst. Nun, die Bauern wußten das wahrscheinlich gar nicht, sie kannten es auch nicht anders, als daß alle Jahre wieder alle Kühe trächtig wurden. Um so höher ist ihnen anzurechnen, daß sie solcherart auf die Bedürfnisse ihrer Tiere eingingen. Wie aber wußten die Kühe, daß ihr Stoffwechsel einen Zuschuß an Follikelhormonen begrüßen würde und wie, by Jove, wußten sie, daß sie die ausgerechnet in Pferdeäpfeln erhalten konnten? Und wie, zum Teufel, wußte meine Katze während der vergangenen Weihnachtsta ge, daß Holzkohle vom Grill auf der Terrasse ihr helfen könnte, eine kleine Magenverstimmung zu beheben? Sie hatte Holzkohle in den zwölf Jahren ihres Lebens bei uns noch nie eines Blickes gewürdigt. Solch miterlebtes Verhalten der Tiere beweist mir, daß unsere tierischen Mitgeschöpfe auf eine rätselhafte instinktive Art und Weise »wissen«, was ihnen zu helfen vermag. Sie wissen ja auch, welche Pflanzen sie auf natürlicher Weide wie in Skandinavien meiden müssen, während sie auf der anderen Seite genau wissen, wann sie blühende Seden und später Pilze antreffen. Daran, daß sie bequemer erreichbare Futterflächen verschmähen und weite Wege nicht scheuen, um diese Besonderheiten einschließlich des faulen Holzes zu erlangen, zeigt sich, daß es damit eine ganz besondere Bewandtnis für sie haben muß, wobei es gleichgültig ist, ob wir die Gründe kennen oder nicht. Ist es nun sonderlich verwegen, aus tierischem Verhalten zu schließen, daß auch unsere tierischen Vorläufer über gleiche Voraus kenntnisse verfügt und solche bis in ihre menschliche Entwicklung hinein bewahrt haben? Je weiter diese spezifisch menschliche Entwicklung vorankam, um so mehr verdrängte der aus Überlebens gründen immer wichtigere Intellekt die ursprünglichen Instinkte des limbischen Systems. In Einzelexemplaren hielten sie sich zwar, wenn auch immer seltener, bis in unsere Zeit. Erfolgreiche Medizinmän ner, gleichgültig, ob bei Eskimos, Aborigines oder bei uns, sehen noch immer in der Wiederherstellung der GANZheit das Ziel ihrer Bemühungen. Halten wir fest, daß Heilkunde schon früh ein wichtiger Faktor war, der vom Urgrunde der Entwicklung her durch ein instinktives Vorwissen weit höher begünstigt worden war als wir uns heute noch vorzustellen vermögen (vgl. Tafel 12). Aber das liegt eben an uns und nicht an unseren Homo-erectus-Vorfahren. 99
Tafel 12: GANZ und HEILEN polnisch
schwedisch
irisch
tagalog
CAL’KA
HÄL’se
LIACH’t
LAG’noto
HEILEN, HEAL CURar
HEILpfl., med. herb planta medical
GÄNZLICH Gesundheit WHOLLY, en todo HEALTH, salud
griechisch
griechisch
lappisch
aynu
* GALAGGA
A’XALLA
OALA’d
I’KARAI’KURU *
HEILpfl.,med.herb HEILkr., med. herb ALLES, WHOLE planta medical hierba medical todo
Arzt, doctor medico
polnisch
loma
polnisch
suahili
CALO
GALU
CALY
HALULI
HEIL, WHOLE entero
HEILkr., med. herb GANZ, WHOLE hierba medical todo/entero
HEILkr., med. herb hierba medical
schottisch
norwegisch LAEGE Arzt, doctor medico
schwedisch
spanisch
LÄKARE
GALENO
guarani CAARE HEILkr., med. herb hierba medical
englisch
suahili
CARE
ashe’KALI
pf’LEGen CURar
genesen,recover CURar
arabisch
hebräisch
KARIt
KALIL
GANZ, WHOLE entero
völlig, total total
englisch ALL ALLES todo
schwedisch ALLA ALLE, ALL todos
quechua
suahili
deutsch
ph-batak
ÄLLI’yachi
GANGA
GANZ
man’GANI’tu
HEILEN, HEAL CURar
HEILEN, HEAL CURar
ALL-, WHOLE todo
Arzt, doc medico japanisch
HALE GANZ, WHOLE todo/entero lappisch
OALLE ALLES, ALL todo
Arzt, doctor medico
irisch
ilocan
slowakisch
LAN
NAGA’san
NAC’isto
GEHEILt, CURed GANZ, WHOLE das GANZE, the entero WHOLE, el entero CURado
HElLkundiger . doc. medico
NAIGE’KA HEILkunst, medi cine, la medicina
japanisch
ilocan
quiche
aymara
NANKO
NAANANAY
COOL
KOLL’yatiri
HEILsalbe, oint ment, unguento
GANZ, WHOLE entero
Pf’LEGER, ward CURador
Arzt, doctor medico (TAG)
aymara
aymara
hebräisch
griechisch
KOLLA
KOLLANA
KOL
HOL’os
GANZ ALL
GANZ, WHOLE entero
HEILmittel, medi HEILEN, HEAL cine, medicina CURar
100
griechisch * KOLLYRA Salbe, ointment salve
englisch WHOLE GANZ entero
aymara KOLLIRI Arzt, doctor medico
australisch KOON’KIE HEILkundiger doc, medico
quichd CONOCH ALLE, ALL todos
maori RONGOA HEILmittel, medi cine, medicina
slowakisch HOJ’it HEILEN, HEAL CURar
polnisch GOIC HEILEN, HEAL CURar
arabisch KULL das GANZE, the WHOLE, el entero
australisch NGUL’dum HEILEN, HEAL CURar
sumerisch GULA HEILEN, HEAL CURar
lateinisch CUR’are HEILEN, HEAL CURar
SA-indianisch CURARE HEILmittel, medi cine, medicina
laddinisch CHÜR’ar pf’LEGEN, CARE CURar
ilocan CURANGNA GANZ-, WHOLE entero
guarani CURU’pa HEILmittel, medi cine, medicina (B A)
guarani GUAI’CURU * HEILkr., med. herb hierba medical
aymara CULLEN HEILkr., med. herb hierba medical
guarani CURE HEILpfl.,med.herb hierba medical
quiche GUN HEILEN, HEAL CURar
quiche CUN AH HEILEN, HEAL CURar
quiché KUN Medizin, medi cine, medicina
thai LUAN GANZ, WHOLE entero
chinesisch GUAN GANZ, WHOLE entero
suahiii GUN’GA pf’LEGEN HEAL, CURar
suahiii englisch A’HUENI HEAL’th Genesung, recover Gesundheit restablecerse salud
polnisch LEK Arznei, medicine medicina
altdeutsch HELL GANZ, WHOLE entero
norwegisch HEIL GANZ, WHOLE entero
isländisch HEILL gesund, HEALthy de salud
slowakisch CEL GANZ, WHOLE entero
deutsch HEIL unversehrt, en tire, entero
slowakisch LEKAR Arzt, doctor medico
polnisch LEKARZ Arzt, doctor medico
slowakisch CELOK GANZheit, whole ness, enteridad
slowakisch CELY HEIL, WHOLE entero
griechisch A’LEGYNO pf’LEGEN CARE, CURar
deutsch Pf’LEGE sorgen für, CARE CURar
deutsch HEILEN CURE, HEAL CURar
101
polnisch
englisch
suahili
LECZWY
LECHE
KENYE’KENYE iwan’KERE
HEILEN, HEAL CURar
HEILEN, HEAL CURar
GANZ, WHOLE entero
HEILEN, HEAL CURar
quechua
slowakisch
slowakisch
englisch
CHILLKA
LIEC
LIEK
HEAL
Medizin, medicine, medicina
HEILEN, CURE CURar
HEILkr., med. herb HEILEN, HEAL CURar hierba medical
aynu
An dem Beispiel der »hellen« Scharen, die bei passender Gelegenheit in »hellen« Jubel ausbrechen, haben wir auch gelernt, daß Redensarten eine sprachlich konservierende Tendenz haben. Dazu und in unseren gerade abgehandelten Zusammenhang gehört auch die deutsche Wendung von der »Hülle und Fülle«. Da besteht der dringende Verdacht, daß diese »Hülle« eher mit HOLOS und WHOLE verschwistert ist als mit einer Verpackung der Fülle in eine Hülle... Tiere verfügen noch über einen weiteren Instinkt, den Menschen offenbar in ihre eigene Entwicklung eine Zeitlang mit hinübergeret tet haben: den Richtungssinn. Damit meine ich, genaugenommen, nicht den phänomenalen Orientierungssinn der wandernden Fische und Vögel, von denen wir wissen, daß sie sich bestimmte deutliche landmarks einprägen. Das kann bei Fischen bis zu der Wiederentdekkung eines bestimmten Geruches des Wassers (!) gehen, bei Vögeln bis zur Orientierung nach den Gestirnen. Nein, damit meine ich jene Hunde, die während einer Ferienreise verlorengingen und Wochen oder Monate danach wieder zu Hause anlangen, oder, wiederum bei meinen Freunden, den Bergbauern des norwegischen österdalen, die Katzen, die man auf dem bis zu 70 Kilometer langen Wege zu den Setern (zu diesem Worte noch eine Bemerkung weiter unten) in eine Kiste sperrt, so daß sie den zurückgelegten Weg nicht sehen. Hütet man sie nicht die ersten drei Tage und Nächte sorgfältig in der Seterhütte, dann laufen sie schnurstracks zurück auf den Hof, zurück also ins eigene Revier. Und, wie meine Freunde dort meinten, sie laufen wirklich schnurstracks, nicht auf dem vorhandenen (Um-) Weg, sondern querbeet auf der kürzest denkbaren Linie. Nicht selbst miterlebt, aber unter dröhnendem Gelächter immer wieder einmal erzählt, hörte ich folgende Geschichte: Da hatte einer der sieben Undseth-Bauern Anfang der dreißiger
102
Jahre im Gudbrandsdal sechs junge Schweine gekauft. Die waren im dortigen Stall geboren, und, weil noch Schnee lag in Undseth, auch weiterhin im Stall gehalten worden, bei den Kühen, wo es schön warm ist. Als dann Ende Mai das Gras auf dem Hofplatz grün geworden, ließ man sie zum Abweiden aus dem Stall. Sie genossen Sonne und Gras sehr. Wenige Tage danach, bei der Rückkehr vom Feld, vermißten die Bauersleute ihre Läuferschweine. Alles Suchen blieb vergeblich, die teuren Viecher waren weg. Gut vier Wochen später rief der Bauer aus dem Gudbrandsdal an und fragte, ob man dort die von ihm gekauften Jungschweine vermisse? Er telefoniere schon nacheinander alle Abnehmer an, aber keiner habe bisher vermißte Schweine gemeldet, an Undseth habe er nicht glauben wollen, das liege doch immerhin 250 Kilometer (Luftlinie!) entfernt. Der Undsether durfte sich seine Schweine zum zweiten Male abholen. Nun, immerhin, die Nachkommen kannte ich noch. Die Bergbauern schätzen an einigen, leider nicht mehr allen, ihrer Pferde einen gleichen Zielsinn. Sie mußten im Spätwinter über den Fjell, bis zu 30 Kilometer weit, um bei Abnahme ihrer Futtervorräte das wertvolle Seterheu noch heimzuholen, ehe der schwindende Schnee das leichtere Schlittenfahren beendete. Der Weg führte 20 Kilometer weit über eine topfebene Tundra in 1100 Meter Höhe. Im Winter sah die überall gleich aus, der Weg nur zu ahnen. Der leichteste Wind verwehte zudem die Schlittenspuren für die Rück kehr. Nun, trotzdem ging es fast immer gut. Kam es zu heiklen Situationen, blieb der Schlitten in aufkommendem Nebel oder Schneegestöber stecken, nachdem jede Orientierung unmöglich geworden war, dann schnallte man das Pferd los und ließ es laufen. Man selbst kroch ins Heu und wartete, bis man geholt wurde. Denn auch das Pferd lief trotz Nebel oder Schneegestöber auf dem direktesten Wege auf seinen Hof und wieherte vor dem Stall. Dann wußte man Bescheid und rüstete ein Entsatzkommando, um aufzu brechen, sobald der Nebel sich verzogen oder das Schneien aufgehört hatte. Nora Hergel wanderte anfangs der dreißiger Jahre mit ihrem Mann Knut, damals Chef an einer der drei Osloer Bühnen, und einem Freunde von Undseth zur Kverninghögda, einem sanften Dreizehn hunderter, drei Stunden Wegs jenseits der Baumgrenze. Wie überall auf dem Fjell gab es, wenn man den Seterweg einmal verlassen hatte, nur noch die wirren und unnützen Trampelpfade der Elche und weidenden Rinder. Man ging besser querbeet. Ein herrlicher Junitag und eine herrliche Fernsicht. Als sie den Rückweg antraten,
103
bemerkten sie, daß sich das Undsethtal mit einem Nebel gefüllt hatte, der sich anschickte, auch die Fjellfläche zwischen Baumgrenze und dem Fuß der Kverninghögda zu überfluten. Als sie eingehüllt wurden, wußten sie, daß sie nur noch anderthalb Stunden vom Erreichen der Baumgrenze trennten. Einmal dort, brauchten sie nur noch abwärtszustreben, um so den querverlaufenden Fahrweg zu kreuzen. Nora, die in der Mitte marschiert war, hatte eine steigende Unruhe ergriffen. Als man nach drei Stunden innehielt, gestand man sich ein, in die Irre gegangen zu sein. »Natürlich«, meinte Nora, »dorthin hätten wir gehen müssen«, und zeigte in die Richtung, aus der man gerade gekommen war. Knut erinnerte sich an manch seltsames Erlebnis mit seiner Frau, und ganz plötzlich traute er ihr den gleichen Richtungssinn zu wie den Pferden. Man ruhte kurz, und dann folgte man ihr. Nach einer halben Stunde erreichten sie den Talwald in dichtem Nebel. Als man die Seterzufahrt kreuzte, lichtete sich der Nebel, und wenig später war man wieder in Undseth. Richtungssinn ist also ein im limbischen System verankertes instinktives Bewußtsein um die kürzeste Verbindung zum eigenen Revier. Wenn wir es bei Tierarten, aber noch in einzelnen Exempla ren unserer Art präsent oder remobilisierbar finden, dann können wir davon ausgehen, daß auch unsere frühen Vorfahren noch über solche Fähigkeiten verfügt haben müssen. Das erweitert unsere Vorstellungskraft hinsichtlich der Ausbrei tung auch von Sprache - von dem viel späteren Bau von Bogen und Booten einmal ganz abgesehen. Wenn wir auch dem frühen Menschen noch eine Art biologischen, genetisch tradierten Wander triebs unterstellen, dann erweitern Orientierungs- und Richtungs oder Zielsinn den frühmenschlichen Aktionsradius sicherlich nicht unerheblich. Und gerade die Frage, wie denn die letztgültige Art Homo sich über den ganzen Erdball verbreiten konnte, beschäftigt die Forschung immer wieder. Das liegt, wie Dolezol beiläufig erwähnt, auch an unserer falschen Perspektive hinsichtlich des Faktors Zeit. Bei nur 30 Kilometer Radiation je Generation würden zu solcher Ausbreitung schon weniger als 12 000 Jahre genügen. Nun ist das sicherlich zu hoch gegriffen, aber selbst bei nur 3 Kilometer Ausbreitung je Generation genügten dazu bloße 120 000 Jahre—was ist das schon angesichts der tatsächlich verfügbaren Zeiträume! Die Erscheinung des geschilderten Richtungs- oder Zielsinnes ist auch sprachlich nicht spurlos verschwunden. Das Wort RICHTUNG selbst trägt ein Token dieses Sinnes in sich - RICHT und RECHT und noch klarer das romanische Fremdwort DI’REKT kennzeichnet ja
104
die unmittelbare Verbindung zwischen dem Individuum und seinem wie immer gearteten Ziel. Die jeweilige RICHTUNG ist RECHT oder RICHTIG, wenn sie die kürzestmögliche Verbindung herstellt. Das taten alte Wege, die zu Fuß begangen wurden, überall wo sie von Menschen be- und ausgetreten wurden. Wenn in der ausgehenden Eiszeit solche Richtungslinien markiert wurden, dann vielleicht, weil dieser ursprüngliche Richtungssinn nicht mehr Allgemeingut war und zumindest durch äußere Merkmale (d. h. Male zum Merken) unterstützt werden sollte. Es gibt kein Flur- und Ortsnamen-Element, das in seiner Häufigkeit hier in Mitteleuropa an diejenigen herankommt, die auf den alten Linien und schnurgeraden Wegver bindungen liegen. Ich habe darauf ausführlicher in den Protokollen der Steinzeit (1974) hingewiesen, und ich werde darauf im nächsten Bande zurückkommen müssen, da die Eckpfeiler dieses eiszeitlichen Wegesystems TAG-markiert sind. Eiszeitlich übrigens deshalb, weil die zum Markieren gesetzten Steine in ihrer Masse niedrig und daher nur bei tundrenähnlicher Vegetation sichtbar waren. KALL spielt dabei insoweit eine Rolle, als es auf die Wege an solchen Linien hinweist, erhalten noch im lateinischen CALLis für Saumpfad, der spanischen CALLE und der französischen ALLEE, die das Mal der Schnurgeradheit noch deutlich in sich trägt. KALL zur Kennzeich nung von Wegen und insbesondere auch von Pässen ist ein weiteres Mal weltweit ziemlich gleichmäßig verbreitet. Da auch hier das körperliche Hin und Her so deutlich wird wie bei FUSS, PFAD und PISTE, setzen wir die KALL-Formen für das Bein in Tafel VIII der Tafel IX für Weg voraus, um durch diese Nachbarschaft erneut die logische Beziehung zwischen beiden zu verdeutlichen. Hinzukommt noch, daß ein gut ausgetretener und ständig benutzter Weg auch von seiner Vertiefung her die Anlehnung an KALL herausfordert. Hier noch die versprochene Anmerkung zu dem nordischen Wort SETER und SÄTER, das im alpenländischen Raum zu SENN zusammengezogen scheint. Ursprüngliche Form oder Parallele ist das lappische SITA. Es kennzeichnet den Wohnplatz, an dem man für Tage, Wochen oder Monate die Kota aufbaut. Natürlich wurden günstige SITAs, das heißt in bezug auf Wind, Wasserreichtum und Blickwinkel vorteilhaft gelegene Wohnplätze, immer wieder aufge sucht, so daß die umgebende Flur diese Bezeichnung mit übernahm. Nicht nur in Skandinavien gibt es unendlich viele -SETH-Orte, auch bei uns enthüllen etwa NeuSES, die LauSITZ, SETH in Holstein und die vielen SESSENbach, SESSENhausen, SESSlach, SETHlage, SETTmarshausen, SIDDessen, SIEDELSbrunn und -bach, SIESS105
bach und SIESSwende querbeet die einstige Nutzung als vorüberge hende Wohnplätze, und auch unser SIEDELN kann die Verwandt schaft zu den lappisch-nordischen SITAs und SETERn nie mehr leugnen. Und weite Verbreitung deutet ja immer auch auf Alter.., Sprachlich am Ende unserer Körperlichkeit angelangt und zugege benermaßen die Beine mit nur einem Nebensatz abgefertigt, bleibt uns noch das nächste Kapitel, das gewichtige der vorderen Extre mitäten.
Die HAND
So wichtig wie die Vergrößerung des Hirns war für die menschliche Entwicklung die Abwendung von der Blätternahrung des dichten Urwaldes zur Früchtenahrung in lichterem Walde mit früchtetragen den Buscharten, eine Änderung der Vegetation in den angestammten Revieren als Folge von Klimaänderungen. Man kam von der Fortbewegung in Bäumen weg und ging auf den Boden und fand dadurch leicht zu aufrechter Gangart. Zwar dauerte die Anpassung mit Sicherheit Jahrhunderttausende, weil sowohl die Stellung des Kopfes zum Halse wie die des Beckens zur Wirbelsäule erst mühsam der neuen Lebensweise angepaßt werden mußte. Am Ende aber stand die Freiheit der Hände, ihre vom Mittragen des Körpers befreite Beweglichkeit (Tafel 13). Erst mit der völligen Befreiung der Hände von der Aufgabe, an der Fortbewegung mitzuwirken, konnte deren eigenständige Entfaltung beginnen und sich zu einem entscheidenden Element menschlicher Evolution fortentwickeln. Unseren Händen vor allem verdanken wir das Fortschreiten zum Werkzeug und somit den Beginn jeglicher Technologie. KEIL und KEULE verraten sprachlich heute noch die Funktionserweiterung und -Verbesserung der HANd, und mit ihnen tun das in Hunderten von Sprachen Tausende von Wörtern für frühe Geräte. So dicht wie die innere Beziehung zwischen MUND, MUNDEN und MÜNDEN hat sich nun auch die Kette der Assoziationen um das gelegt, was die HAND mit ihren zahlreichen Wirkungen verbindet - als eine der ersten wohl mit dem Geben und Nehmen. Das »Geben« blieb bei uns noch im BA-Bereich: GEB = BEG, und BEG und BOG sind frühe Wörter für den Arm samt der Hand, die sich noch im englischen BOXing und im spanischen BOGar (für rudern) erhalten haben. Daran, daß die KALL-Nachkommenschaft der HAND in den meisten Sprachen außerordentlich zahlreich ist, erkennt man den frühen und weitverbreiteten Übergang von BA zu KALL-Formen für die Hand. Wenn dabei das Geben eine 107
Tafel 13: Die HAND cataian
popoluka
tibetisch
finnisch
CALL
KAL
LAG
KAL’voin
Innenfläche, palm palma
HANd mano
HANd mano
HANdGELENK wrist, muñeca (B A)
spanisch
bengali
tibetisch
tungusisch
GAR’fa
ba’GAL
LAG-mtil
GALA
KLAUE, CLAW GARRA(BA)
HANdm. Unterarm Palma, palm mano con brazo palma
tungusisch
ph-gaddang
NGALA(NALA) LANGALAY *
HANd mano
spanisch
guaraní
GARRA
CARA’catu
HANd mano
HANd mano
KLAUE CLAW
H ANdlich, HANdy bien con los manos
australisch
suahili
ph-tagbanwa
ph-batak
NYALU
mSHALE
KALI’maq
QALI’ma
HANd mano(BA)
HANd mano(BA)
HOHLE HAND, the HANd HOLLOW of the H. mano
polnisch
englisch
irisch
deutsch
RAC’ica
CLAW
GLAC»
KLAUE
KLAUE, CLAW GARRA
KLAUE GARRA
HANdvoll, HANd- CLAW fu), mano llena GARRA
ph-kallahan
welsch
lateinisch
schottisch
ta’KLAY
LLAW
LAEVA
HAN1
HAND mano
HANd mano
LINKE HANd, leit HANd HANd, mano izq mano
thai
ph-samal
thai
suahili
KAN
tan’GAN
KAN’pan
NGAN’da
HANdHALten GUANtar la mano
HANd mano (TAG)
HANd, Faust, fist mano, puño (BA)
HANdvoll mano llena (TAG)
romanisch
suahili
laddinisch
australisch
-QUANta
GAN’ja
CHAN’VELLA
mau’NANYUK
-zig,-ty -en’ta (TAG)
Palma, palm palma (TAG)
HANdGELENK wrist, muñeca
HANd mano(BA)
zapotek
tasmanisch
tungusisch
finnisch
NA
NANA
NALA
RANNE
HANd mano
HANd mano
HANd mano
HANDGELENK wrist, muñeca
finnisch
suahili
suahili
chakaszki
KAH’va
GAO
KIN’GAYA
CHOL
HENKEL, handle asa
offene HANd mano abierta
HANDRÜCKEN backofhand
HANd mano
108
samojed
finnisch KOURA HANDvol), HANd- Faust, fist ful, mano llena puño
irisch CRO’bh HANd mano
griechisch
thai
chinesisch
chinesisch
baskisch
KOON
GON-
SCHON
KOIN
Arm, HANd mano
HANdmano
HANd mano
HANd mano
romanisch
suahili
polnisch
suahili
-CON’ta
KON’de
d’LON
MKONO
-zig,-ty -enta
Faust, fist puño
Palma, palm palma
Arm, HANd, brazo y mano
ph-ivatan
chinesisch
englisch
baskisch
ta’NOROO
SCHOU XIN
HULL’GULL *
A’GUR
HANd mano
Palma, palm palma
HANdspiel juego de mano
HOHLEHAND interior d. 1. m.
polnisch
ilocan
slowakisch
chinesisch
KULAK
da’CULAp
RUKA
GUAN
Faust, fist puno
Palma, palm palma
HANd mano
Faust, fist puño
quechua
arhuaco
luo
baskisch
CHUNKA
GUNE
LUE’do
es’KU
zehn, ten diez
HANd mano
HANd mano
Hand mano
COR’bma
GRON’dos Faust, fist puño
finnisch
griechisch
australisch
polnisch
NYRKKI
CHEIR
QUEARR
REKA
Faust, fist puño
HANd mano
HANd mano
HANd
deutsch
setswana
türkisch
telugu
HENKEL
LE’tsogo
EL
CHEYYI
HANd mano
HANd mano
HANdgriff.HANdle HANd asa mano (TAG)
tungusisch
maori
lateinisch
telugu
pa’LINGA
RINGA
pu’GIL’um
pidi’KILI
Palma, palm palma
HANd mano
Faust, fist puño(BA)
Faust, fist puño (BA)
1 das -d- am Ende von HAN'd ist ein ursprünglich angehängter Artikel wie bei FJELL'et zu FEL’D, und findet sich auch bei HUN'D und vielen anderen entsprechenden Wörtern. Eine Zusammensetzung mit BA geht auf das früher vorherrschende BA zurück (vgl. lat. MANus) oder umgreift noch die FINGER mit, was auch bei TAG-Teilen der Fall ist - vgl. lat. DIGis.
109
Tafel 14: Geben etruskisch
arabisch
finnisch
ph-batak
HAL
HALA
LAHJA
bi’GAY
geben, give dar
geben, give dar
Gabe, gift REGALO
geben, give dar(BA)
guarani
thai
australisch
arhuaco
CUAVE
KHAN
JIN’KANA
KANAN
REICHEN REGALar
geben, give dar
geben, give dar
SCHENKen, give REGALar
australisch
aynu
quiche
etruskisch
NOOKO
KORE
CUL
CUL
geben, give dar
geben, give dar
geben, give dar
geben, give dar
Weitere Beispiele siehe Tafel X A.
so starke Rolle spielt, dann ganz einfach deshalb, weil es die gleiche große Rolle für das Überleben der Menschen von Anbeginn gespielt hat (Tafel 14). Dabei ging die Entwicklung schon relativ früh über das nur Selbstverständliche des Gebens der Mutter an ihr Kind hinaus. In der noch vom Tierdasein her übernommenen sozialen Ordnung, bei der die Männer von den Frauen und Kindern getrennt an der jeweiligen Peripherie des Clan-Reviers lebten und dieses, indem sie sich selbst verteidigten, auch schützten, mochten besonders die jüngeren Männer, die sich gut an die Nestwärme ihrer Kindheit erinnerten, immer wieder einmal versuchen, zurück in den weiblich bestimmten inneren Kreis zu gelangen. Sie mochten durch Zufall einmal erfahren haben, daß sie leichter zugelassen wurden, wenn sie dabei etwas Wertvolles oder Gutschmeckendes als Geschenk mitbrachten. Mit dem Augenblick, wo neben dem Geben auch das Nehmen (siehe Tafel 15) zum Teil einer intersozialen Aktion wurde, war wieder einmal ein Schritt vorwärts getan. Wir ahnen heute, daß gerade die Menschenart, die sich bis zu uns fortgesetzt hat, ihr Überleben am Ende nicht nur der Intelligenz, sondern den durch sie gesteigerten intersozialen Zusammenhalt verdankt - und damit wiederum der
110
Tafel 15: Nehmen arabisch QAL nehmen, take tomar
welsch
thai
griechisch
CAEL
LAG
LAG’CHAN’o
bekommen, get LOGrar
KLAUen, steal O’CULtar
erHALten, receive obtener
quiché
tungusisch
maori
telugu
CALA’ba
GAIRA
HORO
KONU
wegnehmen, take away, tomar
nehmen, take tomar
nehmen, take tomar
nehmen, get tomar
náhuatl
suahili
polynesisch
setswana
CUILIA
LUJA
LECH
amo’GELA
nehmen, take tomar
Dieb, thief cotta
nehmen, take tomar
empfangen, recei ve, recibir (BA)
Weitere Beispiele siehe Tafel X B.
Sprache, einer wesentlichen Voraussetzung zwischenmenschlicher Handlungen. Der Leser wird gewiß Verständnis für den Verfasser haben, der um der flüssigen Lesbarkeit seiner Arbeit wegen zu der Methode der Kurztafeln gegriffen hat, um die vielseitigen Funktionen der Hand in je einem Dutzend von Wortbeispielen zu belegen, das Gros seiner Beispiele aber in den Anhang, in die dortige Dokumentation zu verlagern. Es ist dem Leser ja unbenommen, dort auch jetzt gleich nachzuschlagen, um sich ein Bild von dem Reichtum der Formen und ihrer Verbreitung auf dieser Erdkugel zu machen. Denn mit Geben und Nehmen haben wir ja nur einen Anfang gemacht, die unmittelba ren Wirkungen der Hand auf die Sprache sind hier auf »nur« zehn Tafeln zusammengedrängt. Künftigen Paläolinguisten bleibt ein weites, noch unbeackertes Feld... Immer wieder aber sei auf zweierlei hingewiesen: Einmal: Vor KALL wurde auch für die Hand BA, und nach ihm noch TAG verwendet, letzteres besonders mit dem Schwergewicht auf den Fingern. Dazwischen aber bewegen sich Hunderte von Sprachen im KALL-Bereich. Eine der nächsten, KALL-nahen Funktionen ist das HAL’ten (Tafel 16).
111
Tafel 16: HALten australisch
ph-atta
telugu
australisch
GAL’GUNU *
tang’NGALAN
KALU’guta
WALINI
HALten, HOLd GUAN’tar
HALten, HOLd GUANtar (TAG)
haben, have tener1
HALten. HOLd GUANtar
quiche
tibetisch
chinesisch
quiche
CAY
CAN-ba
NA
COL
HALten, HOLd GUANtar
HALten, HOLd GUANtar (BA)
HALten, HOLd GUANtar
bewahren, beHOLd, GUANtar
irisch
aynu
etruskisch
guarani
COINEAIL
KOR
HEL
RECO
HALten, HOLd GUANtar
haben,have tener1
HALten, HOLd GUANtar
HALten, HOLd GUANtar
1 In vielen Sprachen sind die Begriffe HALTEN und HABEN nicht unterschieden. Weitere Beispiele siehe Tafel X C.
Zweiter, wiederholter Hinweis: Sprache wurde von einfachen Leuten geschaffen. Solange sie mit ein- und demselben Wort für Dinge auskamen, die so nahe beieinander lagen wie haben und halten, wie HAND und HÄNDIGEN und HANDELN und sogar HINDERN, blieben sie dabei und begannen mit Variationen erst spät und auch dann noch eher zögernd. Dabei wäre es eine weitere Illusion, anzunehmen, daß e.inmal gefundene Wörter gewissermaßen »vor dem Gesetz« gleich behandelt worden wären - die einen wurden bis zur Unkenntlichkeit verschlissen, andere fast archetypisch rein erhalten. Warum? Ich gönne meinen Nachfolgern die Freude, das einmal herauszubekommen... Eine weitere Rolle der Hand in KALL-Nähe ist das HEL’fen (Tafel 17 A). Das HELFEN ist — könnte man sagen — der Inbegriff intersozialer Aktion und zwischenmenschlichen Miteinanders. Wenn dabei die Hand eine so große Rolle spielte, dann rührt das von frühmenschlichen Verhaltensweisen. Dazu gehörte auch das Sam meln von Nahrung. Die bestand zu Dreivierteln aus pflanzlicher Kost, also aus gesammelten Früchten und später Wurzeln. Alle unsere Wurzelgemüse haben wilde Arten als Vorläufer. Dieses
112
Tafel 17 A: HELfen schwedisch
polnisch
tasmanisch
quiche
HJÄL’p
o’CALAC *
LAGERA
CAN
HILfe, HELp ayuda
retten, save SALvar
HELfen, HELp SALvar
HELfen, HELp SAL’var
hethitisch
quechua
arabisch
aynu
HAN’tiyai
YANA’pa
NAJAH
KARNY
helfen, help salvar (TAG)
HELfen, HELp §ALvar(BA)
HELfen, HELp SALvar
HELfen, HELp SALvar
australisch
quiche
ilocan
luo
mi’RANA
KOL
tu’LONG
KONY
HELfen, HELp SALvar
retten, save SALvar
HELfen, HELp SALvar
HILfe, HELp ayuda
Weitere Beispiele siehe Tafel X D.
Tafel 17 B: PFLÜCKEN aynu
arabisch
lateinisch
suahili
KAR
KAR’KAR *
CAR’pere
CHANGA
Pf’LUCKen PLUCK, COGER
sammeln, col lect, coger
PFLUCKen PLUCK, coger
sammeln, col lect, coger
luo
deutsch
laddinisch
irisch
KWANYO
KLAU’ben
RACOGLIER
COL
PFLUCKen, PLUCK, coger
P’LUCK coger
PFLUCKen coger
auslesen, select selectar
tibetisch
chinesisch
suahili
englisch
KLOG-pa
COI
KON’YOA
CULL
lesen, collect coger
PFLUCKen PLUCK, coger
PFLUCKen PLUCK, coger
Pf’LUCKen coger
Weitere Beispiele siehe Tafel X E.
113
Sammeln ist nur mit den Händen zu bewerkstelligen - LEG’ere auf lateinisch und eben dieser Kern steckt auch in unserem Pf’LÜKK’en von Früchten aller Art. Ein Seitensprung des LEGere ist seine spätere Bedeutung »lesen«, während wir umgekehrt im »auf/esen« wieder das Sammeln und in der »Lese« die Ernte meinen. KALL-nahe ist und aus dieser frühen Zeit stammt auch noch unser HOLEN. Tafel 17 B gibt eine Probe vom Sammeln und Pflücken. Hatten wir in GANZ eine wichtige KALL-Ableitung erkannt, so gilt dies auch für HAL’B. Das ist der eine Strang, der uns zur KALL-bedingten QUAN’tität führt. Wollte man von dieser noch recht summarischen Mengenbestimmung mehr ins einzelne gehen, so boten sich dafür Hände und Füße an. Die Eskimos beispielsweise benannten jeden ihrer zehn Finger und zehn Zehen mit einem eigenen Namen, und zwar der Reihe nach. So brauchten sie nur den Namen eines Fingers, um eine Zahl unter, oder den eines Zehen, um eine Zahl über zehn zu nennen. Aber das Zählen scheint doch insgesamt eine späte Errungenschaft, zählen doch die australischen Sprachen oft nur bis zur 4, alles weitere ist dann nur eine Variante von »vielen«. So drückt auch das lateinische CEN’tum zunächst nur ein großes QUAN’tum aus, wie das sanskrit LAKSH, das zunächst die Bedeutung »unendlich viel« hatte, ehe es auf die Zahl 100000 festgeschrieben wurde. Wie auch immer, so stand zum Zählen die Hand zur Verfügung, wobei noch die Römer mit ihrem QUIN’QUE die Erinnerung an die hohle Hand bei geschlossenen Fingern bewahrten, ebenso die Hohlform beider Hände in ihren ursprünglich -QUAN’TA genannten Endungen für unser -zig. Aber auch dieses -ZIG geht zur TAG-Zeit von der Vorstellung der zehn Finger, im lateinischen DIG’is besonders deutlich, aus. Diese Eigenschaften der Hand sind aber nicht nur die Grundlage unserer Zehner-Rechnung, sondern auch die der altertümlichen Dutzend-Rechnung mit der 12: Fünf Finger und die Hand selbst ergeben 6, bei beiden Händen die 12! Die 12 aber war von altersher eine wichtige Zahl, ergab sie sich doch aus den steinzeitlichen Kardinalzahlen 3 mal 4! Sie im Zählbereich der Hände wiederzufinden, war sicherlich ein bedeutsa mes Aha-Erlebnis. - Die Tafel 18 führt nur wieder ein Dutzend Beispiele zum Thema HANdeln auf. Neben den direkten Anschlüssen Händigen, Handeln und Hindern gibt es natürlich noch eine Fülle positiverer Aspekte des Machens und Tuns der Hände. Die Zahl der Möglichkeiten ist Legion, auch die Tafel X F kann nur einen schmalen Ausschnitt geben, erst recht das hier im Text gebotene Beispielsdutzend (Tafel 19).
114
Tafel 18: HANdeln arabisch
tibetisch
tibetisch
tagalog
HAL
GAL
* GAL-RKYEN
KALA’KAL *
HIN’dern, HINder, detener
Zwang, forca fuerza
HINdernis HANdicap
Handelsware good, mercantiles
quiché
lappisch
setswana
maori
CHALA
NAGA’dit
NAYA
NAO
tauschen CHANGE
manage ARREGLar
H ANdigen, HANd beHANdeln treat, trattar dar
griechisch
suahili
quiché
australisch
KOL’yo
HULU
CULE’LAAI
YIN’JINYI
HINder, HINder impedir
abH ALten, withHOLd, impedir
HINdern, HINder impedir
HANdigen, HANd dar
ilocan
Tafel 19: Tun arabisch
quechua
tagalog
QAL’QAL *
CALL’cha
LAGAY
LAGAEN
schütteln shake, sacudir
ernten, HARvest, cosechar
LEGEN, LAY pongar
zwirnen, twist retorcer
australisch
quiché
thai
thai
ya’KALYA
e’CALECH
KAAN
KHWANG
brechen, break romper
tragen, bear portar
Arbeit, work trabajo
werfen, cast LANZar
suahili
australisch
zapotek
japanisch
KAN’da
AN’KANA *
NAG
NAGE’ru
KNEten, KNEAd amasar
tun, do hacer
flechten, plait trenzar
werfen, LOUNGE LANZar
Tafel 20: Fangen und Jagen ph-atta
maori
quiche
suahili
ma’GALUQU
HAO
CAN
NYANKA
fangen, HUNt cacciar
fangen, catch apresar
fangen, catch apresar
fangen, catch apresar
arabisch
ph-bilaan
slowakisch
australisch
NAJAS
LOK
HON
KONKON’bah
jagen, HUNt cacciar
jagen, HUNt cacciar
Jagd, HUNt caccia
jagen, HUNt cacciar
suahili
mordwinisch
welsch
chinesisch
KORO’weza
KUN’dwams
HELA
LIE
fangen, catch apresar
fangen, catch apresar
jagen, HUNt cacciar
jagen, HUNt cacciar
115
In vielen Sprachen hat das jeweilige Wort für »jagen« gleichzeitig den Sinn »fangen«. Das erscheint um so glaubhafter, als wir von frühen Menschen heute annehmen, daß sie ihre erste tierische Beute erliefen und mit den Händen griffen. Einige indianische Völker können das heute noch. Im mexikanischen Olympiajahr wurden uns einheimische Sportarten gezeigt, bei denen die Teilnehmer den ganzen Tag lang in forciertem Laufschritt einer Kugel nachjagten, und das in freier Wildbahn, sozusagen. Auch einige Höhlenzeichnun gen des Mesolithikums weisen auf beschwingtes Laufen im allgemei nen und insbesondere bei der Jagd. Wenn die Ausbeute bei KALL und bei der Hand nicht so eindrucksvoll ist wie bei anderen Funktionen der Hand, dann liegt das einmal daran, daß dies genau so gut beim Bein zu assoziieren war, zum anderen aber, weil das nachfolgende TAG geradezu prädestiniert war, Jagdwörter neu von sich aus zu prägen. Unser JAGEN ist selbst ein solches Beispiel, während das englische HUN’T noch im Banne des KALL geformt und dort festgehalten wurde (siehe Tafel 20). Bleibt uns hier noch eine letzte, passiv wie aktiv als eindrucksvoll empfundene Funktion der Hand, das Sch’LAG’en. Der Wortkern LAG, ein seitenverkehrtes KALL, entspricht dem englischen LICK und hat auch außerhalb der indoeuropäischen Sprachwelt eine schier unübersehbare Nachkommenschaft hervorgebracht. Abgesehen von seiner Rolle bei frühen Rangkämpfen wurde es schon früh wichtig bei der Zerkleinerung und beim Weichklopfen der Nahrung für die Kinder, die ja wie die Erwachsenen viel zu kleine Zähne behielten, um mit zäherer Nahrung allein fertig zu werden. In dieser mütterli chen Vorarbeit sieht man heute einen wichtigen Impetus zum Werkzeuggebrauch überhaupt. Die Vorstellung von SCHLAG und SCHLAGen ist viel weiter in unseren Sprachgebrauch eingedrungen, als man sich auf Anhieb vergegenwärtigen kann. Darum hier ein wenig Nachhilfe: Blitz schlag, Stromschlag, »mit einem Schlage«, Schlaganfall, schlagartig, Schlagader, Schlagbaum, Schlagbolzen, Schlager, Slogan, schlagfer tig, Schlaglicht, Schlagloch, Schlagsahne, Schlagregen, Schlagschat ten, Schlagweite, Schlagwetter, Schlagwort, Schlagzeile. Oder noch dies: Die Briten sind ein ganz anderer SCHLAG Menschen als wir. Hier steht SCHLAG für Art oder Klasse und hat mit dem handgreiflichen SCHLAGen überhaupt nichts mehr zu tun (siehe auch Tafel 21). Jemanden beim Tauchen, Rennen oder Stricken zu »schlagen«, zeigt einmal mehr, wie unbedenklich wir von einem Wort Gebrauch 116
Tafel 21: SCHLAGEN quechua
arabisch
tibetisch
samojed
LAQ’LAY *
LAKK
LCAG
LAGG’jit
SCHLAGen LICK.GOLpear
SCHLAG, strike GOLpe
SCHLAG, strike GOLpe
SCHLAGEN LICK, GOLpear
baskisch
spanisch
australisch
australisch
U’KAL’di
CALE
be’GAN
poon’GANYEE
Stoß, hit GOLpe
SCHLAG, hit GOLpe
SCHLAGen SLOUGH
töten, KILL matar
tasmanisch
suahili
laddinisch
irisch
LANE
GONGA
CUOL’P
LEAGAN
SCHLAGen, hit GOLpear
SCHLAG KNOCK, GOLpe
SCHLAG, hit GOLpe
SCHLAGen LICK.GOLpear
Weitere Beispiele siehe Tafel X G.
gemacht haben, das einmal eine sehr und nur handgreifliche Bedeutung gehabt hat. Es sei hier noch einmal daran erinnert, daß Hand und handeigene Funktionen in früherer als der KALL-Zeit, im eigentlichen Sprachal tertum, BA-Formen in jeder erforderlichen Menge hervorgebracht haben — lateinisch MANUS und die angehängten Funktionen MANIpulieren und noch das moderne MANAGE erinnern uns daran. KALL scheint jedoch dem BA gerade auf diesem Felde ein großes Terrain abgewonnen zu haben. Es fällt auf, daß es dieses Terrain auch gegenüber dem nachfolgenden TAG recht gut behaup tet hat - TAG-Wörter für Funktionen der Hand kommen auf dem Umweg über das eingesetzte Werkzeug zustande, denn das Werkzeug ist wiederum eine bevorzugte Domäne des TAG (vgl. ZEUG etwa in WerkZEUG). Als die HAND noch dem KALL gehorchte und sich Hilfen verschaffte, um ihre Wirkung zu verbessern oder doch zu intensivie ren, blieben solche Instrumente genau so nah an der Hand wie zuvor ihre Funktionen. Das erste Hilfsmittel war der Knüppel, der Stock, Stab, Prügel und die KEULE (Tafel 22). 117
Tafel 22: Knüppel und KEULE australisch
suahili
quechua
tibetisch
KALK’KALK *
GAL’me
CALL’hua
GAL’ta
KEULE, CLUB maza
Stange, pole barra (B A)
Stab, stäke percha
Stange, stäke percha
australisch
mapuche
am.-spanisch
samojed
KAR’NICK *
RON’CAL
CALLA
LAEGGA
Wurfstock, pole barra
KNÜ’ppel, CUDGEL, GARRote
Stock, stock percha
Stock, staff CAÑa
griechisch
aymara
griechisch
baskisch
KALAI’ros
LAWA
KAYL’os
jo’GAlLU
Stab, rod barra
Pfahl, pole estaca
Schaft, shaft CAÑa
KEULE, CLUb maza
finnisch
lateinisch
malayisch
quechua
* KALIKKA
CLAVa
GAN
WANQA
KEULE, CLUb maza
KEULE, CUDGEL, maza
Schaft, shaft barra
Stange, rod estaca
finnisch
thai
australisch
quechua
HANKO
KHAANG
KANA’KE
ma’KANA
Stock,rod CAÑA
Stab, pole estaca
KEULE, CLUB maza
gr. KNÜppelCUDGEL, GARROte
mapuche
australisch
aynu
australisch
ma’CANA
KANING
NKANNI
bir’RANA
KEULE, CLUb maza
Wurfstock, casted stick, estaca
KEULE, CLUb maza
Wurfstock, lounged stick, estaca de tirar
maori
suahili
finnisch
deutsch
KA’HERU
CHAO
KOLK’KA
Pf’LOCK
Grabscheit, digging stick, barra
Stock, stick estaca
KEULE, CLUb maza
kl. Stock, pin estaca
deutsch
australisch
griechisch
polnisch
HOL’m
HOL’tar
KORYNE
KOLEK
Griff, HANDLE CAÑA
Stock, stick GARRO’te
KEULE, CLUb maza
Stock, stick estaca
suahili
griechisch
australisch
australisch
GONGO
KON’tos
KON’du
KONNUNG
KEULE, CLUb maza
Stange, stäke percha
KEULE, CLUb maza
Knüppel, CANE GARROte
englisch
maori
australisch
quechua
KNOO’te
KO
* KULLAK
CULLU
KNUte, GARROte
Scheit, stick estaca
KEULE, CLUB maza
Stock, stick GARROte
118
quechua
zigeunerisch
australisch
suahili
KULL’CU
RUK
YULUGU
LUNGU
P’RÜGEL, CANE CAÑA
Deichsel, shaft tRONCo
KEULE, CLUb maza
KNÜppel, CUDGEL, percha
luo
englisch
baskisch
finnisch
a’RUNGU
CUDGEL
LUKI
* KURIKKA
KEULE, CLUb maza
KEULE, CLUb maza
KEULE, CLUb maza
Stampfer, stamp mazo
englisch
deutsch
australisch
australisch
CLU’b
P’RÜGEL
KUN’da
QUUN’der
KEULE maza
Knüppel, stick GARROte, (BA)
Grabstock, digging KEULE, CLUb stick, estacad, labr. maza (TAG)
chakaszki
laddinisch
quechua
deutsch
KUN’TSCHog
ANCHÜNA
UINU
KNÜ’ttel
Stock, stick estaca (TAG)
Stock, stick estaca
KEULE, CLUb maza
stick GARROte (TAG)
finnisch
australisch
popoluka
chinesisch
NUIJA
NULLA’NULLA KUY
KEULE, CLUb maza
schw. KEULE CLUb, maza pesada
P’RÜGEL, KNOUt KEULE, CLUb GARROte maza
slowakisch
quechua
tasmanisch
baskisch
KYJ
KERO
LE
KILO’seska
KEULE, CLUb maza
Stange, stäke percha
WurfKEULE CLUb, maza
KEULE.CLUb maza
baskisch
baskisch
baskisch
quechua
ma’KIL
KIN’KIN
XIN’GANA *
HUINI
Stock, stick barra
PRÜGEL, KNOUt Stock, stick GARROte barra
KUI
KEULE, hammer maza y martillo
Als frühe Menschen Wörter für ihre Hand weiterentwickelten und BA durch KALL ablösten, geschah dies unter dem kategorischen Imperativ des Hohlen. Die zugeordneten Funktionen wie noch später auch die Werkzeuge solcher Funktionen brachen aus dem Befehlsbe reich dieses Imperativs - natürlich - aus, ein Knüppel und eine Keule waren alles andere als hohl. Das meine ich, wenn ich sage, nicht Linguisten, sondern einfache, unbeschwerte Menschen haben einst unsere gemeinsame Sprache geschaffen. Einige von ihnen haben im Laufe ihres unbekümmerten Fortspinnens ihrer Assoziationen
119
KALL sogar für Spitzes verwendet, und sie haben mir viel Kummer bereitet damit, wollte das doch unerklärbar erscheinen, paradox, ja, es durfte eigentlich gar nicht wahr sein. Aber gemach — eine BA-Parallele brachte die Lösung. Unser Kopf, wir sagten es schon, steckt auch in unserem Gipfel, aber nur in dem Teil GIP - dagegen ist FEL der Rest eines vorausgegangenen FJELL. GIP aber ist genau wie KOP ein seitenverkehrtes PIK, das wir in den romanischen PIC und den nordischen PIGG als Wörter für Gipfel zur Genüge kennen. Obwohl man nun auch von dem Ausgangswort »Kopf« nicht sagen kann, daß er spitz sei, ist er doch zumindest oben, das obere Ende unseres Körpers, und genau das ist auch bei den Bergen gemeint. Aber PIK und »pieken«, die »Pickelhaube« und das spitze »picken« haben alle hier ihren Ausgang, und da das romanische PIC sich auch zu PIZ gewandelt hat, fällt es nicht mehr schwer, dies PIZ auch in der leichten Tarnung S’PITZ wiederzuerkennen. Auch bei BA konnte also aus dem runden Kopp ein Wort für das eigentliche Gegenteil, für »spitz« werden - eben weil noch nie die Zunft der Sprachforscher Sprache auch geschaffen hat... Die Tafeln XI unserer Dokumentation befassen sich ausführlicher mit dem Begriff des »Handwerkzeugs« und sind noch für viele Überraschungen gut. Anschließend die Tafel XII: Mengenlehre. Die Anwendung von KALL auf Stein und Gestein vermittelt nur prima facie ein Rätsel, hört doch alles, was mit Stein zusammenhängt, vorwiegend auf TAG. Aber schon, wo solche Steine rund sind, gehorchen sie einem anderen KALL-Imperativ, auf den wir weiter unten stoßen werden. Wenn solche Steine obendrein »handlich« sind, sind sie genau wie KEIL und KEULE weitergedachte Handbe griffe, weil sie die Wirkung der Hand vermehren oder verstärken. Steine mit Abschlägen in der Art des Acheuleen wurden schon beim Pithecanthropus africanus' (ca. zwei Millionen Jahre vor heute) gefunden, die Verwendung von runden und handlichen Steinen ohne Bearbeitung dürfte wesentlich weiter zurückliegen. Die Tafel XI B widmet sich diesem Aspekt etwas ausführlicher.
Der denkbar größte HOHLraum: COELUM
Es wird vielleicht einmal mit Hilfe der Paläolinguistik möglich werden, den Zeitpunkt auf 100000 Jahre genau zu bestimmen, von dem an sich der Mensch intensiv mit dem Himmel und den Himmelserscheinungen Sonne, Mond und Gestirnen befaßt hat. Schon jetzt läßt sich vermuten, daß dies recht früh geschehen ist nicht, weil wir inzwischen sogar noch bei Tieren, insbesondere den Vögeln, eine zweckdienliche Himmelskenntnis zur Orientierung bei ihren weiten Wanderungen annehmen, sondern weil selbst heutige Völker, die ansonsten »auf Steinzeitstufe« leben, eine erhebliche Kenntnis besitzen, und ferner auch, weil Völker der Vergangenheit auf Steinzeitstufe - Musterbeispiel: die Maya - sich einen astronomi schen Kalender von einer Genauigkeit erarbeitet haben, die auch von uns nicht übertroffen wird. Es ist daher vielleicht gar nicht so gewagt, wenn heutige Fachkollegen behaupten, die Himmelskunde sei die erste echte Wissenschaft der Menschheit und die Mathematik ihre legitime erstgeborene Tochter. Wir wollen versuchen, uns in jene frühen Menschen zurückzuver setzen, die zum ersten Male den Himmel über sich bewußt wahrgenommen haben. Zugegeben, das haben seit der Antike immer wieder Dichter, Philosophen und Religionsgeschichtler getan. Aber uns interessieren hier weniger die philosophischen Dimensionen als vielmehr der unmittelbare Eindruck und die daraus in sprachlicher Hinsicht gezogenen Folgerungen des frühen Menschen. Des wie frühen Menschen? Es ist immer hilfreich, sich auch die zeitlichen Dimensionen mit zu vergegenwärtigen. Wenn wir anneh men, daß Homo-Arten seit 4 Millionen Jahren existieren, dann lebten die Menschen die Hälfte dieser Zeit ohne Himmel in unserem Sinne. Der war für sie ein Strickmuster von Fetzen, die tags durchs Blätterdach seines Waldes schimmerten, nachts dagegen noch diffuser glitzerten, war doch das Licht von Mond und Sternen ungleich schwächer als das der Sonne. Wie ich bei Theodor Dolezol 121
lernte, gab es sogar infolge tiefgreifender Klimaschwankungen im Tertiär Jahrtausende und Jahrzehntausende ohne Sonne, Mond und Sterne, weil die weltweit von Wolken verdeckt waren. Was uns an das englische SKY erinnert, neben dem mehr theologischen HEAVEN der »Himmel« der Briten, aber nur das Wolkenmeer der Nor weger ... Als die Menschen den Wald verließen oder, wahrscheinlich richtiger, als der Wald sie verließ, als sie in lichteren Wäldern und schließlich in der lockeren Savanne überleben mußten, da mußte auch der Himmel in ihr helles Bewußtsein treten. Und das mit zwei überraschenden Wahrnehmungen - vor allen anderen: Dieser Himmel wölbte sich rund über ihnen und hatte eine kreisrunde horizontale Begrenzung, und sie selbst befanden sich immer und unausweichlich in der Mitte sowohl der Himmelswölbung als auch in der Mitte der durch sie bestimmten Kreisfläche! Und alle Himmels körper des Tages und der Nacht bewegten sich in einem Halbkreis um sie, die Menschen. Natürlich wissen wir heute, daß all dies eine optische Täuschung war, eine Täuschung jedoch, die von unseren Vorläufern nicht anders denn als Wahrheit gesehen werden konnte. Wann immer sie daher zu KALL als dem überragenden Ausdruck für das HOHLE fortschrit ten, mußten sie KALL auch zu dem größten und ersten GeWÖLbe sagen, das ihnen begegnete! Die Himmelskörper innerhalb dieses Himmelsgewölbes wurden dann ganz von selbst gleichfalls mit KALL ausgedrückt, ebenso selbstverständlich wie wir heute noch von Himmelsgewölbe und Himmelskörper, himmelhoch und himmelblau sprechen - alles Begriffe, die man früher mit einem Wort ausdrückte. Gerade die Farbe B’LAU, im Mallorquinischen gleichfalls B’LAU, im Französi schen B’LEU, im Südeuropäischen A’ZUL und A’ZUR und dem lateinischen COERULeus sind unmittelbare Ableitungen, nein, bedeuteten ursprünglich einfach »Himmel«, wie »orange« ja auch heute noch die Orange bezeichnet. Wir werden daher in unserer Tafel 23 den Himmel zusammenbringen mit seinen Himmelskörpern, der Sonne, dem Mond und den Sternen. Sonne und Sterne sind zwar im Sprachmittelalter in vielen Sprachen zu TAG übergelaufen, und das aus guten Gründen. Himmel und Mond blieben dem KALL eher treu, gleichfalls aus guten Gründen, wie wir später entdecken werden. Es scheint, daß »australisch« auf unseren Tafeln gelegentlich, und so auch in Tafel 23, ein wenig überrepräsentiert ist. Das läßt sich 122
Tafel 23: Himmel und Himmelskörper ph-balangwa * HALAQ Mond, moon luna
polynesich bu’LAK Mond, moon LUNA
arabisch GARR Mond, moon LUNA
australisch AI’JAL * Himmel, HEAven CIEL
arabisch QARN Sonnenstrahl beam, rayo
arabisch HALAL zun. Mond, crescent crescenda LUNA
aymara anta’WALLA Komet comet
australisch QUARALLIA Stern,star estrello
arabisch HALA’t Mondhof, HALO CORONA
tungusisch di’LACA Sonne, sun sol
griechisch HALO Hof b. Mond CORONA
maya CALOCAN Himmel, HEAVen CIEL
lateinisch CAEL’um Himmel, SKY CIEL
tasmanisch wor’KALENNA Sonne, sun sol (BA)
australisch ILL’CARRIE Himmel, SKY CIEL
ilocan LANGI’t Himmel, SKY CIEL
malayisch mata’HARI Himmel, SKY CIEL
ph-batak LANG’it Himmel, SKY CIELO
maori RANGI Himmel, SKY CIELO
telugu CAN’dhe Mond, moon LUNA
aynu KAN’to Himmel, SKY CIELO
bengali CHAN’d Mond, moon LUNA
hindi NAK Mond, moon LUNA
australisch NGANGGA Sonne, sun sol
australisch NGANGOR Stem, star estrella
Sanskrit CAN’dra Mond, moon LUNA
quechua cha’CANA Sternbild, stars estrellos
quechua KANANAY Sonne 12 h, NOON sol mediodia
ph-mansaka QAWANAN Himmel, SKY CIELO
ph-ivatan GANIT Himmel, SKY CIELO
ph-allg. bu’LAN Mond, moon LUNA
tasmanisch LANA Stern, star estrella
quechua ANA LUNAR LUNAR
sumer NANNA Mond, moon LUNA
tibetisch M’KA Himmel, SKY CIELO
motilon CA’HUIN * HALO
tibetisch Z’LA Mond, moon LUNA
japanisch KAI Himmel, SKY CIELO
chinesisch LAI YANG Sonne, sun sol
lateinisch COEL’um Himmel, SKY CIELO
123
quechua
australisch
australisch
aymara
KOLL’KA
GOOLARA
KORANA
* COYLLUR
Sternbild, stars estrellos
Mondlicht, moonlight Mond, moon LUNA la luz de la LUNA
Stern,star estrella
australisch
australisch
australisch
australisch
LOOREA
COLIE
A’LONJI
GOONA’GULLA
Mond, moon LUNA
Sonne, sun sol
Himmel, SKY CIELO
HIMMEL HEAVen, CIELO
eifik
slowakisch
baskisch
thai
ENYONG
ob’LOHA
GOI
LUUG
Himmel, SKY CIELO
Himmel, SKY CIELO
Himmel, SKY CIELO
Meteor
australisch
chakaszki
australisch
australisch
KUL’KA
TSCHÜL’tys
GUR’WAL
AL’LUNGA *
Stern,Star estrella
Stern,star estrella
Himmel, SKY CIELO
Sonne, sun sol
guarani
ph-agta
aynu
rumantsch
CUARA’hi
HULAN
NIS’KURU
G’LÜNA * 1
Sonne, sun sol
Mond, moon LUNA
Himmel, SKY CIELO
Mond, moon LUNA
chakaszki
finnisch
australisch
maori
KÜN’KÜNCHA
KUUN’KEHÄ
NYUNGIE
HUANGA
Sonne, sun sol
HALO
Mond, moon LUNA
Vollmond, full moon LUNALLENA
mapuche
aynu
türkisch
australisch
HUENU
KUNNEcup
GÜNES
NUL’GERONG
Himmel, SKY CIELO
Mond, moon LUNA
Sonne, sun sol
Mondlicht, moonlight la luz de la LUNA
australisch
guarani
NURRIGA
NUAU
Mond, moon LUNA
LUNAR
rumänisch
tSCHEL
finnisch
mapuche
KUU
CÜYEN
Mond, moon LUNA
Mond, moon LUNA
griechisch
irisch
griechisch
E’LEK’tor
* GEALACH 1
HELIO-
Himmel, SKY CIELO
Sonne, sun sol
Mond, moon LUNA
Sonne, sun sol
australisch
pame
suahili
irisch
KEIN
KEN’tampa
KEN’GEE
REANNA
Mond, moon LUNA
Himmel, SKY CIELO
Sonnen, sun sol
Mond, Zeit, moon time, LUNA, edad
124
-
anglosaxon
chakaszki
quechua
arabisch
HEO’fen
ti’GIR
QUILLA
HILAL
Himmel (BA) CIELO
Himmel, SKY CIELO (TAG)
Mond, moon LUNA
1. Mondviertel la phase de la LUNA
quechua
quechua
irisch
baskisch
cata’CHILLAI
WILLKA
GRIAN
* ILLARGI
Sternbild, stars estrellas (TAG)
Sonne, sun sol
Sonne, sun sol
Mond, moon LUNA
ph-allg.
australisch
chinesisch
chinesisch
bittu’QIN
CHIN’to
XING
yue LIAN
Stem, star estrella
Sonne, sun sol
Stern,star estrella
Mond, moon LUNA
1 Im Falle ladd. G'LÜNA gerade noch, in irisch GEALACH voll erhaltene Verdoppelung.
relativieren: Es gibt über 300 australische Sprachen und Dialekte. Unsere Quellen hier stammen aus neun der wichtigeren Sprachen. Das ist natürlich mehr als das, was wir aus dem Deutschen oder Spanischen beisteuern. Aber es ist so auffällig, wie sehr diese Sprachen das KALL für unser Thema verwenden. Dabei haben wir daran zu denken, daß diese Aborigines vor 30000 Jahren ganz offensichtlich zusammen mit diesen Aspekten ihrer Sprachen ein wanderten, und noch beklemmender ist diese Perspektive bei den vor 100000 Jahren zunächst nach Australien eingewanderten, inzwi schen ausgerotteten Tasmaniern. KALL war also beiden Rassen schon voll bekannt und geläufig, denn Wörter für den Himmel, Sonne, Mond und Sterne hatten sie mit Sicherheit schon, halfen sie ihnen doch bei der weiten Wanderung, bei der Suche nach einer neuen Heimat. In dem Maße, in dem sich frühe Menschen von ihrer tropischen Urheimat weg nach Norden und Süden ausbreiteten und damit in Zonen gerieten, in denen der Übergang von Tag und Nacht und wieder zum Tag länger dauerte, mußte auch das Schauspiel des Wechsels von Tag zu Nacht und wieder zu Tag ihre Aufmerksamkeit 125
erregen und fesseln. Wer einmal weit genug im Norden erlebt hat, wie sich die »Mitternacht« dadurch auszeichnet, daß sich das Abendrot stillschweigend in Morgenrot verwandelt, der empfindet, was frühe Menschen nach dem Verlassen äquatornaher Breiten empfunden haben müssen. Irgendwann einmal ist ihnen aufgefallen, daß das Selbstverständliche der morgendlich erlebten Wiederkehr der Sonne recht eigentlich ein Wunder ist. Noch deutlicher muß sich ein solches Gefühl großen Staunens beim Mond eingestellt haben, der sein Tun und Lassen ja noch spannender macht dadurch, daß er nicht stets in der gleichen Gestalt wiederaufersteht. Wenn er Nacht für Nacht kleiner und schmaler wird, dann hat das sicher Ängste vor seinem völligen Verschwinden geweckt, Ängste, die sich ja als durchaus berechtigt erwiesen. Welche Befreiung, wenn er dann nach drei Tagen wieder neu erschien und die Nächte der Menschen wieder zunehmend erhellte. So wichtig die leuchtende und wärmende Kraft der Sonne sein mochte, mehr fasziniert hat die Menschen von jeher der Mond. Wie die Briten noch heute mit ihrer »fortnight« vermuten lassen, zählte man die Nächte, weniger die Tage, und man teilte die Zeit ein nach dem Mondrhythmus. Darüber hinaus aber vermittelten die Himmelskörper die Gewißheit der ständigen Wiederkehr, und auch in der Natur um sie herum gab es vieles, was auf eine solche ständige Wiederkehr deutete. Was Wunder, daß die Menschen schon früh auch an ihre eigene Wiederkehr dachten, denn die frühesten, aus der Zeit des Neandertalers stammenden Grablegungen, runde 100000 Jahre vor heute, bezeugen ihren Glauben an einen Neuan fang, genauer später an eine Wiedergeburt. Wenn nun so alte Grablegungen schon dadurch auffallen, daß Körper und umgebende Erdschichten mit rotem Ocker bestreut wurden, dann gebe ich am ehesten der Deutung von Marie E. P. König in unserem gemeinsam geschriebenen Buche Weib und Macht. Fünf Millionen Jahre Urgeschichte der Frau (1979) recht, wonach die Rotfärbung von Sonne und Mond bei Unter- und Aufgang die Folgerung nahegelegt habe, die Farbe Rot habe auf die Wiederkehr einen günstigen Einfluß. Bis ans Ende der Eiszeit erleben wir immer wieder diese wichtige Grabbeigabe, auch in Landschaften, die ein weiter Weg von den Fundorten roten Ockers trennte. Der Mond mit seinen drei sichtbaren Phasen stellte die DREI als Gleichnis für den Begriff der Zeit, aber auch der Wiedergeburt, und schließlich der Frau als der Vermittlerin solcher Wiederkehr ins Leben heraus. Die vielen altsteinzeitlichen Gravuren um drei Punkte, drei Linien oder Dreiecke sind alle in diesem Sinne zu lesen,
126
Tafel 24: WOLKEN, BLITZ un d Regenbogen ph-ifugao
slowakisch
bun’GAL’GAL
ob’LAK
Regenbogen, rain- WOLKE, CLOUd bow, arco iris (BA) nube
ph-balangwa te’LAG Regenbogen, rain bow, arco iris
australisch
doon’GARA B’LITZ, LIGHTning, rayo
japanisch
malayisch
ph-isneg
slowakisch
RAKU’RAI
se’KALIT
QALU’yut
MRAKY
B’LITZ, LIGHTNING, rayo
BLITZ, LIGHT NING, rayo
WOLKE, CLOUd nubes
WOLKE, CLOUd nubes
australisch
WOLKE, CLOUd nube
arabisch NAQH WOLKE, CLOUd nube
japanisch
ph-ivatan
RANUN
RAANI’RANG *
WOLKEN CLOUds, nubes
australisch
aynu
NALIN
RAYOKI
B’LITZ, LIGHT NING, rayo
Regenbogen, rain bow, arco iris ph-inibaloi
Regenbogen, rain bow, arco iris
japanisch RAIU Gewitter, storm tempestad
tibetisch
australisch
ph-kallahan
ph-manobo
KOR-SON
O’KOLYER
KUL’put
bi’LUG’tu
WOLKE, CLOUd nube
Regenbogen, rain bow, arco iris
LARK
WOLKig, CLOUdy WOLKE, CLOUd nubes nube
KOL’pot WOLKE, CLOUd nube
aynu
ph-agta
maori
koreanisch
NIS’KUR
KULAM
KAHU’KURA
KURUM
WOLKE, CLOUd nube
WOLKE, CLOUd nube
Regenbogen, rain bow, arco iris
WOLKE, CLOUD nube
australisch
ph-agta
KUN’dart
HUNG’LUN *
ph-atta KUNAM
mu’YUNU
WOLKE, CLOUd nube
Regenbogen, rain bow, arco iris
WOLKE, CLOUd nube
WOLKE, CLOUd nube
ph-tagbanwa WOLKE, CLOUd nube
polynesisch UILA B’LITZ, LIGHT NING, rayo
spanisch CELAJE WOLKEN CLOUds, nubes
griechisch KEL’as WOLKEN CLOUds, nubes
irisch
ph-bilaanu. a.
dayak
tibetisch
NEAL
* KILAQ
KILA’t
KLIG-pa
WOLKE, CLOUd nube
B’LITZ, LIGHT NING, rayo
BLITZ, LIGHT NING, rayo
WOLKig, CLOUdy con nubes
KUNUM
australisch
127
ausgehend von der einst intensiven Beobachtung des Mondes, der übrigens in den allermeisten Sprachen dieser Welt feminin dekliniert und als Frau gedacht wird. Wir kommen darauf noch einmal zurück, wenn wir die sprachlichen Engramme verfolgen, welche das Wesen Frau hinterlassen hat. Mit den Beispielen der Tafel 23 haben wir die regelmäßig wiederkehrenden Erscheinungen am Himmel herausgezogen. Dar über hinaus gibt es solche, die nicht immer zu sehen sind, wie etwa die Wolken, die Regenbogen, die Blitze und dergleichen mehr. Auch sie gehorchen, weil am Himmel, gern dem - himmlischen - KALL. Tafel 24 widmet sich daher diesen, weniger dauerhaften Himmelserschei nungen.
Die RUNdung und der REIGEN
Auch das bot der Himmel frühen Menschen als frühen Eindruck: Sowohl die WÖLbung über ihm wie auch der von ihnen rundum wahrgenommene Horizont waren kreisrund. Sie stellten zugleich den denkbar größten Kreis dar, der Menschen begegnen konnte. Kein Wunder daher, wenn sie ihre Wörter für Rundes in unmittelbarer Nachbarschaft des Himmels ansiedelten. KALL für Rundes hielt sich auch gegen alle späteren Anfechtungen besser als der sprachliche Ausdruck für Himmel. Wenn man eine beliebige Gruppe von Menschen mit einem gezeichneten Kreise und der Darstellung einer Spitze konfrontiert und sie auffordert, auf diese beiden Figuren die - angeblichen - Phantasie-Wörter TAG und KALL zu verteilen, dann werden sie sich in ihrer großen Mehrheit archetypengerecht verhalten und den Kreis mit KALL zusammenbringen. Es ist immer wieder erstaunlich, wie sehr weit voneinander entfernte Sprachen dem gleichen Trend folgen. Offenbar ist unser Hirn längst auf solche Ordnungen festgelegt. Nachfolgende Paläolinguisten werden es sich sicherlich nicht nehmen lassen, die Archetypen und ihre Folgeerscheinungen in ein wissenschaftlicher anmutendes System zu pressen und zum Beispiel Kennziffern einführen, an denen man erkennt, wieviele Schritte das jeweilige Wort vom Anfang entfernt ist. Sicherlich ein löbliches Unterfangen, unser Wort CIRCUS = KREIS etwa mit der Kennziffer K-3 zu versehen - bei der Gleichwertigkeit von -R- und -L- verrät schon der erste Schritt rückwärts CILC bzw. CIL’C die zusammen geschliffene Form einer ursprünglichen Doppelung CILIC bzw. KALAK, von der uns nur ein kurzer Sprung zur Urform bleibt. KREIS wäre dann eine K-4 (wegen des Seitensprungs von -R- wie auch in Born und Brunnen oder »burn« und brennen). Bei RUND (RUN/LUN/LUNG/LUG=KALL) hätten wir dann eine K-5 vor uns...
129
Tafel 25 A: RUNde Proben spanisch
hebräisch
spanisch
arabisch
GAL’GA
GAL’GAL
CAL’ce
LAQ
Mühlstein milling stone
Rad, WHEEL rueda
Reifen COLLAR
KURve, CURve CURva
tibetisch
ph-kankaney
suahili
hebräisch
KYAL
GAL’mat
GALA’GALA
GALAL
RUNd,ROUNd redondo
RING, RING arGOLLa
ROLLen, ROLL ROLLar
ROLLen, ROLL ROLLar
spanisch
spanisch
tagalog
arabisch
CALLAO
CAN’GALLA
* GALANG
HA LAQ
GERÖLL, gravel pedernal
KARRE, barrow CARRo
Reif, Arm-RING ANILLo
KREIS, HALO CIRCULo
ph-ivatan
hebräisch
hebräisch
* GALANG
CHUL
GIL
RING, RING ANILLo
hebr.-arabisch CHEL um-herum, around RUNd, ROUNd redondo cercando
KREIS, CIRCLE CIRCULo
KALL als Urgrund alles Runden war offenbar noch voll aktiv, als Menschen das Rad erfanden - CARRO/CAR für KARRE oder Wagen drücken das Wesentliche aus, das RUNDe Rad, das das Fortbewegen erleichtert (Tafel 25 A). Wir verlegen die außerordent lich reichhaltige Dokumentation alles Runden als Tafel XIII in den Anhang, gönnen uns aber, hier noch einer Sonderform desselben nachzuspüren, dem REIGEN (Tafel 25 B). Wir müssen nur wiederum das -R- durch ein gleichrangiges -Lersetzen, nicht nur, um bei LEIG- zu einer reinen KALL-form zu gelangen, sondern auch in die Nachbarschaft unseres LAICH, des schottischen LAIGH und vieler anderer Wörter für den meist kultischen Rundtanz. Ich glaube, man kann sogar sagen, daß alle Arten Rundtänze REIGEN, das heißt Tänze kultischen Inhaltes sind. Kultische Tänze rundum zu tanzen, konnte viele Gründe haben, aber sie waren jedenfalls auch ein Abbild der himmlischen Bahnen und symbolisierten wie später der KRANZ (K-5) die Endlosigkeit der Kreislinie und, im übertragenen Sinne, die Ewigkeit des Seins, sei es als Erkenntnis oder Wunsch. Unser LAICH für Tanz oder REIGEN steckt auch in dem kultisch
130
Tafel 25 B: Der REIGEN anglosaxon althochdeutsch mittelhochdeutsch dayak LAIK LAICH KAR’LAICH NGI’GAL REIGEN, LAIGH REIGEN, LAIGH Tanzlied,song-dance tanzen, dance * CORRO CORRO CORRO a canzon bailar
tibetisch ilocan GAR RAG’RAG’sac REIGEN, LAIGH Tanzfest, dance CORRO fiesta
türkisch HAL’KA * REIGEN, LAIGH CORRO
griechisch KALLA’bis org. Tanz, dancing bailando orgiastic.
ungarisch KALA’maika Tanzart, folk dance bailando
quechua WAYLLACHA REIGEN, LAIGH CORRO
Siam LAKON Tempeltanz, dance baile del templo
gälisch malayisch CAROL GARONG REIGEN, LAIGH kult.Tanz, dance CORRO baile cultico
griechisch KALLINIR’os att. Tanz, dance baile attico
am.-spanisch CALIN’da Tanz, dance baile de negros
hindi kata’KALI Kulttanz, dance baile cultico
dayak be’LANGI tanzen, dancing' bailar
griechisch GLAU’z Tanz, dance baile
suahili CHAN’do REIGEN, LAIGH CORRO
duala NGAN’do Tanzfest, dancing fiesta de baile
aymara HUAYNO Kulttanz, dance baile cultico
maori KANI’KANI tanzen, dancing bailar
chinesisch SUAN SCHAN REIGEN, LAIGH CORRO
maori irisch HA’KA LAOI REIGEN, LAIGH Tanzlied, LAIK CORRO CORRO
englisch LAY Tanzspiel baile
tasmanisch LOGARA Tanzspiel, LAY CORRO
altdeutsch CHORAL REIGENlied, LAY CORRO
setswana KHORA’se REIGEN, LAIGH CORRO
kroatisch KOLO REIGEN, LAIGH CORRO
maya spanisch COLOM’che CORRO REIGEN, LAIGH REIGEN CORRO LAIGH
australisch CORRO’boree REIGEN, LAIGH CORRO
bretonisch COROLL REIGENlied, LAY CORRO
australisch KORO’bra tanzen,dance bailar
griechisch CHOREA REIGEN, LAIGH CORRO
griechisch KOYREI’os Tänzer, dancer bailador
hethitisch GALA Tanz, dance baile
schwyzerisch CORAULA REIGENlied, LAY CORRO
griechisch KOLEA Tanzart, dance modo de bailar
131
hebräisch CHUL REIGEN, LAIGH CORRO
aynu HORI tanzen, dance bailar
Mexico
hawai HULA Tanzplatz, place for Tanzart, dancing cult-dances, baile baile de pais
CUFCUIL’co
aymara tho’KOÑA tanzen, dance bailar
quiché SCHTZUL Maskentanz, dance in masks, bailar
spanisch GUARACHA Tanzart, dance baile antiguo
australisch NGRIL’KULUN tanzen, dance bailar
Tänzer, dancer bailador
suahili quechua KUNG’wia HUAYNO REIGEN, LAIGH REIGEN, LAIGH REIGENlied, LAY CORRO CORRO CORRO
arch, suahili
chakaszki
GUNGU
o’JYN
griechisch
GRYLL’os
guaraní
CURURU
mapuche RÜNCAN REIGEN, LAIGH REIGEN, LAIGH tanzen, dance CORRO CORRO bailar
suahili u’NYAGO Tanzritual, dancerite, ritual de bailar
hethitisch
irisch
tar’KUAI
CEILI
tanzen, dance bailar (TAG)
Tanzfest, dancing fiesta de bailar
malayisch o’LEK Tanz, dance baile
zigeunerisch
griechisch
KELLE’ben
CHELI’CHELONE
nordisch LEK Tanzspiel, dance bailada
REIGEN, LAIGH Ringtanz, ring-dance baile anular CORRO
deutsch
Timor
REIGen
* LIKURAI
LAIGH CORRO
Rundtanz, roundlay, CORRO
tasmanisch LIKE’ALI * REIGEN, LAIGH CORRO
tasmanisch LENE Tanzspiel, dance CORRO suahili SHINA Tanzart, dance baile
1 Der Begriff »Tanz« ist hier mit einbezogen, weil im Laufe der Zeit das Wort für Reigen auch auf das Tanzen allgemein übertragen wurde. Auch dem BAILAR hört man nicht mehr an, daß es einst ein sexuelles Vorspiel bezeichnete, was wahrscheinlich auch von TAG-Tänzen gesagt werden kann.
132
so reichen und auf vorchristliche Bräuche zurückgehenden »Fron leichnam«, der nichts mit einem »Leich-nam«, sondern nur mit dem LAICH, dem kultischen REIGEN zu Ehren einer »Fron-vrouwenFrauen« zu tun hat, das heißt also mit den Frauen- und Wiederge burtskulten der Altsteinzeit bis in die letzten Jahrtausende vor unserer Zeitrechnung. Es dürfte kaum ein Volk auf dieser Erde geben, das nicht den kultischen Rundtanz kennt und bis in jüngste Zeit ausgeführt hat, und ebensowenig kaum eines, das dabei nicht sprachlich auf die KALLform parallel zu LAIGH und REIGEN zurückgegriffen hat. Gewiß hat der Tanz zunächst einen sexuellen Ursachenstrang in seiner frühen Funktion, eine sexuelle Vereinigung vorzubereiten, wie er uns aus der Tierwelt bekannt ist. Nicht nur sprachlich scheint mir daher das, was die Spanier bei ihren Tänzen BAILAR nennen, mit unserer BALZ innig verwandt. Das soll spätere Veredelungstenden zen nicht schmälern, wie sie in der BALLADE, einem getanzten Lied im Dienste der Überlieferung eigener Sagen und Mythen, zum Ausdruck kommt. Der andere Ursachenstrang, der zum Tanze führte, war tief religiöser Art, war kultisches Ritual. Geradezu Beklemmung über fällt den Nachdenklichen angesichts der Fakten: Urmongolische Völker sprechen von GAR, Urkelten von CAROL, Malayen von GARONG, Spanier von CORRO, Aborigines von CORRO’boree und Indios aus dem zentralen Südamerika von CURURU, während sich dem europäischen LAICH und LAIGH die Thai mit LAKON und die Eingeborenen Timors mit LIKURAI annähem, unterstützt von Kroaten und Maya mit KOLO und COLOM’che! Wenn sprachlich so kongruente Formen die gleiche Sache bezeichnen, nämlich den kultischen Rundtanz, dann bleibt uns heute Forschen den die beinahe bange Frage: Wie alt sind diese Bräuche, wenn sie in so verschiedenen Orten noch gleich genannt werden?! Müssen sie nicht zu einer Zeit schon bestanden haben, als die angehende Menschheit noch so nahe miteinander verbunden war, daß sich ein irgendwo aufspringender Impuls noch allen anderen Gruppen mitteilen konnte? Und da der Rundtanz die Himmelsbeachtung und schließlich -beobachtung zur Voraussetzung hat, welch unermeßliche Zeiträume mögen vergangen sein, seit die ersten Menschen das Himmelsgewölbe (wie wir noch) KALL nannten und darunter neben seiner Hohlheit auch seine Rundung verstanden? Und wie alt ist dann der Archetyp KALL? Steine KALL zu nennen, bildet die Ausnahme und geht wahr 133
scheinlich auf die Benennung runder Kiesel zurück, die nicht nur als handliche Werkzeuge zur Zerkleinerung zäher Nahrung dienten, sondern auch bei Grablegungen eine Rolle spielten, in Kreisform um Schädel oder Körper gruppiert, vielerorts und schon früh. Schon zur Zeit des nach Portmann so sprachlosen Neandertalers. Ja, noch früher. Wenn die Rundung der Welt einen so tiefen Eindruck auf frühe Menschen gemacht hat, dann liegt nahe, daß man diesem Weltgefühl oder dieser Welt-Anschauung (im wörtlichen Sinne) Ausdruck zu geben versuchte. Man fand Steine, die gewaltsam bearbeitet wurden, um sie rund zu machen. Und es grenzt an ein Wunder des gütigen Zufalls, wenn man bei Achenheim nahe Straßburg am Boden einer heutigen Kiesgrube unter 17 (in Worten: siebzehn) Metern Rhein ablagerung versinterte Lehmkugeln fand, die so die Zeiten überdau ert und die Fingerabdrücke der Menschen, die sie vor - und das ist kein Druckfehler! - 300000 Jahren geformt hatten, an uns überlie fert haben. Auch der gleichaltrige Schädel inmitten der Höhle von Tautavel war ja nicht nur hohl, sondern auch rund wie der Himmel über und die Kuppel in der Höhle der Pyrenäen. HOHL und RUND, von Himmel, Höhle und Schädel, dieses vielfache KALL war sicherlich schon für diese frühen Menschen nicht ohne besondere Bedeutung... Sonst hätten sie ja nicht noch runde Kiesel dazugelegt. Siehe die Tafel 26. Im Solutreen-Aurignacien beginnen jene steinzeitlichen Frauen statuetten, die der Forschung manch ein Rätsel aufgaben. Da so nur Frauen dargestellt waren, entstand die Mär von den fettsteißigen Damen der Eiszeit, die sich auf diese Weise, den Karakulschafen ähnlich, durch den Winter gebracht haben sollen. Eine Deutung, die nie zustandegekommen wäre, wenn man auch Männer so dargestellt hätte. So aber fiel es den durchweg männlichen Forschern leicht, die Statuetten für bare Münze zu nehmen und sich für sich selbst ein klassischeres Ideal zu bewahren... Wenn aber für frühe Menschen alles Runde so besonders symbolträchtig war, dann war die Überbe tonung weiblicher Rundungen ein einfacher und griffiger Ausdruck für die damals weiblich bestimmte Welt und die Verewigung des Lebens durch Wiedergeburt. Als der ursprüngliche Sinn der betonten Rundung vergessen war, wurden die Gestalten der steinzeitlichen Damen zunehmend schlanker - am Ende fiel der Übergang zum antiken Schönheitsideal vom weiblichen Körper gar nicht mehr sonderlich schwer. Aber für uns sind diese aus lauter Rundungen bestehenden
134
Tafel 26: Steine und GERÖLL lateinisch
griechisch
tibetisch
quechua
CAL’culus
LAX
LHAG
KALL’ca
kl. Stein, small stone, CANtos
Stein, stone piedra
rd. Stein, rd. stone piedra redonda
Geröll, GRAVEL CANtos
quechua
aymara
spanisch
slowakisch
KALA
KALLA
LAJA
SKALA
Stein, stone piedra
Stein, stone piedra
Kiesel, pebble GRAVA
Stein, stone piedra
tasmanisch
irisch
arabisch
spanisch
mun’GARA
GALLAN
HALAM’bus
CALEJO
Flintknollen, flint piedra de chispa
Pfeilerstein, rd. Seg Flintknollen, flint ment, piedra pilar piedra de chispa
Stein, stone piedra
griechisch
mapuche
lateinisch
laddinisch
CHALIX
LLANCA
G LAREA
GRAVA
GERÖLL, pebble GRAVA
Stein, stone piedra
Kiesel, GRAVEL GRAVA
GERÖLL, GRA VEL, GRAVA
australisch
australisch
mapuche
quechua
KAAIN
HANYA
CANCA
WANKA
Stein, stone piedra
Stein, stone piedra
Stein, stone piedra
Stein, stone piedra
griechisch
etruskisch
irisch
aymara
LA’os
LAU
* CLOCH
* KOLAKA
Stein, stone piedra
Stein, stone piedra
Stein, stone piedra
Mahlstein, milling st., GALGA
kalmückisch
finnisch
englisch
aymara
* CHOLONG
KOLU
LOGAN
KJONA
Stein, stone piedra
Stein, stone piedra
Waagenstein piedra escala
Mahlstein, milling stone, GALGA
maori
suahili
mapuche
australisch
KO’hatu
KUUN’GO
CURA
CHURINGA
Stein, stone piedra
kl. Stein, small stone Stein, stone piedra pequeña piedra
welsch
irisch
altnordisch
aymara
LECH
LEAC
HELLUR
LLINKA
Stein, stone piedra
Stein, stone piedra
Stein, stone piedra
Stein, stone piedra
Steinamulett piedra de adorno
irisch
arabisch
mapuche
thai
LIAG
QILA
LICAN
HIN
Stein, stone piedra
Stein, stone piedra
GERÖLL, pebble GRAVA
Stein, stone piedra
135
Statuetten ein materieller Beweis mehr für den bedeutsamen Sinngehalt alles Runden. Dieses Runde aber, man erinnere sich, ging von der Beachtung des Himmelsgewölbes aus. Wenn schon KALL den Himmel eroberte, dann natürlich eine weitere wesentliche Eigenschaft desselben gleich mit, wie im nächsten Kapitel ausgeführt.
Das HELLE KALL
Die große Höhle über der Erde ist zuerst und vor allem der Tummelplatz der Sonne. Für uns heute so selbstverständlich, daß wir keinen Gedanken mehr daran verschwenden. Das war sicherlich bei frühen Menschen nicht anders, wenn auch aus anderen Gründen. Irgendwann aber fiel ihnen auf, daß es tagsüber HELL war, und weil Wörter wie HELL und LEUCH’ten so nahe bei Wörtern für Himmel angesiedelt wurden, erkennen wir heute, daß es eben doch eines Tages auffiel, dieses Hellsein. Mag sogar sein, daß das weniger Selbstverständliche zuerst auffiel, die Tatsache nämlich, daß der Himmel auch dann hell war, wenn die Sonne nicht zu sehen war! Und wir erinnern uns wieder des Umstandes, daß es Zeiten gegeben hat, während derer Wolken aufgrund von Klimaschwankungen jahrtau sendelang die Sonne verhüllten. Trotzdem genügte das die Wolken decke durchdringende Licht, die Welt der Menschen zu erhellen und die Pflanzen Blätter und Früchte tragen zu lassen. Die Generationen kette wurde durch solches Geschehen nicht unterbrochen. Nur der Generalnenner Himmel erlaubt es auch, gewisse seltsame Nachbarschaften zu erklären, etwa die von griechisch LEUK’os (weiß) und unserem LEUCH’ten (vgl. Tafel 27). Der Wortkern ist offensichtlich der gleiche. An einem sehr hellen Tage ist der Himmel tatsächlich fast weiß, so daß man Verständnis dafür aufbringen kann, wenn dies einstmals nicht zu definitiv unterschieden wurde. Eine andere Seltsamkeit stellt das romanische Wort für weiß, BLANCus, BLANCo oder BIANCHo dar. Was hat unser BLANK damit zu tun? Jedenfalls ist es das gleiche Wort. Nun, diese kleinen Sinnverschie bungen für im Grunde doch eine gleiche Sache kennen wir schon von zum Beispiel englisch »small« und »schmal« oder »gross« und »groß«. BLANK aber und seine romanischen Geschwister sind eine sehr eng gruppierte BA/KALL-Verbindung. Das -B-, das von BA übriggeblieben ist, geht auf die Form BAL für den hohen und daher langer oder immer mit Schnee bedeckten Berg zurück, und genau das 137
Tafel 27: LEUCHten und HELLIGkeit arabisch HALL GRELL. Schein GLARE, CHILLON
ph-isneg QAL’GAW Tag, day dia
welsch LLACHR HELL, LIGHT CLARo
marathi JAL Feuerschein, fire fuego
bengali uj’JAL HELL.LIGHTLUGd, CLARo
arabisch GARR HELL, LUCid CLARo
australisch Tag,day dia
tibetisch LHAGGE KLAR, CLEAR CLARO
hebräisch HALAL LEUCHten SHINE, LUCir
laddinisch slowakisch CHALA ZIARA LEUCHten, LIGHt Feuerschein, fire LUCir fuego
suahili NGARA HELL, SCHEINEN SHINE, LUCir
malayisch NJALA Flamme, flame Hama
ph-kalinga QALLAW Tag, day dia
aymara KALLAL LEUCHten SHINE, LUCir
ph-samal QALLO Tag, day dia
griechisch HALO SCHEIN, HALO resplando
GAR’bu
australisch NUN’KALO’we LICHt.LIGHt LUZ
bengali
uj’JAL
Feuerschein, fire fuego
LEUCHten SHINE, LUCir
tungusisch
hethitisch HAR HELL, bright CLARo
GAR’pa strahlen, radiate radiar australisch
setswana
KALLA
GALA’LELA
Feuer, fire fuego
HELL, SHINING dar LUZ
spanisch
CHALANA Feuerschiff LIGHT-ship hebräisch KALLAI LICHt, LIGHt LUZ
quechua
LLANKA GRELL, GLARE CHILLON
australisch
akkadisch
LARONG
KALU
LICHt.LIGHt LUZ
HELL, CLEAR CLARO
HELL, CLEAR CLARO
schottisch
GRELL, GLA RING, CHILLON
australisch KLAR’tin GLÄNZEN SHINE, BRILLAR
chinesisch
quechua
SCHANdien
KAN’CHAY
funkeln, sparkle reLUCir
HELLE, LIGHtness, CLARIdad
spanisch
griechisch KAN’dele Fackel, torch CANdela
138
tibetisch
GAL’me
finnisch
irisch CLAR KLAR, CLEAR CLARo
KERZE CANDLE
türkisch par’LAK GRELL, GLA RING, CHILLON
VALO
akkadisch HALU HELLsein.be CLEAR, ser CLARo
CAN’dela
ph-ifugao QAL’GO Tag, day dia
GLAIK’it
quechua
ph-manobo
Sanskrit
tibetisch
CAN’CHA
QAN’diw
CAN’dami
od-CAN
LEUCHten LIGHT, ¡Iluminar
TAG, day dia (TAG)
GLÄNZend,SHIHELL sein, be LIGHT, ser CLARO NING, brillar
japanisch
japanisch
slowakisch
eifik
to’KAN
chu’KAN
KA’HAN *
I’KANG
BeLEUCHtung LIGHTing
Tag,day dia
Lampe, lamp lampara
Feuerschein, fire fuego
tasmanisch
suahili
suahili
aymara
LAINA
KIANGA
ANGA
KJANA
Buschfeuer,bushfire starker Schein fuego de bosque resplandor forte
LICHT, LIGHT LUZ
LICHT, LIGHT LUZ
suahili
aymara
ilocan
arabisch
M’CHANA
KHANA’ki
SlL’NAGAN
NAHAR
TAG, day dia
KLAR, CLEAR CLARO
beLEUCHten, illu HELLes LICHt LIGHt, LUZ CL. minate, -nar
griechisch
quiché
ilocan
tibetisch
GÁN’os
CANI’COU
NALA’wag
S’NAN-ba
HELLE, LIGHtness
LEUCHten, LIGHt strahlend, bright ¡Iluminar LUCIENte
ilocan
ilocan
LICHt, LIGHt LUZ
japanisch
suahili
ag’RANG’RANG'’ag’RANIAG
RAN’RAN
NGAA
GLÄNZEN, SHINE glitzern, sparkle brillar blaze, brillar
GLÄNZEND bright, brillando
GLÄNZEN SHINE, brillar
polynesisch
tasmanisch
arabisch
tagalog
LAH
KAUA
LAUH
I’LAW
LICHt, LIGHt LUZ
Feuer, fire fuego
LEUCHten, LIGHt LICHT, LIGHT LUZ illumenate
australisch
griechisch
tibetisch
irisch
KAI’KAI
KAI’o
S’KYA
LOCH’RANN *
LICHT, LIGHT LUZ
brennen, burn quemar
HELL, CLEAR CLARO
Fackel, torch antorcha
australisch
quechua
türkisch
welsch
COLOR
QOYLLU
GÖRÜN
GOLEUNI
Flamme, flame llama
GLANZ, SHINE brillo
SCHEIN, SHINE brillo
LICHt, LIGHt LUZ
tibetisch
tibetisch
thai
tibetisch
GLON-ma
KROL-KROL
KOONG’faj
RKYON-tse
Latente, lamp lampara
GLÄNZEN SHINE, brillar
Feuer, fire fuego
KERze, CANdle CANdela
139
ph-subnun
irisch
tasmanisch
quiché
GON’dow
COINNEAL
NOOENA
CHUL
Tag, day dia(TAG)
KERze, CANdle CANdela
Feuer, fire fuego
GLÄNZEN SHINE, brillar
hethitisch
slowakisch
quechua
lateinisch
LUK
LUC
LLIUK
LUX
HELL, LIGHt CLARO
Strahl, beam rayo
LEUCHten,LIGHt LICHt.LIGHt illuminate LUZ
Sanskrit
australisch
finnisch
quiché
RUK
KUL’KUN *
KUUL’to
ca’CHUL
HELL, LIGHT CLARO
Fackel, torch antorcha
HELL, LIGHt CLARO
HELL, LIGHT CLARO
australisch
arabisch
batak
welsch
KUR’LA
GURRAN
Sulu
Syllu
FEUER, fire fuego
HELL, CLEAR CLARO
Fackel, torch antorcha
GRELL, GLARING, CHILLON
lateinisch
telugu
telugu
australisch
LUCU’lentus
veLUGU’ta
ve’LUSURU
NGOR’KULLE
sehr HELL, bright muy CLARO
LEUCHten,LIGHt LICHt.LIGHt illuminate, LUCir LUZ
NA-indianisch
schottisch
lateinisch
lateinisch
KYLE
SKYRE
LUCERN’a
LUC’ere
Lampe, lamp lampara
SCHEINEN SHINE, esplandor
Lampe, lamp lampara
LEUCHten LIGHt, LUCir
laddinisch
norwegisch
chakaszki
schwedisch
LUCID
LYK’t
TSCHYL’tyra
LJUS
HELL, CLEAR CLARO
LEUCHte, lamp lampara
funkeln, sparkle brillar
LICHt, LIGHt LUZ
laddinisch
tibetisch
australisch
chinesisch
G’LÜSCH *
D’GUN
NGUN’GYEN *
GUAN
LICHt.LIGHt LUZ
Mittag, NOON mediodía
LEUCHten, LIGHt LUCir
LICHt, LIGHt LUZ
arabisch
HELL, flame llama y CLARO
chinesisch
polnisch
tagalog
GUAN XIANG
LUNA
LUNING’NING NUR
LICHtstrahl, beam Feuerschein, fire brillo del fuego rayo de LUZ
GLÄNZend, SHINING, brillando
Himmelslicht, skylight, LUZ del cielo
suahili
chinesisch
irisch
tungusisch
NURU
HUO
GEAL
GEL’tara
HELLE, LIGHt CLARIdad
Feuer, fire fuego
GLÄNZend, SHINING, brillando
HELL, LIGHt CLARO (TAG)
140
japanisch REKKA HELLes Feuer, fire fuego bien claro
irisch GEALAN HELLE, LIGHtness, CLARIdad
finnisch HELAKKA strahlend, spark ling, brillando
griechisch LEUK’os auch HELL, KLAR, CLEAR, CLARO
tungusisch GERE HELL werden, get LIGHt, ponerse CL
irisch GLEIGEAL sehr HELL, very CLEAR, m. CLARO
welsch dis’GLEIR’io LEUCHten, LIGHt LUCir
suahili KEN’GEE Strahl, beam rayo
tasmanisch LENA Tageslicht, day light, LUZ del dia
polynesisch NERENE LICHt, LIGHt LUZ
arhuaco GEI LICHt, LIGHt LUZ
tungusisch GIL’ta HELL, LIGHt CLARO
japanisch CHIRA’CHIRA schimmern GLEAM, reLUCir
quechua CHIRAU HELL, CLEAR CLARO
australisch oolie’KIRRA HELL, CLEAR CLARO
australisch ba’RINGA LICHt, LIGHt LUZ
japanisch RINKE schimmern GLEAM, reLUCir
finnisch KILO schimmern GLEAM, reLUCir
slowakisch LIGO LEUCHten, LIGHt brillar
akkadisch KILO’tu Feuer, fire fuego
finnisch KIILLE GLÄNZEN SHINE, brillar
quechua ILLAY LEUCHten, LIGHt LUCir
maya KIN Tag, day dia
ph-subnun GIN’daw Tag, day dia
ilocan KINA’LAWAG LICHt, LIGHt LUZ
anglosaxon SCIN’an SCHEINen brillar
japanisch NIKKO SonnenSCHEIN LIGHt, LUZ d.sol
tagalog NIN’gas Flamme, flame Hama
gleiche tut der Rest LANK/LAK für Berg zu einer Zeit, als man KALL für Kopf zu verwenden sich angewöhnt hatte. Und da BA’KAL oder BAL’KAL sich umgekehrt, das heißt als BAL’LAK leichter und als BAL’LANK besser spricht, entstand nach und nach B’LANK. Aus den gleichen Elementen entstand auch B’LEICH, im Finnischen eine KALL/BA-Gruppierung: KAL’PEA, in umgekehr ter Folge das gleiche. Alle Farben gehen auf ganz einfache Gedankenverbindungen zurück wie bei »blau« und »orange«. Das B’LAU der Mapuche-Indios dreht nur wieder die Aufeinanderfolge 141
um: CALL’FÜ. Ja, selbst unser GRÜN fand ich bisher noch zweimal fast buchstabengetreu - mapuche CARÜN und tungusisch CURIN — und Dutzende Male in der gleichen Struktur. Nur zu natürlich ließe sich auch die Wärme hier mit einordnen. Es sind aber zwei weitere Ursachenstränge für Wärme denkbar, die bei KALL-Formen wirksam geworden sein können — einmal das schon früh verwendete Feuer, und zum anderen die mütterliche Wärme als unmittelbar körperliche Empfindung. Und denken wir auch jetzt schon daran, welch ungeheure Bedeutung künstliche Helligkeit gewann, als die Menschen began nen, natürliche Höhlen zu betreten, auszukundschaften und zu benutzen, rund eine Million Jahre vor unserer Zeit.
Das Feuer
In meinem 1974 in München erschienenen Buche Protokolle der Steinzeit beschrieb ich zum ersten Male ausführlicher die besondere Rolle des Feuers in der menschlichen Sprache. Durch die Zusam menarbeit mit den Professoren Doris und David Jonas sowie Marie E. P. König bei den folgenden Arbeiten habe ich viel hinzugelernt. Da das erstgenannte Buch seit Jahren vergriffen und angesichts der Erwartung dieses jetzt vorliegenden Buches nicht anzunehmen ist, daß es noch einmal neu aufgelegt wird, werden wir uns hier mit der Gründlichkeit, die das Teilthema verdient, mit dem Phänomen »Feuer« befassen müssen. Hätten das vor meiner Begründung paläolinguistischer Forschung beliebige andere Sprachwissenschaftler getan, dann wären sie nicht nur selbst zu Begründern der Paläolinguistik geworden, sie hätten ihre Wissenschaft damit auch vor so laienhaften Axiomen bewahrt, wie es die von der Unbeweisbarkeit eines gemeinsamen Ursprungs menschlicher Sprache war. Sie wurde auch nicht dadurch wahrer oder weniger blamabel, weil sie ständig wiederholt wurde und in kaum einer einschlägigen Doktorarbeit fehlen durfte. Spätestens zu Beginn dieses Jahrhunderts, als die ersten Funde und Fakten der Urge schichtsforschung ans Licht kamen, hätte man die mögliche Unhalt barkeit solcher Thesen ahnen und entsprechend vorsichtiger werden müssen. Aber niemand war auf die Idee gekommen, besonders schwergewichtige Erscheinungen menschlichen Lebens auf ihren Niederschlag in der Sprache hin zu untersuchen und zu vergleichen. Das gilt nicht nur für das Feuer, da aber ist es besonders eklatant. Man hat sich dadurch die Gelegenheit entgehen lassen, gleich drei Urformen auf einmal zu entdecken. Wir ahnen heute aufgrund anthropologischer Forschungsfort schritte, daß es durchaus mehrere Ansätze zu einer Lautsprache gegeben haben kann, da mehrere schon früh wieder ausgestorbene Homo-Vorläufer von der Anatomie her in der Lage gewesen sein 143
dürften, auch zu sprechen. Für die Gruppe aber, die vor Jahrmillio nen damit begann und über den Homo sapiens sapiens bis zu uns führte, hat Sprache einen gemeinsamen Ursprung, dessen Formen über die Brücke der Generationenkette bis zu uns Heutigen weitergereicht wurde. Wir haben also nicht nur einen gemeinsamen Ursprung, wir sprechen auch im Grunde immer noch die gleiche Sprache. Das hinfort erkennen zu lassen, ist die Aufgabe dieses Buches. Zurück zum Feuer. So ziemlich alles im Leben der Menschen begann mit einem Zufall. Ein Blitzschlag brachte sie irgendwann einmal in die Reichweite eines sich ausbreitenden Brandes. Das geschah kaum in ihrer wahrscheinlichen afrikanischen Waldheimat, da tropische Dschungel viel zu feucht sind, um nach einem Einschlag gleich lichterloh zu brennen. Erst als die Wälder zu Savannen wurden, imprägnierte sich die Flora mit ätherischen ölen bis hin zu Harzen gegen allzu schnelle Verdunstung des knapp gewordenen Wassers. Dann und dort brannte es lichterloh, wenn ein Blitz in Baum oder Büsche schlug. Zunächst einmal wird das unsere frühen Menschen wie die Tiere auch in Angst und Schrecken versetzt und zu wilder Flucht veranlaßt haben. Aber nicht allzulange. Die größeren Tiere der Savanne und vergleichbarer Regionen haben gelernt, die in aller Regel nicht sehr breite Feuerwand mit großer Schnelligkeit oft unversehrt zu durchbrechen. Außerdem konnten unsere frühen Vorfahren beobachten, wie sich unmittelbar hinter dem Buschfeuer kleine und große Raubtiere sowie Greifvögel über einen mit verletzten oder umgekommenen Kleintieren gedeckten Tisch her machten und sich gütlich taten. Die Menschen hatten längst gelernt, erste Fleischnahrung schätzen zu lernen, indem sie andere Aasfresser von den Resten gelegentlicher Raubtierbeute in ihrem Habitat verjagten. Das taten sie dann auch mit denen, die sich die leichte Beute nach einem Buschfeuer einverleiben wollten. Genau auf diese zufällige Weise entdeckten sie, daß gegartes Fleisch ebenfalls gut schmeckte, vor allem aber leichter zu essen war - denn die Menschen hatten ja das Gebiß von Pflanzenfressern und taten sich mit zähen Fleischbissen schwer. Es war mühsam, größere Brocken zu Mus menschenmundgerecht zu zerstampfen, wogegen das, was aus dem Feuer kam, ohne verbrannt zu sein, wohltuend leicht zu kauen und zu schlucken war. Es hat sicherlich Jahrtausende gedauert, bis man den nächsten Schritt tat, bis man sich ein eigenes kleines Feuer herüberrettete in das eigene Habitat und es dort solange unterhielt, wie man dort
144
verweilte. Und noch einmal Jahrtausende dürften vergangen sein, bis man die erste große Erfindung auf diesem Gebiete verwirklichte, bis man das Feuer transportabel machte. Das Ergebnis reicht bis in unsere Zeit: Man verbirgt einige Glutreste in Asche und trägt dieses in einem Behältnis mit sich herum, bis man wieder einmal ein Feuer braucht. Dann bläst man die Glutreste an und entzündet zunächst trockene Gräser und dünne Zweige oder bei den Lappen Birkenrinde und dünnes — noch grünes — Birkenreisig und hat binnen kürzester Zeit ein neues Feuer. Früh schon bemerkte man auch, daß die jeder Kreatur eingeborene Angst vor Feuer nächtliche Raubtiere von einem Lagerplatz fernhielt, der erleuchtet war. Man gewöhnte sich daran, genug Brennmaterial für die Nacht bereitzulegen und sich beim Bewachen und Unterhalten des Lagerfeuers abzulösen. Eine gewaltige Wende: Einst gefürchtet, war das Feuer nun beherrscht. Beherrscht, um es zu nutzen. Zum Wärmen und Garen der Nahrung, zum Erleuchten während der Nacht und damit zur Abwehr von Gefahren aus dem Dunkel. Und zum Wärmen gegen die Kühle der Nacht. Und noch einmal spielte das Feuer eine entscheidende Rolle: Als die Menschen in Landschaften vordrangen, in denen es Höhlen gab. Höhlen zu betreten und zu erforschen und schließlich zu nutzen, war von kontrollierbarem und jederzeit wiederholbarem Zünden von Feuer abhängig. Ein Lebenselement aber, das so einschneidende und das Leben erleichternde Eigenschaften entwickeln ließ, mußte auch und erst recht in der Sprache seinen Niederschlag finden. Und das tat es denn auch, weiß Gott! FEUER und WÄRME sind noch heute BA-Formen, die sich im Altertum der Sprache bildeten, zu KALL fortschritten und bei TAG endeten, als der Mensch offenbar seine nächste große Erfindung hinter sich hatte, das Entzünden von Feuer nach eigenem Willen! Zunächst BA (Tafel 28). Immer wieder einmal ist BA in Wörtern für Feuriges mit den späteren KALL und TAG gekoppelt, das heißt, das BA-Element hat sich behauptet. Für unsere FAK’kel (BA/KALL) sagt man auf suahilisch BA’HALUI - und das ist genau die gleiche Zusammen stellung der beiden Archetypen in einem Wort. Da denkt man leichthin, man habe in einem Wort wie FACKEL oder PFLUG ein Wort vor sich, und in Wirklichkeit sind es deren zwei, und manchmal sogar deren drei oder vier. Wer das übersieht, hat es nicht leicht mit der Sprachforschung. 145
Tafel 28: BA und das Feuer finnisch
suahili
parné
quechua
PAH’de
BA’halui
MPA
illa’PA
Hitze, heat calor (TAG)
FAckel, torch antorcha
Sonne, sun sol
B’LITZ, lightning . rayo (KALL)
irisch
finnisch
finnisch
suahili
PAI’deoge
PAI’VÄ *
PAI
WAA
FAK’kel, torch antorcha (TAG)
Sonne, sun sol
hell, warm, light warm, claro
hell, clear claro
deutsch
griechisch
lateinisch
japanisch
WAB’ern
PHAO
FA’VILLA
BOBO
flammen, flame quemar
strahlen, radiate radiar
Glut, embers braza
entflammen kindle, encender
tagalog
japanisch
lateinisch
lateinisch
A’POY
BOYA
FOV’ere
FA’cula
FEUER, FIRE FUEGO
FEUER, FIRE FUEGO
WÄRMEN, WARM FAK'kel, torch calientar antorcha (KALL)
deutsch
romanisch
suahili
lateinisch
an’FACH’en
FOC
FOKA
FOC’us
kindle encender
FEUER, FIRE FUEGO
erhitzen, heat calientar
FEUERstelle, FIREplace, chiminea
quechua
suahili
suahili
schottisch
PUK’tik
li’PUKA
FUKA
BEEK
heiß, hot caliente (TAG)
flammen, BURN quemar
FEUER, FIRE FUEGO
WÄRMen,WARM calientar
suahili
phönizisch
altenglisch
sumerisch
PIKA
BAAL
BALE/BAEL
BEL
erhitzen, heat calientar
Sonne, sun sol
gr. FEUER gran FUEGO
Sonne, sun sol
hebräisch
germanisch
finnisch
baskisch
BAAL
BAL’dur
PAL’aa
LAB’a
Sonne, sun sol
Sonnengott, sungod, dios de sol
BRENNEN,BURN FEUER, FIRE FUEGO quemar
nordisch
altenglisch
finnisch
japanisch
BAL
BOL
POLA
to’BORU
gr. FEUER, big BRENNEN,BURN gr.FEUER, FIRE gran FUEGO FIRE, gran FUEGO quemar
BRENNEN,BURN quemar (TAG)
altenglisch
tibetisch
sumerisch
akkadisch
BEOR’nen
BAR’BA
BAR
BAR’ku
BRENNEN BURN, quemar
BRENNEN BURN, quemar
Leuchten, light ¡Iluminar, lucir
B’litzen, lightning, rayar
146
deutsch
arabisch
englisch
japanisch
WARM
BAR’Q
s’PARK
tea’BURI
WARM caliente
Blitz, light ning, rayo
FUNKEN centilla
BRENNEN,BURN quemar (TAG)
lateinisch FURN’us Ofen, stove estufa
griechisch PYR FEUER, FIRE FUEGO
französisch FEU FEUER, FIRE FUEGO
tibetisch
ME FEUER, FIRE FUEGO
nordisch
.lateinisch
FYR
FERV’ere
FEUER, FIRE FUEGO
erhitzen, heat calientar
ibo
französisch
finnisch
ok’POFUFU
FOU’dre
PUH’de
Hitze, heat calor
Blitz, lightning rayo
Licht, light candela
japanisch Bl’on WARM, WARM caliente
altägyptisch
norwegisch
BES
PEIS
FEUER, FIRE FUEGO
FEUERstelle, chimney, chiminea
Wie aber konnte sich KALL so zahlreich in den Themenkreis FEUER und WÄRME hineindrängen, wie wir auf nachfolgenden Tafeln hier und im Dokumentationsteil sehen werden? Der Paläolinguist sieht, wir wiederholen es, in dem kategorischen Imperativ des HOHLEN Ursache und Fortwirken von KALL. Der Himmel war ein solcher Hohlraum, den sprachlich zu besetzen KALL leicht fallen mußte. Wesentlicher Bestandteil des Himmels ist die Sonne, neben dem mütterlichen Körper die erste zu erfahrende und auf Dauer wichtige Wärmequelle. Was Wunder also, wenn man beim Aufkom men der neuen Wärmequelle Feuer das schon vorhandene KALL für sonnen- oder körpergebundene Wärme beibehielt. Es fügte sich ja ganz harmonisch in die vorgegebenen Vorstellungen ein. Aber: es hatte prima facie nichts mehr mit dem Hohlen zu tun... Das war noch eher beim Körper der Fall, wenn man schon Wärme von Hohlem ableiten wollte. Der Körper ist, wir wissen es bereits, auf vielerlei Weise hohl. Er ist aber in der Form des mütterlichen Körpers auch die erste und auf lange Zeit wichtigste Wärmequelle des Neugeborenen. Dies wurde für das Menschenjunge um so wichtiger, je weniger Haare der menschliche Körper im Laufe seiner Entwick
147
lung aufwies. Von dem einstigen Fell des frühesten Homo sind heute kaum nennenswerte Reste erhalten geblieben. Die Erinnerung an das wärmende Fell der Mutter ist noch im Klammerreflex unserer heutigen Babys erhalten, die aus gleichem Grunde noch heute in der Lage sind, unmittelbar nach der Geburt ihr eigenes Körpergewicht mit den Händen zu halten — eine Frage des Überlebens, wenn früher einmal plötzliche Flucht die Mütter zwang, sich auf eben diesen Klammerreflex ihrer Babys zu verlassen. Mit dem Verlust des eigenen Haarkleides aber war es für die Kleinen noch wichtiger, sich eng an die Mutter zu schmiegen, die ihrerseits - wann immer möglich — das Kleine umfing und zu wärmen versuchte. Die Ursachenkette, die von dieser Notwendigkeit zu KALL für Wärme — und daher Feuer - führte, ist sicherlich gleich stark wie die von der Sonnenwär me herrührende. Und das um so mehr als nicht nur der Körper, sondern mehr noch der Begriff Frau und Mutter von KALL besetzt wurde, wenn auch aus anderen Gründen. Eine Erinnerung an diese frühen Zusammenhänge ist auch in dem Umstand zu sehen, daß es ganz besonders die Frauen sind, denen in aller Welt das Feuer anvertraut ist, nicht nur bei den Lappen und Andaman-Insulanern oder den Vestalinnen Roms, sondern praktisch heute noch bei allen sogenannten Naturvölkern der Erde. — In der Tafel 29 beschränken wir uns auf Feuer, Flamme, Glut und dergleichen; andere Aspekte erscheinen auf Tafel XV im Anhang. Wie sich bei BA in dieser Aufstellung Kombinationen mit KALL und TAG zeigten, ergeben sich bei KALL solche mit BA und TAG - und bei TAG wiederum mit KALL und BA. In allen diesen Fällen bedeuten die zusammengestellten Wortteile sehr wahrscheinlich jeweils dasselbe. Es sei hier noch einmal an unsere KALL-Ableitungen von Farben erinnert, an das Weiße von den SCHNEE-(auch KALL!)bedeckten Bergen und das B’LAUE vom Himmel (siehe auch die Tafel XIV). Leider fand ich in all den Jahren meiner Forschung keine überzeu gende Verbindung zur roten Farbe, wie ich das eigentlich erwartet hatte. Aber so kann man sich irren, wenn man von eingefahrenen Denkgewohnheiten nicht abgeht. Dagegen war mir aufgefallen, daß sich außerordentlich viele Sprachen des KALL bedienen, um ein Wort für GEL’B zu bilden. Und erst jetzt, während ich an diesem Kapitel schreibe, ist mir eingefallen, daß Feuer ja gar nicht rot, sondern vielmehr GELB leuchtet! Man ist so daran gewöhnt, sich Feuer rot vorzustellen, daß man sich der tatsächlichen Farbe gar nicht mehr bewußt ist - natürlich ist 148
Tafel 29: KALL und das Feuer türkisch
baskisch
bengali
marathi
tnan’GHAL
GAL’da
i’HAL’sano
JAL’ne
sengen, burn/ singe, quemar
brennen, burn quemar
Glutbecken, embers sengend, burning quemando (TAG) brazero
bengali
arabisch
tagalog
UJJAL’AGNFshika
HARR
LAGA
lodern, flame arder
GLÜHENd GLOWING
Feuer, fire fuego
hebräisch
chakaszki
batak
arabisch
* KALAcH
CHOI’CHALA
GARA
HARA
Feuer, fire fuego
sengen, singe quemar
Flamme, flame llama
brennen, burn quemar
arabisch
tagalog
laddinisch
australisch
LAZA
KALAN
CHALUR
LAROLK
flammen, flame arder
Feuerstelle, hearth GLUt.GLOW chiminea braza
Feuer, fire fuego
hebräisch
australisch
suahili
chinesisch
GALU
bul’GARU
m’WALI
SCHAN
brennen, burn quemar
GLUt, embers braza (BA)
Flamme, flame llama
brennen, bum quemar
zigeunerisch
ilocan
australisch
ph-itbayaten
JAN’geri
GANG’tan
GAN’binyi
sugsu’GAN
GLUt, embers braza
zünden, KINDLE encender (TAG)
brennen, burn quemar (BA)
brennen, burn quemar (TAG)
ph-isneg
ph-atta
aymara
aymara
siqdu’GAN
tug’GIAN
NAK’SUNA *
NAK’tayana
brennen, bum quemar (TAG)
brennen, burn quemar (TAG)
brennen, burn quemar
zünden, KINDLE encender (TAG)
quechua
arhuaco
quechua
aymara
CANA
GANA
CANAY
KAÑAY
feuern, fire quemar bosque
Feuer, fire fuego
anstecken,KINDLE anbrennen, KINencender DLE, encender
sanskrit
maori
arabisch
arhuaco
AGNI’KANA
pu’HANA
NAKAH
geis’KANE
Flamme, flame llama
GLÜHEN, GLOW GLÜHEN, GLOW GLÜHEN, GLOW braza (TAG) braza (BA) braza
dayak
marathi
arabisch
japanisch
ANGKA
LAWNE
NAIRA
RAIKA
brennen, burn quemar
zünden, KINDLE encender
Flamme, flame llama
Brand, fire fuego
149
setswana
maori
japanisch
quiché
ma’RANG
KA
tai’KA
CAY
GLUt, embers braza
brennen, burn quemar
Großfeuer, big fire gran fuego
Brand, fire fuego
etruskisch
hethitisch
guarani
welsch
AU
AU/UR
CAI
LLOSG
brennen quemar
brennen, burn quemar
verbrennen, burn quemar
sengen, singe quemar
ph-inibaloi
ph-gaddang
australisch
aymara
po’QOL
masi’KOL
NAR’COOL’ba *
LOKA
brennen, burn quemar (BA)
brennen,burn quemar (BA)
GLUt, embers braza (BA)
GLUt, embers braza
japanisch
bengali
ph-sambal
mentawei
ROKA
JOLA
QOLA’m
* KOLOKO
Feuer, fire fuego
brennen,burn quemar
brennen, burn quemar
Feuerstelle, hearth chiminea
australisch
keltisch
finnisch
suahili
GOORUNG
LOGE
LOGE
KOLE’za
Feuerstelle, hearth chiminea
Flamme, flame Hama
Flamme, flame llama
feuern, fire quemar
australisch
quechua
ph-sarangan
schottisch
COLLIN
KONOY
so’NOG
LOWE
Feuer, fire fuego
zünden, KINDLE encender
brennen, burn quemar
Feuer, fire fuego
marathi
thai
thai
australisch
CHUL
LUAG
LUG’may
o’RUCK’NURRA
Feuerstelle, hearth chiminea
brennen, heat calientar
brennen, burn quemar (BA)
gr. Feuer, fire gran fuego
australisch
telugu
maori
aynu
KUR’LA
ve’LUGU
HURU
HURE
Feuer, fire fuego
GLUt, embers braza (BA)
GLÜHEN, GLOW Flamme, flame arder llama
tungusisch
bengali
tibetisch
australisch
NGURE
a’GUN
KUN’duru
KUN’tun
zünden, KINDLE encender (TAG)
brennen, burn quemar (TAG)
GLÜHEN, GLOW Feuer, fire brazar fuego welsch
maori
maori
twi
CYNNAU
pa’HUNA
HUNU’HUNU
HUNE’HU
zünden, KINDLE encender
Feuer, fire fuego
versengt, burnt quemado
sengen, singe quemar
150
lappisch NJUOR Feuer, fire fuego
mentawei a’LU Feuer, fire fuego
quiché LU zünden, KINDLE encender
chinesisch faHUO lodern, burn llamar (BA)
chinesisch HUOyan Flamme, flame llama
irisch aibh’LEOG GLUt, embers braza (BA)
japanisch REIKA Feuer, fire fuego
griechisch KELE’os brennend, burning quemando
guarani GUEN’di zünden, KINDLE encender (TAG)
japanisch NEN’sho Verbrennung, com bustion, quemada
arabisch LIYAG Flamme, flame llama
samojed HILLA GLUt, embers braza
suahili mu’LIKA GLÜHEN, GLOW brazar (BA)
finnisch HIILUA GLÜHEN, GLOW arder
telugu RA’GILIN * zünden,-KINDLE encender
australisch KIN’ba Buschfeuer, bushfire fuego del bosque
polnisch o’GIEN Feuer, fire fuego
türkisch KIVIL’KIN * Feuer, fire fuego
maori paka’KINA GLUt, embers braza
maori HINA’tore GLÜHEN, GLOW arder
schottisch KINNEL zünden, KINDLE encender
telugu NIN’dinghu lodern, flame llamar (TAG)
quiché NIC lodern, flame llamar
aymara NINA Feuer, fire fuego
die hellbrennende Flamme gelb, man denke an Kerzenlicht, und natürlich ist ein Holzfeuer im Freien, das genug Zug (d. h. Sauerstoff) bekommt, leuchtend gelb, wenn das auch ein rötliches, »warmes« und ungemein angenehmes Gelb ist. Gelb ist auch heller als rot, was bei Kerze und Fackel sogar wichtig ist. Wenn also von dem so wichtigen Feuer auch ein Farbwort abzuleiten war, dann eben »gelb«. Das beantwortet also die Frage, warum GEL’B so oft von KALL abgeleitet wurde (vgl. Tafel 30). Die gelbe Farbe solcher von Menschen unterhaltener Feuer geht zum Teil auch auf das verwende te Brennmaterial zurück - Holz von Koniferen und solchen Pflanzen, die sich gegen Austrocknung mit ätherischen ölen imprägniert haben, brennt schon dieser Harze und öle wegen heller, genau wie weiland eine Petroleumlampe...
151
Tafel 30: GELB lateinisch GAL’bus
spanisch GAL’banado
griechisch GAL’biya
ph-manobo bo’LAQ
ph-subnun da’LAG
ph-kalagan ma’LALAG
thai LYANG
arabisch QALAcH *
batak ma’KALA’wag
spanisch CALA’mocha
ph-kallahan qamba’LANGA
bengali HALU’d
luwisch HALI
hethitisch HAHLAU’vant
quiche KAN
chinesisch HUANG
suahili man’JANO
französisch JAUNE
suahili m’NANA
ph-mansaka bi’NANING
japanisch RANO
australisch KORRAKO
ph-sambal ma’HOLYAW
batak LOHI’ta
bontok KÖNIG
quechua ph-kankaney KINA’QONIGAN CORI
arabisch KUL’fa(!)
spanisch GUAL’da
spanisch GUAL’dado
quechua HUILA
am.-spanisch LUAN
welsch me’LYN
australisch GUN’bari
ph-gaddang KUNIG
batak HUNIG
batak-karo KUNNIG
malayisch KUNING
ph-tagbanwa ma’KUNI’t
deutsch ma. GEEL
laddinisch GELG
lateinisch HELV’us
schottisch YELLA
finnisch KELLAN
quechua QELLU
aymara KKELLU
deutsch GIL’ben
ph-agta NGILA
ph-atta NGILA
ph-maobo KILA’wag
ph-isneg NAN’GILA *
aymara VILA
lateinisch GIL’bus
spanisch GIL’vo
australisch WILGEE
ph-kalinga mang’NGILA
dayak CHILAU
zigeunerisch DJILK’es
ph-itneg qama’LILIO
mentawei KINÄU
aynu NIKA'piw
tagalog GININ’tuan
spanisch ama’RILL’o
152
nordisch GUL
Auffallend ist, wie Kombinationen - mit einer TAG-Ausnahme - stets mit BA vollzogen werden, genau wie bei unserem GEL’B, wenn auch BA manchmal vorangestellt wird. Wir können wohl darin übereinstimmen, die klassische Prome theus-Sage als einen Ausdruck der Freude und des Stolzes darüber zu sehen, daß der Mensch von einem bestimmten Zeitpunkt an in der Lage war, selbst Feuer zu zünden. Da muß also ein Halbgott her - denn Menschen sind zu klein und da muß das so nützliche Element niemandem Geringeren entwendet werden als den Göttern selbst. Und für diesen, aus welchen Gründen immer, ungeheuren Frevel muß der Wohltäter der Menschen, Prometheus, auf das grausamste büßen. Wir wollen uns hier nicht aufhalten mit Parallelen aus anderen Mythologien, sondern aus diesem einen Beispiel das Wesentliche ablesen: Die außerordentliche Wert- und Einschätzung, die die Menschen diesem Wandel beimaßen. Das ist uns eigentlich nicht recht verständlich. Denn die Verfügbarmachung von Feuer zu jeder Zeit, wie sie die Lappenfrauen noch bis vor wenigen Jahrzehn ten praktizierten (als auch die letzten von ihnen von den billigen »tändstikker« der skandinavischen Staatsmonopole erreicht wur den), war doch im Grunde schon perfekt. Und wenn wirklich einmal einer von ihnen der Glutrest in der Holzschachtel verloschen war, fand sich in der Regel eine Nachbarin, die gern aushalf. Übrigenshat sich diese Sitte des Glutbewahrens auch noch gehalten, als man längst Feuer zu zünden verstand - selbst dann war es wohl noch bequemer. Woher und warum also die Aufregung? Nun, wir dürfen daraus schließen, daß auch frühen Menschen der Segen des Feuers seiner vielfältigen Wirkungen und Möglichkeiten wegen voll bewußt war. Sicherlich betrachteten sie es als ein Geschenk ihnen günstig gesinnter überirdischer Kräfte und Gestalten. Gerade weil sie das so intensiv empfanden, machte die Erfindung des Zündens sie unabhän gig und selbständig, sie waren plötzlich jenen Überirdischen eben bürtig und gleichgestellt. Stolz und Freude darüber kommen wohl am unmittelbarsten zum Ausdruck in dem erstaunlichen Brauchtum einiger Alpenlandschaften: Zu einer bestimmten Zeit im Jahresab lauf löschte man alle vorhandenen Herd- und Ofenfeuer, nur um neues Feuer auf alte Art zu schlagen und in allen Feuerstellen neues Feuer zu legen. Für den paläolinguistischen Feinschmecker sind schon solche Redensarten enthüllend: Feuer LEGEN hat mit unserem normalen »legen« oder »liegen« nichts zu tun, es ist eine alte KALL-Form für das Zünden wie schottisch KINNEL, während ein Feuer »anzustecken« wiederum nichts mit »stecken« oder »stechen« 153
Tafel 31: TAG und das Feuer maya
zigeunerisch
lappisch
lappisch
K’JAK
YAK
TZACH’HIT1
GAS’KAT1
finnisch JAKKA
TAKU1 japanisch
japanisch
finnisch
baskisch
TAKKA
YAKA
akkadisch
japanisch
lappisch
KADU1
YAKU
TSCHAKKE’TIT1 TAKI
baskisch
etruskisch
hethitisch
etruskisch
SU’TZAR
a’ZARU
a’SARU
SAZ
lappisch
japanisch
aymara
zigeunerisch
DASSAT1
TO’DAI
AK’TAYANA1
DATES2
japanisch
japanisch
DAN2
DAN’ro
tibetisch TSAN2
TANKA
aymara
hethi tisch
SANKKA
SANZ
tibetisch
etruskisch
TSA’ba2
SA
quechua SANSA suahili JOKO2
japanisch zapotek
DA2 aymara
KHOTO2
chontal
lappisch
quechua
englisch
TORA’ke *
DOR’RIT
TOI’huiy1
TORCH
baskisch
japanisch
japanisch
schottisch
TORTXH’e
TORI2
TON’DO
TAWN’ie
mazatek
suahili
tibetisch
maya
TSCHO1
TSCHO’ma1
YUG’pa
KUS
quechua
hattisch
japanisch
japanisch
CUSA2
TETE’KUZZ’an TSUKU *
finnisch
baskisch
japanisch
chaldäisch
SY’TYKE1
SUKE’TA1
SUKE’ru1
AT’TUN
a’TSUKE2
hebräisch
quechua
aymara
mapuche
AT’TUN
TUNNI
e’TUNNI
COTÜN2
deutsch
quechua
etruskisch
baskisch
ZÜND’en
YUNGA
ZUAS
zuzu
finnisch
baskisch
SYTTÄ1
SU
japanisch a’TSUI2
TSUI
japanisch
suahili
aztek
quechua
nahuatl
TEKE’TEZA2
TSCHIU
TECH’TIY2
TECUI1
baskisch
schwedisch
keltisch
deutsch
I’ZEKI1
TANNE1
TEINNE1
SENGEN
154
eifik TEM2
japanisch DENKA1
japanisch TEN’JIRU'
spanisch
quechua
tibetisch
quiche
TEA
puk’TIK2
TSIG-pa1
TSCHIX1
suahili
suahili
aymara
lappisch
ZIGA2
JIKO
TTIR’ina1
SIN
hethitisch TESA2
1 weist auf Zünden, 2 auf Hitze; Feuer und brennen blieben ohne Markierung.
zu tun hat, sondern eine TAG-Form fürs Zünden ist, weil weltweit mit der Erfindung TAG die Termini für das Zünden, für Hitze (statt Wärme) und schließlich für das Feuer selbst an sich zog. Warum und wie abgeleitet, ist noch nicht geklärt. Es kann der TAG-Stein sein, den man gegen einen anderen schlug, oder der Stecken, den man durch Reibung entflammte, jedenfalls sind beide, STEIN wie STECKEN, uralte, erste TAG-Wörter. Und doch haben sich Unterschiede erhalten. Während Wörter von BA und KALL den Begriff Wärme definieren, beschreibt TAG die Hitze und ganz besonders immer wieder das Zünden, das bei BA und KALL selten vorkommt. Man kann also folgern, daß die Erfindung des Prometheus zugleich den Umbruch zu TAG-Formen des Themenkreises »Feuer« bewirkte. Innerhalb der Aufstellung, die ich in dem Buch Protokolle der Steinzeit 1974 erstmals veröffentlichte, steht TAG 97mal für heiß, Feuer und Zünden, aber nur neunmal für die Empfindung von Wärme. 82mal bezeichnet es die Himmelser scheinungen, 31mal den hellen »TAG«. - Die Beispiele der Tafel 31 sind Wörter für Feuer und Hitze sowie für das Zünden. Während alpenländisches Brauchtum den urtümlichen Stolz an der Herrschaft des Menschen über das Feuer dokumentiert, bewahrt der Brauch der »Ewigen Flamme« oder des »Ewigen Feuers« im kultischen Bereich den Gedanken an das einst so wichtige Inganghal ten eines Feuerrestes, der sich jederzeit wieder zur hellen Flamme beleben ließ. Wie leicht ließen sich solchem Brauchtum, das die Erinnerung an frühere Lebensnotwendigkeiten bewahrt, religiöse Vorstellungen unterlegen, vom »Ewigen Leben« etwa oder von der Wiedergeburt. Alle Religionen kennen Kerzen und Licht als kultisches Szenario. Bei alledem spielte KALL seine besondere Rolle — manchmal als Ursache, ein andermal als Wirkung und Fort setzung an dieses Wort geknüpfter Vorstellungen. 155
KALL und das Lebendige
Die Wörtersammlung über Tiernamen ist eine der zahlreichsten Einzelabteilungen in meiner Kartothek. Es ist dies um so bemerkens werter als die üblichen Lexika nicht allzuviel, die Exotika herzlich wenig hergeben, weil die Fauna etwa von Innerafrika, Australien oder dem Amazonasgebiet kaum übersetzbar ist. Auch der Fragen katalog, der in alle Welt versandt und von freiwilligen Mitarbeitern beantwortet wurde, enthält außer der Frage nach dem Wort für »Tier« keine spezifischen Fragestellungen. Es würde ja auch zuviel Leerraum kosten, etwa Eskimos nach Elefanten und Indios nach Eisbären zu fragen... Man ist übrigens — nebenbei bemerkt - immer wieder verblüfft, wenn man einen solchen Terminus wie zum Beispiel »Tier« hinter fragt - das englische wortgleiche DEER bezeichnet Hirsch, Reh oder Hochwild allgemein, in romanischen Sprachen mit TORO den S’TIER. Wir erfahren also, welche Tierarten im Mittelpunkt menschlichen Interesses standen, als man dieses Wort von einer Art her auf die Fauna insgesamt verallgemeinerte. Bei KALL aber scheint man eher umgekehrt verfahren zu sein - es war ja auch viel früher. Die Unverfrorenheit, mit der da KALL auf alles angewandt erscheint, was da läuft, kreucht und fleucht und dazu noch schwimmt, ist überwältigend. Das kann einfach nichts mit der Benennung einzelner Arten zu tun haben, es kann nur bedeuten, daß die Menschen während einer langen Zeit alles, was sich bewegte, was lebendig war, schlicht und einfach KALL nannten, großes und kleines Getier, Mammuts und Mäuse, Muscheln, Maden und Mücken. Das ist gewiß seltsam, unsere Tafeln aber belegen es. Bei den Muscheln, Schnecken und allen Schalentieren mag da noch der Imperativ des Hohlen hereingespielt haben, wie auch bei den Pflanzen, der anderen Art von Lebendigem: hier bestimmen hohle Früchte, aber auch Teile wie beim HALm, SCHILf oder RÖHRICHt die Anwesenheit von KALL. Und das wiederum weltweit. 157
Da wird auch zwischen Säugetieren, Vögeln und Fischen kein Unterschied gemacht. Am deutlichsten wird bei den Fischen, wie sehr KALL einfach das Lebendige, sich Bewegende ohne weitere Differenzierung zu benennen hatte, denn gerade bei Fischen dürfte die Differenzierung noch später eingesetzt haben als bei Land- und Lufttieren. Wenn man das aber erst einmal weiß, dann ahnt man, daß auch heutige Namen nur Folgeformen der ursprünglichen Bedeutung des Lebendigen sein können - alle die QUALLen, SCHOLLen, KABELJAUS, die WALe und KAULquappen. Die zwei spätesten Neuentdeckungen oder Neuerwerbungen des steinzeitlichen Menschen sind der Hund und das Kanu. KAHN, NACHEN und KANU stehen unter dem Imperativ des HOHLEN, denn weil sie HOHL sind, trägt sie das Wasser - eine geniale Erfindung! Der HUN’d aber steht im offenbar ähnlich alten Imperativ des Lebendigen, und, das ist das Aufregende, beides geschieht noch vor rund 10000 Jahren. Damals gelang es dem Menschen, junge Wölfe zu domestizieren und in Gefangenschaft zu vermehren, zu züchten also, und es gelang ihm eine gegenseitige Zweckgemeinschaft, eine Art Symbiose, bei der jeder Teil soviele Vorteile hatte, daß er weniger angenehme Seiten des Miteinander in Kauf nahm. Seit aber Menschen KALL verwenden, wenden sie es auch auf sich selber an. Ihre Frauen, ihre Kinder wurden von KALL okkupiert, und auf dem Umwege über den Begriff »Mensch« schließlich auch die Männer. Von letzterem ging allerdings viel wieder verloren, sobald TAG auf der Bildfläche erschien. Diese Anwendung des Archetyps auf sich selbst ist sicherlich das Primäre, erst als das schon geschehen war, erweiterte man es auf alles Lebendige. Das Warum sollte uns nachdenklich machen. Es ist schwer in Worte zu fassen, aber sie müssen Wesensgleiches zwischen sich und den sie umgebenden lebendigen Mitgeschöpfen empfunden haben. Das heißt, ein solches Gefühl muß ihnen völlig natürlich und selbstverständlich gewesen sein, denn diese unsere frühen Menschen waren keine Philosophen, keine Geistesgrößen, sondern ganz einfa che Menschen, Leute von nebenan oder »von der Straße«, die es allerdings damals so noch nicht gab. Es ist nicht Sache des Paläolinguisten, das herauszufinden und zu beantworten, aber er muß aus seiner Sicht heraus diese Fragen an die kompetenten Leute vom zuständigen Fachbereich stellen können. Es erstaunt in hohem Maße, daß so spät noch, nach Jahrmillionen vorausgegangener Anwendung von Sprache, Archetypen so relativ
158
Tafel 32: HUNDE spanisch GAL’GO * WindHUND, greyHOUND, CAN
arabisch KAL’b HUND, HOUND CAN
suahili KALA’b HUND, HOUND CAN
SA-indianisch GUARA WindHUND, greyHOUND.CAN
maori KARA’REHE HUND, HOUND CAN
javanisch KALONG HUND, HOUND CAN
finnisch HALLI HUND, HOUND CAN
spanisch CAN HUND, HOUND CAN
laddinisch CHAUN HUND, HOUND CAN
laddinisch CHAGNA HÜNdin, female HOUND, bicha
arabisch HANAS HYÄNE, HYENA HIENA
lateinisch CAN’is HUND, HOUND CAN
australisch NAGGI HUND, HOUND CAN
hindi KHOL’sun WildHUND, wild dog, CAN salvaje
buruschaski HÖR JagdHUND HOUND, CAN
äthiopisch KHOLAcH SCHAKAL, JAKKAL, CHACAL
aynu HOR’kew Wolf, wolf lobo
mapuche CHOLA HUND, HOUND CAN
finnisch KOIRA HUND, HOUND CAN
schottisch COLLIE HUND, dog CAN
motilon mai’KONG WildHUND, wild HOUND CAN d.s.
griechisch KYONHUND, HOUND CAN
chinesisch chinesisch CHOW cou HUNdeart, type of HUND, HOUND CAN dog, tipo de CAN
nahuatl KOYO KOYOte, COYOT COYOta
lateinisch LYCAON HYÄNE, HYENA HIENA
bengalisch KU’KUR HUND, HOUND CAN
griechisch LYK’os Wolf, wolf lobo
aymara CHULO Wolf, wolf lobo
australisch yu’GURU HUND, HOUND CAN
australisch KUN’da HUND, HOUND CAN
samojed GUN’pe Wolf, wolf lobo
australisch KUA Dingo dingo
arabisch KEL’b HUND, HOUND CAN
setswana LEGA’tlape Köter, dog perro
weanerisch KEL’ef HUND, HOUND CAN
australisch KELI HUND, HOUND CAN
englisch KENNEL HUNDEgespann dos cans juntos
japanisch ban’KEN HUND, HOUND CAN
am.-spanisch QUIL’tro HUND, HOUND CAN
159
mapuche
französisch
tungusisch
suahili
QUIL’to
CHIEN
NGIN’daa
KIN’gugwa
HUND, HOUND CAN
HUND, HOUND CAN
HUND, HOUND CAN
HYÄNE, HYENA HIENA
rein auf Hunde und Schiffe angewendet wurden. Das stimmt zumindest sehr nachdenklich. Wir gesellen dem Hunde in unserer Tafel 32 noch Wolf, Schakal, Hyäne und Coyoten zu. Im Laufe seiner erfolgreichen Abrichtung zum Wach- und Jagdhund fanden TAG-Termini Eingang - DOGGE, DACKEL und die Umkehrung KÖTER zielten auf die scharfen Zähne und die anerzogene Bissigkeit und lösten KALL-Formen entsprechend ab. Angesichts der Überfülle an verfügbaren Beispielen ist im nächsten Abschnitt auf zunächst einmal das eingeengt, was wir im weitesten Sinne als »Vieh« bezeichnen. Nun ist gerade diese BA-Form auch nicht ohne Hintergrund. »FJE« im Norwegischen und FÄ im Schwedischen bedeuten zwar das gleiche, aber noch etwas deutlicher als im Deutschen sind damit die Muttertiere eines Herdenbestandes gemeint. Das wird noch deutlicher in der »FÄHE«, dem weiblichen Fuchs oder Wolf. FÄ aber ist inhalts- und wesensgleich mit dem FE etwa in der lateinischen FE’MINA oder der FE’FINA der Tagalog von den Philippinischen Inseln. Ein weiteres Mal also kein Wesensunterschied zwischen Mensch und Tier, zwischen Muttertieren und Menschenmüttern... Neben dem Vieh zeigt die Tafel 33 noch Tierarten, die dem Menschen des Jungpaläolithikums geläufig gewesen sind, denen er täglich begegnete und die seine Beute ausmachten. Nicht aufgenom men sind Raubtiere, nicht einmal die Katzen. Zwar sind die LÖWen etwa bei KALL geblieben, im Grunde aber zu Unrecht, sie hätten ruhig zu TAG überlaufen können wie TIGER, JAGUAR und unsere KATZE auch, des scharfen Gebisses und der gefährlichen Krallen wegen, die TAG herausfordern. Die KATZE ist dabei nur ein seitenvertauschter TIGER: KATZ=TZAK, das sagt genug. Auch beim Hund verwenden wir den Ausdruck KÖTER ja dann, wenn es
160
Tafel 33: TIERE des frühen Menschen heute deutsch
mittelhochdeutsch
äthiopisch
kashmir
GAUL
HAL’pful
JAAL
KAIL
Pferd, NAG CAVALLO
Frischling, young ofwild boar
Wildziege, wild goat, cabra salvaje
sib. Ziege, sib. goat, cabra sibirica
ilocan
arabisch
griechisch
laddinisch
CAL’ding
HAL’bat
KAL’pe
chu’CAL
Ziege, goat cabra (TAG)
GAUL, horse CAVALLO (B A)
GAUL, horse CAVALLO
SCHWEIN, boar cerdo
tibetisch
französisch
hindi
guarani
KAL-ma
CHEVAL
KAL’ki
ba’GUAL
GAUL, NAG CAVALLO
wildes RINd, wild cattle, vacadesalvaje
Lasttier, beastofbur- GAUL, NAG den, animalde cargos CAVALLO mongolisch
englisch
deutsch
spanisch
sar’LAK
CAL’f
* WALLACH
CHALA’te
Yak yak (TAG)
KALB ternero
GELding CAVALLO capon
GAUL NAG
tagalog
mentawei
suahili
suahili
KALA’baw
KALA’ba
mba’WALA
pala’HALA
Antilope antilop
Säbeiantilope antilop (BA)
Wasserbüffel, buffa Hirsch, deer lo, búfalo d. agua ciervo suahili
bantu
am.-spanisch
suahili
ba’GHALA
IN’YALA
CHALA’te
a’YALA
Muli, mule mulo
Antilope antilop
Mähre NAG
Hirsch, deer ciervo
polnisch
thai
dayak
mongolisch
JALOWKA
CHALUU
KALEO
ar’GALI
Färse, heifer, novilla
Ochse, ox buey
Büffel, buffalo bufalo
Schaf, sheep cordero
tibetisch
tibetisch
griechisch
laddinisch
GLAN
GLAN-to
ALKE
CHAVAGL
Ochse, ox buey
Büffel, buffalo búfalo
ELCH, ELK ALCo
GAUL, NAG CAVALLo
etruskisch
NA-indianisch
persisch
luwisch
LAIVE
mai’QUAW
GAU
HAUI
RINd, cattle vaca
Bär, bear OSO
KUH, COW vaca
Hammel, ham cordero
arabisch
thai
hindi
chinesisch
HAU’wan
KWANG
may’CAY
KIANG
Tier, animal animal
Hirsch, deer ciervo
Ziege, goat cabra
Wildesel, wild ass asino de salvaje
161
arabisch
aynu
griechisch
australisch
HAN’tab
KU’CAN
KAN’delos
KAN’GAROO *
Ziege, goat cabra
Bär, bear
Packesel, ass asino
KÄNGURUH CANGAROO
OSO
bantu KAIN’si Klippspringer genere de gazela
tibetisch
slowakisch
arabisch
R’KAN-gros
JAHNA
GANA’m
Zuchtvieh, cattle animales de casta
Lamm, lam cordero
Schafe, sheep corderos
aymara
loma
¡locan
slowakisch
GUANACO
to’GANI
CAANI’malan
KANEC
GUANACO
Haustiere, cattle animales de casa
Vieh, cattle animales de casa
KEILER, boar cerdo macho
englisch
schottisch
NAIG
GAUL CAVALLo
Reitpferd CAVALLO
arabisch NAGA $ Kamel, camel camelo
bantu
NAG
Zulu
hindi
NAHOOR
Antilope antilop
Schaf, sheep cordero
eifik e’NANG Vieh, cattle animales domestic.
kisuahili
NAGOR
Antilope antelop
malayisch ANOA Waldbüffel, buffalo búfalo de bosque
ukwani ANU Tier, animal animal
finnisch
KAR’ja
NAKONG Antilope antilop
NAN’GUER
hindi
aymara
GAUR
KAR’wa
RIND, COW vaca
Lama, lama lama (BA)
finnisch
dayak
batak
KAR’ju
KAR’bau
KAR’bo
Vieh, cattle animales domestic.
KEILER, boar cerdo padre
Büffel, buffalo búfalo (BA)
Büffel, buffalo bufalo(BA)
eskimo
finnisch
irisch
irisch
KARI’bou
KAR’HUN *
LARACH
CAORA
REN.RENdeer REINo(BA)
Bär, bear OSO
Mähre, NAG CAVALLO
Schaf, sheep cordero
finnisch
griechisch
griechisch
hindi
KAUR’is
KARA
GARO’tas
bah’RAINGA
Ziege, goat cabra
Ziege, goat cabra
Ochse, ox buey
Hirsch, deer ciervo
lappisch RANAG REN.RENdeer RENo
irisch
englisch
australisch
COLLACH
bul’LOCK
KOALA
KEILER cerdo padre
Ochse, ox buey
KOALA-Bär, koala coala
162
australisch
tungusisch
setswana
griechisch
KOOLA
LOGO’so
pholo’GOLO
KOL’os
KÄNGURUH CANGAROO
REH, deer CORzo
Tier, animal animal
Ziege, goat cabra
polnisch
tungusisch
mongolisch
irisch
WOLOW
LÖKÜ
KOULAN
COILEAN
RINd.COW vaca
GAUL, NAG CAVALLo
Wildesel, wild ass asinodesalvaje
Jungtier, voung animal, animal joven
laddinisch
tibetisch
tungusisch
australisch
COLI
dud-GLO
GOR
GORANG
Schaf, sheep cordero
KÄNGURUH CANGAROO
Rappe, black horse Tier, animal CAVALLO negro animal
irisch
slowakisch
bantu
suahili
LOILIOCH
KON
NAKONG
KON’GONI *
KUH, COW vaca
GAUL, NAG CAVALLo
Antilope antilop
GNU
suahili
suahili
bantu
finnisch
KON’GORO
KON’doo
KON’zi
KON’tio
Bulle, bull toro
Schaf, sheep cordero (TAG)
Hartbeest
slowakisch
finnisch
tungusisch
tibetisch
KONIK
KONI
HONIN
NOR
GAUL, NAG CAVALLo
GAUL, NAG CAVALLO
Schaf, sheep cordero
Vieh, cattle, animales domesticados
thai
samojed
tibetisch
eskimo
KHOO
GUOU’za
LUG
LUK
KUH, COW vaca
Bär, bear
Schaf, sheep cordero
Tier, animal animal
thai
tibetisch
mongolisch
gälisch
LUUG’NGEE
LUG-GU
GUL’jar
KYL’des
KALb, CALf ternero
Lamm, lam cordero
Wildschaf, w. sheep RINd, COW cordero de salvaje vaca
suahili
finnisch
quechua
tungusisch
* KULUNGU
e’LUKKA
LUYCHU
LUKUCEN
Antilope clase de antelop
Tier, animal animal
Hirsch, deer ciervo
ELCH, ELK ELGo
suahili
mapuche
thai
irisch
NGULU’we
CULLIN
KUN
CUINGIR
SCHWEIN, pork cerdo
Tier, animal animal
SCHWEIN, pig porco
Pferde, 2 horses dos CAVALLos
OSO
Bär, bear OSO
163
quechua CHUN’KU Vieh, cattle animales
quechua vi’KUÑA Lamaart, type of lama, clase de lamas
afrikanisch GNU antilope antelop
maori KUAO Junges, young, kid joven del animal
arhuaco ANA’NUGA Tier, animal animal
hindi mar’KHUR Wildziege, wild goat cabra de salvaje
suahili NGURUwe SCHWEIN, pig cerdo (BA)
guarani CURE Ferkel, sucking pig, cerdito
tibetisch KURUG Fohlen, COLt potro
samojed ELLEKA ELCH, ELK ELGo
griechisch KEYL’os Esel, donkey asino
griechisch KEL’es GAUL, NAG CAVALLo
deutsch REH deer CORzo
norwegisch REIN REN, RENdeer RENo
thai KEENG Hirsch, deer ciervo
schottisch GILLIE GAUL cavallo
irisch GIN Lebewesen, living being, animal
suahili KIN’da Tierjunges, kid joven de un animal
suahili KINO’KERO * Gazelle, gazel gazela
japanisch NIK Antilope antelop
sich um ein bissiges Tier handelt. Selbst unsere Zähne gehorchen ja dem TAG. Es sei nochmals auf die deutliche Wahrscheinlichkeit dafür hingewiesen, daß auch hier - wie bei der Landschaftskennzeichnung - nicht Namen, sondern Wörter, in diesem Fall für »Tier«, die Szene beherrschen. Gerade auch bei der allgemeinen Bedeutung »Vieh« wird das klar, weil viele Sprachen noch heute keine unterschiedlichen Ausdrücke für »Vieh« und »Tier« kennen. Und war erst einmal das eigene Vieh »Tier« genannt, wieviel eher dann auch alles andere, was sich in Sicht- und Greifweite befand. Auch das hier des öfteren in der Übersetzung verwandte Wort ANIMAL ist ja wiederum nicht ohne Hintergrund, geht es doch auf das lateinische ANI’MA zurück, was wahlweise »Atem« oder »Seele« bedeutet. Nun stürzen sich natür lich die Philosophen unter uns erst einmal auf den Umstand, daß die Antike für Seele und Atem das gleiche Wort benutzte, diese beiden Begriffe also für identisch und austauschbar gehalten haben muß. Wir hier interessieren uns aber nur für den Umstand der Definition des Lebendigen entweder vom Faktum des Atmens her - oder, noch aufregender, billigte man im Altertum den Tieren schon eine SEELE
164
Tafel 34: Die Welt der Vögel englisch
laddinisch
australisch
tibetisch
QUAIL
GIAL
* GALAH
G’LAG *
Wachtel codorniz
HAHN, cock GALLo
Papageien-Art nur in Australien
Adler, EAGLE AGUILa
am.-spanisch
spanisch
australisch
mapuche
CAL’QUIN *
GAL’farro
KAL’tes
CAL’QUIN
Adler-Art d. Anden EAGLE, AGUILA
Sperber, HAWK HALCON
Emu, ein gr. Laufvogel, emu.emu
Steinadler Chiles EAGLE, AGUILA
deutsch
laddinisch
quechua
quechua
SCH’WAL’be
GAL’diner
WALL’pa
yana’KALL’wa
S’WALLOW COLONdrina
Truthahn, turkey pavo
HUHN.HEN GALLINa
SCHWALbe SWALLOW
mapuche
spanisch
spanisch
australisch
HUALA
CALA’dre
GALLA’RON
* GARAGA
Ente, duck ANAde
LERCHE LARK
ROHRdommel bittern
KRANICH CRANE.GRULLA
griechisch
irisch
maori
arabisch
KALA’vis
LACHA
KARA’kahia
GARAN
graue Ente, grey duck, anade gris
Adler, EAGLE AGUILA
kl. Vogelart, small Ente, duck type of bird, pajaro ANAde australisch
griechisch
guam
ilocan
KA’KALAN
KALAN’dros
KALALAN
CALA’pati
Habicht, HAWK HALCON
LERCHE, LARK alondra
langschnäb. Vogel- Taube, pigeon art, engl. CURLEW COLOMba
tibetisch
hindi
lateinisch
maori
KALA’pin
ar’GALA
LAGO’is
KARORO
Pfau,peacock pavo
eine Art Marabu marabú
Auerhahn, heath cock, GALLo m.
schwarzrück. Möwe black-backed GULL
suahili
mapuche
spanisch
hindi
KWALE
CAULLE
GALLIN’a
KALIJ
RebHUHN perdiz
Möwe, GULL gaviota
HUHN.HEN gallina
Fasan, phesan faisan
w.-ind. Inseln
deutsch
ph-in 15 Spr.
guayana
KYALLIE
ALK
GAYANG
GUAN
der grüne Heron green heron
Meeresvogel, AUK KRÄHE, CROW CORNEJA pajaro del mar
aymara
quechua
tibetisch
finnisch
KKANKKA
CANCA
KAN-KA
KANA
HAHN, cock GALLO
HAHN, cock GALLO
REIHER, HERON HENNE, HEN GARza GALLINa
Vogelart, type of birds, clase d. pajar.
165
guarani NAHANI
guarani
slowakisch
australisch
KANA
poo’KANAH
Bussard, HAWK HALCON
Albatros
mapuche
australisch
australisch
maori
CANIN
boo’RAN
be’RALLAH
pa’KAU
HAHN, cock GALLO
PeliKAN
Enten-Art, duck el. de añades
Milan, HAWK HALCON
maori
guarani
náhuatl
australisch
KA’HU
CAU’CAU
CUAW
KOLKA’WILL
Falke, HAWK HALCON
Vogelart, type of birds, cl.depaj.
Adler, EAGLE AGUILA
Greifvögel pajaro de caccia
irisch
mordwinisch
lateinisch
australisch
COL’m
LOK’sii
COR’NIX
GOLLA-WILLEL
Taube, pigeon COLOmba
SCHWAN, SWAN CYGNE
KRÄHE, CROW CORNEJA
Haubentaube, pi geon, COLOmba
australisch
polnisch
australisch
mazatek
beri’GORA
GOLA’b
GOOLAY-yali
KOLO
kl. Falke, m. HAWK HALCON minor
Taube, pigeon COLOmba
Peli’KAN
Truthahn, turkey pavo
CARA CARA
Wasserhuhn, water Vogel-Art, type of HEN birds, clase de paj.
spanisch
mapuche
mapuche
australisch
GOLON’drina
COLLONCA
KORORA
GOROKE
SCHWALbe SWALLOW
Art HUHN, HEN tipo de GALLINA
kl. blauer Pinguin penguin
ELster, magpie URRACa
suahili
tasmanisch
australisch
griechisch
KORONGO
GOOLUNG’ta
KOOLYN
KOLLYR’is
Adler, EAGLE KRANICH CRANE, GRULLa AGUILa
schwarzer SCHWAN Vogelart, type of bl. SWAN, CYGNE birds, cl.depaj.
tasmanisch
suahili
australisch
irisch
KORÜNA
CHOLE
KOL’et
* COILEACH
Adler, EAGLE AGUILA
Vogelart, bird pajaro
Taube, pigeon COLOmba
HAHN, cock GALLo
finnisch
thai
suahili
thai
LOKKI
NOG
KON’goti
HONG
Möwe, GULL gaviota
Vogel allg., bird payaro en general
Storch,stork CiGUEÑA
SCHWAN, SWAN CYGNE
australisch
mapuche
suahili
australisch
GOONA
CONO
KOI’KOI
KOI’RANAH
SCHWAN, SWAN CYGNE
Taubenart, pigeon COLOmba de SA
REIHER, HERON Adler, EAGLE GRULLa AGUILa
166
englisch
quechua
mapuche
GULL
KULL’ku
HUIL’qui
KUR
Möwe gaviota
Turteltaube, pi geon, COLOmba
Drossel, thrush tordo
HUHN, HEN GALLINa
arabisch
quechua
mapuche
spanisch
GUR’NUQ
CHULLA
HUALA
GUALA
Sumpfvogel, bird ofbogs, paj.
Schwimmvogel, of the sea
KRANICH Tauchvogel, diving CRANE, GRULLa bird, paj.delmar
slowakisch
hindi
polnisch
guarani
hawai
KULANG
KURA
GÜIRA
HULU
Vogel allg., bird in general, pajaro
Honigsauger, bird sucking honey
KRANICH HUHN, HEN CRANE, GRULLa GALLINa
telugu
guarani
australisch
quechua
pu’LUGU
CURU’CAU *
CURRINGA
KUN’tur
Vogel, bird pajaro en general
Vogel-Art, bird clase de pajaras
schwarze Ente, black KONdor duck, anade negra
slowakisch
tibetisch
quiché
mapuche
GUNAR
KUNALA
QUEL
QUELUY
GANter, male goose Vogelart, type of bird Papagei GANso clase de pajaro
Greifvögel, bird of prey, paj. de caccia
aymara
australisch
arabisch
quechua
LEKE’LEKE
KIL’KEE
GIR’GIR
KILLI’chu
Möwe, GULL gaviota
WasserHUHN waterHEN
guinea-HUHN,-HEN Falke, HAWK GALLINa de Guinea HALCON
Der genaueren Beschreibung zuliebe muß hier gelegentlich auf die Übersetzung ins Englische oder Spanische verzichtet werden.
zu? Wurden Tiere zu den »be-seel-ten« Wesen gerechnet? Nun, das Wort ANI’MA ist eine KALL/Ba-Kombination und gibt auch dem Paläolinguisten nur eine zwei-deutige Antwort: LUNGE wie SEELE sind KALL-Formen... Die Tiergruppe der Vögel (vgl. Tafel 34) hat neben dem Aspekt des allgemeinen Lebendigen noch eine besondere Beziehung zu KALL von »CAELum«, vom Himmel her, in dem sich Vögel frei bewegen. Auch das Wort F’LÜGEL ist eine BA/KALL-Kombination wie PF’LEGE oder PF’LUG, nur kann hier der KALL-Anteil auf »Himmel« deuten. Nicht nur in klassischen Mythologien, schon in der Steinzeit dienten die Vögel allgemein und einige bestimmte besonders deutlich
167
allegorischen Zwecken bei der Darstellung des himmlischen, überir dischen oder jenseitigen Bereichs menschlicher Glaubenswelten. Der Mensch hat offenbar früh gelernt, das Verhalten besonders der großen und daher gut sichtbaren Vögel zu beobachten. Das mag bei der primitiven Erfahrung begonnen haben, daß es da, wo jene kreisten, möglicherweise auch für diese etwas zu ergattern gab von den übrigbleibenden Brocken der Raubtiermahlzeiten. Die Tischsit ten etwa von Löwen sind ja auch nicht die feinsten, denn da balgen sich alle miteinander, und am anspruchsvollsten sind diejenigen, welche die geringsten Verdienste an der Beute erworben haben. Es ist immer wieder lustig, bei heutigen Filmdarstellungen zu beobachten, wie aufdringlich und dreist sich die wartenden Schakale und Aasvögel an die raufenden, reißenden und schließlich schlingenden Großkatzen heranwagen, um diesen oder jenen Fetzen schon zu erwischen, bevor deren Sättigung eingetreten ist. Frühe Menschen kamen ziemlich zweifellos auf die gleiche Weise zu ersten Fleischge nüssen. Da sie sehr viel kleiner waren als wir, flößten sie ihren Konkurrenten nicht allzuviel Respekt ein. Sicherlich begann die Beobachtung von Lebendigem im Wasser später, und zweifellos hatte es mit einer Unterscheidung Zeit bis zu erstem Fischfang. Nur kann man diesen auch schon relativ früh vermuten, sind doch Naturvölker »auf Steinzeitstufe« sonst meist schon geschickte Fischer mit einfachsten Mitteln, ganz zu schweigen von den Bären Alaskas. Darstellungen von Fischen finden sich sowohl in den Höhlen der Pyrenäen wie an Felswänden Spitzbergens, wo sogar Wale abgebildet sind. Die Tafel 35 vermittelt einen lebendigen Eindruck von der KALL-Rolle bei Fischen. Wenn wir uns erinnern, daß die Abwandlung des Mittelvokals von A über alle denkbaren Laute bis zum I für die Zugehörigkeit ohne jede Bedeutung ist, dann wird einmal mehr deutlich, wieviele KAL-, KUL-, KIL-Formen in unmittelbarer Urform oder in nächster Nachbarschaft zum Archetypen den allgemeinen, nicht auf bestimm te Arten beschränkten Sinn »Fisch« - oder ursprünglich noch einfacher »Tier« - haben. Und das, wie dargestellt, weltweit. Heute weltweit... Während wir in unserer Zeit noch miterleben, wie ganze Stämme an den Küsten, ansonsten »auf Steinzeitstufe«, vom Fischfang leben, ja, zum Teil andere tierische Nahrung kaum kennen, dann dürfen wir vermuten, daß auch frühe Menschen an dafür geeigneten Gewässern sehr wohl das Handwerk Petri schnell erlernten und ihre Fangmetho den auch von Land aus verfeinerten. Fischer aber waren es ja wohl, 168
Tafel 35: Fische norwegisch
deutsch
hindi
thai
KVAL
LACHS
KAL’basu
CHAL’aam
WAL, WHALE VALLENA
Salmon salmon
Barbe, barbel barbo
HAI, shark ESCUALo
spanisch
griechisch
samojed
KALLA’rias
ak’KALAGGES
KABELjau cod
algonkin mas’KALONGE * Hecht, pike SOLLo
Dorsch, cod LANGA
HAI, shark ESCUALO
griechisch
suahili
NA-indianisch
finnisch
GALLAZ
KALA’mbezi
ma’HALLA
si’LAKKA
LACHS, salmon salmono
HERING, HER RING, ARENQUE
LANGA
SCHELLfisch, had Makreele, mackrel dock, pescadilla macarela
finnisch HATKALA HAI, shark ESCUALO
griechisch
spanisch
keltisch
se’LACH’os
GALLO
CARROCO
HAI, shark ESCUALO
Wimpern fisch
Stör, sturgeon esturión
lateinisch
deutsch
suahili
mapuche
S’QUAL’us
AAL
GAU’GAU
CAU’que
HundsHAl, dogshark, ESCUALo
EEL ANGUILA
Flunder, flounder rodaballo
kl. Flußf. small fresh-water fish
australisch
englisch
finnisch
maori
KAAN’dha
LOACH
KOL’ja
to’HORA
WAL, WHALE VALLENA
WELS GLANo
Dorsch, cod LANGA
WAL, WHALE VALLENa
quechua
Baikalsee
maori
lateinisch
ho’KOLLO
GOLO’mynca
NGOIRO
GON’ger
KAULquappe tadpole
ölreicher Fisch sculpin
See-AAL, sea-EEL CONGER AAL -EEL, ANGUILA ANGUILA del mar
australisch
NA-indianisch
englisch
KON’darle
nos’KONONGE KUL’p
NGURU
WAL, WHALE VALLENA
Forelle, trout truito
Kingfish pescado real
HAI ESCUALo
suahili
suahili
15 sib. Spr.
suahili
englisch
GURU’GURU
GUOLLE
GULE’GULE
LUCE
SCHOLLE, plaice lenguado
v. KALbisKVEL = Fisch allg.
Tintenfisch CALA’mar
Sollo
hawai
suahili
australisch
australisch
a’KULE
KUN’GU
KYENA
KUNARA
Trachurops brachychira
guter Speisefisch muy bien a comer
Barracuda
Tigerhai, tiger shark
Hecht, pike
169
quiché CAR
mapuche CHALL’hua
quechua CHALL’wa
irisch bal’LACH
gälisch pol’LACH
hawai KALA
finnisch KALA
ph-atta NGALA’p
NA-indianisch JALLAO
norwegisch LAKA
hindi mir’GHALA
maori pi’HARAU
polynesisch KAHALA
finnisch sa’LAKKA kniitoi palu’KALUKA
loma KALE’te
mapuche LLAUQI
ilocan I’CAN
ph-tagbanwa QIAN
mapuche ma’CANA
japanisch sa’KANA
maori I’KA
sumerisch HA
ph-mansaka KAYA
maori KAEO
NA-indianisch CAI’man
mapuche CHOL’GO
ph-ifugao do’LOG
australisch KON’GOOLA *
maori KOURA
griechisch KOLO’ios
australisch WOLLO’mai
suahili KOLE’KOLE
suahili CHOLE
ph-gaddang KORORAW
suahili MKONGE
australisch KOOYA
australisch CUL’ma
chakaszki pa’LYG
motilon bira’GURU
suahili MKULE
griechisch LEYR’os
luo RECH
ph-kallahan pa’QILLING
schwyzerisch KILCH
ph-sangil KINAQ
australisch KINE
maori pa’KAURUA
Bei der Bedeutung »Fisch allg.« oder bei nicht näher ersichtlicher »FischArt« entfällt det Text der dritten und vierten Zeile.
die sich als erste aufs offene Wasser und schließlich auch aufs offene Meer hinauswagten oder hinausgetrieben wurden. Thor Heyerdahl hat mit seiner Pazifik-Floßfahrt dieses Scenario gewissermaßen nachgestellt und gezeigt, wie man aus dem Meere leben und auf dem Meere lange überleben kann, solange wie im allgemeinen nötig, um irgendwo wieder auf Land zu stoßen. Nicht einmal verdursten muß man dabei: Das aus rohen Fischen gesaugte Wasser ist Süßwasser. Im Binnenlande fischte man noch vor der Erfindung besonderer Geräte, wie Reusen oder Netze, indem man kleinere Buchten durch
170
eine dichte Kette von Menschen absperrte und dann unter lautem Geschrei und durch Schlagen aufs Wasser die Fische gegen den Strand trieb, wo man sie schließlich mit den Händen einfing. Ein geschickter Fischer kann etwa Forellen auch in Bächen mit der Hand fangen, wenn ihm nicht entgeht, wohin die blitzschnelle Flucht den Fisch geführt hat. Dort verharrt er instinktiv reglos und kann durch behenden Zugriff gehalten oder aufs Land geworfen werden. All das und mehr dürfen wir unseren frühen Vorläufern zutrauen. Aber man fischte nicht nur Fische, sondern an Meerufern auch Schalentiere. Krabben, Krebse, Schnecken, Muscheln von den einfachen Miesmuscheln bis hin zu Austern waren für viele an Küsten lebende frühe Menschen nicht nur Leckerbissen, sondern tagtägli cher Eiweißanteil der Nahrung. Berge von leeren Schalen bezeugen an manchen Küstenstrichen des Pazifik, daß hier jahrtausendelang Menschengruppen aus dem Meere auf diese einfache Weise gelebt haben. Wenn SCHALENtiere das KALL noch zusätzlich auf sich gezogen haben, dann eben wegen dieser innen hohlen Schutzschilde. Davon blieben weder SCH’NECKen noch Schildkröten verschont. Im Anhang findet man diesen Aspekt dokumentiert - Tafel XV: Schalentiere. Es verdient noch eine Anmerkung, daß die KALLSCHALE natürlicher Abkunft auch bei der vom Menschen nachge schaffenen SCHALE sprachlich Pate gestanden hat. Im altägypti schen Alphabet ist das Zeichen für den Buchstaben K eine SCHALE, später ein LOCH-Stab - deutliche Hinweise auf ein mit K beginnen des, also KALL-Wort auch noch im Ägyptischen. Tafel XVI des Anhangs gibt noch eine kleine Übersicht über das Sonderkapitel SCHLANGE. Es verdient eine getrennte Auflistung, weil die Einstellung der Menschen zur Schlange anscheinend schon früh eine besondere war. Sie ist immer für eine Überraschung gut, wenn sie in Erscheinung tritt, sie war so gefürchtet wie verehrt. Aus der Antike stammt ihre Einschätzung als Helfer in der Heilkunst, als Symbol der Klugheit. Ägyptische Potentaten führten sie als ehrenden Kopfschmuck, und in den Religionen der frühen Hochkulturen galt sie als Garant ewigen Lebens und ständiger Wiedergeburt — warf sie doch jährlich einmal die ältliche Haut ab und kroch aus ihr wie neugeboren hervor. Erst in der alttestamentarischen Schöpfungsge schichte wurde die Rolle der Schlange in den Hochkulturen in ihr Gegenteil verkehrt, als Folge einer Umwertung insbesondere der Gewichtigkeit der Frau in Glaube und Gesellschaft. Auf Tafel XVIII der Dokumentation ist nochmals, frei von 171
Unterteilung, ein Einblick in die außerordentliche Häufigkeit des Archetyps KALL bei Tiernamen gegeben. Es sei an die einleitende Anmerkung erinnert, wonach dies überraschend sei angesichts der eher mageren Quellen. Könnte man die gesamte Fauna jeder Sprache ausschöpfen, würde sich ein Vielfaches an verfügbaren Beispielen ergeben. Die Tiernamen der Texttafel 33 decken auch jene Tiere zum größten Teile mit ab, welche wir in Höhlen und an Felsüberhängen Europas, Afrikas, Asiens und Australiens von Menschenhand gezeichnet, geritzt und gemalt vorfinden. Was nun das uns nächstlie gende steinzeitliche Höhlenrevier Frankreichs betrifft, so hat der französische Forscher Leroi-Gourhan beim Vergleich aller Fundorte eine gewisse Anordnung entdeckt, die sich überall wiederholt und daher nicht zufällig entstanden sein dürfte. Ohne seine Deutung einer Aufteilung in männliche und weibliche Zonen zu akzeptieren, kann aber festgestellt werden, daß die wichtige Mittelgruppe der Malerei en fast nur aus Tierdarstellungen besteht, die wir heute noch bei KALL-Namen kennen. Hinzu mag kommen, daß zur Zeit der Malerei selbst noch mehr Tiere KALL-Namen trugen als in unseren heutigen Sprachen. Die Anhäufung von KALL-Tierdarstellungen im Zentrum aber hat ganz gewiß einen Sinn, auf den wir zurückkommen werden, wenn wir uns im letzten Teil dieses Buches den Höhlenkulten aus der Sicht der Paläolinguistik zuwenden werden. Zunächst aber steht uns noch die Bedeutung des Archetyps im zwischenmenschli chen Leben bevor. Wir wenden uns also dem Menschen, genauer: der Frau, zu.
Die FRAU — Lösung vieler Rätsel
Wer sich auf welche Weise immer in die Paläolinguistik einarbeitet, kommt früher oder später zu einer dann selbstverständlichen Kenntnis der archetypischen Ausformungen in heutigen Sprachen. Man geht dann dazu über, in beliebigen alphabetischen Wortsamm lungen fremder Sprachen zuerst nach diesen Formen — KAL bis NAK und LAG bis NIN usw. - Ausschau zu halten und ist in aller Regel überwältigt von der Fülle der Formen im Bereich der KALL-Sinngehalte. Wenn man das lange genug getan hat, schälen sich bestimmte Gruppen heraus als quantitativ häufiger als andere. Nun sind jedem Archetyp assoziativ nachrangige Sinngehalte verbunden, die zusam men eine erhebliche Bandbreite erreichen. Das ist bei der Frau und all den Aspekten dieses Begriffes in besonderer Weise der Fall. Unter all den Bereichen, die KALL abdeckt, nimmt der das Weibliche umgreifende den größten Raum ein. Schon 1974, in Protokolle der Steinzeit, habe ich diesem Thema ein besonderes Kapitel gewidmet. Wenige Jahre später gewann ich drei weitere Wissenschaftler zu einem gemeinsamen Buch über die Urgeschichte der Frau (Weib und Macht). Es ist ein unerschöpfliches Thema, weil es ein in hohem Maße zentrales Thema der Mensch heitsgeschichte ist. Aus der Überfülle der weibliche Aspekte betreffenden Wörter in den an die 200 Sprachen umfassenden Wortschatz schloß ich auf eine lange Periode weiblicher Vorherrschaft, auch und vor allem wegen des gravierenden Mangels gleichgewichtiger Termini maskuliner Herkunft. Inzwischen habe ich gelernt, daß das gar nicht anders hat sein können. Es hängt zusammen mit der an sich selbstverständlichen, aber erst in jüngster Zeit ins Bewußtsein der Wissenschaft gerückten Tatsache, daß wir Menschen zoologisch zur Gruppe der Säugetiere gehören. Joachim Illies hat damit um 1970 den Anfang gemacht (Zoologie des Menschen), andere folgten ihm bald nach. Seither haben Anthropo
173
logie und Verhaltensforschung weitere große Fortschritte gemacht, in deren Folge wir immer bescheidener in dem zu werden hatten, was wir vermeintlich den Tieren voraus haben. Weder der Werkzeugge brauch noch zuletzt die Lautsprache konnte solcher Umwertung aller »menschlichen« Werte standhalten; Noch-Tiere wie die Primaten verwenden Werkzeuge, wenn auch in ihrer natürlichen Form, und wenn der Ramapithecus vor neun Millionen Jahren die bei ihm bereits vorhandenen Anlagen zu einer Lautsprache nutzte, dann haben »Tiere« auch schon gesprochen - auch das wieder eine Frage der Definition: Bewußte gegenseitige Verständigung und Austausch von Informationen ist auch unter Tieren weit fortgeschritten, sei es bei den Bienen, deren Tänze über Richtung, Entfernung, Art und Fülle der mitgeteilten Tracht genaueste Auskunft geben, oder sei es bei den Jungstörchen, die sich vor ihrem ersten getrennten Überwin terungsflug nach Afrika »verloben«, um sich im kommenden Frühling wieder zu treffen und an die Gründung einer Familie zu gehen. Will man »Sprache« von tierischen Errungenschaften abgren zen, muß man immer engere Kreise ziehen. An der zoologischen Tatsache, den Menschen als Säugetier eingeordnet zu sehen, interessiert uns hier ein besonderer Umstand. Ein Huhn oder eine Ente legt eine Anzahl Eier je nach Hochrech nung der Natur für die Überlebenschancen der Art und brütet sie aus. Sobald die Küken die Eier verlassen haben, können sie laufen oder/und schwimmen, und sie können Nahrung aufnehmen, die sich von der der Mutter kaum unterscheidet. Die Mutter dient ihnen als Schutz und zentraler Stützpunkt, für Ruhepausen und für die Nacht als zusätzliche Wärmequelle. Sie sind also fast »fertig« und brauchen nur noch wachsen, um »erwachsen« zu sein. Da sie als Lauf- oder Schwimmvögel nicht erst das Fliegen erlernen müssen, ehe sie das Nest verlassen können, sind sie vom ersten Tage an in der Lage, die wichtigsten Funktionen, Nahrungsaufnahme und Fortbewegung, selbständig auszuführen. Anders das Säugetierjunge. Es hat sehr viel weniger Geschwister und kommt bei vielen Arten sogar allein zur Welt. Es dauert bei vielen nicht lange, bis sie auf eigenen Beinen stehen und gehen, nach Stunden sogar schon laufen und gegebenenfalls mit der Mutter zusammen fliehen können. Trotzdem sind diese ersten Stunden und Tage die Zeit seiner größten Gefährdung. Die Nahrungsaufnahme erfolgt durch das Saugen der Muttermilch. Ein Säugetierjunges ist von der ständigen Anwesenheit seiner Mutter in viel höherem Maße abhängig als alle weiter unten auf der Evolutionsleiter eingeordneten 174
Tierarten. Wird ihm die Mutter geraubt, geht es kläglich ein. Das gilt für alle Säugetiere, für solche, die schon nach Wochen, und für andere, die erst nach Jahren das Stadium des selbständigen Erwach senendaseins erreichen. Das traf nicht nur auf das frühest denkbare Menschenjunge zu, es hatte es sogar zunehmend schwerer als die Jungen anderer Arten. Als Homo-Arten sich - zunächst kaum merklich - von anderen Primaten abhoben, lebten sie in den Bäumen eines tropischen Urwaldes hauptsächlich von Blättern. Das Neugeborene konnte sich nicht nach Stunden neben der Mutter her bewegen wie eine Antilope, sondern mußte sich am Fell der Mutter mit Händen und Füßen, die damals noch greifen konnten, anklammern. Bei der nächsten großen Veränderung gingen die Homines auf den Waldboden und begannen, von Früchten zu leben. Mit dem aufrechten Menschen, dem Homo erectus, verloren die Füße zunehmend ihre Greiffähigkeit, weil die Finger zu Zehen verkümmerten. Zugleich verloren die Erwachsenen im Zuge der »Menschwerdung« der Art ihr ursprünglich dichtes Haarkleid. So verlor das Junge zunächst zwei Gliedmaßen, womit, und seine Mutter schließlich das, woran es sich festhalten konnte. Entsprechend hilfloser und gefährdeter war es. Auch die Mutter war schlechter dran als andere Mütter: Sie mußte das Kleine jahrelang auf dem Arm mit sich herumschleppen. Auf die Jahrmillionen dieses Tragens der Kinder führt man auch unsere überwiegende Rechtshän digkeit zurück: Da heute noch die Mütter ihre Babys vorwiegend auf der linken Seite tragen, weil — wie man inzwischen weiß — der stetige Herzschlag das Kind beruhigt, diente die Linke zum Halten, während die Rechte frei blieb für etwa das Pflücken von Früchten oder das Versorgen eines Feuers. Wenn das einige -zigtausend Generationen lang geschah, dann ist das heutige Ergebnis nicht weiter verwunder lich. Für das Überleben des menschlichen Jungen war also die ständige Präsenz der Mutter, ihre ununterbrochene Bereitschaft, den Bedürf nissen des Jungen zu entsprechen, überlebensentscheidend. Dem steigenden Bedarf entsprechend wurden menschliche Mütter ange paßt und vorprogrammiert. Bei den meisten Säugetierarten spielen dabei sogenannte akustische Auslöser eine wichtige Rolle - wir sagten es schon. Hier den Ansatz zur Sprache zu sehen, erscheint überaus natürlich. Anders aber als bei den Säugetieren wuchs die Abhängigkeit des Menschenkindes von seiner Mutter um so mehr, je weiter sich die Art auf ihrem Wege zum Menschen entwickelte. Däbei blieben mit ziemlicher Sicherheit Tendenzen des Säugetier175
Stadiums erhalten wie die, sich außerhalb der Brunstzeit von den männlichen Individuen getrennt zu halten. Die Männer gehörten nicht zur Familie, die Kinder wurden in eine weiblich bestimmte Welt hineingeboren und wuchsen in ihr auf. Einen weiteren Schub vermehrter Hilflosigkeit erfuhr das Men schenjunge vor etwa zwei Millionen Jahren, als das menschliche Hirn sich vergrößerte und die Gefahr bestand, daß ein vergrößerter Schädel des Babys den Geburtskanal nicht mehr passieren könnte. Es mußte also im Verhältnis zu seiner nachgeburtlichen Lebensfähigkeit noch früher geboren werden, der Schädel mußte entsprechend weich und flexibel, und das heißt nach der Geburt entsprechend verletzli cher in die Außenwelt treten, die Mutter für noch mehr Sorgfalt, Präsenz und Liebe programmiert werden. All das geschah in ausreichendem Maße - sonst gäbe es uns gar nicht. Vielleicht aber war es menschliche Sprache, die zusammen mit der durch sie geförderten und wachsenden intersozialen Aktion das Größenwachstum des Hirns angestoßen hatte. Einmal mehr aber gewann die Rolle der Mutter an Bedeutung, einmal mehr gewann das Verhältnis Mutter-Kind an Innigkeit. Theodor Dolezol schildert in seinem Buch Adam zeugte Adam eingehend, welche Folgerungen unsere Forscher heute aus fossilen menschlichen Resten zu ziehen vermögen, in bezug auf den restlichen Körperbau, Größe und Gangart, Nahrungsarten und Lebensweisen. Man vergleicht solche Schlüsse in zunehmendem Maße mit den Beobachtungen an Naturvölkern, die noch in etwa so leben wie einst frühe Menschen. Besonders die !Kung des südlicheren Afrika spielen dabei eine wichtige Rolle, übrigens auch, weil man vermuten zu können glaubt, daß sie die Urheimat des Menschengeschlechts noch nie verlassen haben... Mit einigen zeitbedingten Abstrichen kann ihre Organisation und Lebensweise einen recht zutreffenden Ein druck vom Leben früher Homo-erectus-Gruppen vermitteln. Man bewohnte gewissermaßen Clan-weise ein eigenes Habitat oder Revier, im Inneren desselben die Mütter und Frauen mit ihren Kindern und Kindeskindern, während die Männer als »Außenseiter« am Rande des Reviers lebten und so zugleich eine gewisse Schutz funktion ausübten. Während die Männer alle drei oder vier Tage einmal auf die Jagd gehen und das durchaus nicht immer mit Erfolg, sammeln die Frauen Früchte und Wurzeln, auch Eier zu seiner Zeit, und verschmähen auch nicht die Jagd auf kleines Getier oder ein junges Antilopenkitz. Der Beitrag zur Ernährung, den die Frauen erbringen, beläuft sich auf 75 bis 80 Prozent beim Eiweiß, insgesamt
176
sogar mehr. Was sie von einem Arbeitsgang mitbringen, reicht in der Regel für zwei bis drei Tage. Es blieb ihnen also Zeit genug zu geselligem Miteinander und zur intensiven Hinwendung zu den Kindern. Bis in geschichtliche Zeit reichen bei vielen Völkern gynaikokratische, also frauenherrschaftliche Ordnungen, in denen der Mann die - »eigene« - Frau zu meiden hat, solange sie ein Kind stillt. Es gehörte offenbar zur urgeschichtlichen Kontrolle der Populations dichte im eigenen Revier, nicht allzuoft Kinder zu haben. Der größere Abstand zwischen den Geburten verlängerte auch die Stillzeiten. Und damit die Abwesenheitsdauer der Männer. Kinder kannten also vor allem ihre Mütter. Da die Mitwirkung des Mannes bei der Zeugung neuen Lebens erst eine sehr späte Erkenntnis ist, konnte er in früher Zeit, selbst dann, als eheähnliche Ordnungen schon bestehen mochten, aus seiner kurzen Rolle als Besamer keine väterlichen Ansprüche an Kinder ableiten,'deren Zustandekommen er als einen alleinigen Willensakt seiner Frau empfand. Ein sehr wesentlicher Faktor für das enge Mutter-Kind-Verhältnis, offenbar ein letztes Tabu in unserer so aufgeklärten Welt, ist der für die Mutter sexuell lustbetonte Vorgang des Saugens an der Brust. Frauen, die darüber sprechen, vergleichen das durch ihr Kind erzeugte Gefühl mit der Annäherung an und der wollüstigen Entspannung nach einem Orgasmus. Die Natur belohnt also mütter liche Hingabe mit eigener Lust. Wie weise. Aber es erweitert das Mutter-Kind-Verhältnis um eine starke Gefühlskomponente. Uns hier erklärt es mancherlei sprachliche Besonderheiten. Es hat natürlich seine Bedeutung für das Entstehen einer Lautsprache überhaupt gehabt, weil es den Drang, Gefühlen Ausdruck zu verleihen, notwendig verstärkt und die Entwicklung nach einem ersten Anfang beschleunigt haben muß. Mit dem Erwachsenwerden änderte sich das Leben für den männlichen Teil der Kinder von Grund auf. Beim Eintritt der Pubertät verließen sie das mütterlich bestimmte Zentrum und wichen an den Rand des Reviers aus, gesellten sich zu den anderen Männern, ähnlich jungen und älteren, bei denen eine zunächst nach dem Alter gegliederte Rangordnung herrschte - wie bei den Frauen auch -, die sich aber nach Säugetierart außerdem nach der Stärke des einzelnen richtete. Lange Zeiten hindurch bestimmten Rangkämpfe das Geschehen in der Männergruppe, keine angenehme Sache für die neu Hinzugekommenen. Von der Evolution her gesehen, sind solche Rangkämpfe zweckvoll, weil sie nur die Stärksten zur Besamung der
177
weiblichen Population zulassen und so dem besseren Überleben der ganzen Population nutzen. Wir Heutigen identifizieren uns dabei allzu bereitwillig mit den jeweiligen Siegern solcher Rangkämpfe, nicht zuletzt wohl, weil wir ja allesamt von solchen »Siegern« abstammen. So verschwenden wir zu Unrecht keinen Gedanken an die ständig Unterlegenen und Rangniederen, an den Streß eines solchen Daseins und an die im Laufe der Zeit sich ergebenden Fehlentwicklungen bis hin zu sexueller Abartigkeit. Für die jungen Männer war der Verlust der Nestwärme ein schmerzliches Erlebnis, an das sich zu gewöhnen sie sicherlich viel Zeit brauchten. Sie werden heimlich immer wieder einmal versucht haben, sich dem inneren Kreise zu nähern. Jahrhunderttausendelang ohne jeden Erfolg. Diese soziale Organisation, welche die männli chen Mitglieder zu »Außenseitern« der Gemeinschaft stempelte und ihnen den Zutritt zum weiblichen Innenraum bis auf Zeiten sexueller Erwünschtheit strikt verwehrte, muß bis in die Zeit des ausgehenden Sprachaltertums, bis in die KALL-Zeit also, angedauert haben. Die hier angedeutete Situation läßt sich leicht nachstellen: Ein junger Mann schleicht sich an die Gruppe der Mütter, Frauen und Kinder heran, in sehnsüchtiger Erinnerung an die ihm seither fehlende Zuwendung. Er wird schließlich von einer oder mehreren der Frauen entdeckt und mit wütendem Protest auf die Verletzung der Tabus hingewiesen. Das war mit einem Wort deutlich genug zu sagen, nämlich mit dem Wort für »Frauen«, »Clan« in dem Sinne: »Hier ist unser Revier, nicht deines — auf keinen Fall weiter, scher dich weg!« All dies konnte man mit dem Wort für »Frauen!«in der entsprechend abweisenden Betonung ausdrücken. Es ist daher sicherlich nicht verwunderlich, wenn Sprachen aus den verschiedensten Winkeln dieser Erde auf KALL zurückgreifen, wenn sie Formen der Verneinung verwenden. Eine andere Quelle hätte die Höhle sein können, die zu betreten Mütter ihre zu neugierigen Kinder gleichermaßen mit »KALL!« warnen mochten - aber erstens war das sehr viel später, und zweitens war die andere Ursache viel allgemeiner, während ja der größte Teil der Menschheit mit Höhlen gar nicht in Berührung gekommen ist. Wir vermuten daher höchstwahrscheinlich richtiger, wenn wir den Ursprung der Verneinungsformen NEIN, NICHT, KEIN, NON, NULLUS usw. von jenem aus der reinen Tierzeit herstammenden Verhaltensweisen der Trennung der Geschlechter außerhalb der Zeiten sexueller Vereinigungen sehen. Verneinungsformen waren allgemein eine frühe Notwendigkeit
178
Tafel 36: NEIN, NIE und KEIN guarani
polnisch
slowakisch
spanisch
a’NI
NIE
NIE
NIN’gun
nein, no no
nein no
nein, nicht no, not, no
kein, none no
lateinisch
deutsch
polnisch
slowakisch
NIN’gulus
NICH’t/NICH’ts NIK’t
kein, none ninguno
not, nothing no, nada
guarani
a’NIKE
NUAK
niemand, nobody ninguno
kein, none ninguno
polnisch
slowakisch
lateinisch
NIC
NlC
NIHIL
nein, no no
nichts, nothing nada
nichts, nothing nada
nichts, nothing nada
nordisch
lateinisch
nordisch
ph-subnun
IN’te
IN-
INGA/INGEN
KINAQ
nicht, not no
Verneinung, nega kein, none tion, neg.,UN-, AN- ninguno
nicht, not no
ilocan
ph-gaddang
ph-bontok
tagalog
KINA-
bi’KIN
ba’KIN
HIN’di
un-, un- anin- (negativ)
nicht, not no
nicht, not no
nicht, nein, no not, no
etruskisch
französisch
ph-sangil
australisch
LI
RIEN
ba’LINE
ILLA’ILLA
nicht, not no
nichts, nothing nada
nicht, not no
nein/nicht no/not, no
ph-kalagan
lateinisch
samojed
finnisch
di’LIQ
HIL’um
GIEL’det
KIEL’to
nicht, not no
nichts, nothing nada, NIHIL
verweigern, negate verbieten, forbid prohibidar negar
schottisch
guarani
portugiesisch
deutsch
NEER
NE
NEN’hom
NEIN
nie, never nunca
nee, no no
kein, none ninguno
no no
russisch
arhuaco
slowakisch
slowakisch
NJET
NEKI
NECHUE
NE-
nein, no no
nie/nichts, nothing never, no/nunca
nichtig, nothing nada
un- un-, inin- (Negation)
lateinisch
bengali
ph-kallahan
deutsch
NEG’are
REYUNA
bek’KEN
KEIN
verneinen, negate negar
kein, none ninguno
nicht, not no
NONE NINGUNO
179
hethitisch
ph-kallahan
slowakisch
lateinisch
LE
QELEG
NUL
NULL’us
nicht, not no
nicht, not no
nichts, null, nothing, nada, zero
keiner, none ninguno, zero
laddinisch
spanisch
deutsch
churritisch
NUN
NUN’ca
NÜCH’tern
man’NUKKU
nicht, not non
niemals, never ni una vez
empty stomach, en ayunas
gibt’s nicht, nonever, no hay razön
telugu
slowakisch
laddinisch
ph-tausug
KYNOZ
GE’GÜN
bu’KUN
nichts, nothing, nada
vernichten, annihilate, anullar
NÜCHtern, sober sobrio
nicht, not no
twi
australisch
ital.-span.
luo
HUEE
NOWAIY
NO
ONGE
nichts, nothing nada
nicht, kein, no/none kein, none kein, nichts, none nothing, nada, ning. no, ninguno ninguno
Sunna
deutsch
lateinisch
guajiro
tasmanisch
OHNE
NON
NOJO
NOIA
without sin
nicht, not no
nein, no no
nicht, not no
laddinisch
schottisch
ph-atta
ph-subnun
NÖGLIA
NOCH’t
KONOQ
KONAQ
nichts, nothing nada
nichts, nothing nada
nicht, not no
nicht, not no
ph-ifugao
tibetisch
maori
ph-balangwa
bo’QON
KON-
HORE
LOQ
nicht, not no
un-, inan- (Negation)
nicht, not no
nicht, not no
australisch
tupi
tupi
slowakisch
ter’NALO
AANI
NAANI
NANIC
niemals, never nunca
nichts, nothiñg nada
kein, none ninguno
nichts wert, wortless, sin valor japanisch
japanisch
schottisch
guarani
NANIGE-
NANE
NA!
-NAI
Vorsilbe un-, unin-
kein, none ninguno
nein! no! no!
Nachsilbe: nicht not, no
guarani
irisch
portugiesisch
englisch
NANGA!
AIN-/AN-
NA’da
NAUGH’T
nein ¡nicht no-not, no!
Vorsilbe wie un-, un-, in-
nichts, nothing NA’da
nichts, nothing nada
180
luwisch
arabisch
arabisch
ph-manobo
NAUHA
LAN!
HANI
KANAQ
nicht, not no
Auf keinen Fall! No! No!
vernichten, annihilate, anular
nicht, not no
ph-agta
maya
ilocan
ph-agta
a’WAN
QAWAN/QWAN KAN
nein, nicht, kein no, none, ninguno
nicht, not no
finnisch
arabisch
arabisch
suahili
KAAN
LAIYY
LA
HAI-
nicht, not no
nein, negierend, no, negating, no
nein, no no
verneinend unun-, in-
maori
maori
australisch
ph-ivatan
KAUA
KAO
muk’KA
QALIH
nicht, not no
nicht, not no
NEIN! kein, no! nicht, not none, NO! Ninguno no
nicht, not no
ÖAN nicht, not no
ph-kallahan
ph-kalinga
arabisch
ph-batak
QALI’wa
wa’LAQ
KALLA!!
bi’LAG
nicht, not no
nicht, not no case!
Auf keinen Fall!! In nicht, not no case! No, nunca! no
ph-sambal
hebräisch
arabisch
ph-bilaan
QAL’wa
KALA
HALAK
LAQ
nicht, not no
VerNICHtung anNIHILation
annullieren, anul annular
NICH’t.NO’t NO
sprachlichen Informationsaustausches. Sie waren häufiger Bestand teil jedweder Unterhaltung und sind das noch. Tafel 36 übernimmt trotz eines gewissen anteilmäßigen Übergewichts auch die philippini schen Sprachen, insbesondere weil sie die Übergänge und Zwischen stufen deutlich zeigen. Man beachte auch die hier gewählte umge kehrte Reihenfolge der Beispiele. Auch diese Tabelle ist übrigensein »by-product« der Vorbereitung zu diesem Band - es fiel einfach auf, daß unter den aufgefundenen KALL-Formen eine beträchtliche Anzahl Termini der Verneinung auftraten. Nichts war leichter als sie dann auszusondem. Zwar sind die meisten von ihnen relativ weit vom Archetyp entfernt, aber dennoch finden sich schon in dieser notwendig unvollständigen 181
Auflistung fast zwei Dutzend fast reine und reine Formen des Archetyps, der in einem so großen Umfang weibliche Sinngehalte abdeckt. Finden sich ähnliche Formen auch bei BA, dann ist das eine bloße zeitlich frühere Parallelerscheinung. Finden sie sich dagegen bei TAG, das in einem folgenden Band behandelt werden wird, nicht (wie ich vermute), dann spricht viel für die gebotene Deutung. Dieser Aspekt wird daher im nächsten Bande nochmals erwähnt werden. Es liegt an der Arbeitsweise, wenn ich diese Frage nicht hier und jetzt schon beantworten kann. Ich verfüge etwa über 5000 TAG-Beispiele (die aber noch nicht auf diesen Aspekt hin durchgesehen sind) und erweitere deren Zahl parallel zu diesem Band auf rund 30000, ehe ich an die Niederschrift gehe. Dabei läßt sich dann auch auf die Verneinungsformen achten. Nebenbei: »JA« geht in den meisten Sprachen auf TAG zurück. Die Tendenz auch sonst bei Säugetieren, die jungen Männchen aus dem inneren Kreise der weiblich-mütterlich dominierten Herde zu verbannen, mußte menschliche Jungmänner besonders hart treffen, weil ja ihre Kindheit gegenüber den meisten Säugetierarten um ein Vielfaches verlängert ist und weil, wie schon erwähnt, das Verhältnis zwischen Mutter und Kind (auch wenn es ein Knabe war) sich besonders innig gestaltete. Also ist es nur natürlich, wenn diese zu den »Außenseitern« verbannten Jungmänner immer wieder einmal versuchten, sich zurückzuschleichen. Dabei mag ihnen irgendwann einmal in den Jahrtausenden, die für einen solchen Zufall zur Verfügung standen, ein Mißverständnis zu Hilfe gekommen sein, wie es David Jonas in dem Buch Weib und Macht skizziert hat. Irgendwann einmal kam so ein junger Mann von einem Gerangel mit anderen Aasfressern um eine Raubtierbeute zurück, das in relativer Nähe des inneren Reviers stattgefunden hatte. Als er von einer Frau gestellt und am Weitergehen gehindert wurde, hob er wie immer abwehrend die Hände und beugte wohl auch den Oberkörper - eine Unterordnungsgeste, wie bei Säugetieren üblich. Die Frau mißver stand die Geste als Angebot, nahm den Fleischfetzen, den er unbewußt noch in einer Hand hielt, und verzichtete auf feindselige Aktionen. Wenn so etwas auch nur einmal passiert ist, dann war der Weg weit offen für Wiederholungstäter. Schließlich lassen ja sogar die gewissenhaften Wächterbienen volksfremde Bienen dann in die eigene Beute ein, wenn diese schwerbeladen mit Nektar oder Pollen anfliegen... Eine solche positive Erfahrung hat mit Sicherheit den Eifer der Männer beflügelt, mit weiteren Leckerbissen zu den Frauen zu kommen und dies am Ende nicht mehr nur mit Aasfetzen, sondern
182
mit selbst Erjagtem. Man könnte in großherziger Anlehnung an Goethe sagen - weil sie das Ewig-Weibliche hinanzog, wurden sie so zu echten Jägern... Im Laufe vieler Jahrhunderttausende fanden die Männer schließ lich eine biologische Nische, die den dominierenden Frauen die größere Nähe der Männer genehm machte: ihre gesteigerte Schutz funktion und die Beisteuerung von begehrter fleischlicher Nahrung. Es hat aber dennoch bis in geschichtliche Zeit gedauert, bis sie die Vorherrschaft der Frau in der Gesellschaft abzulösen vermochten. Wenn das so lange gedauert hat, so gibt es dafür gute Gründe. Die außerordentliche Dominanz weiblicher Termini in früher Sprache und da besonders deutlich bei KALL angesiedelt, fordert eine etwas eingehendere Beschäftigung mit der besonderen Rolle der Frau in urgeschichtlicher Zeit und damit eine Fortführung der weiter oben bereits begonnenen Betrachtungen. Zwischen 1906 und 1921 entdeckte D. Perony unter einem Felsdach bei La Ferrassie in dem so fundträchtigen Gebiet entlang der Dordogne nacheinander sechs menschliche Skelette, die offensichtlich mit größter Sorgfalt bestattet worden waren. Die Bedeutung dieses Fundes ging weit über die hinaus, die man ihm zunächst beimaß. Die Toten waren bequem, wie zum Schlafen gebettet worden, sie waren in ost-westlicher Richtung niedergelegt und der ganze Bestattungsplatz eher verschwenderisch mit rotem Ocker geschmückt worden. Und es waren Neandertaler. Das Alter der Grabstätte wurde im Laufe weiteren Studiums auf gut 100000 Jahre geschätzt. Schon der Neandertaler kannte sich also in seinem Himmelsgewöl be aus und bettete die Toten gen Sonnenauf- und Sonnenuntergang - ein Brauch, der sich bis weit in unser Mittelalter erhielt. Man verwendete roten Ocker, die Farbe der Sonne bei Auf- und Untergang, die Farbe also des Lebens, des Immer-wieder-neu-zumLeben-Erwachens, und man gab den Toten Beigaben mit auf ihrem Wege zu neuem Leben, die sie dann wieder zu eigen haben würden. Diesem Brauch der Beigaben verdankt die Urgeschichtsforschung ihre Kenntnis von Werkzeugen und Schmuck, denn besonders erstere wurden normalerweise bis zur Unkenntlichkeit verbraucht und verschlissen. Den Toten dagegen gab man neue oder doch neuwertige Stücke mit ins nächste Leben. Wie aber sollte neues Leben sich einstellen können? Für diese einfachen und inmitten einer hautnahen Natur lebenden und miterlebenden frühen Menschen war das nur denkbar durch erneute Geburt, durch Wiedergeburt, wie wir heute sagen.
183
Wohl bewies ihnen die Natur tausendfach das immer wieder eintretende Erwachen zu neuem Leben, wohl ging die Sonne an jedem Morgen von neuem auf, und erst recht erschien auch der auf Null abnehmende Mond nach einigen Nächten völligen Erlöschens als schmale zunehmende Sichel wieder am Nachthimmel und wuchs von Nacht zu Nacht, bis er strahlend sein volles Maß wieder erreichte. Auf sich selbst aber bezogen war Gleiches nur denkbar durch Geburt, durch eine Geburt, wie man sie immer wieder einmal miterlebt hatte. An sich selbst, wenn man eine Frau war, an der eigenen Mutter und deren Schwestern und ältesten Töchtern, solange man im inneren Kreise lebte, aus der Distanz, wenn man erst einmal ein Mann war. Aber auch für sie war das ein natürlicher Vorgang, wenn sie ihre mindere gesellschaftliche Rolle vielleicht auch leichter ertrugen angesichts dessen, was die Frauen vor und bei der Geburt durch machten. Ist doch der Mann keiner annähernd so großen Anstren gung je in seinem Leben unterworfen. Wenn neues Leben neue Geburt voraussetzte, dann waren es die Frauen, durch welche man wiedergeboren werden konnte, nicht die Männer. Deren biologische Funktion bei der Zeugung neuen Lebens war völlig unbekannt; erst in Lascaux findet sich ein erster Hinweis auf solches Wissen - vor allerdings nur rund 13000 Jahren. Jahrhunderttausendelang waren im Denken der Menschen die Frauen diejenigen, die »zeugten«, nach eigenem Willen und ohne jedes Zutun von männlicher Seite. Sex hatte nichts mit Nachkommen zu tun. Noch in unserer Zeit konnten islamische Herrscher sich von ihren Frauen wegen Kinderlosigkeit trennen, weil die Vorstellung, gebären hänge vom Willen der Frauen ab, noch lebendig ist. Im Yemen gar konnte eine Frau dem geschiedenen Mann noch nach Jahren eine Vaterschaft anhängen, weil man ihr glaubte, daß sie aus Ärger über ihn die Schwangerschaft habe bis jetzt ruhen lassen... Der gesellschaftliche Machtzuwachs der Frauen muß mit dem Glauben an eine nur durch sie mögliche Wiedergeburt seinen Höhepunkt erreicht und auf lange Zeiten behalten haben. Denn ganz offensichtlich war solche Wiedergeburt kein automatischer Vorgang. Das Leben der Verstorbenen zählte mit - und die Sorgfalt der Bestattung durch die nächsten Angehörigen. Noch in der römischen Rechtspflege ist das Parricidium hervorgehoben, der Mord an einem Menschen aus dem gleichen Mutterschoß wie Mörder oder Mörde rin. Täter oder Täterin wurden nicht nur mit dem Tode, sondern über diesen hinaus bestraft: Sie durften nicht in der Erde bestattet werden (weil dies eine Voraussetzung zur Wiedergeburt war), sondern
184
wurden in einen Sack genäht und ins Wasser geworfen - sie sollten nie mehr einer Wiedergeburt teilhaftig werden können! Man lief also immer Gefahr, nicht wiedergeboren zu werden; die Frauen hatten es in ihrer Hand, solches zu gewähren oder zu verweigern. Welch eine ungeheure Macht! Umgekehrt gewann die Vorstellung die Oberhand, daß jede Geburt, die man miterlebte, zugleich eine Wiedergeburt, die Wiederkehr eines Ahnen sei. Australische Mütter, die ein Kind durch Tod verlieren, pflegten zu sagen: »Nicht schlimm, es kommt bald wieder.« Ein deutsches Wort hat uns germanischen Glauben bewahrt, das Wort ENKEL. Es hieß vor 2000 Jahren noch ENIN CHILIN, im jetzigen Deutsch »Der kleine Ahne«! Man erhoffte sich also, in einem seiner nachgeborenen Enkel wiedergeboren zu werden. Solches Glauben bescherte aber nicht nur den Frauen eine fast absolute Macht, es verhalf auch den Menschen ganz allgemein dazu, leichter »gut« sein zu können als später. Die vage Furcht vor einem »Jüngsten Gericht« ist ein schwaches Motiv dazu - verglichen mit der massiven Gewißheit, in dieses so geliebte Leben nicht zurückkehren zu dürfen, wenn man die bestehenden Gebote verletzt. Die Schöpfungsgeschichten unterschiedlichster Mythologien be antworten die Frage nach dem Entstehen der Menschen in streng gynaikokratischer Manier: Da ist eine Urmutter das erste lebende Wesen. Sie gebärt aus sich selbst, ohne männliches Zutun, einen Sohn, mit dem sie sich zu gegebener Zeit verbindet und—wie GAIA— die Titanen, oder - wie GINNANGAGAB, die Sich-Öffnende den Ymir, oder wie INANNA den Tammuz »zeugt«. Dann erst folgen die Menschen. Unbefleckte Empfängnis und reine Mutterge burten sind daher ein uralter mythischer Zug menschlicher Kultur. Verglichen mit den sie umgebenden Hochkulturen hätte unsere Schöpfungsgeschichte eigentlich lauten müssen: »Zuerst war Eva. Sie gebar Gott und zeugte später mit ihm Adam.« Das Merkwürdige ist die Wiederholung dieses Prinzips der Parthenogenese in der Natur. Eine unendlich lange Zeit behalf sich die Evolution der Lebensformen mit ungeschlechtlicher Vermeh rung. Noch heute pflanzen sich viele Lebewesen bis herauf zu den Crustaceen so fort, und selbst die Bienenkönigin ist noch immer fähig, unbefruchtete Eier zu legen, aus denen dann Drohnen schlüpfen. Die genauere Erforschung der Entwicklung menschlicher Foeten hat erst unlängst die Behelfskonstruktion widerlegt, wonach Ei und sich entwickelnder Embryo zunächst sexuell neutral seien - sie sind in Wahrheit und von Anbeginn weiblich. Erst nach sechs 185
Tafel 37: Überdauern von KALL tamachek (tuareg)
arabisch
quechua
quechua
a’KALAK
LAQAH
HUALL’pa
QALLALAY
zeugen, GENErate zeugen, GENErate erschaffen, CREate zeugungsfähig, proenGENdrar enGENdrar CREar creative, creable
arabisch
arabisch
tagalog
quiché
* HALAQ
HALIQ
LA’LANG
tza’KOL
erschaffen, procreate, procrear
Schöpfer, creator CREAdor
Schöpfung, creation Schöpfer, creator creación cread, divino (TAG)
thai
mapuche
suahili
thai
KOO
CHOYEN
* HULUKU
KHYN
zeugen, CREAte crear
zeugen, gebären create,crear
Schöpfung, creation erschaffen, beGIN creación crear, empezar
anglosaxon
chinesisch
lateinisch
CENNAN
SCHENGCHAN GEN’ere
hervorbringen crear
zeugen, CREAte enGENdrar
lateinisch
CREA’re
erschaffen, GENE- zeugen, GENErate rate, enGENdrar CREAr
tagalog
lateinisch
tagalog
irisch
LIKHAIN
GIGN’ere
KINA’pal
GINIUN’t
zeugen, GENErate hervorbringen enGENdrar CREAte, CREAr
Schöpfung, creation zeugen, GENErate creación (BA) enGENdrar
Wochen beginnt bei knapp der Hälfte der Foeten die Abspaltung in Richtung auf eine männliche Ausformung. Wir werden also zunächst einmal alle miteinander weiblich gezeugt! Es ist sicherlich ziemlich unerheblich, ob unsere fernen Vorfahren solches schon gewußt oder ausweislich ihrer Mythologien nur geglaubt haben - sie kannten da noch keinen Unterschied. Im Ganzen lagen sie also richtig. Wie erstaunlich! Als die Einsicht in die Zeugungsvorgänge allgemein wurde, wechselten die Sprachen überwiegend zu TAG-Formen - ZEUGEN ist schon eine solche, wie auch das sumerische TI — mit Ausnahme wahrscheinlich derer, die weiter unter mutterrechtlicher Ordnung lebten, wie gleich das erste Beispiel der Tafel 37 zeigt. Um die Bandbreite weiblicher Vorstellungen in der Sprache zu übersehen, muß man sich auch das Wirken weiblicher Sexualität vergegenwärtigen. Die Häufigkeit sexueller Vereinigung variiert in der Welt der Tiere von einmal im Leben bis hin zu jederzeit. Bei den großen Säugern wie Wal oder Elefant (und Mammut) dauert die Laktationsperiode bis zu zwei oder gar drei Jahre - entsprechend selten ist Sex. Zudem signalisiert in der Welt der höheren Tierarten 186
jeweils das Weibchen, wann sie eine Beiwohnung wünscht. Die Männchen sind darauf programmiert, entsprechende Signale abzu warten. Auch beim Menschen müssen wir davon ausgehen, daß es im frühesten Stadium einmal im Jahre eine Art Brunstzeit gab. Folgte darauf eine Schwangerschaft und die Stillzeit für ein Baby, dann war eine solche Frau für zwei bis fünf Jahre sexuell tabu. Bei Völkern unter Mutterrecht durfte der Ehemann sich dann anderswo binden. Aber das war erst sehr viel später. In der vor-ehelichen Zeit menschlicher intersexueller Beziehungen bestimmte die Frau weit hin. Es muß die zwischenmenschlichen Beziehungen auf eine völlig neue Grundlage gestellt haben, als die Frauen in immer kürzerem Abstand zu sexuellem Zusammengehen bereit waren. Dazu trug wahrscheinlich ihre Errungenschaft eines Orgasmus bei, der zur Wiederholung anreizte. Heute zeichnet sich das menschliche Sexual leben vor dem der Tiere dadurch aus, daß beide Teile praktisch täglich oder sogar zu jeder Stunde fähig sind, sich mit einem Partner zu vereinen. Entsprechend vermehrte sich der Wortschatz. Wenn wir ehrlich sind, kann das GLÜCK eines Orgasmus oder einer Ejakulation in seiner Intensität kaum von einem anderen Lustgefühl übertroffen werden. Kein Wunder, daß Wörter dafür dem der weiblichen Leibesöffnung so nahe bleiben. Das wesentliche Merkmal von KALL ist sein kategorischer Imperativ des HOHLEN. Diesem Imperativ entspricht die Frau in frühmenschlicher Sicht gleich zwei- oder dreimal. Einmal der hohle Leib, in dem neues Leben sichtbar heranwächst, zum anderen die Körperöffnung der Vagina, die nicht nur höchstes Glücksgefühl zu vermitteln vermag, sondern auch den Weg neuen Lebens nach draußen bildet, und schließlich die Brust, die ja irgendwie hohl sein muß, wenn das Baby daraus zu trinken vermag. Von den möglichen drei ist aus früh menschlichem Begreifen sicherlich die Vagina das wichtigste Merkmal. Wenn wir heute »VA’GINA« sagen, weil uns ein einfacheres Wort vulgär erscheint, dann tun wir auch diesem lateinischen Wort Unrecht: Es bezeichnet einmal von BA her und in Verbindung damit über KALL den sehr einfachen Tatbestand: LOCH. Das tut auch das tasmanische LOWA, ein Synonym für gleich drei Begriffe: F’RAU, LOCH und sogar HÖHLE (!). Tasmanisches hat immer ein besonderes Gewicht, weil diese Menschen vor einem Jahrhundert tausend zuerst nach Australien und vor rund 30000 Jahren nach Tasmanien einwanderten. Alle Übereinstimmungen bezeugen, daß die Menschheit vor 100000 Jahren schon - oder noch - jenen 187
Tafel 38: Das LOCH georgisch
ph-ifugao
isländisch
mapuche
GAL’ta
ban’GAL
KJAL
CAL’cha
arabisch
spanisch
quechua
telugu
GAR
LACHA
JAALI
baskisch
mentawei
AL’tzo
LALAN
RACA thai KHAN
australisch
tasmanisch
quiché
arabisch
HAN’bi
ma’GANA
sch’KANIL
NAKH
quechua
setswana
laddinisch
arabisch
NAUKI
se’NANA
RAVUOGL
HAYAN
chinesisch
chinesisch
bengali
griechisch
tagalog
KAN’dugan
HAI bau
waiYIN
KOL
KOL’pos
chakaszki
aynu
türkisch
luo
CHOR’by
KOR’pe
döl’YOLU
NGWON
nordisch
griechisch
polnisch
slowakisch
KJÖNN
GONE
LONO
LONO
thai
loma
telugu
quechua
LYNG
KULU
SULLI
ULLU
lateinisch
baskisch
bengali
lateinisch
VUL’va
KUN’de
i’GUNO’dar
CUNN’us
englisch slg.
guarani
setswana
tibetisch
CUN’t
GUANI
NYO
KU-pan
aymara
irisch
ph-subnun
ph-agta
CHENKE
GNE’as
bu’LIQ
SILA
tegulu
welsch
türkisch
chinesisch
LINGA’mu
GLIN
CIN’s
YINdao
lateinisch
suahili
suahili
arabisch
va’GINA
JINA
KIN’embe
HIRR
Sinn der Wörter: Vulva, Vagina, Schoß.
gemeinsamen Urwortschatz besaß, der aus unseren Archetypen bestand. Es liegt noch vor uns, zu entdecken, daß auch unsere Sprachen kaum anders verfahren sind als das tasmanische LOWA - auch unsere KALL-Formen für die genannten drei Inhalte entsprechen einander weitgehend. Ein Aspekt nicht nur von großem Interesse in mancherlei Hinsicht, sondern auch von großer kulturel ler Auswirkung (vgl. Tafel 38). Das Wort F’RAU ist übrigens gleichfalls eine BA/KALL-Verbin dung, innig verschmolzen, da von BA nur der Anfangslaut -F188
Tafel 39: VaGINA und Sex norwegisch
arabisch
griechisch
quiché
GAL
HAL
GAR’GAL
CAR
GEIL, LECHER LOCO
verLOCKen, beGUILE, seducir
erregt, excited excitado
buhlen, loving cohabitando
quiche
aymara
thai
lappisch
RAI CH
a’CHALA
RAAKHA
RAKKA’staddat
lüstern, voluptious, LOCO
liebkosen, make love,carezar
beGEHRen, LON- GEIL, RANK GINGfor.QUERer LOCO
arabisch
griechisch
lappisch
quiché
GARA’m
LAGN’os
NARGO
CALUCH
sex. GIER, RANK- wollüstig, LECHe- sex. Verkehr, con ness, voluptidad rous, LUJURiose gress, cohabitación
Coitus
telugu
slowakisch
griechisch
lateinisch
CHAALU
NARU’zivy
LAGN’eion
LAQUE’are
GEIL, RANK LOCO
lüstern, LECHerous, LOCO
Kohabitation
LOCKen, beGUILE, seducir
quechua
aynu
chinesisch
tibetisch
hua’KALLI
u’KAUN/u’KOR KUANG
umfangen, make love, cohabitación
sex. Vereinigung congress, coitus
tibetisch
maori
arabisch
quechua
LHAN-pa
tango’HANGA
HANA
YANGUA
Koitieren, sexual congress, coitus
heiraten, wedding casarse
koitieren, sex. congress, coitus
Lüsternheit, LECHerous, QUIERENdo
australisch
suahili
englisch
arabisch
yi’GANA
t’WAANA
CANOO’dle
GANIJ
Coitus
Coitus
liebkosen carezar
verliebt, in love enamorado
arabisch
tibetisch
tibetisch
arabisch
NAKAH
NYAL-po
NAL-bu
NAJAL
heiraten, wed casarse
Coitus
lüstern, RANK LOCO
begatten, beget cohabitar
englisch
telugu
spanisch
CAJOLE
KAA’VAALAN GAY’o
verLOCKen seducir
GEIL, RANK LOCO
tibetisch
KOL-pa GEIL, RANK LOCO
RKAN-pa
toll, GEIL, RANK beGEHRen, HANLOCO KER after
guarani
HAI’hu
lüstern, GAY ALEGre
beGEHREN, HAN KER after
quechua
bengali
suahili
LLOQAY
KOLA’KOLI
bon’GOLA
begatten, beget cohabitar
umarmen, embrace Coitus amar
189
tasmanisch LOANGA kohabitieren, beget coitus
spanisch LOC’o GEIL RANK
griechisch a’LOCH’os Sexpartner
spanisch GOLLE’ria GEILheit RANKness
aymara LOKJE
chakaszki
japanisch
GEIL, RANK LOCO
GEIL, RANK LOCO
setswana KOREL’wa GEIL, RANK LOCO
suahili NGONO Coitus
suahili
englisch COVE’t beGEHRen, HAN- BeGEHREN KER after QUERer
thai LUG’LIK obszön, obscene obsceno
tagalog
quechua KULLA Lüsternheit, tust QUERER
LUNG’gate BeGEHR, HAN KER after spanisch
KÖLEN’dzik
NGOA
bek’KON Intimität
chakaszki
quiché
a’LYNXAN
CURAICH
GEIL, RANK LOCO
beGEHRen, COVEt QUERer
quiche
guaraní
CULUN
ha’GUIRO
lieben, make love, amar
sex. erregen excite, excitar
Wollust, orgasm orgasmo
finnisch HULU GEIL, RANK LOCO
suahili
chinesisch
türkisch
chakaszki
GHURI
jie’HUN
düs’KÜN
a’TSCHÜN
verführen, beGUILE, seducir
kohabitazion
lüstern, lustful LOCO
lüstern, LECHErous, LOCO
quechua NUKII kopulieren, sexual congress, coitus
quechua
deutsch
KUYAY
GEIL
mapuche N’GELN kopulieren, sex. congress, coitar
quiche
englisch
spanisch
QUERAH
LECHER
QUER’er
LUJU’ria
beGEHRen, HAN- RANK, LECHEKER a., QUERer rous, LOCO
beGEHRen, HAN s. d. Wollust hingeb. be’GEHR’en KER aft., QUERer darse a volupticidad want, hanker after
japanisch NEN BeGIER, desire deseo sexual
tibetisch KLIG-pa beiwohnen, sex. con gress, cohabitación
deutsch GIER even sexual desire ansia
tagalog LIGA’wan verführen, make love, seducir
polynesisch a’HILEK * beGEHRen, want QUERer
thai
mentawei
türkisch
englisch
KILE’ed
KIN
kiz’GIN
(to) KIN’d
Lüste, lust GANA
Coitus
GEIL, RANK LOCO
begatten, beget cohabitación
190
mapuche
chinesisch YINyu sich vereinigen, go lüstern, lustful together, ser juntos LOCO
chinesisch
QUIN’CHAN
XING jiao
aynu KININ
Coitus
Kopulation
japanisch
arabisch
japanisch
japanisch
NIKKAN
NIKAH
NIKKO
NIKU’jo
GEILheit, RANK- Kohabitation ness, ser LOCO
Sex.-Verkehr, -con- sinnliche GIER, sex. gress, cohabitación lust, QUERer sex.
übriggeblieben ist. Aber das haben wir schon an anderen Beispielen gesehen. Tauscht man das -R- des KALL-Teiles ’RAU gegen das frühere -L-, erhält man LAU und damit eine deutlichere KALLForm. Mit vier, höchstens fünf Schritten kommt man von BA’KALL zu FRAU. Die Vagina - es könnte kaum anders sein - stellt ein Grundthema in allen Sprachen, die wir hier für unsere Vergleiche heranziehen. Ihr unmittelbar verbunden sind die Aspekte der Sexualität und des Gebärens. Und das weitgehend nach dem schon bei der Hand aufgezeigten Schema, man erinnere: HAND/HANDELN/HÄNDIGEN/HINDERN/HELFEN/HALTEN/HOLEN usw. Zunächst die Sexualität: siehe Tafel 39. Längst nicht alle Sprachen haben ein eigenes KALL-Wort für Sch’WANGER. Die romanischen behelfen sich mit dem Wort für »schwer«, gravidus, oder leiten es vom »tragen« ab. Wo aber dieser Zustand unmittelbar mit der Frau ausgedrückt wird, als einem nur ihr eigenen und möglichen Zustand, wird KALL herangezogen (Tafel 40 A). Unser Wort »Gebären« ist eigentlich ein falsches Wort, weil BARAN genau genommen »tragen« bedeutet (daher die »Bahre«), was dem Geburtsvorgang vorausgeht. Andere Sprachen verfügen zum Teil sogar über mehrere KALL-Ableitungen für diesen Vorgang (vgl. Tafel 40 B). In jener frühen Zeit, in der Sprache entstand, waren die Frauen auch noch die alleinigen Regulatoren der Populationsdichte. Diese Verhaltensweise aller Tierarten sorgt dafür, daß in dem jeweiligen Wohnrevier oder Habitat nur so viele Individuen einer Art leben, wie dieses Revier zu schützen und zu ernähren vermag. Neue Individuen werden nur geboren - und daher gezeugt, wenn Platz für sie 191
Tafel 40 A: Schwangerschaft thai KHAN
deutsch sch’WANGER
finnisch KAN’taa
australisch NAN’yee
chakaszki * CHARYNNYX
chinesisch zi’GONG
aynu KOR
thai ROG
thai mod’LUUG
kroatisch KUL’java
arabisch LUQQAH
telugu CHULU
tibetisch SHIN’KUN
chinesisch YUN hu
japanisch cha’KUI
bantu WELEKA
lateinisch GENFtus
suahili KILENGA
irisch GIN (Embryo)
japanisch NIN’SHIN
Tafel 40 B: Geburt baskisch GAL’tzar
quichi CHAL
arabisch LAZA
sumerisch KAL’amma
quichi CALA’xic
quichi SCHALAN
arabisch LAQIH
quiche AL
churritisch HAN
chinesisch maori SCHANGCHAN ko’HANGA
visaya GANAKAN
etruskisch CLAN
guarani a’LANIC
ilocan NAG’taudan
spanisch NAC’er
naSina
aymara
lateinisch NASC’i
ilocan NAY’ANAC
polnisch NARO’dzenic
griechisch LOCH’os
griechisch LOCH’eia
suahili KON’do
thai tog’LUUG
lateinisch LUCIN’a
baskisch sor’KUN
tibetisch KLUN-ba
anglosaxon CUN’d
arhuaco KUA’KUNAN
luo NYUOL
quechua KURAQ
guarani CURU
arabisch QURU/QARA
mapuche LLEQ’tun
quiche SCHEALANIC
griechisch GENE’sis
welsch GENI
setswana mme’REKO
tibetisch HIN
192
ilocan a’GANAC
vorhanden ist. Raubtiere etwa markieren ihr Revier durch Duftmar ken, beim Bär kommen noch Kratzzeichen hinzu, die so hoch wie möglich an Grenzbäumen angebracht werden. Die Höhe der Einrisse bezeugt die Größe des Urhebers und soll Respekt einflößen. Da es aus biologischen Gründen unter Tieren Rangordnungen gibt, denen Rangkämpfe vorausgegangen sind, verweigert sich etwa bei Wolfsru deln die führende Wolfsfähe dem »zuständigen« (welch ein Wort! Sprache steckt voller Sexismen!) Rüden und wacht schärfstens darüber, daß auch keine andere Fähe in der laufenden Brunstzeit noch gedeckt wird. Ist reichlich Beute im Revier verfügbar, werden auch die nachgeordneten Muttertiere gedeckt. Wolfsrudel gehen in der Regelung der Populationsdichte sogar so weit, zwischen sich und dem nächsten Rudel einen breiten Streifen zu belassen, in dem sich ihre Beutetiere ungehindert vermehren können. Weder jagen sie darin, noch dulden sie, daß das Nachbarrudel darin jagt. Da in jenen fernen, noch säugetiernahen Zeiten die Männer sexuell nur auf Aufforderung hin aktiv werden konnten, war das System auch bei den Menschen ziemlich narrensicher. Die Folge: Man lebte in einem vergleichsweise wohlversorgten Paradiese, in einem Garten Eden, in dem der Zeitaufwand für die Nahrungssuche angenehm begrenzt gewesen sein muß. Bis zu der Zeit, etwa 10000 Jahre vor heute, mag das Regiment der Frauen auch die relativ geringe Populationsdichte in menschlichen Wohnrevieren garantiert haben. Das änderte sich erst, als die Ausbreitung der Gruppen über praktisch den ganzen bewohnbaren Erdball zusammen mit Klimaän derungen Ackerbau und Herdenhaltung nahelegten. Von da an war jedes Individuum mehr eine erwünschte Arbeitskraft mehr. Entspre chend verringerten sich die Stillzeiten, um so kürzer wurden die Zeiten zwischen den Geburten einer Frau. Mit dem Übergang zu männerrechtlichen Ordnungen gefiel es dem internen Dominanz streben der Frau, mehr Kinder zu haben, blieb ihr doch dieses Reservat eigener Machtausübung in vielen Gesellschaften als einzi ges übrig. Aber soweit sind wir noch nicht. Wenn wir in unserer Sprache von ANFANG und BEGINN sprechen, dann tun wir das ganz im Sinne jener frühen, in ihrem Denken zutiefst einfachen Menschen, für die der Geburtsvorgang gleichfalls der Anfang aller Dinge, der Beginn allen Werdens war. ANFANG nämlich ist eine Folgeform des FANG oder FAVN, des weiblichen Schoßes, wie auch der BEGINN von GINNAN, sich öffnen, ergänzt durch GINAN, das GÄHNEN einer Öffnung, sich herleitet und nur allzu deutlich den Geburtshergang beschreibt. Hier
193
Tafel 41: BeGINN und Abstammung aymara
englisch HAIL from beGINN, beGIN- stammen von NING, comenziam. oriGINar
KALL’ta
quechua
quechua CALLA’ri Nachkommenschaft beGINNEN, beGIN proGENy, descend. comenzar
VIL’LAC
beGINN, beGINNING, principio
finnisch ALK’aa beGINNen, beGIN empezar
suahili CHAN’zo beGINN, beGINNING, principio
tagalog
thai
türkisch
HANGO
KHANG’ton
* KAYNAK
abstammen, des cend, descender
BEGINN, BEGIN Ursprung, oriGIN oriGEN NING, principio
suahili to’KANA abstammen, oriGINate, descender
quechua
suahili
QALLAY
a’WALI
anfangen, beGIN principiar
quechua
japanisch NAGA’re beGINNen, beGIN Herkunft, oriGIN empezar oriGEN
lappisch NALAG beGINNen, beGIN abstammend, oricomenzar GINating slowakisch
CHAN’CA
naCin
japanisch
japanisch RANSCHO beGINNen, beGIN Ursprung, oriGIN comenzar oriGEN
chinesisch KAI schu Anfang, beGINNING, principio
chinesisch KAI schi Ursprung, oriGIN oriGEN
setswana
thai KOO beGINNen, beGIN empezar
guarani GUARA Ursprung, oriGIN oriGEN
arabisch
japanisch
arabisch
guarani
finnisch
RUIGEN
NUJAR
GUA
te’KEILLE
Abstammung, ori GIN, oriGEN
Abstammung, ori GIN, descensión
Herkunft, oriGIN oriGEN
anfangen, beGIN comenzar
quiché SCHEN
türkisch
türkisch
arabisch
a’SCHIL
ILK
HINJ
Herkunft, oriGIN oriGEN
Ursprung, oriGIN oriGEN
beGINN, beGINNING, principio
Ursprung, oriGIN oriGEN
NARU
tshimi’LOGO Ursprung, oriGIN oriGEN
194
GURA’bat beGINN, beGINNING, principio
den Anfang aller Dinge wie auch den Begriff der Abstammung zu lokalisieren, fällt sprachlich leicht. Wir bringen diese beiden Begriffe in der Tafel 41 zusammen, kommen aber danach auf einen weiteren wichtigen Asp-ekt zurück: Wörter und Namen für Völker (vgl. hierzu auch Tafel XX). Es fällt uns Europäern leicht, einen weiteren wichtigen Schritt nachzuvollziehen - in allen unseren Sprachen gibt es - mit nur leichten Abwandlungen - das Wort NATION. Es sieht nicht so aus, aber es ist ein KALL-Wort, das man an seiner Ausgangsform NASCI, »geboren werden«, gerade noch erkennt. Wenn also das, was wir heute alles unter NATION verstehen, schon von dem Faktum des Geborenwerdens abgeleitet ist, gewissermaßen die Gemeinschaft aller in eine NATION Hineingeborenen, um wieviel eher muß das dann für die Sippe, die Großfamilie, den CLAN oder das VOLK gelten. Die beiden letzteren Beispiele sind KALL-Ableitungen. Das ist in anderen Sprachen nicht anders, nicht bei den Tuareg, die AKALAK für »zeugen« und dann KEL für den einzelnen Stamm sagen, und nicht bei den primitiven Seri-Indianern der kalifornischen Halbinsel, die sogar mit ihrem Wort KUN’KAK für »Volk«, das eigene, nur etwa »Frauenschaft« zum Ausdruck bringen. Dafür kennen sie keinerlei Wort für »Vater«, weil sie gar nicht wissen, was das ist. Die Tafel XIX der Dokumentation gibt, wenn auch noch immer eine Auswahl, einen Eindruck von der Fülle der aus den oben entwickelten Gründen bei KALL beheimateten Wörter für CLAN und VOLK, einschließlich der Völker-Namen, die, genau wie bei Landschaftsmerkmalen schon erwähnt, ursprünglich nur Wörter für die gleichen Begriffe CLAN, VOLK usw. waren. Das gilt für Gallier, Galater, Galizier, und Galla oder Kalapala und Hunderte andere. Die Tafel XIX des Anhangs befaßt sich dann mit der Frau selber, mit Ausnahme einer K2-Gruppe, die wir herausnehmen und hier als Texttafel 42 einfügen. Es handelt sich um die Schwesterformen der griechischen GYNE, wie wir sie von zahlreichen Fremd- und Lehnwörtern aus anderen europäischen Sprachen kennen - nur zum allergeringsten Teil allerdings. Die Heranziehung aller in der Anmerkung zu Tafel 42 genannten Formen wurde nicht nur aus Gründen der Platzersparnis vorgenom men, sondern auch, um die Dichte der Beweisführung zu verstärken - schließlich sind sie alle, Mütter und Gattinnen, Ammen und Omas in erster Linie Frauen und waren früher alle das und nichts weiter — die Aufgliederung in die heutigen Bedeutungen erfolgte erst nach und nach im Zuge oft nur geringfügiger Akzentverschiebungen. Das 195
Tafel 42: Schwestern der GYNE chontal KAN
Can
maya
irisch QUAIN
arabisch GAN
chinesisch KANfu
NA-indianisch QUAN’dy
australisch NGAN’GAN
thai KHWAN’ta
schwedisch GJÄN’te
etruskisch * CANA
australisch YAN’GANNA
arabisch HANNA’t
arabisch HAINAG
suahili NYANYA1
Buschmann KHUANA
australisch bak’KANO1
quechua YANAY
ibo NWANY
italienisch GAGNE’dda
finnisch pi’KAANEN
samojed UANI
tibetisch NAG
schottisch NAIG
etruskisch NAC’na
zapotek NAAKA
australisch NAJAN
japanisch NAIGI
arabisch NAKIH
thai KHON
ibo baskisch a’GHON’GHON ez’KON’GAI
laotisch CON’GAI
yoruba eb’GON
mapuche CON’cho
quechua KON’chu
australisch KOON
quechua CONA
norwegisch KONA
australisch KONAN’ba
japanisch te’KONA
polnisch mal’ZONKA
finnisch NAIK’KONEN
tungusisch XONIL
australisch NONGO
tasmanisch NOUA
aynu NONNO
laddinisch NONINA1
baskisch GUN
ägyptisch HUN’t
nheengatu CUN’ha
nheengatu CUN’ha’mucu
thai KHUN’jing
vedisch KUN’ti
tibetisch CUN-ma
japanisch sai’KUN
baskisch LAGUN
tibetisch NA’CUN
seri KUN’
thai KHUN’naajkha
norwegisch HUN
chakaszki CHYN’xany
suahili MKUNGA
deutsch ma. KUN’KEL
maori HUNGOINGOI
quechua aclla’CUNA
guarani
cuNa
australisch ber’GUNA
twi o’KUNA’fuo
guarani CUNAI
zapotek GUNAA
samojed KUINA
196
ph-bilaan ya’QON
guarani CUNA’tai
guarani CUN’CARAI
guarani CUNA’mi
twi oKUNU
suahili KUNE
griechisch GYNE
schottisch GUNEL
australisch GUNEE
tungusisch HUNIL
tasmanisch luo KUANI/QUANE NYAKO
japanisch NYOGO
australisch NUKUNG
irisch NUACHAR
australisch NUNGGAYIE
anglosaxon CWEN/GWEN
englisch QUEEN
englisch slg. QUEAN
arch, englisch WENCH
norwegisch GJEN’te
welsch GEIN’yddes
maori HENGAHENGA
griechisch GENE’teira
polynesisch KENI
suahili ku’KENI
slowakisch
Zena
australisch GIN
ph-samal HIN’da
ph-sambal QIN’dog
ph-bontok QIN’LIKAS
ph-tagabili YI’HIN
thai JING
thai puu’JING
altdeutsch CHIN’den
chinesisch GIN ai de
kenyanisch NGINA
quechua CHINA
ph-24 Spr. QINA
quechua CHINA’yan
ph-atta QINAY/QINIY
ph-subnun QINAQ
ph-sangil QINANG
tagalog GINANG
quechua CHINAN
nordisch KVINNA
mapuche CHINA
slawisch SCHINA
maori HINE
maori tua’HINE
maori ko’HINE
maori wa’HINE
maori HINENGA
Gemeint sind Frau, Mutter, Weib, Gattin, Amme, Dirne, Mädchen, Sweetheart, Großmutter. 1 bedeutet Großmutter; sie wurde hier mit aufgenommen, weil sie unter frauenherrschaftlichen Ordnungen eine besonders respektierte Rolle innehatte und ja für den Kreis der eigenen erwachsenen Kinder nach wie vor »Mutter« war und auch so genannt wurde, am Ende von allen Clan-Mitgliedern.
197
althochdeutsche CHIN’den, eine deutliche Schwester der GYNE, bedeutet übrigens »Frau« und nicht »Kind«, das erst aus einer späteren Akzentverschiebung von »Frau« zu »Mädchen« hervorge gangen sein dürfte. Das Christ’KIND, das Münchner und das Berliner KINDL sind allesamt Mädchen; so verraten sie noch heute den einst weiblichen Sinngehalt von »Kind«. Aber wir haben in die vorstehende Darstellung weder Kind, noch Tochter, Schwester oder Schwägerin aufgenommen, sondern allein die in der Kopfleiste genannten fraulich-weiblichen Termini. Knapp 90 verschiedene Sprachen führt Tafel 42 auf, das ergibt - hochgerechnet - einen Anteil allein der GYNE-Sonderform an der Gesamtheit der Sprachen von einem guten Drittel, das heißt: weit über 500 Sprachen allein derer, von denen eine Bibelübersetzung erhältlich ist, enthalten GYNE-Formen für Weibliches. Unfaßbar angesichts dieser einen Tatsache, daß anerkannte Wissenschaftler je die These von der Unbeweisbarkeit einer gemeinsamen Ursprache der Menschen aufstellen und jahrzehntelang aufrechterhalten moch ten. Sie schauten halt über den Tellerrand der eigenen, speziellen und daher begrenzten Forschung nicht hinaus. Schade. Man sollte hinfort Sprachforschung nicht mehr ohne Kenntnis von Ergebnissen und Fragestellungen der Anthropologie und der Urgeschichtsforschung betreiben, wenn man nicht auf Schritt und Tritt die Möglichkeit wissenschaftlicher Fehltritte einkalkulieren will... Hinzukommen die übrigen KALL-Formen für die Frau, die insgesamt ein Vielfaches von dem ausmachen, was die unmittelbaren Schwesterformen von GYNE zu bieten haben. Noch einmal unbe greiflicher erscheint die Nicht-Entdeckung der Frau in der Sprach forschung, wenn man die ihr unmittelbar assoziierten Eigenschaften und Funktionen noch mit heranzieht. Da sind etwa im Englischen die QUEEN, CWEN, QUAIN und das Wort KIND und KINDRED für Art und Clan, das heißt, die über die Frau hergestellte Blutsver wandtschaft, die Fortsetzung zu CYNN für Volk, aber auch A’KIN für verwandt. Selbst das englische KIN’D mit der Bedeutung gütig, freundlich ist noch auf die Vorstellung von Frau und Mutter bezogen. Das ist aber nicht nur im Englischen so, sondern beinahe in jeder beliebigen Sprache. Auch FRAU, FROH und FREU’DE stehen in einer ähnlichen Assoziationskette. Freude und GLÜCK sind daher sprachliche Zeugen für jenes schönste Gefühl, dessen Menschen teilhaftig werden können. Während die Männer aus biologischen Gründen mittels Rang kämpfen untereinander auszumachen hatten, wer bei der Besamung
198
der weiblichen Population bevorzugt zum Zuge kommen sollte, ergab dieser biologische Zwang den zu Größe und Stärke tendieren den Mann. Darum sind Männer im großen Schnitt überall auf der Welt größer und meist - mit Ausnahmen - auch stärker als die Frauen. Bei den Frauen gab es immer schon gleiche Rangkämpfe, nur wurden sie mit diskreteren Mitteln ausgetragen. Während bei Männern der Begriff »schön« eher komisch wirkt, ist Schönheit bei der Frau ein Vorteil bei der Erreichung einer höheren Rangstufe und daher und zugleich die bessere Chance zu sexueller Auswahl und folglich zu vermehrter Fortpflanzung. SCHÖN aber ist eine KALLForm, das Playback relativ kurz: SCHÖN/SCHOL/CHAL/KALL - und so hieß es noch im griechischen KALL’os. SCHÖN findet sich auch in der Landschaft, wenn auch in einer anderen Bedeutung. Trotzdem, es vermittelt die sprachliche Ab wandlung zurück zu KALL überdeutlich: SCHÖNbrunn, nicht weit davon SCHOLLbrunn und weiter zu KALENbom, KALbach und KALtenbrunn. Bei letzterem ist KAL’t eine Mißdeutung aus inzwischen eingetretenem Unverständnis, gemeint ist KALL, die QUELLE. SCHÖNbrunn ist also eine Bilingue. Da KALL auch an Mündungen zu stehen pflegt, gilt das gleich deutlich von KALLmünz, KELLmünz oder HOLLmuth. Gleiches läßt sich weltweit nachwei sen. Alle Sprachen halten solche Bilinguen für den Paläolinguisten bereit. Aber zurück zur weiblichen Schönheit. Halten wir fest, daß beim Mann die größere Stärke und die größere Figur, bei der Frau die größere Schönheit zählte, wenn es um den Rang in der jeweiligen Hierarchie ging, und das einige Millionen Jahre lang. Eine einfache Erklärung für den Umstand, daß es weitaus mehr schöne Frauen gibt als Männer. GLÜCK und SCHÖNheit sind die beiden Faktoren, die sich am zahlreichsten an das KALL der Frau anlagern (Tafel 43). Wir kommen nun zu der feineren Art, zu lieben, jene, welche von Zärtlichkeit und Innigkeit geprägt ist, welche Lüsternheit und sexuelle Geilheit sublimiert und transformiert hat. Das ist in keiner Weise eine nur menschliche Errungenschaft. Je tiefer unsere For scher in das Verhalten der Tiere eindringen, um so weniger bleibt von dem übrig, was wir noch vor wenigen Jahren als nur dem Menschen möglich oder zugänglich verstanden wissen wollten. KALL-Wörter dafür und für zwischenmenschliche Bindungen ganz allgemein, für Mutterliebe und kindliche Anhänglichkeit, für das Umsorgen, für das Sanfte, Zarte, Weiche, die Wertschätzung geliebter Menschen, all das hat sich noch in auffallender Nähe des Archetyps angesiedelt und 199
Tafel 43: GLÜCK und SCHÜNheit hebräisch
tibetisch
tagalog
loma
GAIL
S’KAL-dan
* GALAK
* GALAK
Freude, joy ALLEGria
GLÜCKLICH happy, feLIZ
GLÜCK, LUCK feLICidad
GLÜCK, LUCK felicidad
finnisch
quechua
aymara
catalan
HAL’tio
LAYQA
KALLAL’KIRI
GALA
Jubel, JOY ALEGria
SCHÖN, fair guapo
SCHÖN, fair guapo
SCHÖN, fair hermoso
griechisch
griechisch
australisch
australisch
KAL’os
KAL’os
bi’GALY
NJALY
SCHÖN, fair hermoso
GLÜCKlich happy, feLIZ
GLÜCK, LUCK aLEGria
SCHÖN, fair hermoso
mapuche
quechua
englisch
französisch
ALLA
ALLIN’nyok
GLA’dden
JOIE
SCHÖN, fair hermoso
GLÜCKLICH happy, feLIZ
erfreuen aLEGriar
Freude, JOY aLEGria
arabisch
maori
griechisch
griechisch
GARAN
HARI
CHAR’is
CHAR’ieis
SCHÖNheit, fairness, hermosidad
Freude, JOY ALEGria
Grazie, gracious gracia
SCHÖN, fair hermoso
nheengatu
maori
etruskisch
pu’RANGA
tu’RANGA’hakoia CAN
CAN’ta
SCHÖN, fair hermoso
Freude, JOY ALEGria
SCHÖN, fair hermoso
hübsch, NICE guapo
chinesisch
chinesisch
griechisch
quechua
HUAN xi
HAN LE
GAN’os
KANUY’mana
selig, happy feLIZ
Freude, JOY ALEGria
GLÜCK, LUCK feLICidad
sehr SCHÖN, very fair, muy hermoso
irisch
telugu
arabisch
arabisch
finnisch
chak’KANI
KAN’is
GANIYA
KAUNIS
SCHÖN, beautiful, hermoso
SCHÖNheit, beauty SCHÖN, beautiful, hermoso hermosidad
SCHÖN, fair hermoso
arabisch
quechua
telugu
telugu
NAJAH
ACNA’puy
NAN’damu
AANAN’da
GLÜCKLICH happy, feLIZ
SCHÖN, beautiful, hermoso
selig, happy feLIZ
GLÜCK, LUCK felicidad
ilocan
bengali
mapuche
anglosaxon
NAAN’gaw
ANAN’da
ANA’GEN
GAI
GLÜCKlich happy, feLIZ
GLÜCK, LUCK fortuna
SCHÖN, fair hermoso
Freude, JOY ALLEGria
200
baskisch
maori
chinesisch
suahili
JAY
KAI
KAI LE
HAI’ba
Freude, JOY ALEGria
Freude, JOY GAYA
GLUCK, LUCK feLIZ
SCHÖN, beautiful, hermoso
baskisch
polnisch
maori
irisch
a’LAI
b’LOGI
KOA
ad’HUIL
GLÜCKlich happy, feLIZ
GLÜCKlich happy, feLIZ
GLÜCKlich happy, feLIZ
GLÜCKlich happy, feLIZ
englisch
quechua
quechua
irisch
LUCK
KULLAY
ko’CHULLA
LUCHAIR
GLÜCK fortuna
Freude, JOY aLEGria
froh, happy aLEGre
Freude, JOY aLEGria
tagalog
akkadisch
norwegisch
aztek
LUGOA
GULU
LYKKE
ma’CUILLI
GLÜCK, LUCK felizidad
sich freuen, enjoy, aLEGrarse
GLÜCK, happiness, felicidad
Wonne, rapture enCANto
australisch
australisch
irisch
tasmanisch
KUN’thun
NUNK’eri
ailLEACH’t
LEKE’ner
GLÜCKlich happy, feLIZ
hübsch, fair guapo
SCHÖNheit, beau- hübsch, NICE ty, hermosidad guapo
suahili
tibetisch
tibetisch
griechisch
che’LEKA
LEGS-pa
LEGS-ba
GELAN’es
Freude, JOY aLEGria
GLÜCKlich happy, feLIZ
SCHÖN, beautiful, hermoso
erfreut, delighted deliciado
tasmanisch
quechua
tagalog
lateinisch
LEENEALE
KILL’pu
LIGAYA
fe’LIX
Freude, JOY aLEGria
GLÜCK, happyness GLÜCK, happyness GLÜCKlich feLICidad (BA) feLICidad happy, feLIZ (BA)
lateinisch
akkadisch
sumerisch
irisch
HILAR’is
GILU
GILUM
GILE
GLÜCKlich, GAY sich freuen, enaLEGRE joy, aLEGrarse
Freude, JOY aLEGria
SCHÖNheit, beauty, hermosidad
irisch
spanisch
ilocan
twi
GLION’dar
LIN’do
KINA’RAG’sac ä’NIGJIE
Freude, JOY aLEGria (TAG)
SCHÖN, fair hermoso
GLÜCK, LUCK fortuna
GLÜCK, happyness, feLICidad
201
Tafel 44: GLEICHEN und ÄHNELN quiché
finnisch
ilocan
samojed
HAL
KAL’tai
LAOC’na
LAGAN
sehr ähnlich, aLIKE GLEICHen, LIKE GLEICH, LIKE muy semejante iGUALar(TAG) IGUAL
ÄHNlich, LIKELy semejante
suahili
australisch
arabisch
tagalog
HALF si
* NGLALIN
LAcHIZ
ka’WANG’ki
GLEICH, aLIKE IGUAL
GLEICHen, LIKE ÄHNlich, LIKELy ÄHNlich, LIKELy semejar semejante semejante
suahili
tibetisch
tibetisch
deutsch
LAN’da
NAN-tar
NYAN-pa
ÄHNEL’n
ÄHNELN, LIKE semejar
GLEICH wie, aLIKE ÄHNlich, LIKEly as, semejante semejante (BA)
tibetisch
japanisch
griechisch
deutsch
NO
RUI’ji
i’KEL’os
G’LEICH’en *
GLEICH, aLIKE IGUAL
be aLIKE IGUALar
ÄHNlichkeit.LIKE- ÄHNlichkeit LIKEness, semej. ness, semejanza
to be similar semejar
suahili
englisch
norwegisch
griechisch
LINGA
LIKE
LIGNE
a’LIKG’ios
GLEICH sein aLIKE, IGUAL
GLEICH(en) IGUAL(ar)
GLEICHen.be aLIKE, IGUALar
ÄHNlich sein LIKE, semejar
schott.-englisch
japanisch
japanisch
japanisch
RIN
NIGAO
NIKAYOU
NIRU
von gleicher Art IGUAL de clase
GLEICHen.be aLIKE, semejar
sehr ÄHNlich, very GLEICH sein, be similar, muy semej. aLIKE, ser IGUAL
verrät uns noch nach Jahrhunderttausenden das enge Verhältnis zwischen Müttern und Kindern wie auch zwischen Partnern über haupt. Man möge mir nachsehen, wenn ich die Sammlung der Tafel XXI mit »Die feinere Art, zu lieben«, überschreibe. Das englische Wort LIRE hat als Verb zwei Bedeutungen: einmal »gern haben, mögen, lieben«, zum anderen »G’LEICHEN«. Wie beim LUCK ist auch beim LIRE nur die zweite Hälfte einer Doppelung übriggeblieben, die bei uns an dem vorgesetzten -Ggerade noch erkennbar ist. LEICH und LIRE sind im zweiten Falle also das »gleiche« Wort. Einander zu GLEICHEN ist ein weiterer Aspekt der Beziehungen zwischen Müttern und Kindern, der schon früh bemerkt und daher auch im sprachlichen Ausdruck festgehalten
202
wurde. Noch die AHNEN und das ÄHNELN gehören hierher, wenn auch etwas weiter am Rande der möglichen Abwandlungen angesie delt. GLEICHEN und ÄHNELN ist das Thema der Texttafel 44. Aus der gleichen Quelle weiblichen Verhaltens scheint mir der Begriff des NAHEN gespeist. Schon bei BA zeigt sich ähnliches - das Wort BEI für sich und in Verbindungen drückt große Nähe aus. So im BEI’wohnen, in BEI’NAHE. »Bei’wohnen« drückt auch in seinem zweiten Wortteil mehr aus als unser bloßes »wohnen«: da sagt schon das »ver-wöhnen« mehr aus, und erst recht das »woo« der Briten, das heute die Bedeutung »freien« hat. Die Verwendung des BA für Wohnen und Bauen ist ein sehr frühes Wort mit einer erheblichen Bandbreite an assoziierten Sinngehalten. NAHE scheint da eine bescheidene Nachfolge angetreten zu haben; eine gründlichere Erfassung als hier scheint daher erfolgversprechend. NAHE und NACH gehören natürlich irgendwie zusammen, NACH geht man, um jemandem oder einer Sache NAHE zu sein. Das eine in des anderen Bedeutung findet sich in unserem NACH’BAR oder englisch NEIGH’BOUR, denn der Nach’bar ist der »nahe-Wohnende«. Ein paar Beispiele zeigt die Tafel 45. Wir wissen aus den Beobachtungen von Naturvölkern, daß sie dem Ereignis der Geschlechtsreife ihrer Jugend eine ganz besondere Bedeutung beimessen. Sie wird mit festlichen, manchmal auch zumindest uns absurd erscheinenden Riten gefeiert. Bezogen auf frühe Menschen erscheint es uns daher denkbar, daß auch bei ihnen schon früh dieser Anlaß beachtet und vielleicht auch schon gefeiert wurde. In dem Maße, in dem Sex eine nicht mehr an seltene Brunstzeiten gebundene Verhaltensweise war, gewinnt auch das Feiern an Wahrscheinlichkeit. Einigermaßen sicher ist ja die aus der tierischen Phase übernommene Sitte, die jungen Männer bei Erreichen der Geschlechtsreife an die Peripherie des Reviers zu verbannen. Einige Wissenschaftler begründen ein solches Verhalten mit der Notwendigkeit, Inzest zwischen Sohn und Mutter zu vermeiden. Ich halte das für Anthropomorphismus, das Projizieren menschlicher Vorstellungen auf die Tierwelt. In der Tierwelt gibt es solchen Inzest sehr wohl, wenn die jungen Männchen schnell genug geschlechtsreif werden. Es gibt wahrscheinlich keine »natürliche Moral«, die solches verbietet. Man vergißt leicht, daß die frühen Menschen eine sehr viel geringere Lebenserwartung hatten als wir. Ehe ein junger und geschlechtsreifer Sohn sich in der männlichen Gruppe einen vorderen Rangplatz erkämpfen konnte, war seine Mutter entweder schon tot oder nicht mehr gebärfähig.
203
Tafel 45: NAHE bei quechua
samojed
arabisch
irisch
KAYLLA
LAKKA
QARA’b
GAIRE
NAHE, bei, NEAR NAHE.CLOse cerca CERCa
NAHE, NEAR CERCa
NAHE, NEARness estando CERCA
finnisch LÄCHI
irisch
finnisch
CON’GAR *
LUONA
NAHE bei, NEAR NAH, NEAR with, CERCa de CERCA
NAHE, NEIGH CERCA
NAHE.NEAR CERCA
finnisch
maori
suahili
englisch
NUUKA
pa’NUKU
UNYO
NEIGH/NEX’t
ENG.CLOse CERCA
NÄCHst.NEXt lo mas CERCA
NAHE, NEAR CERCA
NAHE,NÄCHst CERCA
maya NAC
Die »Fähigkeit« aber ist genau die Protokollnotiz, die uns hier weiterhilft. FE und FÄ steckt in einer Vielzahl von Wörtern für Weibliches, im mittelhochdeutschen umb’FAH’en und ent’FAH’en so deutlich wie im FAVN, dem Schoß, und FE’mina, der Frau. Die Ableitung eines Eigenschaftswortes kann also nur den Sinn haben, weiblich funktionieren zu können, was sowohl Sex wie Geburt bezeichnet haben dürfte, eben die »Fähigkeit« dazu. Mit dem Fortschreiten von BA zu KALL waren entsprechende Neubildungen fällig. Ich habe unser deutsches Wort KÖNNEN im Verdacht, die Nachfolge von »fähig« angetreten zu haben, bedeutet doch schon im Norwegischen das Wort KJÖNN »Geschlecht«, ursprünglich natür lich das weibliche. Es würde in die ja auch bei FÄHE/FÄHIG bewiesene Art einfachster Denkweisen früher Menschen passen, das KÖNNEN auf die für sie so wichtige Reife in geschlechtlicher Hinsicht zu beziehen. Noch sicherer erscheint mir das bei dem fast gleichklingenden Wort GÖNNEN ... GÖNNEN und GUN’st stehen klanglich Wörtern für Weibliches so nahe wie nur denkbar. Mit der Abwendung von nur einmai-jährlichen Brunstzeiten zu stän diger Wiederkehr sexueller Bereitschaft muß ja notwendigerweise dieser Teil ihres Gefühlslebens stark in den Vordergrund gerückt worden sein - aus solcher Zeit des Umbruchs dürfte die sprach liche Zuordnung von KÖNNEN und GÖNNEN stammen (Tafel 46). Jeder Abschluß dieses Kapitels muß notwendigerweise ein gewalt samer sein - allein die Zahl der noch verfügbaren Beispiele
204
Täfel 46: KÖNNEN und GÖNNEN quechua
baskisch
telugu
setswana
KALL’may
a’HAL
cheya’GALA
tsh’WAELA
KÖNNen, CAN poder (BA)
KÖNNEN, CAN poder
fähig, able capable
GÖNNEN, GRANt conceder
samojed
bengali
englisch
dayak
an’KALOS
RAH
CAN
KAÄN
GÜNstig, favorable, favorable
GÖNNEN, GRANt KÖNNEN conceder poder
fähig, able capable
griechisch
dayak-sadong
tibetisch
tibetisch
CHAN’dano
IN’SHAUN
NAN-ba
NYAN-pa
fähig, able capable (TAG)
fähig, able capable
beGÜNstigen, favor, favorisar
fähig, able capable
griechisch
setswana
tagalog
malay
CHAR’is
KA
KAYA
KON’GANG
GUNst, sexual favors, favor sexual
KÖNNEN, CAN poder
Fähigkeit, ability capacidad, aptitud
fähig, able capable
tibetisch
setswana
deutsch
deutsch
KON-pa
KGONA
KÖNN’en
GÖNNEN
fähig, able capable
fähig, able capable
fähig sein to CAN, poder
gewähren, GRANt dejar, conceder
welsch
lateinisch
laddinisch
lateinisch
RHOI
fa’CUL’tas
CUIR
fe’CUN’dus
GÖNNen, GRANt Fähigkeit, abiconceder lity, capacidad
GÖNNen, GRANt fruchtbar, fertil conceder fertil
lappisch
luo
finnisch
schottisch
NUKK’it
NYALO
KEL’po
s’KEELIE
fähig, able apto
KÖNNen, CAN poder
fähig, able apto
fähig, able apto
chinesisch
chinesisch
chinesisch
maori
NENGLI
NENGGAE
GEIfu
a’HEI
fähig, able apto
KÖNNen, CAN poder
GÖNNen, GRANt fähig, able conceder apto
205
weiblicher Wirkungen in der Sprache würde jedes Maß sprengen. Nun, um so mehr Erfolgserlebnisse bleiben meinen Nachfolgern... Mit der Vorherrschaft weiblicher Termini über solche, die vom Manne abgeleitet wurden, geht es wie mit den weiblichen Kleinplasti ken aus der Steinzeit. Hunderte sind von ihnen an steinzeitlichen Wohnplätzen, in Höhlen und in Gräbern gefunden worden, männ liche dagegen fehlen fast ganz. Es sind jene »fettsteißigen« Torsi ohne Kopf und Füße, an denen die weiblichen Merkmale in aller Regel überbetont sind. Alle diese sind zugleich KALL-Merkmale, gefun den an Orten, die gleichfalls das KALL auf sich bezogen haben. Wir dürfen auch nicht vergessen, daß diese Menschen noch weit von unserer Art des ursächlichen, des materiellen und des logischen Denkens entfernt waren, ihr Geist bezog seine Bilder noch weitge hend aus dem sogenannten limbischen System, sie dachten in Bildern und Assoziationen nicht unähnlich der Art, wie wir heute im Traum »denken«. Ihre Figurinen sind keine Abbilder der Wirklichkeit, es sind Idole, die einige der wesentlichsten Eigenschaften oder Wirkun gen der Welt und des menschlichen Lebens allegorisch sichtbar und mit den Händen zu greifen machten. Genauso verfuhren sie auch mit ihrer Sprache, sie formten die Wörter nach dem Vorbild, an das sie unwillkürlich denken mußten, wenn ihnen Neues auf- oder einfiel. Das verraten die Sprachen in ihrer heutigen Form dem Paläolinguisten auf Schritt und Tritt, und genau das macht seine Art der Sprachforschung so überaus lebendig und faszinierend. Denken wir bei den Rundungen auch noch einmal zurück an den REIGEN. Es fällt auf, wieviele der heutigen Tänze, die man unter diesen Begriff noch einordnen kann (Gegensatz: das Paar-Tanzen), von Männern oder vor allem von Frauen allein getanzt werden. Hier war das ursprüngliche Motiv noch kultischer Art. Wir können vermuten, daß diese Art Tanz schon früh neben die Balz, die sexuelle Werbung, trat, denn unsere Funde beweisen immer deutlicher, wie früh schon religiöses Denken die Menschen ergriffen hatte. Das beweist nicht nur das Grab von La Ferrassie, der Schädel vom Monte Circeo, sondern auch schon der von Tautavel mit seinen mehr als 300000 Jahren. Das religiöse Moment hat seitdem die menschliche Entwicklung gefördert und vergeistigt. Die hohen kulturellen Lei stungen der Menschen der letzten Eiszeit gehen darauf zurück. Bei den Mandara-Negern beobachtete man eine merkwürdige Sitte. Sie umschritten einzeln oder zu mehreren große Felsblöcke. Dabei schlugen sie in rhythmischen Abständen mit einem Stein in der Faust gegen den Fels. Auch in den Höhlen der Ile de France südlich
206
Paris gibt es in den Fels gehauene Figuren, die offensichtlich immer wieder aufgesucht und weiter vertieft wurden. Es läßt sich kaum ein anderer Grund denken als der einer kultischen Handlung. Zu den vielen Zeichen, die in die Felsen geschlagen wurden, gehört auch die Vulva. Auch die VUL’va ist ist eine KALL/BA-Verbindung wie die Va’GINA. Das Zeichen hat nichts mit steinzeitlicher Pornographie zu tun, es ist ein Symbol — für das Mütterliche? Für die ersehnte Wiedergeburt? Oder einfach als Token, als Zeichen dafür, daß dieser Ort weiblichen Gottheiten geweiht sei? Oder war es ein frühes Schriftzeichen für KALL!? Wie das ja auch bei den in Höhlen erhaltenen Handabklatschen denkbar ist... ? Wie die Welt der menschlichen Ordnungen von Frauen beherrscht, war auch ihr frühester Himmel zunächst ausschließlich mit Frauen und Urmüttern bevölkert. Und ganz gleich, welche noch so exotische Mythenwelt man sich vornimmt, unter diesen frühen himmlischen Müttern, später »Himmelsköniginnen«, dominieren KALL-Namen. Wer sich für diesen weiblichen Aspekt menschlicher Geschichte über das hinaus interessiert, was hier dargestellt ist, dem sei das 1979 erschienene Buch über fünf Millionen Jahre Urgeschichte der Frau empfohlen, das den Titel Weib und Macht trägt. Dort wird man auch ausführliche Beschreibungen der Wirkungen solch weiblicher Vor herrschaft bis in unsere Zeit finden, die ich hier nicht wiederholen möchte. Wie ich mich ja insgesamt bemühe, schon Veröffentlichtes nur insoweit heranzuziehen, als es zum Verständnis der hier geschilderten Zusammenhänge mit sprachlichen Entwicklungen unbedingt erforderlich ist. Warum unser Wort KIN’D eigentlich nur die Mädchen meint, war schon erwähnt. Dabei geschah wahrscheinlich das gleiche, was uns in der beinahigen Gleichstellung MANN/MENSCH heute wieder begegnet. Im Englischen ist es noch ärger, da bezeichnet MAN beides, Mann und Menschen. Solche, wenn auch irrtümlichen, Gleichsetzungen haben Folgen in der Denkweise: Wenn uns »der« Mensch der Steinzeit beschäftigt, dann stellen wir uns darunter inzwischen unwillkürlich wirklich Männer vor, obwohl die doch an den wesentlichen Entwicklungen weniger beteiligt waren und von der Gesamtbevölkerung jeweils weniger als die Hälfte ausmachten. Grammatik formt also sehr wohl Denkweisen, wie wir gleich sehen werden. Nun war das früher wahrscheinlich genau umgekehrt — die Dominanz der Frauen in der Sprache und im Leben früher Menschen brachte es dazu, daß - genau wie beim KIN’D - auch das allgemeinere Wort für Mensch von KALL abgeleitet wurde. Viele 207
Tafel 47: Mensch und Mann spanisch
quiché
slowakisch
weanerisch
GAL’farro1
CALAL
CHALAN
KLACHL
Bursche, GUY hombre
KERL, GUY CONO tagalog
GAUNER, HOO Herr, master LIGAN, CONO señor
chontal
mapuche
australisch
LAK’we
GUA’GUAL
i’WALA
la’LAKI
Mann, male hombre
KERL, GUY gran hombre
Mensch, man hombre
männlich, male masculino
batak
lateinisch
spanisch
laddinisch
* KALAK
CAL’o
CERNFGAL’o
GALOSCH’a
Mensch, man hombre
Bursche, GUY hombre
GAUNER, HOO Mann, male LIGAN, CONO hombre
quechua
aymara
baskisch
deutsch
KALLU
CHAULU
LAGUN
HALUNKE1
Mann, male hombre
Indio, manof one’sownrace
LEUte, folks GENte
GAUNER, HOO LIGAN, CONO
finnisch
australisch
lappisch
batak
ROI’KALE
KARE
RAGGE
LAKI
KERL, GUY gran hombre
Mensch, man hombre
gr. Mensch, big male, gran hombre
Mensch, man hombre australisch
malayisch
quechua
schwedisch
ORANGLAKI
QARI
KARL
KAINGANI
Mensch, man hombre
Mensch, man hombre
KERL, GUY hombre
j. Mann, young male, joven
tibetisch
quechua
tasmanisch
tasmanisch
GAN-zag
KANA1
KANA
NÖ’GANA *
Mensch, man hombre (TAG)
GAUNER HOO LIGAN, COÑO
Mensch, man gente
Mensch, person persona
deutsch
spanisch
quich6
maori
GANO’ve
GAÑAN
WI’NAQ
NAUHEA
GAUNER, HOO LIGAN, CONO
KERL, GUY COÑO
Mann, male hombre
KERL, GUY hombre
chinesisch NAN Mann, male hombre
sanskrit
australisch
batak
NARA
NARA
o’RANG
Mensch, man hombre2
Mitmensch, fellow- Mensch, man man, hombre hombre
zapotek
griechisch
etruskisch
maya
LAA
LA’os
LAU’tn
LAY
Person, person persona
LEUte, people GENte
LEUte, people GENte
er, he ELLo
208
maori KAIAKA KERL, GUY coflo
bengali
finnisch
australisch
LOK
KOL’ho
KOALA
Menschen, people GENte
KERL, GUY CONO
Mensch, man GENte
mapuche CHOLO KERL, GUY hombre
polnisch HOLO’ta LEUte, people GENte
australisch KOLEIN Mensch, man hombre
australisch KORNE Menschen, people GENte
australisch e’LOIN Mensch, man GENte
slowakisch ÖLOV’ek Mensch, man GENte
thai KON Mann, male hombre
thai KHON Person persona
finnisch KONNA GAUNER, HOO LIGAN, CONO
spanisch COfl’o GAUNER HOOLIGAN
polynesisch-bauro i’NONI Mensch, man hombre2
aynu KUR Mensch, man hombre
suahili GHULA’mu j. Mensch, young human being, joven
suahili mah’LUKU Mensch, man hombre2
englisch HOOLI’GAN * GAUNER CONO
polynesisch o’HUN Mann, male * hombre2
slowakisch HUN’cut GAUNER, HOO LIGAN, CONO
mapuche HUEN’chu KERL, GUY hombre
am.-spanisch GUAINA Bursche, GUY joven
suahili KIUNG’wana Mann, man hombre
pame KUNU er, sie, es, he, she, it, ELLO, ELLA
japanisch a’KUNIN GAUNER, HOO LIGAN, CONO
quechua RUNA Mensch, man hombre
australisch ma’RUNJU Mensch, man hombre
sumerisch LU Menschen, people GENte
hethi tisch LU Mann, male hombre
deutsch finnisch KEL’mi SCHEL’m GAUNER, HOO SCOUNdrel CONO(BA) LIGAN, CONO
arhuaco CEIRUA Mann/Mensch man/male, hombre
lateinisch GEN’s LEUte, people GENte
baskisch JEN’de LEUte, folks GENte
finnisch HEN’KILÖ Person persona
irisch NEACH Person persona
suahili KILA jedermann, every one, CUALQier
tungusisch NIYAL’ma Mensch, man hombre
quechua KILLI’KILLI3 GAUNER, HOO LIGAN, CONO
209
australisch KINGA er, sie, es, he-she-it ELLO, ELLA
australisch bra’KINI Mensch, man hombre
japanisch NIN4 Mensch, man hombre
japanisch NIN Person, individual persona individual
1 GAUNER und Gleichwertiges ist hier mit aufgenommen, weil es erst spät einen negativen Beigeschmack bekommen zu haben scheint, und das nicht einmal überall. Die ursprüngliche Bedeutung war - wie auch bei NARR und CLOWN - eigentlich »Mensch«. 2 Auch die spanische Sprache kennt nur das Wort für »Mann«, HOMBRE, auch für »Mensch«. Im Englischen kann man einen Unterschied machen, indem man MALE für »Mann« sagt und damit die unmißverständliche Männlichkeit zum Ausdruck bringt. 3 Es fällt auf, wie liebevoll KALL-nah so viele Sprachen ein Wort für den GAUNER oder GANOVEN übrig haben. Tatsächlich wird dieser Ausdruck nicht nur im Deutschen und Spanischen kumpelhaft und mit Sympathie befrachtet angewendet. 4 Das japanische NIN für Mensch, Person und Individuum ist ein Wort mit besonders weiblichem Timbre, bezeichnen doch parallele Formen in einer Vielzahl von Sprachen mit NAN/NON/NUN/NEN und NIN betont Weibliches und vor allem Mütterliches.
solcher Wörter haben ein ausgesprochen weibliches Timbre. Auch Wörter der Rangordnung bis hin zu Titeln zeigen viel zu häufig weibliche Herkunft - sie wurden eben einfach übernommen oder weitergeführt, als Männer diese Positionen einnahmen. Als Titel oder Namen war der ursprünglich weibliche Sinn solcher Wörter längst vergessen (vgl. Tafel 47). In der Sprache der Aynu, der Urbevölkerung Japans, denen eine indogermanische Abstammung nachgesagt wird und von denen es kaum noch 15 000 reinrassige Menschen gibt, heißt Mensch: AYNU. Es spricht viel dafür, daß sich auch andere Menschengruppen in früher Zeit zum Unterschied von der sie umgebenden Fauna einfach »Menschen« genannt haben und daß viele heutige Völkernamen wiederum nichts anderes sind als vergessene Wörter für unsere Art. Dafür spricht auch das Begleiten entsprechender Völkernamen in die TAG-Zeit hinein, als der Mensch wegen seiner aufrechten Haltung schließlich auch noch TAG genannt wurde. Umgekehrt spricht einiges auch für die frühe Gleichsetzung - in einer der australischen Sprachen heißt auch der Mensch KOALA genauso wie das Urbild unseres Teddybären.
210
In der Tafel XXII der Dokumentation sind die Wörter für den ranghöheren Menschen, die sich zum Teil auch als Titel gehalten haben, wiedergegeben, die noch aus gynaikokratischer Ordnung stammen und, weil nicht mehr als weiblich durchschaut, in männer rechtliche Zeiten übernommen wurden. Das ist ein ganz natürlicher und, wie die Tafel zeigt, weltweit verbreiteter Vorgang. Zu den Zeiten, da solche Bezeichnungen auf Männer übernommen wurden, waren die Gründe und Zusammenhänge für die Wortwahl längst vergessen, so wie wir heute noch hirnrissigerweise von den »Fähig keiten« eines Mannes sprechen oder davon, der Bundespräsident gebe einen »Empfang«: der dürfte sich heute hüten, jemanden zu »umb-« oder zu »ent’FAH’en« ... Es mußte für frühe Menschen naheliegend sein, KIN’D mit einem Wort für KLEIN auszudrücken oder/und umgekehrt. Unser althoch deutsches CHILIN ist dem altenglischen CHAILL benachbart, einmal haben wir »klein«, das andere Mal »child« vor uns. In der Grammatik hat KALL von diesem Winkel her mehrfach Eingang gefunden, -CHEN und -LEIN sind solche auf Kind und klein zurückgehenden Formen. Ebenso ist die Endung -UNG, die aus einem beliebigen Verb ein Substantiv zu machen vermag, eine KALL-Form, welche die Zusammengehörigkeit ausweist, die Zuge hörigkeit zu einem Mutter-Wort also. Auch die Aufspaltung einer Frau in mehrere Individuen wird grammatisch nachvollzogen, wenn wir einem Wort die Silbe GE- voransetzen - etwa Wetter und GEwitter, Wasser und GEwässer, Heulen und GEheul: Dies ist die frühere Form, ein Mehrfaches auszudrücken, ehe die Variierung der Endungen diese Aufgabe übernahm. Wieder anders wird die Zugehörigkeit einer Eigenschaft zu einem substantiven Begriff durch KALL bewirkt: mit unserer Endung -LICH. Hier noch eine allgemein recht bekannte Kette von KALL-Inhalten und Ausdrucksformen. GENUS ist das weibliche Geschlecht, die Art. GENERE ist das Zeugen und Erschaffen, das Erschaffene die GENEration und von daher GENS, das Volk oder die Leute schlechthin. Das weibliche Element bricht noch einmal durch im GENTILIS, einmal das Vornehme, zum anderen das Gütige, Freundliche. Selbst in den Genitiven von Ursprung und Jungfrau bricht sich unser Wort wieder Bahn, in ORTGIN’is und in VIR’GIN’is. Übrigens geht aus der letztgenannten Form VIRGO hervor, daß nicht einmal VIR ursprünglich nur »Mann« bedeutet haben kann, sondern »Mensch«. Diese BA-Form setzt sich fort bis in unsere »WÜR’de« und in »WORL’d«, unserer vom nordischen »VÄRL-
211
’den« her verstümmelten »Welt«. Welt meint ursprünglich also die Gesamtheit der Menschen, nicht das All. Dies das Ende einer kleinen Nachlese. Aber auch beim nächsten Abschnitt bleiben wir auf eine vielleicht heute noch rätselhafte Weise im Bannkreis weiblicher Vorstellungen und Funktionen.
Die Mond und die Schiff
Immer dann, wenn unserer heutigen Sprache oder gar der eigenen Grammatik Unregelmäßigkeiten unterlaufen, besteht für den Paläolinguisten der Verdacht, auf frühe Vorstellungen zu stoßen, die sich auf diese irreguläre Weise noch zu behaupten versuchen. Das englische THE ist ein Einheitsartikel, der keinerlei grammatische Geschlechtszugehörigkeit mehr erkennen läßt, auch fehlen Endun gen, die solches noch anzeigen könnten wie im Lateinischen oder Schwedischen. Wenn das englische Fremdwort NATION dennoch weiblich verstanden wird, erkennt man das nur mittelbar: »Germany and her government« zeigt das weibliche Element deutlich an, die Nation ist selbst als Fremdwort noch die Urmutter, welche alle ihre Kinder in diese eine Volksgruppe hineingeboren hat -NASCI=ge boren werden. Auch ansonsten hat das Wort in den unterschiedlich sten Sprachen seinen weiblichen Grundcharakter sogar in der Grammatik, das heißt in einer reichlich artifiziellen Konstruktion, bewahrt. Und das will schon etwas heißen. Wir Deutschen gehören zu den wenigen Völkern auf dieser Erde, die dem Mond einen maskulinen Artikel aufgedrängt haben. Weltweit ist »er« vor allem weiblich zu deklinieren. Auch hier wieder sind unsere britischen Nachbarn Zeugen: »the Moon and her light« oder »the first man who stepped on her surface«. Auch in westfälischer Mundart wird sie, der Mond, noch drastisch als Frau angesprochen: »Fru Rotte med sülverne Tötte« heißt es da in einem Kindervers (Schöll). Auch als man im Mond noch eine Gottheit sah, war sie weltweit weiblich, bei Frau LUNA angefangen über die griechische Selene oder Helena bis zu der Mamaquilla der Inkas. Die Tafel 48 zeigt Wörter ausschließlich mit der Bedeutung »Mond«, die von überallher zusammengetragen auf KALL hören. In vielen Sprachen ist der Mond genau wie bei uns der Gradmesser der Zeitrechnung und bezeichnet den Monat. Bei einigen Völkern hat der Monat übrigens auch heute noch genau 28 Tage und das Jahr
213
Tafel 48: KALL und Mond ph-balangaw
polynesich
arabisch
arabisch
* HALAQ
bu’LAK
GARR
HALAL
telugu
bengali
hindi
sanskrit
CAN’dha
CHAN’d
NAK
CAN’dra
ph-40 Spr.
sumerisch
tibetisch
bu’LAN
NANNA
Zla
australisch
GOOLARA
australisch
australisch
ph-agta
laddinisch
KORANA
LOOREA
HULAN
G’LÜNA
lateinisch
australisch
maori
aynu
LUNA
NYUNGIE
HUANGA
KUNNEcup
australisch
guarani
NUL’GERONG NUAU
finnisch
mapuche
KUU
CÜYEN
irisch
australisch
irisch
quechua
GEALACH
KEIN
REANNA
KILLA
folglich 13 Monate und einen Tag. Die Römer rechneten ja nur mit zehn Monaten und füllten die Lücken dann entsprechend phan tasievoll aus. Jedenfalls verdanken wir ihnen, daß wir den neun ten bis zwölften Monat auf gut Lateinisch den siebten bis zehnten nennen. Von Völkern wie den Maya, sonst »auf Steinzeitstufe«, wissen wir, daß sie aufgrund ihrer außerordentlichen Beobachtung der Gestirne einen ganz genauen Kalender berechnet hatten, der bis auf Sekunden etwa an die richtige Dauer eines astronomischen Jahres herankam. Im Mond ein weibliches Gestirn zu sehen, hing sicher schon früh mit der Beobachtung der weiblichen Menses zusammen, die ja gleichfalls 28 Tage braucht, ehe ein neuer Zyklus beginnt. Das mag der Grund sein, warum der Mond so gründlich von weiblichen Vorstellungen besetzt wurde. Zweifellos wurde der Mond zu einer wichtigen Voraussetzung des Glaubens an eine Wiedergeburt. So verband sich mit dieser seiner hervorstechenden Eigenschaft von der Fortsetzung des Lebens die von der Frau als der einzigen, die uns Menschen die Gnade der Wiedergeburt zuteil werden lassen konnte. Wenn unsere fernen
214
Vorfahren glaubten, um solche persönliche Wiedergeburt trotzdem bangen zu müssen, so hing das mit ihrer ganz einfachen Beobachtung der Tatsache zusammen, daß zuzeiten eben gar nicht genug Frauen in gebärfähigem Alter die Gruppe bevölkerten wie ältere Menschen, die mit ihrem baldigen Tode rechnen mußten. Mit dem Bewußtwerden des Todes, des Einmal-Sterben-Müssens, wuchsen die Bemü hungen, etwas dafür zu tun, an, stieg aber auch das Ansehen der Frauen im eigenen Umkreis. Lunarsymbolik wird also zur Wiederge burtssymbolik. Lunarsymbolik nimmt offenbar einen breiten Raum ein bei allen schriftlichen, zeichnerischen und bildhaften Darstellungen der Vor zeit. Die Dreiheit von Punkten, Strichen und Figuren deutet auf Mond und Muttergottheit gleichermaßen, wie die vielen in der Mythologie überkommenen Dreiheitsgestalten anzeigen. Bis in geschichtliche Zeit gelten auch die Hörner des Stieres als allegorische Abbilder der Mondsicheln; noch Shakespeare dichtet von dem »gehörnten Mond«. Aber schon in den Höhlen der klassischen Steinzeit spielen sie die gleiche Rolle: Man hat erst spät bemerkt, daß viele Hörner der Urrinder und Bisons nicht logischerweise auch im Profil wiedergegeben waren wie das ganze Tier, sondern von vom! Nur so nämlich konnte die Mondsichelform deutlich werden und damit der lunare Symbolgehalt. Diese Lunarsymbolik in der Darstel lung von Stieren läuft ungebrochen durch von der Steinzeit bis zu den Sumerern, bei denen die Mondscheibe den Stieren zusätzlich zwischen die Hörner plaziert wurde, über Ägypten, das seine Hathor mit gleich verdrehtem Gehörn zeigt wie die Höhlenbilder, und über die Antike bis hin zu Michelangelo, der noch sein Bildwerk von Moses mit Hörnern versah. Im tiefsten Grunde aber sind das immer noch die Symbole, mit denen man Wiedergeburt zu beschwören hoffte. Wenn noch die Grammatik die Weiblichkeit des Mondes bestätigt, dann ist das ein untrügliches Zeichen für die außerordentliche Bedeutung, die man dieser Vorstellung beimaß. Da war auch die 28tägige Menses der Frauen kinderleicht mit ihrer Zusammengehö rigkeit oder gar Einsheit mit dem nächtlichen Gestirn erklärt. Die in ihren Kulten der Nacht und dem Monde besonders offenen kelti schen Ureinwohner Britanniens haben alle nachfolgenden Völker schaften noch einmal zusätzlich geprägt. Und alle, die wir Englisch lernen, müssen uns daher heute noch mit solcher Ausnahmeregel abfinden. Die natürliche Umwelt des Mondes ist, so meinen wir, die Nacht.
215
in Wahrheit dürfte er insgesamt die gleiche Zeitdauer am taghellen Himmel sichtbar sein, aber wirklich zählen tut für uns nur der Mond in der Nacht. Frühe Menschen empfanden das sicherlich noch deutlicher als wir heute, und sie bangten mit dem abnehmenden Mond der Zeit entgegen, da er ganz verschwand und drei Nächte lang wegblieb. Bei den Sumerern noch wurde sein Wiedererscheinen mit Hörnerschall gefeiert, keltische Frauen tanzten in der ersten Nacht, da er wieder sichtbar wurde. Nur in der Neumondphase empfanden die Menschen die Nacht als wirklich dunkel, als rabenschwarz, wie wir heute leichthin sagen. Bei reiner Luft ist aber selbst das Licht der Sterne allein noch hell genug, sich zurechtzufinden, aber die Sterne sind ja zuweilen auch verhüllt. Denken wir wieder an die einfachen Menschen unserer Frühzeit zurück, dann mußte ihnen der Gedanke an die Nacht zugleich den Gedanken an das Dunkel und bei absolutem Dunkel an die Farbempfindung Schwarz suggerieren. Sie konnten das leicht mit einem einzigen Wort ausdrücken. Warum drückten sie das weithin auch mit KALL aus? Spielte bei der Nacht noch der Himmel, spielte CAELUM die entscheidende Rolle? Zweifellos war der strahlende Nachthimmel sehr eindrucksvoll und die bloße Rückseite des Tageshimmels. Auch konnte das Wort sich von der dunklen, ohne künstliche Beleuchtung absolut schwarzdunklen HÖHLE herleiten wie etwa im Sanskrit, wo KALA für beides steht, für HÖHLE und für NACH’t. Aber die Menschen entdeckten Höhlen sehr viel später als ihre Sprachfähigkeit, und nur wenige Menschen der gesamten Art kamen je mit Höhlen in Berührung. So schön er auch wäre, so wenig wahrscheinlich ist ein solcher einfacher Zusammenhang. Man muß halt auch »schönen« Argumenten gegenüber korrekt bleiben... Ich habe meine Funde unter diesem Gesichtspunkt der Dreiteilung der möglichen Bedeutungen zusammengesteckt. Ich habe sie noch erweitert auf die »kleine Portion« Dunkelheit, die der Schatten darstellt. Es bot sich an. Ich bin aber nicht ganz sicher, es gibt auch andere Zusammenhänge: Etwa die skandinavische Paarung SKOG/ SKYGGE — Wald und Schatten. Beides TAG-Formen. Insgesamt aber erscheint die KALL-Nachbarschaft Schatten-Dunkel als recht natürlich (Tafel 49). Ich habe in die Tafel 49 auch das japanische NE aufgenommen, das nicht nur »Mitternacht«, sondern auch »Norden« bezeichnet. Sowie wir gelegentlich den »Mittag« auch als Richtungswort für den Süden verwenden, tun es also die Japaner mit dem Norden. Aber tun wir nicht Gleiches? Ist NOR’den nicht auch vielleicht ein Wort, das 216
Tafel 49: NACHt, Dunkel, Schatten und Schwärze arabisch HAL’kam schwarz, bLACK NEGro
irisch LACH’na schwarz, bLACK NEGro
nahuatl yo’WAL NACHt, NIGHt NOCHE
englisch b’LACK schwarz NEGro
hindi KALA schwarz, bLACK NEGro
thai KAALA schwarz, bLACK NEGro
chakaszki CHARA schwarz, bLACK NEGro
bengali KALA schwarz, bLACK NEGro
chakaszki CHARA NACHt, NIGHt NOCHE
türkisch KARA schwarz, bLACK NEGro
Sanskrit KALA dunkel, dark osCURo
australisch boon’GALA Schatten, shadow sombra (BA)
arabisch GARA’b Dunkelheit, dark ness, oscuridad
arabisch HALAJ NACHt, NIGHt NOCHE
chakaszki CHARA’schy dunkel, dark osCURo
türkisch KARAN’LIK dunkel, dark osCURo
aymara LAJJA dunkel, dark osCURo
tasmanisch LARA’bu dunkel, dark osCURo (BA)
arabisch GALAS Dunkelheit, dark ness, osCURidad
irisch LACHAN Dämmerung, dawn anochecer
ph-manobo QALANG Schatten, shadow sombra
zigeunerisch GALO schwarz, bLACK NEGro
bengali KALO dunkel, dark osCURo
ph-atta * QALUNG Schatten, shadow sombra
mongolisch KARU schwarz, bLACK NEGro
dayak NGARUM NACHt, NIGHt NOCHE
dayak-sentah KARUM dunkel, dark osCURo
australisch GALURU * schwarz, bLACK NEGro
australisch WARU’gadi dunkel, dark osCURo (TAG)
- arabisch HALIK schwarz, bLACK NEGro
spanisch CALI’GINO’so düster, darkish osCURO
arabisch HALIQ NACHt, NIGHt NOCHE
bengali KALI dunkel, dark osCURo
hethitisch HALI NACHt, NIGHt NOCHE
lateinisch CALI’gatio Dunkelh., darkness osCURidad (TAG)
ph-gaddang QALI’naw Schatten, shadow sombra
ph-ilongo KALI’bian NACHt, NIGHt NOCHE
ph-tagbanwa LAGIM schwarz, bLACK NEGro
tungusisch sa’KALIN schwarz, bLACK NEGro
ph-agta QALINU Schatten, shadow sombra
217
tagalog
ph-atta
ph-kallahan
arabisch
KARIMLAN
a’LAINU
QALLIN
LAILA
Dunkelheit, dark ness, osCURidad
Schatten, shadow sombra
Schatten, shadow sombra
NACHt, NIGHt NOCHE
hebräisch
nahuatl
australisch
LAILA
LAILO
boo’KANG
NACHt.NIGHt NOCHE
NACHt.NIGHt NOCHE
NACHt.NIGHt NOCHE
arabisch KANN Schatten, shadow sombra
tibetisch
thai
tibetisch
NAG
KAAN
NAG
schwarz, bLACK NEGro
schwarz sein, be Dunkelheit, dark bLACK, ser NEGro ness, osCURidad
ph-balangaw
ph-kallahan
guarani
NGA’ta’GAN
QAN’deket
CAN’ba
schwarz, bLACK NEGro
schwarz, bLACK NEGro (TAG)
schwarz, bLACK NEGre
nordisch NATT NACHt, NIGHt NOCHE
arabisch
tungusisch
ph-ifugao
qüechua
HANA’dis
XANAN
NAHA’dom
YANA
NACHt.NIGHt NOCHE
Schatten, shadow sombra
NACHt.NIGHt NOCHE
schwarz, bLACK NEGro
ph-ivatan
ph-batak
ilocan
australisch
QANI’NOG *
QANI’NUNG
NANGI’sit
bi’ANG’ri
Schatten, shadow sombra
Schatten, shadow sombra
schwarz, bLACK NEGro
NACHt.NIGHt NOCHE
telugu NALU’pu schwarz, bLACK NEGro
chinesisch AN dunkel, dark osCURo
baskisch GAU NACHt.NIGHt NOCHE türkisch GÖL’ge Schatten, shadow sombra
koreanisch KÄN schwarz, bLACK NEGro
ph-ifugao NGAO Dämmerung, dawn Schatten, shadow anochecer sombra maori
NGA’HAE
NACHt.NIGHt NOCHE
quichö KOL Finsternis, dark ness, osCURidad
chakaszki
tibetisch
KÖL’etki
ROG-po
Schatten, shadow sombra
schwarz, bLACK NEGro
englisch GLOOM Dunkelheit, dark ness, osCURidad polnisch
australisch
to’KAI
ph-tagabili
QOLUNG Schatten, shadow sombra
australisch
australisch
australisch
boo’LOOL
bo’LOOL
KURRA’GONG NOC
dunkel, dark osCURo
NACHt.NIGHt NOCHE
Schatten, shadow sombra
218
NACHt, NIGHt NOCHE
slowakisch NOQ NACHt.NIGHt NOCHE
lateinisch NOX NACHt.NIGHt NOCHE
laddinisch NOT1 NACHt.NIGHt NOCHE
japanisch
tasmanisch
NO
NÖN’ta
dunkel, dark osCURo
NACHts, at NIGHt de NOCHE
tagalog LUK’sa schwarz, bLACK NEGro
aynu
schwarz, bLACK osCURo
welsch ty’WYLL dunkel, dark osCURo
aynu KUR Schatten, shadow sombra
dunkel, dark osCURo
tungusisch
japanisch
australisch
japanisch
XÜRGÜ
KURA’si
CURRA
KURO
schwarz, bLACK NEGro
dunkel, dark osCURo
schwarz, bLACK NEGro
schwarz, bLACK NEGro
aynu
ph-tagbanwa
QULUNG
dunkel, dark osCURo
Schatten, shadow sombra
japanisch KURU dunkeln, get dark osCURecer
mapuche
e’KUROK
mapuche CURÜN dunkel, dark osCURo
koreanisch KURUM dunkle Wolke, dark cloud, cielo oscuro
quechua KULLI dunkel, dark osCURo
griechisch
thai
NUK’to-
KHYYN
Nacht-, nightNOCHE
NACHt.NIGHt NOCHE
griechisch NYX NACHt, NIGHt NOCHE
griechisch KYAN’odunkel, dark osCURo
■aynu
mapuche
parné
CUNU
KUN’pu
schwarz, bLACK NEGro
schwarz, bLACK NEGro
französisch Nurt NACHt.NIGHt NOCHE
tasmanisch
popoluka cuu NACHt.NIGHt NOCHE
hethitisch dan’KUI dunkel, dark osCURo
KUR
NÜNA NACHt.NIGHt NOCHE
KUNNE schwarz, bLACK NEGro
aynu KUNNE NACHt.NIGHt NOCHE
französisch NOIR schwarz, bLACK NEGro australisch
yon’GUL’dye Dunkelheit, dark ness, osCURidad laddinisch
CHÜR
CURÜ schwarz, bLACK NEGro thai
KUN NACHt, NIGHt NOCHE
arabisch
HUNA’bis sehr dunkel, very dark, muy osCURo aynu
KUNNE dunkel, dark osCURo
australisch
NU’ta NACHt, NIGHt NUIT, NOTTE schottisch
LECK schwarz, bLACK NEGro
219
griechisch
griechisch
dayak
ama
KELAI
KELAI’nos
CHELUM
NEKO
schwarz, bLACK NEGro
dunkel, dark osCURo
schwarz, bLACK NEGro
schwarz, bLACK NEGro
schottisch
hethitisch
suahili
setswana
LELA
LEHIHI
NACHt.NIGHt NOCHE
NACHt.NIGHt NOCHE
dunkel, dark osCURo
japanisch
telugu
japanisch
japanisch
bo’KEI
REYI
NE
NE1
Mitternacht, mid night, media noche
NORden, NORth NORte
NECH’t/NICH’t NEKU’t NACHt.NIGHt NOCHE
Dämmerung, dawn NACHt.NIGHt anochecer NOCHE australisch
ph-ilongo
ph-subnun
quechua
WIL’tscha
bi’LING
LINGAW
CHILLU
NACHt.NIGHt NOCHE
schwarz, bLACK NEGro
Schatten, shadow sombra
schwarz, bLACK NEGro
ph-kallahan
ph-manobo
finnisch
ph-dumagat
HILENG
KILIM
HIILI
KILI’p
NACHt.NIGHt NOCHE
NACHt.NIGHt NOCHE
schwarz, bLACK NEGro
NACHt.NIGHt NOCHE
australisch
baskisch ILLUN Dunkelheit, dark ness, osCURidad
arabisch
ph-sangir
KIN
KING’KAU
NACHt.NIGHt NOCHE
Schatten, shadow sombra
LILLIRI Schatten, shadow sombra
1 Laddinisch NOT ist wie französisch NUIT, italienisch NOTTE und nordisch NATT eine Zusammenziehung, bei der der K-Laut verloren gegangen ist und daher die KALL-Form nur kenntlich ist, weil man die benachbarten indogermani schen Formen kennt.
ursprünglich die größte Dunkelheit der Nacht bezeichnete? Es gibt im Finnischen eine BA-Form POHJA, Erde, von der deren Wort für Norden abgeleitet ist und sinngemäß aussagt: »da, wo die Sonne am tiefsten unter der Erde steht.« Eine ähnliche Ableitung fand ich im Mapuche der chilenischen Ureinwohner, nur ist das Wort dort fehl am Platze, steht doch bei ihnen die Sonne heute um Mitternacht im Süden! Also muß das Wort schon lange, bevor die Mapuche den Äquator südwärts überschritten, ein fester Bestandteil ihres Wort schatzes gewesen sein!
220
Mit Sicherheit steht das Phänomen NACHT ganz im Anfang unserer Sprachschöpfungen; wir werden ihr auch bei BA wieder begegnen. KALL hat jedoch den größeren Teil übernommen. Nacht und Dunkelheit, Schwärze und Schatten sind frühe Erfahrungen des Menschen, und wichtige zudem. In unserer arborealen Vergangen heit galt es, Nacht für Nacht aufs Neue eine sichere Bleibe außerhalb der Reichweite von Raubtieren zu finden. Erst sehr langsam hat man sich dazu verstanden, etwas festere Plattformen im Geäst zu bauen. Je schöner und sicherer die wurden, um so eher hat man dann einige Nächte dort verbracht. Und doch nicht für lange, sei es, daß man der geweckten Aufmerksamkeit von Raubkatzen erneut entgehen wollte, sei es, daß das Nahrungssortiment in der unmittelbaren Nähe zu sehr verbraucht war. Die Sorge um nächtliche Sicherheit war gewiß ein früher Bestandteil täglicher Vorsorge. Das beweist uns die weltweite Anwendung einander so ähnlicher Wörter aus dem KALL-Bereich. Das zeigt auch die Nähe der Wörter für alle vier Komponenten der Nacht. Ganz am anderen, am jüngeren Ende der Sprachentwicklung stehen die auffallend vielen KALL-Wörter für das Schiff oder Boot. Auch hier wieder die von einigen Grammatiken bewahrte Feminität der Begriffe. Wieder behandeln vor allem die Briten das Schiff wie eine Lady und sprechen von »her crew, her captain, her load, her course«. Wie weiblich sie sich Schiffe denken, kommt noch einmal in dem Ausdruck »the ship’s husband« zutage, dem Agenten, der für alles zu sorgen hat, während sie im Hafen ist (Ladung, Mannschaft, Proviant, Wasser, Papiere usw.). Auch wir sprechen in weiblichen Wendungen von der »Meteor«, wir schicken die »Gorch Fock« auf Reise. Diese Feminisierung von Schiffen treffen wir in den meisten Sprachen an. Es ist die Folge jenes kategorischen Imperativs des Hohlen, der schon früh auch die Frau umfaßt hatte und von ihr auf alle möglichen Dinge ausstrahlte, wenn sie nur auch hohl waren. Wörter für Boote und schließlich Schiffe von den gegebenen Wörtern für Hohles abzuleiten, bezeugt eine epochemachende technische Einsicht: Hohles verdrängt Wasser und ragt höher daraus hervor als das gleiche Material in vollem Zustande. Ein Baumstamm schwimmt zwar auch, taucht aber viel tiefer ein. Irgendwann einmal kam den Menschen ein Zufall zu Hilfe, durch Fäulnis oder Feuer verursacht, hatte ein zur Schwimmhilfe verwendeter Stamm ein Loch. Man konnte sich beim Aufsitzen eine gewisse Bequemlichkeit verschaffen und die Füße da hineinstellen, sich also auf dem Wasser 221
treiben lassen oder bewegen, ohne selber noch naß zu werden. In der jüngeren Steinzeit, in der das vermutlich geschah, hatte man schon sehr effektive Werkzeuge, um Holz von Koniferen auszuhöhlen. Wer immer diese Entdeckung gemacht hatte, er mußte verlockt werden, das Loch im Stamm zu erweitern und schließlich für einen Mitfahrer oder Lasten Platz zu schaffen. Die Folge: es entstand der Einbaum. Möglicherweise ein irreführendes Wort. Man denkt unwillkürlich an Ein im Gegensatz zu Zwei und mehr. Es gibt aber auch einen AINbaum noch im Mittelhochdeutschen, und zwar für eine Art Sarg. So könnte AIN auch eine KALL-Form für den hohlen Sarg sein und daher KALL genauso auf sich gezogen haben wie das Boot. Da bis ins 19. Jahrhundert Holz das Bootsbaumaterial war, konnten Boote praktisch überall gebaut werden. Aber man lernte auch, bloße Holzgerippe mit Häuten zu bespannen wie den mesopo tamischen KAJK, den CLJRRAUGH in Schottland und den KAYAK bei den Eskimos. Die kanadischen Indianer bauten RindenKANUs, die gleichfalls sehr brauchbar waren. Es ist bei all dem noch besonders an die Windeseile zu denken, mit der sich diese bedeutungsvolle technische Errungenschaft über den ganzen Erdball ausbreitete — wo immer es Wasser gibt, kommen seit dem Mesolithi kum auch Wasserfahrzeuge vor, die schon das bloße Floßstadium hinter sich gelassen haben. Immer aber ist die Frage, wann genauer und wo die ersten Boote entstanden sind, im wesentlichen unbeant wortet. Und es wäre doch so wichtig zu wissen, wie die späteren Tasmanier zuerst nach Australien, und wie dessen heutige Aborigines auf ihren fünften Kontinent gelangt sind. Die Geologen jedenfalls lehnen nach wie vor eine Landverbindung ab, wie Dolezol erst jüngst berichtete. Ebenso gibt es in größerer Nähe von uns eine ganze Reihe von Inseln wie die Kanarischen und die Balearischen, die zweifelsfrei in vorgeschichtlicher Zeit schon von Menschen bewohnt waren und diese Frage nach dem Woher und dem Wie immer erneut aufwerfen. Gerade Fragen wie diese aber drängen uns, unsere Vorstellungen von unbedarften Eiszeitmenschen und Naturvölkern zu revidieren. — Mit der Tafel 50 erschließen wir uns die Welt früher Seefahrer und Fischer, auch auf Binnengewässern. Gewiß haben unsere Vorläufer lange vor dem ersten Bootsbau erkannt, daß Hölzer verschieden schwer sind, daß also ein Eichen stamm tiefer im Wasser liegt als ein Stück von einer Pappel oder Linde. Als man daranging, solche Stämme auszuhöhlen, merkte man wiederum einen wesentlichen Unterschied: je härter ein Holz, desto schwerer war es auch — aber es war dauerhafter. Möglicherweise hat 222
Tafel 50: KANU bis GALEONE nahuatl
baskisch
spanisch-amerik.
a’KAL
GAL’ga
a’CAL
ph-ifugai
GAL’GALUNG *
Boot nach Einbaum Schiffsrumpf, LE- Einbaum oder KUNEu.us’GUNE primitives Boot art gearbeitet
einfaches KANU der Philippinen
suanili
hindi
guarani
GALA’wa
LAGGAR
GARA’ta
3-Mast-Fischerbarke
Barke auf Flüssen Zentral-Südamerik.
nheengatu y’GARA Boot nach Einbaum Indio-Nachen in art gearbeitet Nord-Kolumbien
arabisch
griechisch
suahili
malayisch
KALLA
KARA’bos
NGALA’wa
ba’GALLA
Werft, HELLING Ankerplatz
leichtes Schiff an der Küste
KANU mit Ausleger
SCHALuppeder Sunda-Inseln
arabisch
spanisch
CALA’dora
2-Mast-Segler für schwere Lasten
Schiffsart in Latein-Amerika
spanisch CALA’LUZ Bootstyp aus Ostindien
italienisch
ba’GALA
Dreimast-Schiff im Mittelmeer
tagalog
polynesich
spanisch
spanisch
KALAN
* KALANK
CHALANA
HALOQUE
Prahm, Fracht kahn, Ewer
altertümliches Boot
Einbaum u.KANU seegehendes Aus der Philippinen legerboot
po’LACCA
lateinisch
malayisch-kayan
deutsch/europ.
lateinisch
GAUL’us
HARUK
SCHAL’uppe
GALEA
sehr bauchiges Kauffahrteischiff
gebräuchlicher Bootstyp
allgemeiner Lastensegler
ganz allgemein: Schiff
spanisch
europäisch
arabisch
suahili
GALLEONA
GALEERE
HALIJ
ti’SHALI
kleiner Küsten segler
LEICHter, Ent ladeboot, Prahm
3-Mast-Segelschiff antikes Großschiff des Mittelalters im Mittelmeer
malayisch
lateinisch
ph-kalagan
ph-sarangani
GALLI’vat
CARINA
ba’LANGAY
ba’RANGAY
sehr wendiges Piratenschiff
Boot und Schiff allg . Kanu, Bootstyp auch: KIEL der Philippinen
deutsch
indianisch
irisch
KAHN
KANOU
po’KHAUN
einfacher, ziemlich schwerer Bootstyp
leichtes Paddel boot
kleines Segelboot
chinesisch CHUAN Schiff, Dschunke Lastensegler
ph-sangir
japanisch tai’KAN großes Kriegs schiff
ph-agta
tibetisch
ba’HANGY
SHAN
kleines Boot KANU
kleines Boot auf Flüssen und Seen
sa’KAING Paddelboot, KA NU auf Luzon
dgl.
223
thai
NA-indianisch
malayisch
malayisch
KAN’pan
KANA’wa
tu’KANG
tong’KANG
jede Art Schiff oder Boot
Variante zu KANU
flaches Ruderund Segelboot
eine Art Dschunke tong(TAG) = groß
tagalog
ph-mansaka u. a.
tasmanisch
arabisch
ba’LANGAY
ba’RANGAY
nun’GANAN *
NACO
KAHN der Urein wohner
Schiffsart im Roten Meer
sehr großes KANU KANU seegehend spanisch
deutsch ma.
suahili
deutsch ma.
NAO
NACH’en
GANGI
NÄHE
v. Lat. her: Schiff, allg.
syn. und Umkeh rung von KAHN
eine Art arabi scher Dhau
eine Art Fähre zu NACHEN
ägyptisch
griechisch
australisch
tibetisch
NAGGAR
NAUS
NAN’wai
NYAN
starker Bootstyp auf dem Nil
wie auch lat.NAVIS KANUartiger = Schiff allg. Bootstyp (BA)
KAHN, festeres Boot
anamitisch
ph-batak
annamitisch
GAY’diang
sa’KAYAN
GAY’you
eskimo KAYAK Boot für Frachten, mit Seehundsfell 3 Masten und Segel bespanntes Boot
KANUartiger schmales, flaches Bootstyp Mindanao Boot mit Ausleger
türkisch
finnisch
griechisch
irisch
KAY’ik
LAI’va
HOL’ka
LONG
Lastenkahn oder Schiff, LOGGER
Schiff seegehend
NACHEN auf Bin allgemein: Boot nengewässern und Schiff welsch
lateinisch
englisch
ph-inibaloi
LLONG
COR’bita
YAWL
bi’LOG
Küstenschiff Fischerboot
Lastensegler der Antike
leichtes Segel boot, JOLLE
KANUartiges Boot leichter Bauart
setswana
finnisch
polnisch
setswana
mok’GOR’wana LOTJA
CZOL’no
mo’KORO
NACHEN, KAHN Barke, LEICH ter (BA), mok = groß Prahm
KAHN, NACHEN leichtes Boot Boot KANU
australisch
spanisch
englisch
lateinisch
KOORONG
GOLE’ta
LOGGER
HORIOLA
leichtes Boot KANU
mediterraner Zweimastschoner
seegehendes Fischerboot
ein leichtes Fischerboot
italienisch
mediterran
baskisch
deutsch
GON’dola
ac’CON
u’GON’tzi
SCHONER
Schiff all gemein
mehrmastiges Segelschiff
Bootstyp besonders flachbodiger in Venedig LEICHter
224
englisch
bengalisch
ägyptisch
SCHOONER
NOUKA
NOGGUR
scow
Segelbarke
Boot allg. auch KAHN
wie NAGGAR ein Nilboot
ein LEICHter oder Prahm
schottisch
englisch HÜLL Schiffsrumpf
arabisch
naut.-englisch
QUR’QUR
HULK
großes, seegehen des Langschiff
die äußere Hülle, d. Leib ein. Schiffes
batak
arabisch
schottisch
ilocano
wa’LUCH
fa’LUCCA
CURRAGH
NACA’LUGAN
Schiff allg.
Schiff, aber auch >rund< und >hohl