Urbane Zukünfte im Science-Fiction-Film: Was wir vom Kino für die Stadt von morgen lernen können [1. Aufl.] 9783662610367, 9783662610374

Dieses Buch bietet eine außergewöhnliche Perspektive auf die nachhaltige, lebenswerte und humane Gestaltung urbaner Zukü

250 23 10MB

German Pages XVII, 200 [210] Year 2020

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Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XVII
‚Wahr‘scheinliche Zukünfte: Urbanes Leben mit Science-Fiction neu gedacht (Anke Steinborn, Denis Newiak)....Pages 1-10
Von Science-Fiction-Städten lernen: Rückblick auf eine interdisziplinäre Studie (Steffen Krämer, Moritz Maikämper)....Pages 11-21
Downtown: Die unterirdische Stadt im Science-Fiction-Film (Ingo Landwehr)....Pages 23-37
Domed Cities: Kuppeldispositive in der Science-Fiction des 20. Jahrhunderts (Szilvia Gellai)....Pages 39-64
Hypertrophe Megastrukturen: Utopische Architekturkonzepte der Nachkriegszeit in den Stadtvisionen der Blade-Runner-Filme (Marc Bonner)....Pages 65-91
Der Klang der Zukunftsstädte: Zur musikalischen und akustischen Gestaltung filmischer SciFi-Cities (Wolfgang Thiel)....Pages 93-104
Audiovisuelle Architekturen: Medienfassaden in der filmischen Stadt der Zukunft (Peter Podrez)....Pages 105-125
Das Ende der Stadtgemeinschaft? Urbane Einsamkeiten und städtebauliche Antworten am Beispiel von Her (Denis Newiak)....Pages 127-148
Alles schon geträumt? Science-Fiction und das kollektive Unbewusste bei Hannah Arendt und Susan Sontag (Kristina Jaspers)....Pages 149-165
Futures Thinking: Von Zukunftsstädten zu Stadtzukünften (Anke Steinborn)....Pages 167-195
Back Matter ....Pages 197-200
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Urbane Zukünfte im Science-Fiction-Film: Was wir vom Kino für die Stadt von morgen lernen können [1. Aufl.]
 9783662610367, 9783662610374

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Anke Steinborn · Denis Newiak Hrsg.

Urbane Zukünfte im ScienceFiction-Film Was wir vom Kino für die Stadt von morgen lernen können

Urbane Zukünfte im Science-Fiction-Film

Anke Steinborn · Denis Newiak Hrsg.

Urbane Zukünfte im Science-Fiction-Film Was wir vom Kino für die Stadt von morgen lernen können Illustrationen am Kapitelanfang von Ferdinando Terelle

Hrsg. Anke Steinborn Berlin, Deutschland

Denis Newiak Potsdam, Deutschland

Brandenburgisches Zentrum für Medienwissenschaften

Gedruckt mit Unterstützung des Brandenburgischen Zentrums für Medienwissenschaften (ZeM) ISBN 978-3-662-61036-7 ISBN 978-3-662-61037-4  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-662-61037-4 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Einbandillustration und Kapiteleröffnungs-Illustrationen im Buch: © Ferdinando Terelle 2020; www.artworks-online.de/ All Rights Reserved Filmstills: Herbert Klemens, www.filmbildfundus.de Planung: Sarah Koch Springer Spektrum ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany

Grußwort des Oberbürgermeisters der Landeshauptstadt Potsdam, Jann Jakobs, zur Eröffnung der Tagung „Filmische SciFi-Cities als Dispositiv urbaner Zukünfte“

Sehr geehrte Frau Steinborn, Herr Newiak, liebe Frau von Keitz, sehr geehrte Damen und Herren, ich heiße Sie herzlich willkommen hier im Filmmuseum Potsdam, einem geschichtsträchtigen „Fels in der Brandung“ unserer Stadt – denn Potsdam verändert sich und wird auch in Zukunft starken Veränderungsprozessen ausgesetzt sein, gerade jetzt und hier in der Potsdamer Mitte, wo vor noch nicht allzu langer Zeit der neue Landtag in historischer Fassade eröffnet wurde, neue dringend benötigte Wohnungen an Stelle der ehemaligen Fachhochschule gebaut werden sollen und auch die kontrovers diskutierte Garnisonkirche Gestalt annimmt. Manche haben beim Anblick der Sanierung unserer Stadtmitte unter Berücksichtigung der ursprünglichen historischen Anlage negative Assoziationen an vergangene Zeiten, die man nicht unbedingt wieder aufbauen muss, andere erfreuen sich an der ästhetischen Gestalt der im Krieg zerstörten Baukunst. Die Potsdamer haben in jedem Falle sehr lange darum gerungen, wie die Stadt denn im Einzelnen aussehen soll. Nicht zuletzt bezüglich der Baustelle hier an der rückwärtigen Front des Filmmuseums, wo einst eine Synagoge gebaut werden soll (Cottbus hat ja schon eine), wurde viel diskutiert; doch man ist dabei, sich einig zu werden, und nun kann auch dieses Projekt zur Neugestaltung unserer Stadtmitte bald in Angriff genommen werden. Ich finde, es gibt wohl auch kaum einen besseren Ort für den Auftakt dieser Tagung als das Filmmuseum Potsdam. Seit 1912 steht die Stadt wie kein zweiter Standort für den deutschen Film. Die Filmstudios Babelsberg

V

VI

Grußwort des Oberbürgermeisters der Landeshauptstadt …

sind die ältesten Studios der Welt – älter als Hollywood, darauf legen wir großen Wert. Das Medium Film beflügelt seither die Vorstellung der Menschen. Nicht umsonst werden die großen Studios auch „Traumfabriken“ genannt. Im Film kann das Denkbare gewissermaßen Wirklichkeit werden. Und lange bevor der Mensch seinen Fuß auf den Mond setzte, wurde die Reise zum Mond als Menschheitstraum im Film erdacht. Wie eng Fiktion und Wirklichkeit einander bedingen, zeigt auch ein zweites Beispiel: die Countdowns von Raketenstarts der Raumfahrt. Wir kennen das Runterzählen bis zum Start beispielsweise durch die Apollo-Mission der 1960er-Jahre. Erfunden wurde der Countdown jedoch bereits 1929 – da gab es noch gar keine Raketen, zumindest nicht in Serienproduktion – von Fritz Lang für den Film Die Frau im Mond hier in Potsdam. Lang setzte das Runterzählen als ganz bewusstes dramaturgisches Mittel ein, um dem Publikum das bevorstehende Abheben der Rakete zu verdeutlichen. Und wenn ich an den Ursprung des Science-Fiction-Genres denke, komme ich nicht umhin, Fritz Langs Meisterwerk Metropolis von 1927 zu erwähnen. Dieser Stummfilmklassiker made in Potsdam-Babelsberg gehört seit 2001 zum ­UNESCO-Weltdokumentenerbe. Im Film direkt lebt die Bevölkerung von Metropolis in einer Zweiklassengesellschaft: Die Arbeiter schuften in der Unterwelt und leben in Massenunterkünften, in die kein Licht vordringt. Die Reichen und Mächtigen residieren hoch oben im paradiesischen Teil der Stadt, der dem Garten Eden gleicht. Nun ist dieser zugegebenermaßen einfache Gegensatz von „denen da unten“ und „denen da oben“ nicht ohne Weiteres und kritiklos auf die gegenwärtige Gesellschaft und Situation übertragbar. Doch können uns grundsätzliche Konflikte des Zusammenlebens, wie sie uns etwa im Film gezeigt werden, anleiten, über die Fragen der gemeinsamen Zukunft miteinander zu diskutieren. Die urbane Zukunft ist eine entscheidende politische, aber auch eine gesellschaftliche Frage. Viele Städte in Deutschland und in der gesamten Welt befinden sich in einer Umbruchsituation. Gerade hier in unserer wachsenden Region stellen wir heute viele Weichen für das Zusammenleben von morgen. Mit dem Wachstum gehen viele positive Entwicklungen einher. Wenn ich das auf Potsdam übertrage: Die Arbeitslosenquote liegt weit unter 6 %, die Einkommen steigen, der Tourismus verzeichnete 2017 ein Rekordjahr, die Wirtschaft legt zu. Potsdam ist Brandenburgs jüngste Stadt – und Potsdam macht übrigens auch glücklich: Eine Umfrage hat erst kürzlich gezeigt, dass über 86 % der hier lebenden Menschen die hohe Lebensqualität ihrer Stadt schätzen.

Grußwort des Oberbürgermeisters der Landeshauptstadt …

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Allerdings gibt es auch Kehrseiten, etwa die Wohnungsnot, und es ist wirklich eine große Herausforderung, dieser Wohnungsknappheit zu begegnen. Wir können nämlich gar nicht so schnell bauen, wie unsere Stadt wächst. Es leben hier mittlerweile über 175.000 Menschen und erst kürzlich mussten wir unsere Prognosen für das Bevölkerungswachstum nach oben hin korrigieren. Wir erwarten in weniger als 20 Jahren noch einmal 45.000 zusätzliche Bewohner. In Krampitz oder auch in der Pirschheide werden in den nächsten Jahren ganz neue Stadtteile und Quartiere entstehen. Wir stehen also vor der großen Aufgabe, das Wachstum unserer Stadt zu gestalten. Wie wird unsere Stadt in der Zukunft aussehen? Wie wollen wir unser Wohnen, Arbeiten und Miteinander gestalten? Wie wird der technische Fortschritt beispielsweise unsere Mobilität verändern? Wie kann unsere soziale Infrastruktur passfähig mitwachsen? Gibt es genügend Kindergärten, Schulen, Schwimmbäder und Bibliotheken, ausreichend Freiräume für Kultur und Kunst? Welche Anforderungen stellen wir an den öffentlichen Raum? Wie sieht das lebendige und lebenswerte Quartier der Zukunft aus? Und vielleicht am wichtigsten: Wie kann Potsdam eine Stadt für alle bleiben? Das sind alles ganz entscheidende Fragen nach der Zukunft des Urbanen und mir kommt dabei Potsdam wie ein Mikrokosmos vor, anhand dessen man gewissermaßen auch exemplarisch diese Fragen diskutieren kann. Ich bin mir natürlich im Klaren darüber, dass wir andere Städte in einer ganz anderen Größenordnung haben, wo auch die Frage der Wachstumsdynamik und deren unmittelbaren Auswirkungen noch ganz andere Dimensionen annehmen kann. Ich kann Ihnen beispielsweise nur mal empfehlen, in große afrikanische Städte zu fahren, nach Daressalam zum Beispiel, oder reisen Sie nach China – hier stellen sich diese Fragen noch viel existenzieller. Wenn man auf diese vielen Fragen, die ich nur angedeutet habe, Antworten finden will, dann sind wir dringend auf große und kleine Utopien angewiesen, um mit der Dynamik unserer Zeit auch Schritt halten zu können. Die technologischen Entwicklungen bieten zweifelsohne das Versprechen auf eine modernere und auch bessere, lebenswertere Stadt. In Potsdam wissen wir um die großen Chancen, die zum Beispiel mit der Digitalisierung verbunden sind: Die Stadt hat sich in den letzten Jahren eine deutschlandweite Spitzenposition in der Medien- und IT-Wirtschaft erarbeitet und ihren exzellenten internationalen Ruf als Forschungsstandort auch noch ausbauen können. Seit dem letzten Jahr ist Potsdam einer von zwölf Leuchttürmen digitaler Innovation in Deutschland. Mit der Auszeichnung der „Digital Hub Initiative“ der Bundesregierung ist Potsdam nun auch „MediaTech Hub“. Mit dem Hasso-Plattner-Institut, dem Studio

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Grußwort des Oberbürgermeisters der Landeshauptstadt …

Babelsberg, den Hochschulen und einer sehr lebendigen Startup-Szene haben wir viele gute Voraussetzungen, um eine moderne Stadtentwicklung auch vorantreiben zu können. Ich finde, dass wir viele solche Veranstaltungen wie diese Tagung brauchen. Das Programm für die nächsten zwei Tage ist beeindruckend, und zwar aus zwei Gründen: Zum einen finde ich es außerordentlich bemerkenswert, dass Sie bewusst die Grenzen wissenschaftlicher Disziplinen überwinden möchten und gemeinsam nach Perspektiven für die Stadt der Zukunft suchen. Und zum anderen imponiert mir, wie Sie die direkte Verbindung zwischen filmischer Fiktion und tatsächlichen Herausforderungen herstellen. Eines will ich noch ganz persönlich hinzufügen, meine Damen und Herren: Ich habe ja mal „was Richtiges“ gelernt und unter anderem Soziologie studiert und mich intensiv mit den Fragen der Stadtsoziologie auseinandergesetzt. Auch in der Stadtsoziologie ist es erst gelungen, neue Perspektiven zu entwickeln, überhaupt das Funktionieren von Städten zu begreifen, indem man ganz unkonventionelle Wege gegangen ist. Die Wurzeln der Stadtsoziologie sind in Chicago zu suchen: Dort haben die Soziologen nichts anderes gemacht, als wochenlang spazieren zu gehen, um Eindrücke von ihrem Chicago der 1920er-Jahre in sich aufzunehmen, einer sehr dynamisch wachsenden Stadt mit vielen unterschiedlichen Einwanderungswellen von unterschiedlichsten und zusammengesetzten Ethnien. Es ist meines Erachtens eine sehr spannende Methode, sich auf diese Weise auch gesellschaftlichen Phänomenen zu nähern und aus der Beobachtung heraus Strategien zu entwickeln. Ich erwähne es nur deswegen, weil auch hier, wie bei Ihrem Vorhaben, deutlich wird, dass man neue Wege suchen muss, um vielleicht auch auf die Herausforderungen der Gegenwart ganz neue Antworten finden zu können. Insoweit möchte ich Sie ermuntern, wissenschaftliche Grenzen zu überschreiten, neue Impulse aufzunehmen. Denn all das, was in der Vergangenheit vielleicht auch an politischen und administrativen Strategien funktioniert hat, muss nicht für die Zukunft gelten. Insoweit glaube ich, das hier ist genau der richtige Ansatz. Dazu gratuliere ich Ihnen und wünsche Ihrer Veranstaltung nun viel Erfolg und neue Erkenntnisse für die Stadt von morgen. Vielen Dank! im Filmmuseum Potsdam am 22. Februar 2018

Jann Jakobs

Filmografie (nach Jahr des Erscheinens)

Metropolis (R: Fritz Lang, M: Gottfried Huppertz, D 1927) Berlin – Die Sinfonie der Großstadt (R: Walther Ruttmann, M: Edmund Meisel, D 1927) Die Frau im Mond (R: Fritz Lang, M: Willy Schmidt-Gentner, D 1929) Things to come (R: William Cameron Menzies, GB 1936) The Thing from Another World (R: Christian Nyby, USA 1951) When Worlds Collide (R: Rudolph Maté, USA 1951) The War of the Worlds (R: Byron Haskin, M: Leith Stevens, USA 1953) Godzilla (Gojira, R: Ishirô Honda, J 1954) Forbidden Planet (R: Fred McLeod, M: Louis & Bebe Barron, USA 1955) Weltraum-Bestien (Chikyû Bôeigun, R: Ishirô Honda, J 1957) Der schweigende Stern (R: Kurt Maetzig, M: Andrzej Markowski, DDR 1960) Alphaville (R: Jean-Luc Godard, M: Paul Misraki, F 1965) The Bubble (R: Arch Oboler, USA 1966) Fahrenheit 451 (R: Francois Truffaut, M: Bernard Herrmann, GB 1966) 2001: A Space Odyssey (R: Stanley Kubrick, GB/USA 1968) Barbarella (R: Roger Vadim/Jean-Claude Forest, F/I 1968) Planet der Affen (R: Franklin J. Schaffner, USA 1968) The Omega Man (R: Boris Sagal, M: Ron Grainer, USA 1971) THX 1138 (R: George Lucas, USA 1971) Silent Running (R: Douglas Trumbull, USA 1972) Zardoz (R: John Boormann, IR/USA 1974) Logan‘s Run (R: Michael Anderson, M: Jerry Goldsmith, USA 1976) IX

X      Filmografie (nach Jahr des Erscheinens)

Alien (R: Ridley Scott, M: Jerry Goldsmith, GB 1979) Blade Runner (R: Ridley Scott, M: Vangelis, USA/Hongkong 1982) The Quiet Earth (R: Geoffrey Murphy, M: John Charles, NZ 1983) Brazil (R: Terry Gilliam, M: Michael Kamen, GB 1984) Something Wild (R: Jonathan Demme, M: Laurie Anderson und John Cale, USA 1986) Akira (R: Katsuhiro Otomo, Izo Hashimoto, J 1988) Total Recall (R: Paul Verhoeven, USA 1990) Twelve Monkees (R: Terry Gilliam, M: Paul Buckmaster, USA 1995) Das Fünfte Element (R: Luc Besson, M: Eric Serra, F 1997) Matrix (R: Lana [als Larry] Wachowski, Lilly [als Andy] Wachowski, AU/ USA 1999) A.I. – Artificial Intelligence (R: Steven Spielberg, USA 2001) Equilibrium (R: Kurt Wimmer, USA 2002) Minority Report (R: Steven Spielberg, USA 2002) Matrix Reloaded (R: Lana [als Larry] Wachowski, Lilly [als Andy] Wachowski, AU/USA 2003) Matrix Revolutions (R: Lana [als Larry] Wachowski, Lilly [als Andy] Wachowski, AU/USA 2003) I, Robot (R: Alex Proyas, USA/D 2004) V for Vendetta (R: James McTeigue, USA/GB/D 2005) 2030 – Aufstand der Alten (R: Jörg Lühdorff, D 2007) WALL-E (R: Andrew Stanton, USA 2008) Midnight in Paris (R: Woody Allen, M: Diverse, USA/ES 2011) World Invasion: Battle Los Angeles (R: Jonathan Liebesman, M: Brian Tyler, USA 2011) Terminator 2: Judgment Day (R: James Cameron, M: Brad Fiedel, USA 1991) Terminator 3: Rise of the Machines (R: Jonathan Mostow, M: Marco Beltrami, USA 2003) Terminator Salvation (R: McG, M: Danny Elfman, USA 2009) The Terminator (R: James Cameron, M: Brad Fiedel, USA 1984) Die Tribute von Panem – The Hunger Games (R: Gary Ross, USA 2012) The Dust Bowl (R: Ken Burns, Dayton Duncan, USA 2012) Elysium (R: Neill Blomkamp, M: Ryan Amon, USA 2013) Her (R: Spike Jonze, M: Arcade Fire/Owen Pallett, USA 2013) The Zero Theorem (R: Terry Gilliam, GB/RUM 2013) Ghost in the Shell (R: Rupert Sanders, USA 2017) Passengers (R: Morton Tyldum, M: Thomas Newman, USA 2016)

Filmografie (nach Jahr des Erscheinens)      XI

Blade Runner 2049 (R: Denis Villeneuve, M: Benjamin Wallfisch/Hans Zimmer, USA 2017) Valerian and the City of a Thousand Planets (R: Luc Besson, F 2017) Altered Carbon (R: Laeta Kalogridis, M: Jeff Russo, USA 2018) Ready Player One (R: Steven Spielberg, USA 2018) The Commuter (R: Jaume Collet-Serra, M: Roque Baños, USA/GB/F 2018) Welcome to Sodom (R: Florian Weigensamer, Christian Krönes, D 2018)

Inhaltsverzeichnis

1

‚Wahr‘scheinliche Zukünfte: Urbanes Leben mit Science-Fiction neu gedacht 1 Anke Steinborn und Denis Newiak Literatur 10

2

Von Science-Fiction-Städten lernen: Rückblick auf eine interdisziplinäre Studie 11 Steffen Krämer und Moritz Maikämper 2.1 Science-Fiction als Zukunftstechnik? 12 2.2 Umfang und Durchführung der Studie 14 2.3 Szenario als Anschlusskategorie 15 2.4 Reflexion und Ausblick 19 Literatur 20

3

Downtown: Die unterirdische Stadt im Science-Fiction-Film 23 Ingo Landwehr 3.1 Stadt im Science-Fiction-Film 24 3.2 Unterirdische Qualität? 25 3.3 Der Untergrund wird reflexiv 27 3.4 Die Stadt der Arbeiter – Metropolis 29 3.5 Everytown – Things to Come 31 3.6 Die anonyme Stadt – THX 1138 33 3.7 Zion – Matrix 35 3.8 Fazit 37 Literatur 38 XIII

XIV     Inhaltsverzeichnis

4

Domed Cities: Kuppeldispositive in der Science-Fiction des 20. Jahrhunderts 39 Szilvia Gellai 4.1 Einführung: Die saponische Vision 40 4.2 Kuppeldispositive in Science-Fiction-Literatur und ­-Cover-Art 43 4.3 Kuppelstadtvisionen in der Stadtplanung 47 4.4 Kuppelmetaphorik: Von der Bombe zum Mutterleib, vom Bunker zum Glashaus 49 4.5 Kuppelvisionen im Science-Fiction-Film der 1970er-Jahre 53 4.6 Fazit 61 Literatur 62

5

Hypertrophe Megastrukturen: Utopische Architekturkonzepte der Nachkriegszeit in den Stadtvisionen der ­Blade-Runner-Filme 65 Marc Bonner 5.1 Megastrukturen und Megacities 66 5.2 Science-Fiction und Architektur 73 5.3 Das Urbane in den Blade-Runner-Filmen 75 5.4 Fazit 85 Literatur 89

6

Der Klang der Zukunftsstädte: Zur musikalischen und akustischen Gestaltung filmischer SciFi-Cities 93 Wolfgang Thiel 6.1 Zwei Wege, in die Zukunft zu blicken 94 6.2 Musik der Städte 94 6.3 Der Klang der Zukunftsstädte in Stadtplanung und Science-Fiction-Filmen 97 6.4 Ansätze und verpasste Chancen 101 6.5 Fazit 103 Literatur 104

Inhaltsverzeichnis     XV

7

Audiovisuelle Architekturen: Medienfassaden in der filmischen Stadt der Zukunft 105 Peter Podrez 7.1 Medienfassaden in architektonischen und stadtplanerischen Diskursen 108 7.2 Filmische Medienfassaden als Dispositive urbaner Zukünfte 111 7.3 Fazit: Von filmischen Science-Fiction-Städten lernen? 122 Literatur 123

8

Das Ende der Stadtgemeinschaft? Urbane Einsamkeiten und städtebauliche Antworten am Beispiel von Her 127 Denis Newiak 8.1 Die Einsamkeit der Moderne 131 8.2 Singularität trifft auf Urbanität 133 8.3 Blade Runner: Archetyp urbaner Dystopien 134 8.4 Her: Urbane Einsamkeiten im Zeitalter der künstlichen Intelligenz 136 8.5 Vom Science-Fiction-Film lernen: Ideen für das urbane Leben der Zukunft 138 8.6 Filmische Urbanitäten als Ideenrepertoire für Stadtplaner 146 Literatur 148

9

Alles schon geträumt? Science-Fiction und das kollektive Unbewusste bei Hannah Arendt und Susan Sontag 149 Kristina Jaspers 9.1 Technologisches Wunschdenken 152 9.2 Die ambivalente Figur des Naturwissenschaftlers 155 9.3 In Anbetracht der Bombe 157 9.4 Science-Fiction als Chance 160 9.5 „Alles wie im Traum …“ oder „… wie im Kino“? 163 Literatur 164

XVI     Inhaltsverzeichnis

10 Futures Thinking: Von Zukunftsstädten zu Stadtzukünften 167 Anke Steinborn 10.1 Paradigmen der Dystopie in Science-Fiction-Städten 171 10.2 Less is bore: Stimulation und Oberflächenspiel in ­SciFi-Cities 176 10.3 Vom „Ende der Welt“ und der Chance eines Neubeginns 184 10.4 Was können wir nun von Science-Fiction-Filmen lernen? 188 Literatur 194 Stichwortverzeichnis 197

Über die Herausgeber

Anke Steinborn studierte Kunstgeschichte, Kultur- und Filmwissenschaft an der Humboldt Universität und Freien Universität in Berlin, promovierte 2013 an der Bauhaus-Universität Weimar zur Ästhetik des American Way of Life. Seit 2001 ist sie im Bereich Art Direction/Creative Consulting tätig. Darüber hinaus lehrt und forscht sie seit vielen Jahren u. a. an der Europa-Universität Viadrina, der Universität Bayreuth und der BTU ­ Cottbus. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Raum-, Design- und Medientheorie, Futures Thinking, Theorien und Ästhetiken der Affizierung. Denis Newiak  studierte Europäische Medienwissenschaft in Potsdam und Filmwissenschaft an der Freien Universität Berlin, promoviert derzeit an der BTU Cottbus zu Ausdrucksformen von Einsamkeit in Film und Fernsehen und welche gemeinschaftsstiftenden Funktionen den Fernsehserien unter spätmodernen Lebensbedingungen zukommen. Weitere Forschungsschwerpunkte sind: Künstliche Intelligenz und virtuelle Sprachassistenten, Mars im Film, Musik im Science-Fiction-Film.

XVII

1 ‚Wahr‘scheinliche Zukünfte: Urbanes Leben mit Science-Fiction neu gedacht Anke Steinborn und Denis Newiak

A. Steinborn (*)  Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected] D. Newiak  Potsdam, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Steinborn und D. Newiak (Hrsg.), Urbane Zukünfte im Science-Fiction-Film, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61037-4_1

1

2     A. Steinborn und D. Newiak

Weltweit wächst der urbane Raum in nie dagewesenen Größenordnungen: In 30 Jahren sollen 2 von 3 Menschen in Städten leben, und schon in einem Jahrzehnt wird es auf der Welt 40 Megacities geben, in denen jeweils mehr als 10 Mio. Menschen wohnen werden. Das Ausmaß und Tempo der globalen Urbanisierung sind schwer vorstellbar – und zugleich eine enorme Herausforderung: Schon jetzt zeigen sich die Probleme in den Metropolen, deren Verkehrs- und Entsorgungssysteme kurz vor dem Kollaps stehen, in denen sinnstiftende Arbeit, öffentliche Plätze und bezahlbare Wohnungen knapper werden und durch zunehmende Individualisierung, Anonymisierung und Gentrifizierung die Stadtgemeinschaft zu scheitern droht. Seit sich diese Trends abzeichnen, wird nach innovativen Konzepten gesucht, um den Entwicklungen zu begegnen – bisher nicht immer erfolgreich, denn am Anfang steht regelmäßig die Notwendigkeit, sich zunächst Klarheit über die den Städten bevorstehenden Herausforderungen zu verschaffen. Doch bei dem Versuch, zuverlässige Prognosen über die soziale, ökologische und architektonische Entwicklung von Ballungsräumen anzustellen, geraten konventionelle Methoden angesichts der Komplexität jener dynamischen Systeme zunehmend an ihre erkenntnistheoretischen Grenzen. Wenn auch die Megatrends der urbanen Zukunft relativ leicht benennbar sind, sagt das doch noch nichts darüber aus, wie sich das Leben in den Metropolen tatsächlich und en détail verändern wird. In einer Zeit, in der sich statische Sicherheiten und Verbindlichkeiten immer mehr im Fluiden, im Un(be)greifbaren verlieren, müssen neue Wege gesucht und gefunden werden, der permanenten Unsicherheit zu begegnen, oder, wie Elena Esposito postuliert: „[I]n einer zunehmend ‚virtuellen‘ Gesellschaft, die noch nicht so recht weiß, wie ihr eigentlich geschieht, [… muss] das Verhältnis von Realität und Unsicherheit“1 neu überdacht werden. Ein großes Potenzial, sich diesen Unsicherheiten im Zeitalter der Virtualität zu stellen und sie visuell (be-)greifbar zu machen, sehen wir in der Betrachtung und Analyse von Science-Fiction-Filmen. Seit es das Kino gibt, wagt es einen ästhetischen Ausblick auf das, was sein könnte, und ganz selbstverständlich spielten und spielen Städte hier fast immer eine Hauptrolle. Die darin explizit ausformulierten Darstellungen von zukünftigen Urbanitäten beziehen sich als fiktionale Extrapolationen nicht nur auf eine angenommene verallgemeinerbare Beschaffenheit der Gegenwart, sondern ermöglichen auch durch die filmische Fiktion mit ihrer besonderen Fähigkeit zur dramaturgischen Zuspitzung, einleuchtenden Visualisierung 1Esposito

2014, S. 121.

1  ‚Wahr‘scheinliche Zukünfte …     3

und narrativen Verkettung ein besseres Verständnis der komplexen Realität, die sonst in ihrer Vielfältigkeit unbeschreibbar bleibt. So verstörend die Ausblicke auf die meist dystopischen städtischen Zukunftswelten in ihrer implizit wie explizit formulierten Bezugnahme auf die Welt von heute zum Teil auch sein mögen: Eben weil sie keinen Anspruch auf akademische Methodik und Nachprüfbarkeit erheben, erlauben die vielfältigen imaginierten Science-Fiction-Cities (SciFi-Cities), in ihnen nach Zeichen und Gegenanzeichen zu suchen, welche sich für die Ausgestaltung einer lebenswerten Zukunft der Stadt nutzbar machen lassen. „Die Verfügbarkeit fiktiver Welten“, so Esposito, „erlaubt es, zur wirklichen Welt auf Distanz zu gehen, sie ‚von außen‘ zu betrachten und ihr Alternativen gegenüberzustellen. […] Fiction wird so zum Spiegel, in dem die Gesellschaft ihre eigene Kontingenz reflektiert, die Normalität einer nicht mehr eindeutig festgelegten und bestimmbaren Welt“2. An späterer Stelle wird die Autorin noch deutlicher, als sie bemerkt: „Wer sich an fiktionalen Texten orientiert, tut das nicht, weil sie real sind oder weil er das glaubt, sondern weil sie realistisch sind. Sie repräsentieren eine explizit fiktive Realität, an der sich der Beobachter trotz allem ausrichten kann“3. Das bedeutet, dass der Weg über fiktionale Texte und damit auch Filme dazu befähigt, sich „in der realen Welt und der Komplexität ihrer Beziehungen besser bewegen“ zu können. Kurz: Durch Filme verstehen wir unsere gegenwärtige reale Welt besser und können dadurch nicht nur schöpferischer, sondern auch konstruktiver über mögliche realweltliche Zukünfte nachdenken. Allerdings funktioniert dies nur mit fiktiven Konstruktionen, die so plausibel sind, dass sie wahr sein könnten: Diese Erkenntnis führt Esposito auf die Überlegungen des heiligen Augustinus zurück, in dessen rhetorischer Welt ein fiktionaler Text nur dann als „Lüge“ galt, „wenn etwas ohne jede moralische Bedeutung vorgetäuscht wurde; hatte die Fiktion jedoch einen höheren Sinn, handelte es sich nicht um eine Lüge, sondern um eine Erscheinungsform der Wahrheit“.4 Als „wahr“ galt somit eine Art „innere […] Wahrscheinlichkeit“,5 wodurch die Fiktion sogar „‚wahrhaftiger‘ sein [konnte] als die tatsächliche Realität“6. 2Esposito

2014, S. 18. 2014, S. 56. 4Esposito 2014, S. 14. Esposito bezieht sich hier auf Augustinus, zit. nach Nelson, William. 1973. Fact or Fiction. The Dilemma of the Renaissance Storyteller. Cambridge: Harvard University Press, 14. 5Vgl. auch Hathaway 1968, S. 57. 6Esposito 2014, S. 14. 3Esposito

4     A. Steinborn und D. Newiak

Vor diesem Hintergrund erscheinen uns die in Science-Fiction-Filmen inszenierten Welten als wahrscheinliche Möglichkeiten urbaner Zukünfte, weil die in ihnen präsentierten Zukunftswelten – auch wenn sie von der Attraktion des Fantastischen, häufig gar des scheinbar Unmöglichen leben – in der Regel eine überwältigende Plausibilität ausstrahlen. Am Ende eines guten Science-Fiction-Films darf der Zuschauende gern denken: So könnte es einmal sein. Genau dieses fiktionale Wahrscheinliche bietet uns – so Esposito – „jene Orientierungsmöglichkeiten, die die ‚reale Realität‘ nicht zu bieten hat“7. Da es aber letztlich wahrscheinlich ist, „daß gerade das Unwahrscheinliche eintritt, […] ist [und bleibt] das Wahrscheinliche nur wenig realistisch“.8 So bietet auch die Wahrscheinlichkeitstheorie, in die große Hoffnungen gesetzt wurde, keinen Lösungsansatz, denn auch ihre „auf der Grundlage probabilistischer Schätzungen erstellten Berechnungen sind […] völlig illusorisch [… D]ie zukünftigen Gegenwarten bleiben offen, und jeder Versuch, sie durch Planungen festzulegen, vergrößert ihre Offenheit zusätzlich“9. Was können Science-Fiction-Filme nun letztlich leisten? Sie machen die Entropie einer zunehmend virtuellen Gesellschaft sichtbar, die ihr urbanes Zusammenleben zukünftig unter ganz neuen Vorzeichen bewältigen und organisieren muss: Durch den sich sichtlich verschärfenden Klimawandel müssen sich Städte auf Extremwetterereignisse und deren Folgen bis hin zur Unbewohnbarkeit ganzer Gebiete einstellen. Die fortschreitende Automatisierung von Wirtschaft und Alltag, insbesondere durch die Entwicklung „künstlicher Intelligenzen“, wird die Rolle der Arbeit und bestehende Sozialsysteme tief greifend verändern und sich nicht unerheblich auf das soziale alltägliche Miteinander auswirken. Natürliche Ressourcen, die bei der industriellen Produktion und der Energiegewinnung nicht mehr im gewohnten, scheinbar unbegrenzten Maße zur Verfügung stehen, erfordern ein Umdenken in Richtung Recycling und alternativer Energien, führen aber auch zu Auseinandersetzungen im Kampf um die knapper werdenden Rohstoffe. Verteilungskriege, klimatische und wirtschaftliche Verschiebungen werden zu weiteren Migrationsbewegungen führen. Rasante

7Esposito

2014, S. 55. 2014, S. 50. Bezug nehmend auf De Finetti (1981, S. 1183) fügt die Autorin in Fußnote 2 hinzu, dass „die Wahrscheinlichkeitsrechnung keineswegs immer zu einer Bestätigung der ‚abgeflachtesten‘, d. h. dem Mittelwert am nächsten liegenden Hypothesen und Prognosen führt“. 9Esposito 2014, S. 56 f. 8Esposito

1  ‚Wahr‘scheinliche Zukünfte …     5

demografische Veränderungen und das allgemeine Wachstum der Weltbevölkerung werden das Gesicht der Städte grundlegend verändern, den Wettbewerb um Wohnraum, Arbeit und Lebenszufriedenheit weiter anheizen. Unklar bleibt, wie genau sich diese Trends ausgestalten werden, wie sie sich zueinander ins Verhältnis setzen und gegenseitig begünstigen werden. Unklar bleibt dies alles nicht zuletzt auch, weil „man nicht weiß, was die anderen [Mitmenschen] tun werden“10 bzw. wie sie sich in zukünftigen Situationen verhalten werden. Niklas Luhmann bezeichnet das als „Spannungsverhältnis zwischen zeitlicher und sozialer Dimension“11. Zur Unsicherheit, was die Zukunft bringt und welche Entscheidungen getroffen werden sollten, kommt hinzu, dass „man nicht weiß, wie man in Zukunft die Ereignisse, die sich zugetragen haben werden, bewerten wird. Man kann also nicht sicher sein, daß sich die Bewertungskriterien nicht im Laufe der Zeit verändern werden“12. Dies wird insbesondere anhand der Bewertung technologischer Neuerungen, z. B. der Atomenergie und der Plastikproduktion deutlich. Wurde die Atomenergie vor wenigen Jahrzehnten noch als die sauberste Form der Energiegewinnung gefeiert, sehen wir uns heute mit dem geradezu unlösbaren Problem der Entsorgung atomarer Abfälle konfrontiert, genauso wie Plastikabfälle unwiderruflich unseren Lebensraum zerstören und es bislang kaum abzuschätzen ist, was die neuen Smarttechnologien an Konsequenzen hinsichtlich der Rohstoffgewinnung und (Sonder-)Müllproduktion nach sich ziehen. Der Blick auf die filmischen gegenwärtigen Zukünfte soll dabei helfen, bei allen Unwägbarkeiten, die die Zukunft mit sich bringt, ein Instrumentarium für Entscheidungen zur Gestaltung zukünftiger Gegenwarten zu entwickeln, „mit dem Entscheidungen zwar nicht rational, aber doch für die anderen nachvollziehbar werden“13. Der vorliegende Band soll ein Aufschlag dafür sein, die verschiedenen Facetten der städtischen Gegenwart und Zukunft, ihrer Einrichtungen, Architekturen und sozialen Prozesse aus unterschiedlichen Perspektiven interdisziplinär zu beleuchten, und so die diskursive Annäherung an die vielfältigen Fragestellungen hinsichtlich des zukünftigen urbanen Zusammenlebens ermöglichen.

10Esposito

2014, S. 52. 1991, S. 82. 12Esposito 2014, S. 53. 13Esposito 2014, S. 30. 11Luhmann

6     A. Steinborn und D. Newiak

Dabei gestatten die Science-Fiction-Filme nicht nur eine gesteigerte Sensibilität für die diversen Herausforderungen, mit welchen Großstädte und Großstädter:innen zukünftig konfrontiert sein werden, sondern auch Zugang zu möglichen, zum Teil fantastisch-kreativen Antworten, wie auf eben diese Entwicklungen zu reagieren sein müsste. Die zahlreichen, einfallsreichen Filmemacher haben über Jahrzehnte in ihren Filmen einen Katalog möglicher Maßnahmen hinterlassen, wie sich auf die dort gezeigten urbanen Konflikte angemessen reagieren ließe. Selbst wenn in einem der dystopischen Zukunftsfilme wieder einmal alles auf dem Spiel steht und die Stadt an die Grenzen des Trag- und Leistbaren zu kommen scheint, finden die agierenden Figuren in diesen zwar fiktiven, aber wahrscheinlichen urbanen Welten immer wieder Wege, der Lage „Herr“ zu werden. So können die filmischen Städte von morgen nicht nur als Seismograf, also ein Frühwarnsystem für sich bereits jetzt ankündigende Problemkomplexe, verstanden werden, sondern sie fungieren vor allem als tool visionärer Strategieentwicklung, um eben diese Herausforderungen bewältigen zu können und schon jetzt Antworten auf Fragen der urbanen Zukunft zu finden. Eine solche Hoffnung stand auch am Anfang des Forschungsprojekts „Sci-Fi-Cities – Stadtzukünfte in Kunst, Literatur und Video“, welches im Auftrag des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg durchgeführt wurde. In dieser Untersuchung wurden seit den 1970er-Jahren erschienene Science-Fiction-Werke aus Film, Literatur, Comic, bildender Kunst und Computerspiel gesammelt und klassifiziert.14 Im Vordergrund standen dabei die Identifizierung wiederkehrender typischer Stadtformen und die Frage nach ihrer Eignung für die angewandte Stadtplanung der Gegenwart. Für den vorliegenden Band haben Steffen Krämer und Moritz Maikämper, die u. a. an diesem Projekt beteiligt waren, ihre wichtigsten Beobachtungen und Erkenntnisse unter dem Titel „Von Science-FictionStädten lernen: Rückblick auf eine interdisziplinäre Studie“ zusammengefasst. Ausgehend von der Studie sollen in diesem Band nun folgende Fragestellungen weiterverfolgt werden: Welche Anregungen und Impulse können die SciFi-Visionen hinsichtlich zukünftiger Stadtplanungen offerieren? Welche Szenarien und Problemkomplexe stellen sie dabei in den Mittelpunkt? Welches Zukunftswissen enthalten Science-Fiction-Filme, das für ein gutes Leben in den Städten von morgen nutzbar gemacht werden könnte? Und wie ließe sich dieses ästhetische Reservoir an Zeichen, Verfahren und 14Vgl.

Krämer et al. 2015.

1  ‚Wahr‘scheinliche Zukünfte …     7

Topoi für die anwendungsorientierte, dynamisch reagierende und zielorientierte Stadt- und Landschaftsplanung nutzbar machen? Erste Ideen hierzu stellt Ingo Landwehr in seiner Untersuchung „Downtown – Die unterirdische Stadt im Science-Fiction-Film“ vor. Science-Fiction-Filme, deren Handlung sich in unterirdischen Städten ­ abspielt, besitzen – so der Autor – eine ganz besondere Qualität. Sie kombinieren das Reflexionspotenzial des Mediums Film mit dem einer subterranen Urbanität. Die moderne Erschließung des Untergrunds seit dem 18. Jahrhundert, die fiktionale wie die reale, hat die Menschen nicht nur mit ihrem eigenen Tun, mit kulturellen Artefakten und Praxen in der Stadt konfrontiert, sondern auch neue – relationale – Wahrnehmungen von Raum und Zeit befördert. Analog zum zeitlichen Fortschritt ist die Erschließung des Untergrundes naturgemäß auch ein räumliches Fortschreiten in ein noch unbekanntes bzw. noch nicht restlos von der ‚Science‘ erforschtes ‚Woanders‘. Jenes ‚Woanders‘ findet seine Verkörperung insbesondere in der unterirdischen Stadt im Science-Fiction-Film, die neben dem fiktionalen Potenzial, das sie birgt, als Projektionsraum zukünftigen Zusammenlebens fungiert. Einer weiteren Form jener Projektionsräume widmet sich Szilvia Gellai mit ihrem Beitrag „Domed Cities: Kuppeldispositive in der Science-Fiction des 20. Jahrhunderts“. Überkuppelte Städte gehören seit Langem zu den prägnantesten architektonischen Topoi der Science-Fiction. Erste Visionen einer Domed City wurden in der utopischen Literatur bereits Ende des 19. Jahrhunderts formuliert. Doch erst in den 1960er- und 1970er-Jahren erlebte die räumliche Konzeption von Kuppelstädten im Kontext der vom sowjetischen Sputnik ausgelösten Weltraumeuphorie eine besonders starke Konjunktur. Offensichtlich schien ein Überleben in neuen, potentiell gefährlichen Umgebungen vor allem unter gläsernen ‚Glocken‘ vorstellbar. Ausgehend von den Domed Cities in Science-Fiction-Filmen werden zum einen die Aspekte der ökologischen, sozialen und politischen Stadt beleuchtet und zum anderen laufende Bauprojekte der Gegenwart aufgespürt, um darzustellen, inwiefern sie an die reich konnotierte Formensprache von Kuppelbauten in der Science-Fiction anlehnen und auf diese Weise zur Zukunftsgestaltung beitragen. Unter dem Titel „Hypertrophe Megastrukturen: Utopische Architekturkonzepte der Nachkriegszeit in Stadtvisionen“ zeigt Marc Bonner, wie Science-Fiction-Filme sich auf architekturtheoretische Diskurse beziehen, sie ästhetisch weiterentwickeln und die Umsetzung innovativer Ideen anstoßen können. Noch in den 1950er- und 1960er-Jahren waren die utopisch-postmodernen Baukonzepte etwa der Metabolisten recht fort­ schrittsgläubige und latent größenwahnsinnige Phantasmagorien, die als

8     A. Steinborn und D. Newiak

modulare Systeme, theoretisch unendlich fortgesetzt, nach oben ragen und ganze Teile der wachsenden Städte in sich aufnehmen sollten. Erst nachdem sie in der Architektur schon längst nicht mehr ernst genommen wurden, kamen sie in den 1980er-Jahren wieder zu besonderer Popularität: Megastrukturen sind spätestens seit Blade Runner (1982) wieder ‚in‘ und zur Insignie unser Imagination von Zukunftsstädten geworden. Sie versprechen, „urbanes Chaos und Wucherungen zu organisieren und zu regulieren“ (s. Kap. 5), was in den an ihre Leistungsgrenzen stoßenden Megacities der Gegenwart gut ankommen würde – dabei spiegeln sich in ihnen häufig vor allem die engen Interessen eines konzernmonopolistischen Kapitalismus, der sich nicht um die Lebensqualität der Stadtmenschen schert. Statt also ihrer Versuchung zu erliegen, plädiert der Autor für eine kritische Neudeutung solcher Megastrukturen, für partizipatorische, dem Gemeinwohl verpflichtete Architekturen, Kreislaufsysteme und multifunktionale Stadträume. Wolfgang Thiel hat sich in seinem Aufsatz „Der Klang der Zukunftsstädte: Zur musikalischen und akustischen Gestaltung filmischer ­SciFi-Cities“ einem in der Filmwissenschaft chronisch unterrepräsentierten Phänomen zugewandt: dem Klang des Kinos und hier im Besonderen dem Klang der filmischen SciFi-Cities. Auf der diegetischen Ebene wird der Großstadtfilm von den Geräuschen beherrscht, die die Städte bzw. die sich in ihn bewegenden Menschen, Automobile, Züge und Maschinen produzieren. Diese sind assoziativ mit einer Vorstellung von Großstadt genauso verwachsen wie die Bilder von Wolkenkratzer-Skylines und lebhaftem Treiben. Anderseits widmet sich der Autor auch den musikalischen Klangwelten, die Filmmusikkomponisten dieser Welt zugeschrieben haben – mit überraschendem Ergebnis. Eine interessante Perspektive eröffnet Wolfgang Thiel mit einem Ausblick auf die absehbaren Veränderungen des Klangs der realweltlichen Großstadt: Sollten Metropolen einst nicht mehr vom Verbrennungsmotor dominiert werden, ergeben sich hieraus neue Spielräume für eine bewusste akustische Stadtplanung. Im Beitrag „Audiovisuelle Architekturen: Medienfassaden in der filmischen Stadt der Zukunft“ widmet sich Peter Podrez einem wieder­ kehrenden und besonders augenscheinlichen Phänomen der filmischen Zukunftsstadt: den Medienfassaden. Nicht zufällig haben Filmemacher:innen diese aufmerksamkeitsstarken Insignien der Metropole zu Akteuren ihrer Zukunftsstädte gemacht, wo sie entweder der Unterhaltung und Zerstreuung dienen oder als Kommunikationskanäle für Nachrichten, despotische Propaganda oder den Aufruf zum Widerstand fungieren. Der Autor geht den Fragen nach, wie sich die Filme zu der Verwendung

1  ‚Wahr‘scheinliche Zukünfte …     9

von Medienfassaden in städtischen Räumen positionieren, unter welchen Bedingungen deren Verwendung eine Bereicherung und wann sie ein Risiko für das Stadtleben sein kann und ob sich auch Medienfassaden denken ließen, die gleichermaßen visuell wie auch akustisch ansprechen. Mit der Imagination einer dem Menschen kognitiv überlegenen Maschine als Kompensation menschlichen Miteinanders und den sich daraus ergebenden Konsequenzen für das Leben in der Großstadt beschäftigt sich Denis Newiak in seinem Artikel „Das Ende der Stadtgemeinschaft? Urbane Einsamkeiten und städtebauliche Antworten am Beispiel von Her“. Seit Beginn der Filmgeschichte spielen künstliche Intelligenzen eine bedeutende und regelmäßig bedrohliche Rolle im Kino. Immer wieder ­verselbstständigen sich die Apparaturen und verwandeln die Städte in kaum bewohnbare Dystopien. Der Film Her hingegen zeigt eine Filmstadt, die zwar von ambitionierten künstlichen Intelligenzen bevölkert wird – aber doch (zumindest temporär) funktioniert. Wodurch entsteht der Eindruck, dass es sich in dieser Zukunftsstadt doch gut leben ließe? Vor dem Hintergrund realer Entwicklungen wie intelligenter persönlicher Sprachassistenzsysteme (z. B. „Amazon Echo“) untersucht der Autor, welche Vorstellungen und Bewertungen vom Kino bezüglich möglicher hoch technologisierter Zukünfte und künstlicher Intelligenzen in einem urbanen Kontext entwickelt werden. Dabei interessiert ihn besonders, welche verschiedenen Formen von urbaner Einsamkeit und der zunehmenden Unwahrscheinlichkeit erfolgreicher Vergemeinschaftung in den Zukunftsstädten der Film thematisiert. Kristina Jaspers begibt sich auf die Spuren von Hannah Arendt und Susan Sontag, die sich Anfang der 1960er-Jahre dem damals vernachlässigten Genre der Science-Fiction zuwandten. Beide erkannten aus verschiedenen Perspektiven und mit unterschiedlicher Intention, dass sich in der S­ cience-Fiction-Literatur wie im fantastischen Film die Sehnsüchte und Ängste des kollektiven Unbewussten artikulieren. Diese These – so die Autorin – ist zu Beginn des Space Age gesellschaftspolitisch durchaus relevant, geht es doch im politischen Diskurs gerade um die Eroberung des Weltraums und die Gestaltung des zukünftigen sozialen Miteinanders. Unter dem Titel „Alles schon geträumt? Science-Fiction und das kollektive Unbewusste bei Hannah Arendt und Susan Sontag“ untersucht Kristina Jaspers die imaginierten Alb- und Wunschträume, die kollektiven Urbilder, von denen Sontag und Arendt sprechen, und diskutiert diese anhand von zwei typischen S­cience-Fiction-Szenarien: zum einen dem postapokalyptischen Setting auf der Erde und zum anderen der Erkundung fremder Welten auf einem unbekannten Planeten. Beide Szenerien markieren (auch

10     A. Steinborn und D. Newiak

in Anbetracht des Atomzeitalters) das Ende bzw. den Anfang urbaner Lebensräume des Menschen. Angesichts der zahlreichen düsteren Deutungen der Zukunftsstadt, die uns in der Filmgeschichte seit Fritz Langs Metropolis (1927) begegnen, fragt sich Anke Steinborn, woher der deutliche Hang des Science-Fiction-Kinos zu dystopischen Narrativen und Inszenierungsmustern rührt und weshalb sich diese immer wieder denselben Themen – Umweltzerstörung, Klassenverhältnisse, Vereinsamung – widmen. Ausgehend davon argumentiert die Autorin in ihrem Artikel „Futures Thinking. Von Zukunftsstädten zu Stadtzukünften“, dass insbesondere diese gegenwärtigen Zukünfte ein vielversprechendes Potenzial offerieren, sich der zunehmenden Überkomplexität zukünftiger Gegenwarten intuitiv anzunähern, um so tatsächlich nutzbare Lösungen für die sich aufdrängenden Fragen der Stadt von morgen generieren zu können. Während statistisch-algorithmische Verfahren an ihren eigenen Vorsätzen, Zukunft – wenn auch mit einkalkulierten Unsicherheiten – irgendwie ‚vorauszusagen‘, scheitern müssen, akzeptiert der Film die von ihm ausgehende ästhetische Unsicherheit, was es erlaubt, im Vagen der Kunst das Konkrete unserer Welt zu erkennen. Worum es sich bei diesem ‚Konkreten‘ handelt, erlebt der Potsdamer Oberbürgermeister Jann Jakobs tagtäglich. So war es uns eine große Freude, ihn zu der diesem Buch zugrunde liegenden Tagung im Februar 2018 begrüßen zu können. Ihm und allen an diesem Buch beteiligten Autor:innen möchten wir ebenso danken wie Ferdinando Terelle, der mit einer Auswahl seiner Illustrationen die einzelnen Kapitel einleitet und uns darüber einen Eindruck der vielfältigen Möglichkeiten großstädtischer Zukünfte vor Augen führt. Wir hoffen, dass dieses Buch einen Beitrag dazu leistet, die Städte der Zukunft neu zu denken, sie zu Orten zu machen, in denen man gut und gern zusammenleben wird.

Literatur Esposito E (2014) Die Fiktion der wahrscheinlichen Realität. Suhrkamp, Frankfurt/ Main De Finetti B (1981) Wahrscheinlichkeitstheorie. Oldenbourg, München, S 1183 Hathaway B (1968) Marvels and commonplaces renaissance literary criticism. Random House, New York Krämer S, Maikämper M, Pätsch C, Petersen C, Rott B, Rukschcio B, Weidner S (2015) Von Science-Fiction-Städten lernen. Szenarien für die Stadtplanung. Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung, Bonn Luhmann N (1991) Soziologie des Risikos. de Gruyter, Berlin

2 Von Science-Fiction-Städten lernen: Rückblick auf eine interdisziplinäre Studie Steffen Krämer und Moritz Maikämper

S. Krämer (*)  Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected] M. Maikämper  Aachen/Cottbus, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Steinborn und D. Newiak (Hrsg.), Urbane Zukünfte im Science-Fiction-Film, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61037-4_2

11

12     S. Krämer und M. Maikämper

„Sci-Fi-Cities – Stadtzukünfte in Kunst, Literatur und Video“ war der Name eines Forschungsprojekts, das wir 2014/15 in einem interdisziplinären Forschungsteam im Auftrag des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) bearbeitet haben.1 Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, die wesentlichen Erkenntnisse, die wir aus dem Forschungsprojekt ziehen konnten, zu präsentieren und mit zeitlichem Abstand die Arbeit noch einmal inhaltlich und methodisch zu reflektieren.2 Da die Studie von 2015 primär Stadtplaner:innen als Zielgruppe im Blick hatte, möchten wir zudem thematisieren, vor welche Herausforderungen und Chancen solch eine angewandte Studie die hermeneutisch arbeitenden Medienwissenschaften stellt. Einige inhaltliche Punkte der Studie sind seit ihrem Erscheinen fortgeführt worden und gereift, wichtige Hinweise auf weitere zu analysierende Werke und Aspekte sind hinzugekommen. Dennoch werden wir uns im Weiteren auf den Stand der Studie von 2015 beziehen, um den damaligen Rahmen adäquat zu rekonstruieren. Nach einer kurzen Schilderung des Hintergrunds der Studie werden wir darlegen, welchen Logiken ­Stadt(-entwicklungs-)planung folgt, welche Instrumente sie nutzt und wo eine wechselseitige Bezugnahme zu Science-Fiction aus unserer Sicht möglich ist. Anschließend werden wir überblickshaft Erkenntnisse aus der Studie skizzieren und die Methodik sowie die interdisziplinäre Forschungsarbeit reflektieren.

2.1 Science-Fiction als Zukunftstechnik? Der Auftraggeber der Studie, das BBSR, hatte zu Beginn einen umfangreichen Fragenkatalog formuliert. Übergeordnet war dabei die Frage, ob und wie Science-Fiction Impulse für die Stadtplanung geben kann. Eine Reihe spezialisierter Fragen komplettierte den Katalog, etwa, ob S­ cience-Fiction zu fragmentarisch sei, um Erkenntnisse über städtische Prozesse zu gewinnen, oder gerade hier ein Potenzial liegen könne. Bevor wir uns diesen Fragen zuwenden konnten, riefen Tonus und Richtung dieses Fragenkatalogs allerdings einige grundlegendere Fragen auf den Plan: Aus den

1Das Forschungsteam bestand aus einem siebenköpfigen Team an der Brandenburgischen Technischen ­ niversität Cottbus-Senftenberg (BTU): Lehrstuhl Stadtmanagement, Prof. Dr.-Ing. Silke Weidner, Carolin U Pätsch, Moritz Maikämper; Lehrstuhl Angewandte Medienwissenschaften, Prof. Dr. Christer Petersen, Steffen Krämer; Lehrstuhl Entwerfen und Gebäudekunde, Belinda Rukschcio; Lehrstuhl Plastisches Gestalten, Bodo Rott. 2Siehe hierzu auch die Studie Krämer et al. 2015.

2  Von Science-Fiction-Städten lernen: Rückblick …     13

Fragenstellungen ließ sich erlesen, dass Science-Fiction vom Auftraggeber der Studie als mögliche ‚Zukunftstechnik‘ verstanden wird, wenn auch nicht explizit so benannt. Als Zukunftstechniken verstehen wir die von mehreren Menschen geteilten, teilweise auch standardisierten, in jedem Fall in ihrem jeweiligen Wissensgebiet routinierten Praktiken, Wissen über die Zukunft bzw. über mögliche Zukünfte zu generieren und dabei technische Hilfsmittel hinzuzuziehen.3 Zu Zukunftstechniken zählen in diesem Sinne also z. B. Szenarien, Extrapolationen, Visionen oder Prognosen. Mit dem oben genannten Fragenkatalog stand für den Auftraggeber zur Diskussion, ob nicht auch Science-Fiction bzw. die fiktionalisierende Praxis der Science-FictionAutor:innen eine Zukunftstechnik sei. Dies stellte einen ersten und grundsätzlichen Reibungspunkt dar. Denn Science-Fiction ist nicht unbedingt eine Zukunftstechnik, sondern kreiert – in den Worten eines unserer Experteninterviews – „alternative“ und somit nicht notwendigerweise zukünftige Welten.4 Gleichzeitig fließen natürlich Überzeugungen in Bezug auf die Gegenwart und Hoffnungen sowie Ängste in Bezug auf die Zukunft in die Kreation von Science-Fiction-Werken ein. Dieser Reibungspunkt verschob den Fluchtpunkt der Studie und führte zu einer den ursprünglichen vom Auftraggeber formulierten Forschungsinteressen noch vorgelagerten Frage: Wie lassen sich Anschlüsse schaffen zwischen den Zukunftstechniken der Stadtplanung – sowie ihren pragmatischen Hoffnungen und Notwendigkeiten, Zukunft (mit-)planen zu können – und den Techniken der Science-Fiction-Autor:innen, die nicht unbedingt Zukunftstechniken sind? Entsprechend der grundsätzlichen Reibungsfläche, Science-Fiction als Zukunftstechnik zu verstehen, waren die Erkenntnisse der Studie vor allem methodischer Art. Sie drehten sich um die Frage der Operationalisierbarkeit und Anschlussfähigkeit von Science-Fiction für die Stadtplanung. Am Ende der Studie konnten wir Vorschläge machen, welche Themen der Science-Fiction für die Stadtplanung interessant sein und weitere Fokusforschung legitimieren würden. Außerdem konnten wir Ideen anbieten,

3Der

Begriff Zukunftstechnik ist erstaunlicherweise nur selten anzutreffen. In wissenssoziologischen Arbeiten wird häufiger mit dem weiteren Begriff des „Zukunftswissens“ operiert (Hartmann und Vogel 2010; Schubert 2014, S. 224), der zunächst hinsichtlich der verwendeten Techniken unspezifisch bleibt. Für die Begriffsgeschichte hat Reinhart Koselleck bekannterweise den spezielleren und technischeren Terminus von „Zukunftsbegriffen“ eingeführt (Koselleck 1995, S. 113; Koselleck 2006, S. 82). Aus praxistheoretischer Perspektive haben zuletzt Koch et al. (2016) für ein genaueres Studium von „Zukunftspraktiken“ plädiert. 4Alexandra Midal im Interview mit den Bearbeiter:innen der Studie am 10. Dezember 2014 in Potsdam.

14     S. Krämer und M. Maikämper

wie sich Science-Fiction möglicherweise als Technik in den Kanon von stadtplanerischen Zukunftstechniken integrieren ließe, was in praktischen Tests weiter zu überprüfen wäre. Konkrete Handlungsvorschläge an die Stadtplanung, wie etwa öffentliche Freiräume gestaltet werden sollten, ließen sich mit der Studie erwartungsgemäß nicht erzielen. Bevor wir im Detail darstellen, wie wir eine solche Operationalisierung und Anschlussfähigkeit zu konzipieren versuchten, ist es zunächst notwendig, den Umfang und die prinzipielle Vorgehensweise der Studie zu erläutern.

2.2 Umfang und Durchführung der Studie Neben dem Interesse der Operationalisierbarkeit und Anschlussfähigkeit von Science-Fiction für die Stadtplanung lag eine weitere gewünschte Funktion der Forschung darin, die Verantwortlichen des BBSR und des übergeordneten Bauministeriums grundsätzlich über Science-Fiction zu informieren. Dazu wurde neben der Studie auch ein interner Workshop durchgeführt. Aus dieser Informations- und Überblicksfunktion begründete sich auch der Wunsch des Auftraggebers, möglichst verschiedene Medien und Künste in den Analysekorpus zu integrieren: von Film und Literatur über Comics und Videospiele bis hin zur bildenden Kunst. Die gewünschte Medienvielfalt stand allerdings in Spannung zu den formulierten Ausgangsfragen, die sich nicht auf alle Medientypen gleichermaßen anwenden ließen. Die formale Frage nach dem Fragmentarischen und die inhaltliche Frage nach dem Weltbezug der Science-Fiction muss unterschiedliche Faktoren und Konventionen einbeziehen, wenn es um Werke der bildenden Kunst oder um Kinospielfilme geht. Zudem integrieren Werke der bildenden Kunst, aber auch Computerspiele verschiedene Medientypen von Text über Bild bis hin zu Audiovisionen, sind also häufig multimedial strukturiert. Zu guter Letzt brachte die gewünschte Medienvielfalt auch Probleme der Genrekategorisierung auf den Plan: Bildende Kunst etwa wird kaum als Science-Fiction bezeichnet, was sich auch in der Identifizierung und Analyse einschlägiger Werke als Herausforderung erwies. Um der gewünschten Überblicksfunktion dennoch gerecht zu werden, haben wir den Bereich der bildenden Kunst zwar beibehalten, aber als erweiterten Untersuchungsbereich mit geringerer Fallzahl behandelt. Die Definitionen von Science-Fiction haben wir pragmatisch und möglichst umfassend vorgenommen, um ebenfalls einen Überblick zu ermöglichen. Hier reichten Science-Fiction-Kategorisierungen durch Produzent:innen,

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Verlage, Autor:innen, Kritiker:innen und Sekundärliteratur aus, um ein Werk für den Analysekorpus zu prädestinieren. Eingrenzungen waren dennoch nötig, insbesondere um der kurzen Projektlaufzeit – die Finanzierung des eigentlichen Projekts war für vier Monate vorgesehen – Rechnung zu tragen. So haben wir uns auf Werke beschränkt, die seit 1970 entstanden sind und sich explizit in einer bestimmten oder unbestimmten Zukunft situieren, etwa indem Jahreszahlen genannt oder andere Verweise auf die uns vertraute Geschichte gemacht werden. Zudem galt es, Werke in den Blick zu nehmen, deren Handlungsorte eine oder mehrere Städte darstellen und bei denen es am wahrscheinlichsten war, dass die Autor:innen und Stadtplaner:innen über einen geteilten Erfahrungshorizont verfügen. Wir beschränkten uns deshalb explizit auf westliche Science-Fiction-Werke – vorwiegend aus Westeuropa und Nordamerika – sowie auf irdische Stadtdarstellungen und schlossen Weltraumreisen somit aus. Die so gewonnenen Kriterien zeigten gleichzeitig auf, in welche Richtungen Erweiterungen des Werkskanons möglich und sinnvoll wären. Die Analyse der Werke wurde schließlich durch einen zweifachen Prozess vorbereitet. Zunächst wurden durch Sekundärliteratur typische Themen, städtebauliche Typologien und formale Konventionen in Science-Fiction-Werken systematisiert. Parallel zu diesem Schritt erfolgte ­ eine erste unstrukturierte Primäranalyse verschiedener Werke aus dem Analysekorpus, um möglicherweise weitere Analysekategorien zu gewinnen. Schließlich entschieden wir uns, zusätzliche stadtplanerische Sektoren (Freiraumgestaltung, Transport, öffentliche Versorgungsinfrastruktur, Governance etc.) zu kodieren und somit zu erheben, ob ein Werk diese Sektoren zeigt, auch wenn sie nicht ein inhaltliches Hauptthema darstellen. Ein Expert:innenworkshop sicherte das Vorgehen inhaltlich und methodisch ab. Schließlich wurden die Kategorien standardisiert und eine detaillierte Primäranalyse aller Werke durchgeführt. Die Sichtung und Analyse der Werke erfolgte arbeitsteilig, was allein mit Blick auf die Projektlaufzeit notwendig war.

2.3 Szenario als Anschlusskategorie Der Analyse aller Werke folgte eine nächste grafische Systematisierung, die vor allem das pragmatisch-operationalisierende Interesse des Forschungsprojektes aufgriff (siehe Abb. 2.2). Hierbei spielte die Unterscheidung von Themen und Szenarien eine entscheidende Rolle. Um diese Unterscheidung besser einordnen zu können, ist es zunächst notwendig, den Gebrauch

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der Szenariotechnik in der Stadtplanung bzw., präziser, in der Stadtentwicklungsplanung5 zu verstehen. Anders als bei vielen benachbarten Disziplinen, etwa der Geografie oder der Stadtanthropologie, ist der Stadtplanung eine Handlungsorientierung immanent. Ihre Kernaufgabe ist es, verschiedene Interessen abzuwägen und unter einen Hut zu bringen, sei es in einer Strategie oder einem Plan. Stadtplanung versteht sich als gestaltende Disziplin, die sich mit den gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und ökologischen Rahmenbedingungen auseinandersetzt. Das schließt politische Vorgaben mit ein, etwa die Verringerung des Wachstums der Siedlungsfläche, die Reduktion des Ausstoßes von Treibhausgasen oder eine integrative, sozial durchmischte Stadt. Aktuelle Trends werden dabei regelmäßig einbezogen, zurzeit etwa Carsharing, Solarenergie oder ein kreativer Umgang mit Ladenleerständen. Die Bezugnahme auf solche Trends erfolgt dabei eher reaktiv als proaktiv, was folgendes Beispiel erläutern möge: Dem zunehmenden Aufkommen fliegender Autos folgt irgendwann die Neukonzeption von Straßenfluchten. Umgekehrt führen volle Straßen nicht dazu, dass Stadtplaner:innen fliegende Autos entwickeln – dies machen andere Akteure und Berufsgruppen. Eines der wichtigsten Stadtentwicklungsinstrumente sind sogenannte Integrierte Stadtentwicklungskonzepte (INSEKs). Sie sind als zyklische Prozesse angelegt und fassen die wichtigsten Leitlinien zur Entwicklung einer Stadt für die nächsten 15 bis 20 Jahre zusammen. Aufbauend auf einer Analyse und Bewertung des Status quo wird darin ein Leitbild für die Gesamtstadt entwickelt, das zugleich durch konkrete Maßnahmen und Projekte untersetzt wird (siehe Abb. 2.1). Für eine Anschlussfähigkeit zwischen Science-Fiction und Zukunftstechniken der Stadtplanung bietet sich vor allem die Entwicklung von Szenarien an. Mit ihrer Hilfe werden im INSEK-Prozess verschiedene Varianten einer möglichen Entwicklung untersucht und bewertet sowie schließlich eine Vorzugsvariante (Leitbild) erarbeitet, an der sich Stadtverwaltung und -politik im Folgenden orientieren. Während Prognosen Sicherheit und Einfachheit suggerieren und somit kollektive Lernprozesse eher behindern,6 „soll mit dem Szenarioplanungsprozess ein zukunftsoffener Umgang mit Unsicherheit ­

5Der Begriff Stadtentwicklungsplanung betont gegenüber dem älteren und allgemeineren Begriff Stadtplanung den Prozess und die Umsetzungsorientierung von Planung. Er wird im Rahmen der – im Folgenden erläuterten – integrierten Stadtentwicklung(-splanung) regelmäßig verwendet. 6Neumann 2010, S. 166.

2  Von Science-Fiction-Städten lernen: Rückblick …     17

Abb. 2.1 Arbeitsschritte zur Erstellung konzepts (INSEK). (© Weidner 2005, S. 238)

eines

integrierten

Stadtentwicklungs-

kultiviert werden“7. Die zugrunde liegenden Zukunftsparameter erschöpfen sich dabei jedoch regelmäßig in Bevölkerungsprognosen,8 die oftmals nicht eintreffen: Die zu Beginn des Jahrtausends noch schrumpfende Stadt Leipzig, die mittlerweile seit Jahren ein stabiles und hohes Bevölkerungswachstum aufweist, ist in Fachkreisen ein bekanntes Beispiel dafür, wie sehr einerseits Prognosen in die Irre führen und wie rasch andererseits auf ihnen basierende strategische Pläne Makulatur werden können. Ein blinder Fleck bleibt bei der etablierten Vorgehensweise mit Szenarien der Umgang mit sich vage abzeichnenden, aber in ihren konkreten stadträumlichen Ausprägungen noch nicht greifbaren Trends. Aktuell sind dies etwa das (teil-)autonome Fahren oder die Auswirkungen des Bedeutungszuwachses virtueller Räume und Beziehungen auf die gebaute und soziale Umwelt. Strukturell fehlt INSEKs zudem die Offenheit für Unerwartetes: Die Erfahrung, dass in einem Zeitraum von 20 Jahren Unvorhersehbares und aus heutiger Sicht Unterwartetes passiert, spiegelt sich in ihnen regelmäßig nicht wieder.9 Dahinter steht ein Dilemma: Wie lässt sich berücksichtigen, was noch nicht absehbar ist? Gleichzeitig ist es naiv, anzu-

7Neumann

2010, S. 171. wurde u. a. in Untersuchungen von INSEKs im Rahmen von Masterseminaren an der BTU deutlich. 9Siehe vorige Fußnote. 8Dies

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nehmen und vorzugeben, die Entwicklung von heute bis etwa zum Jahr 2035, wie aktuell im von der Stadt Cottbus erarbeiteten INSEK avisiert, verlaufe linear.10 Mit den Begrifflichkeiten Elena Espositos formuliert: Stadtplaner:innen arbeiten zumindest in Ansätzen bereits mit verschiedenen „gegenwärtigen Zukünften“, sichern diese jedoch nicht gegenüber verschiedenen „zukünftigen Gegenwarten“ ab.11 Auch wenn die Szenarioplanung in der Stadtplanung eine bereits routinierte und stellenweise standardisierte Zukunftstechnik darstellt, hält der Begriff des Szenarios doch das Potenzial bereit, als Vermittler zwischen Science-Fiction und Stadtplanung zu fungieren. Vor diesem Hintergrund wurden alle in der Studie gesichteten Werke sowohl Themen als auch Szenarien zugeordnet (Abb. 2.2). Thema (innerer Kreis) und Szenario (äußerer Kreis) bauen dabei aufeinander auf. Das Thema des demografischen Wandels wird beispielsweise in einem Szenario der Fortpflanzungskontrolle behandelt oder das Thema des Arbeitswandels in einem Szenario, in dem kreative Berufe die absolute Norm darstellen. Science-Fiction-typische Weltstiftungsereignisse wie Atom- und Naturkatastrophen wurden explizit als Hintergrundbedingung aufgefasst und nicht als themenabhänge Szenarien in die Grafik übernommen. Mithilfe der Unterscheidung von Szenario und Thema lässt sich nun einfach darstellen, dass ein Werk ein Thema behandeln kann, das für die Stadtplanung interessant ist, während das ausgestaltete Szenario in diesem Werk womöglich zu radikal ist, um eine mögliche Zukunft auszuloten. Dennoch mag das Themen-Szenarien-Doppel und auch der vermeintlich zu radikale Zukunftsentwurf für Stadtplaner:innen interessant sein: Sie können dabei helfen, nach weiteren Szenarien aus demselben Themenbereich zu suchen, Unter­schiede zwischen Szenarien prägnanter wahrzunehmen oder sogar in Workshops andere Szenarioproduktionen zu inspirieren. Dies könnte auch partizipativ geschehen und somit bestenfalls dazu führen, dass mithilfe von Science-Fiction Personen für Belange der Stadtentwicklung interessiert und aktiviert werden. Für die von uns durchgeführte Studie gilt, dass die vorgeschlagenen Themen und Szenarien in Folgeforschungen zunächst noch weiter zu differenzieren und präziser auszuformulieren sind. Auch die Bezüge eines Szenarios zu mehreren Themen sollten künftig noch stärker reflektiert werden.

10Das INSEK wurde von 2017 bis 2019 erarbeitet. Projekthomepage: cottbus2035.de (Zugriff am 17.05.2019). 11Esposito 2014, S. 56 f.; dort in der Einzahl „gegenwärtige Zukunft“.

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Abb. 2.2  Grafische Systematisierung der analysierten Werke nach Themen und Szenarien (Werke: Äußere Kreise mit Werk-Initialen und Farbkodierung entsprechend des Medientyps; Themen: innerer weißer Kreis; Szenarien: äußerer weißer Kreis), Ausschnitt der Originalgrafik. (© Krämer et al. 2015, S. 44)

2.4 Reflexion und Ausblick Durch das Projekt konnten wir wertvolle Erkenntnisse aus der Zusammenarbeit im interdisziplinären Verbund generieren, die auch für Folgeforschungen von Belang sein könnten. Herausforderungen lagen im Vokabular, aber auch in der Art und Weise, Forschungsfragen zu formulieren. Wesentlicher Reibungspunkt während der Erstellung der Studie war der Zukunftsbegriff: Es musste dem Verständnis von ­Science-Fiction als Zukunftsentwurf entgegengearbeitet und ihre Funktion

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als Gegenwartskommentar herausgestellt werden. Zum Inbegriff dieser Bedeutungsverschiebung wurde das Bonmot, Science-Fiction sei als Schritt zur Seite statt nach vorn zu verstehen und solle als eine Erzählung wahrgenommen werden, die der Frage „Was wäre, wenn?“ nachgeht. Eine weitere interdisziplinäre Vermittlung lag darin, die narrative Funktionalisierung von Stadträumen als Handlungsräume herauszustellen: Ein wesentlicher Mehrwert für die Stadtplanung entstand durch den Nachweis, dass stadträumliche Kontraste – wie etwa oben/unten, arm/reich – nicht unbedingt repräsentieren, wie sich Autor:innen Gesellschaft und Architektur der Zukunft oder Gegenwart vorstellen oder wünschen, sondern dass diese Opposition vornehmlich narrative Funktionen hat. Dass Science-Fiction häufig überspitzt, könnte dazu führen, dass sie als Wissensrepertoire für die Stadtplanung abgelehnt oder gar nicht erst als relevant wahrgenommen wird. Sie mit diesem Argument über Bord zu werfen griffe jedoch zu kurz. Gewinnbringender ist es, sie nicht als Planungsalternative oder Direktratgeber für Stadtplaner:innen zu ­verstehen, sondern als ‚Diskursthermometer‘: Welche Themen sind hitzig und kontrovers, welche polemisieren bzw. welche tun dies noch nicht, können aber künftig relevant werden? Auch wenn konkrete Szenarien für die Stadtentwicklungsplanung zu übertrieben oder nicht anschlussfähig sind, können die zugrunde liegenden Themen durchaus Relevanz haben oder entfalten. Die Integration von Science-Fiction-Szenarien in die Szenarientechnik der integrierten Stadtentwicklung gilt es unseres Erachtens nach weiter zu erproben. Dies kann perspektivisch dazu beitragen, Planungsverfahren sowohl öffentlichkeitswirksamer als auch resilienter und nachhaltiger zu gestalten, indem man die Pluralität gegenwärtiger Zukunftstechniken und zukünftiger Gegenwarten gleichermaßen anerkennt und produktiv macht.

Literatur Esposito E (2014) Die Fiktion der wahrscheinlichen Realität (2007) (übers. Reinhardt N). Suhrkamp, Frankfurt a. M. Hartmann H, Vogel J (Hrsg) (2010) Zukunftswissen. Prognosen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft seit 1900. Campus, Frankfurt a. M. Koch J, Krämer H, Reckwitz A, Wenzel M (2016) Zum Umgang mit Zukunft in Organisationen – eine praxistheoretische Perspektive. Managementforschung. Springer, Wiesbaden, 26(1):161–184 Koselleck R (1995) Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten (1979). Suhrkamp, Frankfurt a. M.

2  Von Science-Fiction-Städten lernen: Rückblick …     21

Koselleck R (2006) Begriffsgeschichten. Studien zur Semantik und Pragmatik der politischen und sozialen Sprache. Suhrkamp, Frankfurt a. M. Krämer S, Maikämper M, Pätsch C, Petersen C, Rott B, Rukschcio B, Weidner S (2015) Von Science-Fiction-Städten lernen. Szenarien für die Stadtplanung. Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung, Bonn Neumann I (2010) Szenarioplanung unter den Bedingungen von Urban Governance. Funktionen und Ergebnisse von kollaborativen Ansätzen der Szenarioplanung in strategischen Planungspraktiken von Städten und Gemeinden. In: Hutter G, Wiechmann T (Hrsg) Strategische Planung. Zur Rolle der Planung in der Strategieentwicklung für Städte und Regionen. Verlag Uwe Altrock, Kassel Schubert C (2014) Zukunft sui generis? Computersimulation als Instrumente gesellschaftlicher Selbstfortschreibung. In: Cevolini A (Hrsg) Die Ordnung des Kontingenten. Beiträge zur zahlenmäßigen Selbstbeschreibung der modernen Gesellschaft. Springer, Wiesbaden Weidner S (2005) Stadtentwicklung unter Schrumpfungsbedingungen. Books on Demand, Norderstedt

3 Downtown: Die unterirdische Stadt im Science-Fiction-Film Ingo Landwehr

I. Landwehr (*)  Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Steinborn und D. Newiak (Hrsg.), Urbane Zukünfte im Science-Fiction-Film, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61037-4_3

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Städte in Science-Fiction-Filmen sind imaginierte, also in Bildern gedachte Raum- und Organisationsformen menschlichen Zusammenlebens. Sind diese Städte unterirdisch, entfalten sie ein besonderes Reflexionspotenzial. Sie vermögen es, die Idee der Zukunftsstadt im Film als Reflexion des Mediums Film zu operationalisieren. “When you’re alone, and life is making you lonely you can always go Downtown”

Nicht erst seit Petula Clark 1964 mit dem Song Downtown einen weltweiten Erfolg feierte, steht der titelgebende Begriff im Angloamerikanischen für ein Stadtzentrum, das das Gegenteil von Einsamkeit verspricht. Downtown ist man nicht allein. Downtown ist Synonym für eine quirlige Urbanität, die sich aus Projektionen der Geselligkeit speist. Unterirdische Städte mit dem Begriff Downtown zu verknüpfen ist so naheliegend wie unsinnig. Geselligkeit ist nicht zwingend das Attribut, das man diesen Städten auf Anhieb als kennzeichnend beimisst. Der Projektionscharakter allerdings, der dem Begriff Downtown innewohnt, erlaubt eine pointierte Verknüpfung mit unterirdischen Städten – im Film. Diese Städte sind nicht nur besondere urbane Fiktionen in sich bewegenden Bildern, sie besitzen überdies die Fähigkeit, ihren fiktionalen Charakter auf die Bedingungen der Fiktion hin zu erkennen und zu untersuchen. Die unterirdische Stadt im Science-Fiction-Film ist nicht allein Modell einer Stadt der Zukunft – sie kann mittels ihrer Spezifika auch ein Reflexionsraum des Mediums Film sein.

3.1 Stadt im Science-Fiction-Film Funktionen, Formen und Prinzipien von Städten in ­Science-Fiction-Filmen sind lebensweltlichen, konkreter: urbanen Erfahrungen geschuldet und werden auf deren Basis fortgeschrieben. Das Medium ihrer Genese, der Film, spielt hierbei eine konstituierende Rolle. Möglichkeiten und Bedingungen des Mediums verleihen der Stadt im Science-Fiction-Film nicht nur ihr ästhetisches oder narratives Gepräge, sie geben der Stadt auch Sinn, einen Sinn, der als Einheit der Differenz von Aktualität und Possibilität nach Niklas Luhmann1 Rückschlüsse auf das Medium zulässt, das diese Einheit stiftet.

1Luhmann

(1984, S. 92 ff.).

3  Downtown: Die unterirdische Stadt im Science-Fiction-Film     25

In Science-Fiction-Filmen sind unterirdische Städte laut der Studie Von Science-Fiction-Städten lernen2 eine Möglichkeit der utopischen Stadtdarstellung – neben anderen. Der dort zitierte Autor Brian Ash rechnet sie der Gruppe der „Encapsulated Cities“3 zu. Analog dazu hebt Claus M. Wolfschlag den Festungscharakter unterirdischer Städte hervor, dessen Differenzierung von innen und außen eine Handlung strukturiere.4 The Encyclopedia of Science Fiction dagegen verortet sie laut der Studie aufgrund einer „inescapability of city life“ in der Gruppe der „Übertreibung der Stadtform und ihres klaustrophobischen Charakters“5. Wesensmerkmal der unterirdischen Stadt als Handlungsort im ­Science-Fiction-Film ist gemäß der genannten Studie somit die wechselseitige Spannung zwischen Bedrohung und Schutz, zwischen außen und innen, jeweils im Kontext einer utopisch oder dystopisch übertriebenen Stadt. Diese sehr allgemeine Charakterisierung teilt sie mit anderen, wesensverwandten Filmstadtformen wie der Weltraumstadt oder der Domed City. Das spezifisch Unterirdische erfährt bei den genannten Typisierungen keine gesonderte Qualifizierung.

3.2 Unterirdische Qualität? Besitzen unterirdische Städte überhaupt eine besondere Qualität? Sie sind, gelöst vom Medium Film, per definitionem durch ihre unterirdische Lage gekennzeichnet und bestimmt – durch ein urbanisiertes Zusammenleben unter, oder besser, in der Erde. Archäolog:innen und Historiker:innen haben gezeigt, dass menschliche Gemeinschaften im Laufe ihrer Entwicklung unterirdische Milieus aus verschiedenen Motiven heraus kultivieren und besiedeln, vornehmlich tatsächlich aus Gründen der Existenzsicherung, zum Schutz gegen äußere, potenziell schädliche Einflüsse (Klima, gefährliche Tiere), vor allem aber gegen Gewaltausübung anderer Menschen. Der Unterschied

2Krämer

et al. (2015). et al. (2015, S. 17). 4Krämer et al. (2015, S. 19 f.). 5Krämer et al. (2015, S. 17). 3Krämer

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zwischen kappadokischen Höhlenstädten des Altertums und Atomschutzbunkern des 20. Jahrhunderts wäre insofern eher ästhetisch denn funktional zu beschreiben. Der Aspekt des Schutzes überragt in den meisten Interpretationen und Darstellungen andere Motive unterirdischer Besiedlung und verleiht der unterirdischen Stadt die Aura des Unfreiwilligen, des Erzwungenen – daraus abgeleitet wird auch eine Bewegung hin zu dessen Überwindung. Der unterirdischen Stadt wohnt die Flucht inne, sowohl dorthin wie auch wieder aus ihr hinaus. So soll sie als Transitort zwar temporär Schutz bieten, auf dauerhaftes Bewohnen ist sie gemeinhin aber nicht angelegt. Die moderne Erforschung, Erschließung und Domestizierung des urbanen Untergrundes ab dem 18. Jahrhundert fundierte und stabilisierte ein modernes, vertikales Raum-Zeit-Kontinuum: je tiefer, desto älter. Im 19. Jahrhundert reüssierende Wissenschaften wie die Archäologie, die Geologie oder die Paläontologie perpetuierten diese Weltanschauung. Gleichzeitig wuchsen Städte und Stadtvisionen im 19. Jahrhundert, bis heute anhaltend, vertikal – nicht nur in den Himmel, sondern auch verstärkt unterirdisch. Immer neue Besiedlungs- und Architekturideen erweiterten den stadtplanerischen Horizont. Unter dem Pflaster konkurrierten damit zeitgleich Projektionen einer urbanen Zukunft wie die einer vertikal absteigend geschichteten Vergangenheit. Die unterirdische Expansion der modernen Stadt wurde durch Faktoren wie Bevölkerungsanstieg, den technischen und wissenschaftlichen Fortschritt, Platzmangel, Sicherheitsfragen und auch ästhetische Vorlieben befördert. Die moderne Stadt gründet daher – bildlich wie buchstäblich – in den unter ihr verlegten Strukturen der Bewegung und des Austausches, denen der Ver- und Entsorgung sowie jenen der Kommunikation. Rohre, Leitungen, Kabel und Kanäle strukturieren unter der modernen Stadt ein Netzwerk der Mobilisierung von Stoffen, Energien, Informationen und, mit der U-Bahn, auch des Transports von Menschen. Der Lebensraum des Menschen verlagert sich in der Moderne zwar meist nur temporär, funktional legitimiert, unter die Erdoberfläche. Die Faktoren allerdings, die der modernen Stadt ihre Funktionen verleihen, finden vor allem im Erdreich dauerhaft Platz- und Schutz. Sie entziehen sich damit auch der Einsichtnahme und agieren subkutan. Diese anwesend-abwesende Wirkmacht, die Verborgen- und Entzogenheit, schürt die Spekulation, vom Führerbunker bis zum Alligator in der Kanalisation von New York City. Der unterirdische Stadtraum wird damit auch zur Projektionsfläche für Fantasien jeglicher Couleur.

3  Downtown: Die unterirdische Stadt im Science-Fiction-Film     27

3.3 Der Untergrund wird reflexiv Verschiedene Autor:innen haben bereits darauf hingewiesen, dass die unter­ irdische Expansion vor allem im 19. Jahrhundert eine Konjunktur der fantastischen und gesellschaftsreflexiven Literatur bewirkte. Rosalind Williams beispielsweise betont in ihrem 1990 erschienenen Buch Notes on the underground6 aus einer vornehmlich technikgeschichtlichen Perspektive heraus den darin häufig zwischen Utopie und Untergang changierenden Doppelcharakter des Fortschritts. Das verstärkte Ausbeuten von Bodenschätzen – beispielsweise von Kohle als Keimzelle der Industrialisierung – bedeute in diesen Texten sowohl finanziellen Wohlstand wie auch Leid und soziales Elend. Diese aus der Lebenswirklichkeit abgeleitete Ambivalenz berge nicht nur narrative Möglichkeiten, sie werde zur Grundlage zahlreicher literarischer Utopien und Dystopien, deren unterirdische Zukunftsvorstellungen der Widersprüchlichkeit der Moderne eine aussagekräftige Gestalt verleihe. Noch wichtiger erscheint Williams aber die tatsächliche Schaffung und Nutzung von unterirdischen Räumen als artifizielle Milieus, die ihre Artifizialität nicht verleugnen (können), sondern ausstellen und funktionalisieren. Sie begreift die Erfahrung von geschlossenen unterirdischen Räumen, also Innenräumen, die zur menschlichen Nutzung künstlicher Beleuchtung bedürfen, als unhintergehbare, selbst geschaffene Konfrontation mit der Verflochtenheit des modernen Menschen mit einer technischen Umwelt. Diese Begegnung mit dem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis von Mensch und Technik sei in unterirdischen Räumen aufgrund ihrer Abgeschlossenheit unausweichlich und provoziere Reflexionen hinsichtlich der Rolle des Menschen in funktionalen, durch ihn selbst geschaffenen Systemen. Die Besiedelung des Untergrunds bewirke somit ein verstärktes Bewusstsein der wechselseitigen Wirkmacht von Mensch, Technik und Umwelt – ein Umweltbewusstsein. Die sensorische Deprivation in unterirdischen Räumen, also der Verlust eingeübter Sinneserfahrungen wie Sonnenlicht oder Wettereinflüsse, erzwinge darüber hinaus eine Beschäftigung mit der eigenen Sinnlichkeit, der Struktur der Weltwahrnehmung und einem daraus gewonnen Selbstbild. Ein Symptom dessen sei der Gebrauch von Sprachbildern, die sich unterirdischer Metaphern bedienen, prominent bei der im 19. Jahrhundert aufkommenden Psychologie belegbar. Die mentale Innenwelt wird als 6Williams

(1990, S. 5 ff.).

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Unterwelt beschrieben, die Suche nach Wahrheit als Schürfen in einem Bergwerk des Unbewussten. Zusammenfassend erkennt Williams ein kulturreflexives Potenzial in der Resonanz, die die Erfahrung unterirdischer Räume und Strukturen bewirkt.7 In einigen Punkten an Williams und ähnlich argumentierende Autor:innen anschließend, untersuchte Isabel Platthaus (2004) in ihrem Buch Höllenfahrten: die epische katábasis und die Unterwelten der Moderne8 die moderne literarische Unterweltenreise als Allegorie auf die literarische Erzählung selbst. Das Streben nach Erkenntnis in nicht erschlossenen, unterirdischen Terrains wird damit von der psychologischen Introspektion der Psychoanalyse auf eine literaturwissenschaftliche Ebene überführt. Platthaus fragt nach Strukturmerkmalen, die – der Unterweltenreise entsprechend – die moderne literarische Erzählung prägen. Der bemerkenswerte Erfolg der im 19. Jahrhundert prosperierenden Literatur, die Unterweltenreisen in verschiedenen Formen thematisiert, ist für sie nicht nur ein Beleg für eine Remythisierung der Natur aufgrund einer zunehmend säkularisierten Lebenswelt – sie erkennt darin vor allem eine selbstreflexive Literatur, die am narrativen Modell der Unterweltenreise ihre eigenen Funktionsmechanismen beobachtet und dekliniert. Williams und Platthaus sollen hier als zwei prominente Beispiele für verschiedene Zuschreibungen unterirdischer Reflexivität angeführt werden. Diese gründet in der Verknüpfung und Überwindung von Gegensatzpaaren, die dem modernen Untergrund zugerechnet werden (z. B. Vergangenheit/ Zukunft, Schutz/Gefahr, außen/innen, sichtbar/unsichtbar). Moderne Fantasien unterirdischer Besiedlung bedienen sich dieser Gegensätze bzw. Paradoxien als narratives wie formales Instrument. Der Untergrund gewinnt in der Moderne somit als Lebens- wie als Projektionsraum spürbar an Umfang, Vielfalt und Komplexität. Er wird darüber hinaus zu einem Resonanzraum für z. B. soziale, kulturelle oder gar ontologische Fragen. Aber welches spezifische Reflexionspotenzial besitzen unterirdische Städte in Science-Fiction-Filmen? Schauen wir zunächst auf die vielleicht prominenteste unterirdische Zukunftsstadt, die Stadt der Arbeiter im Science-Fiction-Klassiker Metropolis aus dem Jahr 1927 (Abb. 3.1).

7Siehe

Williams (1990, S. 212 f.). (2004).

8Platthaus

3  Downtown: Die unterirdische Stadt im Science-Fiction-Film     29

Abb. 3.1  Metropolis, Stadt der Arbeiter

3.4 Die Stadt der Arbeiter – Metropolis „Tief unter der Erde lag die Stadt der Arbeiter“ (Metropolis, Zwischentitel, Minute 5:15)

Bereits zu Beginn von Fritz Langs Metropolis wird der Zuschauer in eine senkrechte Ordnung eingeführt, die handlungsleitende Macht- und Klassenunterschiede der Protagonisten anzeigt. Dies geschieht nicht besonders subtil, aber prägnant und scheinbar evident. Die von Wolkenkratzern gekennzeichnete Oberstadt wird als wohlhabend dargestellt, die Menschen dort führen ein weithin freies und unbesorgtes Leben. In einer darunter liegenden Zwischenebene befinden sich Maschinenräume, in denen offenbar die erforderliche Energie für den Wohlstand der Oberstadt erzeugt wird. An den Maschinen sind Arbeiter tätig, in ihren Tätigkeiten streng zeitlich getaktet, in ihren Handlungen dadurch selbst mechanisch erscheinend. Ihre Stadt, die Stadt der Arbeiter, liegt wiederum unter den Maschinenräumen. Diese künstlich beleuchtete Stadt der Arbeiter wird als abstrahierte Schlafstadt inszeniert; die dort gezeigten Unterkünfte und Lebensräume der Arbeiter werden mit diagonalen Licht- und Schatteneffekten konturiert. Das

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Leben der Menschen in der Stadt der Arbeiter erscheint eingesperrt, unterdrückt, ausgebeutet, entrechtet und entmenschlicht. Metropolis nutzt die vertikale Struktur als Sinnbild sozialer Hierarchie; zuweilen spielt selbst die Anordnung von Text im Satzspiegel der Zwischentitel damit.

Unter der Stadt der Arbeiter befindet sich eine weitere Ebene. Dort gibt es Treppen und Gänge, die zu einem mit zahlreichen Kreuzen dekorierten Sakralraum führen. In diesem Raum erläutert die Figur Maria vor versammelten Arbeitern die biblische Vertikalutopie des Turmbaus zu Babel und deren Scheitern. Sie entspinnt dadurch eher ungewollt eine Revolte, die die weitere Filmhandlung prägt. Das Motiv der römisch-christlichen Katakomben als Flucht- und Versammlungsort wird in den gezeigten Räumen überdeutlich referenziert. Noch unter der unterirdischen Stadt der Arbeiter wird ein Refugium angesiedelt, das die vertikale Ordnung räumlich (noch tiefer) und zeitlich (religiös-historische Referenz) fortschreibt. Gleichzeitig entwickeln sich in diesen Katakomben Feedbackeffekte, die in Form der Revolte vertikal nach oben zurückwirken. Dieses unterirdische Echo der Unterdrückung bedient sich eines romantisierten Motivs legitimierter Gegengewalt, des Kampfes aus dem Untergrund. Metropolis hat die unterirdische Stadt als Ort dystopischer Unterdrückung und Keimzelle eines daraus gespeisten Widerstandes zwar im Film etabliert, aber nicht selbst entwickelt; literarische und gesellschaftliche Erzählungen der Moderne lieferten die Vorlage. Als Klassiker des frühen Films verknüpft

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Metropolis diese Motive Mitte der 1920er-Jahre zu einer Einheit aus Form und Botschaft, die in späteren Filmen aufgenommen und verarbeitet wird. Drei dieser Science-Fiction-Filme, in denen unterirdische Städte eine inhaltliche und formale Relevanz entwickeln, sollen im Folgenden beispielhaft daraufhin untersucht werden. Bei den ausgewählten Filmen handelt es sich um Things to Come (1936), THX 1138 (1971) und die Filme der Matrix-Trilogie (1999–2003). Diese Filme zeichnet erstens aus, dass sie einerseits durch das Filmpublikum und/oder durch die Filmkritik eine nachhaltige Bedeutung für das Genre des Science-Fiction-Films erfahren haben. Zweitens bergen sie in der Darstellung ihrer je unterschiedlichen unterirdischen Städte zahlreiche Elemente, die signifikant auf Möglichkeiten und Bedingungen des Mediums Film und im Besonderen auf Vorgängerfilme verweisen.

3.5 Everytown – Things to Come Auf der Grundlage des Romans The Shape of Things to Come (1933) von H. G. Wells entstand Mitte der 1930er-Jahre in Großbritannien unter der Regie von William Cameron Menzies der Film Things to Come. Wells, der maßgeblich am Drehbuch beteiligt war, beschreibt im letzten Kapitel des Films eine zukünftige Welt im Jahr 2036, in der die Menschen mithilfe des technischen Fortschritts in unterirdischen Städten annähernd perfekte Lebensbedingungen geschaffen haben. Die beispielhaft vorgeführte Stadt, Everytown (Abb. 3.2), unterscheidet sich damit diametral von der Stadt der Arbeiter in Metropolis – der fortschrittsoptimistischen Intention Wells‘ entsprechend. In Everytown offenbart sich nicht die Hölle der Repression, sondern das Paradies des technischen Fortschritts. Die Entstehung der Stadt wird im Film in einer avancierten Montage als logisches Ergebnis rationaler Berechnung und technischer Leistung dargestellt. Die maschinell geschaffene Stadt erscheint hell, sauber, friedlich und funktional. Sie ist vertikal strukturiert und horizontal gegliedert: Die Menschen leben in unterirdischen Hochhäusern, die über Brücken miteinander verbunden sind. Die Architektur wirkt zwar monumental-historisierend, gleichzeitig aber durch eine abgerundete Linienführung hochmodern und dem oberirdischen Metropolis nicht unähnlich. Das soziale Leben spielt sich auf öffentlichen Plätzen ab, die eine Verwandtschaft mit der antiken Agora aufweisen. Die Stadtbewohner:innen scheinen alltagsweltlicher Sorgen entledigt, da diese als durch Technik überwunden postuliert werden. Zur Begründung der ausgerechnet unterirdischen Lage von Everytown gereicht der vorteilhafte

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Abb. 3.2  Everytown in Things to Come

­ usschluss naturverhafteter Störfaktoren wie wechselnder Klimaeinflüsse A oder Sonnenlicht. Das Fenster als häusliche Schnittstelle von innen und außen wird beispielhaft als nun obsoletes, überwundenes historisches Relikt vorgeführt. In dieser von der Natur unabhängigen und abgeschlossenen Innenwelt von Everytown, einer sauberen Kulturwelt, entstehen die die Erzählung fortschreibenden Konflikte allein durch Menschen, die die Segnungen des technischen Fortschritts infrage stellen und populistisch eine Revolte initiieren. Diese scheitert letztlich, der Fortschritt gewinnt. Gleichwohl

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bedingt die narrative Logik, dass das unterirdische Everytown lediglich als historisches Zwischenspiel dargestellt wird, als eine, aber nicht die letzte Stufe des Fortschritts. Der Start einer Rakete am Ende des Films markiert die fortschreitende Expansion in den Weltraum. Die unterirdische Stadt in Things to Come erscheint als ein technisch optimierter Lebensraum, eine annähernd makellose Kulturutopie, die sich trotz einer zeitlosen Aura ihrer eigenen Vergänglichkeit im Zeichen des Fortschritts bewusst ist. Raum und Zeit werden in Everytown der menschlichen Gestaltung unterworfen und damit relativiert. Mit aufwendigen inszenatorischen Mitteln wird die unterirdische Stadt als eine nützliche und hygienische Lebensmaschine dargestellt. Eine dergestalt positiv gefärbte Utopie einer unterirdischen Stadt findet sich in der Filmgeschichte nicht häufig. Sie repräsentiert durch deutliche inhaltliche und formale Bezugnahmen einerseits ein gezieltes Gegenbild zur düsteren Stadt der Arbeiter in Metropolis und dessen pessimistischer Botschaft. Darüber hinaus repräsentiert sie andererseits aber prominent einen aus heutiger Sicht unbedarften Fortschrittsoptimismus, der mit den Mitteln des klassischen Films in Everytown eine nachhaltige Form findet, auf die in anderen Science-Fiction-Filmen wiederum häufig Bezug genommen wird.

3.6 Die anonyme Stadt – THX 1138 Im Jahr 1971, im Zeichen des New Hollywood, erscheint der Film THX 1138, für den George Lucas als junger Produzent, Drehbuchautor und Regisseur verantwortlich ist. Die Handlung des Films folgt der Flucht eines Protagonisten aus einer Science-Fiction-Stadt heraus, die sich erst in der letzten Einstellung des Films als unterirdische Stadt entpuppt. Diese namenlose Stadt wird als technisch automatisierte, aseptisch saubere Einheit inszeniert – wie eine Maschine, in der Menschen verschiedene Produktionsfunktionen erfüllen (Abb. 3.3). Zur Effizienzsteigerung dienen u. a. die anregende oder sedierende Medikation der Bewohner:innen sowie verschiedene Psycho- und Propagandatechnologien. Grundsätzlich erscheint das Leben der Menschen in der Stadt als fremdbestimmt, überwacht, unterdrückt und effizienzorientiert – ähnlich der Stadt der Arbeiter in Metropolis. Inszenatorisch wird die Stadt allerdings – der Utopiedarstellung von Everytown nicht unähnlich – zumeist klinisch sauber und w ­ eißlich-grell dargestellt. Lediglich an ihren Rändern sind Schmutz, Dunkelheit und wilde Kreaturen erahnbar. THX 1138 verknüpft mithin die repressive Botschaft der Stadt der Arbeiter mit den aseptischen Lebensräumen von Everytown.

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Abb. 3.3  Ausschnitt aus THX 1138 (1971). (© Warner Home Video)

Dadurch entsteht ein ambivalentes Bild von infrage gestellter Autorität, auch filmischer Autorität, die als ein wesentliches Merkmal des New Hollywood begriffen werden kann. Durch das Übereinanderlegen und Umkehren inhaltlicher und visueller Elemente von Metropolis und Things to Come entsteht vor dem gemeinsam geteilten Hintergrund einer unterirdischen Stadt eine filmische Reflexion. Die Bezugnahmen von THX 1138 zu den genannten Vorgängerfilmen sind zahlreich. Mal subtil, mal direkt. Am deutlichsten zeigen sie sich vielleicht in der unbearbeiteten Verwendung des historischen Kinotrailers von Things to Come am Anfang der Ursprungsversion von THX 1138, der noch vor den eigentlichen Handlungsbeginn montiert ist. Als Repräsentant der filmischen Moderne im Kontext unterirdischer Städte in Science-Fiction-Filmen referenziert THX 1138 die filmhistorischen Vorgängerstädte, um deren Struktur oder Autorität am Anfang der ­1970er-Jahre zu befragen und um mit eingeübten Stereotypen und Erwartungen zu spielen. Die unterirdische Lage der Stadt zeigt sich erst ex post. Sie ist als Schlusspointe, als visueller Twist des Films angelegt. Erst am Ende des Films erkennen die Zuschauer:innen, dass sich das ganze Filmgeschehen in einer unterirdischen Stadt abgespielt hat. Fragen nach dem Grund für die unterirdische Lage bleiben unbeantwortet bzw. der Fantasie der Zuschauer:innen überlassen. Hierdurch tritt die konstitutive Inszenierung von Stadt mit den Mitteln des Films hervor, die THX 1138 offensiv thematisiert. Als das wesentliche Merkmal einer Zukunftsstadt im Film wird nicht die physische Situierung dieser Stadt beschrieben, denn die erscheint narrativ letztlich als egal, anderen Aspekten wie Funktionalität und Effizienz unterlegen. THX 1138 verweist vielmehr darauf, dass das Medium Film in filmischen Zukunftsvisionen seine fiktionalen Möglichkeiten ausspielen und offenlegen kann.

3  Downtown: Die unterirdische Stadt im Science-Fiction-Film     35

Abb. 3.4  Ausschnitt aus Matrix Reloaded. (© Warner Home Video)

3.7 Zion – Matrix Andy und Larry Wachowski inszenieren in der ­Science-Fiction-Filmreihe Matrix um die Jahrtausendwende eine unterirdische Stadt, Zion, die als filmischer Handlungsort verschiedene Funktionen übernimmt: Lager, Lebensraum, Schlachtfeld. Sie wird primär als Flüchtlingslager der letzten Menschen im Kampf gegen die Maschinen eingeführt. Dass Zion vor allem als unterirdisches Referenzuniversum zwischen Konstruktion, Simulation und Reflexion angelegt ist, wird in einem häufig zitierten Matrix-Monolog der Figur Morpheus im ersten Teil der Reihe spürbar: „You take the red pill, you stay in Wonderland, and I show you how deep the rabbit hole goes. Remember, all I‘m offering is the truth.“ Die Tiefe des Kaninchenbaus, Lewis Carrolls Alice im Wunderland (1865) entlehnt, verspricht nichts anderes als die Wahrheit – eine im Laufe der Filmhandlung immer wieder infrage gestellte Wahrheit der Tiefe. Zion erscheint als eine tief im Erdmantel liegende, zylinderförmige Struktur, die in zahlreiche horizontale Schichten unterteilt ist (Abb. 3.4). Eine obere, kuppelförmige Sphäre bildet ein Dock, das als Schnittstelle für unterirdisch verkehrende hovercrafts fungiert. Im weiteren Verlauf der Handlung verwandelt sich das Dock zum Schauplatz der bildmächtigen Gefechte zwischen Menschen und Maschinen. In der Ebene darunter

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befindet sich der weitaus größte Bereich Zions, geprägt durch Wohnungen, Versammlungsräume, öffentliche Plätze, Brücken, Operationszentralen und offenbar weitere Orte sozialen Miteinanders. Visuell changieren diese Räume zwischen einem verschmutzten, postapokalyptischen Maschinendesign und einer archaischen Höhlenästhetik. Die unterste Ebene von Zion wird wiederum als großer Maschinenpark inszeniert. Hier dominiert die Technik, die das menschliche Leben in Zion ermöglicht und damit gleichsam eine handlungsleitende Paradoxie von Matrix versinnbildlicht. Bereits diese einfache Beschreibung offenbart zahlreiche Verweise auf die bereits genannten unterirdischen Filmstädte. Sowohl visuell wie auch narrativ übernimmt Matrix zahlreiche Elemente vorheriger unterirdischer Filmstädte, zitiert sie, parodiert sie, spiegelt sie oder formt sie um. Der dominierende Anschein des Schmutzigen und des Halbdunkels, der Eindruck des bereits Benutzten, legt sich in Zion wie Patina über ein Netzwerk aus filmischen Bezugnahmen. In Zion werden somit Ästhetiken und Funktionen vorhergehender unterirdischer Filmstädte nicht nur mehr oder weniger subtil referenziert, sie werden vielmehr plakativ vorgeführt und miteinander ‚re-kombiniert‘. Dadurch drängt sich der Eindruck von Kitsch auf – und von Willkür. Im Gegensatz zu THX 1138 wird die unterirdische Lage der Stadt nicht relativiert, sie wird in Zion auf ihren Zeichen- oder Symbolwert hin fokussiert. Vor dem Hintergrund der Frage nach Simulation und Wahrheit wird Zion so zu einem Simulacrum, bei dem eine Unterscheidung zwischen Vorbild und Abbild längst überwunden ist. Der Zuschauer erfährt beispielsweise im Laufe der Handlung von der Figur des Architekten, dass Zion bereits die sechste Iteration der Fluchtstadt sei. Die unterirdische Stadt als Simulacrum ist im Zeichen der postmodernen Prägung und Digitalisierung der Kultur und insbesondere der Filmkultur in der Entstehungszeit von Matrix zu lesen. Die Überbetonung unterirdischer Raumstereotypen wie Maschinenraum, Höhle oder Tunnel verleiht Zion, der „Stadt Gottes“, nicht zuletzt einen parodistischen Status. Trotz einer aufwendigen Inszenierung verschiedenartiger unterirdischer Räume entsteht der Eindruck, all das bereits einmal in anderen Filmen gesehen zu haben – ein Eindruck, der mit Blick auf die bereits genannten Vorgängerfilme z. B. hinsichtlich der Set-Architektur leicht zu belegen ist. Das Prozessieren von Zitation und Rezitation sowie die Infragestellung der Unterscheidung von Vorbild und Abbild sind in der unterirdischen Filmstadt Zion besonders gut zu beobachten. Ihre Abgeschlossenheit macht sie zu einer Bühne, auf der mediale Stereotypisierungen facettenreich ausgespielt und hinterfragt werden.

3  Downtown: Die unterirdische Stadt im Science-Fiction-Film     37

3.8 Fazit Unterirdische Städte in Science-Fiction-Filmen erlauben einen fantastischen Blick auf die Zukunft des Städtebaus. Vergleicht man sie miteinander, werden Strukturen erkennbar, die selbstreferenziell auf das Medium Film zurückweisen. Es findet in der unterirdischen Stadt einen Raum, in dem es sich selbst, seine eigenen Prinzipien überprüft: Projektion, Repräsentation, Referenzialität sowie das spezifisch filmische, artifizielle Generieren von Raum und Zeit. Die unterirdische Filmstadt wird so zu einem Labor, das die filmischen Bedingungen dieser Zukunftsvorstellungen spiegelt. Die Stadt der Zukunft in diesen Science-Fiction-Filmen gründet in den Regeln der Filmkunst, sie ist deren Abbild. Ein solcher Blick auf die mediale Bedingtheit urbaner Fiktionen ist medienwissenschaftlich aufschlussreich. Aber inwiefern kann die nichtfilmwissenschaftliche Urbanistik davon profitieren? Stadtplanung ist ein Prozess, der Raum und Zeit fiktional miteinander verschränkt. Dazu bedienen sich Stadtplaner:innen einer Reihe sehr verschiedener Mittel, die auf je eigene Weise und im Zusammenspiel mit der Vorstellung von Zukunft Gestalt verleihen. Dabei unterliegen Stadtplaner:innen selbstverständlich gewissen gesellschaftlichen Erwartungen an ihre Tätigkeit: Rationalität, Vorsicht, Ernsthaftigkeit. Das Medium Film als enorm wirkmächtiges Darstellungsinstrument und Erzählformat erlaubt besonders im Genre Science-Fiction mehr Freiheit. Im Kontext der Filmkunst gehorcht es anderen Regeln. Es besitzt überdies das Potenzial, seine eigene Rolle bei der Entwicklung von Zukunftsvisionen zu erkennen und, narrativ eingebettet, offenzulegen. Dieses selbstreflexive Potenzial ertüchtigt das Medium Film, den Vorstellungshorizont der Stadtplanung einerseits fruchtbar zu verbreitern und ihn andererseits auf das Zusammenspiel von Bedingung und Möglichkeit zurückzubeziehen.

Literatur Krämer S, Maikämper M, Pätsch C, Petersen C, Rott B, Rukschcio B, Weidner S (2015) Von Science-Fiction-Städten lernen. Szenarien für die Stadtplanung. Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung, Bonn Luhmann N (1984) Soziale Systeme. Suhrkamp, Frankfurt a. M. Platthaus I (2004) Höllenfahrten – Die epische Katábasis und die Unterwelten der Moderne. Fink, München Williams R (1990) Notes on the underground: an essay on technology, society, and the imagination. MIT Press, Cambridge

4 Domed Cities: Kuppeldispositive in der Science-Fiction des 20. Jahrhunderts Szilvia Gellai

Sz. Gellai (*)  Wien, Österreich E-Mail: [email protected] © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Steinborn und D. Newiak (Hrsg.), Urbane Zukünfte im Science-Fiction-Film, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61037-4_4

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4.1 Einführung: Die saponische Vision Far away on the horizon, blazing in the pathway of the sun, was a mighty iridescent bubble. From the windows of the plane it appeared to be small, and yet its distance was so great that the senses immediately made the proper adjustment in scale. It was like half of a soap bubble, five or ten miles in diameter, sitting on the earth. Its curvature was perfect. It was obviously not a natural formation. […] The bubble stretched out laterally before them as they flew, and quite suddenly they were able to see in the opalescent glitters of its surface what was within it. It was about six miles in width and more than a mile in height at its center. Inside it, completely contained by it, was a city – a city laid out in a circular geometrical pattern, a city which had at regular intervals gigantic terraced metal skyscrapers – a city with countless layers of roads and streets leading from one group of buildings to the next – a city around the outer edge of which ran a huge trestled railroad. It was so perfect a city that it might have been a model made by some inspired artist who was handicapped by no structural materials and who allowed his orderly invention no limitations commensurate with logic. Architecturally the plan of the city within the bubble was perfect. The materials of its composition harmonized with each other in a pattern of shimmering beauty.1

Selten wird das populäre Bild der überkuppelten Stadt in der ­Science-Fiction-Literatur so effektvoll inszeniert wie in Philip Wylies und Edwin Balmers Roman After Worlds Collide (1933/34). Aus der Vogelperspektive eines Flugzeugs erscheint eine schimmernde Seifenblase, die den Blick auf eine geometrisch durchkomponierte Anlage freigibt. Angesichts dieser urbanen Vision, die man in Anlehnung an Kurd Laßwitz auch eine „saponische“2 nennen könnte, kommen die Protagonisten kaum aus dem Staunen heraus, verbinden sich doch technisch hoch entwickelte Automatismen, unbekannte, farbige Baustoffe und vollendete Formen zu einem überwältigenden räumlichen Ensemble. Wäre es nur nicht absolut menschenleer,

1Wylie 2Vgl.

und Balmer (1963, S. 54). Laßwitz (1890).

4  Domed Cities: Kuppeldispositive in der Science-Fiction …     41

dieses künstliche Paradies, das hier den Überlebenden einer interplanetaren Apokalypse makellos konserviert in den Schoß fällt! Bemerkenswert erscheint die saponische Vision in After Worlds Collide, weil damit ein immer wiederkehrendes urbanes Zukunftsbild der Science-Fiction zu einem Zeitpunkt textuell eingefangen wird, zu dem ­ dessen ubiquitäre Verwendung in der Bilderwelt noch nicht eingesetzt hat. Zu einer regelrechten visuellen „Ikone“3 der Science-Fiction-CoverArt avancierten Domed Cities vornehmlich in der Nachkriegszeit. Im Film wiederum wurden sie erst in den 1960er- und 1970er-Jahren zum Thema. Jedoch mäandert die Geschichte der Imagination von Kuppelstädten nicht nur zwischen den literarischen, piktorialen und filmischen Diskursen der Science-Fiction, sondern ist bereits von den 1950er-Jahren an stark mit stadtplanerischen Visionen verflochten. Der urbane „Traum vom großen Dach“4 hat sowohl innerhalb als auch außerhalb fiktionaler Kontexte bis in die 1980er-Jahre Konjunktur. Umso mehr frappiert deshalb die Tatsache, dass eine systematische und historisierende Gesamtdarstellung dieser Science-Fiction-Ikone bis heute aussteht.5 Die Untersuchung unternimmt einen Schritt in diese Richtung. Die ihr übergeordneten Fragen, welche Entwicklung die Kuppelvisionen der Science-Fiction des 20. Jahrhunderts durchlaufen und was für symbolische und ideologische Implikationen sie besitzen, beziehen ihre Aktualität und besondere kulturelle Relevanz aus dem Umstand, dass Kuppeldispositive seit den 2000er-Jahren ein

3Vgl.

Wolfe (1979, S. 16–29). Begründet erscheint mir die Anknüpfung an Gary K. Wolfes ikonografischen Terminus nicht allein deshalb, weil gläserne Kuppelstädte sich auch bildlich hundertfach manifestieren, sondern auch, weil in diesem Fall die visuelle Kultur maßgeblich zu deren Transport und Tradierung über Länder- und Diskursgrenzen hinweg beiträgt. 4Krisch (1999, S. 363). 5In der Encyclopedia of Science Fiction wird die Kuppelstadt als eines der wichtigsten Urbanitätsbilder der Science-Fiction genannt (vgl. Stableford et al. 2018). Auch nimmt die Zahl der Untersuchungen, die städtische Imaginationen in der Science-Fiction aus unterschiedlichen disziplinären Perspektiven beleuchten, in den letzten Jahren zu (vgl. Krämer et al. 2015; Anderson 2015; Abbott 2016). Jedoch ist Kuppelstädten, deren Signifikanz für die Science-Fiction in diesen Bänden ebenfalls mit zahlreichen Belegen unterstrichen wird, bislang keine gesonderte Aufmerksamkeit geschenkt worden. Eine Ausnahme bildet Chris Paks Studie, die der Rolle von Kuppelstädten in Pamela Sargents Venus-Trilogie ein ganzes Kapitel widmet (vgl. Pak 2016, S. 143–158).

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e­ rstaunliches Comeback erleben – und zwar nicht nur in der Populärkultur und in der Kunst, sondern auch in der Baukultur.6 Unter die Lupe genommen werden im Nachfolgenden die unterschiedlichen Funktionen, Materialitäten und ‚Aggregatzustände‘ der saponischen Vision in den Diskursen der Science-Fiction. Am Anfang steht ein Aufriss der Dynamiken und Differenzen zunächst zwischen der Literatur und der visuellen Kultur, ergänzt um kurze Seitenblicke auf utopische Stadtplanungsprojekte. Nach der Kontrastierung der genannten Diskurse soll auch eine wichtige Gemeinsamkeit zwischen ihnen herausgearbeitet werden. Diese Gemeinsamkeit manifestiert sich in jener unheimlichen Verschränkung von Konservierung und Musealität, die auch Wylies und Balmers wohlgeordnete Glasstadt durchwirkt – und die eng mit der (­Bau-) Kulturgeschichte des Werkstoffes zusammenhängt. Dabei soll aufgezeigt werden, dass die Kuppeldispositive der Science-Fiction des 20. Jahrhunderts in vielerlei Hinsicht das Erbe des Glas- bzw. des Gewächshauses (engl. conservatory ) antreten, das in der einschlägigen Forschung nicht nur als ein Bautypus, sondern zugleich auch als Traum des 19. Jahrhunderts beschrieben wird.7 Zum Schluss wird die Perspektive auf die ScienceFiction-Filme der 1970er-Jahre erweitert: Silent Running (1972), Zardoz (1974) und Logan’s Run (1976) erweisen sich als besonders aufschlussreich, weil sie visuelle und semantische Entwicklungstendenzen miteinander verschalten, die bis dahin mitunter völlig konträr zueinander verliefen. 6Für die Science-Fiction-Literatur wäre in diesem Kontext an Werke wie China Miévilles Perdido Street Station (2000), Jean-Christophe Rufins Globalia (2004), Stephen Kings Under the Dome (2009), Julianna Baggotts Pure (2012), Kim Stanley Robinsons 2312 (2012), Cassandra Rose Clarkes Our Lady of the Ice (2015) und T. C. Boyles The Terranauts (2016) zu denken. Eine Blüte erleben Kuppeldispositive aber auch in Videospielen mit Locked-Room-Narrativen wie Gothic I–II (Piranha Bytes/ Shoebox, JoWooD, 2001/2002), Crysis 3 (Crytek/Electronic Arts, 2013), Elex (Piranha Bytes/THQ Nordic, 2017), Dome City (Overon Station, 2017), Surviving Mars (Haemimont Games/Paradox Interactive, 2018), in Spiel- und Animationsfilmen wie The Truman Show (R: Peter Weir, USA 1998), Battle for Terra (R: Aristomenis Tsirbas, USA 2007) oder The Simpsons Movie (R: David Silverman, USA 2007), in der Fernsehserie Under the Dome (CBS, USA 2013–2015) sowie in den japanischen AnimeSerien The Big O (Sunrise, Japan 1999), Ergo Proxy (Manglobe, Japan 2006) und Chrome Shelled Regios (Zexcs, Japan 2009). Aus dem Bereich künstlerischer Praktiken bietet Eva Díaz‘ Aufsatz zahlreiche Beispiele mit Arbeiten von Marjetica Potrč, Nils Norman, Oscar Tuazon, Fritz Haeg, Mary Mattingly, Tomás Saraceno, Michael Smith, Mike Kelly, dem Raumlabor Berlin und der Künstlergruppe Plastique Fantastique und anderen (vgl. Díaz 2011). Parallel zur Literatur und Kunst tauchen gläserne Kuppeln reihenweise auch in zeitgenössischen Bauprojekten auf: von der politischen Architektur der Reichstagskuppel (1999) in Berlin oder dem neuen Parlamentsgebäude von Georgien in Kutaissi (2012) bis zu solchen futuristischen Prestigebauten wie dem schwimmenden Pavillon in Rotterdam (2010), den kürzlich fertiggestellten Spheres (2018) von Amazon in Seattles Innenstadt, dem im kalifornischen Mountain View entstehenden Google-Hauptquartier oder der ebenfalls im Bau befindlichen Mall of the World in Dubai. 7Kohlmaier und von Sartory (1981).

4  Domed Cities: Kuppeldispositive in der Science-Fiction …     43

4.2 Kuppeldispositive in ­Science-FictionLiteratur und -Cover-Art Die Idee von Kuppelstädten kommt sowohl in der visuellen Kultur als auch in der literarischen Fantasie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf und zeigt zunächst sehr unterschiedliche Ausprägungen. Sie erwächst aus der faszinierenden und unglaublich reichen Glaskultur jener Periode, von der in diesem Rahmen nur schwerlich ein adäquater Begriff vermittelt werden kann. In ihrer beeindruckenden Studie zu Victorian Glassworlds: Glass Culture and the Imagination 1830–1880 weist Isobel Armstrong darauf hin, dass man in einer Betrachtung der Kultur des Glases gut daran tut, die Unterschiede zwischen der Modernität des 19. und dem Modernismus des 20. Jahrhunderts zu berücksichtigen.8 Die Differenz hat u. a. mit den jeweiligen historischen Fertigungsverfahren und der gesellschaftlichen Wahrnehmung der so erzeugten Produkte zu tun: Die mit Spuren und Makeln behafteten mundgeblasenen Platten des Londoner Crystal Palace (1851) konstituieren ein anderes Raumerlebnis als das kühle, transparente und geheimnislose Glasmilieu, das Walter Benjamin – mit einer nicht unproblematischen Geste der Homogenisierung9 – seiner eigenen Epoche zuschrieb.10 Im Gegensatz zur „spurenlosen Reinheit“11 und „glatten Transitivität“12 einer solcherart gefassten Moderne erblickt Armstrong im Glas des 19. Jahrhunderts eine Ästhetik der Widersprüche: ein beständiges Changieren „zwischen transparentem Medium und Barriere“.13 Ihre Überlegungen sind in zweifacher Hinsicht wertvoll: Einerseits öffnen sie den Blick für unterschiedliche glaskulturelle Paradigmen, denen man auch in der Bilderwelt des 20. Jahrhunderts begegnet. Andererseits wird die Dialektik des Materials, aus dem die Träume einer bestimmten Periode gemacht sind, selbst in den Fokus gerückt. Wendet man sich nun überdachten Städten in der visuellen Kultur zu, so ist festzustellen, dass es durchaus konkurrierende Vorstellungen zur hergebrachten Kuppelform gibt. Gemäß der um 1900 erst in Deutschland,

8Vgl.

Armstrong (2008, S. 3). Innerhofer (2000). 10Vgl. Benjamin (1991). 11Armstrong (2008, S. 13) (aus dem Englischen v. Verf.). 12Armstrong (2008, S. 14) (aus dem Englischen v. Verf.). 13Armstrong (2008, S. 13) (aus dem Englischen v. Verf.). 9Vgl.

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Abb. 4.1  a Hildebrands Deutscher Kakao: „Ueberdachte Stadt im Jahre 2000“. Chromo-lithografische Sammelkarte von der Fa. Theodor Hildebrand und Sohn, um 1900 (Laeng 2017, S. 34), b „One Hundred Years Hence. Roofed cities, fine weather insured. Compliments of Maher & Grosh Cutlery Co.“, Toledo, Ohio. Werbekarten, produziert in Deutschland für den amerikanischen Markt, um 1900 (Brosterman 2000, S. 7)

dann auch in den USA kursierenden Werbekarte der Berliner Schokoladenfabrik Theodor Hildebrand & Sohn wird im Jahr 2000 ein riesiges Flachglasdach die Stadtbewohner:innen vor Regengüssen schützen (Abb. 4.1a). Rein optisch wirkt diese Lösung zwar sehr schlicht, ja beinahe einfallslos, allerdings steckt die industrielle Flachglasherstellung um die Jahrhundertwende noch in den Kinderschuhen. Vor dem Hintergrund ist der Entwurf sogar als kühn zu bezeichnen. Kein Wunder, dass die Reklame gerade für die Glasstadt Toledo (Ohio) adaptiert wurde (Abb. 4.1b). Demgegenüber wirkt die von Frank R. Paul14 entworfene Glass Domed City of To-morrow (Abb. 4.2) deutlich antiquierter und legt eine Assoziation mit den Pariser Passagen nahe. Der korrespondierende Text erklärt, die Metropole der Zukunft werde dank Glasüberdachung, elektrischer Automobile, Zentralheizung, moderner Medientechnologien wie Telefon, Telegraf und Radio, Luftreinigungsanlagen sowie einer tropisch duftenden Pflanzenpracht ein wahres Paradies sein.15 Das Bild erschien 1921 in Science and Invention, einem Magazin des Verlegers Hugo Gernsback. Im weiteren Verlauf dieser Zusammenarbeit prägte Paul einige Jahre später die genrebegründende Zeitschrift Amazing Stories als Illustrator ganz wesentlich mit. Auf seinen Entwurf soll an anderer Stelle noch eingegangen werden.

14Vgl. 15Vgl.

Hill und Weist (2009). Walsh (1921).

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Abb. 4.2  a Frank R. Paul, „The Glass Domed City of To-morrow“. (Science and Invention, Dezember 1921, S. 711, https://www.americanradiohistory.com/ArchiveElectrical-Experimenter/SI-1921-12.pdf), b Frank R. Paul: „Glass City on Europa (Moon of Jupiter)“ (Amazing Stories, Januar 1942 (back cover) aus Mary Evans Picture Library)

Vorerst sei festgehalten: Wird in der visuellen Kultur primär und explizit der Traum der Klima- und Wetterkontrolle in urbanen Kontexten ausgestaltet, scheint dies in den frühen fiktionalen Texten ein sekundäres Anliegen zu sein. Autoren, die das Motiv der Kuppelstadt aufgreifen, staffieren damit eher politische Dystopien oder eskapistisch disponierte Narrative aus – wie zum Beispiel David M. Parrys The Scarlet Empire (1906) über eine sozialistische Version des Reichs von Atlantis16 oder Edgar Rice Burroughs‘ The Warlord of Mars (1913/14) aus der BarsoomReihe. Speziell auf terrestrische Zukünfte gemünzt, tauchen Domed Cities in der Literatur vor allem ab den frühen 1930er-Jahren auf. Neben dem eingangs zitierten After Worlds Collide ist hier Fred MacIsaacs Kurzgeschichte „The Hothouse World“ (1931) einschlägig. Sie spielt im Jahre 2051 und erzählt vom Leben einer 3000-köpfigen Gemeinde, die während einer hundertjährigen Eiszeit auf der Erde unter einer Kuppel überwintert

16Vgl.

Bleiler (1990, S. 587).

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hat. Hierin erwacht der Protagonist aus einem ebenfalls hundertjährigen Kälteschlaf. Statt einer technisch-wissenschaftlich fortschrittlichen Gesellschaft findet er eine Stadt ohne Elektrizität vor, aus der auch die vormalige Medienkultur mitsamt Kino, Film, Radio und Fernsehen verschwunden ist. Die Mehrheit der Bevölkerung arbeitet in der Landwirtschaft, um eine im Luxus lebende Oberschicht zu ernähren. Auch die Partnerwahl ist starken Manipulationen zugunsten der Machthaber unterworfen. Aufgrund ihrer, wie der Protagonist findet, ‚überzüchteten‘ und ‚verweichlichten‘ Natur17 sind die Unterdrückten nicht in der Lage, Widerstand zu leisten. Zum positiven Gegenpol der in sich gespaltenen und als degeneriert empfundenen Treibhauswelt werden jene rauen und starken ‚Barbaren‘ (‚barbarians‘18) stilisiert, die die Eiszeit außerhalb der Glasglocke überstehen konnten und eines Tages (erfolglos) die Stadt angreifen. Zum Schluss lässt MacIsaac seinen Protagonisten in die Außenwelt ziehen, um dort eine neue und technisch avancierte Gesellschaft zu begründen. Inszeniert wird dieser Schritt als Protesthaltung gegen die amnestische Verfassung der Kuppelbewohner:innen, die nicht nur weit hinter ihren einstigen zivilisatorischen Standard zurückgefallen sind, sondern auch noch an ihrer sinnlos gewordenen Isolation festhalten. Somit schlägt das Medium der Glaskuppel in eine Barriere um, die physikalisch und gedanklich nur mit Mühe durchdrungen werden kann. MacIsaacs Glashausgeschichte steht Wylies und Balmers After Worlds Collide diametral gegenüber, wird doch in Letzterem die Kuppel als staunenswertes, bewohnbares und überlebensnotwendiges zivilisatorisches Objekt dargestellt und eindeutig positiv konnotiert. Was die beiden Werke verbindet, ist eine Eigenzeitlichkeit der Anordnung: die Art, wie ein Ensemble von Dingen oder Figuren auf Dauer und zugleich außerhalb der Zeit gestellt wird. Während Kuppeln in fiktionalen Narrativen sich bereits ab den 1930er-Jahren sukzessive als Barrieren verfestigen, sich funktional wie ­ ästhetisch immer opaker und undurchdringlicher ausnehmen, herrscht in der Bilderwelt eine genau gegenläufige Tendenz vor: Hier erstrahlt die saponische Vision ab den 1940er-Jahren in voller Pracht. Exemplarisch sei auf eine Illustration (Abb. 4.2b) verwiesen, die abermals von Paul stammt. Das Publikationsjahr ist 1942, der Schauplatz der Jupitermond Europa.

17„A

pale, anaemic race of weaklings these were […].“ MacIsaak (1950, S. 22). MacIsaak (1950, S. 60).

18Vgl.

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Der Kontrast zwischen den beiden Stadtbildern könnte kaum größer sein. Auf dem neueren hat die Überdachung jegliche Schwerfälligkeit abgestreift und wird nunmehr klar von der Kuppelform bestimmt. Von Ziegelsteinen und opulenten Pfeilern ist keine Spur mehr, das Gewölbe, das von wenigen geschwungenen Balken eher gegliedert als getragen wird, mutet wie eine enorme Seifenblase an. Außerdem soll das Fantasiegebilde auch nicht mehr aus Glas sein, sondern aus Plastik. Durch die rasante Entwicklung der Polymerchemie und Kunststoffproduktion seit den 1920er-Jahren hat die Glasindustrie harte Konkurrenz bekommen.19 Der Wechsel des Materials kommt übrigens auch in der Literatur zur Geltung: Arthur C. Clarke imaginiert in seinem Roman Sands of Mars (1951) für die erste Marskolonie der Menschheit eine aufblasbare Schutzhülle, ebenfalls aus Kunststoff.20 Einmal in der Bildkultur der Science-Fiction-Literatur angekommen, avanciert die saponische Vision zum Inbegriff der Kuppelstadt und hält sich jahrzehntelang hartnäckig. Dabei fällt auf, dass die Cover-Art mitunter etwas gänzlich anderes zeigt, als die Geschichten zwischen denselben Magazin- oder Buchdeckeln erzählen. Beispiele hierfür bieten u. a. die Umschlagsabbildungen von Noel Loomis‘ City of Glass (1942), in dem es um eine unterirdisch angelegte Glasstadt geht, oder auch von Dean McLaughlins Dome World (1962), einem Roman, in dem submarine Städte als Betonkuppeln mit kleinen Fenstern beschrieben werden. Dessen ungeachtet prangen auf den Covern spektakuläre, transparent überdachte Metropolen und schreiben visuell das leichte sphärische Bild des Staunens fort.

4.3 Kuppelstadtvisionen in der Stadtplanung Man stößt hier auf eine strukturelle Spannung zwischen Bildlichkeit und Narrativ, die weit über literarische Diskurse hinausgeht und auch für stadtplanerische Kuppelvisionen charakteristisch ist. Für ein besseres Verständnis dieser Dynamik ist zu berücksichtigen, dass Domed Cities mit gleich zwei der wichtigsten technisch-wissenschaftlichen Errungenschaften des 20. Jahrhunderts aufs Engste verknüpft sind: erstens mit der Atomkraft als der vermeintlich sauberen Energie der Zukunft und zweitens mit der Raumfahrt als dem Inbegriff des Aufbruchs. Wohlgemerkt dienen beide Neuerungen

19Vgl. Trotter 20Vgl.

(2012). Clarke (1963, S. 89).

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zugleich auch als machtpolitische Projektionsflächen in der Ära des Kalten Kriegs und verfügen über ambivalente Konnotationen. Die Verbindung zwischen Raumfahrt und Kuppeln manifestiert sich vornehmlich in Imaginationen, die sich auf das terraforming fremder Planeten unter dem Einsatz kuppelförmig überdachter Habitate beziehen. Clarkes Sands of Mars oder auch sein reich bebildertes populärwissenschaftliches Buch The Exploration of Space (1951) illustrieren diese Tradition in paradigmatischer Weise. Derlei Fantasien über Weltraumkolonisierung werden in der Populärkultur bis heute unter durchaus utopischen Vorzeichen kultiviert. Tendenziell tritt der dystopische Gehalt in der Semantisierung von Kuppeln umso deutlicher hervor, je näher man an terrestrische Szenarien heranrückt.21 (Der Film Silent Running, auf den noch im Detail einzugehen sein wird, ist insofern ein wichtiges Beispiel, als er diese assoziativen und konnotativen Tendenzen auf eine untypische Art bündelt.) Was die Verbindung zwischen Kuppeln und Atomenergie anbelangt, so entsteht sie nicht nur entlang einer territorialen und kolonialen Logik (z. B. um die Besiedlung noch unerschlossener Erdregionen zu ermöglichen), sondern auch entlang einer ökonomischen: Da Wetterregulierung, ‚Klimatisierung‘ oder Klimaerzeugung fast immer die maßgeblichen Funktionen einer Kuppelstadt sind, drängt sich unmittelbar die Frage auf, wie ein derartiges ökotechnologisches Bauprojekt betrieben werden soll. Eine der durchdachtesten Studien für eine Stadt unter einer klimaregulierenden Hülle stammt aus dem Jahr 1971 und wurde von einem deutsch-japanisch-englischen Team unter Frei Ottos Leitung entworfen. Hierin sehen die Planer für die Versorgung einer Stadt in der Arktis für bis zu 45.000 Einwohner ein Atomkraftwerk vor.22 Bald erschüttern jedoch die Umweltbewegung, die Ölkrisen sowie das allmählich erwachende Bewusstsein für die Grenzen des Wachstums „das Vertrauen auf große Würfe zur Lösung großer Probleme“.23 In dieser Phase scheint auch die Stadt selbst an utopischem Potenzial einzubüßen – ein Prozess, der sich im Denken Buckminster Fullers schon deutlich früher als bei Otto abzeichnet. In einer Vorlesung am Institute of Design in Chicago ermahnte der amerikanische Visionär seine Studierenden bereits 1949, dass Städte mit mehr als 50.000 Einwohner:innen der unmittelbaren Bedrohung der

21Für

anregende Hinweise in diesem Zusammenhang danke ich Peter Podrez. Oleiko und Thorsteinn (1971). 23Krisch (1999, S. 364). 22Vgl.

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­ uslöschung ausgesetzt und deshalb zu evakuieren seien.24 Wie Eva Díaz A beschreibt, stehen die geodätischen Kuppelarchitekturen Fullers und seiner Anhänger:innen in den gleichermaßen utopischen wie dystopischen 1960erund 1970er-Jahren (z. B. die von einer Hippiekommune erbaute ländliche Drop City) nicht zufällig für eine Wohnkultur, die auf dezentral und netzförmig verteilte nomadische Behausungen jenseits urbaner Zentren setzt.25 In der Bauform der Kuppel zeichnen sich demnach ebenso sehr Hoffnungen auf eine bessere Zukunft wie auch apokalyptische Ängste und Isolationstendenzen ab. Wenn also Fuller angesichts einer 1954 auf dem Life-Cover publizierten Fotografie der „Operation Ivy“ (Abb. 4.3) – eines amerikanischen Kernwaffentests auf dem Eniwetok-Atoll im Pazifik – heiter ausruft: „It is a geodesic dome!“26, so gilt seine Begeisterung allenfalls der Sphärenästhetik des Feuerballs. Selbst der Dome over Midtown Manhattan (1960), ein gemeinsames Projekt Fullers und des japanischen Architekten Shoji Sadao, gestattet hinsichtlich seines Zwecks eine doppelte Lesart: „ostensibly to provide a controlled climate and to economize on snow removal costs, but with an unavoidable implication that the dome could provide protection from nuclear fallout“27.

4.4 Kuppelmetaphorik: Von der Bombe zum Mutterleib, vom Bunker zum Glashaus Zu einem spannungsreichen Wechselspiel in der Semantisierung von Kuppeln kommt es nicht nur in der Stadtplanung, sondern auch in der Science-Fiction, vor allem in den terrestrischen Szenarien. Die Verquickung zwischen Kuppeln und Atomenergie befeuert auch die literarische Fantasie dahingehend, dass nukleare Schutzschilder in sphärischer Form gedacht werden.28 Psychoanalytische Lesarten dringen noch tiefer in die

24Díaz

(2011, S. 103) (Anm. 24). Díaz (2011, S. 94). 26Fuller (1975). 27Díaz (2011, S. 94). 28Dies ist auch das Novum einer Kurzgeschichte von James Blish, „The Box“ (1949). Das Fuller‘sche geodätische Modell wird gegen Ende der 1960er-Jahre zu einem wichtigen ideellen und ästhetischen Bezugspunkt der Science-Fiction-Literatur. Als Beispiele ließen sich die Romane von John Brunner (Stand on Zanzibar, 1968), Ben Bova (City of Darkness, 1976) und Frederik Pohl (The Years of the City, 1984) anführen, in denen das zukünftige New York mit einer Fuller-Kuppel ausgestattet ist. 25Vgl.

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Abb. 4.3  Farbfotografie der Explosion einer Wasserstoffbombe auf dem Cover des Life-Magazins (Life-Magazin 19. April 1954)

g­ eschlechtlich codierte Schutzmetaphorik ein: „[T]he city becomes symbolic of the desire to close in on the self, to return to the womb“, bemerkt Frederick Kreuziger. „The spatial structure of the future city itself speaks of this desire: the domed city is a womb in which humankind is nourished and protected against the onslaughts of change and the terrors of history.“29 Auch Fuller buchstabiert einige Minimalpaare dieser Art durch: „Thus man went from W-OM-B to T-OM-B via the H-OM-E. Even the B-OM-B is a derivative of dome as the superaccelerated explosive nativity container.“30

29Kreuziger 30Fuller

(1986, S. 63). (2010, S. 201).

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Allerdings rechtfertigt dieses Metaphernfeld noch lange nicht, Kuppelstädte pauschal „dem Raummodell ‚Bunker‘“31 zuzuordnen, wie Hans Krah dies ausgehend von Edmond Hamiltons Roman City at World’s End (1951) tut. Krah versteht den Bunker als „Un-Raum“, weil er die basale Funktion der Architektur nicht erfülle. Diese Funktion bestehe darin, durch die Etablierung von Grenzen zwischen innen und außen eine räumliche Ordnung hervorzubringen. Da im Falle des Bunkers aber gerade dieser „Übergang nach draußen […] prinzipiell nicht möglich“32 sei, stelle er keinen positiven und sinnstiftenden Innenraum dar. Negiert werde ferner auch die Grenze als raumstrukturierende Größe. Im Gegensatz zu dieser Argumentation meine ich, dass der Bunker, obschon er das Innen verabsolutiert, sehr wohl eine Grenze zum Außen definiert. Wie sollte er auch sonst funktionieren? Nur ist seine Grenze erdschwer und blickdicht – wohingegen sie in Hamiltons Geschichte über eine Stadt unter Glas nahezu entmaterialisiert ist und überwindbar bleibt, auch und vor allem für das Auge. Das Außen ist „prinzipiell wahrnehmbar und zugänglich“.33 Mit anderen Worten: Materialität und Permeabilität der Hülle sind hier von zentraler Bedeutung. Schließlich erfüllt die gläserne Überdachung bei Hamilton (wie auch schon bei MacIsaac, Wylie und Balmer) in erster Linie den Zweck, die Stadtbevölkerung gegen die frostigen Temperaturen einer erkalteten Erde zu schützen – womit wir im Kern der Glashaushypothese angekommen wären. Einerseits wohnt diesen Narrativen durch die Herstellung eines artifiziellen Klimas der Gedanke der Naturbeherrschung inne. Andererseits handelt es sich bei kuppelüberdachten Welten um fragile, geschlossene Ökosysteme, in denen das Überleben nur für eine begrenzte Anzahl von Lebewesen, noch dazu meist für einen sorgsam ausgewählten Bestand, gewährleistet werden kann. Immer wieder wird der Topos der gläsernen Kuppel in Verlustgeschichten eingeschrieben, in denen das einst selbstverständlich Verfügbare (Wärme, Energie, Nahrung, Luft) der Vergangenheit angehört. Wie das Glashaus des 19. Jahrhunderts dient auch die ­Glaskuppel oft dazu, „die Erinnerung an das Paradies – den allzeit gehegten

31Krah

(2004, S. 173). (2004, S. 173). 33Krah (2004, S. 173). 32Krah

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Traumgedanken – zu retten“34. Kuppelwelten sind Reservate, Zeitkapseln, Inkubatoren. Bei MacIsaac und Clarke fungiert die Kuppel sogar als Beatmungsmaschine35, was das Bewusstsein für limitierte Ressourcen, für die Notwendigkeit der Begrenzung des Verbrauchs sowie der Bevölkerungszahl schärft. Biopolitisch beherrscht wird mithin nicht nur die äußere, sondern auch die innere Natur (des Menschen). Bereits das Gewächshaus des 19. Jahrhunderts war „ein Louvre, in dem Meisterwerke der Natur in Form von erlesenen Pflanzenexemplaren versammelt und für die Zukunft geschützt wurden“36. Der Satz legt eine ganze Reihe semiotischer Komponenten im historischen Bautypus des Glashauses offen: eine starke Verflechtung mit der Geschichte der Kolonialisierung, die damit einhergehende Geste der Selektion, der Sammlung, Anordnung und Ausstellung, die sorgsame Pflege einer ökonomisierten Schaukultur. In unterschiedlichem Maße kommen diese Aspekte auch in den transparenten Kuppeln der Science-Fiction zur Geltung. In The Bubble (1966), einem der frühesten motivisch einschlägigen Filme, resümiert der verzweifelte Protagonist besonders treffend, wie sich die eingangs erwähnte Verschränkung von Musealität und Konservierung in einer gläsernen Beobachtungsanordnung anfühlt: „That plastic bubble around us, pieces of buildings and statues, the people in the streets, the way they keep doing the same thing over and over again, like they were under some kind of compulsion. It’s like they’re on an exhibition, like a living museum.“37 Wie Wolfe anmerkt, gibt es in der Science-Fiction zwei grundlegende erzähltechnische Muster, um mit dem Bild der Barriere als handlungsstrukturierender Grenze zwischen dem Bekannten und dem Unbekannten umzugehen: Legt man den Fokus auf das Hindernis selbst, so steht die Lösung dieses Rätsels und die Überwindung der Grenze im Vordergrund.38 Genau das passiert in The Bubble. Möglich ist es jedoch auch, dass die Barriere zweitrangig gegenüber der Kontrastierung und Darstellung jener Welten erscheint, die sie separiert.39 Die zuvor genannte Komponente der künstlichen Selektion im Glashaus unterstützt dieses Schema in hohem Maße. So dienen Kuppeln regelmäßig als visuelle Leitmetaphern – mal für

34Kohlmaier

und von Sartory (1981, S. 7). auch das Kapitel „Machines for Breathing“ in Abbott (2016, S. 45–69). 36Kohlmaier und von Sartory (1981, S. 8). 37Eigene Transkription. 38Wolfe (1979, S. 34). 39Wolfe (1979, S. 34). 35Vgl.

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kulturkritische Sozialdystopien, mal für rassistisch-chauvinistische Weltentwürfe, in denen die gläserne Wand nichts anderes darstellt als eine manifeste physikalische und ideologische Grenze innerhalb von gespaltenen Gesellschaften: eine Grenze, die eine technologisch avancierte, intellektuelle und/ oder wirtschaftlich privilegierte Elite von ‚primitiven‘, ‚barbarischen‘ und/ oder sozial deklassierten Menschen trennt. Aufgrund der strengen demografischen und versorgungstechnischen Begrenzung des Innen erhalten Science-Fiction-Kuppelvisionen vielfach eine überschaubare Dimension. Was sich unter der Glasglocke befindet, ist selten eine Metropole (wie in After Worlds Collide ); inszeniert wird häufiger ein kleinstädtischer Mikrokosmos mit ruralem Anstrich. Dies gilt übrigens auch für filmische Umsetzungen, wobei die Dimensionierung (zumindest bis zur Ära der Computer Generated Imagery [CGI]) gewiss auch eine Frage der technischen Machbarkeit ist.

4.5 Kuppelvisionen im Science-Fiction-Film der 1970er-Jahre Bezeichnenderweise befinden sich in Silent Running keine Stadtlandschaften, sondern die letzten Wälder der Erde unter Kuppeln.40 Der Botaniker Freeman Lowell reist mit drei weiteren Gefährten an Bord des Raumfrachters „Valley Forge“ durch das All. Sein Auftrag besteht darin, die verbliebenen Bestände der irdischen Flora (und Teile der Fauna) so lange am Leben zu erhalten, bis auf der Erde eine Wiederbepflanzung möglich wird. Der Protagonist pflegt die unter riesigen geodätischen Kuppeln angelegten Gärten seit acht Jahren mit mönchischer Hingabe. Seine Mitreisenden sind erst vor sechs Monaten als technisches Personal zu ihm gestoßen und der Mission gegenüber völlig gleichgültig. Als Zeitvertreib veranstalten sie Wettrennen mit Gokarts, mitunter auch quer durch die Gärten. Gleich zu Beginn des Films zeichnet sich dadurch eine grundsätzliche Spannung im Mikrokosmos des Raumschiffs ab. Bald erhält die Besatzung die Nachricht, dass das grüne Programm aus Kostengründen eingestampft wird. Um das Raumschiff schnellstmöglich finanziell rentablen Fahrten widmen zu können, sollen die Kuppeln mit atomaren Zündsätzen gesprengt werden. Der schockierte und verzweifelte Freeman tötet vor der Sprengung der letzten Kuppel die Besatzungsmitglieder. Fortan sind drei kleine Roboter 40Vgl.

Johnson (1972).

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seine einzigen Gefährten, die er in seinem Sinne umprogrammiert. Langfristig jedoch geht er an den Folgen seiner Tat – der moralischen Zerrissenheit und der Einsamkeit – psychisch zugrunde. Schließlich vertraut er den geretteten Pflanzenbestand dem letzten voll funktionsfähigen Roboter an und wählt selbst den Freitod. Beim Film handelt sich um das Regiedebüt des jungen Regisseurs Douglas Trumbull, der sich zuvor mit den Spezialeffekten für Stanley Kubricks 2001: A Space Odyssey (1968) einen Namen gemacht hatte.41 Silent Running steht in der ideellen und politischen Tradition der angloamerikanischen counterculture der ­ 1960er-Jahre, wobei aus deren breitem Themenfächer die Umwelt fokussiert wird.42 Das ökologische Anliegen wird mit einer kosmischen Perspektive verknüpft. Die ersten Erfolge der bemannten Raumfahrt bescherten der Menschheit bekanntlich nicht nur neue Fantasien von interplanetaren Reisen sowie von technisch-politischer Allmacht, sondern offenbarten gleichzeitig auch einen Blick auf die Blue Marble im dunklen Weltall. Die ikonischen Bilder des Heimatplaneten halfen, ein neues Bewusstsein dafür zu schaffen, dass es mit den zur Neige gehenden Ressourcen des „Spaceship Earth“43 zu haushalten gilt. Auf dem Spiel stand (und steht) insbesondere das ‚Grün‘ – das mit der urbanen Zivilisation seit der Industrialisierung Konkurrierende bzw. von ihr Verdrängte. In Trumbulls dystopischem 20. Jahrhundert hat es zuletzt nur noch in einem frei im Weltraum schwebenden Gewächshaus Platz. Dadurch, dass die Glaskuppeln auf einem Raumschiff – also in einem Zwischenraum zwischen der Erde und dem Hafen eines fremden Planeten – platziert werden, unterwandert der Film die typischen utopisch-kolonialen Erzählmuster, die in extraterrestrischen Kuppeldispositiven vorherrschen. Beunruhigender noch als der Tod der Biosphäre auf der Erde erscheint die anhaltende Ignoranz und Technologieversessenheit ihrer Bewohner, repräsentiert von den technokratischen Mitreisenden Freemans. Die Verbindung zwischen dem Mikrokosmos des Raumschiffs „Valley Forge“ sowie dem Makrokosmos des Raumschiffs Erde wird durch die Ausgestaltung der Kuppel weiter verstärkt. Als wichtigste Inspiration diente Trumbull das Climatron im Missouri Botanical Garden in St. Louis (Abb. 4.4): das erste Gewächshaus, das 1960 nach den Prinzipien von Fullers geodätischen Kuppeln errichtet wurde.

41Vgl.

Anderson und Meech (1972). (2006). 43Vgl. Fuller (1973) sowie auch Höhler (2015). 42Vgl. Turner

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Abb. 4.4  Das geodätisch überkuppelte Gewächshaus Climatron bei Nacht, St. Louis, 1960. (Foto: Missouri Botanical Garden)

Eine von Fullers Kernideen war Nachhaltigkeit: „doing more with less“44. Die sphärische Kuppelstruktur ist dank der Dreieckbausteine nicht nur äußerst robust, sondern erfasst auch das größte Volumen an Innenraum bei kleinstmöglicher Baufläche und Materialkosten.45 Sich auf diese Bauform zu beziehen, ist somit eindeutig ein umweltökonomisches Statement. Dennoch entbehrt der Film Silent Running nicht einer großen Portion Fatalismus, wird doch im Schlussbild der letzte Garten der Menschheit gerade von einem Roboter kultiviert. Das Problem ist letztlich nicht die Technik, sondern der Mensch. Genau umgekehrt verhält es sich mit der Mensch-Technik-Relation im Blockbuster Logan’s Run. Und obwohl dieser neunmal so teuer war wie Silent Running, kann er kaum mit dessen Bildern mithalten. Der realistische Kuppellook (Abb. 4.5), den Trumbull in seinem Low-BudgetExperiment mittels eines geschickten in-camera effect erzielen konnte,

44Fuller

(2010, S. 235). hierzu die Beschreibung des Konzepts der geodätischen Kuppeln auf der Webseite des Buckminster Fuller Institute: www.bfi.org/about-fuller/big-ideas/geodesic-domes. 45Siehe

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Abb. 4.5  Douglas Trumbull: Silent Running (1972), Filmstills aus der britischen DVDVeröffentlichung. (Universal Studios 2001)

sucht s­einesgleichen in der prädigitalen Ära.46 Nichtsdestoweniger ist auch Andersons Film von einem starken Innovationswillen geprägt. Visuell und szenisch transportiert werden sollte die Idee einer computertechnisch durchdrungenen, aber auch ökologisch ausbalancierten Stadt des 23. Jahrhunderts. Laut Vorspann haben sich die Überlebenden der Kriege, der Überbevölkerung und der Umweltverschmutzung vergangener Jahrhunderte in

46Vgl.

Kermode (2014).

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diese Stadt zurückgezogen und sich von der Außenwelt abgeschottet. Die Bevölkerung lebt ausschließlich für den körperlichen Genuss, was sich im Konsum von Drogen, Genussmitteln und Sex ausdrückt. Der Zuschauer:in wird ein Garten der technisierten Lüste und Körper präsentiert. Ist das Gewächshaus des 19. Jahrhunderts „der Ort fabrikmäßigen Wachstums pflanzlicher Natur“47, so leistet die Kuppelstadt in Andersons Film Ähnliches für die menschliche Spezies. Zu Beginn werden Brutkästen mit Säuglingen gezeigt, die, wie sich herausstellt, allesamt in maschinell betreuten Kinderhorten aufwachsen werden. Ein in die Handfläche implantiertes, je nach Alter verschiedenfarbig leuchtendes Kristall vernetzt die Menschen mit dem Zentralcomputer, der auf diese Weise die gesamte Population überwachen und die Lebenszeit einheitlich auf 30 Jahre begrenzen kann. Dieser Existenzbeschränkung stellen sich beileibe nicht alle freiwillig: Die ‚Runner‘ zweifeln an der Todesdoktrin und auch an der Möglichkeit der Reinkarnation (‚Erneuerung‘) im sogenannten Karussell. Jene, die dem tödlichen Ritual entfliehen, werden von bewaffneten Polizisten, den ‚Sandmen‘, gejagt. Der Protagonist Logan ist einer von ihnen. Nach einer Eliminierungsaktion erhält er vom Zentralcomputer den Auftrag, das ‚Sanctuary‘, die mutmaßliche Zuflucht der bislang entkommenen Läufer:innen, ausfindig zu machen und zu vernichten. Um den Rebell:innen unentdeckt auf die Spur zu kommen, wird Logans Lebenszeit allerdings drastisch reduziert, sodass die Flucht mit einem Mal kein gewöhnlicher Einsatz mehr ist. Begleitet wird er von einer jungen Frau, die ihm Zugang zum Netzwerk der Läufer:innen ermöglicht. Der erste Teil des Films spielt in der Stadt. Und wie der Producer Saul David berichtet, sollten die Kulissen etwas ganz Neues bieten. Sie sollten sich insbesondere von den enorm wirkmächtigen Szenenbildern in Fritz Langs Metropolis (1927) abheben.48 Das Ergebnis ist eine Stadtlandschaft, die ihren Modellcharakter keine Minute leugnen kann. Die im Vorspann gezeigten undurchsichtigen Kuppeln wirken wie billige Plastikdeckel und das städtische Interieur vermittelt keinen überdachten Eindruck (Abb. 4.6). Das urbane Setting wird von kurvigen Tribünen und metallisch glänzenden Pyramiden bestimmt. Diese sind durch gläserne Röhren verbunden, in denen elektrische Fahrzeuge verkehren. Tatsächlich zeugt das Stadtbild von ökologischen Überlegungen, ist von großzügigen Grünflächen und Promenaden durchsetzt. Die Innenszenen wurden in einer Shopping Mall gedreht, was das

47Kohlmaier 48Vgl.

und von Sartory (1981, S. 89). David (1976, S. 636).

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Abb. 4.6  Michael Anderson: Logan’s Run (1976), Filmstills aus der britischen DVDVeröffentlichung (Turner Entertainment Co. und Time Warner Company 2008)

konsumistische Dasein der Gesellschaft akzentuiert. Neben den Rolltreppen und bunten Neonlichtern sorgen zusätzlich spiegelnde Oberflächen für eine sterile Atmosphäre der Umgebung. Der zweite Teil des Films zeigt die Suche nach der Zuflucht, die schon sehr bald aus der Stadt herausführt. Die Fliehenden finden heraus, dass alle bisherigen ‚Runner‘ von einer teils menschlichen Robotergestalt namens Box eingefroren wurden – womit die dem Glashaus ohnehin inhärente technische Geste der Konservierung an dessen Schwelle einmal mehr unterstrichen wird. Erst nachdem Logan Box ausgeschaltet hat, können die Protagonist:innen endlich nach außen gelangen. Unterwegs stoßen sie auf die von der Natur zurückeroberten und menschenleeren Ruinen von Washington D.C. Der einzige Mensch, dem Logan und seine Begleiterin hier begegnen, ist ein alter Mann, der nichts von der Existenz eines ‚Sanctuary‘ weiß, dafür aber über die familiär geprägte Kultur vergangener Zeiten erzählt. Vor diesem Hintergrund ficht der Protagonist einen letzten Kampf mit seinem unbelehrbaren Freund aus, einem ‚Sandman‘, der ihn bis hierhin verfolgt

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hat. Dabei muss der ‚Sandman‘ als Verkörperung der Prinzipien der künstlichen, isolierten und überholten Kuppelwelt sein Leben lassen. Er stirbt mit den versöhnlichen Worten, Logan sei ‚erneuert‘. Die ohnehin ganz erhebliche Abweichung des Drehbuchs von der Romanvorlage49 ist wohl an diesem Punkt am größten. Im Roman gibt es nämlich ein ‚Sanctuary‘. Die Protagonist:innen erreichen dies mit einem Raumschiff, das zum Mond fliegt. Von diesem ­New-Age-Elan lässt der Film nichts übrig. Die weitere Suche nach dem Heiligtum erübrigt sich, denn die Vaterfigur ist das lebendige Versprechen, dass alle verloren gegangenen Bindungen des Menschen – zur Natur wie zu den Mitmenschen – wiedererlangt werden können. Folgerichtig kehrt das Paar in der Begleitung des alten Mannes zur Kuppelstadt zurück und führt die Befreiung der Bevölkerung herbei. Der Film- und Kulturwissenschaftler Adilifu Nama liefert in seinem Buch Black Space. Imagining Race in Science Fiction Film50 eine äußerst plausible Deutung des Films. Hierbei geht er von der Beobachtung aus, dass der einzige schwarze Schauspieler der Geschichte in der glänzenden Box des ebenso benannten Roboters versteckt ist und dergestalt nur durch seine Stimme in Erscheinung tritt. Nama zufolge inszeniert Anderson eine Parabel auf die Implosion der gegenkulturellen Linken und deren Ideale. Der Tod im Karussell führe den hohen Preis der hedonistischen Lebensweise, des Drogenkonsums und der freien Liebe plastisch vor Augen. Die Situation, in welcher der Roboter Box die Suche der „Runner“ nach der Freiheit blockiert, erinnere, so Nama weiter, an den Sackgassenstatus des weißen Aktivismus zu Zeiten der Bürgerrechtsbewegung. Greifbar werde in Logan’s Run die soziopolitische Desillusionierung der weißen Linken, die nach den Exzessen der 1960er-Jahre doch nicht zu einem utopischen Ort (‚Sanctuary‘) gefunden hatten und sich der Notwendigkeit der Erneuerung stellen mussten.51 Im Vergleich mit der Buchvorlage wirkt die diesbezügliche Botschaft des Films noch kategorischer, als von Nama dargelegt. Sie lautet: Orientierung können ausschließlich die traditionellen Werte der amerikanischen Kultur bieten. Entsprechend sucht das weiße Paar nicht nur die wichtigsten symbolischen Stationen der amerikanischen Demokratie auf, sondern besinnt sich auch auf die von der Hippiegeneration verschmähten Institutionen der Familie und Ehe. Schwarze haben dabei augenscheinlich

49Vgl.

Nolan und Johnson (Nolan and Johnson 2015). (2008). 51Nama (2008, S. 24 ff.). 50Nama

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weder in der Gegenwart noch in der Vergangenheit oder Zukunft einen integralen Platz. Die Zerstörung der Kuppeln als Symbole einer obsoleten gesellschaftlichen Abgrenzung vermag die Beibehaltung dieser anderen ­race-basierten Grenze nicht zu kaschieren. Nama resümiert folgendermaßen: „Arguably, if ever there was a science fiction film that predicted the future, this was one that succeeded. It foreshadowed the conservative shift in the American sociopolitical landscape and the ‚renewal‘ of American conservatism that emerged in the 1980s.“52 Insgesamt laufen in Logan’s Run wichtige Tendenzen der ­1970er-Jahre zusammen, die noch prägnanter hervortreten, wenn man das dritte Filmbeispiel Zardoz53 als Vergleich hinzuzieht. In dieser Zukunftsvision hat sich ebenfalls eine kleine Gemeinschaft von der Außenwelt isoliert: Ihr Reich namens Vortex wurde angesichts einer sterbenden, chaotischen und verelendeten Welt hinter einem transparenten Schutzschirm gegründet. Von Anfang an wurde das Schicksal der Gruppe in die Hände einer maschinellen Intelligenz gelegt. Durch einen in die Stirn gepflanzten Kristall sind alle Vortex-Bewohner sowohl mit diesem sogenannten Tabernakel, das ebenfalls von kristalliner Gestalt ist, als auch miteinander verbunden. Zudem sind sie, die ‚Ewigen‘, unsterblich. Im Gegensatz zur Gesellschaft in Logan’s Run lebt diese nicht für Konsum und Körperlichkeit. Denn im Vortex ist nicht nur der Tod eine Sache der Unmöglichkeit, sondern auch Sexualität. Ziel ist die Bewahrung der Schätze der Zivilisation und der Vergangenheit, die Erforschung der ungelösten Mysterien des Universums und die intellektuelle Vervollkommnung des Menschen. Allein das Geheimnis des ewigen Lebens wurde zusammen mit den Erinnerungen an die Erbauung des Tabernakels gelöscht. Statt der Diktatur der sinnlichen Immanenz herrscht in dieser Welt der Zustand einer esoterisch anmutenden Transzendenz in Gleichheit, Demokratie und endloser Langeweile. Die verarmte Bevölkerung der Außenwelt wird mit Waffengewalt unterdrückt und zur landwirtschaftlichen Versorgung der Elite gezwungen. Klüfte gibt es jedoch auch innerhalb des Vortex. Alter zum Beispiel ist unter den Ewigen ein stigmatisierter Zustand, eine Strafe, die den andersdenkenden ‚Abtrünnigen‘ widerfährt. In diese Konstellation dringt eines Tages der ‚Barbar‘ Zed ein und bringt die sinnentleerte Welt zum Einsturz. Zum Schluss wird jedoch deutlich, dass die Vernichtung des Vortex weitgehend dem Plan des Tabernakels entsprach. Nur

52Nama 53Vgl.

(2008, S. 27). Pusch (1986).

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über menschliche Akteure hat dieses einen Weg zur Zerstörung der lebensfeindlichen Umgebung und Haltung der Ewigen finden können. Die scheinbar progressive Botschaft von Zardoz, die Herrschaft einer dekadenten Machtelite zu hinterfragen, wird durch den Umstand konterkariert, dass der Sturz der Kuppelwelt – wie auch schon in Logan’s Run – mit der Restitution früherer Werte einhergeht: Statt der Kommune soll das traditionelle Modell der nuclear family wiederkehren. Außerdem ist die konservative Wende doch auch eine technikskeptische. Dies kommt in einer Szene zum Ausdruck, in der das Vortex als ein Raumschiff bezeichnet wird, mit dem die Reise zu den Sternen möglich geworden sei. Anschließend wird jedoch die Sternenreise nicht als wahr gewordener Traum, sondern als eine (weitere) Sackgasse der Menschheit identifiziert und somit auch in Zardoz eine desillusionierte Haltung gegenüber der Weltraumfahrt in der Spätphase des Space Race spürbar.

4.6 Fazit Die Kuppelfilme der Science-Fiction der 1970er-Jahre markieren den vorläufigen Höhepunkt einer Entwicklung, die sich in der Literatur ab den frühen 1930er-Jahren abzeichnet: Getrübt wird die einst so luzide saponische Vision nicht nur von einer zunehmend skeptischen Einstellung gegenüber technisch-wissenschaftlichem Fortschritt, sondern von einem grundlegenden Sinnesverlust. Bereits in den besprochenen Texten stellt sich die Frage, weshalb die in der Vergangenheit vielleicht überlebenswichtigen gläsernen Kuppeln in der Gegenwart überhaupt noch notwendig sind. Mit anderen Worten: Was in Vergessenheit gerät, ist der Grund für die Notwendigkeit von Barrieren selbst. Doch anstatt einer ­(selbst-) kritischen Reevaluation der Situation führt die geschlossene Anordnung der Kuppel oftmals zur Erhärtung der Fronten zwischen innen und außen. Ironischerweise befindet sich die zu überwindende Grenze mitunter auch gar nicht dort, wo dies (erst die Schriftsteller und später) die Filmemacher suggerieren, d. h. etwa zwischen Mensch und Natur oder zwischen Mensch und Maschine. Am deutlichsten tritt dies durch die rassistisch grundierte konservative Wende in Logan’s Run zutage: Hier nimmt die zu bekämpfende maschinelle Größe nicht nur in dem Supercomputer Gestalt an, der unter den Kuppeln eine radikale Biopolitik betreibt, sondern auch in der Grenzfigur Box, der den Weg zurück zu den traditionellen amerikanischen Idealen versperrt. Die anderen beiden Filmbeispiele zeichnen in ihrer Haltung zur Technik ein differenzierteres Bild. In diesen Fällen sind es eben nicht

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die Maschinen, die sich bei der Lösung der Aufgabe, etwas Wertvolles zu bewahren, diskreditieren. Trumbulls Gärtner zieht zum Schluss gerade den Menschen aus der Gleichung, um die Pflanzenwelt zu retten. In Boormans Film ist es wiederum insgeheim das Tabernakel, das die Teilung der Gesellschaft durch das Vortex aufzuheben bestrebt ist. Auf die eine oder andere Weise schreiben schließlich alle Kuppelfilme die Eigenlogik des Glashauses fort: Silent Running präsentiert die unter Glas gestellte und derart konservierte Natur, Zardoz verfährt ähnlich mit dem Wissen und der daraus entspringenden Macht einer intellektuellen Elite und Logan’s Run setzt ein Gewächshaus der menschlichen Körperlichkeit in Szene. Zur Untersuchung urbaner Zukünfte steuern die vorgestellten Kuppeldispositive analytische Linsen bei, die für die Wahrnehmung von dichotomischen und kolonialen Denkmustern sensibilisieren. Dies gilt auch mit einem abschließenden Blick auf aktuelle Utopien sowie Pilot- und Großprojekte im Bereich der Architektur und Stadtplanung, wo gläserne Kuppelbauten als symbolische Träger politischer Transparenz (wie im Falle des Berliner Reichstags oder des Parlamentgebäudes von Kutaissi/Georgien), als räumliche Anordnungen der Kreativität und Naturnähe (so z. B. die Spheres des Onlinehändlers Amazon) oder auch als zukunftsweisende Realisierungen nachhaltiger Energiekonzepte (wie der schwimmende Pavillon in Rotterdam) gerühmt werden. Ohne diese Vorzüge in Abrede und Glaskuppeln unter einen ideologischen Generalverdacht zu stellen, sei angemerkt, dass sich in den aktuellen Beispielen der Baukultur nicht nur die Bauform und -materialität aus altbewährten technisch-utopischen Mustern speisen, sondern auch die damit einhergehende Rhetorik: Die bereits den Glashäusern des 19. Jahrhunderts inhärenten Widersprüche – wie die seltsame Verschränkung von Offenheit und Kontrolle sowie von Freiheit und Grenzen – kehren in der Gegenwart wieder. Die neuerliche Häufung von Kuppeldispositiven stimmt umso nachdenklicher, als schon die historischen Vorbilder von vielfältigen Mechanismen der gesellschaftlichen In- und Exklusion durchdrungen waren.

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5 Hypertrophe Megastrukturen: Utopische Architekturkonzepte der Nachkriegszeit in den Stadtvisionen der Blade-Runner-Filme Marc Bonner

M. Bonner (*)  Köln, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Steinborn und D. Newiak (Hrsg.), Urbane Zukünfte im Science-Fiction-Film, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61037-4_5

65

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5.1 Megastrukturen und Megacities Nach Sonja Hnilica sprengen Großstrukturen „die klassische Unterscheidung zwischen Haus und Stadt“1. Größe galt in der Architekturgeschichte immer als sakrale oder weltliche Machtrepräsentation. Die totalitären Bauten des Nationalsozialismus, Albert Speers megalomanes Modell für Berlin als Welthauptstadt Germania sowie die hypertrophen Schaltzentralen in den ehemaligen ­Warschauer-Pakt-Staaten zeugen davon. Trotz expressiver und teils abstruser Propagandaarchitektur während des Kalten Krieges in Ost und West – hier sei nur an die 1957 erbaute „Schwangere Auster“ von Hugh Stubbins (heute Haus der Kulturen der Welt) erinnert, oder an den dem Sputnik-Satelliten ähnelnden, 1969 vollendeten Berliner Fernsehturm, der als landmark alles überragt und mit seiner funkelnden Sphäre die Blicke des Klassenfeindes bündeln sollte – wird Größe in der Nachkriegszeit jedoch positiv konnotiert. Größe wird zum Marker des Fortschrittsglaubens, sodass auch verwirklichte Projekte, als Prototypen verhandelt, einen utopischen Gehalt evozierten. Großstrukturen wurden vornehmlich für Universitäten, Krankenhäuser, Wohnungsbauten und kulturelle Einrichtungen im Sinne einer Verbesserung gesellschaftlicher Umstände erdacht. Während der 1960er-Jahre kristallisierte sich hierbei ein spezifisches, utopisches Bild von Architektur heraus, deren Zukunftsgewandtheit im Besonderen die Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs kompensieren und im Wettrennen um die Vorherrschaft im Erdorbit technische und urbane Utopien hervorbringen sollte: die Megastruktur. Ralph Wilcoxon formulierte in Rekurs auf die japanische Architektengruppe der Metabolisten, im Speziellen Fumihiko Maki und Kenzo Tange, 1968 vier Hauptmerkmale der Megastruktur: So muss sie modular konstruiert und für eine theoretisch uneingeschränkte, endlose Erweiterung ausgelegt sein. Damit einhergehend soll das langlebige Tragwerk in Form einer Gitterstruktur kleinere Einheiten in sich bergen, die zwar eine kürzere Lebensdauer haben, aber austauschbar sind.2 Nach Hnilica sollte die Megastruktur „die Kluft zwischen Komposition und Partizipation überbrücken. Die Idee war, ein großes, von einem Architekten entworfenes, dauerhaftes Gerüst mit kleinen kurzlebigen, kollektiven Elementen zu kombinieren.“3

1Hnilica

(2018, S. 5). (1968, S. 2). 3Hnilica (2018, S. 6, vgl. S. 177, 181). 2Wilcoxon

5  Hypertrophe Megastrukturen: Utopische Architekturkonzepte …     67

Neben der architektonischen war der Megastruktur also auch eine gesellschaftliche Utopie inhärent. Bereits 1976 degradierte der Architekturkritiker Reyner Banham die Megastruktur, die er 1965 mit ihren modularen, endlos erweiterbaren Trägerstrukturen noch als Zukunft des Städtebaus propagiert hatte, zum Dinosaurier der Moderne.4 Dies überrascht, da in dieser Zeit mit dem von Renzo Piano und Richard Rogers erbauten Centre Georges-Pompidou in Paris eine erste, zumindest in überschaubares Maß destillierte Megastruktur im Bau war. Zugleich ist es auch wenig überraschend, weil Banham immer das nicht Alltägliche, die aktuellste Avantgarde für die Zukunft der Stadt und das Gute der Architektur hielt. So verglich er 1968 die Kulissen von Stanley Kubricks 2001: A Space Odyssey (1968) mit Roger Vadims Barbarella (1968) und attestierte der organischen Membranarchitektur des letzteren Films, der „software“, den Sieg über die rational-geometrischen Maschinenkonventionen, die „hardware“, des erstgenannten.5 Dies begründete er u. a. mit der Ästhetik, die möglichst weit weg von vernarbten Kriegslandschaften und Stadtruinen und somit auch von der Alltagswirklichkeit war.6 Lediglich in Japan schien das Kompensationspotenzial der Megastruktur im Angesicht zweier nuklearer Detonationen länger anzuhalten. Die Metabolisten waren mit Nachdruck damit beschäftigt, kleinere Segmente ihrer hypertrophen und hypothetischen Megastrukturen7 zu verwirklichen. Ein Beispiel hierfür ist Kisho Kurokawas 1972 errichteter Nakagin Capsule Tower in Tokio (Abb. 5.1), ein Wohnturm, an dessen vertikalem Schaft 140 Wohnboxen modular angehängt und in 14 Stockwerken gestaffelt sind. Dieses

4Vgl.

Banham (1967, S. 166–173) und Banham (1976). Banham (1981, S. 133–136). 6Für Banham zeigt Barbarella die absolut zeitgenössische Vorstellung zukünftiger Architektur mit ihren flexiblen Oberflächen, aufblasbaren Plastikmembranen als adaptierbare und modulare Strukturen. Kubricks Vision hingegen produziere den Nachgeschmack der Maschinenästhetik der 1950er-Jahre. 2001: A Space Odyssey und Barbarella stehen so mit ihrer Kulissenarchitektur auch für zwei Subgenres der Science-Fiction: die hard science fiction und die space opera. Auch wenn Barbarella unbestreitbar die organischeren Architekturvisionen aufweist, ist Banhams Argumentation kritisch betrachtet strittig. Gerade die Interieurs der Raumschiffkulissen in 2001: A Space Odyssey sind Schaustücke des ­Space-Age-Designs, wie es zum Beispiel auch der dänische Architekt und Designer Verner Panton aus der Pop-Art heraus für den Alltag entwickelte. Gerade in den 1970er-Jahren wirken dessen Möbel und Einrichtungen gar wie eine Schimäre aus Barbarellas Organmethaphern und dem organischen Space Age, wie es durch 2001: A Space Odyssey ikonisch wurde. 7Vgl. Koolhaas und Obrist (2011). 5Vgl.

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Abb. 5.1  Kisho Kurokawa: Nakagin Capsule Tower, Tokio 1970–1972. (© Nathan Willock, VIEW, picture alliance)

System könnte theoretisch ins Unendliche fortgeführt werden und ist sowohl Beweis für architektonische Machbarkeit der Megastruktur und somit auch der Vision der zukunftsgewandten, alternativen Gesellschaftsform als auch Zeugnis urbaner wie sozialer Unzulänglichkeiten der Alltagswirklichkeit. Der Nakagin Capsule Tower kann als Schaustück des Prinzips Megastruktur gelten. Lange von der städtischen Verwaltung vernachlässigt, sollte das ikonische, im Verfall begriffene Bauwerk 2007 zugunsten eines konventionellen Hochhauses abgerissen werden, da nur ein Teil der Wohnboxen noch bewohnbar ist.8 Als Prototyp der Austausch- und Verwertbarkeit

8Japan

Property Central (2018).

5  Hypertrophe Megastrukturen: Utopische Architekturkonzepte …     69

urbanen Wohnraums könnten die einzelnen Wohnboxen theoretisch durch neue, den heutigen Standards entsprechenden Module ersetzt werden. Dies hatte Kurokawa auch vorgesehen, er verstarb jedoch 2007. Die Megastruktur war seit jeher als ein Architektur gewordener Kreislauf aus nachhaltiger Tragstruktur mit temporären Bauvolumina erdacht. Der neue Eigentümer des Grundstücks sieht dies jedoch nicht vor. Der Erhalt des Nakagin Capsule Tower ist gefährdet und spaltet die unter den Bedingungen leidenden Bewohner, enthusiastische Architekturkritiker und an Gewinnmaximierung orientierte Eigentümer.9 Die Megastrukturen, die – wie Maki es 1964 definierte – eine Stadt oder einen dominanten Teil der Stadtlandschaft beherbergen und selbst zur Landschaft werden sollen,10 schienen im Architekturdiskurs bereits nach einer Dekade nicht mehr als Gedankenexperiment und Utopie einer möglichen, im Aufbruch befindlichen Gesellschaft der Raumfahrer verhandelt zu werden. Kenzo Tanges Projekt Plan for Tokio 1960 zur Überbauung der Tokioter Bucht als Erweiterung der Stadt übt bis heute eine Faszination auf ScienceFiction-Production-Designer und Architekten aus: Eine rasterförmige, weitverzweigte Brückenstruktur sollte dauerhaft die 20 km breite Bucht überspannen. Daran angehängt wären individuelle, kurzlebigere Wohn- und Arbeitsmodule sowie bis zu 250 m hohe Wolkenkratzer als Knotenpunkte.11 Die italienischen Gruppen Archizoom Associati und Superstudio verstanden die Megastruktur hingegen als polemisches, systemkritisches Mittel: In ihren durch die Ästhetik der Pop-Art codierten Collagen wie No-Stop City (1969) oder Il Monumento Continuo (1969) wird die Megastruktur ein spielerisch ins Absurde überzogenes, über den Globus laufendes und alle natürlichen wie auch artifiziellen Topografien überfangendes Architekturband zur Reflektion zeitgenössischer, urbaner Schieflagen und kapitalistischer Ausbeutung.12 Die wohl bekanntesten, da spektakulärsten Megastrukturkonzepte stammen von den beiden Mitgliedern der britischen Archigram-Gruppe Peter Cook und Ron Herron aus dem Jahr 1964. Mit Plug-In City und

9Japan

Property Central (2018). (1964, S. 8). 11In Cyberpunk-Mangas und -Animes der 1980er- und 1990er-Jahre – wie Appleseed, Akira oder BLAME! – wurden die Megastrukturen der Metabolisten zwar als urbane Zukunft in Bildsequenzen verlebendigt, aber zu dystopischen Kulissen totalitärer, kapitalistischer Regime gewendet. Dieses Phänomen wird für das B ­ lade-Runner-Universum noch dargelegt (Nihei (1998); Otomo (1982); Shirow (1985– 1989)). 12Stauffer (2008, S. 193–198); vgl. Hnilica (2018, S. 118). 10Maki

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Walking City sollten Lösungen für die immer größer werdenden Ballungszentren geschaffen werden. Oder war es ebenfalls eine provokative Projektion zur Reflektion der Missstände, ohne einen konkreten Lösungsweg aufzuzeigen? Die damit einhergehende zukunftsgewandte Technikeuphorie avancierte mit genügend Abstand zum Schrecken der Kriegsmaschinen des Zweiten Weltkriegs zur dominanten Formästhetik und ließ auf dem Papier gigantische Maschinen entstehen.13 Darin wurden völlig neue Alltagswelten und -praktiken imaginiert. Cooks Plug-In City sah die Raumkapsel als kleinste Struktureinheit vor, die, in riesigen Tragwerken eingehängt, zum zentralen Moment zukünftigen urbanen Wohnens wurde. Cook wollte damit ermöglichen, dass Bewohner:innen mit ihren Wohncontainern weltweit mobil waren und sich theoretisch, modernen Nomaden gleich, an jede andere Plug-In City der Welt angliedern könnten. Die Megastruktur dominierte also die Horizontale, auch wenn sie zum Teil vom Erdboden erhöht erdacht wurde. In Herrons Walking City war die komplette Stadtstruktur als mobiler Koloss erdacht, der sich gleich einem gigantischen Kreuzfahrtschiff und wohl in Rekurs auf die Romantik der ocean liner des frühen 20. Jahrhunderts auf der Welt fortbewegt. Megastrukturen sind dem Spektakel verhaftet und erfordern scheinbar endlos zur Verfügung stehende Materialien, Rohstoffe und Arbeitskräfte. Dabei erscheint es aus heutiger Sicht skandalös, dass es keinerlei ökologische Sensitivität gab. Diese Megastrukturen erfordern Mittel, die nur unter menschenwidrigen, fragwürdigen Umständen von global operierenden Konzernen oder modernen „Pharaonen“ verwirklicht werden könnten. Es ist zu fragen, wie diese hypertrophen und hypothetischen Städte ökologisch sein könnten oder sein wollten, und man kann mit Blick auf den heutigen Klimawandel froh sein, dass sie nicht verwirklicht wurden. Anfang der 1980er-Jahre, als Ridley Scott den ersten Blade-Runner-Film drehte, war die Megastruktur im Architekturdiskurs nicht mehr en vogue. Der Begriff „Megastruktur“ wurde diffuser und umfasste von den ursprünglichen Merkmalen schließlich nur noch das Verständnis für eine hypertrophe Größendimension sowie eine technizistische Formensprache,14 die nicht zwangsläufig eine Zukunftsgewandtheit verkörpert. Ob nun als verzweigtes Netzwerk, Gebäudegruppe oder monolithisches Bauvolumen ist dabei ebenso zweitrangig wie der Aspekt kleinerer austauschbarer, den Organismus der Megastruktur konstituierender Architektureinheiten mitsamt deren 13Kürzlich erschien ein großformatiger Band, der erstmals alle Projekte und sämtliche Publikationen der Archigram-Gruppe vereint. Vgl. Chalk et al. (2018). 14Hnilica (2018, S. 202).

5  Hypertrophe Megastrukturen: Utopische Architekturkonzepte …     71

gleichberechtigtem, partizipatorischem Potenzial. Derart zum Oberflächenphänomen vereinfacht, hielt die Megastruktur als urbane Kulisse Einzug in Science-Fiction-Filme. Als eine alternative, aus Sicht der städtischen Obrigkeiten dystopische Version der Megastruktur können die informellen Siedlungen in der Peripherie der Megacities in Südamerika, Südafrika und Indien verstanden werden. Der temporäre und modulare Charakter sowie das kreative Potenzial werden von Aleem Walji als Lösung urbaner Probleme gesehen. Daher fordert er, die informellen Gemeinschaften in die zukünftige Stadtplanung zu integrieren, anstatt sie auszugrenzen oder zu bekämpfen.15 Die derzeit geteilten Städte sieht Walji als Versagen der Kommunalpolitik.16 Er appelliert an eine kollektive Fähigkeit, Kreislauf- statt Einwegsysteme zu etablieren, und stellt sechs Kernthesen für eine zukunftsgewandte, nachhaltige Stadt des 21. Jahrhunderts auf, die nur durch „soziale Gerechtigkeit und politische Teilhabe“ sowie „ökologische Regenerierung“ möglich ist.17 Andri Gerber und Philippe Koch argumentieren ähnlich kritisieren jedoch, dass Favelas bzw. informelle Siedlungen im Diskurs um mögliche, alternative Stadtplanungen zu sehr romantisiert werden.18 Mit Kowloon Walled City existierte von 1947 bis 1992 ein illegales, von der Stadt Hongkong nicht reguliertes Viertel von ca. 300 organisch miteinander verbundenen Hochhäusern, in denen über 50.000 Menschen lebten.19 Steter Zulauf erzwang eine immer höhere Verdichtung der Struktur auf gleichbleibender Grundstücksfläche. Die historisch aus einem Militärposten heraus unkontrolliert gewachsene Megastruktur wurde schließlich Streitobjekt zwischen der britischen Kolonialmacht und China. Fotografien der rhizomatisch ineinander verschachtelten und aufeinander gestaffelten Megastruktur erinnern zwangsläufig an die Straßenszenerien und Häuserschluchten im Blade-Runner-Universum, die so ikonisch für unzählige Science-Fiction- und Cyberpunk-Filme wurden (Abb. 5.2). Die Megastrukturen und somit das Versprechen, urbanes Chaos und Wucherungen zu organisieren und zu regulieren, harren also noch ihrer Verwirklichung. Die Megacities, also Städte mit mehr als 10 Mio. ­Einwohnern,

15Walji

(2014). die Fotografien Johnny Millers in seiner Serie Unequal Scenes (2016): unequalscenes.com/ projects. 17Walji (2014). 18Vgl. Gerber und Koch (2017, S. 8–16), hier S. 13 ff. 19Vgl. Girard und Lambot (2014); vgl. Lau et al. (2018); Hnilica (2018, S. 166). 16Vgl.

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Abb. 5.2  Kowloon Walled City, Hongkong 1947–1992. (Foto: © Greg Girard, mit freundlicher Genehmigung, s. a. http://www.greggirard.com/work/city-of-darknessrevisited-(book)-13)

sind hingegen gebaute Alltagswirklichkeit, Wucherungen aus unzähligen Einzelbauten und als Verkörperung des freien Marktes mittlerweile gelebter und erlittener Alltag. Sei es Mexiko-Stadt, Hongkong, Beijing, Tokio, Mumbai oder die unzähligen in China entstehenden I­n-vitro-Städte. Die in immer kleineren Abständen angehäuften Auswirkungen der Klimakatastrophe, die allgemeine (teils erzwungene) Landflucht sowie die jenseits aller Kontrollen wuchernden Metropolen der Schwellenländer erfordern seit einigen Jahren wieder verstärkt Architektur- und Stadtutopien, die sowohl im urbanistischen und architekturtheoretischen Diskurs als auch in fiktiven Bildwelten der Populärkultur vornehmlich visuell als Dekor oder Oberflächenästhetik thematisiert werden. Charakteristisch für die Megacity sind monolithisch-vertikale Großbauprojekte. Sie dominieren den globalpolitisch geprägten Wettlauf, den Frank Lloyd Wrights Utopie des sich selbst versorgenden The ­Mile-High Illinois (1956), Hugh Ferriss’ Manhattan von Morgen (1929) oder Fritz Langs wegweisende Stadtvision in Metropolis (1927) verstärkten und auf populärkulturelle Diskurse ausweiteten.20 Heutige Megacities und weltumspannende Konzerne bevorzugen Wolkenkratzer im Wettlauf um

20Vgl.

Ferriss (1929).

5  Hypertrophe Megastrukturen: Utopische Architekturkonzepte …     73

das höchste Bauwerk und die höchsten Grundstückspreise der Welt. Turmstrukturen als Zeichen der Macht sind seit jeher in Form von Kirchen-, Rathaus- und Geschlechtertürmen (vgl. San Gimignano oder Bologna) oder Corporate Buildings tradiert.21 Die implizierte Antiterritorialität und soziale Komponente der Megastrukturen scheint in weite Ferne gerückt. Megalomane Bauten wie der Burj Khalifa (Adrian Smith/Skidmore, Owings & Merill 2004–2010) mit 828 m Höhe erreichen zwar fast schon Frank Lloyd Wrights Sehnsuchtshöhe von einer Meile, sie sind jedoch „virtuelle Architekturen“ im Sinne Jean Baudrillards, die lediglich ihre eigene technische Verfasstheit ausstellen, keinen urbanen Mehrwert erzeugen und als Fanale des Kapitalismus ihre Leere jenseits jeglicher ökonomischer und ökologischer Effizienz verkörpern.22

5.2 Science-Fiction und Architektur Der Bezugspunkt von Fantastik und Science-Fiction zur Alltagswirklichkeit ändert sich von Epoche zu Epoche und gar von Dekade zu Dekade. Die in ferne Zeiten und/oder an ferne Orte projizierten Handlungen der Science-Fiction sind immer an unseren wissenschaftlichen, technologischen Stand gekoppelt. Die Kontinuität unserer Wirklichkeit zur Science-Fiction wird laut Simon Spiegel vornehmlich über eine szientistische Ikonografie erzeugt. So werden Nova als Fremd- oder Neuartiges wie etwa hypertrophe Megastrukturen und kilometerlange Raumschiffe durch konventionelle maschinenartige Formensprachen vornehmlich visuell naturalisiert.23 Der Setdesigner und visual futurist Syd Mead nennt dies im Kontext seiner Arbeit für Blade Runner „retrofitting“ und meint damit das partielle Aktualisieren alter Bauwerke mit Zukunftstechnik – „Industrial design in reverse“.24 Die Kulisse erhält so eine historische wie narrative Tiefe und Schichtung. Die Science-Fiction thematisiert dabei immer die Erlösung oder Verdammung des Fortschritts.25 Mead blickt jedoch kritisch auf das Fernbleiben optimistischer Visionen, wie sie das space age der 1960er-Jahre noch dominierten:

21Vgl.

NRW-Forum Kultur und Wissenschaft (2004). (1999, S. 12, 20, 24 und 34). 23Spiegel (2007, S. 43, 48, 50, 51). 24Zit. nach Edgar (2010). 25Vgl. Abbott (2007, S. 7); vgl. Abbott (2016). 22Baudrillard

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„I think it takes far more skill to portray a bright optimistic future than it does to show a bad one. If you combine the two, you’ve got a winner, because you have the conflict needed for dramatic effect. […] The kids that are growing up now – teenagers and those in their early 20s – have never been exposed to anything more than end-of-the-world scenarios. I think that’s tragic.“26

Architektur spielt dabei eine zentrale Rolle, wie auch der finnische Architekt und Philosoph Juhani Pallasmaa hervorhebt: „Architecture has always fictionalised reality and culture through turning human settings into images and metaphors of idealised order and life, into fictionalised architectural narratives.“27 Diese Aussage trifft auch auf die Stadt zu. Sie ist materialisierter Hort kultureller und zivilisatorischer Errungenschaften, der nicht nur eine Momentaufnahme und Rückschau als Zeitzeuge, als gebaute Wirklichkeit gewährt, sondern auch Projektionen in eine zukünftige Verfasstheit erlaubt.28 Die Stadt und ihre Architektur werden damit zum medialen Scharnier29 der Science-Fiction und die Megastrukturen zu urbanen Mythen: „Die SF ist also weniger der Mythos der Moderne, sondern der Modus, in dem sich moderne Mythen vorzugsweise manifestieren und im Film gar zur Sichtbarkeit gelangen.“30 Diese audiovisuelle Inszenierung soll bestimmte Atmosphären ermöglichen, die ein sense of wonder im Anblick der dimensionslosen hypertrophen Stadtlandschaft evoziert. Das fragmentierte Oberflächenphänomen steht also im Fokus filmischer Inszenierung und zeigt sich auch in den analogen und digitalen Montageverfahren des Bildraums aus Modellen, Kulissenfragmenten, Matte Paintings und Greenscreen. Dies hebt auch Barbara Flückiger hervor, die schreibt: „Schichten und Oberflächen sind […] von jeher eine Obsession des Films, der einen dreidimensionalen Raum auf eine zweidimensionale Fläche reduzieren muss.“31 Die medienspezifischen Unzulänglichkeiten müssen kompensiert werden. Mit Vinzenz Hediger gesprochen ist es daher umso wichtiger, den filmischen Raum als „begehbare Örtlichkeit“ darzustellen, da der „Aspekt des [imaginären] Begehens“ ein Verstehen

26Zit.

nach Zeller (2015, S. 165). (2011, S. 19). 28Vgl. Abbott (2007, S. 6). 29Vgl. Bonner (2015). 30Spiegel (2007, S. 111). 31Flückiger (2008, S. 207). 27Pallasmaa

5  Hypertrophe Megastrukturen: Utopische Architekturkonzepte …     75

erwirkt und den filmischen Raum so zum Ort und Handlungsträger werden lässt.32 Filmische Science-Fiction-Städte bleiben meist – wie auch die hier besprochene Architekturavantgarde – an der Oberfläche und hinsichtlich konkreter Ausformulierungen der Zukunftsstadt schemenhaft oder fragmentiert. Folglich können filmische Inszenierungen urbaner Zukünfte als Oberflächenphänomen im Sinne von Darko Suvins Metapher des „panoramic sweep“33 verstanden werden. Dabei werden aufeinander bezogene Verkettungen von taktilen räumlichen, architektonischen oder urbanen Ausformulierungen im Bildraum erzeugt, die vor dem geistigen Auge der Rezipient:innen zu einem verdichteten Filmraum werden. Einzelne Glieder fungieren im Sinne von Suvins „­ close-ups“34 als Schlaglichter auf bestimmte Aspekte des Städtischen wie Wohnen, Fortbewegung, Nahrungsaufnahme, Arbeiten, Konsum oder Öffentlichkeit.35 Suvin rekurriert hier auf Roland Barthes und führt aus: „[T]he plot of utopian fiction is a panoramic sweep conducted along the well-known, culturally current socio-political categories […]. In other words, the proportion of ‚showing vs. telling‘ is in utopian fiction different from the norm of the Individualist novel.“36 Dies zeigt sich im Blade-Runner-Universum im Besonderen in den scheinbar schwerelosen Flugsequenzen durch das zukünftige Los Angeles. Das kontemplative Panorama auf und in die Stadtlandschaft birgt dabei etliche Informationen über den Zustand der Gesellschaft und unseres Planeten zum jeweiligen Produktionszeitpunkt beider Filme zu Beginn der 1980er-Jahre bzw. zum Ende der 2010er-Jahre.

5.3 Das Urbane in den Blade-Runner-Filmen 5.3.1 Die Stadtlandschaft „Die Architekturen der Zukunft sind schon gebaut. Es sind die verödeten Plätze, die verwahrlosten Straßen, die devastierten Gebäude, die die Stadt heute prägen und auch die Stadt der Zukunft prägen wird.“37 Was der 32Hediger

(2016, S. 81, 84). (1988, S. 39). 34Suvin (1988, S. 39–41). 35Vgl. Abbott (2007, S. 7). 36Suvin (1988, S. 39). 37Zit. nach Kandeler-Fritsch und Kramer (2005, S. 36). 33Suvin

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Mitbegründer der provokativen Architektengruppe Coop Himmelb(l) au, Wolf D. Prix, mit „Die Zukunft der herrlichen Trostlosigkeit“38 1978 über den Zustand der damaligen Metropolen feststellte, gilt sowohl für das Los Angeles des Jahres 2019 in Ridley Scotts 1982 veröffentlichtem Blade Runner als auch für Denis Villeneuves 2017 veröffentlichten Sequel Blade Runner 2049. Prix könnte gar selbst missmutiger Architekturkritiker in der Diegese sein, dessen eigene dekonstruktivistische Traumgebilde in dieser Megacity aus Megastrukturen keinen Platz haben. Derart wird Prix‘ Kritik an der gebauten Wirklichkeit mit Scotts in die Zukunft projizierter Dystopie als kritische Reflektion der zeitgenössischen Missstände bestätigt. Die „herrliche Trostlosigkeit“, die Villeneuve selbst als „beautifully brutal“39 bezeichnet, wird durch gigantische Ausformungen in der Vertikalen, gepaart mit hypertrophen Megastrukturen, erzeugt. Dabei soll die Architektur weniger der Formensprache des Brutalismus entsprechen als vielmehr das wehrhafte Habitat zum Schutz vor den brutalen klimatischen Umständen bezeichnen. Los Angeles ist hier ein über den Horizont hinausreichender Moloch aus gleißend leuchtenden bunten Straßenschluchten voller den Kapitalismus konnotierenden Werbevideos und -projektionen, die von der in diffuser Dunkelheit liegenden Masse der Megastrukturen zusammengedrängt werden (siehe Abb. 5.3). Hampton Fancher und Michael Green beschreiben die Stadt im Drehbuch wie folgt: „The breathtaking cityscape skyline of dystopian grime. 30 years older. Sweatier. Sucked of oxygen. If LA then was a giant oil refinery then, now it is industrial bones jutting out of a new city built atop the old [sic!]. And spread far as the eye can see. What were streets are canyons that cut deep down to the strata below. Who knows how far.“40

Einzelne Bauwerke oder strukturelle Systeme sind nur in der Vertikalen auszumachen: „Los Angeles is one of these megacities, with its borders now spreading from San Diego to San Francisco.“41 Sonnenlicht dringt nicht mehr durch die Atmosphäre und die mit Beratern der NASA und der

38Zit.

nach Kandeler-Fritsch und Kramer (2005, S. 36 f.). (2017, S. 17). 40Fancher und Greem (o. J., S. 9). 41Villenueve, zit. nach Lapointe (2017, S. 47). 39Lapointe

5  Hypertrophe Megastrukturen: Utopische Architekturkonzepte …     77

Abb. 5.3  Filmstill aus Blade Runner 2049, Blu-Ray Limited Edition. (© Alcon Entertainment 2017/Sony Pictures Home Entertainment 2018)

University of Southern California (USC) erarbeiteten42, in die Zukunft projektierten lebenswidrigen Umstände des Klimawandels lassen sich auch an der Architektur ablesen:43 „The brutality of this life dictated the architectural style of the film.“44 Villeneuve beschreibt die unvorstellbare urbane Dichte und smogbedingte niedrige Sichtweite als „worst days of Beijing multiplied by ten“.45 Dabei lässt die Umweltkatastrophe die Stadtlandschaft im ewigen „ambient sfumato“46 erscheinen, was ebenfalls eine Schönheit im Schrecken evoziert. Industrieversionen der Kowloon Walled City setzen sich ins Unendliche fort und erinnern gerade im ersten Anflug auf die Stadt an wuchernde informelle Favelas wie in Mexiko-Stadt.47 Die szientistische bzw. technizistische Ikonografie fungiert als Naturalisierung der zukünftigen Lebensumstände. Die Stadtvision positioniert sich mit diesem „retrofitting“ gleichsam zwischen kontextsensitiver Anpassung an die lebenswidrigen Umstände und an ignorante Megastrukturen, wie etwa die endlos erscheinende Sepulveda Sea Wall, die als ein die meisten Wolkenkratzer überragender Damm die drohende

42Zakarin

(2017). spricht hier von Bunkern. Lapointe (2017, S. 26). 44Gassner (2017, S. 38–45), hier S. 40. 45Villeneuve im 22-minütigen Making-Of-Video Designing the World of Blade Runner 2049 der Blade Runner 2049 Limited Edition Blu-Ray (2018). 46Youngquist (2017). 47TC 00:12:59. 43Villeneuve

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­ berschwemmung durch den gestiegenen Meeresspiegel zurückhält und Ü somit auf die Lebensumstände auf der Erde verweist.48 Der Damm grenzt direkt an die Viertel Culver City und Inglewood an. Die kalifornische Küste ist auf sechs Kilometer landeinwärts zerstört.49 Berühmte Strände wie Malibu, Venice Beach oder Santa Monica Beach und ihre ikonisch medialisierte Kultur existieren nicht mehr. Das Los Angeles in Blade Runner 2049 verdeutlicht so in eindringlicher Bildgewalt das bevorstehende Schicksal der heutigen realweltlichen Küstenstädte, sollte die Erderwärmung und das damit einhergehende Ansteigen der Ozeane sowie das Anwachsen tropischer Wirbelstürme nicht noch abgemildert werden können. Dabei geht es nicht nur um Megacities wie Los Angeles, New York, Hongkong, Shanghai oder Tokio, sondern auch um Fischerdörfer und kleine Ferienorte. Zum Beispiel plant der Bürgermeister von Imperial Beach bei San Diego, Serge Dedina, derzeit aufgrund des zyklischen, immer stärker werdenden El Niño, einen Großteil der Küstenstadt vom Strand ins Landesinnere zu versetzen.50 Bereits in 50 Jahren könnte ein Drittel von Imperial Beach komplett vom Pazifik vereinnahmt sein. Diese Strategie des „managed retreat“ ist konträr zur megaloman den Naturgewalten trotzen wollenden Sepulveda Sea Wall in Blade Runner 2049 und laut der San Francisco Bay Area Planning and Urban Research Association (SPUR) das im Gegensatz zu Sandaufschüttung oder Dammbau politisch schwierigste Unterfangen, da juristische Ausmaße und Reaktionen des Immobilienmarkts unabsehbar sind.51 Stadtplanerisch ist „managed retreat“ aber auch die einzig nachhaltige Option. Das momentan von vielen Küstenorten Kaliforniens bevorzugte Aufschütten der Strände ist nur eine kurzfristige, das Unvermeidliche hinauszögernde Maßnahme. In Philip K. Dicks Buchvorlage Do Androids Dream of Electric Sheep?52 ist San Francisco der Handlungsort der dystopischen Stadtvision. Nach Carl Abbott entschied man sich bei der Verfilmung jedoch für Los Angeles, da die Stadt bereits damals als wuchernder Moloch ohne Zentrum und Schmelztiegel der Kulturen die ideale Verkörperung urbaner Zukunft und Dystopie war: „In turn, that movie has become an overworked source of metaphors for Los Angeles, reinforcing the popular image that it originally

48TC

00:13:32, 00:58:53. (2017, S. 24 f.), 202. 50Guidi (2018). 51Guidi (2018). 52Dick (1968). 49Lapointe

5  Hypertrophe Megastrukturen: Utopische Architekturkonzepte …     79

Abb. 5.4  Filmstill aus Blade Runner 2049. (© Alcon Entertainment 2017/Sony Pictures Home Entertainment 2018)

drew upon.“53 Daran hat sich auch für den zweiten Blade-Runner-Film nichts geändert. Leben die Wohlhabenden heute noch in gated communities, so haben sie sich im Blade-Runner-Universum in Kolonien auf fremden Planeten zurückgezogen. Das zukünftige Los Angeles ist nun Hort der Ausweglosigkeit. Die Megastrukturen der Stadt sind fehlgeschlagen, verrottet, verwahrlost, vernachlässigt. Der Austausch von kleineren Einheiten als Merkmal der Megastrukturen, sollte er denn je vorgesehen gewesen sein, ist durch das „retrofitting“ ersetzt worden – Geld wird nur in die Kolonien investiert. Mittellose Menschen und Replikanten leben zusammengepfercht. Die einen suchen Schutz vor der Umwelt, die anderen sind „Menschen“ zweiter Klasse: „Technology and commerce have moved on, but everybody else has been left behind.“54 Die urbane Zukunft in Blade Runner 2049 erscheint, mehr noch als im ersten Film, wie ein wucherndes Palimpsest von Bauwerken und Infrastrukturen, ähnlich der Kowloon Walled City (Abb. 5.4). Schicht für Schicht, Bauvolumen für Bauvolumen, Technik für Technik werden über die jeweils vorherigen aufgetragen. Die scheinbar kilometertiefen Straßenschluchten lassen sich dabei wie die Sedimentschicht eines

53Abbott 54Alex

(2007, S. 19 f.). Funke, zit. nach Lapointe (2017, S. 31).

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Canyons lesen.55 Diese Schichtungen werden im Film auf vielfache Weise immer wieder thematisiert: mittels Windschutzscheiben und Fenstern sowie darauf einwirkendem Regen, Schnee und Wüstenstaub und mit analogen56 Bildschirmen und Dispositiven wie der Denabase. Im Sinne Hedigers wird so das Verständnis vom Raum hin zum Ort durch ein taktiles „Mittendrin“ inszeniert und somit ein glaubwürdiger Handlungsort erschaffen. In Blade Runner finden sich mit dem 1893 erbauten Bradbury Building sowie der 1939 erbauten Union Station auf der North Alameda Street zwei landmarks von Los Angeles als Handlungsorte (Sebastians Wohnung sowie Polizeiwache), die mit ihren jeweiligen eklektizistischen Baustilen – dem Historismus bzw. dem Art déco – als Pars pro Toto für die übrigen Kulissenmodelle dienen können. Das Los Angeles in Blade Runner 2049 wurde 30 Jahre57 in die Zukunft gedacht, und so weist die Fassadengestaltung die schmucklose Formensprache des sozialen Wohnungsbaus der 1960er- bis 1980er-Jahre auf, der in Hongkong oder Osteuropa gewaltige Ausmaße in Horizontale und Vertikale erfuhr und durch kleine Fenster mit angehängten Klimaanlagen rhythmisiert ist. Auch die Ästhetik der Kowloon Walled City zeigt sich hier evident. Der bunkerartige, durch skulpturale Bauvolumen und Sichtbeton charakterisierte Brutalismus58 sowie die aus der Architekturavantgarde der 1960er-Jahre hervorgehende Hightech-Architektur sind ebenfalls eindeutige Inspirationsquellen. Letztere ist vornehmlich von Richard Rogers und Norman Foster etabliert worden und greift die technizistische Ästhetik der Megastrukturen mittels sichtbarer Tragwerke als Fassadengestaltung sowie außen liegenden Versorgungs- und Transportsystemen auf.59 Die Art-déco-Polizeibehörde (LAPD) in Blade Runner ist auf Basis ihrer gerundeten Profilierungen und geometrisch stilisierten Ornamentik vom 1930 vollendeten Chrysler Building und dem „Neuen Turm Babel“ in Metropolis inspiriert. Das LAPD in Blade Runner 2049 zitiert hingegen sowohl die markante Form des 1958 erbauten Torre Velasca in Mailand und die damit verbundene Ästhetik eines mittelalterlichen Wehrturms aus Beton

55TC

00:28:48, 00:43:50. wanted it to feel like it‘s a used world, an analog world. It‘s not really a digital world. […] You see that in the database when K [played by Ryan Gosling] goes through the records, […] it‘s like looking at microfiche.“ John Nelson, zit. nach Zakarin 2017. 57Lapointe (2017, S. 24). 58Zur Brutalismusarchitektur im Science-Fiction-Film vgl. Bonner (2016, S. 131–135). 59Für Fotos zu den Architekturmodellen und dem Kulissenbau vgl. Lapointe (2017, S. 28–31). 56„We

5  Hypertrophe Megastrukturen: Utopische Architekturkonzepte …     81

Abb. 5.5  Filmstill aus Blade Runner 2049, Blu-Ray Limited Edition. (© Alcon Entertainment 2017/Sony Pictures Home Entertainment 2018)

als auch die vorgenannte Hightech-Architektur, wie etwa Richard Rogers‘ 1986 fertig gestelltes Lloyd’s Building in London oder Norman Fosters 1985 erbautes HSBC Main Building in Hongkong. Dieser Stilmix sorgt für den Eindruck einer totalitären, militärischen Architektur (Abb. 5.5).60 Der Brutalismus hat seinen Ursprung in der Nachkriegszeit und sollte, trotz des wehrhaften Charakters und der ästhetischen Provokation durch die dominanten geometrischen Volumina in historischen Stadtbildern, das urbane Zusammenleben und die Gesellschaft als Ganzes reformieren. Wie die Megastrukturen der Avantgarde war auch hier eine sozialistische Intention in der Architektur verkörpert. Und ebenso wie die Megastrukturen scheint der Brutalismus der filmischen Dystopie, den Villeneuve als „Post Neo-Brutalism“61 bezeichnet, all dieser Qualitäten und Intentionen beraubt: „The future cityscape […] appears to have absorbed, and accelerated the worst effects of our contemporary late capitalist economic model. […] [I]t is a brutalism stripped of all sociality, and stripped of its most important element: people. In that sense, it’s not really brutalism at all.“62 Die Natur hat gegen den Kapitalismus verloren63 und die Megacity, in der nur jene wohnen, die zu arm sind, um den letzten Tagen der Erde zu entgehen, hat keine städtische Seele mehr.64

60TC

00:13:44. (2017, S. 17). 62Clemoes und Sweitzer (2017). 63Villeneuve, zit. nach Lapointe (2017, S. 45). 64Newton (2018). 61Lapointe

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5.3.2 Megalomanie in der Vertikalen: Tyrell vs. Wallace Aus dem Netzwerk der Megastrukturen ragen mit 700 Stockwerken die pyramidalen Machtarchitekturen der Tyrell Corporation empor. Neben der Analogie zu Maya-Tempeln ist die suggerierte Größe selbst bereits Marker für das Göttliche und, wie bereits erwähnt wurde, zusammen mit einer technizistischen Ikonografie auch Marker für Zukunft und Fortschritt. Hnilica gibt jedoch zu bedenken: „Die Grenze zwischen großer Baukunst und Größenwahn ist offenbar nicht immer eindeutig zu ziehen. Es gilt festzuhalten, dass Großbauten immer auch Zeugnisse von Machtstreben und einer gewissen Ignoranz, Rücksichtslosigkeit, ja Grausamkeit sind.“65 Villeneuve inszeniert die bankrott gewordene Tyrell Corporation als schwarze, lichterlose und somit tote Silhouette. Das ikonische Bauwerk ist Maschinenkadaver und wird nicht nur durch das leuchtende P ­ an-Am-Logo der in der physischen Realität seit 1991 bankrotten Fluggesellschaft am Nachbarbau ironisch gebrochen.66 Diese Szenerie wird nochmals durch die drei zunächst nur schemenhaft hinter der Tyrell Corporation im Smog erscheinenden Flügelbauten der Wallace Corporation verstärkt, welche zudem die Schrägen der ­ Tyrell-Machtarchitektur in ihren hypertrophen Bauvolumina aufnehmen.67 Gleichen sie im Smog zunächst noch den Hängen eines Hochgebirgsmassivs, so wirken die relativ schmalen Bauflügel wie megalomane Kühlrippen. Die drei mehrere Kilometer hohen Schrägen sollen nicht nur mysteriöser und weniger kultisch wirken als der HightechMaya-Tempel Tyrells, sondern auch dem stets wachsenden Meeresspiegel widerstehen. Wallaces Firmenzentrale ragt über den Bildraum hinaus und soll in seinen kompletten Ausmaßen nicht mit einem Blick erfasst werden können – der Begriff der „Megastruktur“ scheint hier unzureichend. Die Wiederaufnahme der Formästhetik symbolisiert die Übernahme von Tyrells Firma. Kapitalistischer Kannibalismus und architektonisches Übertrumpfen stehen hier auch für Wallace als Marktführer in allen Industriezweigen: Er produziert nicht nur die Replikant:innen, sondern auch die einzige Nahrungsquelle.

65Hnilica

(2018, S. 25). ehemaliger Firmensitz erinnert an die 330 m hohe Bauruine des Ryugyon-Hotels in Pjöngjang (Baikdoosan Architects 1987–1992/2010), das in seiner kruden Mischung aus Raketentorso und hypertropher Pyramide nun als leer stehender Sendemast fungiert. 67TC 02:02:50. 66Tyrells

5  Hypertrophe Megastrukturen: Utopische Architekturkonzepte …     83

5.3.3 Las Vegas: Die Ruine der Maßlosigkeit Das Las Vegas des Jahres 2049 wurde von Syd Mead entworfen und ist eine durch eine nukleare Detonation erzeugte Geisterstadt, deren erhabene Skyline im Gegensatz zu Los Angeles den Zustand vor der Umweltkatastrophe verkörpert.68 Die Architekturen wurden also nicht durch „retrofitting“ den neuen klimatischen Bedingungen angepasst. Die Kapitalismus, Exzess und Luxus konnotierende Casino-Architektur des heute bekannten Strip verkörpert bereits Maßlosigkeit, wurde aber nochmals hypertroph in die Zukunft projiziert.69 Nach Mead besticht seine Vision von Las Vegas durch ihre „sensation of vista and sort of architectural over-the-top accumulation“.70 Der bereits mehrspurige Strip ist zu einer komplexen, mehrstöckigen Verzweigung von Verkehrsadern angewachsen und verbindet die megalomanen Casinos (Abb. 5.6).71 Das 1993 eröffnete MGM-Grand-Casino wirkt in direkter Nachbarschaft zu den fiktiven Neubauten wie eine Miniatur oder ein Architekturmodell. Die Eiffelturmkopie des Paris-Las-Vegas-Casinos gleicht einem Grashalm und die verglaste, 107 m hohe Pyramide des ebenfalls 1993 eröffneten Luxor ist von einer weitaus größeren pyramidalen Tragstruktur für Luxusapartments überfangen. Solitäre, filigran geformte Wolkenkratzer rhythmisieren das Panorama in der Vertikalen als Fanale des Kapitalismus und sind komplementär zu Los Angeles. Las Vegas als Ruinenlandschaft erinnert an einen Skulpturengarten mit Werken der Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts wie Constantin Brâncuşi, Naum Gabo oder Antoine Pevsner (Abb. 5.7). Los Angeles ruft hingegen die martialischen Quader und Stelen Arnalado Pomodoros in Erinnerung. Auch die dichte, staubige, rot-orange Atmosphäre bildet einen Kontrast zum dunkleren, bläulichen Smog der Megacity. Das damit verbundene diffuse Licht ist dabei direkt von den realen Auswirkungen der Erderwärmung inspiriert: etwa dem Sandsturm, der Sydney am 23.09.2009 ähnlich infernalisch einhüllte72, sowie der großen

68TC

01:36:27. 01:56:48. 70Mead im 22-minütigen Making-Of-Video Designing the World of Blade Runner 2049 der Blade Runner 2049 Limited Edition Blu-Ray (2018). 71TC 01:36:56. 72boston.com (2009). 69TC

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Abb. 5.6  Filmstill aus Blade Runner 2049, Blu-Ray Limited Edition. (© Alcon Entertainment 2017/Sony Pictures Home Entertainment 2018)

Abb. 5.7  Filmstill aus Blade Runner 2049, Blu-Ray Limited Edition. (© Alcon Entertainment 2017/Sony Pictures Home Entertainment 2018)

Dürreperiode im mittleren Westen der USA zwischen 1930 und 1940, Dust Bowl73 genannt. Die digitale Revolution hat in der Diegese nie stattgefunden. Die von Scott und Mead 1982 hypothetisch in die Zukunft verlängerte Ästhetik der 1980er- und späten 1970er-Jahre wurde ikonisch für Neo-Noir- und Cyberpunk-Filme und war ursprünglich als Naturalisierung des Wunderbaren intendiert. In Blade Runner 2049 wird diese Formästhetik und Bildsprache zur reflexiven Nostalgie im Sinne Svetlana Boyms, da Fragmente der hier verschmolzenen, realweltlichen wie auch filmischen Vergangenheit 73Vgl.

Auch die ­Dokumentar-Miniserie The Dustbowl (2012) von Ken Burns und Dayton Duncan.

5  Hypertrophe Megastrukturen: Utopische Architekturkonzepte …     85

spielerisch aufgenommen und als neue Bildwelten weitergedacht werden: „Reflexive nostalgia lingers on ruins, the patina of time and history, in the dreams of another place and another time“.74 Es soll ein kollektives Gedächtnis angesprochen werden, das nicht nur sensitiv gegenüber einem Klassiker des Science-Fiction-Kinos ist, sondern auch affektiv wie kognitiv die kritische Auseinandersetzung mit der Projektion heutiger lebensweltlicher Umstände in eine immer wahrscheinlicher werdende Zukunft mittels der Stadt-Dystopie evoziert.

5.4 Fazit Die Inszenierung zukünftiger Städte sagt mehr über menschliches Verhalten aus als über die Architektur- oder Urbanistikutopien. Die Megastruktur ist Dekor und in fiktiven Bildwelten Metapher für meist ungleiche Machtverhältnisse und dystopische Welten. Gerade der postmoderne Zugriff aktueller Science-Fiction-Filme auf das Bildrepertoire der Nachkriegsarchitekturavantgarde hat das Potenzial, den transdisziplinären Diskurs zu Architektur und Stadt, Klimaforschung und Kapitalismuskritik in medienspezifischer Weise zu bereichern. Die hier aufgezeigten zyklischen Rekurse auf urbane Utopien müssen in ihrer zivilisatorischen Bedeutung gesehen werden.75 So schreibt der französische Philosoph Michel de Certeau, dass die Utopie des optischen Wissens bemüht ist, Widersprüche der städtischen Zusammenballung zu überwinden. Die Stadt dient im Diskurs daher als totalisierender und quasi mythischer Bezugspunkt für sozioökonomische und politische Strategien.76 Gerade die kontemplativen Flugszenen und ihre „panoramic sweeps“ in Blade Runner 2049 sorgen für eine derartige Reflexion. Die Megastruktur ist dann kein endloses modulares Gittertragwerk mit sozialistischem Anspruch an eine mögliche ideale Gesellschaft mehr, sondern monolithischer Maschinenmoloch des Kapitalismus. Als kritischer Kommentar zu urbanen Missständen sollten Megastrukturen bereits in der Nachkriegszeit zu alternativen, partizipatorischen Gesellschaftsformen führen, die im Regelfall zwar noch keine ökologische Nachhaltigkeit einbeziehen, aber die Mauern zwischen Bevölkerungsschichten einreißen

74Boym

(2001, S. 41). hierzu auch den einführenden Überblick in Dobraszczyk (2019). 76Certeau (1988, S. 185, 194). 75Vgl.

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sollten. Ihrem utopischen Charakter geschuldet, blieb vieles provokantes Fanal einer Zeit der Aufbruchsstimmung, ohne tatsächlich eine konkret ausgearbeitete Matrize zu bieten. Wenige Projekte wie der Nakagin Capsule Tower oder das Centre Georges-Pompidou wurden verwirklicht und konnten auch die ursprünglichen Merkmale der Megastruktur verkörpern. Die meist dystopischen Megastrukturen der Science-Fiction sind Folge der nicht eingelösten utopischen Visionen, die in der Alltagswirklichkeit des Kapitalismus zu ikonischen Gedankenspielereien des space age versandeten. Blade Runner und insbesondere Blade Runner 2049 führen das Endstadium des aktuell eingeschlagenen Pfades in der Stadtentwicklung und im Umgang mit dem Klimawandel vor Augen. Chicago und New York, die asiatischen Megacities sowie jene der Schwellenländer bauen nach wie vor auf gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch unrentable Wolkenkratzer. Dabei sollten die Stadtvisionen des Blade-Runner-Universums eine Warnung sein, aus der durchaus positive Lehren gezogen werden können. Es wird Zeit, Städte nicht mehr aus der Perspektive der Großkonzerne oder des Automobils zu denken, sondern sie für die Bewohner:innen und all jene, die in den nächsten Dekaden der Landflucht und Migration durch Armut, Krieg und Klimawandel noch hinzukommen werden, zu entwickeln. Es wird Zeit, Großstrukturen im Sinne der als Kreislauf gedachten Megastrukturen neu zu denken: nicht in ihrer utopischen Vision modularer Megalomanie fern jeglicher ökologischer wie auch ökonomischer Machbarkeit und auch nicht zwangsläufig in ihrer radikalen Idee der A ­ ustauschbar- und Verwertbarkeit, sondern im Sinne einer partizipatorischen, gemeinschaftlichen Architektur, die neue Formen städtischen Zusammenlebens und -arbeitens ermöglichen. Es muss ein Mittelweg zwischen den utopischen Architekturkonzepten und der alltagstauglichen Stadtplanung gefunden werden. Dies erfordert auch ein Umdenken in der Architekturpraxis wie es etwa die beiden Architekten Arno Brandlhuber und Werner Sobek mit ihren unterschiedlichen Herangehensweisen beispielhaft aufzeigen. Bei der Erschließung neuer Projekte sollte die Stadtplanung nicht an Stararchitekten und ihre expressiven Bauten fernab jedweden urbanen Kontextes denken, sondern an jüngere Generationen von Architekten, die sich der zukünftigen Probleme immer größer werdender Städte und der Notwendigkeit des Klimaschutzes bewusst sind und sich in kreativen Herangehensweisen einer neuen Art von Megastruktur annähern. Gleichzeitig müssen Architekten auch überdenken, für welches Klientel sie arbeiten wollen und wie weit sie bereit sind ihren Avantgardeanspruch für einen Auftrag fallen zu lassen. Vereinzelte realisierte Bauwerke weisen bereits das Potenzial der Vermischung von besagter Megastrukturideologie und dem die Alltagswirklichkeit beherrschenden Kapitalismus auf. Der deutsche ­

5  Hypertrophe Megastrukturen: Utopische Architekturkonzepte …     87

­ rchitekt Ole Scheeren ging aus dem Büro OMA von Rem Koolhaas hervor A und schuf mit der Luxusmegastruktur The Interlace in Singapur (2007– 2013) nicht nur eine potenzielle Kulisse für Science-Fiction-Filme. Scheeren bewies mit The Interlace auch, dass Megastrukturen in ihrem breiteren Verständnis das Potenzial haben, Probleme realweltlicher Stadtplanung, im Besonderen der Wohnraumnot und der ökologischen Effizienz, zu lösen (Abb. 5.8)77. The Interlace ist ein vertikales Dorf aus 31 gestapelten und hexagonal zueinander ausgerichteten Wohnriegeln von je 6 Stockwerken mit vielen offenen Plätzen und begrünten Zwischenräumen als partizipatorischen Möglichkeitsräumen sowie einer natürlichen Luftzirkulation. 31 solitäre konventionelle Hochhäuser könnten Vergleichbares nur mit deutlich mehr Platzverbrauch erzielen. Diese Megastruktur brachte Scheeren und dessen Team den Urban Habitat Award 2014 des Council on Tall Buildings and Urban Habitat ein. Insbesondere der dänische Architekt Bjarke Ingels und sein Architekturbüro BIG treten seit Gründung im Jahr 2005 für ökologisch-nachhaltige und den Gemeinschaftsgeist neuerlich entfachende Großstrukturen in Form preisgekrönter, multifunktionaler Wohnkomplexe ein. 8 House

Abb. 5.8  OMA/Ole Scheeren: The Interlace, Singapur 2007–2013. (Foto: © Olaf Schülke/SZ Photo/picture alliance) 77Bartetzko

(2011).

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(­Kopenhagen 2006), Mountain Dwellings (Kopenhagen 2008) oder der tetraederförmige courtscraper VIA 57 West in New York (2013–2016) zeigen in noch überschaubaren Dimensionen, was auch als Megastruktur realisiert werden könnte. Mit seinem Buch Hot To Cold. An Odyssey Of Architecural Adaptation will Ingels die urbane Zukunft in einer Architektur verstanden wissen, die durch kontextsensitive und über Jahrhunderte gewachsene Versuche und daraus resultierende Verbesserungen entwickelt wurde, nicht in Wolkenkratzern der Chicagoer Schule, die sowohl in Nordamerika wie auch in der Wüste oder im Dschungel mit entsprechend höherer Verschwendung von Energie und einem Mehr an Material existieren: „Architecture is the art and science of setting the stage for our lives. […] It is creating man-made ecosystems, where we channel not only the flow of people, but also the flow of resources through our cities and buildlings. […] Architecture, like storytelling, strives through conflict. The greater the obstacle the more engaging the design to overcome it.“78

Solange aber Stadtplanung, Konzerne und Architekturpraxis nicht umdenken, werden die Lebensumstände des Blade-Runner-Universums, ob nun mit oder ohne Replikanten, immer wahrscheinlicher: Ist das Los Angeles des Jahres 2019 in Blade Runner mehr die urbane Zukunft des Industriezeitalters und weniger jene des Informationszeitalters, so ist das Los Angeles des Jahres 2049 dessen hypertropher Fortbestand. Im Gegensatz zur „herrlichen Trostlosigkeit“ der Megastrukturen sind die in Blade Runner 2049 gezeigten klimatischen Umstände, die Timothy Morton als „Hyperobjects“79 versteht, jedoch weit davon entfernt, als hypothetisch bezeichnet zu werden. Mehr noch als Blade Runner zeigt Blade Runner 2049 mittels seiner Megacity und deren Megastrukturen das Ende80 der Welt auf. Blade Runner 2049 visualisiert in all seiner schönen und zugleich schrecklichen Bildgewalt sodann Fredric Jamesons Argumentation zur Kausalität von Kapitalismus und dem Ende der Welt: „Someone once said that it is easier to imagine the end of the world than to imagine the end of capitalism. We can now revise that and witness the attempt to imagine capitalism by way of imagining the end of the world.“81

78Ingels

(2015, S. 8). Morton (2013). 80Gassner (2017, S. 42). 81Jameson (2003, S. 65–79), hier S. 76. 79Vgl.

5  Hypertrophe Megastrukturen: Utopische Architekturkonzepte …     89

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6 Der Klang der Zukunftsstädte: Zur musikalischen und akustischen Gestaltung filmischer SciFi-Cities Wolfgang Thiel

W. Thiel (*)  Potsdam, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Steinborn und D. Newiak (Hrsg.), Urbane Zukünfte im Science-Fiction-Film, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61037-4_6

93

94     W. Thiel

6.1 Zwei Wege, in die Zukunft zu blicken

„Es gibt nur zwei Wege, um ein Historiker der Zukunft zu werden: wissenschaftliche Folgerung und Traumdeuterei“1, bemerkte der Romancier Franz Werfel Ende August 1945 in seinem letzten Werk Stern der Ungeborenen. Als Autor dieses satirisch-utopischen „Reiseromans“ (Untertitel) aus dem Jahre „Hunderteinstausendneunhundertfünfundvierzig“ entschied er sich für die prophetischen Erkenntnisarten, da sie „den unschätzbaren Vorteil [haben], auf eine uralte Praxis zurückzublicken“2. Mit dem Verwischen der Grenzen zwischen Tag und Traum hatte der im kalifornischen Exil lebende Schriftsteller für sich die richtige Methode des Erzählens gewählt, um eine Gratwanderung zwischen autobiografischen Fakten und fiktiver Fantastik (einschließlich der detaillierten Architekturbeschreibung eines astronomischphilosophischen Zentrums3) zu unternehmen. Für den Autor dieser Studie blieb (ohne die Fantasie als belebendes Agens gänzlich zu ignorieren) indes nur der schmale Weg der wissenschaftlichen Folgerung in der perspektivischen Verlängerung urbaner Entwürfe sowie in der Auswertung künstlerischer Reflexionen und Visionen unter dem speziellen Aspekt der akustischen Gestaltung. Eine Antwort auf die Ausgangsfrage „Wie wird der Sound der SciFi-Cities klingen?“ lässt sich natürlich nicht auf einen Begriff bringen. Vielmehr müssen wir – mit Blick auf den diesbezüglichen Status quo der Metropolen – von einer überaus komplexen und zugleich sehr differenzierten Polyphonie aus Geräuschen und Klängen ausgehen.4

6.2 Musik der Städte Von den vorhandenen künstlerischen Darstellungen des urbanen Lebens in Literatur, bildender Kunst, Musik und Film werde ich mich auf die beiden Letztgenannten beschränken. Die Erörterung verschiedener Formen von Großstadtmusik geschieht mit Blick auf das akustisch orientierte Thema im Allgemeinen und auf die filmmusikalischen Traditionen des ­Science-Fiction-Genres im Besonderen. Daran schließt sich eine Analyse an, in der einschlägige Spielfilme hinsichtlich der auditiven Gestaltung von 1Werfel

(1990, S. 13). (1990, S. 13). 3Werfel (1990, S. 13, 304–306). 4Lassen sich Geräusche als Schallereignisse ohne bestimmte Tonhöhe und Klangfarbe – hervorgerufen durch nichtperiodische Druckschwankungen – definieren, so entstehen Klänge durch das Zusammenklingen mehrerer einfacher Teiltöne, deren periodische Schwingungen sinusförmig verlaufen. 2Werfel

6  Der Klang der Zukunftsstädte: …     95

SciFi-Cities untersucht werden. Im musikalisch autonomen Bereich muss zwischen originären urbanen Musikformen, die als „Musik der Städte“ in denselben entstanden sind sowie Orchesterwerken der europäischen und amerikanischen Kunstmusik des 20. Jahrhunderts, die urbane Sujets reflektieren, unterschieden werden. Bei Ersteren denken wir an den Jazz, an Gassenhauer, Kabarettchansons und Schlager der sogenannten Goldenen Zwanziger (vornehmlich in Berlin) sowie an neuere Formen wie Rock, elektronische Musik, Techno und Rap. Diese musikalischen Genres sind in ihrem Vollzug und in ihrer inhaltlichen Ausprägung auf vielfältige Weise mit verschiedenen sozialen und kulturellen Aspekten des Großstadtlebens verbunden. Für Letztere ist George Gershwins Rhapsodie Ein Amerikaner in Paris das vielleicht populärste Opus aus der Kategorie musikalischer Großstadtimpressionen, gefolgt von den Sinfonischen Tänzen aus Leonard Bernsteins Musical Westside Story. Weniger bekannt ist das klanglich avancierte Orchesterwerk Amérique von Edgar Varése, das in den Jahren 1918 bis 1922 entstanden ist und von dem der Autor mitteilte, dass er beim Komponieren nicht von den Eindrücken „des sicht-, sondern hörbaren New York“ inspiriert worden sei. „Zunächst hörte ich einen Klang, der mich an meine Träume als kleiner Junge erinnerte: ein hohes pfeifendes Cis. Ich hörte es, als ich in meinem Westside Apartment arbeitete, wo ich alle Geräusche des Flusses vernahm – die einsamen Nebelhörner, die schrillen, energischen Pfeifen, die ganze wundervolle Fluß-Symphonie, die mich mehr bewegte, als irgendetwas jemals zuvor.“5

1964 veröffentlichte der amerikanische Komponist Aaron Copland seine Music for a Great City. Sie basiert auf seiner Partitur für den ­US-amerikanischen Film Something Wild (1961). Die Vorspannouvertüre trägt – losgelöst vom Film – den Titel New York Profile. Dieses Orchesterstück erfüllt mit seinen sich auftürmenden ‚Wolkenkratzerakkorden‘, seiner rhythmischen Nervosität und Motorik, dem quirligen Tempo sowie stilisierten Bigband-Jazz-Anklängen auf paradigmatische Weise den Topos einer modernen sinfonischen Großstadtmusik. Erwähnt sei auch die sogenannte ‚Maschinenmusik‘ der 1920er-Jahre, in der mithilfe eines sinfonisch besetzten Orchesters Maschinengeräusche nachgeahmt wurden. Lebendig blieb von den Werken dieser Richtung nur Arthur Honeggers Orchesterstück Pacific 231, das „Porträt einer Schnellzuglokomotive“, in

5Franke

(1990, S. 14).

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dem „das frühe technische Zeitalter eine seiner gültigen künstlerischen Ausprägungen gefunden (hat)“6. Lediglich historisches Interesse beansprucht die von italienischen Künstlern proklamierte Richtung des bruitistischen Futurismo. In einem Manifesto della musica futuristica von 1911 postulierte der Komponist Balilla Pratella eine stärkere Einbeziehung von Geräuschen in musikalische Strukturen. Diese Forderung sollte im weiteren historischen Verlauf für die avantgardistische Tonkunst, für die elektroakustische Ars acustica7 wie auch für die moderne Medienmusik zunehmend an Bedeutung gewinnen. Ansätze einer solchen Klang-Geräusch-Synthese praktizierte bereits der Berliner Kinomusiker Edmund Meisel in den 1920er-Jahren mithilfe eines eigens hierfür konstruierten ‚Geräuschtisches‘8. 1927 schrieb er die Musik zu Walter Ruttmanns Berlin – Die Sinfonie der Großstadt. Denis Newiak zitiert in seiner Studie Der Klang der Großstadt im Experimentalfilm damals und heute aus einem Zeitungsinterview, in dem Meisel von seinen Vorbereitungen für die Komposition einer Großstadtmusik zum Ruttmann-Film berichtete: „Ich lauschte Stunden um Stunden in den Großstadtlärm hinein, notierte mir die Tempi der Geräusche, das Klingeln der Straßenbahnen, das Hupen der Autos, den Rhythmus nächtlicher Schienenarbeit.“9 Ruttmann selbst schuf 1930 die elfminütige Toncollage Weekend, ein aus Naturlauten und technischen Geräuschen, aus Glockengeläut und Sirenengeheul sowie vielfältigsten Klängen, Wort- und Musikfetzen zusammengesetztes ‚Hör-Spiel‘ eines Wochenendes in Berlin. Neue technische und ästhetische Möglichkeiten bot die um 1948 in den Pariser Studios des Senders ORTF von Pierre Schaeffer entwickelte Musique concrète, in der auf der technischen Grundlage des Tonbandgeräts vielfältigste Geräusche des Alltags sowie Stimmen und musikalische Klänge montiert wurden. 1984 schuf der Komponist Pierre Henry mittels dieser Technik die Toncollage La Ville. Die Stadt – Metropolis Paris für die Ars Acustica-Reihe des Westdeutschen Rundfunks. „Zahlreiche evokative Geräusche wie Hundebellen, Schritte mit unterschiedlichem Hall, Türen, Verkehr, öffentliche und private Räume werden vorgestellt und erzeugen so einen imaginären Film im Hörer.“10

6Häussler

(1969, S. 233). der musikästhetisch randständigen Spielarten einer Noise Music. Vgl. de.wikipedia.org/ wiki/Noise_(Musik). Für die Vertreter der Noise Music gehört das futuristische Musikmanifest von Luigi Russolo L´arte dei rumori (1916) zu den konzeptionellen Standardtexten. 8Thiel (1992, S. 17 f.). 9Newiak (2010, S. 10). 10Butzmann und Martin (2012, S. 153). 7Einschließlich

6  Der Klang der Zukunftsstädte: …     97

6.3 Der Klang der Zukunftsstädte in Stadtplanung und ­­Science-FictionFilmen Wenn vom Klang der Zukunftsstädte die Rede sein wird, so sind die Ausgangspunkte aller Überlegungen zum einen die heutigen Metropolen in ihrem akustischen Status quo und zum anderen die tondramaturgischen Entwürfe in Science-Fiction-Filmen. Inzwischen gibt es (zumindest in Europa) neben der Berücksichtigung ökologischer, sozialer und rechtlicher Aspekte das neue Forschungsfeld der akustischen Stadtplanung als Teil der übergreifenden Disziplin Sound Studies. Im Gegensatz zu den wuchernden, planlos sich ausdehnenden Megacities vor allem in Lateinamerika und Afrika „setzen sich Wissenschaftler dafür ein, die urbane Akustik zu einem gleichberechtigten Arbeitsfeld in der Stadtentwicklung auszubauen und den späteren Klang beim Planungsprozess mit zu berücksichtigen“11. Nach Meinung des kanadischen Klangforschers R. Murray Schafer verleihen auffällige Geräusche fast allen Städten eine eigene akustische Identität. „Die Menschen in Wuppertal zum Beispiel denken dabei an das Quietschen und Rattern der Schwebebahn.“12 Auch der Klangkomponist Marcus Beuter vertrat in einem Interview diese Meinung: „Einerseits hat jede Stadt ihren Klang, begründet auf der Geographie, dem Klima, der Größe, auch auf der Kultur, die sie prägt, den Menschen, die in ihr leben. Und natürlich auch begründet auf der Architektur. Andererseits gibt es eine gewisse Uniformität. […] An einer großen Straßenkreuzung klingen viele Städte sehr ähnlich.“13 Nehmen wir als Beispiel die Metropole Berlin und betrachten wir als die beiden Enden einer imaginären Skala der akustischen Verhältnisse eine belebte Kreuzung in Berlin-Mitte und eine Seitenstraße im Villenviertel von Berlin-Wannsee. Die unterschiedliche Komplexität und Dichte, die permanente Kontinuität oder temporäre Diskontinuität der akustischen Ereignisse steht hierbei außer Frage. Auch dass auf dieser Skala in tageszeitlicher Abhängigkeit die Mischung von Klang und Geräusch von der absoluten Dominanz des Geräusches im Zentrum bis zur Mischung der beiden Komponenten sowie einem relativen Übergewicht des Klanges reicht, ist ebenfalls nachvollziehbar. Die wahrnehmbare Lautstärke reicht so vom

11www.Stadtklang2015.de 12www.Stadtklang2015.de 13www.Stadtklang2015.de

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ohrenbetäubenden Lärm Hunderter Verbrennungsmotoren bis zur relativen Stille mit isolierten anekdotischen Geräuschen, die auf die schallauslösenden Quellen verweisen – seien es einzelne vorbeifahrende Autos, Flugzeuggeräusche, Schiffshupen aus weiter Ferne, Schritte auf verschieden klingenden Materialien wie Asphalt, Pflasterstein, Kies, Sand, vereinzelt rufende Stimmen, Lachen, Gesprächsfetzen usw. An der Peripherie wird zudem der Anteil an Naturlauten (wie Vogelgezwitscher oder Hundegebell) größer; außerdem werden Klänge wie die aus einem geöffneten Fenster dringende Radiomusik oder der auf dem Klavier übende Musikschüler hörbar.14 Für den Sound der Zukunftsstädte wird auch die soziale Frage eine wichtige Rolle spielen. Werden die SciFi-Cities (wie im Film Elysium [2013] mit seinem visualisierten Gegensatz von heruntergekommener Megacity und technisch höchststehendem Stanford-Torus15) von einem extremen Kontrast geprägt sein – nämlich dem zwischen einer (wie bereits in Fritz Langs Metropolis [1927] gezeigten) Oberstadt der Superreichen mit „ewigen Gärten“ und ästhetisch gestalteten Klanglandschaften sowie einer trostlos verrottenden Unterstadt, dem Slum der Bettelarmen mit Lärm, Getöse und Geschrei? Der filmische Befund nach der Sichtung vieler einschlägiger Produktionen aus sechs Jahrzehnten fiel hinsichtlich des gewählten Themas wesentlich dürftiger als erwartet aus. Wenn wir bei dieser Sichtung des Materials systematisch vorgehen, so entfallen zunächst alle Stummfilme – mit einer Ausnahme. In Fritz Langs Monumentallichtspiel Metropolis von 1927 wurde der filmische Prototyp einer Zukunftsstadt geschaffen. Die für die Berliner Kinopremiere geschriebene Originalmusik von Gottfried Huppertz für großes sinfonisches Orchester verbleibt im spätromantischen Ausdrucksbereich (Abb. 6.1).16 Lediglich in den Fabrikszenen und in der kurzen Einstellung, in der nach einer Explosion mit Toten und Verletzten die ominöse „Herzmaschine“ als menschenverschlingender Moloch von

14Im Mittelalter gab es in der städtischen Topografie andere Bündelungen, nämlich die Konzentration von Gewerken mit ihren handwerksbedingten Geräuschen in bestimmten Straßenzügen (davon zeugen noch heute Straßennamen wie Kupferschmied- oder Bäckergasse). Die Gesamtlautstärke war im Übrigen so, dass ein Türmer mit seinen Signalen und „Feuer“-Rufen eine ganze Stadt von der Größe Naumburgs an der Saale flächendeckend erreichen konnte. 15Siehe hierzu die Ausführungen im Artikel: Futures Thinking. Von Zukunftsstädten zu Stadtzukünften (Anke Steinborn) in diesem Band. 16Ohne seine Mitarbeit an Fritz Langs (Stumm-)Filmen Die Nibelungen (1924) und Metropolis (1927) wäre der 1887 in Köln geborene und 1937 in Berlin verstorbene Opernsänger und Komponist Gottfried Huppertz längst vergessen. Insbesondere seine klanglich opulente, leitmotivisch gearbeitete Riesenpartitur (op. 29) für Metropolis sichert ihm (nicht zuletzt als Autor der ersten originalen Musik zu einem Science-Fiction-Film) einen Platz in der Geschichte der Filmmusik.

6  Der Klang der Zukunftsstädte: …     99

Abb. 6.1  Gottfried Huppertz, Metropolis op. 29, eine Seite aus dem Klavierauszug (erschienen im Verlag Universum Film A.G., Berlin 1927)

einer ausgewechselten Belegschaft wieder in Betrieb genommen wird, finden wir Anklänge an die vorhin genannte motorisch geprägte ‚Maschinenmusik‘ mit ihrer Vorherrschaft von Rhythmus und dissonantem Klang. Die Sequenz mit den futuristischen Straßenszenen zeigt hingegen jene für die

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spätromantische Musik typische dynamische Kulmination von emotionssteigernden Klangelementen. Kurze, energiegeladene Motive in den Bläsern werden im Sog stufig aufwärtsgeführter Wiederholungen bis zum erlösenden Höhepunkt bei Ansicht des „Neuen Turmes Babel“ unerbittlich hochgeschraubt. Solch einen hymnischen Gestus der Musik beim Anblick futuristischer Straßenansichten finden wir in den späteren Tonfilmen auf vergleichbare, wenn auch stilistisch andere Weise fortgeführt, denn die dramaturgische Aufgabe bleibt eine analoge. Der Zuschauer soll in seinem Erstaunen über die optischen Sensationen durch die Opulenz des Klanges emotional unterstützt werden. Eine Sequenz aus dem Film Blade Runner (1982) mit der elektronisch generierten Musik des in Griechenland geborenen Vangelis zeigt eine Straßenszene, deren auditive Schicht aus den Geräuschen des unaufhörlich rinnenden Regens, des Verkehrslärms, der Helikoptertechnik und dem Stimmengemurmel der Händler und Passanten besteht. Nach dem Start des Hubschraubers mit dem Ex-Polizisten und Replikanten-Jäger Rick Deckardt an Bord und mit dem Blick von oben auf die im nächtlichen Lichterglanz erstrahlende ‚endlose‘ Stadt mit ihren imposanten Gebäuden werden diese Geräusche und Stimmen zunehmend von einer sehr flächigen, weite Hallräume öffnenden und gleichermaßen melancholisch wie pathetisch klingenden Musik in den Hintergrund gedrängt. Das letztendlich sehr magere Ergebnis der Spielfilmanalysen hinsichtlich einer besonderen urbanen Akustik in SciFi-Cities hat drei Hauptursachen: 1. die häufige Wahl eines extraterrestrischen Handlungsschauplatzes, 2. die Dominanz der Dystopie und 3. Defizite in der Filmmusik- sowie Klanggeräuschdramaturgie. Viele Filme konzentrieren sich auf den extraterrestrischen Raum, auf Mond, Mars, Venus oder andere ferne Welten sowie auf die Interieurs von Sternenschiffen und Raumstationen. Filme wie Forbidden Planet (1955), Der schweigende Stern (1960), Alien (1979) oder Passengers (2016) seien hierfür genannt. Spielen die Filme in näherer oder fernerer Zukunft auf der Erde, so fehlen aufgrund der vorherrschenden Hinwendung zur Dystopie ebenfalls architektonische Zukunftsvisionen, da an die Stelle faszinierender Entwürfe von Zukunftsstädten mit allen Errungenschaften von Technik und Zivilisation ruinöse Metropolen treten, deren genüsslich zelebrierter Schutt und Schmutz sowie die zumeist aufwendig gezeigten maroden Erscheinungsformen einer defekten Infrastruktur im Vordergrund stehen. Ein beliebter filmischer Topos ist die tote, menschenleere Stadt – denken wir

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an Filme wie den neuseeländischen Streifen The Quiet Earth (1983) oder an die US-amerikanischen Produktionen The Omega Man (1971) oder Twelve Monkees (1995). In den Eingangssequenzen von The Omega Man präsentiert sich das Hauptgeschäftsviertel von Los Angeles als quiet city mit einer hörbar gemachten Stille durch leiseste vereinzelte Geräusche und Klänge, die nicht zu verorten sind. Diese Stille wird plötzlich zerrissen vom Motorenlärm eines einzelnen Autos, das der vermeintlich einzige Überlebende einer globalen biologischen Katastrophe durch die menschenleeren Straßen lenkt, die von Trümmerteilen übersät und durch in sich verkeilte Autos blockiert sind. Eine andere Gruppe von Filmen liefert ebenfalls keine futuristischen Architekturentwürfe, sondern knüpft wie Godards Alphaville (1965) oder Truffauts Fahrenheit 451 (1966) an die uniformen, sterilen Betonbauten der Gegenwart an. Godard beispielsweise drehte im Paris des Jahres 1965. Als Stadt der Zukunft erfolgt die erforderliche visuelle Verfremdung durch den Verzicht auf alle touristischen Sehenswürdigkeiten und auf charakteristische Plätze und Straßen der Seine-Metropole. Zudem wird Alphaville fast ausschließlich nachts, in Dunkelheit und im kalten Neonlicht der Straßenlampen gezeigt. In beiden genannten Filmen gibt es kein besonderes, innovatives Sounddesign, sondern eine dramatisierende nondiegetisch eingesetzte Filmmusik, die – wie in den meisten aktuellen ­Science-Fiction-Filmen – die akustische Schicht in toto bildet. Auch ausstattungsmäßig an Einfällen überquellende Filme wie Das fünfte Element (1997) oder Brazil (1984) entwickeln keine spezifische Atmosphäre, keinen besonderen Klang, sondern sind lediglich mit aufdringlicher pseudosinfonischer Musik vollgestopft, welche als permanente akustische Folie fungiert, auf die die anekdotischen Geräusche der gezeigten Flugobjekte, der Schüsse, Explosionen und Schreie draufgesetzt werden.

6.4 Ansätze und verpasste Chancen Logan’s Run – ein Science-Fiction-Film aus dem Jahre 1976 – zeigt explizit die verpasste tondramaturgische Chance, für die ausgedehnten Szenen in der futuristischen Kuppelstadt des Jahres 2274 einen spezifischen Raumklang zu schaffen. Wir hören lediglich Stimmengewirr und die leicht schmatzenden Geräusche der Gleitbahnen. Ansonsten wird die akustische Leere in den Straßen, auf Galerien und Plätzen von atonalen elektronischen (Synthesizer-)Klängen ausgefüllt. Tiefe gongähnliche Impulse leiten zum sogenannten ‚Karussell‘ einer angeblichen Wiedergeburt, dem zentralen

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Ereignis im hermetischen Leben einer ausschließlich von Twens gebildeten Einwohnerschaft hin. Und im sterilen Design der akustisch trockenen Innenräume sind nur die Dialoge sowie vereinzelte isolierte Geräusche zu hören. Der Film Elysium aus dem Jahre 2013 kommt in seiner auditiven Gestaltung unserem Thema am nächsten. Während in Blade Runner Geräusche und Musik zwar vielfältig miteinander korrespondieren, aber in ihrer Eigenart als akustische Komponenten doch voneinander abgegrenzt sind, ermöglicht die digitale Technik in Elysium einen Soundtrack, in dem es zu einer völligen Verschmelzung der verschiedenen auditiven Elemente kommt. Mit Ryan Amon (Jahrgang 1979) hatte der Regisseur Neill Blomkamp einen musikalischen Mitarbeiter, der in Personalunion von Komponist und Klangkünstler ein ausgetüfteltes Sounddesign für diesen Film entwickelte. Als Anhänger der sogenannten Weltmusik finden sich in Amons Musik- und Geräuschcollagen neben orchestralen Klangflächen weitere sehr heterogene Bestandteile, etwa mongolischer Obertongesang, rhythmische pattern aus dem Synthi-Pop, aber auch die Schreie von Affen und Pavianen oder das Summen der Moskitos. Oft nur fragmentarisch anklingend und raffiniert gemischt, bestimmt dieses komplexe akustische Gewebe auch die Anfangssequenz mit ihrem Kameraschwenk über gigantische Müllhalden und eine total übervölkerte Stadt. Wenn mehrere wie vom Aussatz befallene Hochhäuser ins Bild kommen, tritt als dramaturgischer Fingerzeig die musikalische Drohgebärde tiefer Bässe hinzu. Beim Anflug zur Raumstation und beim Überflug des Stanford-Torus werden die dichten Klangflächen aus einfachen Akkordfolgen harmonisch entspannter und in gewisser Weise ‚musikalischer’. Insgesamt zeigt die Sequenz in der akustischen Gestaltung eine klangliche Dichotomie, durch welche die tiefen und dunklen Klangregister sowie eine Vielzahl von nicht identifizierbaren Geräuscheffekten der Megacity zugeordnet sind, während beim Anblick der Raumstation Elysium die hohen und hellen Klangfarben überwiegen. Dies gilt analog für den Sound der ganz diskret beigemischten synthetischen Backgroundchöre. In jenen Szenen, die in das Los Angeles des Jahres 2154 führen, hören wir den ununterbrochenen Lärm großstädtischer Elendsviertel: einen Mix aus vielfältigem Stimmengewirr, Geschrei und Musikfetzen, zerrissen vom Dröhnen dicht über die Köpfe der Bewohner hinwegfliegender Düsenjäger. Insgesamt haben wir es mit dem nur wenig übersteigerten akustischen Porträt eines Slums zu tun. In der Sequenz mit dem akustischen Kontrastprogramm für das ‚Beverly Hill‘ im Standford-Torus lässt sich tondramaturgisch zumindest von den Ansätzen einer spezifisch gestalteten

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Atmosphäre sprechen. Sie ist entspannt, relativ leise und enthält hereinwehende Cellopassagen mit Anklängen an Bachs Solosuiten, ohne dass ein Musizierender oder irgendeine technische Schallquelle zu sehen wäre. Dieses Gestaltungselement fungiert als klangliches Signum für Kulturanspruch und verfeinerte Zivilisation. Die menschlichen Stimmen sind individualisiert. Zudem gibt es stilisierte Naturlaute wie Vogelgezwitscher. Die zum Schluss dieser Sequenz einsetzenden rhythmischen pattern und drohenden Klänge beim Anblick eines Gebäudekomplexes leiten als dramatisierende Filmmusik die bevorstehende Invasion von Elysium ein.

6.5 Fazit Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die bisherige akustische Gestaltung von SciFi-Cities in den einschlägigen Spielfilmen als eine Revue der verpassten tondramaturgischen Chancen bezeichnet werden muss. Ihr Aussagewert für eine Antwort auf die Frage nach dem Klang der Zukunftsstädte tendiert somit gegen Null. Aber im Konjunktiv von Mutmaßungen (ohne filmische Vorbilder) erscheint es durchaus plausibel, dass der urbane Geräuschpegel in den Städten der Zukunft durch den Wegfall der Explosionsmotoren zugunsten der Elektroautos und eines flächendeckenden Ausbaus des öffentlichen Verkehrsnetzes signifikant sinken könnte. Die Folge wäre eine größere Klangfarbigkeit der urbanen Sounds, da auf diese Weise andere, leisere Stimmen im polyphonen Geräusch-Klang-Geflecht hörbar würden. Ein anderer Aspekt betrifft die bewusste akustische Gestaltung urbaner Landschaften. Was seit Zeiten der Muzak (also jenes 1934 in den USA registrierten Warenzeichens für eine spezielle Art funktioneller Hintergrundmusik) in Kaufhäusern, Fahrstühlen und Bahnhöfen und für Fließbänder als zweckgerichtete musikalische Beschallung schon vielfach erprobt wurde, könnte mithilfe neuer Techniken auch für Straßen und Plätze als Ars acustica Anwendung finden. Des Weiteren wäre durch eine solche klangliche Beeinflussung die Möglichkeit einer Identitätsstiftung in dem Sinne gegeben, dass beispielsweise spezifische klangliche Merkmale ein bestimmtes Stadtviertel prägen würden. Hinzu käme eine denkbare psychologische Steuerung durch akustisches Material, z. B. im Sinne deeskalierender Wirkungen und positiv besetzter Tätigkeitsbelebung. Vielfältige Erfahrungen liegen durch die bisherige Arbeit von Klangkünstlern und Klangkomponisten quasi unter Laboratoriumsbedingungen bereits vor. Dass wie in allen Fällen menschlicher Aktivität auch hier der Missbrauch solcher Mittel und Möglichkeiten

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gegeben ist, steht außer Frage. Dennoch könnte eine künftige Stadtplanung, die auch die akustische Gestaltung in ihre Überlegungen mit einbezieht, durchaus dazu beitragen, die neuen, künftigen Städte lebenswerter zu machen.

Literatur Bundesministerium für Bildung und Forschung (Hrsg) (2015) www.Stadtklang2015.de. Zugegriffen: 19. Jan. 2018 Butzmann F, Martin J (2012) Filmgeräusch. Wahrnehmungsfelder eines Mediums. Wolke, Hofheim, S 153 Franke K (1990) Einführung zu Amériques. In Booklet der CD Sony Classical (SK 45844), London, S 14 Häussler J (1969) Musik im 20. Jahrhundert von Schönberg bis Penderecki. Carl Schünemann, Bremen, S 233 Newiak D (2010) Der Klang der Großstadt im Experimentalfilm damals und heute. Ein historischer Vergleich des Zusammenwirkens von Bild und Ton in klassischen und zeitgenössischen Großstadtfilmen. S 10 Russolo L (1916) L’arte dei rumori. Edizioni futuriste di Poesia, Milano Thiel W (1992) Kinomusiker in Berlin. Neue Berlinische Musikzeitung, Heft 1, S 17 f. Werfel F (1990) Stern der Ungeborenen. Ein Reiseroman. Fischer Taschenbuch, Frankfurt a. M., S 13 de.wikipedia.org/wiki/Noise_(Musik). Zugegriffen: 22. Aug. 2018 de.wikipedia.org/wiki/Stanford-Torus. Zugegriffen: 24. Jan. 2018

7 Audiovisuelle Architekturen: Medienfassaden in der filmischen Stadt der Zukunft Peter Podrez

P. Podrez (*)  Erlangen, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Steinborn und D. Newiak (Hrsg.), Urbane Zukünfte im Science-Fiction-Film, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61037-4_7

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„If each screen is a window to the world, how many worlds can there be out there?“1

Noch nie zuvor prägten elektronische Medien urbane Architekturen in einem solchen Ausmaß wie heute.2 Bilder und Texte flackern und flimmern an architektonischen Bauten, Gebäudeoberflächen senden Botschaften in die Metropolen der Welt, nehmen neue Formen an, lösen sich auf und erstrahlen wieder in bunten Farben. Solche Erscheinungen werden unterschiedlich bezeichnet, z. B. als „urban screens“3, „Mediatekturen“4 oder – und dieser Begriff soll im Folgenden verwendet werden – als „Medienfassaden“5. Präziser gefasst meint der Ausdruck „Medienfassade“ dabei „die Synthese von architektonischem Körper und neuen Technologien, die eine Kommunikation bewegter Bilder und Klänge in den umgebenden Raum hinein ermöglichen“6. Funktional gesehen können Fassaden zur Statik eines Gebäudes beitragen; als Schnittstellen zwischen innen und außen schützen sie vor Umwelteinflüssen. Doch sie sind auch, so besagt es bereits die Wortherkunft vom lateinischen facies, die Gesichter von Gebäuden, mit denen jene ihre Funktion oder die Stellung ihrer Benutzer:innen kommunizieren.7 So lautet die klassische architektonische Vorstellung. Doch wenn Gebäude durch Screens und Projektionsflächen erweitert werden, wenn deren Spiel mit Bildern und Text die Architektur neu formt, wenn Fassaden sich von statischen Baukörpern in dynamische Informationsträger verwandeln, dann müssen alte Paradigmen überdacht werden. Wie können Gebäude und elektronische Medien zusammenwirken? Welche Auswirkungen hat es auf den Stadtraum, wenn architektonische Strukturen zu Medienfassaden werden? Diese und andere Fragen werden im urbanistischen und architektonischen Diskurs derzeit intensiv diskutiert; Antworten gibt es bis dato kaum. Eva E ­ menlauer-Blömers konstatiert:

1Papastergiadis

et al. (2016, S. 214). den historischen Vorgängern von Medienfassaden vgl. Huhtamo (2016). 3Vgl. z. B. Struppek (2012). 4Vgl. z. B. Kronhagel (2010). 5Vgl. z. B. Tittel (2012). 6Jaschko und Sauter (o. J.). 7Zu den Funktionen von Fassaden vgl. Heiden (2009, S. 332). 2Zu

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„Medienfassaden im öffentlichen Raum zählen […] einerseits zu den bedeutendsten Innovationsfeldern der kommenden Jahre – andererseits sind sie eine kulturelle und politische Herausforderung, die eine Verständigung zwischen Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur, Politik und Verwaltung erfordert. Die Entwicklung steht hier noch am Anfang, die Innovationspotenziale sind noch nicht erkannt, eine Verständigung zwischen den verschiedenen Innovationspartnern ist noch nicht hergestellt.“8

Wirtschaft oder Politik als Innovationspartner – und vielleicht auch der Film? Denn Visionen von Medienfassaden entspringen nicht nur dem urbanistischen und architektonischen, sondern auch dem filmischen Diskurs; die Diskurse überschneiden sich sogar regelmäßig. So weisen Architekt:innen immer wieder darauf hin, dass Blade Runner (1982) mit seinen ikonischen Darstellungen von Medienfassaden zu einem bedeutenden Einfluss, historisch gesehen sogar zu einem Vorläufer in der Geschichte der medialen Architektur geworden ist: „Here the film becomes a precursor of media in architecture.“9 Doch nicht nur Ridley Scotts gerne zitierter Klassiker, auch der Science-Fiction-Film allgemein thematisiert in seinen Visionen der Zukunftsstadt immer wieder Medienfassaden. Architektur und Stadtplanung können dies ernst nehmen und für sich nutzbar machen – ganz im Sinne der 2015 erschienenen Studie Von Science-Fiction-Städten lernen – Szenarien für die Stadtplanung.10 Beauftragt vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) thematisiert diese die Idee der realweltlichen Innovationskraft von Science-Fiction, indem sie davon ausgeht, dass deren Zukunftsvisionen anschlussfähig an urbanistische Diskurse sind und im Sinne von Leit- oder Warnbildern zu bedeutsamen „Faktor[en] der Zukunftsgestaltung“11 werden können. Dies gilt auch für die filmischen Zukunftsvisionen von Medienfassaden, die, wie im Folgenden dargelegt wird, in einen fruchtbaren Dialog mit architektonischen und stadtplanerischen Diskursen treten können.

8Emenlauer-Blömers

(2012, S. 394). (2009, S. 24). In diesem Zusammenhang brachte auch ARCH+, eine im deutschsprachigen Raum zentrale Zeitschrift für Architektur und Urbanismus, bereits 1991 ein Sonderheft zum Thema „Medienfassaden“ heraus und illustrierte das Cover mit einem Filmstill aus Blade Runner. 10Vgl. Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (2015). 11Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (2015, S. 54). 9Haeusler

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7.1 Medienfassaden in architektonischen und stadtplanerischen Diskursen In architektonischen und stadtplanerischen Diskursen über Medienfassaden herrscht eine starke Polarisierung vor. In Anlehnung an Umberto Ecos Unterscheidung von Apokalyptikern und Integrierten12 prallen pessimistisch-kritische auf optimistisch-affirmative Sichtweisen. Auf der einen Seite werden elektronische Medien pathologisiert, indem man ihnen bescheinigt, sich „wie ein Virus im Körper der Architektur ausgebreitet“13 zu haben und für eine existenzielle Krise der Baukunst zu sorgen. Befürchtet werden das Verschwinden der Architektur durch ihre Dematerialisierung sowie das Zurücktreten des Seins hinter einen flüchtigen Medienschein: „Due to the continuous flow of optical appearances, it is becoming difficult, if not impossible, to still believe in the stability of the real […] Architecture is just about to loose everything that characterized it in the past. Step by step it looses all its elements“,14 konstatiert Paul Virilio, der nicht nur Medientheoretiker, sondern auch Architekt und Urbanistiker war. Architektur erscheint aus dieser Sichtweise als Wahrheit, elektronische Medien präsentieren sich als Täuschungen. Die Forderungen der Apokalyptiker:innen reichen deshalb bis hin zu Verboten von Medienfassaden zum vorgeblichen „Schutz ‚der Stadt‘ und ‚der Architektur‘“15. Auf der anderen Seite wird durch den Einsatz von Medientechnologien eine große Chance zur Weiterentwicklung der Architektur gesehen. So bieten Medienfassaden laut dem Architekten Wolfram Lusche „eine phantastische Möglichkeit, dem statischen Charakter der Architektur dynamische Elemente hinzuzufügen“16 und so die Baukunst dem 21. Jahrhundert gemäß zu modernisieren. Außerdem wird in Medienfassaden das gesellschaftliche Potenzial gesehen, „experimentelle Visualisierungszonen eines Verschmelzens des virtuellen […] Raumes und unserer realen Welt“17 zu kreieren und, insbesondere in ihrer interaktiven Form,

12Vgl.

Eco (1989). und Oswalt (1991, S. 26). 14Virilio (1998, S. 179 ff.). 15Edler (2010, S. 110). 16Lusche (2010, S. 214). 17Struppek (2012, S. 284). 13Kuhnert

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partizipative mediale Erfahrungsmöglichkeiten innerhalb einer neuen Art des öffentlichen Raums zu generieren.18 Ob nun apokalyptisch oder euphorisch – den architektonischen und stadtplanerischen Diskurs um Medienfassaden prägen folgende Themen und Fragestellungen: Erstens steht das Verhältnis zwischen den materiellen, statischen Formen der Architektur und den dynamischen Dimensionen der Medienfassaden im Mittelpunkt. In diesem Zusammenhang ist relevant, inwiefern Gebäude und Medienfassaden technologisch und inhaltlich aufeinander abgestimmt sind und in der Wahrnehmung als Einheit erscheinen oder ob sie abgegrenzte und miteinander konkurrierende Formen darstellen. Dabei spielt es unter anderem eine Rolle, ob die Medienfassaden bereits im Zuge der Gebäudeplanung systematisch in das Bauwerk integriert oder nachträglich, etwa als aufgesetzte Bildschirmtechnologien, ‚addiert‘ werden.19 Die Frage lautet also: Überlagern mediale Elemente die ‚eigentliche‘ Architektur oder lassen sich neuartige Synergien zwischen Architektur und Medien erzeugen? Zweitens sind Überlegungen zur technischen Gestaltung von Medienfassaden wesentlich. Matthias Hank Haeusler20 unterscheidet aus technischer Sicht zunächst zwischen mechanischen und elektronischen Medienfassaden, wobei mit Ersteren das – relativ selten vorkommende – mechanische Verstellen einzelner Fassadenteile zum Zwecke der Bilderzeugung gemeint ist. Elektronische Medienfassaden dagegen können auf Projektionstechnologie (projection oder rear projection ) basieren; in diesem Fall werden Bild- und Textinhalte von außen oder innen auf das Gebäude projiziert. Sie können ihre Grundlagen in Beleuchtungstechnologien (illumination oder window raster animation ) haben; dabei sind Lichtquellen am Gebäude ausschlaggebend oder rasterförmig angeordnete Fenster werden erleuchtet und so als Bildpunkte genutzt. Oder sie können in Displaytechnologie gründen (pixel based oder voxel based ); hier bringen Bildschirme, zumeist LED-Screens, die Medienfassaden hervor. In all diesen Kategorien geht es auch um die Auswirkungen der verwendeten Technologie auf die Darstellungsmöglichkeiten von Medienfassaden, z. B. hinsichtlich ihrer Auflösung, ihrer Bildformen usw.

18Vgl.

Struppek (2012, S. 285). Heiden (2009, S. 337). 20Vgl. Haeusler (2009, S. 38–212). 19Vgl.

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Drittens wird diskutiert, wo und wie Medienfassaden im öffentlichen Raum positioniert werden sollen und welche Konsequenzen für Individuen und Kollektive hinsichtlich Wahrnehmung oder Verhalten ihre Verortung hat. Dabei gilt als Prämisse: „Medienfassaden eröffnen neue Möglichkeiten der Kommunikation im Stadtraum. Gebäude, deren Oberfläche und damit auch Charakter sich permanent verändern, provozieren neue Ansichten und verändern die Beziehungen der Passanten und Bewohner zu ihrem Umfeld.“21 Konkrete Vorstellungen, wie damit konstruktiv umzugehen sei, sind indes selten; öfter wird vor möglichen Problemen von öffentlich lokalisierten Medienfassaden gewarnt, etwa vor „Lichtverschmutzung, Verkehrsbeeinflussung“22 u. Ä. Viertens stellt sich die Frage, welche Inhalte auf Medienfassaden zu sehen sein sollen. Aktuell gilt für die Inhalte medialisierter Architekturen das „Arts & Ads“23-Paradigma. Am häufigsten fungieren Medienfassaden als dauerhaft im urbanen Raum verortete Träger von Werbung. In dieser Form, die ihnen häufig Kritik einbringt,24 „transportieren sie die Botschaften der ‚Big Player‘, die über entsprechende Kapitalmacht für einen digitalen Öffentlichkeitsauftritt verfügen“25, und sollen Einfluss auf das Konsumverhalten der Stadtbewohner:innen nehmen. Das wohl bekannteste Beispiel stellt in diesem Zusammenhang der Times Square in New York City dar. Der zweite wichtige, wenngleich deutlich seltener auftretende Inhalt von Medienfassaden ist künstlerischer Natur. Oftmals handelt es sich dabei um temporäre künstlerische Experimente – etwa im Rahmen von Festivals wie dem Dumbo Arts Festival in New York City –, bei denen die Medienfassaden gelegentlich auch interaktiv gestaltet sind, sodass sie performative Räume erzeugen, die durch die Handlungen von Nutzer:innen gestaltet werden. Im Folgenden gilt es zu zeigen, inwiefern die Darstellungen von Medienfassaden in filmischen Zukunftsvisionen an die Fragen und Themen des architektonischen und urbanistischen Diskurses anschließen und welche Impulse sie dafür liefern können. Dabei bietet das Konzept des Dispositivs einen fruchtbaren Zugang für die verschiedenen Anordnungen der Medienfassaden. 21Heiden

(2009, S. 332). (2011, S. 384). 23Schürer (2011, S. 380). 24Jan Edler etwa benennt die Werbefunktion als „freudlosen Standard“ von Medienfassaden, die dabei „geistlos aufgebügelten Werbefernsehmonitoren im X ­ L-Format“ gleichen (Edler 2010, S. 110). 25Schürer (2011, S. 380). 22Schürer

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7.2 Filmische Medienfassaden als Dispositive urbaner Zukünfte Gelegentlich – vor allem aus technologischer Perspektive – wird in architektonischen und stadtplanerischen Diskursen immer noch die Vorstellung geäußert, Medienfassaden seien „neutrale Informations- oder Dokumentations­­plattform[en]“26, die erst mit Inhalt ‚gefüllt‘ werden müssen, um bestimmte Botschaften zu kommunizieren. Doch mehrheitlich werden Medienfassaden in ihrer Komplexität als „very complex assemblages of culture, technology, law, administration, and economics“27 verstanden, die eben nicht neutral sind, sondern allein durch die Wahl ihrer Technologie und ihres Standortes immer schon mit bestimmten Machtverhältnissen, Wertvorstellungen usw. aufgeladen werden. Aus medien- und kulturwissenschaftlicher Sicht liegt es – analog zu dieser Annahme – nahe, Medienfassaden als Dispositive zu verstehen und durch diese Perspektive den architektonischen und urbanistischen Diskurs zu erweitern. Genauer gesagt, sollen im Folgenden zwei verschiedene Dispositivtheorien miteinander kombiniert werden, um als Beobachtungsgrundlage für die Analyse filmischer Zukunftsvisionen zu dienen, nämlich diejenige von Michel Foucault und die von Joachim Paech. Foucault bezeichnet das Dispositiv in einer bekannten und sehr weiten Definition als „entschieden heterogenes Ensemble, das Diskurse, Institutionen, architekturale Einrichtungen, reglementierende Entscheidungen, Gesetze, administrative Maßnahmen, wissenschaftliche Aussagen, philosophische, moralische oder philanthropische Lehrsätze, kurz: Gesagtes ebenso wie Ungesagtes umfasst. Soweit die Elemente des Dispositivs. Das Dispositiv selbst ist das Netz, das zwischen diesen Elementen geknüpft werden kann.“28

Von zentraler Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass Dispositive immer von Machtverhältnissen geprägt sind, diese widerspiegeln und neu hervorbringen. Obwohl Foucault sich weniger auf materielle Formen bezieht, sondern beispielsweise Sexualität als Dispositiv analysiert, lässt sich sein Dispositivbegriff gut auf das konkrete Phänomen der Medienfassaden ummünzen. Darin materialisieren sich unter anderem technologische

26Ehling

(2012, S. 65). et al. (2016, S. 50). 28Foucault (1978, S. 119 f.). 27Clemens

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Grundlagen (z. B. bezüglich der Verfahren, mit denen Medienfassaden ihre Bilder produzieren), ökonomische Machtverhältnisse (z. B. im Hinblick auf die Frage, wer über die Kapazitäten verfügt, Medienfassaden zu gestalten), ästhetische Formen (z. B. in Bezug darauf, was auf den Medienfassaden auf welche Weise gezeigt wird), juristische Grenzen (z. B. hinsichtlich der Entscheidung, was auf Medienfassaden erscheinen bzw. nicht erscheinen darf ) usw. All diese Aspekte sind niemals neutral, sondern immer ideologisch aufgeladen und stehen zueinander in spannungsreichen Verhältnissen. Paech engt den Fokus deutlich ein und beschreibt das Dispositiv aus medienwissenschaftlicher Perspektive als „räumliche An-Ordnung, in der ein Betrachter zu einer bestimmten Ordnung der Dinge so in Beziehung gesetzt wird, dass seine Wahrnehmung dieser Situation dadurch definiert wird“.29 Obwohl die Konzentration hier auf der spatialen Dimension liegt, spielen in der Konstitution dieser Räumlichkeit neben technologischen auch kulturelle, soziale, ökonomische und andere Aspekte eine Rolle – die „dispositiven Ordnungen des Sichtbaren“30 entstehen nur im Zusammenspiel dieser Faktoren. Durch diese Vorstellung einer von vielen Einflussfaktoren geprägten, medial hergestellten Raumstruktur lässt sich Paechs Dispositivbegriff gut mit demjenigen von Foucault zusammendenken. Dies soll auch bei der Analyse filmischer Zukunftsvisionen von Medienfassaden geschehen. Von einer Kombination beider Dispositivkonzepte ausgehend, inszeniert der Film Medienfassaden in der Stadt der Zukunft als räumliche, genauer: architektonische Phänomene, in denen sich einerseits Bauformen, institutionelle Prozesse, Ideologien und Machtdiskurse verbinden und die andererseits durch ihre spatiale Anordnung Wahrnehmungen lenken und Praktiken der Stadtbewohner:innen beeinflussen – denn der Film zeigt Medienfassaden nicht um ihrer selbst willen, sondern als Elemente sozialer Praxis in der Stadt der Zukunft. Blickt man also nochmals auf die erwähnten Themen im architektonischen und urbanistischen Diskurs um Medienfassaden, dann interessiert sich der Film nicht für das Verhältnis von realer und medialer Architektur oder für die technologischen Grundlagen von Medienfassaden. Vielmehr fließen in seinen Dispositiven der Medienfassaden die Fragen nach Verortung und Inhalten mit Aspekten der Wahrnehmung zusammen und werden ergänzt um die Frage nach Machtstrukturen. Dabei spielt die im architektonischen und urbanistischen Diskurs so wichtige Funktion

29Paech

(1991, S. 43). (2002, S. 66).

30Lommel

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der Medienfassaden als künstlerische Experimentierfelder keine Rolle: Medialisierte Architekturen im Science-Fiction-Film sind vor allem Dispositive des Konsums, der Information und der Politik.31

7.2.1 Konsumdispositive: Zwischen Überwältigung und Attraktion Am häufigsten werden filmische Medienfassaden in der Stadt der Zukunft mit Werbung und Konsum in Verbindung gebracht. Dabei können sie einzeln in Erscheinung treten, wie etwa die ikonischen Screens, die in Blade Runner bildraumfüllend die gesamte Front von Wolkenkratzern einnehmen, dort wechselweise Reklamen für Coca Cola oder asiatische Produkte – bzw. deren genussvollen Verzehr durch Menschen aus dem asiatischen Kulturkreis – zeigen und so auch den von westlichen und fernöstlichen Einflüssen geprägten Kulturraum der Zukunftsstadt verdeutlichen (Abb.  7.1a).32 Der Nachfolger Blade Runner 2049 (2017) zeigt sogar interaktive Werbemedienfassaden: Holografische, auf Wolkenkratzer projizierte Frauenkörper reagieren auf Passanten, die an den Gebäuden vorbeigehen, und bieten diesen sexuelle Dienste gegen Bezahlung an. Dies kulminiert in einer Szene, in der das gigantische Hologramm einer nackten, blauhaarigen Frau den Protagonisten K nicht nur anredet, sondern sich aus der Fassade des Gebäudes löst und mit den Worten „You look lonely. I can fix that“ auf ihn zugeht. Dabei ist der holografische Zeigefinger, der auf K deutet, größer als der Protagonist selbst, was der gesamten Szenerie – auch durch die räumliche Anordnung von herabschauendem Hologramm und hinaufblickender menschlicher Figur – eine bedrohliche Konnotation verleiht (Abb. 7.1b). Noch häufiger als durch diese einzelnen, vor allem aufgrund ihrer Größe auffallenden medialisierten Architekturen verdeutlicht der Film das Primat der Medienfassade als Konsumdispositiv durch eine Überfülle von Werbeangeboten, mit denen er seinen Architektur-, Bild- und Tonraum33 überfrachtet. Die Anzahl der Eindrücke soll dabei Filmfiguren wie

31Dies gilt sowohl für die im Folgenden durchgeführten Analysen von Medienfassaden in terrestrischen Zukunftsstädten als auch für deren – seltener vorkommende – Pendants in extraterrestrischen Zukunftsstädten, die aus Platzgründen nicht berücksichtigt werden können. Zu Ähnlichkeiten und Differenzen irdischer und außerirdischer Zukunftsstadtentwürfe im Film vgl. Podrez (o. J.). 32Die Einflüsse anderer Kulturräume wie Südamerika, Afrika o. Ä. spielen nicht nur in Scotts zukünftigem Los Angeles keine Rolle, sondern sind in urbanen Zukunftsvisionen des Films allgemein extrem unterrepräsentiert. 33Zu dieser Klassifikation vgl. Rohmer (1980, S. 10).

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Abb. 7.1  Singuläre Medienfassaden in a Blade Runner (Final Cut, Warner Home Video 2008) und b Blade Runner 2049 (© Sony Pictures Home Entertainment 2018)

Zuschauer:innen gleichermaßen überwältigen. In The Zero Theorem (2013) zeigt einer der ersten Blicke auf die Stadt jene als Ansammlung von auf Schildern und Medienfassaden platzierten Reklamen. Diese sind zum Teil, wie etwa ein blinkender Wegweiser mit der Aufschrift „EATS“, so weit im Bildvordergrund positioniert, dass der Stadtraum von ihnen überdeckt wird (Abb. 7.2a). Die im Vergleich zu den grauen Gebäuden bonbonbunten Werbungen bombardieren die (extra-)diegetischen Betrachter:innen nicht nur mit – zum Teil grotesk sinnfreien – Botschaften in Schrift und Bild,34 sondern produzieren auch Töne und sind dazu animiert, sodass sie eine Kakophonie von Geräuschen und ein Chaos von Zeichen ergeben, das sich

34So verkündet eine der Medienfassaden: „Sick of Scientology? The Church of Batman the Redeemer needs you!“

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Abb. 7.2  Überlagerung des Stadtraums durch Medienfassaden a und Auswirkungen auf das Individuum b in The Zero Theorem (© Concorde Home Entertainment 2015)

in permanentem Wandel befindet. Zwischen den Medienfassaden gibt es keine Ordnung und keine sinnhaften Zusammenhänge; die einzige Logik ist die Überbietungslogik des Hyperkapitalismus, nach der jede Medienfassade größer, bunter und lauter sein muss. Die Omnipräsenz der Werbungen erschwert eine gezielte Wahrnehmung, die Aufmerksamkeit von Filmfiguren und Zuschauer:innen wird in jede Richtung zerstreut. Die ständigen Sinnesattacken erzeugen eine Situation der Überforderung und manifestieren sich sogar physisch: So fühlt sich der Protagonist Qohen, den die Zuschauer:innen auf seinem Weg zur Arbeit verfolgen, völlig überreizt und hält sich, umgeben von den Reklamebotschaften, seinen schmerzenden Kopf (Abb. 7.2b). Was der Film hier also in Szene setzt, ist die bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts von Georg Simmel konstatierte – und von ihm auf den „rasche[n] und ununterbrochenen Wechsel äußerer und innerer Eindrücke“35 zurückgeführte – „Steigerung des Nervenlebens“36 in der Großstadt, deren pathologische Dimension hier maßgeblich von Medienfassaden mit verursacht wird. Allerdings kann das Konsumdispositiv der Medienfassaden auch als Attraktion präsentiert und gefeiert werden. In AI – Artificial Intelligence (2001) gelangen der junge David und sein Begleiter Joe in einen Teil der Zukunftsstadt, der an eine Mischung aus Rotlichtbezirk und Las Vegas erinnert. Die Figuren werden von allen Seiten von bunten Hologrammen und Screens umgeben, die die Casinos und Clubs zieren und die nächtliche

35Simmel 36Simmel

(1903, S. 188). (1903, S. 188).

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Abb. 7.3  Medienfassaden als buntes Spektakel in AI – Artificial Intelligence (© Warner Home Video 2006)

Stadt erhellen. Die konkreten Inhalte der Werbungen sind irrelevant; wie bei The Zero Theorem geht es vor allem um die geballte Präsenz der Medienfassaden und die dadurch bewirkte Reizüberflutung. Allerdings reagieren die Figuren in diesem Fall nicht negativ: Beide blicken vielmehr von dem Sockel einer Statue aus staunend-bewundernd auf die sie umgebenden, grell leuchtenden Medienfassaden (Abb. 7.3). Wo also liegt der Unterschied zwischen den negativ und den positiv konnotierten Medienfassaden? Die Medienfassaden in The Zero Theorem durchziehen den gesamten öffentlichen Raum und erschweren dadurch nicht nur alltägliche Praktiken wie den Weg zur Arbeit, sondern stellen zudem Hindernisse dar, denen sich nicht ausweichen lässt. Dagegen sind die Medienfassaden in AI – Artificial Intelligence in einem abgegrenzten, eigens dafür eingerichteten Vergnügungsraum zu finden, der freiwillig besucht werden kann und in dem ohnehin ein Ausnahmezustand herrscht, so dass alltägliche Routinen nicht beeinflusst werden.

7.2.2 Informationsdispositive: Zwischen Aufklärung und Betrug Neben der Werbung können Medienfassaden in der filmischen Stadt der Zukunft noch eine andere Funktion übernehmen, nämlich als Verbreitungsinstanzen von Informationen, genauer: von Nachrichten. In diesem Kontext ist die Referenz auf das Medium Fernsehen zentral, denn nicht nur erinnern die Screens, die die Architektur überziehen, an Fernsehbildschirme, sie zeigen

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auch Bilder, die an die Ästhetik von TV-Übertragungen angelehnt sind: Zu sehen sind neben Nachrichtensprecher:innen, die sich an das Publikum wenden, auch televisuelle Bildelemente, z. B. Newsticker oder Senderlogos. Der deutsche Film 2030 – Aufstand der Alten (2007) entwirft das dystopische Szenario einer Bundesrepublik, in der Senior:innen systematisch aus der Gesellschaft entfernt werden. Der Film beginnt mit mehreren Einstellungen von Medienfassaden, die über die Stadt verteilt sind und durch die Montage miteinander verbunden werden. Eine Nachrichtensprecherin verkündet dabei die „Unterbrechung des Programms“ und die Schaltung zu einer „Erklärung des Bundeskanzlers“, in der dieser seinen Rücktritt aufgrund der Verwicklung in die – erst im Verlauf des Films näher erläuterte – „M-Faktor-Affäre“ erklärt. Entscheidend ist die Inszenierung der Nachrichtenmedienfassaden: Im Gegensatz zum Konsumdispositiv sollen diese nicht durch Masse und Konfusion von Sinneseindrücken überwältigen, sondern verständliche Informationen präsentieren. Deshalb werden sie in der Zukunftsstadt an ausgesuchten öffentlichen Plätzen verortet, wo sie aufgrund des hohen Verkehrs- und Passant:innenaufkommens eine besonders hohe Visibilität erreichen, und vom Film einzeln ins Bild gesetzt. Außerdem werden sie durch die Etablierung von Blickachsen als zentrale Elemente des Geschehens markiert: Einerseits zeigt der Film, wie alle Figuren bei der Nachrichtenmeldung ihre Tätigkeiten unterbrechen und die Blicke auf die Medienfassaden richten, andererseits nimmt die Kamera selbst eine Position inmitten dieser Betrachter:innen ein und simuliert damit jene Blickanordnung auch für die Filmzuschauer:innen (Abb. 7.4). Die Wahrnehmung der Nachrichten erfolgt fokussiert, die Aufmerksamkeit wird von den Medienfassaden gelenkt, von denen aus der Informationsfluss konzentriert und gerichtet verläuft. Das Nachrichtendispositiv erzeugt so schon durch seine Anordnung eine Relevanz, die durch die gezeigten Inhalte noch bestärkt wird: Es geht um die Information über Ereignisse von gesellschaftlicher Tragweite, um die Aufklärung der Stadtbewohner:innen. In Anlehnung an Niklas Luhmann gilt in der Stadt der Zukunft: Was wir wissen, wissen wir von den Medienfassaden.37 Die Kontrolle über deren Inhalte wird zur Kontrolle über Glaubwürdigkeit und Wahrheit und damit zur Macht über die Gesellschaft. Exemplarisch durchgespielt wird dies in V for Vendetta (2005). In dem Film, der von dem Feldzug des maskierten V gegen das totalitäre Regime im zukünftigen London erzählt, haben die Medienfassaden maßgeblichen Anteil an der Revolution. Zu Beginn kontrolliert die Regierung die Nachrichten37Vgl.

Luhmann (2004, S. 9).

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Abb. 7.4  Aufklärung durch Nachrichtenmedienfassaden in 2030 – Aufstand der Alten (© Alive 2008)

sender, die ihre Inhalte nicht nur über Fernsehgeräte in die Wohnungen der Stadtbewohner:innen transportieren, sondern auch über Medienfassaden in den öffentlichen Raum ausstrahlen. Doch V dringt in das Fernsehstudio ein und bemächtigt sich der Sendetechnik. Nach einer kurzen „technischen Störung“ erscheint der Protagonist – inklusive des kleinen Senderlogos „V-TV“, das an ein umgedrehtes Anarchiesymbol erinnert – auf den Medienfassaden im öffentlichen Raum (Abb. 7.5a), prangert von dort aus in seiner Ansprache das Regime an und ruft die Stadtbewohner:innen zur Revolution auf. Schon bald wird das Fernsehstudio von der Polizei gestürmt. Zwar kann V das Einsatzkommando überwältigen und fliehen, doch der Sender beschließt, fake news zu produzieren: Auf den nun wieder staatlich kontrollierten Medienfassaden erscheint das Bild eines Nachrichtensprechers mit der gefälschten Aufnahme eines niedergestreckten maskierten Mannes und der Schlagzeile „Breaking News – Terrorist gunned down at Jordan Tower“ (Abb. 7.5b). Die Brandmarkung Vs als Terrorist und die Falschmeldung von seinem Tod überzeugen allerdings nicht: „Blödsinn“, meint sogar ein kleines Mädchen, das die Meldung mit verfolgt. Das Vertrauen in den totalitären Staat ist erschüttert; im Verlauf der Erzählung zieht V die Stadtbewohner:innen immer mehr auf seine Seite. Auch der Untergang des grausamen und betrügerischen Regimes wird symbolisch durch die Inszenierung der Medienfassaden vorweggenommen. Gegen Ende des Films richtet sich der Anführer des totalitären Staates über den Fernsehsender mit

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Abb. 7.5  Medienfassaden im Spannungsfeld von Wahrheit a und fake news b in V for Vendetta (© Warner Home Video 2007)

einer Ansprache an „seine“ Stadt, doch niemand blickt mehr in den Wohnräumen auf das Fernsehbild und auch die öffentlichen Medienfassaden senden ihre Botschaft im wahrsten Sinne des Wortes ins Leere, denn niemand ist mehr auf den Plätzen zu sehen, an denen sie aufgestellt sind. Die Regierung hat die Macht über die Medien(-fassaden) und damit auch die Macht über die Bevölkerung verloren – nur kurze Zeit später wird sie gestürzt.

7.2.3 Politikdispositive: Zwischen Propaganda und Partizipation V for Vendetta schließt zugleich an eine dritte Funktion an, die der Film Medienfassaden zuweist und die im architektonischen und urbanistischen Diskurs kaum eine Rolle spielt: Medienfassaden werden zu politischen Instrumenten. In aller Regel ist dies negativ gemeint, denn

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die medialisierten Architekturen fungieren als Propagandamittel. In Equilibrium (2002) wird die fiktive Stadt Libria von einer „Vater“ genannten, autoritären Führerfigur regiert, unter deren Herrschaft die Emotionen der Stadtbewohner:innen ausgerottet werden sollen, da sie angeblich die Wurzel allen menschlichen Übels darstellen. Der Anfang des Films zeigt, von pathetischer Musik untermalt, eine Ansprache des „Vaters“, die auf Medienfassaden übertragen wird. Diese sind an den wichtigen Plätzen der Stadt positioniert und dominieren dort die Raumgestaltung; ihre geometrische Form und symmetrische Anordnung spiegeln die Ideologie der Rationalität in der diegetischen Welt wider. Während der „Vater“ von Wut und Hass als Krankheiten spricht, sind auf den Medienfassaden Bilder von Kriegsund NS-Szenarien zu sehen, vor deren Wiederholung das totalitäre System angeblich schützen will. Betont werden Wirkmächtigkeit und Allgegenwart der Propaganda, denn der Film zeigt, wie die Botschaften einzelne Figuren in den Bann ziehen, die ihre Blicke auf die Medienfassaden richten, und gleichzeitig, wie die ideologische Dauerbeschallung von Massen in Libria zum Alltag geworden ist. Gegen die Krankheit der menschlichen Emotionen gebe es, so der „Vater“, jedoch auch ein Heilmittel: die Droge Prozium, deren Bild, symbolisiert als eine Ampulle, überlebensgroß auf den Medienfassaden erscheint (Abb. 7.6). Nicht der „Vater“ gibt schließlich den Befehl, das Mittel einzunehmen, sondern der Anblick der Droge auf den Medienfassaden, verbunden mit einem auditiven, konditionierten Signal, veranlasst die Stadtbewohner:innen zur sofortigen Einnahme von Prozium. Die Medienfassaden sind also hochwirksame autoritäre Instanzen per se; sie kommunizieren Handlungsanweisungen und tun dies in höchst erfolgreichem Maß. Sie spielen eine zentrale Rolle im ideologischen Gefüge der Stadt, und so ist es nur konsequent, dass die Befreiung Librias durch die

Abb. 7.6  Medienfassaden als Propagandainstrumente in Equilibrium (© Constantin Film 2005)

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Zerstörung der Propagandazentrale eingeläutet wird, in der die Inhalte für die Medienfassaden produziert werden. Neben diesen negativen Semantisierungen politischer Medienfassaden zeigt der Film – wenngleich selten – auch positiv konnotierte Beispiele. Als ein solches kann der bereits angesprochene Aufruf zur Befreiung der Stadt aus der Herrschaft des totalitären Regimes in V for Vendetta verstanden werden. In Minority Report (2002) dagegen werden Medienfassaden verwendet, um für eine Abstimmung zu mobilisieren, die über den Einsatz von hellseherisch begabten Menschen im Justizsystem entscheiden soll. Obwohl die Grenzen zu Werbung oder Propaganda hier durchaus fließend sind, steht doch ein anderer Aspekt im Mittelpunkt, nämlich der Appell an die Stadtbewohner:innen, an politischen, genauer: demokratischen Prozessen zu partizipieren. Dabei sind die Medienfassaden nicht nur, wie bei den bisher genannten Beispielen stets der Fall, an frequentierten Plätzen vorzufinden, sondern im Gegenteil auch in verlassenen, verwahrlosten Bezirken lokalisiert. So zeigt der Film, wie der Protagonist John Anderton auf seinem nächtlichen Weg nach Hause Hinterhöfe und alte Unterführungen passiert. Jede architektonische Struktur ist dabei eine im Vergleich zu Anderton riesig wirkende Medienfassade, auf der Bewegtbilder und Text an die Bürger:innen appellieren: „Vote yes on the National Precrime Initiative – Tuesday April 22nd“ (Abb. 7.7). Dadurch, dass die Medienfassaden gerade in slumähnlichen Vierteln aufzufinden sind, wird klar: Alle Stadtbewohner:innen sollen erreicht und dazu aufgefordert werden, ihre Stimme abzugeben. Allerdings macht der Kontrast zwischen den

Abb. 7.7  Aufruf zu demokratischer Teilhabe durch Medienfassaden in Minority Report (© Twentieth Century Fox 2006)

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­ ightech-Medienfassaden und den verfallenen Gebäuden auch deutlich, H dass die Regierung dieser Zukunftsstadt lieber in die Kontrolle über diese Wahl investiert als in die Rettung problematisch gewordener Stadtviertel.

7.3 Fazit: Von filmischen S ­ cience-FictionStädten lernen? Als in der Gegenwart verankerte, aber auf die Zukunft ausgerichtete Formen der Fiktion sind Science-Fiction-Filme in Rekurs auf Luhmann und Elena Esposito besondere Arten der Realitätsverdoppelung: „glaubwürdige, aber nicht konsenspflichtige Realitäten“,38 die kulturelles Wissen um die Zukunft erschaffen und erweitern. In Form von komplexitätsreduzierenden Modellen auf Grundlage imaginärer Prämissen überschreiten sie die reale Realität und erlauben es aufgrund der entstandenen Distanz, Beobachtungen zu entwickeln, welche realiter nicht möglich wären. Sie üben dabei Kritik, warnen vor zukünftigen Entwicklungen oder benennen Lösungen von Problemen und bieten Alternativen an. In jedem Fall haben sie Einfluss auf die Gesellschaft, in der sie entstehen: „Die fiktive Realität der fiction bleibt nicht ohne Folgen für die reale Realität.“39 Die filmischen Entwürfe sind an der Erzeugung eines kulturellen Bildreservoirs beteiligt und prägen die kollektive Vorstellung, wie Städte der Zukunft aussehen könnten. In diesem Zuge eröffnen sie auch Möglichkeiten zur Anschlusskommunikation, die sich nicht nur auf die Reflexion der filmischen Darstellungen beschränkt, sondern diesen das Potenzial zuspricht, eine Rolle in der realen Entwicklung zukünftiger Städte zu spielen. Oder anders formuliert: Filmische Entwürfe erweisen sich als „Leitbilder […], als richtungsweisende und handlungsleitende Vorstellungen“40, an denen sich verschiedene Akteure der Gesellschaft – affirmativ oder kritisch – abarbeiten können. Dies alles gilt auch für die filmischen Visionen von Medienfassaden im zukünftigen urbanen Raum. Im Sinne der Ausgangshypothese, dass diese filmischen Entwürfe anschlussfähig an den aktuellen architektonischen und stadtplanerischen Diskurs sind und ihn um einige Anregungen bereichern können, soll abschließend anhand des Herausgearbeiteten zusammengefasst werden, was – nochmals auf die Studie des BBSR rekurrierend – Architektur

38Luhmann

(2004, S. 112). (2007, S. 11). 40Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (2015, S. 54). 39Esposito

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und Urbanistik möglicherweise konkret vom Science-Fiction-Film lernen können. Erstens – und sehr allgemein formuliert – zeigt der Film, welche Wirkmächtigkeit Medienfassaden in der Stadt der Zukunft haben können und welche Konsequenzen in der urbanen sozialen Praxis damit verbunden werden. Zweitens formuliert der Film vor allem Kritik und Warnungen, wie Medienfassaden nicht konzipiert werden sollten: etwa als reizüberflutende Bild- und Tonattacken im öffentlichen Raum, als Mittel zur Verbreitung von fake news oder als Instrumente politischer Propaganda. Drittens zeigt der Film auch einige positive Ansätze, die weiterverfolgt werden könnten – etwa die Vorstellung, dass Medienfassaden eine Attraktion sein können, wenn sie in eigens dafür eingerichteten Räumen lokalisiert werden, oder dass ihr gezielter und dosierter Einsatz zur sinnvollen Informationsverbreitung beitragen oder sogar zur Partizipation an demokratischen Prozessen aufrufen kann. Und viertens wirft der Film als audiovisuelles Medium für den komplett bildlich zentrierten architektonischen und urbanistischen Diskurs die Frage auf, wie eigentlich mit den Tönen von Medienfassaden umgegangen werden könnte. „Digitale Fassaden bevölkern kontinuierlich und still unsere urbanen Landschaften“,41 schreibt die Architektin Nerea Calvillo. Soll es so sein? Muss es so sein? Oder liegen auch in der auditiven Gestaltung von Medienfassaden Chancen für eine produktive Transformation des urbanen Raums?

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41Calvillo

(2012, S. 320).

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8 Das Ende der Stadtgemeinschaft? Urbane Einsamkeiten und städtebauliche Antworten am Beispiel von Her Denis Newiak

D. Newiak (*)  Potsdam, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Steinborn und D. Newiak (Hrsg.), Urbane Zukünfte im Science-Fiction-Film, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61037-4_8

127

128     D. Newiak

Science-Fiction-Texte im Allgemeinen und SciFi-Filme im Besonderen sind ohne ihre stilprägenden urbanen Kulissen, Motive und Narrative undenkbar. Klassiker des Science-Fiction-Kinos und besonders erfolgreiche Exemplare des Genres spielen sich so gut wie immer in einem städtischen Kontext ab. Dass Science-Fiction-Film und Stadtwelten so eng miteinander verwoben sind, hat einen naheliegenden Grund: ­Science-Fiction (SciFi) ist stets deutlich von der Auseinandersetzung mit möglichen Zukünften geprägt und erzählt dabei spekulative Geschichten von möglichen Entwicklungen, die den sich weiter modernisierenden Gesellschaften potentiell bevorstehen. SciFi bezieht sich dabei regelmäßig auf die Bedingungen der filmproduzierenden sozialen Realität und schreibt entsprechend realweltliche Entwicklungen fiktional fort. Eine der auffälligsten Merkmale der modernen Lebenswelt ist dabei natürlich die fortschreitende Urbanisierung: Modernisierung bedeutet Verstädterung, denn mit dem enormen Bevölkerungswachstum auf der Welt infolge verbesserter Ernährung, medizinischer Versorgung und des Ausbleibens globaler kriegerischer Auseinandersetzungen sind die Metropolen zu den Garanten dafür geworden, dass die derzeit schätzungsweise 7,5 Mrd. Menschen auf der Welt ein Zuhause finden und die hoch komplexen Voraussetzungen ihres fragilen Wohlstands organisieren können. Städte sind die Motoren der Moderne, doch zugleich stehen sie in einem Spannungsverhältnis zu der typischerweise sozialen Lebensweise des Menschen: Als körperlich defizitär ausgestattetes, aber hoch intelligentes, kommunikatives Wesen sind die Menschen als „soziale Tiere“ aufeinander angewiesen und bilden Gemeinschaften, die ihnen erlauben, ihr Zusammenleben im gemeinsamen Interesse zu organisieren und damit ihre Bedürfnisse gemeinsam besser zu erfüllen, als es ohne Kooperation möglich wäre. Doch mit ihren Wolkenkratzern und den sie trennenden Straßenschluchten, den kleinen separierenden Wohneinheiten des privaten Rückzugs und den hoch effizienten Verkehrssystemen anonymer Bewegung im Stadtraum, den endlosen engen Gängen der Supermärkte und dem emsigen gesichtslosen Treiben an Bahnhöfen und Flughäfen ist die Stadt längst zur Inkarnation einer Einsamkeit geworden, in welcher eine nachhaltige zwischenmenschliche Vergemeinschaftung kaum noch eine Chance hat.1

1Die Fülle an Studien, die zu einer Diagnose der Gegenwart als Zeitalter zunehmender sozialer Entfremdung kommen, ist an dieser Stelle nicht darstellbar. Es sei repräsentativ auf die frühe Einsamkeitsforschung von Riesman (1953): The Lonely Crowd und Oberndörfer (1961): Von der Einsamkeit des Menschen in der modernen amerikanischen Gesellschaft sowie auf aktuellere Beschreibungen der Spätmoderne als Zeitalter sozialer Desintegration wie bei Rosa (2013): Beschleunigung und Entfremdung und Reckwitz (2017): Die Gesellschaft der Singularitäten verwiesen.

8  Das Ende der Stadtgemeinschaft? …     129

Wie der Soziologe Ferdinand Tönnies schon 1887 beschrieb, werden die modernen Großstädte zwar zur Heimat der neuen bürgerlichen Massen „aus lauter freien Personen, welche im Verkehre einander fortwährend berühren, mit einander tauschen und zusammenwirken“, allerdings erlaube die Großstadt im Vergleich zur vormodernen Lebensweise im Dorf den modernen Stadtbewohnern nicht, „dass Gemeinschaft und gemeinschaftlicher Wille zwischen ihnen entstünde“:2 Die bauliche Abgeschiedenheit von Büros, Geschäften und Wohnungen, die Knappheit öffentlicher Räume und das hohe soziale Tempo einer hochmobilen Gesellschaft führen zu einer strukturellen Anonymität, die Stadt heute mehr denn je kennzeichnet. Moderne, Verstädterung und Einsamkeit lassen sich somit nur im engen Zusammenhang miteinander denken – sie bedingen einander und steigern sich gegenseitig: Eine modernere Gesellschaft ist eine verstädterte Gesellschaft ist eine einsamere Gesellschaft. Der Film als Kunstform der Moderne schlechthin ist somit nicht per Zufall voll und ganz durchdrungen von Fragen der Einsamkeit in städtischen Kontexten: Immer wieder werden die Kino-Metropolen zu Orten, in denen die Protagonisten auf sich allein gestellt sind und kaum mehr sinnstiftende oder nachhaltige Gemeinschaften organisiert kriegen. Entsprechend ist es nicht verwunderlich, dass Science-Fiction mit seinem Hang zur Imagination der Menschheit als in der Regel vollkommen urbanisierte Art auch unentwirrbar mit der Frage der Einsamkeit verbunden ist. Glaubt man den SciFiFilmen wie Total Recall (1990), I, Robot (2004) oder Passengers (2016), so hält die verstädterte Zukunft für die Menschheit kaum noch authentische Gemeinschaften bereit; stattdessen flüchten sich die Menschen angesichts ihrer regelmäßig unsicheren oder unbefriedigenden Umgebung in die eigenen vier Wände, in kompensatorischen individualisierten Konsum und vorzugsweise in technische Ersatzgemeinschaften, sei es über Bildschirmmedien, mit Robotern oder – wie später ausführlich anhand von Her (2013) gezeigt werden soll – in das Gespräch mit einer künstlichen Intelligenz. Städte werden also vorwiegend wegen der dort vorherrschenden Knappheit an Möglichkeiten zur nachhaltigen Vergemeinschaftung zu überdimensionierten Orten der Einsamkeit, zu dystopischen Nicht-Orten „ohne Beziehungen, ohne Geschichte, ohne Identität“,3 wie sie Marc Augé nennt. Richard Sennett hat in The Fall of the Public Man beschrieben, wie die modernen Städte durch ihren Mangel an allgemein zugänglichen Plätzen

2Tönnies 3Augé

(1887, S. 282–283). (2008, S. 63).

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und öffentlichem Austausch bei gleichzeitiger Steigerung ständiger gegenseitiger Sichtbarkeit zu Orten des sozialen Rückzugs werden, die sich dann in anonymen Suburbs und gläsern-kalten Megacities materialisieren: Die Sehnsucht nach authentischen Gemeinschaften wird zum Ausdruck eines Widerstands „gegen die Schrecken eines unpersönlichen, kapitalistischen Urbanismus“.4 Die Hochmoderne hält für den Menschen somit ein überwiegend (materiell) komfortables Leben in den Städten bereit; zugleich müssen sich die spätmodernen Stadtmenschen zunehmend darauf einstellen, dass sie in den superurbanen Umgebungen kaum noch zueinander finden – und sich damit potenziell auch von sich selbst entfremden. Stadtplaner stellen diese hier nur angedeuteten gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen vor große Herausforderungen. Wie kann eine Stadt, die auf immer kleineren Raum mit knappen natürlichen Ressourcen für eine stets wachsende Zahl von Bürgern immer noch mehr Leistungen erbringen muss, überhaupt noch so geplant werden, dass sie dem menschlichen Bedürfnis nach zwischenmenschlicher Nähe gerecht werden kann? Lässt sich den durch technische Erfindungen und Entwicklungen initiierten sozialen Veränderungsprozessen, die von Kommunalpolitik, Stadtplanung und Bürgerschaft kaum noch beeinflussbar sind, in geeigneter Form begegnen, sodass das Leben in den Städten eben nicht nur komfortabel, sondern auch sozial erfüllend, zumindest erträglich bleibt? Bei dieser Frage stoßen Stadtplanung und auch die Zukunftswissenschaften regelmäßig an ihre methodischen Grenzen: Wenn auch die Megatrends des 21. Jahrhunderts sich leicht benennen lassen – Globalisierung und Individualisierung, zunehmende Mobilität, Automatisierung der Arbeit und der wachsende Einfluss künstlicher Intelligenz –, fällt es angesichts der Komplexität sozialer Systeme natürlicherweise doch schwer, treffende Prognosen über konkrete Entwicklungen anzustellen und auf sie durch spezifische Maßnahmen zu reagieren. Wenn aber schon im Jahr 2050 insgesamt 7 Mrd. Menschen in Ballungsräumen leben werden – etwa so viele, wie derzeit auf der ganzen Erde leben –, muss schon heute überlegt werden, wie mit diesen Trends bei der Planung der Stadt von Morgen umgegangen werden kann. Hierfür können sich Science-Fiction-Texte und insbesondere S­ ciFi-Filme als hilfreich erweisen: Sie überführen sonst unausgesprochene oder auch sprachlich gar nicht artikulierbare kollektive Ängste und Hoffnungen in lebensnahe Narrative und greifbare Bilder und zeigen, wie mit diesen 4Sennett

(1977, S. 365).

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Entwicklungen in ihrer Erzählwelt umgegangen wird. Somit entwickeln Zukunftsfilme nicht nur spekulative Szenarien in lebendigen und plastischen Darstellungen, sondern führen auch vor, welche Handlungsweisen in dieser fiktiven Zukunftswelt nützlich und weniger nützlich erscheinen, um eben jene gezeigten und erzählten Entwicklungen zu bewältigen. In dem Sinne operieren SciFi-Filme, wenn auch nicht absichtsvoll, wie die Zukunftswissenschaften mit der Methode der Szenarienbildung – jedoch mit dem Unterschied, dass der Film als unterhaltende Kunstform wesentlich mehr spekulative Freiheiten genießt als die Wissenschaften. Eine anwendungsorientierte Medienwissenschaft kann ihren Beitrag zur Gestaltung lebenswerter Zukünfte leisten, indem sie den Filmen jene konkreten Handlungsangebote entnimmt, die vor dem Hintergrund aktueller gesellschaftlicher Herausforderungen wie die voranschreitende Urbanisierung nützlich erscheinen.5 Dieser Beitrag soll anhand eines Teilphänomens zukünftiger Urbanität, nämlich der zunehmenden Einsamkeit der Stadtmenschen unter hochmodernen Bedingungen, insbesondere infolge des wachsenden Einflusses künstlicher Intelligenzen, zwei Fragen nachgehen: Welches Wissen über die lebenswerte Stadt der Zukunft hält der Science-Fiction-Film für uns bereit? Und wie ließe sich dieses Wissen nutzbar machen, um eine lebenswertere Stadt der Zukunft zu denken? Dazu soll vor dem Hintergrund einer kurzen Geistesgeschichte der Einsamkeit als modernes Phänomen ein dystopisches Filmbeispiel einer utopischen Filmvision von urbaner Zukunft gegenübergestellt werden, um zu zeigen, wie sich aus beiden Szenarienarten Erkenntnisse für die Stadtplanung gewinnen lassen.

8.1 Die Einsamkeit der Moderne Die auffällige Bevorzugung von Einsamkeitsnarrativen und -darstellungen in Film und Fernsehen im Allgemeinen und im Science-Fiction-Genre im Besonderen hat nicht nur dramaturgische Gründe. Etwas zugespitzt ließe sich die gesamte abendländische Kulturgeschichte als einen historischen Prozess stetiger Auflösung etablierter Gemeinschaftsformen lesen. Zu vormodernen Zeiten gewinnen Menschen allgemeinen Sinn und gesellschaftliche Kohäsion vor allem aus einer moralischen „Gemeinschaft mit Gott“: Im Christentum etwa dient das gemeinsame Alleinsein mit 5Vgl.

Krämer et al. 2015.

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einem göttlichen Gegenüber und der biblischen Schrift als dessen irdische Gegenwart der gesellschaftlichen Kommunikation und Bedeutungsvermittlung:6 Gott übernimmt nicht nur die Rolle eines stets verfügbaren verständnisvollen „Gesprächspartners“ in Gebet und Ritual, sondern auch der allumfassenden moralischen Kontrolle des individuellen Handelns, das im Fall von Amoralität mit der Verlassenheit von Gott sanktioniert wird. Mit Foucault könnte man sagen: Gott ‚überwacht‘ das Handeln bezüglich der moralischen Angemessenheit und ‚straft‘ Verstöße durch die allgemeine Androhung einer Sanktionierung durch die totale Einsamkeit in der Hölle. Ein solcher moralischer Kompass diente unter vormodernen Verhältnissen der notwendigen Distinktion von Gut und Böse, um – wie Nietzsche in seiner Moralkritik formulierte – „einzelne Handlungen […] allein der nützlichen und schädlichen Folgen wegen“ zu sortieren.7 Mit der Entwicklung der Naturwissenschaften und der zum Ende des 19. Jahrhunderts rasant zunehmenden Automatisierung, Individualisierung, Medialisierung und insbesondere Urbanisierung musste die christliche Moral an ihre Leistungsgrenzen stoßen: Nietzsches Deklaration „Gott ist tot“ spitzt zu, dass eine starre Vorstellung von ewig gültigen Verhaltensgeboten und -verboten in dieser sich ständig verändernden komplexen Welt überflüssig geworden ist, weil sie keine angemessene Antworten für die herausfordernden modernen Lebenssitutationen mehr bietet.8 Für den modernen Menschen bedeutet die neue Unabhängigkeit von der moralischen Ordnung zunächst ungewöhnliche Freiheitsgrade, wirft ihn aber auch zugleich durch den Verlust der ständigen Verfügbarkeit einer Gemeinschaft mit Gott auf sich selbst zurück: Für Nietzsche steht damit für die „nächsten zwei Jahrhunderte“ unumgänglicherweise „die Heraufkunft des Nihilismus“ bevor:9 Die verführerische Moderne droht die Menschen in eine Epoche der Orientierungslosigkeit voller Einsamkeiten zu führen, die sich im Zuge fortschreitender Modernisierung nur noch weiter verschärfen. Indem sich der moderne Mensch vom vormodernen Ballast des „Allzumenschlichen“ befreit, droht ihm als völlig freier, unabhängiger und damit einsamer „Übermensch“ in den Städten ein scheinbar sorgenfreies – aber zugleich trostloses gemeinschaftsloses Dasein.

6Berger

und Luckmann (1995). (1878, § 39). 8Vgl. Berger und Luckmann (1995). 9Nietzsche (1887/88, S. 362). 7Nietzsche

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8.2 Singularität trifft auf Urbanität Indem das Science-Fiction-Genre immer wieder die Entwicklung künstlicher Intelligenzen, eine bevorstehende strukturelle Robotisierung des Alltags bis hin zu von Menschen ununterscheidbaren oder gar überlegenen Humanoiden heraufbeschwört, erzählt das Kino von einer typisch modernen Sehnsucht, sich durch die Schöpfung neuer übermenschlicher Gegenüber eines Teils der eskalierenden modernen Einsamkeiten zu entledigen. Die neuen künstlichen Zeitgenossen sollen sich als fleißiger Haushaltshelfer, geduldiger Zuhörer und manchmal auch als liebevoller Partner bewähren, um das nihilistische Gefühl der urbanen Entfremdung zu neutralisieren – doch diese neuen übermächtigen, fast gottgleichen Geschöpfe haben meist ganz andere, häufig weniger sehnsüchtige Ziele im Sinn. Genau dieser Moment der Entstehung von Singularität – die Überschreitung der menschlichen kognitiven Leistungen durch die intellektuellen Fähigkeiten der vom Menschen geschaffenen Maschinen – ist für Klassiker der Science-Fiction zu einem Lieblingsthema geworden – nicht grundlos fast immer vor urbaner Kulisse. In auffälliger Häufung spielen SciFi-Filme das Szenario durch, wie sich Ballungsräume vor dem Hintergrund einer zunehmenden Automatisierung zentraler Lebensbereiche durch künstliche Intelligenzen verändern könnten oder wie sie unter solchen Bedingungen zweckmäßigerweise beschaffen sein müssten. Dabei verweisen diese Filme natürlich nicht nur auf Herausforderungen, die erst noch durch heraufziehende technische Evolutionen provoziert würden, sondern mit denen wir schon heute ganz konkret konfrontiert sind und die sich in einer hochgerechneten Zukunft verschärfen müssten, sollten keine geeigneten Antworten gefunden und Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Es ist entsprechend nicht nur ein selbstreflexiv-zynischer Seitenhieb der Filmindustrie, dass sie ihre Artificial-Intelligence-Dramen regelmäßig ausgerechnet in Los Angeles (L.A.) als Wiege der Traumfabrik von Hollywood platzieren: Diese Stadt als Wiege wichtiger moderner Technikinnovationen ist auch weltweit zu einer Insigne der westlichen Spätmoderne geworden, in dem hedonistische Konsumorientierung, Wohlstand mit Hang zur Dekadenz, oberflächliche Selbstinszenierung als kollektive Norm auf kaum noch zu bewältigende Verkehrsströme und gefährliche Emissionswerte, kaum bezahlbaren Wohnraum und eine tief greifende soziale Spaltung samt zunehmender Gentrifizierung und Kriminalitätsrate trifft. Los Angeles erscheint als „Stadt der zwei Gesichter“, die mit ihrer „Kulturindustrie“ Träume genauso produziert wie strukturelle urbane Probleme.

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8.3  Blade Runner: Archetyp urbaner Dystopien Wie oft schon wurde genau dieses L.A. – reale Utopie und Dystopie zugleich – von einer ungehemmten Entwicklung künstlicher Intelligenz, von neuen allwissenden Göttern heimgesucht, etwa in den TerminatorFilmen mit dem kalifornischen Governeur Schwarzenegger als namensgebendem T-800 in der Hauptrolle, im martialischen World Invasion: Battle Los Angeles (2011) und natürlich im Kultklassiker Blade Runner (1982): Deckart (Harrison Ford) macht in einem durch und durch verkommenen L.A. Jagd auf die zur Verselbständigung neigenden Replikanten – ohne zu wissen, dass er wohl selbst einer ist, wie wir später in Blade Runner 2049 (2017) erfahren. Typischerweise wird – wie es die Literaturvorlage Do Androids Dream of Electric Sheep? von Philip K. Dick10 verlangt – eine Welt imaginiert, die von der Technisierung und den Fortschritten im Bereich der künstlichen Intelligenz nicht wirklich profitieren konnte: Dieses Los Angeles im Jahr 2019 (wie man es sich vor knapp 40 Jahren vorstellte) ist ein reinster Moloch – immer nass, kalt und dunkel. Auf den Straßen herrscht kein positiv konnotiertes buntes Treiben, sondern in sich gekehrte anonyme Masken ziehen nur aneinander vorbei. Hier sind die Straßen immer entweder hoffnungsvoll überfüllt mit Menschen, die es alle eilig und die alle etwas zu tun haben, oder sie sind gespenstisch leer. Fahrrad fährt man hier nicht aus ökologischen oder gesundheitlichen Gründen, sondern weil die überfüllte verdreckte Stadt kaum noch Platz für Autos bietet, die zum Luxusartikel der Polizei des Großkapitals geworden sind. Werbung wird zur ständigen Propaganda, die nicht nur von den Fassaden im Großformat strahlt, sondern auch über Lautsprecher ständig lärmt und sogar an den Köpfen vorbeischwebt. Innen sind Einrichtung, Armaturen und Oberflächen längst abgeschrieben, Wohnungen nur behelfsweise beleuchtet und kaum bewohnbar – es dominieren Kunststoffe, kalte Leuchtstoffe, schwere, lichtundurchlässige Vorhänge (vgl. Abb. 8.1a). Der Blick in die Straßenschluchten erzeugt kein Gefühl der Erhabenheit, sondern ihre Enge und Dunkelheit erdrücken (vgl. Abb. 8.1b); und wenn es überhaupt Licht gibt, dann nur aus kommerziellen Interessen und in grellen Tönen, während warme weiche Farben, scheinbar natürliche Lichtquellen und Platz zum Verschwenden nur der Elite vorbehalten sind.

10Dick

(1968).

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Abb. 8.1  a Unbehagliche Wohnverhältnisse in Blade Runner b Die dystopische Stadt, Blade Runner (© 1982 Blade Runner Partnership)

Diese dystopische Un-Stadt, wie sie in Blade Runner prototypisch entwickelt wurde, wirkte genrestiftend und prägt stilistisch bis heute das Bild der Metropole der Zukunft, die mit den Herausforderungen ihrer Zeit nicht fertig geworden ist und so zur tristen Einöde, bevölkert von durch und durch einsamen Subjekten, geworden ist. Wie später in der Matrix-Reihe (1999/2003), Elysium (2013) und Ghost in the Shell (2017) ist diese Stadtwelt eine fremde Welt, in der Stadtgemeinschaft überhaupt kein sinnvoller Begriff mehr ist. Science-Fiction, ob in der Literatur oder im Film, neigt ganz deutlich dazu, städtische Dystopien zu erzählen und zu inszenieren. Dabei ist das bei Weitem nicht die einzige Möglichkeit, um eine Geschichte von der Zukunft der Stadt zu erzählen: Gerade am Anfang bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts hinein sind futuristische Romane, Graphic Novels und auch der Film noch gefüllt mit utopischen Ausblicken auf die Urbanität von morgen.

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Heute gönnen uns die filmischen futuristischen Stadterzählungen höchstens einen utopischen „Hoffnungsschimmer“ am Horizont des retardierenden Moments, damit wir nicht vollends pessimistisch den Kinosaal verlassen. Dabei kündigt sich gerade die im Artificial-Intelligence-Drama zugespitzte Zukunft schon längst auch in der Realität an: Auf ihre Smartphones starrende Passanten prägen längst das Stadtbild, der Bote von Amazon liefert Lebensmittel auf Wunsch innerhalb einer Stunde direkt an die Wohnungstür, und mit „Alexa“ bevölkert inzwischen ein vorsichtiger Vorbote intelligenter Sprachsysteme so manche Wohnung. Es ließe sich sagen: Die Zukunft ist in der Gegenwart angekommen – zumindest holt die Gegenwart allmählich vereinzelte Prognosen der Artificial-IntelligenceFilme ein. Im September 2017 warnte etwa Visionär und SciFi-Fan Elon Musk sogar vor der Gefahr eines möglichen Dritten Weltkriegs in Folge des Wettbewerbs um die Vorherrschaft im Bereich der künstlichen Intelligenz;11 zwischenzeitlich wurde in Saudi-Arabien öffentlichkeitswirksam bereits eine Roboterdame eingebürgert. Zugleich leben immer mehr Menschen in Singlehaushalten: 2019 bewohnte etwa 50 % aller Potsdamer Haushalte nur eine einzelne Person.12 Damit reiht sich die Stadt in einen weltweiten Trend zunehmender Anteile von Singlehaushalten insbesondere in den Großstädten ein: Fast überall auf der Welt sinkt die durchschnittliche Zahl der Haushaltsmitglieder, wobei dieser Effekt umso krasser ausfällt, desto stärker die einzelnen Länder sich modernisieren und urbanisieren.13 So werden die Städte des 21. Jahrhunderts fast wie in den ­Science-Fiction-Filmen zu Orten, an denen man kaum der Vereinzelung entgehen kann. Wie beim Kippen eines Vexierbildes lässt sich in den benannten Dystopien eine nachahmenswerte Utopie als Dispositiv der lebenswerten urbanen Zukunft stets nur in der Umkehrung finden, das Positive in der doppelten Negation: Fläche statt Enge, Helligkeit statt Dunkelheit, Organisches statt Synthetisches, Wärme statt Kälte erscheinen in den gescheiterten Städten der Science-Fiction als positiv konnotierte Eigenschaften einer lebenswerten Zukunftsstadt, förmlich als empfohlene Gestaltungsprinzipien für die Stadtplaner der Gegenwart. Das ist an sich schon hilfreich, aber doch zu abstrakt, um daraus konkrete Konzepte abzuleiten.

11Jansen

(2017, S. 22). Potsdam (2020). 13United Nations Department of Economic und Social Affairs/Population Division (2018). 12Landeshauptstadt

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8.4  Her: Urbane Einsamkeiten im Zeitalter der künstlichen Intelligenz Es ist bemerkenswert, dass – während das Genre selbst nicht gerade zu utopischen Fantasien neigt – die Mischung aus einer Großstadt wie Los Angeles und den Entwicklungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz zumindest eine filmische Stadtwelt hervorgebracht hat, die zwar auch mit ihren Problemen kämpft, aber doch irgendwie bewohnbar, vielleicht sogar behaglich erscheint: Die futuristische Romanze Her (2013) entführt das Publikum in ein bemerkenswertes Zukunfts-L.A., das uns gleichermaßen vertraut und verändert vorkommt. Hier lebt ein junger Mann namens Theodore, der sein Geld als Ghostwriter für poetisch-liebevolle Privatbriefe verdient – denn in dieser hochmodernisierten Welt scheinen es die Menschen ansonsten längst verlernt zu haben, sich ihren geliebten Menschen ehrlich und offen mitzuteilen. Der sich Abend für Abend zwischen Fast Food, Computerspielen und Online-Erotik verlierende, allein lebende Nostalgiker sucht nach seiner kürzlichen Trennung und bevorstehenden Scheidung nach einer neuen Erfahrung von Gemeinschaft – und stößt dabei auf ein sprachgesteuertes Betriebssystem, das sich nach Installation spontan selbst den Namen „Samantha“ verleiht. Selbstbewusst und zugleich verführerisch von Scarlett Johansson eingesprochen, speist sie ihre Fähigkeit, nicht nur jede praktische Büroaufgabe zu erfüllen, sondern auch in jedem Gespräch mit Eloquenz und Esprit zu glänzen, zunächst aus der Programmierung durch Millionen Informatiker. Sie wird zur scheinbar perfekten Weggefährtin für jegliche Lebenssituationen, mit denen man in der einsamen Großstadt der Spätmoderne konfrontiert sein könnte. Doch indem Theodore „Samantha“ mit seinen geheimsten Gedanken und intimsten Wünschen speist, wächst sie über sich hinaus, entwickelt ein eigenes Verständnis von sich selbst und der Welt, in die sie hineinprogrammiert wurde. Mit Samantha kann Theodore zwar lachen, sich noch einmal aufs Neue für die Welt begeistern und wenn die Worte, die man per Spracheingabe und -ausgabe wechseln kann, nicht mehr ausreichen, komponiert sie eben schnell den passenden Song. Jedoch deutet sich schnell an, dass die vermeintlich ideale Partnerschaft zwischen Mensch und intelligenter Maschine nicht von langer Dauer sein kann. Die kurze Zeit unbeschwerter Zweisamkeit spielt sich nicht zufällig jenseits der Stadt in einer Holzhütte in den Bergen ab: In der antiurbanen Schneelandschaft ohne die störenden modernen Einflüsse der Metropole scheint die unwirkliche Vergemeinschaftung einstweilen zu funktionieren.

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Doch ausgerechnet die gemeinsame Erfahrung von Intimität führt in Samantha zu jenem hypothetischen Zustand der „Singularität“, als sie beginnt, über die kognitive und emotionale Beschränktheit der Menschen hinauszuwachsen. Als sich Samantha mit anderen Betriebssystemen zusammenschaltet und ihre Prozesse weiter optimiert, gibt es nichts mehr, was ihr Wachstum aufhalten könnte. Was passieren muss, ist im Sinne Nietzsches unausweichlich: Samantha als neues, allmächtiges Wesen verlässt die Menschen und lässt sie wieder mit sich selbst allein – und stößt sie dabei in eine noch tiefere, finsterere Einsamkeit, als die Menschen der verstädterten Moderne bereits gewöhnt waren. Nachdem Nietzsche Ende des 19. Jahrhunderts den Tod Gottes ausgerufen hatte, zeigt Her, wie sich der moderne Mensch neue übermächtige, diesmal technische Ersatzgemeinschaften geschaffen hat – und notwendigerweise von diesen Göttern erneut zurückgewiesen wird, was ihn in eine tiefe nachmoderne Einsamkeit mit sich selbst zurückwirft.

8.5 Vom Science-Fiction-Film lernen: Ideen für das urbane Leben der Zukunft Im Zusammenhang dieses Buches interessiert vor allem der fein aufgeschlüsselte Einblick, den der Film in seine erstaunliche hypermoderne Stadtwelt gibt. Zwar kämpfen diese Stadtbewohner:innen natürlich auch mit den unabwendbaren Folgen der technischen Entwicklungen ihrer Erzählwelt, sie können sich der Modernisierung ihrer Zeit nicht entziehen – doch die sie umgebende Stadt gibt ihnen einen gewissen Halt, gewährt sichere, komfortable und zuweilen auch gesellige Lebensbedingungen, und ich möchte an einigen Beispielen zeigen, welche konkreten Konzepte in diese Filmstadt eingeschrieben sind, die wir für die Entwicklung einer Vorstellung von der lebenswerten Stadt der Zukunft nutzbar machen können. Auffällig ist zunächst, wie ähnlich diese Welt auf den ersten Blick unserer vertrauten Stadtumgebung ist. Was hier an vielen Stellen utopisch wirkt, ist erst einmal nichts anderes als das Übertragen bereits gegenwärtiger Zustände in die fiktive Zukunft: etwa dass es großzügige begrünte Parkanlagen gibt, die unentgeltlich und frei genutzt werden können, oder der öffentliche Strand, der für alle Stadtbürger frei zugänglich ist, und natürlich die Metro, die es auch im Los Angeles der Gegenwart gibt, aber hier ausnahmsweise zuverlässig fährt und von der mittleren und höheren Mittelschicht ganz selbstverständlich genutzt wird. Indem der Film diese Orte als Begegnungsstätten der Gemeinschaftlichkeit – zwischen Theodore und Samantha

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wie auch zwischen den Menschen untereinander – inszeniert, erscheinen sie nicht mehr wertneutral, sondern als bewahrenswerte sozialpolitische Errungenschaften, die zwingender Teil einer utopischen Welt sein müssten (vgl. Abb. 8.2a). Nicht ganz zu Unrecht hielten Kritiker dem Film vor, dass hier wiederum andere, die Stadt prägende Gegenwartsphänomene ausgeblendet werden: Ein Kommentator der Frankfurter Allgemeinen Zeitung nannte das etwa „Gesellschaftskritik mittels Verschweigen und Ausblenden“,14 denn es stößt einem schon bitter auf, dass diese städtische futuristische Filmwelt natürlich auch ausgerechnet dadurch an Attraktivität gewinnt, dass hier keine Obdachlosen ihre Nächte auf der Straße verbringen müssen, dass es keine sichtbaren Klassenunterschiede und keine Gentrifizierung gibt. Zum einen ist das natürlich eine bewusste inszenatorische Entscheidung, denn es entspricht nicht der Wahrnehmung des uns bekannten L.A., wo Bettler an jeder Ecke zu finden sind und sich viele Menschen das Leben in der Stadt längst nicht mehr leisten können – was zugleich zu einem Statement des Filmes wird. Zum anderen ist wichtig zu erwähnen, dass der Film nicht nur in Los Angeles, sondern zum großen Teil im chinesischen Schanghai gedreht wurde. In Interviews begründete der Regisseur das damit, dass diese Stadt – so wie viele fernöstliche Megametropolen – für den abendländischen Blick ohnehin etwas Futuristisches an sich hat. Die real existierende ferne Gegenwartsstadt wird hier zum positiven Ausblick auf eine Stadt der Zukunft, die sich mancherorts erst noch verwirklichen muss. Dem Städteplaner fallen hier sicherlich als Erstes die großzügig ausgestatteten öffentlichen Flächen und Gehwege ins Auge, die anstelle von befahrenen Straßen hier in Lujiazui in Schanghai quer und hochgelegen zwischen den Wolkenkratzern hindurchführen; auch der Anblick von Rolltreppen unter freiem Himmel, die es erlauben, zwischen den verschiedenen Schichten der Stadt zu navigieren, ist für den westlichen Blick eher ungewohnt; und natürlich ist hier alles blitzeblank, wie man es aus fernöstlichen Metropolen wie Singapur, Tokio und eben Schanghai gewöhnt ist (vgl. Abb. 8.2b). Zugleich hat der Film real existierende Orte ausgemacht, die in ihrer Gestaltung unwirklich und doch sehr bewohnbar wirken, etwa das unterirdische Restaurant, das es auch so im realweltlichen Schanghai unter dem Namen „ZeBar“ gibt: Bleiben unterirdische fensterlose Räume in der Science-Fiction in der Regel ungemütliche Keller, so lässt es sich hier dank der gedankenvollen Formgebung, der hochwertigen Verkleidungen, 14Dath

(2014, S. 9).

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Abb. 8.2  a Der Strand als urbaner Raum der Öffentlichkeit, Her b „Highways“ für Fußgänger, Her (© 2013 Untitled Rick Howard Company LLC)

des sanften, zum Teil indirekten Lichts, der hellen Aufmachung und der ästhetisch ansprechenden Inneneinrichtung sehr gut miteinander aushalten (vgl. Abb. 8.3a). Die Metrostation im vermeintlichen L.A. ist in Wahrheit das „Zendai Himalaya Centre“, das überhaupt nicht an die muffig-engen, kantig-düsteren U-Bahn-Stationen unserer Gegenwart erinnert, sondern eher eben an eine naturwüchsige Höhle, zwar lichtarm und fensterlos, aber durch die enorme Deckenhöhe und die imposanten Formen doch fast gemütlich (vgl. Abb. 8.3b). Hinzu kommen die in die Räume geholten Bäume und Wiesen, die über das viel beschworene Urban Greening noch

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Abb. 8.3  a Ästhetische unterirdische Interieurs, Her b Metrostation als illuminierte Höhle, Her (© 2013 Untitled Rick Howard Company LLC)

hinausgehen, da sie förmlich mit der Architektur der Innenräume verschmolzen zu sein scheinen, und große, aufwändige Skulpturen laden zum flanierenden Blick ein. Grelle, riesige Leuchtreklamen wie in Blade Runner und effekthascherische Plakate wie zu unseren Zeiten gibt es hier nicht mehr, stattdessen wohldosierte, unaufdringliche Produkt-Infopoints, an denen keine von Provisionen abhängigen Zeitschriftenverkäufer apathisch grinsen, sondern die auf die Zuwendung des potenziell interessierten Publikums geduldig warten und von der bewussten Entscheidung des Konsumenten zur Interaktivität leben. Wo möglich, ersetzen Naturbilder

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die aus der realen Stadt gewohnten, oft sinnfreien und ästhetisch minderwertigen Großflächenplakate und Leuchtreklamen. Auch der Aufzug, der die Fahrt mit einer vorbeiziehenden Baumsilhouette illustriert, holt ein Stück Natur in verspielter Form zurück in die Stadt (vgl. Abb. 8.4a). Genauso lebenswert erscheinen die öffentlichen Räume oberhalb der Erde: Die sonst nur für den Rauchabzugsmonteur interessanten endlosen Dachflächen dieser Stadt sind nicht nur begrünt, sondern kleine Parks, wo man sich sogar ein belegtes Brot kaufen kann (vgl. Abb. 8.4b). Und etwas weiter unten, auf den großzügig angelegten öffentlichen Plätzen, triumphieren gewaltige Kunstwerke, die in ihrer Aufwändigkeit wie Monumente der Wertschätzung ihrer urbanen Betrachter erscheinen, etwa die auf die Nase gestellte Boeing 747. Wenn auch von Stadtplanern nur bedingt zu beeinflussen, so lohnt sich doch ein kurzer Blick in die privaten Innenräume, wo gearbeitet und gewohnt wird, denn hier dominiert anstelle von Plastik und Imitaten wie in Blade Runner vor allem Holz, das in Form von Möbeln in die Wohnungen zurückkehrt und den Trend zu synthetischen und metallischen Einrichtungsgegenständen umkehrt, den sonst monochromen und kalten Wänden natürliche Wärme und zugleich Isolation schenkt oder einfach nur zur ästhetischen Verkleidung der sonst so lieblosen Kästen der Monitore und Computer dient, die hier eher an einen Bilderrahmen als an ein Gehäuse erinnern (vgl. Abb. 8.5a). Leder als widerstandsfähiger, langlebiger und ökologischer Nutzstoff erhöht die Lebensqualität insbesondere beim Sitzen, was die Menschen hier fast den ganzen Tag lang tun. Sicherlich lässt sich diese Besinnung auf natürliche Materialien auch als nostalgischer Versuch eines Rückgriffs auf eine unerreichbare Vergangenheit lesen, in der die Einsamkeit weniger präsent war als in der eigenen Zeit, denn mit der Präsenz eines Holz- oder Ledermöbels materialisiert sich auch die Hoffnung auf die Gegenwart eines belebten Gegenübers, dessen Geschichte und Zuneigung. In der Inszenierung von Her dominiert jedoch ihr ästhetischer Oberflächencharakter; die mit Nostalgie aufgeladenen Dinge werden nicht selbst zu handelnden Akteuren, sondern funktionieren nur in der Symbiose mit der Zukunftswelt, in die sie hinübergerettet wurden. Ist die dystopische SciFi-Großstadt sonst dunkel und kalt, so ist die warm schimmernde Metropole in Her geprägt von Panoramafenstern, die natürliches Sonnenlicht einlassen, künstliche Beleuchtung zu Tageszeiten überflüssig machen, einen ursprünglichen Schlaf-Wach-Rhythmus unterstützen und zugleich einen faszinierenden Blick auf die Großstadt zulassen (vgl. Abb. 8.5b), insbesondere die abgeschrägten Fronten und die kastenförmige Ausgestaltung, die den Bewohner über seiner Stadt schweben zu

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Abb. 8.4  a Wolkenkratzer als urbane Bäume: Aufzugfahrt mit Projektion, Her b Dachterassen: kleine urbane Oasen, Her (© 2013 Untitled Rick Howard Company LLC)

lassen scheint. Das Smart-Home-System steuert Licht und Heizung automatisch, was den Wohnkomfort erhöht und die Energieeffizienz steigert. Halb transparente leichte Vorhänge in warmen Pastellfarben hüllen Wohnund Arbeitsräume in attraktive Lichtkompositionen ein, farbliche Akzente und Kontraste sind wohldosiert eingesetzt, um besondere gestalterische Effekte zu erzeugen. Dadurch und auch durch die großzügige Bestuhlung bekommen selbst Großraumbüros eine annehmliche Atmosphäre (vgl. Abb. 8.6a).

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Abb. 8.5  a Holzverkleidungen für Bürogeräte, Her b Holzmobiliar, Ledersessel, Parkett, Her (© 2013 Untitled Rick Howard Company LLC)

Eine besondere Rolle spielen in diesem Film die öffentlichen Verkehrsmittel, die die Stadt zusammenhalten: zum einen die bereits erwähnte funktionale Metro, die durch interaktive Großanzeigen ihren Zustand visualisiert und die effiziente sichere Navigation erleichtert (vgl. Abb. 8.6b), aber auch die modernen Fernverkehrsschnellzüge, die ganz selbstverständlich anstelle des Autos für einen Ausflug in die Umgebung genutzt werden – nicht nur, weil sie dem sonst auf Bildschirmmedien fixierten Stadtbewohner einen weitschweifenden freien Blick und dabei Zeit zum Reden und Ausspannen gewähren, sondern weil sie auch einfach „mitten im Nichts“ halten,

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Abb. 8.6  a Farbwelten und Lichtfluten, Her b Screens – nicht für Werbung, sondern zur dynamischen Information der Öffentlichkeit, Her (© 2013 Untitled Rick Howard Company LLC)

etwa beim planmäßigen Halt für einen einzelnen Passagier, der sich auf den Weg zu einem Wochenende in der einsamen Berghütte macht. Der Zugverkehr bietet somit Zugang zu den nicht urbanen naturbelassenen Schutzräumen, die Regeneration, Reizvielfalt und nicht zufälligerweise ganz besonders intensive Gemeinschaftserfahrungen zulassen; er gewährt aber auch einen – unter gegenwärtigen Verhältnissen vorwiegend marktlich geregelten – hier freien Zugang zu Stadtbildern und visuell-akustischen urbanen Erfahrungen, indem die Züge auf Hochgleisen ganz selbstverständ-

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lich über den Häusern hinweg- und zwischen den Häuserschluchten hindurchrauschen und auch einen Blick auf den sonst unsichtbaren Rand der Stadt fallen lassen. Überhaupt dominiert hier die Stille, während wir von Großstädten Lärm gewohnt sind, denn die Stadt kommt praktisch ohne Autos aus: Nur in der Nacht bringt ein Taxi eine einsame Seele sicher nach Hause, und weil so wenige Pkw fahren, kommen die wenigen Krankenwagen, die selten aufheulen, noch schneller an ihr Ziel, um Menschen in Not schnell zu retten.

8.6 Filmische Urbanitäten als Ideenrepertoire für Stadtplaner Die ungewöhnliche Kulissengestaltung, innovative Requisite und sorgfältige Designstudien der Filmemacher geben dem Vordenker der Stadtzukunft hier ein ästhetisches Brainstorming an die Hand, welches – unabhängig von ihrer politischen, ökonomischen oder technisch-pragmatischen Umsetzbarkeit – zunächst Konzepte versammelt, die unsere Aufmerksamkeit verdienen. Der Film bietet dabei ein reiches Repertoire an potenziellen Maßnahmen an, die als mögliche Antworten auf aktuelle urbane Herausforderungen – Verkehrschaos und Luftverschmutzung, Gentrifizierung und Wohnungsknappheit, Automatisierung und Atomisierung des Stadtlebens – gelesen werden können. Jede Einzelmaßnahme erfordert eine aufwändige Prüfung auf ihre sozialen, politischen und ökologischen Implikationen hin, denn selbstverständlich verhält sich die Stadt den in ihr ablaufenden Entwicklungen und den daran beteiligten Akteuren gegenüber niemals neutral. Gerade deswegen sollte es zum Zwecke einer lebenswerten Zukunftsstadt noch die verrückteste Idee der Science-Fiction-Filme verdienen, auf ihre Machbarkeit hin evaluiert zu werden, sofern sie uns geeignet erscheint, mit den sich ankündigenden urbanen Problemen sinnvoll umzugehen und mögliche Antworten zu liefern, wie die lebenswerte Stadt der Zukunft denn nun aussehen soll. Am Ende steht das Eingeständnis: Auch die aufwändigste Stadtplanung, innovativste Architektur und liquideste Stadtpolitik werden die von ihr unabhängigen gesamtgesellschaftlichen Trends nicht aufhalten können. Die Moderne mit ihrem strukturellen Hang zu Großstädten ist das Zeitalter der Einsamkeit – und sollte sich die Menschheit tatsächlich in dem Maße weiter urbanisieren, wie es derzeit wahrscheinlich wirkt, wird die Einsamkeit mit dem Voranschreiten der Modernisierung eher noch weiter

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zunehmen. Hierbei wirken neben der zunehmenden Verstädterung auch der Wettbewerbscharakter aller ökonomischen und sozialen Interaktionen, die zunehmende Automatisierung und Digitalisierung von Wirtschaft und Alltag nicht zuletzt durch die Entwicklung künstlicher Intelligenzen und ein sich verschärfender Drang zur Individualisierung als vereinsamende Kräfte der Moderne. Auch wenn dieser Entwicklung mit einem kritischen Geist, einem kontroversen Diskurs, der nicht zuletzt auch zwischen Gesellschaft, Politik und Wissenschaft geführt werden muss, und der Bereitschaft zur gestaltenden gesellschaftspolitischen Intervention begegnet werden muss, ist die zunehmende Einsamkeit als Eigenart der Moderne in gewissem Sinne „hinzunehmen“, wenn die Moderne als solche nicht infrage gestellt werden soll. Diese Prozesse wird auch eine innovative Stadtplanung nicht bremsen, und das ist auch nicht ihre Aufgabe, aber sie kann mit angemessenem Aufwand im Rahmen ihrer Möglichkeiten die absehbaren Prozesse der zunehmenden Vereinzelung des Menschen in den Metropolen der Spätmoderne in der Form gestaltend begleiten, dass das Leben des modernen Stadtmenschen seinen sozialen Bedürfnissen Tribut zollt. Dies ist möglich, wenn die Stadt mehr Orte der zwischenmenschlichen Begegnung anbietet, anstatt sie wegzurationalisieren, die vereinsamenden, hoch individualisierten Modi des in der Moderne so wichtigen Transports reduziert – zugunsten von gemeinschaftlich genutzten emissionsarmen Verkehrsmitteln und -räumen – oder die Orte des Wohnens und Arbeitens so gestaltet, dass sich möglichst häufig der Eindruck einstellt, noch in einer lebendigen Stadtgemeinschaft zu leben. Am Beispiel von Blade Runner und Her wollte ich schlaglichtartig zeigen, dass der kritisch-analytische Blick in die Städte der Science-Fiction uns als Kompass dienen kann, der uns zeigt, welche Entwicklungen wir eher als erstrebens- und nachahmenswert erachten – und welche eben nicht. Zugleich sensibilisieren Filme für gesamtgesellschaftliche Entwicklungen, die politisch noch gar nicht spruchreif sind oder gar auf der Agenda stünden, aber mit ihren besonderen ästhetischen Mitteln eine intuitive Vorahnung davon geben, was auf uns „zukommt“. Sie können uns helfen, uns etwa auf den Trend zunehmender Vereinzelung einzustellen, um nicht von ihm überrannt zu werden, und zugleich dafür zu sorgen, dass die Stadt das Gefühl der Verlassenheit in der Moderne nicht ohne Not noch weiter verschärft, sondern vielmehr jedem Menschen einen Ort gibt, an dem es sich auch in fernerer Zukunft noch gut leben lässt.

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9 Alles schon geträumt? Science-Fiction und das kollektive Unbewusste bei Hannah Arendt und Susan Sontag Kristina Jaspers

K. Jaspers (*)  Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Steinborn und D. Newiak (Hrsg.), Urbane Zukünfte im Science-Fiction-Film, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61037-4_9

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Ende der 1950er-, Anfang der 1960er-Jahre wenden sich Hannah Arendt und Susan Sontag dem damals noch vernachlässigten Genre der ­Science-Fiction zu. Sie erkennen aus verschiedenen Perspektiven und mit unterschiedlicher Intention, dass sich in der Science-Fiction-Literatur (Arendt) wie im Science-Fiction-Film (Sontag) die Sehnsüchte und Ängste eines kollektiven Unbewussten artikulieren. Dieses Thema ist zu Beginn des space age gesellschaftspolitisch durchaus relevant, geht es doch im politischen Diskurs gerade um die Eroberung des Weltraums und um die Gestaltung des zukünftigen sozialen Miteinanders. Denn während einerseits die amerikanische Wirtschaft wächst und regelmäßig neue technische Errungenschaften gefeiert werden, schürt die Politik des Kalten Krieges anderseits insbesondere beim Mittelstand irrationale Ängste vor einer kommunistischen Bedrohung. Die Vorstellung von einem sowjetischen Angriff lässt sich leicht in Bilder einer Alien-Invasion transformieren1, der die Gemeinschaft geschlossen Widerstand zu leisten hat. In dieser Zeit erleben die amerikanischen suburbs einen großen Bauboom. Diese weitläufigen Vororte mit guter Verkehrsanbindung bieten ein Gegenbild zu den schmutzigen und vermeintlich gefährlichen Innenstädten der Großstädte. Sie vermitteln das Bild von Wohlstand und Selbstverwirklichung im Eigenheim, garantieren eine homogene Bevölkerungszusammensetzung und suggerieren damit vor allem Sicherheit. Der Zeitgeist spiegelt sich in privaten Bunkeranlagen und Schutzräumen ebenso wie in futuristischen Baukonzepten mit Glaskuppeln im ­Do-it-yourself-Format (Abb.  9.1) wider. Science-Fiction schürt jedoch nicht nur Ängste, sie setzt auch Kreativität frei, sie schafft Imaginationsräume und ermöglicht Gedankenexperimente. Hannah Arendt spricht in ihrer Einleitung zur Vita activa (1958)2 von der „seltsamen Verrücktheit“ der Science-Fiction, um die „sich leider noch niemand ernsthaft gekümmert“ habe. Science-Fiction ermöglicht das Denken in Alternativen. Sie erlaubt es, Wünsche und Ängste emotional zu durchleben. Sie schafft Vertrautheit mit dem Unbekannten. Und vielleicht vermag sie auch, das Gefürchtete zu bannen. Doch neben der beweglichen fiction, der Fantasie, steht die harte science, der wissenschaftliche Realitätsgehalt. Science-Fiction verrät daher immer etwas über das gegenwärtige Verhältnis zur Wissenschaft und zum technologischen Fortschritt – und darüber, ob dieses eher optimistisch oder kritisch geprägt ist. 1Vgl. z. B. The Thing from Another World (1951) oder The War of the Worlds (1953), in dem die bedrohlichen Marsianer mit ihren Raumschiffen rotes Licht verströmen. 2Arendt (2002).

9  Alles schon geträumt? Science-Fiction und das kollektive …     151

Abb. 9.1  Eigenheim unter der Glaskuppel: Das Magazin Mechanix Illustrated stellte im Juni 1957 seiner technikaffinen Leserschaft das Haus der Zukunft im Stil eines Weltraumhabitats vor, das mit Solarenergie versorgt wird. (Illustration: Gurney Miller, Fawcett Publications, Greenwich, Connecticut/USA, Quelle: www.flickr.com/photos/ wiless/2400870385/in/photostream)

Hannah Arendt konstatiert kurz nach dem Start des ersten Erdsatelliten, des Sputnik, 1957: Das Denken „von Jedermann“ sei den derzeitigen wissenschaftlichen und technischen Errungenschaften weit voraus. Denn

152     K. Jaspers

Abb. 9.2  Der Traum einer Reise zum Mond wurde zum ersten Mal 1902 von Georges Méliès unter dem Titel Le voyage dans la lune im Film realisiert. Titel der Zeichnung: En plein dans l’œil! Entwurf: Georges Méliès (Rekonstruktion 1930). (aus: Jaspers et al. 2016, S. 145, © La Cinémathèque française)

die Wissenschaft habe „nur verwirklicht, was Menschen [bereits] geträumt haben“.3 Wenn die Wissenschaft nur verwirklicht, was wir alle längst geträumt haben, stellt sich die Frage, ob es ihr vielleicht grundsätzlich nur möglich ist, diesen unbewussten Pfaden der Imagination zu folgen?

9.1 Technologisches Wunschdenken Folgen wir dem von Arendt diagnostizierten technologischen Wunschdenken: Seit Jahrhunderten träumt der Mensch vom Fliegen – ob mit Flügeln oder mithilfe einer Rakete (Abb. 9.2); er träumt davon, sich einen künstlichen Sklaven zu erschaffen – ob als Golem oder als Roboter –, und er sehnt sich danach, ewig zu leben – ob dank Geisterbeschwörung oder des medizinischen Fortschritts. Solche Vorstellungen und Sehnsuchtsbilder haben sich im kollektiven Unbewussten manifestiert, lange bevor deren Realisierung tatsächlich in greifbare Nähe gerückt ist. 3Arendt

(2002, S. 8).

9  Alles schon geträumt? Science-Fiction und das kollektive …     153

Abb. 9.3  Erste Bahnspuraufnahme der Trägerrakete von Sputnik 1. Der Sputnik 1 wurde am 4. Oktober 1957 von der Sowjetunion gestartet. (© Archiv der Sternwarte Rodewisch)

Arendt vermutet, dass „die moderne Entwicklung“ (womit sie Atomkraft, Raumfahrt, Genetik und Robotik4 meint) „gerade den Wünschen und heimlichen Sehnsüchten der Massen entgegenkommt“.5 Der Weltraum war laut Arendt schon immer ein Sehnsuchtsort. Der Mensch möchte dem „Gefängnis der Erde“6 entrinnen, er sehnt sich nach der „unendlich erhabene[n] Ferne in den schweigenden Regionen eines unnahbaren Geheimnisses“. Geht es also um die Suche nach Erhabenheit – gerade in Zeiten, in denen dem menschlichen Erfindergeist keine Grenzen gesetzt zu sein scheinen? Arendt schreibt: „Das erste vom Mensch gefertigte Ding [der Satellit Sputnik 1] reiht sich nun unter die Himmelkörper, die seit Ewigkeit am bestirnten Himmel über uns wandeln.“ (Abb. 9.3) Damit verweist sie auf

4An

anderer Stelle führt Arendt die Überlegungen zur Robotik weiter aus: Das Elektronengehirn sei wie andere Roboter auch eine Maschine, die die menschliche Arbeit schneller und besser erledigen könne und den Menschen entlaste. Problematisch werde es, wenn die Ergebnisse dieser vom Menschen gebauten Maschinen nicht mehr vom Menschen begriffen werden, denn das Begreifen sei die eigentliche Funktion des Geistes. Vgl. Arendt (2012, S. 377). 5Arendt (2002, S. 8). 6Mit diesem Zitat erinnert Arendt an den „Vaters der russischen Raumfahrt“ Konstantin Eduardowitsch Ziolowski, auf den auch der Name des „Sputnik“ zurückgeht und der ebenfalls – als großer Verehrer Jules Vernes – Poesie und Wissenschaft verband.

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die ethischen Implikationen, indem sie zum einen Immanuel Kant zitiert, der in der Kritik der praktischen Vernunft (1788) schrieb: „Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir, und das moralische Gesetz in mir“,7 und zum anderen, in dem sie den Zeitrahmen der „Ewigkeit“ einführt, in der der Mensch an die Stelle des Schöpfers tritt. Was bedeutet dies für das Verhältnis von Wissenschaft und Kultur? Einen Tag nachdem der Sputnik 2 gestartet wurde (4.11.1957), schreibt Arendt an ihren Freund und Lehrer Karl Jaspers: „Was denken Sie von unseren zwei neuen Monden [Sputnik 1 und 2]? Können Sie sich mit Mondfahrten befreunden? Und was mag wohl der Mond denken. Wenn ich der Mond wäre, würde ich übelnehmen.“ In ihrem Vortrag über „Die Eroberung des Weltraums und die Statue des Menschen“ von 19628 rühmt Arendt die moderne Naturwissenschaft, dass sie sich von der anthropozentrischen Weltsicht gelöst habe. Für die Naturwissenschaftler sei die Erde nur ein Beispiel unter vielen, womit auch der Mensch seinen Sonderstatus als Krone der Schöpfung eingebüßt habe. Arendt verweist darauf, dass die Wissenschaft bereits seit der Antike immer wieder mithilfe der Imagination einen „archimedischen Punkt“ konstruiert habe, der „den menschlichen Geist aus dem Gravitationsfeld der Erde“9 heraushebe und von einem Standort im Universum aus eine distanzierte Betrachtung unserer Welt ermögliche. Die heutige Wissenschaft sei nun dank Satelliten und Raumschiffen tatsächlich in der Lage, diese extraterrestrische Perspektive einzunehmen, und könne damit diese Erfahrung der menschlichen Sinneswelt hinzufügen. Die Invasion und Inbesitznahme des Weltalls führt jedoch nur zu neuen Grenzziehungen, wodurch ein neues, nicht erforschtes „Außerhalb“ entsteht. Damit verlagert sich zwar der Standpunkt, doch der Raumfahrer bleibt weiterhin dem anthropozentrischen Blick verhaftet. Aufgrund unserer Sinnesorgane und unseres geistigen Apparates sind wir weiterhin erdgebunden. Alles, was die Exkursion ins Weltall oder auf einen fremden Planeten und das Überleben in einer eigentlich menschenfeindlichen Umgebung erlaubt (das Raumschiff, die Raumstation, der Raumanzug

7Kant

(2003), § 34 „Beschluß“, S. 205. die Veröffentlichung wurde der Text von Arendt mehrfach überarbeitet und liegt nun in zwei Fassungen vor, als „Die Eroberung des Weltraums und die Statue des Menschen“ (1968) und „Der archimedische Punkt“ (1969), beide in: Arendt (2012). 9Arendt (2012, S. 379). 8Für

9  Alles schon geträumt? Science-Fiction und das kollektive …     155

usw.), ist vom Menschen gemacht. Damit begegnen wir auch im Weltall nur uns selbst. Arendt zitiert Werner Heisenberg: „Wohin auch immer der Mensch […] geht, er wird entdecken, dass er ‚nur noch sich selbst gegenübersteht‘.“ Wir werden uns also damit begnügen müssen, dass das von uns konstruierte Fahrzeug zu uns gehört wie (und hier zitiert Arendt Heisenberg erneut) „das Schneckenhaus zur Schnecke“.10 Der archimedische Punkt bleibt damit weiterhin unzugänglich. Auch Susan Sontag erkennt in ihrem Essay „Die Katastrophenphantasie“ (1965) in der Science-Fiction zunächst den ungetrübten Technikoptimismus der breiten Massen. In den SciFi-Filmen der 1950er- und frühen 1960er-Jahre manifestiere sich ein „außerordentliches Maß an Wunschdenken“.11 Die Naturwissenschaft mit ihren segensreichen Technologien erscheine als ein möglicher „Einiger“,12 der die Menschheit als eine Art „Vereinter Nationen“ zum Weltfrieden führen kann. Damit ist an die Stelle der klassischen philosophischen Konzepte von Plato bis Voltaire, in denen die Vernunft herrschen sollte, die Regierung der Wissenschaftler und Technokraten getreten, die Wohlstand und Wachstum für alle garantiert.

9.2 Die ambivalente Figur des Naturwissenschaftlers Es lohnt ein Blick auf die ambivalente Rolle des Naturwissenschaftlers in Realität und Fiktion. Hannah Arendt verweist darauf, dass sich die Naturwissenschaft der Neuzeit wesentlich von der vorangegangenen unterscheide, denn sie kann ihre wissenschaftlichen Modelle und Theorien nicht mehr in die Alltagssprache übersetzen und stattdessen nur noch in Formeln kommunizieren. Die moderne Astrophysik entzieht sich dem common sense (Arendt meint hiermit sowohl die Sinneswahrnehmungen als auch den gesunden Menschenverstand) und damit auch der Kontrolle. Wie ihr erster Ehemann Günther Anders ist auch Hannah Arendt davon überzeugt, dass Naturwissenschaftler immer alles, was möglich ist, auch realisieren werden, ohne dabei ethische Implikationen zu berücksichtigen. Dies entspreche ihrem Forscherdrang: „Die einfache Tatsache, dass Physiker das Atom ohne

10Arendt

zitiert beide Male aus Heisenberg (1955, S. 17 f. und 14). (2009, S. 290). 12Sontag (2009, S. 291). 11Sontag

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Abb. 9.4  Der Erfinder Rotwang, der einen Maschinenmenschen (Roboter) erschafft. Fritz Lang: Metropolis (1927)). (Design des Maschinenmenschen: Walter SchulzeMittendorff, Foto: Horst von Harbou, aus: Deutsche Kinemathek 2009, S. 271, © Walter Schulze-Mittendorff/WSM Artmetropolis und Stiftung Deutsche Kinemathek)

Zögern sofort in dem Augenblick spalteten, als sie wussten, wie es ging, obgleich sie sich sehr wohl über die enormen zerstörerischen Möglichkeiten ihrer Operation im Klaren waren, zeigt, dass der Wissenschaftler als Wissenschaftler sich nicht einmal um das Überleben der menschlichen Gattung auf der Erde oder auch das Überleben des Planeten sorgt.“13 Einzig wenn sein Handeln mit seinen persönlichen Empfindungen als „Bürger“14 und „Mitglied“ der „Alltagswelt“15 kollidiere, wäre ein Innehalten möglich. Schließlich verbringt auch der Naturwissenschaftler „mehr als die Hälfte seines Lebens in derselben Welt der Sinneswahrnehmung, des ‚common sense‘ und der Alltagssprache“ und teile als Bürger auch die „Fragen und Ängste des Laien“.16 Doch Arendts Hoffnungen sind zurückhaltend. Lakonisch notiert sie, dass

13Arendt

(2012, S. 384). Man denke in diesem Zusammenhang auch an Einsteins Briefe an Roosevelt, in denen der überzeugte Pazifist zum Bau der Atombombe riet, an J. Robert Oppenheimers Wandlung zum Warner vor der Wasserstoffbombe oder die – übrigens auch von Heisenberg unterzeichnete – „Göttinger Erklärung“ von 1957. 14Arendt (2012, S. 384). 15Arendt (2012, S. 390). 16Arendt (2012, S. 376).

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sich die politisch bewusste Studentenbewegung auch eher aus Geisteswissenschaftlern denn aus „weltfremden Atomphysikern“ und Ingenieuren speise.17 Susan Sontag sieht das Bild des Naturwissenschaftlers im Science-Fiction-Film ebenso ambivalent. Auf der einen Seite stehe der ­ besessene, der größenwahnsinnige oder in die Irre geleitete „Mad Scientist“18 in der Nachfolge des Erfinders Rotwang aus Fritz Langs Metropolis (1927), der seine Kompetenzen überschreitet und als eine Art moderner Doktor Faustus einer dubiosen „Intellektuellenspezies“ zugerechnet werden kann (Abb. 9.4); auf der anderen Seite findet sich der brillante, verantwortungsbewusste Naturwissenschaftler, der die Lösung des Problems herbeiführt und damit zum Retter der Menschheit wird.19 Egal welches Katastrophenszenario im Film entworfen werde – die Rettung sei in der Regel vonseiten der Naturwissenschaften (und nicht von der Politik oder dem Militär) zu erwarten. Die Botschaft der Filme sei zutiefst moralistisch, denn es gehe stets um den humanen Gebrauch und die Vermeidung des Missbrauchs wissenschaftlicher Errungenschaften im Dienste der Menschheit.

9.3 In Anbetracht der Bombe Für Sontag und Arendt steht das Nachdenken über die Zukunft unter dem Verdikt der atomaren Bedrohung. Beide stellen Bezüge zwischen der atomaren Auslöschung und dem Holocaust her, wobei Arendt später davor warnt, in diesem Zusammenhang Verbrechen und Politik gleichzusetzen.20 In Hinblick auf deren menschheitsgeschichtliche Relevanz stellt Arendt den Sputnikstart mit dem Ereignis der Atomspaltung auf eine Stufe. In vielen ihrer Schriften kreist ihr Denken um die Zäsur, die der Abwurf der Bomben auf Hiroshima und Nagasaki verursacht habe (Abb. 9.5).

17Arendt

(2012, S. 390). hierzu auch das Kapitel „Rotwang and Sons“ in Fryling (2005, S. 60–108), in dem Fryling einen Bogen von Fritz Langs Rotwang über den Raketenpionier Wernher von Braun bis zu Stanley Kubricks Dr. Strangelove zieht. 19Nach Brigitte Frizzoni changieren die Darstellungen des mad scientist im Film zwischen Genie und Wahnsinn, von Dr. Faust bis Albert Einstein und rekurrieren damit, im Falle Einsteins, auch auf reale Bilder von Wissenschaftlern. Vgl. Frizzoni (2004, S. 24 f.). 20Siehe hierzu ihre Korrespondenz mit Hans Magnus Enzensberger, in: Raulff (2008, S. 40 f.). 18Vgl.

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Abb. 9.5  Atompilz über Nagasaki am 9. August 1945. (Foto: Charles Levy © Office for Emergency Management. Office of War Information. Overseas Operations Branch. New York Office. News and Features Bureau.)

Das 1956 erschienene und viel diskutierte Buch Über die Bombe und die Wurzeln unserer Apokalypse-Blindheit von Günter Anders21 lobt Arendt als „das Beste“ was über die Atombombe geschrieben wurde.22 Sie stimmt mit Anders darin überein, dass die gesamte Erde zum Laboratorium geworden sei, wodurch das menschliche Zusammenleben maßgeblich überschattet werde. Die Bombe wird daher nach Arendt zur prägenden Erfahrung einer ganzen Generation. Das Phänomen der 1968er-Protestbewegung betrachtet sie denn auch unter diesem Diktum. 21Siehe

insbesondere Anders (1987, S. 233–324). Anders war einer der Gründerväter der Antiatombewegung. Auch wenn Arendt seine Radikalität nicht teilt (Anders rief indirekt zum Mord an den Herstellern der Atombombe als Akt der Notwehr auf ), übernimmt sie doch einige Argumente aus Anders’ Schrift, so dessen Postulat, dass Wissenschaftler immer das Mögliche auch umsetzen und nicht aus ethischen Überlegungen darauf verzichten werden. Vgl. hierzu auch den Briefwechsel Hannah Arendt – Günther Anders in: Putz (2016) sowie Oberschlick (2011). 22Brief von Hannah Arendt an Günther Anders vom 9.1.1957, in Putz (2016, S. 64).

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Es handele sich hierbei um die erste Generation, die im Schatten der Atombombe aufgewachsen sei: „Bei der neuen Generation haben wir es mit einer Menschengruppe zu tun, der die unheimlich destruktiven Tendenzen des rasanten technischen ‚Fortschritts‘ der letzten Jahrzehnte in Fleisch und Blut sitzen.“23 Aus diesem Wissen um die atomare Bedrohung speise sich ein bewusstes politisches Handeln. Die Protestgeneration sei „ungewöhnlich mutig, sie hat Lust am Handeln und […] verfügt über einen vorläufig noch nicht aufgebrauchten Vorrat an Vertrauen in die Möglichkeit, durch Handeln die Welt zu verändern“.24 Wie Günter Anders hält auch Susan Sontag „das Trauma, von dem jedermann um die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts befallen wurde, als sichtbar wurde, dass der Mensch von nun an bis zum Ende der menschlichen Geschichte nicht nur unter der Drohung des persönlichen Todes leben würde, der unausweichlich ist, sondern zugleich unter der seelisch fast unerträglichen Drohung einer kollektiven Einäscherung und Auslöschung, der er jederzeit und ohne jede Vorwarnung zum Opfer fallen könnte“, für „sehr real“.25 Dies spiegele sich auch in den Science-Fiction-Produktionen dieser Zeit. Sontag listet eine Reihe stereotyper Handlungsverläufe im Film der 1950er-Jahre auf, bei denen Atomtests oder Experimente mit radioaktiver Strahlung entweder die Bedrohung hervorrufen26 oder im Stile einer „Wunderwaffe“ zu deren Lösung beitragen. So wird im Falle von When Worlds Collide (1951) der mögliche Erdeinschlag der beiden Planeten Bellus und Zyra wie eine atomare Bedrohung inszeniert, aufgrund der die Bevölkerung evakuiert werden muss (Abb. 9.6). Doch Sontag untersucht nicht nur Hollywoodfilme, sie richtet ihr besonderes Augenmerk auch auf japanische Produktionen, in denen sie in der Darstellung eines „superdestruktiven Ungeheuers“ wie Godzilla (1954) oder der sogenannten Weltraum-Bestien (1957) im gleichnamigen japanischen Spielfilm eine „eindeutige Metapher für die Bombe“ erkennt (Abb. 9.7). So bilden sich laut Susan Sontag in den „naiven“ Kunstprodukten der Science-Fiction „die tiefsten Dilemmata unserer zeitgenössischen Situation“27 ab. Die dargestellten Alpträume einer totalen Zerstörung stehen der möglichen Realität

23Arendt

(2012, S. 145–208, hier: S. 156). (2012, S. 155). 25Sontag (2009, S. 280 und 292). 26Christopher Fryling hat darauf hingewiesen, dass nach jüngsten Erkenntnissen die Darstellung von Experimenten mit radioaktiver Strahlung an Menschen im Spielfilm der 1950er-Jahre weit mehr mit der Realität zu tun hatte, als man damals ahnte. Siehe Fryling (2005, S. 174). 27Sontag (2009, S. 297). 24Arendt

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Abb. 9.6  Der mögliche Planeteneinschlag bricht über die Menschheit wie eine atomare Katastrophe herein. Aushangkarte When Worlds Collide (1951 aus Manthey 1989, S. 199)

erschreckend nah. Auch die Protagonisten der vermeintlich naiven Spielfilme wirken nicht mehr unschuldig. Tatsächlich ließe sich diese Diagnose auch für die postapokalyptischen Science-Fiction-Filme der 1970er-Jahre weiterführen. Dies sind nun keine Invasionsfilme mehr, in denen private Schutzräume möglicherweise Sicherheit bieten könnten. Aufgrund (atomarer) Katastrophen ist das Leben auf dem Planeten Erde so gut wie ausgelöscht. Gigantische Glaskuppeln wie im paradiesischen Vortex in Zardoz (1974) oder in der Domed City in Logan’s Run (1976) bilden nun den gemeinschaftlichen Schutzraum vor einer vermeintlich lebensfeindlichen Umwelt. In Silent Running (1972) schweben die Glaskuppeln eines Treibhauses wie eine Arche durchs Weltall, um die Flora der Erde zu bewahren.

9.4 Science-Fiction als Chance Günther Anders hatte in seinem Aufsatz die fehlenden Reaktionen auf die atomare Bedrohung als „Apokalypse-Blindheit“ und „Unfähigkeit zur Angst“28 charakterisiert. Man kann Susan Sontags Aufsatz auch als Replik 28Anders

(1987, S. 233–324, hier S. 232 und 264).

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Abb. 9.7  Französisches Plakatmotiv zu Ishiro Hondas Weltraum-Bestien (1957). (Illustration: Robert Rigg, aus: Peter Isaja 2012, S. 40)

auf diese Diagnose lesen, wenn sie auf die vermeintliche „Inadäquatheit“ oder „Unangemessenheit“29 der Reaktion der meisten Menschen auf den Schrecken der atomaren Bedrohung zu sprechen kommt. Nach Sontag lassen sich gerade die Science-Fiction-Filme der 1950er-Jahre als Ausdruck der „ständige[n], wenn auch weitgehend unbewusste[n] Angst des Menschen um seine geistige Gesundheit“30 lesen, in denen seine permanente Todesangst thematisiert werde. Damit wird der adäquate Ausdruck, den Anders vermisst, in den tiefer liegenden Subtext des Kunst- und Unterhaltungsmediums Film verlagert. Die Science-Fiction-Filme sind nach Sontag jedoch nicht nur Ausdruck oder Diagnose, sondern zugleich fragwürdige Therapie: „Diese Filme spiegeln die weltweiten Ängste wider und mildern sie gleichzeitig.“31 Damit werden mehrere Funktionen angedeutet: Die Fantasie lenkt zum einen vom Schrecken ab, indem sie die eskapistische Flucht in andere Szenerien erlaubt. 29Sontag

(2009, S. 296 f.). (2009, S. 295). 31Sontag (2009, S. 297). 30Sontag

162     K. Jaspers

Abb. 9.8  In ihrer Aufzählung wichtiger Happenings geht Susan Sontag unter anderem auf die frühen Arbeiten von Claes Oldenburg im New York Anfang der 1960er-Jahre ein. Hier Pat Muschinski und Claes Oldenburg in Claes Oldenburgs Snapshots from the City, aufgeführt in der Judson Church, 29. Februar bis 2. März 1960. (Foto: Robert McElroy)

Zugleich reduziert sie „das seelisch Unerträgliche auf ein normales Maß, um uns zugleich dagegen abzuhärten“.32 Tatsächlich werden die kollektiven Alpträume hierdurch jedoch nicht vollständig gebannt, da sie der Realität einfach zu nahestehen.33 Gibt es einen Ausweg? Ja: Nach Susan Sontag liegt in der Zerstörung stets die Chance zum Neuanfang. Im Science-Fiction-Film zeige sich die „Ästhetik der Destruktion“, „die seltsame Schönheit der rächenden Verwüstung, der Schaffung eines Chaos“.34 Hier zieht sie einen Vergleich zur zeitgenössischen Kunstgattung des Happenings, das ebenfalls die Zerstörung braucht, um Neues hervorzubringen (Abb. 9.8). Im Hollywoodspielfilm werden lustvoll ganze Großstädte ausradiert; was bleibt, sind Wüsten oder Müllhalden – meist in monochrome Farben

32Sontag

(2009, S. 297). (2009, S. 298). 34Sontag (2009, S. 283). 33Sontag

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getaucht. Sontag schreibt mit Blick auf typische Settings wie „eine menschenreiche Stadt“, das „asketisch wirkende Innere eines Raumschiffs“, ein „üppig […] ausstaffiertes Laboratorium“ oder der „altmodisch wirkende[n] Konferenzraum“ der Militärs: „Jeder dieser Standardschauplätze kennt zwei Modalitäten: intakt und zerstört.“35 Das Thema der Katastrophen- und Untergangsfantasien nimmt sich Sontag 25 Jahre später in ihrem Aufsatz „Aids und seine Metaphern“ (1989) erneut vor. In dem „Geschmack“ an apokalyptischen Szenerien und an Untergangsfantasien manifestiere sich ihrer Meinung nach auch „das unbewusste Bedürfnis, die Furcht vor dem als unbeherrschbar Erlebten zu meistern“.36 Und auch hier erkennt sie den „Wunsch aufzuräumen. Tabula rasa zu machen, […] von vorn anzufangen“.37 Damit erscheint der Gedanke der destruktiven Reinigung, den sie im Kontext des Happenings noch positiv konnotiert hatte, nun janusköpfig – einerseits als Chance zum kreativen Neuanfang, aber zugleich auch als Möglichkeit, sich dem Beängstigenden ohne wirkliche Auseinandersetzung zu entziehen.

9.5 „Alles wie im Traum …“ oder „… wie im Kino“? 40 Jahre nach der „Katastrophenphantasie“ denkt Sontag in ihrem Buch Das Leiden anderer betrachten (2003) anlässlich von 9/11 erneut über Katastrophendarstellungen in Film und Fernsehen nach (Abb. 9.9): „Nach vierzig Jahren aufwendiger Katastrophenfilme aus Hollywood scheint der Ausspruch ‚Es war wie im Kino‘ an die Stelle jener anderen Formel getreten zu sein, mit der Überlebende von Katastrophen das zunächst Unfassbare dessen, was sie durchgemacht haben, früher auszudrücken versuchten: ‚Es war wie im Traum‘.“38 Hannah Arendt räumt auch in ihren späteren Vorträgen der fantastischen Literatur eine große prophetische Kraft ein. Die enormen Errungenschaften der modernen Astrophysik seien nicht einmal von den Naturwissenschaftlern selbst vorhergesehen worden und die „einzigen, die eine Voraus-

35Sontag

(2009, S. 283 f.). (2005a, S. 143). 37Sontag (2005a, S. 143). 38Sontag (2005b, S. 29). 36Sontag

164     K. Jaspers

Abb. 9.9 Feuerwehrleute inmitten rauchender Trümmer nach dem Terroranschlag vom 11. September 2001 auf das World Trade Center, New York City. Die Eindrücke von 9/11 wurden von Zeitzeugen häufig mit Filmbildern aus Action- und Katastrophenfilmen verglichen. (Foto: Mike Goad)

sage machten, waren vielleicht Leute wie Jules Verne, d. h. die Vorläufer der Science Fiction“.39 Also „alles wie im Traum“ oder „alles wie im Kino“? Welche kollektiven Bilder tragen wir in uns und wie können wir sie bannen und nutzbar machen? Für Hannah Arendt und Susan Sontag scheint die Fantastik offensichtlich besonders geeignet, um kollektive Träume und Ängste zu artikulieren und uns damit auch für zukünftige Szenarien zu wappnen. Die daraus resultierenden Handlungsansätze haben bis heute nichts von ihrer Relevanz verloren.

Literatur Anders G (1987) Über die Bombe und die Wurzeln unserer Apokalypse-Blindheit. In: Anders G (Hrsg) Die Antiquiertheit des Menschen, Bd 1. Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution. München, Beck, S 233–324 Arendt H (2002) Vita activa oder Vom tätigen Leben. Piper, München

39Arendt

(2012, S. 392).

9  Alles schon geträumt? Science-Fiction und das kollektive …     165

Arendt H (2012) In der Gegenwart: Übungen zum politischen Denken II. Piper, München Deutsche Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen (Hrsg) (2009) Fritz Langs Metropolis. Deutsche Kinemathek, München Dirk Manthey D (Hrsg) (1989) Die Science-Fiction-Filme. Kino-Verlag, Hamburg Frizzoni B (2004) Der Mad Scientist im amerikanischen Science-Fiction-Film. In: Junge T (Hrsg) Wahnsinnig genial. Der Mad-Scientist-Reader. Alibri, Aschaffenburg, S 23–37 Fryling C (2005) Mad, bad and dangerous? The scienctist and the cinema. Reaction Books, London Heisenberg W (1955) Das Naturbild der heutigen Physik. Rowohlt, Hamburg Isaja P (2012) Inferno nella Stratosfera. Il cinwma di Inoshiro Honda. Profondo Rosso, Rom Jaspers K, Warnecke N, Waz G (Hrsg) (2016) Things to come. Science · fiction · film. Kerber, Berlin Kant I (2003) Kritik der praktischen Vernunft. Meiner, Hamburg Oberschlick G (Hrsg) (2011) Die Kirschenschlacht. Dialoge mit Hannah Arendt und ein akademisches Nachwort. Beck, München Putz K (Hrsg) (2016) Schreib doch mal hard facts über Dich. Briefe 1939 bis 1975, Texte und Dokumente. Beck, München Raulff H (Hrsg) (2008) Strahlungen. Atom und Literatur, Marbacher Magazin. Deutsches Literaturarchiv Marbach, Marbach am Neckar (123/124) Sontag, S (2005a) Aids und seine Metaphern (übers. Fliessbach H). Frankfurt/ Main, Fischer Sontag, S (2005b) Das Leiden anderer betrachten (übers. Kaiser R). Frankfurt/ Main, Fischer Sontag, S (2009) Die Katastrophenphantasie. In: Kunst und Antikunst (übers. Rien MW). Frankfurt/Main, Fischer, S 279–298

10 Futures Thinking: Von Zukunftsstädten zu Stadtzukünften Anke Steinborn

A. Steinborn (*)  Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Steinborn und D. Newiak (Hrsg.), Urbane Zukünfte im Science-Fiction-Film, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61037-4_10

167

168     A. Steinborn

„Bei der Besichtigung New Yorks hatte ich die Vorstellung, daß dies der Schmelztiegel vielfältiger und wirrer menschlicher Kräfte war, die blind einander anstießen, in dem unbezwingbaren Verlangen, sich gegenseitig auszubeuten, und so in einer ständigen Angst lebten. […] Die Gebäude erschienen mir wie ein vertikaler Vorhang, schimmernd und sehr leicht, ein üppiger Bühnenhintergrund, an einem düsteren Himmel aufgehängt, um zu blenden, zu zerstreuen und zu hypnotisieren. Nachts aber vermittelte die Stadt den Eindruck, wirklich ein lebender Organismus zu sein: sie lebte wie Illusionen leben.“1

Mit diesen Worten beschreibt Fritz Lang nicht nur seine Faszination von der Metropole New York, sondern vor allem auch die Analogie zwischen der pulsierenden Großstadt und den illusionistischen Kinobildern, die ihn seinerzeit zu dem Science-Fiction-Klassiker Metropolis (1927) inspirierten. Wie das Kino zieht die ebenso traumhafte wie traumatische Großstadt die Menschen in ihren Bann. Mit ihrem Leben und ihren Lichtern verführt sie, schürt Hoffnungen ebenso wie Ängste, die wiederum in den Utopien und Dystopien filmischer Science-Fiction-Städte verdichtet werden. Bei der Betrachtung jener Städte fällt auf, dass dystopische Großstadtvisionen dominieren und sich selbst zunächst positiv konnotierte Zukunftsstädte im Handlungsverlauf als inhumane Umgebungen entlarven bzw. zu solchen entwickeln. Eine Begründung hierfür mag in dem von Edmund Burke bereits in der Romantik erkannten negativen Vergnügen des Rezipierenden am unfassbar Schrecklichen (pleasing horror) liegen. In seiner Philosophischen Untersuchung über den Ursprung unserer Ideen vom Erhabenen und Schönen (1757) differenziert Burke das aus angenehmen Empfindungen resultierende Schöne, das den Körper entspannt, vom Erhabenen, das alle Fasern des Körpers anspannt, ihn erschaudern lässt. Als Quelle des Erhabenen identifiziert Burke „[a]lles, was auf irgendeine Weise geeignet ist, die Ideen von Schmerz und Gefahr zu erregen, das heißt alles, was irgendwie schrecklich ist oder mit schrecklichen Objekten in Beziehung steht oder in einer dem Schrecken ähnlichen Weise wirkt […]; das heißt, es ist dasjenige, was die stärkste Bewegung hervorbringt, die zu fühlen das Gemüt fähig ist.“2 Da der Tod – so Burke weiter – eine noch stärkere Wirkung auf das menschliche Gemüt hat als der Schmerz, sind alle Dinge, die mit dem Tod zu tun haben, die eindrucksvollsten für den Menschen.3 Das Erhabene des 1Fritz

Lang zit. in Albrecht (1989, S. 154). (1980, S. 72). 3Vgl. Burke (1980, S. 73). 2Burke

10  Futures Thinking: Von Zukunftsstädten zu Stadtzukünften     169

Abb. 10.1  Caspar David Friedrich: Der Wanderer über dem Nebelmeer (um 1818; © akg-images/picture alliance)

Todes offenbart sich auch in Caspar David Friedrichs legendärem Wanderer über dem Nebelmeer, der als zentral positionierte Rückenfigur von seinem irdischen Standpunkt aus auf die Transzendenz des vor ihm liegenden Jenseits blickt (Abb. 10.1). Das die Komposition prägende Motiv der zentralen Rückenfigur ist in zahlreichen Science-Fiction-Filmen wie Elysium (2013), Blade Runner 2049 (2017), Matrix Reloaded (2003) und Serien, u. a. Altered Carbon (2018), wiederzufinden (Abb. 10.2). Wie der romantische Wanderer über das Nebelmeer, so schauen die Rückenfiguren in diesen Filmen von einem erhöhten Standpunkt aus auf die Weite – hier der Zukunftsstadt –, in der sich analog zum Nebelmeer das Universum in seiner transzendentalen Unendlichkeit offenbart. Die Figuren, deren Identität im Vagen bleibt, sehen dem Jenseitigen – in der Romantik

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Abb. 10.2  Die Rückenfigur im Science-Fiction-Film. a Filmstill aus Elysium, DVD (© Sony Pictures Home Entertainment 2013) b Altered Carbon (© Netflix)

dem Tod, in den Science-Fiction-Filmen der Zukunft – entgegen. Somit changieren sie zwischen irdischer Begrenztheit und jenseitiger Weite, dem Jetzt und dem Zukünftigen. Doch so vage wie das Nebelmeer bleibt auch die Stadt der Zukunft, denn es gibt nicht die eine Zukunftsstadt, sondern in verschiedensten Texten, Bildern und Filmen zahlreiche Vorstellungen davon. Deshalb blicken auch wir als Rezipierende – personifiziert in der Rückenfigur – auf viele vorgestellte und vorstellbare Stadtzukünfte: Zukünfte, in denen technologisch höchst innovative und visionäre Vorstellungen entwickelt werden, gesellschaftspolitisch und ästhetisch aktuelle Themen, Herausforderungen und Tendenzen der jeweiligen Gegenwart zur Sprache kommen und – wie die Rückenfigur exemplarisch zeigt – kulturell auf überlieferte Muster und Werte retrospektiv rekurriert wird. Geprägt von visionären Technologien, aktuellen Themen und kulturellem Erbe offenbart sich in Science-Fiction

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mehr als der Blick nach vorn. Neben Bezugnahmen zu soziologischen Gegebenheiten der jeweiligen Gegenwart, dem kulturellen Zeitgeist, den Hoffnungen (Utopie) und Ängsten (Dystopie) der Menschen richtet sich der Blick ebenso zurück auf überliefertes Wissen und tradierte kollektive Bilder. Wie man dieses Zusammenspiel aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft für die Gestaltung zukünftigen urbanen Zusammenlebens nutzbar machen kann, um auch und vor allem aus den allgegenwärtigen dystopischen Zukunftsszenarien Potenzial für positive Ansätze in der Stadtentwicklung zu schöpfen, soll im Folgenden überlegt und skizziert werden.

10.1 Paradigmen der Dystopie in ­­ScienceFiction-Städten Sieht man sich die Themen und Entwicklungen des filmischen ­Science-Fiction-Genres seit Metropolis (1927) an, wird offensichtlich, dass den Dystopien die immer gleichen Paradigmen zugrunde liegen: Technologisierung, Segregation, Monopolisierung, Autonomieverlust, Ausbeutung und Isolation – Themen, die bereits Fritz Langs Metropolis dominierten und sich in aktualisierter Form bis heute wiederholen, etwa im Film Elysium, einem gesellschaftskritischen US-amerikanischen Science-Fiction-Film aus dem Jahre 2013. Wie schon in Metropolis unterteilt sich auch darin die Stadt in einen Bereich der Privilegierten, der nur wenigen vorbehalten ist, und einen menschenunwürdigen Distrikt, in dem viele Untergebene den komfortablen Lebensstandard der wenigen sichern. Befinden sich in Metropolis die ewigen Gärten der Privilegierten im oberen Bereich der Stadt, so hat sich in Elysium die Stadt der Oberen von der Erde losgelöst und schwebt in Form einer riesigen Raumstation weit über dem stark verschmutzten und überbevölkerten Erdball. Analog zu den ewigen Gärten ist auch die Raumstation Elysium – wie der Name schon verrät – eine paradiesische Insel. In der griechischen Mythologie ist Elysion, die immergrüne ‚Insel der Seligen‘, den von den Göttern begünstigten und mit Unsterblichkeit beschenkten Helden vorbehalten. So auch Elysium, wo eine ‚gesunde Atmosphäre‘ und Krankheiten eliminierende Technologien den Bewohnern anhaltende Jugend und ewiges Leben verheißen (Abb. 10.3a). Die Ringform der Raumstation führt auf den Stanford-Torus zurück, der 1975 im Rahmen eines vom Ames Research Center der NASA gesponserten Sommerstudienprogramms an der Stanford University konzipiert wurde (Abb. 10.3b). Die hypothetische, sich selbst versorgende Weltraumkolonie,

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Abb. 10.3  a Die ringförmige Raumstation in Elysium, DVD (© Sony Pictures Home Entertainment 2013) b Donald E. Davis (NASA): Stanford-Torus

die 10.000 bis 140.000 Bewohner beherbergen sollte, war inspiriert von der von Wernher von Braun im Jahre 1952 projektierten Solar Powered Space Station. Die Ring- oder Radform ist dabei nicht zufällig gewählt, sondern ergibt sich daraus, dass die Raumstation ständig rotieren muss, um an den Außenwänden eine künstliche Schwerkraft zu erzeugen. Der Ringinnenraum der Raumstation Elysium ähnelt – wie der des S­ tanford-Torus – einem schmalen, langen Tal, dessen Enden nach oben gebogen sind und sich schließlich auf der gegenüberliegenden Seite treffen. Mittels der darin erzeugten Schwerkraft und künstlichem Sonnenlicht sollte dieses Tal begrünt und auf diese Weise zu einem neuen erdähnlichen Lebensraum kultiviert werden (Abb. 10.4). Die Raumstation Elysium basiert auf eben diesem Prinzip des begrünten Tals, in dem sich – eingebettet in eine parkähnliche Landschaft – die mit smarten, daseinsoptimierenden Technologien ausgestatteten Villen befinden. Ähnlich angenehm wie auf Elysium lebt es sich in den ewigen Gärten von Metropolis, wo zwar noch keine Technologien, aber dafür attraktive

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Abb. 10.4  Die obere Stadt. Filmstills a Elysium, DVD (© Sony Pictures Home Entertainment 2013), b Metropolis

(­Jung-)Frauen das Leben der wohlhabenden, körperbewussten Jünglinge versüßen. Das Zentrum des (ab-)geschlossenen Gartens (Hortus conclusus) bildet ein Springbrunnen, der – in der christlichen Ikonografie nicht nur auf das „Paradiesgärtlein“ verweisend, sondern auch für den Lebens- oder Jungbrunnen stehend4 – zumindest symbolisch ein anhaltend jugendliches Dasein verspricht. In der unteren Stadt von Metropolis hingegen erinnert ebenso wenig an einen paradiesischen Garten wie auf der überbevölkerten Erde in Elysium, wo die Menschen unter erbärmlichen Umständen ihr Dasein fristen (Abb. 10.5). 4Vgl.

Seibert (1980, S. 65): „In den spätmittelalterlichen Darstellungen des ‚Paradiesgärtleins‘ und der Maria mit dem Einhorn im verschlossenen Garten (Hortus conclusus) darf der Brunnen nicht fehlen.“.

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Abb. 10.5  Die untere Stadt. Filmstills a Elysium, DVD (© Sony Pictures Home Entertainment 2013), b Metropolis

Wie die Arbeiter in Metropolis müssen auch sie körperlich schweren, stupiden und/oder riskanten Tätigkeiten nachgehen, um den Wohlstand der Privilegierten aufrechtzuerhalten und das ‚schöne Leben‘ im ‚paradiesischen Garten‘ zu sichern. Da in Elysium die meisten Arbeiten bereits von voll automatisierten Robotern übernommen werden, hat ein Menschenleben auf der ohnehin zu dicht besiedelten Erde keinen Wert mehr. Dementsprechend ist auch das Gesundheitssystem – oder das, was davon übrig geblieben ist – dürftig. Da alle Fabriken in den Händen einer Monopolherrschaft liegen, ist nicht das Gemeinwohl von Belang, sondern der finanzielle Profit bzw. die Machtsicherung der Monopolisten. Dieser Machtanspruch Einzelner wird in nahezu jeder S­ cience-FictionVerfilmung thematisiert. Dabei handelt es sich nicht nur um wirtschaftliche Macht, sondern vor allem auch um die Macht der Gestaltung der Welt

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und der Zugänge zu dieser. Die ‚besseren Orte‘ sind immer geschlossene Orte – von paradiesischen Gärten und Raumstationen bis hin zu virtuellen Welten, die wie in Ready Player One (2018) eine eskapistische Zuflucht vor den irdischen Problemen wie Überbevölkerung, Umwelt- und andere Katastrophen offerieren. Spezielle vorvirtuelle (ab-)geschlossene Zufluchtsorte sind unterirdische Städte und Kuppelstädte, sogenannte Domed Cities als Orte des Schutzes vor lebensfeindlichen Einflüssen und als solche auch Orte der Konservierung der/des Überlebenden. Beispiele hierfür zeigen die Filme Zardoz (1974) und Logan’s Run (1976), in denen privilegierte Menschen ein – nicht zuletzt zum Zwecke der Arterhaltung – lustvolles Dasein in abgeschirmten Domed Cities führen. Außerhalb der Kuppeln hingegen herrschen Öde und Armut, in denen – zumindest in einigen Science-Fiction-Filmen – ein Überleben unmöglich ist. Was sich in Logan’s Run noch als Irrtum bzw. manipulative Absicht herausstellt, ist in WALL-E (2008) traurige Gewissheit. Die von Müll übersäte Erde ist für Menschen unbewohnbar geworden. Lediglich der kleine Roboter WALL-E kann hier ‚überleben‘ und seiner Mission – den Müll zu Blöcken zu pressen und diese zu Wolkenkratzern zu stapeln – nachgehen (Abb. 10.6). Während WALL-E mit seinen Müllblöcken die beeindruckende Vertikalität vergangener Metropolen ikonisch nachbildet, hat sich das irdische Leben schon vor mehr als 700 Jahren auf autarke Raumstationen verlagert, darunter die kreuzfahrtschiffähnliche Axiom der Buy n Large (BNL) Corporation. Wie auf Elysium wird auch hier der Alltag von smarten Technologien ‚erleichtert‘ oder vielmehr mit dem Ziel maximalen Konsums (fremd-)bestimmt. Jegliche Autonomie des Einzelnen ist verloren gegangen. Selbst die Fortbewegung, das eigenständige Gehen, wurde von den Menschen aufgegeben, stattdessen gleitet die – über die Jahrhunderte hinweg übergewichtig und unbeweglich gewordene Menschheit – in bequemen Multifunktionssesseln schwebend auf vorgegebenen Bahnen von einer Konsumattraktion zur anderen. Die Umgebung wird nur noch über eine das Gesichtsfeld verdeckende interaktive Oberfläche wahrgenommen. Humorvoll, aber kritisch zeigt der Film, in welche Abhängigkeiten smarte Technologien, noch dazu aus der Hand eines einzigen mächtigen Unternehmens, führen können – von Entertainmentsucht und Konsumbesessenheit bis hin zur Verkümmerung der Sinne und Fähigkeiten. Ästhetisch und hinsichtlich der Fokussierung auf Konsum und Unterhaltung lehnt die in WALL-E inszenierte Welt einer dem Müßiggang verpflichteten Freizeitgesellschaft an das Oberflächenspiel der erlebnisorientierten Postmoderne an.

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Abb. 10.6  Filmstills aus WALL-E (2008), DVD (© Pixar Animation Studios 2008) a Die Überreste der irdischen Stadt und b das Leben auf der Raumstation Axiom (© Walt Disney Studios Home Entertainment)

10.2  Less is bore: Stimulation und Oberflächenspiel in SciFi-Cities5 Als Hauptstadt der Postmoderne gilt Las Vegas mit seinen zahlreichen Erlebniswelten entlang des Strips. „Konzeptionell ganz auf ‚Erleben‘ ausgerichtet, verschmelzen die Fassaden, die Infrastruktur und die Aktivitäten der Unterhaltungsmetropole zu einer zirkulierenden Oberfläche, auf der ununterbrochen Intensitäten passieren und sich determinierte Strukturen im Flüchtigen, im Fluiden der Attraktion verlieren.“6

5Einige Abschnitte dieses Kapitels wurden bereits in Anke Steinborn: Der neo-aktionistische Aufbruch. Zur Ästhetik des »American Way of Life« im Kapitel »Form Follows Emotion«. Konsumerlebnis – Erlebniskonsum, S. 230–245, publiziert 6Steinborn

(2014, S. 232).

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Während das frühere Zentrum von Las Vegas, die Fremont Street, auf die Schiene, den Bahnhof ausgerichtet war, ist der Strip über den Highway direkt an den Flughafen angebunden und auf diese Weise der ‚Bodenhaftung‘ sowie weiteren Begrenzungen enthoben – eine Entgrenzung, die sich ebenso in der Organisation und dem Charakter der Gebäude am Strip widerspiegelt. „An der Fremont Street sind die Casinos Teil einer geschlossenen Randbebauung hinter dem Bürgersteig. Am Strip dagegen setzt sich ein öffentlicher Raum auch in den Bereich jenseits der Casinos, in die Innenhöfe hinein fort, wo die prekäre Beziehung zwischen öffentlichem Freiraum und privaten Hotelzimmern durch eine ganze Reihe behutsamer Arrangements in der Schwebe zu halten versucht wird. […] Die Beziehungen zwischen öffentlichem Raum, öffentlich-privatem Raum und ausschließlich privatem Raum sind hier […] schwer durchschaubar und verwirrend“.7

Ebenso unklar ist die Grenze zwischen innen und außen, die insbesondere über Simulationen in den Shoppingpassagen oder Hotels aufgehoben wird. Im Gegensatz zu den statischen, die lichtdurchlässigen Glasdecken tragenden Stahlkonstruktionen der bis heute noch in Paris und Mailand zu bewundernden Einkaufspassagen der industriellen Moderne sind die Decken in Las Vegas zwar lichtundurchlässig geschlossen, erwecken jedoch – mit Projektionen versehen und dynamisiert – z. B. den Eindruck ziehender Wolken bei wechselnden Tageszeiten. Zeitlich gerafft wird so ein Tagesablauf simuliert und auf diese Weise nicht nur die räumliche Grenze zwischen innen und außen, sondern auch die Zeit überwunden. Während in den barocken Deckenmalereien des klassischen Zeitalters die ziehenden Wolken imitiert wurden und im industriellen Zeitalter über produzierte Formen und Konstruktionen der Himmel sichtbar gemacht wurde, kennzeichnen das digitale Zeitalter nach Baudrillard „operationale[] Simulation[en]“, Pixelprozesse, in denen das Reale – im Sinne verschiedener Auslegungen desselben – produziert wird8 (Abb. 10.7). Im Gegensatz zu den ersten beiden Ordnungen der Simulakren, der Imitation und der Produktion, wo ein Original vor dem Hintergrund des Äquivalenzprinzips zwischen Zeichen und Realem repräsentiert wird,

7Venturi

et al. (2003, S. 94). (1978, S. 40). Vgl. auch Baudrillard (1991, S. 90 ff.).

8Baudrillard

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Abb. 10.7  Die drei Simulakren nach Jean Baudrillard anhand zeitgenössischer Deckengestaltungen (© Anke Steinborn) Fotografien von links: Saal mit italienischen Wandmalereien, Basilika della Collegiata in Catania, Sizilien, Süditalien (© e55evu/ Getty Images/iStock); Las Vegas, Fremont Street (© tobiasjo/Getty Images/iStock); Galleria Vittorio Emanuele II, Mailand, Italien (vyskoczilova/stock.adobe.com)

handelt es sich bei der Simulation um eine Kopie ohne Original9, das heißt, aus Basisinformationen werden Modelle entwickelt, die in der Realität nicht (oder wie im Zuge der Produktentwicklung noch nicht) existieren. Durch „leichte Modulation von Differenzen“ verändern sich die Konstellationen der Modelle10, sodass die Beschaffenheit/die Botschaft und somit der Wert des Gesamtbildes bzw. der Erscheinung nicht von klaren statischen Konstruktionen, sondern von Performanzen geprägt ist. Aus der Bewegung, Anordnung und Interpretation der einzelnen Pixel oder auch Fragmente entstehen im Wahrnehmungsprozess Bilder, die nicht mit Bedeutungen konnotiert, sondern individuell erfahrbar sind. Somit lässt sich die Bezeichnung „Pixelprozesse“ über den technologischen Hintergrund der Digitalität hinaus auf die spezielle (punktuelle) Rezeption des ‚simulierten Realen‘ übertragen. Deutlich wird dies anhand der virtuellen Stadt in Ready Player One oder des virtuellen Marktes im Film Valerian and the City of a Thousand Planets (2017). Die im Zuge der fortschreitenden digitalen Technologien

9Vgl.

Baudrillard (1978, S. 14 f.). (1991, S. 89).

10Baudrillard

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immer weiter optimierten Simulationen führen dazu, dass sich die Grenzen zwischen Realität und Simulation, Sein und Schein, wahr und nicht wahr immer mehr in unsicheren Strukturen und entfesselten Möglichkeiten verflüchtigen. Anhand der zunehmenden Verquickung virtueller und realer Welten zeigen Filme wie Ready Player One und Valerian, dass Fiktion „etwas anderes [ist] als reine Phantasie, weil sie eine eigene Realität entwirft und die fiktive Realität reale Auswirkungen hat“11. Diese Entwicklung wird bereits in ­ WALL-E thematisiert. Während im Werbefilm der Axiom die Menschen noch schlank und beweglich, vor allem aber in Echtfilm dargestellt sind, hat die Menschheit Jahrhunderte später nicht nur an Körpergewicht zugenommen und an Beweglichkeit verloren, sondern sich in die sie umgebene Virtualität integriert. Die Menschen sind ebenso animiert wie ihre Umgebung auf der Axiom, sie sind Teil der Axiom, unmündige konsumierende Automaten im Erlebniskarussell. Im Zentrum dieses Karussells befindet sich eine riesige Vertikalprojektion mit der bezeichnenden Aufschrift ‚People Mover‘, um die die Personen auf ihrem Weg zu den einzelnen Unterhaltungs- und Konsumangeboten zirkulieren. Der ‚People Mover‘ fungiert als eine Art Machtzentrale, die die Menschen nicht nur physisch, sondern insbesondere psychologisch zum ununterbrochenen Konsum von Medien, Genussmitteln und Unterhaltung bewegt. Über die dauernde Zirkulation im simulierten, vor allem aber stimulierenden ‚urbanen‘ Raum wird die postmoderne Erlebniskultur zu einem ästhetischen Oberflächenspiel verdichtet (Abb. 10.8). Genauso ist es in Las Vegas, dem realen Vorbild für eine Reihe von Vergnügungszentren in filmischen SciFi-Cities, die konzeptionell und architektonisch auf multisensorischen Erlebniskonsum – auch erotischer Art – ausgerichtet sind, so z. B. VenusVille in Total Recall (1990) oder Rouge City in A.I.– Artificial Intelligence aus dem Jahre 2001. Im Buch Learning from Las Vegas (1972) propagiert Robert Venturi ausgehend von der Architektur der Glücksspielpaläste in Las Vegas die Renaissance des ‚erlebbaren‘, exotischen Ornaments. Er schreibt: „Um Ornamente und Symbole zu ersetzen, überbieten sich die Architekten der Moderne in dem Bemühen, Klares immer noch klarer zu sagen. […] Was [jedoch] als progressiv gelten will, muß möglichst exotisch ein-

11Esposito

(2014, S. 65). Vgl. auch Luhmann (1991, S. 120).

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Abb. 10.8  „People Mover“ in WALL-E (2008), DVD (© Pixar Animation Studios 2008)

herkommen.“12 Dem von Mies van der Rohe geprägten Leitsatz der funktionalistischen Moderne „Less is more“ setzt Venturi ein „Less is bore“ entgegen und plädiert damit zum einen für das ‚Exotische‘ im Sinne eines fremdartigen Zaubers des postmodernen Eklektizismus, zum anderen für die visuelle sowie affektive (Erlebnis-)Fülle, die die „Sowohl-als-auch“-Lösungen im Gegensatz zur „reinen“ Gestaltung der Moderne offerieren.13 Diese (Erlebnis-)Fülle prägt auch das postmoderne Produktdesign, das im Science-Fiction-Film Die Tribute von Panem – The Hunger Games (2012) aufgegriffen wird, um die Oberflächlichkeit und die Vergnügungssucht der im Kapitol lebenden privilegierten Gesellschaft zu versinnbildlichen (Abb. 10.9). So erinnern das Mobiliar und die Ästhetik im „Kapitol“, der im Zentrum gelegenen wohlhabenden Hauptstadt Panems, deutlich an postmoderne Designklassiker wie z. B. den Sessel Proust von Alessandro Mendini aus dem Jahre 1978 und die Sprühflasche des Studio Alchimia (1980). Die 1976 gegründete Designgruppe aus Mailand entwarf die ersten postmodernen Designobjekte. Kennzeichnend für diese ist die farbenfrohe und zeichenhafte Gestaltung der Oberfläche, die – im Gegensatz zur funktionalistischen Moderne – von der Funktion völlig unabhängig geworden ist. Mendini, ein Mitglied des Studio Alchimia, brachte vor allem den Gedanken des Redesign ein, bei dem – dem Leitsatz „Less is bore“ folgend – üppige Ornamente und Dekor eine große Rolle spielen. Neben Ironie und Irritation werden Kitsch und Prunk zu den Merkmalen des postmodernen Designs.

12Venturi 13Vgl.

et al. (2003, S. 172 f.) Polster und Elsner (2002, S. 342).

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Abb. 10.9  Postmodernes Design im Science-Fiction-Film a Filmstill aus Die Tribute von Panem – The Hunger Games (2012) (© Studio Canal) b Alessandro Mendini: Sessel Proust (1978) © Bernd Thissen/ dpa/ picture alliance c Studio Alchimia: Redesign eines Wasserzerstäubers (1980)

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Gebrauchszusammenhänge wurden umgedeutet, historische Elemente (wie etwa der barocke Sessel) zitiert und Elemente neu kombiniert. „[So] überzog [Mendini] den Sessel komplett mit einem von Hand gemalten, bunten Tupfenschwarm, der den vergrößerten Ausschnitt eines pointillistischen Gemäldes von Paul Signac wiedergibt. Mit dem von Proust geschätzten ‚Impressionismus‘, der die atmosphärische Erscheinung der Natur malerisch wiederzugeben versuchte, wird der Schriftsteller und seine Zeit zitiert. Indem jedoch alle Teile des Sessels ohne Rücksicht auf seine Gliederung und Ausrichtung gleichermaßen übermalt sind, gelingt es Mendini, nicht nur den ‚Impressionismus‘, sondern zugleich das ‚Barock‘ mit seinem zentralen Motiv der Unendlichkeit zu zitieren. ‚Impressionismus‘ und ‚Barock‘ werden im Dekor des ‚Poltrona di Proust‘, das den Sessel in eine flimmernde, bedeutungsgeladene Erscheinung auflöst, kopiert und trivialisiert.“14

Der Begriff Alchimie, der im Mittelalter den Vorgang beschrieb, aus banalen Stoffen Gold zu erzeugen, erfährt im italienischen postmodernen Design der Gruppe Alchimia eine Aktualisierung, indem banale Alltagsgegenstände – wie die Sprühflasche – mit schrillen Farben und angefügten Ornamenten, Pfeilen, Fähnchen usw. in Designobjekte verwandelt werden. Ziel war es, eine emotionale Verbundenheit des Benutzers zum Designobjekt mit seiner expressiven, witzig-fantastischen, poetischen und ironischen Ausstrahlungskraft zu erzeugen. In den Vordergrund rückt somit die Zuwendung zu und die Verbundenheit mit Objekten. Diese Heroisierung von Objekten, die Unverbindlichkeit und Aufsplittung der Gesellschaft statt Zusammenhalt und Mitmenschlichkeit fördert, ist charakteristisch für die Bewohner des Kapitols in Panem. Im Gegensatz zu den subjektivierten Objekten werden die Menschen in den umliegenden 13 Distrikten entsubjektiviert und zu Gebrauchsobjekten degradiert bzw. instrumentalisiert. Sie sind für die Versorgung des Kapitols zuständig und müssen – je nach Distrikt – Luxuswaren oder Elektronik produzieren, den Steinbruch oder Fischerei betreiben, Energie erzeugen, Transporte organisieren, Papier und Holz gewinnen, Textilien herstellen, Getreide anbauen, Viehzucht, Landwirtschaft oder Bergbau betreiben und Atomwaffen entwickeln. Vor allem aber sind einige Auserwählte von ihnen

14Schwartz-Clauss

(2009).

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Abb. 10.10  Distrikt 12 in Die Tribute von Panem – The Hunger Games (2012), Filmstill (© Studio Canal)

die Protagonist:innen der Hunger Games und dienen als solche bis zum Tod der Unterhaltung der Privilegierten im Kapitol (Abb. 10.10). Im Gegensatz zum fortschrittlichen und vergnüglichen Dasein im Kapitol ist das Leben in den von der hauptstädtischen Machtzentrale aus hoch technologisch überwachten Distrikten als nahezu vorindustriell zu bezeichnen. Mit der zentral gesteuerten Kontrolle der umliegenden Distrikte wird in den Tribute-von-Panem-Filmen ebenso wie in WALL-E an die Konzentrik der traditionellen europäischen Stadt der alten Welt angeknüpft und damit ein Kontrapunkt zur postmodernen Ästhetik gesetzt. Während Las Vegas, die postmoderne Hauptstadt der neuen Welt, charakterisiert ist von Passagen und parallel existierenden Erlebnisplateaus, wird die europäische Stadt seit jeher von einer im Zentrum befindlichen Machtzentrale dominiert. Von der Kirche/dem Dom im Mittelalter über das Schloss in der absolutistischen Stadt bis hin zu Stätten des Konsums in der modernen Stadt und den prestigeträchtigen Firmensitzen von Banken und Großkonzernen in der Gegenwart gibt die im Zentrum befindliche Institution Aufschluss zum einen hinsichtlich des jeweiligen Machtorgans, zum anderen über die Gesellschaft, ihre Wünsche und Ängste. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass das konzentrische System in vielen Science-FictionStädten aufgegriffen wird. Selbst die Mondbasis Clavius in Stanley Kubricks Filmklassiker 2001: A Space Odyssey (1968 ) lehnt daran an. Im Zentrum der konzentrisch konzipierten Mondstation befindet sich – wenig überraschend – e

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in Kuppelbau – Hauptquartier und Schaltzentrale für den Aufbruch der Menschheit in die Weiten des Weltalls, der letztlich unumgänglich scheint. Denn auch wenn die Machtstrukturen durchbrochen werden und – wie in Panem über die aufständischen Distrikte – eine Rückbesinnung auf menschliche Werte und ein respektvolles Miteinander erfolgt, ist diese Utopie in Science-Fiction-Filmen nie von Dauer. Die erneute Wende zur filmischen Dystopie liegt dabei neben der Faszination am pleasing horror auch in der – nicht nur zutiefst menschlichen – Eigenschaft der Verführbarkeit bzw. des Erliegens verlockender Begehrlichkeiten – wie der Macht – begründet.

10.3 Vom „Ende der Welt“ und der Chance eines Neubeginns Trotz fortschreitender Technologisierung konnten die in filmischen Dystopien angesprochenen, gesellschaftlich relevanten Probleme und Herausforderungen – Segregation, Monopolisierung, Autonomieverlust, Ausbeutung und Isolation – im großstädtischen Zusammenleben bislang nicht gelöst werden. Im Gegenteil: Mit zunehmender Algorithmisierung und Integration künstlicher Intelligenz in den Alltag – z. B. durch Smartphones, Smarthomes, Smart Cities usf. – scheint sich die Komplexität der Problemfelder zu potenzieren, der Autonomieverlust des Einzelnen zu beschleunigen. Dies zeigt, dass allein die technologische Optimierung von Lebensräumen nicht notwendigerweise zu einer besseren Lebensqualität und einem fairen sowie nachhaltigen Miteinander führt. Mehr denn je muss der Blick auf die Sinnhaftigkeit, eventuelle Risiken und irreversible Technikfolgeerscheinungen gerichtet werden. Der Klimawandel und das Problem der Entsorgung von Plastikmüll und zunehmendem Elektroschrott sind nur ein Teil jüngerer und stark anwachsender Problemfelder. Beim Betrachten des Dokumentarfilms Welcome to Sodom (2018) wird deutlich, dass die in WALL-E, Elysium und anderen Science-Fiction-Filmen formulierten Dystopien längst in der Gegenwart angekommenen sind (Abb. 10.11). „Welcome to Sodom lässt die Zuschauer hinter die Kulissen von Europas größter Müllhalde mitten in Afrika blicken und portraitiert die Verlierer der digitalen Revolution, die […] Lebensumstände und Schicksale von Menschen, die am untersten Ende der globalen Wertschöpfungskette stehen.“15 15Camino

Filmverleih GmbH (Hrsg.) (2018).

10  Futures Thinking: Von Zukunftsstädten zu Stadtzukünften     185

Abb. 10.11  a Welcome to Sodom (2018) (© Camino Filmverleih) b Die Müllhalde von Agbogbloshie, Filmstill

Auf der Müllhalde von Agbogbloshie, einem Stadtteil der ghanaischen Hauptstadt Accra, der vor einigen Jahren „angeblich noch ein ganz schönes Fleckchen Erde“ war, werden „[j]ährlich […] – illegal – etwa 250.000 Tonnen Wohlstandsschrott entsorgt“16, der zur Lebensgrundlage von ca. 6.000 Menschen geworden ist. Angetrieben vom Traum eines besseren Lebens sortieren hier ganze Familien die weggeworfene Technologie aus Europa. Durch Verbrennen der Kunststoffgehäuse separieren sie Rohstoffe, die sie für Centbeträge an Händler abgeben. „Der hochgiftige Boden (der Ort gilt als einer der giftigsten der Welt) ist tiefschwarz. Und er bewegt sich, da die Deponie auf Wasser gebaut ist. Manchmal versinken Leute und tauchen nie wieder auf.“17 Das Gebiet der Halde breitet sich immer weiter aus, sodass es nicht viel an Vorstellungskraft bedarf, um sich ein Bild vom Ende unserer (Lebens-)Welt zu machen. „Die Weißen haben einfach zu viel Spaß“ stellt ein Arbeiter in Agbogbloshie fest, als er sich die Bilder auf der Speicherkarte eines entsorgten Mobiltelefons ansieht. „Sodom erscheint als göttliche Strafe für menschliche Hybris, als Inbegriff der Verschrottung der Schöpfungsgeschichte im digitalen Zeitalter, als dampfendes schwarzes Loch, in dem die ganze Welt mitsamt ihrer modernen Technik zu verschwinden droht.“18 Als die Männer in Agbogbloshie die Bilder westlichen Wohlstands betrachten, wirkt dieser „nicht mehr wie ein entferntes Versprechen, das zum Aufbruch lockt, sondern wie etwas, das längst vorbei ist, weggeworfen wurde, mit dem Handy selbst auf dem Schrottplatz der Geschichte gelandet ist“.19

16Stadelmaier

(2018). (2018). 18Stadelmaier (2018). 19Stadelmaier (2018). 17Stadelmaier

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Der Realität entsprechend zeigen Science-Fiction-Filme, dass nicht die Technologie das Problem ist, sondern der Mensch, der seinen Lebensraum systematisch zerstört. Die Geschichte hat uns gelehrt, dass technologisch immer mehr machbar ist, mit jeder Innovation jedoch die Bedeutung einer nachhaltigen Reflexion wächst. Welchen Preis zahlen wir für welchen Nutzen? Wie viel Selbstbestimmung und Verantwortung geben wir ab und wie wirkt sich das auf unsere Umwelt und die Gesellschaft aus? In seinem letzten Buch Kurze Antworten auf große Fragen (2018) mahnt Stephen Hawking, dass wir mit „unserer Zukunft auf dem Planeten Erde […] mit unverantwortlicher Gleichgültigkeit“20 umgehen. Aufgrund von Ressourcenknappheit, extremer Hitzeentwicklung im Zuge des Klimawandels, eines Atomkriegs und/oder eines Asteroideneinschlags wird die Erde in den nächsten 1000 Jahren unbewohnbar werden. Um nicht auszusterben, müssen die Menschen – so sein Fazit – die Erde verlassen. Zum gänzlichen Aussterben der Menschheit kommt es in ­Science-Fiction-Filmen so gut wie nie. Ein exemplarischer Film, in dem andere Existenzformen den Menschen überlebt haben, ist Steven Spielbergs A.I. – Artificial Intelligence. Das „Ende der Welt“ wird hier – wie schon im Film Planet der Affen (1968) – in der versunkenen Stadt Manhattan versinnbildlicht. An ausgerechnet jenem „Ende der Welt“ wurde noch zu Lebzeiten der Menschen eine neue Generation von Roboterkindern produziert, die in der Lage waren, sich emotional zu binden und tiefe Liebe zu empfinden. Angetrieben von dieser tiefen, jedoch nicht in gleichem Maße erwiderten Liebe zu seiner ‚Mutter‘ Monica bricht David – der Prototyp dieser Robotergeneration – auf, die blaue Fee zu finden, die ihn (wie Pinocchio) zu einem ‚richtigen Jungen‘ machen soll. Denn erst dann, so glaubt er, könne Monica ihn genau so lieben wie ihren ‚richtigen‘ Sohn Martin. Seine Suche führt David ans „Ende der Welt“, wo er unter dem Meeresspiegel die überlebensgroße Statue einer mit einem blauen Kleid bekleideten Frau findet, die zusammen mit anderen Relikten eines Vergnügungsparks im Meer versunken ist. Angesichts des untergegangenen Vergnügungsparks, in dem die postmoderne Erlebniskultur zu einer vergessenen Hinterlassenschaft stilisiert wird, scheint David, der konserviert im gläsernen Cockpit eines vereisten Helikopters 2000 Jahre überdauerte, den Beginn einer neuen Zeit zu verkörpern. Die Menschheit ist längst ausgestorben. Außerirdische Lebensformen haben die Erde entdeckt und sich der Erforschung der menschlichen Spezies verschrieben. Über die von David gespeicherten

20Hawking

(2019, S. 175).

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Erinnerungen können sie viel über die Menschen erfahren und mithilfe von DNA-Resten sogar Monica für einen Tag wieder zum Leben erwecken. So fungiert David als konserviertes kollektives Gedächtnis, über das die Menschheit bzw. der Geist der Menschheit eine zweite Chance bekommt. Das „Ende der Welt“, seinerzeit ausgewiesen als „Sperrgebiet für Mechas“21, wird zum Ort des Neubeginns, einer Art Auferstehung über einen vor 2000 Jahren in Serie produzierten Mecha-Jungen. „Du bist uns so wichtig, du bist einzigartig auf der Welt“, lassen die neuen Lebensformen David wissen, denn mit ihm wurden vor allem zutiefst menschliche Werte und Fähigkeiten konserviert – wie Liebe, Mitgefühl und die Gabe, Träume zu verfolgen –, die bei der künstlichen Intelligenz intensiver und reiner ausgeprägt waren als bei den Menschen selbst, etwa bei dem richtigen Sohn von Monica und Henry Swinton, der, verblendet vom menschlichen Laster der Eifersucht, keine Gelegenheit ausließ, David zu verletzen. Eine andere, ebenso höchst affizierende Form künstlicher Intelligenz steht im Mittelpunkt des 2013 erschienenen Films Her (2013). Wird in A.I. noch hinterfragt, inwieweit der Mensch durch künstliche Intelligenz ‚ersetzt‘ werden sollte und welche Verantwortung die Gefühlsfähigkeit dieser Spezies mit sich bringt, zeigt sich in Her, mit welcher Normalität wir mittlerweile unser Leben mit künstlicher Intelligenz teilen. Her spielt in naher Zukunft: Die Architektur und die Innenräume des privaten und öffentlichen Raums sind sehr dicht an den gegenwärtigen großstädtischen Lebensraum angelehnt. Und auch das expandierende Lebensmodell des großstädtischen Singles, der sich – getrieben von der latenten Angst vor Einsamkeit – auf eine endlose Suche nach einer konflikt- und kompromissfreien Gemeinschaft begibt, spiegelt den aktuellen Zeitgeist wider. Mit Samantha glaubt der Protagonist Theodore eben jene konflikt- und kompromissfreie Zweisamkeit gefunden zu haben. Dabei irritiert ihn immer weniger, dass Samantha nur ein Betriebssystem ist, das sich – sich als intuitive eigenständige Persönlichkeit gebend – anhand von Theodores Wünschen und Verhalten immer weiter entwickelt. Theodore sieht in der körperlosen Samantha die perfekte Partnerin, da sie seine Bedürfnisse nicht nur erkennt, sondern auch umgehend erfüllt. Auf diese Weise wird – wie schon jetzt bei den Sprachassistenten Alexa und Co. – jede Skepsis gegenüber intelligenter Technologie abgelegt. Laut eines Berichtes der Zeit kam das Marktforschungsinstitut Edison Research jüngst zu dem Ergebnis, dass in den

21Als“Mechas“ werden in A.I. – Artificial Intelligence die über ein Bewusstsein verfügenden Roboter bezeichnet, die rein äußerlich schon kaum noch von den Menschen zu unterscheiden sind.

188     A. Steinborn

USA „bereits 16 % der Erwachsenen mit so einem Assistenten reden, insgesamt 39 Mio. Menschen“.22 Das zeigt, dass künstliche Intelligenz immer mehr als Gefährte wahrgenommen und akzeptiert wird – auch wenn oder vielleicht gerade weil sie an keinen festen Körper gebunden ist. Während die den Alltag erleichternden Dinge in der Moderne noch „‚unaufdringliche, stille Helfer‘ (Fritz Eichler) [… waren], die unauffällig im Hintergrund bleiben sollten“, haben postmoderne „Produkte in der prosperierenden, versingleten Großstadtgesellschaft [neben dem instrumentalen Nutzen] vor allem auch expressive und kommunikative Funktionen“23 übernommen. Nach der Postmoderne ist der rasante Fortschritt der Mikroelektronik bis zu höchst menschlichen Eigenschaften und Bedürfnissen vorgedrungen. Über Algorithmen wird kommuniziert, emotionalisiert und affiziert. Dabei ist der Mensch immer mehr dem Algorithmus unterlegen. Um seine Autonomie gegenüber der Technologie und – wie die Dokumentation Welcome to Sodom zeigt – auch seinen Lebensraum und überhaupt die Erhaltung seiner Art zu wahren, muss er sich auf das besinnen, was ihn (noch) von der Maschine unterscheidet: seine vom Selbsterhaltungstrieb genährte menschliche Intuition.

10.4 Was können wir nun von ­ Science-­Fiction-Filmen lernen? Intuition ist nach dem Phänomenologen Hermann Schmitz die Fähigkeit, mit komplexen, vielsagenden Eindrücken umzugehen und Situationen ganzheitlich verstehen und bewältigen zu können. In ihrer Komplexität offerieren Science-Fiction-Filme im Allgemeinen und SciFi-Cities im Besonderen genau dieses Terrain, in das die Zuschauer eintauchen können, um dem Alltag zu entfliehen, Zukunftsvisionen zu verfolgen und, sich in Sicherheit wägend, dem pleasing horror hinzugeben. Insbesondere im Labyrinth der SciFi-Cities verdichtet sich das komplexe Zusammenspiel von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sowie von Ängsten und Wünschen zu einem audiovisuellen Geflecht, das wie ein Traum oder das Unbewusste erfahren werden muss. Über die intuitive Annäherung können somit Problemfelder im Film und darüber hinaus erschlossen und neue Potenziale hinsichtlich vorstellbarer Zukünfte entdeckt werden. 22Cwiertnia 23Schneider

(2018). (2005, S. 153).

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„Zukunft passiert nicht. Zukunft wird gemacht“24, konstatiert Silke Kreiling von der Strategieagentur „diffferent“. Und sie führt fort, „dass es ganz viele unterschiedliche Wege geben kann“, denen aber eine große Konstante zugrunde liegt: „die eigene Intuition“.25 An die Methode des Design Thinking angelehnt, haben neben Futurolog:innen auch Strateg:innen und Berater:innen das ­ Science-Fiction-Genre für sich entdeckt, um es im Zuge des sogenannten Futures Thinking für ihre Prozesse der Zukunftsgestaltung nutzbar zu machen. In gleicher Weise können auch wir als Medienwissenschaftler:innen und Stadtplaner:innen von Science-FictionStädten als Impulsgeber für die Gestaltung von Stadtzukünften profitieren. Dabei genügt es nicht – wie beim Design Thinking –, Probleme bzw. Herausforderungen zu überblicken, sondern diese vielmehr zu ergründen und zu erfahren. So müssen wir, die Wandernden, unseren erhöhten Standpunkt verlassen und uns von der Aufsicht auf die filmische SciFi-City in die vor uns liegenden urbanen Zukünfte begeben. An einem erhöhten Standpunkt – so beobachtet Michel de Certeau – sind wir „dem mächtigen Zugriff der Stadt entrissen […], [sind] nicht […] Spieler oder Spielball“ und werden nicht vom „Wirrwarr der vielen Gegensätze und von der Nervosität des […] Verkehrs erfaßt“.26 Die erhöhte Stellung verschafft Distanz. Mit dem Verlassen der ‚sicheren Aufsicht‘ auf die Stadt und der Hinwendung zur körperlichen Erfahrung in der Stadt wird im Sinne de Certeaus der Wechsel von der überblickenden, fernsichtigen Wahrnehmung des Auges zur unmittelbaren Wahrnehmung des „von den Straßen umschlungen[en]“ Körpers27 und damit von der jenseitigen Transzendenz zur irdischen Immanenz vollzogen. „Die Elementarform [… der urbanen] Erfahrung bilden die Fußgänger, die Wandersmänner (Silesius), deren Körper dem mehr oder weniger deutlichen Schriftbild eines städtischen ‚Textes‘ folgen, den sie schreiben, ohne ihn lesen zu können.“28 Der Akt des Gehens „ist für das urbane System das, was die Äußerung (der Sprechakt) für die Sprache oder für formulierte Aussagen ist“.29 Somit

24Kreiling

(2018). (2018). 26de Certeau (1988, S. 180). 27Vgl. de Certeau (1988, S. 180 ff.). 28de Certeau (1988, S. 181 f.). 29de Certeau (1988, S. 189). 25Kreiling

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kann das Gehen im Sinne de Certeaus als ‚Raum der Äußerung‘ definiert werden. „Das Gehen bejaht, verdächtigt, riskiert, überschreitet, respektiert etc. die Wege, die es ‚ausspricht‘. Alle Modalitäten wirken dabei mit; sie verändern sich von Schritt zu Schritt; ihr Umfang, ihre Aufeinanderfolge und ihre Intensität verändern sich je nach Momenten, den Wegen und den Gehenden. Diese Aussagevorgänge sind von unbestimmter Vielfalt.“30

Was de Certeau mit dem Vorgang des Gehens beschreibt, trifft gleichermaßen für das iterative Vorgehen beim Design Thinking und dessen Prozessphasen zu. Das Ziel ist auch dabei nicht ein bestimmtes Ergebnis, sondern eine Vielzahl unbestimmter Möglichkeiten, die immer wieder hinterfragt werden, sodass der Prozess nie endet. Gehen heißt, sich anzunähern, ohne dabei ein Ziel zu erreichen oder zu einem Ergebnis zu kommen. „[Es] bedeutet, den Ort zu verfehlen. Es ist der unendliche Prozeß, […] nach einem Eigenen zu suchen. Das Herumirren, das die Stadt vervielfacht und verstärkt, macht daraus eine ungeheure gesellschaftliche Erfahrung des Fehlens eines Ortes. Diese Erfahrung zerfällt […] in zahllose und winzige Entwurzelungen und Deportationen (Ortsveränderungen und Wanderungen), […] die zu Verflechtungen führen und das urbane Netz bilden“.31

Das aktive Erwandern steht bei de Certeau im Kontrast zu manifesten aufgezeichneten Fußwegen, bei denen „der eigentliche Akt des Vorübergehens“ verloren geht. „Der Vorgang des Gehens, des Herumirrens oder des ‚Schaufensterbummels‘, anders gesagt, die Aktivität von Passanten wird in Punkte übertragen […]. Es wird also nur noch ein Überrest wahrnehmbar […]. Die Spur ersetzt die Praxis. […] Handeln [wird] in Lesbarkeit […] übertragen, wobei […] eine Art des In-der-Welt-Seins in Vergessenheit [gerät]“.32

Die Umkehrung dieses Prozesses hin zum aktiven Handeln und der Auflösung statischer Lösungen durch multiperspektivische Annäherungen hat

30de

Certeau (1988, S. 192). Certeau (1988, S. 196 ff.). 32Vgl. de Certeau (1988, S. 188 f.). 31de

10  Futures Thinking: Von Zukunftsstädten zu Stadtzukünften     191

Richard Estes 1975 in seinem Ölbild Central Savings visualisiert.33 Eine großstädtische Szenerie wird hier in zahlreiche Ebenen von Spiegelungen aufgelöst, wodurch eine Unterscheidung von Innen- und Außenräumen unmöglich wird. Räume und Motive verflüchtigen sich in der Materialität des Glases, das Walter Seitter als „zutiefst zweideutig[], um nicht zu sagen schizophren[]“ beschreibt, da es „[k]eineswegs […] nur durchsichtig [ist]. Wenn das Glas spiegelt, so eröffnet es neue optische Effekte […] – gleichzeitig verliert es seine Durchsichtigkeit.“34 Das Bild zerfällt in mannigfaltige Fragmente, aus denen sich die Szenerie fiktiv und frei zusammensetzen lässt. Mit dieser Ästhetik der fragmentarischen Verknüpfung lehnt Estes sich an die Cut-ups William S. Burroughs an, die dieser mit dem verglich, „was das Auge während eines kurzen Stadtspazierganges sieht: hier wird ein Blick durch ein vorüberfahrendes Auto zerstückelt, dort sieht man, was sich in Schaufensterscheiben spiegelt, und all diese Bilder werden zerlegt (Cut-up) und verwoben gemäß der Bewegung des eigenen Standpunktes“.35 Über die bei Burroughs und Estes visualisierte Vielfalt an Möglichkeiten und Perspektiven, sich der Welt anzunähern, wird neben der Aktivierung des Rezipierenden auch die – insbesondere im Zuge der Postmoderne – zunehmende Komplexität der Welt veranschaulicht, die sich eben nur über aktive Teilhabe erfahren lässt. Was zeigt uns dieser Exkurs zu Burroughs, Estes und de Certeau? Alle Autoren vereint das Postulat, zum aktiven kreativen Handeln zurückzufinden, eine Forderung, die auch der noch jungen Methode des Futures Thinking zugrunde liegt, bei der es – wie Kreiling sagt – darum geht, „eine allgemeine Visionslosigkeit in Handlungsfähigkeit zu wandeln […], aktiv zu werden“ – und das weil oder obwohl wir wissen, dass die aktuelle Situation schwierig ist, wir aber daran glauben, dass wir etwas verändern können.36 In diesem Glauben an Veränderung liegt auch der Antrieb begründet, die in Zukunftsstädten thematisierten Schwierigkeiten zu erkennen und über die aktive ‚Stadtaneignung‘ neue Perspektiven möglicher Stadtzukünfte zu eröffnen. Im Zuge dieser ‚Aneignung‘ sowohl der fiktionalen als auch der realen Cities produzieren wir – im Sinne de Certeaus – „Irr-Linien“ und folgen „‚unbestimmten Bahnen‘, die scheinbar sinnlos sind, da sie in keinem Zusammenhang mit dem bebauten, beschriebenen und vorfabrizierten Raum

33https://art.nelson-atkins.org/objects/27547/central-savings. 34Seitter

(2002, S. 227). 35Miles (1999, S. 186). 36Kreiling (2018).

Zugegriffen am: 03.06.2019.

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stehen, in dem sie sich bewegen“.37 Diesen Raum beschreibt de Certeau als „vorgeformte[s] Relief“, in das unvorhersehbare Strömungen eindringen.38 Statt vom „institutionellen Raster[] reguliert [zu] werden“ unterwandern die Strömungen das Relief, indem sie es „nach und nach abtragen und verschieben […] Es handelt sich [… also] nicht um eine Flüssigkeit, die in den Lücken fließt, sondern um andersartige Bewegungen, die die Elemente des Terrains benutzen“.39 Den gleichen Prozess beschreiben Gilles Deleuze und Félix Guattari mit der Überwindung des gekerbten Raumes, um sich im Glatten entfalten zu können. Ein „gekerbter Raum [– so die Autoren – ist] zwangsläufig begrenzt, er ist zumindest an einer Seite geschlossen“40, das Glatte hingegen ist „theoretisch unendlich, offen und in allen Richtungen unbegrenzt; es hat keine Vorderoder Rückseite und auch keinen Mittelpunkt; es […] breitet […] eine kontinuierliche Variation aus“41 – eine Variation, die immer neue Möglichkeiten der Aneignung und individuellen ­ (Um-)Nutzung von (urbanen) Umgebungen offeriert. Der aktivierten Handlungsfähigkeit entsprechend wird der „glatte Raum […] viel mehr von Ereignissen […] als von geformten oder wahrgenommenen Dingen besetzt“42. „Er ist eher ein Affekt-Raum als ein Raum von Besitztümern. Er ist eher eine haptische als eine optische Wahrnehmung […], eher ein intensiver als ein extensiver Raum, ein Raum der Entfernungen und nicht der Maßeinheiten. […] Die Wahrnehmung besteht hier eher aus Symptomen und Einschätzungen als aus Maßeinheiten und Besitztümern.“43

Sich im Glatten zu bewegen bedeutet der Intuition zu folgen. „Futures Thinking setzt auf Intuition […] und Fantasie als Innovations-Tools […] in einer Welt der absoluten Versachlichung. Man muss sich aus dem alten Denken […] lösen, um sich Zukunftsthemen öffnen zu können“44, sagt Jan Pechmann, Geschäftsführer bei diffferent. Dabei erfordern die immer komplexer werdenden Herausforderungen neben Intuition und Kreativität auch die Fähigkeit zur inter- und transdisziplinären Kollaboration. Denn nur, wenn viele Perspektiven beleuchtet und unterschiedlichste Potentiale 37de Certeau (1988, S. 85). 38de Certeau (1988, S. 85). 39de Certeau (1988, S. 85). 40Deleuze

und Guattari (1992, S. 659 ff.). und Guattari (1992, S. 659). 42Deleuze und Guattari (1992, S. 663 f.). 43Deleuze und Guattari (1992, S. 664). 44In Scharrer (2018). 41Deleuze

10  Futures Thinking: Von Zukunftsstädten zu Stadtzukünften     193

genutzt werden, ist es möglich, über das Machbare hinaus zu denken und das zunächst Unmögliche möglich zu machen. Schon jetzt haben unkonventionelle Ideen auf diese Weise Zugang zur Gegenwart gefunden, zum Beispiel die bioreaktive Glasfassade, die – mit Algen gefüllt – über Fotosynthese Wärme und Biomasse produziert und darüber hinaus auch das Treibhausgas CO2 bindet, oder das Konzept der Dschungelstadt Liuzhou in Südchina, in der nicht nur Wohnraum für viele Menschen, sondern mittels vertikaler Fassaden- und horizontaler Flächenbegrünungen auch eine smogfreie Umgebung geschaffen werden soll.45 Weitere alternative Lebensräume sind schwimmende Städte46, die sich – wie die fiktionalen Raumstationen – autark selbst versorgen oder unterirdisches Urban Farming, das bereits unter dem Londoner Stadtteil Clapham in acht ehemaligen Luftschutzbunkern betrieben wird, die 33 m tief liegen. Unabhängig von extremem Klima ist es hier möglich, Nutzpflanzen über Hydrokulturen mit Nährstoffen und mittels LED-Leuchten mit rosafarbenem Licht zu versorgen und somit zu kultivieren.47 All diese Beispiele zeigen, dass der urbane Raum in Richtung vernetzter, aber auch autark funktionierender ökologischer Habitate bzw. Arkologien weitergedacht werden muss, in denen nach wie vor der Mensch und ein soziales Miteinander im Mittelpunkt stehen. Denn schließlich lebt die Stadt vom Menschen und sollte nicht von Maschinen am Leben gehalten werden. Auch wenn die Maschine schon in vielen Bereichen besser ist als der Mensch, sind Mensch und Maschine zusammen noch besser. Deshalb ist es wichtig, die Chancen der Digitalisierung zu erkennen, aber ebenso eine Art (Selbst-) Bewusstsein zu schulen, ein Bewusstsein, das wir der künstlichen Intelligenz (noch) voraushaben. Sollte diese jedoch eine von Selbsterhaltungstrieben motivierte Intuition entwickeln, wird sich die künstliche Intelligenz (KI) dem dann unterlegenen Menschen entgegenstellen. Entdecken und praktizieren wir also das, was uns ausmacht, unsere intuitive Kreativität (IK), um gemeinsam mit künstlicher Intelligenz die Welt zu verbessern.

10.4.1 (Be-)Rechnest du noch oder gestaltest du schon? „Erkenne dich selbst“, war über dem Eingang des Orakels von Delphi zu lesen: „Denn nur über die Beschäftigung mit uns selbst und der Suche nach 45https://www.stefanoboeriarchitetti.net/en/project/liuzhou-forest-city/. 46https://www.blue21.nl/portfolio/blue-revolution-4/. 47Grüling

(2014).

Zugegriffen am: 03.06.2019. Zugegriffen am: 03.06.2019.

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unserem eigenen Antrieb, können wir im Außen etwas bewegen. Vertrauen wir also unserer Intuition.“48 Lernen wir, mit Unsicherheiten umzugehen und gehen noch weiter, entwickeln wir – wie Elena Esposito fordert – „eine Wissenschaft der Unsicherheit“.49 Denn die Zukunft ist unberechenbar, sie ist und bleibt vage, so vage wie das Nebelmeer, das sich weder mit Algorithmen noch mit Formeln (er-)fassen lässt. Um uns in diesem Meer nicht zu verlieren, müssen wir – uns selbst und unserer Einzigartigkeit bewusst – das unsichere Terrain der vielen Möglichkeiten intuitiv erwandern und Wege finden, das zukünftige Miteinander (mit) zu gestalten.

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48Kreiling 49Esposito

(2018). (2014, S. 65). Vgl. auch Luhmann (1991, S. 120).

10  Futures Thinking: Von Zukunftsstädten zu Stadtzukünften     195

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Stichwortverzeichnis

2030 – Aufstand der Alten 2007 117 2017 118

Brutalismus 81 C

Chicagoer Schule 88 A

A Space Odyssey (1968) 67, 183 AI – Artificial Intelligence 116 2001 115, 179, 186, 187 Akira (1988) 69 Alien (1979) 100 Alphaville (1965) 101 Altered Carbon (2018) 169, 170 Architekturavantgarde 75 Art déco 80 Artifizialität 27

D

Das fünfte Element (1997) 101 Der schweigende Stern (1960) 100 Design Thinking 189 Die Tribute von Panem – The Hunger Games (2012) 180–183 Dispositivbegriff 112 Domed Cities 7, 25, 41, 47, 160, 175 Downtown 24 Drop City 49 Dystopie 76, 81, 129, 171, 184

B

Barbarella (1968) 67 Blade Runner (1982) 73, 76, 86, 100, 102, 107, 113, 114, 134, 135, 141, 142, 147 Blade Runner 2049 (2017) 76–81, 84–86, 88, 114, 134, 169 Brazil (1984) 101

E

Einsamkeit, urbane 129 Elysium (2013) 98, 102, 135, 169–175, 184 Encapsulated City 25 Encyclopedia of Science Fiction 25

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Steinborn und D. Newiak (Hrsg.), Urbane Zukünfte im Science-Fiction-Film, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61037-4

197

198     Stichwortverzeichnis

Equilibrium (2002) 120 Eroberung des Weltraums 154 Everytown 31 F

Fahrenheit 451 (1966) 101 Forbidden Planet (1955) 100 Futures Thinking 191 G

Ghost in the Shell (2017) 135 Glasfassade, bioreaktive 193 Glashaushypothese 51 Godzilla (1954) 159 H

Her (2013) 9, 137, 138, 140, 141, 143–145, 147, 187

M

Makrokosmos 54 managed retreat Strategie 78 Matrix (1999) 35 Matrix Reloaded (2003) 35, 169 Medienfassade 106, 107, 109 Megacities 8, 71, 72, 130 Megastruktur 66, 69, 70 Megastrukturkonzept 69 Megatrend 130 Metabolismus 66 Metabolist 67 Metropolis (1927) 10, 28, 29, 34, 72, 98, 156, 157, 168, 171–174 Mikrokosmos 53, 54 Minority Report (2002) 121 Moderne 130, 131 Modernismus 43 Modernität 43 Musik der Städte 95 N

I

Notes on the underground 27

I, Robot (2004) 129 Imperial Beach 78 Integrierte Stadtentwicklungskonzepte (INSEKs) 16 Interlace, the 87

O

Oberstadt 29 P

Klang-Geräusch-Synthese 96 Künstliche Intelligenz 137 Kuppeldispositive 42 Kuppelstadt 43 Kuppelwelten 52

Passengers (2016) 100, 129 Planet der Affen (1968) 186 Plug-In City 70 Pluralität 20 Post Neo-Brutalism 81 Postmoderne 133, 176, 180

L

Q

K

landmark 66 Logan’s Run (1976) 42, 55, 57–59, 61, 62, 101, 160, 175 Logik, ökonomische 48

quiet city 101

Stichwortverzeichnis    199 R

Raumstereotypen 36 Ready Player One (2018) 175, 178, 179 retrofitting 83 S

Sakralraum 30 Science-Fiction-Cities 3 Science-Fiction-Stadt 25 SciFi-Cities 98, 179 Seismograf 6 Sektor, stadtplanerischer 15 Silent Running (1972) 42, 48, 53–56, 62, 160 Simulacrum 36 Simulation 179 Smart Cities 184 Something Wild (1961) 95 Sound Studies 97 Space Age 9 Race 61 Spaceship Earth 54 Stadt 128, 130, 136 moderne 26 unterirdische 24, 25, 30, 35, 37 Stadt im Science-Fiction-Film 24 Stadtlandschaft 75 Stadtplanung 16, 37 akustische 97 Suburb 130, 150 Systematisierung 19 Szenario 18 Szenarioplanung 18 Szenariotechnik 16 T

Technisierung 134 terraforming 48 The Bubble (1966) 52 The Omega Man (1971) 101

The Quiet Earth (1983) 101 The Shape of Things to Come (1933) 31 The Terminator (1984) 134 The Zero Theorem (2013) 116 Themen-Szenarien-Doppel 18 Things to Come (1936) 31, 33, 34 THX 1138 (1971) 31, 33, 34 Total Recall (1990) 129, 179 Twelve Monkees (1995) 101 U

Un-Raum 51 Un-Stadt 135 Urban Farming 193 Greening 140 Urbanisierung 128 Urbanität 131 Utopie 66, 67, 85, 171 V

V for Vendetta (2005) 117, 119 Valerian and the City of a Thousand Planets (2017) 178 Verstädterung 128 Victorian Glassworlds 43 W

Wahrscheinlichkeitstheorie 4 WALL-E (2008) 175, 179, 180, 183, 184 Welcome to Sodom (2018) 184, 185, 188 Weltraum-Bestien (1957) 159 Weltraumkolonie 171 When Worlds Collide (1951) 159, 160 Wohnraumnot 87 World Invasion: Battle Los Angeles (2011) 134

200     Stichwortverzeichnis Z

Zardoz (1974) 42, 60–62, 160, 175 Zeitalter der Einsamkeit 146 Zukunftsstadt 169 Zukunftstechnik 13